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Full text of "Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen"

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Sarbatti  CoUeßC  liörarg 


JOHN    AMORY    LOWELL, 

(Clau  Ol  1815). 

This  fund  Is  $10,000,  und  oflta  income  three  quartera 

tliAll  be  fipent  for  bookA  and  one  quarter 

bc  added  lo  the  prlnclpal. 


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ARCHIV 


FÜR  DAS 


STUDIUM  DER  NEUEREN  SPRACHEN 
UND  LITERATUREN 


begrOndet  von  loowig  herrig 

HEBAUSOBOBBEN 

TOM 

ALOIS  BRANDL  UND  HEINRICH  MORP 


LEX.  JAHRGANG,  CXV.  BAND 

DBB  NEUEN  SERIE  XV.  BAND 


BRAÜNSCUWEIG 

DEUOK  UND  VEBLAG  VON  GBOBGB  WESTBBMANN 

1905 


Ä 


Inhalts-Yerzeiclinis  des  CXV.  Bandes, 

der  nenen  Serie  XV.  BaBdes. 


Abhandlungen.  g^.^^ 

Zur  Entstehung  dea  Märcheos.  Von  Friedrich  von  der  Leyen.  IIL  (Fort- 

setsoog) 1 

ITiklas  Prann  nnd  Pandolfo  Collennccio.     Von  AdolfHauffen     .     .     .     .  22 

Tolksliod-Miazellen.    II.     Von  E.  K.  Blflmml 30 

Zur  Entstehung  des  Mlrchens.  Von  Friedrich  von  derLeyen.  IV.  (Fort- 

setzong) 278 

Wielands  'Metamorphose'  in  seiner  eigenen  Beurteilnng.    Von  Jnlius  Stein- 
berger  290 

Über  den  Hymnus  Ciedmons.     Von  A.  Schröer 67 

Noch  einmal  die  Quelle  des  'Monk'.     Von  Georg  Herifeld 70 

Die  Bargbscbe  Cato-Paraphrase.     Von  MazFörster.   1 298 

Zur  englischen  Wortgeschichte.    Von  W.  Hörn 824 

Zur  letsten  Londoner  Theaterseason.     Von  R.  Fischer 329 

Briefe  von  Gaston  Paris  an  Friedrich  Dies.     Von  AdolfTobler      .     .     .  74 

Phonetik  und  Semantik  In  der  etymologischen  Forschung.    Von  £.  Tappolet  101 

Beitrage  rar  französischen  Stilistik  und  Syntax.  Von  EmilMackel  .  .  124 
Cyrano  de  Bergerac  (1619 — 1655),  sein  Leben  und  seine  Werke.    Ein  Ver- 

sach.     Von  H.  Oflbi.     IV.  (Scblufs) 133 

Stadien  zur  fir&nkischen  Sagengeschichte.  U.  Von  LeoJordan.  .  .  .  854 
Kote  sal  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etk  Media.    Di  Arturo  Farinelli.    II. 

(Forfsetsung) 868 

BUeinere  Mitteilungen 

Zur  QaeUenkunde  und  Textkritik  der  altengl.  Exodus.    (F.  Holthausen).  162 

Zum  ae.  ^ereftu    (Otto  Ritter) 163 

£dne  vttiore&e  Handsehrift  der  Sprüche  Hendings.     (Max  Förster)  .     .     .  165 

Die  Bibliothek  des  Dan  Michael  v<m  Northgate.    {Max  Förster)      ...  167 

Zu  Lydgates  Secreta  secretomm.    (Max  Förster) 169 

Die  mittelenglisehe  Version  von  Claudians   De  consulatu  Stiliehonis.     (Max 

Förster) 169 


IV 

8«tto 

HisMÜen  lor  engliBchen  Wortknnde.     (Otto  Ritter) 17S 

Byrons  Oedichte  To  Mr.  Murray.    (Otto  Bitter) 176 

Eine     Shakespearesche    Redewendang     bei    Annette    Ton    Droete-HfllBho£ 

(EL  Sprenger) 176 

Kentiflch  hionne'.  Hirnhant.     (F.  Lieber  mann) 177 

Bemerkungen  lam  Beowiilf.     (Fr.  Elaeber) 178 

Das  Mätsnersche  Wörterbach 182 

Ag8.  rihthamtcyldi  echtes  Hoftor.     (F.  Liebermann)  •     •     . 389 

Zam  90.  angelsachsischen  Bfttsel.     (Frits  Erlemann) 391 

Ein  altengliscbes  ProsartUsel.     (Max  Förster) 39S 

Das  Englisch  des  städtischen  Rechts  im  15.  Jahrhundert    (F.  Li  eher  mann)  398 

Ein  neuentdecktes  Manuskript  Thomas  Chattertons.     (Helene  Richter)  398 

Zu  Archiv  CXU,  190  ff.  (Anieige).     (A.  J.  Barnouw) 397 

Zu  Archiv  CXIV,  474  (Bibliogr.) 397 

Mundarlgrenzen.     (C.  Haag) 182 

Die  Soci^ti  des  Textes  fran9ais  modernes.    (H.  M.) 189 

Elex  oder  IUex7     (W.  Mejer-Lttbke) 397 

Notes  sur  ia   prononeiation  fran^aise   du  nom  de  Shakespeare.     (Fernand 

Baldensperger) 899 

Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Max  Batt,   The  treatment  of  nature  in  German  literature  from  Gflnther  to 

the  appearanoe  of  Ooethe's  Werther.    (R.  Woemer) 405 

K.  Berger,  Schiller.     (Robert  Petsch) 211 

Goethe,  Iphigenie  auf  Tauris.     Ed.  hj  K.  BreuL    (R.  M.  M.) 194 

Schiller,  Geschichte  des  Dreifhigjährigen  Krieges,  abridged  and  edited  by  Karl 

Breul.     (Robert  Petsch) 212 

Frans  Deibel,  Dorothea  Schlegel  als  Schriftstellerin  im  Zusammenhang  mit 

der  romantischen  Schule.     (Richard  M.  Meyer) 218 

Kuno  Fischer,  SchiUerschriften.     (Robert  Petsch) ..212 

Th.  Fontanes  Briefe  an  seine  Familie.     (Richard  M.  Meyer) 410 

L.  Fulda,  Schiller  und  die  neue  Generation.     (Robert  Petsch) 195 

Ludwig  Gelger,  Gbethes  Leben  und  Werke.     (R.  Woemer) 404 

O.  Harnack,  Schiller.     (Robert  Petsch) 209 

Julius  Hartmann,  Schillers  Jugendfreunde.     (Robert  Petsch) 211 

Schillers  Sämtliche  Werke,   herausgegeben  von  Eduard  Ton  der   Hellen. 

(Robert  Petsch) 198 

Andreas  Hensler,  Lied  und  Epos  in  germanischer  Sagendichtung.    (Richard 

M.  Meyer) 403 

Marbacher  Schillerbuch,  herausgeg.  Tom  Schwäbischen  Sohillerrerein.  (Robert 

Petsch) 202 

Ernst  Martin,   Wolframs  von   Esohenbach   Pandval  und  Titurel.     Zweiter 

Teil:  Kommentar.     (Joseph  Seemfliler) 190 

R.  Petsch,  Vorträge  über  Goethes  'Faust'.    (Richard  M.  Meyer)  ....  405 


V 

Seite 
N.  Lenaii,  Poöte  lyriqne.  Par  L.  Reynaad.  (Helene  Herrmann)  .  .  .  406 
Jan  T.  Bozwadowaki,    Wortbildang  und  Wortbedeatnng.     (W.  Franz)  216 

Die  Gedichte  Oswalde  von  Wolkenstein,  heraasgeg.  von  J.  Schatz.    Zweite 

verbesserte  Ausgabe.     (Hennann  Michel) 192 

Fr.  Stahl,  Wie  sah  Goethe  ans?     (Richard  K.  Meyer) 198 

Fritz  Stahl,  Wie  sah  Biemarck  aas?     (Richard  M.  Meyer) 216 

Emil  Snlger-Gebing,  Hngo  v.  Hofmannsthal.  (Richard  M.  Meyer)  .  .  817 
Pantheon -Ansgabe:  Schillers  Gedichte,  ed.  Weifsenfeis.  ^Robert  Petsch)  199 
Frans  Zinkernagel,  Die  Grundlagen  der  Hebbelschen  Tragödie.   (Theodor 

Poppe) 213 

Oskar  Boerner,  Die  Sprache  Robert  Mannings  of  Brunne  und  ihr  VerhUtnis 

znr  nenenglischen  Mundart     (Erik  BjÖrkman) 223 

Henry  Br ad ley,  The  making  of  English.     (K.  Luick) 414 

George  Masons  Grammaire  Angloise  nach  den  Drucken  von  1622  und  1633 

herausgegeben  von  Rudolf  Brotanek.  (Wilhelm  Dibelius)  .  .  .  .  425 
Bruno  Basse,  Wie  studiert  man  neuere  Sprachen?  (M.  Konrath)  .  .  .  218 
Theodor  £ichhoff.   Die  beiden   Ältesten  Ausgaben   von  Romeo  and  Jnliet 

(Ernst  KrOger) 423 

John  Erskine,  The  Elisabethan  lyric     (Wilhelm  Bolle) 227 

a  J.  M.  Fant,  Engelskt  uttal.     (Erik  BjOrkman) 426 

R.  Hall,  Lehrbuch  der  englischen  Sprache.    Fttr  M&dchenscbulen  bearbeitet 

in  xwei  Teilen.  L  TeU,  2.  Aufl. ;  U.  Teil,  1.  Aufl.  (WUli  Splettstöflser)  429 
Alexander  GiUs  Logonomia  Anglica,   herausgegeben  von  Otto  L.  Jiriczek. 

(K-  Lnick) 230 

Oscar  Wilde,  De  profundis,  herausgegeben  und  eingeleitet  von  Max  Meyer- 
feld.    (A.  Brandl) 235 

Ernst   Otto,    Typische  Motive  in   dem  weltlichen   Epos   der  Angelsachsen. 

(Heinrich  Spies) .222 

W.  Sattler,  Deutsch-englisches  Sachwörterbuch.     (W.  Franz) 236 

W.  Sattler,  Deutsch-EngUsches  Sachwörterbuch.    (W.  Franz) 429 

Levin    Liadwig   Schüeking,    Beowulfs   Rückkehr,    eine    kritische    Studie. 

(A.  Brandl) 421 

Ebner  Edgar  Stell,   John  Webster;  the  periods  of  bis  work  as  determined 

by  bis  relations  to  the  drama  of  bis  day.     (A.  Brandl) 229 

Graee   Fleming  Swearingen,   Die   englische  Schriftsprache   bei  Goverdale. 

(Erik  Björkmap) 226 

Wilhelm    Swoboda,    Lehrbuch    der    englischen    Sprache    fär    Realschulen. 

1.  Teil:   Elementarbuch    der   englischen   Sprache   ftlr  Realschulen.    — 

2.  TeU:   English   Reader  (Lehr-   und  Lesebuch   fQr  die  6.  Klasse).    — 

3.  Teil:   Literary   Reader  (Lehr-  und  Lesebuch  für  die  7.  Klasse).   — 

4.  Teil:   Schulgrammatik    der    modernen    englischen    Sprache.     (Willi 
Splettstöfser) .427 

Korits  Trautmann,  Das  Beowulflied,  als  Anbang  das  Finn-Bruchstflck  und 
die  Waldhere-Bruchstflcke,  bearbeiteter  Text  und  deutsche  Übersetzung. 
(Levin  Ludwig  Scbttcking) 417 


L 


VI 

Seite 
The  nation's  need.    Chapters  on  education.    Edited  hj  Spenser  Wilkinson. 

(W.  Münch) 411 

Martin  Wolf,  Walter  Scotts  Keniiworth.     (Georg  Hersfeld) 234 

LeoDhard  Wroblewski,   Über  die  altenglisehen  Qeeetze  des  Königs  Knut. 

(Heinrich  Spißa) 282 

Aus  romanischen  Sprachen  und  Literaturen.  Festschrift  Heinrich  Morf  lur 
Feier  seiner  fllnftindswanzigjährigen  Lehrtätigkeit  Ton  seinen  SohQlem 
dargebracht     (H.  M.) 430 

Amalia  Cesano,  Hans  Sachs  ed  i  suoi  rapporti  eon  la  Letteratura  Italiana.. 

(Arthur  Ludwig  Stiefel) 253 

Festschrift,  Adolf  Tobler  cum  siebzigsten  Geburtstage  dargebracht   von  der 

Berliner  Gesellschaft  fttr  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  (Adolf  Tobler)     238 

I.  Giorgi   ed   £.  Sioardi,   Abboszi   di  rime  edite  ed  inedite  di  Francesco 

Petrarca.     (C.  Appel) 464 

O.  Hecker,  Neues  deutsch-italienisches  Wörterbuch.    Teil  H:  Deutsoh-Ita- 

Uenisoh.    (Berthold  Wiese) 468 

Otto  Knörk   et  Gabriel  Puy-Fourcat,   Le  fran9ais  pratique  pour  la  jeu- 

nesse  commer9ante  et  industrielle.     1^'^  partle.     (Keesebiter)  ....     463 

Wilhelm    Mttnch,    Didaktik  und   Methodik    des   französischen   Unterrichts. 

2.  umgearbeitete  Auflage.     (Theodor  Engwer) 246 

George  N.  Oicott,  Thesaurus  linguae  latinae  epigraphieae.  Band  I,  Liefe- 
rung 1.     (Max  Niedermann) 245 

Gabriel  Puy-Fourcat,  s.  Otto  Knörk. 

Bernhard  Schädel,  Mundartliches  aus  Mallorca.     (H.  M.) 256 

Arnold  Schröer,  Die  Fortbildung  der  neusprachlichen  Oberlehrer  und  das 
Englische  und  Französische  Seminar  an  der  Handels-Hochschule  in  Köln. 
(Theodor  Engwer) 251 

E.  Sicardi,  s.  I.  Giorgi. 

A.  Wa  1  d  e ,  Lateinisches  etymologisches  Wörterbuch.  Lief.  1.  (Max  Niedermann)     246 


Verzeichnis  der   vom  13.  Juni  bis  zum  1.  Oktober  1905  bei  der  Redaktion 

eingelaufenen  Druckschriften 259 

Veneichnis  der  vom  2.  Oktober  bis  zum  28.  November  1905  bei  der  Re- 
daktion eingelaufenen  Druckschriften 470 


(?, 


Ji.S' 


0\  ^rW/^'''^-^     V    ^Cty^'*-'^\__ 

Zur  Enlstehnng  des  Märchens. 


(Fortsetsong.) 


m.    Märchen    bei    alten    Kulturvölkern. 

Eine  umfassende  Sammlung  und  Beschreibung  der  Märchen 
bei  alten  Kulturvölkern  dürfte  heute  sogar  unseren  theologischen 
Gelehrten,  unseren  Orientalisten  und  klassischen  Philologen  kaum 
gelingen.  Die  Forschung,  die  solche  Märchenmotive  nachweist 
und  erkennt,  steht,  soweit  ich  sehe,  noch  in  den  Anfängen,  sie 
kam  an  vielen  einzelnen  Stellen  zu  schönen  und  verheifsungs- 
reichen  Erfolgen,  doch  konnten  diese  Ergebnisse  noch  nicht  ver- 
einigt und  die  Arbeit  noch  nicht  in  gröfserem  Zusammenhang 
geleistet  werden.  Um  so  weniger  darf  man  von  mir  verlangen, 
dafs  ich  jetwa  die  Ergebnisse  der  Fachgelehrten  überhole  und 
hier  die  Übersichten  biete,  die  sie  uns  noch  nicht  zu  bieten  ver- 
mochten: ich  versuche  im  Gegenteil,  dankbar  das  zu  benutzen, 
was  Jene  Gelehrten  erkannten  und  feststellten,  und  ich  möchte 
nur  durch  Beispiele  zeigen,  dafs  Märchenmotive  und  Märchen  bei 
diesen  Völkern  bestanden,  und  dafs  sie  sich  aus  jenen  primitiven 
Vorstellungen  entwickelten,  die  wir  eben  betrachtet;  alsdann 
möchte  ich  schildern,  welche  künstlerischen  und  organischen  Be- 
sonderheiten diese  Märchen  besitzen. 

Die  babylonische  Sage  von  Izdubar  Nimrod*  hat  mit  dem 
Märchen  manche  Eigentümlichkeiten  gemeinsam.  T)ie  Handlung 
wird  durch  schier  unzählige  Träume  in  Bewegung  gesetzt,  durch 
welche  die  Götter  den  Menschen  die  Zukunft  zeigen  und  Rat 
erteilen.  Diese  Anschauung  ist  ein  charakteristischer  Bestandteil 
der  religiösen  Anschauung  der  Babylonier  und  Assyrer.  Ein 
babylonischer  Eigenname  bedeutet  "Vertraue  auf  Träume^V^  — 
Das  darf  uns  als  neuer  Beweis  für  die  oben  vorgetragene  An- 
schauung gelten,  dafs  viele  Sagen  und  Märchen  sich  aus  Träumen 
heraushoben.  —  Jäger  und  Bauern  gehören  zu  den  führenden  Per- 
sonen in  dieser  babylonischen  Sage,  Menschen  leben  mit  den 
Tieren,  als  seien  diese  ihresgleichen,  %it  Gazellen  frifst  Eabani 
Kräuter,   mit   dem   Vieh   des   Feldes    erfrischt   er   sich   an    der 


*  Vgl.  Alfred  Jeremias,  Rditbar  Nimrod,  in  Bosehers  Lexüton  II,  774  f. 
'  Jereniiafl  a.  a.  O.  II,  781. 

Aicblv  f.  n.  Sprochen.    CXV.  1 


2  Zur  Entetehong  des  Märchens. 

Tranke^  mit  dem  Getier  des  Wassers  ergötzt  sich  sein  Herz/ 
Eine  Göttin  verwandelt  einen  Menschen  in  einen  Tiger^  Bäume 
werden  redend  eingeführt^  der  Geist  eines  Verstorbenen  kommt 
wie  ein  Windhauch  aus  der  Erde:  das  sind  alles  Vorstellungen^ 
die  uns  bei  den  Naturvölkern  oft  entgegentraten^  und  die  aus 
primitiven  Vergangenheiten  auch  in  unser  Märchen  herüber- 
wanderten. Der  Held  Izdubar  geht  dann  auf  die  Reise  zu  Sit- 
napistim^  um  den  verstorbenen  £a  zu  erwecken;  auf  dieser  Reise 
kommt  er  zuerst  zu  einem  Gebirge,  das  schreckliche  Skorpionen- 
menschen bewachen;  diese  warnen  ihn,  und  trotzdem  wagt  er 
sich  weiter,  durch  eine  dicke  Finsternis  hindurch,  zum  Gestade 
des  Meeres  hin.  Dort  sieht  er  einen  herrlichen  Baum,  der  Edel- 
steine als  Früchte  tragt,  an  dem  prächtige  Aste  hangen,  dessen 
Zweige  Kristall  tragen:  die  Königin  des  Meeres  warnt  ihn  noch- 
mals, und  er  überschreitet  das  Meer  doch;  endlich  gelangt  er 
über  den  Totenflufs  (den  Wassergürtel  des  Meeres)  hinüber,  zur 
Insel  der  Seligen.  Er  wird  durch  eine  Zauberspeise  gestärkt, 
zum  Lebensquell  geführt,  erhält  auch  eine  Lebenspflanze,  die  er 
aber  aus  Furcht  vor  einer  Schlange  in  einen  Brunnen  fallen  läist. 

Man  hat  die  Übereinstimmungen  dieser  Izdubarsage  mit  der 
vom  Herakles  betont,^  beide  Helden  sind  berühmte  Jäger  und 
Löwentöter,  beide  kämpfen  mit  Riesen,  steigen  in  die  Hölle, 
überwinden  den  Tod,  fahren  zum  Göttergarten  und  erwerben  die 
Unsterblichkeit 

Und  ebensowenig  lassen  sich  die  Ähnlichkeiten  der  Er- 
eignisse dieses  Izdubarepos  mit  den  Abenteuern  und  Gefahren 
leugnen,  die  Alexander  auf  seiner  Reise  ins  Jenseits  im  Roman 
des  Pseudo-Elallisthenes  zu  bestehen  hat:  auch  ihn  führt  der  Weg 
durch  Schluchten  und  Wüsten  zu  einem  Plufs,  in  dem  Wunder- 
bäume wachsen  und  verschwinden,  zu  abenteuerlichen  Tieren,  zu 
mehrtägiger  Finsternis,  dann  zur  Meeresküste  und,  durch  eine 
Taucherfahrt,  ins  Land  der  Seligen.  Auf  dem  Wege  dorthin 
findet  er  das  Wasser  des  Lebens,  und  Vögel  warnen  ihn,  von 
seinem  gefährlichen  Vorhaben  abzustehen.  Aber  er  überwindet 
alle  Gefahren  und  kehrt  erst  dann  zurück.^ 

Gleich  überraschend  aber  ist,  dafs  sich  diese  uralte  baby- 
lonische Sage  in  vielen  Teilen  liest  wie  die  Märchen  unserer 
Tage,  die  vom  Wasser  des  Lebens  oder  vom  Reisen  zum  Teufel 
erzählen.  Es  ist  die  Eigentümlichkeit  dieser  Märchen  und  der 
uralten  Sage,  dafs  die  Helden  aus  einer  Gefahr  in  eine, schlimmere 
geraten,  dafs  einer  nach  dem  anderen  sie  warnt,  sie  möchten  doch 


'  Jeremias  822. 

'  Vgl.  F.  Kanipers,  AJexcmder  der  Orofse  und  die  Idee  des  WeltimpertumSj 
Freiburg  1901,  S.  86  f.,  iind  die  dort  ansegebene  Literatur;  Wilhelm  Hertz, 
Gesammelte  Abhandlungen,  bes.  S.  90  Anm.  1. 


Zur  Entetehung  des  Märchenfi.  B 

von  ihrem  überkühnen  Wagnis  abstehen,  noch  jeder  sei  dabei 
zugrunde  g^angen;  dafs  das  Ziel  der  Beise  in  immer  weitere 
Feme  rückt;  ^  in  den  Märchen  werden  hier  und  da  zuerst  die 
Tiere  des  Waldes^  dann  die  Fische  des  Meeres  oder  die  Vögel 
der  Luft  zusammenberufen^  keiner  weifs  den  Ort,  wo  das  Wasser 
des  Lebens  verborgen  liegt,  bis  endlich  ein  uralter  Vogel  oder 
ein  uralter  Fisch  sich  erinnert  und  den  Helden  auf  seinem 
Rücken  über  das  Meer  an  den  Ort  seiner  Sehnsucht  tragt  Es 
geschieht  auch  wohl^  dafs  die  Helden  infolge  von  Verzauberungen 
fast  das  verlieren  oder  verscherzen^  um  dessentwillen  sie  doch 
alle  Gefahr  und  Mühsal  auf  sich  nahmen. 

Es  würde  mir  nun  als  verfehlt  erscheinen^  wollte  man  aus 
diesen  Ähnlichkeiten  schliefsen,  das  Izdubarepos  habe  einen 
inz  unvergleichlichen^  bis  heute  nachwirkenden  Einfluls  auf  die 
^m  und  Märchen  der  ganzen  Welt  gehabt.  Denn  jede  der 
von  mir  vor^führten  Ähnlichkeiten  oder  Übereinstimmungen 
läfst  sich  wieder  auf  VorsteUungen  zurüokleiten,  die  wir  schon 
kennen^  und  die  wir  primitive  nannten.  Die  Gleichartigkeit 
von  Izdubarepos^  Heraklessage,  Alexanderroman  und  modernem 
Märchen  findet  also  in  diesem  Fall  ihre  recht  einfache  Erklärung 
darin,  dals  eben  die  Vorstellungen,  auf  denen  sie  beruhen,  uralt, 
überall  verbreitet  und  einander  sehr  ähnlich  waren.  Einige  der 
Lsdubarmotive,  vor  allem  wohl  die  schreckhaften  Gefahren,  kom- 
men aus  dem  Traumleben,  die  Vorstellung,  dafs  die  Seele  eines 
Menschen,  namentlich  eines  Zauberers,  sich  auf  lange,  unendlich 
mühselige  und  gefahrvolle  Reisen  begibt,  bis  sie  endlich  zum 
höchsten  Himmdsgott  oder  ins  Reich  der  Toten  eindringt,  ist 
uns  auch  nicht  fremd,  ^  ebensowenig  der  Glaube  an  ein  Land 
der  Seligen  jenseit  des  Meeres,  in  kaum  zu  erreichender  Feme. 
Und  das  Merkwürdige  und  Unschätzbare  an  der  Izdubarsage 
wäre  also  für  uns,  dafs  sie  den,  ich  möchte  sagen  ehrwürdigsten. 
Beweis  für  die  These  ^bt,  dafs  unsere  Märchen,  Märchen  vom 
Wasser  des  Lebens  und  der  Unterwelt,  schon  vor  manchem  Jahr- 
tausend erzählt  wurden,  dafs  diese  Märchen  im  engsten  Zu- 
sammenhange stehen  mit  den  primitiven  Vorstellungen,  die  sich 
die  Naturvölker  bewahrten.  —  Die  Lebenskraft  und  Eindring- 
lidikeit  dieser  Vorstellungen  ist  heute  so  frisch  und  stark  wie 
in  der  ältesten  Vergangenheit:  die@,e  Kraft  verspürten  auch  die 
Herakles-  und  Alexandersage  und  haben  sie  dichterisch  erhöht. 

Die  religiösen  Vorstellungen  der  alten  Agjmter,  die  ich  hier 
zu  nennen  habe,  unterscheiden  sich  gleichfalls  kaum  von  denen 

'  Vgl.  Hermann  Usener,  Rheinisches  Museum,  N.  F.  56  (1901),  485  f.; 
R.  Köhler,  Kleinere  Schriften  I,  186.  562;  II,  332;  Den.,  Zu  Laura  Oonxen- 
hoch  Nr.  64;  Coequin  I,  217;  Chauvin,  Bibliographie  VI,  78. 

«  Vgl.  oben  Archiv  CXIV,  S.  2. 

r 


4  Zur  EntstehuDg  des  Märchens. 

der  primitiveD  Völker.'  Die  Seele  des  Menschen  erscheint  in 
seinem  Bilde,  in  seinem  Schatten,  sie  lebte  im  Herzen  und  im 
Blute,  sie  flattert  als  Vogel  in  der  Luft  und  konnte  in  Bäume 
eingehen.  Wer  den  Namen  eines  anderen  wufste,  erlangte  auch 
dessen  Kraft,  wer  ein  Tor  richtig  nannte,  dem  mufste  sich  dies 
Tor  öffnen^  —  und  das  ist  doch  eine  ganz  frappante  Überein- 
stimmung mit  dem  Hauptmotiv  des  berühmten  Märchens  aus 
1001  Nacht i  Sesam,  öffne  dich!  —  Der  des  Zaubers  Mächtige 
verwandelte  sich  in  viele  Gestalten,  in  einen  Reiher,  in  eine 
Schwalbe,  eine  Schlange,  ein  Krokodil,  einen  Gott.  —  Den  Toten 
suchte  man  die  mühselige  Beise  ins  Jenseits  mit  aller  Klugheit 
und  allen  Künsten  zu  erleichtern  und  ihnen  die  Rückkehr  ins 
Diesseits  mit  derselben  Energie  zu  verwehren,  man  gab  dem 
Toten  Früchte  und  Tiere,  seine  Diener  und  seine  ganze  Häus- 
lichkeit, alles,  was  er  im  Leben  besessen,  in  Abbildern  ins  Grab 
mit,  damit  er  sich  weiter  daran  erfreuen  möchte:  denn  man 
meinte,  er  könne  alle  diese  Bilder  in  das  Leben  zurückerwecken 
und  mit  ihnen  das  Dasein  fortsetzen,  an  dem  er  auf  der  Erde 
gehangen.  Auch  Märchen  wie  unsere  vom  Rübezahl  waren  also, 
wie  uns  dieser  berühmteste,  für  die  Kulturgeschichte  so  unver- 
gleichlich bedeutsame  ägyptische  Brauch  zeigt,  vor  Jahrtausenden 
Wirklichkeit:  wie  Rübezahl  die  Prinzessin,  indem  er  ihr  aus 
Rüben  Abbilder  ihrer  Gespielinnen  schuf  und  alles  des  Hofstaats, 
ohne  den  sie  nicht  sein  wollte,  und  diesen  Abbildern  Leben  ein- 
hauchte:  so  wollten  schon  die  Ägypter  ihre  Verschiedenen  über 
den  Verlust  dieses  Lebens  forttäuschen  und  trösten.  —  Es  scheint, 
dafs  die  Ägypter  sich  an  Märchen  gern  erfreuten  und  viele  Mär- 
chen kannten  und  erzählten,  von  diesem  Reichtum  sind  uns  nur 
wenige  Reste  geblieben.  Möglicherweise  verbergen  sich  unter  den 
Märchen  von  1001  Nacht  manches  alte  ägyptische  Motiv  und  man- 
ches alte  ägyptische  Märchen,  ohne  dals  sie  sich  heute  mit  Sicher- 
heit herausnnden  lassen.  Wir  besitzen  einige  Zaubergeschichten: 
von  einem  Krokodil  aus  Wachs,  das,  wie  es  ins  Wasser  geworfen 
wird,  sich  in  ein  wirkliches  Krokodil  verwandelt  und  einen  Ehe- 
brecher verschlingt  —  wie  der  Verwandler  es  packt,  bildet  sich 
das  unheimliche  Tier  in  eine  Wachsfigur  zurück.  Dies  Märchen 
ist  also  unmittelbar  aus  dem  Glauben  erwachsen,  dafs  im  Bilde 
eines  Wesens  auch  dessen  Seele  wirksam  ist.  Ein  anderer  Zau- 
berer kann  die  Hälfte  eines  Sees  auf  die  andere  legen,  die  eine 
erreicht  die  doppelte  Wasserhöhe,  die  andere  wird  wasserleer,  der 

'  Vgl.  Maspero,  Les  contes  populaires  de  l'Egypte  andenne,  traduits  et 
comment6s,  deuxi^ine  6d.,  Pari«  1889;  Wiedemann,  Die  Unterhaltungslite- 
ratur  der  alten  Ägypter  (Der  alte  Orient  III,  101  f.),  Leipzig  1902;  Ders., 
Die  Toten  und  ifire  Reiche  im  Glauben  der  alten  Ägypter  (per  alte  Orient 
II,  8:^  f.),  Leipzig  1901. 

*  Wiedemann  a,  a.  O.  II,  62.  —  Chauvin  V,  82  Anm.  1. 


Zur  Entflieh UDg  des  Märchens.  5 

Grund  des  Sees  deckt  sich  auf:  da  darf  man  immerhin  an  das 
Rote  Meer  erinnern,  das  mit  göttlicher  Kraft  von  der  Stelle  fort- 
^ezaubert  wurde,  an  der  es  die  Kinder  Israels  durchschritten J  — 
Wieder  ein  anderer  Zauberer  köpft  Tiere  und  setzt  den  Kopf 
richtig  auf  den  Eumpf,  schenkt  ihnen  dadurch  auch  ihr  Leben 
wieder:  eine  Kunst,  die  im  Märchen  nicht  Zauberern  allein,  die 
Aposteln  und  sogar  dem  Heiland  nachgerühmt  wird.  Wir  haben 
noch  davon  zu  reden.  —  Von  Kindern  wurde  prophezeit,  sie 
würden  die  ruhmreichsten  Herrscher;  und  so  erfüllte  es  sich: 
diese  Kinder  entgingen  wirklich  allen  feindlichen  Nachstellungen 
des  Königs,  der  fürchtete,  sie  würden  ihm  seine  Macht  rauben, 
das  Schicksal  war  stärker  als  die  kleinen  Eänke  der  Menschen. 
Hier  fallt  uns  Moses  ein  und  dann  die  überaus  reiche  Zahl  von 
Märchen,  die,  vielleicht  unter  dem  Einflufs  der  Mosesgeschichte, 
ihre  Helden  als  Schützlinge  göttlicher  Vorsehung  hinstellten.  ^ 
Diese  späteren  Geschichten  erzählten,  der  Held  sei,  kaum  ge- 
boren, in  einem  Kästchen  auf  einen  Flufs  ausgesetzt  und  dann 
in  wimderbarer  Weise  gerettet  worden.  Ein  viel  späteres  ägyp- 
tisches Märchen  weifs  gar  von  einem  Wettkampf  zwischen  Zau- 
berern, einem  äthiopischen  und  einem  ägyptischen:  beide  konnten 
einen  König  nachts  aus  seinem  Palast  holen,  ihn  von  Ägypten 
nach  Äthiopien  —  oder  umgekehrt  ~  und  wieder  zurückbringen 
und  ihm  aufserdem  500  Stockschläge  versetzen,  so  dafs  der  König 
am  Morgen  seinen  Hofleuten  voll  Entrüstung  den  zerbläuten 
Rücken  zeigte.  Wir  erinnern  uns,  dafs  die  Beschützer  des  Aladdin 
in  1001  Nacht  und  dafs  die  Beschützer  von  Andersens  standhaftem 
Zinnsoldaten  desselben  Zaubers  mächtig  sind.^  --  Verwegene  und 
wunderbare  Reiseabenteuer  haben  sich  die  Ägypter  gleichfalls 
gern  erdacht:  wir  besitzen  die  Erzählungen  eines  Schiffbrüchigen: 
er  habe,  als  sein  Schiff  unterging,  sich  an  einen  Balken  geklam- 
mert, sei  an  eine  Insel  verschlagen  worden:  dort  hörte  er  von 
einer  mächtigen  Schlange  —  sie  war  dreifsig  Ellen  lang  und  hatte 
einen  zwei  Ellen  langen  Bart  — ,  er  sei  auf  der  Seeleninsel,  dort 
lebten  aufser  ihr,  der  Schlange,  noch  ihre  75  Verwandten  und 
ein  Mädchen.  In  vier  Monaten  werde  ein  Schiff  kommen  und 
ihn  abholen.     So  geschah  es,  und  die  Schlange  gab  dem  Schiff- 

'  W.  Hertz  in  seinen  KoÜektaneen  notiert  ein  ähnliches  Motiy  aus  der 
Alexandersflge:  das  Pamphilische  Meer  wich  vor  Alexander  zurück  und 
lieJCs  ihn  mit  seinem  Heer  vorbeiziehen.  Plutarch,  ed.  Reiske  IV,  40  f. 
Carraroli,  Leggenda  d'AIeasandro  (Mandovi  92)  35. 294  f.  Hertz  verweist  auch 
auf  die  japanische  Sage  von  Nitta,  der  zum  Gott  des  Meeres  betete,  sein 
Schwert  in  die  See  warf,  und  am  anderen  Morgen  war  das  Wasser  zurück- 
gewichen, so  dafs  er  trockenen  Fufses  nachKamakura  marschieren  und  seinem 
Mikado  Hilfe  bringen  konnte.  —  Junker  von  Landegg,  Midxuhot/tisa  III,  H4. 

'  Vgl.  etwa  Grimm,  KHM  29;  Ernst  Kuhn,  Byxcmtinische  Zeitschrift 
IV,  241,  und  oben  Archiv  CXIV,  S.  12  Anm.  2. 

3  Grimm,  KBM  116  (Das  blaue  Licht).    Chauvin  V,  m  L 


6  Zur  Entstehung  dee  Märchens. 

brüchigen^  als  er  zurückfuhr,  eine  Fülle  erlesenster  Geschenke.*  — 
Andere  Abenteuer,  die  des  Sinouhit,  haben  für  den  Marchen- 
forscher  kaum  Interesse.  Eine  Eüegslist  des  Thutia  wäre  noch 
zu  erwähnen,  weil  sich  die  alten  Griechen  von  Troja,  die  Araber 
von  Ali  Baba  sehr  ähnliche  ersannen:  dafs  Thutia  nämlich  seine 
kühnsten  Helden  und  sich  selber,  in  Krüge  verbargen,  in  die  zu  er- 
obernde Stadt  tragen  liefsen  und  sich  dann  der  Stadt  bemächtigten.^ 

Ausführlicher  als  alle  die  genannten,  aufschlufsreicher  und 
vielfältiger,  ist  das  berühmte  sJte  Märchen  von  den  zwei  Brü- 
dern Anupu  und  Bitiu.^  Sie  lebten  in  der  brüderlichsten  Ein- 
tracht, bis  die  Frau  des  älteren  nach  dem  jüngeren  Bruder  be- 
gehrlich wurde;  als  er  sich  ihr  sträubte,  verleumdete  sie  ihn,  er 
habe  sich  an  ihr  vergreifen  wollen,  und  sie  habe  ihn  mit  Mühe 
zurückgestofsen.  Anupu  glaubte  das  und  wollte  den  Bitiu  töten, 
diesen  warnte  mit  menschlicher  Stimme  seine  Euh.  Er  floh, 
wurde  von  seinem  Bruder  verfolgt,  aber  ein  Gott,  der  sich  seiner 
erbarmte,  warf  zwischen  ihn  und  den  nachfolgenden  Bruder  einen 
Strom  voll  Krokodile.  Anupu  bereute  seine  Tat,  und  Bitiu  zog 
sich  in  das  Tal  der  Akazien  zurück,  einer  Akazienblüte  vertraute 
er  sein  Leben  an  und  sagte  zugleich  dem  älteren  Bruder,  wenn 
das  Wasser,  das  er  trinke,  sich  trübe,  so  sei  er,  Bitiu,  in  Gefahr, 
Dem  Bitiu  wurde  die  schönste  der  Frauen  geschenkt,  ihre  Locke 
tru?  der  Strom  zum  Pharao,  der  berauschte  sich  an  ihrem  Duft 
und  ruhte  nicht,  bis  die  Trägerin  der  Locke  seine  Frau  wurde. 
Die  Treulose  liefs  den  Akazienbaum  fällen,  unter  dem  Bitiu 
lebte,  und  die  Blume  abschneiden,  in  der  sein  Herz  war:  dem 
Anupu  wurde  gleichzeitig  das  Wasser  trübe,  das  er  trinken  wollte. 
Er  zog  dem  Bitiu  nach  und  fand  nach  vier  Jahren  sein  Herz 
in  einer  Beere,  gab  sie  im  Wasser  dem  Bruder  zu  trinken,  und 
dieser  belebte  sich.  Er  wurde  zum  Stier,  erschien  der  treulosen 
Frau  und  warnte  sie;  sie  liefe  den  Stier  töten.  Zwei  Blutstropfen 
fielen  aus  ihm  nieder,  und  aus  diesen  entstanden  zwei  Persea- 
bäume.  Die  Frau  liefs  sie  umhauen,  da  flog  ihr  ein  Span  in  den 
Mund,  und  sie  gebar  einen  Knaben,  der  war  wieder  Bitiu,  der  die 
Mutter  tötete  und  sich  und  den  Bruder  zum  Herrscher  einsetzte. 

Man  kann  diesem  Märchen  ansehen,  dafs  es  nicht  ein  Mär- 
chen ist,  es  besteht  aus  verschiedenen  Märchen,  die  in-  und  durch- 
einander gerieten,  wobei  sie  nicht  unversehrt  blieben.  Der  Anfang 
war  wohl  ein  Märchen  für  sich  und  verlief  wie  die  Potiphar- 
geschichte  in  der  Bibel  auch:  ein  Unschuldiger  wird  vor  seinem 
Freunde  von  dessen  Frau  verletundet  und  von  dem  erzürnten 
Gratten  verfolgt,  bis  seine  Unschuld  sich  offenbart  und  die  Schul- 

*  Vgl.  auch  Erwin  Rohde,  Der  griechische  Roman  18u  Anm.  1  (2  196). 

•  Chauvin  V,  79.  83  Arm.  3. 

«  Ma«pero  S.  5  f.  und  XLIV  f.    Ccsquin  I,  LVII  f. 


Zur  Entstehung  des  Mfirchens.  7 

dige  ihre  Strafe  findet.  —  Dafs  ein  Mensch  vor  einem  anderen 
flieht  und  der  Beschützer  des  Fliehenden  vor  dem  Verfolgenden 
unüberschreitbare  Hindemisse  auftürmt^  kennen  wir  als  Motiv 
aus  anderen  Märchen.^  —  Der  dritte  Bestandteil  des  ägyptischen 
Märchens  ist  dann  das  wirkliche  Brüdermärchen^  dessen  ältester 
Inhalt  wohl  dieser  war:  Zwei  Brüder  trennen  sich;  wenn  der  eine 
in  Gefahr  gerät,  soll  der  andere  helfen,  und  das  Wahrzeichen,  dafs 
das  Leben  bedroht  wird,  ist  etwa  ein  in  einen  Baum  gestecktes 
Messer,  das  rostet,  oder  eine  Pflanze,  die  verwelkt,  hier  bei  uns 
ein  Trank,  der  sich  trübt  ^  Solche  Brüdermärchen  reichten,  das 
scheint  mir  wenigstens  nicht  unmöglich,^  in  die  indogermanische 
Urzeit:  es  gehört  zu  den  verbreitetsten,^  hat  manche  Heldensage, 
des  Altertums  wie  des  Mittelalters,  entscheidend  beeinflufst  und 
umgestaltet;'  einer  der  Gewinne  aus  der  Betrachtung  der  ägyp- 
tischen Märchen  wird  für  uns  nun,  dafs  wir  für  die  Brüdermär- 
chen ein  nachweisbares  Alter  von  4000  Jahren  feststellen  können ; 
das  wirkUche  Alter  ist  natürlich  gröfser.  ->  Ob  das  Märchen  von 
den  Ägyptern  und  Indogermanen  erfunden  wurde,  oder  ob  es 
von  den  Ägyptern  zu  den  Indogermanen  kam,  mufs  unentschie- 
den bleiben,  solange  w  uns  nicht  in  das  Reich  vagester  Mög- 
lichkeiten begeben  wollen. 

Wir  kehren  nun  zur  Analyse  unseres  Märchens  zurück.  Der 
jüngere  Bruder,  Bitiu,  wird  von  seiner  Frau  betrogen,  und  sie  ver- 
lälst  ihn  um  des  Königs  willen  und  sucht  ihn  zu  vernichten.  Das 
war  wohl  auch  einmal  eine  Erzählung  für  sich,  in  ihrem  Verlauf 
der  Anfangserzählung  von  dem  älteren  Bruder  und  seiner  Frau 
recht  ähnlich,  sie  wirkt  auf  uns  wie  eine  etwas  abschwächende 
Wiederholung  der  Anfangsgeschichte.  Aber  gerade  diese  in 
künstlerischem  Sinne  nachteilige  Ähnlichkeit  wird  für  uns  ein 
Fingerzeig,  sobald  wir  die  Entstehung  des  Märchens  erkennen 
wollen:  ursprünglich  bestanden  gewifs  zwei  unabhängige  und 
selbständige  Erzählungen  von  der  Untreue  einer  Frau  an  einem 
Manne,  der  dies  nicht  verdiente.  —  Weil  die  Geschichten  ein- 
ander verwandt  waren,  gerieten  sie  auch  nahe  zusammen,  und 
ihre  Helden  wurden  zu  Menschen,  die  ebenfalls  nahe  verwandt 
sind,  zu  Brüdern.  Diese  Doppelerzählung  von  Brüdern  wurde 
dann  durch  ein  Brüdermärchen  erweitert,  und  dies  Märchen  bot 
sich  um  so  eher  dar,  als  es  eine  Art  Zusammenhang  zwischen 
den  beiden  Geschichten  von  der  treulosen  Frau  schaffen  konnte: 
der  eine  Bruder,  der  sich  schuldig  machte,  weil  er  an  die  Schuld 

'  Oben  Archiv  CXIII,  266  Anm.  4. 
'  Cosquin  LXV.    Chauvin  V,  87  Anm.  1. 

'  Vgl.  auch  Ej-etschmer,  Mnletfung  in  die  Oeschiehte  der  grieehischefi 
Sprache,  Göttingen  1896,  8.  85  Anm.  1. 

*  Sj'dney  Hartland,  Legend  of  Peraeus  I,  28  f, 

*  Voretzsch,  Epische  Studien  349. 


8  Zur  Eotstehung  des  Märchens. 

des  anderen  so  leicht  glaubte,  und  weQ  er  ihn  verfolgte,  machte 
nun  diese  Schuld  wieder  gut,  indem  er  die  Rache  für  das  Un- 
recht, das  dem  Bruder  dessen  Frau  angetan,  erst  ermöglichte. 

Die  Fortsetzung  unseres  Märchens  sagt  nun,  dafs  das  Herz 
des  Bruders  zuerst  in  einer  Akazienblüte,  dann  in  einer  Beere 
war,  dafs  er  sich  darauf  in  einen  Stier  verwandelte;  in  zwei 
Blutstropfen,  die  dieser  vergofs,  war  wieder  seine  Seele,  sie  ver- 
barg sich  nunmehr  in  Perseabäume  und  in  einen  ihrer  Späne.  — 
Wir  müssen  uns  hier  besinnen,  dafs  bei  den  Naturvölkern  viele 
Vorstellungen  von  der  Erscheinung  und  dem  Aufenthaltsort 
der  Seele  nebeneinander  lebten,  ohne  sich  zu  stören,  oder 
ohne  dafs  die  eine  als  Widerspruch  gegen  die  andere  empfun- 
den wurde.  Es  hiefs:  die  Seele  lebt  im  Blute,  sie  kann  in 
eine  Pflanze  schlüpfen,  sie  kann  auch  in  einen  Tierleib  ver- 
schwinden usw.  Verwandelt  man  dies  Nebeneinander  in  ein 
Nacheinander,  so  ist  sofort  ein  Märchen  fertig,  eben  ein  Mär- 
chen unserer  Art:  die  Seele  eines  Menschen  verbirgt  sich  in 
einen  Baum,  verwandelt  sich  dann  in  einen  Stier  usw.  Solch  ein 
Märchen  lebte  gewifs  einmal  allein  und  für  sich,  das  kann  man 
mit  Sicherheit  daraus  schliefsen,  dafs  auch  heute  noch,  in  Serbien, 
Ungarn,  Rufsland,  Griechenland,  Deutschland  und  Frankreich, 
ganz  ähnliche  Märchen  für  sich  bestehen.  ^  Ein  walachisches  z.  B. 
weifs  von  zwei  Kindern,  die  eine  Stiefmutter  tötet,  und  deren 
Seelen  in  zwei  Apfelbäumen  emporwachsen,  dann  in  zwei  Länmier 
und  schliefslich  wieder  in  zwei  goldene  Knaben  übergehen.  Man 
mufs  nur  hier  wieder  nicht  annehmen,  dafs  unsere  gegenwärtigen 
abendländischen  Märchen  von  den  ägyptischen  abhängen,  man 
mufs  vielmehr  der  Gegenwart  dasselbe  Vermögen  zutrauen  wie 
den  alten  Ägyptern,  dals  sie  imstande  sind,  ein  Nebeneinander 
von  Vorstellungen  in  ein  Nacheinander  umzusetzen.^  Ganz 
Verwandtes  läfst  sich,  wie  ich  bei  anderer  Gelegenheit  zeigte,  ^  bei 
den  Märchen  und  Mythen  vom  Wasser  des  Lebens  beobachten: 
verschiedene   Berichte   von   der   Herkunft  des   Wassers   wurden 


*  Cosquin  LIX  f.    Erwin  Rohde,  Der  griechische  Raman  158  Anm.  2. 

*  Es  kann  aus  dem  Nebeneinander  auch  ein  Ineinander  wer- 
den: z.  B.  das  von  uns  schon  berührte  Märchen  (Archiv  CXIV,  S.  5 
Anm.  3)  von  der  Seele  des  Riesen  sagt  aus,  diese  Seele  sei  in  einem  Ei, 
dies  in  einem  Vogel,  der  Vogel  wicäer  in  einem  Ochsen  versteckt  ge- 
wesen. Ich  verweise  hier  mit  Erwin  Kohde  a.  a.  0.  auf  ein  analoges 
Motiv  in  einer  späteren  ägyptischen  Erzählung  (Maspero  S.  177):  ein 
Zauberbuch  liegt  in  einer  Kiste  von  Eisen,  diese  in  einer  von  Kupfer,  dio«e 
in  einer  von  Maulbeerbaiimholz,  diese  in  einer  von  Elfenbein  und  Eben- 
holz, diese  in  einer  von  Silber  und  diese  in  einer  von  Gold,  und  um  da.s 
Ganze  windet  sich  eine  unsterbliche  Schlange.  Solches  Einschachtelungs- 
raffineineut  ist  wohl  vor  allem  orientalische  Liebhaberei.  —  Vgl.  auch 
Griffith,  Staries  ofthe  Hiah  PriesU  of  Memphis  etc.,  Oxford  1900,  8.  21.  63. 
Dazu  Maspero,  Journal  des  SavaniSj  aoüt  1901. 

^  Germanist.  Ahhandltmyen  für  Paul  S.  146  f. 


Zur  Entstehung  des  Märchens.  9 

nebeneinander  erzählt:  die  einen  sagten,  es  sei  in  Töpfen  oder 
Flaschen  verborgen,  die  anderen,  ein  Wassertier  habe  es  ver- 
schluckt und  wolle  es  nicht  hergeben,  die  dritten,  es  sei  in  Bergen 
versteckt,  die  vierten,  man  müsse  es  aus  dem  Himmel  holen: 
reiht  man  einige  dieser  Motive  nacheinander  auf,  so  ergibt  sich 
das  Märchen:  ein  Held  wandert,  unter  vieler  Mühsal  und  Ge- 
fahr, zu  dem  Wasser,  das  im  Berge  verborgen  wird,  er  spaltet 
den  Berg,  findet  das  Wasser  in  Flaschen  oder  Töpfen,  ver- 
schluckt es  und  gibt  es  nachher  wieder  von  sich. 

Nun  begeben  wir  uns  noch  einmal  zu  unserem  Brüdermär- 
chen selbst:  sein  Motiv  am  Scblufs,  die  wunderbare  Geburt  des 
Helden  (aus  einem  Span,  den  die  Mutter  verschluckt),^  hat  sich 
das  Märchen  gern,  ebenso  oder  ähnlich,  erdacht.  Am  ähnlichsten 
unserem  Märchen  ist  seltsamerweise  ein  Motiv  aus  einer  Ge- 
schichte der  nordamerikanischen  Tlinkits.^  Ich  erwähne  dies 
Motiv  gerade  hier,  weil  die  Brüdermärchen  gern  damit  beginnen 
und  es  in  unserem  ägyptischen  Märchen  wohl  auch  zu  dem  eigent- 
lichen Brüdermärchen  gehörte,  aber  von  seiner  ihm  gebührenden 
Stelle^  fortgeriet. 

Über  ein  letztes  Motiv  habe  ich  schon  früher  gesprochen  :3 
dais  den  König  ein  unbezwingliches  Verlangen  nach  der  Frau 
erfafst,  sobald  er  eine  Locke  von  ihr  besitzt.  Er  hatte  eben  mit 
ihrer  Locke  einen  Teil  ihrer  Seele,  und  darum  mufste  die  Trägerin 
der  Locke  ihm  gehören.  Das  jst  ja  die  Anschauung,  der  unser 
Motiv  entsprang.  Etwas  sehr  Ahnliches  geschieht  —  ich  erlaube 
mir  nochmals  darauf  hinzuweisen  —  in  einer  späteren  ägyptischen 
Erzählung:  einem  König  wirft  ein  Adler  den  Schuh  eines  Mäd- 
chens in  den  Schols,  und  er  kann  nun  von  diesem  Mädchen  nicht 
lassen.  —  Ln  Mittelalter  wurde  seltsamerweise  fast  dasselbe  Motiv 
wie  das  alte  ägyptische  durch  die  Tristansage  berühmt:*  zwei 
Schwalben  liefsen  ein  Frauenhaar  vor  König  Marke  fallen,  und 
nun  konnte  er  nicht  ruhen,  bevor  er  Isolde,  der  dies  Haar  ge- 
hörte, sein  eigen  nannte. 

Das  ägyptische  Märchen  führt  uns  also  von  vielen  Seiten 
in  die  bunte  Welt  der  Märchenmotive,  und  es  schenkt  uns  auch 
einen  Einblick  in  das  Werden  des  Märchens.  Es  gibt  uns,  in 
unserer  Untersuchung  das  erste  Mal,  eine  Anschauung,  wie  ein 
Märchen  sich  aus  verschiedenen  Motiven  und  Bestandteilen  zu- 
sammensetzt. Verwandte  Geschichten  nähern  sich,  eine  Geschichte 
von  Verwandten  tritt  dazu,  und  diese  Vielheit  hat  das  Bestreben, 
immer  vielfältiger  zu  werden;   die   alten,  längst  bekannten  Vor- 

*  Vgl.  bes.  Sidney  Hartlaad,  Legend  of  Perseus  I,  71  f. 

*  Aurel  Krause,  Die  TlmJcit-Indianer  2t)  1. 

»  Oben  Archiv  CXIV,  S.  10  Anm.  1;  dazu  Cosquin  LXVI.    Reinhold 
Köhler  I,  511.  II,  328. 

^  Reinhold  Köhler,  KL  Schriften  II,  328. 


10  Zur  B^tstehung  des  Märchens. 

Stellungen  von  der  Seele^  lose  aneinandergefügt»  setzen  das  Mär- 
chen lort  Es  sind  die  Motive  des  Märchens  ausnahmslos  alt 
und  primitiv»  in  ihrer  Zusammensetzung  unbeholfen  und  kunst- 
los, ohne  rechten  An&ng  und  ohne  rechtes  Ende»  die  Erzählungs- 
kunst erhebt  sich  nicht  viel  über  die  Kunst  der  sogenannten 
Naturvölker.  Was  aus  der  ersten  schuldigen  Frau  wird»  hören 
wir  gar  nicht;  weshalb  sich  der  Bruder  so  vielfältig  verwandelt, 
und  warum  er  nicht  gleich  seine  Rache  nimmt,  wird  uns  ebenso- 
wenig aufgeklärt,  und  aufser  diesen  Defekten  könnte  man  noch 
manchen  anderen  nennen.  Aber  gerade  dies  Zwecklose  und  Un- 
verständige wirkt  auf  uns  als  echt  märchenhaft  und  ist  ja  auch 
Freude  am  Erzählen  um  des  Erzählens  willen.  Man  wird  auTser- 
dem  zugestehen,  dafs  ein  Gedanke,  den  wir  einen  sitüichen  nennen 
würden,  trotz  aUem  zur  Geltung  kommt:  dafs  der  Schuldige  seiner 
Strafe  nicht  entgeht»  dafs  sie  in  vielfältiger  Verwandlung  ihn 
immer  von  neuem  bedroht,  und  dafs  den  Gerechten  die  Götter 
schützen. 

Sie  schützen  aber  mit  derselben  Kraft  den  verschlagenen 
und  rücksichtslosen  Räuber.  Denn  das  bleibt  doch  der  Sinn  des 
Märchens  vom  Meisterdieb.*  Herodot  erzählt  diese,  von  den 
Griechen  auch  an  anderer  Stelle  erwähnte  Geschichte  als  ägyp- 
tisches Märchen,  und  es  liegt  kaum  ein  Grund  vor»  ihre  ägyp- 
tische Herkunft  zu  bezwei&ln.  Zwei  Diebe»  Vater  und  Sohn» 
bestehlen  das  Schatzhaus  des  Königs»  das  der  Vater  selbst  er- 
baute; er  hat  in  der  Mauer  einen  Stein  locker  eingesetzt,  diesen 
nimmt  er  jedesmal  heraus  und  setzt  ihn  nach  vollbrachtem  Dieb- 
stahl wieder  ein.  Als  die  beiden  ertappt  werden»  schlägt  der 
Sohn  dem  Vater  den  Kopf  ab»  der  Rumpf  wird  ausgesteUt»  der 
Dieb  stiehlt  ihn  den  Wäcntern»  nachdem  er  sie  zuerst  betrunken 
machte  und  ihnen  den  Kopf  schor.  Der  König  befiehlt,  seiner 
Tochter  solle  jeder  seinen  verwegensten  Streich  erzählen»  der  Dieb 
berichtet  von  seiner  Tat,  als  man  aber  nach  ihm  greifen  will, 
lä&t  er  der  Prinzessin  die  tote  Hand  seines  Vaters.  Nun  ver- 
spricht man  ihm  sie  selbst,  und  er  erhält  sie  wirklich  zur  Frau 
und  wird  zum  Lohn  für  seine  kühnen  Streiche  gar  noch  Prinz. 

Dies  Märchen  lebt  noch  heute  in  Europa  als  gern  gehörtes 
Volksmärchen  und  weicht  von  dem  alten  Märchen  bei  Herodot 
nur  in  Einzelheiten  ab.^  Nun  ist  merkwürdig,  dafs  in  einem 
Motiv  alle  diese  Märchen  sich  gleich  sind  und  gegen  Herodot 
übereinstimmen:  nachdem  nämlich  der  Dieb  den  Leichnam  ge- 
stohlen, zeigt  der  König  seine  Tochter  allem  Volke,  in  der  Mei- 
nung» nur  der  Kühnste»  eben   der  Dieb»  werde  ihr  nahen:  und 

*  Alfred  Wiedemann,  Das  uweüe  Buch  des  Herodot  AAl  f. 

*  Reinhold  Köhler,  Kl.  Schriften  I,  198  f.  —  Ralston,  Ttbeian  TaJ^, 
derived  from  Indian  Sources  S.  XL VII,  S.  87.  43.  —  Somadeva,  übersetzt 
von  Tawney  II,  98. 


Zur  EntBtehung  des  MafcheDB.  11 

so  geschieht  es.  Dem  Dieb  wird  nun  ein  Strich  oder  sonst  ein 
Merkmal  beigebracht^  aber  er  wird  dessen  gewahr  mid  bringt 
das  gleiche  Merkmal  allen  anderen  Anwesenden  ebenfalls  bei^  so 
da(s  er  wieder  nicht  aus  den  anderen  heraus  erkannt  werden 
kann.  Darauf  erhält  er  dann  des  Königs  Tochter.  Es  sind  nun 
zwei  Annahmen  möglich:  die  erste  wäre  die^  dafs  die  Form  bei 
Herodot  das  Ursprüngliche  bietet  und  das  'Strichmotiv'  später 
in  unser  Märchen  geriet.  Es  taucht  ja  auch  in  anderem^  wenn 
auch  ähnlichem  Zusammenhang  auf:  man  denke  nur  an  die 
Sage  bei  Paulus  Diaconus,  von  dem  kühnen  Liebhaber,  der  sich 
die  Gunst  seiner  Königin  erschlich  und  in  ihr  Gemach  drang, 
nachdem  er  das  zwischen  ihr  und  dem  Gemahl  verabredete  Er- 
kennungszeichen nachahmte:*  der  König,  der  nach  ihm  kommt, 
merkty  dafs  jemand  bei  seiner  Frau  war,  begibt  sich  unter  das 
schlafende  Gefolge  und  erkennt  den  Übeltäter  am  klopfenden 
Herzen;  er  schneidet  ihm  die  Locke  ab,  aber  der  Verwegene 
trennt  auch  allen  seinen  schlafenden  Genossen  die  Locke  vom 
Haupte  und  wird  schliefslich,  da  man  ihn  nicht  herausfinden 
kann^  auch  nicht  bestraft.^  —  Es  ist  jedoch  zu  bedenken,  dafs 
alle  europäischen  Varianten  das  Strichmotiv  kennen,  während  es 
nur  bei  Herodot  fehlt,  und  dadurch  wird  die  zweite  Annahme 
wahrscheinlicher,  dafs  die  Geschichte  schon  vor  Herodot  in  der 
Form  erzählt  wurde,  in  der  sie  noch  heute  besteht,  und  dafs 
Herodot  oder  sein  Gewährsmann  diese  Form  änderte.  Ein  sol- 
cher Vorgang  wäre  nichts  Ungewöhnliches,  in  der  Edda  z.  B. 
erscheinen  Märchenmotive  viel  gewaltsamer  umgestaltet  und  ge- 
ändert als  im  gegenwärtigen  Volksmärchen.  —  Das  Märchen  vom 
Meisterdieb  kam  auch  nach  Indien,  wurde  dort  erweitert,  und 
diese  Erweiterung  blieb  nicht  ohne  Rückwirkung  auf  einige  euro- 
paische Varianten:  darüber  nachher. 

Dies  Märchen  hat  nun  einen  wirkungsvollen  Abschlufs  und 
steigert  auch  die  Taten  des  Diebes  nicht  ohne  Geschick:  auch 
aus  diesem  Grunde,  nicht  allein  wegen  der  überkühnen  Diebes- 
taten, die  es  vermeldet,  behauptete  es  sich  durch  die  Jahrhun- 
derte. Es  stammt  gewils  aus  einer  Periode  der  Erzählungskunst, 
die  der  früheren,  in  der  das  Brüdermärchen  sich  zusammensetzte, 
weit  überlegen  war. 

Wir  beklagen  jetzt,  nachdem  uns  die  wenigen  erhaltenen  ägyp- 
tischen Märchen  recht  deutlich  gezeigt,  wieviel  Verwandtschaft  dies 
alte  Märchen  mit  unseren  gegenwärtigen  hat,  und  wie  tief  es  uns 
in  die  Erkenntnis  der  Märchen  führt,  um  so  lebhafter  den  Verlust 
der  vielen  anderen  Märchen.    Es  hat  sich  uns  —  ich  wiederhole 


«  Erwin  Rohde,  Kleine  Schriften  II,  193. 

»  Aplulf  und  Theudelind,  Grimm,  BS  404;  vgl.  auch  KHM  116  (Das 
blaue  Licht).    Ohauyin  V,  83  Anm.  2. 


12  Zur  Entstehung  des  Märchens. 

das  mit  einer  gewissen  Pedanterie^  denn  diese  Tatsache  ist  für 
unsere  späteren  Beobachtungen  grundlegend  —  zu  wiederholten 
Malen  bestätigt^  dals  diese  Märchen,  sofern  ihnen  nicht  einfache 
Erlebnisse  zugrunde  liegen,  aus  Vorstellungen  primitiver  Völker 
hervorgehen.  Diese  Vorstellungen  sind  die  Märchenmotive,  oder 
sie  erzeugen  diese.  Und  die  Motive  werden  verdoppelt,  ähnliche 
verbinden  sich;  solche  Zusammensetzung  ist  dann  ein  Märchen. 
Die  Handlung  schreitet  nicht  geradeaus  fort,  besinnt  sich  auch 
nicht  immer  auf  das  Vorher  und  Nachher;  aber  wir  beobachteten, 
daTs  der  Darstellung  beherrschende  Ideen  zugrunde  liegen,  und  dafs 
später  kühne  und  wirksame  Motive  geschickt  gesteigert  werden. 

Von  den  Erzählungen  der  Bibel  sind  manche  aus  Babylon, 
manche  aus  Ägypten  herübergenommen  und  veredelt.  Die  be- 
rühmteste bibliscne  Sage  babylonischer  Herkunft,  die  Sintflut- 
sage, hat  nur  wenige  Berührungen  mit  dem  Märchen.  Die  Sage 
vom  Paradiese  stammt  vielleicht  auch  aus  Babylon,  persische  und 
griechische  Mythen  stehen,  um  das  zu  wiederholen,  ihrem  Inhalt 
recht  nahe,  *  und  die  Vermutung,  dafs  alle  diese  Sagen  aus  Träu- 
men sich  bildeten,  kann  man  wenigstens  nicht  ausscnlielsen.^  Die 
Heimat  der  meisten  Geschichten  von  Jakob  und  Joseph  war  gewifs 
Ägypten.  —  Anklänge  an  das  Märchen  lassen  sich  hier  wieder 
leicht  herausfühlen:  dafs  eine  Frau  lange  Zeit  unfruchtbar  bleibt 
und  ihr  dann  ein  Trank  oder  Apfel  oder  andere  Früchte  die 
ersehnte  Fruchtbarkeit  schenken,  von  diesem  beliebten  Motiv  gibt 
uns  die  Bibel  in  ihrer  Erzählung  von  Rahel  das  erste  Beispiel.^ 
Der  Anfang  der  Geschichte  von  Joseph  ist  wieder  ein  Brüder- 
märchen, freilich  nur  in  Umrissen,  kein  ausgeführtes.^  Das  ägyp- 
tische Märchen  zeigt  die  treuen,  das  biblische  die  treulosen  Brü- 
der, die  Frauen  in  den  Märchen  beider  Länder  erscheinen  als 
treulos,  hier  in  unserer  Josephgeschichte  und  offenbarer  und  ab- 
scheulicher noch  in  der  Geschichte  von  Simson.  Zu  den  Erleb- 
nissen der  Wirklichkeit,  die  das  Märchen  in  sich  aufnahm,  steigerte 
und  verbreitete,  gehörten  also  aufser  den  früher  genannten  die 
Geschichten  von  treulosen  und  treuen  Brüdern  und  von  treulosen 
Frauen.  —  Joseph  wird  von  seinen  neidischen  Brüdern,  weil  der 
Vater  ihn  mehr  liebt  als  sie,  verleumdet,  mifshandelt  und  als 
Sklave  verkauft,  dem  Vater  sagen  die  Brüder,  wilde  Tiere  hätten 

*  Vgl.  jetzt  noch  Hermann  Gunkel,  Deutsche  Rundschau  Januar  1905. 
'-^  Vgl.  auch  nochmals  Röscher,  Ephialtes  38;  oben  Archiv  CXIII,  261. 
^  Vgl.  Sidney  Hartland  a.  a.  O.  71  f,;  W.  Hertz,  Oesamnielte  Abhand- 
lungen 275;  Hermann  Gunkel,  Oenesis  298  f. 

*  Die  Geschichte  von  Joseph  wird  in  manchen  Märchensammlunffen 
als  Märchen  erzählt,  vgl.  z.  B.  Laura  Gonzenbach,  Sixüianische  Märmen 
Nr.  89.  91.  —  Prym  und  Socin,  Der  neuaramäische  Dialekt  von  Tur  *Ahdin, 
Göttingen  1881,  I,  xix.  II,  26.  —  Traumdeutungen,  die  denen  des  Joseph 
vergleichbar  sind,  in  den  Jaiaka,  übers,  v.  Cowell,  Nr.  77. 


Zur  Entetehung  dee  M&rchens.  18 

ihn  zerrissen:  gerade  dieser  Joseph  aber  kommt  zu  den  gröfsten 
Elbren^  beschämt  seine  Brüder  und  verzeiht  ihnen  grolsmütig. 
Dieser  Kontrast  zwischen  den  älteren,  verlogenen  und  heimtücki- 
schen und  doch  erfolglosen,  und  dem  jüngsten,  mifshandelten, 
hochsinnigen  und  erfo^reichen  Bruder  bleibt  das  Grundmotiv  in 
allen  späteren  Märchen  von  treulosen  Brüdern  und  Genossen. 
Der  Verlauf  und  das  Ende  dieser  Märchen  ist  nicht  so  freund- 
lich wie  der  unserer  Josephgeschichte:  die  Genossen  und  Brüder 
des  Märchens  wollen,  trotzdem  ihnen  verziehen,  nicht  von  ihrer 
Heimtücke  lassen,  sie  verleumden  den  jüngsten  von  neuem  oder 
schaffen  ihn  ganz  beiseite,  und  erst  ein  wundertätiges  Wirken, 
des  Schicksals  enthüllt  Schuld  und  Unschuld,  belohnt  den  Ge- 
rechten und  straft  die  Bösewichter.  ^ 

Joseph,  erzählt  uns  die  Bibel  weiter,  erfreut  sich  der  beson- 
deren Gunst  des  Königs;  weil  das  nach  ihm  lüsterne  Weib  des 
Potiphar,  dessen  Werben  er  zurückweist,  ihn  verleumdet,  wirft  man 
ihn  in  den  Kerker;  später  gerät  der  König  in  eine  schwere  Lage, 
aus  der  ihm  keiner  seiner  Räte  zu  helfen  weifs;  nun  erinnert  er 
sich  seines  früheren  klugen  Beraters,  der,  wie  er  glaubt,  verurteilt 
und  getötet  ist.  Er  hört,  dieser  lebe  noch,  aber  schmachte  im 
Kerker:  darauf  läfst  der  Pharao  ihn  sofort  befreien,  schenkt  ihm 
die  alte  Stellung  wieder,  hört  seinen  Rat,  rettet  dadurch  das 
Land  und  überhäuft  ihn  mit  neuen  Ehren. 

Solche  Schicksale  werden  einem  treuen  Pürstendiener  öfter 
beschieden  sein,  dem  ersten  Blick  zeigen  sie  kaum  etwas  Beson- 
deres. Wer  näher  zusieht,  erkennt,  dafs  sie  viele  und  immanente 
Schäden  orientalischen  Staatslebens  sozusagen  auf  eine  kurze,  er- 
schöpfende Formel  bringen,  die  das  Leben  dann  immer  neu  be- 
weist. Die  Willkür  und  die  Launen  des  orientalischen  Despoten, 
der  jähe  Wechsel  der  Fürstengunst,  die  Verleumdung  und  Intrige 
am  königlichen  Hofe,  die  heimliche  Eigenmacht  dieser,  die  Klug- 
heit und  Bedeutung  jener  Diener,  das  Hilflose  und  die  Ohnmacht 
des  Herrschers,  sobald  er  sich  selbst  helfen  und  selbst  handeln 
soll:  all  dies  zeigt  die  kurze  Geschichte  in  scharfer  und  heller 
Beleuchtung,  und  darum  ist  sie  sehr  oft  erzählt  worden.  In  der 
Bibel  selbst  noch  einmal  —  das  Buch  Tobias  spielt  darauf  an  — 
vom  weisen  Heikar,  und  im  Indischen  gleichfalls,  in  einer  Samm- 
lung, die  sich  auch  über  die  ganze  Welt  verbreitete,  in  der  Cuka- 
saptati.  Ihre  Betrachtung  werden  wir  also  fortsetzen,  wenn  wir 
beim  Indischen  angelangt  sind. 

Wenn  im  Märchen  ein  Mann  einem  Geist  oder  dem  Teufel, 
zum  Lohn,  dafs  er  ihm  geholfen,   das  erste  verspricht,   was  ihm 

*  Zum  Märchen  vom  'Jüngsten  Bruder'  vgl.  noch  Hermann  üsener, 
Rhein.  Museum  N.  F.  58  (190'6),  S.  8.  329,  zu  deu  Treulosen  Brüdern' 
R.  Köhler,  Kl.  Schriften  I,  292.  537.  543  j  Cosquin  I,  212  f.  9  f. 


14  Zur  Entstehung  des  MarchenB. 

jnety  und  ihm  begegnet  dann  sein  Kind^  so  denken  wir 
sofort  an  die  Bibel^  denn  dies  Motiv  erscheint  dort  als  das 
Gelübde  Jephthas.^  —  Oder  wenn,  namentlich  im  nordischen 
Märchen^  eine  Verfolgte  ruft:  'Hinter  mir  Nacht  und  vor  mir 
Tag^  und  sich  hinter  ihr  dichte  Nebel  zusammenballen^  in  denen 
sich  ihre  Verfolger  verlieren,  sie  aber  entkommt  in  hellem 
Tag,^  so  wiederholt  sich  die  Sage  vom  Durchzug  der  Kinder 
Israels  durchs  Bote  Meer.  —  Und  man  wird  in  diesen  Fallen 
und  ähnlichen,  etwa  bei  der  Geschichte  von  Moses^  Aussetzung, 
es  für  das  Wahrscheinliche  halten,  dafs  die  Wirkungen  der  Bibel 
bis  in  unser  Märchen  hineinreichen.  Für  uns  bleibt  die  Haupt- 
sache, dalis  diese  Motive  als  märchenhaft  empfunden  werden,  und 
man  darf  sich  nicht  ge^en  die  Möglichkeit  strauben,  dafs  die 
Bibel  sie  ihrerseits  alten  Märchen  entnahm. 

Moses  ist  dumpf  und  stumpf  in  der  Jugend,  und  er,  von 
dem  es  die  wenigsten  glaubten,  wird  später  der  Führer  seines 
Volkes:  die  germanische  Sage  schildert  uns  ihre  Helden  gern 
ebenso,  und  im  Märchen  löst  der  verachtete  Dummling  alle  Auf- 
gaben und  verrichtet  alle  Heldentaten,  an  denen  seine  klügeren 
und  stärkeren  Brüder  scheitern.  —  Für  die  Zaubertaten  des  Moses: 
dalis  er  Wasser  aus  dem  Felsen  schlägt,  dafs  er  einen  Stab  in 
eine  Schlange  verwandelt  und  mit  ägyptischen  Zauberern  Wett- 
kämpfe besteht,  bieten  Sage  und  Märchen  gleichfalls  Parallelen. 

Simsons  Schicksale:  seine  Straft  liegt  in  seinen  Haaren,^ 
sein  Weib  lauscht  ihm  dies  Geheimnis  ab,  fesselt  ihn  verräterisch 
und  überliefert  den  Kraftlosen  seinen  Feinden,  leben  seltsamerweise 
auch  in  Indien  als  Märchen.  Ein  bei  den  Slawen  und  im  Nor- 
den verbreitetes  Märchen  von  der  treulosen  Schwester  oder  Mutter 
des  Starken  ^  hat  mit  der  Sage  von  Simson  auch  auffallende  Ver- 
wandtschaft —  Die  Geschichte  vom  Kampf  Davids  mit  Goliath 
ist  wohl  kaum  etwas  anderes  als  eins  der  vielen  hübschen  Mär- 
chen vom  Wettkampf  eines  klugen,  kecken  und  schwachen  Mensch- 
leins mit  einem  grofsen,  ungefügen,  dummen  Kiesen,  in  dem  der 
Riese  trotz  seiner  ungeheuren  Stärke  der  Klugheit  des  Mensch- 
leins unterliegt. 

Salomo  bleibt,  wie  man  weifs,  die  für  den  Märchenforscher 

*  Vgl.  etwa  Grimm,  KE[M  Nr.  88,  mit  Anmerkungen ;  Chauvin  V,  176 
Anm.  l,  und  Cosquin  Nr.  63  (II,  215  f.);  auch  Grunatvig,  Oamle  Danake 
Minder  II,  49.  Wilhelm  Hertz  in  seinen  Kolleklaneen  verweist  auf  Servius 
zu  jEneis  III,  121:  Idomeneus  gelobt  in  einem  Sturm  dem  Poseidon  zu 
opfern,  was  bei  der  Landung  ihm  zuerst  en^egenkomme,  und  ihm  be- 
gegnet sein  Sohn.  —  Ähnliche  Sage  bei  Pseudo-rlutarch,  Plutarch  ed.  Beieke 
X,  744,  und  in  China:  Journal.  Ästatique  VI,  159. 

■  Z.  B.  Grundtvig  a.  a.  O.  II,  30  und  in  anderen  Märchen  des  Allerlei- 
rauh-Tvpus,  vgl.  oben  S.  5  Anm.  1  und  Bd.  CXIII,  S.  268  Anm.  2. 
3  Archiv  CXIV,  S.  8  Anm.  3.    Frazer  III,  352  Anm.  1.  390. 

*  von  der  Leyen,  Märehen  in  Edda  28.  29. 


Zur  Entstehung  des  MärchenB.  15 

merkwürdigste  und  auch  rätselhafteste  Gestalt  der  Bibel.  Die 
Geschichten  von  seiner  Macht  und  seinem  Glanz,  seiner  Zauber- 
gewalt und  Herrschaft  über  die  Geister  haben  später  die  Araber, 
die  Geschichten  von  seinen  dämonischen  Kräften  und  Helfern 
und  seinem  Trotz  gegen  Gott  hat  die  spätere  Literatur  der  Juden 
verbreitet  Und  durch  diese  fabelhaften  Kunden  von  Salomo 
wurde  die  Dichtung  und  Phantasie  des  ganzen  Mittelalters  be- 
fruchtet. —  Oft  erscheint  Salomo  als  Richter  und  Rätsellöser 
von  unübertrefflicher  Weisheit,  und  da  bleibt  nun  höchst  selt- 
sam, dais  gerade  die  Inder  ganz  ähnliche  oder  sogar  dieselben 
Weisheitsproben  und  -sagen  von  ihren  Weisen  mitteilen.  Welches 
Volk  hier  das  andere  beeinfluTste,  wissen  wir  nicht;  mir  scheint 
aber  —  warum,  habe  ich  später  zu  b^ründen  — ,  dafs  hier  die 
Juden  die  Gebenden,  die  Inder  die  Nehmenden  waren. 

Ich  erwähne  von  den  Übereinstimmungen  zuerst  die,  die  mit 
Recht  die  Forscher  am  stärksten  überraschte:  das  weise  Urteil 
des  Salomo  zwischen  zwei  Müttern,  die  jede  dasselbe  eine  Kind 
als  das  ihre  beanspruchten;  dies  gleiche  Urteil  überträgt  eine  alte 
buddhistische  Legende  auf  Buddha.^ 

In  einer  späteren  Legende  soll  Salomo  auf  Wunsch  der 
Königin  von  Saba  Mädchen  und  Knaben,  die  beide  ganz  gleich 
gekleidet  sind,  voneinander  unterscheiden.  ^  Die  Inder  verlangen, 
da(s  ein  Kluger  von  zwei  ganz  gleichen  Pferden  aussage,  welches 
die  Mutterstute  und  welches  das  Fohlen  sei.^  Der  Thron  des 
Salomo  war  nach  jüdischer  Legende  von  märchenhafter  Pracht 
und  entdeckte  das  Unrecht  und  verwehrte  dem  Unwürdigen  den 
Zutritt.  Die  Inder  erzählten  von  einem  solchen  Thron,  den  man 
ausgrub,  ^eich  einen  ganzen  Zyklus  von  Geschichten,  in  dem 
sich  der  Scharfsinn  des  Königs  offenbarte,  dem  dieser  Thron 
früher  zu  eigen  war.* 

Das  sind  alles  kurze  Hinweise,  und  es  wäre  nicht  zu  schwer, 
auch  diese  noch  wesentlich  zu  vermehren.  Doch  mufs  die  gründ- 
liehe Behandlung  dieser  Probleme  Berufeneren  überlassen  bleiben. 
Für  uns  genügt  die  Erkenntnis,  dafs  die  Bibel  auch  für  den 
Marchenforscher  eine  reiche  Fundgrube  ist  Was  sie  uns  bietet, 
sind  einzelne  Motive  oder  die  Anfänge  und  Grundrisse  zu  Mär- 
chen: so  ausführliche  und  zusammengesetzte  Märchen  wie  bei  den 
Ägyptern  entdecken  wir  hier  nicht.  Für  den  gelehrten  Theo- 
logen, der  die  Entstehung  und  Zusammensetzung  der  Bibel  er- 
kennen will,  wird  der  Nachweis  von  Märchenmotiven  darin  viel- 

'  Oldenberg,  Literatur  des  alten  Indien  S.  114.  291  (Gaidoz,  Melusine 
Bd.  IV,  17). 

'  Wilhelm  Hertz,  Gesammelte  Abhandlungen  417  f. 

'  Oukasaptati,  übers.,  v.  fiichard  Schmidt,  t.  s.  48  t.  o.  58. 

^  Albrecht  Weber,  Über  die  Sinhuscma  dvairiti^ikäf  Indische  Studien 
XV,  185  f. 


16  Zur  EDtotehuDg  des  Märchens. 

leicht  von  grolserer  Bedeutung  werden  als  für  den  Märchenfor- 
scher,  die  vergleichende  Märcnenkunde  wird  ihm  möglicherweise 
gEuiz  neue  Aufschlüsse  und  fk'leuchtungen  schenken  und  ihn  in 
Zeiten  und  Schichten  führen,  die  älter  sind  als  alle,  bis  zu  denen 
er  bisher  vordrang. 

Die  Odyssee  wurde  von  mir  das  alte  Märchenbuch  der 
Griechen  genannt.  Denn  wir  haben  aus  ihr  eine  Fülle  von  Mär- 
chenmotiven  herausgehoben:  die  Geschichten  von  Tantalos,  Sisy- 

5 hos,  den  Danaiden  deuteten  wir  als  Traummärchen,  und  auch 
ie  rührende  Geschichte  von  Odysseus^  Erwachen  bei  den  Phäaken 
scheint  aus  einem  Traum  emporgeblüht  ^  Ein  andere  Gruppe 
von  Märchen  darf  man  als  Zaubermärchen  bezeichnen,  z.  B.  das 
oben  berührte  Märchen  von  Proteus^  und  ebenso  das  von  der 
Kirke,  die,  yne  die  Zauberinnen  im  Märchen  so  oft  —  es  sei 
nur  auf  das  Brüdermärchen  verwiesen  ^  — ,  die  Menschen  in  Tiere 
verwandelt,  bis  auf  einen,  den  die  Götter  schützen,  vor  dem  ihre 
Kunst  machtlos  wird,  und  auf  dessen  Drohungen  sie  auch  den 
verwandelten  Tieren  die  menschliche  Gestalt  zurückgeben  mufs. 
Wie  die  Kirke  den  Odysseus,  so  schickt  im  Märchen  oft  eine 
böse  Zauberin  ein  Mädchen  oder  ein  furchtsamer  und  heimtücki- 
scher König  einen  Helden  in  die  Unterwelt,  ursprünglich,  um 
ihn  zu  vernichten :  die  nächsten  Beispiele  bieten  die  antiken  Sagen 
von  Herakles  und  Theseus  und  das  Märchen  von  Eros  und  Psyche. 
Für  wieder  andere  Märchen  bei  Homer  ist  Beisemärchen  der 
zutreffendste  Name.  Man  hat  seit  langem  erkannt,  dafs  diesen 
Reisemärchen  sich  die  Märchen  namentlich  orientalischer  Völker 
vergleichen:  die  Fahrt  des  Odysseus  zu  den  Phäaken  und  seine 
Erlebnisse  bei  ihnen  haben  eine  auffallende,  auch  in  Einzelheiten 
bemerkbare  Ähnlichkeit  mit  dem  indischen  Märchen  von  Sakti- 
vega,^  andere  verwegene  Abenteuer  und  märchenhafte  Bettungen 
des  Odysseus  sind  ungefähr  die  gleichen  wie  die,  deren  Sindbad 
in  1001  Nacht  sich  rühmt.  ^  Die  Syraplegaden  kennen  schon  Reise- 
und  Traumschilderungen  der  Naturvölker;^  die  List,  die  Odysseus 
und  seine  Gefährten  vor  dem  übermächtigen  Gesänge  der  Sirenen 
schützt,  ist  anderen  Märchen  nicht  fremd,  ^  die  märchenhafteste 
Geschichte  der  Odyssee  aber  bleibt  die  vom  Polyphem.  Sie  kehrt 
unter  den  Abenteuern  des  Sindbad  \vieder  und  gehört  gewifs  in 
den  Kreis  der  Raub  sagen  und  Raubmärchen:  ein  Mensch  über- 

»  Archiv  OXIII,  258.      •  Archiv  CXIV,  2. 

•''  Sidney  Hartland,  Legend  of  Perseus  III,  17  f.  105  f.  Erwin  Rohde, 
Der  griechische  Roman  il{i  Anm.  2. 

*  Gerland,  Ältgrieehische  Märchen  in  der  Odyssee  (Magdeburg  1869)  18. 

^  Erwin  Rohde,  Der  griechische  Ronian  173  Anm.  2.  180  Anm.  1. 

^  V^l.  von  der  Leyen,  OermanisL  Abh,  für  Paul  S.  150  Anm.  l ;  dazu 
Reinhold  Köhler,  KL  Schriften  I,  397;  Cosquin  II,  242. 

'  Reinhold  Köhler  1,  125.     Mako,  übers,  v.  Co  well,  Nr.  96. 


Zur  Entstehung  des  Märchens.  IV 

listet  eiDen  Riesen  und  raubt  ihm  seine  kostbarsten  Besitztümer. 
Der  Kontrast  zwischen  dem  schwachen,  klugen  Menschen  und 
dem  ungeheuren,  dummen  und  plumpen  Riesen  klingt  in  diese 
Sage  auch  hinein.  Die  List  selbst,  dafs  Odysseus  sich  niemand 
nennt,  erscheint  sogar  in  Schwänken  von  Völkern,  die  nie  etwas 
von  Homer  und  der  Odyssee  hören  konnten:  es  wurde  hier 
ein  uralter  Schwank  auf  Odysseus  übertragen.^  Auch  das  ganze 
Beiwerk:  die  Einäugigkeit  des  Polyphem,  das  Entkommen  des 
Odysseus  und  seiner  Gefährten  unter  den  Widdern  des  Riesen, 
die  verspätete,  furchtbare  und  vergebliche  Rache  des  Unholdes, 
das  ist  alles  echt  märchenhaft  und  abenteuerlich. 

Odysseus  wird  von  einer  himmlischen  Nymphe  geliebt  und 
verzehrt  sich  in  Sehnsucht  zu  der  fernen  irdischen  Gemahlin, 
Achiileus  ist  das  Kind  einer  himmlischen  Nymphe,  die  einem 
sterblichen  Manne  sich  hingab,  den  Herakle&t  will  ein  feiger  König 
verderben,  er  besiegt  Ungeheuer,  befreit  von  ihnen  Jungfrauen, 
wandert  zum  Paradies  und  erbeutet  die  Äpfel  der  Hesperiden  und 
schleppt  den  Kerberus  aus  der  Hölle;  rerseus  wird  von  Danae 
geboren,  die  ein  Gott  durch  ein  Wunder  befruchtet,  und  man 
hatte  diese  Danae  eingeschlossen,  damit  sie  kein  Kind  gebären 
könne,  den  Knaben  Perseus  sucht  ein  König,  wieder  ein  feiger  und 
sdiwacher  König,  zu  vernichten,  weil  die  Prophezeiung  war,  dafs 
dieser  Ejsabe  ihm,  dem  König,  Unheil  bringen  werde.  Und  so 
erfüllt  es  sich:  Perseus  raubt  den  drei  Graien  ihr  eines  Auge,  sie 
zeigen  ihm  den  Weg  zu  den  Gorgonen,  und  er  gewinnt  den  ver- 
steinernden Schild  der  Medusa,  er  befreit  Andromeda  vom  Drachen 
und  erringt  ihre  Hand:  das  sind  alles  alte  griechische  Sagen,  und 
sie  klingen  uns  doch,  als  hörten  wir  eins  unserer  Märchen.*  — 
Die  Forschung  hat  aus  der  griechischen  und  römischen  Literatur 
schon  eine  Fülle  von  Märchenmotiven  zutage  gefördert,  die  ich 
hier  nicht  noch  einmal  ausbreiten  will,  ^  gewiis  läfst  sich  die  Aus- 
beute leicht  vermehren,  und  eine  Übersicht  über  die  griechischen 
Marchenmotive  und  Märchen  würde  für  die  Entwickelung  der 
griechischen  Dichtkunst,  die  Herkunft  und  den  Ursprung  ihrer 
Stoffe,  das  Gestaltungsvermögen  ihrer  Dichter  manche  neue  und 
schone  Aufklärungen  geben.  Ich  vermerke  hier  im  Interesse  un- 
serer späteren  Betrachtungen  noch  einmal  das  Märchen  vom  klugen 

*  W.  Grimm,  Abhandlungen  der  Berliner  Akademie^  1857,  S.  1—30.  — 
Erwin  Bohde,  Der  griechische  Roman  173  Anm.  2. 

'  Ich  verweise  nochmals  auf  die  ausführliche  Parallelensammlung  zu 
den  PerseuB-Motiven  bei  Sidney  Hartland  in  seinem  hier  oft  genannten 
Werke.  —  Vel.  ferner  Kretschmer,  Einleitung  (1896)  S.  85  f. 

'  Eine  schöne  Übersicht  gibt  Friedländer,  Sütengeschickte^  I,  468  f.  — 
Die  Verdienste  und  Forschungen  von  Mannhardt  (Antike  Wald-  und  Feld- 
kuUe),  Erwin  Rohde  (Der  griechische  Roman;  Psyche;  Kleinere  Schriften), 
Marx  (Orieehische  Märehen  von  dankbaren  Tieren^  L889),  Crusius  (in 
Rasehers  Lexikon  und  im  Philologus)  u.  a.  sind  bekannt. 

AidÜT  t  n.  sprachen.    CXY.  2 


18  Zur  Bntstehung  des  Märchens. 

Sichter,  dessen  ürtefle  und  EntscheiduDgeD  sich  durch  Schar&inn 
überbieten,^  und  das  Märchen  von  den  empfindlichen  Menschen, 
das  die , späte  mechische  Kunst  sich  ersann:  groteske  und  ko- 
mische Übertreibungen,  die  die  renommistische  Empfindlichkeit 
der  Genülslinffe  verspotten  sollte.^ 

Ein  grie^sches  Volksmärchen  blieb  uns  noch  erhalten  aus 
dem  späten  Altertum,  nicht  rein  und  frisch,  sondern  fast  zu- 
gedeckt von  künstlicher  und  steifer  Allegorie,  Eros  und  Psyche 
des  Apulejus.  Wie  unserem  18.  Jahrhundert  z.  B.  dem  Musaeus 
die  M^ärchen  als  etwas  Eandliches  und  Albernes  erschienen,  ein 
Ammengeschwätz,  auf  das  man  mitleidig  herabblickte  und  nur 
durch  eigene  tiefe  und  wertvolle,  vernünftige  und  aufklärende 
Bemerkungen  literaturfähig  und  genielsbar  machen  konnte,  so 
etwa  erschienen  sie  auch  dem  Apulejus:  er  hat  sein  altes  Mär- 
chen durch  Allegorie  und  Philosophie  zu  vertiefen  sich  bemüht: 
uns  erscheinen  seine  Zutaten  als  frostig,  steif,  aufdringlich  und 
die  Einfalt  der  Geschichte  schwer  schädigend.  Aber  unsere  Volks- 
märchen gestatten  uns  überall,  das  Ursprüngliche  und  Kchte  her- 
auszulösen. ^ 

Ein  König  hat  drei  Töchter,  die  jüngste  soll  in  die  Gewalt 
eines  Ungeheuers  kommen.  Unter  Trauern  begleitet  man  sie  zu 
dem  Felsen,  unter  dem  das  Ungeheuer  haust>  und  sie  stürzt  sich 
hinab,  aber  ein  sanfter  Windhauch  trägt  sie  in  ein  blühendes 
Tal,  sie  sieht  darin  einen  Hain  und  eine  Quelle,  und  das  Unge- 
heuer, bei  Tag  eine  Schlange  mit  ungeheurem  Rachen,  gifttropfend, 
ist  bei  Nacht  ein  schöner  Jüngling.  Psyche,  die  Jungfrau,  lebt 
in  einem  märchenhaften  Palast,  oie  Gemächer  glänzen  so  von 
Gold,  dafs  es  auch  in  der  Nacht  hell  bleibt,  eme  unsichtbare 
Dienerschaft  erfüllt  alle  ihre  Wünsche.  Ihr  Gemahl  warnt  sie: 
sie  solle  sich  von  den  Schwestern  nicht  ausfragen  lassen  und  nie 
nach  seiner  Gestalt  forschen,  sie  widersteht  auch  eine  Zeit  dem 
neugierigen  Drängen  dieser  Neidischen,  schlieislich  fragt  sie  den 
Gemahl  doch,  und  da  entschwindet  er  ihr,  und  sie  wandert  ihm 
nach.  Die  neidischen  Schwestern  stürzen  sich  auch  vom  Fels, 
aber  zerschellen  dabei,  Psyche  wandert  weiter:  sie  wird  von  Venus 
gepeinigt,  von  Traurigkeit  und  Sorge,  ihren  Dienerinnen,  ge- 
»ifselt,  sie  mufs  durcheinander  geworfene  Garben,  Kränze  und 
Eicheln  wieder  in  Ordnung  bringen,  sie  mufs  Gerste,  Weizen, 
Hirse,  Mohn,  Erbsen,  Linsen,  Bohnen  auseinanderlesen:  dabei 
helfen  ihr  die  Aroeisen;  sie  mufs  Wolle  von  bösen,  wilden  Schafen 
mit  goldenen  Vliefsen  bringen,  das  Schilf  flüstert  ihr  zu,  sie  solle 
warten,  bis  die  Tiere  es  sich  selbst  abstreiften;  sie  mufs  Wasser 

*  Vgl.  oben  Archiv  CXIV,  22  Anm.  3. 

*  EjTwin  Rohde,  Der  griechische  Eoman^  588/9. 

'  Friedländer,  Sittengeschichte  I,  407.  468  f.  (mit  Beiträgen  von  Adal- 
bert  und  Ernst  Kuhn).    (Dosquin  II,  217  f. 


Zur  Entstehung  des  Märchens.  19 

aas  einer  Quelle  holen,  die  von  Drachen  bewacht  wird,  ein  Adler 
füllt  das  Gefäis  für  sie. 

Zum  Schlufs  soll  sie  in  die  Unterwelt  steigen  und  Schön- 
heitssalbe von  der  Totengöttin  holen,  dabei  tr^  sie  in  einer 
Hand  Kuchen  und  Mehlbrei,  in  der  anderen  Honig  und  Wein, 
im  Mund  eine  Kupfermünze.  Dreimal  wird  sie  versucht,  es  fallen 
zu  lassen:  zuerst  begegnet  ihr  ein  lahmer,  mit  Holz  beladener 
likel,  der  lahme  Treiber  bittet  sie,  die  Holzscheite  aufzunehmen, 
dann  schwimmt  ein  alter  Mann  ihrem  Kahne  nach,  man  möge 
ihn  auch  hineinziehen,  und  alte  Weiber  am  Webstuhl  bitten  sie, 
auch  Hand  anzulegen.  Sie  widersteht  den  Versuchungen  allen, 
sie  nimmt  dann  vom  Mahl  nur  ein  Stück  Brot,  das  sie,  auf  der 
Ejrde  sitzend,  zu  verzehren  hat,  erhält  die  Büchse  und  öffnet  sie 
schon  unterwegs,  ein  betäubender  Dampf  steigt  hervor,  aber  sie 
ist  erlöst  und  mit  dem  Geliebten  wieder  vereint. 

Man  darf  auch  hier  kaum  von  einem  einheitlichen  Märchen 
reden:  es  sind  wieder  verschiedene  Märchen  und  Märchenfrag- 
mente, die  im  Wesen  sich  freilich  berührten  oder  ähnlich  waren, 
lose  aneinandergefügt,  nicht  organisch  verbunden.  Etwa  das  Mär- 
chen von  der  Jun^^u,  die  nicht  nach  der  Gestalt  des  Mannes 
fragen  darf  und  den  Mann  verliert,  als  sie  das  Gebot  übertritt; 
das  Märchen  von  neidischen  Schwestern,  die  der  jüngsten  ihr 
Gluck  nicht  gönnen  und  schhefslich  bestraft  werden,  das  Mär- 
chen von  den  unlösbaren  Aufgaben,  die  ein  Liebender  doch  löst, 
um  sich  die  Geliebte  zu  erringen  (in  anderen  Märchen  gewöhn- 
lich durch  die  Hilfe  dankbarer  Tiere,  die  er  vorher  gutmütig  vom 
Tode  rettete),  das  Märchen  vom  Wasser  des  Lebens  und  der 
Hexe,  die  einen  anderen  dadurch  beiseite  schaffen  wiU,  dafs  sie 
ihn  in  die  Hölle  schickt  und  ihm  Aufgaben  gibt,  die  eigentlich 
kein  Mensch  lösen  kann.^ 

Das  Motiv  von  der  Jungfrau,  die  unter  der  Trauer  der  ganzen 
Stadt  einem  Drachen  geopfert  wird,  gehört  in  einen  anderen  Kreis; 
und  die  ihm  gebührende  Fortsetzung  ist  die,  dafs  ein  Held  die 
Jungfrau  erlöst,  nachdem  er  den  Drachen  besieg  und  getötet. 

Die  meisten  europäischen  Volksmärchen,  die  dem  Apulejus 
ähnlich  sind  und  meist  wohl  auch  von  ihm  abhängen,^  nehmen, 
nachdem  der  Geliebte  entschwunden,  eine  andere  Wendung  als 
ihr  antikes  Vorbild:  die  Braut  wandert  durch  die  Welt,  dem  Ent- 
schwundenen nach,  findet  mitieidi^e  Helfer,  die  ihr  Geschenke 
geben;  als  sie  den  Geliebten  endlich  vdederfindet,  will  er  sich 
gerade  mit  einer  anderen  Braut  vermählen,  sie  erwirkt  sich  von 
dieser  mit  Hilfe  ihrer  Geschenke  die  Erlaubnis,  in  drei  Nächten 
bei  dem  GeUebten  zu  schlafen,  und  weifs  endlich  seine  Erinne- 


>  Vgl  Cosquin  II,  237  f. 

'  VgL  das  VerzeichDis  von  Kuhn  bei  Friedländer  I,  497. 


20  Zur  Entstehung  des  Märchen«. 

rung  zu  wecken,  so  dafs  sie  sich  mit  ihra  wieder  vereinigt'  — 
Das  bestätigt  uns,  was  wir  schon  sagten:  die  Geschichte  des 
Apulejus  ist  keine  einheitliche,  sondern  besteht  aus  verschiedenen, 
einander  verwandten  Märchen.  Sie  entspricht  darin  durchaus  un- 
seren modernen  Volksmärchen,  deren  Wandlungsfähigkeit  ja  darum 
eine  so  unbegrenzte  ist,  weil  sich  die  einzelnen  Märchenmotive 
und  Märchenteile  immer  neu  und  anders  miteinander  verbinden 
imd  schon  ganz  leise  Ähnlichkeiten  und  Anklänge  solche  Verbin- 
dungen bewirken.  Es  liegt  im  Wesen  dieser  Märchenmotive,  dafs 
sie  immer  etwas  unbestimmt  bleiben,  sich  Veränderungen  leicht 
fügen  und  darum  in  immer  anderen  Zusammenhängen  erscheinen. 
Diese  Eigentümlichkeit  des  Märchens  führt  meines  Erachtens 
auch  zur  Erkenntnis  des  wirklichen  Unterscheidungsmerkmales, 
das  Märchen,  Mythus  und  Sage  voneinander  trennt  Im  ersten 
Ursprung  sind  niese  gleich,  Mythus  und  Sage  stammen,  ebenso 
wie  das  Märchen,  aus  Leben,  Sitten,  Anschauungen  der  primi- 
tiven Völker.  Mit  der  Einschränkung  freilich,  dafs  der  Mythus, 
sofern  er  nicht  Göttersage  ist,  auf  dem  Kultus  beruht,  der  seiner- 
seits wieder  auf  uralte  religiöse  Vorstellungen  zurückführt,  und 
dais  die  Heldensage  in  ihre  rein  sagenhafte  Erzählung  geschicht- 
liche Erinnerungen  an  Taten  und  Helden  der  Vergangenheit  ver- 
webt Das  Grundverschiedene  vou  Märchen  und  Sage  ist  aber 
ihre  Entwickelung:  Die  Sage  verweilt  viel  länger  und  liebevoller 
bei  dem  einzelnen  Motiv,  dem  einzelnen  Ereignis  und  der  ein- 
zelnen Person  als  das  Märchen;  das  einzelne  zieht  sie  stärker  an, 
während  der  Reiz  des  Märchens  gerade  in  der  immer  wechseln- 
den Verbindung  oder  in  der  Anhäufung  der  Motive  besteht, 
das  Motiv  für  sich  gilt  ihm  nicht  so  viel.  Diese  einzelnen  Motive 
gewinnen  bei  der  Sage  eine  immer  neue  künstlerische  Mannig- 
faltigkeit, weil  immer  neue  Dichter  sich  an  den  gleichen  Mo- 
tiven und  Stoffen  versuchen,  dadurch  vertiefj  sich  auch  deren 
Bedeutung.  In  ähnlicher  Art  wachsen  die  Helden  der  Sage,  ein 
Dichter  nach  dem  anderen  gibt  ihnen  von  seinem  Besten,  und  so 
steigert  sich  ihr  Heroentum,  und  sie  erheben  sich  ins  Überirdische. 
Die  Motive  verlieren  dabei  oft  ihren  selbständigen  Wert  und 
dienen  nur  zur  Charakterisierung  des  Helden.  Weil  die  Sage 
sich  so  entwickelt,  haben  ihre  Helden  Namen,  während  die  des 
Märchens,  die  ganz  in  der  Fülle  immer  wechselnder  B^eben- 
heiten  verschwinden  und,  weil  sie  sich  selbst  dabei  immer  ändern, 
zu  keiner  bestimmten  Wesenheit  gelangen  können,  ohne  Namen 
sind.  Auch  bleibt  die  Sage  gern  bei  bestimmten  Orten  und  ver- 
klärt diese,  das  Märchen  verbreitet  sich  über  die  ganze  Welt. 
Die  Märchenraotive  fügen  sich  leicht  und  willig  zusammen,  die 
Sagen motive  schwer,  die  Entwickelung  der  Sage  ist  langsam,  eins 

*  Vgl.  noch  R.  Köhler,  KL  Sehriftm  I,  318  Anm.  1. 


Zur  Entstehung  de«  Märchens.  21 

ihrer  Motive  widerstreitet  oft  dem  anderen^  und  auch  in  den 
vollendetsten  Sagen  sind  solche  Konflikte  noch  nicht  ganz  über- 
wunden; man  fühlt^  dafs  eine  frühere  Anschauung  eines  Ereig- 
nisses oder  eines  Helden,  die  der  späteren  widerspricht,  noch  nicht 
ganz  beseitigt  wurde:  man  denke  etwa  an  die  Sintflutsage  oder 
an  die  nordischen  Sagen  vom  Ende  der  Welt  oder  an  unsere 
Nibelungen.  Die  Sage  ist  viel  ernster  als  das  Märchen,  künst- 
lerisch meist  viel  durchbildeter,  sie  wendet  sich  nur  an  einen  er- 
lesenen Kreis  von  Hörern  und  bleibt  innerhalb  nationaler  Grenzen. 
Damit  steht  in  Zusammenhang,  dafs,  wenn  Sagen  in  das  Volk 
dringen,  meist  gerade  das  Tiefste  an  ihnen,  ihre  Tragik  und  ihr 
Adel,  nicht  verstanden  oder  mifshandelt  wird  —  man  erinnere 
sich  an  unsere  Sagen  von  Wieland  dem  Schmied,  Hetel  und 
Hilde,  Hildebrand  und  Hadubrand  — ,  statt  dessen  wird  sie  mit 
märchenhaftem  Beiwerk  überladen.  Denn  das  Märchen  bleibt 
dem  Volke  verständlich  und  gehört  zu  ihm  auf  der  ganzen  Welt, 
die  kunstlose  Aneinanderfügung  von  Märchenmotiven  bedarf  nicht 
des  Dichters  und  kann  sich  jederzeit  im  Volke  abseits  der  höheren 
Poesie  entwickeln.  Diese  Bemerkungen  wollen  nur  als  vorläu- 
fige gelten,  ich  hoffe  sie  später  auszuführen  und  zu  vertiefen 
und  habe  sie  hier  nur  darum  nicht  unterdrückt,  weil  ich  glaube, 
dafs  sie  zur  Klärung  unklarer  Fragen  behilflich  sein  können.  *  — 
Wir  haben  nun  bei  der  Betrachtung  der  Märchen  der  antiken 
Volker  einen  recht  stattlichen  Beichtum  von  Märchenmotiven 
überblickt  und  es  oft  bestätigt  gefunden,  dafs  diese  Motive  aufs 
engste  mit  dem  Leben  und  dem  Wähnen  primitiver  Völker  zu- 
sammenhängen. Aufserdem  war  es  uns  möglich,  zu  beobachten, 
>vie  aus  einer  Vielheit  von  Märchenmotiven  Märchen  entstehen. 
Nun  dürfen  wir  den  letzten  wichtigsten  Schritt  tun,  den  zum 
indischen  Märchen  hinüber,  und  die  Art  unserer  Betrachtung 
läfst  sich  nun  leicht  erraten,  wir  vergleichen  die  alten  Märchen- 
motive mit  dem  indischen  Märchen,  die  auf  ihnen  beruhen,  ebenso 
die  antiken  Märchen,  die  vom  Meisterdieb,  von  den  Empfindlich- 
keitsproben, von  klugen  Bichtem  u.  a.,  mit  den  ihnen  entsprechen- 
den indischen,  wir  verfolgen  aufserdem  die  Entwickelung  der  in- 
dischen Märchen  in  Indien  selbst,  und  auf  der  Erkenntnis  f  ufsend, 
die  wir  derart  vom  indischen  Märchen  gewannen,  suchen  wir 
die  Frage  vom  Einflufs  der  indischen  Märchen  auf  die  Märchen 
der  anderen  Völker  nochmals  zu  beantworten. 

'  Ich  verweise  auf  die  sehr  fördernden  Bemerkungen  von  Hermann 
Usener  in  seinen  Sintflutsofien  und  Axel  Olrik,  Om  Ragnaroky  Kopen- 
hagen 1903.  Namentlich  die  letztgenannte  Schrift  sollte  von  Philologen 
aller  Disziplinen  gelesen  werden. 

München.  Friedrich  von  der  Leyen. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Niklas  Prann  und  Pandolfo  GoUennccio. 


In  der  Festechrift  ^Hans  Sachs- Forschungen,  herausgegeben 
von  A.  L.  Stiefel';  Nürnberg  1894,  S.  13—32,  hat  V.  Michels 
aus  einer  Handschrift  der  Berliner  Königlichen  Bibliothek  einen 
Dialog  von  Niklas  Praun  *Das  pieret  vnd  der  Kopff  (vollen- 
det 1542)  veröffentlicht  und  die  inm  bekannt  gewordenen  Daten 
über  den  bis  dahin  unbekannten  Verfasser  mitgeteilt  Die 
(mehrere  Arbeiten  Prauns  enthaltende)  Handschrift  ist  nur  zum 
kleineren  Teile  von  Praun  selbst  geschrieben.  Nach  seinem  Tode 
hat  Freund  Hans  Sachs  nach  losen  Blättern  des  Verstorbenen 
die  Handschrift  zu  Ende  geführt  —  der  genannte  Dialog  ist 
ganz  von  Sachs  abgeschrieben  —  und  mit  einer  sehr  aufschlufs- 
reichen  hübschen  Vorrede  versehen  worden. 

Es  ist  sehr  dankenswert,  dafs  Michels  das  ganze  Gespräch 
zwischen  dem  Barett  und  dem  Kopf  abgedruckt  hat.  Der  Dia- 
log ist  gewifs  die  beste  literarische  Leistung  Prauns.  Ein  aller- 
dings seltsamer  Gedanke  —  als  'wunderlich'  bezeichnet  Praun 
selbst  am  Schlufs  sein  Gespräch  —  wird  geistreich  und  witzig 
durchgeführt,  die  bitterste  Ironie  über  die  unvernünftige  Welt- 
anschauung und  Handlungsweise  der  grofsen  Masse  wird  in 
humorvollen  Reden  ausgegossen.  Barett^  und  Kopf  stehen  zu- 
einander in  einem  scharfen,  gut  charakterisierten  Gegensatz. 
Das  Barett  ist  klug,  hochgebildet,  welterfaliren,  von  sittlichen 
Grundsätzen  erfüllt.  Der  Kopf  ist  hohl,  dumm,  ungebildet  und 
richtet  sich  *nach  der  weit  prauch',  sieht  nur  auf  den  äufseren 
Schein  und  nicht  auf  die  innere  Tüchtigkeit  * 

Das  Barett  eröffnet  das  Gespräch  mit  der  Klage  über  sein 
unglückliches  Los,  das  ihn  gerade  auf  einen  so  närrischen  Kopf 
gesetzt  hat.  Es  tadelt  den  Kopf  (ihn  vom  Anfang  bis  zu  Ende 
mit  den  ärgsten  Scheit  werten  belegend),  dafs  der  Träger  seine 
Koptbedeckung  durch  sein  'wankelmuetig  vurnemen',  durch  Hin- 
und   Herrücken,    durch   ewigen   Wechsel   der   Form    und    der 

*  Sachs  schreibt  nebeneinander:  *pieret'  und  *piret*,  es  ist  im  16.  Jahr- 
hundert eine  häufige  Nebenform  (nach  mittellateinisch  birretum)  neben 
'baret'  für  Mütze  überhaupt  und  im  engeren  Sinn  für  das  Barett  der 
Doktoren. 


NIklas  Praun  und  Fandolfo  CoUenuodo.  28 

Ausschmückung  ui]  erträglich  quäle.  Aus  den  Auseinander- 
setzungen darüber  entwickelt  sich  zwischen  beiden  ein  theore- 
tisches Gespräch  über  Schönheit,  Gewalt,  Ehrerbietung  usw. 
Immer  gibt  zuerst  der  Kopf  ganz  unsinnige  und  verworrene  Er- 
klärungen, behauptet  aber  dann,  wenn  das  Barett  klar  und 
weise  die  Streitfrage  zu  Ende  bringt»  er  hätte  von  Anfang  ganz 
dieselbe  Meinung  gehabt.  Der  Träger  des  Baretts  geht  nun 
auf  die  Strafse,  wo  es  zu  neuen  Streitgesprächen  kommt,  weil 
der  Träger  mehrere  Vorübergehende,  einen  Edehnann  mit  gol- 
dener  Kette,  einen  Arzt,  einen  Advokaten,  einen  reichen  Kauf- 
mann, einen  Hauptmann  ehrfurchtsvoll  begrüfst  Das  Barett 
aber,  empört  über  die  fortwährende  Störung  aus  seiner  Buhe, 
beweist  dem  Kopfe,  dafs  alle  die  Gegrüfsten  nur  dem  äufseren 
Ansehen  nach  stattlich,  in  Wirklichkeit  aber  unlautere,  ja  laster- 
hafte Persönlichkeiten  seien.  Der  Kopf  entschuldigt  sich  mit 
der  notwendigen  Rücksicht  auf  die  allgemeine  Meinung  und  mit 
der  Redensart,  dafs  *man  dem  dewffel  ein  lichtlein  aufzunden'* 
müsse.  Das  Barett  beschliefst  das  Gespräch  mit  einer  längeren 
Rede,  in  der  es  alle  seine  Beschwerden  über  den  Kopf  noch- 
mals zusammenfafst  (in  ethischen  Ausführungen,  die  gewifs  die 
persönliche  Überzeugung  des  Verfassers  wiedergeben),  und  spricht 
endlich  den  Wunsch  aus,  von  Motten  verzelui;  zu  werden,  um 
des  Jammers  ledig  zu  gehen.  In  einem  kurzen  Nachwort  gibt 
der  Verfasser  als  die  Summe  des  Gespräches  an,  dafs  *darin 
die  heuchlersich  Ererpiettung  fein  hofllich  gestochen  wirt.' 

Mit  Recht  wundert  sich  Michels  über  diese  auffallende  und 
eigenartige  literarische  Leistung  des  sonst  doch  nicht  hervor- 
ragenden Autors.  Er  vermutet  im  allgemeinen  Einflufs  von 
Dialogen  Hans  Sachsens,  Lukians  oder  deutscher  Humanisten, 
wie  Eobanus  Hessus.  Von  diesen  konnte  er  die  Form  der  Dia- 
loge und  die  Führung  der  Gespräche  lernen,  aber  *  woher  kom- 
men bei  Praun  solche  Ansätze  zu  individueller  Charakteristik?' 
fragt  Michels. 

Diese  Frage  erlaube  ich  mir  zu  beantworten:  Von  dem  ita- 
lienischen Humanisten  Pandolfo  CoUenuccio,  dessen  Gespräch 
'La  beretta  e  la  testa'  Praun  unmittelbar  als  Vorlage  benutzt 
hat.     CoUenuccio^  ist  als  Verfasser  zahlreicher  lateinischer  und 


*  Vgl.  Thom.  Murner,  Narrenbesehwörung,  Überschrift  des  64.  Ka- 
pitels: *i>em  tüfel  xtoei  lieeht  anxmiden\  und  oft. 

'  Vgl.  Biographie  universelle  8,  588  f.  Die  hier  gegebenen  Daten  wer- 
den wesentlich  ergänzt  und  berichtigt  durch  die  abschliefsende  Monogra- 
phie: A.  Saviotti,  P.  Colienuceio,  umanista  pesarese,  Pisa  18S8  (Estratto 
dagli  Annali  della  real  scuoia  normale  superiora  di  Pisa),  welche  die  Ge- 
burts-  und  Todesdaten  und  aktenmäfsig  den  Lebensgang  feststellt  und 
die  Schriften  gründlich  beschreibt.  (Auf  diese  Monographie  hat  mich 
Prof.  E.  Freymond  freundlichst  aufmerksam  gemacht!) 


24  Niklas  Praun  und  Pandolfo  CoUenacdo. 

italienischer  Werke,  als  Dichter,  Gelehrter  und  Staatsmann  be- 
kannt. Geboren  am  7.  Januar  1444  zu  Pesaro  in  Oberitalien 
(Umbrien),  tritt  er  1491  als  Consigliere  ducale  in  die  Dienste 
des  Herzogs  von  Ferrara,  Herkules  I.^  Dieser  kunstliebende 
Fürst  veranstaltete  an  seinem  glänzenden  Hofe  häufige  Auffüh- 
rungen humanistischer  Schauspiele.  Viele  Humanisten  widmen 
ihm  ihre  Werke  und  preisen  ihn  als  Gönner.  Ercole  verwendet 
Collenuccio  auch  als  Gesandten,  so  zweimal  1494  und  1497 
nach  Innsbruck  an  Kaiser  Maximilian,  und  ernennt  ihn  1500  zu 
seinem  Capitano  di  giustizia.  Einer  heuchlerischen  Einladung 
folgend  reist  Collenuccio  in  seine  Heimat  und  wird  in  Pesaro 
auf  Befehl  Giovanni  Sforzas  am  11.  Juli  1504  ermordet.  Colle- 
nuccio übersetzte  den  Amphitryon  von  Piautus  ins  Italienische, 
schrieb  das  Schauspiel  'Jakob  und  Joseph',  italienische  Gedichte, 
einen  Erziehungstraktat  und  einen  Abrifs  der  Geschichte  des 
Königreiches  Neapel  in  Latein,  endlich  mehrere  lateinische  und 
italienische  Dialoge.  In  allen  diesen  Dialogen  läfst  er  zum 
Schlufs  die  'erhabene'  Gestalt  seines  fürstlichen  Gönners  er- 
scheinen. Er  nimmt  förmlich  Zuflucht  zu  Ercole,  der  wie  ein 
gütiger  Dens  ex  machina  erscheint,  um  mit  seiner  Weisheit  alle 
aus  den  Streitgesprächen  erwachsenen  Gegensätze  aufzuheben, 
alle  Schwierigkeiten  zu  ebnen  und  mit  einem  gerechten  Urteil 
würdevoll  den  Dialog  zu  beschliefsen. 

Von  Collenuccios  italienischen  Gesprächen  ist  eines  der  be- 
kanntesten 'II  Philotimo.  La  testa  e  la  beretta'*  mit  einem  eigen- 
artigen, genial  erfundenen  Motiv,  das  geistvoll  und  mit  über- 
sprudelndem Witz  durchgeführt  wird. 

Diesen  Dialog  nun  hat  Niklas  Praun  verdeutscht,  aber  nur 
die  erste  Hälfte  davon  und  diese  nicht  in  durchaus  gleichmäfsi- 
ger  Weise.  Mit  Ausnahme  der  letzten  Blätter  hält  sich  Praun 
ziemlich  wörtlich  an  Collenuccio,  abgesehen  davon,  dafs  er  eine 
breitere  Ausdrucksweise  hat  und  so  den  italienischen  Wortlaut 
sprachlich  erweitert.  Auch  kleinere  oder  gröfsere  Zusätze  mit 
sachlichen  Erweiterungen  kommen  oft  vor.  Seltener  sind  Aus- 
lassungen aus  dem  Texte  der  Vorlage.  Diese  Art  der  nur 
einigermafsen  freien  Übersetzung  übt  Praun  von  Anfang  an  bis 
einschliefslich  S.  28  des  Michelschen  Abdruckes.    S.  29  und  30 


*  Über  Ercole  von  Ferrara  vgl.  man  W.  Creizenach,  QeschieJUe  des 
neueren  Dramas  2,  217  und  204  ff. 

'  Saviotti  bezeichnet  als  älteste  bekannte  Ausgabe:  Venezia  1517. 
Die  AbfasBun^zeit  und  aUenfallsige  ältere  Drucke  sind  nicht  bekannt. 
Ich  benutze  ein  Exemplar  der  ßeruner  Königlichen  Bibliothek,  Bergamo 
1594,  mit  dem  Titel:  II  füotimo.  Dialogo  dim.  P.  Colienuccio.  Apologia 
contro  gli  abusi  dello  sberettare  (MiCsbrauch  des  Grüfsens).  Interlocutori : 
Testa  et  Beretta,  —  In  der  Bieg.  un.  lautet  der  Titel:  la  bereita  contro  i 
eortigiani  (Höflinge),  was  nur  für  einen  Teil  des  Dialoges  stimmt.  —  Die 
Ausgabe  Venedig  1836  ebenfalls  in  Berlin. 


Niklas  PrauD  und  Pandolfo  CoUenucoio. 


25 


weichen  dann  sehr  stark  ab  von  den  betreffenden  Abschnitten 
des  Italieners.  Praun  folgt  hier  nur  im  allgemeinen  den  aus 
CoUenuccio  gewonnenen  Anregungen,  und  mit  S.  31  Z.  6  bricht 
er  überhaupt  die  Übeiia^agung  ab,  läfst  die  ganze  zweite  Hälfte 
des  italienischen  Dialoges  unübersetzt  und  fügt  (S.  31  und  32) 
den  schon  oben  gewürdigten,  ganz  selbständigen  Scblufsabsatz 
hinzu. 

Zu  diesen  allgemeinen  Bemerkungen  über  das  Verhältnis 
des  italienischen  Dialoges  und  des  deutschen  Gespräches  seien 
einige  Beispiele  angefügt. 

Zunächst  Proben  der  fast  wörtlichen  Übereinstimmung,  so 
gleich  der  Anfang:^ 


B.  Fortana  iniquissima  dispensa- 
trioe  partiale  de'  luoghi.  Maledetta 
sia  coai  iniqua  Borte,  che  sopra  di 
te  mi  poee. 


T.  Che  hai  tu,  poi  che  da  molti 
giomi  in  qua,  altro  giamai  che  la- 
menti  e  querele  da  te  si  sentono? 


B.  Jo  vorrei,  che  quella  pecora, 
che  produsse  la  lana,  della  ^uale  io 
nacqui,  fasse  stata  dal  lupo  diuorata, 
o  che  pur  fusse  arsa  la  lana  fra  le 
dita  dl  quella  sordida  feminella, 
che  la  fOö. 


T.    Che  ti  manca?  che  vorrestu? 
da  me  non  hai  ingiuria  alcuna. 


B.  Anzi  da  te  sola  ogni  mio 
male  prooede,  ogni  mio  torto  nasce: 
tu  d'ogni  mio  lamento  sei  cagione: 
perche  di  me  ogni  iniquo  porta- 
mento  tu  fai. 

Und  weitere  Beispiele: 

T.  Tu  mi  fai  per  certo  parer  un' 
altra,  che  io  non  sono:  io  non  me 


I 


P.  Dw  Schalckhafftigs  vnd 
petrueglichs  elueck,  Ein  Austaillerin 
vber  pos  vnd  guet,  verfluecht  Sev 
mein  vngelueck,  vnd  der  So  mich 
auf  dich  nerrischen  kopff  ge- 
setzet hat! 

K.    Ach,  was  ist  dir  mein  liebes 

iret?  Ein  lange  Zeit  her,  darin 
w  nichs  anders  ^ethon  hast,  Den 
dich  zw  peclagen,  ist  mir  peschwer- 
lich,  Solichs  von  dir  an  zw  hören, 
vnd  zw  vememen. 

P.  ich  wolt,  das  die  wollen  dar- 
aus ich  gemachet  pin  worden,  mit 
Sampt  dem  schaff  das  die  wollen 
getragen  hat  vnd  herfuer  pracht  Ein 
wuetiger  Wolff  zerissen  vnd  ge- 
fressen het,  oder  das  ich  dem  armen 
weib,  So  mich  gezaufset,  kom- 
met oder  gespunen  hat,  zwischen 
den  vingem  vefpnmen  oder  ver- 
schwunden werl 

K.  Ach  mein  piret,  was  wer  dein 
pegeren?  was  nastw  fuer  man^el 
von  mir?  hastw  Etwan  ein 
Schmach  oder  vnEr  von  mir 
entpfangen? 

P.  ja,  allain  von  dir,  dw  holer 
kopff,  Entspringet  Alles  uebels  vnd 
dw  allein  pist  meiner  clag  Ein  vr- 
sach ;  den  aw  ^eprauchst  dich  mein 
gancz  petrueglich,  in  vil  stuecken. 


K.     Dw    machest    frey,    das   ich 
mich  peilunck,  ich  Sey  nit  der,  der 


»  Abkürzungen :  B.  =  Beretta,  T.  =  Testa,  P.  =  Piret,  K.  =  Kopf. 
Die  gesperrten  Worte  bedeuten  Zusätze  des  deutschen  Textes. 


26  Niklafl  Praun  und  Pandolfo  Collenuccio. 

medema,  o  pure  forsi  puo  essere,  ich  doch  pin,  als  ob  ich  mich  Selb 
dte  io  non  mtenda  te:  parla  piu  nit  vereten  mueg,  oder  Aber  das 
chiaro.  inocht  sein,  das  ich  verstunt  dich 

nicht,     red  ein  wenig  clarer;  vnd 

lewter  von  der  meinung,  auf  das 

ich  dich  auch  versten  mueg. 

B     ...    Belezza    h    una    atta   e         P.    Nemlich  Schone  ist  dner  ge- 

giusta     proportione     di     tutte     le      rechte  proports  in  allen  glidem  aes 

membra,  insieme  con  grande  aspetto.      menschen,  wo  die  Selbig  mit  einem 

grofsen  vnd  Erwirdigen  Anscha- 
wen  pegabet  ist 
armata  d'ignoranza.  wol  gewappnet  mit  Tuwizzenheit 

Genaue,  wenn  auch  ungeschickte  Übertragung  liegt  auch 
vor  an  der  Stelle,  wo  Michels  beabsichtigte  Unklarheit  annimmt. 
Ich  möchte  gegen  diese  Vermutung  nur  einwenden,  dafs  das 
Barett  sich  gerade  immer  sehr  klar  auszudrücken  pflegt  Es 
handelt  sich  um  den  folgenden  Satz  (S.  24  Z.  8—11):  ,Er  er- 
zaigen  oder  Er  erpieten  ist  ain  zaichen,  [ist  ein  zaichen],  Au- 
spundig  genaigte(r)  Er  vnd  hochwirdigkeit,  von  wegen  des  aus- 
gdruecten  geErten  erhochte  thuegent?  Das  ist  die  Überset- 
zung des  im  Italienischen  völlig  klaren  Satzes:  Honore  e  una 
essibitione  di  riuerenza  in  segno  di  eccellente  virtu  dell  hono- 
rato  d.  h.  *die  Ehrbezeugung  ist  ein  Ausdruck  der  Ehrfurcht  im 
Zeichen'  (*zur  Anzeigung'  oder  einfach  *vor')  *der  ausgezeich- 
neten Tüchtigkeit  des  Geehrten'  (gemeint  ist:  *des  Gegrüfsten'). 
Praun  hat  in  segno  ungeschickt  mit  *ausgdruecten'  wiedergegeben 
und  dadurch,  sowie  durch  versehentliche  Wiederholung  (.^ist  ain 
zaichen')  und  das  Fehlen  des  r  bei  'genaigter'  den  Satz  unwill- 
kürlich unklar  gemacht 

Sprachliche  Erweiterungen  werden  von  Praun  dadurch 
hauptsächlich  hervorgerufen,  dafs  er  gern,  wie  das  bei  den  mei- 
sten deutschen  Übersetzern  des  16.  Jahrhunderts  der  Fall  ist, 
für  einen  Ausdruck  der  Vorlage  zwei  oder  mehr  Synonyme  ver- 
wendet und  auch  mit  weiteren  Ergänzungen  vermehrt.  Z.  B. 
für  vacua  testa:  ,holer  vnd  doller  köpf  —  giustamente:  *aus 
rechtem  grund  vnd  manigfaltig  vrsach'  —  huomo  de  valore: 
*von  guetem  adel  oder  Erlich,  tugentreich,  verdienet  lewt'  — 
le  corone:  'pedeckimg  des  hauptes  kaiserlicher  kuncklich  und 
pebstlicher  krön,  Cardinelisch  vnd  herzogisch  huet,  pischofflich 
und  eptisch  inffel'.  —  Erweiterungen  ergeben  sich  auch  durch 
derbere  Umschreibungen  der  Vorlage.  So  für  un  terribile:  *ein 
waidlicher  Eisenfrefser',  für  hai  pure  una  volta  detto  una  buona 
parola:  *das  ist  vurwar  ein  wunder,  das  einmal  aus  deinem 
holen,  doUen  kopif  ein  guet  vrtail  kumpt'.  Und  durch  eine 
gewisse  pedantische  Weitschweifigkeit.  Für  Chi  est  Imf  *wes 
geschlechts  oder  Adels  ist  dieser  Edelmann?  ist  er  ritter  oder 
Auch  thurniers  genos,  das  dw  im  Solich  reverenz  thuest?' 


Niklas  PrauD  und  Pandolfo  Collenuccio.  27 

Kleinere  Zusätze  ergeben  sich  durch  die  Einfügung  von 
Scherzen,  Redensarten,  Vergleichen,  z.  B,  *dafs  dw  ein  lawter 
doctor  in  Narribus  pist\  —  Wo  die  Rede  von  goldenen  Ketten 
der  E^elleute  und  den  eisernen  Ketten  der  Tollen  ist,  macht 
Praun  die  Bemerkung:  *vnd  wie  die  Eifsren  ketten  die  Narren 
Still  vnd  ruwig  helt,  Also  die  gülden  ketten  machen  Die  narren 
erst  lawffen  vnd  juchzen/  Dieses  Bestreben  führt  dann  bei  Be- 
richten und  Beschreibungen  zu  grofsen  Erweiterungen  gegenüber 
der  Quelle.    Nur  ein  Beispiel  für  viele: 

T.  Jo  tel  dirb  bene,  e  presto:  K.  Ich  wü  dirs  pald  Sagen  vnd 
belezza  h  lo  haver  una  bella  zazara,  wol :  Nemlich  die  schon  ist  ein 
con  la  Beretta  in  foggia,  sopra  uno  schöner  glatter  kelbeter  kopff ,  dar- 
ciglio:  la  calza  tirata:  la  scarpa  auf  Dw  wolgestalt  pist,  mit  Samuet 
stretta,  con  lo  andare  vago  e  leg-  oder  perlein  geschmuecket  oder  mit 
giadro  della  persona.  porten,   knebeln    oder    steften    ge- 

ziret,  Ein  wenig  auf  ein  Aug  oder 
or  gedruecket,  mit  wohicnenden 
püsen    durch  krochen,   Darzw   dn 

fuldene  ketten  mit  einem  gehenk  am 
als,  es  Sei  verdeckt  oder  offenlich, 
Ein  Spanische  kappn  mit  Samut 
oder  gestickt  verpremet,  ein  par 
hosen  vnd  wamas  von  Samuet,  mit 
glaten  strumpffen,  an  die  geraden 
pain  gezogen,  Spanische  schuch  von 
Samuet  ^er  Duech,  glat  am  fues 
angelegen,  oder  ein  mardren  rock 
mit  ainem  Samueten  schlepplein, 
Sunst  mit  oberen  klaidem  nach 
auslendischer  art  gemacht  mancher 
tracht  vnd  newer  Sitten ;  Doch  das 
Soldis  alles  mit  ainem  prechtigen 
gang  ^ziret  Sey :  Sunst  wer  Solichs 
alles  lein  Schönheit  noch  stewr  zw 
der  Schönheit. 

Kleine  oder  gröfsere  Streichungen  sind  (mit  Ausnahme  des 
letzten  Teiles)  selten,  und  wenn  Praun  streicht,  so  tut  er  es 
meist  aus  denj  Gesichtspunkt,  spezifisch  Italienisches  zu  ver- 
meiden, so  bleiben  die  *creanze  nel  vero'  Napolitane  weg  und 
der  Vergleich  *come  la  stanga  per  il  mastello'.  Ferner  fehlt  im 
deutschen  Text  (zwischen  S.  22  und  23)  ein  grofses  Stück  (über 
5  Quartseiten)  des  Originals  ganz,  Praun  bemäntelt  diese  Lücke 
nur  durch  einen  kurzen  Abschnitt  (S.  22,  Z.  1 — 8  v.  u.).  Die 
fallen  gelassene  Stelle  CoUenuccios  handelt  nämlich  von  der  ga- 
lantaria  und  damit  zusammenhängenden  durchaus  italienischen 
Verhältnissen. 

Zu  den  grofsen  Streichungen  kann  man  auch  die  schon 
obenerwähnte  Weglassung  des  ganzen  zweiten  Teiles  von  CoUe- 
nuccios Dialog  (in  dem  mir  vorliegenden  Exemplar  BI.  12 — 24, 
also  genau  die  Hälfte)  rechnen,  wo  sich  das  Gespräch  in  höhere 


28  Niklan  Praun  und  Pandolfo  CoUenuccio. 

geistige  Sphären  erhebt.  Wir  befinden  uns  ganz  im  Rahmen  der 
italienischen  Kultur  am  Ausgange  des  15.  Jahrhunderts.  Nament- 
lich durch  das  Dazwischentreten  von  Ercole.  Denn  wie  in  den 
übrigen  Dialogen  von  CoUenuccio,  so  wird  auch  hier  schliefslich 
von  den  Streitenden  Ercole  angerufen,  um  deren  widersprechende 
Meinungen  durch  seine  Entscheidung  zu  einigen.  Das  ganze 
letzte  Drittel  des  Dialoges  wird  von  dem  Herzog  beherrscht, 
der  in  breiten  humanistischen  Ausführungen  die  Streitenden  dar- 
über belehrt,  was  wahre  Tugend  und  was  wahre  Ehre  sei,  und 
diejenigen,  die  wahre  Tugend  besitzen  und  wahre  Ehre  anstre- 
ben, ab  Filotimi  (nach  dem  griechischen  (ftXortfiog,  ehrliebend, 
nach  Ehre  strebend)  bezeichnet.  Den  Beschlufs  macht  die 
Mütze,  die  den  Kopf,  spöttisch  mit:  zucca  mia  salata  (mein  ge- 
salzener Kürbis  =  Dickschädel)  ansprechend,  auffordert,  dem 
grofsen  Herkules  zu  danken,  che  ti  ha  fatto  conoscere,  che  cosa 
sia  il  vero  honore,  e  che  vuol  dir  Filotimo  ('imd  was  Filotimo 
besagen  soll').  Dieses  Schlufswort,  das  nur  auf  den  letzten 
Blättern  des  Dialoges  einige  Male  erwähnt  wird,  bildet  auch  den 
Obertitel  des  Dialoges.  Es  ist  wahrscheinlich,  dafs  CoUenuccio 
mit  der  Überschrift  'II  Filotimo'  geradezu  seinen  fürstlichen 
Herrn  gemeint  hat.  ^ 

Praun  hat  mit  sicherem  Gefühl  und  literarischem  Takt  ge- 
handelt, als  er  diesen  zweiten  Teil  wegliefs,  der  zu  seiner  bi- 
derben Verdeutschung  des  ersten  Teiles  gar  nicht  gepafst  und 
bei  den  Lesern,  an  die  er  denken  mochte,  wenig  Verständnis 
gefunden  hatte.  Durch  seine  Enthaltsamkeit  hat  sich  Praun 
einen  einheitlichen  Stil  in  Form  und  Inhalt  bewahrt  und  so  ein 
abgenmdetes,  heimisch  anmutendes  Werkchen  geschaflfen,  das 
die  italienische  Vorlage  trotz  der  teilweise  engen  Anlehnung 
nicht  mehr  durchschimmern  läfst.  Aus  dem  Werkchen  allein 
hätte  man  nicht  ohne  weiteres  auf  eine  italienische  Quelle 
schliefsen  können.  Ich  habe  ja  diese  auch  nur  gelegentlich  ge- 
funden, bei  den  Studien  für  mein  Kolleg:  Geschichte  des  Hu- 
manismus. 

Ein  Bedenken  will  ich  am  Schlüsse  nicht  verschweigen. 
Kann  man  Praun  die  Kenntnis  des  Italienischen  zumuten?  Aus 
den  geringen  über  ihn  bekannten  Daten  ergibt  sich  nur,  dafs 
Praun,  der  einer  wohlhabenden  Kaufmannsfamilie  entstammt, 
eine  gute  Schulbildung  sich  erworben  hatte  und  des  Lateinischen 
mächtig  war.    Um  das  Italienische  zu  lernen,  brauchte  er  nicht 

*  Soweit  ich  aus  den  wenigen  Proben,  die  Saviotti  von  dem  Philo- 
timo  ffibt,  urteilen  kann,  scheint  es,  dafs  seine  1864  gedruckte  Fassung 
im  all^enieiDen  mit  der  mir  vorliegenden  Ausgabe  (1594)  übereinstimmt. 
Der  Schlufs  des  Neudrucks  aber  weicht  von  der  oben  gegebenen  Fassung 
ab:  che  cosa  il  vero  onore  sioy  te  ha  fatto  itUendere,  e  tu  per  male  avere 
nofi  vogli  se  da  qiti  inarUi  ii  chiamo  füotimo. 


Niklas  Praun  und  Pandolfo  ColleDUcdo.  29 

nach  Italien  zu  fahren.  Nürnberg  hatte  damals  rege  wissen- 
schaftliche und  Handelsbeziehungen  zu  Italien  und  manche  des 
Italienischen  kundige  Männer  in  seinen  Mauern. 

FreiUch  könnte  man  an  die  Möglichkeit  einer  Zwischen- 
übersetzung denken.  Eine  französische  Fassung  liegt  vor  von 
A.  GeuflEroy,  Dialogue  de  la  teste  et  du  honnet,  traduit  d'ita- 
lien  en  francois,  Paris  1543.*  Sie  kommt  aber  für  Praun 
nicht  in  Betracht,  weil  sie  erst  ein  Jahr  nach  der  Abfassung 
des  Praunschen  Gespräches  erschienen  ist.  Eine  lateinische 
Übersetzung  konnte  ich  nicht  ermitteln,  obwohl  ich  in  zahl- 
reichen gröfseren  Bibliotheken  darnach  gesucht  oder  angefragt 
habe.  Fände  sich  noch  eine  lateinische  Übersetzung,  die  vor 
das  Jahr  1542  fällt,  würde  das  Bild,  das  ich  von  dem  Verhält- 
nis zvrischen  Praun  und  Collenuccio  entworfen  habe,  nur  in 
unwesentlichen  Zügen  verschoben  werden.  Die  stellenweise  wört- 
hche  Übersetzung  des  italienischen  Wortlautes  spricht  ohnehin 
dafür,  dafs  CoUenuccios  Dialog  im  Original  Praun  vorgelegen  hat. 

»  Vgl.  British  Museum,  CcUahgue  of  Printed  Books,  14,  111—113. 
(Hier  keine  lateinische  Übersetzung  des  Füotimo.)  In  dem  ^rofsen 
Bücherkatalog  Qesneri  Bibliotkeca  amjdificata  per  Prisium,  Tigun  1583, 
sind  viele  Schriften  Oolienuccios  verzeichnet,  aber  keine  lateinii^e  Über- 
setzung des  Filotimo. 

Prag-Smichow.  Adolf  Hauffen. 


Yolkslied-Miszellen. 

IL 


1.    Zur  ^arkgräfin  und  dem  Zimmergesellen'. 

Ein  weitverbreitetes  Volkslied  (s.  £rk-Böhme,  Deutseher  Lieder^ 
hört  I  [1893]  446  ff.  Nr.  129»-^,  und  O.  Schade,  Deutsche  Hand- 
werkslteder  [1865]  199  ff.;  zu  der  dort  verzeichneten  Literatur 
kommt  noch:  Bender-Pommer,  Oberschef flenzer  Volkslieder  und  volks- 
tümliche Gesänge  [1902]  56  f.  Nr.  49;  H,  Ostwald,  Lieder  aus  dem 
Rinnstein  U  [1904]  8  ff.)  ist  jenes,  das  von  den  Beziehungen  einer 
Markgrafin  zu  einem  Handwerker  (Zimmermann,  Schuster,  Schnei- 
der etc.)  oder  Soldaten  berichtet  Diese  Beziehungen  gereichen 
dem  Handwerker  jedoch  zum  Unheil,  denn  nachdem  sie  ertappt 
wurden,  wird  er  zum  Galgen  verurteilt,  doch  später  begnadigt. 
Schade  (a.  a.  O.  205  f.)  führt  eine  Fassung  an,  die  in  Studenten- 
kreisen zu  Halle,  Leipzig  und  Jena  in  den  vierziger  Jahren  des 
19.  Jahrhunderts  gern  gesungen  vmrde  und  die  mit  den  Worten: 
'War  einst  ein  jung,  jung  ZimmergeselF  beginnt  (Aus  Studenten- 
kreisen auch  bei  H.  "rr^e.  Weltliche  und  geistliche  Volkslieder  und 
Volksschauspiele  [1855]  13  f.  Nr.  7  und  267  f.  =  2  [igÖS]  13  f. 
Nr.  7  und  267  f.)  Auf  dieses  Lied  bezieht  sich  nun  die  vierte 
Strophe  im  'Lied  Giraudet  des  Roten  an  Emmeline  Damai^  (erster 
Druck:  Deutsche  Dichtung,  hg.  von  K.  E.  Franzos,  V  Nr.  11  [1889] 
S.  254)  von  Richard  Leander  (Pseudonym  für  R.  von  Volkmann 
[1830—1889],  der  seit  1843  bis  zu  seinem  Ende  in  Halle  lebte), 
wo  es  heifst,  wäre  ich  noch  so  jung  wie  du: 

Wir  setzten  uns  an  des  Flusses  Rand, 
Wir  schauten  hinab  in  die  Wellen 
Und  sängen  das  Lied  von  der  Lorelei 
Und  dem  jung,  jung  Zimmergesellen I 

Jedenfalls  lernte  R  Leander,  der  auch  sonst  in  seinen  Gedichten 
durch  das  Volkslied  beeinflufst  ist  (s.  O.  Härtung,  Deutsche  Dich- 
tung IV  [1888]  218»),  dieses  Lied  in  Halle,  wo  er  in  den  fünf- 
ziger Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  studierte,  in  Studenten- 
kreisen kennen.  Bekanntlich  hat  auch  Gerhart  Hauptmann  in 
'Schluck  und  Jau'  das  Lied  von  der  Markgräfin  und  dem  Zimmer- 
gesellen verwendet  (s.  Blümml,  Arch.  f,  n.  Spr.  CXHI  [1904]  286). 


VolkBÜed-MiBzeUen.   II.  81 

2.    Zu  ^er  hat  vom  Petrus  das  gedacht'. 

A.  Hruschka  und  W.  Toischer  {Deutsche  Volkslieder  aus  Bohr 
men  [1891]  63  Nr.  95)  teQen  em  sehr  humoristisches  Lded  auf 
den  U.  Petrus  aus  Plan  in  Westböhmen  mit^  ohne  zu  ahnen^  dafs 
dessen  Verfasser  Karl  Waldemar  von  Neumann*  ist  Das 
Lied  findet  sich  zuerst  in  dessen  mit  Heinrich  Keder  zusammen 
verfafstem  Buche:  Soldatenlieder  von  zwei  deutschen  Offizieren 
(Frankfurt  a.  M.  1854)  S.  9.  Es  ist  das  ein  Buch^  in  dem  viele 
Lieder  mit  Yolksliedton  stehen  (vgl.  R  Prutz^  Deutsches  Museum 
IV.  1  [1854]  S.  951  f.).  Ich  gebe  hier  den  Originaltext  und  dazu 
die  Varianten  des  deutschbohmischen  Liedes: 

Wer  hätt'  vom  Petrus  das  gedacht. 

1.  Wer  hatt'  vom  Petrus  das  ge-         8.  Doch  wann  wir  wieder  zieh'n 

dacht,  nach  Haus, 

Dais  er  so  tolles  Wetter  macht?  Ist's  mit  dem  hübschen  Wetter  aus! 

Das  ist  ein  ganz  lan^eiliger,  O  so  ein  HeiPger  ist  gar  fein,  — 

Ganz  sonderbarer  Heiliger!  Der  braucht  ja  nicht  üabei  zu  sein  I 

2.  Wann  wir  zum  Exerciren  geh'n,         4. 0  Petrus  I  denk'  an  Malchus  Ohr 
L*äOt  er  die  Sonn' am  Himmel  st^'n !  Und  steil'  dir  unser  Elend  vor. 
Da  wird  dann  hin  und  her  marschirt,  Geh,  heil'ger  Petrus,  sei  eescheit, 
Dafs  man  die  Lust  gar  bald  verliert.  LaQ  regnen  doch  zur  rechten  Zeit  1 

Varianten:  1,  i  hat;  —  1,  2  tolles  Wetter;  —  1,  8  ganz  fehlt;  —  1,4 
ganz  fehlt,-  dafür  steht  ein;  —  2,  i  wenn;  —  '2,  s  dann  fehlt;  —  2,  4  dafs 
man  bald  die  Lust  verliert;  —  3,  i  wenn  wir  gdim  . . .;  —  3,  2  schönen;  — 
:^,  3  ist  so  ein  Heiliger  ja  recht  fein ;  —  3, 4  Er  braucht  gar  nicht  . . . ;  — 
4, 1  Petrus,  denk'  noch  an  das  Ohr;  —  4, 2  dieses  Elend ;  —  4,  4  Gib 
Sonn'  und  Beg'n  zur  rechten  Zeit. 

Strophe  3  zei^  in  der  mündlichen  Überlieferung  in  Z.  3 
und  4  eine  Verdunkelung  des  ursprünglichen  Sinnes,  ebenso  be- 
deutet 4,  1  eine  Verschlechterung,  äffe  übrigen  Varianten  ver- 
ändern den  ursprünglichen  Text  wenig. 

3.    *Ich  klopf  schon  lang  an   deiner  Pfort'. 

Ein  geistliches  Lied  mit  solchem  Anfang  findet  sich  aus 
Franken  nach  mündlicher  Überlieferung  bei  Ditfurth,  Fränkische 
Volkslieder  I  (1855)  12  Nr.  17,  aus  Steiermark,  eingelegt  in  das 
Vordemberger  Paradiesspiel,  bei  K.  Wemhold,  Weihnachtsspiele 
und  Lieder  aus  Süddeutschland  u/nd  Schlesien  ^  (1875)  334  f.,  aus 
Bayern  bei  A.  Hartmann,  W&ihnachtslied  und  Weihnachtspiel  in 
Oberbayem  (1875)  103  ff.  Nr.  132  (vgl.  auch  S.  46  f.),  und  Hart- 
mann-Abele, Volkslieder,  L  Volksthümliche  Weihnachtlieder  (1884) 
218  f.  Nr.  134,  und  nach  einem  fliegenden  Blatte  bei  F.  L.  Mittler, 


*  Über  K.W.  von  Neumann  (1830-1888)  vgl.  Fr.  Brummer,  Lexikon 
der  deutschen  DiMer  und  Prosaisten  des  19,  Jahrhunderts  III  ^  140. 


82 


Volkslied-MiBzellen.    IT. 


Deutsche  Volkslieder-  (1865)  332  Nr.  428.  Eine  nicht  uninteressante 
Variante  dazu  enthält  das  Manuskript  Nr.  980  der  Innsbrucker 
k.  k.  Universitätsbibliothek^  das  aus  ca.  1760  stammt  und  von  einem 
Geistlichen,  der  in  der  Gegend  von  Ingolstadt,  >vie  mehrere  Stellen 
in  den  Liedern  beweisen,  lebte,  zusammengeschrieben  wurde. 

Ode  pastoritia. 


[Xl^]    1.  Ich  klopf   schon    lang   vor 

dein  port, 
ach  freindin,  mach  mir  auf! 
in  diser  au  find  sonst  kein  orth, 
schon  lang  ich  herumblanff; 
ich  bin  ganz  math,  glaub  sicherlich, 
die  herberg  mir  abschlage  nit, 
ich  bitt  herzinniglich. 

2.  wer  da,  wer  klopft  vor  meiner 

thir? 
wer  will  zu  mir  herein? 
mein  hüttlein  ich  eröffne  nit, 
ich  laQ  niemand  herein, 
allhier  ich  mich  allein  befindt, 
villeicht  mechts  sein  ein  loses  kind, 
nein,  nein,  lafs  dich  nit  'rein. 

P>.  Ich  bin  ein  kind  von  hochen 

stam, 
o  werthe  schaff erin, 
und  hab  niemand  kein  leyd  gethan, 
ganz  from  ich  alzeit  bin; 
ein  schäffidn  ich  verlohren  hab, 
so  ich  mueU  sueohen  tag  und  nacht, 
forthin,  bis  ich  es  find. 


4.  glaub  Bchwärlich,  dajs(8)  in 

meiner  au 
sich  ein  frembds  schaff  befind(t), 
bevor  ich  aber  d'thir  mach  auf, 
sag  an,  wer  bist  mein  kindt? 
oder  wer  ist  der  vatter  dein, 
da8(s)  du  iezt  schon  ein  hirt  must 

sein, 
so  klein,  so  zart  und  fein? 

5.  mein  vatter  ist  von  ewikheit 
und  ewig  ist  sein  reich, 

sein  eingbohmer  söhn  zugleich 
ich  ewig  bey  ihm  bleib, 
dein  arme  seel  von  dir  begehr, 
so  ich  mues  suechen  hin  und  her, 
drum  bin  ich  hier,  schenckhs  mir. 

[U^J    6.  o  Jesu,   was  hab  ich  ge- 
dacht, 
o  edler  seelenschaz, 
das(s)  ich  nit  eh  hab  aufgemacht  ? 
bey  mir  solst  finden  blaz. 
mein  seel  ich  dir  ergeben  thue, 
darin  wolst  nemen  deine  ruheS 
ich  bitt,  versags  mir  nit. 


Ein  Vergleich  der  einzelnen  Lieder  untereinander  ergibt: 
1  =  1  D.,  M.,  H.;  2  W.;  —  2  =  teilweise  2  D.,  M.,  H.;  —  3  =:^ 
3  D.,  M.,  W.,  H.;  —  4  =  4  D.,  M.,  H.;  —  5  =  5  D.,  M.,  H.;  4  W.;  — 
6  —  6  D.,  M.,  H.  Die  meiste  Abweichung  von  allen  bisher  be- 
kannten Texten  zeigt  2  i_4. 

4.   Itzunder  ist  die  Zeit,  erhebt  sich  Krieg  und  Streit. 

L.  Erk  hat  in  der  von  ihm  besorgten  Ausgabe  von  Des 
Knaben  Wunderhom  IV  (1854)  335  ff.  ein  Kriegslied  aus  ca,  1630 
nach  einer  Handschrift  mitgeteilt,  das  bei  F.  L.  Mittler,  Deutsche 
Volkslieder'^  (1865)  871  f.,  und  Hoffraann  von  Fallersleben,  Die 
deutschen  OeseUschaftslieder  des  16,  u.  17,  Jahrhunderts  II  ^  (1860)  50  ff. 
Nr.  287  (vgl.  auch  K.  Janicke,  Das  deutsche  Krügslied  [1871]  S.  21), 
wieder  abgedruckt  wurde.  Das  Lied  war  jedoch  schon  1603  be- 
kannt, wie  das  Manuskript  M.  297  der  kgl.  öffentlichen  Biblio- 
thek in  Dresden   lehrt,   worin  das  Lied  auf  S.  152  f.  (Str.  1—6 


*  Einsilbig  zu  lesen,  also:  rue  (=  rüa). 


Yolksried-Miszellen.    IT.  83 

auf  S.  152,  Str.  7     10  auf  S.  153)  unter  der  Aufschrift:   *8ol- 

dateD  Liedlein'  zu  finden  ist    Ich  gebe  hier  nur  die  Varianten 

gegenüber  dem   Erkschen  Drucke  wobei  jedoch   orthographische 

Varianten  nicht  berücksichtigt  sind. 

1,  2  erhebt  sich  mancher  streit;   -  8  das  hertz;  —  5  kom;  —  7  nach  einQ 

jeden  gnten  kauff . 
2,2  alda  sich;  —  3  prave;  —  6  dem;  —  7  Soldat  da  erscheint. 
8, 1  keinen ;  —  7  seinem. 

4. 1  Dann  muß  mancher;  —  2  seinen;  —  6  davon;  —  7  einen  andern. 
5,  2  Heiden;    -  4  dan;  —  6  bescheren;  —  7  doch  fehU;  allen  Ehren. 

6.2  da  klagt;  -   4  thue;  —  6  dennoch;  —  7  ein  ander  yberkomme  baldt. 
7, 1  da  hebt  sich  klagen  an;  —  8  den. 

8. 1  praver;  —  2  gweQen;  —  8  vom  feinde;  —  7  gnadt  ihm  Oott. 

9.2  thedlt  man  aaß  gute  beut;  —  3  manchem  Soldaten  das  hertz;  — 

6  ander  krigt  gelt;  —  6  wie  es  den  feit;  —  7  zu  fehU, 
10,  2  kric^  allezeit;  —  4  Gottfürchtig;  —  6  sag  ich  dir  frey. 

5.    Auf,  auf  ihr  Hirten,  nicht  schlafet  so  lang. 

Die  Handschrift  980  (aus  ca.  1760)  der  Universitätsbiblio- 
thek in  Innsbruck  enthält  von  diesem  Liede  eine  Fassung  aus 
Bayern,  die  von  allen  bisher  bekannten  Fassungen  durch  eine 
Zusatzstrophe  und  auch  sonst  abweicht 

[iS^^j  De  Christo  nascente. 

1.  Auf,  auf  ihr  hirten,  nicht  schlaf fet  so  lang! 
Die  nacht  ist  vergangen,  es  scheinet  die  sonn. 

•!•  ein  kindlein  klein,  -l* 

das  unser  erloser  und  heyland  soll  sein. 

2.  zu  Betlehem  drunten  geht  nider  der  schein, 
es  mues  ja  was  himlisches  verborgen  drunten  sein, 
•(•ein  alter  stall    l* 

erglänzet  und  scheinet  als  wie  ein  GristalL 

3.  ein  selzame  music  in  wolckhen  erklingt, 
das  gloria  in  zcelsis  ein  Engl  vorsingt. 

•|-  los  nur  grad  zue,    j- 

gelt  urbel,  es  gfalt  dir,  i  glaub  dirs,  mei  bue. 

4.  so  geh  nu  mei  Frizl  und  bsin  di  nit  lang, 
stich  ab  mei  feins  kizl  und  wag  halt  ein  gang. 
•|-  buckh  dich  fein  schön  •!■ 

und  mckh  flux  dein  hietl,  wan  d'eini  wilst  gehn. 

5.  zwischen  zwey  thieren,  den  esl  und  rind, 
do  ligt  ganz  erstarret  das  liebreiche  Idnd. 

•|-  o  großer  gott,    l» 

ich  trau  mirs  nicht  z'sagen,  ich  schäm  mich  zu  todt. 

6.  ein  uralte[r]  tattl  in  eisgrauen  barth 
den  liebreichen  kindlein  ganz  fleißig  aufwarth. 
•{-  auf  bloßer  erd    l* 

ein  zartes  jungfreilein  den  heiland  verehrt. 

7.  o  göttliches  kindlein,  verschmech  es  doch  nit, 
wir  opfern  ein  lämmlein,  erhör  unser  bitt. 

•|-  o  gotteslamm,  •{• 

nimm  hin  unsre  sinden,  es  ist  ja  dein  nam. 

Archiv  t.  n.  Sprachen.    CXY.  3 


34  Volkglied-MiBzelleD.   II. 

Die  nächste  Verwandtschaft  zu  diesem  Text  zeigt  ein  sechs- 
strophiger  Text  aus  Oberosterreich  (W.  Pailler,  Weihnachtlieder 
und  Krippenspiele  aus  Oberösterreich  und  Tirol  I  [1881]  189  f.  Nr.  180) 
und  der  zu  diesem  nahe  verwandte  sechsskophige  aus  Nieder- 
österreich (A.  Hofer,  Weihnachtslieder  aus  Niederösterreich,  Programm 
[1890]  27  Nr.  XVII).  Das  Verhältnis  zueinander  stellt  folgende 
Übersicht  dar: 

1  ^  1  P.,  H.;  —  2  =  3  P.,  H.;  —  3  =  2  R,  H.;  —  4  =  4  P.,  H.;  — 

5  =  6P.,H.;  —  6  =  5P.,H. 

Entferntere  Verwandtschaft  zeigen  ein  vierstrophiger  Text  aus 
Niederösterreich  (F.  Ziska  und  J.  M.  Schottky,  Österreichische  Volks- 
lieder mit  ihren  Singeweisen  [1819]  44  f.;  daiaach  abgedruckt  bei 
J.  M.  Firmenich,  Oermaniens  Völkerstimmen  11  [1846]  800): 

1  =  teilweise  1  Z.,  F.;  —  2  =  2  Z.,  F.;  —  4  =  gröfstenteils  3 

und  4  Z.,  F., 

und  eine  sechsstrophige  Aufzeichnung  aus  dem  Erzgebirge  ( J.  Stock- 
löw,  Mitteilungen  des  Vereins  für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böh- 
men m  [1865]  120): 

1  =  teilweise  1  St;  —  2  =  4  St;  —  4  =  3  St;  —  5  12  = 
5  12  St;        5  34  :=  6  34  St;  —  6  12  =  6  12  St;  —  6  3i  =  5  34  St 

Bruchstücke  des  Liedes  enthält  das  Weihnachtslied  aus  Käsmark 
(Oberungam)  im  Gesang  des  Engels  (K.  J.  Schröer,  Deutsehe  Weih- 
nachtsspude  aus  Ungern  [1862]  169  20^29): 

1 1—3  =  15920—23  Seh.;  —  2  2—4  =  159  24—27  Seh.;  — 

612  =  159  28  f.  Seh. 

Durch  den  Anfang  ist  das  Lied  auch  für  eine  sechsstrophige 
bayerische  Fassung  belegt  (A.  Hartmann,  Weihnachtlied  und  Weih- 
nachtspiel in  Oberbayem  [1875]  105  Nr.  135).  Auch  eine  fünf- 
strophige  bayerische  Fassung  ist  bekannt  (Hartmann-Abele,  Volks- 
schaus^  [1880]  7  f.): 

1  rzz  1  H.-A.;  —  2  rr  2  R-A.;  —  4^5  H.-A.;  — 
5  12  +  6  34  =  3  H.-A.;  —  6 12  =  4 12  H.-A. 

6.    Zu  'Heissa!  lustig  ohne  Sorgen\ 

Das  Lied  'Heissa!  lustig  ohne  Sorgen  leb'  ich  in  den  Tag 
hinein',  dessen  Verfasser  Ferdinand  Raimund  ist  (Hoff mann  von  F., 
Unsere  volksthümlichen  Lieder^  [1869]  67  Nr.  415;  *  besorg  von 
E.  H.  Prahl  [1900]  115  Nr.  540),  und  das  sich  zuerst  in  dessen 
'SämmilicJie  Werke\  hg.  von  Joh.  N.  Vogl,  IV  (Wien  1837)  168  f., 
gedruckt  findet,  ist,  wie  bisher  allen  ent^ngen  ist,  im  Elsals  als 
Volkslied  aufgezeichnet  worden  (Curt  Mündel,  Elsässische  Volks- 
lieder [1884]  280  f.  Nr.  249).  Das  Lied  stammt  aus  dem  'Ver- 
schwender' (l.  Aufzug,  6.  Szene),  entstand  1833  und  ist  eine  Ver- 


Volkslied-Miszellen.    II.  65 

herrliohiiDg  des  Bedientenlebens.    Ich  gebe  hier  den  Originaltext 
and  die  Mündeischen  Varianten. 

[168]  1.  Heissal  lustije  ohne  Sorgen  Drittens  kann  ich  prächtig  singen. 

Leb'  ich  in  den  Tag  hinein,  Meine  Stimme  ^ot  so  aus: 

Niemand    braucht  mir  was   zu  Denn  kaum  laß  ich  sie  erklingen, 

borgen,  Laufen's  Alle  gleich  hinaus. 

S^ön  ist^s,  ein  Bedienter  zW  3    yj^        ^         .^  ^^_ 

Erstens  bin  ich  zart  gewachsen,  »ictvcuB   jl.uixi  i^u  ov«*« 

W«  den  M^ielB  «>  gefiült  glJ'd'S^.^Ä'roÄliir  " 
2.  Zweitens  kann  ich  viel  er-  [169]  Fünftens,   sechstens,   sieb'ntens, 

tragen,  achtens 

Hab'  ein  lampelfrommen  Sinn;  Fallt  mir  wirklich  nichts  mehr 
Vom  Verstand   will  ich  nichts  ein; 

sagen,  Darum  muQ  meines  Erachtens 

Weil  ich  zu  bescheiden  bin!  Auch  das  Lied  zu  Ende  seynl 

Was  das  Strophenverhältnis  betrifft,  ist:  1 1—4  =  1  M.;  — 
1  5—8  =  3  M.;  —  2  1-4  =  4  M.;  —  2  5—8  =  5  M.;  —  3  i-4 
=  6  M.;  —  3  5—8  =  7  M.  Die  dritte  Strophe  Mündels  ist  ein  Ein- 
schiebsel ohne  Entsprechung.  Die  Varianten  sind  nicht  unbe- 
deutend: 

1 1  Ei  80  lustig;  —  1  4  Es  ist  ja  schön  ein  Herr  zu  sein;  —  1 6  eroQ 
gewachsen;  —  1  6  schöner  als  ein  Mann  der  Welt;  —  1  7 f.  alle  Sach'  nab' 
ich  erfahren,  die  den  Mädchen  wohl^fäUt ;  —  2  2  Mein  Leben  hat  einen 
irohen  Sinn ;  ~  2  6  f.  Drittens  kann  ich  tanzen  und  singen,  Meine  Stimme 

riht  mir's  aus;  —  2  7  Denn  fehlt;  —  2  8  Schauen  alle  Leut'  heraus;  — 
1  lesen  und  schreiben;  —  88  Dichtersg'sell;  —  36  Endlich  fallt  mir 
nichts  . . .;  —  8  7  Ei  so  muß  bei  meiner  Eure;  —  8  8  Dieses  Lded. 

Das  lied  hat  sich  im  Elsafs  aus  einem  Bedientenliede  zu 
einem  Herrenliede  entwickelt^  das  gleichzeitig  alles  spezifisch 
Wienerische  (vgl.  besonders  1  7  und  2  2)  abstreifte.  Interessant 
ist  die  Umwandlung  des  Tischlergesellen  (3  3)  in  einen  Dichter- 

gselleui  denn  ersterer  hat  dem  Volke  jedenfalls  nicht  für  einen 
erm  gepafst.    In  2  6  setzt  der  Text  aus  dem  Yolksmunde  an 
die  St^e  von  Verständlichem  einen  Unsinn. 

7.    Kapuzinerlied  aus  ca.   1760. 

Die  Handschrift  980  der  k.  k.  Innsbrucker  Universitäts- 
biUiothek  enthält  ein  aus  Bayern  stammendes  E^apuzinerlied  aus 
ca.  1760;  das  in  derbkomischer  Weise^  etwa  in  der  bekannten 
Art  BlumanerS;  das  Leben  der  Kapuziner  schildert 

r,^,  Capucini. 

1.  unser  leben  war  schon  recht,  2.    die   kutten    war    uns    a   nit 

wans  no  nit  war  gar  so  schlecht.  z'schwar, 

auwe,   wie    blats*    mi,    auwe,   wie  wans  nur  nit  so  lausig  war. 

blats  mi.  auwe  (etc.). 

'  bl&ht  es  mich 


36 


Volkslied-MiBzelleu.    II. 


8.  a  rauche  winterkutten  hab  ma  do, 
dajs  emer'i)  kaum  derldden  kon. 
auwe  (etc.)* 

4.  in  garten  mieß  ma  a  graben 
und  dabey  wenig  z'nagen. 
auwe  (etc.). 

5.  und  wan  ma  haben  auch  gra- 

ben gnue, 
krieg  ma   kam   [a]   bitschen'  bier 

dazue. 
auwe  (etc.). 

[4^]   6.  die  bitschen  bier,  die  war 

schon  recht, 
die  koBt  ist  halt  zimla  schlecht 
anwehe  (etc.). 

7.  öpfl,  bim,  gersten,  reis 
ist  fast  unser  täglich  speis, 
auwe  (etc.). 

8.  alleweil  collation, 

der  magen  will  halt  a  nit  dran, 
anwehe  (etc.). 

9.  und  dabey  kein  dropfn  wein, 
kint  den  a  was  schlechters  sein, 
anwehe  (etc.). 

10.  Der  Quardian  ist  zimli  stolz, 
bständig  roU  ma  tragen  holz, 
auwe  (etc.). 

11.  wan  ma  holz  haben  tragen 

gnue, 
krieg  ma  no  a  bues  dazue. 
[auwe  etc.]. 

12.  beyn  dag  mieß  ma  schwizen, 
bey  der  nacht  auf  den  boden  sitzen, 
anwehe  (etc.). 

13.  und  kdn  dropfa  bier  dabey; 
ist  Dit  dis  a  lausereyT 

auwe  (etc.). 


II.  wassa  trinckha  no  dazue, 
war  uns  ['s]  boden  sitzen  gnue. 
auwe  (etc.). 

15.  an  brockha  brod,  den  gibt  ma 

her, 
fre6  aina  offt  8  mahl  mehr, 
auwe  (etc.). 

16.  drauff  soll  ma  schlaffen  gehen, 
kan  ainer  kaum  aufn  bainem  stehen, 
auwe  (etc.). 

17.  es  garzt^  da  bauch  a  no  damit, 
er  gibt  die  ganze  nacht  kain  fried. 
auwe  (etc.). 

18.  da   strosackh,   der   ist  unsa 

bett, 
i  wolt,   das  ['s]  grad  der  blunder* 

hatt, 
auwe  (etc.). 

19.  und  kein  duckhnt  no  dabey, 
da  wickhla  ma  uns  in  d'kutten  ein. 
auwe  (etc.). 

20.  und  was  das  öreist  no  dazue, 
so  habma  offt  die  naät  kein  ruhe, 
auweh  (etc.). 

21.  wan   d'nacht    ist   in    vollen 

lauff, 
da  heissts,  brüder  gehts,  stehts  auf. 
(auwe  etc.). 

[5*]  22.  in  chor  da  mied  ma  siuga. 
das  ma  mechta  daspringa. 
aus  wehe  (etc.). 

23.  singa  war  uns  a  nit  zschwar, 
wans  nu  nit  so  trenzet^  war. 
anwehe  (etc.). 

24.  fangt  ainer  a  wenig  früer  an, 
da  schreit  der  P.  Quardian. 
auwdie  (etc.). 


25.  gehts  iezt,  brieder,  gehts  nachhaus, 

?>tt  sey  lob,  da  chor  ist  aus. 
uwe  [fite). 

*  Hs.  bischten      '  knarrt,  knirscht      *  eaphem.  f&r  Teufel 
zusammenhangend 


abgesetst,  nicht 


EId  anderes  Lied  auf  den  Kapuziner,  das  im  G^ensatze 
zu  unserem,  welches  subjektiv  ist,  die  Gluckseligkeit  dieses 
Standes  preist,  liegt  aus  Steiermark  vor  (A.  Schlossar,  Deutsche 
Volkslieder  aus  Steiermark  [1881]  260  Nr.  235),  noch  ein  anderes 
aus  Schwaben  (E.  Meier,  Schwäbische  Volkslieder  [1855]  165 
Nr.  74). 


YolkBlied-MiszellQii.   II.  87 

8.    Der  Bauer  und  der  Knecht  zur  Lichtmefszeit. 

Job.  Wurtb  teilte  aus  Niederösterreich  ein  Lied  mit  {Die  deut- 
schen Mundarten  IV  [1857]  528  ff.),  welches  das  Verhältnis  zwi- 
schen Bauer  und  Knecht  zur  Zeit  um  Lichtmefs,  der  Wanderzeit 
der  Dienstboten,  behandelt  Dieses  und  ein  steirisches  lied 
(R  Fischer,  Oststeirisches  Battemleben  [1903]  S.  153  f.)  stellen  Aus- 
läufer eines  Liedes  dar,  das  sich  in  der  Hs.  980  der  Innsbrucker 
Universitätsbibliothek  findet,  aus  ca.  1760  stammt  und  in  Bayern 
zu  Hause  war.  In  diesem  Liede  tritt  der  Knecht  noch  selbst- 
bewufster  auf  wie  in  dem  niederosterreichischen  und  ist  auch  in 
seinen  Drohungen  durchaus  nicht  zurückhaltend. 

[89*]       'S  BchlengP  lied  (Tempus  matationlB  servorum). 

1.  es  kam  wohl  um  die  liechtmeß  zeit, 
die  kDecht,  die  werden  friach, 

ein  ieder  legt  sein  brazen'  od, 
Btehtn  bauer  füm  tisch. 

2.  der  jüngste  kund'  aus  all  gottsam S 
a  köckha,  frischa  bue, 

der  fangt  vor  alle  zu  reden  an, 
sprichtn  bäum  aft  zue. 

3.  *baur,  i  sag  dirs,  zahl  mi  aus, 
[89^]     mein  lidlon  mustma  geben, 

i  schlag  di  sonst  zum  schwindaling«^ 
das  di  d'bäurin  mus  aufheben.' 

4.  Achlasst  du  mi  zum  schwinderling, 
das  mi  [d'j  bfiurin  mus  aufheben, 
dawischtdi  gwiß  mein  dochtaman, 

der  knarscht"  di  bis  aufs  leben. 

5.  derwischt  di  nu^  mein  dochtamo, 
der  knarscht  di  bis  aufs  leben. 

'han  i  2  gstuzlte^  hund  dahaim, 
was  gilts,  sie  wem  di  heben  ^.' 

6.  hast  du  2  gstuzlte  hund  dahaim, 
was  ^Its,  sie  wem  mi  heben, 

han  1  a  gutte  kuglbix, 

dein  hunden  'n  rest  kan  geben. 

7.  'was  frag  i  nach  der  kuglbix, 
sie  ko  ma  scmets  nix  than, 

i  und  mei  hund  seind  mitenand 
weit  fester  als  a  bam.' 

8.  beürin  trag  ma'n  geldsackh  rein, 
das  i  den  narm  zahln  kan  aus, 

er  fangt  sonst  a  unglickh  an, 
bringn  dauerst  *°  nit  ausn  haus. 

'  schlenkeln  vb.  =  einen  Dienst  verlassen  und  einen  anderen  suchen  '  ver- 
ichtlich  für:  Schwert  (vgl.  Schmeller- Frommann,  B,  Wb.  I  344)  '  junge,  unver- 
heiratete Person  *  ans  allen  zusammen  *  Kopf;  sum  schwinderling  =  auf  den 
Kopf  (vgl.  auch  Schm.-Fr.,  B.  Wb.  II  637)  ^  quetscht  dich  (Schm.-Fr.,  B.  Wb. 
I  1358  a.  v.  knarrezen;  Grimm,  D.  Wb.  V  1493  s.  v.  knorzen  1)  ^  nur  *  Hunde 
uilt  geatutstem  Schweif      ^  in  die  Höbe  bringen,  wegbringen      ^  dennocb 


38  VolksHed-MiBzeUen.  II. 

9.  'baur,  dÖB  war  a  anders  kom, 
wan  [b  dn  amahl  von  gelt  wajs  Bient  I' 

[90*]    kundt,  gib  ma  iezt  no  gaette  worUi, 
Binst,  meinaiB",  kdn  kireüxer  kriegst. 

10.  85,  da  hast  an  eörgls  thala  **, 
konst  warli  schmozen "  dazue, 

ist  a  weiBser  schimmel  drauff, 
a  Bcheena  gsteiffte*^  bne. 

11.  'baur,  a,  i  ho  an  den  nit  gnue, 
der  filt  ma  'nsöckhl  nit  ein, 

hat  ^ait,  i  will  sdilets"  gelt  answerffa, 
wan  i  den  lidlon  nim  ain.' 

12.  hast  gmait,  du  wüst  schlets  gelt  auswerffen, 
wan  du  den  lidlon  nimbst  ein, 

hast  aba  mieOen  bessa  zur  arbeith  greiffen 
und  um  a  guets  fleißiger  sein. 

18.   'hast  mir  offt  a  suppen  geben , 
di  mi  nit  feindtli  **  gfrefit  r 
i  han  di  offt  an  d'arweith  gschafft, 
hast  a  nit  feindli  geilt. 

14.  *baur,  rupf"  ma  dös  nit  für, 
dös  is  guet  teütsch  dalogen, 

i  ha  ja  troschen,  gmat  und  gsat, 
das  i  bin  no  einbogen^.' 

15.  dös  ist  ma  wohl  a  bazete*', 
schau,  gehst  do  körzenkrad 

[90^]    und  bist  so  schein*  und  röselet, 
als  wan  gwest  warst  praelat. 

16.  *bey  roggabrod  und  hobamues 
waxt  warli  nit  vil  schmer, 

i  bin  no  von  natur  so  hibsch, 
als  wan  i  war  a  her.' 

17.  3  mahl  die  wochn  knödl  und  fleisch 
han  i  dir  gebn  gnue 

und  mit  den  hosten  hier  angfilt 
den  anderhalbmaOigen  kru^. 

18.  'Sey  dem  iezund  wie  ihm  will, 
i  mues  amahl  halt  fort, 

bev  dir  bleib  i  halt  nimamehr, 
bekhim  schon  a  onders  orth.' 

19.  *bhüet  nu  eott,  mei  beOrin 
und  habt  ma  ni(£ts  für  übl, 
schitt  als  guts  und  bös  zusam 
in  eum  buttakibl.' 

20.  *bhüet  di  gott,  mein  lippl» 
und  halt  di  nur  i&n  schein  % 
hab  ^ot  alzeit  vor  augna, 

dem  Daum  fleißig  dien.' 

21.  *bhüet  di  gott,  mei  ozenbue, 
nim  du  die  Joppen  hin, 

**  wohl  verschrieben  fUr  mainaid  ^  Georgstaler  "  lächeln  ^  Bursche 
f  il  fkat  ^  gemein;  gewöhnliche,  kleine  Mfioste  *^  sehr  "  vorrupfen  3= 
>rr«n       I«  irebüfikt      ^  Protziflrer      ^  schön 


oommc  il  taut      ^  gemein;  gewöhnliche,  kleine 
vorwerfen      ^  gebückt      ^  Protsiger     *  schön 


Volksiied-MiBzelleD.  IT. 


89 


[91*^]    die  dromaft]  in  meiBa  kama  ligt 
und  denckh  halt  a  an  mi.' 

22.  'bhüet  di  gott,  mei  diem, 
wanB  afftai  gschechen  solt, 

das  d'amahl  zur  hex  solst  wem, 
thue  mier  nix,  merkhsmas*^  wohL' 

23.  'bhiet  nu  ^tt  iezt  alle  sambt, 
was  wölts  nm  mi  vil  rehren'^, 

i  geh  halt  fort  in  gottes  nam 
und  snech  ma  an  andern  hem.' 

^  wohl:  nurkhdat  =s  merke  es  dir,  oder  merkhmas  ca»  merke  es  mir    ^  Ge- 
schrei machen 

9.    Zu  ^eil  du,  o  Philidor'. 

Ditfurth  {Deutsche  Volks-  und  Oesellschaflslieder  des  17.  und 
18.  Jahrhunderts  [1872]  19  f.  Nr.  18)  teilte  nach  einer  alten  Hand- 
schrift ein  Schäferlied  auf  Philidor  mit,  das  sich  auch  in  der 
Handschrift  980  der  Innsbrucker  Universitätsbibliothek  findet 
und  zwar  in  einer  reineren,  ursprünglicheren  Fassung. 

[81^]  In  amicum  minus  fidelem. 


1.  weill  du,  0  Philidor, 
mich  nunmehr  verlassen, 
so  wandere  deine  Straßen; 
das  sag  ich  dir  bevor: 
eh  die  Donau  wird  fließen 
die  hegst  berg  hinauf, 
ehe  du  wirst  ohne  hießen 
vollenden  deinen  lauff. 

'^J  2.  ist  dir  dan  nit  bekhant, 
wie  das  actseon  gefunden 
zerrißiRi  von  den  hunden, 
nit  wegen  unbestandt, 
mehr  sein  vorwizies  sehen 
hat  ihn  so  zugericht; 
wie  wirds  dan  dem  erst  ergehen, 
der'  treu  und  glauben  bricht! 

3.  falt  dir  dan  nit  mehr  ein, 
wie  du  bey  deinen  ehren 

mir  öffter  thättest  schweren, 
kein  ander  soll  es  sein, 
wie  bald  hat  sich'  verkheret 
dein  gestelte'  Hebesbrunst! 
hat  länger  nit  gewehret 
als  nebl,  rauch  und  dunst. 

4.  mein  alzu leichter  glaub, 
in  den  ich  tausend  leben 
vor  deine  treu  hätt  geben, 
beforhte  keinen  raub. 


du  bringst  mich  io  das  leiden, 
dan  wie  ich  hör  von  dir, 
wilst  du  iezt  von  mir  scheiden, 
dis  fallet  schmerzlich  mir. 

5.  Versteh  es  zwar  gar  wohl, 
das  meine  schäfferssitten 

mit  deines  Stands  meriten 
ich  nit  vergleichen  soll, 
doch  seind  dis  lehre  fausen^ 
dan,  wo  die  liebe  rast, 
kan  man  aus  einer  clausen 
bald  machen  ein  ballast. 

6.  untreyes  herz,  gedultl 
ich  wills  den  himml  klagen, 
will  ihm  mein  noth  fürtragen, 
villeicht  find  ich  noch  huld. 
glaub  mir,  der  donnerstrahlen 
gnu^sam  noch  gibt  ab, 
villeicht  sie  auf  den  fiihlen, 
der  mir  bereith  das  grab. 

7.  adieu,  o  Philidor, 

ich  gehe  zu  meinen  schäfen, 
du  wirst  mich  nit  mer  äffen, 
vor  dir  schließ  ich  das  thor. 
docli  winsch  ich  dir  von  herzen 
nichts,  als  nur  glickh  und  heil, 
wilst  au  uns  nur  ausscherzen, 
so  lach  ich  meinen  theil. 


'  Hs.  das      '  Hb.  dich      '  so  beschaffene,  so  .aussehende      *  so  die  Hs.,  soll 
wohl  heifäen:  flauseii  <    >   • 


Die  Strophenfolge  ist  bis  auf  eine  kleine^Umstellung  (3  =t  3  D.; 
—  3  ~  2  D.)  dieselbe. 


I  >  /  'i  •  1 1  II 


40  YolkBlied-MiBzeUen.  II. 

10.   Die  Wallfahrt  der  Pinzgauer. 

Die  zwei  bisher  bekannten  Fassungen  dieses  Liedes  (älterer 
und  jüngerer  Text)  finden  sich  in  Erk-Böhme,  Deutscher  Lieder- 
hört  III  (1893)  547  ff.  Nr.  1761  f.,  eine  Literaturzusammenstel- 
lung bringt  Joh.  Bolte,  Der  Bauer  im  deutschen  Liede  in  Acta  ger- 
manica I  (1890)  S.  300  Nr.  210,  beiden  entging  jedoch  die  Fas- 
sung aus  Salzburg  bei  M.  Y.  Süfs,  Salxburgische  Volkslieder  (1865) 
103  ff.  Nr.  3  (Melodie  S.  333  f.  Nr.  26),  und  'Die  Wallfahrt  der 
Binsgauer  zum  hl.  Rock  nach  Trier^  (Ditfurth,  Die  historischen 
Volkslieder  von  der  Verbannung  Napoleons  nach  St.  Helena  1815  bis 
zur  Gründung  des  Nordbundes  1866  [1872]  80  f.  Nr.  56).  Zwei  be- 
merkenswerte Varianten  enthält  die  bayerische  Hs.  980  der  Inns- 
brucker  Universitätsbibliothek  aus  ca.  1760. 

[85^]  a)  Pinzgenifi. 

1.  Die  pinzger,  die  weiten  kirchf arten  gehen, 

kyri  widäre  steleysonl 
der  S.  Saivator  am  bergl  thuet  stehen, 

Christi  widäre  steleysonl 
sie  gangen  nmb  d'kirchen  und  schrien  von  ehe 

Juhel  Kyri  widäre! 

gelobt  sey  Christi  und  Salomel 

2.  o  Sanct  Saivator,  du  guldner  mo, 

kyri  etc. 
schau  uns  nur  für  recht  guette  a, 

Cristi  etc. 
pinzga  seind  wir,  das  weist  von  ehe, 

Juhel  etc. 

gelobt  etc. 

8.  gehts  voran  mit  der  hopfastanga  *, 

kyri  etc. 
gehts  gschwind,  thuets  den  Saivator  mit  branga', 

Cristi  etc. 
opferts  ein  pfening  und  schmazts'  fein  von  ehe, 

Juhe  etc. 

[gelobt  etc.] 

4.  Bchickh  uns  kiihe  und  schickh  uns  rinda, 

kyri  etc. 
und  darzue  nit  gar  vil  kinda, 

Christi  etc. 
ein  duzet  ist  gnue,  das  weist  ja  von  eh, 

Juhe  etc. 

gelobt  etc. 

5.  laG  unsem  pf lega  von  teüffl  bald  holla, 

kyri  etc. 
so  derffen  wir  fein  khein  steür  mer  zohla, 

Christi  etc. 
er  schindt  uns  gar  feindla,  das  weist  ja  von  eh, 

Juhe  etc. 

gelobt  etc. 

*  Fahne       '  tut  den  Saivator  damit  schmfickcn       '  bringt  einen  ichallenden 
I/ant  hervor 


Volkslied-Miszelleo.   11.  41 

6.   wir  bitten  endtlich  um  ein  Beligee  endt, 

kyri  etc. 
das  keinen  die  holl  sein  hosen  verbrent, 

Christi  etc. 
in  hiinmel  ists  besser,  das  weist  ja  von  ehe, 

Juhe  etc. 

gelobt  etc. 

[1^^]  b)  Peregrinatio  Pinzgerornm. 

1.  Pünsga,  d'woltn  khtirhfahrta  gehen, 

khiiii  widiwe  leisonl 
aufn  berg,  wo  S.  Salvator  thuet  stehn, 

Christi  etc. 
Pünsga  sama,  das  weist  schon  von  eh, 

juhel  hedi  widi  weh, 

globt  sey  Christi  und  Salome. 

2.  o  S.  Salvata,  du  güettige  man, 

küri  etc. 
gaff'  uns  bönsg^  fein  freindli  an, 

Christi  etc. 
Renta  um  die  kürhn  und  schreits  als  von  eh, 

juhe  etc. 

globt  etc. 

3.  schickh  uns  a  waid  und  schickh  uns  hey, 

khüri  etc. 
und  nim  ein  ieden  sein  altes  wei, 

Christi  etc. 
sonst  thue  mas  verwirgen',  dis  sogn  ma  dir  von  eh, 

juhe  etc. 

globt  etc. 

4.  Schickh  uns  khüe  und  schickh  uns  rinda, 

küri  etc. 
dazue  fein  a  ^teiffta'  kinda, 

Chnsti  etc. 
a  duzet  ist  gnue,  das  waist  schon  von  eh, 

juEe  etc. 

globt  sey  etc. 

5.  unsem  richta  lass  den  tefiffl  nu  hoUn, 

kfiri  etc. 
so  derff  ma  ihm  kain  stair  nit  zohln, 
Christi  etc. 
[73  *]       a  schert  uns  ga  greüli,  das  waist  schon  von  eh, 

juhe  etc. 
globt  etc. 

6.  buema,  iez  mießma  in  stockh^  wos  legen, 

kiri  etc. 
das  ma  fein  kain  sau  nit  aufheben  ^ 

Christe  etc. 
so  renna  ma  umb  d'  kirha  und  schreyn  al  von  eh, 

juhe  eta 

globt  etc. 

^   schaue     '  erwürgen     '  Kinder,  wie  sie  sein  sollen     *  Opferstock     *  Gegen- 
•au  xa:  sieb  ein«  Kbre  einlegen,  also  'dafa  wir  keine  Dummheit  macben* 


42  VolkBlied-MiszelleD.   11. 

7.  buema,  lest  ^ehta  zu  da  Idrcha  hinaus, 

kin  etc. 
und  fein  achnuergrad  ins  wirihsIuiUB, 

Christi  etc. 
trinckhts  Salvaton  gsundheit  fein  von  eh, 

juhe  etc. 

globt  etc. 

8.\  und  wans  Salvators  gsundheit  trunckha  habt, 

kiri  etc. 
und  an  ieda  sein  kröpf  yoI  an  than^  hat, 

Christi  etc. 
so  renna  ma  haim  und  schreyen  von  ehe, 

juhe  etc. 

globt  etc. 

'  sich  vollgegeuen  bat,  sich  das  KrGpflein  gefüllt  hat 

11.    Gerhards  'Spinnerin'  und  ihr  Verhältnis 

zum  Volkslied. 

Ein  weit  verbreitetes  Lied  (Arnim «Brentano,  Des  Knaben 
Wunderhom  III  [1808]  40  f.,  danach  Erlach,  Die  Volkslieder  der 
Deutschen  IV  [1835]  152  f.;  A.  Kretzschmer,  Deutsche  Volkslieder 
I  [1840]  209  f.  Nr.  119;  K.  Simrock,  Die  deutschen  Volkslieder 
[1851]  408  f.  Nr.  266;  G.  Scherer,  Jungbrunnen  [1875]  298  f. 
Nr.  159;  Kuhländchen:  J.  G.  Meinert,  AÜe  deutsche  Volkslieder  in 
der  Mundart  des  Kuhländchens  I  [1817]  21  f.,  danach  Pr.  L.  Mittler, 
Deutsehe  Volkslieder^  [1865]  584  f.  Nr.  834;  Böhmen:  A.  W.  von 
Zucealmaglio,  Deutsche  Volkslieder  U  [1840]  434  f.  Nr.  229,  da- 
nach Fr.  L.  Mittler  a.  a.  O.  586  f.  Nr.  838,  A.  Hruschka  und 
W.  Toischer,  Deutsche  Volkslieder  aus  Böhmen  [1891]  206  f.  Nr.  190; 
Steiermark:  A.  Schlossar,  Zeitschrift  für  ösierr,  Volkskunde  I  [1895] 
136  f.  Nr.  8;  Schlesien:  Hoff  mann  von  Fallersieben  und  E.  Richter, 
Schksische  Volkslieder  [1842]  144  Nr.  119,  danach  Fr.  L.  Mittler 
a.  a.  O.  586  Nr.  837;  Provinz  Sachsen:  L.  Erk,  Neue  Sammlung 
deutscher  Volkslieder,  3.  Heft  [1842]  46  f.  Nr.  43,  danach  J.  M. 
Firmenich,  Oermaniens  Völkerstimmen  I  [1846]  155  f.;  Franken: 
Ditfurth,  Fränkische  Volkslieder  H  [1855]  128  Nr.  171;  Schwaben: 
E.  Meier,  Schwäbische  Volkslieder  [1855]  151  f.  Nr.  66;  A.  Birlinger, 
Schwäbische  Volkslieder  [1 864]  1 1  f.  Nr.  11 :  Baden :  A.  Bender  und 
J.  Pommer,  Oberschefflenxer  Volkslieder  und  volkstümliche  Oesänge 
[1902]  155  f.  Nr.  136;  Cleve  und  Bei^:  L.  Erk  und  W.Irmer,  Die 
deutschen  Volkslieder  mit  ihren  Singweisen,  3.  Heft  [1839]  47  Nr.  51, 
Erk-Böhrae,  Deutscher  Liederhort  H  [1893]  640  Nr.  838*;  Schles- 
wig-Holstein :  K.  Müllenhof  f,  Sagen,  Märchen  und  Lieder  der  Herzog- 
thümer  Schleswig,  Holstein  und  Lauenburg  [1845]  610  Nr.  22  und 
H.  Pröhle,  Weltliche  und  geistliche  Lieder  und  Volksschauspiele  [1855] 
157  f.  Nr.  88;  Braunschweig:  R.  Andree,  Braunschweiger  Volkskunde 
[1896]  S.  348  f.;  Siebenbürgen:  F.  W.  Schuster,  Siebenbürgisch- 
sächsische  Volkslieder  [1865]  135  Nr.  68)  ist  das  Spinnerlied,  worin 


VoIkBlied-Miszellen.   II. 


48 


die  Matter  ihre  Tochter  durch  mancherlei  Geschenke  zum  Spinnen 
aufmuntern  wiU^  doch  kann  dieselbe  nicht  spinnen,  weil  inr  die 
Finger  weh  tun.  Endlich  verspridit  ihr  die  Mutter  einen  Mann, 
und  nun  geht  das  Spmnen  flott  Eine  Variante  dieses  Liedes, 
die  uns  nicht  überliefert  ist  und  etwa  der  schwäbischen  bei  Meier 
entsprochen  haben  wird,  ist  die  Grundlage  des  Gedichtes  Die 
Spinnerin'  von  Wilhelm  Gerhard  (1780—1858),  der  zu  Wei- 
mar geboren  wurde,  Jedoch  schon  frühzeitig  in  das  Königreich 
Sachsen  kam,  so  dals  wir  an  eine  sächsisdie  Variante  denken 
können.  Das  Gedicht  findet  sich  in  dessen  OediMe  I  (Leipzig 
1826)  S.  101  f.  und  hat  folgenden  Worthut: 

[101]  Die  Spi 

1.  Spinn',  spinne,  liebes  Töchter- 

lein I 
Ich  Icanfe  dir  ein  Kieid« 
Von  Seide,  Mutter,  laßt  es  seyn, 
Die  Kante  bunt  und  breit  I 
Ich  will  auch  eldch  beginnen, 
Seht  nur  wie  flink  ich  dreh. 
Doch  nein,  ich  kann  nicht  spinnen, 
Die  Finger  thun  mir  wehl 

2.  Spinn',  liebe  Tochter,  spinne 

fein! 
Ein  Hemde  kauf'  ich  dir. 
Das  Hemde,  Mutter,  wird  mich  freun, 
Mit  Spitzen  wünsch  ich's  mir. 
Doch  war's  vom  feinsten  Linnen 
Und  weißer  als  der  Schnee, 
Kann,  Mütterchen,  nicht  spinnen, 
Die  Finger  thun  mir  wehi 


8.  Spinn,  Tochter,  du  bekömmst 

ein  Paar 
Qhhz  nagelneue  Schuh. 
O  kauft,  mit  Zwickeln  fein  und  klar, 
Auch  Strümpfe  mir  dazu. 
Mich  neiden  Nachbarinnen, 
Wenn  ich  zu  Tanze  geh. 
Doch  spinnen?  nur  nicht  spinnen! 
Die  Finger  thun  mir  wehl 


nnerin. 

[lOS]  4.  Und  spinn'  das  F&dchen  elatt 

und  rund, 
Ich  kauf'  dir  einen  Hut. 
Ja,  Mutterchen,  doch  nicht  zu  bunt; 
Ein  gelber  steht  mir  gut; 
Ich  war*,  ihn  zu  gewinnen, 
Wohl  flinker  als  em  Beb. 
Dodi  kann  ich  heut  nicht  spinnen, 
Die  Finger  thun  mir  weh!  ^ 

5.   Spinn',  liebe  Tochter,   spinne 

flink, 
Ein  Kettlein  kauf  ich  dir. 
Das  KetÜein  und  der  goldne  Ring 
Bind  schöner  Braute  Zier. 
Wie  schmeichelt  ihr  den  Sinnen 
Vom  Kopf  bis  auf  die  Zehl 
Erlaßt  mir  nur  das  Spinnen, 
Die  Finger  thun  mir  wehl 

,6.  Spinn', Töchterchen,  spinn' flink 

und  fein, 
Ich  kauf  dir  einen  Mann. 
Ein  Mann,  eyl  liebes  Mütterlein, 
Der  Stande  mir  wohl  an. 
Er  soll  mich  zärtlich  minnen, 
Wenn  ich  mein  Rädchen  dreh'. 
Und  sc^tl  ich  kann  wohl  spinnen, 
Thut  mir  kein  Finger  weh! 


W.  Gerhard  behält^  wenn  auch  etwas  variiert,  das  Höh  kann 
nicht  spinnen,  die  Pinger  tun  mir  weh'  aus  dem  Volksliede  bei, 
ebenso  die  Eingangszeile  'Spinn',  spinn'  liebe  Tochter'.  Im  Volks- 
liede wird,  eb^so  wie  bei  Gerhard,  von  der  Mutter  der  Gegen- 
stand eenannt^  den  sie  der  Tochter  kaufen  will,  worauf  im  Volks- 
liede £e  kurze  Erklärung  der  Tochter  folgt,  die  Gerhard  in  den 
Zeilen  5  und  6  weiter  ausspinnt  Die  in  dem  Gedichte  genannten 
Gegenstände,  welche  von  der  Mutter  der  Tochter  gekauft  werden 
sollen,  finden  sich  auch  in  den  überlieferten  Varianten ;  die  Ant- 
worten der  Tochter  sind   meist  abweichend.    Ein   vollständiges 


44  VolkBlied-Mifizellen.   II. 

YerzeiohDis  wird  dies  lehren,  wobei  jedoch  Ditfurth  und  Schuster, 
da  nur  das  aogegeben  ist,  was  die  Matter  kauft,  eine  Antwort 
der  Tochter  jedoch  fehlt,  und  Mülienhoff,  da  er  nur  die  zwei 
ersten  Zeilen  des  Liedes  angibt,  auszuschalten  sind: 

Kleid:  nicht  zu  en^  und  nicht  zu  weit  (£rk-BÖhme  II  640:  3;  Hoff- 

mann-Bichter  144:  2  =  Mittler  586:  2;  Bender-Pommer 
156:  2;  Bcherer  298 f.:  8). 
nicht  zu  weit  (Meier  152:  5). 

es  wäre  Zeit  (Simrock  409:  2;  Erk-Irmer  3,  47:  2). 
Hemd:  mit  dem  Namen  (Meier  151:  8). 

Schuhe:        mit  Schnallen  {Wunderhom  III  40:  1  =  Erlach  IV  152:  1 

£rk- Böhme  II  640:  1;  Kretzschmer  I  210:  1;   Zuccal 
magHo   II   435:    1    =    Mittier   586:  1;     Meier   151:    1 
Hruschka-ToiBcher  206 :  1 ;  Simiock  408 :  1 ;  Hoff  mann- 
Richter  144:  1    -  Mittier  586:  1;  Bender-Pommer  156:  3 
Scherer  298:  1;  Pröhle  157:  2). 
die  lasse  ich  ruhen  (Meinert  22:  4  =  Mittler  585:  4). 
tun  mir  kein  gut  (Erk  3,  47:  5  =  Firmenich  I  156:  5). 
Pantoffebi  dazu  (Erk-Irmer  3,  47:  1). 
Ringlein  dazu  (Birlinger  11:  1). 
Strümpfe:    mit  ZwickeLa  (Wunderhom  III  40:  2  =  Erlach  IV  152:  2; 

Erk-Böhme  II 640 :  2 ;  E^retzschmer  1 210 :  2;  Zuccalmaglio 
II  485:  2  =  Mittler  586:  2;   Meier  151:  2;   Hruschia- 
Toischer  206:  2;   Scherer  298:  2;   Birlinger  11:  2). 
komme  nicht  drum  (Meinert  21:  3  =  Mittler  585:  3). 
Hut:  tut  mir  nicht  gut  (Erk  3,  46  f.:  1  =  Firmenich  I  155:  1). 

stünde  mir  gut  (Schlossar  I  136:  1). 
Haube:         tat  mir  taugen  (Zuccalmaglio  II  435:  3  =  Mittier  586:  3; 

Hruschka-Toischer  206:  3;   Schlossar  I  136:  2). 
mit  Florspitzen  (Meier  152:  7). 
Sammt  darauf  (Birlinger  12:  6). 
Mütze:  ist  mir  nichts  nütz  (Erk  3,  47:  2  =  Firmenich  I  155:  2; 

Pröhle  157:  1). 
Halsband:  zur  Zier  (Meier  152:  8). 
Rock:  hab  mirs  gedacht  <Meinert  21:  2  =  Mittier  585:  2). 

wird  mir  zu  kurz  (Erk  3,  47:  4  =  Firmenich  I  156:  4). 
bin  dann  wie  a  Dock  (Meier  151  f.:  4;  Birlinger  11 :  3). 
nicht  zu  kurz  (Pröhle  157  f.:  3). 
hab'  ich  zehn  Schock  (Andree  348:  1). 
Tuch:  ist  mir  nicht  gut  (Erk  3,  47:  3  =  Fmnenich  I  155:  3). 

hab'  ich  genu^  (Andree  318:  2). 
Schürze:       ist  mir  was  nütz  (Meinert  21 :  l  =  Mittler  584  f.:  1). 
nicht  zu  kurz  (Meier  152:  6). 

nicht  zu  lang,  nicht  zu  kiu"z  (Bender-Pommer  156:  1;  Bir- 
linger 12:  4^. 
Mieder.         Schnüre  daran/ (Birlinger  12:  5). 
Haus:  mit  schönen  Schindeln  (Zuccalmaglio  II  435:  4  =  Mittler 

586 :  4 ;  Hruschka-Toischer  206 :  4). 
Bräutigam:  steht  mir  wohl  an  (Andree  349:  3). 

Mann:  steht  mir  wohl  an  (Wunderhom  III  40:  3  =  Erlach  IV 

152  f.:  3;  Erk-Böhme  II  610:  4;  ZuccalmagUo  II  435:  5 
=  Mittier  587 :  5;  Hruschka-Toischer  206  f. :  5;  Schlossar 
I  137:  3;  Simrock  409:  3;  Erk-Irmer  3,  47:  3;  Scherer 
299:  4*  Pröhle  158:  4). 
wilfich  haben  (Meinert  22:  5  =  Mittler  585:  5;  Erk  3, 47:  6 
=  Firmenich  I  156:  6). 


Volkslied-MiszelleD.   II.  45 

mScht  ich  gero  haben  (Hoffmann-Bichter  144:  8  =:  Mittler 

58ö:  3). 
du  bist  recht  dran  (Meier  152:  9;  Birlinger  12:  7). 
strenge  mich  fleißig  an  (Kretzschmer  I  210:  8). 
der's  tanzen  kann  (Bender- Pommer  156:  4). 

Vergleichen  wir  mit  dieser  Übersicht  Gerhards  Gedicht^  so 
ergibt  sidi:  Str.  1,  das  Kleid  ist  bele^^  die  Antwort  der  Tochter 
nicht  belegt;  Str.  2  das  Hemd  ist  belegt^  die  Antwort  nicht  zu 
belegen;  Str.  3  enthält  zwei  Motive:  in  der  Frage  den  Schuh  (be- 
1^),  in  der  Antwort  die  Strümpfe  mit  Zwickeln  (belegt),  Motive, 
die  im  Volkslied  in  zwei  Strophen  auftreten;  Str.  4  der  Hut  ist 
bel^,  die  Antwort  ebenfalls,  wenn  auch  nicht  in  dieser  Ausführ- 
lichkeit; Str.  5  das  Kettlein  samt  Antwort  nicht  belegt;  Str.  6  der 
Mann  samt  Antwort  belegt.  Die  Gerhard  vorgel^ene  Fassung 
enthielt  daher  einiges,  was  uns  nicht  erhalten  ist 

12.    Weihnachtslied:  De  nativitate  Domini. 

In  Arnim-Brentano,  Des  Knaben  Wunderhom  III  (1808)  An- 
hang S.  29  f.,  und  bei  F.  M.  Böhme,  Deutsches  Kinderlied  und 
Kinderei  (1897)  322  Nr.  1585  (Ingolstadt  1758),  steht  ein  Weih- 
nachtslied,  das  in  erweiterter  Fassung  bei  K.  Simrock,  Deutsche 
WeihnachtsUeder  (1865)  131  ff.  zu  finden  ist.  Aus  Oberösterreich 
brachte  dann  W.  Pailler,  Weihnachtlieder  und  Krippenspiele  aus 
Oberösierreich  und  Tirol  I  (1881)  219  f.  Nr.  210,  eine  Variante  bei, 
während  A.  Schlossar,  Deutsche  Volkslieder  aus  Steiermark  (1881) 
88  Nr.  65,  eine  solche  aus  Steiermark  und  A.  Hofer,  Weihnachts- 
Ueder aus  Niederösterreich  (1890)  29  Nr.  XX,  eine  solche  aus  Nieder- 
österreich mitteilte.  Nach  einem  fliegenden  Blatte  aus  Graz 
druckte  es  K.  Weinhold,  Weihnachtspiele  und  Lieder  aus  Süddeutschr 
land  und  Schlesien  (1875)  401  ff.  Nr.  HI,  ab.  Dieses  Lied  ist  in 
der  Hs.  980  der  Innsbrucker  Universitätsbibliothek  in  einer  er- 
weiterten bayerischen  Fassung  aus  ca.  1760  erhalten,  die  auch 
dadurch  interessant  ist,  dals  sich  deren  sechste  Strophe,  die  in 
den  übrigen  Texten,  aufser  in  dem  aus  der  Iglauer  Sprachinsel 
(J.  Stibitz,  Das  deutsche  Volkslied  VI  [1904]  162  f.),  nicht  enthalten 
ist,  als  zweite  Strophe  in  einem  gleich  beginnenden  oberbajeri- 
schen  Liede  findet  (A.  Hartmann  und  H.  Abele,  Volkslieder  L 
Volksthümliehe  Weihnachtlieder  [1884]  220  Nr.  135),  das  sonst  die 
Erscheinung  der  heiligen  drei  Könige  behandelt;  diese  sechste 
Strophe  pafst  organisch  nicht  recht  in  unser  Lied  und  scheint 
zu  beweisen,  dals  schon  um  1760  zwei  Lieder  gleichen  Anfanges 
existierten,  wovon  das  eine  die  Erscheinung  der  Engel  (unsere 
Fassungen),  das  andere  die  heil,  drei  Könige  und  ihre  Anbetung 
(Text  Hartmanns)  behandelte.  Da  das  Lied  auch  sonst  beachtens- 
werte Varianten  bietet,  so  möge  es  einen  Abdruck  finden. 


46 


VolkslM-MiszelleD.   II. 


[83»]  De  pastoritia  (de 

1.  boz  hundert,  liebe  bue, 
meiii,  loB  a  wenig  zne, 

wa  i  da  will  yerzehlen, 
das  heut  in  aller  frue 
ist  gschehen  auf  der  haid; 
wie  1  d'  schaff  han  gweid, 
da  kom  in  hui  a  bot  hergrent, 
den  i  mein  lebta  ha  nit  kent. 
boz  hundert  etc. 

2.  Er  hat  a  botschafft  bracht, 
das  mir  das  herz  hat  glacht, 
das  unsa  hergott  sey, 

zunäht  drinna  in  da  stodt 
a  klama  bue  sey  wom, 
äff  dise  weit  gebohrn; 
droff  sein  ma  alle  hingrent 
auf  betlhaim,  so  hat  ers  gnent. 
boz  etc. 

3.  ma  suechten  überall, 
in  ain  orth  offt  2  mohl, 
wies  umadum  ist  kema, 
so  lag  er  in  an  stall 

in  aina  alten  pfaidt, 

ist  nur  3  spana  braith; 

a  klaina  bue,  a  großer  gott 

ligt  in  an  stall,  ist  schier  a  spott. 

boz  etc. 

4.  dort  lifft  er  afu  heü, 
2  thier  seina  a  dabey; 
den  ochsen  ken  i  wohl, 
wais  nit,  was  anda  sey. 
es  ist  wie  a  ros, 


nativitate  Domini). 

ist  aba  nit  so  gros, 
steht  dorten,  wo  die  muetta  sizt 
und  hat  2  lange  ohm  gspizt. 
boz  etc. 

[88^]  5.  der  alte  zimamo, 
der  schaut  uns  alle  on, 
wie  er  den  klainen  kind 
so  herzli  schein  hat  thon, 
a  hatas  ja  dabust, 
das  erad  ist  gwest  a  lust; 
schant  ihms  brod,  ist  selba  mit, 
ist  do  kain  rechta  votta  nit. 
boz  etc. 

6.  ma  sa^t,  es  sev  a  fest 
in  himmel  Beut  nacnt  gwest; 
mei  bue,  dös  war  a  gspafi 
und  war  nos  alleböst, 
glei  wie  i  haim  wolt  gehen, 
so  sachi  a  liecht  angäen, 
wie  a  große  wunderstern 
oder  gar  ain,  2  latem. 
boz  etc. 

7.  und  wars  nu  nit  so  weith, 
i  that  dirs  zaigen  eleil 
war  i  nit  gwösen  dort, 
gar  offt  hatts  mi  schon  greit. 
hatt  i  nu  eh  dran  dencknt, 
i  hattn  kind  was  gschenckht, 
2  öpfi  han  i  ^chenckht  mit  brodt, 
das  kind  hat  glacht,  es  gfiell  ma  grad. 
boz  hundert,  lieba  bue, 
die  höU  ist  iezt  schon  zue. 


13.    Volkslieder  in  Heyses  ^Weltuntergang'. 

Paul    Heyses    fünfaktiges   Volksschauspiel   ^Weltuntergang* 

(erster   Druck:    Deutsche  Dichtung,    hg.   von  K.   E.  Franzos,   V 

[1888/89]  81—93,  120—123,  141-146,  163-167)  spielt  in  einer 

kleinen   rheinisch-westfälischen  Stadt,  wo  die  Spaltung  in   zwei 

Lflger  (Katholiken  und  Protestanten)  streng  durcngefümt  ist,  zur 

Zeit  der  Glaubenskämpfe  (1649).     Mitten  in  diese  G^ensätze 

tritt  Rochus,  der  früher  in   dieser  Stadt  als  Mediziner  gewirkt 

hatte,  dann   bei  den  schwedischen  Reitern  diente,  ein,  der  nach 

Beendigung  des  Dreifsigjährigen  Krieges  wieder  in  seine  Heimat 

in  der  uniform  eines  schwedischen  Reiters  zurückkehrt  und  ein 

keckes  Reiterliedlein  vor  sich  hinsingt  (I.  Akt,  2.  Szene,  S.  82^): 

Und  komm'  ich  wieder  ins  alte  Quartier, 
FeLQsliebchen  schaut  aus  dem  Fenster  herfür. 
*Wer  da?* 

Ein  schwedischer  Beiter.  — 

*8o  reit*  Er  nur  weiter  I 
Der  Riegel  ist  fett  an  der  Eammerthür.' 


Volkslied-MiflzelleD.   II.  47 

Das  Vorbild  für  dieses  Lied  ist  iD  ^  ritten  drei  Reiter  zum 
Tore  hinaus,  ade!'  (F. L.  Mittler,  Deutsche  Volkslieder^  [1865]  604  f. 
Nr.  878)  zu  suchen. 

Eiin  feuriger  Komet,  der  am  Himmel  sichtbar  ist,  erregt  bei 
den  Leuten  Besormis  und  auf  Befragen  eines  Bauern  verkündet 
der  gelehrte  Arzt  Cornelius,  dals  der  Jüngste  Tag  nahe  sei,  wobei 
er  von  der  Ansicht  ausgeht,  dafs  er  durch  diese  Verkündigung 
eine  Aussöhnung  der  beiden  feindlichen  Lager  bewirken  könne. 
Nun  gebärden  sich,  der  menschlichen  Natur  gemäls,  einige  ver- 
zweifelt, während  andere,  darunter  auch  der  erste  Bürger,  des 
Lebens  Lust  noch  auskostend,  im  Wirtshause  trinken.  Für  sie 
singt  der  erste  Büirger  (I.  Akt,  8.  Szene,  S.  88*^): 

'Wir  haben  ein  Schiff  mit  Wein  beladen, 
Damit  woll'n  wir  nach  Engelland  fahren  — ' 

und  trotzdem  er  unterbrochen  und  an  ein  christliches  Ende  ge- 
mahnt wird,  singt  er  ruhig  weiter: 

'La&t  uns  fahren,  fahren,  fahren,  fahren 
Nach  Engelland  und  in  den  Himmel  hinein!' 

Diese  vier  Zeilen  sind  bekanntlich  die  erste  Strophe  des  aus  dem 
17.  Jahrhundert  stammenden  Volksliedes  'Das  Schifflein^  (Mittler 
a.  a.  O.  839  Nr.  1373  Str.  1),  wobei  der  Dichter  gemäfs  der 
Situation  in  die  vierte  Zeile  'und  in  den  Himmel  hinein'  einschob, 
wodurch  dieselbe  metrisch  zu  lang  wurde,  daher  er  von  der  Volks- 
liedzeile 'Last  vns  fahm  nach  Engelland  zu'  nur,  weil  das  übrige 
schon  in  der  dritten  Zeile  zu  finden  ist,  'nach  Engelland'  beibehielt. 
Diese  Spaltung  in  Nachtschwärmer,  die  das  Leben  noch  aus- 
kosten wollen,  und  in  Andächtige,  die  Reue  und  Leid  erwecken, 
kommt  auch  noch  später  (IL  Akt,  9.  Szene,  S.  93)  zum  Aus- 
druck; die  Nachtschwärmer  singen  die  zweite  Strophe  des  obigen 
Volksliedes  (Mittler  839  Nr.  1373  Str.  2)  mit  der  schon  bemerkten 
Abweichung  in  der  letzten  Zeile  und  Einschiebung  der  zweiten 
Zeile  der  ersten  Strophe  als  dritte  Zeile: 

'Der  Wein  ist  aus  der  Ma&en  gut, 

Er  macht  uns  frischen,  freien  Mut, 

Damit  woll'n  wir  nach  Engelland  ifahren  — 

Lafet  uns  fahren,  fahren,  fahren 

Nach  Engelland  und  in  den  Hhnmel  hinein  1'     (S.  9i3% 

worauf  der  Chor  der  Andächtigen  erklingt: 

'Ich  hab'  mein'  Sach'  auf  Gott  gestellt, 

Der  wird's  wohl  machen,  wie's  ihm  gefällt, 

Dem  thu'  ich  mich  befehlen. 

Mein  Leib  und  Seel',  mein  Ehr'  und  Gut, 

Das  hält  er  stets  in  seiner  Hut, 

Hie  und  im  ewigen  Leben.'  (8.  93*.) 

Dies  ist  die  erste  Strophe   eines  schon   im  16.  Jahrhundert  be- 
kannten geistlichen  Volksliedes  (Goedeke-Tittmann^  Liederbuch  aus 


48 


Volkslied-BfisKellen.   IT. 


dem  sechzehnten  Jahrhundert^  [1881]  234  Nr.  29  Str.  1;  Mittler 
763  Nr.  1256  Str.  1).  Die  Trinker  singen  sofort  darauf  die  vierte 
Strophe  (Mittler  839  Nr.  1373  Str.  4)  des  'Schiffleins': 

'Schenk  ein,  schenk  ein  den  kühlen  Wein! 

Das  Gütlein  mufB  verschlemmet  sein. 

Latst  uns  fahren'  usw.  (S.  93^), 

worauf  die  Andfichtigen  mit  der  zweiten  Strophe  des  geistlichen 
Liedes  (Goedeke- Tittmann  234  f.  Nr.  29  Str.  2;  Mittler  763 
Nr.  1256  Str.  2)  emsetzen: 

'Was  alle  Welt  Terloren  acht't. 

Das  halt  Gott  stets  in  seiner  Macht, 

Wenn's  ihm  gefällt  zu  wenden. 

Ich  eeb'  mich  in  den  Willen  sein, 

Er  führt  mich  als  der  Vater  mein 

Zu  meinem  seligen  Ende.'  (S.  93*'.) 

Eine  andere  Wirkung  der  Prophezeiung  des  Doktor  Cornelius 
kommt  in  der  alten,  blinden  Bettlerin  Barbe  zum  Ausbruch.  Ihr 
Geist  verwirrt  sich,  und  sie  gibt  sich  selbst  den  Tod.  Als  sie 
mit  ihrer  Führerin  lisbeth  über  den  Platz,  wo  der  Marienbrunnen 
steht,  zieht,  singt  sie  eintönig  das  Lied  vom  Jüngsten  Tage  vor 
sich  hin  (IV.  Akt,  1.  Szene,  S.  141): 


1.  Wenn  der  jüngste  Tag  will  wer- 

den, 
Fallen  die  Sternlein  auf  die  Erden, 
Beugen  ßich  die  Baumelein, 
Schweigen  die  lieben  Waldvögelein. 

2.  Kommt  der  liebe  Gott  gezogen 
Mit  dem  schönen  Regenbogen, 
Spricht:  Ihr  Toten  sollt  auferstehn, 
Sollt  vor  Gottes  Gerichte  gehn. 


8.  Ihr  sollt  treten  auf  die  Spitzen, 
Wo  die  lieben  Englein  sitzen. 
Ihr  sollt  treten  ai3  die  Bahn, 
Unsem  Herrn  Jesus  beten  anl 

4.  Ich  bin  von  Qott,  ich  will  zu  Gk>tt. 
Der  liebe  Gott  hat  mir  ein  Licht  be- 
schert. 
Das  wird  mir  leuchten 
Bis  in  die  ewigen  Himmelsfreuden. 


Bruchstücke  dieses  Liedes  kehren  auch  in  der  Beschreibung  wieder, 
welche  Laurentia  dem  Doktor  Cornelius  vom  Tode  der  Barbe 
gibt,  als  man  diese  auf  einer  Bahre  dahertragt  (IV.  Akt,  10.  Szene, 

S.  145*):  Wer  über  die  niedere  Mauer  [des  Friedhofs]  schaut, 

Sieht  unten  grad  in  den  FluTs  [Rhein]  hinem 
Und  droben  safs  die  Barbe  und  rief: 
'Ihr  sollt  treten  auf  die  Spitzen, 
Wo  die  lieben  Enelein  sitzen  — ' 
Ein  Schauer  mir  durchs  Gebeine  lief. 
Mutter  Barbe,  sagt'  ich,  was  fällt  Ihr  ein? 
Erst  morgen  kommt  ja  das  jüngste  Gericht. 
Da  schüttelte  sie  den  Kopf:  *Nein,  neinl 
Hört  Ihr  denn  die  Posaunen  nicht? 
Der  Himmel  ist  so  blutig  rot  — 
Ich  bin  von  Gott  —  ich  will  zu  Gott  — 
Hab  gute  Nacht,  du  arme  WeltT  — 
Und  eh  das  letzte  Wort  verklungen, 
Hatt'  sie  sich  schon  hinabgeschwungen 
Kopfüber  auf  die  Kiesel  am  Strand 


Volkslied-Miszellen.  II. 


49 


Auch  dieses  Lded  ist  bei  Mittler  371  Nr.  474  aus  Kurhessen 
überliefert  und  entsprechen  die  obigen  vier  Strophen^  wenn  auch 
nicht  ganz  genau^  der  ersten,  zweiten,  dritten  und  sechsten  Strophe 
Mittlers.  Bekanntlich  legte  auch  Cl.  Brentano  dieses  Lied  in  seine 
^Geschichte  vom  braven  Kasperl  und  dem  schönen  ÄnnerF  ein 
(s.  R.  Sprenger,  Zeitschrift  für  den  deutachen  Unterricht  XVI  [1902] 
253).  Die  Vorstellungen,  die  darin  zum  Ausdruck  kommen,  sind 
uralte  (vgl.  Q.  NoUe,  Beiträge  zur  Geschichte  der  deutschen  Sprache 
und  Literatur  VI  [1879]  413  ff.,  besonders  432—34,  441  f.,  448). 


14.    Die  Schindershochzeit. 

Die  Handschrift  980*  der  Innsbrucker  Universitätsbibliothek 
enthält  ein  bisher  nicht  bekanntes  bajerisches  Volkslied  aus 
ca.  1760,  das  in  launiger  Weise  über  die  Hochzeit  eines  Schin- 
ders zu  Nürnberg  berichtet. 

[63^]  Schiodershochzeitlied. 

1.  wo  wird  des  schinderB  hochzeit  [64*]  fleh,  Idss  und  wanzen, 


werden  ? 
schenckh  frisch  eml 

zu  l^iemberg  hejn  schwarzen  bfim, 

da  wird  des  schmders  hozeit  wäm. 

schenckh  ^ch  einl 

2.  wo  gibt  man  sie  zusamen? 
Hchenckh  etc. 

zu  Niemberg  auf  den  branga, 
da  gibt  man  [sie  zusama]. 
schenckh  etc. 

3.  wer  gibt  sie  dan  zusama? 
schenckh  etc. 

ein  prsedicant  in  grauem  bar, 
er  ist  a  schelm  und  ist  a  nar. 
schenckh  etc. 

4.  was  hat  der  schinder  für  hoch- 

zeitleith? 
schenckh  etc. 

Schergen,  schinder  und  bettri]leith 

seind  des  schinters  hochzeitleith. 

schenckh  etc. 

5.  was  ^bt  ma  ihnen  für  die  erste 

rieht? 
schenckh  eta 

kutteldreckh  and  schnepfenfleckh, 

fressen  d'naren  alles  weckh. 

schenckh  etc. 

6.  was  gibt  ma  ihnen  für  die  ander 

rieht? 
schenckh  etc. 


da  kennen  d'schelmen  danzen. 
schenckh  etc. 

7.  was  gibt  ma  für  die  dritte  rieht? 
schenckh  etc. 

hundsköpf  und  oxengrind 
seind  für  dises  Inmpengsind. 
schenckh  etc. 

8.  was  gibt  man  für  die  vierte 

rieht? 
schenckh  etc. 
rossbeigl ',  kazenschlögl 
ist  guet  gnue  für  dise  flegL 
schenckh  etc. 

9.  was  gibt  man  für  die  lezte  rieht? 
schenckh  etc. 

kraut  für  d'nam  sezt  man  auf, 
le^t  an  gsdchten  fuxen  drauff. 
schenckh  etc. 

1 0.  was  haben  sie  aber  zu  trinckhen  ? 
schenckh  etc. 

hier,  most  und  blemplbier* 
ist  der  Sauköpf  Malvasier. 
schenckh  etc. 

11.  So  sauffns  dan  wies  liebe  vieh, 
schenckh  etc. 

sie  gschwelln  auf  wie  d'brozen^, 
bald  fressens,  bald  wider  kozens. 
schenckh  etc. 


*  Haufen  RoAtdreck       *  schlechtes  Bier      '  Hände;  wenn  man  sich  dieselben 
erfriert,  so  scbweUen  sie  anf 

▲itdiiT  t  n.  Spnushen.    CXV.  4 


so  VolkBlied-MisiseUeD.   II. 

12.  WM  gibt  60  for  ein  daflmusic?      die  heüt  bejsam  wohl  gdgeo, 
8chenckh  etc.  den  zeigt  man  morgen  die  feigen  ^. 
der  Schinder  nam  den  sauschneider      [schenckh  etc.] 

BcnencKh  etc.  schenckh  etc. 

13.  80  fangen  sie  an   zn   muei-      gegn  abend  kimbt  der  schinderkarm, 

eieren.  ^  wirfft  ma  drauff  die  yoUn  narm. 

schenckh  etc.  schenckh  etc. 

*  man   macht  die   Feige,    damit   man   nicht   verschrien   werden   kann,   damit 
einem  kein  Unglflck  sastöftt 

15.    Mörike  und  das  NaoJitwäohterlied. 

Ed.  Mörikes  Gel^enheitsgedicht  'An  Gretchen'  (erster  Druck : 
Deutsche  Dichtung,  hg.  von  K.  E.  Franzos,  X  [1891]  265),  das  er 
am  10.  Juni  1852  morgens  3  Uhr  dichtete,  b^innt  mit  den  Worten : 

'Wohlauf  im  Namen  Jesu  Christi 
Der  helle  Tag  erschienen  isti' 
So  hört'  ich  um  die  Dämmerzeit 
Den  Wächter  unten  singen  heut 

Dies  ist  der  Anfang  eines  nur  aus  alemannischem  Sprachgebiet 
zu  belegenden  Tagansingeliedes  des  Nachtwächters,  für  welches 
Jos.  Wichner,  Stundenrufe  und  Lieder  der  deutschen  Nachtwächter, 
1897,  eine  grofse  Anzahl  von  Belegen  bietet  (Baden:  Beuren  bei 
Meersburg  S.  31;  -  Elsafs:  Ammerschweier,  Dammerkirch, 
Orschweier  und  Westhalten  S.  66;  Dorlisheim  S.  67;  —  Schweiz: 
Mayenfeld  in  Graubünden  S.  221;  —  Vorarlbe!^:  Bregenz  S.  161; 
Dombirn  8.  165;  —  Württemberg:  Balingen,  S.  114;  Binsdorf 
8.  118;  Bühl  a.  d.  Rottenburg  S.  121;  Endingen  S.  127;  Ostdorf 
S.  146).  Dieses  Tagansingelied  kann  Mörike  wirklich  1852  in 
Stuttgart,  wo  er  sich  damds  aufhielt,  gehört  hßbeu  oder  noch  aus 
einer  seiner  Pfarrgemeinden  (Oberboihingen,  Möhringeu,  Eöngen 
am  Neckar,  Pflumraem,  Plattenhardt,  Owen  bei  Kirchheira,  El- 
tingen bei  Leonberg,  Ochsenwang,  Weilheim,  Öthlingen  und  Clever- 
sulzbach) in  Erinnerung  gehabt  haben. 

16.    Der  Italiener. 

Alfred  Tobler  {Das  Volkslied  im  Äppenzeüerlande  [1903]  S.  18  ff.) 
teilte  einige  'Tschinggelieder'  (Lieder  auf  die  Italiener)  mit,  die 
sich  an  italienische  Melodien  anschliefsen  und  das  Wesen  des 
Deutsch  sprechenden  Italieners  zur  Anschauung  bringen  wollen. 
Ein  solches  Lied  aus  Bayern  enthält  auch  die  Handschrift  980 
der  Innsbrucker  Universitätsbibliothek  aus  ca.  1760.  Darin  wird 
ein  mit  Drahtwaren  hausierender  Italiener  und  sein  deutscher 
Kauderwelsch  zur  Darstellung  gebracht 


Volkslied-Miszellen.   II.  51 

[48»>)  ItaluB. 

1.  I  bin  si  braff  kerl,  bin  wfirü  kein  narr, 

I  bring  si  ans  welschland  vil  hübsch  and  schön  wahr, 

fDt  hfu^erl',  mansfall,  der  welschen  kunst,  dran 
er  Tefltschland  nit  kan. 

2.  I  bin  si  braff  kerl,  kan  handwerckh  wohl  fein, 
hab  glehret  3  wochen,  bis  i  han  ergriffen; 

er  macht  dir,  ISst  geld  und  ist  dir  schön  kanst; 
lehr  niemand  nmbsunst. 

3.  Du  hast  dir  daheimb  beym  teüffl  vil  meus, 
sie  stilt  dir  vil  kom  und  frißt  dir  vii  speiP, 
gauff  nur  den  mausfall  und  bsin  dir  mt  Jang; 
wirst  warli  maus  fang. 

4.  du  thust  ihr  darein  ein  bisserl  speckh, 
kombt  nacher  der  maus,  macht  alleweil  schmeckh, 
gröbP  ober,  gröbl  ummer,  bis  endli  kombt  drein; 
nacher  ist  er  sehon  dein. 

5.  und  wan  wir  dein  weib  will  teüfflbös  sein, 
kanst  machen  der  fozen%  in  mausfall  spör  ein, 
gib  nacher  zu  fre({  nicht,  das  hunger  leiden  thuet; 
wird  warli  bald  guet. 

'  Hechel  *  Splitter,  Späne  '  au  grappelu,  greifen,  tauten,  anch  g r o p p e n 
in  gleieher  Bedentang  (vgl.  Schmeller-Frommann,  B.  Wb.  I  1006  und  1007)  *  flg. 
für   l'^rau  (s.  SehmeUer-Frommann,  B,  Wb,  1  782  b.  v.  fotsen  4) 


17.    Ein  Gedicht   von  Fr.  Kind   und   seine  Beziehung 

zum  Volksliede. 

Friedrich  Kind  hat  in  seiner  Novelle  'Die  Jägersbräute'  (erster 
Druck:  Beckers  Taschenbuch  Toum  geselligen  Vergnügen  für  1811, 
Leipzig  [1810],  8.  1 — 52)  das  Waidmannslied  vom  uneetreuen 
Mädchen,  das  nach  dem  Junker  äugelte'  eingeigt  Dasselbe  wird 
in  der  Krähenhütte  vom  Greise  zur  Har&  gesungen  und  hat 
folgenden  Wortlaut: 

[37]        1.  Es  that  ein  Jäger  wohl  jagen 
Zwei  Stündelein  vor  dem  Tagen 
Einen  Hirsch,  einen  Hasen,  ein  Beb. 
Er  jaffte  auf  rosiger  Halde 
E^  Mäffdlein  im  fli^nden  Kleide, 
Das  wollt'  er  nehmen  zur  Eh. 

2.  Er  zog  sie  mit  flüchtigen  Schritten, 
Er  zog  sie  zur  TannenreiGhütten, 
Ließ  all  seine  Hündlein  los; 
Sie  saßen  mit  stillem  Verlangen, 
Mit  schneeweißen  Armen  umlangen, 
Auf  Klee  und  duftendem  Moos. 

X  Und  als  nun  dahin  eine  Stunde, 
Da  boUen  die  spürenden  Hunde; 
E}b  blies  ein  Schäfer  ins  Bohr. 


52  Volkslied-MiszeUen.  II. 

[38]    'Zieh  hin,  zieh  hin  mit  den  Schaalen, 
Mein  Jäger,  du  hast  es  yerechlafen; 
Ich  bin  noch  Jungfrau,  wie  vorl' 

4.  Sie  th&t  den  Jäger  wohl  fragen, 
Ob  sie  ein  Perl-Kränzlein  dürft'  tragen 
In  ihrem  schwarzbraunen  Haar? 
'Feines  Mägdelein  I  laß  dir  sagen. 

Ein  grün  HÜÜein  mußt  du  tragen, 
Wie  andre  Jägersfrau'n  garl' 

5.  'So  will  ich  meine  Haare  lassen  fliegen. 
Einen  schmucken  Junker  zu  kriegen. 

Dem  Jäger  zu  Spott  und  Schand  I' 
Das  thät  den  Jäger  yerdrieOen; 
Er  lud  die  Flinte  zum  SchieHen; 
Sie  starb  von  des  Liebsten  Hand. 

Inhaltlich  gehört  dieses  Gedicht  zu  den  von  Arnim  und 
Brentano^  Des  Knaben  Wunderhom  I  (1806)  292  f.^  und  Büsching 
und  von  der  Hagen^  Sammlung  deutscher  Volkslieder  (1807)  134  ff. 
Nr.  51,  veröffenuichten  Volksliedern,  doch  sind  dieselben  nicht 
die  QueUen,  aus  denen  Kind  schöpfte.  Das  Wunderhomlied  ist 
zu  kurz,  enthält  daher  vieles  nicht.  Das  Lied  bei  Büsching  und 
von  der  Ha^en  enthält  ebenfalls  einiges  wichtige  nichts  so  fehlt 
die  entsprechende  Schilderung  zu  Kind  2  4—6  und  5  1—3.  Kinds 
Quelle,  wohl  eine  mündliche  Fassung,  die  er  wahrscheinlich 
irgendwo  in  Sachsen  vernahm,  stand  jedoch  dem  Liede  aus  dem 
Kuhländchen  (J.  G.  Meinert,  Alte  deutsche  Volkslieder  in  der  Mund- 
art des  Kuhländchens  I  [1817]  203  f.,  danach  P.  L.  Mittler,  Deutsche 
Volkslieder'^  [1865]  179  f.  Nr.  201)  sehr  nahe,  was  die  Überein- 
stimmungen zeigen.  So  entsprechen  sich  ziemlich  genau:  1  K.  = 
1,  2  M.;  2  K,  ^  3,  4  M.;  3  4-6  K.  5  M.;  4  K.  =  8,  9  M.; 
5  1—3  K,  =  10  M.;  5  4—6  K.  =  6  M.  Ganz  durch  Kind  hinein- 
gebracht ist  3  1—3  samt  den  sich  daraus  ergebenden  Schafen  (3  4), 
ebenso  sind  2  3  und  2  6  Kindsche  Ausschmückungen.  5  4—6  K. 
wurde  von  Kind  zum  AbschluTs  genommen,  das  Volkslied  kennt 
diesen  Schlufs  nicht,  denn  dort  will  der  Jager  das  Mädchen  er- 
schieisen,  als  sie  ihm  sagt,  dafs  sie  noch  Jungfrau  ist,  unterlafst 
es  jedoch  auf  ihre  Bitte  hin.  Im  Volkslied  wahrt  der  Schlaf 
vom  Abend  bis  zum  Morgen,  bei  Kind  ist  der  Zeitraum  von 
einer  Stunde  angenommen. 

18.    Der  Torwart 

Die  Handschrift  980  der  Innsbrucker  Universitätsbibliothek 
aus  ca.  1760  enthält  ein  aus  Bayern  stammendes,  sehr  frisches 
Lied  auf  den  Flurwächter  und  Gutsaufseher,  der  seine  alten 
Tage  als  Torwart  verbringen  will.  Das  Lied  ist  sehr  humorvoll 
gehalten  und  verdient,  da  es  bisher  nicht  bekannt  war,  einen 
Abdruck. 


YoIkfllied-MiBzelleD.   II. 


58 


[13  •] 


Officialis  militaris. 


1.  Kent  ihr  nit  den  bluethund, 
wie  er  nicht*  tumiert^ 

wie  er  mit  den  steckhen, 
den  banem  tribuliert^ 

2.  er  hat  a  bissl  pulver, 
er  hat  a  biasl  a  bley, 

ein  rostigen  carbinar"*, 
kein  pfanner'  ist  dabey. 

[23^]  8.  er  traft  an  seiner  seithen 
den  BpratspiB'  doll^  daher, 
Yors  Hannibals  sdn  zeiten 
und  etli  jähr  no  mehr. 

4.  mit  diaen  feindla  meßer 
schlagt  er  dapfer  drein 

und  masacriert  vil  1000, 
das  no  lebendi  seyn. 

5.  er  ist  ein  braffer  officier, 
wans  frid  ist  in  dem  land. 


drumb  heist  man  ihn  hans  friderich, 
in  ganzer  weit  bekhant. 

6.  beim  blageren '  ist  er  so  köckh 
und  steht  an  d'mauer  on, 

statt  ^  offen  und  stuehlweißenburg 
dei*°  reden  no  dervon. 

7.  ein  offna  heim  als  ritter 
tragt  er  mit  si  herum, 
zerriOnes  hemet  und  wames 
verlumpet  um  und  dum. 

8.  iezt  will  er  si  begeben 
ganz  ^loreich  in  die  ruhe 
und  kmfftig  als  thorwartl 
sein  leben  Bringen  zue. 

9.  braunegg"  und  buechhome**, 
die  streitten  umb  die  ehr, 

wer  immer  ihn  bekhema  thuet, 
hat  umb  ein  narren  mehr. 


'  hier  keine  Verneinung,  sondern,  dem  bsyerischen  Dialekt  gemUb,  etwas 
Fragendes  ansdrückend  '  lärmt  '  neckt,  sekiert  *  Karabiner  '  Pulverpfanne 
•  fllr  pratapieß  =b  Säbel  (verächtlich)  '  «um  Verwundern  schön  *  belagern  *  Stadt 
''^  dö  =  die  **  Brauneck,  eine  Einöde  der  Pfarre  Harsdorf  im  Besirkaamt  Kulm- 
bacb,  Oberfranken  ^  vielleicht  Bucbachom,  ein  Weiler  der  Pfarre  Hohenpeiiben- 
berg  im  Bezirksamt  Schongau,  Oberbayem 


19.    Die  drei  Roslein  in  Linggs  ^arodeu^e^ 

Die  Ballade  Die  Marodeure'  von  Hermann  Lingg  (erster 
Druck:  Deutsche  Dichtung,  hg.  von  K.  E.  Franzos,  IX  [1891]  162), 
im  Ton  eines  echten  Landsknechtliedes,  worin  vier  Landsknechte^ 
anstatt  an  der  Schlacht  teilzunehmen^  sich  mit  Tanz  unterhalten^ 
wofür  sie  gehängt  werden^  spricht  in  der  dritten  Strophe: 

Die  Knöchel,  Krflg'  und  Karten 
Sind  aller  Landsknecht'  Not, 
Drei  Boslein  rot 
Blühn  drunten  in  dem  Garten, 
Dahinter  steht  der  Tod  — 

von  drei  Boslein,  hinter  denen  der  Tod  lauert.  Die  Roslein  sym- 
bolisieren die  lebenslustigen  Landsknechte.  Der  Dichter  hat  über- 
sehen, dafs  eigentlich  vier  Böslein  entsprechend  den  vier  Lands- 
knechten nötig  gewesen  wären,  doch  hat  er,  da  das  Volk  die 
tiDgeraden  Zahlen  besonders  liebt  (O.  Weise,  Zeitschrift  für  hoch- 
dmtsche  Mundarten  I  [1900]  34  f.),  die  Dreizahl  beibehalten.  Das 
Motiv  der  drei  Roslein  hat  er  aus  dem  Volkslied  entlehnt  (vgl. 
M,  E.  Marriage,  Alemannia  XXVI  [1898]  111  und  117). 


54  VoIkalied-MitzeUen.  IL 

20.    Das  Fest  der  Schneider. 

Von  den  Sohneidera^  die  einen  Schmaus  halten  und  dabei 
echt  8chneidermä£sige  Heldentaten  verrichten,  berichten  eine  grolse 
Anzahl  von  Liedern  (vgL  die  Literaturzusammenstellung  bei  Köhler- 
Meier,  Volkslieder  von  der  Mosel  und  Saar  I  [1896]  453  Nr.  331). 
Eine  bemerkenswerte  bayerische  Variante,  die  der  leider  bei  Eric- 
Böhme,  Deutscher  Liederkort  JJI  (1894)  450,  nicht  vollständig  mit- 
geteilten Berliner  Fassung  aus  1855  sehr  nahe  zu  stehen  scheint, 
bietet  die  Handsdirift  980  der  Innsbrucker  Universitätsbiblio- 
thek aus  ca.  1760. 

[46*]  Festum  sartoram. 

1.  Die  Schneider  fügjetea  ein  dinzltagS 

8.  Florian  mit  nam 
und  kernen  nein  and  neinzig 
neinmahl  nein  und  neinzig 
der  Bchneiderböckh  zusam. 

2.  and  als  sie  nun  beysamen  waren, 

da  hieltenB  einen  schmaus 
und  assen  nein  und  neinzig 
neinmahl  nein  und  neinzig 
zusam  ein  braten  laus. 

8.   und  als  sie  dis  geessen  hatten , 
so  hattens  no  nit  gnue 
und  frassen  nein  und  neinzig 
neinmahl  nein  und  neinzig 
ein  mugenfuei]  darzue. 

'1.   und  als  sie  schon  ersöttiget  waren, 
da  warens  voller  mueth 
und  trankhen  nein  und  neinzig 
neinmahl  nein  und  neinzig 
aus  einen  fingerhuet. 

5.  imd  da  sie  gnue  gesoffen  hatten, 

da  stig  der  wein  in  köpf 
und  danzten  nein  und  neinzig 
neinmahl  nein  und  neinzig 
auf  einen  glessem  knöpf. 

6.  und  als  sie  ausgedanzet  hatten, 

da  warens  voller  hiz 
und  hupfen  nein  und  neinzig 
neinmahl  nein  und  neinzig 
auf  einen  nadlspiz. 

[46^]     7.   und  sds  sie  dort  ^chlaffen  hatten, 

da  kam  ein  sieQer  wind 
und  bliese  nein  und  neinzig 
neinmahl  nein  und  neinzig 
[in]  ein  spinengweb  dahint. 

'  Tag  der  feierUcbea  Zasammenknnft  der  Genossenschaft 


Yolkslled-Miazellen.  II. 


55 


*  erdrückt 


K   und  als  sie  dran  gehangen  waren, 

Mtt8  bald  ein  spinne  venchluckht, 
wan  nit  all  nein  una  neinzig 
neinmahl  nein  und  neinzig 
ein  fliegen  hätt  yOTdruckht^ 


Gegenüber  allen   übrigen  Fassungen  bieten  die  Strophen  3, 
5,  7  und  8  Neues. 

21.    Henneke  Knecht, 

Von  diesem  niederdeutschen  Liede  des  16.  Jahrhunderts  sind 
bisher  zwei  Übersetzungen  ins  Lateinische  bekannt  geworden. 
Eane  steht  bei  Dan.  Eberh.  Baringius  in  dessen  Descriptio  ScUae 
principattts  (Menbergici,  Lemgo  1744,  11  p.  155 — 157  (danach  ab- 
gedruckt bei  O.  L.  B.  Wolff,  Sammlung  historiseher  Volkslieder  und 
Gedichte  der  Deutschen  [1830]  767  ff.),  die  andere  aus  1646  bei 
Hoffmann  von  Fallersleben.  Henneke  Knecht.  Ein  altes  niederdeut- 
sches  Volkslied,  Berlin  1872.  Eine  dritte  lateinische  Übersetzung 
aus  1679  erwähnt  F.  M.  Böhme,  Altdeutsches  Liederbuch  (1877) 
S.  580.  Dazu  kommt  noch  eine  vierte  aus  1603,  welche  die 
Handschrift  M.  297  der  kgl.  öffentlichen  Bibliothek  in  Dresden 
aufbewahrt,  und  die  einiger  Abweichungen  wegen  hier  abgedruckt 
werden  mag. 
[202]  Cantion.  de  Henning. 

1.  Henninge,  serve!  si  voles  [203]  6.  Bremam  sed  intrans  inclytaxn 

compellat  hisce  navitam: 
mi  n avium  magister, 

tuoB  fac  inter  remiges 
ad  transita  sim  miniBter. 


Mercede  prisca  serriefi 
Messern  per  hanc  aeetiyam. 

Novos  tibi  de  calceos 
bene  scis  movere  stivam. 


2.  Henningus  inquit:  iiic6 

Servire  nolo  villico, 
Bes  spemo  villicorum. 

Maris  petam  fluctus,  opum 
Spe  nempe  largiorum. 

3.  Hera  mox  ad  hanc  seutentiam 

miror  tuam  dementiam 
tum  nauta  navigabis? 

Agrum  ligone  citius 
stivaque  praeparabis. 

4.  Henningus  ipsi  neuticfuam 

Parens,  avenae  copiam 
Arcu  statim  mutabat; 

Curtasque  vestes  militum 
de  more  comparabat. 

5.  Arcu  premente  pendnlo 

Tergum,  pharetram  dbgulo 
Costis  adhaerit  ensem, 

et  cursitans  illoc  et  hoc 
Vrbem  petit  Bremensem. 


7.  Respondet  ilie:  remigem 

temet  libens  conducerem, 
Nisi  rüdem  meorum 

Te  proderet  vox  rusticum 
Et  insdum  laborum. 

8.  Noviy  refert,  per  Herculem, 

Me  promptiorem  neminem 
Quamvis  ad  actionem 

Et  aequo  mentis  robore 
Et  corporis  Draconem. 

9.  Sed  navigans  in  aequore 

Fugacis  instar  capreae 
Obmutuit  repente, 

Multum  voluta[n]s  pectore 
Mortis  metu  tremente. 

10.  Se  fulciens  ad  marginem 
Erructat  farraginem, 
Ab  ore  brachialem 

Hera,  quae  monebat  exitum 
Habere  cerno  talem. 


56 


YolksUed-MiBzeUen.  U. 


[204] 

IL  Cucurrit  alee,  flat  DOtns 
Trox,  aeris  forit  statnie 
Feroduntque  fluctus 

Alt,  mihi,  EÜvse  magis 
parerety  bisce  ductns. 

12.  Ah,  me  quis  hunc  ad  Nobiles 
Modo  reducet  Saxones 

DyiBtrum  inter  atque  Lainum, 
Quo  surffit  inclTti  Ducie 

Arx  celaa  Lawenetainum. 

7  3  rutem  JOk.  —  7  6  Ha.  laborem. 
lentibus. 


18.  Abi  me  quis  hoc  nunc  ex  ssdo 
Brunsvigio  reddet  solo? 

habebit,  inde  dignum 
Satus  avenae  premium. 

Et  cum  fabis  medimnum. 

14.  Eni  hujuB  autor  cantici 

Eduxit  Hennin^um  Mari, 

Nee  lendibus  penret, 
Sed  hoc  ut  elatos  malo 

EdoctuB  erudiret. 

-  8  4  i&.  ad  aequo.  —  14  3  Hs. 


Die  15.  Strophe  ist  auch  plattdeutsch  in  folgender  Gestalt 

gegeben: 

^^  De  Vnß  düt  ledeken  helft  erdacht, 

Hatt  Hennecken  van  der  See  gebracht, 

Dat  ebne  de  Iflse  niht  freten, 

simdem  he  warnet  alle  gute  gesellen, 

datt  sy  nicht  sindt  yermeten. 


22.    Zwei  Bauernlieder. 

In  der  Handschrift  980  der  Innsbrucker  Universitätsbiblio- 
thek aus  ca.  1760  finden  sich  zwei  bayerische  Liedchen,  wovon 
das  eine  von  einem  lustigen  Bauernsohn^  das  zweite  von  einem 
Bauern^  der  ein  Herr  werden  will,  und  seiner  Frau  handelt.  Das 
erste,  ganz  im  Metrum  und  Ton  dem  Schnaderhüpfel  gleich, 
kann  auch  als  Beleg  für  das  Alter  dieser  Yolksliedgattung  gelten, 
dessen  ältestes  auf  den  Grafen  Paar  aus  1600  (s.  J.  Zahn,  Steter- 
märkische  Oeschichtsblätter  I\  [1883]  56;  H.  Grasberger,  Die  Natur- 
geschickte  des  Schnaderhüpfels  [1896]  8.  25  f.),  dessen  zweitältestes 
aus  Appenzell  1754  (T.  Tobler,  Die  deutschen  Mundarten  IV  [1857] 
379)  überliefert  ist 
[64b]  a)  Filius  rustici. 

1.  unt^  mein  huet  3.   und  wan  ma  mei  mutta 
stekht  aller  mein  mueth.  halt  wida  so  thuet, 

2.  frey  di,  mein  mutter,  4.   so  wird  i  a  tn^na 

i  thue  dir  kain  guett  und  thue  halt  [a]  guet. 

[46^]  b)  Busticus  et  mulier. 

1.   Rusticus:  3.   Rusticus: 

i  mues  no  wern  zum  gstrengn  hem,         offtn  ge  i  mit  kain  bauerbuben, 
i  mag  kain  baur  bleiben.  i  friO  weda  kraut  no  rueben. 

2.   MuUer:  4.   Mulier: 

will  kain  hern,  i  ma*  kan  hern,  jacet. 

a  baur  must  ma  bleiben. 


mag 


Volkslied-Miszellen.    II. 


57 


23.   Die  Försterin  und  das  Rotkehlchen'  von  F.  Dabn. 

Die  Vögel  sind  im  deutschen  Volksliede  oft  allwissend,  be- 
sonders verkünden  sie  Todesfälle  und  Mordtaten  (vgl.  M.  E.  Mar- 
riage,  Alemannia  XXVI  [1898]  166—168,  173).  Dieses  Motiv 
verwendet  Felix  Dahn  in  seinem  Gedichte:  Die  Försterin  und 
das  Eotkeblchen  {Sämtliche  Werke  poetischen  Inhalts  XVI  [Leipzig 
1898]  109  f.).  Die  Försterin  fragt  das  wegfliegende  Eotkeblchen, 
ob  es  sich   an  einem  Dorn  ritzte,  da  es  mit  iBlut  bespritzt  ist: 


[109]  3.  *Mich  hat  kein  Dom  geritzt  I 
Bin  ich  mit  Blut  bespritzt, 
So  iBt's  von  MenBchenblut:  — 
Först'rin,  du  kennst  es  gut'  — 
Trägst  du  zum  Neste  dein 
Die  Blatter  im  Schnäbelein  ?' 


4.  'Mein  Nest,  das  bau  ich  nit! 
Ich  flieg  zum  Bühl  damit, 
Dafs  ich  dem  blassen  Mann 
Sein  Auge  decken  kann.'  — 

'Liegt  £iner  am  Bühl  erschlagen? 

Wer  schlug  ihn,  kannst  du's  sagen  ?' 


[110]    5.  'Horch,  ob  ich's  sagen  kann: 
Erschlagen  He^t  dein  Mann, 
Er  lieet  im  Blute  rot 
Und  dein  Buhle  schlug  ihn  tot.'  — 

'Schwele'  still!  —  Flieg'  fort,  Rotkehlchen! 

War'  ich  rein  wie  du,  Liebseelchen  1' 


24.   Zu  a)u  Glöckerl  im  Thurm\ 

R  H.  Greinz  und  J.  A.  Kanferer  (Tiroler  VolJcslieder  [1889] 
188  f.)  bringen  ein  Volkslied  mit  aiesem  Anfange,  das  sich^  seines 
ganzen  Inhaltes  w^en,  als  ein  volkstümlicbes  Lied  erweist,  und 
tatsächlich  ist  dessen  Verfasser  J.  Kart  seh  (Feldbleameln  [Oe- 
dichte  in  österreichischer  Mundart],  Zweiter  Büschen,  Wien  1847, 
S.  44  f.).  Auch  F.  F.  Kohl  (Echte  Tiroler-Lieder  [1899]  S.  XIX) 
erwähnt  dieses  Lied  für  Tirol.  Ich  gebe  hier  den  Originaltext 
und  die  Tiroler  Varianten. 


W 


's  Hoamathglöckerl. 


1.  Du  Glöckerl  aum  Thum 
Bist  a  Ding  ohni  Herz, 
Kannst  a'n  oanzigi  Sprach, 

Für  d'  Freud  und  fürn  Schmerz. 

2.  Kannst  nix  als  zwoa  Tön 
Und  mit  dö  sägst  so  viel, 

Als  hast  in  dein  Züngerl 
A  Herz  und  a  G'fQhL 

3.  Oft  klingst  ma  so  liab 
Und  so  hell  und  so  fein 
Als  ruafad'n  d'  Eneerln : 

In  d'Eirch'n  geh  'nein  I 

4.  Oft  schallst  ma  voll  Tro»t, 
V&nn  mdn  T&gwerch  vollbracht; 
Als  wünscha's  ^  ma  herzli 

A  ruahs&nd  N&cht. 


5.  Oft  sägst  ma:  Hiazt  san 
Wied'r  glückli  a  Päärl 
So  schwör'n  sih  dö  Treu,  so 
Läng  s'  leb'n  bdn  Altar. 

[45]  6.  Oft  mahnst  mi,  dass  alias 
Auf  der  Welt  vageht; 
Daß  wied'r  a  Nächb'r 
Bein  Leb'n spförtl  stdit. 

7.  Oft  sinj^t  oan,  der  d'rin  liegt 
In  hölzana  Schrein, 

Wia  d'Muada  ihr  Kindl 
Zun  letzt'nmäl  ein. 

8.  Für  den,  den's  'd  dk  einsingst, 
Für  den  schälist  gär  schön; 

Ab'r  trauri  für  dÖ, 

Dö  nach  müaG'n  gehn.  — 


58  VolkBlied-MiBzellen.   II. 

9.  D'rum  kämmst  ma-r  oft  für,  10.  AIb  müaßt'  as  dein  Nachbarn 

Als  wanns'd  Herz  hast  und  G'fühl,  'n  Himml  AIPb  säg^n; 

Als  müaOas'd  ob'n  los'n  Als  müaGas'd  mit  uns  henmt, 

Aum  Thum  in  da  Still;  Läch'n  —  und  kläg'n.  — 

Zanächst  hat  dae  Tirolerlied  die  Strophen  7  ff.  als  zu  reflexiv 
mit  richtigem  Gefühl  ausgelassen.  Die  übrigen  Abweichungen 
sind  gering: 

1 1  im;  —  22  du  viel;  —  28  hatt'st;  —  23  dei'm;  —  34  geh*  ein;  — 
5  2. 3  Treu'  für's  Leben  . . . ;  —  6  2  auf  Erden. 

Besonders  hervorzuheben  ist  nur  noch,  dais  eine  Strophe  des 
Tirolerliedes  aus  je  zwei  des  Originaltextes  besteht^  also  16.= 
1,  2  K.;  2  G.  =  3,  4  K;  3  G.  =  5,  6  K. 

25.  Zu  ^er  immer  annehmliche  Freuden  will  genießen'. 

Ditfurth  (Deutsche  VoUcs-  und  Geseüschaftslieder  des  17,  und 
18,  Jahrhunderts  [1872]  194  f.  Nr.  157)  bewahrt  uns  nach  einer 
alten  Handschrift  ein  Lied  obigen  Anfanges,  das  er  auch  nach 
mündlicher  Überlieferung  des  19.  Jahrhunderts  in  FVänkische  Volks- 
lieder II  (1855)  218  f.  Nr.  286  in  einer  vielfach  abweichenden 
Fassung  mitteilen  konnte.  Eine  ebenfalls  ziemlich  abweichende 
bayerische  Fassung  aus  ca.  1760  steht  in  der  Handschrift  980 
der  Innsbrucker  Universitätsbibliothek. 

[ll'']  Deliciae  venatoriae. 

1.  Wer  immer  will  freiden  genießen, 
verfiege  sich  eilends  in  wald 

und  nille  Dianae  zu  füeßen, 

ergebe  sich  ihren  gewait 

sie  wird  ihn  ergezen  mit  jagen  und  hezen 

in  ihren  griensameten  saa!, 

wo  allerhand  thierlein,  füx,  hasen  und  rehlein, 

anstellen  ein  lustigen  baal. 

2.  Kaum  fanget  mit  güldenen  strahlen 
an  Phoebus,  nachdem  er  erwacht, 

die  gipfl  der  berg  zu  bemahlen, 

zum  jagen  wird  anstalt  gemacht. 

der  jä^er  blasts  hörn,  die  hund  spizen  d'ohm, 

gschwind  wie  der  wind  lauffen  sie  trauf, 

bis  das  sie  erdappen,  ein  wüdbret  erschnappen 

und  fangen  in  yölligen  lauff. 

8.  nit  minder  die  andere  Jäger, 
versechen  mit  pulyer  und  bley, 
erwarthen  auf  ihren  ^en  läger, 
bis  flieget  ein  thierlein  vorbey. 
der  feyrrohr  knallet,  das  wilapret  schon  fallet, 
weils  irisch  ist,  da  weid  man  es  aus; 
wer  aber  so  troffen,  das  es  durch  geloffen, 
den  machen  die  schizen  ein  blaus'. 

*  vom  frz.  applaudir  'Beifall  klatschen',  aber  im  Bayeriscben  im  verspottenden 
Sinne,  also  yerspottendes  loben,  lachen,  klatschen,  spöttischer  BeiÜBÜ 


Tolkslied-Miszellen.  II.  59 

4.  wan  gehet  zu  gaden'  die  8onne 
und  HesperuB  ziechet  auf  d'  wacht, 
bey  einen  crystallenen  bronen 

die  j^erbursch'  lußtig  sich  macht. 
[12  <^]    da  klingen  die  lauten,  waldhom  und  flauten, 
Diana  nert  Selbsten  den  Chor, 

man  pfeiffet,  man  singet,  man  danzet,  man  springet, 
bis  Phoebus  zuschließet  das  thor. 

'  SU  mhd.  gaden  'Gemach,  Kammer*;  gehet  au  gaden  ^  zieht  sich  in  ihr 
Gemach  zorfick,  geht  unter  '  die  bursch  sing,  im  Bayer,  die  BezeichnoDg  für  die 
Oeeamtheit  der  Burschen,  daher  die  jägerbursch  sss  die  Jägerburschen 

26.   I  häb  amähl  a  Ringerl  kriagt. 

Als  Verfasser  dieses  Liedes  hat  John  Meier  {KunsÜißder  be- 
kannter Verfasser  im  Volksmunde  [1898]  Nr.  413)  den  bekannten 
Dialektdichter  Anton  Freiherm  von  Kiesheim  nachgewiesen.  Als 
ersten  Druck  gibt  Meier  "s  Schwarxblatl  aus'n  Weanerwald^  1 
(Wien  1858)  106  V  an,  doch  findet  sich  das  Gedicht  schon  in 
's  Schwarxblatl  aus'n  Weanäwaid  I  (Wien  1844)  S.  62.  K.  H.  Prahl 
(Hoffmann  von  Fallersleben,  Unsere  volkstümlichen  lAeder,  ^  besorgt 
von  K.  H.  Prahl  [1900]  146  Nr.  686)  zitiert  die  dritte  Ausgabe 
des  Schwarzblatls  von  1856.  Aufzeichnungen  aus  dem  Yolks- 
munde  liegen  vor  aus  Tirol  (Greinz-Kapferer,  Tiroler  Volkslieder  I 
[1889]  45  f.;  erwähnt  bei  F.  F.  Kohl,  Echte  Tirolerlieder  [1899] 
8.  XX)  und  aus  der  badischen  Pfalz  (M.  E.  Marriage,  Volkslieder 
aus  der  badischen  Pfalz  [1902]  132  f.  Nr.  85).  Dazu  kommt  eine 
Fassung  aus  Niederösterreich,  die  mein  Freund  R  Zoder  dem 
geschriebenen  Liederbuche  der  Marie  Labner  zu  Kirchberg  an 
der  Pidadi  (Bh.  St  Polten,  Bg.  Kirchberg  a.  d.  Pielach)  1900  ent- 
nahm und  mir  freundlichst  nberliefs.    Hier  der  Text: 

Ringerl  und  Rose. 

1.  I  hah  amal  a  RiDgerl  kriagt  3.  Es  war  halt  nokoan  Jahr  verbeiß 
Ton  meiner  herzliaben  Dim,                  wars  Besal  nunma  roth 

I  hab  ihr  dranf  a  Kösal  gebm,  UDd's  Dirndl,  was  mein  anzigs  war, 

so  wia's  im  Frühjahr  blühn  K  wohnt  drobm  beim  liabm  Gott. 

2.  Sie    hat    das    Bösal    voller         4.  Bevor's   gstorben  is,  hats   na 

Freud  gsogt  zu  mir: 

in  ihr  Gebetbuch  gl^  Geh,  woan  dir  [d*]  Augen  net  ans, 

Und  i  hab  mir  das  Ringerl  gleich  Wir  werden  uns  bald  wiedersehn, 

an  rndnen  Finga  gsteckt.  da  drobm  im  Vatershaus. 

5.  Und  kommst  du  einst  ins  Himmelreich, 
an  den  Ring  erkenn  ich  dich 

und  an  den  Röseri  an  mein^  Herz, 
an  den  erkennst  du  mich. 

*  (fÜT  dial.  frimjahr  blian      '  dial.  va'bei      '  Hs.  dein 


60 


YolkBlied-Miszellefii.  II. 


Zum  Vergleich  setze  ich  den  Originaltext  Elesheims  bei: 

[69]  Ringerl  und  Böserl. 

4.  'b  war  no  not  ganz  £  Jahr  v^bey, 
War^B  Böserl  nimmer  roth, 
Und's  De^derl  dö  mei  AU's  is  gwest, 


1.  I  hab  ämahl  i.  Ringerl  kriftgt 
Von  meiner  Herzens-Dim, 
Und  i  hab  ihr  i  Röserl  gebn, 
Wi^'B  halt  in  Summer  bmih'n. 


2.    Si    hat     das     B&serl    Toller 

Freud 
In  ihr  Bethbüicherl  gle^, 
Und  i,  i  hab  das  Ringen  mir 
An  mein  kl^  Finger  g'steckt. 

8.  Drauf  häm  mir  uns  gar  zartli 

küOt 
Und  das  V&prechn  ^ebn, 
Das  mir  uns  nerzli  li^b'n  woll'n 
Durch's  ganzi  Erdnlebn. 


War  obn  beyn  li&b'n  Qot! 

5.  Und  eh's  no  g'storbn  is  hat's 

gsagt: 
'G^  w^  dir  d'Augn  nöt  aus, 
Mir  wer'n  uns  ja  bald  widersegn, 
Dort  obn  in  Vaterhaus  I 

6.  Und   kumst   Du   h'nauf   in's 

Himmebeich, 
An'n  Rinff  erkenn  i  Di, 
Und  an  dein  Röserl  an  mein  H^z, 
An  den  erkennst  Du  mit' 


Das  Verhältnis  der  Aufzeichnungen  aus  dem  Yolksmunde 
zum  Original  stellt  sich  folgendermalsen  dar: 

1  =  1  GK.,  M,,  B.;  —  2  =  2  B.;  —  3  =  2  GK.,  M.;  — 
4  =  3  GK.,  M.,  B.;  —  5  =;  4  GK.,  M.  (mit  guter  Änderung  von 
Z.  2),  B.;  —   6  =  5  GK.  (mit  guter  Änderung  von  Z.  3),  M.,  B. 


27.    Zu  'Warumb  thustu  mich  krancken,  Amor^. 

Das  'Venusgärtlein'  aus  1656  enthält  auf  8.  164  ff.  (Neu- 
aus^abe  von  M.  Freiherm  von  Waldberg  [1890]  122  f.)  dieses  Lied 
in  einer  an  manchen  Stellen  ziemlich  veraerbten  Fassung.  Das  Lied 
selbst  kann  Waldberg  (a.  a.  O.  XXXIII  Nr.  81)  nicht  weiter  nach- 
weisen. Eine  ältere  und  bessere  Fassung  aus  1603  findet  sich  in 
der  Handschrift  M.  297  der  kgl.  öffenti.  Bibliothek  in  Dresden 
und  gelangt  dieselbe  hier,  strophisch  gediedert,  zum  Abdruck^ 
wobei  das  Abweichende  durch  ^nlursivdrucK  hervorgehoben  ist. 

[67] 


1 .  Warumb  thust  du  mich  krencken, 
Amor,  du  schwere  last? 

was  thuetu  doch  gedencken, 

dass  du  mich  also  hast 

mü  solcher  schmertx  vnd  Pein 

verwundt  das  hertze  meini 

was  tpü  man  dir  doch  schencken 

zu  dem  Siege  dein. 

2.  Weini^  wiratu  gewinnen, 
das  ich  meme  jun^e  tag 

in  trauren  muß  zubringen 
in  so  fichmertzlicher  klag, 
in  solcher  tyranney 
der  Bchmertzen  mangerley; 
mein  kindt,  sey  doch  zufrieden, 
das  ich  Dein  Diener  sey. 


3.  EeUstu  mich  gelaßen 
Martiy  dem  Krieges  Gott, 
ihm  zu  dienen  ohne  ablaßen, 
'    wehr  ich  nicht  in  dem  spott 
gerathen,  wie  ich  bin; 
ach,  ihr  mein  hetrvbte  sin, 
waß  hat  euch  doch  betöhret? 
mein  freudt  ist  gantz  dahin  I 

[68]  4.  Ach,  ach,  es  ist  geweßen, 
ach,  ach,  ich  weiß  ee  woU, 
ein  Mägdlein  außerleßen, 
die  mir  gefiel  so  woll, 
so  küpseh  vnd  so  lieblich, 
XU  sehertxen  so  freundlich; 
Galliarda  vber  die  maßen 
tantxl  sie,  dran  verlM  ich  mich. 


VoIksIied-Mif>zelleD.  II. 


61 


5.  Gleich  wie  die  fische  im  mehr 
praeaentiren  ihre  g  estalt 

an  einem  felOen  scharfe; 
alßdan  so  fliegen  sie  baldt, 
wen  dan  der  fischer  kompt, 
ihr  gestaldt  alda  vemimbt, 
thnt  er  das  netz  zerreißen, 
in  stücken  es  dahin  schwimbt. 

6.  Also  ist  auch  zerriQen 
das  netz  der  hoffnung  mein; 
alß  ich  thett  erst  ansdiauen 
die  höffliehe  sehönheii  dein, 
tneini  ich  zu  fangen  dich, 
betrog  aber  selber  mich, 
etwas  vom  Spiegel  zu  neiffen; 
wie  sehr  man  irret  sich! 

[69]  7.  Aber  wie  den  dem  Allen, 
ob  ich  schon  habe  fallirt 
vnd  es  hat  nicht  (hat)  sein  sollen, 
nach  dem,  wie  ich  petirt. 


so  bitte  ich  nur  allein, 
du  wolst  zufrieden  sein, 
daß  ich  dir  möchte  dienen 
nach  günstigen  willen  dein. 

8.  Hier  mit  wirdt  o^en^ir^^ 
mein  hochbetrübtes  hertz 
vnd  auch  recompensiret 

der  langwirige  schmertz, 
den  ich  so  manches  Jahr 
an  deiner  lieb  fürwar 
Vnschuldig  ?iab  erlitten, 
erduldet  gantz  vnd  gar. 

9.  SoUestu  aber  zürnen, 
das  ich  so  liebe  dich 

vnd  mich  darüber  erwürgen, 
ach  mein,  was  kUlff  es  mich  I 
der  Verlust,  der  were  zwar  klein, 
doch  toürdt  es  so  viel  sein, 
verlohren  tcürdestu  haben 
den  geireuesten  Diener  dein. 


Dem  Venusgärtlein  gegenüber  ergeben  sich  Besserungen  in 
1  5,  6  und  9  6;  der  Reim  wird  hergestellt  in  2  2  und  3  3;  die 
Strophen  4  und  5  bieten  eine  klarere  Fassung,  während  Strophe  6 
und  9  4  im  Venusgärtlein  besser  sind. 

28.    Ein  Volkslied  in  Hejses  'Jungfer  Justine^. 

Paul  Heyses  vieraktiges  Schauspiel  'Jungfer  Justine'  (erster 
Druck:  Deutsche  Dichtung,  hg.  von  K.  E.  Franzos,  XIV  [1893] 
9—13,  41—48,  64—72,  88—94)  spielt  zur  Zeit  des  Siebenjäh- 
rigen Krieges,  im  Oktober  1758,  teils  in  Dresden,  teils  im  liiger 
bei  Hochkirch.  Im  dritten  Akt,  der  in  Friedrichs  Hauptquartier 
zu  Rodemtz  sich  abwickelt,  singt  einer  der  jungen  Grenadiere, 
welche  zu  Friedrichs  Leibwache  gehören,  zeitig  in  der  Frühe, 
nachdem  er  vom  Schlafe  erwacht  und  längere  Zeit  ins  Feuer  ge- 
starrt hatte,  mit  heiserer  Stimme: 

Morgen  früh  müsfien  wir  marBchieren 

Zu  dem  hohen  Thor  hinauB. 

O  du  schwarzbraunes  —        (III.  Akt,  1.  Sz.,  S.  66% 

wird  jedoch  vom  Unteroffizier  unterbrochen,  der  ihm  befiehlt, 
still  zu  sein.  Dieses  Lied  scheint  Heyse  F.  L.  Mittler,  Deutsche 
Volkslieder'^  (1865)  895  Nr.  1454,  entnommen  zu  haben,  wo  es 
nach  mundlicher  Überlieferung  aus  Hessen  mitgeteilt  ist 

29.    Weicht  ihr  Nachtgespenster. 

Die  Handschrift  980  der  Innsbrucker  Universitätsbibliothek 
ans  ca.  1760  enthält  auch  folgendes,  mir  bis  jetzt  noch  nicht 
untergekommene  bayerische  Lied: 


62  '        Volkslied-Miflzellen.   IL 

[101»]  [101  b] 

1.  weicht  ihr  nacht^penster,  2.  seh  ich  auf  und  nider,  nider 

Btöhrt  mich  nit  in  memer  rueh,  mit  der  pfeifen  in  der  handt, 

dorten  an  den  fenster,  fenster  denckh  ich  halt  gleich  wider,  wider 

schauet  mir  mein  schazgen  zue.  an  das  getobte  landt, 

und  ihr  helle  stemei  alwo  nidits  als  freuden, 

die  ihr  leuchtet  bey  der  nacht,  ja  die  allergröste  lust, 

^ebet  dan  von  feme^  ferne,  ferne,  so  uns  allen  beyden,  beyd«i, 

ferne  auf  mein  schazgen  acht.  beyden  ist  gar  wohl  bewust. 

3.  guete  nacht,  mein  schazgen^  schazgen, 
weils  die  zeit  nit  lasset  zue, 
das  [ich]  auf  mein  plfizgen,  plazgen 
mit  dir  reden  thue; 
schlafe  ohne  sorgen, 
dan  was  heunt  nit  tan  sein, 
werd  ich  ja  gleich  morgen,  morgen, 
morgen  dop^t  bringen  ein. 


30.   Grillparzer  und  das  deutsche  Volkslied. 

Grillparzer  ist  in  allem  ein  echtes  Wienerkind,  ein  Abbild 
des  Wieners,  der  sich  an  allem  und  jedem  seinen  Schnabel  wetzen 
mufs  und  zwar  besonders  an  Neuerungen,  die  sein  konservativer 
Sinn  nicht  vertragt  und  nicht  begreifen  will.  Nicht  treffender 
hätte  Grillparzer  sieb  und  die  echten  Wiener  zeichnen  können 
als  mit  den  Worten:  'Da  mufs  ich  nun  vor  allem  einen  Fehler 
eingestehen,  der  mir  im  Leben  viel  Schaden  getan  hat:  ^Etwas 
Einsames  in  meiner  Natur  und  ein  Widerwillen  gegen  alles  Öffent- 
liche und  Gemeinsame,  letzteres  um  so  mehr,  als  ich  selten  mit 
der  Menge  und  den  Vielen  übereinstimme'  (Sämtliche  Werke,  hg. 
von  A.  Sauer,  5.  Ausgabe,  Stuttgart  [1892],  XVIII  75).  Daraus 
wird  uns  auch  sein  Hais*  gegen  die  erst  durch  die  Romantiker 
aufgekommene  germanische  Philologie  und  alles  damit  Zusammen- 
hängende klar,  denn  er,  der  in  den  Gefilden  der  griechischen  und 
spanischen  Dichter  und  Denker  wandelt,  dem  die  deutsche  Klassi- 
zität (Goethe  und  Schiller)  das  Höchste  ist,  kann  nicht  begreifen, 
wie  man  sich  den  'faden'  mittelhochdeutschen  Dichtungen  und 
den  Volksliedern,  die  ihm,  von  seinem  klassischen  Standpunkte 
aus,  freilich  nichts  bieten  konnten,  aber  doch  auf  so  viele  unserer 
grofsen  Dichter  (Ubiand,  Heine,  Eichendorff  und  andere)  befruch- 
tend wirkten,  zuwenden  kann.  Er  verstand  als  Städter  nicht  den 
Wert  des  Volksliedes,  er  begriff  von  seinem  klassischen  Stand- 
punkt aus,  im  Gegensatz  zu  Goethe,  der  hier  doch  seine  Stürmer- 
und Drängerschaft  nicht  verleugnen  kann,  dessen  Wesen  nicht, 
und  so  verlegte  er  sich  als  echter  Wiener  aufs  Schimpfen,  ohne 
jedoch  die  Sache  totschimpfen  zu  können,  denn  mehr  als  je  er- 
kannte und  erkennt  man  das  Volkslied  als  Macht  Ihm  gUt  die 
Volkspoesie  nichts,  und  so  konnte  er  1852  sagen: 


Volt^lied-MiszelleD.   II.         -  68 

Die  Yolkspoeeie,  die  eu're  Jünger 

Lobpreisen  mit  soviel  Emphatil, 

Steht  gleich  mir  mit  der  Volksmathematik, 

Die  eben  nichts  als  die  zehn  Finger.    (A.  a.  O.  III  ^  183.) 

Deutlich  ergibt  sich  aas  den  letzten  Zeilen,  dafs  er  das  Wesen 
der  Volkspoesie  nicht  erfalste,  und  so  konnte  auch  von  ihm  jener 
verhängnisvolle  Irrtum^  der  übrigens  auch  heute  noch  nicht  ^nz 
aus  der  Welt  geschafft  ist  und  noch  imnaer  spukt,  dafs  das  Volk 
im  ganzen  der  geistige  Urheber  der  Volkslieder  sei,  nicht  um- 
gangen werden,  und  höhnisch  ruft  er  1853: 

Wenn  unsere  Zeit  keine  Dichter  zählt. 

Vermag  das  nicht  uns  einzuschüchtern; 

Damit  es  nie  an  Poeten  fehlt, 

Erheben  wir  das  Volk  zu  Dichtem.  (III  &  186.) 

Nicht  das  Volk  im  ganzen  dichtet,  sondern  immer  nur  ein  ein- 
zelnes Individuum,  und  erst  der  Erfolg  eines  Liedes  macht  es 
zum  Volkslied,  an  dem  dann  das  Volk  seine  glättende  und  um- 
arbeitende Tätigkeit  versucht. 

Er  selbst  gesteht  es  ja  1849  ein,  dafs  er  sich  nie  vom  Volks- 
lied angezogen  fühlte  (a.  a.  O.  XVIII  ^  161),  doch  auch  bei  ihm 
kommt  zeitweilig,  so  1846,  der  Gedanke  zum  Durchbruch,  dafs 
das  Volkslied  nicht  so  verächtlich  sei,  sondern  dafs  es  an  seinem 
Platze  entzückt  und  erfreut,  nur  dürfe  es  von  dort  nicht  ver- 
pflanzt werden:  Volkslieder  sind  wie  die  Wiesenblumen,  die, 
wenn  man  sie  im  Felde  ohne  Pflege  und  Kultur  aufgewachsen 
antrifft,  erfreuen,  ja  entzücken;  in  den  Gärten,  zwischen  Rosen, 
Nelken  und  Lilien  versetzt,  sind  sie  nicht  viel  besser  als  Unkraut^ 
(XVIII  ^  36).  Doch  kann  dem  Nachsatze  entgegengehalten  wer- 
den, dafs  es  auch  wahre  Perlen  von  Volksliedern  gibt,  die  ruhig 
in  die  Gärten  verpflanzt  werden  können,  und  daß  gerade  jene 
Lieder,  die  auf  Volksliedem  aufgebaut  sind,  grol'se  Wirkungen 
erzielten,  was  besonders  von  der  Heineschen  Lyrik  gilt.  Gerade 
jenem  Manne,  der  so  viel  dem  Volkslied  in  seiner  Dichtung  ver- 
dankt, dem  B^ründer  der  wissenschaftlichen  Volksliedforschung, 
Ludwig  Uhland,  wirft  Grillparzer  seine  Volksliedersammlung 
1837  mit  den  Worten  vor: 

Was  führst  da  selber  Mörtel  und  Sand, 

Zu  hohem  Werken  berufen  und  schönem? 

Wer  bauen  kann,  bau'  auf  eig'ne  Hand 

Und  lasse  den  Karren  den  Tagelöhnern.        (III  ^  116), 

vergessend,  dafs  gerade  die  Beschäftigung  mit  dem  Volksliede 
Uhlands  beste  Gedichte  hervorrief.  Dais  man  sich  mit  dem 
Volksliede  beschäftigt,  daran  ist  nur  die  germanische  Philologie 
schuld,  welche  diepoetische  Begabung  für  überflüssig  erachtet 
und  das  Volk  zu  Dichtern  macht,  wie  Grillparzer  das  ca.  1860 
anläislich  der  Besprechung  der  germanischen  Philologie  und  Alter- 


64  VolkBUed-Miszellen«  II. 

tumskunde  ausdrückt:  'Die  Volkslieder,  die  niemand  gemacht 
hatte,  wurden  der  rohen  Masse  in  die  Schuhe  geschoben,  und  man 
bedurfte  von  nun  an  nur  das  Volk  und  ein  paar  Pedanten,  um 
jede  poetische  Begabung  überflussig  zu  machen  (XVI  ^  25).  Noch 
einmal  wendet  er  sich,  veranlafst  durch  Karajans  Funde,  ca.  1853  (?), 
gegen  die  germanistischen  Studien  der  Brüder  Grimm  und  deren 
Mitarbeiter,  wenn  er  zu  Sachsengang  im  Marchfelde  ein  Perga- 
mentblatt entdeckt^  auf  dem  folgendes  geschrieben  steht: 

'Da  ob'n  aufm  Bergl 
Da  sitzen  zwei  Hasen, 
Der  eine  tut  Zithern  spiel'n, 
Der  and're  tut  blasen. 

Also  ein  Volkslied.     Ein  Volkslied,   das,   wie   alle  Volkslieder, 
niemand  gemacht  hat,  das  naturwüchsig,  wie  einige  von  der  Welt 
behaupten,  von  selbst  entstanden  ist.    Ich  war  glücklich.    Zwar 
schien   das  Lied   sehr  abgeschmackt,  das  sind  aber  die  meisten 
Volkslieder,  bis  ein  Gelehrter  den  tieferen  Sinn  und  die  Bedeu- 
tung  derselben   herausarbeitet.     Für  jeden  Fall   war  deutscher 
Humor  darin,  Hasen,  die  Zither  spielen   und  blasen!    Vielleicht 
ein  Bruchstück  aus  einem  viehischen  oder  Tier-Epos!'  (XHI^  183.) 
Wenn  sich  hier  Grillparzer  gegen  die  Auswüchse  der  germanischen 
Philologie  wandte,  so  hatte  er  vollständig  recht,   doch  hat  nicht 
jede  Wissenschaft  und  auch  die  Dichtkunst  Auswüchse,  ist   ein 
übertriebener  Klassizismus,  ein  Nichtachten   des  eigenen  Volkes 
nicht  auch  ein  Auswuchs?   Das  Wichtige  dieser  Mitteilung  liegt 
darin,  dafs  uns  hier  Grillparzer  ein  Kinderlied  mitteilt,  das  heute 
noch  im  Viertel  unterm  Manhartsberg  in  Niederösterreich   fort- 
lebt (s.  Blümml,  Der  niederösterreichische  Landesfreund  IX  [1900], 
S.  3;  vgl.  auch  J.  A.  und  J.  Lux,  Deutsehe  Kinderreime  [1904]  140; 
Ziska-Schottky,  Österreichische  Volkslieder  [1819]  24). 

Grillparzer  will  bei  der  alten  Kunst  bleiben   und  nicht  die 
neue  volkstümliche  Richtung  pflegen  (1861): 

Bleib  nur  der  alten  Kunst  getreu, 

Sie  ist  zu  allen  Zeiten  eine: 

Wer  sich  unter  die  volkstümlichen  Kleien  mischt, 

Den  fressen  die  patriotischen  Schweine.*  (III ^  223.) 

Wohl  gibt  es  nur  eine  Kunst,  aber  bei  jedem  Volke  äufsert 
sie  sich  anders,  und  das  vergifst  Grillparzer.  Nicht  nur  die 
Fremden  bieten  uns  Poesie,  auch  das  eigene  Volk  hat  solche, 
doch  Grillparzer  ist  zu  sehr  Kosmopolit,  um  das  einzusehen,  und 
so  schimpft  er  1837  frisch  darauf  los: 


*  S.  auch  Orillparxers  Briefe  und  Tagebücher,  hg.  von  K.  Glossy  und 
Aug.  Sauer,  II  (Stuttgart  1903)  51  unterm  19.  Februar  1825  (anläfslich 
der  Aufführung  des  Ottokar):  *Wer  sich  unter  die  volkstümlichen  Kleien 
mischt,  dem  geschieht  recht,  wenn  ihn  die  patriotischen  Schweine  fressen  I' 


Volkslied-Miszellen.   II.  65 

Mit  Mittelhochdeutach  and  Volkspoeeie 
Weils  ich  fürwahr  nichts  zu  machen  I 
Wer  trinkt  auch,  solanse  es  Brunnen  gibt, 
Aus  Wegapur  gern  und  Lachen  ? 

Und  fragst  du  mich,  wo  der  Brunnen  sei  — 
Hast  du  Homer  nicht  gelesen? 
Fällt  dir  der  groise  Brite  nicht  bei? 
Was  Spanien  und  Welschland  gewesen? 

Dort  lösche  deinen  brennenden  Durst, 

Dort  aus  dem  vollen  dich  letze  I 

Der  Pöbel  erzeugt  das  Schöne  nicht, 

Noch  gibt  er  dem  öchönen  Gesetze.  (III  &  115.) 

Für  Grillparzers  Dramen  konnte  das  Volkslied  nichts  bieten, 
jedoch  der  Lyrik  bietet  es  viel,  und  hätte  da  Grillparzer  nicht 
so  verächtlich  darüber  hinweggesehen,  so  hätten  wir  innigere, 
bessere  Gedichte  von  ihm. 

Aber  der  groise  Volksliedfeind  Grillparzer  konnte  sich  doch 
einige  Male  dem  Einflasse  des  Volksliedes  nicht  entziehen.  Das 
sehen  wir  besonders  an  einer  Stelle  in  ^Des  Meeres  und  der  Liebe 
Wellen*  (1840),  wo  Hero  im  5.  Aufzuge,  nachdem  Leander  tot 
aufgefunden  wurde,  sagt: 

So  laist  an  unser 'm  Ufer  ihn  begraben, 

Wo  er  erblich,  wo  er,  ein  Toter,  lag, 

Am  Fuise  meines  Thurms.   Und  Bösen  sollen 

Und  weifse  Lilien,  vom  Tau  befeuchtet, 

Au&prossen,  wo  er  liegt.  (VII  <>  100.) 

Das  sind  die  berühmten  Unschuldslilien  des  'Grafen  Friedrich^ 
und  'des  Ritters  und  der  Magd^,  Lieder,  die  im  Wunderhom  und 
Uhlands  Sammlung  reichlich  vertreten  sind  (vgl.  auch  M.  K.  Mar- 
nage,  Alemannia  XXVI  [1898]  127  ff.). 

Zu  einer  besonders  bissigen  Abfertigung  seines  Feindes 
Friedrich  Schlegel  und  dessen  Lucinde  verwendet  er  das  Schnader- 
hüpfelmetrum  und  benennt  seine  beiden  Vierzeiler  'Oberländer 
Lieder'  (mitgeteilt  von  A.  Sauer  im  Jahrbuch  der  Orillparxer-Qe- 
Seilschaft  Vfl  [1897]  166): 

D'Luzind'  hat  mir  geschrieben,  Du  wässeriger  Hiesel, 

Will  jetzt  sich  beker'n;  Was  trinkst  denn  kan  Wein? 

Wann  d'Hum  amal  alt  seyn,  Wie  soll  a  Geist  in  dein  Kopf  seyn? 

llians  Betschwestern  wer'n.  Giesst  niemals  an  'nein. 

Auch  im  Satzbau  zeigt  sich  zweimal  deutlich  Volkslied- 
dnflols^  nämlich  in  der  behäbigen,  breiten  Aufzählung  der  Per- 
sonen. So  im  'Willkommen  bei  der  Ankunft  der  vierten  Ge- 
mahlin Kaiser  FVanz  L'  (1816): 

Ja,  staunet  nur,  staunet I  Und  wie  wir  so  stehen, 

Ich  stand  dort  am  Rain  Ein  jedes  für  sich 

Und  trieb  meine  Gänae  Und  schauen,  der  Entrich, 

Ins  Wasser  hinein.  Mein  Pudel  und  ich...  •(II'>  112.) 

Arehir  f.  n.  Spfmchen.    CXV.  5 


68  Yolkslied-Miszellen.   IT. 

Ebenso  im  Gedichte  'Zum  Namenstag  für  Anna  Fröhlich'  (26.  Juli 

^*  Auch  steh'n  auf  dem  Anger 

Musikanten  noch  drei; 
Ein  kurzer,  ein  langer, 
Ein  dicker  dabei.  (I  ^  252.) 

Auch  das  Kinderspiel  wird  herbeigezc^en,  so  wenn  in  'der  Zauber- 
flöte zweiter  Teil  (1826)  die  Tiere,  an  deren  Spitze  der  Ellefant 

f       o     '         XiQ  Dunkeln  ist  gat  munkeln  ; 

Ich  bin  mfld',  mein  Schatz. 
Ist  nirgends  ein  besserer  Platz? 
FVau  devaüerin,  leih'  mir  d' Seher', 
Wo  steht's  leer?  (Xril'«  130.) 

Sie  führen  dann  ein  Ballett  auf,  das  Kinderspiel:  ^Gevatterin, 
leih^  mir  die  Schere^  aus  dem  oben  der  Spielreim  wörtlich  ent- 
lehnt ist  (vgl.  Jos.  M.  Wagner,  Die  deutschen  Mundarten  VI  [1859] 
111  Nr.  19;  F.  M.  Böhme,  Deutsches  Kinderlied  und  Kinderspiel 
[1897]  649  f.  Nr.  567;  Vernaleken-Branky,  Spiele  und  Reime  der 
Kinder  in  Österreich  [1876]  95  Nr.  21),  nachahmend,  wobei  eins 
den  Platz  des  anderen  zu  erhaschen  sucht. 

Aus  dem  Ganzen  geht  hervor,  dals  Grillparzer,  trotz  der 
steten  Bekämpfung  des  Volksliedes,  auch  an  sich,  wenn  auch  in 
geringem  Umfange,  woran  hauptsächlich  seine  dramatische  Be- 
schäftigung schuld  war,  die  Macht  desselben  erlebte,  so  dals  er 
sich  nicht  ganz  dessen  Einfluls  entziehen  konnte.  Für  das  Volks- 
lied gilt  auch  ebendas,  was  Grillparzer  1822  über  die  Poesie 
und  Keli^on  sagte:  'Mit  der  Poesie  ist  es  wie  mit  den  Religionen 
Wenn  beide  einmal  ihre  Ächtheit  durch  Wunder  bewährt  naben> 
mufs  man  über  die  einzelnen  Sätze  keine  Beweise  mehr  fordern, 
sondern  an  sie  glauben^  (XV  ^  70).  Denn  auch  das  Volkslied 
ist  echte  Poesie. 

Wien.  E.  K.  Blümml. 


über  den  Hymnns  Cadmons. 


Der  berühmte  Hymnus  Csedmons,  wie  er  in  der  Handschrift 
der  Cambridger  Universitätsbibliothek  KK.  V.  16  erhalten  ist, 
ist  bekanntlich  nicht  nur  sprachgeschichtlich,  sondern  yielleicht 
in  noch  höherem  Grade  literärgeschichtUch  von  gröfster  Wich- 
tigkeit, und  deshalb  wird  die  Frage,  wie  dieser  kostbare  Rest 
ältester  altenglisch-christlicher  Dichtung  in  die  Handschrift  der 
Historia  Ecclesiastica  gekommen,  den  Literarhistoriker  stets 
beschäftigen  und  zu  allerhand  Vermutungen  anregen.  Dazu 
ist  es  Yor  allem  wünschenswert,  festzustellen,  wie  sich  der  alt- 
englische Hymnus  zum  übrigen  Inhalt  der  Handschrift  verhält. 
Zupitza  hat  vor  mehr  als  27  Jahren  in  seiner  klaren,  scharf- 
sinnigen Weise  zuletzt  darüber  gehandelt  in  der  Zs.  d,  A.  22, 
210  ff.,  besonders  213 — 215;  ich  rekapituliere,  auf  Grund  einer 
Prüfung  der  Handschrift  am  19.  Juni  d.  J.,  ergänzend  den 
Tatbestand:  das  letzte  Blatt  der  gleichmäfsig,  d.  h.  in  gleicher 
Schriftgröfse  und  Zeilenzahl  geschriebenen  Handschrift  führt 
auf  der  Vorderseite  mit  . . .  semper  ante  fadem  fuam.  Ex- 
plieit  ...  die  Historia  Ecclesiastica  zu  Ende,  danach  folgt  noch 
m  derselben  Hand  und  Schriftgröfse  die  Stelle  bei  Plummer, 
p.  361,  Ante  DCCXXX  Ceoluvlf  . . .  bis  ad  lucem  propriam 
reuersa,  womit  ebenso  tief  herabgehend  wie  sonst,  also  mit  dem 
Seitenschlufs,  die  Vorderseite  schließt.  *Die  Rückseite  128^'  — 
ich  lasse  jetzt  Zupitza  reden,  wobei  ich  das  mir  Wichtigschei- 
nende gesperrt  drucke  — ,  'gegenwärtig  die  letzte  Seite  der  Hand- 
schrift, beginnt  mit  dem  Hymnus.  Die  Hand,  die  ihn  schrieb, 
ist  nach  meiner  Ansicht  eine  andere  als  im  vorhergehenden: 
aber  nach  der  Form  der  Buchstaben  und  dem  Gesamteindruck 
kann  nicht  der  geringste  Zweifel  darüber  obwalten,  dafs  es  eine 
deich  alte  Hand  ist  ...  (folgt  Abdruck  des  Hymnus  und  der 
Glossen).  ...  Dann  kommt  wieder  von  einer  anderen,  aber  eben- 
falls gleichzeitigen  Hand  die  Reihe  der  nordhumbr.  Könige  . . .' 
Nun,  bei  dem  bekannten  Scharfsinn  und  der  grofsen  Gewissen- 
haftigkeit Zupitzas  mufs  man  da  wieder  einmal  mit  Wehmut  be- 
klagen, dafs  der  unvergefsliche  Meister  nicht  mehr  unter  den 
Lebenden  weilt,  dafs  man  ihn  nicht  mehr  fragen  kann,  warum 
er  der  Ansicht  war,  dafs  die  Hand,  die  den  Hymnus  geschrieben, 
eine  andere  gewesen  sei  als  die,  die  den  vorhergehenden  latei- 
nischen Text  geschrieben!  Was  mir  den  Mut  gibt,  trotz  Zupitza 
die  Hand,  die  den  Hymnus  und  auch  die  darauf  folgenden  Notizen 


68  Über  den  Hymnus  Csedmons* 

geschrieben,  für  dieselbe  zu  halten,  die  den  vorhergehenden 
lateinischen  Text  geschrieben,  ist  die  Beschreibung  der  Hand- 
schrift von  Bradshaw,  dem  nun  leider  auch  nicht  mehr  unter 
den  Lebenden  weilenden  trefflichen  Bibliothekar  der  Cambridger 
Universitätsbibliothek,  in  The  PalcBographiccU  Society,  Facsi- 
mües  of  Manuscripts  and  Inscriptions,  Edüed  by  E,  A,  Bond 
and  E.  M.  Thompson,  Vol.  IL  London  1873—1883,  FlaU  139, 
140.  Bradshaw  sagt,  wobei  die  Sperrschritt  wieder  von  mir  her- 
rührt: ihen  on  the  succeeding  page  the  scribe  cloaes  his 
work  with  (1)  the  original  Anglo-Saxon  of  the  aong  of  Cad- 
mon,  followed  by  four  glossed  words,  (2)  a  list  of  Norihv/m- 
brian  kings  down  to  737  {but  not  including  Ceoluulf'a  abdica- 
tion  and  Eadberct*8  sv^ccession  in  that  year),  and  (3)  a  calcuia- 
tion  of  several  events  backwards  from  the  year  737,  *  Danach 
folgt  in  einer  Hand  des  10.  Jahrhunderts  Sententia  Hysidori  ... 
bis  zum  Seitenschlufs. 

Man  hat  irüher  bei  Beschreibung  der  handschriftlichen  Über- 
lieferung des  Hymnus  mehrfach  die  Angabe  gemacht,  er  wäre 
an  den  Rand  geschrieben  —  Zupitza  nicht,  er  sagt,  die  Seite 
beginnt  mit  dem  Hymnus.  Dem  gegenüber  scheint  es  mir  nütz- 
lich, auf  Grund  der  eigenen  Prüfung  der  Handschrift  die  nicht 
unwichtige  Erläuterung  hinzuzufügen,  dafs  der  die  Bückseite  be- 
ginnende Hymnus  in  der  gleichen  Zeilenhöhe  wie  die  Vor- 
derseite und  die  vorhergehenden  Seiten  der  Hs.  geschrieben  ist, 
dafs  also  der  ganz  logische  Ausdruck  Zupitzas:  'beginnt'  so  zu 
verstehen  ist,  dafs  der  betreffende  Schreiber  —  wer  immer  er 
gewesen,  mit  gutem  Vorbedacht  zu  Beginn  der  leergebUebenen 
letzten  Seite  die  altenglischen  Verse  nicht  wie  eine  beiläufige 
Randnotiz,  sondern  wie  etwas  zu  dem  Vorhergehenden  Gehöriges 
ordnungsmäfsig  hingeschrieben  hat.  Warum  aber  frühere 
Berichterstatter  die  Angabe  machen  konnten,  der  Hymnus  sei 
an  den  Rand  geschrieben,  macht  ebenfalls  der  Augenschein  der 
Handschrift  begreiflich.  Wenn  man  nämlich  das  Blatt  nicht 
durchs  Licht  betrachtet  und  so  die  Vorderseite  nicht  durch- 
schimmern sieht,  macht  der  Hymnus  allerdings  den  Eindruck, 
als  wäre  er  an  den  oberen  Rand  gekritzelt,  denn  die  danach 
folgende,  in  gröfserer  Schrift  geschriebene  Königsliste  Ida  regnare 
coßpit  . . .  reicht  weiter  an  die  seitlichen  Ränder  und  gleicht  in 
ihrer  Regelmäfsigkeit  mehr  der  vorhergehenden  Historia  Ecde- 
siastica,  obwohl  die  Buchstaben  etwas  kleiner  als  in  dieser  sind. 
Wer  blofs  diese  Rückseite  betrachtet,  mag  allerdings  den  Ein- 
druck bekommen,  dafs  der  Hymnus  erst  nach  diesen  lateinischen 

*  Sweet,  OET  p.  148,  sagt  von  der  Schrift  der  Königsliste:  in  a  hand 
which  may  weil  be  the  same  as  that  of  the  Hütorv,  und  über  den  Hymnus 
ebenda :  ß  is  not  impossible  that  the  hymn  may  have  been  wriiien  laier  than 
the  List,  to  flu  up  the  blank  spaee.   But  the  hand  is  evidenüy  eontemporary. 


über  den  HymnuB  Cfedmons.  69 

Königslisten  auf  den  darüber  befindlichen  oberen  Rand  geschrie- 
ben worden   sei;  dieser  obere  Rand   müfste  freilich  etwas  breit 
gewesen  sein,   doch  das  fiele  nicht  auf,   wenn  man  die  Gröfse 
des  Randes  auf  der  Vorderseite  und  den  vorherigen  Seiten  nicht 
beachtete.*     Die  erwähnte  Tatsache  aber,   dafs  der  Hymnus  in 
derselben  Zeilenhöhe  wie  die  erste  ZeiJe  der  lateinischen  Vorder- 
seite»  also  nicht  auf  den  in  der  Handschiift  üblichen  oberen 
Rand  geschrieben  ist,   beweist  meines  Erachtens  mit  Sicherheit, 
dafs  der  Hymnus  zuerst  geschrieben  wurde   und  später  erst 
daran  anschUefsend  die  Eönigsliste.   Der  Schreiber  des  Hymnus, 
wenn  er,  wie  ich  mit  Bradshaw  annehme;  auch  der  der  Historia 
Ecclesiastica  war,  hatte  nach  getaner  Arbeit  noch  eine  ganze 
freie  Seite  übrig.   Da  schrieb  er  denn  als  eine  Art  erläuternden 
Zusatz  noch  den  Hymnus  dazu;   danach  aber,   da  er  schon  am 
Zusetzen  war  und  schon  zum  Schlufs  der  Vorderseite  des  letz- 
ten Blattes  den  bei  Plummer,  S.  361,  abgedruckten  Zusatz  ge- 
macht hatte,   noch  die  Königsliste  und  weitere  Notizen  hinzu, 
und  zwar  diese  beiden  Zusätze  in  etwas  gröfserer  Schrift.    Den 
Rest  der  Seite  liefs  er  frei,  denn  diesen  hatte  später  ein  Schrei- 
ber des    10.  Jahrhunderts  noch  verwertet.    Der  seelische  oder 
gemütliche  Prozefs,   der  in  dem  Schreiber  des  Hymnus  vorge- 
gangen, und  den  der  Literarhistoriker  sich  in  seiner  Phantasie 
zurechtlegen   mag,  war  vielleicht  auch*  kein  anderer,  wenn  der 
Schreiber  ein   anderer  als  der  der  Hiatoria  Ecclesiastica  war. 
Ob   er  derselbe  war  oder  nicht,   diese  Frage  möchte  ich  doch 
noch  anderen,  in  altenglischen  Handschriften  Erfahrenen  bei  Ge- 
legenheit zur  Erwägung  geben;  die  verschiedene   Schriftgröfse 
scheint  mir  doch  kein  Grund  für  oder  wider  zu  sein.     Aber  ob 
er  derselbe  oder  ein  anderer  zeitgenössischer  Schreiber  war,  zur 
Beurteilung  der  Niederschrift  des  Hymnus  müssen  noch  die  vier 
Glossen  herangezogen  werden,  die  doch  mit  dem  Hymnus  und 
dem  übrigen  Inhalt  der  Hs.  nichts  zu  tun  haben.   Solche  Glossen 
finden  wir,  sei  es  als  Federproben  oder  aus  sonstigen  Gründen, 
häufig  an  leergebliebenen  Stellen  am  Schlüsse  von  altenglischen 
Handschriften.    Dies  scheint  mir  darauf  hinzudeuten,   dafs  der 
Schreiber  den  Hymnus  nicht  aus  dem  Gedächtnisse,  sondern  aus 
irgendeiner    handschriftlichen    Vorlage,    die  Altenglisches    und 
wohl  auch  diese  Glossen   enthielt,   niedergeschrieben  habe.     Es 
würde   dies  durchaus  nicht  gegen   das  Fortleben  der  Verse  in 
mündlicher  Tradition,  die  ja  doch  durch  König  Alfreds  Wieder- 
gabe  sogar   für   anderthalb  Jahrhunderte   später   erwiesen  ist, 
sondern   nur  für  ihre  Verbreitung  im  8.  Jahrhundert  sprechen. 

*  So  heisst  es  auch  bei  Sweet,  OET  p.  148,  an  der  in  vorhergehender 
Fofsnote  angeführten  Stelle:  ...  to  ßl  up  the  hUmk  spaee. 

Cöln  a/Rh,  Juni  1905.  A.  Schröer. 


Noch  einmal  die  Quelle  des  ^Monk\ 


Im  Band  CXIII  dfes  Archivs  fp.  56  ff.)  hat  0.  Ritter  einen 
Aufsatz  veröffentlicht,  in  dem  er  sich  gegen  meine  früher 
(Band  CXI,  p.  316)  aufgestellte  Behauptung  wendet,  dafs  der 
Monk  Yon  Lewis  auf  einen  deutschen  Roman  als  Quelle  zurück- 
gehe, und  seinerseits  das  umgekehrte  Verhältnis^  annimmt.  Ich 
kann  mich  nicht  davon  überzeugen,  dafs  seine  Gründe  durch- 
weg stichhaltig  sind,  und  möchte  daher  mit  eimgen  Worten  auf 
den  Gegenstand  zurückkommen. 

Für  die  Wahrscheinlichkeit  meiner  Annahme,  dafs  Lewis 
von  dem  deutschen  Roman  abhängig  ist,  liefert  mir  Ritter  selbst 
(in  einem  früheren  Aufsatz  [Bd.  CXI,  166  ff.])  einiges  Beweis- 
material. Er  zeigt  dort,  wie  schon  die  ältere  Kritik  auf  Lewis' 
Manier,  ganze  Stücke  anderen  Werken  zu  entlehnen,  aufmerk- 
sam geworden  ist.  Hierher  gehört  das  Räuberabenteuer  bei 
Strafsburg,  das  übrigens  auch  im  Gil  Blas  seine  Parallele  findet; 
hierher  auch  der  Schlufs,  der  wörtlich  aus  Veit  Weber  ent- 
nommen ist  (a.  a.  0.  p.  116,  Anm.  2  und  3).  Durchschlagend 
erscheint  mir  aber  das  Zitat  aus  A.  W.  Schlegel,  wonach  'einige 
der  beliebtesten,  anmafslichen  Originale  aus  schlechten  deut- 
schen zusammengeborgt  und  nachgeahmt  sind  [the 
monk']r  Spricht  doch  hier  ein  Mann,  der  genau  Bescheid  wufste, 
der  gewifs  den  deutschen  Roman  vor  sich  hatte  und  nur  zu- 
fällig genauere  Angaben  zu  machen  unterliefs. 

Diese  Abhängigkeit  des  Engländers  von  seinen  deutschen 
Vorbildern  ist  gerade  der  Punkt,  auf  den  ich  das  gröfste  Gewicht 
legen  möchte,  und  ich  habe  zwei  bisher  unbekannte  Beispiele 
davon  angeführt  {Feudal  Tyrants,  Romantic  Tales:  Bd.  CXI, 
319.  320).  Ich  mufs  hier  mein  Bedauern  ausdrücken,  dafs  Ritter 
auf  meine  Argumente  so  gut  wie  gar  nicht  eingegangen  ist. 
Dagegen  werde  ich  mich  im  folgenden  an  die  seinigen  halten 
und  sie,  soweit  es  möglich  ist,  zu  entkräften  suchen. 

Zunächst  scheint  es  mir  nicht  gar  so  auffallend,  dafs  von 
dem  deutschen  Roman  (falls  er,  wie  ich  immer  noch  annehme, 
zu  Anfang  der  neunziger  Jahre  erschienen  ist)  die  kritischen 
Zeitschriften  und  die  Literaturgeschichten  keine  Notiz  genonünen 
haben.    Dazu  war  die  Masse  derartiger  Produkte  damals  doch 


.Noch  einmal  die  Quelle  des  'Monk'.  71 

liel  zu  grofs,  und  der  Roman  wäre  nach  wie  vor  im  Dunklen 
geblieben,  wenn  nicht  in  den  letzten  Jahren  die  Forschung  sich 
seiner  bemächtigt  hätte.  Wenn  dann  Ritter  auf  die  zahlreichen 
literarischen  Vorbilder  hinweist,  die  def  Monk  unzweifelhaft  ge- 
habt hat,  so  hätte  er  gleichzeitig  beweisen  müssen,  dafs  sie  für 
DR  ebenfalls  in  Betracht  kommen;  denn  bekanntlich  sind  ganze 
Partien  des  Monh  ohne  Entsprechung  im  Deutschen.  Übrigens 
leugnet  Lewis,  den  Diable  amoureux  des  Cazotte  vor  Abfassung 
seines  Romans  gekannt  zu  haben.  Die  Stelle  steht,  wenn  ich 
nicht  irre,  in  der  Vorbemerkung  zur  vierten  Auflage,  in  der 
übrigens  die  Änderungen  nicht  so  geiingfägig  sind,  wie  Ritter 
(p.  61)  zu  glauben  scheint.  Der  grofse  Unterschied  zwischen 
Cazotte  und  Lewis  ist  der,  dafs  bei  jenem  Biondetta  Don  Alvare 
wirklich  liebt,  und  dafs  dieser  schliefslich  den  Schlingen  des 
Teufels  entgeht,  während  Matilda  nur  eben  ein  Werkzeug  des 
Dämons  ist,  dem  der  Mönch  am  Schlufs  zum  Opfer  fallt.^ 

Dafs  von  DR  eine  frühere  Ausgabe  existiert  als  aus  dem 
Jahre  1816,  hat  Ritter  jetzt  auch  zugeben  müssen  (Bd.  CXIV, 
167).  Mir  war  die  Tatsache  schon  längst  durch  eine  gütige 
Mitteilung  von  Prof.  Sauer  bekannt  Sie  folgt  notwendig  aus 
dem  von  mir  Bd.  CXI,  318  hervorgehobenen  umstände,  dafs 
Grillparzer  schon  im  Sommer  1813  den  Stoff  zu  seinem  Drama 
gestaltete,  daher  die  Ausgabe  von  1816  nicht  beuutzt  haben 
kann.  Aber  auch  eine  weitere  Behauptung  Ritters  erweist  sich 
als  irrig.  Er  kennt  als  erste  nichtmusikalische  Publikation  aus 
dem  Verlage  von  Franz  Haas,  (Wien  und)  Prag,  ein.  Buch  aus 
dem  Jahre  1807.  Nun  besitze  ich  aber  aus  demselben  Verlage: 
a)  Vdeda,  ein  Zauberroman,  1796;  b)  Graf  Roeenberg^  oder 
das  enthüllte  Verbrechen:  eine  Oeschichte  aus  der  letzten  Zeit 
des  dreifsigjährigen  Krieges  (von  B.  Naubert),  1792.*  Beide 
Bücher  stammen  also  gerade  aus  den  Jahren,  in  denen,  wie  ich 
glaube,  DR  zum  erstenmal  erschienen  ist;  speziell  der  zweite 
Roman  zeigt  in  einigen  seiner  Motive  Ähnlichkeit  mit  DR,^ 

Auf  S.  58  ff.  hat  dann  Ritter  eine  Reihe  von  Sätzen  aus 
Lewis  und  DR  einander  gegenübergestellt,  um  zu  zeigen,  dafs 
DR  von  Lewis  abhängig  ist.  Der  Beweis  scheint  mir  nicht  er- 
bracht zu  sein.  Vieles  ist  ja  gewifs  in  DR  ungeschickt  und 
undeutsch  ausgedrückt;  das  liegt  an  der  geringen  Bildung  des 
Verfassers  und  ist  ein  Nachteil,  den  er  mit  vielen  anderen 
Autoren  der  Zeit  gemein  hat.  Die  kritischen  Journale  dieser 
Periode  sind  daher  voll  von  Klagen  der  Rezensenten  über  den 
schlechten  Stil  gerade  dieser  Romane.     Anderseits  ist  nicht  zu 

'  Vgl.  auch  Bentsch,  M.  O.  Lewis  p.  138. 
«  Vgl.  Goedeke    V,  497,  16. 

'  Natürlich  ist  auch  die  Angabe  in  Schwetschkes  Codex  Nundinarius 
falsch. 


72  Noch  einmal  die  QneUe  des  'Monk\ 

übersehen,  dafs  der  Verfasser  von  DR  die  Sprache  seiner  Zeit 
(untermischt  mit  einigen  Provinzialismen)  redet»  die  für  uns 
natürlich  einiges  Auffällige  bietet  Ich  lasse  hier  eine  Anzahl 
Stellen  folgen,  die  ich  mit  Parallelen  aus  Werken  derselben  Zeit 
versehe: 

DR  p.  6:  (Die  Hütte)  war  klein,  aber  nett;  vgl.  Sanders, 
jD.  Wb.  11,  430a:  Das  SchiflF  war  zierlich  und  nett  (Goethe).  — 
Wieso  ^bequeme  Stühle'  ein  undeutscher  Ausdruck  sein  soll, 
sehe  ich  nicht  ein  (vgl.  Adelungs  Wörterbuch  II,  854).  —  Ibid.: 
Der  Wald  mann  (engl,  woodman).  Aber  beides  bedeutet  nicht 
nur  'Holzfäller',  sondern  überhaupt  und  speziell  ^Waldbe- 
wohner';  vgl.  Cent  Dict.  6967—69  und  Sanders  II,  232c. 
(übrigens  schon  so  im  Mhd:  Benecke*Müller  II,  1,  47).  —  p.  8: 
würde  der  Herr  dich  nicht  so  alt  geglaubt  haben.  Vgl. 
Lessings  Nathan  3,  7:  so  glaube  jeder  sicher  seinen  Ring 
den  echten.  —  p.  11:  alle  diese  Umstände  blitzten  ihm  in 
die  Seele.  Vgl.:  es  blitzte  mir  ein  Gedanke  durch  die  Seele 
(Eichendorff  bei  Sanders  I,  169b).  Ähnlich  auch:  sie  blitzen 
Höllenflammen  in  mein  Herz  (Schiller,  Kab,  u.  L.  II,  2).  — 
p.  12:  wenn  ...  der  Wind  in  den  Ästen  rasselte.  Annette 
von  Droste  spricht  von  rasselndem  Winterlaub,  Bürger  von 
einem  Lager  von  rasselndem  Laube  (Heyne  s.  v.).  —  p.  17:  er 
floh  nach  der  Tür;  sie  flohen  gleich  dem  Blitze  fort.  Vgl.  hier- 
zu, was  in  Grimms  D.  Wb,  III,  1780  über  die  Berührung  zwi- 
schen den  Begriflien  des  Fliehens  und  Fliegens  gesagt  ist.  Andere 
Beispiele  bei  Sanders  I,  463  c.  —  p.  44:  eine  Nachtlampe  schofs 
einen  schwachen  Strahl,  vgl.  die  Sonne  schiefst  Strahlen  (Grimm, 
D.  Wb,  IX,  41):  drauf  schiefst  die  Sonne  die  Pfeile  von  Licht 
(Schiller).  Es  wird  hiernach  klar  sein,  dafs  auch  weniger  ge- 
wöhnliche Ausdrücke  noch  nicht  beweisen,  dafs  DR  aus  dem 
Englischen  übersetzt  ist.  Der  Beweis  dagegen  würde  noch  voll- 
ständiger geführt  werden  können,  wenn  wir  ein  Spezialwörter- 
buch  über  die  Sprache  des  18.  Jahrhunderts  besälsen. 

Ein  anderer  Punkt,  der  hierher  gehört,  betrifft  die  Druck- 
iehler.  Ritter  hat  selbst  zwei  recht  ergötzliche  auf  S.  61,  A.  2 
verzeichnet  Es  sind  natürlich  nicht  die  einzigen.  Ritter  hat 
zunächst  einen  solchen  in  einer  der  von  ihm  zitierten  Stellen 
(p.  59  unten)  übersehen.  Es  mufs  da  {DR  p.  165)  natürhch 
heiüsen:  dafs  es  einem  Weibe  kaum  verdienstlich  ist  (statt 
verdriefslich;  bei  Lewis  scarcdy  a  merit),  Dafe  die  Lyrica 
auf  S.  60,  von  denen  gewifs  nicht  viel  Rühmens  zu  machen  ist, 
durch  Druckfehler  stark  entstellt  sind,  hat  R.  richtig  bemerkt. 
Einer  scheint  ihm  auch  hier  entgangen  zu  sein,  Str.  3  v.  u.  lies: 
dort  ein  Alter,  voller  Trug  (entsprechend  dem  engl,  vicious 
man  and  crafty  devä),  wodurch  der  Sinn  der  Stelle  klar  wird. 
Ich  sehe  aber  auch  in  diesem  Falle  nicht  ein,  warum  es  unge- 


1 


Noch  einmal  die  Quelle  des  'Monk\  73 

reimt  sein  soll  anzunehmen,  Lewis  habe  als  gewandter  Vers- 
kiinstler  aus  schlechtem  Material  etwas  Besseres  gemacht. 

Wenn  dann  R.  (p.  62)  sich  darüber  aufhält,  dafs  in  DR 
Ambrosio  diesen  seinen  Namen  führt,  obwohl  er  Böhme  ist,  so 
ist  zu  entgegnen,  dafs  dieser  spanisch-italienische  Name  in  dem 
sprachlich  so  stark  gemischten  Österreich  keineswegs  auffallend 
ist  Auch  der  Duft  der  Orangenblüten  in  einem  Garten  zu  Prag 
mag  als  eine  Nachlässigkeit  des  Verfassers  von  DR  hingehen. 
Anders  steht  es  freilich  mit  den  Namen  Claude  und  Baptiste,  die 
sich  in  dieser  Umgebung  merkwürdig  genug  ausnehmen.  Aber 
aus  diesem  nebensächlichen  Umstände  kann  man,  wie  mir  scheint, 
keine  weitergehenden  Schlüsse  ziehen.  Darf  man  vielleicht  an 
eine  französische  Quelle  für  DR  denken? 

Nach  allen  diesen  Ausführungen  glaube  ich  bei  der  Be- 
hauptung stehen  bleiben  zu  dürfen,  dafs  Lewis'  Abhängigkeit 
von  DR  mindestens  ebenso  wahrscheinlich  ist  wie  das  umge- 
kehrte Verhältnis.  Hoffentlich  bringt  uns  bald  ein  weiterer 
glücklicher  Fund  die  Entscheidung. 

Zum  Schlufs  noch  zwei  bibliographische  Notizen:  a)  die 
hiesige  KönigL  Bibliothek  besitzt  ein  Büchlein,  betitelt:  Die 
Räuber  im  Elsafs,  oder  die  Abenteuer  Don  Al/onaens  von  ihm 
selbst  erzählt  (Gera  u.  Leipzig  1799).  Es  ist  dies  eine  wört- 
Uche  Übersetzung  der  Erzählung  Raymonds  im  dritten  Kapitel 
des  ATonk.  b)  Der  Romantiker  Charles  Nodier  gab  im  Jahre 
1822  ein  Buch  heraus  unter  dem  Titel:  Infemaliana  ou  anec- 
dotes,  petits  romans,  nouvelles  et  contes  sur  les  revenans,  les 
spectres,  les  demons  et  les  vampires.  Gleich  die  erste  Ge- 
schichte, La  nonne  sanglante,  ist  eine  stark  verkürzte  Wieder- 
gabe der  Erzählung  bei  Lewis. 

Berlin.  Georg  Herzfeld. 


Briefe  Ton  Gaston  Paris  an  Friedrieh  Diez. 


In  meinem  Besitze  befindet  sich  eine  beträchtliche  Zahl 
schon  von  dem  Empfänger  geordneter  Briefe  deutscher  und  aus- 
ländischer Gelehrter  an  Frieidrich  Diez.  Ihrer  zwölf  rühren  von 
Gaston  Paris  her  und  sollen  nachstehend  denen  zur  Kenntnis 
gebracht  werden,  die  von  dem  vrirklichen  geistigen  und  Gemüts- 
Verhältnis  des  jüngeren  Forschers  zu  seinem  um  fünfundvierzig 
Jahre  älteren  Lehrer  eine  zutreffende  Vorstellung  gewinnen 
wollen.  Hat  G.  Paris  1876  in  der  Romania  Y,  412  und  später 
in  dem  bekannten  Aufsatze  des  Journal  des  D4baU  vom  2.  März 
1894  seiner  Verehrung  und  Dankbarkeit  für  den  Meister  und 
für  den  Menschen  rührenden  Ausdruck  gegeben  —  dem  aka- 
demischen Lehrer,  den  er  als  ein  urteilsfähiger  Zuhörer  nicht 
kennen  gelernt  hatte,  wird  er  freilich  nicht  gerecht  — ,  so  haben 
die  erst  im  Jahre  1904  durch  Rajnas  inhaltreichen  Nekrolog 
für  den  französischen  Meister  bekannt  gewordenen  Briefe  des 
siebzehn-  oder  achtzehnjährigen,  noch  dazu  des  Deutschen  kaum 
kundigen  Bonner  Studenten  an  seinen  Schulkameraden  Durande 
die  kurzen,  früher  bekannt  gewordenen  Kundgebungen  wohl  etwas 
zurückgedrängt;  und  es  scheint  billig,  auch  der  Stimme  Gehör 
zu  verschaffen,  die  aus  den  Briefen  des  reiferen  Schülers  und 
denen  des  Mitforschers  zur  Nachwelt  spricht  Das  oft  bewährte 
Wohlwollen  der  Witwe  des  verewigten  Freundes  hat  mich  in- 
stand gesetzt,  aus  den  gut  aufgehobenen  Antworten  Diezens 
einiges  beizubringen,  was  zu  besserem  Verständnis  gewisser 
Äufserungen  seines  Korrespondenten  dienen  konnte. 


Pariif  ee  6  oelobre  1861, 
Monsieur  et  illustre  ma^re, 

Vailä  bien  longtemps  que  je  n'ai  eu  de  relatums  avee  vous  et  que  je 
me  suis  fait  le  fort  de  me  priver  de  vos  nouvelles  et  de  votre  commerce. 
Ted  meme  laisse  passer  sans  rous  en  feliciter  votre  nomincUion  ä  VAcor- 
dhniey  comptant  il  est  vrai  sur  mon  pbre  pour  vous  dire  comhien  fUais 
heureux  de  vous  voir  un  lien  de  plus  avec  nous  en  meme  temps  que  de  voir 
la  France  comprendre  et  ho9iorer  votre  merite.  Tesphre  cependant  que  vous 
ne  me  garderex  pas  rancune  de  mon  long  silenoe  et  que  rous  vous  retrou- 
verex  un  hon  souvenir  pour  votre  aneimi  attditeur  qui  sera  toujours  votre 
disciple.    Je  m^occupe  beaueoup  de  philologie  en  ce  moment,  et  cette  Stude 


Briefe  von  Gfiston  Paris  an  Friedrich  Diee.  75 

rn!a  naturellement  ramenS  vers  vaus,  d^autant  plus  que  vos  admirables  livres 
tn'ont  iti  et  me  sont  toua  les  jours  du  pltts  grand  seeours.  Je  faia  pour 
VEeole  des  Chartes  une  th^  sur  ce  m/ei:  du  roh  de  Vaeceni  laUn  dnns 
la  formaiion  de  la  Icmgue  fran^ise.  Vous  avex  dit  eoceellemment :  Der 
Äeeent  in  dtr  romanisehen  Spra>ehbüdung  ist  der  Angelpunkt,  um  welche fnj 
sie  sieh  dreht,  (fest  eette  phrase  que  je  veux  developper  par  un  travml 
de  detail  et  une  itude  minutieuse  des  cos  aü  Vaeeent  a  persistij  de  eeux  aü 
il  s'est  dSplaeS  et  des  causes  des  exceptions  qu'a  sttbies  la  r^le  generale. 
^Fesph'e  que  vous  prendrez  qudque  interet  ä  ce  travail;  s*il  ne  rencontre 
pa^  ä  VEcole  des  Chartes,  oü  il  sera  disoutS,  des  critiques  trop  vives,  je  le 
ferai  imprinier  et  je  wms  demanderai  la  permission  de  vous  le  didier, 
comme  au  criateur  et  au  maitre  de  la  phüologie  romane.  Peut-etre  cet 
optiscuie  pourra  contribuer  ä  repandre  parmi  les  erudits  fran^is  les  prin- 
eipes  encore  trop  peu  connus  chex  nous,  sur  lesquels  vous  avex  construit 
rotre  sysÜme. 

St  je  ne  eraignais  d*ahuser  de  votre  honte,  je  vous  demanderais  votre 
opinion  sur  quelques  points  qui  m'arrefent  et  m'embarrassent.  Pensex -vous 
jmr  exemple  que  les  aecusatifs  en  ain  (Ecain,  nonnain)  soient  une  imitor- 
iion  de  Vaccusatif  en  am?  Vm  latin,  il  me  semble,  ne  sonnait  plus  du 
tout  ä  la  fin  des  mots,  et  on  pronon^it  Eva  au  nomincUtfet  ä  Vaccusatif. 
N'est-ce  pas  plutot  une  forme  diminutive  employee  pour  Vaeeusatif,  et 
n'en  est-il  pas  de  meme  de  la  forme  on  da/ns  Pierron,  Gharlon,  ou  cet  on 
est-ü  Vinntation  des  formes  Huon,  öuion  etc.?  —  La  1^  pers.  plur.  des 
verhes  de  la  3^  cofijugaison,  nous  lisomes  ou  lisons,  nous  eourons  etc.  sup- 
pose^t-elle  une  forme  legfmus,  currfmus,  ou  faut-ü  voir  dans  ons  une  termi- 
naison  appliquee  lä  par  analogie  (les  formes  faimes  et  dimes  semblent 
le  prouver)?  —  Faut-ü  admettre  des  formes  comme  currire,  qucerire 
ou  voir  dans  les  infinitifs  querir,  courir,  l'application  purement  romane 
et  non  dSjä  faite  en  laiin  vulgaire  de  la  terminaison  ir?  La  terminaison 
escere  ne  peut  s'appliquer  qu'aux  verbes  qui  ont  la  P  pers.  plur.  en 
issojis.  Je  vous  dema^ide  hien  pardon  de  vous  faire  ces  questions,  mais 
rotre  autorite  me  deciderait  sans  doufe  pour  Vune  ou  Vautre  des  Solutions 
qu'on  peut  leur  donner,  et  je  ne  suis  pas  sur,  par  exemple  pour  la  premitre, 
que  vous  persi^tiex  dans  V opinion  exprimee  dans  votre  grammaire.  Enfin, 
»i  vous  aviex  quelques  ohservations  nouvelles  sur  le  sujet  dont  je  m'oceupe, 
je  vous  serais  bien  reeonnaissant  de  m'en  faire  pari. 

Nous  avofis  eu  pendant  qitelque  temps  ici  Adolf  Tobler,  qui  est  aussi 
un  de  vos  eignes  et  avec  qui  nous  avons  heaucoup  parle  de  vous.  II  s*oe- 
eupe  surtout  maintenant  de  litterature  italienne  et  neglige  la  phüologie 
romane;  c*est  dommage,  cor  il  a  un  esprit  juste  et  net. 

J'esp^e,  Monsieur,  que  vous  ne  m'en  voudrex  pas  de  vous  dvovr  dSrange 
pendant  quelques  instants,  et  que  vous  me  crovrex  bien  sinc^ement 

Votre  tr^-divouS  serviteur  ei  ieolier 
Qaston  Paris 
10,  plckce  royaU. 

Über  persönliche  Berührung  oder  brieflichen  Verkehr,  die 
zwischen  Diez  und  6.  Paris  seit  des  letzteren  Abgang  von  Bonn 
im  Herbst  1857  bis  zum  Oktober  1861  stattgefunden  hätten, 
ist  mir  nichts  bekannt.  Dafs  Diez  zum  korrespondierenden 
Mii^liede  der  Academie  des  Inscriptions  ernannt  worden  sei, 
teilt  ihm  Paulin  Paris  in  einem  bei  mir  liegenden  Briefe  vom 
25.  Januar  1861.  mit,  aus  dem  man  auch  erfährt,  dafs  neben 
Diez  noch  Schaffarik  und  Diefenbach  in  die  Wahl  gekommen 


76  Briefe  Ton  Gaston  Paris  an  Friedrich  Dies. 

waren,  und  dafs  ganz  besonders  Leclerc  sich  bemüht  hatte, 
Diezens  Wahl  durchzusetzen.  Die  Vermutung,  die  Gaston  in 
dem  obenangeführten  Artikel  der  Debats  ausspricht,  es  sei 
solche  Ehrung  auf  Littr6s  EinfluTs  zurückzuführen,  stimmt  mit 
des  Vaters  bestimmter  Aussage  nicht  überein.  Vermutlich  sind 
die  beiden  französischen  Gelehrten  in  gleicher  Richtung  tätig 
gewesen,  und,  wie  Diez  im  Entwurf  eines  Dankschreibens  vom 
31.  Januar  an  Paulin  Paris  äufsert,  wird  auch  dieser  es  an 
freundschaftlichen  Bemühungen  nicht  haben  fehlen  lassen. 

Die  Schriit  über  den  Akzent,  von  der  noch  öfter  die  Rede 
sein  wird,  trägt  in  der  Tat  die  Widmung  A  Monsieur  Fr£d4ric 
Diez,  professeur  . . .,  correspondant  . . .,  cet  essai  d'un  de  aes 
disciples  est  respectueusement  didii.  Die  von  Diez  in  der 
zweiten  Auflage  des  zweiten  Bandes  (1858)  über  die  afz.  Femi- 
nina auf  -ain  vorgetragene  Ansicht  ist  noch  in  der  dritten  (1871) 
im  Texte  festgehalten;  eine  lange  Anmerkung  stellt  aber  einen 
anderen  Sachverhalt  als  möglich  hin,  der  jetzt  als  der  wirkliche 
meist  anerkannt  ist,  mit  dem  von  G.  Paris  für  möglich  gehal- 
tenen jedoch  nicht  zusammenfällt. 

Dafs  ich  ^auch  einer  von  Diez'  Schülern'  sei,  ist  jedenfalls 
richtiger  als,  was  Paris  nach  Rajnas  Zeugnis  (S.  56)  an  diesen 
geschrieben  hat,  ich  sei  le  seul  vrai  ^ive  de  Diez,  Jeder  von 
uns  beiden  —  und  aufser  uns  würde  denn  doch  noch  an  manche 
andere  zu  denken  sein  —  hat  zwei  Semester  in  Bonn  studiert 
und  daselbst  neben  anderen  vortrefflichen  Männern  auch  Diez 
gehört,  ich  allerdings  insofern  im  Vorteil,  als  ich  die  Landes- 
sprache nicht  erst  zu  erlernen  brauchte,  vier  Jahre  älter  war, 
vier  Semester  akademischen  Studiums  an  meiner  Heimatuniversi- 
tät hinter  mir  und  Diezens  bis  dahin  erschienene  Werke  fleifsig 
durchgearbeitet  hatte.  Wie  mein  schon  damals  liebgewonnener 
Freund  den  Tasso,  so  habe  ich  ein  Semester  zuvor  Dante  durch 
Diez  erklären  hören,  schlicht  und  so,  wie  es  für  Schüler  ange- 
messen war,  die  sidi  meist  auf  der  Stufe  erster  Bekanntschaft 
mit  dem  Italienischen  befanden.  Daneben  habe  ich  seine  Vor- 
lesung über  Gotisch  gehört,  ein  Muster  besonnener  Auswahl  des 
Wichtigsten«  strenger  Ausschliefsung  alles  dessen,  was  die  Auf- 
merksamkeit von  der  Sache  ab  und  etwa  auf  den  Lehrer  hätte 
lenken  können,  immer  gleichmäfsig  vorbereitet,  ruhig  fortschrei- 
tend und  dabei  fesselnd  durch  das  unverkennbare,  wenngleich 
nie  zur  Schau  getragene  Interesse,  das  der  Gegenstand  für  den 
Lehrer  selbst  besafs.  Jede  Woche  einmal  durfte  ich  auf  eine 
Stunde  allein  zu  Diez  in  die  Wohnung  kommen  und  nach  eigener 
Wahl  dieses  oder  jenes  Stück  aus  Mahns  Werken  der  Trouba- 
dours übersetzen,  so  gut  ich  es  vermochte,  und  bin  dadurch, 
vielleicht  mehr  weil  ich  mich  zu  sorgsamer  Vorbereitung  ver- 
pflichtet fühlte,  als  durch  unmittelbare  Belehrung,  ohne  Zweifel 


Briefe  von  Gaston  Pam  an  Friedrich  Diez.  77 

ebenfSEÜls  gefordert  worden.  Diez  war  als  Lehrer  auch  im  münd- 
lichen Unterrichte  höher  zu  schätzen,  als  man  nach  6.  Paris' 
frühesten  Briefen  denken  möchte,  und  auch  er  würde  jenen  in 
dieser  Hinsicht  anders  beurteilt  haben,  hätte  er  ihn  völlig  ver- 
stehen können.  Aber  was  er  und  ich  an  Wissen,  an  Sicherheit 
im  Forschungsverfahren,  kurz  an  Erlernbarem  von  Diez  empfan- 
gen haben  mögen,  das  haben  wir,  denk'  ich,  mehr  aus  seinen 
Büchern  als  sonstwie  gewonnen,  und  gleiches  wird  so  ziemlich 
von  allen  denen  gelten,  die  neben  und  nach  ihm  romanische 
Philologie  gepflegt  haben  und  insofern  seine  Schüler  sind.  Den 
unauslöschlichen  Eindruck  einer  unendlichen  Güte,  einer  vollen 
Reinheit  und  höchsten  Adels  der  Gesinnung  konnte  wohl  nur 
persönlicher  Umgang  hinterlassen.  Dafs  in  dieser  Hinsicht 
G.  Paris  auf  den  Spuren  seines  Lehrers  gewandelt  ist,  bei  man- 
chen Verschiedenheiten  seines  Wesens,  das  wissen,  so  viele  ihn 
gekannt  haben;  dafs  man  mich  in  solchem  Zusammenhang  ein- 
mal aussi  un  4Uve  de  D.  nenne,  darf  ich  nicht  zu  hoffen 
wagen,  sonst  würde  ich  es  injQig  wünschen.  Einen  Versuch, 
Diezens  Persönlichkeit  zu  kennzeichnen,  habe  auch  ich  1894 
gemacht,  s.  Archiv  XGUI,  154. 


Paris,  ce  tS  janvier  1861  (l  18621). 
Monsieur, 

Je  V0U8  remercie  de  la  tr^-aimabl^  lettre  que  vous  avex  bien  voiUu 
repondre  ä  la  mienne,  et  de  Vamitie  que  vous  m*y  temoignex.  Tai  termine 
il  y  a  un  mois  entiron  le  travail  dont  je  vous  ai  parle;  ü  va  passer  ä 
VEcole  des  Charles y  ou  je  le  soutiens  cofnme  thkse,  lundi  prochaitif  et  je 
eompte  le  livrer  aussitöt  ä  V impression.  J'esp^e  que  vous  y  trouverex 
quelqite  interet  et  que  vous  ne  serex  pas  humilie  de  voir  votre  fwm  sur  la 
premiere  page.  Vous  me  pardonnerex  aussi  de  me  trouver  sur  quelques 
points  en  desaccord  avec  vous;  je  pense  que  vous  serex  de  mon  avis  sur  un 
ou  deux  petits  details,  et  specialement  sur  ce  que  je  dis  des  parfaits  forts 
et  faibles  et  des  formes  anormales  eomme  nourresimes,  ehotsisistes  etc. 
Je  me  permeitrai  de  vous  signaler  d'avmice  une  Etymologie  qui  m'est  venue 
en  tele,  et  qui  me  parait  assex  heu/reuscy  c'est  celle  de  der v er,  Votre  tr^- 
ingenieuse  explicatumy  dissipare,  me  semble  avoir  ete  rifutee  avee  assex 
de  justesse  par  Oachet;  outre  les  raisons  qu'il  donne,  ne  pensex-vous  pas 
que  desver  est  un  adoucissement  de  derver  et  que  cette  demihre  forme 
est  la  plus  aneienne?  U Etymologie  que  Oachet  substitue  ä  la  votre  est 
cerfainement  inadmissible;  pour  mai  je  crois  que  derver  vient  de  dero- 
gare^  et  la  eomparaison  apec  corrogata  =  corvee  et  interrogare  = 
enterver  m'a  paru  donner  une  bien  grande  vraisemblanee  a  mon  opinionj 
que  je  vous  soumets.  Puisque  je  vous  parle  d' etymologies,  eroyex-vous  pos- 
sible  que  ealfar,  chauffer,  viennent  de  calefacere?  Ce  verbe  n'aurait- 
ü  pas  donne  chauf faire?  et  la  conjugaison  ne  serait-elle  pas  tout  autre? 
Je  pense  que  ce  verbe  vient  du  bas-latin  caleficarCy  qu'on  trouve  dans 
du  Gange.  —  Nobile,  forme  de  noble  freqwente  da^is  les  chatisons  de  geste, 
m'a  paru  etre,  non  pas  un  deplacement  de  l'a^cent  qui  serait  sans  analogic 
et  sans  vraisemblance,  mais  tm  derive  de  nobilis,  derive  qui  aurait  ete 


79  Briefe  Von  Gaston  Paris  an  Friedriöh  DiezI 

en  b,  L  nobilieus  ou  nobilius;  jeti  ai  vu  une  preuve  dana  la  ehaiuon 
de  Eolandy  qwi  ecrit  tot^ours  nobilie. 

Je  vaus  ieris  surtatU,  Monaieury  pour  vou8  dema/nder  la  permission 
^ctceoler  nos  deux  noms  sur  la  premiere  page  d*im  travaü  queje  vais  faire. 
M.  Heroldf  qui  dirige  achtellement  la  Itbratrie  Franckj  ä  Paris,  vaulant 
danner  ä  cette  nunson  une  direction  sp^dalement  pküologique,  a  Vintention 
de  publier  une  serie  d'opuscules  de  linguistique,  Tai  oru,  ainsi  que  lui, 
que  rien  ne  pourrait  mieux  recommander  ces  puhlieaUons  que  si  elÜ^  debu- 
taient  par  quelque  chose  de  vous,  et  ü  a  ete  convenu  qus  je  lui  traduirais 
V  IntrodueUon  de  la  Orammaire  des  Langues  Rotnanes  (V,  I,  p,  1 — 132). 
Je  Vai  asstirS  que  vous  verriex  ce  Iravaü  avee  plaisir,  et  il  espbre  que  de 
son  cötS  M.  WeieTy  ä  qtd  il  va  en  icrire  d'ici  ä  quelques  jours,  n'y  mettra 
pas  d'opposition.  Pour  moi  ce  sera  un  grand  plaisir  de  contribuer  ä  faire 
connattre  en  IVance  vos  tranaux  et  votre  noni  et  de  payer  ainsi  auta/nt 
qu'il  est  en  moi  la  dette  que  fai  contractee  envers  vos  ouvrages,  ou,  fai 
puise  tout  le  peu  de  science  que  je  puis  avoir.  Je  vou>s  serai  oblige,  si  ce 
projet  a  votre  approbation,  de  vouloir  bien  7n*envoyer  une  reponse  lä^essus. 

Je  vais  envoyer  au  Jahrbuch  de  Ebert  une  epltre  forde  pour  le  jour 
de  S.  Etienne,  dont  les  deux  premihres  strophes  Staient  seules  eonnues:  ü  y 
en  a  douxe.  Elle  est  du  commeneernefit  du  XII^  siede,  et  offre  quelques 
particülarites  philologiques  assex  interessantes.  Je  la  erois  Scrite  en  Tou- 
raine;  eile  offre  un  rnelange  de  formes  normandes  ei  bourguignonnes  qui 
indique  un  pays  oü  les  deux  dialeetes  se  rencontraient.  Ty  ai  vu  des  for- 
mes que  je  n'ai  rencontrees  nulle  part,  comme  es  cot  et,  seet,  avet  ä  la 
2' pers.  plur.  de  Vindicatif  pr^ent,  haierent,  baterent  ä  la  Supers, 
plur.  du  parfait.    Je  crois  que  M.  Ebert  la  publiera  volontiers. 

Mon  ph-e  a  etS  bien  sensible  ä  votre  bim  souvenir,  Monsieur)  ü  nie 
prifi  de  (se)  vous  rappeler  Vaffection  qu'il  a  pour  vous  et  l'estime  qu'il  fait 
de  votre  mSrite.  Paul  Meyer  nie  prie  de  voua  dire  qu*il  est  Vauteur  d'un 
petit  article  public  dans  la  Ghronique  de  la  Bibliotheque  de  VEcole  des 
Charles  sur  votre  nouvelle  edition^  c*est  aussi  un  de  vos  admirateurs  con- 
vaincus. 

Pour  mal,  Motisieur,  ce  n'est  pas  seulenwnt  parmi  vos  disciples,  mais 
bien  pamii  vos  amis,  que  je  me  ränge,  et  c'est  ä  ce  titre  que  je  vous  prie 
d*agreer  Vexpression  de  nia  respectueuse  et  sintere  a/fe^ioti. 

Gaston  Paris 
10,  place  royale. 

Die  Jahreszahl  1861  im  Datum  des  Briefes  ist  irrtümlich 
und  mit  1862  zu  vertauscheD.  Der  avant-propos  der  zu  Anfang 
als  vor  einem  Monat  zum  Abschlufs  gebracht  erwähnten  Arbeit 
trägt  das  Datum  des  29.  Januar  1862.  —  Die  von  G.  Paris  in  der 
Schrift  über  den  Akzent  S.  74  gegebene  und  nachmals  auch  von 
Chabaneau  (1868)  gutgeheifsene  Erklärung  der  Perfektendungen 
-esiB,  -esimes,  -eststes  bei  inchoativen  Verben  aus  Nachbildung 
starker  Perfekta  hat  Diez  merkwürdigerweise  in  der  dritten  Auf- 
lage der  Grammatik  niclit  angenommen  und  doch  auch  in  seiner 
Rezension  nicht  angefochten;  heute  wird  sie  wohl  von  niemand 
angezweifelt.  Warum  Diez  die  etymologischen  Deutungen  seines 
Schülers  von  derver  S.  83,  chauffer  S.  39  ablehnte,  hat  er  im 
Etymol.  Wb.  ausgesprochen. 

Die  hier  erwähnte  Übersetzung  der  ersten  132  Seiten  der 
Grammatik   der  Romanischen  Sprachen  ist  wohl   unmittelbar 


Briefe  tod  Oaston  Paris  an  Friedrich  Dies^.  79 

nach  des  Verfassers  Gutheüsung  in  Angriiff  genommen  worden; 
erschienen  ist  sie  erst  1863;  es  ist  von  ihr  in  den  späteren 
Briefen  noch  öfter  die  Bede. 

Die  EpUre  farcie,  die  G.  Paris  im  Alexius  S.  130  Anm.  2 
etwas  später  ansetzt,  ist  noch  1862  im  vierten  Bande  des  Jahr- 
buchs S.  311  ff.  gedruckt  worden,  seitdem  öfter  wieder,  bei 
Stengel,  Attsg.  u.  Abh,  I  (1882),  Foerster  u.  Koschwitz,  Übwagsb, 
(1884),  Bartsch,  Langue  et  litUr.  (1887)  usw.;  s.  Gröber  in  sei- 
nem Qrundrifs  IIa  478. 

Der  erwähnte  Artikel  von  P.  Meyer  füllt  die  Hälfte  der 
Seite  77  in  der  Biblioth.  de  VEcole  des  Chartes  von  1862  und 
bespricht  den  ersten  Band  der  zweiten  Ausgabe  des  Etymolog. 
Wörterbuches.  Der  Rezensent  rühmt,  dafs  die  seit  der  ersten 
Ausgabe  ans  Licht  getretene  etymologische  Literatur  fleifsig  ver- 
wertet sei,  begriÜst  mit  Freuden  auch  die  Benutzung  der  in  der 
Zwischenzeit  erschienenen  Bände  der  Anciens  Pontes  de  la  France 
und  äufsert  seine  Befriedigung  darüber,  dafs  in  kaum  zehn 
Jahren  eine  zweite  Auflage  des  trefflichen  Werkes  nötig  gewor- 
den sei;  er  hofft,  dafs  Frankreich  recht  viel  dazu  beigetragen  habe. 


Pari»,  ce  mereredi  24  mai  [l862], 
Monsieury 

Vaus  recevrex  sans  doute  ä  peu  pr^  en  meme  temps  que  eette  lettre 
qu€itre  exemplaires  de  nuyn  Etüde  sur  le  Rdle  de  l'accent  latin;  je 
raus  serai  fort  abligi  si  vaus  votdex  bien  en  offrir  un  de  ma  pari  ä  M.  Delms 
et  un  autre  ä  M,  Monnard.  Jfespdre  que  vous  ne  trouverex  pas  cet  essai 
iout-ä'fait  indigne  de  Villtistre  patronnage  sotis  lequel  ü  s'est  place  et  qtie 
TOU8  y  retrouverex  avec  plaisir  la  plupart  de  vos  idees  et  avee  indtügence 
quelques  objedions.  Je  ne  puis  vaus  dire  combien  je  serais  heureux  8*ü 
Tims  etait  possible  d'en  dire  un  mot  dans  un  Journal  allemandf  et  plus 
particulikrement  dans  le  Jahrbuch  de  Ebert;  mais  je  n'ose  me  flatter  de 
Vtspoir  que  vous  trouviex  le  loisir  de  vous  en  oceuper. 

La  iraduction  de  V Introduktion  ä  la  Orammaire  des  Langues  romanes 
est  aehevee;  eile  cammencera  ä  s'imprimer  dM  que  M.  Herold,  le  successeur 
de  Franck,  sera  revenu  d'Allemagney  oü  il  est  en  ce  moment.  Xy  ferai 
moi-^meme  une  hUroduction  oü  je  m' efforcerai  peut^etre  d'etablir  la  pari 
que  vous  avex  dans  la  creation  de  la  philologie  roma/ne  et  la  vaieur  de  vos 
divers  travaux.  Peut-Ure  aussi  nie  bomerai-je  ä  une  courte  notice  sur  le 
livre  et  rauieur;  cela  dependra  du  temps  que  j'aurai. 

J'en  ai  pour  le  moment  fort  peu,  et  c'est  ce  qui  me  fait  vous  prier, 
Monsieur,  d'exetiser  l'extreme  brihvete  de  cette  lettre.  Je  vous  eerirai  dans 
qudque  temps  povar  vous  defmander  divers  petits  edaircissements  sur  quel- 
ques points  qui  m'ont  embarrasse  dans  ma  traduction.  Je  suis,  Monsieur, 
c^fec  les  sentiments  de  la  plus  vive  et  respeciueuse  affection 

Votre  bien  devoue  serviteur 
O  Paris 

Man  pbre  me  eharge  de  tous  ses  compliments  pour  vous. 

Von  Beziehung,  in  die  G.  Paris  schon  als  Student  zu  Nico« 
laus  Delius  (geb.  1813,  gest.  1888)  getreten  wäre,  ist  mir  nichts 


so  Briefe  von  Gaston  Paris  an  Friedrich  Diee. 

bekannt.  In  dem  Nachruf,  den  er  ihm  in  der  Romania  XVlll, 
337  gewidmet  hat,  heifst  es:  il  y  a  32  ans,  quand  cdui  qui 
4crit  ces  lignea  suivait  les  cov/rs  de  Vuniversiti  de  Bonn,  es 
n'Stait  paa  Diez  —  choee  qui  aurprend  aufourd'hui  —  qui 
enseignait  la  grammaire  romane,  Diez  faiaait  un  eour$ 
public,  —  peu  auivi  — ,  de  philologie  germanique,  un  coura 
prif>£  dana  cequel  il  expliquait  un  texte  allemand,  et  un  pri- 
vatiaaimum  Ott  on  liaait  la  Qeruaalemme  liberata;  maia  Ddiua 
faiaait  quatre  legona  par  aemaine  aur  la  grammaire  comparie 
dea  languea  romanea.  On  ne  peut  paa  dire  qu'il  exergdt  une 
grande  action  aur  aea  auditeura,  ni  qu'ü  expoaät  dea  iddea 
tria  originalea,  maia  il  poaa4dait  bien  aon  aujet  et  ü  le  trai- 
tait  avec  une  grande  conacience.  Er  gedenkt  dann  der  Arbeiten 
des  Gelehrten  und  seiner  liebenswerten  Persönlichkeit.  DaTs  er 
ihn  selbst  gehört  hätte,  glaube  ich  nicht.  In  dem  Briefe  vom 
17.  Juni  1870  ist  von  einem  kurz  zuvor  erfolgten  Besuche  Delius' 
in  Paris  die  Bede. 

Auch  mit  dem  trefflichen  Charles  Monnard  (geb.  1790,  gest 
1865)  hat  Paris,  glaube  ich,  nicht  in  engerer  Verbindung  ge- 
standen. Seine  Vorlesungen  bezogen  sich  vorzüglich  auf  die 
französische  Literatur  des  17.  Jahrhunderts;  und  der  von  ihm 
veranstalteten  Übungen  im  Sprechen  und  Schreiben  des  Fran- 
zösischen, in  denen  willige  Schüler  wohl  Förderung  finden  konn- 
ten, und  an  denen  ich  mich  gern  beteiligte,  bedurfte  der  junge 
Franzose  nicht.  Doch  könnte  wohl  sein,  dafs  die  Studenten  aus 
der  französischen  Schweiz,  mit  denen  wir  beide  viel  verkehrten, 
Paris  wohl  mehr,  als  für  sein  Erlernen  des  Deutschen  zuträgUch 
war,  ihn  mit  dem  von  ihnen  wie  billig  hochverehrten  Lands- 
mann in  Verbindung  gebracht  hätten.  Im  Jahre  1862  erschien 
übrigens  Monnards  Chreatomathie  dea  proaateura  frangaia  du 
XIV*  au  XVI*  ai^de  avec  une  grammaire  et  un  lexique  de  la 
langue  de  cette  pdriode,  une  hiatoire  abr4g4e  de  la  langue 
franqaiae  depuia  aon  origine  juaqu'au  commencement  du  XVII* 
ai^cle  et  dea  conaidSrationa  aur  V4tude  du  meux  frangaia, 
Genf  1862.  Was  ich  über  das  Buch  gesagt  habe  (Neuea  achweiz. 
Museum  II,  287 — 295),  deucht  mich  nicht  unbillig,  doch  hätte 
es  auszusprechen  einem  anderen  vielleicht  besser  angestanden 
als  mir,  der  ich  erst  sechs  Jahre  zuvor  Monnards  Schüler  ge- 
wesen war  und  immer  noch  manches  von  ihm  lernen  konnte, 
wenn  auch  nicht  gerade  Altfranzösisch.  Aber  Rezensenten  für 
derartige  Bücher  waren  damals  noch  nicht  so  leicht  zu  finden  wie 
später,  und  ich  konnte  mich  der  Aufgabe  nicht  leicht  entziehen. 

Die  gewünschte  Besprechung  von  Paris*  Schiift  über  den 
Akzent  hat  Diez  1864  im  fünften  Bande  des  Jahrbucha  er^ 
scheinen  lassen;  sie  ist  dann  wieder  gedruckt  in  der  von  Brey- 
mann    besorgten    Sammlung    von    Diez'    Kleineren    Schriftes^ 


Briefe  Yon  Gasl»!!  Paris  tax  Friedrich  biek.  81 

S.  197—205  (1883).  Sie  enthält  einige  wohlbegriindete  Ein- 
wendungen gegen  das  vom  Verfasser  Vorgetragene,  daneben  aber 
yiel  Anerkennendes.  Paris  spricht  seinen  Dank  aus  in  den 
Briefen  yom  22.  März  1864  und  vom  8.  Juli  1866. 

Die  Vorrede  des  Übersetzers  zu  Diezens  Einleitung  ist  kurz 
ausgefallen;  warum,  erfährt  man  aus  dem  Briefe  vom  8.  Sep- 
tember 1862.  Die  folgenden  Briefe  kommen  noch  öfter  auf  sie 
zurück.  Dagegen  ist  die  Bitte  um  Aufklärung  über  zwei,  wie 
es  scheint,  Paris  nicht  recht  verständlich  gewordene  Einzelheiten 
auch  später  nicht  ausgesprochen. 


Ce  8  iepttmhM  186t, 
Monsieur, 

La  traduetum  de  votre  Introditetum  8*vrnprime  ra/pidement  et  aera  sans 
dot*te  publiie  le  moie  procha4n.  Ucmnonce  de  la  publication  de  M.  Sckeler 
ne  m'a  pas  dSoouragS,  parce  que  faurai  d'abord  l'avantage  de  le  privenir^ 
et  ensuite  parce  que  V introductiony  plus  gSnSrale  et  plus  restremte,  trouvera 
Sana  doute  un  ptiblie  plus  considerable,  Ce  qui  me  pe4ne  seulement,  e'est 
que  mon  Sditeur  a  naiurellement  desiri  que  je  ne  misse  plus  de  retard  ä  la 
ptiblicatüm,  ee  'qui  m'empeche  de  faire  une  priface  a/ussi  considerable  que 
je  Vaurais  voulu.  Jusqu'ä  la  fm  d^aaüt,  des  eocamens  juridiques  tr^- 
elra/ngers  ä  la  phüologie  ont  compUtement  absorbS  mon  temps;  et  mainte- 
nant  je  suis  dans  un  vülage  ou  ü  m*est  impossible  c^avoir  les  livres  dont 
faurais  besoin.  Je  dms  done  renoneer  ä  faire,  commefen  avais  Vinten- 
tion,  une  Sittde  approfondie  de  la  phüologie  eomparSe  des  lanques  romanes 
teile  qu'dle  s'est  oreie,  princvpalement  pa/r  vous,  depuis  trente  ans  en  Alle- 
magne,  et  de  la  rattacher  ä  la  direetion  generale  des  trava/ux  kistoriques 
et  pküologiques  cUlemands.  Je  voitdrais  eompenser  ce  qui  me  manquera, 
—  itemt  obligi  de  travailler  id  loin  de  toute  espece  de  matSriaux,  —  par 
quelques  ditails  sur  vos  ouvrages,  votre  personnalitS  et  votre  influence.  Jai 
lu  quelque  part  que  e'etait  öoethe  qui  vous  avait  vndiqtd  la  voie  que  vous 
avex  si  glorieusement  suivie;  pourrais-je  vous  demander  de  me  dire  ce  qui 
en  est?  En  un  mot,  et  pour  vous  dire  elairement  Vobjet  de  ma  lettre,  fai 
pense  que  ce  ne  serait  pas  trop  prisumer  de  votre  bienveülance  four  moi 
et  pour  une  tentative  qui  a  eu,  —  quand  je  Vai  conptie  au  moins,  —  le 
meriie  d'etre  la  premihre  de  ce  genre,  que  de  vous  demander  quelques  dStails 
sur  Vesprit  gSniral  de  vos  travaux  et  les  idees  qui  vous  ont  amene  ä  les 
faire  et  vous  ont  guidi(s)  dans  leur  accomplissement.  Ce  sera  donner  ä 
mon  essai  une  valeur  que  je  ne  puis  lui  cUmner  moi-mime:  cor  vous  me 
flattex  bien  en  me  disant  que  votts  attendex  de  moi  des  notes  et  des  criti- 
ques,  A  peine  trouverex-vous  quatre  ou  dnq  obseroations  tr^-insignifiantes 
sur  des  details.  (fest  dans  la  PrSface  que  je  comptais  me  developper  ä 
mon  aise,  et  c'est  encore  lä  que  grdce  ä  vous  j*esphre  mettre  tout  le  nUrite 
de  ee  qui  m'est  personnel  dcms  ce  travail. 

Pardonnex-^moi  de  vous  importuner  de  la  sorte;  vous  m'avex  tottjours 
temoigne  tont  de  bon  votUoir  et  d'amitie  que  j'ai  cru  pouvoir  me  permettre 
cette  demande,  et  que  fai  l'espoir  que  vous  me  V  accorderex. 

Je  vous  en  remerde  par  avance,  et  je  vous  supplie  bien  de  me  croire 
avec  autant  d*affection  que  de  respect,  Monsieur  et  cker  mattre 

Votre  tout  devoui  disciple  et  ami, 
G  Paris 

Mon  ph'e  se  rappelle  ä  votre  bon  souvenir.  —  Ecrivexrmoi,  je  vous  prie, 
ä  cette  adresse:  ä  Avenay  —  par  Ai  (Marne), 

AxfMf  f.  n.  SpiMben.    CXY.  6 


B2  Briefe  von  Graston  Paris  an  Friedrich  Diez. 

Das  Erscheinen  der  übersetzten  Einleitung  hat  sich  doch 
wohl  etwas  weiter  hinausgezogen,  als  Paris  gedacht  hatte.  Wenig- 
stens bedankt  sich  Diez  erst  am  26.  März  1863  aus  Bonn  für 
ein  schön  gebundenes  und  mehrere  geheftete  Exemplare  des 
kleinen  Buches.    In  dem  nämlichen  Briefe  liest  man: 

'Von  Hm.  P.  Meyer  habe  ich  einen  freundlichen  Brief  erhalten: 
Seine  Arbeiten  intereeaieren  mich  ungemein.  Seine  fij*itik,  deren  Leetüre 
ich  noch  aufschieben  mufs,  wird  gewifs  recht  schöne  Beiträge  und  Berich- 
tigungen enthalten.  Ich  würde  sie  später  in  einem  Supplanent  zur  Boman. 
Gramm,  mit  Dank  benutzen.  Wenn  Sie  mir,  theurer  Freund,  dnmal 
schreiben,  so  bitte  ich,  mir  bemerken  zu  wollen,  aus  welcher  Gegend  von 
Frankreich  und  aus  welchem  Orte  Hr.  M.  ist.' 

Inzwischen  aber  hatte  Scheler  sich  mit  folgendem  Briefe 
an  Diez  gewandt: 

BrOsael,  den  10.  Mai  1S62. 
Hochgeehrtester  Herr  und  Meister, 

Ich  trage  mich  seit  längerer  Zeit  mit  dem  Plane  herum,  Ihre  roma- 
nische Grammatik  für  das  französische  Publikum  zu  bearbeiten.  Diese 
Arbeit  entspricht  einem  wirklichen  Bedürfnisse  und  würde  sich,  wie  mir 
dünkt,  lohnen.  Ich.  habe  mich  neulich  deisfalls  an  Didot  in  Paris  ge- 
wendet; derselbe  würde  wohl  den  Verlag  gerne  übernehmen,  wenn  augen- 
blicklich das  wissenschaftliche  Interesse  nicht  gar  so  abgestumpft  wäre. 
Er  bemerkt  dazu,  dafis  der  Absatz  in  Frankreich  200  Exempl.  kaum  über- 
steigen würde.  Da  ich  berechnet  habe,  daiJs  circa  250  feste  Abonnenten 
die  Herstellungskosten  decken,  und  ich  nicht  verzweifle,  im  nichtdeutschen 
Europa  diese  Zahl  aufzutreiben,  vorzüglich  mir  schmeichle,  dafs  Didot, 
der  500  Ex.  meines  Dictionnaire  ang^auft,  wohl  etwa  150  Ex.  Ihrer 
Grammatik  übernehmen  würde,  glaube  ich  den  Gedanken  noch  nicht  auf- 
geben, im  Gegentheil  die  Ausf  ühning  desselben  um  so  ernstlicher  betreiben 
zu  müssen. 

DalB  ich  mich  aber  der  Aufgabe  nicht  unterziehen  will,  ohne  die  Be- 
jhiedißung  zu  haben,  da&  ich  es  mit  Ihrer  Einwilligung  und  unter  Ihren 
Anspielen  thue,  brauche  ich  Ihnen  nicht  zu  versichern. 

Die  Franzosen  müssen  endlich  in  die  offen  gelegten  Geheimnisse  dex 
neueren  Sprachwissenschaft  gewaltsam  eingewcdbt  und  zur  gerechten  Wür- 
digung der  deutschen  Forschung  und  besonders  Ihrer  honen  Verdienste 
getrieben  werden. 

Mein  Freund  Grandgagna^e  ermuthigt  mich  ganz  besonders  zur  Ver- 
wirklichung meines  Planes,  u.  ich  glaube,  daia,  nach  Eintreffen  Ihrer  Zu- 
sage, ich  die  besagte  Üebersetzung  in  den  Vordergrund  meiner  literarischen 
Arbeiten  schieben  werde. 

In  der  Erwartung  Ihrer  freundlichen  Antwort  und  mit  der  Versiche- 
rung der  aufrichtigsten  Hingebung  j^  ergebenster  Schüler 

Dr.  Aug.  Scheler, 
Bibliothekar  des  Königs. 

Diez  scheint,  da  ja  Paris  die  Absicht,  das  ganze  Werk  zu 
übertragen,  nie  geäufsert  hatte,  seine  Zustimmung  gegeben  und 
Scheler  daraufhin  eine  vorläufige  Anzeige  seines  Unternehmens 
veröflfentlicht  zu  haben;  von  einem  davon  offenbar  verschiedenen 
förmlichen  prospectus  Schelers  spricht  Paris  in  dem  undatierten 
Briefe  vom  Sommer  1863. 


Briefe  yon  Oaaton  Paris  an  Friedricli  TD^ez.  8S 

Die  juristischen  Prüfungen,  denen  er  sich  zunächst  zu  unter* 
werfen  hatte»  sind  die,  in  denen  er  den  Grad  eines  ZtcdnctV  en 
droit  erwarb;  die  Thesen,  die  er  bei  diesem  Anlafs  am  28.  August 
1862  verteidigte,  sind  die  beiden  bei  Jouaust  in  diesem  Jahro 
gedruckten  De  tutda  und  De  la  tuteile,  die  man  in  der  Biblio- 
graphie des  travaux  de  (?.  Paris  p,  p,  J.  Bddier  et  M,  Roques 
unter  Nummer  1195  findet 

Das  Dorf  Avenay,  etwa  20  Kilometer  von  Reims,  war  der 
Geburtsort  des  Vaters  und  des  Sohnes,  und  da  pflegte  der 
Sohn  seine  Ferien  zu  verbringen;  siehe  darüber  in  der  Schrift 
von  Rajna  S.  49  Anm.  4  und  5.  Dafs  der  Vater  während  des 
Krieges  1871  sich  inmitten  deutscher  Truppen  dort  aufhielt, 
ohne  von  ihnen  zu  leiden,  wird  man  dem  Briefe  des  Sohnes  vom 
7.  Mai  1872  glauben  dürfen  oder  müssen. 

Dals  Diez  sich  nicht  in  umfänglichen  Darlegungen  über 
seine  Persönlichkeit,  seine  Werke,  seinen  Einflufs,  über  die  Ge- 
danken auslassen  würde,  die  ihn  bei  seinen  Arbeiten  geleitet 
hätten,  war  zu  erwarten;  doch  hat  er  die  dringende  Bitte  seines 
jungen  Freundes  auch  nicht  ganz  unerfüllt  lassen  wollen,  und 
in  der  Vorrede  zu  der  Übersetzung  findet  man  zwei  kurze 
Stellen,  die  Paris  als  von  Diez  herrührend  bezeichnet:  ^Ce  qui 
m'a  poused  ä  entreprendre  mes  travaux  philologiquee  et  ce 
qui  m'a  guid4  dane  leur  ex4cution,  c'est  uniquement  Vexemple 
de  Jacob  Grimm.  Appliquer  aux  langues  romanee  ea  gram- 
maire  et  sa  mithode,  tel  fut  le  but  que  je  me  propoeai.  Bien 
entendu,  je  n^ai  proc£d4  ä  cette  application  qu^avec  une  cer- 
taine  libertd^  (S.  XVI);  und  '8i  je  pouvais  suivre  mon  goüt, 
je  voudrais  mettre  tout  ä  fait  de  c6t4  lea  dtudee  grammati- 
edles,  et  m'occuper  plutöt  d'histoire  litt^raire;  mais  il  n'est 
pas  facile  de  se  retirer  d'un  champ  oil  on  a  travaüld  tant 
d'annieff  (S.^  XVIII).  Gleich  darauf  führt  Paris  (S.  XIX)  eme 
schriftliche  Äufserung  seines  Lehrers  an,  die  dieser  aus  Anlafs 
einer  Meinungsverschiedenheit  über  eine  grammatische  Einzelheit 
getan  habe;  man  könnte  dabei  an  die  in  dem  Briefe  vom  14.  Mai 
1862  in  Aussicht  gestellte  Bitte  um  Aufklärung  über  einige 
Punkte  denken,  wenn  nicht  jener  Brief  aus  dem  gleichen  Jahre 
stammte  wie  die  im  Oktober  1862  geschriebene  Vorrede,  in  der 
es  heiüst:  ^Etudiant,  Vannie  derniire,  un  point  sur  lequel 
je  me  trouvais  un  peu  en  dSsaccord  avec  sa  grammaire,  je  lui 
4crivis  pour  lui  demander  son  avis;  et  je  regus  cette  r^ponse : 
Voici  mon  conseil,  mon  eher  ami,  Si  vous  etes  en  doute  de 
ce  que  j'avance,  suivez  votre  inspiration  et  n'allez  pas  surfaire 
une  atUorit^  itrangire,  Nous  nous  trompons  tous,  et  les  vieilles 
gens  sont  spicialement  sujets  ä  ce  defaut  de  se  tenir  attaches 
ä  une  id£e  ä  laqudle  ils  se  sont  accoutumes.  La  jeunesse  est 
plus  mve  et  plus  libre;  eile  trouve  souvent  ce  qui  nous  Schappe. 

6* 


84  Briefe  von  Oaston  Paris  an  Friedrich  Biez. 

Si  V0U8  me  dScouvrez  des  fautes,  ditea-le  sans  h^siter^  je  vous 


en  remercterau' 


Wo  schon  vor  1862  etwas  über  den  folgenreichen  Besuch 
Diezens  bei  Goethe  zu  lesen  gewesen  sein  mag^  weiüs  ich  nicht. 
Später  ist  er  oft  erwähnt  worden.  Da  Diez  auf  den  Brief  vom 
8.  September  noch  vor  dem  Abschlufs  der  pr4face  geantwortet 
hat  und  in  dieser  S.  XIY  erzählt  ist,  wie  Diez  in  Jena  durch 
Goethe  auf  Raynouards  Arbeiten  hingewiesen  worden  sei,  so  ist 
an  der  Tatsache  nicht  zu  zweifeln. 

Die  Bemerkungen  des  Übersetzers  zu  dem  in  der  Vorlage 
Enthaltenen  sind  in  der  Tat  weder  zahlreich  (etwa  fünfzehn) 
noch  von  sonderlichem  Belang;  Diez  hat  denn  auch  später  nichts 
davon  in  die  dritte  Ausgabe  der  Grammatik  herübergenommen, 
obgleich  er  in  einem  Briefe  an  Paris  vom  6.  August  1863  freund- 
lich urteilt:  'Ihre  Noten  zur  Introduction  sind  kurz,  aber  tref- 
fend und  niemals  überflüssig.'  Er  hatte  damals,  da  die  Über- 
setzung der  Einleitung  in  die  nun  beabsichtigte  Übertragung 
der  gesamten  Grammatik  übergehen  sollte,  jene  genau  durch- 
gesehen und  eine  sehr  beträchtUche  Zahl  von  Druckfehlern  darin 
gefunden,  auf  die  er  nun  aufmerksam  machte,  damit  sie  in  dem 
neuen  Druck  nicht  wiederholt  würden.  S.  147,  wo  der  Über- 
setzer übrigens  ein  paar  nicht  unwesentliche  Zeilen  des  Ori- 
ginals (über  den  Leodegar)  vermissen  läfst,  hatte  er,  während 
Diez  1856  dies  mitzuteilen  versäumt  hatte,  angegeben,  Passion 
und  Leodegar  seien  seit  1852  von  diesem  herausgegeben.  Diez 
hat  nicht  einmal  von  diesem  kleinen  Nachtrage  Gebrauch  ge- 
macht 


Monsieur  et  eher  maitre, 

Votts  devex  etre  surpris  de  man  long  silence,  et  hien  que  fen  sois  un 
peu  cotipablej  vous  me  feriex  tort  de  Vattribuer  uyiiqtwment  ä  ma  negligence. 
J'etais  en  Italien  ou  je  mens  de  faire  un  fort  agreable  voyaye,  quand  votre 
lettre  est  arrivee  ä  Paris,  et  je  ne  stiis  de  retour  que  depuis  assex  peu  de 
temps.  Tespere  que  vous  avex  pa^se  keurettsetnent  le  temps  qui  s'est  ecoule 
depuis  que  j'ai  eu  de  dos  nouvelleSj  et  que  vous  etes  ocoupe  de  quelque  ira^ 
vail  agrcable  pour  vous  et  utile  pour  nous  autres.  Pour  vioi,  je  n'ai  pa-s 
beaucoup  travaille  cette  annee,  et  j'ai  besoin  de  rattraper  le  temps  perdu 
par  un  effort  rigoureux  cet  hiver.  Je  m' ocoupe  pour  le  moment  d'un  trarail 
d'histoire  litteraire  qui  me  prendra  bi-en  du  temps  et  que  j'ai  du  reste  com- 
mence  depuis  plusieurs  7nois,  J'espP,re  qu'il  vous  offrira  de  l'interet:  c'est 
VHistoire  poetique  de  Charlemagne,  Si  vous  eonnaissiex  sur  ce  sujet  quelque 
dooumeut  qui  ait  echappe  ä  Bartsch  et  aux  autres  chercheurs,  ou  si  vous 
am'ex  vous-meme  quelque  renseignement  interessant,  vous  savex  que  je  rece- 
vrais  vos  ifidications  aveo  la  plus  grande  recotmaissanee. 

Mais  pour  parier  de  cfwses  qui  vous  interessent  plus  directemefit,  vous 

avex  Sans  douie  appris  que  la  grande  affaire  de  la  traduction  de  la  Oram- 

matre  est  decidement  en  bonne  voie.     II  a  ete  convenu  que  M.  Scheler  en- 

verrait  sa  traduction   icij   que  je  reverrais  les  epreuves  et  ä  l'occasion  que 

je  pourrais  ehanger  ou  annoter,  et  que  le  toiU  serait  imprime  ohex  Herold, 


Briefe  yon  Gaston  Paris  an  Friedrich  Diex.  85 

Voknable  et  intelligent  edifetir  de  VIntroduction.  Vbus  dormeriex  ä  eette 
enireprise  une  raleur  bien  grande^  eher  Monsieur,  si  vous  aviex  qudqvs 
additian  ou  qtidque  changemefit  ä  notis  envoyer;  cependcmt  la  demihre 
edition  est  si  recenie  que  votts  ne  devex  gubre  avoir  de  modifications  ä  y 
faire.  Mais  ee  gm  je  vous  demanderai  instammentf  c'est  de  me  commu- 
niquer  les  observations  que  vous  avex  pü  faire  sur^V  Introduction,  qui 
Pflf  reparaitre  dans  l'ensemble  de  Vouvrage;  je  connais  d^'ä  par  un  artiele 
de  Mussafia  un  lourd  eontre-sens  (die  längste  Grenze  =  qui  fut  le  plus 
longtemps  la  fronti^e):  fai  peur  qu'il  n'y  en  ait  eneore  d'autreSf  et  je 
campte  sur  vous  pour  me  sig?ialer  toutes  les  fautes  que  vous  avex  remar- 
quies  fant  datis  le  texte  que  dans  les  quelgues  notes.  La  Preface  sera  con- 
siderabletnefit  changesy  tout  en  resta/nt  ä  peu  pres  dans  le  mefne  ton,  mais 
arcc  un  peu  plus  de  details  sur  l'ensemble  de  votre  methode  et  des  resultats 
que  Tous  avex  inebranlablement  etablis.  Votis  pensex  que  pour  tout  cela 
rotrc  eoncours  sera  le  bien-venu;  je  voudrais  que  la  traduetimi  füt  digne 
du  livre;  j'esph'e  que  notre  entreprise  reussira  bien.  Au  moins  VIntro- 
duction se  vefid-elle  bien  et  a-t-elle  dejä  assex  hien  prepare  le  terrain. 

Je  viens  de  recevoir  le  prospeetus  de  M,  Seheier  pour  la  traductian 
qu'il  preparait  ä  lui  seul  Van  dernier;  il  penae  qu'on  pourrait  Vutiliser 
pour  la  nauvelle.  Je  suppose  que  vous  Varex  vu.  Pour  moij  je  crois  qu'il 
raudrait  mieux  en  faire  un  autre.  D'abord  le  style  de  M.  Seheier  est  lourd 
et  un  peu  embarrasse;  puis  il  parle  de  ses  peines  et  de  ses  sacrifioes 
ee  qui  est  d* assex  maurais  gout  ä  mon  sens  et  ce  que  je  ne  voudrais  pas 
prendre  pour  moi.  II  y  a  beaucoup  de  petites  observations  de  ce  genre  qui 
me  feraient  refeter  ce  prospecttts.  En  outre,  il  iniitide  votre  livre:  Expose 
de  la  Formation  et  de  la  Orammaire  des  Langues  Rom^nes.  Je  crois  qu'il 
raut  mieuj'  meftre  siniplement:  Oram^maire  (ou  Qr.  comparee?)  des 
Ijangues  Romanes.  Je  serais  content  de  savoir  quel  est  le  titre  qui  pous 
eonviendrait  le  7nieux. 

Sur  tout  cela,  eher  nuiitre,  j'attends  avec  impatience  votre  reponse.  Je 
serai  bien  heureux  de  lire  datis  le  Jahrbuch  un  mot  de  vous  su/r  mon 
Aecent  latin;  si  vous  ne  Vavex  pas  trouve  tout-ä-fait  indigne  de  votre  eeole, 
cest  le  plus  bei  eloge  que  vous  puissiex  lui  donner, 

Mon  pere  se  rappelte  ä  votre  souvenir.  Votcs  aurex  lu  dans  la  Bibl. 
de  VEcole  des  Chartes  le  pr emier  artiele  de  Meyer  sur  VHistoire  de  la 
Langue  Fran^aise  (ainsi  nommee  bien  improprement)  de  M,  LittrS;  je  crois 
que  rous  en  aurex  Ste  assex  content.  Je  serais  eurieux  de  eonnaitre  votre 
opinicn  sur  le  Dictionnaire  de  lAttre  et  aussi  sur  celui  de  Scheler,  que  je 
ne  connais  pas.  Vous  me  deniandex  la  patrie  de  Paul  Meyer;  je  ne  sais 
pas  bien  quel  interet  cela  offre  pour  vous;  enfin  il  est  de  Paris:  c'est  un 
jeune  komme  intelligent,  instruit,  philologue  serieusement  et  qui  par  con- 
sequent  vous  admire  comme  il  le  doit. 

AdieUf  eher  Monsieur,  croyex-moi  toitjours  bien  sine^ement 

Votre  tout  diwuS  serviteur  et  a/mi 
e  Paris. 

Dem  vorstehenden  Briefe  fehlt  die  Datierung;  es  kann  aber, 
da  Diez  am  6.  August  1863  dai-auf  geantwortet  hat,  keinem 
Zweifel  unterliegen,  dafs  er  im  Sommer  1863  gesehrieben  ist, 
nach  einem  Schweigen,  das  seit  dem  8.  September  1862  ge- 
dauert hatte.  Diez  hatte  am  26.  März  1863  für  Exemplare  der 
Introduction  gedankt  und  bei  diesem  Anlafs  auch  nach  dem 
Heimatsorte  P.  Meyers  gefragt  (s.  oben  S,  82).    Über  G.  Paria' 


86  Briefe  von  Gaston  Paris  an  Friedrich  Dies. 

erste  Reise  nach  Itab'en  wie  auch  über  die  sechs  späteren,  die 
ihm  das  schöne  Land  immer  teurer  machten  und  ihn  mit  einer 
grofsen  Zahl  hervorragender  Menschen  in  persönliche  Berührung 
brachten,  gibt  Rajna  S.  40  und  Anm.  90  erwünschte  Auskunft. 

Die  Histoire  po4tique  de  Ckarlemagne  hat  ihren  Verfasser 
natürlich  lange  beschäftigt;  er  spricht  davon  auch  im  März  1864, 
und  erst  im  Juli  1865  sieht  er  sich  am  Ziele. 

Zu  einer  gemeinsam  auszuführenden  Übersetzung  der  Oram- 
matik  der  romanischen  Sprachen  hatten  sich  inzwischen  Scheler 
und  Paris  zusammengetan  und  hatten  in  Herold,  dem  Inhaber 
der  Firma  A.  Franck  in  Paris  und  Leipzig,  der  auch  die  Intro- 
duction  gedruckt  hatte,  einen  Verleger  gefunden.  Jeder  der 
beiden  Genossen  scheint  angenommen  zu  haben,  der  andere 
habe  Diez  von  der  Übereinkunft  in  Kenntnis  gesetzt;  denn  auch 
Scheler  schreibt: 

BrflRsel,  3  Okt.  1863. 
Hochgeehrtester  Herr  Professor, 

Dals  es  mir  gelungen  ist,  die  Franck'sche  Buchhandlung  in  Paris 
dazu  zu  bewegen,  meine  Uebersetzung  Ihrer  Eomanischen  Grammatik  in 
Verlag  zu  nehmen,  ist  Ihnen  vielleicht  durch  H.  Gaston  Paris,  der  sich 
mehr  oder  weni^  an  meiner  Arbeit  betheiligen  wird,  kekaunt  geworden. 
Der  Druck  des  Werkes  sollte  eben  binnen,  als  ich  von  meinem  Ver- 
lier benachrichtigt  wurde,  dals  der  Ihrige,  H.  Weber,  Einsprache  gegen 
das  Erscheinen  der  Uebersetzung  bei  ihm  eingelegt  habe. 

Sofort  schrieb  ich  H.  Weber,  dafs  ich  nidit  nur,  bereits  im  Mai  1862, 
von  Dmen  als  Verfasser  zur  Ausführung  meines  Vorhabens  ermächtigt 
worden  sei,  sondern  dafs  Sie  mir  in  demsäben  Briefe,  auch  die  Erlaubnus 
des  Verlegers  notifizirt  hatten. 

In  seiner  Antwort  bestätigte  H.  W.  ganz  einfach  seinen  Protest  u. 
nahm  von  jenem  erwähnten  Bnefe  gänzlich  Umgang.  Auf  die  umsehend 
am  10^^°  Sept.  an  ihn  gerichtete  Anfraee,  ob  er  den  Inhalt  Ihres  Briefes 
vom  Mai  1862  anerkenne  oder  nicht,  nahe  ich  bis  jetzt  keine  Antwort. 
Er  ist  natürlich  in  die  unangenehme  Lage  versetzt,  entweder  sich  selbst 
oder  Ihnen  ein  Dementi  zu  geben. 

Ich  hiedt  es  für  meine  Pflicht,  Sie  von  dieser  eben  so  unerwarteten 
als  leidigen  Ungelegenheit  in  Kenntnifs  zu  setzen.  Vielleicht  sind  Sie  im 
Stande,  durdi  ein  vermittelndes  Einschreilen,  die  Schwierigkeit  zu  lösen. 

Ich  kann  mir  nicht  vorstellen,  dafs  H.  Weber  bei  vernünftiger  Ueber- 
legung  des  durch  seinen  Protest,  der  Anerkennung  ihres  Verdienstes,  der 
Bdohnung  meiner  mühsamen  Arbeit,,  seinem  eigenen  merkantilischen  Rufe, 
u.  vor  AÜem  den  Interessen  der  Wissenschalt  erwachsenden  Schadens, 
bei  seinem  Widerstände  verharrt. 

Vielleicht  werden  mich  bald  einige  Zeilen  von  Ihrer  Hand  hierüber 
beruhigen.  Einstweilen  genehmigen  Sie,  werther  Meister,  die  neue  Ver- 
sicherung meiner  tiefen  Verehrung. 

Dr.  Aug.  Scheler 
62  me  Mercelis 

Man  sieht  hier  zugleich  zum  erstenmal  die  Schwierigkeiten 
auftauchen,  die  der  Durchführung  des  Unternehmens  sich  so 
lange  in  den  Weg  stellen  sollten,  und  von  denen  nachher  zu 
reden  sein  wird.   Was  die  Beteiligung  des  Verfassers  an  etwaigen 


Briefe  Ton  Gaston  Paris  an  Friedrich  Dies.  87 

Zusätzen  der  Übersetzung  gegenüber  dem  deutschen  Werke  be- 
trifiFt,  80  schreibt  Diez  am  6.  August  1863  an  Paris: 

'Buchhändler  Weber  protestiert  ge^en  meine  Theilnahme  an  der  fran- 
zösischen Ausgabe  der  Grammatik  und  man  kann  ihm  dies  nicht  fibel 
nehmen,  aber  dieser  Protest  ist  überflüssig.  Was  den  Prospectus  von 
Hm.  Scheler  betrifft,  so  bin  ich  in  allen  Puncten  Ihrier  Meinung.  Der 
passendste  Titel  scheint  auch  mir  Qrammaire  des  kmgues  rom.  Vielleicht 
aher  ist  Ör,  comparee  ete.  mehr  nach  französischem  Geschmack.  Die 
Stelle:  avee  le  concours  de  l'auteur  muls  ich  bitten  zu  unterdrücken  so- 
wohl mit  BQcksicht  auf  meinen  Verleger  wie  auch  auf  das  richtige  Sach- 
yerhaltnis.  Ebenso  die  Worte  avee  Vasaentiment  de  rSdüeur;  ich  glaube 
wenigstens  nicht,  dafs  dies  Statt  gefunden  hat,' 

Was  jenes  Sachverhältnis  betrifft,  so  war  Diez,  wie  er  in 
demselben  Briefe  vorher  ausgeführt  hat,  zwar  willens,  später 
etwa  nötig  werdende  neue  Ausgaben  der  Grammatik  und  des 
Wörterbuches  um  einiges  zu  erweitem  (s.  oben  Bemerkungen 
zum  Briefe  vom  8.  September  1862),  hatte  aber  davon  noch  nichts 
ausgearbeitet,  so  dafs  er  zur  Übersetzung  Zusätze  zu  geben  nicht 
in  der  Lage  gewesen  wäre,  auch  wenn  er  das  für  schicklich  ge- 
.  halten  hätte.  In  bezug  al3er  auf  die  Zustimmung  des  Verlegers 
hat  ihm,  wie  der  anzuführende  Brief  Schelers  vom  29.  Oktober 
1863  zeigt,  das  Gedächtnis  nicht  treu  gedient. 

Die  Besprechung  der  Introduction  hat  Mussafia  laut  Elise 
Richters  Verzeichnis  seiner  Schriften  in  der  Katholischen  Lite- 
ratur-Zeitung X,  85—86  (1863)  erscheinen  lassen.  Ob  die  Vor- 
rede zu  der  Übersetzung  in  dem  Neudruck  wirklich  eine  ein- 
greifende Umgestaltung  erfahren  hat,  vermag  ich  nicht  fest- 
zustellen. 

Mit  der  Besprechung  der  Schrift  über  den  Akzent  war 
Mussafia  in  der  Wochenschrift  für  Wissenschaft,  Kunst  und 
öffentliches  Leben,  1862,  Nn  26,  S.  207,   Diez  zuvorgekommen. 

Der  Artikel  P.  Meyers  über  Littres  Histoire  de  la  langtte 
frangaise  steht  in  der  Bihlioth.  de  VEcole  des  Chartes,  V  ®  Serie, 
T.  5.  Das  Wörterbuch  Littres,  von  dem  in  der  Vorrede  der 
Introduction  S.  XUI  als  von  einem  Denkmal  die  Rede  ist,  das 
sich  den  bewundernswerten  französischen  lexikalischen  Arbeiten 
seit  dem  16.  Jahrhundert  würdig  anreihen  werde,  hat  1863  zu 
erscheinen  begonnen.  Schelers  Etymologisches  Wörterbuch  war 
zum  erstenmal  1861  herausgekommen.  Diez  beantwortet  die 
ihm  hier  vorgelegten  Fragen  am  6.  August  1863  wie  folgt:  'Was 
Schelers  Dictionn.  etym.  betrifft,  so  scheint  es  mir  ein  brauch- 
bares Buch.  Der  Verfasser  zeigt  überall  ein  bescheidenes  und 
besonnenes  ürtheil.  Eine  Kritik  davon  hat  Diefenbach  geschrie- 
ben, sie  steht  in  der  Zeitschrift  für  vergleichende  Sprachwiss. 
(Kuhn).  Er  nennt  den  Verfasser  gelehrt,  aber  grade  die  Ge- 
lehrsamkeit, d.  h.  die  Quellenkunde  vermisse  ich.  Littre's  Wörter- 
buch habe  ich  noch  nicht  genau  angesehen.     Was  den  Artikel 


88  Briefe  von  Gkuiton  Paris  an  Friedrich  Dies. 

des  Hrn.  Meyer  über  Littres  Hist  de  la  langue  franq.  betrifft, 
so  bedaure  ich  sehr,  das  neueste  Heft  der  BibL  de  VEcole  des 
Charles  noch  nicht  gesehen  zu  haben  ...  Ich  freue  mich  aber 
nicht  wenig  auf  diese  Lecture,  denn  in  Hm.  Meyer  verehre  ich 
einen  Forscher  im  vollen  Sinne  des  Wortes.  Er  hat  mich  vor 
einigen  Wochen  mit  seinem  angenehmen  Besuche  überrascht, 
der  aber  leider  nicht  lange  gedauert  hat.  Gegenwärtig  befindet 
er  sich  in  Soden  . . .' 

Die  Antwort  auf  Diezens  Frage  (s*  oben  zu  dem  Briefe  vom 
8.  September  1862)  nach  der  Gegend  und  dem  Orte  Frank- 
reichs, woher  P.  Meyer  stamme,  scheint  mit  einiger  Ungeduld 
gegeben,  beinah  so,  als  käme  sie  von  diesem  selbst.  Der  Name, 
dessen  provenzalischer  Ursprung  nicht  einmal  für  Herrn  Mistral 
in  seinem  Tresor  festzustehen  scheint,  legte  eben  die  Vermutung 
irgendeines  Zusammenhanges  mit  Deutschland  oder  doch  mit 
Eisafs-Lothringen  nahe,  und  ob  ein  solcher  bestehe,  durfte  Diez 
wahrlich  fragen,  ohne  dafs  darin  eine  Kränkung  lag. 


Paris,  ce  §amedi  Sl  odohre  186St 

Monsieur  et  eher  mattre, 

Je  ne  sais  si  vmis  etes  au  courant  des  negodations  gut  sont  iniervenues 
depuis  quelque  temps  entre  M.  Weber,  M.  Scheler  et  M.  Herold  ä  propos 
de  la  traduction  de  votre  Orammaire  des  langues  romanes.  nPetms  abseni 
de  Paris,  et  vous  Veiiex  de  Barm,  pendant  que  s'eehangeaient  la  plupart 
des  lettres  de  ces  messieurs,  depuis  la  premih'e  oü  M.  Weher  a  fwtifie  ä 
la  lihrairie  Franck  (Herold)  son  refus  de  consentir  ä  la  traduction  jusqu'ä 
une  lettre  de  M.  Sctieler  ä  M.  Herold  qui  vient  de  ni'etre  eommuniquee  et 
qui  ms  jette  dans  la  plus  grande  surprise.  Je  n'ai  pas  doutS  jusqu'iei  de 
la  bienveillanee  que  vous  m'arex  ioujours  temoignee;  fai  plus  d'une  lettre 
de  vous  Ott  vous  m'en  donnex  les  assurances;  je  saisy  et  par  votre  conver- 
sation  et  par  votre  correspondance,  que  vous  desirex  virenient  voir  votre 
livre  traduit  en  fran^ms;  et  qua/nd  je  vous  ai  eerit  que  je  me  deeidais  ä 
in*assoeier  ä  M.  Scheler  pour  atteindre  ce  but,  vous  m'avex  repondu,  le 
9  aout  demier,  que  cette  nouvelle  vous  itait  extremenient  agrktble,  que  vous 
ne  doutiex  pas  de  l'heureux  sueces  de  notre  entreprise,  et  quant  ä  ma  tra- 
duction de  V Introduction,  que  vous  la  trouviex  tr^-riussie.  Äpr^  depareüles 
assurances,  que  votre  loyaute  et  votre  cara-ctere  me  rendaient  et  me  rendent 
eneore  pa/rfaitement  att-dessus  de  tout  soup^on,  jugex  de  mon  etonnemenl 
en  lisant  ce  matin  dans  une  lettre  de  M.  Weber  ä  M.  Scheler,  dont  eelui-ci 
reproduit  des  passages,  les  phrases  suivantes  (eetui-d  rappelaii  ä  M.  Weber 
que  dans  une  lettre  de  mar  vous  l'aviex  assure  du  consentement  de  ce 
libraire):  ^Nur  so  viel  ist  mir  gegenwärtig,  dass,  als  ich  vor  ea  6  Wochen, 
vor  seiner  Abreise,  mit  ihm  (Prof.  Diex)  in  Bexug  auf  Ihre  Äusserung 
darüber  sprach,  er  doch  in  Abrede  stellte,  Ihnen  meine  Einwilligung 
daxu  mitgetheilt  xu  haben,  sich  aber  über  das  ganxe  Unternehmen,  u>ie  es 
sich  nun  Ihrerseits  und  seitens  des  Hn  Oaston  Paris  und  Franck  jetxt  her- 
ausstellen  soll,  nicht  eben  in  sehr  befriedigender  Weise  äusserte.  Ich  habe 
daraus  wenigstens  nicht  entnehmen  können  dass  es  ihm  besonders  angenehm 
sei.  —  Ob  er  in  seiner  Antwort  auf  ein  Schreiben  des  H^  Gaston  Paris, 
das  ich  ihm  entxiffem  half,  dies  auch  angedeutet  hat,  tceiss  ich  nickt  xu 
sagen,' 


Briefe  von  Qaston  PariB  an  Friedrich  Dias.  89 

Votis  eomprendrex  assurSment  qtiefifwoque  en  reponse  ä  cetie  msinua- 
Hon  toute  la  franehise  de  votre  temoignage:  je  compte  (Tautant  plus  sur  une 
deelaration  eontraire  ä  V Interpretation  de  M.  Weber  qtie  la  lettre  ä  laqu^Ue 
il  fait  aUusion^  et  dont  fai  rappele  le  fond  tout-ä-Vheure,  lui  est  compUte- 
meni  opposie.  Ten  ai  aussi  le  plus  grand  besoin;  car  je  me  suis  resolu 
ä  aeeepter  les  propositions  qui  me  sont  faites,  pour  eette  traductiofij  sur- 
totst  par  le  desir  de  vous  etre  agreable  en  realisant  un  voeu  queje  sais  que 
Tous  formex  depuis  longfemps.  Sans  cette  idee  et  eelle  de  serdr  la  science 
je  n*aurais  eertainement  pas  eonsenti  ä  me  charger  d'nn  travail  qui  sans 
doute  ne  me  rapportera  rien  et  qui  me  derange  au  milieu  d'occupations 
nombreuses  et  trhs-differentes.  Äussi  n^hesiterais-je  pas  ä  en  abandonner 
la  pensee  si  je  croyais  que  M.  Weber  eilt  raison,  et  que  vous  ne  rissiex  pas 
eette  entreprise  avee  plaisir;  fai  donc  le  plus  grand  ififeret  ä  savoir  ce 
qui  en  est.  Je  desire  aiissi,  si  vous  donnex  raison  ä  mes  esperancesy  que 
vous  fa-ssiex  bien  nettement  part  de  vos  dispositions  ä  M.  Weber;  il  ne 
pourra  plus  ainsi  cueher  des  refus  dont  le  bui  pSamiaire  me  paraH  assex 
elair  derrihre  une  pritendne  repugnance  de  votre  part.  Oserai-je  vous  de- 
mandcTy  Monsieur  et  eher  maiire,  de  me  donner  sans  retard  une  reponse? 
Si  M.  Weber  a  dit  vrai,  ne  croyex,  pas  queje  vous  en  vetiiUe  pour  cela; 
TOUS  aurex  sans  doute  pense  que  votre  livre  gagnerait  ä  attendre  un  tra- 
dueteur  plus  digne,  et  je  sais  trop  quelle  est  mon  insuffisance  pour  ne  pas 
eomprendre  cette  manihre  de  voir,  qtii  me  surprendrait  seulement  en  ce  qu'elle 
eontredirait  toutes  vos  assertions  prScedentes  et  m^enlhverait  une  illusion  qui 
m'itait  preeieuse,  celle  de  votre  sympatkique  approbation  pour  mes  travaux. 

Pardonnex-moif  eher  Monsieur,  d'avoir  pü  supposer  que  vous  ne  m'eüs- 
siex  pas  dit  la  vSrite  tout  entiere;  au  fond  je  ne  doute  pas  que  Weber  n'ait 
ou  mal  eompris  ou  mal  rendu  vos  paroles,  et  je  me  persuade  que  vous  me 
regardex  toujours  eomme  votre  disciple.  Veuillex  donc  m'en  donner  prompte- 
ment  la  bonne  assura/nce;  je  pense  que  votre  interrention  auprhs  de  Weber 
ne  pourrait  noi4s  etre  que  d*un  trhs-bon  seeours. 

Öroyez-moi  bien,  eher  maUre, 

Votre  tout  d6voue, 
O  Paris. 

J'ai  vu  que  votre  livre  sur  la  poSsie  portugaise  avait  paru;  je  serais 
heureux  de  le  lire.  —  Meyer  m^a  donne  de  vos  nourelles,  ei  fort  heureuse- 
meni  de  bonnes. 

Etwas  früher  als  vorstehenden  Brief  wird  Diez  den  folgen- 
den,  auf  die  nämlichen  Dinge  bezüglichen  Schelers  erhalten 
haben : 

Brttasel,  den  29  Okt.  1863. 

Hochgeehrtester  Herr  Professor, 

Meinen  vor  etwa  drei  Wochen  an  Sie  abgesandten  Brief,  worin  ich 
Ihnen  die  von  H.  Weber  gegen  das  Erscheinen  der  franz.  Ausgabe  Ihrer 
Grammatik  erhobene  Einsprache  gemeldet,  werden  Sie  bei  Ihrer  Böck- 
kmift  vorgefunden  haben. 

Es  li^  mir  nun  um  so  mehr  daran  Ihre  Ansicht  über  diese  leidige 
Angelegenheit  zu  kennen,  als  H.  Weber  nur  in  seinem  Briefe  vom  14.  Okt. 
schreib^  er  überlasse  es  Ihnen  sich  über  die  Erlaubnils  auszusprechen, 
die  Sie  mir  in  Ihrem  Schreiben  vom  28.  Mai  18H2,  betreffend  die  Ueber- 
setzung  des  Werkes,  in  Ihrem  u.  des  Veriej^crs  Namen,  ertheilt  haben. 
Er  henift  sich  darauf,  dafs  Sie  die  Richtigkeit  meiner  Aussage  bezweifelt, 
als  er  Ihnen  davon  sesprochen,  u.  überhaupt  sich  über  das  Unternehmen 
Francks  in  Paris  nicht  in  sehr  befriedigender  Weise  ausgesprochfin  hatten. 


90  Britfe  von  (^aston  Paris  an  Friedrich  Dies. 

Bia  ich  hierflber  Ton  Ihnen  selbst  ins  Klare  gesetzt  werde,  erlaube 
ich  mir  den  betreffenden  Passus  Ihres  Briefs  Tom  Mai  1862  hier  bei- 
zufügen : 

^Meine  Zustimmung  also^  w^een  deren  Sie  bei  mir  anzufragen  die 
Güte  hatten,  haben  Sie  hiemit  Zum  Ueberflusse  habe  ich  auch  die 
des  Verlegers  noch  eingeholt.  Ich  fand  Herrn  Weber  mehrmals 
nicht,  mit  welchem  Umstand  ich  die  yerzögerte  Antwort  zu  erklären  und 
zu  entschuldige  bitte.'' 

Sie  sehen,  daüs  ich  es  nach  so  bestimmter  Genehmigung  mir  nicht 
einfallen  lassen  konnte,  von  Bonn  aus  auf  Hindemisse  zu  stoisen.  Ich 
bin  aus  Liebe  zur  Sache  ans  Werk  gegangen,  habe  Vieles  auf  die  Seite 

Beworfen ,  um  es  schnell  zu  EInde  zu  fuhren,  und  soll  nun  mit  dem  Ver- 
achte belohnt  werden,  mich  unrechtmäfsiger  Weise  fremden  Eigoithums 
haben  bemächtigen  zu  wollen. 

Ich  hoffe  noch  immer,  daJb  Ihre  Dazwischenkunft  die  Sache  auf  güt- 
lichem Wege  lösen  wird. 

Mit  ausgezeichneter  Verehrung 

Ihr  ganz  ergeoener 

Dr.  Aug.  Scheler. 

Über  dem,  was  Ursache  gewesen  war  zu  diesen  beiden 
Briefen,  und  was  leicht  nicht  blofs  die  Fortführung  der  begon- 
nenen Arbeit  hätte  in  Frage  stellen,  sondern  auch  das  Einver- 
nehmen zwischen  Diez  und  seinen  Übersetzern  gefährden  kön- 
nen, liegt  einiges  Dunkel.  Diez  scheint  insofern  nicht  ganz 
ohne  Schuld  gewesen  zu  sein,  als  er,  wie  aus  Schelers  Brief 
vom  29.  Oktober  1863  sich  ergibt,  letzterem  im  Mai  1862  ge- 
schrieben hatte,  er  habe  die  Zustimmung  des  Verlegers  ein- 
geholt, während  er  dieser  Zustimmung  doch  so  wenig  sicher 
war,  dafs  er  am  6.  August  1863  an  Paris  schrieh:  4ch  glaube 
wenigstens  nicht,  dafs  dies  (aasentiment)  Statt  gefanden  hat.' 
Leider  fehlen  hier  Briefe,  die  gewechselt  worden  sein  müssen: 
von  Scheler  liegt  mir  überhaupt  kein  weiterer  mehr  vor;  der 
nächstfolgende  von  Gaston  Paris,  vom  22.  März  1864,  sprcht 
zwar  noch  von  Schikanen  des  deutschen  Verlegers,  erwähnt  aber 
nicht  mit  der  leisesten  Andeutung  des  früheren,  jetzt  offenbar 
völlig  geschwundenen  Mifstrauens  gegenüber  dem  Meister,  und 
Diezens  darauf  antwortender  Brief  vom  23.  April  1864  spricht 
gegen  Ende  von  einem  letzten  Schreiben,  in  welchem  er  Paris 
auf  ein  neues  französisches  Gesetz  und  die  Deutung  des  darin 
vorkommenden  Ausdruckes  contrefct^on  aufmerksam  gemacht 
habe,  und  dieser  Brief  fehlt  im  Nachlafs.  Bis  auf  weiteres  wird 
man  glauben  müssen,  wenn  irgendwo  man  es  an  der  wünschens- 
werten Geradheit  habe  fehlen  lassen,  so  sei  es  beim  deutschen 
Verleger  gewesen. 

Das  Buch  über  die  erste  portugiesische  Kunst-  und  Hof- 
poesie ist  in  Bonn  bei  Eduard  Weber  1863  erschienen;  in  den 
folgenden  Briefen  ist  seiner  mehrmals  noch  gedacht  —  Dafs 
P.  Meyer  in  Bonn  Diez  besucht  hatte,  ergibt  sich  aus  einer  oben 
(zu  Paris'  Brief  vom  Sommer  1863)  erwähnten  Briefistelle.   Meyer 


Briefe  von  Gk^ton  Paris  an  Friedrich  Dies.  91 

selbst  in  einem  mir  gehörenden  Briefe  an  Diez  vom  27.  Juli 
1864,  in  welchem  er  sich  für  die  Zusendung  des  Buches  über 
die  portugiesische  Kunstpoesie  bedankt,  sagt:  vous  avez  pu 
juger  par  vons-m^me,  lors  de  la  visite  que  j'eus  l'honneur  de 
vous  faire  Van  demier,  de  ma  faiblesse  en  aUemand. 


CawM9t  ce  22  imt»  1864, 
Monsiemr  et  eher  maitre, 

Vaüä  longtemps  que  je  ne  voua  ai  ecrity  et  je  doie  commeneer  eette 
lettre  par  de  daubles  remereiements.  Tai  re^  ce  matin  une  lettre  de 
M.  Ebertf  qui  me  dit  avoir  entre  les  mains  tm  artiele  de  vaua  aur  mon 
Äeeent  latin;  ü  m'assure  que  vous  avex  bien  voulu  vous  eocprimer  sur  mon 
compte  d'une  manihre  trhs-favorable,  II  est  itmtile  de  vous  dire  eombien 
fen  suis  flattS  et  reconnaissant ;  qui  pourrait  m'etre  plus  doux  que  le  suf- 
frage  de  eelui  qu*on  reeonnait  universellement  pour  le  maitre  des  etudes 
aiixquelles  se  roMaehe  mon  travail?  M.  Ebert  me  dit  aussi  que  vous  ajoutex 
beaueoup  de  dStaila  nouveaux  sur  le  sujet  de  Vaccent;  je  nCem,  refouis  beau- 
eot^,  et  fespk-e  bien  y  trouver  de  quoi  eompUter  et  amSliorer  beaueoup  la 
thiorie  que  fai  developpie  d*a/prhs  vous.  II  seradt  fort  ä  souhaiter  qu'on 
fit  sur  Vensenible  des  lafigues  romanes  le  travadl  que  fai  essaye  sur  le 
fran^is;  mais  ce  ne  sera  pas  en  France  qu'on  entreprendra  qudque  chose 
d'aussi  malaise;  nous  attendrons  cda  de  l'Allemagne. 

*rai  d*autres  remereiements  ä .  vous  faire  pour  Venvoi  de  votre  petit 
livre  sur  Vaneiemie  lyrique  portugaise.  II  m*est  arrivS  justement  la  veille 
de  mon  dSpart  pour  le  Midi,  oü  la  mauvaise  scmte  de  ma  mhre  notis  a 
fait  passer  l'hiver.  Je  Va/i  lu  id  avec  d'autant  plus  d'intSrit  que  ce  sujet 
m*etait  tout-ä-fait  inconnuj  et  que  votre  exeellente  critique  le  place  mainte- 
nant  en  pleine  lumüre.  Cette  po6sie  artificielle  qui  a  gard4  un  ton  popu- 
iaire  est  vraiment  un  phenomhne  curieux  et  qui  dorenavant  a  sa  place 
marquee  dans  Vhistoire  littSraire  du  m^yen-^ige.  Ä  propos  d'une  note  de 
rotre  ouvrage,  permettex-moi  de  vous  soumettre  une  opinion  un  peu  diffe- 
rente  de  la  votre.  Vous  proposex.  (p.  36,  note  *)  une  explication  de  la  forme 
ortkographique  Ih,  nk,  qui  me  parait,  si  j'ose  le  dire,  un  peu  forcee.  On 
trouve  dans  les  Serments  de  842,  comme  vous  savex^  adjudha,  cadhuna, 
et  ü  est  bien  vraisemblable  que  Vusage  de  Vh  aprbs  tme  consonne  pour  en 
marquer  safis  doute  V cmiollissement  (dh  =  d  doux)  ou  Vaspiration  (dh  = 
tk  anglais)  est  emprunte  aux  la/ngues  germaniques,  Le  texte  allemand  des 
Serments  en  offre  plusieurs  exemples.  Or  il  me  semble  que  Vaneien  alle- 
mand solhe,  weihe  etc.  offre  une  grande  analogie  de  sons  avee  le  Ih  pro- 
ven^  fwelher,  melhor),  dont  la  prononciation  pouvait  bien  etre  un  peu  plus 
rüde  et  aspiree  qu*elle  ne  l'est  mavntenant.  Je  crois  donc  que  ce  groupe- 
ment  de  lettres  pour  exprimer  VI  que  nous  appelons  mouille  est  emprunte 
a  Vallenmnd.  Le  nh  aurait  la  meme  origine  (manhe,  etc.).  C'est  une 
pure  hypothese,  que  vous  trouverex  peut-etre  adtnissible. 

J'admire  dans  votre  ouvrage  Vexaetitude  et  la  beaute  de  vos  traductians 
en  vers;  voilä  qui  sera  ä  tout  jatnais  impossible  dans  notre  langue.  II  y 
a  un  romancero  portugais  d' Almeida-Oarrett  que  je  7ie  connais  pas.  Ijes 
romanees  qu'ü  contient  sont-elles  anciennes,  et  croyex-vous  que  fy  trouverais 
quelque  chose  ä  prendre  pour  mon  Histoire  poetique  de  Gharle- 
magne?  (Test  la  mon  unique  occupation  pour  le  moment,  et  fai  bien  de 
ia  peine  ä  y  travailler  beaueoup  i&i,  ou  je  mattque  de  livres;  c'e.sf  un  sujet 
qui  preeisement  ne  peut  se  traiter  qu'ä  l'aide  d'une  multifude  de  volumes 
en  toutes  langttes;  je  suis  oblige  de  laisser  dans  mon  trarail  bien  des  blancs 
que  je  remplirai  plus  tard. 


92  Briefe  von  Gaston  Paris  an  Friedrich  Diez. 

Mon  depart  pour  Can7ies,  qui  a  ete  totä-ä-fait  imprevu  et  suMtj  et  qui 
cohicidait  avec  relui  de  M.  Herold  pour  Alger j  a  stispendu  pour  quelque 
femps  Vaffaire  de  la  traduction.  Mais  nous  sommes  decides  ä  passer  outre 
et  ä  ne  tenir  mwun  catnpte  des  chicanes  de  M.  Weberj  qui  fie  nous  sem- 
bletit  aucunefnent  fondees.  Avex-rous  fait  avec  lui  un  traite  dans  lequel 
roti-s  lui  cediex  votre  droit  d'auforiser  une  traduction?  Si  vous  ne  Vavex 
pa^  faity  il  vous  reste  plein  et  entiery  et  rotre  pertnission  ftotts  sufßt  pleine- 
ment  pour  etre  dans  notre  droit.  D'ailleursj  le  titre  du  livre  ne  contient 
auvune  prohihition  de  traduction,  et  d/ftis  re  cas-lä  la  loi  prussienne,  m'a- 
t-on  a-ssure,  ne  donne  aueun  droit  ä  Vediteur  original,  II  est  impossihle 
qu'un  editeur  prussien  ait  en  France  un  droit  qn'il  n'a  pas  dans  son 
pays.  Nous  sotnmes  donc  resolus  ä  irnprimer.  Des  que  je  serai  de  retour 
ä  Paris,  c'est-a-dire  dans  trois  semaines,  nous  allons  ntettre  sous  presse, 
et  je  tdcherai  de  faire  mar  eher  la  chose  rofidentent,  une  fois  conimene/e. 

Portex-rou-s  bien,  cJwr  Monsieur,  continuex.  ä  nous  rSjouir  de  tetnps  ä 
antre  par  un  beau  livre,  et  croyex-moi  bieti  entihrement  ä  vous 

0  Paris 

Diezens  Erklärung  der  portugiesischen  Darstellung  des 
mouillierten  l  durch  Ih  geht  bekanntlich  dahin»  es  sei  zunächst 
z.  B.  das  aus  lat.  meliorem  entstandene  Wort  mellior  geschrie- 
ben worden  mit  doppeltem  l  zur  Andeutung  der  Kürze  des 
vorangehenden  Vokals;  da  aber  diese  Schreibung  zu  der  irrigen 
Auffassung  liätte  verleiten  können,  als  sei  das  Wort  dreisilbig, 
so  habe  man  das  obere  Ende  des  i  durch  ein  horizontales  Strich- 
lein mit  dem  vorangehenden  l  verbunden,  und  die  so  verbun- 
denen zwei  Buchstaben  hätten  dann  ein  A  ergeben,  das  so  ent- 
standene Ä  aber  wäre  dann  auch  zur  Andeutung  entsprechenden 
Sachverhaltes  nach  n  verwendet  worden. 

Der  Romanceiro  von  Alraeida-Garrett  ist,  soweit  er  ursprüng- 
liche Volksdichtung  enthält,  1851  erschienen  und  in  Deutsch- 
land durch  F.  Wolfs  Abhandlung  und  Übersetzungen  in  den 
Sitzungsberichten  der  philosophisch -historischen  Klasse  der 
Wiener  Akademie,  Bd.  XX  (1856),  bekannt  geworden.  Durch 
Wolf,  der  mit  P.  Paris  befreundet  war,  mag  auch  Gaston  von 
dem  Werke  erfahren  haben,  das  ihm  in  Cannes  wohl  nicht  zur 
Verfügung  stand.  In  der  Histoire  po4t,  de  Charlemagne  sind 
den  portugiesischen  Romanzen  nur  wenige  Zeilen  (S.  216)  ge- 
widmet. 

Diezens  Brief  aus  Bonn  vom  23.  April  1864  an  G.  Paris: 

Theuerster  Freund  1 

Ihren  mir  sehr  erfreulichen  Brief  vom  21.*  März  empfieng  ich  nach 
meiner  Rückkehr  von  einer  Reise  nach  Giefsen  vor  9 — 10  Tagen.  Das 
gegenwärtige  Schreiben  wird  Sie  nun  wieder  in  Paris  finden.  Hoffentlich 
hat  der  Aufenthalt  im  Süden  auf  die  Gesundheit  Ihrer  Frau  Mutter  den 
besten  Einflufs  gehabt! 

Ich  ersehe  aus  Ihrem  Briefe,  dafs  Hr.  Ebert  Ihnen  einiges  aus  meiner 
Recension  Ihrer  Schrift  De  Vace.  lat.  mitgetheilt  hat.    Es  versteht  sich, 

*  Oenaaer  28. 


Briefe  von  Gaston  Paris  an  Friedrich  Diez.  93 

^afs  aie  nicht  anders  als  sehr  günstig  sein  konnte.  Wenn  aber  Hr.  E. 
sagt,  dals  ich  viele  neue  Details  über  den  Gegenstand  mitgetheilt  habe, 
so  werden  Sie  sich  sehr  getauscht  finden,  wenn  der  Aufsatz,  weldier  6 — 7 
Seiten  füllen  wird,  Ihnen  zu  Geeicht  kommt.  Ich  habe  nur  über  den 
Aoeent  in  der  provenz.  Mundart  einige  neue  Bemerkungen  gemacht. 
Aufserdem  habe  ich  einige  Fälle  berührt,  worin  ich  andere  ^sichten 
habe  als  die  von  Ihnen  ausgesprochenen :  ob  diese  Ansichten  die  richtigen 
sind,  wissen  die  Götter.  Andere  Ihrer  Bemerkungen  hoffe  ich  bei  andern 
Gelegenheiten,  ich  glaube  fast  immer  beistimmend,  berühren  zu  können. 
Dals  Ihre  Arbeit  für  die  Sprachwissenschaft  bedeutend  ist,  habe  ich,  nach 
meiner  Überzeugung,  entschieden  ausgesprochen. 

Ich  habe  mit  Vergnügen  gelesen,  aais  Sie  sich  für  mein  Werkchen 
über  altportugiesische  Poesie  interessiert  haben.  Mir  selbst  war  diese 
Litteratur  fremd  geworden,  als  ich  diese  Arbeit  anfieng,  daher  hat  sie  viel 
Zeit  gekostet  Möchte  das  Büchlein  den  Erfolg  habeuj  dafs  ein  tüchtiger 
Kenner  den  ganzen  Codex  vaticanus  herausffäbe!  —  Sie  fragen,  ob  der 
Romanceiro  von  Garrett  auf  Karl  d.  Gr.  Bezügliches  enthalte.  Mir  ist 
das  Buch  nicht  zur  Hand,  ich  ersehe  aber  aus  Bdlermanns  portugiesischen 
Volksliedern  (Leipz.  1864)  p.  268,  dafs  die  port.  Romanzen  dieses  Cyclus 
aus  SpKanien  eingeführt  und  spanisch  vorhanden  sind.  Dahin  gehören  auch 
die  beiden  bei  Bellermann  abgedruckten  von  Gaiferos  u.  D.  Beitran.  — 
Was  Sie  mir  mittheilen  über  die  Schreibung  Ihf  nh,  nehme  ich  mit  Dank 
an  und  werde  es  zu  seiner  Zeit  überlegen.  Das  Sprichwort  sagt  doeendo 
discimus]  ich  glaube,  man  würde  mit  mehr  Wahrheit  sagen  diMaiido 
diseimus.  Wenigstens  macht  die  Wissenschaft  auf  dem  letzteren  Wege 
gröfsere  Fortschritte  als  auf  dem  ersteren. 

Es  ist  ein  schöner  Entschlufs,  dafs  Sie  die  Übersetzung  der  Rom. 
Gramm,  nicht  aufzugeben  gedenken.  Was  Ihre  Frage  betrifft,  so  bemerke 
ich,  dals  ich  Herrn  Weber  das  Recht,  eine  Übersetzung  zu  autorisieren, 
nicht  abgetreten  habe.  Dieses  Recht  gehört  nämlich  in  Preussen  und  ohne 
Zweifel  m  ganz  Deutschland,  dem  Verleger,  nicht  dem  Verfasser; 
ich  konnte  es  ihm  also  nicht  cedieren.  Der  Ausländer  aber  ist  an  dieses 
Recht  des  deutschen  Verlegers  nich.t  gebunde^i,  und  wenn  er  den  deut- 
schen Verleger  oder  Verfasser  um  ihre  Einwilligung  ersucht,  so  ist  dies 
eine  blofse  Sache  der  Höflichkeit.  Weber  gab  Hrn.  Scheler  diese  Ein- 
willigung, weil  er  juristisch  kein  Mittel  gegen  die  Übersetzung  hatte,  denn 
er  glaubte,  das  Buch  sollte  in  Belgien  erscheinen.  Ob  aber  ein  deutscher 
Buchhändler  eine  Übersetzung  in  Frankreich  hindern  kann,  ist  eine 
andeje  Frage.  Dafs  der  Titel  des  Originals  in  diesem  Falle  das  Verbot 
der  Übersetzung  enthalten  müsse,  ist,  so  viel  ich  weifs,  nicht  nöthi^.  Eine 
Hinterlegung  {consignaiion)  von  2  Exemplaren  des  Originals  bei  einem 
der  Ministerien  zu  Paris  (ich  weüs  nicht  bei  welchem?)  ist  genügend,  und 
dies  hat  W.  gethan.  Alles  kommt  darauf  an,  was  in  dem  neuen  franzö- 
BJscheu  Gesetz  unter  conirefa^on  zu  verstehen  ist.  Doch  darauf  habe  ich 
Sie  in  meinem  letzten  Schreiben  bereits  aufmerksam  gemacht;  ich  wünschte 
auch,  dafe  Sie  Hrn.  Herold  darauf  aufmerksam  machten,  damit  er  in  kei- 
nen Schaden  käme,  denn  ich  halte  es  für  möglich,  dals  W.  deshalb  eine 
Klage  bei  den  französischen  Gerichten  anstellen  könnte. 

Leben  Sie  nun  recht  wohl,  lieber  Freund,  und  behalten  mich  in  gutem 
Andenken.    Ganz  der  Ihrige  p^edr.  Diez. 


Paris,  ce  samcdi  S  juiUet  [l865] 

Vailä  bien  longtemps  queje  ne  vmts  ai  ecrity  man  eher  maitrey  et  depuis 
nia  dernüre  lettre  j'ai  ete  froppe  par  im  hien  yrand  malheur;  jai  per  du 
via  paupre  mbre,  que  vous  are:^  eonnue.     Voilä  plus  de  qiiatre  mois  maintc- 


94  Briefe  von  Gkiston  Paris  an  Friedrich  Dies. 

fumtj  et  je  cammence  ä  me  relever  de  ce  coup  terrible.  Je  ne  doute  pas  que 
vous  ne  prentex  pari  ä  notre  afßetum. 

Je  remets  ce  mot  ä  unjeune  komme  qui  dSsire  becmeoup  vous  voir  et 
vau8  exprimer  son  admiration  pour  vos  travaux.  (Test  VcuUeur  d'une  petite 
plaqitette  sunr  Bruneau  de  Tours,  qu'il  txms  a  envoyee.  Je  lui  cd  du  qu'il 
pouvaü  eompter  sur  un  hon  aecueil  de  votre  part,  et  je  vous  assure  qu'il 
le  m6rtte  ä  tous  egards, 

Mon  Gharlemagne  va  enfm  paraitre;  ü  m'a  pris  bien  du  temps  et  de 
la  peme;  je  suis  ravi  d*en  etre  enfm  dibarrassS,  Nous  donnerex^-vous  bien- 
tdt  quelque  chose? 

Je  ne  sais  plus,  dans  ce  Umg  silenee,  st  je  vous  ai  remerciS  de  votre 
article  sur  mon  Accent.  En  tout  cos,  vous  jugex  combien  ü  m*a  H^  pre- 
deux;  vos  critiques  sont  d'u/ne  valeur  qui  donne  plus  de  paids  ä  vos  Hoges, 
et  je  donne  les  mains  ä  presque  toutes.  Gombien  j'<U  ite  heureux  et  fier 
de  lire  ces  lignes  signees  d'un  tel  nomf  Une  partie  de  Veloge  Statt  due 
Sans  doute  ä  Vamitie,  ma/is  cette  anidtie  atissi  etait  pour  moi  une  grandejoie. 

Si  je  puis  faire  ce  que  je  veux  (chose  rare/),  firai  vous  voir  vers  la 
fm  de  septembre;  fai  envie  de  faire  un  tour  de  votre  coti,  et  draller  a/u 
eongrh  des  phüologues,  qui  se  tient,  je  erois,  ä  Heidelberg, 

Adieu,  mon  eher  ntaitre;  portex-vous  bien  et  faites-nous  jouir  de  temps 
en  temps  de  quelque  production  notwelle. 

Ibut  ä  vous, 
G  Paris. 

Die  Jahreszahl  fehlt,  kann  aber  nur  1865  sein,  in  welchem 
Jahre  der  8.  Juli  in  der  Tat  ein  Sonnabend  war.  G.  Paris' 
Mutter,  deren  Tod  er  hier  beklagt,  hatte  Diez  1857  kennen  zu 
lernen  Gelegenheit  gehabt,  wo  sie  zusammen  mit  einer  Tochter 
einen  Aufenthalt  von  über  drei  Monaten  in  Bonn  machte; 
s.  P.  Rajnas  vor  der  Akademie  der  Grusca  am  27.  Dezember 
1903  gehaltene  Rede  S.  58  Anm.  41  und  S.  38  des  Sonderdrucks. 

Der  junge  Mann,  der  empfohlen  wird,  ist  Auguste  Brächet. 
Die  Broschüre  Etüde  svr  Bruneau  de  Tours,  trouvire  du 
XIII*  siide  war  1865  bei  Franck  erschienen;  s.  den  Nekrolog, 
den  ihm  1898  P.  M.  widmet,  in  Romania  XXVII,  517.  Auch 
von  ihm  besitze  ich  eine  Anzahl  an  Diez  gerichteter  Briefe 
(1867 — 71).  Über  den  jfreundlichen  Empfang,  den  er  bei  Diez 
fand,  8.  Paris'  Brief  vom  21.  November  1865. 

Einen  Dank  für  die  Besprechung  der  Schrüt  über  den 
Akzent  hatte  Paris  im  Briefe  vom  22.  März  1864  ausgesprochen, 
aber  ohne  sie  noch  gelesen  zu  haben. 


Paris,  ee  21  novemJbre  [1866]. 
eher  ma^ire, 

Vous  arex  sans  doute  repi*  m^  deux  th^es;  j'esphre  que  VHistoire 
poetique  de  Charlemagne  merttera  votre  suffrage.  Jai  ete  souffrant,  bien 
que  sans  gravite,  pendant  les  va^^ances,  au  moment  oüje  voulais  aller  faire 
un  tour  en  Allemagfie;  je  me  promettais  un  grand  plaisir  ä  vous  voir; 
fespere  que  mon  projet  de  voyage,  pour  etre  differi,  n*est  paa  perdu. 

Le  jeune  Brächet  m'a  donne  de  bonnes  nouvelles  de  vous;  il  a  etS  touehe 
et  tr^-reoonnaissant  de  la  rSceptian  que  vous  lui  avex  faite. 


Briefe  von  G^ton  Parie  an  Frledrioh  Diez^  95 

Ätfex-wms  repü  la  eircuUUre  que  je  vou8  ai  fait  envoyer  au  nom  de  la 
Bevue  Critique  dont  je  suis  un  des  fandateurs?  Nous  vouhns  essayer  de 
ripandre  en  France  les  bonnes  mSthodes  sdentifiques  et  pour  eeia  com- 
mencer  par  faire  ä  la  fausse  soienee  une  guerre  achamee.  R  faut  que  la 
critiqtte  dSblaie  le  terrain  avant  que  la  production  se  developpe.  Nous  serions 
hien  flottes  si  vous  nous  permettisx  de  vous  inscrire  parmi  les  eollaborateurs. 
Vas  artieles,  si  vous  nous  en  envoyiex,  seraient  traduits  en  fran^ads  avec  soin, 

A  ce  propoSf  Vaffaire  de  la  traäuction  de  votre  Qrarmnaire  revient  sur 
Veaii.  Herold f  le  libraire,  est  mort,  ai^isi  que  Scheler;  tnais  Vieweg,  suc- 
eesseur  d*  Herold,  est  dans  les  memes  idees,  et  je  compterais  m'assoeier  pre- 
cisement  Brächet,  qui  serait  heureux  de  pratdre  pari  ä  une  CBUvre  si  hono- 
rable  et  si  utile.  Vieweg  a  du  Scrire  ces  jours-ei  ä  Weber  pour  savoir 
definitivement  le  prix  qu'il  demanderait  pour  autoriser  la  traduction;  c'est 
la  en  somme  le  nceud  de  la  question.  Je  n'ai  pas  besoin  de  vous  dire  que 
je  eompte,  si  vous  etes  consulte,  que  vous  userex  de  votre  influence  en  notre 
fapeur, 

tTose  m'itonner,  eher  mattre,  de  Wavoir  pas  repu  votre  opuscule  sur 
les  Qlossaires  romans.  Je  Vax  vu  chex  le  libraire,  et  ce  que  fen  ai  lu 
ejoeite  mon  intiret  au  plus  haut  point;  je  vous  serais  bien  obligi  de  me 
V envoyer  au  plus  tot;  fen  rendrais  eompte  dans  la  Revue  Critique. 

Je  ne  vous  en  ecris  pas  plus  long,  parce  que  je  sais  que  mon  Scriture 
vous  fatigue  les  yeux.     Oroyex-moi  bien  entiirement,  eher  mattre  et  ami, 

Votre  dSvou6, 
Q  Paris. 

Meyer,  qui  est  en  Ängleterre,  m'ecrit  un  mot  ou  je  lis  ceei:  ^Comment 
se  fait'il  que  M.  Diex  n'ait  pas  re^  d'esceniplaire  de  la  traduction  de 
r  Introduction?'  Je  dis  ä  mon  tour:  comment  se  fait-il  que  Meyer  oroie 
ce/a,  puisque  je  sais  trks-bien  que  M.  Diex  en  a  un  eacemplaire? 

Mon  adresse  est  aettiellement  44,  rue  du  Gherche-Midi. 

Die  zwei  Thesen  siud  bekanntlich  die  Histoire  poMque  de 
Ckarlemagne  und  die  Schrift  De  Pseudo-Turpino,  beide  1865 
erschienen.  Die  Revue  critique,  über  deren  Gründung  Rajna 
S.  31  ff.  handelt,  hat  1866  zu  erscheinen  begonnen  und  besteht 
bekanntermafsen  in  geachteter  Stellung  fort,  übrigens  seit  längeren 
Jahren  ohne  BeteiUgung  Paris'  an  der  Redaktion.  Charles  Morel, 
geboren  den  20.  Mt^  1837  in  LigneroUes  (Kanton  Waadt),  einer 
der  ersten  vier  Herausgeber,  gehörte  zu  dem  Kreise  schweize- 
rischer Freunde,  mit  denen  G.  Paris  schon  1856  iu  Bonn  gern 
verkehrte;  er  starb  am  26.  Februar  1902  in  Genf,  wo  er  einer 
der  Redaktoren  des  Journal  de  Gen^ve  war.  Siehe  über  sein 
Leben  und  seine  vielfache  Tätigkeit  einen  Nekrolog  im  Bulletin 
Nr.  VIII  der  Asaociaiian  pro  Aventico,  Lausanne  1903. 

Die  Ältromanischen  Glossare  berichtigt  und  erklärt  von 
Friedrich  Diez  sind  in  Bonn  bei  Weber  1865  erschienen.  G.  Paris' 
Besprechung  des  kleinen  Buches  steht  im  ersten  Bande  der 
Revue  critique  S.  85 — 88. 

Der  Verleger  Herold  war  laut  dem  Brief  vom  22.  März 
1864  krankheithalber  nach  Algier  gereist  und  nunmehr  gestor- 
ben. Scheler  aber  war  nichts  weniger  als  tot,  hat  im  Gegenteil 
noch  jahrelang  eine  sehr  rührige  und  verdienstliche  Tätigkeit 


96  Bri^e  von  Gaston  Fans  an  Friedlieh  Die^ 

entfaltet  und  bis  1890  gelebt  (s.  den  Nekrolog  in  der  Romania 
XX,  180).  Wenn  Paris  hier  von  ihm  als  einem  Verstorbenen 
spricht,  so  meint  er  damit  wohl  nur,  dafs  er  für  das  geplante 
Unternehmen  ein  Abgeschiedener  sei.  Was  seinen  Zurücktritt 
yeranlafste,  vermag  ich  nicht  zu  sagen.  Dafs  G.  Paris  wenig 
Wohlgefallen  an  Schelers  Schreibweise  hatte,  erhellt  aus  dem 
Briefe  ohne  Datum  vom  Sommer  1863;  vielleicht  war  auch  in 
Fällen  von  Meinungsverschiedenheit  mit  dem  zwanzig  Jahre 
älteren  Gelehrten  weniger  leicht  fertig  zu  werden  als  mit  dem 
1844  geborenen  Brächet  Übrigens  war  auch  mit  diesem  Mit- 
bearbeiter des  ersten  Bandes  Paris  laut  dem  Briefe  vom  1.  Fe- 
bruar 1875  weit  weniger  zufrieden  als  mit  Morel-Fatio,  der  die 
beiden  anderen  Bände  übertragen  half.  Die  ganze  Sache  zog 
sich  sehr  lange  hinaus:  während  am  22.  März  1864  Paris  ge- 
glaubt hatte,  in  drei  Wochen  mit  dem  Drucke  des  ersten  Bandes 
beginnen  zu  können,  erschien  dieser  erst  1872;  der  zweite  und 
der  dritte  wären  nach  der  Bibliographie  1874  ausgegeben  wor- 
den, und  nach  dem  Briefe  vom  7.  Mai  1872  sollte  gemäfs  dem 
Vertrage  mit  dem  Ministerium  bis  zum  1.  Januar  1874  alles 
erschienen  sein ;  aber  am  1.  Februar  1875  war  der  sechste  Bogen 
des  dritten  Bandes  noch  nicht  abgezogen.  Dafür  konnte  freilich 
die  dritte  Ausgabe  des  Originals  zur  Grundlage  dienen. 


Mon  eher  et  vSn&rS  maitrej 

Ma  soRUTj  qui  est  mariSe  ä  Moscou,  vient  nous  voir  cette  annSe  et  je 
ffois  apr^-demain  La  chercher  ä  Gologne.  Je  ne  veux  pcts  passer  si  pr^  de 
vaus  Sans  aller  vous  vo-ir;  je  compte  arriver  ä  Gologne  dimafiche  matin, 
aller  vous  dire  hmijour  ä  Bonn,  puis  retourner  attendre  ma  scxur  au  train 
qui  arrive  de  Berlifi  ä  Cologne  ä  8  heures  du  soir,  je  crois.  JTespere  voir 
ausst  M.  DeUuSj  dont  la  reeetite  visite  ä  Paris  nous  a  fait  tant  de  plaisir. 

Pour  etre  sür  de  vous  trouver,  fai  cru  bien  faire  de  vous  ecrire  ee 
mot  d'avance;  attendex-moi  donc,  stiivant  toutes  les  praisemhlaticeSy  dimanche 
avant  midi,  et  eroyex  que  je  serai  bien  heureux  de  vous  assttrer  une  fois 
de  plus  de  mon  vif  et  respectueux  devouement. 

Öaston  Paris, 

Paris,  le  17  juin  1870. 

Dafs  Paris  Diez  auch  vorher  einmal  wiedergesehen  hatte 
und  zwar  in  Giefsen  ersieht  man  aus  dem  schon  oben  erwähnten, 
im  Journal  des  Dibats  1894  gedruckten  Aufsatz  zur  hundert- 
sten Wiederkehr  von  Diezens  Geburtstag,  wonach  1866  ein  sol- 
cher Besuch  stattfand.  Der  Tatsache  gedenkt  auch  Diez  in 
einem  Brief  an  Bartsch  vom  28.  Oktober  1866,  den  Stengel  in 
seinen  Diez- Reliquien,  Marburg  1894,  S.  23  abgedruckt  hat. 
Dafs  er  auch  1870,  unmittelbar  vor  dem  Ausbruche  des  Elrieges, 
in  Bonn  mit  seinem  Lehrer  zusammengetroffen  sei,  erwähnt  Paris 
in  jenem  Aufsatze  nicht.     Sollte  der  hier  so  bestimmt  in  Aus- 


Briefe  von  Gas  ton  PanB  an  Friedrich  Die2.  W 

sieht  gestellte  Besuch  gar  nicht  eiiblgt  sein?  Auf  der  Reise  zu 
der  geliebten  Schwester  in  Moskau  war  er  auch  1874,  als  er 
auf  kurze  Zeit  in  Misdroy  bei  mir  einkehrte  und  bei  dieser  Ge- 
legenheit durch  mich  auch  Karl  MüUenhoff  persönlich  kennen 
lernte.  Von  der  Frau»  die  die  letzten  Jahre  seines  Lebens  be- 
glückt hat,  war  er  begleitet,  als  ich  ihn  und  sie  1900  auf  ein 
paar  Tage  in  Berlin  beherbergen  durfte,  wohin  er  zum  Jubiläum 
der  Akademie  der  Wissenschaften  als  einer  der  Vertreter  der 
französischen  Akademie  entsandt  war. 


Ports,  ce  7  mai  187t, 
Mon  eher  maUre^ 

Enfin  notis  avons  conclu  avec  le  Ministhre  un  tradtS  qui  ctssure  la  trti- 
ducHon  de  votre  Orammaire.  Le  premier  volwne  parattra  le  1^  cunU  (ce 
ne  sera  qu'un  demi-volume) ;  les  irois  volumes  doivent  avoir  paru  avarU  le 
l^janvier  1874,  II  n'est  que  temps,  cor  si  noua  avions  tardi  nous  aurions 
sürement  eU  devances  par  les  Italiens,  11  est  vra/i  qtie  eeux-ci  trouvent  une 
Sorte  de  compensation  dans  V  abrege  de  Fomacdaro;  ce  qu'ü  a  a^outS  de 
son  cru  est  rare  et  mauvais:  c'est  etormant  que  les  tkSories  extravagantes 
de  Nannucei  n'atent  pas  encore  ite  absolument  deraci?iSes  en  Italic. 

Tai  eti  profondiment  touclU  et  je  vous  suis  bien  reeonnaissant  de  ce 
que  vous  me  dites  d'amiccU  do/ns  votre  lettre,  Pour  ce  qui  conceme  rÄlexis, 
la  critique  allemande  Va  juge  en  gSnSral  avec  une  bienveillance  extreme  et 
meme  eocagir^,  Xy  vois  ä  prSsent  bien  des  erreurs  et  bien  des  laeunes; 
il  s'en  faut  que  j'aie  encore  atteint  cette  Einsicht  et  cette  Umsicht  qui  per- 
mettent  d'enihrasser  d'emblSe  touies  les  faces  d*une  question,  et  grdce  avjx^ 
quelles  vos  ouvrages  ne  vieülissent  pas, 

J'esph'e  que  c'est  par  un  simple  oubli  que  vous  ne  me  dites  rien  du 
premier  numero  de  la  Romania;  s'ü  ne  vous  Stait  pas  parvenu,  je  vous 
demanderais  de  m*€n  prevenir  par  un  simple  mot;  au  reste,  vous  deve% 
mainienant  avoir  repe«  aussi  le  second.  Nous  vous  prums,  Meyer  et  moi, 
de  vouloir  bien  aeeepter  cet  hotnmage.  Je  n*ai  pas  besoin  de  vous  dire  que 
si  vous  trouviex  dans  vos  papiers  quelques  lignes  inedites,  nous  serions 
keureux  et  honoris  de  les  inserer. 

Quand  vous  me  dites,  mon  eher  mattre,  que  vous  avex  ihr  Geschäft 
geschiossenj  fesphre  bien  que  ce  n'est  pas  tout  ä  fait  exact.  Bauer  m*a  dit 
que  vous  lui  aviex  eerit  que  vous prepariex  un  rcTnanieme^it  des  Olossaires; 
ce  serait  lä  un  travail  bien  precieux,  car  ä  mes  yeux  c'est  un  de  vos  icrits 
les  plus  utiles  et  les  plus  adtnirables.  Gombien  j'ai  senti,  en  essayant  d'y 
joindre  quelques  notes,  quelle  est  notre  inferiorite  ä  tousJ  Quand  il  n'y 
aurait  que  cette  erudition  si  vaste  et  si  variee,  ä  laquelle  le  spSdaliste  le 
plus  laborieux  peut  ä  peme  ajouter  pd  et  lä  quelque  chose,  ce  serait  un 
avantage  incommensurahle;  et  pourtant  ce  n'est  que  la  mati^e,  qv/i  est 
mise  en  oeuvre  avec  u/ne  penetration  et  une  ingeniosite  sans  igates. 

Je  me  permets  cependant  de  vous  contredire  quelquefois,  bien  qu'en 
tremblant.  Sur  faite  je  ne  doute  pas  de  votre  approbation,  mais  fen  suis 
moins  sür  pour  navrer;  pourtant y  je  l'avoue,  nabager  me  par  alt  inad- 
missible. 

J'ai,  non  pas  une  demande,  mais  une  exposition  fort  indiscr^e  ä  vous 
faire.  Je  n'ai  achete  ni  la  troisitme  edition  de  la  Orammaire  ni  edle  du 
IHetionnaire,  pensant  que  peut-etre  vous  en  auriex  eu  un  exemplaire  ä  m^'en- 
wyer.  Pour  la  Orammaire,  Vieweg  m'a  foumi  des  feuilles  de  la  troisikme 
edition  (tome  I),  qui  ont  servi  ä  l'impression  de  la  traduction  et  sont  fort 

AiddT  f.  n.  SfHachen.    CTV.  7 


98  Briefe  Ton  Gaston  Paris  an  FriMrich  Diezi 

tneompUtes,  Je  n'ai  aucunement  Videe  de  np  pas  acheter  ces  deux  auvragety 
mais  ü  me  serait  disctgriable  de  les  acheter  si  vaus  aciex  peut-efre  Vinten- 
tion  de  me  les  donner,  ei  vous  seriex  sa/ns  doiäe  aussi  eontrarie,  (Test  ce 
qui  m'enhardit  ä  vaus  parier  de  cet  vnddent,  a/uquelje  vous  supplie  de  tiai- 
taeher  aticune  importanee  quelconque.  Si  votre  Sditeur  ne  vous  donne  pas 
d^exemplaireSj  votlä  la  ckose  finie;  mais  dans  le  cos  contraire  peut-etre 
vous  reste-t-il  dans  un  com  qttelque  exemplaire  dont  vous  ne  faües  rien, 
et  qui  me  serait  doublement  precieux  s'il  portait  un  moi  de  votre  main, 

Mon  pbre  a  He  bien  sensible  ä  votre  souvenir;  ü  se  porte  tres-bien  et 
travaüle  ä  un  ouvrage  de  longue  haieine  sur  les  romans  de  la  Table  Bände. 
H  a  passe  le  temps  de  la  guerre  en  Champagne,  et  n*a  pas  eu  maUrieÜe- 
ment  ä  souffrir,  bien  que  les  Aüema/nds  aient  oecupi  et  oceupent  encore 
notre  village  ,d' Ävenay. 

Je  vous'  deniande  redletnent  pardon  de  fatiguer  vos  yeux  par  un  si 
long  griffomiage,  mais  il  me  faut  encore  r^pondre  d  uns  question  que  vous 
m'adressex.  Je  suis  maintenant  professeur  suppUant  au  Collhge  de  Franke 
et  direeteur-adßoint  ä  VEcole  pratique  des  hautes  Etudes.  Mais  si  vous 
me  faites  le  grand  plaisir  et  le  grand  konneur  de  m'Serire,  il  est  inutile 
de  rnettre  ces  titres  sur  Vad/resse;  ce  n'est  pas  id  un  usage  comme  en  Alle- 
magne.  Quant  ä  mon  adresse  a^tuelle^  c'est  rue  du  Regard,  7;  mon  pbre 
demeure  au  no  3  de  la  meme  rue  avec  ma  soeur,  che%  laquelle  je  prends 
mes  repas,  de  sorte  que  sans  etre  marie  fai  une  v6ritable  vie  de  /amille, 
ce  qui  est  bien  doux  pour  un  travailleur. 

Je  vous  prierais  de  saZuer  pour  moi  M.  Delius  et  M.  von  Sybel  si  je 
ne  savais  que  vous  les  voyex  rarement.  Pardonnexrmoi  mon  indiserition  ä 
laquelle  vous  ferex  bien  de  ne  faire  aucune  aMention,  et  permettex-moi,  mon 
eher  et  venire  maitre,  de  7ne  dire  wne  fois  de  plus,  ou  pour  mieux  dire  de 

pus       pus  Votre  respectueusement  dSvaui, 

G  Paris. 

Der  Name  des  italienischen  Bearbeiters  lautet  richtig  Baf- 
faello  Fornaciari  und  der  Titel  des  Buches  Grammatica  storica 
della  Lingua  italiana  estratta  e  compendiata  dalla  grammatica 
romana  dt  Federigo  Diez,  Parte  1.  Morfologia.  Torino,  Fi- 
renze  e  Roma,  Loescher.   1872.    16^.    128  S. 

Die  deutsche  Kritik  hat  den  Alexis  nicht  anders  als  mit 
wärmster  Anerkennung  besprechen  können;  ich  erwähne  die 
ÄuCaerungen  von  Mussafia  im  Lit.  Centralblatt  1872  Sp.  335 — 337, 
von  J.  B.  (Baechtold)  in  der  Augsburger  Allgem.  Zeitung  1872, 
1.  Mai,  und  meine  eigene  in  den  Göttinger  Gelehrten  Anzeigen 
1872,  Stück  23  S.  881—903,  die  nach  Eomania  I,  398  meinem 
Freunde  ofienbar  Freude  bereitet  hat 

Bauer,  Alfred,  ist  der  Verfasser  der  1870  erschienenen  fran- 
zösischen Übersetzung  der  Altromanischen  Glossare,  zu  welcher 
Rönsch  und  Paris  Anmerkungen,  letzterer  aufserdem  eine  Vor- 
rede beigefügt  hatten.  Seine  Bedenken  gegen  Diezens  Erklä- 
rungen von  faite  und  von  navrer  hat  Paris  in  der  Romania 
I,  96  und  216  eingehender  dargelegt  und  ebenda  die  eigenen 
Ansichten  kennen  gelehrt  und  gerechtfertigt  (s.  dazu  Baist  in 
Gröbers  Zeitschrift  V  556  und  Romania  XXUI  493). 

Von  dem  'Schlufs  des  Geschäftes'  spricht  Diez  auch  in  einem 


«Briefe  von  tJaston  I^arie  an  iFViedrich  Biez.  öö 

an  uiich  gerichteten  Briefe  vom  Juni  1873,  dessen  hergehörige 
Stelle  in  der  Zts.  f.  rom,  PhüoL  VII,  489  Anm.  1  zu  lesen  ist. 
Das  Werk,  mit  dem  Paris,  der  Vater,  1872  beschäftigt  war, 
trägt  den  Titel  Les  romans  de  la  Table  Ronde,  mia  en  iiovr 
veau  langage  et  accompagnis  de  recherches  sur  Vorigine  et  le 
caract^re  ae  cea  granaes  compositions,  Paris  1868 — 77,  fünf 
Bände.  Über  den  reichen  Ertrag  des  langen  und  arbeitsamen 
Lebens  (1800—1881)  handelt  der  Sohn  in  Romania  XI,  1—21 
(1882).  

JParU,  ee  l*r  f Syrier  1875. 
Man  eher  et  v6n6ri  maitre, 

J'ai  6ti  bkn  heiureux  d^apprendre  par  M.  Ändresen  que  non-seulement 
VOU8  etes  en  bonne  scmte  de  corps  et  d'esprit,  mais  vous  avex  entrepris  un 
fwuvedu  travaüj  sur  le  rapport,  m'a-t-il  dity  des  langues  romanes 
au  latin.  Gette  questiony  que  vous  avex  vohntairement  amise  dans  la 
Orammaire,  preoccupe  actuellement  beaucoup  de  vos  il^ves;  mais  tous  re- 
connaitront  que  c'est  au  maitre  ä  la  resoudre.  Ne  pensex-vous  pas  que 
ce  travaü  dwrait  figurer  dans^  le  qtuUri^me  volume  de  la  traduction  fram- 
faise,  qui  doit  eontenir  un  Supplement  ä  taut  Vouvrage?  Mais  je  ne  sais 
si  voire  manuscrit  est  pret  ä  itre  imprimi.  Au  reste  on  pourrait  traduire 
direetement  sur  le  manuserit,  si  vous  vouliex  me  Venvoger,  La  Romania 
serait  atissi,  naturellementy  fort  honcr^e  de  le  publier. 

Je  vous  icris  surtout  pour  vous  demander  un  ielairoissement  avcmt  de 
donner  le  hon  ä  tirer  de  la  siodhne  feuüle  du  tome  III  de  cette  traduction. 
Vous  dites  ä  la  p,  98  que  le  nominatif  ne  peut  eire  rSgi  par  aucun  autre 
mot.  Puis  vous  ajoutex:  *Da  er  indessen  xu  dem  Accus,  in  einem  Wechsel' 
Verhältnisse  steht,  und  logisches  Suhject  werden  kann,  so  darf  er  in  diese 
Lehre  mit  aufgenommen  werden,'  Je  ne  comprends  cette  phrase  qu*en  chan- 
geant Suhject  en  Object.  Si  j'ai  raison,  il  est  inutile  de  me  ripondre; 
mais  si  je  me  trompe,  et  que  le  texte  tel  qu'ü  est  soit  bon,  je  vous  serai 
bien  oblige  de  me  le  faire  savoir  par  un  simple  mot. 

Au  reste,  ce  3^  volume  offre  des  difficultes  de  traduction  toutes  parti- 
culih-es.  La  langue  fran^ise  est  si  peu  habituee  ä  traiter  ces  sujets  qu'il  faul 
ä  tout  moment  creer  des  mots  ou  trouver  des  equivalents;  et  nous  serons 
bien  hin  d'arriver  ä  rendre  ce  style  si  concis  et  en  metne  temps  si  anime. 

Je  vous  en  Scrirais  plus  long  si  je  ne  craignais  de  vous  fatiguer. 
Laissex-moi  seidement  vous  dire  que  je  vous  serais  bien  reconnaissant  de 
m'indiquer  les  fautes  que  vous  aurex  remarqtiees  dans  les  deux  volumes 
imprimes.  Elles  doivent  surtout  etre  nomhreuses  dans  le  premier,  pour 
lequel  favais  un  eollaborateur  moins  exact  et  moins  attentif  que  pour  les 
deux  autres. 

Je  serai  bien  heureux  d'apprendre  de  temps  en  temps  de  vos  bonnes 

nouvelles,  et  fesp^e  bien  un  jour  ou  l' autre  aller  vous  voir.   Bappelex-moi 

au  bon  souvenir  de  voire  sceur,   si  eile  est  auprhs  de  vous,   et  croyex-moi 

bien,  mon  eher  et  venSr6  maitre,  rr  *     *    *  j-  ^  £  xix^     * 

*  ^  Votre  tout  devoue  eleve  et  am%, 

Q  Paris, 

7,  rue  du  Regard, 

UAcademie  de  Baviere  m'a  fait  Vinsigne  honfieur  de  ms  nommer  votre 
confrhre,  Elle  a  maintenant  pour  assodes  etra/ngers  deux  romanistes,  mais 
. , .  les  extremes  se  touchent, 

PomI  Meyer,  qui  sort  de  chex  mai,  me  Charge  de  vous  prisenter  ses 
reapeds, 

7* 


100  Briefe  von  Oaston  Paris  an  Friedrich  Dlez. 

Mit  der  von  Diez  noch  in  Angriff  genommenen  Arbeit,  deren 
Hugo  Andresen  bei  G.  Paris  erwähnte,  kann  nur  die  noch  1875 
ersdiienene  ^Romanische  Wortschöpfung'  gemeint  sein.  Sie  trägt 
übrigens  auch  den  Nebentitel  ^Grammatik  der  Romanischen 
Sprachen*   Anhang, 

Wenn  Paris  darüber  klagt,  dafs  die  einleitenden  Zeilen  des 
fünften  Kapitels  im  ersten  Abschnitte  der  Syntax  (III^,  96)  nicht 
yerständlich  seien,  so  kann  man  ihm  nicht  ganz  unrecht  geben. 
Es  scheint  mir  aber  nichts  gewonnen  zu  werden,  wenn  man 
^logisches  Subjekt'  mit  ^logisches  Objekt'  vertauscht.  Diez  hat 
hier  den  Ausdruck  ^logisches  Subjekt'  blofs  in  etwas  anderem 
Sinne  gebraucht,  als  gewöhnlich  geschieht.  Er  denkt  an  solche 
Fälle,  wo  das,  was  in  einem  Satze  Objektsakkusativ  ist,  durch 
abweichende  Gestaltung  des  nämlichen  Gedankeninhalts  zum 
Subjekt  gemacht  werden  kann  {me  laudant  =  ego  laudor);  dem 
Gedanken  nach  (logisch)  ist  dann  Subjekt,  was  zuvor  Objekt 
war,  ist  freilich  auch  dem  sprachlichen  Ausdrucke  nach  (gram- 
matisch) Subjekt;  und  wir  pflegen  die  beiden  Ausdrücke  *gram- 
matisch'  und  logisch'  sonst  da  zu  gebrauchen,  wo  grammatischer 
und  logischer  Sachverhalt  nicht  übereinstimmen.  Diez  hat  wohl 
vorzugsweise  an  die  Fälle  gedacht,  von  denen  er  unter  Nr.  7 
des  dem  Akkusativ  gewidmeten  zweiten  Abschnittes  (S.  121)  jenes 
fünften  Kapitels  spricht  (corsero  la  strada  neben  la  strada  fu 
corsa). 

Berlin.  Adolf  Tobler. 


Phonetik  und  Semantik  in  der  etymologischen  Forschung/ 


Die  romanischen  Idiome  bieten  uns  ein  Beobachtungsfeld  von 
seltener  Ausdehnung  und  wunderbarer  Mannigfaltigkeit:  seit  2000 
Jahren  ertönt  die  Sprache  Korns  von  Lissabon  bis  Bukarest  und  von 
Syrakus  bis  Brüssel,  und  je  weiter  hinunter  wir  sie  verfolgen,  um  so 
verwickelter  wird  ihre  dialektische  Verzweigung. 

Diese  unübersehbare  Differenzierung  desselben  Sprachstammes 
ist  ein  linguistisches  Schauspiel,  wie  es  uns  keine  andere 
Sprachgruppe  in  so  durchsichtiger  Weise  vor  Augen  führt;  denn 
nicht  nur  gehen  sieben  romanische  Schriftsprachen  und  unzahlige 
Dialekte  auf  ein  und  denselben  Mittelpunkt»  auf  Kom,  zurück,  son- 
dern -  -  was  andere  sprachliche  Disziplinen  so  schmerzlich  ver- 
missen —  dieser  gemeinsame  Ausgangspunkt  ist  uns  in  sprachlicher 
und  kultureller  Hinsicht  ungewöhnlich  gut  bekannt 

So  dürfte  wohl  die  romanische  Sprachwissenschaft  ganz  beson- 
ders dazu  angetan  sein,  die  Fragen  nach  dem  Wesen  der  Sprach* 
entwickelung  fördern  zu  helfen. 

Die  sprachwissenschaftlichen  Probleme  zerfallen  in  allgemeine 
und  spezielle.  Unter  allgemeinen  verstehe  ich  hier  solche,  die 
mit  dem  Wesen  der  Sprache  direkt  zusammenhängen,  unter  spe- 
ziellen solche,  die  eine  Eigentümlichkeit  einer  engeren  Sprach- 
genossenschaft behandeln.  Da  wir  nun,  nach  moderner  Auffassung, 
das  Wesen  der  Sprache  auf  keinem  anderen  Weg  als  auf  dem  empi- 
rischen erforschen  können,  und  da  dieser  empirische  Weg  uns  not- 
gedrungen durch  die  Einzelsprache  hindurchführt,  so  folgt  daraus 
einerseits,  dafs  es  im  Grunde  lieine  allgemeine  Sprachwissenschaft 
geben  darf,  die  nicht  die  Erforschung  der  Einzelsprache  zum  Aus- 
gangspunkt nimmt,  und  anderseits,  dafs  jede  einzelne  Sprache  oder 
Sprachgruppe  Probleme  allgemeiner  Natur  enthält,  die  der  betreffende 
Fachmann  im  Zusammenhange  mit  den  Grundfragen  des  Sprach- 
lebens zu  behandeln  die  Pflicht  hat  Demzufolge  erscheinen  die  Spezial- 


*  Nachfolgende  Arbeit  ist  die  erweiterte  Form  der  akademischen  An- 
trittsrede, die  Verfasser  am  28.  Oktober  1904  an  der  Universität  Basel 
gehalten  hat.  Was  sich  darin  an  allgemeiner  Orientierung  und  dem  Ro- 
manisten Allbekanntem  vorfindet,  möge  der  Fachmann  durcn  den  erwähnten 
Anlais  gütigst  entschuldigen« 


102       Phonetik  und  Semantik  in  der  etymologischen  FoTBchnng. 

forschungen  auf  dem  Boden  der  Einzelsprache  den  Wurzeln  und 
Fasern  eines  gewaltigen  Baumes  vergleichbar,  dessen  Stanun  die  all- 
gemeine Sprachwissenschaft  darstellt»  und  dessen  Ejiospen  und  Blüten 
uns  den  erwünschten  Aufschlufs  über  das  Wesen  der  Sprache  hoffen 
lassen.  Der  Stamm  ist  die  Fortsetzung  der  Wurzeln,  kein  Teil  des 
Ganzen  hat  Existenzberechtigung  ohne  den  anderen.  Der  einzel- 
sprachliche Forscher  darf  nicht  das  gemeinsame  Ziel  aufser  Augen 
verlieren,  er  darf  mit  seinen  Studien  nicht  —  um  im  Bilde  zu  blei- 
ben —  sich  unter  der  Erde  verborgen  halten,  er  muTs  hinauf  trachten, 
er  muls  dem  Stamme,  und  womöglich  der  Krone,  seine  Kräfte  zu- 
fliefsen  lassen. 

Wie  der  eine  nach  oben  streben  soll,  so  darf  der  andere,  der 
mehr  spekulativ  angelegte  Sprachphilosoph,  niemals  den  Boden  unter 
den  Füfsen  verlieren;  je  tiefer  er  im  Boden  der  realen  Verhältnisse 
wurzelt»  je  überzeugender  werden  seine  SchluTsfolgerungen  sein. 

In  dieser  Beleuchtung  betrachtet,  erscheint  die  allgemeine  Sprach- 
wissenschaft als  selbständiges  Fach  wie  ein  übermenschliches  Unter- 
fangen. Wo  wird  sich  das  Gehirn  finden,  das  imstande  wäre,  alle 
uns  bekannten  Sprachen  und  Dialekte  wissenschaftlich  zu  bewäl- 
tigen ?  Zwar  taudien  da  und  dort  derartige  Sprachengenies  auf,  die, 
mit  ungewöhnlichem  Wortgedächtnis  versehen,  erstaunliche  Leistun- 
gen aufweisen:  ich  erinnere  z.  B.  an  den  erst  vor  dniger  Zeit  ent- 
deckten Italiener  Trombetti,  der  sich  mit  dem  Wagemut  des  Auto- 
didakten an  das  Rätsel  aller  Rätsel,  der  Frage  nach  dem  'Ursprung 
der  Sprache',  herangewagt  hat  Dazu  brauchte  es  die  ganze  Kühn- 
heit und  Energie  eines  auTserhalb  der  Zunft  Stehenden,  denn  bereits 
hatte  die  reguläre  Sprachwissenschaft  auf  die  Lösung  dieses  Grund- 
problems verzichtet  Ob  die  kühnen  Hoffnungen,  die  Italien  auf 
die  Forschungen  Trombettis  setzt»  in  Erfüllung  gehen,  wird  erst  die 
Veröffentlichung  seines  Werkes  lehren. 

Nach  wie  vor  darf  gesagt  werden,  dafs  solche  umfassenden  Gei- 
ster selten  sind,  und  solange  die  Wissenschaft  auch  auf  die  Mit- 
arbeit gewöhnlicher  Sterblicher  angewiesen  ist,  so  lange  wird  der 
Grundsatz  non  muUa  sed  mulium  zu  gelten  haben. 

Tatsächlich  wird  es  auch  so  gehalten.  Die  Vertreter  der  allge- 
meinen Sprachwissenschaft  —  oder,  wie  sie  unzutreffenderweise  auch 
heifst»  der  'vergleichenden'  Sprachwissenschaft  — ,  sie  beschäftigen 
sich  durchaus  nicht  ausschliefslich  und  direkt  mit  den  Grund- 
problemen, sie  sind  auf  ihrem  Gebiet  ebensogut  Spezialforscher  wie 
Germanisten,  Romanisten  oder  Orientalisten,  nur  hat  ihr  Gebiet  viel 
weiteren  Umfang  sowohl  in  räumlicher  wie  in  zeitlicher  Beziehung. 
Sie  haben  es  sich  zur  Hauptaufgabe  gemacht,  die  indogermanischen, 
besser  indoeuropäischen,  Sprachen  in  grofsen  Zügen  zu  vergleichen, 
insbesondere  jene  grofse  Brücke  zu  schlagen  vom  Lateinischen,  Grie- 
chischen, Germanischen,  Keltischen  und  Slawischen  hinüber  zu  den 
indischen  und  iranischen  Sprachgruppen. 


Phonetik  und  Bemantik  in  der  etymologiBchen  Fonchung.       108 

Doch  ihre  Tätigkeit  beechrankt  sich  nicht  auf  die  historiadh  be- 
legten Sprachen,  sie  nehmen  sich  immer  mehr  der  allzulange  veiv 
nachlässigten  Idiome  der  sogenannten  Naturvölker  an. 

So  sehen  wir  denn,  dafs  auch  die  Sprachvergleicher  in  ihren 
Beobachtungen  auf  die  einzelnen  Sprachen  und  Dialekte  zurück- 
gehen, um  auf  Grund  möglichst  eingehender  Einzelkenntnisse  der 
Sprache  ihre  ewigen  Gesetze  abzulauschen. 

Es  kann  demnach  auch  kein  wesentlicher  unterschied  in  Ziel 
und  Forschungsmethode  bestehen  zwischen  Indogermanisten  einer- 
seits und  den  Vertretern  engerer  Sprachgruppen  wie  germanische 
und  romanische  Sprachen  anderseits.  Alle  zusammen,  die  einen  nicht 
mehr  als  die  anderen,  sind  Sprachvergleicher,  die  an  der  Ähn- 
lichkeit und  Unähnlichkeit  der  Formen  und  der  Bedeutungen  die 
für  alles  postulierte  Gesetzmälsigkeit  ergründen  und  so  ihre  Ein- 
sicht in  den  Gang  der  Sprachdinge  mehren  wollen. 

An  und  für  sich  eignet  sich  jede  Sprache,  jeder  Dialekt  in  glei- 
chem Mafse  zum  Studium  ebendieser  immanenten  Entwickdungs- 
gesetze.  Tatsächlich  aber  verdienen  naturgemäfs  diejenigen  Sprachen 
den  Vorzug,  deren  Entwickelungsgang  wir  durch  mehrere  Jahrhun- 
derte hindurch  verfolgen  können,  und  deren  Wort-  und  Formen- 
material uns  jederzeit  und  in  vollem  Umfange  zur  Verfügung  steht 
Wie  sollen  wir  Lautgeschichte  treiben  an  literaturlosen  Neger- 
sprachen, deren  ältere  Sprachformen  ein  für  allemal  spurlos  veiv 
Uungen  sind? 

Um  so  mehr  gewinnen  die  Kultursprachen  an  linguistischem 
Wert  Aus  ihrem  Schofse  sind  die  meisten  Probleme  hervorgewachsen, 
die  heute  den  Sprachforscher  beschäftigen. 

Es  sei  heute  einem  Vertreter  der  romanischen  Sprachwissenschaft 
vergönnt,  ein  Problem  allgemeiner  Natur  aufzuwerfen  und  mit  Bei- 
spielen aus  seinem  Wissensbereich  zu  beleuchten. 

Was  ich  vorbringen  möchte,  betrifft  die  Methode  der  etymo- 
logischen Forschung.  Die  Wissenschaft  hat  die  Autorität  ab- 
geschafft An  ihre  Stelle  ist  die  wissenschaftliche  Mediode  getreten, 
die  jedoch,  im  Gegensatz  zur  früheren  Autorität,  stets  der  Nachprü- 
fung bedarf.  Im  folgenden  soll  ein  Teil  dieser  neuen  Autorität  in 
Wiedererwägung  gezogen  werden.  Es  handelt  sich  um  die  prinzipielle 
Frage:  welche  Bedingungen  müssen  erfüllt  sein,  um  von 
einer  Etymologie  sagen  zu  können,  sie  sei  richtig? 
^  Die  erste  Antwort  des  heutigen  Linguisten  wird  lauten:  eine 
Etymologie  ist  dann  richtig  zu  nennen,  wenn  nachgewiesen  werden 
kann,  dals  der  vorgeschlagene  Entwickelungsgang  sich  mit  den 
Lautgesetzen  im  Einklang  befindet 

Aber  dürfen  wirklich  die  Lautgesetze  allein  den  Ausschlag 
geben?  Ist  das  Wort  auf  seinem  langen  Wege  durch  die  Jahrhun- 
derte nur  lautlichen  Veränderungen  ausgesetzt?  Geschieht  es  nicht 
aehr  oft^  dals  auch  sein  Inhalt  sich  umgestaltet^  dals  sein  Sinn  sich 


104       Phonetik  und  Semantik  in  der  etymologischen  Forschung. 

trübt^  ja  bis  zur  Unkenntlichkeit  yerstiunmelt  wird?  Wer  vermöchte 
auf  den  ersten  Blick  im  frz.  truie  'Mutterschwein'  die  glorreiche 
Hauptstadt  Eleinasiens,  Troja,  wiederzuerkennen?  oder  was  hat  eine 
Briefanarke  mit  einer  Pauke  gemeinsam?  Und  doch  kommt  das  frz. 
timbre  vom  griech.-lat.  tympanüm  'Handpauke'. 

Um  solche  Dinge  glaubhaft  zu  machen,  genügen  die  kabalisti- 
schen  Formeln  der  Lautgesetze  nicht  mehr.  Da  braucht  es  anderer 
Argumente  für  den  Uneingeweihten,  denn  nicht  am  Lautwandel 
dieser  Wörter  nehmen  wir  Anstols,  sondern  an  dem  sonderbaren 
Wandel  ihrer  Bedeutung. 

Damit  sind  wir  am  strittigen  Punkt  unserer  Frage  angelangt: 
bedarf  nicht  auch  die  begriffliche  Seite  einer  Etymologie  des  aus- 
drücklichen Nachweises?  Und  ist  nicht  etwa  dieser  begriffliche  Nach- 
weis ebenso  notwendig  zur  Richtigkeit  der  Etymologie  wie  der  laut- 
liche Nachweis? 

Auf  die  erste  dieser  Fragen  wird  jeder  Etymologe  ohne  weiteres 
mit  ja  antworten,  selbstverständlich,  wird  er  sagen,  erst  wo  die  Be- 
deutungsentwickelung möglich  erscheint,  ist  die  vorgeschlagene  Her- 
kunft des  Wortes  gesichert 

Über  die  zweite  Forderung  aber,  -dafs  lautliche  und  begriffliche 
Prüfung  der  Etymologie  mit  gleicher  Strenge  durchgeführt  werden 
soll,  darüber  herrscht  Meinungsverschiedenheit,  darüber  gibt  es  einen 
längeren  literarischen  Handel,  der  sich  in  den  letzten  Jahren  von 
1899 — 1903  zwischen  zwei  hervorragenden  Vertretern  der  roma- 
nischen Sprachwissenschaft  abgespielt  hat;  die  beiden  Opponenten 
heifsen  Antoine  Thomas  und  Hugo  Schuchardt 

Unsere  Aufgabe  wird  also  in  folgenden  Punkten  zu  bestehen 
haben: 

Zuerst  haben  wir  über  den  Verlauf  der  Kontroverse  zu  be- 
richten, dann  das  Dafür  und  Dawider  des  neuen  Postulates  abzu- 
wägen und  endlich  unsere  persönliche  Stellung  dazu  Ihrem  Urteil 
zu  unterbreiten. 

Bevor  wir  jedoch  an  diese  eigentliche  Aufgabe  herantreten,  sei 
es  mir  gestattet,  einige  Erwägungen  allgemeiner  Art  vorauszuschicken. 

Der  Hang  zum  Etymologisieren,  worüber  sich  kürzlich  Rudolf 
Thurneysen  in  einer  trefflichen  Schrift*  geäufsert  hat,  ist  eine 
psychologische  Erscheinung  von  besonderem  Interesse,  erstens  weil 
er  sehr  alt  imd  zweitens  in  allen  Schichten  der  Bevölkerung  ver- 
breitet ist.  Der  Herkunft  der  Wörter  nachsinnen  ist  wohl  die  älteste 
Form  des  Nachdenkens  über  die  Sprache  und  zugleich  auch  die- 
jenige linguistische  Tätigkeit,  die  auszuüben  jeder  ein  göttliches 
Recht  zu  haben  glaubt. 

Wie  keck  oft  der  Volksgeist  dabei  zu  Werke  geht,  das  zeigt 


1  JXe  Etymologie,  ProrektorcUsrede  vom  IL  Mai  1904.    Freiburg  i,  B. 


Phonetik  und  Semantik  in  der  etymologischen  Forschung.        105 

uns  jene  eigenartige  Umbildung  der  Worter,  die  man  Volksety- 
mologie nennt:  'Abend teuer*  aus  mhd  aventiure  und  Armbrust  aus 
arcvbdlista  sind  allbekannt  Einleuchtender  als  diese  beiden  ümdeu- 
tungen  ist»  was  der  Volkswitz  aus  dem  Philosophen  Leibniz  ge- 
macht hat:  er  nannte  ihn  in  Hannover  Lövenix,  der  'nichts  glaubt'.^ 
Wir  alle  sind  Zeuge  gewesen  der  drolligen  Verstümmelungen  des 
Wortes  Influenza,  das  die  moderne  Medizin  vor  einigen  Jahren  un- 
bedachtsamerweise  ihrem  geheimen  Dossier  hat  entschlüpfen  lassen. 
In  Frankreich  geht  es  den  medizinischen  Ausdrücken  nicht  besser. 
Die  Usion  interne  *inhere  Verletzung*  wird  im  Volksmunde  zu  Ugion 
(^internes;  die  poiion  opiacSe  'der  opiumhaltige  Trank'  zu  la  potion 
d  pioncer;  das  deliriu/m  tremens  zu  einem  wenig  einleuchtenden  di- 
lire  d'homme  ires  minee.  Den  'Tramway'  nennt  der  Pariser  gern  le 
iraine-moi. 

Oft  begegnet  man  recht  sinnreichen  Deutungen:  die  Orange 
heifst  frz.  orange,  ital.  dagegen  arancio\  die  ital.  Form  ist  die  ur- 
sprüngliche, das  Wort  ist  arabischer  Herkunft.  Das  o  von  orange 
ißt  ein  Anklang  an  or  'Gold',  offenbar  im  Gedanken  an  die  gold- 
gelbe Farbe  der  Frucht  —  Der  Deutsche  sagt  Admiral,  der  Fran- 
zose amiral;  die  letztere  Form  ist  die  etymologisch  richtige,  auch 
dieses  Wort  ist  arabisch.  Trotzdem  kommt  unser  Admiral  aus  dem 
Französischen,  wo  es  im  16.  und  17.  Jahrhundert  so  hiefs  in  Anleh- 
nung an  admirer. 

Sicherheit  in  et3rmologischen  Dingen  ist  erst  eingetreten  durch 
die  Entdeckung  der  Lautgesetze:  d.  h.  seit  dem  ersten  Drittel  des 
vorigen  Jahrhunderts,  wo  die  drei  grundlegenden  Grammatiken  von 
Bopp,  Grimm  und  Diez  erschienen  sind,  der  erste  der  Begründer 
der  indogermanischen,  der  zweite  deijenige  der  germanischen  und 
der  dritte,  Diez,  der  Gründer  der  romanischen  Sprachwissenschaft 

Diese  Entdeckung  spaltet  die  ganze  etymologische  Forschung 
in  zwei  Perioden:  in  eine  unkritische  vor  dem  19.  Jahrhundert 
und  in  eine  kritische  oder  wissenschaftliche  in  und  nach  dem 
19.  Jahrhundert 

Das  Verfahren  der  unkritischen  Etymologen  ist  allbekannt:  es 
ist  dasjenige  des  Volkes  und  der  Kinder,  denen  sich  gelegentlich 
auch  ein  Reimkünstler  beigesellt;  da  wird  auf  gut  Glück  aus  äufser- 
licher  Ähnlichkeit  zweier  Wörter  auf  ihre  innere  Verwandtschaft  ge- 
schlossen, und  will  die  Deutung  nicht  recht  plausibel  erscheinen,  so 
werden  ganz  willkürlich  einige  Mittelglieder  erfunden.  Ein  typischer 
Vertreter  dieser  Methode  in  Frankreich  ist  Manage,  ein  Zeitgenosse 
Molidres.  Berüchtigt  ist  seine  Ableitung  von  Jiaricot  'Bohne',  das  in 
allem  Ernst  vom  Tat  faba  stammen  soll,  und  zwar  auf  folgende 
Weise:  von  faba  'Bohne'  wird  gebildet  fabaricus,  dann  fabaricotus 
und  durch  Aphärese  aricotus,  lutricoL    Kein  Wunder,  dafs  derselbe 


>  Siehe  L.  Feuerbach,  SärnÜiche  Werke  6  S.V. 


106       Phonetik  und  Semantik  in  der  etymologischen  Forschung. 

Hexenkünstler  es  fertig  bringt^  frz.  rcU  vom  lat  müs  herzuleiten 
über  die  Zwischenglieder:  muraiius,  rcUus,  rail 

Wir  können  uns  nicht  enthalten,  dabei  an  das  bekannte  dXwnijl^ 
'Fuchs'  erinnert  zu  werden,  und  begreifen,  wie  Voltaire  von  dieser 
PseudoWissenschaft  sagen  konnte:  c^est  tme  seiend  oü  lea  voyelles  ne 
fönt  rien  et  les  eonsonnes  fort  peu  de  ckose.  ^ 

Solchem  planlosen  Tasten  gegenüber  war  die  Begründung  der 
Sprachwissenschaft  für  die  Etymologie  eine  erlösende  Tat  Erst 
seit  dieser  Zeit  haben  sich  wieder  ernste  Geister  ihr  zugewandt  Man 
hat  unter  dem  Einfluis  der  naturwissenschaftlichen  Methode  erkannt, 
dafs  auch  die  Wortveränderungen  nicht  ein  Spiel  des  Zufalls  sind, 
sondern  dafs  sie  gesetzmälsig  verlaufen,  dafs  also  die  erste  Aufgabe 
des  Linguisten  darin  besteht,  diese  Sprachgesetze  aufzufinden.  Nur 
an  der  Hand  dieser  Gesetze  können  wir  die  Richtigkeit  einer  auf* 
gestellten  Etymologie  ermessen,  und  wenn  noch  hie  und  da  die  alte 
etymologische  Kunst  ihr  Wesen  treibt,  so  wird  sie  ebensowenig  ernst 
genommen  wie  die  astrologische  neben  der  astronomischen  Wissen- 
schaft 

Es  ist  bis  jetzt  noch  nicht  gelungen,  vom  Inhalt  eines  Wortes 
auszusagen,  er  müsse  im  Lauf  der  Jahrhunderte  in  dieser  oder  jener 
Richtung  sich  verändern,  wie  wir  es  von  der  Lautform  eines  Wortes 
leidlich  behaupten  können.  Das  wäre  das  Ziel  einer  wissenschaft- 
lichen Bedeutungslehre;  wir  stehen  kaum  in  den  ersten  Anfängen. 
Das  einzige,  was  man  erreicht  hat,  ist  die  Abgrenzung  der  verschie- 
denen Arten  von  Bedeutungswandel,  wie  sie  Darmes  teter,  Paul, 
Wundt  {Völkerpsychologie  I,  2,  487  ff.)  u.  a.  aufgestellt  haben. ^  *Die 
'Semasiologie  ist  ein  Stiefkind  der  Grammatik'  (man  lese:  Linguistik), 
beginnt  Hey  seinen  bemerkenswerten  Artikel  {Ärch.  f.  lat.  Lexiko- 
graphie 9,  193).  Darüber  haben  sich  viele  Forscher  beklagt^  so 
Curtius,  Heyse,  Schleicher,  Geiger,  Steinthal,  Lazarus, 
L.  Tobler,  Heerdegen  u.  a.  (siehe  darüber  Hecht,  Die grieehisehe 
Bedeutungslehre,  Leipzig  1888). 

Ich  muls  hier  einen  wichtigen  Unterschied  andeuten:  all  den 
genannten  Semasiologen  liegt  daran,  die  Arten  und  die  Ursachen 
des  Bedeutungswandels  zu  kennen  und  sie  mit  möglichst  vielen  Bei- 
spielen zu  belegen.    Für  die  Etymologie  wäre  ein  anderes  Verfahren 

'  Weniger  begreiflich  ist,  dafs  der  grolse  Dietionnaire  eneyehpidique 
von  LarouBse  in  dasselbe  Hom  bläst  und  sagt:  quand  une  Uymologie  est 
savantBy  il  y  a  cent  ä  parier  contre  un  qu'eüe  est  fausse,  —  Man  sieht,  wie 
lange  begangene  Sünden  nachwirken,  man  sieht  aber  auch,  wie  lan^  es 
geht,  besonders  in  Frankreich,  bis  sprachwissenschaftliche  Erkenntnis  in 
solchen  Sammelwerken  Eineang  findet. 

'  Was  gewisse  Sprachrorscher  wie  Whitney  und  von  der  Gabe- 
lentz  noch  Dez  weif  ein,  ist  doch  wohl  nicht,  wie  Wundt  (Völkerpsychologie 
I,  2,  4)  anzunehmen  scheint,  die  GeHetzmäfsigkeit  der  Bedeutungsverände- 
ruugen  an  sich,  sondern  die  Möglichkeit,  die  in  Frage  stehenden  Erschei- 
nungen in  Gesetze  zu  fassen. 


Phonetik  und  Semantik  in  der  etymologischen  Forsch ung.        107 

ersprieifilicher:  nämlich  statt  vom  Wort  vom  Begriff  auszugehen 
und  zu  zeigen,  mit  welchen  Mitteln  irgendein  Begriff  ausgedrückt 
worden  ist,  folglich  ausgedrückt  werden  kann. 

Vergegenwärtigen  wir  uns,  dafs  jedes  Wort  aus  zwei  Elementen 
besteht,  einem  lautlichen  und  einem  begrifflichen,  und  dafs 
diese  Elemente  gleichwertig  sind,  weil  weder  ein  Wort  ohne  Be- 
deutung noch  eine  Bedeutung  ohne  lautlichen  Halt  bestehen  kann, 
so  folgt  daraus,  dafs  Lautwandel  und  Bedeutungswandel  bei  der 
Etymologie  gleichmäfsig  berücksichtigt  werden  müssen. 

Ein  Beispiel  mag  das  veranschaulichen :  die  romanische  Sprach- 
wissenschaft behauptet,  das  frz.  cMtif  'armselig,  schwächlich'  komme 
vom  lat  captwus  'der  Grefangene'. 

Worauf  gründet  sich  diese  Behauptung?  Sie  gründet  sich  auf 
zweierlei  Erwägungen: 

Erstens  wird  gesagt:  das  neufrz.  chStif  ist  die  lautgesetzliche 
Entsprechung  des  lat.  *cactivus  für  capiivus,  was  so  viel  bedeutet 
als:  die  Lautverbindung  *cactivu  konnte  im  Neufranzösischen  nichts 
anderes  ergeben  als  ehitif,  denn 

1)  der  Nexus  ca  erscheint  regelroäfsig  nfrz.  als  che:  caballu  zu 
chevaly  capillu  zu  cheveu  auch  unter  dem  Ton:  caput  zu  chef,  carus 
zu  e?ier  und  nach  dem  Ton:  manica  >  manche,  dominica  >  dimanche; 

2)  der  Nexus  ad  wird  regelmäfsig  zu  aii,  daher  afrz.  chaitif, 
prov.  eaitiu,  man  vergleiche:  factu  frz.  faxt,  lade  frz.  lait,  tradu  frz. 
irait;  endlich  wird 

3)  Avufa)  zu  ifi  80  vivu  zu  vif,  iardivu  zu  iardif,  *re8tivu($)  zu 
ritif  'widerspenstig*. 

Damit  ist  die  lautliche  Entwickelung  von  *eadivus  zu  chSiif  be- 
wiesen, willkürlich  bleibt  nur  noch  der  Schritt  von  captivtis  zu  *(xu>- 
tivus.  Diese  Vertauschung  —  kt  für  pt  —  ist  noch  nicht  genügend 
aufgeklärt;  am  einleuchtendsten  ist  der  Vorschlag  Thumeysens,  der 
keltischen  Einflufs  annimmt  (s.  Keltorofnanisches  S.  16),  dadurch  er- 
klärt es  sich  auch,  weshalb  das  ital.  eattivo  'schlecht'  und  das  span. 
eauiivo  'gefangen',  wo  ja  keltischer  Einflufs  fast  ausgeschlossen  ist, 
auf  capiivus,  nicht  auf  *cadivus  zurückgehen. 

Trotz  dieser  letzteren  Schwierigkeit  darf  man  also  die  Etymo- 
logie, chStif  aus  capiivus,  vom  lautlichen  Gesichtspunkt  als  ge- 
sichert hinstellen. 

Was  sagt  zweitens  nun  die  Semasiologie  zu  unserer  Aufstel- 
lung? Capiivus  heifst  gefangen,  chSiif  bezeichnet  ein  armseliges, 
kränkliches  Wesen,  ein  erbärmliches  Ding.  La  chStive  pScore  nennt 
Lafontaine  den  unverständigen  winzigen  Frosch,  der  es  dem  dicken 
Ochsen  an  Leibesfülle  gleichtun  wollte.  //  a  chStive  mine  sagt  man 
von  einem,  dessen  Äufseres  unansehnlich  ist,  une  chiiive  ricolte  ist 
eine  magere  Ernte. 

Damit  sind  wir  ziemlich  weit  von  der  ursprünglichen  Bedeutung 
'gefangen'  abgekommen,  die  sich,  wie  bekannt,  im  gelehrten  captif 


108        Phonetik  und  Semantik  in  der  etymologischen  Fonchnng. 

erhalten  hat^  und  müssen  zugeben,  dafs,  wenn  uns  nicht  die  Laut- 
gesetze kategorisch  auf  eapHvus  hingewiesen  hätten,  wir  kaum  darauf 
verfallen  wären,  ein  Wort  von  der  Bedeutung  'gefangen'  zu  suchen. 

Und  so  geht  es  bei  den  meisten  etymologischen  Versuchen:  die 
Lautgestalt  des  Wortes  bringt  das  Gedächtnis  des  Forschers  in  Be- 
wegung, er  sucht  nach  einem  ähnlich  klingenden  in  der  alteren 
Sprache  —  er  braucht  dazu  ein  gutes  8tück  Phantasie  — ,  glaubt  er 
ein  Etymon  gefunden  zu  haben,  so  gilt  es,  an  Hand  von  vielen  Bei- 
spielen die  lautliche  Nachprüfung  vorzunehmen,  fällt  diese  günstig 
aus,  so  sucht  man  nachträglich  auch  die  Bedeutungsveränderung, 
falls  eine  solche  vorhanden,  diurch  ein  paar  mehr  oder  weniger  zu- 
treffende Definitionen  plausibel  zu  machen,  und  —  die  Etymologie 
ist  fertig. 

Was  wir  in  unserem  Falle  haben  sollten,  ist  ein  semasio- 
logisches  Gesetz,  das  da  sagt:  bedeutet  ein  Wort  'gefangen',  so 
geht  es  innerhalb  eines  gewissen  Zeitraumes  und  innerhalb  eines  ge- 
wissen Bprachgebietes  in  die  Bedeutung  'armselig'  über.  Ein  solches 
Gesetz  dürfte  sich  ebenbürtig  unseren  Lautgesetzen  an  die  Seite 
stellen  und  gäbe  für  jede  Etymologie  die  erwünschte  Kontrolle.  Doch 
das  ist  Zukunftsmusik,  vorläufig  haben  wir  keine  solchen  Gresetze, 
und  es  ist  auch  keinerlei  Aussicht  vorhanden,  daTs  wir  je  den  Be- 
deutungswandel mit  dieser  Präzision  in  Formdn  fassen  können. 

Kehren  wir  zu  unserem  'Gefangenen'  zurück. 

Worauf  stützt  sich  —  so  fragen  wir  auch  hier  —  die  Behaup- 
tung, 'gefangen'  sei  zu  'elend'  geworden?  Sie  stützt  sich,  abgesehen 
von  ihrer  logischen  Möglichkeit,  auf  eine  bis  jetzt  verschwiegene  Tat- 
sache: das  Altfranzösische  hat  nämlich  seinem  chaitif  die  ursprüng- 
liche Bedeutung  noch  bewahrt,  und  bis  ins  15.  Jahrhundert  hinein 
lebt  die  Bedeutung  'gefangen'  neben  der  neufranzösischen  fort^  diese 
erscheint  jedoch  ihrerseits  schon  im  Rolandsliede,  wo  es  von  der  um 
ihren  Gatten  trauernden  Heidenkönigin  Bramimonde  heilst  (V.  2596): 

trau  868  cheveU  8%  86  cleimet  eaüive 

'sie  rauft  ihr  Haar  und  klaget  jämmerlich'.  Wir  konstatieren  somit, 
dafs  dieselbe  Lautform  während  mindestens  drei  Jahrhunderten  un- 
sere beiden  Bedeutungen  'gefangen'  und  'elend'  in  sich  vereinigte. 

Da  diese  Bedeutungen  sich  begrifflich  so  nahe  stehen,  wäre  es 
ebenso  sinnlos,  anzunehmen,  chaitif  'gefangen'  sei  ein  anderes  Wort 
als  cfiaitif  'elend',  wie  dies  auf  der  Hand  liegt  bei  txmsin  'Vetter' 
und  Cousin  'Stechmücke'  und  durch  die  verschiedene  Etymologie  — 
das  eine  von  consobrinus,  das  andere  von  culicinum  —  bestätigt  wird. 

Wenn  nun  dasselbe  Wort  mehrere  Bedeutungen  aufweist^  so  ist 
logischerweise  nichts  anderes  denkbar,  als  dafs  die  eine  von  der  an- 
deren abgeleitet  ist,  es  mufs  sich  somit  auch  die  allgemeinere  Be- 
deutung 'armselig'  aus  der  spezielleren  'gefangen'  herausentwickelt 
haben. 


Phonetik  und  Semantik  in  der  etymologischen  Forscbimg.        109 

Sie  haben  sich  vielleicht  schon  längst  gewundert»  dafs  ich  mit 
emem  ganzen  Apparat  von  Tatsachen  und  Überlegungen  aufrücke, 
während  doch  die  Dinge  so  einfach  lägen,  und  sind  vielleicht  an  jene 
ersten  Geometriestunden  erinnert  worden,  wo  man  angehalten  wird, 
Dinge  zu  beweisen,  deren  Evidenz  man  deutlich  vor  Augen  sieht 

Es  sei  ja  leicht  begreiflich,  werden  6ie  sagen,  es  liege  ja  in  der 
Sache  begründet,  dafs  das  Wort  'Gefangener'  den  Sinn  'armselig' 
annehme,  da  der  meist  schlecht  behandelte  Gefangene  sich  in  einem 
kläglichen  Zustande  befinden  müsse. 

Darauf  erlauben  Sie  mir  wohl  zu  antworten,  dafs  der  gesunde 
Menschenverstand  zwar  eine  unentbehrliche  Eigenschaft  jedes  wissen- 
schaftlich Arbeitenden  sein  soll,  dafs  aber  dieser  sogenannte  gesunde 
Menschenverstand  nicht  bei  jedem  gleichgeartet  ist  und  deshalb  nicht 
immer  das  zuverlässigste  Mittel  sein  dürfte,  um  die  Wahrheit  zu  er- 
forschen. 

In  unserem  Fall,  ich  gebe  es  zu,  streifen  die  Dinge  an  Evidenz. 
Sobald  ich  Ihnen  aber  mitteile,  dafs  capiivtts  im  Italienischen  'schlecht' 
{un  uomo  cattivo)  und  captiva  im  Sardischen  'Witwe'  bedeutet,  so 
werden  Sie  im  ersten  Augenblicke  kopfschüttelnd  einwenden,  das 
müsse  ein  anderes  Wort  sein,  es  seien  doch  nicht  alle  Gefangenen 
'schlechte  Menschen',  noch  werden  alle  gefangenen  Frauen  zu  Witwen. 

Was  uns  zu  trennen  scheint,  ist  der  Unterschied  zwischen  histo- 
rischer Argumentation  und  logischer  Argumentation,  zwischen 
einem  Tatsachenbeweis  und  einem  Deduktionsbeweis.  Letzterer  mag 
oft  geringere  Mühe  kosten,  denn 

Leicht  beieinander  wohnen  die  GManken, 
Dodi  hart  im  Baume  stolsen  sich  die  Sachen, 

aber  in  jeder  empirischen  Wissenschaft  gilt  der  Grundsatz:  eine  ein- 
zige sicher  beobachtete  Tatsache  besitzt  mehr  Beweiskraft  als  die 
schönste  aprioristische  Deduktion. 

Wir  stehen  noch  am  Bedeutungswandel:  'gefangen'  zu  elend. 
Sehen  wir  uns  nach  weiteren  semasiologischen  Beweismitteln  um. 
Da  liefert  uns  das  Keltische  ein  frappantes  Analogen  (Thurneysen, 
Op.  oit.  p.  16  Anm.  1):  altirisch  cacht  aus  lat  eaptus  hat  ebexifalls 
die  Doppelbedeutung  'gefangen'  und  'unglücklich«  elend',  wobei  die 
erstgenannte  gleichfalls  die  ursprünglichere  ist. 

Fügen  wir  dazu  das  deutsche  'elend',  ahd.  elirlenti,  in  anderem, 
fremdem  Lande  befindlich,  'ausländisch',  auch  'gefangen'  bedeutend, 
so  können  wir  mit  ruhigem  Gewissen  sagen:  der  Bedeutungsübergang 
'gefangen'  zu  'elend'  ist  nicht  nur  logisch  wahrscheinlich,  sondern 
—  was  mehr  wert  ist  —  historisch  gesichert,  und  zwar  durch  drei 
Sprachen,  französisch,  keltisch  und  deutsch,  die  sich  in  der  Haupt- 
sache unabhängig  voneinander  entwickelt  haben. 

Sv/mma  aumniarum,  die  Etymologie,  ehetif  aus  captivus,  ist 
lautlich   und  begrifflich  kaum   anfechtbar,   und   Sie   werden   nach 


110        Phonetik  und  Semantik  in  der  etymolo^Bclien  Forschung. 

dem  Gehörten  der  romanischen  Sprachwissenschaft,  die  sie  aufstellt, 
recht  geben. 

Ich  war  bemüht,  Ihnen  für  dieses  Beispiel  das  ganze  Beweis- 
material vorzuführen.  Es  geschah  in  der  Absicht^  Ihre  Aufmerksam- 
keit auf  die  Verschiedenheit  der  Beweisführung  zu  lenken,  die  be- 
steht zwischen  lautlichem  und  begrifflichem  Nachweis. 

Jenem  stehen  Lautgesetze  zur  Verfügung,  die  eine  fast  absolute 
Kontrolle  ermöglichen,  während  diesem,  dem  Bedeutungsnachweis, 
nichts  Ahnliches  zu  Gebote  steht. 

Wir  sind  in  semasiologischer  Hinsicht  auf  dreierlei  Hilfsmittel 
angewiesen: 

1)  auf  Belegstellen  aus  der  Übergangszeit, 

2)  auf  Parallelentwickelungen  aus  anderen  Sprachen, 
8)  auf  aprioristische  Erwägungen. 

Bei  der  Etymologie  6hMif  —  captwus  waren  wir  in  der  glück- 
lichen Lage,  die  beiden  ersten  Mittel  mit  Erfolg  anwenden  zu  können, 
und  so  konnten  wir  dem  gefährlichen  dritten,  der  blols  logischen 
Konstruktion,  aus  dem  Wege  gehen.  Sehr  oft  aber  ist  dieses  dritte 
Mittel  die  letzte  Zuflucht  der  Etymologie. 

Wir  kehren  zu  unserer  Streitfrage  zurück  und  berichten  zuerst^ 
was  über  dieselbe  geschrieben  worden  ist. 

Der  erste,  der  meines  Wissens  auf  diese  Ungleichheit  in  der 
Beurteilung  aufmerksam  machte,  ist  der  französische  Sprachvergleicher 
Michel  Br6al,  der  das  grundlegende  Werk  von  Bopp:  Verglei- 
chende Orammatik  der  indogermanischen  Sprdchen  ins  Französische 
übersetzte  und  dadurch  die  vergleichende  Sprachforschung  in  Frank- 
reich begründete. 

Michel  Br6al  schrieb  im  Jahre  1889  einen  kurzen  Aufsatz,  be- 
titelt: De  Vimportance  du  sens  en  dtymologie  et  en  grammaire  {MSm. 
de  la  Soc,  de  linguistique  VI,  163  ff.).  Oleich  am  Anfang  heifst  es: 
ü  y  a,  en  ^tymohgie,  un  guide  dont  on  ne  tieni  pas  ctssez  compte: 
&est  le  sens  du  moL  Darin  erzählt  er,  wie  Stowasser  das  lat 
meridies  'Mittag*  aus  merus  dies  *heller  Tag*  ableitet,  entgegen  der 
gewöhnlichen  Etymologie  von  medius  dies  *die  Mitte  des  Tages*.  Diese 
letztere  Ableitung  hält  Br^al  mit  zweierlei  semasialogischen  Gründen 
aufrecht 

Erstens  verweist  er  auf  andere  Sprachen,  wie  wir  es  bei  chStif 
aus  captivus  getan  haben.  Der  Begriff  'Mittag'  wird  in  den  meisten 
Sprachen  durch  *Mitte  des  Tages'  wiedergegeben.  * 

Zweitens  führt  er  die  logische  Wahrscheinlichkeit  ins  Feld.  Es 
ist  in  der  Tat  von  vornherein  wahrscheinlicher,  dafs,  um  die  Mitte 
des  Tages  auszudrücken,  sich  dies  mit  medius  zu  einem  Worte  ver- 


*  Nur  das  Baseldeutsche  macht  hiervon  eine  bemerkenswerte  Aus- 
nahme, indem  es  drximmis  'aum  Imbils'  sagt 


Flioiietik  und  Semantik  in  der  etymologischen  Forechnng.        111 

binde  als  mit  merus,  das  seiner  Kernbedeutung  'rein,  unvennischf 
nach  überhaupt  schlecht  zum  Begriff  dies  pa&t  ^ 

Auch  Bcdiuchardt  spricht  sich  für  meditis  dies  aus,  er  meint 
geradezu,  einem  anderen  Ursprung  nachsinnen  sei  chercher  midi  d 
qtiatorxe  heu/r  es! 

Wir  können  uns  hier  nicht  darauf  einlassen,  die  lautlichen  und 
begrifflichen  Schwierigkeiten,  die  beide  Vorschläge  bieten,  gegen- 
einander abzuwägen,  der  Fall  meridies  ist  für  uns  hier  lediglich  von 
prinzipieller  Bedeutung.  Lautlich  ist  mems  dies  vorzuziehen,  begriff- 
lich ist  medius  dies  zu  erwarten. 

Darf  in  dnem  derartigen  Falle,  wo  lautliche  Bedenken  bestehen, 
die  Semasiologie  den  Ausschlag  geben?  So  lautet  die  Fraga  Br^al 
sagt  ja,  er  drückt  sich  folgendermaisen  aus:  on  a  hien  tort  de  re- 
pousser,  au  nom  des  Uns  phoniques,  des  etymologies  qui  s'imposent 

Diesen  Grundgedanken  nimmt  ein  Jahr  später,  1890,  Hugo 
Schuchardt  in  einem  seiner  zahlreichen  etymologischen  Artikel 
wieder  auf.  Wir  werden  uns  im  folgenden  hauptsächlich  mit  ihm 
zu  beschäftigen  haben. 

In  dem  erwähnten  Artikel  fragt  sich  Schuchardt,  weshalb  so 
viel  Etymologien  nicht  befriedigen,  ohne  dafs  man  ihnen  einen  eigent- 
lichen Verstoss  gegen  die  Herleitungskunst  nachweisen  könne.  Er 
sieht  den  Grund  hierfür  in  der  UnvoUkommenheit  der  Kunst,  die 
auf  die  lautliche  Prüfung  mehr  Gewicht  lege  als  auf  die  begriffliche. 
Schon  hier  argumentiert  er  mit  demjenigen  romanischen  Worte,  das 
unbestreitbar  am  meisten  Tinte  hat  müssen  über  sich  ergehen  lassen, 
mit  it.  andare,  fr.  aller,  prov.  anar,  span.  andar,  nach  Schuchardt 
aus  lat  ambtUare, 

Dieses  berühmte  andare 'Frohlem  ist  allerdings  ein  treffliches 
Beispiel  zugunsten  seiner  These.  Wenn  ambulare  das  richtige  Ety- 
mon ist»  so  hat  die  Phonetik  einmal  glänzend  unrecht,  und  die  Se- 
mantik feiert  einen  seltenen  Triumph.  Denn  man  mag  ambulare 
drehen  und  wenden  wie  man  will,  um  zu  andare  oder  zu  aller  zu  ge- 
langen —  nie  werden  die  gestrengen  Lautgesetze  ihre  Zustimmung 
geben ;  begrifflich  aber  gehört  diese  Herleitung,  auch  für  unser  Dafür- 
halten, zu  jenen  Uymohgies  qui  s'imposent,  von  denen  Br^al  spricht. 
Wo  eben  so  starke  Gleichheit  der  Bedeutung  vorliegt,  wie  romanisch 
'gehen'  und  lateinisch  'wandeln',  da  müssen  die  Lautgesetze  den 
kürzeren  ziehen,  d.  h.  als  uns  noch  unvollständig  bekannt  angesehen 
werden.   Vgl.  E.  Bovet,  Äneora  ü  problema  andare,  Roma  1901. 


'  In  einem  Punkte  hat  Br^al  unrecht.  Er  sagt:  qitand  il  a'agit  d*ex- 
pressions  aussi  prieisesj  on  ne  doit  pas  les  expliquer  pa/r  des  ä  peu 
prds.  Dem  widersprechen  die  Tatsachen:  z.  B.  gerade  die  Bedeutungs- 
entwickelung  von  imbia,  das  zuerst  irgendeine  Mahlzeit  ohne 
nähere  Zeitbestimmung  bezeichnet,  dann  das  Mittagessen,  und 
Bchlielslich  wird  es  auch,  gerade  in  Basel,  für  Mittagszeit  ohne  Bezug 
auf  das  Essen  gebraucht. 


112       Fhonetilr  und  Semantik  in  der  etymologiBcben  Forschung. 

Vorderhand  bleibt  die  Schuchardtsche  Anregung  unbeachtet. 
Nur  gelegentlich  fällt  eine  Bemerkung  in  seinem  Sinne:  so  eagt  z.  B. 
Brugmann  im  Jahre  1895  {Anzeiger  f.  idg.  Sprack-  u.  Altertumskunde 
V,  17):  'Es  gibt  nicht  nur  Gesetzmäfsigkeiten  im  Lautwandel,  son- 
dern auch  gewisse  RegelmäTsigkeiten  in  den  Bedeutungsverschiebungen. 
Wie  jene,  so  hat  der  Etymologe  auch  diese  zu  berücksichtigen.'  Be- 
merkenswert ist  die  Abstufung  im  Ausdruck:  der  Bedeutungswandel 
zeigt  nur  'gewisse  RegelmaisigkeitenM 

Ähnlich  äu&ert  sich  ein  anderer  Indogermanist^  Osthoff.  In 
der  Vorrede  zu  seinen  Etymologischen  Parerga  1  (Leipzig  1901)  sagt 
er,  er  habe  'die  lautliche  und  morphologische  und  vor  allen  Dingen 
auch  die  begriffsgeschichtliche  Seite  der  in  Bede  stehenden 
Fragen  ...  erörtert'  Er  wird  seinen  guten  Grund  haben,  weshalb  er 
gerade  die  semasiologische  Seite  so  stark  betont 

In  den  Jahren  1898  und  1899  erschienen  die  ^Romanischeti 
Etymologien'  von  Schuchardt,  die  den  Kampf  eröffnen  sollten.  Dieser 
Kampf  erstreckt  sich  über  einen  Zeitraum  von  vier  Jahren,  er  spielt 
sich  ab  in  den  zwei  angesehensten  romanistischen  Zeitschriften,  von 
denen  die  eine  in  Deutschland  {Zeitschr,  f:  rom.  PhiL)^  die  andere  in 
Frankreich  (Romania)  erscheint  Den  einen  Gegner  kennen  wir  be- 
reits, es  ist  Schuchardt  Der  andere  ist  Antoine  Thomas.  Es 
sind  somit  zwei  gewiegte  Etymologen,  die  aneinander  geraten.  Wir 
wollen  versuchen,  sie  in  Kürze  zu  skizzieren. 

In  der  erwähnten  Sammlung  von  romanischen  Etymolo- 
gien finden  sich  zwei  prinzipielle  Erörterungen.  In  der  ersten  ver- 
wahrt sich  Schuchardt  dagegen,  dafs  bei  etymologischen  Fragen  der 
persönliche  Geschmack  des  Forschers  mitspielen  dürfe.  Ein  solcher 
Protest  sollte  überflüssig  sein,  auch  scheint  er  mehr  als  Veranlassung 
zu  einigen  etymologischen  Grundsätzen  zu  dienen,  von  denen  ich 
zwei  hervorhebe: 

1)  'Es  sei  bei  jeder  Etymologie  die  lautliche  und  die  begriff- 
liche Entwickelungsreihe  in  ihrer  Kontinuität  zu  verfolgen.'  Darauf 
folgen  drei  Wortuntersuchungen.  Neu  ist  an  seiner  Darstellung  die 
scharfe  Trennung  der  lautlichen  von  der  begrifflichen  Besprechung 
des  Wortes.  Beiden  Elementen  wird  gleich  gründliche  Behandlung 
zuteil. 

2)  Es  sei  erste  Aufgabe  des  Etymologen,  die  Bedeutung  des 
Wortes  möglichst  genau  zu  ermitteln. 

Beide  Ratschläge  sind  alt  und  selbstverständlich.  Neu  und  ori- 
ginell ist  bei  Schuchardt  nur  die  Art  ihrer  Befolgung.  Den  ersten 
haben  wir  durch  chitif  —  captivus  zu  veranschaulichen  versucht; 
wie  er  den  zweiten  verstanden  wissen  will,  soll  uns  das  Wort  gilet 
zeigen. 

Das  franz.  güet  wird  gewöhnlich  abgeleitet  von  Oüles,  lat  ^gi^ 
dius,  deutsch  Oilgen,  z.  B.  Sankt  Oügen  eine  Sommerfrische  im  Salz- 
burgischen.   Qiüe(8)  ist  in  Frankreich  der  Name  einer  komischen 


flumetik  tmd  Semantik  in  i&  etTmolo^schcoi  ^otschung.       llS 

Figur  des  Jahrmarkttheaters  —  ein  Hanewurat»  der  eine  kurze,  ärmel- 
lose Weste  getragen  haben  soll,  daher  güet  'Weste',  gerade  wie  das 
neufranzosische  Wort  für  'Hose'  panialon  ganz  sicher  von  einer  ita- 
lienischen Theaterfigur  herrührt,  dem  Pantalone,  der  lange  Hosen  trug. 

Bis  dahin  scheint  bei  gilet  alles  sehr  einleuchtend.  Dodi 
Schuchardt  will  der  Sache  auf  den  Grund  gehen,  er  sagt  sich:  wenn 
die  Weste  nach  diesem  Oüle  benannt  wurde,  so  mufs  jene  Theater- 
weste Ton  besonders  auffallender  Gestalt  gewesen  sein.  Es  drangt 
ihn,  eine  solche  wirklich  zu  sehen.  Er  sucht  also  in  umfangreichen 
Kostumwerken  und  findet  nichts,  er  durchblättert  drei  Bände  von 
Stichen  Watteaus  und  findet  nichts,  endlich  schreibt  er  an  den 
Kostümv^rwalter  des  Th^tre  fran9ais,  der  ihm  freundlichst  einen 
Oiüe  von  Watteau  zuschickt  Und  was  findet  er?  Das  so  mühsam 
gesuchte  gilet  entpuppt  sich  als  gewöhnlicher  langärmeliger  Pierrot- 
rock, der  bei  niemandem  den  Eindruck  einer  Weste  erweckt 

Diese  Etymologie  ist  also  sachlich  sehr  schlecht  gestützt  Ihr 
gegenüber  steht  nun  erstens  das  türkische  Wort  yelek,  das  ebenfalls 
'Weste'  bedeutet  und  begrifflich  keinerlei  Schwierigkeiten  machte 
zweitens  die  kulturhistorische  Tatsache,  dafs  verschiedene  Völker  die 
türkische  Weste  entlehnt  und  ydek  oder  ähnlich  benannt  haben.  So 
die  Griechen,  die  Albaner,  die  Rumänen,  die  Slawen,  femer  die  Ita- 
liener (gnUecco)  und  die  Spanier  {güeco,  jakeo,  auch  ohaleeö).  Das 
Wort  für  die  türkische  Weste  wurde  sodann  auf  ähnliche  Kleidungs- 
stücke übertragen,  unter  anderen  auch  auf  die  in  Paris  aufkommende 
moderne  Weste,  die  von  da  an  bald  die  zivilisierte  Welt  eroberte.  * 

Wir  müssen  also  wohl  auf  die  Ehre  verzichten,  in  einem  Hans- 
wurstkostüm herumzugehen,  und  müssen  uns  mit  einem  ffi^  ^^ür- 
kischer  Abstammung  zufrieden  geben! 

Ein  anderes  Gebiet  in  das  sich  Schuchardt,  der  Etymologie  zu- 
liebe, hineingearbeitet  hat,  ist  das  der  Fischerei.  Er  hat  dabei  einen 
kostbaren  Fang  getan,  den  er  uns  ebenfalls  in  seinen  ^Eomaniadien 
Etymologien'  voiführt:  es  handelt  sich  um  die  Herleitung  von  frz. 
trauver,  it  trovare,  prov.  trobar  (daher  Trouhadur  eig.  *der  Versfinder'). 
Dem  schon  erwähnten  amiore-Problem  stellt  sich  das  ^otxire-Problem 
würdig  zur  Seite.  Da  es  zum  Hauptzankapfel  zwischen  Schuchardt 
und  Thomas  wurde,  mufs  ich  Sie  kurz  darüber  unterrichten. 

Das  Lateinische  hat  zwei  Wörter  für  'finden':  reperire  und  tn- 
venire,  beide  sind  in  den  romanischen  Volkssprachen  spurlos  ver- 
schwunden. An  ihre  Stelle  getreten  ist  das  romanische  trovare.  Woher 
mag  es  gekommen  sein  ?  Es  stehen  sich  in  der  Hauptsache  nur  zwei 
Ableitungen  gegenüber:  die  alte  von  Diez  aus  turbare  'verwirren', 
dann  'durchstöbern',  'durchsuchen'  und  von  da  'finden',  und  die 
neuere  von  Gaston  Paris  aus  einem  hypothetischen  *tropare,  vom 


'  Lautlich  ist  das  zu  erwartende  *güec  durch  Suffixvertaaschung  zu 
gilet  umgewandelt  worden.    Man  vergleiche  it  albercocco  mit  frz.  abrtcot. 

AidÜT  i.  n.  8|imcheii.    CXV.  8 


114       Phonetik  und  Semantik  in  der  etymologiBchen  ForBchungl 

griecb.  TQ^n^g  'Art  und  Weise',  das  bedeutet  hatte:  'Melodien  erfin- 
den', 'komponieren',  dann  'finden'  überhaupt  Lautlich  ist  *tropa/re 
einwandlos,  begrifflich  fehlt  ebenfalls  nichts  ab  der  Nachweis,  da(s 
es  so  gegangen. 

Bohttchardt  nun  nimmt  die  Diezsche  Ableitung  aus  turbcare  wieder 
auf.  Dabei  ist  ihm  zweierlei  gelungen:  erstens  hat  er  die  lautlichen 
Bedenken  bedeutend  reduziert^  und  zweitens  hat  er  den  Bedeutungs- 
übergang von  'verwirren'  zu  'finden'  in  hohem  Malse  wahrscheinlich 
gemacht 

Auf  die  lautliche  Seite  kann  ich  hier  nicht  eintreten.  Gunz  neu 
ist  nur  die  Begriffsentwickelung;  sie  ist  ein  Muster  von  Gründlich- 
keit und  überzeugender  Darstellung.  Turbare  'verwirren'  wurde  in 
der  Fischersprache  gebraucht:  turbare  aquam  hiefs  das  Wasser  ver- 
wirren, das  Wasser  durchwühlen,  trüben,  um  die  Fische  aufzuscheu- 
chen und  in  die  Netze  zu  treiben,  eine  bestimmte,  weitverbreitete 
Art  des  Fischfanges,  die  man  deutsch  'Pulsen'  nennt  Tarbatrt  verlor 
den  allgemeinen  Sinn  'verwirren'  (worin  es  bald  durch  Ujurhukarty 
troubler  ersetzt  wurde)  und  wurde  ausschliefslich  Fischerausdruck; 
daher  die  Schwierigkeit  das  Wort  literarisch  zu  belegen.  Das  Pulsen 
nun  ist  eine  Art  des  Fischesuchens,  und  Fisches u che n  ist  wenig- 
stens für  einen  Fischer  von  Beruf,  meist  mit  einem  Fischef  inden 
verbunden.  —  Suchen  und  Finden  stehen  in  einem  eigentümlichen 
Verhältnis  zueinander;  bald  gegensätzlich,  wie  z.  K:  ich  habe 
ihn  lange  gesucht  aber  nicht  gefunden,  bald  eng  verwandt,  wie 
im  Sprichwort:  wer  sucht  der  findet  bald  identisch,  denn  man 
kann  ebensogut  sagen  'er  sucht  überall  Schwierigkeiten'  wie  'er 
findet  überall  Schwierigkeiten',  oder  Quellen  such  er  und  Quellen- 
finder. Jedes  Finden  ist  nichts  anderes  als  ein  mit  Erfolg  betrie- 
benes Suchen;  da  das  in  der  Fischerei  die  Begel  ist  —  wie  könnte 
es  auch  ohne  diese  Bedingung  ein  Lebensberuf  sein?  — ,  so  ist  die 
Vertretung  von  'suchen'  durch  'finden'  naheliegend,  und  Schuchardt 
ist  theoretisch  unwiderlegbar.  Der  letzte  Schritt  endlich  von  'Fische 
finden'  zu  'finden'  überhaupt  läfst  sich  durch  viele  Analoga  belegen. 
So  heilst  frz.  gagner  ursprünglich  'durch  Weiden  (dial.  durch  Säen, 
aspan.  durch  Mähen)  erwerben',  dann  überhaupt  'erwerben,  gewinnen'; 
arracher  ist  zuerst  'Wurzeln  ausreifsen',  dann  'ausreiisen'  schlechthin ; 
bechern  früher  nur:  'aus  Bechern  trinken',  heute  von  jedem  Trink- 
gelage gebraucht 

Was  ich  oben  über  den  Begriffsübergang  von  'verwirren'  zu 
'finden'  wiedergegeben  habe,  umfafst  in  der  Schuchardtschen  Ab- 
handlung allein  131  wohldurchdachte  Druckseiten!  Um  über  das 
Fischtreiben  in  den  verschiedenen  Ländern  genau  unterrichtet  zu 
sein,  hat  er  die  Mühe  nicht  gescheut  sieben  vielbändige,  in  sechs 
verschiedenen  Sprachen  geschriebene  Spezialwerke  über  Fischerei 
durchzusehen.  Wir  begreifen,  dais  ihm  daran  gelegen  ist  ^^^  ^'^^ 
so  ungewöhnlich  zähes  Suchen  nun  auch  zum  Finden  geführt  haba 


t^honeäk  und  Semantik  in  ä«r  etymologischen  {"orsc^ung.        lllB 

Die  fransosischen  Gelehrten  Gaston  Paris  und  Antoine  Thomas 
waren  nicht  dieser  Ansicht  Thomas  äulserte  sich  1900  in  einer  Be- 
sension der  Schuchardtsohen  Schrift  {Born.  XXIX,  488).  Darin  inter- 
essieren uns  zwei  Punkte:  seine  prinzipielle  Stellung  und  seine  Ab- 
lehnung der  Schuchardtsohen  Etymologie:  irou/ver  aus  iurbare. 

Nachdem  er  dem  Grazer  Gelehrten  nach  französischer  Art  ein 
Ej»nzchen  gewunden  hat^  kritisiert  er  seine  Methode  folgendermaisen: 
er  behauptet  1)  M.  Seh.  revendique  fieremmU  la  libert4  de  traüer  Viiy- 
tnologie  ä  sa  guise,  2)  ü  faü  trop  bon  marchS  de  la  phonitique  und 
S)  La  sSmantiqtie  a  trauvS  en  lui  un  briUant  ehampion:  fai  bien  peur 
qn^en  txmlant  conquMr  le  monde  pour  sa  dorne,  ü  ne  aime  les  ruines 
8ur  sa  rotäe,  was  so  viel  heilst  als:  Herr  Schuchardt  geht  in  etymo- 
logischen Dingen  eigenmächtig  vor,  er  nimmt  es  zu  leicht  mit  den 
Lautgesetzen,  er  wird  statt  Rosen  nur  Domen  ernten.  Diese  drei 
Gredanken  zusanunen  —  eine  ungünstige  Charakteristik,  ein  metho- 
discher Vorwurf  und  eine  schwarze  Prophezeiung  —  liefsen  natürlich 
die  lobenden  Worte  am  Anfang  als  Zucker  für  die  Pille  erscheinen. 

Nach  so  schwerwiegenden  Anschuldigungen  hatte  man  eine  ein- 
gehendere Kritik  der  Schuchardtsohen  Etymologien  erwarten  dürfen. 
Auf  eine  Diskussion  über  iurbare  lalst  er  sich  vorläufig  gar  nicht 
ein;  er  sagt  nur  kurz  am  Schluis:  je  ne  eroia  paa  du  tout  ä  turbare, 
et  pour  rien  au  monde  je  ne  dSserterais  *tropare,  que  la  pho- 
niUque  peut  eeul  aw>uer. 

Noch  im  selben  Jahr  erfolgt  Schuchardts  flrwiderung:  'die 
Kritik  einer  Kritik^,  ein  scharfer  Artikel.  Schuchardt  hatte  die  Pille 
trotz  der  Versülsung  nicht  verschluckt^  er  antwortet:  seine  Methode 
sei  nicht  willkürlich,  aber  er,  Thomas,  trete  dogmatisierend  auf;  sein 
Dogma  sei  die  Superiorität  der  Lautgesetze  über  die  Gesetze  des  Be- 
deutungswandels, während  doch  Laut  und  Begriff  sich  aufs  innigste 
im  Worte  verbänden  und  beide  der  allgemein  postulierten  Gresetz- 
mäbigkeit  unterworfen  seien.  Deshalb  habe  er,  Schuchardt^  sich  der 
Dame  Semantik  angenommen,  die  wie  ein  Aschenbrödel  behandelt 
werde,  und  wenn  auch  diese  seine  Dame  nicht  durch  äufsere  Beize 
glänze  wie  die  Dame  Phonetik,  die  sich  Thomas  auserkoren  habe, 
80  habe  sie  dafür  innere  Vorzüge,  die  ihre  Verehrer  reichlich  ent- 
schädigen. 

Daraufhin  wird  Thomas  etwas  alttestamendich  und  sagt:  ä  mon 
(wie  la  eeienee  a  parU  par  la  bouohe  de  Gaeton  Paris  (Born,  XXX,  154), 
wie  wenn  es  in  der  wissenschaftlichen  Forschung  Priester  und  Pro- 
{Aeten  gäbe! 

Doch  damit  ist  der  Streit  nicht  beigelegt  Schuchardt  ruht  nicht, 
bis  Thomas  antwortet  Dieser  Zähigkeit  verdanken  wir  eine  weitere 
prinzipielle  Erörterung  {Zeitschrifl  /*.  rom,  Phü.  XXV,  244  ff.).  Sie 
hebt  an  mit  dem  seither  oft  zitierten  Satze:  'Lautgesetze'  werden 
nicht  unter  Donner  und  Blitz  verkündigtl  Mit  anderen 
Worten:   was  wir  als  'Lautgesetze'  proklamieren^  ist  menschlichen 

8* 


116       Phonetik  und  Semantik  in  der  ctyroologiBchen  Foracbung. 

ürsprongs,  und  was  Menschen  geschaffen,  darf  nicht  auf  Unfehl- 
barkeit Anspruch  erheben,  also  sei  eine  jeweilige  Nachprüfung  dies^* 
'Lautgesetze'  geboten.  Der  Philologe  erkennt  darin  den  Autor  der 
bekannten  Streitschrift  gegen  die  Junggrammatiker  ^Über  die  Loid^ 
gesetxe'  (Berlin  1885). 

Neben  diesen  noch  sehr  revisionsbedürftigen  Lautgesetzen  stän- 
den die  'Bedeutungsgesetze',  die,  wie  auch  Wundt  annehme,  in  glei- 
chem MaTse  die  Sprachentwickelung  beherrschten  wie  die  Lautgesetze. 
Er  falst  sein  Postulat  in  folgendem  Satz  zusammen:  Bei  jeder  ety- 
mologischen Untersuchung  sind  Lautwandel  und  Be- 
deutungswandel miteinander  in  Einklang  zu  bringen, 
unkritisch  yerfährt,  wer  den  einen  über  dem  anderen  yemachlässigt  ^ 

Diese  erneute  Proklamation  drückt  Thomas  wieder  die  Feder  in 
die  Hand.  Li  seinen  ^Problemes  itymologiquea'  (Rom,  XXXT,  1  ff.) 
beharrt  er  auf  seinem  Standpunkt  von  der  Allmacht  der  Phonetik. 
Bezeichnend  ist  folgende  Stelle,  worin  er  die  Unmöglichkeit  von  tur- 
bare  —  trouver  darzutun  sucht;  er  sagt:  si  turbare  ne  peui  pas  sup- 
porter  Veocamen  phordtique,  ü  ne  compte  plus,  il  est  mort  II  peui 
avoir  beaueoup  de  qucUüSs  par  aiüeurs,  comme  kt  jument  de  Roland; 
rien  ne  pourra  compenser  ce  terrible  dSfaut;  (car)  on  ne  peut  rien 
prStendre  en  itymologie  sans  Vaveu  de  la  phonStique; 
mais  la  phorUiique  ne  suffU  pas  ä  tout 

Nach  Thomas  äuisert  sich  G.  Paris,  der  Autor  der  von  Schuchardt 
bekämpften  Etymologie  *ir6pare.  Auch  er  hält  an  seiner  Idee  fest^ 
folgt  aber  Schuchardt  auf  das  ihm  eigene  Gebiet  des  Bedeutungs- 
wandels, was  Thomas  nicht  tut,  und  stellt  folgendes  fest:  Zur  Evi- 
denz  der  Gleichung  turbare  =r  trouver  fehlen  noch  zwei  Dinge: 

1)  der  historische  Nachweis,  dafs  turbare  im  romanischen  Sprach- 
gebiet den  Sinn  von  pulsen  angenommen  habe;  die  jetzigen  Sprachen 
und  Dialekte  brauchen  andere  Wörter; 

2)  der  semasiologische  Nachweis,  dafs  ein  Wort  für  'suchen' 
vollständig  —  nicht  nur  gelegentlich  —  die  Bedeutung  'finden'  an- 
genommen hat. 

Lizwischen  war  eine  interessante  Sammlung  wohlerwogener  Ety- 
mologien von  Thomas  erschienen  unter  dem  Titel :  MSlanges  d'Stymo- 
logies  fran^aises  (Paris  1902),  deren  Vorrede  eine  Art  sprachwissen- 
schaftliches Glaubensbekenntnis  enthält    Es  heifst  da  u.  a.: 

Pour  ickapper  ä  Verreur,  nous  avons  deux  guides  tris  prScieux, 

'  Diese  Forderang  steht  im  Geffensatz  zur  herkömmlichen  Auffassung, 
wie  sie  sich  z.  B.  bei  Diez  aussmicnt.  Diez  schreibt  im  Jahre  1858  (^Vor- 
rede zum  Etym,  Wörterbuch  p.  aVII):  'Die  Etymolone  hat  ihre  wissen- 
schaftliche Grundlage  in  der  Lautlenre',  oder  p.  XV:  'Die  Form  bietet 
dem  Etymologen  überall  den  sichersten,  von  subjektiver  Auffassung  un- 
abhängigsten Anhalt'  Dafs  die  Bedeutung  einigermaTsen  stimmen  mufs, 
ist  selostyerständlieh.  Dafs  sie  aber  eine  entscheidende  Bolle  spielen 
könnte,  scheint  für  Diez  ausgeschlossen  zu  sein,  wenigstens  berührt  er 
diesen  Punkt  mit  keinem  Wort 


Phonetik  und  Semantik  in  der  etymologischen  Fonchimg.       117 

qui  aont  eomme  les  yeux  de  VStymologie:  la  phonStique  et  la  sS- 
mantique. 

Bis  dahin  ist  jedermann,  auch  Schuchardt  einverstanden;  denn 
daifl  die  Etymologie  mit  einem  ihrer  Augen  schielen  könnte^  daran 
denkt  niemand I    Nun  fährt  aber  Thomas  fort: 

J'attiuhe  im  prix  particudier  au  conoours  de  la  phorUtique;  je  me 
suis  (xppliquS  d  vwre  en  hon  accord  amc  eUe;  je  la  vSndre  et  j'observe 
ses  Uns  religieuseiment,  denn,  sagt  er  weiter  unten,  (ees)  lots  tme  fois 
ilabories  ant  un  earactire  absolu,  was  Schuchardt  und  viele  mit  ihm 
energisch  bestreiten. 

Mit  weniger  Wärme  spricht  er  von  der  Semantik. 

La  simantique  est  insfyarable,  eUe  aussi,  de  la  reeherche  itymo- 
logique,  ...jene  crois  pas  eependant  qu'eUe  ptHsse  jouer  tm  rdle  aussi 
actif,  aussi  dSeisif,  que  la phonitique  ...  d  cause  de  Vextrime  fluiditS 
des  äUments  sur  lesquels  portent  ses  spimlaHons. 

Noch  deutlicher  wird  die  Stellung  der  beiden  Mächte  im  Sdilufih 
ßatz  markiert,  wo  es  hellst: 

La  simantique  est  appeUe  ä  rendre  de  grands  Services  a  V^tymoU)- 
ffiste;  mais  il  faut  qu'ü  sacke  la  disdpliner  et  lui  inspirer  Vesprü  de 
Subordination  vis-drvis  de  la  p?um6tique. 

Da  haben  wtr's  mit  unzweifelhafter  Deutlichkeit  ausgesprochen: 
der  Bedeutungswandel  hat  bei  der  Beurteilung  einer 
Etymologie  vor  dem  Lautwandel  zurückzutreten. 

Diese  Schrift  samt  Vorrede  veranlaTst  Schuchardt  1902  zu  einer 
vierten  (und  nicht  letzten)  Auslassung.  Etymologiscke  Probleme  v/nd 
Prinzipien  heifst  der  Artikel  {Ztsohr.  f,  rom.  Phil.  XXVI,  385 — 427). 
Er  bringt  nicht  viel  Neues  für  uns,  die  wir  hier  auf  eingehende 
Diskussion  der  Beispiele  verzichten  müssen.  Nur  eine  Stelle  sei 
ihrer  Prägnanz  wegen  erwähnt  Thomas  zitierend,  sagt  Schuchardt: 
'Wenn  ttiarbare  die  lautliche  Prüfung  nicht  bestehen  kann,  so  ist  es 
tot'  GewiTs,  aber  ebenso  gewifs  ist  *tropare  tot^  wenn  es  die  begriff- 
liche Prüfung  nicht  bestehen  kann.  —  Ob  aber  die  begriffliche  Prü- 
fung mit  gleicher  Sicherheit  durchgeführt  werden  kann  wie  die  laut- 
liche, das  sagt  uns  Schuchardt  nidit  Wir  werden  auf  diesen  Punkt 
zurückzukonunen  haben. 

Die  Thomassche  Theorie  von  der  Unterordnung  des  Bedeutungs- 
wandels widerlegt  Schuchardt  treffend  durch  das  Beispiel  cousin 
'Vetter*  und  'Mücke'.  Er  sagt:  Wenn  wir  nicht  wüTsten,  was  die 
beiden  cousin  bedeuten,  so  würden  wir  nie  und  nimmermehr  das  eine 
auf  consobrinus,  das  andere  auf  *culicinus  'Schnake'  zurückführen; 
die  Phonetik  arbeitet  hier  unter  Oberleitung  der  Semantik. 

Damit  freilich  gibt  Schuchardt  seiner  eigenen  Methode  unrecht, 
die  beide,  Phonetik  und  Semantik,  gleichstellt 

Schuchardt  könnte  seinen  Artikel  und  damit  seine  Polemik  mit 
Thomas  nicht  besser  beschliefsen,  als  er  es  tut,  nämlich  mit  einem 
Arbeitsprogramm. 


118       Phonetik  und  Semantik  io  der  etymologischen  Fonchong. 

Die  wiseenBchaftliche  Arbeit  hat  eioh  stets  zu  veijüngen,  so  un- 
gefähr führt  er  aus:  Was  tun,  um  den  Gesetzen  des  Bedeutungs- 
wandels beizukommen?  Das  Auseinanderweichen  der  Laute  darf 
die  Sprachgeschichte  nicht  ausfüllen;  das  Auseinanderweichen  der 
Bedeutungen  (und  der  Ausdrucksweisen)  verdient  nicht  minder  eine 
systematische  Betrachtung.  Frisch  auf  denn  zur  Arbeit,  ruft  es 
uns  aus  seinen  Worten  zu.  Das  Feld  liegt  bracht  es  ist  in  doppelter 
Richtung  zu  durchpflügen :  einmal  sind  innerhalb  der  einzelnen  Sprach- 
gemeinschaft die  Wörter  nach  Begriffsgruppen  zusammenzustellen, 
um  so  die  gegenseitige  Beeinflussung  in  lautlicher  und  begrifflicher 
Hinsicht  ermessen  zu  können,  und  anderseits  sind  die  Ausdrücke  für 
die  gleichen  Begriffe  in  den  verschiedenen  Idiomen  zu  sammeln, 
um  so  für  die  Wahrscheinlichkeit  oder  ünwahrscheinlichkeit  eines 
vorgeschlagenen  Bedeutungswandels  einen  Ma&stab  zu  bekommen. 

Dieser  Vorschlag  deckt  sich  auffallend  mit  dem,  was  Brugmann 
sieben  Jahre  vorher  gesagt  hat  {Idg.  Forsch.  V  [1895],  Anz.  S.  17). 
Brugmann  äufsert  sich  etwa  f olgendermaften :  'Eine  systematische 
Bearbeitung  der  Bedeutungslehre  ...  ist  notwendig  für  die  gedeih- 
liche Weiterentwickelung  der  wissenschaftlichen  ...  Etymologien.' 
Und  weiter  unten :  'Durch  semasiologische  Untersuchungen  (nach  Be- 
griffsgruppen) gewinnt  der  Etymologe  nicht  nur  Kriterien  zur  Ent- 
scheidung über  Wahrscheinlichkeit  und  Ünwahrscheinlichkeit  von 
vorliegenden  Versuchen,  sondern  solche  Forschungen  haben  auch 
heuristischen  Wert  für  die  Auffindung  der  Grundbedeutung  der 
Wörter.' 

Beide  Gelehrten  kommen  so  in  ganz  verschiedenem  Zusammen- 
hang zum  gleichen  Schlufs:  nur  eine  systematische  Behand- 
lung des  Bedeutungswandels  kann  zur  gewünschten  Sicher- 
heit im  Urteil  führen. 

Was  sagen  nun  die  französischen  Gelehrten  zu  diesem  versöhn- 
lichen Ausblick  in  die  Zukunft? 

Thomas  {Rom.  XXXI,  625  ff.)  lenkt  etwas  ein.  Auf  die  62  Seiten 
der  *  Etymologischen  Frinxipien'  Schuchardts  antwortet  er  mit  einer 
halben  Seite,  auf  der  er  die  prinzipielle  Forderung  Schuchardts  mit 
den  Worten  abtut:  des  considirations  bonnes  d  mSdiier!  —  G.  Paris 
beschrankt  sich  auf  die  Diskussion  des  Bedeutungswandels  von  iur- 
bare.  In  einer  spateren  Notiz  (Rom,  XXXI,  646)  bekennt  er  Farbe; 
er  steht  auf  dem  Standpunkte,  den  Thomas  in  seiner  Vorrede  ein- 
nimmt Die  Semantik  wirkt  wie  ein  heimtückischer  Sirenengesang. 
^On  doit  souvent/  sagt  er,  'boucher  ses  oreiües  aux  plus  s4duisantes 
propositions  de  la  sSmanHque, 

Was  von  da  an  noch  hüben  und  drüben  geschrieben  wird,  ist 
für  uns  belangloses  Nachspiel.  Schuchardt  wundert  sich  über  die 
'starre  Einseitigkeit'  von  G.  Paris  (Zeitschr,  f,  rom.  Phü.  XXVII,  97), 
und  darauf  folgen  ein  paar  rein  referierende  2ieilen  in  der  Romania 
(XXXII,  5)  über  den  Artikel  Schuchardts. 


Phonetik  und  Semantik  in  der  etymologiBcben  Fonchung.       119 

So  endet  der  mit  einem  stattlichen  Bande  begonnene  Prinzipien- 
kampf  in  ein  paar  Einzelbemerkungen. 

Wir  haben  einem  'richtigen  Gelehrtenstreit'  beigewohnt^  bei  dem 
es  nicht  ohne  Menschlichkeiten  abging.  Er  hat  auch  das  Typische 
an  sich,  dais,  wenn  auch  der  Streit  selber  fertig  isty  die  Streitfrage 
deshalb  noch  lange  nicht  zum  Abschluls  gekonunen  ist 

Koordination  oder  Subordination  der  Semantik?  so  tönt 
es  durch  die  ganze  Polemik  hindurch.  Der  deutsche  Geehrte  ver- 
langt gebieterisch  das  erstere,  die  französischen  das  letztere.  Wer  hat 
recht?  Bis  jetzt  hat  meines  Wissens  niemand  direkt  zur  Schuchardt- 
schen  Alternative  Stellung  genommen.  So  wollen  wir  denn  unser- 
seits eine  Lösung  versuchen. 

Ich  sagte  vorhin  absichtlich  zur  Schuchardtschen  Alternative, 
denn  er,  nicht  Thomas,  hat  sie  aufgestellt  Thomas  hat  sich  erst  auf 
das  Drangen  seines  Gegners  hin  über  das  Bangverhaltnis  geaufser^ 
mehr  'der  Not  gehorchend  als  dem  eigenen  Triebe'. 

Bevor  wir  uns  für  Koordination  oder  für  Subordination  ent- 
scheiden, muÜB  die  Vorfrage  gestattet  sein,  ob  überhaupt  Phonetik 
und  Semantik  Dinge  seien,  die  unbedingt  in  einem  Rangverhältnis 
stehen  müssen. 

Vergessen  wir  nicht,  dafs  Phonetik  und  Semantik  Sammelnamen 
sind  für  alle  diejenigen  Argumente,  die  der  Etymologe  der  Laut- 
geschichte und  der  Bedeutungsgeschichte  entnimmt  Besteht  ein 
Rangverhältnis,  z.  B.  das  der  Subordination,  so  heilst  das  im  kon- 
kreten Falle:  jedes  lautliche  Argument  hat  von  vornherein  mehr  Be- 
weiskraft als  das  begriffliche.  Anders  kann  ich  mir  die  Unterordnung 
nicht  vorstellen. 

Greifen  wir  auf  captivus  ziirück.  Das  Palatalisierungsgesetz  — 
k  ixk  ch  —  ist  eins  der  wichtigsten  Lautargumente,  wenn  bewiesen 
werden  soll,  dafs  chitif  auf  captivus  ziurückgeht  Halten  wir  daneben 
ein  begriffliches  Argument:  z.  B.  dafs  Grefangene  meist  elend  dran 
sind.  Wer  möchte  hier  entscheiden,  ob  das  lautliche  Argument  star- 
ker, gleich  stark  oder  weniger  stark  ins  Gewicht  falle  als  das  be- 
griffliche? Denn  hätten  wir  statt  chitif  z.  B.  *pSiif,  so  käme  cap- 
tivus  ebensowenig  in  Betracht,  wie  wenn  es  nicht  wahr  wäre,  dafs 
Gefangene  meist  elend  dran  sind.  Stellen  wir  aber  dem  Palatali- 
sierungsgesetz eine  andere  semasiologische  Tatsache  gegenüber,  z.  B. 
dafs  ehStif  noch  im  Altfranzösischen  'gefangen'  heilst,  so  wird  man 
zugeben  müssen,  dafs  dieses  letztere  Argument  seinem  lautlichen 
Partner  an  Beweiskraft  erheblich  nachsteht  Denn  wäre  uns  auch 
zufälligerweise  diese  altfranzösische  Bedeutung  nicht  überliefert^  wir 
würden  doch  an  captivus  festhalten. 

Anders  liegen  die  Dinge  bei  amhiUare  —  aUer.  Da  erscheinen 
alle  lautlichen  Bedenken  untergeordneter  Art  vor  der  einen  grolsen 
Tatsache,  dals  ambulare  annähernd  die  gleiche  Bedeutung  hat  wie 
das  Verbum  für  'gehen'  in  den  romanischen  Sprachen«    Da  hat  di^ 


120       Phonetik  und  Semantik  in  der  etymologiBchen  Fonchnng. 

Phonetik  zu  schweigen  yor  der  Allgewalt  der  Bemantik,  ein  einziges 
begriffliches  Argument  kann  hier  die  bestbelegten  Lautgesetze  über- 
tonen. Also  nicht  mehr  Koordination,  sondern  Subordination,  nur 
im  umgekehrten  Sinne. 

Ist  auch  Thomas  mit  aller  aus  ambtüare  nicht  einverstanden,  so 
ist  er  es  doch  mit  dem  schon  berührten  eousin  aus  consobrinus,  wo 
Schuchardt  ausdrücklich  die  Oberleitung  der  Semantik  feststellt 

Aber  auch  die  starke  Betonung  des  Begrifflichen  hat  ihre  Ge- 
fahren. So  sagt  Br4al  {Op.cü.^.  165):  ...  VcLÜemand  elf,  xwölf  doit 
oacher  le  nom  de  nombre  ^dioc^  dans  ton  If  fmdl,  goth.  lif  Quelqtie 
difficuM  qu'on  puisse  avoir  avec  la  phonStique  en  presence  de  V^quation 
taikim  =  lif,  je  penehe  a  priori  pour  Vaffirmaiive,  en  vertu  d'une 
eertitude  qui  a  bim  sa  valeur  aussi,  la  certitude  mathSmatique. 
Br6al  hat  zwar  mathematisch  richtig  gerechnet,  aber  die  Rechnung 
ohne  den  Wirt  gemacht  Die  moderne  Forschung  weifs  nichts  von 
einer  Bedeutung  'zehn';  zu  einem  sicheren  Grundwort  ist  sie  aller- 
dings auch  nicht  gekommen.  Das  Schweiz,  Idiotikon  (I,  288)  sieht 
in  dem  lif  den  Stamm  von  mhd.  beliben  'bleiben',  df  wäre  somit  = 
eins  bleibt  noch,  eins  noch  übrig  (von  den  zehn,  über  die  man  be- 
reits hinweggezählt  hat).  Eine  onomasiologische  Studie  über  die  Zahl- 
wörter könnte  hierüber  Aufklärung  bringen. 

Wir  sehen,  dafs  das  Verhältnis  der  beiden  Argumentationen 
kein  konstantes  ist;  bald  sind  die  lautlichen  Gründe  stichhaltiger, 
bald  die  begrifflichen,  einen  absoluten  Mafsstab  für  beide  gibt  es 
nicht,  somit  auch  kein  absolutes  Bangverhältnis. 

Es  möchte  sich  damit  ähnlich  verhalten  wie  bei  der  pädago- 
gischen Streitfrage,  ob  die  körperliche  Ausbildung  wichtiger  sei  als 
die  geistige.  Wer  wollte  darauf  ohne  konkrete  Vorlage  antworten? 
Fragt  man  aber,  was  einem  englischen  Sportsman  oder  einem  über- 
arbeiteten Gymnasiasten  not  tue,  so  wird  man  sofort  jenem  die  gei- 
stige, diesem  die  körperliche  Betätigung  anempfehlen. 

Wenn  nun  wirklich  zwischen  Phonetik  und  Semantik  kein  Rang- 
verhältnis besteht  und  sowohl  die  Thomassche  Subordination  als  die 
Schuchardtsche  Koordination  illusorisch  sind,  worin  besteht  dann 
eigentlich  die  Differenz  zwischen  beiden? 

Wir  müssen  hier  unterscheiden  zwischen  Theorie  und  Praxis. 
Theoretisch  stehen  Thomas  und  Schuchardt  weit  auseinander,  prak- 
tisch stehen  sie  sich  viel  näher.  Wenn  die  etymologische  Arbeit  mit 
dem  Betrieb  eines  Bergwerks  verglichen  werden  darf,  so  stehen  sie 
beide  seit  langen  Jahren  in  den  untersten  Stollen  und  dort  wieder 
in  den  vordersten  Reihen.  Ihre  Funde  sind  mit  Erfolg  gekrönt,  ihre 
etymologische  Kunst  wird  allgemein  anerkannt.  Wie  wäre  es  denk- 
bar, dafs  beiden  zugestimmt  würde,  wenn  der  eine  von  ihnen  auf 
ganz  falscher  Fährte  wandelte?  Die  Übereinstimmung  im  Urteil  der 
Fachgenossen  deutet  an,  dafs  ihre  Methode  im  ganzen  und  grofsen 
dieselbe  ist    Ihre  Divergenz  in  der  Theorie  tritt  nur  in  einzelnen 


Phonetik  and  Semantik  in  der  etymologiBchen  Forschung.        121 

Fällen  zutage,  wie  z.  R  bei  den  vielbesprochenen  Verben  turhcwe  und 
(unbulcare,  wo  man  auch  ohne  prinzipielle  Gegensätze  in  guten  Treuen 
yerschiedener  Meinung  sein  kann. 

Es  wäre  psychologisch  interessant,  zu  wissen,  ob  die  Theorie  be- 
stimmten Etymologien  ihren  Ursprung  verdankt  bezw.  ihnen  zuliebe 
erfunden  worden  ist,  oder  ob  sie  durch  bloise  logische  Deduktion 
entstanden  ist 

Eins  sehen  wir  deutlich  aus  dem  Verlaufe  der  Polemik: 
Schuchardt  ist  der  alleinige  Urheber  der  Streitfrage.  Thomas  wird 
fast  gegen  seinen  Willen  zu  einem  Bekenntnis  gedrangt  So  wird 
aus  dem  linguistischen  Problem  ein  psychologisches. 

Die  Polemik  hat  zwischen  Thomas  und  Schuchardt  eine  Kluft 
geschaffen,  die  bei  näherer  Betrachtung  auf  einen  Gradunter- 
schied hinausläuft:  Thomas  legt  mehr  Gewicht  auf  das  Lautliche, 
Schuchardt  mehr  auf  das  Begriffliche.  Diese  Divergenz  kann  keine 
wesentliche  genannt  werden. 

Wie  kommen  aber  die  beiden  Gelehrten  dazu,  eine  so  schroffe 
Alternative  wie  Subordination  oder  Koordination  aufzustellen? 

Mir  scheint,  sie  gehen  von  verschiedenen  Voraussetzungen  aus: 
Schuchardt  erscheint  'Hiomas  gegenüber  als  I  d  e  a  1  i  s  t,  ihm  schwebt  ein 
Wortmaterial  vor,  das  räumlich  und  zeitlich  lückenlos  ist  und  bereits 
lautlich  und  begrifflich  verarbeitet  vor  ihm  liegt  Diesem  Idealzustande 
hat  er  seine  Methode  angepa&t,  und  da  gilt  ohne  jeden  Zweifel  der 
Satz:  eine  Etymologie  hat  nicht  nur  den  Lautgesetzen, 
sondern  auch  den  Bedeutungsgesetzen  zu  genügen. 

Diese  in  die  Zukunft  blickende  Auffassung  liegt  Thomas  fem. 
Er  treibt  Realpolitik,  wenn  ich  so  sagen  darf;  er  sagt  als  prak- 
tischer Etymologe:  beim  gegenwärtigen  Stande  der  Forschung  sind  die 
Lautgesetee  ein  zuverlässigerer  Führer  als  die  uns  noch  so  wenig  be- 
kannten Bedeutungsgesetze.  Er  huldigt  dem  Grundsatz :  'Das  Bessere 
ist  der  Feind  des  Guten'.  Bis  jetzt  sind  wir  mit  der  lautlichen  Me- 
thode nicht  übel  gefahren,  wie  leicht  könnten  wir  in  der  elastischen 
Welt  der  Begriffe  auf  Abwege  geraten? 

Mit  anderen  Worten:  Schuchardt  stellt  ein  ideales  Postulat 
auf,  Thomas  ein  reales.  Aber  indem  die  Thomassche  Forderung  der 
Wirklichkeit  angepalst  ist,  hört  sie  eigentlich  auf,  eine  Forderung  zu 
sein.  Swmma  simimarum:  Schuchardt  sagt,  was  man  tun 
sollte,  Thomas  sagt,  was  man  tut  Schuchardt  empfindet  einen 
Mangel,  Thomas  nicht  Schuchardt  strebt  höher,  Thomas  bleibt  stehen. 
Wir  werden  nicht  zögern,  uns  dem  Höherstrebenden  anzuschlielsen. 

Die  Vorliebe  Schuchardts  für  das  Begriffliche  hat  noch  einen 
anderen  Grund.  Jeder  Linguist  kennt  seine  skeptische  Haltung  den 
'Lautgesetzen'  gegenüber.  Sie  zeigt  sich  äufserlich  darin,  dafs  er  das 
Wort  'Lautgesetze'  gern  unter  Anführungszeichen  setzt  Die  Kritik 
hat  seinen  Zweifeln  im  grofsen  und  ganzen  recht  geben  müssen. 

Nun  geht  es  ihm,  wie  es  schon  manchem  skeptisch  veranlagten 


122        Phonetik  and  Semantik  in  der  etymologiBchen  Forschung. 

Idealisten  gegangen  iet,  der  den  Glauben  verloren  hat  Er  wirft  eich 
mit  jugendlichem  Eifer  auf  ein  neues  Qebiet,  in  der  Hoffnung,  hier 
einen  Ersatz  für  das  Verlorene  zu  finden.  Die  Enttäuschung,  die 
ihm  die  Lautgesetze  gebracht  haben,  sucht  er  durch  das  Studium  der 
begrifflichen  Vorgänge  allmählich  auszumerzen. 

Ganz  anders  denkt  Thomas:  während  Schuchardt  eine  8duift 
verfafst  gegen  die  Ausnahmslosigkeit  der  gefundenen  Lautgesetze, 
beteuert  uns  Thomas  in  seiner  Vorrede,  dafs  er  als  Etymologe  diese 
Lautgesetze  verehre  und  sie  gewissenhaft  beobachte  (je  v&nire  \fa 
phanStiqtte]  et  fobserve  ses  Um  religieusemefU),  Wer  von  einer  8adie 
dergestalt  erfüllt  ist^  ist  begreiflicherweise  weniger  geneigt,  sich  für 
eine  andere  begeistern  zu  lassen. 

Versuchen  wir  zum  Schlufs  das  Gesagte  zusammenzufassen,  so 
können  wir  etwa  sagen:  was  die  drei  Sprachvergleicher  Br6al,  Brug- 
mann  und  Osthoff  mehr  gelegentlich  betont  haben,  das  hat  Schuchardt 
in  die  Form  eines  kategorischen  Imperativs  gekleidet,  der  da  lautet: 
die  etymologische  Forschung  hat  ebensogut  mit  der  Ge- 
setzmäfsigkeit  des  Bedeutungswandels  zu  rechnen,  wie 
sie  es  bisher  mit  derjenigen  des  Lautwandels  getan  hat 

Dieser  seiner  Mahnung  hat  Schuchardt  die  Tat  folgen  lassen. 
Seine  unter  diesem  neuen  Gesichtspunkte  durchgeführten  Unter- 
suchungen haben  fast  allgemein  Anerkennung  gefunden. 

Wenn  sein  Fachgenosse  Thomas  jene  idealistisch  gedachte  For- 
derung nicht  anzuerkennen  vermag,  so  scheinen  ihn  zwei  Dinge  davon 
abzuhalten ;  einerseits  die  Rücksicht  auf  das  gegenwärtig  Erreichbare 
und  anderseits  das  grofse  Vertrauen  in  die  Verwertbarkeit  der  Laut- 
gesetze. Jene  Rücksicht  ist  gewifs  praktisch  berechtigt,  sein  grofses 
Vertrauen  in  die  Lautgesetze  aber  halten  wir  für  gefährlich. 

Wenn  wir  auch  zugeben  müssen,  dafs  beim  jetzigen  Stand  der 
Forschung  die  Lautgesetze  im  allgemeinen  immerhin  noch  die  zu- 
verlässigeren Ratgeber  sind,  so  schliefsen  wir  uns  mit  voller  Zu- 
versicht der  Schuchardtschen  These  an,  soweit  sie  eine  von  der  Gegen- 
wart absehende,  ideale  Forderung  aufstellt»  die  zu  ihrer  Verwirk- 
lichung einer  vorbereitenden  Periode  bedarf. 

Über  die  Vorarbeiten  zum  Ausbau  einer  semasiologischen  Wissen- 
schaft lieJBe  sich  ein  ganzes  Buch  schreiben.  Ich  mufs  es  mir  ver- 
sagen, näher  darauf  einzugehen.  Nur  eins  sei  bemerkt:  es  sind  be- 
reits deutliche  Ansätze  vorhanden,  indem  der  eine  Hauptteil  des 
Schuchardtschen  Arbeitsprogramms  schon  in  Angriff  genommen  wor- 
den ist»  ja  sich  schon  einen  eigenen  Namen  zugelegt  hat,  ich  meine 
die  Lehre  von  der  Begriffshezeichnung  oder  die  Onomasiologie, 
wie  sie  Zauner  {Die  romanischen  Namen  der  Körperteile  in  Born, 
Studien  1902)  treffend  genannt  hat  Die  Grundlage  jeder  onomasio- 
logischen  Studie  ist  die:  wie  wird  ein  gegebener  Begriff  in  verschie- 
denen Sprachen  und  Dialekten  ausgedruckt? 


Phonetik  und  Semantik  in  der  etymologischen  Forschung.        123 

Unter  diesem  Gesichtspunkte  sind  bereits  einige  Begriffsgruppen 
und  viele  Einzelbegriffe  untersucht  worden :  so  im  weitesten  Umfange 
die  Yerwandtschaftsnamen,  nämlich  auf  indogermanischem,  roma- 
nischem und  deutschem  Sprachgebiet,  dann  im  Romanischen  allein 
die  Körperteile,  die  Jahreszeiten  und  die  Monate.  An  Einzelbegriffen 
seien  beispielsweise  erwähnt:  das  Wiesel,  die  Fledermaus,  der  Haspel, 
das  Alpdrücken  in  romanischen  Dialekten  u.  v.  a. 

Die  reichhaltigste  Ausbeute  dieser  Art  bietet  der  gegenwärtig 
erscheinende  Dialektatlas  Frankreichs,  der  Atlas  linguistique  de  la 
Franee  von  Oilli6ron  und  Edmond. 


Statt  Dmen  die  romanische  Sprachwissenschaft  im  Sonntags- 
gewande  positiver  Ergebnisse  vorzustellen,  habe  ich  es  vorgezogen, 
Sie  in  eine  der  Werkstätten  romanistischen  Schaffens  einzuführen. 
Sollten  Sie  dabei  den  Eindruck  erhalten  haben,  als  sei  diese  etymo- 
logische Werkstätte  eine  Art  Versuchslaboratorium,  so  haben  Sie 
nicht  ganz  unrecht,  denn  es  hat  in  der  Tat  mit  der  Etymologie  seine 
besondere  Bewandtnis.  Sie  ist  von  allen  Betätigungen  des  Linguisten 
diejenige,  bei  der  das  subjektive  Empfinden  des  Forschers  am  ehesten 
zum  Durchbruch  kommt 

So  vollständig  auch  unsere  Nachschlagewerke  sein  mögen,  so 
sicher  unsere  Methode  scheint  —  unser  Suchen  und  Tasten  nach  der 
Wahrheit  mahnt  uns  immer  wieder  daran,  dafs  die  Etymologie  nicht 
ein  Handwerk,  sondern  eine  Kunst  ist 

Wissen  und  Methode  sind  unentbehrliche  Vorbedingung,  aber 
es  braucht  dazu  noch  Eigenschaften,  die  oft  von  der  Wissenschaft 
unterschätzt  werden:  es  braucht  Findigkeit  und  Phantasie. 
Wem  die  Natur  die  glücklichen  Einfälle  versagt  hat,  der  wird  es 
auf  etymologischem  Gebiete  schwerlich  zum  Meister  bringen. 

Jeder  Etymologe  ist  einem  Dichter  vergleichbar,  dem  das  Ideal 
eines  Reimwortes  so  lange  im  Kopfe  herumgeht,  bis  ein  erlösender 
Genius  ihm  das  Gesuchte  auf  die  Zunge  legt  Beide,  Dichter  und 
Etymologe,  sind  Wortsucher,  die  darauf  bedacht  sein  müssen,  dafs 
Form  und  Inhalt  sich  harmonisch  ineinander  fügen.  Was  sie  so 
finden,  ist  jeweilen  eine  schöpferische  Tat,  und  wie  der  Dichter  zu 
seinen  Schöpfungen  in  ein  persönliches  Verhältnis  tritt,  so  mischt 
sich  auch  oft  in  die  wissenschaftliche  Forschung  des  Etymologen  ein 
subjektives  Element,  das  ihn  daran  erinnert,  dafs  die  Sprache  nicht, 
wie  Tier,  Pflanze  und  Stein,  der  Aufsenwelt  angehört,  sondern  dafs 
sein  Untersuchungsobjekt  aufs  engste  mit  seinem  geistigen  Organis- 
mus verwachsen  ist 

Basel.  E.  Tappolet 


Beiträge  zur  franzosisehen  Stilistik  and  Syatax. 

(Vgl.  Archiv  CV,  48  f.) 


IV. 

Ich  habe  Archiv  CV,  48  f.  von  einer  im  Deutschen  recht 
häufigen  Art  von  Satzverbindung  gesprochen,  in  der  einem  Sub- 
jekte drei  verschiedene  Prädikate  beigelegt  werden,  und  festge- 
stellt, dafs  die  fast  regelmäfsige  Form  solcher  Sätze  mit  drei- 
gliederigem  Prädikat  im  Deutschen  ist :  Sie  plünderten  die  Dörfer, 
stiegen  wieder  auf  ihre  Pferde  und  schleppten  die  Beute  in 
die  Wüste  hinein,  d.  h.  das  Prädikat  enthält  drei  Glieder,  die 
gleichförmig  nebengeordnet  sind,  wobei  dann  das  dritte  Glied  mit 
'und'  an  die  beiden  vorhergehenden  gefügt  wird.  Ich  habe  dann 
weiter  darzutun  versucht,  dafs  eine  der  entsprechenden  typischen 
Formen  dieser  Sätze  im  Französischen  ist:  ils  pillaient  les  vil- 
lages,  et  remontant  sur  leurs  chevaux,  emportaient  leur  butin 
dans  le  fond  du  d^ert,  d.  h.  das  mittlere  Glied  ist  in  Gestalt 
eines  appositiven  Partizipiums  eine  blofse  Satzbestimmung  ge- 
worden, das  Prädikat  ist  also  nicht  dreigliederig,  sondern  nur 
doppelgliederig,  und  das  et  steht  gleich  nach  dem  ersten  Gliede. 

Es  lag  mir  nun  daran  festzustellen,  ob  auch  der  deutsche 
dreigliederige  Nebensatz  im  Französischen  ebenso  häufig  in  der 
gekennzeichneten  Form  auftrete  wie  der  drei|Uederige  Haupt- 
satz; und  da  mu(s  ich  bekennen,  dafs  ich  mr  in  oiesem  Falle 
überhaupt  noch  nicht  beg^net  bin.  Nebensätze  mit  dreigliede- 
rigem  Prädikat  sind  ja  naturgemäfs  nicht  so  häufig  wie  die  ent- 
sprechend gebauten  Hauptsätze,  aber  sie  finden  sich  doch  auch. 
Dann  entspricht  entweder,  wie  ja  nicht  selten  auch  im  Haupt- 
satze, die  französische  Aussageform  der  deutschen,  z.  B.  pendant 
que  la  taute  sautait,  tawmait  autour  de  nous  et  criait:  vive  le  rot, 
Erckmann-Chatrian,  Waterloo,  oder  aber  es  wird  nunmehr  das 
erste  (nicht  das  zweite)  Glied  appositive  Satzbestimmung  in  Form 
eines  Partizipialsatzes;  von  den  beiden  anderen  Gliedern  ist  ent- 
weder das  erste  dem  letzten  Gliede  nebengeordnet  und  mit  ihm 
durch  'et'  verbunden,  oder  es  tritt  gleichfalls  als  Partizipialsatz 
auf,  so  dafs  nur  noch  das  letzte  Glied  ein  Verbum  finitum  ent- 
hält. Wir  denken  uns  folgenden  deutschen  Satz:  Einmal  war 
es  der  junge  Graf  von  Chalais,  welcher  dem  geheimen  Wunsche 
dieses  Fürsten  nachgab,  gegen  das  Leben  lüchelieus  konspirierte  und 


BdtrSge  zur  französischen  Stilistik  und  Syntax.  125 

auf  einem  Schafott  umkam.  Dieser  Satz  heifst  bei  Lam^Fleuiy, 
Histoire  de  France:  ...  Tantöt  c'^tait  le  jeune  comte  de  Cha- 
lais  . . .  qui,  cidant  au  disir  secret  de  ce  prince,  conspiraü  contre  la 
tne  de  Eichelieu  et  pärissait  sur  un  ickafavd.  Oder  ich  habe  fol- 
genden deutschen  Satz:  Murad  Bei  schleuderte  auf  diese  leben- 
den Zitadellen  1000 — 1200  unerschrockene  Reiter^  die  unter  lautem 
Geschrei  vorsprengten,  ihre  Pistolen  abschössen  und  sich  dann  auf  die 
Front  der  Karrees  stürzten.  Er  heifst  bei  Thiers,  Egyptische  Mc- 
pedition,  Weidmannsche  Sammlung,  4.  Aufl.,  8.  51:  Murad  Bey 
lan9a  sur  ces  citadelles  Vivantes  mille  ä  douze  cents  cavaliers 
intr^pides,  qui,  se  pricipitant  d  grands  cris,  dSchargeant  leurs  pistoleis, 
vinrent  se  jeter  sur  le  front  des  carrSs, 

Ein  Satz  der  ersten  Form  würde  noch  folgender  sein,  der 
ebenfalls  aus  Lam^-Fleury,  Histoire  de  France,  entnommen  ist: 
Mais  voyant  s^avancer  le  conn^table  de  Bourbon  qui,  hrouüU  avec 
le  rot  de  France,  4taü  sorti  du  royaume  et  avait  embrassS  le  parti  de 
ses  enfiemis;  ein  Satz  der  zweiten  Form  aber  folgende  Verse  aus 
V.  Hugos  UExpiaiion  (Engwer,  Anthologie  des  Pontes  Fran9ais, 
Velh.  u.  Klas.,  S.  93,  23): 

La  D^route    —    —    —    —    —    —    —    — 

Quiy  päle,  Spouvantant  les  plus  fiers  bataillons, 
Changeant  aubitement  les  drapeatix  en  haiUons  . . . 
Se  live  grandissante  au  milieu  des  armSes. 

Wenn  nun  im  Nebensatze  mit  dreigliederigem  Prädikat 
die  eben  besprochene  Satzform  eher  beliebt  wird  als  die,  welche 
wir  als  besonders  gebrauchlich  für  den  Hauptsatz  mit  drei- 
gliederigem Prädikat  kennen  gelernt  haben,  so  geschieht  das  nach 
meiner  Ansicht  unter  Einflufs  der  französischen  Aussageform, 
die  dem  deutschen  Nebensatze  mit  zweigliederigem  Prädikat 
entspricht.  Wir  kommen  damit  zu  einer  weiteren  typischen  Art 
von  Satzverbindung  im  Französischen.  Es  heifst  Kacine,  Bri- 
tanniens, V.  17: 

Vaus  qui  dishSritant  le  fUs  de  Qaudius 
Avex,  nomme  Cesar  rheureux  Domitius. 

Wir  würden  sagen:  Du,  die  du  den  Sohn  des  Claudius  um  sein 
Erbe  gebracht  u  nd  den  glücklichen  Domitiits  zum  Cäsar  ernannt  hast. 

Es  heifst  bei  Erckmann-Chatrian,  Histoire  d'un  Conscritx 
Le  vent  secouait  les  peupliers,  dont  les  feuilles  jaunes,  voltigeant 
auiour  de  nous,  annongaient  Vhiver.  Wir  würden  sagen:  Der  Wind 
schüttelte  die  Pappeln,  deren  gelbe  Blätter  um  uns  herum  flatterten 
und  den  Winter  ankündigten. 

Es  liefsen  sich  leicht  Hunderte  solcher  Beispiele  anführen. 
Es  ist  dabei  ganz  gleich,  ob  der  Nebensatz  von  einem  Bindewort 
oder  von  einem  rückbezüglichen  Fürwort  eingeleitet  wird,  ob  wir 
es  also  mit  einem  Konjunktionalnebensatz   oder  mit  einem  Ee- 


Ifi6  Beitrage  sur  franzMBcheii  Stilistik  und  S^täx. 

lativnebensatz  zu  tun  haben.  Eiine  Auswahl  von  Beispielen  wird 
ausreichen. 

Faneen  wir  mit  dem  allgemeinsten  Bindewort  an,  mit  que 
(dafs).  Mais  crains  qvs  Va/oenir  dStruisant  le  passS  H  ne  finiase  adnsi 
qu'Ättguste  a  commmcS,  Bacine,  Brit  V.  33;  Bonaparte  soutenait 
que  Venireprise  d'Egypte,  Stcmt  Umt  d  faii  imprävue,  ne  renconireraü 
point  d'obstacles,  TUers,  S.  14;  II  vit  que  Vartiüerie,  n'iUmt  pas 
sur  affüt  de  campagne,  ne  pourrait  se  porter  dans  la  pleine,  eb.  8.  55 
(kurz  vorher  [8.  53]  war  derselbe  Gedanke  bei  relativischer  Ver- 
knüpfung folgendermaisen  ausgesprochen  worden:  des  batteries 
immobiles,  dont  las  piices,  n'itant  pas  sur  affüt  de  campctgne,  ne  pou- 
vaient  etre  dSplac4es);  Les  lettres  qu'il  ^cnvait  ^taient  si  d^sol^ 
que  OicSron,  ovbliant  qu*ü  avait  6prou/o6  ks  mimes  regrets  pmdani 
son  exü,  lui  reprochait  doucemeni  ce  qu'ü  appehiU  ses  soUises  (^dafs 
Cicero  vergals  und  ihm  vorwarP),  Boissier,  Cio^ron  et  ses  Amis,^ 
8.  246 ;  On  nous  avait  pr^venus  qus  M.  T%ters,  meikmt  au  serviee 
du  gouvemement  nouveau  sa  Umgue  eocpMenee  et  sa  grande  autoriiS, 
6taii  parti  pour  porter  des  propositions  aux  divers  cabinets,  8aroey, 
8i^  de  Paris. 

Nach  si.  Cher  ami,  si  mon  pdre  un  jour  dSsabusS  PlaitU  le 
malheur  d'u/n  fils  faussement  accusS,  Bac^  Ph^dre  V,  4;  Qui  von- 
drait  passer  sa  vie  en  de  steriles  contemplations,  si  ehacun,  ne 
consiUtant  que  les  devoirs  de  l'homme  et  les  besoins  de  la  nature,  n'avait 
de  temps  que  pour  la  pairie,  pour  les  malheureux  et  pour  ses  amis, 
J.-J.  Rousseau,  Emile;  8'il  avait  d^  Fabord  tenu  un  langage 
f  erme,  ou  si,  se  fiant  au  hon  sens  de  la  populaiion  parisienne,  ü  avaii 
tout  de  suiie  aceordS  les  Slectums,  nou^  n'aurions  pas  vu  les  scenes 
attristantes  qui  nous  restent  d  conter,  8arcey,  8i^ge  de  Paris,  usw. 

Nach  lorsque  und  quand.  Les  noces  du  jeune  Henri 
avec  Marguerite  de  Valois  ^taient  pr^s  de  se  condure,  lorsqus 
la  reine  Jeanne  d* Albret,  atteinte  d'un  mal  subit  et  inconnu,  eapira  en 
peu  d'instants  entre  les  hras  de  son  fils  inconsolable,  Lam4-Fleuiy, 
Histoire  de  France;  Quelques-uns  parlaient  d^jä  de  prendre  la 
fuite,  lorsque  Henri,  reparaissant  tout  couvert  de  poussiere,  leur 
cria  . . . ,  eb. ;  Quelques  ann^s  auparavant,  Catoü  venait  de  leur 
rendre  un  ^atant  hommage,  lorsque,  ne  sachant  d  qui  se  fier,  ü 
Vavait  chargi  de  recueillvr  et  de  porter  d  Borne  le  trSsor  du  roi  de 
Chypre,  Boissier,  Cic.  et  ses  Am.,  S.  334;  Et  quand  un  membre 
de  la  gauche,  impatient6  de  ce  süence,  s'avisait  de  denumder  d  la  Gham- 
hre  quelques  renseignements  plus  positifs,  Sarcey,  eb. 

Nach  parce  que.  'En  fait  de  r^its  de  bataiUe,  lui  dit-il, 
je  me  fie  surtout  aux  plus  peureux^;  probablement  parce  que, 
s'itant  terms  lovn  du  combat,  ils  en  ont  mieux  pu  voir  Vensemble,  Bois- 
sier, Cic.  et  ses  Am.,  8.  247,  usw. 

'  PariS;  Hachette,  9.  Aufl.,  1892. 


Beitiige  zur  franzöflischen  Stilistik  vnd  Byntax.  127 

Man  sieht,  dalB  das  appositive  Partizipium  sioh  immer  an 
das  Subjekt  anlehnt.  Damit  hangt  denn  wohl  zusammen,  dals 
sich  die  besprochene  Satzform  besonders  häufig  nach  dem  rela- 
tiven Nominativ  'qui'  findet,  in  Fallen  also  wie :  H  voulait  s'em- 
parer  de  cette  tle  qui,  eommandani  la  navigation  de  la  M6diterravUe, 
devmaü  importante  pou/r  l'Egypte,  Thiers,  S.  26.  Thiers  ist  eben 
auch  im  Satzbau  der  Nationatfranzose  par  excellence. 

Wenn  das  Prädikat  nicht  ein  Geschehen,  sondern  ein 
Sein  ausdrückt,  so  tritt  an  Stelle  des  Partizipiums  naturlich  ein 
Adjektiv,  z.  B.  an  Stelle  von  oubliant  ein  oublieux.  Auch  hierfür 
einige  Beispiele :  Est-ce  qu'ovhlieuse  de  sa  naiasance  et  de  son  rang, 
eile  partagerait  la  passion  qu'eüe  inspire,  Sandeau,  M^^^^  de  la  Seig- 
li^re  III,  1;  Hs  frapp^rent  ä  coups  redoubl^  sur  des  esprits 
d^jä  4mus  qui,  mäcontenis  des  ehoses  et  d'eux-memes  ...,  ne  savaient 
d  qui  s'en  prendre  (die  unzufrieden  waren  und  nicht  wufsten), 
Sarcey,  Si^e  de  Paris,  usw. 

Um  zu  zeigen,  wie  häufig  die  besprochene  Satzform  über- 
haupt ist,  will  idi  die  Beispiele  zusammenstellen,  die  mir  allein 
in  Kacines  Brit.  aufgestofsen  sind. 

V.  17.       Voua  qui  desMritatU  le  fils  de  Claudius 

Aoex  nammi  OSsar  Vheureux  Domitiue, 
V.  33.      MsdB  crains  que  Vavenir  dUrtmant  le  paasS 

II  ne  finisse  aitui  qu* Auguste  a  oommeneS, 
V.  43.      Que  m'importe,  apr^s  tout,  que  Neron  plus  fidHe 

&une  longue  vertu  laisse  un  jour  le  modHe, 
V.  297.    BanB  deute  on  ne  veut  pas  que  melant  nos  douleurs 

Nous  nous  aidians  Vun  Vatäre  ä  porter  nos  malheurs, 
y.  1073.  Souffrez  que  de  vos  coeurs  rapprochant  les  liens, 

Je  me  cache  ä  vos  yeux,  et  me  d&robe  aux  siens, 
y.  1149.  C'est  aioFB  ^««0  chacuny  rappdant  le  passe, 

Dicouvrü  man  dessem  diß  trop  avancS. 
y.  1430.  Sur  les  pas  des  tyrans  veux-tu  que  je  m'engage, 

Et  que  Rome,  effa^nt  tont  de  titres  d'honneur, 

Me  laisse  pour  Ums  noms  celui  d'empoisonneur? 

Die  beiden  Glieder,  die  im  Deutschen  einander  nebengeordnet, 
im  Französischen  mit  Vorliebe  einander  untergeordnet  auftreten, 
stehen  in  den  einzelnen  Aussagen  dieser  Art  nicht  immer  im 
gleichen  inneren  Verhältnis  zueinander.  Hinsichtlich  ihres  in- 
neren, logischen  Verhältnisses  nun  lassen  sich  vor  allem  folgende 
HauptfäUe  feststellen:  1)  die  beiden  Glieder  sind  auch  dem  Ge- 
danken nach  nebengeordnet;  2)  das  durch  das  zweite  Zeitwort 
ausgesagte  Geschehen  liegt  zeitlich  nach  dem  Geschehen  des 
ersten  Uliedes;  3)  das  erste  Glied  drückt  inhaltlich  die  B^rün- 
düng  zu  dem  im  zweiten  Gliede  ausgesagten  Geschehen  aus. 

Im  ersten  Falle  sagen  wir  einfach  'und',  im  zweiten  'und 
Dun'^  'und  dann',  im  dritten  'und  so',  'und  daher'.  Beispiele 
zu  1 :  ce  gouvemement  qui  ramassant  un  pou/voir  tonibe  d  terre, 
amdt  U9tirp4  la  redatUable  mission  de  reparer  tarU  de  malheurs  (welche 


128  Beitrage  2ur  fniiiz5siBchen  StiÜBtik  und  Syntax. 

• . .  aufgerafft  und  gewaltsam  die  furchtbare  Aufgabe  übemommeD 
hatte),  Sarcey^  Si^ge  de  Paris;  oder:  Le  roi  oonsentit  ä  le  livrer 
ä  des  juges  qui,  lui  appliqiumt  totäe  la  rigueur  des  lots,  le  condam- 
nireni  d  mort,  Lam4-Pleury,  Histoire  de  France;  zu  2:  D^un  cöt^ 
sont  les  dissipateurs  qui,  ayant  consumS  leur  pairimoine,  ne  peuvent 
souffrir  ceux  qui  en  ont  un  (. . .  und  nun  . . ,),  Taine,  Origines  de 
la  France  Contemporaine ;  oder:  Et  en  effet  ces  soldats  sont  les 
m^mes  qui,  mourcmt  de  faim  ä  Dyrrhachium,  dSdaraient  qu'ils  matir 
geraient  Vicorce  des  arbres  plutöi  que  de  laisser  ichapper  PompSe, 
Boissier  a.  a.  O.,  S.  256;  zu  3:  II  voulait  s'emparer  de  oette  ile, 
qui,  commandant  la  navigation  de  la  MiditerranSe,  devenait  importarUe 
pour  VEgypte  (...  und  daher  ...)>  Thiers,  S.  26;  oder:  il  lui  re- 
fusait  le  min,  c'est-ä-dire  Pimpöt  foncier,  qui,  reprisentant  U  droit 
de  la  conquete,  appartenait  d  la  Porte,  eb.  8.  43. 

Hierzu  ist  noch  folgendes  zu  bemerken:  Soll  ausdrücklich 
hervorgehoben  werden,  oaTs  das  erste  Geschehen  dem  zweiten 
voran^aht,  so  wird  es  lieber  mit  apris  avoir  ...  untei^eordnet, 
z.  B.  M.  Ducrot  ^tait  un  g^n^ral  qui,  apres  avoir  itS  fait  prison- 
nier  ä  Sedan,  avait  eu  le  bonheur  de  s'Schapper,  Sarcey,  Si^ge  de 
Paris.  Soll  aber  die  Gleichzeitigkeit  des  zweifachen  Geschehens 
betont  werden,  so  wird  das  erste  Geschehen  nicht  durch  das 
Partizipium,  sondern  das  Gerundium  mit  en  ausgedrückt,  das 
noch  durch  tout  verstärkt  werden  kann  (...  und  dabei  ...),  z.  B.: 
on  se  rel^ve  ä  ses  propres  yeux  quand,  en  se  confessant,  on  croit 
eonfesser  le  genre  humain,  Taine,  eb.;  Les  caf^s  ...  d^bordaient 
de  consommateurs  qui,  tout  en  huvant  des  liqueurs,  suivaient  des 
yeux  ceiie  scene  inouie,  Sarcey,  eb.,  usw. 

Nicht  selten  auch  ^bt  bei  dieser  Aussageform  das  erste  Ge- 
schehen das  Mittel  an,  durch  welches  das  im  zweiten  ausgedrückte 
Geschehen  erst  möglich  wird.  Dann  ist  die  normale  deutsche 
Aussageform  ...  und  dadurch  ...,  z.  B.:  Uhumanit^  y  avait 
moins  de  part  que  Fint^r^t  bien  entendu,  qui,  en  s'imposant  qtielque 
retenue  dans  le  präsent,  manage  Pavenir,  Boissier,  S.  334,  usw. 

Ich  brauche  wohl  nicht  erst  zu  bemerken,  dafs  auch  die  deutsche 
Satzform  dem  Franzosischen  durchaus  nicht  fremd  ist  und  sich 
Sätze  wie :  Aucun  remords  n'atteint  plus  Väme  qui  Srige  sa  barbarie 
en  patriotisme  et  se  fait  des  devoirs  de  ses  attentats  nicht  gerade  selten 
finden.  Aber  es  steht  doch  fest,  dafs  dem  Französischen,  dank 
der  Tatsache,  dafs  sein  System  von  Partizipien  sich  volle  Lebens- 
kraft erhalten  hat,  noch  eine  weitere  Ausdrucksweise  zur  Ver- 
fügung steht,  die  durch  Flufs,  Lebendigkeit  und  Klarheit  ausge- 
zeichnet ist.  Dagegen  nimmt  sich  die  andere  Formgebung  des 
Gedankens,  die  dem  Deutschen  zu  Gebote  steht,  ungeschickt  aus, 
ich  meine  die,  wonach  das  erste  Glied  als  attributive  Bestimmung 
vor  das  Hauptwort  gesetzt  wird,  also  z.  B.  anstatt  zu  sagen: 
Und  als  ein  Mitglied  der  Linken  über  dieses  Schweigen  ung^ 


BdtrSge  zur  französisclien  Stilistik  und  Syntax.  ti^ 

duldig  tourde  und  sich  einfallen  liefe,  die  Kammer  um  bestimmtere 
Auskunft  zu  bitten^  zu  sagen:  ^ühd  als  ein  über  dieses  Schweigen 
ungeduldig  gewordenes  Mitglied  der  Linken  sich  einfallen  liefs,  ../ 
(franz.:  Et  quand  un  membre  de  la  gauche,  impatienti  de  ce  sHence, 
s'avisait  de  demander  d  la  Chambre  des  renseignements  plus  positifs). 
Ich  will  zum  Schlüsse  die  Gelegenheit  benutzen^  um  noch 
auf  einen  anderen  Fall  hinzuweisen,  in  dem  der  deutschen  Neben- 
ordnung zweier  Satzglieder  im  Französischen  häufig  subordinie- 
recde  Ausdrucksweise  gegenübersteht,  und  zwar  dieselbe  sub- 
ordinierende Ausdrucksweise,  die  schon  aus  dem  Lateinischen 
bekannt  ist,  hier  allerdings  von  den  Lehrbüchern  der  Stilistik 
als  für  Hauptsätze  geltend  angeführt  wird.  Wenn  wir  sagen: 
Aristides  u?ar  zwar  verbannt,  aber  er  nahm  doch  an  der  Schlacht 
bei  Salamis  teil,  so  kann  dieser  Satz  im  Lateinischen  folgende 
Form  annehmen:  Aristides,  obgleich  er  verbannt  tvar,  nahm  er  doch 
an  der  Schlacht  bei  S.  teU,  d.  h.  mit  quamquam  . . .  tamen  ge- 
bildet werden;  s.  Nagelsbach,  Latein.  Stilistik,  8.  AufL,  S.  624. 
Damit  vei^eiche  man  franzosische  Sätze  wie:  Murad-Bey,  qui, 
quoique  sans  instruction,  Stait  douS  d'un  grand  caractSre  et  d*u/n  ooup 
d'cBÜ  penetrant,  devina  sur-le-champ  Fintention  de  son  adversaire, 
Thiers,  eb.  S.  56;  und:  Cic^ron  avait  bien  pr^vu  que,  quoique 
C^far  en  ^rivant  ses  Commentaires  n'annon9ät  d'autre  pr^tention 
que  de  pr^parer  des  mat^riaux  pour  l^stoire,  la  perfection  de 
cet  ouvn^e  emp^herait  les  gens  sens^  de  le  recommencer^  Bois- 

sier,  eb.  S.  255,  usw. 

V. 

Archiv  CV,  55  ff.  hatte  ich  auseinandergesetzt,  dafs  der 
Franzose  einen  Satz  von  folgender  Bauart:  *Wenn  Sie  wüfsten, 
welchen  Schmerz  Sie  mir  bereiten',  gern  in  folgender  Form 
ausspricht:  Si  vous  saviex  le  mal  que  vous  me  faites.  D.  h., 
im  G^ensatz  zum  Deutschen  und  noch  mehr  zum  Lateinischen 
mit  seinem  'novi  qua  via  ad  felicitatem  perveniatur'  (s.  Nä^els- 
bach  a.  a.  O.,  S.  171)  stellt  der  Franzose  aus  einem  indirekten 
Fragesatz  mit  dem  adjektivischen  'welcher'  als  Fragewort  das  zu 
'welcher'  gehörige  Substantiv  heraus  und  macht  dieses  zum  Ob- 
jekt des  Zeitwortes  des  Denkens  und  Sagens,  zu  welchem  im 
Deutschen  (und  im  Lateinischen)  der  indirekte  Fragesatz  als  Ob- 
jektsatz gehört,  wodurch  dann  der  Fragesatz  ein  auf  dieses  Objekt 
bezüglicher  Relativsatz  wird.  An  SteUe  also  zu  sagen:  'Er  sieht, 
in  welchem  Zustande  wir  sind',  sagt  der  Franzose  gern: 
Er  sieht  den  Zustand,  in  welchem  wir  sind. 

Ich  sagte  mir  nun  von  vornherein  folgendes:  Wenn  die 
französische  Sprache  wirklich  die  Neigung  hat,  sich  solchergestalt 
auszudrücken,  so  mufs  sich  das  auch  zeigen  in  solchen  abhängigen 
Fragesätzen,  die  im  Deutschen  mit  'was  alles'  anfangen,  d.  h. 
in  solchen  abhängigen  Fragesätzen,  in  welchen  von  dem  neutralen 

Aichiv  f.  u.  Sprachen.    CXV.  9 


130  BdtrSge  zur  franzöflischen  Stilistik  und  Syntax. 

substantivischeD  Frageworte  Vas'  das  neutrale^  ursprünglich  gene- 
tivische 'alles'  abhängt  Es  muTs  im  Franzosischen  also  anoh 
hier  'alles'  als  Objekt  zum  Zeitwort  des  Obersatzes  treten  und 
was'  als  Relativum  darauf  bezogen  werden  können.  Mit  an- 
deren Worten:  Ein  Satz  von  folgender  Bauart  Ich  habe  ver- 
gessen,  was  er  alles  versprochen  haf  muis  im  Französischen  in 
folgender  Form  auftreten  Können:  'Ich  habe  alles  vergessen,  was 
er  versprochen  haf,  fai  oubUS  totU  ee  gu'ü  a  promis. 

Und  so  ist  es  auch  wirklich.  In  Radnes  Britanniens  fragt 
V.  1022  Brit.  seine  Junie:  Et  sa/oex-vous  pour  moi  tout  ce  qvs  vous 
quittex?  Dem  ganzen  Zusammenhange  nach  kann  das  nichts  an- 
deres heüsen  als :  Weifst  du  auch,  toas  du  aües  für  mich  hingeben 
willst?  Ebenso  liegt  die  Sache  V.  1464,  wo  Narcisse  zu  N^ron 
sagt:  Quoi  donc?  ignorexr^xnis  tout  ce  gu'üs  osent  dire?  Was? 
Weifst  du  denn  nicht,  was  sie  alles  zu  sagen  sich  herausnehmen? 
Tout  ce  que  heilst  was  . . .  alles  auch  an  folgenden  Stellen  von 
Bostans  L'Aiglon  (I,  1):  On  ne  peut  pas  savoir  tout  ce  qu'on  perd; 
(n,  2)  J'admire  ce  'mais';  Seniez-vaus  tout  ce  que  ce  ^mais'  veut 
dire  ?  Aus  der  Prosa  führe  ich  folgende  Stellen  an :  Vous  etes- 
V0U8  quelquefois  demandS  tout  ce  que  ce  titre  de  grand  profeeseur  dra- 
mcUique  suppose  de  qualit^  contradictoires?  L^ouv^,  L'Art  de 
Lecture,  S.  213;  Qui  ne  sentirait  tout  ce  que  cette  suecession  deJer- 
mes,  iJoignement,  or gerne,  insirumerU,  mis  en  reUef  par  les  vers  aou- 
nent  de  force  et  je  dirai  voloniiers  de  noblesse  au  demier  vers,  eb. 
S.  221 ;  Corneille  ne  nous  dit  rien  de  toui  ce  qu'on  peut  dire  pour 
la  defense  de  ce  röle,  L.  Petit  de  Julleville,  Einleitung  zum  Cid, 
Paris,  Hachette,  10.  Aufl.,  8,  43. 

£^  ergibt  sich  nun  die  bemerkenswerte  Erscheinung,  dals 
tout  ce  qui,  tout  ce  que  vom  deutschen  Standpunkte  aus  gesehen 
doppeldeutig  ist,  dals  es  heifsen  kann :  'alles,  was'  und  'was  alles'. 
Onenbar  ist  der  Sinn  nicht  ganz  derselbe.  Wenn  ich  sage:  'Ich 
werde  dir  alles  sagen,  was  ich  weifs'^  so  kann  dies  'alles'  an  und 
für  sich  wenig  sein;  aber  dieses  Wenige  werde  ich  ohne  Rest 
sagen.  Wenn  ich  aber  sage:  'Ich  weifs  nicht  mehr,  was  er  alles 
gesa^  hat',  so  liegt  in  dieser  Ausdrucksweise  unter  allen  Um- 
standen  die  Vorstellung  einbeschlossen,  dafs  'er*  recht  viel,  eigent- 
lich zu  viel  gesagt  habe.  Ich  erinnere  hier  an  eine  andere  fran- 
zösische doppelsinnige  Satzform,  in  der  tout  eine  Bolle  spielt: 
toui  ce  qui  reluä  n'eat  pcts  or,  und  was  Tobler  darüber  Vermischte 
Beträge  V,  S.  162  sagt 

VI. 

Mit  tout  hat  es  auch  die  dritte  Frage  zu  tun,  die  hier  be- 
handelt werden  soll. 

Wenn  wir  von  einer  Allgemeinheit  von  Menschen  oder  einer 
Menschengruppe  ein  Sein,  Tun  oder  Erleiden  aussagen  wollen, 
es   uns  aber  nicht  genügt  zu  sagen:   alle,   alle  Menschen,  alle 


BdtrSge  zur  {ranzABiBchen  Stilistik  und  Syntax.  181 

FraoEOfien^  alle  Untertanen^  gondern  wir  den  E&rperteil^  den  Sinn, 
das  geistige  Vermögen  bezeichnen  wollen,  der  bei  dem  Tun  oder 
Leiden  (einer  Gesamtheit  von  Menschen)  besonders  beteiligt  oder 
in  Mitleidensdiaft  gezogen  war,  so  pflegen  wir  das  auszudrücken, 
indem  wir  zu  der  speziellen  Bezeichnung  des  Sinnes  oder  des 
Seelenvermögens  den  Wesfall  von  'alle^  hinzufügen,  indem  wir 
also  sagen:  ^aller  Augen^  'aller  Herzen',  'aller  Gesich- 
ter'. L)  all  solchen  Fälen  setzt  nun  der  Franzose  fast  regel- 
mafsig  toits,  knUes  nicht  als  genetivisches,  sondern  als  adjekti- 
visches Attribut  zum  Hauptwort,  er  sagt  also  nicht  ^le»  yeux  de 
ious'  usw.,  sondern  'tous  tes  yeux,  ioua  les  co&urs,  tous  les 
visages*.  Aus  der  Fülle  von  Beispielen,  die  zu  Gebote  stehen, 
führe  ich  folgende  an: 

1.  Aus  Bacine,  Brit: 

V.  720.      La  foi  dans  tous  les  eaurs  n'est  p<i8  eneore  Steinte. 

?^icht  in  aller  Herzen  ist  die  Troue  erloschen.) 
'irai  semer  partout  ma  crainte  et  ses  alarmes 
Et  Tanger  tous  les  oceurs  du  parti  de  ses  larmes, 
V.  1830.    NSron  da/ne  tous  les  cceurs  est-tl  las  de  rigner. 
Y.  1683.    Juge»  eombien  ce  eoup  frappe  tous  les  esprits. 

Bei  Thiers  a.  a.  O.: 

S.  31.  La  possibiUU  de  rencontrer  les  Anglais  Statt  prisente  d 
tous  les  esprits. 

S.  72.  Le  dibarqtiement  en  Egypte,  Voecupation  d'Alexandrie, 
la  haiaiüe  des  Pyramides,  frappirent  toutes  les  imaginations  en 
Framce  ei  en  Europe. 

S.  87.     üne  sombre  tristesse  divoraü  tous  les  coeurs. 

Bei  Erckm.-Chatr.,  Waterloo :  La  fwr&uir  ei  rindignation  Staient 
peMes  sur  toutes  les  figures. 

Bei  Victor  Hugo: 

L'Expiation,  a.  a.  O.,  8.  93,  30:    Toutes  les  bouches  criaient. 
Burggraves,  Pr^f  ace :  Dans  tme  famiUe  pareüle,  ainsi  diveloppS 
d  tous  les  regards,  d  tous  les  esprits  ... 
Eb.  I,  2:  Loin  de  tous  les  regards. 

Bei  Boissier  a.  a.  O.: 

8.  87:  Une  cause  si  ^latante,  qui  amä  attirS  sur  Im  tous 
les  regards. 

S.  325:  Aussi  tous  les  yeux  Staient-üs  ftxSs  sur  ce  grave 
jeune  komme  qui  ressemblait  si  peu  aux  autres. 

Bei  Sarcey,  Si^e  de  Paris:  La  constemation  etait  sur  tous 
les  visages;  Uaüigresse  4tait  peinte  sur  tous  les  visages;  Au 
fond  de  tous  les  co&urs,  il  y  avait  comme  un  secret  espoir  que  les 
choses  s'arrangeraient ;  Gela  flamboyait  d  tous  les  yeux,  usw. 

Zu  'toiW  liefse  sich  noch  vieles  andere  sagen.  Ich  will  zum 
Schlüsse  nur  noch  auf  einen  Punkt  hinweben.    In  zurückbezüg- 

9» 


182  Beitrfige  zur  franzÖsiBchen  StiÜBtik  und  Syntax. 

liehen  Sfitzen,  die  mit  'donf  eingeleitet  werden^  und  in  denen 
von  einer  Allgemeinheit^  Gesamtheit  etwas  ausgesagt  werden  soll, 
stellt  der  Frsmzose  Houa,  totUes,  alle'  regelmäßig  attributiv  vor 
das  Hauptwort,  der  Deutsche  aber  ebenso  regelmafsig  'alle'  prar 
dikativ  zum  Zeitwort.  Taine  sagt  in  seinen  Orieines:  H  leur 
est  impossible  d'entretenir  la  vie  et  ce  mouvement  du  vaste  corps 
doni  tous  les  membres  sont  paralysds,  wo  wir  sagen  müfsten: 
'dessen  Glieder  alle  gelähmt  sind*.  Vergl.  folgende  Beispiele 
aus  Saroey^  a.  a.  O. :  De  cette  lanteme  dont  tous  les  chässis  vOrSs 
peuvent  s'ouvrir,  tombe  un  jour  splendide,  —  üne  position,  doni  on  lui 
avait  avee  tont  de  eomplaisance  invmiri  tous  les  avantages. 

Noch  deutlicher  wud  uns  der  Unterschied,  wenn  der  Begriff 
der  Allgemeinheit  durch  presque  eingeschränkt  wird,  wie  in  fol- 
gender Stelle  von  Erckm.-Chatr.,  Histoire  d'un  Consent:  Le 
maltre  de  poste  du  vUlage,  dont  presque  tous  les  chevaux  avaieni 
6tä  mis  en  riquisition  pour  notre  oavcUerie  ('dessen  Pferde  fast 
alle  requuiert  worden  waren^. 

Man  wird  hier  mit  Recht  sagen,  die  Verschiedenheit  der 
Satzstelle,  an  der  die  Allgemeinheit  zum  Ausdruck  gebracht  wird, 
hängt  damit  zusammen,  dafs  dont  doch  eigentlich  gar  nicht  'des- 
sen, deren'  heilst,  überhaupt  eigentlich  kein  Belativwort,  sondern 
(aus  de  unde  entstanden)  ein  Umstandswort  ist,  und  dafs  sich 
die  Stellung  von  tous,  toutes  unfi;ezwungen  auf  diese  Weise  er- 
klärt Aber  so  erklärt  sich  aucn  die  r^elmäfsige  Wortstellung 
nach  dont,  so  auch  die  Beibehaltung  des  bestimmten  Artikels  bei 
dem  Satzteil,  der  durch  dont  mit  dem  Beziehungswort  relativisch 
und  possessivisch  verknüpft  wird.  Wird  in  den  Grammatiken 
von  der  regelmäfsigen  Wortstellung  und  der  Beibehaltung  des 
Artikels  beim  Hauptwort  in  besonderen  Paragraphen  gesprochen, 
so  verdiente  auch  wohl  die  verschiedene  Stellung  des  zu  diesem 
Hauptwort  gehörenden  'alle'  eine  Erwähnung  in  einer  Anmerkung. 

Friedenau  b.  Berlin.  Emil  MaokeL 


Cyrano  de  Bergerac  (1619—1655), 

sein  Leben  und  seine  AVerke. 

Ein  Versuch. 

(SehlnA.) 


Der  zweite  Teil  des  Romans^  die  Reise  nach  der  Sonne^ 
schliefst  sich  unmittelbar  an  das  Ende  des  ersten  Teiles  an^  wie 
wir  diesen  aus  dem  Manuskript  wiederhergestellt  haben.  Cyrano 
kommt  zu  Schiff  in  Toulon  an  und  nimmt  Abschied  von  seinen 
Reisegefährten.  Der  Pilot  b^nugt  sich^  da  der  Mondreisende 
kein  Geld  hat^  mit  der  Ehre,  einen  Mann  in  seinem  Schiffe 
transportiert  zu  haben^  der  vom  Himmel  gefallen  ist.  Er  reist 
nach  Toulouse  zu  seinem  Freunde,  Monsieur  de  Colignac,  der  sehr 
erfreut  ist,  ihn  wiederzusehen,  weil  er  ihn  in  Kanada  mit  jenem 
Drachen  verbrannt  glaubte.  Cyrano  erzählt  ihm  seine  Rettung 
und  seine  Abenteuer  im  Monde.  De  Colignac  fordert  ihn  au^ 
sie  niederzuschreiben.  Cyrano  tut  es  nach  einigem  Zögern,  und 
sobald  er  ein  Heft  fertig  hat,  bringt  es  de  Colignac  in  Toulouse 
unter  die  Leute.  Der  Autor  wird  schnell  berühmt.  'Die  Kupfer- 
stecher stachen,  ohne  mich  gesehen  zu  haben,  mein  Bildnis,  und 
die  Stadt  ertönte  auf  jedem  Platze  von  dem  heiseren  Geschrei 
der  Kolporteure,  welche  aus  vollem  Halse  schrien:  Voild  le  por- 
trau  de  VAutheur  des  Estais  et  Empires  de  la  Lune.'  Aber  bald 
schlagt  die  Stinmiung  um.  Der  mit  Unwissenheit  gepaarte  Aber- 
glaube sieht  zuerst  in  dem  Werke  nur  kindische  Fabeleien  {des 
peaux  d'asnes):  'Tel  n'en  connoist  pas  setUement  la  sintaae  gui  con- 
dainne  VAutheur  ä  porter  tme  hougie  ä  St- Mathurin.'  Der  Streit 
zwischen  den  Lunaires  und  den  Antilunaires  tragt  zur  Verbrei- 
tung der  Schrift  bei.  Die  Exemplare  des  Manuskripte  werden 
unter  der  Hand  verkauft  {'se  vendirent  sous  le  manteau').  Aber  die 
Sache  wird  allmählich  schlimmer.  Eine  Deputation  von  neun 
oder  zehn  Mönchen  {'barbes  d  Urngv^e  rohe')  erscheint  im  Schlofs 
und  verlangt  die  Herausgabe  des  Hexenmeisters.  Aus  Rücksicht 
auf  den  Schlofsherrn  werde  man  ihn  ohne  Skandal  verbrennen. 
Colignac  lacht  sie  aus  und  verspricht  Cyrano,  der  angstlich  ge- 
worden ist^  seinen  Schutz.  Mit  einem  gebildeten  Nachbarn,  dem 
Marquis  de  Cussan,  zusammen  führen  sie  ein  genufsreiches  Leben 
mit  Jagd,  Promenade,  Besuchen,  Lektüre  und  wissenschaftlichem 
Gespräch^   bald  in  Cussan^  bald  in  Colignac    Unterdessen  hetzt 


184  Cyrano  de  Bergerac 

aber  ein  Pfaffe,  Messire  Jean,  dem  wir  schon  in  den  Letires  be- 
gegnet sind,  gegen  Cyrano.  Dieser  wird  durch  seinen  Dämon, 
der  auch  den  beiden  Freunden  gleichlautende  Traume  eingibt, 
gewarnt  Diese  Traume  werden  ausführlich  erzählt  und  erinnern 
ebenfalls  an  die  Träume  in  den  Briefen. 

Bei  der  Übersiedelung  nach  Cussan  wird  Cyrano  von  einer 
Bande  von  Bauern  unter  der  Führung  des  Pfarrers  {Messire  Jean) 
aufgehoben.  Die  Schilderung  des  ÜberfaUs  ist  ein  Muster  gro- 
tesker Komik  und  gehört  wie  die  ganze  Zwischenerzählung,  welche 
die  beiden  Reisen  verbindet,  sn  dem  Besten,  was  aus  Cyranos 
Feder  geflossen.« 

Unter  den  Büchern,  die  bei  dieser  Gelegenheit  in  die  Hände 
der  Bauern  fallen,  befindet  sich  La  Physique  de  Monsieur  des 
Oartes^  mit  den  Kreisen,  welche  die  Planetenbew^ung  darstellen, 
und  vor  welchen  die  Bauern  samt  dem  Pfarrer  einen  abergläu- 
bischen Schrecken  bezeugen.  Das  Reitpferd  Cyranos,  der  allein 
ist,  reifst  aus,  das  Maultier  mit  den  Büchern  wird  in  den  Pfarr- 
hof getrieben,  unser  Autor  in  einem  benachbarten  Flecken  in 
das  Gefängnis  geschleppt.  Von  diesem  wird  eine  haarsträubende 
Schilderung  entworfen.  Immerhin  gelingt  es  dem  Gefangenen 
durch  Bestechung  des  Kerkermeisters  und  seines  Knechtes,  sich 
etwas  Essen  und  eine  Gelegenheit  zur  Flucht  zu  verschaffen. 
Er  erfindet,  dafs  ihm  ein  Engel  den  Besuch  der  Kirche  mit  dem 
Knecht  empfohlen  habe,  und  macht  sich  während  der  Messe  davon 
nach  Toulouse.  Unglücklicherweise  stöfst  er  beim  Umherirren 
auf  den  Kerkermeister,  der  ihn  erkennt  und  verfolgt.  Es  gelingt 
Cyrano  zwar  durch  eine  List,  diesen  verhaften  zu  lassen,  aber 
auf  der  Flucht  gerät  er  immer  wieder  in  feindliche  Hände.  Die 
Verkleidung  als  Bettler,  die  Vermummung  als  Aussätziger  helfen 
nur  für  kurze  Zeit.  Den  Häschern  der  Stadt  wird  er  von  denen 
des  Grofsprofosen  entrissen;  wahrend  beide  Parteien  sich  um 
die  Beute  streiten,  flüchtet  er  sich  wieder,  aber  zu  seinem  Un- 

flück  in  das  Gefängnis  selbst  und  wird  zum  Gefangenen  des 
Cöni^s  erklärt.  In  diesem  Turme  wird  er  einer  Art  von  ge- 
richtlicher Anthropometrie  unterworfen.  'Chague  Gfuichetier  Pun 
apris  l'autre,  par  y/ne  exaete  dissedion  des  parties  de  mon  visage,  venaü 

•  Die  Bibliotheca  Bodleiana  in  Oxford  enthält,  unter  Nummer  V  38 
der  Kollektion  Douce,  mit  zwei  anderen  Fluffschriften  des  17.  Jahrhun- 
dert8  zuBammengebunden  einen  in  Köln  bei  Tierre  Marteau  MDCXCIX 
gedruckten  anonymen  Sermon  du  Oure  de  Coligtuie,  der  von  La  Mon- 
naye,  Mena^iana  vol.  III,  p.  08/69,  und  von  Ch.  £tienne  Jordan, 
Reeueil  de  iMUrature,  de  Philosophie  et  d'Histoire  (AmBterdam  1730)  p.  44, 
unserem  Cyrano  zugeschrieben  wird.  Bestimmte  Beweise  liegen  nicht  vor, 
aber  die  burleske  Predigt  verdiente  an  sich  publiziert  zu  werden,  und  ich 
habe  mir  dies  vorgenommen. 

*  Gemeint  sina  die  Principia  Philosophiae,  Amsterdam  1644,  in  wel- 
chen das  System  der  tourbilhne  entwickelt  ist. 


Gyrano  de  Bergerac.  185 

Urer  mon  tahleau  sur  la  toiUe  de  sa  mSmotre/  Da  er  kein  Geld 
mehr  hat^  wird  er  far  die  Nacht  in  ein  schreckliches  unterirdi- 
sches Loch  geworfen.  Aus  diesem  wird  er  zwar  darch  die  Inter- 
vention von  Colignac  und  Cussan^  die  seine  Spur  aufgefunden 
und  jenes  Gefecht  zwischen  den  Häschern  veranlaist  hatten^  be- 
&eit)  aber  sie  können  nur  erreichen,  dais  er  bis  zur  Beendigung 
der  Untersuchung  im  'Grofsen  Turm'  interniert  wird.  Von  ihnen 
erfährt  er  auch  das  Ende,  welches  der  Pfarrer  von  Colignac, 
'norman  de  nation  et  chieaneur  de  son  mesUer'  verdientermafsen  er- 
fahren hat  Er  ist  durch  den  Hufschlag  von  Cyranos  Pferd,  das 
er  für  sich  einfangen  wollte,  getötet  worden.  Cyrano  läfst  sich 
in  sein  Turmzimmer  mit  flachem  Dach  Bücher  und  Instrumente 
bringen  und  fabriziert  eine  Flugmaschine,  die  in  der  Amster- 
damer Ausgabe  von  1710,  vol.  II,  p.  79,  abgebildet  ist  und  so 
beschrieben  wird:  'Es  war  eine  grofse,  sehr  leichte  und  gut- 
schUefsende  Kiste  {boite\  sechs  Fufs  hoch  und  drei  bis  vier  Fufs 
breit;  im  Boden  und  in  der  Decke  waren  Offnungen  angebracht. 
In  der  oberen  steckte  genau  eingepafst  das  Bohr  eines  zwanzig- 
eckigen Eristallgefäfses,  welches  emen  Brennspiegel  bildete,  da 
jede  Fläche  (faceiie)  konvex  und  konkav  war.  In  der  Kiste  war 
eine  kleine  Sitzbank  angebracht.' 

Nachdem  er  die  Abwesenheit  seiner  Wächter  dazu  benutzt 
hat,  diese  Maschine  auf  der  Terrasse  seines  Turmes  der  Sonne 
auszusetzen,  fliegt  er  eines  Morgens  nach  neun  Uhr  auf.  Die 
Sonne  erhitzt  und  verdünnt  durch  den  ikosaedrischen  Helm  der 
Maschine  die  Luft,  und  die  von  unten  nachdrängende  kalte  Luft 
hebt  sie  in  die  Höhe.  In  dem  Innern  seines  Schreins  (chässe) 
entwickelt  sich  ein  prächtiges  Farbenspiel.  Das  rasche  Auf- 
steigen verhindert  es,  dafs  er  mit  einem  angebrachten  Segel 
steuern  kann,  um  nach  Colignac  zu  kommen.  So  gibt  er  das 
Segel  preis.  Auch  oberhalb  der  mittleren  Il^on  bleibt  die  Auf- 
wärtsbew^ung  konstant,  weil  der  Äther  zum  Luftzug  wird.  In 
der  mittleren  HegioD,  wo  Kälte  und  Hunger  ihn  plt^en,  stärkt 
sich  C^ano  mit  einer  Flasche  Lebensessenz.  In  grö&erer  Höhe 
läfet  die  steigende  Sonnenwärme  die  niederen  Badürfnisse  des 
Organismus  nicht  mehr  aufkommen.  Da  die  radikale  Feuchtig- 
keit (humeur  radicale)  im  Grunde  identisch  ist  mit  der  Körper- 
wärme (ehaleur  naturelle)  oder  durch  sie  ersetzt  werden  kann,  so 
entsteht  in  der  Zusammensetzung  des  Körpers  kein  Defekt  bei 
zunehmender  Sonnenwärme.  'Je  n'avois  garde  d'en  manqtier  dans 
une  region  oü  de  ces  peius  corps  de  flame  qui  fönt  la  vie  ü  8*en  r^- 
unissoü  davaniage  d  mon  estre  qu'ü  ne  s'en  dStachoit.'  Dafs  die 
Sonnennähe  ihn  nicht  verzehrt,  kommt  davon,  dafs  es  eigentlich 
nicht  das  Feuer  ist^  welches  brennt,  sondern  ein  gröberer  Stoff, 
welchen  das  Feuer  vor  sich  herstöfst.  ^Dieses  Funkenpulver 
fjpoudre  de  UueUe8\  welches  ich  Feuer  nenne,  durch  sich  selbst 


186  Cyrano  de  Bergerac. 

bew^lich^  verdankt  wohl  alle  seine  Bewegung  (action)  der  Rund- 
heit seiner  Atome,  denn  sie  kitzeln,  erhitzen,  verbrennen  je  nach 
der  Natur  der  Korper,  welche  sie  mit  sich  ziehen/  Als  Beweis 
wird  das  Verhalten  von  Strohhalm,  Holz,  Eisen  gegenüber  dem 
Feuer  betrachtet  Auch  die  Freude  und  das  Fieber  sind  im 
Grunde  ein  Feuer. 

Wahrend  seines  Fluges  beobachtet  er  die  Erde,  welche  sich 
von  Osten  nach  Westen  (sie)  um  die  Sonne  dreht.  Zuerst  kommt 
nach  Frankreich  Italien,  Griechenland,  der  Bosporus,  das  Schwarze 
Meer  usw.  in  Sicht.  Bei  weiterem  Aufstieg  erscheinen  andere 
ungenannte  Erden  (terres),  die  etwelche  Attraktion  auf  ihn  aus- 
üben, aber  ohne  die  Kraft  seines  Aufstieges  brechen  zu  können. 
Den  Mond  passiert  er,  während  dieser  zwischen  Erde  und  Sonne 
steht  Ej*  lafst  Venus  zur  Rechten.  Nach  neueren  astronomischen 
Theorien  hebt  er  ihre  Planetennatur  hervor,  ^ch  beobachtete 
immerhin,  dals  während  der  ganzen  Zeit,  wo  Venus  diesseit  (au 
deoa)  der  Sonne  erschien,  um  welche  sie  sich  dreht,  sie  beständig 
im  Wachsen  schien.'  Dafs  die  Planeten  nur  reflektiertes  Licht 
haben  und  abgeben,  beobachtet  er  auch  an  Merkur,  ebenso  sieht 
er  die  Monde  der  Planeten.  Er  sucht  nach  kosmologischen 
Gründen,  um  diese  zu  erklären.  Im  Anfang  der  Schöpfung 
einigten  sich  die  ähnlichen  Körper  nach  dem  Prinzip,  dafs  jedes 
Ding  seinesgleichen  sucht  Die  Ähnlichkeit  besteht  aber  in  der 
Form  der  Atome.  So  entstand  die  Luft.  Andere,  denen  die 
Gestalt  möglicherweise  eine  Kreisbew^ung  verlieh,  bildeten,  indem 
sie  sich  vereinigten,  die  Gestirne,  welche  sich  nicht  nur  um  ihre 
Achse  drehten,  sondern  sich  auch  von  der  Masse  trennten  und 
anderen  kleineren  Kugeln,  die  in  ihre  Sphäre  gerieten,  die  rotie- 
rende Bewegung  aufzwangen.  Der  Übergang  der  Erde,  der  Venus, 
des  Merkur,  des  Jupiter,  des  Saturn  aus  Sonnen  in  Planeten  wird 
durch  Erkälten  erlaärt  Die  Sonnenflecken  beweisen,  dafs  auf 
der  Sonne  mit  dem  Abgeben  des  Lichtes  eine  Verminderung  der 
Wärme  verbunden  ist,  und  dafs  vielleicht  die  Sonne  einst  ein 
dunkler  Körper  wie  die  Erde  sein  wird.  Zur  Zeit,  wo  die  Erde 
noch  eine  Sonne  war,  war  sie  bewohnt  von  höheren  Wesen,  den 
Dämonen  des  Altertums,  den  Engeln  der  Heiligen  Schrift. 

Nach  viermonatlicher  Reise  landet  Cyrano  auf  einem  der 
Sonnenflecken;  sein  Kopf  ist  umgeben  von  der  Helligkeit  der 
Himmel.  Er  läTst  seine  Maschine  mit  verdecktem  Hut  auf  einem 
hohen  Berge;  durch  Erosionsrinnen  verschwundener  Gewässer 
steigt  er  in  eine  mit  Schlamm  bedeckte  Ebene  hinunter,  kommt 
dann  in  eine  Kiesgrube  (fondriere),  wo  er  einen  kleinen  Menschen 
ganz  nackt  auf  einem  Steine  sitzen  sieht.  Sie  unterhalten  sich 
sogleich  mit  vollem  Verständnis  in  einer  Sprache,  die  Cjrano 
nie  gehört  hat  und  doch  versteht.  Der  Kleine  erklärt  ihm  das 
durch  den  Satz,  dafs   es  in   den  Wissenschaften   eine  Wahrheit 


Cynno  de  Bergerac  187 

gebe^  aofterhalb  welcher  man  immer  vom  YerstandDis  entfernt 
bleibe.  Das  nämliche  gelte  auch  von  der  Masik.  Sie  unterhalten 
sich  nun  über  diese  Ursprache  der  Menschheit^  welche  ein  In- 
stinkt der  Natur  ist  und  einst  auch  von  den  ersten  Menschen 
auf  der  Erde  gesprochen  wurde  und  deren  intimen  Verkehr  mit 
den  Tieren  ermöglichte. 

Der  EHeine  erklart  Cyrano  die  Beschaffenheit  des  Bodens, 
auf  dem  sie  stehen.  Diese  Kosmologie  sieht  antik  aus.  Das 
Eigentümliche  daran  ist  die  dreifache  'coction',  welcher  die  Materie 
ausgesetzt  wird,  um  den  Menschen  hervorzubringen.  Die  vorher- 
gehenden Stadien  sind:  das  Meer  (feucht  und  salzig)  und  das 
Vegetative.  Die  drei  eoctions  entsprachen  der  vegetativen  Seele 
(Leber,  Fähigkeit  zu  wachsen),  der  Lebenskraft  (Herz,  Sitz  der 
Tätigkeit)  und  dem  Intellekt  (Gehirn,  Sitz  des  Denkens).  Daher 
braucht  der  Mensch  auch  neun  Monate  zur  Entwicklung.  Wenn 
das  Pferd  zehn  bis  vierzehn  braucht,  so  kommt  das  nicht  von 
höherer  Organisation,  sondern  von  kälterem  Temperament,  wes- 
halb auch  das  Pferd  nur  an  geschwollener  Milz  oder  anderen 
Übeln  stirbt,  die  von  Melancholie  kommen.  Wenn  jetzt  auf  der 
Erde  keine  Menschen  mehr  aus  dem  Schlamm  entstehen,  so 
kommt  das  davon,  dafs  die  kalte  Feuchtigkeit  fehlt;  die  zweite 
oder  die  dritte  Umkochung  fällt  fort,  es  entsteht  eine  Pflanze 
(vigital)  oder  höchstens  ein  Insekt.  Auch  habe  er  bemerkt,  dafs 
der  Affe,  welcher,  wie  wir,  seine  Kleinen  neun  Monate  lang 
tragt,  uns  nach  so  viel  Seiten  ähnelt,  dafs  viele  Naturforscher 
uns  als  Art  nicht  unterschieden  haben,  und  der  Grund  dafür  ist, 
dafs  ihr  Samen,  der  ungefähr  gleich  temperiert  ist  wie  der  un- 
serige,  während  dieser  Zeit  ungefähr  die  MuTse  gehabt  hat,  diese 
drei  Umformungen  (digestions)  durchzumachen. 

Dafs  der  kleine  nackte  Mann  so  gut  Auskunft  weifs  über 
Dinge  im  Weltall,  auch  auf  der  Erde,  erklärt  sich  leicht;  denn 
in  einer  der  Sonne  benachbarten  Gegend  wie  die  seinige  sind 
die  Seelen  voll  Feuer  und  viel  heller,  viel  feiner  und  durch- 
dringender als  andere  Geschöpfe  auf  entfernteren  Sphären;  ihre 
bew^liche  Vernunft  bewegt  sich  ebenso  leicht  rückwärts  als  vor- 
wärts, und  sie  ist  imstande,  die  Ursache  durch  die  Wirkung  zu 
erreichen,  da  sie  ja  durch  die  Ursache  zu  den  Wirkungen  zu  ge- 
langen vermag. 

Die  Diskussion  wird  dadurch  unterbrochen,  dafs  der  Kleine 
als  Hebamme  funktionieren  muls  bei  der  Geburt  eines  Bruders, 
der,  wie  er  selbst  vor  drei  Wochen,  geboren  werden  soll  aus 
einem  von  der  Sonne  befruchteten  Erdklofs.  Cyrano  sucht  seine 
Maschine  auf,  die  im  Begriff  ist,  ohne  ihn  davonzufliegen.  Nach 
emer  aufr^enden  Jagd  gelingt  es  ihm,  sie  wieder  einzufangen 
und  in  ihr  zur  Sonne  aufzusteigen.  Die  Erde  verschwindet  dabei. 
Auf  der  Reise  braucht  er  weder  Nahrung  noch  Schlaf.     Das 


188  Cjnaio  de  Bergenc 

Körperliche^  auch  seiner  Maschine^  fallt  io  Gestalt  eines  schwarzen 
Nebels  von  ihm  ab^  und  er  wird  durchsichtig  wie  seine  Maschine. 
Er  sieht  sich  selbst^  aber  nicht  seine  Loge,  weQ  die  Sonne  an- 
ders wirkt  auf  Belebtes  als  auf  Unbelebtes.  Seine  Bewegung 
wird  langsamer,  weil  die  Verdünnung  der  Luft  immer  grolser 
wird.  Er  fürchtet  daher  zu  fallen,  aber  als  er  in  der  aufsersteo 
Not  die  Augen  zum  Himmel  erhebt,  hebt  die  Glut  seines  Willens 
ihn  selber  samt  der  Maschine.  Da  diese  seinem  dag^endrangen- 
den  Kopfe  unangenehm  wird,  öffnet  er  tastend  die  Türe  und 
stürzt  sich  hinaus,  und  da  er  instinktiv,  um  sich  zu  halten,  den 
Ikosaeder  berührt,  springt  dieser  in  Stücke,  die  Maschine  fallt 
hinunter,  vereinigt  sich  in  der  unteren  Region  mit  dem  dunklen 
Nebel,  den  sie  abgesondert  hat,  und  gelangt  zur  Erde,  in  der 
Äquatoriallinie,  auf  Bomeo,  wo  ein  Insdaner  sie  findet,  ein  por- 
tugiesischer Kaufmann  sie  erwirbt,  bis  sie  von  Hand  zu  Hand 
an  einen  polnischen  Ingenieur  kommt,  der  sich  ihrer  zum  Fliegen 
bedient.  Cyrano  hat  sie  selbst  in  ihrem  ursprünglichen  Zustand 
in  Polen  wiedergesehen. 

Sein  weiterer  Flug  zur  Sonne  wird  nur  durch  seinen  Willen, 
dorthin  zu  kommen,  gefördert.  Darin  li^  nichts  Unverstand- 
liches, me  an  dem  Beispiel  des  Sprunges  expliziert  wird.  Wenn 
ein  solcher  nicht  immer  zum  Ziele  führt,  so  kommt  dies  davon, 
dafs  die  allgemeinen  Prinzipien  in  der  Natur  die  besonderen  über- 
wiegen. Da  nun  die  Macht  des  Willens  eine  besondere  Eigen- 
schaft der  empfindenden  Dinge  ist,  die  Eigenschaft  nach  dem  Zen- 
trum zu  fallen  aber  allgemein  in  der  ganzen  Materie  verbreitet 
ist,  so  ist  mein  Sprung  gezwungen,  aufzuhören,  sobald  die  Masse, 
nachdem  sie  den  Einflufs  des  sie  überraschenden  Willens  über- 
wunden hat,  sich  dem  Punkte  nähert,  nach  welchem  sie  tendiert. 

Nach  einer  Reise  von  22  Monaten  kommt  er  in  den  'grolsen 
Ebenen  des  Tages^  an.  Der  Boden  gleicht  dort  feuerfarbigen 
Schneeflocken  (flocons  de  neige  ambrasSe),  so  leuchtend  ist  er.  Wie 
Cyrano  von  dem  Augenblick  an,  wo  sein  Kasten  fiel,  nicht  mehr 
unterscheiden  konnte,  ob  er  steige  oder  falle,  so  ist  auch  das 
Gehen  auf  der  Sonne  beständig  aufrecht,  auf  welchen  Körperteil 
er  sich  auch  dabei  stützt.  Er  erkannte  daraus,  da(s  die  Sonne 
eine  Welt  ist,  welche  kein  Zentrum  hat,  und  da  er  sehr  weit 
von  der  Anziehungssphäre  unserer  Welt  und  aller,  welche  er 
begegnet  hatte,  ist,  so  war  es  folgerichtig  unmöglich,  dafs  er  noch 
Gewicht  hatte,  da  die  Schwere  nur  die  Attraktion  des  Zentrums 
innerhalb  der  Sphäre  seiner  Wirksamkeit  ist. 

Nach  einer  Reise  in  der  Sonne  von  ungefähr  14  Tagen, 
wobei  er  marschiert  wie  Gott  in  den  Wolken  schwebt,  kommt 
er  in  eine  weniger  leuchtende  Gegend.  Durch  das  Wiederauf- 
treten der  Undurchsichtigkeit  (opaciti),  nach  der  sich  sein  Körper 
zu  sehnen  scheint,   wird  er  müde  und  empfindet  Sdilaf,  'dieaen 


Cyrano  de  Bergerac.  189 

T^n^anneii  der  Hälfte  unserer  Tage\  Er  schläft  auf  einer  ganz 
nackten  Ebene  ein  und  erwacht  unter  einem  Baume  mit  gol- 
denem Stamme^  silbernen  Ästen^  Smaragdblättem  und  Blöten 
und  fVüchten  aus  Edelsteinen.  Auf  diesem  Wunderbaume  singt 
eine  wanderschöne  Nachtigall.  Ein  Granatapfel^  den  er  aufmerk- 
sam betrachtet,  verwandelt  sich  in  einen  Däumlinge  der  vor  ihn 
tritt  und  in  der  Ursprache  mit  ihm  redet  Nachdem  ihm  Cyrano 
über  seine  Person  Auskunft  ^eben^  belebt  der  Däumling  alle 
Teile  des  Wunderbaumes  zu  kleinen  Menschen,  die  seine  Unter- 
tanen sind.  Das  Mittel  ist,  dafs  er  sich  in  sich  selbst  sammelt 
und  alle  inneren  Federn  des  Willens  hemmt.  Alle  tanzen  einen 
Reihen  um  Cyrano,  nur  die  Nachtigall  bleibt  unverwandelt,  'weil 
sie  ein  wirklicher  Vogel  ist  und  nur  das,  was  sie  scheint.'  Auf 
der  Reise  zu  den  'dunklen  Gründen'  will  der  Däumling,  auf  den 
Schultern  Cyranos  stehend,  ihm  die  Geschichte  der  Nachtigall 
ins  Ohr  sagen.  Aber  er  ermüdet  zu  rasch  und  schlägt  vor,  die 
Nachtigall  solle  ihre  Geschichte  singen.  Cyrano  fürchtet,  die 
Sprache  der  Vögel  nicht  zu  verstehen,  da  er  von  dem  Weisen 
auf  dem  Sonnenflecken  nur  die  Sprache  der  vierfüfsigen  Tiere 
(bruies)  gelernt  habe.  Der  Däumling  gibt  nach,  springt  von  der 
Schulter  zu  Boden  und  fängt  an,  mit  seinem  ganzen  Volke  in 
Kreisen,  die  sich  immer  mehr  verdichten  und  verringern,  zu  tan- 
zen. Cyrano  empfindet  die  rhythmische  Bewegung  mit.  'Es 
schien  die  Absicht  des  Balletts,  einen  enormen  Riesen  darzu- 
steUen',  in  der  Tat  aber  entsteht  aus  diesem  Wirbel  ein  wunder- 
schöner Mann  mittlerer  Gröfse,  der  dadurch  Leben  gewinnt,  dafs 
ihm  der  König  des  Baumvolkes  in  den  Mund  kriecht.  Dieser 
Jünding  nun  erzählt  seine  eigene  Geschichte  und  die  der  Nach- 
tigaS:  Er  und  sein  Volk  sind  in  den  leuchtenden  Teilen  der 
Sonne  geboren  und  unternehmen  grofse  Reisen  durch  die  Sonnen- 
welt. Um  langsamer  reisen  und  dadurch  besser  beobachten  zu 
können^  verwandelten  sie  sich  in  Vögel,  die  Untertanen  in  Adler, 
der  König  in  eine  singende  Nachtigall.  Auf  der  Reise  durch 
eine  dunkle  Provinz  (rSgion  opaque)  trafen  sie  auf  eine  Nachtigall 
dieser  Gegend,  welche  sich  durch  das,  was  sie  sieht,  täuschen 
lälst  und  den  Sonnenkönig-Nachtigall,  weil  sie  ihn  in  der  Gewalt 
der  Adler  glaubt^  melodisch  beklagt.  Er  findet  so  sehr  Gefallen 
an  ihren  Klagen,  dafs  er  sie  in  ihrem  Irrtum  bestärkt,  und  die 
beiden  singen  ein  Liebesduett  der  zärtlichsten  Art  während 
24  Stunden.  Die  Nachtigall  der  dunklen  Welt  macht  sogar  einen 
heroischen  Versuch,  ihren  Freund  aus  der  vermeintlichen  Ge- 
fangenschaft zu  befteien,  und  läfst  sich  auch  durch  sein  Bekennt- 
nis nicht  eines  anderen  belehren.  Daher  verwandelt  er  sein  Volk 
zum  Teil  in  einen  Flufs  mit  kleinem  Schiff,  in  welchem  die  bei- 
den Nachtigallen  fahren,  während  die  Adler  vorausfliegen.  Nach 
der  Wiedervereinigung  verwandeln  sie  sich^  um  die  ungläubige 


140  Cynmo  de  Bergerac 

Nachtigall  von  ihrem  wahren  Wesen  zu  überzeugen,  in  den 
Wunderbaum,  den  Cyrano  angetroffen  hat  Alle  diese  Verwand- 
lungen sind  nach  der  Erklärung  des  Konies-Nachtigall  duidiaus 
keine  Wunder,  sondern  rein  natürliche  Wirkungen  aus  der  leuch- 
tenden Natur  der  wahren  Sonnenbewohner.  Sie  sind  das,  was 
die  stumpfsinnigen  Menschen  der  Erde  Geister  (esprits)  nennen, 
tatsächlich  keine  anderen  Wesen  als  die  Menschen,  nur  dals  ihnen 
ihre  feurige  Einbildungskraft  die  Fähigkeit  ribt,  die  Materie, 
welche  sie  völlig  beherrschen,  in  jedem  Augenblicke  nach  ihrem 
Gutdünken  zu  verwandeln  und  zu  gestalten  durch  impulsive  Be- 
wegungen. Cyrano  denkt,  dafs  sich  so  auf  der  Erae  manche 
Fabel  erklären  lasse:  Cippus,  König  von  Italien,  Grallus  Vitius, 
der  König  Codrus,  mehrere  schwangere  Frauen,  welche  Unge- 
heuer gebaren,  der  berühmte  Hypochonder  des  Altertums,  wel- 
cher sich  einbildete,  ein  Krug  zu  sein. 

Der  Sonnenkönig  verwandelt  sich  wieder  in  eine  Nachtigall, 
der  Jüngling  zerfällt,  die  Adler  fliegen  davon,  und  Cyrano  folgt 
der  wirklichen  Nachtigall  in  einer  dreiwöchentlichen  Reise  in  eine 
Gegend  des  Königreiches  dieser  kleinen  Sängerin,  wo  sie  ihn 
verläfst  £ir  1^  sich  an  einem  mit  allen  Beizen  der  Natur  ge- 
schmückten Plätzchen^  zum  Schlafen  nieder. 

Er  wird  geweckt  durch  das  Erscheinen  eines  wunderschönen 
Vogels,  der  ihm  zu  verstehen  gibt:  'Du  bist  ein  Fremder  und 
geboren  in  einer  Welt,  der  ich  entstammet  Der  Vogel  setzt 
femer  auseinander:  dafs  nicht  alle  Menschen  und  Vöeel  sich 
gegenseitig  verstehen,  beweist  nichts  dagegen,  dafs  beide  Teile 
sprechen  können  und  yemünftige  Wesen  sind.  ApoUonius  von 
Tyana,  Anaximander,  Äsop  und  andere  haben  die  Vc^elsprache 
verstanden.  Es  ist  also  kein  Wunder,  wenn  einzelne  Vögel  die 
Menschensprache  verstehen.  In  jeder  Welt  hat  die  Natur  den 
Vögeln  den  Wunsch  eingegeben,  zur  Sonne  zu  gelangen,  und 
vielleicht  sind  ihnen  deswegen  Flügel  gewachsen,  wie  schwangere 
Frauen  ihren  Kindern  die  Muttermale  von  Dingen  einpflanzen, 

*  Die  Ausgabe  von  1710,  mit  welcher  nach  P.  Lacroix  p.  207  die 
OrigiDalausgabe  und  die  von  1761  stimmt,  schliefst  diesen  Abschnitt 
p.  158  mit  den  Worten:  *0e  rocher  estoit  couvert  de  plusieure  arhresy  dont 
la  gatUarde  et  verte  fraickeur  exprimoü  lajeunesse:  mais  camme  d^  tout 
amoly  par  lee  ekarmes  du  lieu  je  eommen^ois  de  m'endormir  ä  Vombre,' 
Der  folgende  Abschnitt  beginnt  in  allen  mir  bekannten  Ausgaben  mit 
den  Worten:  *Je  commenpois  de  m'endarmir  ä  Vombre  lors  que  fappereeus 
en  Vavr  un  Oiseau'  etc. 

Das  scheint  mir  zu  beweisen,  dafs  ursprfinKÜch  die  Beise  in  die  Sonne 
eine  zusammenhängende  Erzählung  war  und  die  Unterabteilung  Histaire 
des  Oiseaux  erst  von  dem  Buchhändler  hinzugefugt  wurde.  Für  den  Vogel- 
staat fand  Cyrano  Beispiele  bei  Aristophanes  und  Babelais.  Für  die 
sprechenden  Bäume  eine  ?5telle  bei  Sorel  {Francion  p.  97):  ^J'ouis  un 
caqtiet  contimiel  ...  tl  y  avoü  six  arbres  qui  au  lieu  de  feuiUea  avotent  des 
lunguea  menues  aUaeheee  aux  hra/nehesJ 


Cyrano  de  Bergerac.  141 

Dach  denen  sie  begehren^  wie  man  im  Traum  schwimmen  lernte 
wie  der  Sohn  des  Krösus  sprechen  lernte,  wie  jenem  Verfolgten 
aus  dem  Altertum  Homer  wuchsen.  In  der  Sonne  angekommen 
begibt  sich  jeder  Vc^l  in  den  Staat  seiner  Art.  Der  zu  C^rano 
sprechende  ist  ein  I'honix,  wie  es  deren  auf  jeder  Welt  nur 
einen  gibt,  der  nach  100  Jahren  ein  Ei  in  die  Kohlen  seines 
Scheiterhaufens  von  Aloe,  Canelle  und  Weihrauch  le^  und  sich 
zur  Sonne  aufschwingt.  Der  Phönix  ist  ein  Hermaphrodit,  aber 
uuter  den  Hermaphroditen  gibt  es  noch  einen  anderen,  aufser- 
ordentlichen  Phönix,  denn  . . .  Der  Vogel  unterbricht  hier  seine 
Blrklärung,  weil  er  Sicichen  des  Unglaubens  an  seinem  Zuhörer 
bemerkt,  und  fli^t,  nachdem  er  die  Wahrheit  seiner  Aussage 
eidlich  versichert,  fort  Cjrano  folgt  ihm  und  gelangt  nach  einem 
Marsche  von  50  Meilen  in  das  V<^elreich. 

Er  wird  gleich  von  den  Vögeln  umringt  und  von  vier  Adlern 
durch  die  Luft  mehr  als  1000  Meilen  weit  in  einen  Wald  fort- 
getragen, wo  die  Residenz  des  Vogelkönigs  ist  Eine  Elster 
warnt  ihn,  keinen  Widerstand  zu  leisten.  Er  wird  in  den  hohlen 
Stamm  einer  Eiche  gefangen  gesetzt  und  scharf  bewacht  Die 
Wache  wird  alle  24  stunden  abgelöst  Die  Elster  teilt  ihm  mit, 
dafs  die  Vögel  sehr  aufgebracht  gegen  ihn  seien  und  ihn,  als 
einen  Menschen,  ein  ganz  unnützes  und  abscheuliches  Wesen, 
den  Erbfeind  der  Vögel,  umbringen  wollten.  Sie  nennen  ihn 
kahles  Tier,  gerupften  Vogel,  Schimäre,  Sammelsurium  aller  Arten 
von  Naturen,  das  allen  Furcht  einflöfst  Sehr  sarkastisch  machen 
die  weisen  Vögel  sich  lustig  über  den  Menschen,  der  mit  seiner 
hellsehenden  Seele  Zucker  und  Arsenik,  Schierling  und  Peter- 
silie nicht  unterscheiden  kann;  ^der  Mensch,  welcher  behauptet, 
dals  man  nur  durch  die  Sinne  Verstandesempfindungen  hat,  und 
der  doch  die  schwächsten,  langsamsten  und  unzuverlässigsten 
Sinne  unter  allen  Eji'eaturen  hat.^  Die  Menge  vollends  urteilt: 
'Wie,  er  hat  weder  Schnabel,  noch  Federn,  noch  Klauen,  und 
seine  Seele  sollte  geistig  (spirittieUe)  sein?  Ihr  Götter!  welche 
Impertinenz  r 

Dennoch  wird  ihm  ein  regelrechter  Prozefs  gemacht  Die 
Klageschrift  wird  auf  die  Rinde  einer  Zypresse  geschrieben,  und 
nach  einigen  Tagen  wird  er  vor  das  Vogeitribunal  getragen.  Als 
Advokaten,  Räte  und  Richter  fungieren  nur  Elstern,  Häher  und 
Stare,  welche  die  Sprache  des  Angeklagten  verstehen.  Er  wird 
rittlii^  auf  ein  Stück  verfaulten  Holzes  gesetzt  und  von  dem 
Präsidenten  nach  Herkunft,  Nation  und  Art  befragt.  Auf  den 
Rat  der  Ellster  gibt  er  sich  für  einen  Affen  aus,  der  sehr  früh 
von  den  Menschen  seinen  Eltern  entrissen  worden  sei.  Seine 
Heimat  sei  Frankreich,  im  gemäfsigten  nördlichen  Klima,  wo  er 
seine  Muttersprache  verlernt  und  die  schlechten  Gewohnheiten 
der  Menschen,  z.  B.  auf  zwei  FüTsen  zu  gehen,  angenommen  habe. 


148  Oyrano  de  Bergerac 

Man  solle  ihn  von  Experten  untereuchen  lassen,  und  wenn  er 
sich  als  Mensch  heransstelle,  so  wolle  er  als  Ungeheuer  (monstre) 
vernichtet  sein.  Eine  Schwalbe  wendet  ein:  In  Frankreich  er- 
zeugen die  Affen  nicht,  also  sei  der  Angeklagte  nicht,  was  er 
behaupte.  Cyrano  repliziert,  dals  er  eben  so  jung  von  Hause 
fortgekommen  sei,  da(s  er  als  Heimat  nur  den  Ort  angeben 
könne,  dessen  er  sich  am  frühesten  erinnere.  Dieses  Argument 
überzeugt  eigentlich  niemanden,  aber  man  findet  es  nützlich,  an- 
zunehmen, SiaTs  ein  so  abscheuliches  Wesen  wie  der  Mensch 
überhaupt  nicht  existiere.'  Vor  Entzücken  schlagt  das  ganze 
Auditonum  mit  den  Flügeln.  Er  wird  also  zur  Untersucmune 
durch  die  syndics  in  ein  entferntes  Gehölz  gebracht  Wahrend 
24  Stunden  machen  sie  ihm  allerhand  Kapriolen  vor,  Prozessionen 
mit  Nufsschalen  auf  dem  Kopfe,  Purzelbäume,  graben  kleine 
Gruben,  die  sie  wieder  zufüllen,  u.  ä.  Im  zweiten  Termin  geben 
die  syndics  auf  ihr  Gewissen  an,  dals  sie  den  Angeklagten  nicht 
für  einen  Affen  halten,  weil  er  auf  ihre  Äff ereien  (singeriea)  nicht 
reagiert  habe. 

Die  Abstimmung  wird  durch  Verdüsterung  des  Himmels 
unterbrochen,  denn  im  Reiche  der  V^el  wird  ein  Kriminalpro- 
zefs  nur  bei  heiterem  Himmel  erledigt,  damit  dem  Angeklagten 
kein  Unrecht  geschehe  durch  die  trauriee  Stimmung  der  Richter. 
Im  Gefängnis  wird  Cyrano  durch  Königsbrot  {pain  du  Boy)  ge- 
nährt, d.  h.  durch  etwa  fünfzig  Würmer  und  Grillen,  die  man 
ihm  von  sieben  zu  sieben  Stunden  bringt  Nach  fünf  bis  sechs 
Tagen  erfährt  er,  dafs  sein  Prozefs  verschoben  worden  sei  wegen 
einer  Klage,  welche  die  Gemeinde  der  Kohlmeisen  {cammunauU 
des  Chardands)  gegen  einen  der  ihren  angestrengt  hat,  dem  es 
seit  sechs  Jahren  nicht  gelungen  ist,  einen  Freund  zu  erwerben. 
Er  wird  daher  verurteilt,  König  eines  ihm  fremden  Volkes  zu 
werden.  So  wird  er  alle  Mühsale  und  Bittemisse  des  König- 
tums erleiden,  ohne  eine  seiner  Freuden  genieisen  zu  können. 

Gegen  Ende  der  Woche  wird  Cyrano  wieder  vor  seine 
Richter  gebracht  Er  wird  auf  die  Gabel  eines  kleinen  blatt- 
losen Baumes  gesetzt;  die  Vögel,  sowohl  die^Gerichtspersonen 
{de  longue  rohe)  als  das  Publikum,  bedecken  die  Aste  einer  grofsen 
Zeder.  Die  Elster  steht  ihm  bei,  obschon  sie  zugibt,  dals  die 
Gattung  Mensch  ausgerottet  zu  werden  verdiente.  Sie  erinnert 
sich  aber  mit  Dankbarkeit  an  ihr  Leben  unter  den  Menschen, 
besonders  an  die  guten  weichen  Käse. 

Cyrano  will  sich  vor  einem  Adler,  der  sich  auf  den  näch- 
sten Baum  setzt,  zur  Erde  werfen,  aber  die  Elster  belehrt  ihn, 
dafs  dieses  grofse  Tier  keineswegs  ihr  König  sei.  Dieser  werde 
vielmehr  unter  den  schwachen  auserwählt,  damit  er  keine  Ty- 
rannei ausüben  könne.  Jede  Woche  versammeln  sich  die  Stände, 
um   über   den   König   zu  richten.     Ek*   sitzt   auf   emer  grolsen 


Cyrano  de  Bergerac.  143 

]Sibe  ijjf)  am  Rande  eines  Teiches,  FüTse  und  Flügel  gebunden. 
Wer  sich  über  ihn  zu  beklagen  hat,  kann  ihn  ins  Wasser  werfen, 
aber  er  muTs  nachtraglich  seine  Anklage  beweisen;  sonst  stirbt 
er  des  traurigen  Todes,  d.  h.  er  wird  mit  traurigen  Liedern  zu 
Tode  gesungen.  Gegenwärtig  ist  eine  sanfte  Taube  König,  die 
nicht  begreSen  kann,  dals  es  eine  Feindschaft  eibt. 

Die  mitleidige  Elster  wird  selbst  als  verdächtig  verhaftet. 
Als  die  Taube -König  ankommt,  wird  Klage  geführt  gegen  die 
Elster  von  dem  Grolszensor  der  Vögel.  Auf  die  Frage  nach 
ihrem  Namen,  und  ob  sie  den  Angeklagten  kenne,  gibt  sie  an, 
sie  heiise  Margot.  Auf  der  Erde  hat  sie  von  dem  anwesenden 
'guiUery  Venrund'  gehört,  ihr  Vater  heifse  'Courte  queüe'  und  ihre 
Mutter  *Oroqitenoia:^,  Sie  weifs  es  selber  nicht,  denn  sie  ist  ganz 
juDg  ihren  Eltern  geraubt  worden.  Die  Mutter  starb  vor  Gram, 
der  Vater  ging  aus  Verzweiflung  in  den  ^ri^  der  Häher',  wo 
er  durch  einen  Schnabelhieb  in  das  Gehirn  getötet  wurde.  Die 
Elster  wurde  von  wilden  Tieren  geraubt,  die  man  Schweinehirten 
(porchers)  nennt,  und  in  ein  Scmofs  gebracht,  wo  sie  den  Ange- 
klagten kennen  lernte.  Dieser  sorgte  liebreich  für  sie,  schützte 
sie  vor  den  Verfolgungen  der  Dienstboten,  besonders  eines  ge- 
wissen Verdelet,  der  sie  der  Katze  geben  wollte  aus  Bache,  weil 
sie  ihn  unwillkürlich  verraten  hat.  (Die  Anekdote  scheint  aus 
Cyranos  Leben  zu  stammen.)  Der  König -Taube  spricht  die 
Elster  unter  Verwarnung  frei  und  gibt  dem  Ankläger  das  Wort. 

Es  folgt  nun  das  lange  Tlaidoyer  vor  dem  Parlament  der 
Vögel,  bei  versammelten  Kammern,  gegen  ein  Geschöpf,  ange- 
klagt, ein  Mensch  zu  sein/  Er  vertritt  als  ZivUpartei  'GuiUe- 
mette  die  Fleischige,  Rebhuhn  von  Geburt',  welche  eben,  vom 
Blei  des  Jägers  verwundet,  von  der  Erde  kommt  und  Rache  an 
den  Menschen  heischt  Da  der  Angeklagte  zu  diesen  gehört,  so 
sollte  er  unschädlich  gemacht  werden.  Aber  er  soll  nicht  un- 
gerecht behandelt  werden,  damit  wir  Vögel  nicht  den  Menschen 
gleich  werden. 

Der  Kern  {namd)  der  Streitsache  besteht  darin,  zu  wissen, 
ob  dieses  Geschöpf  ein  Mensch  ist,  und  für  den  Fall,  dals  wir 
erkunden,  dals  er  es  ist,  ob  er  dafür  den  Tod  verdient. 

Die  Prämisse  wird  bewiesen  1)  durch  den  Abscheu,  welchen 
Cyrano  den  Vögeln  einflöfst,  2)  weil  er  lacht  wie  ein  Narr,  3)  weil 
er  weint  wie  ein  Tor,  4)  weil  er  sich  schneuzt  wie  ein  Bauer 
(viiain),  5)  weil  er  kahl  ist  wie  ein  Räudiger,  6)  weil  er  den  . . . 
vom  trägt,  7)  weil  er  eine  Menge  kleiner,  viereckiger  Kiesel  im 
Munde  trägt,  die  er  weder  den  verstand  hat  auszuspucken  noch 
zu  schlucken,  8)  weil  er  jeden  Morgen  Augen,  Nase  und  Mund 
zum  Himmel  aufhebt,  die  Hände  faltet  und  die  Beine  knickt 
und,  nachdem  er  einige  magische  Worte  gemurmelt,  aufsteht,  als 
ob  nichts  passiert  wäre.    Das  deutet  auf  Magie,  deren  nur  ein 


144  Cyrano  de  Bergerac. 

Mensch  fähig  ist  mit  seiner  schwarzen  Seele;  also  ist  dieser  ein 
Mensch. 

n.  Soll  er  darum  getötet  werden?  Ja,  denn  alle  Wesen 
sind  von  der  Mutter  Natur  dazu  geschaffen,  in  Gemeinschaft  zu 
leben.  Wenn  nun  der  Mensch  dazu  bestimmt  scheint,  diese  Ge- 
meinschaft der  Schöpfung  zu  stören,  so  verdient  er,  dals  die 
Natur  ihr  Werk  an  ihm  bereue.  Das  Fundamentalgesetz  jedes 
Staates  (rSpubliqfie)  ist  die  Gleichheit  {igaliU).  Unter  nichtigen 
Verwänden  seiner  Superiorität,  die  nur  eine  Barbarei  ist,  ohne 
die  Kraft  der  Adler,  Kondors  und  Greifen,  unterdrückt  er  die 
schwächeren  Vögel.  Ebensowenig  ^bt  ihm  seine  grölsere  Statur 
(auch  bei  den  Menschen  gibt  es  Riesen  und  Zwerge)  ein  Recht 
der  Herrschaft  Diese  ist  überhaupt  bei  den  Menschen,  den  ge- 
borenen Sklaven,  imaginär.  Die  Armen  dienen  den  Reichen,  die 
Jungen  den  Alten,  die  Bauern  den  Edelleuten,  die  Prinzen  den 
Monarchen  und  diese  den  selbstgegebenen  Gesetzen.  Nur  um 
dienen  zu  können  und  der  Freiheit  zu  entgehen,  schmieden  sie 
sich  Götter  auf  allen  Seiten;  sie  werden  solche  lieber  aus  Holz 
machen  als  keine  haben,  und  der  Redner  glaubt  soear,  dafs  sie 
sich  mit  den  falschen  Hoffnungen  auf  l^sterblicUceit  kitzeln, 
weniger  aus  dem  Schauer,  womit  das  Nichtsein  sie  erschreckt, 
als  aurch  die  Furcht,  welche  sie  haben,  dafs  ihnen  nach  dem 
Tode  niemand  mehr  befehlen  wird. 

Von  diesem  törichten  Hochmut  ausgehend,  bildet  der  Mensch 
sich  ein,  dafs  die  Natur  alles  nur  zu  menschlichen  Zwecken  ge- 
schaffen habe,  wie  Vogeljagd  als  Preis  des  Adels,  Deutung  des 
Vogelflugs  und  der  f^ingeweide  der  Vögel  (sie!). 

Für  die  Fehler,  welche  der  Mensch,  das  arme  Tier,  das  nicht 
wie  die  Vögel  mit  Vernunft  begabt  ist,  aus  Unverstand  b^;eht, 
verdient  er  zwar  nicht  den  Tod,  wohl  aber  für  die  aus  freiem 
Willen  begangenen  Missetaten,  wie  Vo^elmord  und  Abrichtung 
der  Sperber,  Falken  und  Geier  zur  Jagd. 

Der  Redner  beantragt  den  traurigen  Tod.  Der  amtliche  Ver- 
teidiger verzichtet  aus  Uewissensgründen  auf  die  Verteidigung 
eines  solchen  Untiers  {monstre). 

Die  Elster,  welche  sich  hierauf  zur  Verteidigung  meldet, 
wird  recusiert,  als  zugunsten  des  Angeklagten  voreingenommen, 
denn  im  Gerichtshof  der  Vögel  darf  ein  Advokat  nur  für  die 
Sache,  nicht  für  den  Klienten  eingenommen  sein. 

Bei  der  Abstimmung  wird,  weil  der  König  zur  Milde  neigt, 
das  Urteil  dahin  abgeändert,  dafs  Cyrano  von  den  Mücken  ge- 
fressen werden  soll. 

Der  Angeklagte  wird  entfernt,  weil  .ein  Vogel  in  Ohnmacht 
gefallen  ist  v  orher  wird  ihm  das  Urteil  von  der  Ohreule,  welche 
als  Gerichtsschreiber  (greffier  criminel)  fungiert,  verlesen.  So- 
gleich   wird  der  Himmel   schwarz   von   klemen  Insekten,   auch 


Cyrano  de  Bergeiiac.  146 

Flöhen  (sie!).  Fortgeführt  wird  Cyrano^  auf  einem  schwarzen 
Straals  reitend,  welche  Stellung  als  schimpflich  gilt,  von  fünfzig 
Kondors  und  fünfzig  Greifen  und  gefolgt  von  einer  Schar  kräch- 
zender Raben.  Zwei  Paradiesvögel  sollen  ihn  auf  dem  letzten 
Gange  trösten,  und  folgendes  sind  ihre  Argumente: 

'Der  Tod  kann  kein  grofses  Übel  sein,  da  Mutter  Natur 
alle  ihre  Geschöpfe  ihm  unterwirft.  Er  ist  auch  nichts  Wichtiges, 
da  er  so  oft  und  ohne  Veranlassung  eintritt.  Wenn  Leben  oder 
Tod  ausgezeichnete  Dinge  wären,  so  lä^e  es  nicht  in  unserer 
Gewalt,  sie  zu  geben.  Es  ist  vielmehr  wahrscheinlich,  da  das  Ge- 
schöpf durch  Spiel  (jeu)  beginnt,  da&  es  ebenso  endet.  Das  gilt 
für  den  Menschen,  dessen  Seele  nicht  unsterblich  ist  wie  die  der 
Vögel.  Wenn  du  stirbst,  stirbt  alles  mit  dir.  Was  dir  heute 
widerfährt^  geschieht  anderen  deinesgleichen  morgen.  Sie  sind 
beklagenswerter  als  du,  denn  wenn  der  Tod  ein  Übel  ist,  so 
steht  ihnen  dies  vielleicht  fünfzig  bis  sechzig  Jahre  lang  bevor, 
dir  nur  eine  Stunde.  Wer  nicht  geboren  ist,  ist  nicht  unglück- 
lich. Einen  Augenblick  nach  dem  Tode  wirst  du  sein  wie  einen 
Augenblick  vor  dem  Leben  oder  andere,  die  vor  abertausend 
Jahren  gestorben  sind.  Ist  aber  das  Leben  ein  Gut,  so  ist  nicht 
ausgeschlossen,  dais  du  ein  zweites  Mal  seiest,  wenn  die  näm- 
lichen Zufälligkeiten  der  Materie,  die  dich  schufen,  sich  wieder  ' 
zusammenfinden  sollten.  Dals  du  dich  an  dein  erstes  Leben  er- 
innersty  ist  dabei  irrelevant,  wenn  du  dich  nur  leben  fühlst,  und 
vielleicht  wirst  du  dich  über  den  Verlust  des  zweiten  Lebens 
mit  den  Argumenten  trösten,  die  ich  dir  jetzt  vorhalte.  Aber 
wichtiger  ist  fo^ndes,  um  dich  zu  veranlassen,  diesen  Wermut 
(absind)  in  Geduld  zu  trinken.  Du  und  die  anderen  materiellen 
Tiere  (brtUes)  werden  durch  den  Tod,  welcher  die  Materie  nicht 
vernichtet,  sondern  nur  verändert,  in  einen  anderen  Zustand  über- 
geführt Wenn  du  auch  nur  ein  Erdklofs  oder  ein  Kiesel  wirst, 
so  ist  das  immer  noch  besser  als  ein  Mensch.  Aber  (und  das 
ist  ein  Geheimnis),  wenn  du  von  den  Mücken  und  kleineren  In- 
sekten gefressen  wirst,  wirst  du  in  ihre  Substanz  übergehen,  und 
wenn  du  selbst  auch  nicht  denkst,  wirst  du  sie  denken  machen.^ 

Am  Hinrichtungsorte  warten  vier  Reiher  auf  vier  Bäumen. 
Fischadler  heben  den  Cyrano  in  die  Höhe.  Die  Beiher  halten 
ihn  ausgespannt  in  der  Luft,  und  die  kleinen  Henker  machen 
sich,  jeder  an  seinem  Teile,  bereit,  als  der  Ruf:  Gnade I  Gnade! 
ertönt,  von  zwei  Turteltauben  überbracht.  Cyrano  fällt,  von  den 
Reihern  losgelassen,  auf  einen  weifsen  Straufs  herunter,  der  ihn 
im  Galopp  vor  den  König  bringt.  Sein  Retter  ist  Cäsar,  der 
Papagei  (jperroquet)  von  Cyranos  Cousine,  dem  er  einst  die  Frei- 
heit wiedergegeben  hat,  und  zu  dessen  Gunsten  er  so  oft  den 
Satz  verfochten  hat,  dafs  die  Vögel  vernünftig  seien  {raisonnent). 
Weil  nun,  wie  der  König -Taube  sagt,  eine  gute  Tat  bei  den 

AichiT  t  n.  Sinachen.    GXV.  10 


146  CTrano  de  Bergerae. 

Yöeeb  niemals  verloren  ist^  und  in  Anerkennung  dessen,  dab 
er  die  Vögel  richtig  beurteilt  hat,  wird  er  frei.  Der  weifse  Straufs, 
geleitet  von  den  zwei  Turteltauben,  galoppiert  mit  ihm  einen 
halben  Tag  lang  und  verläfst  ihn  am  Eingang  eines  Waldes,  in 
den  Cyrano  eindringt  und  von  dem  herabtraufelnden  Honig  sieh 
nährt  Aus  Müdigkeit  am  Fufse  der  Bäume  hingestreckt,  hört 
er  griechisch  reden  und  vernimmt  eine  medizinische  Konsultation, 
durch  welche  eine  Eiche  für  ihren  Freund,  die  Ulme  mit  drei 
Köpfen,  welche  von  einem  hektischen  Fieber  und  von  einem 
^isen  Moosübel  {mcU  de  mausse)  befallen  ist,  Hilfe  verlangt  Der 
Kat  ist,  die  Ulme  solle  aus  ihrem  Bette  möglichst  viel  Feuchtes 
saugen,  fröhlich  sein  und  sich  von  den  Naditigallen  etwas  vor- 
singen lassen.  Wenn  der  Zustand  sich  etwas  gebessert  hat,  wird 
ihr  der  Storch  ein  Klistier  geben. 

Nach  einiger  Zeit  hört  Cyrano  das  Zwiegespräch  der  ge- 
gabelten (fourchu)  und  der  frischen  Rinde,  die  einen  Mensdien 
m  der  Nähe  wittern.  Elr  ergreift  also  das  Wort  und  gibt  sich 
als  solchen  zu  erkennen;  ebenso  ihm  die  Eichen,  die  von  Dodona 
stammen.  Ein  Adler,  der  von  der  Erde  zur  Sonne  flog,  hat  sich 
einst  hier  seines  Überflusses  an  unverdauten  Eicheln  entledigt, 
und  daraus  sind  die  Eichen  entstanden.  Aber  nur  diese  Eichen 
sprechen  griechisch,  die  anderen  Bäume  haben  jede  Art  ihre  be- 
sondere Sprache,  die  im  Säuseln  des  Waldes  sich  äufsert,^  wel- 
ches aber  die  Menschen  zu  dumm  sind  zu  verstehen.  Ebenso- 
wenig merken  es  die  Menschen,  dals  die  Bäume  leben  und  z.  B. 
der  Axt  des  Holzfällers  einen  bewufsten  Widerstand  entg^en- 
stellen.  Es  folgt  eine  wundervolle  Schilderung  von  dem  läebes- 
leben  der  Natur.  Die  Yögel  singen  das  Lob  der  Bäume,  diese 
beschützen  deren  Nester  vor  dem  Menschen.  Nur  die  Wohnstätte 
(aire)  der  Raubvögel,  der  Zänker  und  der  Abschreckenden,  wie 
die  Eulen,  lassen  sie  ungedeckt  Auch  die  Liebesszene  zwischen 
Baum  und  Erde  im  Frühling,  von  welcher  eine  sehr  weitgehende 
Schilderung  gegeben  wird,^  sehen  die  Menschen  beständig,  ohne 
sie  zu  begreifen.  Der  sprechende  Baum  bricht  hier  ab,  weil  ihm 
der  Atem  ausgeht  Ein  anderer  befriedigt  die  Neugierde  Cyranos, 
indem  er  ihm  die  Geschichte  der  verliebten  Bäume  (arbres  amants) 
erzählt. 

Orestes  und  Pylades  fielen  in  einer  Schlacht,  sich  im  Sterben 
fest  umschlingend.  Aus  der  Verwesung  ihres  Rumpfes  erwuchsen 
zwischen  den  bleichenden  Knochen  ihrer  Skelette  zwei  Büsche, 


*  Wunderschöne  Stelle  und  frei  von  dem  Preziösen,  welches  das  sonst 
80  hübsche  Idyll  des  Campagnard  (s.  ojoen  Bd.  GXIV,  S.  128)  entstellt 

'  Dals  diese  Stelle  in  der  Originalausgabe  unverkürzt  gegeben  wurde, 
scheint  mir  zu  beweisen,  dafs  Lebret  nicht  der  Redaktor  des  Textes  war. 
In  der  Ausgabe  von  Kugfene  Müller  (s.  oben  Bd.  OKIII,  8.  'ib6)  ist  sie 
ausgelassen. 


Cyrano  de  BergeraC  147 

die  sich  in  ihren  Stengeb,  Zweigen  und  Knospen  wieder  zu  ver- 
einigen strebten  und  sich  ganz  gleichmarsig  ernährten.  ^Sie  zogen 
beide  die  Brustwarzen  ihrer  Amme  nach  innen^  wie  ihr  anderen 
sie  von  aulsen  aussauget/  So  erzeugten  sie  WunderapfeL  Wer 
von  den  Apfehi  des  einen  aTs^  verliebte  sich  in  die  rerson^  die 
von  den  Äpfehi  des  anderen  gegessen  hatte.  Unter  Personen 
des  gleichen  Geschlechtes  bewirkt  der  Genufs  Freundschaft,  bei 
ungleichem  Liebe.  Wer  mehr  davon  gegessen  hatte,  wurde  auch 
mehr  geliebt.  So  entstanden  die  Freundespaare  Herkules  und 
Theseus,  Achilles  und  Patroklus,  Nisus  und  Euryalus.  Man 
pflanzte  Absenker  dieser  Bäume  im  Peloponnes  und  bei  Theben. 
An  letzterem  Orte  entstand  so  die  Heilige  Schar  {bände  sacrSe), 
Aber  die  Apfel  konnten  auch  Schaden  und  Gefahr  stiften,  z.  B. 
Myrrha  una  Kinyras  (hierbei  Wortspiel  mit  den  Folgen  dieses  In- 
cestes),  Pasiphae  und  der  Stier,  Pygmalion  und  die  Statue,  Iphis 
und  Janthe,  Narcissus  und  Echo,  Salmacis  und  Hermaphrodite. 
Diese  beiden  Fabeln  werden  in  einer  von  der  Tradition  abwei- 
chenden und  der  These  besser  entsprechenden  Form  erzählt 
Seltsam  ist  die  Erzählung  von  der  Hochzeit  des  Cambyses,  bei 
welcher  dieser  Prinz  von  den  Äpfeln  des  Orestes  ifst.  Da  die 
Substanz  dieser  Frucht  sich  nach  den  drei  Umbildungen  {eoctions) 
in  einen  vollkommenen  Keim  verwandelt  hatte,  budete  sie  im 
Leibe  der  Köni^n  den  Embryo  ihres  Sohnes  Artaxerxes,  dessen 
Liebe  zu  einer  Platane,  auf  welche  sein  Vater  einen  Zweig  des 
Orestesbaumes  gepfropft  hat,  geschildert  wird.  Sein  Leichnam 
wurde  auf  dem  Scheiterhaufen  der  Platane  verbrannt,  und  ihre 
beiden  Seelen  stiren  in  einer  Feuersäule  zur  Sonne  empor,  wo 
sie  den  Orestesbaum  erzeugten,  während  der  Eigennutz  der 
Mütter  diese  Pflanzen  auf  der  Erde  zerstörte,  so  dafs  man  dort 
keinen  wahren  Freund  mehr  findet.  Aber  aus  der  von  den 
Regengüssen  in  die  flammenden  Bäume  kalzinierten  Asche  ent- 
standen Elisen  und  Magnet,  die  sich  gegenseitig  anziehen.  Im 
AnschluTs  an  diese  Geschichte  ,.wird  die  Natur  der  Erdpole  so 
entwickelt:  ^ie  Pole  sind  die  Offnungen  (bouches)  des  Hnnmels, 
durch  welche  er  das  Licht,  die  Wärme  und  die  Einflüsse  {in- 
fluences),  welche  er  auf  der  Oberfläche  verbreitet  hat,  wieder- 
gewinnt. Sonst,  wenn  nicht  alle  Schätze  (tresors)  der  Sonne  wieder 
zu  ihrer  Quelle  aufstiegen,  so  würde  es  nicht  lange  gehen  (da 
ihre  Helligkeit  nur  ein  Staub  entflammter  Atome  ist,  welche  sich 
von  ihrer  Kugel  [globe]  ablösen),  bis  sie  erloschen  wäre  und  nicht 
wieder  leuchtete,  oder  bis  dieser  Uberflufs  kleiner  feuriger  Kör- 
per, welche  sich  auf  der  Erde  ansammelten,  um  sie  nicht  wieder 
zu  verlassen,  diese  aufgezehrt  hätten.  Also  müsse  es  im  Himmel 
Luftlöcher  (soüpircmx)  geben,  durch  welche  die  Anschoppungen 
{r^Utions)  der  Erde  una  anderer  (Weltkörper)  sich  entleeren,  und 
woraus  der  Himmel  seine  Verluste  deckt,  damit  der  ewige  Kreis- 

10* 


148  Cyrano  de  Bergerac. 

lauf  dieser  kleinen  Lebenskörper  allmählich  in  aDe  Kugeln  {glches) 
des  grofsen  Weltalls  eindringe.  Es  wird  behauptet^  die  Alten 
hätten  von  einem  entschwundenen  Heros  gesagt,  er  sei  zum  Pol 
aufgestiegen  u.  ä.  Auch  die  Beobachtung  modemer  Nordpol- 
fahrer über  das  Nordlicht  während  der  Polarnacht  spreche  daiur. 
Dieses  komme  von  den  Strahlen  des  Tages  und  von  einem  gro- 
fsen Haufen  Seelen,  welche^  aus  leuchtenden  Atomen  bestehend^ 
zum  Himmel  zurückkehren. 

Der  Diskurs  wird  unterbrochen  von  dem  Geschrei  der 
Bäume:  ^gare  la  peste  et  passe  parole*  Die  Gefahr  kommt  von  der 
Salamandre,  welche  das  Königreich  der  Bäume  zu  verbrennen 
droht  Cyrano  will  fliehen,  verirrt  sich  aber  und  ist  nach  acht- 
zehn Stunden  hinter  dem  Walde,  aus  dem  er  fliehen  will.  Nach 
weiteren  vierhundert  Stadien  Marsch  wird  er  Zeu^e  des  Kampfes 
zwischen  der  Salamandre  und  der  Remora,  auch  animoL  glo/^on 
geheifsen.  Er  trifft  dort  mit  einem  Greise  zusammen,  der  durch 
Assimilation  an  Cyranos  Materie  dessen  Gedanken  errät  (hierbei 
eine  aktuelle  Erinnerung  an  Zwillinge  in  Paris  mit  unwillkürlich 
gleichen  Gedanken  und  Erlebnissen).  Es  ist  Thomas  Campa- 
nella, der  ihm  alle  Auskunft  gibt  und  ihn  bis  ans  Ende  der 
Erzählung  begleitet 

Auf  der  Erde  bewohnen  die  Bemoren  das  Eismeer,  sie  er- 
zeugen durch  Verschlingen  des  Eises  die  eisfreien  Flächen,  welche 
man  gegen  den  Pol  hin  beobachtet  hat,  aber  auch  durch  ihr  Aus- 
speien die  Wiederbildung  des  Eises  (hier  Anspielung  auf  Be- 
obachtungen von  Piloten  um  Grönland  herum).  Auf  dem  Lande 
nähren  sie  sich  von  Schierling,  Fingerhut,  Opium  und  'rtuindra^ 
goTe\  Das  stygische  Wasser,  mit  dem  man  Alexander  den  Grofsen 
vergiftete,  war  Harn  eines  dieser  Tiere.  Sie  lassen  auch  die 
Schiffe,  welche  nach  dem  Nordpol  wollen,  einfrieren,  so  dals  nur 
die  Hälfte  zurückkommt  Die  Feuertiere  ipestes  ä  feu)  dagegen 
wohnen  unter  dem  Ätna,  dem  Vesuv  und  dem  Gap  rouge, '  'Die 
Knospen  {poutons\  welche  du  an  den  Brüsten  {gorge)  dieses  Tieres 
siehst)  und  welche  von  der  Entzündung  seiner  Leber  herrühren, 
sind  . . .  (hier  ist  offenbar  eine  Lücke  im  Text,  die  auch  von  der 
Amsterdamer  Ausgabe  als  solche  kenntlich  gemacht  ist  Was  die 
Auslassung  veranlafst  hat,  ist  unklar). 

Das  Duell  endet  mit  dem  Tode  der  Salamandre.  Campa- 
nella ergreift  ihren  Leichnam,  nachdem  er  sich  die  Hände  mit 
Erde,  über  welche  sie  gegangen,  eingerieben  hat.  Er  will  sie  als 
unverwüstliches  Brennmaterial  in   seiner  Küche  an   dem  Koch- 


*  Es  gibt  ein  Vorgebirge  dieses  Namens  zwischen  Quebec  und  Mont- 
real, in  einer  Gegend,  die  Cyrano  kennt  (s.  oben  Bd.  CXIV,  S.  877),  aber 
es  ist  nicht  vulkanisch.  Vielleicht  liegt  eine  Verwechselung  mit  JFeuer- 
land  vor. 


Cyrono  de  Bergerac.  149 

kessel  (crimiliere  =  orSmailUre)  aufhangen.  Die  Augen  sollen  ihm 
zur  Beleuchtung  dienen.  Schon  die  Alten  hätten  diese  benutzt 
als  'lampes  ardmte^»  Man  habe  sie  in  Grabern  gefunden,  aber 
aus  Unverstand  zerstört  Aus  dem  Laich  der  Remoren  entstehen, 
wenn  ein  Schiff  darüber  fährt»  eine  Art  fliegender  Fische/  die 
man  Mcuiuereusea  nennt,  und  die  eine  Fastenspeise  sind. 

Ovrano  und  Campanella  setzen  ihre  Reise  durch  die  Sonne 
fort  Diese  ist  in  Königreiche,  Republiken,  Staaten  und  Fürsten- 
tümer eingeteilt  wie  die  Erde.  Die  vierfüfsigen  Tiere,  die  Vögel, 
die  Pflanzen,  die  Steine  haben  ihre  besonderen  Reiche,  und  nur 
ein  Philosoph  darf  ungestraft  alle  besuchen.  Campanella  erklärt, 
er  sei  auf  der  Reise  in  die  Provinz  der  Philosophen  begriffen. 
Die  Sonne  ergänzt  sich  nämlich  durch  die  Seelen  der  aus  dem 
Merkur,  Venus,  der  Erde,  Mars,  Jupiter  und  Saturn  abgeschie- 
denen Pflanzen,  Tiere  und  Menschen.  'Die  gröbsten  dienen  ein- 
fach dazu,  das  Fett  (embonpoint)  der  Sonne  zu  ersetzen,  die  feinen 
schleichen  sich  an  den  Platz  ihrer  Strahlen,  aber  diejenigen  der 
Philosophen,  die  in  ihrem  Exil  nichts  Unreines  angenommen 
haben,  gelangen  ganz  in  die  Sphäre  des  Lichtes  (jour),  um  dessen 
Bewohner  zu  werden,  während  die  anderen  in  der  Masse  der 
Sonne  aufgehen.' 

Campanella  zeigt  sich  eilig,  um  mit  dem  erst  angekommenen 
Descartes  zusammenzutreffen,  für  dessen  Philosophie  er  eine  hohe 
Verehrung  bezeugt  Cyrano  macht  ihn  auf  einen  Widerspruch 
in  der  kartesianischen  Lehre  aufmerksam,  der  darin  besteht,  dafs 
Descartes  an  den  Anfang  aller  Dinge  ein  festes  Chaos  stellt,  das 
durch  Gott  in  eine  unzählige  Menge  kleiner  Würfel  aufgelöst 
wird,  deren  jedem  von  Gott  eine  entgegengesetzte  Anfangs- 
bewegung gegeben  wird,  aus  denen  durch  Reibung  kleinste  Körper 
von  tulen  Formen  entstehen.  Diese  Bewegung  enthält  geometrische 
Widersprüche  und  läfst  sich  ohne  Annahme  des  VaKuums  nicht 
erklären.  Campanella  meint,  Descartes  werde  diesen  Widerspruch 
leicht  durch  Erklärung  beseitigen.  Auch  über  einen  anderen 
Widerspruch  im  kartesianischen  System^  geht  Campanella  etwas 


'  Nach  P.  Brun  p.  298  wäre  diese  Meinung  in  Cyranos  Zeit  aligemein 
verbreitet  gewesen. 

'  Auch  hier  zeigen  Varianten  in  den  Ausgaben,  dafs  fast  von  Anfang 
an  am  Cyranotext  Anderun^n  vorgenommen  worden  sind,  die  ihm  nicht 
zum  Vorteil  gereichten.  In  oer  Diskussion  vertritt  Campanella  den  Stand- 
punkt Descartes',  Cyrano  den  Gassendis.  Es  ist  aber  nicht  g^anz  leicht, 
m  den  Textworten  die  beiden  Sprecher  auszuscheiden.  Die  Kritik  Cyranos 
beruht  darauf,  dafs  es  nicht  logisch  sei,  wenn  nach  Descartes'  Meinung 
unser  Verständnis  be^nzt,  die  von  demselben  zu  erfassende  Materie  aber 
unbe^enzt  teilbar  sei.  Über  die  Textvarianten  vgl.  P.  Lacroix  I,  p.  260 
Anm.  1.  Die  Ausgaben  von  1710  und  1761  stimmen  auch  hier  überein. 
Ob  die  Originalausgabe  ihren  Text  oder  den  von  P.  Iiacroix  gegebenen 
fehlerhaften  hat,  kann  ich  nicht  entscheiden. 


150  Cyrano  de  Bergerac. 

oberflächlich  hinweg,  da  sie  in  dem  Wundertal  ankommen,  wel- 
ches den  See  des  l^hlafes,  die  fünf  Quellen  und  die  drei  Flüsse 
enthalt,  und  dessen  Wohltaten  sich  auf  das  ganze  Universum 
ausdehnen.  Die  fünf  Quellen  sind  die  fünf  Sinne,  die  nur  fünf- 
zehn bis  sechzehn  Stunden  tätig  sind  und  bei  der  Annäherung 
an  den  See  immer  schwächer  werden.  Nachdem  die  Nymphe 
des  Friedens  in  der  Mitte  des  Sees  sie  eine  2ieitlang  ^wiegt 
hat,  treten  sie  auf  der  anderen  Seite  des  Sees  wieder  m  die  Er- 
scheinung und  zwar  Gehör  und  Tastsinn  zuerst,  der  Geschmack 
zuletzt  Die  Beschreibung  der  Grotte  des  Schlafes  ist  wie  bei 
Ovid.  Hier  träumt  Cyrano  den  'gelehrtesten  und  geistreichsten 
Traum  der  Welt^,  aus  dem  der  Phnoeoph  ihn  weckt,  und  dessen 
Erzählung  er  uns  schuldig  bleibt,  vielleicht  nur  aus  dem  Grunde, 
weil  er  ihn  dem  Leser  in  einem  seiner  'Briefe'  bereits  geschildert 
hat  (s.  oben  Bd.  CXIY,  S.  129).  Eine  Anspielung  auf  sich  selbst 
ist  vielleicht  die  lobende  Bemerkung  über  die  'pküosophes-r^veurs 
dont  no8  ignorans  se  fnoquenf.  Bei  raschem  Weitergehen,  einer 
Art  Fliegen,  kommen  sie  zu  den  Flüssen  Gedächtnis  (ifömotre), 
Einbildungskraft  (Imagination)  und  Urteil  (Jugemenf). 

Die  oonnenbewohner,  deren  brennende  Atome  beim  Tode 
durch  diese  Flüssigkeiten  angefeuchtet  werden,  leben  7 — 8000 
Jahre  lan^  und  zerfallen  dann  in  Teilchen  roter  Asche.  Aber 
dabei  bleibt  es  nicht,  sondern  nach  den  Fähigkeiten,  welche  sie 
durch  Benetzung  aus  den  drei  Flüssen  etc.  erhalten  haben,  ver- 
binden sie  sich  in  den  umliegenden  Sphären  mit  den  vorgefun- 
denen Stoffen  zu  Pflanzen,  um  zu  vegetieren,  weiter  durch  Stoff- 
wechsel zu  Tieren,  um  zu  empfinden,  und  schliefslich  zu  Men- 
schen, um  die  drei  Funktionen:  Gedächtnis,  Einbildungskraft  und 
Urteil,  auszuüben. 

Unter  solchen  Beobachtungen  und  Gesprächen  reisen  sie  fünf 
bis  sechs  Tage  län^  der  drei  Flüsse  auf  aem  Wege  zur  Provinz 
der  Philosophen.  Unterwees  stofsen  sie  auf  einen  Sterbenden, 
dem  das  Gehirn  vom  Denken  so  aufgeschwollen  ist,  dafs  ihm 
schliefslich  der  Kopf  zerspringt.  T>iese  Art  zu  sterben  ist  die 
der  grofsen  Genies,  man  nennt  das  vor  Geist  platzen  (crever 
d'esprity 

In  der  Sonne  sind  einige  Provinzen  dunkel,  andere  hell,  und 
diejenigen,  welche  sie  betreten,  folgen  diesem  Zustande.  Die 
Philosophen  ziehen  aus  Erinnerung  an  die  Erde  die  dunkleren 
Partien  vor.  Übrigens  können  sie  durch  lebhafte  Willenskraft 
durchsichtig  werden  und  so  einander  die  Gedanken  ablesen  und 
Gefühle  wie  Zuneigung  und  Hafs  ohne  Worte  mitteilen. 

Dieses  Gespräch  wird  durch  eine  Verfinsterung  des  Himmels 
unterbrochen.  Ein  Käfig  fällt  aus  der  Wolke,  die  ein  riesiger 
Kondor  ist,  wie  sie  auf  der  Insel  MandraTOra  (sie)  vorkommen 
und  einen  Juchart  mit  ihren  Flügeln  bedecken,  zu  ihren  Fü&en. 


CTrano  de  Bergerac.  151 

Ihm  entsteigen  ein  Mann  und  eine  Frau  aus  dem  Königreich 
der  Liebenden^  die  einen  seltsamen  Prozefs  miteinander  haben^ 
den  sie  vor  den  Philosophen  entscheiden  lassen  wollen.  Die  Frau 
klagt  ihren  Mann  an,  ihr  jüngstes  Kind  zweimal  getötet  zu  haben. 
Im  Königreich  der  Liebe  reguliert  nämlich  ein  Gesetz  und  eine 
jeden  Abend  vorgenommene  ärztliche  Untersuchung  die  Anzahl 
der  Umarmungen,  welche  der  Ehemann  seiner  IVau  schuldet 
Der  Augeklagte  war  auf  sieben  taxiert  worden,  hat  aber,  gealtert 
durch  einige  lebhafte  Worte  der  Frau  vor  dem  Zubettegehen, 
dieselbe  überhaupt  nicht  berührt.  ^6ott  aber,  der  die  Sache  der 
Betrübten  rächt,  hat  zugelassen,  dafs  er,  von  einem  Traume 
kitzelt,  im  Schlafe  einen  Menschen  verlor/  So  bewirkte 
Elende,  klagt  die  Frau,  'dais  mein  Kind  nicht  ist  und  nicht  ge- 
wesen ist^.^  Der  Ehemann  brachte  die  Richter  durch  die  Aus- 
rede in  Verlegenheit,  dafs  er,  über  seine  Frau  erzürnt,  gefürchtet 
habe,  einen  Rasenden  zu  erzeugen.  Die  beiden  wurden  deshalb 
vor  ein  anderes  Gericht  verwiesen.  Deshalb  sind  sie  nun  hier 
mit  ihrem  Gefährt,  dessen  Bespannung,  die  Kondors,  auch  die 
zum  Schlafen  nötige  Dunkelheit  hervorbringt  Campanella  ver- 
weist die  Frau  an  Sokrates^  dem  man  in  der  Sonne  die  Ober- 
aufsicht über  die  Sitten  gegeben  habe.  Sie  ihrerseits  gibt  den 
beiden  Auskunft  über  das  Königreich  der  Verliebten,  welches 
auf  der  einen  Seite  an  die  Republik  des  Friedens,  auf  der  an- 
deren an  die  der  Gerechten  stöfst 

Im  Königreich  der  Verliebten  werden  die  Knaben  mit  sech- 
zehn, die  Mädchen  mit  dreizehn  Jahren  in  einen  grofsen  Palast, 
Noviziat  der  Liebe,  gebracht  Während  des  Probejahres  suchen 
sich  die  Knaben  die  Zuneigung  der  Mädchen  und  diese  die 
Freundschaft  der  Knaben  zu  erwerben.  Nach  Ablauf  der  zwölf 
Monate  b^bt  sich  die  medizinische  Fakultät  in  corpore  in  dieses 
liiebesseminar,  untersucht  die  Zöglinge  genau  una  bis  ins  ge- 
heimste und  läfst  die  erste  Paarung  unter  ihren  Augen  voll- 
ziehen. Die  Knaben,  welche  sich  zuchtfähig  erweisen,  erhalten 
zehn,  zwanzig,  dreifsig  oder  vierzig  Mädchen  zugeteilt,  von 
denen,  welche  sie  lieben  und  von  welchen  sie  wiedergeliebt  wer- 
den. Er  darf  aber  je  nur  mit  zweien  geschlechdich  verkehren 
und  keine  mehr  berühren,  die  schwanger  ist.  Die  Unfruchtbaren 
werden  zu  Dienerinnen  erniedrigt,  die  Impotenten  zu  Sklaven, 
welche  sich  mit  den  Sterilen  (brayhaignes)  fleischlich  vermischen 
dürfen.  Sobald  eine  Frau  gebiert,  wirft  die  staatliche  Erspamis- 
kasse  eine  Summe  aus  für  die  Erziehung  des  Kindes.    Familien, 


*  Die  gleiche  burleske  Spitzfindigkeit  wird  auch  in  einer  anderen  un- 
edierten  Stelle  des  Voyage  ä  la  lune  erörtert  (s.  oben  Bd.  CXIV,  S.  887  und 
Msa.  No.  4558,  p.  97),  wo  allerdings  der  Text  durch  Schreibfehler  weniger 
klar  ist 


152  Cyrano  de  Bergerac. 

die  ihre  Kinder  nicht  aUe  unterhalten  können,  nimmt  der  Staat 
dieselben  ab.^ 

Die  Frau  ladet  die  beiden  ein,  ihr  Gefährt  zu  benutzen.  Der 
an  einem  Seidenfaden  hängende  schwere  Anker  wird  auf  eme 
sophistische  Manier  gehoben.  Sophistisch  ist  auch  der  Grund, 
warum  der  Seidenfaden  nicht  reifet,  und  die  Methode,  wie  sie 
selbst  den  Korb,  in  dem  sie  sitzen,  an  einem  Kabel  zur  Rolle 
(potUie)  und  zum  Vogel  hinaufziehen.  So  fliegen  sie  etwa  zwei- 
hundert Meilen,  bis  sie  einem  anderen  Kondor  b^egnen,  der 
einen  Gefanj?enen  transportiert.  Dieser  ist  zum  Tode  verurteilt, 
weil  er  überführt  ist,  sicn  nicht  vor  dem  Tode  zu  fürchten.  Denn 
in  dem  Lande,  aus  dem  er  kommt,  dürfen  dies  nur  diejenigen, 
welche  ins  Kollegium  der  Weisen^  aufgenommen  worden  sind; 
denn  ^andere,  die  nicht  fürchten,  das  Leben  zu  verlieren,  sind 
geneigt,  es  aUen  anderen  zu  rauben'. 

Die  Frau  kann  auf  Campanellas  Fragen  über  die  ^loix  et 
coustumes  du  Royaume  des  Amans'  nicht  völlig  Auskunft  geben, 
weil  sie  aus  dem  Königreich  der  Wahrheit'  stammt.  Ihre  Mutter 
hatte  nur  diese  Tochter,  darum  wurde  diese,  dreizehn  Jahre  alt, 
auf  Befehl  des  Königs  und  der  Arzte  in  den  Talast  der  Liebe' 
geführt,  damit  sie  fruchtbarer  werde  als  ihre  Mutter. 

Anfangs  hatte  sie  Mühe,  sich  einzugewöhnen,  und  die  Ge- 
wohnheiten und  namentlich  die  Beden  ihrer  jungen  Liebhaber 
sind  allerdings  seltsam  genug.  Die  jungen  Männer  beklag^  sich, 
dafs  die  Freundin  sie  mit  ihren  Augen  töte,  mit  ihrer  Flamme 
versenge  usw.  Darüber  erschreckt,  will  sie  fliehen,  aber  man  er- 
klärt ihr,  dafs  der  Palast  von  einer  Tränenflut  umgeben  sei,  in 
der  sie  alle  ertrinken  müfsten.  Die  unglückliche  Ursache  von 
so  viel  Unglück  will  sich  aus  der  Welt  schaffen,  aber  ihr  feu- 
rigster Anbeter  läfst  ihr  sagen,  dafs  die  Glut  seines  Herzens  den 
See  bereits  ausgetrocknet  habe.  Um  dieser  Sündflut  zu  ent- 
rinnen, empfiehlt  ihr  ein  anderer,  der  Eifersüchtige  genannt,  sich 
das  Herz  aus  der  Brust  zu  reifsen  und  in  diesem,  in  welchem 
so  viele  Platz  haben,  sich  auf  dem  Meere  seiner  Tränen  fort^- 
treiben  zu  lassen  von  dem  günstigen  Winde  seiner  Seufzer.  Sie 
öffnet  sich  also  die  Brust  mit  einem  Messer  und  will  sich  eben 
das  Herz  herausreifsen,  als  ein  neuer  Liebhaber  dazukommt^  sie 
daran  verhindert  und  den  schlimmen  Ratgeber  vor  Gericht  zieht. 
Die  Strafe  des  Eifersüchtigen  wird  durch  das  Parlament  im  König- 
reich der  Gerechten  ausgesprochen.  Er  wird  auf  ewig  verbannt, 
soll  seine  Tage  als  Sklave  in  der  Republik  der  Wahrheit  be- 
schliefsen.   Er  und  seine  Nachkommen  bis  ins  vierte  Glied  dürfen 


*  Diese  Beschreibung  des  Liebeereiches  ist  durchaus  originell,  und 
Cyrano  verdankt  Sorel  (Francion  p.  31(5)  nur  eine  Anregung.  Cf.  Em.  Roy, 
lia  vie  et  les  cpuvres  de  Ch,  Sorely  Paris,  Hachette,  1891,  p.  88ö — 87. 


Cyrano  de  Bergerac.  158 

nicht  in  die  Provinz  der  Liebenden  zurückkehren^  und  er  darf, 
bei  Todesstrafe,  keine  Hyperbel  brauchen.  Die  Frau  vermählt 
sich  nach  ihrer  Heilung  mit  ihrem  Retter,  hat  dann  aber  mit  ihm 
den  angeführten  Rechtsstreit  Dafs  der  Angeklagte  nicht  spricht, 
konunt  von  einem  ausdrücklichen  Verbot  Er  darf  den  Mund 
erat  vor  dem  Richter  wieder  öffnen. 

Auf  eine  Entfernung  von  drei  Meilen  verkündet  Campanella 
die  Annäherung  Descartes',  und  die  Zweifel  Cyranos  werden  ge- 
hoben durch  dessen  Erscheinen.  Sie  verlassen  den  Kondor  und 
begrüfsen  sich.  Die  Möglichkeit  des  Vorhersehens  einer  ab- 
wesenden Person  erklärt  Campanella  so:  'Es  gehen  von  allen  Kör- 
pern Stoffe  (especes),  d.  h.  körperliche  Bilder  (images  corpordles) 
aus,  welche  in  der  Luft  herumfliegen.  Trotz  ihrer  Beweglichkeit 
behalten  sie  Gestalt  und  Eigenschaften  der  Dinge,  von  denen  sie 
sprechen,  und  dringen,  weil  sie  sehr  subtil  sind,  durch  unsere 
Organe,  ohne  sie  anzuregen,  bis  in  die  Seele,  welche  sie  auch 
ganz  entfernte  Dinge  sehen  machen.'  Wie  das  geschieht,  wollen 
die  beiden  Cyrano  später  zeigen. 

Hier  bricht  der  Text  unerwartet  ab,  und  wir  sind  ohne 
Mittel,  zu  sagen,  was  und  wieviel  nachher  noch  hätte  kommen 
sollen;  denn  alles  spricht  dafür,  daFs  Cyrano  selbst  den  Roman 
nicht  zu  Ende  führen  konnte.  Ob  sich  die  mysteriöse  'Hisioire  de 
VEtinceUe*  hier  oder  bei  dem  Kampf  der  Remora  und  Salamandre 
hätte  anschliefsen  können,  wage  ich  bei  dem  Mangel  an  allem 
Material  nicht  zu  entscheiden. 


Schi  ufs  wort. 

Und  nun?  Wird  mir  gelingen,  was  der  gelehrte  P.  Brun 
gegenüber  der  Tradition  und  der  geistreiche  Emile  Magne  gegen- 
über dem  Theaterstück  Rostands  erstrebten,  nämlich  an  die  Stelle 
eines  Phantoms  den  wahren,  den  historischen  Cyrano  zu 
setzen?  Ich  fürchte  nein;  denn  abgesehen  davon,  dafs  es  sehr 
schwer  hält,  Anschauungen,  die  auf  der  poetischen  Einbildungs- 
kraft von  Tradition  und  Bühne  beruhen,  mit  den  nüchternen 
Vorstellungen,  welche  uns  Urkunden  und  Manuskripte  liefern, 
zu  korrigieren,  ist  eben  der  Charakter  Cyranos  selbst  ein  so  kom- 
plexer, dafs  auch  eindringendstes  Studium  nicht  in  alle  Falten 
seiner  Seele  blicken  lälst.  Das  ist  leicht  begreiflich,  weil  er  selber 
in  den  schwierigsten  Fragen,  welche  Religion  und  Wissenschaft, 
oft  in  Konkurrenz,  noch  öfter  in  Konflikt  gegeneinander,  gerade 
im  17.  Jahrhundert  so  lebhaft  beschäftigten,  nicht  zu  völliger 
Klarheit  in  sich  zu  gelangen  vermochte.  Und  dies  nicht  nur  aus 
äufseren  Gründen,  die  allerdings  viel  hemmender  wirkten,  als  man 
sich  dies  heutzutage  vorstellt,  sondern  doch  hauptsächlich  darum, 


154  Cyrano  de  Bergerac. 

weil  er  bei  einer  uDgewöhnlioben  Begabung  auf  literarischem  und 
wissenschaftlichem  Uebiet  und  trotz  einer  starken  Hingabe  an 
seine  Stoffe  doch  nicht  das  Genie  besafs^  welches  überall  bis  ans 
Ende  geht  und  erst  am  Ziele  Halt  macht  Nicht  dafs  er  nur 
ein  Dilettant  gewesen  wäre  oder  ein  geschickter  Macher:  im 
G^enteil^  er  hat  beinahe  überall  neue  W^e  gefunden  und  neue 
Forderun^n  aufgestellt^  aber  er  hat  diese  nicht  selber  erfüllen 
können.  Und  daran  hätte  wohl  auch  ein  längeres  Leben  nicht 
viel  gebessert.  Aber  zweifellos  war  er  einer  der  geistvollsten 
und  kenntnisreichsten  Franzosen  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahr- 
hunderts,  und  sein  Ruhm  wäre  längst  fest  begründet,  wenn  das 
Werk  seines  Lebens  von  Freund  und  Feind  nicht  so  übel  be- 
handelt worden  wäre.  Zu  einer  vorurteilslosen  Würdigung  ist 
jetzt  sicher  die  Zeit  gekommen,  und  wenn  meine  Schrift  ein  Ver- 
dienst hat,  so  ist  es  das,  dafs  sie  die  Mittel  dazu  reiner  bietet 
als  die  bisherige  Literatur.  Ich  scheide  damit  für  einmal  von 
Cyrano  —  ungern  genug,  denn  er  hat  es  noch  jedem  angetan,  der 
sich  eingehend  mit  ihm  beschäftigte,  dieser  ungezogene  Liebling 
der  Musen. 


Beilage   B.^ 

Beschreibung  des  ManuBkripts  von   Cyranos 

Voyage  dans  la  Lune. 

Das  in  einem  alten  Einband  von  gepreXstem  Leder  buchfönni^  ein- 
gebundene Manuskript  (Oktayformat)  ist  sehr  schön  und  gleichmälsig  ge- 
schrieben in  einer  willkflrlichen,  aber  konsequenten  Oitnographie  und 
Interpunktion.  Es  weist  nur  s^r  wenige  Selbstkorrekturen  des  Schreibers 
und  nur  ganz  vereinzelte  von  späterer  Hand  auf.  Auch  offenbare  Ver- 
schreibungen  sind  sehr  selten,  und  absichtlich  ausgelassen  scheint  ein  ein- 
ziges Wort  (Ortsname)  gegen  den  SchluTs  zu.  fiandschrift  und  Ortho- 
graphie weisen  auf  das  17.  Jahrhundert  hin.  Es  enthält  152  auf  dem 
ßecto  paginierte  Blätter  und  ein  unbeschriebenes  mit  zweimal  durch- 
strichener  Pagina  135.    Zeilenzahl  21-23. 

Auf  dem  Deckel  steht  inwendig  von  alter  Hand  und  in  schlechter 
Schrift: 

VI.  11. 

^   Liyre  rare  et  (onloseriich)  11  ien  a  trois  Ezemplaires  en  France. 

Dann  folgt  ein  Vermerk  wahrscheinlich  von  M.  DeuUin  d'Epemay, 
welcher  das  Manuskript  1890  der  BibUoth^ue  Nationale  schenkte: 

Pay6  ft*.  66.  70  vente  Monmerquö    n^  3891     mars  1861 

Hierauf  von  der  Hand  von  M.  de  Monmerqu6: 

Ge  livre  a  eti  6orit  soob  Louis  XIII. 

U  y  eat  fait  mentioii  de  Tristan  THermite  po6te-attaoh6  k  Gaston. 
II  est  de  Gyrano  de  Bergerao,   mais  je  suis  ^tonni   qu'il  aie  M  imprimi 
et  qu'il  est  ici,  ear  11  y  a  des  passages  bien  hardis  pour  le  temps. 

>  Beilage  A  ist  oben,  Bd.  CXIV,  S.  125—7,  abgedruckt. 


Cyrano  de  Bergerac.  155 

II  a  M  imprim^  dans  les  OBayres  de  Cyrano  de  Bergerac  V.  1*^'  p.  288 
ed.  d'Amsterdam  1710,  inais  avec  de  granda  retranchements  que  la  hardiease 
du  livre  et  plns  soavent  son  impertmence  neeeBsitaient. 

Cette  circoDStance  donne  de  la  cariosiU  a  ce  petit  msa.  J'indiqaerai  en 
lea  Boulignant  les  paasagcs  retrauchSa  a  rimpresaion. 

De  Monmerqud  hat  dies  anfangs  mit  [  ]  y ersucht,  aber  später  anf- 

g^ffeben.    Auf  der  ersten  (nicht  paginierten)  Seite  stdit  aufgeklebt  die 
ibliotheksnummer 

P  R 

NOÜV.     ACQ. 

■  '  ^ 
4,    5  5  8. 

Es  folgten  fünf  leere  weiise  Seiten,  dann  folgt  am  Rande  oben  rechts 
mit  A  bezeichnet: 

A  Lanteur  Des  Eatats  et 

Empires  de  la  Lone  ou  de 

L'autre  monde. 

Epigramme, 

Accepte  ces  aix  meschana  vera 

Qae  ma  main  tescrit  de  trauera 

Tant  en  moj  La  Frayeur  abonde 

Et  permeta  qu'ai^onrdliay  J'Eoite  ton  abord 

Car  aatant  qn'une  affreuae  mort 

Je  eraina  lea  yena  de  Lautre  monde 

R  de  P 

Darunter  wieder: 

FR  nouv.  acq.  4558 

Auf  der  Rückseite  von  A  steht: 

Autre  du  Meame 
an  meame 

Ton  Eaprit  qu'en  son  toI  nul  Obatade  n'arreate, 
Deacouure  vn  aatre  monde  a  noa  Ambitieuz, 
Qui  tona  Eagallement  reapirent  Sa  oonqaeste, 
Comme  yn  noble  chemin  pour  arriver  Anx  cieux 

Mais  ee  n'est  point  pour  Enx  que  la  palme  S^apreste ; 
81  J'Eatoia  du  conaeil  dea  deatina  et  dea  dieux 
Ponr  priz  de  ton  audace  on  chargeroit  ta  teste 
Dea  couronnea  dea  Roya  qui  oaptiuent  cea  lienx. 

Mais  non  Je  m'endedia  L'Inconatante  Fortune 
Semble  anoir  trop  d'Empire  en  celny  de  la  lune 
Son  ponuoir  nj  paroist  qne  p'  tont  renneraer. 

Pent  eatre  yerroia  tu  dans  cea  demeures  mornes 

dea  le  premier  Inatant  ton  Eatat  s'Eclipser 

et  du  moina  chacque  moia  en  retreaser  lea  bomea 

De  P. 

Ee  folgt  noch  vor  dem  Text  Cyranos   ein  leeres  weifses  Blatt,  ge- 
zeichnet B. 


156  Cynino  de  Bergerac. 

Auszüge 

P|ff'  22  r«,         Cette  tenre  cy  est  La  Lune  que  vous  voyfe  de  vre  elobe  et  ce  lieu 

z-  3  ▼.  o.  ^^  ^^  ^^^g  march^  est  [le  paradis  mais  c'est  le  Paradis  Terrestre  ou 
n'ont  Jamais  entr^  que  six  personnes,  Adam  Eue,  Enoc,  moj  qui  suis  le 
vuieil  heliei  St  Jeau  L  Evan^eliste,  et  tous,  vous  scau^  bleu  oomme  Les 
deux  Premiers  en  füren t  banis  mais  vous  ne  Scav^  pas  cöe  ils  arriuerent 
en  vostre  monde.  Scach^  donc  qu'apr^s  auoir  tast^  tous  deux  de  la 
pomme  deffendue  Adam  qui  cndgnoit  que  Dieu  irrit^  par  sa  presence  ne 
ren^egeast  sa  punition  considera  La  Lune  Vostre  terre  cö  le  seul  refuge 
ou  il  se  pouuoit  mettre  a  L'abry  des  poursuittes  de  Son  createur]  ores 

pag.  22  v-o  eQ  I  ee  temps  L'imagination  chez  Lhöe  Estoit  Si  forte  pour  n'auoir  point 
Encore  este  corrompue  ny  par  les  desbauches,  ny  par  la  crudit^  des  ali- 
mens,  ni  par  Lalteration  des  maladies,  qu'Estant  aiors  Excite  du  Violent 
desir  d'aborder  cet  azile  &  que  toutte  Sa  masse  estant  deuenue  Legere 
par  le  feu  de  cet  anthousiasme  il  y  fut  enleu^  de  la  mesme  sorte  qu'il 
s'est  veu  des  philosophcs  Leur  Imagination. fortem^  tendue  a  quelque  chose 
Estre  Empörtes  en  L'air  par  des  rauissemens  que  vous  appeles  extatiques. 
[Eue]  que  L'Infirmit^  de  Son  Sexe  rendoit  plus  foible  et  moins  chaude 
n'auroit  pas  eu  Sans  doute  L'Imagination  assez  Vi^ureuse  pour  vaincre 
pac.  23.    par  la  contention  de  sa  volonte  le  poids  de  la  matiere  mais  par  ce  qu'il 

z.  1  V.  u.  y  auoit  tres  peu  [qu'elle  auoit  est^  tir6e  du  corps  de  son  mary]  La  Sim- 
pathie  dont  cette  moiti^e  Estoit  encore  li^  a  son  tout  La  porta  vers 
luy  a  mesure  qu'il  montoit  coe  Lambre  se  faict  suiure  de  la  paille,  coe 
Laimant  se  tourne  au  Septentrion,  d'ou  il  a  Eet^  arrach^  et  Aaam  attira 
Louurage  de  sa  coste  cöe  la  mer  attire  les  fleuues  qui  sont  sortis  d'elle. 
Arriv^s  qu'ils  furent  en  Vostre  terre  ils  s'abituerent  entre  la  mesopotamie 
et  L'arabie  les  hebreux  Pont  connu  Sous  le  nom  d'adam  et  les  Idolatres 
Sous  le  nom  de  Prometh^  que  Leurs  poetes  feifnirent  auoir  desrob^  le 
feu  du  cid  a  cause  de  ses  descendans  qu'il  engenara  pour  ueus  d'vne  ame 
aussi  parfaicte  que  celle  dont    Dieu  L  auoit  remply,  ainsy  pour  habiter 

pag.  23  V»  Vostre  I  monde,  Le  premier  hoe  Laissa  celuy  cy  descrt,  mais  le  tout-sa^ 
ne  voulut  pas  qu'vne  demeure  si  heureuse  restast  sans  habitans  il  permit 
peu  de  Siecles  apres  qu'Enoc  Ennu^^  de  la  compa^ie  des  hommes  dont 
LInnocence  se  corrompoit  eut  Enuie  de  les  abandoner  mais  ce  S^  Per- 
sonage  ne  Jugea  point  de  retraite  asseur^  contre  L'ambition  de  ses  parens 
qui  S'esgorgeoient  desja  pour  le  partage  $le  vr^  monde,  si  non  la  terre 
Dien  heureuse  dont  Jadis  Adam  son  ayeul  Luy  Avoit  t4int  parl^,  toutte 
fois  comment  y  aller  L'Eschelle  de  Jacob  n'estoit  pas  Encore  invent^c 
La  grace  du  tres  haut  v  supplea  car  eile  fit  qu'Enoc  s'avisa  que  le  Feu 
du  ciel  descendoit  sur  les  hoiocaustes  des  Justes  et  de  ceux  qui  estoient 

pag.  24  r^  afreabjles  deuant  la  face  du  Seigneur  Selon  la  parole  de  Sa  bouche, 
^'  ^  L^odeur  des  Sacrifices  du  Juste  est  mont^  Jusques  a  moy  un  Jour  que 
cette  Fl&me  diuine  estoit  acham^  a  consommer  une  victime,  qu'il 
offroit  a  l'Etemel  de  la  Vapeur  qui  S'EIxaloit  il  remplit  deux  Grands 
vases  qu'il  luta  hermetiquement  et  se  les  attacha  sous  les  esseles,  La  fum^e 
aussi  tost  qui  tendoit  a  S'Eslever  droit  a  Dieu  ce  qui  ne  pouuoit  que  par 
miracle  penetrer  du  metal  poussa  Les  vases  en  haut  et  de  la  sorte  En- 
leuerent  auec  eux  ce  8^  hoe,  quand  il  fut  mont^  Jusques  a  La  Lune  et 
qu'il  eust  Jett^  les  yeux  Sur  ce  beau  Jardin  vn  epanouissem^  de  Joye 
casi  sumaturel  Luy  fit  connoistre  que  c'estoit  le  Paradis  Terrestre  ou  son 

pag.  24  V«,  grand  pere  auoit  autres-fois  demeur^,  il  deslia  promptement  les  vaisseaux 

z.  1  V.  0.  ^^}|j  avoit  ceinct  eue  des  aisles  autour  de  ses  Espaules  et  le  fit  auec  tant 
de  bonhcur  qu'a  peine  estoit  11  en  L'air  quatre  toises  au  dessus  de  La 
Lune  LorsQu'il  prit  cong6  de  ses  nageoires,  L'eleuation  cepcndant  Estoit 
assez  granae  pour  le  beaucoup  blaisser  sans  le  Grand  tour  de  sa  robe  ou 
le  vent  s'engouffra  &  L'ardeur  du  feu  de  la  charit^  qui  le  soustint  aussy: 


Cyrano  de  Bergerac.  167 

ponr  les  vases  ilz  monterent   touBJours  jneques  a  ce  que  dieu  les  en- 

chftasa  dans  le  ciel  et  c'est  ce  qu'aujourdhuv  yous  appeliez  Les  Balances 

qui  noos  montrent  bien  tous  les  iours  qu^eiles  Sont  EDCore  pleines  des 

odeuTs  du  sacrifice  d'un  |  Juste  par  Les  influences  fauorables  qu'elles  in-  9^'  25  r>, 

spirent  sur  L'horoscope  de  Louys  le  Juste  qui  Eust  les  balances  pour  ^*^^*^' 

ascendant.    il  n'Estoit  pas  Encore  tontte  fois  en  ce  iardin,  il  ny  arriua 

que  —  quel^ue  temps  apres.    Ce  fut  lorsque  desborda  le  deluge,  car  les 

£aux  ou  vre  monde  S'£n^loutit  monterent  a  vne  hauteur  Si  prodigieuse 

que  L'arche  voguoit  dans  les  cieux  a  cost^  de  la  lune,  Les  humains  ap- 

perceurent  ce  globe  par  la  Fenestre  mais  la  reflection  de  oe  grand  corps 

opacque  s'affoiblissant  a  cause  de  leur  proximit^  qui  partageoit  sa  lumi^re 

cnacun  d  Eux  crut  que  c'estoit  un  canton  de  la  terre  qui  n'auoit  pas  | 

£st6  noy^ ;  II  ny  eust  qu  vne  fille  de  Noe  nomm^  Achab  qui  a  cause  peut  PH-  25  v«. 

Estre  qu'elle  auoit  pris  Garde  qu'a  mesure  que  le  nauire  haussoit  ilz  ap-   ^'  ^  ^'  ^' 

Erochoient  de  cet  astre,  Soustint  a  cors  et  a  cry  qu'asseurement  c'Estoit 
i  lune,  on  eut  beau  luv  representer  que  la  Sonde  lettre  on  n 'auoit  trouu^ 
que  quinze  coud^es  d'Eau.  eile  respondit  que  le  fer  auoit  donc  reucon- 
tr^  le  dos  d  vne  baieine  qu'ilz  auoient  pris  pour  la  terre  que  quand  a  eile 
qu'elle  estoit  bien  asseuree,  que  c'estoit  la  lune  en  propre  personne  qu'ilz 
alloient  aborder.  Enfin  cde  chacun  opine  pour  son  semblable  touttes 
Les  autree  femmes  se  le  persuaderent  en  suitte,  Les  voila  donc  malgr^  . 
la  deffence  des  hoes  qui  Jettent  L'Esquif  en  mer  Achab  Estoit  la  plus  p^-  ^  ^> 
hazardeuse  aussy  voulut  eile  la  premiere  essayer  le  peril,  eile  se  lance  ^'  ^  ^'  ^' 
all^prement  dedans  et  tout  son  sexe  L'alloit  ioindre  sans  vne  vague  qui 
separa  le  bateau  du  nauire  on  eust  beau  crier  apres  eile,  L'appelTer  cent 
foiB  lunaticque  protester  qu'elle  seroit  cause  qu^un  Jour  on  reprocheroit 
a  touttes  les  Femmes  d'auoir  dans  la  teste  vn  quartier  de  la  lune  Elle 
se  mocqua  d'Eux,  la  voUa  qui  vogue  hors  du  monde  les  animaux  suiui- 
rent  son  exemple  car  la  plus  part  des  o^seaux  qui  se  sentirrent  L'aisle 
asses  forte  pour  risquer  le  voyage  impatiens  de  la  premiere  prison  dont 
on  eust  encore  arreste  |  leur  liberS  donnerent  Jusques  la,  des  quadrupedes  p^-.  ^  ^'°^ 
mesmes  les  plus  courageux  se  mirent  a  la  nage  il  en  Estoit  sorty  pres  de  ^'^^^^^ 
mille  auant  que  les  filz  de  No^  pussent  fermer  les  Estables  que  la  fouUe 
des  animaux  qui  s'Eschapoient  tenoient  ouuertes;  la  plus  part  aborderent 
ce  nouueau  monde;  pour  L'Esquif  il  alla  donner  core  vn  costau  fort 
agreable  ou  la  genereuse  Achab  descendit  et  ioyeuse  d'auoir  connu  qu'en 
effect  cette  terre  la  estoit  la  lune  ne  voulut  point  se  rem  barquer  pour  re- 
joindre  Ses  freres,  eile  s'habitua  quelque  temps  dans  une  grotte  et  cöe  un 
Jour  eile  se  promenoit  balancant  si  eile  seroit  fachte  (Pauoir  perdu  la 
compagnie  des  siens  ou  si  eile  en  seroit  bien  aise  eile  apperceut  vn  hoe 
qui  I  abbatoit  la  Gland ;  La  ioye  dVne  teile  rencontre  la  fit  voler,  aux  p^-  27  i^", 
Embrassements,  eile  en  reyeut  de  reciproques  car  il  y  avoit  encore  plus  ^'  ^' 
longtemps  que  le  vieillard  n'auoit  veu  de  visage  humain  c'Estoit  Enoch 
le  iuste,  il  vesquirent  ensemble  et  sans  que  le  naturel  impie  de  ses  £n- 
fans  et  L'orgueil  de  sa  femme  L'obligea  de  se  retirer  dans  les  bois  ils 
auroient  acheu^  ensemble  de  filer  leur  iours  auec  toutte  La  douceur  dont 
dieu  benit  le  mariage  des  Justes;  La  tous  les  Jours  dans  les  retraittes 
les  plus  sauuages  de  ces  affreuses  soiitudes  ce  bon  vieillard  offroit 
a  Dieu  d'vn  esprit  espur^  son  ceur  en  holocaaste,  quand  de  Parbre 
de  science  que  vous  scaves  qui  Est  en  ce  Jardin,  vn  Jour  estant  tomb4 
vne  pomme  dans  la  riuiere  |  au  bord  de  la  quelle  il  est  plante  eile  p^^*  27  v«, 
fust  portäe  a  la  mercy  des  vagues  hors  le  Paradis  un  vn  lieu  ou  le  ^'  ^' 
pauure  Enoc  pour  sustenter  sa  vie  prenoit  du  poisson  a  la  pesche  ce 
beau  fruit  fut  arreste  dans  le  filet,  il  le  mangea,  aussitost  il  connut  ou 
estou  le  paradis  terrestre  et  par  des  secrets  que  vous  ne  scauri^s  con- 
ceuoir  si  vous  n'au^  mang4  coe  luy  de  la  pomme  de  science  il  y  vint 
demeurer. 


158  Cyrano  de  Bergeracl 

n  fault  maintenant  que  Je  vous  raconte  la  fa^on  dont  J'y  suis  venu: 

Tous  o'au^s  jpas  oubli^  Je  pense  que  ie  me  nomme  helle  car  ie  vous  l'ay 

dit  Dauere  Vous  scaur^  donc  que  J  'eetois  en  vre  monde  et  que  J'abitois 

auec  £lis4e  vn  hebreu  coe  moy  sur  les  bords  du  Jourdain  ou  ie  uiuois 

p?«-  28 1«,  parmy  lee  Liuree  |  d'vne  vie  assez  douce  pour  ne  la  pas  re^ter  encore 

z.  1  T.  o.  q^'ei[Q  s'esooulast,  cependant  plus  les  Lumieres  de  mon  Eepnt  croissoient 

plus  croissoit  aussy  La  connoissauce  de  Celles  que  ie  n'auois  point,  iamais 

HOS  prestres  ne  me  ramenteuoient   Adam  que  Ie  Souuenir  de  cette  phllo- 

sophie  parf aicte  qu'il  auoit  possed^e  ue  me  fit  souspirer ;  ie  desesperois  de 

la  pouuoir  acquerir,  quaud  un  Jour  apres  auoir  sacrifi^  pour  L'£zpiation 

des  foiblesses  de  mon  Estre  mortel  ie  m'endormis  et  L'ange  du  Seigr  m'ap- 

parut  en  Sonee;  aussi  tost  que  ie  fus  eueill^  ie  ne  manqu6  pas  de  tra- 

uailler  auz  cnoses  (ju'il  m'auoit  preecrites:  ie  pris  de  L'aiman  environs 

deux  pieds  en  carr^  le  les  mis  au  Foumeau  puls  lors  qu'il  fut  bien  purg^, 

p^'  28  V»,  precipit^  et  dissous  i'en  |  tir^  L'attractif,  calcin^  tout  cet  elldr  et  le  re- 

z.  1  ▼.  0.   Juigjg  gjj  yjj  morceau  de  la  grosseur  enuiron  d'une  balle  mediocre. 

En  suitte  de  cee  preparations  ie  fis  construire  vn  chariot  de  fer  fort 
Leger  et  de  la  a  quelques  mois  tous  mes  engins  estans  acheuez  i'entre 
dans  mon  industrieuse  charette :  vous  me  demauder^s  possible  a  (juoy  bon 
toit  oet  attiraiL  Sach^s  que  L'ange  m'auoit  dit  en  Songe  que  si  ie  uou- 
lois  acquerir  vne  Science  parf  aicte  cöe  ie  la  desirois^  ie  montasse  au 
monde  de  la  lune  ou  ie  trouuerois  dedans  le  Paradis  d'Adam  L'arbre  de 
science  parcequ'aussitost  que  J'aurois  tast^  de  son  fruit  mon  ame  seroit 
esclaire  de  touttes  les  veritez  dont  vne  creature  est  capable  voila  donc  le 
png.  29  r««  voyage  I  pour  le(}uel  i'auois  basty  mon  chariot,  enfin  le  mont4  dedans  et 
^  Lorsque  le  fus  bien  ferme  et  bien  appuy^  sur  le  siege  ie  ru^  fort  hault 

en  l'air  cette  boule  d'aiman,  or  la  machine  de  fer  que  i'auois  forg^e  tout 
expr^  plus  massiue  au  milieu  qu'aux  extremit^z  fut  enleu^  aussi  tost 
et  dans  vn  parfaict  Equilibre  a  cause  qu'elle  se  poussoit  tousjours  plus 
viste  par  cet  endroit  La,  ainsy  donc  a  mesure  que  i'arriuois  ou  l'aiman 
m'auoit  attir^  et  des  que  i'estois  saut^  iusques  la,  ma  main  le  faisoit  re- 
partir:  mais  L'interrompis-je  comment  Lancia  vous  vre  balle  si  droit  au 
dessus  de  vre  chariot  qu  il  ne  se  trouuait  Jamals  a  oost^,  ie  ne  vois  point 
p"R-29vo,  de  merueille  en  cet  auanture  me  dit  il,  car  L'aiman  poussoit  qu'il  estoit 
^'  ^  ^'  ^'  en  Lair  attiroit  le  fer  droit  a  soy,  et  par  consequent  il  estoit  impossible 
que  ie  montasse  iamais  a  cost^:  ie  vous  confesseray  bien  que  tenant  ma 
boule  a  ma  main  ie  ne  Laissois  pajs  de  monter  paroe  que  le  chariot  cou- 
roit  tousjours  a  L'aimant  que  ie  tenois  au  dessus  de  luy  mais  la  saillie 
de  ce  fer  pour  embrasser  ma  boule  estoit  si  Vi^ureuse  qu'elle  me  faisoit 
plier  le  corps  en  quatre  doubles;  de  sorte  que  le  n'os^  tenter  qu'une  fois 
cette  nouuelle  experience  a  la  verit^  c'estoit  un  spectacle  a  veoir  bien 
estonnant,  car  le  soin  auec  lequel  iauois  poUy  L'ader  de  cette  maison  vo- 
pag.  30  r»,  laute  reflessissoit  de  tous  costez  la  Lumiere  du  Soleil  |  si  viue  et  si  aigue 
z.  iv.  o.  q^g  Ig  croyois  moy  mesme  Estre  empört^  dans  vn  chariot  de  feu:  Enfin 
apres  auoir  beaucoup  ru6  et  voll^  apres  mon  coup,  i'arriu^  cöe  vous  aues 
faict  en  vn  terme  ou  ie  tombois  vers  ce  monde  cy,  et  parce  qu'en  oet 
instant  ie  tenois  ma  bouUe  bien  serr^e  entre  mes  mains  mon  chariot  dont 
le  siege  me  pressoit  pour  approcher  de  son  attractif  ne  me  quitta  point, 
tout  ce  qui  me  restoit  a  craindre  Estoit  de  me  rompre  le  col:  mais  pour 
m'en  Garantir  ie  regettois  ma  boule  de  temps  en  temps  affin  que  ma 
machine,  se  sentant  naturellem^  rattir^e  prit  du  repos  et  rompit  ainsy  la 
force  de  ma  cheute,  puis  enfin  quand  ie  me  vis  a  deux  ou  trois  cens  toises 
pag.  30  To,  preg  ^Q  terre  ie  Lance  |  ma  balle  de  tous  costez  a  fleur  du  chariost  tantost 
z.  1  y.  o.  ^g  ^  tantost  dela,  Jusques  a  ce  que  mes  Yeux  le  descouurirent,  aussy 
tost  ie  ne  manqn^  pas  de  la  ruer  dessus  et  ma  machine  L'ayant  suiuie  ie 
me  Laiss^  tomber  tant  que  ie  me  Discern^  pres  de  briser  contre  le  Sable 
car  alors  ie  la  iett^  seulement  vn  pied  par  dessus  ma  teste,  et  ce  petit 


Cyrano  de  Bergerac.  159 

coup  la  esteignit  tont  a  faict  la  roideur  que  Iny  auoit  imprim^  le  predpice 
de  Borte  que  ma  cheutte  ne  fut  pas  plus  violente  que  si  ie  fusse  tomb^ 
de  ma  hauteur.  Je  ne  vous  repreeenteraj  point  L'Estonnem^  dont  me 
Saisit  La  rencontre  des  merueilles  <jui  sont  ceans  par  oe  qu'ii  fut  a  peu 
pree  semblable  a  celuj  dont  ie  vous  vieuB  de  voir  consteme,  [vous  scaur^  < 
seolement  que  ie  reucontr^  des  le  lendemain.  L'arbre  de  vie  par  le  moyen  ^^\^^  ^^ 
duquel  ie  m'empech^  de  vieillir,  ü  consomma  bientost  et  nt  exaler  le  '  ^'^' 
aerpent  en  fum^. 

A  ces  mots  venerable  &  sacr^  Patriarche:  Luy  dis-jel  ie  serois  bien 
ayse  de  scauoir  ce  que  voub  entend^s  par  ce  serpent  qui  fut  consomma 
Lui  d'vn  visage  riant  me  reepondit  ainsy. 

J'oubliois  0  mon  filz  a  vous  deecouurir  vn  secret  dont  on  ne  peut 
pas  vous  veoir  instruit,  vous  scaures  donc  qu'apres  ^u'Eue  et  son  mary 
euren t  mang6  dela  pomme  deffendue,  Dieu  pour  punir  le  serpent  ^ui  les 
en  auoit  tentez  le  relegna  dans  le  corps  de  Lhomme  il  n'est  pomt  n^ 
depuis  de  creature  humaine  qui  en  punition  du  crime  de  son  premier 
pere  ne  |  nourrisse  vn  serpent  dans  son  ventre  issu  de  oe  premier  vous  le  p<^e-  31  t<> 
nommes  les  boyaux  et  vous  les  croy^  necessaires  aux  fonctions  de  la  vie, 
mais  apren^  que  ce  ne  sont  autre  chose  que  des  serpens  pliez  sur  eux 
metmes^  en  plusieurs  doubles  quand  vous  entend^s  vos  Entrailles  crier 
c'est  le  serpent  qui  siffle  et  qui  suiuant  ce  naturel  gloutton  dont  Jadis 
ii  incita  le  premier  hOe  a  trop  manger  demande  a  manger  aussy,  car 
Dieu  qui  pour  vous  cbastier  vouloit  vous  rendre  mortel  cöe  les  autres 
animaux  vous  fit  obseder  par  cet  insatiable  affin  que  si  vous  luy  donni^ 
trop  a  manger  vous  vous  Estouffassies  ou  si  Lors  qu'auec  les  dents  in- 
uisibles  dont  cet  affam^  mort  vostre  Estomach  vous  luy  refusi^  sa  pi- 
tance  il  criast,  il  tempestat,  il  degorgeast  |  ce  venin  c|ue  vos  docteurs  pa?.  32  r« 
appelent  La  bile,  et  vous  Eschauf  fast  tellem^  par  le  poison  qu'il  inspire 
a  vos  arteres  que  vous  en  fussi^  bien  tost  consume,  Enfin  pour  vous 
monstrer  que  vos  boyaux  sont  vn  serpent  aue  vous  aues  dans  le  corps 
— *  souven^s  vous  qu'on  en  trouua  dans  les  tombeaux  d'Esculape  de 
Sdpion  d' Alexandre  de  Charles  martel  et  d'Edouard  dAngleterre  qui  se 
nourrissoient  Encore  des  cadaures  de  leurs  hostes,  En  Enect  luy  dis-ie 
en  L'Interrompant  i'ay  remarqu^  que  coe  ce  serpent  Essaye  toujours  a 
s'Eschapper  du  corps  de  Lhome  on  luy  voit  la  teste  et  le  col  sortir  au 
bas  de  nos  ventres  mais  auBsy  Dieu  n'a  pas  permis  que  Lhome  seul  en 
fut  tourment^  il  a  voulu  qu'il  se  bandast  contre  La  femme  pour  luy 
Jetter  son  venin  et  que  L  fmflure  durast  |  neuf  mois  apres  Favoir  picqu^e  p«g.  S2  vo 
et  pour  vous  monstrer  que  ie  parle  suiuant  La  paroUe  du  seigf  c'est  qu'il 
dit  au  serpent  pour  le  maudire  qu'il  auroit  beau  faire  tresbucher  La 
femme  en  se  roidissant  contre  eile  qu'eUe  luy  feroit  enfin  baisser  La  Teste, 
ie  voulois  continuer  ces  fariboles,  mais  helie  m'en  empescha  song^  dit  il 
que  ce  lieu  cv  est  sainct,  il  se  teut  en  suitte  quelaue  temp  coe  pour  se 
ramenteuoir  de  Pendroit  ou  il  estoit  demeur^  puis  n  prit  amsy  La  parole. 

Je  ne  taste  du  fruict  de  vie  q/^  de  cent  ans  en  cent  ans  son  Jus  a 
pour  le  goust  quelque  raport  auec  L  Esprit  de  vin,  ce  fut  ie  crois  oette 
pomme  quAdam  auoit  mangle  qui  fut  cause  que  nos  premiers  peres 
vesquirent  si  Ion  temps  — *  pour  ce  qu'il  estoit  coul^  dans  leur  |  semence  p^>  33  r« 
quelque  chose  de  son  Ener^e  Jusques  a  ce  qu'elle  s'esteignit  dans  les 
eaux  du  deluge. 

L'arbre  de  Science^  est  plante  vis  a  uis,  son  fruict  est  couuert  dVne  v^e-  33^  >^. 
Eflcorce  qui  produict  L'ignorance  dans  quicon^ue  en  a  goust^  et  qui  sous     ^' 
L'EspoiBseur  de  oette  pelure  conserve  les  spirituelles  vertus  de  ce  docte 

*  Zweites  e  von  mesmea  von  späterer  Hand. 

*  —  nur  um  die  Linie  auaznfttUen. 

^  Pag.  33  r»  Z.  4  flLhrt  fort  wie  Brun  p.  369. 


160  Üyrano  de  Bergertu;. 

manger.  Dieu  autrefois  apres  auoir  cbass^  Adam  de  cette  terre  bien- 
heureuse  de  peur  qu'il  n'en  retrouuast  le  chemin  Luy  frotta  les  Grendues 
de  cette  EBCorce,  iL  fut  depuifl  ce  temps  la  plus  de  quinze  ans  a  radotter 
et  oublia  tellement  tonttes  choses  que  luv  nj  ses  descendans  iusques  a 
Moyse  ne  se  souuinrent  seulement  pas  dela  creation,  mais  les  restes  dela 

pag.  33  T«  vertu  de  cette  pesante  Escorce  |  acheuereut  de  se  dissiper  par  la  chaleur 
et  La  clart^  du  Genie  de  ce  Grand  prophete:  Je  m'adress^  par  bonheur 
a  l'vne  de  ces  pommes  ^ue  la  maturite  auoit  despouill^e  de  sa  peau  et 
ma  saline  a  peine  L'auoit  mouill^  <jy7  la  pbilosopbie  vniuerselle  m'ab- 
sorba,  11  me  sembla  qu'un  nombre  infiny  de  petits  yeuz  se  plon^erent 
dans  ma  teste  et  ie  S9eu8  le  moyen  de  parier  au  Seigneur:  quand  depuis 
J'ay  faict  refiexion  sur  cet  Enleuement  miraculeux  ie  me  suis  bien 
yma^n^  que  ie  n'aurois  pas  peu  vaincre  par  les  vertus  occultes  d  vn 
simple  Corps  naturel  LaVigilance  du  Seraphin  que  Dieu  a  ordonn^  pour 
La  Garde  de  ce  paradis,  mais  par  ce  qu'il  se  piaist  a  se  seruir  de  causes 

pag.  34  Y»  secondes  ie  creus  qu'il  m'auoit  |  inspir^  ce  moyen  pour  y  entrer  cöe  il 
voulut  se  seruir  des  costes  d'Adam  pour  luy  faire  vne  femme  quoy  qu'il 
peust  Le  former  de  terre  aussy  bien  que  luy. 

Je  demeur^  Lon  temps  dans  ce  Jardin  a  me  promener  sans  compagnie 
mais  enfin  cöe  L'ange  portier  du  lieu  Estoit  mon  principal  hoste  il  me 
prit  enuie  de  le  saluer;  vne  heure  de  chemin  termina  mon  voyage,  car  au 
Dout  de  ce  temps  iarriu^  en  vne  contr^e  ou  mille  esclairs  se  confondans 
en  vn  formoient  vn  Jour  aueugle  qui  ne  seruoit  qu'a  rendre  L'obscurit^ 
visible;  ie  n'Estois  pas  encore  bien  remis  de  cette  auanture  que  iapper- 
ceux  deuant  moy  vn  bei  adolescent  et  Je  suis  me  dit  il  L'archange  que 

pag.  34  v»  tu  I  cherche,  ie  viens  de  Lire  dans  Dieu  qu'il  t'auoit  sugeer^  les  moyens 
de  venir  icy  et  qu'il  vouloit  que  tu  attendisse  sa  volonte  il  m'Entretint 
de  plusieurs  choses  et  me  dit  entre  autres. 

Que  cette  Lumiere  dont  J'auois  paru  effray^  n'Estoit  rien  de  formi- 
dable  qu'elle  s'alumoit  presque  tous  les  soirs  quand  11  faisoit  la  ronde 
par  ce  que  pour  euiter  les  surprises  des  sorciers  qui  Entrent  partout  sans 
estre  veus  il  estoit  contrainet  de  iouer  de  L'Espadon  auec  son  Esp^ 
flamboyante  autour  du  paradis  terrestre  et  que  cette  lueur  estoient  Les 
Esclairs  qu'Engendroit  son  acier  ceux  que  vous  apperceues  de  vre  monde 
adjou8ta-n  sont  produit  par  moy.    Si  quelques  lois  vous  les  remarqu^ 

pag.  35  To  bien  Loin  c'est  a  cause  |  que  les  nuages  d'vn  climat  esloign^  se  trouuans 
dispos^z  a  receuoir  cette  impression  fönt  rejaller  jusques  a  vous  ces  legeres 
Images  de  feu,  ainsy  qu'vne  vapeur  autrem^  situ^e  se  trouua  propre  a  for- 
mer L'arc  en  cid,  ie  ne  vous  instruiray  pas  daduantage  aussy  bien  la 
pomme  de  science  n'est  pas  lon^  d'icy,  aussi  tost  que  vous  en  aur^s  man^^ 
uous  serais  docte  coe  moy  mais  sur  tout  Gard^s  vous  d'vne  mesprise,  la 
pluspart  des  fruicts  qui  pendent  a  ce  vegetant  sont  enuironnez  d^vne  Es- 
corce de  laquelle  si  vous  tast^s  vous  descendr^s  au  dessous  de  Ihöe  au 
lieu  que  le  dedans  vous  fera  monter  aussy  hault  que  L'ange. 

Eiie  en  Estoit  la  des  instructions  que  Luy  auoit  donn^  le  Zeraphin 

pag.  35  TO  quand  vn  petit  home  nous  vint  Joindre ;  c'est  Icy  cet  Enoc  |  dont  ie  vous 
ay  parl^  (me  dit  tout  bas  mon  conducteur)  cöe  il  acheuoit  ces  mots,  Enoc 
nous  presenta  un  panier  piain  de  ie  ne  scay  cjuels  fruits  semblables  aux 

Eommes  de  ^renades  qu'il  venoit  de  descouunr  ce  iour  la  mesme  en  vn 
occage  recul^  i'en  serrois  quelques  vnes  dans  mes  poches  par  le  com- 
mandement  d'Elie  Lorsqu'il  luy  demanda  qui  i'estois.  C'est  vne  auanture 
qui  merite  un  plus  long  entretien  repartit  mon  Guide,  ce  Soir  quand  nous 
serons  retir^s  il  nous  content  luy  mesme  les  miraculeuses  particularitez 
de  son  voyage. 

Nous  arriuasmes  en  finissant  ce  cy  sous  vne  Espece  d'hermitage  faict 

de  branches  de  palmier  ingenieusement  entrelass^es  auec  des  mirthes  et 

pag.  36  I«  des  orangers :  la  |  i'apperceus  dans  vn  petit  reduit  des  monceaux  d'vne 


Cyrano  de  Bergerac.  161 

certaine  filoselle  si  blanche  et  ai  delide  qu'elle  Dounoit  paaaer  ponr  lame 
de  la  nege  ie  Tis  anssy  des  anenoniUefl  respanouee  gtL  A  Ul,  ie  demand^ 
a  mon  conducteur  a  aaoy  eues  Beruoient,  a  filer  me  reapondit-il  quand 
ie  boD  Enoc  veut  se  aebander  de  la  meditation  tantoet  ü  habille  oette 
filasse  tantOBt  il  tisse  de  la  toille  qui  sert  a  bailler  des  chemises  aus  onze 
mille  Yiergesy  il  n'est  paa  que  n'ay^  qnelqne  fois  rencontr^  en  yre  monde 
ie  ne  ecay  quo!  de  blanc  qui  yoltiee  en  automne  Enuiron  la  Saison  des 
semailles,  lee  paisans  appellent  cda  cotton  de  nre  Dame  c'est  la  bouire 
dont  £noc  purge  |  son  Lin  quand  ü  Ie  carde.  pag.  86  v« 

Nons  n^arrestiEunes  guerea  sans  prendre  conge  d'EInoc  dont  cette  cabane 
Estoit  la  oellule  et  oe  qui  nous  obligea  de  Ie  quitter  si  tost  fut  que  de 
aix  esi  six  heuies  il  fait  oraison  et  qu'ü  y  auoit  —  *  bien  oela  qu'ii  auoit 
acheu^  la  demiere^ 

Je  supj^li^  en  chemin  helie  de  nous  acheuer  L  histoire  des  assompticHiB 
qu'il  m'auoit  entamdes  et  luy  dis  qu'U  en  Estoit  demeur^  oe  me  sembloit 
a  Celle  de  8*  Jean  L  Euangeliste. 

Alore  Puisque  vous  n'an^  pas  me  dit-il  la  patienoe  d'attendre  que  la 
pomme  de  S^anoir  tous  enseigne  mieux  que  moy  touttes  ces  choses  ie 
yeux  bien  vous  lee  apprendre  scach^  donc  que  Dieu  a  ce  mot  ie  ne  scay 
pas  comme  |  Le  diabie  s'en  mesla  tant  y  a  q^?  ie  ne  pus  pas  m'empescher  pag.  87  i« 
de  L'Interrompre  pour  railler. 

Je  m'en  souuiens  luy  dis  je  Dieu  fut  yn  Jour  aduerty  que  L'ame  de 
cet  Euangeliste  estait  si  detach^  qu'U  ne  la  restenoit  plus  qu'a  force  de 
serrer  les  dents  et  cependant  Lheure  ou  il  auoit  pieueu  qu'U  seroit  enleud 
oeans  Estoit  presque  £zpir6  de  isi^n  que  n'avant  pas  le  temps  de  luy 
preparer  yne  machine  if  fut  contraint  de  ly  faire  estre  vistement  sans 
auoir  le  Loisir  de  l'y  faire  idler. 

(Elle  pendant  tout  ce  discours  me  regardoit  auec  des  yeux  capables 
de  me  tuer  si  ieusse  Est^  en  Estat  de  mourir  d'aure  chose  <]ue  de  faim: 
abominable  dit-U  |  en  se  reculant  tu  as  L'impudenoe  de  raüler  sur  lee  pag.  37  t« 
choses  sainctes  au  moins  ne  seroit-ce  pas  impunement  si  le  tout  sage  ne 
Youloit  te  laisser  aux  nations  en  exemple  fameux  de  sa  miserioorde,  va 
impie  hors  d'ic^,  ya  publier  dans  ce  ^tit  monde  et  dans  L'autre  oar  tu 
es  predestin^  a  y  retoumer  La  haine  irreconciliable  que  dieu  porte  aux 
atheea, 

A  peine  eut  U  acheu6  cette  Imprecation  qu'U  m'empoigna  et  me  con- 
duisit  rudementyers  la  porte:  auana  nous  fusmes  arriues  proche  vn  grand 
arbre  dont  les  branches  chargees  de  ftvdct  se  courboient  presque  a  terre 
Yoicy  Larbre  de  scanoir  me  dit-U  ou  tu  aurois  puis^  des  Liunieres  in- 
ooncenabl^  sans  ton  |  irreligion.  ^  ^    pag.  38  ro 

n  n'Eut  pas  acheu^  ce  mot  que  fdgnant  de  Languir  de  foiblesse  ie 
me  Laiss^  tomber  contre  vne  brancme  ou  le  derob^  adroittement  vne  pomme 
U  s'en  faloit  encore  plusieurs  ajamb4es  que  ie  n'eusse  lepied  hors  de  ce 
parc  delicieux  cependant  La  iBun  me  pressoit  auec  tant  de  violence  qu'eUe 
me  fit  oublier  que  i'estois  entre  les  malus  d'un  prophette  courrouce,  cela 
fit  que  ie  tir6  yne  de  ces  pommes  dont  i'auois  Grossy  ma  poche  ou  ie 
cachd  mes  dents  mais  au  heu  de  prendre  yne  de  Celles  dont  Enoc  m'auoit 
faict  pfit,  ma  main  tomba  sur  la  pomme  que  iauois  cueiUye  a  l'arbre  de 
sdenoe  et  dont  par  malheur  ie  nauois  pas  despouiU^  L'Escoroe.]  |  i'en  pag.  38  v« 
auois  a  peine  Goust^  au'une  Espaisse  nuit  tomba  sur  mon  ame  ie  ne  yis 
plus  ma  pomme  plus  d'helie  aupr^s  de  moy  et  mes  yeux  ne  reconnurent 
pas  en  toutte  L'emisphere  yne  seule  traoe  du  Paradis  terrestre  et  auec  tout 
oela  ie  ne  Laissois  pas  de  me  souuenir  de  tout  ce  qui  m'y  estoit  arriu€. 

1  —  som  AnaflUlen  der  Idnie. 

Benu  a  DfibL 

AtcUt  t  n.  SpnetMO.    GXY.  11 


Kleinere  MitteilnngeiL 

Zur  Quellenkunde  und  Textkritik  der  altengL  Exodus. 

Trotz  der  vielen  Arbeiten  und  Auf  satze,  die  bernts  der  altengL 
Exodus  gewidmet  sind,  ist  sowohl  die  Frage  nach  der  dgentlichen 
Quelle  der  merkwürdigen  Dichtung  noch  ungelöst^  wie  auch  manche 
schwierige  oder  verderbte  Stelle  unerklärt  Ohne  etwas  Abschlieisen- 
des  bieten  zu  können,  möchte  ich  wenigstens  einige  Beiträge  com 
Verständnis  des  Gedichtes  yeröffendicheny  die  vielldcht  andere  auf 
den  richtigen  Weg  führen. 

a)  Zur  Quellenkunde. 

V.  47.  dnmm  d&ofcHgyJd. 

Vgl.  dazu  Bedas  Pentateueh-Kommentar,  Ezod.  Kap.  12  (ICgne, 
PatroL  lat  91,  Sp.  807):  Eebrcbei  autumnani,  quod  noefe  iUa,  qua 
egreadua  est  populua  Israel,  ofnnia  tampla  Äegyptiomm  destruda  sunt, 
sine  terrae  motu;  und  Petrus  Gomestor,  Hist  schoL  Ezod.  Kap.  XXVII 
(Migne  198):  In  egressu  eÜam  eorum,  terrae  motu  foöto,  muUa  iempla 
Äegypti  cum  idoUs  suis  corruenmt.  —  Bright  hat  Mod.  Lang.  Notes 
XVn,  424  ff.  darauf  hingewiesen,  da(s  die  Bibelstelle  Num.  38,  4 : 
Nam  et  in  düs  eorum  eacereuerai  uUümem  zu  dieser  Tradition  Anlals 
gegeben  haben  wird;  Eusebius^  von  Caesarea,  Praep.  evang.  IX,  27, 
berichtet  nach  Artapanus,  dals  fanaque  tum  plurima  oorruisse. 

V.  290  ff.  erzählt  der  Dichter,  daß  auf  die  Aufforderung  des 
Moses  hin  der  vierte  Stamm,  Juda»  zuerst  durchs  Bote  Meer  gezogen 
sei,  wofür  ihm  auch  die  Herrschaft  verliehen  wurde.  Ihm  folgten 
dann  die  Stämme  Buben  und  Simeon.  Vgl.  hierzu  Gomestor  a.  a.  O. 
Kap.  81 :  Et  advooans  Moyses  singulas  tribus  seeundum  ordinem  na- 
timtaHs  stMe  hortabaiur  eoe,  ui  ipsum  praeeuniem  sequerenHur.  Oum- 
que  timudssent  intrare  Rüben,  Simeon  et  Lein,  Judas  prwnus  aggres- 
sus  est  üer  post  eum,  unde  et  ibi  meruit  regnvm.  —  Offenbar  haben 
der  Dichter  und  Gomestor  (f  1178)  aus  derselben  Quelle  geschöpft^ 
die  mir  leider  trotz  alles  Suchens  bisher  nicht  zu  finden  gelungen  ist 
In  der  Bibel  steht  davon  kein  Wort 

V.  579  ff.  wird  berichtet^  wie  sich  die  Israeliten  die  Schätze  und 
Waffen  der  im  Boten  Meere  umgekommenen  Ägypter  aneigneten. 
Ahnlich  sagt  Gomestor  a.  a.  O. :  et  tulit  Israel  arma  mortuorum.   Dies 


^  Idi  zitiere  nach  der  lat  Übersetzung  in  der  Ausgabe  von  Fr.  Vi- 
genis,  8.  J.,  Goloniae  1688. 


KUnore  WfHiiflnngiM '  16S 

Bchdnt  auf  Joaepha^  Aufciq.  jiuL  H,  14»  m  hmhesi,  wo  es  in  Buf- 
finfl  ÜbersetKung^  hdSst:  Post§a  vero  amme  Je§i/ptionim  per  fluetua 
ei  viobniia  tfentcrum  oUaH»  exervUui  Eßbra$orum,  Jüwm  ei  hoc  curbfi- 
iraiue  Dei  permiseione  fadum,  ui  neque  artnü  egereni,  haee  eocM  eol- 
Kgena:  EAraeoeque  hie  muniene  dusvü  wa  per  deeerhim  •••  Auch 
Eusebius  a.  a.  O.  Kap.  29  berichtet  nach  Demetriue:  qiri  flyeÜbue 
(^nwU  tum  fuieeeni,  illantm  eeee  annia  indmeee, 

b)  Zur  Textkritik 

V.  78.  bttloe  oferbrndde  bymeade  hSofon» 

hftlgan  nette  hUwendne  lyft 

Statt  baha  ist  offeubar  bcBlge  *mt  einem  Balge^  ebem  Überrag' 

KU  lesen,  vgl  V.  809 :  eaneea  =  eangee.     Auch  V.  81 :  eegle  ofer- 

tolden  zeigte  wie  sich  der  Dichter  die  Sohutswolke  denkte  ygL  Ps.  lOi, 

89:  eoDpandü  nubem  in  proieetionem  eorum  und  1.  Kor.  10,  1:  quo- 

fUam  patres  nostri  omnea  eub  nube  fuenmt.    Johnson  übersetzt  daher 

im  Jaum,  of  Oerm.  PkiL  Y,  44  C  ganz  richtig  icslM  mit  ^oanqptf'. 

V.  79  ff.        drihta  eedrymost    Dtegscdaldee  kleo 
wand  <ner  wokmnm:  n»fde  witig  god 
sonnan  sidfsst  segle  ofertoldeu. 

Das  unerklärte  dageeeaUee  Ueo  yon  V.  79b  ist  wohl  in  dag* 
eweaHojtt»  Meo  ^Schutz  gegen  die  Tageshitse'  zu  bessern;  ewealoSy  die 
nebentonige  Entwickelung  von  eweolod  (vgl  Bülbring,  Ae.  £lemb. 
§  482),  bedeutet  in  dieser  Zusammensetzung  dasselbe  wie  farbryne 
Y.  70a,  hfmende  hiofon  78b,  kähoendne  lyft  74b  und  ligfyr  77b; 
nach  der  Vorstellung  des  IKohters  hat  Oott  ein  Sohutsdach  zwischen 
den  Wolken  und  d^  oberen  Hinunel,  der  Bahn  der  Bonne,  ge* 
schaffen,  um  die  Israeliten  gegen  deren  Strahlen  lu  achtUaen. 

y.  161  fE  ecgtnze  ich: 

hieopon  herefiu^lss  hildegtVftgt^ 
deaingiedere  orar  drihtnönm, 
[herge  on  Ifiste;  faiaofu  Oppe  göl,] 
wonn  wsalcessega.    Wulfas  aangon  etc. 

indem  ich  mit  Kluge  on  hwai  vor  hreopon  stretehe  und  mit  Bright 
hrafn  tippe  ^l  nach  Etem  52b  eiginze.  Zu  herge  on  läeie  ygL  ebd. 
80a:  BUhtm  on  Bete. 

KieL  F.  Holthausen. 

Zum  ae.  ger^a. 

Obgleich  sich  die  erprobtesten  Krfifte  um  die  Aufhellung  dieses 
zuerst  von  Liebermann  Jnglia  Bd.  IX  gedruckten  ae.  Textes*  be- 
müht haben,  ist  doch  noch  manche  Stelle  der  Aufklarung  diingsnd 
bedürftig  geblieben.  Ich  wage  im  folgenden  einige  neoe  Deotungs- 
yersuche. 


1  Mir  Uer  in  einem  alten  Kölner  Druck  von  1538  zugfiagiich. 
*  Jetzt  auch  Geaeixe  der  AngaUaekeen  I  458  iL 

11* 


164  Slemere  Mitfeeilimgen. 

1«  byegan  ix>  bear  in  mind'. 

*^e  eal  geteallan  ne  nusig,  ^^at  god  scinnan  b  jcgan  sceal''  (Cfe- 
rifa  §  12;  liebennaim»  Oes,  der  Ägs,  I  454  =  Kluge,  Ägs.  Leseb.^ 
S.  49,  Z.  45).  Die  Bedeutung  'kaufen'  ergibt  für  hycgan  an  unserer 
Stelle  keinen  passenden  Sinn;  man  erwartet  ein  Verb  von  der  Be- 
deutung 'bedeiÜLen,  überlegen,  bear  in  mind'  (vgl  §  18,  Kluge  Z.  72 
'Hit  is  earfode  eall  to  gesecganne,  fusf  se  bedencan  soeal,  de  scire 
healt^  So  hat  denn  Zupitza  {Jnglia  IX  262)  bjgftn  emendiert^  im 
besonderen  Hinblick  auf  §  8  (Kluge  Z.  18)  'forgyme  [he]  da  ding 
to  begänne  7  to  bewitanne*,  etc.  Wenn  Sweet  im  Sludenfs  DieHoiP' 
ary  für  byegan  auch  die  Bedeutung  'get  done,  see  after*  angibt^  so 
stützt  er  sich  offenbar  allein  auf  unsere  Stelle. 

Erlaubt  uns  etwa  das  booflie  der  Lindisfame  Gk)spels,  unser 
byegan  in  behyegan  au&ulösenf^ 

2.  ippingirefk 

''He  sceal  fela  tola  to  tune  tilian  ...  cimbiren,  tigehoc,  naofebor, 
mattuc,  ippingiren,  scear",  etc.  (§  15,  Cfes.  der  Ägs.  455,  Kluge 
Z.  52).  Was  ist  mit  dem  Worte  ippingiren  gemeint?  Zumeist  stdlt 
man  es  zu  yppan  und  übersetzt  es  mit  'Breoh-,  Hebeeisen'.  >  Kluge 
allerdings  sdieint  diese  Deutung  nicht  anzuerkennen,  da  er  das  Wort 
im  Glossar  zu  seinem  Äge.  Leieb,  einfach  mit  einem  Fragezeichen 
versieht 

Ich  möchte  der  Vermutung  Ausdruck  geben,  dals  im  Original 
des  Oerefa  gar  nicht  ippingiren,  sondern  eippingiren  gestanden 
hat:  der  (auch  sonst  nicht  allzu  sorgfaltige)  Kopist  hatte  für  das 
mattuc  eippingiren  der  Vorlage  mattuc  ippingiren  geschrie- 
ben, sich  also  einer  Haplographie  schuldig  gemacht  Wir  gewönnen 
damit  einen  zweiten  Beleg  für  das  Verb  ae.  eippian,  das  Etymon 
von  ne.  ehip,  das  wir  sonst  nur  aus  dem  von  Lje  angeführten  Partizip 
forcyppod  'praecisus'  kennen.  Die  Bildung  der  Zusammensetzung 
eippingiren  wäre  der  von  hunHfnJgspere,  sereadungisen  usw.  zu  yer- 

«^«^^«°'  8.  timpUan. 

unter  den  in  §  15  aufgeführten  Webegeraten  erscheint  (Kluge 
Z.  57)  ein  iimplean,  zu  dem  Liebermann  Änglia  IX  257  bemerkt: 


*  Das  Mnld.  kemit  den  Lautüber»mg  bek-  >  bin  ausgedehntem  BfaCse: 
behaghel  >  baghelf  behaghen  >  baghen,oehSnde  >  bende,  behoef>  boef,  bekoren 
>  boren  usw. 

'  Ae.  yppan  erscheint  nur  mit  der  übertragenen  Bedeutung  'eröffnen, 
offenbaren^  (vgL  me.  üppen  'discloee'  und  das  Adj.  yppe  'offenbar*);  doch 
hat  an.  yppa,  worauf  mich  Pogatscher  teundlicnst  aufmerksam  macht, 
noch  die  ursprüngliche  Bedeutung  'auf-,  in  die  Höhe  heben'.  Im  Hin- 
blick darauf  wäre  übrigens  (Zusammenhang  von  ippingiren  mit  yppan 
vorausgesetzt)  die  Übersetzung  'Hebeeisen'  oder  'Ziehnaken'  der  obenange- 
führten vorzuziehen;  das  Wort  würde  ein  ähnliches  Werkzeug  bezeichnen 
wie  das  kurz  vorher  genannte  tigekoe. 


EleinerQ^ittaflnngen.  165 

jDem  Worte  Hmpkan,  das  dem  ZusammenliaDge  nach  einen  rar 
Weberei  gehörenden  Gegenstand  bezeichnet,  steht  der  Übersetzer  rat- 
los gegenüber/  Im  Hinblick  auf  tum  'Wolle  karden'  bei  Halliwell 
(ygL  Jnglia  1.  c.  268)  gibt  er  Oes,  der  Ägs.  455  die  Übertragung 
'Karden  ..f  Sweets  Angabe  {Siud.  DieÜon.):  HimpU  once,  o.  tim- 
plean  /l  an  implement  of  weaving'  hilft  uns  auch  nidit  weiter.  Kluge 
(Ags.  Leseb.)  verzichtet  auf  jede  Erklärung:  'HmpUanV 

Lielse  sich  unser  tmplea/n  nicht  in  Verbindung  bringen  mit  me. 
tempyll  {CathoL  Änglie.),  ne.  temple,  frz.  iemple  (/*.),  templu  eto, 
dtsch.  Tempel,  Tompel  'Bpermite,  Spannstock,  BreiÜiaJter'?^  Dem 
Worte  dürfte  ein  lat  templa  zugrunde  liegen,  das  bei  frühzeitiger 
Übernahme  ins  Ae.  zu  iimpfejl  (st  F.)  oder  timpfejle  (schw.  F.)  wer- 
den muJbte  (cf.  gimm  <  gemma;  ae.  iempfeß  <  templum  ist  spater 
endehnt  worden,  ygL  Pogatscher  QF  64  §  128).^  Allerdings  macht 
die  überlieferte  Form  timplean  Schwierigkeiten.  Dürfen  wir  es  in 
iimpelan  emendieren?    Oder  hatte  die  Vorlage  etwa  tingle  amV* 

4.  aeeaSele. 

unter  den  Webegeraten  in  §  IS  figuriert  des  weiteren  ein  soea- 
äde  (Kluge  Z.  58).  Uebermann  übersetzt  es  Änglia  EK  268  mit  'Schiff- 
chen', fügt  Oes.  der  Ags.  455  dieser  Übersetzung  jedoch  ein  Frage- 
zeichen bei.  Kluges  Qlossar  begnügt  sich  mit  diesem  letzteren.  Auch 
Sweets  ^sea]^  (m.)  weaving  implement'  fördert  uns  nicht  Sollte  das 
Wort  nicht  zu  an.  akeü  the  slay  or  weaver^s  rod'  zu  stellen  und 
das  ea  demgemab  als  lang  anzusetzen  sein  {seeöM  /•)? 

Halle  a.  S.  Otto  Bitter. 

Eine  verlorene  Handsehiiffc  der  Sprüche  Hendings« 

Eine  verlorene  oder  wenigstens  jetzt  verschollene  Handschrift 
der  Sprüche  Hendings  befand  sich  noch  Ende  des  14.  Jahrhunderts 
in  der  Bibliothek  der  Priorei  St  Martin  zu  Dover.  Dies  lehrt  uns 
der  im  Jahre  1889  vom  Bruder  John  Whjtefeld  zusammengestellte 
Katalog  dieses  EHosters  (jetzt  MS.  Bodlej  920  der  Bodleiana  zu  Ox- 
ford)» welcher  kürzlich  von  B.  James  ^  veröffentlicht  worden  ist  Dort 
wird  nämlich  als  No.  170  eine  Handschrift  aufgeführt,  welche  fol- 
genden Inhalt  hatte: 


*  Vgl  Karmarsch,  Orundrifs  der  meehamsehen  leehndogief  1841,  II 
852;  Lueger,  Leoß.  leekn,  s.  v.  Weberei;  PrechÜ,  Teehnolog,  Eneytiop,  XX  314. 

*  Das  0  in  me.  tempyUj  ne.  temple  deutet  auf  Neueutlehnung  aus  dem 
Frz.  hin. 

'  am  'weaver'B  reed'  kommt  in  der  Aufzählung  von  Web^eräten 
QerEfa  §  15  nicht  vor;  das  amh  in  genanntem  Paragraphen  ist  nicht  not- 
wendig als  am  aufzufassen  —  die  Vorlage  könnte  em  [. ...o]a9n6  ent- 
halten haben. 

^  The  Andent  Libraries  of  Oanterbury  and  Dover,  ed.  by  M.  B.  James, 
Cambridge  1903,  p.  407—495. 


IM 


Kmdmdb  JuwBihnHnB* 


libelliis  de  smire  beati  llioiiie  Oan* 

vQAXieiisis 
Actos  in  ezilium  beati  Hiome  Cant 
Vita  beati  Thome  CantaarienaB  in 

gallkaa 
Fabnla  de  wlpe  medid*  in  angL 
Parabole  Isom  ared  metrificate 
La  romonse  de  Ferumbras 
Gesta  Octoniani  [sie/]  imperatoriB 

in  ffallids 
Btnltime  mnndi  piindpales  in  gal* 

lidB 
Becordado  passionis  in  gallids 
LibelluB  de  caritate  in  g^lüds 
Qeita  Earoli  magni  in  gallids 
Oato  in  eallida 
Mx^mn  \f]  Ttilitas  in  gallicis 
Frouerbia  Hendnng  [tief]  in  angL 


10a  Hoftor  et  gloria  heati 

20a  Adm  lotngt  et  aoun 

84b  HU  bu^fid^  wkylmn 

88b  Adan&U  eakte 

Seygnoure  ore  eeouf 

128a  L$  deu  gui  en  la  erois 

164b  Qm  md  bim  ne  aai/t 

166a  Vn  poy  eaeutes 

178a  Oheaeun  home  den 

178b  Ore  ewuH  smgnourU 

199b  Sßignoun  oy«» 

20db  Ore  «o»  pokim  »umetrer 

206a  Jheau  Ortet  al  ßye 


Der  angeführle  Inhalt  stimmt  su  keiner  der  drei  mia  bisher  be- 
kannten Handsohriften,  in  denen  die  SprQche  Hendings  Torkommen; 
alao  handelt  es  sich  hier  um  eine  vierte  yerschollene  Aufzdohnung 
dieses  Werkes.  Den  Anfangsworten  nach  zu  urteilen,  wie  sie  unser 
Katalog  anführt  {Jheau  Christ  at  pys),  muls  die  Hending-Yersion  des 
DoTer-Hs.  der  Überlieferung  in  Digby  86  am  nfichsten  gestanden 
haben;  denn  nur  hier  lautet  der  Anfang  Jesu  Orist  cd  fis  worU/es 
red  (AngL  IV,  191)  gegenüber  cd  foUsM  rede  in  der  Cambridger  und 
Londoner  Handsduift  Auch  sonst  seheint  die  Dover-Handschrift 
ein  ähnliches  €kprftge  wie  Digby  86  gehabt  zu  haben.  Denn  wie 
letztere  bietet  sie  nebeneinander  französische,  latdnische  und  eng- 
lische Texte  '  und  unter  letzteren  sogar  ebenfalls  dne  Fuchs-Fabd, 
deren  Verlusl  wir  um  so  mehr  bedauern  müss^  ab  sie  uns  vermut- 
lich  ein  interessantes  Sdtenstück  zu  den  spärlichen  Vertretern  mittel- 
englischer Fabeldichtung,  insonderheit  zu  The  Vax  and  the  Wolf  von 
Digby  86,  geliefert  haben  würde. 

Gegenüber  dem  nicht  geringen  Bestände  an  französischen* 
Handschriften  in  Dover  ist  es  auffallend,  daß;  der  Katalog  nur  noch 


^  8oI  vielldcht  für  medieo?  (James). 

*  Die  (im  Oxford  Dictionary  fehlende)  Pr&teritalform  bifid  ist  mehr- 
mals bele^  im  jüngeren  Layamon-Text  (westL  MitteUand)  und  in  dem 
ebenfalls  mi  westlicnen  Mittellande  (GlouceBtersbire)  und  noch  im  13.  Jh. 
entstandenen  südlichen  Legendär.  Wahrscheinlidi  wird  auch  die  obiffe 
Dover-Handschrift,  wie  die  drei  anderen  Hending-MBs.,  der  ersten  Hfiine 
des  14.  Jh.  angeh(^  haben. 

'  VgL  Codicem  manu  scriptum  Digby  86  deBcripsit ...  £.  Stengel, 
Halle  1871. 

^  James  zählt  8.  85  24  Handschriften  mit  französischen  Texten  auf. 
Auch  <Ue  weltliche  Literatur  fVankreichB  war  dann  nidit  schlecht  ver- 
treten. Auiser  den  bereite  oben  angeführten  Werken  nenne  ich  nur: 
Ko.  364  Le  romonse  du  rov  Charles  la  Ptayst  voe;  No.  865  Le  romonse 
de  Athys  (Gröber  II,  1,  a  588)  la  Qui  eagii  est;  No.  866  Le  romonse  de 
la  Böse  Sef^niys  gern;  No.  367  Polistoria  Brnti  et  Britonum  la  Qu4  veut 


Kldnere  BBtte&migeii.  16V 

eine  zweite  EbmdBchrift  mit  einem  englieehen  Text  aufführt:  es  iirt; 
dies  die  HandBohrift  No«  856,  welche  unter  allerhand  lateiniechen 
medizinischen  Werken  an  fünfter  Stelle  endiielt: 

Binonoma  herbanun    25  b    Äffa  a  pe  keasur* 

Offenbar  ist  damit  ein  ähnliches  lateinisch-englisches  medizinisches 
Pflanzenglossar  gemeint  wie  die  Smonoma  Bartholomei  oder  die  Si- 
nonyma  des  Petrus  Paduensis,  welche  Mowat  für  die  Aneedota  Oxo- 
nimsia  1882  bew.  (in  'Mphita')  1887  yeroffentlicht  hat 

Würzburg.  Max  Förster. 

Die  Bibliothek  des  Dan  Miohael  von  Northgate. 

Die  drei  alten  Bücherisataloge  von  Christ  Ghuroh  Priory  und 
8t  Augustiners  Abbey  zu  Canterbury  und  der  Bt  Martin's  Priory  zu 
Doyer,  weldie  M.  R.  James  unlängst  veröffentlicht  hat  {The  Äneient 
Libraries  of  Oanterbury  and  Dover,  Cambridge  1908),  werfen  nach 
den  verschiedensten  Seiten  hin  interessante  Btreifliohter  auf  die 
Greisteskultur  des  englischen  Mittelalters.  Namentlich  wird  aber  die 
en^sohe  Literaturkunde  manchen  Qewinn  aus  dieser  Veröffentliohung 
ziehen  können,  wofür  heute  hier  auf  ein  Beispiel  hingewiesen  sei, 
dessen  Aussohöpfung  ich  künftiger  Forschung  überlasse. 

Die  Persönlichkeit  des  Dan  Michael  aus  Northgate,  welcher  uns 
bisher  nur  aus  dem  Epilog  zu  sdnem  Äyenbiie  oflniicyt  (1840)  als 
Benediktinermönch  von  St  Augustin  zu  Canterbury  bekannt  war, 
gewinnt  für  uns  einen  neuen  Zug  durch  die  eben  genannte  Ver- 
öffentlichung. Wir  lernen  ihn  nämlich  daraus  als  einen  grolsen 
Büdierfreund  und  Handsohriftensammler  kennen,  der,  dem  Umfange 
seiner  Bibliothdc  nach  zu  urteilen,  wohl  über  einige  Mittel  verfügt 
haben  rnuis.  Der  uns  erhaltene  Katalog  des  St  Augustin -EHosters 
(jetzt  Ms.  860  des  Trinity  College  zu  Dublin),  welcher  kurz  vor  1497 
angelegt  ist^  verzeichnet  nandich  nicht  nur  den  Inhalt  der  einzelnen 
Handschriften,  sondern  gibt  auch  in  sehr  vielen  Fallen  den  Namen 
der  ehemaligen  Besitzer  bezw.  Donatoren  derselben  an.  Auf  diese 
Weise  erfahren  wir,  dais  noch  Ende  des  15.  Jahrhunderts  von  den 
1887  Handschriften  des  Klosters  mindestens  25  aus  der  Bibliothek 
des  'Michael  de  Northgate*  herstammten;'  darunter  auch  (als  No. 


aauoyr;  No.  369  Historia  Tarpmi  arehiepiscopi  (Gröber  U,  1,  719):  8y  eo- 
menee  ketorue;  No.  37H  Prophetia  Merlini  in  salliciB  13a  (^  eomenae  aetme; 
No.  390  über  Oathonis  la  Caioun  eetoü;  No.  890  a  Bestiarius  in  galliciB 
166  a  Qmi  hyen  eamgoe;  No.  413  Lapidarius  in  ffallico  83a  Born  treuen^ 

^  Das  a  bedeutet  vermutlich  angliee,  im  übrigen  ist  mir  die  Glosse 
unverständlich. 

*  Es  sind  dies  die  Handschriften  No.  69.  647.  649.  767.  782.  788. 
804.  841.  861.  876.  1068.  1077.  1155.  1156.  1170.  1267.  1275.  1586.  1548. 
1595.  1596.  1597.  1604.  1654.  Auiserdem  wird  in  einem  VerzeichniB  aus- 
geLiehener  Bfloher  (in  Ms.  FL  4.  40)  ein  IHurtuUe  MiehaeUa  de  Norgate 
^•mes  S.  503)  genannt. 


168  Eldnere 

1686)  ein  Liber  in  angUeo  IßehaMa  de  Northgaie  eum  CG  2^  fo.  ire 
vor  tUse,  das  eich  auf  Onind  jener  alten  Signatur  (CO)  und  der  An- 
fangsworte  des  zweiten  Blattes  {ire  vor  aise)  sicher  mit  dem  uns  er- 
haltenen Arundel-Ms.  57  des  Äyenbite  of  Inwyt  identifizieren  lälst, 
welohes  höchstwahrscheinlich  Michaels  Autograph  darstellt  ^  Über- 
schauen wir  kurz  den  Inhalt  der  übrigen  24  Handschriften,  der  auf 
ein  recht  bedeutendes  Bildungsniveau  unseres  Mönches  schliefsen 
läist,  so  springt  uns  zunächst  der  starke  Bestand  an  theologischen 
Werken,  Yor  allem  mystisch-asketischer  Richtung,  in  die  Augen,  was 
indes  bei  dem  Verfasser  des  Äyenbite  kaum  zu  verwundem  ist  Stau- 
nend sehen  wir  aber,  dals  Dan  Michael  auch  ein  sehr  starkes  Inter- 
esse für  Medizin,  Mathematik,  Astronomie,  Chemie  und  sonstige 
Naturkunde  besessen  hat  Von  dieologischen  Schriftsteilem,  die  sich 
in  seiner  Bibliothek  befanden,  seien  hier  nur  genannt  Petras  Co- 
mestor,  Bemhard  v.  Clairvauz,^  Hugo  v.  S.-Victor,  Helinand  v.  Froid- 
mont,  Robert  v.  Flamesbuiy  und  Edmund  v.  Canterbury;  von  medi- 
zinischen Gallen,  Dioskurides,  Bhasis,  Gtober,  Afflacius  (f),  Gilbert, ' 
Bemard  Gordon,  Henri  de  Mondeville,  sowie  das  therapeutische  Ge- 
dicht Regimen  saniUUie  Sahmüanmn;  von  naturwissenschaftlichen 
Aristoteles,  Hermes,^  Albertus  Magnus,  Boger  Baoon,  Petrus  de  Ma- 
hamcuria,  Marbod,  Kyi'annos,  John  Holywood,  Giovanni  Campano 
und  Richard  Grosseteste.  ^  Dais  er,  wie  doch  zu  vermuten,  ein  Ibcem- 
plar  seiner  Quelle,  der  Somrne  des  vieea  et  des  vertue  des  Laurent  du 
Bois  (Gröber  1027),  besessen  hat,  ist  aus  dem  Katalog  nicht  direkt 
erweislich;  doch  mag  sich  dies  Werk  unter  anonymen  lateinischen 
Titeln  wie  Summa  de  eonfessione  (No.  649)  u.  a.  verbeigen« 

Aufser  Arundel  57  sind  noch  drei  weitere  von  den  in  Michaek 
Besitz  gewesenen  Handschriften  uns  erhalten,  nämlich  die  No.  1155, 
1156  und  1170  des  Katalogs  als  IL  L  15  Ün.  Idbr.  Cambr^  Bod- 
ley  464  und  Corp.  Cüiristi  Ozf.  221.  Autopsie  würde  wohl  fest- 
stellen können,  ob  diese  von  derselben  Hand  wie  Arundel  57  ge- 
schrieben isind,  also  auch  vielleicht  Autographen  des  Dan  Michael 


'  Eine  Seite  in  Faksimile  veröffentlichte  daraus  die  Pcdaograpkietd 
Society,  VoL  lU,  plate  197. 

'  Dessen  Stimuku  amoria,  von  dem  Michael  zwei  Abschriften  (No. 
767  und  804)  beeafis,  maj^  auf  die  Titelfassung  des  englischen  Werkes  Ein- 
flttfls  gehabt  haben,  wemgstens  sofern,  wie  ich  annehmen  möchte.  Äyenbite 
of  Inwyt  eher  'Stachel,  Sporn,  Antrieb  des  Gewissens'  heilst  fus  änfach 
'GewiseensbÜs'. 

^.,  '  Die  auffallende  Namensform  CfHbertyn,  welche  Ghauoer  0.  T.  Prol. 
^34  (im  Beime)  hat,  erklärt  sich  aus  dem  zu  Oübertua  gebildeten  Adjek- 
tiv, wie  auch  obiger  Katalog  S.  848  liest:  Qübertina  praetiea  puerorum, 

*  Angesichts  aar  etwas  kargen  Angaben,  die  Skeat  im  Oxford  Qiau- 
cer  V  432  zu  Hermes  (TrismcM^tus)  macht,  sei  auf  die  reichen  NachweiBe 
bei  Schürer,  Oesehiehte  des  jüdtsehen  VoUcea  im  ZeitaÜer  Jesu  Guristi  (Leip- 
rig  18983).  Bd.  III,  S.  482  f.,  hiuRewiesen. 

*  Nfiheres  über  die  mdsten  der  genannten  Namen  in  Gröbers  Über- 
sicht über  die  kUeiniseke  Literatur, 


Kleinere  lOttelhmgeD.  169 

darstelleiL  Auch  wären  sie  bei  einer  ementen  QueUenuntersachung 
des  Äymbite  wohl  zu  berücksiohtigen. 

Ln  AnBchluffl  hieran  sei  noch  darauf  hingewiesen,  dafs,  wie 
James  S.  510  zeigte  eine  Handschrift  des  Po&ma  MorcUe,  Digby  4, 
sich  identifizieren  lalst  mit  einer  Eintragung  in  dem  alten  Kataloge 
des  Ghrist-Cihurch-Klosters  zu  Canterbury  (in  Oalba  R  IV;  angelegt 
zwischen  1815 — 1881),  wo  das  englische  Gedicht  als  BUhmus  AngÜee 
(So,  954)  bezeichnet  ist  Diese  Tatsache,  im  Verein  mit  dem  aus- 
gesprochen kentischen  Sprachcharakter  der  Digby- Version,  macht  es 
wahrschdniich,  dafs  diese  Abschrift  des  Pöema  Marale  auch  in  Christ 
Cihurch  entstanden  ist 

Würzburg.  Max  Förster. 

Zu  Lydgates  Seoreta  seoretorum« 

Die  beiden  ehemaligen  Ashbumham-Mss.  No.  182  und  184, 
welche  Th.  Prosiegel  leider,  weil  damals  in  Privatbesitz  befindlich, 
bei  seiner  trefflichen  Arbeit  (1908)  über  die  Handschriften  von  Lyd- 
gates Secreta  Secretorum  niclit  benutzen  konnte,  sind  jetzt  im  Fitz- 
william-Museum zu  Cambridge  allgemein  zuganglich  geworden,  wo 
sie  nach  freundlicher  Mitteilung  von  Mr.  M.  R  James  die  Bignaturen 
McGean-Ms.  No.  180  und  181  tragen  werden« 

Würzburg.  Max  Förster. 

Die  mittelengliaohe  Version  von  Claudians 

De  oonsulata  Stiliohonls. 

Ein  neues  Beispiel  für  reimlosen  Septenar. 

In  fldner  «Englischen  Metrik',  Bd.  11  (1888),  S.  455,  hat  J.  Schip- 
per die  Ansicht  ausgesprochen  und  im  HG^rundrils  für  germanische 
Philologie'  noch  in  der  2.  Auflage,  Bd.  II,  2  (1905),  8.  210,  wieder- 
hol^ dais  der  reimlose  Septenar  des  OnniUum  'ganz  ohne  Nachfolge 
geblieben'  sei,  und  dafs  erst  im  16.  Jahrhundert  wieder  unter  dem 
Einflufs  der  antiken  Strophen  Versuche  mit  reimlosen  Versen  ge- 
macht seien.  Dem  gegenüber  möchte  ich  darauf  hinweisen,  dais  ein 
reimloser  Vers,  und  zwar  ebenfalls  dn  Septenar,  in  einem  Werke 
aus  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  vorkommt,  welches  frei- 
lich, sowdt  ich  sehe,  bisher  von  der  Anglistik  nicht  beachtet  ist  ^ 
Eb  handelt  sich  um  eine  mittelenglische  Bearbeitung  eines  Teiles^ 
des  panegyrischen  Gedichtes  De  eonstäatu  Siüiehonis,  welches  von 
dem  spatrömischen  Hofpoeten  und  kaiserlichen  Geheimsekretar  Clau- 
dius Claudianus'  im  Jahre  400  abgefalst  worden  ist  Die  mittel- 
englische Version  ist  uns  zusammen  mit  dem  lateinischen  Original 

*  Inzwischen  ist  das  Gedicht  gedruckt  von  £.  Flügel  in  Anglia 
XXVm  255—297. 

'  Übersetzt  sind  nur  über  11,  V.  1—413. 

'  VgL  über  ihn:  Th.  Birt  in  seiner  unten  zu  nennenden  Ausgabe 
(Berlin  1892);  VoUmer|in  Pauly's  Beal-Enxyklopädü  III  (1899),  2652  ff. 


170  KMun  lattaaugea. 

im  Additaonal-Mf.  11814  des  Britisdieii  MuaeimiB  überliefert  Nadi 
AuBweifl  des  KolophonB  {transkU  and  wr$te  ai  (3am  1445)  ist  sie  im 
Jahre  1445  (oder  kun  TOifaer)  entstanden  und  zwar  auf  dem  Sohlosae 
Cläre  in  Buffolk,  das  damals  dem  Herzog  Bichaid  Ton  York  gehArte^ 
der  lobend  in  den  Einleitimgsveraen  genannt  wird.  Möglidienreiee 
haben  wir  ee  also  mit  dem  Autograph  des  Übersetzen  su  tun,  der 
höchstwahrsoheinlieh  in  dem  Hofkieise  des  Herzogs  Ton  York  zu 
suchen  ist 

Als  Beispiel  fOr  den  sehr  freien  Versbau  sei  hier  der  Anfang 
des  Gedichtes  hergesetzt  welchen  ich  dem  Faksimile  der  PakBOgnip 
phical  Society  (VoL  111,  plate  200)  entnehme^  imter  Regelung  der 
Interpunktion  und  des  Gebrauches  Yon  Kapitalen  und  EinfOhrung 
eines  schrägen  Striches  an  Stelle  des  die  Zäsur  bezeichnenden  um- 
gekehrten Semikolons.^ 

Preface. 

In  Bnfiynes  legende,  whioh  late  was  wiite,  /  Stilioo  hath  pr^yBiagM 

armyd. 
Our  Muse  now  more  mylde  wüh  losyd  stryngiB  /  in  songe  ahal  gyn 

to  teile, 

5  With  wbat  manero  snd  wiäk  what  love  /  this  dred  prinoe  mlyd  tbe 

worlde, 
With  whoe  preyers  he  lyst  be  meyid  to  dothe  him  in  bis  roobjrs 
And  giaonüd  oo  yere  toestate  to  take,  /  as  consulen  vsid  before. 

Benygnyte  is  descryed  techyng  Stilioo  the  prynce. 

6  The  keper  of  the  worlde,  Clemencia  callyd,  f  which  chase  hir  first  place 
In  Inpitere  girdil,  that  partith  a-sundir  /  grete  hetis  from  {m  colde, 
Which  grettest  u  namya  of  hevenly  duellen;  /  for  Clemens  first  had 

ruthe 
9    Of  the  Tnshaply  benmnyng  worlde.  /  wha»  al  |>iog  lackid  dien  forme, 
And  with  her  bri^t  cneie  put  (mTkenes   aside.  /  yivyng  lijte  to 

erthys.^ 
ThiB  goddesse  the,  Btilico,  aa  temple  vsith  /  and  aa  offiyng  at  awtrys, 
12    Where  frankencens  and  swete  odouiys  /  to  hir  wii^  fire  is  yove. 
Her  principal  sees  high  in  thy  breet  /  she  hath  provided  to  be, 
The  techyng  evir,  that  thou  aholdist  deme  /  and  nevir  as  manhode  holde 
15    Oo  man  reioiae  a-nothirs  peyne,  /  or  othirs  deth  desire; 

That  in  thi  peas  thou  Bhotdist  so  breke  /  cruel  Martys  decrees, 
As  by  the  to  longe  haterede  /  occasion  noon  were  yove; 
18    That  to  trespassoura  thou  aholdist  pardon  /  frely  askid  graunte. 
And  Ire  soone  ^uldiat  put  awey;  /  addome  thou  ahuldist  it  meve; 
Onmevafole  thou  owiat  not  endure,  /  whan  benyf;ne  preyen  be][ofiTid; 
21    To  truthe  distroye  al  adueraauntw;  /  and  thinna  to  the  submytted 
Nevir  aett  in  herte  aa  the  lyon  doothe,  /  whiä'  ovirthrowith  wilde 

boolya 
And  amaler  beeatuB  lettyth  renne  beaide ;  /  not  oonya  ypon  hem  lokith. 
•24    Thna  by  Glemena  taught  ia  Stilioo,  /  aa  childe  enfonnyd  by  maatresae. 

*  Nur  in  wenigen  Venen,  wie  z.  &  bei  Z.  4,  fehlt  dasselbe. 

'  Am  Bande  hier  folgende  Bemerkung  yon  deraeib«!  Hand:  Oh- 
meaoia  duoeüüh  in  the  nMob-firdü^  for  §che  ta  (über  d.  Zeile)  nai  hoot  müi 
venünon»  ne  eoolde  mih  punüamtmie, 

'   Dahinter  ist  in  der  Hdaohr.  ein  gladly  anarsdiert 


EMmm  Mftt«ihiiig«iL  171 

Em  Ytfgjeich  mit  dem  lateiniioheii  Original,  das  ich  hier  noch 
der  gloidieii  Handadirift  fblgwi  laaM^  seigt;  daA  die  eng^iache  Yer- 
tion  eine  ielur  freie  iat* 

Prefatio. 

HaGtenm  armatae  laudea.    Nmtc  qnalibna  orbem 
Morilnu  et  qnanto  franet  metuendoi  amore, 

8  Quo  tandem  fleziu  trabeaa  auctore  togantee 
Indnerit  f  aatiaqne  Bunrn  concesserit  annnm, 
liGtior  indpiat  fidibna  iam  Musa  remiaaiB. 

Glandiani  de  conaiilatQ  Stilichonia  über  incipit. 

6    Prindpio  mondi  cnstos  dementia  magni, 

Qaae  «ToYis  incoluit  zonam,  qnae  temperat  aethram 
iSrifforiB  et  flammae  medio;  qnae  maxima  nutu 

9  Cadicolnm.    Nam  prima  diaoe  dementia  lolyit 
Cougerlem  miserata  mdem  ynltnqtie  sereno 
DiBcnesit  tenebraa,  in  lucem  saecnla  fndit. 

12    Haec  dea  pro  templia  et  tnre  calentibns  arb 
Te  fmitnr  poenitqne  snas  in  peotore  eedea. 
Haec  dooeti  nt  poeoia  bominnm  vel  aangoine  paed 

16    Turpe  fenmMjae  putee;  ut  ferrom  Harte  cruentnm* 
Sic  cnm  pace  premaa;  nt  non  infensns  alendis 
Materiem  praestee  odiis;  ut  sontibuB  nitro 

18    IgnoTiiee  ydia,  deponae  otins  iras, 

Quam  moveas,  predbus  nnnquam  implacabilis  boetis, 
Obvia  prostemeB  prostrataque  more  leonum 

21    Despiciae,  alacres  audent  qni  franse  tauroe, 
Transilinnt  praedas  bumilea.    Ac  ute  magiadra 
Dat  yeniam  yictiB;  hao  ezortante  calores  . . . 

Eine  nähere  Untersnohnng  des  VerBbaues^  wie  der  übrigen  mit 
dem  Gedichte  yerknttpften  FrE^;en  muis  ich  dem  künftigen  Heraus- 
geber desMlben  überlassen.  Es  sei  nur  hier  schon  darauf  hingewiesen, 
dals  der  Yorliegende  Septenar  in  der  Taktfüllung  wdtTom  Ormulum 
absteht  und  in  seinem  ungemein  freien  Bau  vielmehr  an  die  alten 
Volkaballaden  erinnert  Aus  diesen  wie  aus  anderen  Qründen  möchte 
ich  es  denn  andi,  solange  nicht  neue  Bindeglieder  nachgewiesen 
sind,  dahingestellt  sein  lassen,  ob  unser  Dichter  wicklich  an  Orm  an- 
geknüpft hat  Wahrscheinlu^er  dünkt  mir,  dals  er  selbständig  >  auf 
das  Aufgeben  des  Reimes  im  Septenar  gekommen  ist^  sei  es  in  Nach- 
ahmung der  seitgenössischen  alliterierenden  Dichtung  oder  in  direkter 


'  dandians  Werke  sind  jetit  am  besten  herausgeii^ben  yon  Th.  Birt 
in  Mtmumenta  Oermaniae,  auct  aütiquiss.  t.  X  (BotIui  1892).  £b  sden 
daher  die  von  unBerer  Handschrift  abweidienden  Lesarten  von  Birts  kri- 
tifichem  Text  (8.  208  ff.)  hier  angeroben :  3  roganies,  6  magni  . . .  mundi, 
8  meddam  l|  natu,  11  Disoussii  tenäriSf  16  8%eeum  p.  premas,  18  iram,  19 
hogüg]  obttet,  20  prostenuu,  21  ardmU,  22  Hotc  ipte,  28  Das,  Diese  Ab- 
weichungen lehren,  dafii  unsere  Handschrift  in  eine  Klasse  (x)  mit  Birts 
V  nnd  P  gehört  (vgl.  Birt  8.  103).  Birt  erwfihnt  unsere  Handschrift  auf 
S.  126,  hat  sie  aber  wegen  ihres  ttsdum  corrupHssimum  nicht  weiter  benutzt 

'  Eh  bedarf  wohl  kaum  des  Hinweises,  daCs  auch  sonst  (Orm,  G.  Har- 
Tey  usw.)  inhaltlich  gering  sn  bewertende  Dichter  in  formeller  Bendiung 
metriBche  Neuerer  gewesen  sind. 


172  Kleinere  MüteUimgeii. 

Anlehnung  an  den  ihm  Torliegenden  antiken  Hexameter.  In  letz- 
terem Falle  hätten  wir  in  unBerem  Gedichte  den  frühesten  Vorläufer 
der  antikisierenden  Richtung  zu  sehen,  die  erst  in  der  Hochrenais- 
sance in  England  zu  voller  Entfaltung  gelangte. 

Literargeschiohtlich  dürfte  das  (Gedicht  namentlich  bemerkens- 
wert sein  als  ein  neuer  Beweis  für  die  Beliebtheit^  des  Glaudianus 
im  Mittelalter,  welche  uns  durch  die  zahlreichen  Abschriften  seiner 
Werke  aus  dem  12. — 15.  Jahrhundert^  sowie  durch  Ghaucers  Be- 
kanntschaft mit  seinem  Baptua  IVaserpinae^  auch  sonst  hinreichend 
bezeugt  ist 

Würzburg.  Max  F(5rster. 

MisBellen  aur  englischen  Wortkonde. 

1.  Ae.  seeota  'Forelle' 

wird  von  Bosworth-Toller,  Sweet^  Schröer  usw.  mit  langem  Diph- 
thong (e6,  eo)  angesetzt  Weist  die  neuenglische  Form  des  Wortes: 
8hoie,  shoai,  shoi  —  nicht  yielmehr  auf  ein  ae.  aceota  hin? 

2.  Me.  miliernisse  <  nUldhertnia 

zweifelt  Mätzner,  S^aef^oben  I  54,  Anm.,  WörtefbuA  TU  584,  zu 
Unrecht  an:  Formen  mit  ausgestofsenem  i  kommen  bereits  in  ae.  Zeit 
vor,  wie  die  Zusammenstellungen  von  Ellaeber,  Modem  Language 
Notes  XVni  244,  lehren.  Ich  lasse  dahingestellt»  ob  es  sich  einfach 
um  eine  'Ekthlipsis'  des  t  zwischen  r  und  n  handele  oder  ob  die 
Verbindung  in  zunächst  durch  den  'faukalen  Verschlulslauf  -{*  ^ 
ersetzt  wurde,  wofür  dann  stimmloses  n  -|-  n,  und  schliefalich  ein- 
fach n  eintrat' 

8.  Ne.  ehafer,  ehaffer 

mit  stimmlosem  f  gegenüber  ae.  eeafor  wird  durch  frühen  Anschluls 
an  ehaff  zu  erklären  sein ;  die  lautgeisetzliche  Entwickelung  hätte  zu 
ne.  *ehaoer  geführt^ 

4.  Ne.  donkey, 

*Am  the  original  pronundation  apparendy  rimed  with  mankey . . .,' 
suggestions  haye  been  made  that  the  word  is  a  deriv.  of  dun  adj.  (isL 
dunnoek  hedge-sparrow),  or,  more  probably,  a  familiär  form  of  Dun- 
can  (cf.  the  other  colloquial  appellations,  Dicky,  Neddy)!  schreibt  das 
New  Englieh  Dictionary,    Zur  Unterstützung  der  ersteren  Ansicht 


»  8.  Th.  Birt  a.  a.  O.  p.  78—158. 

*  Siehe  die  Nachweise  in  Skeats  Oxford  Ohaueer  VI,  385  unter  Clau- 
dian. 

*  VgL  die  Entwickelung  von  anlautendem  kn  im  Englischen. 

^  VgL  das  diaL  eheever  (<  eefett  Erf.  GL).  —  Ne.  trifte  'zermalmen' 
(ae.  trmiian)  dürfte  durch  trifte  <  afrz.  trufte  beeinflulst  sein. 

''  Die  heute  übliche  Auseprache  mit  6  ist  eine  'spelling  pronundation'. 


Kleinere  IfitfteQnnisen.  173 

mochte  ich  kurz  an  dtech,  Orauchen,  OrätUing  *Esd*  erinnern.  Übri- 
gens hat  dunnoek  im  Cant  auch  die  Bedeutung  'cow*  aufeuweisen  (cf. 
Groees  DieÜonary  of  ihe  Vulgär  Ibngue), 

5.  Ne»  flix,  flick,  fUek 

the  für  of  various  quadrupeds'  ^  ist  nach  dem  N.  E.  D.  KH  unknown 
origin:  possibly  connected  with  Fl  7  v.*  Sollte  flix  nicht  einfach 
eine  Variante  zu  flax  sein  ?  Während  ae.  flecac  zu  me.  ne.  flax  führte, 
entwickelte  sich  die  Nebenform  flex  zu  flix  weiter  (ygL  m&  nekename 
>  nickname,  reek  >  rick,  seek  >  siek  usw.).  Diesem  Auseinander- 
gehen in  lautlicher  Beziehung  entsprach  eine  Differenzierung  der 
Bedeutung;  während  flax  seinen  ursprünglichen  Sinn  beibehielt^  nahm 
flex,  flix  äe  Bedeutungen  'Flachshaar^  >  'Haar^  >  'Pelz'  an. 

Was  das  Verhältnis  von  flix  zu  fliek  und  fleek  betrifit^  so  sind 
die  bdden  letzten  Formen  görade  so  aus  flex,  flix  hergeleitet  wie 
diaL  kick,  keck  aus  kix.  kex  {cLKSi.  80,  881),  diaL  flock  aus  phiox, 
Yulg.  dioy  aus  ehaise,  wie  cherry,  me.  cheri  aus  cheris,  pea  aus  pease 
usw.:  zu  der  fälschlich  als  Plural  gefalsten  -^Form  {^ flicke)  hat  man 
einen  neuen  Singular  durch  Abwerfen  ebendieses  -^  gebildet 

6.  Ne.  jowl,  jole. 

'Jowl,  jole,  the  jaw  or  cheek  ...  M.  "Kjoüe;  all  die  forms 
are  cormptions  of  M.  E.  chol,  chatU,  which  is  a  contraction  of  M.  R 
ehauel  {eh(wel),  the  jowL  —  A.  S.  ceafl,  the  jaw;  pL  ceaflas,  the  jaws, 
ohaps'  (Skea^  Conciee  EtymoL  DieHon.  s.  v.).  Erklärt  sich  der  stimm- 
hafte konsonantische  Anlaut  von  jowl  vielleicht  durch  Anlehnung 
an  jene,  me.  jotoe  (<  ae.  *eeotve  -f-  ^*  joue)1  Oder  ist  die  Form 
mit  j  zunächst  eingetreten  in  Verbindungen  wie  ehSek  hy  j6wl,*  wo 
sich  das  ursprüngliche  ch  von  ehol  vor  dem  Akzent  (Vemersches 
Gesetz I)  in  den  entsprechenden  stimmhaften  Laut  verwandelt  hätte? 
Dieselbe  phonetische  Erklärung  hat  Read,  Mod.  Lang.  Notes  XVI  254, 
für  (»jar  (<  a  4-  char)  vorgeschlagen;  vgl  auch  Sweet  H.  E.  S.  §  928. 

Das  Englische  kennt  den  Übergang  von  [ts]  zu  [di]  bez.  das 
Nebeneinander  der  beiden  Lautgruppen  noch  in  verschiedenen  an- 
deren (überwiegend  einsilbigen)  Wörtern.^  Wie  weit  es  sich  auch  da 
im  einzelnen  Falle  um  Akzentvarianten  handelt,  wird  kaum  festzu- 
stellen sein.  Bei  französischen  Lehnwörtern  ist  überdies  zu  berück- 
sichtigen, da(s  sich  im  Französischen  selbst  gelegentlich  ein  Schwan- 
ken zwischen  ch  und  g  beobachten  läist  Ich  habe  in  die  folgende 
Liste^  die  (zumal  in  ihrem  zweiten  Teile)  keine  Vollständigkeit  be- 
ansprucht^ auch  einige  Fälle  zweifelhafter  Natur  mit  aufgenommen. 


'  Die  Bedeutung  wird  von  Flügel,  Mnret  und  Schröer  nicht  ganz  zu- 
treffend mit  'Flaum,  Milchhaar'  angegeben. 

*  Die  Beleoe  im  N.  E.  D.  Schemen  darauf  hinzudeuten. 

*  Übsr  eaät,  tMek,  $ueh  vgL  Sweet  a.  a.  O. 


174  KMnen  Ifitteaimg«!. 

ja»,  jass  <  diooe  (cf.  N.  E.  D.); 

jaeobutj  foeklat  <  ehoeolaU  (ei  K  R  D.  und  D.  D.); 

jodMeJS  f  <  *eheak  tep  (Langland); 

jam  'drücken'  neben  eham[p];  jcmbh  neben  ehambh; 

jar  'knarren'  seit  dem  16.  Jahrb.  neben  ehamre,  ehar[9]  <  ae. 

eeamm;  ähnlich  jarg,  jirk  neben  cAarÄe^  eMrfe  <  eBomUm; 
jatttr,  jadder  diaL  neben  duxtter; 
jaudie  neben  thawd/y  (diaL); 
JoMmoey  (Name)  <  CSumneey  (nach  Bardelej,  Didum.  ofEngUsh 

and  WeUh  Sumames); 
janon  <  ehawn  (cf.  N.  E.  D.); 
JMT  «verspotten'  f  <  thetr; 
jereaok  neben  cherooek  (diaL) ; 
jergt<0  «untersuchen'  f  <  ital.  eereare; 
jiee  neben  «Mm  (diaL); 

[/»^^  byjfnol  (17.  und  18.  Jh.)  <  eheek  b.  j.;  wohl  Assimilation] 
jiggin  neben  ehiggin  (diaL)  «a  call  to  horses  to  go  on'  (of.  cAiidk); 
/Mb  «Klangt  klingen'  neb«i  chmk; 

\joU-headfed/  neben  vereinzeltem  choU-^,  choUer-^;  cf.  N.  R  D.] 
joqp,  juipe  neben  ehoop  (diaL)^; 
jowir  neben  chower  to  grumble'  (diaL); 
jowl,  jole  «die  eztemal  throat  or  neck  when  fat  or  prominenf  etc. 

<  diawle,  me.  choüe,  choü,  ae.  c6ofe  (oeolor); 
JQwt&r  (sowohl  sb.  «pedlu:'  wie  vb.  «to  grumble')  neben  ehowier 

(diaL); 
jwk  ndben  Aftudb  (falls  nicht  =  j<mk  <  johier); 
jtmk  Pumpen'  neben  ehunk  (diaL). 

IL 
bodgs  neben  boieh; 

[crenge,  ermgt  neben  otmcke^  erinteh  berukt  wohl  auf  ae.  *erm- 

gan  neben  *erenoain] 

fidge  neben  fUeh  (diaL); 

gnidge  <  gnUeh  (afrz.  grouehier); 

hodg&'podge  <  hotchpoi[eh] ; 

hinge  neben  htneh  (diaL)  «to  out  unevenly'; 

me.  nage  neben  fiacfc6(-bone)  (afrz.  naehe,  nage); 

ma  nuthage  neben  nothaohe; 

seorge  (Ghesh.)  <  seorA; 

wränge  <  eoranoh  (diaL)  «to  scratoh'; 

«Mn^tf  neben  sUnoh  (diaL); 

eludge  neben  slutöh; 


*  Neben  [tiap]  erseheint  auch  die  Lautform  [S&p];  geht  diese  direkt 
auf  ae.  h^pe  <  neope  suruek  (vgL  me.  «kö  f  <  flgo^  f 


Ekinen  IfitteOcmgeB.  175 

tmudge  neben  snmkh^ 
splodge  neben  spMek; 
Irudge  f  zu  frz.  trueh&r, 

HL 

Challand  (Name)  ?  <  JaOand  <  Mian  (so  Bardsle^,  Dietion.  of 
Ungliah  iSumamea); 

eharve  (ShetL  und  Orkn.)  *großf  <  an.  djarfr;  ist  die  Zwischen- 
stufe *jairve  in  der  Adverbialform  jarvaUy  'actiyely'  er- 
halten? 

ehee  (-up)  diaL  =  gee,  interj.; 

cheege  (kent)  <  j^,  frz.  giguer; 

Cham  (Name)  <  Jbyoe; 

C%i4M  ^ame)  <  JuU,  /o&;  — 

[frufeib  <  &t^e  ist  vielleicht  nicht  lautlich  zu  erklaren,  vgl.  das 
N.  E.  D.] 

fMh  ^befiedem'  ?  <  /fe^e; 

fmmA,  diaL  macmcft,  maiimgt^  <  frz.  manger. 

7.  Ne.  raddle  'Hürde;  Zaunstecken'. 

Paddle  Obs,  eoic  diaL  Also  6  radel  ...8  roddle,  9  ruddle 
[a.  AF.  reidde  (Wright  Vooab.  168X  OF.  reddalle,  ridelle,  rudelle 
(14th  G.  in  Du  Gange)  a  stout  stick  or  pok,  the  rail  of  a  cart  (so 
mod.  F.  rideüe\  of  obscure  origin]'  N&w  EngHsh  DieHonary  s.  y.  Am 
einfachsten  erklart  sich  das  Wort^  dessen  Hauptbedeutung  <a  watde 
or  hurdle  made  of  rods'  ist^^  und  das  erst  im  16.  Jahrh.  aufzutauchen 
scheint^  doch  wohl  aus  einer  Nebenform  von  hurcBe  —  herdd,  har- 
dd  — y  in  der  das  r  umgesprungen  war;  aus  *hredel  resp.  *hradd 
mu&te  natürlich  sofort  redel,  radel  mit  stimmhaftem  Anlaut  werden.^ 
Jedenfalls  dürfte  an  urverwandtschaftlLchem  Zusammenhang  mit  lat 
eraies,  gr.  xd^raXog  usw.  nicht  zu  zweifeln  sein.  —  Ob  nicht  auch 
agfrz.  reidde,  afrz.  reddaüe  etc.  mit  me.  hirdel,  herdel  (>  *ridelj  *redel) 
in  Verbindung  zu  bringen  sind  f  ' 

8.  Na  diaL  seither s  'Sch6re\ 

Das  Wort  sdssors  erscheint  in  den  engliscbm  und  irischen 
Dialekten  vielfach  in  der  Qestalt  scühers  [si*dd(r)z],  also  mit  dem 
I^Ritobei^gang  ]f\  <  [d|.    Dieser  Wandel,  den  das  D.  D.  unerortert 


^  Die  Bedeutmigen  'Zaunstecken,  Querholz'  möchte  ich  für  sdnmd&r 
halten. 

^  Die  Metathese  des  r  könnte  mit  unter  dem  Emflnsse  des  sinnver- 
wandten wreaihfe)  eriolfft  sein. 

*  Ich  sdie  nachtri^ch,  dais  der  Grundgedanke  der  obigen  Erklärung 
schon  von  anderer  Seite  (Ogitvie,  Oent  Dict.)  ausgesprochen  worden  ist, 
und  bin  um  so  mehr  erstaunty  ihn  im  N.  £•  D.  nläit  erwfiluiit  au  finden. 


176  Kleinere  MitteilimgeD. 

laifit^  dürfte  kaum  phonetisch  zu  erkläreu  sein;  vermutlich  liegt  An- 
lehnung an  das  sinnverwandte  hämische  scyüie  vor.      ^ 

9.  Ne.  skedaddU  'ausreUsen' 

möchte  ich  als  ^Streckform'  von  diaL  wsaddie  'to  run  off  in  a  frighf 
auffassen;  ähnlich  wird  in  dem  viel  umstrittenen  bamboade  eine 
Btreckbildung  zu  booade  zu  erblicken  sein.  —  Hoffentlich  regt  der 
interessante  Aufsatz  H.  Schroeders  über  'Streckformen'  im  Deutschen 
(P.  B.  B.  29)  bald  änen  Anglisten  dazu  an,  der  fraglichen  Erschei- 
nung im  Englischen  nachzugehen.  Namentlich  aus  den  Dialekten 
würde  mancherlei  beizubringen  sein. 

10.  Ne.  diaL  yeild,  yeld,  yell  'unfruchtbar'. 

Sdhröer  stellt  das  Wort  mit  einem  Fragezeichen  zu  diaL  geld 
(<  an.  geldr  'harren*).  Aber  kann  ein  Zweifel  bestehen,  dals  yefijld 
mit  dem  zweimal  belegten  ae.  gelde  'effeta'  (Wr.  W.  226,  22,  894,  26; 
lautUch  =  an.  gddr)  identisch  ist? 

Halle  a.a  Otto  Bitter. 

Byrons  Gtodiohte  To  Mr.  Murray 

(Ausg.  von  Goleridge,  VH  56,  76): 

'Strahan,  Tonsonj  lintot  of  the  times, 
Patron  and  publisher  of  rhymes^ 
For  thee  the  bard  up  Pindas  climbs, 

My  Murray,'  ete,; 

'For  Orford  and  for  Waldograve 

You  give  mnch  more  than  me  you  gave; 

Whicn  is  not  fairly  to  behave, 

My  Murrayl'  ete. 

schlielsen  sich  in  Strophen-  und  Befrainbildung  mit  harmloser  Parodie 
an  Cowpers  Gledicht  To  Mary  an: 

'The  twentieth  year  is  well-nigh  past, 
Since^first  onr  sky  was  oyercast; 
Ah,  would  that  this  might  be  the  last! 

My  MaryP  ete. 

Halle  a.  a  Otto  Bitter. 


Eine  Shakespearesohe  Bedewendung  bei  Annette  von  Droste- 

HülBhoff. 

In  Annettes  Schilderungen :  *Bei  uns  xu  Lands  auf  dem  Land^ 
(samtliche  Werke  herausgeg.  von  Ed.  Arens;  Leipzig,  Max  Hesse, 
5.  Bd.,  S.  77)  lesen  wir:  'Diese  junge  Bheinlanderin  stiftet  überhaupt 
einen  greulichen  Brand  im  Schlosse  an;  die  westfiUischen  Herzen 
seufzen  ihretwegen  wie  Öfen.'  Es  scheint^  als  ob  der  Heraus- 
geber die  auffallende  Wendung^  zu  der  er  nichts  bemerkt^  für  West- 


Kleinere  MHtdlungen.  177 

falen  eigentümlich  gehalten  hat    Der  Dichterin  schi^ebte  aber  un- 
zweifelhaft die  Stelle  ßhakeepeares  As  Tou  Like  It  II,  7, 189  ff.  yor: 

All  the  world's  a  stage, 
And  all  the  men  and  women  merely  players: 
Ther  haye  their  exita  and  their  entrancee; 
Ana  one  man  m  his  time  plays  many  parte, 
HiB  acta  being  seyen  agee.    At  first  the  infant, 
Mewüng  and  puking  in  the  nurse'B  arma. 
,  And  then  the  whining  school-bo^,  with  his  satchel 
And  ehining  momine  face,  creeping  like  snail 
Unwillingly  to  Bchool.    And  then  the  loyer, 
Sighinff  like  fnrnace,  with  a  woefol  ballad 
Made  to  ms  mistrees'  eyebrow. 

To  sigh,  Beulen  soll  hier  den  langgezogenen  Ton  bezeichnen,  den 
grüne  Scheiter  im  glühenden  Ofen  yon  sidi  geben.    Dafür  gebraucht 
man  aber  im  Deutschen  'singen'.    Vgl.  M.  Heynes  Artikel  im  Defä- 
sehen  Wörterbuch,  Bd.  10,  sp.  1084. 
_      Northeim.  B.  Sprenger, 

Eentisoh  iUanne:  Hirnhaut. 

Aethelberhts  G^etz  86  lautet  in  der  einzigen  Hs.,  dem  Codex 
Boffensis  um  1120,  und  in  allen  Drucken:  Oifsio  lüerre  hion  ge- 
brocen  worä^,  X  scülingu/m  gebeie;  gif  buiu  sien,  XX  scUUngum  g^ 
bete.  Der  gelehrte  und  geistvolle  Price,  der  um  1880  das  Beste  an 
der  j^zt  R  Thorpe  zugeschriebenen  Ausgabe  getan  hat,  vergleicht 
dazu  aus  nordischem  Bechte  Stellen,  in  denen  hinna,  in  ganz  ähn- 
lichem Zusammenhang  der  Gliederyerwundungen,  gehülst  wird.  Un- 
^ücklicherweise  mischte  er  (hjinnod  und  eine  Stelle  Aelfreds  über  den 
äuffieren  und  beide  Schadelknochen  mit  hinein.  Da  nun  J.  Grimm  ^ 
die  Verwandtschaft  mit  dem  nordischen  Worte  ablehnte,  blieb  sie 
unbeachtet;  als  'Kopfknochen'  ward  hion  zweifelnd  in  den  Wörter- 
büchern erklärt,  und  ich  wagte  nur  'Hirn..'  zu  übersetzen,  teilweise 
auch  veranlalst  durch  die  Wahrscheinlichkeit,  dafs  diese  Tafel  der 
Gliederbufsen,  die  mit  dem  Kopfhaar  beginnt  und  bei  den  Fulszehen 
endet,  hinter  den  Ejiochen,  wohl  des  Schädels,  yom  Hirn  sprechen  werde. 

Mit  der  Annahme  eines  leichtesten  Schreibfehlers  kann  geholfen 
werden :  man  lese  hion,  die  normale  Abkürzung  für  hionne,  wie  denn 
ßoh  unzählige  Male  für  ponne  steht^  auch  im  Codex  Boffensis.^  Jene 
Abkürzung  ward  öfter  von  den  Schreibern  übersehen;  daher  steht 
in  einigen  Hss.  viermal  pon,^  wo  originalere  Texte  ponne  zeigen. 
Diesem  Obersehen  sind  die  zweimaligen  hi  statt  hine  im  Codex  Bof- 
fensis Wihtrsed  27  zuzuschreiben. 

«  r Während  im  Westsächsischen  das  schwache  fem.  hinne  lauten 
würde,  fällt  dialektisch  der  a-Umlaut  zu  hionne  nicht  auf ;  vgl  ionna 
innen,  ionnad  Eingeweide,  geonad  garrlt^  siondan  sind.^ 

*  Kleine  Sehr.  V,  81&     *  Wif  8.  7.     ^  Mein  WMerbuoh  zu  Geaetxen 
d.  Agea,     «  Bieym  §  160, 3,  S.  257,  14;  Sweet  (Mßti  IkigL  ieaaU  p.  507  f. 

AzcblT  f.  n.  SpoMdiea.    OXV.  12 


178  Kleinere  MitteanxigeD. 

Sagen  wir  hente  von  der  Haat^  sie  werde  zenJBsen  oder  ge- 
BpalteHy  60  kennt  Aelfred  70  den  Fall  gif  sio  hyd  sie  tobroeen;  des 
'Brechens'  wegen  braucht  man  also  nicht  an  einen  Knochen  zu  den- 
ken. —  Da  Auge,  Hand  und  FuIb  nur  50  Schilling  im  Kenterrecht 
kosten,  erscheint  jene  Bu&e  für  heilbare  Wunde»  auch  wenn  diese 
den  Schädel  spaltete,  hoch  genug,  entspricht  auch  ungefähr  ver^ 
wandten  Bechten. 

Die  ^ulsere  Hirnhaut*  ist  die  dura  maier;  berührt  die  Wunde 
beide  Hirnhäute,  so  hat  sie  jene  durchdrungen  und  trifit  die  pia  maier. 
Das  friesische  Becht  nennt  jene  hann,  diese  helibrede,^  membrana, 
qua  cerebrum  conüneti^r.  Nordisch  wird  hmna:^  dura  mater  erklärt. 
Die  mittlere,  Spinnwebenhaut  des  Hirns,  scheint  den  Alten  unbekannt 

Berlin.  F.  Liebermann. 

Bemerkungen  aom  Beowulf. 

6  ff.  eyddan  arest  toeard  \  feaeeeaft  ftmden;  (or,)  he  ß(Bs  frofre 
gebud,  \  weox  under  toolonum,  \  tveordmyndum  ßah  usw.  Der  Gre- 
danke  ist  sehr  ähnlich  dem  im  Eingang  des  Ludwigsliedes  ausge- 
sprochenen: kind  uuartk  her  faterlds;  des  uuarth  imo  aar  huox,  \ 
holöda  ifum  tnihtm,  magaczogo  uuartk  her  sin;  |  gab  er  imo  dugidi  usw. 
In  der  verwandten  Beowulfstelle,  Y.  16  f.:  him pms  liffrea,  |  wul- 
dres  fvaldend,  tooroldare  forgeaf  fasse  ich  (im  Gegensatz  zu 
Earle,  Trautmann,  Schücking)  him  gleichfalls  als  Singular:  als  Er- 
satz dafür  (Earle:  'in  consideration  Üiereof),  d.  h.  für  die  schlimme, 
herrscherlose  Zeit  verleiht  Gk>tt  dem  Königssprofs  Buhm  (es  folgt 
eine  Periode  des  Glanzes).  Dem  Dichter  ist  es  ganz  gewils  nicht  so- 
wohl um  das  Volk  der  Dänen  als  lun  das  Herrsd^ergesclilecht  zu  tun. 

120.  Die  Gründe  gegen  toihi  unhceh  und  für  tviht  unfalo 
brauchen  nicht  wiederholt  zu  werden.  Doch  sei  die  Frage  gestattet» 
ob  nicht  unhah  schliefslich  doch  das  richtige  sein  könne?  Wäre  es 
nicht  möglich,  dals  dieser  (einzigartige)  Ausdruck  für  den  teuflischen 
Unhold  als  Gregensatz  zu  einem  ?uM)eam  (Orisf  586,  754)  geprägt 
wurde? 

188  ff.  tva  bidßcem  de  eceal  |  pUrh  sHine  nid  eawle  heecufan  \ 
in  fyres  fcepm.  Die  Bedeutung  des  verschieden  aufgefafsten  purh 
sliäne  nid  ist  meines  Erachtens  verkannt  worden.  Allerdings  könnte 
man  daran  denken,  es  'durch  verderbliche  Schlechtigkeit  zu  über- 
setzen, aber  ein  solcher  indirekter  Vorwurf  gegen  die  Dänen  wäre 
unangebradit,  da  dieselben  eher  wegen  ihrer  Unwissenheit  bemitleidet 
werden  (V.  178  ff.).  Ich  verstehe  nid  als  'tribulatio,  afflictatio'  (Grein), 
wie  in  V.  423,  2404  (heakmid),  ^  und  purh  als  Bezeichnung  der  Art 
und  Weise  (oder  der  begleitenden  Umstände),  s.  B.-T.  s.  v.  purh, 
A  ni,  6,  7;  vgl  purh  egsan  276,  purh  pearlie  prea  Jul.  678;  J.  Oerm, 
PhiL  4.  104.    Also:  In  furchtbar  unheilvoller  Weise'. 

*  Bichthofen,  AUfriee.  Wb.  s.  v.      *  Fritzner,  Ordbog  s.  v. 

*  8o  vielleicht  auch  in  Finnesbw  10:  diene  foleee  md  fremmtm. 


Kleinere  MitteünngeD,  179 

484  t  towie  vma  ßeos  medoheal  on  morgmvbid  |  drifttefe  dreoT'- 
fahy  forme  dceg  UxU,  Es  scheint  mir  nicht  ganz  richtig;  wenn  L.  L. 
Schücking  in  seiner  grOndlichen  Abhandlung  über  'Die  Ghrondzüge 
der  Satsrerknüpfung  im  Beowulf  (1904)  8.  122  mdnf^  dals  'der 
temporale  Nebensatz  die  nähere  Bestimmung  zu  dem  Adverb  [dönne] 
gib^.  Vielmehr  wird  fonne  dag  lixte  als  nähere  Bestimmung 
(ausführende  Variation)  enger  zu  on  morgentid  gehören;  vgLEpist 
Alex.  714:  efo  on  morgne,  mid  fy  hü  dagode  (u.  Mod.  Lang,  Notes 
18.  246).  Ähnlich  ist  die  Funktion  der  durch  die  Konjunktionen 
fonne,  pcer  eingeleiteten  Sätze  z.  B.  in  sum  in  madle  mag  modsnot- 
tera  !  fokrcsdenne  fori  gehyogan,  \  par  witena  biß  worn  mtsomne 
Gbeft  41;  sum  IM  wiges  heard  ...  par  bord  stunad  ih,d9;  sede 
taoma  fela  ...  guda  gedigds  ...  fonne  hnitan  fedan  Beow.  2542. 

572  f.  Wyrd  oft  nered  |  vnfcsgne  eorl,  fonne  bis  eilen  deah. 
Schückings  Versuch  (a.  a.  O.  S.  121)  einer  neuen  Erklärung  von  fonne 
kis  eilen  deah:  'dann  hält  seine  Kraft  noch  aus'  ist  entschieden  ab- 
zulehnen mit  Rücksicht  auf  1)  die  Bedeutung  von  dugan,  2)  das 
analoge  gif  kis  eUen  deag  Rats.  73.  9  (schon  von  Schücking  zitiert) 
und  Andr.  460,  vgl.  Rats.  62.  7,  und  besonders  3)  die  fast  sprich* 
wörtlich  ausgeprägte  Idee  der  Dualität  von  Geschick  (Oott)  und 
eigener  EJraft  Vgl  Beow.  670,  1056  1,  1270  ff.,  1552  iL;  Andr. 
459 1:  fest  nafre  forketed  lifgende  Ood  |  eorl  on  eordan,  gif  his  eüm 
deah  (allein  schon  beweiskräftig);  femer  z.  B.  Laxdsda  Saga,  c.  15: 
ok  med  füi  ai  menn  vdru  hra/ustir  ok  feim  vard  lengra  lifs  audU,  fd 
komask  feir  yfir  dna  ...  —  Weitere  Parallelen,  u.  a.  aus  Ghaucer, 
bei  Cbok,  Mod.  Lang.  Notes  8.  58;  Gummere,  Oermame  Origins  236  f. 
Ood  helps  those  that  help  themsdves'.  ^    VgL  Grimm,  D.  M.^  TU  5. 

982  ff.  Die  folgende  Auffassung,  welche  die  Emendationen  von 
Sievers,  Bieger  (Zupitza,  Trautmann)  berücksichtigt^  sei  der  Erwägung 
empfohlen:  sifdan  c^lingas  eorles  crcefte  \  ofer  heanne  hrof  kand 
seeawedon,  |  feondes  fingras  {foran  aghufyle  was  |  stidta  nagla  style 
gelieosf),  |  hafenes  hondsperu  hüderinees  |  eghi,  unheoru. 

1319  1  fragn  gif  him. wäre  \  after  neodladu  niht  getase.  Es 
liegt  nahe,  neodladu  nicht  nur  mit  freondlafu  1192,  sondern  auch 
mit  uforldladu  Orist*  664,  Andr.  635  zusammenzustellen.  Nach  Ana- 
logie der  Bedeutung  von  wordladu  'sermocinatio,  loquela'  könnte  man 
vennuten,  da(s  freondlafu  'Freundlichkeif  und  neod^o^«^ 'Wunsch, 
Verlangen'  bezeichne  (zur  Etymologie  von  laJdu  vgl.  Meringer,  Ind. 
Forsch.  16.  111  ff.?  ühlenbeck,  P.  u.  B.  Beür.  30.  298).  Es  wäre 
jedenfalls  ein  Vorteil,  wenn  von  der  Bedeutung  'Einladung'  abge- 


*  Auch  no  fmt  yde  byd  \  to  befteonne  1002  erweckt  den  Anschein  einer 
.—  auf  einen  bestimmten  Fall  bezogenen  —  sprichwörtlichen  Redensart: 
'niemand  kann  dem  Schicksal  entrinnen.'    VgL  etwa  Atlamil  48.  8:  skg- 

rn  vipr  manngi;  Vatnsdsola  Saga,  ^assim;  Volsunga  Saga  cap.  30,  36; 
M.  Aejer,  Altgerm.  Poesie  45ö.    (Die  vorgeschlaffene  EinBchaltung  von 
deaä  oder  fiß  Beow.  1008  wäre  keine  VerbesserungT) 

12* 


180  Kleinere  MittdlungeD. 

sehen  werden  könnte.  (Bfkfr  neadkUkim  (Ettmüller,  Wulker,  Holtr 
hausen,  oder  neodlade  [Sweet];  neodlaSu  nach  Sievers  §  258,  &  2 
[Wyatt]  wäre  bedenklich)  'nach  seinem  (Hrodgars)  Wunsche'  würde 
vortrefflich  passen.  Cosijns  nkMäälum  {^ydiaSum)  liegt  etwas  abseits. 

1 837  ff.  Der  neuerlichen  Erklärung  dieser  Stelle  durch  Schücking 
(S.  ö  L\  wonach  nu  in  Y.  1388  (als  Konjunktion)  mit  nu  in  V.  1848 
(als  Adverb)  korrespondierte  und  nu  sßo  hand  liged,  \  se  ße  eow  wel- 
hwylcra  wüna  dohte  sich  auf  Beowulf  bezöge,  stehen  erhebliche 
Schwierigkeiten  entgegen.  'Nun  fehlte  die  Hand'  ist  eine  mehr  als 
gewagte  Übersetzung.  Nicht  nur  ist  das  Präsens  (im  Hauptsatz)  statt 
des  Präteritums  bedenklich,  sondern  Ucgan  =  fehlen',  d.  h.  'nicht 
dasein',  mit  Bezug  auf  einen  konkreten  Gegenstand,  ist  geradezu  un- 
glaublich; kann  man  auch  z.  B.  in  V.  1041  f.  {ncBfre  on  ore  Ubq  \ 
tvidcufes  wig)  das  Verbum  mit  'f ail'  übersetzen  (Earle,  Oamett^  Wyatt^ 
L.  Hall,  Gl.  Hall,  linker,  Ghild),  so  doch  nur  im  Sinne  von  'sich 
nicht  bewähren'.  Überdies,  auf  wen  sollte  sich  eow  beziehen?  Auf 
Beowulf s  Mannen?  Dann  fehlte  ein  vernünftiger  Zusammenhang 
zwischen  dem  Relativsatz  und  seinem  Hauptsatz.  Oder  auf  die 
Dänen  (von  denen  einige  sich  in  der  Umgebung  des  Königs  befunden 
haben  müssen)?  Aber  Hrodgars  Anspradie  ist  unzweideutig  an  Beo- 
wulf (und  sein  Gefolge)  gerichtet  Die  ungezwungene  Interpretation 
ist:  'nun  liegt  die  [freigebige]  Hand  darnieder,  die  euch  früher  Gaben 
austeilte'^  (s.  Grein  s.  v.  dugan  ad  fin.!).  JSschere,  der  hochange- 
sehene Hof  mann  —  dessen  Tugenden  nach  seinem  Tode  in  ein  über- 
trieben glänzendes  Licht  gestdlt  werden  — ^  mag  in  der  Tat  G^ 
schenke  gespendet  haben.  Bezieht  man  sincgyfa  auf  Hrodgar,  so 
schafft  man  eine  neue  Schwierigkeit»  wie  man  aus  Trautmanns  künst- 
licher Deutung  ersieht 

1782  f.  {gedeä  him  swa  gewealdene  worolde  dcBlas,  \  aide  rioe,) 
f(ßt  he  hia  selfa  ne  nuBg  \  \for]  hia  unsnyttrum  ende  geßencean  be- 
deutet schwerlich:  'dals  er  selbst  ...  seines  Reiches  Grenze  nicht  er- 
denken kann'  (Heyne,  Socin,  Simons,  L.  Hall,  GL  Hall,  Child)  oder 
that  he  himself  may  not  for  his  folly  think  of  bis  end'  (Kemble, 
Thorpe^  Grein,  Arnold,  Tinker),  sondern  'dals  er  sich  das  [zeitliche] 
Ende  desselben  [des  Reiches,  seiner  Herrschaft]  nicht  vorstellen 
kann'  (so  wahrscheinlich  Gamett  Wyatt  Earle).  Die  erstgenannte 
Übersetzung  würde  eine  unvernünftige  Übertreibung  in  sich  schlie* 
isen,  die  zweite  würde  nicht  genau  genug  in  den  Zusammenhang 
passen.  Das  grolse  Reich  wird  dem  Manne  so  vollständig  in  die 
Hand  gegeben,  dab  er  nicht  daran  denkt  da(s  es  jemals  wieder  aus 
seinem  Besitz  in  den  seines  Erben  übergehen  werde  (vgL  V.  1750  1, 
1755  fehd  Oper  tö).  Zu  dem  Gebrauch  von  g^eneecm  läfst  sich  ge- 
hycgcm  stellen  in  GudL  17  1:  fwfon  ee  tnon  ne  Pearf  |  to  fisee  u?(h 


'  Man  wird  an  die  sinnige  Liegende  von  der  freigebigen  Hand  Oswalds 
erinnert  ('im  foreaidige  peoa  hond  <»fr^  BecL  166.  10;  H.  E.  lU  a  6). 


Kleinere  Mittelinngen.  181 


nUde  wyrpe  gehycgan.    (Vgl.  auch  Heiland  261:  endi  ni  cumid, 
thes  tmiden  rikies  ffvuuand,) 

Trautmanns  Konjektur  se^  ist  übrigens  vielleicht  nicht  ganz 
neu;  schon  bei  Ettmüller  (1840)  heilst  es:  'dafs  er  seiner  Bälde  sdber 
nicht  kann  in  seiner  Unklugheit  ein  Ende  denken'. 

2289  L  he  to  for^  gestop  \  dyman  erafte  draoan  heafde  neah. 
Die  auf  Heyne  zurückgehende  Übersetzung  'er  war  zu  sehr  vorwärts 
geschritten'  (so  Socin,  Wyatt^  Simons,  L.  HaU,  Gl.  Hall,  Tinker, 
Child ;  freilich  auch  schon  Thorkelin :  nimis  ultra  perrexit)  sollte  nicht 
immer  von  neuem  wiederholt  werden,  to  zeigt  ohne  Zweifel  die  Rich- 
tung an,  genau  so  wie  z.  B.  in  gwng  sona  to  \  setlea  neosan  Beow. 
1785;  ßcU  86  [sc  darod]  to  ford  gewat  \  furh  done  cßfela/n  Mpelredes 
fegen  Maid.  150.  Also  mit  Orein:  'der  fort  hinzu  ging',  oder  ge- 
nauer: 'er  war  vorwärts  darauf  zu  gegangen'.  Zur  Nebeneinander- 
stellung der  zwei  Adverbien  vgl.  z.  B.  auch  Beow.  2864:  fe  him 
foran  ongean  \  linde  baron. 

2458.  forme  se  an  hafad  \  purh  deadee  nyd  dceda  gefondad.  Die 
handschriftliche  Lesart  scheint  weniger  bedenklich  als  die  vorgeschla- 
genen Verbesserungen,  hafad ...  dceda  gefondad  ist  =  'hat  die  Be- 
kanntschaft [schlimmer]  Taten  (vgl.  Bugge,  Tidsk.  f.  Phil.  8.  67)  ge- 
macht^, oder  'hat  seh.  T.  ausgekostet'  (nicht  ganz  genau:  'hath  bj  dint 
of  death  leamed  the  lesson  of  his  deeds'  Child),  und  nyd  palst  nicht 
übel  zu  dead,  vgl.  neidfaru,  nydgedal. 

2499  ff.  ßenden pis aweordßolad,  Ißcetmee ar  ondsidoft geUßste,  \ 
syddan  ic  for  dugedum  Dtegkrefne  weard  \  to  handbonan,  Huga  cem- 
pan.  Wie  früher  —  im  Gegensatz  zu  den  anderen  Herausgebern  — 
Grein,  Ettmüller  und  Arnold,  so  will  jetzt  Schücking  (S.  119)  einen 
neuen  Hauptsatz  mit  syddän  anfangen.  Die  Folge  dieser  Inter- 
punktion ist,  dals  die  Dseghrefn-Episode,  aus  dem  natürlichen  Zu- 
sammenhange gerissen,  gänzlich  in  der  Luft  schwebt  Was  hindert 
uns  denn  aber,  anzunehmen,  dals  das  Schwert  in  enger  Beziehung 
zu  Beowulfs  Kampf  mit  DsBghrefn  stehe?  Kann  nicht  Beowulf  den 
Hugen  erst  mit  blofser  Faust  erschlagen  und  ihm  dann  sein  Schwert 
abgenommen  haben?  —  Heynes  Vermutung,  dafs  Hygelac  von  D»g- 
hr^s  Hand  gefallen  sei  (V.  1 2 1 0  ff.,  2503  f.),  mag  das  richtige  treffen. 

2525  f.  Man  ergänzt  fcMU)  (Schubert,  Bamouw,  Trautmann) 
oder  besser  feohie  (Bugge,  Holthausen,  Socin'Q,  was  richtig  sein  kann. 
Jedenfalls  aber  darf  man  dann  weordän  nicht  als  'sich  ereignen'  auf- 
fassen, sondern,  wie  aus  dem  folgenden  swa  unc  tvyrd  geieod  zu  ent- 
nehmen ist,  als  'ausschlagen',  'zu  einem  Besultat  führen'  (vgl.  2580  f., 
2585  f.,  auch  685  ff.,  1490  f.),  analog  dem  Gebrauch  von  tveordan  in 
V.  2071:  to  hwan  eyddän  weard  |  haivk-tss  haleda.  Nicht  unmöglich 
wäre  übrigens  fwrdor  (wie  in  der  bekannten  Parallelstelle  Maid.  247). 

Finnesburg  8^:  nu  eoyned  fes  mono»  !EDerzu  bemerkt  Beer 
{Z.f.d.A  47.  148):  'ßes  ist  zu  tilgen'.    Auch  Trautmann  und  Holt- 


182  Kleiiiere  Mtteiliuigeo. 

haiuen  yorwerfen  fes  (und  schreiben:  gcyneS  fir  mond).  Aber  fes 
klingt  echt  und  ist  durchaus  idiomatisch.  VgL  Seos  lyft  Bäts.  58.  1 ; 
8.  4;  Ezod.  430;  dies  eorä6  Met  20.  118;  pes  middangeard  Käts. 
67. 1,  infeoane  middangeard  (=  in  mundum)  Bed.  212. 19,  ßas  mieUm 
gemeiu  middangeardes  <]!risf  826;  on  piosne  toind  (=r  in  uentum) 
Bed.  440.  24;  pes  lyüa  wyrm  Rats.  41.  76;  feo8  bearhte  aunne  Gren. 
811;  piss  swearte  dust  (Par.)  Ps.  77.  27  usw.  8.  auch  Änglia  27. 
276  und  die  dort  angeführte  Literatur. 

The  üniyersity  of  Minnesota.  Fr.  Elaeber. 

Das  Mätmersohe  Wörterbuch. 

Nach  dem  im  vorigen  Jahre  erfolgten  Tode  Hugo  Bielings, 
des  langjährigen  Mitarbeiters  EduardMätzners  und  Fortsetzers 
seines  letzten  grofsen  Lebenswerkes,  ist  die  Beendigung  des  im  Ver- 
lage der  Weidmannschen  Buchhandlung  in  BerUn  erscheinenden 
mittelenglischen  Wörterbuches  'ÄUenglische  Spraehproben  nebst  einem 
Wörterbuch'  vom  Unterzeichneten  übernommen  worden. 

Die  erste  Lieferung  erschien  im  Jahre  1872,  die  letzte,  bis  'mis- 
bileven'  reichend,  1900,  der  Druck  steht  bei  'meine',  und  Material  ist 
noch  für  den  Best  von  M  vorhanden,  der  1906  als  Abschluüs  des 
dritten  Bandes  erscheinen  wird.  Es  gilt  jetzt^  das  Wörterbuch  mit 
Hilfe  einer  gröfseren  Organisation  und  Arbeitsteilung  zu  einem  raschen 
Ende  zu  führen.  Zu  diesem  Zwecke  soll  nicht  mehr,  wie  bisher  ge- 
schehen, die  me.  Literatur  zurzeit  nur  auf  einen  Buchstaben  hin 
durchgesehen  und  ausgezogen,  es  soll  vielmehr  das  Material  für  N 
bis  Z  auf  einmal  planmäisig  gesammelt  werden. 

Es  ergeht  nun  an  die  deutschen  Anglisten,  insbesondere  an  alle 
diejenigen,  die  ein  Werk  der  me.  Literatur  herausgegeben  oder  be- 
arbeitet haben,  der  Buf,  sich  durch  Übernahme  eines  oder  mehrerer 
Denkmäler  an  der  Sammlung  der  Belege  nach  gewissen  jetzt  im  Druck 
vorliegenden  Orundsätzen  zu  beteiligen  oder  einzelne  das  Wörterbuch 
fördernde  Beiträge  zu  liefern  und  mit  dieser  praktischen  Betätigung 
wissenschaftlichen  Interesses  eine  Ehrenpflicht  der  anglistischen,  ja 
der  deutschen  Wissenschaft  überhaupt  Erfüllen  zu  helfen. 

Freundliche  Zusagen  werden  erbeten  an  den  Herausgeber 
Privatdozent  Dr.  Heinrich  Spies,  Berlin  W.  57,  Kur- 
fürstenstrasse  4. 

MtindartgrenBen. 

In  seinem  Aufsatz  *Qiht  es  Mundartgrenzen'  hat  Gauchat  hier 
1908  einen  Überblick  über  die  Fortschritte  der  Mundartengeographie 
auf  romanischem  wie  germanischem  Oebiete  gegeben,  der  mit  seinen 
eigenen  Ergebnissen  als  Erforscher  des  französischen  Sprachgebietes 
der  Schweiz  abschliefst  Es  ist  eine  Grundfrage  der  Sprach-  und  Kul- 
turgeschichte, deren  wechselvolle  Beantwortung  im  Laufe  der  letzten 
zwei  Jahrzehnte  er  uns  darbietet.    Die  sprachliche  Zerlegung  eines 


Eleinere  MlttdlungeD.  188 

Yolkflganzen  in  mehr  oder  weniger  selbständige  Teäe^  die  bis  aqr 
Abzweigung  neuen  Volkstums  vom  alten  gehen  kann,  ist  identisch 
mit  dem  Mundartenleben ;  die  Aufdeckung  des  Verhältnisses  swischen 
Spradie  und  Volkstum  in  ihrem  Werden  ist  Sache  der  Mundarten- 
geographie.  Daneben  kommt  dieser  noch  eine  besondere  Bedeutung 
für  unsere  sprachwissenschaftliche  Erkenntnis  zu.  Mundartgzenzen 
sind  der  raumliche  Ausdruck  innerer  Vorgänge  und  Zustände;  sie 
stehen  in  gesetzmäisigem  Zusammenhange  mit  letzteren  und  müssen 
uns  Aufschlüsse  geben  über  deren  Wesen  und  zwar  solche,  die  wir  auf 
keinem  anderen  Wege  erhalten  können.  Gerade  hier  hat  Gauchat 
meines  Erachtens  nicht  die  volle  Summe  des  Erarbeiteten  gezogen; 
einige  Ergänzungen  mögen  mir  gestattet  sein. 

Aus  Gauchats  Darstellung  ist  zu  ersehen,  dafs  das  Wissen  über 
die  Mundartgrenzen  hüben  wie  drüben,  bei  Germanisten  wie  bei 
Bomanisten,  dieselbe  Entwicklung  durchlaufen  hat,  in  der  wir  drei 
Stufen  unterscheiden  können.  Bei  ihrer  Durchmusterung  empfiehlt 
es  sich,  die  tatsächlichen  Feststellungen  von  den  darauf  gegründeten 
Ansichten  zu  sondern.  Die  ursprünglichste,  von  jeher  bekiumte  Tat- 
sache ist  die^  dals  es  Lautgrenzen  gibt;  d.  h.  dais  in  zwei  benach- 
barten Orten  nicht  nur  einzelne  Wörter  in  verschiedener  Lautgestalt 
erscheinen  können,  sondern  dais  sämtliche  oder  die  meisten  Wörter, 
die  einen  bestimmten  Laut  enthalten,  im  Nachbarort  diesen  Laut 
durch  einen  anderen  ersetzen.  Die  Spottnamen  und  Spottverse,  die 
zur  Kennzeichnung  sprachlicher  Verschiedenheit  unter  dem  Landvolk 
üblich  sind,  beziehen  sich  fast  durchweg  auf  Lautgrenzen.  Solche 
Lautgrenzen  wurden  denn  auch  von  den  ersten  Grenzforschem  fest- 
gestellt^ einzeln  und  mit  anderen  zusammen,  Punkte  und  Punktreihen, 
d.  h.  Grenzen,  die  mehrere  Orte  von  ihren  Nachbarn  trennen.  Aber 
das  waren  nur  sehr  vereinzelte,  fast  zufällige  Funde;  der  weite  dunkle 
Raum  blieb  der  Theorie  offen.  Das  Nächstiiegende  war,  die  Laut- 
grenzen in  Gedanken  durch  das  ganze  Sprachgebiet  hindurchzuziehen 
und  zwar  so,  dafs  es  in  gröisere  Teile  zerlegt  wird,  die  sich  scharf 
voneinander  abgrenzen.  Die  so  erhaltenen  Mundartgebiete  entsprechen 
dem  Stamme,  der  sie  bewohnt;  es  ist  der  Bereich  der  Stammesmund- 
art, die  der  Ausfluis  der  leiblich -seelischen  Sonderart  sämtlicher 
Sprachgenossen  ist  —  Li  dieser  Ursacherklärung  war  ein  Denkfehler. 
Nach  ihr  muisten  die  sprachlichen  Merkmale  sich  auf  das  Stammes- 
gebiet beschränken,  die  Sprachgrenzen  sich  rings  um  dasselbe  zu- 
sammenschlieisen.  Für  scharf  umgrenzte  Gebiete,  die  durch  sich 
schneidende  Sprachgrenzen  entstehen,  wie  sie  Ascoli  aufstellen  wollig 
war  kein  Entstehungsgrund  zu  finden.  Verhängnisvoller  für  sie  war 
aber  die  Betonung  einer  zweiten  Tatsache,  der,  dafs  allmähliche  Über- 
gange neben  den  schroffen  vorhanden  sind,  dafs  Laute  von  Ort  zu 
Ort  sich  allmählich  wandeln,  dais  einzelne  Wörter  von  Ort  zu  Ort 
in  |neuen  Lauten  erscheinen.  Und  wie  man  früher  die  schroffen 
Übergänge  fälschlich  verallgemeinert  hatte,  so  geschah  es  jetzt  mit 


184  Eldnere  Mitteünngen. 

den  allmalilicheii.  Die  Wellentbeorie  mufste  die  StammeBtheorie  ab- 
lösen, die  völlige  Leugnung  von  Mundartgebieten  deren  gesetzmälBige 
Aufstellung.  —  Nun  kam  die  Zeit  der  planmäfsigen  Erhebungen. 
Statt  nach  der  Bestätigung  vorgefafster  Meinungen  sich  umzusehen 
und  einzelne  Funde  rasch  zu  verallgemeinem,  unternahmen  es  Ger- 
manisten, ein  grölseres  Sprachgebiet  auf  das  Verhalten  in  bezug  auf 
eine  möglichst  grofse  Beihe  von  Merkmalen  hin  zu  prüfen.  Fischers 
Schwedischer  Atlas  erschien.  Er  brachte  die  Bestätigung  der  Wellen- 
theorie. Aufserste  Begellosigkeit  der  Grenzlinien;  keine  irgendwie 
erkennbare  Grundlage  für  dieselben.  In  dem  Gewirr  einige  lockere 
Anhäufungen,  'Bündel,  Linien  ungefähr  gleicher  Gesamttendenz';  doch 
auch  Lautgrenzenstücke,  zum  Teil  mit  anderen  zusammenfallend.  In 
einzelnen  werden  physikalische,  in  Verbindung  mit  diesen  auch  poli- 
tische und  konfessionelle  Grenzen  erkannt,  doch  nur  als  äuiserste  Aus- 
nahmen. Der  Verkehr  entscheidet;  seine  Grenzen  sind  von  den  ver- 
schiedenartigsten Umständen  bedingt,  die  sich  unserer  Wahrnehmung 
entziehen.  —  Mit  diesem  Ergebnis  waren  viele  unzufrieden.  Bohnen- 
berger  unternahm  es,  einzdne  dieser  Fischerschen  Grenzen  nachzu- 
prüfen und  ihr  Verhalten  zu  politischen  und  physikalischen  Schranken 
zu  untersuchen;  doch  entfernte  er  sich  nicht  weit  genug  vom  Fischer- 
schen Verfahren,  um  grundsätzlich  Neues  zu  gewinnen.  Ich  selbst 
schlug  den  Weg  der  eingehenden,  mündlichen  Durchforschung  meiner 
Heimatgegend  ein,  eines  beschränkten  Gebietes,  60  Quadratmeilen, 
doch  überreich  an  Mannigfaltigkeit  der  Sprache,  der  Natur  und  der 
G^chichte;  und  mit  seinen  200  Ortschaften  an  sich  schon  grofs 
genug,  um  allgemeine  Ergebnisse  liefern  zu  können.  Meine  Baar- 
mundartenkarte  zeigte  folgendes: 

1)  Lautgrenzen  Regel,  Einzelwortgrenzen  Ausnahme. 

2)  Zerspalten  von  Lautgrenzen  höherer  Ordnung  in  solche  nie- 
derer Ordnung  häufig. 

d)  Zerflielsen  von  Lautgrenzen  (Ablösung  von  schroffen  durch 
unmerkliche  Übergänge)  selten. 

4)  Vereinigung  der  Lautgrenzen  zu  Bündeln  (d.  h.  Zusammenfall, 
nicht  Annäherung)  häufig.  (Gauchat  hat  sich  durch  das  Wort  'Bün- 
del', das  Fischer  für  vereinzelte,  lockere  Anhäufung  braucht^  zu  dem 
Irrtum  verleiten  lassen,  ihm  die  grundsätzliche  Aufstellung  von 
Grenzbündeln  zuzuschreiben.) 

5)  Zusammenfall  der  Sprachgrenzen  (sei  es  Laut,  Wortschatz, 
Beugung  oder  Fügung)  mit  politischen  Grenzen  Regel,  mit  nur  phy- 
sikalischen Ausnahme. 

6),  Entschiedenes  Vorherrschen  der  neupolitischen  Schranken 
(hier  letzte  drei  Jahrhunderte). 

Das  geographische  G^amtbild  ist  nicht  mehr  das  der  regellos 
wirbelnden  Wellen;  es  zeigt  vielmehr  eine  täuschende  Ähnlichkeit 
mit  durch  Dürre  zerrissenem  Erdreich.  Durch  tiefe  Furchen  sind 
manche  Gebiete   allseitig  voneinander  getrennt;  wir  haben  fertige 


Kleinere  Mittelliiiigeii.  185 

Sprachlandschaften,  aber  auch  unfertige;  solche,  die  nach  einer  Seite 
hin  allzu  schwach  abgegrenzt  sind,  um  dem  Nachbar  gegenüber  einen 
geinssen  Grad  von  Selbständigkeit  zu  behaupten.  —  Ebenso  gründ- 
lich hat  sich  das  kulturgeschichtliche  Bild  verändert  Die  Sprache 
führt  kein  Bonderleben  mehr,  frei  von  allem,  oder  allem  feststellbaren, 
Einflufs  der  Kulturumgebung;  mr  sehen  sie  vielmehr  eng  an  die 
politischen  Verbände  gefesselt  und  ihrem  Wechsel  unterworfen,  dem 
sie  mehr  oder  weniger  zögernd,  aber  sicher  folgt 

AlleEinzeluntersuchungen,  die  inzwischen  über  das  geographische 
und  geechichüiche  Verhalten  von  Mundartgrenzen  ausgeführt  wurden, 
stimmen  in  ihrem  sachlichen  Ergebnis  mit  meinem  Befund  überein, 
treten  zum  mindesten  nicht  in  Gegensatz  zu  demselben,  und  bilden 
damit  die  willkommene  Bestätigung  meiner  politischen  Theorie.  So 
die  von  Wrede,  der  sich  ganz  dazu  bekennt;  so  Bohnenbergers  h-eh- 
Grenze,  obwohl  ihm  selbst  diese  Tatsache  entging;  so  auch,  was 
Gauchat  uns  in  seinem  Aufsatz  mitteilt  Es  sind  auch  hier  wieder 
ausschlieislich  jungpolitische  Grenzen,  solche,  die  in  den  letzten  drei 
bis  vier  Jahrhunderten  bestanden,  von  denen  in  weitem  Umfange  der 
Zuflammenfall  mit  Mundartgrenzen  nachzuweisen  ist  Physikalische 
sind  wohl  zu  beobachten,  altpolitische  zu  vermuten,  aber  nirgend 
ohne  die  Begleitung  jungpolitischer  Grenzen.  Aber  auch  Gauchat 
zieht  die  naheliegende  Folgerung  nicht  Der  dunkle  Begriff  der 
Stanmiverwandtschaft  drängt  sich  in  seine  Erwägungen  und  trübt 
sie.  Auch  Bremer  hält  ja  noch  an  dem  Worte  'Stamm'  fest;  doch 
hat  er  es  inzwischen  aufs  deutlichste  als  politischen  Begriff  gefafst 
Und  ich  glaube  auch  einen  Weg  zu  sehen,  auf  dem  dieses  Festhalten 
an  der  Bedeutung  mittelalterlicher  Verbände  mit  der  klar  erwiesenen 
Wirkung  der  neuzeitlichen  sich  vereinbaren  läist  Ich  denke  dabei 
nicht  an  die  sogenannten  konstituierenden  Faktoren,  Druck,  Dauer 
und  Ton,  über  deren  geographische  Grenzen  man  noch  so  gut  wie 
nichts  weiis,  und  die  man  geneigt  ist,  für  unverrückbarer  zu  halten 
als  Laute  und  Formen.  Das  Verhältnis  von  Nord-  und  Südschwä- 
bisch 1^  mir  die  Vermutung  nahe,  dafs  auch  diese  Seiten  der 
Sprache  raschen  Wandels  fähig  sind,  nicht  in  ihrem  ganzen  Zu- 
sammenspiel, so  wenig  wie  der  gesamte  Lautschatz  auf  einmal,  son- 
dern in  ihren  ablösbaren  Teilen.  Die  politischen  Grenzverschiebungen, 
die  von  so  sicherer  Wirkung  auf  (£e  Sprachverbände  sind,  tragen 
die  Laute  nicht  allzu  weit  über  ihre  alten  Grenzen  hinaus.  Leichte 
politische  Schranken  sind  fähig,  sie  festzuhalten.  Dem  raschen,  aber 
kurzen  Sprung  vorwärts  folgt  eine  lange  Ruhepause.  Das  ist  wohl 
die  BegeL  IMe  Art  der  geschichtlichen  Vorgäuge  ist  für  die  Weite 
des  Sprunges  und  die  Dauer  der  Pausen  freilich  entscheidend.  Wäre 
unser  Volk  nach  dem  Verschwinden  der  Stammeaherzogtümer  in 
ebenso  grolse,  innerlich  gleichartige  Stücke  zerlegt  worden  von  völlig 
neuer  Umrahmung,  dann  hätten  die  heutigen  Mundartgrenzen  nichts 
mehr  zu  tun  mit  den  alten.  'So  wie  die  Dinge  liegen,  dürften  die  gro- 


186  Kl^nere  Mltteilimgen. 

fsen  mittdalterlichen  SprachverbaiLde  gewisBennaiseii  noch  den  Unter- 
grund bilden  für  die  heutigen:  in  den  alten  Grenzen  nur  da»  wo  diese 
in  neuen  fortlebten,  im  übrigen  aber  in  einem  Gewirr  yon  neuen, 
nicht  allzu  weit  von  den  alten,  die  der  Sturm  zerzauste. 

Zu  dem  geographischen  Gesamtbilde  der  Mundartgrenzen,  als 
Rissen  in  dürrem  Erdreich,  wie  ich  es  oben  gezeichnet  habe,  ist  noch 
ein  Zusatz  zu  machen.  Die  zerfiieCsenden  Lautgrenzen  sind  nicht 
darin  ausgedrückt;  nicht  blofs  ihrer  geringeren  Häufigkeit  wegen, 
wie  die  Einzelwortgrenzen,  deren  Spur  im  G^amtbilde  Yersdiwindet^ 
sondern  ihrer  inneren  Verschiedenheit  wegen.  Wir  haben  es  eben  mit 
Grenzen  für  f est^i  und  solchen  für  flüsdgen  Lautstoff  zu  tun,  wenn 
das  Bild  erlaubt  ist  Jene  sind  spaltbar,  diese  zerflieikbar.  Jene 
umgrenzen  abgestorbenen  Lautwandel,  geschichtlich  gebundene  Laut- 
herrschaft^  Massen  fertiger  Wortformen,  diese  lebendigen  Lautwandel, 
freie  Lautherrschaft^  Teile  des  Lautsystems.  Jene  sind  die  erstarrten 
Formen  dieser.  Jene  spalten  sich  und  verwittern  durch  Abbröcke- 
lung  von  Einzelwörtem,  diese  entstehen  durch  Veränderungen  im 
Lautsystem.  Diese  Scheidung  von  lebendigen  und  toten  Lautgrenzen, 
von  Lautwandel  und  Wortvtfdrängung  ist  ein  weiteres  ]&gebnis 
meiner  Baarmundartenkarte;  es  ist  die  notwendige  Ergänzung  zu  dem 
geographischen  und  geschichtlichen  Bilde  und  stellt  neben  dieser  die 
dritte,  innersprachlidbe  Seite  der  neugewonnenen  Anschauung  dar. 

Die  Art  der  Verbreitung  sprachlicher  Neuerungen  weist  auf  die 
Entstehungsvorgänge  zurück.  In  politischen  Verbänden,  straffen  und 
lockeren,  vollzidit  sich  die  Übertragung  des  Neuen  von  einem  Men- 
schen zum  anderen;  daher  kann  auch  die  Quelle  nur  der  einzebie  sein. 
Was  iMStimmt  nun  die  Richtung,  in  der  dieser  tonangebende  dnzelne 
seine  Sprache,  vor  allem  seine  Sprachlaute  verändert?  Leichte  Year- 
änderungsneigungen  bestehen  innerhalb  der  engsten  Sprachgemein- 
schaft jederzeit  nach  allen  Richtungen  hin ;  sie  werden  nur  durch  den 
ausgleichenden  Zwang  des  Verbandes  im  Zaum  gehalten.  Die  Frage 
nach  der  Entstehungsursache  im  strengen  Sinn  ist  unlösbar.  Gleich- 
wohl gibt  es  vorherrschende  Veränderungsneigungen,  deren  Ursache 
wir  im  Lautsystem  suchen  müssen.  Die  Diphthonfrienmir  vokalischer 
L&ngen,  die  »ich  auf  dem  Gebiete  der  g^<u)i8ohen  Sprachen  mit 
auffallender  Ähnlichkeit  an  den  entlegensten  Orten,  völlig  unabhängig 
voneinander,  vollzieht,  hat  Wrede  aus  den  gleichartigen  Druckver- 
hältnissen zu  erklären  versucht  Dafs  sie  sich  aber  nicht  überall 
vollzieht^  obwohl  den  ähnlichen  Systemen  entsprechend  auch  überall 
ähnliche  Neigungen  vorauszusetzen  sind,  zeigt  deutlich  genug,  dafs 
es  sich  hier  um  keinen  gesetzmäfsigen  Vorgang  handelt  Aus  dem 
System  folgt  keine  Veränderung  mit  Notwendigkeit  Folgerichtig 
wirkende  Grundneigungen  mögen  für  den  einzelnen,  für  die  Quelle 
gelten,  für  die  G^emeinschaft  nicht  Das  eine  nimmt  sie  an,  das  an- 
dere verwirft  sie.  Das  zeigt  deutlich  die  ungleiche  Verbreitung  der 
Ergebnisse  schlaffer  Nasenlautgebung  in  Schwaben.    Die  einzelnen 


Binnen  Mitteüungen.  187 

Teile  des  Systems  sind  frei  yeränderlich;  sie  liegen  sdbstBtäJidig 
Debeneinander;  sie  können  sich  gegenseitig  beeinflussen,  aber  müssen 
es  nicht 

Für  die  Ursache  der  Veranderungsrichtang  gibt  es  kein  G^etz; 
wohl  aber  für  die  mechanische  Wirkung  des  veränderten  Teiles  im 
Lautsystem,  zunächst  in  der  Bede  des  einzelnen.  Es  ist  das,  was 
man  Lautgesetz  heifst  innerhalb  des  fertigen  Systems  und  Laut- 
wandel im  Hinblick  auf  die  Veränderung  desselben.  Wo  keine  Ver- 
änderung im  System  die  Ursache  yeränderter  Bedeteile  ist^  da  liegt 
nicht  Lautwandel,  sondern  Wortverdrängung  vor.  —  Neben  dieses 
mechanische  Gesetz  der  gleichmäisigen  Wirkung  des  Systems  tritt 
das  politisdie  Gesetz  der  völligen  Sprachgleichheit  unter  den  Gliedern 
des  engsten  politischen  Verbandes,  der  Ortsgemeinde.  Die  greise 
Tatsache  der  einheitlichen  Ortsmundart,  mit  der  sich  keine  andere 
Spracheinheit  an  Strenge  vergleichen  kann,  zeigt  die  Ejraft  der  poli- 
tischen Verbände  am  deutlidhsten.  Die  vom  einzelnen  ausgehende 
Neuerung  wird  entweder  auf  die  Gresamtheit  übertragen  oder  ganz 
abgelehnt,  sei  es  am  Ort  der  Entstehung  oder  am  fremden.  Der  poli- 
tische Zusammenhang,  Nachwirkungen  eingerechnet,  bestimmt  die 
Bichtung,  nach  welcher  die  Neuerung  sich  verbreitet^  und  den  Weg, 
den  sie  durchläuft^  doch  ist  die  Frage,  warum  sie  im  einzelnen  Fall 
an  dieser  und  nicht  an  jener  Schranke  Halt  machte  wohl  ebenso  un- 
lösbar wie  die  nach  der  besonderen  Entstehungsursache. 

Die  klare  Scheidung  von  Entstehung  und  Übertragung  in  der 
Geschichte  der  sprachlichen  Neuerungen  macht  es  auch  möglich, 
Wortformen  zu  verstehen,  die  aus  keinerlei  Lautwandel  erklärt  wer- 
den können.  Für  die  Gk^amtmasse  der  fertigen  lautiichen  Verände- 
rungen ist  als  Begel  zu  setzen,  dafs  sie  aus  Lautwandel  entsprangen, 
als  Lautwandel  auf  eine  Beihe  von  Mundarten  sich  übertrugen,  dann 
aber  auch  als  fertige  Ergebnisse  des  Lautwandels  in  Einzelwörtern 
(unter  Bevorzi^ng  von  Lautgruppen:  vgl.  oben  Zerspalten  von  Laut- 
grenzen). Die  Übertragung  von  Einzelwörtem  brauchte  sich  aber 
nicht  auf  diese  Nachkommen  des  Lautwandels  zu  beschränken,  ob- 
wohl sie  das  Massenvorbild  unterstützte.  Bisweilen  mulste  es  auch 
geschehen,  dafs  der  tonangebende  einzelne  statt  eines  neuen  Lautes 
ein  lautlich  verändertes  Einzelwort  ohne  Lautsippe  zur  Geltung 
brachte.  Fast  in  jeder  Mundart  gibt  es  solche  Wechselbälge,  oft 
ganze  Beihen  solcher,  die  jeder  Bemühung  spotten,  sie  rechtmäfsig 
unterzubringen.    Es  sind  die  Brüder  der  Analogiebildungen. 

Die  Einheit  der  Ortsmundart  erfährt  vorübergehende  Trübung 
durch  Neuerungen,  die  aus  ihr  selbst  oder  den  Nachbarmundarten 
stanunen,  sich  unmerklich,  dem  Sprechenden  unbewulst,  in  ihrem 
Schois  durchsetzen  und  sie  eine  Zeitlang  in  die  Sprache  des  älteren 
und  des  jüngeren  Geschlechts  scheiden.  Sie  erfährt  gewaltsame  Stö- 
rung durch  Neuerungen,^ die  von  oben  her  aus  der  Verkehrssprache 
auf  sie  eindringen,  die  bewufst  übernommen  werden,  sie  in  verschie- 


188  Eignere  liGtteilimgeii. 

dene  Stufen  der  Anpassung  zersplittern  oder  sie  yollst&ndig  besei- 
tigen. Dort  spielt  der  Lautwandel,  hier  der  Lautzwang  seine  Rolle; 
die  Wortverdrängung  zeigt  nur  Gradunterschiede.  Der  erstere  Vor- 
gang gehört  dem  natürlichen  Leben  der  Mundarten  an;  der  letztere 
ist  ihr  Zusammenstofs  mit  der  gesteigerten  Kultur.  Sie  veilialten 
sich  gleichsam  zueinander  wie  Schichtenbildung  und  Eruption;  wage- 
recht und  senkrecht  wirkende  E[r&fte  sind  auch  hier  im  Spiele^  wenn 
wir  die  Wirkung  von  Mundart  auf  Mundart,  die  nebeneinander  in 
derselben  Sprachschichte  liegen,  mit  wagerecht^  die  von  Verkehn- 
spräche  auf  Mundart,  die  in  verschiedenen  Schichten  überdnander 
liegen,  mit  senkrecht  bezeichnen  dürfen.  Aus  der  Betrachtung  der 
natürlichen  Lebensvorgange  sind  letztere  soviel  wie  möglich  aus- 
zusondern. 

Was  Oauchat  als  der  ganze  sichere  Gewinn  der  bisherigen 
Mundartengeographie  erscheint:  der  häufige  Zusammenfall  von  Laut- 
grenzen  und  die  gelegentliche  Wirkung  politischer  Schranken  (ganz 
unverstandlich  ist  mir,  warum  er  sie  auch  noch  geringen  physi- 
kalischen zuspricht^  obwohl  sie  nie  und  nirgends  gezeigt  worden  ist), 
ist  nur  ein  bescheidener  Teil  dessen,  was  mir  schon  lange  feststeht, 
und  was  er  schweigend  übergeht  Ich  hoffe,  gezeigt  zu  haben,  dals 
es  sich  bei  diesem  Best  um  Dinge  handelt,  die  der  Mitteilung  wert 
sind.  Ich  habe  sie  hier  nur  skizzenhaft,  vielleicht  auch  nicht  mit  der 
wünschenswerten  ESarheit  behandelt  Sie  finden  sich  ausführlich 
vorgetragen  und  auf  sachliche  Erhebungen  gegründet  namentlich  in 
folgenden  Arbeiten: 

Die  Mundarten  des  oberen  Neckar-  und  Donaulandea.    Ikvgramm. 
1898. 

Über  die  Notwendigkeit  der  kartographiBtihen  Aufnahme  der  Ibmd- 
arten  (Württemberg.  Korrespondenxblatt,  1899). 

Sätxe  über  Spraehbewegung  (Zeitsehrift  für  hochdeutsche  Mundarten, 
1900). 

Über  Mundartengeographie  {Alemannia,  1901). 

Verkehrs-  und  Schriftsprache  auf  dem  Boden  der  örtlichen  Mundart 
{Die  Neueren  Sprachen,  1901). 

Konsonantenlängen  im  Schwäbisehm  {Die  Neueren  /Sprachen,  1908). 
Gauchats  Karte,  so  lehrreich  sie  ist,  erfüllt  einige  wesentlicjie 
Bedingungen  noch  nichts  die  erforderlich  sind  zur  Gewinnung  klaren 
und  vollen  Aufschlusses  über  die  Fragen,  die  uns  hier  bew^en. 
Zunächst  erfahren  wir  von  ihm  selbst^  dals  nur  ein  Teil  der  Grenzen 
eingetragen  ist;  das  Hinzutreten  der  fehlenden  wird  die  besonderen 
Züge  des  Bildes  verschärfen.  Für  das  tatsächliche  Bild  der  Zu- 
sammenhänge sind  femer  aber  folgende  Dinge  unerläblich:  1)  die 
Abstufung  der  Stärke  der  Lautgrenzen  nach  Zahl  und  Häufigkeit 
der  zugehörigen  Wörter,  der  Ausdruck  des  numerischen  Stärkegrades. 
2)  Die  Berücksichtigung  sämdicher  Orte.  Solange  das  nicht  ge- 
schieht, sind  eine  Menge  Linien  rein  willkürlich  und  stören  den  Aus- 


Kldnere  Mitteiluiigeii.  189 

druck  des  GesetzmäfBigen.  8)  Die  mathematifiGhe  Behandlung  der 
Zeichnung;  die  Punkt  2  zur  Voraussetzung  hat.  Wo  ideale  Herr- 
schaftsgebiete zusammenstolsen,  kann  die  geographische  Grenze  ver- 
nünftigerweise nur  durch  eine  gerade  Linie  zur  Darstellung  gebracht 
werden  und  zwar  in  gleicher  Entfernung  von  den  Mittelpunkten. 
Beliebig  gekrümmte  Linien  durchschneiden  sich  blind  und  lassen 
Flächenstücke  zwischen  sich,  die  sinnlos  sind  und  das  Bild  fälschen. 
Gesteigerte  E[larheit  ist  auch  hier  der  Lohn  der  Strenge.  Wünschens- 
wert ist  femer  noch  die  deutliche  Unterscheidung  der  Grenzen  für 
lebendigen  und  für  abgestorbenen  Lautwandel;  denn  mit  jenen  er- 
halten wir  die  Abgrenzung  der  in  der  Gegenwart  herrschenden  Laut- 
systeme. Besondere  Beachtung  verdient  auch  das  Zerflielsen  der 
organischen  Lautgrenzen  (Beispiel:  Entnasalierung  mit  schroffen  und 
sanften  Übergängen)  und  sein  Gegenstück:  das  Zerbroseln  der  un- 
organischen (Beispiel:  Eindringen  diphthongierter  Formen  in  geringer 
und  in  Überzahl);  die  verhältnismäisig  seltenen  Punkte,  an  denen  in 
der  G^^enwart  fast  durchweg  Bewegung  herrscht. 

Stuttgart  C.  Haag. 

Die  Sociätö  des  Textes  franfais  modernes, 

von  der  hier  CXTTT,  154  die  Bede  war,  hat  sich  endgültig  konsti- 
tuiert (Mai  1905).  Sie  zahlt  vorläufig  gegen  150  Mitglieder.  An 
ihrer  Spitze  steht  ein  aus  G.  Lanson  (als  Vorsitzendem),  F.  Brunot, 
K  Courbet^  H.  Chamard,  E.  Huguet  (als  Schriftführer)  und  M.  Ro- 
ques  (als  Schatzmeister)  gebildeter  Vorstand.  Im  Verwaltungsrat 
sind  auch  Belgien  und  die  Schweiz»  sowie  Deutschland,  Amerika  und 
Dänemark  vertreten.  —  Statuten  und  Greschäftsordnung  können  von 
Ph>f.  E.  Huguet»  30  nie  Guilbert»  Caen  (Calvados),  bezogen  werden. 
In  einer  Einleitung  dazu  entwickelt  Lanson  in  beredten  Ausführun- 
gen das  Arbeitsprogramm  der  neuen  Gtesellschaft  Unter  den  Texten, 
die  zunächst  für  die  geplanten  kritischen  Neuausgaben  in  Aus- 
sicht genommen  sind,  befinden  sich  die  Werke  von  Heroet,  Bon- 
sard, Du  Bellaj,  D'Aubign6,  Pasquier,  D'Urf6,  Sorel, 
Mairet,  B.  de  8t-Pierre,  S6nancour,  Stendhal.  Vol- 
taires Leiirea  sur  les  Jnglaia  werden  von  einem  Bande  begleitet 
sein,  der  die  polemische  Tagesliteratur  vereinigt,  die  sich  mit  den 
LeUres  beschäftigte.  —  Die  Veröffentlichungen  der  neuen  Gesellschaft 
werden  auch  bei  uns  das  grölste  Interesse  finden,  und  der  niedrige 
Jahresbdtrag  (10  Frs.)  wird  ihr  hoffendich  zahlreiche  Mitglieder 

.H.M. 


Benrteilimgen  und  kurze  Anzeigen. 


Erast  Martin,  Wolframs  von  Eschenbach  Parzival  und  Titurel| 
herauBff.  und  erklart  Zweiter  Teil :  Kommentar  (GermaniBtische  Hand- 
bibliothek, begründet  von  Julius  Zacher,  IK,  2),  C,  680  8»  8. 

Martin  hat  mit  diesem  zweiten  Band  seiner  Ausgabe  das  unentbehr- 
liche Hilfsbuch  für  Parzivallektüre  und  -Studium  geschaffen.  Lange  ver- 
müst  und  gewünscht,  kommt  uns  der  Parzivalkommentar  sofort  mit  einem 
Reichtum  an  Einzelheiten  und  in  einer  besonnenen  Durcharbeitung,  die 
Lehr-  und  Lemzwecke  aufs  beste  fördert.  (>ewiis,  wer  beim  ersten  Lesen 
z.  B.  zu  Motvel  l,  1  auf  got  tveitUy  zu  unfruot  5,  15  auf  ^ot  firads  (*zvl 
fr<UMan')f  zu  videlare,  19, 1 2  auf  and.  fidula  usw.  verwiesen  sieht,  wird  aer- 

§leichen  zunächst  für  überflüssig  halten;  aber  die  praktische  Verwendung 
es  Buches  beim  Unterricht  le&t  dann  doch,  dals  dem  Lernenden  aucn 
solche  Elementaria  willkommen  sind,  und  es  entdeckt  sid^  auch  der  Nutzen 
so  mancher  anderen  Abschweifung.  Den  yollen  Wert  des  Kommentars 
wird  überhaupt  der  praktische  Gebrauch  immer  mehr  ins  Licht  stdlen. 

Die  Woliramliteratur  ist  durchaus  benutzt  und  an  geeignetem  Ort 
auch  im  Kommentar  zitiert.  Es  fehlt  aber  auch  nicht  die  zusammen- 
fassende Übersicht:  Martin  gibt  sie  in  der  sehr  reichhaltigen  Einleitung. 
Sie  ist  keineswegs  bares  Referat  über  das  bisher  Gewonnene,  Vermutete, 
sondern  bringt  zur  Geltung  und  begründet  die  persönliche  Ansid^t  des 
Verfassers,  dort,  wo  er  fremde  Ansichten  zu  berichtigen  oder  zu  bekämpfen 
Anlafs  hat.  Ganz  besonders  ist  das  in  den  zwei  Kapiteln  über  Wolmms 
Quellen  und  Über  die  8age  der  Fall :  Martin  hält  mit  Recht  an  Kyot  fest 
(wozu  ich  noch  bemerken  möchte,  dafs  die  8.  XXXIX  genannten  Unge- 
nauigkeiten  in  Wolframs  Angaben  über  Kyot  unter  der  Voraussetzung 
weg&ilen,  dals  Wolfram  Motive,  die  er  der  Quelle  entnahm,  mit  eigenen 
Zutaten  versehen  habe),  und  dem  Mosaik  von  Motiven,  aus  dem  die  Hypo- 
these vom  geistlich -lecendarischen  Ursprung  der  Gralsage  aufgebaut  ist, 
stellt  er  —  mit  verwanater  Methode  —  seine  eigene  Anschauung  von  ihren 
kdtisdi- volkstümlichen  Ursprüngen  entgegen.  So  durchaus  erwünscht 
diese  einleitenden  Übersichten,  so  bequem  und  nützlich  die  Aufnahme 
und  Erarbeitung  des  Wertvollen  aus  der  Wolframliteratnr  ist,  so  seben 
dem  Werk  den  besonderen  und  individuellen  Wert  die  eigentlichen  Binn- 
erklarungen :  sie  sind  ohne  jene  ^lehrten  Voraussetzunrai  nicht  denkbar, 
ebensowenig  aber  ohne  das  Hineinleben  in  Stil  und  G^ankenkreise  Wolf- 
rams, das  bei  aller  philologischen  Hingabe  des  Unterschiedes  zwischen 
Damals  und  Heute  deutlicn  sich  bewuÜBt  bleibt.  Eine  grolse  AnKohl 
schwieriger  Stellen  ist  im  Kommentar  einleuchtend  erklärt.  Auch  bei 
den  Sinnerklärungen  hat  Martin  den  Kreis  der  Benutzer  wttt  gedacht: 
neben  jenen  höchst  erwünschten  stehen  denn  auch  elementare. 

Die  folgenden  Bemerkungen  zu  EinseUieiten  wollen  nic^t  mehr  Kritik 
sein,  sondern  kleine  Beiträge  zur  Erklärung,  wie  sie  sich  teils  durch  Mar- 
tins Kommentar,  teils  gegen  ihn  beim  seminaristischen  Unterricht  ergaben: 
ich  beschränke  mich  dalMi  auf  Textstücke  und  Stellen,  die  der  Unterricht 
gerade  berührte. 


BeorteQiuigeD  und  kune  Aozdgen.  191 

Zu  ly  4  parrieren  ist  herrorsuheben,  dals  die  Vorstellmig  %mi9«r%aget 
ntcamea  muot  sprachlich  1)  das  Ganze  sein  kann,  das  dnrch  zwei  in  ihm 
enthaltene  G^ensätze  sich  parrieret,  2)  einer  der  G^^;ensätze  inneihalb 
einee  übergeordneten  Ganzen,  das  dadurch  'bnnt'  wird.  Mir  wird  nicht 
klar,  welcfier  der  beiden  MeinnngCD  sich  Martin  anschlieCst,  denn  sein 
Satz  'ein  »wivdn  ohne  verxtMen'  werde  hier  'als  buntfarbig'  bezeichnet, 
läist  Undentlichkeiten  Übrig.  Und  eine  Folge  dieser  Undeutlidikeit  schdnt 
mir  die  Auslegung  von  l,  7  der  91b:  'der  noch  möMU^  —  während  doch 
wahrscheinlich  der  gemeint  ist,  in  dessen  «UMTM^fem  manitM  mwii  der 
xcrtfW  mit  einem  —  guten  —  Gegensatz  zu  ihm  yerbunden  ist  —  1,  25 
alw6br\aX  schwerlich  umgesetztes  attributives  Adjektiv,  sondern  ma6M 
kun^e  freude  ahoär  wird  bedeuten:  'verwirklicht  (nur)  kurze  Freude'.  ^ 
Bei  1,  26 — 30  gibt  es  noch  andere  Möglichkeit  ab  die  von  Martin  heran- 
gezofl;ene:  die  vwkiey  geofsn.  die  Wolfram  oeh  ruft,  muis  doch  auf  jene 
Uesdlen  sich  bezieheu,  oie  ihn  an  der  Innenflache  seiner  Hand,  wo  kein 
Haar  wfichst,  raufen.  Martin  versteht  dieses  Bild  von  falschen  Freunden, 
die  sich  in  des  anderen  Vertrauen  einschleichen  —  aber  es  kann  doch 
auch  auf  jene  gdien,  die  seine  vorangehenden  Worte  milsverstdien,  in 
einer  Weise  deuten,  die  einem  Raufen  an  unbehaarter  Handfläche  ver* 

fleichbar  ist.  Die  vorhU  und  das  von  ihr  ausgepreiste  oeh  sind  dann 
umoristische  Steigerung.  —  5,  15  unfruot  ist  G^e^nsatz  zu  vftee  5,  11  und 
verurtdlt  eben  jene  Erbsatzung,  die  Alter  und  Armut  zusammenjocht. 
Die  sonst  ja  mögliche  Bedeutung  ^trübselig'  spielt  hier  denn  keine  Bolle. 

—  6,  15  mSrte  ist  wie  an  den  anderen  zwei  von  Martin  zitierten  Stellen 
rein  phraseologisch,  nicht  prägnant  ('noch  mehr  zeigt').  —  Zu  6,  19  kani» 
ffemaÜe,  dax  man  möhte  seheny  davon  der  herre  nSieeejehen  eins  namen 
und  aiiner  vriheU  ist  wohl  die  Art  des  Satzes  dax  man  möhte  sehen  zu  er- 
örtern —  Relativsatz?  oder,  wie  ich  deuten  möchte,  Konsekutivsatz:  ...'ein 
Eägen,  so  dafs  man  den  Rechtstitel  erkenne,  auf  Grund  dessen  er  auf 
Namen  und  Freihdt  Ansprudi  erhebe.'  —  7,  4  empfiehlt  es  sich,  das  Ot- 
fridische  theist  nicht  auf  thax  ist,  sondern  the  ist  zurückzuführen.  —  9,  23 
iedoeh,  nicht  mit  Martin  'auch  so  schon',  sondern  einfach  'aber',  als  Gegen- 
satz zum  Vorhergehenden  und  zu  den  Versuchen  des  Königs,  ihn  zu 
halten.  —  10,  24  mtns  herxen  kraft  ist  hier  nicht  'Besinnung  und  Tat- 
kraft' —  das  verhindert  das  parallele  diu  siiexe  miner  ougen  — ,  sondern 
(so  wie  dieses)  eine  Umschreibung  für  Ghmdin.  —  14,  15  wird  m/it  gemden 
siten  als  'mit  Ruhmbegier'  aufgdFalst;  aber  es  erhält  seine  besondere  hie- 
sige Bedeutung  durch  das  Wappensymbol  des  Ankers,  von  weichem  es 
99,  15  der  anf&er  ist  ein  reeken  %ü  neust;  dazu  gehört  femer  15,  2  der 
herre  muose  fUrbax  tragen  disen  wäperdiohen  last  in  manegiu  lant  und  16, 1 
Hn  eilen  strebte  sunder  toane  (=  fiirbax  aem  556,  22):  aues  das  weist  auf 
die  Bedeutung  'als  einer,  dessen  Sinn  adn  Wandern  steht'.  Mau  mag  zu- 
gleich an  den  gemden  valken  denken.  —  26,  26  mtn  tcipheit  was  umewart 
lafst  sich  bedeutungsvoller^ auffassen,  als  Martins  Paraphrase  tut;  denn 
23,  26  dax  er  entslo»  ir;hene  gar  . . .  dax  heslöx  davor  tr  v^heit  gibt  den 
deutlichen  Fingerzeig:  'Meine  Weiblichkeit  war  unbehütet  {—  neigte  sich 
ihm  zu),  als  er  um  mich  warb.  [Hier  setze  ich  Punkt.]  DaTs  es  nicht 
zum  Hoil  ihm  ausschlug,  das  betraure  ich'  usw. ;  27,  9  widerspricht  nicht, 
ebensowenig  die  scharfakzentuierte  Pointe  28,  9  ich  enwart  nie  utp  decheines 
man.  —  114,  7  tr  freude  ist  hier  wohl  nicJit  'das,  was  sie  erfreut',  son- 
dern bedeutungsvoller  'die  Freude,  die  sie  schaffen'.  —  114,  22  iMpheit 
<  'wetbliches  Gemüt'  —  dazu  pafst  aber  114,  23  nicht  recht  Ich  über- 
setze: '£s  ist  vielmdir  ihre  Eigenschaft  als  Frauen  [um  deren  willen  mir 
ihre  Verstimmung  fegen  mich  wie  mein  Benehmen  g^en  sie  leid  tut],  weil 
ich  ungebührüch  üoer  sie  geredet  und  dahM'  mir  seü)er  Schande  gemacht 
habe,  und  das  soll  auch  nicht  mehr  geschehen'  (das  Ganze  als  Parenthese). 

—  115,  8  fnl$n  rM]  nicht  'meinen  Rechtsgrund',  sondern  'meine  Art'. 


Id2  Benrteilimgen  und  kurze  Anzeigen. 

Fälle,  dads  der  Kommentar  an  Schwierigkeiten  oder  Eigentümlichkeiten 
Wolframs  vorbeiging,  fanden  sich  selten:  so  vermÜste  ich  10,  27  und  12, 
28  ein  Wort  über  die  Bedeutung  des  ein  (und  ist  doch  ein  riJUare;  da  iai 
Wüe  ein  ungeloube  bi);  91,  8  bukd  ob  der  werdeMt,  106,  20  die  md.  Form 
die  fOr  der  bleiben  ohne  Bemerkung.  Machte  die  Note  zu  11,  26  iuffende 
ein  bemde  via  den  'g.  pL  von  bemde  abhangig',  so  war  ein  Wort  üh&c  die 
Art  dieses  Genitivobjekts  (hier  wie  in  dem  ebenso  gedeuteten  idnee  bemde 
vart  128,  26)  nötige 

Zwischen  die  Anmerkungen  zu  81,  2  und  91,  16  ist  Widerspruch  ge- 
raten :  zu  91,  16  sagt  Martin,  daCs  die  Beziehung  der  Verse  80,  HO  iL  auf 
Galoes  und  Annore  mit  Unrecht  geschehe,  und  den  Vers  81,  2  hatte  er 
selbst  in  diesem  Sinne  erklart.  Joseph  Seemüller. 

Die  Gedichte  Oswalds  von  Wolkenstein^  herausgegeben  von  J.  Schatz. 
Zweite  verbesserte  Ausgabe.  Göttingen,  Vandenhoeck  und  Kuprecht  1904. 
L812  S.  8«.    6  Mk. 

Als  man  vor  ein  paar  Jahren  erfuhr,  dais  eine  neue  Ausgabe  der 
Gedichte  Oswalds  von  Wolkenstein  demnächst  erscheinen  würde,  da  freute 
sich  gewiÄ  jeder,  der  an  der  Kultur-  und  Literaturgeschichte  des  ab- 
sterbenden Mittelalters  ein  tiefer  gehendes  Interesse  nahm.  Die  frisch- 
lebendige, wiewohl  im  einzelnen  nicht  ganz  zuverl&Tsige  Studie  Ladendorfs 
(Neue  Jahrbücher  für  das  Mass.  AUerium  usw.  7  [1901]  S.  l:tö  ff.),  im  Grunde 
der  erste  Versuch  einer  wirklichen  Charakteristik  des  Wolkensteiners,  hatte 
wohl  bei  manchem  den  Wunsch  rege  gemacht,  die  eigenartigsten  Blüten 
von  Minnesangs  Winter  in  einer  dem  üeuti^en  Staude  der  Forschung  an- 
gemessenen Edition  zu  lesen  und  womöglicm  auch  zu  besitzen.  Denn  die 
alte  Ausgabe  Beda  Webers,  dessen  Leutungen  wir  nicht  unterschätzen 
wollen,  nachdem  sie  Wackemell  in  seinem  lehrreichen  und  anziehenden 
Buch  über  ihn  (Innsbruck  1903)  in  die  rechte  Beleuchtung  gerückt  hat, 
genügte  doch  langst  nicht  mehr  den  Ansprüchen  der  modernen  Wissen- 
schatt  und  war  überdies  nur  noch  für  einen  respektablen  PhantaaiepreiB 
im  Buchhandel  zu  erstdien.  Die  neue  Ausgabe  erschien  1902  als  'Publi- 
kation der  Gesellschaft  zur  Herausgabe  der  Denkmäler  der  Tonkunst  in 
Österreich'  (vgL  Behaghel,  LüeraturblaU  für  germ.  und  roman,  Philologie  1903, 
S.  367  ff.;  Wustmann,  Anzeiger  für  deutsches  Altertum  29,  S.  227  ff.).  Sie 
hatte  einen  groisen  Vorzug:  ihr  war  die  Musik  beigegeben.  Oswald  Koller 
hatte  diesen  Teil  bearbeitet.  Wir  wissen  so  wenig  von  der  Musik  der 
Minnesinger  und  müssen  immer  dankbar  sein,  wenn  uns  ein  Kundiger 
über  diese  häkle  Materie  neuen  Aufschluüa  gibt.  Jeder  Philolog  hat  die 
unabweisbare  Pflicht,  sich  damit  vertraut  zu  machen,  sollte  er  sich  zu- 
nächst dabei  auch  etwas  ungemütlich  fühlen.  Hier  wie  stets  ist  eine 
Vogelstrauispolitik  nicht  am  Platz.  Den  Text  hatte  Joseph  Schatz  auf 
Grund  der  Handschrift  A  (Pergamenths.  Nr.  2777  der  Wiener  Hofbiblio- 
thek)  hergestellt,  die  etwa  1425—1427  auf  Oswalds  Anregung  hin  zustande 
gekommen  ist;  er  hatte  ferner  die  übrigen  Handschriften  genau  beschrieben 
und  ihren  kritischen  Wert  erörtert,  die  G^edichte  völlig  neu  nach  der  mut- 
maßlichen Zeitfolge  geordnet  und  eine  Anzahl  Erläuterungen  und  Exkurse 
beigefügt;  dazu  trat  dann  noch  eine  kurze,  möglichst  auf  historisch  be- 
glaubigte Tatsachen  gestützte  Vita  des  Woikensteiners.  Es  war  viel,  was 
wir  da  bekamen,  viel,  aber  nicht  genug.  Wer  an  WackemeUs  gehaltvolle 
Einleitung  zu  seiner  Ausgabe  von  Hugo  von  Montfort  (Innsbruck  1881) 
dachte,  fand  sich  enttäuscht  Die  Sprache,  die  Metrik,  die  Poetik,  die 
literarhistorische  Stellung  des  Wolkensteiners  —  all  das  blieb  künftiger 
Untersuchung  vorbehalten.  Und  schlielslich:  die  Publikation  war  schön 
ausgestattet,  aber  sie  war  nnhiuidlich  und  teuer. 

Vor  kurzem  hat  Schatz,  'vielfach  geäulserten  Wünschen  entsprechend', 


BeniieQnDgen  und  kurze  Anzeigeii.  198 

eine  zweite,  weit  handlichere  und  billigere  Aussabe  der  Gedichte  Oswalds 
von  Wolkenstein  in  die  Welt  gesanot  Sie  bietet  etwas  mehr  und  er- 
heblich woiiger  als  die  erste  VerOtf entlichung.  Mehr,  denn  hier  sind  auch 
die  Lesarten  aus  der  Handschrift  C  (Papierhs.  des  Innsbrucker  Ferdinan- 
deoms  F 1950),  die  in  der  ersten  Ausgabe  nur  geleraitiich  notiert  wurden, 
durchweg  aufgenommeo  worden.  Weniger,  denn  nier  fehlen  die  Anmer- 
kungen aer  ersten  Ausgabe  und  der  gesamte  musikalische  TeiL  Im  übrigen 
zei^  sie  ungefähr  das  gleiche  Bild.  HerÜberffenommen  ist  der  Lebens- 
abnlB  dee  Wolkensteiners,  die  Beschreibung^  (ter  Handschriften  und  im 
weaentlichen  auch  der  Text  der  GMichte.  Leider  hat  Schatz,  durch  andere 
Arbeiten  gehindert,  die  schon  in  der  ersten  AnsgAbe  angekündigte  Dar- 
stellung der  Sprache  des  Wolkensteiners  noch  nicht  liefern  können;  erst 
wenn  er  es  getan,  wird  sich  meines  Erachtens  über  die  Art  seiner  Text- 
behandlnng  gewinnbringend  reden  lassen.  Auch  eine  literarhistorische 
Untersuchung  verspricht  er  für  die  Zukunft;  die  in  der  ersten  Ausgabe 
veröffentlichten  Anmerkungen  sind  für  eine  zusammenfassende  Erklärung 
der  Gedichte  zurückffestellt  worden.  Etwas  viel  Zukunftsmusik,  aber  wir 
müssen  immerhin  zuirieden  sein,  dals  wir  nun  Oswalds  G^edichte  in  einer 
jedenfalls  besseren  und  wohlfeileren  Ausgabe  haben  als  zuvor. 

Nur  noch  eine  Bemerkung  zur  Biographie  des  Wolkensteiners.  Sie 
will  Tatsfichüches  bieten  und  weicht  jeder  Vermutung  geflissentlich  aus; 
wo  es  irgend  anfleht,  werden  urkundbche  Zeugnisse  Migebracht,  hier  und 
da  aber  auch  die  G^chte  selbst  als  Quellen  heraufgezogen.  Gewils  mit 
Recht;  denn  bei  Oswald  liegt  die  Frage  nach  dem  biographischen  Gehalt 
seiner  Lieder  anders  als  etwa  bei  Beinmar  und  Walther.  uleichwohl  kann 
man  auch  bei  ihm  in  dieser  Beziehung  nicht  vorsichtig  genug  sein.  Es 
ist  doch  sehr  gewagt,  zu  behaupten,  d&  man  'seinen  Angaben  ...  durch- 
wegs Vertrauen  entgegenbringen'  dürfe  (&,  5).  wenn  man  noch  auf  der- 
selben Seite  sagen  mius,  da(s  Oswalds  Mitteilungen  über  seine  Sprachen- 
kenntnis (Schatz  64, 21  ff.  =:  Weber  1, 21  ff.)  'mit  der  nötigen  Einschnnkung' 
aufzunehmen  seien. 

Berlin.  Hermann  MicheL 

Fr.  Stahl,  Wie  sah  Goethe  aus?    Berlin,  G.  Beimer,  1904. 

Wenn  wir  uns  einmal  fragen,  wie  eigentlich  einer  von  unseren  besten 
Bekannten  aussieht,  so  treffen  wir  gewöhnlich  in  unserem  BewuTstsein 
nur  ein  verschwommenes  Bild,  weil  die  vielen  £<inzeieindrücke  sich  gegen- 
seitig beeintrSchtigen.  Von  nolsen  M&nnem,  die  wir  nie  gesehen,  naben 
wir  oft  eine  viel  deutlichere  Vorstellung,  weil  Ein  bekanntes  Bild  sich  uns 
durch  wiederholte  Betrachtung  fest  eingeprägt  hat.  Wie  Gtoethe,  Napoleon, 
Bismarck  aussahen,  glauben  wir  genau  zu  wissen.  Aber  ist  das  Porträt, 
das  Stieler  oder  Sduneller,  David,  Lenbach  malten,  zuverlässig? 

Ikonoeraphische  Studien  haben  z.  B.  für  Wieland  Weizsäcker,  für 
Friedrich  den  Groisen  v.  Tavsen,  für  Bismarck  Graf  Torck  mit  grofsem 
Erfolg  unternommen.  Stanl  sucht  die  Geschichte  von  Goethes  aulserer 
Erscheinung  an  der  Hand  der  Dokumente  zu  schreiben;  die  literarischen, 
obwohl  gut  ausgewählt,  treten  dabei  neben  den  künstlerischen  zu  sehr 
zurück,  so  daJs  wir  z.  B.  Über  die  charakteristischen  Augen  und  ihre 
Wirkunjg^  wenig  hören.  Auch  sind  zwei  verschiedene  Dinge  nicht  immer 
sorgfältig  gesondert:  eben  die  wirkliche  Erscheinung  und  der  Eindruck, 
den  sie  nervorrief .  Es  ist  ja  bekannt,  daCs  Goethe  durch  seine  straffe 
Haltung  gröiser  schien,  als  er  war.  Auch  die  Atmosphäre,  die  seine  Gre- 
stalt  und  sein  Gesicht  verbreiteten,  gehört  schlieTslich  zu  der  Erscheinung 
selbet.  Die  zunehmende  Vergeistigun^,  die  Stahl  gut  beobachtet,  gehört 
sowohl  dem  Dichter,  der  immer  tiefer  im  Groisen  aufging,  als  den  Künst- 
lern» die  ihn  mit  immer  grö/seror  Ehrfurcht  beschauten. 

AmUt  t  B.  BpaelMB.   GZY.  13 


194  BeortcoIangeD  und  kane  Anseigen. 

Lehrreich  sind  die  InteroretatioDeii,  die  Stahl  einzelnen  Bildern ,  wie 
dem  Tischbeinflehen  in  der  Gampagna,  dem  der  Gräfin  Egloffstein,  bei- 
gaben hat  G^egeo  Eflgel^  ist  er  ungerecht;  flcine  Annaaennff  hätte 
nidit  fehlen  dürfen,  wie  wir  denn  den  25  Tafdn  gern  noch  mümestenB 
halb  so  viel  beigefügt  hätten.  £.  B.  ein  Uniformporträt  und  seihet  Thackerays 
Karikatur.  Doch  auch  so  ist  das  Kaleidoskop  lehrreich  geniu;.  Wie  sich 
Goethe  eine  'Maske'  für  die  Gesellschaft  bildet  (8.  38)  und  sie  wieder 
fallen  läist  (8.  45),  das  ist  recht  ergötzlich  ffeechildert 

Es  sollen  ebensolche  Bilderfol^  mit  Kommentar  zunächst  für  Bis- 
marck.  Rembrandt,  Schiller  folsen.  Die  letzte  wird  für  den  tischen 
Prozeis  des  Idealisierens  besonaers  lehrreich  sein.  Aber  auch  hier  (wie 
bei  BismarckI)  sollte  man  das  Gegengewicht  der  Zerrbilder  nicht  ganz 
yemachlässigen. 

Berlin.  Bichard  M.  Meyer. 

Ooeihe^  Iphigenie  auf  Tauris.  £d.  by  K.  BreuL  Cambridge,  at  the 
ÜDiyemty  Press,  1904  (Pitt  Press  Series),  2  ed.  LXXXIY,  254  8. 
8  ah.  6  d. 

An  dieser  yortrefflichen  Ausgabe  für  englische  8tudenten  wird  den 
deutschen  Leser  die  Einleitung  mteresaieren,  die  mit  aulserordentlicher 
Umsicht  die  Geschichte  dieser  'Gelogenheitsdichtung'  (8.  XIV)  schreibt 
Die  'römische'  Iphigenie  wird  von  der  'deutschen'  (8.  XVIU)  sorgfiUtig 
abgehoben;  ebenso  fast  zu  reinlich  untersdiieden,  was  in  ihr  griechisch 
sei,  was  deutsch  (8.  XLIV).  Der  Charakter  des  Orest  wird  (8.  XXIII) 
Tidleicht  zu  entschieden  als  Hauptfaktor  der  Entstehung  betrachtet  und 
Lessinn  E^fluls  auf  das  Metrum  doch  wohl  (8.  XXvI)  unterschätzt. 
BeBonaers  dankenswert  ist  in  dem  Zusammenhang  der  literarischen  Ein- 
flü«e  der  HinwaU  auf  du  Singspiel  (ß.  XXIH). 

D,  A.   JzL.  JXL. 

Zur  Sohillerliteratur  des  Jubiläumsjahres.  L 

1.  L.  Fulda,  Schiller  und  die  neue  Generation.  Stuttgart,  Gotta, 
44  8.  8. 

2.  Schillers  SSnitiiche  Werke.  SSkular-Ausgabe.  In  16  B&nden  gr.  a 
In  Verhindung  mit  Richard  Fester,  Gustav  Eettner,  Albert  Köster, 
Jakob  Minor,  Julius  Petersen,  Erich  8chmidt,  Oskar  Walzel,  Richard 
Weüjsenfels  herausgegeben  von  Ekluard  von  der  Hellen.  Stuttgart, 
Gotta,  1904  u.  1905.  Preis  des  Bandes:  ^.  M.  1,20,  in  Leinw.  geb. 
M.  2,  in  Halbfranz  geb.  M.  3.  Der  heutigen  Rezension  liegen  zu  Grunde: 
Band  I  (Gedichte,  ed.  von  der  Hellen),  XXII,  360  8.  Band  IV  (Don 
Carlos,  ed.  Weüsenfels),  XLIV,  332  8.  Band  VI  (Maria  Stuart  und 
Jungfrau  von  Orleans,  ed.  Petersen),  XXX,  402  S.  Band  IX.  rÜber- 
Setzungen,  ed.  Eöster,  1.  Teil:  Macbeth,  Turandot,  Parasit,  Nene  als 
Onkel),  XXIV,  409  8.  Band  X  (deren  2.  Teil:  Phfidra,  Iphigenie  in 
Anlis,  Phönizierinnen,  Virgil),  XX,  292  8. 

3.  Pantheon-Ausgabe.  Berlin,  8.  Fischer.  Schillers  Gedichte^  ed. 
Weüsenfels.    XL,  411  8.  16.    Pzeis  M.  3. 

4.  Marbacher  Schillerbuch.  Zur  hundertsten  Wiederkehr  von  Schülers 
Todestag,  herausgegeben  vom  Schwäbischen  Schillerverein.  Stutt- 
gart, Cotta,  1905.    X,  880  8.  gr.  4. 

6.  O.  Hamack,  Schiller.  (Aus  Bettelheims  Sammlung  'G^teshelden')* 
Illustrierte  Ausgabe.    Berlin,  £mst  Hofmann  u.  Co.    XIII,  476  8.  8. 


Bearteilungon  und  kurze  Antigen.  195 

6.  K.  Berger,  Schiller.  Sem  Leben  und  seine  Werke.  In  2  Banden. 
I.  Band,  1.  u.  ?.  Auflage.  "Mit  PhotqgraTÜren  nach  Graff.  München, 
C.  H.  Beck,  1905.    Vlft,  680  S.  8.    Ads  M.  6,  geb.  M.  8,50. 

7.  Julius  Hartmann,  Schillers  Jugendfreunde.  Mit  zaUreicheD  Ab- 
bildungen.   Stuttgart,  Gotta,  1904.    368  S.  8. 

8.  Euno  Fischer^  SchiDerschrifteD.  2.  Auflage,  Neu-Anagabe.  Erste 
Beihe.  Schillers  Jugend-  und  Wanderjahre  in  Selbstbekenntnissen. 
Schiller  als  Komiker.  8.  Geh.  M.  6.  fem  Halbfranzband  M.  8.  Aus 
der  'Ersten  Beihe'  sind  einzeln  zu  naben:  1.  Schillers  Jugend-  und 
Wandeijahre  in  Selbstbekenntnissen.  Zweite  neubearb.  und  vermehrte 
Aufl.  8.  Geh.  M.  4,  Leinwandband  M.  5.  2.  Schiller  als  Komiker. 
Zweite  neubearbeitete  und  vermehrte  Aufl.  8.  Geh.  M.  2.  Schiller- 
schiiften.  Zweite  Beihe.  Schiller  als  Philosoph.  (1.  und  2.  Buch.) 
8.  Geh.  M.  6,  fein  Halblederband  M.  8.  Aus  der  'Zweiten  Beihe'  sind 
emzeln  zu  haben:  8.  Erstes  Buch:  Die  Jugendzeit  1779—1789.  8.  Ge- 
heftet M.  2,50.  4.  Zweites  Buch:  Die  akademische  Zeit  1789— 179G.  8. 
Geh.  M.  3,50.  Beide  Teile  fdn  Leinwandband  M.  7,50.  Heidelberg, 
Carl  Winter. 

9.  (Pitt  Press  Series).  Schiller,  Geschichte  des  Dreifsigjährigen 
Eji^es  (Buch  III),  abridged  and  edited  bj  Karl  Breul,  Univeraity 
Beader  in  Grermanic  Cambridge,  University  Press.  .  1904.  XXXII, 
194  8.  kl.  8.    8  sh. 

*Qoethe  und  Schiller  —  echtes  und  ewiges  Dopnelgestini  I  Denn  wenn 
Goethe  der  Sonne  bleicht,  die  den  Tag  erst  zum  Tage  macht,  so  gleicht 
Schiller  dem  Mono,  den  die  Menschen  als  ihren  puffen  Freund,  ihren 
zuverlässigsten  Führer  verehren,  so  oft  es  Nacht  wira.'  Mit  diesen  Worten 
schliefst  Ludwig  Fulda  seinen  gedankenreichen  und  formvollendeten 
Vortrag,  Worten,  die  wir  vor  allem  unp  gesagt  sein  lassen  dürfen,  die  wir 
uns  taglich  an  'die  neue  Generation'  zu  wenden  haben.  Und  wenn  Goethes 
Mutter,  mit  ihrem  feinen  Gefühl  die  Zusammengehörigkeit  der  Weimarer 
Dioskoren  früher  und  tiefer  erfassend  als  viele  unter  den  Zeitgenossen, 
ihrem  Liebling  im  Hinblick  auf  den  grolsen  Freund  zurief:  'Eure  Werke 
sind  vor  die  Ewigkeit  geschrieben,'  so  halten  wir  an  diesem  guten  Worte 
so  fest  wie  an  det  ni<mt  willkürlichen  und  äuDserlichen,  sondern  organi- 
schen Verbindung  Goethes  und  Schillers,  trotz  des  Verdammungsurteils, 
das  Nietzsche  gegen  dies  Wörtdien  'und'  im  allgemeinen  und  gegen  den 
'Moraltrompeter  von  8&ckingen'  im  besonderen  geschleudert  hat.  Für  uns 
sind  Schiller  und  Gk>ethe  keine  ausschlielsenden  GhrÖisen;  auch  das  viel 
gebrsudite  Wort  von  der  gegenseitigen  Ergänzung  beider  hat  nur  in  dem 
seine  innerste  Berechtigung,  was  beide  gemeinsam  haben,  nicht  in  dem, 
was  sie  trennt;  gerade  das,  was  die  beiden  Grolsen  eint,  bedingt  ihre  Be- 
deutung fnr  die  Ewigkeit  Mit  den  landläufigen  Gegensätzen,  wie  Rea- 
lismus und  Idealismus  oder  Individualismus  und  Universalismus  usw.,  ist 
hier  wenig  getan;  ffewiüs  geht  Goethe  von  der  handgreifUdien  Wirklich- 
keit aus;  aber  weder  als  Forscher  noch  als  Dichter  bleibt  er  bei  ihr 
stehen;  er  fordert  vom  Poeten  nicht  die  photographische  Beschreibung, 
sondern  die  Epttomierung  der  Natur;  diese  aber  kann  nur  so  erfolgen, 
dals  der  Dichter  dasjenige,  was  ihm  in  dem  Gewirr  der  realen  Tatsachen 
bedeutsam  erscheint,  hervorhebt,  das  Unbedeutende  wegläüst,  Ursache  und 
Wirkung  genauer  und  fester  verkettet  usf.,  das  alles  aber  doch  nur  auf 
Grund  einer  eigenen,  teils  in  bewulster  G^ankenarbdt  errungenen,  teils 
intintiv  aufleaätenaen  Anschanung  von  dem  ewigen  Verlauf  der  Dinge, 
kurz  auf  Grund  einer  eigenen  Wdtanschauung;  das  ist  im  Grunde  ge- 

18* 


196  Beurteflimgen  und  knne  Anzeigoi. 

nommen  doch  wieder  ein  Idealismus  *,  und  es  verschlagt  an  sich  nicht  vieli 
ob  Schiller  die  beherrschenden  Ideen  starker  betont  oder  Gk)ethe  sie  er- 
raten Uüst;  die  Sache  ist  dieselbe,  nur  die  Form  eine  andere;  und  der- 
selbe Goethe,  den  man  für  einen  rücksichtslosen  Individualisten  zu  er- 
klfiren  liebt,  hält  doch  so  streng  fest  an  der  inneren  Bestimmtheit  mensch- 
lichen Wollens  und  Handelns:  'Kach  dem  Gesetz,  nach  dem  er  angetreten' 
muls  der  Goethische  Mensch  seines  Daseins  Kreise  vollenden.  Und  wie 
fem  stdit  Schiller  anderseits  im  Leben  und  im  Schaffen  dem  PöbeL  der 
erolsen  Masse,  wie  fem  steht  er  dem  Schwann  derer,  die  ihn  als  Schutz- 
heiligen eines  engherzigen  Chauvinismus  auf  religiösem  oder  politischem 
GKsbiete  anrufen  zu  dürfen  wähnen;  und  wie  berühren  sich  die  beiden 
Groisen  schließlich  in  ihren  letzten  Worten  an  ihr  Volk,  d.  h.  nicht  an 
die  empirische  Masse  der  Zeitgenossen,  sondern  an  das  Volk  über  und 
hinter  der  gemeinen  G^enwart,  an  das  sich  schlieislich  jeder  tiefere 
Künstler  wendet:  wenn  Schiller  den  trotzigen  Individualisten  Teil  durch 
eigene  Erfahrung  zum  Vorkämpfer  &net  nationalen  Bewegung  reifen  lälst, 
so  endet  Faust,  die  gewaltigjste  Individualität,  die  jemals  über  die  Bretter 
der  Bühne  geschritten  ist,  m  der  durch  innere  Erlebnisse  und  dur<^  die 
Wahrnehmung  der  Folgen  eigenen  Handelns  bewirkten  freiwilligen  Über- 
windung alles  Egoismus,  in  der  bewuisten,  erzieherischen  Arbeit  an  seinen 
Mitbürgern.  Der  eine  führt  sein  Volk  zum  Befreiungskämpfe,  der  andere 
zur  emstesten  Arbeit  ...  ein  lässiges  'Glück'  des  Philisters,  ein  Leben 
ohne  Gefahren  und  Entbehrungen  erschien  keinem  von  beiden  lebenswert, 
weder  dem  groisen  Dulder,  aem  die  Parze  vorzeitig  den  Lebens&ulen 
durchschnitt,  noch  dem  groisen  Arbeiter  im  Staatsoienste,  der  bis  ins 
höchste  Greisenalter  hinein  geschafft  hat  wie  wenij^  seines  Volkes,  der 
nie  Zeit  hatte,  müde  zu  sein,  der  fast  das  ganze  Wissen  sdner  Zeit  sein 
eigen  nennen  durfte,  vor  allem  aber  an  sidi  selber  arbeitete,  unentw^ 
fortschreitend  auf  dem  ^tdeckuneswege  nach  Neuland,  nach  wissenschatt- 
lichen,  künstlerischen,  sittlichen  Errungenschaften. 

Daram  also  gehören  uns  die  beiden  nach  wie  vor  zusammen,  inson- 
derheit auch  im  Hinblick  auf  die  deutsche  Schule;  denn  wenn  wir  auch, 
wie  Fulda  richtig  betont,  nicht  mehr  eine  Schillerfeier  begehen  können 
wie  1859,  wo  das  ^wältige  nationide  Sehnen  nach  Einheit  und  Freiheit 
in  dem  Namen  Schüler  gMchsam  ein  Symbol  fand,  an  das  es  sich  an- 
klammem konnte,  so  sind  wir  doch  heute  weit  davon  entfernt,  das  er- 
reicht zu  haben,  was  Schiller  erstrebte;  und  nicht  blols  im  Hinblick  auf 
politische  und  soziale  Umwälzungen  einer  nahen  oder  femen  Zukunft, 
woran  Fulda  denkt,  'wenn  Wogen  und  Stürme  das  jetzt  friedlich  dahin- 
gleitende Boot  der  herrschenden  Klassen  eines  Taees  wieder  beunruhigen 
und  wenn  das  scheinbar  Feste  ins  Wanken  gerät ,  sondern  auf  bedeut- 
samere und  tiefere  Wandlungen,  die  äulserlich  nicht  so  ins  Auge  fallen, 
um  so  mehr  aber  zum  Bewußtsein  erhoben  und  vor  allem  dem  Gefühl  nahe 

Gebracht  werden  müssen,  verlangen  wir  eine  Schillerrenaissance,  dne  nicht 
loiis  vermehrte,  sondern  vertiene  und  aufs  neue  durcl^eistigte  Beschäfti- 
gung mit  Schiller:  im  Hinblick  auf  die  ästhetisch-sittliche  f^iehung  im- 
seres  Volkes.  Der  verhältnismälsiff  geringe  Ertrae,  den  unsere  heutige 
Übersicht  auf  dem  Gebiete  der  philosophieren  Scmllerforschung  zu  ver- 
zeichnen hat,  ist  bedeutsam  dafür,  wie  wenig  man  sich  dsentlich  mit  dem 
abgibt,  worin  die  EwigkeitsbedeutunR  Schiuers  ruht.  Gerade  jene  Zeit, 
die  hier  und  da  ^ewüs  in  echter  und  wahrer  Begeisterung,  vielfach  aber 
sicherlich  auch  mit  joiem  faulen  Enthusiasmus,  von  dem  Gk)ethe  als  von 
'eingepökelter  Heringsware'  redet,  dem  groisen  Landsmanns  zujubelte,  ge- 


1  VgL  Schiller  (Iber  die  Weltaiii&MSDiig  des  ernsten  Reellsten,  Sehriften 
(Goedeke)  X,  519  f. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  197 

rade  sie  hat  den  einzigen,  der  mit  Schulen  künstleriBchen  und  volkB- 
p&dacogiBchen  Idealen  Ernst  zu  machen  suchte,  hat  Richard  Wagner 
mit  Bpott  und  Undank  ohnegleichen  belohnt  und  ihm  ein  Martyrium 
bereitet,  das  oft  Zug  für  Zuf  demjenigen  des  gefeierten  Meisters  zu  ver- 
gleichen ist  Man  versenke  sich  wieder  in  Schülers  Weltanschauung,  die 
nur  in  ihrer  spepellen  Anwendung  auf  einzelne  Fragen  des  gesellschaft- 
lichen Lebens  seiner  Zdt  veraltet,  in  ihrem  Kern  noch  lange  nicht  ver- 
arbeitet, geschweige  denn  überholt  ist,  und  man  wird  finden,  wie  modern, 
ja  wie  weit  unserer  Zeit  vorausgeeilt  dieser  nroise,  tapfere  Mensch,  dieser 
tiefe  und  wahrheitsfreudige  Denker  ist.  Da  Kommt  es  denn  nicht  darauf 
an,  ob  wir  in  politischer,  kultureller  und  künstlerischer  Hinsicht  heute 
anderer  Meinung  sind  ab  damab,  was  Fulda  ganz  richtig  hervorhebt, 
auch  nicht  auf  die  veränderte  Stellung  der  Frau  oder  auf  unseren  Um- 
flAngston,  der  dem  Pathos  so  abgeneifft  ist,  dals  er  den  Künstler  und  den 
Kedner  herabzerrt;  auch  nicht  das  Kann  uns  in  seinem  Guusse  beein- 
trächtigen, dafe  wir  heute  entschieden  naturalistischer  geworden  sind  lüs 
Schiller,  dafs  wir  in  der  dichterischen,  insbesondere  aramatischen  Dar- 
stellung eine  ganz  erheblich  breitere  Heranziehung  der  konkreten  Elemente 
des  Daseins  &thetisch  aufzunehmen  und  zu  verarbeiten  vermögen  und 
dementsprechend  fordern  als  vor  hundert  Jahren;  das  alles  wm  wenig 
sagen ;  so  gut  wir  uns  in  die  Stube  eines  schlesischen  Fuhrmanns  oder  in 
die  Höhlen  russischer  Finsternis  hineinzuversetzen  und,  was  Schiller  zu 
seiner  Zeit  noch  nicht  vermochte,  auch  im  Lebenslauf  der  Ebiterbten  das 
'ffrolse,  gigantische  Schicksal'  wiederzufinden  vermöffen,  können  wir  solche 
Abetraktionsfähigkeit  auch  ganz  gut  einmal  SchiOer  j;^;enüber  zur  An- 
wendung brinsen  und  uns  zu  dem  Ton  der  C^eniepenooe,  der  Empfind- 
samkeit, des  Klassizismus  zurücktasten  ...  es  lohnt  sich  schon,  einmal 
mit  Schiller  ein  Kind  seiner  Zeit  zu  werden,  weil  er  uns  dann  ebenso  wie 
seine  Zeitgenossen  über  die  eigene  und  sdilielslich  auch  über  unsere  Zeit 
hinauszufuhren  vermag,  bis  dahin,  wo  das  Zeitliche  schwindet  und  das 
Ewige,  sowcdt  es  dem  Menschen  durch  die  Kunst  zugänglich  gemacht 
werden  kann,  seinen  Qlanz  verbreitet. 

Ist  Schiller  eines  derjenigen  Genies,  die  ihrer  eigenen  Zeit  voraus- 
geeilt sind,  dann  hat  jede  neue  Generation  die  Pflicht,  sich  aufs  neue  mit 
mm  auseinanderzusetzen  und  zu  zeigen,  wie  weit  sie  seinen  Idealen  ent- 
gcMUffeffaneen  ist ;  sie  hat  femer  mit  den  Hilfsmitteln,  die  sich  die  wissen- 
schafuicne  IfeÜiode  inzwischen  erobert  hat,  aufs  neue  an  seine  Werke 
heranzutreten  und  zu  versuchen,  ob  sie  diese  nun  besser  versteht  als  eine 
frühere  Zeit;  sie  hat  endlich  diese  neuen  Erkenntnisse  für  die  Schule  und 
das  grofte  deutsche  Publikum  fruchtbar  zu  madien  und  dadurch  Schillers 
Gedanken  zur  erneuten  Überführung  ins  Leben  zu  verhelfen;  das  ist 
Arbeit  genug,  auch  wenn  die  Schillmorscher  nicht  das  Glück  haben  wie 
ihre  Genossen  im  Gk>ethearchiv,  neue  Entdeckungen  im  reichsten  Ma&e 
verwenden  zu  dürfen;  in  Wahrheit  ist  doch  auch  hier  genug  zu  tun;  wie- 
viel neues  Licht  haben  die  beiden  grolsen  Biographien  von  Minor  und 
Weltrich  über  den  Dichter  und  seine  menschliche  una  kflnsüerische  Jugend- 
entwickelung zu  verbreiten  sewuist;  diese  Arbeiten  sind  nicht  abgeschlossen, 
es  scheint,  als  sollten  beide  Werke  Fragmente  bleiben;  da  heiist  es  zu- 
greifen, zum  mindesten  hier  und  da  die  einzelnen  Punkte  aufhellen;  und 
aa  Goedekes  groise  'historisch-kritische  Ausgabe'  weder  dem  Literarhisto- 
riker noch  dem  Textkritiker  heute  völlig  eenügen  kann,  so  wäre  eine 
wahrhaft  wissenschaftliche  Schillerausgabe  ooch  ein  dringendes  Bedürfnis. 
Leider  ist  aber  bis  heute  von  einer  solchen  nichts  ans  Tageslicht  getreten. 

Immerhin  können  wir  unseren  Lesern  eine  gninze  Keihe  von  wert- 
volloi  Ausgaben^  biographischen  und  erklärenden  »chriften  vorlegen,  die 
zur  kr&ftiffen  Wiederbeleoung  einer  tätigen  Versenkung  in  Schillers  Werke 
geognet  nikd« 


196  BenrtdliiDgai  und  kam  Anseiges. 

Die  yomehmste  unter  allen  literarischen  Jubilänmsgaben  ist  jeden- 
laUs  die  'BfiknlarauBgabe'  der  'Sämtlichen  Werke'  Schillers  in  16  Bfinden, 
die  unter  Leitung  von  der  Hellensim  Cottaischen  Verlage  erscheint, 
ein  würdiges  Gegenstück  zu  der  dortselbst  veranstalteten  Go^theausgabe. 
Wir  haben  hier  endlich  eine  klassische  Edition  fflr  das  deutsche  Haus» 
eine  solche,  die  nicht  nur  durch  relative  Vollständigkeit  und  wilrdigste 
Ausstattung,  sondern  auch  durch  kritische  Gediegenheit  und  durch  er- 
klärende &igaben  aus  der  Feder  hervorraffender  Fachleute  sich  vor 
allen  uns  sonst  bekannten  auszdchnet.  Freilioi  muis  betont  werden,  dafs 
die  Wissenschaft  aus  dieser  Ausgabe  zwar  reichen  Nutzen  ziehen  kann, 
insbesondere  aus  den  exegetischen  Teilen,  daXs  es  sich  aber  um  eine  spe- 
zifisch wissenschaftliche  Ausgabe,  die  etwa  im  akademischen  Unterricht 
odesT  Einzeluntersuchungen  zugrunde  gelegt  werden  könnte,  nicht  han- 
delt; der  Text  ist  zwar  nach  kritischen  Grundsätzen  hergestellt,  entbdirt 
aber  des  kritischen  Apparates;  jene  Vollständigkeit,  wie  sie  Gödekes  frei- 
lich in  Hinsicht  auf  die  Text  Gestaltung  hier  überholte  Edition  dar- 
bietet, ist  nicht  angestrebt.  Wir  sind  aber  weit  entfernt,  dem  verdienten 
Verfasser  aus  seiner  durch  die  Bestimmung  der  Ausgabe  bedingten  Zu- 
rückhaltung einen  Vorwurf  zu  machen ;  seine  selbständige,  sorgfätige  Ar- 
beit darf  nicht  unterschätzt  werden. 

Bietet  er  uns  doch  gleich  im  ersten  Bande  etwas  ganz  Neues  und 
Eägenartigee  in  der  Anordnung  der  Schillerschen  Gedichte.  Bekanntlich 
rührt  die  Reihenfolge,  an  die  wir  von  Jugend  auf  durch  die  landläufigen 
Ausgaben  ^ewühnt  sind,  mit  ihrer  Einteilim^  in  'drei  Perioden'  nicht  von 
Schiller  selbst,  sondern  von  Eömer  her.  Die  Ausgabe  der  Gedichte  von 
1800  berücksichtigte  die  Jugendlyrik  so  wenig,  daGs  sie  für  einen  späteren 
Herausgeber,  der  minder  hohe  Ansprüche  stellte  als  der  gereifte  Dichter 
selbst,  nicht  bindend  sein  konnte.  Die  zweite  Sammlung  von  1803  nahm 
zwar  eine  groise  Anzahl  der  ältesten  Arbeiten  auf,  aber  ohne  die  von 
Schiller  beabsichtigte  Umschmelzung.  Aus  bdden  Bänden  wollte  dann 
der  Dichter  für  die  von  seinem  Verleger  Crusius  vorbereitete  Trachtaus- 
ffabe'  eine  Auswahl  in  ganz  neuer  Anordnung  treffen.  Die  Drucklegung 
aieser  im  Plane  fertiggestellten  Ausgabe  hinderte  zunächst  Eranlmeit, 
dann  der  Tod  Schulen  und  späterhin  Mchäftliche  Verhältnisse.  So  blieb 
es  denn  in  der  Folgezeit  meistens  bei  Kömers  recht  willkürlicher  Anord- 
nung, bis  in  neuerer  Zeit  einzelne  Herausgeber,  u.  a.  der  verdiente  Beller- 
mann, eine  chronologische  Reihenfolge  herzustellen  versuchten.  Schiller 
hatte  nicht  an  eine  solche,  sondern  an  eine  Anordnung  nach  inhaltlichen 
und  ästhetischen  Cresiditspunkten  gedacht.    Wie  feinsinnig  diese  durch- 

Sxfflhrt  ist,  zeigt  der  nun  durch  von  der  Hellen  bewirkte  Abdruck  der 
edichte  nach  seinen  Intentionen  in  vier  Büchern,  deren  erstes  und  zweites 
die  Lieder  und  Balladen,  deren  drittes  und  viertes  die  Gedankendichtungen 
bringen.  Im  'Anhang*  führt  von  der  Hellen  alle  diejenigen  CMichte  auf, 
die  m  den  Sammlungen  von  1800  und  1808  stehen,  aber  in  die  Pracht- 
ausgabe nicht  mit  üoergehen  sollten,  so  u.  a.  die  'Phantasie'  und  'Die 
Entzückung  an  Laura',  'Graf  Eberhard  der  Greiner  von  Württemberg, 
'Die  berühmte  Frau'  und  die  Rätsel,  und  endlich  soll  der  uns  noch  nicnt 
vorliegende  zweite  Band  als  'Nachlese'  bringen,  was  vojgi  jenen  beiden 
Sammlungen  ausgeschlossen  wurde.  Die  Stüdce  aus  der  Aneide  sind  mit 
anderen  Übersetzungen  im  zehnten  Bande  vereinigt  Wie  weit  die  'Nach- 
lese' reichen  wird,  läfst  sich  heute  noch  nicht  sagen,  doch  hoffen  wir  im 
Interesse  des  Publikums  auf  einen  durch  keine  Prüderie  verkürzten  Ab- 
druck der  'Anthologie'.  Es  ist  hohe  Zeit,  dafs  unsere  gebildeten  Zeit- 
genossen endlich  einmal  den  wahren  Schiller  auch  in  den  Jahren  seiner 
Entwickelimg  kennen  lernen.  ~  Minder  als  die  Textgestaltung  wird  die 
Eridärung  des  ersten  Bandes  alle  Ansprüche  befriedigen,  was  ja  durch  die 
Natur  der  Sache  gegeben  ist.   Von  der  Hellen  beschränkt  sieh  im  grofsen 


Beurteflniigen  und  kurze  Anzeigen.  199 

ganzen  anf  die  EntstehTingBffeecfaichte  der  G^edichte,  in  die  er  hier  und  da, 
z.  B.  beim  'Lied  an  die  !^ude',  den  Abdruck  unterdrückter  Strophen 
einflicht.  Dafs  der  Erklarer  aich  nicht  in  Einzelheiten  verlieren  wollte, 
ist  wohl  TerBtändlich,  aber  ffir  die  'Eünstier',  für  'Das  Ideal  und  das 
lieben',  auch  für  die  'Qlocke'  und  den  'SpazierKang*  muiate  entschieden 
mehr  geboten  werden,  als  hier  geschieht.  Im  uigemeinen  sucht  er  den 
Gehalt  der  bedeutenderen  Nummern  in  ein  kurzes  Schlagwort  zusammen- 
zufassen, wobei  er  meistens,  aber  nicht  immer  glüc^ch  ist.  Ich  sehe  in 
lieanders  Tat  nicht  eine  Versuchunff  der  Qötter  wie  von  der  Hdlen 
S.  309  (zum  'Taucher');  l&ge  eine  soloie  vor,  so  hätten  nach  Bchillers  An* 
schauunff  die  Himmlischen  längst  einschreiten  müssen;  an  Hybris  könnte 
man  höchstens  bei  den  kühnen  Worten  der  Hero  denken;  das  Verhalten 
des  Jüngling  aber  möchten  wir  lieber  mit  dem  des  Bitters  Toggenburg 
auf  eine  Linie  stellen,  dessen  unüberwindliche  liebe  unser  £rkl&*er  S.  Sil 
^ohl  zu  würdigen  weifs. 

Erwähnt  sei  hier  gleich  noch  die  vornehm  ausgestattete  Pantheon- 
ausgabe der  Gredichte,  m  der  Weifsenfels  eine  im  grolsen  ganzen  an 
Xömer  sich  anschlielsende,  doch  mannigfach  erweiterte  und  auch  in  der 
Beihenfolije  oft  selbständige  Auswahl  mit  sehr  knappen  Bemerkungen, 
aber  mit  emer  gehaltvollen,  das  allmähliche  Ausreifen  der  Weltanschauung 
des  Dichten  darstellenden  Einleitung  des  Dichters  veranstaltet  hat.  Eine 
besonders  wertvolle  Beigabe  bilden  die  fieproduktionen  der  SchillerporMts 
von  Graff,  Doris  Stock  und  Weitsch,  femer  Frau  von  Kalb  von  Tischbein 
und  Lotte  von  Simaaowitz,  endlich  Schillers  Geburtshaus  und  eine  Hand- 
Schriftprobe. 

Weifsenfels  verdanken  wir  auch  die  Bearbeitung  des  'Don  Carlos' 
in  der  Jubiläumsausgabe.  Eine  sehr  ausführliche  Einleitung  erklärt  das 
Werk  auf  Grund  seiner  Quellen  und  der  gerade  hier  besonders  widitigen 
Entsitehungsgeschiehte.  Wir  wüisten  seiner,  gründliche  Beherrschung  des 
Materials  ^weisenden  knappen,  doch  vielsasenden  Zusammenfassung^  wenig 
hinzuzufügen;  nur  die  Ent Wickelung,  die  Marquis  Posa  durchmaßt,  die 
dramatische  Bedeutung  des  Widerspruchs  zwischen  seiner  besonnenen  Art 
in  den  ersten  und  seiner  Schwärmerei  in  den  letzten  Akten  scheint  uns 
nicht  ganz  den  Absichten  des  Dichters  gemäiJ9  erfalst,  und  den  'Briefen 
über  Don  Carlos'  ist  der  Herausgeber  hier  noch  nicht  gerecht  geworden. 
Seinem  Text  1^  Weifsenfels  im  jganzen  die  Fassung  zugrunde,  die  der 
Dichter  sdbst  im  'Theater'  (1805  n.)  letztwilli^  drucken  üefs,  geht  aber 
in  Einzelheiten  oft  auf  die  älteren  Drucke  zurück,  besonders  wo  es  sidi 
um  willkürliche  Schlimmbesserungen  fremder  Hand  und  um  einzelne,  von 
Schiller  selbst  später  nicht  absiditlich,  sondern  unter  dem  Zwange  des 
von  ihm  zugrunde  gelegten  Abdrucks  von  1801  fallen  gelassene,  ältere 
metrische  B^flerungen  handelt  Seinen  reichen  Anmerlrangen  geht  ein 
Abdruck  des  Bauernacher  Entwurfes  und  der  ersten  Szene  in  der  Thalia- 
fassung von  1785  voraus. 

\^t  kürzer  als  Weifsenfels  fafst  sich  Petersen  in  den  Einleitungen 
zum  sechsten  Bande,  der  'Maria  Stuart'  und  die  'Jmigfrau  von  Orleans' 
bringt,  doch  geben  die  Anmerkungen  reichlichen  Aufschlufs  über  das  Ver- 
hältnis der  Dramen  zu  den  historischen  Quellen.  Petersen  sieht  in  der 
'Junjgfrau'  wie  späterhin  im  'Teil'  eine  Reaktion  des  Temperaments  g^gen 
die  im  'Walleostein'  und  in  der  'Maria'  bewährte  Objektivität  gegenüber 
dem  Stoff.  Ob  wirklich  Schiller  die  Geschichte  der  englischen  Königin 
blols  mit  der  'reinen  Liebe  des  Künstlers'  behandelt  hat?  Wir  hoffen  an 
anderer  Stelle  nachzuweisen,  dafs  selbst  Wallenstein  gegenüber  die  Kühle, 
mit  der  ächiller  an  seinen  Stoff  herantrat,  allmählich  doch  einer  wärmeren 
Stimmung  Platz  machte;  aber  während  hier  der  Gegenspieler,  Octavio, 
eine  zwar  kleinliche,  aber  doch  im  ganzen  würdige  Bolle  spielt  und  dem 
Helden  gegenüber  in  unseren  Augen  steigt,  sinkt  Elisabeth,  wie  Petersen 


200  BeurteUungen  und  knrae  Anzeigen. 

richtiff  darstellt,  yor  uns  Ton  Stufe  zu  Stufe,  so  dals  sie  schlieiBlich  wohl 
äufsenich  den  Bieg  davontri^  und  sich  rühmen  darf,  'Eönion  von  Eng- 
land' zu  sein,  in  Wahrheit  aber  eine  sehr  empfindliche  moraBsche  Nieder- 
lage erlitten  hgL  Diesen  fiuDseren  Erfolg  bei  innerem  Zusammenbruch  und 
ff&nslichem  Überwiegen  des  egoistisch-leidenBchaftlichen  Elements,  gcsen 
aas  im  Anfimff  nodi  ein  mensoiliches  Gefühl  ankämpfte,  fanden  wir  schon 
bei  Eönijg  Phmpp,  und  meisterhaft  hat  es  snater  Hebbd  in  seinem  Hero- 
des  durchEuführen  sewuist  Auch  das  ist  Tragik,  dies  allmähliche  Hin- 
sinken, gegen  das  der  Träeer  des  Charakters  sich  vergeblich  zu  wehren 
strebt.  So  wird  audi  Waüenstein  allmählich  zum  yollendeten  Egoisten. 
Dem  gegenüber  steht  die  Figur  Marias,  die  mit  ihrer  schrittwüsen  Läute- 
rung uns  das  Herz  abgewinnt  und  entschieden  auch  dem  Dichter  ab- 
gewonnen hatte.  Zu  ihr  steht  er  anders  ab  zu  Wallenstein;  von  diesem 
wenden  sich  die  Ctotreuesten  und  Edebten  der  Sdnen  allmShlich  ab, 
Marias  Ctotreue  halten  bis  zuletzt  bei  ihr  aus,  ja  in  ihren  Augen  st^t 
sie  sdilie&lich  wie  eine  Heilige  da,  sie  rechtfertigen  sie  nicht  olois,  sie 
beten  sie  fast  an  und  lenken  dadurt^  unser  eigenes  Herz,  wie  ihre  Worte 
das  Sprachrohr  der  Gefühle  des  Dichters  sind.  Dem  gegenüber  kann  auch 
die  bäcannte  Brie&telle  vom  19.  Juni  1799  nicht  yerfangen  (Jonas  VI  46) : 
'Meine  Maria  wird  keine  weiche  Stimmung  erregen,  es  ist  meine  Absicht 
nidit,  ich  will  sie  immer  ids  ein  phyvisches  Wesen  halten,  und  das  Pa- 
thetische muis  mehr  eine  allgememe  tiefe  Rührung  als  ein  persönliches 
und  individuelles  Mitgefühl  sein.  Sie  empfindet  und  erregt  Keine  Zärt- 
lichkeit, ihr  Schicksal  ist,  nur  heftige  Passion  zu  erfahren  und  zu  ent- 
zünden. Blofis  die  Amme  fühlt  Zärtlichkeit  für  sie.'  Das  beweist  nur, 
dals  Schiller  während  der  ersten  Phase  seiner  Ausarbeitung  (das  Stück 
war  erst  ein  Jahr  später  fertig!)  sich  mit  der  Absicht  einer  möglichst 
objektiven  Darstellung  trug;  der  Schlub  ist  ihm  augenscheinlich  erst 
spater  aufgeg^angen,  wie  ja  bekanntlich  auch  der  Beschluis  des  Wallenstein 
seine  tieftragische  Gestaltung  erst  in  der  letzten  Periode  der  Tätigkeit  am 
Werk  erhielt  Aus  ebendiesem  Grunde  möchte  ich  hinsichtlich  der  'Jung- 
frau von  Orleans'  das  Böttigersche  Zeugnis  nicht  so  ohne  weiteres  ver- 
werfen, wonach  Schiller  zun&hst  im  Anschlufs  an  die  Geschichte  Johannas 
Feuertod  in  Ronen  erwogen  hätte.  Freilich,  'Schillers  Art  war  es  nicht, 
ohne  entschiedenen  Plan  ins  Blaue  hinein  zu  arbeiten'  (Petersen,  S.  21), 
wohl  aber  hatte  er  meist  mehrere  Pläne  zur  Verfügung,  oie  einanaer  nicht 
selten  kreuzten.  Hier  handelte  es  sidi  nur  um  den  Eindruck  auf  den 
Zuschauer,  nicht  zwar  einen  gemein  theatralischen,  sondern. um  die  'In- 
okulation' desgrofsen  Schicksids,  und  dieser  Zweck  verlangte  das  Durch- 
kämpfen der  Imidin  bis  zur  freiwilligen  Anerkennung  des  Unumgänglichen, 
bis  zu  der  von  Schiller  geforderten  'moralischen  Selbstentleibung',  da  die 
Heidin  mit  freundlich  dargebotenem  Busen  das  Geschols  vom  sanften 
Bogen  der  Notwendigkdt  empfängt.  Das  konnte  sie  dem  Holzstols  gegen- 
über so  gut  bewähren  wie  angesichts  des  Todes  im  Kampfe.  Was  den 
Dichter  dennoch  abschreckte,  war  wohl  ein  anderes.  Die  Gerichte,  denen 
sich  ein  Karl  Moor  oder  ein  Präsident  Walter  überliefern,  bleiben  hinter 
der  Szene  und  dürfen,  so  erbärmlich  uns  die  äufsere  Weltordnung  er- 
scheinen mag,  gegen  die  der  Räuber  und  Ferdinand  angekämpft  haben, 
doch  immer  am  Respekt,  auf  innere  Anerkennung  bei  uns  rechnen,  sie 
sind  die  irdischen  Vollstiecker  des  allmächtigen  Sdiicksals,  ^^gen  das  die 
Helden  in  die  Schranken  getreten  sind.  Der  englische  GtondEtshof  aber, 
vor  dem  Johanna  erscheinen  sollte,  mufste  notwendig  widerwärtig  und 
abstofsend  wirken,  und  eine  Unterwerfung  unter  seinen  Spruch  hätte  dem 
heroischen,  erhebenden  Abschluls  Eintrag  getan ;  gerade  die  Ahnung  eines 
höheren  Schicksals,  mit  dem  sich  die  Heldin  identifizieren  sollte,  wäre 
doch  durch  eine  derartige  theatralische  Anschauung  unterbunden  worden.  — 
Petersen  legt  der  'Maria  Stuart'  den  ersten  Druck  (1801)  zugrunde,  be- 


Benrteilungen  nnd  kune  Anzeigen.  201 

rückflichtigt  aber  auch  die  Siteren  Bühnenmannskripte  und  die  englische 
Übersetzung  Ton  MeHish,  leider  auch  diese  ohne  Kenntlichmachung  der 
betreffenden  Abweichungen.  Für  die  'Jungfrau'  konnte  der  Herausgeber 
daa  für  die  Neuausgabe  im  'Theater'  (1805)  von  8chiller  eigenhändig  und 
sdir  stark  durchkorrigierte  Exemplar  des  ersten  Druckes  Mnutzen. 

Für  die  Herausgabe  der  Schillerschen  Übersetzunrai  (Band  IX  und 
X)  war  Albert  Eöster,  der  Darsteller  'Schillers  als  Dramatur^n',  der 
bmifene  Mann.  Die  Einleitungen  geben  im  grolsen  ganzen  die  Resultate 
jenes  gröiseren  Werkes  wieder.  Audi  heute  noch  steht  Eteter  auf  dem 
Standpunkte,  dals  Schiller,  der  in  seiner  Jugend  Macbeth  'teuflisch'  nannte 
(Schlitten  I,  B-11),  spfiterhin  einen  'edlen  Feldherm'  in  ihm  sah,  'der  nur 
aer  Versuchung  der  Hexen  und  seines  Weibes  erliegt'.  Ein  solcher  Held 
wäre  in  der  sanzen  Schillerschen  Dramatik  unerhört,  und  gerade  die  Frei- 
heit, die  sich  Schiller  in  ethopoetischer  Hinsicht  allen  seinen  Vorlagen 
g^enüber  ninmit  (trefflich  hat  das  Köster  selbst  für  die  'Turandot'  n&ch> 
^wiesen  I),  hätte  am  wenigsten  hier  eine  heteronomische  Beeinflussung 
eines  Mannes,  der  sich  doch  im  Kampfe  seiner  Haut  zu  wehren  weils,  zu- 
gestanden. Auch  Ton  Wallenstein  hmlst  es,  zu  schwer  sd  für  sein  schUmm 
verwahrtes  Herz  die  Versuchung  gewesen,  aber  das  schlimm  verwahrte 
Herz  ist  das  erste  und  die  Versudiung  das  zweite^  auch  für  Gestalten 
wie  Max  Piocolomini  kommt  es  zu  einer  Trübung  ihrer  seelischen  Har- 
monie, aber  sie  bleibt  vorübei^ehend,  und  sie  nnden,  mögen  sie  auch 
physisch  zugrunde  gehen  oder  des  Lebens  überdrüssig  werden,  doch 
moralisch  ihr  Gleichgewicht  wieder.  Zu  diesen  Naturen  eehört  Wallen- 
stein nicht,  der  sich  selber  sagt,  dals  er  nicht  ohne  Wunsch  durchs  Leben 
^lea  könne,  daia  seine  Natur  ihn  zur  Erde  hemiederziehe,  unter  deren 
Oberfläche  schlimm  geartete  Dämonen  hausen.  Gewifs  y^olgt  er  edle 
Zwecke,  aber  dazu  bäarf  er  der  Macht,  und  diese  *Macht  ist's,  die  sein 
Herz  yerführt'.  Genau  so  steht  es  mit  Macbeth.  Die  Versuchimg  ist 
eben  nicht  das  Ausschlaggebende,  der  letzte  Grund  des  Unheils  liegt  im 
eigenen  Charakter,  und  um  das  so  klar  und  deutlich  als  möglich  zu 
machen,  hat  Schiller  die  Hexenszene  am  Eingang  so  bedeutsam  erwdtert. 
Hier  wird  dreimal  ganz  klar  ausgesprochen,  daCs  es  auf  den  Menschen 
selbst,  auf  seine  innerste  Anlaj^  ankomme,  wie  er  sich  der  Prophezeiung 
s^ennber  verhalten  werde.  Einen  Banquo  läist  die  Wahrsagung  ziemlicn 
kalt,  Macbeth  wird  aufs  tiefste  von  ihr  betroffen,  weil  sie  an  sdnen  Lebens- 
nerv rührt.  Schon  lange  hat  er  von  Herrscherwürde  geträumt,  nun  scheint 
sich  die  Erfüllung  darzubieten.  Die  I^a^k  Uegt  aber  bei  ihm  wie  bei 
Wailenstein  und  der  Königin  Elisabeth  dann,  daß  er,  zum  noindesten  nach 
Schillers  Auffassung,  keine  Benaissancenatur  im  Sinne  der  Übermenschen 
der  italienischen  Dynasten  ist,  dals  ihm  das  robuste  Gewissen  fehlt,  worüber 
Richard  III.  verfügt.  Was  er  um  seiner  Leidenschaft  wegen  tun  muis, 
das  bereitet  ihm  aus  sittlichen  Gründen  Sc^uder,  und  es  bedarf  eines 
eewaltsamen  Anlaufs,  um  über  diese  Bedenken  hinwegzukommen.  Dieser 
Anlauf  nun  erfolgt  auch  hier  auf  ganz  parallele  Weise  wie  bei  Wallen- 
stein :  der  energische  Abfall  zum  Egoismus  und  zur  Sinnlichkeit,  die  Um- 
wandlung zum  krassen  l^rannen  fällt  mit  der  EUngabe  an  den  Aber- 
glauben, an  das  bewulste  Erforschenwollen  des  Unergründlichen  zusammen ; 
Sier  sucht  Macbeth  selbst  die  Hexen  auf,  um  bei  ihnen  Bats  zu  holen; 
nnd  j;etren  dem  Wink  ihrer  Meisterin,  die  schon  böse  darüber  ist,  daIJs 
sie  emem  schwachen  Menschen  Unp^eures  zugemutet  haben,  verblenden 
sie  ihn  nun  bis  zur  BewuistloBifl^eit  und  lassen  ihn  auf  diese  Weise  in 
sein  Verderben  rennen.  Wie  Wailenstein,  ficht  dieser  Macbeth  zuletzt 
bloXs  noch  um  sein  äufseres  nacktes  Leben;  sein  Herrschertrieb  ist  zum 
Selbsterhaltunsstrieb  herabgesunken.  'Betrüglich'  sind  die  Wahrsagungen 
der  Hexen  ni&t,  insofern  sie  sich  nachher  als  falsch  herausstellten,  son- 
dern insofern  sie  von  dem  abergläubischen  und  durch  Leidenschaft  ver- 


202  Bearteilangen  und  kurze  Anaeigeo. 

blendeteii  MenBchen  aliB  BeBtimmunff  anfgefaist  werdeo,  die  er  mit  IrdiBcheii 
Mitteln  zu  rerwirklichen  habe,  mdcj^uo  wartet  ab,  was  das  SchSdnai 
bringt,  und  strebt  der  Eönigswürde  für  seine  Nachkommen  nicht  nadi; 
'mit  dem  G^eschick  in  hoher  £2inigkeit'  errdcht  er  ohne  £inffriff  in  den 
natürlichen  Verlauf  der  Dinge  das  in  Aussicht  gestellte  ZaeL.  —  Wenn 
andersdts  Röster  mdnt,  der  Wortreichtum  der  Senillerschen  Bearbeitung 
MffenOber  dem  Original  sei  darin  bc^rflndet,  dais  es  Schiller  'häufig  genug 
Belbetzweck  war,  schöne  Verse  zu  (Sehten,  für  die  erstrebte  neue  Kunst 
der  Bühnendeklamation',  so  möchten  wir  auf  den  weiter  unten  zu  Bartels' 
Aufsatz  herangezogenen  Aussprudi  des  Dichters  über  die  Notwendigkeit 
einer  aussiebigeren  Diktion  Terweisen. 

Auf  die  treffliche  Einleitung  zu  'Turandot',  die  alles  für  das  weitere 
Publikum  zur  literarhistorischen  Orientierung  Unentbehrliche  mit  muster- 
gültiger Knappheit  bringt  und  GU>zzis  dichterische  Eigenart  und  Technik 
schan  beleucntet,  sei  nur  mit  dem  Ausdruck  des  Dankes  verwiesen.  Was 
die  'Phfidra'  angeht,  so  h&tten  wir  gern  eine  Erklärung  dafür  gehört, 
warum  Schiller  unter  den  französischen  Klassikern  allein  Racine  von  der 
sonst  allgemeinen  Verurteilung,  ausnahm;  die  bei  aller  formellen  Gebun- 
denheit doch  unverkennbar  reaSstische  Darstellung  des  emotionellen  Lebens, 
die  diesen  Dramatiker  vor  dem  descartisch  yernunftkühlen  Comdlle  aua- 
zeichnet,  modite  wohl  den  Ausschlag  geben.  Das  meint  wohl  Karoline 
Wolzosen  mit  ihren  auch  bei  Köster  angeführten  Worten:  'Diese  mfte 
Darstellung  der  Menschheit  in  ihrer  Allgemeinheit  und  ewieen  Natur- 
wahrheit ergpff  uns  im  tiefoten  Inneren  und  entzückte  uns.'  Leider  s^t 
Köster,  der  m  den  Einleitungen  zu  den  euripideischen  Stücken  die  Über- 
setzertechnik Schillers  so  eingdiend  und  klar  eriSrtert,  auf  die  AuflPaasung 
der  griechischen  Figuren  nicht  ein.  Die  Anmerkungen  zur  'Iphigenia'  hat 
er  in  sdnem  reichen  Kommentar  mit  v^arbettet,  sie  sollen  auJseraem  noch 
einmal  unter  den  'Vermischten  Schriften'  im  Zusammenhang  gebracht 
werden ;  wie  gern  hätten  wir  aus  der  Feder  des  feinsinnigen  Herausgebars 
eine  Auseinandersetzung  über  den  Charakter  des  Agamemnon  usw.  ge- 
lesen I 

Leider  reicht  der  hier  zur  Verfügung  stehende  Baum  nicht  zu,  um 
einem  so  inhaltreichen  Werke  wie  dem  marba^ier  SokiÜerhuch,  das  den 
Reigen  der  Forschungen  billig  eröffnet,  in  allen  seinen  Teilen  eerecht  zu 
weraen.  Für  die  pralshtroUe  Ausstattung  haben  wir  unseren  Dank  wohl 
der  Verlagsbuchhandlung  abzustatten,  die  auch  für  dne  im  ganzen  treff- 
lich gelungene  Wiedergabe  einer  sehr  grofsen  Anzahl  von  Porträts  Schillers 
und  der  Seinigen,  von  Abbildunggi  seiner  Wohnstätten  usw.  Sorge  be- 
tragen hat  Hier  nur  ein  kurzer  Überblick  über  das  Wichtigste  des  Ge- 
botenen mit  einzelnen,  mehr  gel^ntlichen  Bemerkungen.  Ericn  Schmidt 
teilt  einen  Brief  Humboldts  an  Frau  von  Stael  ÜMr  Schillers  Tod  mit, 
Alexander  von  Gl  eichen -Rufs  wurm  berichtet  über  das  'SchillermusMim 
zu  Greifen  stein',  Baumeister  v^sucht  'Schillers  Ideen  vor  sdnem 
Dichterberuf'  zu  entwickeln.  Über  das  Thema  eines  der  bedeutoidsten 
Beitrl^:  'Frdheit  und  Notwendigkeit  in  Schillers  Dramen'  von  Theo- 
bald  Ziegler,  habe  ich  mich  inzwischen  in  dnem  eigenen  Buche  ge- 
äulsert.  Feinsinnig  verfolgt  Walzel  die  Andeutungen  über  bild^ide 
Kunst  in  Schillers  Werken.  'Nicht  seine  Begabung,  nioit  eine  anreffungs- 
reiche  künstlerische  Umgebung  hat  Schiller  dem  jäeiche  der  Plastik  und 
Malerei  zugeführt.  Und  doch  möchten  wir  nicht  missen,  was  innerhalb 
seines  Schufens  diesem  Reiche  angdiört  Der  Philosoph  Schiller  hat  hier 
Anschauungen  gefunden  für  seine  Lieblingsideen ;  der  Phantasie  des  Dich- 
ters ist  diese  Anschauung  eine  Quelle  ^worden,  aus  der  sie  gern  schöpft. 
Dem  Dramatiker,  der  von  einer  musikalischen  Stimmung  ausging,  er- 
standen durch  die  bildende  Kunst  plastische  Ruhepunkte  lür  die  ifilodie 
seiner  tragischen  Muse.'    Mit  besonderer  Freude  oegrüisen  wir  die  'Bd- 


Benrtdlimgeii  und  kurze  Aiiseigen.  20S 

traee  der  amerikaniBcheii  GtermaniBten.  Da  spricht  M.  Dexter  Learned- 
Phuadelphia  über  'Schillers  literarische  SteHune  in  Amerika',  F.  Bichter- 
St.  Louii  über  den  Schillerrereln  in  Amerika  und  Otto  Schneid er- 
Eyanston  über  *  Schiller  als  Bannerträ^  des  deutschen  Gedankens  in 
Amerika';  ^anz  kurz,  aber  bedeutsam  smd  die  Ausführungen  Franckes 
über  'die  innere  Verwandtschaft  von  Naturalismus  und  Symbolismus'. 
'Sowohl  Naturalismus  wie  Symbolismus  sind  Ausflüsse  einer  intensiv  ge- 
steigerten Sul^ektivit&ty  eines  fieberhaft  gespannten  Interesses  an  dem 
Innenleben.'  Leichter  wiegt  P fisters  Aiusatz  über  'Sohiller  als  Erie^- 
mann'  oder  ein  Beitrag  wie  die  'Teilstudien'  Auerbachs,  die  Bettelheim 
aus  dem  Nachlals  abdruckt.  Biographische  Ausführungen  geben  Eraufs, 
'Friedrich  Schiller  in  der  Ludwigsburger  Lateinschule',  H.  Fischer, 
'Schiller  und  die  Seini^en  bei  Hermann  Kurz',  Pfeiffer  über  'Schiller 
in  der  Earlsschule';  aucn  Weizsäcker  über  'Ohristophines  Schillerbilder' 
eehört  dahin.  Für  uns  bedeutsamer  sind  die  literargeschichtlichen  Aus- 
führungen. Qeschickt  führt  Kilian  ('Don  Carlos  aiu  der  Bühne')  seine 
ans  der  Beclamschen  Bibliothek  bekannte,  ausRezeichnete  Don  Garlos- 
Bearbeitung  ein.  Weniger  spricht  uns  der  Aufsatz  von  Westen  holz 
'Wallenstetn  undMacbew'  an,  der  bei  weitem  nicht  so  tief  in  das  psycho- 
logische Problem  des  'Wallenstein'  eindringt  als  die  obenerwähnte  Arbeit 
von  Zitier.  L.  Geigers  Aufsatz  'Schiller  und  Diderot'  ist  wichtig  durch 
■eine  Vergleichung  zwischen  der  Erzählung  'Merkwürdiges  Beispiel  einer 
weiblichen  Bache'  mit  dem  Original,  weni^  durch  den  kurzen  Hinweis 
auf  die  verschiedene  Gestaltung  des  gleichen  Stoffes,  des  Motivs  der 
'Bürgschaft'  bei  beiden  Dichtem.  Adolf  Frey  weist  die  Beziehung  zwischen 
'Schiller  und  Matthisson',  insbesondere  im  'Spaziergang'  nach,  verfolgt 
auch  Spuren  der  Einwirkung  des  Lyrikers  bis  m  den  *TeJl'  hinein,  dessen 
Hdd  dem  von  jenem  verherrlichten  Berufe  des  Gemsjägers  obliegt.  Treff- 
lidi  wägt  er  in  einer  Analyse  des  Schweizerdramas  aie  durch  die  fest- 
stehenden Motive  bedingten  Schwierigkeiten  ab,  die  sich  der  dramatischen 
Komposition  in  den  Weg  stellten  und  bei  dem  eiligen  Abschlufs  des  Werkes 
sich  nur  um  so  fühlbarer  machten.  Sehr  wertvoll  für  den  deutschen 
Unterricht  sind  seine  Ausführungen  über  Gefsler,  minder  zwingend  er- 
scheinen seine  Bedenken  gegen  den  Schlufs  der  Einffanesszene.  Inter- 
essante Studien  über  'SchiUers  Balladentechnik'  bietet  Bulthaupt,  und 
Litzmann  erfafst  'Schillers  Balladendichtun^'  lüs  Ganzes,  um  auf  ihren 
tiefen  Gehalt  und  ihre  formale  Vollendung  hinzuweisen.  Mit  Recht  be- 
tont er  den  hohen  künstlerischen  Wat  dieser  kleineren  Werke  des  Dich- 
ters und  verwahrt  sich  gegen  ihre  handwerks-  und  cewohnheitsmälsiffe 
Bdiandlung  in  der  Schule.  'Die  Folge  ist,  da(s  die  Junten  alle  Freude 
und  allen  ftespekt  vor  dem  Kunstwerk  verlieren  und  mit  Sdullerschen 
Balladen  den  B^riff  und  die  Vorstellung  von  unerträglicher,  moralisieren- 
der Pedanterie  und  höchstens  von  einer  Beihe  schön  klinraider  Verse 
verbinden  lernen.  Wenn  ?rir  so  fortfahren,  so  werden  wir  Schiller  uns 
und  unseren  Kindern  bald  völlig  verleidet  haben.  Hier  wäre  ein  War- 
nongsmfy  videant  consules,  am  Platze.  Denn  es  handdt  sich  um  einen 
gentigen  Raubbau,  der  uns  unerme£slichen  Schaden  tut'  Diese  Gefahr 
können  Aulsätze,  wie  die  beiden  zuletzt  genannten,  die  sich  teilweise  mit- 
dnander  berühren,  gar  wohl  vermindern,  und  darin  beruht  der  Wert 
solider  Mahnrufe,  dals  die  Meister  der  Wissenschaft  selbst  Hand  anlegen, 
um  die  Zustände  zu  bessern.  Nur  jrilt,  was  Litzmann  von  den  Balladen 
sagt,  noch  mehr  von  den  Dramen.  Was  uns  not  tut,  ist  ein  wissenschaft- 
laäk  exakt  fundierter  und  von  künstlerischem  Nachempfinden  getragner 
groAer  Gesamtkommentar  zu  Schillers  Werken  —  eine  Arbeit,  um  deren 
Anbahnung  und  Förderung  sich  unsere  Akademien  im  Jubiläumsjahre 
verdient  machen  dürften! 

Wertvoll  durch  die  mutige  Zerstörung  altererbter  Irrtümer  ist  auch 


204  BeortoüimgeQ  und  knrae  Anzeigen. 


der  AuisatK  von  Otto  Harnack  über  'Schiller  und  Herder*.  Vielleicht 
geht  er  etwas  zu  weit  in  der  Behauptung,  Weimar  sei  zur  Elassikaxdt 
überhaupt  keine  literarische  Stadt  gewesen,  aber  das  kann  man  ihm  ohne 
weiteres  zugeben:  'Was  die  grolsen  Dichter  anzog  und  festhieit,  waren 
die  PersGnhchkeiten  des  Herzogs  und  seiner  Mutter,  die  es  yerstanden, 
die  yerschiedensten  IndiTidualitäten  zu  fessehi;  für  sich  aber  lebte  jede 
dieser  Indiyidualitaten  isoliert,  wohl  fanden  sie  sich  bisweilen  für  dne 
Strecke  Wegs  mit  einsr  anderen  zusammen,  aber  nur  soweit  es  der  Gang 
des  eigenen  G^tes  ihr  wünschenswert  machte.  Selbst  mit  dem  spat  ee- 
schlossenen  Freundschaftsbund  Schillers  und  Goethes  steht  es  nicnt 
anders.'  Und  ausgezeichnet  ist  die  Auseinandersetzung  über  die  schlieCs- 
liche  Trennung  Herders  von  der  Horengenossenschaft,  der  er  nur  schein- 
bar eine  ZeiÜimg  angehört  hatte;  vielleicht  hätte  Harnack  hier  die  Farbe 
etwas  kräfti^r  auftra^;eii  und  auch  der  weiblichen  Einflüsse  gedenken 
sollen,  die  hier  im  Spiele  waren,  immerhin  war  es  gut,  den  Nachdruck 
darauf  zu  l^n,  dals  bei  dem  grollenden  Ausweichen  Herders  weniger 
kleinliche  Verbitterune  als  ein  klares  Bewufstsein  davon  entscheidend  war, 
dafs  jede  der  preisen  Naturen  ihre  eigenen  Wege  gins;  das  Ziel  mochte 
das  gldche  sem,  die  Weggenossen  aber  konnten  ni(£t  Schulter  an  Schulter 
dahinsteuem.  Dagegen  mOchte  ich  nicht  gleich  für  die  erste  Weimarer 
Zeit  und  besonders  nir  die  Jenaer  Jahre  das  Verhältnis  der  beiden  Männer 
so  kühl  auffassen,  wie  Harnack  tut  Dieser  übersieht  augenscheinlich 
manches  wichtige  Dokument,  wie  den  Brief  (Jonas  Nr.  271)  an  Kömer 
vom  15.  Mai  1^8:  'Ich  habe  mich  mit  Herder  über  historische  Schrift- 
stellerei,  Magnetismus  und  verborgene  physische  Kräfte  unterhalten.  Er 
ist  sehr  für  oie  letzteren  ...  so  sait  er  von  sich,  dais  ihm  das  erste  Zu- 
sammenkommen mit  einem  fremden  Menschen  ein  dunkles  physisches 
Gefühl  erwecke,  ob  dieser  Mensch  für  ihn  tauge  oder  nicht,  Herder  neigt 
sich  äulserst  zum  Materialismus,  wo  er  nicht  schon  von  ganzem  Herzen 
daran  hängt.  Sein  letzter  Teil  der  Ideen  wird,  wie  er  mir  sagt,  nicht 
herauskommen.  Fertig  ist  er  langst;  warum  er  damit  zurückhält,  mochte 
ich  ihn  nicht  fragen,  weil  es  wahrscheinlich  seine  verdrielsliche  Ursache 
hat.  Vielleicht  kann  ich  ihn  im  Manuskript  von  ihm  erhal- 
ten, und  dann  sollst  Du  auch  dabei  zu  Gaste  sdn.  Ich  bin  willens, 
Herdern  diesen  Sommer  sozusagen  zu  verzehren.'  Diese  Stelle 
zeigt,  dafs  von  einer  gMjenseitiffen  Interesselosigkeit,  wie  sie  Harnack 
S.  75  konstatiert,  keine  Kode  sdn  kann;  und  dafs  Schiller  die  'Ideen' 
nicht  blos  gelesen,  sondern  auch  für  seine  eigenen  historischen  Arbeiten 
benutzt  habe,  hoffe  ich  in  Kürze  an  anderer  Steile  nachweisen  zu  können. 
Auch  kann  man  nicht  Herder  so  ohne  weiteres  als  Kultnrhistoriker, 
Schiller  als  vorwiegend  politisdien  Gkechichtschreiber  hinstellen,  wie  das 
S.  76  geschieht  Auch  Schiller  hat  das  allgemeine  Kulturelement  theo- 
retisch und  praktisch  scharf  betont  Freilich  hat  Harnack  sehr  recht 
damit,  dafs  Schiller  immer  wieder  bei  der  Herausarbeitung  der  grolsen 
Menschen  anlangt,  die  eigentiich  die  Geschidite  'machen ,  und  ebenso 
klar  legt  unser  ^richterstatter  den  Grundunterschied  der  Weltanschauung 
dar,  der  Herder  von  den  beiden  großen  Freunden  trennte.  Herder  strebt 
nadi  Humanität  an  sich,  Goethe  und  Schiller  meinen,  'dafs  jede  Tätig^kdt 
nur  dadurch  zu  ihrer  höchsten  Stufe  edanjge,  dafs  sie  Selbstzweck  wird'; 
wir  werden  sagen  können:  Herder  fa£t  die  Humanität  in  realistischem, 
die  beiden  Klassiker  in  nominalistischem  Sinn  auf;  es  seht  ihnen  mit 
ihr  wie  Luther  mit  der  ReU^on  und  dem  Christentum,  sie  ist  nicht  eine 
Sache  für  sich,  sondern  gleichsam  eine  Methode,  andere  Sachen  anzu- 
fassen; der  Künstler,  der  Gdehrte,  der  Staatsmann,  sie  alle  haben  auf 
ihrem  besonderen  Betätigungsfelde  an  der  Herausarbeitung  des  allgemein 
Menschlichen  mitzuarbeiten;  dabei  läfst  sich  klar  und  scharf  etwas  den- 
ken; Herders  B^gritf  der  Humanität  aber  schwebt  in  der  Luft  und  ist 


Beaiteflimgen  und  kurze  Anzdgen.  205 

im  Grande  genommen  von  seiner  eigenen  Individnalitfit  abliängig;  je 
enger  mid  kleiner  diese  allmShlich  wnrae,  nm  so  mehr  mnlste  er  an  Wirk- 
samkeit ins  Grofse  einbüfsen. 

Weniffer  zufrieden  sind  wir  mit  dem  Beitrage  Adolf  Bartels'  über 
'Schillers  Theatraüsmus';  der  Verfasser  verwahrt  sich  g^gen  den  Vorwurf 
der  Sdullerfeindschaft;  wir  wollen  diesen  nicht  aufs  neue  erheben,  mag 
Schiller  befeinden,  wer  will  und  sich's  zutraut.  Wenn  aber  Bartels  in 
der  Steile  seiner  Literatureeschichte,  die  er  hier  ausschreibt^  die  Behaup- 
tung aufstellt:  'Ich  bin  aUerdings  der  Ansicht,  dafs  das  spezifisch  Schiller- 
sche  (im  Drama,  wohlverstanden,  besser  noch  in  der  oramatischen  Qe- 
staltun^  Überwunden  werden  muis,  ia  längst  überwunden  ist,  da  alle 
Schillenaner  von  Auffenberg  bis  Wildenbruch  in  der  Hauptsache  ge- 
sdieitert  sind'  ~  dann  müssen  wir  doch  sein  Verständnis  billig  einiger- 
m&ben  anzweifeln;  denn  alle  Formen  der  Schillerschen  Dramatik  fUelsen 
aus  dem  Bestreben  hervor,  seine  von  Bartels  höchlichst  fl;eprieeene  Welt- 
anschauung an  dem  bestimmten  dramatischen  Problem,  aas  er  bearbeitet, 
zum  Ausdruck  zu  bringen.  Weil  aber  Schiller  zwar  überkommene  For- 
men verschi^ener  Art  zur  Verfügung  hatte,  seine  Weltanschauung  aber 
neu  und  einzig  war,  so  sehen  wir  ihn  in  der  Form  bald  hier,  bald  dort 
tastende  Versuche  wagen,  so  dals  von  dnem  'spezifisch  Schillerschen'  in 
der  drunatischen  Gestoltune  eigentlich  kaum  die  Bede  sein  kann.  Bartels 
wirft  nun  Sdiiller 'Theatnüismus'  vor,  d.  h.  den  'blolsen  Schein  an  Stelle 
des  das  Leben  spiegelnden  Scheins,  im  tiefisten  Grunde  natürlich  das  Un- 
yermögen,  das  Lebä  wahrhaft  zu  gestalten,  dann  natürlich  auch  das  quasi 
geedimlidLe  fiaffinement,  das  die  durch  aas  Theater  mögliche  Wirkung 

fmau  studiert  hat  und  nun  statt  des  wirklichen  Gewitters  das  brillante 
euerwerk  abgibt'  Natürlich  stellt  Schiller  diese  Unarten  nicht  in  ihrer 
äofBersten  Form  dar,  und  'a  priori  verwerflich  ist  sie  ja  nicht,  so  wenig 
wie  die  Rhetorik,  es  kommt  auf  den  Gebrauch  an.'  Ich  glaube  aber,  wenn 
der  TheatraJIismus  wirklidi  den  bloisen  Schdn  statt  des  ästhetischen  Scheins 
yerwendet,  dann  ist  er  ein  für  allemal  vom  Übel  und  darum  verwerflich. 
Also  entweder  hat  Schiller  auf  den  bloisen  Schein  hin  gearbeitet  oder 
nidit,  das  ist  die  Kernfrage.  Wer  seinen  Briefwechsel  aufmerksam  durch- 
gearbeitet hat,  wer  seine  Prosaschriften,  insbesondere  die  ästhetischen  Briefe, 
wirklich  kennt,'  wird  anderer  Meinung  sein  und  hohe  Achtung  vor  Schillers 
künstlerischem  Ernst  davontragen;  wer  in  seinen  Dramen  Wort  für  Wort 
nachwägt,  der  wird  jedenfalls  kaum  in  die  Lage  kommen,  irgeoidwo  auch 
nur  die  Ansätze  zu  einer  blols  sinnlichen  oder  Wirkung  um  ihrer  selbst 
willen  nachzuwdsen,  die  nicht  aus  dem  dramatischen  Gefüge  mit  Not- 
wendigkeit hervorginge.  Freilich,  aus  dem  dramatischen  Geffige  im  Sinne 
Schillers.  Und  ihm  ist  es  ja  vor  allem  dartun  zu  tun,  in  dem  Einzel- 
sdiicksal,  das  sidi  da  vor  uns  abspielt,  das  Ewige,  Bleibende,  Natur- 
gemäise  hervorzuheben;  wer  dies  seinen  Hörern  zum  BewuTstsein  bringen 
wiUy  braucht  mit  Eücksicht  auf  das  tiefe  Verständnis,  das  unser  Publikum 
dem  Gkhalt  eines  Dramas  entg^enzubrinsen  pfl^t,  szenische  und  Aus- 
dmcksmittel,  die  an  und  für  sich  betrachtet  wohl  den  Eindruck  reiner 
Theatralik  machen  können.  Aber  Bartels  glaubt,  aus  einem  Briefe  Schillers 
das  Geständnis  seiner  theatralischen  Arbätsweise  herauslesen  zu  können. 
Ist  das  richtig,  dann  können  wir  nichts  Besseres  tun,  als  Schillers  Dramen 
sofort  aus  dem  Lehrplan  unserer  Sdiulen  herauszustreichen:  Theatralik 
bietet  unser  öffentliches  Leben  genug,  wir  brauchen  uns  nicht  auch  noch 
in  der  Schule  mit  Phrasenschwindd  herumzuschlagen  und  ihn  gar  als 

*  VgL  aber  den  Soheinbegriff  besonders  den  aechBiindzwanzigsten  Brief,  s.  B. : 
*Niir,  soweit  er  aufrichtig  ist  (sich  von  allem  Ansprach  aof  Realität  ausdrflcklioh 
lossagt),  and  nur,  soweit  er  selbständig  ist  (allein  Beistand  der  Bealitit  entbehrt), 
ist  der  %yhffH  isthttHiitth.' 


206  BeuiteÜungen  und  kurze  Anzeigen. 

Büdungsmittel  zu  yerwendcn.  Nun  lautet  die  Stelle,  in  der  Schiller  einen 
Verffleich  zwischen  sich  und  Gk)ethe  zieht,  folgendermafsen  (Jonas  II,  288) : 
'Er  nat  weit  mehr  Genie  als  ich  und  daher  weit  mehr  Bei<mtum  an  Kennt- 
niasen,  eine  sicherere  Sinnlichkeit  und  vor  allem  diesem  einen  durch 
Kunstkenntnis  aller  Art  geläuterten  und  verfeinerten  Kunstsinn;  was  mir 
in  einem  Grade,  der  ganz  und  gar  bis  zur  Unwissenheit  eeht,  mangelt. 
Hätte  ich  nicht  einiffe  andere  Talente,  und  hätte i<3i nicht  soviel 
Feinheit  gehabt,  diese  TiJente  und  Ferti^dten  in  das  GKebiet  des  Dramas 
hinüberzuziehen,  sowOrde  ich  in  diesem  Fache  ffar  nicht  neben  ihm  siebt- 
bar geworden  sein.  Aber  ich  habe  mir  eigentlicn  ein  eigenes  Drama  nach 
meinen  Talenten  gebildet,  welches  mir  eine  geynsse  Ex(älence  darin  gibt, 
eben  weil  es  mein  eigen  ist  Will  ich  in  das  natürliche  Drama  ein- 
lenken, so  fühle  ich  die  Superiorität,  die  er  und  viele  andere  Dichter  aus 
der  vorigen  Zeit  über  mich  haben,  sehr  lebhaft'  Es  erhebt  sich  sofort 
die  Frage,  welcher  Art  denn  nun  diese  besonderen  Talente  Schillers  sein 
mdgen,  und  Bartels  ist  alsbald  mit  der  Auskunft  bereit,  das  sei  'doch  nur 
so  zu  deuten,  dafs  der  Dichter  sich  der  ihm  aus  seinem  Tdent  erwachsen- 
den Notwenoiffkeit,  im  Drama  bisweilen  das  theatralisdie  Surrogat  für 
die  wahrhaft  dramatische  Darstellung  zu  geben,  selber  bewuist  war.'  Das 
heilst  interpretieren!  Nun  geht  aber  alles  rein  Theatralisdie  allemal  aufis 
Sinnliche,  und  gerade  darin  hatte  doch  Schiller  einen  Goethe  als  superior 
anerkannt  I  Wenn  nur  Bartels  die  nächsten  paar  Zeilen  hinzugezogen 
hätte,  so  wäre  er  auf  den  Kern  der  Sache  ^toTsen.  'Denn  ohne  ein 
grofsee  Talent  von  der  einen  Seite  hätte  ich  einen  so  grolsen  Mangel  von 
der  anderen  nicht  so  weit  bringen  können,  als  geschehen  ist,  und  es  über- 
haupt nicht  so  weit  bringen  können,  um  auf  Goethe  zu  wirken.'  Und 
darauf  kam  es  ihm  vor  allem  an.  Wenn  Richard  Wagner  einmal  im  Hin- 
blick auf  Beethoven  sagt,  der  Deutsche  wolle  seine  Musik  nicht  blols 
fühlen,  er  wolle  sie  auch  denken  bezw.  sich  etwas  dabei  denken,  so  können 
¥nr  BeeÜioven  in  dieser  Hinsicht  unmittelbar  neben  Schiller  stellen.  Gk>ethe 
ist  ein  so  allgewaltiger  Beherrscher  der  Sinnlichkeit,  dals  er  durch  die 
blolse  Anordnung  des  realen  Lebens  den  Zuschauer  mit  fortreilst,  wohin 
er  ihn  haben  wiU;  Schiller  man^lt  eine  Anschaulichkeit  in  diesem  Grade, 
er  kuin  den  Hörer  nicht  unmittelbar  emi)finden  lassen,  dafs  da  eine 
Einzelhandlnng  von  symbolischem  Wert^  sich  abspielt,  er  braudit  ein 
Bindeglied  zwischen  Bühne  und  Znschauarraum,  die  volle  Wirkung  wird 
durdi  intellektuelle  Hilfe  vermittelt,  Schiller  will  den  Hörer  auf  eine 
Höhe  heben,  von  der  aus  er  Handlung  und  Leiden  des  Helden  ttmer, 
unter  dem  Gesichtspunkte  der  Notwenmgkeit  überschauen,  mit  der  Frei- 
heit der  Vernunft  aarüber  urteilen  kann.  Darin  11^  seine  Stärke,  und 
diese  hat  er  mit  gutem  Rechte  ausgebildet  Darauf  beziehen  sidi  alle 
seine  Studien,  alle  seine  Ebcperimente.  Den  tieferen  Gehalt  des  Dramas 
möglichst  klar  herauszustellen,  teils  durch  das  mehr  oder  minder  subjektiv 
gefärbte  Aussprechen  der  wirkenden  Gesetze,  teils  durch  eine  scharf  aus- 
geprägte Form  der  Katastrophe,  die  ihre  Wirkung  auch  anf  den  Durch- 
schnittshörer  nicht  verfehlen  kann.  Denn  darauf  eben  kommt  es  Schiller 
an,  diesen  durch  die  ästhetische  Anschauung  'das  unvermeidliche  Schick- 
sal zu  inokulieren,  wodurch  es  seiner  Bösartigkeit  beraubt  und  der  An- 
griff desselben  auf  die  starke  Seite  des  Mensch«!  abgelenkt  wird.''  Dazu 
ist  die  Möglichkeit  völliger  Substitution  des  Hörers  unter  die  Gestalten 
des  Dramas  nötig,  und  diese  ist  von  der  unbedingten  Wahrhaftiriceit  der 
Darstellung  abhän^g;  diese  aber  verwechselt  Bartels  mit  der  Wirklich- 
keit, mit  dem  Reahsmus,  wenn  er  'geradezu  erschrickt',  daüs  in  dem  Auf- 
satz 'Über  die  tragische  Kunst'  das  'unbedingt  Wahre,  das  blols  Mensch- 
liche in  mmschlichen  Verhältnissen'  als  eigentlich  tragisch  ergiebig  hin- 

1  Schriften  X,  888. 


Benrtdlungen  und  kurze  Anztigeb.  207 

0e0tellt  wird,  weil  die  EnoBt  *bei  dieeem  allein,  ohne  dämm  anf  die  B&ke 
des  Eindmckfi  Verzicht  tun  zu  mfifisen,  der  Allffemeinheit  deeselhen  ver- 
sichert ist.'  Daraus  will  Bartdb  nlmlkli  eine  jeae  IndiTidualiaierung  aua- 
Bchlieißende  VeraUgemeinerung  der  Figi|ren  ableiten  und  b<rtoat  Schiller 
gegenüber  als  eigentliches  Element  des  Asthetischeii  das  Spezi^chel   Ich 
glaube,  in  Wahrheit  ist  Schiller  von  dem.  was  Bartels  fordert,  in  Theorie 
und  Praxis  gar  nicht  so  weit  entfernt.    Denn  nicht  von  den  Charakteren 
viiHi  der  Motiyierung  menschlicher  Pläne  und  Handlun^^  im  einzelnen 
fordert  Schiller,  wenn  wir  genauer  zusehen,  jene  Allgemeingfiltigkeit,  son- 
dern von  den  letzten  Prinzipien  des  Hanaelns;  in  bezug  auf  diese  soll 
£inheit  zwischen  dem  Publikum  und  dem  Dichter  walten,  damit  der  Iftollen- 
tausch  zwischen  dem  Zuschauer  und  dem  Helden  auf  der  Bühne  nicht 
erst  eine  intellektuelle  Zwischentatigkeit  nötig  habe.   In  die  heldenmAtige 
Aufopferung^  eines  Leonidas  werden  wir  uns  alle  hineinversetzen  können, 
nicht  aber  m  den  Bichterspruch  des  ersten  Brutus,  wie  Sdüller  meines 
Erachtens  mit  vollem  Rechte  betont;  wenn  sich  der  Zuschauer  erst  davon 
überzeugen  muis,  dals  unter  bestimmten  Verhältnissen,  wie  sie  die  römische 
Doktrin  mit  sich  brachte,  eine  Tat  wie  die  des  Brutus  nöti^  und  begreif- 
lich wurde,  vor  der  er  doch  selber  zurückschauert,  so  ist  seine  eigene  Er- 
hebung zur  ästhetischen  Anschauung  des  Schicksals,  das  sein  eigenes 
lieben  durchwaltet,  aber  durch  die  empirische  Wirklidikeit  zumeist  ver- 
dunkdt  wird,  zum  mindesten  behindert ;  und  wenn  wir  ehrlidi  sein  wollen : 
sucht  denn  ein  modemer  Dramatiker,  sobald  er  ein  Problem  wie  das  vor- 
liegende zu  lösen  hat,  uns  wirklich  zeitweilig  zu  alten  Römern  zu  machen? 
Beruht  nicht  die  ganze  Gröfse  der  Shakespearlschen  Römerdramen  darauf, 
d&ÜB  sme  Helden  eben  in  psychologischer  Beziehung  so  ^  nicht  römisch 
sind?   Wird  man  nicht  den  Anschlag  eines  Ooriolan  unmittelbar  aus  dem 
allgemein  Menschlichen  bezw.   den  Renaissanceanschauungen,   in   denen 
Shakespeare  lebte,   ableiten  müssen,  um  ihn  verständlich  zu  machen? 
Anders  handelt  auch  Sdiiller  nicht,  und  wer  die  grofsartige  Individualität 
WaUensteins  verkennt,  die  uns  doch  so  gewaltig  zu  Herzen  spricht,  dem 
ist  nicht  zu  helfen.   Zitiert  man  aber  eine  Schifiersche  Abhanalunj^,  dann 
mala  man  sich  mit  Schillers  GMankenganjg;en  so  genau  als  möghdi  ver- 
traut machen.    Hier  können  wir  nur  so  viel  sagen,  daXs  Schiller  seinem 
eigenen  Geständnis  nadi  in  der  angezogenen  Schrift  stark  mit  Eantischen 
Gedanken  arbeitet;   wenn  er  das  'blols  Menschliche'  nennt,  mit  dessen 
Hülfe  er  auf  das  wirken  will,  was  allen  Menschen  aemein  ist,  so  handelt 
es  sich  da  um  gesetzmäfsiffe  Verhältnisse  wie  das  aOgemein  gültige  Moral- 
prinzip des  katarischen  Imperativs;  wie  aber  dieser  für  Kant  nur  ein 
Formales  ist,  das  bald  diesen,  bald  jenen  spezifischen  Inhalt  annehmen 
kann,  so  bietet  Schillers  Theorie  und  Praxis  für  das  Spezifische,  Charak- 
teristische den  weitesten  Ranm  und  verlangt  nur  die  stete  Beziehung  auf 
das  allgemein  Mensdüiche,  ohne  die  eine  unmittelbare,  eine  ästhetische 
Anschauung  durch  den  Zuhörer  nicht  möglich  ist.  Auf  diese  kann  Schiller 
nicht  verziditen  um  des  Zweckes  willen,  den  er  der  tragischen  Dichtung 
überhaupt  zuschreibt    Man  mag  diesen  Zweck  verwerfen  und  damit  die 
ganze  Dchillersche  Kunst;  wenn  man  aber  Über  sie  urteilen  will,  mufs 
man  sie  doch  als  Ganzes  bis  in  ihre  psychologischen  Wurzeln  hin  ver- 
folgen :  'Wollt  ihr  nach  Regeln  messen,  was  nicht  nach  eurer  Regeln  Lauf, 
der  eignen  Kunst  vergessen,  sucht  davon  erst  die  R^gel  aufl'    Jedenfalls 
irird  niemand,  der  Sdüllers  Kunsttheorie  im  Zusammenhang  durchdenkt 
und  seine  dramatische  Praxis  damit  vergleicht,  eine  äufserliche,  unmittel- 
bure  Wirkung  einzelner  Teile  konstruieren  können.    Nur  ein  paar  Bei- 
spiele dafür.    Jene  wunderbare  Einmischung  Albas  in  die  Schlulsszene 
des  'Egmont',  die  Gtoethe  so  widerwärtig  war,  und  die  zum  Glück  nicht 
in  unsere  Bühnenpruds  eingedrungen  ist,  lälst  nicht,  wie  Gk)eihe  meinte, 
auf  besondere  Grausamkeit  Sddllere  si^efisen,  was  Bartels  auch  ganz 


208  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

richtig  hervorhebt;  es  handelt  sich  aber  auch  nicht  blois,  wie  er  meint, 
um  ein  'rednerischee  Unterstreichen',  um  die  unorganieche  Herausarbeitung 
eines  Akzents,  sondern  um  die  letzte  Durchführung  der  dramati- 
schen Entwickelung  des  Charakters;  denn  darin  Sulsert  sich  das 
sewaltige  Schicksal  in  seinen  Dramen,  dals  es  die  Natur  herstellt,  nicht 
oloXs  im  ffrolsen  WelÜauf,  sondern  in  allen  einzelnen  Figuren;  und  die- 
jenisen,  die  auf  eine  abnorme  Einseitigkeit  angelegt  sind,  erscheinen  am 
Schluls  auf  dem  Gipfelpunkt  dieser  Entartung;  ein  Fiesko  ist  am  Schlüsse 
nur  nodi  der  Despot,  Wallenstein  sinkt  vor  unseren  Augen,  König  Philipp 
droht,  furchtbare  Zeichen  seiner  Macht  und  Grausanokeit  aufzuricht^; 
und  dieser  finstere  Alba,  der  den  Unschuldigen  zum  Tode  führen  lälst, 
sollte  so  einfach  von  der  Bühne  scheiden,  wie  wir  ihn  zuletzt  sahen,  gleich- 
sam als  Werkzeug  höherer  Befehle,  während  doch  persönlicher  Neid,  Jdein- 
liehe  Eifersucht,  wenigstens  nach  Schillers  Auffassuiig,  offenbar  mit  im 
Spiele  waren?  Nein,  er  muft  am  Schluis  als  der  S^sewicht  dastdien, 
mcht  zum  Schreckbild,  sondern  um  der  dramatischen  Entwickelune  an 
sebem  Teile  ihre  Bundun^  zu  geben.  Ein  anderes  Beispiel,  das  vief  be- 
rufen ist.  Max  und  Thekla  erscheinen  nicht,  um  dem  Verlaneen  des 
Pöbels  nach  der  'belle  passion'  nachzugeben;  sie  bildeo,  wie  uns  Schillers 
Briefwechsel  zur  Genüge  zeigt,  in  ihrer  idealen  Lebenshaltung  nidit  nur 
ein  Gegengewicht  ^egen  die  olols  realistische  Handlungsweise  der  Haupt- 
fiffuren,  sondern  em  Milfsmittel  für  den  Zuschauer,  um  zu  jener  höheren 
Warte  zu  gelangeiu  Ton  der  aus  der  Untergang  des  Helden  als  eine  ver- 
nünftige Zweckmäßigkeit  erscheinen  muis.  Endlidi  und  vor  allem:  die 
Schillerschen  Sentenzen  sind  keine  Glanzstücke,  sind  nicht  auf  äu&erliche 
Wirkung  berechnet,  im  Gegenteil  wollen  sie  eine  möglichste  Vertiefung 
des  Eindrucks  beim  Zuschauer  üben,  sie  wollen  ihn  zur  Auffassung  der 
Handlung  von  jenem  höheren  Gesichtspunkt  anleiten,  also  nicht  etwa 
moralische  Belehrung  im  einzelnen  geben,  sondern  im  Gagenteil  zur  ästheti- 
schen Anschauung  des  Ghuizen  verhelfen.  'Ich  lasse',  sagt  der  Dichter 
selbst,  'meine  Personen  viel  sprechen,  sich  mit  einer  gewissen  Breite  her- 
auslassen; Sie  haben  mir  darüber  nichts  gesagt  und  deinen  es  nidit  zu 
tadeln.  Ja  Ihr  eigener  Usus  sowohl  im  Drama  als  im  Epischen  spricht 
mir  dafür.  Es  ist  zuverlässig,  man  könnte  mit  wenigen  Worten  auskom- 
men, um  die  tragische  Handlung  auf-  und  abzuwickeln,  auch  möchte  es 
der  Natur  handänder  Charaktere  semafser  erscheinen.  Aber  das  Beupiel 
der  Alten,  welche  es  auch  so  g^alten  haben  und  in  den\jenigen,  was 
Aristoteles  die  G^esinnunp;  und  Meinung  nennt,'  gar  nicht  wortkars  ge- 
wesen sind,  schdnt  auf  em  höheres  poetisches  Gesete  hinzudeuten,  waches 
eben  hierin  eine  Abweichung  von  aer  Wirklichkeit  fordert.  Sobald  man 
sich  erinnert,  dais  alle  poetischen  Personen  symbolische  Wesen  sind,  daüs 
sie  als  poetische  Gestalten  immer  das  Allgemeine  der  Menschheit  aarzn- 
stellen  und  auszusprechen  haben,  und  sooald  man  femer  daran  denkt, 
daGs  der  Dichter  sowie  der  Künstler  überhaupt  auf  eine  öffentUdie  una 
ehrliche  Art  von  der  Wirklidikeit  sich  entfernen  und  daran  erinnern  soU,* 
dafis  er's  tut.  so  ist  ^egen  diesen  Gebrauch  nichts  zu  saflen.  Auiserdem 
würde,  deucnt  mir,  eme  kürzere  und  lakonischere  Behandlungsweise  nicht 
nur  viel  zu  arm  und  trocken  ausfallen,  sie  würde  auch  viel  zu  sehr 
realistisdi,  hart  und  in  heftigen  Situationen  unausstehlich  sdn,  dahingegen 
eine  breitere  und  vollere  Behandlungsweise  immer  eine  gewisse  Buhe  und 
Gemütlichkeit  auch  in  den  gewaltigsten  Zuständen,  die  man  schildert, 
hervorbringt'  (Jonas  V,  418,  an  (Goethe).  Goethe  erkennt  nur  immanente 
Gesetze  als  im  Menschenleben  wirksam  an,  er  arbeitet  mit  dem  Dämoni- 
schen und  erreicht  den  Eindruck  des  Lebenswahren  durch  seine  grols- 

'  rjd'os  Hctl  dtavota. 

'  YgL  die  oben  gestreift«  Lehre  vom  Istlietischen  Schein. 


Beortalimgeii  und  kurze  Anzeigen.  200 

artige  'Sinnlichkät',  die  Schiller  an  ihm  neidlos  anerkennt,  durch  eine 
wunderbare  Fülle  von  EiDzelheiten;  die  durch  ihre  Zusammenstimmung 
den  Zuschauer  zur  y5liisen  Aneignung  des  Darffestellten  zwin^.  Schiller 
ist  einerseits  die  Gkibe  des  'Schauens^  in  irdis<3ien  Dingen  nicht  in  dem 
MaJGse  verliehen  wie  Goethe,  anderseits  kommt  es  imn  mehr  auf  die 
transzendenten  Gesetze  an,  zu  denen  er  den  Zuschauer  hinleiten  will; 
darum  stört  ihn  alles,  was  die  Aufmerksamkeit  von  den  Hauptsachen, 
vom  Bedeutsamen  abzieht;  wollte  er  sich  nun  in  realistischen  Formen 
ausdrücken  und  dodi  die  Überfülle  des  Nebensächlichen,  nicht  streng  Zu- 

gehörigen.  Indifferenten,  wie  sie  das  reale  Leben  bietet  und  eine  natura- 
stische  Kunst  mit  verwerten  muls,  ausscheiden,  so  bliebe  ein  karger  Rest 
übrig,  der  eher  illusionszerstörend  wirken  könnte;  daher  arbeitet  Schiller 
mit  wenigen  ESinzelmomenten,  aber  diese  sucht  er  zu  erschöpfen;  er  gdit 
nicht  in  die  Breite,  sondern  in  die  Tiefe,  bis  in  Jene  Tiefe,  wo  wir  den 
Elrscheinungen  einigermaisen  auf  den  Grund  kommen.  Wenn  das  theatra- 
lisch ist,  dann,  slber  auch  nur  dann,  ist  Schiller  der  gröiste  Theatraliker 
unter  unseren  Eiassikem. 

Zum  Schluis  nur  noch  einen  Beleg  dafür,  wie  Schiller  selbst  über 
das  blols  Theatralische  dachte:  'Die  Kunst  muXs  den  Ckist  ergötzen  und 
der  Freiheit  gefallen.  —  Aus  diesem  Grunde  verstehen  sich  diejenigen 
Künstler  und  Dichter  sehr  schlecht  auf  ihre  Kunst,  welche  das  JPatnos 
durch  die  blolse  sinnliche  Kunst  des  Affekts  und  die  höchstlebendigste 
Schilderung  des  Leidens  zu  erreichen  glauben.  Sie  vergessen,  dafs  das 
Leiden  selrat  nie  der  letzte  Zweck  der  Darstellung  und  nie  die  un- 
mittelbare Quelle  des  Vergnügens  sein  kann,  das  wir  am  Tragischen 
empfinden.''  — 

Der  Best  des  Bandes  muls  rasch  erledigt  werden.  Wohlwill  mustert, 
ohne  viel  Neues,  besonders  an  tatsfichlichem  Material,  beizubringen,  die 
Beziehungen  zwischen  'Schubart  und  Schiller',  R.  Vi  scher  teilt  aus  seines 
Vaters  '^^rtrftgen  über  neuere  deutsche  Poesie  den  Abschnitt  'Friedrich 
Hölderlin'  mit  Wertvolles  neues  Material  dagegen  bringt  Seuffert: 
sechs  'Wieland -Briefe'  aus  dem  Marbacher  Schillermuseum,  die  freilich 
nicht  vorzugsweise  für  die  Schillerkunde  in  Betracht  kommen.  Wichtiger 
für  unser  Thema  sind  die  'üngedruckten  Briefe  an  Schiller',  die  uns 
Hartmann  mitteilt.  Sie  stammen  zum  gröisten  Teil  von  Fr.  von  Hoven, 
dann  von  Oonz,  Haus  und  L.  Schubart  und  illustrieren  somit  Uartmanns 
Buch  über  Schulen  Jugendfreunde.  Wertvolle  Urkunden  imd  Briefe  'Von 
und  an  Schiller'  teilt  Güntter  mit  und  beleuchtet  damit  bedeutsame 
Wendepunkte  in  Schillers  Leben,  Jonas  schildert  die  Schwiegermutter 
des  Dichters,  Louise  von  Lengefeld,  Ernst  Müller  macht  Mittdlun^en 
'aus  dem  Nachlafis  von  Karoline  von  Wolzogen',  Petersen  aus  dem  Bnef- 
wechsel  zwischen  Schillers  Witwe  und  Cotta. 

Sehr  willkommen  zum  Jubiläum  ersdieint,  in  zweiter  Auflage,  Har- 
nacka  Schiller,  diesmal  im  Fest^wande,  d.  h.  mit  reichem  und  treff- 
lichem Bilderschmuck,  leider  in  einer  das  Auge  ermüdenden  Druckaus- 
stattung;  unter  den  neute  fertig  vorliegenden  Schillerbiographien  immer 
noch  die  gediegenste,  obwohl  der  Verfasser  auf  kritische  Auseinandersetzun- 
gen über  strittige  Punkte  grundsätzlich  verzichtet  und  sich  mit  Bücksicht 
auf  sein  Publikum  mehr  berichtend  als  diskutierend  verhält  Was  die  Aus- 
einandersetzung des  Vorworts  mit  den  Kritikern  der  ersten  Ausgabe  be- 
trifft, so  billigen  wir  Hamacks  Unterdrückung  rein  literatursescnichtlich 
intereeeierender  Abschnitte,  wie  z.  B.  der  Nachgeschichte  der  Räuber, 
zumal  ja  die  literarischen  Vorbedingungen  der  Werke  im  ganzen  voll  ge- 
würdigt werden;  ebenso  danken  wir  ihm  für  seine  Sparsamkeit  hinsicht- 
lich der  Anekdoten  aus  der  Kinderzeit,  hätten  aber  das  Milieu  mit  Leitz- 

>  Schriften  X,  156. 
AichiT  L  n.  Spncihen.    CXY.  14 


210  BeurteiluDgen  und  kurze  Anzeigen. 

mann  hier  nnd  da  etwaa  breiter  ausgeführt  Beben  mögen.  Wichtig  und 
entBcheidend  für  den  Wert  dee  Buches  ist  Hamacks  Auf&ssung  Sdoiliers 
als  einer  sich  stetig  entr^ckelnden  Energie,  die  nirgends  in  den  Zustand 
der  Ruhe  und  Stagnation  übergeht.  Auch  für  alle  Einzelfragen,  für 
Schillers  Ästhetik  und  Ethik,  für  seine  fiuisere  dramatische  Technik  wie 
für  die  Gestaltung  smer  Charaktere  muis  der  chronologische  Standpunkt 
entschieden  durchgeführt  werden;  freilich  wird  dann  überall  das  Bleibende 
und  Unabänderliche  hervortreten,  aber  ebenso  scharf  werden  sich  die  immer 
wechselnden  und  sich  immer  vervollkommnenden  Formen  abheben,  in 
denen  das  Bleibende  seinen  Ausdruck  findet  Im  übrigen  schöpft  Hamack 
die  Urkunden  nach  Mö^chkeit  aus,  wo  es  sich  um  wirkliche  Aufhellung 
des  Seelenlebens  seines  Beiden  handelt,  vor  allem  in  der  viel  umstrittenen 
Frage  nach  Schillers  Verhältnis  zu  Liebe  und  Ehe.  Ich  elaube  Hamack 
auch  hier  recht  geben  zu  müssen:  er  war  der  Dichter  und  der  Mann  der 
Freundschaft,  nicht  der  Liebe,  wenigstens  nicht  der  sinnlichen  liebe;  er 
beteachtete  die  Leidenschaft  immer  nur  als  einen  vorübergehenden  Zu- 
stand, der  durdi  die  vemünftiffe  Natur  des  Menschen  überwunden  werden 
müsse,  und  sah  eben  in  der  bleibenden  Liebe  nur  eine  Form  der  reinen 
Freundschaft,  wie  sein  nichts  weniger  als  anstöisigee  Doppelverhältnis  zu 
den  Schwestern  Lengefeld  zur  Qenü^  dartut.  Hätte  Scniller  sein  Ver- 
hältnis zur  Gattin  nicht  vorzugsweise  als  Freundschaft  aufgefafst,  wie 
wäre  es  ihm  dann  möelich  gewesen,  in  den  'Idealen'  der  Liebe  mit  den 
anderen  Traum-  und  Wahnvorstellungen  den  LaufpaCs  zu  geben  und  nur 
'der  Freundschaft  leise,  zarte  Hand'  und  die  'Beschäftigung,  die  nie  er- 
mattet', zu  feiern,  ohne  die  Gattin  aufs  tie&te  zu  verletzen,  was  kein  Ver- 
nünftiger für  seine  Absicht  halten  wird  ?  SchiUer  überwand  die  Anstürme 
der  Leidenschaft  ohne  Verbitterung,  ohne  Quälenden  Schmerz.  Gerade 
darum  möchte  ich  aber  auch  die  'ftoBignation^  nicht  in  so  pessimistischem 
Sinne  erklären,  wie  Hamack  S.  129  tut.  Der  Held  des  G^chtes  ist  nicht 
ohne  weiteres  mit  dem  jungen  Schiller  zu  identifizieren,  der  sich  eben  von 
Frau  von  Kalb  losgerissen  hat,  denn  ihm  schwebten  ^nz  sicherlich  nicht 
egoistische  Erwägungen  Über  den  Ausgleich  im  Jenseits  vorl  Dazu  war 
er  zu  edel,  nnd  darum  bezieht  sidi  die  strenge  Abweisung,  die  er  dem 
Schicksal  in  den  Mund  legt,  nicht  auf  ihn  ^bst.  Auch  möchten  wir 
aus  den  Worten  über  'Hoi^ung'  und  'Genuls'  nicht  so  sehr  schneidenden 
Hohn  heraushören  als  eine  sehr  frühe  dichterische  Formulierung  von 
Schillers  sittlicher  Weltansdiauung.  Was  er  hier  'Hoffnung'  nennt,  ist 
ihm  später  die  reine,  ästhetische  Anschauung,  die  Freude  an  der  blofsen 
Form;  an  ihr  finden  edlere  Naturen  ihr  Glück,  gemeine  nur  im  sinn- 
lichen Genuls.  Zwischen  beiden  steht  der  unglückkche  Halbmensch,  den 
das  Gedicht  schildert,  der  sich  den  G«nuls  versagt,  ohne  sich  doch  über 
die  Begierde  erheben  zu  können;  er  findet  keinen  Ersatz  für  das,  was  er 
sich  versagt;  so  erkennt  Schiller  keine  Ausgleichsmoral  mit  lüsternen 
Blicken  am  das  Jenseits  an,  sondern  nur  eine  prinzipielle  Entsagune  aus 
Ekel  vor  der  Leidenschaft;  eine  solche  kann  den  Menschen  zum  Glück 
führen;  auch  hier  gibt  es  eine  'Hof&ung',  denn  die  Vollkommenheit,  die 
der  Mensch  erstrebt,  wird  nicht  mit  einem  Schritt  erreicht,  sondern  in 
unablässig^ treuem  Streben,  das  sein  Ziel  niemals,  weder  in  dieser  noch 
in  jener  Welt  erreicht,  das  aber  an  sich  schon  Glücks  fi;enug  verleiht.  — 
Übrigens  kommt  Schillers  Weltanschauung  und  insbesondere  seine  Ästhetik 
in  der  zwdten  Auflage  des  Buches  besser  fort  als  in  der  früheren.  Hamacks 
Ansichten  über  Schulers  philosophisch.e  Entwickelung  sind  ja  aus  seinem 
sröiseren  Werk  über  die  klassische  Ästhetik  der  Deutschen  hinreichend 
bekannt,  er  bleibt  ihnen  sach.  hier  getreu.  Von  den  Beziehungen  zu  Fichte 
erfahren  wir  wenig,  nur  die  derbe  Abfertigung  in  den  Xenien  wird  her- 
vorgehoben. Immerhin  hätte  eine  ausreichende  Darstellung  der  ge^n- 
seitigen   Durchdringung  von   Schillers  Anschauungen    mit  denen  seiner 


BeTurteOungen  and  kurze  Anzdgen.  211 

Umeebung  hn  Hinblick  aaf  den  Zweck  des  Buches  entschieden  zu  weit 
geffinrty  und  gerade  die  Beschränkung,  die  sich  Hamack  überall  auferlegt, 
xmgt  den  Meister,  der  den  Stoff  wahrhaft  beherrscht,  äulserlich  und  inner- 
lich, wie  er  denn  mit  eigenem  ürtml  auch  über  seinen  Helden  nirgends 
zturückhalt  und  weder  in  der  Jugendgeschichte  noch  in  der  Darstellung 
des  Verhältnisses  zu  Gk)ethe  irgendwelchen  Beschönigungen  und  Ver- 
tuschungen huldigt 

Diese  mutige  Objektivität  ist  auch  dem  neuesten  Biogranhen,  Karl 
Beiger,  nachzurühmen,  von  dessen  Biographie  zur  Weihnaoitszeit  der 
erste  Band  erschien;  sie  wird  nicht  Fraement  bleiben,  wie  es  die  monu- 
mentalen Arbeiten  von  Minor  und  W^trich  bisher  geblieben  sind;  sie 
wird  aber  auch,  wenn  diese  einst  fertig  yorlieeen,  ihren  Platz  neben  ihnen 
zu  behaupten  wissen.  Waltet  über  mr  auch  nicht  jener  volle,  künst- 
lerische Zauber,  der  Bielschowsky'B  Qoethebiographie  zu  einem  klassischen 
Werke  unserer  wissenschaftlichen  Literatur  macht,  so  werden  wir  doch 
immer  dankbar  zu  der  trefflichen,  gediegenen  und  geschmackvollen  Arbeit 
zurückgreifen,  um  sie  als  rechtes  Hausbuch  zu  empfehlen.  Das  sei  denn 
auch  schon  heute  getan;  eine  ausführlichere  Würdigung  versparen  wir 
uns,  bis  wir  das  Werk  als  Ganzes  überblicken  können. 

Eine  wahrhaft  köstliche  Grabe  hat  uns  Hartmann  mit  seinem  Buche 
über  'Schillers  Jugendfreunde'  dargeboten.  Auf  Grund  sorgfältigster  lite- 
rarischer und  archivalischer  Studien  entwirft  er  Lebens-  und  Cnarakter- 
bildo*  aller  irmidwie  bedeutenderen  Persönlichkeiten  jener  an  originellen 
Geistern  und  Oharakterköpfen  so  fruchtbaren  Zeit,  in  der  sich  auch  der 
jun^e  Schiller  emporringen  muiste.    Nach  einer  kurzen  Einführung  über 
Schillers  freundschaftliches  Talent,  wenn  man  so  sagen  darf,  das  allent- 
halben  rfickhalüos  anerkannt  wurde  (eine  Darstellunff  der  Freundschafts- 
motive in  den  Jugendwerken  wird  leider  nicht  gegeben),  setzt  die  Dar- 
stellung eleich  mit  der  Lorcher  Zeit  ein  und  gent  von  der  ehrwürdigen 
Gestalt  &B  Pfarrers  Moser  aus,  dem  der  junge  Dichter  in  den  'Bäubem' 
nachher  ein  ehrendes  Denkmal  setzen  sollte.    Im  übrigen  ist  Hartmann 
leider  der  Frage  nicht  genügend  nachgegangen,  wie  weit  die  einzelnen 
dieser  scharf  umrissenen  Persönlichkeiten,  mit  denen  sein  Buch  ims  be- 
kuint  macht,  Schiller  als  Modelle  für  seine  dichterischen  Figuren  eedient 
haben  mögen.     Der  von   Schiller  sehr  ungünstig  beurteilte  E.  Kempf 
scheint  mir  bestimmt  auf  die  Gestaltung  Franz  Moors  hinübergewirkt  zu 
habd ;  man  sagte  ihm  unkameradschaftuches  Verhalten  und  Neigung  zur 
Intriffe  nadi;'  was  hier  von  dem  G^egner  gilt,  daüs  Schiller  sein  Bad  in 
der  Phantasie  abrundete,  bis  die  Abnormität  'Franz'  zum  Vorschein  kam, 
das  mag  in  höherem  Grade  noch  von  den  Freunden  gelten.    Was  diese 
anlangt,  so  faCst  Hartmann  den  Begriff  im  weitesten  Sinna    Auch  die 
Freunde  unter  den  Lehrern,  vor  allem  der  treffliche  Abel,  'der  en^el- 
gleiche  Mann',  einer  der  liebenswürdigsten  unter  den  deutschen  PopuTar- 
philosophen,  aessen  Lebensbeschreibung  niemand  ohne  innere  Teilnahme 
lesen  kann,  auch  Drück  und  Nast  werden  behandelt.    Den  Löwenanteil 
trägt,  wie  billig,  der  'engere  Freundeskreis'  davon,  Scharffenstein,  Petersen, 
Hang  und  Lempp,  wozu  noch  Schubart,  Dannecker  und  Zumsteeg  kommen. 
Hoven  hat  schon  vorher,  unter  den  Kameraden  der  Ludwigsbumr  Zeit, 
die  gebührende  Beachtune  gefunden.  Es  folgen  die  Mediziner  una  endlich 
der  ganze  weitere  Freundes-  und  Bekanntenkreis,  ein  Andreas  Streicher, 
Hetsdi,  Heideloff,  Grammont  usw.,  lauter  dem  Schillerforscher  wohlver- 
traute Namen,  die  uns  nun  zum  Gliick  keine  blo&en  Namen  mehr  bleiben ; 
äulserlich  und  innerlich  werden  sie  uns  nähergebracht,  denn  den  statt- 
lichen Band  schmückt  eine  groJbe  Anzahl  trefflich  reproduzierter  Silhouetten 
und  Porträts,  auch  Heiddom  instruktiver  Stich:  'Die  Erhebung  der  Karls- 

*  Sehriften  I,  16. 

14* 


212  Beurtdlimgen  and  kuixe  Anzdgen. 

akademie  zur  Hochschale  1782'  ist  beigaben.  Rechtfertigt  schon  allein 
dieser  reiche  Bilderschmuck  eine  einc&ineliche  Empfehlung  des  Werkes 
insbesondere  für  die  BenutEune  im  deutschen  Unterrichti  so  werden  sich 
für  die  Schule  noch  weit  fruchtbarer  die  abgedruckten  Mitteilungen  der 
Freunde  über  ihr  Leben,  insbesondere  aber  über  ihren  Verkehr  mit  BchlUer 
erweisen.  Hier  tritt  uns  die  Jugendzeit  des  Dichters  in  greifbarer  Deut- 
lichkeit vor  Augen,  und  wie  weit  den  einzelnen  Verfassern  zu  trauen  ist, 
wieviel  mehr  wir  dem  grundehrlichen  Conz  folgen  dürfen  als  dem  Klatsche- 
reien nicht  ganz  abffeneieten  Petersen,  ergibt  sich  aus  der  DarsteUune 
selbst  zur  Genüge.  Die  Hauptsache  ist,  dais  das  biographische  Material 
für  Schillers  Jugendzeit  hier  mit  einer  Vollständigkeit  ausgebreitet  ist, 
die  bisher  einfaäi  unerreicht  dasteht  Kuhns  'Schüler,  Zerstreutes  als 
Bausteine  zu  einem  Denkmal'  (1859)  hatte  manche  der  früher  in  Zeit- 
schriften gedruckten  Aufzeichnungen  wiederholt,  Kurz,  Weltrich  u.  a. 
hatten  aulserdem  für  ihre  künstlerischen  und  seiehrten  Arbeiten  die  reichen 
Schätze  des  Cottaischen  Archivs  einsehen  und  benutzen  dürfen,  aber  das 
Material  war  eben  verzettelt  und  somit  für  die  Schule  im  ganzen  un- 
benutzbar. Diesem  Mangel  ist  nun  abgeholfen,  und  auch  der  Forscher 
wird  für  den  abermaligen,  übrigens  hier  und  da,  z.  B.  bei  Petersen,  ver- 
mehrten und  erweiterten  Abdruck  dankbar  sein.  Da£B  Hartmann  keine 
unbedingte  Vollstfindigkeit  anstrebt,  ist  manchmal  peinlich,  z.  B.  von 
Abel  mS^ten  wir  meSr  erfahren,  als  er  mitteilt;  dals  er  dagegen  gerade 
bei  Petersen  mit  dessen  hämischen  Exzerpten  aus  Eberhards  verständnis- 
losen Mäkeleien  Mais  hält,  ist  nur  zu  loben.  Im  ganzen,  eine  höchst 
dankenswerte  Arbeit,  die  sich  der  Wissenschaft  durch  Zuführung  reichen 
biographischen  und  psychologischen  Materials  förderlidi  erwdst. 

Nur  hingewiesen  sei  hier  auf  die  zum  Jubiläum  erscheinende  Neu- 
aus^abe  der  Schillerschriften  von  Kuno  Fischer,  über  die  keine  Lob- 
snrüche  mehr  zu  verlieren  sind.  Der  schwer  erkrankte  Verfasser  hat  keine 
Umarbeitunfl;  vornehmen  können,  auch  sind  wohl  seine  Ansichten  über 
den  Entwickelungsgang  der  Schillerschen  Philosophie  bis  zuletzt  sich 
gleich  geblieben.  Wer  diese  Ansichten  nicht  teilt,  wird  sich  doch  an  der 
in  ihrer  Art  vollendeten  Darstellung  erfreuen. 

Erwähnt  sei  zum  Schluß  eine  Neuauflage  von  Breuls  englischer 
Schulaus0&be  des  dritten  Buches  der  'G^chichte  des  DreÜsigjährigen  Krie- 

fes';  der  Herausgeber  hat  den  Text  in  den  ersten  Partien  etwas  gekürzt, 
brigens  auf  alle  Weise  für  das  Verständnis  gesorgt.  Seine  geschickte 
Einleitung  berichtet  über  die  Entstehungsffeschidite,  die  Quellen,  die  Vor- 
zug und  Män^l  des  Schillerschen  WeAeBf  legt  die  Komposition  des 
dritten  Buches  im  besonderen  dar  und  gibt  einen  freilich  unselbständigen 
Abrils  der  G^chichte  des  ganzen  Krieges,  der  durch  eine  Eiarte  illustriert 
wird.  Im  Anhang  werden  Szenen  aus  dem  'Wallenstein'  und  reichhaltige 
bibliographische  Ang^aben  dargeboten.    Das  Hauptvcurdienst  des  Heraus- 

febers  ruht  unstreitig  in  den  sehr  reichhaltigen  sachlichen  ^besonders 
uiturgeschichtlichen)  und  sprachlichen,  übiigens  mehr  lexikahschen  als 
syntanischen  Anmerkungen,  aus  denen  auch  der  deutsche  Leser  manches 
lernen  kann,  wenngleich  er  nicht  mit  jeder  Erklärung  ohne  weiteres  ein- 
verstanden sein  mag.  Hier  und  da  dürften  sich  kleine  Zusätze  empfehlen. 
Bei  den  Zusammoisetzungen  mit  =  'fürt'  (11,  4)  sollte,  gerade  im  Hinblick 
auf  Oxford,  das  deutsche 'Ochsenfurt'  nicht  fehlen,  'Anstand' =  'appearence' 
(12,  22)  miüste  aus  dem  Gebrauch  der  Klassiker,  vor  allem  Goethes, 
stärker  belegt  und  svnonymisch  erläutert  werden,  der  'Belt'  (12,  27)  ist 
mit  der  'Ostsee'  im  allgemeinen  doch  nicht  ohne  weiteres  identisch,  wenn- 
gleich Schiller  das  Wort  so  ^braucht;  zur  Personifizierung  des  Namens 
aber  muJGste  aulser  der  'Huldigung  der  Künste'  Wallensteins  Gespräch  mit 
Wrangel  als  näherliegend  herangezogen  w^en  (v.  230,  Gk>eaeke);  zu 
'Wagehals'  (14,  7)  konnten  andere  Imperativische  Eigennamen  aus  dem 


Beurteilungen  und  kurze  Anzdgen.  218 

Deutschen  und  Englischen  bdgebracht  werden,  der  synonymische  Artikel 
'Schiersgewehr*  (87,  8)  sollte  den  Ausdruck  ^Flinte'  enthalten  und  er- 
klären usw.  Jedenfalls  wird  der  Herausgeber  bei  späteren  Neuauflagen, 
die  wir  seiner  trefOichen  Arbeit  im  Interesse  des  Verständnisses  unserer 
Nachbarn  für  die  deutsche  Literatur  herzlich  wünschen,  selber  auf  die 
weitere  Yenrollkommnunfir  seiner  Interpretationen  bedadit  sein. 

Wir  brechen  unseren  Bericht  heute  ab  und  werden  nach  dem  Jubiläum 
den  Best  der  Ernte  in  die  Scheuem  zu  bringen  suchen. 

Heidelberg.  Bobert  Petsch. 

Franz  Deibel,  Dorothea  Schlegel  als  Sohriftstellerin  im  Zusammen- 
hang mit  der  romantischen  Schule.  (Palaestra,  herausgegeben  yon 
A.  Brandl,  G.  Boethe  u.  Erich  Schmidt,  XL.)  Berlin,  Mayer  u.  Müller, 
1905.    188  S.    M.  5,60. 

Dorothea  Schlegel  ist  als  Persönlichkeit  eigentlich  gsr  nicht  so  inter- 
essant, wie  man  yon  der  mit  Friedrich  Schlegel  yerneirateten  Tochter 
Moees  Mendelssohns  erwarten  sollte.  Sie  war  witzig,  aber  nicht  geistreich 
wie  CaroUne;  formgewandt,  klug,  leidenschaftlich  —  und  schließlich  hat 
man  doch  überall  oen  Eindruck  einer  Natur  zweiten  tUnges. 

YieUdcht  hat  dies  Gefühl  den  Verf.  bestimmt,  die  Schriftstellerin 
Dorothea  ausschHeislich  yon  der  literarischen  und  gar  nicht  yon  der 
psychologischen  Seite  zu  betrachten.  Was  er  aber  untenmnmt,  hat  er  in 
erschöpfender  Weise  geleistet  und  über  sein  Thema  heraus  auch  die  Zu- 
sammenhänge des  'Florentin'  mit  Goethe  beleuchtet.  Nur  kommt  selbst 
innerhalb  des  Literarischen  das  Menschliche  etwas  zu  kurz:  über  d' Alton 
mülste  dodli  mehr  gesagt  werden,  zumal  D.  selbst  (S.  47)  mit  yoUem  Becht 
bemerkt,  dais  der  merkwürdige  Mann  Gegenstand  romantisdier  Legenden- 
bildung  wurde. 

Am  glücklichsten  sind  die  Übersetzungen  Dorotheas  ausgenutzt,  wie 
D.  denn  auch  allgemein  scharfshinige  Bemerkungen  über  das  Wesen  der 
Übersetzunsskunst  (S.  146)  macht.  In  der  Tat  kommt  die  Eyolution  der 
Moral  bei  aem  Schle^lschen  Ehepaar  in  der  yeränderten  Stellung,  die  sie 
yor  und  nach  dem  Sündenfall  zu  erotischen  Problemen  einnehmen,  be- 
sonders deutiich  zur  Anschauung. 

Beigegeben  sind  auJGser  einem  wichtigen  Brief  an  Tieck  nach  Fried- 
richs T(äe  (S.  179)  Briefe  an  Brinckmann  —  klassische  Denkmale  des  alten 
Berlinisch  m  der  Zeit,  in  der  noch  Schriftsteller  wie  Arnim,  Tieck  und 
beeonders  DoroÜiea  selbst  das  Geheimnis  des  Datiys  nicht  zu  erraten  yer- 
mögen.  Audi  inhaltlidi  lassen  sie  in  die  engen  Verhältnisse  des  Familien- 
und  Freundesklatsches  hineinsehen ;  in  bezug  auf  die  Überschätzung  per- 
sönlicher Buchungen  zu  Nebenpersonen  hatte  Dorothea  bei  dem  üoer- 
gang  in  die  Bomantik  nichts  mehr  zu  lernen.  Übrigens  ist  auch  bei  ro- 
mantischen Liebhabereien,  wie  Anekdote  und  Witz  (ß.  75  f.),  an  yerwandte 
Erscheinungen  des  Naturalismus  zu  erinnern;  Fr.  Schlegel  hat  nicht  um- 
sonst für  l^sing  geschwärmt. 

Berlin.  Bichard  M.  Meyer. 

Franz  Zinkerni^,  Die  Grundl^n  der  Hebbelschen  Tragödie. 
Berlin,  Georg  Beimer,  1904.    XXfiV,  188  S.    Preis  3  Mk. 

Zwei  leitende  Gredanken  bewegen  den  Verf.  Er  will  zeigen,  'wie  das 
gesamte  Hc^belsdie  Gedankensystem,  yon  einer  alles  befruchtenden  Grund- 
idee ausgehend,  unabhängig  yon  fremden  Einflüssen,  sich  organisch  aus 
sich  selbst  entwickelt,  um  schlieislich  in  einem  neuen  Dramentypus  dem 
Ganzen  den  krönenden  Abschluls  zu  geben'  (S.  V.).  Aber  er  wil^auch 
'die  tiefgehende  Bedeutung *des  Hebbebchen  Lebenswerkes  für  die  Asthe- 


214  Beurteilungeii  und  kone  Anseigen. 

tik  des  Tragischen'  nachweisen  (B.  187).  Jener  Absicht  dient  der  Haupt- 
teil des  Buches,  die  vier  Eamtel,  die  sich  mit  Hebbels  Persönlichkeit,  Welt- 
anschauung, dramatischer  Theorie,  dramatischer  Produktion  beschäftigen, 
während  in  Einleitung  und  Schlulsbetrachtung  Baum  iregeben  ist,  'die 
kelungsgeschichüiche  Stellung  der  Hebbelschen  Tragödie'  festm- 


Der  Grundrüs  ist  klar  und  sieht  yielyersprechend  aus.  und  das  Ge- 
bäude, das  der  Verf.  mit  redlichem  Bemühen  und  nicht  ohne  schrift- 
stdlerlsches  Geschick  darauf  errichtet  hat?  Ich  will  gleich  von  yom- 
herein  gestehen,  dals  ich  in  einigen  wesentlichen  Punkten  Widerspruch 
erheben  muls.  Da  die  Schrift  Z.b  der  Erstling  des  Verf.  ist,  so  ist  die- 
sem Umstand  allerdings  manches  zugute  zu  h^ten. 

Zunächst  ist  festzustellen,  dals  im  wesentlichen  aus  der  gleichen  Ab- 
sicht, die  Z.  zu  seiner  Darstellung  getrieben  hat,  auch  das  Buch  yon 
Scheunert,  Der  ParUragiamua  usw.,  entstanden  ist.  Liest  man  nun  die 
Kritik,  die  Z.  in  seinem  Vorwort  yon  der  Scheunertschen  Arbeit  ffibt,  und 
die,  stark  yom  GefOhl  der  Existenzberechtigung  der  eigenen  Arbeit  dik- 
tiert, doch  wohl  absprechender  und  ausdrückliche  Erklärungen  Bcheunerts 
miXiuuJitender  ausgefallen  ist,  als  billig  sein  dürfte,  so  darf  man  erwarten, 
dals  Z.  seine  Sache  wesentlich  besser  macht  Ich  will  zusehen,  dals  ein 
Ansatz  dazu  yorhanden  ist,  sofern  Z.  nachdrücklicher  und  ausführhcher, 
als  es  Scheunert  auf  den  ersten  Seiten  seiner  Arbeit  tut,  die  Persön- 
lichkeit Hebbels  mit  ihrem  indiyiduellen  Elrleben  zum  Ausganespunkt 
der  gedanklichen  Entwickeluns  macht.  Nun  fragt  es  sich  nur,  ob  es  Z. 
gelungen  ist,  sich  mit  yoUem  Verständnis  in  die  Persönlichkeit  des  Dich- 
ters emzuleben  und  einzufühlen. 

Nach  meiner  Kenntnis  mufs  ich  die  Frage  yemeinen.  Das  Bild  Heb- 
bels, das  dem  Verf.  yorschwebt,  ist  durc^  persönliche  Velleitäten  getrübt, 
yerzerrt,  unyoUständig.  Man  wird  yon  niemandem  yerlangen,  dals  er  sich 
selbst  yerleugne,  aber  man  darf  yerlangen,  daCs  bei  Wertungen,  die  man 
yorzunehmen  gedenkt,  yor  allen  Dingen  oie  sich  messenden  Werte  klar 
herausgestellt  werden.  Das  unterlälst  2.,  indem  er  yon  seinem  persönlichen 
sittlichen  Standpunkt,  yon  der  Meinung  aus,  die  er  yon  'Sitthchkeit'  hat, 
über  die  'Sittlicnkdt'  Hebbels,  über  des  Dichters  'sittliches'  Bineen  sich 
abzusprechen  erlaubt,  ohne  auch  nur  sich  darüber  klar  zu  sein,  daCs  hier 
zwei  grundsätzlich  yerschiedene  Anschauungen  einander  g^;enüberstehen. 
Ja,  man  ist  yersucht  zu  fragen,  ob  allererst  dem  Verf.  die  eigene  Auffas- 
sung denn  auch  klar  und  deutuch  zu  Bewuistsein  gekommen  ist.  Jeden- 
falls dbt  Z.  im  ganzen  Verlauf  seiner  Arbeit  nirgend  unzweideutig  seinen 
Standpunkt  an. 

Dafür  redet  er  um  so  mehr  yon  dem  Mangd  an  sittlichem  Gefühl  bei 
Hebbel  (S.  27,  136),  dem  die  'Sittlichkdt'  nur  ein  Verstandesmoment  ge- 
wesen sei.  'Versehens  suchen  wir  in  seinen  Tagebüchern  Spuren  wSk- 
lieber  Selbsterzienung,  aufrichtiger  Selbstprüfun^,  wahrer  sittlidier  Arbeit' 
(S.  28).  Der  Mangel  an  sittlichem  Gefühl  sei  'die  Adüllesf erse  der  Hebbel- 
schen Natur'  (S.  37)  gewesen.  Z.  gebraucht  ^egentlich  die  Floskd  yom 
'harten  Panzer  seines  HerzeDs'  (S.  137),  und  jene  berüchtigte  Auffassung 
der  'poetischen  Gerechtigkeit'  bhckt  yerstohlen  aus  den  Worten  des  Verf. 
heryor,  daCs  'ohne  irgendwelche  wirkliche  sittliche  Schuld'  das  Schicksal 
der  Hebbelschen  Menschen,  eemaüs  den  Intentionen  des  Dichters,  sich  er- 
eignet (8.  177).  Und  yoUenas  charakteristisch  ist  das  abschlieüsende  ür- 
teu  Z.8:  'Nicht  seine  Theorie  an  sich  trägt  die  Schuld,  wenn  das  Welt- 
bild, das  er  (Hebbel)  unseren  Blicken  entrollt,  unserem  innersten  Bedürf- 
nis nicht  ffanz  zu  genügen  yermaff.  Der  Grund  liegt  yielmehr  im  Wesen 
sdner  sittSchen  Natur.  Ihm  fehlte  die  ffroise,  der  Menschheit  sich  hin- 
gebende Liebe,  die  das  in  der  Welt  yerkörperte  grofse  Sittengesetz  yoU 
gläubigen  Vertrauens  umfafst  und  sich  ihm  nicht  nur  als  der  die  Welt 


BenrteflungeD  and  kurze  Anzeigen.  215 

behemcheDden  Notwendigkeit  voll  bewundernder  Resignation  unterwirft 
Aber  vielleicht  war  HebbelB  neues  Eunstgesetz  nur  um  diesen  Preis  mög- 
lich, und  es  wird  Aufgabe  der  Zukunft  bleiben,  Hebbels  Schuldbeffriff 
mit  dem  Glauben  an  dne  weltbeglückende  Sittlichkeit  in  eine  höhere 
Einheit  aufzulösen'  (8. 186  f.).  Solche  emphatische  Behauptungen  werden 
auf  ihr  richtiges  Mau  zurückgeführt,  wenn  man  zugibt,  dals  E^bbel  kdne 
beaueme  Natur  war,  dafs  er  nicht  die  'Läislidikeit'  passiver  Naturen  hatte, 
dais  er  als  Mensch  wie  als  Dichter  an  sich  und  andere  Ansprüche  stellte 
und  ihm  allerdings  nicht  der  bequeme  und  faltige  'Mantel  der  dirist- 
lichen  Nfichstenlieoe',  in  der  populären  Auffassung  des  Wortes,  zur  Ver- 
fügung stand.  Was  für  Heboel  wahrhaft  sittliche  'Liebe'  war,  das  zeigt 
ebenso  ienes  Gedicht  aus  seiner  Frühzeit,  das  fQr  ihn  *im  Sittlichen  eine 
Epoche'^  bildete  (Tagebücher  I,  576),  wie  jenes  andere,  'in  schweren  Leiden' 
geschriebene  aus  der  Spätzeit  'Der  Brahmine'. 

Also,  es  man^lt  z.  an  einer  klaren  Einsicht  und  Erkenntnis  von 
Hebbels  sittlichem  Standpunkt,  und  es  fehlt  ihm  ein  brauchbarer  Malsstab, 
um  sich  über  diesen  Standpunkt  ein  zureichendes  Urteil  bilden  zu  können. 
Eb  wäre  einem  künftigen  Doktorand  zu  empfehlen,  gerade  einmal  das 
Werden  der  sittlichen  Auffassung  Hebbels,  in  dessen  Theorie  'Sittlich- 
keit und  Notwendigkeit'  eine  so. bedeutende  Bolle  spielen,  mit  möelichster 
G^auiffkdt  zu  untersuchen.  Überhaupt  möchte  ich  es  für  die  künftige 
Hebbelforschung  am  ersprielBlichsten  nalten,  nachdem  die  Bücher  von 
Scheunert  und  Zinkemagel  vorliegen,  in  denen  die  unzulängliche  Centonen- 
methode  den  Bau  leitet,  vorerst  von  weiteren  zusammenfassenden  Dar- 
stellungen Abstand  zu  nehmen  und  vor  allem  einmal  dem  geistigen  Wer- 
den, der  seelischen  Entwickelune  Hebbels  in  seinen  einzelnen  Stadien  die 
Auftnerksamkeit  zuzuwenden.  Gewifs  werden  die  Schriften  der  beiden 
genannten  Autoren  dabei  als  Fermente  nützliche  Dienste  leisten. 

Aus  dem  bezeichneten  Grundmangel  bei  Z.  erklärt  sich  im  übri^n 
die  Mischung  von  richtigen  Einsiditen  und  schiefen  Auffassungen,  die  ich 
hier  nicht  im  einzelnen  entwirren  will.  —  Beiläufig:  EUse  Lensing  (geb. 
18.  Oktober  1804)  war  nicht  zwei  (S.  25),  sondern  fast  neun  Jahre  9ter 
als  HebbeL 

Daffßgen  habe  ich  noch  ein  entschiedenes  Bedenken  gegen  die  Ein- 
leitung Z.s:  'Die  Hauptentwickel unesphasen  der  vorhebbelschen  Tragödie.' 
Gleich  der  erste  Satz  macht  den  mundwilligen  Leser  stutzig:  'Die  Tra- 
gödie ist  die  Darstellung  des  Widerstreites  zwischen  Weltwillen  und  Ein- 
zelwillen.' Eäne  kühne  Behauptung,  deren  historische  Beglaubijmne  man 
erwartet  Der  Verf.  nbt  denn  auch  etwas,  das  so  aussient  Prüft  man 
indessen  das  Gewebe  dieser  Einleitunj^  genauer,  so  erkennt  man,  wie  brü- 
chig es  ist  Der  Verf.  macht  sich  nämlich  die  Arbeit  ziemlich  leicht,  in- 
dem er  seine  ganze  Ausführung  auf  die  Autorität  Goethes  stützt,  dessen 
geistreicher  Aufsatz  'Shakespeare  und  kein  Ende',  vor  allem  die  Auslas- 
sungen darin  über  das  'SoUen'  und  'Wollen'  der  antiken  und  neueren 
Tragödie,  allerdings  auch  Hebbel  ausserordentlich  plausibel  vorkamen. 
Aber  so  geistreich  die  Goetheschen  Aner^us  auch  sem  mö^en,  es  bleibt 
die  Frage,  ob  der  heutige  Stand  der  Altertumswissenschaft  sie  demn  auch 
rechtfertigt  Die  Antwort  lautet:  NeinI  Anstatt  jene  Anschauunj^en  ein- 
fach als  wissenschaftlich  feststehend  zu  adoptieren,  hätte  der  Verf.  nur 
einen  Blick  in  die  doch  wohl  leicht  zugänglichen  Einleitungen  von  U.  von 
Wüamowitz-MöUendorf  zu  den  von  mm  übersetzten  'Griechischen  Tra- 
gödien' zu  werfen  brauchen.  Er  hätte  dort,  in  der  Einleitung  zur  äschy- 
feischen  'Orestie'  hinreichenden  Aufschlufs  gefunden  (vgl.  Griech.  Trag."* 
Bd.  II,  14—29) :  'Wer  den  Ödipus  und  den  Agamemnon  verstanden  hat,  der 
ist  all  das  Gerede  von  dem  bunden  oder  erhabenen  Schicksal  der  Griechen 
und  ihrer  Trafl;ödie  los.  Dafs  dieser  Wahn  so  weithin  Geltung  hat,  ist 
nur   ein   Beweis,   wie  fem  der  gräzisierende  Klassizismus  vor  hundert 


216  Beortdlimgen  und  kone  AnMigen. 

Jahren  dem  Yentindnis  dee  echt  HelleniBchen  gestanden  hat,  vornehmlich 
weil  er  der  Sohn  dee  Rationalismus  der  Anfklaning  war'  (ib.  S.  26  f.).  Ich 
überlasse  es  Zinkemaffel,  die  Konsequenzen  daraus  zu  ziehen. 

In  seinem  ausgeaelmten  Vorwort  bespricht  Z.  die  neueren  Arbeiten 
zur  Hebbelforschung.  Was  er  da  u.  a.  über  die  von  Poppe  sagt,  mufs 
deren  Verfasser,  bei  allem  Dank  g^gen  die  Anerkennung,  im  wesentlichen 
als  an  sich  vorbeigeredet  bezeichnen. 

Frankfurt  a.  M.  Theodor  Poppe. 

Fritz  Stahl,  Wie  sah  Bismaick  aus?    Berlin,  G.  Beimer,  1905.    Mit 
28  Taf  ehi.    8  M. 

Das  Ich,  lehrt  der  bedeutende  Wiener  Philosoph  Mach,  ist  unhaltbar: 
es  gibt  nichts  als  sich  folgende  E^zelmomente  ohne  Einheit.  Stahl  sucht 
an  der  fiulseren  Erscheinung  Bismarcks,  wie  früher  Qoethes,  diese  Mei- 
nung zu  widerlegen:  eine  Rohe  gpit  gewählter  Bilder  zeigt  in  dem  Grfinder 
des  Kelches  duiä  aUen  Wechsd  der  Erscheinungen  den  bleibenden  Pol. 
Darin  ruht  das  besondere  Interesse  des  Büchleins.  Sorgfältig  verfolgt  der 
Verf.  das  Entstehen  des  eigentlichen  ^historischen'  Bismarckbildes;  aber 
er  weils  es  schon  in  den  prähistorischen  Teilen  des  Schulknaben,  des  Stu- 
denten, des  Abordneten  nachzuweisen.  Vielleicht  betont  der  feinsinnij^e 
Kommentar  freilich  auch  die  Züge  zu  stark,  die  sich  in  der  Physiognomie 
am  deutlichsten  abspiegeln.  Etwa  der  Humor,  der  so  wichtig  für  das 
weltgeschichtliche  Bild  des  ersten  Kanzlers  ist,  spielt  bei  ihm  £ium  eine 
Bolle,  weil  Portrats,  die  ihn  wiedergeben,  in  der  Sammlung  fehlen;  oder 
der  Berserker,  der  so  furchtbar  losbredien  konnte.  Aber  wie  der  eigent- 
liche monumentale  Bismarck  aus  sdnem  Geist  sich  seinen  Körper  und 
vor  allem  sein  Haupt  baute,  das  macht  das  hübsche  Schriftchen  mit  Ge- 
schick anschaulich. 

Berlin.  Richard  M.  Meyer. 

Dr.  Jan  v.  Bozwadowski^  Wortbildung  und  Wortbedeutung.    Eine 
Untersuchung  ihrer  Grundgesetze.  Heidelberg,  C.  Winter,  1904.   109  S. 

Nach  dem  Titel  kann  man  sich  nicht  wohl  eine  Vorstellune  machen 
von  dem,  was  das  Buch  enthalten  mag.  In  Form  und  Inhalt  oehandelt 
es  ein  sprachphilosophisches  Problem.  Zunächst  beschäftigt  es  sich  mit 
den  Prmzipien  der  Wortbenennung.  G^enstände  werden  nach  einem 
dominierenaen  Merkmal  benannt,  das  sich  verändern,  wechseln  oder  soear 
schwinden  kann.  Jedenfalls  ist  die  Tatsache,  dals  es  vorhanden  ist  oder 
war,  von  Wichtigkeit  für  die  Bedeutungsentwickelung.  Anschaulich  wird 
dies  dargetan  an  dem  Kompositum  (Kc^nschirm  —  i:iShirm),  das  in  seiner 
Zweigliraeriekeit  die  Vorbedingung  nicht  nur  des  Bedeutungswandels,  son- 
dern auch  der  Neuschöpfung  enthält.  Denn  das  Kompositum  kann  Je 
nach  Art  und  Beschaffenheit  ein  Simplex  werden,  das  in  seiner  einheit- 
lichen Form  die  G^chichte  seiner  Entst^une  und  den  Wandel  der  Gestalt 
nicht  mehr  erkennen  läüst.  Wenn  dieser  Vorgane  sich  fortwährend  vor 
unseren  Augen  vollzieht,  so  sind  wir  berechtigt,  denselben  als  ein  Wort- 
schöpfunssprinzip  anzusehen,  das  auch  in  vornistorischer  Zeit  schon  galt 
und  das  Wurzelnomina  geschaffen  hat.  Soweit  es  sich  um  Benennung 
eines  Gegenstandes  handät  und  dieser  nicht  absolut  neu  ist,  ist  also  ein 
diesen  bezeichnendes  Simplex  im  Prinzip  von  dem  Kompositum  nicht  ver- 
schieden. Den  Ausgangspunkt  zu  diesen  Ausführungen  gibt  dem  Verfasser 
Wundt.  g^en  dessen  sprachpsychologische  Anschauungen  er  heftig  polemi- 
siert; die  Form  ist  zuweilen  recht  unerquicklich.  Er  wirft  ihm  vor,  dafs 
er  das  Gesetz  der  Zweigliederiekeit  als  Prinzip  des  Bedeutungswandels 
nicht  erkannt  habe.  Dieses  sieht  der  Verfasser  auch  in  der  Entstehung 
der  einzelnen  Satzteile,  nicht  nur  des  Substantivs,  sondern  auch  des  Verbs 


Benrteflungen  und  kune  Anzeigen.  217 

und  Adjektivs.  Substantiv  und  Sats  sind  im  Prinzip  dasselbe,  verschieden 
Bind  sie  nur  in  der  Art  der  apperzeptiven  Gliederung  derselben  Gesamt- 
Vorstellung.  Der  Satz  ist  das  Kesultat  der  Zerlegung  dieser  in  ein  identi- 
fiziertes und  in  ein  unterscheidendeB  Glied.  Das  auf  der  Synthese  der 
Apperzeption  beruhende  Element  ist  das  Substantiv.  In  diesem  Zusam- 
menhang behandelt  der  Verfasser  auch  die  häufig  aufgeworfene  Frage,  ob 
es  eingbederige  S£tze  gibt.  Das  Gesetz  der  zweigliederigen  Apperzeption 
sieht  er  sogar  wirksam  auf  rein  lautlichem  Gebiet  und  erklärt  mit  seiner 
Hilfe  z.  B.  das  Verhältnis  der  Formen:  Gast  —  Gäste I  Auch  hier,  meint 
er,  finde  eine  Gliederung  dner  GesamtvorsteUune  stets  statt,  wenn  man 
sie  in  den  Anfangsstadien  auch  nidit  verfolgen  rönne  (S.  95).  Dies  ist 
lediglich  eine  Theorie  und  weiter  nichts  als  eine  solche.  Der  Verfasser, 
Vertreter  der  vergleichenden  Sprachwissensdiaft  an  der  Universität  Krakau, 
präsentiert  sich  hier  als  vollendeter  Sprachphilosoph.  Die  Erfahrung  hat 
gelehrt,  dais  verläisliche  Erkenntnis  auf  sprachvergleichendem  Gebiet  nur 
erreichbar  ist  innerhalb  der  Grenzen  und  auf  dem  Boden  des  tatsächlich 
ergebenen,  die  exakte  Forschung  muls  erst  viel  weiter  gediehen  sein,  ehe 
man  an  eine  fruchtbringende  Vereinigung  von  Sprachgeschichte  und  Sprach- 
psychologie, wie  sie  vereinzelt  in  Paul  erfolgreich  vertreten  ist,  in  grölse- 
rem  Maistabe  denken  kann. 

Tubingen.  W.  Franz. 

Emil  Sulger-Gebing^  Hugo  v.  Hof  maiinsthaL  Eine  literarische  Studie. 
(Breslauer  Beiträge  zur  Citeraturforsdiung,  herausgegeben  von  M.  Koch 
und  Gregor  Sarrazin,  III.)  Leipzig,  M.  Hesse,  1905.  M.  2,50,  Sub- 
skriptionspreis M.  2,15.    93  S.  8. 

Die  Schrift  will  (S.  81)  nicht  der  Kritik,  sondern  der  Einführung  in 
das  Wirken  des  Wiener  Dichters  dienen.  Sie  tut  es  mit  Takt  und  Liebe, 
doch  ohne  die  Vertiefung  des  literarhistorisdien  Hintergrundes,  die  diese 
merkwürdige  Fi^ur  erst  ganz  verständlich  machen  würde.  Seine  Be- 
ziehungen zur  deutsdien  Komantik  (S.  5  f.,  29)  und  zur  romanischen 
Kunst  (d'Annunzio  S.  21,  die  Düse  ».  22)  darf  das  Wienerische  seiner 
Poesie  nicht  vergessen  lassen;  und  wenn  er  auch  das  eherne  Gesetz  (S.  16) 
sar  wohl  kennt,  das  Problem  des  Todes  (S.  54)  ernst  anfalst  —  es  ist 
doeh  kein  Zufall,  sondern  ein  Problem,  weshalb  er  einen  Prolog  für 
Sc^nitzler  geschrieben  hati  Ebenso  zeigt  S.-G.  fein  des  Dichters  Stel- 
lung zu  den  greisen  Fragen:  Natur  (S.  4)  imd  bildende  Kunst  (ß,  19^, 
Leben  (S.  8)  und  Traum,  Antike  (S.  71)  und  Moderne;  aber  die  Grund- 
lage seiner  philosophischen  Stimmungen  (S.  27)  kann  aus  dem  ^Heimweh 
nach  der  Jugendlidikeit'  (S.  18  —  ein  wunderschöner  Ausdruck  des  Dich- 
terei) allein  nicht  aufgeklärt  werden.  Was  Ho^annsthal  zur  Benaissance 
jdeht  (S.  81  f.),  was  die  beiden  greisen  Gruppen  seiner  Menschen  (S.  25) 
scheidet,  das  mülste  doch  aus  seinem  eigenen  Wesen  gedeutet  werden; 
der  Verf.  aber  läist  den  Dichter  (S.  21  f.)  allzusehr  hinter  dem  bunten 
Teppich  seiner  Werke  verschwinden. 

Eingehende  Studien  über  Sprache  und  Verskunst  wird  man  hier  nicht 
erwarten,  so  sehr  auch  die  Virtuosität  zu  ihnen  locken  mag;  doch  wird 
Hofmannsthals  Dichtung  mit  den  Vorbildern  bei  Otway  (S.  48)  und 
Enripides  (S.  75)  g^hickt  verglidien.  Unverständlich  freilich  bleibt  mir 
(8.  24)  das  Lob  der  Übersetzung  von  Benards  *Fuchß';  diese  eilige  Wieder- 
gabe, die  etwa  'la  demi^re  des  demi^res'  (das  verworfenste  Weib  unter 
der  Sonne)  mit  'die  Letzte  der  Letzten'  verdeutscht,  scheint  mir  in  ihrer 
Hast  des  sorgfältigen  Künstlers  geradezu  unwürdig. 

In  dem  Hervorzaubern  von  Stimmun^n  sieht  S.-G.  (S.  18)  mit  Recht 
Hofmannsihals  gröfste  Kraft.  Durch  die  Reihe  seiner  nach  Gattungen 
übersichtlich  geordneten  Werke  verfolgt  er  diese  Kunst  in  sympathischer 
Besprechung.    In  einer  glänzend  vollständigen  Aufzählung  der  Schriften 


\i 


218  BearteUungen  und  kurze  Anzogen. 

macht  sich  der  Verf.  dann  noch  beeonderB  um  den  Literarhistoriker  ver- 
dien t,  der  wohl  weiiGs,  dals  so  ziemlich  nichts  schwerer  ist,  als  alle  Ar- 
beiten auch  nur  eines  wenig  produktiven  Modernen  zu  sammeln. 

Berlin.  Bichard  M.  Meyer. 

Dr.  Bruno  Busse,  Wie  studiert  man  neuere  Sprachen?  £in  Bat- 
geber für  alle,  die  sich  dem  Studium  des  Deutschen,  Englischen  und 
Französischen  widmen.  Stuttgart,  Wilhelm  Violet,  1904  (Violets  Btudien- 
ffihrer). 

Dr.  Busse  rechtfertigt  sein  unterfangen,  einen  neuen  Batffeber  fflr 
Neuphilolo^  zu  schreiben,  mit  der  Bemerkung,  dals  die  yornandenen 
fast  alle  die  Germanistik  mehr  als  stiefmütterlich  behandelten,  wfihrend 
doch  erfahrungsgem&Is  Deutsch  immer  das  beUebteste  Kombinationsftu^ 
im  Staatsexamen  war.  Sein  Buch  sollte  also  als  beauemes  Nachschlage- 
buch ffir  drei  miteinander  eng  yerbundene  und  auoi  durch  die  Praxis 
aufeinander  ansewiesene  Fächer  zuverlfissigen,  wenn  auch  knappen  Bat 
geben.  Nicht  i3s  ob  Busse  den  gldchmfilsi^en  Betrieb  Ton  Deutscn,  Fran- 
zösisch und  Englisch  zum  Zweck  der  Erwerbung  einer  Fakultas  für  Ober- 
klassen in  allen  drei  Fächern  empfehlen  möchte;  denn  er  hält  trotz  gegen- 
teiliger Behauptungen  an  der*Mdnung  erfahrener  Dozenten  und  Schul- 
männer fest,  aals  Sie  Aufgabe,  zwei  moderne  Sprachen  zugleich  zu  be- 
herrschen, die  durchs<3mittliche  Leistungsfähigkeit  übersteige.  Aber 
die  Sache  liegt  nun  einmal  so,  daCs  Französisch  und  Englisch  fast  immer 
zu<«ammen  genommen  werden,  und  danach  hat  denn  auch  Busse  sein  Buch 
eingerichtet.  In  ac^t  aufeinander  folgenden  Kapiteln  spricht  er  von  der 
Berufewahl  und  den  deutschen  Universitäten;  vom  Betriff  und  Umfang 
der  germanisdien  und  romanischen  Philologie  und  den  Anforderungen  der 
Praxis;  von  der  praktischen  Ausbildung;  vom  wissenschaftlichen  Studium 
im  engeren  Sinne;  von  StudienpUin,  Promotion,  Staatsexamen  und  von 
der  päiagoj^chen  Vorbildung.  Was  er  darüber  zu  sasen  hat,  deckt  sich 
naturgemäis  vielfach  mit  den  Ausführungen  sdner  Vorgänger;  aber  er 
brinjrt  es,  in  lebendiger  Erinnerung  an  seine  eigene,  noch  nicht  lange  zu- 
rücuieffende  Studienzeit,  mit  solchem  Eifer  una  solcher  Frische  vor,  da(s 
er  des  Eindruckes  auf  seine  Altersgenossen  sicher  sein  kann.  Zwar  fdilt 
es  den  Studenten  auch  nicht  an  Bkt  und  Belehrung  von  selten  der  Do- 
zenten, die  ja  heute  nicht  mehr  in  unzugänglicher  Hohe  über  ihnen  thro- 
nen und  unbekümmert  um  die  Bedürfnisse  der  Schule  ihre  Weisheit  ver- 
künden; idlein  man  läist  sich  doch  einen  Weg  am  liebsten  von  dem 
weisen,  der  ihn  selber  eben  erst  g^angen  ist 

Besonders  wohltuend  berührt  die  Wärme,  mit  der  Busse  die  Not- 
wendigkeit einer  streng  wissenschaftlichen  Vorbildung  für  den  künftigen 
Lehrer  verteidigt,  ohne  darum  die  Erfordernisse  der  Praxis  zu  übersehen. 
Denn  Wissenscnaft  und  Praxis  befehden  sich  keineswegs,  und  die  Uni- 
versität, die  zwar  vornehmlich  die  eine  pflegt,  sucht  däer,  in  richtiver 
Erkenntnis  des  Verhältnisses  zwischen  beiden,  doch  auch  die  praktisäe 
Ausbildung  der  neuphilologischen  Studenten  nach  Möglichkeit  zu  fördern. 
Zur  reinen  Schule  der  Spr^hfertiskeit  und  zur  ausscnliefslichen  Verabrd- 
chung  dessen,  was  der  künftige  Lärer  brühwarm  seinen  Jungen  vorsetzen 
will,  wird  sie  aber  hoffentlich  der  laute  Ruf  radikaler  Reformer  mit  ihrer 
allzu  beschränkten  Vorstellung  von  den  Aufgaben  eines  'brauchbaren 
Schulmeisters'  niemals  herabdrücken.  Es  mag  zugestanden  werden,  daXs 
der  praktischen  Ausbildung  der  Studenten  auf  unseren  Universitäten  lan^e 
Zeit  nicht  die  gebührende  Sorge  zuteil  wurde.  Ihre  Bedeutung  ist  gewüs 
nie  unterschätzt  worden,  aber  die  Verhältnisse  U^n  zu  im^ünstig.  So 
klafften  die  Ldirer  über  Vernachlässigung  dieser  wichtigen  Seite  der  Vor- 
bildung für  ihren  künftigen  Beruf,  und  die  Dozenten  hinwiederum  be- 
riefen sich  darauf,  dals  die  Kandidaten  die  praktische  Grundlage  fürs 


BearteUungeQ  und  kurae  Anzeigen.  219 

wissenBchaftliche  Stadium  billieerweise  Ton  der  Schule  mitbringen  müfsten. 
Man  bewegte  üch  da  in  einem  oestfindigen  Zirkel.  Nun  ist  in  dieser  Hin- 
eicht  fiberall  yieles  besser  geworden.  Busse  weist  in  einer  Anmerkung 
auf  B.  61  auf  die  idealen  Zust&ide  bin,  die  in  Berlin  für  das  Eng^lische 
zu  bestehen  scheinen.  Auch  wir  in  Greifswald  haben,  frdlich  mit  be- 
scheideneren Mitteln,  einen  englischen  EonTersationskurs  eingerichtet, 
nachdem  schon  lanee  vorher  auf  Anr^ung  des  Lektors  Ashby  eine  'De- 
batins  Society'  na<£  englischem  Muster  gegründet  werden  war,  die  meh- 
rere Jahre  bestand,  aber  aus  mancherlei  Ursachen  ihren  Zweck  nicht  voll- 
kommen erfüllte.  Es  kann  sein,  dais  man  den  praktischen  Bedürfnissen 
der  neuphilologischen  Studenten  nicht  an  allen  üniversit&ten  so  hilfreich 
entgegenkommt  wie  in  Berlin;  allein  ich  möchte  doch,  im  Gegensatz  zu 
Basse,  glauben,  daCs  das  Gebotene  überall  ausreichen  würde,  um  den  For- 
derungen der  Prüfungsordnung  zu  genügen,  wenn  nur  die  Gelegenheit, 
zn  lernen,  insbesondere  auch  von  den  liektoren  zu  lernen,  immer  recht 
fleüsiff  benutzt  würde.  Gerade  die  kleineren  üniversitfiten  gewähren  bei 
der  M^lichkeit  eines  eneeren  persönlichen  Verkehrs  mit  den  Lektoren  in 
dieser  Hinsicht  manche  vorteile.  Immerhin  bleibt  auf  dem  wie  auf  allen 
Gebieten  der  selbständigen  Arbeit  des  einzelnen  noch  vieles  überlassen. 
Busse  gibt  verständige  Kiatsehläge  für  die  zweckmälsigste  Ausnutzung  der 
Mittel,  die  dem  Stuaierenden  zur  Erlernung  der  m^emen  Sprache  ge- 
boten sind.  —  unter  den  Handbüchern  der  Phonetik  wäre  auch  Otto 
Jespersens  Lekrbueh  der  Phonetik,  autorisierte  Übersetzung  von  Hermann 
Davidsen,  1904,  Leipzig  und  Berlin,  Druck  und  Verlag  von  B.  G.  Teub- 
ner,  zu  erwähnen.  —  Statt  A.  Westen  muls  es  heilsen  Western.  —  Bei- 
läufig bemerkt:  Was  meint  Busse  mit  dem  'Schwund  des  r',  der  als  Lon- 
dinismus  nicht  zu  empfehlen  sei?  Er  denkt  dabei  wohl  an  den  Mangel 
jener  von  Lloyd  beschriebenen  koronalen  Artikulation  der  Vokale  vor 
dem  r  bei  folgendem  Konsonanten  oder  in  pausa?  Der  ist  aber  nicht  nur 
in  London,  sondern  Überhaupt  im  gebildeten  Südenelisch  heute  alleemein ; 
vgl.  Storm  13,  S.  450  und  463.  —  Was  den  wünsdienswerten  Aufenthalt 
im  Auslande  betrifft,  so  glaube  ich  auch,  dafs  die  geeignetste  Zeit  dafür 
unmittelbar  nach  dem  AbschluLs  der  Studien  sein  würde.  Jedenfalls  muls 
man,  wenn  er  wirklich  nutzbringend  werden  soll,  möj^Uchst  gut  dafür 
vorbereitet  sein,  sonst  kehrt  man  mit  all  den  Mängeln,  die  man  mitgenom- 
men hat,  und  noch  dazu  mit  einem  unsjerechnertigten  Dünkel  wieder 
heim ;  denn  man  darf  ja  nicht  glauben,  dios  einem  im  fremden  Lande  die 
Sprache  und  alles  übrige,  was  man  lernen  will,  von  selbst  angeflogen 
kommt  —  Die  2iahl  derer,  die  als  'B^p^titeurs  ^trangers'  nach  Jmmkreich 
l^en,  scheint  sich  zu  mehren.  Busse  rät  vorläufig  von  der  Übernahme 
einer  solchen  Stelle  noch  ab,  allein  nach  dem,  was  ich  von  Studenten 
darüber  erfahren  habe  (es  sind  gegenwärtig  fünf  von  uns  so  beschäftigt), 
darf  man  sie  unter  bestimmten  Voraussetzungen  vielleicht  doch  empfehlen. 

Ein  umfangreiches  Kapitel  widmet  Busse  dem  wissenschaftlichen  Stu- 
dium im  engten  Sinne;  aenn  das  ist  es,  'was  dem  üniversitätsstudium 
seinen  eigentlichen  Charakter  verleiht'  und  den,  der  sich  ihm  mit  Lust 
and  Liebe  ergibt,  über  den  Banausen  erhebt,  der  'stets  ängstlich  die  Para- 
graphen der  Früfungsordnung  zu  Bäte  zieJit,  um  ja  nicht  einmal  zu  viel 
zu  ton'. 

In  den  einzehien  Paragraphen  handelt  Busse  von  der  allgemeinen  und 
der  vergleichenden  Sprachwissenschaft,  vom  Lateinischen,  von  der  deut- 
schen, englischen  una  französischen  Plulologie,  von  der  historischen  Gram- 
matik, von  der  Lektüre,  der  Literaturgeschichte  und  den  Hilfsdisziplinen 
(Schriftwesen,  Metrik,  Mythologie  und  Heldensaj^e,  Geschichte),  rrak- 
tiache  Hinweise  auf  die  vorhandenen  hauptsächlichsten  Hilfsmittel,  auf 
passende  Verteilung  der  einzelnen  Teilgebiete  auf  die  Zeit  des  Studiums 
and  ähnliches  schlieist  er  an  allgemeine  Bemerkungen  über  die  in  Frage 
kommenden  Wissensgebiete  an.   Hier  wäre  nun  insMsondere  bei  den  Lite- 


220  BeurteUniigen  nnd  kurze  AnMigen. 

raturangaben  freilich  Tides  nachzutragen  und  manche  Ungenauijgkeit  zu 
verbeesem.  Das  Englische  namentlich  ist  nicht  allzu  gut  weggekommen. 
So  heilst  das  bekannte  Buch  von  Zupitza-Schipper  (jetzt  in  7.  Auflage  er- 
sdiienen):  *ÄU-  und  mittel englüehes  (nicht  altenglisches  und  neueng- 
lisches) Ühungshueh'.  —  ''The  Studenfa  Chaueer^  ist  doch  nur  von  Skeat 
allein,  nicht  von  Skeat  und  Morris  herausgegeben.  —  Für  die  nuttelenriische 
Lektüre  empfiehlt  Busse  unter  anderem  'The  Onnukim'f  ed.  B.  M.  White 
(und  B.  Holst).  Er  wird  doch  hoffentlich  nicht  im  Ernst  yerlangen,  dafii 
einer  das  ganze  langatmige  und  trockene  Werk  durchlesen  soll,  während 
er  für  literarisdi  ungleich  bedeutsamere  Denkmäler  anscheinend  nur  auf 
Auszüge  in  Chrestomathien  angewiesen  ist  Bei  der  Gelegenheit  möchte 
ich  übrigens  nicht  unterlassen,  neben  der  Tauehniix  'OoUekicn  of  British 
Author^  und  neben  den  Bänden  der  *English  Library*  von  Heinemann 
und  Balestier,  die  Busse  als  Textbüdier  für  neuenglische  Lektüre  erwähnt, 
die  Benutzung  der  vortrefflichen,  von  M.  Förster  besorgten  Neuausgabe 
Yon  Herrigs  'CXassieal  Äuthors'  den  Studenten  recht  warm  ans  Herz  zu 
legen.  —  Die  Zahl  der  empfehlenswerten  Literaturdarstellungen  Heise  sich 
el^nfalls  leidit  vermehren.  Im  übrigen  aber  glaube  ich,  dais  der  Student 
immer  am  besten  tut,  in  betreff  der  Hilfemittel  zum  Selbststudium  sich 
an  die  Weisungen  der  Dozenten  zu  halten  und  auch  die  Bücher  d^ 
Seminarbibliothek  fleilsig  zur  Hand  zu  ndimen. 

Die  Zeit  vom  Beginn  des  Studiums  bis  zum  Staatsexamen  schlägt 
Busse,  entsprechend  der  jetzt  üblichen  Praxis,  auf  zehn  Semester  an  und 
stellt  für  die  zweckmäisigste  Ausnutzung  derselben  sehr  umfassende  Stu- 
dieni>läne  auf:  1)  für  Germanisten,  2)  rar  Anellsten,  8)  für  Romanisten, 
wobei  jedesmal  die  Verbindung  von  zwei  spradilichen  Hauptfächern  mit 
einem  solchen  Nebenfach  vorausgesetzt  wird.  Da&  die  g^aue  Befolgung 
dieser  Pläne  kaum  einmal  möguch  sein  wird,  gesteht  Busse  selbst  zu. 
Aufgefallen  ist  mir  nur,  da(s  S.  124  'historische  Grammatik'  und  'Einfüh- 
rung in  das  wissenschaftliche  Verständnis  der  lebenden  Sprache'  als  zwei 
getrennte  Vorlesun^gegenstände  nebeneinander  gesteUt  werden.  Ich  habe 
isher  immer  gemeint^  die  Auf^be  der  historischen  Grammatik  bestehe 
eben  darin,  dais  sie  m  das  'wissenschaftliche  Verständnis'  der  lebenden 
Sprache  einführe.  'Historiedi  grammar  tries  to  explain  the  phenomena  of 
a  language  by  traeing  them  back  to  their  earlier  stages  in  that  languags^ 
(Sweet).  Vorausgesetzt  werden  mufs  natürlich  die  Kenntnis  der  lebenden 
Sprache  und,  was  auch  Busse  S.  52  betont,  phonetische  Schulung  —  hier 
berühren  sich  also  Wissenschaft  und  Praxis  — ;  dazu  aber  auch  eine 
wenigstens  elementare  Kenntnis  der  Tatsachen  der  älteren  Sprachperioden 
(vgl.  Busse  S.  97),  denn  sonst  wird  einer  von  der  Masse  des  ihm  völlig 
fremden  Stoffes  erdrückt  und  sdureibt  sich  im  Kolleg  nur  einen  roten 
Kopf  an.  Das  ist  mir  von  Studenten  oft  genug  bestätigt  worden.  Ich 
halte  es  daher  für  sehr  bedenklich,  Studenten  schon  im  zweiten  Se- 
mester den  Besuch  einer  Vorlesung  über  historische  Grammatik  zu  empfeh- 
len, wie  es  die  meisten  der  bisher  aufgestellten  Studienpläne  zu  tun  pflegen. 
Man  braucht  nur  einmal  einen  BUck  in  das  Kollegienheft  eines  solchen 
Neulings  zu  werfen,  um  mit  Schaudern  den  Greuel  der  Verwirrung  zu 
bemerken,  den  ein  Dozent  bei  so  Unvorbereiteten  anrichten  kann. 

Zum  Schlüsse  noch  ein  Wort  über  die  Promotion,  worüber  Busse  im 
6.  Kapitel  spricht  Es  handelt  sich  darum,  ob  die  Promotion  in  jedem 
Falle  zu  empfdblen  sei,  und  ob  sie  vor  oder  nach  dem  Staatsexamen  er- 
folgen solle.  Die  erste  Frage  beantwortet  Busse  nach  Erwägung  der 
Gründe  für  und  wider  mit  ja.  Ich  möchte  ihm  nicht  unbedinj^  recht 
geben.  Ein  Student  mit  Durchschnittsbegabung  und  Fleifs  kann  em  guter 
Lehrer  werden.  Er  kann  so  viel  Wissenschaft  in  sich  aufnehmen,  als  die 
richtige  Ausübung  seines  Berufes  erfordert;  aber  die  Befähigung,  durch 
selbständige  Forschung  die  Wissenschaft  zu  fördern,  braucht  er  darum 
noch  nicht  zu   besitzen.    Nun  meint  zwar  Busse  S.  133,  der_IE[andidat 


Beurteilungen  und  kurze  Anzdgen,  221 

habe  im  wesentlichen  nur  den  Nachweia  zu  liefern,  dafii  er  ee  gelernt  habe, 
wissenBchaftlich  zu  arbeiten  . . . ;  im  übrigen  verböte  ja  schon  die  enge  Be- 
grenzung des  Themas  samt  der  yerhältnismäXisigen  Unerfahrenheit  des  Kandi- 
daten, (an  eine  Dissertation)  allzu  groÜBe  Ansprüche  zu  stellen.  Aber  das  ist 
es  eben,  was  mich  etwas  bedenldidi  macht:  die  Gefahr,  daDs  bei  Massen- 
produktionen die  Ansprüche  zu  niedrig  gestellt  werden  und  die  deutschen 
Universitäten  mit  Recht  den  Vorwurf  veraienen  könnten,  die  'Dissertation- 
mongery'  zu  befördern.  Wer  freilich  das  Zeue  dazu  hat,  'an  seinem  Teile 
an  dem  stolzen  Bau  der  Wissenschaft  mitzuarbeiten  und  aus  eigener  Kraft 
eine  wissenschaftliche  Aufgabe  zu  lösen'  —  und  Busse  selbst  hat  es  ja 
rühmlich  dargetan  — ,  der  mag  sich  immerhin  ein  Thema  für  eine  Disser- 
tation geben  lassen,  obwohl  es  mir  wünschenswerter  und  audi  für  die 
Wissenschaft  keinesw^  nachteiliger  schiene,  wenn  ehier  im  Verlauf  seiner 
Studien  selber  auf  etwas  stielse,  was  ihn  zu  eingehender  Forschung  und 
Bearbeitung  anreizte. 

Die  zwdte  Frage,  ob  man  vor  oder  nach  dem  Staatsexamen  promo- 
vieren soll,  entscheidet  Busse  im  ersten  Sinne.  Die  Gründe,  die  er  dafür 
anführt,  sind  ja  einleuchtend.  Aber  auch  hier  habe  ich  einige  Bedenken. 
Wer  durch  die  Verhaltnisse  darauf  aufwiesen  ist,  sich  vor  allem  mög- 
lichst bald  eine  feste  Grundlage  für  seme  künftige  Existenz  zu  schaffen, 
dem  rate  ich  unter  allen  Umstanden,  seinen  Blick  zunächst  auf  das  Staats- 
examen zu  richten  und  sdne  ganze  Kraft  dafür  einzusetzen;  denn  nie- 
mand weib  im  voraus  eenau,  wie  lange  ihn  eine  Dissertation  aufhalten 
werde.  Mancher  hat  sdaon  mehr  Semester  damit  verbracht,  als  er  sich 
vorgenommen,  und  hat  während  der  Zeit  auf  verschiedenen  Wissens- 
gebieten Lücken  offen  lassen  müssen,  die  dann  beim  Staatsexamen  in  un- 
erfreulicher Weise  zutage  kamen.  Auf  jeden  Fall  sollte  man,  wie  auch 
Busse  rät,  erst  in  den  späteren  Semestern  an  die  Wahl  und  Bearbeitung 
eines  Themas  für  eine  Dissertation  gehen.  Einer  der  von  Busse  S.  184 
erwähnten  Vorteile  der  Promotion  vor  dem  Staatsexamen  erweist  sich 
übrigens  für  Anglisten  und  Romanisten  als  trügerisch:  eüie  englische  oder 
französische  Dissertation  darf,  da  sie  in  der  Regel  deutsch  geschrieben 
sein  mula,  in  Preuüsen  nicht  als  schriftliche  Prüfungsarbeit  angerechnet 
werden.^  Für  Dissertationen  aus  anderen  Fächern  beetdit  kein  solches 
Verbot.  So  kann  z.  B.  einem  Germanisten,  der  promoviert  hat  und  beim 
Staatsexamen  eine  Lehrbefähigung  im  Deutschen  und  Englischen  oder 
Französischen  für  Oberklassen  erwerben  will,  die  Anfertigung  dner  schrift- 
lichen Hausarbeit  erlsAsen  werden;  der  Examinator  im  Englischen  oder 
Französischen  mnis  sich  dann,  oder  darf  sich  wenigstens,  mit  emer  £[lausur- 
arbeit  des  Kandidaten  begnügen,  die  also  in  diesem  Falle  für  die  Bewer- 
bung um  eine  Fakultas  für  cue  erste  Stufe  allein  schon  als  ansreidiend 
erachtet  wird.  Aber  zusammen  mit  einer  Dissertation  auf  dem  Gebiete 
des  Englischen  oder  Französischen  reicht  die  Klausurarbeit  für  jenen 
Zweck  nicht  mehr  aus;  es  muls  noch  eine  schriftliche  Hausarbeit  hinzu- 
kommen^ und  die  einzige  Vergünstigung,  die  dem  Kandidaten  eewährt 
werden  kann,  ist  die,  das  durdi  eine  Entscheidung  des  Vorsitzenden  der 
Prüfungskommission  im  Einvernehmen  mit  dem  betreffenden  Examinator 
das  Thema  für  die  Hausarbeit  dem  Bereiche  der  Dissertation  entnommen 
werden  darf.  Man  sieht,  es  wird  den  Neuphilologen  nicht  gerade  leicht 
gemacht,  ihr  Ziel  zu  erreichen.  Busses  Studienführer  kann  ihnen  durch 
seine  Batschläge  manchen  Um-  und  Irrweg  ersparen. 

GreifBwald.  M.  Konrath. 


*  Nur  eine  TeUfibersetzuDg  der  Dias,  in  die  Fremdsprache  wird  nachgefordert. 
In  lehn  Jahren  Berliner  Tätigkeit  sah  ich  noch  nicht  Einen  inr  Doktorsprflfung 
gelangen,  der  die  Staatsprflinng  bereite  gemacht  hatte.  Dal^  möglichst  viele  Nea- 
sprachler  den  Doktor  machen,  empfiehlt  sich  sowolü  behufs  ihrer  besseren  Aus- 
bildnng  al»  aar  Hebung  ihres  Ansehens  in  Kollegenkreisen.  A.  B. 


222  Befurteilimgen  nnd  kurze  Anzdgen. 

Ernst  Otto,  Typische  Motive  in  dem  weltlichen  Epos  der  Angel- 
sachsen«    Berlin,  Mayer  &  M&Uer,  1901.    91  8. 

Der  VerfaMcr  dieser  Abhandlung  hat  es  unternommen,  gewisse  Ge- 
danken, die  Heinzel  (Stü  der  aUgertn,  Poesie)  in  den  ümBissen  festgelegt, 
Richard  M.  Me^er  {JHe  aUgerm,  Poesie  nach  ihren  formelhaften  Elanenten 
besehr,)  auf  breitester  Basis  weiter  ausgeführt  und  in  historischen  Zusam- 
menhsng  gebracht  hatte,  für  einen  Teil  der  ae.  Dichtung,  das  weltliche 
Epos,  noch  einmiü  in  ausführlicherer  Weise  zu  belegen.  Er  schöpft  sein 
Material  aus  Beowulf,  Finn,  Widsid,  Waldere,  Byrhtnöd  und  den  histo- 
rischen GMichten  der  Sachsenchronik  und  legt  es  vor,  in  ein  straffes 
Schema  gespannt,  etwas  zu  sehr  statistisch  und  darum  beim  Lesen  oft 
recht  ungenielsbar.  Er  behandelt  im  ersten  Teil  Lebewesen  (A.  Mora- 
lische Eigenschaften:  Gk>tt,  I(.önig,  Gefolgsleute,  Ungeheuer.  B.  Geistes- 
kräfte. C.  Stimmung.  D.  Aufsere  Eigenschaften.  E.  Lebenslauf),  im 
zweiten  Zustandliches  (Waffen,  Schatz,  Szeneri^,  im  dritten  Vor- 
gänge (Kampf,  Beden,  dream,  Begräbnis,  Schif&hrt,  Körperliche  Übunj^en 
und  Spiele,  Kunst  und  Wissenschaft),  im  vierten  Urteile  und  Empfin- 
dungen des  Dichters.  —  Die  Fülle  dieses  auf  knappen  Baum  zu- 
sammengedränfften  Materials  macht  die  Arbeit  nützlich  und  brauchbar, 
wenn  auch  vieks  nicht  neu  und  manches  nicht  typisch  ist.  Leider  sind 
die  Zitate  nur  selten  ausgedruckt,  so  dafs  man  des  Nachsdilagens  in  den 
Quellen  nicht  überhoben  wird.  Indem  der  Verfasser  seine  Ergebnisse  mit 
den  über  das  geistliche  Epos  der  Angelsachsen  bekannten  Tatsachen  yer- 

§  leicht,  sowie  Parallelen  aus  dem  As.,  Ahd.  und  An.  heranzieht,  folgt  er 
er  Methode  seiner  Vorgänger.  Manciies  bleibt  dabei  aber  doch  recht  an 
der  Oberfläche.  Wie  in  solchen  Fällen  eine  Vertiefung  zu  errdchen  ge- 
wesen wäre,  zeigt  z.  B.  ein  Vergleich  zwischen  dem,  was  der  Verfasser 
über  die  Frau  in  der  weltlichen  Dichtung  sagt,  im  Vergleich  zu  Reeders 
Darst^ung  (FamiHe  bei  den  Angelsachsen),  die  Otto  nicht  zu  kennen 
schemt» 

Bremen.  Heinrich  Spies. 

Leonhard  Wroblewski,  Über  die  altenglischen  Gesetze  des  Königs 
Knut     Diss.    Berlin,  Mayer  &  Müller,  1901.    60  S. 

Diese  Untersuchung  reiht  sich  anderen  Arbeiten  an,  die  in  jenen 
Jahren  Über  altenglische  Gesetze  erschienen  sind.  Die  Einleitung  (Knuts 
Verhältnis  zur  altengUschen  Sprache)  schildert,  um  eine  Voraussetzung 
für  die  im  GJesetzbucn  zu  erwartende  Sprache  zu  j^ewinnen,  kurz  die  Um- 
gebung des  Königs:  Traditionen  der  Regierung,  Knuts  relidOse  Stellung, 
seine  geistliche  und  weltliche  Umgebung,  die  ausschlieislich  aus  Süa- 
euffländem,  insbesondere  aus  Westächsen,  bestand.  —  Kap.  II  befafst 
sich  mit  der  Überlieferung  und  dem  eeeenseitigen  Verhältnis  der  Hand- 
schriften der  Gesetze  sowie  eines  ebenndls  zur  l^tersuchune  herangezoge- 
nen Erlasses  Knuts  vom  Jahre  1020.  —  Kap.  III  bildet  den  Hauptteil 
der  Arbeit:  Die  Spradie  der  Handschriften  (Vokalismus  und  Konsonan- 
tismus). 

Der  Verfasser,  der  gute  Kenntnisse  und  gewissenhafte  Arbeitsweise 
verrät,  geht  yon  den  westgerm.  Lauten  aus  und  behandelt  unter  jedem 
sämtliche  ae.  Entsprechungen,  wobei  er  verwandte  Arbeiten  zum  Vergleich 
heranzieht  Was  zunächst  die  Quantitätslehre  anlangt,  so  vermag  ich  hier 
den  Ausführungen  des  Verfassers  grundsätzlich  nicnt  zuzustimmen.  Er 
erklärt,  Länse  des  Vokals  wird  (u.  a.)  durch  Akzente  bezeichnet,  und 
zählt  dann  die  Fälle  auf,  in  denen  sich  auf  Vokalen  oder  Diphthongen 
Akzente  finden.  Diejenigen  Fälle,  die  sich  nicht  lautgesetzlich  erklären 
lassen,  werden  durch  Anidogie  zu  erÜären  gesucht,  wenngleich  der  Ver« 


Beurteüungen  und  kune  Anzdgen.  223 

fasser  auch  so  yoraichtig  ist,  eiii  Fragezdchen  hinzuEUBetasen  (so  heönan 
nach  hSOy  6ääe  nach  ob,  ößer^  kwdns  =  ktcone  nach  kteOm  etc.).  Memes 
EnchtCDs  ist  der  Vertasser  hier  im  Irrtom ;  sein  an  und  für  sich  löbliches 
Bestreben,  mÖgUchst  zu  erklfiren  und  nicht  nur  zu  konstatieren,  hat  ihn 
dazu  verfQhrt,  Erklärungen  um  jeden  Preis  zu  geben.  Solange  nicht 
zwingendere  Qrnnde  und  sichere  Belege  aus  anderen  DenkmSlem  beigebracht 
werden,  müssen  wir  in  diesen  Fftlien  einziehe  Schreibfehler  sehen,  zumal 
das  Me.  in  keinem  dieser  FfiUe  Dehnung  aufweist  Dasselbe  l&fst  sich 
in  der  QualitStslehre  beobachten.  Man  yermilst  ein  festes  Prinzip,  nach 
dem  Schreibungen  als  Schreibfehler  gebucht  oder  als  Formen  mit  laut- 
lichem Wert  angesetzt  werden.  —  Im  Schluls  der  Arbdt  sind  die  Resul- 
tate zusammengestellt.  Die  in  allen  oder  mehreren  Handschriften  vor- 
kommenden Eigentümlichkeiten  werden  dem  Original  zugewiesen.  Die 
Eigenheiten  einzelner  Handschriften  werden  als  spät  oder  dialektisch  ge- 
deutet und  geschieden.  —  Der  weniff  übersichtliche  Druck  und  der  Mangel 
einer  fortlauenden  Paragraphenzfihmng  erschweren  sehr  die  Orientierung 
und  das  Zitieren. 

Ein  paar  Einzelheiten  (von  vielen)  seien  hier  noch  angefügt:  Warum 
wird  aeal  (S.  28  §  5)  als  'Partikel'  bezdchnet?  —  S.  84  §1.  2  gehört 
streng  genommen  nicht  dahin.  —  S.  86  §  4,  2  -t^  in  penig  als  'Zusammen- 
ziefaung  von  -tn^'  zu  bezeichnen,  dürfte  nicht  ganz  korräct  sein.  Es  han- 
delt sich  um  denselben  Vorgang,  der  neuerdings  in  zahlreichen  Fällen,  als 
G(^;enBtück  zur  Einschiebung  von  n  anlaislich  der  Betrachtung  von  nigkan- 
ga£,  eingehend  erörtert  ist.  — •  S.  40,  8.  Die  Zusammensetzung  der  Pro- 
zente (6^/s  +  8OV2  +  7'/s)  stimmt  nicht  —  S.  48  §  1.  Unter  I)  heilst  es 
to  >  u  vor  /  z.  B.  aaule,  unter  2)  f  >  u  e.  B.  lutea.  Das  ist  zum  min- 
desten schief  ausgedrückt  —  S.  51, 6  hellst  es,  'igthum  für  lytlum  könnte 
Analoeiebildung  nach  dem  svnonymen  lythwön  sein'.  Hier  liegt  doch 
zweifeUoe  einfacher  Schreibfehler  vor. 

Bremen.  Heinrich  Spies. 

Oskar  Boemer,  Die  Sprache  Robert  Mannings  of  BmnDe  und 
ihr  Verhältnis  zur  neuenglischen  Mundart  (Studien  zur  englischen 
Philologie,  herausgaben  von  Lorenz  Morsbach,  XII).  Halle,  Max 
Niemeyer,  1904.    YU,  813  S.  8.    M.  8. 

ESne  gründliche  Untersuchung  der  Sprache  Boberd  Mannings  muis 
ans  mehreren  Gründen  als  ein  seä  wichtiger  imd  hochwillkommener  Bei- 
trag zur  englischen  Sprachgeschichte  betrachtet  werden.  Denn  wir  haben 
hier  einen  Dichter  vor  uns,  der  Werke  von  groisem  ümfanee  hinterlassen 
hat,  so  dais  wir  mit  einem  besonders  reichhaltigen  Material  arbeiten  kön- 
nen; besonders  wichtig  ist  aber  der  Umstand,  daDs  wir  über  die  Heimat 
und  die  Leb^iszeit  des  Dichters  recht  genau  unterrichtet  sind.  Dadurch 
gewinnen  wir  zuverlSssige  Anhaltspunkte  für  die  Beurteilung  anderer 
Denkmaler  aus  benachbarten  G^egenden.  Bobert  Manning,  der  ungefähr 
1260  in  Brunne  (jetzt  Boum)  im  Süden  von  LincolnshSe  seboren  war 
und  in  den  vierziger  Jahren  des  14.  Jahrhunderts  höchst  wärscheinlich 
in  derselben  GhB^end  sein  Leben  beendiete,  verlebte  ohne  Zweifel  den  weit- 
aus erölseren  Teil  seines  Lebens  innerhäb  der  Grenzen  seiner  heimatlichen 
Granchaft  Es  ist  deshalb  anzunehmen,  da£B  er  an  seinem  heimatlichen 
Dialekt  festhielt;  diese  Annahme  wird  auch  durch  die  Schlüsse,  die  sich 
aus  Bob^s  PereÖnlichkeit  und  äulseren  Lebensumstanden  zidien  lassen, 
durchaus  best&tifft  Er  muls  entschieden,  wie  Boemer  bemerkt,  in  einer 
Sprache  geschrieoen  haben,  die  der  Umgangssprache  seiner  Heimatsgegend 
ziemlich  nahekam.  Infolge  dieser  Umstfinde  wird  seine  Sprache  lor  die 
imgiiMAlift  Sprachkunde,  besonders  für  die  Lokalisierung  und  Datierung 
dier  me.  Denkmller,  um  so  wichtiger. 


224  BeurteUungoi  und  kone  Anjseigeii. 

Trotzdem  waren  die  bisherigen  Untersuchungen  fiber  Boberds  Sprache 
recht  dürftig  jedenfalls  vollkommen  unzureichend.  Die  einzige  Bpezial- 
arbeit  vor  der  hier  zu  besprechenden  Arbeit  üt  die  Göttinger  Dissertation 
von  G.  Hellmers.  Über  dte  Sprache  Bob.  Manninge  of  Brunne  und  über 
die  Ätäoreehaft  der  ihm  »ugeechriebenen  MedHaiione  an  the  Supper  of  our 
Lord  (1885),  mit  Fortsetzung  erschienen  zu  Goslar  in  demseloen  Jahre. 
Die  Lautlehre  wird  hier  sehr  knai>p  abgefertigt  Was  in  anderen  Arbeiten 
über  Boberds  Sprache  zu  finden  ist,  ist  noch  spärlicher. 

Mit  um  so  grölserer  Freude  ist  eine  Detailuntersuchung  wie  das  uns 
vorliegende  Buch  zu  begrüisen.  Der  Hauptwert  des  Budies  scheint  mir 
in  dem  imgemein  ^Isen  und  mit  rühmenswertem  FleUs  und  ^Umsicht 
geeanmielten  Matenal  zu  li^en.  Aus  diesem  Material  hat  der  Verfasser 
auch  Schlüsse  allgemeinerer  und  weittragenderer  Natur  gezogen,  die  er 
an  besonderen  Stellen,  namentlich  am  Ende  der  verschiedenen  Abschnitte, 
fein  sauber  zusammenstellt. 

Diese  Schlüsse  sind  selbstverständlich  so  gut  wie  ausschließlich  gram- 
matischer Natur.  Einen  Funkt  will  idi  aber  hier  zuerst  herausgreifen, 
weil  er  auch  für  die  Literaturgeschichte  wichtig  ist,  nämlich  die  Fn^e 
nach  der  Autorschaft  der  Boberd  zugeschriebenen  MedikUione  on  the  Supper 
of  our  Lord.  In  seiner  obenerwähnten  Arlmt  hatte  Hellmers  darzutun 
versucht,  dais  sie  sehr  wohl  von  Boberd  verfaulst  sein  könnten,  da  die 
Sprache  in  den  Med.  von  derjenigen  in  den  anderen  von  Boberd  of  Brunne 
sicher  verfaßten  Werken  nicht  wesentlich  abweicht  Boerner  aber  glaubt 
nun  einen  gröDseren  Einschlaff  südlicher  Elemente  konstatieren  zu  können. 
Gegen  die  Verfasserschaft  Boberds  fallen  nach  der  Ansicht  Boemers  auch 
unterschiede  hinsichtlich  der  Verskunst  und  der  Beimtechnik  ins  Gewicht. 

In  dem  Boemerschen  Buche  wird,  wie  schon  angedeutet,  eme  unge- 
meine Menge  Detailfragen  erörtert  In  ziemlich  vielen  Fällen  kann  ich  dem 
Verfasser  nicht  beipflichten ;  über  eiiiise  von  diesen  lä&t  sich  wohl  streiten, 
aber  in  mehreren  scheint  mir  jedoch  die  irrtümliche  Auffassung  des  Ver- 
fassers auf  der  Hand  zu  liegen.  Einige  üngenauigkeiten  —  zwar  meistens 
fferin^flgiger  Art  —  wären  auch  leicht  zu  vermeiden  gewesen.  Auf  alle 
diese  Funkte  kann  ich  hier  nicht  eingehen.  Einige  werae  idi  am  Schluls 
dieser  Anzeige  beispielsweiBe  erwähnen,  will  aber  gleich  hervorheben,  dafs 
sie  den  Wert  der  Arbeit  nur  in  sehr  geringem  Ma£se  beeinträchtigen,  und 
dals  sie  uns  ihre  Verdienste  nicht  vergessen  lassen  dürfen. 

Nach  einer  kurzen  Einleitung  wird  zuerst  die  Überlieferung  der  Werke 
behandelt.  Interessant  ist  dabei  die  Tatsache,  dafs  der  Text  der  Gironik 
einen  ganz  anderen  und  zwar  nördlicheren  Sprachcharakter  aufweist  lüs 
der  der  Handlyng  Symte.  Die  Verschiedenheiten  rühren  eJaer  led^lich  von 
den  Schreibern  her;  denn,  wie  Boerner  (und  vor  ihm  Hühners)  hervor- 
hebt, ist  es  nicht  denkbar,  dais  Bobera  zur  Zeit  der  Abfassung  der 
Chronik  einen  mehr  nördlich  gefärbten  Dialekt  sprach  als  zur  Zeit,  wo 
er  die  H.  S.  schrieb.  Mit  Becht  werden  in  der  ganzen  folgenden  Dar- 
stellung die  Erscheinungen  in  den  drei  Werken  (Öfi^on.,  K  8.,  MedüaHons) 
streng  auseinander  gehalten. 

Danach  folgt  ein  Abschnitt  über  die  Verskunst  und  Beimtechnik  des 
Dichters,  dem  sich  Abschnitte  über  das  auslautende  -n  und  das  auslau- 
tende -e  anreihen.  Das  auslautende  -n  ist  im  allgemeinen  wegge&Ilen, 
nur  in  hochtoniger  Silbe  ist  es  lautoesetzlich  erhalten  geblieben.  Daraus 
zieht  der  Verfasser  den  Schluis,  dals  auch  für  den  Eavdok  kein  -n  mehr 
anzunehmen  seL  Statt  der  reichen  Materialsammlung  oder  wenigstens 
neben  ihr  hätte  ich  etwa  eine  kurze  Besprechung  der  FäUe.  in  denen  -n  er- 
halten ist,  erwartet,  da  uns  ja  die  Ausnahmen  weit  mehr  als  die  Hauptregel 
interessieren.  Aus  der  Untersuchung  über  das  End-e  ergibt  sich,  daSs  aer 
Prozefs  des  Verstummens  des  -e  noch  nicht  abgeschlossen  war,  dals  Bo- 
berd ein  Wort  mit  verstummtem  -«.allemal  da  verwenden  konnte,  wo  er 
es  im  Beime  nötig  hatte. 


Benrtdlimgen  und  kuTze  Anzdgen.  225 

Dar  nnn  folgende  Abschnitt  über  die  Lautlehre  (8.  55 — ^209)  nebst 
einer  Übersicht  über  dialektische  Fonnen  (&.  209—211)  bildet  entschieden 
den  Kern  der  Arbeit.  Die  Lautlehre  amfaist  nur  den  Vokalismus  und 
zwar  nur  den  Vokalismus  der  Beim  Wörter;  sie  zerf&Ut  in  zwei  Abschnitte: 
in  dem  ersten  wird  der  eeormanische,  in  dem  zweiten  der  aulBergermanische 
Beptandtdl  behandelt  Wir  haben  es  hier  also  mit  einer  Darstellung  zu 
tun,  die  sich  yon  den  meisten  derartigen  Arbeiten  dadurch  Torteilhaft  ab- 
hebt, da(s  sie  die  6chreibun&;en  nur  ausnahmsweise  berücksichtigt  und 
nur  die  Beime  für  bewdskriJtig  hfilt  Hier  und  dort  geben  die  Bdm- 
nntersuchungen  auch  zu  Emendationen  Anlais,  von  denen  manche  mir 
sda  i^elungen  erscheinen.  Die  Darstellung  ^ewfihrt  gelegentlich  audi 
Sinbhcke  in  die  Eonsonantenlehrei  besonders  m  die  Fr^  über  die  Ent* 
wickeluns;  von  Vokal  4-  w,  j,  ä,  ht, 

Diefolgenden  Abscmnitte  (S.  212— 271)  behandeln  nun:  die  Flexions- 
lehre, Übersicht  über  die  dialektischen  Formen  aus  der  Flexionslehre, 
dialektische  Abweichungen  der  MedäaiHoiM  von  der  Hcmäiyng  Syrme  und 
der  Chronik,  Listen  der  altnordischen  und  der  französischen  Lehnwörter 
nach  Wortklassen  geordnet 

Danach  setzt  (8.  271^  die  Versleichunff  von  Boberds  Sprache  mit  der 
neuen^lischen  Mundart  em.  Wir  finden  hier  die  folgenden  Kapitel:  Cha- 
rakteristik der  ne.  Mundart,  Vokalismus  der  ne.  Ikmndart,  Konsonantis- 
mus im  Me.  und  im  Ne.  und  zuletzt  einige  Besultate  und  Schlulsbemer- 
ktingen.  Wenn  man  yon  einigen  literarirchen  Entlehnungen  bei  Boberd 
absieht,  so  steht  es  nadi  der  Darstellxmg  Boemers  fest,  da&  in  der 
Mundart  seit  Boberds  2ieit  keine  durchgreifenden  Verschiebungen  ein- 
getreten sind. 

Es  würde  uns  zu  weit  führen,  auf  alle  interessanten  Details,  die  aus 
dem  Buche  herauskommen,  einzusehen.  Statt  dessen  will  ich,  bevor  ich 
achliefise,  mich  mit  einigen  Spezial&agen  beschäftigen,  worin  ich  dem  Ver^ 
fasser  nicht  beistimmen  kann.^ 

8.  85  sagt  Boemer  (betreffe  des  auslautenden  -n):  'wenn  aber  trotz 
der  allgemeinen  B<^1  im  part  praet  das  -n  zum  Teil  erhalten  ist,  so 
mögen  hier  Ursachen  gewirkt  haben,  die  noch  nicht  ermittelt  sind.'  Als 
'unermittelt*  sind  doch  diese  Ursachen  kaum  zu  bezeichnen!  8.  42  be- 
spricht Boemer  ein  paar  Ortsnamen  aus  Lincolnshire.  die  auf  frühen  Ver- 
lust von  -n  deuten  sollen,  und  die  er  den  von  Bradley  gesanunelten  Bei- 
spielen gei;enüber  anführt,  die  das  -n  meist  gewahrt  haMn  und  demnach 
südliche  JPormen  repräsentieren  sollen.  Die  von  Boemer  angeführten  Fälle 
beweisen  aber  gar  nidits,  da  sie  beide  altnordische  Bildungen  sind.  IVisebi, 
Fri9aiorp  sind,  wie  Saamy,  sicher  von  den  Nordleuten  in  Lincolnshire  ge- 
bildet fursmrfinglich  FVuaby,  FrUaßorp,  Saxb^),  -by,  -borp  sind  tTpiscne 
nordiacne  Ortsnamenkomponenten.  ».  56.  In  me.  pakky  ne.  dial.  ihaek 
'roof  ist  der  ib-Laut  vollkommen  lautfi;esetzlich.  In  ae.  pcdö  gen.  pteces  etc. 
na.  pL  p€iüu,  gen.  pl.  ^o^  dat  pl.  paewn  kann  kein  Ü  entstehen.  Wes- 
halb man  also,  um  die  ib-Form  in  der  Gegend  Boberds  zu  erklären,  an 
eine  Einwirkung  des  iWm.btdc  denken  könnte,  ist  mir  unklar.  8.  58.  Was 
der  Verfasser  mit  an.  kläpdi  (sicl  so  auch  8.  68)  meint,  verstehe  ich  nicht 
8.  64.  BetreffiB  des  Verhältnisses  von  altostn.  grcßs  zu  altwestn.  grca  ver- 
weise ich  auf  den  Aufsatz  von  Ekwall  in  Nordiska  Studiiery  tülegnads  Adolf 
Noreen  8.  247  ff.  8.  70.  Ohne  mich  auf  die  Fraee  nach  der  ursprünglichen 
Quantität  des  ne.  orumb  (ae.  crüma  oder  erumar)  einzulassen,  muis  ich  es 
sonderbar  finden,  dafii  Boemer  das  8b.  als  erüma  ansetzt,  aber  das  dazu 

'  Da  in  Oothenbnrg,  wo  ich  äi^B^  schroibe,  sehr  wenige  Hilftmittel  für  das 
Stadinm  von  Bobsrd  Haniiing  (einstweUen  nicht  einmal  eine  einzige  Ausgabe  einer 
lianningschen  Arbeit)  vorhanden  sind,  bin  ich  anl^erstande  gewesen,  Yielee,  was  ich 
gern  nachprüfen  wollte,  nfther  in  nntersnehen.  Es  gilt  dies  besondere  für  die  Reim- 
wörter, deren  Bedentnngen  aus  Boernere  Arbeit  sich  öfters  nicht  erschlielsen  lassen. 

Axebif  f.  n.  Spnehen.    CXV.  15 


tiß  Seurteiiungien  und  kurze  AnMlgen. 


gebildete  Verb  *erffmfnan  (nicht  eryntan)  schreibt.  Schon  Orrm  hat  artem- 
met,  —  Als  verwandt  zu  agiyfte  'erschrocken'  betrachte  ich  schwed.  dial. 
gluft  *öünunf^f  norw.  diaL  glyf8  'Ö£bnng^  me^gloonen  'be  astonished,  terri- 
lied'  usw. ;  die  ursprüngliche  Bedeutung  war  'offenstehen,  gaffen'.    8.  71. 

äfüe  {K  S,  7756)  mit  'ae.  f  Yor  mehrfacher  Konsonanz'  verstehe  ich  nicht; 
ie  Ausffabe  von  K  S,  steht  mir  aber  nicht  zur  Verfügung.  8.  75.  Dals 
brim  'wud,  wütend'  aus  einer  ae.  Grundform  mit  'unfestem  y*  stammt, 
wird  wohl  niemand  glauben.  —  KiäU  'to  cut'  ist  sicher  nicht  dem  Kel- 
tischen entlehnt;  denn  wie  wfiren  dann  die  entsprechenden  skandinavischen 
und  niederländischen  Formen  zu  erklären?  Vgl.  übrigens  £kwall,  Shakt" 
apere* 8  Voeabulary  S.  15  Anm.  4.  8.  79.  Wie  ae.  enafa  aus  älterem  ae.  hnapa 
entstanden  sein  Kann,  ist  mir  unklar.  8.  82  Anm.  2  ist  mir  völlig  unbe- 
ereiflich  und  wohl  verderbt.  8.  102  mom«  4  anm.  1.  'Anglia  IX'  und 
%eowulf  lOOr.  Der  Verfasser  saft,  da(a  wend  (Öhr.  1771)  ein  Versehen 
für  tpond  ist,  das  'in  beiden  Hanaschriften  steht'.  Von  wem  rührt  dann 
das  Versehen  her?  8. 106.  Zu  der  8direibung  werd  'world'  sind  die  Formen 
des  Wortes  in  den  modernen  nordischen  Sprachen  zu  verglichen,  wo  /  nicht 
mehr  gesprochen  wird ;  im  Dänischen  wird  es  nicht  einmal  mdüff  geschrie- 
ben. S.  112.  Im  Beim  wonde  'fear,  hesitate'  :  kusbonde  ist  wohl  o  in  hue- 
bände  eher  aus  ö  in  ostn.  böfajnde  als  aus  ü  in  dem  von  Boemer  angeführten 
bOandi  zu  erklären.  Die  Überschrift  ( :  ^  'reimt  mit  o  an.  Ursprungs') 
paCst  übrigens  schlecht  zu  'husbonde  (&n.büandiy,  8. 121.  Aschwed.  l^a, 
dän.  lare  stammt  aus  dem  Deutschen  und  kann  nicht  das  me.  lere  er- 
klären. 8. 135.  An.  hedan  hat  kurzes  el  8. 138.  Sehr  verwirrend  für  den 
Leser  ist,  dafs  hier  nach  dner  Anmerkung  in  Petit  Fälle  in  Mwöhnliohem 
Druck  gegeben  werden,  die  nur  die  Fortsetzung  der  Anmerkung  bilden. 
Solche  redaktionelle  Fehler  sind  in  ziemlicher  A&nge  vorhanden.  Es  ma^ 
kleinlich  aussehen,  auf  solche  Aussetzungen  einzugehen;  aber  gerade  bei 
einer  Arbeit,  die  ihren  Wert  hauptsächlich  als  Nachschlagebuch  behaupten 
wird,  spielt  doch  die  Übersichtlichkeit,  ja  sogar  eine  zweckmälsige  Ver- 
wendung der  verschiedenen  Schriftarten  eine  gewisse  Bolle.  8.  145.  y  in 
pryde  ist  nicht  auf  das  Franz.  zurüclauführen,  sondern  ist  durch  ana- 
logischen  (funktionellen)  Umlaut  von  ü  in  dem  aus  dem  Franz.  entlehnten 
pHld  entstenden.  8.  154.  Me.  eöme  sb.  ist  nicht  eine  Nachbildung  zu 
an.  kväma,  sondern  entstammt  solchen  nordischen  Formen,  wo  ö  laut- 

rtzlich  ist  8.  155.  Ein  ae.  ßewOn  <  an.  ^än  kann  ich  nicht  bel^^. 
jewan  bedeutet  'wanting,  diminished'.  8.  156.  Ein  Orrmsches  lafo  < 
Ae^geleafa  kann  ich  nicht  sicher  belegen:  eine  solche  Lesart  soll  zwar  V.  1587 
vorkommen,  scheint  mir  aber  kaum  korrekt.  8.  159.  Die  etymologische 
Gleichstellung  von  an.  röt  und  ae.  wyrt  ist  unhaltbar.  8.  166.  Me.  map 
enthält  nicht  ai  <  an.  öe  +  j.  8.  192.  Me.  f^  'a  worthless  person',  womit 
Boerner  nichts  anzufangen  weifs,  glaube  ich  in  meinen  Loan-toord»  riditig 
erklärt  zu  haben.  Das  f  spricht  entschieden  gegen  die  Annahme,  dafs 
es  eine  Variante  von  vüe  sei,  erklärt  sich  aber  ungezwungen  aus  an.  -/^ 
'a  worthless  person';  vgl.  an.  mannfyla  'rascal'  (a  term  of  abuse). 

Obwohl  meine  Bemerkungen  noch  bedeutend  vermehrt  weraen  könn- 
ten, mache  ich  hier  Schluls,  da  sie  alle  zu  speziell  sind,  als  dafs  ich  mit 
ihnen  hier  mehr  Baum  in  Anspruch  nehmen  möchte.  Auf  die  ziemlich 
zahlreichen  Druckfehler  einzugenen,  finde  ich  auch  zwecklos. 

Göteborg.  Erik  Björkman. 

Graoe  Fleming  Swearingen^  Die  engliBche  Sohriftopraohe  bei 
Coverdale,  mit  einem  Anhang  über  ihre  weitere  Entwicklung  in  den 
Bibelübersetzungen  bis  zu  der  Authorized  Version  1611.  Berlin,  Mayer 
&  MüUer,  1904.    52  8.  8. 

Indem  die  Verfasserin  Arbeiten  von  Sopp,  Boemstedt,  Hoelper, 
Dibelius  u.  a.  sich  als  Muster  dienen  läfst,  versucht  sie,  die  Stellung  Cover- 


BearteflangeD  und  knne  Aneeigeo.  227 

dales  in  der  EntwidteliuigBgescIiichte  der  eogliedien  Schrlftiqyradie  eu 
fxzieren.  Ihre  Darstellung  und  die  daraue  erhaltenen  Ergebnisse  besiehen 
eich  aber  hauptsfichlich  auf  die  Orthographie.  Die  Aussprache  Ooverdales 
ist  t!brigens  —  das  mofis  zugestanden  werden  -—  ftlr  die  von  der  Ver- 
faseerin  behandelten  Fragen  nemlich  belanglos.  Ooverdalei  der  ans  Tork- 
shire  gebürtig  war,  schrieb  die  Londoner  Schriftsprache  mit  Sorgfalt  und 
Begelmifsiekeit.  Die  Sprache  (oder  eher  die  Ortnomphie)  in  Goverdales 
Bibtt  (1585)  wird  mit  der  Chaucers  und  mit  den  Sprachformen  Oaztons, 
Tindales  und  Tottek  yeirlichen.  Auch  die  orthographischen  Eigentüm- 
lichkeiten der  Drucker  l^nkyn  de  Werde  und  PyDSon  werden  zum  Ver- 
ffldch  herangezogen.  Die  Ek-gebnisse  der  Untersuchung  faftt  die  Ver- 
nwserin  (S.  48—46)  handlich  zusammen.  In  der  SchreiDung  der  Cover- 
dalesdien  Bibelübersetzung  madit  sich  in  mehreren  Hinsichten  eine  uni^ 
formierende  Tendenz  geltend.  So  wird  z.  B.  Vokallfinge  vor  einfachem 
Konsonanten  konsequent  durch  End-e  bezeichnet.  Für  mehrere  Wörter, 
deren  Orthographie  oei  Tlndale,  Bale  und  Tottel  schwankt,  ist  bei  Cover* 
dale  eine  bestimmte  einheitliche  Schreibung  durchgeführt 

In  dem  Anhange  wird  die  Stellung  einiger  spateren  Bibeldrucke  (der 
Craumerschen  Bibel  1589^  der  Geneva-Bibel  1557,  der  Rheims-Bibel  1582 
und  der  Authorized  Version  1611)  zu  der  Coverdaleschen  Bibel  behandelt. 
Wie  Ooverdales  Orthograi>hie  im  wesentlichen  nur  eine  Uniformierung 
von  der  Tindales  ist,  so  z&^tn  die  sp&teren  hier  untersuchten  Drucke  eine 
immer  bestimmtere  Einheithchkeit  in  der  Orthographie,  wobei  Ooverdales 
Stdlune  als  Zwischenglied  sich  deutlich  erkennen  läfst. 

S.  36—42  wird  auch  eine  kurze  Darstellung  der  wichtigsten  Eigen- 
tümlichkeiten der  Flexion  bei  Coverdale  gegeben. 

Mehrere  Irrtümer  und  Ungenauigkeiten  kommen  vor.  Sie  sind  aber 
für  die  Zwecke  der  Arbeit  belanglos,  und  ich  finde  mich  nicht  veranlafst, 
darauf  welter  einzugehen.  Ein  Bc^^iel  mÖgjB  genügen:  a  in  aec  groM' 
hopper  soll  nach  der  Ansicht  der  Y^asserin  aus  gnua  'durch  Volks* 
etymologie'  genommoi  sein. 

Für  denjenigen,  der  ein  Oeeamtbild  von  dem  Entvnckelungs^ange  der 
en^liachen  Orthographie  sich  schaffen  will,  wird  unser  Büchlein  gewifs 
nidit  ohne  Bedeutung  sein. 

Qdteborg.  ^     Erik  Björkman. 

John  Erskiney  The  Elizabethan  Ijnic.    A  study.  Columbia  University 
Press,  1903.    XVI,  344  S. 

Die  hohe  Entwicklung  der  dramatischen  Literatur  in  dem  Euj^land 
des  16.  Jahrhunderts  hat  lange  Zeit  hindurch  eine  arge  Vemachlässieung 
und  Verkennung  der  Bedeutung  jener  Epoche  für  die  englische  LvriK 
hervorg!ebracht;  erst  die  Einzelstudien  der  letzten  Zeit  auf  den  verscnie- 
denen  Zweieen  der  damaligen  Lyrik  haben  ein  gröfseres,  allsemeineres 
Interesse  auf  sie  gelenkt.  Der  Verfasser  des  obieen  Buches  will  nun  eine 
zusammenfassende  Darstellung  der  gesamten  Lyrik  der  Elisabeth -Zeit 
geben.  Er  geht  dazu  aus  von  einer  allgemeinen  Besprechung  über  Form 
und  Inhalt  der  Ivrischen  Dichtungen,  die  zwar  von  einer  scharfen  Be- 
obachtungsgabe des  Verfassers  zeugt,  die  Grenzen  dieser  Dichtungsart 
aber  so  eng  zieht,  dafs  der  grolsere  Teil  der  Goetheschen,  Heinisohen  oder 
Bumsschen  Lyrik  kaum  vor  den  aufgestellten  Anforderungen  bestehen 
könnte.  Im  zweiten  Kapitel  folgt  eine  kurze  Übersicht  über  cue  Geschichte 
der  I^k  im  Alt-  und  Mittelenglischen.  Diese  Einleitung  hätte,  um  mit  der 
dem  Verfasser  gestellten  Auf^be  im  Einklang  ^u  stehen,  den  Zweck  haben 
müssen,  zu  zdgen,  wie  die  anzelnen  Themen  und  Formen  der  englischen 
Lyrik  in  der  Literatur  zuerst  auftraten,  wie  sie  sich  weiter  entwickelten 
und  welches  ihr  Bestand  im  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  war;  so  dafs 
man  erkennen  konnte,  was  die  zu  behandelnde  Epoche  an  heimatlichen 

15* 


22S  Beurteilnngeii  und  kurze  Anzdgeii'. 

Beetandteilen  übernehmen  konnte  und  was  von  auisen  dazutrat.  Dieser 
Aufgabe  wird  die  Einleitung  infolge  ihres  allzu  starken  bibliographischen 
CSiarakters  nicht  im  vollen  Mause  gerecht.  Auch  in  dem  Hauptteile  tritt 
dieser  Chartü^ter  des  ßuches  zum  schaden  des  Ganzen  zu  stark  hervor; 
die  Methode  der  chronologischen  Aufzählung  der  einzelnen  Erscheinungen 
muiste  ihre  Mängel  zeitigen.  Zwar  ist  das  vorhandene  Material  fldlsig 
und  g^chickt  gesammelt,  so  dals  das  Ganze  eine  erschöpfende  und  ver- 
läfsliche  Zusammenstellung  bietet,  aber  von  dem  Mangel  einer  durchgrei- 
fenden Verarbeitung  und  klaren  Anordnung  des  Stoffes  ist  die  Arbeit, 
vielleicht  infolge  der  beobachteten  Methode,  nicht  freizusprechen.  Dafs 
die  Einteilung  m  Miscellany-  und  Sonnet-Periode  etwas  Verschwommenes 
an  sich  hat,  muiste  Erskine  selbst  erkennen,  wenn  er  z.  B.  den  Passionaie 
Pügrim,  der  doch  sicher  zu  den  Miscellanies  gehört,  nicht  bei  diesen,  son- 
dern bei  den  Sonetten  behandelt,  Englands  Hdicon  und  Davisons  Pöet, 
Rhapsody  bei  den  ersteren.  Ein  anderer  Nachteil,  den  die  rein  chrono- 
logische Anordnung  mit  sich  bringt,  besteht  darin,  dafs  die  dichterischen 
Persönlichkeiten  zu  sehr  in  den  Hintergrund  treten  und  ein  Gesamtbild 
dersdben  durch  die  wiederholten  Einzeloesprechungen  ihrer  Werke  nicht 
möglich  wird. 

Bei  der  Bes|>rechung  der  Miscellany-Periode  geht  Erskine  von  den 
Mss.-Misc  der  Zeit  Heinrichs  VIII.  aus,  zu  denen  er  auch  die  Sammlung 
Wynkyn  de  Wordes  1530  rechnet,  die  jedoch  im  Druck  erhalten  ist  und 
das  erste  in  England  gedruckte  Liederbuch  darstellt.  Bei  den  gedruckten 
Miscs.  hätte  eine  allgemeine  Charakteristik  der  Entwicklung  ihres  Gre- 
dankeninhalts  und  ihrer  äulseren  Formen  manches  zu  bieten  vermocht. 
So  scheint  mir,  um  nur  eins  hervorzuheben,  nirgends  die  wachsende  Vor- 
liebe jener  Zeit  für  den  Stabreim,  die  unter  dem  Einfluls  des  wieder 
populär  gewordenen  Piers  Plowman  und  Norths  G^pora-Übersetzung  von 
neuem  auflebte,  so  zutage  zu  treten  wie  gerade  in  den  Miscs.  Den  Höhe- 
punkt erreichte  sie  woQ  in  der  Gora.  gaüery  of  gaÜarU  tnventions,  bei 
Turberville  und  Churchjard;  aber  aucn  in  Spensers  Schäferkalender  macht 
sie  sich  deutlich  bemerkbar.  Auch  über  die  Persönlichkeiten  in  den  Miscs. 
hätte  einiges  gesagt  werden  müssen.  Beim  Paradise  of  d.  deviees  scheint 
es  mir  nahe  zu  liegen,  in  dem  Oxforder  Musiker  Kichard  Edwards,  dnem 
der  Hauptbeiträger,  den  Redakteur  des  Ganzen  zu  erblicken,  nach  dessen 
Tode  die  Sammlune  herausgegeben  wurde.  Einer  Klafi;e  von  W.  H.  (William 
Hunis)  über  fals^e  Freunaschaften  folgt  von  Eowards,  gleichsam  als 
redaktionelle  Anmerkung: 

If  tuohe  falu  thippu  haunU  Ikt  ihort, 
Strikt  down  the  taue»  and  tnmi  no  more. 

Ist  der  ebenfaUs  unbekannte  Herausgeber  des  Phoenix  Nest  1593,  B.  S., 
vielleicht  mit  dem  Bichard  Smith  identisch,  der  1594  Ocmstdbles  Diana 
mit  mehreren  Sonetten  anderer  Dichter  als  Mise,  herausgab?  Turbervilles 
Epüaphs  etc.  verlegt  Erskine  nach  1570;  sie  waren  aber  schon  1567  in 
zweiter  Auflage  erschienen;  die  Nachahmungen  aus  dem  Klassischen,  von 
denen  eine  erwähnt  wird  TS.  102),  sind  Übenetzungen  aus  der  Antholoaia 
Qraeea,  die  T.  wahrscheinlich  in  lateinischer  ÜberMtzung  vorgelegen  hat 
(Eoenpel,  Anglia  XIII  t>9). 

Sowohl  in  der  Mise-  als  auch  in  der  Sonett-Periode  hat  Erskine  den 
E^flÜBsen  der  kontinentalen  Literatur  noch  nidit  bis  zu  dem  notwendig^] 
Grade  nachgeforscht;  die  Lyrik  der  Elisabeth-Zeit  kann  nur  im  engsten 
Anschluis  imd  stetem  Vergleich  mit  der  französischen  und  italieniraien 
Literatur  studiert  werden.  In  vielen  Fällen  haben  wir  es  nicht  nur  mit 
Konventionellem  und  Nachempfundenem  zu  tun,  sondern  mit  direkten 
Entlehnungen.  So  sind  sogar  unter  den  Beispielen,  die  Erskine  als  Proben 
aus  den  einzelnen  Dichtem  abdruckt,  manche  nur  Übertra^unffen.  Dem 
S.  136  angeführten  *Care-eharmer  sieep'  von  Daniel  liegt  em  ^nett  von 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  229 

Deeportee  (Amours  (FHippoiyte  I  xzv)  zugrunde,  wie  auch  dem  8.  187 
abgedruckten  *]^  thds  be  Tom*  (Ämoura  de  Diane  I  xxix).  Das  Gedieht 
fletchers  *M  tyme  the  akvng*  (8.  146)  entstammt  der  Aiiihoiogia  Oraeea; 
das  Spensersche  'Faire  i»  my  hve^  (8.  156)  ist  die  Übersetzung  eines  So- 
netts von  Tasso  'Bella  ^  la  dotma  mia'.  Die  Form  von  Frage  und  Ant- 
wort, die  nach  £rskine  Qrimauld  eingeführt  haben  soll,  hat  mre  Vorlage 
in  der  Epistel  '^  eimtUaerum  Ocecuionie'  der  Anthologia  Oraeea;  Qn- 
mauld,  der  unabhSnng  von  den  Italienern  schafft,  ist  überhaupt  ^isdi 
für  den  Einfluls  der  Klassiker.  E^inen  Einfluls  Bonsards  auf  Loages  Lyrik 
stellt  Erskine  in  Abrede;  Sidnev  Lee,  MixabeUum  Sonneta  I  xvin,  führt 
nicht  weniger  als  fünf  direkte  Übersetzungen  an.  Selbst  die  Verwendung 
religiöser  Stoffe  zu  Sonetten  stammt  aus  der  französischen  Literatur,  in 
der  schon  1577  die  Sonnets  »pirUude  des  Abb^  Jacaues  de  Billy  erschienen. 

Ebenso  stark  tritt  dieser  kontinentale  Einfluls  in  den  Songbook»  zu- 
tage, wo  es  Erskine  auch  mit  Recht  hervorhebt.  Als  ergänzend  möchte 
ich  noch  ^führen,  dals  das  S.  222  abgedruckte  ^Broum  is  my  hre*  eine 
wörtlidie  Übersetzung  des  italienischen  Madrigals  'Bruna  sei  tu  ma  bella* 
von  Ferabosco  ist.  Auch  die  IHumphe  of  Oxiana  haben  ein  kontinentales 
Vorbild  in  den  IHomfi  de  Doriy  von  denen  sie  sogar  den  Refrain  ent- 
lehnten. 

Auch  in  den  Songhook»  führt  die  Anordnung  nach  chronologischen 
C^esichtspunkten  Nachteile  mit  sich:  es  tritt  der  unterschied  zwischen  den 
einzelnen  Gkittungen  der  Madrigale,  Ballet»  und  Air»  nicht  genügend  her- 
vor. Ungenau  ist  auch,  wenn  Erskine  mit  diesen  zusammen  die  Oaiehe» 
beepricht  oder  sie  gar  aus  ihnen  sich  entwickeln  lassen  wül.  Die  Oatehe» 
sind  englisches  Erbgut  und  gehören  der  Volks-  und  nicht  der  Salonmusik 
an ;  sdion  ihre  Verwendung  in  der  zeitgenössischen  dramatischen  Literatur 
(vffL  Shakespeare,  Ikcdflh  night  II  8  und  Ihnpeet  III  2)  lafet  darauf 
scnlieben.  dals  sie  den  unteren  Volksschichten  angehörten.  In  den  Ballet» 
1595,  zu  aenen  Morlej  übri^ns  durch  die  BaUetti  Gaetoldis  angeregt  wurde, 
verwechselt  EIrskine  das  Lied  *My  bonny  loa»  »he  »myleth'  mit  dem  von 
Lodge  *My  bonny  ku»  tkyne  wt?\  beide  haben  aulser  der  Anrede  an  die 
Greliebte  nichts  gemeinsam.  Für  Byrds  erstes  Liederbuch  ist  1588  ange- 
geben ;  aus  einer  Eintr^ung  in  die  Buchhandlerreröter  vom  6.  November 
1587  (Collier,  ISraneor,  u  477)  geht  aber  hervor,  dals  es  schon  1587  er- 
schienen war. 

Das  Kapitel  über  die  Lvrik  im  Drama  zeichnet  sich  durch  seine  Voll- 
ständigkeit aus.  Eine  Tabelle  aller  Erscheinungen  der  betreffenden  Epoche 
auf  dem  Gebiete  der  Lyrik  bildet  den  Schluls  des  Buches,  das  allerdings 
eine  abschüe&ende  Gesdiichte  der  Elisabethanischen  Lyrik  noch  ni(mt 
liefert,  infolge  der  Fülle  und  genauen  Anführung  des  Materials  aber  als 
ein  guter  Fortsciditt  jenem  Ziele  entgegen  zu  b^üfsen  ist 

Berlin.  Wilhelm  Bolle. 

E3mer  Edgar  Stell,  John  Webeter;  the  periods  of  his  werk  as 
determined  by  his  relations  to  the  drama  of  his  day.  Cam- 
bridge, Harvard  Cooperative  Society,  1905.    216  p. 

Kleine  T^pen,  enser  Druck,  viel  Belesenheit,  ein  Stil  wie  telegraphiert, 
ernste  Sachhcnkeit  ohne  Spur  von  Eitelkeit  und  dazu  eine  vorzügliche 
literarhistorische  Methodik,  wie  man  sie  selten  findet:  diesen  Eindruck 
macht  StoUs  Buch,  das  nicht  blolk  für  die  Erforschung  Websters,  sondern 
der  ganzen  nach-Shakespearischen  Dramatik  einen  bedeutenden  Fortschritt 
bildet. 

Das  erste  Kapitel  stellt  die  Chronologie  der  Websterschen  Dramen 
fest  und  sucht  die  noch  viel  schwierigeren  Verfasserfragen  aufzuhellen. 
Von  Stückeu,  die  man  Webster  vermutungsweise  zuwies,  werden  'Ihraeian 
wmder^  und  *The  weakeat  goeth  to  the  wall'  abgelehnt,  während  *Oure  for 


280  BenrteüungeB  und  bnnDe  AiiJBiigeD. 

a  cuchokT  sich  als  eis  xiemlich  sicheres  Werk  von  Wobeier  erweist.    Den 
Dramen,  an  denen  er  in  seiner  Frühzeit  mitarbeitete,  gilt  das  zweite  Kar 

Eitel.  *Wyatfy*  woran  er  wohl  nur  geringen  Anteil  hatte,  beruht  wesent- 
dl  auf  Hollnsheds  Chronik,  mit  etwas  Einfluls  von  Shakespeares  'Hein- 
rich VI'  B.  Es  ist  eine  Historie  volkstfimücher  Art,  nicht  von  jener  Mar- 
lowiechen  Trank  wie  'Ricluurd  II'  oder  'Richard  III'.  Etwas  selbständiger 
betätig[te  sich  Webster  in  der  Induktion  zu  *The  nuUeontent'.  Aber  auch 
noch  in  den  bfirgerlichen  Komödien  'Westward  ho*  und  'Notikward  ho* 
ringt  er  sich  nicht  zu  viel  Originalität  durch,  sondern  bleibt  ein  enger 
Nachahmer  Dekkers.  Einzdnee  kommt  zugleich  aus  den  *Merry  trtres  of 
Windsor^  herüber.  Das  dritte  Kajntel  ist  den  Stücken  eewidmet,  in  denen 
sich  Webster  freier  dbt  und  sein  Charakteristisches  schafft:  *  White  deviP 
und  'Duehess  of  MoSfV.  Bei  jenem  führte  die  Ouellenuntersuchnng  nicht 
auf  das  Dokument,  durch  das  die  italienische  Mordgeschichte  zur  Kennt- 
nis Websters  gelangte,  obwohl  Stell  eigene  Forschungen  auf  itaHenisdien 
Bibliotheken  oarübä  anstellte.  Dagegen  konnte  er  bei  'Duchess  of  Maifi' 
aufser  Painters  28.  Novelle  noch  Sidne^s  'Areadiia*  als  unmittelbares  Vor- 
bild erweisen.  Die  Abhängigkeit  im  Stoff  hat  aber  StoU  mit  Recht  als 
sekundär  betrachtet  ffegenÜMr  der  Entwickelung  des  eanzen  IVpus  der 
Rachetragödien,  zu  dem  die  genannten  Stücke  ^ide  gäören.  indem  er 
mit  weitem  und  eindringendem  Blick  diese  Gattung  mustert,  unterscheidet 
er  hauptsächlich  zwei  Klassen :  die  Tragödien  des  richtenden  Rächers,  mit 
überwiegend  sittlicher  Auffassung,  vid  melodramatischem  Beiwerk  und 
deutlichen  Einflüssen  Senecas;  und  die  des  machiaveUisUschen  Rächers, 
mit  stärkerer  Betonung  d^nwilligen  Temperaments  und  ohne  übernatür- 
liche Motive.  Entere  Art  ist  zuerst  bei  Kyd  zu  finden,  letztere  bei  Mar- 
lowe.  Webster  gehört  zur  ersteren;  Zwischenglieder,  die  von  Kvd  zu  ihm 
überleiteten,  waren  Werke  von  Chapman  und  Tourneur;  von  Shakespeare 
kamen  nur  eini^  Wahnsinns-  und  Knabenmotive  mit  herein.  Das  Schiafs- 
kapitel  beschäftigt  sich  mit  *The  devü's  Jau^-eoM',  *Appüt8'  und  *0ur9  for 
a  euehoUPf  derberen  Stücken,  in  denen  Webster  in  die  Nachahmung  zu- 
rückversank, besonders  von  Fletcher  und  Massinger,  gelegentlich  auch 
von  einer  Volks-  oder  Advokatenszene  Shakespeares.  Das  Ganze  gipfelt 
naturffemäCs  in  einem  sorgsam  abgewogenen  Urteil  Über  Websters  Erfin- 
dunsskraft  Zwtt  Exkurse,  über  'The  atheiet's  tragedy'  und  über  Fletchers 
Einiluls  auf  Chapman,  sind  als  Anhang  beigegeben. 

Manches  hat  StoU  sichergestellt,  vieles  wahrscheinlich  eemacht  Er 
wei/s  selbst,  wie  viele  Schwierigkeiten  durch  die  Ungenauigkeit  der  mei- 
sten Neudrjyicke,  die  Unsicherheit  der  Verfassersdiait  und  Mitveriiaaser- 
schaft,  die  Überfülle  der  möfflichen  Stoff-  und  Stilquellen  und  den  Verluet 
zahlreicher  Dramen  für  den  Forscher  entstehen.  Aber  wer  wird  auch  von 
einer  Verarbeitung  philologischen  Materials  ein  Abschliefsen  erwartea? 
Anre{|^unff  hat  er  reichlich  gegeben,  indem  er  es  verstand,  die  richtigen 
Entwickelunesfragen  aufzuwerten,  wie  betreffs  der  Rachetragödie,  der 
Knabengestalten,  der  Volksaufläuro  u.  dgl.  Dadurch  hat  er  seiner  Studie 
ein  weit  über  Webster  hinausgehendes  Interesse  verliehen  und  sie  für 
jeden,  der  das  ältere  Stuartdrama  wissenschaftlidi  anfaist,  unentbehrlich 
gemacht. 

Berlin.  A.  BrandL 

Alexander  Gills  Logonomia  Anglica.  Nach  der  Ausgabe  von  1621 
diplomatisch  herausgegeben  von  Otto  L.  Jiriczek  (Quellen  und  For- 
schungen, XC).    Strafsburg,  Kari  J.  Trübner,  1908.    (Preis  M.  7,60.) 

Unsere  Kenntnis  der  englischen  Lautentwicklung  vom  15.  Jahrhundert 
bis  auf  die  Gegenwart  ist  vornehmlich  aus  den  Angaben  von  Gnun- 
matikem  und  Orthoepisten  der  vergangenen  Jahrhunderte  geschupft,  und 
Ellis  gebührt  das  grolse  Verdienst,  durch  Mitteilung  reichlicher  Auszüge 


Beurteüungen  und  kurze  Anzeigen.  231 

dies  Material  zngän^ieh  gemacht  und  die  Ghrundlinien  der  Entwicklung 
festgeetellt  zu  haben.  Damit  ist  aber  die  Aufgabe,  vor  der  unsere  For- 
schung steht,  noch  nicht  röUiff  gelöst.  Geht  man  näher  auf  sie  ein,  so 
merkt  man  bald,  dals  Ellis'  AuBzflge  nicht  immer  ausreichen,  da£B  wir 
▼iele  Zeugnisse  erst  in  ihrem  vollständigen  Zusammenhang  richtig  deuten 
können  und  daher  die  wichtigeren  Gewährsmänner  Neudrucke  verdienen. 
Darauf  habe  ich  schon  vor  einem  Jiüirzehnt  hingewiesen,  aber  gewifs  nur 
dem  Ausdruck  gegeben,  was  anderen,  die  sich  mit  diesen  Grammatikern 
beechäftifft  haben,  ebenso  lebhaft  vor  Augen  getreten  ist.  Einer  Anregung 
Brandls  folsend,  hat  es  nun  Jiriczek  unternommen,  eines  der  wichtigsten 
dieser  Qnellenwerke,  von  einem  Mann,  der  als  Alterssenosse  Shakespeares 
und  Lehrer  Miltons  bescmderes  Interesse  beansprudien  darf,  in  einem 
Neudruck  uns  vorzulegen. 

Die  Aufgabe  war  gerade  bei  diesem  Autor  viel  schwieriger  als  zu  er- 
warten war.  Gills  *I^f<miomia  AngUea*  ist  eine  englische  Sprachlehre  im 
weitesten  Sinne  des  Wortes  —  sie  bietet  aufser  der  eigentlichen  Gram- 
matik auch  eine  Stilistik  und  Metrik  —  und  sucht  namentlidi  eine  neue, 
rationelle  Orthographie  einzubürgern,  in  weicher  die  zahlreichen  Beispiele 
und  Sprachproben  wiederfi;egeben  sind.  In  der  ersten  Auflag  von  1619 
gine  nun  Gill  sehr  radikal  vor  und  verwendete  so  viel  neue  &chen,  dafe 
er  aamit  schon  beim  Druck,  man  kann  sagen,  Schiffbruch  litt:  die  oft 
minuziösen  Unterschiede  zwischen  den  Lettern  kamen  so  schlecht  heraus, 
dafs  es  nötig  war,  die  ttnzelnen  Exemplare  handschriftlich  durchzukorri- 

S'eren.  So  berichtet  er  selbst  in  der  zwdten  Aufläse  (vgl.  25, 10  des  Neu- 
rucks),  und  in  der  Tat  zeigen  alle  bekannten  Exemplare  des  ersten 
Druckes  fast  auf  jeder  Seite  solche  Verbesserungen,  nicht  selten  in  recht 
bedeutender  Anzahl.  Zwei  Jahre  später  (1621)  veranstaltete  Gill  eine 
neue,  inhaltlich  fast  gar  nicht  veränderte  Auflage,  in  welcher  er  ein  be- 
deutend einfacheres  orthographisches  System  zur  Anwendung  brachte,  das 
sidi  beim  Druck  als  durehfuhrbar  erwies.  Diese  Ausgabe  letzter  Hand 
muiste  natürlich  dem  Neudruck  zugrunde  lieeen.  Amx  wenn  sie  auch 
den  bandschriftlichen  Verbesserungen  in  den  Exemplaren  der  ersten  Auf- 
lage in  der  R^el  gerecht  wird,  so  finden  sich  doch  in  einer  Reihe  von 
Fallen  Abweichungen,  und  es  ergibt  sich  die  Frage,  ob  etwa  nur  Druck- 
fehler oder  Versehen  der  zweiten  Auflage  vorliegen,  oder  ob  Gill  eine  an- 
dere Lautung  lehren  wollte  als  früher.  Dazu  kommt  aber  noch  weiter, 
dafii  manche  jener  Besserungen  nicht  in  allen  Exemplaren  stehen,  somit 
zu  erwägen  ist,  ob  sie  wirklich  von  Gill  gewollt  oder  vielleicht  nur  von 
einem  £^er  irrtümlich  einseffljgt  sind  Menn  er  selbst  kann  doch  schwer- 
lich alle  Exemplare  durchkomgiert  haoen).  Diese  verwickelten  Verhält- 
niflse  haben  es  sdir  schwierig  gemacht,  einen  Neudruck  zu  liefern,  der 
un«  6t»  gesamte  Material  der  Zeugnisse  Gills  in  übersichtlicher  Form  zu- 
gänglich macht,  und  es  sehörte  kein  fferinses  Mals  von  Entsagung  und 
Ausdauer  dazu,  diese  unsäglich  mühevolle  Kleinarbeit  durchzuführen. 

Jiriczdbi  Ausgabe  bietet  nun  einen  genauen  Abdruck  der  zweiten  Auf- 
lage und  eine  Zusammenstellung  solcher  Abweichungen  von  den  hand- 
schriftlichen Besserungen  der  ersten,  die  ir^ndwie  von^lang  sein  können. 
Dieser  Beschränkung  wird  man  nur  zustimmen  können.  Absolute  Voll- 
ständigkeit war  bei  der  Sachlage  überhaupt  nicht  zu  erreichen  —  sie 
würde  eine  genaue  Vergleichung  jedes  einzelnen  Exemplars  der  ersten  Auf- 
\m^  erheischt  haben  — ,  und  sie  wäre  auch  von  geringem  Nutzen  gewesen. 
Für  den  dnzigen  wesentlichen  Unterschied  zwisdien  den  beiden  Auflagen, 
die  Scheidung  von  ij  und  fjgt  die  in  der  zweiten  eleichmäfsig  durch  ng 
bezeichnet  sind,  hat  JiriczÄ  das  gesamte  Material  besonders  und  sehr 
lehneich  zusammengestellt  TS.  XLII).  Aulserdem  enthält  die  Einleitung 
alle  Behelfe,  um  Gifls  An^aoen  und  Schreibungen  richtig  zu  deuten.  Be- 
sonders wertvoll  ist  das  Glossar  am  Schluls,  welches  sämtliche  Transkrip- 
tionen verzeichnet  und  bei  seinem  beträchtlichen  Umfange  (ca.  2600  Stich- 


282  BeurteUnngeD  imd  kurze  ÄDzdgen. 

Wörtern)  uns  erst  dnen  vollen  Einblick  in  die  Sprechweise  GiUs  gibt.  In 
Einzelheiten  würde  man  vielleicht  die  E^inrichtun^  dee  Buchee  anders 
wünschen.  So  fände  ich  es  sehr  nützlich,  wenn  im  Qlossar  durch  ein 
einfaches  Zeichen  bei  den  betreffenden  Wörtern  auf  die  in  der  Einleitung^ 
mitgeteilten  abweichenden  Lesungen  der  ersten  Auflage  hingewiesen  wäre. 
Diese  selbst  hätte  man  lieber  am  Fulse  der  Seite  gesehen,  eine  Anordnung, 
die  doch  wohl  nicht  so  schwer  durchführbar  gewesen  wäre.  Aber  im 
ganzen  verdient  das  Vorgehen  Jiriczeks  gewiJs  illen  Beifall. 

Da  ich  im  Besitz  der  ersten  Auflag  der  Logonomia  Anglioa  bin 
und  nach  dem  Dugeleeten  jedes  einzelne  Exemplar  an  handsdmftlichen 
Besserungen  zum  l^il  JNeues  bietet,  möchte  ich  zunächst  zur  Varianten- 
liste, S.  LV  ff.,  einige  Ergänzungen  bringen,  meist  Fälle,  in  denen  mdn 
Exemplar  die  zu  erwartenden  Korrekturen  im  Gegensatz  zu  dem  Ox- 
forder aufweist,  also  bestätigt,  was  bereits  zu  vermuten  war.  Ich  setze  sie 
gleich  in  die  Orthographie  der  zweiten  Auflage  um. 

Abroad:  die  aufialliffe  Schreibung  abräd  (d  =  a  in  aU)  ist  in  mei- 
nem Exemplar  ganz  deutlich  am  Rande  zu  abröd  (Ö  =  o  in  spokerij  ge- 
bessert (S.  54  Z.  4).  Die  Vermutung  Jiriczeks,  dais  blols  ein  Vermen 
vorliegt,  nicht  etwa  schon  ein  Beleg  für  die  Aufhellung  zu  dem  heutigen 
Laut,  bestätigt  sich  also. 

Alh  dl  m  Kap.  XV,  16,  Z.  2  (=  Neudruck  83,  21)  ist  zu  61  gebessert 

Fault',  faul  ist  zu  fHOl  gebessiert 

HaaUi  hast  gebessert  zu  hast  (d  =  a  in  tale), 

Manure:  bereits  richtig  moiwr  gedruckt  {v  r=  u  ia  duke), 

Refuaei  für  das  rtfu»  der  zweiten  Auflage  (Neudruck  136,  19),  mit 
einem  Uy  das  entweder  \jS\  wie  in  buil  oder  [ißj  wie  in  soon  anzeigt,  wäh- 
rend sonst  refvx,  erscheint  (v  ~  u  m  duhe\  bietet  mein  Exemplar  das  zu 
erwartende  refvxy  und  zwar  schon  gedruckt 

Walk:  wäkt  auch  bei  mir  nicht  verbessert 

Youth:  die  Bemerkung  'ergänze  27,  18'  beruht  auf  einem  Versehen. 
An  Stelle  von  72,  18  ist  27,  18  zu  setzen. 

Bezüglich  des  na  in  offspring  und  noOimg  S.  XLV  Anm.  2  stimmt 
mein  Exemplar  mit  aem  Oxforder  überein,  im  Gegensatz  zum  Londoner. 

Von  den  geringfügigen  textlichen  Variantoi,  die  in  der  Einleitung 
besprochen  sind,  ist  dne  an  etwas  versteckter  Stelle  erwähnt  und  daher 
lei<mt  zu  übersehen.  Im  E[ap.  V  wird  erklärt,  daTs  au  (z.  B.  in  lown^ 
pawn)  wie  ä  klinge,  d.  h.  wie  der  Laut  in  aü,  der  and^wärts  dem  deut- 
schen langen  a  gleichgestellt  wird.  Dann  fährt  Gill  fort:  'at  vbi  ver^ 
diphthongus  est,  o,  deducitur  in  ä,  vt  du,  axot  Imperium,  duger  terebra.' 
Was  soll  das  heilsen?  Diese  Stelle  enthält  offenbar  einen  Fehler  I  In  der 
ersten  Auflage  hiefs  es,  wie  Jiriczek  allerdings  S.  LVII  Anm.,  aber  in 
einem  ganz  anderen  Zusammenhang,  erwähnt:  Hi  dedudtur  in  tf '  («{  = 
dem  Laut  in  too).  Dies  ist  verständlich:  Gill  glaubt  ^  langes  u  als 
zweite  Komponente  zu  hören.  Woher  die  seltsame  Änderung  in  der 
zweiten  Auflage  kommt,  ist  schwer  zu  ersdien.  Da  er  eSu,  duger  transkri- 
biert, könnte  man  vomuten,  er  habe  schreiben  wollen :  *d  deducitur  in  ü\ 
d.  h.  der  Laut  von  aü  sehe  in  ein  fi  als  zweite  Komponente  über.  An 
dieser  Stelle  wäre  es  w<ml  besonders  angemessen  gewesen,  die  Lesart  der 
ersten  Auflage  am  Fufse  der  Seite  zu  säen. 

Fragil  wir  uns  nun,  welche  Förderung  unserer  Forschung  aus  die- 
sem Neudruck  erwächst,  so  müssen  wir  in  erster  Linie  anführen,  dafe  wir 
nun  Gill  in  seiner  Eigenart  erkennen  und  daher  seine  Zeugnisse  besser 
beurteilen  können.  Er  stellt  zunächst  ganz  streng  die  Forderung  nach 
einer  Lautschrift  auf :  wie  der  Maler  bei  der  Wiedergabe  des  menscnlichen 
Gesichts  die  lebendigen  Züge  nachbilde,  so  müsse  man  auch  'ä  vivft  voce 
«verba  describere'  (14, 16).  Aber  in  der  Praxis  gäbe  es  doch  Bücksichten, 
.die  zu  AbweichiiDgen  führen.  Es  sei  persona,  nicht  pennx,  geschrieben, 
..weil  in  den  Ableitungen  personal  und  personalüi  das  o  noch  nicht  ge- 


Beiirt«ilimgen  und  kurze  Anzeigen.  283 

schwnnden  ist.  Der  GMehrte,  der  das  Etymon  vor  Augen  habe,  solle 
skolar,  onor  schreiben  —  Olli  tut  dies  tatsächlich.  Wenn  aber  der  Ünge- 
lehrte  seinen  Ohren  folgend  akdUrf  oner  schreibt,  so  mache  er,  Gill,  sich 
nichts  daraus.    Weiter  sucht  er  Unterschiede  der  Bedeutung  zum  Aus- 

"  "  tit'.    Er  hält  /'ich', 

sogar  Grammatiker, 
einer  anderen  Stelle 
(80,  18)  erklärt  er,  daCs  in  ei  *Axige*  und  'ei  'ja'  'sonus  vocalis  eziguum 
distat  ab  illo  qui  auditur  in  äfn  tuus  &  i^fn  mens',  und  von  j,  d.  i.  H  crassa', 
sagt  er  24,  17:  'fere  est  diphtihongus  «i'.  Er  nat  also  klärlich  in  den 
l^rtem,  die  wir  heute  1,  eye  und  aye  schreiben,  denselben  Laut  ge- 
Bprochoi,  wie  auch  alle  drei  auf  me.  f  zurückgehen  (vgl.  Angl.  14,  272), 
und  ist^  nur  durch  die  Verschiedenheit  der  Bäeutuns  zu  verschiedenen 
Transkriptionen  veranlalst  worden.  Noch  wichtiger  sind  die  Bemerkungen 
über  seine  Rücksichtnahme  auf  die  'consuetudo  (15,  10  ff.).  Er  bezeugt 
unter  anderem,  daTs  in  foOc,  fauU,  haimy  halft  talk,  walk  das  /  häufig  ('fre- 
quentins')  ausföUt;  weil  aber  die  'eruditi'  es  nicht  abwerfen,  schrdbe  er 
teila  mit  Bücksicht  auf  diesen  Brauch,  teils  im  Hinblick  auf  die  J^tymo- 
logie  (deutsch  volk,  halb)  fölk,  fiUt,  bälm  usw.  Wir  haben  also  hier  ein 
klares  Zeugnis  für  das  Bestehen  yon  Doppellautungen  —  einerseits  volks- 
tümlich-fortschrittlichen, anderseits  gelehrt-konservativen  —  und  erkennen 
deutlich  die  Entstehung  von  speUing-pronundations,  die  später  eine  so 
groise  Bolle  spielen. 

Gills  Angaben  über  die  einzelnen  Laute  sowie  seine  Transkriptionen 
aind  allerdin^  zumeist  schon  von  EUis  eebucht.  Aber  auch  abgesehen 
davon,  dals  sie  vielfach  erst  im  Zusemmennimg  ins  richtige  Licht  rücken, 
ist  es  doch  von  gro&er  Wichtigkeit,  dafs  wir  nun  die  ursprünglichen  Um- 
achiiften  Gills  vor  uns  haben  und  die  ümdeutungen  Ellis'  kontrollieren 
können,  die  in  gewissen  Fällen  nicht  den  Wert  eines  Zeugnisses,  sondern 
einer  Konjektur  haben.  Dies  gilt  namentlich  von  seiner  Wiedergabe  des 
Gülschen  na  teils  durch  nj,  teils  durch  njg,  die  jetzt  durch  die  Mitteilungjen 
Jiriczeks  über  die  erste  Auflage  zum  Teil  berichtigt  wird.  Auch  im  ein- 
seinen ergeben  sich  Berichtigungen.  So  hätte  nach  Ellis  in  882  Gill  in 
dem  Worte  aye  aufser  der  obenerwähnten  noch  eine  andere  Aussprache 
gekannt,  den  a»-Diphthong,  durdi  den  er  sonst  me.  ai  wie  in  day  wieder- 
gibt. Ihre  Erklämnjg  hat  mir  Änpl,  14,  273  einige  Schwierigkeiten  ge- 
macht Nun  stellt  sich  heraus,  dais  GiU  deutlich  zwischen  aye  'ja'  und 
ay  'immer'  scheidet^und  den  erwähnten  a»-Diphthong  nur  dem  letzteren 
zuweist,  in  bester  Übereinstimmung  mit  dem,  was  die  Sprachgeschichte 
erwarten  läist.  Weiter  ist  es  bei  schwankenden  Umschriften  nicht  un- 
wichtig, die  Zahl  der  Belege  für  jeden  Fall  und  besonders  auch  die  An- 
faben  der  ersten  Auflage  übersehen  zu  können,  und  endlich  hat  Ellis 
och  nicht  alle  bei  GiU  transkribierten  Wörter  in  sein  Glossar  aufge- 
nommen, so  dafs  seinen  2100  Stichwörtern  bei  Jiriczek  2600  gegenüber- 
stehen. 

Ist  nun  auch  Gills  Buch  vor  allem  für  die  Lautgeschichte  von  Wert, 
so  dürfen  wir  seine  Bedeutung  in  anderen  Eichtungen  keineswegs  über- 
sehen. Die  phonetischen  AusAhrungen  des  Verfassers  nehmen  keinen  so 
srofsen  Baum  ein,  vielmehr  wendet  er  der  Grammatik,  Stilistik  und 
Metrik  sein  Hauptaugenmerk  zu.  Wir  können  aus  seiner  Loganomia 
ersdien,  was  für  Ansiditen  auf  diesen  Grebieten  ein  feingebildeter  Ge- 
lehrter und  hervorragender  Schulmann  der  Stuart-Zeit  hatte,  und  das  ist 
für  die  Beurteilung  mancher  literarischer  Erschdnuneen  recht  lehrreich. 
(Vgl.  Jiriczek  in  Kochs  Studien  xur  vergleichenden  Literahirgeeehiehte  II 
129  m 

Wir  sind  somit  dem  verdienten  Herausgeber  für  seine  mühevolle  Ar- 
beit zu  Dank  verpflichtet  und  können  nur  wünschen,  dals  sein  Bei- 
spiel bald  Nachahmung  finde  und  auch  die  übrigen  wichtigeren  Gram- 


234  Beurteilung^  und  kunse  jlnzeigen. 

mfttdker  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  uns  in  Neudrucken  vorgelegt  wer- 
den. Brotaneks  kürzlich  ins  Leben  gerufene  Serie  tob  'Nmänuken  früh' 
neuenglüeber  Qrammaiihm'  eröffnet  uns  ja  erfrenUoherweise  die  besten 
Aussichten. 

Qras.  K.  Lnick. 

Martin  Wolf,  Walter  Sootts  Kenflworth.  Eine  Untersuchung  über 
sein  Verhältnis  zur  Geschichte  und  au  seinen  QoeUen.  Würzburger 
Dissertation.    Leipzig  1908.    77  8. 

Es  gewährt  immer  wieder  einen  besonderen  Reiz,  die  Entstehung  eines 
dichterischen  Kunstwerkes  zu  verfolgen,  zu  sehen,  wie  der  Dichter  sich 
sdnen  Stoff  formt  und  die  Elemente  zu  einem  harmonischen  Qanzen  zu- 
sammenfügt. Freilich  wird  es  uns  nidit  immer  so  leicht  g^acht  wie  in 
dem  vorliegenden  Falle,  wo  es  sich  um  wohlbekannte  historische  Erschei- 
nungffli  handelt  und  man  bezüglich  der  Quellen  schwerlich  in  die  Irre 
gehen  kann ;  )iftt  doch  Scott,  der  ja  nach  den  Worten  des  Verfassers  'ein 
«mzer  Philologe  (besser:  'Antiqiuur^  war,  das  Wesentliche  schon  ange- 
deutet 

Nachdem  Scott  in  zwei  Romanen  die  G^esdiichte  der  Maria  Stuart 
behandelt  hatte,  lockte  es  ihn,  auch  die  Figur  der  Elisabeth  in  einem 
seiner  Werke  zu  verewigen.  Schon  früh  hatte  er  sieh  für  Mickles  Ballade 
^Ournnor  Hall*  bj^eistert,  in  der  die  verlassene  Gattin  Leicesters  ihr  Leid 
klagt  Diese  grin  er  jetzt  wieder  auf  und  machte  das  Verhältnis  Lei- 
cesters zur  Königin  wie  zu  Amv  Robsart  recht  eigentlich  zum  Mittelpunkt 
der  Handlung.  Als  Hauptquelle  benutzte  er  Euas  Ashmoles  ÄfUiqudÜea 
of  Berkshire,  der  seinerseits  die  Schmähschrift  ^Leiceeter^s  Oommanweaiih' 
ausschreibt.  Daneben  kommen  Nauntons  Fragtnenia  Eegaiia  sowie  die 
Schilderungen  der  Feste  zu  Kenilworth  (1575)  von  Laneham  und  Gae- 
coiene  in  Betracht;  die  beiden  erstgenannten  Werke  hatte  Scott  selbst 
(1808  bezw.  1821)  faerausgeeeben. 

Dals  der  Dichter  von  der  historischen  Wahrheit  hier  stark  abgewichen 
ist,  war  schon  längst  bekannt  Der  geheimnisvolle  Tod  Amys  hat  nichts 
mit  den  Festen  auf  Kenilworth  zu  tun,  sondern  erfolgte  schon  fünfzehn 
Jahre  vor  diesen  (S.  12).  Das  Motiv  der  Entführung  Amys  und  die  Ver- 
heimlichung der  Ehe  vor  Elisabeth  ist  mit  Absicht  von  anderen  Personen 
herübergenommen  und  auf  kmj  übertragen.  Die  Enthflllung  eines  solchen 
Verhältnisses  war  wahrschdnbch  der  Grund,  dafs  die  Festlichkeiten  so 
schnell  abgebrochen  wurden  (S.  14,  19).  Vielleicht  ist  eine  Vermischung 
mit  einem  ähnlichen  Ereignis  denlcbar,  das  drei  Jahre  später  zu  Green- 
wich  eintrat.  Am  stärksten  ist  die  Abweichung  von  der  Geschichte  bd 
der  Darstellung  von  Leicesters  Charakter.  Warum  Scott  hier  geändert 
hat,  ist  S.  34  ff.  richtig  auseinandergesetzt.  Es  ging  eben  nicht  an,  den 
Liebling  der  Königin  au  den  verworfenen  Schurken  zu  kennzeichnen,  wie 
er  in  den  (freilich  etwas  getrübten)  Quellen  uns  entgegentritt 

Nur  in  einem  Punkte  muüs  ich  dem  Verfasser  der  Abhandlung,  die 
sonst  alles  Lob  verdient,  widersprechen.  Es  handelt  sich  um  die  Charak- 
teristik VameTB,  an  der  der  V^asser  Anstois  nimmt,  indem  er  den  Aus- 
ffihrungen  von  Warner  (Ilhtstratüme  of  NoveU  by  the  Äutkar  of  Waverleu 
II,  349)  zustimmt  (S.  40).  Warner  nennt  Vamey  ein  *nwral  monster'  und 
findet,  dafs  durch  die  Schilderung  seines  Endes  (er  stirbt  durch  Selbst- 
mord) die  poetische  Gerechtigkeit  verletzt  werde.  Nun  wird  niemand  Var- 
neys  Handlungsweise  beschönigen,  aber  er  handelt  doch  nicht  aus  bloiser 
Ruchlosigkeit,  sondern  weil  er  seinem  Herrn  zu  nützen  glaubt,  dem^  er 
zu  Dank  verpflichtet  ist,  und  mit  dessen  Hilfe  er  eine  höhere  soziale 
Stellung  zu  erreichen  hofft  Die  Haupttriebfeder  bei  ihm  ist  also  sein 
Ehrgeiz,  an  sich  kein  unedles  Motiv.  Auf  welche  Weise  aber  Varney 
seinen  Tod  findet,  das  ist  etwas,  das  dem  modernen  Leser  gleichgültig 


BeoftfOniigeii  und  knne  AnccigeD.  285 


bleibt.  Wesentlicb  i0t  nar,  dtJa  er  das  Ziel  seinee  Ehrmzce  so  weni^  wie 
aeiii  Herr  eireicht  Gaoa  verkehrt  ist  es  endlich,  wenn  vvara«r  den  Dichter 
tadelt,  weil  er  si<^  die  €tolegenheit  ent£;ehen  läist,  ais  dem  EInde  des 
Sünders  für  den  Leser  eine  moralische  Lehre  zn  ziehen.  Wie  oft  mull^ 
man  es  wiederholen,  dais  der  Dichter  in  erster  Beihe  künstlerische  und 
nicht  sittliche  Tendenzen  zu  verfolgen  hat! 

Berlin.  Qeorg  Herzfeld. 

Oscar  Wilde,  De  profundis,  herausgegeben  und  eingeleitet  von  Max 
Meyerfeld.     Berlin,  &  Fischer,  1905.    VIII,  115  8. 

In  der  grolsen  Reihe  von  Autobiographien,  die  in  England  von  Johann 
von  Salisburv  bis  zur  Gegenwart  geschrieben  wurden,  ist  dies  vielleicht 
die  merkwürdigste,  ffewife  die  geistreichste.  Für  die  Merkwürdigkeit  sorgte 
in  erster  Linie  das  Erlebnis  des  Autors;  kein  englischer  Di^diterliat  jemals, 
wie  er,  wegea  eines  Bittenvergehens  im  Zuchthause  gesessen,  nachdem 
er  vorher  der  verwöhnte  Liebling  der  feinen  Welt  gewesen.  Aber  noch 
auffaUiger  ist  der  starke  Mut  zum  Leben,  zum  Schaf feu,  ja  zum  Ruhme, 
mit  dem  der  Sträfling^,  die  Hände  noch  wund  vom  Säckenihen,  hier  vor 
Mit-  und  Nachwelt  tritt.  Seine  Schrift  ist  nicht  so  sehr  eine  Erzählung 
als  vielmehr  eine  Reihe  Reflexionen  zur  Selbstanfrichtung,  untermischt 
mit  brennenden  Aueenblicksbildem  aus  seinem  Vorleben,  seiner  zwei- 
jährigen Haft  und  &t  Oeriditsverhandlung,  eingestreut  aufs  Geratewohl 
und  mit  wenigen,  tief  subjektiven  Worten  ningeworlen.  Man  sieht,  ohne 
dais  es  ausdrücklich  festgestellt  wird,  wie  der  ganze  Sinn  Wildes  in  der 
äathetisdien  Richtung  der  siebziger  Jahre  wurzelte;  Paters  'Rena4s$anee* 
hat  den  seltsamsten  Einflnüi  auf  ihn  gehabt  (Sw  28);  nur  Künstler,  nur 
SchönheitskeBner  wollte  er  um  sich  hiS^en;  von  der  Frucht  aller  Bäume 
im  Garten  der  Welt  ^lüstete  ihn  zu  essen.  In  solch  schrankenloser 
Gtonuisfreude  wuchs  sem  Individualgefühl  nicht  blola  in  die  Höhe,  son- 
dern wild  ins  Kraut;  die  unmittelbare  Folge  davon  hat  er  selbst  in  die 
frappmten  Worte  gekleidet:  'Was  mir  das  Paradoxe  in  der  Sphäre  des 
Denkens  war,  wun&  mir  das  Perverse  im  Bereich  der  Leidenschatt'  (S.  14). 
Er  macht  also  kein  Hehl  aus  der  Verirrunff,  in  die  er  mit  dem  Sohn  des 
Marquis  von  Queensberrv  verfallen  war;  doch  nicht  das  Urteil  der  Phi- 
lister, der  gegen  Schönndt  Gleichgültigen,  erkennt  er  an;  diese  Leute 
deuten  auf  das  Zuchthaus  in  Reading  und  sagen:  'Dahin  führt  einen 
Menschen  das  Künstlerleben.'  Einsichtiger  und  milder,  meint  er,  würde 
Jesu«  über  ihn  gesprochen  haben,  denn  seine  Religion  sei  eine  der  Schön- 
heity  sein  Wesen  individuell  wie  das  keiner  anderen  Persönlichkeit.  Und 
hiemit  beginnt  Wilde  einen  Hymnus  auf  das  Neue  Testament,  das  viel 
seelischer  sei  als  die  Mytholo^e  der  Griedien  mit  ihrem  grausamen  Apoll. 
Die  geistreiche^  ja  bizarre  Seite  des  Büchleins  ist  hier  am  stärksten  aus- 
gepi&t;  Wilde  brinet  es  fertig,  den  Natursinn  des  Franz  von  Assisi  in 
sein  System  dnzureinen  und  selbst  den  Taciteischen'  Ernst  des  Dante. 
In  einem  der  angehängten  Briefe  an  seinen  Freund  und  Testaments- 
vollstrecker Robbi  (Robert  Rols)  stellt  er  eine  Liste  der  Bücher  auf,  mit 
denen  er,  sobald  in  Freiheit  g^tzt,  ein  neues  Leben  anheben  möchte: 
Flaubert,  Stevenson,  Baudelaire,  Maeterlinck,  Dumas  p^re,  Keats,  Mar- 
lowe,  Chatterton,  Coleridse,  Anatole  France,  Gautier,  Dante  und  die  ganze 
Literatur  über  ihn,  Goeuie  und  die  ganze  Literatur  Über  ihn;  dem  letz- 
teren zuliebe  nimmt  er  sich  vor,  wiäer  Deutsch  zu  lernen.  Es  ist  ein 
höchst  bestechender  und  etwas  verzweifelter  Versuch,  sich  aus  dem 
Sumpfe  auf  die  Planke  des  Übermenschen  zu  retten,  mit  bemerkenswerter 
Neuerung  gegenüber  Bt  Augustin,  der  sich  durdi  Selbstanklage  und  Zer- 
knirschung auf  den  Überchristen  hinausspielte.  Die  Schrift  wird  sich 
wegen  dieses  kunstphilosophischen  Hintergrundes  unter  den  hervorragen- 
den Autobiographien  der  weit  dauernd  einen  Platz  bewahren. 


236  Beurteilungen  und  kune  Anzeigen. 

ün^wöbnllch  ist  auch  die  Art  ihree  Eracheinepfl.  Sie  kam  zuerst 
*mads  n»  Qermany*  heraus ,  in  der  sorgfältigen  Übersetzung  des  als 
Essayisten  bekannten  Dr.  Max  Me^erfeld,  der  mit  Gewissenhaftigkdt  den 
Inhalt  und  auch  den  Stil  des  Origmals  zu  bewahren  trachtete.  Vielleicht 
könnte  der  Ausdruck  manchmal  schlagender  und  kühner  sein.  Wenn  es 
z.  B.  bei  Wilde  heifsty  das  englische  Volk  sage  von  einem  Sträfling  nicht, 
er  ist  im  Gefängnis,  sondern  ^n  trottble',  so  habe  ich  das  Genihl,  es 
müsse  schlankw^  der  Ausdruck  'im  Unglfick'  gebraucht  werden;  Meyer- 
feld  schwächt  ab:  48t  in  ihrer  Sprache  eben  einfach  ins  Unglflck 
geraten'  fS.  11).  Wenn  Wilde  bemerkt,  Byrons  'relaHons  teere  to  the 
paseüm  of  nis  age  . . .  mine  teere  to  something  more  noble\  so  ist  es  zwar 
vorsichtig  zu  fib^ersetzen:  'er  hatte  Buchungen  zu  der  Leidenschaft  seiner 
Zeit'  (S.  18);  doch  möchte  idi  eher  wagen:  'er  vertrat,  er  ppiegelte 
die  Leidenschaft  sdner  Zeit'.  Aber  welcner  Übersetzer  hat  es  noch 
jedem  recht  gemacht?  Danken  wir  ihm  lieber  für  die  kna{>p  und  ti^t- 
voll  orientierende  Einleitung,  sowie  für  die  angehängten  Briefe,  die  das 
Ganze  zu  einer  praktischen  vita  mtova  ergänzen  und  abrunden.  An- 
ders ging  der  brave  Robert  Rols  vor,  der  im  Februar  1905,  zwei  Monate 
nach  der  deutschen  Ausgabe,  die  englische  folgen  lieft.  Bofs  hat  vor 
allem  eine  Menge  unterdrückt.  Gleich  zu  Anfane  hat  er  neun  Sätze  ge- 
tilgt, darunter  desi  charakteristischen  Eingang:  'Zwischen  Gilles  de  Retz 
und  dem  Marquis  de  Sade  sollte  ich  eingereiht  werden.'  Hier,  bei  der 
Auslassung  der  Gterichtsszene  (S.  91)  und  öfters  hatte  er  gevnis  mit  dem 
Anstandseif  er  der  englischen  Gesellschaft  zu  rechnen.  Aber  er  schaffte  auch 
weff,  was  auf  ihn  selost  Bezug  hatte;  sagen  wir:  aus  Bescheidenheit;  ob- 
wohl es  leichter  ist,  vor  dem  Gefäns;nistor  auf  den  verfemten  Kameraden 
zu  warten  als  sich  vor  aller  Welt  schwarz  auf  weiis  zu  ihm  zu  bekennen. 
Das  Milslichste  jedoch  sind  die  positiven  Änderungen,  die  er,  ohne  es  zu 
vermerken,  am  Texte  vornahm.  So  sagt  Wilde  bei  Meyerfeld  (8.  4),  dais 
seine  Frau  'in  jenen  Tagen  sehr  gütig  und  liebenswert'  war;  bei  RoOs 
hingegen  lesen  wir:  *my  wife,  aUoaue  hmd  andaenüe  to  me'  (S.  14).  Daraus 
fol^t :  rdemand  darf  das  Denkmal  benutzen,  ohne  bei  jedem  Satee  Meyer- 
felds  Übersetzung  nachzuschlagen.  Zwei  Drucke  werden  ausgeboten;  der 
eine  vielfach  untreu  in  bezug  auf  den  Inhalt,  der  andere  in  fremder 
Sprache.  Wahrhaftig,  die  Venegenheit  von  R.  Roia  erinnert  an  die  von 
Tnomas  Moore,  als  er  die  nacliygelassenen  Tagebücher  B^ns  herausgeben 
sollte.  England  hat  kein  Glück  mit  seinen  autobiographierenden  Dichtem, 
diese  hinwieder  haben  wenig  Glück  mit  ihren  Herausgebern.  Gut  ist  es, 
dafs  Shakespeare  seinen  Lebensroman  in  Sonetten  beschrieb,  die  sich  In 
poetisch  umflorten  Bildern  bewegen  und  zur  Not  sogar  allegorisch  deuten 
oder  doch  deuteln  lassen ;  und  mit  Gtenu^uung  sehen  wir  einen  deutschen 
Schriftsteller  als  unbefangenen  Verbreiter  und  Verfechter  von  Wildes 
Kunst,  80  zwar,  dalB  seine  Üb^'setzung  von  Wildes  *DuekeM  of  Padua'y 
deren  Original  nicht  erscheinen  darf,  von  den  Engländern  in  einer  Rück- 
übersetzung aus  dem  Deutschen  gelesen  werden  mulk. 

Berlin.  A.  Brau  dl. 

W.  Sattler,  Deutsch-englisches  Sachwörterbuch  mit  besonderer  Be- 
rücksichtiKung  der  Grammatik,  Synonymik  und  der  Realien.  Mit  Zi- 
taten und  einem  alphabetischen  Verzeichnis  der  englischen  Wörter. 
Leipzig,  Rengersche  Buchhdlg.  (Gebhardt  &  Wilisch),  1^04. 

Rascher  als  man  vielleicht  erwarten  mochte  —  Bücher  in  Lieferungen 
bringen  selten  gerade  die  angenehmsten  Überraschun^n  — ,  hat  sich  daa 
stattliche  Buch  seinem  Abschlufs  geniert.  Vor  nioit  langer  Zeit  kün- 
digte ich  das  Erscheinen  der  zwei  ersten  Lieferungen  an,  und  jetzt  liegt 
bereits  die  elfte  Lieferung  vor,  mit  der  das  Buch  selbst  voUstandig  ist. 
Zur  bequemeren  Benutzung  desselben  soll  in  diesem  Jahre  noch  ein  Ver- 


BeurtefluDgen  und  kurze  Anzdgen.  237 

zeidmis  der  in  ihm  behandelten  enelischen  Worte  erscheinen,  das  etwa 
15000  Wörter  umfassen  wird.  Mit  mm  wird  dem  Leser  ein  passe-partout 
in  die  Hand  gegeben,  der  lachten  und  allseitigen  Zutritt  zu  den  reichen 
Schatzkammern  des  Werkes  gestattet  Eine  Lebensarbeit  ist  hier  nieder- 
gele^,  und  sie  bedeutet  einen  wesentlichen  Fortschritt  und  eine  stattliche 
Bereidierung  der  Bibliothek  der  L^renden  und  Lernenden.  Wer  sidi  von 
dem  Reichtum  der  hier  zusammengetragenen  Liformation  aus  den  ver- 
Bchiedensten  Wissensgebieten  überzeugen  will,  der  schlage  einmal  das  Stich- 
wort Ländernamen  auf.  Er  wird  staunen,  nicht  allein  ob  der  Menge  des 
(Gebotenen,  sondern  auch  ob  der  Eigenart  des  Mitgeteilten.  Auf  S.  514 
liest  er  z.  B.  Interessantes  und  Unterhaltendes  über  die  Spitznamen  des 
Amerikaners:  er  erfährt  die  Geschichte  und  den  Ursprung  von  Ckeie  Sam 
und  Brother  Jonathan,  Der  an  sich  oft  insipide  Stoff  bekommt  durch 
derartige  Zutaten  die  nötige  Würze.  Die  Artikel,  in  denen  es  auf  idio- 
matischen Wortgebrauch,  grammatische  Untersdieidung  und  QUederung 
ankommt,  sind  zum  Teil  geradezu  Glanzleistunffen,  die  Zeugnis  ablegen 
von  des  Verfassers  Beherrschung  des  Sprachs^Latzes  und  sicherem  In- 
stinkt. Qsnz  besonders  aufmerksam  machen  möchte  ich  auf  Artikel  wie 
machen  oder  W4ri.  Allerdincs  war  der  Autor  nidit  überall  so  reich  mit 
Material  ausgestattet,  so  glüo^lich  in  der  Verarbeitung  des  Stoffes,  so  klar 
und  scharf  im  Urteil  wie  gerade  hier.  Die  Arbeit  ist  zu  ausgedelmt  und  für 
den  einzelnen  zu  ermüdend,  um  nicht  Stellen  aufzuweisen,  die  die  Kritik 
herausfordern.  So  hat  z.  B.  der  Artikel  so  (S.  787)  nicht  meinen  Beifall, 
weder  in  der  Anordnung  noch  nach  dem  Inhalt  Bei  iroix  sollte  das  stark 
archaische  maugrey  das  wahrscheinlich  zu  keiner  Zeit  in  weiteren  Kreisen 
Yolkstümlich  war,  nicht  an  erster  Stelle  erwähnt  sein  und  das  ungelenke 
notwÜhetanding  nicht  an  zweiter.  Die  Rücksicht  auf  die  Etymologie  sollte 
bei  der  Gruppierung  ganz  schwinden.  Hiermit  berühre  ich  einen  Punkt, 
der  geradezu  ein  wunder  Fleck  ist  Auf  Etymologie  hätte  der  Verfasser 
entweder  ganz  verzichten  sollen  oder  das  reproduzieren,  was  Autoritäten 
an  gesicherter  Erkenntnis  bieten.  Verben  wie  glorify,  horrifu  (S.  548)  sind 
do<£  entschieden  keine  Komposita  von  fioX  Ich  will  auf  aie  Sache  nicht 
naher  eingehen,  denn  hier  wäre  yiel  zu  bessern  und  richtigzustellen.  Der 
Autor  war  entschieden  nicht  gut  beraten.  Anstatt  sich  an  einen  Fremden 
zu  wenden,  wie  er  es  getan  hat,  hatte  er  lieber  der  eigenen  Kraft  ver- 
trauen sollen.  Bei  eeU^  einee  (8.  727)  steht  z.  B.  in  Klammer:  d.  h.  süh- 
henee,  seit  da.  Derartige  Zutaten  kommen  wohl  auch  auf  Rechnung  des 
von  ihm  engagierten  Etymologen.  Auch  auf  dem  Gebiet  der  Realien,  da 
wo  es  sich  um  Lebens^wohnheiten,  Lebensart  und  Sitten  der  Engländer 
handelt,  war  ich  zuweilen  im  Zweifel,  ob  ich  dem  Urteil  eines  Helfers 
oder  dem  des  Autors  gegenüberstehe.  Unter  drunkennessy  Trunkenheit 
(8.812)  liest  man:  'früher  auch  in  den  besseren  Ständen  allgemein'.  Was 
soll  ein  derartig  summarisches  und  unzutreffendes  Urteil ?I  —  Manche 
Seiten  des  enfflischen  Sports  haben  den  Verfasser  sehr  interessiert,  so  die 
Fuchsjagd,  über  die  er  eine  reiche  Literatur  gelesen.  In  ihrer  Wider- 
spiegeliing  in  der  Sportliteratur,  ebenso  wie  in  ihrer  praktischen  Hand- 
habung seitens  der  Jagdbediensteten  ist  sie  fast  zu  einer  Wissenschaft  ge- 
worden, die  man  am  besten  in  der  vornehmsten  und  umfangreichsten 
Sportzeitschrift  ^The  FiekP  studiert  Sie  bringt  Sportnachrichten  aus  der 
fffUDzen  Welt,  vor  allem  auch  aus  den  englischen  Kolonien.  Über  den 
Kostenaufwand  Angaben  zu  machen,  den  me  Fuchsjagd,  der  vomdimste 
und  teuerste  Sport  von  allen,  für  den  einzelnen  erfordert,  ist  sehr  schwer, 
da  dieser  sich  nach  den  Mitteln,  Lebensgewohnheiten  und  Neigungen  des 
Individuums  richtet  In  dem  ßeld  ist  man  bei  aller  sonstigen  gesell- 
schaftlichen Abstufung  und  Exklusivität  in  England  von  dner  weitgdien- 
den  Toleranz  imd  Liberalität.  Die  Gesellschaftsunterschiede  sind  für  den 
Jagdtag  aufgehoben.  Jeder,  der  mitreiten  will,  ist  willkommen,  erscheint 
er  auch  auf  einem  Wagenpferd  oder  auf  einem  Esel.    Von  dem  Nicht- 


288  BeuiteilODgen  tmd  knne  Axuwigeii, 

bef^terten  erwartet  man  weder  eine  Subskription  noch  einen  indirekten 
Beitrag.  £8  gibt  nicht  wenige  Meuten,  deren  Unterhalt  auaschlidslich 
Ton  dem  Moiier  ofjhe  EoundMy  einem  reidien,  sportUebenden  Herrn,  ge- 
deckt wird.  5000  Pfund  Sterling  pro  Jahr  betracntet  man  als  die  Summe, 
die  ausreicht  ffir  erstkiassiees  Material  an  Pferdoi  und  Hunden,  der  hunU- 
man  bezieht  allein  ein  G^lt  von  300  Pf.  St  im  Jahre.  Die  Fuchsjagd 
ist  auf  d^n  Lande  in  England  der  Sport  par  excellence.  Auiser  Fasanen- 
und  Kaninchenjagd  treibt  viele  etnmbnfgenUemen  übedbaupt  nichts  an- 
deres. Es  ist  sehr  anerkennenswert,  dafs  der  Verfasser  sich  so  eingehend 
mit  dem  Gegenstände  beechäftäet  hat,  der  ffir  die  enghsche  Nation  eine 
so  tiefgehende  Bedeutung  hat.  Das  fiM  ist  die  Bildungsstätte  der  vielen 
Offiziere,  die  Englands  Ansehen  und  Macht  in  den  Kolonien  haben  grfln- 
den  und  mehren  helfen.  Ein  tüchtiger  Fuchsjäger  ist  in  den  meisten 
Fällen  identisch  mit  einem  leistungsnihigen  und  tapferen  Ofßzier.  Der 
Kontinentalgermane  hinter  seiner  grofsen  Brille  sieht  in  eraterem  mit  Vor- 
liebe einen  geistig  nicht  ganz  normalen  Herrn,  der  um  ein  Nichts  den 
Hals  riskiert  Der  Hinterimdler  in  einer  schlecht  oelüfteten^  raucherföllten 
Stube  schaut  ffem  bei  endlosen  Schoppen  mit  s^bstgefälbger  Überlegen- 
heit auf  den  herab,  der  Tag  ffir  Tag  in  harten  Strapazen  um  Gesund- 
heit und  eine  wahrnaft  vornehme  Unterhaltung  in  der  freien  Natur  be- 
müht ist.  Da(s  der  Sport  der  Engländer  gleichbedeutend  ist  mit  Ge- 
sundheit, Männlichkeit  in  Denken  und  Handeln,  dafs  er  Energie,  Mut 
und  Ausdauer  erfordert,  ahnt  er  nicht,  auch  ahnt  er  nicht,  dais  hier  ein 
Stück  des  ungeheuren  Erfolges  der  Nation  liegt.  Es  ist  Zeit,  dafs  wir 
die  Kraftquellen  des  Nachbarvolkes  erkennen  und  richtig  einschätzen  l^nen. 
Vorurteil  auf  unserer  Seite  muls  fiberwunden  werden,  zumal  es  auf  der 
anderen  Seite  leider  auch  sdir  mächtig  ist  Ich  bin  sicher,  dals  das 
Satdersche  Werk,  das  auf  jeder  Seite  Anregung  zum  Studium  der  Sprache, 
der  Sitten  und  des  Charakters  des  fremden  Volkes  bietet,  das  Seinige  zur 
Lösung  dieser  hohen  und  nationalen  Aufgabe  beitragen  wird. 

Tfibingen.  W.  Franz. 

Festsohrifty  Adolf  Tobler  zum  siebzigsten  Geburtetage  daigebracfat 
von  der  Berliner  Gesellschaft  ffir  das  Studium  der  neueren 
Sprachen.  Braunschwaig,  George  Westermann,  1905.  VI,  477  8.  8<>. 
M.  8  (ffir  Mit^ieder  der  Gesellschaft  M.  4). 

Zum  zweiten  Male  darf  ich  von  einem  Festgesdienke  berichten,  das 
aus  Anlafii  einer  ffir  mein  Leben  bedeutun^voUen  Tatsache  mir  von 
Freundeshänden  fiberreicht  worden  ist.  Was  ich  mit  Bezue  auf  die  vor 
zehn  Jahren  mir  gewidmete  Festschrift  im  Archiv  Bd.  XCv,  S.  198  ein* 
leitend  gesagt  habe,  gilt  in  der  Hauptsache  auch  von  der  mir  jetzt  vor- 
liegenden, und  meiner  Dankbarkeit  wfilste  ich  heute  kdnen  anderen  Aus- 
druck zu  geben  fds  damals;  man  nehme  die  dort  gebrauchten  Worte  als 
jetzt  von  Merzoi  wiederholt  an.  Eine  gewisse  Verschiedenheit  der  Um- 
stände liegt  allerdings  insofern  vor,  als  heute  nicht  von  nah  und  fem 
zusammengetretene  ehemalige  Schüler  die  freundlichen  Spender  sind,  son- 
dern ausschliefslich  Mitgliäer  einer  Berliner  wissenschaftlichen  Vereini- 
gung, von  denen  nur  manche,  bei  weitem  nicht  alle,  durch  ihre  Mitglied- 
schiut  eine  Verbindung  mit  mir  aufrechterhalten,  in  die  sie  vor  Jahren 
zuerst  als  meioe  Schfitör  getreten  sind.  Drei  von  den  Beteiligten  ^eh^k^n 
zu  der  von  mir  seit  Jahren  gleiteten  Gesellschaft  allerdings  nicht  als 
ordentliche  Mitglieder,  und  die  Freude,  sie  in  unserer  Mitte  zu  sehen, 
wird  uns  kaum  einmal  zuteil;  aber  die  Gesellschaft  sieht  es  als  wertvolle 
Auszeichnung  an,  daüs  sie  bereit  gewesen  sind,  als  Ehren-  oder  als  korre- 
spondierende Mitglieder  zu  ibr  in  Beziehung  zu  treten,  und  ich  habe  allen 
wund,  mich  ihrer  Teilnahme  an  der  mir  erwiesenen  Ehrung  ganz  beson- 


BeuxteAnngen  und  kune  Aaxdgen.  2d9 

den  sn  freneii.  Ihn  Arbeiten  ttehen  an  der  Spitse  der  fünfundswanzig, 
Ton  denen  ich  hier  in  Kürze  Rechenschaft  zu  geben  habeJ 

Gnst^  Gröber  eröffnet  den  Band  Bit  einer  in  gereimten  Versen 
smbeaen  Übertragung  des  Du  dou  vrai  anid.  Das  altfranzOsische  Ge- 
oiät  ist  bekanntlich  nichts  weniffer  als  eine  gewandte,  riatte,  lebendige, 
daa  Wesentliche  geschickt  herauäebende  Erzählung,  ona  der  Übersetzer 
hat  sich  eehütet,  anderes  als  eine  getreue  Wiedergabe  des  Originals  vor- 
zulegen,  hat  Termieden,  es  durch  moderne  Kfinsto  heutigem  Geschmack 
naher  zu  bringen.  An  einigen  Stellen  scheint  seine  Auffassung  des  nicht 
immer  völlig  klaren  Textes  von  der  meinigen  etwas  abzuweichen,  was  mir, 
hätte  idi  das  Glicht  noch  einmal  herauszugeben,  Anlals  zu  neuer  Er- 
wägung geben  würde.  In  Z.  19  scheint  maum  mir  'Herr*  (der  über  Ein- 
aicEt  verfügt),  nicht  'Lehrer'  zu  bedeuten.  Z.  136  tritt  der  Sinn  des 
compore  'bülse'  nicht  hervor.  Die  Verse  206  bis  209  habe  ich  als  Fort- 
setzung der  Kede  des  zweiten  Sohnes  ansesehen  und  dies  durch  den  Ge- 
dankenstrich nach  209  angedeutet  311  Irann  Gröbere  Auffassung  leicht 
die  richtige  sein,  wie  auch  Z.  356  gegen  seine  Gestaltung  des  Textes  sich 
kaum  etwas  einwenden  lälst.  Dagegen  finde  ich  890  bis  892  den  Gedan- 
koi  des  Dichtet s  in  der  Übersetzung  nicht  wieder:  'den  beiden  älteren 
Söhnen  ist  ihre  Feindseiiskeit  gegen  den  jünnten  nicht  zu  verdenken, 
da  dessen  eigene  Glieder  (die  Christen)  ihn  im  Buche  lassen',  und  Z.  426 
vermisse  ich  den  Gedanken  der  Vorlage:  'man  ist  (ja  schon)  dem  gefa&ik- 
ten  Nächsten  Hilfe  schuldig,  wenn  man  sie  ^währen  kann;  und  hier 
handelt  es  sich  um  unsere  eigene  Anflel^;enheit.' 

Fnui  Carolina  Michaelis  de  vasconcellos  verbreitet  sich  in 
einer  sehr  gelehrten,  aber  auch  höchst  lehrreichen  Einleitung  über  Fund- 
stätten, wo  portugiesische  Sprichwörter  zu  treffen  sind,  und  über  die 
mancherlei  Namen,  mit  denen  man  in  Portugal  zu  verschiedenen  Zeiten 
diese  anziehenden  Erzeugnisse  des  VolksgeiBtes  belegt  hat.  Daran  schliefst 
sich  die  Vorführung  von  ihrer  ungefähr  tausend,  <ue  alle  mit  dem  Buch- 
staben a  beginnen  und  alphabetisch  aneinander  gereiht  sind.  Man  mag 
daraus  auf  den  Umfang  des  Schatzes  schliefisen,  der  noch  zu  heben  bleibt 
Hie  und  da  ist  etwas  auihenommen,  das  zwar  durch  volkstümliche  Aus- 
drucksweise  anzidlit,  als  Sprichwort  aber  nicht  gelten  darf,  wie  z.  B.  A 
bom  tanto  te  enoomendatte;  Ä  etaouira  porta,  quB  esta  näb  ae  <ibre;  Ä  mim 
näoy  qua  sou  perro  vdho;  A  ^wmtoe  eo«  a  pttteoa?  eai  esU  ano  no  dominffo. 
Aach  über  die  Zugehörigkeit  von  Sentenzen,  wie  A  Deua  näb  m  mmUf 
kann  man  verschiedener  Ansicht  sein.  Aber  auch  was  vielleicht  fehlen 
dflrfte,  möchte  man  nicht  missen.  Schlimmer  ist,  dafs,  aus  einem  un- 
bekannten Zusammenhang  gelöst,  sehr  viele  von  den  aufgeführten  Sprüchen 
ihren  Smn  nicht  erkennen  lassen,  so  da(s  man  ihnen  gej^übersteht  wie 
einer  Glosse,  zu  der  das  Glossierte  fehlt  Wenn  es  heilst  A  fax/6nda  de 
raüt  farta,  mos  nah  abasta,  so  ^führe  man  sem,  an  welche  unentbehrliche 
Zugabe  zum  Grundbesitze  zu  denken  ist,  od  an  Betriebskapital,  an  Ver- 
ständnis für  das  Gewerbe,  an  Bewässerung;  vielleicht  aber  will  der  Spruch 
auch  gar  nicht  mehr  sagen,  als  er  säet.  Was  mag  der  Sinn  von  182,  190> 
198,  ^5,  223,  862  sein?  Möge  die  gddirte  Verfasserin,  die  in  so  dichtem 
Rohr  sitzt,  recht  oft  derer  gedenken,  die  sich  so  schöne  Pfeifen  nicht 
schneiden  können. 

Karl  Sachs  gibt  nach  einer  Einleitung,  in  der  mir  die  wünschens- 
werte Klarheit  des  Gedankens  namentlich  auch  bd  dem  Versuch  einer 
Einteilung  des  Gesammelten  nicht  erreicht  scheint,  eine  lange  Reihe  fran- 
zöeischer  Interjektionen  oder  solcher  Dinae,  die  weniffstens  er  so  nennt 
(z.  B.  ä  himMy  auK  armet,  bü,  ä  ehewd,  Aargex),  Auf  irgendwelche  Son- 
derunff  von  anderem  C^iditspunkte  als  dem  des  Alphabetes  aus,  auf  jede 
Aufklimng  über  die  Gebraucnsweise  ist  vernichtet  Bisweilen  wird  genau 
ange^ben,  wo  etwas  gefunden  ist;  andere  Male  wird  nur  ein  Auto^.  als 
Gew&rsmann  genannt  manchmal  fehlt  jede  Angabe  einer  Quelle.    Über 


240  Beurteilimgen  und  kurze  AnceigeD. 

den  mir  nicht  sicher  scheinenden  Sinn  Ton  bour  bour  hätte  ich  mir  gern 
durch  Prüfung  des  Zusammenhanges  Gewifsheit  verschal;  aber  an  der 
zitierten  Stelle  habe  ich  nichts  Hergehöliges  gefunden. 

Alois  Brandl  bezeugt  bei  einem  Gönner  seiner  Ejiabenjahre,  dem 
Naturforscher,  Arzt  und  Dichter  Adolf  Pij^er,  eine  wanne  Verehrung 
für  Dante,  die  sich  in  zahlreichen  direkten  AuiseruneeDi  aber  auch  durch 
manche  Anklänge  in  des  Tiroler  Sängers  Gedichten  bekundet 

Nach  dnem  kurzen  Blick  auf  die  spanischen  Romantiker  der  zweiten 
Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  kennzeichnet  George  Carel  die  drei 
herrorragendsten  spanischen  Lyriker  der  letzten  Jahrzehnte,  Nufiez  de 
Arce,  Oampoamor  und  B^uer,  in  ihren  Hauptwerken  und  gibt  eine  An- 
zahl Proben  daraus  in  ebenso  ^wandter  wie  getreuer  Übersetzung. 

Hermann  Conrad,  der  m  früheren  AiSsätzen  schon  mehrmch  auf 
yerschiedenartige  Unzulänglichkeiten  des  'Schle^l-Tieckschen'  Sbi^spere 
hingewiesen  hat,  geht  hier  mit  Baudissins  Antonius  und  Kleopatra  in  ein 
strenees  Gericht.  Man  wird  seinen  Ausstellungen  und  der  Art,  wie  er 
das  MÜBratene  ersetzt,  Beifall  nicht  versaeen  können. 

Max  Cornicelius  geht  mit  dem  ort  bekundeten  feinen  Sinn  und 
jener  gründlichen  und  ausgebreiteten  Kenntnis  alles  in  Betracht  kommen- 
den Stoffes,  ohne  die  er  nie  urteilt,  romanischen  Elinflüssen  in  Gk)ttfried 
Kellers  Dicntung  nach.  Spuren  romanischer  Einwirkung  weifs  er  darin 
reichlicher  und  sicherer  nachzuweisen,  als  manch  einer  erwarten  mag,  der 
in  seinem  Keller  auch  leidlich  B^cheid  zu  wissen  meint.  Sollte  man  nicht 
denken,  der  herrliche  Has  von  Überlingen  stammte  von  dem  freilich  kin- 
derlos verstorbenen  Don  Quixote?  Amt  man  weüs  ja  durch  Baechtold 
ganz  genau,  wo  die  köstliche  flgur  dem  Schweizer  Dichter  vor  Augen 
getretä  ist.  Auf  die  Wiederkeihr  eines  Zuges  aus  Moü^res  UAmour 
mSdecin  I,  1  im  'Fähnlein  der  sieben  Aufr^ten'  habe  ich  später  im 
Feuilleton  der  Neuen  Zürcher  Zeitung  vom  23.  August  1905,  Beilage  zu 
Nr.  233,  hingewiesen. 

Otto  Driesen  hat  in  mündlichem  Verkehr  mit  den  in  verschiedene 
Gruppen  sich  sondernden  Angehörigen  des  Standes,  der  Abfälle  auf  der 
Straise  sammelt  und  sie  durch  Verkauf  verwertet,  mit  löblichster  Vorsicht 
und  unter  Kontrolle  durch  Fachautoritäten  reiche  lexikalische  Ausbeute 
zur  Kenntnis  der  in  diesem  Berufe  üblichen  Sondersprache  zusammen- 
gebracht und  das  einzelne  Gewonnene  ausgiebig  erklärt,  wobei  auch  manche 
sachliche  Belehrunff  abfällt.  Man  erfährt  hier  wiederum,  wie  wenig  zu- 
verlässig manchmal  die  Auskunft  über  mancherlei  argoi  ist,  die  man  etwa 
aus  reaBstischer  schöner  Literatur  oder  aus  Wörterbüchern  des  argot  fe* 
winnen  zu  können  hofft,  die  aus  jener  schöpfen.  Dem  Echten  misdit 
sich  da  gar  zu  leicht  Gemachtes,  gelegentlich  mdividuell  Geschaffenes  beL 

Max  Gold  staub,  den  von  ihm  schon  so  vielfach  K|^örderten  Ph^- 
siologusstudien  treu  und  immer  neues,  mannigfaltigstes  Material  herbä- 
ziehend,  verfolgt  diesmal  die  über  das  Brüten  des  Vogels  Strauls  ver- 
breiteten wunderlichen  Einzelheiten,  das  Legen  zur  Zeit  dee  Erscheinens 
der  Pleiaden,  das  Bergen  der  Euer  im  Sande,  wo  die  Sonne  sie  zum  Aus- 
kriechen brinet,  das  Ausbrüten  durch  die  Kraft  des  eigenen,  starr  darauf 
gerichteten  Blickes  der  einander  ablösenden  Alten,  das  Bergen  der  Eier 
im  Wasser  u.  dergl.  Die  W^  nachzuweisen,  auf  denen  Kunden  solcher 
Art  von  Volk  zu  Volk,  von  Zeit  zu  Zeit  sich  verbreitet  haben,  ist  in  der 
Begel  kaum  möglich;  zu  unsicher  ist  meist  das  Alter  der  auf  uns  ge- 
kommenen Fassungen,  zu  zahlreich  sind  die  Möfflichkdten  der  Konta- 
mination, des  Mifsverständnisses  bei  der  Herübemanme.  Aber  von  Wert 
ist  auch  schon  die  Darlegung  des  kaum  übersehbaren  Bdchtums  der  Über- 
lieferung. 

Georg  Herzfeld  macht  nach  englischen  Quellen  mit  der  geschicht- 
lichen Persönlichkeit  des  Alchimisten,  Astrologen  und  Geisterbeschwörers 
John  Dee  (1527  bis  1608)  genauer  bekannt,  dessen  zu  seiner  Zeit  nicht 


Beturteilongen  und  knne  Anzeigen.  241 

alleinsteheQdeB  Treiben  noch  bis  tief  ins  17.  Jahrhundert  hinein  in  Eng- 
land wohl  bekannt  war  und  nach  Herzfeld  vermutlich  die  Ursache  dafür 
wurde,  daia  der  Graf  Hamilton  den  in  seiner  Novelle  UenchMUewr  Faustus 
erzählten  Vorgfingen  England  zum  Schauplatze  gab.  Diese  Novelle  selbst 
ist  Lange  als  eine  der  Quellen  jneben  Hans  Sachs)  für  die  siebente  Szene 
im  ersten  Akte  des  zwdten  Teiles  des  Faust  erkannt. 

Adolf  Kolsen  gibt  von  der  verheükenen  Gesamtausgabe  des  Guiraut 
(oder,  wie  jetzt  verlaDfft  wird,  Giraut)  de  Bomelh  eine  neue  Probe  in  einer 
auf  Grund  aller  Handschriften  ausgeführten  Bearbeitung  der  zwei  Kreuz- 
lieder (bei  Bartsch  Grdr.  242,  6  u.  41).  Man  vermÜBt  da  nichts  von  dem, 
was  bei  solchem  Anlafs  zu  verlangen  ist,  weder  Einblick  in  die  Verhält- 
nisse der  Handschriften  und  B^tferti^ung  der  Wahl  der  Grundlage,^ 
noch  DarlcKung  der  formalen  Besonderheiten  jedes  Stückes;  weder  Über- 
sicht über  den  Gedankengang  jedes  Liedes  noch  genaue  Übersetzung  des 
(naturlich  von  allen  Variante^  begleiteten)  Textes;  und  reichliche  Anmer- 
kungen rechtfertigen  die  dem  Texte  gjegebene  Auslegung  und  klären  über 
grammatische  oder  lexikalische  Schwierigkeiten  auf.  Der  Dichter  gehört 
bekanntlich  zu  denen,  die  einem  gewissenhaften  Philologen  besonders  viel 
zu  8cha£Een  machen;  und  es  wini  kaum  ausbleiben  können,  daüs  dem 
Herauseeber  hier  oder  dort  Zustimmung  versagt  werde.  So  möchte  ich 
I,  9  Qt?apodera  oder  Qu'empodera  pechaix,  23  deu  (im  Sinne  des  Dativs) 
schreiben,  26  dels  hus  feriix  verstenen  'von  den  durch  ihn  Getroffenen', 
80  die  Auffassung  von  non  so^n  deslonfuUx  als  non  sum  inde  remotus  für 
unzulässig  halten  wegen  der  Stellung  des  tonlosen  Adverbium  n  und  die 
Lesart  s'es  für  son  vorziehen.  Aber  nier  kann  auf  dergleichen  kleine  Be- 
denken nicht  eingegangen  werden.  Wir  dürfen  die  von  Kolsen  mutvoll 
unternommene  Arbeit  mit  bester  Hoffnung  begleiten. 

Gustav  Krueger  sucht  die  Frage  zu  beantworten,  'was  ist  alangy 
beziehungsweise  argot?*  Er  geht  von  unzulänglichen  Definitionen  und  von 
dem  Schwanken  im  Gebrauch  der  Zeichen  aus,  deren  sich  verschiedene 
Wörterbüdier,  oft  genuR  audi  ein  und  dasselbe  Wörterbuch,  bedienen,  um 
das  Familiäre,  das  Niedrige,  das  Botwelsch  und  dergL  als  solches  kennt- 
lich  zu  machen.  Er  gibt  Beispiele  der  vielen  Arten  von  Ausdrücken,  die, 
neben  der  gemeinsamen  Spracne  der  Gebildeten  liegend,  gel^^tlich  mit 
wechselnder  Absicht  und  Wirkung  in  diese  aufgenommen  werden,  und 
handelt  von  den  psychologischen  Ursachen,  die  dazu  führen. 

Albert  Ludwig  betrachtet  im  Anschluls  an  früher  schon  mit  gutem 
EIrfolg  von  ihm  in  An^ff  genommene  Studien  Lope  de  Vega  diesmal  im 
Verhältnis  zu  Ariosto,  indem  er  die  Komödie  Los  Oeloa  de  Bodaimnte,  das 
lange  Epos  La  Eermoaura  de  AngSlica,  endlich  die  aus  diesem  hervor- 
gegangene Komödie  El  Premio  de  la  Bermosura  kennen  lehrt,  eingehend 
prüft  und  nach  ihrem  künstlerischen  Wert  imd  ihrem  Verhältnis  zu  Ariosto 
(und  zu  Bojardo)  kennzeichnet,  was  um  so  dankenswerter  ist,  als  diese 
Werke  alle  wenig  bekannt  sind,  das  bedeutendste  davon  auch  in  der  neue- 
sten Biographie  des  spanischen  Dichters  (der  von  Bennert,  Glasgow  1904) 
kaum  besprochen  wird. 

Emil  Mackel  beschäftigt  sich  in  zwei  voneinander  unabhängigen 
Aufsätzen  mit  Beziehungen  zwischen  dep  Niederdeutschen  und  dem  Ro- 
manischen, insbesondere  dem  Französischen,  indem  er  in  dem  vorange- 
stellten aus  lautJic^en  Erscheinungen  der  älteren  Periode  des  Nieder- 
deutschen auf  den  Stand  der  lautüchen  Entwickelung  des  Bomanischen 
in  der  Zeit  schliefst,  in  welcher  aus  diesem  Wörter  in  jenes  übergingen, 
und  im  zweiten  sdu*  einleuchtend  dartut,  dals  die  in  greiser  Zahl  vor- 
handenen französischen  Fremdwörter  im  heutigen  Niederdeutsch  weder 
zur  Zeit  der  Hansa  noch  zu  der  des  DreÜsisjährigen  Krieges,  noch  auch 
zu  derjenigen  der  französischen  Fremdherrschaft  zu  Anfang  des  19.  Jahr- 
hunderts Aufnahme  gefunden  haben,  sondern  aus  der  hochdeutschen  Sprache 
der  vornehmeren  Kreise  zur  Zeit,  wo  diese  am  meisten  mit  dem  in  Mode 

.AidiiT  f.  n.  Binachon.    GXV.  16 


242  Benrteilniigeii  und  knrze  Anzcagen. 

fekommenen  Franzödsch  aufgeputzt  war.  auch  in  die  mederdeutsche  Sprache 
er  unteren  Stande  und  des  taglichen  Lebens  sich  hineingedrängt  nahen. 
Man  wird  gleichartiffe  Erscheinunffen,  die  auch  in  anderen  deutschen  Mund- 
arten begegnen,  nicht  anders  erklären  dürfen. 

Wilnelm  Mangold  ist  bei  der  Fortsetzung  seiner  sorflsamen  und 
erfol^eichen  Studien  Über  Pflege  französischer  Di(£tung  durch  Friedrich  II. 
und  ihm  nahestehende  Franzosen  abermals  auf  Inedita  gestoisen,  die  er 
hier  bekannt  macht  und  mit  allen  irsend  wünschbaren  Erläuterunffen 
ausstattet,  Dichtungen  oder  sa^  wir  ueber  Verse  von  Gresset  an  den 
königlichen  Gönner  lür  seinesgleichen,  der  ihn  yergeblich  zu  sich  zu  ziehen 
sudite,  sich  mit  schriftlicher  Lobhudelei  begnügen  muXste.  Wer  dergleichen 
über  sich  ergehen  zu  lassen  sich  in  die  Lage  orachte,  der  erlitt  für  seine 
Müsachtung  der  gleichzeitisen  Dichtung  seines  Volkes  eine  schwerere  Strafe, 
ids  ihm  zum  Bewulstsein  Kommen  konnte. 

Pedro  de  Mugica  hat  immer  noch  nicht,  so  lange  er  nun  schon  in 
Deutschland  lebt  und  so  oft  er  neben  Zeitungen  seiner  spanischen  Heimat 
mit  seinen  Aufsätzen  auch  gelehrte  Zeitschrinen  unseres  Landes  bedenkt, 
eich  in  den  Ton  gefunden,  der  in  diesen  zu  herrschen  pflegt  Wir  ande- 
ren, soweit  wir  Mhwimmen  können  oder  es  zu  können  meinen,  steigen 
Sleichmütig  zu  unserer  Erfrischung  und  zur  Übung  der  eigenen  Kraft  in 
as  vertraute  Element  hinab,  streben  mit  ruhigen  Stölsen  irgendeiner 
lockenden  Klippe,  einer  freunalichen  Bucht  zu  und  kehren,  wenn  wir  uns 
dort  nach  Verlangen  umgesehen  haben,  zufrieden  und  erquickt  zu  unserem 
Ausgangspunkte  zurück.  Ihn  zieht  es  weniger  in  die  künle  Weite  hinaus ; 
er  bleibt  m  der  Nähe  des  Landes  und  sieht  kritischen  Auges  denen  zu, 
die  sich  zu  Schwimmausflügen  anBchidcen  oder  von  müsglückten  Unter- 
ndtunungen  zurückkommen.  Und  da  er  findet,  dais  bereits  erlebter  oder  be- 
vorstehender Mifserfolff  zumeist  aus  unzulänglichem  Können  oder  schwäch- 
lichem Wollen  sich  erkläre,  so  sagt  er  ihnen,  und  zwar  höchst  unverhohlen, 
wo  seiner  Meinung  nadi  es  ihnen  gebricht,  taucht  sie  auch  wohl  einmal 
zur  Strafe  auf  ein  paar  Sekunden  unversdiens  unter  oder  spritzt  ihnen 
Wasser  ins  Gesicht,  bis  ihnen  Hören  und  Sehen  vergeht,  und  macht  sie 
zum  G^pötte  der  Umstehenden.  Besonders  oft,  und  so  geschieht  es  auch 
in  der  vorliegenden,  in  die  Form  eines  witzigen  Gesprächs  ^brachten 
Kundgebung,  richte  sich  seine  Grausamkeiten  gegen  oie  spanische  Aka- 
demie und  insbesondere  gegen  die  für  deren  Wörterbuch  yerantwortlichen 
Mitglieder  ('acade-memoe°  oder  *club  de  los  inütiles'  u.  dergl.).  Manzoni 
braucht  einmal,  freilich  bei  ganz  anderem  Anlals,  den  Ausdruck  Segtw 
tPimmensa  invidia  e  di  pietäprofimda.  Ob  die  spanische  Akademie  ersteree 
ist,  weifs  ich  nicht;  für  unwahrscheinlich  kann  ich  es  nicht  halten.  Aber 
es  wäre  zu  begreifen,  wenn  sie  letzteres  für  solche  wGrde,  die  mit  ansehen, 
wie  mit  ihr  urnffesprun^en  wird,  ohne  daüs  sie  sich  wehren  kann  oder 
mag,  vielleicht  (mne  dals  sie  es  auch  nur  ahnt  Werden  solche  Angriffe 
etwas  bessern?  —  In  Frankreich  haben  der  Lezikogra^e  der  Landes- 
sprache die  Arbeiten  von  Littng  und  die  von  Darmesteter,  Hatzfeld,  Thomas 
mehr  Förderung  gebracht  als  alle  Sarkasmen,  die  jemals  über  die  Aka- 
demie erganeen  sind.  !Qer  Hinweis  darauf  sei  mein  Dank  für  mehrere 
unverdient  Seundliche  Aufserungen,  in  denen  der  Verfasser  seinem  Wohl- 
wollen für  mich  Ausdruck  sAht, 

Alfred  Bisop  behandelt  in  seinen  Miszellen  zur  neufranzösischen 
Sjmtaz,  die  auf  wdt  ausgedehnter,  namentlich  auch  mittelfranzösischer 
und  mundartlicher,  übrigens  nebenher  italienischer  Lektüre  ruhen,  eine 
grofse  Zahl  noch  kaum  zur  Sprache  gebrachter  Erscheinung.  Sie  haben 
^isenteils  das  miteinander  gemein,  dais  neben  Konstruktionsweisen,  die 
m  Betracht  der  ersten  Bedeutung  gewisser  Verba  zunächst  als  deren  allein 
natürliche  oder  berechtigte  gelten  müssen,  andere  Konstruktionen  auf- 
treten und  jene  wohl  soear  verdrängen,  die  nur  bei  gewissen  anderen,  mit 
jenen  ersten  sinnverwandten  Verben  ihr  gutes  Becht  von  vornherein  haben. 


Beurteflnngen  und  ktme  ABsdg^n.  S4S 

Anhangsweise  ist  von  solchen  Fällen  die  Bede,  wo  gewisse  Satzelemente, 
die  im  zusammenhängenden  Sprechen  bis  zu  last  völliger  Unwahmehm- 
barkeit  einschwinden,  ein  zweites  Mal,  eigentlich  überflüssigerweise,  ver- 
lautbart  werden,  damit  der  durch  sie  dargestellte  Qedanken^ehalt  beim 
Hörer  doch  auch  zu  seinem  Bechte  komme  (hierher  gehört  ja  auch  die 
Wiederholung  des  Artikels  in  le  lendemain  u.  dergU*  Das  der  Tiefe  zu- 
strebende Verfahren  des  Verfassers,  das  überall  die  Denkvorgänee  zu  ent- 
hüllen strebt,  die  in  Bprachvor^nffen  sich  spiegeln,  wird  l^  aenkenden 
Ghrammatikem  auch  diesmal  Beifall  finden. 

Felix  Bosenberg  hebt  aus  der  langen  Beihe  der  dramatischen  Be- 
arbeitungen des  Estherstoffes  (zu  den  1891  durch  Emile  Pioot  im  sechsten 
Bande  &b  Mist^e  du  Viel  Testament,  S.  VI—LXIII.  aufgezählten  sind 
seither  noch  verschiedrae  hinzugefunaen)  eine  Anzahl  verständig  ausge- 
wählter hervor,  an  denen  zu  veranschaulichen  ihm  wohl  geUngt,  wie,  sei 
es  verschiedenes  Ma(s  von  künstlerischem  Vermögen,  seien  es  herrschende 
reli^öse  Bestrebungen,  hier  bestimmte,  im  Augenolick  gehegte  persönliche 
Absichten,  dort  hinwieder  die  rein  dichterische  Gabe  des  Eindringens  in 
die  Tiefen  mensdilicher  Empfindungsweise  zur  Entstehung  so  ungleich- 
artiger und  un^leichwerti^  Kunstwerke  haben  führen  können.  Dafs 
anter  den  gestaltenden  Geistern  Badne,  Lope,  Grillparzer  fauch  €k>ethe) 
erscheinen,  erhöht  das  Interesse  des  geschickt  behandelten  Gegenstandes. 

Siegbert  Schayer  unterzieht  an  einem  ganz  geringen  Quantum  ältest- 
franzoeischen  Textes  der  Untersudiung  die  Arten,  wie  Gedankmzusammen- 
hang  zwischen  sdbständigen  (Haupt-)  Sätzen  in  sprachlichem  Ausdruck 
zur  Erscheinung  kommt.  Konjunktionen  (für  deren  Wesen  übrigens  eine 
wohlerwogene  Definition  not  tun  würde)  spielen  dabei  eine  ganz  untergeord- 
nete Bolle,  eine  weit  wichtigere  die  parsönlichoi  und  die  demonstrativen 
Pronomina,  auch  die  blols  in  der  Veroalflexion  gegebenen  Subjektsbezeich- 
nangen,  femer  Einzelaussagen  im  Verhältnis  zu  vorangegangenen  um- 
fassenderen, Parallelismus  der  Satzgestaltung  und  anderes.  Achtsame  Fort- 
setzung des  hier  B^onnenen  wird  gewils  zu  wertvollen  Ergebnissen  führen. 

Giovanni  Speranza  knüpn  an  eine  nur  wenig  auf  einzelnes  ein- 
gehende Erwähnung  der  Liebe  Michelangelos  (den  er  immer  Buonarotti 
nennt)  zu  Vittoria  Colonna,  durch  weldie  Liebe  erst  er  ein  wahrhaft 
grolser  Künstler  geworden  sei,  Betrachtungen,  denen  es  meines  Erachtens 
zwar  nicht  an  rhetorischem  Pomp,  wohl  aber  an  Schärfe  und  Klarheit  des 
Gedankens  fehlt,  über  Materialismus  und  Idealismus  in  der  Kunst  Um  der 
Vierzahl  der  ^nste  willen,  in  denen  Michelangelo  Greises  vollbracht  hat, 
nennt  ihn  die  Überschrift  nicht  eben  glücklich  Ttsomo  dalle  auatiro  anime. 

Heinrich  Spies  beschSItifft  sich  eindringlich  mit  der  Frage  der 
Elchtheit  der  Ghauoer  von  manchen  zugeschriebenen,  von  manchen  aber 
auch  abgesprochenen  retraetcUio.  Er  fünrt  die  bisher  abgegebenen  Vota 
vor,  tritt  dann  aber  in  selbständige  Prüfung  der  Sache  ein  und  äufeert 
sich  schlieislich,  ohne  zu  verhehlen,  dals  ein  durchaus  zwingender  Beweis 
sich  nicht  führen  lasse,  zugunsten  der  Ansicht,  dafs  die  SteUe  allerdings 
von  Ghaucer  herrülyre,  dafe  sie  ihrem  Inhalte  nach  sich  in  Übereinstim- 
naung  befinde  mit  Au&emngen  ähnlicher  Art,  die  der  Dichter  anderwärts 

Stan  habe,  und  dafs  er  so,  wie  es  geschehen,  sich  am  ehesten  in  der  Zeit 
he  aussprechen  können,  wo  er  mit  der  Durcharbeitung  des  für  die  spätere 
nnonea  Tale  in  Betracht  kommenden  relidöeen  Stoffes  fertig  gewesen  sei. 
Willy  Splettstöfser  führt  von  Alneris  Tragödien  Ägamennone  und 
Oreste  die  Handlung  vor,  zeigt,  wie  sie  gemafs  dem  Verlaufe  des  dar- 
gestellten G^chehens  auf  den  Zuschauer  wirken  müssen,  und  welche  Trieb- 
federn ihres  Tuns  die  bei  diesem  Dichter  bekanntlich  immer  nur  in  ganz 
geringer  Zahl  auftretenden  Personen  in  Taten  und  Worten  zu  erkennen 

gsben.    Gelegentliche  Blicke  auf  die  Behandlung,  welche  die  nämlichen 
toffe  bei  Aßen  und  bei  Neueren  gefunden  habä,  lassen  Alfieris  künst- 
lerische Eigenart  deutlicher  erkennen.    Des  Dichten  eigenem  Urteil  über 

16* 


244  BeniteilimgeD  und  kmze  Anzeig«!!. 

den  Agamennone  kann  der  Verfasser  des  Au&atzes  nicht  beiatimmaii  der 
das  Werk  bei  weitem  höher  einsch&tzt. 

Gustav  Thurau  yerhilft  mir,  und  vermutlich  wie  mir  so  auch 
mandien  anderen,  zu  einer  ersten  Bekanntschaft  mit  Theodore  Botrel, 
einem  1870  in  Dinan  geborenen  fruchtbaren  Dichter  volkstümlicher  chan- 
sons,  die,  fibrigens  in  gutem  Französisch  und  in  den  bisher  allgemein 
üblich  gewesenen  Versmalsen  abgefaist  und  selbstverständlich  zum  Vor- 
trag im  Gesang  bestimmt,  Eindrücke,  Anschauungen,  Gedanken,  Stim- 
mung^ zu  ansprechendem  Ausdruck  bringen,  wie  sie  in  des  Verfassers 
bretonischer  Hemiat  wurzeln  oder,  soweit  sie  allgemein  menschlich  sind, 
von  dort  ihre  besondere  Färbung  empfangen  m&ben.  Wer  der  Volks- 
kunde Teilnahme  zuwendet,  wird,  wenn  er  von  dieser  Dichtung  Kenntnis 
nimmt,  sar  wohl  auf  seine  Bechnung  kommen,  auch  umgekehrt  zu  ihrem 
rechten  Verständnis  bei  der  Volkskunde  wirksame  Unterstfitzimg  finden. 
Der  Verfasser  lehrt  eine  grolse  Menge  Literatur  kennen,  die  zum  G^n- 
stande  seiner  Abhandlung  in  Bezug  steht;  er  weist  auch  auf  sachüche 
Berührung  hin  zwischen  seinem  'Barden'  und  Loti  oder  Mauptassant  und 
gewahrt  willkommene  Aufschlüsse  über  dessen  Lebensverhältnisse. 

Hans  Willert  gibt  dne  reiche  Sammlung  von  neuenglischen  Zu- 
sammensetzungen aus  reimenden  Stammen  oder  Wörtern  und  von 
Wortgruppen  aus  reimenden  und  durch  Konjunktion  verbundenen 
Wörtern  (nach  Art  der  deutschen  '£[limbim',  'holterpolter*;  'Sanf  und 
Klangt  'schlecht  und  recht',  'Ach  und  Krach'),  die  er  nicht  aus  Wörter- 
büchern zusammengeklaubt,  sondern  bei  ausgedehnter  Lektüre  in  zusam- 
menhängender Bede  selbst  aufgetrieben  hat  und  darum  auch  sämtlich  zu 
belegen  vermag.  Künftige  Lexikographen  und  Grammatiker  werden  an 
dieser  Fundsrube  nicht  achtlos  vorübergehen  dürfen.  Vermisse  ich  an 
der  verdienstlichen  Arbeit  etwas,  so  ist  es  ein  Versuch,  festzustellen,  unter 
welchen  Umständen  die  Sprache  solche  Wese  der  Wortbildung  einschlä^, 
und  wie  es  kommt,  dafs  aas  gewählte  Mittel  dem  empfundenen  Bedürfnis 
Genüge  tut.  Der  Stellen^  wo  von  den  nämlichen  Erscheinungen  schon 
früher  die  Bede  gewesen  ist,  hat  der  Verfasser,  wie  billig,  geda^t. 

Georg  Ebeiing  versucht,  die  'syntaktische  Etymologie',  wie  ich 
dergleichen  gern  nenne,  von  tont  saü  peu  und  damit  zugleich  die  der 
gleichartigen  Sätze  der  älteren  Sprache  zu  geben,  in  weläien  bei  eben- 
falls vorantretendem  tant,  bei  Liversion  des  Tmeist  pronominalen)  Sub- 
jektes und  des  Verbums  im  Konjunktiv,  gleicnfalls  der  Sinn  einer  Ein- 
räumung gegenüber  negativem  Hauptsatze  vorließ.  Er  findet  die  Er- 
klärung der  gewüs  nicht  ohne  weiteres  durchsichtigen  Ausdruckswdse  in 
einer  Kontamination,  infolge  deren  z.  B.  pcuser  ne  pot,  tant  ns  fu  forx 
und  passer  ne  pot,  ja  fast  ü  forx  zu  passer  ne  pot,  tant  fast  ü  forx  zu- 
sammengeflossen wären,  von  welchen  drei,  sämtlich  üblich  gewesenen  Bede- 
weisen wenigstens  die  letzten  beiden  in  der  Tat  als  fast  gleichbedeutend 
gelten  dürfen.  Die  Annahme  derartiger  Entwickelung  als  überhaupt  un- 
zulässig zu  bezeidmen,  würde  mir  übel  anstehen,  luibe  ich  doch  selbst 
mehr  iQs  einmal  in  ähnlichem  Zusammenfliefsen  zweier  im  Grunde  ver- 
schiedenartigen Wendungen  die  Erklärung  einer  dritten  gesucht.  Das 
hier  Angenommene  aber  scheint  mir  schwer  denkbar,  weil  die  beiden  zu 
vereinigenden  Ausdrucksweisen  gar  so  verschieden  sind,  1.  nach  dem 
Verhältnis  zum  negativen  Vordersatz  (Kausalität  dort,  Einräumung  hier), 
2.  nach  dem  Modus  des  Verbums  (Indikativ  dort,  Konjunktiv  hier),  ^  nach 
dem  Wesen  der  Bede  (negativ  dort,  positiv  hier).  Ich  habe  mir  meiner- 
seits das  tant  in  dem  vorliegenden  Falle  als  ursprünglich  mit  einer 
Gebärde  gesprochen  gedacht,  die  ebenso  eine  grofse  Mengte,  einen  hohen 
Grad  angedeutet  hätte  wie  im  deutschen  'ich  mache  mir  daraus  nicht 
soviel'  eme  andere  Gebärde  eine  geringste  Menge  angedeutet  hat  oder 
noch  andeutet.  Diese  Verwendung  von  tant  als  einmu  üblich  gewesen 
anzusehen,  geben,  wie  mir  scheint,  solche  Stellen  ein  Becht,  wie  ne  puet 


Benrteüimgen  und  kurze  Anzeigen.  245 

afo«r  tre$hauie hotmouTt  tont  adi <^aw>ir,  b'ü neseilei bons lumnorer,  Oleom. 
488;  Quanije  m' arote  tont  penS,  Ne  vos  araie  du  anuit  L'a^gpareü,  RViol. 
8.  276;  n'en  poroie  avoir  jote,  Quant  tant  fn*en  seraipeneu,  Bern.  LHs. 
399,  1.  Wer  Ebelings  andere  Arbeiten  kennt,  dem  braucht  man  nicht 
erst  zu  sagen,  dafs  er  sich  immer  mit  groiker  Sorgfalt  ausdrückt,  dalk 
ihm  für  me  verschiedenartigsten  syntalraschen  Erscheinungen  überaus 
reichliche,  durch  ihn  selbst  zusammengebrachte  Paralleistellen  zur  Ver- 
fügune  stehen  und  —  dafs  er  seine  Leser  mit  solchen  gern  auch  dann 
übersimüttet,  wenn  es  des  Beweises  der  Gewöhnlichkeit  eines  lange  be- 
kannten Vorkommnisses  kaum  mehr  bedarf.  Meine  oben  g^ebene  Auf- 
fassung des  tant  hätte  er  übrigens  auch  bei  Dubislav,  Über  Satzbeiord- 
nung für  Satzunterordnung  im  Altfranz5sischen,  (in  Berlin  entstandene) 
Dissertation  aus  Halle  1888,  S.  18  ff.  finden  können,  dem  ich  freilidi  in 
der  Deutung  eines  grolsen  Teiles  seiner  Belegstellen  nicht  beistimmen  kann. 

Damit  wäre  icm  denn  am  Ende  meiner  Berichterstattung  angelangt, 
einer  Berichterstattung,  die  freilich  auch  nicht  jede  bescheidene  Andeutung 
etwa  abweichender  Ansicht  oder  schüchterner  Milsbilligung  ausgeschlossen 
hat.  Die  Gesellschaft,  von  der  das  inhaltreiche  Buch  ausgegangen  ist, 
hat  denjenigen,  den  sie  seit  neun  Jahren  immer  wieder  an  ihre  Spitze 
nötigt,  dural  die  gutmütige  Geduld  verwöhnt,  womit  sie  seine  Bemer- 
kungen üb^  die  in  ihrem  Schoüse  gehaltenen  yorträg|e  hinnimmt,  und 
durdi  das  Vertrauen,  das  sie  unter  allen  Umständen  in  seine  gute  Ab- 
sicht setzt.  Wird  er  zu  dem  Buche  oftmals  dankbar  und  gern  zurück- 
kehren als  zu  einem  Beweise  anhänglicher  Gesinnung  und  zu  einem  Denk- 
mal erfreulichen  und  ffewüs  nicht  ^anz  vergeblichen  Zusammenarbeitens, 
so  mag  es  anderen  scnon  durch  semen  reicnen  und  mannigfaltigen  In- 
halt, abgesehen  von  der  Entstehung,  wert  werden.  Es  wird  auch  nach 
aiilsen  zeigen,  wie  viele  und  wie  tüchtige  Kräfte  die  G^ellschaft  in  sich 
verdni^  Und  die,  deren  Namen  oben  zu  lesen  stehen,  sind  doch  erst 
ein  kiemer  Teil  der  gesamten  Mitglieder;  mit  ihnen  stehen  in  Beih'  und 
Glied  zahlreiche  andere  Männer,  die  bei  anderen  Gelegenheiten  nicht 
minder  glänzende  Beweise  ihres  Vermögens  gegeben  haben.  Zeuge  eines 
friedlichen  und  eisprieTslichen  Zusammenwirkens  der  einen  und  der  an- 
deren und  dnes  viel  versprechenden  Nachwuchses  noch  ein  Weilchen  zu 
bleiben,  würde  mir  euie  herzliche  Freude  sein. 

Berlin.  Adolf  Tobler. 

George  N.  Oleott,  Thesaurus  liDguae  latinae  epigraphicae.  Band  I, 
Lieferung  1.  A — ^AB.  Bom,  Loescher  &  Co.  (Bretschneider  &  Begen- 
berg),  1905.    24  S.  8. 

Die  Verzettelung  und  nachherige  lexikoerai>hische  Verarbeitung  des 
in  den  rund  200000  bisher  veröffentlichten  lateinischen  Inschriften  ent- 
haltenen sprachlichen  Materials  durch  einen  einzelnen  Gelehrten  ist,  wie 
8i<^  der  Verfasser  in  der  Vorrede  treffend  ausdrückt,  *the  tpork  of  a  pygmy 
struggling  agamst  a  giant*.  Mögen  die  den  Amerikanern  eigene  zähe  Aus- 
dauer und  die  treffliche  epieraphische  Schulung  Oleotts,  von  der  schon 
1S96  seine  Dissertation  ^Staates  in  the  tpord  formation  of  the  Laiin  in- 
ser^ioM'  Zeugnis  abgel^  hat,  das  grofsartige  Unternehmen,  dessen  Be- 
deutung spezieU  für  den  Komanisten  besonders  zu  betonen  überflüssig  sein 
durfte,  glücklich  zum  Ziele  führen.  Soweit  der  geringe  Umfang  des  dem 
Beferenten  vorUeffenden  Probeheftes  Schlüsse  zuläCst,  ist  in  bezug  auf  Kor- 
rektlieit  und  Vollständi^eit  das  Beste  zu  erwarten.  Zugrunde  gelegt  sind 
die  von  dem  jeweiligen  Herausgeber  adoi>tierten  Lesungen,  auf  deren  kri- 
tische Nachprüfung  der  Verfasser  sich  nicht  einlassen  zu  können  erklärt, 
was  m^  olme  weiteres  begreifen  wird.  Leider  ergeben  sich  hieraus  ge- 
wisse Ubelstände,  wie  hier  an  einem  Beismel  gezeigt  sein  mag.  CIL.  xn 
18C  druckt  Hirschfeld  mit  dem  Codex  Filonardianus  SEX  -  IVL  *  GAE 


246  Beniteflimgen  und  kurze  Anzeigen. 

ABXITECfrOB  und  löst  auf  in  iSb^  Jul(iua)  0a^cüianu9l]  arcktieet(u»)  ar, 
indem  er  hinzufügt:  scilicet  ipsius  arcus  in  quo  titulus  legel^^tur.  Zufolge 
dieser  irrtümlichen  Auflösung  fehlt  der  hier  zutage  tretende,  wohl  älteste 
Beleg  für  das  mehrfach  bezeugte  Tulgärlateinische  arckiteetor  im  Thesaurus 
linguae  latinae  II  4(J4,  und  es  steht  zu  befürchten ,  dafs  auch  der  Thesaurus 
Imguae  UUinae  epigraphieae  Olcotts  ihn  nicht  verzeichnen  werde.  Hoffen 
wir,  dals  dergleichen  Fälle  nicht  allzu  zahlreich  vorkommen. 

Wir  sehen  der  Fortsetzung  des  monumentalen  Werkes  mit  lebhaftem 
Interesse  entgegen. 

La  Chaux-de-Fonds.  Max  Niedermann. 

A.  Walde^  Lateinisches  etymologisches  Wörterbuch.  Lieferung  1. 
Heidelberg,  Carl  Winters  Universitätsbuchhdlg.,  1905.  80  8.  8.  (Das 
Werk  soll  in  etwa  10  Lieferungen  von  je  5  Bogen  zum  Subskriptions- 
preise von  M.  1,50  erscheinen.) 

Nachdem  die  in  den  letzten  Jahren  von  verschiedenen  Seiten  ge- 
machten Anläufe,  die  Wissenschaft  mit  einem  brauchbaren  etymologischen 
Wörterbuch  des  Lateinischen  zu  dotieren,  insgesamt  ohne  Besultat  ge- 
blieben sind,  hätten  wir  kaum  zu  hoffengewa^,  dals  das  von  A.  Warne 
in  der  unter  der  Leitune  von  Hermann  mrt  herausgegebenen  Sammlung 
indogermanischer  Lehrbücher  angekündigte  in  verhStnismälsig  so  kurzer 
Frist  den  Fachgenossen  zugänguch  sein  würde.  Zwar  li^  dem  Befe- 
renten  zurzeit  erst  ein  Spezimen  von  80  Seiten  vor,  allein  der  Wintersche 
Yerlaff  verspricht  den  Best  noch  für  dieses  Jahr,  und  es  liegt  kein  Qrund 
vor,  cue  pünktliche  Erfüllung  dieses  VersDrechens  in  Zweifel  zu  ziehen.  * 
Der  Plan  des  Werkes  und  seine  Durchfünrung  verdienen  ungeteilte  An- 
erkennung. Im  allgemeinen  ist  das  Prinzip  der  alphabetischen  Anordnung 
befolgt,  doch  wird  am  Schlufs  eines  jeden  Artikels  jewdls  ausdrücklich 
auf  <fie  anderswo  eingerdhten  Ableger  der  betreffenden  Sippe  hingewiesen, 
also  z.  B.  B.  V.  ago  auf  agito,  amoiguus,  ojfOso,  mdä^o,  prodigus,  iMga, 
ambageSf  agma,  examen  u.  s.  f.  Der  Romanist  konstatiert  mit  Vergnügen, 
dafs  auch  der  spezifisch  vulgärlateinische  Wortschatz  mit  einbezogen  er- 
scheint (aeSdia,  aciarium,  amiddola  amandola,  auea,  baeca,  bkUta  'Motte', 
bruta  u.  dgl.).  Dankenswert  sind  femer  die  zahlreichen  Literaturangaben, 
gegen  deren  Unterdrückung  in  sprachwissenschaftlidien  Handbüchern  der 
Bderent  schon  zu  wiederholten  Malen  hat  protestieren  müssen.  In  jedem 
Falle  den  wirklichen  Urheb^  einer  Etymologie  zu  ermitteln,  ist  ja  wohl 
ein  Ding  der  Unmöglichkeit ;  jedenfalls  aber  darf  Walde  das  Zeugnis  nicht 
vorenthalten  werden,  dals  er  sich  aufs  gewissenhafteste  bemüht  mit,  jedem 
das  Seine  zukommen  zu  lassen.  Eigene  Sammlungen  würden  uns  ge- 
statten, eine  Anzahl  von  Nachträ{;en  sowie  auch  die  eine  oder  andere  Se- 
richtiffung  beizusteuern;  da  wir  indessen  auf  das  Werk  zurückzukommen 
gedenken,  sobald  es  einmal  vollständig  vorliegt,  so  wollen  wir  damit  lieber 
zuwarten.  Wir  schliefisen  diese  vorläufige  Anzeige  mit  den  besten  Wün- 
schen für  den  rüstigen  Fortgang  der  Arbeit  und  dem  aufrichtigsten  Dank 
für  das  bisher  Gebotene. 

La  Chaux-de-Fonds.  Max  Niedermann. 

Dr.  Wilhelm  Münch^  Geh.  Begierungsrat,  Professor,  Didaktik  und 
Methodik  des  französischen  Unterrichts  (Sonderausgabe  aus  Bau- 
mebters  'Handbuch  der  Erziehungs-  und  Unterrichtslehre  für  höhere 
Schulen^).   2.  umgearb.  Aufl.  München,  C.  H.  Beck,  1902.   IV,  179  S. 

Mflnchs  schönes  Buch,  das  in  der  ersten  Ausgabe  (1895)  vereint  mit 
Glaunings  'Didaktik  und  Methodik  des  englischen  Unterrichts'  erschien, 

'  Korrektiiniote   vom   11.  September  1905:   Bis   beute   sind   uns  füof  Liefe- 
rangen  zugegangen. 


BeartcilnngeD  und  ku»e  Anzeigen.  247 

liegt  jeUt  Bolbet&ndig  in  umgearbeiteter  und  erweiterter  Auflage  vor,  und 
zwar  so  lange  Bchon,  dala,  glaube  ich,  es  keinen  Lehrer  des  Ftansösischen 

f'bt,  dem  es  nicht  schon  geistiger  Besitz  geworden  sei,  dem  es  nicht  schon 
nregune  und  Förderung  auch  durdi  das  viele  Neue,  das  es  enthalt,  ge- 
geben habe. 

Das  Buch  fiel  bei  seinem  ersten  Erscheinen  in  eine  Zeit  heÜsen 
Kampfes,  eine  Zeit,  wo  manche  der  Beformer  noch  alles  Alte  mit  Stumpf 
und  Stiel  auszurotten  und  etwas  gänzlich  Neues  an  dessen  Stelle  zu  setzen 
sich  vermalsen.  Es  verrichtete  em  Friedenswerk  im  schönsten  Sinne  des 
Wortes;  es  vereinte,  wie  es  der  persönliche  Einfluis  des  Verfassere  so  oft 
auf  den  Phiiologentaeen  eetan  hat,  ehrliche  Gegner,  die  auf  verschiedeneD 
Wegen  doch  demselben  nohen  Ziele  zustreben.  Und  ein  Friedenswerk 
bleibt  dem  Buche  auch  nach  seinem  neuen  Erscheinen  zu  verrichten.  Der 
Kampf  ist  von  neuem  entfacht:  der  Königsberger  Zeit-  und  Streitschrift 
nach  könnte  man  glauben,  die  einst  Triumphierenden  seien  jetzt  in  vollem 
Kfickzuffe  begriffen,  alle  die  Arbeit,  die  sie  getan  haben,  sei  nur  von 
schädlicner  Wirkung^ gewesen,  nur  in  einer  Rückkehr  zum  alten  Zustande 
bestehe  das  wahre  H31.  Beaktion  und  Gegenreaktion.  Ehrliche  Gegner 
werden  sich  wieder  in  Hinblick  auf  das  gleidie  hohe  Ziel  zusammenfinden. 
Arbeit  bleibt  nie  ohne  Nutzen;  so  begästertes  Streben  kann  fehlen  und 
über  das  Zid  hinaustreffen,  aber  nicht  verloren  gehen. 

Münchs  Buch  war  ein  grofses  Ereiniis  in  der  Geschichte  der  Bestre- 
bungen um  die  Gestaltung  nicht  bloß  des  französischen,  sondern  des 
ganzen  neusprachlichen  Unterrichtes.  Wenice  Schriften  sind,  glaube  ich, 
nach  1895  auf  diesem  Gebiete  erschienen,  die  nicht  von  den  hier  fest- 

geleeten  Ergebnissen  ausgehen,  nicht  zu  den  hier  aufgeworfenen  Fragen 
Stellung  nehmen.  Hat  das  Buch  einen  Boden  geechanen,  auf  dem  recht 
verschiäenartiee  Ansichten  zusammentreffen  können,  so  ist  dies  doch  nicht 
durcdi  schwäcluiche  Kompromisse  fl;eschehen,  durch  die  kein  dauernder 
Friede  zustande  kommt  Der  Verfasser  wirkt  durch  die  guten  Gründe, 
mit  denen  er  seine  Ansichten  zu  stützen,  die  er  abweichenden  ent^^en- 
zustellen  weüs,  durch  das  hohe  Gerechtigkeitsgefühl,  das  ihn  auszeiclmet, 
durdi  den  vornehmen  Ton,  der  sich  ruhige  Entgegnung  erzwingt.  Infolge 
seines  eigenen  E^twickelungseanges  steht  Mün<£  mitten  in  der  unterricht- 


Gesamtorgani 

'Oft  war  dasjenige  in  Wahrheit  Streit  um  das  Ziel,  was  als  Streit  um 
die  Metiiode  angesehen  und  durchgeführt  wurde'  (S.  8).  Wie  bei  jedem 
Unterrichtsfache,  so  kommen  beim  französischen  drei  Momente  mitdnander 
zur  Geltung:  'Der  Wert  der  inhaltlichen  Aneignung  oder  des  stofflichen 
Besitzes,  die  Ausnutzung  zu  formaler  Schulung  und  die  ideal  anregende 
Kraft'  (S.  4).  Die  drd  Bestandteile  sind  zu  verschiedenen  Zeiten  ver- 
schieden betont,  oft  ist  eins  dem  anderen  zuliebe  vernachlässigt  worden. 
Ein  Gleichgewicht,  soweit  es  bei  der  Natur  jedes  einzelnen  Faches  mög- 
lich ist,  herzustellen,  soll  das  Ideal  des  Lehrers  sein,  und  bei  der  Lösung 
dieser  Aufgabe  will  ihm  die  reiche  Erfahrung  des  Verfassers  helfen. 

Welches  sind  die  älteren  Unterrichtsweee  gewesen,  welche  Erwägungen 
haben  zu  den  neueren  Bestrebun^n  gefünrt?  ^Sicherheit  des  Könnens 
und  geistige  Bildung'  ist  unser  Ziel,  sollte  es  sein.  Wir  haben  das  letz- 
tere Ziel  mit  allen  gemeinsam;  wir  legen  auf  das  erstere  mehr  Gewicht, 
als  es  nach  gewissen  Richtungen  früher  allgemein  Brauch  war.  Knapper, 
klarer,  umsichtiger,  vollständiger  als  (S.  15—19)  die  'schwebenden  JBin- 
zelfragen'  formiüiert  sind,  die  auf  den  verschiedensten  Gebieten  unseres 
Faches  zur  Erörterung  stehen,  scheint  mir  eine  Gesamtdisposition  des 
Ganzen  kaum  gefi^eben  werden  zu  können.  Die  Erörterung  aUes  Wesent- 
lichen, auf  das  sidi  die  Fragen  beziehen,  bildet  den  Inhalt  der  folgenden 
Kapitel.    Jedermann,  der  die  erste  Auflage  kennt,  weüs,  in  wie  ausfuhr- 


248  Benitdliingeii  und  knne  Anzeigen. 

lieber  nnd  grfindlicher  Weise  die  nach  den  EinseldiBziplinen  (Anesprache, 
Sprechen,  AnBchauanfBunterricht,  Grammatik,  schrifthche  Arbeiten,  Lek- 
türe, Wortschatz,  NeBengebiete:  Synonymik,  Stilistik  nsw.)  geordneten 
Abschnitte  den  G^eeamtstoff  behanaeln.  So  ausgeprägt  der  Standpunkt 
des  Verfassers  ist,  Anhänger  und  (Gegner  werden  mit  gleichem  Nutzen 
seinen  Erörterungen  folgen,  und  es  wird  kaum  eine  wichtige  Frage  geben, 
in  der  man  sich  vergebens  an  den  umsichtigoi  Berater  wendet.  I^  grofse 
Zug,  der  durch  die  einleitenden  Betrachtungen  ging,  zeigt  sich  aucn  bei 
der  Erörterung  der  Einzelfragen.  Nie  yerlieren  wir  den  Zusammenhang 
aus  den  Augen.  Jeder  einzelnen  Betätigung  des  nach  so  vielen  Seiten 
hin  sich  erstreckenden  sprachlichen  Unterrichtes  weifs  der  Verfasser,  nach 
sorgfältiger  Abwägung  seiner  Bedeutung  fflr  das  Endziel,  den  gebührenden 
Platz  anzuweisen,  ^e  möglichen  Einwendungen  kommen  zur  Sprache, 
das  Für  und  Wider,  das  sich  aus  Umfang  des  Stoffes,  Stundenzahl,  Vor- 
bildung des  Lehrers  (s.  bes.  S.  46  ff.)  wie  des  Schülers  ergeben  könnte, 
wird  sorgsam  geprüft.  So  sehr  die  Erörterung  bei  jeder  Disziplin  ins 
einzelne  geht,  verliert  sie  doch  nie  darum  die  grolsen  Gesichtspunkte  aus 
den  Au^n ;  sie  berücksichtigt  auch,  nachdem  sie  das  Ideal  ningestellt, 
vorsichtig  die  oft  grausame  Wirklichkeit ;  sie  weist,  ohne  darum  berech- 
tigtes Streben  zu  entmutigen,  Übertreibungen,  die  sich  durch  Übereifer 
für  neuerschlossene  Gebiete  (z.  B.  Phonetik)  nach  gewissen  Seiten  hin  er- 
geben haben,  in  die  Schranken  zurück. 

Die  'Fragen',  die  in  der  ersten  Auflage  etwa  anderthalb  Sdten  füllten 
(8  und  9),  nehmen  trotz  ihrer  knappen  Fassung  in  der  neuen  Auflage 
fast  fünf  Seiten  des  grolsen  Formates  ein.  Entsprechend  grölseren  Baum 
braucht  natürlich  auch  ihre  Erörterung:  das  Buch  hat  jetzt  im  ganzen 
179  Seiten  statt  der  107  der  ersten  Fassung.  Eine  Erweiterung,  Berddie- 
rung,  eine  Umformung,  die  die  fortgesetzte  Arbeit  auf  diesem  Grebiete 
zei^,  haben  fast  alle  Kapitel  erfahren;  der  Literaturnachweis  am  Ende 
beweist,  wie  aufmerksam  der  Verfasser  auch  in  seinem  sehr  veränderten 
Wirkung^Jcrdse  neueren  und  neuesten  Erörterungen  zu  folgen  gewuist  hat. 

Die  Änderungen,  die  die  neue  Auflage  erfahren  hat,  schdnen  mir  im 
letzten  Grunde  weniger  grundsätzlicher  Natur  zu  sein  als  solche  —  sei  es 
Ebrweiterungen,  sei  es  Einschränkungen  — ,  die  fortgesetzte  Überlegung 
und  mehr  noch  Er^EÜirungen  der  Praxis  mit  sich  gebracht  haben  und 
weiter  mit  sich  bringen  werden.  Schon  ein  Vergleich  der  vorangeschickten 
Fragen,  die,  wie  ich  schon  sagte,  den  Plan  des  Buches  geben,  zeigt,  wie- 
viel Neues  die  sieben  Jahre,  die  zwischen  den  beiden  Ausgaben  li^en, 
angeregt  haben,  wieviel  Erwägungen  hinzugekommen  sind,  wie  manäes 
zum  säieinbar  definitivem  AoscUufs,  manches  wieder  zum  Schwanken 
gebracht  worden  ist.  So  ist,  um  nur  ein  paar  Beispiele  zu  geben,  im 
Kapitel  über  die  Aussprache  neben  vielen  Einzelheiten  (Dauer,  ^  27)  und 
Erweiterungen  (Richtigkeit  der  Einzellaute,  §  23),  besonders  die  E^rte- 
run^,  ob  'familiär  oder  akademisch',  ganz  umgearbeitet  und  zu  einer  'Ent- 
scheidung* (8.  28)  geführt  worden.  Die  Bedenken,  die  Verf.  schon  früher 
den  durch  Passy  nervorgerufenen  Übertreibungen  entgegoisetzte,  sind 
(Eoschwitz  wird  zitiert)  zu  einer  ausführUdien  Zurückweisung  des  extre- 
men Standpunktes  geworden,  wobei  der  verschiedenen  Stilarten,  der  all- 
gemeinen Fertigkeit,  der  EntwickelunK  des  Schülers  in  gleichem  Ma&e 
Kechnung  getragen  wird.  Noch  eröfiere  Erweiterung  hat  das  Kapitel 
über  die  'Sprechübungen'  in  dem  Zusatz  S.  45 — 50  und  dem  neuen  Ab- 
schnitt üb^  den  'Anschauungsunterridit'  (S.  50 — 56)  erfahren.  Ja,  der 
Besitz  der  fremden  Sprache,  die  Fertigkeit,  sich  ihrer  zu  bedioien,  ist 
und  bleibt  eins  der  Ziele,  die  uns  der  Verfasser  vorschreibt.  'Wenn  dieses 
Können  nicht  am  Wege  auf^rafft,  nicht  auf  zufällige  und  äufserliche  Art 
angeeignet  worden,  unter  einer  schulmäfsigen  Zucht  und  Überwachung 
und  in  planvollem  Stufengang  erworben  woraen  ist,  dann  ist  es  auch  vom 
erzieherischen  Standpunkt  aus  etwas  recht  Schätzbares'  (S.  40) ;  und  'alles 


BearteÜTiiigen  und  Hirae  Anzefgen.  249 

in  allem  kann  ich  überhaupt  nicht  nmhin,  einen  französischen  Unterricht, 
der  dem  Sprechen  der  fremden  Sprache  eine  solche  breite  Bolle  einräumt, 
für  den  yollkommneren  zu  erklSren,  für  diejenige  Form,  welche  eigentlich 
verwirklicht  werden  müfste  —  wofern  es  die  persönlichen  Be- 
dingungen ermöfrlichen  und  der  nOtige  Tiefgang  des  Unter- 
richts gewahrt  wird'  (S.  47).  Verf.  warnt  davor  —  mieten  wir  auch 
diese  seine  Stimme  hören  — ,  Meinungsverschiedenheiten  auf  diesem  Ge- 
biete gleidi  auf  Böswilligkeit  und  Unfähigkeit  zurückzuführen.  Es  sei 
beiden  Lagern  zugerufen.  Wie  die  Sprechübungen,  unter  nötiger  Wahrung 
des  Tiefganges,  nicht  nur  den  Unterricht  b^leiten,  sondern  ihn  durdh- 
ziehen  können,  wird  in  mustergültiger  Weise  an  dem  ganzen  Gange,  ins- 
besondere für  den  Anschauungsunterricht  mit  seinen  verschiedensten  Hilfs- 
mitteln gezeigt,  wobei  die  'Grenzen  für  Wert  und  Ziele'  nicht  übersehen 
worden  sind.  Dafs  überall  der  nötige  Tiefgang  zu  wahren  ist,  lehren  uns 
die  Kapitel  über  die  Grammatik  wie  üb^  die  Lektüre.  Auch  hier  finde 
ich  wohl  weitere  Ausführungen,  aber  keine  grundsätzlich  veränderte  Stel- 
lungnahme. Dafs  der  Grammatik  eine  andere  Rangstellung  als  vielfach 
bisher  angewiesen  wird,  verhindert  ebensowenig  die  Schätzung  ihres  Wertes 
und  ihrer  Wichtigkeit  für  den  bildenden  Unterricht,  wie  der  Umstand, 
dafs  viele  Vorschriften,  die  sich  von  Lehrbuch  zu  Lehrbuch  fortschleppten, 
ohne  in  der  Sprache  eine  Daseinsberechtigung  zu  finden,  jetzt  über  Bord  ge- 
worfen sind,  was  ja  nebenbei  auch  in  neueren  griechischen  und  lateinischen 
Grammatiken  geschehen  ist.  Dafs  die  induktive  Methode,  wenn  sie  wirk- 
lich ernst  betrieben  wird,  und  soweit  sie  bei  der  uns  zur  Verfügung  ste- 
henden Zeit  möglich  ist,  nicht  blols  einen  schöneren  Weg'  darstellt,  son- 
dern auch  zu  erfreulicheren  Besultaten  als  der  alte  Grang,  von  der  'B^el' 
zur  Anwendung,  führt,  scheint  mir  keinem  Zweifd  zu  unterliegen.  Man 
nehme  nicht  immer,  wenn  das  Lob  der  'alten  grammatischen  Methode' 
gesungen  wird,  die  Leistungen  einzelner  treäfflidier  Lehrer,  die  an  der 
Hand  jedes  Lehrbuches  den  Gdst  der  Sprache  erkennen,  sagen  wir  be- 
scheidener, das  Wesen  einer  sprachlichen  Erscheinung  erkennen  lassen 
konnten.  Nehmen  wir  die  verbreitetsten  Lehrbücher,  Plötz  etwa  und 
Gesenius  in  der  älteren  Gestalt,  und  fragen  wir,  was  der  Durchschnitts- 
unterricht mit  diesem  Wirrwarr  von  fertig  gegebenen  'Regeln',  deren 
eigentlich  keine  einzige  sich  mit  der  doch  Leuten  wie  PlÖtz  sicher  ver- 
trauten Erscheinung  deckte,  für  eine  wirkliche  Greistesschulung  anzufangen 
wufste.  Ich  weifs  wohl,  dafs  der  grammatische  Teil  mandier  als  sehr 
'praktisch'  erkannter  neuer  Lehrbüdier,  wenn  auch  nicht  schlechter  als 
die  alten  Arbeiten,  so  doch  sehr  fem  von  einem  Ideal  ist,  wdfs  aber 
auch,  dafs  für  die  meisten  Fachlehrer,  mögen  sie  noch  so  entschie- 
dene 'Reformer'  sein,  mögen  sie  auch  der  Fertigkeit  einen  noch  so  gro- 
fsen  Wert  beilegen,  doch  Tobler  nicht  vergebens  gelehrt  und  Lücking 
nicht  umsonst  seine  'Schulgrammatik'  geschrieben  hat.  Mit  der  An- 
ordnung des  Stoffes  in  konzentrische  Kreise  bin  ich  voll  einverstanden, 
möchte  sie  z.  B.  auch  auf  die  Formenlehre  des  Verbs,  wo  der  An- 
schauungsunterricht zuerst  nur  eine  Erlernung  der  Präsensformen  aller 
gebräuchlichsten  Verben  erfordert,  übertragen  wissen,  was  meines  Er- 
achtens  diesen  schwierigen  Ge^renstand  bedeutend  erleichtem  würde.  Auch 
für  die  Art,  wie  der  Unterridit  vertieft,  wie  die  Ergebnisse  der  Wissen- 
schaft zur  Aufhellung  verwandt  werden  können,  sind  kostbare  Winke  ge- 
geben. Und  in  der  Erörterung  über  die  Notwendigkeit,  das  Mafs,  den 
Nutzen  der  iinrammatischen  Übungen  zeigt  sich  wie  überall  die  klare  Be- 
sonnenheit, die  das  einmal  klar  erkannte  Ziel  im  Auge  behält,  ohne  sich 
von  verführerischen  Phrasen  ('das  Obersetzen  ist  eine  Kunst,  die  die  Schule 
nichts  angeht')  täuschen  zu  lassen.  'Ein  wirklich  völliges  Nebeneinander- 
gehen der  Muttersprache  und  der  fremden  im  Bewufstsein  kann  demjenigen 
nicht  als  das  Wünschenswerte  erscheinen,  der  an  das  Bedürfnis  eines  ein- 
heitlichen|Bewulstseins,  eines  klaren|und  geschlossenen  Vorsttllungslebenß 


250  Beorteiliiiigea  and  kmze  AnMigea. 

für  die  Schule  denkt'  (S.  69).  Die  als  <iioeh  offen'  hingeBteUte  Frage,  ob 
auch  die  Giammatik,  wenigitene  auf  der  Obostufe,  in  der  fremden 
Sprache  zu  behandeln  sei,  möchte  ich  des  Schulen  we^,  wie  die  'Lehr- 
pläne', mit  einem  Nein  beantworten.  Das  Mafii  der  geistig  Arbeit,  das 
meines  Erachtens  bei  einem  guten  grammatischen  Untemchte  yon  dem 
Aufnehmenden  verlangt  wird,  scheint  mir  jede  weitere  Erschwerung  durch 
das  fremde  Idiom  auszuschlieisen.  Natürlich  sind  die  neueren  Bestim- 
mungen für  französische  Schulen  in  bezug  auf  orthographische  und  gram- 
matische Eligentümlichkeiten  erwähnt  weraen  und  wird  ihre  Berückmchti- 
gung  auch  uns  auferlegt 

Dem  Kapitel  über  die  schriftlichen  Arbaten  ist  ein  besonderer  Ab- 
schnitt 'Briefe'  und  eine  kurze  Erörterung  über  den  Bridwedbsel  zwisdben 
Schülern  verschiedener  Nationen  hinzufügt  worden.  Sorefäitiges  Ab- 
wägen, bevor  zu-  oder  abgesprochen  wird,  zdchnet  audi  oiese  Erörte- 
rungen aus,  die  in  zweifelnaften  Dingen  der  Eigenart  der  Schüler  wie 
der  lichrer  volle  Freiheit  zu  lassen  sich  bemühen. 

und  dann  kommen  wir  zu  dem  schwierigsten  Kapitel  des  sprach- 
lichen Unterrichts,  der  Lektüre.  Noch  gründlicher  und  ausführlicher 
als  bisher  bemüht  sich  der  Verfasser,  sich  mit  den  verschiedensten  Grund- 
sätzen, nach  denen  zunächst  die  Wahl  der  Lektüre  getroffen  wird,  aus- 
einanderzusetzen. Er  erwägt  den  traditionellen  Standpunkt,  den  idea- 
listisch-moralischen, den  humanistischen,  wissenschaftlichen,  literarhisto- 
rischen, sprachlichen,  ethnolonschen,  wie  in  der  alten  Auflage,  jedoch 
ausführlicher  und  mit  Hervorheoung  dw  Tatsache,  dais  die  letz^enannten 
sehr  erstarkt  sind  und  nun  vor  allem  im  Sinne  des  praktischen  Bedürf- 
nisses selten  sollen.  'Solche  Bücksicht  mit  derjenigen  auf  bildende  Wir- 
kung ^ies  nur  weniger  in  einem  abstrakten  Sinne  genommen  als  früher 
üblich)  zu  verbinden,  muls  möglich  sein.'  Wie  wünschenswerter  Freiheit 
durch  die  Rücksicht  auf  Schule  und  Klasse,  auf  Lebensalter  und  Be- 
fähigung ebensosehr  wie  durch  allgemeine  im  Früheren  entwickelte  Ge- 
Sichtspunkte  Beschränkung  auferlegt  wird,  zeigen  nach  den  {grundsätz- 
lichen Erörterungen  auch  die  Einzelausführungen  über  die  Stof£reise  und 
Einzelstoffe  (S.  94<-104).  Dais  man  hier  am  häufiraten  Einwendungen 
erheben  und  Zusätze  machen  möchte,  ergibt  sich  aus  der  Natur  der  Sacne ; 
jedoch  wird  man  auch  da  die  erstrebte  Objektivität  des  Urteils  anerkennen 
und  selbst  bei  seinen  Lieblingsautoren  sich  gerechten  Bedenken  nicht  ver- 
schlieüsen  können.  Nur  eine  Absdiätzung  scheint  mir  zu  hart  und  ein- 
seitig zu  sein,  die  über  die  poetische  Literatur  der  Franzosen:  'Die  Poesie 
der  Franzosen  ist  nicht  unsere  Poesie,  ihr  Feuer  macht  uns  nicht  er- 
glühen, ihr  Pathos  bew^  uns  nicht  im  Innersten.'  Ich  glaube,  hier  ist 
zu  ausschliefslich  die  bei  uns  in  Deutschland  bevorzugte  Schulpoesie  ins 
Auge  gefafst  worden,  die  epische  Stoffe  natur^mäls  oevorzugt,  und  in 
der  das  Pathetische  einen  zu  grolsen  Platz  einnimmt.  Ich  glaube  schon 
bei  den  Romantikern,  in  den  Naturstimmungen  Lamartines,  den  klonen 
liedem  Mussets,  den  menschlich -einfachen  Empfindungseedichten,  die 
auch  in  jeder  Sammlung  Y.  Hugos  zu  finden  sind,  besonders  dann  aber 
bei  SuUy  Prudhomme  und  den  neueren  Lvrikem,  die  allerdings  zum  Teil 

germanisches  Blut  in  den  Adern  haben,  dicnterische  Erzeugnisse  zu  finden, 
ie  sich  den  Perlen  jeder  anderen  Literatur  an  die  Seite  zu  stellen  vermögen. 
Bei  der  Behandlujig  der  L^türe  ist  jetzt  eine  grundsätzliche  Er- 
örterung der  'Frage  ob  Ül^rsetzen  oder  Nichtübcnetzen'  hinzugekommen : 
'die  Deutung,  Übersetzen  oder  Umsetzen?'  Nachdem  die  Bedingungen  des 
Verzichts  auf  das  Übersetzen  —  und  ihrer  sind  nicht  wenige,  una  sie  zu 
erfüllen,  ist  nicht  leicht  —  entwickelt  worden  sind,  wird  eine  Vermitte- 
lung  anzubahnen  versucht,  indem  die  beiden  Wege^als  nacheinander,  dann 
nebeneinander  empfohlen  werden:  'doch  soll  die  Übung  an  und  mit  dem 
fremden  Text ^  schon  auf  dieser  (Unter-)Stufe  den  breiteren  Raum  ein- 
nehmen, die  Übersetzung  immer  nur  als  Hilfe  empfunden  werden,  nicht 


BeurtahiDgen  und  kurze  AnseigeD.  251 

als  Zweck  und  Ziel.'  Man  sieht  deutlich  den  fartBchrittUchtti  Standpunkt 
des  Verfassen ;  dem  Wunsche  aber,  dafii  das,  was  bei  grofser  Kunst  mög- 
lich ist,  in  Zukunft  einer  weit  grölseren  Zahl  von  Leli^ni  als  jetzt  mög- 
lich werde,  tritt  doch  der  weise  Bat  zur  8eite  (108),  dais  fOrs  erste  die 
Mehrzahl  am  richtigsten  es  noch  nicht  wagen  m5ge.  Unrecht  wäre  es, 
wenn  'das  Lossagen  bei  unzulänglicher  Kratt  geschähe,  dn  Fliegenwollen 
ohne  rechte  Flügel  n09).' 

Wie  bei  dem  folgenden  Kapitel  fiber  den  'Wortschatz'  ein  Abschnitt 
'Erweiterung  der  Aufgabe'  hinzuj^ekommen  ist,  der  ein  Inbeweffungsetzen 
des  Stoffes  durch  allerlei  Gruppierungen  behandelt,  einen  Blick  auf  die 
Wortbildung,  Wortgeschichte  und  die  Bedeutungsentwickelung  wirft,  und 
von  ihrer  Verwendbarkeit  für  den  Unterricht  spricht,  so  haben  auch  die 
Erörterungjen  über  die  Nebengebiete  (Synonymik,  Stilistik,  Verslehre,  Lite- 
raturgeschichte, Sprachgeschichte)  manche  Bereicherung  im  einzelnen  er- 
fahren, sind  auch  um  ein  ganzes  Kapitel  'Kulturgeschichte  und  Landes- 
kunde' vermehrt  worden. 

In  dem  dritten  Teil:  'Die  Organisation  des  Unterrichts'  ist  (8.  149) 
ein  Abschnitt  über  die  'Höheren  Mädchenschulen'  hinzugekommen,  der 
der  natürlichen  Wesensanhu»  der  Mädchen  in  kurzen,  aber  treffenden  Be- 
merkung fferecht  zu  weraen  versucht;  ein  Anhang  (8.  158)  behandelt 
achlieishch  'Die  Person  des  Lehrers'.  Dals  am  Ende  die  Fachliteratur  in 
ihren  wichtigsten  E^rscheinungen,  nach  Gebieten  geordnet,  bis  auf  die 
Gegenwart  fortgeführt  worden  ist,  erwähnte  ich  bereits. 

Ich  habe  den  reichen  Inhalt  des  Buches  nicht  erschöpfen  können, 
brauche  es  auch  nicht,  denn  jeder  Fachmann  kennt  es.  ich  hätte  die 
beiden  Auflagen  Zeile  fflr  Zeile  vergleichen  müssen,  um  festzustellen,  wie- 
viel im  einzemen  hinzugekommen  ist  Ich  habe  nur  die  Hauptsachen  er- 
wähnt, die,  die  bei  der  Lektüre  der  zweiten  Auflage  jedem  auffallen,  der 
die  GManken  der  ersten  sidi  zu  eigen  gemacht  hat  Ich  weiüai  nicht,  ob  ich 
fiberall  die  Unterschiede  richtig  geSroffen  habe,  denn  auch  so  habe  ich  nicht 
Seite  für  Seite  vergleichen  woUen,  sondern  mich  auf  das  verlassen,  was  das 
ans  dem  Buche  Erarbeitete  in  mir  geworden  war.  Auch  die  zweite  Auf- 
lage wird  in  jedes  Fachmannes  Hand  und  so  die  Nachprüfung  leicht  sein. 

Man  weiiB  nicht,  was  man  an  dem  Buche  mehr  bewundern  soll,  die 
^wältige  Arbeitsleistung  oder  die  Bescheidenheit,  mit  der  die  Vorrede  es 
in  die  Welt  schickt  ü&chten  wir  aus  beiden  lernen.  Ist  es  nötig,  bei 
jeder  Kleinigkeit  vom  Sachlichen  aufs  Persönliche  zu  gehen?  Da  wird, 
um  nur  ein  Kürzliches  Beispiel  zu  geben,  an  der  einen  Stelle  mit  den  E^- 
wendungen  g^en  die  schon  we|;en  ihrer  Seltenheit  harmlosen  Vorlesungen 
durch  nationale  Rezitatoren  eleich  von  den  'Stellungen  gesprochen,  welche 
neuerdinffs  anfangen,  wackeOg  zu  werden'  {Zeüamrifl  für  franxösischen 
und  engBsöhen  Imterricht  IV,  3,  193).  Flugs  tönt  es  von  der  anderen 
Seite  zurück,  dais  möglicherweise  der  Lehrer  4n  den  Augen  der  Schüler 
bei  einem  Vereleidi  mit  dem  Bezitator  allzu  ungünstig  aoschneiden  und 
seine  eigene  Stellung  womöglich  erschüttert  sehen'  könne  (Hartmann, 
MiÜeüungen  der  deutschen  ZofUrdUteUe  für  fremdspraehltehe  ResUUUwneny 
No.  19,  S.  10).  Man  vergleiche  einmal,  mit  welcher  vornehmen  Buhe 
Münch  ganz  anders  tiefgenende  Meinungsverschiedenheit  zur  Sprache  zu 
bringen  weiGs,  und  man  wird  endlich  einmal  aufhören,  was  den  Gründen 
an  Durchschlagskraft  fehlt,  durch  die  Kraft  der  Ausdrücke  zu  ersetzen. 

Die  zweite  Auflage  der  ^Methodik  und  Didaktik'  Münchs  möge  uns 
allen  ein  täglich  gebrauchtes  Handbuch  werden. 

Berlin.  Theodor  Engwer. 

Arnold  Schröer^  Prof.  Dr.,  Die  Fortbildung  der  neusprachlichen 
Oberlehrer  und  das  EngliBche  und  Französische  Seminar  an 
der  Handeb-Hochschule  in  Köln,    (Sonderabdruck  aus  der  Fest- 


252  Beaitdlnngen  und  Yune  Anzeigen. 

Schrift  znm  XI.  Deutschen  Neuphilologentagei  Pfingsten  1894,  in  Eöhi.) 
Köln  a.  B.,  Panl  Neubner,  1904. 

Auch  für  den  sich  dem  praktischen  Lehrberuf  an  der  Schule  zuwen- 
denden junfi^en  Mann  ist  die  üniversitfit  nicht  das  Ende,  sondern  der 
Anfang  seiner  wissenschaftlichen  Arbeit,  sie  ist  die  Einführung  in  das, 
was  den  Inhalt  seines  ganzen  Manneslebens  bildet 

Aus  den  besonderen  Aufgaben,  die  dem  Lehrer  einer  lebenden  fremden 
Sprache  zufallen,  beantwortet  sich  die  fVage  nach  den  Bedingungen  und 
der  Art  seiner  Fortbildung  folgendermalsen :  Sie  muls  eine  Forteetzung 
der  wissenschaftlichen  Sprachbcmbachtung  sein,  wie  sie  auf  der  Universität 
angebahnt  worden  ist.  Dazu  ist  nötig  Gelegenheit  zur  Beobachtung,  d.  h. 
Gelegenheit,  geeignete  Ausländer  dauernd  b^bachten  und  konsultieren  zu 
können.  Dazu  ist  aber  femer  eine  rdche  Fachbibliothek  erforderlich,  die 
die  theoretische  Erkenntnis  jederzeit  zu  fördern  her&t  steht.  Das  Leben 
des  gerdften  Mannes  aber  ist  nicht  Bezeption,  sondern  Produktion.  Pro- 
duktiv kann  auch  derjenige  sdn,  der  nie  eine  Zeile  zum  Druck  befördert; 
auch  der  ist  produktiv,  der  die  überkommene  Erkenntnis  durch  selbstfin- 
diges Denken  weitergestaltet  und  sich  so  zu  einer  fortschreitend  wert- 
volleren Lehrerindividualität  entwickelt  Wir  brauchen  kdne  seichte  prak- 
tische Schul meisterei  in  der  Schule  und  gelehrt  scheinende  Allüren  aufser- 
halb  der  Schule,  sondern  wissensdiafüiche  Anregung  aus  der  Schule  und 
wissenschaftliche  Anregung  für  die  Schule. 

Die  trefflichen  Bemerkungen  des  Verfassers  werden  in  einer  Beihe 
von  Anmerkungen  nach  gewissen  Bichtuneen  hin  weiter  ausgeführt  Nach 
einem  Blick  auf  die  historische  Entwickelung  des  Universitätsunterrichts 
in  unserem  Fache  wird  die  Bedeutung  des  wissenschaftlichen  Studiums 
für  die  Erkenntnis  der  lebenden  Sprache,  das  Verhältnis  von  Wissenschaft 
und  Praxis  beleuchtet  und  gezeigt,  wieviel  gerade  für  die  wandelbare  lebende 
Sprache  wissenschaftlich  für  den  zu  tun  bleibt,  der  beständig  Anregrnng 
dazu  durch  die  Bedürfnisse  seines  Unterrichts  erhält  Sehr  treffend  schdneo 
mir  die  Bemerkungen  über  die  Grenzen  der  Autorität  des  Ausländers,  der 
auch  im  besten  Falle  eben  nur  'Beobachtungsobjekt'  sein  kann,  und  über  das 
Verhältnis  des  wissenschaftlichen  Vertreters  des  Faches  zu  seinen  Lektoren. 

Dafs  dieser  so  char^terisierten,  notwendigen  Weiterbildung  des  Leh- 
rers neue  Möglichkeiten  zu  den  bisherieen,  den  im  Amte  befindlidieii 
Männern  nur  selten  erreichbaren,  geschaffen  werden,  sollten  alle  meines 
Erachtens  mit  Freuden  begrüisen.  Und  wenn  die  Bedingungen  dafür, 
hervorragende  Fachgelehrte,  geeignete  fremde  Lektoren,  reiche  Bibliotheken, 
dank  der  Opferwilliekeit  städtisäier  Eörpersdiaften  zusammenkommen,  so 
scheint  es  mir  natürlich  im  öffentlichen  Interesse  geradezu  geboten,  dafs 
diese,  wenn  auch  ursprünglich  vielleicht  zu  Sonderzwecken  vereinten 
Kräfte  nach  den  verschiedensten  Seiten  hin  fruchtbar  gemacht  werden. 
In  voller  Erkenntnis  dessen  hat  sowohl  SchrÖer  der  Handels-Hochschule 
in  Köln  wie  Morf  der  Sozial -Akademie  zu  Frankfurt  a.  M.  Kurse  anzu- 
gliedern sich  bestrebt,  die  Vereinigungspunkte  für  die  neusprachlichen 
Lehrer  nicht  nur  der  Stadt,  sondern  der  Provinz  geworden  sind.  Das 
philologische  Seminar  in  Köln,  das  sich  bei  Vorträgen  und  Diskussionen 
in  fremder  Sprache  auch  weiteren  Kreisen,  MittelschuUehrem  und  Lehre- 
rinnen öffnet,  will  in  wissenscht^licher  Weise  der  Praxis  dienen,  ähnlich 
wie  jetzt  auch  anderen  gelehrten  Berufen  (den  Medizinern  z.  B.  die  Aka- 
demien für  praktische  Medizin)  Fortbildungsanstalten  nach  der  Universi- 
tätszeit geschaffen  werden.  Das  Frankfiurter  Seminar  hat,  wie  ich  aun 
dem  'Bericht  des  Bektors  über  die  zwei  ersten  Studienjahre,  W.-S.  1900  '02 
bis  S.-S.  1903'  (Jena,  Fischer,  1904)  ersehe,  eine  englische  Sektion. nur  für 
Lehrer,  dag^en  zwei  Abteilungen  in  der  romanisdien  Sektion,  die  unter 
der  LeitnnG:  Morf«  stehen,  'eine^'ffir  Lehrer,  eine  'für  'Studierende  der 
neueren  Sprachen.^  Der  von  der  Unterrichts  Verwaltung  genehmigte  Kursus 


BeurteOimgeii  und  knize  Anzögen.  258 

für  Studierende,  der  ein  Öommer-  und  ein  Wintersemefiter  umfaist,  ist  im 
April  1908  ins  Leben  getreten.  Seither  ist  auch  am  englischen  Seminar 
der  Akademie  eine  Abteilung  für  Studierende  eingerichtet  worden,  und  es 
hat  sich  in  ähnlicher  Gliederung  auch  ein  germanisches  Seminar  zum  ro- 
manischen und  englischen  gefügt. 

Wir  können  den  jungen  Anstalten  auch  in  dieser  über  ihre  Ursprünge 
liehe  Bestimmung  hinausgehenden  gemeinnützigen  Betätigung  nur  von 
Herzen  Glück  wünschen;  der  Buf  ihrer  Leiter  bürgt  für  das  Gelingen  der 
Aulflnbe,  die  sie  sich  gestellt  haben. 

Berlin.  Theodor  Engwer. 

Amftlift  Cesano.    Hans  Sachs  ed  i  suoi  rapporti  con  la  Lettera- 
tura  Italiana.    Boma,  Offidna  poligrafica  Italianai  1904.    108  S.  gr.  8^. 

Es  freut  mich  immer,  wenn  Ausländer  sich  die  deutsche  Literatur 
zum  Arbdtsfelde  wählen,  vorausgesetzt  natürlich,  dsSa  sie  sich  ihrer  Auf- 
gabe gewachsen  zeigen  und  entweder  die  Forschung  weiterführen  oder 
doch  eine  das  Thema  beherrsdiende  geistvolle  Zusammenfassung  der  bis- 
herigen Forschungsergebnisse  darbieten.  Die  vorliegende  Arbeit  ist  zwar 
löblich  und  anerkennenswert  in  der  Absicht,  aber  leider  in  der  Ausfüh- 
rung nach  beiden  Seiten  hin  wenig  glücklich. 

Schon  die  beigegebene  ^Bibliografia'  lälst  das  erkennen.  Sie  ver- 
zeichnet verschiedene  brauchbare  Werke,  aber  daneben  auch  teils  recht 
Teraltete,  teils  wertlose,  teils  durch  moderne  Leistungen  langst  überholte, 
so  z.  B.  0.  Haupt,  Leben  und  diehterisehe  Wirksamkeit  des  K  Saehs,  1868 ; 
Lützelberger,  E,  SachSf  1874;  R.  Gen^e,  H,  Sachs,  1888;  Westermeyer, 
H,  SaehSf  der  Vorkämpfer  der  neuen  Zeit,  1874,  usw.;  oder  Werke,  die  mit 
den  einschlägigen  Fragen  weniff  oder  nichts  zu  tun  haben,  so  z.  B.  Bla- 
sis  Della  mta  e  delle  opere  di  Pierre  deÜe  Vigne  (1861);  G<)eÜie8  Elegien; 
L.  Hirzel,  Goethes  Hai.  Heise;  Klein,  Oescktehte  des  Dramas  u.  dgL  mehr. 
Dagegen  fehlen  die  neueren  und  neuesten,  geradezu  unentbehrlichen  Schriften 
und  Ausgaben:  von  der  Ausgabe  der  Werke  des  H.  Sachs  in  der  Biblio- 
thek des  Literarischen  Vereins  sind  nur  die  ersten  von  A.  von  Keller  her- 
ausgegebenen 12  Bände  angeführt,  die  anderen  (Bd.  18 — 25),  von  E.  Goetze 
besorgten,  mit  ihren  wichtigen  Nachträgen  zu  den  früheren  Bänden  fehlen, 
ebenso  E.  Goetzes  Ausgaben  der  Fastnaichtspiele,  der  Fabeln  und  Schwanke 
(Bd.  1 — 5),  seine  Monographie  über  H.  Sachs  in  der  'Bayerischen  Biblio- 
thel^  usw.  Der  Name  des  Altmeisters  E.  Goetze  kommt  —  unglaublich! 
—  nirgends  in  dem  Buche  vor.  Man  vermÜst  ferner  Oh.  Schweitzers 
Buch  über  H.  Sachs,  Dreschers  Abhandlung  K  Saehs  und  Boeeacdo 
(Festschrift  zur  Hans  Sachs-Feier,  hg.  von  Max  Koch),  des  Referenten 
Untersuchungen  über  Quellen  der  Fastnachtspiele,  Fabeln,  Märchen  und 
Schwanke  des  H.  Sachs  {Qermania,  Bd.  .^6  u.  37,  Festschrift  E,  Saehs 
Forsehiungeny  hg.  von  A.  L.  Stiefel  1894,  ZsoJu  f.  vgl.  Literaturgeschichte, 
Bd.  6, 8^  10,  Studien  x.  vgL  Literaturgeschichte,  Bd.  II,  2  usw.),  worin  die  ita- 
lienischen Quellen  einen  breiten  Baum  einnehmen,  und  Goedekes  Orund- 
rifs,  von  anderen  Werken  oder  Abhandlungen,  sei  es  solchen,  die  zum 
H.  Öachs- Jubiläum  1894,  sei  es  solchen,  die  später  erschienen,'  zu  schweigen. 

*  Za  den  Abhandlungen,  die  noch  speziell  für  das  Thema  in  Betraeht  kämen, 
wären  n.  a.  Mae  Mechan,  TU  RekOion  of  B,  Saeht  to  the  Decameron  (Halif.  1889), 
und  W,  Abele,  DU  amtHoBU  (Mkn  de$  H,  Sachi  (Cannstadter  Bealschulprogrammo 
1897,  1899),  zu  sllhlen,  die  indes  beide  nach  Form  und  Inhalt  wenig  empfehlens- 
werte Leistongen  sind,  jener  wegen  seines  pedantischen  Schematismus,  seiner  Seich- 
tigkeit  und  Unvollatftndigkeit,  dieser  durch  seine  schlechte  Anordnung,  seine  trockene 
geistlose  Behandlung,  die  sich  oft  mit  einer  öden  Au&&hlnng  begnügt,  und  dann 
fl«ia  Heranziehen  von  Dichtungen,  die  mit  dem  Altertum  nichts  au  tun  haben 
einerseits  und  seinen  LAcken  anderseits. 


254  Beurtdlnngen  und  knnse  Anidgen. 

Unter  solchen  Umständen  ist  es  erkärlich,  dafe  die  Abhandlung  den 
wissenschaftlichen  Anforderungen  in  keiner  Weise  entspricht.  Cesano  kennt 
nur  einen  Bruchteil  der  in  Betracht  kommenden  Werte  des  Dichters  und 
kennt  nicht  die  über  die  Quellen  des  H.  Sachs  bereits  erschienenen  Ar- 
beiten und  was  über  seine  Schaffen8wei8&  über  sein  Verhalten  den  Quellen 
gegenüber  schon  feststeht.  Anstatt  auf  der  früheren  Forschung  umsichtig 
weiter  zu  bauen,  sucht  die  Abhandlung  mühsam  aufs  neue  das  MateriiS 
zusanuneUy  wobei  viel  wertloses  Gestein  und  Schutt  aufgehäuft,  aber  ge- 
rade das  naheliegendste  beste  Material  vernachlässigt  wird. 

Die  Arbdt  zeugt  noch  von  genügender  Vertrautheit  mit  den  groüsen 
italienischen  Dichtem  der  Frührenaissance,  was  aber  über  den  Nürnberger 
Meistersinger  darin  gesagt  wird,  ist  nur  eine  auf  zum  Teil  flüchtiger  und 
unkritischer  Lektüre  der  angegebenen  Literatur  beruhende  Zusammen- 
stellung, in  der  Richtiges  una  Unrichtiges  untereinander  laufen.  Sicher- 
lich hat  Verfasser  au<£  einen  Teil  der  besnrochenen  Dichtungen  des  H. 
Sachs  gelesen,  dafür  sprechen  schon  die  zahlreichen  Zitate,  ob  aber  immer 
verstanden,  das  muis  ich  bezweifeln. 

In  der  Anlage  der  Abhandlung  ging  Cesano  (im  L  Kapitel)  von  dem 
richtigen  GManken  aus,  'Cenni  biognfici',  d.  h.  Bemerkungen  über  den 
Lebensgang  des  H.  Sachs,  über  das  Milieu,  in  dem  seine  Dichtungen  ent- 
standen, sein  Verhalten  zur  Reformation,  zum  Meistergesang  usw.,  dem 
eisendichen  Thema  voranzustellen.  Der  Plan  der  Arbeit  wäre  soweit  als 
g^ungen  zu  bezeichnen;  es  bleibt  aber  zu  bedauern,  dafii  Cesano  im  Haupt- 
teil der  Arbeit,  im  2.,  8.  und  4.  Kapitel,  so  verfälurt,  als  ob  H.  Sachs  die 
italienischen  Autoren  ohne  Vermittefung  von  Übersetzunffen  'studiert'  habe, 
und  erst  im  5.  Kapitel  mit  der  Frage  nachhinkt:  'Come  Hans  Sachs 
conobbe  le  opere  del  Boccaccio.'  Entschieden  hatte  diese  Frage  voran- 
zugehen, una  Verfasser  durfte  nicht  sowohl  die  Originale  als  vielmehr 
die  Obersetzungen  bei  dar  Vergleichung  mit  dem  Nachahmer  zugrunde 
legen. 

Wenn  ich  jetzt  zu  Einzelheiten  übei|;ehe,  so  will  ich  mich  bei  der 
Aufzählune  der  Unrichtigkeiten,  soweit  sie  die  Biographie  des  Diditers 
und  den  Ji&stersesanff  betreffen,  nicht  aufhalten;  ich  will  auch  nur  neben- 
her bemerken,  dafii  aie  deutschen  Zitate  vielfach  ganz  entstdlt  wieder- 
gegeben sind,  was  nicht  immer  auf  Rechnung  des  Setzers  geschrieben 
werden  darf:*  meine  Bemerkungen  sollen  sich  nur  auf  das  dsentUche 
Thema,  auf  die  Beziehungen  des  H.  Sachs  zu  der  italieniedbien  Literatur 
beschränken.  Als  Quellen  des  H.  Sachs  sind  in  dem  italienischen  Buche 
die  Cknto  naveüe  afUieha,  Petrarcas  De  rebus  memorandis,  De  remeddü 
iärnuque  fortunae,  Itrionfi  und  Le  Epietole,  Boccaccios  De  dairü  muHeri- 
hu8,  De  ecuilma  virarum  tüueiHuTn,  De  Oenealog,  Deorum  und  Füoeolo  be- 
zeichnet Das  ist  einerseits  zu  viel,  anderseits  zu  wenie.  Es  sind  zu 
streichen  die  Oento  noveüe  a$Uiehe,  Petrarcas  Itrionfi  und  Epütole  und 
Boccaccios  De  OenecUoata  Deorum,  welche  H.  Sachs  nicht  kannte.  Dafür 
wären  als  Vorlagen  des  Meisters  anzuführen:  Ph.  Beroaldus,'  Poggio* 
Bracdolini,  Enea  Silvio  Piecolomim,^  PöUdoro  Virgilio,^  femer  ist  es  sehr 
wahrscheinlich,  dafs  Sachs  noch  einige  italienisdie  Schwank-  und  No- 


^  So  z.  B.  gewlA  nicht  SUbentrexmimgeii  wie  folgende:  Spra-chge&ht  (S.  18), 
nttt-slichee  (8.  27),  Ba-aer  (8.  77  bie),  sit-Üiehes  (ibid  ),  6ehw-«nk  (8.  100)  usw. 

*  YgL  meine  Abhandlung  Über  die  Queüen  der  H.  Saehtechen  Dramen  ((?er- 
fiurota  36,  8.  4  ff.)- 

'  Dem  H.  Sachs  deatsch  vorgelegen  in  Steinhöwels  n.  Brant-Adelphua'  Etoptu» 

^  Seine  Eraahlong  von  Eorialae  nnd  Laeretia  bearbeitete  H.  Sachs  dareh  Ver- 
mittelung  des  K.  Ton  Wjle  in  emem  Meistergesang. 

'  Mehiftoh  von  H.  Sachs  ist  seine  durch  M.  Tatins  Alpinns  1687  verdentaehte 
Schrift  De  rerum  mventoribu»  zu  Meisterli^dem  benvtst  worden. 


BenitdlongeD  nnd  kvrse  AoMigen.  255 

yelleDdichtungen,  so  z,  B.  die  FaceÜe  des  Piovano  Arlotto/  durch  die 
Vermittelang  seines  des  Italienischen  kundigen  Freundes  Niclas  Braun 
kennen  lernte.* 

Von  dem  ungeheuren  Einflnis,  den  Boccaccio  durch  seine  drei  Werke 
auf  den  Meistersfinger  ausübte,  hatte  Cesano  bei  weitem  nicht  die  richtige 
Vorstellung.  Auch  das  Über  Petrarcas  Einwirkung  auf  H.  Sachs  Gesa^ 
erschöpft  in  keiner  Weise  den  Gegenstand. 

Um  mein  Urteil  zu  belegeUi  sdireite  ich  sogleich  dazu,  einzelne  Stellen 
aas  der  Arbeit  anzuführen:  S.  10  sagt  Gesano,  dafs  nacn  dem  Erlöschen 
der  Linie  der  Hohenstaufen  'la  letteratura  italiana  e  la  tedesca  rimangono 
estranee  l'una  all'  altra  fino  a  H.  Sachs.'  [Aber  H.  Vintler,  Arigo,  Stein- 
bowel,  A.  y.  Eyb^  H.  Folz,  Seb.  Brant-Adelphus  u.a.?]  Femer :TH.  Sachs 
. . .  senza  aver  vissuto  in  Italia  . . .  sente  il  fasdno  d'una  vita  piü  allegra, 
d'una  letteratura  piü  libera  di  quella  del  suo  paese  e  la  studia  e  innamo- 
ratosene  non  se  auontana  piü.'  Leere  Phrasen  l  Die  italienischen  Autoren 
in  ihren  meist  sehr  holperige  Obersetzuneen  waren  für  H.  Sachs  stoff- 
liche Quellen  nicht  besser  und  nicht  schlechter  wie  seine  anderen.  — 
Falsch  ist,  dafs  dem  H.  Sachs  (S.  19)  'Plauto',  femer  Ambrosio,  Isidoro 
'erano  famigliari'.  —  S.  22  heifst  es:  'Erano  gia  apjparsi  (von  H.  Sachs), 
h  yero  dal  1517  al  1549,  due  o  tre  componimenti  di  questo  genere 
(Dramen)  etc.'  Das  ist  unrichtig.  Bis  1549  hatte  Sachs  bereits  18  Fast- 
nachtspiele und  20  Tragödien  b^w.  Komödien  geschrieben.  —  S.  29  lesen 
wir  yon  H.  Sachs:  'attirayano  pure  la  sua  attenzione  i  primi  nostri 
Bcritti  in  yolgare  . . .  e  lo  accendeyano  d'entusiasmo  i  grandi  uma- 
nisti  italiani  del  secolo  XIV.  Gosi  conobbe  e  in  parte  rese  note  al 
sno  popolo  Le  navelle  antiche  ...  Le  n.  antiche  lo  attraeyano  per  la 

STofonda  psicologia  e  per  la  morale  che  racchiudono  etc'  Alle 
ieee  Dinge,  yon  denen  die  H.  Sachs-Forschung  nichts  weiis,  kann  Gesano 
nur  auf  übernatürlichem  Wege,  etwa  durch  ein  nfichtliches  Gesicht  er- 
fahren haben.  —  Eigentümlich  ist  folgende  Motiyierung  (S.  43):  'H.  Sachs' 
ammiro  le  opere  del  Petrarca,  ma  egli  non  pot^  e  non  yolle  fermarsi  a 
Inngo  sul  mnde  Aretino,  sia  forse  perch^  dolente  di  non  poterne 
leggere  il  Ganzoniere,  sia  perch^  quanto  alle  idee  reli^ose,  si  sentiya 
troppo  lontano  dal  poeta.'  Ich  nalte  es  nicht  für  nötiff,  hier  etwas  hinzu- 
ztirugen.  —  S.  45  zahlt  Gesano  die  Spiele  *Wte  QoU  der  Herr  Adam  und 
Skfa  ihre  Kinder  segnet  ed  anche  Die  imaleichen  Kinder  Eva*  (maü  heüsen 
Eye)  unter  die  besten  Dramen,  'che  H.  S.  ha  oomposto  ispirandosi  all 
antico  testamento.'  Dafs  der  Dichter  sich  hier  nicht  aus  der  Bibel, 
sondern  aus  anderen  Quellen  seine  Inspiration  geholt  hat,  ist  langst  be- 
kannt (ygJL  Oertnania,  H.  S.  83 — 35).  — -  *Frau  Warheü  will  niemandt  Her- 
bergen —  heifst  es  6.  45  weiter  —  fu  composta  su  di  un  capitolo  delle 
Beeiemmie  e  cose  serie  del  Pauli.  Baccontono  il  Pauli  ed  H.  Sachs 
come  le  quattro  donzelle  —  Iniis  Aqua  Aer  e  Veritas  stabiliBB.ero  d'infor- 
marsi  k  yicenda  delle  loro  seai  etc.'  Hieran  ist  erstens  die  Übersetzung 
begiemmie  für  Sehimpf  (und  Ernst)  —  also  lautet  bekanntlich  der  Titel 
yon  Paulis  Schwankbuch  —  falsch  und  zeugt  yon  ungenügender  Kenntnis 
der  deutschen  Sprache  des  16.  Jahrhunderts.  Gesano  hätte  soherxd  oder 
hurle  schreiben  müssen.  Dann  ist  es  nicht  wahr,  dafs  in  Sachsens  Spiel 
die  'quattro  donzelle'  yorkommen,  Gesano  hat  offenbar  das  Stück  nicht 
gelesen.  —  S.  SO  wird  Sadisens  Schwank  Der  heeker  mit  den  dreyen  seit- 
eamen  etuet^cen  auf  die  Oento  navelle  anziehe  zurückgeführt,  in  der  er  sich 
übrieens  nur  in  der  Ausgabe  yon  Giunti  1572  befindet.  Sachs  entnahm, 
wie  längst  bekannt,  die  yielyerbrdtete  Erzählung  Pauli  423.  —  S.  63 
stdit:  'rispirö  (H.  B.)  alle  noveüe  antiche  che  erano  yolte  in  tutte 

*  Vgl.  meine  H.  Sachs- Fonehnngen,  S.  78—83,  188—189;   Studien  f.  vtrgl 
UL  Guck,  H,  8.  161—165. 

<  Vgl.  Zeüsckriß  /.  dmittehe  Philologie,  Bd.  SS,  S.  484. 


1266  Benrtcilmigeii  und  knnse  Aiuseigcn, 

le  lingue  e  del  Petrarca  lesse  i  libri  Berum  menwr.,  il  trattato  De  re- 
tnediis  utrüuque  fortunoß  e  le  LetUre  (in  Latdn).  Del  Boccaccio  conobbe 
le  opeie  latine,  leite  probabilmente  nelle  traduzioni  tedesche.'  Hierzu 
sei  bonerkt:  von  Übmetznngeii  der  C.  n.  a.  ist  nichts  bekannt  Petrar- 
cas beide  ersten  Werke  las  Öachs  nur  in  den  deutschen  Übersetzungen 
von  Vigilius  (1541)  bezw.  Stahl-Spalatins  (1552),  die  keinem  M. 
Sachs -l^rscher  fremd  sind,  und  Boccaccios  lateinische  Werke  nicht  nur 
wahrscheinlich,  sondern  sicher  in  den  nicht  minder  bekannten  Über- 
setzunsen  von  BteinhÖwel  und  H.  Ziegler.  Wenn  Cesano  (S.  64)  im 
AnschluJGB  an  des  letzteren  Übersetzung  der  De  eaailma  virorum  iUustrium 
(1545)  sagt:  'prima  di  lui  Jacopo  Micillo  (Micyllus)  aveva  fatto  il  me- 
aesimo  Lavoro  per  il  De  Oenealogia  Deorum,'  so  ist  zu  erinnern,  dais  dieser 
Humanist  zwar  den  lateinischen  Text  der  Oenealogia  1532  'cum  annota- 
tionibus'  (Basilea  apud  J.  Heryacium),  aber  keine  Verdeutschung  yeröffent- 
ücht  hat.  —  Unrichtig  ist  auch,  was  Cesano  S.  83  sagt:  'bisogna  considerare 
che  H.  Sachs,  dopo  ia  Hroswitha,  fu  il  primo  scrittore  drammatico  etc' 
EndUch  ist  noch  zu  erwähnen,  dais  Cesano  in  einer  sonst  rühmlichen 


ispurate 

gedie  di  JoeaHa  e  di  (Xitemnestra  possono  annoverarsi  fra  i  migliori 
drammi  del  poeta.'  —  S.  86 :  *La  Lisabetta  . . .  si  potrebbe  giudicare  un 
perfetto  lavoro  drammatico  se  avesse  uno  sviluppo  maggiore.'  —  S.  91 
bis  92 :  'Questo  meieterlied,  (Die  schererin  mit  der  nasen)  —  betreffs  dessen 
'il  poeta  si  h  fondato  senza  dubbio  suila  novella  VII,  8  (des  Decamerone)' 
—  che  per  la  yiyacitä  e  per  Pumorismo  potrebbe  dirsi  ...  uno  degii 
Scherzi  piu  perfetti  ed  allegri,  prova  piutosto  come  il  poeta  gia  nel  1538 
. .  •  fosse  tanto  compenetrato  dello  spirito  boccacceeco  da  ritrarlo  in  modo 
meraviglioso,  pur^allontanandosi  daile  concezioni  del  grande  novellista.' 
Das  sind  riesige  Übertreibungen,  zu  denen  Cesano  teils  das  leicht  zur  Ein- 
seitigkeit führende  Spezialstudium,  teils  die  mangelhafte  Kenntnis  des 
Deutschen,  teils  —  und  dies  zeigt  besonders  das  letzte  Zitat  —  die  ganz 
ungenügende  Bekanntschaft  mit  den  übrigen  Queilea  des  H.  Sachs  und 
mit  seiner  Schidfensweise  verführte.  Die  schererin  mit  der  naaen  geht,  wie 
bereits  Qoedeke,  Dichtungen  des  K  Sachs  I,  108  —  von  C^esano  noch 
eigens  zitiert  — ,  angab,  auf  Das  Buch  der  Beispiele  der  alten  Weisen 
HBidpai)  und  nicht  auf  Boccaccio  zurück,  und  alle  Vorzüge,  die  darin  zu 
nnden  sind,  gehören  so  ziemlich  dem  alten  indischen  Fabelbuch. 

Nicht  minder  wie  in  der  Beurteilung  der  Originalität  und  der  künstle- 
rischen Leistungen  des  Meistersingers  verläist  Cesano  auch  betreffs  seiner 
Moralität  den  festen  Boden  der  Tatsachen.  So  lesen  wir  S.  43,  dais 
H.  Sachs  unter  seinen  Boccaccios  De  claris  mtUieribtu  entlehnten  Gfe- 
dichten  'non  ripete  le  av venture  della  sciocca  Paolina,  n^  quelle  della 
greca  Leena  etc.'  In  Wahrheit  hat  S.  von  beiden  Stoffen  je  einen  Meister- 
gesang (1537  bezw.  1544)  gedichtet  S.  7ü  heilst  es :  'Egli  (H.  S.)  sceglie 
. . .  le  novelle  (Boccaccios)  esenti  da  immoralitä,  e  quando  tratta  argomenti 
che  alquanto  si  allantanano  dai  suoi  severi  princim  si  afiretta  a  far  cono- 
scere  le  conseguenze  del  male.'  Leider  verdient  H.  Sachs  dieses  hohe  Lob 
nicht.  Nicht  nur  hat  er  einige  der  bedenklichsten  Novellen  des  Floren- 
tiners (wie  z.  B.  II,  7  und  V,  4),  sondern  auch  viele  der  widerlichsten 
Zoten  Poggios  und  anderer  in  MeisterHeder  verwandelt,  ohne  jede  MoraL 

München.  Arthur  Ludwig  StiefeL 

Schädel;  Bernhard;  Mundartliches  aus  Mallorca.  Halle  a.  S.,  B.  Haupt, 

1905.    43  S. 

>^*    Diese  interessante  Mitteilung  über  die  lebenden  Mundarten  von  Mal- 
lorca, die  der  Verfasser  in  Erinnerung  an  gemeinsame  Arbeit  im  roma- 


Beurtdhmgen  und  kurze  Anzeigen.  257 

nischeo  Seminar  zu  Zürich  mir  zu  widmen  den  freundlichen  €(edanken 
hatte,  setzt  sich  aus  zwei  Teilen  zusammen.  Die  ersten  29  Seiten  geben 
niit  kurzen  Einleitungen,  die  über  die  Sprachverhaltniase  der  Insel  orien- 
tieren, sechs  Yolkstfimlidie  Stücke  in  phonetischer  Umschrift  (nach  Böh- 
mer): zwd  prosaische  (Märchen)  von  Manacor  (aus  Jordi  des  Bec6, 
ApUck  de  Bandayes  MaUorquines,  Oiutat  de  Mallorca  1896—1904)  und  vier 
gereimte  von  Söller  (aus  J.  BuUan,  lAtercUura  popuiar  maüorquma, 
Söller,  1900).  Der  Best  enthält  'Bemerkungen  zum  Mailorkinischen'.  Beide 
Teile  bieten  eine  Belehrung,  wie  sie  nur  der  zu  geben  vermag,  der  im 
lebendigen  Verkehr  mit  Luid  und  Leuten  auf  Grund  eingehender  fach- 
männischer Kenntnisse  liebevoll  beobachtet  und  gesammelt  hat. 

Im  nördlichsten  und  im  südlichsten  Teile  des  katalanischen  Sprach- 

Sebietes,  im  Roussillon  und  in  Valencia,  ist  das  einheimische  Idiom, 
ort  vor  dem  Hochfranzösischen  und  hier  vor  dem  Kastiüschen,  zum 
blolsen  Vulfärdialekt  herabgesunken.  Barcelona  aber  besals  hinreichende 

geistige  Selbständigkeit,  um  der  Muttersprache  das  Interesse  der  Gebil- 
eten  zu  erhalten.  Auf  Barcelonesischer  Basis  hat  sich,  wie  einst  die  alt- 
katalanische Schriftsprache,  so  auch  das  literärkatalanisch  der  Benumiensa 
des  vorigen  Jahrhunderts  entwickelt  Dieses  Literärkatalanische  ist  auch 
dem  gebildeten  Mallorkiner  geläufig:  es  ist  die  interne  Literatursprache 
der  Insel,  neben  der  das  Eastilische  die  Sprache  des  offiziellen  Verkehrs 
und  eines  auch  für  Spanien  berechneten  Schrifttums  ist.  AuDser  diesen 
beiden  Schriftsprachen  besteht  der  mallorkinische  Dialekt  als  Um- 
gangssprache auch  der  Gebildeten. 

Aber  auch  innerhalb  dieses  mallorkinischen  Idioms  sind  wachsende 
zentripetale  Kräfte  wirksam:  die  Hauptstadt  Palma  beherrscht  den  Ver- 
keliTy  und  vor  der  Palmesaner  SprechweiBe  schwindet  die  Sonderart  der 
Liokaldialekte  zusehends.  Der  ländliche  G^^nheitsdichter  {ghsxadS;  glu- 
89d6  V,  5  scheint  Druckfehler)  verstummt.  Wie  Schule  und  Kirche  sich 
xa  der  Entwickelune  der  Dinge  stellen,  säet  uns  Schädel  leider  nicht 

Zwei  dieser  Lokaldialekte  gibt  Schädd  in  seinen  Märchen  und  Ge- 
dichten lautüdi  wieder:  den  der  Stadt  Manacor  und  den  des  abgelegenen 
Talee  Söller.  Jener  stdit  dem  Pidmesaner  Idiom  nahe;  die  Mundart  der 
SoUeriehs  aber  ist  von  ausgeprägter  Eigenart  —  oder  sie  war  es  wenig- 
stens, bis  die  Poststrafse  das  einsame  Tal  für  Palma  erschlols.  Diese 
£iffenart,  welche  die  alten  Leute  und  die  Bewohner  der  Huerta  noch  be- 
wiärt  haben,  stellt  Schädel  dar.  Ein  Vergleich  seiner  Transkriptionen 
mit  der  traditionellen  Graphie  zeigt,  wie  wenig  wir  bisher  von  der  wirk- 
lichen Lautoestalt  des  Vulgärmal&rkinischen  gewulst  haben. 

Ich  be£ure,  dafii  Schädel  die  Texte  nicht  mit  einer  Übersetzung  oder 
weni^tens  mit  einem  Glossar  der  schwierigeren  Wörter  versehen  hat  Er 
sdireibt  doch  auch  für  solche,  die  aus  dem  Katalanischen  kein  Haupt- 
fltndium  gemacht  haben,  und  denen  einschlägige  Hilfsmittel  nicht  zur 
Verfügung  stehen.  Seine  inhaltsreiche,  so  viel  Neues  bietende  Studie  ist 
cdn  Vorläufer  weiterer,  umfänglicherer  Arbeiten:*  das  Interesse  für  diese 

^  Sehadel  ist  —  ich  hoife  nicht  indiBkret  m.  sein  ~  mit  einer  Darstellang 
d«r  katalanischen  Mundarten  anf  breitester  Basis  beschäftigt.  Das  Unternehmen 
erfreut  sich  der  Mitarbeit  anderer,  auch  einheimischer  Sprachkundiger.  Wir  haben 
alle  Ursache,  diesen  neuen  Qaben  mundartlicher  Forschung  mit  Spannung  entgegen- 
■osehen:  hoffentlich  wird  sich  unter  ihnen  auch  ein  Sprachatlas  befinden.  —  Bei 
diesem  AnlaOi  sei  ein  Wort  ftber  das  TranskriptionssTstem  gestattet.  Schädel  hat 
Ar  seine  Zwecke  Böhmers  Zeichen  nicht  nur  ergKnit  (was  ja  unanfechtbar  ist  — 
welchen  Lantwert  hat  p  S. 34 ?  — ),  sondern  sie  auch  teUweise  modifisiert.  Er  ItSAt 
ftr  palatales  l  das  Zeichen  hf  bestehen,  ersetit  aber  das  tx  (fttr  palatales  k  bezw. 
paL  0  durch  h.  Solche  Modifikationen  sind  nicht  nur  deehalb  unsweckmafsig, 
weQ  sie  ans  dem  System  (Notierung  der  Palatalisierung  durch  -y,  •%)  herausfallen, 

AnhiT  f.  n.  SpmdNn.    CXY.  17 


258  BeartedluDgen  und  Inirze  Anzdgen. 

zu  wecken  und  Oberhaupt  die  romanische  Mundartenforschung  zu  fördern, 
ist  das  Bchöne  Ziel  seiner  Bemühungen.  Wer  aber  fördern  und  wirken 
will,  mula  den  anderen  die  Nachfolge  möglichst  Idcht  machen. 

In  seinen  'Bemerkungen'  gibt  Sdiädel  eine  Bdhe  äulserst  interessanter 
sprachlicher  Beobachtungen,  mit  denen  er  auch  manche  überlieferte  Mei- 
nung richtigstellt.*  Der  Wandel  von  d  ziu.  6  bereitet  sich  in  Palma  vor 
und  geht  augenscheinlich  von  der  Kombination  txß  aus.'  Das  Mallork. 
kennt  ein  hc^toniges  9  aus  lat.  p  (drgf\.  Die  Bandhierscheinungen  der 
Konsonanten  sind  sehr  mannigfach;  insoesondere  bemerkenswert  ist  die 
Wirkung  von  *:  «  +  «><»;  p  +  «>te,  wonach  die  Artikelform  eis  von 
Schädel  sehr  wohl  auf  ipse  zurückgeführt  werden  darf  (S.  42^.  Er  hat 
überhaupt  der  wechselnden  Laut^talt  des  Artikels  eine  eingenende  und 
sehr  aufklärende  Darstellung  gewidmet :  ipae  ist  gemeinmallorKinisch;  nur 
Pollensa  scheint  von  alters  ner  iUe  verwendet  zu  haben;  wo  sich  sonst 
(neben  tpae)  iUe  findet,  da  ist  es  als  vornehmere  Form  aus  dem  festländi- 
schen Katalanisch  eingeführt  worden.  —  Zweifelhaft  ist  mir,  ob  S.  35  die 
Filiation  der  Entspr^ungen  des  latein.  gf*^  richtig  ist.  Fomalutx  hat 
nur  y  (vent,  cf.  altepan.  ymte\  Söller  hat  duSni,  aber  nach  Vokalen  X9ni; 
Palma  nat  tßCSnt  und  nach  Vokalen  eben&Us  X^Snt,  Die  entscheidende 
Indikation  scheint  mir,  wie  Schädel  selbst,  darin  zu  liefen,  dafs  auch  die 
nach  Pausa  stehenden  Formen  in  Söller  und  in  Palma  den  Verschlufs- 
laut  zeigen  (dySrU,  dX^Snf):  danach  ist  der  Verschlulslaut  wohl  überhaupt, 
auch  in  Fornalutx,  die  ältere  Lautstufe.  Nach  Vokal  hat  sich  der 
Verschluis  gelöst,  und  der  an  dessen  Stelle  tretende  Beibelaut  hat  sich  in 
Fomalutx  verallgemeinert;  in  Söller  und  Palma  hat  sich  seine  ^alatale 
Artikulation  gegen  die  Alveolen  zu  verschoben.  ^  und  in  Palma  ist  von 
dieser  Verschiebung  auch  der  Verschlulslaut  selbst  (dy  >  dX)  ererii^en  wor- 
den. Es  ist  dabei  nicht  auÜBer  acht  zu  lassen,  dals  trotz  ihrer  Graphie  die 
dy^dX  nicht  mit  d  zusammengesetzte  Laute,  sondern  einheitliche 
^ilatale,  resp.  palatal-alveolare  (stimmhafte)  Explosivae  sind.  Daus  ihre 
Keduktion  zu  homorganen  Reibelauten  im  Gremdnmallorkinischen  nur  nach 
Vokalen  eintritt,  kann  sehr  wohl,  wie  Schädel  meint,  ein  Fin^zeig  für 
die  Entwickelung  von  dy,  c^  zu  y,  X>  in  anderen  romanischen  Idiomen  sein. 

QewÜfl  ist  es  Schädel  gelungen,  davon  zu  überzeugen,  dais  unser 
Wissen  von  den  katalanisch-mallorkinischen  Idiomen  viel  lückoihafter  ist, 
als  die  Ausgaben  entsprechender  Texte  uns  vermuten  lieben.  Seine  Mit- 
teüungen  haben  aber  auch  davon  Überzeugt,  da&  er  der  Mann  ist,  um 
diese  Lücke  unserer  Kenntnis  auszufüllen.  Die  romanistische  Forschung 
darf  auf  diesem  Wege  von  ihm  reiche  Förderung  erwarten.        H.  M. 

sondern  aneh  weil  auf  diese  Weise  jeder  Forscher  sich  tatsächlich  eine  neae  Um- 
schrift schafft.  Es  empfiehlt  sich  ans  praktischen  Grflnden,  bei  einer  der  bisherigen 
phonetischen  Graphien  zu  bleiben.  GkwiA  sind  iiy,  fy,  dy^  ix  ^tc.  sehr  anglflck> 
liehe  Zeichen,  aber  sie  haben  den  praktischen  Vonng  ererbter  und  weiter  Ver- 
breitung. —  Übrigens  wflrde  ich  aus  ebensolchen  praktischen  Erwigungen  cur 
umf&nglichen  Darstellung  des  Katalanischen  das  System  Gilliiron  wühlen,  was 
auch  immer  gegen  einselne  Zeichen  eingewendet  werden  mag.  Auch  der  AUaa 
UngiMtique  de  la  Svme  romande  tut  dies.  Wir  würden  dann  Ar  Sprachkarten,  die 
▼on  Guemesey  bis  nach  den  Balearen,  vom  Yal  d'Anniviers  bis  nach  Bordeaux 
reichen,  eine  einheitliche  Graphie  haben  t 

*■  Das  palatale  h  (resp.  t\  von  dem  8.  35  die  Bede  ist,  ist  an-,  in-  und  aus- 
lautend ein  weitrerbreiteter  Laut  romanischer,  speziell  auch  galloromanischer  Hund- 
arten, so  daA  ich  die  Bemerkung  des  VerfiisserB  nicht  yerstehe. 

*  Es  wäre  sehr  erwünscht,  Aber  den  Umfang  der  Erscheinung  Näheres  zu 
hören.  Verh&lt  sich  hier  betontes  d  und  nebentoniges  a  gleich?  Cf.  SaWionia 
Untersuchungen  zum  Lombardischen  (Studi  dißL  romama  YTO.  1  ff). 


Verzeichnis 

der  vom  13.  Juni  bis  zum  1.  Oktober  1906  bei  der  Redaktion 

eingdauf enen  Druckschriften. 


The  American  Journal  of  philology.  XXVI,  2  [Beview:  Boot's  Clasei- 
cal  mytholo^  in  ShakespeareJ. 

ZeitBchmt  für  österrdchische  Volkskunde.  XI,  8,  4  [M.  Haberlandt, 
Über  Baufwerkzeupe  der  Innviertler  BauembuTBcnen.  —  J.  Blau,  Vom 
Briseitabak  und  semer  Bedeutung  im  Volksleben  der  Böhmerwaldgegend 
um  Neuem.  —  J.  Franko,  Eme  ethnologische  Expedition  in  das  Sojken- 
land.  —  Kleine  Mitteilungen  etc.]. 

Festschrift,  Adolf  Tobler  zum  siebzigsten  Geburtstage  dargebracht 
▼on  der  Berliner  GheseUschaft  für  das  Studium  der  neueren  Sprachen. 
Braunschweig,  Q.  Westermann.    VI,  477  8. 

Meyer -Binteln,  Wilhelm,  Die  ScUöpfung  der  Sprache.  Leipzig, 
Grunow,  1905.    XVI,  256  S. 

Gutro,  Emil,  Das  Doppelwesen  des  Denkens  und  der  Sprache.  Ber- 
lin u.  Keuyork,  Internationale  physio-psYchische  Gesellschaft  XV,  279  8. 

Dittrich,  Ottmar,  Die  Grenzen  der  Sprachwissenschaft.  Ein  pro- 
grammatischer Versuch  [S.-A.  aus  Neue  Jahrbücher  f.  d,  Idasaisehe  Atter- 
tunh  öesekiehte  und  deutsche  Literaiurf  XV].  Leipzig  u.  Berlin,  Teubner, 
1905.    20  8. 

Breysig,  Kuit,  Die  Entstehung  des  Gk>tteBgedankens  und  der  Heil- 
brinser.    Beriin,  Bondi,  1905.   XI,  202  8. 

Bkeat,  W.  W.,  A  primer  of  classical  and  English  philology.  Oxford, 
Clarendon  Fiess,  1905.    VIII,  101  8.    2  sh. 

HoroYitz,  Josef,  8puren  griechischer  Mimen  im  Orient.  Mit  einem 
Anhang  über  das  ägyptische  Soiattenspiel  von  Friedrich  Kern.  Berlin, 
Mayer  A  Müller,  1905.    104  8. 

Wolf,  Johuines,  Geschidite  der  Mensural-Notation  von  1250 — 1460. 
Nach  den  theoretischen  und  praktischen  Quellen  bearbeitet.  Teil  I:  Ge- 
schichtliche Darstellung.  X,  424  8.  M.  14.  Teil  II:  Musikalische  S^ft- 
pToben  des  13.  bis  15.  Jahrnunderts.  VIII,  150  8.  M.  8.  Teil  III:  Über- 
tragungen.   VIII,  202  8.  M.  8.    Leipzig,  Breitkopf  &  Hfirtel,  1904. 

Festschrift  zur  Feier  des  50jfihrigen  Bestehens  der  Liebig-Beal- 
schule  zu  Frankfurt  a.  M.  am  18.  Juni  1905.  Gestiftet  von  Freunden 
der  Schule.  Ldpzig  und  Frankfurt,  Kesselringsche  Hofbuchhdlg.,  1905. 
VI,  157  8.  [Dann:  F.  ßothe.  Zur  Geschichte  der  Anstalt  8.  1—46.  — 
F.  Dörr,  Vom  Unterricht  in  den  neueren  Sprachen  seit  1890.  S.  68 — 78.] 


Literaturblatt  für  germanische  u.  romanische  Philologie.  XXVI,  6 — 9 
(Juni  —  September). 

Modem  language  notes.  XX,  6  [A.  8.  Cook,  Notes  on  Shelley.  — 
K.  SiUs,  Another  word  on  Dante's  Cato.  —  L.  H.  Holt,  Notes  on  Ben 
Jonson's  Volpone.  —  G.  L.  Swiggett,  Notes  on  the  Finnsbury  fragment 
—  Beviews,  oorrespondsnce]. 

17* 


260  Yerzdchnis  der  dngelaufeDon  Dracksdiriften. 

Die  neueren  Sprachen  ...  herausgegeben  von  W.  Vietor.  XIII,  8 
\13.,  Büttner,  Die  schrif^chen  Elassenarbeiten,  ein  Vorschlag  zu  ihrer 
Beform.  —  K.  Meyer,  Ober  Shakespeares  Macbeth  (Schlufs).  —  B.  J. 
Lloyd,  Glides  between  consonants  in  English  (V).  —  Besprechungen.  — 
Vermischtee]. 

Schweizerisches  Archiv  f.  Volkskunde,  hg.  v.  £.  Hoffmann-Erayer 
und  J.  Jeanjaquet.    IX,  1  [£.  A.  Stückdberg,  über  Pergamentbiider. 

—  A.  Bossat,  Les  Panicrs^jpo^me  patois  (suite^.  —  S.  Mever,  Volkstüm- 
liches aus  dem  Frei-  und  E^eramt  —  Miszellen:  A.  Zindel-Kresüg,  Die 
Ejiabenschaften  von  Sargans.  —  E.  Hoffmann-Krayer,  Zum  sog.  E^ker- 
lied.  -—  M.  E.  F.,  Ein  Auswandererlied.  —  J.  Jeanjaquet,  Formulettes 
enfantines  de  la  Suisse  romande  acoompa^ant  V^coigage  du  saule.  — 

A.  Ithen,  Über  Tfinze  im  Eanton  Zug.  —  Bucheranzeigen.  —  El.  Chronik. 

—  Bibliomphiej. 

NeupnilolosiBche  Mitteilungen',  hß,  vom  Neuphilolog.  Verein  in  Hel- 
singfors,  1905,  N^.  3  [A.  Wallensköld,  La  simplification  de  l'orthographe 
fran9aise.  —  Besprechungen.  —  Die  schrifthchen  Maturitätsproben  im 
Frühjahr  1900.  —  Protokoll  des  Vereins.  —  Eingesandte  Literatur.  — 
Mitteilungen]. 

Modem  Jphilology.  III,  1  [J.  L.  Lowes,  The  dry  sea  and  the  carre- 
nare.  —  J.  £.  Matzke,  Some  examples  of  French  as  spoken  by  English- 
men  in  Old  French  literature.  —  O.  Heller,  Ahasver  m  der  Eunsraich- 
tung.  —  Q.  F.  Beynolds,  Some  principies  of  Elizabethan  Staging,  part  II. 

—  H.  G.  SiUs,  Beferences  to  Dante  in  17^^  Century  Engl  üterature.  — 

B.  Holbrook,  'Midtre  Pateiin'  in  the  Gothic  editions,  by  P.  Levet  and 
G.  Beneaut.  —  G.  L.  Swisgett,  Schlegel's  fragment  'Die  Amazonen',  a  dis- 
cussion  of  its  authorshipj/ 

Modern  language  teaching.  I,  5  p^  J.  Lloyd,  The  Standard  English 
of  the  20.  Century.  —  F.  0.  Johnson,  French  methods  of  teaching.  — 
W.  G.  Hartog,  The  teaching  of  French  composition.  —  B.  K.  Allpress, 
A  Visit  to  a  reform  -  gymnaaium.  —  F.  B.  Bobert,  The  teachers'  guild 
holiday  course  at  Santander.  —  W.  O.  Brigstocke,  Modern  language  asso- 
dation.  —  The  king  Alfred  school  society.  —  Beview]. 

Wvchgram,  J.,  Stephan  Waetzoldt  [S.-A.  aus  'Frauenbüdung', 
rV.  Jahrgang].    Leipzig  u.  Berlin,  Teubner,  1005.    18  S. 

Vrba,  Dr.  E.  F.,  Belativ  obligates  Französisch  und  Englisch  am 
Gymnasium  [S.-A.  aus  Ötterreichüene  MüteUehide  XIX.  Jahrg.,  3.  Heft]. 
Im  Selbstverlage  des  Verfassers.    22  S. 

Ford,  J.  D.  M.,  'To  bite  the  dust'  and  symbolical  lay  communion, 
1905  rS.-A.  aus  den  PubliecUions  of  the  Mod,  AssoeüUion  of  Ämerioa  XX, 
197 — ^230.  Eine  interessante,  wohldokumentierte  Untersuchung  1)  über  die 
Bedensart,  die  der  Titel  gibt  (franz.:  mordre  la  pousMre;  deutsch:  die 
JErde  (ins  Oras)  beifsen;  span.:  morder  la  tierra  etc.),  und  die  wohl  aus 
dem  antiken  modere  terram  hervorgegangen  ist,  und  2)  über  die  Not- 
kommunion des  sterbenden  Eriegers:  span.  ooniulgar  de  la  Herra,  auch 
italienisch;  vgL  deutsch:  ein  broeemen  von  der  arden  brechen;  altfranz. 
aoomenier  de  T herbe,  deren  Ursprung  (heidnische  Elemente)  unbestimmt 
gelassen  wird].  

Nagl,  J.  W.,  und  Zeidler,  J..  Deutsch -österreichische  Literatur- 
geschichte. 27.  Lieferung,  bez.  10.  Lieferung  des  Schlufsbandes.  Wien, 
SVomme.    S.  433—480.    M.  1. 

Hollander,  Lee  Milton,  Prefixal  S  in  Gtormanic  toffether  with  the 
etymologies  of  Fratze,  Schraube,  Guter  Dinge.  Diss.  Biutimore,  Fürst, 
1905.    34  S. 

Weise,  Oskar,  Prof.  Dr.,  Ästhetik  der  deutschen  Sprache.  ^.  verb. 
Auflage.    Leipzig  u.  Berlin,  Teubner,  1905.    VIU,  328  S. 


VerzeichniB  der  emgelaufenen  Drucktchriften.  261 

Wülfing,  J.  Ernst,  Was  mancher  nicht  weiis.  Sprachliche  Plaude- 
rden.    Jena.  Hermann  Costenoble,  1905.    YIII,  192  8.    Geb.  M.  2,50. 

Hen  senke,  Margarete,  Deutsche  Prosa.  Ausgewählte  Beden  und 
Essays.  Zur  Lektüre  auf  der  obersten  Stufe  höherer  Lehranstalten  zu- 
sammengestellt. Mit  4  Abbild,  und  7  Tafehu  2.  Aufl.  Leipzig  u.  Berlin, 
Th.  Hoftnann,  1905.    XVI,  423  S.    Geb.  M.  8,50. 

Lessing,  G.  R,  Laokoon  oder  über  die  Grenzen  der  Malerei  und 
Poesie.  Für  den  Schulsebrauch  hg.  von  Dr.  Martin  Manlik.  Mit  einer 
Abbildung.  I.Auflage  (Freytags  Schulaus^ben  und  Hil&bücher  für  den 
deutschen  Unterricht).  Leipzig,  Freytag ;  Wien,  Tempsky,  1904.  128  S. 
Geb.  M.  0,60. 

Goethe,  W.y.,  Dichtung  und  Wahrheit  In  Auswahl.  Mit  E^lei- 
tung  und  Anmerkun^^  versehen  von  Schulrat  Dr.  Leo  Smolle  (Graebers 
Schulausgaben  klassischer  Werke).  Leipzig,  Teubner.  XII,  83  S.   M.  GL50. 

Bäumer^  Gertrud,  Dr.  phil.,  GK>euies  Satyros.  Eine  Studie  zur  Ent- 
Btehungs^chichte.    Leipzig,  Teubner,  1905.    125  S. 

Scn liier,  Friedrich  v.,  Maria  Stuart,  ein  Trauerspiel.  Für  den  Schul- 
gebrauch  hg.  von  Edmund  Aelschke.  1.  Aufl.  (Freytags  Schulausgaben 
und  Hilfsbucher  für  den  deutschen  Unterricht).  Leipzig,  IVeytag;  Wien, 
Tempsky,  1904.    171  S.    Geb.  M.  0,80. 

Schlegel,  Friedrich,  Fnugmente  und  Ideen.  Hg.  von  Franz  Deibel. 
Mit  dem  Porträt  Schlegels  unadem  Faksimile  einer  Briefseite  QDie  Frucht- 
schale.  Eine  Sammlung,  III).  München  u.  Leipzig,  Piper.  XXVIII,  290  S. 

Spiefs,  Heinrich,  Dr.,  Direktor  am  Gvmnasium  in  Bochiun,  Die 
Lyrik  des  19.  Jahrhunderts.  Für  den  Schulgebrauch  herausgegeben  (Frey- 
tags Schulausgaben  und  Hilfsbücher  für  den  deutschen  Unterricht).  Leip- 
zig, Freytog;  Wien,  Teinpsky,  1905.    232  S.    Geb.  M.  1,50. 

Graf,  Emma,  Dr.,  Kahel  Vamhagen  und  die  Romantik  (Literarhisto- 
rische Forschungen,  hg.  von  J.  Schick  und  M.  Frh.  v.  Waldberg,  XXVIII). 
Berlin,  Felber,  1903.    106  S.    M.  2,20. 

Melchior,  Felix,  Heinrich  Heines  Verhältnis  zu  Lord  Byron  (Lite- 
rarhistorische Forschungen,  hg.  von  J.  Schick  und  M.  Frh.  v.  Waldberg, 
XXVII).    Berlin,  Felber,  1903.    X,  170  S.    M.  3,50. 

Platen,  August  Graf  von,  Tagebüdier.  Im  Auszug^e  hg.  von  E^rich 
Petzet.  Mit  Portrat,  Abbildung  des  Grabmals  und  Faksimile  der  letzten 
beiden  Tagebuchseiten.  (Die  Fruchtschale.  Eine  Sammlung,  II.)  München 
u.  L^pzie,  Piper.    XX,  400  S. 

IJi  Heb  Del,  Friedrich,  Sämtliche  Werke.  Historisch-kritische  Ausgabe 
besorgt  von  lUchard  Maria  Werner.  Dritte  Abteilung.  Briefe,  2.  Band 
1839—1848:  Hamburg- Kopenhagen  —  Hamburg -Paris,  Nr.  92—172.  Ber- 
lin, Behr,  1905.    Vlfl,  870  S.    M  3. 

Vierordt,  Heinrich,  Ausgewählte  Dichtungen.  Mit  einem  Vorwort 
von  Ludwig  Fulda.   Heidelberg,  Winter,  1906.  VlII,  152  S.  Kart.  M.  1. 

Lilien  fein,  Heinrich,  Heinrich  Vierordt,  das  Profil  eines  deutschen 
Dichters.  1.  und  2.  Auflage.  Heidelberg,  Winter,  1905.  IV,  70  S. 
Kart  M.  L 

Plawina,  Oswald,  Aus  Zeit  und  Leben,  Gedichte.  Tuntschendorf, 
Veith,  1905.    78  S.    M.  1. 

Menge,  Karl,  Dr.,  Dispositionen  und  Musterentwürfe  zu  deutschen 
Anätzen.  2.  verbesserte  Auflage  von  Prot  Dr.  O.  Weise.  Leipzig  u. 
Berlin,  Teubner,  1904.    VIII,  127  S. 

Vietor,  Wilhelm,  Prof.,  Deutsches  Lesebuch  in  Lautschrift  (zugleich 
in  der  amtiichen  Schreibung).  Als  Hilfsbuch  zur  Erwerbung  einer  muster- 
gültigen Aussprache.  E^ter  Toll:  Fibel  und  erstes  Lesebuch.  2.,  durch- 
gesehene Au£[^[e.  Löpzig,  Teubner;  London,  Nutt;  Paris,  Ellincksieck ; 
Neuyork.  Lemdce  &  Blicnner;  Amsterdam,  Sülpke;  Kopenhagen,  Ürsin, 
1904.    XU,  158  S.  


262  Yensdehiiis  der  cmgdaiifeDeii  DrackKhrifteD. 

Methode  Toueeaint-LaDgenecheidt.  Briefiicher  Spnch-  und  Sprecb- 
unterricht  f.  d.  Selbetstadinm  der  Bchwedischen  Sprache  tob  EL  Jona», 
£.  Tuneid,  G.  G.  Mor^n.   Berlin,  Luigeoscheidt   »rief  27—30  sa  IL  1. 


Enfflieche  Studien.  XXXV,  2  [J.  Laidler,  A  hietory  of  paetoral  drmmi 
in  England  until  1700.  —  J.  8.  Starkey,  Henry  Reynolds,  *The  tale  of 
NarciBSue'.  —  W.  J.  Lawrence,  A  forgotten  reetanration  playhoiiBe.  — 
Besprechungen.    Mietellen]^ 

BeiblaU  zur  Anglia.    JCSTI,  6—9  (Juni  —  September). 

Scottish  histori^  reriew.  11,  S  [A.  Laug,  Hie  houaehold  of  Mary 
Queen  of  Scots  in  1578.  —  R.  C.  MacLeod,  Side  liffhtB  from  the  Dud- 
▼e^an  charter  ehest.  —  Th.  Duncan,  The  Queen's  Ikuuries.  —  G.  A.  Sin- 
cl&r,  The  Soots  at  Solwar  Moss.  —  Arc£ihald  Black  Scott,  Nynia  in 
northem  Pictland.  —  J.  C.  Watt,  Dunnottar  and  its  barons.  —  W.  R 
Scot^  Scottish  industrial  undertakings  before  the  union.  —  C.  S.  Tenr, 
The  battle  of  GlenshieL  —  £.  Dupont,  Le  Ghftteau  de  &ix,  en  Nonnan- 
die.  —  Review]. 

Bausteine,  Zeitschrift  ffir  nenen^lische  Wortforschung,  unter  Mitwir- 
kung des  neuphilologischen  Vereins  m  Wien  hg.  von  Leon  Kellner  und 
Gustav  Krüeer.  Berlin,  Langenscheidt,  1905.  I,  1,  83  S.  JShrlich 
6  Hefte,  M.  IB  [L.  Kellner.  Suggest,  Suggestion,  suggestive.  —  H.  Bichto-, 
Ghatterton's  Rowlev-Sprache.  —  Kleine  Notizen,  'ngen  und  Antworten, 
BOcherschau,  Plauderecke,  Zitierschlfissel.    A.  Mussana  fl. 

Beowulf  nebst  dem  Finnsburg-Bruchstück.  Mit  Einleitung,  Glossar 
und  Anmerkungen  herauseegeben  von  F.  Holthausen.  L  Tw:  Texte 
und  Namensverzeichnis  (Alt-  und  mittelenglische  Texte,  hg.  von  L.  Mos- 
bach und  F.  Holthausen,  III).  Heiddberg,  G.Winter;  Neuyork,  G.  E. 
Stechert,  1905.    VII,  112  S.    M.  2,20. 

Bibliothek  der  angelsachsischen  Prosa,  begrflndet  von  Chiistian  W.  M. 
Grein,  fortgesetzt  von  Richard  Paul  Wfllker.  6.  Band.  Kldnere  angel- 
sächsische Denkmiler  I:  1.  Das  Leeceboc  2.  Die  Lacnunga  mit  f^nm- 
matischer  Einleitung.  8.  Der  Lorica-Hymnus  mit  der  angelsSchmechen 
Glossierunff  nebst  emer  Abhandlung  Aber  Text  und  Spracne  des  Denk- 
mais. 4.  Das  Lorica-Gebet  und  die  Lorica- Namen.  Herausgegeben  von 
Gfinther  Leonhardi    Hamburg,  Grand,  1905.    242  S.    M.  10. 

Derocqui^ny,  Dr.  Jules,  A  oontribution  to  the  study  of  the  French 
dement  in  English.  A  thesis  submitted  to  the  faculty  of  letten,  Üniver- 
sity  of  Lyons.    LiUe,  Bisot,  1904.    176  S. 

Schoenwerth,  Rudolf,  Die  niederländischen  und  deutschen  Bearbei- 
tungen von  Thomas  Kyds  Spanish  Tragedy  (Literarhistorische  Forschungen, 
hg.  von  J.  Schick  und  M.  Frh.  v.  Waldberg,  XXVI).  Berlin,  Felber,  190S. 
CXXVIII,  227  S.    M.  8. 

Koeppel,  K,  Studien  über  Shakespeares  Wirkung  auf  zeitgendesiache 
Dramatiker  (Materiidien  zur  Kunde  des  älteren  englischen  Dramas,  h|^  von 
W.  BanR,  IX).  Louvain,  Üystpruyst;  Leipzig,  Harrassowitz;  London,  Nntt, 
1905.    AI,  108  S.    M.  5,60. 

Vershofen,  Dr.  Wilhelm,  Charakterisierung  durch  Mithandelnde  in 
Shakespeares  Dramen  (Bonner  Beitrage,  XX).  Bonn,  Hanstein,  1905.  157  8. 

Shakespeares  ausgewählte  Dramen.  II:  The  merchant  of  Venioe»  er- 
klärt von  H.  Fritscne,  2.  Aufl.  bearb.  von  L.  Proescholdt  XXX, 
104  S.,  Anm.  61  S.  Geb.  M.  1.  —  VII:  Julius  Caesar,  erklärt  von  Alex- 
ander Schmidt,  neue  Ausgabe  von  Hermann  Conrad.  114  S.,  Anm. 
113  S.    Greb.  M.  1.   (Weidmannsche  Sammlung.)    Berlin  1905. 

Lees  Trauerspiel  Theodosius  or  the  force  of  love  von  Dr.  Fritz  Besä 
(Literarhistorische  Forschungen,  hg.  von  J.  Schick  und  M.  Frh.  v.  Wald- 
berg, XXX).    Berlin  u.  Leipzig,  Felber,  1904.    219  S.    M  4,5a 


Vendchnis  der  eingieUafcnen  Druckscfariften.  268 

Shaftesbur^y  Untenuchung  über  die  Tueeiid.    Ins  Deutsche  Über- 
tragen und  mit  einer  Einleitiing  Tersehen  von  Paul  Ziertmann,  Ober- 
lehrer (PhOofiophiBche  Biblioth^,  110).    Leipzig,  Dürr,  1905.   XY,  122  S. 
Derocaui^ny,  Dr.  Jules,  Charles  Lamb,  sa  vie  et  ses  osuyree  (Tra- 
Taoz  et  memoires   de  l'universit^  de  Lille.     Nouvelie  wgrie,    I:  Droit, 
Lettres.   Fascicule  8).    Lille,  au  si^e  de  Tuniversit^,  1904.  415  S.   12  fr. 
Dalrymple,  Cochrane  Maxton,  Dr.,   Kipling^s  Prosa   (Marburger 
Stadien  zur  englischen  Philologie,  IX).    Marburg,  £lwert,  1905.    104  S. 
Collection  of  British  authors.    Tauchnitz  edition.    ä  M.  1,60. 
VoL  3814:  Marie  Corelli,  Free  opinions. 
,     3815:  F.  F.  Moore,  The  white  causeway. 
,     3816 — 7:  M.  Pemb ertön,  Mid  the  sick  arrows. 
„     3818:  £.  W.  Hornung,  Stingaree. 
.     3819--20:  'Rita'  Queer  Lady  Judas. 
,     3821:  H.  G.  Wells,  A  modern  Utopia. 
,     3822:  Agnes  and  Egerton  Castle,  Kose  of  the  world. 
„     3823—4:  £.  Bobins  (C.  £.  Baimond),  A  dark  lantem. 
,     3825:  Jerome  E.  Jerome,  Idle  ideas  in  1905. 
,     3826--7:  M.  £.  Braddon,  The  rose  of  life. 
,     3828:  A.  £.  W.  Mason,  The  watchers. 
,     3829:  B.  M.  Croker,  The  old  cantonment  with  other  stories  of 

India  and  dsewhere. 
jf     3830:  W.  D.  Howells,  Miss  Bellard's  Inspiration. 
,     3831:  Helen  Mathers,  The  ferryman. 
,     8832—3:  E.  F.  Benson,  The  Image  in  the  sand. 
„     8834:  A.  Ch.  Swinburne,  Love's  cross-currents. 
,     3835:  Fiona  Macleod,  The  sunset  of  old  tales. 
^     8836:  Dorothea  Gerard,  The  improbabie  idyL 
,     3837:  Bobert  Louis  Stevenson,  Tales  and  fantasies. 
,     3838:  Lady  Broome,  Colonial  memories. 
,     3889—40:  Kichard  Bagot,  The  passport. 

Kruisinga,  M.  A.,  Ph.  D.,  A  grammar  of  the  dialect  of  West  Somer- 
set, descriptive  and  historical  (äonner  Beitrage  zur  Anglistik  von  M.  Traut- 
mann, XVIII).    Bonn,  Haustein,  1905.    VI,  182  S.    M.  6. 

Curme,  Prof.  G.  0.,  A  grammar  of  the  German  Language  designed 
for  a  thorough  and  mctical  study  of  the  language  as  spoken  and  wiitten 
tO'day.  New  York,  The  Macmillan  Company ;  London,  Macmillan,  1905. 
XX,  662  S.    M.  3,50. 

Damm  holz,  R,  Prof.  Dr^  Enjriisohes  Lehr-  und  Lesebuch.  Aus- 
gabe B.  IL  Teil,  Oberstufe.  Band  I:  Grammatik.  2.  AufL  Hannover 
u.  Berlin,  Carl  Meyer,  1904.    XIV,  255  S.    Geb.  M.  2,70. 

DubislaT,  Prof.  Dr.  G.,  und  Boek,  Prof.  Paul,  Methodischer  Lehr- 
0uig  der  englischen  Sprache  für  höhere  Lehranstalten  unter  besonderer 
Serücksichtigung  der  Madchenschulen  in  zwei  Teilen.  Erster  Teil:  Lese- 
und  Eiementarbuch.  Mit  einer  Karte  Yon  England,  einem  Plan  von  Lon- 
don und  einer  Tafel  der  englischen  Münzen.  Zweite  Auflage.  Berlin,  Weid- 
mannsche  Buchhdlg.,  1905.    XII,  208  S.    Geb.  M.  2,50. 

Görlich.  E.,  und  Hinrichs,  H.,  Kurzgefalstes  Lehr-  und  Übungs- 
buch der  englischen  Sprache  für  Realschulen,  Realgymnasien,  soTde  für 
Beformschulen  und  Gymnasien.  Paderborn,  Schöningn,  1905.  XII,  348  S. 
Mitcalfe,  Constance,  EngUsh  made  essy.  Eine  neue  Methode,  Eng- 
lisch lesen,  schreiben  und  s{)r6chen  zu  lernen.  Besonders  geeignet  für 
Privat-  und  Pensionats-Unterricht.  Dresden,  Folze,  1905.  X,  i45  S.  Geb. 
M.  2^0. 

Plate,  H.,  Lehrgupg  der  englischen  Sprache.  IL  Mittelstufe.  Me- 
thodisches Lehr-  und  Übungsbuoi  mit  beigefüf^,  auf  das  Lesebuch 
Bezug  ndimender  Sprachlehre.   61.,  der  Neub^beitung  8.,  Auflage,  durch- 


264  Yerzeiclmia  der  eliigelaufeDeD  DrackBchriften. 

reheii  Ton  Oberlehrer  Dr.  Karl  Mfineter.  Leipzig,  Dreeden,  Berlin, 
Ehlermann;  Friese  &  Laag,  Wien  I,  BrännerstralBe  d.  VIII,  868  8. 
Qeb.  M.  2,90. 

Beichel,  Dr.  E.,  mid  Blflmel,  Dr.  Magnns,  Lehrgang  der  engUschen 
Sprache.  Leee-  und  Übungsbuch.  Mit  einem  Plane  von  London  und 
einer  Karte  des  britidchen  Weltveiches.  Breslau,  Trewendt  &  Granier, 
1905.    VIII,  254  8.    M.  5. 

Böttgers,  Prof.  Benno,  Englische  Schulmmmatik.  Bielefeld  und 
Leipzig.  Velhagen  &  Elasing,  1905.    XU,  280  8. 

ScnW|icker,  A.,  Lehr-  und  Lesebudi  der  englischen  Sprache  nach 
der  direkten  Methode.  Mit  mehreren  Abbildungen  und  einem  lieder- 
anhange.    14.  Auflage.    Hamburg,  Meiisner,  1905.  VIII,  812  8.  M.  1,20. 

Sevin,  Ludvdff,  Elementarbuch  der  englischen  Stäche  nach  der 
analytischen  Methoae  bearbeitet.  2.  Teil.  2.  Auflage.  Karlsruhe,  Biele- 
feld, 1905.    Vin,  228  8.    M.  2,80. 

Selections  from  Enfflish  poetry.  Auswahl  englischer  Dichtungen  Ton 
Dr.  Ph.  Aronstein.  Mit  14  Illustrationen  (Velhagen  &  Klasines  Samm- 
lung französischer  und  englischer  Schulausgaben.  English  autnors  104). 
Bielefeld  u.  Leipzig,  Velhagen  &  Klasing,  1905.    XII,  816  8.    M.  2. 

Beer,  Taco  M.  de,  und  Irying,  EL  Jane,  The  literary  reader, 
a  handbook  for  the  higher  dassee  in  schools  and  for  home  teaching. 
III.  The  nineteenth  Century.  Part  11.  4.  ed.  revised  by  Taco  H.  de  Beer. 
Halle,  GeeeniuB,  1905.    XU,  520  8. 

Mason,  Ch.  M.,  The  counÜes  of  England,  ausgewählt  und  erklärt 
Ton  Dr.  Otto  Bndke,  Prof.  am  Realgymnasium  in  Stralsund.  Mit  fünf 
Abbildungen  und  einer  Karte  Ton  J^gland.  Berlin,  Weidmann,  1904. 
Vin,  190  S.    Geb.  M.  1,60. 

Fulda,  Ludwig,  Unter  Tier  Augen,  Lustspiel  In  l  Aufzug.  Zum 
Übersetzen  aus  dem  latschen  in  das  Englische  bearbeitet  von  Dr.  Ph. 
Hangen  (EkiKlische  Übungs-Bibliothek,  21).  London,  Nutt;  Dresden, 
Ehlermann;  Glasgow,  Bauermeister;  Neuyork,  Dyssen  &  Pfeiffer,  1905. 
VIII,  88  8.    Geb.  M.  0,80. 

Bomania,  p.  p.  P.  Meyer  et  A.  Thomas.  N°  184  rayril  1905) 
[A.  Thomas,  Gloses  proven^ales  in^tes,  tir4ee  d'un  ms.  des  DeriwUumea 
d'Ugucio  de  Pise.  —  G.  Huet,  Sur  qqs  formes  de  la  lösende  du  öhevalier 
au  eygne,  —  P.  Meyer,  Notice  du  ms.  305  de  Qneen^s  College,  Oxford 
Qi^gendier  fran$ais).  —  B.  Weeks,  Etudes  »vaAliscana  (suite).  —  Mflanges: 
r.  Meyer,  L'inscnption  en  yers  de  l'^p4e  de  Gauvain.  —  G.  Raynaud, 
Une  nouyelle  version  du  fabliau  de  La  Nonnette.  —  A.  Thomas,  Ponthus 
de  La  Tour-Landri;  —  Norm,  eaieu  'moule';  —  franc.  tnüoum;  —  proy. 
eolonhet  et  eolonhier  'fusain'.  —  A.  Dauzat,  Proy.  bodosea,  hedoeea.  — 
C.  Nigra,  trekawda  (H'^-Sayoie),  trehmcdS,  trakudS  rAoete)  etc.  —  Gorrec- 
tions:  A.  Mussafia,  Per  il  IHstano  di  Beroul  ed.  Muret  —  Comptes  ren- 
dus.  —  P^riodiques.  —  Chroniques]. 

Beyue  des  langues  romanea.  XL VIII,  3  [P.  Barbier,  fils,  Le  mot 
bar  comme  nom  de  poisson  en  fran^ais  et  en  angtais.  —  A.  Boque-Ferrier, 
Jana  de  Mottrmeiraun,  essai  de  reetitution  d'un  chant  populidre  Mont- 
pelli^rain.  —  F.  Castets,  /  Dodiei  Oanti,  compl6ments  ä  rintroduction.  — 
A.  Vidal,  Lee  d^lib^rations  du  conseil  communal  d'Albi  de  1372  ä  1388.  — 
Bibliographie]. 

Archivio  glottologico  italiano,  fondato  da  G.  J.  Ascoli,  continuato 
sotto  la  direzione  di  C.  Salvioni.    Torino,  Ermanno  Loeecher,   1905. 
Vol.  XVI  n°  3,  Seite  395^658.  Lire  12,50  [C.  Salvioni,  Appunti  sull'an- 
tico  e  modemo  lucchese.  —  Cremon.  aetUumaja  =  soprannome  (yon  eo- 
atume).  —  Lomb.  rierdi  =  pipistrello.  —  S.  Santangelo,  II  vocalismo  del 


Yeneichnis  der  angelaufenen  Drucdmchriften.  265 

dialetto  d'Aderno  (Gatania).  —  0.  Salvloni,  buglM),  högno.  — •  Venez.  m- 
nkui  SS  porca,  ajaola  (von  marugffia,  terra  fnaneggtata).  —  Friiü.  puMe 
=  feoda  (*pdnita).  —  P.  E.  Gnaraerio,  II  Sardo  e  il  Gono  in  ona  nnova 
daaaificazione  delie  lingue  romanze.  G.  yertritt  die  Meinung,  daOi  das 
KorsiBche  mit  unrecht  zum  Sardischen  gezogen  werde,  wie  dies  W.  Merer- 
liübke,  Mnfiihruna  8. 16,  tut;  das  Kornsche  mvitiere  zum  feetländiBcnen 
Italienisch,  speziell  zum  Toskanischen.  —  0.  Salvioni,  boukmger,  weist  das 
Wort  auch  ui  Lomb.  nach.  —  G.  Toppino,  II  dialetto  di  Gastellinaldo 
(Piemontesisch).  —  C.  Salvioni,  Santhtä  (=r  Banta  Agata).  —  Poesie  in 
dialetto  di  Cavergno  (Yalmag^a).  —  Rass^a  biblio^afica.  —  Indioe  del 
▼olnme,  ein  Yortrefflicher  Inoex,  der  Aber  60  zwei-  bis  dreispaltige  Seiten 
fallt  —  Aggiunte  e  correzioni]. 

Studj  romanzi,  editi  a  cura  di  R  Monaci  (Sodetä  filolonca  romana). 
Borna,  deposito  presso  Erm.  Loescher,  1904.  Heft  m,  155  8.  Lire  7 
[EL  Monaci,  Per  la  toponomastica  italiana.  —  G.  J.  Ascoli,  Bioordi  oon- 
oemento  la  toponomastica  italiana.  —  E.  G.  Parodi,  La  data  della  eom- 
posizione  e  le  teorie  politiche  deU'ih/emo  e  del  PurptUorio  di  Dante,  ein 
Hochinteressanter  Aufsatz  zur  Entwickelungsgeschichte  des  Danteschen 
Ghibellinismus;  Inferno  w&re  demnach  nicht  später  als  1806  abgeschlossen 
and  Puirpaiorio  zwischen  1808  und  1818  geschrieben.  —  8.  Suitangelo,  II 
manoscritto  provenzale  U.  —  G.  Marchesi,  La  prima  traduzione  in  Yolgare 
italioo  della  Fareaglia  di  Lucano  e  una  nuova  redazione  di  essa  in  ottava 
lima.  —  G.  Nigra,  Note  etimologiche  e  ieesicali.  —  G.  J.  Ascoli,  Intomo 
ai  consinuatori  cörsi  del  lat  ip9u\  der  Verf.  nimmt  willkommene  Ver- 
anlassung, Yon  der  Stellung  des  Korsischen  unter  den  roman.  Sprachen 
zu.  reden,  und  hebt,  unter  Berufung  auf  seinen  berühmten  Aufsatz  im 
VIIL  Bande  des  ArMvioiß,  111),  Zusammenhänge  zwischen  Korsisch  und 
Sardlnisch  hervor,  ohne  Guamarios  Ansicht  abzulehnen.  —  G.  Grodoni, 
Lo  studio  sul  dialetto  marchigiano  di  A.  Neumann-Spallart.  —  G.  Bertoni, 
Un  nuoTo  testo  volsare  del  sec.  XIII.  —  Un  nuoTO  accenno  alla  rotta  di 
BondsYalle.  —  No&ie]. 

Bomanische  Forschungen.  Organ  für  romanische  Sprachen  und  Mittel- 
latein, hg.  von  K.  Voll mö Her.  XVI,  8  [M.  Huber,  Visio  Monachi  de 
ESynsham,  zum  erstenmal  kritisch  herausgegeben.  —  P.  Marchot,  Etymo- 
logies.  —  L.  Jordan,  Peros  von  Neeles  gereimte  Inhaltsansabe  zu  emem 
Siunmelkodex,  mit  Einleitung  und  Glossar  zum  erstenmal  herausgegeben. 
—  J.  Luzi,  Die  sutselvischen  Dialekte  (Lautlehre).  —  A.  Beiff,  Historische 
Formenlehre  des  Dialekts  von  Boumois-Besan^on].  XVII.  Band  [G.  De- 
cortins, Rätoromanische  GhrestomatJiie,  VI.  Band :  Oberengadinisch,  Unter- 
engadinisch:  Das  siebzehnte  Jahrhundert,  XVL  656  8.].  XVIII.  Band 
[C.  Decurtins,  Rätoromanische  Ghrestomathie,  VII.  Band :  Oberengadinisch, 
Unterengadinisch:  Das  achtzehnte  Jahrhundert,  VIII,  494  8.].  XIX,  L 
[G.  Wenderoth,  E.  Pasquiers  poetische  Theorien  und  seine  Tätigkeit  als 
literarhistoriker,  vgl.  Ärehiv  GXII,  284.  —  R.  Reis,  Die  Sprache  im 
Ltbvre  du  bon  Jehan,  due  de  Bretagne  des  Guiilaume  de  St-Andr^  (14.  Jahr- 
hundert). —  P.  G.  Juret,  Etüde  grammaticale  sur  le  latin  de  s.  Filastrius]. 
2  [A.  Sechehaye,  L'imparfait  du  subj.  et  ses  concurrents  dans  les  hypo- 
theti<iues  normales  en  fran^s.  —  Fr.  Fizet,  Das  altfranzösische  Jeu- 
PartL  —  E.  Fehse,  Sprichwort  und  Sentenz  bei  Eustache  Deschamps 
und  Dichtem  seiner  Zeit  —  J.  Ulrich,  Drei  romanische  Fassungen  der 
beiden  Jakobebrüder.  ~  G.  Biust,  banee;  bouleau;  bride;  buiron;  eagot; 
earaffa;  con^le;  eorma;  guige;  hote,  hoeque,  ho;  piiton;  royaume;  toenard; 
iriige}. 

Bod^t^  amicale  Gaston  Paris.  Bulletin  1905.  89  8.  —  La  biblio- 
th^ue  Gaston  Paris  donn^  ä  PEcoIe  des  Hautes  Etudes  par  la  Marquise 
Arconati  Visconti  en  memoire  de  son  p^re  Alphonse  Peyrat  Paris,  Impr. 
Nationale,  1905.    8  8.! 


266  VenseichiiiB  der  eingeUafenen  Dmc^Bchriften. 

Aus  romanischien  Sprachen  und  Literaturen.  Festschrift  Heinrich 
Morf  zur  Feier  seiner  25jährigen  Lehrtätigkeit  von  seinen  Schülern  dar- 
gebracht.   Halle  a.  S.,  M.  Niemeyer,  1905.    427  S.    M.  12. 

Spinffarn,  J.  £.»  La  critica  letteraria  nel  rinasdmento,  saggio  stille 
origini  dello  s^iito  daasico  nella  letteratura  modema.  Traduzione  italiana 
del  Dr.  Ant.  Fusco,  oon  corredoni  e  amunte  dell'autore  e  prefazione 
di  B.  Croce.  Bari,  Laterza  e  figli,  1905.  All,  858  S.  Lire  4.  (Bpingarns 
Buch,  das  bekanntlich  zuerst  1899  in  englischer  Spradie  erschienen  ist, 
ist  eine  gut  dokumentierte  Gleschichte  der  Poetik  der  Benaissanoe  (d.  h. 
in  der  Hauptsache  des  16.  Jahrhunderts)  und  behandelt  in  drei  Teilen 
erst  Italien,  dann  Frankreich  und  endlicn  England.  Spanien  fehlt  In 
der  Vorrede  nimmt  B.  Croce  von  neuem  Stellung  zu  Saintsburys 
JJwtory  of  orüieiame,  der  im  kiirzlich  erschienenen  dntten  Bande  auf  seine 
und  Spingaras  KritUc  geantwortet  hat.  —  In  der  Darstellung  der  Ent- 
wickelunesgeschichte  der  poetischen  Theorien  Frankreichs  kann  ich  Spin- 
garn nicht  überall  folgen,  wofür  ich  auf  meine  Oeseh.  der  neueren  fram^. 
Lüeraiur,  I,  verweise.  Spineams  Darstellung  der  Einführung  der  ühiUa 
de  tempa  ei  de  Ueu  im  17.  JiSirhundert  gibt  einfach  die  traditionellen  Irr- 
tümer wieder.] 

Ebeling,  G.,  Probleme  der  romanischen  Syntax.  Erster  TeiL  Halle 
a.  S.,  Niemeyer,  1905.  178  S.  [1)  non  ...  altro  die  ....  —  2)  Vom  Con- 
dicionaUs  im  Rumänischen.  —  i)  ü  a  du  veM/r  =  er  muis  gekommen  sein. 

—  4)  Span.  !que  qfoe  tan  hermoeoe!  =  Welch  schöne  Aiu^en.  —  5)  tuUo 
=  lauter;  cl  zum  gemeinrom.  eono  iuiii  pagani  das  unflektierte  totutn 
gentee  sunt  der  PeregrjntUio  ad  hea  sancta,  zitiert  in  W6lfflins  Arehee  lY, 
270.  —  6)  non  ehe  mit  folgendem  Infinitiv.  —  7)  dispiaeere  non  mi  dis- 
piaeeie  s=  milsf allen  tut  Ilur  mir  nicht,  wozu  zu  bemerken,  dals  nicht  nur 
im  Engadin  (S.  122),  sondern  auch  am  Bhein  das  Verbum  finitum  mit 
eha,  che  eingeführt  wird,  z.  B.  tra  eh'ei  nuneen  in  gron  teehaneun  ('sie 

g'ngen  ein  gutes  Stück',  im  Volkslied  vom  Signur  OomvIeH);  daft  das 
areelüsche  neben  dir  ye  l  dXes  auch  par  dir  ye  l  dXse  Kennt  (ci  Oätt. 
Naekriehtenf  1886,  S.  90) ;  zuerst  ist  die  E^cheinung  überhaupt  wohl  von 
Qartner,  Oredner  Mundartf  1879,  S.  75,  erwähnt  worden.  —  8)  non  la  tia 
coei  —  das  ist  nicht  der  Fall.  —  9)  ehe  hat  paura  =  hast  Du  Furcht?  — 
10)  irone  tomoiier  moi  et  voe,  £^  ist  ein  sehr  gehaltreiches  Buch  mit 
einer  reichen  Fülle  von  Material  und  feinen  Beobachtungen,  das  sich 
Toblers  Beiträge  in  Darstellung  und  Druck  erfolgreich  zum  Muster  ge- 
nommen hat].  

Zeitschrift  für  franzöe.  Sprache  und  Literatur,  hg.  von  D.  Behrens. 
XXVIII,  2  u.  4,  der  Beferate  und  Rezensionen  erstes  und  zweites  Heft 

Bevue  des  Etudes  Babelaisiennes.  II,  1  [P.  Toldo,  Babdiais  et  Honor^ 
de  Balzac.  —  J.  Barat,  L'inüuenoe  de  Tiraqueau  snr  B.  —  H.  Clouzot, 
Les  amiti^  de  R.  en  Orl^nais  et  la  lettre  au  bailli  du  bailli  des  baillis. 

—  Mdlanges.  —  Comptes  rendus.  —  Chronique.  —  Supplements:  Statuts, 
liste  des  membres.  —  R^impression  de  Vhle  eonnanie,  introduction]. 

Bulletin  du  Glossaire  aee  patois  de  la  Suisse  romande.    IV,  1  et  2 

tL.  Gauchat,  L'origine  du  nom  de  La  Guiux-de^Fonde ;  la  ehaiux<  etUmiSy 
:elt.  Wort,  das  unbebautes  Land  bezeichnet;  de  fonds  bleibt  rätselhaft 

—  J.  Snrdez,  Pronostics  et  dictons  agricoles.  Patois  du  Glos  du  Doubs, 
Jura  bemois.  —  A.  Neveu,  E^  d^  Tsaland^  (Weihnachtsspieie),  patois 
de  Leysin.  —   R.  Ghassot,  KoUüjon  la  ehdrehyire  (Gatillon  la  sord^), 

Satois  de  Villargiroud,  Fribourg.  —  E.  Muret,  Additions  aux  proverbee 
e  Lens.  —  Gompte  rendu]. 

Gobineau,  Gomte  A.  de,  Amadis,  potoe.  GBuvre  posthume.  Por- 
trait de  Tauteur  grav4  ä  Teau-forte.  Paris,  Plön,  1887.  XLIV,  556  6.  — 
Les  religions  et  ks  philosophies  dans  PAsie  Gentriüe.    Troisi^me  ^tion. 


Verawchni«  der  dogelaolencii  DracksduiftoB.  267 


PflUM,  Leroiix,  1900.    X,  548  S.  —  Traia  ami  en  Ade  (1855—58).   Konv. 
Mition.    Paris,  Leronx,  1905.    VI,  500  8. 

Gobinean,  Oral,  Nad^jgebHeiie  Schriften,  hg.  Ton  Ludwig  Sehe- 
maaiL  Dichteriache  Werke:  L  Alexandre  le  MaoMonian,  tragMie  en  cmq 
actea.  2.  Aufl.  Straiabnrg,  Trfibner,  1902.  IX,  101  8.  M.  2.  —  Alezan- 
der. Tragödie  in  fünf  Auuügen.  Peatach  von  Ludwig  8chemann.  ^2.  Auf- 
lage. Strafeburg,  Trübner,  19i;4.  VIII,  107  S.  —  Die  Benalssanoe.  Hiato- 
liuhe  Szenen.  Deutech  Ton  Ludwig  Sdiemann.  Neue  durchgea.  u.  Terb. 
Auflage.  8.  und  4.  Tausend.  Straubuig,  Trfibner,  1904.  M.  5.  —  Asia- 
tiflche  Novellen.  Deutsch  von  Ludwig  ^äiemann.  Mit  einem  Lebenabild 
dea  Autors.    Leipzig,  EeUam,  lJniverB.-]BftbL  N^  8108—4. 

Wahlund,  C,  ün  acte  in^it  d'un  op^ra  de  Voltaire,  publik  d'apr^ 
deuz  andennea  oopiee  manuscrites  de  la  BibL  Eovale  de  Stockholm ;  avec 
dea  facsimil^    UpsaU,  Almqvist  &  Wiksells,  1905.    59  &. 

Weidmannsche  Sammlung  franz.  u.  engl.  Schriftsteller  mit  deutschem 
Kommentar.    Berlin,  Weidmann,  1905: 
Le  Cid  von  P.  Corneille,  hg.  und  erklart  von  Fr.  Strehlke.  Zweite 
völlig  umgearb.  Aufl.  von  Dr.  Fr.  Meder.    118  S.  und  25  8.  An- 
merlnmgen.  ' 
Auswahl   aus  Victor  Hugo.    Erklärt  von   Dr.  O.  Weifsenfeis. 
V,  248  S.  _ 

Cherbuliez,  V.,  Die  Kunst  und  die  Natur,  L  Übersetat  von 
H.  Weber.    Ascona,  C.  v.  Schmidtz,  1905.    125  8.    M.  2,85. 

Jordan,  L.,  Die  Sage  von  den  vier  Haimonskindem  [Mfindiener 
Habilitationsschrift].    Erlangen,  Junge,  1905.    X,  198  S. 

Hamann,  O.,  Die  buriesken  Elemente  in  Rabelais*  Werk  [Würz- 
burger Dissert].    München,  Dr.  C.  Wolf  &  Sohn,  1904.    68  S. 

Knoblauch,  K.,  Das  Verhältnis  der  C^iramqiies  admirabka  zu  den 
Ckromquea  inegtimables  und  zu  Babelais  [Würzburger  Dissert.].  Jena, 
A.  Kämpfe,  1904.    76  8. 

Kammel,  Dr.  W.,  Die  Typen  der  Helden  und  Heldinnen  in  den 
Dramen  Victor  Hugos  [S.-A.  aus  dem  82.  Jahresber.  der  k.  k.  deutschen 
Staatsrealschule  in  Prag -Kleinseite].  Prag,  Statthalterei-Buchdruckerei, 
1905.    42  8. 

Ball,  Ed.,  A.  de  Musset,  ein  echter  Bomantiker  [Würzburger  Dissert]. 
Aschaffenburg,  Schippnersche  Druckerei,  1905.    VIII,  92  8. 

Pelli ssier,  G.,  Xe  mouvement  littdraiie  contemporain,  8*°'®  Mition. 
Paris,  Plön,  1902.    VII,  802  8. 

Fran9ois,  A.,  La  grammaire  du  Purisme  et  l'Acad4mie  fran9aise 
au  XVIII^  si^e.  Introducdon  h  l'^tude  des  Commentaires  granunaticaux 
d'au teure  classiques.  Paris,  Soc  nouv.  de  librairie  et  d'^ition,  1905.  XV, 
279  S.  Fr.  5.  [Dieses  Budi  behandelt  einen  sehr  wichtigen  Abschnitt 
aus  der  Geschichte  der  sprachlichen  Theorien  Frankreichs  und  stellt  ihn 
auf  Qrund  eingehender  Erforschung  auch  des  handschriftlichen  Materials 
(Archiv  der  firanz.  Akademie)  vortrefflich  dar.  Das  Archiv  wird  in  einer 
ausführlicheren  Besprechung  auf  diese  bedeutsame  Leistung  zurück- 
kommen.] 

Plattner,  Ph.,  Ausführliche  Grammatik  der  französischen  Sprache. 
Eine  Darstellung  des  modernen  französischen  Sprachgebrauchs  mit  Be- 
rücksichtigung oer  Volkssprache.  III.  Teil:  EIrffänzungen.  Erstes  Heft: 
Das  Nomen  und  der  Gebrauch  des  Artikels.  Karlsruhe,  J.  Bielefeld,  1905. 
281  8.    M.  8,60. 

Metzger,  Prof.  Fr.,  und  Ganzmann,  O.,  Lehrbuch  der  franzö- 
sischen Sprache  auf  Grundlage  der  Handlung  und  des  Erlebnisses.  Für 
lateinlose  und  Beform- Schulen.  Mit  Zeichnungen  von  Hellmut  Eichrodt. 
I.  Stufe.  2.  voUst.  umgearb.  Aufl.  Berlin,  Keuther  &  Beichard,  1905. 
X,  250  8.    Geb.  M.  2.  


268  YerzeichniB  der  eingelaafenen  Dmckschriften. 

Mistral,  Fr.,  Mir^o,  proyenzalkche  Dichtung.  Deutsch  von  August 
B  er  tu  eh.  Vierte  Auflage.  Mit  Mistrals  Bildnis.  Stuttgart  und  Berlin, 
Cotta,  1905.  XXXIV,  259  S.  [Mit  Freuden  b^irOist  man  den  Erfolg 
dieses  Meisterwerkes  deutscher  Ubersetsungskunst,  dem  hier  nach  fflnt 
Jahren  wieder  eine  neue  Auflage  zuteil  wird.  Die  Einleitung,  die  aus 
persönlicher  Kenntnis  der  Menschen  und  der  Dinge  des  Felibriffe  heraus 
geschrieben  ist,  ist  etwas  erweitert  und  berichtet  auch  vom  halbhnndert- 
jährieen  Jubiläum  des  Feliberbnndes  im  Mai  1904.1 

Lewent,  E.,  Das  altprovenzalische  Ereuzlied  [Berliner  Dissert].  Er- 
langen, Junge,  1905.    128  S. 

Lef  ^yre,  Ed.,  L'ann^  f^libr^nne  (2*  ann^,  1904),  Deuzi^e  sunpl^ 
ment  du  Catalogue  f^libr^n  et  de  ia  bibliographie  Mistralienne.  Mar- 
seille; Buat,  1905.  54  8.  [Eine  sehr  willkommene  und  nOtzliche  Chronik 
und  Bibliographie  der  Feliber-Bew^^ng,  mit  der  Liebe  gemacht,  die  auch 
das  £leine  (z.  B.  die  Ansichtskarten)  nicht  vergifstl 

Schädel,  B.,  Mundartliches  ans  Mallorca.  Halle,  R  Haupt,  1905. 
48  8. 


Giomale  storico  della  lett  italiana,  dir.  e  red.  da  F.  Novati  e 
R.  Benier.  Fase.  184 — 5  [U.  Ckwmo,  Giuseppe  Baretti  e  Jos^  Francisco 
de  Isla.  —  Varietä:  V.  Pirazzoli,  Sopra  due  irammenti  poetici  dell'ArioBto. 
—  R  Bergadani,  Nota  suUa  questione  delie  Füippiehe.  —  Basse^na  biblio- 
grafica.  —  Bolletino  bibliografico.  —  Annunzi  analitici.  —  PuBblicazioni 
nuziali.  —  Oommunicazioni  ed  appunti.  —  Cronacal  —  Supplemento  N^  8: 
A.  Farinelli,  Apnunti  su  Dante  lo  Ispagna  nell'Etä  Media.  —  F.  Cavicchi, 
Intomo  ai  Tebaldeo.  —  Varietä:  F.  Fasini,  Un  plagio  a  danno  di  Vin- 
cenzo  Monti]. 

Bulletin  Italien.  V  (1905),  2  [Paget  Tovnbee,  Dante  and  the  legend 
of  St  John  the  Evangelist  (Potwl  XXV,  100—2;  112—24).  —  P.  Duhem, 
Albert  de  Saxe  et  Leonard  de  Vinci,  IL  —  L.-G.  PeUissier,  ün  trait^  de 
g^graphie  politique  de  l'Italie  ä  la  fin  du  15®  si^le.  —  M.  Paoli,  Lenau 
et  Leopardi.  —  M^langes  et  documents :  L.  Auvray,  Inventaire  de  la  col- 
lection  Custodi,  VI.  —  Bibliograjphiel. 

Dante  Alighieri,  La  iJiyma  Commedia,  con  postille  e  cenni  intro- 
duttivi  del  prof.  Baff.  Fomadari.  Edizioue  minuscola  ad  uso  delle  let- 
ture  pubblicne  e  delle  scuole.  Milano,  Hoepli,  1904.  XXII,  577  8.  In  64». 
Lire  3.  [Fomadari  hat  seinem  Text  und  Kommentar  die  Ausgaben  T.  Ca- 
sini^,  L.  G.  Passerini  und  G.  A.  Scartazzini^  zugrunde  gelegt  und  sich 
in  Kommentar  und  in  der  Einleitung  über  Dant^  Leben  und  den  Sinn 
seines  Gedichtes  der  gröfsten  Kürze  befleifsigt.  Seine  Ausgabe  soll  der 
Schullektflre  dienen  und  besonders  ein  Hilfsmittel  für  Hörer  von  Dante- 
Vorlesungen  sein.  Die  IGeinheit  des  Formats  (7  X  1~  <^  und  das  ge- 
ringe Gewicht  des  leichten  Papiers  (75  r)  machen  das  Büchlein  faSü- 
menU  ttueabile.  Der  Druck  ist  auDserordentlich  scharf.  Diese  bequeme 
Ausübe  erscheint  in  hohem  Mause  preiswürdiff.] 

Fucini,  Benato  (Neri  Tanfucio).  Le  ve^e  di  Neri,  paesi  e  figure 
della  campaffna  toscana.  Settima  edizione,  quarta  illustrata  da  artisti 
fiorentino.  Milano,  Hoepli,  1905.  251  S.  18  X  25  cm.  Lire  5,50.  [Die 
unvergleichlichen  Schilderungen  des  toskanischen  Landvolkes,  die  Fucini 
in  seinen  < Abenden  von  Neri'  (1882)  gegeben,  liegen  hier  in  einer  ent- 
zückend illustrierten  Ausgabe  vor.] 

Scartazzini,  A.  G.,  Enciclopedia  Dantesca,  continuato  dal  prof. 
A.  Fiammazzo.  Volume  III :  Vocabolario-concordanza  delle  opere  latine 
e  italiane  di  Dante  Alighieri,  preceduto  dalla  biografia  di  G.  A.  Scartaz- 
zini. Milano,  Hoepli,  1905.  LXXII,  667  S.  llre  8.  [Der  erste  Band 
diesei  umfangreidien  Enoidopedia  ist  1896  (8.  1—1169),  der  zwdte  1899 


Verzdchnis  der  eingelaufenen  Dmclcscluiften.  269 

(S.  1170—- 2200)  erschienen.  Scartazzini  selbfit  plante  einen  Supplement- 
band, der  allerlei  Lücken  ergänzen  und  Nachträge  bringen  würde.  Dar- 
über iat  der  Qnermüdliche  18^  geetorben.  Es  war  ein  glucklicher  Gtedanke 
de»  Herausgebers,  an  die  beiden  ersten  Bände  zunächst  ein  vollständig 
Bepertorium  des  ganzen  bei  Dante  Yorkommenden  Bprachmaterials,  eine 
sogenannte  Konkordanz,  zu  fügen,  ehe  in  einem  vierten  Bande  der  ver- 
sprochene Nachtrag  erscheint.  Eine  solche  Konkordanz,  die  alle  Werke 
Dantee,  auch  die  lateinischen  und  apokryphen,  umfalst,  ist  ein  wirkliches 
Bedürfnis.  Für  De  ptdgari  ela^uenHa  ist  der  kritische  Text  der  Sodetä 
dantesca  (Bajna),  für  alle  übneen  Werke  die  Ausgabe  Moore  {Cheforder 
Dante,  1894),  fiir  einzelne  Apokrypha  Fraticelli  zugrunde  gelegt.  Die 
Ausffihrung  dieser  mühevollen  Arbeit  scheint  sehr  gewissenhaft  zu  sein. 
Leider  schreibt  Fiammazzo  einen  gezierten  Stil,  der  der  Klarheit  seiner 
MnleUung  erheblichen  Eintrag  tut.] 

Passerini,  G.  L.,  e  Mazzi,  C,  Un  decennio  di  bibliografia  Dan- 
tesca (1891—1900).  Milano,  Hoepli,  1905.  VII,  668  S.  Lire  12.  [Pass^ 
rini  und  Mazzi  arbeiten  an  einer  alle  Zeiten  und  Länder  umfassenden 
Dante-Bibliographie.  Möge  es  ihnen  gelingen,  ein  solches  Biesenunter- 
nehmen  zu  uücklichem  Ende  zu  führen  1  Welch  wertvolles  Arbeitsinstru- 
ment ihre  Bibliographie  sein  wird,  das  zeigt  dieses  Spezimen,  das  ein 
Jahrzehnt  der  Dante-Forschimg  inventarisiert:  die  fruchtbarste  und  wohl 
kontroversenreichste  Periode,  welche  diese  Forschung  kennt  Dieser  Band 
bietet  eine  musterhafte  Arbeit.  An  die  Aufführung  der  Edwioni  und 
Traduxdani  Danteecher  Werke  (226  Nummern)  schiieÜBt  sich  das  nach  den 
Verfiissemamen  geordnete  Verzeichnis  der  Seriäi  intomo  a  Dante,  N°  227 
bis  4285,  wozu  noch  hundert  Nummern  Nachträge  kommen.  Die  einzelnen 
Ausgaben  imd  Monographien  sind  mit  Verweisen  auf  die  bedeutenderen 
Bezensionen  versehen  —  wo  am  ehesten  noch  kleine  Lücken  zu  ergänzen 
wären.  Nicht  selten  orientiert  eine  kurze  Bemerkung  über  den  Inhalt 
oder  Charakter  der  angeführten  Schrift  Drei  Indices  ermöglichen  die 
volle  Ausbeutung  des  Buches:  ein  Personen-  und  ein  Sachregister  sowie 
eine  Liste  der  Textstellen  aus  Dantes  Werken,  mit  denen  die  Forschung 
dieses  Jahrzehnts  sich  befaüst  hat] 

Poren a,  M.,  Delle  manifestazioni  plastiche  del  sentimento  nei  per- 
sonaggi  deila  Divina  Commedia.  Lavoro  premiato  con  premio  di  nnmo 
grado  nella  Gkira  Dantesca  fra  i  professori  di  scuole  secondarie  de! r  anno 
1900.    Con  due  appendice.    Milano,  Hoepli,  1902.    XI,  190  S.    Lire  4. 

5 Feine  Bemerkungen  eines  künstlerisch  empfindenden  Menschen  über  die 
Elastik  der  Danteschen  Figuren.  Unter  den  Personen  des  Purgatorio 
fällt  insbesondere  Matelda  durch  ihre  plastische  Gestaltung  auf.  Dem 
Bätsei  ihrer  symbolischen  Bedeutung  widmet  Porena  einen  der  beiden 
ojfpendieijj^.  188 — 165):  er  erkennt  in  ihr  die  die  irdische  Glückseligkeit 
bildende  Vereinigung  von  tätigem  (Lia)  und  beschaulichem  (Bachele) 
Leben.] 

Sanvisenti,  B.,  I  primi  influssi  di  Dante,  del  Petrarca  e  del  Boc- 
caccio sulla  letteoratura  spagnuola,  con  appendici  di  documenti  Inediti. 
Milano,  Hoepli.  1902.  XVl,  468  S.  Lire  7,50.  [Dieses  Buch  hat  das 
unbestreitbare  Verdienst,  zum  erstenmal  im  Zusammenhang  darzustellen, 
in  weichem  MaCse  die  Werke  der  drei  grolsen  Florentiner  die  Literatur 
Spaniens  beeinflulAt  haben.  Dals  Sanvisentis  Liformation  noch  recht 
lückenhaft  ist  und  oft  genug  an  der  Oberfläche  sich  bewegt,  haben  seither 
Farinellis  Studien  gezeigt.  Es  ist  nicht  das  kleinste  Verdienst  dieses 
Baches,  dafii  es  augenscheinlich  den  Anstols  dazu  gab,  daüs  Farinelli  mit 
den  Besultaten  seiner  ntlndlichen  Forschungen  hervorgetreten  ist:  La  far- 
tuna  del  Petrarea  in  upagrui,  cL  Archiv  0X1 V,  269;  //  Oorbaeoio  nella 
Spagna  medievale  in  der  Festgabe  für  Ad.  Mussafia  (1905);  Boecaooio  in 
lipagna  hier  CXIV,  897  iL  und  nun  auch:] 


270  VeneiolmiB  der  eingdAufenen  DrockschrifteD« 

Farinelliy  A.,  Appunti  su  Dante  in  Ispegna  neU  etft  Media  [S.-A. 
aoB  Oiom.  üorico  della  Uü.  Haliana,  Sapplem.  n^  8].  Torino,  Loeecfaery 
1905.  105  8.  [Dante  heilet  hier:  die  Oommedia,  denn  seine  Opera  mimon 
waren  im  Spanien  des  15.  Jahrhunderts  wenn^  nicht  TöUig  nnhekfumt, 
80  doch  litmrisch  wirkunselos,  wie  Farinelli  zeigt,  der  mit  der  sicheren 
GMehrsamkeit,  die  man  Dingst  an  ihm  kennt,  den  Spuren  des  diomo 
poema  hei  den  Katalanen  and  den  Eastiliem  nachecht,  viel  Neaes  anf- 
weiiend,  manches  Alte  berichtigend.  (Dals  der  aUegorische  'dear*  des 
Villasandino  (Oaneionero  de  Borna  iiP  34.  anno  1407)  auf  Dantes  Canzone 
Tre  donne  beruhe,  hat  mich  freilich  nicnt  überzeugt)  Auch  den  Portu- 
cnesen,  die  von  SantiUana  und  Juan  de  Mena  lernen,  widmet  er  einige 
Seiten.  Ob  die  Katalanen  auch  als  'dantistas'  die  Brücke  zwischen  Italien 
und  Spanien  geschlagen  haben,  muis  ungewüs  bleiben.  Aber  hervorraffend 
ist  ihr  Anteil  auf  alle  Falle,  und  die  Versflbersetzunff  des  Katalanen  Febrer 
ist  der  flüchtigen  Prosawiedembe  Enrique's  de  Villena  überlegen.  Ob- 
sdion  das  15.  Jahrhundert  in  oer  Fülle  seiner  all^orischen  Dichtung  eine 
Dünstige  Prädispoeition  zur  Elrfassunff  der  OommSUa  besaCs,  so  ist  doch 
die  NMhahmung  rein  fiufserlich  geblieben,  beim  ersten,  Imp^al,  wie  dann 
auch  bei  den  besten,  Santillana  und  Mena,  die  für  manche  poeUe  minores 
die  einzige  —  mittelbare  —  Quelle  einiger  Dante- Kenntnisse  gebildet 
haben.  Es  fehlte  in  Spanien  wie  in  Frankreich  der  grolse  J^nstler. 
Daffir  lockte  den  Nachempfindenden  die  leichtere  Verstfindiichkeit  des 
Roman  de  la  Boee  oder  die  elegante,  einförmige  Glätte  des  Maeeiro  JJen 
C^arrotier,  muy  elaro  poeta  modemo.  Wo  sie  das  Feld  beherrschen,  da 
ist  der  Weg  zum  wahren  Dante  versperrt  —  da  dient  Dante  nur  dazu, 
den  landläufigen  Allesorien  einige  Ornamente  zu  liefern.  Wie  diese  Orna- 
mentik im  einzelnen  oeschaffen  ist,  das  illustriert  mit  immer  neuen  fiei- 
spiden  und  zeigt  in  immer  neuer  Beleuchtung  diese  schöne  Arbeit  Fari- 
nellis.1 

li ovati.  Fr.,  II  Petrarca  ed  i  Visconti  NuoYe  ricerche  su  documend 
ineditL  76  8.  mit  einer  Tafel  [S.-A.  aus  F.  Petrarea  e  Ja  Lombardia]. 
Milimo,  Tipografia  Ck>gliati,  1904.  [Novati  beleuchtet  auf  Grund  Ton  fünf 
unedierten  und  einem  bisher  kaum  beachteten  Dokument  Petrarcas  Be- 
ziehungen zu  den  Visconti,  d.  h.  im  wesentlichen  des  Dichters  Aufenthalt 
zu  Mafland  (1358—61).  Neues  Licht  fällt  auf  den  pmönlichen  Freundes- 
kreis Petrarcas:  in  dem  £}rlebnis  eines  Freundes  sieht  Novati  das  ent- 
scheidende Motiv,  das  Petrarca  bewog,  das  gefährliche  Mailand  zu  ver- 
lassen.] 

8 ubak,  G.j  NotereUe  sarde.  27  S.  [S.-A.  aus  dem  Areheografo  trieetino 
Serie  III,  voL  ID.  Trieste,  SUbilimento  G.  Oaprin,  1905.  [Subak  nbt 
hier  im  wesentlichen  Ergänzungen  zu  seinen  Brteoieke  sarde,  Triest  1908, 
und  behandelt:  1)  Uüa  2)  osoa  3)^  maUesi  4)  igü^  tgussu,  iguddäe  5)  La 
terza  persona  del  plurale  nei  verbi  6)  nuraghe  7)  dae  =:  lä  dove  8)  alioimu 
0)  Spigolature  dall  'Altlogudoresisches'  del  Meyer-Lübke  IG)  dütt$s,  ogiu, 
bu^egaiu  11)  inoghe  12)  Appropoeito  deUe  nuova  edizione  della  Oarta  de 
Logu^ 

Foerster,W.,  Sulla  questione  dell'autenticitä  dd  codid  di  Arborea. 
£same  paleografico.  Gon  una  zinoografia  nel  testo  e  due  tavole  in  foto- 
tipia.  82  S.  [S.-A.  aus  d.  Jäemorie  deüa  R,  Aceademia  dsUe  Seienxe  di 
Ibrino,  serie  11,  vol.  55].  Torino,  Clausen,  1905.  [In  der  Masse  der  ge- 
fälschten 'Urkunden  von  Arborea'  hat  Förster  zwei  echte  Stücke  des 
15.  Jahrhunderts  gefunden:  eine  Hafenordnung  von  Oastelsardo  (log^do- 
resisch)  und  ein  unediertes  latein.-katalanisches  Notariatsm>tokoll.  Zu 
dieser  interessanten  Publikation  vgl.  Zs.  f.  rom,  F%iL  XXIX,  250  ff.] 

Methode  Toussaint-Langenscheidt  Brieflicher  Sprach-  und 
Sprechunterricht  für  dss  Selbststudium  der  italienischen  Sprache  von 
Ehr.  H.  Sabersky,  unter  Mitwirkung  von  Prot  G.  Sacerdote.    Berlin, 


YerzdcbuiB  der  dngelaufenen  Dnicksclirifteii.  271 

LangeDBchddt.  Brief  27 — 80  zu  M.  1.  —  Taschenwörterbuch  der  ita- 
lienischen und  deutschen  Sprache.  Mit  Angabe  der  Aussprache  nach  dem 
phonetischen  System  der  Meth.  Toussaint-Langenscheidt.  zusammengestellt 
von  G.  Sacerdote.  Teil  I:  Italienisch -Deutsch.  Berlin -Schönebarg, 
Langenscheidt,  1905.    XKXYL,  470  S.    Qeb.  M.  2. 


Bulletin  hispanique.  VII,  2  FH.  de  la  Vüle  de  Mirmont,  Gio^ron  et 
les  Espagnola.  —  J.  carolhanayy  Kemarques  snr  la  oonjugaison  catalane, 
eine  Uoersicht,  die  ursprünglich  iür  die  zweite  Auflage  cfes  Gröbencüben 
Orundriasea  bestimmt  war.  —  0.  Michaelis  de  Vasconcellos,  Algumas  pa- 
lavras  a  respecto  de  pücaros  de  Portugal,  eine  sehr  interessante  Erffänzunff 
Ton  Morels  Artikel  über  span.  eomer  barro  (Tonerde  essen)  in  den  Mi- 
langes  Wahhmd  1896 :  pueoro,  buearo  (<  poeulum)  bezeichnet  das  poröse 
Tongefäfs,  das,  aromatisch  zubereitet,  zur  Parrümierung  der  Zimmer 
diente  —  besonders  sdt  der  Entdeckung  Amerikas  — ,  und  dann  auch  die 
aromatische  Tonpastille,  welche  die  spanischen  und  portugiesischen  Schönen 
im  17.  Jahrhundert  leidenschaftlich  naschten.  —  R  Mdrim^  D.  Juan 
Valera.  —  Vari^t^:  A.  Morel-Fatio,  D.  Nuno  de  Mendo^a.  —  Bibliogra- 
phie. —  Sommaire  des  Bevues  consacr^  aux  pap  de  langues  castiUane, 
catalane  ou  portugaise.  —  ChroniqueJ. 

Beyista  ae  archivos,  bibliotecas  v  museos.  Numero  extraordinario  en 
comemoraciön  del  Centenario  dei  Quifote,  Mayo  1905  [M.  Men^ndez  7 
Pelayo,  Gultura  literaria  de  M.  de  C^antes  j  elaboraciön  del  Quijote, 
Festreden  gehalten  in  der  Aula  der  Madrider  Universität  —  Infantin  Dofia 
Paz  de  Borbön,  Tomeo  en  el  Palatinado  en  1618:  aus  Anlafs  der  Hoch- 
zeit des  Kurfürsten  Friedrich  V.  mit  Isabella  Stuart  wurde  bei  den  Hof- 
festlichkeit  im  Heidelberger  SchloCs  auch  ein  Turnier  abgehalten,  zu  wel- 
diem  2>.  Quifote  de  la  ManchOf  eahaÜero  de  la  triste  figura  alle  benach- 
barten Bitter  einlud.  —  P.  Torres  Lanzas  publiziert  zum  erstenmal  voll- 
ständig den  Text  jener  Eingabe,  mit  welcher  Cervantes  1590  um  ein  Amt 
in  Westindien  bittet.  —  A.  M.  de  Barcia,  Exposiciön  conmemorativa  de 
la  publicaciön  del  Quijote,  —  Em.  Gotarelo,  Biblio^fia  de  los  principales 
escritoe  publicados  con  ocasiön  del  teroer  centenano  del  Quijote]. 

R.  Men^ndez  Pidal,  Sobre  Aluacaxl  y  la  elegia  änibe  de  Valencia 
[S.-A.  aus  dem  Bomentm  ä  D.  Franeiseo  Ooaera  en  su  jubilaeiön  del  pro- 
fesorado,  S.  898—409].  Zaragoza  1904.  [Die  spanische  Köni^chronik  ent- 
iialt  Transkription  und  Ubäsetzung  einer  arabischen  Elegie,  welche  die 
Not  der  vom  Cid  belagerten  Stadt  Valencia  beklagt,  und  deren  Dichter 
AluaoBoi  sich  im  Sinne  einer  Übergabe  der  Stadt  ausspricht  Men^ndez 
Pidal  restituiert  mit  Hilfe  des  Arabisten  J.  Bibera  den  Urtext  in  ara- 
bisdier  Graphie.  bes^eitet  ihn  mit  phonetischen  Bemerkungen  und  erweist 
die  Bedeutung  aer  Elegie  g^enüber  den  Zweifeln  Dozys.] 

Morel-Fatio,  A.,  ün  iauz  autographe  de  Cervantes.  Paris,  Idbrairie 
Henri  Ledere,  1905.  15  S.  [Das  Mus^  Dobrde  zu  Nantes  bewahrt  einen 
kurzen  Brief  des  Cervantes  auf,  dessen  Unechtheit  Morel  paläographisch 
und  sprachlich  erweist] 

valera,  Juan,  Discnrso  aue  por  encargo  de  la  B.  Academia  eepafiola 
eacribiö  Exemo.  Sr.  D.  Juan  Valera  para  conmemorar  el  tercer  centenario 
de  la  pubUcadön  del  Quijote.  Madrid  1905.  37  S.  [Die  Bede  ist  leider 
ein  Fragment  geblieben.  Der  Tod  hat  Valera  verstummen  lassen,  nach- 
dem er  kaum  t^onnen,  von  den  allgemeinen  Betrachtungen  zum  speziellen 
Teil  überzugehen.] 

Farinelli,  A.,  Cervantes.  Zur  300jähri^n  Feier  des  Don  Qumte. 
Festrede,  gehalten  in  Zürich  am  6.  März  1905  im  Auftrage  des  Lesezirxals 
Hottingen  [S.-A.  aus  dei  Beilage  zur  AUgem,  Zeitung  K^  118—115]].  Mün- 
chen 1905.    89  S.    [Eine  sehr  schöne  Gedenkrede,  deren  Verf.  mit  vollen 


272  Yeneichiiis  der  eingeUufenen  DrudnchiiftaD. 

Hfinden  auB  dem  reicheQ  Anenal  der  Tergleichenden  Literatargeschichte 
schöpft] 

Oirot,  G.,  Mariana  historien.  Bordeaux,  F^ret  et  Fila,  190&  XIV, 
481  ß.    Fr.  15. 

Hans  Ben,  Fr.,  Sobre  el  metro  dd  poema  de  Femän  Gonzilez.  San- 
tiago de  Chile,  Imprenta  CervanteB,  1904.  29  8.  fCf.  Arckio  CXIV, 
24&— 50:  Hanasen  vertritt  die  Meinung,  dafs  der  Veri.  des  Gedichts  wie 
auch  z.  B.  L6pes  de  A]^ala  aus  nationiuer  Gewöhnung  die  aus  Franloreidi 
importierte  euadema  via  d  MmIhu  euntadas  mit  einheimischen  Romanzen- 
Versen  durchsetzt  habe.]  

F^lix  Jos^  de  Augusta,  Fray,  Misionero  Apost61ico  Capuchino 
de  la  provincia  de  Baviera,  Gramitica  Araucana.  Valdivia,  J.  IjEunpert, 
1908  (B.  Herder,  Freiburg  i.  B.).    XVI,  408  8.    M.  5. 


Maerkel,  Prof.  Dr.  Paul,  Der  Kulturwert  des  Russischen.  Pro- 
gramm des  Askanischen  Gymnasiums  zu  Berlin.  Berlin,  Weidmann,  19o5. 
Progr.  55.    80  8.    M.  1. 

Kawraysky,  Dr.  Tli.  v..  Deutsch-russische  Handelskorrespondenz 
(GOschens  Kaufmännische  Bibliothek,  6).  Leipzig,  Göschen ;  8t  Petersburg, 
Wolff,  1905.    IX,  250  8.    Geb.  M.  8. 


^  JAN  17]9r3 
Znr  Inti^^^pg  4^Värehens. 


A'  / 


(Fortsetsiing.X 


IV.    Das  indische  Märchen. 

In  keinem  anderen  Lande  ist  der  Reichtum  an  Märchen  so 
unübersehbar  wie  in  Indien.  Und  auch  in  keinem  anderen  Lande 
hat  das  Märchen  eine  dem  indischen  vergleichliche  Geschichte 
und  Bedeutung.  Schon  vor  den  Zeiten  des  Kigveda^  mindestens 
im  dritten  Jahrtausend  vor  Christus,  sind  Märchen  für  Lidien 
bezeugt,  und  wir  finden  ihre  Spuren  in  allen  folgenden  Jahr- 
hunderten. Der  Buddhismus  hat  um  diese  Märchen  das  Gewand 
seiner  Lehre  gehängt,  in  den  ersten  Jahrhunderten  unserer  Zeit- 
rechnung^ entstanden  dann  die  ersten  Märchensammlungen,  die 
spätere  Zeiten  beständig  bereicherten  und  erweiterten,  um  das 
12.  Jahrhundert  vollendet  der  bedeutendste  unter  den  uns  be- 
kannten indischen  Märchendichtem,  Somadeva,  seinen  Kathäsa- 
ritsdgara  (Ozean  des  Stromes  der  Erzählungen),  nicht  viel  später 
wurden  die  anderen  Märchensammlungen  abgeschlossen:  der 
Siddhapati  (entsprechend  den  'sieben  weisen  Meistern^),  die  Cuka- 
saptati  (70  Erzählungen  des  Papageien),  die  Sinhäsanadvatrimcati 
(32  Erzählungen  des  Thrones),  die  Yetaläpancavim9ati  (25  Er- 
zählungen des  Geistes),  das  Pantschatantra  ('FünfbuchO  und  der 
Hitopade9a  (QDie  nützliche  Anweisung').^  Diese  Sammlungen  leben, 
in  die  neuindischen  Dialekte  übertragen,  als  Schul-  und  Unter- 
haltungsbücher noch  heute,  und  aufser  diesen  durch  die  Tradition 
geheiligten  Märchen  leben  noch  viele  andere,  unendlich  mehr, 
als  wir  nach  den  vorhandenen  Aufzeichnungen  und  Sammlungen 
ahnen  können.^ 


'  VgL  auch  von  der  Leyen,  Das  indüche  Märehen,  Preufa.  Jahrhüeher 
99,  62  f.  (1900). 

'  Natürlich  enthalten  nicht  alle  diese  Sammlungen  (Schichten,  die 
nur  in  ihnen  und  sonst  nirgend  erscheinen.  Die  buddhistischen  Jätakas 
z.  B.  kehren  (meist  freilich  verändert^  im  Pantschatantra,  Somadeva  etc. 
wieder,  die  Cukasaptati  und  der  Siddnapati  haben  eine  Reihe  Geschichten 
gemeinsam  (Bolte,  Zeiiachr,  des  Vereins  f.  Volkskunde,  1905,  229),  zwischen 
Cukasaptati  und  Pantschatantra  gibt  es  viele  Berührungen  usw.  Sogar 
innerhalb  eines  Werkes,  innerhalb  des  Kathftsaritsägara  von  Somadeva 
(übers,  von  Tawney,  Bibliotheca  Indiea,  Calcutta  1881—87)  z.  B.,  wird 
dieselbe  Geschichte  zwei-  und  dreifach  erzählt.  Ich  nenne  lolgende  Mär- 
chen der  auch  darin  aufgenommenen  Vetälapaiicavimyati  (All,  75  f.): 

AfchiT  1  n.  SpxBchen.    CXY.  18 


274  Zur  EDtotehung  des  Märchens. 

Einer  solchen  Kootinuitat  und  einer  solchen  ehrwürdigen 
literarischen  Überlieferung  können  sich,  um  das  zu  wiederholen^ 
auf  der  ganzen  Welt  nur  die  indischen  Märchen  rühmen.  In 
anderen  L&ndem,  Arabien  etwa  ausgenonmien^  wird  das  Märchen 
erzählt,  aber  selten  aufgezeichnet,  es  gehört  nicht  zur  Literatur, 
dem  Inder  ^t  das  Märchen  als  Kunstpoesie,  dem  er  alle  Fein- 
heiten und  Künstlichkeiten  verschwenderisch  schenkte,  durch  die 
er  jene  auszeichnete.  Auch  die  tiefste  Philosophie  und  Lebens- 
weisheit hat  man  seit  den  Tagen  des  Buddhismus  dem  Märchen 
fortdauernd  anvertraut,  so  dals  wir  heute  die  Märchen  oft  weniger 
um  ihrer  selbst  als  um  der  wundervollen  überall  in  sie  einge- 
streuten Sprüche  willen  bewundem.  Unseren  deutschen  Ro- 
mantikern schwebte,  nachdem  sie  den  Roman  als  ein  für  ihre 
Universalität  zu  enges  Gefäfs  verworfen,  das  Märchen  als  ihre 
Kunst  vor:  darin  fügten  sich  die  Motive  leicht  und  ohne  Zwang, 
anmutig  und  schillernd,  aneinander  wie  Perlen  an  eine  Schnur, 
Lieder  unterbrechen  verlockend  und  sehnsüchtig  die  Erzählung, 
weisheitschwere  Sprüche,  Gleichnisse  und  Sjnnbole  führten  in  die 
letzten  Tiefen  und  zeigten  dem  ahnenden  Blick  den  Urgrund 
alles  Seins  und  aller  Kunst,  das  Kindlichste  und  Harmloseste 
stand  heiter  und  lieblich  neben  dem  gereiftesten  Ernst  und  den 
letzten  Erkenntnissen  der  Philosophie  und  Weisheit.  Das  Mär- 
chen umschlofs  als  reichste,  vielfältigste  und  himmlischste  Kunst 
das  ganze  Leben,  während  der  Dichter  ohne  jeden  Zwang,  in 
künstlerischer  Willkür  die  buntesten  Einfälle  aneinander  zu  reihen 
schien.  Die  Romantik  hat  ihr  Ideal  fast  niemals,  hier  und  da 
nur  in  den  Märchen  des  Novalis,  erreicht,  ihre  Kunst  war  der 
Fülle  und  dem  Reichtum  der  Märchenmotive  nicht  gewachsen, 
sie  wurden  von  den  Märchen  beherrscht,  aber  sie  herrschten  nicht 
über  das  Märchen,  und  sie  gerieten  auch  zu  gern  in  leere  Spiele- 
reien. Die  Inder  haben,  in  ihrer  Art,  eireicht,  was  die  Roman- 
tiker erreichen  wollten:  ihr  Märchen  hat  die  tiefste  Weisheit  auf- 
genommen und  zugleich  das  übermütigste  Leben  und  die  selt- 
samsten Wunder,  alles  nicht  nebeneinander,  sondern  eins  wirkt 
immer  sonderbar  und  überraschend  auf  und  gegen  das  andere, 
und  das  Märchen  hängt  unlösbar  eng  mit  Wundem  und  mit 
Leben  zusammen.  Auch  ist  gerade  der  kunstvolle  Aufbau,  die 
sichere  Herrschaft  über  die  Motive,  die  erstaunliche  Gabe,  alle 
nur  möglichen  Wirkungen  aus  ihnen  herauszuholen,  beim  indischen 
Märchen  bewundernswert    Wollte  jemand  heute  im  Ernst  jeden 

ftahmen  ^.  VII,  38  (Tawney  1, 349);  1  =  XII,  171  (Tawney  II,  157)  nnd 
=  I,  4(Nr.  I  +  XV,  Tawney  1, 44) ;  3»>  =  XVIII,  124  (Tawney  II,  617); 
4  =  rX,  53  (Tawney  I,  519);  6  und  12  =  V,  25.  26  (Tawney  1,  194  f.); 
vgl.  auch  XVIII,  120  (Tawney  II,  569  1),  14  =  XVI,  112  (Tawney  11, 
493);  16  =  ;V,  22  (Tawney  I,  174);  17  »  III,  15  (Tawney  I,  104),  vgL 
auch  VI,  83  (Tawney  I,  294). 


Zur  Entstehung  des  Märchens.  275 

Einflalis  des  indischen  Märchens  auf  das  anderer  Völker  ab- 
leognen^  das  müfste  er  zugeben:  für  kein  anderes  Land  —  auch  für 
Arabien  nicht  Tausendundeine  Nacht  —  bedeutete  das  Märchen 
das  alles,  was  es  für  Indien  bedeutet^  und  als  Abbild  der  indischen 
Seele  behält  das  indische  Märchen  immer  einen  unvergleichbaren 
Wert  für  die  Erkenntnis  der  ganzen  menschlichen  Kultur. 

Wir  mulsten  ja  wahrend  unserer  Betrachtungen  wiederholt 
auf  das  indische  Märchen  andeutend  hinweisen.  Diese  Hinweise 
nehmen  wir,  wie  schon  gesagt,  wieder  auf  und  erweitem  sie  zu 
einem  Vergleich  des  indischen  Märchens  und  der  indischen  Mäi^ 
chenkunst  mit  den  Märchenmotiven  und  Märchen  der  anderen 
Völker.  Dabei  bitte  ich  schon  im  voraus,  zu  entschuldigen,  wenn 
ich  schon  Bemerktes  wiederhole  und  etwas  schulmeisterlich  breit 
auftrete;  aber  ohne  das  könnte  ich  die  komplizierten  Entwicke- 
lungen  nicht  erklären. 

I.  Rahmenerzählungen.  Unter  den  Sagenmotiven,  die  ein- 
mal schreckhafte  Träume  waren,  hatten  wir  {Ärehiv  CXIII,  257) 
auch  das  mannigfach  variierende  Motiv  genannt:  einem  Menschen 
wird  eine  Frage  oder  ein  Rätsel  vorgelegt,  und  wenn  er  die  Ant- 
wort darauf  nicht  findet,  so  wird  er  getötet.  Dies  Motiv  er- 
weitert sich  —  ganz  analog  einem  ähnlichen,  von  dem  Unge- 
heuer, das  jährlich  ein  Menschenopfer  verlangt,  bis  ein  Held 
kommt  und  es  besi^  —  oft  dahin,  dals  der  Fragende,  ein  böser 
Geist,  eine  Sphinx  oder  eine  grausame  Prinzessin,  einen  nach 
dem  anderen,  der  keine  Antwort  weifs,  wirklich  tötet,  bis  der 
Held  kommt,  der  sich  nicht  durch  den  Untergang  aller  früheren 
schrecken  läfst,  die  Frage  richtig  löst  und  den  Geist  dadurch 
vernichtet.  Aus  dem  einen  Rätsel  sind  dann  auch  —  man  denke 
an  die  Turandot-Fassungen  unseres  Motivs '  —  mehrere  Rätsel 
geworden,  und  der  Prinzessin,  die  selbst  so  grausame  Rätsel 
stellte,  wurde  von  dem  glücklichen  Sieger  auch  ein  Rätsel  auf- 
g^eben,  damit  sie  selbst  einmal  die  Qualen  derer  empfinde,  die 
sich  umsonst  um  eine  Lösune  mühten. 

In  Indien  gab  es  nun  dies  Märchen:^  Ein  Bettler  schenkt 
einem  König  eine  Frucht  mit  Juwelen,  er  verlangt  dafür,  dafs 
dieser  ihm  einen  Leichnam  hole,  in  dem  ein  zauberkräftiger  Geist, 
ein  sogenannter  Vetala,  sich  aufhalte.  Der  König  holt  den  Leich- 
nam, erfährt  aber  von  dem  innewohnenden  Geist,  der  an  der 
Furchtlosigkeit  dieses  Herrschers  seine  Freude  hat,  dafs  der  Bett- 
ler ihn  vernichten  wolle,  er  tötet  darum  diesen  und  wird  selbst 
der  Zauberkräfte  mächtig,  die  der  Geist  verleihen  kann. 


'  Zu  Turandot:  Liebrecht,  Zur  Volkskunde  153;  Chauvin,  Bibliografie 
des  Ouvroffes  ...  Arabes  V,  191  f. 

«  Somadeya  VII,  3ö  (Tawney  I,  349). 

18* 


276  Zur  Entotehüng  des  MizoheiiB. 

Als  Zusatzmotiv  wurde  nun  zu  diesem  Mfirchen  das  Motiv 
erfunden:  der  König  kann  den  Geist  nur  an  seinen  Platz  brinffen, 
wenn  er  schweigt  Aber  der  Geist  erzählt  dem  König  Geschich- 
ten, und  diese  enden  alle  so  drastisch  und  unerwartet,  dals  dem 
König  gegen  seinen  Willen  immer  Ausrufe  des  Entsetzens,  £r^ 
Staunens  oder  der  Bewunderung  entfahren.  Bei  jedem  dieser 
Ausrufe  verschwindet  der  Greist,  der  König  lauft  hmter  ihm  hw 
und  holt  ihn  wieder  ein,  und  das  wiederholt  sich  vierundzwanzig- 
mal,  bis  der  König  schweigt  und  seinen  wirklidi  sehr  mühselig 
verdienten  Lohn  empfangt^ 

So  waren  aus  einem  Märchen  fünfundzwanzig  Märchen  ge- 
worden und  das  alte  Grundmärchen  doch  erhalten  geblieben,  als 
eines  mit  vielen  Einschachtelungen,  mannigfaltiger  und  span- 
nender. Diese  Spannung  hat  man  noch  erhöht,  indem  man  nicht 
seltsame  Pointen,  sondern  Fragen  an  das  Ende  der  Greschichten 
setzte:  der  Geist  stellt  sie  dem  König,  um  dessen  Ansicht  über 
die  Personen,  Ereignisse  und  Probleme  der  mitgeteilten  Ge- 
schichten zu  hören.  Dabei  bedroht  er  den  König  —  und  damit 
sind  wir  wieder  bei  dem  alten  Alptraummotiv  angelangt  —  mit 
dem  Tode,  wenn  er  diese  Fragen,  die  er  absichtlich  dumm  und 
unwissend  stellt^  nicht  richtig  beantwortet  Der  König  gibt  die 
verlangten  Antworten,  immer  fein  und  geistreich,  aber  sowie  er 
zu  Ende  ist,  verschwindet  der  Geist,  bis  er  endlich  selbst  dieses 
Hin-  und  Herlaufens  müde  wird  und  dem  König  eine  Frage  stellt^ 
die  dieser  trotz  allen  Nachdenkens  nicht  richtig  lösen  kann.^  Et 
schweigt  daher,  erreicht  sein  Ziel,  tötet  den  fiSschen  Bettler  und 
wird  &sin  mit  so  viel  Ruhm  und  Anerkennung  überhäuft^  da(s 
uns  sogar  seine  Mühe  gering  scheint  —  Das  ist  der  Bahmen 
der  inmschen  Yetftlapancavim9ati.  Die  alte  einfache  und  grau- 
same Alternative  in  unserem  Motiv  haben  also  die  Inder  in  ein 
sehr  künstUches  Dilemma  umgewandelt:  wenn  der  König  schweigt, 
wird  er  getötet,  wenn  er  redet,  bringt  er  sich  um  den  Lohn  sei- 
ner Kühnheit,  um  den  Geist  Er  entschliefst  sich,  da  er  dem 
Bettler  sein  Versprechen  halten  will,  zum  Beden,  und  das  wieder- 
holt sich  vierundzwanzigmal,  bis  sich  der  Geist  des  Königs  er- 
barmt 

Die  Erweiterungen  des  alten  Fragemotivs  in  den  auiser- 
indischen  Fassungen  wie  in  der  Sage  von  Odipus,  der  Turandot 
bestrebten  sich,  den  Helden  recht  hervorzuheben,  weil  er  vor 
einem  Wagnis  nicht  zurückschreckte,  bei  dem  seine  Vorgänger 

*  So  in  der  mongoliBcheii  Fassung  der  Vet&Iapaficavim^atiy  vgl.  von 
der  Lejen,  Indische  Märchen  122/25;  Frmfa,  Jahrbücher  99  (1900),  8.  65; 
Jülg.  Die  Märchm  des  Siddhi-KUr,  Leipzig  1866. 

^  Vater  und  Sohn  heiraten  Mutter  und  Tochten  aber  der  Vater  die 
Tochter  und  der  Sohn  die  Mutter,  beider  Paare  Kinder  heiraten  sich 
wieder,  wie  sind  nun  alle  miteinander  verwandt? 


Zur  Entstehtug  des  MSrohens.  277 

alle  den  Tod  fanden.  Nnr  die  Turandot-Dichtong,  d.  L  eine 
orientalische  Dichtung^  steigerte  auch  die  Bedeutung  des  Motivs^ 
indem  sie  die  Ratsei  vervielfältigte  und  an  Sieger  und  Besiegte 
verteilte.  Im  Indischen  tritt  der  Held  zurück^  den  Inder  ver- 
lockt das  Motiv  selbst,  er  versucht,  es  zu  dehnen,  zu  ver- 
vielfältigen, zu  verkünsteln  und  schliefslioh  zu  mildem.  Dies  ver- 
künstelte Motiv  bringt  er  in  eine  seiner  alten  Geschichten  hinein, 
und  er  weils  die  Spannung  immer  aufrecht  zu  erhalten,  indem 
der  König  jedesmal  eine  neue  Gelegenheit  findet,  seinen  Scharf- 
sinn und  seinen  überlegenen  Geist  zu  zeigen. 

Es  wird  also  im  £idischen  zweierlei  erreicht:  eine  alte  Ge- 
schichte künstlich  verlängert  und  ein  auch  anderen  Völkern  be- 
kanntes Motiv  in  ein  höchst  abwechselungsreiches  Frage-  und 
Antwortspiel  verwandelt.  Dabei  zeigt  siöh  eine  Vorliebe  für  das 
Massenhme  und  ein  Geschick  in  der  Variation,  das  andere  Völ- 
ker nicht  von  weitem  erreichen. 

Die  Vetälapancavim9ati  kam  nun  als  Ganzes  nicht  nach 
£aropa.  Unser  erstes  Beispiel  gibt  also  nur  eine  Probe  von  der 
indischen  Erzählungskunst,  wie  sie  sich  bei  einem  einheimischen 
und  einem  internationalen  Motiv  bewährte.  Ganz  ergebnislos  für 
die  Frage  nach  dem  Einflufs  der  indischen  Märchen  auf  Europa 
ist  aber  auch  dies  Beispiel  nicht:  wir  dürfen  im  Anschlufs  daran 
behaupten,  dafs  die  Technik  der  Bahmenerzählung,  die  uns  hier 
zum  erstenmal  b^egnet,  und  die  auch  abendländische  Märchen- 
sammlungen kennen,  in  Indien  erfunden  und  ausgebildet  wurde. 

Ich  will  diese  Behauptung  durch  einige  Beispiele   beweisen. 

Throne,  an  denen  die  Kunst  ganzer  Völker  ihr  Bestes  ver- 
schwendete. Throne,  die  Macht  und  Herrlichkeit  ihrer  Besitzer 
zur  sinnenfälligsten  Geltung  brachten,  schildern  uns  Dichtung 
und  Phantasie  der  Völker  gern,  vor  allem  die  des  Orients.  Zu 
diesen  Thronen  führen  goldene  Stufen  empor,  der  Thronsessel 
funkelt  von  Juwelen,  Edelsteinen  und  den  erlesensten  Kostbar- 
keiten, seltsame  und  ungeheuerliche  Tiere  halten  daran  Wacht: 
und  es  wird  sogar  erzählt,  dafs  diese  Tiere  wie  wirkliche  Tiere 
ihre  Stimme  erschallen  liefsen,  und  dafs  sie  vermittels  eines 
künstlichen  Mechanismus  den  König  auf  den  Thronsessel  hoben, 
wenn  er  den  Thron  besti^. 

Derart  etwa  wird  in  spätjüdischer  Dichtung  der  Thron  des 
Salomo  geschildert^  Von  ihm  wurde^  aufserdem  gefabelt,  dafs 
die  sämtlichen  Tiere  —  ein  wildes  und  ein  zahmes  standen  sich 
jeweils  gegenüber  —  ein  milstönendes  Geschrei  erhoben,  sobald 
jemand  vor  dem  Thron  eine  Lüge  aussprach,  und  dafs  Nebu- 
kadnezar  den  Thron  besteigen  wollte,  die  Tiere  des  Thrones  aber 


^  VgL  Paulus  Cassel,  WissemehafUiehe  BeriefUe  der  Erfurter  Akademie 
1  (1858),  56—188. 


278  Zur  EntstehuDg  des  MSrchens. 

machten  ihm  diese  Besteigmig  unmöglich.  Erst  Eyras  war  des 
Thrones  wieder  würdig. 

Diesem  letzten  Motiv  ist  die  folgende  indische  Geschichte 
bei  Somadeva  ähnlich:^  Ein  Konig  kommt  in  eine  menschenöde^ 
wunderbare  Stadt^  er  erblickt  dort  einen  edelsteinprangenden 
Thron  und  will  sich  daraufsetzen:  ein  Geist  verbietet  es  ihm, 
dieses  Thrones  seien  nur  Unsterbliche  würdig.  Aber  als  der 
Eonig  sich  zu  erkennen  gibt  als  Boten  des  berühmten  Vikramft- 
ditya,  darf  er  den  Thron  besteigen,  und  die  Geister  dienen  ihm. 

Dies  Märchen  wurde  zu  einem  Rahmenmärchen  ausgebildet: 
der  Thron,  hiefs  es,  war  nach  dem  Tode  seines  berühmten  ersiten 
Besitzers  vergraben,  und  wer  über  dem  Throngrabe  lebte,  dem 
teilten  sich  besondere  Gaben  mit,  sei  es  ungewöhnliche  Klugheit,^ 
sei  es  ungewöhnliche  Freigebigkeit.^  Durch  diese  Gaben  wurde  ein 
kluger  König  aufmerksam,  er  liefs  an  der  Stelle  nachgraben  und 
fand  einen  prachtvollen  Thron,  rechts  und  links  umgaben  ihn  im 
Halbrund  je  sechzehn  Figuren.  Als  er  sich  nun  auf  den  Thron 
niederlassen  will,  erhob  sidi  eine  der  Figuren  und  hielt  ihn  zurück; 
du  darfst  nicht  auf  den  Thron,  sagt  sie,  es  sei  denn,  du  wärest 
gerecht  und  khig  wie  Jener  König,  dem  er  gehörte.  Und  sie  er- 
zählt ihm  eine  Geschichte  von  der  Weisheit  jenes  Herrschers. 
Wie  die  erste,  so  die  folgenden:  bis  der  König  alle  zweiund- 
dreifsig  Geschichten  hörte  und  nun,  da  er  die  gesamte  Weisheit 
jenes  Thronbesitzers  in  sich  aufnahm,  auch  auf  dessen  Thron 
sitzen  darf. 

Hier  hat  sich  also  eine  Geschichte  zu  zweiunddreilsig  ver- 
vielfacht, die  Klugheit  des  ersten  Thronbesitzers  wird  aufserdem 


«  XVIII,  124  (Tawney  II,  614  1). 

'  8o  bei  Jülg,  MongoL  Märchen,  Innsbruck  1860,  197  f.,  und  ursprüng- 
lich auch  in  der  persischen,  einer  indischen  Rezension  entstammenden 
Fassung,  Senguehasaen  Battiat  (deren  Held  Bekermadjiet),  S.  45  f.  Diese 
persische  Fassung,  mir  nur  aus  der  sehr  seltenen  Übersetzung  Lescalliers 
{Le  trotte  enehanU,  traduü  du  peraany  New  York,  imprimerie  de  Desnoues, 
1817)  bekannt,  hat  für  den  Märchenforscher  vielerlei  Interesse.  Einmal  durch 
merkwürdige  Motive  (Toter  Voeel  wird,  wie  er  ergriffen  werden  soll,  lebendig 
und  entfli^  immer  seinem  ^rf olger;  Traummotiv?  —  König  regiert  nur 
für  einen  Tag  und  wird  nachts  von  einem  bösen  Geist  aufgefressen,  ebenso 
alle  seine  Nachfolger,  vgl.  Frazer,  Oolden  Bough,  Einleitung),  dann  durch  ihre 
merkwürdige  Mittelstellung  zwischen  der  mongolischen  und  der  späteren 
indischen,  von  Albrecht  Weber  herausgegebenen  Form  der  Throngeschichte, 
drittens  durch  ihre  Beziehungen  zum  persischen  und  türkischen  Papageien- 
buch, viertens  durch  ihre  Ännlichkeiten  mit  der  indischen  Vetälapanca- 
vim9ati,  von  der  sie  offenbar  eine  Reihe  Märchen  übernahm:  der  Inhalt 
beider  Sammlungen,  insofern  sie  von  den  Taten  und  Abenteuern  eines 
klugen  und  tapferen  Königs  erzählen,  berührt  sich  ohnehin  vielfach,  frei- 
lich kommt  der  König  vom  verzauberten  Thron  dem  Ideal  des  buddhisti- 
schen Herrschers  näher. 

'  So  im  späteren  Indischen,  vgl.  Albrecht  Weber,  Indische  Studien  XV 
(1878),  217  1 


Zur  Entstehuog  des  MfirchenB.  279 

nicht  einfach  behauptet^  sondern  sie  lebt  in  einer  Fülle  von  Ge- 
schichten immer  von  neuem  auf^  der  König  wird  so  lange  zurück- 
gehalten, bis  er  die  ganze  Weisheit  des  Thrones  hört,  bnd  dabei 
ist  das  Motiv  von  höchst  eigentümlicher  Wirkung,  dafs  diese 
toten  Bildsäulen  Leben  erhalten,  aber  nur,  damit  sie  das  Ver- 
mächtnis des  früheren  Herrschers  der  Nachwelt  überliefern  kön- 
nen, dann  sinken  sie  wieder  in  die  alte  Leblosigkeit  zurück.  Die 
Inder  haben  hier  ein  altes  Motiv  nicht  allein  kompliziert,  ver- 
vielfacht, seinen  Schluls  hinausgeschoben,  wie  in  der  Vetdla- 
pancavim9ati  auch,  sie  haben  es  äuiserlich  ins  Märchenhafte  und 
zugleich  innerlich  ins  Lebenstiefe  gesteigert:  und  das  ist  auch 
eine  Kunst,  deren  nur  sie  fähig  waren. 

Auch  die  Cukasaptati^  entstand  aius  einem  einfachen  Mär- 
chen: Ein  Kaufmann  verreist  und  läTst  seine  Frau  unter  dem 
Schutz  eines  Papageienpaares  zurück.  ICaum  ist  er  aus  dem 
Hause,  so  will  die  Frau  das  Ehebrechen  anfangen,  der  jüngere 
Papagei  warnt  sie,  trotz  Abraten  des  älteren,  und  wird  von  der 
erbosten  Herrin  sofort  umgebracht,  der  ältere  Vogel  schweigt^ 
erzählt  aber  dem  zurückkehrenden  Kaufmann  alles,  was  er  mit 
ansah,  und  fliegt  davon.  ^  Solche  Anekdoten  von  Frauen,  die 
unter  dem  Schutze  kluger  Vögel  zurückgelassen  werden,  wenn 
der  Mann  verreist,  waren  keine  indische  Spezialität,  die  alten 
Griechen  kannten  und  verbreiteten  ähnliches  auch.^  In  den 
Cukasaptati  wird  der  unbequeme  Warner,  eine  Krähe,  gleichfalls 
umgebracht;  nun  aber  kommt  die  Erweiterung:  der  Papagei 
schweigt  nicht,  er  fordert  die  Frau  sogar  auf,  zu  ^ehen.  und 
ihre  Jugend  zu  geniefsen,  nur,  fährt  er  fort,  wenn  du  ertappt 
wirst,  sei  so  klug  wie  . . .,  und  nun  erzählt  er  eine  Geschichte, 
meist  vom  Ehebruch.  Im  spannendsten  Moment,  wenn  wir  glau- 
ben, nun  wird  die  Schuldige  ertappt,  und  wenn  wir  gar  keine 
Lösung  mehr  sehen,  hält  er  ein  und  erzählt  nicht  weiter,  bevor 
ihm  die  Frau  versprochen,  sie  werde  heute  nicht  gehen.  Das 
wiederholt  sich  siebzigmal,  bis  der  Kaufmann  wiederkommt,  seine 
Frau  ist  ihm  nun  treu  geblieben,  der  Papagei  wird  belohnt,  und 
das  Märchen  endet  in  eitel  Glück  und  frieden. 


'  !P(eoUus)  8{implicior),  übersetzt  von  B.  Schmidt,  Kiel  1894;  Tiexttis) 
o(maiior)f  übers,  von  demselben,  Stuttgart  1899. 

'  Vgl.  Jaiaka,  übers,  von  Cowell,  Nr.  98  und  145.  —  Die  Geschichte 
ist  auch  dahin  erweitert,  deSa  nur  ein  Papagei  existiert,  der  schweigt, 
dem  zurückkehrenden  Manne  aber  das  Betrafen  der  Frau  erzählt,  und 
diese  tauscht  nun,  indem  sie  den  Käfig  verdunkelt  und  Lärm  macht,  dem 
Vogel  ein  Grewitter  vor.  Als  er  am  folgenden  Morgen  dem  Kaufmann  von 
diesem  Grewitter  erzählt,  hält  dieser  ihn  für  einen  elenden  Lügner  und 
glaubt  der  Frau.  Dies  Märchen  kam  durch  den  Siddhapati  nach  Europa, 
vgl.  Chauvin,  Bibliographie  Ärabe  VIII,  36  f. 

^  Vgl.  Marx,  Orteehische  Märehen  von  dankbaren  Tieren  und  Venoandtes 
S.  54  Anm.  2.  77. 


280  Zur  Entstehung  des  Mftrchens. 

Bei  dieser  Erweiteniog  konzentriert  sich  die  Spannung  auf 
den  erzahlenden  Papa^ei^  und  es  ist  einfach  erstaunlich/  wie  der 
Papagei  seine  Gescnicmten  in  Szene  setzte  und  wie  er  sie  immer 
gerade  so  abbricht,  dafs  ein  Ausweg  unmöglich  scheint  und  wir 
uns  doch  immer  besinnen,  wie  er  wohl  sein  mochte.  Freilich 
wiederholt  sich  die  gleiche  Pointe  in  der  Cukasaptati  zu  oft, 
wir  werden  ihrer  überdrüssig,  und  das  Baffinement  hebt  sich 
durch  sich  selbst  auf.  Das  ist  auch  eine  Eigentümlichkeit,  eine 
der  Kehrseiten  der  indischen  Erzahlungskunst. 

Die  Rahmenerzählung  der  Cukasaptati  drang  über  die  in- 
dischen Grenzen  hinaus  zu  den  Persem  und  zu  den  Türken,^ 
kam  also  an  die  Schwelle  des  Abendlandes. 

Die  Bahmenerzählung  des  Siddhapati  ist  in  Indien  verloren, 
läTst  sich  aber  aus  den  aulserindischen  Fassungen  herstellen  und 
kam  nach  dem  Abendlande.  In  ihr  (d.  h.  in  dem  Teile,  der  uns 
hier  interessiert)  sind  zwei  Greschichten  verbunden  und  dann  er- 
weitert Einmal  eine  der  vom  Weib  des  Potiphar  sehr  ahnliche: 
die  Frau  eines  Königs  will  dessen  Sohn  verführen,  er  sträubt  sich, 
sie  verklagt  ihn  beim  König,  er  habe  ihr  nachgestellt;  der  König 
glaubt  ihr  und  will  ihn  zum  Tode  verurteilen.  Zweitens  die 
durch  eine  Doppelgeschichte,  eine  von  einem  schlechten  Mann 
und  eine  von  emer  schlechten  Frau  gerade  in  Indien  oft  aus- 
getragene Streitfrage:  wer  ist  schlechter,  die  Männer  oder  die 
Frauen?^  Beide  Fabeln  sind  im  Siddhapati  derart  ineinander 
geschoben:  der  zum  Tode  verurteilte  Pnnz  mufs  sieben  Tage 
schweigen  infolge  eines  bestimmten  Gelübdes  und  kann  sich  nidnt 
verteidigen.  Daher  gibt  der  König  den  Befehl  zur  Hinrichtung, 
aber  in  diesem  Augenblicke  tritt  ein  Minister  vor  und  gebietet 
Einhalt:  der  König  möge  der  Frau  nicht  glauben,  die  Frauen 
seien  heimtückisch  und  schlecht;  zum  Beweis  erzählt  er  eine 
Geschichte.  Der  Köni^,  überzeugt,  zieht  den  Hinrichtungsbefehl 
zurück.  Da  erhebt  sich  die  Frau,  um  eine  Geschichte  von  der 
Niedertracht  der  Männer  vorzutragen,  mit  dem  Erfolge,  dafs  der 
König  den  Hinrichtungsbefehl  wiederholt.  Ein  zweiter  Minister 
erwioert  mit  einer  Geschichte  von  der  Niedrigkeit  der  Frauen, 
und  so  geht  es  weiter,  bis  die  sieben  Tage  mit  Geschichte  und 
Gegengeschichte  ausgefüllt  sind,  der  Prinz  sprechen  darf  und  die 
gerechte  Strafe  über  die  schuldige  Frau  kommt. 

Man  erkennt  leicht  die  gleiche  Technik  wie  in  den  früheren 
Fällen:  wie  in  der  Vetdlapaucavim9ati  entsteht  die  Rahmen- 
geschichte aus  zwei  Fabeln:  die  Geschichten  werden  immer  in 
dem  Augenblicke  vorgetragen,  in  dem  es  sich  um  Tod  oder  Leben 


*  Tuti  Nameh,  übers,  von  Iken,  Stuttgart  1822 ;  Tuti  Nameh^  das  Papa- 
geienbueh,  üben,  von  Georg  Rosen,  Leipzig  1858. 
'  VgL  z.  B.  Vetälapaftcavirnsati  Nr.  3. 


Zur  Entstehung  des  MfirohenB.  281 

handelt^  und  sie  können  immer  neue  Aufmerksamkeit  verlangen, 
da  es  sich  um  eine  unlösbare  Frage  handelt^  deren  Lösung  doch 
immer  von  neuem  versucht  wird. 

Dieser  Siddhapati  blieb  uns  in  vielen  abendländischen  und 
morgenländischen  Rezensionen  erhalten,  er  wanderte  durch  die 
ganze  mittelalterliche  Welt  und  hinterüefs  in  ihrer  Literatur  über- 
all tiefe  Spuren,  denn  er  war  eins  der  verbreitetsten  und  gelesen- 
sten  Märchenbücher.* 

Auch  die  Rahmenerzählungen  des  Pantschatantra  —  es  sind 
in  den  ersten  vier  Büchern  einfache,  in  der  buddhistischen  Lite- 
ratur erhaltene  Fabeln,  durch  eine  Fülle  von  Geschichten  aus- 
einandergerissen, die  immer  wieder  eine  in  die  andere  geschoben 
werden  ^  —  kamen  von  Indien  nach  anderen  asiatischen  Ländern 
und  nach  Europa,  wo  man  sie  übersetzte,  umarbeitete  und  er- 
weiterte. ^ 

Da  nun  die  vorgeführten  Beispiele  zeigen,  dafs  in  Indien 
die  Technik  der  Rahmenerzählung  besonders  produktiv  ist>  da(s 
sie  dort  fein  ausgebildet  und  virtuos  beherrscht  wurde,  da  zwei 
dieser  indischen  Rahmenerzählungen  anfserdem  nach  Europa 
kamen  und  die  Vorliebe  für  Einsdiachtelungen  eine  orientalische 
ist,  darf  man  die  Inder  getrost  die  Erfinder  der  Rahmenerzäh- 
lungen nennen.  Wenn  abendländische  Erzähler,  etwa  Boccaccio 
und  seine  Nachahmer,  ihre  Geschichten  in  einen  Rahmen  ein- 
ordnen, so  folgen  sie  bewuTst  oder  unbewufst  dem  indischen 
Vorbilde. 

Wir  konnten  auch  die  seltsame  Vollendung  der  indischen 
Erzählungskunst  in  verschiedenen  Fällen  verfolgen.  Und  wir  be- 
obachteten, dafs  diese  E^rzählungskunst  von  Geschichten  und  Mo- 
tiven ausgeht,  die  gar  nichts  Besonderes  oder  Bemerkenswertes 
haben,  die  auch  andere  Völker  erfanden  oder  erfinden  konnten. 

Das  ist  eben  der  Schlüssel  für  die  Beantwortung  der  Frage 


<  Bibliomphie  jetzt  bei  Chauvin  Bd.  VIII  (1904)  Syntipas,  bes.  83  f. 

*  Buch  I  =  Jataka  349 ;  Buch  II  =  Jätaka  306 ;  Buch  III  =  Jätaka 
270;  Buch  IV  =  Jätaka  208  (vgl.  57.  224.  842). 

*  Die  Bahmenerzählung  von  Tansendundeiner  Nacht  ist  wohl  auch  in 
Indien  entstanden.  JedenfallB  begegnet  ihr  Hauptmotiv  schon  frühzeitig 
in  der  indischen  Literatur,  und  die  Auffassung  der  Frauen,  die  daraus 
spricht,  ist  durchaus  buddhistisch.  Der  Inhalt  ist  im  Indischen  etwa  der: 
Zwei  Männer,  empört  Über  die  Untreue  ihrer  Frauen,  ziehen  in  die  Welt 
und  sehen  abends  einen  Drachen,  der  aas  seinem  Innern  eine  Frau  heraus- 
holt, er  ergötzt  sich  mit  ihr  und  schläft  dann  ein.  Sie  bemerkt  die  Frem- 
den, die  sich  versteckt  hatten,  verlockt  sie  zum  Beischlaf  und  zeigt  ihnen 
an  Bingen,  die  sie  besitzt,  dals  sie  den  Drachen,  der  bei  ihr,  cue  er  in 
sich  aufbewahrte,  jede  Untreue  ausgeschlossen  wähnte,  schon  hundertmal 
betrog.  Jataka  436;  Somadeva  X,  63  (Tawney  II,  79),  X,  64  (Tawney 
II,  93;  dort  seltsam  mit  der  Geschichte  vom  Meisterdieb  verbunden); 
Chauvin  V,  190.  VIII,  59.  —  Man  vergleiche  auch  Ariost,  Basender  Boland, 
28.  Geung. 


282  Zar  EntstehuDg  des  MSrdiens. 

nach  dem  Einflufs  der  indischen  Märchen:  diese  Märchen  haben 
genau  die  gleiche  Herkunft  wie  die  der  anderen  Völker  auch, 
nirgends  aber  sind  diese  Motive  mit  solchem  Geschick  erfafst, 
nirgends  alle  nur  möglichen  Wirkungen  so  erkannt,  nirgends  sind 
sie  so  märchenhaft  gesteigert  und  vervielfältigt  wie  in  Indien. 
Dadurch  wurden  diese  Märchen  zu  so  einzigartigen  Gebilden, 
deren  Zauber  sich  die  ganze  Welt  nicht  entziehen  konnte. 

Aber  es  bedarf  noch  mancher  Beispiele,  bis  diese  Behaup- 
tung einleuchtend  und  überzeugend  bewiesen  ist. 

U.  Zauber-  und  Yerblendungsmärchen.  Ich  führe 
nun  einige  Märchen  mit  Zauberei,  Spi^elung  und  ähnlichen  Mo- 
tiven vor:  die  ersten  zeigen,  dafs  die  Inder  aus  allgemeinen  und 
auch  sonst  verwerteten  Motiven  Märchen  schufen,  die  uns  als 
etwas  ganz  Neues  überraschen,  die  späteren,  dafs  gerade  die  in 
Indien  emporgehobenen  Märchen  nach  Europa  wanderten. 

Wir  greifen  zuerst  wieder  auf  Bekanntes  zurück.  Viele  Völker 
kennen,  wie  wir  erfahren,  das  Motiv  vom  Zauberschlaf  (vgl.  oben 
Archiv  CXIII,  253):  die  Inder  erzählen  es  märchenhafter,  zauber- 
schöner und  zugleich  tiefer  als  alle  anderen:  nur  der  Leib  eines 
Mädchens  weilt  auf  dieser  Erde,  ihre  Seele  schläft  in  einem 
fremden,  goldenen  Wunderland,  und  sie  darf  nur  dem  gehören, 
der  in  dies  Wunderland  eindringt.  —  und:  die  goldene  Pracht 
des  Paradieses  stellen  auch  die  Märchen  anderer  Völker  weh- 
mütig und  resigniert  der  dürftigen  Armut  dieser  Erde  gegenüber 
—  in  keinem  Märchen  aber  erscheint  der  Gegensatz  so  unmittel- 
bar, so  demütigend  und  so  hoffnungslos  wie  im  indischen:  nach 
langer  Wanderung,  nach  kaum  überwindlicher  Mühsal  erkämpft 
sich  der  Märchenheld  den  Eingang  zum  Pai'adies,  und  in  einem 
Augenblick  wird  er  vom  Himmel  auf  die  Erde  herabgeschleudert  ^ 

Schon  primitive  Völker  und  die  alten  Kulturvölker  erst  recht 
hatten,  wie  wir  bemerkten,  an  Zauberstückchen  ihre  Freude:  ein 
Zauberer  täuscht  etwa  einem  Mädchen  einen  reifsenden  Strom 
vor,  sie  hebt  die  Röcke  ganz  in  die  Höhe  und  sieht  unter  dem 
Gelächter  der  Anwesenden  zu  ihrer  Beschämung,  dafs  sie  einen 
kleinen  Bach,  der  ihr  kaum  die  Füfse  netzte,  für  den  ungeheuren 
Strom  gehalten.^ 

Die  Jüdische  Sage  erzählt  ein  sehr  ähnliches  Motiv,  aber 
nicht  als  Zauberstück,  sondern  als  Sinnestäuschung:  König  Salomo 
hat  in  seinem  Palast  einen  kristallenen  Fufsboden;  als  die  Köni- 
gin von  Saba  kommt  und  diesen  sieht,  hebt  sie  die  Röcke  hoch 

*  Vgl.  von  der  Leyen,  Indische  Märchen  187  f. ;  Benfey,  PantschatarUra 
I,  152. 

*  Vgl.  oben  Archiv  CXIII,  200,  wo  auch  über  die  Herkunft  des  Mo- 
tivs, aufserdem  Voretzsch,  I^nsehs  Siadien  264;  ^Liebrecht,  Zur  Volks- 
ktmde  115. 


Zur  Entstehung  des  Märchens.  288 

in  die  Hohe^  in  der  Meinung,  es  sei  Wasser,  und  zeigt  dabei 
ihre  Beine.  Salomo  hatte  die  Herrseherin  absichtlich  getauscht, 
um  zu  erfahren,  ob  sie  dämonischer  Abkunft  sei  und  tierische 
Beine  habeJ 

Im  Indischen  erscheint  das  gleiche  Motiv  mehrfach  variiert. 
Die  Cukasaptati  (textus  simplicior  60)  berichtet  vom  klugen  Hari- 
datta,  dem  ein  anderer  Fürst  seine  Prunkhalle  zeigte;  als  er  die 
von  mannigfachen  Eklelsteinen  funkelnde  Halle  erblickte,  konnte 
er  nicht  unterscheiden,  ob  sie  aus  Wasser  oder  fester  Masse  be- 
stehe, da  warf  er  eine  Betelnufs  hin,  erkannte,  dafs  es  kein 
Wasser  war,  und  ging  heim. 

Im  Indischen  und  Jüdischen  ist  die  Sinnestäuschung  das 
Hauptmotiv,  die  Königin  von  Saba  unterliegt  ihr,  der  kluge  in- 
dische Minister  beugt  ihr  vor. 

Auch  nach  der  entgegengesetzten  Richtung  haben  die  Inder 
das  gleiche  Motiv  gesteigert  Im  Mahäbhärata  hat  der  König 
Judhishthira  einen  kristallenen,  mit  lotosgleichen  Edelsteinen  be- 
deckten Estrich,  den  hält  Durjodhana  für  einen  Wasserteich  und 
zieht  seine  Kleider  in  die  Höhe,  nachher  hält  er  einen  wirklichen 
Teich  für  einen  künstlichen  und  fällt  hinein. 

Die  Inder  verdoppeln  hier  die  Sinnestäuschung  und  erhöhen 
dadurch  ihre  Komik.  Denn  der  Getäuschte,  der  zum  Schlufs 
wirklich  ins  Wasser  fällt,  gerade  darum,  weil  er  die  erste  Be- 
schämung vermeiden  will,  wirkt  viel  komischer  als  der,  der  nur 
einmal  begreiflicherweise  einen  Kristallboden  für  Wasser  gehalten 
hat.  Dieser  Kristallboden  scheint  im  Indischen  einem  Teich  da- 
durch noch  ähnlicher,  dafs  ihn  E^delsteine  bedecken,  die  den 
Lotosblumen  im  Teiche  gleichen. 

Da  nun  nur  im  Indischen  und  Jüdischen  der  Kristallboden 
und  die  Sinnestäuschung  statt  der  Verzauberung  begegnen,  liegt 
die  Annahme  nahe,  dafs  die  jüdischen  und  indischen  Versionen 
unmittelbar  zusammenhängen.  Wer  der  Gebende  war,  ob  Juden 
oder  Inder,  lälst  sich  kaum  feststellen.  Jedenfalls  haben  die 
Inder  dies  Spiegelungsmotiv  vielfältiger  zur  Geltung  gebracht, 
sie  haben  es  «auch  zu  einer  Beihe  anderer,  lustiger  und  tief- 
sinniger Geschichten  ausgesponnen.  ^ 

*  Wilhelm  Hertz,  RcUsel  der  Königin  van  Saba  {Gesammelte  Abhand- 
lungen S.  421  f.  427  Anm.  2). 

*  Ich  erwähne  hier  die  folgenden:  Ouka^aptati,  textus  omatior  50: 
Eine  Stiefmutter  mUshandelt  ihren  Stiefsohn.  Dieser,  um  sich  zu  rächen, 
sagt  dem  Vater :  ich  habe  einen  zweiten  Vater.  Der  glaubt  der  Verleum- 
dung und  mifshandelt  nun  die  Frau ;  sie  ahnt  die  Bache  ihres  Stiefsohnes 
und  verspricht  ihm  feierlich  die  beste  Behandlung,  wenn  er  den  Vater 
versöhne;  da  zeigt  der  Sohn  dem  Vater  dessen  Bild  im  Spiegel:  das  ist 
mein  zweiter  Vater,  sagt  er.  Und  nun  leben  alle  drei  im  Frieden.  —  Zu 
vereleichen  wäre  damit  die  Geschichte  Oukasaptatu  t,  s,  28,  U  o,  87  (s.  Lieb- 
recht,  Zur  Volkskunde  185;  Chauvin  VIII,  98; :  Eine  Frau  genieist  ihren  lieb- 


284  Zar  EntBiehuDg  de8  Mfirchens. 

ÜD8  allen  ist  ein  Spiegelnngsmotiv  ans  einer  wunderhübschen 
griechischen  Fabel  bekannt:  ein  Hund  tragt  ein  Stück  Fleisch  im 
Maul,  sieht,  wie  sich  dasselbe  Fleisch  im  Wasser  spiegelt,  hält 
es  für  ein  anderes,  gröfseres,  und  schnappt  danach,  wobei  ihm 
sein  Fleisch  fortfällt^  so  dafs  er  nun  gar  nichts  hat.^ 

Die  Inder  erzählen  eine  ganz  ähnhche  Fabel  so:  ein  Schakal- 
weibchen mit  einem  Stück  Fleisch  im  Maul  kommt  an  einen 
Flufs,  an  dessen  Ufer  ein  grofser  Fisch  liegt.  Es  legt  das  Fleisch 
fort  und  schnappt  nach  dem  Fisch:  aber  ein  Geier  stürzt  sich 
aus  der  Luft  herab  und  entführt  das  Fleisch,  und  der  Fisch 
taucht  in  das  Wasser  zurück. 

Dem  Inder  war  das  eine  Tier  der  griechischen  Fabel  nicht 
genug,  er  verdreifachte  die  Tierzahl  und  führte  Schakal,  Fisch 
und  Geier  in  die  Fabel  ein:  ein  Tier  des  Landes,  eins  der  Luft 
und  eins  des  Wassers.  Das  indische  Schicksal  bestraft  den  gie- 
rigen Schakal  mit  ausgesuchter  Bosheit:  gerade  die  geringeren 
Tiere,  Geier  und  Fisch,  überlisten  ihn  und  er  ist  doppelt  be- 
trogen, durch  zwei  Ereimisse,  die  er  gar  nicht  erwartet^  und  die 
blitzschnell  gleichzeitig  kommen.  Aber  dies  Raffinement  gehört 
nicht  in  eine  Geschichte,  die  gerade  durch  ihre  E2infachheit  so 
eindringlich  wirkt,  und  durch  dies  Raffinement  verschwand  gerade 
das  Wesentliche  an  ihr,  dafs  der  Hund  ein  wirkliches  fleisch 
um  eines  gespiegelten  willen  fallen  läTst  Im  Griechischen  straft 
sich  vor  allem  die  Dummheit,  im  Indischen  die  Gier  des  Tieres: 
es  ist  hier  keineswegs  aus  Zufall  ein  Weibchen,  und  im  In- 
dischen wird  die  Fabel  noch  weiter  gebildet:  die  tierische  Gier 
wird  mit  der  noch  grofseren   und   verblendeteren  menschlichen 


haber  unter  einem  Baum,  als  ihr  Mann  sie  ertappt,  lügt  sie,  der  Baum  sei 
yerhext,  wer  unter  ihm  ü^e,  erscheine  doppelt,  und  zwar  habe  er  als  Mann 
immer  eine  Frau  und  als  Frau  einen  Mann  neben  sich  liegen.  Sie  stei^ 
znr  Probe  sofort  auf  den  Baum  und  entrüstet  sich  über  den  Mann,  der  m 
den  Armen  einer  anderen  liege:  er  glaubt  ihr  und  ist  versöhnt.  —  Und 
nun  eine  emsth^te  Greschichte  buddhistischer  Färbung  (Somadeya  XII,  72 ; 
Tawney  II,  182):  Ein  Papagei  kWt  seinem  gestorbenen  Weibchen  nach. 
Buddha,  auch  lus  Papagei,  mahnt  mn,  die  nutzlose  Klage  zu  lassen:  das 
Weibchen  sei  als  anderer  Papagei  wiedergeboren  und  habe  ihn  längst  yer- 
gessen.  £r  führt  den  törichten  Vogel  ans  Wasser  und  zeigt  ihm  sein 
Spiegelbild:  das  ist  deine  Frau.  Der  Papagei,  entzückt,  holt  ihr  die 
schönste  Frucht  und  lälst  sie  ins  Wasser  fallen,  tieftraurig  sagt  er  dem 
Buddha:  sie  nahm  sie  nicht.  Ja,  antwortet  er,  du  bist  ihr  eben  gleich- 
gültig. Und  dann  nimmt  er  den  Vogel  mit  sich  und  schaut,  zärtlicm  sich 
an  ihn  schmie^nd,  mit  ihm  in  ein  anderes  Wasser,  und  nun  überzeugt  sich 
der  Witwer  wirklich,  dafp  sie  ihn  verffessen,  bei  einem  anderen  Trost  ge- 
funden, imd  ist  geheilt.  —  Ursprünglich  war  das  gewifs  eine  lustige  Fabel, 
die  die  Dummheit  des  Papageien  verspottete,  durch  den  BuddhiBinus 
wurde  ein  wunderlich  weiser  Betrug  daraus,  und  die  Anschauung  klingt 
deutlich  hindurch:  die  ganze  Welt  ist  solche  trügerische  Spiegdunfl;. 

'  Pani8chatanira  IV,  8;  Jälaka  874;  Benfey  I,  79. 179.348;  Schiefiier 
Ralston,  Tibekm  ialea  229. 


Zur  £<ntstehang  des  Mfirchens.  286 

verglichen.  Das  ist  ein  echt  buddhistischer  Gedanke.  Eine  Frau 
—  erzählt  das  Pantschatantra  —  stahl  ihrem  Mann  das  Vermögen 
und  ging  mit  einem  Schelm  auf  und  davon.  Sie  kamen  an  einen 
Hufs:  da  sagte  der  Schelm,  er  wolle  erst  das  Geld  und  dann  sie 
hinübertragen,  und  damit  sie  noch  leichter  würde,  solle  sie  ihm 
auch  ihre  Kleider  geben.  Sie  tat  es,  und  er  ging  davon,  so  da(s 
sie  ohne  Geld,  ohne  Kleider  und  ohne  Mann  sitzen  blieb.  In 
diesem  Zustande  sah  sie  das  Schakalweibchen,  das  sich  um  sein 
Heisch  brachte,  und  glaubte  das  Tier  verhöhnen  zu  müssen,  das 
aber  den  Hohn  treffender  zurückgab:  ihre,  der  Menschin,  Tor- 
heit sei  noch  viel  grofser. 

Wir  haben  hier  ein  Beispiel,  da(s  eine  wunderhübsche,  wirk- 
same kleine  Geschichte  durch  die  indische  Erzählungskunst  ent- 
stellt, in  ihrem  Wesen  unkenntlich  gemacht  und  in  etwas  ganz 
anderes  verwandelt  wird:  eben  weil  oie  Inder  von  ihrem  Bamne- 
ment  und  die  Buddhisten  von  ihrer  Weltanschauung  nicht  lassen 
können,  bringen  sie  beides  in  Fabeln,  die  das  gar  nicht  vertragen. 
Die  Entstellung  zei^  somit,  unwiderleglicher  noch  als  die  Steige- 
rungen und  Vertiefungen  von  Motiven,  die  wir  kennen  lernten, 
wie  eng  indisches  R^finement^  indische  Erzählungskunst  und 
indische  Weltanschauung  zusammenhängen. 

Benfej  behauptete  nun,  da(s  die  meisten  indischen  Tierfabeln 
aus  Griechenland  stammten,  während  die  Märchen,  mit  der  Ge- 
schichte von  den  Ohren  des  Midas  als  einziger  Ausnahme,  von 
Indien  aus  durch  die  übrige  Welt  gewandert  seien.  Diese  Schei- 
dung lä(st  sich  nicht  aufrechterhalten.  Auf  die  indischen  Fabeln 
kann  ich  hier  nicht  eingehen:  mir  scheint,  dafs  sie  selbständiger 
sind,  als  Benfey  zugao,  die  Untersuchungen  anderer  müssen 
zeigen,  was  an  ihnen  original  war  und  was  stark  genug  zum 
Einfluls  auf  andere  Volker.  Die  indischen  Märchen  aber  sind 
von  denen  anderer  Volker  nicht  so  unabhängig,  wie  Benfey 
meinte,  manche  griechische  Geschichte,  wohl  auch  jüdische  und 
ägyptische,  drangen  in  sie  ein  —  wir  werden  noch  manches  derart 
zu  betrachten  haben  —  und  wurden  weiterentwickelt;  entwickelt 
freilich  durch  eine  Elrzählungskunst^  die  aufserhalb  Indiens*  nicht 
ihresdeichen  hat.  — 

Ich  komme  nun  noch  einmal  zu  den  Visionen.  Dem  durch 
Haschisch  Berauschten  erscheint  'ein  kleiner  Stein  als  gewaltiger 
Febblock,  ein  schmales  Binnsal  als  breiter  Strom'  (vgl.  oben  ÄrMv 
CXm,  266).  In  einem  indischen  Märchen  ist  von  einem  Prinzen 
erzählt,  den  ein  Geist  (Rftkschasa)  verfolgt  Als  dieser  ihn  packen 
will,  wirft  er  etwas  Erde  hinter  sich,  es  entsteht  ein  Berg.  Der 
Rdkschasa  übersteigt  ihn  und  kommt  dem  Prinzen  wieder  nahe: 
er  wirft  etwas  Wasser  hinter  sich,  es  entsteht  ein  Strom,  der 
BAkschasa  durchschwimmt  ihn;  er  wirft  Dornen  hinter  sich,  es 
entsteht  ein  Wald,  der  BAkschasa  will  ihn  durchschreiten,  da 


286  Zur  Entstehung  des  M&rchens. 

wirft  er  Feuer  hiDeiD^  und  vor  dem  gewaltigen  Brande  kehrt 
der  Biese  um.^ 

Diese  Episode  des  indischen  Märchens  hat  die  Eigentümlich- 
keiten der  indischen  Erzahlungskanst:  das  gleiche  Motiv,  vierfach 
variiert  und  vierfach  gesteigert,  und  es  bleibt  nicht  ein  Erzah- 
lungsmotiv,  es  greift  rettend  und  helfend  in  die  Handlung  ein: 
im  Moment,  in  dem  wir  den  Verfolgten  verloren  glauben,  wirft 
er  Erde,  Wasser,  Domen  und  Feuer  hinter  sich,  und  zu  unserer 
staunenden  Überraschung  vergröfsem  sich  und  wachsen  diese  un- 
scheinbaren Dinge  ins  unendliche,  bis  auch  der  Geist  mit  über- 
irdischen Kräften  vor  ihnen  umkehrt 

Die  gleiche  Verfolgungs^eschichte  —  natürlich  variieren  die 
zurückgeworfenen  Gegenstände  —  erscheint  auch  als  Episode  in 
vielen  aulserindischen  Märchen;  freilich  nii^ends  so  klar  und  an- 
schaulich erzählt  wie  im  indischen  selbst.  Da  nun  die  Ekitwicke- 
lung  dieser  Episode  aus  dem  einfachen  Motiv  durchaus  der  Ent- 
wickelung  entspricht,  die  wir  bei  den  auf  Indien  beschränkten  Mär- 
chen beobachteten,  haben  wir  hier  ein  sehr  augenfälliges  Beispiel 
von  dem  EinfluTs  und  der  Wirksamkeit  eines  inaischen  Märchens.^ 

Der  Zauberer  ist,  wie  ich  vielleicht  schon  zu  oft  betoute, 
bei  allen  Völkern  charakterisiert  durch  seine  unbegrenzte  Ver- 
wandelungsfähigkeit.  Er  kann  jede  Gestalt  annehmen,  die  er  an- 
nehmen will,  er  kann  etwa  als  Vogel  und  Fliege,  als  Fuchs  und 
als  Stier,  als  Gerstenkorn  und  als  Bing,  auch  als  Mensch,^  er 
kann  zu  ungeheurer  Gröfse  anschwellen  und  zu  unbemerkbarer 
Winzigkeit  zusammenschrumpfen.  Aus  diesem  Glauben  haben 
sich  märchenhafte  Geschichten  früh  entwickelt.  Von  Zeus  er- 
zählten die  Griechen,  er  habe  eine  Zauberin  Metis,  die  verschie- 
dene Gestalten  annehmen  konnte,  verschluckt,  als  sie  in  eine 
Fliege  sich  verwandelte.*  Dieser  Geschichte  steht  sehr  nahe  die 
uns  durch  den  gestiefelten  Kater  bekannte:  der  gestiefelte  Kater 
bittet  einen  mächtigen  Zauberer,  er  solle  sich  doch  in  eine  Maus 
verwandeln,  der  Zauberer  erfüUt  die  Bitte,  der  Kater  stürzt  auf 
die  Maus  zu  und  verschluckt  sie.' 


>  Somadeva  VII,  39;  vgl.  Hertel,  Bunte  Oeachiehten  101  ff. 

«  Vgl.  Reinhold  Köhler  1, 173.  175;  Cosquin  Nr.  32;  Benfey,  OötUnger 
QdehrU  Anzeigen,  1862,  1220  1 

^  Man  vergleiche  die  Geschichten,  in  denen  ein  Zauberer  die  G^talt 
eines  anderen,  der  verreist  ist,  annimmt,  bis  er  schlieTslich  entlarvt  wird. 
Die  abwechselungsreichste  und  überraschendste  dieser  Geschichten  entstand 
auch  in  Indien  und  hat  sich  von  dort  aus  verbreitet;  siehe  oben  Archiv 
CXIV,  1  Anm.  4 ;  dazu  Lescallier,  Tr&ne  enchanU  130  f. ;  Chauvin  VIII,  157. 

*  Vgl.  Andrew  Lang,  Mvtk,  Ritual  and  Religion  I,  314.  Bei  Saaco 
örammaticua  kann  die  Zauoerin  Harthgrepa  alle  Gestalten  annehmen 
(I,  21  ed.  Holder  S.  37). 

^  Vgl.  Reinhold  Köhler :  zu  Laura  Gonzenbach  Nr.  65  {Zb»  des  Vereüu 
für  Volkskunde  6,  165j;  Kleine  Schriften  l,  2ö.  371.  416.  558;  Arckio  für 


Zur  Entstehung  des  Mlrehens.  287 

Die  Inder  kanDten  solche  Geschichten  auch^  und  am  hüb- 
schesten ist  eine  dieser  Art  und  indischer  Herkunft  in  Tausend- 
undeiner Nacht  erzählt:  Ein  Fischer  fand  einen  in  einer  Flasche 
verschlossenen  Geist  und  befreite  ihn  aus  seiner  Haft  Da  ver- 
wandelte sich  der  Geist  sofort  in  ein  fürchterliches  ungeheuer 
und  rief  dem  Befreier  zu,  er  müsse  ihn  nun  morden.  Doch  jener 
antwortete;  er  glaube  nicht,  dafs  dies  Ungeheuer,  was  der  Geist 
nun  sei,  vorher  in  der  kleinen  Flasche  habe  Platz  finden  können, 
und  bat  ihn,  er  möge  doch  wieder  zurückkriechen:  der  Geist, 
stolz  auf  seine  Kunst,  erfüllte  die  Bitte,  der  Fischer  verschlois 
sofort  die  Flasche  und  warf  den  Geist  ins  Meer  zurück.^ 

Dies  indische  Märchen  unterscheidet  sich  von  den  euro- 
päischen, insofern  wir  bei  ihm  erleben,  wie  der  Geist  zuerst  ohn- 
mächtig ist,  dann  überwältigend  und  toddrohend  anschwillt  und 
zum  Schluls  infolge  seiner  törichten  Eitelkeit  sich  wieder  in  seine 
frühere  Ohnmacht  zurückbringt  Auiserdem  triumphiert  im  In- 
dischen ein  Mensch,  kein  Tier  mit  übernatürlichen  Kräften  und 
kein  Gott,  über  den  Geist 

Die  Geschichte  in  Indien  ist  also  sinnenfälliger,  im  Aufbau 
symmetrischer,  wir  sehen  den  jähen  Übergang  von  Ohnmacht 
zur  Übermacht  und  zur  Ohnmacht  zurück,  und  die  Geschichte 
ist  im  Inhalt  freier,  im  menschlichen  Sinne  reicher  als  die  euro- 
päischen Parallelen.  Darum  hat  sie  sich  auch  in  der  ganzen 
Welt  durchgesetzt  und  lebt  bei  vielen  Völkern,  auch  bei  den 
Deutschen,  ab  Volksmärchen.  Sie  gelangte  namentlich  durch 
die  Vermittelung  der  Araber  nach  dem  Abendlande.  — 

Zauberer  liebten  es,  ihre  Künste  im  Wettkampfe  zu  erproben 
und  zu  vergleichen,  davon  erzählten  die  Völker  gern,  denn  solche 
Wettkämpfe  enthielten  gleich  mehrere  Zauberstücke  und  -geschich- 
ten  auf  einmal.  Aus  dem  alten  Ägypten  sind  uns  Geschichten  von 
Zauberwettkämpfen  erhalten,  und  an  den  mit  diesen  verwandten 
Rätselwettkämpfen  hatten  die  Dichter  der  Edda  die  gleiche  Freude 
wie  die  des  Orients.^  Es  wurden  auch  Verwandlungswettkämpfe 
erzählt:  alte  Mythen,  aus  dem  Veda  und  der  Edda,  melden  als 
kühne  Tat  eines  Gottes,  dals  er,  in  einen  Vogel  verwandelt, 
einen  Trank  raubte,  und  dafs  der  Besitzer  des  Trankes,  auch  als 
Vogel,  ihn  verfolgte.  ^ 

Die  Inder  haben  ein  Märchen,  darin  verfolgen  sich  zwei 
Zauberer  und  messen  sich  gleichzeitig  in  einem  Verwandlungs- 


slaw.  Philologie  VII,  814 ;  Oosquin  I,  xxxil ;  ders.,  Les  conies  poptdaires  et 
leurongine,  1895,  8.  23;  WÜDScbe,  Sagenkreis  vomgepreÜten  Teufel,  1905,  97. 

^  VßL  oben  Archiv  OXIII,  267  und  die  dort  angegebene  Literatur. 
Dazu  Cnanvin  VI,  25  Anm.  8. 

*  Vgl  von  der  Leyen,  Märchen  in  Edda  51 ;  K  Köhler  III,  365  f. 

'  Kuhn,  Harabkunft  des  Feuers^  138;  von  der  Leyen,  Germanist,  Ab- 
handlungen für  Paul  147  f.;  üsener,  Oötternamen  (1895)  204  Anm.  1. 


288  Zur  Entrtelumg  de8  Mfiidient. 

wet&ampf,  aber  in  einem  Kampf  aof  Leben  und  Tod.  Beide 
verfolgen  sich  zuerst  als  Yöeel,  der  Verfolg  wird  zum  Bing 
an  der  Hand  einer  Königstochter^  der  Verfolger,  in  einen  Mann 
verwandelt,  kauft  ihn  der  Königstochter  ah,  der  Bing  verwandelt 
sich  in  Gerstenkörner,  der  Mann  in  einen  Hahn,  der  die  Gersten- 
kömer  auffrilst,  das  letzte  Gerstenkorn  in  einen  Fuchs,  der  den 
Hahn  totbeüst  Schlag  auf  Schlag  folgen  sich  die  Verwand- 
lungen, so  dafs  wir  kaum  Atem  holen  können;  eine  Verwand- 
lung ist  überraschender  als  die  andere,  und  immer  bleiben  der 
Verfol^nde  und  der  Verfolgte  zugleich  in  fortwährend  wechseln- 
der Lebensgefahr,  wir  wissen  bis  zum  Sohlufs  nicht,  wer  Si^er 
bleibt,  und  endlich  siegt  gerade  der  Verfolgte,  von  dem  wir 
dachten,  dafs  er  doch  unteniegen  würde. 

Kein  anderes  Volk  hat  einen  Verwandlungskampf  so  auf- 
regend, mit  dieser  Fülle  von  Überraschungen  und  in  diesem 
überstürzenden  Tempo  erzahlt  wie  die  Inder.  Wir  erkennen  — 
und  damit  beweist  sich,  dafs  dies  Märchen  nur  in  Indien  ent- 
standen sein  kann  —  auch  sofort  die  Eigentümlichkeiten  ihrer 
Erzählungskunst:  Vervielfältigung  eines  alten  Motivs,  dies  Motiv, 
der  Verwandlungswettkampf,  wird  gesteigert  zu  einem  Kampf 
auf  Leben  und  Tod,  und  die  Spannung  bleibt  während  des 
ganzen  Märchens  die  deiche.  Dies  Märchen  ist  nun  wieder  sieg- 
reich durch  die  ganze  Welt  gezogen,  in  Einzelheiten  abweichend, 
im  grofsen  und  ganzen  das  gleiche,  kehrt  es  fast  bei  allen  euro- 
päischen Völkern  wieder,  von  der  Türkei  bis  zur  Bretagne  und 
bis  zum  hohen  Norwegen.^ 

Die  echt  indischen  Eigentümlichkeiten  des  Märchens  werden 
recht  anschaulich,  wenn  man  es  mit  einem  anderen  verwandten 
Inhalts  vergleicht,  das  sich  auch  weit  verbreitet  hat,  mit  dem 
Märchen  vom  Biesen  ohne  Seele.  Dessen  Seele  ist  meist  Ein- 
geschachtelt' —  in  einem  Ei,  dies  in  einem  Vogel,  der  in  einem 
Widder.  Der  Held,  der  den  Biesen  besiegen  soll,  hat  dies  Ge- 
heimnis erfahren,  und  mit  Hilfe  dankbarer  Tiere  bemächtig  er 
sich  der  Seele:  ein  Hund  besiegt  ihm  den  Widder,  ein  Habicht 
die  auffliegende  Ente,  ein  Fisch  holt  das  aus  dieser  herabfallende 
Ei  aus  dem  Wasser;  er  zerdrückt  es  und  tötet  dadurch  den 
Biesen.  Das  Märchen  entsprang,  wie  schon  dargelegt  wurde  (oben 
Archiv  CXV,  8  Anm.  2),  aus  uralten  Vorstellungen  von  der  Seele, 
diese  Vorstellungen  wurden  ineinander  geschachtelt.  Die  Vor- 
gänge entwickeln  sich  hier  nun  langsam,  einer  nach  dem  anderen, 
man  möchte  fast  sagen  programmärsig,  wir  sind  gar  nicht  im 
Zweifel,  dafs  der  Held  die  Seele  des  Biesen  endlich  packt,  und 
von  dessen  Qual  und  Angst  hören   wir  gar  nichts  oder  wenig, 


^  Olouston,  Populär  Tales  and  Fietions  1, 413;  Benfey  I,  410;  R  Köhler 
I,  138. 


Zar  Entstehung  des  MärcheDs.  289 

je  nach  der  wechselnden  Begabung  der  Erzähler;  denn  weit  von 
dem  Riesen  wird  seine  Seele  gefangen  und  vernichtet^  er  selbst 
ist  eigentlich  gar  nicht  dabei.  Die  ganze  Lebendigkeit,  die  atem- 
lose Spannung  und  die  überschneUe  Steigerung^  des  indischen 
Märchens  femt  hier.' 


'  Ein  ShDÜchea  überstürzend  rasches  Tempo  hat  die  indische  Qe- 
schichte  yon  den  Honigtropfen  im  Siddhapati,  vgl.  Chauvin  VIII.  41  f.: 
Tropfen  von  Honig,  den  ein  Jäger  gefunden,  fallen  bei  einem  Bäcker  auf 
die  £rdey  Mücken  setzen  sich  auf  den  Honig,  die  Katze  des  Bäckers  stürzt 
sich  auf  die  Mücken,  der  Hund  des  Jägers  auf  die  Katze,  tötet  sie,  der 
Bäcker  tötet  den  Hund,  der  Jäger  entzweit  sich  mit  dem  Bäcker,  die 
Dörfer  d^  beiden  bekriegen  sich. 

'  Dies  Märchen  bog^;net  auch  in  modernen  indischen  Sammlungen, 
und  diese  erhöhen  die  l^>annung  sofort:  die  8eele  ist  etwa  in  dnem  Vogel, 
dem  langsam  Federn,  Flügel,  Füfse  ausgerissen  werden,  his  er  stirbt,  und 
der  Riese  yerliert  zu  gleicher  Zeit  unter  gröfsten  Qualen  eins  seiner  Glieder 
nach  dem  anderen  (frazer*  III,  353  f.).  Von  diesen  modernen  indischen 
Märchen  möchte  ich  bemerken,  dals  sich  ja  manchmal  wertyoUes  und 
seltenes  Erzählungsgut  unter  ihnen  verbirgt  —  ich  erinnere  etwa  an 
Landes,  Oontsa  et  Legendes  Anamites,  Paris  et  Saigon  1884 — 86,  und  an 
Minayeff  (Minaef),  IndCiskia  Skaski  y  Legendyy  Petersburg  1877  — ,  sehr 
yide  aber  —  man  lese  nur  die  Sammlungen  von  Frere  (Md  Deeean  Daye, 
London  1868,  und  Steel  and  Temple,  Wiae-auHike  stories,  Bombay  1884  — 
enthalten  Märchen  europäischer  Herkunft,  die  durch  Missionare  und  Euro- 

Eaer  nach  Indien  getragen  sind.  Ihr  ganzer  Stil,  ihre  Breite,  der  kind- 
che  Ton  der  Erzählung  ist  von  den  alten  indischen  Märchen  ^und- 
verschieden.  Wenn  also  frühere  Forscher  —  ich  nenne  etwa  Bemhold 
Spiller,  Programm  der  Thurgauüehen  Kantonachule  1892/93,  dazu  Vogt, 
Damrösehen-Thalia  (Oermanüt,  Abhandlungen  XII,  195)  —  bei  europäischen 
Märchen,  die  nicht  m  alten  indischen  Sammlungen  erschienen,  dem  Mär- 
chen von  Domröschen  und  Schneewittchen  etwa,  aus  solchen  modernen 
indischen  Märchenbüchern  Parallelen  aufbrachten,  diese  ohne  weiteres  für 
die  ältesten  Formen  der  Märchen  erklärten  und  aus  ihnen  die  europäischen 
herleiteten,  so  war  dies  sehr  verkehrt:  die  indischen  Formen  sind  nier  die 
abgeleiteten,  die  europäischen  die  ursprünglichen.  —  Der  ausgezeichnetste 
Kenner  des  modernen  indischen  Märchens,  der  darin  zugleich  höchst  inter- 
essante Varianten  zu  alten  indischen  Geschichten  entdeckte,  und  dem 
Sammlungen  zugänglich  wurden,  die  aufser  ihm,  soviel  ich  weiis,  nie- 
mandem zugänglich  sind,  ist  Emanuel  Cosquin.  Man  vergleiche  auch 
dessen  Angaben  über  Märchensammlungen  aus  Asien  und  Afrika  in  Lee 
eonUe  popuiairea  et  leur  angine,  Paris  1895,  15  und  15  Anm.  1. 

München.  Friedrich  von  der  Leyen. 

(FortsetiUDg  folgt.) 


AxdOr  L  n.  Bpnefaen.    GXV.  19 


Wielands  'Hetamorphose'  in  seiner  eigenen  Benrteilnng. 


Eine  Metamorphose  nennt  Wieland  selbst  mit  kühner  Er- 
weiterung des  Begriffes  die  geistige  Wandlung,  die  ihn  zum 
Dichter  des  Don  Sylvio'  und  der  'Comischen  Erzählungen^  ge- 
macht hat,^  und  deutet  damit  an^  wie  grofs  auch  in  seinen 
Augen  die  Veränderung  ist^  die  mit  ihm  vorgegangen :  er  ist  ge- 
wissermaTsen  eine  andere  Person  geworden.  'Non  sum  qualis  eram' 
ruft  er  mit  Horaz  aus,^  und  wiederholt  klingen  briefliche  Schilde- 
rungen des  Gegensatzes  zwischen  einst  und  jetzt  in  ein  *Voüa 
hien  du  changementf  aus.^  Es  ist  ihm  wohl  bewufst,  dafs  auch 
seine  Leser  denselben  Eindruck  haben  müssen.  Selbst  sein  da- 
maliger Intimus  Zimmermann  gesteht  in  einem  Schreiben  an 
Tschamer  * :  'son  Systeme  prisent  est  le  rebours  de  son  Systeme  passi.' 

Auch  die  Vorwürfe  und  Anfeindungen,  die  ein  so  tiefgehen- 
der Wechsel  der  ganzen  Lebensanschauung  zu  erregen  pflegt, 
kommen  Wieland  nicht  unerwartet,  und  im  Hinblick  auf  sie  wird 
es  ihm  schwer,  Farbe  zu  bekennen.  Wenn  Zimmermann  in  seinem 
Buche  'Von  der  Erfahrung  in  der  Arzneykunst^  (I>  211)  schreibt: 
'Einem  Arzte  . . .  soll  es  ebenso  wenig  schwer  fallen,  der  Welt  zu 
gestehen,  dafs  er  im  Irrthum  war,  als  es  izt  einem  Wieland  schwer 
nele,  zu  gestehen,  dals  er  den  Horaz  dem  Plato,  den  Chaulieu 
dem  Young  . . .  vorzieht,'  so  steht  das  in  direktem  Widerspruch 
zu  dem,  was  ihm  der  IVeund  selbst  kurz  zuvor  geklagt  hatte: 
'Je  ne  sens,  que  trop,  combien  il  est  difficüe  et  presque  impossMe  de 
remJtrer  de  bonne  grace  dans  ce  bas-m^nde,  apres  avoir  dibuiS  par  des 
voyages  dans  l'autre,*^  Der  'Don  Sylvio'  geht  ohne  den  Namen 
des  Verfassers  in  die  Welt,  und  Ge&ner  und  Zimmermann  gegen- 
über begründet  Wieland  diese  Vorsicht  mit  dem  drohenden  Spotte 
des  Publikums.^  Zimmermann  mufs  sich  wegen  seiner  öffent- 
lichen Anspielung  den  Vorwurf  der  'Waschhaftigkeif  gefallen 
lassen.   'Sie  haben  nicht  bedacht^  dafs  der  Schaden,  den  Sie  mir 

'  Auagew.  Briefe  II,  195.       '  Ebenda  194.     ^  Ebenda  I  270,  II  195. 

*  Briefe  von  Zimmermannf  Wieland  tmd  Bauer  an  Isehamer,  1881, 
S.  52;  YgL  a.  Auew.  denkw,  Briefe  Wjb  I  Bl. 

*  Ausgew.  Br.  II  195  f.      «  Ebenda  223,  Ausw.  denho.  Br.  I  5. 


'^elands  'Metamorphose'  in  seiaer  eigenen  Beartellang.  291 

dnrch  eine  solche  Etourderie  zuziehen  können,  gröfser  ist  als  der 
nützliche  Gebrauch,  den  Sie  etwa  in  Ihrem  Buche  von  dergleichen 
Factis  machen  können'  fügt  Wieland  etwas  ^reizt  hinzu J  Er 
straft  den  'Schwätzer',  indem  er  ihm  den  'Endymion'  vorenthält, 
um  weitere  Indiskretionen  zu  vermeiden.  Nichtsdestoweniger 
lesen  wir  in  einem  kurz  darauf  geschriebenen  Briefe  an  Gefsner: 
^Idi  hasse  alle  Gleisnerej,  und  sobald  ich  anders  denke  als  ehe- 
mals, so  scheue  ich  mich  auch  nicht,  es  zu  sagen/ ^ 

Zwar  klagt  Wieland  bald  nach  Erscheinen  des  'Don  Silvio', 
man  solle  doch  endlich  aufhören,  ihn  auf  Grund  seiner  litera- 
rischen Vergangenheit  mit  besonderem  Mafsstabe  zu  messen,' 
aber  alle  Angri^  hindern  ihn  nicht,  die  'Comischen  Erzählungen' 
ans  Licht  treten  zu  lassen,  auch  nicht  das  Bewufstsein,  Ol  damit 
ins  Feuer  zu  giefsen.^  Die  Kritik  äufsert  sich  seiner  Erwartung 
^mäls  anerkennend,  aber  doch  befremdet  und  nicht  frei  von 
iticheleien.  Eine  rühmliche  Ausnahme  macht  Abbt,  der  in  der 
Allgemeinen  deutsehen  Bibliothek  (I,  2,  227)  die  Erklärung  der  Me- 
tamorphose der  Nachwelt  überläfst  und  schlicht  und  vornehm 
sich  begnügt,  'schön  zu  finden,  was  schön  ist,  es  mag  herkommen 
von  wem  es  will.' 

Die  geteilte  Aufnahme,  die  'Musarion'  findet,  veranlaTst  Wie- 
land schliefslich  doch  noch  zu  einem  öffentlichen  Bekenntnis, 
das  er  in  Form  eines  Schreibens  an  Weifse  der  zweiten  Auflage 
voranschickt.  Er  anerkennt  die  Philosophie  der  Grazien,  die  am 
Schlüsse  der  Dichtung  so  genial  erklärt  wird,  als  seine  eigenste 
Lebensauffassung  und  betont,  wie  begreiflich  ihm  selbst  die  Ent- 
rüstung der  'modernen  Sophisten  und  Hierophanten'  sei.  Diese 
verächtliche  Bezeichnung  wird  in  der  Hamburgisehen  neuen  Zei- 
tung von  Gerstenberg  zurückgewiesen,  dem  der  Tadel  der  Ma- 
jorität durchaus  berechtigt  erscheint.*  Noch  in  den  siebziger 
Jahren  des  Jahrhunderts  hält  der  Widerspruch  an,  zumal  von 
Seiten  der  Theologen.  Aber  auch  da  noch  zeigt  Wieland  sich 
frei  von  Einseitigkeit,  wie  ein  Brief  an  F.  H.  Jacobi*  beweist: 
'Ich  verdenke  es  diesen  Herrn  nicht,  dafs  sie  so  urteilen ;  es  war 
eine  Zeit,  da  ich  ebenso  dachte  wie  Sie.'  Stets  tröstet  er  sich 
damit,  dafs  die  *  Vernünftigen',  die  'Weisen'*^  verstehen  werden, 
dafs  sein  Abfall  von  den  Idealen  der  Jugend  erfolgt  ist,  'sans 
que  ce  qui  constitue  le  vrai  mSrite  d*un  homme  de  bien  en  ait  souffert 
la  moindre  altSration/^  und  dafs  nur  den  'schwachen  und  guten 
Seelen',  den  'petitea  ämes'^  —  sei  ihre  Zahl  auch  noch  so  grofs  — 

'  Ausgew.  Br.  II  22(3.        2  Ausw,  denkw,  Br.  I  10.       *  Ausgew.  Br. 
II  244.      *  Ebenda  249  f. 

"^  Liim-aturdenkmale  des  18.  u.  19.  Jahrh.  128,  S.  236. 
•  Neue  Br,  W,Sy  hrsg.  v.  Hassencamp»  1894,  S.  262. 
'  Ausgew.  Br.  I  365,  366.      ^  Ebenda  II  195. 
^  Ebenda  250  u.  196. 

19* 


892  WielandB  lüetainorphoBe'  in  seiner  eigenen  Beurteilung. 

der  ZnsammeDhaDg   dunkel  bleiben   mufs^  der  den  Dienst   der 
Grazien  mit  der  platonischen  Schwärmerei  von  einst  verbindet. 

Denn^dals  em  solcher  Zusammenhang  besteht^  wurde  nach 
Wielands  Überzeugung  ^  eine  chronologische  Darstellung  der  Ent- 
stehungsgeschichte semer  Werke  unwiderleglich  dartun.  Eine 
kurze  Slazzierun^  dieser  Entwickelung  in  Heinses  Briefen^  be- 
ruht vielleicht  auf  eigenen  Äufserungen  Wielands,  mit  dem  Heinse 
damals  in  Erfurt  verkehrte.  —  Zur  Bekräftigung  seiner  Ansicht 
weist  Wieland  darauf  hin,  welch  starke  Kontraste  in  Piatos 
Werken  zutage  träten,  ohne  dafs  man  ihm  je  einen  Vorwurf 
daraus  gemacht  habe. 

Damit  stimmt  es  überein,  wenn  der  Dichter  daran  festhält, 
dafs  der  Prozels  in  seinem  Innern  ein  allmählicher  gewesen  sei, 
so  plötzlich  und  unvermittelt  er  auch  dem  Publikum  habe  vor^ 
kommen  müssen.  ^Natürlich  und  gradatim'  ist  es  damit  zuge- 
gangen, wie  er  später  an  Leonh.  Meister  schreibt,'  oder,  nach 
einer  Schilderung  aus  dem  Ende  der  fünfziger  Jahre,  ^par  des 
degrSs  presque  imperceptibleaJ  ^  Andeutungen,  die  eine  genauere 
Festlegung  der  Übergangszeit  zu  ermöglichen  scheinen,  b^egnen 
in  den  Briefen  des  öfteren,  aber  sie  harmonieren  leider  recht 
wenig.  Während  es  im  März  1758  einmal  heifst:  *Je  eommence 
de  plus  en  plus  d  me  famüiariser  aveo  les  gens  de  ce  bas-monde/ ' 
wird  im  April  des  gleichen  Jahres  diese  Bückkehr  zum  Irdischen 
bereits  als  beendet  dargestellt^  Vier  Jahre  später  li^  sie  weit 
zurück.^  1764  soll  der  'Abfall  von  der  platonischen  Partei'  Vor 
einigen  Jahren'  erfolgt  sein,^  währena  eine  andere,  ziemlich 
gleichzeitige  Stelle  um  volle  acht  Jahre  zurückweist.®  Ein  Brief 
an  Gefsner  von  1766*®  führt  wieder  an  die  Wende  der  Jahre 
1757  und  1758.  Diese  Datierung  der  entscheidenden  Wendung 
ist  also  die  wahrscheinlichste.  Freilich,  wenn  Wieland  den  'Cyrus' 
und  'Araspes  und  Panthea'  die  ersten  Früchte  der  Wiederher- 
stellung semer  Seele  nennt,**  so  fügt  er  mit  Recht  hinzu:  'In- 
dessen konnte  es  nicht  anders  sejn,  als  dafs  damahls  alles  noch 
sehr  idealisch  in  meinem  Kopfe  war';  denn  das  erste  Werk,  in 
dem  er  sich  wirklich  völlig  losgerissen  hat  von  den  Traditionen 
der  Jugend,  ist  doch  ohne  Zweifel  erst  der  'Don  S7lvio\ 

Der  Übergang  erstreckt  sich  also  auf  mehrere  Jahre,  und 
demgemäis  blickt  der  Priester  der  Grazien  bereits  in  manchem 
seraphischen  Hymnus  durch,  ebenso  wie  später  die  Glut  der 
einstigen  Schwärmerei  noch  ab  und  zu  leise  aufflackert  —  Schon 
1757  pariert  Uz  die  Angriffe  unseres  Dichters  gewandt  durch 
den  Hinweis  darauf,  dafs  'der  heilige  Wieland  selbst  zuweilen 

»  Ebenda  368.  «  Werke  (Inselverlag)  9,  34  f.  '  Äuegew,  Br.  III 
885.  *  Ebenda  I  270.  '  Ebenda  I  259.  <^  Ebenda  I  270.  ^  Ebenda 
1 194.  "  ÄU81C.  denkw.  JB^.  I  9.  *  Ebenda  10.  ^  Ebenda  47.  "  Ausgew. 
Br.  UI  385. 


Wielands  'Metamorphose'  in  seiner  eigenen  Beurteilung.  298 

schalkhaft  schildere'  und  führt  ein  schlagendes  Beispiel  aus  den 
'Briefen  von  Verstorbenen'  an,^  und  die  Kritik  greift  das  begierig 
auf.^  Wieland  selbst  nimmt  an,  dafs  schärfer  sehende  Geister 
lauge  voraus  wissen  mufsten^  welchen  Weg  er  einmal  gehen  würde. 
'Pour  VOU8  et  vos  semblables  vous  avez  sans  douie  devinS  et  privu  tout 
cela  de  Umgue  main,  et  vous  en  serex  aussi  peu  surpris  que  moi' 
schreibt  er  1762  an  Zimmermann ^  und  ein  andermal^  malt  er 
sich  die  Freude  aus,  die  'die  Utze,  die  Lessinge  und  die  Nicolai' 
bei  der  Lektüre  des  Tarisurteils'  über  die  Erfüllung  ihrer  Pro- 

Shezeihungen  haben  würden.  Bückschauend  auf  seine  früheren 
ünglingsjahre  spricht  er  einmal  von  dem  'Kampf  der  sinn- 
lichen Liebe  mit  dem  überspanntesten  Piatonismus .'  Wie  weit 
zurück  er  die  Grundlagen  seiner  späteren  Denkart  verlegt,  geht 
auch  aus  solchen  Äufserungen  hervor,  in  denen  von  einer  'Bück- 
kehr' zu  seinem  ursprünglichen  Wesen  die  Bede  ist.  Wir  haben 
schon  von  einer  'Wiederherstellung  seiner  Seele  in  ihre  natürliche 
Lage'  gehört.^  Ganz  ähnlich  drückt  ein  Brief  an  Zimmermann 
es  aus  mit  den  Worten  'ce  rStablissement  dans  ma  forme  naturelle' 
und  'je  me  trouve  tout  naturellement  au  point  d'oü  je  suis  parti  il  y 
a  dix  ans.'''  Scharf  weist  aber  Wieland  stets  den  naheliegenden 
Verdacht  zurück,  dafs  seine  religiös- sittliche  Begeisterung  nur 
Heuchelei  gewesen  sei.  Interessant  in  dieser  Hinsicht  ist  die 
Gegenüberstellung  des  jungen  und  des  gereiften  Wieland  in  Mo- 
sers Schrift  'Über  die  deutsche  Sprache  und  Literatur*  1781  (Werke 
9,  149).  Er  findet  etwas  Unwahres  in  den  Erstlingswerken.  Die 
Sprache  scheint  ihm  mehr  Empfindung  zum  Ausdruck  zu  bringen, 
als  wirklich  in  dem  Dichter  wohnt,  während  sie  später  für  die 
Fülle  der  wahren  Empfindung  zu  eng  ist.  —  Wie  ein  Schleier 
fällt,  nach  Wielands  eigenen  Worten,*  der  Pietismus  von  ihm 
ab;  seine  wahre,  ilrsprüngliche  Gestalt  kommt  zum  Vor- 
schein. 'Die  Natur  tritt  wieder  in  ihr  Becht  ein'  urteilt  Gersten- 
berg, und  ein  anderer  Kritiker  findet,  dafs  der  Dichter  erst  jetzt 
in  seinem  eigentlichen  Elemente  sei. 

Dem  allmählichen  Auftauchen  der  wahren  Physiognomie 
folgt  ein  wenn  auch  nicht  ebenso  langsames,  so  doch  auch  länger 
zu  verfolgendes  Verschwinden  der  letzten  unechten  Züge.  Diese 
Zeit  hat  Goethe  wohl  im  Auge,  wenn  er  in  'Dichtung  und  Wahr- 
heit' sagt:  'Er  warf  sich  auf  die  Seite  des  Wirklichen  und  gefiel 
sich  und  andern  im  Widerstreit  beider  Welten,'*  und  in  aem- 


^  Iq  dem  'Sehreiben  des  Verf  d.  Lyr,  Gedichte  an  einen  Freund^, 

«  Biblioth.  d,  schönen  Wissenschaft,  I  2,  425.  ^  Ausgew,  Br.  II  196. 
4  Ebenda  249  f.      *  Böttiger,  'Lit.  Zustände'  I  218. 

°  Vgl.  auch  W,s  Briefe  an  Sophie  v,  La  Roche,  hrag.  v.  Hom  1820, 
S.  58  {'gtäH*\  und  Teutscher  Merkur  1774,  I  312. 

'  Ausgew.  Br,  II  195,  194.  »  Ebenda  I  865.  »  Werke  (Weimarer 
Aiug.)  27,  90. 


294         Wielands  'Metamorpliose'  in  seiner  eigenen  Benrteilimg. 

selben  Sinne  schreibt  Heinse  1771  an  Gleim:*  Die  Ideen  vom 
geprüften  Abraham,  den  Briefen  der  Verstorbenen  und  der  Hymne 
aat  die  Erlösung  liegen  noch  immer  natürlicher  Weise  zugrunde 
in  dem  Kopfe  des  gottlichsten  Mannes/  Auch  Gerstenberg  glaubt 
zeitweilige  KückfäUe  in  die  'Enthusiastereien'  der  Jugend  bei 
Wieland  bemerkt  zu  haben  (a.  a.  O.  390).  Mehr  scherzhaft  ge- 
meint ist  dagegen  Wielands  Geständnis :  ^fSprouve  que  je  me  suis 
fUäU  trop  tot  d'ttre  gueri  de  Venthotmasme*  in  einem  undatierten 
Briefe,  der  vermutlich  ins  Jahr  1765  gehört^  Immerhin  haben 
wir  selbst  aus  seinen  alten  Tagen  Beispiele  von  merkwürdigen 
übertriebenen  Gefühlsausbrüchen,  die  an  die  Exaltation  des  Jüng- 
lings gemahnen.^  —  In  diesem  Zusammenhang  sei  schliefslich 
noch  erwähnt,  dafs  Wieland  bei  jeder  Gelegenheit  hervorhebt, 
seine  Auffassung  der  Moral  habe  sich  durchaus  nicht  wesentlich 
geändert,^  eine  Selbsttäuschung,  die  ebenfalls  zu  den  letzten 
opuren  des  inneren  Kampfes  gerechnet  werden  mufs. 

Piatonismus  ist  das  Schlagwort,  mit  dem  Wieland  am  lieb- 
sten den  Zustand  seiner  Seele  in  den  Jünglingsjahren  bezeichnet 
(bes.  Äusgew,  Br.  I  261  f.,  11  241,  242,  Böttiger  a.  a.  O.,  I  174). 
Plato  beherrscht  ihn  in  dieser  Zeit  ganz.  'Je  ne  vais  plus  insiruire 
les  jeunes  filles  dans  les  mysteres  de  la  philosophie  de  Piaton'  heifst 
es  in  einem  Briefe  aus  der  Übergangsperiode '  und  wieder :  'Platofi 
a  fait  place  d  JSorace.'^  Bald  nennt  er  sich  'revenu  des  reveries  de 
Piaion/ ^  bald  redet  er  von  einem  Verlassen  der  'platonischen 
Parthey'  oder  von  der  'platonischen  Schwärmerey'  von  einst.^ 
Im  'Anti-Cato'  {Teutscher  Merkur  1773,  III  HO  f.)  wird  die  Ent- 
wickelung  eines  Menschen  wiedergegeben,  dessen  Jugend  'im  Arm 
der  Weisheit  und  der  Tugend  m  edleren  Übungen  verfliefst' 
Auch  hier,  wo  offenbar  eine  Selbstschilderung  vorliegt,  ist  Plato 
der  Lehrer  des  jungen  Weisen.  In  GersCenbergs  mehrfach  zi- 
tierter Analyse  der  dichterischen  Persönlichkeit  Wielands  (a.  a. 
O.  389)  wird  ebenfalls  betont,  dafs  die  'ansteckende  schwärme- 
rische Beredsamkeit'  Piatos  ihm  verhängnisvoll  geworden  sei.  — 
Aber  nicht  nur  sein  Denken,  auch  sein  Fühlen  steht  Jahre  hin- 
durch unter  der  Einwirkung  des  Griechen.  Er  gibt  selbst  zu, 
ein  typisches  Beispiel  eines  platonischen  Liebhabers  gewesen  zu 
sein.^ 

Neben  Plato  hat  der  junge  Wieland  natürlich  noch  andere 
Vorbilder  und  Führer.  Am  besten  unterrichtet  darüber  die  schon 
erwähnte  Stelle  des  'Anti-Cato\    Einen  Sokrates,  .einen  Epiktet, 

>  Werke  (InselverL)  9,  34.      *  Br,  an  Sophie  La  Boche  58. 

^  Böttiger  a.  a.  O.  I  197;   Atisw.  denkw.  Br.  IJ  109,  vgl.  a.  106  oben. 

*  Z.  ß.  Ausw.  denkw,  Br,  I  7.    Äusgew.  Br,  II  224,  241  u.  262  f. 

*  Ebenda  I  270.  «^  Ebenda  II  194  f.  '  Ebenda  II  224.  «  Ausw. 
denkw,  Br.  I  9,  ygl.  auch  Äusgew.  Br.  II  262,  III  385.  ^  Ausw.  denkw. 
Br.  1  198. 


Wielande  'Metamorphose'  in  seiner  eigenen  Beartdlnng.         295 

Plntarch  und  Xenophon  verehrt  er  als  die  Weisesten  der  Weisen, 
Phocion,  Timoleon,  Diotima  sind  seine  sittlichen  Ideale.  Von 
Zeitgenossen  und  Vertretern  der  näheren  Vergangenheit  ist  in 
erster  Linie  der  Mentor  Bodmer  zu  nennen;  bezeichnet  sich  doch 
Wieland  selbst  als  Bodm^rien!^  Auch  als  Anhänger  Youngs 
bekennt  er  sich  häufig,  und  er  preist  gern  die  Dichtungen  der 
Elizabeth  Rowe.  Shaftesburj  darf  hier  ebenfalls  nicht  feUen.  — 
Bald  aber  hören  wir  andere  Namen  erklingen.  Young  macht 
Chaulien  Platz,  und  der  einst  geschmähte  Uz  konmit  zu  Ehren.^ 
'Jt  pense  sur  le  Ckrisiianisme  comme  Montesquieu  sur  son  lit  de  tnort; 
sur  la  fausse  sagesse  des  esprits  sectaires  et  les  fausses  vertus  des  /n- 
pons  comme  Luden:  sur  la  morale  spiculative  comme  Hßlvetius,  sur 
la  mStaphysique  —  rien  du  tout;  eile  n*est  pour  moi  qu'un  ohjet  de 
plaisanterie,'  So  lautet  ein  Bekenntnis  aus  dem  Jahre  1764.^ 
Bemerkenswert  ist^  dafs  auch  Gerstenberg  (a.  a.  O.  S.  389)  von 
einem  Übergang  'von  Plato  zum  Bufibn  oder  Helvetius^  spricht. 

Am  liebsten  bezeichnet  Wieland  diesen  Übeigang  als  ein 
'Herabsteigen'  aus  höheren  Regionen  in  die  irdische  Wirklichkeit.^ 
Denselben  Ausdruck  adoptiert  dann  Zimmermann  in  einem  Briefe 
an  Nicolai  (bei  Bodemann,  'Zimmermann'  S.  293).  Die  Flüge  in 
ätherische  Räume  erscheinen  dem  reifer  gewordenen  Dichter  als 
Verirrungen  und  Abenteuer,  die  er  durch  seine  Jugend  und  durch 
Mangel  an  Erfahrung  erklärt.'  Er  nennt  sie  'puerile  Extra- 
vaganzen' und  'moralische  Don  Quixotterien',  und  mit  den  Worten 
'Man  kann  nicht  immer  ein  Knabe  seyn'  emanzipiert  er  sich  von 
dem  Zwange  einer  ungesunden  Moral.^  Das  Vorleben  der  mensch- 
lichen Seele,  die  seraphischeu  Wesen  und  vieles  andere  sind  ihm 
Chimären  geworden.*^  Nicht  von  ihm,  sondern  von  einem  acht- 
zehnjährigen Schwärmer,  von  einem  'jungen  Gelbschnabel'  sei  Uz 
beleidigt  worden,  heilst  es  in  Briefen  an  Riedel,^  und  diese  Aufse- 
rung  zeigt  von  neuem,  warum  Wieland  bei  anderer  Gelegenheit 
nach  dem  Worte  'Metamorphose'  griff. 

Seine  Jugend  werke  verwirft  der  umgewandelte  Dichter 
ebenso  rücksichtslos  wie  seine  Jugend  ideale.  Er  nennt  sich 
selbst  einen  'strengen  Vater  gegen  seine  ersten  Kinder'.*  Bod- 
mer und  Schinz  gegenüber  ist  er  freilich  sorglich  bemüht,  jeden 
Verdacht,  als  ob  er  sich  dieser  Erstlinge  schäme,  zu  entkränen.^® 
Eün   solcher  Verdacht  —   der  völlig  berechtigt  war,  wie  andere 


*  Ausgew,  Br,  I  365.      *  Ebenda  II  250.    Äusw.  denkw.  Br,  1  9. 
'  Äusgew.  Br.  II  241. 

*  Ausgetc,  Br,  I  868  (vgl.  315  u.  'Oyrus'  S.  VI),  II  195,  250,  HI  385, 
auch  I  270,  II  227,  I  259,  II  195,  letäscher  Merkur  1773,  m  111. 

*  Ausgew.  Br,  I  261,  815,  866,  '/rfris'  6  f. 

«  Ausw,  denkw,  ^.  I  9  u.  10,  Ausgew,  Br,  II  244.    '  Ebenda  II  241. 
«  Ausw.  denkw.  Br,  I  196,  211.      »  Ausgew,  Br.  I  368,  vgl.  auch  III 
315.      ^  Ebenda  II  92. 


296  Wielands  'Metamorpliose'  in  seiner  eigenen  Beurtdlung. 

AufeeruDgen  Wielands  beweisen^  —  war  besonders  durch  die 
Vorrede  zum  ^Cyrus^  geweckt  worden.  Schinz  soll  sich  nun  sein 
Urteil  nicht  nach  dieser  'eilfertigen'  Vorrede  bilden,  sondern  die 
Diskurse  zu  der  Sammlung  der  ^Poetischen  Schriften'  abwarten. 
Wie  wenig  diese  geeignet  waren,  Schinzens  Vermutung  zu  wider- 
legen, mögen  Wielands  eigene  Worte  in  der  Einleitung  zum 
^dris'  (S.  6  f.)  zeigen:  ^als  ich  dieser  Gefahr  (nämlich  der 
Selbstüberschätzung)  glücklich  entgangen  sey,  beweisen  die  Ur- 
theile,  die  ich  selbst  über  meine  jugendlichen  Poesien  in  der 
neuen  Auflage,  so  im  Jahr  1762  zu  Zürich  davon  gemacht  wurde, 
gefällt  habe,  und,  wie  ich  hoffe,  meine  neuem  Versuche/  —  Die 
Verdammung  der  Jugendschriften  wechselt  ab  mit  der  schon  er- 
wähnten Betonung  des  historischen  Zusammenhanges  der  ge- 
samten Produktion, 

Wieland  gibt  uns  auch  über  die  Hauptfaktoren  selbst  Aus- 
kunft, die  nach  seiner  Ansicht  zusammengewirkt  haben,  um  einen 
neuen  Menschen  aus  ihm  zu  machen.  'Or  gut  a  le  plus  coniribui/ 
schreibt  er  1762  an  Zimmermann,  'd  op&rer  ou  pUUoi  [sie!]  ä  aehever 
entierement  cette  mitamorphose  . . .  c^Stoit  prinoipalemeni  la  suHe  de 
disastres,  de  peines,  et  de  miseres  qui  fn*a  poursuivi  depuis  man  re- 
tour dans  ma  pairieJ^  Derselbe  Sinn  liegt  in  den  Worten:  J'ai 
appris  par  tme  longue  exphience  de  privations,  de  peines,  de  soueis  et 
de  chagnns  ce  que  vaut  le  plaisir,'^  Freilich,  diese  trüben  Erfah- 
rungen fallen  bereits  in  die  Biberacher  Zeit  und  haben,  wie  Wie- 
lana  selbst  zum  Ausdruck  bringt,  das  Werk  nur  zu  Ende  ge- 
bracht Die  Übersiedelung  nach  dem  durch  Eonfessionsstreitig- 
keiten  bewegten  Biberach  und  die  Übernahme  eines  öffentlichen 
Amtes  hatten  selbst  schon  in  der  gleichen  Richtung  gewirkt. 
Weist  doch  der  Dichter  eigens  darauf  hin,  dals  sich  die  Him- 
^pinste  seiner  Jugend  in  seiner  ^süfsen  angenehmen  Einsamkeit' 
(m  der  Schweiz)  besonders  üppig  hätten  entwickeln  können.^ 
^J'ai  eti  obligS  ou  de  reformer  mon  Platonisme,  ou  d'aüer  vivre  dans 
quelque  dSsert  du  Jh^ol/  meint  er  ein  andermal.'  Die  Gesellschaft, 
in  die  er  ei^ntlich  erst  in  Biberach  eintritt,  zieht  ihn  von  seinen 
Schwärmereien  ab  und  macht  ihn  zu  einem  'angenehmen  Gesell- 
schafter'.^ Seine  Absonderung  von  der  Welt  hatte  ihn  auch  in 
völliger  Unkenntnis  des  Lebens  gelassen.'^  So  wird  denn  auch 
der  Jugendliche  Träumer  im  'Anti-Cato'  als  gänzlich  unerfahren 
gescnildert.^  Wie  aus  einem  Briefe  an  Leonhard  Meister  von 
1787  hervorgeht,  sind  es  besonders  Graf  Stadion  und  La  Roche 
gewesen,  die  als  Weltmänner  'unendlich  viel  zur  Erweiterung 
und  Berichtigung   der  Welt-  und   Menschenkenntnis'   Wielands 

'  ÄuatD,  denkw,  ^.  I  9  u.  178,  ygl.  auch  Gentenbergs  'Rezensionen^ 
S.  139.  *  Ausffeuf.  Br.  II  195.  *  Ebenda  223,  ygl.  250.  *  Ebenda  195. 
«  Ebenda  241.  '  Äusw.  denkw.  Br.  I  200,  vergL  allerdings  ebenda  87. 
""  Ebenda  47.      >  leidseher  Herkur  1773,  III  111,  112. 


Wielands  'Metamorphose'  in  seiner  eigenen  fieurteilung.  297 

und  dadurch  zu  der  lievolution  in  seiner  Seele'  beigetragen 
haben.^  —  Noch  ein  anderes  Moment  darf  nicht  übersehen 
werden:  der  Einflnis  der  Frauen.  'Durch  das^  was  man  Erfah- 
rung nennt;  durch  Begegnisse  an  Welt  und  Weibern'  wurden 
ihm  die  ätherischen  Regionen  verleidet,  lesen  wir  in  Dichtung 
und  Wahrheit'.^  Zwar  hatte  das  weibliche  Geschlecht  auch  vor- 
her schon  eine  wichtige  Holle  in  Wielands  Entwickelung  gespielt, 
aber  damals  hatte  sich  diese  Einwirkung  nach  einer  ganz  anaeren 
Richtung  geltend  gemacht,  nämlich  gerade  nach  der  Seite  der 
Weltflucht  und  PhantastereL^ 

Wenn  auch  ein  Autor  nicht  immer  ein  einwandsfreier  Be- 
urteiler seiner  selbst  sein  kann,  so  sollten  doch  seine  Selbst- 
beobaohtunsen  stets  die  Grundlage  der  literarhistorischen  For- 
schung bilden;  denn  gar  vieles  mu(s  er  besser  wissen,  als  es  der 
scharfsinnigste  Kritiker  und  Psycholog  zu  erkennen  imstande  ist 

<  Amgew.  Br.  III  886.    *  Werke  (Weimarer  Ausg.)  27,  90.    ^  Äuagew. 
Br.  1  287,  At49W.  denkw,  Br,  I  198,  Br.  an  Sophie  La  Roche  832. 

Bonn.  Julius  Steinberger. 


Die  Bnrghsche  Oato -Paraphrase. 

Abgesehen  von  den  Hauptwerken  Langlands,  Richard  RoIIes, 
Chaucers  und  Gowers  hat  kein  anderes  mittelenglisches  Werk 
eine  solche  Verbreitung  gefunden  wie  des  Magister  Benedict 
Burgh  Bearbeitung  der  Disticha  Catonis.  Mag  daher  die  dichte- 
rische Bedeutung  dieser  nüchternen,  langatmigen  und  unbehol- 
fenen Reimerei  noch  so  gering  sein,  die  englische  Literatur-  und 
Sprachgeschichte  wird  nicht  umhin  können,  auch  diesem  Werke 
ihre  Aufmerksamkeit  zuzuwenden  als  dem  typischsten  Repräsen- 
tanten des  literarischen  und  sprachlichen  Niveaus  des  15.  Jahr- 
hunderts. Aus  diesem  Grunde  will  ich  den  Fachgenossen  den 
kritischen  Text  dieses  Denkmales,  den  ich  seit  über  neun  Jahren 
im  Pulte  ruhen  habe,  nicht  länger  vorenthalten,  zumal  ich  die 
wichtigsten  damit  verknüpften  literarischen  Fragen  bereits  1898 
in  memem  Aufsatze  'über  Benedict  Burghs  Leben  und  Werke^ 
{Archiv  Bd.  CI,  S.  29 — 64)  besprochen  habe.  Auf  diese  Arbeit 
mufs  ich  den  Leser  vorläufig  für  alle  Einzelheiten  verweisen.  Es 
sei  hier  daraus  nur  wiederholt,  dafs  die  vorliegende  Cato- Para- 
phrase in  siebenzeiligen  Chaucer-Strophen  wahrscheinlich  zwischen 
1433  und  1440  für  seinen  damaligen  Schüler  William  Bourchier, 
ältesten  Sohn  des  ersten  Grafen  Essex,  von  Magister  Benedict 
Burgh  verfafst  ist,  der,  um  1413  geboren,  seit  1433  als  magister 
grammaticae  (?)  in  Oxford  Sprachunterricht  erteilte,  dann  durch 
die  Familie  Bourchier  nacheinander  die  Pfarrpfründen  von  Mal- 
don (?  ca.  1438-40),  Sandon  (6.  Juli  1440  bis  24.  Sept.  1444) 
und  Sible  Hedingham  (19.  Okt.  1450  bis  1476)  —  sämtlich  in 
Essex  —  erhielt  und  schliefslich  als  Archidiakon  von  Colchester 
(10.  Febr.  1466  bis  1483),  nachdem  ihm  auch  noch  eine  könig- 
liche Präbende  zu  Bridgnorth  (11.  April  1470),  ein  Eanonikat 
an  St  PauFs  zu  London  (23.  Febr.  1472)  sowie  eine  reiche  Stifts- 
stelle an  St.  Stephan  in  Westminster  (8.  Juni  1476)  übertragen 
waren,  am  13.  Juli  1483  gestorben  ist 

Die  uns  beschäftigende  Cato -Version  ist,  soweit  mir  be- 
kannt, ganz  oder  fragmentarisch  in  folgenden  25  Handschriften 
und  4  alten  Drucken  auf  uns  gekommen:^ 

'  Sämtliche  Handschriften,  P  und  Q  ausgenommen,  sowie  der  erste 
Druck  Caxtons  und  der  Coplands  li^en  mir  in  Abschriften  oder  Kol- 
lationen vor,  aus  denen  ich  gern  Interessenten  über  etwaige  Varianten 
Mitteilungen  machen  werde.  In  meiner  Gesamtausgabe  der  mittelenglischen 
Cato -Versionen  werde  ich  natürlich  den  ganzen  Variantenapparat  bringen. 


V  71  J) 


Die  Barghflche  Oato-Pantphrase.  999 

a)  Handschriften:^ 

London,  Brit.  Mus.,  Ms.  Harleian  116,  fol.  98*— 124* 
.        .       .  .        172,fol.52*-71^ 

.        .       .  „        271,fol.26*-44^ 

„  „        „       ^  ^      2251,2fol.l69»— 178^> 

„        r,       „  V      4733,  fol.  3*— 30» 

^  „      7333,  fol.  25»- 30» 

„       „  Arundel  1 68,  fol.  7  » — 14  » 
^  „        „       „Additional34193,fol.204'^— 223» 

London,  im  Besitz  des  Herrn  Alfred  H.  Huth,  Huth  Ms. 

Nr.  7,  fol.  113»— 134» 
Oxford,  Bodleian  Library,  Ms.  Rawlinson  C.  48,   fol. 

84»— 111^ 
^  „  Tj  »    Rawlinson  F.  32,^  fol. 

3»— 29»^ 
„  „  17  w    Rawlinson  F.  35,*  fol. 

la_17b 

Cambridge,  üniversity  Library,  Ms.  Ee.  IV.  31,  fol. 

7a 24» 

„  „  „         Ms.  Ff.  IV.  9,  fol. 

86^—106» 
„  „  „         Ms.  Hh.  IV.  12,  fol. 

1»— 31» 
Cambridge,  Magdalen  College,  Pepys  Ms.  2006,'  pag. 

211—224 
Cambridge,  Jesus  College,  Ms.  56  (früher  Q.  /'.  8), 

fol.  78^  —  92^ 
Manchester,  Chetham  Library,  Ms.  8009,  fol.  49»  —  75» 
York,  Hs.  des  Rev.  Canon  J.  Raine  (jetzt  im  Besitz 

seiner  Witwe),  fol.  1»— 34»' 
Durham,  Bishop  Cosinus  Library,  Ms.  V.  2.  14,®  fol. 

69»  — 92» 
Glasgow,  Hunterian  Museum,  Ms.  U.  IV.  17  (früher 

Q.  4.  58),  fol.  1»— 25»> 

'  Einzelne  verspreogte  Strophen  werden  sich  vermutlich  auch  sonst 
noch  in  Handschriiten  vorfinden.  So  steht  z.  B.  Str.  CXI  im  Add.  Ms. 
29729  auf  fol.  288*»  (von  Stowee  Hand). 

*  Hd  bietet  den  Cato  nur  bis  V.  648,  da  die  folgenden  Lagen,  nach 
Ausweis  der  alten  Paginierun^  fol.  184 — 208,  verloren  gegangen  sind. 

'  Eine  sor^ältige  Abschrift  von  F  verdanke  ich  der  unvergleichlichen 
Opferfreudigkeit  von  Prof.  A.  Napier. 

*  Da  in  B  die  erste  Lage  fehlt,  beginnt  die  Handschrift  erst  mit 
V.  427  des  Cato. 

*  Pm  enthält  nur  die  Verse  1—367. 

^  Eine  sehr  genaue  Kollation  von  D  hat  mir  in  liebenswürdigster  Weise 
Bey.  Canon  W.  Greenwell  hergestellt 


1)  Ha 

2)  Hb 

3)  Ho 

4)  Hd 

5)  He 

6)  Hf 
7)A 

8)  Ad 

9)  Ht 

= 

10)  C 

= 

11)  F 

— 

12)  R 

^ 

13)  E 

^= 

14)  Fe 

— 

15)  H 

16)  Pm 

= 

17)  Q 

^= 

18)  M 

19)  Y 

^ 

20)  D 

— 

21)  G 

800  Die  Burghsche  Cato-Paraphnuie. 

22)  P     =  Peniarth   (MerioDeth,  Wales),   im   Besitz   des   Herrn 

W.  E.  Wynne,  Peniarth  Ms.  38 

23)  Db  =  Dublin,  Trinity  College,  Ms.  E.  I.  29,  fol.  2»— 11*> 

24)  Fb  =•  Cambridge,  University  Library,  Ms.  Ff.  L  6, »   fol. 

181»— 185»> 

25)  Po   —  London,  Brit  Mus.,  Regius  18.D.2,2  fol.  207*— 209». 

b)  Drucke: 

26)  Cx   —  Druck  von  William  Caxton,  erste  Ausgabe,^  4P,  ohne 

Jahr  und  Ort; 

27)  Cx.2  =      V         V  V  n        zweite  Ausgabe,*  4**,  ohne 

Jahr  und  Ort; 

28)  Cx3  =      „         „  „  „        dritte    Ausgabe, '    Folio, 

ohne  Jahr  und  Ort; 

29)  Cp  =      „         „     William  Copland,*  London  1557,  in  klein 
Quart 

*  Fb  enthält  nur  40  herausgerisflene  Strophen  unfleres  Cato  und  zwar 
in  folgender  Anordnung :  Strophe  89,  80,  18,  17,  13,  20,  21,  34,  88,  87,  42, 
40,  53,  56,  57,  59,  79,  78,  80,  81,  77,  76,  88,  85,  166,  162,  164,  22,  25,  27, 
31,  32,  91,  93,  94,  96,  100,  101,  102,  104. 

*  Pc  enthält  nur  folgende  28  Strophen:  73,  76,  77,  11,  14,  17,  19,  23, 
88,  56,  66,  70,  8u,  57,  61,  62,  44,  28,  74,  25,  79,  20,  21  (gedruckt  in  ArUi- 
qitarian  lUpository  IV  182—187  und  von  E.  Fiflgel  in  Änglta  XIV  471—497 ; 
vgl.  Zupitza,  Archiv  XC  296  f.),  mit  denen  laut  Angabe  der  Handschrift 
der  kunstsinnige  fünfte  Graf  Percy  (147^—1527)  die  Wände  eines  Ge- 
maches auf  seinem,  1650  durch  die  Puritaner  zerstörten  Schlosse  Wressle 
am  Humber  hatte  schmücken  lassen.  Vgl.  auch  E.  Barrington  de  Fon- 
blanque,  ÄnnaU  of  ihe  House  of  Percy,  London  1887,  Vol.  I  S.  328. 

*  C5x  ist  mit  Type  2,  also  vor  dem  2.  Februar  1479,  gedruckt.  Da« 
einzige  erhaltene  Exemplar  befindet  sich  auf  der  Universitätsbibliothek  zu 
Cambridge  (Signatur:  AB.  8.  48.  2).  Vgl.  W.  Blades,  Ihe  Biography  and 
Timograpvy  ofW.  Caxton  (London  1861-03),  Vol.  II  ö.  52—54  und  Plate 

^  Ebenfalls  mit  I^pe  2  gedruckt.  Einziges  Exemplar  im  Besitz  des 
Herzogs  von  Devonshire  zu  Chatsworth  in  Derbyshire.    Blades  II  85. 

^  Vor  1481  gedruckt.  Die  drei  bekannten  Exemplare  befinden  sich 
im  Besitz  des  St.  John 's  College  zu  Oxford,  des  Earl  Spencer  zu  Althorp 
in  Northamptonshire  und  des  Herrn  Maurice  Johnson  zu  Spalding  in 
Lincolnshire.    Blades  II  80—82  und  Plate  XXIX. 

*  Der  Titel  des  Coplandschen  Druckes  lautet:  The  Qodly  aduertiaemerU 
or  good  counsell  of  the  famous  oreUor  hoeraUs,  intitied  Parcenesis  to  De- 
7nonicu3:  wherto  ia  annexed  Cato  in  olde  Englysh  meter  ,ANNO  DO, 
M.D,LVn,  Mense  Decemb.y  das  Kolophon:  Imprinted  ai  London  in  Flete- 
sireaie,  at  the  eigne  of  the  Rose  Oartandy  by  William  Goplande,  Finished 
ihe  first  dtw  ofJanuary,  Anno  M,D,LVni.  uss  einzige  mir  bekannte  voll- 
ständige Exemplar  befindet  sich  auf  der  Bodleiana  zu  Oxford  (Signatur: 
J.  18.  Art.  Seid.).  Das  Exemplar  des  Britischen  Museums  (Sien.:  Gren- 
ville  7792)  ist  unvollständig  und  enthält  nur  den  Cato.  Für  aen  Nach- 
weis eventueller  weiterer  Exemplare  wäre  ich  sehr  dankbar.  Das  Buch 
wurde  zwischen  19.  Juli  1557  und  19.  Juli  1558  in  das  Register  der  Lon- 
doner BuchhändlergUde  eingetragen,  wo  wir  im  Beg.  A  fol.  24  ^  (=  Aber'B 


Die  Burghsche  Cato-Paraphraae. 


801 


Die  Handschriften  fallen  fast  sämtlich  noch  in  das  15.  Jahr* 
hundert;  nur  Ht  ist  frühestens  um  1500,  Pc  erst  unter  Hein- 
rich VIIL  (1509  —  47)  geschrieben.  Wenn  man  auf  den  freilich 
trügerischen  Eindruck  der  Altertümlichkeit  der  Schriftzeichen  etwas 
zu  geben  wagt,  so  könnte  man  C  und  F  vielleicht  noch  in  das 
Jahnsehnt  vor  1450  verlegen,  Q  H  Hb  Fb  E  wenig  später,  auch 
Ha  Db  Hd  He  Hf  Pm  R  D  Y  G  M  wohl  noch  in  das  dritte 
Viertel  des  15.  Jahrhunderts. 

Die  Handschriften  und  Drucke  lassen  sich,  wie  ich  später 
eingehend  zeigen  werden,  zu  folgendem  Stammbaum   anoronen. 


\ 


in  welchem  freilich  die  Nebenbeziehungen,^  die  zwischen  meh- 
reren Handschriften  und  Gruppen  bestehen,  nicht  angedeutet 
werden  konnten.  Hb  bietet  einen  stark  überarbeiteten  Text 
und  ist  zweimal  nach  irgendeiner  Handschrift  der  /^-Gruppe 
durchkorrigiert  worden.  Ht  und  Cx  enthalten  einen  Mischtext, 
insofern  als  sie  in  den  Versen  51 — 232  (d.  i.  Anfang  des  Cato 
Maior)  nicht  dem  im  Schema  angedeuteten  Verhältnis  folgen, 
sondern  mit  der  Gruppe  a,  speziell  d  oder  noch  richtiger  der 
Vorlage  von  Hb  zusammengehen:   dies  erklärt  sich  am  einfach- 


Tranacript  I  79)  lesen:  To  William  Coplande  to  prynie  this  hohe  OaUed  the 
Iflocrates  Paranensis  [!]  or  admonysion  to  Demonious  and  for  kis  lycense 
he  geveth  to  the  hoiise  ...  [keine  Summe  an^^eben;  dals  dies  Buch  aber 
niemals  gedruckt  sei,  wie  H.  B.  Tedder  im  Dictionary  of  Not.  Btogr.  XII 
174  annimmt)  ist  unrichtig].  Die  Sprache  Burghs  ist  in  dem  Copland- 
schen  Drucke  leicht  modernisiert. 

^  Ich  bemerke  aber  ausdrücklich,  dafs  ich  für  die  Annahme  solcher 
Nebenbeziehnngen  stärkere  Beweise  verlange  als  John  Koch  in  seinem 
Aufsatz  über  'Das  Handsdiriftenverhältnis  in  Chaucers  Parlement  of  foules' 
(Arekiv  CXI  64  ff.,  299  ff.,  OXII  46  ff.).  Wer  den  mittelalterüchen  Schrei- 
bern so  wenig  Selbständigkeit  uud  Nachdenken  zutraut  wie  John  Koch, 
wird  wohl  üoerall  zu  dem  Resultate  gelangen,  dals  nahezu  sämtliche 
HandBchriften  irgendwie  miteinander  verwauat  sind. 


802  Die  Borghache  Cato-Paraphnue. 

sten  bei  der  Annahme,  dafs  ihre  Vorlage  x  ^  ^^^  genannten 
Versen  nach  einer  zu  d  gehörigen  Handschrift  durchkorrigiert 
war.  A  hat  starke  Beziehungen  zu  9.  Fb  gehört^  soweit  die 
wenigen  Strophen  ein  Urteil  zulassen,  in  eine  Gruppe  mit  R 
Die  Handschrift  Pm  gehört  sicher  zur  Gruppe  ß,  dodi  bat  äe 
so  viele  selbständige  Lesarten,  dafs  ich  auf  Grund  des  frag- 
mentarischen Inhaltes  ihr  einen  näheren  Platz  nur  versuchsweise 
anzuweisen  wage.  Die  Anordnung  von  Q  ist  nur  eine  voriia- 
fige.  P  habe  ich  noch  nicht  gesenen,  also  auch  noch  nicht  1^ 
rücksichtigen  können. 

Es  kann  keinem  Zweifel  unterli^en,  dafs  der  Originalwoit- 
laut  am  besten  repräsentiert  wird  durcn  die  Gruppe  a  und  inner- 
halb dieser  wieder  durch  die  Gruppe  &.  Die  vier  dazugehörigen 
Handschriften  C  F  H  Q  bieten  indes  sämtlich  einen  so  guten 
Text)  dafs  es  schwer  ist,  zu  entscheiden,  welcher  von  ihnen  der 
Vorzug  zu  geben  ist.  Ich  habe  die  Handschrift  C  zur  Grund- 
lage meines  Textes  gewählt,  weil  sie  vermutlich  die  älteste  ist 
'  und  auch  wohl  die  geringste  Fehlerzahl  aufweist.  Dabei  habe 
ich  die  Textgestalt  so  konservativ  wie  möglich  gehalten,  so  dafi 
der  unten  folgende  Text  im  wesentlichen  eine  Reproduktion  voo 
C  ist,  mit  stillschweigender  Einführung  moderner  Interpunktion, 
Auflösung  der  Abkürzungen  mit  Kursivdruck,  Regelung  der  gre- 
isen Anfangsbuchstaben  und  Fortlassung  der  Cäsurpunkte.  Nur 
wo  ein  Vergleich  der  übrigen  Handschriften  lehrt,  dafs  C  nicht 
den  Originalwortlaut  bietet,  habe  ich  diesen  auf  Grund  des  ge- 
samten Variantenmaterials  wiederherzustellen  gesucht.  In  allen 
solchen  Fällen  habe  ich  die  Lesart  von  C  sowie  die  Varianten 
der  übrigen  Handschriften  vollständig  am  Fufse  der  Seite  ver- 
zeichnet und  im  Text  selbst  durch  ein  vorgesetztes  Sternchen 
auf  den  Variantenapparat  verwiesen.  Es  sind  dies  im  ganzen 
236  Fälle:  eine  gewifs  kleine  Zahl  bei  1134  Versen  (nach  Abzog 
des  in  C  fehlenden  Parvus  Cato),  wenn  wir  die  notwendige  Un- 
sicherheit handschriftlicher  Überlieferung,  zumal  beim  Durchgang 
durch  mindestens  drei  Abschriften,  in  Betracht  ziehen;  aber  doch 
eine  hohe  Zahl,  wenn  wir  bedenken,  welch  selten  günstigen  Fall 
wir  vor  uns  haben,  wo  die  handschriftliche  Überlieferung  kaum 
zehn  Jahre  nach  der  Entstehung  des  Originales  einsetzt!  Wcdd 
schon  nach  zehn  Jahren  bei  der  vierten  Abschrift  in  wenigstens 
jedem  fünften  Verse  sich  ein  Fehler  eingeschlichen  hat,  wessen 
sollen  wir  uns  da  bei  Handschriften  versehen,  die  eine  hundert- 
jährige Überlieferung  durchlaufen  haben?!  Diese  Erfahrung 
mahnt  gewils  zur  Vorsicht  und  Skepsis  und  ist  ein  Warnuogs- 
zeichen  für  eine  Wissenschaft,  die  so  viel  mit  späten  Kopien 
und  obendrein  meist  nur  einer  Handschrift  zu  arbeiten  hat  2 
j^  Die  dem  eigentlichen  Cato  vorausgehenden  Brmes  sMieniioA 
j^oder,   wie  sie  im  Mittelalter  heifsen,  der  Parvm  Oato  fehlt  in 


Die  BurghBcbe  Cato-Paraphrase.  303 

der  Gruppe  a.  Die  Handschrift  H  bringt  ihn  zwar  am  Ende 
des  Ganzen;  jedoch  ist  ihr  Text  des  Kleinen  Cato  aagenschein- 
lieh  so  nahe  mit  der'Grnppe  x  verwandt,  dafs  wir  mit  Bestimmt- 
heit annehmen  dürfen,  dals  H  ihren  Parvus  Cato  erst  nachtrag- 
lich aas  X  oder  einer  mit  dieser  verwandten  Handsclnift  hinzu- 
gefügt hat.  Es  mufs  daher  die  Frage  aufgeworfen  werden,  ob 
die  Übersetzung  des  Parvus  Cato  überhaupt  von  Burgh  her- 
rührt. In  der  Holperigkeit  des  Verses,  Nüchternheit  des  Aus- 
drucks und  Ode  des  Inhalts  steht  der  Parvus  Cato  sicher  noch 
eine  Stufe  tiefer  als  der  Burghsche  Hauptteil,  so  dafs  man  ge- 
neigt wäre,  eine  andere  Hand  darin  zu  senen.  Indes  könnte  man 
diesen  Unterschied  doch  wohl  daraus  erklären,  dafs  die  Breves 
senterUiae,  von  denen  7 — 10  jedesmal  zu  einer  Strophe  zusammen- 
gestellt werden  mufsten,  durch  ihre  Vielheit  und  Knappheit  dem 
ungewandten  Übersetzer  noch  grölsere  Schwierigkeiten  bereiteten 
als  die  Distichen,  so  dafs  ich  nicht  mit  Sicherheit  den  ^Kleinen 
Cato'  unserem  Bui^h  abzusprechen  wage.  In  meinem  unten  fol- 
genden Texte  habe  ich  daher  den  Parvus  Cato  trotz  der  Un- 
sicherheit über  seine  Echtheit  mitabgedruckt  und  zwar  auf  Grund 
der  Handschrift  H. 

Das  lateinische  Original,  das  in  den  Handschriften  meist 
jeder  Strophe  vorausgeschickt  ist,  habe  ich  nicht  mitabgedruckt. 
Doch  ist  am  linken  Seitenrande  jedesmal  auf  das  entsprechende 
lateinische  Distichon  verwiesen  und  zwar  nach  der  Zählung  der 
Cato-Ausgabe  bei  Baehrens,  Poetas  kUini  minores,  Leipzig  1881, 
Vol.  m  214—235. 

I.  Hh.  IV.  12,  fol.  29^^ 

Whan  I  aduertyse  in  my  remembraDce 
And  866,  how  feeU  folk  erre  greuously 

8  In  the  way  of  vertuose  gouernanoe, 

I  haf  supposyd  in  my  seif,  that  I 
Aught  to  Support  and  consell  prudently 
6    Them  to  be  fnll  gloriose  in  lyuynge 

And  how  they  sluiU  hem  seif  to  honour  brynge. 

II. 

Therfore,  my  *leef  childe,  I  shall  teche  the, 

9  Herkyn  me  well,  the  maner  and  the  gyse 
How  thyn  soule  inward  shall  acqueynted  be 

l^WitÄ  thewys  good  and  vertue  in  all  wyse. 
12         Bede  andiconceyue;  for  he  is  to  dispise, 
That  redyth  ajre  and  '^'wot  not,  what  is  ment. 
Suche  redyng  is  not  elles  but  wynd  dispent 

III.  |H,  fol.  30' 

15    Pray  thy  Gk>d  and  prayse  hym  wtt^  all  thyn  hert. 
Fader  and  moder  haf  in  reuerence; 


S  ie^t  HHfS      13  »oiwoi  HHf,  nooi  X 


804  IMe  BurghBche  Cato-Paraplirafle. 

Love  them  well.    And  be  thow  neuer  to  emert 
18         To  here  mennys  oounsell;  bat  kepe  the  thens, 
Till  thow  be  depyd.    Be  clene  wtt/tout  offence. 

Salue  gladly.    To  hvm,  that  is  more  digne 
21    Than  art  thy-self,  tnow  shalt  thy  place  resigne. 

IV. 

Drede  thy  maister.    Thy  *thynge8  loke  thow  kepe. 
Take  hede  to  thy  household.   Loue  ave  thy  wyfe. 
24    PleBEunt  wordys  out  of  thy  mouthe  shaU  crepe. 
Be  nat  irouse.    Kepe  thy  behest  as  lyfe. 
Be  tempred  wttA  wyne  and  not  to  exoessiue. 
27    Thy  wyues  word  make  non  auctorite 

In  folye.    61epe  no  more  than  nedyth  the. 

V.  H,  fbl.  dO^ 

In  goodly  bokys  whilome  shalt  thow  rede; 
80         And  that  thow  redyst,  in  thyn  *mynd  it  shytt 
Styre  no  wyght  to  wrath.    Lye  not,  I  the  rede, 
Do  well  to  good,  and  *Üiat  *toiÜ  eft  be  quytt. 

88  Be  not  wikkydy  ne  to  the  wykkyd  knytt. 
Stond  in  the  place  of  pletynff  excersise. 
Deme  the  rygnt    Be  counaeld  of  the  wyse. 

VI. 

86    Play  wttA  a  toppe;  the  dyse  loke  thow  eechewe. 

Despise  not  women;  kepe  them  thy  behest 

Skome  neuer  wreche;  for  than  thow  shalt  it  rewe. 

89  Couette  no  mannys  *good.    Spek  few  at  fest. 
Loke  [*]  thy  vengeance  be  *cUi€aj  irtth  the  lest. 

Who  *ha^  done  the  good,  *haf  in  remembrance. 
42    Love  euerj  wyght,  and  thys  shall  the  avaunce. 

VII.    Lenvoye.  h,  foi.  si«- 

Behold,  my  maister,  thys  lityll  tretyse, 
What  it  is  füll  of  wytt  and  sapience, 
46    Enforceth  jow  the  mater  to  complise. 

Thynk  it  is  ^translate  at  jowr  reuerence. 
Enrolle  it  therfor  in  jowr  aduertence. 
48    ^Desvre  *to  know,  what  thys  Catoun  ment. 

Whan  je  it  rede,  lat  not  jowr  hert  be  thens. 
Doth  as  thys  saith  with  all  jowr  hoole  entent. 

Ebcplicit  über  parui  Catonis 

I.  1  VIII.  Rawl.  C.  48,  fol.  84' 

51    For  why  that  Gk>d  is  inwardli  the  witte 

Off  man  and  yeueth  hym  vndirstondyng, 
*Ä8  ditees  seith,  therfore  shalt  thou  ynshitte 
64         Thyn  *hert6  to  thyn  souere^  lord  and  kyng. 
Pryncipalli  *a-boue  alle  othir  thyng, 
Yeuyng  hym  laude,  honour  and  reuerence, 
67    Whiche  hathe  endued  the  with  excellence. 


SS  thyng  HHaHc;i;  30  mynd]  h0rt  HHfE  32  tkai  wäl]  thow  $haU  H 
39  goodts  H  ^0  lokt  agt  U  \  ay  B.m  41  Who  to  haj  n  Hf  £  |  haf  üHvBA 
46  iramslatgd  HvAv  48  Dugrttk  Hf/HfFe  \  to]  Jor  H,  Jor  to  Am  53  A»] 
And  T      64  kort  C      66  a  boum  CHe 


Die  BurghBche  Cato-Parapbra0e.  305 

1.2  IX. 

A-wake,  my  childe,  and  love  no  ^sloffardye; 
In  mudie  sleep  look  thou  neuer  delite, 
eo    inff  thou  purpoee  [*1  to  worship  for  to  stye. 
Long  sieep  and  Blouthe  to  vicee  men  exdte; 
It  makith  dulle,  it  makith  ynparfite; 

68  It  fostreth  yp  the  filthes  of  the  ueesch; 
It  palith  eek  and  wastith  bloodia  freesch. 

1. 8  X. 

Trist  weel  also:  tlie  fiist  of  vertuys  alle 
ee         Is  to  be  stille  and  keep  thi  tonge  in  mewe. 
Off  tunge  ynteied  *muche  härme  may  falle. 
And,  leve  me  weel,  this  is  as  ffospell  trewe: 

69  Who  can  delaviaunce  of  woora  eschewe 
And  reete  with  reeoun,  this  is  verray  tezt, 
To  Qod  a-boye  that  man  is  aidir-next. 

I.  4  i    XI.  toi.  84^ 

72    Auyse  the  weel,  that  thou  neu^r  trausrse 

Thi  owne  sentence;  for  theroff  risethe  shame. 
Sey  nat  oon  and  eft  the  oontrary  reherse. 
76         Such  repngnaunce  wiUe  make  thy  worship  lame, 
Wher  stedefastnesse  wil  cause  the  good  fame. 
For  he  shal  neuer  acoorde  with  man  on  lyue, 
78    That  with  hymsilfe  wiU  ay  repugne  and  stiyye 

L6  xn. 

Yiff  thou  adusrtise  and  behold  a-boute 
The  Uffe  of  men  and  ther  maners  also, 
81    Both  of  thi  silf  and  othir  the  withoute, 

In  myddüerthe  thou  shalt  *nat  fynden,  who 
That  in  summe  parti  ne  is  to  vertu  *fo, 
84    Blame  no  man  theriore,  iff  thou  do  a-riht; 
Sith  on  erth  laklee  lyueth  ther  no  wiht. 

I.  6  XIII. 

Tiff  thou  Buppoee  thynges  shall  noye  and  greeue, 
87         Thouh  thei  be  der  and  of  riht  grete  apprise. 
Such  as  suffreth  nat  thi  profette  ifcheeue, 
Yiff  thou  list  be  reulea  as  the  wise, 
90         Abflteyne  the  from  suich  thynges  in  all  wise; 
For  it  is  more  wisdom  in  sothfastnesse 
/To  proferr  profette  than  such  richesse. 

I.  7  ^  XIV.  toi.  86^ 

98  It  is  a  good  lessoun  for  the  nonee 

A  *w«ht  now  to  be  tempred  with  cofietaunce 
And  to  be  glad  and  mery  eft-soones, 
96         Nat  alwey  sad  ne  liht  of  contenaunce. 

A  matmys  cheer  may  hym  ful  oft  avaunce; 
For  att  eche  tym^  as  the  thyng  rec^uyrith, 

99  So  the  wiseman  yiseageth  and  cheenth. 


58  tlogardnfe  C  vHd     SO  ike  to  r  a,  ye  to  q    67  muck  C     82  no/  F  A  9p]  £  d. 
übr.     83  ßt]  90  tE,  fro  v     94  vA<  G 

ArUt  t  B.  BpnclMB.    CXy.  20 


^ 


806  Dia  BnrghBche  Oato-Panphraaa. 

I.  8  ^.  XV. 

Yiff  nat  credenoe  alwev  to  thy  wiffe, 
That  for  hir  ire  ana  hir  ynpacienoe 
102    With  ehaiper  tong|e  than  is  Bwerd  or  knyffe 

FleynjÜi  on  tm  *Mruauf»ty  thouh  non  offence 
Thott  fynd  in  hym:  leer  wed  thiB  seatence. 
106    The  wiffe  wille  hate  and  cause  for  to  smerte 
Oflyn  hym,  tbat  hir  housbonde  loueth  in  herte. 

1.9    '  XVL 

And  iff  thou  *  warne  a  wiht  of  hifi  sarfette, 
106         Althouh  he  gruchche  with  frownyng  oontenaunce 

And  in  his  languaee  manace  the  and  urette, 
Tit  f orber  nat  for  *al  such  displesaunce 
111         To  teche  hym  amende  his  gouemaufice.} 

Ab  thou  began,  correcte  that  is  a-mysse; 

For  that  is  ay  a  freendli  teche  i-wisse. 

I.  10  V  XVIL  fol.  85^ 

114    Ageyns  the  wordy  folk  ay  fall  of  wynde 

Stryue  nat  atte  all;  it  may  the  nat  pfiofite. 
Such  iayisflh  folk  been  in  conceitis  blynde. 
U7         The  witles  word  auaileth  nat  a  myte. 
In  woordis  feie  is  wisdom  oft  füll  Ute. 
For  to  eaery  wiht  is  youen  speche; 
120    And  yit  the  wise  füll  ofte  been  to  seeche. 

1. 11  xvnL 

Loye  othir  men  and  haue  *hmm  so  cheer, 

That  to  thy  silfe  thy  loTe  may  moste  eztende. 

128  Looke  that  no  persone  be  to  the  mor  deer 

Than  thyn  estat;  for  than  shaltt  thou  off  ende 
And  hurte  thy  silfe  and  othir  folk  amende. 
126    But  ay  cherissh  othir  and  love  hem  soo, 
That  to  thi  silffe  thou  be  nat  foufiden  foo. 

L  13  -  XIX. 

Bumours  newe,  that  flyen  as  the  wynde, 

129  Eschew,  my  child,  with  al  thi  duligence. 
Be  neuer  besy  newe  *tidui^es  *for  to  fynde; 

Such  nouelte  causeth  *ofte  offenoe. 
183         It  is  no  Witt,  it  is  no  sapience, 
It  hurtith  nat  a  man  to  be  m  pes; 
But  it  dothe  härme  to  putt  his  tonge  in  pres. 


I.  18  •    AA.  fol.  B^ 

186    Make  no  promys  of  othir  mennys  beste. 

Bemembre  weel,  that  promys  is  ^ynsore; 
And  but  thou  keep  it,  thi  name  thou  sleste. 
188         To  s^ue  thi  beheste  do  thou  thy  eure. 
Trist  nat  the  woord  of  euery  creature. 
Sum  mannys  feithe  is  esy  for  to  breke: 
141    For  many  folke  thynke  nat  as  thei  speke. 


108   servauntis   d'v      107  wenu  G      110  ai  hummt  C  Tic      121  kern]   mem  C 
ISO  titktndM  C  I  /br  f.  CQ^      181  oftm  &      136  Pture  G 


Die  Burghgche  Cato-Parapbrafle.  807 

I.  14  V-  XXI. 

With  woordis  fair  whan  fauel  fedith  the, 
£e  thou  nat  blent  for  hia  faLs  *flaterie. 
144    Latt  ihjn  owne  reson  alway  thy  iuge  be. 

And,  in  effecte,  *tf  thjn  eBtate  be  hyhe, 
Thouh  fauell  with  bis  craft  wil  bljud  myn  je, 
147    In  al  thy  *ly/e  thou  neuer  geue  o^ence 
More  *of  thi  silfe  than  to  thy  consdence. 

I.  Iß  xxn. 

Whan  thou  seeet  a-nothir  mannys  defiert, 
ifio         As  for  bis  good  deedia  comendable, 
In  euery  place,  preuy  and  aperte, 

Such  a  wiht  with  thi  ^ood  woord  enable. 

168  And  thouh  thou  haue  oe  riht  *ayailable, 
Yit  of  thi  good  deede  make  thou  no  bobbaunce, 
And  than  othir  men  shall  thy  name  enhaufice. 

I.  16  XXin.  fol.  86^ 

166    And  thou  lyve  longe  an  olde  man  ehall  thou  bee. 
Age  Wille  approche  maugre  alle  that  aey  nay. 
Than  perceyue,  oehold  a-boute  and  see, 

169  How  agid  "^folk  been  tretid  euery  day; 
And  so  to  purveye  for  thy  silfe  assay. 

Into  stoupyn^  aee  whan  thou  art  crepte, 
162    Thyng  may  me  helpe,  that  in  youthe  was  kepte. 

1. 17  XXIV. 

Chai^  nat,  al-thouh  sume  mene  speke  softeL 
'Ne  chaunge  no  cheer;  for  oft  it  is  weel  bett 
165    In  secrete  wise  to  speke  than  crye  on  lofte. 

A  man  shuld  see  alwey,  wher  he  wer  sette, 
And  aftir  that  so  schiüd  he  speke  or  lette. 
168    But  to  the  suspeet  of  härme  it  seemeth 
Men  speke  of  hym;  he  noon  othir  demyth. 

1. 18  ^  XXV. 

Whan  förtune  hathe  voue  the  felicite 
171         And  sette  the  on  hihe,  than  war  the  of  a  falle; 

Than  sueth  oft  ful  sharp  aduersite. 
Fals  fortune  turnethe  as  a  balle; 
174         In  hir  trost  haue  thou  no  sykimesse  att  all. 

Her  perüous  play  tumeth  whilom  to  grame; 

The  eend  is  woo,  of  that  began  with  game. 

1. 19  XXVI.  fol.  87^ 

177    Our  bretil  liff  is  beer  *8o  ful  of  doute, 

That  in  verray  surete  *no  wiht  may  stond. 
So  Bodenly  creepe  the  soulis  oute 
180         AI  a-boute  this  world  in  euery  lond 

Off  yong  and  old;  for  euery  wiht  is  bonde 
To  dethe.    Therfor  sett  nat  thyn  affiaunce 
188    In  detii  of  hym,  ♦tho*  may  survyue  perchaunce. 


143  ßairi  r  145  if]  of  C  Hb  147  lyve  C  M  148  of]  1o  C  168  vaüabh 
C  H  Pc  159  foUeu  C,  foVcy»  Hb  173  hinter  as  ein  doth  übergeschrieben  (v.  ap.  H.), 
wie  HR /9  lesen     177  w  f.  «     178  no]  im  C     183  ikiO]  ihe  CHfvA,  h*  F 

20* 


808  Die  Burgheche  Cato-Paraphrase. 

i.  30  XX  vn. 

A  litU  yift  Tonen  with  good  entent 
Off  thi  nend,  that  lith  in  pouerte, 
186    With  riht  good  cheer  snch  yifte  take  amd  hent, 
Supposyng  ay,  that  aa  good  wille  hath  he 
And  more  than  many  men,  that  richer  be. 
189    ^Peiae  nat  the  yifte  ne  pondre  nat  the  pris. 
The  entent  is  good»  and  *thai  may  the  snffice. 

1. 21  v<XXVTn. 

Sith  nature,  that  is  the  finte  norice. 
192         Hath  brouht  the  hidr  all  nakid  and  *al  bare, 
Thouh  thou  nener  can  richeBse  accomplice 
But  thou  arte  hold  alway  in  pouartis  snare, 

195  Tit,  no  force,  make  neuer  to  muche  care, 
Take  padentli  pouerte  for  the  beste. 
Bichesse  is  nat  of  nature,  but  of  ^conqueste. 

L  22  XXES:.  fol.  87^ 

196  Thouh  deth  be  fyne  of  euery  creatnre, 

And  no  wiht  on  lyue  shall  from  *ü  eecape, 
Tit  dreede  nat  deth  with  ovar  besy  eure. 
201         To  lyye  in  erthe  than  is  but  a  iape, 

Iff  thou  shalt  aftir  dethe  so  alway  gape. 
Thynk  weel  to  deye,  but  modifie  thi  thouht, 
204    Or  *eUw  to  lyue  auaileüi  the  riht  nouht 

1.28 


For  thi  desert  if  no  freende  thanke  the, 

I  meen,  whan  thou  haste  don  thi  force  and  peyne 
207    To  othir  folk  ful  freeodli  for  to  bee, 

Iff  thei  can  nat  to  the  grauntmercy  seyne, 
Withdrawe  thyn  band  and  so  thi  silfe  restreyne. 
210    Blame  nat  *thy  God  for  theer  vnfreendlynesse, 
But  for  such  men  do  aftirwude  the  lesse. 

1.24  XXXI. 

Sith  no  richer  man  ne  liveth  anj-wher, 

218  Yiff  he  *consume  his  *goodw  alle  and  waste, 
But  that  pouert  shall  greue  hym  sore  and  dere, 

Therfor,  my  child,  such  goodis  as  thou  haste, 
216         Latt  nat  to  soone  out  of  thyn  handis  be  *ra/te. 
*Last  *tha/  thi  good  hereaftir  wille  the  faill, 
Hold,  that  thou  naste;  it  may  the  eft  availl. 

I.  26  XXXII.  foL  88^ 

219  Behote  noman  a  thyng  to  leene  hym  twise 

And  falle  hym;  that  is  but  a  vilanve. 
Yiff  thou  may  leende,  do  it  in  ffreendly  wise. 
222         Such  cheuysance  wil  freendlyneese  bewrie. 
Off  thi  good  deed  clamour  nat  ne  crye. 
Be  nat  to  w3nQdy  nor  of  *wordej  breeme, 
225    Yif  a  good  mann  the  list  appeer  and  seeme. 


189  PrtUt  ^HbCpxHcGDFcAd  190  (hat  f.  CFb  192  ol*  f.  CM*' 
197  ooquMt  G  199  icj  Aim  G  Hb  M  Ho  x  9»  204  tU  C  210  Ihyn  C.  f.  A  813 
cofume  G  |  good  aAdFb  216  rtuU  G  217  Lau  Q,  lue  Hc,  sonst  Utt  \  than 
CM^^Fb;^  t  X      224  woorde  & 


Die  Bürghflche  Cato-Paraphnuse.  809 


1.26 

And  yiff  thou  f^de  the  *8one  of  dowbilneBBe, 
The  fals  diBsimulour  if  thou  eepie 
228    With  peyntid  woord  and  hert  ful  of  falsneese, 
Thou  malst  m  no  wise  better  bleer  bis  ye 
Than  serue  h^  with  bis  owne  trecherie. 
281    For  *woordw  fair  and  freendlyneBse  no  part 

Teue  thou  the  same  and  bo  aart  *begy\e  with  aart 

I.  27  XXXIV. 

Preeve  nat  a  man  bi  *  ouer-peyntid  speche. 
2S4         Undir  fair  woordis  ya  ofte  couerid  gyle.       -^ 

The  "^  woord  is  gay,  but  frenshif)  is  to  seeche. 
And  as  men  sey,  such  craft  is  in  this  ile: 
287         Summe  thynken  härm,  whan  thei  hir  tonges  file. 

The  whistil^rne  fouler  maketh  mery  song,  ^ 

And  yit  briddis  begilethe  he  a-mong. 

1. 28  XXXV.  lol.  88^ 

240    Whan  that  God  hathe  youen  the  children  feie 
And  no  richesse,  than  do  thou  in  this  wise: 
Teche  thy  children  with  *crafti8  for  to  dele, 
243         That  with  tilieir  aart  thei  may  hemsilf  cheuyse. 
Yiff  thou  do  thus,  thou  werkist  as  the  wise. 
Craft  is  ful  ^ood,  and  craft  is  lucratyffe; 
246    By  craft  thei  may  deffende  the  nedy  liffe. 

I.  29  XXXVI. 

Haue  this  conceit;  for  it  is  often  *Beai, 
Thvnges  deer  shall  ofte  abate  of  prise, 
249    And  tuynges,  that  of  litil  valewe  been, 

In  ^rme  comyng  maj  to  grete  derthe  a-rise. 
Bemembre  this  and  it  *W0el  adusrtise. 
262    Thus  shalt  thou  beste  the  name  of  chynchery  fleme. 
And  othir  men  shall  the  no  negard  deeme. 

i.  30  XXXVII. 

A-yyse  the  weel,  latte  resoun  be  thy  guyde, 

266  Whan  othir  folk  thou  art  a-boute  to  blame, 
That  suche  defaute  in  the  be  nat  aspied; 

For  if  ther  be,  than  *shaU  thou  haue  the  shame. 
268         A  manys  honour  such  thynges  will  reclame. 

It  is  ful  foule,  whan  that  a  man  will  teche,  j 

Iff  that  '^'^is  deede  a-yens  bis  *woordt8  preche. 

1.31  l    XXXVIII.  101.89'  i 

261    Loke  thi  desir  be  groundid  in  a  riht  1 

And  that  it  neuer  trauers  honeste; 
For  as  oft-t3rmes,  as  any  wiht 
264         Desirith  more  than  riht  or  equite, 
Than  may  bis  request  repellia  be. 
And  it  is  clepid  nycete  and  grete  folye 

267  To  asken  oft  thatt  men  will  ay  denye. 


826  iones  a  {$oum€s  Hb)  831  woord  C  238  begyle]  begyled  AvxFcAd, 
gyfyd  G  H  833  owr  fair  p,  C  835  uH>rld  a  Fb  242  crafl  r,  soms  crqfte  Hb 
247  «0yn  CHbCpD  251  loUle  GAd,  wölk  RbMEf,  foü  Fe  857  shall  G  860 
Atfi]  it  GDbFcAd  ||  woord  GM      861  a  Ut  fortradiert  in  G 


810  Die  Barghache  Oato-Paraphraie. 

L83  XXXTX. 

Chaunge  nat  thi  freende,  that  thow  knoweet  of  old, 
For  any  newe  in  troet,  that  thou  shalt  fynde 
270    Bettir  than  he;  bat  in  thyn  handis  hold 

Hym,  that  hathe  to  the  fireendly  been  and  kynde. 
Sudi  eschauftges  been  ful  *oitm  blynde. 

278  Thou  weenest  *to  knowe  *and  jit  knowist  nat  a  deeL 
To  know  a  freend  it  ia  a  caaueL 

I.S8  XL. 

Sith  manys  liff  is  falle  of  miserie, 
276         Whilom  in  ndrthe  and  aftir  in  myscheef, 
Now  in  the  vale,  now  in  the  mont  on  hihe; 
Now  man  is  poore  and  eft  richeBse  releffe; 

279  The  shyn^g  morwe  hath  ofte  a  atormy  eve  — 
To  ^^his  pohde  take  heed  and  entend: 

Look  thou  haue  lucre  in  thi  laboun  eende. 

I.  34  XTJ.  fol.  ©' 

282    Thouh  thou  may  yenquyBsh  and  haue  the  yictory 
Off  thi  freend  and  felawe,  yit  forbere. 
Beffreyn  thi  silfe;  be  nat  hawteyn  ne  to  hihe. 
286         IrouB  hauntea  ful  oft  men  do  dere, 

Wher  esv  Boftneese  '^'freendw  may  coraquere. 
For  bi  good  deedis,  sett  in  iowlyneese, 
286    Men  be  to-gidr«  *knytt  in  freenalynesse. 

1. 35  XLIL 

The  lymytour,  that  visiteth  the  wyuee, 

Is  wise  i-nouh.    Of  hym  a  man  may  leer 
291    To  *yiuen  *girdilm,  pynnes  and  knyues. 

This  Graft  is  gooa;  *thtt8  dothe  the  celi  freere: 
Yiueth  thynges  smaie  for  thvnges,  that  been  deer. 
294    Iff  thou  reoevue,  gif  av  *Bumwhai  ageyn; 

And  that  wille  *nort8sn  *freende9  deer  certeyn. 

1. 86  XLIIL 

Toil  nat  ne  stryve  with  hym,  that  is  thi  freende. 
297         Bewar  of  that:  make  nat  thi  freend  thi  foo. 

A  toilous  man  may  frenship  breke  and  sheende. 
Thes  baratours,  that  betn  mysreulid  soo, 
300         Intrike  *hemsilfe  and  *wrappe  hem  in  much  wo. 

For  ire  of  kynde  engendrith  nat  but  hate, 

Wher-as  acoorde  ^nortsheth  loue  algate. 

I.  37  XLIV.  fol.  »f 

306    Whan  thi  saruant  thou  takist  in  diffaute, 
Thouh  he  cannat  hia  necligence  excuae, 
Yit  in  thyn  ire  make  nat  to  lers  aaaaute, 
.  306  But  with  thi  maletalent  a  while  take  trewse; 

Thow  shalt  fynde  eee,  this  feet  if  thou  vse: 
Beule  thi  paasioun  euer  bi  such  mesure, 
309    That  thou  save  hem,  that  be  vndir  thi  eure. 

212  oft  0  27Aiof.T  \  tmd]atO  2S0  thi»]  ki$  CFb  2SB  frtemd  a  (a  JnmdE) 
288  kmtft]  Hü  &,  hrmigkt  Hb  291  yiue  girdü»  C  292  (Kit  CHbMHeAd,  m»  FbCp 
294  jiMwne  tkyng  &  295  noruhe  tT  1  fremd  C,  thi  frmtd  F  H  300  lymufTe  C, 
themiä/e  Q  H  Hb  Cp  |  wappt  C     302  northaih  C,  nonhä  F 


Die  BnrgliBche  Cato-Pantphnse.  811 

I.  38  XLV. 

'Snffraufice  dothe  ese*,  was  seid  fall  yore  a-goo. 
Suffre  thou  and  haue  al  Üiyn  entent 
812    Thouh  thou  may  ouercome,  yit  do  nat  soo. 

Conquere  thoruh  snffraiince  and  be  padent, 
But  to  foul  crueite  neuer  consent; 
815    For  it  is  depid  in  Tertu  excellence 
A  wiht  to  lyue  in  humble  padenoe. 

T.  39  ^  XLVI. 

Be  nat  to  scant,  be  nat  to  prodigal. 
318         Oonserue  thy  thyng  goten  wim  labour. 
It  is  f ul  faire  [*]  to  be  said  liberal, 

Bot  eschew  waste  and  be  no  surfetour. 
321         Consume  nat  al  Üij  tresour  in  an  honr. 
Whan  of  thi  labour  nseth  noon  avaiUey 
Nedy  pouerte  must  the  ful  soone  assaüle. 

1. 40  XLVTL  foi.  90^ 

824    Be  nat  like  Sceuola*;  for  he  wold  ete 

WitA  eueiT  man  and  at  his  feest  hym  feede. 
Bnt  neu0r  wiht  myht  tasten  of  his  mete; 
S27         'Soman  to  hym,  but  he  to  all  men  yeede. 
Be  fre  of  mete,  but  look  that  largesse  leede 
The  no  ferther  then  thou  may  weel  atteyne. 
830    Be  thyn  owne  freend,  thus  seith  Catoun  certeyn. 

XLVIII,  LeQyoy& 

Take  heed,  sire,  how  holsumly  this  clerk 
Entretith  men  wttA  vertuous  doctrine, 
333    His  firste  part  of  this  compendious  werk, 

In  worschip  how  thei  shal  ful  deerly  shyne, 
Gydyng  to  renoun  streiht  as  any  lyne; 
336    Whos  preceptis  obseruen  if  ye  list 

And  to  his  good  cownsel  yowr  herte  *eficlyne, 
Biht  on  your  welthe  füll  weel  *it  shal  be  wist 

XLIX. 

339    The  vertues  fouxe,  that  men  shoold  foorth  conveie 
Loo  in  this  liff,  as  bridill  dothe  a  beest, 
That  man  nat  erre  heer  in  this  pereilous  weye, 
342         Stablisshyng  hym,  as  dothe  a  stedfast  reest, 
As  sikir  guydes,  that  been  worthiest 
Mannys  lyuyng  to  sette  in  gouemaunoe, 
345         This  sage  Catoun  ful  wisely  doth  regest 
*Preentith  nis  sawes  in  yowr  remembraunce. 

Exp/idt  *par$  prima. 

II,  praef .  1—2  L. 

Iff  thou  list,  my  child,  setten  thvn  delite 
848         Off  erthe  for  to  knowe  the  tilthe  and  the  cultur, 


319  for  to  tQ  394  seuoh  Hd  Xy  mmia  gi  iFo Ad,  mnlUi  Pm,  weutia  D,  ytuoia  tcv 
337  tclme  C     338  9hal  ü  CHr     846  prttüih  C  |  part  prima  Ha]  f.  C  n.  a. 

^  Wohl  J«ner  T.  Scaeaola',  welcher  nach  MacrobiuB,  Satnnial.  III,  18,  11  (ed. 
Eyiseohardt),  an  dem  Schlemmerbankett  des  Pontifez  Hajdmns  Q.  Hetellns  Pius 
tdfaiahm,  welehM  Maerobias  ausdrücklich  als  ein  Beispi«!  von  koBuria  anführt. 


812  Die  Burghsche  Cato-ParaphTafl& 

And  iff  thou  wilt  be  of  knowlech  perfit 

Whi  summe  is  arable  and  summe  is  pasturey 
361         And  whi  summe  is  spreynt  with  floury  pictur, 
I  oonseil  the  to  musen  for  a  while 
In  the  Laureat  poete  greete  Virgile. 

n,  pxaef.  a-4  LI.  fol.  91>^ 

SM    And  forthermor,  my  chyld,  if  that  thou  list 
The  yertues  of  nerbes  for  to  discrive,  — 
It  may  nowher  in  erthe  bettir  be  wist, 
367         Wnich  be  consumyng  and  which  be  nutritiye, 
Which  hote,  which  cold,  which  oonfortatTte,  — 
Than  reede  Macere  in  his  old  ditee, 
seo    Which  telUth  hem  in  propre  qualite. 

n,  pnef.  4—6  LII. 

And  iff  thou  haue  desirous  fressh  corage 
To  heer  of  noble  Bomayns  worthTnease, 

868  How  that  thei  yenquesshea  them  of  Cartage 

And  many  othir  thoruh  manly  prowesse, 
Than  reede  Lucan;  fful  weel  can  he  ezüresse, 
866    Who  bar  hym  best  in  toun  and  eek  in  feeld, 
Ajid  who  (ude  merueillis  yndir  Martis  sheeld. 

n,  pnef.  &-7  LUI. 

But  he.  that  list  of  louers  for  to  reede 

869  Ana  in  that  wise  hymsiluen  so  tauaunce, 
As  in  that  craft  Naso  can  teche  hjm  speede. 

Summe  louyth  song,  sume  harpe,  lute  and  daunoe, 
373    Summe  othir  dyydrs  thynges  of  plesaunce; 

Summe  louyth  couertly  and  list  nat  been  espied; 
Summe  will  be  knowe;  and  *thti8  writith  Ouyde. 

n,  praef.  8—9  LIV.  fol.  91^ 

375    But  yit,  my  leeff  child,  iff  in  auentur 

Thyn  hert  be  youe  to  nomanar  of  such  thyng, 
Or  iff  it  be  nat  al  to  thyn  plesure, 
378         That  Virgil,  Macer,  Lucan  and  Naso  bryng, 
Yit  that  thou  may  be  wise  in  thy  lyuyng, 
Iff  the  list  to  yeue  me  audience, 
881    I  shal  shewe  the  doctryne  of  sapienoe. 

II,  praef .  10  LV. 

Therfore,  my  chyld,  cum  ynto  me  and  leer, 
*And  I  shal  the  shew  the  yerray  *tresur 
884    Off  sapienoe,  if  that  the  list  to  heer, 

And  how  thou  shalt  in  good  estate  endur 
And  leede  thi  lyff  aftir  Goddis  pleeure. 
387    Therfore  come  neer  and  leer  bi  thys  reedyng 
To  be  a  man  yertuous  in  lyuyng. 

n.  1  V  LVI. 

Ther  is  no  wiht  [*],  that  ferther  may  reporte, 
890         Off  thi  good  aeedis,  than  the  straunger  may. 


87i  Am  CHb    888  iüid  £  C  |  tr^aom-  ^icYFe^     889  wiAt  o»  ^  G 


Die  Bnrghsche  Gato-Paiaphrase.  818 

Make  hym  good  cheer  and  shew  hym  thy  disport, 
And  he  ahall  Tttir  the,  this  is  no  nay; 
393         For  *^he  ynknowe  sumtyme  to  do  assay. 
Freendia  inowe  to  have  *i8  bettir  thyng 
Than  is  freendles  a  man  to  been  a  £yng. 

n.  2  ^  LVII.  fol.  92^  . 

396    Off  GoddiB'  mist^rie  and  bis  werkyn^ 

Make  neuer,  my  child,  to  *f6iTe  inquirance. 
It  is  foli  to  mnse  ypon  such  thyn^. 
399         Dispute  neu0r  thi  Gkxidis  i>urueiaanoe. 

All  thyng  mnst  be  vndir  bis  sonemannce. 
Sith  thou  art  man  clad  in  mortuite, 
402    Dispute  thou  tbyngee  such  as  mortal  be. 

n.  3  LVni. 

The  dreede  of  deth  that  is  inordinat,  — 
I  meene,  to  dreed  it  ay  and  neu^r  cees. 

405  Bewar  of  that,  I  conceil  the  algate; 

For  this  is  as  trewe  as  gos^  ^douteles. 
Who  dreed  it  so,  is  alway  m^rthelesse. 

406  Whan  dreede  of  dethe  a  man  so  *  a^greggithe, 
It  wastithe  liff  and  bis  tyme  abreggime. 

n.  4  UX. 

For  *tkyng,  that  is  to  the  vnoerteyne. 
411         Whan  thou  art  wrothe,  look  neuer  {)at  |>ou  stryve; 

Thi  passions  esili  witbdrawe  and  refreyn. 
For  ther  is  no  persone  in  erth  on  lyre, 
414         But  that  Tnresounles  be  is  als  blyue 

As  besy  wrathe  *haih  ^kyncHed  hym  on  fyre. 

And  than  can  he  nat  deeme  the  ^trouthe  for  ire. 

n.  5  "^LX.  fol.  92^^ 

417    As  tyme  reauerith,  so  make  thyn  expence. 
Mesure  uiyn  band  aftir  thyn  proprite 
Off  tbynge,  of  tyme,  and  aftir  the  presence. 
420         See  that  thou  spende  nomor  than  neditb  the. 

And  that  to  spende  loke  that  thyn  herte  be  fre. 
A  man  shold  do  cost  and  make  bis  spendyng 
423    Considryng  tyme  and  rewardyng  the  Üiyng. 

n.  6  LXI. 

i  To  much  is  noubt  of  anv  man«r  thyng. 

The  meen  is  good  and  moste  comendable. 
426    That  man  stant  surest  beer  in  bis  lyuyn?, 
Witb  meen  estat  that  halt  hym  mable. 
Plente  and  pouerte  be  nat  suffraole. 
429    For  than  is  the  ship  in  the  see  moste  sur, 

*Whai  tyme  [*]  the  flode  excedithe  nat  mesur. 

n.  7  LXII. 

Iff  thou  knowe  ouht,  that  may  turne  vnto  shame, 
432         Eeep  it  secre;  for  nothyng  it  *bewrye. 


398  the]  her,  a  man  Hb  394  is]  hU  GDb  A  397  tofore  t  406  dovtUs  &  aT> 
408  aggruggith  G  H  Hb  Cp  A  ;^  410  thyng  f.  &  ((hat  F)  415  hath]  had  t,  hadde  Fb  |> 
hfnkd  GDb,  hmHd  M  416  troihe  C  430  Whan  GGp  |  tyme  (hat  rRDh  Y,  f.  GpPc 
482  bewrege  C  ^  Ha  A  x  G  Ho  D  Fe 


814  Die  Bnrghsche  Oato-PanplirMe. 

Be  nat  to  besy  such  thynses  to  pro-dame 
And  pablissh,  aa  thon  Knoweet  prynye. 
435         Make  nat  all  men  [*]  on  it  to  gaur  *emd  crje. 
Lest  mo  deprave,  whan  thow  thi  woord  hast  sowe, 
That  was  before  to  othir  folke  vnknowe. 

II.  8  LXIIL  foi.  ge*" 

488    Iff  thou  espie  and  see  a  *8urfetour, 

A  theeff,  a  shrew  of  much  myseouemaunoe, 
Trist  weel  summe  tyme  that  ther  shal  come  an  hour, 
441         Whan  for  his  deede  he  shal  suffre  penaunce. 
Oursed  deede  askith  wrech  and  vengaunce. 
Thouh  wikkydnesse  for  tyme  be  kept  secre, 
444    Yitt  att  the  laste  will  it  discurid  be. 

n.  9  LXIV. 

Thouh  that  summe  tyme  natur  hathe  been  vnkinde 
And  youe  a  man  to  be  of  smal  stature, 
447    Yit,  my  child,  remembre  and  haue  in  mynde 
That  thou  neu^r  dispise  that  creature. 
For  God  may  sendde  hym  fortune  and  good  vre, 
4Ö0    Als  oft  thei  be  with  good  counseil  allied, 

To  whom  that  nature  hathe  grete  *stren^h  denyed. 

11.10  "    LXV. 

Whan  the  happithe  trauers  or  [*]  haue  a-do 
468         With  oon  thou  knowist  nat  egal  to  thi  myht, 

Thyn  vttrest  powere  shewe  nat  *9ueh  vnto,         *  - 
Lest  that  eft-soone  he  haue  the  in  such  pliht. 
456         For  it  is  seen  in  turment  and  in  *fiht: 

Fortune  chauneethe  ofte  withynne  an  hour, 

And  he  is  sconfet,  that  erst  was  victowr. 

II.  11  LXVL  fol.  98^ 

459    Off  brondis  smale  be  maad  thes  fires  grete^ 

WiUidrawe  *the  brond,  the  fier  shal  eek  discrees. 
A-gein  the  knowe,  *tha^  herr,  loke  thou  nat  bete 
462         With  woordis  feie;  *for  woord  distrobleth  pes. 
The  man  is  wise,  that  can  of  *woordts  cees. 
For  this  is  sothe  as  God  *jaf  the  thi  liffe: 
465    Off  woordis  small  is  bred  ml  muche  striffe. 

II.  12  ♦LXVIL 

^Deele  nat  withe  sorcerye  ne  with  surquedrie. 
In  Groddis  band  is  all  thi  sort  and  fate. 
468    Be  nat  a-boute  to  calkle  thy  distanye, 
Iff  thou  be  *my8eT0\xs  or  ffortunate. 
Lat  God  allone;  in  hym  is  all  thy  State. 
471    And  that  hym  list  of  the  for  to  purpoee, 
Withoute  the  can  he  fulweel  dispose. 

435  out  on  ii  .'>Hb  |  ctnd]  or  C,  f.  F  488  «tffelocir  G  461  $trmUk  CAd^ 
452  or  to  G«/  454  auch]  a  man  a  (pat  man  Hb)  456  nht  G  460  O»  CHb 
461  Aat]  tha  GHb  ||  Herr  C,  herre  Hb,  erre  F,  or  H,  here  Fe,  heir  RHa,  tyr  Air, 
ayr  Db  Cp,  ayere  H,  tyre  ü,  kytr  m  (%A«r6  Ad),  man  h  462  woord  for  0  463 
teoord  r  464  yeue  r  Hb  E,  ymuth  H  Str.  LXVII  mit  TjXXXII  YertaiiBcht  in  a 
466  Dejfle  t,  dwel  Db     469  yroM  C  S 


Die  BiiTghflche  Gato-^ParaplinBe.  815 

n.  13  LXVIII. 

Bewar  of  envye  with  hir  techches  feil. 
474         Withynne  thyn  herte  looke  that  ehe  nat  raste. 

For  it  is  oon  of  the  *peynt8  of  helle. 

Whan  fihe  Bolofiroeth  in  a  mannys  breete, 
477         Than  *brennithe  Feniz  withynne  his  owne  neete. 

And  thoiih  she  may  non  othir  man  *mjBcheeiue, 

'^Yit  Ethna  cesith  nat  hirsilfe  to  greue. 

n.  14  V  LXIX.  foi.  94^ 

480    Enforce  thyn  herte  with  manly  sufferannce, 

Thouh  wron^  iugement  a-yens  the  proceede. 

Be  nat  abassht  in  woord  ne  countenaunce; 
483         For  the  processour  may  reule  and  leede 

The  lawe;  bnt  troet  me  weel  wttAonten  dreede, 

Long  to  reioisBhen  acheueth  he  nate, 
486    Which  bi  menys  vntrewe  bis  goodis  gate. 

u.  15  LXX. 

Wraththe  of  olde,  that  shuld  be  oute  of  mynde, 

Be  nat  aboute  to  make  it  eft  on  lyue, 
489    But  the  enyious  hathe  that  tech  of  Icynde. 

Such  malice,  my  childe.  look  thou  nat  revive; 

For  such  ire  of  old  maJdUie  a  new  atryve. 
492    And  who  that  remembrithe  old  enmyte, 
•  >     A  wikkid  man  f orsothe,  my  childe,  is  he. 

n.  16  LXXI. 

•  ^^  > 

Thi  silfe  also  looke  that  thou  nat  preise 
496         Ne  disprdse,  but  lette  othir  men  allone. 

Alway  aftir  prudence  thi  *woordi9  peise. 

For  thyn  avaunt  honour  shalt  thou  gete  none, 
496         But  haue  a  mokke  as  faste  as  thou  arte  eone. 

A  man  to  preise  hymsilfe,  as  seithe  the  scoole, 

Or  dispreise  moche  is  token  of  a  foole. 

n.  17  ,  LXXTL  foi.  94' 

601    Whan  it  is  tyme  of  coste  and  grete  expence, 
Bewar  of  waste,  and  spend  as  bi  mesure. 
,  Who  that  to  keepe  and  spende  no  difference 
504    Makith,  bis  goodis  may  nat  longe  endure. 
The  olde  sawe  seithe:  Meeur  is  tresure. 
For  in  short  tyme  the  good  may  ^sfippe  a-waye, 
507    That  was  goten  in  many  a  sondry  day. 

n.  18  V   LXXIII. 

It  is  *no  wisdam  alway  to  be  sage. 

But  sumtyme  to  seeme  nyce  and  feyn  folye, 
510    Who  that  hathe  this  fet,  shaL  fynde  avauntage. 
What  tyme  and  thyng  recjuerithe,  that  espie; 
And  than  dissimule»  tiiat  is  good  polide. 
518    Summe  trme  to  be  vnwise  in  apparence 
Among  the  wise  ""is  clepid  ful  hm  prudence. 


475  p€!fn$  C     477  hrtdUhe  a     478  miaeheff  C,  myschewe  F     479  And  yü  C 
4«6  ward  ^£     506  »kippe  0     508  nat  &     514  his  C  Ad 


816  Die  Burghscbe  Cato-Paraphrafle. 

n.  19  LXXIV. 

The  filüiy  flessh,  in  meayng  beetiall, 
616         That  fihtithe  aj  a-yens  the  soole  withynne 

Bi  force  of  hir  entisment  sensaall, 

Eschewe,  my  chvld,  and  keepe  the  from  hir  gynne. 
619         That  and  grace  been  eette  ful  ferr  atwynne. 

And  fle  of  auerice  the  wikkid  fame: 

Thes  too  it  be,  Üiat  cauBen  euyl  name. 

n.  20  ^  LXXV.  foi.  95' 

682    Beleve  nat  in  every  wihtia  sawe; 

For  sume  reporte  thyngee  al  othir  wise 
Than  it  was  don  or  any  man  it  sawe. 
625         And  snme  have  it  of  cuBtum  and  of  guyse 
To  feed  folk  withe  flatrie  and  with  lise. 
Yif  litil  troBt  therfor  to  suche  spekyng; 
628    For  many  folk  spekith  many  a  thyng. 

n.  21  V  LXXVI. 

Yff  thon  Burfete  in  drynk  for-yete  nat  that. 
Ayyse  the  eft,  thou  come  nat  in  that  snare. 
531    Withdlrawe  thyn  hand;  feede  nat  tbv  throte  so  fatte; 
Drynk,  that  suffisith  the,  and  *eU.e8  spare. 
To  much  drynk  makethe  men  of  wit  ful  bare. 
684    And  Vit  the  wyne  therof  is  nat  to  blame, 
Bat  tne  drynkere  makithe  hymsilfe  lame. 

n.  22  LXXVII. 

To  thi  trosty  freend,  that  is  ay  secre, 
6S7         Shew  thi  counseü;  to  hym  thyn  herte  *bewry. 

A  trost^r  freend  is  [*]  ehest  of  pryuyte; 
But  it  is  hard  such  *freende8  to  espie. 
540         Trye  oute  oon  a-mong  a  companye. 

And  of  thy  body  betake  thou  the  eure 

To  Buche  a  leche  as  is  trosty  and  sure. 

11.23  '     LXXVIIL  fol.  96^ 

548    Withynne  thy  silfe  a-greve  the  nat  to  sore. 
Thouh  thyng  amys  sume  tyme  the  betiae; 
Dismay  the  nat  in  besy  wise  therfore. 
646         Thyn  auenture  thou  muste  needis  a-bide; 
Fortune  may  nat  alwey  be  on  thy  side; 
With  harmes  to  greve  in  a-waite  lith  she 
649    To  reven  men  wdthe  and  prosperite. 

II.  24  V    LXXIX. 

In  thi  silffe  compasse  a-boute  before 

Thyng  to  perceyue,  that  aftir  schall  befalle. 
662    It  noieth  nat  nor  greueth  half  so  sore, 

That  is  forseyn,  as  othir  thynges  shall. 
8odeyn  chauncis  disesithe  moste  of  all. 
666    It  hurtithe  IcBse,  and  is  in  better  pliht, 
Wheroff  beffore  a  man  can  haue  msight. 


582  «a  CCz,  e2«  FHf,  eUe*  ttbr.  637  bewreye  GHbOUfDFc  538  tke  ehett 
xU^dx,  the  chee/Fh,  a  ch,  l>  589  fretnd  C  (ct-Schleife  Tom  Korr.  1  ang»- 
fttgt)  Fb,   a  frmd  F  H  B  A      556  aman  C 


Die  BurgbBche  Cato-Paraphrase.  dl7 

n.  25  LXXX. 

Whan  dynen  thyiigee  trauen  thyn  entent, 
668         And  thow  art  wrappid  in  aduersite, 

War  for  wanhope  thou  be  nat  lost  and  shent. 
Latt  nat  dispeir  thy  witte  bereuen  the. 
561         A-bide  the  l^e,  tnat  she  shall  bettar  be. 

Hope  is  she»  *that  shal  make  the  a  sethe; 

Hope  leueth  nat  a  man,  thouh  man  leue  the  brethe. 

H.  26  LXXXI.  fot  96r 

664    Whan  men  profre,  it  is  tyme  to  receTve. 
Take  thynges,  whil  thei  be  in  seeon. 
Thei  frohe  now,  that  eft  will  yiftis  weyue. 
667         Piente  nowe  will  aftirward  be  j^esoun. 

Take  in  tyme;  for  so  comaundithe  resoun. 
The  baUid  hed,  whilom  füll  of  heris, 
670    Now  is  bare  withoute  rasour  or  sheris. 

IL27  LXXXII. 

Prouyde  thy  süfe  and  haue  delyiieraunce, 
Be  likly  coniectur  what  may  be-tide. 
578    Aduartisey  my  chüde,  in  thi  remembraunce 
Affore  and  aftir,  aboute  in  euerj^  side. 
Follow  Qod,  and  lat  hym  be  thi  guyde, 
676    That  hathe  al  thvng  in  hu  gouerment, 
Futur  and  passia  and  that,  that  is  prwent. 

n.  28  LXXXIII. 

It  is  a  tecche  of  a  deuouryng  hounde 
679         To  receyue  superflue  and  don  excesse, 

Til  his  receit  a-geyn  from  hym  rebounde. 
Contente  thy  nature  and  fiee  gredynesse. 
682         Foule  lustis  ay  keepe  yndir  and  represse. 

Feed  nat  thi  *lust  with  all,  that  she  wil  craue, 

Yff  that  in  helthe  thou  lust  thi  body  save. 

n.  29  LXXXIV.  foi.  96^ 

685    Whan  a  multitude  hathe  youen  a  decre 

Or  concludith  ouht  a-yens  thyn  entent, 
Trauers  nat  yit  a-yens  the  comonte; 
688         For  iff  thou  do,  thou  shalt  lihtly  be  shent. 
Dispise  nat  alone  the  peples  iugement. 
In  aue»ture  thou  plese  of  hem  nat  oon, 
681    Whil  thou  wilt  impugne  hem  euerychon. 

n.  90  LXXXV. 

Take  good  heed  ynto  thyn  owne  eetate 
To  reule  thy  body  weel  with  good  diete. 
694    But  look  with  iTTme  thou  be  nat  at  debate, 

Thouh  thoruh  thyn  owne  *mjür€tde  and  surffete 
Seeknesse  or  sorwe  hathe  *jovien  the  an  hete. 
697    The  tyme  is  good,  and  no  dismale  ther  is, 
But  men  it  make,  for  that  thei  do  amys. 


562  that  t  CR  \  aseth  A He,  seethe  Hc,  feük  Hf  583  butes  C  595  m^ste 
T  B  Fb  (in  C  rwiU  rom  Korr.  8  ergänzt)  596  youe  r  Hc,  yeue  B  Db  He  Hd,  yeum 
HHa£,  gyvm  D,  gyev  M,  you  Fe,  j€i  Ad,  t  Y 


818  Di6  BuigliBche  Oato-Paraplmae. 

n.  si.  LXXXVI. 

Dreede  no  dremyB,  *ao  selthe  Deatronomy, 
eoo         *ThouA  thei  be  causid  of  complecdoun, 

Or  ellis  of  any  nyoed  fantasie, 
Or  *of  tk  Bupmlue  replecioufK 
606         For  dremys  De  but  f au  illusionn. 

Whan  men  be  wakvng,  thei  desire  or  thyoke; 

Vpon  that  thyng  thei  dreme,  whan  thei  wynke. 

LXXXVn.  Lenyoye.  foi.  97^ 

606    Miudthe  a  while,  what  all  thes  maten  meen. 
A-bidith,  sire,  and  go  no  ferther  yitt 
To  reden  hem,  *aua«ieth  not  a  been, 
e09         Bat  iff  a  man  the  kemel  wil  *ynkn«tt. 

Therfore  your  mynde  and  al  your  hert  ^ynshttt 
And  *loke  whatt  lith  yndir  the  DoiBtous  rynde. 
612         And  I  dar  say,  of  wisdom  and  of  witt 
Plente  and  foisoun  therin  shaü  ye  fynde. 

LXXXVIIL 

ReffreBsheth  you  with  this  holfiom  diete, 
615         That  foBtreth  yertue  and  keepith  on  lyue. 
To  your  persone  me  thynkith  it  ful  meete 
For  to  receyue  such  a  nutrytiye, 
618         Whidi  your  astate  shal  ay  preserue  on  lyue 
In  ^te  honour  and  keepe  yow  fro  noysaunce, 
Oute  of  daun^er  and  vicee  infectyye, 
621    Yiff  ye  will  weräe  aftir  this  ordynaunce. 

LXXXIX. 

And  in  especiall  looke,  that  your  deede 
May  bere  trewe  '^wittenes^e  and  teetifie 
624    The  mateer,  that  ye  beholde  and  reede. 

Looke  with  your  herte  as  weel  as  with  your  eye. 
Than,  dar  I  say,  Bumwhat  shall  ye  espye, 
627    That  to  this  werk  Bhall  meyen  *y<mr  corage. 

Wherfor  your  hert,  your  eje  and  all  applye, 
Your  silf  to  reule  aftir  thes  diteee  sage. 

ExpUdt  seounda  pars. 

in,  praef.  1—2  XC.  fol.  97^ 

680    Behold,  what  wiht  that  listith  for  to  reede 

In  this  my  ditee,  somwhat  shall  *ke  fynde, 
Wherwith  bis  soule  he  ma^  fostre  and  feede 
(133         WiÜi  thewes  good  and  it  from  yicee  vnbynde. 

Come  neer,  my  child,  therfore  and  haue  m  mynde 
Suche  doctryne  to  beer  a-wey  and  leer, 
686    *Aß  to  Üiy  liff  shall  be  füll  leef  and  deer. 

m.  1  XOI. 

The  soule  resemblith  a  new  pleyn  table, 
In  which  as  yit  apperith  no  picture, 
689    The  filisophre  seithe  withouten  fable. 

599  «o  f.  C  600  thou  G  602  of  f.  G  608  valeth  C  (davor  o-  Tom  Korr.  8), 
vayleth  Bhvx,  waiUHu  Ad  609  vnhneit  Cx  610  vntheU  Gx  611  lohkh  r  683 
wUttnety  G  687  your  m  G  eingefügt  von  Korr.  2  631  ^6  G  ^  M  636  im]  and  r  ^, 
as  thou  Hf 


Die  Bnrghsche  Oato-Puraphrue.  819 

So  is  the  soole  bat  a  dedly  figure, 
TU  the  tyme  ehe  be  recleymed  with  tbe  Iure 
642    Off  doctryne  and  bo  gete  hir  a  good  habite 
To  bene  expert  in  connyng  and  *  parüte. 

m,  pn«f.  8-4  XCIL 

Inprente  my  techyng  in  thy  soule  stedfaste; 
646         And  ful  profitabto  thou  shait  it  fynde. 

Fonake  it  nat  ne  from  thyne  hert  it  caate; 
For  iff  that  thou  exclude  oute  of  Üiy  mynde 
648         This  leeeoun,  thow  art  füll  bareyn  and  blynde 

Fro  vertu.    And  therof  a-wite  nat  me, 

Sith  *ihe  deffaute,  my  sone,  is  than  in  the. 

m.  2  XCIII.  foi.  ger 

661    Iff  thou  lyre  iustly  keepyng  the  vpriht, 

Neuer  declynyng  for  meed  ne  *for  fauour, 
Than  Btondiat  thou  in  a  ful  holsum  pliht, 
664         *ThouA  men  maligne  with  *woorde9  of  *rygoure 
Tff  thou  live  thus  thi  good  Uff  is  thi  tour. 
We  may  nat  lette  the  peple  to  gawre  *and  crye. 

667  But  do  we  weel;  if  thei  sey  mys,  thei  lye. 

m.  8  XCIV.  f 

Iff  thou  be  clepid  the  sothe  to  testyfye, 
Ay  sau^g  thy  worship  and  honeste, 
660    Thi  neendiB  treepace  be  *ntU  a<-bout  to  wrie» 

Wher  as  no  shame  may  growe  therof  to  the. 
ThiB  requirith  ay  freendlynesse  porde. 

668  In  wele  anä  woo  the  trewe  ^berayrolence 
Bi-twix  folke  is  frensship  in  existence. 

m.  4  XCV. 

Make  besv  wacchc;  and  keep  thi  soule  algate, 
666         Behold  a-boute,  aspie  the  couert  treyne, 
Whan  that  fals  fauell  knockethe  atte  gate, 

He  menythe  guyle,  *  thow  outewara  fair  he  feyn. 

669  He  can  enoynte  softl;^  thyn  erys  tweyn 
*Wi/h  oUe  of  plesaunce  in  ful  erete  foysoun; 
But  vndir  that  keepe  the  from  ms  poiBoun. 

ni.  6  XCVL  foi.  98^ 

672    Slouthy  Blogardy  and  dul  idylnesse, 

Laeches,  that  causeth  to  be  neciigent, 
Eschew,  my  chUd,  with  aU  thi  bisyneBse; 
676         For  ydul  soule  makith  the  body  shent. 
Ther  is  on  erthe  no  ^retter  argument 
For  to  conclude  the  booy  vnapte 
678    Than  that  the  soule  in  idilnesse  be  wrapte. 

m.  6  XCVII. 

Who  that  lacketh  reste,  may  nat  longe  endure; 
Therfor  a-mong  take  thyne  eee  and  disporte. 


648  prcfite  C  mit  Abkflnnngsflchleife  für  ro  649  a  wyjt  Hb,  aiioyU  HR, 
aUwyiBV,  away^Hc,  wyte  ACpK  (toytt  E)  rg,  moyU  aHe  650  thi  CHb  652  for 
f.  TBFbTCpy  654  ikou  C  |  woord*  tB  \  rygourye  C  656  or  CHb  |  gaule  R, 
gawle  Fb,  gnart  M,  gare  Gp,  grare?  Ha  660  not  f.  xSVbDhUX  663  banfolmee  G, 
^  vgoknee  Hb     668  <Aov  CHb     670  wkieh  C 


320  Die  Bnrig^iBche  Oato-Paraphnae. 

681    Delite  the  neuer  in  besyneBse  and  eure, 

But  that  whilom  thou  malst  also  reBorte 
To  nlaji  recreactonn  and  conforte. 

664    Thou  Bnalt  the  bettlr  labour  at  *^  longe, 

Whan  thou  haste  merthe  Üii  bisynesBe  a-monge. 

m.  7  xcvm. 

It  ifl  füll  hard  to  plese  iche  a  wiht 
687         Dispreise  nomanys  deedis  nor  hem  lakke, 

Ne  *woorde9  nother.    For  even  so  riht 

As  thou  deprauyst  hvm,  byhynde  thy  bakke 
690         Biht  so  wol  men  male  the  a  ^moA:^  and  a  knakke. 

The  oontrarye  thouh  [*]  men  had  it  swome, 

The  skomer  shal  be  guerdoned  ay  with  scome. 

in.  8  XCIX.  foi.ioo'' 

698  Whan  thi  laste  sort,  that  som  men  depyn  &ite, 

Is  good  and  plesaunte  aftir  thyn  entente,  — 
Thns  meen  I,  loo,  whan  thou  arte  fortunate,  — 
696         Beoeyue  tiie  good,  that  Qod  hathe  the  sent. 

Suffre  it  nat  rechelessely  to  be  spente. 
For  than  of  wastour  thou  shalt  haue  *the  name, 

699  For  grete  ryot  will  causen  fehle  fame. 

m.  9  0. 

Into  grete  age  what  ^me  that  thou  art  krepte 
And  thou  hast  richesse  and  grete  habundaunoe, 
702    Be  liberall  of  good,  that  thou  haste  kepte. 
Thynk  thou  hast  inowh  and  suffisaunce. 
Latt  nat  thi  good  of  the  haue  *gou^maunce; 
706    But  *gou0m'it  and  porte  it  with  thy  freende. 

Whan  thou  goste  hens,  it  may  nat  with  Üie  weende. 

m.  10  CI. 

Grace  is  youen  to  men  in  sondrv  wise: 
708         Sum  haue  wisdom,  and  som  naue  elloquenoe. 

Thes  pore  folk  somtyme  thei  ben  füll  wise. 
A  s«ruaunt  may  oe  of  nrete  sapience, 
711         Thauh  he  be  had  in  litel  reuerence. 

Beward  *fdn  wit,  if  it  be  worth  the  while. 

Vertue  is  hid  vndir  an  habite  TÜe. 

m.  u  CIL  foi.  100^ 

714    This  woorldis  welthe,  ebbynge  and  flowyng  ay 
At  no  certeyn,  as  is  wantoun  Aprile, 
Thouh  thou  haue  "^lost,  thou  shalt  nat  the  dismay. 
717         *Be  content  with  that  thou  hast  for  the  while. 

Sume  man  ther  is,  that  hathe  nouthir  cros  *n«  pile 
Now  in  this  world,  and  yit  good  auentur 
720    Is  hym  ful  nyh.    No  man  can  know  his  vre. 

m.  12  CIIL 

Wedde  nat  a  wiffe  for  hir  inheritaunce; 
For  she  wol  caste  it  *  ful  oft  m  thy  berde. 

eSithetrU  ßSS  tpoord  &R  690  motoa  CHbEGDFc,  mc^«  CpHeHd  691 
tkouh  that  C  B  698  (A«  f.  C  704  goueraujuce  C  705  gauere»  C  712  u  C  716  hut  C, 
loueRFhBs^Axvi     717  Bam  C     718  «or  tM,  mt  A,  fM%r  H     782  wa/ C,  f.Hb^ 

'  Fol.  99  ist  bei  der  Paginieruig  ftbersprangen. 


Die  Borgliflche  Cato-Paraphraae.  821 

723    And  *if  she  be  noTBaunt,  ful  of  greuaimce, 
Oonitreyne  hlr  nat  to  biden  in  thi  yerda 
Off  chastyment  it  is  a  curaide  yerde 

726    To  keepen  oon,  that  wol  the  ay  atwyte. 
He  ia  att  eee,  that  of  such  on  ia  quyte. 

in.  18  CTV.  j 

Off  othir  men  thow  shalt  thy  myrour  make. 
729         Conforme  the  to  that  moete  men  appreve. 

What  thou  Bhalt  do  and  *tehat  thou  ahalt  fonake, « 
A  bettir  fette  maist  thou  nat  ^oontrere 
789         Than  to  othir  *mennj%  deede  rdeeve. 

In  al,  that  perteynethe  to  thy  techyng, 

Make  othir  men  a  rewle  f or  thy  lyyyng. 

in.  u  OV.  loi.  101' 

786    Attempte  no  thyng,  that  Bourmountith  thy  myht 

Ne  that  to  ÖynyBsh  thow  *ma^te  nat  *acchere; 
For  than  thou  stondist  foule  in  thyne  owne  liht. 
788         Ouer  his  power  what  man  lesto  to  meeve, 

With  shame  his  werke  moste  nedis  take  leve. 
It  ia  foly  a  man  auch  thyngee  to  begynne, 
741    Which  to  perfourme  his  wittia  be  *to  thynne. 

m.  15  CVI. 

Law  preaumeth,  that  what  *man  kepith  atille 
The  cryme  of  oon,  that  hath  don  greto  oÖenoe, 
744    And  diacurith  it  nat,  he  ia  *al9  ille, 

Aa  ia  the  cryminoua  for  his  ailence. 
Wherfore,  my  aone,  bryng  it  in  audience, 
747    That  thou  perceyueat  nat  weel  don  ia, 
Leato  for  ailence  men  deeme  of  the  a-mya. 

m.  16  CVII. 

Whan  that  the  lawe  ia  atreit  and  rigeroua, 
760         Entrete  the  iuge  to  *8hewef»  the  fauour, 
Enclynyng  hym  for  to  be  ^adoua. 

*An  e^  iuge  may  the 'parcaoae  aocour, 

768  And  yit  the  lawe  ahal  be  hia  gouemoure, 
Which  he  auethe  aomtyme  to  modyfie, 

In  the  caaa  he  may  a  poynt  eapye. 

m.  17  CVIII.  loi.  lon 

756    What  peyn  [*]  thou  auffreat  for  thi  deaerto, 
Beoeyue  it  weel  with  gre  in  padena. 
And  thouh  thi  treapace  m  ^prauye  and  couerte, 

769  Yitt,  whan  thou  fediat  in  thyn  aduertonce, 
That  thou  arte  blemaahed  in  thi  conadence, 

Withynne  tbj  aiife  than  make  arbitrement, 
762    Deemyng  thy-ailfe  in  thyn  owne  jugement. 


728  ^f.  GHbD  780  wkat  f.  CHf  731  eontr^fve  CHbMHcD,  oofuA^yue  Fe 
732  mmmg8  CFe,  meiu  AAd  736  mutte  C  \  aochewe  C,  ewchewe  Ho,  aOeyne  a 
741  to]/«/  THb  742  «Mm  f.  C,  a  mo»  B  V  744  ais  R,  also  Ad,  o//  CATFc, 
iham  Xf  o»  ttbr.  760  shew  0  752  And  t  B  A  HfHc,  For  an  a  \  pareauf  C,  pmr- 
ekas  T,  com  v  (caute  x)  756  ÜuU  thou  C  He  Fe  Ad  758  pruuye  C,  pryw  v,  preue  U, 
pryvQTy  Hb 

ArehiT  f.  n.  Spnehflo.    GXV.  21 


822  Die  Burghsche  Cato-ParaphrMe. 

in.  18  CIX.  ^ 

Mumende  no  tyme  for  slonthe  or  for  laochesse, 
out  whilom  reed  in  bookis  olde  and  wise. 
765    Beed  and  reporte  with  grete  attentyfnesse. 
6e  reedyng  to  connyng  men  may  arrise. 
Than  reed,  my  sone,  and  connyng  accomplise. 
768    Thes  poetes  writan  thyngea  of  grete  meni&Yie 
And  of  smalle  credence  oftyn,  thys  is  no  mile. 

m.  19»  CX. 

A-mong  freendis  sittyng  at  the  feeet 
771         Be  curteis  and  demore  of  thy  language. 
Who  spekitli  moste,  may  nat  oÖende  leste. 

Off  flessh  and  boon  natiire  haüie  made  a  cage 
774         The  tonge  to  keepe,  that  ehe  be  nat  outrage. 
*Than  if  thou  wolt  Den  losed  of  *norture, 
^  Befreyne  thyn  tonge  with  al  thy  besy  eure. 

m.  20  CXI.  fol.  108r 

777    Some  wommen  weepyne  of  pur  femynyte, 

Whan  othir  wise  thei  kan  nat  her  entente 
*Acchepe;  but  yit  beware  of  nyoe  pite 
780         Thi  manly  resoun,  that  it  be  nat  blent. 

For  suche  wepyng  thyne  hert  auhte  nat  relente. 
Some  wommen  of  kynde  be  eu0r-moor  weepyng 

788  And  yndir  that  kan  thei  bothe  prikke  and  stynge. 

ni.  21  CXII. 

That  thou  haste  goten,  to  thin  owne  worship  yse. 
What  auailethe  richesse  withoute  honoure? 
786    To  spare  good  and  worship  to  refuse 

Tne  nygard  chynche  with  peyne  and  wttÄ  labour 
Is  besy.    But  i  reede  the  nat  devour 

789  Withouten  resoun  thy  good  ezoessiffly; 

For  than  muste  thou  begge  of  othir  ^hasttly. 

m.  22  CXIII. 

Enmnente,  my  childe,  ay  sadly  in  thy  myndcL 
That  thou  be  nat  of  *deM  to  *«ore  adradde, 

That  shal  the  from  wrecchidnesse  ynbynde, 
Wher-in  thi  liff  longe  thou  hast  ladde, 
795         TU  of  thy  ^  Corps  thy  soule  hathe  ben  ful  sadde. 

For  riht  as  dethe  is  eend  of  ferfulnesse, 

So  is  she  eende  of  al  thy  wrecchydnesse. 

ni.  28  CXTV.  fol.  102^^ 

798    *Thi  wifis  woord  suffre  and  take  in  gree, 
Whan  it  ayaileth :  for  betide  it  ma^ 
Ful  ofte,  that  *of  riht  grete  pnidence  is  she 
801         And  muste  ben  a-lowed,  this  is  no  nay. 
Suffre  hir  than  and  hir  oonceit  assay. 
For  it  is  hiurd.  whan  thou  can  nat  be  stille, 
804    Ke  hir  to  suffre  thou  kanst  haue  no  wille. 


792 


775  Thauh  C  \  natere  C  BhaOpx»  nurtur«  R^DAd  779  aech«w  CM  Ha 
HcFc,  etchewe  Db,  ashue  Hf  790  hattfy  CR,  hatfyly  FHHbHaHc  (-tfi),  hoMUfy 
xDaCpAD,   hashifly  GHe      792  d$d  C  l  tofort  C      796  corpm  C,   cort  y      798 

C     800  räb  0/  C 


Die  BurghBche  Gato-Paraphrase.  328 

m.  ai  CXV.  n 

Goodia,  that  be  yonen  the  of  nature, 
Comethe  eek  of  th^  progenjtoura. 
807    Therfore,  my  child,  with  al  thi  foroe  and  eure 
Love  hem  weel  and  cherissh  at  all  hours. 
Thei  fostred  the  and  kept  in  vouthe  shours. 
810    Thi  moodir,  my  child,  in  especiaU, 
Iff  thou  do  wele,  neu^r  offende  at  all. 

'  J 

CXVjl   LenYoye. 

Resortei  resorte  and  hidirward  releve. 

818  My  maister,  now  her  is  *an  holsom  ayr. 
For  your  availe  vnto  this  place  retreve, 

Wher-as  of  moralite  floures  fayre 
816         And  Bwete  fnl  plesaantly,  lo,  dothe  repeir. 
Gadrith  therof  ana  makithe  yow  a  ^ay 

And  restethe  yow  heer  riht  in  this  *herbe»re. 

819  Behold  and  see,  what  thyng  is  to  your  pay. 

CXVII.  ibi.  loer 

Whane  ye  haue  gadrid  floures  *to  your  liste, 
Tastethe  hem;  for  thei  ben  p-0seruatiffe. 
822    Holdithe  hem  fast  and  bereUie  m  your  ^ftste. 
For  the  pestilence  ayers  infectyffe 
I  conseü  yow,  and  *iuparte  my  liff, 
826    That  ye  shall  leede  your  liff  in  sikimesse 
Thoruh  yertue  of  tJiis  conseruatiffe 
And  eeke  atteyne  to  muche  worthynesse. 

OXVIII. 

828    ThuB  meve  I  you  vndir  proteoctoun 

Off  your  good  grace,  what  t^me  ye  reede 
Or  haue  in  tnis  mateer  inspecctoun, 
831         As  it  biddith,  that  ye  wol  don  in  deede. 

And  than  I  dar  afferme  [*]  withouten  dreede, 
Ye  shall  *acchere  and  be  ful  yertuous. 
884       Heer  shal  ye  Mide,  that  you  may  guyde  and  leede 
Strdht  to  good  inme  and  bryng  yow  til  hir  hons. 

Expltcit  tertia  -pan. 


813  vnhoUom  G     818  h«rbere  C}S.v}^{erbayre  Ad)     820  to  f.  G,  nito  F,  at  Hb 
822  fttU  G,  feyttya  D     824  euparte  G,  iuparU  F,    m  part  R,  jupard  H,  jubarU  M, 
jubard  a,  joberd  A,  yeopord  HbGp  D  Fe,  gewparde  Fe,  gibarde  v,  ubard»  Ht,  iepardi  Gx 
832  afferme  it  r     833  acekmoe  C,  eaekewe  a,  etckme  v 

Würzburg.  Max  Förster. 

(SchlnfB  folgt) 


21 


Znr  eng^lisehen  Wortg^esehiehle. 


1.  Ccurfax. 

Carfax,  Carfox  'a  place  where  four  roads  or  streets  meet; 
name  of  a  place  formed  bj  the  interaection  of  two  principal  streets 
in  variouB  towns,  as  at  Oxford  and  Exeter'  wird  vom  N.  K  D.  ohne 
Zweifel  richtig  auf  afrz.  *earrefore8  (carrefors)  =  lat  quadrifurcus 
'four-forked'  zurückgeführt  Die  lautliche  Entwickelung  des  eng- 
lischen Wortes  ist  nicht  ganz  klar.  Das  N,  E,  D.  bemerkt:  'The 
total  absence  of  the  r  in  English  is  . . .  notable»  especially  as  fork 
was  a  well-known  word  from  OK  times.'  Qrolse  Schwierigkeit  kann 
jedoch  der  Schwund  des  zweiten  r  nicht  machen:  wir  haben  hier 
offenbar  einen  Fall  von  totaler  Dissimilation.  Umgekehrt 
mag  das  a<o  der  zweiten  Silbe  auf  Angleichung  an  den  Vokal  der 
ersten  Silbe  beruhen,  wenn  es  nicht  eher  aus  Mundarten  stammt,  die 
o  lautgesetzlich  zu  ä  wandeln  (ox  >  aks,  top  >  tap  im  Süden  und 
angrenzenden  Mittelland). 

Für  totale  Dissimilation  mögen  hier  den  Sammlungen  von 
Jespersen,  E.  St.  ^^TTT  461,  und  Hempl,  Lost  of  t  in  English 
through  dieHmilcUion,  in :  Dialect  Notes  (published  hj  the  American 
Dialect  Society)  I  279  ff.,  noch  einige  Beispiele  zugefügt  werden. 

F&vere  =  Febnuxry,  Cely  Papers  1488  (S.  140—142),  1487 
(S.  169  f.).  Diese  für  die  ältere  Zeit  vom  N.  E.  D.  nicht  belegte 
Form  mit  Dissimilation  ist  heute  noch  dialektisch:  E.  D.  D.U  dl^ 
verzeichnet  Febiwerry  und  N.  E,  D,  schott  febewar,  Henslowe  schreibt 
in  seinem  Tagebuch  1591—1609  fAery  (S.  88). 

Itbary  für  library  kann  man  gelegentlich  hören;  L.  Murray, 
English  SpeUing-Book  (York  1804)  stellt  es  unter  die  vtdgar  errors 
(Kap.  18). 

Afrz.  orfreis  (awifrisium)  erscheint  im  15.  Jahrh.  als  orpheis, 
offreis,  vgl.  N.  E.  D.  unter  orphrey  *gold  embroidery*. 

pimrose  für  primrose,  vgl.  Wright,  Orammar  of  Windhill,  §  262; 
F.  E.  Taylor,  Folkspeech  of  South  Lanoashire,  Manchester  1901; 
Darlington,  Folkspeech  of  South  Gheshire,  S.  20. 

Für  quarter  verzeichnet  N.  E.  D.  qwaiteer  14.  Jahrh.,  für  quar- 
terage  quaterage  15.  Jahrh. 

Shrewshury  (Soiropesherie)  heifst  in  der  örtlichen  Aussprache 
sroaxbri  und  soaxbri. 


Zur  englischeEi  Wortgeschichte.  825 

ircmaom  'Querbalken'  (vgl  fraumsum^  iransum,  fransounes  in 
Records  of  a  London  Oity  Ckwrch  1426—27,  S.  65  U  1487—88, 
8.  187;  E,  E.  T.  S,,  Original  Series  No.  125)  erklärt  Skeat  als  'a 
comiption  of  lat.  iranstrum^  vgl.  jetzt  auch  seine  Notes  on  English 
Etymohgy,  8.  804.  Das  Etymon  ist  allem  Anschein  nach  riditig, 
nur  ist  das  englische  Wort  keine  eorruption,  sondern  lautgerechte 
Entwickelung.  Zunächst  ist  iranstrum  zu  transt(p)m  (r  —  r  zu  r  —  0, 
totale  Dissimilation)  und  dann  ist  stm  ganz  regelrecht  zu  «m  ge- 
worden wie  in  Chrisimas. 

Wenn  in  altengl.  owearten  aus  cweartem  ^Gefängnis',  beren  aus 
berem  'Bcheune',  sceapheorden  aus  -em  'Schafstall'  ein  r  geschwunden 
ist^  so  ist  daran  wohl  nicht  allein  die  'schwachtonige  Stellung*  schuld 
(Pogatscher,  LübL  XXII,  160);  es  ist  wohl  kein  Zufall,  dafs  in  der 
vorhergehenden  Silbe  schon  ein  r  stand. 

l  ist  infolge  totaler  Dissimilation  geschwimden  in  mundartlichem 
eelak  für  lOae  (Ellis,  On  Early  English  Pronunoiaiion  V  448,  714) 
und  ehiblain  für  chUrhlain  'Frostbeule'  (a.  a.  O.  287).  Vgl.  deutsch- 
mundartliches üaehe  =  lilachen,  Z.  f.  hd.  Maa,  I  27.  Der  Schwund 
des  k  in  speiad^s)  =  spectades  (E.  D.  D,,  Bardett,  Äfnerioanisms, 
S.  40,  vgL  deutscli- mundartliches  Spüäkl  =  Spektakel)  wird  wohl 
auch  auf  totaler  Dissimilation  beruhen. 

2.  foreign. 

foreign  hat  in  heutigen  Mundarten  die  Entsprechung  des  u  an 
Stelle  von  o\  Wright,  E.  D,  Z>.,  belegt  fvaren  für  Dorset,  funrin  für 
Nord-Yorkshire  imd  östliche  Mundarten;  auch  West -Somerset  hat 
die  Entsprechung  des  u  und  ebenso  Oldham  in  Lancashire  (nach 
einer  Mitteilung  von  Herrn  Lektor  E.  6.  Schilling).  Die  Behaup- 
tung von  R  Eruisinga,  Qrammar  of  the  DicUeet  of  West  Somerset, 
Bonn  1905,  §  280,  der  vorausgehende  Labial  habe  den  Übergang 
von  o  >  u  verschuldet,  bedarf  keiner  Widerlegung,  ebensowenig  wie 
andere  'sporadische'  Lautwandlungen  ähnlicher  Art^  mit  denen  er 
operiert 

Der  u-Laut  in  foreign  war  früh-neuenglisch  auch  in  der  Schrift- 
sprache üblich:  darauf  deutet  die  Schreibung  fwrroine,  17.  Jahrb. 
(M  E.  D.). 

Englisches  furam  geht  auf  altfrz.  fourain  (fouran,  fourin,  vgl. 
Oodefroy)  zurück.  Und  diese  altfrz.  Form  stellt  die  lautgesetzliche, 
volkstümliche  Entwickelung  aus  lat  foräneus  dar:  'vortoniges  freies 
g  vor  oralen  Konsonanten  wird  über  p  zu  u\  vgl.  egrona  >  eurone, 
fngrire>murir  (Schwan-Behrens,  ^/^/ranxösise/te  Orammatik^,  §  91). 
Dagegen  ist  frz.  forain  Lehnwort,  und  darauf  geht  engl  foreign  mit 
0  zurück. 

8.  leachf  letch. 

Ne.  leaeh,  leech,  leteh  mit  der  jetzt  veralteten  Bedeutung  to 
wster,  wef ,  mit  der  noch  bewahrten  'to  cause  (a  liquid)  to  peroolate 


826  Zur  engliBchen  Wortgeechichte. 

through  Bome  material',  *tx>  subject  to  the  action  of  per  colating  water' 
wird  von  Bradley,  K  E.  D.,  aus  ae.  IfiSxin  'wässern'  abgeleitet  Da- 
mit ist  deutsches  lecken  'netzen,  begielsen'  (nach  Ausweis  z.  B.  der 
hessischen  Mundart  mit  Umlauts-«)  identisch;  vgL  D.  Wb.  VI  481. 
Die  gemeinsame  germanische  Grundform  ist  *lakiany  über  dessen 
Etymologie  man  K  E.  D,,  Kluge,  Etym.  Wib.,^  8.  241  {leek\  und 
J.  Franck,  Etymologisch  Woordenboek  der  Nederlandache  Tool,  8.  559, 
vergleiche. 

Zur  Lautform  der  englischen  Wörter  bemerkt  Bradlej:  'The 
form  letch  is  normal;  the  form  leaeh  is  phonologicallj  obscure.' 
8chröer  (in  der  Neubearbeitung  von  Griebs  ff^ibch.)  verweist  auf  leak 
aus  altnord.  leka.  Die  Nebenform  leach  könnte  wohl  wirklich  eine 
Kontamination  aus  lautgesetzlichem  letch  -}-  fe<^  {^  8mith  1568, 
S.  .48)  sein,  vgl  N.  E.  D.  leak,  5. 

Das  8ubstantiv  leach,  letch,  das  in  verschiedenen  technischen 
Verwendungen  gebraucht  wird  {N.  E,  D.),  ist  aus  dem  Verbum  ab- 
geleitet 

4.  Dial.  m/isU  ^mist*. 

Wright,  E.  D.  D.  IV  129,  verzeichnet  für  die  Mundarten  von 
Devon  und  Somerset  misk  'a  mist,  fog*.  Kruisinga,  Qrammar  of 
the  Dialect  of  West  Somerset  (Bonner  Beitrage  zur  Anglistik  XVIII), 
meint  8.  178  (zu  §  871):  'mdsk  is  probably  connected  with  muxy' 
(=  schmutzig). 

In  Wirklichkeit  ist  misk  aus  mist  entstanden.  Die  Entwicke- 
lung  ist  folgendermalsen  verlaufen.  Zunächst  wurde  mist  (besonders 
vor  folgendem  konsonantisch  anlautenden  Wort)  zu  mis,  eine  Form, 
die  auch  für  West-Somerset  bezeugt  wird  (vergl.  fact  >  fak,  cast  > 
kas  usw.).  Weiterhin  ist  eine  schöne  Beobachtung  £lworthys  aus 
dem  Dialekt  von  West-Somerset  zu  beachten,  die  freilich  von  Krui- 
singa in  seiner  Grammatik  ganz  übergangen  worden  ist:  'We  hardly 
ever  sound  k  after  s,  ezcept  when  foUowed  by  a  vowel,  and  not 
always  then  —  as  vlaas  "flask",  maas  "mask^"  (vergl.  An  Outline  of 
the  Qrammar  of  the  Dialect  of  West  Somerset,  E.  D.  8.  1877,  8.  53). 
k  nach  s  ist  vor  konsonantisch  anlautenden  Wörtern  geschwunden, 
vor  vokalisch  anlautenden  geblieben:  flask  zu  vlaas  -}-  Kons.  (vgl. 
asked,  askt  >  ast\  vlaask  -f-  Vok.  Da  neben  vlaas  auch  vlaask,  neben 
maas  auch  maask  steht,  ist  zu  mis  ein  misk  neugebildet  worden. 

mist 
mis  +  Kons,     mist  +  Vok. 

■  s/ 

mis 

misk  +  Vok.    mis  -|-  Kons. 
{floA  +  Vok.    flas  +  Kons.) 


Znr  eDgliBchen  WortgeBchichte.  827 

5.  rush  'Rasch'. 

Der  Tuchname  engl,  raah,  dtsch.  Easeh  wird  allgemein  auf 
frz.  ras  zurückgeführt,  über  dessen  Herkunft  man  Körting,  Laiein.' 
rom,  Wtb.^,  No.  6682,  Franck,  Etymologisch  Woordenboek  der  Neder- 
landsche  Tool,  S.  778,  vergleiche.  Auffällig  ist  die  Vertretung  des 
frz.  s  durch  s  im  Englischen  und  Deutschen. 

Zur  Lautform  des  englischen  Wortes  bemerkt  Craigie,  N.  E.  D. 
Vm  157 :  *the  origin  of  tibe  -sh  .,.  is  not  clear.'  Und  wenn  Heyne 
im  D,  Wib.  Vin  125  sagt,  Bosch  sei  'mit  einer  Verbreiterung  des 
Auslauts'  aus  {ar)ras  entstanden,  so  ist  damit  nichts  erklärt 

Es  liegt  sehr  nahe,  anzunehmen,  dals  der  französische  (in  Arras 
gewebte?)  Stoff  durch  niederländische  Vermittelung  nach 
Deutschland  und  England  gekommen  ist  Nun  entspricht  z.  B.  einem 
niederländischen  vis  (geschrieben  visch)  im  Englischen  und  im  Deut- 
schen die  Form  fis  (fish,  Msch).  Englischem  und  deutschem  -s  steht 
niederländisches  -s  gegenüber:  altes  -sk  ist  in  mndl.  Zeit  lautgesetz- 
lich zu  'S  geworden;  vergl.  J.  Franck,  MndL  Qrammatik,  §  HO,  2, 
und  W.  van  Helten,  MndL  Spraakkunst,  S.  195.  Nach  dem  Muster 
von  fis  :  fis  u,  dgl.  wurde  ndl.  ras  zu  ras  (rash,  Rasch)  umgebildet 
Es  liegt  hier  also  'analogische  Lautsubstitution'  vor,  wie  man  sie  oft 
beobachten  kann  bei  Entlehnungen  aus  einer  Sprache  in  die  andere, 
aus  einer  Mundart  in  die  andere,  bei  den  Wechselbeziehungen  zyni- 
schen Schriftsprache  und  Mundart  Vgl.  z.  B.  Zs.  f.  frz,  S^.  XXII 
61  ff.,  Archiv  CVII  414. 

Bosch  ist  auch  in  das  Skandinavische  übernommen  worden  und 
zwar  in  der  Form  rask,  sk  für  s  ist  Lautsubstitution.  Skandina- 
vische Grammatiker  früherer  Zeit  setzen  engl,  sh  dem  skandinav.  sk 
gleich. 

Ob  esthnisches  rask  'wollenes  Fuistuch  der  Weiber'  (F.  Wiede- 
mann,  Esthniseh- deutsches  Wörterbuch,  S.  928)  mit  unserem  ra^ch 
identisch  ist,  kann  ich  nicht  beurteilen.  Zu  ital.  rascia,  das  Florio 
als  rash  erklärt,  vgl.  Körting,  Lat.-rom.  Wtb.,  No.  6671. 

Auf  einen  ähnlichen  Fall  von  analogischer  Lautsubstitution  sei 
noch  hingewiesen. 

Me.  pertricfie  (ne.  partridge,  afrz.  pertris)  erscheint  im  älteren 
Schottisch  und  in  heutigen  Mundarten  Nordenglands  und  Schott- 
lands als  pertrikf  pa/rtrik,  vgl  E,  D,  D.  und  Jamieson,  Etymologp- 
cal  Dictionary  of  the  Scottish  Language,  New  Edition,  III  445,  450. 
Für  diese  Form  mit  k  gibt  es  nicht  etwa  eine  unmittelbare  altiranz. 
Quelle,   pertrik  muTs  aus  pertriche  entstanden  sein. 

Einem  südhumbrischen  ts  (ch)  entspricht  im  Nordhumbrischen  k; 
deshalb  wurde  in  pertrich  bei  der  Übernahme  in  das  Nordhumbrische 
is  durch  k  ersetzt 

Ist  so  auch  feek  für  fetch  zu  erklären,  das  für  Cieveland  in 
Yorkshire  (vgL  E.  D.  S,,  Original  Glossaries  III,  S.  2)  bezeugt  wird  ? 


828  Zur  engliBcheii  WortgOBchichte. 

Auf  Entlehnung  aus  dem  BüdhumbriBchen  deutet  auch  fü  in  Sdiott- 
land :  ts  ist  durch  s  ersetzt  worden ;  das  ist  Lautsubstitution,  und 
zwar  lautmeohanische,  nicht  analogische. 

6.  Dial.  wist  "unlucky*. 

Das  jfi7.  JD.  D.  VI  517  belegt  wist  neben  wiahl  'unlucky'  und 
stellt  es  sehr  einleuchtend  zu  wish  ^verwünschen'.  Unaufgeklärt 
bleibt  dagegen  die  Lautform:  st  neben  sht.  Das  Wort  ist  den  Out- 
turaUaiUe,  S.  19  f.,  gesammelten  Beispielen  von  8  ffir  sh  anzureihen. 
In  ae.  toyset(e)  wurde  die  ungelaufige  Lautgruppe  ski  durch  st  ersetzt 
(vergl.  Gosijn,  Beitr.  Vm  571,  und  Bievers',  §  405,  Anm.  8);  vergl. 
asked,  Mkt  >  äst,  ahd.  ipunscta  >  tuunsta  (Notker). 

Gielsen.  W.  Hörn. 


Znr  letzten  Londoner  Theaterseason. 


London  ist  auch  theatralisch  das  Zentrum  Englands:  es  er- 
hält und  sichert  die  Tradition,  es  schafft  und  gebietet  über  die 
Mode.  Englisches  Theaterwesen  kann  in  der  ^town'  erschöpfend 
studiert  werden  —  freilich  nicht  in  kurzer  Zeit,  wegen  der  Über- 
fülle des  Materials,  aber  für  lange  Zeit  hinaus,  weil  der  Lon- 
doner nirgends  konseryativer  ist  als  in  seinem  Theater.  Nach 
sechs  Jahren  war  es  mir  unlängst  vergönnt,  Londons  stage-land 
wieder  abzustreifen,  ich  habe  nichts  Neues  gesehen,  nur  anderes 
als  ehedem.  Die  Beobachtungen  von  damals  und  jetzt  zeigen 
mir  dasselbe  Bild,  fuhren  mich  zum  selben  Urteil  in  den  Grund- 
zügen. In  Einzelheiten  bin  ich  freilich  auf  Neuheiten  gestofsen. 
Bezeichnend  aber  ist,  dafs  dies  Neuartige  nicht  etwa  dem  Gan- 
zen Richtung  gibt,  sondern  blofs  nebenher  läuft.  Es  sind  Re- 
formen, die  nicht  durchgreifen,  Schöpfungen,  die  nicht  ein- 
schlagen. Beiden  fehlt  es  an  Perspektive  in  die  Zukunft,  sie 
bleiben  im  Moment  ärmlich  isoliert.  Doch  sind  sie  nicht  minder 
wertvoll.  Sie  werden  das  vom  symptomatischen  Standpunkt, 
indem  sie  Mängel  zeigen,  die  sie  beheben  wollen.  Und  sie 
zeigen  überall  hin:  auf  die  theatralische  Organisation  wie  dra- 
matische Produktion,  auf  die  schauspielerische  und  szenische 
Konvention. 

Dafs  es  mit  dem  modernen  englischen  Theater  schlecht  be- 
stellt ist,  verhehlen  sich  auch  die  Engländer  nicht.  Nur  wollen 
sie  den  Hauptgrund  prinzipiell  nicht  zugeben.  Er  liegt  in  der 
Organisation.  Es  gibt  nur  Privattheater;  die  müssen  aber  zu 
Geschäftstheatern  werden  und  *en-suite'  spielen.  Auf  jeder 
Bühne  wird  nur  ein  Stück  gespielt,  ohne  Abwechselung,  so  lange 
es  eben  zieht,  d.  h.  verdient.  Bricht  es  jung  zusammen  nach 
ein  paar  Dutzend  Auffuhrungen,  oder  erlahmt  es  nach  etlichen 
hundert  Vorstellungen  an  Altersschwäche,  so  wird  es  durch  ein 
anderesj  ersetzt,  das  sich  wiederum  auszuleben  hat.  Dieses 
System  besitzt  einen  Vorteil:  jedes  Stück  wird  bestens  vor- 
bereitet, aber  zwei  Nachteile:  für  das  Drama  und  für  die  Dar- 
stellung. Autor  wie  Direktor  unterwerfen  sich  dem  Geschmack, 
besser  Ungeschmack  des  Publikums  beim  Ausarbeiten  oder  Aus- 
wählen des  Stückes.  Die  Schauspieler  werden  zu  einseitigen 
Routiniers,  die  talentlosen  zu  selbstsicheren  Handwerkern,  die 


880  Zur  letzten  Londoner  Theaterseason. 

talentvollen  zu  selbstgefälligen  Virtuosen.  Sie  bleiben  unter  der 
Kunst  zurück  oder  gehen  über  die  Kunst  hinaus,  denn  sie 
schaffen  nicht  erfrischt  von  den  stets  wechselnden  Forderungen 
des  Repertoires  aus  persönlicher  Stimmung  heraus,  sondern  ar- 
beiten gewohnheitsstarr  in  endlos  gleichem  Betriebe. 

Dieses  En-suite  -  System  steht  fest,  trotz  schüchterner  Re- 
formversuche nach  einem  Repertoire  -  Theater  hin.  Antriebe 
hierzu  kommen  von  verschiedenen  Seiten.  Sogar  vom  inner- 
circle  des  Metier.  Da  ist  Tree,  der  hervorragende  Schauspieler 
und  Direktor  von  *His  Majesty's  Theatre*.  Zwei  Seelen  wohnen 
in  seiner  Brust:  als  konkurrierender  Bühnenleiter  muTs  er  Ge- 
schäftsmann sein  und  soll  das  jeweilig  führende  Stück  en-suite 
spielen;  als  Künstler  möchte  er  ein  Repertoire  schaffen.  So  ge- 
langt er  zu  dem  Kompromifs,  dafs  er  die  Suite  ab  und  zu  mit  ver- 
schiedentlichen  Shakespeare-Dramen  unterbricht  Dafs  er  darin 
Paraderollen  findet,  begreift  sich.  Das  Experiment  gelang.  Shake- 
speare und  Tree  sind  eben  zwei  Namen,  die  im  theatralischen 
London  ziehen.  An  solchen  'literarischen  Abenden^  wie  man 
bei  uns  sagen  würde,  ist  das  weitläufige  Haus  voll  von  society, 
middle-class  und  mass.  In  Logen  und  stalls  prangt  Eleganz^ 
das  pit  zeigt  Intelligenz,  die  gallery  steuert  Temperament  bei. 

Ein  anderer  Versuch  war  zwar  auch  geglückt,  aber  so  zahm 
angelegt,  dafs  er  sich  von  vornherein  als  Episode  gab.  Ve- 
drenne,  der  Impresario,  und  Barker,  der  Schauspieler,  hatten 
sich  zusammengetan,  um  einen  modernen  Dramatiker,  Bernhard 
Shaw,  zu  lanzieren.  Als  Haus  wurde  das  niedliche  Royal  Court 
Theatre  gewählt  (im  fernen  Südwesten,  um  an  Miete  zu  sparen), 
als  Zeit  der  Nachmittag  (um  die  Mitwirkung  von  Schauspielern 
verschiedener  Bühnen  des  Westens  zu  ermöglichen).  Die  Stücke 
waren  'Kaviar  fürs  Volk',  das  natürlich  auch  ausblieb.  Dafür 
erschienen  die  Theater  -  Gourmets  der  oberen  und  mittleren 
Schichten.  Nach  den  Vorstellungen  gab's  vor  dem  Hause  ein 
kleines  Gedränge  von  carriages  und  auto's  zwischen  behäbigen 
'busses',  worauf  jene  ladies  und  gentlemen,  die  das  auch  noch 
sind,  nach  dem  Westen  heimfuhren.  So  kam  das  Court  Theatre 
zu  einem  Repertoire,  wenn  auch  nur  von  matinees  —  unter 
dem  Zeichen  einer  literarischen  Mode. 

Der  dritte  Versuch  scheint  mir  mifslungen  zu  sein.  Er  war 
ja  auch  rein  literarisch  und  ganz  prinzipiell  geartet,  wie  schon 
der  Titel  des  Unternehmens  verkündigte:  The  Mermaid  Reper- 
tory  Theatre.  Also  gespielt  wurde  historisches  Drama  und  zwar 
im  Great  Queen  Street  Theatre.  Dieses  liegt  bedenklich  ver- 
winkelt im  W.  C,  wo  der  erlahmende  Westen  schon  sehr  von 
der  Schäbigkeit  des  erstarkenden  Zentrums  abfärbt.  Der  pom- 
pöse Titel  der  Strafse  soll  wohl  für  ihre  Enge,  ihren  Schmutz, 
ihre  Unbedeutendheit  entschädigen.     In  sie  hinein  palst  auch 


Zur  letzten  Londoner  Theatereefison.  831 

das  armselige  Haus  mit  seinem  unbequemen  Saal.  Die  Schau- 
spieler sind  —  mit  wenigen  Ausnahmen  —  zu  jung  oder  zu  alt, 
die  da  glauben,  schon  oder  noch  spielen  zu  können.  Das  Pu- 
blikum ist  dünn  gesät  und  in  seiner  äufseren  Erscheinung  von 
der  internationalen  Halbschäbigkeit  der  Intellektuellen,  nicht 
dekorativ,  doch  voll  ehrlicher  Begeisterung,  die  Ton  kritischem 
Feingefühl  gemeistert  wird,  kurzum  geistige  Auslese,  keine  Herde, 
sondern  eine  Gemeinde  unter  dem  Banner  des  gebildeten  Ge- 
schmacks. Das  war  auch  nötig,  denn  das  Repertoire  basierte 
auf  Ben  Jonson,  Beaumont  und  Fletcher,  Vanbrugh.  Die  Stücke 
wechselten  von  Woche  zu  Woche,  so  dafs  die  Reform  hier  im 
mechanischen  Abkürzen  des  En-suite-Systems  bestand. 

Das  waren  die  organisatorischen  Neuerungen:  Halbheiten 
und  Schwachheiten.  Ja  vielleicht  darf  nur  Trees  Versuch  als 
zweckbewufster  Vorgang  gelten,  vielleicht  ist  das  Repertoiresystem 
in  den  beiden  anderen  Fällen  blofs  eine  theatralische  Begleit- 
erscheinung wesentlich  literarischer  Experimente.  Sieht  man  von 
Shakespeare  ab,  so  war  die  'Literatur'  auf  der  Londoner  Bühne 
blofs  durch  die  Shaw-Matinees  und  das  Mermaid  Repertory  ver- 
treten, mithin  unscheinbar,  zufallsmäfsig,  wirkungslos.  Es  herrscht 
eben  ausschliefslich  mehr  oder  minder  geschickte  Theatralik, 
Marktware  des  Tages.  Auch  das  ist  ein  durchgehendes  Cha- 
rakteristikum des  Londoner  Repertoires  (wenn  man  darunter  die 
Gesamtheit  der  aufgeführten  Stücke  versteht),  dafs  es  durchaus 
modern  ist.  Modem  freilich  nicht  im  stilistischen  Sinne,  son- 
dern ganz  äufserlich,  es  werden  meist  nur  funkelnagelneue  Stücke 
aufgeführt  Dieser  Mangel  an  historischer  Tiefe  fällt  dem  Deut- 
schen und  Franzosen  auf.  Das  nationale  Repertoire  des  Wiener 
Burgtheaters  geht  doch  fast  150,  das  der  Comedie  frauQaise 
weit  über  200  Jahre  zurück  —  ebenso  weit  wie  das  lebensfähige 
deutsche  oder  französische  Drama  selbst.  In  London  vertritt  einzig 
Shakespeare  das  ^historische'  Drama.  Warum?  Wohl  aus  zwei 
Gründen.  Dem  englischen  Drama  fehlte  es  seit  Shakespeare  an 
den  beiden  Eigenschaften,  die  es  vor  der  Vergefslichkeit  des  Tages 
hätten  retten  können:  an  kulturellem  Gehalt  und  an  originärer 
Form.  Jedes  lebensfähige  Drama  mufs  seine  Zeit  spiegeln, 
Kulturwerk  sein  und  mufs  als  Kunstwerk  dauernden  Formreiz 
besitzen.  Es  hat  zugleich  Interesse  und  Gefallen  im  Publikum 
zu  erwecken.  Besitzt  das  Drama  blofs  seinen  interessanten  Ge- 
halt oder  blofs  seine  reizende  Form,  so  wirkt  es  entweder  auf 
eine  historisch  oder  auf  eine  ästhetisch  interessierte  Gemeinde; 
für  das  naive  Publikum,  die  unbewufst  anspruchsvollere  Masse, 
stirbt  es  jedoch  ab.  Nur  während  der  Renaissance  war  das 
englische  Theater  Zeitspiegel  für  das  Volk.  Später  verkümmerte 
es  im  Dienste  von  Klassen  und  Cliquen.  Es  unterhielt  während 
der  Restauration  Hof  und  Adel,  es  erbaute  in  der  Folge  braves 


8d2  Zur  letzten  Londoner  Theateraeason. 

Bürgertum,  war  bald  frivol,  bald  ehrbar,  wurde  amüsant  oder 
sentünental.  Oder  es  lebte  noch  ausländischen  Moden  zu  Ge- 
fallen  kosmopolitischer  Ästheten,  oder  es  gab  sich  als  Sprach- 
rohr von  Parteiproblemen  und  Gesellschaftsstimmungen.  Nie 
mehr  aber  gewann  es  die  kraftspendende  Bodenständigkeit  in 
Ganz-England,  nie  mehr  die  Bedeutung  für  die  gesamte  Nation. 
Und  so  starb  es  von  Periode  zu  Periode  ab,  denn  diese  Pe- 
rioden waren  keine  inneren  Entwickelungsphasen,  wo  die  spätere 
zur  Erbin  der  früheren  wird,  sondern  isolierte  Abschnitte  von 
blofs  chronologischer  Folge.  Darum  versteht  der  Engländer 
das  Gestern  nicht  im  Heute  wie  der  Deutsche  oder  Franzose, 
darum  ist  sein  heutiges  Theater  auch  nur  von  heute. 

Freilich  Shakespeare  lebt.  Er  hat  eben  die  humane  Philo- 
sophie, der  für  das  Verständnis  keine  Ort-  und  Zeitgrenzeu  gesetzt 
sind,  und  er  hat  eine  organische  Form  voq  unverwelklichem  Reiz, 
weil  sie  den  umschlossenen  Kern  symbolisiert.  Überdies  bietet  er 
seinen  Landsleuten  ein  Engländertum,  das  sie  als  ihre  innerste 
Eigenart  unmittelbar  anempfinden,  immer  noch  trotz  mehrhundert- 
jährigen Kulturwandels.  Respekt  und  Intimität  bilden  die  Grund- 
lage von  Sh.s  dauernder  Geltung  in  London.  Das  hat  freilich 
nicht  gehindert,  dafs  mit  seinen  Werken  sehr  frei  umgesprungen 
wird.  Sh.  auf  der  heutigen  Londoner  Bühne  —  das  ist  weniger 
für  ihn  als  för  sie  charakteristisch.  Direktor,  Dramaturg,  Re- 
gisseur, Darsteller  und  Publikum  gewinnen  von  Sh.  aus  Phy- 
siognomie. Besonders  auffallend  ist  die  Verschiedenheit  der 
Auffuhrungen  unter  sich,  nicht,  etwa  nach  dem  Grade,  sondern 
nach  der  Art  der  Kunstleistung.  Man  könnte  letztlich  sagen: 
nach  ihrem  Zweck.  Da  gibt  es  einen  Sh.-Direktor  par  excel- 
lence.  Es  ist  der  nun  auch  nicht  mehr  junge  Benson.  Er  reist 
auf  Sh.  im  ganzen  Königreich  herum,  da  er  ja  in  London  nicht 
immer  nur  Sh.  spielen  kann.  Und  in  der  town  richtet  er  sich 
mit  seiner  Truppe  meist  in  peripherischen  Häusern  ein,  denn 
er  spielt  nicht  für  die  Mondänen  des  Westens  und  nicht  mo- 
dern, sondern  für  die  brave  middle-class  in  der  Tradition  der 
Halbvergangenheit.  Mittelgute  Ausgeglichenheit  ist  die  Signatur 
seiner  Truppe. 

Ist  Benson  mit  der  Muse  Sh.s  solid  verheiratet,  so  kommt 
Tree  mit  ihr  über  einen  scharmanten  Flirt  nicht  hinaus.  Sh. 
soll  seinem  Theater  den  Anstrich  einer  literarischen  Repertoire- 
bühne geben  im  Westen  und  für  den  Westen.  Da  wird  denn 
auch  modern  gespielt  nach  dem  Geschmack  der  eleganten  Welt., 
d.  h.  von  guten  Schauspielern  in  blendender  Inszenierung.  Schön- 
heit ist  die  Parole. 

Nach  anderen  Zielen  streben  andere  Direktoren.  'Inter- 
essant' ist  die  Losung  von  Asche  und  Poel.  Jener  raffiniert  Sh. 
mit  hypermodernen   Milieukünsten   für    kulturhistorische  Fein- 


Zur  letzten  Londoner  Theaterseason.  888 

Bchmecker,  dieser  vereinfacht  Sh.  auf  seiner  archaistisch -elisa- 
bethinischen  Bühne  für  die  literarhistorische  Orthodoxie. 

Endlich  die  Star- Vorstellungen  I  Da  wird  der  Dichter  vom 
Schauspieler  erdrückt.  Das  Drama  ist  zum  Vorwand  geworden, 
und  man  kann  Sh.  nur  mehr  als  Bomben-Rollen-Schreiber  stu- 
dieren und  auch  als  solchen  —  bewundem. 

Mit  dem  verschiedenen  Zweck  ändert  sich  die  Art  der  Auf- 
führungen, vor  allem  hinsichtlich  des  Textes.  Um  das  persön- 
lich auszudrücken,  müfste  man  sagen :  der  Dramaturg  spielt  die 
mannigfachsten  Rollen;  er  ist  streng  konservativ  und  opfert 
keine  Zeile,  oder  er  schont  das  Original  nach  Möglichkeit  pietät- 
voll, oder  er  operiert  brutal  mit  seinem  Blaustift  Zwei  Fak- 
toren diktieren  ihm  sein  Vorgehen,  die  Bühne  und  der  Schau- 
spieler. Nur  auf  der  altlondoner  Bühne  kann  der  Text,  d.  h. 
hier  das  szenische  Gefüge,  unverändert  erhalten  bleiben,  und  so 
ist  auch  blofs  der  archaisierende  Poel  völlig  texttreu.  Unsere 
moderne  Bühne  (und  für  London  besteht  sie  seit  dem  Ausgang 
des  17.  Jahrhunderts)  kann  mehr  und  weniger  als  die  alte:  sie 
ist  für  das  szenische  Einzelbild  ausdrucksfähiger,  aber  gegen- 
über der  Szenengruppierung  viel  ungelenker.  Auf  ihr  mufs  die 
Sh.sche  SzenenfuUe  zusammengedrängt  werden.  Unter  diesem 
Zwang  steht  jeder  moderne  Dramaturg.  Aber  nur  die  litera- 
rischen bleiben  da  stehen,  wo  der  Zwang  aufhört,  die  meisten 
schreiten  unbekümmert  weiter  vor.  Sie  streichen  an  Szenen,  oft 
ganze  Szenen,  werfen  mehrere,  zeitlich  und  örtlich  getrennte 
Szenen  in  eine  einzige  zusammen,  nur  um  Theaterarbeit  zu 
sparen.  Sinn  und  Stil  der  Dichtung  werden  so  der  Bequemlich* 
keit  der  Aufführung  geopfert.  Oder  sie  tun  dasselbe,  um  ihren 
Star  glänzen  zu  lassen:  dann  werden  die  'Szenen  ohne  Star' 
zusammengestrichen  oder  überhaupt  getilgt;  die  'Szenen  mit 
Star'  womöglich  mit  seinem  Abgang  abgebrochen,  um  seinen 
Rolleneffekt  nicht  abflauen  zu  lassen.  Um  solche  Handwerks- 
sünden des  Dramaturgen  zu  beleuchten,  will  ich  auf  etliche 
Hamlet-  und  Romeo -Aufführungen  —  es  waren  ihrer  sechs  — 
zurückgreifen.  Den  brutalsten  Eingriff  bedeutet  die  Streichung 
ganzer  Szenen.  In  Hamlet  entfällt  meist  II 1  und  IV  1,  2,  3,  4,  6. 
Im  zweiten  Akt  wird  also  auf  eine  Charakterisierungsszene  ver- 
zichtet, und  der  vierte  Akt  wird  von  Hamlet  purifiziert,  es  gibt 
hier  eben  keine  Glanzstellen  für  den  Star;  dafür  wird  dieser 
Akt  zum  ^Ophelienakt'  par  excellence.  Einmal  entfiel  sogar 
III  3  (des  Königs  Gebet)  —  Gott  weifs  warum.  Auch  aus  Romeo 
werden  gewöhnlich  6  Szenen  ausgeschieden:  II  1,  IH  2,  4,  IV 
2,  4,  V  2,  womit  auf  bessere  Motivierung  der  Fabel  oder  auf 
Stimmungskontraste  verzichtet  wird.  Banal  ist  es,  wenn  zwei 
(ursprünglich  oder  zufolge  von  Streichungen)  aufeinander  folgende 
Szenen,  die  am  selben  Ort  spielen   oder  etwa  spielen  könnten. 


S34  Zur  letzten  Londoner  Theaterseason. 

in  eine  einzige  zusammengezogen  werden.  So  Hamlet  III  1  und 
2,  IV  5  und  7  oder  Romeo  I  1  und  2,  II  3  und  4,  IV  3  und 
5.  Ist  eine  solche  Operation  vom  Standpunkt  des  Ortes  eben 
noch  möglich,  so  wird  sie  unsinnig  in  bezug  auf  die  Zeit  — 
selbstverständlich  auf  die  ideale  Zeit.  Der  Dichter  braucht  Pau- 
sen, die  er  durch  Lokalwandel  markiert  oder  durch  Zwischen- 
szenen fiillt.  Solche  Pausen  tilgen  heifst  die  Stimmungsskala 
einer  Szenengruppe  völlig  verkennen.  Baffiniert  sind  die  Ab- 
striche am  Szenenende.  So  schliefst  in  Hamlet  UI  2  die  Schau- 
spielszene mit  des  Königs  Flucht  und  Handets  Triumph  in  for- 
tissimo  und  die  letzte  Szene  mit  Hamlets  Tod.  Gleicherweise 
in  Romeo  III  1  mit  Romeos  Flucht  von  der  Leiche  Tybalts  und 
die  letzte  Szene  mit  Juliens  Tod.  Überschaut  man  diese  ^drama- 
turgischen' Eingriffe,  so  stehen  sie  immer  im  Dienste  derber 
Wirkungen.  Nur  das  Grobstoffliche  der  Fabel  wird  gewahrt, 
aber  feinere  Motivierung  wird  geopfert;  Rolleneffekte  werden 
gesucht  auf  Kosten  eindringlicherer  Charakterisierung. 

Ist  der  Dramaturg  für  die  Materie  des  Stückes  verantwort- 
lich, so  der  Regisseur  für  den  Stil.  Er  hat  vor  allem  zu  in- 
szenieren. Das  geschieht  dermalen  für  Shakespeare  in  verschieden- 
artigster Weise.  Dreierlei  Tendenzen  spürt  man  aus  dem  Chaos 
heraus:  die  Inszenierung  ist  altmodisch,  neumodisch  oder  über- 
modern. Der  brave  Benson  repräsentiert  die  altmodische  im 
Sinne  einer  ausgebleichten  Tradition:  die  Dekorationen  sind 
mäfsig,  die  Kostüme  reich,  die  Komparserie  bleibt  ledern,  die 
Solisten  formen  sich  zu  hübschen  Gruppenbildern;  das  Ganze 
wirkt  typisch  flau.  Neumodisch  wird  bei  Tree  inszeniert:  De- 
korationen und  Kostüme  sind  prächtig,  die  Statisten  famos  dres- 
siert, die  Solisten  ausgezeichnete  Mimiker;  dazu  kommen  zwei 
Stimmungsbehelfe  für  die  Bühne,  die  virtuos  behandelt  und 
reichlichst  verwendet  werden,  Licht  und  Musik.  Kurzum,  alles 
strebt  nach  faszinierender  Schönheit  im  Opernstil.  Tree  melo- 
dramatisiert  Shakespeare  (das  Wort  im  kontinentalen  Sinne  ver- 
standen). Er  spielt  ja  auch  für  den  verweichlichten  Westen. 
In  anderer  Art  sucht  Asche  auf  sein  blasiertes  Publikum  zu 
wirken  —  als  scharfer  Charakteristiker.  Er  betreibt  Milieu- 
künste als  Kulturhistoriker,  er  sucht  Zeitstimmung  zu  geben. 
Sein  Hamlet  spielt  in  einem  barbarischen  Dänemark  der  Urfabel, 
seine  Zähmung  der  Widerspenstigen  in  einem  echten  Renaissance- 
Italien.  Ist  dieses  überflüssig,  so  wird  jenes  falsch.  An  Hamlet 
ist  jeder  Zoll  englische  Renaissance,  und  dafs  der  uralte  Stoff 
dem  genialen  Künstler  auch  dazu  tauglich  wurde,  beweist  nur, 
welch  inferiore  Rolle  der  Materie  im  Kunstwerk  zugewiesen  ist 
Wenn  Asche  den  Stoff  über  den  Geist  setzt,  so  treibt  er  geist- 
lose Meiningerei.  Zu  diesen  reinen  Typen  der  Inszenierung 
treten  auch  Zwittererscheinungen.   Nur  mit  einem  stillen  Lächeln 


Zar  letzten  Londoner  Theaterseanon.  885 

konnte  ich  die  Ungleichmälbigkeit  in  der  Ausstattung  der  Einzel- 
szenen feststellen,  als  ich  den  Kaufinann  von  Venedig  im  Drury 
Lane  Theatre  gesehen.  Der  alte  Irving  spielte  den  Shylock.  Die 
Inszenierung  war  schäbig,  ausgenommen  die  Shylockszenen! 

Mit  der  Inszenierung  ist  nun  erst  die  eine  Hälfte  der  Arbeit 
des  stilschaffenden  Regisseurs  geleistet»  die  Arbeit  für  den  Rah- 
men. Er  hat  auch  für  das  Bild  zu  arbeiten,  für  den  Stil  der 
Schauspieler.  Dieses  lebende  Material  ist  seinem  Bildner  nicht 
absolut  gefugig,  das  Ergebnis  ist  hier  wesentlich  ein  Eompromifs 
zwischen  Regietendenz  und  Schauspielertradition,  und  in  der 
Praxis  erweist  sich  letztere  wohl  meist  sogar  als  das  stärkere 
Element.  Darum  möchte  ich  den  Stil  der  Darstellung  lieber 
unter  dem  Titel  ^Shakespeare  und  seine  heutigen  Londoner 
Schauspieler'  behandeln. 

Der  Schauspieler  ist  —  ob  er  nun  will  oder  nicht,  ob  er 
es  bescheiden  eingesteht  oder  hochmütig  leugnet  —  schliefslich 
doch  nur  der  Diener  des  grofsen  Dichters.  So  folgt  er  auch 
stilistisch  den  Weisungen  seines  Herrn«  Der  Stil  des  Shake- 
speareschen  Dramas  ist  nun  nicht  einheitlich,  es  herrscht  Stil- 
mischung. Historisch  besehen  war  dies  aufgespeichertes  Erbgut 
—  vom  klassischen  und  vom  volkstümlichen  Drama  her.  Der 
grofse  Erbe  Shakespeaie  konnte  damit  zweierlei  anfangen,  ent- 
weder die  Stilelemente  untereinander  ausgleichen  oder  gegen- 
einander ausspielen.  Als  universaler  Geist  entschied  er  sich  für 
letzteres.  Er  hat  die  Absicht  auf  die  Mannigfaltigkeit  im  Aus- 
druck, er  strebt  nach  der  Kontrastwirkung  seiner  Stilmittel.  In 
seinen  Dramen  wechseln  plastische  Deklamation,  lyrische  Emo- 
tion, knappes  Referat,  preziöse  Gewundenheit,  derber  Jargon 
und  kerniger  Dialekt.  Idealismus  und  Realismus  und  aUe 
zwischenlagernden  Schattierungen  sind  vertreten.  Unter  dem 
Gesetz  des  Gegensatzes  verschärfen  sich  die  einzelnen  Spielarten. 
Der  Schauspieler  wird  vom  Dichter  mitgerissen.  Er  wird  Spe- 
zialist, wenn  die  Figuren,  die  er  seinem  Rollenfach  zufolge  zu 
spielen  hat,  stileinseitig  sind,  wie  die  komischen,  oder  er  wird 
stilistisch  vielgestaltig,  wenn  er  ein  ernstes  Fach  vertritt,  denn 
hier  wechselt  der  Stil  innerhalb  der  Rolle  nach  der  Situation. 
Immer  aber  hat  sein  Spiel  scharfe  Prägung.  Ist  er  EünsÜer, 
so  geht  er  bis  an  die  Grenze  des  Erlaubten,  ist  er  Handwerker, 
so  führt  ihn  die  Übertreibung  darüber  hinaus.  Sein  Pathos 
wird  hohl,  seine  Rührung  breiig,  seine  Gauserie  geschwätzig, 
sein  Bericht  trocken.  Für  die  Gesamtwirkung  bedeutet  solche 
Stilmischung  Farbenpracht  im  guten.  Buntscheckigkeit  im  üblen. 
Stets  ist  das  der  Ausdruck  von  Kraft,  sei  es  gezügelter  oder 
ungebändigter.  So  wird  Shakespeare  heute  von  seinen  englischen 
Schauspielern  gespielt,  und  das  ist  wohl  alte  Tradition.  iNuancen 
hat  der  jeweilige  Zei^eschmack  in  den  verschiedenen  Perioden 


896  Zur  letKten  Londoner  TheaterBeMon. 

wohl  geschaffen  und  wieder  getilgt»  die  Grundzüge  sind  aber  ge- 
blieben —  sie  stimmen  eben  zur  Dichtung. 

Dieser  autochthone  Shakespeare-Stil  £llt  uns  Deutschen  auf 
und  wird  uns  in  seinen  Vorzügen  und  Nachteilen  noch  klarer, 
wenn  wir  mit  den  Londoner  unsere  deutschen  Shakespeare- Auf- 
fuhrungen vergleichen.  Diese  streben  nach  einer  beiläufigen 
Ausgleichung  der  stilistischen  Gegensätze,  suchen  nach  einer  Art 
von  EinheitstiL  Das  schädigt  die  koloristische  Mannig&ltigkeit, 
stumpft  die  Einzeltöne  etwas  ab,  läfst  das  Detail  zurücktreten. 
Aber  es  bringt  auch  Vorteile :  die  Charakteristik  von  Figur  wie 
Situation  verliert  an  Schärfe,  gewinnt  aber  an  Feinheit. 

Der  Engländer  mufs  infolge  seiner  Stilschablonen  mehr 
typisieren,  während  der  Deutsche  mehr  individualisieren  kann, 
denn  er  ist  stilistisch  freier.  So  wirkt  jener  stärker,  dieser  tiefer. 
In  London  beruht  der  mächtige  Eindruck  der  Vorstellung  auf 
der  grellwechselnden  Leuchtkraft  der  Einzelheiten,  bei  uns  auf 
der  einheitUchen  Abtönung  des  Ganzen. 

Woher  der  Unterschied?  Der  Engländer  spielt  seinen  Shake- 
speare in  theatralischer  Tradition  vor  dem  ganzen  Volk.  Mit 
seiner  Bodenständigkeit  ist  er  urwüchsiger,  vor  seinem  gemischten 
Publikum  mufs  er  für  dessen  gröberen  Bruchteil  auch  greller 
wirken.  Auf  der  deutschen  Bühne  ist  Shakespeare  fremdes 
Lehngut,  nicht  eine  volkstümliche,  sondern  literarische  Erschei- 
nung und  wird  für  die  Gebildeten  gespielt  EUer  wird  aus  ihm 
mehr  das  Form-Feine  und  Geistig-Tiefe  herausgeholt. 

Fragt  man  nach  dem  Wert  der  schauspielerischen  Einzel- 
leistungen, so  ergibt  sich  für  die  verschiedenen  Rollengruppen 
die  Antwort  von  selbst.  Ausgezeichnet  werden  die  Tiguren  aus 
dem  Volke'  —  meist  die  Repräsentanten  der  vielgestaltigen 
Komik  —  gespielt  Sie  sind  ja  bodenständig,  haben  Bühnen- 
tradition und  bieten  Gelegenheit  zu  hartliniger  Charakterisierung 
in  derb  realistischer  Manier.  Weniger  gut  sind  die  geistig  und 
sozial  hochstehenden  Figuren.  Nur  die  wenigen  wirklich  grofsen 
Schauspieler  halten  sich  von  Deklamation  und  Geziertheit  fem, 
bleiben  in  der  Schönheit  noch  wahr.  Fast  immer  schlecht  sind 
die  mittleren  Figuren:  statt  diskreter  Charakteristik  herrscht 
hier  stumpfe  Handwerkschablone. 

Die  interessanteste  Shakespeare  -  AufführuDg  dieser  season 
mufs  ganz  gesondert  behandelt  werden,  denn  sie  stand  nach 
Zweck  und  Mittel  und  auch  bezüglich  des  Publikums  völlig 
isoliert  im  Londoner  Gesamtrepertoire.  Der  Theaterzettel  spricht 
deutlich  genug:  *At  the  request  of  the  London  Shakespeare 
League.  Romeo  and  Juliet  given  by  the  Elizabethan  stage  So- 
ciety at  the  Royalty  Theatre,  London.  Under  the  direction  of 
Mr.  Wm.  Peel.  Last  production  of  the  society.  God  save  the 
king.^  Es  handelt  sich  also  um  ein  theatergeschichÜiches  E3q[)Gri- 


Zur  letzten  Londoner  TheaterBeaBon.  88? 

ment:  auf  der  alten  Bühne  in  der  alten  Weise  sollte  ein  Shake- 
spearewerk dargestellt  werden.  Berufene  hatten  das  Unter- 
nehmen unter  ihren  geistigen  Schutz  gestellt,  einem  Auserwählten 
unter  den  Kennern  des  elisabethinischen  Theaters  war  die  Lei- 
tung zuge&llen.  Der  äufsere  Erfolg  —  um  das  vorwegzu- 
nehmen —  war  schwach,  nur  eine  winzige  Gemeinde  von  Inter- 
essierten war  dem  autoritären  Kufe  nach  dem  kleinen  Theater^ 
chen  gefolgt,  der  Saal  blieh  halb  leer.  Es  war  die  letzte  Ver- 
anstaltung dieser  Art,  das  grolse  Publikum  hat  die  Gesellschaft 
völlig  im  Stich  gelassen.  Der  Durchschnitts -Engländer  schaut 
eben  in  die  Zukunft,  nicht  in  die  Vergangenheit. 

Die  Aufßihrung  als  solche  war  in  jeder  Beziehung  lehrreich. 
Vor  allem  in  bezug  auf  die  Bühne.    Freilich,    die  richtige  alte 
Bühne  war  das  nicht,  denn  sie  war  im  Bühnenraum  des  mo- 
dernen Theaters  untergebracht.    Das  heust,  sie  war  im  Gegen- 
satz zur  alten  vom  Publikum  distanziert,  und  das  bedeutet,  das 
Spiel  konnte  för  das  Publikum  nicht  die  einstige  Intimität  ge- 
winnen, als  die  Bühne  mit  ihrer  vorderen  Hälfte  mitten  in  die 
Zuschauermenge   hingerückt  war.     Hiervon  abgesehen,   konnte 
sie  allerdings  technisch  die  alte  Bühne  darstellen.    Über  deren 
Gestaltung  gehen  die  Meinungen  der  Forscher  bekanntlich  ziem- 
lich wdt  auseinander.    Wohl  darum,  weil  t&r  die  alte  Zeit  mit 
mehreren,  wenn  auch  in  den  Grundizügeu  verwandten  Bühnen- 
typen gerechnet  werden  mufs.     Die   Rekonstruktion  von  Poel 
kiann  also  nicht  den  Anspruch  erheben,  die  altenglische  Bühne 
darzustellen,  darf  aber  getrost  als  Verkörperung  einer  der  mög- 
lichen gelten.    Sie  besteht  aus  einer  Vorderbühne  und  Hinter- 
bühne, dazwischen  der  Vorhang.    Dazu  kommt  die  Oberbühne: 
sie  liegt  über  dem  rückwärtigen  Teil  der  Hinterbühne  und  hat 
ihren  eigenen  Vorhang,  wird  also  durch  den  zugezogenen  Haupt- 
vorhang (zwischen  Vorder-  und  Hinterbühne)  gedeckt.   Endlich 
befindet  sich   an   der   Rückwand  der  Hinterbühne   —   wieder 
durch  einen  Vorhang  isolierbar  —  die  kleine,  hinterste  Bühne. 
Somit  ergeben  sich  zwei  Hauptbühnenfelder,   die  Vorder-  und 
Hinterbütuae,  und  zwei  Nebenfelder,  die  Oberbühne  und  die  hin- 
terste Bühne.    Dieser  kompliziert  scheinende  Apparat  arbeitet 
sehr  einÜEUsh.    Die  Schauspieler  treten  von  rechts  und  links  zu 
Seiten   der  schmäleren  Hinterbühne  nach  der  breiten  Vorder- 
bühne  vor,  sie  gelangen  hierher  auch  von  der  Hinterbühne  aus; 
diese  selbst  ist  zugänglich  durch  die  drei  Türen  in  ihrer  Rück- 
wand.   Ober-  und  hinterste  Bühne  werden  direkt  aus  dem  un- 
sichtbaren Hinterraum  betreten.    Die  Oberbühne  ermöglicht  aus 
perspektivischen  Gründen  blofs   ein  Vordergrundspiel  (in  un- 
serem Fall  einzig  die  Balkonszene).    Dekorationen  fehlen  gänz- 
lich, die  Wände  sind  mit  Teppichen  behangen.    Requisiten  sind 
spärlich  vertreten:   Bett  —  Sessel  —  Altar  —  Tischchen  mit 

ArofaiF  t  n.  Sprachan,    CXV.  22 


888  Znr  letzten  Londoner  Theateneason. 

dem  Kräuterkörbchen  für  den  Mönch  —  Bahre  für  die  schein- 
tote JoUa.  Die  Belenchtung  ist  stationär,  die  Nacht  wird  durch 
Fackelträger  angedeutet;  nur  mitunter  flammt  'bengalisches 
Licht'  auf.  Der  szenische  Apparat  ist  also  ungemein  ärmlich» 
aber  sehr  gelenkig  für  die  Abfolge  der  Szenen.  Jede  Hinter- 
bühnenszene kann  in  ihrem  Verlaufe  die  Vorderbühne  in  An- 
q)ruch  nehmen  und  dann  auf  dieser  allein  weiterspielen,  indem 
der  Hauptvorhang  zusammenschlägt.  So  können  mehrere  (an- 
fängliche) Hinterbühnenszenen  unmittelbar  aufeinander  folgen. 
Die  Requisiten  werden  —  wenn  nötig  —  von  Dienern^  vor  den 
Augen  der  Zuschauer  auf  die  Vorderbühne ,  getragen  und  von 
da  wieder  abgeräumt  Es  herrscht  also  grofse  Freiheit  auf 
Kosten  der  Illusion  und  in  notwendiger  Folge  weitestreichende 
BiUmenkonrention. 

Wie  wird  nun  auf  dieser  Bühne  inszeniert?  Da  die  Szene 
konventionell  ist,  kann  es  nicht  auffallen,  dafs  auch  die  mise- 
en-scene  gleiches  Gepräge  trägt.  'Andeutung  statt  Ausführung' 
wird  auch  hier  zur  Devise.  Vor  allem  ist  die  Bühne  klein.  So 
reicht  sie  zu  für  figurenarme  Szenen,  für  monologische,  für 
Zwei-  und  Dreigespräche.  Ensembleszenen  sind  aber  in  reali- 
stischer Art  nicht  darstellbar.  Die  Bühne  geht  ferner  mehr  in 
die  Breite  als  in  die  Tiefe.  Das  hat  zur  Folge,  dafe  die  Fi- 
guren mehr  in  Stellung  als  in  Bewegung  vorgebracht  werden. 
Die  Gruppierung  vollzieht  sich  typisch:  in  der  Mitte  die  Haupt- 
figuren, an  den  Flügeln  die  Nebenfiguren.  Oft  versteift  sich 
dies  bis  zu  starren  'lebenden  Bildern^  wie  in  antiken  Tempel- 
giebeln. Oder  es  wird  eine  Massenszene  pantomimisch  ange- 
deutet, z.  B.  die  Bankettszene  am  Schlufs  des  ersten  Aktes  durch 
eine  Reihe  von  Dienern,  die  mit  Töpfen  und  Schüsseln  um  die 
Bühne  einzeln  herumhuschen.  Im  ganzen  macht  solche  unbe- 
holfene Konvention  einen  kindlichen  Eindruck  auf  uns,  die  wir 
auf  diese  Konvention  nicht  geeicht  sind.  Zu  gleicher  Zeit  wird 
einem  erst  klar,  wieviel  vom  statuesken  Klassizismus  noch  in 
der  romantischen  Tragödie  steckt,  was  unsere  heutige,  reali- 
stische Inszenierung  verdeckt. 

Auffällig  war  diese  Vorstellung  auch  in  bezug  auf  die  Ko- 
stüme. Sie  waren  in  alter  Zeit  bekanntlich  prunkvoll.  Damit 
sollte  wohl  das  Bühnenbild  farbig  belebt  werden,  das  unter  der 
Einförmigkeit  der  Dekoration  hieran  argen  Mangel  litt  Poel 
ging  hyperhistorisch  zu  Werke:  er  opferte  der  historischen 
Kostümtreue  die  Schönheit,  verfolgte  das  Charakteristische  bis 
ins  Häfsliche  hinein,  wurde  Kulturhistoriker,  statt  Theaterhisto- 
riker zu  werden. 

Die  stärkste  Wirkung  versprach  ich  mir  vom  ununterbroche- 
nen Spiel,  also  von  den  Stimmungskontrasten  zwischen  den 
Einzelszenen,   die  in  geschlossene   Gruppierung  rücken.     Meine 


Zur  letzten  Londoner  Theateneason.  3B9 

Erwartung  wurde  entlÄuscht.  Im  wesentlichen  stellte  sich  bei 
mir  Ermüdung  ein,  und  ich  war  für  eine  unhistorische  Zehn- 
minutenpause  hinter  Akt  III,  Szene  1  aufrichtig  dankbar.  Ent- 
weder sind  wir  Modernen  zu  schwach  geworden  für  die  kon- 
stante Aufnahme  von  immer  neuen  Bühneneindrücken,  oder  es 
waren  diese  Schauspieler  zu  schwach,  um  durch  die  Stärke  der 
Eindrücke  auf  die  Dauer  zu  fesseln.  Schauspielerisch  war  die 
Vorstellung  allerdings  ziemlich  minderwertig,  wenn  man  die  Dar^ 
steller  des  Romeo  und  besonders  der  Julia  ausnimmt.  Das 
Heldenpaar  wirkte  zwar  nicht  durch  feine  oder  starke  Kunst, 
sondern  durch  die  persönliche  Note  ihrer  Darsteller.  Es  waren 
so  junge  Leute,  dafs  auch  die  Jugend  ihrer  Figuren  glaubhaft 
wurde,  und  dies  Stück  ist  ja  die  Tragödie  der  Jugend. 

Im  ganzen  erwies  das  Experiment,  dafs  die  alte  Bühne  voU^ 
auf  nur  als  Deklamationsbühne  funktioniert,  dafs  sie  als  Aktions- 
bühne mit  konventionellen  Notbehelfen  wirtschaftet,  die  auf  uns 
keine  Wirkung  ausüben  können.  Die  Vorstellung  war  lehrreich 
vom  historischen  Standpunkt  aus,  aber  nicht  lebendig  im  Siqne 
des  Theaters.  Hierzu  fehlte  freilich  schon  die  erste  Bedingung: 
die  volle  Künstlerschaft  der  Spieler. 

Scheidet  man  Shakespeare  aus  dem  Londoner  Oesamtreper- 
toire  aus,  weil  er  sein  Publikum  in  allen  Schichten  der  Bevölke- 
rung findet,  so  gliedert  sich  alles  übrige  im  Hinblick  auf  das 
Publikum  in  zwei  ziemlich  streng  gesonderte  Gruppen.  Sehr 
schwach  vertreten  ist  das  literarische,  sehr  stark  das  modische 
Repertoire.  Kunstfreude  und  Unterhaltungssucht  sind  eben  in 
London  sehr  ungleich  verteilt 

Das  literarische  Repertoire. 

Shakespeare  gehört  nicht  zum  literarischen  Repertoire  Lon- 
dons, er  bedeutet  da  mehr  als  ein  Stück  Literatur.  Der  Eng- 
länder wertet  ihn  nicht  einseitig  ästhetisch,  sein  Kult  ist  ihm 
Herzenssache.  Hingegen  wirbt  das  literarische  Repertoire  um 
das  Interesse  der  Kunstverständigen.  Dünn  sind  diese  gesät, 
ärmlich  ist  also  jenes  vertreten,  ganz  besonders  hinsichtlich  des 
älteren  Dramas.  Das  Mermaid  Repertory  Theatre  wollte  solches 
vorführen.  Der  Gedanke  war  verdienstlich,  die  Tat  aber  schwäch- 
lich. Leider  mufste  das  so  werden,  und  zwar  schon  aus  einem 
äufseren  Grunde.  Das  ältere  Drama  braucht  ausgezeichnete 
Schauspieler.  Weil  sein  szenischer  Apparat  unbeholfen  war  und 
oft  versagte,  mufste  der  Dichter  mit  seinem  Text,  der  Schau- 
spieler mit  seiner  Person  einspringen,  um  das  Milieu  zu  ver- 
deutlichen und  zur  notwendigen  Wirkung  zu  bringen.  Dieses 
trat  an  den  Zuschauer  oft  nur  auf  einem  Umweg  heran,  über 
den  Eindruck  auf  die  Spielfiguren.  Die  Szene  als  Bild  konnte 
keine  Stimmung  geben,  vermochte  blofs  andeutungsweise  zu  in- 

22* 


840  Zur  letzten  Londoner  Theaterseason. 

formieren.  Der  Schauspieler  war  mithin  dem  Dramatiker  nicht 
blofs  das  wichtigste,  sondern  fast  das  einzige  Mittel  zur  Ver- 
lebendigung seines  Werkes.  Das  Drama  stand  und  fiel  mit  der 
Darstellung.  Gleiches  galt  auch  jetzt  für  das  Mermaid  Keper- 
tory  Theatre.  Es  verwendete  zwar  die  modei'ne  Bühne,  aber 
zuiolge  Geldmangels  in  primitivster  Art,  und  aus  dem  gleichen 
Grunde  standen  ihm  meist  nur  ungenügende  Schauspieler  zu 
Gebote.  Daran  scheiterte  das  Unternehmen  im  künstlerischen 
Sinne. 

Trotzdem  blieben  die  Vorstellungen  wertvoll.  Sie  waren  ja 
nicht  schlecht,  nur  schwach,  und  deshalb  in  der  Wirkung  auf 
das  feinsinnige  Publikum  nur  dem  Grade  nach  geringer,  als  sie 
es  hätten  sein  können.  So  durfte  man  die  Wirksamkeit  der 
alten  Stücke  auch  hiemach  einschätzen.  Sie  ist  —  wie  bei 
jedem  Kunstwerk  —  eine  zweifache:  zeitlos  und  zeitlich-gebun- 
den. Was  heute  noch  wirkt,  wirkt  immer;  was  heute  versagt, 
hat  auf  die  Zeiteenossen  des  Dichters  gewirkt.  Es  handelt  sich 
hier  eben  um  Meisterwerke  ihrer  Art. 

Ich  habe  zwei  Komödien  aus  der  Renaissance-  und  eine 
aus  der  Restaurationszeit  g^ehen. 

Ben  Jonsons  ^Silent  Woman'  ist  im  Kern  eine  Charakter- 
komödie, im  Stil  ist  sie  possenhaft.  Das  mindert  nicht  den 
Wert  der  Hauptfigur,  sie  bleibt  wahr  auch  in  dieser  grellen  Be- 
leuchtung, die  Übertreibung  wirkt  noch  lebendig,  weil  der  Dichter 
von  Lebensechtheit  ausgeht  Der  Stil  wandelt  ja  nicht  den  Stoff. 
Der  Grundstock  des  Stückes  ist  nun  vielfach  umrankt  v-on  mon- 
dänem Beiwerk.  Ben  Jonson  gefallt  sich  in  aktueller  Gesell- 
schaftssatire, er  hechelt  das  Gigerltum  seines  London  ausgiebig 
durch.  Viel  Platz  wird  hierfür  aufgebracht  und  eine  Fülle  von 
falschem  Geist  für  die  Geistreichelnden.  Der  Dichter  fand  sicht- 
lich sein  Behagen  daran  und  sein  Publikum  mächtigen  Spafs. 
Doch  vor  uns  brennt  hier  blofs  nasses  Feuerwerk  ab,  das  elend 
erlischt,  bevor  es  noch  richtig  aufflammt.  Nur  Kultur  hat 
die  Innerlichkeit,  so  dafs  ihr  Verständnis  den  Tag  überdauert, 
nicht  aber  Mode.  Unbarmherzige  Striche  könnten  uns  das  Stück 
aus  einer  literarischen  Kuriosität  in  eine  lebendige  Komödie 
wandeln.  Mir  als  Literarhistoriker  war  die  Darbietung  des  Ori- 
ginals selbstverständlich  interessanter,  doch  verblichene  Literatur 
zu  demonstrieren,  ist  nicht  Sache  einer  lebendigen  Bühne.  Das 
Publikum  will  geniefsen,  nicht  lernen,  und  es  hat  ein  Recht  auf 
solche  künstlerische  Naivität.  Theater  und  Museum  sind  zweierlei 
nach  Zweck  und  Nutzungsart. 

Mit  Sorge  ging  ich  zum  zweiten  Stück,  zu  Beaumont-Flet- 
chers  ^The  Knight  with  the  burning  pestle\  Das  Drama 
gibt  sich  ja  durchaus  'historisch'  als  Parodie  von  damaligen 
Theaterverhältnissen  auf  der  Bühne  und  im  Saal.    Dennoch  war 


Zur  letzten  Londoner  TheateraeivBOD.  841 

die  Wirkung  auf  das  heutige  Publikum  stark  und  andauernd. 
Dafs  ein  Lehrbub  den  Eitler  spielt  und  als  zweiter  Don  Qui- 
chote  auf  Abenteuer  ausgeht,  und  dies  auf  einer  Bühne,  um 
welche  ^Zuschauer^  sitzen,  die  in  täppischer  Art  von  Szene  zu 
Szene  ihre  drolligen  Förderungen  an  Stück  und  Spiel  geltend 
machen  —  das  alles  als  lebendigen  Vorgang  zu  empfinden  von 
der  realisierenden  Bühne  herab,  ist  wohl  die  stärkste  Zumutung, 
die  einem  modernen  Publikum  im  Theatersaal  gestellt  werden 
kann.  Was  erklärt  den  Erfolg?  Wohl  nur  der  Umstand,  dafs 
das  Thema,  das  da  abgehandelt  und  so  sonderlich  illustriert 
wird,  uns  alle  zu  innerst  trifft:  Phantasie  wuchert  zu  Phan- 
tasterei auf.  Das  Grundmotiv  ist  echt  menschlich  und  erringt 
sich  darum  in  jeder  Einkleidung  Verständnis  und  Mitgefühl. 
An  die  begründete  ToUheit  dieser  Haupthandlung  schliefst  sich 
eine  Nebenhandlung  an  voll  grundloser  Narretei.  Aber  auch 
die  wirkt,  weil  in  der  Verbindung.  Lachen  steckt  an  —  das 
wufste  der  schlaue  Rechner  Ben  Jonson.  Gegen  den  Schlufs 
hin  zerfasert  sich  ihm  freilich  das  lose  Gewebe  der  Handlungen 
völlig.  Die  Maikönig-Szene  versagt,  müfste  also  für  uns  ge- 
strichen werden.  Um  so  stärker  würde  dann  das  eigentliche 
Ende,  das  groteske  ^Sterben  des  Helden^  einschlagen  und  ab- 
schliefsen. 

Schliefslich  erhaschte  ich  noch  Vanbrughs  'Confederacy'. 
Es  ist  eine  feine  Arbeit  nach  besten  Formmustem:  die  antike, 
elisabethinische  und  französische  Komödie  haben  Modell  ge- 
standen. Der  Inhalt  ist  Eigenart  im  Sinne  von  zeitgenössisch 
und  bodenständig.  Das  merkt  man  an  den  Figuren:  nach  Cha- 
rakter allzeit  gültige  Typen,  nach  Maximen  und  Manieren  aber 
Vanbrughsches  London.  Der  Dichter  tut  so,  als  triebe  er  Ge- 
sellschaftssatire, und  zwar  müssen  die  Bürgerlichen  herhalten. 
Doch  seine  Entrüstung  weicht  gar  bald  einem  zynischen  Be- 
hagen. So  können  an  den  Figuren  die  Schwächen  zu  Lastern 
werden  und  diese  flir  die  lustigsten  Situationen  ausgebeutet 
werden.  Witzige  Frechheit  ist  die  Note.  Die  vielgestaltige 
Handlung  klarzuhalten,  gelang  der  Kunst  des  Dichters;  seine 
feingeprägten  Figuren  völlig  zu  vermenschlichen,  miMang  den 
schwächeren  Schauspielern.  Vielleicht  ist  überhaupt  zu  viel 
Kunst  im  ganzen  Stück  und  wurde  dadurch  die  Wirkung  ge- 
schmälert. Obwohl  das  Werk  moderner,  wurde  es  vom  Publikum 
fremder  empfunden,  wie  die  kühle  Aufnahme  bezeugte.  Oder 
hat  der  heutige  Engländer  für  Frivolität,  soweit  sie  sich  in  Geist 
und  Grazie  drapiert,  nicht  viel  übrig? 

Das  war  die  *alte  Literatur^  auf  der  Londoner  Bühne  — 
für  den  Literaturhistoriker  ein  seltener  und  anregender  Genufs, 
für  das  grofse  Publikum  ein  exotisches  Experiment.  Es  war 
eben  archaistisches  Theater.  .  Der  geniale  Dramaturg  hat  ge- 


842  Zur  leisten  Londoner  Theateneaaon. 

fehlt»  der  den  historischen  Ballast  hätte  über  Bord  werfen  sollen. 
Ich  war  Egoist  genug,  um  meinem  Schicksal  zu  danken,  dafs 
dieser  Dramaturg  gefehlt  hat,  aber  das  Mermaid  Repertory 
Theatre  hat  schlechte  Geschäfte  gemacht. 

•Besser  ist  es  der  'neuen  Literatur'  ergangen  mit 

Bernard  Shaw. 

Es  wurden  vier  Stücke  von  diesem  sonderlichen  Modernen 
aufgeführt.  Weil  viel  mehr  zur  Wahl  standen,  mufs  die  Aus- 
wahl interessieren.  Dabei  kommt  der  Theaterdirektor  nicht  in 
Betracht,  denn  Shaws  Dramen  sind  alle  gleich  leicht  oder  schwer 
aufführbar,  und  auch  nicht  der  Schauspieler,  denn  begehrens- 
werte Rollen  finden  sich  in  jedem  seiner  Dramen.  Also  ent- 
schied die  Rücksicht  auf  das  Publikum.  Was  hat  man  diesem, 
wie  der  Erfolg  zeigte,  mit  Recht  zugetraut?  'You  never  can 
teil',  'Candida^  'Man  and  Superman'  und  'John  Bulls  other  is- 
land\ 

Sieht  man  diese  Stücke  auf  ihren  Stoffkreis  hin  an,  so  sind 
sie  zeitgenössisch  und  heimisch,  spielen  in  der  englisch-irischen 
Gegenwart  des  Publikums.  Enger  gefafst,  geben  sich  die  ersten 
drei  als  Familienstücke,  nur  das  letzte  weitet  seine  Sphäre  zu 
einem  sozialpolitischen  Drama.  Familieninteresse  schlägt  mithin 
vor,  das  ist  echt  englisch  im  Geschmack  des  Publikums.  Was 
ist  aber  hier  die  persönliche  Note  des  Dichters?  Shaw  verweilt 
stofflich  im  Bezirk  der  Familie,  aber  geistig  greift  er  weit  über 
sie  hinaus.  Seine  Probleme  erwachsen  nicht  aus  der  Familie, 
sie  spielen  nur  in  der  Familie.  Die  treibenden  Motiye  liegen 
nicht  latent  im  Familienleben,  sondern  werden  hineingetragen 
von  der  Eigenart  der  Figuren.  Es  sind  nicht  typische,  sondern 
individuelle  Familienkatastrophen.  Das  verleiht  dem  alten  Genre 
den  Reiz  der  Neuheit  Diese  Familienstücke  sind  Ehedramen 
im  eigentlichsten  Sinne.  In  'Man  and  Superman'  zeigt  Shaw, 
wie  die  Ehe  wird,  in  'Candida',  wie  sie  ist,  in  'You  never  can 
teil',  was  aus  ihr  wird.  Aber  nicht  etwa  typisch.  Im  ersten 
Stück  wird  der  siegreiche  Kampf  des  Weibes  um  den  wider- 
strebenden Mann  geschildert.  Der  Mann  wird  geheiratet.  Sein 
Intellekt  sträubt  sich  dagegen,  es  hilft  ihm  nichts,  der  Instinkt 
des  Weibes  erweist  sich  sSb  zäher  und  folgerichtiger,  somit  als 
stärker  und  siegreich.  Dieses  zutiefst  menschliche  Problem, 
das  sich  auf  allen  Lebensgebieten  einstellt,  wird  hier  speziell 
am  Fall  der  Eheschliefsung  exemplifiziert  Das  Hauptthema 
wird  noch  gewissermafsen  glossiert  durch  eine  Nebenhandlung, 
wieder  vom  siegreichen  Weibe:  die  geheim  vermählte  Frau  er- 
obert sich  den  widerspenstigen  Schwiegervater.  Im  zweiten 
Stück  'Candida*  dreht  sich  die  Fabel  um  den  boy  als  Lieb- 
haber der  modernen  Frau  des  unmodernen  Mannes.    Boy  und 


Zur  letzten  Londoner  Theateneason.  348 

man  stehen  typisch  gegenüber  als  Unreife  und  Reife,  individnell 
als  Genie  und  Talent  Es  spielt  Geist  gegen  Geist,  und  die 
Folge  wäre  verworrenes  Unglück,  träte  nicht  die  in  ihrem  In- 
stinkt selbstsichere  Frau  lösend  und  läuternd  dazwischen.  Das 
Ganze  ein  halber  Ehebruch  —  meinen  die  Banalen,  aber  der 
Dichter  schildert  wieder  den  Kampf  von  Intellekt  und  Instinkt  — 
hier  in  der  Ehe,  zufälliger-  aber  nicht  notwendigerweise.  Über  das 
dritte  Stück  'You  never  can  teil'  ist  schwer  zu  sprechen,  denn 
es  ist  geistig  genommen  ein  Fragment  Nur  die  erste  Hälfte 
ist  real  gestaltet,  in  der  zweiten  ironisiert  der  Autor  sich  und 
sein  Werk.  Dort  zeigt  er  eine  zerbrochene  Ehe,  die  sich  nicht 
einrenken  kann.  Es  ist  nichts  Besonderes  Yorgefallen  —  meint 
die  Welt,  nur  passen  die  Leute,  Gatten  und  Kinder  nicht  zu- 
einander. Als  ob  es  ein  bedeutenderes  Problem  für  das  Zu- 
sammenleben und  -wirken  gäbe  als  die  Harmonisierung  wider- 
strebender Individualitäten.  Ein  allgemeines  Thema  hier  in 
spezieUer  Durchführung,  und  zwar  an  einer  Ehe.  Das  sind 
Shaws  Familienstücke'  der  letzten  season. 

Eigenartig  nimmt  sich  daneben  das  soziale  Drama  'John 
Bulls  other  island'  aus.  Die  irische  Frage  als  Komödie  drama- 
tisiert oder,  deutlicher  gesprochen,  der  Kampf  von  Irländer- 
und  Engländertum.  Ob  das,  was  der  Autor  seinem  Publikum 
sagt,  richtig  ist,  bleibe  dahingestellt.  Hier  handelt  es  sich  nur 
darum,  wie  dem  Autor  das  soziale  Problem  erscheint.  Die 
Fabel  des  Stückes  ist  einfach.  Ein  Engländer  kommt  nach  Ir- 
land und  erobert  sich  den  Kreis,  in  den  er  tritt:  er  gewinnt 
die  Braut  des  irischen  Freundes  zur  Frau  und  die  Stimmen  der 
Nachbarn  für  das  Parlamentsmandat.  Wieso?  Irland  ist  im 
Niedergang,  es  phantasiert  an  seinen  Traditionen,  es  träumt. 
Soweit  es  lebt,  lebt  es  seinen  Instinkten,  aber  die  sind  krank- 
haft geworden.  Da  kommt  der  Engländer,  die  Verkörperung 
von  praktischem  Verstand,  ebenso  klar  wie  banal,  ganz  Energie, 
ohne  jede  Phantasie,  modern  nach  der  Formel:  von  heute  und 
für  heute.  Und  der  Intellekt  siegt  über  den  Instinkt,  freilich 
nur  über  den  kranken  und  letzlich  zum  inneren  Ruin  der  iri- 
schen Nation.  So  kehrt  auch  hier  das  alte  Motiv  wieder,  nur 
dafs  es  der  Dichter  am  weiteren  Stoff  darstellt  imd  —  im  Schein- 
sieg des  Gegenteils  beleuchtet. 

Gemeinsam  ist  allen  diesen  Dramen  noch  mehr  als  das 
durchgehende  Motiv.  Es  ist  ihre  Modernität  im  eigentlichen 
Sinne.  Überall  stehen  die  neuen  Menschen  im  Kampf  mit  den 
alten.  Diese  repräsentieren  die  Alltagskultur,  die  anerzogene 
Konvention,  die  Herdenmenschen;  in  den  anderen  pulsiert  das 
Leben  kräftiger,  sie  sind  Individualisten,  Originale  oder  Quer- 
köpfe, je  nach  ihrer  geistigen  Reife,  immer  Suchende,  selten 
Findende.    Dazu  fehlt  es  ihrem  Schöpfer  an  Klarheit  und  sieges- 


844  Zur  letEten  LoDdoner  Theateraeaaon. 

sicherem  Optimismus.  Aber  auch  schon  die  Ansätze  zu  solch 
kultureller  Modernität  verleihen  dem  Drama  Shaws  etwas  von 
der  inneren  Frische  wahrer  Kunst.  Er  bleibt  weit  hinter  Ibsens 
geschlossener  Weltauffassung  und  ungebrochenem  Wahrheitstrieb 
zurück,  aber  er  hat  wenigstens  die  Tendenz  nach  höherer  so- 
zialer Moral,  und  mit  Ibsen  teilt  er  die  Eirkenntnis  von  der 
Gemütskraft  und  Phantasiegewalt  im  Menschen. 

Und  der  Künstler  Shaw?  Wie  nach  seiner  geistigen  Phy- 
siognomie zu  erwarten,  besteht  seine  Kunst  in  einer  Mischung 
Yon  blendenden  Vorzügen  und  yerdriefslichen  Unzulänglichkeiten. 
Dieser  Wirrwarr  ist  mit  zwei  Sätzen  zu  lösen:  Shaw  ist  grofs 
im  Kleinen  und  klein  im  Grofsen.  Er  brilliert  im  Detail.  Dazu 
gehört  Yor  allem  seine  Meisterschaft  in  der  Porträtierung.  Er 
hat  das  scharfe  Auge,  das  an  der  Einzelfigur  alles  IndividueUe 
sieht,  innerlich  und  äufserlich,  er  hat  auch  die  sichere  Hand, 
mit  der  er  die  erschauten  Figuren  klar  zeichnet.  Ebenso  wird 
er  der  Einzelsituation  YöUig  Herr,  er  arbeitet  sie  immer  pla- 
stisch heraus,  der  jeweilige  Vorgang  lebt  auf  der  Bühne.  Gewifs 
nicht  zum  wenigsten  wegen  des  ausgezeichneten  Dialogs.  Die 
Figuren  sprechen  natürlich  und  persönlich  aus  sich  heraus,  hin- 
sichtlich der  Szene  aber  kernig  und  in  wirksamer  Gliederung. 
Darum  illustriert  der  Dialog  durch  Wortwahl  und  Sprechart 
die  Person  und  Situation.  Das  sind  die  Elemente  der  drama- 
tischen Kunst,  die  Shaw  absolut  beherrscht  In  der  grofszügigen 
Komposition  jedoch  Yers^igt  er.  Es  fehlt  ihm  an  Einfachheit 
und  Einheit.  Wohl  aus  zwei  Ursachen.  Sein  beweglicher  Geist 
drängt  ihm  Problem  auf  Problem  auf.  So  kann  keines  YÖllig 
ausr^en.  Die  Uberfölle  fuhrt  >:ur  Verkümmerung.  Gleiches 
gilt  für  die  Gemütsseite.  Die  Giundstimmung  hält  ihm  nicht 
an.  So  Yerliert  er  die  Naivität  des  Schaffens  während  der  Ar- 
beit, gewinnt  ein  neues  Verhältnis  zu  seinem  Werk:  er  stellt 
sich  darüber,  er  ironisiert  und  spielt  den  Kunst-Kronos,  der 
seine  eigenen  Kinder  verschlingt.  *You  never  can  teU'  ist  das 
deutlichste  Beispiel.  In  den  ersten  zwei  Akten  feines  Lustspiel, 
wird  das  Stück  mit  der  zweiten  Hälfte  zur  Farce.  Derartige 
Entgleisungen  fehlen  auch  sonst  nicht,  nur  'Candida'  ist  stilrein. 

Dafs  Shaw  von  der  Bühne  aus  wirkt,  begreift  sich  ebenso- 
sehr, wie  dafs  er  nicht  durchgreift  Die  Ma^se  verlangt  mit 
Recht  vom  Kunstwerk  Klarheit  im  Inhalt  und  Reinheit  im  Aus- 
druck. Sie  läfst  sich  alles  bieten,  aber  im  Einzel&ll  auch  nur 
eines.  Ihr  gesunder  Sinn  revoltiert  gegen  die  oberste  Stil- 
losigkeit  von  Shaw,  der  als  Künstler  zwischen  Naivität  und 
Ironie  nicht  nur  hin  und  her  pendelt,  sondern  auch  in  raffi- 
nierter Absichtlichkeit  die  Grenzen  zwischen  beiden  gar  oft  ver- 
schwimmen läfst.  Sein  Publikum  ist  klein,  aber  trotz  der  Minder- 
zahl in  Grruppen  gespalten.   Die  einen,  die  Literarischen,  werden 


Zur  letsten  Londoner  TheateneaBon.  845 

von  seinem  brüchigen  Wesen  gefesselt,  sie  interessieren  sich  für 
den  ganzen  Mann  wegen  seiner  Halbheiten;  die  anderen,  die 
Thea&ahschen,  lassen  sich  von  den  entzückenden  Details  seiner 
Bühnenkonst  faszinieren ;  die  dritten  erfreuen  sich  als  Soziologen 
an  dem  witzigen  Satiriker  der  Gesellschaft.  Alle  nehmen  ihn 
ernst,  niemand  für  voll;  immer  ist  er  interessant,  nie  imposant 
Shaw  mufs,  um  auch  nur  yerstanden  zu  werden,  sehr  gut 
aufgeführt  werden.  Das  geschah  durchaus  im  Court -Theatre. 
Dieses  Lob  beschränkt  sich  naturgemäfs  auf  die  schauspielerische 
Leistung.  Für  die  Inszenierung  bietet  das  ^moderne  Konyer- 
sationsstück'  wenig  Gelegenheit,  die  Szenenstimmung  machen 
hier  die  Schauspieler.  Sie  waren  Yortre£Flich  —  wie  immer  in 
London,  wenn  sie  das  Drama  zu  feiner  Charakterisierung  zwingt, 
sie  weder  zu  hohlem  Pathos,  noch  zu  derber  Chargierung  ver- 
leitet Hier  mufsten  sie  fein  arbeiten,  denn  Shaws  Figuren  sind 
Ladividuen,  oder,  wenn  er  sich  mit  Typen  begnügt,  sind  sie  dis- 
kret Sein  erster  Interpret  von  der  Bühne  herab  ist  Barker. 
Er  hat  Geist  und  Gemüt  So  kann  er  seine  Gestalten  scharf 
profilieren  und  yerinnerlichen.  Sie  haben  Tiefe  wie  bedeutende 
Menschen  im  Leben,  sie  geben  sich  in  voller  Klarheit  in  der 
jeweiligen  Situation,  aber  man  fühlt  immer,  dafs  in  ihnen  noch 
weit  mehr  steckt,  als  sie  zeigen.  Dieser  unsichtbare  Überschufs 
bringt  sie  unserem  Mitgefühl  um  so  vieles  näher.  Barker  er- 
zielt das  mit  seinen  Figuren.  Es  ist  aber  nicht  die  bewufste 
Eunstleistung  des  Schauspielers,  sondern  eine  ungewollte  Zu- 
gabe, der  Ausflufs  seiner  starken  Persönlichkeit  als  Mensch;  es 
wirkt  innerlich  so  reizvoll,  wie  etwa  äufsere  Vorzüge  äufSserlich 
scharmieren,  Schönheit  der  Gestalt  oder  Wohllaut  der  Stinmie. 
Dieser  individuelle  Zauber  des  Künstlers,  der  im  Moment  von 
Mensch  zu  Mensch  wirkt,  tritt  in  den  Dienst  der  Kunst,  weil 
ein  solcher  Künstler  sein  Publikum  sofort  in  Stimmung  ver- 
setzen kann. 

Das  modische  Repertoire. 

Das  modische  Publikum  sucht  im  Theater  ganz  dieselben 
Stimmungen  wie  das  literarische,  will  sie  alle  durchkosten  vom 
düsteren  Ernst  bis  zur  toUen  Lustigkeit.  Der  Unterschied  liegt 
im  MitteL  Die  einen  verlangen  Kunst  und  mit  ihr  seelische 
Wahrheit,  den  anderen  genügt  der  gleifsende  Schein  der  Kün- 
stelei. Statt  geistiger  und  gemütlicher  Anregung  wollen  sie 
Nervenkitzel;  nicht  Erhebung,  sondern  Zerstreuung  ist  ihr  Ver- 
langen. Lassen  sich  die  Literarischen  willig  nach  allen  Zonen 
und  Zeiten  fremdesten  Menschenlebens  entrücken,  weil  sie  fein- 
sinnig sich  darin  immer  selber  wiederfinden,  so  kleben  die  Mo- 
dischen bei  ihrem  Stumpfsinn  auch  geistig  an  ihrer  Scholle. 
Nur  Zerrbilder  des  eigenen  Selbst  dulden  sie  .auf  ihrer  Bühne. 


346  Zur  letzten  Londoner  TfaeaterBeason. 

Deshalb  ist  das  modische  Repertoire  im  Stoff  bodenständig  und 
modern,  es  zeigt  ^Lebensbilder'  vom  Tage  und  aus  der  Nadibar- 
schaft.  Besieht  man  sich  dieses  Stoffgebiet  auf  seine  wichtigsten 
Provinzen,  so  sind  es  drei:  Familie,  Kaste  und  Gesellschaft. 
DalB  die  Schicksale  der  engsten  Lebensgemeinschaft  das  weiteste 
Interesse  erzielen,  begreift  sich:  ist  doch  ein  jeder  der  Familie 
für  Vergangenheit,  Gegenwart  oder  Zukunft  verbunden.  Dafs 
Lebenskonfiikte,  soweit  sie  durch  Kastenunterschiede  entstehen, 
auf  Verständnis  stofsen,  fällt  für  England  nicht  auf:  ist  ja  das 
politisch  freieste  Volk  sozial  das  konservativste.  Dafs  endlich 
die  'upper  ten'  für  ihr  eigenes  Salon-  und  Hintertreppengetriebe 
Neugier  aufbringen,  liegt  auf  der  Hand.  Eigenartig  verteilen 
sich  diese  Stoffgruppen  innerhalb  der  Stimmungskala  der  Stücke. 
Das  Familienthema  wird  nicht  schwer  genommen.  Ehebruch  ist 
französisch,  Versündigung  von  Eltern  an  Kindern  oder  von  Kin- 
dern an  Eltern  ist  deutsch.  Die  englische  Familie  ist  'respect- 
able\  an  ihr  haften  nur  läfsliche  Sünden,  und  die  liefern  kein 
Trauerspiel,  kaum  ein  Schauspiel,  aber  süfse  Lustspiele.  Anders 
steht  es  um  die  Kaste.  Da  versteht  der  Engländer  keinen  Spafs, 
die  Konflikte  werden  ernsthaft.  Sie  fuhren  zwar  nicht  zu  tra- 
gischen Katastrophen  —  tragisch  und  modisch  schliefst  sich  ja 
aus  — ,  aber  sie  streifen  ans  Unglück,  vor  dem  im  letzten 
Augenblick  gebremst  wird.  So  entstehen  aufregende  Schau- 
spiele. Die  Gesellschaft  hingegen  ist  ein  variantenreiches  Thema. 
Sie  wird  ernst  und  heiter  behandelt  und  liefert  realistische  Schau- 
und  Lustspiele,  wenn  sie  illustriert  wird;  sie  wird  auch  kriti- 
siert und  liefert  satirische  Possen  oder  parodistische  Farcen 
unter  Preisgabe  der  realistischen  Darstellung. 

Hiermit  ist  das  modische  Repertoire  noch  nicht  erschöpft;. 
Den  oberen  Endpunkt  der  Stimmungsskala  vertritt  die  unmodische 
Tragödie.  Auch  für  sie  wird  Ersatz  geftinden  und  zwar  im 
düsteren  exotischen  Schauspiel.  Exotismus  liegt  hier  nicht  im 
Milieu,  auch  diese  Stücke  spielen  ^unter  uns',  sondern  in  Figur 
und  Motiv,  die  pathologisch  oder  kriminell  gestaltet  werden. 

* Jo  h  n  C h i  1  c  0 1  e ,  M.  P.'  gehört  mit  seinem  nervösen  Helden 
zur  pathologischen  Serie.  Die  Fabel  ist  sensationell  im  Sinne 
eines  Kolportageromans:  der  kranke  Held  aus  der  vornehmen 
Welt  hat  einen  gesunden  Doppelgänger  unter  den  armen  Advo- 
katen Londons  und  läfst  ihn  ab  und  zu  seinen  Platz  einnehmen 
in  Gesellschaft  und  in  seinem  Heim;  nicht  einmal  die  eigene 
Frau  erkennt  den  Rollen  tausch;  das  gibt  kritische  Situationen, 
bis  schliefslich  der  Kranke  stirbt  und  der  Gesunde  definitiv  an 
dessen  Platz  tritt.  Dieses  kitzlige  Thema  schreit  nach  der 
Farce.  Doch  Katharine  Gecil  Thurston  hat  einen  dickleibigen, 
emsthaftigen  Roman  daraus  gemacht,  und  der  wurde  zum  Er- 
folg des  Ja^es.    E.  Temple  Thurston  hat  den  Roman  dramati- 


Zur  letzten  Londoner  TheateneaBon.  847 

sieri>  und  George  Alexander,  der  eleganteste  Schauspieler,  spielt 
im  noblen  St  Jamses'  Theatre  die  Bombendoppelrolle.  Bald  ist 
er  gesund,  bald  krank,  immer  ernsthaft,  sei  es  sentimental  oder 
tragisch.  Dafs  er  zusamt  dem  Stück  nicht  ausgelacht  oder  aus- 
gezischt wird,  scheint  unbegreiflich.  Aber  es  wird  so  gut  ge- 
spielt, und  das  Stück  ist  in  den  Einzelszenen  so  gut  gemacht, 
dafs  man,  wenn  schon  nicht  in  künstlerische  Illusion,  doch  in 
eine  nervöse  Erregung  kommt,  in  der  man  sich  alles  gefallen 
läfst.  Zum  Schlufs  schämt  man  sich  seiner  Eindrucksfähigkeit, 
nimmt  sich  aber  die  brutale  Erfahrung  mit  nach  Hause,  dafs 
man  im  Theater  so  sehr  dem  Moment  ausgeliefert  ist,  dafs  das 
schlechteste  Ganze,  sofern  es  sich  aus  guten  Teilen  zusammen- 
setzt, mit  diesen  zu  wirken  vermag. 

Kriminalistisch  ist  die  Fabel  von  C.  M.  G.  Mclellans  ^Leah 
Kleschna'  gestaltet.  Die  Heldin  ist  unfreiwillige  Verbrecherin, 
vom  Vater  für  sein  Metier,  den  Einbruchsdiebstahl,  abgerichtet 
Sie  wird  vom  Helden,  den  sie  eben  bestehlen  will,  gerettet:  erst 
weckt  er  mit  seiner  Grofsmut  ihren  schlummernden  moralischen 
Instinkt,  dann  erhebt  er  sie  durch  seine  Liebe  zu  reinem  Men- 
schentum, endlich  legitimiert  er  die  Büfserin  durch  die  Heirat 
vor  der  Welt  Die  Fabel,  ist  spannend,  die  Gegensätze  im  Mi- 
lieu sind  interessant  —  schmutzige  Diebeshöhle  im  plebejischen, 
mondäne  Villa  im  aristokratischen  Paris,  idyllische  Landeinsam- 
keit voUer  Tugend.  Dazu  gesellt  sich  aber  leider  die  'moralische' 
Entwickelung.  Diese  Legierung  des  Kriminaldramas  mit  dem 
Charakterproblem  bringt  das  Stück  zu  Falle.  Die  Fabel  wendet 
sich  an  unsere  Phantasie,  und  die  läfst  sich  für  den  Moment 
allerlei  vortäuschen.  Doch  die  Psychologie  weckt  unsere  Kritik, 
und  vor  der  hält  sie  nicht  stand.  Der  Geist  mufs  in  der  Kunst 
echt  sein  oder  alles  ist  verloren. 

Wer  —  um  höflich  zu  sprechen  —  naiv  genug  ist,  solche 
Stücke  ernst  zu  nehmen,  der  lernt  hier  das  ^Gruseln^  und  das 
ist  ja  das  Surrogat  für  die  tragische  Stimmung  bei  den  Armen 
im  Geiste.  Das  sind  aber  für  London  die  Reichen  im  Lande. 
Nicht  das  Volk,  sondern  die  Gesellschaft  füllt  dem  Direktor  die 
Kassen  und  setzt  ihn  instand,  die  schlechtesten  Stücke  mit 
den  besten  Schauspielern  in  schönster  Inszenierung  herauszu- 
bringen. 

Um  eine  Note  leichter  in  Stimmung  sind  die  Kastenstücke 
und  im  Wesen  um  vieles  weniger  unwahr.  Die  Fabel  wird  eben 
hier  nicht  um  ein  aprioristisch  ausgeklügeltes  Problem  herum 
^geschaffen',  sondern  es  liegen  reale  Lebensverhältnisse  zugrunde, 
worin  der  jeweilige  Konflikt  latent  vorhanden  ist  Das  Was  ist 
realistisch  gegeben,  der  'Dichter'  hat  nur  das  Wie  herauszu- 
arbeiten. Schlimmstenfalls  kann  er  den  guten  Stoff  durch  Ba- 
nalität oder  Raffinement  schädigen. 


848  Zur  leteten  Londoner  TheatenoMon. 

Hierher  gehört  das  Schauspiel  *B rother  Officers*  von 
Leo  TroYor.  Es  ist  ein  Militärstück :  der  Held,  ein  tapferer 
Unteroffizier»  der  eben  Offizier  geworden  ist,  aber  nicht  'gentle- 
man'  werden  kann,  ein  kreuzbraver  Plebejer,  der  sich  in  die 
'Gesellschaft'  nicht  hineinzufinden  yermag.  Also  eine  prächtige 
Lustspielfigur.  Das  hat  auch  ihr  Dichter  und  noch  mehr  ihr 
Darsteller  bestens  verwertet  Aber  der  Dichter  wollte  mit  ihr 
'höher  hinaus^  stellte  sie  in  ernste  Herzens-  und  Ehrenkonflikte 
hinein.  An  sich  müfste  das  nicht  unwahr  wirken,  aber  für  diese 
Figur  in  ihrer  genremäfsig  komischen  Ausfuhrung  ¥drkt  es  stil- 
los. Zudem  verkörpert  die  ernste  Fabel  ältestes  Theater,  wir 
würden  sagen:  Kotzebue.  So  wirkt  der  falsche  Ernst  auf  der 
Basis  echter  Lustigkeit  doppelt  schlecht.  Wertvoll  am  Stück 
ist  sein  englisches  Milieu  —  wahr  und  lebendig,  doch  das  nützt 
dem  Ganzen  nichts,  denn  gute  Nebensachen  können  die  schlechte 
Hauptsache  nicht  bessern. 

Ein  anderes  Stück  derselben  Gattung  war  modernst  fran- 
zösisches Lehngut:  Mirbeaus  'Les  affaires  sont  les  affaires'  unter 
dem  Titel  ^Bussiness  is  bussiness'.  Dieser  Titel  war  so  ziem- 
lich das  einzig  gute,  weil  treue  an  der  Übertragung,  denn  sie  war 
weniger  Obersetzung  als  Überarbeitung.  Mirbeau  hat  ein  Easten- 
stück  geschrieben,  durchaus  französisch,  doch  so  tief,  dafs  genug 
allgemein  Menschliches  übrigbleibt,  wenn  man  das  Französische 
abstreift.  Das  Stück  konnte  also  in  fremden  Kulturboden  ver- 
pflanzt werden.  Sydney  Grundy  hat  das  für  England  versucht, 
doch  erfolglos,  weil  er  nur  äufserlich  anglisiert  und  innerlich 
verdorben  hat.  Die  Figuren  des  Originals  scheiden  sich  in  zwei 
Gruppen,  in  die  ordinären  und  vornehmen.  Bei  Mirbeau  sind 
jene  scharf,  diese  zart  gezeichnet;  bei  Grundy  steht  derb  gegen 
flach.  Wenn  die  ordinären  im  Original  stellenweise,  das  heifst 
an  richtiger  Stelle,  auch  komisch  erscheinen,  so  ist  das  ein  or- 
ganischer Beisatz  zur  Charakteristik.  Grundy  übertreibt  das 
komische  Element,  er  sucht  es  zu  äufserlicher  Theaterwirkung, 
er  bringt  es  auf  Kosten  der  Charakteristik.  Die  Individuen  des 
Franzosen  werden  beim  Engländer  zu  Typen,  zum  Teil  sogar  zu 
Popanzen.  Die  Gruppe  der  Vornehmen  —  sei  das  die  äufsere 
soziale  oder  innere  seelische  Vornehmheit  —  werden  in  der 
Kopie  ebenfalls  typisiert  und  verblassen  zu  blutleeren  Schemen. 
Das  war  die  Arbeit  des  englischen  Nachdichters.  Man  möchte 
sagen:  des  Nachrichters,  denn  er  hat  das  Stück  umgebracht 
Die  Schauspieler  taten  das  ihrige,  um  diesen  Wandel  von  Men- 
schen zu  Puppen  noch  zu  verstärken.  Freilich  Tree  war  eine 
glänzende  Ausnahme,  er  schuf  aus  der  Hauptrolle  ein  schau- 
spielerisches Kabinettstück.  Sein  Izard  war  Typus  und  Indi- 
viduum zugleich,  denn  er  war  —  was  er  sein  sollte  —  typisch  im 
Dämonischen  als  die  Verkörperung  seiner  Leidenschaft,  der  macht- 


Zar  letzten  Londoner  Theaterseason.  349 

suchenden  Geldgier»  individuell  als  reichgewordener  Plebejer  mit 
einer  Fülle  charakteristischer  Details  Yoller  Komik,  die  aber 
nur  ein  ängstliches  Lächeln  auslöste.  So  blieb  yom  ganzen 
Stück  als  Gutes  nur  die  eine  Hauptrolle,  alles  übrige  ging  in 
Theaterei  unter.  Die  mittleren  Schauspieler  erwiesen  —  für 
London  so  bezeichnend  — ,  dafs  sie  blofs  die  unwahren  Extreme 
darstellerisch  beherrschen :  sie  idealisieren  in  den  blauen  Himmel 
hinauf  oder  chargieren  in  den  Strafsenschmutz  hinab.  Einzig 
der  grofse  Schauspieler  findet  seine  Rettung  im  Genre,  das  er 
mit  grandiosen  Zügen  zu  vertiefen  weifs. 

Die  Gattung  des  Schauspiels  war  stofflich  noch  durch  das 
Gesellschaitsstück  vertreten.  Erwähnenswert  scheint  mir  nur 
*Her  own  way'  von  Clyde  Fitch.  Import  aus  Amerika,  zu- 
gleich mit  der  amerikanischen  Truppe.  Die  Heldin,  vermögend 
zu  Beginn»  verliert  im  Verlauf  des  Stückes  ihr  Geld  durch  ihren 
leichtsinnig  spekulierenden  Bruder;  sie  liebt  einen  sympathischen 
Offizier  imd  wird  geliebt  von  einem  unsympathischen  Börseaner. 
Dieser  intrigiert  jenen  aus  dem  Hause  hinaus  bis  nach  Kuba 
hinüber  in  den  &ieg.  Der  Offizier  fällt,  der  Börseaner  siegt 
—  fast,  denn  die  Schwester  soll  sich  für  den  falliten  Bruder 
opfern.  Da  kommt  der  Held  doch  lebendig  zurück  Es  war 
eine  falsche  Todmeldung.  Der  Held  heiratet  die  arme  Heldin. 
Alles  in  Ordnung.  So  am  Schluijs  des  Stückes.  Am  Schlufs 
der  Vorstellung  aber  war  Unordnung  in  meinem  Kopf  und  Her- 
zen. Ich  wufste  nämlich  nicht,  ob  mich  das  Stück  mehr  durch 
seine  Banalität  oder  durch  seine  Brutalität  beleidigt  hatte,  und 
ob  ich  Mitleid  oder  Scham  für  die  prächtige  Darstellerin  der 
Heldin  fühlen  sollte. 

Interessiert  hat  mich,  zu  sehen,  was  sich  ein  amerikanisches 
(und  leider  auch  englisches)  Publikum  bieten  läfst  im  HinbUck 
auf  das  französische.  Der  Vergleich  zwischen  Mirbeau  und  Fitch 
drängt  sich  auf.  Hier  und  dort  dreht  sich  alles  um  Geld.  Bei 
Mirbeau  ist  es  aber  Symbol,  bei  Fitch  Fetisch.  Dort  wird  es 
zum  Prüfstein  für  die  einzelnen  Menschen,  schafft  Vorgänge, 
worin  sich  das  Geistige  der  Figuren  spiegelt;  hier  ist  es  der 
Wertmesser  der  Menschheit:  negativ  für  Held  und  Heldin,  po- 
sitiv für  alle  anderen.  Ich  fragte  mich  nach  dem  amerikanischen 
Stück:  ist  das  alles  nur  schiechtes  Theater  oder  auch  gutes 
Kulturbüd? 

Wenn  die  Mondänen  ernst  werden,  werden  sie  lächerlich. 
Besser  verstehen  sie  sich  auf  das  Lachen  im  Theater.  Weniger 
unerfreulich  als  ihr  Schauspiel  ist  ihre  Komödie,  ja  mitunter 
wird  sie  sogar  erfreulich.  Allerdings  sind  ihr  enge  Grenzen  ge- 
steckt: stofflich  mit  Familie  und  Gesellschaft,  stimmungsmäfsig 
mit  den  Varianten  ungetrübter  Heiterkeit.  Das  grimmige  Lachen 
der  satirischen  Komödie  mit  tiefernster  Resonanz  fehlt.    Grat- 


SSO  Zur  letzten  Londoner  Theaterseason. 

tungsmäfsig  ist  das  Lustspiel,  die  Posse  und  die  Farce  vertreten, 
mithin  das  realistische  Lebensbild,  dessen  gesteigerte  Über- 
treibung und  ein  groteskes  Puppenspiel.  Das  liebenswürdige 
Familienleben  mit  seinen  kleinen  Unarten  —  me  es  der  Eng- 
länder schaut  —  pafst  natürlich  nur  für  das  Lustspiel.  Davon 
habe  ich  zwei  herzige  Dinger  gesehen. 

'Alice,  sit-by-the-fire,  a  page  from  a  daughters 
diary'  von  J.  M.  Barrie  war  echt  englisch.  Eltern  in  Indien, 
Kinder  zur  Erziehung  in  London,  beide  einander  entfremdet. 
Die  Mutter  altmodisch  sentimental,  das  Mädel  von  altkluger 
Reserve  und  Roman-verlesen.  Der  Vater  starrer  Militär,  der 
Bub  gefühlsscheuer  Trotzkopf.  Die  Alten  voll  Vertrauen,  die 
Jungen  voll  Skepsis  an  sich  und  der  Welt,  wie  die  Halbfertigen 
überall  und  besonders  in  England,  wo  man  vorzeitig  gentleman 
oder  lady  posiert.  Kurz,  ein  köstliches  Quartett  aus  der  Hyper- 
kultur  von  heute.  Zu  Beginn  des  Stückes  erwarten  die  Jungen 
die  Alten.  Die  Herzlichkeit  des  Wiedersehens  geht  in  die  Brüche, 
und  dann  kommen  die  komischsten  Verkennungen,  und  immer 
gröfser  wird  die  Distanz  zwischen  den  Nahgerückten.  Doch  am 
Ende  finden  sie  sich  wieder  zusammen,  weil  sie  alle  -<—  im  Kern 
ihres  Wesens  gesund  —  zur  klaren  Natürlichkeit  gesunden  müssen. 
Also  endlich  ein  gutes  Stück  —  ein  Lustspiel  voll  Lebenswahr- 
heit trotz  dem  originellen  Thema,  eine  Komödie  von  Bedeut- 
samkeit, weil  sein  lustiger  Oberbau  auf  ernstem  Grunde  steht, 
ein  Drama  mit  innerer  Entwickelung.  Dem  Inhalt  entspricht 
die  Form:  die  Darstellung  leicht,  mehr  andeutend  als  ausfüh- 
rend, die  Fabel  konzentriert  auf  die  natürliche  Dauer  eines 
Tages,  die  Situationen  flott  hingeworfen,  die  Figuren  intim  ge- 
zeichnet, der  Dialog  durchaus  individuelle  Causerie,  das  Ganze 
fast  ohne  Bühnenkonvention  und  Theaterei.  So  wirkt  dieses 
Stück  lustig  auf  die  Oberflächlichen,  bedeutsam  auf  die  Scharf- 
sichtigen, zart  auf  die  Feinfühligen.  Und  diese  Wirkung  wurde 
reizend  verstärkt  durch  die  Aufführung,  besonders  in  den  weib- 
lichen Hauptrollen  der  Mutter  und  Tochter,  von  Ellen  Terris 
als  schon  ^komische  Alte'  und  Irene  Vanbrugh  als  noch  *naive 
Jugendliche'  feinster  Prägung.  Ob  das  Stück  den  Weg  zu  uns 
finden  wird? 

Das  andere  Familien- Lustspiel  war  französischer  Import. 
Pierre  Wolfifs  'Le  secret  de  Polichinelle*  wurde  zu  'Everybody's 
secret^  unter  den  Händen  von  R.  Marshall  und  L.  N.  Parker. 
Dabei  wurde  selbstverständlich  das  moralische  Niveau  gehoben. 
Während  der  Übersiedelung  des  jungen  Paares  von  Paris  nach 
London  wurde  das  Verhältnis  zu  einer  geheimen  Ehe.  Das  ent- 
zieht zwar  dem  ernsten  Problem  den  Boden,  indem  der  Gegen- 
satz zwischen  legitimer  und  illegitimer  Moral  verwischt  wird, 
aber   es  trifft  nicht  den  Kernpunkt  des  dramatischen  Motivs, 


Zur  letzten  Londoner  Theateneafion.  851 

wie  nämlich  das  Enkelkind  die  Grofseltem  mit  den  Eltern  ver- 
söhnty  die  Familie  leimt.  Das  Stück  iat  eine  reizende  Spielerei, 
verlangt  also  bestes  Spiel.  Das  fand  es  im  Heymarket-Theatre 
und  würde  es  in  jedem  guten  Londoner  Theater  gefunden  haben. 
Modernes  Genre  von  feiner  Charakteristik  ist  ja  das  Gebiet,  wo 
der  englische  Schauspieler  sich  auszeichnet 

Im  Verfolg  der  Untersuchung  käme  nun  jene  Komödie  in 
Betracht,  die  dem  Stoff  nach  Gesellschaftstück,  der  Art  nach 
Lustspiel  wäre.  Diese  Spezies  gedeiht  nicht  recht.  Figuren 
und  Situationen  sind  hier  greUer  als  im  Familien-Lustspiel,  und 
das  Yerführt  zu  Übertreibungen.  Als  Lustspiel  angelegt,  ent- 
gleist so  ein  Stück  gar  oft  nach  der  Posse  hinüber.  Die  be- 
liebteste Art  ist  die  Posse  selber.  Am  äufsersten  Flügel  steht 
dann  die  Farce. 

Lustspiel  ist  noch  Pineros  'C abinet  Minister'  mit  seiner 
harmlosen  Gesellschaftssatire.  Freilich  die  Satire  ist  die  Neben- 
sache und  die  Lustigkeit  die  Hauptsache.  Das .  mindert  den 
Wert  des  Stückes  vom  Standpunkt  des  Problems.  Und  weil  die 
Lustigkeit  besonders  auf  dem  Gebiet  der  Charakteristik  mitunter 
auf  Kosten  der  Natur  mit  Hilfe  der  Karikatur  bestritten  wird, 
so  verliert  das  Stück  seine  Stiireinheit.  Es  biegt  oft  nach  der 
Posse  hin  ab.  Solche  Stücke  sind  schwer  zu  spielen.  Die  Dar- 
steller, die  niit  ihrer  Wirkung  auf  den  Moment  gestellt  sind, 
greifen  gern  zu  den  drastischeren  Ausdrucksmitteln.  Steht  eine 
Figur  zwischen  Lustspiel-  und  Possenstil,  so  entscheiden  sie  sich 
meist  für  die  gröbere,  aber  eindrücklichere  Karikatur  gegen 
das  feinere  und  stillere  Genre.  So  war  es  auch  diesmal:  es 
wurde  durchweg  yorzüglich  gespielt  von  den  einzelnen,  aber 
es  gab  ein  stilloses  Ensemble  durch  Stilmischung.  Die  einen 
lebten  als  herzgewinnende  Personen,  die  anderen  wirkten  als 
zwerchfellerschütternde  Figuren. 

Schlankweg  Gesellschaftssatire  betreibt  'Mr.  Hopkinson' 
von  B.  C.  Curton.  Freilich  fällt  diese  tatsächhch  doch  nur  als 
Nebenfirucht  ab,  denn  im  wesentlichen  wirkt  diese  Posse  durch 
die  Komik  ihrer  Hauptfigur,  des  reich  gewordenen  Plebejers 
unter  den  Aristokraten.  James  Welch  spielt  ihn  genial  Er  ist 
der  richtige  Possenspieler.  Unerschöpflich  in  den  lustigen  De- 
tails seiner  Figur,  ist  er  unwiderstehUcher  Komiker;  weil  er  nur 
charakterisierende  Züge  hierbei  verwertet,  wird  er  zum  richtigen 
Schauspieler,  d.  h.  Menschendarsteller;  dafs  er  diese  Vielheit  in 
eine  organische  Einheit  zusanmienfliefsen  läfst,  in  Einfachheit 
verlebendigt,  das  stempelt  ihn  zum  wahrhaften  Künstler,  der 
grofszügig  schafft.  Freilich  übertreibt  er,  aber  er  geht  dabei  vom 
Leben  aus  und  erhält  so  seiner  Figur  ein  gut  Stück  Wahrheit 
in  ihrer  Verzerrung.  Diese  Posse  ist  ein  'Schauspielerstück^ 
dais  erst  durch  die  Darstellung  Leben  gewinnt  wie  ein  Opern- 


352  Zur  leüsten  Londoner  Theateneaaon. 

libretto  durch  die  Musik.  Von  der  Bühne  herab  vermag  sie 
zu  illusionieren,  wenn  auch  die  Vorgänge  jenseit  der  Wahr- 
scheinlichkeit und  die  Gestalten  unter  der  Wirklichkeit  liegen, 
{freilich  diese  Wirkung  der  Posse»  dafs  wir  uns  an  sie  yerlieren» 
ist  auf  die  Zeit  des  Spiels  beschränkt  Man  lebt  ein  Lustspiel 
in  der  Erinnerung  nach,  aber  man  denkt  an  eine  Posse  zurück. 

Ganz  anders  wirkt  die  Farce.  Das  ist  ein  Puppenspiel«  das 
wir  uns  kaltherzig  vorspielen  lassen.  Figuren  und  Situationen 
sind  unmöglich»  aber  sie  sind  bedeutsam.  Unser  Verstand  spinnt 
die  Fäden  von  diesen  Verzerrungen  des  Lebens  zur  Wirklich- 
keit zurück.  Wir  cenie&en  rein  kritisch.  Es  ist  ein  Spiel  des 
Geistes  ohne  Widernall  im  Gemüt.  Die  Farce  kann  selu:  lustig 
und  geistreich  sein»  wenn  sie  Witz  hat»  ist  aber  bar  jeden  Hu- 
mors» weil  sich  in  ihr  nichts  an  unser  Mitgefühl  wendet  Ein 
famoses  Exemplar  dieser  Gattung  war  R.  H.  Davis  'Dictator'. 
Amerikanischer  Import  in  Stück  und  Truppe»  dessen  star  W.  Col- 
lier ein  Meister  seines  Genres  ist»  d.  h.  er  hat  als  Sprecher  und 
Mimiker  eine  so  präzise  Technik»  dafs  man  deren  unpersönliche 
Sicherheit  nur  mehr  mit  dem  Wort  maschinell  bezeichnen  kann» 
ihn  selber  für  eine  ideale  Puppe  erklären  muls.  Das  Stück  hat 
einen  Schimmer  von  aristophanischer  Ambition  mit  seiner  po- 
litisch-sozialen Satire :  die  zentralamerikanischen  Republiken  mit 
ihren  Revolutiönchen  werden  verhöhnt»  die  Spanier  verspottet 
von  ihren  starkrassigen  Nachbarn  im  sächsischen  Norden. 

Vom  literarischen  Standpunkt  aus  ist  das  modische  Reper- 
toire nicht  sonderlich  fesselnd.  Es  zeigt  im  ganzen  die  inter- 
nationalen Züge  des  Zerstreuungs- Theaters.  Wenn  ab  und  zu 
ein  Stück  literarischen  Wert  besitzt»  so  hat  es  den  sozusagen 
hinterrücks  der  Gattung  gewonnen.  Doch  nach  der  kuItureUen 
Seite  hin  wirft  es  seine  Streiflichter.  Besonders  autfälUg  und 
bedeutsam  ist  die  Behandlung  des  Lehngutes.  Die  Engländer 
importieren  wie  die  Deutschen»  nur  dafs  diese  übersetzen»  jene 
bearbeiten»  dafs  diese  bei  ihrem  Bildungstrieb  das  fremde  Ori- 
ginal rein  halten  und  als  solches  schätzen»  jene  ihrem  Ge- 
schmack angleichen.  Hierbei  kommt  —  ästhetisch  gewertet  — 
freilich  meist  schlechteres  heraus»  aber  in  dieser  Praxis  spiegelt 
sich  die  stärkere  Rasse.  Als  zähe  Rasse  geben  sich  die  Fran- 
zosen. Sie  importieren  prinzipiell  nicht  Das  verengt  ihnen 
den  Lihalt  ihres  Theaters»  aber  bewahrt  die  Reinheit  der  Form. 

Noch  mufs  auf  ein  künstlerisches  Verdienst  des  modischen 
Repertoires  verwiesen  werden.  Es  betrifft  die  Darstellung.  Das 
hohe  Drama  hat  in  England  die  Schauspielkunst  stUistisch  nie 
gefordert  Das  grofse  romantische  Drama  wird  von  Stilmischung 
beherrscht  mit  der  Absicht  auf  Stilgegensatz.  Der  Schauspieler» 
der  alles  gern  unterstreicht»  was  der  Dichter  andeutet»  weil  er 
sich  im  Moment  zur  Geltung  bringen  mufs»  verschärft  diesen 


Zur  letzten  Londoner  Theateraeason.  868 

Gegensatz  und  übertreibt  stüistisch.  Das  klassizistische  Drama 
übaixeibt  als  Kopie  selber  und  mit  ihm  sein  Schauspieler.  Dis- 
krete Aufgaben  bietet  dem  Schauspieler  nur  das  ^EonTersations- 
stück'y  um  einen  möglichst  weiten  Terminus  anzuwenden.  Hier 
kann  sich  der  Künstler  als  feiner  Charakteristiker  betätigen»  im 
guten  Stück  mit  demselben,  im  schlechten  über  dasselbe  hin- 
aus. Das  ist  nun  auch  das  Gebiet,  wo  englische  Schauspielkunst 
diesen  Ehrennamen  verdient 

Eine  Studie  über  das  Londoner  Gesamtrepertoire  darf  nicht 
als  abgeschlossen  gelten,  nachdem  man  Shakespeare,  die  paar 
ganz  tdten  oder  ganz  neuen  literarischen  Dramen  und  die  yielen 
nach  Stoff  und  Art  modischen  Theaterstücke  hat  Revue  pas- 
sieren lassen.  Es  wäre  noch  über  das  Schauspiel  der  unteren 
Volksschichten,  über  das  ^Melodrama'  und  über  das  ^Historien- 
stück',  das  Melodrama  der  oberen  Klassen,  sowie  über  die  all- 
seits beliebte  Operette  zu  sprechen.  Mir  erschienen  aber  diese 
Gattungen  seit  meinem  letzten  Bericht  (Band  GIV,  Heft  1/2, 
pag.  162  ff.)  durchaus  unverändert,  und  ich  hätte  dem  damals 
Gesagten  nichts  beizufügen.  Überhaupt  sollten  und  konnten  im 
obigen  nur  etUche  aunallige  Elrscheinungen  betrachtet,  mehr 
geschildert  als  beurteilt  werden.  Zur  Kritik  fehlt  mir  das  Ge- 
samtmaterial, ich  habe  ja  doch  nur  24  Theater  besucht  und 
blofs  46  Stücke  gesehen,  und  noch  mehr  die  kulturelle  An- 
empfindung,  die  man  als  Tourist  nicht  gewinnen  kann«  Als 
Fremder  ist  man  zwar  vor  Über-  wie  Unterschätzungen  nicht 
gefeit;  aber  als  Fremder  hat  man  auch  einen  Vorteil:  die 
ScharMchtigkeit  des  Neulings,  der  nichts  als  selbstverständlich 
hinnimmt  und  darum  vielleicht  manches  sieht,  was  der  Hei- 
mische übersieht  Das  kann  vielleicht  mit  seiner  notgedrungenen 
Einseitigkeit  versöhnen. 

Innsbruck.  R.  Fischer. 


ArcfaiT  f.  n.  Spnuiheii.    CXV.  28 


Studien  zur  fränkischen  Sagengeschiehte. 


n.  Clothars  Sachsenkrieg  auf  den  Amalflng  Ansigisel 

übertragen. 

Die  Sachsenkriege  der  merowingischen  und  karlingiBchen  Könijge 
sind  zu  ihrer  Zeit  das  Thema  der  fränkischen  Nationaldichtung  ge- 
wesen, bis  sie  im  8.  Jahrhundert  von  den  Elampfen  gegen  die 
Sarazenen  erst  in  Südfrankreich  und  noch  später  in  Spanien 
abgelöst  wurden.  Nicht  nur,  dafs  wir  mit  Hilfe  von  Sagenresten 
und  Chroniken  eine  ganze  Reihe  von  Sagen  und  Liedern  in  ihren 
Grundzügen  wiederherstellen  können,  die  unabhängig  voneinander 
einzelne  heldenhafte  Züge  aus  den  Kriegen  gegen  Sachsen  oder  Thü- 
ringer verherrlichten,  es  gibt  auch  eine  weitere  Reihe  von  Anspie- 
lungen, die  uns  den  Einblick  in  eine  zyklisch  geschlossene  Gruppe  von 
Sachsenliedern  gewährt^  von  denen  jedesmal  das  spätere  ein  früheres 
voraussetzt^  und  die  im  ganzen  genommen  nach  dem  ersten  Konflikt 
das  Motiv  der  Blutrache  weiterspinnen,  genau  wie  in  den  Lothringern, 

Einen  Einblick  in  diese  zweite,  zyklische  Phase  der  alten 
Sachsendichtung  gibt  uns  der  Prolog  des  in  später  Redaktion  er- 
haltenen Saehsenkrieges  Karls  des  Grofsen  gegen  Wittukind: 
'Wenn  man  die  Greschichte  der  Sachsen  folgerichtig  hören  will,'  hebt 
der  Dichter  an,  <so  mufs  das  Lied  mit  den  Altvorderen  beginnen.'^ 

Einer  der  ältesten  Merowinger  hat  nun  die  Unvorsichtigkeit  ge- 
habt^ dem  Sachsen  Brunamont  seine  Tochter  Aaliz  oder  Helois  zu 
geben,  die  der  Heide  zur  Frau  begehrt  Besser  hätte  er  getan,  sie 
mit  einem  Stock  zu  töten,  denn  ihre  Erben  haben  den  Franken  ge- 
waltig zu  schaffen  gemacht  Nacheinander  traten  die  Sachsen  Broier, 
Justamont,  Guiteclin  auf  und  verlangten  das  Erbe  ihrer  Urahne,  die 
fränkische  Ejrone,  zugleich  Blutrache  fordernd  für  ihre  getöteten  Väter. 

Broier  oder  Brehier  ist  derselbe,  dessen  epischer  Name  viel- 
leicht von  einem  Thüringerfürsten  Bertharius  hergeleitet  werden  kann, 
dessen  Urbild  aber  der  ähnlich  benannte  Sachse  Bert oaldus  ist^ 
den  nach  Liber  Hütoriae  (Kap.  41)  der  Franke  Clothar  an  der 
Weser  erschlug.  Eine  Tat  die  vielleicht  die  volkstümlichste  der 
Sachsenkriege  war,  da  wir  sie  im  12.,  18.  Jahrhundert  auch  von 
Ogier  dem  Dänen  erzählen  hören.  Und  als  dritter  im  Bunde  tritt 

'  Tirade  liX    Qid  dt  Cettairt  at  8aune$  vuti  dir  par  raiaom, 

De*  ancSsmi  derritrle]  doU  moooir  la  cktm^om. 


Stadien  zur  fr&nkiBchen  Sagengeschichte.  856 

nun  hier  im  SaehsenUede  ein  gewisser  Ansei's  auf,  der  gleichfalla 
den  Ruhm  beansprucht^  der  Brdiiertöter  gewesen  zu  sein.^ 

Seine  Tat  wird  in  folgender,  echt  kärlingische  Erfindung  yer^ 
ratender  Weise  erzählt: 

Nach  der  Unglückshochzeit  der  Aaliz  mit  Brunamont  wehrten 
sich  die  frankischen  Könige  mannhaft^  einer  nach  dem  anderen,  ffis 
der  letzte  ohne  Erbe  verstarb.  So  wählten  die  Franken  als  Anwalt 
ihrer  Sache  Gottfried  von  Paris  und  nach  ihm  Garin  den  Pikarden. 
(Andere  Hss.:  CHrard  le  Pontier.  Später  wird  er  genannt:  Oarins 
de  Baviere,  de  Laneele,  de  Sansuerre»)  Das  war  Anseis'  Vater,  der  den 
Ejiaben  mit  der  Hirtentochter  zeugte,  den  Knaben,  der  einst  dem 
Heiden  Brehier  an  der  Maas  das  Frankenland  streitig  machen  sollte. 

Damals  hatten  Sachsen  und  Franken  beschlossen,  die  Zwistig- 
keiten  durch  einen  Zweikampf  zur  endlichen  Entscheidung  zu  bringen. 
Es  war  der  Tag;  an  welchem  sie  Anseis  zum  Ritter  schlugen.  Darauf 
setzte  man  beide  Helden  auf  ein  Eiland  der  Maas  über,  dort  wurde 
Brehier  besiegt  Wütend  zogen  die  Sachsen  ab,  aber  sie  brachen 
ihre  Eide,  die  Treulosen,  und  lielsen  nicht  davon,  die  Franken  zu 
beunruhigen. 

Ansdts  aber  krönten  die  Franken  in  St-Denis  zu  ihrem  König. 
Grerecht  war  er  und  edel  und  diente  Gott  Sein  Sohn  war  Pipin, 
der  wackere  Held,  der  den  Sachsen  Justamont  erschlug.  Wittukind 
wollte  ihn  dann  an  Karl  rächen,  —  so  übernahmen  die  Söhne  nach 
ihren  Vätern  die  Geschäfte,  einer  nach  dem  anderen.^ 

Nach  dieser  ziemlich  trockenen  aber  übersichtlichen  Analyse 
bringt  die  Tirade  XCVll  eine  weniger  übersichtliche,  mit  ihrer  ver- 
worrenen G^ealogie  ergötzliche  Anspielung,  die  jedoch  die  Romantik 
der  Sage  etwas  stärker  hervortreten  läfst: 

Tot  war  Karl  der  Kahle,  der  das  Reich  sich  erobert  hatte,  tot 
Karl  Martell  der  Arglistige,  kein  Erbe  blieb  der  Krone,  nicht  fünften 
Grades,  nicht  sechsten.  Zehen  Jahre  liefsen  sie  drum  Gottfried  von 
Paris  das  Land  und  krönten  dann  Garin  von  ....  zum  König. 
Seine  Frau  war  schön  und  weise,  doch  ohne  Leibesfrucht  Garin 
aber  besab  eine  Hirtin,  die  ein  gar  freundliches  Antlitz  hatte;  von 
niedriger  Geburt  zwar,  aber  edlen  Herzens.  Darum  wurde  auch 
ihr  G^chlecht  späterhin  zu  einem  freien  erhoben.  Um  ihrer  Schön- 
heit willen  wurde  Garin  ihr  zugetan  und  war  eine  Nacht  lang  ihr 
Trauter.  Li  dieser  Nacht  wurde  der  starke  König  Anseis  gezeugt, 
der  Brehier  töten  sollte,  Anseis'  Sohn  aber  war  Pipin,  Pipins  Sohn 
Karl  der  Größte.  

Wenn  man  diese  beiden  Anspielungen  miteinander  vergleicht^ 
so  muls  man  wohl  zu  der  Überzeugung  kommen :  sie  rühren  nicht 


'  Rohnström  hat  diese  Ehrzahlung  erwähnt  m  seiner  Dissertation: 
Etüde  sur  Jehan  Bodd,    Upsala  1900,  8.  138. 

23* 


356  StudieD  Enr  MnkiBcheii  Sagongescliidlite. 

von  denelben  Hand  her.  Wenn  auch  die  Orundsüge  der  Dichtung 
durch  beide  in  gleicher  Weise  festgelegt  werden,  so  ist  doch  ein  ge- 
waltiger Unterschied  in  der  Auffassung  zu  erkennen.  In  der  einen 
werden  Dinge  berichtet^  die  in  der  anderen  ausgelassen  sind,  im 
Wortlaut  sind  sie  durchaus  unabhängig  voneinander,  die  erste  labt 
die  Romantik  der  Sage  kaum  zu  Wort  kommen,  die  zweite  widmet 
ihr  zwar  das  Hauptinteresse,  sucht  aber  das  ihr  darin  mit  der  gesell- 
schaftlichen Konvention  unvereinbare  auf  ihre  Weise  zu  interpretieren: 

Ein  niedrig;  Ding,  —  aber  das  Herz  war  edel, 
Ihr  Geschlecht  wurde  drom  von  Abgaben  befreit 

In  der  ersten  ist  Anseis'  Mutter  Hirtentochter,  fiUe  au  vachier, 
in  der  zweiten  hörige  Kuhmagd  seines  Vaters. 

In  der  ersten  ist  Gottfried  von  Paris  nicht  nur  zeitweilig  Statt- 
halter. 'Nach  ihm'  erst  wählen  sie  Garin  zum  König.  In  der  zwei- 
ten ist  Gottfried  Statthalter  auf  zehn  Jahre.  Die  phantastische 
Unterbringung  von  Karl  dem  Kahlen  und  Elarl  Martell  der  zweiten 
Anspielung  kommt  hinzu.  — 

unabhängig  von  Verknüpfungen  mit  früherer  und  späterer  G^ 
schichte  genommen,  sind  wir  im  Gebiet  echt  fränkischer,^  speziell 
kärlingischer  Sage:  Anseis  ist  Bastard  des  im  Ehebett  kinderlosen 
Königs  von  einer  Hirtentochter.  Er  dient  in  untergeordneter  Stellung 
im  Heere  und  wird  in  nicht  näher  bezeichneter  Weise  zum  Better 
auserkoren :  wie  Ansefs  zum  Sohne  einer  Kuhmagd,  macht  die  spätere 
Sage  Hugo  Capet  zum  Metzger.  Aussetzen  des  Neugeborenen  {Bueve 
V.  Hansione,  Doon  v.  Mainz,  Wolfdietriek\  einsame  Walderziehung 
mit  Verspottung  des  naiven  Helden  bei  Eintritt  in  die  Welt  ver- 
bunden {Siegfried,  ParxivcU,  dem  alten  Frankreich  war  hierfür  Aiol 
das  Muster),  Verbannung  des  Jünglings  gehören  ebenfalls  hierher. 
Besonders  häufig  findet  das  'Martyrium  junger  Heldenschaff  in 
Küche  oder  auch  im  Garten  statt  Es  ist  hierin  der  Hang  märchen- 
bildender Zentren  zu  sehen,  den  Helden  aus  dem  Dunkel  oder  aus 
der  eigenen  niederen  Sphäre  als  Erlöser  erscheinen  zu  lassen,  eine 
Anzahl  typischer  Züge  immer  wiederholend,  was  die  Theorie  hervor- 
gerufen hat^  alle  diese  Heldenjugenden  seien  von  einem  Märchen- 
typus  abzuleiten. 

Zu  diesen  internationalen  Zügen  unserer  Anspielung  auf  Anseis 
kommt  seine  Bastardschaft,  die  zwar  aus  gleichen  volkstüm- 
lichen Anschauungen  entspringt^  aber  speziell  der  älteren  kärling- 
schen  Sage  angehört    Ihr  Ursprung  liegt  in  der  bestrittenen  Ehe 

'  Aus  früher  Merowin^erzedt  erinnert  man  sich  der  romantischen  Lieben 
Chariberts:  die  erste  zu  emer  Wollmacherstochter,  die  ihm  die  Gattin  aus 
dem  Kopf  bringen  wolltei  indem  sie  dem  flatterhaften  Ehemann  den  Woll- 
macher oei  der  verachteten  Handarbeit  vorführte.  Die  zweite,  wie  hier,  zu 
einer  Hirtentochter.  (Gregor  IV,  26)  *HabuU  et  aliam  pueUam  opüianis, 
id  est  pcutoris  oviumf  fUiam  nomine  TneudoffUdem,  de  qua  ei  füium  fertur 
habuisse,* 


Btudien  scur  fränkischen  Sagangeschichte.  357 

Pipins  des  Mittleren  mit  der  Nebengattin  Alphaid,  aus  welcher  Karl 
Martell  entsprois,  der  gegen  die  Söhne  aus  Pipins  erster,  rechtmälsi- 
ger  Ehe  mit  Plektrud  den  Platz  behauptete.  Diese  an  romantischen 
Elementen  reiche  Grundlage  hat  sich  die  Sage  natürlich  zunutze 
gemacht^  und  wir  haben  ihr  bereits  ein  Kapitel  unserer  Studien  ge- 
widmet In  gröfserem  umfang  ist  dieselbe  in  einer  Übertragung  auf 
Karl  den  Greisen  erhalten,  der  der  Sage  dadurch  ebenfalls  zum 
Bastard  wurde.  Als  älteste  Form  dieser  Tradition  bezeichnete  Gaston 
Paris  seinerzeit  diejenige  der  von  ihm  benannten  Ckronigus  Sawv- 
tongeoiae  {Hisioire  Poiüque  S.  224).^  Eine  Alte  schiebt  Pipin  ihre 
Tochter  statt  der  Prinzessin  aus  Ungarland,  Bertha,  unter.  (Das  ist 
wohl  aus  der  Sage  von  der  untergeschobenen  Braut)  Die  echte 
Bertha  soll  im  Waide  ermordet  werden,  flüchtet  aber  zu  einem 
Kuhhirten  Pipins  {Li  vachiers  Pqdn),  Später  wird  Pipin  über 
die  falsche  Bertha  aufgeklärt»  findet  durch  Zufall  die  richtige  bei 
seinem  hörigen  Hirten  und  zeugt,  noch  ohne  sie  zu  kennen,  in  der 
Nacht  des  Wiedersehens  Karl  den  Groben.  Lassen  wir  an  dieser 
Stelle  der  Chronik  das  Wort:  'Der  König  sah  Bertha;  und  von  dem 
Augenblick  ab  konnte  er  die  Augen  nicht  von  ihr  wenden  und  frug 
die  Frau  des  Hirten  und  den  Hirten  selber,  wer  sie  sei,  und  der 
erzählte,  wie  er  sie  gefunden  habe.  Und  der  König  bat  ihn,  sie  ihm 
die  Nacht  in  sein  Lager  zu  geben;  der  EBrte  sagte  zu  und  machte 
ihnen  ihr  Bett  auf  einem  Karren,  der  vor  der  Türe  stand  und  mit 
Farnkräutern  beladen  war  . . .' 

Und  nicht  anders  das  franko -italische  Gedicht  von  Berta  de 
li  gran  PU:  Eine  innere  Regung  läfist  in  Pipin  eine  heftige  Neigung 
zu  der  Hirtentochter  entstehen.  Der  Hirt  wdgert  sie  ihm,  aber  sie 
ist  bereit»  ihm  den  Willen  zu  tun,  weils  sie  doch,  dafe  sie  seine  recht- 
mäfsige  Gattin  ist,  wenn  auch  in  ihrem  Lager  eine  andere  weilt 
Zum  Hohn  deckte  ihnen  nun  der  empörte  Hirt  das  Lager  auf  einem 
Karren  —  aber  dieses  wohl  ursprüngliche  Motiv  hat  auch  die  Dich- 
tung nicht  rein  bewahrt:  der  König  befiehlt  hier,  das  Lager  in 
der  beschriebenen  Weise  zurechtzumachen,  wegen  der  grolsen  Hitze. 

(V.  1180.) 

late  fuit  in  carro  natiAS  bemerkt  eine  Chronik  von  Karl  dem 
Grofsen,  und  der  Prosaroman  von  Berthe  as  gnma  pies  führt  gar  von 
ckar  den  Namen  Charles  her,  während  der  flämische  Lekenspiegel 
Bertha  zu  einem  Dienstwyf  erniedrigt  {Eist  PoSt  S.  227). 

Da  die  Sage  von  Bertha  als  die  unmittelbare  Nachahmung 
der  historischen  von  Alphaid  ihrerseits  als  älter  anzusehen  ist  als 
unsere  Anseissage,  so  s^en  wir  in  ihr  das  Vorbild  der  entsprechen- 
den Züge  im  Änseis:  wie  sich  Pipin  zur  vermeintlichen  Findlings- 
tochter s^es  Kuhhirten  herablälst  so  lälst  sie  Garin,  Anseis'  Vater, 
die  Nacht  bei  seiner  ßUe  au  vaehier  zubringen.    Das  'Wie'  ist  uns 


»  ed.  F.  W.  Bourdillon,  London  1897. 


858  Stadien  zur  fränkischen  Sagengeiichiehte. 

in  der  knappen  Anspielung  des  Sachsenliedes  nicht  überliefert  Aber 
es  ist  wohl,  bei  der  augenscheinlichen  Abhängigkeit  von  der  Bertha- 
sage,  kaum  ein  Zweifel,  dafs  auch  hier  der  EQrt  dem  König  das 
Lager  in  der  poetisch-symbolischen  Weise  unter  freiem  Himmel  be- 
reitete, wie  Berthas  Pflegevater  dem  Pipin.  So  gibt  sich  der  erste 
Teil  der  Enfances  Anseis  als  ein  Schöisling  der  Berthasage,  aus  der 
Form  entsprossen,  welche  sie  in  der  Chronique  Saintongeoise  und 
der  franko-italienischen  Dichtung  besitzt^  und  die  Gaston  Paris,  wohl 
nicht  mit  Unrecht^  für  die  primitivste  hielt 

Der  zweite  Teil  der  Enfances,  die  Entscheidung  des  Sachsen- 
krieges durch  einen  Zweikampf,  die  Besiegung  und  Tötung  Brehiers, 
bieten  der  Quellenforschung  kein  schwierigeres  Problem.  Die  Sage 
ist  uns  in  Verbindung  mit  historischen  Vorgängen  bereits  im  7.  Jahr- 
hundert durch  das  Liber  Historiae  berichtet;  freilich  nicht  von  einem 
Anseis,  sondern  von  dem  Merowinger  Glothar  IL  (anno  622). 
Dagobert  steht  an  der  Weser  den  Sachsen  gegenüber.  Im  Kampfe 
wird  ihm  eine  Locke  abgeschlagen,  und  er  sieht^  dafs  er  der  Gegner 
allein  nicht  Herr  werden  kann.  Da  sendet  er  durch  einen  Boten  die 
Locke  dem  Vater  Clothar  'zum  Zeichen  der  Not'.  Gewaltige  Freude 
herrscht  im  Frankenlager,  als  Glothar  naht  Der  Sachse  Bertoaldus 
fragt  über  den  Strom  hinüber,  warum  diese  Freudenausbrüche?  Man 
antwortet:  Glothar  sei  da.  Ungläubig  ruft  er:  <Glothar  ist  ja  längst 
gestorben!'  Da  nimmt  Glothar  den  Helm  ab  und  zeigt  sein  langes, 
graues  Königshaar.  Wütend  beschimpft  ihn  Bertoaldus,  Glothar  aber 
setzt  mit  dem  Pferde  über  die  Weser,  besiegt  und  tötet  den  Sachsen 
im  Zweikampf  und  schlägt  die  Heiden  in  die  Flucht 

Von  Historikern  wie  Sagenforschem  ist  längst  erkannt,  dafs 
dieser  Bericht  eines  realen  Hintergrundes  entbehrt:  Weder  Gregor 
noch  der  sog.  Fredegar  wissen  von  einem  solchen  Erlebnis  Glothars  H. 

Anders  freilich  bei  Glothar  L:  Er  ist  es  gewesen,  der  im  Jahre 
531  dem  Bruder  Theodorich  beistehen  mufste,  die  wortbrüchigen  Thü- 
ringer zu  züchtigen.  Da  nun  die  Sage  zwischen  erstem  und  zweitem 
des  Namens  nie  unterscheidet^  ist  wohl  die  Übertragung  des  Liber 
Historiae  von  Glothar  I.  auf  den  zweiten  lediglich  ein  Irrtum. 

Historisch  ist  nun,  dafs  Glothar  I.  nach  Besiegung  der  Thü- 
ringer: Radegundis  (die  spätere  Heilige),*  eine  Tochter  des  bereits 
aus  dem  Wege  geräumten  Fürsten  Bertharius,  als  Kriegsbeute 
mitnahm  und  ehelichte.  Und  so  ist  wohl  möglich,  dafs  dieser  ver- 
ewigte Schwiegervater  wiederer weckt  und  zum  Riesen  Bertoaldus 
wurde.    Warum  freilich  der  Name  geändert  ist^  wäre  nicht  leicht 

*  Nicht  vergessen  soll  werden,  dafs  Kurth  (8.  355  des  gen.  Werkes) 
der  Ansicht  ist,  dafs  sich  in  der  Geschichte  der  Burgunderin  Chrotochildis 
und  ihrer  Brüder  die  Schicksale  der  jüngeren  RadegundiB  und  d^  Thü- 
ringerfürsten widerspiegeln.  Die  chronologische  Umdrehung  scheint  die 
geistreiche  Deutung  unmöglich  zu  machen. 


Stadien  zur  frinkischen  ßagen geschieht«.  850 

zu  sagen.  Suchier  hat  {ZeiUekr.  f.  rom.  Pkii.  AVJLU,  B.  190)  auf 
einen  lebeUischen  Hausmeier  Namens  Bertoaldus  aufmerksam  ge- 
machty  von  dem  Fredegar  (IV,  28)  berichtet:  er  wurde  durch  Leutd 
Clothars  IL  getötet,  nachdem  er  den  Führer  vergeblich  zum  Zwei- 
kampf herausgefordert  Wir  hatten  also  in  Bertoaldus  zwar  den 
Thüringerfürsten  Bertharius  zu  sehen,  allerdings  durch  Vermischung 
mit  einem  rebellischen  Hausmeier  umgetauft 

Aber  das  Liber  Historias  tragt  vielleicht  ausschliefslich  die  Schuld 
dieser  Neubenennung:  denn  die  Tat^  die  wir  von  Anseis  hörten, 
stimmt  zu  der  von  Clothar  I.  berichteten  nicht  nur  in  der  Grundlage : 
Kooperation,  Besiegung  im  Zweikampf,  sondern  das  bisher  wahr- 
scheinliche Urbild  von  Bertoaldus:  Bertharius  ergibt  laut- 
gesetzlich Brehier.  Das  hat  schon  Suchier  bemerkt  (a.  a.  O., 
vgl.  auch  Voretzsch,  Epische  Studien  I,  8.  229),  und  es  ist  schwer 
an  dieser  Tatsache  vorüberzukommen.  Da  nun  im  12.  Jahrhundert 
der  typische  Sachsenkämpe  noch  Brehier  —  Braier,  Broier  hiefs, 
wie  der  historische  Vater  von  Clothars  Ejriegsgefangenem  Bertha- 
rius, so  scheint  umgekehrt  der  Name  Bertoaldus  im  lAber  Hiatoriae 
lediglich  auf  Kosten  dieser  Version  gesetzt  werden  zu  müssen  und 
zwar  als  eine  lokal  beschrankte  Übertragung  oder  ein  Irrtum. 

Denn  solche  Übertragungen  finden  wir  ja  auch  hier:  von  einem 
Anseis  wird  das  erzahlt,  was  Clothar  getan  hat,  und  zur  selben  Zeit 
wird  dieselbe  Tat,  die  Brehiertötung,  in  einer  anderen  Gegend  von 
Ogier  erzahlt  Alberich  von  Trois  Fontaines  schliefslich  mufs 
die  Sage  auch  noch  von  ihrem  Urbild  gekannt  haben,  denn  er  spricht 
von  Ogier,  der  im  Heldengedicht  Lotharius  Superbus  genannt  würde. 

Nun,  diese  Dinge  sind  oft  genug  besprochen  worden.  Über 
jeden  einzelnen  Punkt  sind  Zweifel  geauisert  worden,  wir  werden  uns 
nicht  hier  zu  erneuter  Polemik  bequemen.  Alle  bisherigen  Gegner 
von  Voretzschs  Ausführung,  dafs  Ogiers  Schluistat  einem  Sachsen- 
krieg nachgeahmt  sei  —  auch  Settegast,  der  in  diesem  Kapitel  ledig- 
lich Hunnensage  sehen  wollte  und  Brehier  aus  einem  Zabergan  her- 
holte — ,  werden  einsehen,  dafs  die  nun  nachgewiesene  Anseisversion, 
die  organisch  zu  den  Sachsenkriegen  gehört,  Voretzschs 
Ansicht  unantastbar  macht 


Auch  der  zweite  Teil  der  Geschichte  von  unserem  Anseis  zeigt 
sich  als  eine  Nachahmung  von  Clothars  Sachsenkrieg.  Wie  dort, 
tritt  ein  unerwarteter  Retter  auf  (Kooperation),  —  wie  dort  findet  die 
Entscheidung  an  einem  Flusse  statt,  diesmal  an  der  Maas,  —  wie 
dort  besiegt  der  im  Mittelpunkt  stehende  Held  den  Sachsenkönig  im 
Zweikampf,  der  hier  Brehier,  dort  Bertoaldus  heilst 

Sind  wir  also  über  die  beiden  Sagenmotive  der  Enfancea  rei 
Jnaeis  vollkommen  im  klaren»  so  überrascht  nur  eins.  Warum  ist 
diese  Tat^  die  wir  von  Clothar  L  auf  Clothar  IL  übertragen  sehen, 


960  Stadien  zur  frankiBcheii  Sagengeschichte. 

die  wir  yon  dem  auch  eonst  sagenberQhmten  Ogier  ereahlen  hören 

—  wamm  ist  sie  hier  von  einem  ganz  unbekannten  Helden  erzahlt? 
Oaston  Paris  hielt  die  Persönlichkeit  wohl  fOr  eine  Fiktion  Jean 
Bodels,  des  Redaktors  der  Sadsnes  {Eist.  Poü.  8.  221)«:  'Oet  Anseüs, 
fils  de  Oarin  le  Poyer  au  le  Pieard  et  d'une  fiUe  de  vaeher,  dSlivra  la 
France  du  Saxon  Broier,  qui  prStendaU  la  possSder  du  chef  de  son 
aieul  Floavant.  Les  Francis  recannaissants  eauronnSrent  Änaeia,  qui 
fiä  lep^e  de  PSpin.  TßUe  est  la  singulare  gSnMogie  de  Chcarhma^ne 
d'apr^  Bodel;  on  y  reconnatt  des  Souvenirs  confus  des  ehangemenis 
de  dynastie  qui  eurent  Ueu  en  Frcmoe  ä  deux  reprises  . .  / 

In  der  Tat^  vergebens  suchen  wir  im  Epos  nach  einem  Anseis»  der 
als  dn  Vorbild  unseres  Helden  gelten  könnte,  der  uns  den  ^epischen 
Namen'  zu  unserer  Anspielung  lieferte:  Anseis  fis  Oirbert  aus 
den  Lothringern,  Anseis  einer  der  zwölf  Pers  im  ältesten  Karlsepos 
passen  beide  nicht,  Anseis  de  Garthage  ist  Neffe  Karls  des  Oro&en 
und  nicht  Vorfahr  und  wohl  erst  spät  überhaupt  zu  einem  solchen 
geworden. 

Die  Bolle  unseres  Anseis  als  König,  als  Vater  Pipins,  als 
Vorfahr  Karls  des  Grofsen  ist  zu  bestimmt  gefaist,  um  mit  irgend- 
einer Person  identifiziert  werden  zu  können,  die  nicht  historisch  an 
dieser  Stelle  steht  Und  wenn  es  eine  solche  nicht  gibt^  so  hört  die 
Erfindung  der  Poeten  oder  Diaskeuasten  nicht  mit  Jeoffroi  de  Paris 
und  Oarin  le  PoMer  auf,  wo  sie  ersichtlich  ist^  sondern  schliefst 
Anseis  noch  mit  ein,  wie  Gaston  Paris  vermutete. 

Eines  anderen  belehren  uns  die  Genealogien  der  Amulfinge. 
Da  finden  wir  zu  unserer  Überraschung,  dals  die  Angaben  des  Ge- 
dichtes nach  unten  hin  richtig  sind:  Ansigisus,  Ansigisilus 
(>  Anseis)  ist  eine  historische  Person.  Er  ist  der  älteste  Sohn  des 
heiligen  Arnulf,  Erzbischofs  von  Metz,  des  Stammvaters  der  Kärlinge. 
Er  ist  der  Vater  Pipins  H.,  der  hier  als  Vater  Karls  des  Grofsen  gut 

—  Aber  erst  Pipin  HL  ist  ja  Vater  Karls  des  Grofsen?  —  Wenn 
wir  noch  ein  Zeugnis  dafür  brauchten,  dafs  unsere  Sage  und  ihre 
Chronologie  volkstümlich  von  geschriebener  Chronik  unbeeinflufst 
ist,  so  besitzen  wir  es  an  dieser  Genealogie: 

Arnulf 
Ansigisil 
Pipm  n. 
Karl  [Martell] 
Pipm  m. 
Karl  [der  Grofse], 

'  [Vgl.  aber  seine  lAgendt  de  Pipin  le  Bref  in  den  Mäanges  J.  Havet, 
1895,  605  f.] 


Stadien  zur  fränkischen  Sagengeechichte.  861 

Dae  iet  eine  FQiatioiiBtabelle,  welche  nur  die  Chronik  ausein- 
ander halten  kann:  zwei  Pipin,  die  beide  Vater  eines  Karl  sind« 
konnte  die  Sage  nicht  auseinander  halten,  verschmolz  die  Paare  und 
kannte  dann  nur  einen  Pipin,  nur  einen  Karl.  Wie  in  Nord- 
frankreich alle  Taten  Karl  Martells  auf  Karl  den  Grolsen  übertragen, 
Pipin  IL  und  IQ.  zusjunmengeworfen  wurden,  das  haben  wir  hier 
bereits  gestreift  und  ist  so  oft  und  so  gründlich  behandelt  worden, 
dafs  wir  uns  mit  dem  Hinweis  auf  Pio  Rajnas  Garlo  Magno  e  Carlo 
MarteUo  aus  seinen  Origini  delP  Epopea  Franceae  begnügen  können. 

Wenn  Jean  Bodel  oder  einer  seiner  Kollegen  an  unseren  An- 
spielungen etwas  erfunden  hat,  so  ist  es  die  Unterbringung  von  Karl 
Martell  vor  Anseis.  Denn  durch  den  eben  geschilderten  Verein- 
fachungsmodus  der  Sage  wurde  ja  Karl  Martell  herausgedrängt^  der 
'gebildete'  Interpolator  aber,  bestrebt,  seine  teuer  erworbenen  G^ 
Schichtskenntnisse  an  den  Mann  zu  bringen,  auf  der  anderen  Seite 
nicht  imstande,  das  Fleckchen  wiederzufinden,  wo  er  historisch  hin- 
gehörte, machte  ihn  und  Karl  den  Kahlen  gar  noch  dazu  —  pro 
pudorl  —  zum  Ahnen  seiner  Ahnen. 

Also  Anseis  ist  keine  Fiktion  Jean  Bodels,  die  Genealogie  von 
ihm  bis  zu  Karl  dem  Grofsen  keine  Reminiszenz  aus  Chroniken  — 
echte,  lebendige  Sage  ist  es,  die  wir  angetroffen  haben,  mit  ihrem 
angestammten  Schipucke  und  ihren  ureigenen  Irrungen. 

Wenn  er  auch  an  der  Echtheit  unserer  Sage  zweifelt^  so  scheint 
Pio  Rajna  die  Tatsache  an  sich,  dals  unser  Anseis  der  Amulfing 
Ansigisel  ist,  erkannt  zu  haben.  Aber  aus  mir  unerfindlichen  Grün- 
den spielt  er  in  seinem  Hauptwerk  auf  diese  Beziehung  nur  an, 
ohne  sie  näher  darzulegen  (S.  246  op.  cit):  'E  a  piü  forte  ragione  (als 
die  Übertragung  der  JEhfanees  P^n)  rimetto  ad  aUro  luogo  ü  parlare 
dd  padre  di  questo  nostro  Pipino,  Änsegisüo  o  Änsehiso,  eroe  anch'  esso 
di  canti,  vivo  ancora  neUa  tradizione  poeiica  del  secolo  XII,  ma  al 
qttah  Vonore  di  figurare  neu*  epopea  potrebbe  essere  sUxto  procacdato 
posiumerUe  daUa  gloria  del  figlio  e  degli  aUri  diseendenti. 

Wenn  dem  so  wäre,  wenn  die  Sage  Ansegisus  erst  dann  zum 
Objekt  gewählt  hätte,  als  seine  Enkel  und  Urenkel  die  grölsten  der 
Franken  geworden  waren,  woher  dann  die  Kenntnis  seines  Namens? 
Epische  Väter  sind  freilich  jünger  als  ihre  Söhne,  diese  Erkenntnis 
ist  ja  schon  zum  Gemeinplatz  geworden.  Aber  dann  tragen  sie 
auch  keine  historischen  Namen!  'Aus  einer  Chronik  sei  der 
Name  übernommen  worden!'  —  Ich  schreibe  diese  Entgegnung  nicht 
als  einen  Einwand  Rajnas  hin,  der  eine  solche,  seinem  eigenen  System 
gegensätzliche  nicht  erheben  würde.  Ich  schreibe  sie  nur,  um  daran 
zu  erinnern,  dafs  sie  schon  widerlegt  ist^  ad  absurdum  geführt  durch 
die  rein  sagenhafte  Genealogie,  welche  Anseis  in  unserer  Anspielung 
mit  Karl  dem  Grofsen  verbindet 

Da  nun  der  erste  Teil  der  Enfanees  rei  Änseüs  Motive  aus  der 
Jugendsage  der  beiden  Karl  verwendet^  so  ist  die  Form  der  Sage 


/i 


868  Studien  zur  fränkiBchen  ßagengeschidite. 

freilich  jünger  als  diese  Tradition;  und  da  sie  zudem  als  zweites 
Element  die  berühmte  Tat  dothars  auf  ihn  überträgf^  so  gibt  sie 
vorab  nichts  von  organisch  zu  Anseis  gehörendem  Sagengut  wieder. 
Es  ist  nur  der  'epische  Name'  und  seine  Stellung,  die  echt  sind.  Ein 
epischer  Name  Anseis  in  dieser  Stellung  aber  setzt  verlorene,  orga- 
nisch zu  seinen  Taten  gehörende  Dichtungen  über  ihn  voraus. 

Die  Persönlichkeit  des  Ansigisus  war  den  Amulfingen  besonders 
teuer  aus  einem  Orunde,  den  man  nicht  belachen  soll.  Denn  ein 
solches  Aufschauen  zu  einer  älteren  Kultur,  ein  solches  Bestreben, 
mit  der  höheren  Kultur  sich  äulserlich  zu  verbinden,  zeigt  die  Er- 
kenntnis ihrer  Superioritat  und  ist  die  Quelle  innerer  Assimilation: 
die  Ähnlichkeit  des  Namens  Ansigisus  mit  Anchises,  dem  alten 
Trojanervater,  von  dem  die  Römer  sich  herleiteten,  begründete  eine 
phantastische  Ableitung  von  den  Trojanern.  Oberall  in  den  Taten 
der  Bischöfe  von  Metz  (Pertz  II,  8. 264),  dem  Epitaphium  der  Rothaid, 
Pipins  Tochter  (ebda.  S.  265),  stofsen  wir  auf  sie: 

Aber  Anchises,  ihr  wackerer  Ahnherr,  führt  seinen  Namen 
Von  dem  greisen  Vater  des  ältesten  Römers  her.^ 

Noch  Alberich  von  Trois-Fontaines  nennt  ihn:  Anaigistts 
qui  et  Anchises  (ad  644,  685).  Mousket  nennt  ihn  Angis  (21  512), 
ohne  von  einer  Sage  über  ihn  etwas  zu  wissen. 

Es  hatte  wirklich  etwas  Bestechendes,  in  der  Übertragung  der 
Tat  von  einem  Merowing  auf  einen  Amulfing,  von  Clothar  auf 
Anseis,  eine  familienpolitische  Tat  des  jüngeren  G^chlechtes  zu  sehen, 
aber  wieder  steht  uns  die  echt  volkstümliche  Art  der  Enfanees  Ans^ 
entgegen:  denn  eine  solche  tendenziöse  Dichtung  würde  sich  enger 
an  die  Chronik  und  Chronologie  gehalten  haben,  würde  ihn  nicht 
zum  Bastard  gemacht  haben,  sondern  ihn  nach  Anschises  etwa  Angis 
und  nicht  lautgesetzlich  nach  Ansigisus:  Anseis  genannt  haben. 

Nein!  Eine  tendenziöse  Dichtung  sind  diese  Enfanees  nicht, 
und  die  Tat^  die  von  dem  reifen  Manne  berichtet  wurde,  die  Rolle, 
die  König  oder  Held  Anseis  historisch  und  episch  gespielt^  sie  mufs 
bestanden  haben,  um  J^n/ance^-Dichtung  und  epischen  Namen 
entstehen  lassen  und  überliefern  zu  können,  und  sie  hat  auch  be- 
standen, wenn  es  auch  wiederum  nur  Chroniken  sind,  die  ein  Echo 
von  den  ihm  gewidmeten  Sagen  widerhallen.  Anseis  hat  in  dem 
schon  öfters  besprochenen,  epische  Spuren  deutlich  verratenden  Thü- 
ringerkriege von  641  historisch  eine  Rolle  gehabt  Zwar  nennt  ihn 
Fredegar  (Buch  IV,  Kap.  87)  in  diesem  Kriege  Adalgyselus 
(Algiselus),  doch  läTst  Dahn  keinen  Zweifel  an  der  Identität  beider 
Persönlichkeiten.  Ja,  er  nennt  ihn  im  Laufe  seiner  Urgeschichte  der 
germanischen  und  romanischen  Völker  mehrfach  Adalgisil,  im  Re- 
gister allerdings   nur  unter  Ansigisel  (S.  645,  6).    Es  'begegnet 

*  Äsl  abamia  Antchise  pot&ns^  qvi  duaU  ab  iUo 

TVüfamo  AnchUa  Umgo  poit  tempore  nometi. 


Studien  zur  frfinkiiicheii  6ageDgeBchichte.  868 

Adal^ril  auch  nach  Pipins  Tode  nicht  wieder  als  major  domus,  viel- 
mehr tritt  Pipins  Sohn  Orimoald  alsbald  in  dieses  Amt  Einen 
Bruch  mit  Araulfs  Bohn  hat  man  aber  um  deswillen  nicht  anzuneh- 
men: Adalgisil  erscheint  640  als  Heerführer  in  Sigiberts  Feldzug 
gegen  die  Thüringer  neben  Orimoald.' 

Der  gesprächige  Fredegar  berichtet  aber  (IV,  77):  Radulfus  der 
Thüringerherzog  war  im  Kampf  gegen  die  Wenden  Sieger  geblieben, 
und  im  Hochmut  darüber  versud^te  er  mehrmals  dem  Herzog  Adal- 
gyselus  nachzustellen  und  wandte  sich  nach  und  nach  auch  gegen 
Dagoberts  Sohn  Sigybertus.  Wer  den  Streit  sucht,  der  hat  Kampf 
im  Sinn  ...  (TV,  87).  Im  achten  Begierungsjahre  des  Sigybert  (641) 
brach  er  los.  Sigybert  berief  stracks  den  Heerbann,  setzte  über  den 
Rhein,  jagte  des  Thüringers  Genossen  Fara  in  die  Flucht  und  drang 
ins  Thüringerland  ein.  Ein  Schwur  einte  die  Herzöge,  Radulf  nicht 
länger  leben  zu  lassen;  aber  es  kam  anders I  Radulf  baute  sich 
nämlich  ein  festes  Kastell  an  der  Unstrut  und  liels  sich  ruhig  yom 
Gegner  umzingeln.  Sigybert  war  jung  und  ungeduldig;  und  obgleich 
die  Herzöge  Adalgisil  und  Grimoald  ihn  ohne  Unterlafs  bewachten, 
befahl  er  ohne  Beratung  den  Angriff.  Radulfus  aber  hatte  ein  ge- 
heimes Einverständnis  mit  gewissen  fränkischen  Herzögen,  fiel  aus 
und  brachte  den  Franken  eine  empfindliche  Niederlage  bei.  Viele 
Tausende  von  ihnen  sollen  getötet  worden  sein.  Sigybertus  aber,  nach- 
dem Radulf  sich  wieder  in  seine  Burg  zurückgezogen,  safs  auf  dem 
Boden  und  weinte  bittere  Tränen  über  die  Verlorenen.  Die  Mainzer 
sollen  es  gewesen  sein,  die  in  diesem  Kampfe  sich  treulos  erwiesen. 

Kurth  ist  in  seiner  Histoire  Poitique  des  MSrovingiena  S.  466 
den  sagenhaften  Zügen  dieser  Darstellung  gerecht  geworden.  Frede- 
gars  Darstellung  macht  den  Eindruck,  als  ob  die  Fülle  der  ihm  ge- 
fallenden Züge  ihn  überwältigte  und  er  dadurch  vollkommen  aus 
dem  Zusammenhang  geraten  wäre.  Er  berichtet  (wir  haben  die  Dar- 
stellung zu  ordnen  versucht)  von  dem  planlosen  Angriff,  dann  erst 
von  der  Überwachung  des  königlichen  Prinzen  durch  Adalgisel  und 
Grimoald.  Er  schlie&t  seine  Schilderung  ab,  dann  erinnert  er  sich 
der  Untreue  der  Mainzer  und  bringt  diese  Bemerkung  als  Sohlufs 
der  Kämpfe  vor  den  Verhandlungen,  mit  denen  Sigybert  den  ge- 
fährdeten Rückzug  erkaufen  muTste.  Die  Untreue  der  Mainzer  bringt 
er  mit  einer  nicht  oft  von  ihm  geübten  Vorsicht:  Die  Mainzer  'sollen' 
sich  in  diesem  Gefecht  untreu  erwiesen  haben  und  tatsächlich  sind 
in  der  späteren  epischen  Tradition  die  Mainzer  typische  Verräter:  der 
Dichter  des  Doon  de  Maience  mufs  mehrfach  im  Laufe  des  Gedichtes 
hervorheben,  dafs  sein  Held  nicht  jener  Doon  von  Mainz  sei,  der 
gegen  Karl  den  Grofsen  zu  Felde  gezogen,  und  der  Bueve  de  Han- 
stone aus  dem  Lande  gejagt  Jenes  'Mainz'  sei  eine  andere  Stadt 
jenseit  des  Meeres.  Die  weitgehendste  Verwendung  als  Typus  hat 
dann  das  Haus  Maffanxa,  die  Verrätersippe,  in  den  BeaU  di  Francia 
gefunden,  jener  italienisdien  Kompilation  aus  dem  Volksepos. 


964  Stadien  zur  frinkisdieii  SagengMchichte. 

Wenn  nun  die  Mainzer  später  als  Yerrftter  gelten,  so  muls  woU 
einmal  in  der  Geschichte  ein  Anlajfs  zu  solcher  Anschauung  statt- 
gefunden haben.  Und  warum  sollte  es  nicht  dieser  sein.  Nur  Frede- 
gars  Ausdrucksweise  könnte  darauf  deuten,  dais  er  damals  schon 
typisch  war  und  deshalb  innerhalb  des  Ganzen  Fredegars  Argwohn 
erweckte.  Wenn  diese  Untreue  nicht  mit  Sicherheit  als  bereits  sagen- 
hafter Zug  nachzuweisen  ist,  so  sind  es  die  folgenden  sicherlich:  der 
Eid  der  Herzöge,  den  Thüringer  unter  keinen  Umstanden  zu  schonen, 
der  junge  unerfahrene  König,  der  weinend  über  Niederlage  und  Ver- 
luste auf  dem  Boden  sitzt  wie  ein  Kind.  Das  stammt  nicht  aus 
trockener  Ghronikenüberlieferung,  das  gehört  zum  feinen  und  zier- 
lichen Schmuckwerk,  mit  dem  der  Volksmund  die  Sage  zu  bekleiden 
pflegt  Aber  die  Sage  von  Sigyberts  Tollkühnheit  und  Niederlage 
hat  ihren  eigenen  Beigeschmack :  die  Herzöge,  die  geschworen  haben, 
Radulf  keinen  Pardon  zu  gewähren,  stehen  ja  am  Ende  beschämt 
und  eidbrüchig  da,  und  auch  der  Übergang  von  jugendlichem  Wage- 
sinn zu  kindischstem  Ausdruck  der  Verzweiflung  zeigt  eine  ungünstige 
Gresinnung  der  Erzahlenden  gegen  den  König.  Sdhr  einfach,  denkt 
man,  die  Austrasier,  aus  deren  Mitte  die  Arnulfinge  hervorgingen, 
erniedrigten  das  absterbende  Königshaus  und  erhöhten  das  künftige. 
Jedoch  ist  von  einer  Erhöhung  von  Arnulfs  Sohn,  den  die  Metzer 
Ännalen  den  erlauchtesten  Fürsten  nennen  sollten,  wenig  zu  spüren ; 
nichts  berechtigt  uns,  anzunehmen,  dafs  er  den  Eid  der  Herzöge 
nicht  mitgeleistet  hat^  und  nur  die  Überwachung  des  Königs  mit 
Grimoald  vor  dem  Unglückskampf  zeigt  seine  Überlegenheit  —  aller- 
dings mifslingt  ja  audi  sie! 

Soll  ich  daran  erinnern,  dafs  auch  andere  Sagen  sich  bei  Frede- 
gar vollkommen  umgestaltet  und  zwar  volkstümlich  umgestaltet 
zeigen,  dais  Teile  der  Chronik  burgundischen  Ursprungs  sind, 
dafs  nur  kurze  Zeit  darauf  Burgund  in  der  poetischen  Darstellung 
seiner  Kriege  gegen  Nordfrankreich  sein  Heldenepos  erhielt,  dem- 
entsprechend au(^  in  der  burgundischen  Chronik  bereits  vielerlei 
tendenziös  gefärbt  erscheint^  was  die  Franken  anbetrifft?  So  werden 
wir  wohl  kaum  fehlgehen,  in  der  Art  der  Darstellung  von  Sigyberts 
Feldzug  burgundis<^e  Auffassung  zu  vermuten.  Burgundische  Dich- 
tung wohl.  Den  Kern  des  Berichtes  mögen  sie  von  Austrasiem  er- 
halten haben,  entwickelten  ihn  dann  in  ihrer  Art  weiter  und  ver- 
schärften das  für  die  Franken  Skandalöse.  Grund  genug,  denke  ich, 
dem  Bericht  Fredegars  zu  müstrauen  und  ihn  aus  den  Greschichts- 
büchem  verschwinden  zu  lassen,  etwa  bis  auf  den  Kern  —  eine 
fränkische  Niederlage  an  der  Unstrut 

Ich  denke  mir  die  Entstehung  der  Sage  folgendermaßen:  die 
Niederlage  Sigyberts  an  der  Unstrut  wurde  von  den  Austrasiem  in 
einer  Weise  dargestellt^  welche  den  Merowingerprinzen  demütigte  und 
Ansigisel,  dessen  Rat  vorher  zurückgestofsen  wurde,  als  den  schlieiB- 
liehen  Retter  und  Rächer  auftreten  Uefs,  genau  nach  dem  Muster 


8tttd!eo  sur  fribikisdieD  Sagengeacfaidite.  M5 

des  Liedes  Ton  Dagobert  und  Glothar  IL,  in  welchem  der 
junge  König  eine  Niederlage  erlitt,  der  ältere  Fürst  die 
Scharte  auswetzte.  Dort  erlegte  Clothar  den  Sachsen  Bertoal- 
dus  —  im  Sachaenlied  tötet  Anseis  Brehier,  dessen  Identität  mit 
Bertoaldus  wir  schon  öfters  betont  Also  hier  finden  wir  beide 
Sagen  tatsächlich  vermengt  Die  burgundische  Sage  entlehnte 
nur  den  satirischen  ersten  Teil,  der  ihr  behagte,  und  in  dem  sie  die 
Schande  der  Austrasier  sah.  Sie  schlols  mit  der  Niederlage  der 
Franken,  ohne  Ans^s  eingreifen  zu  lassen.  So  geht  es  aber,  wenn 
man  das  eigene  Haus  besdimutzt 

Die  Austrasier  verloren  umgekehrt  mit  Abnehmen  des  Wider- 
wiUens  gegen  die  schwachen,  kindischen  Epigonen  der  absterbenden 
Rasse  das  Interesse  an  dem  Sigybert  niederdrückenden  Anfang  der 
trotz  allem  eine  fränkische  Niederlage  bedeutete,  und  behielten  nur 
den,  Ansds  erhebenden  zweiten  Teil,  dem  sie  eine  Vorgeschichte  im 
Stile  der  Bastardschaft  Karl  Martells,  vulgo  Karls  des  Oroisen  vor- 
aussetzten. Dies  scheint  mir  die  wahrscheinlichste  Vermutung  zu  sein, 
welche  besonders  dadurch  sich  empfiehlt,  dais  sie  die  beiden  bisher 
genannten  Anspielungen  auf  Anseis  auf  eine  Dichtung  zurückführt, 
die  das  Schema  einer  älteren  Sachsendichtung,  der  Sage  von  Cloihar 
und  Dagobert,  getreu  kopiert  Wie  aber  die  Merowingersage  mit  wenigen 
überkommenen  Themen  zu  wuchern  pflegt  und  diese  immer  wieder 
erneuert,  haben  wir  ja  bereits  öfters  betont^  wobei  die  Kooperation 
eines  jungen  und  alten,  tüchtigen  und  weniger  tüchtigen  Heerführers 
auch  bereits  als  immer  wiederkehrend  erkannt  wurde. 

Wir  können  also  für  die  Figur  des  Anseis  die  aufgeworfenen 
Fragen  im  wesentlichen  als  gelöst  betrachten.  Was  nun  die  seinerzeit 
so  sagenberühmte  Brehdertötung  anbetrifft^  so  hat  ja  die  von  uns 
beigebrachte  Version  mancherlei  Zweifel  getilgt^  aber  sie  hat  auch 
neue  Probleme  mit  sich  gebracht:  welcher  Natur  ist  die  Verwandt- 
schaft der  Versionen? 

Nun  brüstet  sich  im  Ogier  Brehier  vor  dem  Kampfe  (9874):  'Ich 
will  einmal  Karls  Heer  einen  Besuch  abstatten;  als  treulosen  Ver- 
räter wiU  ich  ihn  vor  der  Welt  hinstellen:  Braimont  tötete  er  in 
mörderischem  Verrat,  sein  Vater  Pipin  brachte  Justamont  um. 
Bei  Mahomet^  ich  werde  sie  rächen  1'  Und  Pipin  schimpft  er  einen 
schlechten,  stinkigen  Zwerg  (9946). 

Erinnern  wir  uns  nun,  was  wir  zu  Anfang  sagten:  die  Erwäh- 
nung des  Anseis  im  Sachsenliede  gewährt  uns  den  Einblick  in  eine 
zyklische  Sachsendichtung.  Durch  das  Prinzip  der  Blutrache  wurden 
eine  Anzahl  Dichtungen  miteinander  verknüpft,  die  alle  einen  fränki- 
schen Führer  als  Sieger  über  den  Sachsenkönig  darstellten:  als  ersten 
den  Floovent^  dann  Clothar-Anseis,  wie  dieser  schlug  nach  Mainet 
{Bomcmia  IV,  S.  819)  Pipin  dem  Justamont  im  Zweikampf  den  Kopf 
ab,  ebenso  Karl  der  Grolse  dem  Wittekind  im  erhaltenen  Sachaenlied. 


806  Stadien  cur  Mokischen  Si^ngeM^hiolite. 

Nachahmungen  dieser  etwas  stereotypen  Schlüsse  finden  wir  noch  im 
Zweikampf:  Karl  der  Grofse-Braimant  (vgL  Brunamont 
JUatneQ;  Karl  der  Orofse-Baligant  (Bolandy  Und  da  der  Ogier 
innerhalb  seiner  Brehiertöiung  sich  mit  den  angeführten  Worten 
auf  die  zyklische  Sachsendichtung  beruft^  in  dieser  aber  die  Tat  nach 
Ausweb  des  Saehsenliedes  von  Anseis  erzahlt  wurde,  so  ist  es  wahr- 
scheinlichy  da(s  dieselbe  von  Anseis  auf  Ogier  direkt  übertragen  wurde 
und  nichts  wie  ich  bisher  mit  Voretzsch  annahm,  von  Lothar  auf  Ogier. 

Des  Alberich  Anspielung  behalt  freilich  ihren  vollen  Werl^  der 
Loihariua  Superbus  des  noch  von  ihm  gekannten  Heldenliedes  ist 
auf  keine  Weise  auszuschalten. 

Und  so  haben  wir  die  interessante  Sachlage,  dais  man  im  1 S.  Jahr- 
hundert die  Brehi ertötung  zu  gleicher  Zeit  von  drei  verschiedenen 
Personen  singen  hören  konnte:  von  Clothar  in  ursprünglicher  Ver- 
sion (Zeugnis  Alberich,  der  ihn  darum  Ogier  gleichsetzt),  von 
Anseis  innerhalb  einer  zyklischen  Nachdichtung,  von  Ogier  in 
einer  Nachgeschichte,  die  auch  Motive  der  Beliaarsage  aufzuweisen  hat 

Wahrscheinlich  waren  diese  Sagen  geographisch  geschieden:  Clo- 
thar mag  in  Alberichs  Heimat^  in  der  Champagne  (Wattenbach: 
OeschiehUqueUen,  5.  Aufl.,  S.  422)  besungen  worden  sein,  Ogier  um 
Meauz,  wo  sich  nachweisbar  eine  Legende  über  ihn  gebildet  hat 

Anseis  aber  gehört  dem  Osten  an.  Sein  Vater  war  Erzbischof 
von  Metz,  er  selber  inAustrasien  Hausmeier  und  Herzog.  In  öst- 
lichen Kriegen  Heerführer.  So  nehme  man  es  als  Beleg  dafür,  dals 
die  Heimat  seiner  Sage  Lothringen  gewesen  ist,  dajfs  wir  an  Stelle 
der  Unstrut  ältester  Sage,  der  Rune  der  Karlssage  (=  die  Ruhr  i), 
hier  die  Maas  als  Schauplatz  seiner  Taten  finden. 

Dort  sausen  auch  diejenigen,  die  von  ihm  sangen,  und  die  den 
Sohn  des  heiligen  Arnulf  trotz  der  starker  leuchtenden,  alle  schwäche- 
ren absorbierenden  Gestirne  Karl  Martells,  Karls  des  Groisen,  der 
Ludwige  über  fünf  Jahrhunderte  nicht  vergafsen. 

Anhang. 
Der  Text  der  Anspielung  auf  das  Änse'islied. 

Saünes  T.  IV,  1.  Fran^ois  se  deffandirent  com  nobile  guerrier. 

Li  uns  rois  apr^  Fautre  panse  de  l'anforder, 
Tant  qu'en  France  morut  li  rois  sanz  heritier. 
Ne  sorent  la  corone  cui  doner  ne  bailiier; 
6  De  Jofroi  de  Paris  firent  lor  justisier 

*  Bune  =  Rhein  ist  ein  Irrtum  Gaston  Paris'  (HisL  Pok.  S.  289), 
der  kritiklos  gBuue  weitergetragen  worden  ist.  Seit  dem  Aufsatz  von  Jos. 
Hansen  in  Sbradnungen  xtir  Deutschen  Qesckiehtey  1886,  S.  119 — 121,  ist 
wohl  nicht  mehr  daran  zu  zweifebi,  da(s  die  Ruhr  gemeint  ist:  Rura  >  Rure 
ereab  durch  Dissimilation  Rune,  —  Jüng(^e  Literatur  zu  diesem  Punkte 
siehe  Roh n ström  op.  cit  S.  175  ii.  memach  findet  sich  der  Name 
Rune  in  anderen  Texten  in  Spanien.  Deswegen  für  das  Saeheenlied  die 
Etymologie  Rune  —  Bura  abzulehnen,  scheint  übertrieben. 


Stadien  zur  Mnkiichen  Sagengeschichta.  867 

Por  maintenir  la  gueire  et  por  ax  anforcier. 
Api^  celai  eslurent  dant  Gfarln  le  Pohyer;^ 
Ne  sorent  la  oorone  allon  miaz  amploier, 

auar  molt  eetoit  prodom,  si  aoct  bien  guerroier; 
hß  aiaz  n'ot  fil  ne  fille  de  sa  franche  moillier. 
Gil  con^t  Ans^jB  an  la  fille  au  yachier, 
Qui  pms  derraifina  France  coro  k  cors  k  Brehier* 
Au  parlement  sor  Muese,  oü  ot  maint  haut  princier, 
Francois  et  Beene'  furent  ajöm^  por  plaidier, 

16  Por  la  destroite  guerre  finer  et  apaier. 
Dont  firent  la  bataüle  sor  •  ||  •  homes  ju^er 
Et  d'ambes  parz  trez  bien  jurer  et  fiancier 
Que  ne  feront  jamaiB  guerre  reoommencier; 
JÜhB  dl  en  alt  ronor  cui  Dez  yodra  aidier. 

ao  Cd  jor  firent  Fran9oiB  d'Ans^VB  Chevalier, 
Qar  ancores  servoit  au  role^  d'^escuier; 
Bien  11  sistrent  les  armes,  si  s'an  sot  bien  aidier. 
Brehier  refirent  Saisne  molt  bien  aparolUier, 
Puis  les  firent  andeus  outre  •  |  •  autre^  nagier; 

26  Se's  ont  andeufi  laissiez  as  armes  acointier. 
Aus^^rs  le  conquist  k  l'esp^e  d'acier: 
Li  Saisne  s'an  tornerent,  n'i  ot  que  correder; 
M^s  toz  lor  sairemanz  fauserent  de  legier, 
Qar  onques  ne  laisserent  nos  Frans  ä  laidangier. 

so  Ans^ys  ooronerent  k  Saint-Denis  mostier; 
Leax  fu  et  prodom,  Deu  ama  et  ot  chier. 
Cil  fu  peres  Pepin  le  yassal  droiturier, 
Qui  pms  refist  a  Saisnes  maint  mortel  anconbrier 
Et  odst  Justamont,  yoirement  sanz  cuidier. 

36  Guiteclins  le  cuida  puis  vers  Earlon  vangier; 
Li  fil  aprte  les  peres  repristrent  le  mestier. 

Diese  AjiBpidung  ist  in  veränderter  Qestalt  wiederholt  auf  8. 1 65 
desselben  L  Bandes: 

Tirade  XOVII,  2.  'Morz  fu  Karies  li  Chaus  qi  l'ampire  ot  conqis ; 

Apr^  Karies  Martiaz  qi  tant  fu  mal  pansis; 

Ne  remest  oirs  en  France  ne  an  qint  ne  an  sis; 

•X'  ans  laiBserent  France  k  Joifroi  de  Paris. 
6  Qant  Garins  de  Baviere'  fu  do  roiaume  eshs, 

Fame  avoit  beie  et  si^;  mais  ainz  n'an  fu  oirs  vis; 

Gil  ot  une  vachiere  qi  molt  ot  der  le  vis: 

Basse  choee  ert  assez ;  m^  li  cuens  (1 :  cuers  =  B)  fu  gentis. 

Puis  fu  li  Buens  li^ages  de  chevage^  franchis. 
10   Por  la  biaut^  de  b  fu  Garins  ses  amis: 

O  li  jut  une  nuit,  si  an  fist  ses  delis; 

De  lui  fu  angenrez  li  forz  rois  Ans^ys, 

Qui  puis  ocist  Brehier,*  dont  ancor  nos  est  pis.^ 

D'Ans^s  fu  Pernns,  qi  proz  fu  e  gentis; 
Iß  Et  de  repin  fu  Maries,  qi  nos  a  anvais.' 

'  R:  Girart  le  Pontier.  —  *  lo  A;  L:  Broier;  R:  oors  k  oon  baUillier.  -> 
'  L:  OA  France  et  Saisne  ...  —  ^  A:  en  robe.  —  *  A,R:  isle.  —  '  B:  G.  de 
Lancele,  A:  G.  de  Saosnerre.  —  **  L:  chevaz;  A,  R:  aervage;  T:  chevage  (vgl. 
Siepel,  KrUitck«  Beiträge  m  Jean  BodeU  Epos,  Diu.,  Greiftwald  1899,  Nr.  106).  — 
'  L:  Broier.  —  *  Ein  SaohM  ist  der  Erzählende. 

München.  Leo  Jordan. 


Note  snl  Boeeaeeio  in  Ispagna  nell^Etä  Media. 

(Fortwtnmg.) 


II  De  daris  Mulierihus  ed  il  De  Caatbus,  benche  diversi 
nell'accozzamento  del  materiale  erudito^  mostrano  un  aspetto 
medesimo  deiranimo  del  Boccaccio;  si  completano  a  vicenda. 
£:  un  ricreare  e  sollazzare  la  mente,  riempiendola  di  fatti  egregi 
e  memorandi;  un  fortificare  lo  spirito  fiacco  con  riflessioni  morali 
ed  una  filosofia  sensatissima  e  cristianissima,  ma  tutta  a  fior  di 
pelle.  Si  infiilzano  esempi,  e  si  ragiona:  Badate  alle  antiche  storie 
che  son  specchio  della  vita;  incamminatevi  alla  virtü  e  fuggite 
il  peccato.  Chi,  fuor  d'Italia,  conosceva  il  De  Casibus  del 
'famoso  filosofo  y  grand  poeta'  Boccaccio,^  ignorava  difficilmente 


*  Cosl  chiamayalo  un  lettor  assiduo  del  De  Gm&tM,  Fernan  Mexia, 
nel  Libro  wUüulado  nobüiarto  perfetamente  eopylado  y  ordmado  (Sevilla 
1492,  cap.  I),  che  potei  consultare  ^uando  era  pk  a  stampa  il  capitolo 
precedente.  Quivi  ü  Boccaccio  che,  in  mateiia  di  nobiltä  e  di  virtü,  pen- 
saya  come  Dante,  ^  tratto  a  conviüidare  il  pensier  retrogrado  di  una  no- 
biltä  basata  sulla  purezza  del  sangue  e  la  discendenza,  e  doyrebbe  prestar 
armi  per  combattore  il  ^famoso  doctor*  Bartolo.  (cap.  I)  '£n  favor  de 
nuestro  proposito  el  vocagio  preeta  o  noB  enbia  tres  flechas  a^udas  y 
fuertes  para  mortalmente  ferir  al  dicho  doctor,  eecudo  de  aqueUa  tabla 
terpera  de  su  escudo,  escripto  en  siu  tendales,  como  fueron  sacadas  de 
aquella  epistola  con  la  quäl  fue  presentado  el  libro  suyo  caydes  de  prin* 
cipes  .  La  aual  eeta  situada  en  el  comen90  de  dicho  libro  .  Las  letras 
dizen  aal  .  Maginardo  onbre  de  onrrado  linaje  deßta  ^bdad  de  floreyia,  el 
quäl  es  cavallero  armado  y  el  titulo  de  su  linaje  antiguo  y  muy  famoso 
es  en  esta  gibdad  y  de  buenas  costunbres  mucho  doctado  .  Por  yierto  si 
este  famoso  filosofo  y  grand  poeta  no  sintiera  como  la  anti^edad  y  claridad 
del  linaje  no  era  la  perfe9ion  de  la  nobleza,  no  se  metiera  &  dar  loores 
de  nobleza  de  antiguedad  del  dicho  maginardo.  . . .  Y  lueffo  lanyo  la  se- 
gunda,  sacada  del  goldre  del  dicho  libro  .  cap.  VII .  cuyas  letras  material- 
mente  dizen  asi  .  Vi  al  Brey  minus  que  ante  todas  las  cosas  en  su  nasci- 
mieto  fae  muy  daro  asi  como  aquel  que  era  engendrado  de  aquel  grand 
Rrey  de  creta  llamado  astrio  y  de  europa  fija  del  Bey  agenor;  esto  dixo 
el  gran  poeta  por  que  asteiio  yeetia  de  la  mas  alta  sangre  y  antigua  y 
noble  del  mundo.  ...  La  tercera  es  aquella  la  quäl  sacada  del  dicho  goldre 
puso  en  suB  tendales  aqueUas  letras  que  se  leen  en  el  cap.  XIII  en  el 
comiengo  que  dizen  ansi:  De  un  linaje  muy  claro  muy  alta  y  linpia  san^e 
fue  priamo  .  Aqui  es  de  notar  que  alta  sangre  no  quiere  otra  cosa  dezir: 
salvo  antiguo  . . .  e  esto  quiso  dezir  el  dicho  poeta.'  Di  Dante  non  ragiona 
il  Mexia  nel  Nobüiario  (e  cosi  sciolto  un  dubbio  espresso  nelle  noto  mie 
su  Dante  in  Lmagna,  p.  19  dell'estr.);  cita  per6  i  Trionfi  del  Petrarca 
(Lib.  I  cap.  LxXTin),  licorda  la  Vision  deUuUtble  di  Alfonso  de  la  Torre 
(Lib.  II  cap.  XX),  e  piü  yolte  le  glosse  del  Villena  dXVBneide  tradotta. 


Note  Bul  Boccaccio  in  Ispagna  nell'EtA  Media.  809 

il  De  dartM  Mulieribus;  ayveniva  talvolta  che  i  due  trattati  si 
mettessero  in  im  fascio  e  si  confondessero.  Alla  yersione  fran- 
ceee  del  De  daris  MulieribuM,  venuta  in  luce  nel  1493,  il  V6rard 
mandava  innanzi  ravvertimento:  'La  fin  et  intention  du  dit  auteur 
est  monstrer  Tinstabilite  et  variacion  de  fortune,  laquelle  sou- 
yentesfois»  apres  plusieurs  grandes  prosperit&y  renverse  Testat 
des  humains  et  parfond  de  miserable  infelicite,  et  du  contraire» 
apres  plusieurs  adyersitesy  eile  restitue  les  mortels  yiyans  en 
plus  grande  prosperite  que  deyant'* 

L'arte,  gia  dal  Boccaccio  affogata  entro  le  spire  delFeru- 
dizione  e  della  morale,  immiseriyasi  necessariamente  nelle  tra- 
slazioni  ed  imitazioni  successive.  II  trattato  sulle  chiare  donne 
giungeya  proyyidenziale  a'  dotti,  nel  feryore  delle  discussioni 
sulle  donne,  in  tanto  affannarsi  per  sgombrare  da'  royi  e  dalle 
spine  la  yia  che  conduce  al  cielo.  Doyunque  s'apron  cammini, 
penetra  la  donna.  Hai  le  tentazioni  di  Sant' Antonio,  accanto 
alla  yisione  estatica  di  Maria  Yergine;  il  diayolo  che  tira  in  giü 
grayoso  la  came,  e  l'angelo  che  porta  salute,  e  solleya  lo  spirito 
alFeterna  beatitudine.  Attorno  alla  donna  giran  tutti  gu  or- 
digni  maggiori  e  minori  della  letteratura.  AJla  donna  s'erigon 
tempi  e  si  preparano  infemi.  I  femministi  lottano  co'misogini. 
Hai  trattati  sui  pregi  e  le  yirtü  delle  chiare  donne;  hai  inyet- 
tiye  mordenti  e  lurenti  contro  il  sesso  debole  e  peryerso,  ed  un 
coro  di  garrule  yoci  che,  dalle  chiese  e  dai  chiostri,  impreca  alle 
figlie  di  £ya,  e  inneggia  a  Maria,  sola  £ra  le  donne  purissima. 
II  Boccaccio,  natura  bonaria,  solito  a  non  macerare  le  cami 
con  digiuni  e  priyazioni,  tardi  pentito  e  rayveduto,  messo,  suo 
malgrado,  a  salmodiare  co'mistici  e  gli  asceti,  perdonava  alle 
donne  tante  fiacchezze  per  un  amoroso  sorriso;  non  coyaya  per 
esse  odio  profondo.  Espertissimo  della  natura  loro,  delicata,  lasci- 
yetta  e  labile,  tenera  e  caparbia,  angelica  e  diayolesca  ad  un  tempo, 
quand'ebbe  riyolta  la  mente  a'pensier  gravi,  beato  ancora  di 
poter  scorrazzare  a  piacere  nel  mondo  apertogli  da'dottori  an- 
tichi,  e  di  riempir  le  carte  di  nomi  jllustri,  motte  insieme,  attin- 
gendo  alle  mitologiche  fayole,  alle  loggende  ed  alla  storia,  in- 
contentabile  nel  daxe  l'ultimo  assetto  al  lavoro  suo,  i  suoi  bravi 
esempi  di  chiare  donne.  Lo  sfogo  de'  suoi  risentimenti,  le  amare 
inyettiye  contro  le  yedoye  e  le  donne  in  genere,  affidaya  al 
Corbaccio,  spoherizzato  qua  e  la  di  mistica  doratura.  Aveva 
scritto  pe'paiadini  delle  donne  e  per  i  loro  denigratori,  e  pro- 
nundato  il  suo:  scegliete. 

Vi  furono  Spagnuoli  pronti  a  scegliere  l'apologia,  che,  abil- 
mente,  sotto  il  cumulo  di  lodi,  copre  U  biasimo  alla  frale  natura 


^  H.  Hauyette,  D$  LaurmUio  de  FHmofato,  FtaJB  1903,  p.  106. 
ArchlT  f.  n.  Spnehen.    CXy.  24 


870  Note  8ul  Boccacdo  in  Ispagna  nell'Etä  Media. 

femmimle»^  tenuta  dal  Chaucer,  tra  i  Britanni,  in  gran  pregio, 
e  fönte  alla  Legend  of  good  Women;  vi  furono  altri  che»  a 
chiiis'occhi,  accettaron  la  satira.  Ma,  in  generale,  per  certo  spi- 
rito  galante  e  cavalleresco  ch'era  ne'piü  dotti»  nella  patria  del 
Don  Quijote,  ingentiliti  dalla  coltura  umanistica»  in  tempi  in  cui 
le  favole  e  le  ambagi  di  re  Arturo,  gli  amori  di  Tristane  e  d'Isotta 
scaldavan  la  fantasia  e  molcevano  i  cuori,  e  correvan  le  prime 
storie  di  Amadigi,  preferirono  i  piü  schierarsi  col  De  claris 
Mtdieribus  a  sostenitori  del  valor  femminile,  che  imprecare  alla 
malvagita  della  donna  col  Corbaccio.^ 

Le  imitazioni  del  trattato  latino  precedettero  verosimilmente 
la  traduzione  castigliana,  compiuta  ^otto  il  regno  di  Juan  U,  da 
un  anonimo,  che  qua  e  la  corresse  il  Boccaccio,  e  ne  completö 
le  storie  abbozzate,  giovandosi  di  'algunos  famosos  y  mas  ciertos 
autores'  (f.  YU).  Apparve  l'opera  stampata  col  ütolo:  De  las 
mugeres  illustres  en  romance,  nel  1494,  un  anno  prima  delle 
Caydas,^    I  Warones  ilustres'  di  Castiglia,   quali  ce  li  descrive 


'  Gerne  anche  nel  D$  (hnealogits  Deorum  il  Boccaccio  amaase  syelare 
le  fralesze  femminili,  moetra  lo  Schöningh,  Die  QöttergenecUogien  des 
BoeeaeeiOf  Posen  1900,  p.  89  sg. 

*  Grandi  yantagd  morali  prometteya  d'altronde  11  Boccaccio  ai  lettori 
del  suo  trattato.  Vmi  la  conclusione  della  yereione  castiffliana  del  Libro  ... 
(20  Uu  illustres  mugeres,  ch'io  citerö  piü  innanzi  (f.  L) 'Ca  los  hombres 
softoUentos  j  de  poco  leyendo  muchas  haza&as  j  empresas  espantosas  j 
de  tan  sobrados  esfuer^  de  mugeres:  sentiran  graye  aguijon  para  que 
no  sean  de  menos  que  ellas.  £  las  duefias  honradas  halüuran  grandes 
enxemplos  j  muy  peiregrinos  para  conünnacion  de  su  yirtud.' 

'  rensaya  un  tempo  attribuirla  ad  Alonso  de  Cartagena,  traduttore  del- 
l'ultima  parte  del  De  Oasibus,  al  quäle  oomunemente  si  aggiudica  un  trattato 
sulle  donne  illustri,  Irreperibile,  ma  h  con^ttura  cotesta  priya  affatto  di 
fondamento.  Non  ayrä  certo  i^orato  l'insigne  e  dottissimo  yesooyo  l'apo- 
logia  boocaocesca,  ma  negli  scntti  e  trattati  suoi  tralascia  di  fame  riconlo. 
Neue  chiose  alla  yersione  del  De  IVovideniia  di  Seneca,  ricorda  il  detto 
di  Salomone:  'la  muger  es  mas  amarea  que  la  muerte',  per  subito  aggiun- 
gere,  non  doyersi  muoyere  ingiuria  al&i  donna,  'ca  no  yino  medea  a  bnscar 
a  iasö,  mas  iasö  lue  a  buscar  a  medea'  (Vedi  la  stampa  citata  dd  Oinoo 
libros  de  Seneea).  —  L'edizione  di  Zarw>za  del  1494 :  Johan  boea^  de  eer- 
taldo  poeta  floi  retin  d*  las  daras  exeelktes  y  mas  fa\  mosas  y  senaladas 
damas:  adrefodo  a  la  muy  illustre  senora  dana  Andrea  de  aoehiarolis 
ecndesa  de  cUia  viUa,  h  di  estrema  rariUt,  ed  io  non  potei  yederla.  (La  re- 
eistrano:  il  Qallardo,  Ens.  II,  97;  A.  Hortis,  ^SS^.  s.  oper,  laJt.  j^.  897; 
P.  B.  Femdndez  in  La  öiudad  de  Dios,  1902,  marso ;  0.  Haebler,  Bihliogr, 
ibSr.  del  siglo  XV.  La  Haya,  Leipzig  1904,  p.  24.)  Ai  piü  ^  solo  acces- 
sibile  Pedizione  di  Seyilla,  1528:  Libro  de  Juä  Boeaeio  que  traeta  de  las 
iüustres  mugereSf  tolta  rapidamente  in  esame  da  L.  Torretta  in  Oiom. 
stör.  d.  leUer.  ital.  XL,  44  sg.:  'primeggia  sulle  altre  per  fedeltä,  poich^ 


ipitolo 

riprodotto  interamente,   yiene  aggiunto   un  nuoyo  brauo  contenente  ora 
semplici  considerazioni  morali,  come  nei  capitoli  di  Tisbe,  di  Niobe,  delle 


Note  8ul  Boccaccio  in  Ispägna  nell'Etil  Media.  871 

Hernaado  del  Pulgar,  e  prima  di  lui  il  D'Ayala,  amayan  le  donne^ 
benehe  austeri  e  gravi  fossero;  erano  'inclinados  a  mujeres'; 
unicamente  di  sogni  puri  e  platonici  non  si  pascevano.  Attorno 
alle  dame  di  corte  gironzano  gli  spasimanti  cayalieri,  e  profon- 
dono  lodi  e  incenso.  A  paladino  dell'oüor  femminino  giä  s'era 
eretto  Enrique  de  Yillena,  chiudendo  l'allegorico  trattato  Los 
trabajos  de  Hercules.  La  lirica  provenzaleggia  e  petrarcheggia; 
si  crea  i  suoi  idoli  d'amore,  e  gioie,  e  tormenti.  Cresce  il  prestigio 
della  bellezza;  con  baldanza  si  affissano  gli  occhi  nel  bei  corpo 
di  dbnna,  e  non  e  da  stupire,  se  Don  Alvaro  de  Luna,  incline  alle 
lettere  e  alle  donne,  come  i  piü  grand'  uomini  del  tempo,  in 
pieno  fervore  di  umanistici  studi,  capitatigli  tra'  mani,  negli  ozi 
concessigli  dagli  intricati  negozi  di  stato,  il  De  daris  Mulieri- 
bus  del  Boccaccio,  tentasse  emularlo  con  un  trattato  analoge: 
il  Libro  de  las  virtuosas  et  ciaras  mugeres,  frutto  di  laboriosa 
e  paziente  compilazione,  di  accurato  spoglio  degli  scrittori  an- 
tichi,  allora  piü  in  voga,  di  Yalerio  particolarmente,  ponderato 
in  ogni  parte,  scritto  con  senno  e  chiarezza,  in  una  prosa  ni- 
tida e  fluida,  la  miglior  prosa  del  tempo.  Sfila  innanzi  a  noi 
il  gran  coi-teo  delle  donne  illustri.  Porzia,  Claudia,  Virginia, 
Veturia,  Lucrezia,  Sulpizia,  Ipermestra,  Argia,  Artemisia,  Marzia, 
Penelope,  Cammilla,  moltissime  altre,  che  troviamo  pur  raggruppate 
attorno  alla  Citd  des  dames  di  Christine  de  Pisan  (suggerite  dal- 
l'esempio  del  Boccaccio),  trionfanti  nel  Champion  des  dames  di 
Martin  Le  Franc,  nella  Clarissimarum  feminarum  laudatio  di 
Albert  von  Eyb,*  ci  insegnano  la  fermezza  muliebre  nel  fuggir 
le  insidie,  l'ozio,  le  mille  tentazioni;  celebrano  il  fior  delle  virtü 
nella  donna:  la  castita,  incarnata  in  Sulpicia,  dura  ad  ogni 
assalto,  ^amando  con  muy  grande  amor  solamente  &  su  marido. 


mogli  dei  Menii  ora  qualche  ulteriore  notizia  intomo  alla  protagonista, 
oome  in  quelli  di  Leena  e  di  Ippone,  notizie  che  egli  attinge  per  lo  piü 
ai  fonti  stessi  di  cui  si  ^  aervito  u  Boccaccio.'  Ancor  si  dovrebbero  studiare 
i  manoscritti  sparsi  di  (^uesta  versione,  e  determinare  con  esattezza  le 
lacune  e  le  interpolaziom  Del  testo  castigliano,  Don  tutte  dovute  certa- 
mente  all'arbitrio  deUo  stampatore. 

'  L.  Torretta  discorre  con  cognizioni  scarse,  Del  citato  articolo,  della 
fortuna  del  De  claris  MtUieribus,  fuori  d'Italia.  Di  Christine  de  Pisan 
non  fa  parola;  ignora  il  dotto  studio  di  E.  Drescher  sulla  traduzione  dello 
Steinhöwel,  ristampata  con  ogni  cura  nella  BibL  d.  litter,  Vereins  SttUtgarts 
VoL  CX/Vt  TQbingen  1895.  Lo  Steinhöwel  informa  in  una  nota  com' egli 
liberamente  traducesse :  p.  XXX :  'Ich  gedenck  ouch,  daz  ich  nit  entrinnen 
müg  mit  myner  arbeit,  oie  ich  in  guoter  main  uncz  an  dise  fabel  gebracht 
hab,  in  ringem,  verstentlichem  tusch,  on  behaltne  Ordnung  der  wort 
ffegen  wort,  ouch  nit  gelyche  sinn  gegen  sinnen,  sonder  offt  mit  zuoge- 
leUen  worten  nach  mynem  bedunken  darzuo  dienenden,  oder  abgebrochen, 
ouch  nit  on  ursach  beschenhen.'  Sulla  Glariss,  fem,  laudatio  ved.  M.  Herc- 
mann,  Älb,  v.  Eyb  und  die  FrÜhxeü  des  deutschen  Humanismus,  Berlin 
1892,  pp.  287  sgg.,  dove  perö  a  torto  si  tace  il  Boccaccio  tra  le  fonti. 

24* 


872  Note  stQ  Boocaodo  in  Lipagna  ndl'EtA  Media. 

porque  esta  es  la  entera  castidad'.  Don  Alyaro  che  al  corteo 
delle  donne  insigni  aggiunge  le  Ebree  e  le  Cristiaiie,  celebrate  dalle 
Sante  Scritture,  e  dal  Boccaccio  trascarate  di  proposito,  perche 
'descritte  in  piü  di  un  volame  da  molti  santi  uomini,  nelle  sacre 
lettere  dottissimi  e  non  poco  onorati',  moralizza,  emette  sen- 
tenze^  s'inchina  ai  sapienti;  da  rialzo  a'  detti  suoi  con  un  'segun 
dicen  algonos  Doctores,  especialmente  Juan  Boccacio  en  el  su 
libro  de  las  nobles  j  ciaras  Mujeres'.  AI  dottor  Boccaccio  pa- 
recchio  toglie  per  completare  le  narrazioni  degli  antichi;  toglie 
da  Yalerio  in  special  modo,  il  gran  compilatore,  da  cui,  in 
Ispagna»  ognun  compila;  ne  si  limita  ai  particolari,  agli  aned- 
doti,  ma  trascrive  yite  intere  di  donne,  quando  opportuno  gli 
sembra.^ 

In  yerita,  maggior  gratitudine  meritaya  il  saggio  precur- 
sore  che  gli  fu  proyyido  d'aiuto  e  di  consiglio,  e  gli  suggeri 
persino  il  titolo  all'opera:  ^claras  mugeres'.  61i  esce  detto,  a 
gran  stento,  che  delle  chiare  donne:  *Joan  Boccacio  algunas  cosas 
trata'9  ed  ha  il  coraggio  di  appropriarsi  anche  il  proemio  del 
trattato  latino  boccaccesco.  Merayigliasi  ancor  lui,  ^on  poco', 
^de  tantos  prudentes,  e  santos  Autores,  que  de  los  fechos  6  yir- 
tudes  de  los  claros  yarones  hayan  fecho  eztendida  6  compUda 
memoria',  nessuna  particolare  descrizione  lasciando  de'  yirtuosi, 
egregi  fatti  delle  donne;  ancor  lui  menziona  il  Petrarca,  *del 

?ual  mas  es  de  marayillar,  porque  yido  el  olyido  de  los  otros 
fiie  mas  cercano  &  los  nuestros  tiempos.'' 

II  libro,  cosi  composto,  yergato  da  mano  possente  e  temuta, 
fece  fortuna.  Doyettero  rubarselo,  a  yicenda,  donne  e  donzelle, 
le  quah,  con  compiacimento  infinite,  yi  ayranno  yisto  come  un 
riyerbero  delle  loro  reali  od  immaginarie  yirtü,  buono  per  stuzzi- 
care  la  yanita  fenmiinile.  *Por  haber  compuesto  tan  noble  libro 
en  honrra  d'ellas,'  cioe  delle  'ciaras  mujeres  del  nuestro  tiempo', 
Juan  de  Mena,  FOmero  di  Spagna,  ringraziaya  in  un  Prohemio 
il  *muy  yirtuoso,  6  muy  magnifico'  contestabile.  Offiiya  poi 
l'autore  delle  Treeientas  in  un  suo  syago  in  rima,  accolto  da' 
'Canzioneros',  col  titolo:  C^aro  Escuro^,  un  elogio  di  yirtuose 
donne,  e  celebraya  Argia,  Lucrezia,  Ipermestra,  Penelope,  Arte- 

'  üna  delle  poche  cose  commendeyoli  nel  libro  di  B.  Sanyifleiiti. 
I  vnmi  infkuai  ai  Dante,  del  Petrarea  e  dd  Boeeaedo  .. .,  Milano  1902,  h  il 
düi^ente  ed  utile  coDfroDto  (non  priyo  perö  di  gODÜezze  e  di  fronzoli) 
fra  il  De  elaris  Muliertbus  del  Boccaccio  e  il  Libro  de  las  virtuosas  y  daras 
mugeres  di  Alyaro  de  Luna  (pp.  289  sgg.),  stampato  quest' ultimo  per 
cura  de'  Bibliof,  Espan,,  Madrid  1891. 

'  II  Petrarca  ayeya  pa^to,  d'altaronde,  il  suo  tributo  d'encomio  alle 
femmine  egregie.  in  un'epistola  ad  Anna,  sposa  all'imperatore  Carlo  V, 
e  Bteso  un  suo  orayo  elenco  di  nomi  di  illustri  donne,  da  Minerva  fino 
alla  conteesa  Matilde.  Epist.  fam.  ed.  Fracass.  üb.  XXI  Cap.  VIII  (III,  70). 

'  Caneion.  general  I,  117. 


Note  8ul  Boccaccio  in  Ispagna  neH'EUL  Media.  878 

misa  ed  altre  illustri.  *  La  ^buena  Hypermestra*»  la  'casta  Lucre- 
cia\  Artemisia»  Penelope»  Argia  palesano  la  virtii  loro  nel  primo 
ordine  delle  sfere  rotanti  del  poema  maggiore.  (Nel  2^  ordine  di 
Mercurio  str.  XC  appare  ^Enphyle'.)  La  Coranacion  iucensa 
pure  le  insigni  e  elette  del  4inage  feminine'.  Tor  no  espantar 
a  las  donas^  aggiunge  il  poeta,  *m  robarles  aus  Coronas  |  sus 
martyrios  no  assigno/ 

I  trattati,  le  biografie  muliebri,  le  dispute  suireccellenza, 
la  nobilta  delle  donne  pullulano  in  quel  secolo,  cosi  fertile  di 
dotte  scritture;  muovono  gli  intelletti  e  i  cuori  de'  letteraü 
piü  eloquenti;  occupano  gli  uomini  di  mondo,  non  meno  degli 
uomini  di  chiesa,  che  di  tutti  i  secreti  possedevan  le  chiaTi. 
Fioccan  cavilli,  e  sottili  e  lambiccate  distinzioni,  e  paradossi; 
si  ponderano  vizi  e  virtü,  solla  bilancia  offerta  dal  Boccaccio; 
si  ribattono  le  accuse  de'  misogini  sirontati,  con  spirito  parti- 
giano  accesOy  acciecato.  La  tranquilla  meditazione,  che  sola 
concede  di  penetrare  negli  abissi  del  cuore,  ed  illumina  sulla 
psiche  complessa  dell'  animal  muliebre,  non  e  di  nessuno  di  que' 
paladini  zelanti  che,  nelle  terre  del  Ceryantes,  celebravan  le 
Dulcince  alla  stregua  delle  donne  antiche,  e  vedevano  un'anima 
ed  una  Tita  esemplare  in  un  nome  illustre  che  la  leggenda  e  il 
mito  tramandavauo.  £  in  pochi  temperanza  di  giudizio.  Im- 
pegnatasi  la  lotta,  conveniva  riyelarsi:  o  risolutamente  femministi, 
0  risolutamente  antifemministi.  Forti  delle  erudite  memorie  an- 
tiche,  saliTasi  in  cattedra  e  predicavasi  alle  turbe.  S'insegnavan 
buone  costumanze;  s'indicavan  quelle  vie  che  conduceyan  dritte 
alla  salute,  guidati  dal  femminino  eterno,  o  senza  scorta  di  donna 
alcuna,  liberi  da'  demoni  tentatori.  £  se  il  Boccaccio,  nel 
De  claris  Mtdieribus,  sdegnaya  disserrar  le  chiaTi  di  Paradiso, 
ora,  per  la  salute  delle  genti  ispane,  il  Paradiso  si  dischiude,  e 
all'alto  si  scorge,  trionfante,  esultante,  il  coro  delle  Vergini  e 
delle  Martiri.  Le  fianunelle  delle  luci  sante  si  comunicano 
agli  uomini  Alla  beata  speme  ci  soUeya  la  Vergine.  *Ved  el 
gran  bien  que  tenemos  |  Por  una  Virgen  doncella',  griderä  Juan 
del  Encina  agli  stolti  ^que  dicen  mal  de  mugeres',  *E  pues  fu6 
muger,  por  ella  |  Todas  las  otras  honremos.' 

•^  Paii;ecipaTano  alacremente  Catalani  e  Valenziani  alle  di- 
spute sui  pregi  e  le  magagne  delle  donne,  prima  che  si  com- 
piessero  trattati  e  trionfi  in  Castiglia.  Nel  settentrione  di  Spagna 
erano  piü  stretti  i  vincoli  che  univano  alla  letteratura  di  Fran- 
cia,  piü  naturale  il  riTerbero  delle  diatribe  e  glorificazioni  al 


'  L'opera  di  Alyaro  de  Luna  fiffurava  tra  i  libri  della  regina  Isabella 
cattolica.   V.  Momor.  d.  L  R.  ÄeaeL  i.  l  Hut.  VI,  464 ;  'puede  creerse',  con- 

Settura  il  Clemencin,  'que  perteneciöiÄ  flu  autor  el  condestÄble  D.  Alvaro 
e  LuDa'. 


874  Note  8ul  Boccaccio  in  Ispagna  nelPEtä  Media. 

bei  sesso»  ispirate  in  gran  parte  all' universale  Roman  de  la 
Rose.  II  yescoYO  Francisco  Eximeniz  aveva  composto  lassti,  in 
fin  del  '300,  con  intendimento  ascetico  spiccato,  e,  con  tutta 
probabilita,  indipendentemente  dall'opera  encomiastica  latina,  o 
satirica  in  volgare,  del  Boccaccio,  il  Libre  de  lea  dones,^  libro 
fortunatissimo,  divulgato  e  letto  per  piü  di  un  secolo  (Hodo  de 
mugeres'  come  awertiron  poi  i  Gastigliani  traducendolo),  in  cui, 
saggiamente,  col  sostegno  delle  sacre  scrittnre,  si  esponeva  il 
bene  ed  il  male,  ^bondades  et  vicios',  e  tempravasi  il  biasimo 
alle  rie  femmine,  che,  spudorate  e  baldanzose,  correvano  per  le 
vie  di  Valencia,  patria  del  yescovo,  coUe  lodi  alle  virtuose,  di 
x^ui,  piü  nelle  dotte  carte  che  nella  vita,  allor  vissuta,  era  me- 
moria. Alle  carte  latine  e  volgari,  che  Bernat  Metge  assiduamente 
leggeva,  a'  tempi  dell'  Eximeniz,  e  attinta,  in  parte,  la  scienza  e 
l'esperienza  muliebre  sfoggiata  nel  Somni,  II  Talente  secretario 
de'prenci  di  Catalogna  ha  un  bei  trincerarsi  dietro  i  grandi  e 
venerati  uomini  antichi  del  Lazio  e  della  Grecia,  e  farsi  forte 
dell' autorita  di  Aristotile  e  di  Piatone,  di  Omero  e  di  Virgilio, 
dissimulando  la  dottrina  che  agli  ingegni  dltalia  attinge,  tacendo 
con  ostinazion  vera  e  in  ogni  scritto  il  nome  del  Certaldese; 
irresistibilmente  e  pur  condotto  a'  trattati  de'  sommi  italiani  che 
saccheggia.  j^  saputo  come  la  grandinata  d'ingiurie  che  l'indo- 
vino  Tiresia  riversa  sul  capo  del  *maleyt  linatge  femeni',  tutta 
sia  tolta  al  Corbaccio.  II  panegirico  che  segne  alla  diatriba,  ^ 
l'obbligatoria  glorificazione  de'  femminili  ^actes  virtuosos  e  de  gran 
valor',  e  suggerita  dal  De  claris  Mulieribus  boccaccesco.  Ben 
e  vero  che,  al  corteggio  delle  chiare  donne  antiche  s'aggiunge,  nel 
Somni,  l'esigua  scluera  di  donne  virtuose,  ch'eran  decoro  e  luce 
nel  reame  di  Aragona:  Pedraltes,   Eleonora,  Sibilla,  Yiolante  e 


'  Vedi  le  mle  note  sulla  fortuna  del  Oorbaecio,  Non  so  chi  prima 
fantaaticasse  di  uno  studio  fatto  dail' Eximeniz  delle  opere  del  Boccaccio. 
A.  HortiSy  ispiratosi  ad  A.  de  los  Bios  (Eist.  VI,  265)  scrive  (Stud.  s,  op, 
kU,  d,  Boce.  p.  598) :  Ter  far  Telogio  (delle  donne),  e  difenderle  dalle  accuse 
del  Boccaccio,  Francesco  Ximenez,  cedendo  alle  preghiere  della  contessa  di 
Prades,  dettö  il  lAbre  de  las  Donas*»  Ultimamente  Tamico  mio  J.  Fitz- 
maurice-Kelly, nella  sua  pregevole  Historia  de  la  liier,  espan.  (trad.  Bo- 
nilla,  Madrid  1901,  p.  156)  sosteneva  essere  il  Carro  de  las  Donas,  non  altro 
che  'Version  catalana  del  tratado  De  daris  nudieribus  de  Boccaccio';  n^ 
coglieva  nel  segno  Men6ndez  j  Pelayo  rettiücando,  nel  proloffo  alla  tra- 
duzione  (p.  XavIII)  :  'Boccaccio  esta  utilizado  como  otros  mucnos  autores.' 
La  recentissima  traduzione  francese  della  bell'opera  dell' ispanista  inglese 
(Paris  li>04)  tralascia,  toccando  dell' Eximeniz,  raccenno  al  Boccaccio. 

'  'Son  ago  paraules  de  home  ab  sana  f>en8a?'  cosl  s'ode  rinfacciare 
Tiresia,  prima  oi  lanciare  le  contumelie  carpite  al  Boccaccio  (Somni  Lib. 
III,  p.  112),  'son  a$o  paraules  convinents  a  la  tua  edat?  son  a^o  paraules 
de  home  qui  am  sdentia  e  hage  legit  tant  com  tu  ?  Lexa  semblants  coses 
a  homens  otiosos,  vans  e  illit^ats,  car  lo  teu  enginy  nos  deu  distribuir 
en  amor'. 


Note  8ul  Boccaccio  in  Ispagna  Dell'Etä  Media.  &75 

Maria;  si  ricordano  le  donne  insigni  del  Yecchio  Testamento; 
s'esalta  la  pazienza  e  l'amore  di  Griselda;  ma  dalle  storie  cömpi- 
late  dal  Boccaccio  si  traggono  tutte  le  aride  enumerazioni,  gli 
esempi  storici  e  leggendari  dell'aurea  antichita,  e  il  Somni,  che 
non  trascura  le  Amazzoni  conquistatrici^  si  iregia  di  nomi  illustri, 
vantati  dal  Certaldese :  'Semiramis',  *Orithya',  *Tamiris',  'Cenobia', 
•Ysis',  ^Saffo',  Tobra'  (Proba),  ^Hipsicratea',  Tortia',  *Julia', 
*Artemisia*,  *Emilia',  *Sulpitia',  *Didone',  'Lucretia',  *Hippo*, 
'Cloelia',  ^Cornelia*. 

Alla  satira  de'  costumi  delle  donne  s'oppone,  ^per  semblant 
forma')  quella  de'  costumi  maschili,  satira  grossolana  e  sempli- 
ciotta  alquanto,  in  cui  non  e  nulla  dell'ironia  fine  e  dell'umore 
bonario  del  Boccaccio,  il  quäle,  pur  vantando  le  yirtü  femminili, 
frustando  gli  uomini,  che  non  rimancTano  addietro  alle  donne 
nelle  foggie  artificiate  e  impudiche,  nel  restringersi  foUemente  la 
persona,  nello  specchiarsi,  nell'azzimarsi  ecc,  ripeteva  esser 
l'uomo  il  piü  nobile  animale  che  tra'mortali  fosse  creato  da 
Dio,  piü  perfetto  quindi,  piü  fermo  e  costante  della  donna.  II 
panegirista  delle  donne  uel  Somni  chiama  gli  uomini  bestie 
senza  piü:  'La  maior  part  d  ells  es  bestia  de  prat,  e  cascu  cuyda 
esser  altre  Salamo  en  sayiesa,  et  altre  TuUi  en  eloquentia.'  ^ 

Tutte  le  glorificazioni  muliebri,  sorte  in  terra  di  Spagna, 
nel  '400,  si  oppongono  deliberatamente  alle  accuse  vituperevoli 
de'  mald^centi.  'Rusticus  est  vere,  qui  turpia  de  muliere  J  dicit, 
nam  yere  sumus  omnes  de  muliere',  ammoniva  il  Facetua  (II,  12). 
Gli  avvocati  difensori,  ispirati  talvolta  alle  arringhe  de'  difensori 
di  Francia  e  d'Italia,  assestano  colpi  agli  accusatori  spietati, 
e  tessono,  con  lusso  di  erudite  citazioni,  il  loro  panegirico.  Da 
un  lato  addentano  il  Boccaccio,  per  le  invettive  acerbe  contro 
le  yedoye,  le  pulzelle  e  le  maritate,  dall'altro  attingono  alla 
dottrina  del  grand'uomo,  profusa  nel  De  claris  Mulieribus,  le 
prove  piü  acconcie  per  la  difesa.  £  se  il  Boccaccio  dedicava 
il  suo  trattato  a  Madonna  Andrea  degli  Acciaiuoli,  sorella  del 
gran  siniscalco  Nicola,  'elegante  nel  conversare,  generosa  nel- 


'  Nel  1420  Mossen  Bernat  Blanes  compiva  il  suo  Libre  dels  Feffta 
d  armes  de  (kUalunya,  e  quivi,  piü  e  piü  volte,  accenna  ad  una  sua  'librena^ 
fornita  di  cronache  e  d'opere  Btoriche  d'ogni  genere  (ediz.  della  Bibl.  eaUU, 
deirAguilö,  Barcelona  IÖ80,  pp.  41;  122;  167;  828).  Ma  che  vi  figuragse 
un  trattato  del  Boccaccio  non  dice  il  Blanes.  Era  natura  opposta  alfatto 
al  Metffe,  ghiottissimo  di  memorie  del  tempo  antico,  e  condannava  le  'fa- 
vole'  (Sie  solevano  contaminare  la  atoria  veridica;  spregiava  gli  scrittori 
che  cereavano  il  plauso  del  volgo  'ab  Iure  mentides  e  fingiment8\  (p.  87) 
'Verität  sia  dita  com  sen  deu  a  historia,  quen  ha  desser  ver^e  e  molt 
pura  . . .  car  deurien  esser  molt  greument  punite  tots  aquells  aui  ab  bado- 
meriea  e  faules  aue  hi  volen  mesclar  rompen  la  aua  enterea.  I  cronisti 
maggiori  di  CataTo;:na,  il  lüluntaner  e  il  Desciot  sdegnarono,  ch'io  sappia, 
torre  consiglio  alle  prose  ed  ai  versi  dei  grandi  trecentisti  fiorentini. 


976  Note  sul  Boccaccio  in  Ispagna  neü'EUl  Media. 

Panimo,  forte  neiringegno^  specchio  dei  buoni  oostumi  e  d'esimia 
oneBta',  s'egli  chludeva  l'opera  poderosa  col  panegirico  alla  regina 
Giovanna,  iUuBtrissima  donna,  per  origine,  per  potenza  e  oostumi; 
i  valentuomini  di  Gastiglia  incensano,  di  comune  aocordo,  il  fior 
delle  regine,  Donna  Maria,  sposa  al  re  Juan  II,  la  piü  virtuosa 
delle  mogli,  la  ^as  digna  y  mas  noble',  ^la  muy  ensenada  et 
perfecta';  tessono  ghirlande  sul  suo  capo;  inneggiano  al  bei  sesso 
nel  suo  nome;  ed  e  probabile  che  la  regina  stessa  soUecitasse,  per 
se  e  le  gentildonne  del  suo  seguito:  Dona  Leonor  de  Castilla, 
Dona  £lYira  Portocarrero,  Dona  Beatrix  de  Ayellaneda,  Doiia 
Mencia  Tellez  de  Toledo,  e  trionfi,  e  tempi,  e  santuari  di  illustri 
donne,  perche  si  desse  piena  sconfitta  agli  iniqui  maldicenti,  '^e- 
gados  por  ygnorancia'J 

Credo  che,  prima  alquanto  di  Alvaro  de  Luna,  dessero 
mano  alle  loro  difese,  e  componessero  i  loro  trattati,  forse  ad 
un  tempo,  Rodrlguez  del  Padrön  e  Messen  Diego  de  Valera,  e 
si  impartisse  da  entrambi  la  nota  lezioncina  morale  all'autore 
del  Corbaccio,  ricordata  nelle  storie  letterarie  piü  in  voga,* 
Con  argomenti  filosofici  e  sottigliezze  di  ragionamenti,  ^por  nu- 
mero  de  razones  6  non  de  mugeres  famosas,  como  algunos, 
errando  en  sus  fablas  proceden',  Rodrfguez  del  Padrön  yuoI 
mettere  in  luce  la  gloria  delle  donne  oscurata,  mostrare  la 
preeminenza  loro  sugli  uomini.^  AI  labirinto  de'yizi  oppone 
un  trionfo  di  virtü.  L'eccellenza,  la  perfezione  fisica  e  morale 
della  donna,  dimostra  colle  'naturales  razones',  gia  in  parte 
aUegate  nel  Somni  del  Metge,  noto  probabilmente  al  Padrön* 
e  non  sdegnate  ancora  da  Diego  de  San  Pedro,  nella  Carcd 
de  nmor,  dall'Agrippa,  nella  De  nobüitate  et  praecdlenHa  feminei 
sexus  declamatio  (1529),  dedicata  a  Margherita  d'Austria.'   E  il 

'  'ledo  7  gozoBo  deeechara  la  murmuracion  y  assechancaa  de  los 
tristes  maldizientes:  y  aun  pnestos  por  tierra  los  maliciosos  |  levara  muy 
adelante  v  pre^onara  mucho  mas  el  esciarecido  nombre  vuestro',  oosl  la 
dedica  alLa  regma  Giovanna,  nella  traduzione  castiffliana  del  trattato  boc- 
caccesco.  E  ranoDima  Defensione  delle  donne  (Bologna  1876,  p.  8):  'Vo- 
lendo  io  pi^liarmi  la  fatioosa  irnnresa  della  protezione  delle  donne  contra' 
loro  maledici  calunniatori  . . .  e  aovendo  scancellare  11  obbrobrii  die  falsa- 
mente  gli  sono  imposti,  e  predicare  le  loro  laudi  e  virtudi'. 

>  Debbo  io  qm  rimandare  alle  note  critiche,  bibliografiche  e  illustra- 
tive sul  Corhciccio  in  hpagna,  che  ristamperö  piü  tardi,  ampliate  e  corrette. 


y  ijmca,  , 

iura  catalanOf  Barcelona  1889,  p.  31.  Che  Rodrlguez  del  Padrön  cono- 
scesse  anche  il  Beggimento  di  donna  di  Francesco  da  Barberino  non  mi 
pare  probabile. 

"  Fu  poi  tradotta  in  francese:  De  la  Noblesse  et  Preexellence  du  sexe 
f&niinin,  Paris  1578.  Tra  le  PremUres  (Euvres  poitiques  di  Marie  de 
Romieu  (1581)  trovi  un  Diseours  que  Vexcellenoe  des  femmes  surpasse  eelle 
de  l'homme. 


Note  Bul  Boccaccio  in  Ispagna  nell'£tä  Media.  377 

Trionfo,  cosi  eretto,  ha  liete  accoglienze  in  Francia,  la  patxia 
del  Champion  des  dames,  e  d'altre  strenue  e  gloriose  difese 
dell'oDor  lemminino:  L'Avocat  des  dames,  il  Miroir  des  dames 
ä  Vhonneur  des  femmes,  il  Chevalier  aux  Dames,  il  Jardin  de 
plaisance,  il  Miroir  des  Dames  et  des  Demoiselles,^  il  Tri- 
omphe  ou  le  parement  des  dames,^  La  Nef  des  dames  vertueuses, 
Les  louenges,  fleurs  et  deffensoir  des  dames^^  Le  Palais  des 
nobles  dames  (Jean  du  Pre),  La  louenge  de  mariage  et  Recueü 
des  histoires  des  bonnes  vertueuses  et  illustres  femmes  (P.  de 
Lesnaudiere),  La  louange  du  mulilh  e  et  feminin  sexe  (H.  Gour- 
teault),  Le  grant  Triumphe  et  honneur  des  dames  de  Paris  et 
de  tout  le  royaume  de  France  (ISSl),  Le  Fort  inexpugnable  de 
Vhonneur  du  sexe  fiminin  (Frangois  de  Billon)*  ecc* 


*  Poemetto  recentemente  pubblicato  daW.Söderhjdm  n^lleNeuphilolog, 
MitteiLf  hsg.  v.  neuphilolog.  Verein  in  Helsingfons,  19ü4,  pp.  78  sgff. 

'  Non  sembra  che  Olivier  de  la  Marche  abbia  cavato  aottrinaaal  De 
Mulieribus  daris  del  Boccaccio.  Vedi  l'edizione  del  THumphe  des  Dames 
curata  da  J.  Kalbfleisch,  Rostock  1901,  che  poteva  ricordare  la  traduzione, 
fatta  in  fine  del  seicento  (Triumpho  das  mtäheres),  di  D^  Juana  Josef a  de 
Meneses,  contessa  di  Ericeira,  cit.  da  M.  Serrano  y  Banz,  Äpuntes  para 
una  biblioUea  de  Escritoras  espanolas,  Madrid  1905,  II,  59. 

^  Offron  notizia  di  questi  trattati  apologetici  di  Bymphorien  Champier: 
TAllut,  Etüde  bioaraokique  ei  bibliogr.  sur  8,  C,  Lyon  1850,  pp.  183  sg^. 
e  K.  Maulde  La  Claviere,  Les  femmes  de  la  Renaissanee,  Paris  1898.  Comlncia 
La  nef  (es.  d.  Nazion.  di  Parigi  B^s.  Ye  856)  co'versi:  'La  nef  des  dames 
vertueuse  |  Ou  tonte  vertu  est  enclose  i  Les  gestes  et  le  vasselaige  i  Des  dames 
CY  abbat  la  raige  De  eil  qui  les  dames  accuse  I  Des  dames  par  aulcune  ruse  | 
Des  mesdisans  mord  le  langaige'.  Ma  il  Champier  aveva  pur  scritto  un  bug 
acre,  mordace  e  violentissimo  'Corbaccio' :  La  Malice  des  femmes.  ('Oy  com- 
mence  ung  petit  livre  intitule  la  malice  des  femmes  lequel  a  este  recueilly 
de  matheolus  et  aultres  qui  ont  prins  plaisir  a  en  mesdire  par  affection 
desordonnee  lequel  est  cy  couche  non  pour  mesdire:  mais  par  doctrine 
pour  eviter  aux  inconvaiients  que  peuvent  arriver  par  femmes.  Par  quoy 
sil  y  a  aulcuns  mots  qui  soieut  desplaisants  et  mordants  soient,  attribues 
au  bi^me  Matheolus.O  Gli  editori  dell'opere  di  Guillaume  Alexis  (A.  Piaget, 
£.  Picot  in  Soe.  d.  ane.  texies,  Paris  1896,  Le  debai  de  Vomme  et  de  la 
femme  1, 125),  ricordano  un  Diatogus  apohgetique  exeusant  ou  defendant  le 
devot  sexe  fementn,  introduiet  par  deux  pereonnaiges :  Vun  a  nom  Boiteke 
Maldisanty  Vauire  Femme  deffendant.   Nouvellem.  impr.  ä  Paris  1516. 

*  Alla  letteratura  iudicata  nelle  note  sul  OorbaeetOy  s'aggiunga,  per  la 
Francia:  A.  Campauz,  La  Querelle  des  femmes  au  XV  si^e,  Paris  I8()5; 
A.  Mennung,  Jean^Fran^ois  Sarasin'e  Leben  u.  Werkey  Halle  1904,  II,  1 22  sgg. ; 
A.  Lefranc,  Le  ttere  livre  de  Pantagruel  et  la  querelle  des  femmes  in  JKev. 
d.  Hudes  rabelaisiennesy  II,  78  sgg. 

^  K  saputo  qnanta  stima  avesse  il  Brantdme  per  il  *beau  livre'  del 
Boccaccio  suUe  chiare  donne.  Nelle  Vies  des  dames  Hlustres  de  France 
(ediz.  di  Leyde  1665,  pp.  368  s^g.)  offre  un  panegirico  esaltatissimo  della 
regina  Giovanna  di  Napoli,  e,  ricordato  *ce  qu'en  dit  Boccace  en  son  livre 
des  Dames',  soggiunge  sembrar^li  encomio  non  sufficente.  Nessuno  avrebbe 
saputo  dire  di  questa  gran  donna  piü  degnamente  e  compiutamente  del 
Boccaccio,  'il  Peut  s^eu  mieux  faire  qu'homme  du  monde  pour  le  grand 
a^avoii  qui  eatoit  en  luy.' 


378  Note  sul  Boccaccio  in  Ispagna  neirEtä  Media. 

'Per  ima  che  biasmar  cantando  ardisco,  |  lodarne  cento  in- 
contro  m'oflferisco;  diceva  rAriosto,  sottil  conoscitore  della  fem- 
minil  natura,  piü  di  diavolo  che  di  angelo.  Mossen  Diego  de 
Yalera  risparmia  11  biasimo  nel  suo  Tratado,  e  prodiga  incenso 
e  lodi.  Fa  specie  ch'egli,  cosi  pronto  a  citare  le  Caydas,  non 
menzioni  che  una  sol  volta,  e  di  sfuggita,  il  Libro  de  las  Muaeres 
üuatres,  nel  quäle  il  Boccaccio  ^la  yida  de  muchas  castas  e  vir- 
gines  con  soberano  loor  descriviö',  libro  che  leggera  e  spogliava 
clandestinamente»  n eil' originale  latino,  e  fors'anche  nella  tradu- 
zione  castigUana.  Offre  il  Yalera  un  seguito  di  storie  di  chiare, 
antiche  donne,  e  consiglia  poi  a  coloro  che  amassero  completarle, 
0  saperle  *por  extenso',  di  leggere  fp.  158)  ^Tito  Livio  en  la  primera 
e  segunda  Decada,  e  &  Valerio  Maximo  en  el  su  Gompendio,  e 
&  Ovidio  en  el  su  Metamorfoseos,  e  &  Lucano,  e  &  la  Biblia,  e 
ally  lo  fallar&n  estendidamente.'  ImmaginaTasi  il  Valera,  com- 
pilatore  esperto  di  trattati  di  scienza  e  di  morale,  che  uessuno 
pensasse  a  rintracciare  questi  suoi  esempi  di  castitä,  e  fedelta, 
e  verginita  muliebri  anche,  nell' esemplar  libro  del  Boccaccio, 
a  cui  rinfacciava  le  corbaccesche  'fealdades'?  Era  anche  in 
Ispagna  un  profonder  gli  inchini  ai  magni  uomini  di  Ellade  e 
di  Roma^  ed  un  tacer  prudente  e  ostinato  de'men  saggi  gran- 
d'uomini  d'altri  tempi,  men  gloriosi,  eppur  larghi  com'essi  di 
consigli  e  d'ammaestramenti.  Pareva  stuonassero  le  voci  de' 
moderni  nel  coro  augusto  degli  anüchi.  Mossen  Diego  de  Yalera, 
a  cui  sovente  cadon  di  bocca  i  nomi  di  Socrate,  di  Seneca,  di 
Piatone,  toglie,  e  vero,  da  Yalerio  Massimo  esempi  di  yite  di 
▼irtuose  donne;  accoglie  nel  coro  sacro  le  bibliche  Ester  e  le 
Debore,  ma  fa  pure  all'uopo  i  suoi  brayi  strappi  alle  yite  nar- 
rate,  *con  soberano  loor',  dal  Boccaccio;  registra  le  virtÄ  e  i 
fatti  egregi  di  ^Claudia  vestal*  (p.  149:  *el  nombre  de  su  padre 
no  me  rremiembro  averlo  leydo'),  rimembrando  e  compendiando 
la  storia  di  Claudia  dal  De  daris  Mulieribus,  che  pur  gli  sugge- 
risce  le  yirtü  di  'Mynerba  por  otros  llamada  Palas'  (*por  esta 
fue  fallado  el  arteficio  de  la  lana  e  ella  busco  arte  para  la  Um- 
piar,  —  esta  el  usso  de  las  carretas  fallö'),*  di  *Clodia  romana', 
di  *Erifola  Sebila'  (p.  150:  *aver  seydo  su  nascimiento  en  Babi- 
lonia  notoria  cosa  es  asaz  dias  ante  de  la  total  destroycion  tro- 
yana'),^  di  'Lucrecia'  (*la  quäl  fue  onrra  de  la  generacion  ro- 


'  '. . .  dizen  el  artificio  de  la  lana,  nonca  ante  della  conoddo,  aver 
sido  Dor  ella  inventado.  . . .  Quieren  otrosf  algunoe  aver  ella  inventado  el 
iiBo  ae  los  carros  de  quatro  miedas'  {Libro  de  J.  B.  ,,.  de  las  iüusires 
Mugeres,  Sevilla  1528.  cap.  VI,  f.  XI). 

'  Lesgo  neirispiaa  traduzione  del  Betussi,  Libro  deUe  donne  iUustri, 
che  orano  tra  mani  (ediz.  di  Venezia  1558,  f.  25),  di  Erithrea,  ovrero 
Eriphila:  'queeta  cssere  stata  la  piü  celebrata  dicono,  et  essere  nata  in 


Note  Bul  Boccaccio  in  Ispagna  Dell' Etil  Media.  879 

mana')»  che,  ferita  a  morte,  esclamava:  %  que  tomar  quisiere 
enxemplo  de  la  culpa  no  dexe  el  enxemplo  de  la  pena')  ^  di 
*Penelope'*  di  *Porcia',  *  Julia',  *Antonia',  'Tamaris',  'Artemisia', 
*Argia',  *Suplicia',  *Ipolita  griega',  *Hippon'  (p.  154  'de  quales 
padres  aya  traydo  su  nascimieDto,  los  antiguos  ystoriadores, 
quier  por  peresa  6  por  malicia  de  la  fortuna  no  lo  dexaron 
&  nos').* 

Grandissima  stima  aveva  Messen  Diego  de  Yalera  del  *reve- 
rendo  doctor'  Alonso  de  Cartagena  di  cui  elogia  un  trattato,  che 
non  e  il  Libro  de  las  mugeres  ilustres,  scritto,  si  e  detto  e  si 
e  tradizionalmente  ripetuto,  dal  dotto  yescoYO,  dietro  Tesempio 
del  Boccaccio,  e  per  desiderio  espresso  della  regina  Maria.  Non 
era  ancor  composta  I'apologia,  smarrita  ormai,  quando  il  Yalera 
scriTeva  la  sua  ^Difesa'?  Jl  fantastica  e  gratuita  affermazione 
quella  che  Andres  Delgadillo  esprimeva,  in  un  suo  inedito  e 
ignoto  Lihro  de  las  Mugeres,  aver  egli  tolto  al  Cartagena  i 
suoi  esempi  di  yirtü  muUebri?  %  foUia  voler  Teder  chiaro  in 
tanta  oscurita. 

I  trattati  boccacceschi  eran  pur  consultati  dal  gran  Tostado, 
Alonso  de  Madrigal,  arca  di  dottrina,  'maestro  en  santa  theo- 
logia',  capace,  Tolendo,  diceyasi,  di  cavarsi  dal  capo  suo  la 
Bibbia  intera,  se  mai  fosse  dalla  terra  scomparsa,  scrittor  fe- 
condo,  autore  anche  di  un  Breviloquio  de  amor,  e  di  un  tratta- 
tello  De  como  al  omne  es  necesario  amar.  Leggendo  il  Boc- 
caccio, e  il  Libro  de  las  daras  y  vü  tuosas  mugeres  del  padron 
suo  colendissimo  Don  Alvaro  de  Lima,  Fra  Martin  Alonso  de 
Gordova,  che  giä  conosciamo  come  ammiratore  del  De  Casibus, 
mette  insieme  un  suo  Vergel  de  nobles  doncdlas,  che  dedica 
ad  Elisabetta,  sorella  deU'infante  Enrico  IV,  ^  e  risolutamente 
vi  combatte  %  non  sabia  nin  onesta  osadia .  de  los  que  contra 


Babilonia  molto  prima  che  fosse  la  ^erra  Troiana'.  E  nella  versioue  casti- 
gliana  (cap.  XiA,  f.  XXI) :  'esta  dizen  . . .  que  su  naeimieto  fue  en  babi- 
K>nia  poco  ante  de  la  guerra  de  tro;^a'. 

'  illustre  esempio  della  pudicitia  Bomana'  (trad.  Bet  f.  55)  —  's'io 
m'assolvo  del  peccato  non  mi  übero  dalla  pena'.  'Yo  deeta  manera  me 
absuelvo  del  pecado  |  mas  no  me  libro  de  la  pena'  (trad.  cast.  f.  XLIII). 
'Yo  BÖ  quita  de  la  culpa;  mas  non  de  la  pena'  (Qlosas  d  loa  Prot,  del 
Santillana,  Obras,  79).  Anche  le  Caudas  (Lib.  III,  cap.  II,  f.  XXXVI) 
offrivano  al  Valera  il  racconto  della  tragica  fine  di  Lucrezia:  'de  la 
culpa  7  pecado  yo  me  quiero  absolver  |  mas  de  la  pena  no  me  quiero 
escusar. 

'  'dapoi  che  per  la  malignitä  del  tempo,  et  la  sua  patria,  e  i  suoi 
parenti  e  gli  altri  suoi  nobili  atti  et  opre  si  sono  estinte'  (trad.  Bet.  f.  54). 
^as  pues  que  por  malicia  de  la  antiguedad  |  el  linaje  IIa  patria  y  las  otras 
hazaftas  suyas  noe  han  sido  quitadas'  (trad.  cast.  f.  XLvIII). 

'  Stampato,  se  io  non  erro,  solo  nel  1542:  Jardin  de  las  nobles  don- 
eellas  —  A  hör  yaloria  de  nuestro  Senor  y  de  su  bendita  madre.  (Ved. 
A.  de  los  Bios,  HisU  VI,  266.) 


880  Note  8ul  Boccaccio  in  IspagDa  nell'Etft  Media. 

la  generacion  de  las  mugeres  avian  querido  dezir  6  eBcribir, 
queriendo  amenguar  aus  ciaras  virtudes.* 

SuUe  carte  del  trattato  apologetico  del  Boccaccio  piü  Tolte 
ebbe  a  chinare  pensoso  il  capo  il  Marchese  di  Santillana.  Le 
Tirtü  di  Porzia,  figiia  di  Catone,  reroismo  tragico  di  Lucrezia 
si  commendano  neUe  note  ai  Froverbios,  dove  esplicitamente  si 
rimanda  alle  lodi  che  della  'fortale^  de  las  mujeres'  si  fecero 
nel  Libro  de  las  duenas,  o  De  Fraeclaris  mulieribus,  Qual 
giudizio  facesse  il  marchese  del  Libro  de  las  virtuosas  et  daras 
mugeres  dell'abborrito  rivale  Alvaro  de  Luna,  non  sappiamo,  ma 
Topera  del  Boccaccio,  ch'ei  possedeya  tradotta,  non  poltriTa  ne' 
suoi  scaffaliy  e  sicuramente  era  consultata  co'  Trionfi  petrarcheschi 
e  le  Caydas,  quando,  ad  accrescer  la  gloria  dell  onnipossente 
Fortuna,  che  Tolge  e  riyolge  le  umane  cose,  da  lui  descritta 
nella  Comedieta  de  Pon^a,  occorrevagli  un  coro  cospicuo  di 
doDne  insigni.  II  Boccaccio  gli  suggeriya  i  nomi  di  Antonia,  Rea 
'muger  de  Tarquino',  Marzia,  Lucrezia,  Paolina,  Hipsicrata,  Curia, 
Porzia,  Cornelia,  Triaria,  Faustina,  Jocasta,  Argia,  Ainaltea,  Ma 
muy  famosa  Sibilla  Erithea',  Hippo,  Veturia,  Proba,  Megulia.  * 

DoTette  pur  leggere  il  trattato  boccacoesco,  o  consultarlo 
almeno,  il  ^Condestavel'  Don  Pedro  de  Portugal,  ligio  assai  al 
^feminil  linage',  al  quäle,  diceva,  'yo  tanto  soy  tenudo  e  loar  devo'. 
Nella  Sdtira  de  fdice  6  infdice  vida,  piü  volte  accenna  alle 
virtü  magnanime  dell'inclite  donne;  rammenta  ^Lucretia',  'Tpo', 
'que  en  las  marinas  ondas  fallö  causa  de  loable  muerte  e  perpetual 
lama',  ^Vecturia',  ^cuyas  mujeriles  preces  fueron  m&s  poderosas 
que  la  muy  poderosa  caballeria  romana',  Tantasilea',  e  'Sulpicia*, 
e  *Dido*.'  DoYevasi  comprendere  il  Boccaccio  tra  gli  *actores' 
ed  encomiatori  delle  migUor  donne,  a'quali  yagamente  rimanda 
Pedro  de  Escayias  in  alcune  sue  misere  Coplas  d  una  dama, 
dove  e  gran  sfoggio  di  gran  nomi,  non  tutti  yantati  per5,  e  ram- 
mentati  nel  De  daris  Mulieribus.^ 

Le  difese  delle  donne  nelle  proyincie  di  Catalogna  e  di 
Valencia  erano  men  calorose  che  in  Castiglia;  ma  qui  pure,  per 
gran  tempo,  offre  consiglio  e  storica  materia  il  trattato  del  Boc- 


'  Non  80  dire,  se  di  lui  sieno  le  Alabanxaa  d  laVtrgimdad,  attribuite 
pure  ad  Alonso  de  Horozco,  vissuto  un  secol  piü  tardi,  e  da  Nicol.  Ant. 
(Bibl  Vä.  II,  306  e  665)  regiBtrate  fra  le  opere  del  frate  agostiniano. 

'  A  ouesto  non  pensano  punto  gli  stndiosi,  buoni,  o  cattivi,  dell'ope- 
retta  del  Bantillana,  che  unicamente  peacan  nomi  ne'  THonfi  del  Petrarca 
e  nella  Oomtnedda  di  Dante. 

>  Opüseuios  literarias  de  los  siglos  XIV  d  XVI  {Soe,  d,  Bib.  Esp,), 


^  Un  Oaneionero  dd  siglo  XV,  eon  varias  poesiaa  inSdüaa  ed.  F.  de 
Uhagon  in  Rev,  de  Areh.,  Bibl,  y  Mus.,  1900|  p.  519  sg. 


Note  8ul  Boceacdo  in  Ispagna  ndrEU  Media.  881 

caccio,  neir  originale  latino  e  nella  traduzione  castigliana;  qui 
pure  certamente  era  noto  e  diffueo  il  libro  analogo  di  Don  Alvaro 
de  Luna.^  A  magnificare  le  yirtü  di  certe  monachelle  di  Vall- 
donzella,  ritrosette»  suppongo,  alle  tenere  sue  proposte  d'amore, 
il  notaio  Antoni  Yallmanya^  motte  insieme,  nel  maggio  dal  1448, 
una  Serie  di  ^coblas  unissonanz'  alle  doYOte  vergini,  che  soUeva, 
Bull'ali  del  canto,  all'altezza  delle  Sofonisbe,  delle  Medee,  Meduse, 
Veturia»  Tisbi,  Layinie,  Eritee,  Deanire,  e  perche  non  aprissero 
le  monache  tant'  occhi  a  nomi  si  spettacolosi,  ed  a  paragoni  si  poco 
cristianij  il  poeta  pontella  il  verso  con  una  prosa  illuJstratiTa, 
doYO  rimanda  ai  Ubri  che  gli  sonmiinistraron  tanta  scienza: 
VEneide  di  Yirgilio,  V  Inferno  di  Dante,  i  Trionfi  del  Petrarca, 
un  libro  sulle  fatiche  d'Ercole,  probabilmente  la  compilazione 
del  Yillena,  la  Storia  troiana  di  Guido  delle  Golonne,  e  sopra- 
tutto  il  gran  libro  delle  elares  dones  de  Johan  BoehtMsü^ 
Quest' ultimo  era  al  Vallmanya  indubbiamente  ancor  presente, 
quando  di  nomi  illustri  cosparge  altre  rime  encomiastiche  (*obra 
de  grat  e  ingrat'),  alle  dilette  sue  ^signore  monache',  e  ricorda 
Tisbe,  Didone,  'Issifle'  ed  altre  donne  chiarissime.  ^ 


'  Sono  oompletamente  al  bnio  buUa  natura  e  le  yicissitudini  di  un 
libro  Bulle  chiare  donne:  De  las  donae  mes  famaecu  en  ku  kiatorüu,  tra- 
scritto,  non  so  in  quäl  epoca,  da  Francisco  Barata  j  Montana,  canonico 
di  Barcellona,  priore,  per  molt'anni,  della  real  casa  di  Monserrate  a  Roma, 
6  rimando  a  quanto  Torres  Amat  oeserva  in  proposito  neÜe  Memoriat, 
pp.  85  gg.:  *Tenia  copia  de  esta  obra  ya  rara,  mi  oompa&ero  D.  Pedro 
Jos^  Avellä,  arcediano  y  can6nigo  de  la  iglesia  de  Barcelona,  pero  se  le 
habia  eztraviado  y  no  pudo  ensenarmela.  . . .  No  puedo  pues  decir  si  el 
manuscrito  de  Barata  es  obra  original  6  copia  de  Alvaro  de  Luna.' 

*  I  notai  catalani  di  quell' epoca  erano  particolarmente  invasi  da  furor 
poetico.    Öi  pensi  a  Berenguer  Cardona,  Johan  Moreno,  Johan  Verdanxa. 

'  Torres  Amat,  Memor.  p.  640  sgg.;  Milä  y  Fontanals,  Obrae  III,  198; 
Sanyisenti,  I  primi  mfluesi  p.  360  sg.;  884. 

^  Torres  Amat,  Mßmor,  687  sg.;  639  sg.  Se  a  Jaume  Böig  fosse  noto 
il  De  elarü  Mulierüms  del  Boccaccio  non  saprd  affermare.  All'autore 
del  Libre  de  lea  donea  ocoorrevano,  piü  degli  encomi,  le  rustiche  invettive. 
Chiude  perö  la  gran  sequela  di  versetti,  inneggiando  alla  Yergine,  sola  a 
Borreggerci  in  questa  vaQe  di  lacrime,  ed  ha  un  vago  accenno  alle  donne 
virtuose  e  famose  (p.  182  dell'ediz.  dtata  nelle  note  al  Oorbaceio):  'Si  mes 
t  impliques  |  h^  fort  repliques  j  de  virtuoses  |  dones  famoses  |  h^  venerades 
qui  Bon  e^tades  |  vergeos,  faorines,  I  monges,  beguines,  |  poques  casades, 
canonizades  |  per  papa  santes  [  Sybilles  tantes  ecc.'  —  Un  ^'  della  scienza 
muliebre,  rivelata  dal  Boocacao,  nell'opere  latine  e  volgari,  nassö  sicura- 
mente  a  Mossen  Johanot  Martorell,  che  mostra  conoscere  il  Deeameron,  il 
FiiostrcUo,  la  Fiammetta,  il  De  Oasilms,  e  sfoggia,  nel  TiratU  lo  Blaneh, 
sentenze,  a  diritta  ed  a  rovescio,  moraUzzando  coi  'gran  philosof  Aristotil', 
con  Salomone,  Cicerone,  Seneca,  Virgilio,  Ovidio,  Tito  livio,  Catone, 
Boezio,  i  Santi  PadrL  Nel  cap.  CCLXXXXIV  (ed.  Bibl.  ecUal.,  Barcelona 
1879,  III,  310  sgg.)  re  Scandiano  fa  un  predicozzo  morale  a  Tirant  sui 
'casoe  sinistres  de  fortuna  qui  algunes  vegades  hau  acostumat  de  venir 
als  ergullosoe,  e  per  lur  superbia  son  mesos  baix',  e,  memore  delle  letture 
dei  faiti  ^gr^  cu  'mdtee  virtuoses  senyores  qui  en  lo  mon  son  Stades', 


B82'  Note  sul  Boccacdo  in  lepagna  nelVEtSk  Media. 

NuoYB  rime  e  nuove  prose  si  sciorinarono  ail'apparire  del- 
rinnocente  maldecir  del  Torrella,  ch'ebbe  fama  immeritata,  in- 
audita.  Dairiofemo,  dove  certamente,  con  Matteolo,  scontava  i 
fall!  suoi,  i  yituperi  lanciati  alle  valorose  donne,  Jean  de  Meun 
pareva  yenuto  bu  in  sembianze  novelle.  Occörreya  turar  la  bocca 
sacrilega  aUo  scellerato  maldicente.  *  Gran  tempo  si  pogno  a 
parole»  ed  alla  rissa,  incmenta,  parteciparono  i  Tersificatori  a  frotte. 
^Conyiene  que  se  castigue,  |  quien  contra  damas  arguye  |  ...  De 
las  notables  y  netas  |  may  mas  ciaras  que  vedrio  |  maldezir  es 
desyario',  esclama  Gomez  Manrique,  opponendo  ad  ogni  strofa 
accusatrice  del  Torrella  la  sua,  di  fiacca  difesa.  Mossen  Pere 
Torrella,  yistosi  scatenate  sul  capo  le  Furie,  ministre  della 
giustizia  di  Dio  e  della  yendetta  delle  donne,  scriye  una  sua 
placida  ritrattazione,  un  Razonamiento  en  deffenaion  de  las 
donas,  per  aatisfaccion  de  unaa  coplas  que  de  la  condicion  de 
aquellas  conpuso,^  doye  non  credo  sia  traccia  del  trattato  apolo- 
geitico  del  Boccaccio.  Qualche  suggerimento  dal  Gertaldese  ayrä 
ayuto  inyece  Diego  de  San  Pedro,  innestando  nella  sentimentale  e 
lacrimosa  storia  d'amore,  che  ha  giä  anticipato  sapor  di  Werther, 
la  Carcd  de  amor.  ^yeynte  razones',  certincanti  gli  obblighi  che 
gli  uonuni  contraggono  per  necessitä  colle  donne,  e  ponendo  in 
bocca  a  Leriano,  mosso  a  difendere  il  bei  sesso  contro  Teseo 


esalta  la  donna  del  suo  euere,  comparandola  a  'Uricia',  'Semiramis',  'Sino- 
bia',  Tantasilea',  TamiUa',  'Minerya',  'Ysipo',  'Porcia',  'Julia',  Artemisa', 
'AdrianaS  Tedra',  'SipiU'. 

'  Le  note  sul  Corbaeoio  m  Ispagna  riasBumono,  con  breyitä  forse  eo- 
yerchia,  la  storia  edificante  del  martirio  inflitto  al  Torrella.    Dimentioaya 

äui  di  dtare,  tra  le  punizioni  inyocate  ai  maldicenti,  quelle  che  ChriBtine 
e  Pisan  augnraya  neirEpistre  au  ddeu  t^Amour  {(Euvrea  ed.  £.  Boy  in 
Sö6.  cL  anc  teoßUt  II,  25): 

Pow  ce  concluB  en  difflnioion 
Qae  des  maayais  soit  fait  pmiicion, 
Qai  les  blasment,  diff&ment  et  accasent, 
Et  qui  de  fauls  desloiaulz  semblauB  useot 
Pour  decepvoir  ellei;  si  soient  fiiit 
De  nostre  Coart,  chaciö,  bani,  destruit, 
Et  entredis  et  escommeniö, 
Bt  touB  noz  biens  si  lear  soient  ny^ 
C'est  bien  raison  qu'on  les  escomenie, 
Et  commandons  de  fait    —     —     —     — 


qae  tons  cealz  maubaillis 
Et  villennez  soient  trha  laidement, 
Ii^uries,  punis  bonteosement, 
PriB  et  lies,  et  jastic»  en  soit  faitte, 
Sans  plus  souffi'ir  nnUe  i^jnre  si  faitte, 
Ne  plus  ne  Boit  soufiFert  teile  laidure. 


'  £  registrata,  tra  le  Obres  de  Mossen  Psre  Torrodla,  dal  Morel-Fatio> 
Oat(ü,  d,  mawusc.  esp.  IV,  623,  fol.  98~-105,  p.  239. 


Note  Bul  Boccacdo  in  iBpagna  nell'Etil  Media.  388 

'y  todos  los  que  dizen  mal  de  mujeres^  esempi  meinorandi  di 
virtü  femmiBili.  S'invoca  quivi  dal  cielo  giusto  castigo  a'  vitti- 
peratori  mahagi»  e  giusto,  tremendo  castigo  si  ha  il  Torrella  nella 
disputa  SU  chi  da  piü  occasione  di  peccare:  Tuomo  alla  donna, 
0  la  donna  all'uomo,  che  riempie  la  storia  di  Griael  y  Mira- 
hella  (ribattezzata  Aurdio  y  habda)^  storia  languida,  eppure 
divulgatissima,  in  cui  occorron  esempi  di  bontä  e  castita  muliebre, 
in  opposizione  alle  ^perversas  obras'  degli  uomini.  S'augurava 
Juan  del  Encina  pioyessero  le  benedizioni  sul  capo  di  chi  ser- 
viva  le  donne»  *y  ensalzare  su  Corona'  {Contra  los  que  dizen 
mal  de  mugeres),  e  al  protagonista  di  una  sua  egloga,  il  dispe- 
rato  Fileno,  buon  conoscitore  del  Corbaccio,  pria  che,  dispe- 
rato,  p^r  crudel  disdegno,  si  ferisca  a  morte,  fa  che  innanzi  gli 
si  schierino  nomi  asciutti  di  donne  antiche,  duare  e  yirtuose: 
Marzia,  Lucrezia,  Penelope,  Didone,  Claudia,  Yeturia,  Porzia  e 
piü  altre,  che  all'orecchio  dell'innamorato  pastore  ben  strani 
doTevan  suonareJ 

Non  e  nella  natura  muUebre  la  costanza  e  la  fermezza  del- 
l'uomo,  pensava,  col  Boccaccio,  il  petrarchista  Don  Pedro  Manuel 
de  Urrea.  Or  se  la  donna,  per  voler  del  cielo,  realmente  rivela 
coteste  rare  virtü,  chi  non  vorrä  lodarla?  Tues  como  dize  Juan 
Bocacio  en  el  libro  que  compuso  de  claris  mulieribus,  las  tales 
cosas  en  los  hombres  serian  muy  alabadas,  ^quanto  m&s  lo 
deven  ser  en  las  mugeres,  &  quien  la  naturaleza  negö  las  fiier^as 
varoniles?'*  E  parecchie  di  tali  fenici,  degne  del  massimo  en- 
comio,  e  dal  Boccaccio  esaltate,  volle  egli  pure  rammentare. 

Biasimi  e  lodi,  le  estreme  ingiurie,  i  maggiori  encomi  si  alter- 
nano,  si  combinano^  si  intrecciano,  si  combattono  in  altri  componi- 
menti,  dell'estremo  '400  e  del  '500,  che  e  qui  folUa  voler  descri- 
vere,  od  analizzare.  ^Malas  hembras'  e  ^buenas  mugeres',  s'oppon- 
gono,  come  *lodo'  all'*oro',  in  24  coplae  di  Fray  Inigo  de  Men- 
doza.  Un  Tractado  e  respuesta  a  gierta  pregunta,  e  de  algunas 
reynaa  e  grandes  senoras  que  non  fueron  buenas  mugeres,  et 
de  otras  que  fueron  muy  buenas,  tiniendo  honesta,  casta  e 
vyrtuosa  [vida]  et  de  cosas  famosas  que  vor  sus  maridos 
fizieron,  scrive,  intomo  al  1484,  il  compilatore  del  consultatissimo 
Vaierio  de  las  hystorias,  Diego  Rodriguez  de  Almella,  canonico 
di  Cartagena,  'arcipreste  de  val  de  santivanes',  cappellano  della 
regina  Isabella  de  tüastiglia,  e  a  Diego  de  CaraTajsd,  'corregidor' 
della  citta   di  Murcia  lo  dedica. '     Crebbe  via  via  la  discen- 


'  Bammentai  l'egloga  ddl' Encina  ed  altri  versi  e  proae,  in  pro  e  contro 
le  donne,  nelle  note  sul  Corbaeeio. 

*  Prologo  a  Do~a  Cathalina  de  Yxar  y  de  Urrea,  riprodotto  nel  Can- 
donero  pubbl.  dalla  DqnUae,  prov,  di  Zaragoza,  1878,  p.  4. 

^  Le  note  mie  sul  Oorbaeoio  ricordano  la  copia  manoscritta  conservata 
al  Britiah  Museum,  della  quäle  un  breve  estratto  mi  f u  favorito  dall'  amico 


384  Note  snl  Boccaodo  in  Igpagna  nell'Etä  MediA. 

deuza  del  De  daris  Mulierilus  boccaccesco^  detenninata  in  gran 
parte  dalla  maggiore  o  minore  violenza  con  cui  le  donne  erano 
aggredite,  prolifica  anche  per  il  riTersarsi  che  facevano,  sulle 
yicine  terre  d'Italia,  altri  trattati  sul  valor  femminile,  come  l'ano- 
nima  Defensione  ddle  donne,*  il  De  plurimia,  claris,  sdec- 
ti$que  mtdieribus  di  Filippo  Foresti  da  Bergamo^  ed  alüi  libri 
analoghi,  posteriori»  del  500:  Della  Eccdlenza  et  Dignitä  deUe 
Donne  (Roma  1525)  di  Flavio  Galeazzo  Capella,  le  Difeee  ddle 
donne  (Firenze  1652)  del  Pistoiese  Domenico  Bruni,  VApologia 
pro  MultertbuB  (manoscr.)  di  Pompeo  Colonna,  La  odla  e 
dotta  difeea  ddle  donne  in  vereo  e  in  prosa  di  Messer  Luigi 
Dardano  (Yenezia  1554),  curiosa  anche  per  le  reminiscenze 
dantesche  che  vi  si  innestano,  da  nessuno  ancora  ayyertite, 
diretta,  pur  essa,  contro  la  ^malvagita  d'alcuni  uomini»  i  quali 
senza  alcuno  rispetto  dicono  male  del  nobile  sesso  femminile', 
6  ^merce  dei  loro  strani  et  disordinati  appetiti«  yorrebbono  non 
solo  oscurare  il  nome  delle  valorose  donne,  ma  del  tutto  spe- 
gneme  il  seme'.'  S'ebbero,  in  Ispagna:  ud  trattato  De  las 
ilustres  mugeres  di  F.  Juan  Maldonado,^  un  libro  di  Fran- 
cisco de*Sosa  De  las  ilustres  Mugeres  que  en  d  mundo  ha 
havido  (*recopilado  de  varios  autores ),  or  perduto,*  le  Trecientas 


Fitzmaurice -Kelly.  Non  dtano  questo  trattato  Nicol.  Ant  in  BibL  Vet, 
II,  325,  A.  de  los  Bios,  Eist  VII,  306  sgg.  e  quei  pochi  ch'ebbero  a  scri- 
vere  B\ül'autore  del  Vaierio, 

*  £  a  stampa,  per  cura  dello  Zambrini,  in  Sedta  di  eurios,  letter.  V,  148. 
Offre  analogie  BingolariBsime  col  'Trattato'  di  Diego  de  Valera  che  talvolta 
sembrerebbe  tradnrre,  ed  h,  pur  eesa,  diretta  contro  le  'calunnioee  aecu- 
sazionl  di  perfidi  maldicenti\  II  Boccaccio  h  qui  taciuto,  e  il  biasimo 
maggiore  a  riversa  eull'autore  dell'^rs  Amandi  fatale.  Trovi  invece  un 
riniprovero  al  Boccaccio  nel  breve  trattato  di  L.  Domenichi,  La  nobütä 
deile  donne,  Yenezia  1546,  p.  46:  'Et  in  somma  tutti  coloro,  che  le  bisfii- 
mano,  come  Giovanni  Boccaccio  e  simili,  non  debbono  essere  ascoltati: 
perch^  dö  hanno  fatto  per  odio,  e  per  lo  non  havere  elleno  voluto  a  loro 
dishoneeti  desiderij  acconsentire'. 

'  Consultato  piü  volte  dall'Acosta  nel  suo  IVcUado  en  loor  de  las  mu- 
geres, Yenezia  1592,  p.  92  Bg.  Figurava  nell'  inventario  de'  libri  di  Isabella 
d'Este  (Gtom,  stör.  cL  letter.  ital,  aLII,  75),  ed  h  risBBunto  nel  De  memora- 
büibus  et  elaris  mulieribus,  aliquot  diversorum  scriptorum  opera,  Paris 
1521  (Yedi  Mhnoires  de  litter.  de  Sallengre,  La  Haye  1775,  l,  165)  che 
non  veggo  citato  da  quanti  ebbero  recentemente  a  Bcrivere  buI  trattati  in 
onor  delle  donne. 

'  Ne  trae  profitto  TAcosta  nel  Tratado  ecc.  p.  10,  che  vi  trova  'buenas 
ra9oneB  y  verdaderas  hiBtorias'.  L'AcoBta  ricorda  pure,  a  p.  107,  l'apologia 
di  Svmpnorien  Champier. 

^  lio  rammenta  u  GardoBO  in  Ägioloaio  Lusüano.  Yedi  Niool.  Ant. 
Bibl,  Nov.  II,  730.  Non  h  apologetico  il  Dialogo  de  mugeres  enire  dos 
sabios  del  Castillejo. 

^  Yedi  NicoL  Ant.  Bibl,  Nov.  I,  479  e  la  diligentissima,  preziosa  opera 
di  M.  Berrano  y  Banz,  Apunies  para  una  bildioteea  de  las  eseritoras  espafko- 
las  desde  d  ano  1401  al  1833,  Vol.  I,  Madrid  1903,  p.  X. 


Note  Bul  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media.  88S 

dd  Triumpho  de  virtudes  en  defenaa  de  illuitres  mugere^, 
tuttora  inedite  ^composte  intomo  al  1582),  del  curato  Luis  Hur- 
tadOy  rimaneggiatore  del  Palmeirim  de  Inglaterra,  una  Vat^ia 
hiatoria  de  sanctae  e  illustres  mugeres  en  todo  gener o  de  vir- 
indes  del  'bachiller'  Juan  Perez  cfe  Moya,  noto  poligrafo,^  il 
OinaecepaenoSy  o  Dialogo  en  laude  de  las  mugeres  di  Juan  de 
Espinosa,^  il  Tratado  eti  loor  de  las  mugeres,  y  de  la  Onesti- 
dad,  castidad,  constaneia,  silencio  y  justicia  dellas  di  CristoTal 
de  Acosta,  dedicato  all'infanta  Donna  Gaterina  d'Austria,  apo- 
logia  diretta,  come  il  prologo  awerte,  '4  un  mordaz  murmura- 
der  de  las  mugeres  en  respuesta  de  una  carta  que  me  escrivio', 
e  dipendente  ancora  dalla  dottrina  del  sapientissimo  Boccaccio. ' 
Nel  16099  stampavasi  a  Venezia  l'opera  del  Yalenziano  Pedro  Paolo 
de  Ribera:  Le  glorie  immortali  di  trionfi  et  heroiche  imprese 
d'ottocento  quarantacinque  donne  illustri  antiche  e  moderne. 

Gonoscere  le  virtu  delle  donne  yalorose  poteva  sembrare 
agli  uomini  gravi  del  Medio  Evo  tutt'una  cosa  come  un  pro- 
cacciarsi  i  suffragi  del  cielo  all'ambita  spirituale  salute.  £  grato 
a  Dio  chi  e  grato  alle  donne,  cosi  pensaya  auch«  Yespasiano 
da  Bisticci  in  un  suo  Libro  ddla  lode  e  commendazione  ddle 
donne,*  C'era  adunque  un  posticino  per  il  Boccaccio  tra  i  Padri 
Santiy  gli  Evangelisti,  le  autorita  della  Bibbia,  che  medicayano 
le  ferite  del  cuore,  e,  col  balsamo  delle  sacre  scritture,  tenevan 
lungi  le  perturbazioni  e  le  passioni  struggenti.  Naturalmente^ 
a  non  offuscare  la  gloria  del  Boccaccio,  occorreva  ignorare  la 
diatriba  contro  le  rie  femmine,  o  far  piena  astrazione  di  essa. 
L'ignorava,   con  tutta  probabilitä,  Donna  Teresa  de  Cartagena, 

*  Niool.  Ant.  BibL  Nov.  I,  757  cita  un'edizione  dell'opera  del  Moya 
di  Madrid  1588.  M.  D.  Berrueta,  in  alcuni  appunti.  nella  22^.  d,  Arch., 
BibL  y  Mus.,  1899,  p.  467  ne  registra  un'edizione  di  Madrid  del  1538;  sarä, 
suppongo,  errore  di  stainpa.  —  Ad  un  trattato  solle  chiare  donne  {ThetUro 
de  mt^etes  iUusires)  di  Damian  Froes  Perim,  e  ad  un  altro  di  Francisco 
de  Guzmim,  allude  Berrano  7  Banz  nell'opera  sua,  Vol.  I,  p.  X;  VoL  II, 
pgg.  6;  8ö;  162. 

'  Stampato  a  Milano  nel  1580,  e  ristampato  dallo  Sbarbi  nel  II  tomo 
del  suo  Refranero  espanoL  E.  Motta  in  una  notiziuola:  /  libri  di  un 
eastellano  spagnuolo  ad  1594,  in  Brieiole  bibliogr,,  Gomo  1893,  p.  42,  ricorda 
il  Mioraeanihos  delP  Espinosa,  edito  dope  la  morte  dell'autore,  a  spesedel 
Be  di  Spagna.  D  re  sccordava  alla  vedova  dell'Espinosa,  ai  2  novembre 
1601,  150  scudi  per  sussidiame  la  stampa  fDaU^Arcn.  di  stato  di  Milano). 
II  Mieraeanthos  e  registrato  dal  Gallardo,  Ens.  II,  955. 

'  p.  20;  p.  95;  p.  107;  p.  113  ecc.  A  p.  12(3  si  rammentä  la  Oaida 
de  los  mrineipes.  SuU'Acosta  Affricano  Teat  D.  Gärda  Peres,  Catßogo 
roMnaoo  hiogrdfico  y  bibliogrdf,  de  las  autores  portugueses  que  esoribieron 
en  easteUanOf  Mjidrid  1890,  pp.  12  sgg. 

^  Vedi  £.  Bertana,  UAriosto  e  le  donne,  in  MisoeUanea  dd  studi  eräiei 
edüa  in  onore  di  Arturo  Oraf,  Bergamo  1903,  pp.  161  sgg. 

Arehir  f.  n.  Spnwhen.    GXY.  20 


386  Note  8111  Bocctcdo  io  Tspagna  neirEtft  MeduL 

rdigioaa  di  non  ai  sa  bene  qnal  ordine,  amica  di  Gomez  Man- 
riqne,  efttimatore  grande  della  dottrina  boccaccesca.  Era  donna 
tatta  acoesa  d'amor  divino,  sempre  intenta  a  dissipare  %  niebla 
de  tristeza  temporal  humana^  a  tener  lungi  l'^espeso  torvellmo 
de  angnstioaas  pasiones',  fuggendo  la  selva,  od  ^isola'  del  peccato, 
*que  se  llama  oprobium  hominiun'»  F'exiUyo  e  tenebroso  destierro', 
CoU'opere  di  pieta  e  gli  scritti  ascetici.  Ad  illuminarsi  fra  le 
tenebre  mettera  anch'essa  i  suoi  fari,  o^  com'ella  s'esprimeya: 
popolava  i  deserti  di  ^arboledas  de  buenos  consejos  y  espiri- 
tttfdes  consola^iones'.  Compilaya  anch'essa  dalle  dotte  carte,  pnr 
deplorando  il  proprio,  *flaco  mugeril  entendimiento'.  Anch'essa 
toglieva  consiglio  da'  trattati  inorali  del  Boccaccio.  AreTa  scritto, 
per  compiacere  Donna  Juana  de  Mendoza,  moglie  di  Gomez 
Manrique,  una  sua  Admiraeion  de  las  obras  de  Dios,  dove 
pur  dttcute  della  preeminenza  vantata  dagli  uomini  solle  donne, 
e  proTvedeva  all'^entendiBiiento  flaco  mugeril,  puesto  entre  tan- 
tos  e  tan  peligrosos  lasos'.  Da  Elche  mandava  a  Donna  Leonor 
de  Ayala  il  Vencimiento  dd  mundo.  Raccoglieya,  come  prima 
di  lei  aveya  fatto  Fem&n  Perez  de  Gozm&n,  varie  Sentencias 
4e  philosophos  e  sabios,  ed  af&daTa  lo  sfogo  maggiore  del* 
Tamma  ad  un  trattato  ascetico  morale,  VArboleda  de  los  en- 
fermos,  composto  'seyendo  apasyonada  de  graves  dolenfias', 
''a  loor  de  Dies  e  espiritnal  consoladon  suya  e  de  todos  aquellos 
qae  enfermedades  padescen'.  Coi  confortatori  e  salmisti  e  dot* 
iori  della  Chiesa,  non  ti  meravigli  di  trovar  citato,  nell'opere 
«ae,  qtiale  veneranda  autoritä,  Giovanni  Boccaccio.*  Ayveniyale 
cod,  merce  le  assidne  lettore  di  Ubri  4os  qnales  de  arboledas 
salndables  tienen  en  sy  marayillosos  enxertos',  i  conforti  pro- 
cacciatisi,  ed  i  'santos  consejos',  di  conyertire  *en  compaiiia  e 
familiaridat  de  buenas  costunbres'p  'la  soledat  penosa  de  las  con- 
yersaciones  del  siglo'. 

Alle  donne  in  pena,  contristate  e  gementi,  trayagliate  da 
iniqua  fortuna,  poteya,  per  un  Capriccio  della  fantasia  de'  poeti, 
apparire  il  Boccaccio,  disceso  dal  cielo  in  terra,  a  terger  le 
lagrime,  ad  accogliere  e  reprimere  i  sospiri,  a  mitigare  i  dolori 
e  gli  affanni  crudi.  Chi  piü  del  Boccaccio  esperto  delle  miserie 
e  delle  sdagure  di  quaggiü,  piü  atto  quindi  a  porger  soUieyo  e 
conforto  quando  il  cuore  e  in  preda  a  cupa  disperazione?  Se  lo  fa 
risorgere  il  Santillana  neUa  Öomedieta,  a  ristoro  dell'anima  delle 
regine  di  *gran  sangue  e  magnificencia',  lettrici  del  De  Casibus, 

*  If  eil' Admiraeion  de  ku  obras  de  Dios.  Vedi  A.  de  los  Bios,  Eist. 
VII,  178,  dove  perö  aasai  snperfidalmente  si  discorre  deWÄrholeda,  dal- 
linaigne  storico  lorse  non  mai  letta,  come  ben  dimoBtra  Serrano  y  Sanz, 
nel  Dotevole  articolo  dedicato  a  Donna  Teresa  de  Cartagena  (opera  dtata 
aulle  Bcritrid  di  Spagna  I,  218  sgg.).  Vedi  gli  estratti  dell'opere,  mano- 
scritte  all'  Escorial,  oueiti  dal  Semino. 


Note  Bul  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media.  887 

molestate  pur  esse  dalla  ^regina,  ch'infra  li  mortali  |  rege  et 
iudica'y  la  possente  Fortuna.  Gemiti  e  pianti  inducono  il  Boc- 
caccio a  partir  tosto  ^dal  loco  ove  e  lo  dilecto  |  etemo,  la  gloria 
e  somma  potencia';  e,  impietosito,  il  grand'uomo  favella;  o£Er6 
al  ^piacere'  delle  afi^tte:  ^prose,  rime  e  versi'.  II  Santillana 
medesimo  stupisce  di  questa  risurrezione:  *de  como  ya  vive  saj 
marayellado';  scorge  nel  redivivo  poeta  un  non  so  che  del  veno- 
rando  aspetto  del  Gatone  dantesco.  II  Boccaccio  appare  'cortesV 
^en  h&bito  honesto,  mas  bien  arreado';  ha  cinta  la  fronte  di 
^verde  laoro'.  ^  Non  per  confortare  le  donne  afflitte»  ma  per 
farsi  protettore  dell'  onor  loro,  calpestato  da'  malvagi,  il  Boc- 
caccio risorgeva,  e  prestavasi  ad  una  vivace  difesa  nel  Froeia 
d'honneur  feminin  di  Martin  Le  Franc,  preposto  di  Lausanne, 
autore  di  quel  Champion  de$  damesy  che  gli  Spagnuoli  leggevano» 
al  pari  del  Trdsor  e  della  CM  des  dames  di  Christine  de  Pisan. 
II  catalano  Francesch  Farrer,    invece,   in    un  Conort,   ch'ebbe 

'  In  qnesta  immaginata  risurrezione  del  Boccaccio  {Oomeduta  de  Ptm^a; 
Obras  100  BggA  il  marchese  sowenivasi  evidentemente  dell'apparizione  dd 
Petrarca  uSiDe  Gasibw  (Lib.  VIII,  cap.  I,  f.  CI  delle  0(wda8  cast.) :  'E  yo 
fablando  comigo  assi  como  hombre  vencido  del  todo  aice  mi  cabega  su- 
friendome  sobre  mis  codos,  y  abazandola  otra  vez  pusola  sobre  el  cabe9ai 
con  mucho  cansancio :  y  alie  que  me  paresdo  do  bq  de  parte  venia  un 
hombre  muy  fermoso  de  rostro  y  onrraao  acatamiento  muy  plazible  y  gra- 
cioso:  en  la  cabe9a  una  corona  de  ramos  de  laurel  .  y  el  vulto  de  sü 
onorable  cuerpo  cubierto  de  una  vestidura  real:  al  quäl  como  yo  catasse 
no  me  falle  alguna  cosa  .  }r  yo  abrl  mis  ojos  apartaodo  de  mi  todo  suefio 
y  pereza  con  mayor  diligencia  lo  tome  a  mirar  por  ver  quien  era  » y  estando 
asi  entre  mi  pensando  oonosci  que  era  francisco  petrarca  mi  senor  y  amigo 
y  maestro:  et  quäl  siempre  me  castigo  y  amonesto  y  enseno  todas  buenas 
oostumbres  y  obras  de  scienda  y  ooctrina  muy  virtuosa.' 
Tl  II  Boccaccio  della  Comedieta  riappare,  a  sua  volta,  in  sembianze  dl 
pelleffrino  confortatore  e  dl  veglio  antico,  de^o  della  maggior  riverenza. 
pur  di  verde  alloro  coronato,  nella  Tragedia  de  la  ineigne  Beyna  lsabel  del 
'Condestaver  Don  Pedro  de  Portugal  (Homen,  d  Men,  y  Pel.  l,  700): 

Bn  esto  estando  ahe  voi  do  vino 
an  ombre  antigo  d«  grmnd  eatatara, 
que  bien  resemblava  de  honor  may  digno 
segnnd  denotava  la  mi  eatadura. 

^^^^  ^^^^  ^a^^m  ^tm^m  ^tm^m  «^^^b  ^^^mb  «^^^b 

—     —    me  fiao  ta  grand  fermoBara 
dabdar  sy  humano  era  o  dlvino, 


Esplendida  ropa  e  rica  cobria, 
bordada  de  ojoa  que  fueron  obrados 
por  la  gran  Minenra  con  tal  maestria, 
que  jamas  deepiertoa  serian  fallados. 
En  la  dieBtra  mano  tres  pomos  tenia, 
por  donde  tree  tiempoB  eran  demoBtrados; 
muy  pasBO  a  passo  bub  paBBOs  movia, 
segnnd  fitier  soelen  los  bien  eosenados 
de  laureo  Terde  guirlanda  traya. 

25* 


S88  Note  8ul  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media. 

^naldie  diffusione,  ridona  vita  al  Boccaccio,  perche  sostenga  il 
motteggiare  sulle  &alezze  ed  astuzie  muliebri^  e  scongiuri  un 
castigo  solenne,  arringaudo  con  successo,  col  collega  Serveri  de 
6eronaJ  Torna  a  riviTere  ed  a  prodigar  dottrina  ^misser  Joan 
Boeäci  de  Certaldo^  ^honra  to9cana\  di  ^graciosa  cara',  solerte 
raccoglitore  di  fiavole  antiche»  nelle  esposizioni  morali  ed  alle- 
goriche  che  Francesch  Alegre  aggiunge  ad  una  sua  versione 
delle  Metamorfosi  di  Ovidio,  e  si  presta  a  dirigere  i  discorsi 
ed  i  ragionamenti  di  una  schiera  di  dotti,  fatti  discendere  dal 
cielo^  dalla  beatissima  Vergine,  in  soccordo  del  debole  intel- 
letto  dell'espositore.'  Qaando  il  Santillana  renne  a  morte,  e 
si  die  la  stura  alle  lagrime  e  a^  panegirici,  un  secretario  di 
tanto  ^lustre  y  maravilloso  senor',  Diego  de  Burgos  erige,  in 
forma  di  visione  dantesca,  un  iempio  al  defunto;  chiama  a  rac- 
colta  i  grandi  uomini  antichi  e  i  grandi  moderni,  perche  s'in- 
chinino  al  suo  signore,  spirito  fulgente  di  gloria  e  di  luce,  e  sol- 
levato  SU  tutti.  I  tre  maggiori  Fiorentini:  Dante,  Petrarca  ed  il 
Boccaccio  profondono  lodi  strabilianti  anch'essi,  e  il  Boccaccio, 
memore  dei  casi  di  alta  yirtü  narrati,  pronuncia  in  pochi  versi 
il  suo  panegirico:  'Por  nueva  manera,  polida,  graciosa,  |  com- 
puso  el  Marques  qualquier  su  tractado:  |  maestro  del  metro, 
senor  de  la  prosa,  |  de  altas  virtudes  varon  coronado';  non  e 
perö  si  folle  e  si  audace  da  confessare,  come  qui  Dante,  doci- 
lissima  guida  del  secretario,  faceva,  goder  egli  fama,  sol  perche 
il  Marchese  de^nö  leggere  le  opere  sue. ' 

^Ho  tolto  in  esame  il  Oimori  nelle  note  sul  Oorbaeeio. 

'  n  Uibre  de  lea  trantfortmioiona  dd  poäa  Ovidi  ci  occuperä  piü  in- 
nanzi.    • 

^  Vedi  le  note  mie  bu  Danie  ed  illPeirarea  tn  hpagna,  Gome  VAmoroaa 
Ykione  del  Boccaccio  soccorreese  rimmaginazione  di  Diego  de  Bargos  dir5 
in  seguito. 

Gmunden.  Arturo  Farinelli. 

(Fortsetzung  folgti) 


Xleinere  Mitteilnngen. 

Ag8*  rihthamscyld:  eohtes  Hoftor. 

Aethelberht  von  Kent  beetinimt  im  82.  G^etz:  ffif  man  rihi" 
hamseyJd  ßurhetinä,  tmd  loeorde  forgdde.  Da  ags.  Schreiber  die 
Komponenten  eines  Kompositum  zu  trennen  pflegen,  läfst  sich  die 
erste  6ilbe  als  besonderes  Adjektiv  —  so  hier  nadi  Bosworth-ToUer 
—  überall  da  fassen,  wo  sie  nicht  laut  Genus,  Numerus  und  Kasus 
des  letzten  Gliedes  eine  Flexionsendung  haben,  oder  das  Adjektiv 
schwach  lauten  müTste.  Dieser  Zweifel  braucht  jedoch  die  Bedeutung 
nicht  zu  beeinflussen« 

Unter  den  Erklärem  wollte  1640  de  Laet^  rihi  strichen,  weil 
es  im  Codex  mit  blasserer  Tinte  geschrieben  sei;  er  liels  für  das 
Wort  in  der  Übersetzung  eine  Lücke.  Er  oder  Hickes  wollte  harn- 
scyld  als  'Lederschild'  verstehen  oder  durch  handscyld  'Schild'  emen- 
dieren.  Einen  Bückschritt  tat  hier  wie  öfters  Wilkins,'  indem  er 
scyld  als  instr.  auffafste  und  als  abl.  laneeä,  sodann  rihi  kam  als 
dextrum  femur  miXsverstand,  mit  Berufung  auf  die  Stellung  des  Ge- 
setzes vor  den  GliederbuTsen.  R.  Schmid  verwarf  dies  1882'  still- 
schweigend, indem  er  das  Wort  unübersetzt  liels.  R  Price^  (f  1888) 
wagte  keine  Übersetzung  und  schwankte  in  der  Erklärung  zwischen 
'Hautschutz,  d.  i.  ein  Kleidungsstück'  und  der  Emendation  fon  un-J 
rihi  hav%  foddej  scyld:  ^nrechtmäfsig  Kleid  oder  Schild'.  Thorpe' 
wiederholte  dies  zwar,  verwarf  es  aber  mit  Recht:  nur  [f]  hama  be- 
deute ags.  'Kleid'.  Er  selbst  erklärte:  'rechtes  Schul terblatf ;  harn 
nämlich  sei  identisch  mit  got  ams  (lies  amsa)  —  was  J.  Grimm  ^ 
dann  ablehnte  —  und  shield  dialekt  Englisch  für  'Blattknochen' 
(hierzu  vgl.  Halliwell,  Dieiion.  of  arcJuiie).  Schmid  in  zweiter  Aus- 
gabe (1858)7  nahm  mit  Recht  keine  dieser  Erklärungen  an;  er  ver- 
zeichnete, aber  nur  zweifelnd,  als  vielleicht  mit  hamscyld  zusammen- 
hängend, ?iama :  uterus;  cüdhama :  matrix  (Gebärmutter). 

Lizwischen  hatte  H.  Leo,  den  Schmid  ohne  Beifall  nur  zitiert^ 
1842  9  den  richtigen  Weg  durch  einen  Vergleich  mit  dem  friesischen 
Brokmerbrief  gewiesen  und  den  Sinn  der  Stelle  getrofien  mit  ^tuiela 
sepii,  der  reckte  Schutz  des  Oehöftea,  meüeieht  das  Tor!  Es  heilst  dort: 
M  tha  deda,  ther  skiath  oppa  houwe  inna  hemme  and  binna  skMe, 

>  Bei  Hickes  Dissert,  eoist.  p.  90,  in  Ling.  vet.  thes.  II,  1708.  *  Leges 
Anglo-Sax.  (1721)  p.  ^.  "  Gesetze  der  Ägsa.  S.  8.  ^  Ängto-Saxon  latos 
p.  4  (nur  bis  p.  92  gedruckt,  nicht  yeröfTentlieht).     '  Ane.  lanoSy  fol.  1840, 

g.  5.     «  Kkins  Sehr.  V  818.      ^  8.  6.  60(>.      >  Bsetüudmes  sing,  person. 
.  38,  im  Angelsäehs.  Glossar  (1877)  fehlt  hamseyld. 


890  Elräefre  Mitteiluogen.' 

Herr  Prof.  Th.  Siebs,  den  ich  um  den  genauen  Sinn  dieser  Stelle 
fragte,  hatte  die  dankenswerte  Freundlichkeit,  folgende  Antwort  zu 
erteilen  und  deren  Abdruck  zu  erlauben: 

Afrs.  kern  entspricht  einem  ags.  h^mm  und  ist  ein  germ. 

Stamm  *}iamjo-;  ob  Mask.  oder  Neutr.  lälst  sich  nicht  sagen.  Die 
Wurzel  ist  jene  weitverzweigte,  die  auch  in  unserem  4iemmen'  ent- 
halten isl^  und  zweifellos  bedeutet  afrs.  hem  (man  vgl.  auch  ostfrs.- 
plattd.  kam  'eingefriedigtes  Land',  westfrs.  die  'Hemmen'  u.  a.  m.) 
'Einfriedigung,  Abgrenzung^. 

Ganz  unerklärt  ist  meines  Wissens  bisher  afrs.  skelde;  aber  auch 
dieses  ist  mir  nicht  zweifelhaft  Es  hat  weder  mit  'Schuld*  noch  mit 
'Schild' '  etwas  zu  tun,  sondern  ist  eine  der  in  den  germ.  Sprachen 
ja  reichlich  auftretenden  Nominalbildungen  auf  -tdö-,  und  zwar  zu 
dem  sehr  gebräuchlichen  friesischen  skiU  'Schutz,  Deckung,  Versteck'; 
man  vgl.  afrs.  fugelskül  'Vogelherd',  wangeröog.  sxüi  'Deckung,  ge- 
schützter Platz  für  Schiffe,  Windschutz',  syltersch  sk^l  'Schutz,  Ver- 
steck' in  meinem  Worterb.  zu  den  'Sylter  Lustspielen',  ostfrB.-plattd. 
schul,  ndl.  sehuylen  'sich  verstecken'  u.  a.  m.  AAb.  skelde  (ags.  müfste 
es  *seyld  lauten)  aus  *8MUä6-  ist  also  'Beschützung,  Deckung'.  Also: 
'alle  die  Taten,  die  geschehen  auf  dem  "Hofe"  binnen  Einfriedigung 
und  schützender  Deäung,  dreifach  zu  hülsen  etc' 

Da  die  einzige  Hs.  Aethelberhts  dem  12.  Jahrh.  angehört^  und 
ags.  Schreiber  weder  die  Vokale  a  und  y  verschiedener  Herkunft^ 
noch  auslautend  m  von  mm  unterscheiden,  so  mag  fraglich  bleiben, 
ob  komm  (eingefriedigtes  Stück  Land,  Wohnstatt)  oder  häm  (Heim^ 
ob  sciM  (Schild),  wie  alle  einschliefiilich  Leo  meinen,  oder  ein  sonst 
fehlendes  *seyid  (Dedning)  in  jenem  Kompositum  steckt  (Gebildet 
ist  es  wie  ceasterhiid  'Stadttor'. 

Sicher  aber  ist  ein  durchstechbarer,  wohl  vorzugsweise  aus  Holz 
gefertigter  Teil  des  Hofeingangs  gemeint,  dessen  Verletzung  vom 
Rechte  jener  Friesen  wie  auch  anderer  Germanen  mit  einer  Bulse 
belegt  ward,  die  gesondert  neben  der  Ahndung  der  übrigen  Missetat 
stand.  Dabei  bedeutet  rikt:  'ordentlich,  wirklich,  eigentlich,  echt' 
und  festigt  das  ihm  folgende  Wort  zum  Bechtsbegriff.  Die  Gesetzes- 
spräche  braucht  so^:  rihUßw,  -andaga,  -dorn,  -fasten,  -fastendag, 
'fastentid,  -gesamhivxm,  -gifu,  -hamsom,  -handdada,  -hlafordhyldo, 
-lagu,  4if,  -regol,  -scir,  -soriftscir,  -wer,  -wif.  Die  Tür  war  unter  den 
Teilen  des  Hauses  ausgezeichnet  ^  und  galt  als  hdlig;*  wer  bei  den 
Friesen  '  Tür  und  Tor  einstöis^  mufs  den  Schaden  —  wie  hier  mid 
tueorde  —  ersetzen;  das  'Hausstofsen'  gilt  als  feindliche  Heraus- 
forderung; ein  Durchbohren  der  Haustür  durch  Pfeil  oder  Speer 
kennen  andere  Volksrechte  der  Germanen.<^ 

Auch  die  Anordnung  Aethelberhts  findet  dort  Beispiele.    Dafs 

^  Qeeen  Bichthofen  AUfries.  Wb.  1022  nnd  Leo  a.  a.  O.  [F.  LJ. 

«  Meine  Gesetu  der  Ägsa.,  II,  1  (Wörterbuch),  &  178.  '  Grimm,  Rechts- 
aUertümsr  175(1  241«).  ^  WUda,  Strafrecht  üOb,  *  His,  Strafr.  d  jPWesert 
854.  857.      «  Wüda,  958  ff.;  Bnmner,  Dt.  BsMsg.  II  651  iL 


Eleraere  Mitteilttiigen.  801 

^waltBame  HeimBuchung  den  Bealinjurien  yoraDgeht^  ist  notöiUdL 
Wenn  sie  hier  hinter  dem  Beschlafen  des  Weibes  eines  Frden  stdit^ 
so  erscheint  sie  auch  bei  Franken  und  Juten  neben  Frauenranb.^ 
Berlin.  F.  Liebermann. 

Zum  00.  angelsftohaisohen  B&tsel. 

In  Band  CXI  dieser  Zeitschrift,  Seite  59  ff.,  behandelt  Edmund 
Erlemann  das  90.  angelsachsische  Batsei  und  gibt  als  dessen  Lösung 
'Oynewulf^    Er  sagt  dort: 

'Ich  löse  auf   ,00!  ^  !f^^  •  Lupus-vndf  5—8,  ab  agno-ewu 

4—6,  tenetur  (gleichsam  im  Maule);  darum  mirwn  fddekir  mihi  ... 
Oheurrü  agnus:  dem  die  einzelnen  Buchstaben  verfolgenden  Auge 
des  Dichters  scheinen  die  drei:  e,  w,  u  ^=:  4 — 6,  dem  Wolf,  wulf 
=  5 — 8,  entgegenzulaufen.  Et  eapU  viaeera  lupi:  ähnlich  wie  vorher 
tenetur,  und  nimmt  die  Eingeweide,  d.  i.  das  Innerste  des  -tüulf,  näm- 
lich die  beiden  Buchstaben  w  und  u.  Das  anknüpfende  dum  starem 
et  mirarem  zeigt  deutlich,  dals  die  Scharade  weitergeht . , . ' 

Die  Lösung  dieser  zwei  ersten  Zeilen  leuchtet  ohne  weiteres  ein. 
Anders  verhält  es  sich  mit  den  beiden  letzten  Zeilen.  Hierfür  wuiste 
Erlemann  keine  befriedigende  Erklärung  zu  geben,  und  auch  die 
Lösung^  die  Dr.  Joseph  Qotzen  ebendaselbst  vorschlagt  (Seite  68), 
klingt  ziemlich  unwahrscheinlich.  lA  glaube,  dais  sich  auch  die 
zwei  letzten  Verse  folgendermaüsen  in  befriedigender  Weise  werden 
erklären  lassen. 

Mit  Edmund  Erlemann  und  Götzen  fasse  ich  lupi  als  Qenetiv 
und  duo  als  Neutrum  auf,  und  zwar  letzteres  mit  hinweisender  Be- 
deutung; unter  duo  lupi  sind  also  die  zwei  Budistaben  des  Wortes 
eum  (von  dem  zuletzt  die  Rede  war)  verstanden,  die  gleichzeitig  auch 
zu  undf  gehören,  =  um.  Der  noch  übrigbleibende  dritte  Budistabe 
ist  e.  Es  bleiben  also  wu  stehen  (stcmtes),  verdrängen  aber  das  e 
(tribtdaniee).  So  ertialten  wir  das  aus  sieben  Buchstaben  bestehende 
Wort  'Oynwulf  (cum  septem  oculis  videbant).  Unter  quatuor  pedes  sind 
die  vier  letzten  Buchstaben  dieses  Wortes,  also  umlf,  zu  verstehen. 

So  ist  das  Oanze  gewiss^rmaisen  als  eine  Art  Verwandlungs- 
rätsel anzusehen,  indem  in  dieser  scherzhaften  Weise  der  Name 
'Oyneundf  in  'Oynwulf'  umgestaltet  werden  solL  Dabei  erinnere 
man  sich  daran,  dais  beide  Formen  je  zweimal  in  den  sicher  Cjn^ 
wulfschen  Werken  vorkommen :  Oyneuntlf  in  der  Juliana  und  d^ 
Elene,  Oynunäf  in  den  Faia  apoetolonim  und  der  Himmelfahrtsstella 

Wenn  man  wegen  der  Formen  stantes  und  trUnUatUea  Bedenken 
haben  sollte,  duo  als  Neutrum  aufzufassen,  so  denke  man  nur  daran 
in  welch  freier  Weise  im  Mittelalter  die  lateinische  Sprache  gehand- 

*  Wüda,  958.  242. 
^^  Der  Wortlaut  des  lateinisch  abgefa&ten  Bätsds  lautet  bekannüidit 
Mirum  videhsr  mihi:  lupue  ah  agno  teneHir ;  oheurrü  agnue  et  eapU  vieeera 
hipL   Dum  starem  et  mirarem,  vidi  gloriam  nmgnatn:  duo  Itfpi  stantee  et 
tertium  tribulfanies]  IUI  pedee  habebant,  cum  e^ptem  oeulie  viatbonL 


S92  Kleinere  IfitteilnDgen. 

Labt  wurde.  Daft  auch  unser  Dichter  nicht  klaasiBcheB  Latein  schreibt, 
das  zeigt  ja  schon  zur  Genüge  die  Form  mvrarem. 

.  WaSy  abgesehen  von  der  inneren  Wahrscheinlichkeit^  für  die 
Richtigkeit  dieser  Losung  spricht^  ist  femer  der  Umstand,  daüs  gleich- 
zeitig Herr  Professor  Dr.  Victor  zu  derselben  Ldsung  der  beiden 
letzten  Zeilen  des  Batsels  kam. 

Marburg.  Fritz  Erlemann. 

Ein  altengliflohes  Prosa-Rätsel. 

Bekanntlich  sind  die  altenglischen  Bätsei  der  Exeter-Handschrift 
rein  literarische  Kunstdichtungen,  die  in  Anlehnung  an  die  lateinische 
gelehrte  Rätseldichtung  eines  Symphosius,  Aldhelm,  Eusebius  und 
Tatwine  geschrieben  sind.  Es  ist  uns  aber  ein  bisher  unbeachteter 
Rest  der  volkstümlichen  Bätseidichtung  der  Angelsachsen  erhalten: 
ich  meine  das  altenglische  Prosa -Rätsel,  welches  auf  Blatt  16^  der 
bekannten  glossierten  Psalterhandschrift  Vitellius  E  18  (nach  Wan- 
ley  im  Jahre  1081  geschrieben)  steht  und  bereits  1705  von  Wanley 
in  seinem  Kataloge  8.  228  gedruckt  worden  ist  Da  ich  dies  Rätsd 
nicht  zu  lösen  vermag,  habe  ich  bereits  vor  einigen  Jahren  in  dem 
Fragekasten  der  Zeitschrift  Literalure  eine  neuenglische  Übersetzung 
mitgeteilt  und  zur  Losung  aufgefordert  Da  diese  Anfrage  aber  er- 
folglos geblieben  ist^  möchte  ich  mit  den  Lesern  des  Archivs  einen 
neuen  Versuch  wagen.  Ich  teile  daher  das  Rätsel  hier  im  Urtext  nach 
einer  Kollation,  die  mir  Kollege  Vamhagen  freundlichst  besorgt  hat^ 
mit  und  füge  zur  Sicherheit  eine  wörtliche  deutsche  Übersetzung  bei. 

Njs  liks  *  frfgfn  >  syllkc  |iknc  to  raedfnnf.^. 

Du  f>e  fnrst  on  {^one^  weg,  gret  du  minne  brodor,  minre  mo- 
dor  ceor[^]'  .  |)one  acende  min  agen  wif  .  and  ic  wses  mines  bro- 
dor dohtor  .  and  ic  eom  ^  mines  f seder  modor  geworden  •  and  mine 
beam  syndon  geworden  mines  7  f»der  modor. 

Wenn  du  d[ies]en  Weg  gehst,  grüise  du  meinen  Bruder,  mei- 
ner Mutter  [Ehe-]Mann,  den  mein  eigen  Weib  gebar  (oder,  wenn 
ßone  =  ßonne,  'dann  gebar  mein  Weib'f).  Und  ich  wai*  meines 
Bruders  Tochter.  Und  ich  bin  meines  Vaters  Mutter  geworden ; 
und  meine  Kinder  sind  meines  Vaters  Mutter  geworden. 

Höchst  wahrscheinlich  gehört  das  Rätsel  in  die  Gattung  der 
Verwandtschaftsrätsel,  die  wohl  nur  als  uneigentliche  Volksrätsel 
anzusehen  sind  (s.  K  Petsch,  Beiträge  zur  Kenntnis  des  Volksrätsels, 
Berlin  1889,  8.  18  f.,  und  Neue  Phüol  Rundschau  VIII  171  f.). 

^  Nys  pk  ist  ganz  undeutlich.  '  Ae.  fregen  'Frage'  fehlt  in  unseren 
Wörterbüchern;  vgl  Vf.  Engl  Stud.  XXXVI  2.  '  In  Vexierechrift  für: 
Nys  pis  freien  syllie  pino  to  rcBdame,  Vgl.  A.  Meister,  Die  Anßnge  der 
modernen  dtplomaiiacMn  Oeheimschrifl,  Paderborn  1902,  S.  5  ff.  Bei  Wanley 
steht  dieser  Satz  fälschlich  hinter  dem  Rätsel  (Varnhagen).  ^  Wanley 
fälschlich:  done,  '  l  ist  «m  Zeilenrande  infol^^e  des  Brandes  abgebröckelt 
(Vanihagen).  ^'  ie  eom  'sehr  undeutlich,  weil  verbrannt  und  überklebt' 
(Vamhagen).     "^  mi  'am  Zeilenende  und  undeutlich'  (Vamhagen). 


Kldoere  MiiteiliiDgen.  808 

Man  möchte  auch  geneigt  sein,  die  obigen  schwierigen  Verwandt- 
sehaftsverhütnisse  mit  Lots  Familie  in  Verbindung  zu  bringen^  wo- 
für es  gerade  im  Englischen  nicht  an  Beispielen  fehlt  (s.  Petsoh 
a.  a.  O.);  indes  irill  mir  dies  im  einzelnen  nicht  gelingen. 

Wer  kann  uns  also  das  Bätsei  lösen  I 

Wflrzburg.  Max  Förster. 

Das  Englisch  des  städtisohen  Bechts  im  16.  Jahrhundert 

findet  wertvolle  Belege  in  Borough  customs  ed.  for  the  Seiden  soe,  hy 
M.  Bateson  {I,  London  1904),  grofsenteils  aus  unveröfienüichten 
Archivalien  von  mehr  als  hundert  Orten,  auch  der  von  Engländern 
kolonisierten  Nachbarländer.  Vor  1400  lauten  die  Stücke  zwar  alle 
lateinisch  oder  französisch,  atmen  aber  ebenfalls  rein  englischen 
Geist  und  bergen  viele  seltene  englische  Formeln  und  Termini,  so 
das  nordische  kyrrseta  (in  Frieden  sitzen),  die  Alliteration  deake  hui 
et  hom  (d.  i.  kül  and  holm,  aus  Exeter  um  1280,  in  einem  Para- 
graphen über  die  Verfolgung  schädigenden  Viehes  zu  dessen  Eigen- 
tümer), femer  den  Beim  nameles  fremeles,  der  die  Ungültigkeit  der 
Parteirede  mit  Irrtum  in  den  Namen  der  Zeugen  oder  Gewährsleute 
bestimmt,  die  Formel  veche  (fetch)  and  have  p.  250.  Auf  den  Kampf 
der  Sprachen  wirft  es  Lichte  daJGs  viele  Städte  noch  im  15.  Jahrh. 
ihr  Becht  französisch  aufzeichnen  und,  laut  einiger  Zitate,  in  ihrem 
Gericht  französisch  verhandeln  lassen,  dafs  eine  französische  Über- 
setzung des  14.  Jahrh.  von  zwei  lateinischen  Büchern  im  15.  Jahrh. 
ins  Englische  übertragen  ward.  Die  Hrsgbin.  bewahrt  die  Orthogra- 
phie des  Englischen  genau;  vgl  axiü  für  ahaU  p.  810. 

Berlin.  F.  Liebermann. 

Ein  neuentdeoktes  Manuskript  Thomas  Chattertons. 

Die  Chatterton-Beliquien  der  Bristoler  Wills  Art  Gallery  sind 
durch  die  Grolsmut  eines  Grönners,  Sir  George  White,  um  ein  wert- 
volles Manuskript  vermehrt  worden.  Kein  Biograph  Chattertons  hat  es 
bisher  beachtet^  auch  Diz  nicht,  trotzdem  es  die  Aufschrift  trägt:  Auto- 
graph  of  Thomas  Chaiterion,  presenied  by  John  Dix  to  Dr,  Mackenzde. 

Das  vier  eng  geschriebene  Seiten  umfassende  Prosafragment 
scheint  der  in  modernem  Englisch  geschriebene  Entwurf  zu  einer 
später  nicht  ausgearbeiteten  oder  verloren  gegangenen  Bowley-Schrift 
zu  sein.  Die  Anfänge  zu  einer  altertümlichen  Schreibart  sind  bereits 
gemacht^  und  die  Erwähnung  Bacines,  Shakespeares  und  Drydens 
bildet  dazu  einen  sonderbaren  Widerspruch. 

Der  Anfang  sieht  einer  Apostrophe  an  Canynge  gleicL 

Die  äufsere  Fassung  —  Personifikation  der  Natur,  die  den 
Dichter  auffordert^  ihr  in  ihren  Palast  zu  folgen,  und  die  ihm  dort 
die  Werke  der  berühmtesten  Maler  zeigt  —  läfst  die  Vorbilder, 
Chaucer  und  Lydgate,  leicht  erkennen. 

Charakteristisch  für  den  jungen  literarischen  Bahnbrecher  ist  die 
Beobachtung,  die  er  sich  in   der  Bildergalerie  der  Natur  zunutze 


«^M  Kleinere  Mitteilangen. 

macht:  dais  die  groben  Mäster  die  Dinge  genau  so  malten,  wie  sie 
ihnen  in  der  Natur  erschienen,  dafs  sie  aber  in  kluger  Auswahl  nur 
solche  natürliche  Vorgange  darstellten,  die  an  sich  schön  waren. 

Wir  lassen  den  Text  hier  nach  einem  Abdruck  in  The  Bristol 
Mercury  vom  26.  Juni  1905  folgen. 

THE  GALLEBY  AND  8CH00L  OP  NATURR 

A  VISION. 

A  few  Nights  ago  as  I  was  sitting  in  my^  doset,  &  had  not  Im- 
mediately  fized  on  any  book  to  Read,  it  came  into  my  mind  that  I  was 
to  prepare  a  discourBe  for  your  Entertainment  thiR  Night.  I  migbfhave 
lost  some  time  dboosing  a  Subject  to  write  upon  if  I  had  not  considered 
that  there  still  remainä  many  important  things  to  be  said  on  the  arga- 
ment  which  had  fnmished  matter  for  the  two  discoarses  which  you  had 
before  heard  with  a  moat  encouraging  Candour. 

Bdng  therefore  determined  to  lay  before  you  some  fnither  observations 
on  the  subject  of  TA8T,  I  began  to  collect  &  dispose  such  thougfats  as 
seemed  proper  to  be  added  to  what  I  had  already  written.  But  finding 
it  di^cult  to  Range  every  thing  in  order  to  my  content,  m;^  mind  began 
to  be  weary  after  a  little  application,  &  I  feil  insensibly  into  a  Sound 
Sleep;  But  Phancy,  which  nad  begun  to  work  before,  nnding  her  seif 
now  at  Liberty  to  draw  what  Bcenes  f>he  pleased,  set  her  seil  to  paint 
insensible  Figures  some  what  like  the  scheme  that  Reason  had  laid  out 
and  in  some  measure  pureued.    My  Dream  was  to  this  Purpose. 

ME  TH0U6HT  I  was  sitting  on  the  Bank  of  a  laige  River  yt  ran 
through  a  Piain  across  which  there  was  an  open  proRpect  to  a  hilly  coun- 
trey  that  was  well  wooded  &  inclosed  with  agreable  yariety.  My  ^es 
were  fixt  on  the  Stream  which  flowed  with  Majestick  Silence,  &  presently 
brought  to  my  mind  the  famous  lines  in  Cooper's  hill.  Oh,  mi^t  I 
flow  etc.  Ana  I  should  have  thouf^ht  my  seif  somewhere  on  the  Bank 
of  the  Thames  if  the  inexpressible  Brightness  of  the  Air,  &  the  sight  of 
many  Trees  yt  are  not  of  our  English  growth  had  not  convinced  me  I 
was  removed  into  some  happier  Climate.  The  remembrance  of  those  yerses 
soon  tum'd  y  thoughts  to  the 

GLORIOUS  IMMORTALITY 
which  those  great  men  secored  to  themselves  who  had  ezoelled  in  Poetry, 
History  h  Eloquence.  And  do  I  then  sit  here,  thought  I,  in  dishone^t 
Idleness  when  yet  I  pretend  to  a  passion  for  Immortality?  as  soon  shall 
this  large  &  deep  Stream  run  out,  &  leave  the  hollow  cliannei  to  beoome 
Pasture  for  the  beasts  which  now  it  waters,  as  that  man  leave  behind 
him  an  honourable  name  who  wasts  the  bright  days  of  health,  &  ligour 
in  unactive  sloth.  With  this  thought  I  sprung  up,  h  tuming  abont  be- 
held  at  some  distance  from  me  a  beautiful  Woman :  She  was  cloth'd  with 
a  garment  of  changeable  Silk  that  most  enclined  to  Green,  a  Scarf  of 
light  blue  flowing  behind  her,  ^ve  a  becoming  shade  to  her  complexion 
&  was  sometimes  swell'd  sometimes  pesled  by  the  Sporting  Winds;  her 
Hair  was  plaited  with  nice  art  &  formed  into  a  knot  to  which  her  scarf 
was  fastened  by  a  Diamant  Buckle.  My  eyes  were  fixed  upon  her,  h  it 
was  at  once  with  a  sense  of  pleasure  &  of  awe  that  I  perceived  her  coming 
towards  me.  When  she  was  come  near  I  saw  the  freest  &  most  perfect 
Features,  &  finest  Complexion  that  ever  was  Imagined  by  a  Lover  or  a  Poet. 

The  Sight  was  enough  to  have  inspired  an  irresistable  Passion  if  there 
had  not  appeared  in  her  Face  an  air  of  Authority  &  a  sort  of  Matemal 
Tendemess  that  commanded  Reverence  and  Duty.  When  she  was  ad- 
▼anoed  within  a  few  Paces  of  me,  she  hecken 'd  me  with  such  a  gracious 
Look  a»  gave  me  Courage  to  approach  her.  I  could  not  forbear  falling 
down  on  my  knees  at  the  sight  of  so  great  Beauty  &  Majesty;  &  I  ob- 
serred  with  wonder  (what  Lovers  often  say  in  Figure  of  their  Mistresses) 


Kleinere  IfItteOimgeiL  995 

that  Tarious  beautifal  Flowere  Sprung  up  ander  her  feet  as  sbe  raisM 
them  of  the  ^nnd,  and  mark'd  with  gay  distinction  the  path  she  trod. 
Bhe  bid  me  nee,  with  a  tum  of  her  eym  unwards  cmsur'd  my  adoradon, 
&,  ihen  spoke  to  this  purpoee.  Youth,  saia  ehe,  let  it  not  surprize  thee 
to  understand  tbat  I  niow  the  thoushte  weh  have  just  now  paeeed  in  thv 
mind;  I  applaud  thj  Thirst  after  Glory,  &  am  willing  to  enoourage  A 
Btaat  thee  in  the  pursuit  of  it;  I  acknowledged  mj  obiigaticm  b^  a  low 
bow,  &  followed  ner  according  to  her  command.  I  eoon  peroeiVd  we 
were  going  towards  a  noble  Pfdaoe  built  in  the  midet  of  an  Island  that 
was  made  by  the  Biyer  from  the  Banks  of  which  I  came.  As  I  walked 
behind  her  I  was  amased  at  the  new  Brightness  weh  ye  grass,  the  Trees, 
the  Flowers  put  on  as  my  fair  Guide  passed  by.  This  prepared  me  to 
believe  wt  she  presently  told  me  that  she  was  r^ ATUBE  her  seif.  The 
Palace,  she  adaed,  which  thou  seest  is  mine;  there  I  will  show  thee  such 
things  as  shall  raise  &  etrengthen  the  noble  Passion  thou  hast  con- 
ceiYM,  &  there  also  thou  shalt  meet  with  such  help  as  shall  enable  thee 
to  deserre  the  Immortality  to  which  thou  aspirest.  We  had  now  passed 
throBgh  a  small  Growe,  &  were  come  to  a  fine  Bridge  of  Btone  that  ]oyn'd 
the  Island  to  the  Piain:  The  Bridge  ended  just  against  the  middle  of  a 
stately  place  indoeed  by  a  Portico  of  a  fourfold  order  of  Marble  Pillars. 

When  we  had  entered,  I  had  a  good  view  of  the  Large  and  Noble 
Palace  which  before  I  had  seen  at  a  distance:  It  was  built  of  white 
Marble,  a  double  order  of  Pilasters  ran  round  the  Fabrick  &  a  Balustrade, 
adom'd  alteroately  ¥rith  Statues  &  arme,  satisfyed  the  most  curious  eye. 
As  I  enter'd  with  my  Guide  into  the  Palace  she  told  me  she  would  first 
condnct  me  into  8  galleries,  in  which  were  pres^rved  the  works  of  the 
most  famous  Painters  that  had  erer  appeared  in  the  world;  and  that  the 
subject  of  thoee  pieces  were,  for  the  most  part,  some  Particulars  of  her 
History,  but  that  tho'  she  was  generally  the  prindpal  figure  in  them,  yet 
th^  were  so  contrived  as  to  represent  all  the  Arguments  which  have 
employed  the  Pens  of  the  most  famous  Poets,  Historians,  &  Orators. 

We  then  ascended  a  great  stair  case  charged  with  a  brazen  Balus- 
trade, which  landed  us  just  at  the  entranoe  of  the  largest  &  finest  of  the 
Ghilleries,  in  which  were  contained  the  best  and  most  perfect  Pieces  that 
had  cTer  been  drawn  by  Mortal  Hands.  It  stood  almost,  open  on  one 
slde  to  the  South,  so  that  the  Paintings  which  stood  on  the  opposite  side 
between  coupled  Ion  ick  Pilasters  of  porphyry  were  seen  to  good  Advantage. 

THE  GALLERY 

(tho'  yery  long)  was  filled  from  one  end  to  the  other.  The  Pictures  were 
disposed  according  to  the  order  of  time  in  which  the  Several  Masters 
Dved,  &  under  every  one  the  name  of  the  painter  was  written  in  letters 
of  Gold,  with  that  of  his  Country  &  the  year  of  the  World  when  he 
fionrished.  The  finest  pieces  in  this  Gallery  were  drawn  by  Moses,  DsTid, 
Solomon,  Isaiah,  Luke,  &  Paul. 

When  we  had  passed  through  this  we  enter'd  into  another  GalLeij 
of  much  greater  lengüi,  but  inferiour  both  in  breadth  &  hei^ht;  this 
was  all  of  white  Marble  without  any  other  mixture,  &  contamed  the 
works  of  the  Greek  and  Born  an  Artists.  Homer's  Pieces  held  the  first 
rank,  &  were  indeed  admirably  fine,  tho'  as  my  Guide  told  me  he  drew 
all  by  the  pure  force  of  memory,  never  stirrinff  out  of  his  working  Boom 
to  consult  the  Originale  he  was  Painting.  The  nnest  after  his  were  drawn 
by  Plato,  Xenophon,  Sophocles,  Herodotus,  Demosthenes,  Lucretius,  Te- 
renoe,  CSccro,  Vir^l,  Horace. 

An  open  Portico  which  answered  in  length  to  the  first  Gallery  Joyn'd 
this  to  the  third,  whidi  in  biffuess  &  all  omaments  exactly  answered  this. 
Here  were  preserved  the  works  of  modern  Painters.  Among  many  others 
I  remember  more  Particularly  the  names  of  Petrarch,  Tasso,  Vega,  Cer- 
yantes.  Malherbe,  ComeiUe,  Fontaine,  Bacine,  Boileau,  Fletcher,  Chaucer, 
Spencer,  Müton,  Shakespear,  Oowley,  Dryden,  &c  I  beheld  these  maater- 


S96  Kleinere  Ikfitteilungen. 

piecee  of  Art  with  Infinite  Satisfaction,  &  told  my  Guide,  I  coold  gladly 
Bpend  all  may  days  in  Studying  them.  Tho'  I  gave  but  a  transient  view 
to  most  of  tbem,  yet  I  made  some  obaervations  which  I  thonght  migbt 
be  of  Service  to  me  in  my  futnre  labours.  One  Observation  I  made  was, 
that  those  great  Masten  especially  tliose  of  Antiquity,  appear'd  plainly 
to  have  made  it  their  business  to  paint  things  just  as  they  are  in  Nature; 
&  it  was  to  their  success  in  this  I  imputä  the  very  great  Satisfaction 
which  thev  gave  me.  I  observed  farther  that  they  discovered  great  judg- 
ment  in  choosin^  such  scenes  of  Nature,  &  such  events  as  were  in  tiiem- 
selves  very  beautiful,  &  did  very  much  interest  the  Spectator.  The  bright- 
ness  of  their  colours  surprized  me,  but  what  no  less  pleas'd  me  was  Uiat 
they  so  well  understood  the  clear-obscure,  &  so  happily  avoided  the  fault 
of  making  every  Figure  equally  bright  &  conspicuous,  which 

MODERN   PAINTEBS 
are  so  etemally  guilty  of. 

Having  spent  as  much  time  in  those  Galleries  as  my  Fair  Ck>nductor 
thought  fit  to  allow  me,  I  followed  her  to  the  entrance  of  the  Palace 
whi<m  open'd  to  the  Garden,  &  after  passing  a  long  Terras  came  to  the 
Schools,  which  stood  at  the  end  of  it  This  buiiding  was  cast  into  an 
exact  Square  which  surrounded  a  large  Court,  in  the  midst  whereof  was 
a  brazen  fountain  adorned  wiüi  the  Statues  of  Apollo  &  the  Muses.  The 
4  sides  were  appropriated  to  the  4  parts  of  Üie  world;  &  each  aide  was 
laid  out  into  oistiDct  apartments,  whidi  were  assign'd  to  the  several  polite 
Nations  in  each  of  those  Parts.  The  side  that  fiu^  the  North  belonged 
to  the  Europeans;  theAfricans  lodged  to  the  South;  theAsiaticks  to  the 
East;  &  the  Americans  to  the  West.  We  made  our  entrance  on  the  West 
side,  &  my  Guide  told  me  she  design'd  to  make  a  short  tour  round  the 
8  last  mentioned  sides,  but  that  we  phould  make  some  stay  in  the  fourth. 
I  observed  that  all  the  Artists  on  the  West  side  were  Europeans  exoept 
some  few  Natives  who  had  b€«n  at  first  taught  by  them,  followed  their 
manner;  the  far  greater  Number  were  Spainards.  The  South  side  was 
likewise  very  thinljr  inhabited;  towards  tne  Eastem  end  of  it  I  Raw  a 
large  Apartment  which  I  guessed  belonged  to  tiie  Egyptians,  in  which  by 
the  bags  of  colours,  boxes  of  Pencils,  rolls  of  canvas,  &  all  sorta  of 
Mathematical  Instruments,  I  concluded  Üiere  had  formerly  lived  some 
famous  Masters.  A  poor  Greek  yt  saw  me  make  a  Uttle  stop  to  observe 
those  things,  came  up  to  roe  &  told  me  that  had  once  been  the  most 
fiourishlng  apartment  in  the  whole  College. 

The  Lodgings  on  the  Eastem  side  were  better  filled,  particularl^  the 
Apartments  of  the  Arabians  &  Persians.  By  the  transient  sight  I  had 
of  some  of  their  Pieces,  I  observed  that  their  Colours  were 

VERY  BRIGHT  AND  FINELY  LAID; 
but  they  seem'd  mightily  to  delight  in  emblematical  or  rather  Hierogly- 
phical  works;  &  what  was  also  very  shocking  they  seemed  to  have  no 
notion  of  unitv  of  design  nor  of  Perspective ;  vet  I  thou^ht  I  could  have 
staid  amon^  them  with  great  pleasure.  I  signifved  by  mmd  to  my  Guide, 
but  she  bad  me  come  away,  for,  said  she,  youMl  infallibly  spoil  your  Taet 
if  you  spend  any  time  there. 

So  we  came  on  the  Northern  side,  which  was  prodigiouslv  füll  of 
Workmen.  I  found  I  was  to  pass  the  whole  length  of  the  Buifdingbe- 
fore  I  came  to  my  own  couutrvmen,  whose  Apartmt  was  at  the  West 
end.  The  first  Apartment,  which  belonged  to  the  Muscovites,  was  just 
now  filled  up  witn  great  Magnificence,  &  1  met  with  some  persons  among 
them  who  seem'd  bom  for  great  things.  The  Grecian  apartmt  was  con- 
siderable  for  nothing  but  the  appearance  that  formerly  it  had  been  well 
filled.  An  old  fellow  like  a  Monk  would  needs  have  shown  me  a  Cata- 
logue  of  about  7000  Pieces  that  had  been  wrought  there,  &,  some  very 
few  of  which  I  had  seen  in  the  second  Galleiy. 

I  had  better  satysfaction  among  the  Itidians,  Spainards,  <&  French; 


Kleinere  Mitteilungen.  807 

these  lätter  came  nearest  to  the  noble  Simplicity  of  the  Antients.  At 
length  1  entered  the  English  apartment;  here  I  staid  lon^t,  &  made 
man^  remarks  that  I  thought  would  be  of  Service  to  me  in  my  future 
Btudies  and  Labours.  Twoaid  be  too  lone  to  give;  the  Characters  of  all 
the  PainterB  I  saw  there.  Iparticularly  distin^ished  one  yenerable  old 
man  who  had  drawn  some  History  Pieces,  which  I  understood  were  to 
be  hang  up  in  the  Gallery  of  Modems.  One  of  his  Pictures  which  re- 
presented  a  plague  was  unspeakably  fine.  I  also  observed  two  Illustnous 
Vouths  who  wrought  toeether;  thev  seem'd  to  work  with  a  confidence  of 
Immortali ty.  My  dear  Guide  look'd  with  particular  pleasure  upon  some 
of  her  own  sex  who  were  likewise  in  pursuit  of  glory.  I  made  seyeral 
observations  on  the  different  mann  er  of  Working  that  was  pecuUar  to 
every  one  of  them.  Some  I  saw  exceiled  in  Portraits,  some  in  represent- 
ing  the  Passions:  Love  and  ambition  employed  the  hands  of  most:  but 
there  were  some  who  laboured  to  express  aneer,  Enyy,  Pride,  Bashfulness, 
&  the  like.  Some  young  fellows  who  seemM  to  have  a  great  .... 
Wien.  Helene  Richter. 

Za  Archiy  CXII,  190  ff.  (Anzeige). 

In  der  Beurteilung  von  Dr.  Hoogvlief  s  *  Lingua'  (CXII,  S.  1 90  ff.) 
ist  8.  192  am  Anfang  des  vorletzten  Absatzes  (Zeile  21  v.  unten) 
anstatt  'Satzbindewörter'  zu  lesen  'Satzteilwörter'.  £tw:as  höher  lese 
man  lieber  folgenderweise :  '...  gehe  ich  zu  der  Besprechung  des  spe- 
ziellen sprachlichen  Teiles,  mit  Beschrankung  auf  einen  besonders 
hervortretenden  Abschnitt  desselben :  die  Einteilung  der  Wörter,  über.' 

Haag.  A.  J.  Barnouw. 

Zu  Arohiv  GXI\r,  474  ßibliogr.). 

Im  Titel  von  Professor  Curmes  (xerman  Orammar  soll  es  nicht 
'poetical',  sondern  *practical  study  of  the  language'  helfsen. 

E^ex  oder  lUex? 

Das  elex,  das  ich  mit  eingehender  Begründung  in  der  Akademie- 
schrift  'Zur  Kenntnis  des  AUlogudoresischen'  und  kürzer  im  Orundr. 
/*.  rom.  PkiL  I^  464  als  Grundlage  für  ital.  eke,  frz.  yeuse  aufgestellt 
habe,  sucht  Niedermann  oben  Bd.  CXTV  S.  456*  vom  Standpunkte 
des  Lateinischen  und  der  Überlieferung  zu  widerlegen  und  ersetzt 
es  wieder  durch  iüex.  Er  hat  dabei  die  Betrachtung  etwas  verschoben 
und  ^dadurch  die  ganze  Frage  in  falsche  Beleuchtung  gebracht 
Meine  Qedankenfolge  ist  die:  wie  lautet  die  romanische  Grundform  ? 
Hat  sie  in  der  Überlieferung  Stützen?  Wie  verhält  sie  sich  zu  der 
schriftlateinischen  Form?  Ich  will  nun  wieder  so  vorgehen  und  zu- 
nächst den  Entscheid  zwischen  iliex  und  elex  fällen.  Ich  könnte  mich 


^  'Seit  Schuchardt  Vok.  Vulg.  Lat  II  77  operieren  die  Bomanisten 
fortwährend  mit  einem  altlateinischen  eilex'  heifst  es  S.  456.  Soweit  mir 
die  Akten  bekiumt  sind,  ist  Schuchardts  Ansatz  eüex  von  allen,  auch  von 
mir,  übersehen  worden,  bis  ihn  Seh.  selber  Za,  f.  rom,  Phil,  XX. VII  106 
wieder  in  Erinnerung  gebracht  hat.  Alle  folgenden  haben  entweder  tlex 
oder  wohl  plex  angesetzt,  also  sich  für  i  ausgesprochen  oder  die  Frage 
unentschieden  gelassen,  D'Ovidio  hat  Orundr.  f,  rom.  Phil,  I '  507  Slix 
direkt  als  unwanrscheinlich  abgelehnt  Erst  in  der  angeführten  Akademie- 
schrift habe  ich  eto  gesidiert  und  zu  erklären  versucnt 


998  Kldneie  lüttefliingeD. 

dafOr  einfach  auf  die  genannte  Abhandlang  btfofen,  wQI  aber  zur 
Bequemlichkeit  des  Lesers  das  Wichtigste  hier  anführen.  Lat  poUiee 
gibt  ital.  poUice,  lat  pulice  dagegen  pulce,  folglich  kann  elee  nicht 
auf  ellice  beruhen;  im  Neapolitanischen  bleibt  ü,  im  Bizilianischen 
und  Sardisdien  wird  es  zu  dd,  Wir  haben  aber  neap.  ei^,  siz.  iUH, 
log.  elige.  Nur  im  Provenzalischen  kann  euse  auch  auf  iUice  zurück- 
gehen, es  muls  es  aber  nicht.  Somit  haben  wir  eine  Form,  die  über 
die  Quantität  des  /  keine  Auskunft  gibt,  mehrere,  die  nur  auf  l  zu- 
rückweisen, und  da  die  lateinisch  überlieferte  auch  /,  nicht  U  hat^ 
spricht  alles  gegen,  nichts  für  iüex.  Mit  Bezug  auf  den  Vokal  ist 
das  Bardische  entscheidend,  da  lat.  %  hier  durch  i,  lat  e  durch  e  ver- 
treten wird:  ein  lat  *ilex  müfste  also  sard.  üige,  ein  *ekx  dagegen 
elige  lauten,  und  da  die  letztere  Form  nun  tatsachlich  da  ist  und  elce, 
euse,  yeuse  nicht  widersprechen,  so  erweist  sich  elex  als  die  allein 
allen  romanischen  Beflezen  mitsprechende  Grundlage,  während  bei 
*ilex  der  sardische  Vertreter  nicht  unterzubringen  ist  und  *illex  nur 
für  das  Provenzalische  pafst  Ich  denke,  unter  solchen  Umständen 
wird  ilbct,  das  leider  auch  in  Brugmanns  Orundrifs  der  vergL  Oram- 
matik  I^  801  Aufnahme  gefunden  hat»  endgültig  verschwinden  müssen. 

Ist  aber  elex  gesichert»  so  sucht  man  naturgemäft  nach  älteren 
Belegen.  Ich  gebe  nun  zu,  dafs  die  Glosse,  die  ich  angeführt  habe, 
nicht  streng  beweisend  ist  Der  Zusammenhang  spricht  sogar  eher 
für  iXixtj,  der  Ausgang  -is  dagegen  legt  üex  näher.  Die  Stelle  aus 
Gregor  von  Tours  ist  es  dagegen  unbedingt,  da  in  den  Handschriften 
6  für  i  nur  eintritt  bei  se  für  si  'wenn',  was  eine  gesprochene  Form 
ist  (it,  afrz.  se),  und  beim  Austausch  zwischen  e-  und  f-Verben. 
Das  elignis  bei  Schuchardt  habe  ich  absichtlich  nicht  wiederholt»  da 
es  verschiedene  Deutungen  zulä&t  Dafs  auch  die  Stelle  aus  Marius 
Victorinus  nicht  ganz  sicher  ist,  ist  klar,  doch  gilt  g^n  Nieder- 
manns  Änderung  von  siUcem  in  steuern  dasselbe,  was  er  gegen  siU- 
eem  einwendet:  das  %  von  sieüis  ist  kurz  (rum.  seacere  usw.,  vgl.  Einr 
fuhrung  in  die  rom.  Sprachw.  112). 

Will  man  nun  nicht  nur  elex  konstatieren,  sondern  auch  sein 
Verhältnis  zu  ilex  womöglich  angeben,  so  wird  man  die  von  mir  ver- 
suchte Erklärung,  die  ja  sachlich  nicht  uneben  ist,  mindestens  geben 
dürfen.  Erwiesen  oder  widerlegt  würde  sie,  sobald  sich  in  denjenigen 
Schwestersprachen,  die  i  und  ei  scheiden.  Verwandte  finden.  Leider 
fehlen  sie  bis  jetzt  Freilich  führt  ja  Hesych  YXal^  als  lateinisch  und 
mazedonisch  an,  aber  wir  wissen  nicht»  wie  alt  die  Glosse  ist,  ob  also 
nicht  das  mazedonische  Wort  aus  dem  Lateinischen  entlehnt  ist»  be- 
weist  ja  dodi  alb.  ilk\  dafs  lat  Hex  bei  den  Balkanromem  üblich 
war;  wir  wissen  nicht»  ob  in  der  Zeil^  der  die  Glosse  angehört»  im 
Mazedonischen  nicht  h  zu  i  geworden  war;  wenn  der  Akut  statt  des 
Zirkumflex  auf  Kürze  des  i  schlielsen  läfst»  so  könnte  man  unter  der 
Voraussetzung,  dafs  Ykal^  alt  sei,  dieses  mit  ilex  am  besten  mit  der 
Annahme  eines  alten  Ablautes  SU  :  il^  verbinden,  also  darin  sogar 
die  gesuchte  auiseritalische  Stütze  von  eilex  sehen.  Aber  ich  will  gar 


Eleinere  Mitteilciiigen.  &^ 

nicht  ila^  für  meine  Zwecke  verwenden,  ich  will  nur  zeigen,  dafit  die 
Form  vorläufig  nicht  verwertet  werden  kann.  Nun  sagt  Niedeimann 
freilich,  eine  Wurzelfonn  eü  könne  es  nie  gegeben  haben.  Warum 
nicht?  Die  Gruppe  eü  ist  doch  nicht  etwa  unindogeimanisch,  und 
selbst  wenn  sie  es  wäre,  wer  bürgt  uns  denn  dafür,  dafs  eHex  ein 
indogermanisches^  nicht  etwa  ein  etruskisches  Wort  sei?  Solange  es 
so  vollständig  isoliert  steht^  können  wir  darüber  gar  nichts  aussagen. 
Oder  weist  Niedermann  eüex  etwa  darum  ab,  weil  eine  Wurzel  eü 
fehlt?  Aber  haben  wir  denn  Wurzeln  für  Erle^  Föhre,  Eiche,  Buche, 
da  ja  doch  den  Zusammenhang  des  vorletzten  Baumnamens  mit 
skr.  ej  'schütteln',  des  letzten  mit  q)ayety  heute  niemand  mehr  ernst 
nehmen  wird. 

Schlielslich  mag,  da  Suchier  in  der  neuen  Auflage  des  Orundr. 
886  an  yeuee  ==  'helieem  im  Sinne  von  üieem'  festhält^  auch  das  noch 
einmal  gesagt  werden,  dafs  nach  Mistral  npr.  fuse  'Efeu'  von  ftise 

'Steineiche' verschieden  ist   Man  mülste  danach  annehmen  -^—^  =  ^, 

wenn  man  Suchiers  Auffassung  beipflichten  wollte. 

Wien.  W.  Meyer-Lübke. 

Notes  BOT  la  prononoiation  firan9aise  du  nom  de  Shakespeare. 

Si  le  nom  de  Gk>ethe  a  du  pendant  longtemps  s'accommoder 
chez  nous  de  prononciadons  h^t^gtoes  dont  la  versification  et  la 
tjpographie  nous  ont  transmis  le  t^moignage,^  le  nom  de  Shake- 
speare ne  pouvait  gu^  ^tre  plus  heureux.  II  j  avait  mdme  l^  une 
accumulation  de  difficult^  phon^tiques  capables  de  d^router  l'ing^- 
niosit^  de  ceux  qui  n'imaginaient  point  que  voyelles,  diphtongues  et 
Gonsonnes  pussent  avoir  ailleurs  une  autre  valeur  qu'en  fran9ais,^ 
Ety  ici  encore,  il  est  permis  d'inf6rer,  de  quelques  indioes  tjpogra- 
phiquee  et  m^triques,  certaines  habitudes  de  prononoiation  courante. 

Les  premi^res  mentions  faites»  en  frangais,  du  nom  de  Shake- 
speare ne  s'6cartaient  pas  de  l'orthographe  courante:  c'^taient  des 
copies  et  des  reports  d'apr^  des  originaux  anglais,  et  ni  le  biblio- 
th6caire  royal  Nicolas  G16ment^  ni  le  rMaeteur  de  Vlnventaire  ...des 
livrea  ...  de  Fouquet  n'auraient  eu  de  raisons  de  s'tearter  de  la  gra^ 
phie  qu'ils  avaient  sous  les  yeux.  Ni  Baillet  ni  Boyer,  de  leur  cot4 
ne  fönt  infraction  2l  l'usage  anglais  moyen.^  A  plus  forte  raison  des 
traductions  de  l'anglais  ne  foumissent-elles  aucun  t^moignage:   le 

*  OL  mes  Note$  sur  la  pranonciation  franpaiee  du  fwm  de  Goethe 
(Euphorion  £K,  2—3,  1902). 

'  La  condusion  d'un  article  de  M.  Gaston  Deschamps  sur  la  r^forme 

de  l'orthoflpraphe  t^oigne  assez  de  la  p^rennitä  de  cette  tendance.    Dans 

'  le  Tempe  du  5  f^vrier  1905,  apr^  avoir  dt^  l'opinion  d'un  correspondant 

qui  demande  que  les  Anglais  mettent  leur  langae  ^rite  d'accord  avec  lear 


Fans,  1896. 


400  Kleinere  Mitteilungen. 

po^te  anglais  est  mentionn^  une  fois  dans  les  (Euvres  htelSes  du  Che- 
valier Temple,^  plusieurs  fois  dans  le  Mentor  moderne^  et  dans  le 
Spectateur  ou  le  Socrate  moderne,^  sans  qu'on  puisse  discern^  quels 
phon^mes  des  lecteurs  fran9ais  devaient  s'imaginer  sous  la  forme 
Shakespear,  la  plus  commun^meat  employ^e  dans  oes  ouvrages. 

II  est  probable  que  ce  nom,  qui,  ä  partir  du  premier  quart  du 
XVin®  si^cle,  sera  souvent  lanc6  dans  les  controverses  litt^raires, 
offrait  aux  Fran9ais  deuz  difficult^s  principales,  et  que  des  lecteurs 
laiss^s  ä  leurs  seules  lumi^es  ^taient  tent^s:  1^  de  prononoer  le  Sh 
initial  comme  un  simple  S;  3^  de  dissocier  ea  e  -\-  a  la  diphtongue 
finale.  Quant  ä  Ve  de  la  deuxi^me  syllabe,  il  ne  devait  offrir  aucüne 
difficult^  et  ne  manquait  pas,  sans  doute,  de  recevoir  sa  part  d'ac- 
cent  et  de  prononciation  dans  le  motl  Si  Strange  que  paraisse  la 
graphie  Shakees  Fear,  qui  figure  au  Journal  des  Savants  de  1710,^ 
U  est  possible  qu'elle  ne  fasse  que  rendre  un  oompte  exoessif  de  cette 
valeur  attribu6e  ä  Ve  de  la  syllabe  mediane. 

De  ces  trois  f agons  d'errer  —  que  vraisemblablement  ne  combat- 
taient  pas  avec  un  succ^  süffisant  les  prönonciations  plus  conformes 
de  FraQ9ais  qui  avaient  6t6  en  Angleterre,  un  Voltaire,  un  abb4 
Pr^vost  —  il  est  facile  de  suivre  la  trace  persistante.**^  L'habitude 
erron^e  6tait-elle  d^ä  prise,  on  mena9ait-elle  seulement^  quand  furent 
imprimdes  —  en  1725  —  les  Letireä  sur  ks  Anglais  et  les  Francis? 
Muralt  se  contentait-il  de  reproduire  Tortographe  qu'il  avait  employ^ 
jadis,  en  manuscrit^  pour  6orire  ce  nom  de  Shakespeare  d'une  fa^on 
plus  conformer  ä  la  prononciation  qu'il  entendait  dans  la  bouche  des 
Anglais?  En  tout  cas,  il  6crit  Schakspear,^  de  m^me  qu'il  ^it 
Schadvel;  et,  de  la  part  d'un  homme  qui  ^rit  plusieurs  fois  Houmour 
et  qui  donne  d'ailleurs  une  liste  d'errata  fort  soigneuse,  il  7  a  certes 
12l  autre  chose  qu'une  faute  d'impression. 

J'en  dirai  autant  de  la  persistance  de  la  graphie  ShcAespSar 
dans  les  Lettres  de  Tabb^  Leblanc'^  (concurremment  avec  Shakespear 
sans  accent).  Gomme  on  la  rencontre  aussi  sous  la  plume  d'un  autre 
auteur  qui  oonnaissait  l'Angleterre  pour  7  avoir  s^journ^^  il  est  per- 
mis  d'7  voir  une  inyite  ^  mettre  sur  cet  6  une  Intonation  qui  rap- 
proche  la  diphtongue  ea  de  la  prononciation  eare  .anglaisa     En  le- 

»  Utrecht,  1693. 

'  Je  n'ai  eu  entre  les  mains  que  la  deuxi^me  Mition,  La  Ha7e,  1724. 

'  ijnst^am^  172«j. 

^  Cit^e  par  Jusseraud,  ouv,  eitS,  p.  147. 

*  Je  ne  serais  pas  ^lolgn4  d'attribuer  le  cas  bien  connu  de  Bodmer, 
^rivant  Saspar  et  Sasper  en  1740,  Saksper  en  1741,  ä  l^influence  de  quel- 
qu'une  de  ces  graphies  erron^.    Pour  F^lision  du  Ar,  voir  l'exemple  cit^ 

Slus  loin  de  Saunn.    II  importe  de  noter  que  dans  le  Pour  et  le  Omtre 
e  Tabb^  Pr^vost  et  dans  le  Journal  Stranger,  oü  le  nom  de  Shakespeare 
est  souvent  cit^S,  il  ne  präsente  aucune  de  ces  anomalies  d'^criture;  la 
graphie  Shakespear  pr^domine  dans  Tun  et  l'autre. 
»  (Genfeve)  1725,  p.  57. 
^  Notamment  pagee  80,  83,  84  du  tome  II. 
'  Qroflle7  dans  son  Londres  (Lausanne,  1770),  dt^  par  Jusaerand,  p.  249: 


Kleinere  Mitteflungen.  ^1 

vanohe^  le  Shaketpehar  du  President  H6nault|i'  le  'Shake^pMrt  de 
PObserwUeim^  frcmgoia  ä  Londrea^  t^moignent  d'une  adbMon  de  Tau- 
teur  (ou  dtrtjpographe^  tout  au  moinB)  &  la  prononoiation  commune: 
1%  de  Fun  ea  s^panuit  les  deux  vojfXLeB  de  la  diphtongue»  le  i  final 
de  l'autre  en  faisant  de  la  syllabe  ort  l'analogue  de  mots  eomnäe 
pari,  ort  etc.,  invitent  le  leoteur  &  prononcer-^  -)*'  ^^«  ^ 

Choee  curieuse^  Ferreur  phon^tique  qui  fabait  du  Sh  initial 
r^quivalent  d'un  simple  S  (peut-4tre  suivi  d'une  vague  aspimtion!) 
semble  avoir  6t6  plus  tenaoe  que  oelle  qui  disBociait  ainri  lee  deux 
lettres  de  la  ayllabe  diphtonguöe.  On  trouve  en  effet  trte  longtemps: 

^..  ii  la  fa9on  de  Sakeipear,  le  Corneille  des  Anglais';^ 

'Nous  invitons  les  admirateurs  du  tb^tre  anglais  &  lixe  lea  ai^ 
ücLeB  Sakespeare  . . .' ^ 

'Quelques  pens^es  de  Bakespeare'^ 
quand  d6j&  une  grapbie  pbon6tique  d^montre  que  la  prononoiation 
correote  de  la  dipbtongue  n'est  plus  ignorte:  ' 

Bien,  sans  Fhabit  anglais,  ne  pouvoit  r^ussir. 
Au-dessuB  de  Comeille,  fl  mettait  Sahupir.'^ 

ou  enoore:     Emule  gönÄfeux  du  fameux  Sakespor, 

Tu  TouGus,  imitant  cet  auteur  admirable, 

A  ses  rares  talens  nons  forcer  d'applaudfr  ...* 

n  va  sans  dire  que  les  auteurs  bien  renseign6s  ne  se  contentaient 

pas  toujours  des  moyens  que  nous  avons  vus  (Seh  ou  piar)  pour  indi- 

quer  taut  bien  que  mal  ä  leurs  lecteurs  quelle  6tait  la  prononciation 

usit^e  cbez  les  compatriotes  du  poite.     Si  une  ElSgis  9ur  la  mort  de 

Ducia  renferme  enoore  oe  yers: 

Sehakespear,  tu  deyais  nattre  et  moürir  deux  fois*^ 

U  7  avait  longtemps  oependant  que  Saurin  avait  insM  dans  son 

Änglofnane  la  r6plique  suivante  (oü  la  suppression  du  k  serait  sin- 

guli^  si  Damis  n'6tait  un  Anglais  par  occasion  et  subterfuge):    . 

£  raste.    Oelui  de  yoe  auteurs  qu'avant  tout  autre  j'aime, 

O'est  Bhakeepdar. 
Damis.  Nous  prononj^ns.  C%a«ptr. 

Er  aste,    öheapir  seit:  mais  en  tout  j'aomire  sa  mani^re.*^ 

*  Dans  la  Prifaoe  (non  pagin^)  de  Fran^oia  IL 
'  Cit^  par  Jusserand,  p.  225,  note  2. 

'  Notons  que,  par  une  touchante  conformit^,  le  nom  du  Roi  Lear 
^tait  soumis  ä  la  m^me  prononciation  que  celui  de  son  auteur. 

*  Merewre  de  Franee,  oct.  1747,  p.  LI 5.  G'est  l'ordinaire  fa^n,  dont 
oe  p^riodique  toit  le  nom  du  po^te  angLüs:  cf.  ses  eomptes-rendus  de  La 
Place  en  1746.    JJAnnSe  lüUraire  toit  g^uänüement  shakeepear. 

^  Jounuü  des  Debaie,  26  janvier  1804.    Vari^t^. 
F      *  Bulletin  de  Lyon,  20  thermidor  an  XU,  p.  868. 

^  Boissy,  la  Frwolüe,  com^ie  en  un  acte  du  vers.  Paris,  1758, 
sc^ne  rV,  p.  28. 

'  M^«  de  Qaudin.  A.  M.  Duds,  sur  sa  trag^e  du  Boi  Lear.  AI- 
manaeh  da  Mmee^  17d4,_p.  13. 

*  Par  M">«  Victoire  Babois.    Almanack  des  Musee,  1819,  p.  39. 

y  QeMnnfl'Anglomane,  ou  V  Orpbdine  Ugtt/6e,  ^tion  en  un  acte,  PaxiSy 
1772,  sc^ne  XTT. 

AnliiT  t  a.  SinBchen.    QXV.  26 


MB  !E[leiDere  ICtt^ungeD. 

^ '  '  Vm  U  möme  tempe,  YAnnieKtUraire  (1769,  VI,  p.  10)  Teinärq[Ud 
IUI  Bujet  de  oe  nom :  'D  fl'toit  Shakespear  et  se  prononöe  Chee^nrJ 
•Au  oonmienoement  du  XIX«  si^e^  Stendhal  terivaiit  &  sa  so&ur  a 
isoln  de  faire  suivre  le  nom  du  poite  de  oette  paienth^e:  'prononoe 
VhSquspire^,^  et  AL  Dayal,  publiant  en  brochure  son  Shakespeare 
amoureux  ou  ta  Piiee  d  VMude,  ne  n^glige  pas  de  mettre  en  note, 
*eomrae  im  renvoi  encore  n^oessaire:  'On  prononoe  OhskspM^  Pr6- 
;eaation  d'autant  plus  utile  que  o'6tait  la  premi^  fois  —  soub  les 
tndts  de  Talma  —  que  Pautenr  SBatnM  deyenait  un  peraonnage  de 
th^Atre.  Notons  que  c^eet  pr^ds^ment  vois  oette  6poque  que  S^ve- 
linges,  publjant  une  nouvelle  traduction  de  Werihur,  6crit  en  note  k 
-la  pvemi^  page  de  sa  Pr6face:  On  prononoe  Gueftte.  D  serait  ä 
soubaiter  que  toutes  les  fois  que  Ton  imprime  le  nom  d^un  6tranger 
c61^bre^  on  donnftt  en  mdme  temps  la  mani^  de  le  prononcer. 
'Faute  de  les  avoir,  on  peut^  dans  Tooeasion,  se  trouver  expos^  ä  ne 
pas  comprendre,  ou  ä  n'^tre  pas  oompris.'^  Souci  bien  legitime! 
Sans  doute  Teztraordinaire  remuement  de  r^migration  et  des  guerres 
de  la  Revolution  et  de  PEmpire  a-t-il  produit  A^k,  pour  oes  deux 
'6trangers  cä^bres'^  ce  r^ultat  de  mettre  quelques  hommes  de  lettres 
et  joumalistes  en  mesure  de  garantir  iL  des  compatriotes  ignorants 
une  prononeiätion  plus  orthodoxe.  Et  d^sormais,  si  les  po^tes  h6si- 
tent  encore  entre  deux  ou  trois  6critures  du  nom  de  Shakespeare, 
ils  ne  sont  plus  tent6s  de  lui  ajouter  une  syllabe  inutile  dans  la  pro- 
'nondation: 

Mais  eile  avait  Bhakspear  pour  ^largir  son  r^gne . . . 

(A.  Dumas,  ChriiUme,  acte  I,  sc.  2.) 

O'est  unsi  qu'ft  Straffort  TAngleterre  idolAtre 
Cooronnait  dans  Shakspear  le  p^re  du  th^Atre ... 

(Gas.  Delayigna,  Diacoura  en  i'hoDneur  de  Corneille« 
Alm.  d€i  Muses,  1880,  p.  260.) 

II  va  Sans  dire  qu'enBuite,  pour  Müsset^  pour  Banvüle,  Shakespeare 
fournit  une  rime  feminine,  quelle  qu'en  soit  Torthographe: 

L'autrSi  comme  Badne  et  le  divin  Bhakspeare, 
Monte  snr  le  th^tre,  une  lampe  k  la  m«n  ...- 

(Hoflset,  la  Couf  «  Us  Livres,  Didicace.) 

Toute  cr^tion  k  laquelle  on  aspire, 
Tout  rdve,  toute  diose,  ^manent  de  Sbakspere . . . 
(Banville,  Cariaüdes^  la   VoU  lactse.) 


*  Leürea  intimest  p.  29:  lettre  du  10  pluvidse  an  XI. 

^  Pans,  an  Xll,  p.  2.  L'ann^e  pr^cedente,  dans  le  prologne  de  son 
Ouülaume  le  ConqueratU,  Duval  avait  fait  figurer  le  nom  de  Shakespeare, 
r^duit  k  deux  syliabes  sous  oette  forme:  Ou  Shak'spear  ou  Sdiiller  vous 
aervit  de  modMe. 

'  C.  L.  S^velinges,  Werther,  traduit  de  rallemand  sur  une  nouvelle 
Vitien.    Paris,  an  XII,  1804,  p.  VllI,  note  1. 

Lyon.  Fernand  Baldensperger. 


*»^^ 


Benrteilnngen  nnd  kurze  Anseilen. 


Andreas  Heusler,  Lied  und  Epos  in  germanischer  Sagendiditung. 
Dortmund,  Fr.  Wilh.  BahfoB,  1905.    52  8. 

Eine  inhaltsvollere  Schrift  ist  auf  dem  Gebiet  der  HeldeDsage  aeit 
lange  kaom  erschienen  als  dies  schmale  Heft6hen.  Wohl  kündigt  H.  als 
seine  Absicht  nur  an,  W.  P.  Kers  'gedankenreiches  Buch'  Ukne  and  Bo- 
manee  (London  1897)  nach  seinem  wesentlichen  Inhalt  zur  all^^Bmeineren 
Kenntnis  zu  bringen;  und  schon  das  wfire  verdienstToU,  denn  das  wich- 
tige Werk  des  Englanders  (dessen  Bekanntschaft  ich  auch  nur  Heuslers 
persönlichem  Hinweis  danke)  sdieint  bei  uns  kaum  beachtet  zu.  sein. 
Tatsächlich  aber  f  fihrt  H.  nicht  nur  Kern  (jManken  —  unter  gelegentlieh 
auch  bessernder  Kritik  —  yor,  sondern  jg;ibt  selbstimdig  eine  knappe  Dar- 
stellung neuer  Theorien  zur  NaiurgeBehtehie  de$  JSIpos. 

In  dem  einen  Hauptpunkt  zwar  könnte  seme  Polemik  gegen  die 
herrschende  Theorie  übemüssig  scheinen.  Gibt  es  wirklidi  nochTorscher, 
die  sich  ein  Epos  durch  blofse  'Summierune'  von  Einzelliedem  entstanden 
denken?  Lachmann  und  auch  noch  Müllenhof f  durften  glauben, 
nach  Ausscheiden  der  'Interpolationen'  die  'editen  lieder*  unmittelbar  zu 
erhalten;  so  ein&ch  aber  steUen  sich  doch  wohl  audi  ihre  Nachfolger  die 
Sache  nicht  mehr  vor. 

Aber  es  ist  vollkommen  richtig  dais  der  stilistische  Unterschied, 
der  zwischen  'lied'  und  'Epos'  besteht,  den  deutschen  Forschem  keines- 
we^  klar  genug  zum  Bewulstsein  kommt,  und  dals  ihre  Kritik  dem  Unter- 
schied des  Tempos  (S.  22),  der  zwischen  dem  knappen  Lied  und  dem 
breiten  Epos  waltet,  daher  nicht  gerecht  wird.  In  der  Herausarbeitung 
dieses  Unterschiedes  liegt  das  erölste  Verdienst  von  H.s  Werkchen.  Wenn 
man  sieht,  wie  Wilamowitz^  geniale  neueste  Geschichte  der  h^enlschen 
Literatur  diese  eigentlich  nur  als  StUffeschichte  behanddt,  oder  wenn  man 
neuere  (und  auch  ältere)  französische  Monographien  zur  literatürgeechidite 
vergleicht,,  erkennt  nfan  nicht  ohne  Beschämung,  wie  weit  wir  trotz  Sohe- 
rer  und  seinen  ersten  Schülern  hier  zurück^lieben  sind. 

Aus  dieser  stilgeschichtlichen  Erkenntnis  zieht  H.  nun  aber  weiter- 
gehende Schlüsse.  Er  leugnet  jene  Zwischenstufe  zwischen  Lied  und 
Epos,  die  wir  als  zyklisches  Lied  oder  Ketteneedicht  zu  bezeidlmen  pflegen. 
Er  glaubt  an  einen  plötzlichen,  radikalen  Umschwung  der  Darstellungs- 
weise (vgl.  bes.  S.  82),  der  um  das  Skelett  des  fertigen  Liedes  die  ^Mast- 
kur  der  epischen  Breite'  (S.  51)  wuchern  liefs. 

Hier  nun  kann  ich  ihm  nicht  foljgen.  Das  reine  'Ereignislied'  der 
Edda  (vgL  S.  13  f.)  scheint  mir  allerdings  durch  die  eddische  Philologe 
selbst  (H.  Z.  02,  402)  verbürgt,  und  Jönssons  Widerspruch  (Oldnorthik 
Lü,  Ht$t.  I,  117  f.)  hat  mich  nicht  überzeugt  Das  karikierende  Selbst- 
bekenntnis des  Dichters  aber,  das  H.  (S.  27)  als  imentbehrliche  Voraus- 
setzung der  'Sammeltheorie'  auffafst,  kann  man  von  einem  Rhapsoden 
vScbt  verlangen,  der,  statt  die  Werbungsfahrt  aus  der  'ganzen  Geschichte 

26  • 


404  BeturteilungeD  und  kurze  Anzeigen. 

Ton  Siegfried,  Kriemhild  und  Brnnhild'  herauszugreifen,  die  uralte  Tra- 
dition einfadi  fortsetzte,  für  die  die  £rzählunff  yon  Autharis  Brautfahrt 
zeugt.  Die  Eddalieder  wie  B^.  und  F&L  scSieinen  mir  andi  nur  ala 
QUeder  einer  Kette  yerBtandiich.  AllerdingB  lehnt  H.  ihr  2ieugniB  ab, 
weil  sie  schwer  zu  beurteilen  seien;  sündigt  er  aber  da  nicht,  wie  nach 
seinem  eigenen  treffenden  Urteil  sonst  die  Germanisten,  die  (S.  52)  ihren 
Reichtum  nicht  zu  nützen  wissen? 

H.S  Hauptargument  fliegen  Lieder  ii  vnoXi^a<o9  ist  (8. 18),  dais  jedes 
Einzellied  bis  zum  Sdüuu  sehe,  den  Ausgangspunkt  der  Fabel  mit  ent- 
halte. Allerdings  g^bt  er  selbst  Ausnahmen  s^u,  die  aber  motiviert  seien. 
Zun&chst  nun  sehe  idi  gerade  in  der  üblichen  Bcacugnahme  auf  den  Schlufs 
den  Beweis  der  vnokfj\pig :  an  diesem  bekanntesten,  festen  Teil  werden  die 
Ldeder  verankert,  so  dals  ihre  Zusammengehörigkeit  markiert  war.  Dann 
aber  ist  die  Art  dieser  Bezugnahme  doch  zu  verschieden,  um  gerade  auf 
sie  weitere  Folgerungen  zu  bauen.  Qft  ist  es  nur  ^abbrechender  Ak- 
kord, wie  die  Berichte  vom  späteren  Schicksal  des  Helden  in  den  älteren 
englischen  Romanen,  so  etwa  in  der  ifroea  von  H.  Hj.  II ;  ein  andermal 
jiur  ein  lyrisches  Echo,  wie  in  Vkv.  Und  darf  man  die  Gtötterlieder  von 
ausgesprochisner  Einzelhandlung  wie  Skhrn.  ganz  von  den  Heldenliedern 
absondern? 

Zur  Stütze  seiner  Theorie  gibt  H.  aulser  kurzen  -^  nur  zu  kurzen  <— 
Bespiediungen  des  Beowulf  (8.  86),  des  Waitharius  usw.  ein  englisches 
und  ein  dänisches  Analoeon  (Robin  Hood  8.  ä<>  f.,  Mask  Stie  8.  41  f.). 
Ober  diese  selbst  habe  ich  kein  Urteil;  die  Beweiskraft  der  Analogien-  aber 
schlage  ich  nicht  allzu  hoch  an:  nicht,  weil  ich  mit  Nöldere  jedem 
Volksepos  eine  völlig  isolierte  Entwickelung  zuschreiben  mödite,  sondern 
weil  nach  H^s  eiiijener  ijiffiissung  hier  schon  die  'Lieder'  in  die  Epoche 
epischer  Breite  lallen.  Übrigens  sind  H.s  Vergleiche  seiner  Ergebnisse 
mit  den  Voraussetzungen  der  Sammeltheorie  (8.  40,  45)  sehr  lehrreich  — 
nur  dais  er  eben  auch  hier  diese  Theorie  mechanischer  nimmt  als  wohl 
ihre  meisten  Anhänger. 

Da(s  zwischen  dien  'liedem'  und  den  'Epen',  die  beide  H.  vortifefflich 
charakterisiert,  eine  Zwischenstufe  bestand,  in  der  die  einfachen  'Ereignis- 
Ueder*  sich  dem  epischen  Stil  annäherten  und  gleichzeitig  (wie  die  breiter 
entwickelte  Novelle  oder  das  voller  gestaltete  Märchen  überall)  dem  Zyltlus 
zustrebten  —  dies  scheint  mir  der  Verf.  nicht  widerlegt  zu  haben,  und 
dies  scheint  mir  nach  wie  vor  schon  durch  die  Edda  allein  ausreichend 
bewiesen.  Aber  auch  wenn  hierin  die  ältere  Theorie  bestehen  sollte,  gibt 
Heuslers  Stükritik  ihr  ein  gan^  neues  Ansehen. 

Berlin.  Richard  M.  Meyer. 

Ludwig  Qeiger^  Goethes  Leben  und  Wei^e»  Einzeldruck  aus: 
'Goethes  samtliche  Werke.  Vollständige  Ausgabe  in  44  Bänden.  Mit 
Einleitung  von  L.  Geiger.  Mit  zwei  Bildnissen,  Faksimile  und  Re- 
^terband'.    Leipzig,  Max  Hesses  Verlag. 

'Keine  Biographie  im  gewöhnlichen  Sinne'  hat  sich  der  Verfasser  zur 
Aufgabe  gesetzt,  *keine  blois  eingehende  Darstellung  der  Lebenserdgnisse 
Goethes,  sondern  eine  Einführung  in  das  Verständnis  seiner  Werke  und 
seines  Wesens.'  Dem  'grofsen  Publikum',  für  das  die  Arbeit  ausschliels- 
lieh  bestimmt  ist,  nur  eine  intime  Kenntnis  seiner  Liebschaften  und  Privat- 

.  Verhältnisse  Übermittln,  wie  es  so  häuüg  geschehe,  heüse  den  Zweck  ver- 
fehlen.   Viel  wichtiger  als  diese  Einzelheiten,  woin  sie  gleich  nicht  Übw- 

.«ingen  werden  dümen,  sei  die  Belehrung  über  des  Meisters  Stellung  zur 
Politik  und  Religion ;  über  seine  Bedeutung  als  Lyriker,  Dramatiker  und 
i^iker;  eine  Darlegung  setner  Kunstl^ren,  seiner  Anschauungen  von  €}e- 
scniehtlidiem  oud  Gmchichte;  eine  Übersicht  seiner  eigenen  goadttcht- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  4M 

]ioIien!At1)eiten ;  endlich  noch  eine  Würdigung  der  Art,  wie  er  feine  Briefe 
schrieb  und  seine  Tagebücher  redisierte. 

Von  alledem  wird  denn  auch  inirz  und  bündig,  wie  es  der  knapp  au- 
bemeesene  Baum  verlangte,  in  neun  Abschnitten  Buf  200  Seiten  gehanddt: 
▼ollst&ndig  und  gediegen  und  gemeinyeratindliGh  genug,  yielleicht  aber 
doch  ein  wenig  allzu  b'terarhistorisch,  mit  allzu  heroisdiem  Verzicht  auf  per- 
sönliche Ansicht  und  persönliche  Darstellung.  Wir  wollen  das  grobe 
Publikum  immer  noch  zu  gründlich,  zu  fachwissenschaftlich  'bilden ,  und 
erziehen  ihm  so,  gegen  unseren  Willen,  ein  ▼erstandesmlisiges  Verhalten 
zur  Kunst  an,  statt  zu  wecken,  zu  entwickeln,  was  an  aufnehmenden 
künstlerischen  Fähigkeiten  untätig  und  rerschüchtert  in  ihm  liegt.  Wo 
es  gilt,  Liebe  zur  Kunst  und  wahres  Verständnis  in  weiteren  und  weite- 
sten Kreisen  zu  fördern,  sollten  wir  uns,  meine  ich^  inniger  und  bewuTster 
an  JJfred  lichtwark  und  die  Beinen  anschlieCien,  sollten  diesen  eifrigen 
und  erfolgreichen  Nachbarn  die  rechte  Volkserziehung  ablernen,  die  ja 
nach  Wesen  und  Art  dieselbe  sein  muA  auf  allen  Kunstprebieten. 

Freiburg  i.  B.  fi.  Woerner. 

Max  Batty  The  treatmeDt  of  nature  in  German  literature  from 
Günther  to  the  appearanoe  of  Goethes  Werther.    (Dise.  Chicago.) 

'The  treatment  of  nature'  ist  ein  lieblingsgegenstand  amerikanischer 
literaturforschung  geworden.  Aber  mag  die  Aäg^be  uraprünfliich  nur 
deshalb  so  allgemein  bezeichnet  worden  sein,  weil  ein  geläufiges  wort  für 
Natur gefü hl  mangelte:  Tatsache  ist,  dab  man  sie  nun  auch  so  allge- 
mein behandelt  unter  Bammelworten  wie:  Himmelsencheinungen,  Jahres- 
zeiten, CKsbirge,  Gewässer  usw.  wird  eine  Anzahl  von  Btellen  aufgereiht, 
in  denen  der  Dichter  irgendwie  auf  das  in  der  Überschrift  Angeffebene 
Bezug  nimmt,  ohne  dals  Ton  Tomherein  und  grundsätzlich  unterachieden 
würde  zwischen  dem,  was  er  neu  ans  eigener  Anschauung  und  Empfindung 
schöpft,  und  dem,  was  er  aus  der  Überlieferung  wiedernolt  Diesem  sta- 
tistisdi-topograj^hischen  Verfahren  soll  sein  Nutzen  nicht  aberkannt  werden 
—  besonaera  nicht  nach  der  kulturgeschichtlichen  Beite  hin.  AUein  es 
haftet,  scheint  mir,  in  bedauerlidier  Weise  solchen  Versuchen  der  Cha- 
rakter des  Halbgetanen,  der  blofsen  Vorarbeit  an,  wo  sich  doch  —  mit 
einer  weni^  äuiserlichen  Behandlungsart  ^  sogleich  Befriedigenderes  se- 
winnen,  ja  in  vielen  Fällen  Endffültiges  und  Abs<mlief8endes  erreichen  liefse. 

Was  ich  hiennit  über  die  Sf  ethode  zu  bedenken  gebe,  bedeute  kdnes- 
weffs  eine  Herabwürdigung  der  vorliegenden,  in  ilu'en  Bchranken  sehr 
tüchtigen  Dissertation!  Auf  Grund  ausgebreiteter  und  sorgfältiger  Btudien 
bietet  sie  mancherlei  neue  Beobachtungen,  besonders  in  den  Abschnitten 
Lettns  und  Travels.  Auch  die  Schlufsbetrachtung  zeugt  von  anerkennen»- 
werter  Beheirschung  des  gesamten  Gebietes. 

Freiburg  LB.  .      B>  Woerner. 

IL  PetBch^  Vorträge  über  Goethes  Taust*.  Gehalten  im  Ferienkurs 
für  Lehrer  1902.  (Würzburger  Hochschulvorträge  B.  I.)  Würzburg, 
Ballhom  u.  Cramer  Nachf.,  1908.    198  8. 

Der  Verfasser  ist  der  schwierigen  Aufgabe,  ein  gemeinverständliches 
Modell  unserer  Risten  Dichtung  aufzubauen,  für  den  ersten  Teil  besser 
als  für  den  zweiten  gerecht  geworden.  Hier  begegnen  nicht  blofii  selt- 
same Hypothesen  (Homunkulus  von  Mephisto  erschaffen!  8. 142),  die  als 
sichere  Tatsachen,  vorgetragen  werden,  und  allzu  feine  Ausdeutungen  (über 
den  -Famulus  Wagner  S.  189,  vgl.  aber  S.  149;  über  das  innere  Licht 
^.  190  u.  ö.),  sondern  vor  idlem  ^t  hier  über  zu  ausführlicher  Deutung 
von  Kleinigkeiten  (Einzdinterpretation  des  Mummenschanzes  u.  dgL)  die 


406  BenrteilniigeD  und  kirne  AnzeigeD. 

tüi>Miditi]che  Führung  yerloren.  Veneihlicli  finden  wir  es  frdllch,  dali 
P.  hier  Schwierigkeiten  leichter  Hand  eliminiert;  denn  vielleicht  haben 
die,  die  die  Frage  der  Wette  nicht  so  einfach  abzutan  yermöffen,  nicht 
fdicke  Ohren'  (ST  1S^2),  aondem  eher  zu  feine.  Die  Erkl&rung  aes  ersten 
Teilii  ist  dafte^en  im  allgemeinen  recht  glücklidL  WoU  b^;egnen  auch 
hier  Gesuchtneiten  (zum  'Gesetz'  S.  62)  und  kleine  Lapsus,  wie  dafs  La- 
vater  der  Jesuiten-Biecher  sein  soll  (S.  102;  ebenso  z.  B.  zum  zweiten  Teil: 
Qoethe  habe  zwischen  Neptunisten  und  Vulkanisten  eine  Mittelstellung 
eingenommen,  S.  150),  und  anfechtbare  Deutuneen,  wie  über  den  Zweck 
der  Ostemachtszene  (8.  48);  aber  dafür  ents<£&dig6n  glückliche  Zitate 
und  Verwendungen  ('Ihr  Beifall  selbst  macht  meinem  Herzen  bang^ 
S.  dO;}überf  die  Historie  6.  46)  und  vor  allem  eine  herzenswarme  und 
doch  yerstfindig-klare  AuBeinandersetzung. 

Berlin.  Richard  M.  Meyer. 

N.  Lenau^  Po^te  lyriqae.    Par  L.  Beynaad.     Paris,  Sod^t^  nou- 
velle  de  Librairie  et  d^Edition,  1905.    XVII,  461  S. 

Das  Ziel  sdnes  Buches  formuli«t  der  Verfasser  in  der  Vorrede  so: 
'Nous  nous  sommes  propos^  ici,  en  substance,  de  soumettre  Porganisation 
morale  et  la  production  Ivrique  du  po^te  ä  une  analyse  aussi  ezacte  et 
auBsi  oompl^te  que  possible,  pour  eesayer  de  d^terminer  les  rapports  pro- 
fonds  qui  les  unissent'  Er  glaubt  aber  seine  Au^be  noch  wettet  fassen 
zu  müssen.  Aus  der  Analyse  von  Leben  und  Kunst  dieses  einen  IHch* 
ters,  der  ihm  einen  best^mten  T3rpus  zu  vertreten  scheint,  soll  etwas  für 
die  Wertmaisstäbe  der  Ästhetik  Überhaupt  gewonnen  werden  (8.  IX).  Er 
fflaubt  hier  eine  Art  SchulfaU  zu  habooi  für  das  sdner  Memune  nach 
höchster  Künstiergrölse  Verde^Uche  einer  Organisation,  in  der  Sinnen- 
und  Gefühlsleben  ein  yölliges  Übergewicht  über  die  logischen  Fähigkeiten 
und  den  bewufsten  Willen  erlangt  haben.  Der  mangdnden  Kran,  sich 
durch  eine  selbständige  feste  Weltanschauung  über  das  Chaos  seiner  Emp- 
findungen und  Impulse  denkend  zu  erheben,  der  unsicheren  inkonsequenten 
Lebensführung  müsse  der  Gtehalt  der  Kunst  entsprechen,  vor  allem  aber 
auch  Mängel  der  artistischen  Form.  'Le  po^te  a  succomb^  lä  m6me  oü 
lliomme  avait  sucoomb^,  car  les  lois  de  la  production  artistique  ne  sont 
qu'un»  transposition  des  lois  de  Fexistence  reeUe.  Le  rythme  des  pens^ 
et  des  mots  n'est  en  demi^re  instance  que  l'ezpression  du  r3rthme  des 
actes.'  IL  gelangt  ans  dieser  Grundanschauung  heraus  zu  einer  Ver- 
werfung aller  Epochen,  in  denen  die  stärksten  KunsÜeistungen  von  Na- 
turen ausgingen,  denen  es  nicht  gelane,  ihr  Leben  zu  harmonisieren,  mit 
ihrem  inneren  Reichtum  als  gute  Hauuialter  zu  yerfahren.  Die  Romantik 
ist  ihm  besonders  antipathisch.  Eine  gewisse  Warnung  vor  der  Über- 
schätzung der  Romantik  mag  heute,  wo  man  in  aller  Freude  an  ihrem 
wiederentdeckten  Reichtum  geneigt  ist,  ihre  Grenzen  zu  Übersehen,,  viel- 
leicht am  Platze  sein.  Doch  ILs  Art  der  Ablehnung,  ¥rie  sie  sich  auf 
8.  XV  und  öfter  offenbart,  ist  in  ihrer  Einseitigkdt  kaum  haltbar.  Seine 
Abneigung  ge^n  moderne,  sich  mit  romantischer  Art  b^ührende  Kunst 
scheint  mir  semer  Betrachtung  Lenaus  von  vornherein  eine  gewisse  Rich- 
tung gesehen  zu  haben,  weil  er  in  Lenau  einen  seelischen  Typus  erkennt, 
dessen  Steigerung  jene  'verderblichen'  Erscheinungen  zeitigen  kann.  Diese 
pädagogischen  Aosichten  trüben  vielleicht  hier  und  da  die  Objektivität 
der  Betrachtung,  obwohl  ich  ein  Verdienst  des  Buches  darin  sehe,  dafs 
es  die  Grenzen  von  Lraaus  Kirnst  nicht  aus  dem  Auge  verliert. 

Gegen  ILs  idlgemeine  Anschauungen  läfst  siph  gemis  manches  eiii> 
wenden.  Eine  so  bündige  Beantwortung  der  alle  Ästhetik  beschäftigenden 
Frage  nach  dem  Grundverhältnis  von  Leben  und  Kunst  lieTse  sich  meines 
l>«chtens  immer  nur  auf  Grund  eines  sehr  grolsen,  sorgfiltig  dureh- 


Bearteiliixigen  und  kurze  Anadgen.  407 

gearfoeketiBn  psychoIogischeD  Materials  geben.  Eine  Betrachtttiiff  der  yer* 
BcihiiBdenartigBteD  KünsÜerperaönlichkeiten  miter  dieflem  GeBichtepmikt 
müTBte  vorauf genrngen  sein.  Und  auch  dann  bedarf  es  in  der  Anwenduu 
des  etwa  GMuudenen  gröister  Vorsicht:  eine  seelische  Organisation,  die 
dem  Dramatiker  verhängnisvoll  werden  mufs,  braucht  es  nidit  för  den 
Lyriker  zu  sein.  Das,  was  man  kflnstlerische  Intelhgenr.  nennt,  kann  ein 
Lyriker  im  hohen  Malse  besitzen,  der  nie  mit  seinem  Denken  Herr  des 
liibenfi  wurde.  Bei  dem  Gedankm  über  die  Erscheinungen  auf  künstle^ 
xisöhem  Gebiet,  die  der  Willensschwäche  im  Leben  entsprechen,  wire 
sch&rfer  zu  scheiden  zwisdien  den  lebenshungriffen  Impulsmenschen,  die 
alle  Kraft  im  Leben  verschwenden,  denen  keine  Mulse  zur  künstlerischen 
Konzentration  bleibt,  und  den  willensmatten  Naturen,  die,  sdieu  vor  dem 
Leben,  die  Kunstübung  als  einzige  Lebensbetätigung  leidenschaftlich  um- 
klammem und  die  von  der  Kunst  allmählich  verzehrt  werden.  Hier  wird 
der  gröfsten  Willensschwäche  im  Leben  eine  sehr  sichere  Beheürschung 
der  Kunstform  parallel  sehen.  Gerade  die  österreichische  Literatur  lädt 
zur  Beobachtung  dieses  Typs  ein.  Gehört  Lenau  nicht  dem  zweiten  Typus 
an,  audi  nach  K.s  eigener  Darstellung? 

Der  Künstler  würde  allerdings  immer  da  unterliegen,  wo  der  Mensch 
unterliegt,  wenn  er  nur  das  ausdrückte,  was  er  ist,  nicht  aud^  was  ihm 
mangelt;  wenn  alle  Kunst  nur  aus  dem  verwirklichten  Sein,  nicht  auch 
aus  der  Sehnsucht  eines  Menschen  entstünde.  Wie  weit  freilich  einer  sol^ 
eben  Natur  die  reife,  künstlerische  Gestaltung  dessen  möglich  ist,  was 
ihrem  eigenen  Sein  widerspricht,  das  wird  von  der  Selbsterziäiunff  bedins^ 
sein.  Ator  vor  allem  von  der  auf  Kultur  der  Sinnlichkeit  und  Phantasie 
gerichteten:  von  der  wohl  erziehbaren  Fähigkeit,  sich  ansdiauend  in  frem- 
des heben  zu  versenken  —  eine  Gabe,  die  dodi  wohl  nidit  direkt  von 
intellektueller  und  moralischer  Kultur  abhän^.  Ein  bekanntes  Beispiel  ist 
0.  F.  Meyer,  der  die  Benaissance  gestaltet.  Aber  wie  gesagt:  mit  Einzel- 
beobachtungen kommt  man  diesem  Problem  nicht  sehr  nahe,  hier  bedarf 
es  einer  breiten,  empirischen  Grundlegung. 

Durch  solche  Einwände  ist  noch  nichts  darüber  ausgesact,  wie  weit 
in  diesem  einen  Fall  die  These  zutrifft,  wie  weit  das  Problem  Lenau  durdi 
E.  erwhöpft  wird.  Er  betrachtet  im  ersten  Teil  des  Buches:  'Les  souroes 
de  Poßuvre  lyrique:  l'homme'  das  Seelen wesen  Lenaus,  wie  es  sich  in  sei- 
nem Verhältnis  zur  Natur  oifenbart,  wie  es  in  der  Art,  die  Ümstibide,  die 
Menschen,  namentlich  die  Frauen,  auf  sich  wirken  zu  lassen,  in  den  ün- 
regelmäfsig^eiten  seines  Lebens,  in  seinen  Beziehungen  zur  Philosophie 
und  Literatur  zuta^  tritt  Im  zweiten  Teil:  'L'oeuvre  lyrique'  sucht  er 
die  Spiegelungen  dieses  Seelenwesens  in  der  Lyrik,  strebt,  das  Walten  der 
gleidien  Haupttendenzen,  die  das  Leben  beherrschen,  nachzuweisen. 

In  der  Cnarakteristik,  die  er  am  Ende  der  ersten  Partie  gibt,  wieder«- 
holt  er  zum  Teil  das,  was  Boustan  in  seiner  trefflichen  Lenaubiographie 
zusammenfassend  Kesagt  hatte.  Er  betont  die  nervöse  EmpfindbchKeit, 
das  Vorherrschen  der  'sensibilit^'»  das  jähen  Impulsen  sdiorchende  Tem- 
perament, den  Mangel  an  'energie  r^^chie'.  Viel  menr  Bedeutung  als 
Boustan  oder  Castle  müst  er  dem  Einfluis  literarischer  Moden  auf  Lenaus 
Leben  und  Kunst  bei.  Erwägenswert  sind  die  Betrachtungen  über  das, 
was  'üteratur*  in  Lmaus  Leben  war,  aber  B.  überschätzt  d(^  woÜ  diese 
Einflüsse;  namentlidi  spielt  der  Byronismus,  dessen  Wichtigkeit  andere 
Betraditer  ganz  zurückgedrängt  hatten,  eine  zu  grolse  Bolle.  Boustan 
bewertete  Lenaus  philosophisches  Denken  höher  als  B.  es  tut  'La  seas^ 
faiUtä  mobile  et  inqui^te,  qui  constitue  le  caract^ro.de  Lenau  comme  eile 
est  la  source  de  sa  po^sie,  n'est  au'une  face  de  cet  6tre  compLue.  A  oM 
de  rinstinctif  et  de  rimpulsif  suDstituent  un  intellectuel  et  un  analystäi' 
BJ  siriit  viel  mehr  den  Man^  an  Konsequenz,  Tiefe,  Selbständigkeit  in 
Benken.    Man  kann  ihm  den  Denker  Lenan  preisgeben:  am  Ge^ 


106  Benrteünngeii  und  knne  Anseigen. 

daidmunhalt  der  epischen  Dichtimg  nicht  lioch  einsch&lasen,  aber  es  ist 
nicht  zn  Terkennen,  daft  es  dem  Dichter  gdang,  durch  dieses  immer  wieder 
h«|;onneDe  Bingen  nm  die  Welt&nechAuuDg  seiner  Lyrik  lief^g  zu  geben. 
Hier  zeifft  sich  eine  Willenskonzentration  des  Künstlers,  die  sogar  Grill- 
parzers  herbe  Verse  anerkennen,  nnd  die  H.  mir  nicht  genug  zu  beachten 
scheint  Sehr  wünschenswert  wäre  es  gewesen,  dafs  die  Phantasie  Le- 
nans  eine  zusammenhängende  Dmtellung  erfahren  hätte.  Ansätze  dazu 
finden  sich  Öfters  in  Hb  Budi,  a^er  der  Anteil  der  Fantasie  an  Leben 
und  Kunst  Lenaus  wird  viel  weniger  beachtet  als  der  der  Gtofühlssphäie, 
der  nervi^sen  Empfindlichkeit  Castle  und  Walzel  hatten  darauf  hin- 
gewiesen, dais  yiel  von  Lenaus  Eigenart  aus  der  Psychologie  des  Oster- 
rdchers  überhaupt  zu  erkl&en  ist  Die  Verfolgnnff  meser  ^ur  läfst  sich 
K  entgehen.  Femer:  er  führt  die  Eintdnie^dt  ui  der  Grundstimmung, 
die  Lenaus  Kunst  trotz  aller  Farbiekeit  zeigt,  wesentlich  auf  die  Grenzen 
seiner  intellektuellen  und  moralischen  Per&nlichkeit  zurück*  Aber  hier 
wäre  eben  zu  fra^n,  ob  nicht  vielmehr  dne  zu  enge  Ausbildung  der 
anschauenden  Fähigkeit  daran  schuld  ist  Ob  Lenau  nicht  —  was  ihm 
durch  Denken  nicht  oder  nur  spät  ^lang  —  Ton  den  einseitiffen  Forde- 
rungen seines  Gefühls  sich  hätte  bis  zu  einem  gewissen  Grade  befreien 
können,  wenn  er  es  vermocht  hätte,  sich  anschauend  auch  in  die  Er- 
scheinunffen  zu  yersenken,  die  ieinem  Gefühl  nicht  sofort  antworteten. 
Der  'Kult  seiner  Melancholie'  verhinderte  das.  Aber  ob  nicht  Lenau, 
ganz  abgesehen  von  einer  Erziehung  des  praktischen  Willens,  durch  eine 
nicht  nur  intensive,  virtuose,  sondern  auc^  extensive  Entwickelung  seiner 
anschauenden  Fähigkeit,  nidit  mittels  ethischer,  sondern  ästhetiacher  Kul- 
tur zu  einer  Befreiung  von  diesem  Kult,  zur  Aufweitung  seiner  Kunst 
gelangt  wäre?  Vielleicht  hätte  eine  Untersuchung  in  dieser  Bichtung, 
namentlich  eine  Betrachtung  der  Anläufe,  die  Lenau  zuweUen  nimmt,  eine 
Lebensform  darzustellen,  die  der  seinen  entgegengesetzt  ist,  die  Fonnel 
etwas  erweitert,  mit  der  B.  ihn  zu  erklären  su<ät 

B.S  These  bedurfte  vor  allem  stärkerer  Stützen  durch  den  Nachweis, 
dais  dem  Mangel  an  Lebensbeherrschung  ein  Versagen  des  künstlerischen 
Ordnungsgeistes  in  Lmaus  Dichtung  entspricht  Dieser  Nachweis  ist 
nicht  Yoihg  erbracht  Freilich,  die  mangelnafte  Komposition  der  Epen 
ist  unbestieitbar.  Aber  diese  Enge  der  fiegabung  beim  Lyriker  braucht 
wahrlich  nicht  auf  einer  solchen  Seelenbeechaffenheit  zu  beruhen.  Uhland, 
der  klare,  wissenschaftlich  geschulte  Geist,  der  feste,  sein  Leben  beherr- 
schende Mann,  war  ebenso  unfähig,  ein  Drama  oder  Epos  zu  komponieren, 
wie  der  Impuls-  und  Stimmunssmensch  Lenau;  er  war  eben  nur  Lyriker. 
Was  nun  aas  eigentlich  lyrisdie  Gedicht  und  das  lyrisch -epische  Stim- 
mungsbild betrifit,  so  stehen  neben  den  unvollkommen  komponierten  Ge- 
dichten, die  B.  auf  S.  432  anführt  und  deren  Zahl  man  übrigens  leicht 
um  dne  Beihe  milslungener  Beflezionspoesien  erweitem  könnte,  genügend 
andere,  die  strengste  künstlerische  Besonnenheit  im  Gesamtaufbau  wie  im 
einzelnen  verraten. 

Die  Analyse  von  Lenaus  Lyrik  im  zweiten  Teil  des  Buches  enthält 
auiserordentlich  vld  Feines.  Besonders  anregend  ist  im  Kapitel  'V^tä  et 
.po^e'  dargestellt  wie  Erlebnis,  Phantasie  und  literarische  Tradition  die 
Stilisierung  des  Themas  der  Berta- Lieder  beeinflulsten.  Die  Behandlung 
des  LeaiauAshen  Naturgefühls  führt  in  einigen  Punkten  weit  über  das  hin- 
aus, was  etwa  Geskys  mit  hilflosen  Beiwörtern  an  Lenaus  Kunst  herum- 
tastende Studie  geben  konnte.  B.b^ü^  sich  nicht,  zu  klassifizieren,  er 
erkennt  die  Probleme.  Er  gibt  im  Kapitel  'L'art  de  Lenau'  eine  beson- 
ders dankenswerte  Betrachtung  des  Zusammenhangs  zwischen  Lenaus 
theoretischen  Ansichten  über  Naturlyrik  und  der  £^twickelung  sdner 
dcenen  Naturpoesie.  Die  Ausdrucksmittel  von  Lenaus  Kunst  werden 
Iwifühlig  gewertet   Manches  ist  zu  modifizieren,  die  Beobaditungen  über 


BeurteÜungeD  und  kurze  Anzeigen.  409 

das  SÜfistische  sind  hier  und  da  zu  erweitern ;  im  ganzen  liegen  hier-  ^le 
grOfiiten  Vorzüge  des  Buches. 

Im  einzelnen  liefse  sich  noch  manches  bemerken.  Ein  Vergleich  mit 
anderen  Dichtem  des  Meeres,  der  Heide,  des  Hochgebirges  wfire  vielleicht 
der  genaueren  Entscheidung  der  Frage  zugute  gekommen,  wie  weit  es  nur 
auf  Loiaus  eigenstes  Temperament  zurückzuführen  ist,  dafs  ihn  wesentlich 
eine  Natur  in  grofsartiger  Trostlosigkeit  oder  in  leidenschaftlichem'  Auf- 
ruhr künstlerisch  erregt,  wie  weit  die  Landschaften,  in  denen  er  haupt- 
slchlich  lebt,  auch  auf  andere  Künstlernaturen  so  zu  wirken  pflegten.  Zu 
solchen  psychologisdien  Vergleichen  konnte  Batzels  trefflicher  Aüfisatz 
(Beilage  zur  Aügemeinen  Zeüung  1908»  Nr.  218  bis  220)  anre{^,  der  lU 
leider  entganiren  ist.  In  dem  Kapitel  '8on  temp^rament  physiqne  et  mo-» 
rale'  befremdet  zuweilen  die  gleichwertige  Behandlung  der  Zeugnisse; 
mehr  noch  die  Art,  wie  die  Neigung  und  FlUiigkeit,  sich  durch  musi- 
kalische Erlebnisse  im  tiefsten  ersdiüttem  zu  lassen,  mit  Lenaus  Sehwiche 
für  physische  Beazmittel,  wie  Kaffee  und  Tabak,  in  engstem  Zusammen'^ 
hang  behandelt  werden.  R.  hat  das  ungünstigste  Urteil  über  Sojihie 
Löwenthal  und  ihren  Einfluß  auf  Lenau.  Er  gibt  die  vorsichtig  ab- 
wiijgende  Behandlung  dieses  Verhältnisses  auf,  die  Minor  mit  Becht  {An- 
xeiger  /l  d,  Ä,  1892)  anwendet,  betont  auch  nicht  genuff  Lenaus  Kamjif 
mit  seiner  Leidenschaft  Vor  allem  abet  kann  ich  dem  Urteil  nicht  bei- 
stimmen, dafs  Sophie  ebenso  unheilvoll  auf  Lenaus  Kunst  einwirkte,  wie 
sie  zweifellos  auf  sein  Leben  gewirkt  hat.  Mag  man  Rs  Urteil  über  'Sa- 
vonarola',  über  die  'Liebesklfinge'  unterschreibä  —  man  darf  die  ebenfalls 
an  Sophie  geriphteten  Sonette  'Stimmen'  (s.  Mayer,  Zßiitekrift  für  öst&rr, 
Oymniuien  1898)  nicht  vergessen,  die  einen  Höhepunkt  in  Lenaus  Kunst 
darstellen.  Ebensowenig  <kn  Anteil,  den  die  tine  Erschütterung  durch 
diese  Leidenschaft  an  dem  neuen,  durch  die  Philosophie  nur  befreiten 
DaseinsgjefÜhl  der  'Waldlieder'  hat.  Nur  auf  Grund  einer '^fseo.  trm^ 
cischen  flrfahrun^  war  diese  Auffassung  des  Lebens  zu  gewmnen.  Nie 
hatte  er  ohne  seine  liebe  zu  Sophie  den  ^Don  Juan'  schreiben  können. 
Auf  den  inneren  Anteil  dieser  Leidenschaft  an  der  Entstehung  des  'Don 
Juan'  hat  Castle  besonders  hingewiesen.  Hier  nbt  Lenau  mehr  als  ein? 
zelne  Erschütterungen,  Vibrationen  der  Seele.  Er  vermag  hier  das,,  was 
IL  bei  ihm  vermilst:  seine  persönlichen  Leiden  in  einem  groTsen  Zusammen- 
hang als  etwas  typisch  Bedeutsames  zu  erfassen.  Denn  lucht  Bio  sel^ 
Don  Juans  Seele  als  die  Gewalt  und  das  Schrecknis  der  sinnlichen  Debe 
überhaupt  ist  der  Held  dieser  in  ihren  besten  Partien  Ivrischen  Dichtung. 

Wenn  schon  Boustans  Darstellung  der  österreichischen  Literatur- 
zustände den  Vorwurf  erfahren  hat,  zu  sehr  grau  in  ^u  zu  malen,  warn 
anderseits  Walzel  einen  Hauptvorzug  von  Castles  Biographie  darin  sieht, 
dais  er  in  dem  Elingangskapitel  'schürf  umschreibt,  weiche  Fülle  von  An- 
regungen literarischer  und  künstlerischer  Art  sich  am  Anfange  des  neun- 
zehnten Jahrhunderts  in  Wien  und  in  Österreich  zusammenündet,  Aii- 
regun^,  die  der  folgenden  Blütezeit  zur  Begründung  dienen',  ao  werden 
die  Seiten,  die  B.  den  Wiener  Literaturverhaltnissen  widmet,  kaum  der 
Kritik  der  Spezialkenner  entgehen.  Man  vermifst  übrigens  an  dieser  Stelle 
im  Literaturverzeichnis  Minors  Aufsatz  ^Zur  BitUographit  und  Qudleti^ 
kimde  der  österr.  Lü^-Oeaek.':  Zntsi^rift  für  österr.  Gymnasien  188(). 

Die  Art,  wie  Lenau  philosonhischen  Einflüssen  unierliegt,  betrachtet 
£.  eingehend  und  mit  Sorgfalt.  Der  Gedanke,  dafs  audi  der  philosophische 
Gehalt  des  'Cain'  für  die  Entwickelung  der  Weltansdutuung  in  BeträcbX 
komme  (S.  212),  ist  zu  beachten.    Nicht  tief  genug  sdieint  mir  R  zu 

Sraben  bn  der  Behandlung  des  Problems,  wie  gerade  Hegels  System,  das 
och  den  Bausch  der  logischen  Fähigkeit  darstellt,  von  Lenau,  dem  Im- 
puls- und  Stimmungsmenschen,  den  bisher  alle  intellektualistiBchen  Philo- 
sophien auf  die-  Daner  abgesto&en  hatten,  «o.  assimiliert  werden'  konnte, 


410  Benrteilongen  und  kune  Anzdgen. 

ja,  wie  68  ihm,  als  er  sdiOD  der  Zerstörung  zndlte,  no^  eiiie  Nächblfite 
sdner  Kunst  schenkte.  Das  Zurflckdrfingen  der  'freien  Dichtungen'  Le- 
nans  bei'  der  Analyse  seiner  Lyrik  hat  d<^  manche  Bedenken.  Es  steckt 
so  Tiel  Lyrik  in  diesen  episch  und  dramatisch  yerkleideten  Dichtungen; 
namentlicn  ffir  die  lyrische  Sprachknnst  bieten  sie  sehr  yiel.  Ferner  hätte 
zn  dem  yon  B.  -ausführlich  behandelten  Thema  'V^rit6  et  po^sie'  doch 
schliefslich  auch  die  freie  Umbildung  des  dem  Dichter  yorliegenden  Stoffes 
gehdrt,  wenn  auch  das  Resultat  nur  Material  zur  yergleichenden  Ergänzung 
der  fvi^  das  Verhalten  des  Lyrikers  gefundenen  f^ebnisse  sein  konnte. 
Die  Studien  von  Bolte,  Proecht  Castle  haben  hier  yorgearbeitet  Im  Ka- 
]piUl  'Par  la  Natnre  ä  Tabsola'  bieten  die  ersten  Seiten  der  Kritik  man- 
dien  Angriffspunkt  Die  Definition,  die  R.  hier  yom  Impressionismus 
gibt,  ist  unzureichend.  Schon  der  technischen  Behandlung  wegen  scheint 
es  mir  übrigens  unmöglich,  die  hier  angefCIhrten  GMichte  Lenaus  im« 

Sressionistiscm  zu  nennen.  Auch  ist  es  nicht  richtig,  den  'Postillon'  unter 
ie  Oedidite  zu  rechnen,  die  Eindrücke  flüchtig  erhaschen,  ohne  da(s  eine 
Üefere  Gefühlsauffassung  die  Wiedergabe  der  Eindrücke  beseele.  Er  gibt 
ein  Urthema- Lenaus:  cGe  gehdmnisyolle  Nähe  yon  Tod  und  Leben  in 
Natur  und  Menschendasein  mit  ^egisch  gefühlyoUer  Betonung.  Die 
Wechselbeziehung  zwischen  Natur  und  Seele  durchklin^  das  Gediät,  nur 
leiser,  diskreter  als  anderwärts.'  Dafs  Lenau  in  dem  Brief  an  Emiüe  Rein- 
beek  yom  8.  Juni  1832  technische  Versuche  des  modernen  lyrischen  lin* 
pressionismus  Üieoretisdi  yorausnimmt,  hatte  sdion  R.  M.  Meyer  bemerkt 
{Du  deuUekB  LUereOur  des  19.  JK,  1900,  S.  8  6).  Es  bleibt  ein  Verdienst 
R.S,  sich  an  dem  Problem  'Lenau  und  der  Impressionismus'  yersucht  zu 
haben. 

Zusammenfassend  möchte  ich  sagen,  dafs  dieses  Buch  zwar  infolge 
einer  gewissen  Einseitigkeit  des  Kunstoeschmacks  und  zu  scharfer  An<- 
spannung  mancher  an  sich  richtiger  Gedanken  Leuaus  Wesen  nicht  er- 
schöpft, da(s  es  aber  doch  in  selff  yielen  Punkten,  namentlich  für  des 
Künstter  Lenau  äufschlulsreich  ist,  Vorzüge  und  Grenzen  seiner  Art 
scharf  umschreibt  und,  wenn  auch  oft  zum  Widerspruch,  so  doch  jeden- 
falls zum  Nachdenken  über  die  Lenauprobleme  anregt 

'  Berlin.  Helene  Herrmann.    . 

Tb.  Fontanes  Briefe  an  seine  Familie.     XII,  816,  842  S.    Berlin, 
F.  Fontane  u.  Co.,  1905. 

>  Diese  Auswahl  aus  den  zahllosen  FamiÜenbriefen  des  eifrigsten  Brief - 
Schreibers  unter  unseren  neueren  Sdiriftstdlem  und  des  am  mdsten  lit»- 
noischen  unter  unseren  Briefschreibem  ist  yon  den  Verwandten  mit  an- 
erkennenswertem Absehen  yon  posönlichen  und  famüienhaften  Rücksichtetn 
yeranstaitet  Für  das  Verständnis  Fontanes  ist  sie  daher  unschätzbar, 
aber  .auch  für  seine  gesamte  'Umwelt' ;  man  könnte  das  Buch  ruhig  nach 
dem  Muster  des  Fontanischen  über  Scherenberg  'Theodor  Fontane 
und  das  literarische  Berlin  yon  1852—1898'  benennen.  Und 
wenn  seine  Bücher  zuweilen  wie  eine  blofse  Sammlung  yon  Briefen  und 
Gesprächen  wirken,  mutet  umgekehrt  diese  Sammlung  wie  ein  Boman  an. 
Mit  der  entschadenden  Reise  nach  England  beginnt  sie,  und  dn  geist- 
reicher Zufall  l&fet  den  Brief,  den  Fontane  am  Morgen  seines  l^es- 
tages  schrieb,  mit  den  Worten  beginnen:  'Dies  sind  nun  also  die  letzten 
Zälenl' 

.  Literarisch  also  sind  die  beiden  Bände  noch  bedeutsamer  als  literar- 
historisch: überquellend  yon  Witz  und  Weisheit,  feiner  Beobachtung  und 
tiefsinnig  Verallgemeinerung.  Etwas  Roman  steckt  in  jedem  Briefe 
F.  stilisiert  immer,  und  yor  allem  sind  seine  bitteren  Klagen  über  Wdt 
und  Leben  ein  wemg  im  Sinne  der  Gtoethischen  Verse  zu  nehmen:  ' 


BenrteiltiiigeD  und  kürze  AnceigeD.  411 

Zart  Oedlehti  wie  BegeDbogeD, 
Wird  Dor  auf  dunklem  (}^mid  gMogen ; 
Dainm  behagt  dem  Dichtergenie 
Das  Element  der  Melancholie. 

Wir'  wollen  übrie^oB  den  Ernst  seiner  jahrzehntelangen  Verstimmuiiff 
nicht  leugnen :  bot  doch  die  onffUubliche  Verkennnng  seiner  Bedeu.tüng 
Grund  genug  dazu,  wfihrend  er  aulaere  Bedrfingnia  leichter  und  zuweilen 
faMt  IddbtBinnur  trug«  FQr  die  litenurischen  Zustande  in  jenem  halben  Jahr* 
hundert  sind  diese  Klagen  auch  nur  zu  bezeichnend;  zient  man  von  seinen 
Betrachtungen  über  Verleger,  Publikum,  Cliquen  die  stilistisdie  Stdge^ 
rung  und  die  persönliche  Ye^;rOlserung  ab,  so  bleibt  genug  übrig  —  um 
unsere  Zeit  zu  rechtfertigen! 

Mit  jenen  beiden  Eautelen  sind  auch  die  Uterarischen  Urteile  aulzu«- 
nehmen,  um  derentwillen  wir  ein  Namenverzeichnis  besonders  lebhaft  yer^ 
missen.  Besonders  wichtig  ist  der  Wechsel  der  Stimmungen  über  W»  Scotl^ 
höchst  charakteristisch  die  Stellung  zu  ^ola.  Über  P.  H^se  W\i  mäncl^ 
bezeichnendes  Wort;  an  Spielhagen  und  Hopfen  müst  F.  sich,  selbstj-rr 
und  sieht  sich  von  anderen,  an  Brachyogel  |;eme8senl  Freudige  Zust^- 
mung  zu  einem  yergessenen  Buch  von  Farisius  beweist,  wie  eng  F.  mii 
dem  Altberliner  Boman  überhaupt  zusammenhängt 

Erstaunlich  ist  die  Sicherheit  seiner  Selbstkritik,  besonders  Auch  über 
seine  Cledichte.  Aber  über  sein  fi;anzes  Wesen  findet  man  ürtdle  von  un^ 
beirrbarster  Sachlichkeit;  wir  geben  die  Stellen  nidit  an,  damit  .das  ganz^ 
Buch  um  so  dfrigrer  gpelesen  werde.  Dann  werden  den  Leser  aucE  die 
Überraschendsten  historischen  Momentbilder  belohnen! 

Berlin.  Richard  M.  Meyer. 

The  nation^s  need«   Chapters  ob  education.    Edited  by  Spenser  Wit 
kiDSOD.      Westminster,  Archibald  Constable  A  Co^  Ltd.    !^11  S.    &f. 

Der  Herausgeber  dieser  Sammlung  von  Aufsätzen  verschiedener  Ver- 
fasser zum  Thema  der  öffentiichen  Erzi^ung  hat  sich  sonst  auf  einem 
anderen  Gebiete  bew^^  das  offenbar  auch  das  ihm  selbst  vertraute  ist: 
er  behandelte  in  einer  Reihe  von  zum  Teil  umfangreichen  Büchern  die 
Fragen  der  englischen  Landesvertmdigung,  die  i^formbedflrfnisse  der 
Armee  und  Verwandtes.  Auch  hier  betrifft  sein  eigener,  die  ganze  Samm- 
lung abschlieisender  Beitnu^  die  allgemeine  und  die  berufstedinische  Aus- 
bildung der  Offiziere  des  Laudheeres  und  darauf  die  der  Marineoffiziere. 
Aber  er  sucht  die  wahren  nationalen  Bedürfnisse  nun  in  größerer  Tiefe 
und  lllst  zu  diesem  Zweck  aUerlei  Stimmen  laut  werden  Über  die  ein- 
zelnen Gebiete  des  Erziehnngswesens  und  das,  was  zurzeit  innerhalb  dem- 
selben fehlt  und  was  anzustreben  wäre..  Die  so  gewonnenen,  dem  ein- 
leitenden Aufsatz  folgenden  Abschnitte  sind  überschrieben:  The  Eäementa^ 
School,  by  F.  S.  Marwin;  Local  and  Central  Government,  their  Relation 
in  Education,  bvGraham  WaUas;  Primary  Education  of  Girls,  by  Gäthife- 
rine  J.  Dodd;  Hy^ene  and  Household  Economics,  by  Alice  RkvenhilF; 
Higher  Education  m  f^ance  and  Germany,  by  J.  J«  Findlay;  The  Secon^ 
daiy  Day  School,  by  J.  J.  Findlay;  TheJ)ubiic  Schools  by  J.  CTarver; 
The  Teaching  of  modern  Langunres,  by  K.  Breul;  Hiaher  Education,  by 
H.  J.  Maokinder;  The  Natioirft  Servants,  by  Spenser  Wilkinson. 

Natürlich  enthalten  die  Aufsätze  nicht  wenl^  Interessantes  für  ikichV 
englische  Pädagogen,  die  hier  zum  Teil  den  Widerklang  von  wohlvevr 
trauten  Fryasa  und  Problemen  finden,  aber  ebenso  auch  für  jeden,  d^ 
englisches  Geistes-  und  Kulturleben  kennen  lernen  will,  und  deshalb  ist 
des  Budiee  in.  gegenwärtiger  Zeitschrüt  zu  gedenken.  Dafs  ein  Abschnitt 
deka  Lehren  und  Xeraen  det  neueren  Spiüibchen  ^;ewidinet  ist,  dürfte  wohl 


412  fiearteüungen  imd:  kune  Anztigah. 

auch  mitsprecheD,  zumal  derselbe  (rute  OedanTten  ebtbfilt;  doch  braucht 
gerade  aui  dieses  besondere  Thema  hier  nicht  eingeitangea  zu  werden,  da 
es  unter  uns  so  fiberreiehllch  -erörtert'  worden  ist  Nur  eins  sei  aus  dem 
Aufsatz  unseres  Landsmannes  Breul  henrorg^oben,  nSmlich  die  den  Enj;- 
ländem  jetzt  durchaus  nidit  rieichgültige  Frage,  ob  der.  Üntecri^^t  m 
lebenden  Fremdsprachen  für  die  Zukunft  englischen  Lehrern  anzuvertrauen 
sei   oder  Auslfindem.    Zunfichst  wird  geantwortet:  den  BestbefiUiigten, 

gleichviel  von  welcher  Nation,  dann  aber  zugestanden,  dals  den  ünteiiicht 
,  I  den  Händen  von  wohlausgebildeten  Engländern  zu  sehen  doch  das 
natürliche  Frommß  der  Zulninft  büde. 

Aus  den  fiprigen  Abschnitten  sei  es  gestatt^,  etwas  ungesondert  eine 
Anzahl  Punkte  herauszuheben,  die  unsere  Auftnerksamkeit  zu  verdienen 
scheinen.  Dazu  gehört  die  rückhaltlos  an  mehreren  Stellen  ausgesprochene 
Klage  über  lan|^auemde  und  nodi  nicht  überwundene  Bückstibdigkeit 
des  englischen  Elementarschulunterridits.  Es  fehle  hier  durchaus  an 
grö&e^en  Gesichtspunkten,  an  einer. bestimmten  Theorie  des  Lehrplans,  an 
gemütbüdenden  Elementen.  Qut  formuliert  ist  jedenfalls  die  Gegenüberr 
Stellung  von  formal  und  tüal  ieaehing  und  das  urteil:  /brma/  ieaekmg 
duÜ8  fming  and  deadena  intereat;  vüal  teaMng  arouaes  iniereaif  atwokms 
aympathy  and  framts  th$  heart.  Auf  die  planlose  und  unzulängliche  Unter-, 
nchtsorganisation  wird,  wie  bekanntlich  gegenwärtig  in  England  vielfach, 
so  auch  hier  die  Schuld  für  ean  gewisses  Zurückbleiben  Englands  im 
intematienalen  Wettbewerb  geschoben.  Spottend  ?nrd  der  *narrow  ideah' 
gedacht,  von  denen  man  sidi  beherrscht  zeige,  spottend  z.  R  auch  des 
unverhaitnismälsigen  Enthusiasmus,  mit  dem  man  seinerzeit  so  inferiore 
methodische  Erfindungen  wie  die  von  Bell  und  lAncaster  begrfilst  habe. 

Natürlich  schwdft  der  Blick  der  Verfasser  unseres  Buches  zwischen- 
durch immer  ¥rieder  hinüber  nach  Deutschland,  nach  den  Vereinigten 
StisateD  und  auch  nach  Frankrttch,  nicht  blois  in  denjenigen  Beiträgeo\ 
die  ausdrücklich  depi  Schulwesen  dieser  LAnder  gewidmet  sind.  Dabei 
tritt  denn  der  bekannte  (in  England  besonders  häufig  zu  beobachtende) 
Zug  hervor,  dais  man,  um  die  Landsleute  aufzurütteln,  die  Verhältnisse 
"des  Auslandes  im  schönsten  Lichte  sieht  und  in  das  schönste  Lacht  setzt, 
während  eine  objektive  Beurteilung  keinerlei  solchen  Wertkontraat  ergeben 
würde  und  in  dttn  anderen  Lancß  gleichzeitig  Schmerzen  genug  gnfühlt 
werden.  •  Richtig  ist  übrigens,  dafs  die  ernste  Pflege  des  ünterridits-  und 
Bildungswesens  in  Deutschland  eingesetzt  hat  mit  der  Zeit  nationaler  E«r- 
aiedrigung  und  materieller  Kümmerlichkeit,  und  da(s  es  England  immer 
zu  gut  ge(;angen  ist,  als  dais  es  sich  in  ähnlicher  Weise  hätte  auf  sidi 

Sbst  besmnen  müssen.  Ziemlich  richtig  mag  auch  sein,  was  von  der 
Verlegenheit  französischer  Lehrer  an  höheren  Schulen  Übisr  englische  in 
Beziehung  auf  Bildung  und  Können  angedeutet  wird,  wenigstens  wenn 
man  an  die  Kunst  schöner  zusammenhängender  Bede  und  feinsinniger 
Analyse  denkt  Und  nicht  unrichtig  ist  die  Q^enüberstellung  des  eng- 
lischen SchulzÖglings  und  des  deutschen,  wo  es  vom  ersteren  heilst:  The 
Ehglüh  hoydoea  not  lave  hooka  or  lessona  nor  do  hü  parenia  aet  him  ^e 
ejoamph.  The  Engliah  boy  and  young  man  ia  the  ouUoma  cf  d  naHon  m 
«oftf  eireumataneaa  —^  he  doean't  wany!  Hia  parenta  do  not  mind  muoh 
if  he  haa  ah  eaay  time  in  hia  boyhood  —  *lä  kirn  run  wüd  whüa  he  ia 
young*  Auch  das  kann  man  nach  eigener  Beobachtung  unterschreiben: 
ichen  once  the  young  Engliahman  takea  io  hia  Jife'a  buaineaä  eon  amore,  he 
diaplaya  a  freahneaa  and  vigour  whieh  ia  aeldom  uiineaaed  in  the  pioäding 
young  Oerman,  Nur  daüs  dabei,  wie  fast  immer  bei  solchen  Geleg^heitrar, 
die  Zahmheit  und  der  subalterne  Gehorsam  und  die  unentwegt  willige 
Büffelei  des  deutschen  Gymnasiasten  denn  doch  sdbr  übertrieben  wira. 
Aber  man  mufs  sich  ebtfi  immer  irgendwie  Idafür  ^schadlos  halten,  wenn 
man  dem  Ausland  das  Zugeständnis  eines  Vorzugs  gemacht  hat!    und 


BeorteilUngeD  und  kurze  Anseigeii.  41B 


im  .Graüdb  ist  dagegen  nicht  einmal  vfel  einzuwendtai.  'Qveaz  mit  B^t 
wird  deur  atich;  an  einer  anderen  Steile  der  Wert  des  Ideals,  und'  zvar 
des  verwirkUohten  I^deals  .  gerahmt,  daii  in  B^giiff  und .  Erscheinung  des 
(fffntieman  ala  Produkt  englischer  .£r£iehun|;  yorliega:'.  Aber  sehr  weise 
•wird  hinzugeffigty  wie  dieses  Bildungsergebnur  dodi  an  sich  und  fülr  die 
Zukunft  keineswegs  genflgeJ 

Im. ganzen  wSd  wieder  und-  wieder  als  ein  englischer  Nationalmancd 
die  viel  zu  geringe  Bchfitznng  der:  Bildung  als  solcho*,  der  fehlende»  'Glaube 
an  Bildung^,  oder  an  ihren  Wert  beklag,  wozu  es  denn  z.  B.  auch  gn^ört 
und  paTst,  dais  der  zu  geistigem  Arbeiten  sich  nicht  bequemende  Knabe 
und  JunRÜng  von  der  ^milie  durchaus  in  Ruhe  gelassen  wird.  Es  wüd 
iaber  auch,  auf  dio.viel  grölsere  Zahl  der  wirklich  gebildeten  und  dabei 
einfach  lebenden  Familien  ^  in.  Deutschland  miteiner  gewissen  Beschämung 
hinflbergeblickt,  wenigstens  wird  das  lUrteil  des  trenüchen  M.  E.  Badler 
darüber  mit  Beifall  zitiert;  und  diese  Anerkennung  dürfen  wir  uns  getrost 
gefallen  lasset:  msn.yergleichenur. in. einem  deutschen  und  in  einem  eng- 
Eschen  Theater  einerseits  die  Zahl  der  elegant  Gekleideten  und  anderseits 
die  der  in  gebildeter  Weise  Teilnehmenden  1  Duds  die  yielf^erühmte.  Frei- 
heit des  englischen  ^^  zum  Arbeiten  oder  Nichtaibeiten  vielfach  auch  in 
«ine  Gleichgültigkeit  der  Manner  gegenüber  idealen  ^  Interessen  auslaufe^ 
dieses  hier  anzutreffende  Urteil  wird  man  noch  nicht  leicht  gehört  hid^eu'; 
ihm  bdzustinutten  oder  es  zu  bezweifeln  ist  nidit  unsere  Sache;  Ebenso 
mag  die  hier  wiederholt  auftauchende  Klage  über  einen  starken  Rückgang 
wectvoUen  Familienletois  für  uns  zwar  von  Interesse  sein,  darf  uns  aber 
nicht  zu  rasch  zum  Übernehmen  und  zu  etwaigem  Nachsprechen  ver- 
anlassen. .' .     ,    • 

Und  auch  an  den  votaehmeil  Mittelschuleä,  i^*^  l>erühmten  und  den 
kaum  berühmten  püblie  ^hooUy .  wird  ziemlich  schwere  Kritik  unter  mehr 
als  einem  Gesichtspunkt  eeübt,  dabei  auch  Klagen  geauisert,  die  mit  den 
'tarad^  auch  bd  uns  Verbreiteten  Anschauungen  von  dem.  Leben-  dieser 
Schulen  sar  nicht .  zusammenstimmen.  Dais  ihre^  -Kostspieligkeit  und 
namentlich  auch  die  Kostspieligkeit  der  vorbereitenden  Abteilungen  ipr^ 
paratory  aekoohy  in  welche  diel^naben  mit  zehn  Jahren  eintreten)  als  ein 
nationaler.  Übelstand  betrachtet  wird,  kann,  zwar  nicht  sehr  überraschen, 
aber  es  wird  auch  über  unnötig  Entfernung  und  Entfremdung  tom  Fa- 
milienleben gekli^p;t,  und  anderseits  wiederum  wird  bedauert,  dafs  die  Asffst 
der  zärtlichen  Mütter  vor  dem  bsuüying  durch  die  Mitschüler  und  vor  der 
sonstig  Rauheit  des  Schuilebens  auf  dessen  Gestaltung  gegenwärtig  ver- 
weichlichend einwirke.    Man  rühmte  sonst  immer  das  GegenteiL   . 

Und  so  sind  es  auch  auf  anderen  Ctebieten  VerhältniBse,  die  wir 
Deutschen  sonst  als  uns  eigentümlich  betrachteten^  und  die  hier  aus- 
drücklich auch  für  das  England  der  Gegenwart  festgreeteUt  und  aagefoditen 
werden.  So  eine  philologiBche  Kleinmeisterei  bäm  muttersprachlichen 
Unterricht,  so  eine  verspätete  Differenzierung  der  Studien  in  den  höheren 
Schulen  (während  fik  den  jungen  Menschen  von  sechzehn  Jahren  auf- 
wärts das  Bedürfnis  einer  gewissen  Wahl  aüerkannt  und  berücksichtigt 
werden  mülste),  so  femer  ein  zu  geringes  Interesse  der  meisten  Lehrer 
für  die  Fragen  der.  Hygiene,  weiter  die  za  groise  Ermüdung  der  Lehrer, 
die  mehr  freie  Zeit  zu  eif;enen  Studien  übrigbehalten  mülsten,  und  end- 
lich, auch  die  nidit  wirklich  ausreichenden  BBsoldunsen. 

Wie  sehr  die  englitehen  Universitäten  sidi  von  aen  deutschen  uater- 
scheiden,  weüs  jedermann;  dais  sie  in  wichtigen  Punkten  sich  auch  sehr 
günstig  von  Omen  untei^scheiden,  leugnet  wahrscheinlich  nur  der  Un- 
wissende. Aber  wie  auch  für  die  Universitätsstudiex)  die  Zielsetzung,  doch 
ins  Schwanken,  gekommen  ist  oder  vielmehr-  ein  Kampf  um  dieselbe  im 
Lande  sich  abspielt,  kommt  in  unserem  Buche  zu  deutlicher  Darstellung. 
Aa  iäe  .Hamen  Kewman  und  Huxley  knüpft,  sich  die  Vorstellung  der 


414  ,  BcnrteilungQii  und  kurze  Anseigen. 

MgeQüb«Biteiiehden  PrinzipieiL  Ntch  dem  enteron  soll  wesentlichee  Ziel 
UBt  DhWereit&tueil  die  Ohankterbildung  bleiben,  nach  dem  letzteren  die 
BelSJiigang  f  flr  wieaenschaltliche  Arbeit  (iks  power  of  wUmmg  new  knotP' 
iadbM).  DfSk  die  Verbindung  beider  Ziele  das  WünBchenswerteBte  sei,  Ter- 
fltent'sidk  iur  den  Verfaaaer  von  selbst  und  ebensowohl  für  Tentfndige 
Leser  —  nur  dafis,  wenn  man  von  Verbindung  oder  Vermitteinnff  ent- 
Mgenstehender  Aufgaben  spricht,  die  MJajorit&t  alsbald  über  Halbheit, 
Unklailieit  oder  gar  Charakterschw&che  m  schreien  pflegt 

Im  Vermitteln  zwischen  den  U^ensatsen  mQssen  übrigens  gegen- 
:wirtig,  wie  es  scheint,  alle  englischen  JächriftsteUer  über  das  nationue  Et- 
siefaungswesen  sich  versuchen,  wenn  sie  die  Frage  berühren,  ob  lüeht  eine 
iaentrale  Autorität  auch  in  England  sich  unentMhrlicfa  erweise.  Becht  su 
;^ahen  wagt  es  bu  jetzt  niemand,  um  nicht  den  individualistischen  Nei- 
gungen seiner  Landsleute  vor  den  Kopl  zu  stofsen  und  darüber  selbst 
.niedeigetrampelt  zu  werden.  Zentralisation,  bestimmende  Vollmacht  für 
-Begierungsbenürden  —  das  sind  dort  im  Lande  höchst  anstößige  Begriffe; 
Abu*  man  seufzt  doch  und  leidet  unter  der  Zerfiüirenheit,  Willkür  oder 
Ziellosigkeit  auf  diesem  Gebiete,  wie  neben  so  manchem  anderen  auch  das 
fsgenwärtige  Buch  wieder  beweist.  Ja,  wenn  wir  doch  alles  gute  £n^- 
fijKh»  und  alles  gute  Deutsche  mit  einander  vemfihlen  könnten  und  in 
idiesem  Sinne  'das  Böse  überwinden  durch  das  Gutel'  Aber  dergleichen 
ikum  nur  Qedanke  der  Denkenden  sein,  es  wird  niemals  der  Wule  und 
«lie  Leistung  der  Gesamtheit  werden. 
<       Berlin.  W.  Münoh. 

The  makiog  of  EnglisL  Bj  Henr^  Bradlev;  Hon.  M.  A.  Oxon.,  Hon. 
'      Ph.  0.  Heidelberg,  sometime  President  of  the  Philological  Society. 
London,  Macmillan  and  Co.,  1904.    VIII,  245  S.    4  s.  6  d. 

Schon  lange  nicht  ist  mir  ein  Buch  in  die  Hfinde  gekommen,  das  ich 
wit  sodchem  Vergnügen  gelesen  habe  wie  dieBCB.  Es  sucht  die  Gmndzflge 
der  englischen  Spraehentwickiung  fflr  die  weiteren  Kleine  der  Gebildeten 
darzustellen.  Vom  Altenglischen  ausgehend,  von  dessen  Sprachbau  Brad- 
lej  durdi  Verweise  auf  das  Neuhochdeutsche  eine  ungefähre  Vorstellung 
gibt,  führt  er  den  Verfall  der  alten  Flexionssjsteme,  das  Aufkommen 
Bepier  Hilfsmittel  zum  Ausdruck  grammatischer  Beziehunsen,  die  Verfinde- 
rungen  des  Wortschatzes  durch  Entlehnung  und  Neubildung,  die  Arten 
<les  BedeutunsBwandels  und  schlieislioh  im  Anhang  einige  'makers  of 
English'  dem  Leser  vor.  Das  sind  fast  alles  Gegenstande,  die  sc^on  viri- 
lach  behandelt  worden  sind,  auch  für  weitere  Kreise.  Der  besondere  Beiz, 
der  dieser  Darstellung  ei^en  ist,  rührt  einmal  daher,  dals  Bradlenr  aus 
«rundlichster  Sachkenntnis  schöpft,  sorgfältig  und  verständnisvoll  aus 
•dem  groü^en  StofiE  das  Treffendste  und  Anschaulichste  auszuwählen  weüs 
und  alles,  was  er  sagt»  anziehend  zu  sagen  versteht.  Er  ist  nicht  blois 
ein  bedeutender  Gelehrter,  sondern  auch  ein  vorzügli^er  Stilist,  dessen 
klare,  ebenmäCsige  und  dabei  belebte  Darstellung  auch  dem  scnon  Be- 
kannten, ja  oft  Gesaeten  ein  neues»  gefälliges  Kleid  verleiht  Femer  aber 
will  Bradley  nicht  blois  über  Tatsachen  berichten,  nicht  blois  die  Ver- 
änderungen der  Sprache  und  deren  Ursachen  darl«;en,  sondern  auch  ab- 
schätzen, wie  weit  diese  Veränderuneen  der  englischen  Sprache  als  Werk- 
zeug des  Gedanken-  und  Gtofühlsausaruckes  zum  Vorteil  <Kler  zum  Schaden 
gereicht  haben  (S.  14).  Dabei  nun  tritt  ein  feines  Empfinden  für  sprach- 
lidie  WirkunjB|en  sutage  und  eine  Objektivität,  die  sehr  wohltuend  von 
'^ier  vielfach  üblichen,  einseitigen  Verherrlichung  des  Englischen  absticht 

Dies  zeigt  sich  gleich  bei  Besprechung  eines  der  cluirakteristischsten 
Züge  der  englischen  Sprachentwicklung,  der  Beseitigung  der  Flexions- 
endungen»   Bradley  sieht  darin  mttürUoh  niehty  wie  die  ältere  ^rach- 


Beurteilungen  und  kurze  Anseigen.  415 

lonchiing  TO  kin  geneigt  war,  einen  Verfäll  der  Spräche' tlberhsupt,  uoit- 
dem  weui9  die  Vorteile  des  aniüvtkcfaen  Spradibaues  sehr  woU  zu  wür- 
digen. £r  ^^Attt  dafür  einige  glückliche  Wendungen,  die  Terdienen,  be- 
sonders anffefimrt  zu  werden.  Die  Grammatik  des  Keuenglischen,  aaet 
er  S.  n,  'does  not,  as  it  does  in  purely  inflezional  Janguages,  obtrude 
itsetf  on  the  attention  where  it  is  not  wanted'.  Die  Sprache  habe  den 
eigenartigen  Vorteil  einer  'noiseless  grammatical  machinery' (eh.).  -  Aber 
auf  der  ande(;,en  Seite  übersieht  er  nicht- die  Kachteile  dieser  Ektwicklung 
und  macht  AuXserungen,  die  ein  Auslftnder  nicht  wagen  dürfte,  ohne 
von  den  meisten  Engländern  echaife  Zurückweisung  zu  erfahren,  die 
allerdings  auch  eine  so  intime  Sprachkenntnis  voraussetzen,  dals  sie  nur 
im  Munde  eines  Engländers  als  yollwertig  erscheinen,  dürften.  Bradley 
-gesteht,  da&  der  englisch  Schreibende  oft  oesondere  Sorgfalt  daxauf  Tor^ 
wenden  mufs,  um  nicht  in  Zweideutigkeiten  zu  /verfallen,  weil  vielfadi 
Nomen  undVerbum  und  bei  diesem  wieder  der  Infinitiv  und  die  meisten 
Präsensformen  äufserlich  nicht  geschieden  sind.    Häufig  müsse  der.  Un- 

Seübte  einen  Satz,  der  seinen  Gedanken  genau  wiedergibt,  ändern,  um 
ieser  Gefahr  zu  entgehen.  Diese  wachse  bei  der  Verwendung  von  In^ 
Versionen,  die,  geechkskt  verwendet,  die  £[raft  und  Schönheit  des  Aus- 
druckes so  sehr  steigem:  dann  könne  leicht  Subjekt  und  -  Objekt  ver- 
wechselt werden.  Besonders  bemerkenswert  ist  aber  das  Gtostänonis,  dals 
auch  für  die  Engländer  vieles  in  ihrer  Poesie  beim  ersten  Lesen  dunkel 
iat^  weil  die  Dichter  durch  den  Bau  ihrer  Sprache  gezwungen  waren,  ent- 
weder auf  Durchsichtigkeit  oder  auf  Nachdruck  und  Schönheit  zu  ver- 
achten. Viele  derartige  Stellen  würden  aber  vollkommen  deutUoh,  weäli 
man  sie  wörtlich  ins  Lateinisdie  oder  Deutsche  Ü^bersetze  (S.  75).  Solche 
freimütige  Äuüsernngen  sind  au  sich  erfreulieh  und  wissenschaitlich  von 
hohem  Wert,  weil  sie  eine  Charakteristik  des  tatsächlichen  Spradizustandes 
enthalten.  Sie  zeigen  ganz  schlagend,  dals  Jespersen,  obwohl  von  einem 
sehr  riditigen  GrundgSiäBken  ausgeheild,  in  seiner  Verherrlichung  des 
ftnaly tischen  Sprachbaues  doch  etwas  zu  weit  gegangen  ist  (^Progress  in 
Language',  London  1894). 

Audi  den  ungeheuren  Wortschatz  xies  Englischen  weils  Bradley  jruhig 
und  unbehingen  zu  würdigen.  Er  hebt  seinen  Umfang  gebührend  hervor, 
«her  er  behält  dabei  im  Auge,  dals  nicht  ein  Viertel  der  Wörter,  die  in 
den  Wörterbüchern  stehen,  der  grofsen  Masse  gebildeter  Leser  wirklleh 
geläufig  smd  ('reallj  famitiar*,  S.  105). 

Dafs  alles,  was  Bradley  sa^,  wissenschaftlich  gut  fundiert  ist,  ver-, 
steht  sich  von  selbst  Nur  einigen  allgemetnen  Ausführungen  muls  ich 
die  lebhaftesten  Zweifel  entgegensetzen.  Wir  finden  hier  die  seit  Grimm 
öfter  ausgesprochene  Ansicht  wieder,  dals  die  rasche  Vereinfachung  der 
ursprünglidien  Flexion  mit  der  in  England  eingetretenen  Bassenmisdnmg 
•  Busammenhänge:  Bradley  will  :in  ihr  wenigstens  eine  Ursache  sehen  und 
bildet  freilidi  diese  L^e  etwas  feiner  aus  (S.  25  ff.).  Er  wdst  darauf 
hin,  dals  für  den  praktischen  Sprachgebrauch  im  Alltaffsleben  vielfach  die 
Wortstämme  genügen,  wie  etwa  Ennänder  in  Deutschland  leben  und  g^t 
durchkommen,  ohne  sich  viel  um  die  Endungen  ..der  Adjektiv-  und  Süb- 
stantivflexion  und  des  Artikels  zu  kümmern.  Ähnlich  ungefähr  hätten 
sich  die  Stämme,  welche  in  England  nach  den  Angelsachsen  eindrangen, 
namenüich  die  Dänen,  den  Einheimischen  gegenüber  veshalten;  diese  hätten 
zunächst  im  Gespräch  mit  ihnen  den  Gebrauch  jener  Endrm^,:  die  den 
Fremdlingen  schwer  fielen,  vermieden,  und  schhelslich  sei  dieser  Brauch 
verallgemeinert  worden.  An  einen  solchen  Vorgang  vermag  ich  nicht  zu 
glauben,  solange  nicht*  aus  der  G^egenwart  sichere  Parallelen  beigeblacht 
werden.  In  Österreich  gibt  es  viele  Gegenden,  wo  Deutsche  und^  Slawen 
nebendnander  wohneti  und  letztere  das  Deutsch  nur  radebrechen:  von 
einem  Einfiufs  dieser  Bedeweise  auf  die  Formenlehre  dec>  betreffenden 


416  Beurteiluog;«!  und  kurze  AnzeigeD. 

dvtttschen  Dialekte  ist  aber  nichtB  bekannt.  Auch  an  dae  Pidgin-Engiiadi 
^arf  man  nicht  etwa  denken:  bei  ihm  handelt  es  sich  um  liuitliohe  Ver- 
änderungen  und  Wiedergabe  einer  fremden  inneren  Sprachlorm  durch  eng- 
liachee  Wortmaterial,  kerne  Vereinfachung  der  Formenlehre  in  dem  Sinne, 
wie  hie  sich  im  11.  und  12.  Jahrhundert  vollzieht.  Eher  scheinen  sich  ja 
bei  Rassenmiflchung  lautliche  Tendenzen  zu  übertragen  und  eine  neue 
Fftrbunff  der  Lautgebung  herrorzurufen,  wie  man  abämals  beim  Zusam- 
mentrenen  Ton  Deutschen  und  Slawen  beobachten  kann. 

Dazu  kommt  nodi  eine  Erwägung.  Es  ist  eine  bekannte  Tatsache, 
dais  die  Kinder  von  Eingewanderten  immer  der  ortsüblichen  Sprechweiae 
zustreben,  keinesweffs  der  ihrer  Eltern,  und  sich  jene  in  der  Kegel  yoU- 
kommen  andgnen»  In  Wien  leben  viele  zugewanderte  Tschechen,  die  mit 
der  deutschen  Formenlehre  und  Sjntax  auf  dem  gespanntesten  Fulse 
atehen;  ihre  Kinder  dage§^  sprechen,  wenn  sie  nicht  etwa  künstlich  von 
der  Berührung  mit  Eimietmiscnen  femgehalten  werden,  den  rdnsten  Wie- 
ner Dialekt.  Auch  die  in  England  seborenen  Nachkommen  der  eingewan- 
derten Dänen  werden,  sobald  sie  üb  Kinder  überhaupt  Englisch  lernten, 
sich  dieselbe  Sprechweiae  wie  die  einheimischen  Kinder  angeeunet  und 
keineswegs  ihre  radebrechenden  Eitern  nachseahmt  haben.  Allerdings 
tagen  die  Verhältnisse  in  Elngland  insofern  an&rs,  ds  die  Dänen  vielfadi 
die  herrschenden  Kreise  bildeten  und  manche  Aneelsachsen,  wie  uns  aus- 
drücklich bezeugt  ist,  sie  in  Sitten  und  Qebräucnen  nachahmten.  Dies 
mag  sich  sehr  wohl  auf  die  Sprechweise  ausgedehnt  liaben,  so  daCs  rä- 
celne  An^^achsen  in  der  Tat  das  Badebrechen  der  Dänoi  übernahmen. 
iQb  aber  ihre  Anzahl  und  ihre  Bedeutung  grofs  ffenus  war,  um  die  Masse 
der  Einheimischen  in  ihror  Sprechweise  dauema  zu  beeinflussen,  scheint 
-mir  doch  sehr  zweifelhaft  und  wenn  Bradley  darauf  hinweist,  daXs  gerade 
in  den  von  Dänen  besiedelten  Gebieten  die  Formenabschleif ung  am  rasche- 
sten sich  vollzieht,  so  ist  zu  erwidern,  dals  schon  vor  der  Zeit  der  Dänen- 
niederlassungen die  anglischen  Dialekte  eine  stärkere  Auflösung  der  alten 
Formensysteme  aufweisen  als  das  Westsächsische  und  Kentische  und  da- 
durch die  mittelenglischen  Verhältnisse  hinreichend  erklärt  sind. 

Auf  der  anderen  Seite  ist  auch  zu  erwäg^i,  dals  das  Niederdeutsche, 
speziell  das  Friensche,  in  bezug  auf  Formenabschldfung  dem  Englischen 
sehr  nahe  kommt,  während  die  Träger  dieser  Dialekte  am  allerwenigsten 
Bassenmiachung  durchgemacht  haben.  Wir  haben  also  gar  keinen  AnlaCs, 
diesen  Erklärnngsgrund  fürs  Englische  heranzuziehen.  Schlielislich  sei 
noch  auf  die  diese  Frage  berührenden  Darlegungen  Hempls  *  und  Jesper- 
sens'  verwiesen,  welche  ebenfalls  nicht  zugunsten  Bradleys  sprechen. 

Wi6  zwei  Spracheu  aufeinander  wiricen,  denkt  er  sidi  ferner  aber 
auch  das  Verhältnis  zwischen  zwei  verschiedenen  Dialekten  derselben 
Sprache,  die  in  der  Flexion  nicht  übereinstimmen.  Im  Verkehr  mit  einem 
Vertreter  des  anderen  Dialektes  sei  beim  Sprechendai  ein  gewisses  Zögern, 
eine  Unsicherheit  bezüglich  der  Endungen  entstanden,  und  das  habe  zu 
undeutlicher  Aussprache  und  schlieTsBch  zum  völügen  Abfall  geführt 
(S  28).  Hier  gelten  dieselben  Einwände  wie  früher  in  noch  höherem 
Malse.  Ein  sofoher  Voigang  setzt  übrigens  eine  OberlM;ung  oder  doch 
eine  Feinfühligkeit  und  Bücksichtnahme  auf  selten  des  Sprechenden  vor- 
aus, die  nur  einzelnen  eigen,  und  die  im  Verkehr  mit  Landsleuten  am 
seltensten  sein  wird.  Wieder  möchte  man  Beispiele  aus  der  Gegenwart 
sehen:  ich  daube,  es  werden  sich  keine  finden. 

Von  Emzelheiten  sei  erwähnt,  dafs  Bradley  öfter  die  'leichtere'  Aus- 
sprache als  Erklärungsffrund  für  das  Siegen  oder  Beharren  gewisser  For- 
men heranzieht  (S.  51  n.).    Leicht  ist  aber  dem  Sprechenden  immer  das 

'  TrantacHont  ofthe  Ameriean  FhOologieal  Ataociation  XXIX  (1898)  81  ff. 
*  JEngU  SUuUm  XXXV  (1905)  12  ff. 


Benrteilungen  und  kurze  Anzeigeo.  417 

Gewolinte,  schwer  das  Uuffewolmte  (Sievers,  I^um,'^  §  726).  Dagegen  wird 
in  den  von  Bradley  angeführten  Fällen  die  Kürze  das  Ausschlaggebende 

Siwesen  sein.  Vermilst  habe  ich  einiee  Worte  über  das  Aufkonunen  der 
ativumschreibnng  mit  to,  nachdem  die  Gtonetivbildung  mit  of  behandelt 
worden  ist  (8.  59).  Bei  der  Besprechung  des  attributiven  Gebrauches  des 
Substantivs  hatte  der  'level  stress'  mit  Nutzen  herangezogen  werden  kön- 
nen (8.  64).  Ahim  (8.  81)  gdiört,  wenigstens  nach  dem  Material  des 
NJED»  und  unserer  anderen  Behelfe,  nicht  zu  den  Lehnwörtern,  die  die 
Angelsachsen  schon  vom  Kontinent  mitbrachten.  Hat  etwa  Bradley  noch 
nicht  bekannte  Belegje  für  das  Gejgenteil? 

Das  Buch  ist  sicherlich  geeignet,  al^emein  Gebildete  für  die  Ge- 
schichte des  Englisdien  zu  interessieren.  Aber  audi  der  Fachmann  wird 
daraus  mancher^  Anregung  schöpfen,  insbesondere  aber  der  Studierende 
eine  vorzügliche  Übersicht  über  die  Grundtatsachen  der  englischen  Sprach- 
entwicklung und  viele  ihrer  Probleme  gewinnen.  Für  uns  Nichteneländer 
werden  namentlich  auch  die  vielen  feinsinnigen  Bemerkungen  im  Kapitel 
über  Bedeutungswandel  förderlich  sein.  Fernes  Sprach^Sühl  und  um- 
fassende Sprachkenntnis  äufsert  sich  femer  in  den  BemeAungen  über  die 
Lieistungen  der  einzelnen  Autoren  für  die  Sprachentwicklung  (S.  215  ff.) 
oder  auch  in  denjenigen  üb^  ihr  Verhalten  gegenüber  Kompositionen 
(8.  126  fL).  Wir  können  uns  freuen,  ein  so  ausgezdchnetes  Büchlein  zu 
besitzen. 

Graz.  K.  Luiok» 

Moritz  Trautmana,  Das  Beowulflied,  als  Anhang  das  Finn- Bruch- 
^ück  und  die  Waldhere- Bruchstücke,  bearbeiteter  Text  und  deutsche 
Übersetzung  (Bonner  Beitrage  zur  Anglistik,  Heft  XVI).    Bonn  1904. 

Diese  Beowulfausgabe  verdankt  ihre  Entstehung  der  Überzeu^unff  des 
Verfassers  (Vorw.  8.  V),  da(s  'die  Handschrift  von  groben  Schreibfehlern 
wimmelt  und  sich  schon  dadurch  als  unzuverlässig  erweist.  Doch,'  heifst 
es  weiter,  'auch  an  sehr  vielen  Stellen,  an  denen  die  Fehler  nicht  sofort 
in  die  Augen  springen,  ist  der  Text  ohne  Zweifel  verderbt  Der  Beowulf 
ist  ein  klassisches  Werk,  ein  Gipfel  der  Kunst  seiner  Art;  daher  sind  wir, 
wo  wir  auf  schiefen  Ausdruck,  Unklarheit  des  Gedankens,  Widersprüche, 
stilwidrige  Wendungen,  unbeleebare  Satzfügungen  stolsen,  berechtigt  und 
▼erpflichtet,  fehlerhäte  Überlieferung  zu  vermuten  und  auf  Besserung  zu 
denken.' 

Man  kann  über  die  Prämisse  dieser  Thesen  yerschiedener  Ansicht  sein, 
'Gipfel  der  Kunst  seiner  Art'  ist  auf  alle  Fälle  ein  vergleichender 
Ausdruck.  Und  wo  sind  die  verglichenen  Objekte?  —  'Ein  klassisches 
Werk?'  Soll  das  heUJsen:  ein  in  sich  vollendetes  Werk?  Dann  dürfen 
wir  das  Wort  auf  den  kompositionell  so  schwachen  Beowulf  ^wils  nicht 
anwenden.  Aber  dem  sei,  wie  ihm  wolle.  'Widersprüche,  stilwidrige  Wen- 
dungen' etc.  dürfen  wir  gemis  verbessern.  Es  müssen  nur  Widersprüche 
und  stilwidrig  Wendungen  sein.  Denn  dafür  gilt  das  Wort  ten  Brinks: 
'£s  kommt  nicht  darauf  an,  auf  die  bequemste  Art  und  Weise  einen  les- 
baren Text  herzustellen,  sondern  vor  allem  darauf,  der  Überlieferung  einen 
Sinn  abzugewinnen  und  in  den  Prozeüs  ihrer  Entstehung  eiozudringen.' 
Dais  Trautmann  das  nicht  für  nötiff  hält,  darüber  hat  Sieyers,  Beür,  '^29, 
8.  307  ff.,  schon  ein  Urteil  gefällt,  aas  der  Sache  nach  wohl  nirgends  auf 
Widerspruch  stolsen  wird.  Dafür  bietet  nun  auch  diese  neue  Ausgabe 
Beispiele  über  Beispiele.  Warum  'hiefse  es  den  Dichter  beleidigen,  wenn 
man  annehmen  woUte,  dals  so  törichte  Einschiebsel  wie  eeg  w<b9  iren  von 
ihm  selber  herrührten'?  Strotzt  nicht  z.  B.  auch  das  Nibelungenlied  von 
Parenthesen,  wo  man  es  aufschlägt,  wie  V.  621,  782»  1437,  1501,  1508, 
1625, 1878,  von  denen  manche  nicht  geistreicher  sind  als  die  obige?    Von 

AidiiT  U  flu  Spnehen.    GXV.  27 


418  Bearteflungeii  und  kune  Anzagen. 

anderen  mhd.  Gedichten  gar  nicht  zu  reden,  wie  E5nig  Bother  (vergL 
J.  Wiegand)  Stüütisehe  Unterstushungm  xum  Bßmg  Bother,  Marburg  1904, 
8.  4  ff.).  Zu  welch  areer  Mi&handlung  des  Textes  Trantmanns  Ver* 
nichtungskampf  gegen  die  Parenthesen  fOhrt^  dafür  gewährt  V.  1509  {ke 
paa*  modig  teaa)  ein  gutes  Beispiel.  Hier  wird  verändert  in:  Swa  ke 
ne  mihie  no,  hs,  pcem  munle  weesy  'er,  dem  Verlangen  war*.  Eine 
solche  Eonstraktion,  Wiederaufnahme  des  Subjekts  durdi  das  Pronomen 
zwecks  Anhängung  eines  Belatiysatzes,  ist  für  den  Beowulf  gsnz  unerhört 
Cvgl  meme  'Saixverknüpfung  im  Beowulf'  §  24—28),  und  idi  zweifle,  ob 
Tniutmann  in  den  noch  versprochenen  Erläuterungen  dazu  wird  Parallelen 
beibringen  können.  Ebenso  geht  es  mit  der  Ersetzung  einzelner  Worte 
durch  andere.  Warum  wird  v.  275  dad^uUa  durch  dead-aoctda  ersetzt? 
Wir  haben  dced-bäa,  dad-bana,  dcadseua,  und  das  Wort  gibt  vortrefflichen 
Sinn.  Warum  ist  V.  276  purh  egsa/n  verbessert  in  afsiut  Man  könnte 
auf  den  Qedanken  kommen,  Trautmann  übersähe,  dafs  ^wrh  auch  zum 
Ausdruck  der  'aecompanving  eircumstanees  of  an  action*  (Boeworth-Toller 
S.  1078)  dient,  wie  Seefahrer  88  u.  Ö.  Oder  warum  wird  wcspmim  ge- 
umrdad  :i31  in  bewadaä  umgeändert?  Exod.  580  gab  ja  die  schönste  Pa- 
rallele an  die  Hand !  Warum  wird  das  Wort  dol-aeeaäün  V.  479  entfernt  ? 
Ist  es  etwa  nicht  fi;enügend  belegt?  (vergl.  B.-T.  206,  2i)7).  Ebenso  li^ 
anf  der  Welt  kein  Grand  vor,  simdoT'-nytte  V.  667  zu  entfernen,  wir  habäi 
ja  entsprechendes  sundor-geeundy  sundar-gifu,  aundar^umndor.  V.  711  wird 
uns  von  Orendel  gesagt:  goaes  yrre  hcsr.  Das  ist  ohne  weiteres  v^tänd- 
lieh  und  wäre  es  auch,  wenn  wir  die  Parallelen  Genes.  695  und  Phon.  408 
ji{cht  hätten.  Denn  Grendel  wird  immer  unter  dem  Bilde  des  Teufeis 
angeschaut,  weswegen  auch  Trautmann  V.  101  on  hdU  nicht  in  on  heaUe 
zu  verändern  braucht,  godes  ondsaea  heifst  er  V.  1682.  Also  11^  nicht 
die  leiseste  Veranlassung  vor,  godes  yrre  in  gud-^grre  zu  ändern.  Das- 
selbe gilt  von  deofla  756  (Tr.  deop).  Wozu  wird  V.  828  furdum  in 
fttrdur  verändert,  wenn  es  V.  2009  stehen  bleibt?  Y^  auch  ein  ge< 
leg^itliches  Ic  furdum  ongan  —  I  firet  began  im  Guolac.  Warum  on- 
brced  ßa  V.  728  in  onbreäde  verändert  wird,  ist  nicht  einzusehen,  vgl. 
V.  1664.  Aber  es  ist  eine  undankbare  Arbeit,  alle  diese  Fälle  aufzufüh- 
ren. Auffallend  sind  auch  gelegentlich  die  Inkonsequenzen  des  Heraus- 
gebers. V.  126U  wird  hinter  Ofmdles  modor  statt  se  ße  die  Form  seo  ße 
eingesetzt,  aber  V.  1892  und  1394  steht  sanz  munter  wieder  he.  ün- 
bej^^iflich  ist  auch  die  Nichtachtung  der  übrigen  Beowulf-Literatur  durch 
den  Herausgeber.  Dalis  zu  V.  31  Eocks  Auffassung  (Anglia  27,  S.  222)  nicht 
angegeben,  liegt  wohl  an  dem  ungefähr  gleichzeitigen  Erscheinen.*  Aber 
man  xann  nicht  mehr  gut  V.  68  £  einsehen,  wenn  man  Pogatschers  Auf- 
satz, Anglia  23,  261  ff.,  gelesen  hat.  Wie  man  noch  an  dem  ponne  V.  70 
Anstols  nehmen  kann,  wenn  man  die  Beispiele  in  Ck>sijns  Äai/Ue^ceningen 
für  diesen  Gebrauch  gesehen  hat,  begreife  ich  ebensowenig.  Ist  Traut- 
mann femer  die  Bedeutuuff  von  ba  =  'weil'  unseläuflg,  dals  er  201  pa 
in  be  ändert?  Nach  Necxels  'altgermanischen  Kelativsätzen'  wird  man 
auch  V.  1000  kaum  mehr  für  be  das  Wort  ßa  einsetzen  und  das  pcer 
y.  286  nicht  mit  'wo  er*  wiedergeben.  Nach  dem  eben  angeführten  Aunatz 
von  Poeatscher  wird  man  audi  gut  tun,  1291  pa  kine  wiederherzustellen 
und  nioit  be  {hine)  lesen.  Das,  was  Trautmann  selbst  BBxA.  II,  S.  169 
über  pcU  V.  22  bemerkt  hatte  und  was  von  Eock  in  den  Englieh  Rd, 
I^an,,  Land  1897,  in  einen  grölseren  Zusammenhang  eingestellt  war  — 


^  Ptun  MS  Ar  pat  erklärt  sich  aas  irrtamlicher  Vorwegnähme  des  folgenden  wt, 
*  Das  von  mir  {*SaiMMrbHäp/umg'  §  STA  Anm.  1)  geltend  gemachte  metrische 

Bedenken  sei  hiermit  ala  ein  Versehen  beim  eiligen  BinBetaen  der  Korrektnmote 

berichtigt 


Benrteilungen  und  kurze  Anzeigen  419 

T^L  auch  'Satxverhnilpfimg'  S.  182  —  hat  er  nun  mittlerweile  glücklich 
wieder  umgestofBen.  v.  649  odde  in  ond  pa  zu  verwandeln ,  hdOst  der  Be- 
deutung Yon  oääe,  wie  sie  Bugse  feetgeetelit  Jiat,  einfach  nicht  ^recht 
werden  (yergl.  *Sai%verknüpfw^  §  48).  Die  Änderung  von  pcer  m  bcet 
Y.  852  rechnet  nicht  damit,  dau  pcer  auch  =  'als'  sein  kann.  (Ebenoort 
S.  55.)  V.  1247  ist  Trautmann  wohl  die  Bedeutung  von  oft  =  <u  a  rtde 
nicht  gegenwärtig  (yel.  Kock  a.  a.  O.,  schon  Heyne-Sodn  zu  oft  V.  1248 
und  188S).  Ebenso  das  yon  Oosijn  erschlossene  'denn'  fflr  ae  V.  1576. 
Die  Änderung  in  *Moa'  ist  hier  gänzlich  unnötig.  V.  617  yerändert  Traut- 
mann hliäne  m  blidsan,  aber  ausgelassenes  trMon  finden  wir  häufig  (vgL 
V.  2661,  1858,  1785,  2363).  ^  Das  sind  nur  ganz  wenige  von  den  vielen 
Fällen.  Im  ganzen  kann  man  sagen,  dais  die  neueren  Emendationen  bei 
Trautmann  ganz  unberücksichtigt  geblieben  sind.  Schlimmer  schon  sind 
nun  die  Fälle,  in  denen  die  'Besserung*  Fehler  enthält  Wenn  in  para 
pe  das  bara  V.  98  gestrichen  wird,  so  ist  das  ein  Verstols  gegen  den 
Beowul^brauch,  in  dem  auf  gehwjle  immer  para  pe  folgt  (vj^.  *Safy[^ 
verknüpftmg*  §  27,  einmal  swa).  Durch  die  Besserung  V.  62  wird  ein  ein- 
gegUederter  o^-Satz  herausgebracht.  Eingegliederte  od-patSeitze  kommen 
sonst  im  Beowulf  nicht  vor,  einfache  o^- Sätze  gleichfalls  nicht  (S.-V. 
§  7).  Das  broe  statt  bot  V.  281  ist  wohl  in  bröe  zu  ändern.  Ich  be- 
zweifle auch  die  Möglichkeit  des  Ersatzes  der  alten  Grundtwigschen 
Fassung:  for  were  —  fyhtum  pu  ,.,  Beowulf  . . .  tme  eohteai  durch  das 
Trautmannsche :  Fbr  gewyrhtum  . . .,  gewyrht  ist  ein  spMSzifisch  christliches 
Wort,  mit  dem  auch  fast  immer  der  B^riff  des  Präteritalen  verknüpft  ist, 
e»  wird  fast  stets  von  den  (guten)  'Werken'  gebraucht  Sicher  ist  die 
Änderung  hleodor  V.  497  für  hador  falsch.  Trautmann  übersetzt:  'Ein 
S|>ielmann  sang  zuweilen  ein  Lied  in  Heorot'.  Aber  hleodor  heifst  nicht 
'Lied'.  In  Trautmanns  eigenen  BBx^A,  IV  gibt  Padelford  dafür:  melody, 
tnusie,  tone  {voiee,  eound,  noüe).  Auf  sonüus  weisen  auch  die  germanischen 
Verwandten  des  Wortes.  Am  nächsten  kommt  Wukiä  105  der  Bedeu- 
tung 'Lied',  aber  die  anderen  Fälle  zeigen  auch  hier  die  eigentliche  Bedeu- 
tung ganz  klar.  Dem  gegenüber  ist  hador  ganz  ohne  £}inwand  (v^l.  Elene 
748  u.  ö.).  ah  587  kommt  sonst  im  Beowulf  nicht  vor.  Für  die  Wort- 
stellung <B/ier  gum-eynnum  gyfheo  gyt  lyfaä  V.  944  würde  Trautmann  gut- 
tun, eini^  Parallelen  beizubringen.  Der  Vorschlag  *ond  statt  aoV  V.  1448 
erledigt  sich  durch  das  S.-V.  S.  92,  Z.  8  v.  u.  bemerkte.  V.  1587  ist  statt 
eaade  Riegers  Änderung  feaxe  aufgenommen.  Aber  jemanden  an  den  Haaren 
achwin^n,  dafs  er  zu  Boden  fäflt?  Da  eignet  sich  doch  wohl  die  Achsel 
zum  Ringen  besser.  —  Manchmal  schläft  freilich  auch  der  gute  Homer, 
aber  die  Sentooz  V.  2029  Deah  seldan  war  mfter  leod-hryre  'ein  Friede- 
vertrag taugt  selten  nach  Menschenfall'  ist  doch  wohl  zu  albern,  als  dafe 
wir  sie  dem  Beowulf  zutrauen  könnten.  Qibt  es  auch  in  iener  Zeit  einen 
Friedensvertrag  ohne  'Menschenfall'?  Zu  dem  Vorschlag  eeo  pebone 
gotnelan  V.  2421  ist  zu  bemerken,  dafs  im  Beowulf  niemals  eine  Form 
von  se  ^  mit  einer  Form  von  se  unmittelbar  zusammentritt,  diese  Wort- 
folge vielmehr  offenbar  eemieden  wird  (einmal  tritt  eepe  und  pea  zu- 
sammen in  V.  2252,  ßarc^  pis  lif  ofgeaf).  Ich  glaube,  den  Euphuismus 
feoht'leas  gefeoht  'kampfloser  Kampf  trauen  wir  dem  Angelsachsen  besser 
nicht  zu,  V.  2441.  Die  Besserung  V.  x777  biü  after  geetread  wird  schon 
durch  die  Erzählung  selbst  als  unrichtig  dargetan.  V.  2800  ist  nuna 
eine  sonst  dem  Beowulf  unbekannte  Form.  Zu  dem  Vorschlag  ^nu  statt 
ae^  V.  2850  ist  zu  beachten,  dafs  nu  im  Beowulf  noch  ausscnliefslich 
in  der  Bede  erschdnt  im  direkten  Bezug  auf  die  Gegenwart  (vgl.  S.-V. 
§  2).  Warum  die  Lesart  ymb  toean  apreean  V.  8172  (statt  ymb  wer  apre*- 
ean)  nidit  richtig  sein  kann,  dafür  hoffe  ich  die  Gründe  in  einem  in  Vor- 
bereitung befindlichen  Aufsatz  über  das  angelsächsische  Totenklaeelied 
daizutim.  Ebendort  hoffe  ich  das  ^ridend  »wefad'  von  V.  2457  zu  erklären, 

27» 


420  BeurteUüngen  und  kurze  Ansdgon. 

für  das  Trantmann  rtdmd/&  swefeä  dnsetzt.  Bei  V.  2215  ist  freilich  der 
Text  arg  zerstört,  aber  darin  Btimmen  doch  alle  Berichte  über  die  Ha. 
überein,  dala  man  noch  ein  d  sehen  kann  (yerffl.  Heyne-Sodn,^  8.  107). 
Trantmanns  E^endation  der  Stdle  kümmert  8i(»i  nicht  darum. 

Mit  der  Aufführung  dieser  Tatsachen,  die  nur  ein  kleiner  Bruchtdl, 
vielleicht  kaum  ein  Zehntel  der  Fälle  sind,  die  angeführt  werden  könnten, 
mnls  ich  befürchten,  von  Trautmann  in  die  IClasse  derer  eingereiht  zu 
werden,  die  'mit  gänzlicher,  textkritischer  Unfruchtbarkeit  geschlagen' 
sind,  wobei  ich  midi  denn  wenigstens  in  «inz  guter  Gesellschaft  befinde. 
Auch  der  Hinweis  auf  önige  von  mir  in  der  *SoUx/tferkn4ipfung'  versuchte 
Besserunesvorschläge  würde  mir  da  wohl  wenig  helfen.  Nun  ist  es  ja 
aber  freiuch  nicht  zu  leugnen,  daft  im  Beowulf  eine  ganze  ßdhe  Stellen 
anders  zu  lesen  oder  zu  ü^rsetzen  sind.  Das  wM  unhalo  bei  8ocin  V.  120 
ist  z.  B.  offenbar  falsch  mit  *Dämon  des  Verderbens'  als  Subjekt  des 
folgenden  Satzes  gefalst  Aber  für  Trautmanns  Fassung:  Wiht  onhale 
scheint  mir  noch  weniger  zu  sprechen  (=  der  unheimliche  Wicht).  Wthi 
wird  Überhaupt  von  Qrendel  nie  gebraucht.  Man  hat  offenbar  das  Gkmze 
als  Variation  zu  sorge  zu  ziehen,  =  irgendein  Unheil'.  So  Uest, 
wie  ich    nachtri^lich  sehe,  schon  Bosworth- Toller  1118   und  gibt  eine 

giille  Beispiele  rar  wiht  mit  Genit  Der  nach  Sievers  'allein  möglichen 
bersetzung'  von  hü  myne  169  scheint  mir  doch  die  von  Bosworth- 
Toller:  hü  purpase  vorzuziehen.  Kaum  diskutabel  dünkt  mich  aber 
V.  518  wehtan  statt  ßehtan.  Das  letztere  ist  anschaulicher,  das  erstere 
scheint  mir  dem  ags.  Sprachgebrauch  zu  widersprechen,  der  weeean  = 
aaüare,  movere  nur  gebraucht,  wo  das  Bild  wirklich  am  Platze  ist,  von 
Regenschauer,  Sturm,  Wind  usw.  Trautmanns  Auffassimg  von  V.  668 
eoton  Ufeard  abad  ist  vielleicht  die  einfachste  Losung  der  Schwierigkeit. 
Seine  Besserung  des  vielbesprochenen  here^^üoemun  677  in  here-WiBpnum 
ist  dagegen  nur  möglich,  wenn  wir  'nicht  schwächer'  als  sehr  kühne 
Litotes  =  'stärker*  auffassen.  Die  Wiederherstellung  der  alten  Greinschen 
Fassung  ecyn-aoada  V.  707  findet  auch  Edward  Schröders  Beifall  (vgl. 
Z.  f,  d,  Ä,  43,  361  ff.).  Durchaus  diskutabel  erscheint  mir  auch  Traut- 
manns Auffassung  von  aoäe  gebunden  V.  871,  vor  das  er  einen  Punkt 
setzt.  Die  bisherige  Auffassung  davon:  'in  guten  alliterierenden  Versen' 
(S,  144  bei  Heyne -Socin)  ist  etwas  fantastisch.  V.  723  hätte  bemerkt 
werden  müssen,  dais  die  £rgänzunjB;  schon  von  Zupitza  herrührt.  Die 
Änderung  icigtim  Seyldinga  statt  trtnum  Scyldinga  V.  1418  ist  wohl  eine 
wirkliche  Verbesserung  (vgl.  die  anderen  Fälle  von  wine  mit  Gen.  PL). 
V.  2252  bin  ic^  mit  der  Sodnschen  Auffassung,  die  auf  den  himmlischen 
Saaliubel  gdit,  auch  nicht  einverstanden.  Aber  ^nutmann  ändert  zu 
radixal  geaawon  in  (ge)»eega  um.  Ob  wir  an  eine  Übernahme  des  nega- 
tiven Begriffes  aus  dem  vorhergehenden  Satz  zu  denken  haben?  Feh- 
lende NMration  im  Beowulf  ist  öfters  auffällig,  so  V.  649.  V.  2336 
heilst:  J»m  bae  guä-wmng,  Wedera  ptoden^  tcrace  leomode^  Trautmann 
setzt  dafür  leanode:  'lohnte  mit  Strafe'.  Er  knfipft  dabei  aq,  die  Be- 
deutung von  lean  =  Vergeltung  an.  Aber  mir  kommt  diese  Änderung 
unnötig  vor.  Freilich,  die  bisherige  Auffassung:  'der  Eampfkönig  ersann 
sich  dafür  Rache'  (Socin  S.  220)  erscheint  mir  gleichfalls  unrichtig.  Die 
Sache  liegt  vielmehr  so :  die  Begriffe  'lernen'  und  'lehren'  unterliegen  seit 
alter  Zeit  einer  Verwechselung,  die  durch  die  enge  Verwandtschaft  beider 
hervoi^rufen  wird.  Das  Dänische,  Schwedische.  HoUändische,  Nieder- 
deutsche kennen  ja  überhaupt  nur  'lehren'  für  beide  B^riffe.  Für  die 
deutsche  Sprache  wird  die  Verwechselung  'lernen'  für  'lebten'  als  'schon 
seit  alters'  bestehend  angegeben  (OrimmeStea  W'drterb,  Sp.  768).  Und  wenn 
leomian  in  der  Bedeutung  Ho  teaeh*  erst  me.  auftaucht,  wie  im  Oureor 
Mundi  19028,  Orm.  19613,  so  ist  das  nur  ein  neuer  interessanter  Beweis 
dafür,  wie  wenig  eigentlich  volkstümliches   Sprachgut  aus  ae.  Zeit  uns 


BeurteUungQQ  und  kurze  Anzeigen.  421 

überliefert  ist.  An  dieser  Stelle,  Beowulf  2386,  aber  haben  wir  ee  offenbar 
mit  kamian  =  'lehren'  zn  tun.  'Er  lehrte  ihn  Bache',  wie  ne.  yul^  Ho 
harn  hkn  a  le99on\  nhd.  in  bösem  Sinne:  'jemand  etwas  beibnnf[en'. 
Anderseits  ist  Sodns  'ersann  sich  daffir  Bache'  mit  l&ofniian  =  iODOogüare 
völlig  ohne  Parallelen.  Ebenso  natürlich  Greins  Auffassung  von  Mm  =  m. 
leomian  im  gewöhnlichen  Sinne  heiTst  nur  'to  leam,  to  study,  to  retÜP, 
Mit  Trautmann  bin  ich  femer  der  Meinung,  daCs  wir  in  V.  2667  bat  naron 
eaMrgeunfrkt  ursprünglich  eine  andere  Fassung  anzunehmen  haoen.  eaiA- 
amcyrkt  kommt  sonst  einmal  von  Adams  Taten  vor  (Er.  100),  es  peAt 
hier  schwerlich.  Vielleicht  haben  wir  an  der  Stelle  ein  ursprünglich  heid- 
nische Begriffe  widerspi^elndes  Wort  eald'Wyrda  anzunenmen  (fata  = 
wfrdeJui&t  es  in  den  Qlbssen). 

Ober  die  deutsche  Übersetzung  Trautmanns  läfst  sich  nicht  viel  Bflh- 

'Hall 


'ungesündigtes  Verbrechen',  'des  Eampfffirsten  Handarbeit', 
alles  das  ist  cein  Deutsch.  Das  after  symte  V.  1008  gibt  Trautmann 
durch:  'nach  der  Lust'  wieder.  Audi  Socin  fafst  es  merkwürdigerweise 
so  auf  (S.  266).  Es  ist  aber  offenbar  sowohl  aynUe  als  afler  Adverbium, 
und  die  Stelle  heilst:  'beständig  nachher'  wie  aymble  eoe  Ps.  110,  2  und 
a  synUe  Hy.  4, 114.  2077  lag  heiist  nicht  lag',  sondern  'fiel'.  Sind  Apfel- 
schimmel 'apfelgelb'?  (V.  2165).  Noch  vieles  derart  lielse  sic^  anführen. 
Und  schlieTslich  könnte  man  die  Frage  erörtern,  ob  eine  Übersetzung 
neben  dem  Text  zweckdienlich  ist  Für  den  Angelsächsisch  lernenden  und 
lesenden  Studenten  doch  wohl  sicher  nicht.  Denn  lernen  kann  man  eine 
tote  Sprache  nur  durch  Nachschlaffen  der  Worte  im  Lexikon.  Die  neben- 
stehende Übersetzung  wird  immer  dazu  verleiten,  ein  solches  Nachschlaffen 
zu  unterlassen.  Ahet  auch  all  der  anderen  angeführten  Mänffd  halber 
ist  diese  Beowulfausgabe  für  den  Gebrauch  des  Studenten  m.  jS.  wenig 
zu  empfehlen. 

Göttingen.  Levin  Ludwig  Schücking. 

Levin  Lndwig  Sohücking,  Beowulf s  Bückkehr,  eine  kritische  Studie 
(Studien  zur  englischen  Philologie,  herausgeg.  von  Lorenz  Morsbaoh, 
XXI).    Halle,  ^emeyer,  1905.    74  S. 

Schücking  packt  das  vielumstrittene  Problem  der  Beowulf-Entstehung 
an  einem  Zipfel,  der  in  der  Mitte  herausguckt:  an  der  Doppelerzählunff 
des  Grendelxampfes.  Die  zweite  Fassung,  wie  sie  Beowulf  selbst  nach 
der  Heimkehr  dem  König  Hyselac  vorträgt,  ist  ihm  'laoffweiliff'  und  von 
vornherein  verdächtig  als  ein  siSüechter  Kitt,  mit  dem  die  Grendelgeschichte 
und  die  Drachengeschichte  von  einem  dritten  aneinandergesetzt  wurden 
(S.  11).  Sie  sei  'erstaunlich',  besonders  weil  sie  erst  von  einer  Handtasche 
des  Grendel  berichtet,  um  überwältigte  Männer  hineinzustecken,  wägend 
der  Dichter  selbst  in  der  ersten  fitssung  davon  nichts  verriet  Über- 
haupt sei  eine  Ausmalung  von  Beowulfs  Heimkehr  unerwartet,  weil  seine 
Heimat  früher  nur  flüchtig  berührt  wurde;  'namentlich  knüpft  nichts  an 
ein  vorher  gegebenes  Momept  an;  die  einzige  auf  ein  Geschehnis  vor  der 
Abreise  Beowulfs  gdiende  Aulserung,  die  des  Hygelac,  dafs  er  dem  Beo- 
wulf stets  abgeraten  habe,  verträgt  sich  . . .  soffar  mit  dem  vorher{;ehen- 
den  schlecht  (V.  204)'.  Auf  Grund  dieser  Linalts-  und  Eompositions- 
Verhältnisse  schied  Schücking  V.  1888—2200,  d.  h.  alles,  was  zwischen 
dem  Abschied  Beowulfs  von  Hrothgar  und  dem  Anfange  der  Drachen- 
geschichte lio^,  aus  und  suchte  dann  nach  syntaktischen,  metrischen, 
stilistisdien  i^gimtümlichkeiten  dieser  Partie,  um  sie  als  'späteren  Zusatz^ 
zu  erweisen,  wobei  er  mit  rfihmlichem  Fleiüs  und  nicht  ohne  Vorsicht  zu 


428  BearteilimgQQ  und  kurze  Anzeigen. 

Werke  ging.  Dann  aber  wagte  er  noch  dnige  kfihne  Schritte,  unter 
Hinweis  darauf,  dab  die  Formel  niääan  arest  =  'sobald  ab'  nnr  in 
B(eowulfB)  B(i]ckkehr)  und  in  der  Einleitung  V.  6  erscheint,  schliebt  er 
auf  Beziehungen  zwischen  den  beiden  Partien,  und,  da  sie  beide  'kompo- 
sitionell  höchst  bedenklich'  seien,  auf  gleiche  Verfasserschaft  (8.  72).  Da 
femer  in  BB  zwei  Ausnahmen  im  Tempus-  und  Modussebrauch  (g^en  die 
oonsecutio  temporum  1928  und  die  Vorachrift  des  Opt.  nach  cer  2019) 
vorkommen  und  in  einem  historischen  Exkurs  der  Dracnengeschichte  2496 
eine  dritte  (gegen  die  consec.  temp.),  so  wird  auch  letzt^es  Stück  dem 
oben  erschlossenen  Nachdichter  zugewiesen,  zumal  es  einen  der  seltenen 
Fälle  von  'ßa  an  zweiter  Stelle  des  Satzes'  mit  BR  teilt  (S.  78).  Einige 
andere  historische  Abweichungen  gehen  mit  in  den  Handel.  Es  wird  also 
für  die  unprüufflich  separaten  Epen  von  Beowulf-Grendel  und  Beowulf- 
Drache  ein  E^nleiter,  Verbinder  und  Interpolator  aufgestellt,  ohne  An- 
spruch auf  vollstfindige  Heraussch&lung  seines  Anteils. 

Zu  dieser  nicht  wesentlich  neuen,  aber  neuartig  formulierten  Hypo- 
these ist  Schücking  offenbar  gelangt,  wdl  er  anläfshch  seiner  Studie  über 
die  Satzverknüpfunff  in  Beowulf,  Halle  1904,  mancherlei  üngleichmSTsig- 
keit  im  Gebrauch  der  Konjunktionen  bemerkt  hatte.  Die  Sprachbeobach- 
tnng  ging  voran;  sie  lieferte  bisher  ungebrauchte  Argumente;  mit  ihr  hat 
daher  auch  die  Kritik  einzusetzen. 

Was  Schücking  als  Spradiabsonderlichkdten  in  BR  bezeichnet,  zer- 
fällt in  zwei  Klassen:  in  'Waisen',  d.  h.  ganz  vereinzelt  auftretende  For- 
meln und  Fügungen,  und  in  Häufigkeitsstufen.  Bei  den  Waisen  kann 
der  Zufall  eine  grolse  Rolle  spielen;  Schücking  gibt  dies  selbst  zu  imd 
belegt  es  durch  interessante  Zusammenstellungen  (S.  55);  ich  möchte  daher 
auf  dies  Ejiterium  nicht  zu  viel  geben,  besonders  solanee  die  ae.  Svntaz 
der  erschöpfenden  Durchforschung  und  Sichtung  no^  sehr  entbehrt. 
Schücking,  der  sie  gewüs  gut  kennt,  stöfst  sich  z.  B.  an  ein  paar  Ver- 
letzungen der  consec.  temp.,  obwohl  es  deren  auch  sonst  in  ae.  Autoren 
manche  dbt;  ein  Fall  ist  aus  dem  poetischen  Guthlac  bekannt  {fusmg 
was  . . .  }{98  geom,  bai  he  bibugan  möge  837,  vgL  M.  Furkert,  1889,  S.  14) ; 
ein  anderer  aus  den  Blickling-Homilien  (L.  Kellner,  Engl  sunt,,  1892,  S.  231), 
mehrere  ans  Alfred  (htm  sealdeai  gemht  hutstes  . . .  beah  hi  his  de  ne  dan- 
den,  Wülfing  I^  150  u.  ö.).  Er  verzeichnet  es  als  eine  'Verletzung  der 
für  das  Got.  Ahd.  Mhd.  As.  geltenden  Regel',  dab  unterordnendes  esr  ein- 
mal mit  Indikativ  erscheint,  und  doch  belegt  es  Wülfing  II*  116  f.  aus 
Sachsenchronik,  Wulfstan  und  mehrfach  aus  Alfred.  Wir  haben  es  da 
wohl  eher  mit  stilistischen  Nuancen  als  mit  s^taktischen  Abnormitäten 
zu  tun.  Schückinff  selbst  wollte  sicherlich  semem  im  allgemeinen  recht 
gewandten  Nachdicnter  nicht  geradezu  Sprachschnitzer  vorwerfen.  —  um 
femer  seine  Behandlung  der  Häufigkeitsstufen  bei  gewöhnlichen  Wörtern 
nachzuprüfen,  gehe  ich  auf  das  ein,  was  er  S.  57  f.  über  ond  als  Eänfüh- 
rungskonjunktion  für  ein  neues  Subjekt  sagt.  Nach  seiner  'Satzverk. 
im  B.'  S.  82  erscheint  solches  ond  nur  an  folgenden  Stellen:  280,  393, 
690,  808,  924?,  1090,  1108,  1154,  1193,  1194,  1287,  1564,  1591,  1850,  1868, 
2066,  2100,  2105,  2139,  2208,  2388,  2449,  Dab  vier  von  diesen  Stellen 
in  BB  fallen,  findet  Schücking  sehr  hoch.  Obige  Liste  zei^  aber,  dafs 
sie  überhaupt  gern  gruppenweise  auftreten.  Gleicnes  ergibt  sich  aus  einem 
Verzeichnis  derselben  ond-Fälle  im  Andreas:  283  (346  gleiches  Subjekt 
wiederholt),  371,  399,  896  (1187  Subj.  wiederh.),  1193,  1208,  1224,  1280 
(1414  Subj.  wiederh.),  1635,  1644,  1719,  Die  kursiv  gedruckten  Zahlen  be- 
ziehen sich  auf  Reden;  in  erregter  Rede  oder  Be^hreibung  oder  beim 
Übergang  von  Erzählung  zu  dirdcter  Rede  steht  solches  ond  am  liebsten; 
ich  möchte  es  daher  als  ein  ßtilmittel  ansehen,  das  an  lebhafterer  Stim- 
QLune  hängt,  nicht  als  ein  Autorenkriterium,  das  an  einer  Person  haftet. 
AhnSches  gilt  von  der  Häufigkeit  der  Gegensatzpartikein ;    Schücking' 


BeuTteHiiogeD  und  Inirae  Anzeigen.  428 

findet  sie  wieder  in  BB  beachtenswert  (8.  5S);  die  £rUfinmff  traf  er  selbst: 
der  grölste  Teil  von  BB  ist  Bede,  nnd  wenn  der  Held  selbet  seine  Aben- 
teuer Torträet,  ist  der  Stil  natürlich  wfirmer,  als  wenn  sie  blols  der  Epiker 
erzählt.  —  Anderes  ScheidungBmaterial  sprachlicher  nnd  auch  metrischer 
Art  hat  bereits  Schfickine  nachgeprüft  und  als  schwach  dargetan;  es  be- 
hält Wert,  obwohl  in  anderer,  stiiffeschichtlicher  Bichtuns. 

Die  sachlichen  Argumente  Schückings  gründen  minder  tief.  Ob  es 
Zuhörern  des  7. — 8.  Jahrhunderts  wirklich  langwdlig  wurde,  den  Qrendel- 
kämpf  zweimal  zu  hören,  namentlich  wenn  neue  Züge  bei  der  zweiten 
Fassung  hinzukamen,  kann  man  bezweifeln ;  die  Versuchungen  des  hL  Guth- 
lac  wiederholen  sich  kaum  weniger,  und  in  der  afrz.  Epik  ist  bekanntlich 
die  Wiederholungsstrophe  ein  beliebter  Schmuck.  Dals  wir  auf  die  Hd- 
mat  des  Helden  von  BK  fast  nicht  yorbereitet  seien,  möchte  ich  angesichts 
der  mannigfachen  Erwähnungen  Hygelacs  im  Grendelteil  nicht  unter- 
schreiben; mehr  darüber  zu  sagen,  bevor  sie  zum  Schauplatz  wurde,  hätte 
kaum  der  altepischen  Kompositions  weise  entsprochen.  Die  Abgrenzung 
von  BB,  wie  sie  Schücking  vornimmt  (1880 — 2200),  ist  bedenklich,  insofern 
schon  vorher  der  Besuch  bei  Hygelac  ausdrücklich  angekündigt  wird  (im 
fundiaä  Hiaelae  seean  1820  f.),  und  insofern  kurz  darauf  an  Uygelac  er- 
innert wird  (ayädan  Hugeiae  lag  2202);  doch  fordert  die  Gerechtigkeit, 
beizufügen,  dals  Schücking  seine  Grenzlinie  wenigstens  nicht  als  absolut 
sidier  hinstellt.  Warum  der  Verfasser  von  BB  amser  dem  Grendelkampf 
auch  schon  den  Drachenkampf  vor  Augen  gehabt  haben  soll,  ist  bei 
Schückine,  sowdt  ich  sehe,  gar  nicht  begründet;  war  BB  eine  Nachdich- 
tung, so  brauchte  sie  lediglich  zur  Abrundunff  des  Grendelteils  zu  dienen. 
Hätte  endlich  gerade  dieser  Nachdichter  me  Einleitung  zum  Ganzen 
vorangestellt,  so  wäre  er  darin  wohl  eher  auf  den  ihm  vertrauten  Hygelac 
zu  sprechen  gekommen  als  auf  die  Dänen.  Im  sachlichen  Teil  hat  es 
sich  Schücking  entschieden  leichter  gemacht. 

Es  war  das  Unglück  des  Büchleins,  dafis  Schücking  bei  der  Darstel- 
lung von  der  etwas  raschen  Deutung  einer  sachlichen  Besonderheit  aus- 
gng,  um  sie  durch  formelle  Besonderheiten  zu  stützen.  Wäre  er  auf  dem 
Wege  geblieben,  den  er  beim  Forschen  befolgte,  so  hätte  er  eine  voll- 
ständigere und  geordnetere  Sammlung  der  syntaktischen  Schwankung««! 
im  Beowulf  bekommen  und  sich  dann  vor  der  Frage  gefunden,  wie  sie 
zu  erklären  seien:  ob  durch  Verschiedenheit  des  Stoffes  oder  oer  Stim- 
mung odo'  des  Autors?  Unbefangenes  Urteil  wäre  schwerlich  auf  die 
letztere  Deutung  geraten. 

Berlin.  A.  BrandL 

Theodor  Eichhoff,  Die  beiden  ältesten  Ansgaben  von  Bomeo  and 
Juliet.  Eine  vergleichende  Prüfung  ihres  Inhalts.  (Unser  Shake- 
speare, IV.)    Halle  a.  S.,  Max  Niemeyer,  1904.    278  6.    M.  7. 

Die  Shakspere- Forschung  hat  bisher  ganz  falsche  Bahnen  eingeschla- 
gen; die  Wege,  die  sie  ging,  konnten  nicht  zu  sicheren,  positiven  Er^b- 
nissen  führen,  und  so  stehen  wir  noch  heute,  nach  300  Jahren,  vor  einer 
Fülle  ungelöster  Shakspere-BätseL  Das  ist  die  neue  Entdeckung.  Doch 
nur  Mut!  Der  ödipus,  der  diese  Sphinx  nun  endgültig  stürzen  wird,  ist 
erschienen:  er  heilst  Theodor  E^chhoff  und  hat  soeben  den  vierten  Band 
seiner  Publikation  *Un9er  Shakespeare'  herausgebracht 

Das  Ziel  des  Verfassers  ist,  zu  beweisen,  dafs  nicht  die  zweite,  mit 
der  Folio  wesentlich  übereinstimmende  Quarto  von  *Bomeo  and  JtUtef 
(1599)  den  echten  Shakespereschen  Text  darstelle,  dals  dieser  vielmehr  in 
der  ersten  Quarto  (1597)  vorliege,  welche  Ausgabe  bisher  entweder  als  ein 
früherer  Entwurf  des  Dichters  oder  als  eine  buchhändlerische  Baubausgabe 
angesehen,  in  jedem  Falle  der  Quarto  von  1599  nachgestellt  wurde.  iQch- 


42i  Bearteilungen  und  kurze 

hoff  dagegen  behauptet,  dafe  Qj  eine  Ton  einem  nnfShigen  iSorrektor  vor- 

Commene  BallhonuBiemng  des  echten  'Eomeo'  sei,  der  nne  in  Q,  tot- 
_e.  'Nur  die  älteste  Ausgabe  ist  gut,  nur  die  äteste  ist  ein  Kunst- 
werk'. Das  Stück  sollte  daher,  das  ist  E^ichhoffs  Fordenu^g,  nur  in  dieser 
Ausübe  Miossen  werden,  sowohl  im  Theater  wie  bei  der  Lektüre. 

Es  gibt  zwei  Wege  von  sehr  verschiedener  Art,  um  deraiüge  Aufgaben 
zu  lOsen.  1)  Unter  weitester  Heranziehung  aller  Werke  ShiJnperes,  auch 
der  Poems,  des  Dichters  ästhetisches  und  sittliches  Empfinden  kennen  zu 
lernen  und  dann,  auf  Grund  des  erlangten  Wissens,  an  die  Beantwortung 
der  Frage  zu  gehen,  ob  die  Abweichungen  in  der  späteren  Fassung  von 
dem  Diäter  herrühren  können,  oder  od  sie  als  unvereinbar  abzuweisen 
sind.  Das  beste  Hilfsmittel  zum  Verständnis  dnes  Kunstwerkes  sind  eben 
die  anderen  Werke  des  Künstlers.  Der  Weg  führt  oft  zu  schönen  Besul- 
taten,  wie  Loenings  prächtiges  Buch  über  *3amief  beweist  —  2)  Der  an- 
dere Weg  ist  billiger.  Man  nimmt  das  betreffende  Kunstwerk,  verzeichnet 
die  nicht  zusagenden  Stellen  und  zieht  eegen  sie  los  mit  Schärfe,  Sdinei- 
digkeit,  vor  allem  mit  Sicherheit;  je  lauter  man  donnert,  desto  mehr 
Gläubige  findet  man.  Bei  Kontroversen,  Disputationen  bekam  nur  zu  oft 
derjenige  Recht,  der  'am  lautesten  schrie'. 

Den  ersten  Weg  geht  Eichhoff  nicht;  das  ist  ja  die  antiquierte,  zu 
ganz  unsicheren  BMuItaten  führende  Heerstrafse,  von  der  schleunigste 
Umkehr  geboten  ist.  Wir  sollen  endlich  aufhören,  zu  fragen,  was  dgent- 
lieh  von  Shakspere  stamme,  sondern  gleich  daran  gdien,  den  Schönheits- 
gehalt der  Werke  Shaksperes  ^sicl)  zu  imtersuchoa.  'Wir  können  viel 
wissenschaftlicher  sein,  wenn  wir  die  Schönheit,  als  wenn  wir  die  Richtig- 
keit der  Texte  erforschen,'  denn  'Wissenschaft  ist  Begründung'. 

Und  wie  bemindet  Eichhoff?  Nun  gar  nicht;  er  zieht  gegen  die 
ihm  mifsliebigen  Stellen  zu  Felde,  wobei  er  sich  die  Rolle  eines  ästheti- 
schen Papstes  gibt,  und  in  dem  stolzen  G^hl  der  Unfehlbarkeit  fällt  er 
sein  Urteil.  Ausdrücke  wie  'abgeschmackt,  possenhafte  Parodie,  lächer- 
lich, unglaubliche  Albernheit',  ironische  Seitenbemerkungen  ('der  Korrektor 
ist  immer  korrekt')  nehmen  einen  bevorzugten  Platz  in  Eichhoffs  Vokabd- 
schatz  ein.  Wenn  im  allgemeinen  Bücher  unter  dner  soldien  Sprache 
leiden,  so  ist  bei  dem  vorliegenden  Buche  das  Gegen tcdl  d»  FaU;  die 
Harmonie  zwischen  dem  Inhalt  und  der  Form  kann  einem  Werke  nur 
von  Nutzen  sein. 

Es  fällt  mir  nicht  ein,  gegen  die  Eichhoffsche  Methode  zu  Felde  zu 
ziehen;  eine  Methode,  die  solche  Blüten  zeitigt,  richtet  sich  von  selbst. 
Ob  sie,  grob  aber  deutlich,  als  Unfug  abgewiesen  oder,  ein  wenig  milder, 
unter  die  krankhaften  Auswüchse  gerechnet  wird,  die  jede  Wissensdiaft 
b^leiten  und  also  auch  der  Shaks]>ere-Forschung  nic^t  ^len,  bleibt  sich 
schlielBlich  gleich.  Dagegen  kann  ich  mich  der  Verpflichtung  nicht  ganz 
entziehen,  Eicbhoff  mit  seinen  eigenen  Waffen  anzusehen.  Es  ist  merk- 
würdig, zu  sehen,  wie  dieser  Preoiger  des  schrankenlosen  SubjektivismuB 
alle  Augenblicke  ge^en  sein  eigenes  System  anrennt.  Wenn  er  (Bd.  I, 
S.  11)  die  Herausgeber  der  Olooe-Edüum  scharf  tadelt,  da&  'sie  in  emer 
so  unerhörten  Weise  die  Freiheit  ihrer  Mitmenschen  vergewaltigen,  indem 
sie  dieselben  einfach  zwingen,  die  Bürgschaft,  die  ihnen  genügend  war, 
gleichfalls  als  hinreichend  anzuerkennen',  so  möchte  idi  doch  den  Ver- 
tesser  fragen,  ob  er  es  mit  seinen  Mitmenschen  anders  macht?  Weil  ihm 
die  Bürgschaft  seines  ästhetischen  Urteils  genügt,  Q.,  zu  verdammen,  so 
mutet  er  uns  zu,  *Bomeo*  künftig  in  der  Fassung  von  Qi  zu  geniefsen! 
Die  Olobe-Editors  werden  wegen  einer  gleichen,  nur  besser  fundierten  Zu- 
mutung verurteilt  Ist  dem  Autor  sodann  nicht  ein  einziges  Mid  zum 
Bewuistsein  gekommen,  mit  welch  ungeheurer  Anmafsung  er  zu  G^dit 
sitzt,  zwar  nicht  über  Shakspere  (denn  er  hat  sich  ja  einen  Korrektor  als 
-Zielscheibe  konstruiert),  wohl  aber  über  das  Schönheitsempfinden  dreier 


Benrteilimgeii  nn^i  kurze  Anzeigen.  425 

Jabrhnnderto,  die  sich  an  *Bom$o  and  Mid'  begeistert  haben  und  zwar 
in  der  von  Eichhoff  als  kein  Kunstwerk  geschmähten  Fassung?  Sollte 
das  urteil  dieser  drei  Jahrhunderte  nicht  das  eines  einzelnen  in  Frage 
stellen?  Wollte  sich  Mchhoff  aber  nicht  ffi^,  so  blieb  es  ihm  unbe- 
nommen, sich  in  Shakspere  hineinzulesen,  wie  es  ihm  pafste,  sich  'das 
Fremde  zu  amalgamieren\  Das  war  sein  gutes  Becht;  unser  eutes  Recht 
aber  wahren  wir  uns,  indem  wir  t^^fpa.  die  Zumutuns  protestieren,  dieses 
Eichhoffische  Amalgam  als  neue  Ofrenbarung  anzunehmen. 

£s  ist  müslich,  Proben  aus  einem  Wence  zu  geben,  das  auf  jeder 
Seite  zur  sdiäiisten  Kritik  herausfordert.  Wüsbegiäri^n  sei  hier  wenig- 
stens der  Glanzpunkt  verraten  (8.  15  ff.):  es  ist  die  Betrachtung  des 
Monologes  der  Juliet  vor  ihrer  Hochzeitsnacht  (III,  2),  jenes  herrhchen, 
trotz  der  fflutvollen  Sprache  so  keuschen  Epithalamiums.  Was  sich  ^  der 
Verfasser  nier  leistet,  ist  bodenlos ;  die  Sprache,  deren  er  sich  bedient, 
derart,  dals  ich  kdne  Parallele  für  sie  in  der  Bhaksnere-Literatur  kenne 
—  aufser  in  den  Eichhoffschen  Büchern  (y^l.  S.  28,  78  u.  a.). 

Der  Verfasser  hat  in  zwei  Jahren  vier  Bände  seiner  Publikation 
herausgebradit,  eine  quantitativ  ganz  tüchtige  Leistung.  Um  so  mehr 
kann  er  es  jetzt  des  grausamen  Spiels  genug  sein  lassen.  Nicht  nur  die 
Shakspere-Forschung,  sondern  jeder  geistig  gesunde  Leser  lehnt  sein  Werk 
durchaus  ab.  Sollte  Eicbhoff  gleichwohl  seine  Tätigkeit  in  der  be^n- 
nenen  Weise  fortsetzen,  so  möge  er  wenigstens  den  Qesamttitel  seiner 
Publikation  ändern;  'unser  Skakspere'  ist  das  nicht 
UiBerlin.  Ernst  Kr5ger. 

George  Masons  Qrammaire  An^oise  naoh  den  Drucken  von  1622 
und  1633  heransgeffeben  von  Rudolf  Brotanek.  Halle,  Nie- 
meyer, 1905  (Neudrudre  frühneuenglischer  Grammatiken,  herausgeg. 
von  B.  Brotanek,  Heft  I).    LU,  118  S. 

Vorliegendes  Heft  eröffnet  eine  Serie  von  Neudrucken  englisch^  Or- 
tho^isten,  die  mit  zu  den  grölsten  Desideraten  unserer  heutigen  Wissen^ 
schalt  gjehören,  und  verdient  schon  deshalb  groÜBe  Anerkennung.  Es  gibt 
einen  bis  auf  sämtliche  Druckfehler  des  Textes  und  der  Paginierung  ^ 
treuen  Abdruck  des  Originals,  die  Varianten  der  zweiten  Auflage  una  eme 
wertvolle  Einleitung,  die  den  Verfasser  zu  charakterisieren  und  seine  Laut- 
werte zu  ermitteln  sucht  Stellenweise  ist  dies  nur  möglich  durch  ein- 
gehende Untersuchungen  der  gleichzeitigen  französischen  Aussprache  und 
vermittelst  Hypothesen,  die  trotz  alles  eindringenden  Scharfsinnes  des 
Herausgebers  nicht  immer  Überzeugend  sind  •—  auch  kaum  überzeugen 
können,  wdl  seinem  Autor  die  nötige  Sicherheit  und  Konsequenz  in  der 
Aussprachebezeichnung  fehlt  Mason  bedient  sich  eines  Längezdchens, 
aber  ohne  Foleerichtiekeit,  den  aus  me.  %  entstandenen  Diphthongen  tran- 
skribiert er  tols  durch  ei,  teils  behält  er  die  überlieferte  Schreibung  bei, 
und  wo  er  für  denselben  verschiedene  Aussprachen  Kibt,  ist  es  meist  un- 
m(k;lich,  einen  inneren  Grund  für  die  Abgrenzung  oeider  Lautunsen  zu 
finaen ;  er  wird  daher  stets  zu  den  unterordneten  Quellen  für  d|e  Sprache 
des  17.  Jahrhunderts  gehören.  Immerhin  ist  er  bemerkenswert  als  einer 
der  fortschrittlichen  Grammatiker,  der  ohne  gelehrten  Konservatismus  das 
Gehörte  wiederzugeben  strebt;  unter  seinen  Ansätzen  fällt  z.  B.  auf  die 
Gleichung  enffl.  au  =  frz.  o,  die  der  Herausgeber  mit  Becht  dahin  inter- 
pretiert, dals  m  Wörtern  wie  draWf  Laurence  ein  o-artim  Mittellaut  zwi- 
schen me.  und  ne.  Lautstande  zu  hören  war  (S.  XV).  Auch  die  Annahme 
einer  Monophthoneierung  von  ^  zu  ö  wird  schon  für  diese  Zeit  dadurch 
gesichert,  aa&  Mason  dem  Vokal  in  blow,  soul,  show  den  Wert  des 
m.  au  [öl  zuspricht  (S.  XXXVII).  Unter  diesen  Umständen  wiU  es  mir 
wenig  einleuchten,  diils  Mason  für  daa  me.  ü  noch  einen  Monophthong, 


426  BenrteÜimgeii  und  kürze  Anzdgen. 

böchBtens  mit  ^weigipifliffer  Aussprache,  gehört  haben  soll.  Seine  Tran- 
skription  [haou]  fflr  ne.  now  sucht  Brotanek  allerdings  auch  fflr  ü  [vgl. 
frz.  aoust,  raotuer]  in  Anspruch  zu  nehmen.  Aber  es  wäre  doch  sehr  auf- 
f&Uig,  dais  ein  sonst  so  fortschrittlicher  Grammatiker  hier  eine  Aussprache 
Ignoriert  haben  sollte,  die  schon  für  Tyndal  [haii?e  <  ae.  hü,  nawe  <  nü, 
SofpR  Marburger  Diss.  1889,  8.  29],  ja  sogar  für  die  Paston  Letters  ge- 
sicnert  ist  [un&aught,  ahaught  für  -'ß^-;  vgl.  ^fi^Ztiei  XXIII  363].  Ob  nicht 
Mason  eine  der  verschiedenen  Zwischenstufen  zwischen  dem  me.  und  dem 
ne.  Laut  [Sweet,  HEß  §  826]  gehört  haben  dürfte,  den  er  nicht  genauer 
wiederzugeben  in  der  Lage  war,  für  den  er  dann  meist  die  Übliche  Ortho- 
graphie beibehielt  und  nur  einmal  zu  einem  —  für  die  damalige  Zeit  wohl 
au<m  noch  nicht  ganz  zutreffenden  —  a  +  ou  entgleiste?  Dafs  er  nicht 
immer  imstande  war,  zu  beschreiben,  was  er  hörte,  geht  z.  B.  deutlich 
hervor  aus  seiner  summarisch  einfachen  Angabe  für  den  Anlaut  in  knaue, 
knüy  knaty  hnuekle:  'devant  n  ü  [k]  est  un  peu  plus  diffieäef* 

Nicht  pmz  klar,  aber  bemerkenswert  sind  seine  Angaben  über  ü 
(S.  XXXYIII),  die  bereits  auf  eine  starke  Modifikation  dea  me.  Lautes  deu- 
ten, und  schwierig  ist  ebenfalls  die  Beschreibung  des  me.  f  (geschrieben  ea\ 
hinter  der  Brotanek  wohl  mit  Becht  die  Luicksche  'Abstumpfung'  jenes 
Lautes  vermutet  (S.  XXI)  —  nur  dürfte  Mason  seine  Ausspradiereffel 
wohl  nach  einieen,  auch  sonst  mit  Abstumpfung  belegten  wenigen  Dialekt- 
wörtem  gebiloet  und  sie  dann  in  übeitriebener  Weise  verall^meinert 
haben.  Interessant  sind  feiner  seine  Transkriptionen  für  ne.  str,  ffirdU, 
firsif  sMri,  in  denen  die  ne.  r-Modifikation  [99]  bereits  deutlich  erscheint 
(8.  XXVI).  Nur  ist  der  Herauseeber  im  Irrtum,  wenn  er  darin  den 
frühesten  Beleg  für  diesen  Vokalwandel  sieht,  und  wenn  er  meint,  er 
müsse  sich  bei  %  früher  entwickelt  haben  als  bei  den  anderen  Lauten.  Eine 
Modifikation  des  me.  u  legen  nahe  die  Schreibun^n  der  Paston  Letters 
herte  und  rdemed  (Änglia  XXIII  B60) ;  die  gleiche  Erscheinuntr  zeigen  für 
me.  f  ebd.  sur,  urke  (Neumann,  Marburger  J^udien  VII  8.  6Q,  68),  mög- 
licherweise deuten  auch  die  Schreibungen  mit  ee  für  me.  ^  +  **  aQ^  eine 
quantitative  Verfinderung  des  e  (ebd.  8.  88,  §  102),  die  mit  dem  quali- 
tativen Lautwandel  e>99  Hand  in  Hand  gegangen  sein  wird.  Auch  sonst 
h&tten  sich  die  Schreibungen  des  15.  Juumunderts  für  die  Chronologie 
der  von  den  Orthoepisten  aufgedeckten  Lautvorgfin^  verwerten  lassen. 
Das  au<.a  +  ü,  welches  erst  seit  Tindal  (Brotanek  jCVI)  auftreten  soll, 
ist  schon  vierzig  Jahre  früher  bezeugt  (Änglia  XXIII  184);  noch  viel 
früher  erscheint  f  <  x  b^^  enough],  das  Brotanek  8.  XLVÜI  erst  seit 
1568  belegt,  es  ist  im  15.  Jahrhundert  häufig,  vielleicht  schon  für  das 
FrÜh-Me.  anzunehmen  (ebd.  8.  467). 

Masons  Ansatz  für  cough  mit  einem  ß  im  Auslaut,  den  Brotanek  für 
eine  akustische  Täusdiung  nfilt,  ist  wohl  möglich;  wenigstens  zögen  ne. 
Dialekte  k^b  ==  cough  {Änglia  XXIII  467);  auch  ne.  dial.  fleib  «Flöhe' 
aus  ae.  *fl&ma  (Wright,  Engl.  Dial.  Or.  §  359)  wird  hierher  zu  stellen  sein. 
-^      Posen.  Wilhelm  Dibelius. 

Engelskt  uttal  af  C.  J.  M.  Fant,  Lektor  vid  Väster&s  högre  allmfinna 
läroverk.  Stockholm,  P.  A.  Norstedt  &  Söners  Förlag,  l90Ji.  87  8. 
Preis  60  öre. 

Zweck  des  vorliegenden  Schriftchens  ist,  nicht  nur  vorgeschritteneren 
Schülern  an  den  Gymnasien  und  anderen  damit  zu  vergleichenden  Lehr- 
anstalten, sondern  auch  Universitätsstudenten  und  Gymnasiallehrern  eine 
übersichtliche  Darstellung  wichtiger  Fragen  der  englischen  Lautlehre  in 
populärer  Form  zu  geben.  Besonders  hervorgehoben  werden  die  lokalen 
Verschiedenheiten  der  Aussprache  (namentlich  diejenigen  zwischen  Northern 
und  Southern  Engliah).    Diesen  Auseinandersetzungen  schUeist  sich  öfter 


Bearteiliingen  und  kurze  Anceigen.  427 

eine  Disknaeion  der  bei  dem  Unterricht  vorznziefaenden  Anstpniche  an. 
Der  Verfasser  bekfimpft  die  wenigstens  in  Schweden  nicht  seltene  Neigung 
der  Lehrer,^  Eigentfimlichkeiten  der  englischen  Aussprache  zn  ilbertreiDen ; 
dies  gilt  seiner  Meinung  nach  besonders  für  die  diphthongische  Aussprache 
von  &  und  o«,  der  er  entadiieden  eine  monophthongische  Aussprache  yor- 
ziehen  will.  Er  beruft  sich  dabei  auf  eine  Au&erung  von  6weet,  der  in 
seinen  Vorlesungoi  (üniversity  Extension  Meeting,  Oxford  1897)  —  denen 
auch  Referent  beiwohnte  —  dnmal  Ausländer  vor  der  diphthongischen 
AusBprache  warnte,  da  foreigners  exaggerate',  und  dne  monophthongische 
Aussprache  höchstens  als  eine  schottische  Eigentümlichkeit  aufgefafst 
werden  wflrde,  während  eine  mifslungene  Diphthongierung  entscnieden 
den  Ausländer  gleich  verraten  würde.  Hiermit  yergleicht  er  eine  Stelle 
in  dem  Websterschen  Wörterbuche:  'The  vanish  comes  out  more  dearly 
in  some  syllables  than  in  others.  It  is  not  used  in  the  Scottish  diidect; 
and  it  is  not  apt  to  be  given  hj  people  of  foreign  birth  and  trainin«^.' 
Auch  anderswo  hält  es  der  Verfasser  für  empfehlenswert,  von  zwei  o^ 
mehreren  Aussprachen,  die  als  gut  englisch  betrachtet  werden  können, 
diejenige  vorzuziehen,  die  den  Schülern  am  besten  mundgerecht  wird. 
Daraus  folgt  also,  dafs  man  der  gebildeten  Aussprache  eines  gewissen  Ge- 
bietes^ nicht  in  aUen  Details  zu  folgen  braucht,  sondern  diSs  man  aus 
praktischen  und  anderen  Rücksichten  sehr  gut  sich  auch  Eigentümlich- 
kdten  anderer  Gebiete  —  wenn  sie  nur  als  gut  englisch  anerkannt  sind  — 
aneicmen  darf.  Ich  will  nicht  auf  die  Frage  eingenen,  ob  nun  eine  solche 
eklektische  Anschauungsweise  mit  allen  ihren  Konsequenzen  wirklich  in 
abstracto  zu  billigen  ist  Die  konkreten  Falle,  die  vom  Verfasser  ange- 
führt werden,  sind  aber  kaum  ernsthaft  zu  beanstanden.  Meiner  Ansidit 
nach  mufs  jedoch  jeder  tüchtige  Lehrer  zuerst  wenigstens  versuchen,  sdnen 
Schülern  die  beste  englische  Aussprache  ('that  which  gives  the  fewest 
signs  of  localitv')  beizubringen. 

Auf  Einzelheiten  der  Arbeit  kann  ich  nicht  eingehen.  Nur  mufs  idi 
es  als  auffallend  bezeichnen,  dafs  Verfasser  die  Aussprache  der  Gebildeten 
in  einem  gewissen  Gebiete  'den  Dialekt  dieses  Gebietes'  öfters  nennt  (so 
z.  B.  S.  7). 

Die  phonetische  Literatur  der  letzten  Zeit,  auch  die  in  zahlreichen 
Zeitschriften  zerstreuten  Einzeldarstellungen,  hat  der  Verfasser  sich  mit 
grofsem  Fleilse  zunutze  gemacht. 

Das  in  schwedischer  Sprache  geschriebene  Büchlein  wird  wohl  auiser- 
halb  der  skandinavischen  Länder  kaum  einen  Leserkreis  finden.  Es  madit 
keinen  Anspruch  darauf,  neues  Material  zu  liefern;  aber  wertvoll  wird 
das  Buch  besonders  durch  die  Zusammenstellungen  einiger  der  letzten 
Resultate  der  englischen  Phonetik.  Somit  wird  die  Arbeit  für. die  Kreise, 
für  welche  sie  bMtimmt  ist,  hoffentlich  doch  von  Nutzen  sein. 

HeUebsek  (Dänemark).  Erik  BjÖrkman.    ' 

Lehrbuch  der  englischen  Sprache  für  Realschulen  von  Wilhelm 
Swoboddy  Prof.  an  der  Landes-Oberrealschule  in  Graz.  l.  Teil:  Ele- 
mentarbuch der  englischen  Sprache  für  Realschulen;  geb.  2  K  ?0  h 
(M.  1,85).  —  2.  T^l:  English  Reader  (Lehr-  und  Lesebuch  für  die 
6.  Klasse);  geb.  R  K  60  h  (M.  8).  ->  '^.  Teil:  Literary  Reader  (Lehr- 
und  Lesebuch  für  die  7.  Klasse);  geb.  3  K  60  h  (M.  8).  —  4.  Teil: 
Schulgrammatik  der  modernen  englischen  Sprache;  geb.  3  K  40  h 
M.  2,^).  —  Wien  und  Leipzig,  Franz  Deuticke,  1005. 

Der  1.  Teil  dieses  Werkes,  der  die  Elemente  der  englischen  Gram- 
matik enthält,  schliefst  sich  in  seinem  Lehrgange  der  Art  und  Weise  an, 
die  ein  Lehrer  befolg,  dem  nichts  anderes  als  Ijesedtücke  zur  Verfügung 
stehen.    Der  kann  nidit  immer  ein  bestimmtes  System  streng  innehfutea. 


428  Beurteilnngeii  und  ktme  Anzeigen. 

Er  mafs  manchee  berficl»iditiffen,  das  nicht  in  sein  Hauptkapitel  gehört, 
die  Themata  durchkreuzen  sichi  statt  aufeinander  zu  folgen,  und  die  Dar- 
stellung zeigt  eine  j^wisse  Unordnung.  Aber  nur  äu£ierlich;  denn  Ord- 
nung und  Svstem  hegen  in  dem  Lehrenden  fest  begründet  Er  kann  sie 
jeden  Augenblick  auch  nach  aulsen  hin  kenntlich  machen.  Darum  schadet 
die  Abs(£.weifunff  vom  Systematischen  kaum.  —  Anders  nimmt  sich  dies 
Verfahren  in  gedruckter  Grammatik  aus.  Die  gestörte  Ordnung  ist  hier 
nicht  so  leicht  wie  dort  zu  retablieren,  da  auch  in  ihr  Methode  liegt,  d» 
der  Lehrer  folgen  muls,  wenn  er  rom  Leichten  zum  Wenigerleichtä  und 
Schweren  Schritt  für  Schritt  weitergehen  will.  Die  Basis  des  1.  Teües 
dieser  Grammatik  ist  ein  pUe-fnUe,  das  besonders  störend  dem  Schüler 
werden  mui».  (Man  yergldche  §  8:  Persönliche  Fürwörter,  §  9:  Geschlecht 
des  Substantivs,  §  10 — 12  handeln  vom  Verb,  $  Vi:  Possessivpronomen, 
§  14 :  Adjektiv;  dann  folgen  wieder  Verb,  Pronomen,  und  in  diesem  Durch- 
einander {;eht  es  fort.)  Allerdings  findet  sich  die  hier  fehlende  höhere 
Ordnung  im  4.  Teil  des  Werkes ;  aber  den  bekommt  der  Elementar- Anglist 
nicht  in  die  Hand,  und  er  versteht  ihn  auch  noch  nicht  So  bleibt  ein 
Best  zu  tragen  peinlich.  Wer  sich  aber  einmal  mit  dieser  sehr  natür- 
lichen Darstellungsweise  abgefunden  hat,  wird  sich  auch  weiter  mit  dem 
Buche  befreunden. 

Einer  allgemeinen  Forderung  dürfte  diese  Schulgrammatik  mehr  als 
andere  cerecht  werden.  Sie  wählt  die  Stoffe  ihrer  Übungsstücke  aus  dem 
alltfifflicäien  englischen  Leben,  wobei  sie  vom  Schulleben  ausgebt  und  den 
Schüler  in  ein  Milieu  versetzt,  an  das  er  gewöhnt  ist  Das  Bild  eines 
doM-^room  trägt  zur  Orientierung  bei,  wenn  auch  nicht  alles  darauf  ist, 
was,  nach  Aussage  des  Lesestvckes,  darauf  zu  sehen  wäre.  Zugleich  wird 
der  Schüler  genötigt,  sich  möglichst  bald  der  endischen  Spradie  zu  be- 
dienen. 'Ex  muls  das  Datum  emsetzen;  am  Schluls  der  Lesestficke  erfolgen 
kurze  Fragen  und  Anmerkungen  in  englischer  Sprache,  im  Anschluß  an 
die  grammatische  Begel  stehen  englische  Sätze,  in  die  er  das  Wesentliche 
selbst  einzufügen  hat,  die  Zahl  der  Anmerkungen  wird  stetig  geringer,  so 
dals  er  das  Wörterbuch  (S.  140  ff.)  zu  Bäte  ziäen  muls,  Aufzählung  von 
Synonymen  mit  ihren  Unterschieden  fördern  das  Eindrinsen  in  den  Gkist 
der  Sprache.  Bei  so  konsequentem  Festhalten  am  Mflieu  lassen  sich 
familiäre  Wörter  und  Aussprache  nicht  immer  vermeiden ;  mit  anstelligen 
Schülern  wird  man  darauf  einüben  können,  anderenfalls  muTs  man  sich 
mit  dem  Notwendigsten  bescheiden.  Die  Bügeln  genügen  in  kurzer  Fas- 
sung durchaus  dem  Verständnis.  ^THb  D^^Mp/nütve-Oonstruetion  in 
QuuHona'  (I,  §  2S)  ist  allerdings  weni^  übersichthch  behandelt.  Die  Aus- 
sprachelehre  geht  praktisch  von  enghschen  Wörtern  aus,  die  audti  dem 
Deutschen*  gmäufig  sind  (apteetif  sträe,  eUnon,  . . .).  Hier  muls  der  Lehrer 
das  Beste  tun.  Dem  Nachschlagebedürfnis  der  Schüler  genügt  sie.  Löb- 
lich ist  der  Hinweis  auf  die  einzelnen  Lautarten  imd  das  Bestreben,  den 
Schüler  an  ihre  Unterscheidung  zu  eewöhnen. 

Diese  elementar  gehaltenen  Be^^  des  1.  Teils  finden  ihre  Ergänzung 
im  4.  Teil,  der  mit  Kenntnis  una  Sorgfalt  zusammengestellt  ist  Ein- 
gehender aJs  in  Schulgrammatiken  üblich,  wird  die  Stellung  der  Adverbien 
berücksichtigt  (S.  Hl — 87),  woran  sich  die  ausführliche  Darlegung  der 
Mittel  knüpft,  durch  die  ein  Satzteil  im  Englischen  hervorgehooen  wird. 
Bei  der  Ausführlichkeit  dieser  Grammatik,  me  sonir  die  Interpunktions- 
Mire  eing^ehend  bespricht  (§  406 — 409)  und  dem  Komma  ein  oesonderes 
Übungsstück  widmet  (S.  202]),  hat  es  mich  gewundeit,  daCs  nicht  auch  ein 
Abrifs  der  englischen  Metrik  seine  Stelle  gefunden  hat  ^-  Druckfehler 
habe  ich  bemerkt  in  IV,  S.  28,  Z.  6  v.  o.:  'Stellung  und  die  der  Wörter' 
statt:  und  die  Stellung  der  Wörter,  in  I,  S.  105,  Z.  7  v.  u.:  ^taee'  statt:  tfe». 

Wenn  der  1.  Teil  im  wesentlichen  in  englisches  Schulleben  einzuführen 
•ucht|  so  wollen  der  Z,  und  der  3.  Teil  eine  Vorstellung  von  dem  ge- 


Beuiteflungen  und  kurze  AnceigeD.  429 

samten  Eultor-  und  CMstesleben  Englands  sehen.  Auf  die  Geographie 
der  Britisdien  Inseln  folfft  die  der  ^optstadt  angeschlossen  an  *Ä  irip 
an  the  Thamea^  die  Beschreibung  ihrer  Sehenswürdigkeiten  und  Verkehrs- 
mittel, von  Spielen,  Beisen  in  Engluid  und  seinen  Kolonien  etc.,  unter- 
mischt mit  passenden  Gedichten,  erlfiutert  durch  Anmerkungen.  Wörter- 
buch, Illustrationen,  eine  Karte  von  Grolsbritannien  und  I/>naon,  kurz 
dne  so  reidie  Stoffülle,  daüs  Lehrer  und  Schüler,  wohin  sie  auch  ereifen 
mögen,  sicher  sind,  ein  volles,  interessantes  Völkerleben  zu  packen.  Dieser 
Tm  enthalt  auch  deutsche  Stücke  zur  Übertragung  ins  Englische. 

Teil  3  ist  eine  enj;lische  Chrestomathie,  die,  Ton  der  Neuzeit  aus- 
gehend, den  Schüler  bis  in  die  Zeit  des  Beowulf  zurückführt  und  ihm  an 
der  Hand  ihrer  Hauptvertreter  eine  Vorstellung  des  jeweiligen  Standes 
der  englischen  Sprache  und  Literatur  zu  verschufen  sucht  Die  Epochen 
Chaucers,  König  Alfreds  und  des  Beowulfdichters  sind  wenigstens  in  Cha- 
rakteristiken Vertreten.  Eine  *Hütary  of  the  Englüh  Language'  schlieCst 
den  Teil  ab.  Jedem  Bruchstück  dnes  gröfseren  Literatnrwerkes  gehen 
Bemerkungen  voran,  welche  die  Exposition  enthalten.  Auch  hier  tragen 
Bilder,  Kurte,  Noten  in  englischer  Sprache  —  wie  im  2.  Teil  —  und 
Wörterbuch  zum  Verständnis  der  Dientungen  bei.  Diese  Chrestomathie 
bildet  einen  organischen  Teil  des  {^amten  'Lehrbuches',  das  ohne  sie  un- 
vollständig wäre.  Von  diesem  G^ichtspunkt  aus  betrachtet  darf  sie  auch 
vor  dem  ausgesprochenen  €[egner  der  Chrestomathien  unangefochten  pas- 
sieren. —  Alles  in  allem  ist  diese  englische  Grammatik  em  Werk,  das 
ebensoviel  fachmännische  Kenntnis  wie  liebevolle  Hinffabe  an  den  G^en- 
stimd  bcJcundet,  und  das  ich  für  würdig  halte,  einem  Schüler  in  die  Hand 
zu  geben.  Ein  Bedenken  habe  ich:  der  für  ein  Schulbuch  sehr  hohe  Preis 
—  der  G^esamtprels  beläuft  sich  auf  mehr  als  10  Mark  —  dürfte  sdne 
Einführung  oft  erschweren,  wenn  nicht  unmöglich  machen. 

Willi  Splettstöfser. 

R.  Hall,  Lehrbach  der  englifichen  Sprache.  Für  Mädchenschulen 
bearbeitet  in  zwei  Teüen.  frankfurt  a.  M.,  Carl  Jüg»b  Verlag  (Moritz 
Abendroth).    L  Teil,  2.  Aufl.  1904;  IL  Teil,  1.  AufL  1905. 

Diese  Grammatik  läfst  im  Anfang  dem  Lehrer  ausgedehnten  Spiel- 
räum.  Mit  ihrer  Vorschrift,  die  ersten  zwanzig"  Stunden  bei  geschlossenen 
Büchern  zu  unterrichten,  weist  sie  ihn  auf  sich  selbst  und  gibt  ihm  nur 
die  Anleitung.  Teil  I  führt  die  woukN)e  Englüh  girla  an  der  Hand  von 
Sprichwörtern,  Lebensregeln,  kleinen  Ctedichten,  Rätseln,  Gesprächen  spie- 
lend in  die  Sprache  ein  und  ist  für  den  Anfang  nicht  übet)  wenn  auch 
das  englische  Milieu  nicht  stark  hervortritt  Auf  denselben  kindlichen 
Ton  ist  aber  auch  der  IL  Teil  sestimmt,  der  in  höheren  Klassen  zur  Ver- 
wendung kommen  soll.  BuUiks,  Proverhsy  Trieka  (II,  S.  122),  Oamut: 
Making  wards  (II,  S.  144),  Making  littk  toorda  from  long  anes  (II,  S.  145)  etc. 
nehmen  auch  nier  einen  breiten  Baum  ein.  Da  das  Buch  für  Mädchen 
bestimmt  ist,  sind  Stücke  wie  die  folgenden  wohl  am  Platze:  II,  §  69: 
ßhopa,  §  70:  Shopping  for  Otristmaa  (Ai  the  linen^raper's),  §  79:  Three 
Cooheiry  ReeeipU  (1.  Piain  8weet  omeleUe^  2.  MaearoonSf  8.  Apple  Pie).  Neben 
ihnen  aber  und  anderen  von  aligemeinem  Interesse  (Woods,  AntmaU,  PUmUf 
Death  of  Soorates  etc.)  kommen  Stücke  von  typisch  enfflischem  Gehalt  nur 
wenig  zur  Geltung.  Englischer  G^st  spricht  mcht  aus  diesem  Werk.  Es  ist 
klar  und  sorgfiUtig  durdigearbeitet,  und  so  mag  es  seinen  Zweck  erfüllen. 

Willi  Splettstöfser. 

W.  Sattler^  Deutsoh-EngÜBches  Saohwörterbach«  Leipzig,  Rengersche 
Buchhandlung  (Gebhardt  &  Wilisch),  1905. 

Nachdem  ich  die  Vollendung  des  stattlichen  Werkes  von  Sattler  vor 
kurzem  berichtet,  kamn  ich  jetzt  bereits  das  Erscheinen  des  von  dem  Autor 


430  BearteUangen  und  kurze  Annigen. 

daknals  in  Aussicht  gestellten  Verzeichnisses  der  englisches  Wör- 
ter melden  (Lieferung  12).  Letzteres  bedeutet  eine  wertvolle  Beigabe,  die 
auch  unter  der  angeUächsischen  Lehrerweit  gesdifitzt  werden  wird.  Das 
Verzeichnis  umfaCst  89  Baten  von  Je  vier  Kolumnen.  Seine  sorgfältigen 
Verweise  werden  dem  Lehrer  des  Englischen  wesentliche  Dienste  leisten. 
Sattler  hat  Wort  gehalten,  und  auch  hierdurch  hat  er  Anspruch  auf  un- 
sere DankbarJceit.  Sein  Werk  sei  der  Fachwelt  bestens  empfohlen. 
Tübingen.  W.  Franz. 

Aus  romanischen  Sprachen  und  Literaturen.  Festschrift  Heinrich 
Morf  zur  Feier  seiner  fünfundzwanzigj&hrigen  Lehrtätigkeit  von  seinen 
Schalem  dargebracht    Halle  a.  S.,  M.  Niemeyer,  1906.    427  S. 

Wie  sehr  dieser  Band,  den  freundliches  Gedenken  mir  widmet,  mich 
mit  Freude  und  Stolz  erfüllt,  das  habe  ich  in  dem  Kreise,  aus  dem  er 
hervorgegangen  ist,  diesen  Sommer  mündlich  auszuspredien  unvergefsliche 
Oel^^nheit  gehabt.  Meine  damaligen  Worte  des  Dankes  glaube  ich  nicht 
besser  bestätigen  zu  können  als  daidurch,  dafs  ich  als  aufmerksamer  Leser 
hier  über  den  Inhalt  des  Buches  selbst  referiere  und  damit  dem  Beispiel 
folge,  das  zuerst,  wenn  ich  nicht  irre,  Gaston  Paris  gegeben,  und  für 
weiches  ich  an  dieser  Stelle  mich  besonders  auf  Adolf  Tobler  berufen 
kann  (vergl.  Arehw  XOV,  198;  CXV,  238).  Ich  möchte  von  den  14  Bei- 
trägen, die  der  Band  umschlie&t,  hier  sagen,  worin  sie  nach  meiner  Mä- 
nung  unsere  Erkenntnis  fördern.  Es  ist  keiner  darunter,  dem  ich  nicht 
für  viele  Anregung  und  Belehrung  dankbar  zu  sein  hätte.  Dafis  diese 
Anerkennung  gelegentlichen  Zweifel  und  Widerspruch  nicht  aussdüielst» 
ist  natürlich,  und  ebenso  natürlich  muls  es  den  Freunden,  die  sich  hier 
zu  einer  gemeinsamen  Gabe  zusammengetan  haben,  erscheinen,  dals  ich 
diese  Zweifel  äulsere  und  diesem  Widerspruch  Ausdruck  gebe,  wo  er  mir 
fruchtbar  zu  sein  scheint  —  denn  sie  wissen  wohl,  dafs  es  sich  dabei 
nicht  darum  handelt,  dals  der  Referent  recht  behält,  sondern  daXs  aus 
Bede  und  Gegenrede  gesicherte  neue  Erkenntnis  erwachse. 

Die  Beiträge  umfassen  ältere  und  neuere  französische  Literatur  (7), 
sie  verfolgen  laut-  und  formengeschichtliche  Probleme  innerhalb  einzelner 
lebender  Mundarten  oder  über  das  ganze  romanische  Sprachgebiet  dahin 
(5),  sie  handeln  von  romanischer  Syntax  (1)  und  bringen  Neues  zur  Ge- 
schichte des  fremdsprachlichen  Unterrichts  (l).  Sie  sind  aber  nicht  stoff- 
lich, sondern  nach  den  Verfassernamen  alphabetisch  geordnet.  In  dieser 
Folge  gehe  ich  ümen  nach. 

Den  Anfang  macht  R  Bovets  La  pr^face  de  Chapelain  ä 
l'Adonis. 

Als  der  'chevalier  Marin'  ums  Jahr  1620  mit  dem  Plane  umging,  die 
40ÜÜO  Verse  seines  Idylls  Adoiie  in  Paris  drucken  zu  lassen,  da  suchte 
er  einen  französischen  Literaten,  der  eine  programmatische  Vorrede  dazu 
sdiriebe.  Man  wies  ihn  an  den  jungen  Cnapelain,  der  dafür  bekannt 
war,  dafs  er  mit  der  literarischen  Tradition  Italiens  vertraut  sei.*  Denn 
es  galt,  diese  neue  Art  des  idyllischen  Epos  (diese  ^nouveautff)  von  yom* 
herein  gegen  die  Kritik  zu  schützen,  die  seitens  der  italienischen 
Akademien  zu  erwarten  war.  Diese  Akademien  würden  nach  den  über- 
lieferten Eunstregeln  urteilen,  so  dais  also  der  Vorrede  hauptsächlich  die 


*  CluipelaiDB  Kenntnis  der  apanischen  Literatur  war  doch  wohl  nieht 
so  bedeutend,  wie  gewöhnlich  angenommen  wird,  sonst  h&tte  er  1630  nieht  aclireiben 
kOnnen,  dajb  aoTser  dem  timeur  Lqpe  de  Vtga  alle  Spanier  ihre  Dramen  in  Prosa 
üdar  reinlossB  Versen  sdhreÜMn. 


Beurteilungen  und  karae  Anzeigen.  4$1 

Aufgabe'  zufiel,  zu  zeigen,  dafs  Adone,  obwohl  neuartig,  doch  'ecmduti  et 
tissu  sehn  les  rkgle»  genircUes  de  f^popie'  seL 

Chai)elain  versenkte  sich  in  das  Studium  der  italienischen  Theoretiker 
von  Trissino  bis  zur  Qegenwart,  *  Bcaliger  eiueeschlossen,  imd  schrieb  mit 
ihrer  Hilfe  die  Vorrede  1(520.    Qedruckt  wurde  sie  Ib^. 

Diese  Vorrede  ist  viel  genannt  und  —  wenig  gelesen,  wie  Bovet  hu- 
morvoll zeigt.  Er  druckt  sie  in  extenso  ab  (p.  30—52)  und  begleitet 
diesen  Abdruck  mit  einem  sehr  interessanten  Kommentar. 

Chapelains  Vorrede  ist  keine  leichte  Lektüre.  Form  und  Inhalt  sind 
in  gleicher  Weise  schwierig:  Chapelains  Satzbau  ist  schwerfällig,  und  die 
Begeltheorien  der  Zeit  sind  oft  ^nug  abstrus.  Zu  alledem  gesellt  sich 
nodi  der  Umstand,  dafs  Ohapelain,  wie  Bovet  zeigt,  mit  Hintergedanken 
Bchrdbt  und  seine  wahre  Memung  oft  zwischen  den  Zeilen  gesucht  werden 
muiä.  Er  denkt  in  Wirklichkeit  vom  Adane  nicht  so  gut,  sSb  er  höflicher- 
weise in  seiner  Verteidigungsrede  sagt. 

Diese  Verhaltnisse  erschweren  eine  Wiedergabe  seiner  GManken.  Doch 
hat  sich  Bovet  der  Aufgabe,  die  Vorrede  zu  analysieren,  in  treiflidier, 
feiner  Weise  entledigt. 

Er  hat  sich  auch  der  dankenswerten  Mühe  unterzogen,  Chapelains 
italienischen  Quellen  nachzugehen.  Das  Resultat,  dafs  Castelvetros  PoeUea 
4fÄn8toHle  mUgarixiuUa  e  apoata  (1570)  die  Hauptquelle  bildet,  wird  keinem 
«msten  Widerspruch  begegnen  können.  ' 

So  hat  Chapelain  seine  Theorie  des  Ejpos  aus  Italien  bezogen.  Nichts 
laÜBt  erkennen,  dals  er  die  französischen  Theoretiker  des  l<j.  Jahrhunderts, 
Bonsard,  D'Aigadiers,  Vauquelin,  beachtet  habe,  oder  dafs  er  auf  Aristo- 
teles direkt  zurückgegangen  sei.' 

Eine  Theorie  des  Epos  läfst  sich  nicht  entwickeln,  ohne  daik  die 
übrigen  Gattungen  der  Dichtkunst,  Lyrik  und  Drama,  in  Mitleidenschaft 
gezogen  werden,  und  ohne  dafs  die  frage  nach  Wesen  und  Aufgabe  der 
Foeeie  überhaupt  berührt  wird.  Chapelain  hat  die  Lvrik  völlig  beiseite 
eelassen,  die  Dramatik  nur  gelegentlich  zum  Vergidch  herangezogen. 
Von  Wesen  und  Aufgabe  der  Poesie  handelt  er  indessen  ausgiebig:  die 
Poesie  stellt  nicht  nackte  Tatsächlichkeit  {vMtS  particulüre)  dar,  sondern 
sie  kombiniert  sich  gemäls  dem  Geiste  der  justice  und  der  raieon  eine  all- 
gemeingültige vorbildliche  Wahrscheinlichkeit  (praiesemblaneejy  die  sie  in 
den  Dienst  der  sittlichen  Läuterung  der  Menschheit  stellt  {purgaHon  ou 
amendement  ^  mceurs  des  hommes  qui  est  h  btU  de  la  poSsiej? 

Diese  rationalistische  Lehre  ist  eben  die  der  Italiener:  Chapelain  hat 


*  Ob  er  Tassos  Diaeorn  dtlTarU  poeüea  <  d»l  poema  eroico  (1687 — 94)  gekannt 
hat?     Eine  Spar  ihrer  Verwertong  kann  ich  in  der  Priface  nicht  finden. 

*  Der  umstand,  da&  Chapelain  der  Handlang  des  £!pos  nar  die  Dauer  eines 
Jahres  einrtamt,  w&hrend  Arietotele«  eine  solche  BesohrAnkang  nicht  kennt,  spricht 
nieht  dafür,  daTs  er  sich  stark  nach  Aristoteles  selbst  umgesehen,  dessen  Meinung 
Überhaupt  für  ihn  nicht  entscheidend  war.  —  Auch  über  Homer  und  Vergil  seist 
sich  Chapelain  dabei  hinweg,  während  die  Uteren  Th^retiker  (auch  Biadius,  trotz 
Bovet  p.  88  n.)  die  seitliche  Freiheit  des  Epos  gerade  mit  Odyssee  und  Äueis 
begrOnden.  Bei  Chapelain  ist  das  Bedürfnis,  eine  Begel  aufzustellen,  gröfaer  als 
sein  Respekt  Tor  dem  Altertum:  On  denmt  poHt,  sagt  er  in  der  Vorrede  sur 
zweiten  Hälfte  der  Aicelb,  par  Fdtude  du  regle».  —  ÜbereifHge  Moderne  wie 
Saint-Amant  haben  schliefblich  die  epische  Handlung  in  die  24  Stunden-EiiAeit 
gezwungen  {MdUt  tmeoe^  1653).  —  Chapelain  selbst  gibt  später  (1680)  auch  wieder 
zu,  daft  das  Epos  eine  Handlang  von  mehreren  Jahren  umfassen  dflife. 

'  Das  ist  denn  doch  nicht  so  neu  in  Frankreich.  Cf.  Bonsard  in  der  Vor- 
rede sor  /VofiCMKb  (1678) :  ü  (le  poite)  a  pour  maanm«  tri$  lUoeeanire  de  ton  ort 
de  «e  $uwr«  jamtw  pat  ä  pttt  la  9Mt4,  nu»i$  ia  vrmtemNattce  €t  le  potuUe  etc.     . 


482  BearteiloDgen  und  kurze  Anzeigen. 

sie,  Dftch  Boyets  ürtol,  klarer  nnd  bestimmter  formuliert  Man  kann  das 
zugeben  und  doch  finden,  dafs  Bovet  den  Chapelain  zn  nahe  an  Boiieau 
rückt.  Qewils  ist  beiden  die  rationalistische  Poetik,  die  ja  die  Basis  des 
Ellaasizismus  bildet,  gemein  —  aber  neben  dieser  Qemdnsamkeit  möchte 
ich  die  tiefe  Gegensätzlichkeit  mehr  betonen :  Ghapelain  ist  ein  *modeme\ 
Der  gelehrte  Mann  hat  ffir  die  Antike  wohl  Worte  der  Bewonderunff, 
aber  er  lehnt  ihre  Vorbildlichkeit  ab.  Er  ist  der  Überzeugung,  daft  die 
moderne  Literatur  der  antiken  nicht  bedürfe  und  sie  übertoeffe.  Er  stellt 
eine  Tragödie  Grazianis  Ober  alles,  was  die  Alten  geleistet  Homer  und 
Vergil,  sagt  er,  sind  meine  Gottheiten  —  nuUa  ils  <mt  bien  de  la  peme  ä 
Üre  mes  ]Sür(m8.  Er  tadelt  an  Bonsard,  dals  er  ihr  ieolter  ^wesen  sei. 
Er  übt  im  Dialoff  über  die  Bomanlektüre*  (1647)  an  Homer  jene  Ejitik, 
die  für  die  ^oasmea'  charakteristisch  ist.  Nicht  die  antiken  Dichter, 
nicht  Aristoteles,  sondern  'die  Idee  der  Kunst'  sei  sein  Leitstern  (cf.  LeUrts 
ed.  Tamizey  de  Laroque  I,  18  f.,  631  f.;  II,  744  etc.).  Das  ist  Subiekti- 
yismus,  dn  revolutionäres  Prinzip,  und  läuft  Boileaus  AltertumsreUflion 
und  klassischer  Kunstlehre  direkt  zuwider.  Chapelain  hat  keinen  Re- 
spekt vor  dem  Altertum,  so  wenig  wie  Malherbe,  Boisrobert,  Sorel,  Sa- 
rasin,  Scud^rjr,  Descartes,  Pascal  —  die  ganze  erste  Hälfte  des  17.  Jahr- 
hunderts. Die  Arbeit  aller  dieser  Männer  ist  gegen  die  literarische 
Heffemonie  des  Altertums  {gerichtet  Sie  vertreten  die  Gedanken,  die 
in  Italien  Tassonis  Pensieri  dtveni  (1620)  ausgesprochen  haben:  das 
Altertum  gilt  für  überwunden. 

In  diese  ikonoklastische  Welt  hat  der  grimme  Boiieau  dann  die  Stand- 
bilder der  literarischen  Ahnen  der  Renaissance  wieder  hineinffestellt  Er 
hat  ihren  Kultus  restauriert  und  den  Klassizismus  strenger  ODsenranz  im 
Gegensatz  zu  der  altertumsfeindlichen  Haltung  der  ChapeUdns  und  Ot^ 
nossen  begründet 

Seinem  Grundsatz  ^mäls,  dals  die  Idee  der  Kunst  sein  Leitstern  sei, 
«rweist  Chapelain  in  seiner  literarischen  Kritik  dem  Aristoteles  nir^ds 
besondere  Reverenz:  ii^!^^  Vorrede  zum  Adone  nennt  er  ihn  nur  einmal 
und  ganz  nebenbei.  Oberali  böiift  er  sich  darauf,  dais  seine  eijgenen 
Überlegungen,  dals  die  Forderungen  der  poetischen  vraisaembhnee  iSn.  zu 
den  B^eln  gäührt  haben,  die  er  aufstelle.  Dabei  hebt  er  es  gern  hervor, 
wenn  die  Praxis  der  antiken  und  der  italienischen  Dichter  zu  seinen 
Forderungen  stimmt.  Aber  was  die  alten  und  neuen  Theoretiker 
sagen,  das  kümmert  ihn  nicht  sehr:  als  ihn  ein  Freund  um  Auskunft 
über  eine  Kunstregel  bittet,  antwortet  er  ihm:  *Ich  entsinne  mich  nicht, 
ob  Aristoteles  oder  einer  seiner  Erklärer  die  Sache  behandelt  hat;  ich 
will  einfach  versuchen,  Ihn^  meine  eigene  B^;ründung  zu  geben." 

Nun  sucht  Bovet  die  Überlieferung  zu  stützen,  welche  lehrt,  dals 
ChapeLun  im  17.  Jahrhundert  die  Resel  der  drei  Einheiten  für  das 
Drama  wieder  eingeführt  habe.  So  scnarfsinnijr  seine  Argumentation  ist, 
so  kann  ich  ihr  doch  nicht  zustimmen.  Ich  t^e  die  Meinung  Ottos  (in 
der  Einleitung  zu  seiner  Ausgabe  von  Mairet s  Sihanire,  Bamberg  1890) 
und  Dannheifsers  (Behrens'  Za,  XIV,  1—76).  Mancherlei  Besonderes 
lielse  sich  freilich  dazu  iMgen.    Hier  beschränke  ich  mich  auf  folgendes: 


^  FeUIet  hielt  diesen  Dialog  mit  Unrecht  fllr  ungedruckt,  als  er  ihn  1870 
edierte.  Er  ist  schon  1728  Ton  Desmolets  und  Goiget  im  6.  Band  der  CötUi- 
muUkm  des  memoire»  de  HtUrature  ei  ^kUlcire  de  SaUmgre  herausgegeben   worden. 

'  Es  ist  das  eine  kapitale  Stelle  seines  Briefes  an  Godeau  vom  89.  Not. 
1680,  abgedruckt  von  Ch.  Arnand,  Lf*  thdoriet  dromati^uee  au  XV  11*  aieele^ 
Paris,  1888,  p.  836  ff.  Und  die  Kunstregel,  aus  deren  AnlaTs  er  hier  Aristoteles 
nnd  seinen  Stab  als  qwmdU  nigtigeabU  eliminiert,  ist  —  die  114  Stnnden-BinheU 
des  Dramas  1    loh  werde  anf  die  Stelle  snrflekkommen. 


Benrteilnngen  und  kirne  AnEdgen.  488 

Man  Hüft  Q«&hr,  einem  Anachronismus  zn  Yerfallen,  wenn  man  fllr 
die  Jahre  1620— lb30  yoq  der  Bigls  des  troU  tmtWv  spricht  Diese  Trini- 
tftt  ist  Bp&teren  Datums.* 

Das  Wort  uniU  findet  sich  zunächst  nur  in  dem  Ausdruck  tmiU 
d^ actum:  die  Handluneseinheit  ist  die  älteste,  in  der  Kunst  selbst  be- 
gründete Forderung.  Sie  ist  aus  Aristoteles  in  die  Benaissancepoetik  (Iber- 
gegangen.  Auch  (jhapelain  erhebt  sie  in  der  Vorrede  zum  Adone  nicht 
als  ein  spezifisch  dramatisches,  sondern  allgemeines,  insbesondere  episches 
Requisit  {uniU  de  Vaettan,  Bovet  p.  42). 

Ebentalls  auf  Aristoteles  und  der  herrschenden  Praxis  der  antiken 
Dramatik  beruht  die  Forderung,  dais  die  Handlung  des  Dramas  die  Dauer 
eines  Tages  nicht  Überschreite.  Chapelain  erwähnt  die  Forderung  in  der 
Vorrede  ganz  beiläufig  mit  den  Worten:  Das  Epos  soll  nicht  mehr  als 
ein  Jahr  umspannen,  gerade  wie  das  Drama  nicht  mehr  als  einen  jaur 
fUMturel.* 

Neben  dieser  ganz  beiläufiffen  Erwähnung  der  rigle  de»  24  heuree  oder 
des  ordre  du  temps  —  das  sina  die  eigentlichen  Termini  technid  ~  fehlt 
in  der  Vorrede  jeder  Hinweis  auf  eine  soffenannte  'Ortseinheit'. 

Tatsache  ist  also,  dats  Chapelain  in  <&  Vorrede  von  162ü  nicht  von 
den  'drei  dramatischen  Einheiten'  spricht,  sondern  dals  er  die  unüS  d^ae- 
tion  als  eine  allgemdne  und  spez.  epische  Forderung  erwähnt,  dais  er  die 
r^le  des  24  hemw  im  Vorbeigehen  für  das  Drama  konstatiert  und  Ton 
einer  'Ortseinheit'  überhaui>t  nichts  sagt. 

Das  macht  durchaus  nicht  den  Eindruck,  als  ob  er  den  dramatlsohea 
Kunstiegeln  besondere  Beachtung  schenkte. 

Dais  in  Frankrdch  die  vom  Drama  des  Altertums  sich  herschreiben* 
den  Kunstregeln  auch  im  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  ohnedies  nicht 
gänzlich  vergessen  und  unbekannt  waren,  zeigt  z.  B.  Lariveys  Vorrede 
zu  La  Ooneianee  (lall).  Und  ehe  Chapelain  in  der  Vorrede  zum  Adans 
nebenbei  die  24-Stttnaen-Begel  erwähnt,  liefs  Th^ophile  die  zum  ro- 
mantischen Schauspiel  geratene  Tragödie  F^amus  und  Tkiebi  (1617)  auf- 
führen, deren  einfache  Handlung  nur  weni{;e  Stunden  nmfatst  und  in  einer 
verhältnismäfsig  einfachen  eehie  ä  eompariunente  'Landschaftseinheit'  zeigt 


^  Die  gedmiigeDe  Fomraliemng  Jeans  de  la  Taille  (1572):  ü faut  toufoun 
rtprintUer  h  jeu  ea  tm  m^me  jour  (Handlnngaeinheit),  an  im  mAiM  ttmp$  (Zeitein- 
heit), en  %m  mhne  Utu  (Ortaeinheit)  bleibt  gani  ieoUert  Chapelain  kannte  sie 
nicht  (rar  AnflEhasnng  der  Stelle  yergl.  Rurnt»  ^huL  UtL  ds  la  /Vonce  XII,  p.  2). 
Meiret  filbrt  noch  1681  als  die  drei  Hanptregeln  der  QmddU  an:  freie  Er- 
findong  der  Febel,  Einheit  der  Handlang  und  */a  troitiime  €i  la  pha  rigcumt$€  etf 
Vcrdte  du  Ump^  (Otto,  l,  c,  p.  16  f.)*  —  Zum  ersten  Male  finde  ich  im  17.  Jahr- 
hundert die  drei  Forderungen  im  Ansdmok  yereinigt  in  Isnards  Vorrede  su  Pi- 
ehons  La  PQu  de  Sdre  Yom  nSmlichen  Jahre  1681:  ...  preterirt  ls$  rkgU$  de 
Vuniii  dii  Im»  (=  Landschaftseinheit,  cf.  unten  p.  8),  de  Veedm  et  du  24  hemru 
du  temps  (ef.  Otto,  {.  c.  p.  CXII)  und  dann  in  der  endgfUtigen,  uns  gel&nflgen  For- 
molierong  in  Dur y als  Ikvitd  (A.  Gasti,  La  quertUe  du  (Xd,  1899,  p.  274):  VuuÜd 
d^aedoH,  de  iemp»  et  de  Ueu,  Dieser  Traüd  ist  von  1687  (trota  B.  Rlgal,  Le  tlMtre 
frweqm»,  1901,  p.  889;  cf.  Archm  CVn,  443> 

*  Ans  dem  Umstand,  da(k  Chapelain  hier  und  später  dieeen  Aosdmck  (Jontr 
naturtt)  braucht,  darf  geschloMen  werden,  da(^  er  von  der  Kontroverse  wuAte,  die 
sich  an  Aristoteles'  filav  nepioSov  ^ktov  geknüpft  hatte:  ob  damit  nSmlich  der 
die»  aaturaUe  von  24  Stunden  oder  der  diee  art^daU»  der  Tageshelle  gemeint  fei. 
Chapelain  entscheidet  anders  als  i.  B.  Bobortello  {die»  artffiatdi»)  und  Castelvetro 
(dodid  ore).  Kannte  er  Segnis  Poeiiea  dAri»totik  (1649)?  Übrigens  betrachtet  er 
1680  die  24  Stunden  als  ein  Maximum  und  erscheint  ihm  die  Hllfte  dieser  Zeit 
als  das  Normale  (Arraud,  /.  e.  p.  848). 

Aichtr  1  B.  SpnebsB.    GXV.  28 


4S4  Beurtetlungen  und  kune  Anzeigen. 

3o  iBt  d«nn  Ghapelain  1620  keineewegs  ein  Entdecker,  sanz  abgesehen 
¥0&  der  bdl&ufigen  nnd  fragmentarischen  Form  seiner  Au&enineen. 

Das  Nächste,  was  wir  nun  in  Frankreich  von  der  24-Stanaen-B^gid 
iiSi«n,  dadert  ¥on  1628.  Am  28.  Septemb^  dieses  Jahres  schreibt  Balzac 
aus  Paris  an  M™®  Desloges  über  den  Typus  einer  femme  saoante,  die  unter 
anderem  auch  literarische  Ejitik  treibe  und  nicht  imstande  sei,  de  souffrir 
uns  conUdde  qui  n'est  paa  dcms  la  Ud  des  24  h&ures,  qu'eUe  n'en  va  faire 
publier  par  ioute  la  Fram/oe} 

Balzac  weist  damit  deutlich  auf  die  Salons  der  hauptstädtischen  So- 
0ii6U  polte  als  den  Ausgang8i>unkt  der  praktischen  Forderung  der 
^Zeitroffel'  hin:  die  Salonkritik  fordert  sie;  sie  fordert  sie  als  eine  neu- 
modis<äie  Eleganz,  als  eine  nouveUe  mvention?  wie  Godeau  noch  1630  zur 
Verwunderung  Chapelains  sagt,  der  ihm  antwortet,  die  Geschichte  sei  ja 
uralt,  schon  das  antike  Theater  habe  diese  Be^  beobachtet  —  ob  Aristo- 
teles selbst  von  ihr  handle,  entsinne  er  sich  nidit^ 

'  und  deutlich  können  wir  erkennen,  wie  die  SooiStS  polte  um  1628  zu 
ihrer  Forderung  kam.    Das  Vehikel  bildete  die  Pastorale. 

Die  Pastorale  war  das  Stück,  in  dem  die  Salonwelt  mit  ihrem  ga- 
lanten Treiben  sich  spiegelte.  Seit  Jahren  stand  sie  unt^  dem  Einflufs 
der  Askr6e,  Die  Derbneiten  Hardys  treten  zurück.  Künstlerisches  Streben 
macht  sich  geltend  (viel  mehr  als  in  der  verwilderten  TroffieomSdie),  Zu 
den  htflienischen  Vorbildern  Tasso  und  Guarini  gesellen  sich  andere, 
besonders  G.  Bonarelli  mit  der  Fiüidi  Sciro  (1607).  Die  französischen 
«nd  italienischen  Elemente  mischen  sich  bei  den  einzelnen  Dichtem  in 
verschiedenen  Dosen.  Da  die  französische  Pastorale  die  r^le  des  24  heures 
nidit  beobachtet,  so  gestattet  sie  eine  reichere  Entfaltung  der  Bühnen- 
lumdlung.' 

Gegen  1619  stellt  Bacan  in  Les  Berfferies  (gedruckt  1625)  'die  Tor- 
heiten seiner  Jugendjahre'  dar.  Das  Stück  ist  zugleich  Huldigung  uud 
Radte  seiner  unerwiderten  liebe.  Die  Bchleppende  Handlung  ist  aus 
Hardvschen,  D'ürf^chen  und  italienischen  Elementen  zusammengesetzt 
und  folgt  in  ihrer  Komplizierthät  hauptsächlich  dem  Pastor  fido. 

Einen  reicheren,  bewegteren  Inhalt,  mehr  wirkliches  Liebesleben,  leider 
auch  mehr  Pointen  nbt  Mairet  in  seiner,  wie  es  scheint,  frei  erfundenen 
Sürie  (1626),  die  sicn  der  Welt  der  Tragieomidie  nähert.  Er  nennt  sie 
denn  auch  troffieomSdie  pastoraie,  worin  andere  ihm  folsen  werden. 

Diesen  unregelmäfsigen  französischen  Pastoralen  eeffenüber  er- 
echien  der  Salon^sellschaft  die  strenge,  zeitliche  Begelhaltigkeit  der 
italienischen  Pastorale,  die  sich  dafür  auf  das  Altertum  berief,  als  das 
Vornehmere.    Und  als  ob  sie  nie  zuvor  in  Frankreich  erhoben  worden 


'  Man  tthlt,  wie  Baliae  diese  Uji  ftiom  va  fairt  pubUtr  par  Unat  la  fhmet 
1628  nicht  eben  sehr  ernst  nimmt,   sondern  eher  fllr  eine  modische  Sehralle  hUt 

*  AU  F.  Oomellle  1628—1629  za  Ronen  sein  erstes  Stflek  sehrieb,  M^Uie,  da 
lieft  er  die  dnmatisohe  Handlang  sich  Aber  Wochen  aasdehnen,  weil  er,  wie  er 
später  selbst  sagt,  damals  —  in  Ronen  —  von  der  Ezistens  der  Zeitregel  noch 
nichts  woftte.     In  seinem  sweiten  Stttck,  CHiandre  (1632),  unterwirft  er  sich  ihr. 

*  Vgl.  oben  S.  5  Anm.  2.  Der  Ton  dieser  Stelle  labt  nicht  annehmen,  daA  Chit- 
priain  wahrend  der  Jahre  1628—1680,  da  der  Kampf  am  die  rigle  des  24  heures 
schon  heftig  tobte,  sich  intensiv  nut  der  Sache  beschäftigt  habe.  Man  begegnet 
flberhaapt  in  dem  ganzen  Kampf  dieser  and  der  nächsten  Jahre  (bis  16  3  6),  an 
welchem  Ogier,  Mairet,  Isnard,  Soadöry,  Gombaad,  Rajssigoter,  Corneille  teil- 
nehmen, keiner  Spar  von  Ghapelain.  Aach  in  seinen  13riefen  spricht  Chapelain 
von  der  Zeitregel  erst  ans  Anlaft  der  Querelle  du  6M  (1637). 

^  Es  ist  beseiohnend,  daA  z.  B.  Rajssigaier  in  seinem  Ammie  du  TeuH 
(1682)  Vorgänge,  die  Tasso  nar  erzählen  läAt,  in  Handlang  umselBt. 


Beurteilangeii  und  kurse  Anseigen.  'itt 

wätOi  wird  Dtm  1628  die  Forderung  der  24 -Stunden -Einheit  aus  der 
italienischen  Pastorale  neu  importiert' 

Sofort  erhebt  sich  auch  der  Widersprueh.  In  der  bekannten  Vorrede 
zu  dem  romantischoi  Schauspiel  (tragtoomidie)  Tyr  et  Sidon*  bekämpft 
1628  der  Pariser  Geistliche  Ogier  die  Zeitregel,  weil  sie  den  Dichter  zu 
ünwahrscheinlichkeiten  und  zur  Ersetzunjr  der  Handlung  durch  rheto- 
risdie  Berichte  dränge.  Die  griechische  Bmine  habe  diese  Regel  keines- 
wegs streng  befolgt,  und  überdies  seien  die  Franzoeen  keine  Qrieohen. 
Er  verweist  auch  auf  das  Beispiel  der  Freiheit,  welches  das  spanische 
Theater  gebe.    Von  einer  Ortsemheit  ist  nireends  die  Bede. 

Mairet  aber  liels  sich  von  der  SalonkritiOc  belehren.'  1629  brachte  er 
auf  einer  Salonbühne  eine  neue  tragteomSdie paatorale  zur  AuffÜlurung: 
Süvanir6f  zu  der  D'Urf^  gleichnamiges  Stück  (um  1627)  ihn  anaeregt 
hatte.  Er  zwänete  die  schleppende,  chorbegleitete  Handlung  in  24  Stun- 
den ein  und  schuf  so  die  regelhafte  italiauisierende  Pastorale.  In  einer 
der  Prachtausgabe  des  Stückes  (1681)  vorausgeschickten  Abhandlung  ver- 
tddigte  er  unter  Berufung  auf  die  Wahrscheinlichkeit,  auf  die  italienisdie 
Pastorale  und  die  Alten  die  E^inheit  der  Handlung  und  den  ordre  du 
temps  für  ernste  und  h/eitere  Bühnenstücke^  Von  einer  Ortseinheit  ist 
noch  keine  Bede.  Doch  bemerkt  Müret,  daia  die  Reduktion  der  Zeitdauer 
der  Handlung  auch  eine  Vereinfachung  der  'ambulatorischen'*  Szene 
bringen  werde.  Der  Ortswechsel  wird  sicn  eben  nun  auf  einen  Baum  be- 
schränken, der  in  24  Stunden  durchmessen  werden  kann,  z.  B.  auf  eine 
Provinz  oder  eine  Ortschaft  Man  kann  also  zunächst  bloÜB  von  einer 
Landschafts-  oder  Ortschaftseinheit  (uniti  de  Heu  en  ginirtUy'me 
Gomeilie  sagt)  reden,  die  in  Süvanire  denn  auch  mit  recht  verwickeltem 
Ortswechsel  verbunden  ist*^ 

Nichts  in  dieser  Vorrede  verrät  Kenntnis  noch  Einfluls  Ohapelainscher 
Gedanken:  was  Mairets  und  Chapelains  literarischer  Kritik  gemein  ist, 
stammt  aus  den  j;emein8amen  Quellen ;  was  für  Chapelain  charakteristisoh 
ist,  fehlt  bei  Mairet 

*  Die  Zeit  tod  1628  und  1629  macht  In  der  Geiehiehte  der  Pariser  BOhae 
flberhaapt  Epoche:  der  Streit  nm  die  Zeitregel  entsteht;  Mondory  grttndet  ein 
nenee  Schauspielhane;  nachdem  Hairet  Torangegangen,  debütieren  non  Botroo, 
Gombaad,  Bajesigoieff  Da  Ryer,  Scud^,  Cknrneille  nnd  andere  als  Theaterdichter. 
Et  stellt  ein  IKscher  kräftiger  Zng  eich  ein. 

*  In  seinem  Abdmck  dieser  Tragikomödie  von  1628  (Ane.  Aiätrt  ßrm§ak, 
1856,  VIII,  p.  7)  sagt  VioUet  Le  Dac,  daTs  dies  die  zweite  vermehrte  Anflage 
einer  Ansgabe  des  Stflckee  Ton  1608  sei,  die  er  nicht  selbst  gesehen.  Die  Sache 
verlohnt  eine  nähere  Untersachnng,  anf  die  ich  anrflckkommen  werde.  Das  Stack 
von  1608  ist  ein  wesentlich  anderes:  7^  ti  Sidon,  tragddiet  euU$  fimutrai  amoUri 
de  Bdcar  ei  MeKeme  etc.,  in  5  Akten,  mit  Chftren  nnd  erheblich  weniger  Personen. 
Die  Umwandhmg  dieser  antikisierenden  Tragödie  von  1608  in  eine  Tragikomödie 
von  1628  ist  eine  sehr  interessante  lUnstration  snr  Theatergesohichte  der  Zelt 
Hardys,  welche  die  Benaissancetragödle  ins  romantische  Schanspiel  flberflihrt.  Die 
SoeieU  dea  TexUe  fircnqaie  modtmee  könnte  das  König  Jakob  I.  von  England  ge- 
widmete Bändchen  von  1608  mit  Nntawn  neu  drucken. 

'  Nach  seiner  eigenen  Angabe  (Otto,  1.  c  p.  9)  bewog  Ihn  das  Zureden  das 
Grafsn  Garmail  nnd  des  Kardinals  Valette  de  compoeer  mm  paetonde  avee  toutee  lea 
rigmeure  que  ke  ItaHeiu  omt  aecoükimd  de  praäquer  em  eet  agrdabh  gmure  ^icrire. 

^  Der  Ausdruck  $eme  ambviatakre  für  die  bunte  HardTSche  Inssenierong  stammt 
von  Sara  sin,  VOTrede  zu  Scndirys  JßHour  tgrammque, 

^  In  der  Vorrede  su  seiner  Pastorale  Amanmthe  billigt  Oombaud  im  näm- 
liehen  Jahre  (1681)  die  Beschränkung  der  Zeitdauer  anf  swölf  Stunden,  du  mmdie 
am  mÜT  ctt  du  emr  am  ntadm.  Die  Landschaftseinheit  werde  sich  auf  dne  Insel  oder 
dne  ProTlns  beschränken. 

28* 


.486  Bearteilungen  und  kurze  Anmgen. 

Die  in  den  Salons  mit  Beifall  ÜbenchAttete  Süvanüne  wurde  im  H6tel 
de  Bourgogne  (1680)  ohne  Beifall  gespielte  Die  Zeitregel,  sa^  nachher 
Mairet  selMt,  est  de  trie  diffieüe  obwrvation  ä  cause  de  la  sÜrättS  des  beaux 
effeU  qtii  rarement  sepeuptnt  reneonirer  dans  un  st  petü  espaee  de  tempe.^ 
uest  la  raison  de  Vudtd  de  Bourgogne  que  mettent  en  aivani  ^ueiauesHms 
de  nospo^tes  qui  ne  s*y  veiäent  pas  assmfetttr.  Und  Baysaiguier  bemerkt 
1632  (Otto,  L  c.  p.  OaIII):  La  plus  grande  pari  de  ceux  qui  portmU  le 
testen  ä  VBStel  de  Bourgogne  veulent  que  Von  eontente  leurs  yeua  wur  la 
diversiU  et  ehangement  de  la  faee  du  thkUre  et  que  le  grand  nombre  des 
aeeidmts  et  aventures  extraordinaires  leur  Stent  &  eonnaissance  du  stifet: 
ainsi  eeux  qui  tfeulent  faire  le  profit  et  Vawmtage  des  messieurs  qui  reettent 
leurs  vers  sont  obliaSs  cPSerire  sans  observer  aueune  r^le. 

Die  Schauspieler  und  die  für  sie  schreibeDden  Dichter  lehnen  also  die 
Feseel  der  neuen  Zeitregel  ab.  So  wurde  der  Streit  um  die  B^pel  zu 
einem  Ejtmpf  zwischen  Salon&sthetikern  und  Bfihne,  zwischen  den 
*doetes'  und  den  *ianor€ints\  zwischen  Theorie  und  Praxis. 

Zu  Mairets  italienischer  Theorie  bekannte  sich  G  o  m  b  a  u  d.  Auf  selten 
dieser  Salonkritik  steht  natürlich  auch  Richelieu,  der  eben  damals 
daran  ginff,  sich  ein  Salon theater  zu  erbauen.  Auch  Ghapelain,  der 
schon  in  oer  Vorrede  zum  Ädone  zu  erkennen  gegeben  hatte,  dals  ihm 
der  jour  naiurel  für  das  Drama  als  eine  Forderung  der  vraissemblanee  er- 
scheine. Als  der  verwunderte  Gtodeau  ihn  1680  nach  der  neuen  Begel- 
erfindune  fragt,  gibt  er  die  schon  oben  zitierte  briefliche  Antwort  (cf.  oben 
8.  5  und  7),  die,  wie  ffesagt,  in  keiner  Weise  verrät,  dais  er  sich  mit 
deih  nun  schon  zwei  Juire  dauernden  Begelstreit  näher  beechäftigt  habe. 
Jetzt  erwähnt  auch  Ghapelain,  daCs  die  Beobachtung  der  ZeitregeT  natur- 
fl[emä(8  eine  Vereinfachung  des  Handlungsortes  zur  Folge  haben  werde. 
£r  spricht  durchaus  noch  nic^t  von  einer  unitS  de  lieu,  sondern  er  drückt 
sich  allgemeiner,  eanz  im  Sinne  der  Landschaftseinheit  aus,  wie  da- 
mals auch  die  anderen  taten.' 

Dafs  der  theaterfreundliche  Richelieu  erst  durch  Chapelain,  der  kaum 
vor  1684  zu  ihm  in  Beziehungen  trat,  von  einem  dramaturdschen  Strdt 
unterrichtet  worden  sei,  wel(£er  seit  1628  Theater  und  SiQons  erfüllte, 
hält  vor  streng  chronologischer  Betrachtung  nicht  stand. 

Die  Rücksicht  auf  den  Bühnenerfolg  bestimmt  Mairet,  in  seinem 
nächsten  Stücke  wieder  von  den  alten  Ireiheiten  Qebrauch  zu  machen 
(1682:  Les  galanteries  du  due  d'Ossone),  Die  iragieomSdie  Virginie  (1633) 
aber  mit  ihrer  komplizierten  Szenerie  unterwirft  er  von  neuem  der  Zeit- 
r^eL 

Inzwischen  griffen  andere  auf  die  Tragödien  Senecas  zurück  und  be- 
arbdteten,  unbekümmert  um  diese  Zeitregel,  seinen  Thyestes  oder  seinen 
'sterbenden  Herkules'  (Botrou  1684). 

Von  dieser  Seneca-Renaissance  angeregt,  schrieb  auch  Mairet 
eine  Tragödie,  Sophonisbe,  und  liefs  sie  (Dezember  1684)  im  Maraistheater 
au&ühren,  das  der  Salonkritik  mehr  entg^enkam.   Die  Handlung  verläuft 


^  Die  antiken  Tragödien  und  Komödien  erscheinen  ihm  denn  anch  handiongs- 
ann  und  en  qutlque  fagon  mnuymtset  (Otto,  I.  c.  p.  19). 

*  Im  Febroar  1685  eendet  Chapelain  an  Boierobert  die  Abschrift  einer  kleinen 
dramatai;gi8chen  Arbeit  (la  oopU  de  oet  rigle»  de  la  eomSdie).  Es  ist  damit  wobl 
eine  Skime  gemeint,  wie  eie  bei  Amauld  p.  847  eich  abgedruckt  findet.  Es  ist 
leicht  mlSglich,  dafli  diese  kompendiöee  Zusammenfassung  für  die  seit  1684  be- 
stehende Genossenschaft  der  emq  auteurs  bestimmt  war.  Hier  braucht  Chapelain 
Eum  ersten  Male  den  Ausdruck  vnitS  du  Heu,  aber  der  Zusammenhang  leigt  deut- 
lich, dafif  er  immer  noch  die  Provinz-  oder  Landschaftseinheit  meint  und 
nicht  die  vmüd  de  Um  im  späteren  strengen  Sinne. 


BeurteUangen  und  kurze  Anzeiget!.  497 

innerhalb  24  Standen.  Die  Bühne  zeigt  das  Innere  eines  Königspalaates 
mit  dessen  Umgebung;  mitten  im  fünften  Akt  wird  durch  Ennemung 
eines  Vorhanges  ein  weiterer  Baum  ^eöfinet,  in  dem  die  tote.  Königin 
liegt    So  zei^  die  rhetorische  Sophontsbe  wirklich  Einheit  des  Ortes. 

Diese  Sophonübe  schwellte  den  Strom  der  Tra^diendichtung,  der  seit 
anderthalb  Jahrzehnten  versiegt  war.  Fast  jeder  l)ichter  schrieb  1(535|36 
sein  regelrechtes  Trauerspiel:  La  Calpren^de  einen  Hükridatea,  Cor- 
neille eine  Medea,  Desmarets  eine  ÄBpanct^  Tristan  eine  Mariamney 
Benserade  eine  Qeopairti,  Sogar  Sender 7  'genügte  den  G^^ehrten' 
durch  einen  öcuary  um  dann  durch  die  Buntheit  einer  Dido  (1687)  wieder 
'das  Volk  zu  befriedigen'.  Mairet  selbst,  der  Führer  der  ganzen  Be- 
weffun^,  gab  noch  einen  MareuB  Antonius  und  einen  SaUman,  Botrou 
hidt  sich  fem. 

Alle  diese  'regelrechten'  Tragödien  zdgen  noch  kombinierte  Inszenie- 
rung. Das  Beste  unter  ihnen»  Tnstans  Mariamney  bedarf  fünf  versdiiede- 
ner,  aber  benachbarter  örtlichkeiten  {eompartiments) :  Thronsaal,  zwei  Oe- 
mficher,  Gefängnis  und  offene  Halle.* 

So  ist  mit  dem  Jahre  1635  der  Sieg  der  24-Stunden-Begel  gesichert 

In  der  Vorrede  zu  PanthSe  (Anfang  1689)  erklart  denn  auch  Durval, 
dafs  die  ^rigtdtera'  nun  seit  reichlich  drei  Jahren  die  Bühne  beherrschen. 

Es  ersdieint  als  ^anz  natürlich,  daXs  —  wie  schon  das  Beispiel  von 
Mairets  Sophonübe  zeigt  —  auch  der  Handlungsort  des  zeitlich  verein- 
fachten Dramas  sich  immer  mehr  vereinfacht,  und  daXs  die  Tlieoretiker 
hier  nachzuhelfen  sich  bestreben,  um  die  Landschafts-  und  Ort- 
schaftseinheit der  kombinierten  Szene'  zur  strenseren  unkombinierten 
Ortseinheit  zu  führen.  Noch  1685  kennt  auch  Cnapelain  nur  cUese 
Landschaftseinheit  (vgl.  S.  9  Anm.  2).  Aber  schon  im  bommer  1686  zei^ 
Durvals  Argument  zu  Agarite,  dais  die  Kritik  angefangen  hat,  die  Einheit 
des  Ortes  zu  fordern,  und  bekanntlidi  verlangt  dann  im  Dezember  1657 
die  junge  Akademie  in  ihren  SenÜmentg  sur  Je  Cid  diese  strenge  Orts- 
einheit als  Eonsequenz  der  Taeeseinheit 

Aber  diese  Forderung  blieo  zunfichst  wesentlich  Theorie.  Im  Jahre 
1639  tadelt  Sarasin,  dius  die  Dichter  noch  einige  Beste  der  alten  Hardy- 
schen  Inszenierung  bewahrt  hfitten :  leur  sehne  est  hien  en  une  seul  evule 
mais  non  pas  en  un  seul  lieu  (Otto,  1.  c  p.  CXVI). 

La  Mesnardi^re  stellt  in  seiner  Poetique  den  Stand  der 'göttlichen' 
Regeln  für  1640  dar.  Auch  er  bezeugt  noch  die  Ortschaftsemheit  mit 
kombinierter  Inszenierung.  Der  Abb^  d'Aubignac  aber  fordert  1657 
in  seiner  I^atique  du  ihmtre  die  strenge  Ortseinheit,  die  nun,  wie  er  sag[t, 
auch  herrschend  zu  werden  b^nne,  nachdem  die  Zeiteinheit  sdt  zwanzig 
Jahren  zur  Regel  geworden.  Und  der  Erste,  der  schlielslich  dazu  kommt, 
die  umU  de  lieu  im  allerstrengsten  Sinne  als  'Zimmereinheit'  zu  formu- 
lieren, ist  Corneille,  der  1661  einen  Ausweg  aus  seinen  Inszenierungs- 
nöten in  der  Fiktion  jenes  Vestibüls,  wo  alle  rersonen  in  gleicher  Wase 
zu  Hause  sind,  findet  {(Eki/vresy  ed.  Marty-Laveaux  I,  121). 

Ich  bitte  meinen  Freund  Bovet  um  Entschuldigung  dafür,  dafs  ich 
alle  diese  Dinge  hier  aufzähle,  die  er  ebensogut  kennt  wie  idi.  Doch, 
wollte  ich  seinen  scharfsinnigcoi  Ausführungen  mit  Aussicht  auf  Erfolg 
widersprechen,  so  war  es  unerlfilslich,  das  Wesentliche  aus   den  zeit- 


^  Mit  dieser  Inuenienmg  wurde  Mariamne  im  Februar  1897  im  Odion  auf- 
gefflbrt 

'  Zur  kombinierten  Ssene  gesellte  sich  bereits  anoh  der  Ssenenwecheel  mit 
Hilfe  von  Yorhftngen  und  Knlissen  (vgl.  Archiu  CVII,  448  £),  den  besonders  Sou- 
d4ry  braucht.  Bine  ntttzliche  Zusammenstellnng  sdner  schwankenden  Ortsbehand- 
Inng  gibt  A.  Batereau,   G.  de  SctMry  alt  Dramatiker,  Ldpsig,  1902;  &  170  iL 


4B8  Beurteilongeii  und  ktine  Anzeigen. 

gendsBischen^ZengniMen  hier  zuBammenzufagen.  Denn  nicht  die  iso- 
erande  Betrachtangsweize,  sondern  blofs  solche  Zasammenffignng  setzt 
die  Entwickelungsvor^ge  in  deutliches  licht  Das  Detail  gewinnt  erst 
hier  seine  Kraft:  Vumon  faü  la  foree  gilt  auch  davon. 

In  der  Lateiatnreeschichte  —  wie  in  der  Geschichte  überhaupt  — 
werden  entscheidende  Bewegungen  gern  auf  bewufstes  Eingreifen  besUmm- 
ter  Persönlichkeiten  zurückgeführt  und  so  eine  anekdotische  Erklärung 
bedeutsamer  geschichtlicher  Vorgfinge  geschaffen.  Der  Mensch  neigt  dazu, 
alles  Denkwürdige  auf  einen  bestimmten  Namen  abgestempelt  zu  sehen. 
Dioer  Neigung  zur  Le^nideDbiidung  sind  audi  die  sogenannten  'drei  Ein^ 
heiten'  zum  Opfer  gefallen^  und  zwei  G^ewIUirsmänner  des  achtzehnten 
Jahrhunderts,  die  Seoraistana  und  D' Oliv  et,  erkl&ren  denn  die  'Ein- 
führung; der  drei  Einheiten'  als  die  Tat  Chapelains." 

Keiu  Zeitgenosse  weüs  etwas  davon,  und  was  uns  die  Zeugnisse  der 
Zeitgenossen  — -  Ghapelain  inb^riffen  —  über  dramaturgische  Dinge  dir 
Jahre  1628—16.36  lehren,  das  widerspricht  direkt  jener  nachtra^chen 
Überlieferung. 

Es  han£lt  sich  nicht  um  die  Emführung  der  'drei  Einheiten'.  Die 
unäS  faetion  ist  jederzeit  eine  unbestrittene  Forderung  ^wesen.  Es  han- 
delt sich  zunächst  auch  nicht  um  die  uniU  de  Ueu;  diese  tritt  erst  im 
Laufe  der  Jahre  im  Gefol^  der  Zeiteinheit  auf,  braucht  Jahre,  um  for- 
muliert zu  werden,  und  Jahrzehnte,  um  durchzudringen.'  Es  handelt 
sich  nur  um  die  rigle  des  24  heures.  Diese  wird  dur<£  das  Beispiel  der 
italienischen  Pastoralen  um  1628  in  die  Salons  der  Pariser  SomiU  pdie 
getragen,  und  der  Einfluls  dieser  mächtigen  Kreise  bew^  den  Pastoralen- 
dichter  Mairet  1629,  trotz  des  Widerspruches  der  Praktiker  seine  Süvor- 
min  der  Forderung  der  Salonkritik  zu  unterwerfen. 

Die  Zeitregel  kommt  mit  der  Pastorale  aus  Italien. 

Das  Traffödienjahr  1635,  im  Gefolge  von  Mairets  Sophemsbe,  be^ 
negelt  dann  ihren  Triumph. 

Unter  den  Namen  der  literarischen  Persönlichkeiten,  die  in  diesem 
siebenjährigen  Kriege  hervortreten,  feblt  der  Ghapelains.  — 

K  Brugger,  der  seit  Jahren  mit  tief  eindringender  Arbeit  das  Ge- 
biet der  bretonischen  Sacen  und  ihrer  franzMschen  Überlieferung  durch- 
forscht, bringt  einen  'Beitrat  zur  Arthurischen  Namenforschung' 
und  handelt  über  Hain  de  Oomeret. 


*  ZweifelloB  wird  bei  dieser  Legende  ChapeUin  flberhanpt  eine  persönliche 
Bedentnng  sogesehrieben,  die  der  junge  Mann  gegen  1630  noch  gar  nicht  hatte. 
In  der  Erinnening  der  Nachwelt  lebte  eben  der  spHtere  Nephelegeretes  Chapelain 
weiter,  der  dann  besondere  unter  Masarin  das  literarische  Wetter  machte,  bis  das 
Boileaa-Qewitter  ihn  wegfegte. 

*  Die  Geschichte  der  umU  de  Heu  ist  ein  Kapitel  flir  sich.  Es  ist  immer 
noch  nicht  geschrieben  trots  aller  Abhandlungen  tnr  Geschiehte  der  drei  Ein- 
heiten. Wer  sie  schreiben  will,  mnOi  besondere  aaf  swei  Dinge  achten.  Erstens 
mnSk  er  in  der  DarStellong  der  Theoretiker  wohl  scheiden  zwischen  der  alteren 
Rordarung  einer  bloften  VereinfaohanK  der  HandlnngsOrtlichkeiten  (of.  Madias, 
1550}  Seal  ige  r,  1561;  Mairet,  1631,  LandschÄseinheit)  und  der  späteren 
Forderung  einer  eigentlichen  Ortseinheit  (CasteWetro,  1570;  Jean  de  la 
Taille,  1572;  Carlos  B07I,  1616:  dentro  tma  com;  Aoadimie  fran^aise, 
1637).  Zweitens  muft  er  die  seitgenössiBche  Bühnenprazis  der  mUt  «»  «odn« 
(kombinierte  Insaenierung  mid  Kulissenwechsel)  genau  verfolgen.  Was  eben  die 
Ortsdnheit  von  den  beiden  anderen  Einheiten  trennt,  das  ist,  dafli  sie  einen  tiefen 
Eingriff  in  die  ttberlieferte  Bühnenprazis  bedentet  Dieser  Umstand  hielt  Ihren 
Tciaaph  hltatan. 


BettrieUangen  und  tnirae  AnMigen.  49$ 

Alain  de  Gwneret  klingt  auch  dem,  der  im  Cjyeto  ftrtftof»  emigematon 
belesen  igt,  fremd.  Und  wirklich  findet  aich  der  Name  m  dicMr  Form 
nirgends  in  der  Arthur-Epik.  Brugser  aber  hat  seme  Spur  doch  übendl 
gefunden  —  als  Namen  von  Perceyais  Vater. 

De  Qomerei  begegnet  als  bretonische  Heimatsbezeichnung^  bei 
mehreren  Namen: 

Ban  de  Oimerei  (z.  B.  im  Ereo  und  Perewal  Chr^tiens;  im  Btau D^ 
eannu);  Elinan,  EUan  dt  Oomeret  (in  den  Ph)ph.  de  Maiin);  Marin 
le  jalou»  de  Oamerety  Qomoret,  Oomarä  (im  Perhevaue), 

Es  findet  sich  ein  Alain  (le  groe)  als  Vater  Percevals  in  den  meisten 
französischen  Perceval-Bomanen. 

Als  Personenname  ersdieint  Oomeret  (Oaumerei)  mit  dem  biB«> 
tonischen  Attribut  mor  (—  der  Qroise)  im  Atre  pSrüleuK  und,  wenn  Bruder 
cegen  Hertz  und  Heinzel  recht  hat,  bei  Wol£ram.  Wolfram  nennt  aen 
Vater  Perceyais  Oakmuret  (von  Anjou).  Dieser  Qakmwret^  mit  dessen 
G^eschichte  Wolfram  die  beiden  ersten  Bflcher  seines  Pürxival  füllt,  wfirde 
einem  Oomerety  Oaumerei  des  verlorenen  Quietschen  Pereewü  entsprechen, 
und  in  diesem  hätte  der  Verfasser  des  Ajtre  pSräleu»  den  Namen  gefunden. 

In  die  Vielheit  dieser  Namen  bringt  Bruggers  Schar&inn  Einheit: 
ihr  gemdnsamer  Ursprung  ist  in  Alain  de  Oomeret  zu  suchen. 

Oomeret  ist  die  auf  graphischem  Mi&yerständnis  beruhende  Namens- 
form, mit  der  die  französischen  Bomane  die  altbretonische  Landschaft 
Quenei  (=»  franz.  Vannee)  bezeichnen  (der  Name  kann  dann*  wohl  auch 
die  Bretagne  flberiiaupt  bedeuten). 

Alain  mor  \de  Oomerä]  hiefs  ein  historischer  Graf  von  Vaanes  (f  908]), 
der  schlieislich  Herrscher  fiber  die  ganze  Bretagne  ffeworden  war.  Die 
Überlieferung  der  Lais  und  Romane  hätte  also  den  Namen  dieses  Alain 
mor  [de  Oomerei]  merkwürdig  ^trennt  in:  einerseits  Alain,  dessen  Beiname 
mor  dem  Attribut  le  gros  wich,  das  von  einem  späteren  bretonischen 
Grafen  Conain  le  ^ros  (f  1148),  dem  Sohne  Alain  Fergants,  her- 
käme (cf.  den  Lai  Ikdorel);  anderseits  Oomeret,  was  mibyerstuidlich  zum 
Personennamen  gemacht  wurden 

Da  diese  Überlieferung  im  Französischen  wesentlich  schriftlich  w«r, 
so  waren  die  fremden  Eigennamen  argen  VerstQmmelunsen  und  Ver- 
wechselungen ausgesetzt,  und  damit  ist  denn  auch  bei  dieser  Namen- 
forschung der  Hypothese  ein  weites  Feld  eröfinet  Falsche  Schreibung 
oder  Lesung,  Kleckse,  welche  einen  Teil  des  Wortes  entstellen,  Vertau- 
schung Yon  Buchstaben  und  Buchstabengruppen,  Abfall  ganzer  Silben 
sind  mehr  oder  weniger  authen tische  Vor^nnge,  die  zwischen  scheinbar 
unverwandten  Namensformen  willkommene  Brücken  zu  schlagen  geetattoi. 
Dem  Lindsten  schwindelt  bei  diesen  Kombinationen  —  docn  hat  er  hier 
wenig  mitzureden,  da  es  sich  nicht  um  lautliche,  sondern  um  graphische 
Vorgänge  handelt.  Man  wird  Brug^r,  der  sich  auf  diesem  glatten  Boden 
mit  groTser  Sicherheit,  aber  auch  mit  grofser  Vorsicht  bewegt  —  wie  oft 
sagt  er  'vielleicht',  'wohl',  'es  dürfte'  — ,  bei  seinen  einzelnen  Schritten 
meist  gern  folgen  und  doch  am  Ziele  auf  die  durchlaufene  Bahn  mit 
einem  Gefühl  der  Unsicherheit  zurückblicken.  Aber  lehrreich  ist  der  Weg, 
und  Dank  schulden  wir  dem,  der  ihn  80  scharfsinnig  gewiesen  hat- 

So  verfolgt  Brugger  die  Hietoire  poSHque  des  Alain  mor  [de  Oomeret] 
des  9.  Jahrhunderts  durch  das  Wirrsal  der  bretonisch-französischen  Über- 
lieferungen und  ihrer  fremden  (griechischen)  Einschläge.  Von  ihr  aus 
fallen  fesselnde  Streiflichter  auf  Entstehung  und  Churuter  des  französi- 
sdien  Oyde  breCon.  Z.  B.  auf  die  Stammsage  der  Bretonenfürsten  {Lai 
Tidorel)^  und  des  Hauses  Bouillon  (Sdiwaniittersage)  und  ihre  Verknflplong 

^  In  der  Deutung  des  Details  dieses  merkwflrdigen  Lai  vemag  loh  freBloh 
Br.  nieht  flberall  sa  folgen. 


440  Bearteilimgen  und  kurze  Anzeigen. 

mit  dem  Pwflral^Bomaii,  auf  den  griechiechen  ünprune  des  yerlorenen 
ßagremor-BomajiB  etc.  Das  Vorkommen  von  Mohrenlana  und  Barazeoen 
m  den  Bpäteren  Arthur-Romanen  wird  beeprochen;  ee  werden  Spuren  der 
Überlieferung  von  den  Kämpfen  der  Bretonen  gegen  Goten  una  Franken 
«ifpialisiert ;  das  Verhältnis  von  Pgreeval  und  Laneeloi  (gemeinsame  Quelle) 
wird  cestreift  —  Brugjg;er  verweist  hier,  wie  nicht  selten,  auf  Untersuchungeu, 
mit  denen  er  noch  nicht  ans  Licht  getreten  ist,  und  deren  Veröffentlichung 
man  mit  Spannuu^  entgegensidit.  Das  gilt  besonders  aucK  für  seine  Be- 
merkungen zur  Kiot-Fnige.  BrugwBr,  der  uns  länsst  eine  Ausgabe  der 
Werke  Guiots  von  Provins  versprodien  hat,  wird  in  dieser  Ausgabe  seiner- 
seits den  Nachweis  yersuchen,  dals  Ouiot  in  angevinisdiem  Interesse  einen 
«ngevinis^en  iVoaiHi/  mit  Beigabe  sekundärer  kymrischer  Züge  ge- 
Mlirieben,  der  Wolfram  als  Must^  sedient  Dieser  angevinische  Tendenz- 
roman  sei  dann  mit  dem  Sinken  &t  Macht  des  Hauses  Anjou  der  Ver- 
gessenheit aafadmgefallen  und  der  Nachwelt  verloren  jg^egsmgen.  Diese 
Auffassung  zu  besprechen  wird  erst  dann  an  der  Zeit  son,  wenn  Brugger 
ihre  ausfimrliche  Begründung  gegeben  haben  wird. 

Bein  ganzer  Aunatz  ist  ein  neuer  Beitrag  zur  Lehre  von  der  breto- 
aiachen  Herkunft  der  französischen  Arthur-^ik.  In  der  einst  so  leiden- 
schaftlich geführten  Diskussion  dieser  Frage  ist  man  jetzt  ruhiger  ge- 
worden, und  Brugger  selbst  hat  seinen  Ton  zum  Nutzen  der  8adie  ge- 
mäfsigt.  Ich  gehöre  zu  denen,  die  der  von  ihm  vertretenen  Auffassung 
im  wesentlichen  recht  geben,  ohne  einen  frühen  kräftigen  britisch-an^^o- 
normannischen  Einschl^  in  dem  bunten  Gewebe  der  französischen  Arthur- 
Epik  zu  leugnen.  — 

Das  Patois  von  Orimmu^  betitelte  sich  eine  Inauguraldissertation  von 
1896,  die  im  Druck  indessen  nur  die  Darstellung  des  Vokalismus  bot. 
Ihr  Verfasser,  W.  Degen,  träft  hier  aus  sdnem  Material  Die  Konju- 
gation im  Patois  von  Cremines  nach.  Leider  verschwindet  dabei 
ein  Teil  der  Lautlehre,  die  Darstellung  des  Konsonantismus,  in  der  Ver- 
senkung, und  der  Leeer  steht  nun  manchem  Problem  der  Verbalformen 
zu  wenig  ausgerüstet  gegenüber.  Hoffentlich  schenkt  uns  Degen  nach- 
träglich auch  diese  Konsonantenlehre  noch. 

Das  Verbum  von  Or^mines  ist  reich  an  Problemen,  gemeinwest- 
schweizerischen  und  eigenen.'  Die  Mundart  ist  am  Absterben  und  zeift 
in  der  Konjugation  Erscheinungen,  die  man  als  Zeichen  des  Verfalls,  d.  n. 
des  schwindenden  Sprachgefühb  ansprechen  möchte. 

Das  lautliche  Zusammenfallen  von  Infinitiv  und  Part  perf.  in  den 
Verbeo  auf  -ore  und  -vre  (auch  anderer  Verba,  wie  z.  B.  füoä  =  cadBre 
und  *eadectu)  führt  dazu,  dais  oyü  und  marii  als  Infinitive  in  Gebrauch 
gekommen  sind.'    Wie  das  Partizip  den  Infinitiv  erneuert,  zeigen  auch 


*  Crtoiines  li«gt  im  Jnra  an  der  Sprachgrense,  die  dort  sogleich  bemisch- 
Bolothamisehe  KantonsgreDie  ist 

*  DaA  hahvibm  dem  Verb  ^  sein  Put.  perf.  liefert:  %  iö  äyü  (=  fm  iti), 
darf  freilich  nicht  als  eine  Crteiines  eigentümliche  Erscheinnng  angesprochen  wer- 
den (§  30).  Sie  ist  nicht  nur  gemeinweatschwehteriseh  (cf.  S.  192,  298),  sondern 
weit  ttber  romanisches  Gkbiet  verbreitet,  und  seit  Ganchat  1900  in  der  Festschrift 
fttr  K  Monaci  über  sie  gehandelt  hat,  ist  sie  aach  von  Salvloni  {AreK  gloäoL 
XVI,  208)  besprochen  worden.    Einen  Hinweis  bringt  aach  dies  Arekh  CIX,  197  n. 

'  Wie  anf  der  Basis  des  i^losen  Infinitivs  eine  Verwechaelnng  mit  dem  Part 
psif.  eintreten  kann,  seigt  das  snrselviBche  •  (gehen;  mit  der  Nebenform  ira  aus 
in  '{-  ad,  wie  Gärtner,  Mtorom,  Grammatik,  p.  186,  richtig  erklärt).  Das  Part, 
perf.  von  I  heifBt  im  Sing.  w$^  im  Plnr.  i.  EU  em  i  (sie  sind  gegangen)  wird  nun 
n  eis  mm  tra,  was  trotz  Ascolis  Bedenken  {Areh.  gloU.  VII,  511)  nicht  als  Prisens, 


Beuiteiluiigeii  und  kunEe  Anceigen.  441 

die  Verba,  die  das  r  des  Infinitivs  noch  erhalten  haben.  80  ist  röire  < 
rumpere  nicht  schwer  zu  denten  (§  9),  sondern  ans  dem  Part  ^rummUt 
entstanden  wie  trentinisches  rotter  aus  ruptu,  Bonire  fand  Nigra  in  V  al 
Soana  {Areh.  glott.  HI,  88,  wo  er  auch  auf  die  weitere  Verbreitung  der 
Form  hinweist),  und  seither  hat  sie  Salvioni  auch  im  Pavesischen  nach- 
gewiesen (ib.  XV,  86  f.).  So  sind  denn  auch  ffewüs  die  merkwflrdigen 
Infinitive  äpü^r  (appuyer),  didt^r  {Jouer)  etc.  Neubildungen  auf  Grund  der 
Part  äpü'  etc. 

Dais  die  endungsbetonten  (Plural-)Fonnen  des  Konjunktiv  praes.  teil- 
weise mit  den  Imperfektformen  zusammenfallen,  ist  ja  gemeiniranzOsisch 
('ions,  -M»).  Eine  Beihe  westschweizerischer  und  ostfranzösischer  Mund- 
arten haben  diese  Betonung  auch  auf  die  8.  Pers.  Plur.  aussedehnt,  so 
dats  der  ganze  Plural  von  mperf.  und  Eonj.  praes.  zusammenfällt  Viele 
Mundarten  des  franko -provenzalischen  Gebietes  haben  bekanntlich  auch 
im  Singular  des  Eonj.  praes.  endungsbetonte  Formen  entwickelt  und  da- 
mit diesen  Eonj.  lautlich  dem  Imperf.  noch  mehr  genähert  Aber  bis 
jetzt  ist  nur  in  Cr^mines  der  völlige  Zusammenfall  der  Endungen  von 
Konj.  praes.  und  Imperf.  indic  beobachtet  worden.  Man  wird  durchaus 
geneigt  sein,  diesen  Zusammenfall  lautiich  —  und  nicht  analogisch  ---  zu 
erklären,  doch  fehlt  ffir  eine  fruchtbare  Diskussion  noch  die  phonetische 
Grundlage.' 

De^ns  Darstellung  ist  sehr  knapp;  ein  reiches  morpholo^chee  Ma- 
terial ist  auf  wenigen  Seiten  zusammengediimgt  und  übersichtlich  ge- 
ordnet Die  Probleme  treten  scharf  hervor;  doch  hat  der  Verfasser  mit 
Becht  auf  billige  Gelegenheitserklärungen  verzichtet  und  auf  die  groisen 
Zusammenhänge  hingewiesen.'  — 

Aus  seinem  umfangreichen  Werke  über  Dante  inIVaneia  gibt  A.  Fari- 
nelli  hier  einen  weiteren  Vorläufer:  das  Kapitel  Dante  nelTopere  di 
Christine  de  Pisan. 

Fast  zu  gleicher  Ztit  zogen  von  Italien  nach  Westen  und  nach  Nor- 
den die  beiden  ersten  literarischen  Verkfindieer  Dantes  aus:  der  Genese 
Francisco  Imperial  nach  Spanien  und  die  Venezianerin  Christine  nach 
Frankreich.  Wie  Imperial  sich  auf  der  Spur  Dantes  abmüht,  zeigt  Faii- 
nelli  in  seiner  Arbeit  Dante  inLmaana  neu*  Etä  Media  (v^L  Archiv  CXV, 
270).  Christine  ist  eine  ungleich  oedeutendere  Persönhchkeit  als  jener 
Genuese.  Streben,  Gesinnung  und  Wissensdurst  brachten  Dante  ihrem 
Denken  und  Empfinden  inhaltiich  nahe.  Augenscheinlich  erbaute  sie  sich 
an  ihm,  wenn  sie  auch  aus  seiner  G^edankenwelt  wenig  direkt  sich  zu  eigen 
zu  machen  vermochte.  Die  Macht  des  Poeten  mag  sie  geffihlt  haben,  aber 
künstlerisch  bldbt  Dante  auch  ihr  nicht  nur  unerreichbar  —  der  Eünstler 
bleibt  auch  ihrem  Schaffen  ^md.  Christine  hat  keine  Gestaltungskraft, 
und  eine  persönliche  Note  ist  in  ihren  Werken  eigentlich  nur  da  erkenn- 
bar, wo  sie  von  ihrem  Unglück  spricht  oder  ein  Liebeslied  singt. 


Bondem  als  historisches  Perfekt  anfinifMsen  iet,  wie  der  Zosammenhang  der  Texte 
zeigt  VergL  s.  B.  Chm  mh  «t  ira  in  den  Prmäat  tursehamai  in  Böhmen  Rom, 
Sludim  n,  188,  8. 

*  Warum  sollte  a.  B.  räü  (teuf)  nicht  re$(ejeart  sein  (§  12)?  Cf.  Jetst 
OiUiöron  et  Mongin,  *  Seier  dornt  la  QauU  remam  du  tud  ei  de  Vut,  Paris  1905.  — 
Ist  nicht  dbrü'r  (aeakr)  ^  franz.  hroyer  (§  18)? 

*  Der  Ansdmck:  'es  wird  ein  y  eingeschoben  snm  Zwecke,  einen  dnreh  den 
Fall  eines  Konsonanten  entstandenen  Hiatos  an  beseitigen'  ist  sehr  anfechtbar. 
Solche  Zwecke  darf  man  dem  Laatwandel  nicht  setaen.  Die  Sprache  scheut  keinen 
Hiatus;  wohl  aber  entwickeln  eich  swiechen  Vokalen  leicht  hörbare  Übergangs- 
laate.     Vergl*  das«  Gknras  Abhandlmig  (AimM  dijik  rem.  VI,  466  ff.). 


442  Beartttlungeii  und  kurze 

Es  ist  Ihr  VerdieDst»  mm  ersten  Male  in  franzöeifloher  ßpracfae  von 
DmU  de  FTormee,  dem  vaiüantf  dem  sage  poele  gesprochen  zu  haben.  Sie 
stellt  das  Buöh  ou'on  appeüe  le  Dant  en  lanaue  fiorerUme  eouperamemeni 
düte*  als  eme  Quelle  höherer  Belehrnng  und  edlerer  Art  dem  yerabschenten 
Bosenraman  gegenüber.  Von  der  Überzeugung  erfüllt,  dals  wisseBBchaft- 
lidie  Bildung  die  Blüte  des  Daseins  ist»  wählt  sie  das  Itmgo  ahtdio,  mit 
weldiem  Dante  sich  bei  Vergil  legitimiert  (Inferno  I,  SS),  zur  Lebensiittf- 

gbe.    Sie  schreibt  das  Buch  vom  Chemin  de  long  Hude  (1402),  indem  sie 
mtes  Wort         _.   ,.      .  _  .        ^ ..      „         . 

Ckn  m*a  fatto  eerear  lo  iuo  wiume 
ZU  ihrer  Derisei  zu  ihrem  Stoisgebet  macht: 

Kat27t  mojf  lang  ^ttude 
Qui  m'a  faU  cerckier  Ut  wthoMt, 

Am  Anfang  ihres  endlosen  allegorischen  CSlemm  zeigt  sie  dnige  Dante- 
sche  Beminiszenzen  (an  den  Limbo  mit  seinen  Gelehrten  und  Dichtem, 
an  das  Paradiso  terreetre)  —  auch  in  den  zunfichst  folgenden  Werken 
(Mitkteion  de  fortune,  Vietons,  Livre  de  F^rudenee)  verweist  sie  noch  auf 
Dante  und  entlehnt  ihm  dort  eine  Inyektiye,  hier  einen  Hinweis  auf  lee 
jgg/w  (fenfer  oder  den  Spruch  von  der  viriti  ^i  face  a  de  men^onge  (B%f. 
JLVl,  124).  Dann  aber  entschwindet  der  Dichter  ihrem  Gesichtskreis; 
Italien  und  seine  Sprache  werden  CSbristine  fremder  in  der  Not  ihrer  fnm- 
zösischen  Existenz.  Seit  1407  scheint  sie  Dante  nicht  mehr  zu  nennen, 
und  sichere  Spuren  der  Oommedia  yermag  auch  das  scharfe  Auge  Fari- 
nellis  bei  ihr  nicht  weiter  zu  finden. 

So  ist  Dante  in  ihr  nicht  sehr  lebendig  geworden.  Sie  sieht  aus  engen 
Schranken  zu  ihm  auf.  Sie  kennt  von  seinen  Werken  nur  die  Oommedia, 
Diese  ist  für  sie  ein  opus  doctHntüe.  Der  so  persönlich  geprägten  Ge- 
dankenwelt dieser  Oommedia  vermag  die  unermüdliche  Kompilatorin  eigent- 
lich nur  das  Unpersönliche  zu  entnehmen,  das,  was  sich  schon  in  den 
Quellen  Dantes,  in  der  Bibel,  bei  Boethius  etc.,  fand:  Gemeinplätze  der 
mittelalterlichen  Wissenschaft. 

Das  zeigt  uns  FarineUi  mit  reichem  Kommentar,  und  er  gibt  uns  zu- 
gleich ein  sympathisches  Bild  der  strebenden  Frau,  die  sich  selbst  treffend 
eine  anoilla  seientiae  genannt  hat.    Er  schöpft  dabei  auch  aus  ihren  un- 

Sedruckten  Werken.  Wieder  erfüllt  der  Umfang  seiner  Belesenheit  und 
ie  Fülle  seines  Gedächtnisses  mit  Bewunderung,  und  zum  Geffihle  der 
Sicherheit,  mit  dem  der  Leser  sich  diesem  Führer  überläfst,  gesellt  sidi 
die  Freude  an  der  kunstvoUen  Darstdlung,  die  das  Wort  Dantes  mit  der 
Bede  Christinens  in  den  fesselnden  Text  verwebt.  — 

A.  Fluri  erzählt  nach  den  Akten  des  bemischen  Staatsarchivs  'Die 
Anfänge  des  Französischunterrichts  in  Bern*,  die  in  die  zweite 
Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  zurückgehen.  Es  sind  sehr  bescheidene  An- 
fänge. Sie  bezeugen  ebensowohl  die  Ängstlichkeit  des  Bats  in  Sachen 
der  Niederlassung  von  Fremden  als  das  alte  Elend  des  Sprachmeister- 
tums.  Was  den  Bat  bewegt,  die  Einrichtung  französischen  Unterrichts 
seit  1H75  ernstlich  in  Erwägung  zu  ziehen,  ist  der  Umstand,  dals  es  be- 
reits damals  in  der  Bürgerschaft  Sitte  geworden  war,  die  Kinder  zur  Er- 
lernung der  Sprache  ins  'Welschland'  zu  senden,  wodurch  'ohngleüblich 
vil  gelt  auls  aem  land  und  hingegen  vil  böse  Sachen  eingebracht  werden.' 
Aber  das  Jahrhundert  ging  zu  Ende,  ohne  dafs  die  amtlichen  Schreibereien 
zu  einer  Tat  führten.  Eine  Eglise  fran^ise  war  schon  1624  errichtet  und 
eine  Ecole  firan^aise  für  die  Refugiis,  die  nach  der  Aufhebung  des  Ediktes 
von  Nantes  in  Bern  Zuflucht  gesucht  hatten,  1689  gegründet  worden. 
Aber  für  die  Bemburger^  die  'welsch'  lernen  wollten,  gcMshah  von  Amts 


Beurteilangen  und  kurze  Anzeigen.  44S 

w^en  noch  lange  Jahrzehnte  nichts^  obwohl  der  Schubat  1726  erklärt, 
dab  'die  frantzösische  Sprach  heüt  zu  Dag  fast  in  der  gantzen  Welt  üb- 
lich und  zum  Commercio  höchst  ndhtig  iat.'  Erst  1769  wurde  ein  —  un- 
glücklidier  —  Verauefa  gemacht,  Französisch  in  den  Unterricht  der  Latein- 
schule aufzunehmen,  und  erat  zehn  Jahre  später  enchdnt  diese  Sprache 
nun  endgiiltig  im  Stundenplan  einer  städtischen  Lehranstalt:  der  neuge- 
gründeten  sogen.  Kunstschule,  wo  sie  'anstatt  der  todten  Sprachen,  von 
denen  man  im  gemeinen  Leben  selten  einen  Gebraudi  zu  machen  weife,' 
gelehrt  wird. 

Fluris  interessante  Mitteilungen  zeigen  aufs  neue,  da(s  Bern  yon  alters 
her  bei  allem  französischen  Firnis  eine  deutsche  Stadt  gewesen  und  ge- 
blieben ist  Die  siegreichen  Burgunderkriege,  die  Reformation,  die  Er- 
oberung der  Waadt  hatten  ohnemes  peit  Ende  des  15.  Jahrhunderts  das 
deutsche  Empfinden  gestärkt:  Französisdi  war  die  Sprache  der  besiegton 
Savojer  und  Bur^nder  und  der  unterworfenen  Waadtländer.  Der^at 
der  Stadt  Bern  hielt  jederzeit  am  Deutschen  als  seiner  Amtssprache  fest. 
Um  die  Mitto  des  16.  Jahriiunderts  weigerte  er  sidi  sogar,  Mitteilungen 
fremder  Gesandten  in  französischer  Spradie  ent^egenzundimen.  Die  Verr 
hältnisse  zwangen  ihn  hier  natürlich  bald  zu  Konzessionen.  Die  stete 
Beriihrung  mit  welschen  Untertanen  machte  den  regierenden  Familien  das 
Französische  vertraut:  französisdie  Bede  wurde  gldchsam  zum  Zeichen 
der  Begimentefähigkeit,  und  mit  dem  18.  Jahrhundert  kam  die  Zeit,  da 
das  vornehme  Bern  verwelscht  war  wie  —  das  vornehme  Berlin.  Doch 
blieb  Deutsch  die  Amtssprache,  und  der  Bürger  fuhr  fort,  sein  biDscheft 
Französisch  mühsam  durch  Privatunterricht  <äer  ein  hinsehen  Schule  und 
etwas  'Welschland'  zu  lernen  —  wie  heute. 

Zum  eretenmal  wird  die  Frage  der  Einheitlichkeit  des  Lautatandes 
einer  Mundart  zum  G^^nstand  systematischen  Studiums  gemacht  von 
L.  Gauchat:  L'unite  phon^tique  dans  le  patois  d'une  com- 
mune. Der  reiche  Inhalt  dieser  Arbeit  über  den  Dialekt  der  fraiburgi- 
schen  Gemeinde  Charmey'  (Gruy^e)  muTs  ebensowohl  den  Mundarten- 
foracher  wie  den  Sprachphilosophen  fesseln;  der  Beobachter  sprachlichen 
Kleinlebens  findet  m  ihr  den  Mibrokosmus  des  Details,  una  wer  wate 
Ausblicke  liebt,  vor  dem  rollt  Grauchat  die  grolsen  Fra^gen  des  Lebens 
aller  Sprechtätigkeit  auf. 

Die  Erfahrung  einer  langjähri^n  und  unermüdlichen  Patoisforschung 
diktierte  ihm  die  ereten  Seiten;  sie  bilden  ein  Vademekum  für  den  Lin- 
guisten, mag  er  selbst  Dial^taufnahmen  machen  oder  die  Aufnahmen 
anderer  benutzen.  Sie  orientieren  mit  Hilfe  präziser  Angaben  über  die 
Kautelen,  die  zu  beachten  sind,  über  das  Mala  de«  Zweifäs,  das  berech- 
tigt, über  das  Mais  des  Vertrauens,  das  unanfechtbar  ist 

Gauchat  hat  sdt  1898  wiederholte  umfangreiche  Unterauchungen  in 
Charmey  vorgenommen,  und  seine  Aufnahmen  eistredren  sich  üto  die 
ganze,  weit  ausgedehnte  Gemeinde  sowie  über  die  Nachbanchaft,  über  alle 
Alter  und  Berufe.  Er  ^haschte  noch  einige  Laute  von  einer  fast  hundert- 
jährigen Greisin :  la  banne  vieiUe  venaü  de  mettre  de  eSti  pour  tatffours  eoH 
raueiy  et,  lisant  la  Bibie  auprie  du  eereueil  qu'elle  avaü  faü  faire  cPavanee, 
eile  n'itaü  d^  plus  de  ee  numde,  —  Seine  sukzessiven  Aufnahmen  von 
etwa  fünfzig  Individualsprachen  kontrollieren  sich  gegenseitig.  Sie  sind 
ohne  Hilfe  eines  Apparats  von  einem  ungewöhnlich  scmirfen  und  geübten 
Ohre  gemacht 

^  Chanroy  liegt,  900  Meter  hoch,  in  der  (Vstlichen  Gruyire,  hart  an  der 
deatschen  Spraob-  und  Kantonsgrenze.  Es  ist  ein  groftes  Dorf  (1250  Einwohner). 
Fast  identisch  ist  die  Mundart  des  benachbarten,  eine  kleine  Stande  entfernten 
Otmist 


444  BeaiteUuDgeA  and  kurze  Aiuseigen. 

Oauchats  ünterrachiing  gilt,  wie  der  Titel  seigt,  vor  allem  den 
SchwankuDgen,  die  der  Lautstand  der  Mnndart  von  einem  Individnnm 
mm  anderen  zeigt;  seine  Arbeit  ist  ein  aus  dem  lebendigen  Leben  pe- 
echöpfter  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Natur  des  Lautwandels. 

Er  beginnt  mit  einigen  orientierenden  Ausführungen  über  den  —  ver- 
schwindenden —  Einflufs  anderer  Mundarten,  über  den  Einflais  des  Hoch- 
französischen*  (der  nicht  phonetisch  ist  und  sidi  besonders  im  Wort-  und 
Phrasenschatz  äuisert).  Dann  kommt  er  (8. 191)  zu  der  Sprachbewegung, 
die  innerhalb  des  Patois  selbst  entsteht  (moupemeni  spontani).  Der  Be- 
wegung der  Formen  und  des  Wortschatzes*  widmet  er  nur  wenige  Worte, 


'  Die  alte  mnndartlieh«  Konstniktion  (8.  190  et  p.  291)  j  va  &  ww^  (=  At 
^nmt  Uur  guSrir)  seigt  mit  ihrem  /»  eis  betontem  Obliqaae  des  Plarele  (frans,  ma) 
STntaktisehe  ZngehOrigkeit  snm  ProTensaliBchen. 

*  Fflr  die  Bewegnnf^  Im  Worteobats  sorgt  des  Leben.  Die  neaen  Dinge  und 
die  neuen  Besiehungen,  die  sein  FloA  encb  ins  abgelegene  Alptsl  wirft,  modÜIxieren 
den  Wortsdbati.  Neben  dem  Neuen  stirbt  Altes  ab:  Wttrter,  die  einst  haufifc 
waren,  weU  die  Ton  ihnen  beseichneten  Dinge  und  Besiebungen  alltiglieh  waren, 
treten  mit  diesen  sorflek  und  yersehwinden.  Diese  Bewegung  des  Wort- 
schatses  sieht  auch  den  Lantetand  in  Mitleidenschaft,  insofern  durch 
das  Zu-  und  Abkommen  Ton  Wörtern  und  Plirasen  (d.  b.  Lantreihen)  in  der  rela- 
tiyen  H&nügkeit  der  Laute  und  Lantverbindungen,  d.  h.  in  der  gansen  Ökonomie 
des  Laatgebaades  der  Mundart,  kleine  Yersohiebungen  erfolgen  —  kleine  mikro- 
skopisehe  VerseliiebuDgen.  Abw  Lautwandel  entwickelt  sich  bekanntlieh  aus  nn- 
seheinbarsten  Anllbigen.  Hinter  dem  makroskopiechen  Lautwandel,  den 
wir  hftren,  liegt  ein  mikroskopiseher,  der  jenen  Torbereitet  und  dessen  Bewegung 
wir  nicht  yemehmen. 

Ich  sehe  in  der  steten  Verlndemng  des  Wortschatses,  Iftr  welche  das  Leben 
sorgt,  eins  Quelle  des  Lautwandels,  d.  h.  der  unserem  Ohr  und  unseren  Apparaten 
erkennbaren  Veränderung  des  Lantstandes  ^er  Sprache.  Vergessen  wir  nicht, 
daA  die  Spracblaute  aufterordentlich  komplisierte  Gebilde  sind  (auch  die,  die  wir 
nach  ihrem  akustiscben  Eindruck  als  einheitlich  beseichnen,  cf.  8.  219  f.),  und 
daft  diese  Gebilde  Scbwankungen  und  Veränderungen  ausgesetst  sind,  die  au  messen 
Ohr  ^und  Apparat  nicht  ausreichen.  Ans  diesen  feinen  und  feinsten  Sohwankuugen 
und  Veränderungen,  die  jenseit  unserer  Beobachtung  liegen,  quillt  der  sogenannte 
Lautwandel,  d.  h.  der  phonetische  Wandel,  der  sinnfällig  genu^r  ist,  daft  wir 
ihn  SU  registrieren  yermögen.  Eine  spätere  Zeit  wird  ohne  Zweifel  Instrumente 
konstruieren,  mit  denen  wir  diesen  Lautwandel  noch  weit  hinter  die  Grensen  seiner 
heutigen  Sinnfälligkeit  aurflok  verfolgen  können ;  auch  hier  wird  sich  die  unendlich 
groAe  Welt  des  unendlich  Kleinen  Tor  uns  öflhen.  Diese  spätere  Zeit  wird  mit- 
leidig auf  unsere  heutigen  Registrierapparate  herabsehen;  sie  wird  mit  ihren  *Laut- 
femröhren'  und  'Lantmikroskopen*  ein  Leben  und  Weben  der  Laute  erkennen,  das 
wir  heute  nur  ahnen  können  —  bis  ans  Ende  wird  fireillch  auch  sie  nicht  sehen. 

Also:  das  Aufkommen  neuer  Wörter,  das  Häufigwerden  bisher  seltener,  das 
Seltenwerden  und  der  Schwund  bisher  gebräuchlicher  Wörter  unterhält  in  der 
Ökonomie  des  Lautg^bäudes  einer  Mundart  eine  stete  mikroskopische  Bewegung, 
die  sich  summieren  und  sum  Ausgangspunkt  makroskopischen  Lautwandels  werden 
kann.  Denn  es  ist  augenscheinlich  —  und  ich  weUii  mich  hier  mit  Freund 
Gauchat  völlig  einig  — ,  dab  der  Umstand,  ob  ein  Laut  resp.  eine  Lautreihe  häufig 
(flberhäufig)  oder  selten  ist,  ftlr  die  lautUche  Entwickelung  einer  Mundart  von 
fnndamentaJer  Bedeutung  ist:  eine  ttberhänflge  Lautung  kann  sich,  sosusagen  durch 
das  Gewicht  ihrer  Frequenz,  ausbreiten  (lautliche  Analogie).  Bin  namhafter 
Wortsntritt  oder  Wortschwund  kann  aber  eben  ÜberhäufigkeJt  einer  Lautung 
schaffen  resp.  hemmen  helfen. 

So  ist  das  Leben  (d.  b.  unsere  Kultur)  eine  Quelle  des  sogenannten  Laut- 
wandels  —   und  swsr  eine  nie  versiegende  Quelle,  sin  wahres  perpetuum  mobQe. 


BearteiliingeD  und  knne  Anzeigen«  44€ 

um  nueh  zu  seinem  eigentlichen  G^egenstand,  der  Bewegonff  der  Laute, 
den  phcmetiBchen  Variationen^  zu  kommen,  die  er  in  zwcd  gxoiaen  Ab» 
schnitten  behandelt: 

A.  VmriiU  phonUique  provenani  du  rhifthme  de  la  pkraae, 

B.  Varim  pMonäi^ue  mivarU  rage.' 

Eine  Fülle  linguiatischer  Belehrung  tritt  uns  da  entgegen.  Gauchats 
Blick  schweift  von  den  eone  ehartne^sans  zu  den  Lauten  der  anderen  pa- 
tau  romanda.  Wir  er&diren.  dais  nicht  alle  dieser  Patois  in  ihrem  Laut- 
stand beweglich  sind,  und  aais  auch  innerhalb  eines  Patois  totta  lea  eone 
ne  mareheni  pas  en  mime  iempe.  Die  neuen  burger  Mundarten  z.  B.  zeigen 
keine  makroesopische  Lautbewesung;  in  Charme^  sind  es  hauptsftchhch 
die  Vokale,  die  in  Bewegung  Gegriffen  sind  (sich  diphthongieren  resp. 
monophthongieren) : 

A  I  ^*  bewegt  sich  über  fy  zu  i  (mey  d^u>  mi d^u  ~  maie  d^aotU). 

vortoniges  \  ^  ^^^  «ch  über  twp  zu  w  (t  pxow  ph  >  i  pxu  pä  =  ü 


\  ne  pieut  pas). 

-D        I  a9  bewegt  sich  nach  a  {laf^  >  ja  a  hup). 
tontea  1  ^  bewegt  sich  nach  ^  (^  >  <^  =  <ot^). 

l  <f  bew^  sich  nach  ao  {fave  >fnfne  =  fhtee\ 


Zu  A.  Diese  vayeUes  mobüee  ey  >  i  und  cu  >  u  sind  also  nur  vor- 
tonig, d.  h.  sie  finden  sich  nur  im  Innern  des  Sprechtaktes  und  auch 
hier  nur  in  gelaufigen  Wortverbindungen  {formte  Uiee  sagt  Gauchat),  ey 
>  i  sind  die  beweglichen  Pendants  zu  betontem  ^  (m^  =  motSf  krf  ss 
eroioc,  v^  =  voü) ;  (w  >  u  die  beweglichen  Pendants  zu  betontem  a  (•  pxa 
=  ü  pleutf  ka  »  ecBur).  Dieses  betonte  ^  und  a  bleibt  auch  im  Innern 
des  Sprechtaktes  bestehen,^wenn  nicht  eigentliche  Proklise  eintritt,  also: 
la  erotx  blanche  =  la  kre  iidtee,  aber  le  mai»  (foHU  =  b  mfy  d^u  —  l9  mpy 
^u  —  h  mi  ifu.*  Welche  von  diesen  vortonigen  Formen,  die  alle  — 
samt  Obergangsformen  —  der  lebenden  Mundut  zur  Verfügung  stehen, 
im  einzelnen  ^dl  zur  Verwendung  kommt,  hangt  von  verschiedenen  Fak- 
toren ab:  ^ 

a)  vom  Akzent  (Bhythmus),*  z.  B.  v  v  begünstigt  t  (mi  d^u);  v  v  v  v 
begünstigt  fy^m^  de  fevrO; 

b)  vomKedetempo. 

Doch  ist  von  einer  strens  regelhaften  Verwendung  dieser  eone 
mobiles  nach  Rhythmus  und  i^etempo  nicht  die  Bede.  Die  Vielheit 
strebt  zur  Einheit:  i  und  u  werden  herrschend,  wenigstens  bei  den  Jün- 
geren.   Denn  bei  der  Verteilung  der  Formen  spricht 

c)  auch  das  Alter  mit.    Die  älteren  Leute  sind  vielfach  bei  ^,  ow 


*  Diese  Binteilimg  ist  nicht  gana  soharf.  Anch  die  von  Aksent  und  Bsde- 
tempo  bedingten  Lantiehwanknngen  (A)  erfolgen  zam  Teil  nmMMt  fdgt,  vgl.  unten. 

'  leh  kann  nicht  recht  Terstehen^  wmmm  Q.  die  komplisierte  Reihe  omt  — 
rir  —  mudr  —  aistt  —  oop  —  aoey  aneetst  (8.  198).  Weder  der  Umweg  Aber 
scheint  mir  fllr  Charmey  wahrscheinlich,  noch  sehe  ich  ein,  warum  die  vor- 
tonige Form  ao^  ihren  Weg  Aber  das  betonte  av^  genommen  haben  soll.  Aue 
altem  ttni^  ist  proklitisch  oMy,  betont  m^  entstanden. 

>  Im  benachbarten  BnUe  gibt  es  ehi  Wirtihaaa  La  Oroim  blomekt  (8.  801).  In 
Balle  ist  infolgedeesen  der  Nesnis  eroiat  blameke  so  geUoilg  geworden,  daA  eroiv 
In  eigentliche  Proklise  trat  und  eine  *ßtrmB  Kde*  entstand;  daher  das  Wirtshaas 
fa  kn  blaue  heiftt 

^  Bs  handelt  sich  am  den  Tom  expiratorischen  Akient  geschaflenen  Bhjthmos. 
Oewift  kommt  auch  dem  mosikallschen  Akxent  (der  Sprachmelodie)  EinflaAi  im 
Lautwandel  ni;  doch  bestehen  Aber  diese  sabtUen  lÄige  noch  keine  U&tersaohangen. 


446  Benrteilangeii  und  kunse  Anzdgen. 

gebüdben,  80  daft  z.  B.  ihr  Sowtä  (saui^)  neben  Suta,  ihr  r^y  foix9  {radi» 
fwtge)  neben  ri  roch»  nooh  besteht 

Aber  auch  die  Alten  sagen  bereite  regelmaiisiff  <iu  pä  (du  pain),  di 
färe  (des  ßvea),  vftd'o  (veuohiu),  vid-o  (vois-tu)  una  nicht  mehr  dato,  cfey, 
vauf,  peyt  d.  h.  der  Lautwandel  dieser  uberhäufigen  Verbindungen  ist 
auch  in  ihrer  Kede  weiter  vorreschritten.  Nicht  in  einer  Front  mar- 
schieren die  Wörter  unter  dem  befehl  des  Lautwandeb,  sondern  die  Be- 
wegung hat  ihre  Vorposten  und  ihre  Nachhut.  Jene  finden  aich  bcd  jung 
und  alt,  diese  nur  bei  den  Alten. 

Die  aus  der  Tiefe  der  Sprache  aufsteigende  Lauttendens  ergreift  zu- 
erst die  uberhäufigen  Verbindungen. 

Zu  B.  Die  Mehrzahl  der  Tonvokale  des  Charmeysan  ist  nicht  in  Be- 
wegung, aber  die  drei  beweglichen  a^  >  ä>  f  >  ^y  und  ä  ">  ao  sind  weit- 
aus die  häufigsten;  am  häufigsten  ist  a  >  oo,  der  den  franz.  Endungen 
er,  exj  6,  ie  entspricht 

Auch  im  Wandel  des  betonten  Vokalismus  spielt  die. Häufigkeit  des 
\  Vokals  eine  Rolle. 

Die  Bewegung  a*'  >  d  ist  heute  abgeschlossen.  Sie  hat  in'  Pausa  und 
zwar  im  Wortanslaut  begonnen:  n)  dui^  {un  loup)\  dann  ist  der  Wort- 
inlaut gefolfft:  p)  ära  (wure);  darauf  ist  auch  das  a^  des  Satzinnem  er- 
griffen worden:  y)  h  lä  te  predrf  {le  hup  te  prendra).  Nur  die  erste  Ge- 
neration'  braucht  in  ß  und/  noch  a"  und  auch  sie  nur  mit  Schwankungen : 
fler  nämlidie  Qreis  sagt  pa^dsco  (poüiee),  aber  kädo  {Gubüu)» 

Die  Bew^ung  ^  >  ^^  scheint  einen  entstehenden  Diphthong  zu  zeigen , 
doch  bleibt  hier  manches  im  Ungewissen.' 

'  C*€tt  Vaceau  fid  m  ut  coum,  fügt  0.  hinsa,  ohne  freilich  zu  ▼erkennen,  wie 
weni^  dsmit  erklärt  Ist  Der  n&mliche  FinaUs-Akient,  unter  dem  a^  sn  ä  mo- 
nophthongiert wird,  begleitet  in  a  die  Dipfathongiemng  sa  oo.  Wenn  aber  der 
Akzent  sowohl  Monophthongierung  ala  Diphthongierung  mit  sich  bringt,  so  ist  er 
offenbar  nicht  die  eigentliche  Ursache,  Bondem  er  acbaift  nur  die  Qelegenheit, 
hei  welcher  tiefer  Hegende  Ursachen  wirlEsam  werden. 

So  sucht  der  eine  Sprachforscher  den  Ursprung  gewisser  Diphthongierungen 
|m  Affekt  (Schneegans);  der  andere  Ulfst  sie  in  *den  Lento-Formen'  entstehen 
(Hersog).  Beide  haben  darin  recht,  daf«  sie  für  einselne  Sprachgebiete  konst&tieren, 
dafs  dort  das  rasche  affektische  Sprechen  und  hier  das  langsame  affektarme 
Beden  den  nftmlichen  Lautwandel  (Diphthongierung)  begleite.  Aber  solche  Kon- 
siatierungen  sind  keine  Erkl&rungen  der  Diphthongierung,  und  als  Erklärung 
wflrde  die  eine  der  anderen  nicht  ttbei  widersprechen.  Dafs  dort  der  Affekt  und 
hier  dessen  Mangel  mit  Diphthongierung  begleitet  ist,  liegt  nicht  am  Affekt,  son- 
dern liegt  an  der  Verschiedenheit  des  ganzen  subtilen  Lautgebändes  der  betreffen- 
den Idiome,  an  der  ganz  verschiedenen  Lagerung  ihrer  mikoroskopisch  verschiedenen 
Laute  —  d.  h.  die  Ursache  liegt  in  einer  Tiefe  verborgen,  aus  der  noch  kein 
Klang  an  unser  Ohr  dringt  Wir  können  einlach  makroskopische  Entspre- 
chungen konstatieren. 

■^  Ganchat  unterscheidet  drei  Generationen:   I  (60  bis  90  Jahre),  II  (SO  bis 
60  Jahre),  UI  (bis  30  Jahre). 

*  Sicher  ist,  da(^  der  Laut  in  Bewegung  (bald  f  bald  f»)  ist;  ob  sie  wirk- 
lich von  f  zu  ^v  geht  und  nicht  etwa  ^v  als  das  Ältere  gelten  mufo,  davon  hat 
mich  Gauchats  Darlegung  der  schwierigen  Verhältnisse  nicht  flberaeugt  Wenn 
ff  ein  schwindender  Diphthong  ist,  so  erklärt  sich  sowohl  das  ablehnende 
Verhalten  von  -f  aus  -fr  als  auch  die  Bpreohg^ewohnheit  einiger  Alten  (S.  114, 
bes.  auch  Anm.  8).  Auch  das  fv  der  konservativen  (cf.  8.  Sil)  patUhm  isfariis 
{id'fVla  =r  etoile)  spricht  fllr  älteres  fv.  Es  scheint  ein  Kampf  zwischen  «ns- 
lautendem  ^  (aus  ^)  und  -fv  vorzuliegen,  in  welchem  augenblicklich  ^  der 
mächtigere  Partner  ist  und  auch  die  Jungen  fUr  sieh  hat,  während  die  alte  uad 
die  mittlere  Oeneratioa  sshwankt. 


BearteiluDgen  udd  kunee  Aiueeigeb.  447 

Ffir  die  Bewegung  S  >  ao  —  eie  20^  Yon  allen  züerat  Gancliste  AxÜ- 
merkBamkeit  auf  aie  sons  mobiles  —  notiert  er  ObergangsfoimGii  wie  äf^, 
c^  bis  zu  auf  >  aw.  Die  Jugend  steht  heute  allgemein  bei  oo;  unter  den 
Altesten  sind  welche  mit  intaktem  äy  andere  zei^n  einige  «^  ohne  alle 
Begelmäfsigkeit  Gauohat  nennt  Ehepaare,  m  deren  Verkehr  durch- 
aus keine  Ausgleichung  stattgefunden  hat:  der  Mann  ist.  in  der  Haupt- 
sache beim  älteren  ä  geblieben,  wahrend  die  Frau  zu  ao  fortgeschritten  ist. 

Neben  diese  vayeiiea  mobüea  *  gesellen  sich  nun  auch  einige  Konso- 
nantenbewegungen (yergl.  S.  221;,  deren  zwei  von  Gauehat  besonders  ein- 
gehend erörtert  werden: 

Mouilliertes  l  (t)*  wird  von  Generation  I  und  II  noch  gesprochen; 
III  spricht  y,  d.  h.  bildet  den  palatalen  Yerschluis  nicht  mehr. 

Bei  interdentalem  &  ist  eine  ähuliche  Bew^^g  im  Gange:  auch  hier 
wird  die  Artlkulationsbewesung  der  Zunge  nicht  mehr  TöUig  ausgeführt, 
so  dais  an  Stelle  der  interoentalen  Reibung  ein  indüBTerentes  A  entsteht ' 


'  Ganobat  yerselchnet  im  Vorbeigehen  anch  noch  andere  Vokalbewegiingen, 
z.  B.  S.  821.  So  seigt  die  Jugend  von  Gharmey  (p.  188)  die  Neigang,  die  Ifssal- 
Tokale  sn  dekomponieren,  d.  h.  a  als  a*,  0  als  o**  su  sprechen.  Ich  denke,  die 
Bewegung  ging  von  dem  Falle  aus,  wo  a,  o  vor  einem  Dental  stand.  St  z.  B. 
enthalt  Bteti  nnd  gua  natfirlich  den  Gleitlaut  1»:  «"r,  nnd  wenn  t$<Ua  (cktaUar) 
■n  UamtOf  pjiflta  (pltmit)  sn  pxatUa  wird,  so  ist  eben  dieser  Gleitlaut  gewachsen 
nnd  gleichsam  aelbst&ndig  geworden.  Die  lautliche  Analogie'  hat  diese  Bntwicke.- 
lung  dann  weitergetragen,  so  daA  auch  man  (moii»),  byan  (blanc)  etc.  entstand.  — 
Ihren  Anfang  aber  hat  die  weithin  verbreitete  Lautbewegung  a  >  ofi,  o  ">  on  viel- 
leiflht  im  Gefolge  der  Aksentvenchiebung  genommen,  die  ttata  su  isäta  führt. 

*  Ich  muljs  an  meiner  Anffiusung  festhalten,  dafs  der  Laut,  den  Gkinchat  mit 
x7  beseichnet,  ein  'einheitlicher',  und  zwar  eine  stimmlose  /  vumUie  ist:  \,  Das 
X,  daa  einen  vermeintlichen  fiest  von  ib  beseichnen  soll,  ist  nichts  anderes  als  dfer 
bei  palatalen  VerschluiSilanten  sich  leicht  einstellende,  dem  Verschlufs  un< 
mittelbar  vorangehende  Engelaut:  ein  Gleitlaut  (vergl.  das  y,  das  leioht  vor  nnd 
nach  dem  mouillierten  •  gehört  wird:  '«v,  aber  im  ttbrigen  dnrohaus  nicht  su  den 
wesentlichen  Komponenten  des  Ijantes  gehört,  sondern  nur  seine  Gleitlautumgebung 
bildet).  Wird  nun  bei  /  mouiUee  der  Verschlnfs  am  Palatnm  nicht  mehr  völlig 
hergestellt,  so  entsteht  der  homorgane  Engelaut:  statt  I  ein  y  und  statt/  ein  x- 
Dieses  x  ^^  sber  vor  Vokalen  gans  natttrlich  vom  tönenden  Übergangslaot  y  be- 
glsitetj  x"*  Dieser  Gleitlaut  y  ist  auch  keine  neue  Bntwiokelung:  er  hat  schon 
beim  1  (s=  Gauchats  ^  bestanden. 

Steckt  nicht  in  dem  monillierten  /  der  Formen  le  <  iOt  m<  und  la  <  iäe 
kabei^  der  Gmyire  das  y  des  lateinischen  s5J,  d.  h.  ist  nicht  f  s  ==  frans,  il  y  est 
und  7a  =  tf  y  af  Die  Erscheinung,  dafli  das  Adverb  in  dieser  Varbindmig  fest 
wird  und  semantisch  untergeht,  ist  ja  wohl  bekannt;  ef.  das  nordital.  ya='Aa6e<. 

Das  Gegensttick  daan  bietet  altfr.  rre  (ert)  <  iraU  Dieses  betonte  er«,  das 
mit  s  aus  lat.  d  reimt,  ist  nicht  aus  einer  tonlosen  nndiphthongierten)Form  (irtt) 
entstanden,  die  den  Vokal  e  nicht  erklAren  könnte,  sondern  ist  erwachsen  ans  dem 
Nexus  ä  i  iere,  d.  h.  der  Lautreihe  ilierey  die  in  ü  t  er«  serlegt  wurde. 

*  Bei  diesem  AnlaTs  streift  G.  die  Frage  der  Bequemheit  des  Lautwandels 
(vergl.  auch  S.  880).  VITenn  der  Sprechende  von  einer  alten  su  einer  neuen  Lant- 
Ibrm  fibergleitet,  so  dokumentiert  er  dadurch  doch  sweifellos,  daA  ihm  die  neue 
Lautform  bequemer  ist  als  die  alte.  Die  Grftnde  für  diese  .Bequemheit  sind  selbst- 
verst&ndlich  psyehisch  und  liegen  nicht  nur  in  der  phonetischen,  sondern  auch 
in  der  begriflfliehen  Natur  der  betr.  Lautung.  Die  Frage  ist  eben  nicht  die,  6h 
uns  fremden  Beobachtern  die  Lautverbindung  bequem  erscheint  oder  nicht-  fiis 
kann  unserer  Zunge  recht  unbequem  sein  —  illgt  sich  aber  doch  bequem  ins 
Lautgebättde  des  fremden  Idioms  ein ;.  sie  ist  bequem,  weil  sie  idiomatisch  Ist, 
sie   ist  subjektiv  bequem:   De  earnmodkatibM  mem  ei^ Mk^u^tmümiü    -Ül  r  b»- 


448  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Gkuchat  zeigt  an  den  drei  Generationen  vortrefflich  die  allmähliche  Eni- 
Wickelung  des  Wandels:  ein  wahres  Schulbüd  für  die  Art,  wie  eine  Laut- 
tendenz sich  nach  und  nach  durchsetzt. 

Zuerst  wurde  das  DemonstratiYum  Qfgriffen  und  zwar  d'ow  {eece  iäo- 
rum)  früher  als  d'a  {eece  iÜaa):  auch  die  Altesten  —  mit  einer  Ausnahme 
—  rorechen  bereits  haw,  hu,  ha,*  Die  erste  Etappe  ist  also  eine  über- 
h&ufiee  Form. 

Dann  ergriff  die  Bewegung  auch  intervokales  &  und  zwar  in  Verbin- 
dungen wie  vois'tu  :  vid'o  >  viho;  veuxc-tu  :  vu&o  >  vuho.  Die  Gene- 
ration II  zeigt  die  Anfänge  dieser  Ausdehnung:  auch  in  dieser  zweiten 
Etappe  sind  die  Trager  überhäufige  Formen. 

Ebenso  beim  jungten  Schritt  von  ^  zu  A,  in  den  Frageformen  der 
dritten  Person,  wie  ou  esM  =  yg  e&9  >  yg  ek9? 

In  den  Wörtern  wie  festa  >  fid'a,  testa  >  ttf^a  ist  &  zu  Charmey  noch 
ganz  intakt.  Der  Lautwandel  i^*  >  h  tritt  adso  zunächst  inno-halb 
morphologischer  Grenzen  auf,*  die,  wohigemerkt,  zugleich  Häufigkeits- 
grenzen sind.  Diese  Form  Wörter  Au,  ha  {hu  ba  =  ces  oeufs;  ha  vat9e  = 
ceUe  naehe),  -ho?  -ha?  sind  ihrer  Natur  nach  fiberhäufig  und  bedeutungs- 
schwach.'  Sie  haben  in  bestimmten,  stets  wiederkehrenden  Verbindun- 
gen, in  welche  die  lebende,  von  Gesten  begleitete  Bede  sie  setzt,  ihren 
festen  Platz :  der  Sprechende  kann  sich  begnfieen,  sie  gleichsam  blols  an- 
zudeuten. Überhäufigkeit  und  Bedeutungsscäwachheit  der  Formwörter 
1^  d-a,  -1^0,  '&9  ermöglichen  und  fördern  eine  reduzierte  Artikulation  & 
>  A.    Diese  reduzierte  Artikulation  h  übt  sich  nun  so  ein  und  erstarkt 


quem?  Jai  sagt,  wer  es  cu  spreelieii  gewohnt  ist;  nein!  sagt,  wer  mit  R  aof- 
gewaehsen  ist. 

Dialektantenachangen  wie  die  Oanehats  aeigen  aaoh,  daOi  die  historische 
Chrammatik  in  ihren  entwickelongsgeschichtlichen  Lantkonstmktionen  nicht  leicht- 
hin mit  dem  Begriff  der  Unaassprechbarkeit  von  Lantverbindangen  operieren 
■oll.  Schwer  aassprechbar  oder  unaussprechbar  sind  gans  subjektive 
(idiomatische)  Begriffe,  für  die  dem  Grammatiker  kein  objektiver  MafäStab  snr 
Verfligung  steht  Lat  obgciaru  wird  ritisch  'txfr,  ja  in  Oberhaibstein  und  Bngadin 
iixfbr:  das  ist  dem  Bäten  leicht  aussprechbar  und  bequem,  dafür  ist  rfttiseh  aueh 
weder  toskaniseh  noch  s&ohsiseh. 

Das  natfirliohe  Bequemlichkeitsstreben  des  Sprechenden  findet  an  der  Hem- 
mnngsvorrichtung  dea  sogen.  Dentlichkeitstriebs  (cf.  Arckh  GXIU,  154)  seine 
natürliche  Sohranke.  Wenn  ich  von  meinem  Jungen  Theodor  in  der  FSmUie 
als  von  The  spreehe  (aus  Bequemliehkeitsgrflnden),  so  werde  ich  vor  Fremden 
daftir  en  UmUt  Uitret:  mein  Sohn  Theodor  sagen;  aueh  dies  aus  Bequem- 
lichkeit, denn  ich  wiU  eben  verstanden  werden. 

'  Eine  orientierende  Bemerkung  Aber  s&mtliche  Quellen  des  Lautes  i^  und 
Aber  sein  gesamtes  Vorkommen,  d.  h.  seine  Stellung  im  LantgebAude  der  Mund- 
art, w&re  ftr  den  Leser  lehrreich  gewesen. 

*  Doch  erscheint  er  in  Charmej  im  Begriff,  diese  Sohranke  sn  fiberschreiten: 
i&r9  (efre)  wird  tjkr»;  ^mdra  >  f^nikra, 

*  Die  ÜberhAufigkdt  eines  Wortes  bedingt  stets  eine  gewisse  Kachdrucks- 
losigkeit:  Qedanke  und  Artikulation  des  Sprechenden  gleitet  achtloser  Aber  ein 
solches  Wort,  das  immer  wiederkehrt  und  vom  Hörenden  ohne  MAhe  immer  wieder 
erkannt  wird.  Der  Grammatiklelirer,  sagt  Gauchat  sehr  gut,  wird  leicht  in  seinem 
Milieu  pmifeip  zu  sagen  geneigt  sein;  aber  deswegen  wird  er  nicht  ohne  weiteres 
AfU  oder  PrMpot  statt  Alibi,  Prinaipat  sprechen.  Die  überh&uflgkeit  schaflft  lAr 
ein  Wort  besondere  Lebensbedingungen  und  seitigt  Sondererscheinungen.  Zu  den 
Aberhinilgen  WOrtem  bestimmter  Milieuz  gehören  s.  B.  die  Bezeichnungen  des 
Handwerksseuges,  weshalb  gerade  diese  AusdrAcke  der  etymologischen  Ilentung 
so  groAe  Schwierigkeiten  ms<ihen. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  449 

so.  daß  sie  anch  weiterhin  auf  dem  Wege  lautlicher  Analogie  sieh  aus- 
dennt  und  auch  bedeutungsstarke  Wörter  wie  fi^a,  H^  (Gruy^res:  fiha, 
ttha)  ergreifen  kann. 

Diese  Untersuchungen  Gauchats  zeieen,  dafs  der  Lautwandel  sich  in 
Tat  und  Wahrheit  in  anderer  Weise  voluieht,  als  die  Theorie  sich's  aus- 
gedacht hat.  Diese  Theorie  behauptet,  dafs,  wenn  ein  Laut  in  Be- 
wegung j;erat,  z.  B.  d  m^ea  e  hin  oder  *r  geeen  d  >  S  iiin,  diese  Be- 
wegung in  winzi^n  S<mntten  eldchmäisig  ai3  der  eanzen  Linie  bei  allen 
d  und  ^C  sich  einstelle  und  aSe  ä  und  V  zu  gleiäer  Zeit  bei  0  resp.  S 
anlangen.  Und  'die  Theorie  fürt  hinzu,  dafs  das  so  sein  müsse,  weil  der 
Lautwandel  ausnahmslos  verlaufe.  Die  Tatsachen  einer  lebenden  Mund- 
art aber  zeigen,  dafs  die  Lautbewegiing  nicht  in  dieser Qldchmälsigkeit 
und  Allgemeinheit  verlauft,  sondern  daCs  sie  an  einer  einzelnen,  ganz  be- 
stimmten (bedingten)  Stelle  einsetzt  und  hier  sich  entwickelnd  und  erstarkend 
über  diese  ursprüngliche  Bedingtheit  hierhin  und  dorthin  hinausgreift  und 
—  hier  zögernd,  dort  stürmiscuier  —  das  Entwickelungsresultat  (d.  h. 
den.  fertigen  neuen  Laut)  auf  andere,  nicht  identische,  sondern  nur  ähn- 
liche FäQe  überträgt.  Gewils  zeigt  das  Ergebnis  jlieser  Obertragunff 
schliefslich  eine  grolse  Regelmäßigkeit  —  aber  da-  Übertragungsprozefi 
selbst  (d.  h.  der  Wandel)  vollzieht  sich  in  der  Individualsprache  sprangt 
haft  und  ohne  Konsequenz. 

Und  in  diesen  Prozefs  hinein  führt  uns  Gauchats  feine  Beobach* 
tungsgabe  und  kluger  8inn. 

Der  Wandel  von  ^  >  ^  nimmt  mit  einem  einzigen  fiberhäufigen  Wort 
(^otr),  welches  das  ^  in  besonderer  Stellung  —  anlautend  vor  0  —  zeigt, 
seinen  Anfang.  Anlautendes  ^  vor  a  im  überhäufigen  d'a  derselben  demon- 
strativen Function  folgt  &  vor  a  ist  nämlich  gar  nicht  der  gleiche  Laut 
wie  d"  vor  0  —  ganz  abgesehen  von  der  manoskopischen  Tatsache,  dafs 
^  vor  o  'gerundet'  ist:  jede  Lautverbindung  modifiziert  durch  feinere  oder 
gröbere  Assimilationsvorffänge  (Sandhi)  den  dnzdnen  Laut,  und  für  ein 
so  feines  Ding,  wie  der  Lautwandel  ist,  fallen  auch  die  kleinsten,  feinsten 
Differenzen  der  Laute  in  Betracht.' 

Nun  greift  h  statt  ff'  über  die  demonstrative  Funktion,  die  den  Prozels 
zunächst  begrifflich  bedingt  hatte,  hinaus  auf:  vtho^  auf:  yq  eh»,  immer 
noch  innerhalb  überhäufiger  bedeutungsschwacher  Nexus  stehen  bleibend. 
Ohne  alle  Regelmäfsi^keit  sprechen  die  Sprachgenossen  d'a  neben  Ao,  vid'o 
neben  viho,  w  ed^  neben  ffg  eh». 

Niemand  sagt  zu  Charmey  statt  fi^a  ein  fiha  (wie  sie  im  Hauptort 
Gruj^res  sprechen).  Das  &  in  fi&a  ist  eben  tatsächUch  ein  etwas  anderer 
Laut  als  das  ^  in  vido  —  seine  psychischen  Bedingungen  (Überhäufig- 
keit, Funktion)  sind  ganz  andere  — ,  und  im  Si>rachempnnden  des  Ghar- 
meysan  sjegt  vorläufig  diese  akzidentdle  Verschiedenheit  über  die  funda^ 
mentale  Amilichkeit  und  verhindert  die  Ersetzung  durch  h.  Aber  —  ü 
tempo  i  galaniuomo  auch  in  Dingen  des  lautlichen  Empfindens,  und  Ohar- 
mey  wird  wohl  elxmfalls  dahin  gelangen,  wo  Gruy^res  oereits  angekommen 
ist:  zu  fiha, 

Heiüst  es  dnmal  mha,  fiha,  iiha,  dann  liegen  die  Dinge  so,  dais  am 
grünen  Tisch  der  papierenen  Linguistik  ein  sogen,  'ausnahmsloses  Laut- 
gesetz' beschlossen  worden  kann,  das  vorschreibt:  in  Charmey  muls  inter- 
vokales 1^  zu  A  werden  I  Wie's  aber  mit  fiha  wirklich  zugegangen  ist, 
das  lädst  dieses  'Gesetz'  nicht  ahnen:  dn  solches  'Gesetz'  schlagt  das 
Leben  totl 


>  Schon  langst  habe  ich  (z.  B.  Arekw  XCIV,  348  n.)  dagegen  protestiert,  daft 
unsere  historische  Lautlehre  über  diese  Differenien  so  leicht  hinweggeht  O.  Paris 
habe  ich  freilich  nicht  fibervengt  (et  Romamia  XXXI,  40 1> 

ArehlT  t  n.  Spcachen,    CXV.  29 


45(1  Benrteiliuigen  und  kurze  Anzeigen. 

Nun  konstatiert  Gauchat  die  kapitale  Tatsache,  dafs  den  Bewoh- 
nern Yon  Charmey  die  gescnilderten  starken,  zum  T«il 
sprunghaften  Lautdifferenzen  nicht  bewufst  sind.  Die  einen 
sprechen  &,  die  anderen  h,  die  einen  sagen:  ifxowp<^^y  ^  anderen:  ipx!» 
poy  die:  &  n&  {un  fie»),  jene:  &  nao  —  aber  sie  hören  diese  Verschieaen- 
nat  nicht  Die  Alten  sagen:  h  me  te  da°  (fo  miel  est  douaS)^  die  Jungen: 
le  me*  le  da  ^  aber  wenn  sie  aut  solche  Differenz  aufmerksam  gemacht 
werden,  so  wollen  sie  nichts  davon  wissen  und  weisen  den  Beoba(£ter  mit 
der  ErklArun^  zuredit:  Nous  parlona  taus  la  mime  ekop!  (8.  20*2).  Le 
M^W  qud  viemde  prononeer  vuno  proteete  qu*il  ne  e*eaDpr%me  jamais  amai 
(8.  231). 

Der  Lautwandel  der  gesprochenen  8prache  vollzieht  sich,  ohne  daCs 
die  Sprachgemeinschaft  ctor  durch  ihn  geschaffenen  individuellen  Ver- 
schiedenheiten bewufst  wird.    Das  ist  eine  sehr  bedeutsame  Tatsache. 

Unser  Ohr  ist  bekanntlich  den  Klängen  der  Muttersprache  gegenüber 
sehr  empfindlich.  Die  geringste  Veränderung  ihrer  Laute,  die  «in  f^rem- 
der  sich  zuschulden  kommen  läist,  kommt  uns  scharf  und  deutlich  zum 
Bewulstsein.  Dals  dieses  scharfe  Ohr  in  Charme^  Lautdifferenzen  wie  & — hj 
ow^u  etc.  nicht  hört,  11^  daran,  dafs  es  sie  nicht  iüs  etwas  Fremdes 
empfindet  Diese  Differenzen  beruhen  auf  Lauttendenzen,  die  tief  im 
8prachgebäude  begriindet,  die  aus  dessen  besonderer  Harmonie  geboren 
sind.  Sie  reichoi  mit  ihren  Wurzeln  tief  in  das  mikroskopbche  Leben 
und  Weben  der  Laute  hinab,  und  auch  das  Individuum,  das  den  Laut- 
Wandel  noch  nicht  sinnfällig  aufweist,  träft  ihn  doch  latent  in  seiner 
Sprache,  trägt  die  schlummernde  Neieuuf  dazu. 

£2in  Fremder  verletzt  unser  Ohr  dura  Laute,  die  zu  unserem  ranzen 
Lautsystem  in  keinem  harmonischen  Verhältnis  stehen;  die  neuen  Laute, 
die  der  eingeborene  Lautwandel  schafft,  empfinden  wir  als  harmonische 
Teile  dieses  Systems,'  das  uns  mit  unseren  Sprachgenossen  ge- 
meinsam ist 

Jenes  komplizierte  psychische  Gebilde,  das  wir  Sprache  nennen,  ist 

fewiXs  bei  jedem  Indiviauum  individuell  gestaltet.  Die  auf  die  Sprache 
ezfiglichen  Vorstellungen  (Klang-,  Bewegungs-  und  B^iffsbilder)  sind 
bei  Jedem  etwas  anders  K^agert,  besonders  die  Begriffsbiider.  Die  Asso- 
ziationsreihen aber,  in  denen  die  den  Sprach  lauten  geltenden  Klang- 
und  Bewe^ungsbilder  geborgen  sind,  sind  bei  allen  Sprrachgenossen  wesent- 
lich identisch ;  sie  sind  interindividuell.  Auf  der  Basis  dieses  ^meinsamen 
Lautempfindens  erwächst  der  Lautwandel;  in  diesen  Assoziationsreihen 
vo-läuf t  er. 

So  hat  der  Lautwandel  wesentlich  unpersönlichen  Charakter.  J*ai 
itudii,  sagt  Gauchat,  environ  50  languea  individuelles  et  je  n*y  ai  rien 
tromi  iPindividueL*  — 


'  Man  pflegt  die  Besnltante  aller  Artikulationen  eines  Idioms  Artikulations- 
basis  sa  nennen  und  könnte  also  in  einer  gewissen  anfserlichen  Weise  sagen, 
daft  die  durch  den  Lautwandel  geschaffenen  Laute  eben  der  Artiknlationsbasis 
konform  sind.  —  Man  darf  aber  nicht  vergesgen,  dafb  'Artikulationsbasis'  die  Be- 
leicbnung  eines  physiologischen  Verhältnisses  ist,  während  der  Lautwandel 
ein  psychischer  Vorgang  ist.  Indessen  könnte  man  von  einer  psychischen 
Artiknlationsbasis  sprechen  und  darunter  das  Ganze  der  psychischen  Lautbilder 
verstehen,  die  der  Artikulation  vorstehen. 

*  Dafür  gibt  er  zum  Schlul^  noch  einen  fiberraschenden  Beleg,  der  sugleich 
die  bewunderungswtlrdige  Sch&rfe  und  Umsicht  seiner  Arbeitsweise  illustriert.  In 
dem  jenseit  des  Javros  liegenden,  von  Charmey  etwa  dreiviertel  Stunden  entfernten 
Dorfe  Cemiat,  das  mit  Charmey  sehr  wenig  Verbindung  hat,  leigen  sich  die  n&m- 
liehen  Lanterscheinungsn  wie  in  Charmey.    Dieselben  Laute  sind  in  der  nimlieheii 


i«i 


Bearteilüngen  und  kurze  Anzeigen.  451 

Wenn  diese  Anschauungen  richtig  sind,  so  ist  es  auch  einleuchtend, 
dals  die  Häufigkeit  eines  Lautes  seinen  Wandel  fördert  Ich  wiU  nicht 
sagen,  dais  die  Häufigkeit  den  Wandel  geradezu  hervorruft  —  aber:  ein 
Laut,  der  in  Bewegung  geraten  ist,  wird  rascher  zum  sinnfälligen  Laut- 
wandel gelangen,  wenn  er  sehr  häufig  gebraucht  wird. 

Qauchat  hat  nachgewiesen,  wie  uBerhäufigkeit  die  Lautbewegung  för« 
dert:  die  mobilen  a<>,  e^,  ä  sind  zugleich  die  häufigsten  Vokale,  und  &  be- 
ginnt seinen  Verschluls  zu  yerlieren  in  gewissen  Lautverbindungen  häufig- 
sten Crebrauchs. 

Und  noch  auf  eine  andere  'Häufigkeitserscheinung'  weist  Qauchat 
wiederholt  und  nachdrücklich  hin.  Er  nat  beobachtet,  dais  die  flauen 
den  Männ^m  im  Lautwandel  durchschnittlich  voraus  sind  (in  ty>  l,  8.  205; 
If  >  Ä,  S.  209;  a»  >  a,  8.  211;  h  >  aoy  8.  218  f.;  vergL  8.  224).  Das 
hänfft  zweifellos  damit  zusammen,  dafs  die  Frau  mehr  spricht  und  also 
auch  die  in  Bewegung  befindlichen  Laute  mehr  braucht  und  so  die  in 
ihnen  wirkende  Lauttondenz  fördert  A  la  etwipagne,  heilst  es  bei  Gau- 
chat (8.  218),  le  phre  quüte  la  tnatson  de  bonne  neure  pour  vaqvßr  d  mb 
tratmix,  au  müieu  desquels  an  le  voüy  taeiiume  et  souvent  isoli,  toute  la 
joumSe.  Tel  phv  parle  plus,  en  iti,  ä  ses  bUea  qu'ä  see  enfarUe.  La  mire 
qui  passe  beaueoup  plus  de  temps  ä  la  maison,  en  sociiti,  ä  cuistner,  ä 
tavery  parle  beaueoup  plus,  S'ü  faut  dvre  10000  fois  päla  pour  arriver  ä 
dire  paola,  ü  est  Svident  que  la  nouveÜe  fapon  de  prononeer  apparattra 
plus  vite  dans  le  langage  de  la  femme  que  dans  le  parier  plus  rare  et  phts 
leni  de  Vhomme, 

Daraus  geht  nun  auch  hervor,  dais  das  £[ind  von  der  Mutter  einen 
vorgerückteren  Lautstand  lernt:  ^La  demüre  ginSration,  c'est  ä  dire  Ums 
les  enfants,  se  ränge  du  edtS  des  mhres  ...  on  ne  parle  pas  sans  raison  du 
toU  paternely  mais  de  la  langue  matemelle. 

Das  ist  im  Lautwandel  die  Bolle  des  E^indes :  Übernahme  und  Weiter- 
bildung einer  vorgeschritteneren  Lauttendenz.  Diese  Tendenz  wird  nicht 
durch  eine  angebhch  unvollkommene  Lautnachahmung  seitens  des  Kindes 
geschaffen.'  Nicht  beim  Kinde  tritt  eine  Lauttendenz  zuerst  in  Er- 
scheinung, sondern,  wie  Gktuchat  mit  guten  Gründen  meint,  beim  £r- 
wadisenen  im  kräftigsten  Alter,  bei  der  Generation  II.  Diese  Generation 
hat  den  reichsten  8prachbesitz,  und  in  dieser  gröfsten  Fülle  des  Sprach- 
lebens treten  die  verborgenen  Lauttendenzen  an  die  Oberfläche  im  Laut- 
wandel. 

Aber  warum  wandelt  sich  denn  der  8prachlaut  überhaupt?  Keine 
der  bisherigen  Erklärungen  befriedigt,  insbesondere  auch  die  nicht,  die 
den  8prachwandel  auf  einen  ganz  imaginären  Wandel  der  artikulierenden 
Organe  gründet. 

Indem  sich  die  Linguistik  ausschliefslich  an  den  sinnfällig  gewordenen, 
makroskopischen  Lautwandel  hält,  hat  sie  zu  der  Vorstellung  gelangen 

Bewegnng,  obwohl  ein  persönlicher  Einfluib  von  Dorf  zu  Dorf  nicht  besteht.  Bin 
QrtlB  zu  Charmey  spricht  wie  ein  Alter  aas  Cemiat  —  auch  die  Jagend  der 
beiden  Dörfer  ist  laatlich  gleich  weit  Toigeschritten,  so  daA  innerhalb  der  n&m- 
lichen  Gemeinde  zwischen  einem  70jährigen  and  einem  20jährigen  Charmeysan  die 
Lautififferensen  gröfser  sind,  als  zwischen  zwei  jangen  Barscheu,  von  denen  der 
eine  ans  Gerniat,  der  andere  aus  Charmey  stammt. 

*  Diese  unhaltbare  Lehre  ('Einttbungstheorie')  wird  von  Oauchat  wiederholt 
abgelehnt  (S.  212,  228  fif.).  —  Statt  auf  die  angebliche  Ungenaulgkeit,  mit  der 
das  Kind  die  Bede  der  Motter  nachahme,  eine  sprachliche  Entwickelungstheorie 
zu  gründen,  fufiie  man  lieber  auf  der  augenscheinlichen  (Genauigkeit  dieser  Nach- 
ahmung and  der  Virtuosität,  mit  der  das  Kind  sich  nach  den  ersten  Tastversuchen 
seinem  lautlichen  Milieu  anbequemt.  Am  Kinde  ist  doch  gerade  die  Fähigkeit 
der  AflsimiUerung  das  Charakteristische  und  nicht  die .  Selbständigkeit» 

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452  Beurteilnngen  und  kurze  Anzeigeii. 

können,  es  sd  der  Lautwandel  ein  rein  artikalatoriBcher  Yoreang.  Sie 
kat  auf  diese  Weise  auch  auf  den  Einfall  kommen  können,  den  Laut- 
wandel aus  Veränderungen  der  Artikulationsorgane  zu  erklären,  und  hat 
ihn  ab  'physiologisch'  den  'psychischen'  Bprachvorgängen  gegenübergeBtellt. 
Es  ist  aber  der  Lautwandel  selbst  em  psychisches  Pnänomen;  er  be- 

§innt  mit  jenen  all^einsten  Veränderungen  der  psychischen  Lautbilder, 
ie  der  Akzent  veranlafst. 

Dals  die  Lautgestalt  eines  Wortes  mit  dem  Akzent  aufs  innigste  Zu- 
sammenhang und  die  Tonsilbe  andere  Lautschicksale  hat  als  die  Neben- 
tonsilbe, weils  man;  ebenso,  dafs  eine  Veränderung  des  Akzentes  von 
Lautwandel  begleitet  ist. 

Die  romanische  Sprache,  deren  Lautwandel  sie  am  weitesten  vom 
Lateia  entfernt  hat,  das  Französische,  weist  auch  die  stärkste  Akzent- 
änderung auf.  Das  Französische  ist  binnen  einem  Jahrtausend  vom  über- 
mächtigen expiratorischen  Akzent,  der  die  Nebentonsilben  einschrumpfen 
liefe  {earriedits  >  tiardXiets),  zum  schwebenden  Akzent  gekommen,  der 
trotz  grundsätzlicher  Oxytonierung  fast  alle  Silben  gleidi  hervortreten 
lä&t:  das  Französische  ist  vom  Extrem  des  gewalttätigen  Iktus  zum 
Extrem  des  schwächsten  Nachdrucks  gekommen,  und  gegenwärtig  sieht 
es  so  aus,  als  ob  neue  Formen  der  Akzentuirung  sich  Yorbereiteten :  im 
Affekt  stellt  sich  ein  kräftiger  expiratorischer  Akzent  ein,  und  oft  sehen 
wir  ihn  die  altgewohnte  Tonstelle  verlassen  (absolument;  e'eat  dSgoütant  etc.). 
Wohin  das  fflnren  mag,  braucht  uns  hier  nicht  zu  beschäftigen ;  ich  wollte 
nur  auf  den  Parallelismus  zwischen  Akzentwandel  und  Lautwandel  hin- 
weisen: Akzentwandel  wird  zum  Anlafs  von  Lautwandel. 

Der  Akzent  aber  wandelt  sich  aus  Gründen  des  Affekts.  Der  Akzent 
Oier  expiratorische  und  der  musikalische)  hat  den  Zweck,  gewisse  TeUe 
der  Lautreihe  hervorzuheben  und  so  die  Aufmerksamkeit  oes  Hörenden 
auf  bestimmte  Teile  der  Bede  zu  lenken.  Im  Akzent  Viegf>  das  persön- 
lidiste  Element  der  Sprache;  er  ist  seiner  Natur  nach  individuelL  Indem 
nun  die  Sprache  auch  den  Akzent  in  Rhythmus  und  Melodie  der  Laut- 
reihe für  alle  festlegt,  legt  sie  dem  Individuum  eine  Fessel  auf,  die  es  in 
gewöhnlicher  Bede  willig  trägt,  die  es  aber  in  der  Errang,  im  Affekt 
torziert  und  sprengt.  Das  Bedürfnis  des  Affekts  rehabilitiert  den  indi- 
viduellen Akzent. 

So  lie^  im  Akzent  der  Sprache  ein  Widerspruch,  der  nie  zur  Buhe 
kommen  wird,  so  lange  Menschen  sprechen:  der  Widerspruch  zwischen 
Individuum  und  Gemeinschaft.  In  dem  Ma&e,  in  welchem  eine  *Hervor- 
hebungsweise'  (Akzentuirung)  allgemein  (interindividuell)  wird,  in  dem 
nämlicnen  Malse  verliert  sie  an  Hervorhebungs  kraft,  d.  h.  wird  sie  selbst 
entwertet,  und  instinktiv  strebt  das  Individuum  nach  eigener,  abweichen- 
der, seinen  Affekt  befriedigender  Hervorhebungsweise,  die  dann  wieder 
allgemein  werden  kann.  Aus  diesem  Kreislauf  entsteht  eine  stete  Be- 
wegung der  Laute,  und  aus  ihr  vermag  im  Laufe  der  Zdt  makroskopischer 
Lautwandel  zu  erfolgen. 

Eine  andere  Quelle  des  Lautwandels  habe  ich  oben  S.  17  Anm.  2  f^- 
nannt:  den  Kulturwechsel,  der  den  Wortschatz  umgestaltet  Das  ist  eme 
Bewegung,  die  von  aulsen  an  den  sprechenden  Menschen  herantritt  Jene 
innere  Quelle,  die  in  seinem  Affekt  liegt,  ist  aber  viel  mächtiger:  sie  ist 
die  Quelle  des  Lautwandels. 

So  ist  der  ununterbrochene  Anstols  zum  Lautwandel  individuell,  der 
Wandel  selbst  aber  eine  Gemeinschaftsform. 

Vollzieht  sich  dieser  Wandel  nach  Gesetzen?    Gibt  es  Lautgesetze? 

Das  ist  in  letzte  Linie  eine  Fräse  der  Weltanschauung. 

Wer  überzeugt  ist,  dafs  auch  das  psychische  Gesehenen  Gesetzen 
unterließt,  der  wird  auch  'Lautgesetze'  anerkennen. 

Gemnden  aber  hat  noch  niemand  ein  solches  Gesetz.    Was  die  lin«- 


BeurteUungen  und  kurze  Anzeigen.  45S 

Kuifitik  gefunden  hat,  nnd  was  sie  milsbrfiuchlich  Lautgesetze  nennt,  sind 
Seine  Gesetze,  sondern  sind  Beteln,  d.  h.  Formeln  rar  makroskopische 
historische  Lautentsprechungen.  Es  sind  gute  wackere  Regeln,  die  gerade 
so  lanffe  gelten,  als  keine  Ausnahme  kommt  —  denn  auch  von  ihnen  gilt: 
keine  itc^  ohne  Ausnahme.' 

Wir  sollten  wirklich  aufhören,  unsere  Udnen  Entdeckungen  als  Ge- 
setze zu  erklären  und  demgemäis  zu  ver^ren  und  Über  diesem  Götzen- 
dienstchen die  wahre  Natur  des  sprachUdien  Lebens  zu  yergessen.* 

Es  ist  mit  der  Sprache  wie  mit  dem  Wetter. 

Gewifs  ist  der  Witterungswandel  von  Gesetzen  bedingt,  und  wenn  mi 
diese  Gesetze  kennten,  so  könnten  wir  mit  Sicherheit  das  Wetter  voraus- 
sagen. Aber  so  eifrig  unsere  Meteorologen  forschen,  so  sind  sie  doch  zu 
einer  unfehlbaren  Wetterprognose  noch  nicht  gekommen:  sie  haben  in 
den  Entsprechungen  der  Wetterkarten  gewisse  Wetterregeln  ^funden, 
verfeinerte  und  erweiterte  Bauernregeln,  auf  Grund  deren  sie  die  zu- 
künftige Witterung  erraten  —  stets  der  Ausnahme  gewärtig. 

Nun:  audi  der  Lautwandel  ist  von  (Hetzen  bäinet,  und  wenn  wir 
sie  kennten,  könnten  wir  die  zukünftige  Gc«talt  eines  Idioms,  das  Sprach- 
wetter, voraussagen.  Aber  wir  haben  noch  keine  Lautgesetze  gefunden, 
sondern  nur  Be^ln.  Was  wir  kennen,  das  sind  die  Bauernregeln  des 
Bprachwetters. 

Gauchat,  der  tiefer  als  irgendeiner  vor  ihm  in  den  Prozels  des  Laut- 
wandels eingedrungen  ist,  bestätigt  eben  diese  Lehre,  öne  Lehre  der  Be- 
acheidenheit.  — 

Die  Zehnerzahlen  in  den  romanischen  Sprachen  behandelt 
J.  Jud.     Seine  Untersuchung  gUt  in  erster  Linie  vipinti  und  trigitUa, 

Er  geht  von  der  hochlateuischen  Betonung  t^^tnh,  if^fUa  aus  und 
lehnt  es  mit  fiecht  ab,  der  vereinzelten  Angabe  des  Galliers  Consentius 
(tfigmla)  eemeinromanische  Bedeutung  zuzumessen.'  Auch  in  der  weite- 
ren Ausfiuirung,  durch  die  er  die  romanischen  vingi,  vmUit  veinie  etc.; 


'  Gauohat  schlieftt  seine  Studie  mit  einigen  echOnen  Worten  an  die  Adreue 
derer  qui  onAmt  meof  ä  rinfidUSbüiU  du  Mt  phomiHqttu^  die  er  durch  seine  For- 
schnngsresoltate  noch  einmal  des  Irrtums  flberwiesen  hat  Aber  auch  er  braucht 
noch  den  Ausdruck  ^Lautgesetz'  statt  Lautregel.  GewÜb  haben  alte  termini  tech- 
nici  ein  gutes  historisches  Becht;  aber  gerade  der  terminus  'Lautgesets'  ist  ge- 
fthrlieh,  weil  er  fortwährend  sn  den  Mifsverstandnissen  verleitet,  die  niemand 
nachdracklicher  bekämpft  als  Qauchat. 

*  Und  doch  hat  schon  vor  dreilbig  Jahren  Ludwig  Tobler  "Ohtr  da«  Amomtdimg 
des  Btgrißea  wm  Gsutaem  auf  dU  Sprache  geschrieben  ( VierUfjeJnreMsehrifi  für  wüm, 
PkilotopkU  m,  80—62), 

*  Zu  der  in  extenso  mitgeteilten  Stelle  aus  Consentius  wäre  noch  man- 
cherlei nachsntragen.  Es  wttrde  schon  forderlich  sein,  sie  übersichtlicher  su 
drucken,  als  dies  der  Verfksser  (S.  2i7 — 849)  vornimmt,  der  hier  weniger  tut  als 
Förster  im  Allfrmut.  Ühtmgthuek,  und  der  in  der  Zusammenstellung  der  gerügten 
Barbarismen  (S.  8i9)  einiges  versieht  (es  soll  heiAen:  10.  tocngm  pro  «ocertHn; 
15.  oNorem  pro  Aonoresi). 

Jud  wUl  Beigen,  wie  wenige  der  von  Consentius  angeführten  Barbarismen 
'eine  Spur  in  den  romanischen  Sprachen  lurückgelassen  haben.'  Da  müssen  aber 
snniehst  die  Fälle  überhaupt  ausgeschieden  werden,  die  offenbar  bloAe  Versehen 
flüchtiger  oder  unwissender  Schreiber  sind  (TVocm,  Trachia  statt  Tkraeia)  oder  die 
sich  auf  Qnantitätsfehler  seitgenOssischer  Reimkünstler  beziehen  {öraUiri  piper). 
Diese  Fälle  beseugen  ja  natürlich  nicht  unmittelbar  entsprechende  Lautwerte :  daft 
ein  Dichter  p^cr  mafs,  beweist  nicht  die  wirkliche  Elxistenx  einer  Form  mit  i, 
Bondem  leigt  nur,  daik  Ihm  die  hoohlatein.   Quantität  des  Wortes  piper  neben 


454  Beurteilangen  und  kurze  Anzeigen. 

treniBf^  trmta,  treMa  etc.  auf  dem  Wege  lautgerechter  und  analogiBcher 
Entwickelung  zu  gewinnen  sucht,  stimme  ich  ihm  im  allgemeinen  bei  Im 
einzelnen  kann  man  sehr  schwanken,  denn  jedes  d^  beiden  Zahlwörter 
ist  lautlich  sui  generis.' 

Die  spätere  lateinische  Überlieferung  zdgt  folgende  Graphien: 

für  viginti:  rigenti,  veienti  (ßatetni),  vieniif  vitUi; 
ffir  triginta:  trigenta,  irientOf  trmUh  trinta  {trpginta  ist  eine 
spSte  vereinzelte  Schreibung). 

Diese  Graphien  bedfirfeu  der  Interpretation ;  sie  geben  eben  nicht  dn- 
fach  die  späteren  vulgärlateinischen  Laute  wieder,  sondern  stellen,  wie 
Üblich,  Kompromisse  zwischen  vulgärer  Lautform  und  SchreibtraditioD 
dar.    Ich  interpretiere  sie  so: 

Trfgtnta  lautete  zunächst  trtdyMOf  triyenia;  vfgtntl  aber  vtduinHt  vi- 
yinÜ  (Umlaut  -4).  Aus  trwenta,  trienta  entstand  ireniet,*  indem  der  kom- 
plizierte Anlaut  tr  die  Beduktion  des  Diphthongs  begfinstigte.  Aus  vi- 
yifUi  entstand  *vtwUiy  vinti. 

Das  ist  die  lautgerechte  Entwickelung.  Stets  aber  haben  die  beiden 
Wörter  sich  auch  analogisch  beeinflufst:  nach  vinii  ward  trintOy^  nach 


seinem  vulgaren  pebere  fremd  geworden  war.  —  Die  flbrigbleibenden  Fälle  aber 
haben  im  Bomanitehen  denn  doch  in  weiterem  Umfange  Sparen  inrückgelassen, 
als  Jnd  angeben  will.  Wenn  man  1.  coperit  statt  op^rit  brauchte,  läfst  ans  das 
erkennen,  dalh  die  Entwickelung  opmit  <  aptrü  bereits  begonnen  hat.  Bei  8. 
miU  and  9.  mla  kommt  es  in  diesem  Zusammenhang  nicht  darauf  an,  ob  das  ein 
oft  gerügter  Fehler  sei,  sondern  daraaf,  dafs  die  Erscheinung  romanisch  ist:  ü^  l 
ist  Ja  nordgalUsche  Entwickelung  (Priscians  l  plmum  [nicht  pUntu !]  hat  hier  nichts 
SU  tun).  Zu  16.  hobi»  pro  vchit  ist  nicht  das  Wort  'Betaxismus'  von  Bedeutung, 
sondern  der  Nachweis  Parodis,  Romama  XXVII,  185  ff.,  da(^  darin  ein  noch  ro- 
manisch wirksamer  Lautwandel  sich  sa  erkennen  gibt.  17.  ptru  pro  pedet:  das 
r  kann  sehr  wohl  eine  ungeschickte  Notierung  fDr  die  Tatsache  sein,  dalb  der 
Verschluß  des  d  sich  su  lOsen  be^^ont  {9).  18.  tUiim  pro  siaHm  deutet  auf  Um- 
laut hin,  dessen  serstreute  lateinische  Zeugnisse  einmal  systematisch  gesammelt 
werden  sollten  (vgL  Gröbers  Zeifschr,  XXV,  783).  19.  iari^rum  pro  tarlarum  ist 
gemeinromanischer  Lautwandel,  denn  auf  den  Laut  kommt  es  hier  an,  nicht  auf 
das  Wort,  etc. 

Übrigens  fügt  Gonsentius  su  dem  Barbarismus  trigmta  hinsu :  q»  et  per  immu- 
(atumem  ßeri  videiur.  Wie  versteht  er  diese  immMUatiOy  die  sonst  in  seinem  System 
die  dritte  Kategorie  der  Barbarismen  veranla/bt?  Er  meint  wohl  einfach,  dafs 
man  trigmta  auch  sur  dritten  Kategorie  stellen  könnte,  wo  er  als  Beispiel  der 
*Aksentvertauschung'  öraiorem  anfllhrt  Durch  die  Nachbarschaft  dieses  hybriden 
öratorem^gewinnt  trigvUa  nicht  an  Beweiskraft.  Ich  teile  gans  die  Meinung  Jads, 
der  dieses  triginta  als  Sprachzeugnis  unerheblich  findet.  Zur  Zeit  des  Consentius 
kannte  die  lebende  Sprache  kaum  mehr  dreisilbige  triginia  neben  trmtOj  tremta. 

^  In  (rigtnta  steht  z.  B  der  Ton  vokal  unter  dem  möglichen  Einflufs  eines 
vorangehenden  Palatals;  in  viginti  ist  der  Tonvokal  t  palatal  doppelt  bedroht 
durch  g  und  1*  Ich  bestreite  also  durchans,  dafls  triginta  das  gleiche  Resultat  er- 
geben mufste  wie  viginti^  (S.  240).  Auch  ist  die  Verschiedenheit  des  Anlauts  (tri- 
gegen  vi-)  Ar  die  weitere  Entwickelung  nicht  bedeutungslos. 

*  Jud ^behandelt  trenta  als  analogisoh,  doch  nicht  ohne  Schwankungen.  S.  250 
nennt  er  trenta  laatgerecht;  vergl.  8.  2il  n. 

Einer,  solchen  Schwankung  begegne  ich  auch  in  der  Beurteilung  des  Einflusses 
von  i  m  viginü  (Umlant).  Nachdem  er  S.  237  die  Möglichkeit  solchen  Einflnsses 
erwogen*  und  sugegeben  (wie  S.  241  n.),  erklArt  er  ihn  S.  242  and  259  n.  als 
unwahrseheinlich. 

^  TWis'a^kann  regional  auch  laatgerecht  sein ;  wenigstens  Ist  es  dies  im  Ro- 
manischen da,    wo  lat  t*  nicht  p,    sondern  i  ergab,   wie  SisiUen  und   Sardinien 


BeurteUmigeii  und  kurze  AnzdgeD.  455 

triuef^  trienia  ward  piyenii  (veienii)y  vienH^  ^bildet  (es  ist  bezeichnend, 
dau  Verg.  Maro,  der  irimia  hat,  auch  vienH  bietet).  Die  vulg^latein. 
Formen  sind  also: 

vtjfmti    analogiflch  iriffen(a 
nilfiiH  I 

I  trienta 
vülnH  I 

vmH  analogiach  trmUa 

Mnia 

VirUi  und  trenta  sind  die  romanischen  Erben:  sie  sind  die  beiden 
dominierenden  Formen  der  Ostromania  (Rätien,  Italien,  Gallien). 

Wo  sich  ventfi)  findet,  da  liegt  Angleichunjg  an  die  Endung  -euvtfa) 
da*  übrigen  Zehnenzahlen  vor,  so  im  florent  ventt  neben  toskan.  (senesisch) 
vxntif  im  locam.  vent  neben  gemeinlomb.  vint} 

Vulgarlat.  vinU  und  trenta  sind  die  Grundlagen  der  ostromanischen 
Entwickelung.  Die  Formen,  auf  denen  die  westfomanische  (span.- 
portug.)  Entwickelung  beruht,  führen  auf  einen  älteren  Lautstand  zurück*, 
span.  fmnte,  trSmta;  portug.  vvniey  trinia.  Die  mundartlichen  Formen  sind 
uns  noch  fast  unbekannt 

Die  älteren  spaDischeo  und  portugiesischen  Texte  zeigen  nach  Juds 
Sammlungen:  veyente,  viente,  veyntey  veinte,  vente,  vünte^  vmU\  treyenta, 
treerUa,  treyinta,  treynta,  trewUOy  trimtOy  trinta. 

Es  leuchtet  ohne  weiteres  ein,  dais  Jud  recht  hat,  1.  dreisilbige  Foi^ 


(lognd.).    In  CMlura  freilich  ist  irmUa  regelhaft.    Jnds  Bemerkimgen  dasa  (8.  S58) 
sind  mir  nicht  klar. 

*  Daft  vtmü  im  Bomanliohen  Sporen  snrflckgelaasen  habe,  wage  ich  nicht  au 
sagen.  Es  kann  aeinerseits  noch  mngelaatet  worden  nnd  so  za  mmtf,  vmti  geftthrt 
worden  sein.  DaA  vimü  m  vtnii  geführt  habe,  glaube  ich  nicht  Jedenfalls  tangen 
Parallelen  wie  qmeim  >  guttut,  tapiebam  >  $ap«bam  nicht  zur  Erhirtnng  (S.  238). 
Daft  die  Analogieform  vend  Tnlgärlateinisch  nicht  belegt  ist,   halte  loh  fllr  ZaIUU. 

*  DaA  11)ei  ital.  pmU  einielsprachlioh  kein  Umlaut  anEonehmen  ist*  (S.  255), 
mnfs  ich  grnndsätslich  bestreiten,  auch  wenn  ich  im  Einzelfalle  Jnds  Auf- 
fassung des  senes.  g^enues.  vuUi  und  des  tosk.  vmü  teüe. 

Wenn  einzelne  Mundarten  keinen  Umlaut  aufweisen,  so  ist  damit  nicht  ge- 
sagt, daA  nicht  doch  ihre  Zahlwörter,  die  so  häufig  singulttren  Lautwandel 
zeigen,  jener  mächtigen  Palatalisiemng  erlegen  seien,  die  wir  Umlaut  nennen. 
Insbesondere  kann  ich  nicht  zugeben,  daA  das  Genuesische  aus  *v9nti  heute  nicht 
vmti,  Bondem  *veind (*Attnküon  des  i^)  hätte  ergeben  müssen.  Diese  sogen. 
'Attraktion'  ist  selbst  nichts  anderes  als  'Umlaut*.  Wenn  *oain  sn 
cojn  wird,  so  ist  nicht  das  %  'attrahiert'  worden,  sondern  es  hat  sich  aus  *caNi 
durch  Vorwegnahme  der  Zungenstellung  fUr  -i  (progressive  Assimilation)  zwischen 
ä  und  f»  ein  Gleitlaut  »  (ccnni)  entwickelt.  Damit  ist  das  ä  palatal  umgelau- 
tet, ob  es  bei  m*  bleibt  oder  sehlielUich  e  (kern)  entsteht.  Der  Umlaut  a  >  e 
kann  eben  entweder  durch  direkte  'Steigerung'  oder  auf  dem  Umweg  ttber  Di- 
phthongierung o«  >  ot  >  «  >  e  entstehen.  Die  Diphthongierung  ('Epenthese', 
'AttralLtion'  sind  sehr  unglflckliche  Bezeichnungen  des  Vorganges)  ist  hier  nur  eine 
Form  des  Umlauts  —  eine  Erkenntnis,  die  besonders  für  die  Phonetik  der  sfld- 
italienischen  Mundarten  grundlegend  ist. 

Genues.  *mmiA*  wäre  also  Toa  vimH  nicht  grundsätzlich,  sondern  nur  graduell 
yerschleden.      Vmä  kann  ein  monophthongisiertes  *vemti  sein. 

In  den  rätisehen  Formen  von  vigmii  (S.  253)  sollte  Jud  das  e  Gärtners  in 
seiner  Transkription  alt  p  wiedergeben;  zu  rät  p  aus  lat.  i  c£  Gärtners  Rätisehe 
Qrmmm,,  §  48  £ 


466  BeurteUnngen  und  kurze  Anzeigen. 

man  zugrunde  zu  le^n  und  2.  ausgiebige  Analogiewirkungen  *  anzundunen. 
Im  einzelnen  aber  ist  es  sehr  schwer,  ohne  die  Hilfe  der  lebenden  Mund- 
arten in  diese  Graphien  lautliche  Ordnung  zu  bringen.  Doch  ist  der  Aus- 
gangspunkt ganz  Klar:  *veyinti,  das  aus  viyinti  dur(^  jene  Dissimilation 
entstanden  ist»  die  ja  interromanisoh  und  deshalb  sehr  alt  ist.  Von  diesem 
*veyinte  ist  dann  treyenta  (statt  triyenia),  treyinia  bednflu£sty  und  nach 
ireyenta  ist  wieder  v^ente  gebildet  So  entstand  veinie  (altspan.  v^Snie)y 
darnach  treinta;  irenia  und  darnach  vmUe  (dialektisch). 

Aber  auch  viyinie  —  viinte  —  vinte  ist  auf  weitem  iberischem  Gebiet 
geblieben  (z.  B.  portugiesisch)  und  hat  trinia  nach  sidi  gezogen. 

Der  ganze  Unterschied  zwischen  den  west-  und  den  ostromanischen 
Formen  reduziert  sich  also  in  seinem  Ursprung  auf  vemnti  statt  vüfintif 
d.  h.  auf  die  verschiedene  Behandlung  von  vifftnii,  die  <»nn  das  Bdiicksal 
von  triginta  analogisch  beeinflulst  hat 

Das  obige  Bdiema  ist  also  wie  folgt  zu  ergänzen: 

piyinH  triyenia;  regional:  triyinta 

vwUi,        veywUe        analo^ch:|  trienia 

(analogisch:  westroman.        |               treytnta  \ 

ifenÜ)         u.  portug.    veinte                 |  irmta              i 

tpan.             tnmki,  (analogisch:      trinta, 

Span.  irmki)       sie.  sard. 

Auch  in  der  Behandlung  der  lat  Endung  -ogMa  (g^uadragkUa)  zeigt 
•das  Span,  einen  filteren  Lautstand.  Gemeinromanisch  ist  '^ufUtta  über 
'Ointa  früh  zu  -anta  geworden,  z.  B.  ital.  quaratUa  (cf.  magüirum  >  tna- 
stro).  Während  dies  atiaranta  schon  in  Vulgärlatein.  Schreibung  erscheint, 
zeigt  Spanien  nach  den  lehrreichen  Zusammenstellungen  von  Jud  noch 
im  späteren  Mittelalter  -aenta,  '•emta,  die  in  der  lebenden  Sprache  -ento 
ergeben  haben,  ähnlich  wie  altspan.  ouaraesma  heute  euaresma  lautet 

Wir  haben  also,  wie  Jud  konstatiert,  für  die  ganze  Serie  der  Zcdiner- 
zahlen  von  20  bis  90  diese  nämliche  Erscheinung:  die  ganze  Bomania 
aulser  der  iberischen  Halbinsel  führt  auf  bereits  monophthongierte  Formen 
(vinti,  irenia,  -anta)  zurück;  Spanien  aber  weist  emen  Lautstand  auf,  der 
weit  über  diese  Monophthongierung  zurückdeutet  in  eine  Zeit,  wo  nodi 
veyinie,  tnyerUa,  -^nyenia  erklang.  — 

ün  dooument  in^dit  du  fran^ais  dialectal  de  Fribourg 
au  XV®  si^cle  behandelt  J.  Jeanjaquet 

Die  Suisse  romande,  die  uns  mit  ihren  heutigen  Patois  so  reiche  Aus- 
kunft über  das  Leben  der  Sprache  ffibt,  bietet  nur  sehr  kärgliches  Material 
zur  Erforschung  ihrer  alten  Mundarten.  Diese  haben  kein  Schrifttum 
hervorgebracht,  und  die  Amtssprache  blieb  lateinisch.  So  sind  die  älteren 
Urkunden  alle  lateinisch,  und  wenn  mit  dem  14.  Jahrhundert  die  Vnlgb- 
sprache  in  die  amtlichen  Aufzeichnungen  eindringt,  so  ist  diese  Vulgär- 
sprache eben  nicht  rein  dialektisch.  Es  bemüht  sich  z.  B.  die  Kanzlei 
der  Stadt  Freiburg  augenscheinlich,  Französisch  zu  schreiben  —  wenig- 
stens jenes  Französisch,  das  im  amtlichen  VerkeJir  des  benachbarten  Ost- 
frankriaich üblich  war:  eine  regionale  ostfranzösische  Eanzlei- 


*  Jad  braucht  daf&r  anch  den  Ausdruck  AssimilatioD,  was  mir  uidht 
glftcklich  erMheint  Und  yoUends  von  progressiver  resp.  regressiver  Assi- 
milation  an  sprechen,  um  die  Analogiewirkung  von  viginii  auf  trigimta  resp.  um- 
gekehrt sn  beaeichnen,  ist  ein  MiAigriff.  Diese  Termini  eignen  der  Lautlehre: 
wenn  in  flei  das  ;  sn  t  umlautet  {hiee),  so  ist  eben  .dieser  Umlaut  progressive 
Asrimilatlon  des  6  an  {. 


Beartdlangeii  und  knne  Anzeigen.  457 

4.P räche.  In  diese  Eanzld8j>nche  miechen  dann  die  freiburgiscben 
Amter  je  nach  der  PenÖnlichkeit  der  Schreiber  Formen  des  lokalen  Dia^ 
lekts,  so  dafs  ein  hybrides  AmtsfranzdBisch  entstand  —  kein  fran^ade 
fSdirtU,  aber  ein  firanfois  eammunal  — ,  ähnlich  dem  hybriden  Deutsch, 
das  zur  nämlichen  Zeit  in  den  Eanzlden  der  Zentral-  und  Ostschweiz.im 
Schwange  war.  Aus  dieser  labilen  Schriftsprache  gilt  es,  die  dialektischen 
Indizien  zu  gewinnen,  die  uns  Über  das  parier  /oeoZ  der  alten  Zeit  Auf- 
schluls  zu  geben  geeignet  sind. 

Was  an  Dokmnenten  des  freiburgischen  fran^ü  diaketal  erhalten  ist, 
ist  zumeist  in  den  acht  Bänden  des  Beeueü  d^phrneUigtie  du  eanion  de 
IVibowrg  und  in  den  Oomptes  de  d6penees  de  la  eonsirtuivm  du  etoeber  de 
St'Niediaa  veröffentlicht;  cf.  auch  Romama  XXI,  89  ff.  Nach  den  sum- 
marischen Bemerkungen  von  P.  Meyer  L  c,  hat  dann  J.  Girardin  in  GrÖ» 
bers  Zeüsehrift  XXlV,  199  ff.  den  altfreiburgischen  Vokalismus  (Ende 
des  15.  Jahrhunderts)  auf  Grund  der  Oomptee  darzustellen  unternommen. 

Jeanjaquet  hat  sich  die  Aufsähe  gestellt,  die  hybride  Kanzleisprache 
selbst  in  ihren  Sdiwankungen  darzustellen.  Er  1^  dabei  aufser  dem 
ältesten  Dokument  von  1819  eine  bisher  unveröffentlichte  Verordnung 
▼on  1414  zugrunde,  dehnt  aber  seine  Beobachtungen  auf  das  ganze  ge- 
druckte Material  aus.  Er  zeifft  in  der  Graphic  die  Mischung  hochfranzö- 
sischer, ostfranzösischer  und  lokaler  Lautung  auf;  weist  in  Biegung  und 
Satzffigung  lokale  Gewohnheiten  und  gel^entliche  Germanismen  nach 
und  ffigt  audi  ein  Glossar  hinzu.' 

So  gibt  Jeanjaquet  zum  erstenmal  ein  Bild  der  alten  Amtssprache 
der  französischen  Schweiz,  speziell  Freiburgs.  Er  stellt  mit  dieser  ge- 
drängten, scharfen  und  sicheren  Orientierung  zugleich  fest,  in  welchem 
Mafse  diese  alten  Dokumente  als  Quellen  unserer  Dialektkenntnis  gelten 
dfirfen,  und  er  hat  auf  Grund  seiner  reichen  Erfahrung  Veranlassung,  kur 
Vorsicht  zu  mahnen  (S.  288  u.).  — 

Unter  dem  Titel  Zur  italienischen  S^rntax  behandelt  E.  Keller 
einiffe  Fragen  der  Parataxe  mit  reicher  Beispielsammlunff. 

I.  Gh^'  Dieses  ehS  (=  denn),  das  lautlich  mit  ms  (=  dafs,  weil) 
zusammenfällt  und  infolgedessen  auch  graphisch  (ek^  ehi)  nicht  konse- 
quent —  und  in  der  älteren  Schrift  gar  nicht  —  von  jenem  unterschieden 
wird,  ist  eigentlich  Fragepronomen  (quid%  E^  Non  piangere,  ehe  la 
fnamma  d  4n  paradiso  ist  schon  durch  den  Indikativ  dahin  charakterisiert, 
dafs  nicht  das  gewöhnliche  Objektsverhältnis  (ehe  la  mamma  »ia  in  para- 
diso)  vorliegt,  sondern:  Non  ptangere,  ehi  la  mamma  i  in  paradieo  d.  h. 
öffentlich  =  Non  tnangeref  eh£?  la  mamma  d  in  paradiso  (cf.  A.  Tobler, 
T%rm,  Beitr.  II,  79  frz.  ear  =  ^uare?).* 

II.  Die  relativische  Verknüpfung  selbständig^  Gedanken  ist  latei- 
nische Stilgewohnheit.    II  quäl  padre  Orietoforo,  wie  Manzoni  das  ffinfte 

'  Das  Lehnwort  der  Kirchenverwaltaog  marguäUer  <  malricidariuM  weist  im 
Bomanisohen  sahllose  Varianten  anf,  von  denen  viele  anf  Verschr&nknng  mit  rv- 
giäa  :  matricuta  >  ^matr^gulaf  ^matrcgtdarku  hinweisen,  so  gewiS^  anch  freibur- 
gisches  mamgUi  vnd  walliser  manäty.  Die  lehnwortliche  Behandlung  von  rrgula 
selbst  ist  vidgestaltig,  and  es  wäre  snnäehst  diese  flir  die  Westsehweis  festzustellen, 
um  mamglm  etc.  m  erkliren. 

*  Der  Verlksser  sehreibt  mit  den  neueren  cM,  pmreki;  warum  dann  aber 
poiehiy  fitorekif  meehit 

'  Hierher  gehört  anch  das  von  KeUer  S.  810  f.  behandelte  p§reh4  r=.  denn. 
Z.  B.:  Pwr  famma  di  Lautmä  1k  fueOo  vm  giomo  di  tdU,  Pereki  dovete  tajtere 
ehe  .  • .' a*  Ptrckif     DootU  mptrt  ehe  .,. 

Iflt  ünreeht  sfaid  aaoh  die  Bdspiele  'kontinaativer'  Relativsfttie  der  S.  317  f. 
getrennt  von  den  8.  808  f.  angefllhrtea. 


458  Bemteilangen  und  harte  Anzeigen. 

Ka]rftel  seinee  Romans  beginnt,  ist  nicht  lingaa  parlata.'  —  Bezieht  sich 
das  Relatiynm  auf  den  ganzen  Inhalt  des  vorangehenden  Satzes,  so  lautet 
es  zumeist  il  ehe,  doch  auch  ehe  allein  und  entsprechend  in  präpositionaler 
Verbindung,  z.  B.:  del  ehe  non  devi  atupkU  oder  di  ehe  non  aepi  shunrii 
(S.  307);  per  il  ehe  dieevano  . . .  oder  per  ehe  dieevano*  (Vockeradt,  Lehr- 
imeh  der  ttal.  Spraehey  Berlin  1878,  §  458,  2). 

In  «nem  dritten  Abschnitt  werden  noch  andere  FSlle  besprochen, 
wo  die  Verbindung  selbständiger  Sätze  mit  Mitteln  der  HypotaxeTor- 
senommen  wird:  paiehS  =  nämlich  (vgl.  das  franz.  puieque  hier  XCJVlII, 
383);  eenonehS  =  nur;  fuorehS  =  nur;  steehi  =  so;  (e)  tanto  ehe  = 
(und)  schlielslich;  cruando  =  da;  oUreehS  =  zudem.  Und  mit  Becht 
weist  Eello'  darauf  hin,  wie  schwankend  die  Grenzen  der  ErscbeinungeQ 
sind,  welche  die  GrammatQc  durch  ihre  überUeferten  technischen  Aus- 
druoce  hübsch  voneinander  geschieden  zu  haben  wähnt.  — 

Henri  Blazes  Übertragung  des  zweiten  Teilfl  von  Goethes 
Faust.  Der  erste  Franzose,  der  das  Wagnis  einer  Übersetzung  des 
zweiten  Teils  des  Faust  unternommen  hat,  ist  Blaze  de  Bury.  Pro- 
ben dieser  Übertragung  gab  er  zunächst  in  der  Hernie  des  deux  mondee 
(1889).  Im  Jahre  darauf  erschien  dann  sein  Faust  de  Cfoethe,  traduetion 
eomplÜe,  Sie  wird  noch  heute  aufgelegt  —  H.  Blaze  hat  nur  die  durch 
ihren  x>oetischen  Charakter  hervorragenden  Stellen  in  gebundener  Bede 
wiedergegeben;  das  meiste  ist  in  Prosa  fiberün^n,  una  in  den  späteren 
Auflagen  hat  er  die  metrischen  Stellen  noch  weiter  reduziert 

M.  Lanekavel  hat  diese  Übertrarnne  einer  eingehenden  Verglei- 
ehung  mit  der  Urschrift  unterworfen.  Woid  zeigt  sie,  wie  der  Zwang 
des  Verses  und  die  Fessel  der  toaditionellen  Di(£ters^rache  den  Über- 
setzer hemmt,  seinen  Ausdruck  dekoloriert  und  ihm  Füllsel  und  For- 
meln in  die  Feder  flielsen  (z.  B.  das  Epitheton  bhnd);  wie  gelegentlich 
ein  sprachliches  Mifsverständnis  mit  unterläuft,  obschon  Blaze  Lo^ve- 
Veimara  zu  Rate  zieht  Doch  kommt  sie  auf  Grund  ihrer  UntersuchuDg 
dazu,  en  eonnaissanee  de  eause  das  günstige  Urteil,  das  bisher  über  Blazes 
Leistung  bestand,  zu  bestätigen,  indem  sie  es  begründet  und  ergänzt  — 

Aus  ihrer  Beschäftiffunff  mit  Houdar  de  la  Motte  heraus  spoidet  M.  J. 
Minckwitz:  Ein  Scherflein  zur  Geschichte  der  französischen 
Akademie  von  1710—31,  d.h.  in  den  zwanzig  Jahren,  während  deren 
la  Motte  Mitglied  und  Directeur  war.  Es  sind  die  letzten  Jahre  Lud- 
wigs XIV.,  die  B^;entschaft  (1715—28)  und  die  erste  Zeit  Ludwigs'XV.  mit 
seinem  Minister  Kardinal  Fleury  (sdt  1726).  Diese  zwd  Jahrzehnte  haben, 
wie  die  Verfasserin  selbst  sagt,  eine  besondere  Bedeutung  in  der  Geschichte 
der  Akademie  nicht  Die  Akademie  ist,  wie  vorher  und  wie  nac^er,  dne 
höfische  Institution.  Die  V^.  hat  denn  auch  vorzüglich  von  höfischen 
Obliegenheiten  und  Gunstbezeueungen  zu  reden  und  l^richtet  da  manches 
charakteristische  Detail  aus  oem  Kleinleben  dieser  Reistlich  geldteten 
Körperschaft,  deren  dekorative  Huldigungen  der  schlaue  Remit  dem 
Königsknaben  zukommen  liefs,  wie  der  Erwachsene  einem  unbequemen 
Kinde  glänzendes  Spielzeug  zuschiebt  Gegenüber  diesen  höfischoi  Ob- 
liegenheiten, zu  denen  ja  auch  die  Wahlen  und  Coneours  gehörten,  gegen- 
über Fragen  der  Sitzungsräume  und  der  Sitzunpfauteuils,  stand  auä  da- 
mals die  eigentliche  Aufgabe  der  Akademie  im  Hintergrunde.    Sdir 

*  Wie  ManionI  sich  in  den  Tertchiedenen  Redaktionen  der  iVoMcm  8pod  m 
dieser  Konstraktion  verhielt,  sagt  D'Ovidio,  Le  eorteehm  ai  Prom.  £^./  Nspoli, 
1895,  p.  77. 

*  Da  dieses  /mt  eh»  ein  der  Sprache  auch  sonst  «ehr  gelänüger  Kens  ist,  so 
tritt  daM^U  des  Satsrelativnins  bisweÜen  vor  per:  ü  ptrM  dieevamo  (8.  S07).J 


Beurteünngen  und  kurze  Anzeigen.  459 

bezeichnend  iBt,  was  Verf.  von  der  Arbeit  am  Dietwnnaire  zu  berichten 
weÜB:  der  Antrag,  die  einzelnen  Wörter  mit  hiBtorischen  Beleffstellen  zu 
versehen,  wurde  1727  ablehnt.  Neunzig  Jahre  zuvor  hatte  inn  bereits 
der  einsichtsvolle  Chapelam  umsonst  gestält.  Die  Akademie  heharrte  von 
Anfang  an  darauf,  die  Musterbeispiele,  die  sie  ihren  Wortd^initionen  bei- 
fügte, selbst  zu  elenden,  und  sicnerte  sich  so  die  Freiheit  sprachmeister- 
licner  Eieenwilligkeit  Dem  Secr^taire  perp^tuel  ab^  ward  gestattet,  bei 
der  Korrektur  da*  Druckbogen  geeignete  lOielegstellen  aus  guten  Autoren 
von  sich  aus  einzufügen.  Doch  war  ihm  streng  verwehrt,  dabei  an  die 
Definitionen  und  Musterbeispiele  der  Akademie  zu  rühren,  dL  h.  der  histo- 
rische Beleg  mulste  diesen  aprioristischen  Sdiranken  sich  füeen.  So  hat 
die  Akademie  das,  was  die  induktive  und  lezikologische  Wissenschaft 
einer  späteren  Zeit  als  Grundlage  betrachtet»  jederzeit  als  das  Sekund&re 
behandelt  und  gerine  gesch&tzt. 

Zwei  akademische  Vorkommnisse  dieser  Zeit  erklfirt  VerL  als  beson- 
ders bedeutsam:  die  Ausstolsun^  St-Pierres  (1718)'  und  die  Aufnahme 
MontesquieuB  (1724 — 28).  Jene  wird  eingebend  erzählt,  diese  nur  eeetreift 
Ich  bin  überzeug,  dais  Brunei  (S.  847)  recht  hat,  wenn  er  glaubt,  dals 
der  Begent  Bt-Pierre  nicht  gram  war.  Er  war  sicherlich  an  den  geistlich- 
akademischen  Verfolgungen,  denen  St-Pierre  erlae,  unbeteiligt  und  brachte 
ee  deutlich  zum  Ausdruck,  dafs  ihm  das  akademische  G«zänk  zuwider 
war.  Die  Polytynodie  war  für  den,  der  mit  Ministerkonseils  regierte,  keine 
revolutionäre  Schrift,'  und  sich  für  das  Andenken  Ludwigs  XIV.  be- 
sonders ins  Zeug  zu  legen,  hatte  der,  der  dessen  Testament  gebrochen, 
keine  Veranlassung.  Dafs,  nach  Brunei,  der  Schwärmer  St-rierre  als 
ein  Vorläufer  Montesquieus  beseichnet  wird,  halte  ich  für  unrichtig. 
St-Pierre  ist,  wie  freilich  der  treffliche  Hettner  besser  und  deutlicher  zeigt 
als  Brunei,  ein  universeller  Reformer,  Montesquieu  ist  ein  konservativer 
Antireformer  (cf.  Archiv  CXIII,  391).  Auch  dafs  mit  der  Wahl  Montes- 
quieus an  Stelle  de  Sacys  (1728)  für  die  Folgezeit  ein  ^ungemein  bedeut- 
samer Ersatz'  gewonnen  worden  sei,  muis  ich  bestreiten.  Montesquieu 
ist  für  die  Akäemie  vielmehr  völlig  bedeutungslos  gewesen.  Der, 
der  in  den  Leüres  persanes  so  unbarmherzig  über  das  'ewige  (Gewäsch*  der 
Akademiker  gespottet  hatte,  hat  nach  seinem  Diaeours  ae  rieepHon  die 
Sitzungen  ÜMrhaupt  nur  noch  wenige  Male  besucht  und  keinerlei  Eln- 
fluis  weder  auszuüoen  erstrebt  noch  tatsächlich  ausgeübt.  Wer  die  un- 
erfreulichen Vorgänge,  die  Montesquieus  Kandidatur  und  Wahl  beglei- 
teten (vgl.  Sonntagsäak  des  Bund,  Bern  1884,  n^  18  ff.),  näher  untersucht, 
der  findet  dies  auch  erklärlich.  Diese  Vorgänge  sind  für  die  Akademie 
ebenso  charakteristisch  wie  für  Montesauieu.  Sie  zeigen,  wie  der  aka- 
demische Ehrgeiz  zur  verhängnisvollen  Klippe  ward,  an  der  auch  Montes- 
quieus (yharakter  nicht  ohne  Havarie  vorüWkam.  — 

Der  junee  Voltaire  und  der  junge  Goethe  ist  der  Titel  des 
interessanten  £ssay,  den  E.  Schirmacner  oeigetragen  hat.  Den  jungen 
Voltaire  vomehmuch  nach  seinen  Briefen  zu  charakterisieren,  habe  auch 
ich  vor  langen  Jahren  einst  unternommen'  und  dabei  aus  seinen  Jugend- 
briefen ähnliches  herausgelesen  wie  K.  Schirmacher;  aber  der  Gedanke, 

1  Es  empfiehlt  sich,  in  den  mit  Samt  gebildet«ii  fransösisehen  Eigen- 
namen  die  fransösiBche  and  nicht  die  deutsche  Form  der  Abkftming  %a  gebraaehen : 
ßt'  nnd  nicht  8t,  (a  Sankt),  also  Si^Pierre,  SU-Beuve  und  nicht  8L  Pierre,  8u, 
Beme  sn  schreiben. 

*  Ans  welchen  Grflnden  vielleicht  der  Regent  trota  der  Lobsprttohe,  die 
Saint-Pierre"]' seiner  Person  und  seinem  Regiemngs^stem  widmet,  sich  verletst 
ffthlen  konnte,  leigt  Bonsseaa  in  seinem  JugemetU  nr  la  Pofy$jfuodU. 

*  Is»  SoimtogMaU  des  ßmd  (Bern)  1888,  n®  80^», 


460  Beurtellnngen  nnd  kurze  Anzeigen. 

ihn  mit  dem  jungen  Goethe  zu  vergleichen,  der  hödisten  Kultur  die 
tiefste  Natur  gegen  tiberzustellen,  ist  mir  nicht  gekommen.  Unbestreit- 
bar ist  dieser  Oäanke  ein  sehr  glücklicher.  Für  beide  besteht  aus- 
kömmliches Material  in  Briefen  an  Freunde,  Gönner  und  geliebte  Mäd- 
chen: reicher  freilich  ist  dies  Material  für  den  rdcheren  Goethe.  Die 
Verfasserin  hat,  was  es  birgt,  in  helles  Licht  sesetzt  und  die  Gestalten 
dieser  beiden  Grolsen,  von  denen  der  dne  'typisdi  französisch,  da-  andere 
unnachahmlich  deutsch'  war,  in  scharfen  Umrissen  ans  ihren  Jugend- 
briefen erstehen  lassen.  Und  es  erfreut  insbesondere,  zu  sehen,  wie  gerecht 
sie  Voltaire  beurteilt,  gegen  den  der  Deutsche  so  leicht  unbillig  wird.  — 

E.Tappolet  handelt  Über  die  Bedeutune  der  Sprachgeogra- 
phie mit  besonderer  Berücksichtigung  französischer  Mund- 
arten. Dabei  steht  die  Frage  der  Dialek^renzen  im  Zentrum  seiner  Er- 
örterungen. Er  1^  Gilli^rons  ÄUas  Unguiatigue  de  la  Franee  zugrunde 
und  g^t  auch  vom  zukünftigen  Atlas  Unguistique  de  la  Suieae  romande 
aus,  aus  dessen  Werkstätte  L.  Gauchat  hier  (CXI,  865  ü.)  so  fesselnde 
Mitteilungen  gemacht  hat.  Auch  verfügt  Tappolet  als  einer  der  drei  Re- 
daktoren des  Vlassaire  de  la  Suisee  romande  floer  eigene  reiche  dialektische 
Beobachtungen  und  methodische  Erfahrungen. 

Tappolet  verffihrt  nach  der  nämlichen  graphischen  Methode,  die  Gau- 
chat zu  so  schönen  Erkenntnissen  geführt  hat:  er  bestätigt  diese  Erkennt- 
nisse und  bereichert  sie. 

Er  hat,  vorzüglich  aus  dem  ersten  Faszikel  des  Aiku  (HUiUrony  etwa 
drei  Dutzend  Erscheinungen,  hauptsäc^ch  phonetische  und  lezikologische, 
aufii  Geratewohl  ausgewählt,  die  Grenzlinien  dieser  Dialektmerkmale  fest- 
gestellt und  diese  Grenzlinien  alle  auf  das  nämliche  Kartenblatt  einge- 
tragen. Aus  dem  Wirrsal  dieser  Merkmdgrenzen  *  ergibt  sich  zunächst 
für  Frankreich,  was  die  Karte  hier  CXI,  892  für  die  Schweiz  lehrt:  die 
dialektischen  Merkmale  sind  nicht  in  gleidimäfsig  allmählichen  Übergängen 
über  das  ganze  Land  verteilt  (wie  eine  aprioristische  Sprachlehre  behauptet 
hat),  sondern  in  dem  einen  Landesteile  näufen  sie  sich  mit  scheinbar  will- 
kürlichen Kreuzungen,  in  anderen  Gegenden  sind  sie  selten. .  Es  dbt 
grenzenreiche,  d.n.  dialektisch  heterogene,  und  gibt  grenzen  arme,  d.h. 
dialektisch  homogene,  Gebiete  —  immerhin  bleibt  abzuwarten,  inwiefern 
die  Eintragung  weiterer  Merkmal^enzen  im  einzelnen  das  vorläufige 
Kartenbild,  das  uns  Tappolet  weist,  modifizieren  würde.  Er  erkennt 
zwei  groise  relativ  homogene  Gebiete:  das  südöstliche  Tiefland,  Provence- 
Languedoc,  und  das  sogenannte  Pariserbecken  im  Nordwesten.  Zwischen 
diesen  beiden  ^enzenarmen  'Kemlandschaften'  zieht  sich  in  südwest- 
nordöstlicher  Richtung  eine  Zone  heterogenen  Spradigebietes  über  das 
Zentralplateau.*    Ihre  Breite  variiert  von  50 — ^200  Kilometer. 

^  Man  kann  die  Linie,  welche  die  Grensorte  der  nämlichen  Ltuterscheiniuig 
verbindet,  als  Isophouen  beieichnen  und  darnach  aneh  von  Isomorphen, 
Isolezen  sprechen:  Qrenilinien  fbr  flezivische  und  lezikologische  Ersehenrangen. 

*  Tappolet  konstatiert  das  eigentllmliche  Zasammentreffen,  daA  *da,  wo  Frank- 
reich ans  Meer  grenzt,  sich  meist  homogenes  Dialektfcebiet  findet;  dalk  hingegen 
da,  wo  frans.  Mundarten  mit  dentschen,  italienischen,  katalanischen 
oder  baskischen  snsammenstoften,  sich  erster«  in  der  Regel  recht  stark  düTe- 
rendert  haben.'  Daft  die  vom  Meer  begrensten  Landesteile,  wo  jeder  sprachliche 
OegenstoAi  fehlt,  yerhftltnismlibig  einheitlich  bleiben,  ist  erklärlich.  Da  ein  dia- 
lektischer GegenatoA  auch  von  fremden  Idiomen,  wie  deutsch,  kaum  ausgeht,  so  ist 
die  Dtfferenziening  der  frans.  Mundarten  an  der  deutschen  Spraobgreme  auffallend.  — 
Italienisch  nnd  Katalanisch  durften  in  diesem  Zusammenhang  nicht  ohne  weiteres 
mitj genannt  werden:  hier  linden  Obergänge  und  GegenstöAe]  statt,  und  es  ist  ja 
das  Katalanische  nur  sine  verhältnismäftig  junge  Verlängerung  des  ProveaialJschen. 


Beurteilungen  und  knrze  Anzeigen.  461 

So  ergibt  sich. eine  sprachliche  Dreiteilung  für  das  heutige  Land;  Bie 
entspricht  Frankrdchs  topographischer  Gliederung  und  erinnert  auch  an 
Caesars  Chdlia  est  omnis  (uvisa  in  partes  tres.  Die  mittlere  heterogene 
Zone  sieht  aus  wie  die  sprachlichen  Trfimmer  der  Qallia  lugdu- 
nensis.  In  welchem  Umninge  dieser  Dreiteilung  aber  wirklich  alte  gallo- 
romanische  Sprachzustände  zugrunde  liegen  —  dies  zu  eruieren  w&re  eine 
reizvolle  Aufgabe  der  historischen  LauUehre,  deren  Lösung  durch  sorg- 
faltige Eintragung  der  ältesten  erreichbaren  Isophon  en  zu  suchen  wäre. 

Dafs  die  erdrückende  Mehrzahl  der  Tappoletschen  Merkmalgrenzen  ~ 
und  insbesondere  die  Isophonen,  welche  alten  salloromanischen  Lautwandel 
darstellen  —  west-östlich  verlaufen,  ist  eine  Erscheinung,  die  für  die  Er- 
klärung des  Bomanisierungsprozesses  in  Gallien  von  der  höchsten  Bedeu- 
tung ist.  — 

Bisweilen  fallen  von  den  im  allgemeinen  wirr  vo'laufenden  Merkmal- 
grenzen einige  auf  kürzere  oder  längere  Strecken  völlig  zusammen.  Es 
zeigen  sich  so  kürzere  oder  längere,  schwächere  oder  stärkere  Linienbündel, 
zum  Zeichen,  dals  auf  der  betreffenden  Strecke  mehrere  Sprachmerkmide 
erlöschen.  Jedes  dieser  Linienbündel  ist  als  tieferer  sprachlicher  Ein- 
schnitt interessant  und  ffibt  der  Sprachgeschichte  ein  kleines  Problem  auf. 
Aim  interessantesten  sind  unzweiielhaft  jene  starken  und  langen  Linien- 
bündel» wie  sie  Gauchat  hier  CXI,  892  n.  für  die  Suisse  romande  nach- 
gewiesen und  besprochen  hat,  und  wie  sich  nun  Tappolet  vorläufig  deren 
zwei  für  Frankreich  ergeben  haben,  beide  im  Südwesten:  I.  Von  der  Mfin- 
dungder  Gironde  bis  nördlich  von  Bordeaux  fallen  auf  eine  Strecke  von 
100  Kilometern  dreizehn  Merkmaigrenzen  zusammen,  d.  h.  die  breite 
Gironde,  die  eine  natürliche  Verkehr8fl;renze  ist,  bedeutet  auch  einen  tiefen 
sprachlichen  Einschnitt'  zwischen  Saintonge  und  Medoc.  II.  Sechs 
Merkmalsrenzen  fallen  auf  eine  300  Kilometer  lange  Strecke  zusammen, 
die  sich  bogenförmig  vom  Bassin  d'Arcachon  geffen  die  Garonnequellen 
hinzieht,  das  Flulsgebiet  des  Adour  umschlieCBena.  Das  ist  die  alte  Gas- 
oogne,  die  also  heute  noch  durch  eine  Dialekt  grenze  vom  übrigen  süd- 
französischen Mundartengebiet  scharf  geschieden  ist.  Man  wird  'ßippolete 
Vermutung,  dals  diese  (uuerhafte  und  energische  Dialektscheide  auf  eth- 
nischer (iberischer)  Grundlage  beruhe,  berechtig  finden.  Die  endgültige 
Auftlärung  Über  Entstehung  und  Erhaltung  dieser  Diaiektgrenze  mufs 
uns  die  Provinzial-  und  I^kalgesohichte  ^ben.  Sie  mufs  über  die  staat- 
Udie,  kirchliche,  wirtschaftliche  Zugehöngkeit  resp.  Autonomie  des  um- 
grenzten Gebietes  im  Laufe  der  Jahrhunderte  Aufschlufs  geben.  Von  ihr 
ist  die  Antwort  auf  die  Frage  zu  erwarten,  welches  waren  im  Lauf  der 
Jahrhunderte  die  politischen  und  kirchlichen  Grenzen  und  das  wirtschaft- 
liche Leben  dieser  Südwestecke  Frankreichs,  d.  h.  wohin  gravitierte  der 
ganze  politisch,  kirchlich  und  wirtschaftlich  beding  Verkehr  ihrer  Be- 
wohner —  mit  anderen  Worten:  welches  waren  einst  ihre  Verkehrs- 
grenzent  Denn,  was  emsige  Arbeit  bis  jetzt  auf  dem  Ctobiete  der  deut- 
schen und  französischen  Mundartenforschung  zutage  gefördert  hat,  hat 
die  sprachliche  Allgewalt  des  Verkehrs  erwiesen :  die  bis  jetzt  gefundenen 
Dialektorenzen  sind  Verkehrsgrenzen,  uralte  oder  jüngere,  mit  oder 
ohne  erkennbare  Verschiedenheit  des  ethnischen  Substrats. 

Dafs  diese  Verkehrssrenzen,  welche  mundartliche  Einschnitte  schaffen, 
oft  genug  von  Terrains^wierigkeiten  bedingt  sind,  ist  einleuchtend  (z.  B. 
die  Gironde)  —  wie  oft  aber  Überwindet  politische,  kirchliche,  wirtsohaft- 
lii^e  Zusammengehörigkeit  die  gröfsten  Terrainschwierigkeiten  und  schafft 
mit  der  Verkehneinheit  auch  Sprach einheit.  Zwar  ist  der  Gotthard 
eine  Sprachscheide  —  aber  dafiu:  haben  die  höchsten  Gipfel  der  Alpen, 

'  Doeh  bUden  die  untere  Loire,  Seine  and  Bhdne  keine  ipraehlichen  Ein- 
fch^itU. 


462  Benrteilungeii  und  kurze  Anzeigen. 

der  Montblanc  und  der  Monterosa,  nicht  verkehrshemmend  und  also  nicht 
sprachtrennend  gewirkt:  die  Alpwirtschaft  verbindet  das  Aostatal  mit 
Savoven  und  Macugnaga  mit  Sans. 

Die  Verhältnisse  der  Schweiz  sind  hier  insbesondere  lehrreich,  und 
Tappolet  widmet  ihnen  die  letzten  Seiten  seines  schönen  Aufsatzes.  Schon 
Qauchat  hatte  gezeiet,  dafs  die  ausgeprägteste  Dialektgrenze  der  Sulsse 
romande  nicht  im  Hochgebirge,  sondern  auf  flachem  Grund  und  Boden, 
auf  einer  Hochebene  des  bernischen  und  neuenburgischen  Juras  liegt  und 
da  die  beiden  Dörfer  Les  Bois  und  La  Ferri^e  trennt:  das  bäuerliche 
und  katholische  Les  Bois  vom  industriellen  und  protestan^ 
tischen  La  Fernere.  Indem  Tappolet  den  mundartlichen  fjscheinungeii 
längs  der  französisch -schweizerischen  Landesgrenze  (waadtländer,  neuen- 
burgor  und  bemer  Jura)  nachgeht,  zei^  er  den  sprachtrennenden  Einfluls 
der  Konfessionen.  Auf  der  waadüändischen  Strecke  ist  die  Landesgrenze 
zugleich  Diiüektgrenze,  trotzdem  nach  Frankreich  hinflber  keine  natür- 
lichen Verkehrshemmnisse  bestehen:  die  Waadt  ist  protestantisch;  auf  der 
berner  Strecke  vermag  sogar  das  tief  eingeschnittene  Grenztal  des  Doubs 
keine  scharfe  Mundartscheide  zu  bilden:  der  bemer  Jura  ist  katholisch. 

Wie  sehr  kirchliche  Zugehörigkeit  die  Verkehrgruppen  und  damit  die 
Sprach^uppen  besonders  ländUcher  Kreise  bis  heute  o^stimmt,  das  zeigt 
Graubünden,  in  dessen  Oberland  geradezu  eine  katholische  und  dne  refor- 
mierte Varietät  des  Bomontsch  unterschieden  wird.  —  Im  Sprachbild  des 
Mittelalters  haben  unzweifelhaft  die  Diözeeangrenzen  eine  hervorragende 
Bolle  gespielt:  sie  schieden  die  Bezirke  des  gro&en  fwrta  auch  mundart- 
lich voneinander. 

Empirische  Feststellungen  wie  die  Tappolets  zeigen,  dals  es  zwar  Dia- 
lekte im  landläufigen  Sinne,  in  die  sich  die  Sprachmasse  eines  Landes 
wissenschaftlich  einteilen  lie&e,  nicht  gibt;  da£s  aber  anderseits  diese 
Sprachmasse  sich  auch  nicht  gleichmäfsi^  in  einzelne  Merkmaizonen  auf- 
löst, die,  wie  die  Binge  eines  Harnisch,  meinander  li^en,  und  von  denen 
keine  sich  ganz  mit  der  anderen  deckte.  Die  Wahmeit  liegt  vielmehr 
sozusagen  in  der  Mitte:  es  gibt  zwar  keine  scharf  umgrenzten  Dialekte 
—  aber  es  eibt  scharfe  Dia&ktgrenz strecken.  Sie  smd  geschichtlich 
bedingt  als  Verkehrsgrenzen,  die  ihrerseits  politisch,  kirchlich  und  wirt- 
schaftlich bedingt  sind. 

In  diesen  Forschungen  beleuchten  sich  Linguistik  und  Geschichte 
ffegenseitig.  Wo  der  Linguist  eine  Mundartgrenze  —  d.  h.  das  Zusammen- 
tuen von  Isophonen  —  nachweist,  da  muls  der  Historiker  —  wenn  die 
Gegenwart  keme  entsprechende  Verkehrsgrenze  mehr  aufweist  —  nach 
einem  alten  Limes  graben.  Und  umgekehrt  müssen  alte  Verkehrsgrenzen, 
z.  B.  die  DiÖzesangrenzen,  auch  wenn  ihre  sprachlichen  Spuren  in  der 
heutigen  Mundart  nicht  mehr  erkennbar  sind,  von  der  Sprachgeschichte 
in  Btt^ung  gesetzt  werden. 

Man  darf  wohl  sagen,  dals  die  Erforschung  der  lebenden  Mundarten, 
in  Verbindung  mit  der  Phonetik,  die  Sprachwissenschaft  der  letzten  zwan- 
zig Jahre  völlig  umgestaltet  hat.  Man  hat  einsehen  lernen,  dafs  die  Ge- 
setze des  Sprachlebäs  vor  allem  am  Leben  selbst  zu  studieren  sind, 
und  dals  jene  linguistischen  Theorien,  die  auf  papierenem  Boden  ^wachsen 
sind,  eine  gründuche  Bevision  und  Säuberung  durch  die  Empirie,  welche 
das  wunderbare  Leben  der  Mundarten  so  freigebig  gewährt,  erfahren 
müssen.  Die  Linguistik  hat  sich  lange  am  Phantom  geübt;  nun  ist  sie 
zum  Studium  des  lebendigen  Leibes  übergegangen.  Sie  hat  sich  lange 
auf  Paläontologie  beschränkt,  hat  Enochenreste  gedeutet  und  Eoprolithe 
bestimmt,  nun  ist  auch  sie  zur  Biologie  gekommen  und  muls  jetzt  ihre 
paläontologischen  Theorien  revidieren.  Und  weil  ich  an  mir  selbst  er- 
fahren habe,  welche  Erfrischung  das  bedeutet,  habe  ich  längst  dafür  plä- 
diert, die  Arbeit   am  lebenden  Patois   in  den  akademischen  Untemch,! 


Beurteilnngen  nnd  kurze  Aneeigeo.  46S 

au&unehmen.'  Diese  Arbeit  ist  wie  keine  andere  eine  Schule  linguistischen 
Denkens.  Die  schweizerischen  Universitäten  sind  durch  ihre  Lage  für 
Patoisforschung  besonders  günstig  gestellt.  Solche  Gunst  schafft  Ver- 
pflichtungen, und  dafs  sie  ihrer  bewuist  sind,  zeigt  die  tiefgehende  Studie 
Gauchats,  die  feine  Skizze  Jeanjaquets  und  diese  orientierende  Antritts- 
Yorlesung  Tappolets.  — 

Zu  den  Stimmen  der  Lebenden  gesellt  sich  am  Schluls  die  Stimme 
eines  teuren  Toten.  L.  P.  Betz  hat  zu  dem  Bande  einen  Au&atz  über 
den  Zürcher  Heinrich  Meister,  den  'Pariser  Meister',  beisteuern  wollen. 
]^  war  dazu  vortrefflich  gerüstet.  Dieser  treue  Freund  Grimms  und 
Diderots,  der  von  1773  an  während  vierzig  Jahren  deren  Oorrespondance 
lüUraire  in  Paris,  in  London  und  Zürich  fortgeführt  hat,  dieser  schweize- 
rische Vermittler  deutschen  imd  französischen  Geistes,  war  einer  von  Betz' 
Lieblingen.  Wie  oft  bildete  er  den  Gegenstand  unserer  Unterhaltung; 
wie  oft  hatte  Betz  neues  über  ihn  mitzuteilen  I  Es  sollte  ihm  nicht  ver- 
gönnt sdn,  die  ordnende  Hand  an  sein  reiches  Material  zu  legen.  Ein 
grausames  Schicksal  entrils  den  Vortrefflichen  in  der  Blüte  der  Jahre 
seiner  weitausblickenden  Tätigkeit  als  Forscher  und  akademischer  Lehrer, 
seiner  Familie  und  seinen  Freunden  (vergl.  Ooethe- Jahrbuch  1904).  Von 
setner  Arbeit  über  Meister  war  nur  die  Bibliographie  der  Werke 
Jakob  Heinrich  Meisters  bereit.  Die  Sorge  gemeinsamer  Freunde 
hat  sich  dieses  Bruchstücks  angenommen,  und  auch  Frau  Betz,  der  treuen 
Mitarbeiterin  ihres  Gkttten,  saee  ich  dabei  herzlichen  Dank  dafür,  dais  sie 
ihre  Einwilligung  dazu  gegeben  hat,  dalis  der  Torso  dem  Lehrer  und 
Freunde  dargebracht  werde.  Wie  eine  gebrochene  Säule  steht  er  am 
Schlüsse  des  Bandes  über  einem  Grab,  das  viele  schöne  Hoffnungen  deckt. 

Das  Buch,  von  dem  ich  hier  so  lange  gesprochen,  hat  in  mir  die  leb- 
hafteste Erinnerung  an  die  nur  zu  rasch  entschwundenen  Zeiten  geweckt, 
die  uns  zu  gemeinsamer  Arbeit  in  den  romanischen  Seminaren  zu  Bern 
und  zu  Zürich  vereinigte.  Daus  auch  ich  in  Dankbarkeit  und  treuer  An- 
hänglichkeit an  diese  gemeinsame  Arbeit  zurückdenke  —  das  den  Ver- 
fassern dieses  Bandes  zu  zeigen 

Vagäa  nu  ü  hmgo  studio  e  ü  grande  amor« 

Che  m*a  fatto  cercar  U  hr  pobarne,  n-    «| 

Dr.  Otto  E[nörk  et  Oabrid  Puy-Fourcat,  Le  fraD9ai8  pratique 
pour  la  jeunesse  ooinmer9aDte  et  industrielle,  l^'®  partie.  Berlin, 
Mittler  &  Sohn,  11^05.    128  S.  8  mit  Vocabulaire  (getrennt)  28  S. 

Ein  neues  Glied  in  der  Reihe  der  Lehrgänge  für  den  französischen 
Anfannunterricht  an  Handels-  und  Fortbildungsschulen,  das  von  den  be- 
treffenden Lehrern  mit  Freude  begrülst  werden  wird.  Es  will  diesen 
Herren,  wie  die  Prifaee  hervorhebt,  die  Möglichkeit  bieten,  den  Unterricht 
gleich  in  französischer  Sprache  zu  erteilen.  Deshalb  ist  es  ganz  in  dieser 
Sprache  geschrieben,  abgesehen  vom  Oours  prSUminaire,  der  auf  S.  XI 
bis  'yTY  Lautlehre  und  Bindung  bespricht  und  Ausspracheübungen  bringt 
Deutsche  Sätze  zum  Übersetzen  fehlen  abo,  entsprechend  dem  Beform- 
grundsatze:  'Das  Übersetzen  ist  dne  Kunst,  welche  die  Schule  nichts  an- 
geht.' Mit  Becht,  denn  durch  Übersetzen  ist  noch  kein  Schüler  direkt 
zum  Aufsatz  und  zum  freien  Gebrauch  der  Sprache  geführt  worden.  Jede 
der  80  Ldctionen  enthält  Leeture,  Questwns,  Orammatre  und  Exereiee. 
Die  Leeiure  fängt  mit  Anschauungsunterricht  und  dem  Nächstliegenden 

'  Die  Untertuehumg  Übender  Mimdarten  wtd  ihre  Bedeutung  für  den  ahademieehen 
Unterricht,   'm  Behrens'  Zäteehrifi  1888;  cf.  W.  Vieton  Phoneüeehe  Stndien  lU,  71. 


' 


t84  .Beurteilnngen  und  kurze  Anceigen. 

an:  La  taUe  da  elasae,  Le  eorpa  humain,  Lea  vUemmU,  L'mgeignement 
ücmmercüU  et  industrid,  iMrty  Ckuie  pastale  etc.,  und  bringt  yon  der 
19.  Lektion  an  die  G^chichte  zweier  janjKen  Kaufleute,  die  Stellangeo  in 
Paris  finden  und  dorthin  reisen.  Ein  vorzue  des  Bnches  ist  also,  da(s 
es  interessant  ist;  ein  zweiter,  dals  es  praktiscn  und  kurz  ist.  Denn  die 
Orammaire,  welche  vielfach  noch  nicht  eine  Seite,  dazu  in  sehr  übersicht- 
licher Form  und  in  zum  Teil  fettem  Druck,  einnimmt,  behandelt  in  der 
Vorliegenden  2^«  partie  die  Ranze  Formenlehre  und  Teile  der  Syntax:  des 
3iubfonetif,  f^aee  de  ratjjfecHf,  infinüif,  Ist  es  nidit  ganz  natürlich,  bd 
aUer,  venir,  eourir  gleich  den  inßnüif  eane  priposMmf  bei  rietmdre  etc. 
gleich  den  infiniHf  avee  la  prepoeüion  ä  zu  behandeln,  namentlich  wenn 
es  in  so  kurzer  Form  wie  hier  geschieht?  Etwas  bedenklich  A^fi&ßiea  er- 
scheint es,  wenn  nun  gleich  in  derselben  Lektion  mit  dem  InfmitiY  die 
Konstruktion  von  ne  pae  datUer  mit  dem  Subjonktiv  durchgenommen  wird. 
Überhaupt  dürfte  der  Lehrer  bei  Zugrundelegung  des  Buches  mit  man- 
chem deutschen  Anfänger  an  der  Handelsschnte,  wo  die  Schüler  jung  und 
noch  anderweitig  stark  belastet  sind,  schwere  Arbeit  haben;  indessen  muls 
es  sehr  interessant  sein,  Schüler  nach  diesem  Buche  ganz  in  französischer 
Sprache  zu  fördern.  Bedingungslos  zu  empfehlen  ist  das  Buch  für  Fort- 
budun^chulen,  wo  die  Schüler  älter  sind  und  meist  nichts  weiter  glddi- 
zeitig  in  ihrer  Mulse  treiben.  Zum  SchiuIiB  sei  noch  ein  Vorzug  vor  vielen 
anderen  Lehrbüchern  hervorgehoben:  es  ist  in  gutem  und  einfachem  Fran- 
zösisch ffeschrieben. 

Berfin.  Eeesebiter. 

L  Giorgi  ed  E.  Sicardi,  Abbozzi  di  rime  edite  ed  inedite  di  Fmn- 
oesoo  Petrarca.  Perugia,  Unione  Tipografica  Cooperativa  MDCCOGV. 
20  pp.  8. 

Ein  glücklicher  Zufall  mehrt  ans  die  Zahl  der  bekannten  Dichtungen 
Petrarcas  um  dn  paar  interessante  kleine  Stücke.  Als  der  Kodex  924  der 
casanatensischen  Bibliothek,  dessen  Wichtigkeit  für  die  Petrarcaphilologie 
sich  bei  des  Beferenten  Prüfung  herausees teilt  hatte,  kürzlich  einen  neuen 
Einband  erhielt,  fand  man,  dais  die  aiu  dem  alten  Umschlaff  festgeklebten 
zwei  Pergamentblätter  eine  Fortsetzung  der  Kollation  enthalten,  welche 
ein^Petrarchist  des  16.  Jahrhunderts  nach  eigenhändigen  Niederschriften 
des'  Dichters  auf  den  Text  dieser  Handschrift  eingetragen  hatte.  Jene 
Niederschriften  sind  uns  im  Ck)d.  Vatic.  3196  erhalten,  almr  nur  zum  Teil. 
Beccadelli  und  Daniello  haben  mehr  von  ihnen  gekannt,  als  jetzt  vor- 
handen ist  (s.  die  Qeschichte  dieser  Blätter  in  des  Ref.  2Sur  Bmwiekdung 
ital.  Dichtungen  PHrarcae  S.  2  ff.),  und  ebenso  der  Kollationator  des 
Casanatensis.  Nachdem  uns  seine  Arbeit  schon  eine  grolse  Zahl  neuer 
Lesarten  des  Dichters  für  die  Triumphe  kennen  gelehrt  hatte,  fügt  es 
jetzt  der  Zufall,  dals  die  neu  losgelösten  Blätter  wiraer  einige  der  im  Ori- 
ginal  verloren  ^gangenen  Stücke  ans  Licht  bringen. 

Der  KoUaüonator  trug,  wie  gesagt,  die  Varianten  jener  Autographe 
auf  einen  an  sich  wertlosen,  im  15.  Jahrhundert  geschriebenen  Text  des 
Kanzoniere  und  der  Triumphe  ein.  Die  Blätter  enthielten  aber  auch  Gre- 
dichte,  welche  Petrarca  nicht  in  die  Sammlung  seiner  rerum  vuUfoHum 
fragmenta  aufnahm,  weil  sie  ihm  dessen  nicht  wert  erschienen,  o^  weil 
sie  in  unvollendetem  Zustande  geblieben  oder  auch  weil  sie  ihm  nicht  zu 

futer  Stunde  wieder  unter  die  Augen  gekommen  waren.  Solche  Stücke 
onnte  der  Kollationator  also  nicht  im  Zusammenhanse  des  Kanzoniere 
mitteilen,  und  er  schrieb  sie  auf  den  jetzt  wieder  zum  Vorschein  gekom- 
menen Seiten  nieder.  Sechs  Sonette,  drei  Ballaten  und  ein  Fragment 
einer  Ballata  werden  uns  so  überliefert  Von  ihnen  besitzen  wir  eine 
Ballata  (Amor,  ehe'n  eielo  e'n  fentü  eore  albergki)  und  drei  Sonette  {Sa 
Phebo  dl  primo  amor  nom  ^  buguurdo,  Quando  uäar  da  guuta  ira  eommoeao. 


Beurteilungen  und  Inirze  Anzeigen.  465 

Pm  voUe'ü  du  m%  fo  vermigUo  e  fosoo)  noch  jetzt  im  Yat.  8196;  die  Ballat« 
No9a  heüexoM  in  habiio  qentiU  ist  schon  unter  den  estravagantl  der  Aus- 
sähe  Oiunti  1522,  Morelli  1799  (und  in  manchen  anderen  Ausgaben,  die 
Giorgi  und  Sicarai  nicht  nennen)  gedruckt  Die  anderen  Baflaten  und 
drei  Sonette  sind  neu.  Es  fehlen  dagegen  die  in  den  yatikanischen  Blfit- 
tem  stehenden,  in  den  Eanzoniere  nidit  aufgenommenen  Sonette  QueUa 
eh»  gli  ammali  dd  mondo  atterra,  QuMi  ^7  sftovendl  meo  eore  avinse  und 
Tal  earcUier  tuUa  una  sehiera  atterra  und  einige  Fragmente,  so  dais  wir 
annehmen  dürfen,  dal's  auch  jetzt  uns  ebensowenig  für  den  Kanzoniere 
wie  für  die  Triumphe  die  yollstandiffe  Arbeit  des  Kollationators  vorliegt. 

Die  Abschrift  der  im  Original  emaltenen  Stücke  ist  uns  willkommen, 
weil  wir  an  ihr  von  neuem  die  Sorgfalt  des  alten  Petrarchisten  prüfen 
können.  Sie  l&lst  wenig  zu  wünschen  übrig  für  die  Sonette  Se  l^hebo, 
Quando  talora  und  Piü  poUe,  die  auf  den  petrarkischen  Blattern,  sauber 
geschrieben,  leicht  lesbar  sind:  In  Se  Pheoo  ist  y.  3  giamai  mit  zwei  m 
geschrieben.  In  Quando  talora  hat  der  Kopist  für  ^t«^  zuerst  gionge 
gesetzt,  dann  gne  hinzugefügt,  ohne  nge  zu  tilgen.  Die  Überschrift  zu 
JHü  VQÜe  hat  am  Ende  von  parüf  das  '  übersehen.  Die  Notiz  4  nouSbr 
1336  rtfieepi  hoe  (oder  hie)  seribere  scheint  nach  dem  Druck  der  beiden 
Herausgeber  zum  Sonett  Quando  talora  zu  gehören.  Der  Eollationator 
hat  sie,  ganz  dem  Original  entsprechend,  am  Kande  des  Blattes  oberhalb 
des  Sonettes  Piü  vciUe  emgetrasen.  *  V .  6  des  Sonetts  steht  Hauea  statt  Auea. 

Nicht  so  gut  überschrieoen  ist  die  im  Ori^nal  schwerer  zu  lesende 
Ballata  Amor  ohe'n  eielo,  V.  2  hat  freilich  nur  der  Druck  ispiri;  die 
Photographie  zeigt  das  inapiri  Petrarkas.  Aber  v.  8  steht  mei  statt  mieiy 
Y.  5  &tal  graue  penser  taUor  statt  Utta  ü  gr,  peneier  talor,  y.  7  fehlt  die 
Lesart  nodo,  die  retr,  für  peso  eingeführt  hat,  y.  9  steht  st^oi)  statt  tuoi, 
y.  11  fehlt  die  letzte  Lesart  pur  spero,  y.  12  steht  perfetta  statt  perfecta. 

Merkwürdigerweise  fehlen  im  Casan.  die  lateinischen  Notizen,  welche 
der  Dichter  dieser  Ballata  beigegeben  ha^te  (s.  Zur  Entwichelung  S.  lüO), 
während  wir  hier  wieder  eine  Notiz  finden,  welche  das  Blatt  der  Vatikana 
nicht  zeigt.    Diese  Notiz  lautet  nach  der  Lesuu]^  der  Herausgeber: 

h*  f  ordine  retroßrado  ad  Iram^  n  fallor  ut  h%e  süt  dictaui  äno  istq  pro 
eonfortiuo  et  unü  aUud  postea  quod  nö  curaui  pfieere  ex  hie  atä  elegit . . .  ^ 
ipae  uUimü  quod  hie  est  primü  seripsi  hoe  ne  daheret  in  totü  pie  magna  . . . 
'  Wo  diese  Notiz  gestanden  hat,  bleibt  unklar.  Das  Origmalblatt  zeifft 
keine  Spur  einer  Be^hädigung,  die  sie  hätte  yerloren  gehen  lassen.  Es 
ist  dort  vielmehr  Baum  xenu^  frei,  auf  dem  sie  hatte  stehen  können. 
Hierzu  kommt,  dais  der  ETollationator  sie  mit  einer  anderen  Feder,  offen- 
bar erst  später,  der  Abschrift  der  Ballata  hinzugefügt  hat,  so  dafs  er  sie 
wohl  irgend  anderswoher  nahm.  Es  erscheint  also  durchaus  zweifelhaft, 
ob  sie  zu  dieser  Ballata  eehört,  wobei  aber  doch  wieder  zu  bemerken  ist, 
dafis  dieselbe  Seite  des  Originals,  welche  die  Ballata  enthält,  auch,  wie 
diese  Notiz,  einer  Abschrift  pro  Confortino  gedenkt. 

Diese  Notiz  hat  nun  leider  beim  Druck  der  neugefundenen  Stücke 
ffroises  Unheil  angerichtet  Die  Worte  in  ordine  retrogrado,  die  sich  offen- 
bar auf  die  (bucfistäbliche  *ad  litteram')  Überschreibung  mehrerer  Stücke 
yon  einer  Niederschrift  zu  einer  anderen  'in  umgekehrter  Reihenfolge'  be- 
ziehen, haben  die  Herausgeber  dahin  verstanden,  dafs  Petrarca  die  Folge 
der  einzelnen  Verse  geändert  habe,  per  rendere  piü  diffieile  a  quanti  gli 

*  Ich  benutse  die  photographische  Wiedergabe  der  beiden  Bl&tter,  welche  die 
Herausgeber  mir  frenndlieh  sageaandt  haben,  und  die  im  3.  Bande  des  Arehivio 
Paleogrqßeo  Italtano  auf  tav.  5$  enthalten  sein  soll. 

*  Der  Anfang  scheint  mir  unsicher.  Es  liegt  nahe,  2V.  su  lesen,  wie  bei  so 
vielen  Stttoken  des  Yat.  steht:  Tr,  in  ordine» 

'  Ober  Jram  ein  Strich  als  Zeichen  der  Abkflrsung. 
^  Das  Ende  der  sweiten  Zeile  ist  unsicher. 

ArehlT  L  n.  Si>»cliea.    CXY.  30 


466  BenrteilungeD  und  knrze  AnceigeaD. 

mpümwno  m  eaaa  öon  rintmwitme  di  ekiedergli  o  wUnurgU  dtf  vtni,  o 
quaUiati  aUro  MriUo  {FamiL  Y,  16),  ü  kfff&n  neeialmmnU  qtMä  9m  rume 
ehe  erano  in  uno  stato  di  primm  etaboroMone.  Bo  dmcken  sie  denn,  D«di 
einem  diploiiuitiBchen  Text  auf  8.  6  f.,  die  neagefond^en  Stficke  S.  16—18 
ab  *neWordm»  m  eui  1%  aivnmmo  trovaU  neüa  membrana  A  (dem  ersten 
der  loegeUtotOQ  BlStter),  m  egU  ve  li  apetm  voiuH  duporre  nd  modo  ordi^ 
naHo,  oome  skumo  a^pmUo  neüa  mombrana  B  (dem  swdten  Blatt,  auf 
welchem  die  Heraasgeber  die  schlichte  Reihenfolge  der  Vene  anerkenneii]. 
Von  ihrem  Irrtum  hätte  sie  schon  der  umstand  abhalten  sollen,  dau 
gerade  die  Ballata,  zu  welcher  die  lat  Notis  scheinbar  gehört»  auf  dem 
neuen  Blatt  hi  fast  derselben  Art  geschrieben  steht  wie  im  Vat  8196. 
FVeilich  geht  das  nicht  ans  ihrem  Abdruck  8.  6  f.  hervor,  wohl  aber  ans 
der  photographischen  Reproduktion.  Auch  dais  die  Form  der  8onette,  die 
bei  der  Neuordnung  der  Verse  herauskommt,  eine  bei  Petnica  beiraiel- 
lose  ist  (a  b  b  a  b  a  a  b  in  den  Quatemarieu,  vgl.  Aber  die  Sonettenrorm 
bei  Petrarca  des  Referenten  B&rlmer  Handoehrifkin  der  Rm»  fMronou 
8.  68  Anm.))  zeigt  sogleich,  daCs  diese  Ordnung  der  Verse  nicht  die  richtige 
sein  kann.  Die  Stficke  sind  vielmehr  in  derselben  einfaohfin  Art  zu  lesen 
wie  aUe  Niederschriften  Petrarcas,  und  es  ergeben  sich  sodann  die  folgen- 
den Texte  ffir  die  bisher  noch  nicht  bekannten  GMichte:* 

L 

ove  onesti,  ligiadrette  e  tole: 

Un  ipirto  elletto  in  oaor  grave  e  supemo 
Begon  madonna,  ed  ella  k  il  mio  governo 
Ch'al  mondo  oon  b«gli  ocohi  il  fosoo  tole. 

5     Fsrebbe  a  megia  notte  arder  il  sole 

E  primarera  qoando  k  maggior  verwo; 
ICa  oon  piA  sna  beltate  e'l  mio  amor  femo, 
Pift  sna  onideaia  ml  trapesa  e  dole. 
Amor,  (gtteito)  gUt  mia  conBiensa  non  acerba 

10  ICa  ben  l'hivita,  ei  vero  mi  constrigne 

Che  tanto  . .  i  Uoe  Fesser  meno  acerba 
Qnanto  fortuna  in  alto  pi&  la  spigne. 

Qiorgi  und  8icardi  nehmen  die  Reihenfolge  2, 4, 1,  8,  6, 5,  8.  7;  9, 16, 
11,  12  als  die  riditige  an  und  fassen  die  Verse  1—^,  9 — 12  als  Fragmeote 
zweier  verschiedener  Dichtungoi  auf.  Da  sie  in  der  Niederschrift  als  zu- 
sammengehdrig  erscheinen,  sehe  ich  in  ihnen  ein  uoToUeudetes  oder  un- 
vollständig überliefertes  Sonett,  dessen  Temarien  die  Reihenfolfle  c  d  c  d  c  d 
hatten  (w&  118  von  den  317  Sonetten  des  Eanzontere).  Ob  die  fehlenden 
zwei  Verse  am  Ende  oder  vor  v.  9  oder  etwa  vor  10  hinzuzufügen  sind,  bleibt 
ungewils.  —  V.  1  ist  im  Beginn  nnlesbar.  O.  und  8.  er^^Sncen  Ok  pmove, 
und  besseres  weils  ich  auch  nicht  vorzuschlagen.  One^  ist  zu  oneiU  zu 
korrigieren.  —  V.  2  1.  un  statt  tnf  —  V.  7  dan  man  statt  femo  wohl  eeemo 
lesen  und  eon  als  eom'  (s.  209,  8;  269, 18)  verstehen.  —  Auch  Ire^psaa  v.  8 
wird  nicht  bleiben  dflrfen;  man  kann  in  verschiedener  Art  indem. 

n. 

In  olelo,  in  arla,  in  terra,  in  ftiooo  e  in  mare 
Amor  peronoto,  e  vola  senza  manto. 
Contra  suo'  stnli  orati  non  k  inoanto; 
Ha  se  col  piombo  vnol,  pu6  risanare.  ^ 

f  5     A  megia  State  fa  Thaomo  tremare 

Et  arder  a  gran  remo,  e  piü  chh  qnanto 
....  forza  di  oanpar  e  nfiiir  di  pianto, 
In  pift  vünpi  e  lacrime  fa  Intrare. 


'  Ich  behalte  die  Orthographie  des  Casanatonsis  bei. 


BeurteiluDgen  und  kune  AncdgeD.  467 

Lft  baiU,  le  mie  fitfse  «  1a  mia  ehium 
10  O  biaitemato  mOto  iate  e  gU  iiml 

Onde  io  son  viro  e  gosto  «ur«o  martire. 
IPal  fta  V{pm^8Q)  o»do  loglimr  qneste  ftua 

O  dar  rineggio  a  mie*  gniTwi  aAmid, 

Se  tempo  »petto  oon  famnil  nifrire. 

Reihenfolge  der  Vewe  bei  GS:  2,  1,  4,  8,  5—8,  10,  9.  11—14.  V.  7. 
Den  nnlesbai^n  Anfang  des  Vene«  ergfinzen  QS.  zwcAfellos  mit  Bedit: 
se  Sforza;  L  useir  wie  v.  9  /omm^  y.  12  seioglier,  —  V.  12:  Hi»  <d  fin. 

UL 

I/oro  e  le  peile  e  i  bei  ftorettl  e  Ferba 

Oe  per  natura  adnopre  pift  ebe  leta, 

Le  blanche  mano  e  l'angelice  deta 

Che  a  nobü  nopre  a  pnnto  se  rleerba, 
6    Quegli  occhi  ch'al  voltar  sno  diaacerba 

Ogni  cmdezza,  ei  yIbo  ehe  dirieta 

Turbarei  Taria,  e  qaella  laia  lieta 

Che  hamil  Ikrebe  ogni  fera  saperba, 
UirategU,  per  Dio,  signor  gentUe! 
10  UirategU,  se  mal  bramasti  in  terra 

Yeder  an  dolce  e  proprio  paradleo. 
Vedrete  eose  d'aqaetar  humile 

Volcano  e  Jore  alhor  ehe  piil  diaaerra 

Per  folminar  qni  giü  laoco  preoiso^ 

Verafolge  bei  GS:  5—8,  2,  1,  4,  2,  9—14.  —  2.  L  Om.  3.  1.  mani. 
10.  L  bratnaste. 

Diese  Sonette  werden  zum  Lorbeer  Petraroaa  kein  neues  Blatt  hinzu- 
fügen. Der  Dichter  hat  sie  wohl  weiterer  Überarbeitung  für  unwert  ge- 
halten. Weniffstens  das  letzte,  vielleicht  aber  auch  die  beiden  vorher- 
fehenden,  sind  auch  kaum  eigenem  Antrieb  entsprungen,  sondern  sind 
Lisposte,  vielleicht  mit  mehr  oder  weniger  denselben  Beimwörtem,  auf 
Sonette,  die  man  ihm  Antwort  heischend  zugesandt  hatte.  Daher  denn 
auch  Formen,  die  wir  sonst  nicht  bei  ihm  finden,  wie  deta,  und  s^wungene 
Ausdrücke  und  Konstruktionen,  die  zu  korrigieren  unter  diesen  Umständen 
ein  mülÄiges  Beginnen  wäre.  Freilich  bleibt  auch  immer  noch  der  Zweifel, 
inwiefern  die  Überlieferung  des  Casanatensis  in  jedem  Punkte  genau  ist. 
Besser  als  mit  den  Sonetten  steht  es  mit  den  beiden  Ballaten.  Sie  ent- 
behren nicht  der  Anmut.  Die  ente  von  ihnen,  die  schon  in  den  genannten 
Ausgaben  st^t,  lautet  nunmehr,  mit  geringen  Abweichungen  von  jenen 
Drucken  (M): 

Nova  bellessa  in  habito  gentÜe 

Volae  U  mio  core  al'  amoroaa  achiera 

Ore^l  mal  si  aoetene  el  ben  ai  apera. 
Oir  mi  eonrene  e  atar  com'  altri  vole, 
5  Pol  ch'al  vago  penaer  (n  poato  un  freno 

Di  dolei  adegni  e  di  pietoel  agnardi. 

El  chiaro  nome  ei  anon  de  le  parole 

De  la  mia  donna  el  bei  viao  aereno 

Son  le  faviDe,  Amor,  di  che'l  oor  m'ardi. 
10  Tpnr  apero  merci,  qaanto  che  tardi, 

Gh'avenga  (oder:  Ch&  ben)  ella  ai  moatre  acerba  e  fera, 

Humile  amante  vince  donna  altera. 

Verafolge  bei  GS:  1—3,  5,  4,  7,  6,  9;  —  8,  10—12  (als  zwei  Frag- 
mente gedruckt).  V.  8  mal  fehlt  0.  9  a,  per  efU  ü  e,  M.  10.  sp,  quanr 
Utnque  che  sia  t.  HL.    11.  eh^  ben  fehlt  M. 

80* 


468  BearteUungen  und  kurze  Anzeigen. 

V. 
L'amorose  &yi]l6  e'l  dolee  Inme 

De'  be'  vostri  ocohi,  onde  U  mente  ho  piena, 
Fmnno  la  Tita  mia  (troppo)  sempre  serena. 
DowoB^  l'alto  Tiaggio  ond'io  m'ing«gno 
6  Iferitar  Tostra  gratia  hvmilemente, 

Cbn  soa  daressa  m'averia  gik  stanoho, 
Sa  non  eh'  Amor  dal  bei  yieo  lucente 
Si  ^  mia  scorta  et  infallibil  segno, 
Hoatrandose  nel  bei  nero  et  nel  bion^; 
10  Onde  soepira  il  dldoao  flanco 

B  riprende  yalor,  ohe'n  alto  U  mena, 
Fiineendo  ogni  contrario  che  Talfreiia. 

V.  4,  6,  Sy  10,  12  die  ersten  BachBtaben  unleeerlich,  V.  9  die  letzten 
Budistafa^n  abgeschnitten  (vgl.  ffir  diesen  Vers  29,  28;  72,  50).  08.  haben 
die  ersten  drei  Verse  als  besoDderes  Fragment  von  den  folgenden  getrennt. 
Diese  Ballata,  die  wie  das  in  mancher  Beziehung  fihnlicne  Madrigal  Per 
ch'al  viao  d'Amor  poriava  insegna  dantischen  JSnnnerungen  entsprungen 
scheint,  hätte  der  Dichter  wohl  mit  geringen  Änderungen  in  den  Kanzo- 
niere  aufgenommen,  wäre  es  ihm  zu  rediter  Zeit  begegnet.  Die  letzten 
ffinf  Verse,  welche  uns  die  neugefundenen  Blätter  kennen  lehren,  gehören 
auch  wohl  einer  Ballata  und  vielleicht  auch  einer  fast  yollenaeten  an; 
aber  es  sind  nur  ihre  ersten  und  letzten  Verse,  während  die  dazwischen- 
li^;enden  uns  verloren  gegangen  sind,  wenn  nicht  ein  glücklicher  Zufall 
sie  uns  wiederfinden  lälst: 

VI. 
Amor,  che'n  pace  il  tuo  regno  governi, 
Pon  üne  a  l'aspra  gaerra  ch'  i'  aoategno, 
S^  eh'  i'  non  pera  per  Borerohlo  adegno 

eto.    et  in  ßne: 
A  voi  servir,  a  voi  placer  m'ingegno, 
E  qael  poeo  ch'  i'  son,  da  voi  ml  tegno. 

Die  Verse  sind  auf  dem  zweiten  Blatt  mit  anderer  Feder  dem  Sonett 
Pia  voUe  il  di  nachgesetzt. 

Breslau.  C.  AppeL 

O.  Heoker^  Neues  deutsch-italienisches  Wörterbuch  aus  der  lebenden 
Sprache  mit  besonderer  Berücksiditi^ng  des  täglichen  Verkehrs  zu- 
sammengestellt und  mit  Aussprachehilfen  versehen.  Teil  II:  Deutsch- 
Italienisch.  Braunschweig,  G.  Weetermann,  1905.  VIII,  648  S.  kL  & 
M.  4. 

Die  greisen  Vorzüge,  welche  dieses  italienische  Wörterbuch  vor  den 
übrigen  auszeichnen,  hat  kein  geringerer  als  Tobler  in  dieser  Zeitschrift 
Bd.  CV  S.  216 — 218  schon  hervorgehoben.  Die  kleinen  Unebenhdten, 
welche  sich  in  dem  ersten  Bande  noch  hier  und  dort  finden,  sdieinen  mir 
hier  ganz  verschwunden  zu  sein.  Auf  die  Anordnung  der  dnzelnen  Ar- 
tikel nach  der  Bedeutungsentwickelung  und  die  Verdeutschung  ist  wo- 
möglich noch  mehr  Sorgfalt  verwendet  worden.  Dazu  bietet  dieser  zweite 
Teil  des  Wörterbuches  eine  bei  seinem  Umfange  geradezu  Überraschende 
Fülle  von  Stoff,  besonders  Bedensarten  aus  dem  tauchen  Leben,  und  bä 
jedem  mehrdeutigen  Ausdruck  ist  durch  geeignete  Zusätze  für  schnelle 
und  sichere  Unterscheidungsmö^lichkeit  gesorgt.  Um  ein  Beispiel  exl 
geben:  'oB'fd^lagett,  t  1.  portar  via  con  un  colpo  |  (^ot)f)  tagliare  |  (92üf[e) 
-abbacchiare  |  bte  ®c^ne))pe  ^  Don  6boccare  |  fein  Gaffer  ^  lare  un  pö'  a'acqua. 
2;  (^iflarbbanbe)  rfendere.  3.  (fig^  rifiutare,  negare  |  fd^lagen  (Sic  cÄ  mir  nldft 
ab!  non  mi  dica  di  n6I;  (Eingriff,  Qkfuc^)  respingere.   ^,  i,  Bon&r  la  ritirata.' 


Beurteilungen  und  karze  Anzeigen.  469 

Kein  grolser  Schade  ist  es,  dafs,  jedenfalls  der  Banmenparnis  halber,  hier 
bei  den  italienischen  ZdtwÖrtem  der  Akzent  im  Präsens  und  die  Qualität 
der  $  und  o  unter  dem  Tone  nicht  angegeben  sind ;  da  hilft  mit  leichter 
Mflhe  der  erste  Teil  ans. 

Bei  den  yielen  Stichproben,  die  ich  an  der  Hand  mdner  eigenen  reich* 
haltigen  Sammlungen  von  italienischen  Redensarten,  Bedeutungsentwicke- 
lungen usw.  angestellt  habe,  ist  mir  kaum  etwas  zu  bessern  aufffestoÄen. 
Denn,  wenn  man  hier  und  dort  Zusätze  wünschte  und  dafür  Heber  an- 
deres aufzugeben  seneigt  wäre,  so  beruht  das  natürlich  einem  so  sorgfältig 
durchdacht^  We»e  gegenüber  auf  persönlichem  Empfinden.  Zunädist 
also  in  bunter  Beihentolffe  ganz  wenige  Bedenken.  Zurückzahlen  rtm- 
bortare.  Daraus  ist  nicht  ersichtlich,  dais  es  heifst  rimborsare  uno  deüe 
speae.  Pech  an  den  Hosen  haben  ist  mit  aver  la  düdetta  addddw 
übersetzt.  Das  heilst  aber  nur  Pech  haben.  Ich  kenne  wenigstens 
Pech  an  den  Hosen  haben  nur  in  der  Bedeutung  'nicht  aus  der 
Kneipe,  einer  Gesellschaft  usw.  nach  Hause  finden  können'.  Beschot- 
tern ist  mit  aeciottolare  übersetzt.  Dies  heilst  doch  aber  'mit  Kieselsteinen 
pflastern',  wie  aeeiottolato  ein  Kieselsteinpflaster  ist.  Ich  hätte  es 
mit  imhreeeiare  wieder{;efl;eben,  wie  das  Hauptwort  Beschotterung^, 
das  H.  nicht  hat,  mit  tmoreeoiaia.  Bei  Notnagel  steht  nur  ^iüima  n- 
sorso,  eine  Bedeutung,  in  der  ich  das  Wort  überhaupt  nicht  kenne,  und 
die  jedenfalls  weit  häufigere  'Notnagel  am  Finger'  fehlt.  An  Zusätzen 
hätte  ich  etwa  gewünscht:  befingern  (H.  hat  das  seltenere  fingern); 
in  die  Falle  locken  (aeeaiappütre);  netter  Kerl!  iron.  bU  eeato;  bei 
Olim  hätte  ich  al  thn]^  ddla  Regtna  Bhia  angeführt  (an  dieser  Stelle 
habe  ich  übrigens  den  einzigen  Druckfehler  gefunden :  von  iUia  ist  das  s 
abgesprungen);  eine  lose  Zunge  haben  (H.  hat  nur  loses  Maul); 
verfahren  als  adj.  (etwa  sptulato);  aufgeschmissen;  Furchen- 
kamm;  mit  vollen  Backen  kauen  (mangiare  a  due  palment%)\  kei- 
nen Ton  reden  {ncn  an^r  pardle  faüe);  ersaufen  (in  Schuhen)  {äbtgon- 
etare);  Hauptmahlzeit;  platt  sein;  Strohblume,  Immortelle; 
reiterlos  (sedsao):  Winkelmafs;  lichtbraun  (jsagffinah);  prangen 
von  der  Landschaft  (il  paeaaggio  eitiUfi). 

Eine  ausgezeichnete,  ja  unentbehrliche  Zugabe  ist  das  Eigennamen«* 
Verzeichnis,  in  der  Aussprache  des  Deutschen  schwankt  übrigens  der 
Akzent  in  einer  ganzen  Anzahl  der  aufgeführten  Worte;  H.  gibt  da  immer 
nur  eine  Betonung  an,  meist  die  richtigere  oder  gebräuchlichere.  Sehr 
viele  Deutsche  sagen  z.  B.  Bee'thoven  und  nicht  Beetho'ven;  A'gathon, 
nicht  Agathon';  Ali'riman,  nicht  Ahri'man;  Beresi'na,  nicht  Bere'sina; 
Damo'kles,  nicht  Da'mokles;  Eu'gen,  nicht  Ehi^sn'  u.  a.;  wohl  die  meisten 
betonen  E'mil  und  nicht  Emil,  um  Ge'org  ui^  JoHiann  gar  nicht  zu  er- 
wfiimen,  die  nach  norddeutscher  Ansicht  verkehrte,  aber  weitverbreitete 
Betonung.  Bei  Worten  wie  sha'kespearisch  u.  a.  wäre  vielleicht  in 
Bücksicht  auf  die  Italiener  eine  Umschrift  der  Aussprache  angebracht  ge- 
wesen. Für  diese  ist  endlich  auch  noch  der  Anhang  der  starken  und  un- 
regelmäisieen  Verbformen  in  streng  alphabetischer  Anordnung  und  das 
Verzeichnis  der  üblichsten  Abkürzungen  von  grOIster  Wichtigkeit 

Alles  in  aJlem  ist  das  Büchlein  inhaltlicn  und  typographisch  eine 
Musterleistung,  zu  welcher  wir  dem  Verfasser  und  der  Verlagsbuchhand- 
lung nur  Glück  wünschen  können.  Uns  selber  aber,  sowom  den  deut- 
schen Freunden  Italiens  und  seiner  Literatur,  als  auch  den  italienischen 
Freunden  des  deutschen  Geisteslebens,  wünschen  wir,  dafs  wahr  sein  möge, 
was  man  munkelt,  daJs  nämlich  Hecser  an  einem  erolsen,  allumfassen^n 
Wörterbuch  der  italienisehen  Sprache  arbeitet,  und  dals  er  die  Kraft  und 
die  Mulse  findet,  es  samt  seinen  Boccacciostudien  unter  Dach  und  Fach 
zu  bringen. 

Halle  a.  S.  Berthoid  Wiese. 


Yerseiehnis 

der  vom  2.  Oktober  bis  zum  28.  November  1905  bei  der  Bedaktion 

eingelauf enen  DracksobrifteQ. 


Vcislery  K,,  Sprache  als  Schöpfung  und  Entwickelonff.  ESne  theo- 
Tetuche  Untennchnng  mit  praktischen  BeiBpielen.  Heidelbergs  Winter, 
1905.    VII,  154  S. 

Panser,  Fr.,  Mfirchen^  Sase  und  Dichtune.  Manchen^  O.  Beck,  1905. 
56  S.  [Eine  reisrolle  Arbeit,  gleich  schön  in  der  Form  wie  reich  im  In- 
halt Märchen,  Sage  nnd  Dichtunff  sind  drei  Stnfen  der  Epik,  die  P.  in 
ffrolsen  Zfigen  und  doch  mit  lebenoiffem  und  belebendem  Detail  entwicke- 
lungseesohiditlich  darstellt  und  yerbindet  P.  teilt  die  Auffassung,  daCs 
das  Märchen,  'ein  Nachklang  der  ürpoesie  des  Menschengesciuechts'y 
aus  den  Eriebnissen  des  Traumes  entstanden  ist:  9u  pida  m  mmo.  Der 
Alltagsnot  des  Lebens  setzt  der  primitive  Mensch  im  Märchen  eine  Wunder- 
welt entgegen,  wo  einem  Sonntagskind  alles  in  wunderbarer  Weise  zu 
Diensten  ist  und  alles  zum  Quten  gerät  Ihre  namenlosen  Helden  und 
Örtlichkeiten  entsprechen  einer  namen-  und  heimatlosen  Menschheit  Kein 
lyrisdies  frdinöses)  Element  mischt  sich  in  die  Erzählung  des  Abenteuers ; 
das  Märcnen  nat  auch  nie  Liedform.  Wohl  aber  kann  sich  die  Volks- 
saffe  zu  dieser  Form  erheben.  Die  Volkssage  ist  die  Epik  einer  höhoen 
Etüturstufe,  einer  Menschheit,  die  eine  feste  Heimat  hat,  deren  bestimmte 
Umwelt  DeutuuR  und  deren  Schicksale  Bericht  und  Erklärung  verlangen. 
In  den  Dienst  oieser  Erklärung  tritt  auch  die  primitive  Metaphysik,  d.  i. 
der  Mythus.  Die  Stimmung  der  Volkssage  ist  reifer,  d.  h.  ernster  ids  die 
des  Märchens ;  mit  dem  Qefunle  der  Abhängigkeit  (rü^io),  dessen  anthropo- 
morphisierender  Ausdruck  der  Mythus  is^  stellen  sich  lyrische,  religiöse 
Elemente  cdn.  Diese  werden  zum  Ferment  künstlerischer  Gestaltung;,  und 
diese  künstlerische  Gestaltung  wird  insbesondere  der  geschichtlichen 
Sage  zuteil  und  erhebt  sie  in  den  kriegerisch*aristokratischen  Kreisen  zu 
dem,  was  wir  Heldensage  nennen.  Die  Heldensage  ist  nicht  aus  dem 
Stofife  der  —  prosaförmigen  —  Volkssage  später  erwachsen,  sondern  sie 
ist  aus  dem  Ereignis  durch  die  Dichtung  geschaffen  und  auiE^büdet  Die 
Heldensage  ist  das  historische  Lied  in  jener  reichen  Entfaltung,  welche 
dieses  Lied  in  der  unmittelbaren  heroistischen  Umgebung  der  hervor- 
ragenden Persönlichkeiten  fand,  die  im  Mittelpunkt  der  heldenhaften  Er- 
eignisse standen.  Die  poetische  Ausgestaltung  dieser  Heldensage  hat  sidi 
dabei  im  Laufe  der  Jahrhunderte  auch  auüwrgeschichtliche  epische  Ele- 
mente (Märchen-,  Novellen-,  Schwankstoffe)  dienstbar  gemacht  P.  wird 
wohl  auch  zugeben,  dals  sie  dabei  gelegentlich  auch  zu  Stoffen  der  pro- 
saischen, epis<xkenhaften  Volkssage  gegrinen  hat  —  Nur  in  dieser  poetischen 
Form  hat  sich  zusammenhängende  geschichtliche  Überlieferung  mündlich 
dauernd  erhalten.  Dauerndes  JLeben  in  der  Erinnerung  der  Mensdien  hat 
auch  hier  nur  die  künstlerische  Auslese  nnd  Gestaßung  der  einstigen 
Wirklichkeit  verliehen.  —  Mit  dem  Fortschritt  von  Erkenntnis  nnd  Kunst 
ist  dann  in  der  Folgezeit  das  Verhältnis  des  Menschen  zur  G^eschichte 
(zum  hervorragenden  heroistischen  Geschehnis)  ein  anderes  geworden.  Sie 
nat  aufgehört,  die  vornehmste  Hüterin  seiner  Aspirationen,  der  stärkste 
Antrieb  seiner  Dichtung  zu  sein.  Kritischere  Zeiten  schaffen  keine  Helden- 
sage mehr.    In  ihren  epischen  Dichtungen  tritt  überhaupt  das  Abenteuer 


VecsdchniB  der  eingelaiifeneii  Drackschrifteii.  471 

snracky  wird  die  Geichiöhte  zn  einem  bloHseii  antiquarischen  Bahmen,  der 
dazu  meiflt  unvollkommen  ist.  An  die  Stelle  des  üeroe  iritt  der  Menaeh; 
unsere  Epik  hat  sich  erdenwarU  gewandt,  wie  unaeie  ganae  Lebenaarbelt 
und  Weltanschauung,  und  baut  in  die  Tiefe.  Das  führt  P.  aum  Schluls 
in  ffeistvoUer  Weise  aus.  —  Man  sieht,  dafii  der  Verfasser  von  BädB- 
Quarun  in  dieser  akademischen  Antrittsrede  einen  kunstvollen  Bahmen 
2U  jenem  M&rchenbuche  geschaffen  hat  Ich  bedaure,  dafs  er  dabei  nicht 
Veranlassung  genommen,  im  Vorbeigdien  auch  ein  Wort  über  Entstehung 
des  Mythus  und  des  Tierm&rchens'  zu  sagen :  wir  hätten  sicherlich  einige 
feine  Bemerkungoi  zu  hören  bcü^ommen.  Doch  fürchte  ich,  dals  so  der 
dankbare  Leser,  der  hier  spricht,  schlielslidi  noch  gar  unbefriedigt  er- 
scheint —  aber:  an  leckerer  Tafel  Vappetü  nieni  en  mumgean^. 

Bieveking,  F.,  Die  Hamburger  Uniyersit&t  Ein  Wort  der  An- 
regung.   Hamburg,  Meilsner,  1905.    89  8.    M.  0,50. 

Tne  American  Journal  oz  jphilology.    XXVI,  8  (whole  nr.  103). 

Bös  1er,  Margarete,  Die  Fassungen  der  Alezius-Leffende,  mit  beson- 
derer Berücksichtigungder  mittelenguchen  Versionen  (msner  Beitrfige  zur 
engl.  Philol.,  XX I).    Wien,  Braumüller,  1905.    X,  197  S.    M.  6. 

Sjvuchwörterbuch,  Sammlung  deutscher  und  fremder  Sinnsprüche, 
Wahlsprüche,  Inschriften,  Orabsprüdie,  Sprichwörter,  Aphorismen,  Epi- 
gramme, von  BibelsteUen,  Liederanfangen,  von  Zitaten,  von  Schnader- 
nflpfln,  Wetter-  und  Bauernregeln.  Bedensarten  etc.,  nach  den  LeitworteD, 
sowie  ffeschichtlich  geordnet  una  unter  Mitwirkung  deutscher  OeLahrto: 
und  S<miiftsteller  hg.  von  Franz  Freiherm  von  Lipperheide.  In  numat- 
licfaen  lieferunffen,  je  8  Bog^  fassend,  zu  M.  0,60.  Qesamtpreis  M.  12. 
1.  lielerung,  48  S.    Berlin  (W.  86,  Potsdamerstr.  88)  1906. 


Literaturblatt  für  germanische  u.  romanische  Philologie.  XXVI,  10 
(Oktober). 

PubUcations  of  the  Mod.  Lanff.  Association  of  America.  XX,  2,  June 
1905  [J.  D.  Ford,  'To  bite  the  dust'  and  symbolic  lay  oommunion.  — 
L.  F.  Mott,  The  round  table.  —  J.  P.  Hoscns,  Parke  Gtodwin  and  the 
translation  of  Zschokke's  Tfües.  —  S.  G.  Morley,  The  detection  of  per- 
aonali^  in  literature.  -—  O.  M.  Johnston.  Sources  of  the  lay  of  Yonce.  ~ 
O.  G.  Bice,  Bomance  e^rmolodes.  —  H.  6.  Jones,  Some  observations  upon 
the  Squire's  tale.  —  F.  Q.  Hnbbard,  Bepetition  and  parallelism  in  the 
earUer  Elizabethan  drama.  —  E.  M<£enzie,  ünpublished  mss.  of  Italian 
bestiarieft]. 

Die  neueren  Sprachen  ...  hg.  von  W.  Victor.  XIII,  4  [A.  Bam- 
beau,  The  Teachine  of  Modem  Language  in  the  American  High  SchooL  — 
O.  Jespersen,  Zur  Geschichte  der  ^onetik  (I).  —  Besprechunmi.  —  Ver- 
mischtes]. XIII,  5  [A.  Altschul,  Über  Bilder  als  Ldurmittel  beim  Unter- 
richt in  den  neusprachlichen  Bealien.  —  B.  J.  Lloyd,  Glides  between 
Oonsonants  in  Engush  (VI).  —  Berichte.  —  Besprechungen.  —  Vermisch- 
tes]. Xin,  6  rW.  Münch,  Ein  itaUenischer  Vorsänger  Miltons.  —  B.  J. 
lioydj  Glides  between  Ck>nsonants  in  English  (VllJ.  —  J.  Gtoddes  jun., 
A  Ümversal  Alphabet.  —  Berichte.  —  Besprechungen.  ~  Vermischtes]. 
Xin,  7  [W.  Münch,  Ehi  italienischer  Vors&nffer  Miltons  (SchluTiB).  — 
O.  Jespersen,  Zur  Geschichte  der  Phonetä  (ll).  —  Berichte.  —  Be- 
sprechungen. —  Vermischtes]. 

Modern  philology.  HI,  2,  October  fS.  Lee,  Ghapman's  'Amorous  Zo- 
diacke'.  —  £.  P.  Hammond,  On  the  order  of  Üie  Ganterbmy  tales:  Caz- 
ton's  two  editions.  —  F.  M.  Warren,  Some  features  of  style  in  Ea^ly 
French  narrative  poetrv  1150—70,  part  I.  —  B.  Weeks,  The  newly  dis- 
covered  Chaucun  de  Willame,  part  IH.  —  F.  Xkeber,  Studies  in  the 
teztual  Interpretation  of  'Beowulf .  —  W.  A.  Nitze,  A  new  souioe  of  the 
'Yvain']. 


472  VerzeichiiiB  der  eingeiaTifenen  Druckschrifton. 

Nenphilologisdie  MitteiluncoD,  hg.  vom  NeaphiloL  Verein  in  Helsing- 
fors.  \90B.  Nr.  4/5  [A.  Lindrors,  8ar  La  m^Üiode  de  l'enaeignement  des 
langues  modernes  (II).  —  Besprechungen.  —  Zeitschriften-Rundschau.  — 
Eingesandte  Literatur.  —  Mitteilungen].  1905.  Nr.  6  [A.  Längfors,  Une 
Paraphrase  anonyme  de  VAve  Maria  en  ancien  francais.  —  H.  Palander, 
Volksetymologische  Umbildung  im  Ehidischen.  —  Besprechungen.  —  Be- 
richt und  Protokolle.  —  Eingesandte  Literatur.  —  MitteUungenl. 

Modem  language  teaching.  I,  6,  Oct.  [N.  L.  Ftazer,  §  6  oi  the  new 
regulations.  —  P.  o.  Jeffrey,  Normal  English.  —  Mrs.  R  Miall,  French 
in  the  elementary  stages.  —  A  modern  lang,  teacher's  reference  library.  — 
Discussion  column,  correspondence  etc.].  —  7,  Nov.  TB.  J.  Lloyd,  On 
thinking  in  a  foreign  tongue.  —  Discussion  column,  Mod.  Lang.  Asso- 
ciation, Esperante  congress,  Ezaminations  etc.]. 

The  modern  lanfi^uage  review.  I,  1.  A  qnarterly  devoted  to  the  study 
of  medieval  and  modern  literature  and  ptiilology  edited  by  J.  G.  Robin- 
son. Advisory  board:  H.  Bradley,  L.  M.  Brandiu,  £.  G.  Brauoholtz, 
K.  Breul,  £.  Dowden,  H.  Q.  Fiedler,  J.  Fitzmauricc-Eelly,  W.  W.  Gr^, 
G.  H.  Herford,  W.  P.  Ker,  Kuno  Meyer,  W.  R.  Moxfill,  A.  8.  Napier, 
R.  Priebsch,  W.  W.  Skeat,  Paget  Toynoee.  Cambridge,  University  Press. 
86  p.  To  appear  four  times  a  year;  annual  üubsciiption :  8  sh.  net.  [G.  G. 
Smith,  Some  notes  on  the  comparative  study  of  literature.  —  P.  Toynbee, 
English  translations  of  Dante  m  the  18^^  cent  —  A.  0.  Bradley,  Notes 
on  passages  in  Shelley.  —  W.  W.  Greg,  The  authership  of  the  songs  in  Lyly's 
plays.  —  G  .0.  Moore  Smith,  Shakespeareana.  —  J.  Grosland,  A  G^ennan 
Version  of  the  thief -legend.  —  Reviews.  Minor  notices.   New  publications]. 

Schweizerisches  Archiv  für  Volkskunde,  hg.  von  E.  Hoffmann- 
Erayer  uud  J.  Jeanjaquet  IX,  2  [H.  Zahler,  Rätsel  aus  München- 
buchsee  (Bern).  ~  A.  Rossat,  Les  Paniers,  po^me  patois  (suite).  —  S.  Meier, 
Volkstümliches  aus  dem  Frei-  und  Kelleramt.  —  Miszellen.  —  Bücher- 
anzeigen. —  Berichte].  IX,  8  [Chr.  Luchsinger,  Das  Molkerdgerät  in  den 
Alpendialekten  der  romanischen  Schweiz.  —  H.  Zahler,  Rätsel  aus  München- 
buchsee  (SchluTs).  —  8.  Meier,  Volkstümliches  aus  dem  Frei-  und  Keller- 
amt (Forts.).  —  A.  Rossat,  Les  Paniers,  po^me  patois  (suite).  —  Bücher- 
anzeisen]. 

Breymann }  H.,  Nensprachliche Reform-Literatur  (Drittes  Heft).  Eine 
bibliographisch-kritische  Übersicht,  bearbeitet  von  Prof.  Dr.  Steinmüller. 
Leipziff,  Deichert  (G.  Böhme),  1905.  IV,  152  8.  M.  4.  [Die  übersicht- 
liche Anlage  des  trefflichen  Breymannschen  Werkes  ist  in  diesem  dritten 
Hefte  bewahrt  worden.  Die  ersten  Seiten  enthalten  Nachtrag  zu  den 
früher  erschienenen  Teilen;  8.  10 — 102  bieten  das  neue  Matmal,  haupt- 
sächlich für  die  Jahre  1899 — 1904,  und  daran  schlielst  sich  der  zusammen- 
fassende Rückblick,  der  über  die  methodologische  Diskussion  dieser  fünf 
Jahre  im  Sinne  der  'vermittelnden  Reformmethode'  orientiert.] 

Münch,  W.,  Das  akademische  Privatstudium  der  Neuphilologen 
[S.-A.  aus  Lekrproben  und  Lehrgänge  der  Gymnasien  und  EealsehtSen, 
4,  Heft].  1905.  20  8.  [Von  dem  Gedanken  ausgehend,  daüs  der  Student 
der  neueren  Sprachen  allzuleicht  sich  damit  begnügt,  sich  nur  mit  dem 
zu  beschäftigen,  was  der  Turnus  der  Vorlesung  und  Seminarübungen 
ihm  zufällig  zuführt,  weist  hier  M.  nachdrücküch  auf  die  Notwendigkeit 
eines  planmäiBigen  Privatstudiums  hin,  das  neben  der  gleichsam  offiziellen 
Beschäftigune  herzugehen  hat  Er  spricht  von  den  Au^ben  dieses  Privat- 
studiums  una  seiner  Organisation  in  warmen  Worten  der  Erfahrung,  die 
jeder  Student  sich  zu  Herzen  nehmen  sollte.] 

Lüderitz,  A.,  Die  Liebestheorie  der  Provenzalen  bei  den  Minne- 
singern der  Stauferzdt  (Literarhistorische  Forschungen,  hg.  von  S^ck 
und  V.  Waldberg,  XXIX.  Heft).  Berlin  u.  Leipzig,  Felber,  1904.  136  S. 
M.  3,  Subskriptionspreis  M.  2,60. 


VeneichiiiB  der  eingekufenen  Drudrschrifteo.  '478 

The  Journal  of  English  and  Germanic  philology.  Y,  4,  October  1905 
[E.  D.  Hanscone»  The  fmling  for  natore  in  0.  E.  poetry.  —  O.  B.  Schlutter, 
On  the  O.  R  glosaes  printed  in  Kluge's  Ags.  Lesebuch.  —  C.  H.  Hatha- 
way jr.,  Ghaucer's  rerse  taes  as  a  part  of  his  narrative  machinery.  — 
A.  8.  CJook,  Browning,  Abt  Vogler,  99  ff.  —  G.  H.  Nettleton,  The  books 
of  Lydia  Languiph's  circulating  library.  —  £.  Björkman,  Etymological 
notes.  —  G.  M.  Priest,  Zu  Eberhard  von  Erfurt.  —  C.  Osthaas,  Strong 
fonns  of  Ein  before  nouns.  —  F.  L.  Wells,  Experimental  phonetics  and 
Vemer's  law.  *—  F.  M.  Padelford,  Note  on  Brasirs  Address  to  young  men. 
—  E.  Elaeber,  An  O.  R  proverb.  —  W.  8.  Johnson,  A  note  on  Eing 
Lear.  —  G.  T.  Flom,  The  Norw^an  dialect  and  Folklore  Society.  — 
Beyiews]. 

Jantzen ,  Hermann,  Gotische  Sprachdenkmäler  mit  Grammatik,  Über- 
setzung und  Erläuterungen.  8.  Aufi.  (Sammlung  Göschen  Nr.  79).  Leip- 
zig, Göschen,  1905.    153  8.    M.  0,80. 

Golther,  Wolfgang,  Nordische  Literaturgeschichte.  L  Teil:  Die  is- 
ländische und  norw^sdie  Literatur  des  Mittelalters  (Sammlung  Göschen 
Nr.  254).    Ldipzig,  Gesehen,  1905.    123  S.    M.  0,80. 

Skandinavisk  m&Dadsrevy.  I,  4,  Not.  [E.  Wrangel,  Schiller  und 
Schweden.  —  The  E[ipling  reader,  Jungle  animals  in  India.  —  English 
guides  to  leaming.  —  Misoellanea  etc.]. 

Methode  Toussaint-Langenscheidt.  Brieflicher  Sprach-  und  Sprech- 
untenricht  f.  d.  Selbststudium  der  schwedischen  Sprache  von  £.  Jonas, 
E.  Tuneid,  0.  G.  Mor^n.   Berlin,  Langenscheidt  Brief  81-^5  zu  M.  1. 


Sahr,  Julius,  Das  deutsche  Volkslied,  ausgewählt  und  erläutert  2.  Auf- 
lage (Sammlung  Göschen  Nr.  25).   Leipziff,  Göschen,  1905.   189  8.  M.  o,80. 

Zscharnack,  Leopold,  Lessing  und  8emler.  E^  Beitrag  zur  Ent- 
stehunssgeechichte  des  Rationalismus  und  der  kritischen  Theologie.  Gie- 
fsen,  Töpelmann,  1905.    888  8.    M.  10. 

Homers  Ilias  und  Odyssee  in  verkflrzter  Form  nach  Joh.  H.  Vofs 
bearbeitet  Ton  Dr.  Edmund  Weifsenborn,  Prof.  am  Gymn.  zu  Mflhl- 
hausen  i.  Th.  I.  Bändchen:  Ilias.  8.  Auflage.  Leipzig,  Teubner,  1905. 
IV,  164  S.  -©  r   e 

Goethe's  Faust,  translated  by  Anna  Swanwick,  LL.  D.  with  an  in- 
troduction  and  bibliography  by  Karl  Breul,  York  Library.  London, 
BeU,  1905.    LXX,  437  8.    2  s. 

Goethes  Iphigenie  auf  Tauris,  edited  with  introduction  and  notes  by 
Max  Winkler,  Ph.  D.    Neuyork.  Holt,  1905.    CV,  211  8. 

Drescher,  Max,  Die  Quellen  zu  Hauffs  'Lichtenstein'  (Probefahrten, 
Erstlingsarbeiten  aus  dem  Deutschen  Seminar  in  Leipzig,  VIII).  Leipzig, 
Voigtländer,  1905.    146  8. 

Paszkowski,  Wilhelm,  Lesebuch  zur  Einführunfir  in  die  Kenntnis 
Deutschlands  und  seines  geistigen  Lebens.  Ffir  ausländische  Studierende 
und  für  die  oberste  Stufe  höherer  Lehranstalten  des  In-  und  Auslandes. 
V.Auflage.    Berlin.  Weidmann,  1905.    VIII,  240  S.    M.  8,20. 

Langer,  0.,  Deutsche  Diktierstoffe  in  Aufsatzform,  vermehrt  durch 
Einzelsätze  für  den  Unterricht  in  der  Rechtschreibung.  Zum  Grebrauch 
an  höheren  Lehranstalten  sowie  Bürgerschulen  und  ffir  den  Privatunter- 
richt.   4.  Auflage.    Wien,  Tempsky,  1906.    162  8.    M.  2. 


Beiblatt  zur  Anglia.    XVI,  4,  5  (April,  Mai  1905). 

Scottish  historical  review.  III,  9,  Oct  1905  [G.  H.  Firth,  A  resto- 
ration  duel.  —  Sir  Herbert  Maxwell,  The  Scalacronica  of  Sir  Thomas 
Gray.  —  R.  M.  Fergusson,  Presbytery  and  popery  in  the  16.  cent.  — - 
B.  M.  Holden,  The  fürst  Highland  regiment  —  w.  G.  B.  Murdock,  Charles 
the  Second,  his  connection  with_i^..  and  letters.  —  A.  F.  Stewart,  The 


474  VeneidmiB  der  dngelaiileDeii  Dmckichnften. 

Boottiflh  Nation'  «t  the  imiTenity  of  PadfUL  -^  A.  H.  Miliar,  Eillicnnkie 
deBCxibed  by  an  eye-witneBS.  —  W.  B.  Soott,  Soottuh  indastnal  nnder- 
taikingB  before  the  union.  —  Beviews  of  books.  Queriea.  Oommunication 
and  replies]. 

Swaen,  A.  E.  H.,  A  short  hiatory  of  Engliah  literature.  Beoond 
edition.    Groningen,  Noordhoff,  1906.    60  8.    M.  0.80. 

Bchmidt,  Friedrich,  Obcrldhrer,  Short  Engliah  proaody  for  tue  in 
aehoola.    Leipzig,  Itenger,  1904.    14  8.    M.  0,80. 

Beownlf  nebat  dem  Finnsborfl^-Bruchatüek  mit  Einleitang,  Gloeaar  und 
Anmerkungen  hg.  yon  F.  Holthausen.  I.  Teil:  Tttcte  und  Kamenver- 
zeicfania  (Alt-  u.  mittekngLTexte,  hg.  ¥on  Morabach  n.  Holthanaen,  III). 
Heidelberg,  Winter,  1905.    YII,  112  8.    M.  2,40. 

Derocqaigny,  Jnlefi,  A  oontribution  to  the  atudy  of  the  French 
element  in  Engfish.    Lille,  Le  Bigot  Bros.,  1904.    176  8. 

Lncht,  Faul,  Lautldire  der  älteren  Layamonhandachrift  (Palaeatray 
XLIX).    Berlin,  Mayer  &  MüUer,  1905.    182  8. 

French,  John  C,  Hie  pvoblem  of  the  two  prolognes  to  Ohanoer'a 
Legend  of  good  women.    Baltimore,  J.  H.  Fürst  Company,  1905.    100  8. 

Benndorf,  Cornelia,  Die  englische  Pädagogik  im  16.  Jahrhundert, 
wie  ue  dargeatellt  wird  im  Wirken  und  in  den  Werken  von  Blyot,  Aacham 
und  Mulcaster  (Wiener  Beiträge  zur  engl.  Philologie,  XXII).  Wien,  Brau- 
mdUer,  1905.    XI,  84  8.    M.  8. 

Shakespeare,  William,  Hamlet  Erklärt  von  H.  Fritsche,  neu  hg. 
Ton  Hermann  Conrad  (Shakespeares  ausgewählte  Dichtungen,  V).  Ber- 
lin, Weidmann,  1905.    LXXXlf,  158  8.    M.  2. 

Shakespeare,  Juliua  Caesar  edited  by  Frederic  W.  Moor  man  (Teub- 
ner's  School  Texte,  I).  Leipzig,  Teubner,  1905.   91  8.  (Dazu  Notes,  66  8.) 

Minor  poete  of  the  Carohne  period,  vol.  I  cont-aining  Chamberlayne's 
Pharonnida  and  EIngland's  jubüee,  Benlowes'  Theophila  and  the  poems 
of  Eatherine  Philips  and  Patrick  Hannay,  edited  oy  George  Sainta- 
bury,  M.  A.    Oxford,  Clarendon  Press,  1905.    XVIII,  726  8.    10  s.  6  d. 

Douyenir  of  the  (3rabbe  celebration  and  catalogue  of  the  exhibition  at 
Aldeburgh,  Suffolk,  16^^  to  17^  September,  1905.    2  s.  6  d. 

Colkction  of  British  authors.    Tauchnitz  edition.    ä  M.  1,60. 
VoL  3841:  Peicy  White,  The  patient  man. 
,     8842 — 8:  A.  Hope,  A  servant  of  the  public. 
,     3844:  A.  Morrison,  Divers  vanities. 

Erueger,  Gustav,  Englisches  Unterrichtswerk  für  höhere  Schulen, 
m.  Teil:  Lesebuch  mit  8  uurbigen  Karten  und  Tafeln.  Wien,  Tempsky, 
1906.    400  8.    M.  3,60  =  4  K  30  h. 

Böttgers,  Benno,  EngUsches  Lesebuch  für  höhere  Lehranstaltm. 
Mit  85  Illustrationen  und  8  farbigen  Karten.  Bielefeld  und  Leipzig,  Vd- 
hagen  A  Klasing,  1906.    X,  352  8.    M.  3.50. 

Hamilton,  Louis,  The  practical  Englishman.  Lehrbuch  für  öffent- 
liche Lehranstalten  und  für  den  Privatunterricht  Berlin,  Weidmann, 
1905.    163  8. 

Wingerath,  Hubert  H.,  New  English  readin^^-book  for  the  use  of 
middle  forms  in  German  high-schools.  Second  edition,  revised  and  en- 
larged,  with  a  map  of  Great  Britein  and  Ireland.  Cologne,  Dumont- 
Sc&auberpr,  1905.    XII,  867  S.    M.  3,50. 

English  histories  in  biographies,  with  a  Synopsis  of  the  history  of 
England  from  the  Norman  conguest  to  the  time  oi  George  I.  Zusammen- 
gestellt und  erklärt  von  Karl  Köhler  (8chulbibliotiiek  nanzOa.  und  engl. 
Proeaschriften,  II,  44).     Beriin,  Weidmann,  1905.    VI,  144  &    M.  1,40. 

Bider  Haggar d,  H.,  Mr.  Meeson's  wilL  Annotated  by  Grond- 
houd  and  Boorda.  Library  of  contemporary  authors  I.  Second  edition. 
Groningen,  Noordhoff,  1906.    VIII,  271  8.    f.  1,50. 


YeneichiiiB  der  emgelattleneD  Drucikschriftai.  475 

Bomania  p.  p.  P.  Meyer  et  A.  Thomas.  No.  185  (juillet  1905) 
[A.  Thomas,  Le  nominatif  pluriel  asym^triqne  des  substaDtiis  maecalins 
en  anden  proyen9al.  —  H.  Omont,  l^'otice  sur  des  feaillets  retrouy^i  du 
ms.  525  de  Dijon.  —  A.  Plaget,  1a  Bdle  Dame  sans  fmroi  et  ses  imitations 
(snite).  —  P.  Meyer,  Fragments  de  mannscrits  fran^ais.  —  Mdlanges: 
J.  Derocquigiiy,  Anc  fr.  oemiehier  (=  s'ocouper  iL  des  riens).  —  A.  Ao- 
mas^  Fr.  üanguer,  äangueur;  fr.  dialektal  fmerotet;  fr.  remeune;  anc.  fx, 
remformer,  fr.  möd.  renformir.  —  Gomptes  rendiis.  —  PModiqnes.  — 
Chroniqne]. 

Bevne  des  langnes  romanes  XLVIII,  4  [V.  Chicbmarev,  Contenanoes 
de  table  en  vers  provencaiiz.  —  F.  Oastets,  üne  Variante  allemande  de 
'Ap!rte  la  bataille .  —  F.  Devolny,  Disconrs  proimonncia  au  festenau  de 
Santo-Estello  Ion  12  de  jun  1905  en  Arie.  —  P.  Ulrich,  L'Apocalypee  en 
haut-engadinois  (fin).  —  H.  Gut,  La  Chronique  francaise  de  Maltre 
G.  Or^tin  (snite).  —  Bibliographie].  XLYIII,  5  [L.-E.  Kästner,  Les  ver- 
sions  fr.  in^ites  de  la  descente  de  saint  Paul  en  enfer.  —  F.  Castets, 
I  dodid  canti  (snite).  —  J.  Bonjat,  Sur  la  langne  de  Fonr^.  —  A.  Yidal, 
Les  d^lib^rations  du  conseil  communal  d'Albi  de  1872  ä  1388  (fm).  — 
Bibliographie.  —  Chroniqne]. 

Bomanische  Forschnngen.  Organ  für  roman.  Sprachen  und  Mittel- 
latein, hg.  y.  K  Vollmöller.  XX,  1.  Heft  [L.  Jordan,  Die  Sage  yon 
den  yier  Haimonskindern.  —  G.  Hartmann,  Zur  Geschichte  der  itaUe- 
nischen  Orthomphie.  —  F.  B.  Luquiens,  The  Boman  de  la  Böse  and 
medieyal  Gastman  literatnre]. 

Biblotheca  Bomanica,  Straisburg,  Heiis  xu  Mündel  (1905).  Das 
Bändchen,  ca.  5  Druckbogeil,  M.  0,40. 

1.  Moli^re,  Le  Misanthrope. 

2.  Moli^re,  Les  Femmes  sayantea. 
8.  Corneille,  Le  Cid. 

4.  Descartes,  Disconrs  de  la  m^thöde. 

5.  n.  6.  Dante,  Diy.  Commedia:  Inferno. 

7.  Boccaccio,  Decameron,  Prima  giomata. 

8.  Calderon,  La  yida  es  suef&o. 

9.  Bestif  de  la  Bretonne,  L'an  2000. 

10.  Camöes,  Los  Lusiadas,  Canto  I  und  IL  [Diese  neue  Sammlung  will 
den  Gelehrten,  Studierenden,  Lehrern,  Schülern  und  den  Gebildeten  über- 
haupt zuyerlassige  Ausgaben  romanischer  Literaturwerke  zu  billigem  Preise 
und  in  guter  Ausstattung  bieten.  Das  üntemdimen,  das  in  der  be- 
wahrten Hand  yon  G.  Gröber  liegt,  wird  jedem  willkommen  sein  und  ist 
insbesondere  im  Interesse  des  Studierenden  und  des  akademischen  Unter- 
richts zu  beffrfiisen.  Dieser  Unterricht  leidet  yielfäch  unter  dem  Um- 
stände, dals  dem  Studenten  die  Literaturwerke  nicht  erreichbar  sind  und 
der  Umfang  seiner  fremdsprachlichen  Lektüre,  seine  direkte  Quellenkenntnis 
unzureichend  ist  Hier  wu^i  ihm  eine  reiche  Auswahl  romanischer  Werke 
geboten,  die  seiner  Börse  zugänglich  sind.  Die  weiteren  Bändchen  sollen 
zunächst  auch  Voltaire,  Bousseau,  Diderot,  Beaumarchais,  Balzac,  Tillier, 
Musset;  Petrarca,  Ariost,  Cellini,  Tasso,  Metastasio,  Goldoni,  AHieri,  Leo- 
pardi;  LopjB,  Ceryantes,  Gil  Vicente  etc.  bringen.  Jedes  Bändchen  ist 
mit  einer  Einldtuns  yersehen,  die  eine  literatur^chichtliche  Würdigung 
des  Werkes  mit  bibuographisdien  Angaben  yerbmdet  und  in  der  Sprache 
des  romanischen  Autors  yerfatst  ist.  Der  Druck  ist  kldn,  aber  scharf. 
Die  Ortiiographie  der  älteren  französisdien  Texte  ist  in  yemtknftiger  Weise 
modemidert  Im  aUgemdnen  sollen  diesen  Neudrucken  die  Ausgaben  letzter 
Hand  zugrunde  gd^  werden.  So  beruht  z.  B.  der  Oid  auf  der  Edition 
yon  1082;  doch  sind  die  Abweichungen,  die  der  ursprüngliche  Text  yon 
1637  zeigt,  angeführt  Moli^res  Stücuce  sind  auf  die  Editiones  mincipes 
gegründet  (mit  Annibe  der  Varianten  yon  1682).  Der  Wittesche  Text  der 
Oomrneüa  ist  mit  den  Lesarten  der  yerbrdtetstto  neaexen  Ausgaben  und 


476  VerzachniB  der  dngdanfenen  DrackBchriften. 


der  Boccäcdo-Handsduift  yenehen,  und  die  Auflebe  der  LimadaB  (von 
Carolina  Michaelis  de  Vaaconcelloa)  bietet  mit  einer  Ifingeren  Einleitung 
einen  kritischen  Text.] 

Societä  filologica  romana: 
I  Documenti  d'Amore  di  Francesco  da  Barberino  seoondo  i  manoscritti 
oiiginali  a  cura  di  F.  Egidi,  fasc.  IV,  Borna  1905.    B.  209— 288. 

Bnlletino  della  Soc.  fil.  rom.    Num.  YII.    Borna  1905.    90  8. 

Nieder  mann,  M.,  Contributions  iL  la  critique  et  ä  l'ezplication  des 
Glosee  latines  [Acad^mie  de  Neuchatel.  Becueil  de  travaux  p.  p.  la  Fa- 
cnlt^  des  Lettres  sous  les  auspioes  de  la  Bod^t^  acad^miqne.  Frem.  fa- 
sdcnle].    Nench&tel,  Attin|;er,  1905.    IX,  49  8.    Fr.  8. 

Weise,  O.,  Charaktenstik  der  lateinischen  Sprache.  Dritte  Auflage. 
Ldpdff,  Teuber  1905.  VI,  190  8.  [Diese  dritte  Auflage  des  bekannten 
Werkdiens  zeigt  mancherlei  Elrs&nzungen  und  Nachtritge,  so  z.  B.  einen 
kurzen  Schlufsabschnitt  über  'Die  römische  Kultur  im  Spiegel  des  la- 
teinischen Wortschatzes']. 

GrundrÜB  der  romanischen  Philologie,  hg.  von  G.  Gröber.  I.  Band, 
4.  Lieferung  (Bogen  49—68;  SchluTs  des  Bandes).  Mit  13  Karten.  Zweite 
yerb.  und  verm.  Auflage.  8tra&burg[,  K.  J.  Trübner,  1906.  M.  5,50.  [Auf 
die  drei  Yoraus^ehenden  Lieferungen  ist  hier,  GXIII,  244;  490;  CXIV,  268, 
bereits  hingewiesen  worden.  Mit  der  yorliegenden  vierten  (Schlul8-)Liefe- 
rung  ist  dieser  erste  Band  nun  auf  rund  1100  Seiten  angewachsen: 
er  na,t  ge^^enüber  der  ersten  Auflage  eine  Vermehrung  von  15  Bogen  er- 
fahren. Diese  Schlufslieferung  führt  Suchiers  Darstellung  'Die  franzö- 
sische und  proTenzalische  Sprache  und  ihre  Mundarten'  zu  Ende,  brin^ 
Morel-Fatios  Darstellung  des  Katalanischen  in  teilwdser  Neubearbei- 
tung durch  Saroihand}[,  fiaists  'Spanische  Sprache',  Gornus  'Portu- 
riesische  Sprache'  ^mit  einem  Anhang  'Neugalizische  Formenlehre*)  und 
UMe  lateinischen  Elemente  im  Albaneeischen'  in  neuer  Bedaktion  durch 
W.  Mejrer-Lflbke.  —  Vergleicht  man  den  Band  in  seiner  neuen  Ge- 
stalt mit  der  ursprünglichen  Form  von  1888,  so  findet  man,  panz  abge- 
sehen von  fortlaufenden  Zusätzen,  welche  die  Bibliographie  ä  jour  halten 
und  sonstige  im  Laufe  der  Jahre  entstandene  Lücken  ergänzen,  fast  in 
jedem  Paragraphen  Änderungen  zum  Teil  tiefgreifender  Art,  wie  sie  durch 
die  Fortscmritte  der  Forschung  bedingt  worden  sind  (vgl  z.  B.  §  96  in 
Suchiers  Abschnitt).  Die  Karten  sina  woU  ganz  unyer&idert  geblieben; 
zu  kleineren  Betuschen  wäre  auc^  hier  gelegentlich  Veranlassung  gewesen. 
Z.  B.  ^ört  (Karte  I)  das  linksloirische  Montbrieon  nach  Phuipon,  Bo- 
maniaXKll,  1  ff.,  zu  den  Orten,  die  ä  nach  Palatalen  bewahren  (finales 
PaL  H-  a  aber  wird  t),  und  diesen  Forschung«}  Philipons,  Devaux'  und 
Gauchats  zufolge  hätte  auf  der  allgemeinen  Übersichtskarte  des  roma- 
nischen Sprachgebietes  auch  die  Grenze  des  'Frankoproyenzalischen'  ver- 
ändert w^en  müssen:  das  frankoprovenzalische  Gebiet  dehnt  sich  west- 
lich von  Lyon  bis  zur  Loire,  ja  (mit  auslaut  -a  >  -t)  noch  etwas  jenseits 
dieses  Flusses  aus,  während  es  anderseits  sich  etwas  weniger  weit  nadi 
Süden  und  ganz  erheblich  weniger  weit  nach  Norden  erstreckt,  als  die 
gelbe  Grenze  andbt.  Es  wäre  übrigens  erwünscht,  dafs  Herausgeber  und 
Verleger  diese  Übersichtskarte  in  gröfserem  Mafsstab,  als  Wandkarte,  her- 
stellen lieTsen.  Sie  würde  die  Anschauungsmittel  unserer  Seminarien  in 
willkommener  Weise  vermehren.  —  Der  Snmdrifs  ist  aUen,  die  sich  mit 
romanischer  Philologie  beschäftigen,  den  Lernenden  und  den  Lehrenden, 
längst  ein  unentbehriiches  Hilfsmittel  geworden.  Die  Bolle,  die  er  in  der 
Forschungsarbeit  der  letzten  zwei  Jahrzehnte  als  Inventar  und  Wegweiser 
gespielt  hat,  wird  noch  gewichtiger  werden  durch  diese  so  rasch  und 
glücklich  georderte  Neubearbeitung  von  1904—6.] 

Boques,  M.,  M^thodes  ^t^mologiques  (Extrait  du  Journal  des  Sa- 
vants,  aoüt).  P^ris  1905.  15  S.  [Von  A.  Thomas'  Nouveaux  Essais  d» 
jpkikiogie  firan^adse,  vergL  hier  GXIII,  498,  ausgehend,  gdangt  Boqnea  su 


Veneichnis  der  eiDgeianfeDen  DrackschrifteD.  477 

einer  yerig^leichenden  WQrdirimff  der  Wortforschmigamethodeny  die  durch 
Thomas  emerseüs,  durch  Sändiardt  anderseite  vertreten  w^en.  Aach 
er  kommt,  wie  Tappolet  in  seinem  hier  erschienenen  Aufsatz  über  'Pho- 
netik und  Semantik  in  der  etym.  Forschunr',  CXV,  121,  zu  dem  Resultat, 
dals  die  Differenz,  welche  die  beiden  Forsdier  trennt,  durch  die  Polemik 
srOiser  erscheint,  als  sie  wirklich  ist  Man  wiid  das  gelten  lassen  und 
doch  mit  Boqnes  der  Meinung  sein,  dafs  ein  tiefer  prinzipieller  Unter- 
schied sich  in  beider  Methode  verbirgt.  Nicht  darin  liegt  er  freilich,  dals 
Schuchardt  die  semasiologische  Seite  der  Wortgeschichte  mehr  betont  als 
Thomas,  sondern  er  liegt  in  der  Auffassung  der  sog.  Lautgesetze  (cf.  hier 
p.  454  f.),  und  hier  ist  er  unfiberbrückbar.  Schuchardt  glaubt  nicht  an  die 
von  uns  formulierten  Lautgesetze;  er  spricht  diesen  empirischen  For- 
meln die  ausnahmslose  Gültigkeit  ab.  So  findet  er  eben  da  keinen  festen 
Boden,  wo  Thomas  seinerseits  xanz  sicher  zu  stehen  und  zu  sehen  ver- 
meint. Aus  dieser  Sicherheit  Thomas'  flielst  seine  Selbstbescnr&nkung: 
er  arbeitet  mit  Vorliebe  am  einzelnen  Wort,  bldbt  fern  innerhalb  eines 
Dialekts  und  meist  innerhalb  des  FranzMschen  oder  doch  des  Gallo- 
romanischen  und  begnüg  sich  mit  der  Herausarbeitung  des  limitierten 
phonetischea  Problems,  für  welches  sein  Auge  eine  aufserordentliche  Schfirfe 
oeaitzt  Und  weil  Schuchardt  in  den  sog.  Lautgesetzen  einen  sicheren 
Halt  nicht  erkeimen  kann,  sieht  er  sich  nach  anderen  Hilfsmitteln  um, 
befw^  er  mit  unermüdlicher  Wiisbej;ier  die  Bedeutungsgeschidite,  d.  h. 
die  ^Itureeschichte,  dringt  er  vom  einzelnen  Wort  zur  ganzen  Sippe  vor, 
geht  vom  Begriff  zur  Sache  und  ist  ihm  der  Kreis  der  romanischen  Kul- 
turen und  Sprachen  zu  eng  geworden.  Gewils  hat  ßoques  recht:  'leurs 
mitkodds  se  reneoniraü  ei  «e  eonfimd&nt  aouoenty*  und  auch  diejenigen,  die 

¥rnndsätzlich  auf  Schuchardts  Seite  stehen,  können  sich  der  Msiütate 
homas'  freuen.] 

Bevue  de  philologie  fran9aiBe  p.  p.  L.  01^ dat.  XIX,  2  et  d. 
[L.  Vignon,  Les  patois  de  la  r^on  lyonnaise :  le  pronom  r^me  de  la 
3*  personne:  le  regime  direct  neutre.  —  P.  Meyer,  La  simplification  ortho- 

§raphi<^ue  (fin).  —  J.-Henri  Beinhold,  Quelques  remarques  sur  les  sources 
e  'Floire  et  Blanceflor'.  —  Em.  Gasse  et  £ug.  Ghaumiade,  Vieüles  chan- 
sons  patoises  du  P^rigord.  —  M^anees:  L.  G14dat,  L'usage  orthogr.  du 
XVIil®  siMe.  —  Ph.  Fabia,  Malgoiree,  une  Etymologie  toponymique.  — 
L.  Gl^at,  Le  verbe  faUoir  —  faiüir.  —  J.  Bastin,  FaiUim  et  dSfaüU,  — 
Gomptes  rendus.  —  Chroniqne]. 

Zeitschrift  für  französ.  Sprache  und  Literatur,  hg.  v.  D.  Behrens. 
XXVIII,  2  und  4  [Der  Referate  und  Rezensionen  erstes  u.  zweites  Heft]. 
XXVUl,  5  und  6  [H.  Droysen,  Unvorffreifliche  Bemerkungen  zu  dem 
Briefwechsel  zwischen  Friedrich  d.  G.  und  Voltaire.  —  W.  Mangold,  Noch 
eimge  Aktenstücke  zu  Voltaires  Frankfurter  Haft  —  W.  Küchler,  Ste- 
Beuve  Studien,  I:  Ste-B.  und  die  deutsche  Literatur.  —  W.  Martini, 
y.  Hueos  dramat  Tedinik  nach  ihrer  histor.  und  psychoL  Entwickelung 
(Schluis).  —  G.  Biesland,  Französische  Sprichwörter-Biblionaphie.  —  L. 
£.  Slastner,  A  neglected  french  poetic  form.  —  D.  Behrens,  Wortgeschicht- 
liche MiszeUen].  XXVIII,  6  und  7  [Der  Referate  und  Rezensionen  drittes 
und  viertes  Heft  —  Miszellen :  L.  Thomas,  Supplement  ä  la  bibliographie 
des  toits  de  Ste-Beuve;  Notes  bibliographiques  sur  Ste-Beuve.  —  £.  IJnle- 
mann.  Syntaktisches]. 

Revue  des  Etudes  Rabelaisiennes.  III,  8  [A.  Lefranc,  Picrochole  et 
Gaucher  de  Ste-Martiie.  —  J.  Barat,  L'influence  de  Tiraqueau  sur  Rabe- 
lais. —  Mölanges.  —  Gompte  rendu.  —  Ghronique]. 

Saure,  H.,  Auswahl  französischer  GMichte  für  Schule  und  Haus. 
Dritte  Auflage.  Berlin,  Herbig,  1905.  VIII,  143  S.  Brosch.  M.  1,60,  ge- 
bunden M.  £ 


478  YcneichiiiB  der  eingelantoen  Dnu^schrifteD. 

Weidmaniuche  Baiwilwng  franzdnsdiflr  nod  «g^ttcher  Sduiftotolto 
mit  deutidbeii  Anmcrkungtii.    BerÜD,  WeidniAiin,  1M6: 

Molite,  L»  PrteieaMt  ridicnlM,  6rkL  von  H.  Frittchtw  2.  Auf- 
Iftge,  dnrchffeBdhen  von  Dr.  J.  Henffesbach.    73  8. 

SchulbioL  fraaz.  n.  eiiel.  ProMflcmiftn  aiu  der  neuenn  Z«t.  hg.  tod 
Bahlsen  o.  Hengesbach,  AbleiL  L  Berlin,  Weidmanniche  Baehhalg.  1905: 

N»  37,  Hutoire  de  la  B^Tolation  fimii9ai8e,  hg.  n.  eridärt  Ton  Ftot 
Dr.  F.  J.  Wershoyen.  Iifit  6  Abbildungen  and  einem  Plan  ?on  Parie. 
Zweite  yerb.  Auflage.    VI,  160  S.    Geb.  M.  1,50. 

N^  40,  Gonteure  oontemporains,  nenn  Enfthlungen  too  Thennet, 
Franoe,  Loti,  Sardou,  Zola,  bearb.  und  erklart  t.  Dr.  J.  Hengeebach. 
Mit  dnem  Plen.   Zweite  aorgf.  duichceB.  Auflage.   XIV,  186  8.   li.  1^. 

N^  54,  L' Empire  1813—15.  L'Alleniagne  anti-napotöonne.  Ana  der 
Hiat.  Generale  von  LaiTiaae  ond  Bamband,  Dearbeit.  n.  mit  ÄnvL  hg.  ?on 
Dr.  Th.  Haaa.  Mit  einer  Karte  and  awei  PlAnen.   VII,  168  8.   Bf  1,80; 

Proaateura  Modemea.    Wolfenbattel,  Zwifaler,  1905: 

Band  XX :  L'Hiatoire  de  France  depuia  1328  jnsm'en  1871,  ffir  den 
Schulgebraaoh  bearbeitet  ▼•  H.  Bretacnneider.  Mit  ^ute  and  Plan 
Ton  Paria.    VI,  69  8.    M.  0,75. 

Goanaon.  A.,  Petit  manuel  et  morceanx  o^brea  de  la  litttaiture 
fraa9aiae.  Halle  a.  8.,  BachhandlaDr  dea  Waiaenhanaea,  1905.  27tt  8. 
M.  3,40.  [Daa  Bach  widmet  dem  Mitteudter  and  der  Renaiaaance  die  eiaten 
awei  Dutaend  Seiten,  dient  im  übrigen  der  literariachen  Oiientienuig  über 
daa  17.,  18.  und  19.  Jahrhundert  und  ist  ffir  hdheie  Schulen  aowie  ffir 
die  Übunnkurae  dea  Univerntitalektora  beatimmt] 

Lea  Paniera.  Potee  en  patoia  biaontin,  traduit  en  patoii  joffaaaieD 
p.  F.  Baapieler,  car4  de  Courroaz.  Etüde  critiqae  dea  cuveraea  veniona 
p.  A.  Boaaat  (8.  A.  aus  d.  Sekumx.  Arehiv  f.  Volkskunds  Vlil  u.  IX). 
Zürich  1905.  94  8.  [Vgl  Arehw  CXIV,  266;  Boaaat  gibt  hier  den  Text 
der  einen  Baapieleracnen  Handschrift  (Ma.  A)  mit  phonetiacher  Umschrift, 
reichem  phiiologiachem  Kommentar  und  nenfrana.  Obersetaung.] 

L^aeth,  EL,  Le  Tristan  et  le  PalamMe  des  manuacrita  Srancaia  du 
British  Muaeom.  Etüde  critiqae  (Ana  Videnakaba  -  8elakabeta  ncrifter. 
II.  Hiat-FUoe.  Klaase  1905,  N^  4).  Chriatiania,  J.  Dybwad  1905.  88  8. 
IDie  Manuakripte  sind  acht  an  der  Zahl;  aechs  davon  enthalten  den  2fH- 
tian.  An  ihnen  hat  der  Verfaaaer  die  ebenso  verdienstliche  wie  mühevolle 
Arbeit  fcnrtffeaetat,  die  er  bereits  für  die  Fariaer  Haa.  geliefert  hat  (Le 
rormm  de  'Br,  en  pro»,  ie  roman  de  Pal,  et  la  eomptiaiiim  de  Ruttiden  de 
Piee,  1890).  Die  Untersuchung  ist  leider  nicht  sehr  ergebniareich,  ond 
insbeaondere  hat  sie  nichts  zutace  gefördert,  um  die  Frage  end^tif  zu 
entscheiden,  ob  die  franz.  QuelTe  des  italieniachen  J^tano  Btecarmiano 
alter  iat  ala  die  una  bekannten  franz.  Versionen.  Immerhin  weila  L.  gute 
Gründe  gegen  die  Annahme  aolcher  Priorität  —  die  Parodi  yertretan  hat 
—  geltend  zo  machenj 

Neumann,  E.,  Der  Söldner  (eottdoyer)  im  Mittelalter  nach  den  frz. 
und  proTenzal.  Heldenepen  (Marburger  Diaaertation).  Marburg,  Schön- 
hoven,  1905.    102  8. 

Zenker,  B.,  Boere  Amlethoa.  Das  altfranz.  Epoa  von  Boeve  de 
Hamtone  und  der  Uraprung  der  Hamletaage  (Literarhlatorisehe  Forachnn- 
gen.  hg.  y.  Schick  und  Waldberg,  XXXII.  Heft).  Berlin  und  Leipsig, 
Felber,  1905.    XX,  418  8.    Ladenpreia  M.  9.    Subskriptionapreia  M.  & 

Voretzsch,  G.,  Einführung  in  das  Studium  der  altxraazöaiachen 
Literatur,  im  Anadiluls  an  die  Einführung  in  das  Studium  der  altfran- 
aösiachen  Sprache  (Sammlung  kurzer  Lehrbücher  der  romaniachen  Qfn^ 
chen  und  Literaturen,  II).  Halle,  M.  Niemeyer,  1905.  XVII,  573  8. 
M.  10.  [Dieeea  Werk,  aar  welchea  daa  Ärekiv  in  eingehenderem  Beferat 
zurückkommea  wird,  iat  nun  freilich  kein  'kurzea  Lehrbuch'  mehr,  aondera 
eine  recht  eingehende  Daratellung  der  mittelalterlichen  Literatnr  FVank- 


Vcadcluiifl  der  eingdanlmen  DruclsdiTiften*  479 

iMtm.  Doch  war  es  wohl  nicht  anders  ra  madun,  woUie  der  VerfaMer, 
was  er  in  seinar  Vorrede  verspsieht:  'eine  Übersldit  über  die  hivtorisdhe 
Entstehung  und  Entwiokelang  der  altfraax.  literatur  im  gansen  und  ihrer 
Haupteattungen  bieten,  die  wichtigsten  Werke  besprechen  oder  weniffstens 
henrorheben  und  von  allem,  eine  möglichst  konkrete  Vorstellung 

Sehen.'  Da  das  Buch  p&dagogischen  Zwecken  dienen  soll,  so  muiate 
lese  Aufgabe,  dem  Suchenden  loonkrete,  scharfe  und  sichere  Vorstellungen 
XU  bieten,  die  nichstlitt^de  selb.  Sie  erscheint  mir  auch  in  iMihem  Maoe 
erfüllt,  sowohl  durch  oie  Gliederuiu;  des  Gänsen  und  die  Ökonomie  der 
einaefanen  Paragraphen,  als  durch  dto  Anschauung,  welche  die  Tertproboi 

Setwa  iwei  Dntaend)  gewahren;  durch  die  kritische  Bibliographie  und 
lorch  die  Übersichteo,  die  von  den  Ursprungsfrajgen  handem,  an  deren 
AufiieUung  Voreinch  selbst  ja  hervorragend  tätig  ist  (Heldenepos,  Boman 
d$  B&nard).  Ein  Glossar  stellt  das  Buch  auch  in  seinen  Tez^roben  auf 
eigene  Fülse.  Voretssch'  EmfUkmng  wird  nicht  nur  dem  ^ucUerenden 
des  Faches  während  und  nach  der  (JniTevsitfitszeit  eine  sehr  ntltEliche 
Wegleitung  sein,  sondern  sicherlich  auch  'den  Angehörigen  der  Nachbar- 
fiichsr  cur  Orientierung  über  dieses  oder  jenes  Qefiet  der  altfranaflsischen 
Literatur  dienen'.] 

Lefrane,  A.,  Les  naviflations  de  PantagrueL  Etüde  sur  la  g^o- 
mphie  rabelaisieone.  Paris,  Henri  Ledere,  19u5.  388  8.  Mit  7  Ta&hi, 
FT.  12.  [Das  Buch  über  Pantagrueb  Seefahrten,  das  wir  naeh  den  Mit- 
teüungen  der  Bmm»  de$  Etudm  Rab,  Ton  Abel  LeCranc  erwarten  durften 
(cf.  ArtUm  GXIV,  2t>5],  liegt  vor:  ein  nracfatvoll  ausgjBstatteter  Band,  des- 
sen reidier  Druck  nna  schöne  Taf^  aas  Auge  in  gleicher  Weise  erfreuen. 
Mit  Spannung  folgt  der  Leser  diesem  Exploratenr  Lefrane,  der  hier  die 
Beise  durch  unecfonehte  Linder  sur  DMne  Bouteäk  erneut  und  yerjfingt 
und  der  unterwegs  yon  Babdais  und  seiner  Zeit  so  viel  Neues  xu  SM;en 
weils.  —  Von  drei  Beisen  ^nes  Helden  weUs  B.  zu  berichten,  nach<fam 
er  sie  erst  in  dem  heimatiidiea  'Asnom^  pajß$  de  Jkmram^  fest  yeraakert 
hat,  in  dessen  Topographie  erst  gep;en  Ende  des  zweiten  Buches  durch  das 
Hereiaspielen  des  Limdes  Utopien  em  phantastisches  Element  Kobracht  wird. 
Die  drei  Beisen  sind  indessen  von  B.  sehr  ungleich  behanddt  Die  erste 
—  la  rouie  ovtUnawß  des  Partuguahys  —  fQhrt  von  Frankreich  ums  Kap 
der  guten  Ho&ung  nach  Utopien  (d.  h.  nach  Nordchina  =  Oboindien): 
sie  ist  mit  wenigen  Worten  erwähnt  (II,  cap.  24).  Die  zweite  ist  nur 
geplant:  sie  solT  Ober  den  atlantischen  Ozean,  zwischen  Nord-  und  Süd- 
amerika, die  man  sich  15<$2  noch  getrennt  dachte,  liindurch  nach  Indien 
ffihren  (II,  cap.  84).  Nachdem  dum  die  Fortschritte  der  Gtographie  die 
Unmöglichkeit  dieser  Durchfahrt  gezeigt,  änderte  B.  1546  mit  Buch  III 
den  Beiseplan  und  lie(s  Pantagmel  auf  dem  Wege  der  nordwestlichoi 
Dvrchfahrt  nach  'OberiniUen'  gelangen:  diese  dritte  Beise  (Saint-Malo— 
Neafnndland— Ostasien)  füllt  bekanntlich  die  bdden  letzten  Bficher.  Le- 
frane zeigt,  wie  R.  dkse  MeerMirt  mit  den  Personen  und  den  Tatsachen 
des  zeitsenössiBofaen  nationalen  See&hrertums  aufs  engste  yerbunden  hat, 
wie  er  cue  Beise  an  der  Hand  der  neuesten  Beisewerke  und  Beerten  macht 
und  wie  er  rieh  dabei  im  Geiste  von  Jacques  Cartier,  dem  Entdecker  Ka- 
nadas, und  yon  Jean  Alfonse,  dem  Kosmomphen,  bereiten  läist.  Bebe- 
Jaia'  Beiseschilderung  beruht«  trete  aller  Phantastik,  auf  ernsten  Studien; 
der  ganze  Wissoisdunt  der  Benaissance  erfüllt  und  tragt  rie,  der  GMaube 
an  <fie  Zukunft  der  Wissenschaft  spricht  aus  ihr.  Das  zeigt  in  der  an- 
liflhendslen'  Weise  Lefrsnc,  dessen  seiner  Sinn  auch  in  dem  scheinbar  be- 
deutungsloeen  Detail  Beriehungen  erkennt  und  Leben  aufweist  So  fesselt 
denn  säne  Darstellung  von  Anfimg  bis  zu  Ende;  sie  fesselt  dorcJi  all  die 
neuen  Lfieunaen  grolsw  und  kidner  Probleme  und  dadurch,  dais  de  selbst 
wieder  neue  ProUeme  aufdeckt  und  neue  Wege  wdst.  Zw&lf  Appendioes 
fOllen  die  letzten  60  Sdten,  und  besonders  der  yorietzte  [Les  iUmetUa  fiele 
""       ies  itoii  premiere  Uvree  de  R.}  zeigt,  trotz  sdner  skizzenhaften  Form, 


480  Veneidniui  der  eingelaufeneD  Druckachiiften. 

in  welchem  Umfang  Lefrance  nnermfidliche  Foncherarbeit  unsere  .Kennt- 
nis Babelais'  und  seines  Werkes  zu  erneuern  im  Begriffe  steht] 

Both,  Dr.  Th.,  Der  Einfbils  von  Arioets  Orliuido  Furioso  auf  das 
französische  Theater  (Münchener  Beitris»  zur  roman.  u.  eogL  Philologie, 
hg.  7.  Breymann  u;  Schick.  XXXIV.  Meft).  Ldpzig,  Beichert  (Nachfl. 
Böhme),  1905.    XXII,  263  S.    M.  ö^O. 

Schmid,  K.  F.,  John  Barclays  Ärffenia.  Eine  literarhistorische 
Untersuchung  (Literarhist.  Forschungen,  hg.  ▼.  Schick  und  Wald b er g, 
XXXI.  Heft).  Berlin  und  Leipzig,  £.  Felber,  19U4.  IX,  183  8.  M.  4. 
[Dieser  orste  Teil  eines  neuen  Buches  über  Barclays  posthumen  Boman 
(1621)  trägt  den  Untertitel:  Ätuaaben  der  A.,  ihrer  FMekxungen  und  Über- 
setzungen und  ist  wesentlich  Bibliographie  —  doch  eine  kritische  Biblio- 
graphie, deren  Angaben  über  ein  weitverstreutes  Material,  zudem  auf 
Autopsie  beruhen.  Der  Verfasser  unterrichtet  uns  über  charakteristische 
Verumst&ndungen  bei  der  Entstehung  der  einzelnen  Drucke,  er  gibt  dne 
Würdigung  der  Treue  uod  Kunst  der  Übersetzer  und  eine  Inhaltsangabe 
der  Fortsetzung,  die  Mouchemberg  (1()25— 2t))  drucken  liefs  und  durch 
die  er  Barclays  Erfindungen  in  die  Phantastik  der  galanten  Bomane  über- 
führte. Er  schlielst  mit  ei  Der  Charakteristik  der  Arbeiten  seiner  Vor- 
^nger,  d.  h.  derer,  die  der  Argenia  nicht  nur  gelegentlidie  Bemerkungen, 
sondern  eine  ganze  Schrift  ^widmet  haben.) 

Finsler,  G.,  Die  Oowfeoturee  aeadSmiquei  des  Abb^  d'Aubignac  iß. 
A.  a.  d.  Neuen  JakHriiehem  /.  cL  klaee.  Altertum,  ed.  ilborg  und  Qerth, 
L  Abteiluxiff,  XV,  7.  Heft.  S.  495—509).  Leipzig,  Teubner,  1905  [Der 
Verf.  der  fi^atique  du  Thiätre  steht  in  der  Frage  des  Epos,  d.  h,  Homers, 
Aristoteles  freier  gegenüber  als  in  der  Dramaturgie.  Er  hatte  Tassoni 
gelesen,  als  er  um  lt>64  seine  Oomeeturea  aeademiquea  ou  duaertaHon  sur 
Tlltade  schrieb.  Aber  zu  den  Modernes  im  Streit  um  Homer  darf  er  des- 
halb nicht  gerechnet  werden,  obwohl  ihn  Perrault  dafür  in  Anspruch 
nimmt.  D'Aubienac  hat  sich  eine  erfreuliche,  in  glückliche  und  würdige 
Worte  gefafste  Unabhängigkeit  des  Urteils  gewahrt:  er  zweiEdt  an  der 
Existenz  des  einen  Homer  und  sucht  ge^über  den  Verkleinerem  der 
Ilias  den  Nachweis  zu  führen,  dals,  'was  m  einem  durch  einen  einzigen 
Dichter  planm&lAig  angelegten  Epos  unverständlich  und  uuertraglich  wSre, 
bei  Annahme  verschiäener  Dioiter  vollkommen  erklärlich  sei  und  dals 
man  auf  diese  Weise  manches  als  wirkliche  Schönheit  genielsen  könne, 
was  in  einem  langen  Epos  zum  Fehler  würde.'  Die  Ilias  ist  nach  ihm 
ein  Korpus  von  anonymen  Einzelliedem,  die  -  wie  Plutarch  überliefert 
—  Lykurgos,  der  sie  in  lonien  fand,  schriftlich  zusammenfügte  und  so 
nach  Gri^enland  brachte,  wo  sie  später  Peisistratos  aus  neuer  Zerstreu* 
ung  endgültig  rettete.  Das  Korpus  wurde  *die  Bhapsodie  des  Blinden' 
(Homer  =  o  fiij  o^tov)  genannt  und  das  Wort  Homer  dann  als  Eigenname 
müs verstanden.  —  Diese  Schrift,  in  welcher  D'Aubignac  die  äulseren  und 
inneren  Gründe  für  seine  Liedertheorie  scharfsinnig  auseinandersetzt»  ist 
von  ihm  nicht  völlig  druckfertig  redi{;iert  worden.  Perrault  kannte  1(J88 
ihren  Gredankengang;  als  Buch  erschienen  die  Oonjectures  aber  erst  1715, 
anonym.  F.  A.  Wolf  hat  sie  mit  so  ungerechter  (Geringschätzung  behan- 
delt, dafs  der  Verdacht  entsteht,  *er  habe  den  unbequemen  Vorsänger  ab- 
schütteln wollen.'  So  ist  Wolfs  Theorie  vielleicht  von  Franireich  aus 
angeregt  worden;  jedentalis  stellt  Finslers  interessante  Darl^^ng  das 
vergessene  Werk  D^Aubignacs  nachdrücklich  an  die  Spitze  der  neueren 
Homerkritik.  —  Die  fraozösischen  Komödien,  auf  welche  D'Aubignac 
nach  S.  499  anspielt,  sind  die  GonUdie  de  chansons  1640  und  der  Orutmr 
francaü  1629.] 

Becker,  Ph.  A.,  Moli^res  Subjektivismus,  H.  Schne^ans  zur  Eacr 
widerung  (S.  A.  aus  Zßüsehr.  /*.  vergl.  LUeraturgesehtehie,  hg.  v.  Wetz  und 
ColUn,  ö.  198—221).  Berlin,  Felber,  1905.  [VergL  hier  OXIV,  266,  Ich 
sehe  das  Wesentlidie  dieses  interessanten  Aobatzes  in  der  Kritik   der 


Yerzeiclmis  der  emgelaufenen  DruckschrifteiL  481 

anonymen  FiuneuM  OomecUerme  (1688)  und  Qrimarwta  Vie  de  M,  d»  Mo- 
Iure  (1705).  Scharfsinnig  deckt  Becker  einen  wirklich  frappanten  Paral- 
lelismus der  beiden  Schriften  auf.  £r  erklart  ihn  so,  daSa  ninter  beiden 
Schriften»  sowohl  hinter  den  Verleumdungen  ienes  Pamphlets  als  hinter 
der  Apologie  dieser  Biographie,  der  Schauspieler  Baron,  der  Feind  der 
M^^®  de  Moli^e,  stehe,  der  hier  und  dort  aus  yerschiedenen  Stimmungen 
heraus  berichte.  Die  Hypothese  hat  etwas  sehr  Verführerisches;  doch 
zögere  ich,  ihr  ohne  eine  erneute  Lektüre  der  beiden  Quellen,  die  mir 
augenblicklich  nicht  möglich  ist,  zuzustimmen.  Jedenfalls  spricht  aus 
Grimareet  nicht  allein  Baron,  und  sicher  scheint  mir  Beckers  Bchluls- 
folgerung  übertrieben:  'so  verliert  natürlich  die  eine  Quelle  so  gut  wie 
die  andere  ihren  ganzen  Wert.'  Den  ganzen  Wert  sicherlich  nicht  —  doch 
wir  werden  Orimareet  nach  wie  vor  sehr  kritisch  benützen  müssen.  Ge- 
wIJGb  aber  reicht  seine  Glaubwürdigkeit  hin,  um  uns  zu  zeigen,  daCi  Mo- 
L^res  Ehe  unter  dem  Altersunterschied  der  Gatten  und  ihrer  ineompati- 
hüite  d'humeure  gelitten  hat  und  unglücklich  war.  —  Im  weiteren  sucht 
Becker  darzutun,  dais  Moli^re  nicht  sowohl  durch  persönliche  Erlebnisse,  als 
vielmehr  durch  seinen  intellektuellen  Habitus  und  seine  geistige  Entwickch 
lung  zu  den  Thematen  der  Eeoke  und  des  Misanthrone  ^etührt  worden  sei. 
Gewils  bringt  der  Verf.  viel  Beachtenswertes  vor  und  rückt  die  Zeitfragen, 
denen  Moli^re  sich  g^enüber  sah,  in  helles  Licht;  doch  empfinde  ich  hier 
bei  der  temperamentvollen  Darstellung  Beckers  mehr  das,  was  mich  von 
ihm  trennt,  als  das,  was  mich  mit  ihm  verbindet.  Mich  verbindet  z.  B. 
mit  ihm  die  Ablehnung,  an  Armandes^  skandalöse  Lebensführung  zu 
glauben:  gewÜB  sind  die  Spöttereien  über  Moli^res  Hahnreischaft  (seit. 
16üÖ,  vengeanee  des  Marquis)  nur  schlechte  'Betourkutschen'  —  schlagend 
zeigt  dies  der  Umstand,  dais  Scarron  schon  1660  —  also  pränumerando 
—  d  Molüre  le  eoeuage  vermacht!  Es  ist  Moli^re  eben  ergangen,  wie  er 
selbst  es  durch  Chrysialde  dem  Amolphe  prophezeien  liefs:  ee  schallte  aus 
dem  Walde  zurück,  wie  er  Mudugerufen.  Was  mich  von  Becker  scheidet, 
kann  ich  am  kürzesten  an  zwei  Punkten  zeigen.  1)  Ostern  1661  verlangt 
Moli^re  als  Soci^taire  deux  parte  *für  sich  und  für  seine  Frau,  falls  er 
heirate.'  Innerhalb  des  Theater  jähr  es,  im  Februar  1662,  heiratet 
er  Armande.  Da  denke  ich  denn  dodi,  dais  Moli^re  zu  Ostern  eben  an 
die  Heirat  dachte,  die  er  zehn  Monate  später  schlols.  Becker  aber  hält 
ee  für  'ungewib,  ob  er  Ostern  1661  bereits  an  die  Ehe  mit  Armande 
dachte.'  Da  kann  ich  freilich  nicht  mehr  mit;  das  ist  für  mich  Hyper- 
kritik  und  nihil  frobat  qui  nimiwn  probat,  2)  Moli^res  Freunde  sagen 
(1682):  il  e*y  est  jouS  le  premier  en  ptusieurs  endroits  sur  des  affaires 
de  sa  famille  et  qui  regardaient  öe  qui  se  passait  dans  son  do- 
rn est  ique.  Becker  will  das  jenen  Freunden,  die  in  Moli^res  Intimität 
^ebt  haben  {ses  plus  pariieulim-s  amis),  zugeben  'für  Szenen,  wie  die 
JSntlassung  der  Martine  oder  die  Ausforschung  der  Louisen'.  Also  die 
Entlassung  der  Martine  =  etwas  qui  passait  dans  son  domestique,  wie 
seine  intimsten  Freunde  haben  beobachten  können;  und  die  Ausforschung 
der  Louisen  =  eine  affaire  de  sa  famiüel  Doch  'auch  noch  für  wich- 
tigere Dinge'  will  es  B.  zugeben  —  er  sagt  aber  nicht  für  welche.  Und 
in  diesen  wichtigeren  Diogen,  die  hier  unter  den  Tisch  fallen,  und  nicht 
in  Martine  und  Louisen,  muls  die  raison  d'dtre  jener  kapitalen  Bemerkung 
von  1682  liegen;  in  ihnen  liegt,  was  mich  von  Becker  trennt  —  oder  mit 


'  Ich  gehöre  übrigens  noeh  sa  denen,  die  in  der  ICenoa  des  Jahres  1658 
Armande  erkennen  möchten ;  aber  auch  zn  denen,  die  Bernardins  Vermntnng  Aber 
Armandes  Ursprung,  so  sinnreich  sie  ist,  nicht  beizastinuneu  vermögen  (Bemardin, 
ßommes  €t  maun  au  XVW  dieU,  1900).  Im  flhrigen  rege  ich  mich  Aber  die 
Frage,  ob  Armande  die  Tochter  oder  die  Schwester  Madeleines  gewesen  soi,  nieht 
maif  halte  aber  das  letztere  fttr  wahrsoheinlioher. 

AkMt  L  tu  SpaudMn.    CXV.  81 


482  Verzeichnis  der  eingeKaufenen  DruckBchriften. 

ihm  yerbindet  So  hat  mich  Becker  an  der  AufEaseung,  der  ich  hier 
CXIIIy  459  Ausdruck  eegeben  habe,  nicht  irre  zu  machen  yermocht,  und 
die  Konstruktion,  aus  der  er  z.  B.  p.  197  die  Eooie  des  tnaris  hervorgehen 
lalst,  erscheint  mir  viel  künstlicher  und  aprioristischer  als  die,  zu  der 
mich  die  Tatsachen  des  Lebens  drangen  —  des  Ldbens  Moliferes,  des  Le- 
bens Oberhaupt.  *£in  Dichter,  der  mit  dem  Tod  im  Herzen  noch  den 
Maladß  imoffinaire  schaflft,  besitzt  im  allerhöchsten  Mause  die  Fähigkdt, 
sich  über  sich  selbst  zu  erheben',  schrieb  K.  Vofsler  hier  CVIII,  4t>4. 
Dieselbe  Fähigkeit  hat  Moli^re  bewiesen,  indem  er  als  vierzigjährig 
Bräutigam  una  Oatte  einer  Zwanzigjährigen  die  humorvollen  Poesenspiele 
vom  vierzifljähriffen  Sganarelle  undAmolphe  schrieb,  die  beide  ihre  jun- 

ein  Isabelle  und  Agnes  nicht  zu  bewahren  wissen.  Vom  'Ausdruck  be- 
ommener  Ansst-  und  Schmerzgefühle'  sehe  ich  allerdings  keine  Spurl 
Alles  ist  eitel  Lachen  und  Heiterkeit.  Keine  Sentimentalität,  kein  Pathos 
—  er  objektiviert  mit  kühler,  erfrischender  G^escheidtheit.  So  bleibe  ich 
denn  bei  meiner  Auffassung,  der  zufolge  z.  B.  auch  die  Fnntnea  satoante» 
aus  persönlichem  Erlebnis  geboren  sind:  sie  sind  eine  persönliche  Satire, 
die  er  kunstvoll  in  eine  Sittenkomödie  hinein  yerwoben  hat.  Das  Thona 
selbst  stammt  aus  1Ö63.  —  Für  die  Entstehung  der  Themata  Moli^res  ist 
überhaupt  dieses  Jahr  1663  bedeutsam.  Dieses  stürmische  Jahr  ist  ein 
Brennpunkt  seiner  Entwickelung.  Die  Ehrfahrungen  dieses  Jahres  sug^ 
rieren  ihm  die  Idee  einer  'Schauspielerkomödie',  die  er  indessen  —  im 
Impromytu  —  nur  skizziert,  einer  Autorenkomödie  {JFemmMB  sanantea),  einer 
Komödie  der  Kirchlichkeit  {Tartuffe)  und  einer  Komödie  der  gesellschaft- 
lichen Heuchelei  (Miaanikrape),  Doch  davon  im  Zusammenhang  ein 
andermaL] 

Boques,  M.,  La  composition  de  la  fable  de  Lafontaine  'Le  vidllard 
et  les  trois  jeunes  hommes^  (S.  A.  aus  Bevue  d^hist,  liU.  XII).  Paris  1905. 
6  S.  [B.  macht  wahrscheinlich,  daft  die  Todesbetrachtungen  dieser  Fabel 
ans  Senecas  Briefen  an  Lucilius  stammen.] 

Baldensperger,  F.,  Les  aspects  successifs  de  Schiller  dans  le  ro- 
mantisme  francais  (S.  A.  aus  Eupkorianf  h^.  v.  A.  Sauer.  XII,  681 — 9). 
Leipzig  und  Wien,  C.  Fromme,  1905.  —  Schiller  et  Oamille  Jordan  (8.-A. 
aus  d.  Bevue  gennanique  I,  555—68).  Paris,  Alcan,  Sept.  1905.  —  Paul 
de  Krüdener  en  Lorraine  et  en  Alsace  (1812—13)  d'apres  des  documents 
in^dits  (S.  A.  aus  d.  Bulletin  de  la  SoeiÜS  pkilamatique  vosgienne),  St-Diö, 
O.  Guny,  1905.    28  S. 

Burkhardt,  Dr.  C.  A.  H.,  Goethes  Unterhaltungen  mit  Friedrich 
Sorot.  Nach  dem  französischen  Texte  als  eine  bedeut^d  vermehrte  und 
verbesserte  Ausgabe  des  dritten  Teils  der  Eckermannschen  Gespräche  her- 
ausgeg.  Weimar,  H.  Böhlaus  Nachf.,  1905.  XVII,  158  S.  M.  4.  [Ecker- 
mann ist  Soret  gegenüber,  der  ihm  um  1839  seine  Oonversatuma  de  Ooethe 
zur  Verfügung  gestellt  hatte  (73  Nummern),  nicht  dankbar  verfahren:  er 
hat  ihn  weder  genau  benutzt,  noch  gerecht  gewürdigt.  Da  im  grofsherz. 
Hausarchiv  zu  Weimar  ohnedies  ein  Exemplar  der  Oonvereatione  vorhanden 
ist,  das  noch  gegen  100  Ergänzungen  zu  jenen  73  Nummern  bietet,  so  ist 
ein  vollständiger  Abdruck  dieser  öanversaUone  hochwillkommen.  Der 
Ausgabe  des  franz.  Textes  wird  hier  eine  deutsche  Übersetzung  voraus- 
geschickt, in  welcher  alles  Neue  sorgsam  kenntlich  semacht  ist.  Eine 
biographische  Notiz  über  den  Qenier  F.-J.  Soret  leitet  die  'Unterhaltungen' 
ein;  ein  ausführliches  Register  schliefst  sie.] 

Boques,  M.,  Manuscrit  et  ^itions  du  *P^  Ocriof,  20  S.  ohne  Ort 
noch  Datum.  [Nur  die  ersten  hundert  Seiten  des  Balzacschen  Bomans, 
die  für  1905  auf  dem  Programm  der  agrigatum  de  grammadre  stehen,  bil- 
den den  Gegenstand  dieser  Broschüre.  Boques  dbt  unter  Zugrundelegung 
des  Textes  der  Nouv.  (ML  Miehel  lAvy  (zu  L  franc)  die  Varia  keHo  des 
Ori^nalmanuskripts,  des  ersten  Druckes  in  der  Bevue  de  Paria  (1884), 
zweier  Buchausgaben  —  Werdet  —  von  1833,  der  Mition  Charpentier  voa 


Verzeichnis  der  eingelanfenen  DracIcBcbrifteii.  488 

18B9  und  der  Edition  Farne  von  1848,  yon  der  ein  Exemplar  Balzacs  letzte 
handschr.  Verbesserungen  enthält.  Balzac  hat  im  lAnie  der  zehn  JfJire 
viel  ge&ndert;  doch  konstatiert  R.,  dafs  diese  Änderungen  eilig,  oberfläch- 
lich und  wenig  von  künstlerischen  £r^^|gungen  getra^n  sind,  so  dafs  die 
oft  kleinliche  Verbesseningsarbeit  dem  Werke  fast  keinen  Vorteil  gebracht 
hat.  Am  meisten  Interesse  erweckt  eine  Namensänderung,  d.  h.  cae  nach- 
trägliche Überführung  einer  neuen  Figur  (Masaiae)  in  eine  alte  (Rastignae), 
durch  welche  Änderung  hindurch  R.  scharfsinnig  den  ursprünglich  ein- 
heitlicheren Plan  des  Pire  Ooriot  erkennen  will.] 

Grojean,  O.,  Sainte-Beuve  k  Li^ge.  Lettres  et  documents  in^its. 
Bruxelles,  Misch  et  Thron;  Paris,  Fontemoing,  1905.  6(S  8.  [Ste-B.  ist 
zwdmal,  im  Mai  1881  und  im  Sept  1848,  zum  Professor  der  franz.  Lite- 
ratur an  der  Universität  zu  Lüttich  ernannt  worden.  Das  erste  Mal  trat 
er  sein  Amt  gar  nicht  an:  die  WechselfäUe  seiner  Liebe  zu  Frau  Hugo 
hinderten  ihn,  Paris  zu  verlassen.  Die  näheren  Umstände  klärt  Grojean 
mit  zum  Teil  unediertem  Material  auf,  und  in  ebenso  interessanter  Weise 
verbreitet  er  Licht  über  das  Jahr,  das  8te-B.  1848  im  Gefolge  der  Juli- 
revolution zu  Lüttich  verbrachte.  6te-B.  war  unglücklich;  die  Presse 
empfing  ihn  als  einen  Stranger  sans  titres  aMeux,  der  kein  Examen  ge- 
macht und  dessen  Moralität  anfechtbar  sei ;  er  lebte  einsam  und  verdrossen, 
seine  Briefe  aus  der  Zeit  sind  ein  langes  Klagelied  —  wie  schön  war's  in 
Lausanne I  Am  Schlufs  des  Sommersemeeters  nahm  er  seine  Entlassung 
und  verlieis  das  ungastliche  Belgien,  wo  sein  Chateaubriand  et  san  groupe 
littSraire  enstanden  war.] 

Wiske,  Fr.,  Über  Greorges  Gourdons  Gedichtsammlung  'Chansons 
de  Geste'  und  ihre  Quellen.  (Berliner  Dissert.)  Erlangen,  Fr.  Junge  [19051. 
155  8. 

T  o  b  1  e  r ,  A.,  Vermischte  Beiträge  zur  französischen  Grammatik.  Ber- 
lin 1905,  17  8.  [Sitzungsber.  der  kgl.  preuis.  Akademie  der  Wissenschaften, 
phil.-histor.  Klasse  824—40.  Umfiät  die  Beiträge  8— 11 ;  cf.  Archiv  GXIV, 
482.  8)  Die  Vemeinimg  in  der  rketorisehen  Frage.  Die  Wendung  que  ne 
me  reete^t-H  (pomt)  ä  faire!  ist  eine  rhetorische  Frage,  die  den  Graanken: 
'alles  bleibt  mir  noch  zu  tun  übrle'  umschreibt,  gleichwie  'wer  weifs  das 
nicht?'  den  Sinn  von  'jeder  weils  das'  hat.  Der  nämliche  Gedanke  kann 
auch  positiv  ausgedrückt  werden.  In  diesem  Fall  verwendet  aber  die  heu- 
tige Sprache  die  Form  der  indirekten  Frage:  ee  gt^il  me  reete  ä  faire/  als  ob 
etwa  ein  ß  vous  demande  um  peu  . . .  den  Ausdruck  des  Gedankens  leitete.  — 
9)  *n*itait  ...,  wenn  ...  nicht  tcäre^.  Die  Verwendung  des  Indikativs  in 
Bedingun^nebensätzen  wie:  N'etait  lanigligenee  du  sttflef  Vouvrage  eera/it 
fort  wn  ist  eine  Folge  des  Eintretens  dieses  Modus  im  irrealen  Bedin- 
gungssatz überhaupt  (nach  et)  und  somit  dem  Altfranzösischen  fremd, 
das  dafür  ne  fuet  sagt.  Wie  aber  für  die  Vergangenheit  neben  e^il  awxit 
HS  noch  heute  altes  e'il  eüt  iU  gebräuchlich  ist,  so  findet  sich  auch  noch 
n'eüt  Sti  neben  n*Hait  (n'eOt  m  le  eottei  qui  pesait  lourdement  eur  eon 
prSeent,  ü  ee  fiU  eetimi  heureuocy  8.  7).  Das  herrschende  n*Stait  ist  übrigens 
geradezu  zeitlos  geworden  und  verbindet  sich  mit  einem  präsentiscäen, 
imperfektischen  oder  plusquamperfektischen  Hauptsatz  (n'ita/tent  ees  raison^ 
il  mirite  notre  reepeetf  —  ü  meriterait  notre  reepeetf  —  il  aurait  nUriU 
noire  reepeet).  —  10)  Das  Ausbleiben  des  unbestimmten  und  des  ^Ibilunae*^ 
Artikels  wird  durch  zahlreiche  Beispiele  aus  der  lebenden  Sprache  belegt 
und  als  eine  archaische  Erscheinung  geschichtlich  erörtert.  —  11)  La  pre^ 
mikre  vue  fun  de  Vautre.  Der  Abs(£nitt  handelt  von  der  Konstruktion 
des  franz.  l'un  . . .  Pautre  ('dnander',  'gegensdtig').  Er  zeigt,  wie  bereits 
in  der  Verbindung  dieses  Vun  . . .  l'au^e  mit  dem  Verbum  eine  gewisse 
Freiheit  der  Beziehung  Platz  greift  (nous  devons  parier  des  ouvrages  lee 
uns  des  autres  avee  üaueoup  de  eireonspeetion^  8.  15)  und  die  8prache 
dann  zu  ganz  attributiver  Verwendung  des  Nexus  fortschreitet:  'die 
gegenseitige  liebe  der  Bürger*  =  Vamour  des  cüoyene  le»  um»  pour  le» 

81» 


484  YenBeichnfs  der  eingeUnfenen  DrackBchriften. 

märe$;  'das  wechselseitige  Übergreifen  der  GMaDken'  =  les  en^nHe- 
mmUs  du  pensies  lea  unes  mr  les  autres;  'das  gegenseitige  erste  Er- 
blicken' ^  Ja  premd^  vue  Vun  de  Vautre  etc.,  wobei  ganz  wie  bei  der  ver- 
balen Rektion  {eües  empüsUnt  les  unea  mr  les  auires)  hier  die  nominale 
(amour  pour;  emf)ütement  sur,  vue  de)  nm  zweiten  Komponenten  des 
N^ezus  bezeichnet  wird.  Ja  auch  anfserhalb  des  Reziprozitätsyerh&ltnisses : 
la  perie  de  ses  poseesswna  lee  unee  aprie  lea  auires  =  <der  sukzessive 
Verlust  seiner  Besitzungen'.  —  Der  Verf.  weifs,  wie  begierig  alle  nach 
diesen  seinen  Oaben  greifen,  und  wie  dankbar  wir  fOr  diese  aus  dem  Vol- 
len geschöpften  Aufklärungen  und  Anregungen  sind.] 

(rillieron,  J.,  et  Mongin,  J.,  Etüde  de  g^graphie  linguistique. 
Soier  dans  la  Gaule  romane  du  sud  et  de  Pest  [Mit  5  tarbigen  Karten.] 
Paris,  Champion,  1905.    80  ß.  40.    5  fr. 

Pünjer,  J.,  Lehr-  und  Lembuch  der  franz&sichen  Sprache.  Zwei 
Teüe.  I.  Teil.  7.  Auflage.  Hannover  u.  Berlin,  Meyer  (Prior),  1905. 
V,  170  8.    Geb.  M.  2. 

Boerneru.  Werr,  Lehrbuch  der  französischen  Sprache.  Insbeson- 
dere ffir  bayr.  Beal-  und  Handelsschulen.  III.  Teil  (Obentufe).  Mit  dnem 
Hölzdschen  Vollbild :  'La  Ville'  und  8  Ansichten  von  Paris,  sowie  2  Bd- 
bflchem:  Hauptregeln  und  Wörterbuch  in  Taschen.  Leipzig  u.  Berlin, 
Teubner,  1905.    VIII,  172  S. 

Boern er- Stefan,  Lehr-  und  Lesebuch  der  französischen  Sprache 
Für  österreichische  Bealschulen  und  verwandte  Lehranstalten.  Wien, 
K.  Graeser  u.  Co.,  1904—5.  L  Teil,  128  B.  Geb.  1  K.  80  h.;  IL  Teil, 
mit  drei  Vollbildern  und  einer  Miinztafel,  195  8.    Geb.  2  K.  80  h. 

Ploetz-Kares,  Kurzer  Lehrgang  der  franz.  Sprache.  Übungsbuch, 
verf.  von  Dr.  G.  Ploetz.  Ausgabe  F.  Neue  Ausgabe  f.  Bealgvmnaaien. 
Berlin,  F.  A.  Herbig,  1906.    Vlll,  823  B.    Ungeb.  M.  2.50. 

Weitzenböck,  G.,  Lehrbuch  der  franzönschen  Sprache.  II.  Teil. 
B.  Sprachlehre.  Fünfte  durchges.  Auflage.  Leipzig,  Fre^g,  1906.  89  S. 
Geb.  M.  1.50. 

Haupt,  O.,  Neue  franz.  Handelskorrespondenz  mit  grammat.  und 
Stilist.  E^rläuterungen,  zum  Gebrauche  an  Handelsschulen,  kaufm.  und  ge- 
werbl.  Fortbildungsschulen,  sowie  für  den  geschäftlichen  Verkehr  und 
zum  Selbstunterridit.    Stuttoart,  P.  Neff,  1905.    XV,  288  S.    Geb.  M.  3. 

Bechtle-Morgenthaler,  Französische  Bprachschule,  Mittel-  und 
Oberstufe.    Stuttgart,  Bonz  u.  Co.,  1905.    XII,  868  S. 

Böddeker,  K.,  Das  Verbum  im  französischen  Unterricht.  Ein 
Hilfsbuch,  neben  jeder  Grammatik  zu  gebrauchen.  Leipzig,  Bengersche 
Buchhandlung,  1905.    X,  88  S. 

Böddeker,  K.,  Die  wichtigsten  Erscheinungen  der  französischen 
Grammatik.  Ein  Lehrbuch  für  die  Oberklassen  nöherer  Lehranstalten. 
Mit«^^8pielen  und  Belegstellen,  zum  gröfsten  Teil  neueren  Autoren  ent- 
nommen. -Zweite  Auflage.  Leipzig,  Bengcrsche  Buchhandlung,  1905. 
XIV,  176  S. 

Stier,  G.,  Übungsbuch  zum  Obersetzen  aus  dem  Deutschen  ine 
Französische.    Cöthoi,  Schulze,  1905.    216  S.    Geb.  M.  2.10. 

Ballv,  Gh.,  Pr6as  de  stylistique.  Esquisse  d'une  m^thode  fond^ 
sur  r^tuae  du  fran^s  moderne.  Gen^ve,  Eggimann  [1905].  1^  8. 
[Das  Buch  ist  aus  den  Erfahrungen  hervorgegangen,  die  der  Verf.  in  den 
Übungen  des  Genfer  Shninatre  de  franpats  moderne  und  der  Ferienkurse 
gemacht  hat.  Es  skizziert  eine  Methode,  die  Ausdrucksformen  der  fran- 
zösischen Sprache  zu  studieren,  und  illustriert  sie  an  einer  reichen  Bunm- 
lung  'eindrucksvoller  Beispiele  und  mit  feinen  Bemerkungen.  Man  mag 
gegen  einzelne  Ausführungen,  besonders  vom  linguistischen  Standpunkt 
aus,  seine  Vorbehalte  machen  und  doch  finden,  &iB  dem  Studenten  und 
dem  Lehrer  der  franz.  Sprache  in  diesem  Buche  ein  guter  und  anregender 
Fühler  geboten  wird.] 


VeReicImiB  der  eingelaufenen  DnicIraclirifteD.  485 

Mohrbntter,  Dr.  A.,  Hilfebnch  für  den  französischen  Anisatz. 
Leipzig,  Rengersche  Bnchhandlnng,  1905.  VIII,  152  8.  Brosch/  M.  2. 
Geb.  mit  Schreibpapier  darchschossen  M.  2.80.' 


Lambert,  L.,  Chants  et  Chansons  populaires  dn  Langpedoc,  re- 
oneillis  et  publik  avec  1a  musique  not^  et  la  tradnction  fran^aise.  2  yolL 
Paris  u.  Ldpoig,  Welter,  1906.  VIII,  H85;  845  8.  [Vor  nunmehr  dreilsig 
Jahren  erschien,  zunftchst  in  der  Revue  des  lanpiee  romanes  and  einige 
Zeit  daranf  in  besonderem  Bande,  der  erste  Teil  einer  grofs  angelegten 
Sammlung  Ton  Volksliedern  Sfldfrankreichs  (Ohtmts  pop,  du  Langueaoe, 
Parisi  Maisonnenve,  1880).  Die  600  Seiten  dieses  Bandes  waren  aus- 
sdiliefslich  Wiegenliedern  gewidmet,  denen  die  beiden  Autoren  A.  Montel 
und  L.  Lambert  einen  ausführlichen  sachlichen  und  philologischen  Kom- 
mentar beigegeben  hatten.  Dieser  erste  Band  liefs  eine  liäersammlung 
erwarten,  wie  sie  wohl  kein  anderes  Land  aufzuweisen  hatte:  mit  dieser 
Fülle  Ton  Material  sollte  der  ganze  Leben^gang  des  Menschen  'von  der 
Wiege  bis  zum  Grabe'  im  Liede  dargestellt  werden:  Kinderspiel  und  -tanz; 
Uebe,  Ehe,  Beruf  etc.  Da  starb  Montel,  und  der  Überlebende  fand  den 
Mut  nicht,  das  so  grofs  angelegte  Werk  fortzusetzen.  Er  sammelte  weiter, 
um  vor  dem  Untergang  zu  retten,  was  zu  retten  war,  aber  er  liefs  keinen 
zweiten  Band  folgen.  Jetzt  hat  das  Zureden  der  Freunde  und  Sprach- 
genossen ihn  zu  äler  Freude  bewogen,  seine  Schatze  doch  herauszu^ben. 
Und  so  Ififst  er  denn  hier  zunichst  einen  Nachtrag  zu  den  Wiegenbedem 
und  dann  Hunderte  von  Kinderreimen  folgen,  an  welche  die  Rondee,  die 
Danaee  ruettauee,  Ftfihlinffs-  und  Liel)eslieder  (hier  II,  150  ff.,  das  Vorbild 
zu  Mistrals  Magali)  und  Sie  Ehelieder  sich  anschlielsen.  Im  ganzen  sind 
es  wohl  tausencl  Nummern,  und  ein  weiteres  halbes  Tausend  dürfen  wir 
von  dem  unermüdlichen  Sammler  noch  erwarten  (S.  III).  Dafs  er  diesmal 
die  Lieder  ohne  jenen  Kommentar  gibt,  der  die  Sammlung  von  1880 
schmückte,  wird  man  bedauern.  Aber  wie  dankbar  müssen  wir  trotzdem 
für  diese  Gabe  sein,  die  uns  Wort  und  Weise  des  Volksliedes  des  Lan- 

fnedoc  in  so  reicher  Fülle  und  mit  so  mancher  wertvollen  Orientierung 
ietet.  Sachkenntnis  und  Liebe  zur  liederreichen  8üdfranzosis<dien  Heimat 
haben  sich  hier  verbunden,  um  jahrzehntelanges  Bemühen  zu  reichem  Er- 
trag zu  führen.] 

Thomas,  A.,  Le  nominatif  pluriel  asym^trique  des  substantifs  mas- 
eulins  en  ancienprovencal.  (S.-A.  aus  Bomania  XXXIV.)  Paris,  Bouillon, 
1905.  13  S.  [Es  hanaelt  sich  um  die  Deklination:  Sing.  nom.  donxels 
acc.  donxel;  Plur.  nom.  danxelk  acc.  donxdst  d.  h.  um  die  Spur  des 
latein.  -f  in  der  Plnralform  des  Substantivs.  Thomas  stellt'  die  Bei- 
spiele zusammen,  die  sich  im  Altprov.  für  diese  Palataüsierungserscheinung 
der  Substantivdeklination  finden,  und  die,  so  sporadisch  sie  auftreten,  doch 
viel  zfüilreicher  sind,  als  man  bisher  annahm.  Er  erwähnt  im  Vorüber- 
gehen natürlich  auch  die  analoge  Erscheinung  in  der  Flexion  des  Pro- 
nomens und  Adiektivs  (Partizip)  und  schliefst  mit  Recht  mit  dem  Hin- 
weis, dafs  das  Phänomen  dieses  flexivischen  Umlauts  —  Umlaut  des 
Vokals  oder  des  Konsonanten  oder  beider,  oder  auch  Erhaltung  des  -f  — 
Im  Zusammenhang  der  galloromanischen  Idiome,  ja  am  besten  auf  dem 
ganzen  roman.  Sprachgebiet  'untersucht  werden  müsse.  —  Soweit  man 
die  Erscheinung  bis  jetzt  übersehen  kann,  ist  die  Erhaltung  einer  beson- 
deren, auf  -f-mrkung  beruhenden  Nominativform  des  Plurals  im  Altprov. 
dreifach  konditioniert:  1.  Ist  sie  gebunden  an  überhäufiffe  pronomi- 
nale Formen  wie  eilf  tuig,  die  der  analogischen  Ausgleichung  infolge  ihrer 
Überhäufigkeit  widerstanden  haben ;  2.  erscheint  sie  als  ein  Produkt" des 
prädikativen  Verhältnisses  {que  statx  visti  d'els,  JRomania,  XYIIJ,  425; 
Bevue  des  ü.  rr.  XLII,  267),  wie  im  rätischen  'Prädikatskasus'  (Areh.  glott, 
Vn,^426  fL);  3.  ist  sie  eine  Eigentümlichkeit  von  Substantiven,  die 


486  VerzeicbniB  der  efngelatifeDcbi  DhicksdhiifteD. 

lebende  Wesen,  besonders  Personen,  bezeichnen,  nnd  eibt  sich 
damit  als  eine  Vokativform  zu  erkennen:  enfanh!  taxehf  donxdkf  Der 
Vokativ,  der  auch  im  Singular  • 'asymetriscbe'  Nominativformen  hat  er- 
halten helfen  (enfasf),  hat  im  Plural  eine  ähnliche  Wirkung  ausgeübt: 
enfanh!  Während  die  unter  1.  erenannten  Fälle  in  allen  Dialekten  ziem- 
lich ffleichmäfsig  vertreten  sind,  haben  die  Fälle  unter  2.  und  8.  sehr  wedi- 
sdvolle  Schicksale  gehabt.  Sie  sind  einerseits  von  analogischer  Ausglei- 
chung gefährdet.  Andersdts  ist  es  ihnen  aber  auch  nicht  selten  gelungen, 
sich  auszudehnen:  2.  ist  über  den  'Prädikatskasus'  hinaus  ins  attributive 
Verhältnis  eingedrungen;  3.  hat  sich  auch  auf  Substantiva  ansgeddint, 
die  unbelebte  Wesen  oezdchnen.] 


Giomale  storico  della  lett.  italiana,  dir.  e  red.  da  F.  Novati  e 
E.  Rem i er.  Fase.  136—7.  [Ilda  Morosini,  Lettres  in  ^dites  de  lA^^  de 
Stael  ä  V.  Monti  (1804 — 16).  —  B.  Sabbadini,  Bridole  umanistiche.  — 
Varietä:  G.  Lega,  Una  ballata  politica  del  sec  XIII.  —  G.  Tntversari, 
Per  l'antenticitft  delF  epistola  del  Boccaccio  a  Fr.  Nelli.  —  G.  Malagoli, 
Per  un  verso  delF  Ariosto  e  per  una  particolare  forma  sintattica  italiana. 
—  P.  Toldo,  Uno  scenario  inedito  della  Ck>mmedia  dell'arte.  —  Basse^a 
bibliografica.  —  Bolletino  biblio^afico.  —  Annunzi  analitici.  —  Publica- 
zioni  nuziali.  —  Communicazioni  ed  apunti.  —  Cronaca]. 

Bulletin  Italien.  V  (1905)  3  [A.  Jennroy,  Quelques  r6flexions  sur  le 
'Quattrocento\  — ■  P.  Duhem,  Leona^  de  Vinci  et  Villalpand.  —  Ch. 
Dejob,  Lee  descriptions  de  batailles  dans  P 'Orlando  furioso'  et  dans  la 
'Gerusalemme  Uberata'.  —  P.  Toldo,  Les  morts  qui  man  gen  t.  —  Biblio- 
graphie]. 

Pasini,  F.,  Un'amicizia  ^ovenile  di  Nicool5  Tommaseo.  54  6. 
[8.  A.  aus  d.  Archeografo  triestino,  serie  III.  vol.  II].    Trieste,  1905. 

Anzalone,  E.,  Su  la  poesia  satirica  in  Francia  e  in  Italia  nel  secolo 
XVI.  Appunti.    Catania,  G.  Musumed,  1905.  189  8. 

Flamini,  Fr.,  Varia,  pagine  di  critica  e  d'arte.  Livomo,  R  Giusti, 
1905.  X,  850  6.  3  Lire.  [Fr.  Flamini,  dem  wir  so  viele  und  so  sdiüne 
Arbdten  zur  italienischen  und  zur  vergleichenden  Literaturgeschichte  (be- 
sonders über  die  Zeit  des  Rinascimento)  verdanken,  stellt  hier  fünfzäm 
Beden  und  Aufsätze  zusammen,  die  von  Dante  bis  zur  Gegenwart  führen. 
Sie  sind  für  ein  weiteres  Publikum  berechnet,  doch  liegt  ihnen  gewissen- 
hafteste fachmännische  Forschung  zugrunde.  Sie  geben,  ohne  gelehrten 
Apparat  sichtbar  zur  Schau  zu  tragen,  aber  auch  ohne  Wortschwall,  dne 
Synthese,  die  auch  den  Fachmann  selbst  zu  fesseln  und  zu  belehren  ver- 
miß. Solche  gute  und  populärwissenschaftliche  Arbeiten  werden  in  Italien 
zurzeit  noch  weniger  gepflegt  als  bei  uns  oder  in  Frankreich.  Flamini 
gibt  mit  diesen  gammelten  Varia  ein  sehr  gutes  Beispiel  ernster  und 
zugleich  künstlenscher  Darstellung,  und  sein  Buch  wird  sich  auch  bei 
uns  Freunde  erwerben  und  besonders  auch  denen  willkommen  sein,  die 
gute,  bildende  italienische  Lektüre  suchen.  Für  den  Zweck  von  üniversi- 
tätsübungen  ist  es  wie  geschaffen.  Die  einzelnen  Titel  lauten :  Dante  e  ü 
'dolee  st'M?  —  11  trionfo  di  Beairice  —  /  signifieati  e  il  fine  dd  *poema 
aacro*  —  Nd  delo  di  Venere  —  La  gloria  du  Pärarea  —  Poesia  di  popolo 
del  btum  tempo  antieo  —  Un  viriuoso  del  QuaUroeento  (Serafino)  —  Le 
lettere  Haliane  in  Francia  nei  seeoli  del  Rinascimento  —  Oiae,  Leopardi 
poeta  —  (hmmemorando  Nie.  Tommaseo  —  L'opera  di  Oiua,  Veräi  — 
Art,  Oraf  e  i  Suoi  'Poemetti  drammatiei'  —  Pd  re  buono  —  In  me- 
moria  d'un  filologo  (F,  Onesotto)  —  L*  insegnamento  seientifieo  della  let^ 
ratura  naxionale,  schöner  romsnischer  Inhalt  in  schöner  romanischer 
Form.] 

Heim,  S..  Kleines  Lehrbuch  der  italienischen  Sprache.  4.  Auflage. 
Zürich,  SdnütbesB  u.  Co.,  19u5.    VUI,  185  8.    M.  1.80. 


VerzeichniB  der  eingelaufenen  Druckschriften.  487 

Methode  Toussaint- Langen scheidt.  Brieflicher  Sprach-  und 
Sprechunterricht  für  das  Selbststudium  der  italienischen  Sprache  von 
Dr.  H.  Sabersky^  unter  Mitwirkung  Ton  Prol  G.  Sacerdota  Berlin, 
Lanffeoscheidt.    Bnef  31 — 35  xu  M.  1. 

Bartoli,  M.  G.,  Un  po  di  Sardo  [S.  A.  aus  d.  Areheografo  Tnesüno^ 
Serie  III,  vol.  I.  S.  129-^156].  Trieste,  Stabilimento  G.  Caprin,  1908. 
[Ist  eine  Besprechuns^  von  G.  Subaks  Briceiche  linguütiehe  L908«  der  dann 
darauf  in  seinen  Notereüe  erwidert  hat,  cf.  Archiv  OXV,  270.  Bartoli  l&Ist 
es  sich  angelegen  sein,  das  Sardische  auch  in  seiner  interromaDischen 
Stellung  a^gemeiu  zu  charakterisieren:  er  stellt  seine  lautlichen,  morpho- 
logischen und  syntaktischen  Sonderzüge  zusammen,  weist  ihm  zwischen 
Ost-  und  Westromania  die  mittlere  Stdiun^  an  und  scheidet  das  Gkdlu- 
reeische  (mit  dem  Korsischen)  vom  eigentlichen  Sardo  della  Sardegna 
(Logudor.  und  Campidan.).  Der  gröfsere  Teil  der  interessanten  Arbeit  gilt 
einzelnen  Problemen  der  sardischen  Lautentwidcelung.] 

Vidossich,  G.,  Etimologie  triestine  e  istriane  —  Basse^a  degli 
studi  etnografici,  dialettali  e  toponomastici  1902  —  giug^o  1905  fS.  A.  aus 
d.  Aröheogr.  Triestino,  serie  III,  vol.  II.  S.  143— 4t>,  149—64].  Trieste, 
1905.  [Der  erbte  Au&atz  bietet  ein  Dutzend  Etymologien ;  der  zweite  gibt 
eine  sehr  lehrreiche  kritische  Übersicht  über  die  neueste  Literatur,  die  die 
interessante  ratisch-Tenedisch-dalmatisch-rumänische  Sprachecke  behandelt. 


Bulletin  hispanique  VII  (1905)  3  [0.  Jullian,  Questions  ibdriques  UI. 
Oyarzun.  —  A.  Morel-Fatio,  Vida  de  D.  Luis  de  Bequesens  y  Zdüiga 
(suite;.  —  £.  Pifieyro,  Jos^  Joaquln  de  Oimedo.  —  F.'Sauvaire-Jourdan, 
La  crise  du  change  en  Espagna  —  Vari^t^:  G.  Daumet,  Semonce  du 
pape  ßenolt  XII  ä  Pierre  I V  d'  Aragon.  —  C.  Pitoliet,  'La  Bodc^'  de 
V.  Biasco  Ibaftez.  —  Biblio^aphie.  —  Revues.  —  Oluronique].  VlI,  4 
[P.  Paris,  Ornement  de  miroir  en  bronze  au  Mus^e  archdologique  de  Ma- 
drid. —  H  de  la  Ville  de  Mirmont,  Cioeron  et  les  Espagnols.  —  A.  Morel- 
Fatio,  La  duchesse  d'Albe,  D*  Maria  Enrlquez  et  Catherine  de  Mddici. 
—  S.  Griswold  Morley,  The  use  of  the  verse-forms  (strophes)  by  Tirso  de 
Molina.  Der  Autor  untersucht  das  numerische  Verhältnis  der  redondüias, 
quintiUas,  deeimas,  romancea  etc.  in  den  Tintoschen  Dramen,  um  Material 
zur  Lösung  des  Problems  der  Autorschatt  des  Burlador  und  des  Oonde- 
nado  zu  gewinnen.  In  bezug  auf  den  Burlador  gelingt  ihm  das  nicht, 
doch  führt  er  einen  anderen  gewichtigen  Grund  (Behandlung  der  Bauern- 
Bzenen)  gesen  diese  Autorschut  ins  Feld.  Der  Strophen  bau  des  Condenado 
por  deaconpado  weist  eine  Strophentechnik  auf,  die  Tirso  fremd  war.  — 
Vari^t^:  G.  Cirot,  Les  portraits  de  Juan  de  Mariana.  —  H.  M^im^, 
Sur  la  biograpbie  du  chanoine  Francisco  de  Tärrega.  —  Bibliographia  — 
Ohroiiiques.  —  Tables.  —  4  Planches]. 

Walbefg,  £.,  Juan  de  la  Cueva  et  son  Mcemplar  poetieo  [Lunds 
Universitets  Arsskrift,  Band  89.  Afdein  1  N^  2],  Lund,  Imprimerie  Hakan 
Ohlsson.  117  S.  h^  3:75.  [Die  Ära  poetioa  des  alten  Sevillaner  Drama- 
tikers (1606),  dieses  Seitenstücii:  zu  Lop!»  JürU  nueva  (et  Arckiv  OIX,  458), 
ist  bisher  sehr  schwer  zugänglich  gewesen«  Hunder tdreüsig  Jahre  sind 
verflossen,  seit  Sedaoo  sie  in  seinem  ParnasQ  Uapanol  zum  erstenmal  ge- 
druckt. Walberg  bietet  uns  also  eine  sehr  willkommene  Gabe,  indem  er 
das  geschichtlich  recht  wichtige  Stuck  (1300  Verse)  nach  jenem  Manu- 
skript wiedergibt,  welches  die  Golombina  aufbewahrt  und. das  das  Hand- 
exemplar des  Autors  gewesen  zu  sein  scheint  .Die  Varianten  zweier  an- 
derer von  Cueva  selbst  gefertigter  Kopien  werden  beigefügt.  Doppelt  will- 
kommen wird  Walbergs  sorgfältiger  Neudruck  durch  Einleitung  und 
Noten:  Cuevas  Stellimg  in  der  dramatischen  Literatur,  Tendenz,  Quellen 
und  Sprache  seiner  Poetik  werden  erörtert  und  in  den  Anmerkungen  ein. 
fortiaiuender  Kommentar  gegeben.] 


48&  VendchuiB  der  eingeUiiif enen  DrackBchriftcn. 

Der  einnreiche  Junker  Don  Quijote  von  der  Mancha  Ton  Miguel  de 
Cervantes  Saavedra.  Übersetzt,  eingeleitet  und  mit  £rlaatenmgen 
▼ersehen  von  Ludwig  Braunfels»  Neue  revidierte  Jubilaumsansgabe; 
Stra&burg,  K.  J.  Trübner,  1905.  4  B&nde,  XLI,  818;  406;  3»7;  874  S. 
Preis  des  Bandes  geh,  AL  2.50.,  geb.  M.  8.50.  [Braunfels'  Übertragung  des 
D.  Q.  .ist  eine  sehr  sorgfältige  und  kundige  und  auch  eine  sehr  kunst- 
volle Arbeit  Er  steht  als  D.  Q.- Übersetzer  weit  über  allen  deutschen 
Vorgängern  in  seiner  Verbindung  von  kenntnisreicher  Sorgfalt  und  künst- 
lerischem Nachempfinden.  Er  allein  hat  uns  eine  in  Wortsinn  und  Ton 
treue  Umschrift  geliefert.  8ie  verdiente  es  wohl,  im  Jubiläumsjahre  des 
Originals  zu  neuem  Leben  erweckt  zu  werden,  nachdem  sie  zwei  Jahr- 
zehnte in  den  Bändchen  der  ^Coilection  Spemann'  (1888)  geschlummert 
hat.  Die  Fulsnoten  jener  ersten  Ausgabe  sind  im  Neudruck  revidiert, 
reduziert  und  an  den  8chluis  der  einzelnen  Bände  verwiesen  worden. 
Über  die  Grundsätze,  die  im  übrigen  den  Herausgeber  geldltet  haben, 
gibt  die  Vorrede  Auskunft  Diese  Neuausgabe  ist  von  vornehmer  Aus- 
stattung, bestimmt  und  geeignet,  ein  Buch  der  Erholung  und  des  Ge- 
nusses zu  sein.  Der  Preis  der  vier  Bände  (geh.  M.  10,  geb.  M.  14)  ist 
auÜBerordentlich  niedrig.] 

Men^ndez  Pidal,  R.,  Manuel  elemental  de  mm&tica  histörica 
espaüola.  Segunda  edicion.  Madrid,  Su&rez,  l9o5.  VII, '^TliS.  Pes.  6,50. 
FDer  ersten  Auflage  dieses  trefflichen  Handbuches,  cf.  Arehiv  CXIII,  289, 
folgt  binnen  Jahresfrist  die  zweite.  Der  Autor  hat  es  sich  angelegen  sdn 
lassen,  den  Wünschen  der  fachmännischen  Kritik  Bechnung  zu  tragen, 
und  wenn  die  Zahl  der  Paragraphen  seines  Buches  sich  nicht  vermehrt 
hat,  so  ist  doch  vielfach  deren  Inhalt  erneut  und  erweitert,  so  dats  das 
Buch  erheblich  an  Umfang  gewonnen  hat  Die  typographische  Ausstat« 
tung  ist  ebenfalls  reicher  geworden.] 

El  Ck)merciante.  Spanisches  Lehrbuch  für  Kaufleute,  kaufm.  Fort- 
bildungsschulen, Handelsschulen  und  verwandte  Anstalten,  sowie  zum 
Selbstunterricht  von  0.  Dem  eh  1.  Unter  Mitwirkung  Hamburger  Kauf- 
leute und  der  spanischen  Lehrer  E.  Solana  und  Ol.  Herreros.  Mit 
einer  Konjugationstabelle,  drei  Münztafeln  und  einer  mehrfarbigen  Karte 
von  Spanien.    Leipzig  und  Berlin,  Teubner.    XII,  27y  S. 


Stuppaun,  Qebhard,  Las  desch  eteds.  Publicaziun  da  Jacob 
Jud.  Coira,  H.  Fiebig,  1905.  113  S.  [Qegeo.  lööu  schrieb  der  Prediger 
G.  Stuppaun  zu  Ardez  im  Unterengadin  das  dramatische  (Sprach  der 
'Zehn  Alter',  das  Gärtner  vor  zwanzig  Jahren  in  Böhmers  Born,  Studien 
VI,  289  ft  herausgegeben  und  für  das  Gärtner  auch  die  deutsche  Quelle, 
Gtenzenbachs  'Zehn  Alter'  (15;^),  nachgewiesen  hat  Jud  druckt  hier  — 
es  ist  ein  S.-A.  aus  den  ÄnnaUu  äella  Sodetad  Baeto-Bomanseha  —  den 
Text  nach  einer  älteren  und  vollständigeren  Handschrift  neu  und  gibt 
die  Sinn  Varianten  des  Gartn  ersehen  und  zweier  anderer  fragmentarischer 
Manuskripte.  Diese  Handschrift  führt  ihn  zu  der  ansprechenden  Ver- 
mutung, dals  hinter  den  erhaltenen  oberengadinischen  Kopien  sich  eine 
unter engadinische  Urschrift  verbirgt  ^n  rätisch-deutsches  Glossar,  das 
sorgfältig  gearbeitet  zu  sein  scheint,  ist  beigegeben.  Ist  furberta  (cf.  fui- 
baria,  Var.  zu  t>99)  nicht  ein  Fehler  des  Kopisten  statt  furberiat  Die 
Wörter  der  Varia  lectio  sind  nicht  ins  Glossar  aufgenommen.] 

Michael,  J.,  Der  Dialekt  des  Posdiiavo-TiQs  (Poschiavo  -  Brusio- 
Campocologno).    Zürcher  Dissert    Halle,  £.  Karras,  1905.    99  8. 


ARCHIV 


fOb  das 


STUDIUM  DER  NEUEREN  SPRACHEN 
UND  LITERATUREN 


BEGRONDET  von  LUDWIG  HERRIG 

HEBADSOBaSBEN 
VON 

ALOIS  BRANDL  UND  HEINRICH  MORP 


LX.  JAHRGANG,  CXVL  BAND 

DEB  NEUEN  SERIE  XVI.  BAND 


▼^w9^ 


BRAUNSCHWEIG 

DRUCK   UND   VERLAG   VON   GEORGE   WESTERMANN 

1906 


Inhalts -Verzeiclinis  des  GXVL  Bandes, 

der  neuen  Serie  XYI.  Bandes. 


Abhandlungen.  g^.^ 

Zar  Entotohnng  des  Mftrchens.  Von  Friedrieh  Ton  der  Leyen.  V.  (Forts.)  1 
Heimat  und  Alter  der  eddiBchen  Gedichte.    Das  isländische  Sondergat.    Von 

Andreas  Hensler 249 

Zar  Entstehung  des  Mftrchens.    Von  Friedrioh   von    der  Leyen.     VI. 

(SchloDi) 282 

Die  Barghsche  Cato-Paraphrase.     Von  Max  Förster.    11.  (Schlafs)  ...       25 

Zar  Herkonft  von  ne.  dang.     Von  O.  Bitter 41 

Altenglische  Predigtqaellen.   I.     Von  Max  Förster 301 

Stadien  sor  fr&nkischen  Sagengeschiohte.  III.  Von  LeoJordan.  .  .  .  50 
Note  sol  Boccaccio  in  Ispagna  nell' Et^  Media.    Di  Artaro  Farinelli.    m. 

(Fortsetzang) 67 

Zar  Geschichte  der  Französischen  Akademie.     Von  M.  J.  Minckwiti  .     .  315 

Sar  'les  Contemplations'  de  Victor  Hago.  Par  Eugene  Bigal  ....  327 
Cervantes    et   le   troisi^me    Centenaire    da    *Don    Quichotte*.     Par    Alfred 

Morel-Fatio 340 

Kleinere  Mitteilungen. 

Die  Bedeutung  der  Wörter  Himmel  und  Himmelreich.  (Frans  Branky)  362 
Zu  'N.  Praun  und  P.  CoUenuccio',  Arch.  GXV  22  ff.    (Adolf  Hauffen)     .     367 

Kleinigkeiten  zur  englischen  Wortforschung.     (EilertEkwall)     .     .     .     .  97 

Zu  John  Heywoods  'Wetterspiel'.    (F.  Holthausen) 108 

Ne.  r<y>€  und  ridmg  'Bezirk'.     (Erik  Björkman) 105 

Die  Lösung  des  ae.  Prosarätsels.    (Max  Förster) 367 

Die  Aussprache  des  ne.  tno.    (F.  Holthausen) 371 

Etymologien.     (F.  Holthausen) 371 

Beiträge  zur  Quellenkunde  der  me.  geistlichen  Lyrik.  I.    (F.  Holthausen)  373 

Ein  englisches  Kinderlied.     (L.  Kellner) 374 

Das  Liederbuch  MS.  Rawlinson  Poet.  185.     (A.  E.  H.  Swaen)      ....  374 


IV 

Nachträge  sn  dem  Aafsfttz  *Qaellen  und  Komposition  von  EuBtache  le  Hoine', 

diesen  Roman  und  hauptsächlich  den  'Tmhert'  betreffend.  ^Leo  Jordan)  375 

Der  Infinitiv  als  Toranstehendes  Sabjekt.     (H.  Engel) 382 

Sitnmgen  der  Berliner  Gesellschaft  Ar  das  Stndiiun   der  neueren  Sprachen  108 
Yeiseichnis  der  Mitglieder  der  Berliner  Gesellschaft  ftlr  das  Stadium   der 

neueren  Sprachen.     Januar  1906 126 

Beurteilungen  und  kurze  Anseigen. 

Oertrud  Bäumer,  Goethes  Satyros.     (Richard  H.  Meyer) 137 

M.  Beheim-Schwarzbach,  Deutsche  Volksreime.    (Robert  Petsch)     .     .  155 
Johannes  Bethmann,  Untersuchungen  über  die  mhd.  Dichtung  Tom  Grafen 

Rudolf.     (Viktor  DoUmayr) 135 

Bibliothek  deutscher  Schriftsteller  ans  Böhmen,  Bd.  XI— XIV.  (Robert  Petsch)  152 
J.  F.  D.  Bl5te,  Das  Aufkommen  der  Sage  ron  Brabon  Silvias,  dem  bar- 
barischen Schwanritter.  (Robert  Petsch)  .  7>  v .  .*  .-r^-^r^^T  ....  149 
G.  Blumschein,  Aus  dem  Wortschatse  der  Kölner  Mundart  (Robert  Petsch)  155 
R.  Dijkstra,  Holländisch.  Phonetik,  Grammatik,  Texte.  (Hj,  Psüander)  184 
Max   Drescher,   Die  Quellen  lu  Hauffs  Lichtenstein.     (Richard  M.  Meyer)  389 

Aloya  Dreyer,  Frans  ▼.  KobelL     (Robert  Petsch) 151 

A.  W.  Fischer,  Über  die  Tolkstflmliohen  Elemente  in  den  Gedichten  Heines. 

(Robert  Petsoh) 154 

Jonas  Fränkel,  Zacharias  Werners  Weihe  der  Kraft.    (Richard  M.  Meyer)  1S9 
Briefwechsel  des  jungen  Börne  und  der  Henriette  Hen.    Hg.  Ton  L.  Geiger. 

(Richard  M.  Meyer) 142 

Grassl,  G^chichte  der  deutsch-böhmischen  Ansiedelungen  im  Banat   (Robert 

Petsch) 144 

A.  Rud.  Jenewein,    Das  Höttinger  Peterlspiel.   —   Ders.,  Alt-Innsbrucker 

Hanswurstspiele.    (Robert  Petsch) 147 

O.  Knoop,  Volkstttmliches  aus  der  Tierwelt     (Robert  Petsch) 146 

Lebende  Worte  und  Werke.    (Robert  Petsch) 145 

O.  E.  Lessing,  Grillparzer  und  das  Neue  Drama.     (H.  Löschhom)  .     .     .  140 
Spruch  Wörterbuch,  hg.  von  Frans  Freiherm  von  Lipperheide.    Lieferung 

1  bis  4.     (Robert  Petsch) 384 

Richard  Löwe,  Germanische  Spraeh Wissenschaft.     (Heinrich  Spies)     .     .     .  133 

W.  Meyer-Rinteln,  Die  Schöpfting  der  Sprache.     (Richard  M.  Meyer)     .  384 

Cl.  Brentano,  Romanien  vom  Rosenkrans.  Hg.  von  Max  Morris.  (R.  Woemer)  138 

Waldemar  Oehlke,  Bettina  von  Arnims  Briefromane.    (Richard  M.  Meyer)  388 

Colm.  Schumann,  Lflbeckisches  Spiel-  und  Rätselbuch.    (Robert  Petsch)  146 
Friedrich  Blatz,   Neuhochdeutsche  Schulgrammatik  f&r  höhere  Lehranstalten. 

7.  Auflage,  neubearbeitet  von  Dr.  Eugen  Stuls.     (Viktor  DoUmayr)  891 

E.  Sutro,  Das  Doppelwesen  des  Denkens  und  der  Sprache.  (Richard  M.  Meyer)  391 

Alfr.  Tob  1er,  Das  Volkslied  im  Appenzeller  Lande.    (Robert  Petsch)     .     .  146 
Otto  Weddigen,  Die  Ruhestätten  und  Denkmäler  unserer  deutschen  Dichter. 

(lUchard  M.  Meyer) 143 


V 

Seite 
Karl  Weinhold,  Kleine  mittelhoehdentBche  Grammatik.   S.Auflage.   (Viktor 

DoUmayr) 387 

O.  Weise,  Unsere  Muttersprache,  ihr  Werden  nnd  ihr  Wesen.    6.  verb.  Aufl. 

(Robert  Petsoh) 154 

Friedrich  Hebbel,  Briefe.    Hg.  von  B.  M.  Werner.    (Richard  M.  Meyer)  S90 

J.  Ernst  Wfllfing,  Was  mancher  nicht  weiA.    (Richard  M.  Meyer)  .     .     .     391 

Emil  Bode,  Die  Learsage  ror  Shakespeare.     (Ernst  Kroger) 178 

Rudolf  Dammhols,  Englisches  Lehr-  und  Lesebuch.    Ausgabe  B.     1.  Teil. 

2.  renn.  Aufl.     (Willi  Splettstafser) 4SI 

Shakspere's  vocabulary.     Its  etymological  elements.   I.     By  Eilert  Ekwall. 

(Otto  L.  Jiriciek) 403 

Theodor  Erbe,  Die  Locrinesage  und  die  Quellen  des  pseudo-shakespearischen 

Locrine.     (Ernst  KrOger) 171 

Ew.  Goerlieh,   The  British  empire:  its  geography,  history  and  literature. 

(F.  Sefton  Delmer) 423 

J.  C.  G.  Gras  6,  Idiom  and  grammar.     (Fritz  Strohmeyer) 186 

A.  Harnisch  und  John  G.  Robertson,  Methodische  englische  Sprech- 
schule.   1.  Teil.     (WiUi  SplettstOAer) 423 

Casimir  C.  Heck,   Zur   Geschichte   der  nicht-germanischen  Lehnwörter   im 

Englischen.     (Erik  BjOrkman) 168 

Thomas  Hughes,  Tom  Brown's   school  days    by  an   old  boy.     In  gekflrzter 

Fassung  für  den  Schulgebrauch  hg.  von  Hans  Heim.  (G.  Krueger)  .  178 
Johnson,  Samuel,  Lires  of  the  English  poets,  ed.  by  George  Birkbeck  Hill. 

(A.  Brandl) 409 

John  Koch,  Elementarbuch  der  englischen  Sprache.    30.  Auflage.   Ausg.  B. 

(Frita  Strohmeyer) 181 

John  Koch,  Schulgrammatik  der  englischen  Sprache.    2.  verb.  u.  yerm.  Aufl. 

(WilU  Splettstöfter) 422 

E.  Koeppel,  Studien  ttber  Shakespeares  Wirkung  auf  seitgenössische  Dra- 

matiker.   (Eduard  Eckhardt) 406 

£.  Kruisinga,  A  grammar  of  the  dialect  of  West  Somerset.    (Carl  Scriba)  413 

F.  Langer,  Zur  Sprache  des  Abingdon  Chartulars.     (Erik  Björkman)    .     .  168 
Felix  Melchior,   Heinrich  Heines   Verhältnis  zu  Lord  Byron.     (F.  Sefton 

Delmer) 410 

E.  Nader,  English  grammar.     (Frits  Strohmeyer) 181 

Franz  J.  Ortmann,  Formen  und  Syntax  des  Verbs  bei  Wycliffe  und  Pnrvey. 

(H.  Füchsel) 397 

Wilfirid  Perrett,   The  story  of  King  Lear  from  GeofPrey  of  Monmouth  to 

Shakespeare.    (Ernst  Kroger) 174 

H.  Poutsma,    A  grammar  of  Late  Modem  English.    Part  I.     (Fritz  Stroh- 

•meyer) 189 

O.  Robertson,  s.  A.  Harnisch. 

Der  altenglische  Regius-Psalter,    hg.  von  Fritz  Roeder.     (Karl  Wildha^en)  157 

Fritz  Roeder,  Der  altenglische  Regius-Psalter.    (Erik  Björkman)  ....  167 

Margarete  Rösler,  Die  Fassungen  der  Alexius-Legende.     (A.  Brandl)    .     .  398 


VI 

Seit« 
Julius  Zupitsa,  Alt-  und  mittelengluehes  Übnngilmeb.    7.  verb.  Aufl.,  beari>. 

von  J.  Schipper.    (Erik  BjOrkman) 151^ 

Rudolf  Sohoeuwerth,  IMe  niedarlindifchen  und  deat8oh«n  BeArbehougen 

Ton  ThonuiB  KydB  Spanish  tragedy.     (Otto  Michael) r  401 

Haz  Schflnemann,  Die  Hilfsaeitwörter  in  den  englischen  Bibelftbersetmngen 

der  Hexapla  (1388—1611).     (R  Ftlobsel) 397 

The  battle  of  Maldon  and  short  poems  from  the  Sazon  ehronide   edited  by 

W.  J.  Sedgefield.   (Eduard  Eckhardt) 156 

Ernst  Siep  er ,  Lydgate's  Reson  and  Sensnalljte.  Vol.  II.  Stndies  and  Notes.  (P.)     169 

Karl  Sarsbier,  Sprache  der  Cely-Papers.     (8.  Blaeh) 899 

Wilhelm  Swoboda»   Elementarbnch  der  engl.  Sprache.     (Frits  Strohmeyer)     183 
H.  Plate,  Lehrgang  der  englischen  Sprache.    L  Teil:  Unterstufe.    79.  Auflage, 

bearbeitet  Ton  6.  Tanger.     (Frlti  Strohmeyer) 180 

Arthur  Ritter  von  Vincenti,   Die  altenglischen  Dialoge  von  Salomon  und 

Saturn.     Erster  Teil.     (Erik  Bjfirkman) 392 

Karl  Wildhagen,  Der  Psalter  des Eadwine  von  Ganterbnry.  (Erik  Björkman)     163 
Specimens  of  the  Elisabethan  drama  firom  Lyly  to  Shirley  A.  D.  1580 — A.  D. 

1642.   With  introduction  and  notes  by  W.  H.  Williams.  (Ernst  KrOger)    400 


J.  Anglade,  Deuz Troubadours  narbonnais,  GuiUem  Fahre,  Bemard  Alanhan. 

(C.  Appel) 453 

Paul  Ba stier,  F4nelon  Critique  D'Art    (Theodor  Engwer) 201 

Gormond  et  Isembart.    Reproduction  photocollographique  du  manuscrit  unique, 

U  181,   de   la  Biblioth^ue  royale  de  Belgiqne   avec   une  transeription 

litt4rale  par  Alphonse  Bayot.     (Walter  Benary) 424 

Carlo  Bertani,  II  maggior  poeta  sardo  Carlo  Buragna  e  il  petrarchismo  del 

seicento.     (Richard  Wendriner) 464 

Walter  Bökemann,  FransQsischer  Euphemismus.     (F.  Kalepky)  ....     206 
J.  Bonnard   et  Am.  Salmon,   Grammaire  sommaire   de   l'ancien  fran^ais. 

(Alfred  PiUet) 202 

Georges  Cirot,  Mariana  Historien.     (A.  Ludwig) 220 

Johannes  van  den  Drieseh,  Die  Stellung  des  attributiven  Ac^ektivs  im 

AltfranaOsisohen.     (Elise  Riohtear) 438 

Emest  Dupuy,  La  Jeunesse   des  Romantiques:   Victor  Hugo  —  Alfred  de 

Vigny.     (Eugene  Rigal) 483 

Alexis  Fran9ois,  La  Grammaire  du  Purisme  et  L'Acad^mie  Fran^aise  au 

XVIU«  sitele.     (George  Carel) 441 

U.  Heine,   s.  J.  Pttiger. 

E.  Herzog,  Streitfragen  der  romanischen  Philologie.    Erstes  Bändchen:  Die 

Lautgesetzfrage.     Zur  franxSsischen  Lautgesehichte.     (L.  Gauohat)    .     .     194 
Po^es  de  GuUlaume  IX,   comte  de  Poitiers.     Edition  critique  publice  avec 

une  introduction,  une  traduction  et  des  notos  par  A.  Jeanroy.    (Adolf 

Kolsen) 458 

Cl.  K 1 6  p  p  e  r  und  Herrn.  Schmidt,  Französ.  Stilistik  fttr  Deutsche.  (£.  Maokel)     214 

J.  Kflhne,  s.  Ph.  Plattner. 

Otto  Langheim,  De  Visi,  sein  Leben  und  seine  Dramen.  (F.  Ed.  Schneegaos)     428 


VII 
Seite 

Ab«l  Lefrane,  L«  langne  et  la  Utt^ratore  frao^alM  au  College  de  ITrance. 

(Carl  Voretuch) 444 

Kort  Lewent,  Das  altprorensalieche  KrenzUed.    (Adolf  B^oleen)    ....     454 

E.  Lindner,   Die  poetische  Personifikation  in  den  Jngendschanspielen  Cal- 

derons.     (George  Carel) 465 

Voltaires  Bechtsstreit  mit  dem  Königlichen  Schntidaden  Hirsehei,  1751.  Mit- 
geteilt Ton  Wilhelm  Mangold.    (P.  Sakmann) 429 

Ph.  Plattner   nnd  J.  Kühne,  Unterrichtswerk  der  französischen  Sprache. 

L  Teil:  Grammatik.     (F.  Kalepky) 446 

J.  Pflnjer  und  H.  Heine,  Lehr-  und  Lerabnch  der  französischen  Sprache 

ftlr  Handelsschulen.     GroAe  Ausgabe.     2.  Aufl.    (Gustav  Weinberg)         447 

W.  Ricken,   Einige  Perlen  französischer  Poesie  von  Corneille  bis  Coppöe. 

(Theodor  Engwer) 448 

Th.  Both,  Der  Einflnfli  ron  Ariosts  Orlando  Furioso  auf  das  französische 

Theater.    (George  Carel) 469 

Am.  Salmon,  s.  J.  Bonnard. 

P.  Savj-Lopez,  Storie  Tebane  in  Italia.    (Berthold  Wiese) 462 

Herm.  Schmidt,  s.  Ol.  Klöpper. 

Gustave  Simon,  L'enfiuice  de  Victor  Hugo.-  (Willibald  Kammel)  ....     43 2 

L.  Herrig  et  G.  F.  Buiguy,  La  France  litt^raire,  remaniöe  par  F.  Tenderin g. 

47«  Edition.    (Theodor  Engwer) 449 

Der  HUGE  SCHEPPEL  der  Griiln  Elisabeth  von  Nassau-Saarbrflcken,  nach 
der  Hs.  der  Hamburger  Stadtbibliothek,  mit  einer  Einleitung  von  Her- 
mann Urtel.     (Leo  Jordan) 426 

Max  Walter,  Der  Gebrauch  der  Fremdsprache  bei  der  Lektlire  in  den  Ober- 
klassen.   (J.  Block) 210 


Verzeichnis  der  vom  29.  November  1905  bis  zum  8.  März  1906  bei  der  Re- 
daktion eingelaufenen  Druckschriften  (mit  kurzen  Anzeigen  von :  E.  Oswald, 
The  legend  of  Cur  Helen  as  told  hj  Homer,  Gk>ethe  and  others.  — 
M.  Potel,  Trois  ans  de  m6thode  directe.  —  Hölzeis  Wandbilder:  Wien.  — 
J.  S.  Clark,  A  study  of  English  prose-writers.  —  J.  C.  French,  The  problem 
of  the  two  prolognes  to  Chauoer's  Legend  of  good  women.  —  W.  E. 
Leonard,  Byron  and  Byronism  in  America.  —  M.  Roger,  L'enseignement 
des  lettres  dasslques  d'Ausone  k  Alcnin.  —  £.  Moret,  Glaucus,  —  Chr. 
lAchsinger,  Das  Molkereigerftt  in  den  roman.  Alpendialekten  der  Schweiz. 

—  Kr.  Nyrop,  Po^sies  fran^ises,  1850—1900.  —  P.  Fink,  Volkstttm- 
liches  aus  Sftdbnrgund.  —  G.  Paris,  La  litt4rature  fran9aise  au  moyen 
Age.  —  A.  Plaget,  La  Belle  daine  sans  Merci  et  ses  imitations.  — 
M.  Gerhardt,  Der  Aberglaube  in  der  französ.  Novelle  des  16.  Jahrb.  — 
S.  Rigal,  La  mise  en  Bchnt  dans  les  tragidies  du  16®si^cle.  —  H.  Heitä, 
Studien  Aber  die  burleske  Modedichtnng  Frankreichs  im  17.  Jahrh.  — 
Th.  Pletscber,  Die  Mirchen  Charles  Perraults.  —  M.  v.  Waldberg,  Der 
empfindsame  Roman  in  Frankreich.  —  E.  Fueter,  Voltaire  als  Historiker. 

—  K.  G.  Lenz,  Über  Rousseaus  Verbindung  mit  Weibern.  —  Annales 
de  la  SoelM  J.-J.  Rousseau.  —  J.  Gftrtner,  Das  Journai  Elraager.  — 


vra 

Seit« 
Le  comte  de  Gobinean,  Deux  todea  sur  U  Qriee  moderne:  Capodistrias; 
le  rojanme  des  Helltoes.  —  A.  Tobler,  Hilanges  de  grammaire  fraa^aiie. 
Trad.  fran^.  de  la  8^°^«  id.  p.  M.  Kuttner.  —  E.  Burghardt,  Über  den 
Einflurs  des  Engl,  auf  das  Angionorm,  in  syntakt.  Besiebong.  —  L.  Bisard, 
Toponymie  communale  de  Farrond.  de  Mamers.  —  F.  Bmnot,  La  ri- 
forme  de  Torthographe.  —  E.  Faguet,  SimpUflcation  simple  de  i'ortbo- 
grapbe.  —  O.  Sehaltx-Oora,  Altpror.  Elementarbnch.  —  Armana  Pron- 
ven^u  pir  Ion  bil  an  de  Diin  1906.  —  Fr.  Flamin!,  Avriamento  allo 
studio  della  Dir.  Comm.  —  G.  A.  Scartaxiini,  Dantologia.  —  £.  Ansa- 
lone,  Sn  la  poesia  satirica  in  Francia  e  in  Italia  nel  secolo  XVI.  — 
Fr.  B.  Laqniens,  Tbe  Romam  dt  la  Rose  and  medieval  Gastilian  lite- 
rature.  —  F.  Haussen,  De  los  adverbios  mueho,  muy  y  mticA)  .  .  .  S25 
Veraeicbnis  der  vom  9.  IfArs  bis  snm  81.  Mai  1906  bei  der  Redaktion  ein* 
gelaufenen  Druckschriften  (mit  kurzen  Anseigen  von:  Mimoires  de  la  Soc 
niophil.  k  Helsingfors.  IV  [O.  J.  Tallgreen,  Las  s  7  f  del  antigno  casteliano 
iniciales  de  silaba,  estndiadas  en  la  inidita  Gojfa  de  Stgoma,  Torsten 
Söderl\ielm,  Die  Sprache  in  dem  altfr.  Martinsleben  des  Pian  Gatineau 
aus  Tours.  H.  Pipping,  Zur  Theorie  der  Analogiebildung].  <-  Fr.  Paoser, 
Der  romanische  Bilderfries  am  sttdl.  Choreingsng  des  Freiburger  Münsters 
und  seine  Deutung.  -^  A.  Gappelli,  Cronologia  e  Oalendario  perpetuo.  — 
M.  M.  Arnold  SchrÖer,  Grundzüge  und  Haupttypen  der  engt  Literatur- 
geschichte. —  Otto  Jespersen,  Growth  and  structure  of  tbe  Engl,  langnage. 

—  C.  Alphonso  Smith,  Studies  in  English  syntaz.  —  J.  Ulrich,  Proben 
der  lateinischen  Noyellistik  des  Mittelalters.  —  M.  Niedermann,  Pricis 
de  phonitlque  hlstorique  du  latin.  —  F.  Novati,  Li  DU  du  koe  di  Jean 
de  Condi  ed  il  gallo  del  campanile  nella  poesia  medierale.  —  J.  Ulrich, 
Proben  der  fransösischen  Novellistik  des  16.  Jahrhunderts.  —  Jacques 
Amyot,  Les  Vies  des  hommes  illustres  grecs  et  romains.  PirioUs  et 
Fabius  Mazimus.  —  Jules  Marsan,  La  Sylvie  du  Sieur  Mairet.  —  Die 
Fruchtschale,  Nr.  4  [Amieis  Tagebücber,  deutsch  von  Rosa  Schapire] 
und  9  [Nicolas  Chamfort,  Aphorismen  und  Anekdoten,  mit  Essay  von 
H.  Efdwein].  —  H.  Taine,  Sa  Tie  et  sa  oorrespondance.  Tome  HI.  — 
A.  Monod,  Hlstoire  de  France.  —  F.  Le  Bourgeois,  Manuel  des  ehemlns 
de  fer.  —  C.  JuUian,  Verkingetoriz.  —  A.  Farinelli,  Voltaire  et  Dante. 

—  H.  Schoop,  Eine  Studentenkomödie  Friedrichs  des  Grofiien.  — 
H.  Greio,  Die  *Idylles  Prussiennes'  von  Th.  de  Banville.  —  H.  Massis, 
Comment  Emile  Zola  composait  ses  romans.  —  Gh.  de  Roche,  Les  noms 
de  lieu  de  la  yallie  Moutier-Grandyal.  —  S.  Alge,  Lesioni  d'italiano.  — 
J.  Bathe,  Die  moralischen  Ensenhamens  im  Altprovensalischen.  — 
A.  d'Ancona,  La  poesia  popolare  italiana.  —  A.  del  Vecchio,  Comme- 
moradone  di  Augusto  Franchetti  con  la  bibliografla  de*  suol  seritti.  — 
O.  Hecker,  II  piccolo  Italiano.  —  A.  Morel-Fatio,  Etudes  sur  l'Espagne. 
Deuziime  sirie.  -^  S.  Puscariu,  EtymologiBches  Wörterbuch  der  runUU 
nischen  Sprache) 478 


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yU^ 


Zur  Entstehimg  des  Märchens. 

(Fortaetiiing.) 


in.  BelebuDgsmärcheD.  Nach  dem  Glauben  des  Mär- 
chens können  Grötter  und  Zauberer  auch  gestorbene  Tiere  und  Men- 
schen beleben.  Weit  verbreitet  hat  sich  dieser  Glaube  besonders 
in  dieser  Form:  wenn  man  die  Knochen  eines  getöteten  oder  ver- 
zehrten Tieres  in  der  gehörigen  Ordnung  zusammenlegt  und  sie 
weiht,  so  steht  es  wieder  auf  und  lebt  sein  früheres  Leben.  ^ 
Ein  buddhistisches  Märchen  (Jätaka  150)  erzählt  uns  von  einem 
Schüler,  den  Buddha  die  Kunst  lehrte,  Tote  zu  beleben,  und  der 
sich,  von  Stolz  geschwellt,  dieser  Kunst  vor  seinen  Mitschülern 
rühmte,  als  er  einen  toten  Tiger  sah.  Sie  warnten  ihn,  und  als 
es  nichts  half,  brachten  sie  sich  vorher  in  Sicherheit.  Der  Tiger 
empfing  nun  sein  Leben,  stürzte  sich  brüllend  auf  den  gelehrten 
Toren,  verschlang  ihn  und  fiel  dann  selbst  wieder  tot  zu  Boden. 

Der  Inder  schildert  wieder  nicht  die  Belebung  überhaupt, 
sondern  den  besonderen  Fall,  in  dem  sie  dem  Belebenden  selbst 
zum  Verderben  wird.  Er  schildert  ferner  die  Kunst  des  Mei- 
sters im  Kontrast  mit  der  angelernten  und  sofort  ganz  verkehrt 
angewandten  des  Schülers  und  auch  den  Kontrast  zwischen  toter 
Gelehrsamkeit  und  natürlicher  Klugheit  Und  alles  das  erscheint 
vor  uns  nicht  als  lehrhafte  Unterweisung,  sondern  als  mächtige, 
eindrucksvolle  Geschichte;  die  Erinnerung  an  den  Tiger,  der 
plötzlich  brüllend  über  den  stürzt,  der  ihm  das  Leben  gab,  und 
dann  wieder  tot  zusammenfällt,  vergifst  sich  so  leicht  nicht.  Die 
Verwandtschaft  dieser  Entwicklung  des  Tigers  mit  der  des 
Geistes  aus  der  Flasche  und  der  der  Thronfiguren,  die  plötzlich 
aufleben  und  nach  vollbrachter  Aufgabe  wieder  erstarren,  fallt 
auch  sofort  in  die  Augen. 

Von  den  genannten  Kontrasten  erscheint  im  abendländischen 
Märchen  nur  einer,  der  zwischen  Meister  und  Schüler,  dieser 
allerdings  weiter  und  anschaulicher  ausgeführt  als  im  indischen: 
einmal  m  Belebungsmärchen,  ^  worin  der  Schüler  glaubt,  er  habe 
dem  Meister  die  Kunst  abgesehen,  sich  darin  versucht,  ohne 
jeden  Erfolg:  und  als  er  in  äuTserster  Bestürzung,  in  sicherer 
jElrwartung  des  nahen  Unterganges  dasteht,  erscheint  der  Meister 

>  Beinhold  Köhler  I,  296. 

'  Vgl.  etwa  Grimm,  KSM  81 ,  Bruder  Lustig. 

Arehif  t  n.  SpnMheu.    CXVI.  1 


2  Zur  Entstehung  dos  Märchens. 

und  erlöst  ihn.  Dann  auch^  und  so  schon  in  der  Literatur  der 
Alten,  in  Märchen  vom  Typus  des  'Zauberlehrlings'^:  da(s  der 
Meister  die  Zauberformel  kennt,  die  ihm  Gewalt  über  die  Dinge 
gibt,  dafs  der  Lehrling  sie  in  dem  Moment  vergiTst^  in  dem  er 
die  helfenden  Geister  in  unscheinbare  Dinge  zurückverwandeln 
oder  in  ihrer  Tätigkeit  Einhalt  gebieten  soll,  und  dicht  vor  der 
Katastrophe  erscheint  der  Meister  und  gebietet  dem  Verderben 
Einhalt.2 

Dies  indische  Belebungsmärchen  wurde  in  Indien  nun  noch 
mannigfaltiger  und  reicher,  der  eben  besprochene  Kontrast  zwi- 
schen Meister  und  Schüler  fiel  dabei  ganz  aus  ihm  heraus.  Ich 
nenne  von  den  späteren  Gestaltungen  zwei.  Einmal  die  des 
Pantschatantra  (Y,  4).  Drei  Brahmanen  haben  alle  Wissenschaften 
gelernt,  der  vierte  besitzt  nur  Einsicht.  Sie  sehen  die  Gebeine 
eines  toten  Löwen,  der  eine  fügt  sie  zusammen,  der  zweite  ver- 
bindet sie  durch  Fleisch  und  Blut,  der  dritte  will  sie  gerade  be- 
leben, da  hält  ihn  der  vierte  zurück:  es  wird  ja  ein  Löwe,  und 
er  wird  uns  alle  verschlingen.  Der  dritte  lacht  ihn  wegen  seiner 
Unwissenheit  aus,  doch  der  Einsichtige  erklettert  rasch  einen 
Baum  und  sieht  von  dort  zu,  wie  sich  seine  Prophezeiung  erfüllt. 

In  dieser  Darstellung  ist  aus  dem  einmaligen  Bdebungs- 
prozefs  ein  allmählicher,  aus  dem  einen   Beieber  sind   drei  ge- 


'  Vgl.  etwa  Viehoff;  Goethes  Oediehte  261  f.,  Grimm,  KHM  103,  auch 
Obrik,  Danmarks  gamle  HeUedigtnina  (1903),  29(5  f. 

*  Dem  erzählten  Märchen  vergleiche  ich  noch  das  folgende  indische 
(Vet&lapaftc.  6),  wir  kennen  es  durch  Gtoethes  Legende.  Ein  Mann  hat  die 
Frau  erhalten,  nach  der  er  sich  sehnte  (in  einigen  Versionen  hat  er  der 
Göttin  das  Leben  yersprochen,  wenn  sie  ihn  mit  der  Geliebten  zusammen* 
führe).  Als  er  nun  auf  einer  Reise  mit  der  Geliebten  den  Tempel  der  Göttin 
Durga  betritt,  opfert  er  sich  ihr  aus  Dank :  er  schläft  sich  das  Haupt  ab. 
Sein  Freund  (oder  der  Bruder  der  Frau)  geht  ihm  nach,  sieht  es  und  opfert 
sich  in  seiner  Verzweiflung  auch.  Die  frau,  verwundert,  dafs  die  Männer 
nicht  wiederkommen,  betntt  nun  den  Temjsel;  als  sie  beide  tot  sieht,  will 
sie  ihnen  in  den  Tod  folgen,  doch  die  Göttin  will  nicht  so  viel  Opfer  und 
ruft  der  Armen  gnädig  zu,  sie  solle  die  Köpfe  der  beiden  Männer  wieder 
auf  den  Rumpf  setzen,  dann  erhielten  sie  das  frühere  Leben.  Doch  sie 
ist  so  verwirrt  und  freudig  erregt  zugleich,  dafs  sie  die  Köpfe  falsch  auf- 
setzt, den  des  Mannes  auf  den  Rumpf  des  Bruders  und  umgekehrt.  Die 
beiden  Wiedererstandenen  streiten  nun  heftig  um  den  Besitz  der  Frau.  8ie 
wird  dem  zugesprochen,  der  den  Kopf  hat  (Oesterley,  Baital  Paeehüt  6.  — 
Babington,  Vedäta  Gadai  [MiseeUaneaus  Translations  from  Oriental  Languages, 
Vol.  I,  1831]:  Wer  beim  ersten  Anblick  die  Frau  als  Gattin  behandelt,  ist 
ihr  Mann.  —  Iken,  Tuti  Nameh  [1822]  102.  —  Rosen,  Tuii  Nameh  [1858] 
II,  169.  -  Zachariae,  Zs.  d.  V,  f,  Volkskunde  11  [1901],  186;  vgl.  ebd.  262). 
Die  Grundidee  des  Märchens  ist  wieder:  was  der  Gott  vermag,  dazu  ist 
der  Mensch  zu  schwach,  sogar  das  Gnaden|;eschenk  des  Gk)ttes  erzeugt  in 
seinen  Händen  Verwirrung  und  Zank.  Diese  Idee  scheint  wieder  oud- 
dhistisch;  die  Geschichte,  durch  die  sie  zur  Geltung  kommt,  ist  für  un- 
seren Geschmack  freilich  zu  ausgeklügelt  und  unwahrscheinlich.  Aber 
diese  Verbindung  von  Tiefsinn  und  Spitzfindigkeit  ist  ja  durchaus  indisch. 


Zur  Entstehung  des  Mfirchens.  3 

worden.  Der  Löwe  wächst  und  wird  langsam  vor  unseren  Augen^ 
wir  erfahren  nicht  sofort,  sondern  erst  während  der  Erzählung, 
dafs  das  Tier  ein  Löwe  ist,  und  dadurch  erhöht  sich  unsere 
Spannung.  Der  wirkungsvolle  Schlufs  des  buddhistischen  wurde 
leider  vergessen;  der  Kontrast  zwischen  natürlicher  Einsicht  und 
Bücherweisheit  erscheint  in  anderem  Zahlenverhältnis :  die  Bücher- 
weisheit, die  gelehrten  Toren,  sind,  wie  im  Leben  immer,  in  der 
Überzahl  und  verhöhnen  den  einzig  Klugen. 

In  der  yetälapancavim9ati  (Nr.  23,  die  schönste  Darstellung 
wieder  bei  Somadeva)  blieb  auch  dieser  Kontrast  fort,  dafür  ist 
der  Belebungsprozefs  noch  weiter  in  seine  Einzelheiten  aufgelöst 
und  an  vier  Brüder  verteilt,  die  einen  mächtigen  Löwen  beleben, 
indem  der  eine  zu  einem  gefundenen  EInochen  das  Fleisch,  der 
zweite  z\i  diesem  Haut  und  Haar,  der  dritte  die  anderen  dazu- 
gehörigen Glieder  und  der  vierte  das  Leben  8cha£Bk.  Diese  Brü- 
der, die  der  I^we  natürlich  verzehrt,  erscheinen  nicht  mehr  als 
Toren,  sondern  als  arme  Narren,  denen  die  einzige  Kunst,  die 
sie  lernten,  zum  Verderben  wird.^ 

Dies  Belebungsmärchen  blieb,  soviel  ich  weils,  in  Indien, 
und  wir  beobachteten  daran  die  uns  nun  vertrauten  Besonder- 
heiten der  indischen  Erzählungskunst^  die  Steigerung  eines  ein- 
fachen Motivs,  in  dem  nämlich  nur  die  Belebung  erzählt  ist, 
die  dem  Belebenden  gefährlich  wird,  und  die  zugleich  natürliche 
Klugheit,  nicht  allein  erlerntes  Wissen  erfordert;  die  Verviel- 
fältigung dieses  einen  Motivs,  in  dem  die  Belebung  an  ver- 
schiedene sich  verteilt  und  allmählich  geschieht.  Die  einzelnen 
Motive  bleiben  nicht  alle  beisammen,  bald  wird  dies,  bald  jenes 
auf  Kosten  des  anderen  hervorgehoben.  Aber  die  Kunst,  aus 
den  Motiven  die  kritischen  Wirkungen  herauszuholen,  sie  ein- 
drucksvoll anzuordnen  und  gegenüberzustellen,  alles  im  Rahmen 
einer  ganz  kurzen  Geschichte,  verblüfil  auch  hier,  besonders  wenn 
man  sie  in  ihren  Einzelheiten  betrachtet. 

Eine  Entwickelung,  die  der  eben  vorgeführten  in  manchem 
gleicht  und  die  auch  von  einem  sehr  ähnlichen  Motiv  ausgeht, 
war  einem  Menschenbelebungsmärchen  beschieden:  diese  Ent- 
wickelung ist  reicher  und  hat  in  abendländischen  alten  Sagen 
merkwürdigere  Parallelen.  Ich  meine  das  Märchen  von  der  höl- 
zernen Jungfrau,  das  in  Indien  am  kunstreichsten  erzählt  ist  und 
über  die  Grenzen  von  Indien  weit  hinaus  bis  nach  Böhmen  drang.^ 

Zugrunde  liegt  der  Glaube,  den  wir  aus  der  Anschauung 
primitiver  Völker  ableiteten,  ^  dais  die  Menschen  aus  Bäumen 
entstanden  oder  geschaffen  seien. 

*  Vgl.  auch  y.  der  Leyen,  Preufa,  Jahrbüeher  99,  69  f. 

'  Benfey,  Päntsehatantra  I,  491. 

'  S.  oben  Archiv  CXIV,  14  Anm,  1. 


4  Zur  Entstehung  des  Märchens. 

In  einem  wahrscheinlich  sehr  alten  *  Bericht  der  Edda  wird 
diese  Schöpfung  des  Menschen  auf  verschiedene  Götter  verteilt: 
Mann  und  Frau  liegen  als  leblose  Baumstümpfe  da,  Odin,  Loki 
und  Hoenir  finden  sie,  Odin  gibt  Atem,  Hoenir  Seele,  Loki 
Gesicht  und  Farben  und  Glieaer.^  Den  nordischen  Erzähler 
interessiert  also  nicht,  wie  allmählich  aus  dem  unbehauenen  Baum- 
stumpf ein  äufserlich  menschengleiches  Gebilde  wird  und  dies 
Lieben  erhält,  dafür  erscheint  ihm  der  Vorgang  der  Belebung 
selbst  so  bedeutsam,  da(s  drei  Götter  ihre  Kräfte  hergeben 
müssen,  um  ihn  zu  vollenden. 

Der  Inder  schildert  umgekehrt  das  äufserliche  Werden  des 
Menschen  und  verteilt  dies,  wie  bei  der  Belebung  des  Raub- 
tieres, an  verschiedene.  Ein  Mann  schnitzt  aus  einem  Baum- 
stumpf ein  Mädchen,  der  zweite  schmückt  sie,  der  dritte  gibt 
ihr  aie  charakteristischen  Zeichen,  der  vierte  haucht  ihr  Leben 
ein.3  Und  nun,  als  das  Mädchen  schön  und  verlockend  vor  ihnen 
steht,  erhebt  sich  der  Streit:  wem  gehört  sie?  Und  um  dieser 
schwer  lösbaren,  Scharfsinn  erfordernden  Streitfrage  willen  scheint 
das  ganze  Märchen  überhaupt  wiedergegeben. 

Bis  zur  Vollendung  des  Mädchens  gleicht  die  Entwicklung 
der  Geschichte  insofern  durchaus  der  vorigen,  als  ein  altes  Motiv 
vervierfacht  wird,  der  Belebungsvorgang:  allmählich  ist  und  sich 
auf  vier  verteilt.  Nun  würde  das  Märchen  bei  anderen  Völkern 
schliefsen,  bei  dem  Inder  fängt  es  jetzt  eigentlich  erst  an :  denn 
da  verschiedene  das  Mädchen  schufen,  so  haben  auch  verschiedene 
auf  sie  ein  Kecht 

Und  diese  Rechtsansprüche  waren  so  schwer  zu  entscheiden, 
dais  der  Inder  das  Märchen  ihnen  zuliebe  immer  noch  weiter 
komplizierte.  Ich  hebe  zwei  Fortbildungen  hervor,  die  beide  auf 
indischen  Vorbildern  beruhen,  die  im  Mongolischen  und  die  im 
Türkischen. 

Im  Türkischen  setzt  sich  der  Streit  fort:  ein  Derwisch,  ein 
Polizeimeister  und  ein  Eadi  werden  um  die  Entscheidung  ge- 
beten ;  alle  sind  von  dem  Mädchen  so  betört,  dafs  sie  es  für  sich 
wollen  und  deswegen  Lüge  auf  Lüge  häufen,  das  Mädchen  sei 
ihnen  verwandt,  ihnen  geraubt  und  ähnliches.  Schliefslich  wird 
ein  Gottesurteil  angerufen,  da  tut  sich  ein  Baum  auf,  an  dem 
das  Mädchen   lehnt,  und  nimmt  es  wieder  zu   sich.     Sie  kehrt 


^  Loki  erscheint  darin  als  hilfreicher  Gott;  die  Namen  der  Baum- 
menschen  Askr  und  Embla  entsprechen  ungefähr  den  Namen  Assi  UDd 
Ambri  in  einer  alten  longobardi sehen  Sage,  Grimm,  D.  S,  388. 

*  Vgl.  V.  der  I^eyen,  Märchen  in  Ecßa,  S.  11;  Kretschmer,  Deutsehe 
Lüeraturxeitung  1899,  1278  f. 

'  Jülg,  Monqolische  MärcheUf  Innsbruck  1868,  S.  285.  Rosen,  HU* 
Nameh  I,  151.  Iken,  S.  87.  Im  Türkischen  sind  die  Beieber  ein  Zimmer- 
mann, ein  Goldschmied,  ein  Schneider  und  ein  Mönch. 


Zur  Entsteh uDg  des  Mfirchens.  5 

dorthin  zurück^  von  wo  sie  kam:  deDn  ee  ist  nicht  gut,  wenn 
der  Mensch  sich  Werke  anmafst,  die  nur  dem  Gotte  gebühren. 
Streit  und  Lüge  entstehen  daraus  und  können  nur  aufhören,  wenn 
das  Geschaffene  selbst  verschwindet. 

Das  Mongolische  fü^  unser  Märchen  in  ein  anderes:  eine 
Prinzessin  soll  zum  Reuen  gebracht  werden.  Ihr  erzählt  ein 
König  unser  Märchen,  sie  schweigt.  Da  hebt  einer  von  den  Be- 
gleitern des  Königs,  die  er  vorher  in  Altar,  Lampe  und  Rosen- 
kranz verwandelt,  zu  sprechen  an,  gibt  selbst  zu,  dafs  er  von 
Weihrauch  betört  sei  und  als  lebloser  Gegenstand  kein  Recht 
zur  Rede  habe,  und  sagt  absichtlich  eine  verkehrte  Entscheidung. 
Darüber  —  über  die  dumme  Antwort  und  über  das  Reden  dessen, 
dem  es  nicht  zukommt  —  ist  die  Prinzessin  so  entrüstet,  dafs  sie 
die  rechte  Antwort  gibt:  der  sie  schuf,  ist  ihr  Vater,  der  sie 
schmückte,  ihre  Mutter,  der  sie  bildete,  ihr  Lehrer,  der  sie  be- 
seelte, ihr  Mann.^  In  dieser  Fortsetzung  erklimmt  der  indische 
Scharfsinn  vor  unseren  Augen  schwindelnde  Höhen:  es  ist  ein- 
fach erstaunlich,  mit  welchem  Geschick  die  geistreiche  Antwort 
am  Schlufs  vorbereitet,  hinausgeschoben,  durch  Kontrastierung 
mit  der  verkehrten  zur  Geltung  gebracht  und  zugleich  der  wider- 
willigen, klugen  und  doch  betörten,  Prinzessin  entlockt  wird. 

Vergleichbar  dieser  Entscheidung  ist  eine  Sage  bei  Hygin. 


*  Älmlich  im  Trdne  enehante,  Lescallier  177  f.  Dort  ist  unsere  Ge- 
schichte eingeleitet  durch  den  Rahmen  der  Vetälapafic  (König  und  Bettler, 
vgl.  oben  Archiv  CXV,  275  Anm.  2),  die  den  König  begleitenden  Geister 
verwandeln  sich  in  Lampe,  Gürtel,  Giefskanne  und  Bettmfs  der  Prinzessin 
und  verlocken  den  König  zu  vier  Geschichten:  1)  f Lampe)  die  von  den 
Bewerbern  mit  wunderbaren  Eigenschaften  (=  Vetälapaüc  5  und  unten 
S.  121);  2)  (Gürtel)  die  von  den  vertauschten  Köpfen  (Vetälapaüc  6  und 
oben  8.  2  Anm.  2);  H)  (Giefskanne)  die  belebte  Braut  (Vetälapaüc  2,  in 
der  Fassung  des  Civaidäsa,  von  der  Leyen,  Bid,  Märehm  27  und  130); 
4)  (Bettfuü^  die  hölzerne  Jun^rau.  Die  Beieber  sind  Holzbildhauer, 
Juwelier,  Weber,  Mönch.  Die  Entscheidung  der  Prinzessin,  das  Mädchen 
solle  dem  Mönch  gehören,  ist  nicht  fein  motiviert.  Der  oben  Archiv  CXV, 
278  Anm.  2  betonte  Zusammenhang  zwischen  Vetälapaüc  und  verzauber- 
tem Hiron  wird  durch  diese  Geschienten  noch  deutlicher  —  nicht  weniger 
als  vier  sind  der  Vetälapaüc  entlehnt,  und  der  Kunstgriff,  der  die  Prin- 
zessin zum  Beden  bringt,  der  Arger  über  die  voreiligen  und  dummen 
Antworten  der  vermeintlich  leblosen  Gegenstände  ist  nur  eine  Steigerung 
des  Kunstgriffes  der  Vetälapaüc,  in  der  der  Vetäla  manchmal  dem  König 
durch  seine  falschen  Entscheidungen  die  richtigen  abnötigt  —  Eine  Ab- 
schwächung  der  alten  indischen  Form  gibt  ein  modernes  singhalesisches 
Märdien  bei  Hteele,  An  eastem  love  Story  etc.,  London  1871 ;  vgl.  Benfey, 
Kleinere  Schriften  111,  288.  Zimmermann,  Maler,  Kaufmann,  Juwelier 
sind  hier  die  Beieber;  d.  h.  der  Kaufmann  kleidet  das  Mädchen,  der  Ju- 
welier schmückt  und  belebt  sie.  Eine  Prinzessin  soll  durch  die  Frage, 
wem  gehört  sie,  zum  Sprechen  gebracht  werden ;  der  Prinz,  der  es  ihr  er- 
zählt, hat  einen  B^leiter  in  eine  Lampe  verwandelt,  die  törichte  Ant- 
worten gibt,  und  die  Prinzessin  gibt  die  richtige:  sie  gehört  dem  Wirt, 
aus  dessen  Holzblock  sie  gemacht  wurde. 


6  Zur  Entstehung  de«  Märchens. 

Die  Sorge  überschreitet  einen  Flufs  und  schaffi.  aus  kreidigem 
Schlamm  einen  Menschen.  Jupiter  kommt  hinzu  und  gibt  dem 
Gebilde  auf  Bitten  der  Sorge  Leben  (spiritum).  Dann  streiten 
beide^  wer  dem  Menschen  den  Namen  geben  dürfe,  und  während 
des  Streites  erhebt  sich  auch  die  Erde:  da  der  Mensch  von  ihr 
genommen  sei,  müsse  er  auch  von  ihr  den  Namen  erhalten.  Sa- 
turn, als  Schiedsrichter  angerufen,  entscheidet:  die  Sorge  habe 
den  Menschen  zuerst  geschaffen,  ihr  solle  er  sein  ganzes  Leben 
hindurch  gehören,  dem  Jupiter  gebühre  der  Körper,  denn  er  habe 
dem  Menschen  den  Geist  eingehaucht,  und  der  Name  des  Men- 
schen solle  homo  lauten,  da  er  aus  der  Erde  {ex  kumo)  ge- 
schaffen seL 

Diese  Sage  verteilt  wie  die  indische  die  Belebung  an  ver- 
schiedene, nur  weifs  sie  die  Vorgange  weder  anschaulich  zu 
schildern,  noch  zu  steigern;  der  Streit  ist  nur  ein  Streit  um  den 
Namen  des  Menschen,  nicht  um  ihn  selbst,  die  Entscheidung  ist 
für  Jupiter  unverstandig,  für  die  Erde  eine  leere  etymologische 
Spielerei,  tief  ist  sie  nur  für  die  Sorge  —  und  dies  Motiv  war 
wohl  auch  der  eigentliche  Inhalt  der  Sage,  an  das  sich  das  an- 
dere ansetzte.  Gerade  diese  römische  Sage  offenbart  aber  die 
eminente  Überlegenheit  der  Inder  in  Aufbau,  Steigerung  und 
Darstellungskunst  ihrer  Märchen. 

IV.  Märchen  von  Empfindlichkeit  und  Scharf- 
sinn. Ich  habe  schon  angedeutet,  dafs  Märchen,  Schwanke  und 
Novellen  gern  die  Gaben  Empfindlicher  und  Scharfsinniger,  Dum- 
mer und  Fauler  übertreiben,  bewundem  oder  verspotten. 

Timaeus  *  berichtet  uns  ganz  ernsthaft  von  einem  Sjbariten, 
der  auf  dem  Acker  ALrbeiter  hacken  sah.  Er  bekam  vom  Zu- 
sehen einen  Bruch,  und  als  er  einem  anderen  sein  Leid  klagte, 
erwiderte  dieser,  er  habe  vom  blolsen  Anhören  Seitenstechen  be- 
kommen. 

Das  Indische  hat  einen  sehr  ähnlichen  Schwank^:  einer 
Königin  fällt  ein  Ijotos  in  den  Schofs,  sie  wird  verwundet  und 
ohnmächtig,  einer  zweiten  brennen  die  Mondstrahlen  Geschwüre 
auf  den  Leib,  und  die  dritte  hört  einen  Mörser  und  bekommt 
davon  Beulen.  Wer  ist  nun  die  Empfindlichste?  heifst  es  am 
Schlufs,  und  den  Preis  erhält  die  letzte,  weil  ihre  Empfindlich- 
keit durch  das  Gehör,  die  beider  anderen  erst  durch  die  Be- 
rührung sich  zeigte. 

Möglich,  dafs  dieser  Schwank  von  Griechenland  nach  Indien 
kam  —  ebenso  möglich  erscheint  mir  freilich,  dafs  beide  Völker 
ihn    unabhängig    voneinander  ersannen.     Das    bleibt  auf  jeden 

*  Müller,  fr.  59.    E.  Rohde,  Der  griechische  Roman-  588. 
'  VetalupaAcavim9ati  11,  Oesterlej,  Baital  Pacchisi  92.  199. 


Zur  Entstehung  des  Märchens.  7 

Fall  (und  gerade  das  betonte  Erwin  Rohde  nicht)  dem  indischen 
Schwank  ds  Vorrecht,  dafs  er  gleich  drei  Fälle  von  Empfindlich- 
keit aufzählt,  sie  steigert  und  den  Schwank  noch  zu  einem  letzten 
Höhepunkte,  der  Schlufsfrage,  führt.  Durch  sie  wird  der  Hörer 
veranlafst,  sich  die  drei  lustigen  Empfindlichkeiten  noch  einmal 
zu  vergegenwärtigen  und  miteinander  zu  vergleichen.  Sogar  dies 
kleine  Geschichtchen  zeigt  also  die  Überlegenheit  der  indischen 
Erzählungskunst  über  die  griechische  im  Märchen. 

Von  einem  anderen  Uenüfsling  erzählten  die  Griechen,  er 
sei  voller  Schwielen  aufgestanden,  nachdem  er  auf  einem  Lager 
voller  Bosenblüten  geschlafen.*  Der  Inder  übertreibt  dies  Motiv 
sofort  ins  ganz  Lächerliche:  sein  Empfindlicher  kann  die  ganze 
Nacht  kein  Auge  zutun,  weil  unter  aer  siebenten  Matratze  ein 
Haar  liegt,  und  dies  drückt  sich  deutlich  auf  seinem  Körper  ab. 
Und  diesen  vergleicht  er  wieder  mit  zwei  anderen,  zwei  Brüdern : 
der  eine  schmeckt  in  einem  Reis  einen  Leichengeschmack:  und 
wirklich  ist  dieser  Reis  in  der  Nähe  eines  Kirchhofs  gewachsen; 
der  andere  entdeckt  an  einem  wunderschönen  Mädchen  einen 
Bocksgeruch:  und  wirklich,  dieses  Mädchen  wurde  in  ihrer  Jugend 
einmal  mit  Zi^enmilch  genährt  Die  Schlufsfrage  —  sie  wird  da- 
durch vorbereitet,  dafs  sich  die  Brüder  um  den  Vorrang  ihrer 
Gaben  zuerst  zanken  —  heifst  natürlich:  wer  war  der  Empfind- 
lichste? 

Von  diesem  Märchen  haben  wir  nun  eine  Fülle  von  aufser- 
indischen  Fassungen,  und  wir  können  sogar  den  Wegen  folgen, 
auf  denen  es  nach  Europa  eindrang:  über  Arabien  und  Byzanz 
hier,  über  das  sibirische  Asien  nach  Nord-  und  Osteuropa  dort. 
Im  12.  Jahrhundert  fügte  es  der  dänische  Geschichtschreiber 
Saxo  Grammaticus  in  seine  Darstellung  der  Hamletsage:  also 
schon  vor  dem  12.  Jahrhundert  sind  die  indischen  Märchen  nach 
Euro^  gewandert. 

Die  verschiedenen  Zusammensetzungen  und  Wandlungen 
unseres  Märchens  sind  schon  oft  geschildert:^  seltsamerweise 
bleiben  die  einzelnen  Scharfsinns-  und  Empfindlichkeitsproben  fast 
immer  unverändert.  Das  Märchen  kann,  gemäfs  seiner  nur  in 
Indien  denkbaren,  dort  aber  durch  viele  Parallelen  bezeugten 
Eigenheiten,  nur  in  Indien  entstanden  sein:  da  es  so  frühzeitig 
und  so  weit  wanderte  und  von  so  vielen  Völkern  so  begierig 
auf^^riffen  wurde,  erkennen  wir,  dafs  gerade  die  etwas  aus- 
geklügelten und  übertriebenen  Scharfsinnsproben  als  märchenhaft 
empfunden  wurden  und  das  Wohlgefallen  aufserindischer,  oft  ganz 
barbarischer  Völker  erregten. 


'  £.  Bohde,  589,  Anm.  3.    Aelian,  Variae  Historiae  IX,  24. 
«  Vgl.  Bolte,  Reise  der  Söhne  Oiaffera,  Bibl.  des  lit.  Vereins,  Stuttgart 
(1896),  208,  198;  v.  der  Leyen,  Märeken  in  Edda  71  f.;  Chauvin  VII,  158. 


8  Zur  Entstehung  des  Märchens. 

Erweitert  wurden  diese  ScharfsinnsprobeD  bei  deD  Arabern 
und  sonst  noch  durch  eine  andere^  gleichfalls  indischer  Herkunft. 
Die  Brüder  beobachten  zuerst  die  Spuren  eines  Kamels  und 
sa^en  aus:  es  war  halb  mit  Zuckerwerk  und  halb  mit  Getreide 
beladen  (denn  nur  auf  der  einen  Seite  des  Weges  schwärmten 
die  zuckerliebenden  Fli^en),  es  war  auf  dem  einen  Äuge  blind 
(denn  nur  auf  der  einen  Seite  des  Weges  waren  die  Krauter  ab- 
gefressen)^ und  es  hatte  keinen  Schwanz  (denn  der  Kamelkot^  den 
aas  Kamel  sonst  durch  das  Wedeln  seines  Schwanzes  zerstreut, 
lag  auf  einem  Haufen^).  Wie  diese  Episode  entstand,  ist  leicht 
zu  erraten;  alle  primitiven  Völker  —  wir  wissen  es  noch  ans 
den  Indianergeschichten  unserer  Jugend  —  haben  eine  merk- 
würdige,  oft  bestaunte  Fähigkeit,  Fufsspuren  zu  entdecken,  aus 
den  Eindrücken  festzustellen,  wann  der  Yorbeig^angene  die 
Spuren  hinterliefs,  auf  seine  Fufsbekleidung,  auf  das  Tempo 
seines  Ganges  etc.  zu  schliefsen.  Diese  Fähigheit  steigert  das 
indische  Märchen  zu  systematischer  Raffiniertheit  der  Beobach- 
tung —  die  Brüder  erkennen  nicht  nur  die  Spuren,  sie  erkennen 
die  bezeichnenden  Eigenheiten  im  Aussehen  des  E^amels  und  so- 
gar die  Art  seiner  Ladung.  Andere  Völker,  die  für  solche  Er- 
findung nicht  die  Gabe  hatten,  erzählten  das  einfach  wieder. 

Auf  einige  andere  Scharfsinnsproben  und  -märchen  will  ich 
ganz  kurz  hinweisen.  Das  Urteil  Salomonis  wird  in  Indien,  wie 
wir  wissen,^  oft  erzählt  und  erscheint  bei  den  Juden  vereinzelt, 
bei  den  Indern  inmitten  einer  Fülle  gleichartiger  Entscheidungen. 
Wir  haben  ähnliches  schon  beobachtet  und  werden  es  noch  be- 
obachten: ich  möchte  mich  auch  hier  so  entscheiden,  dafs  die 
Inder  diese  Geschichte,  etwa  wie  die  von  dem  Thron  Salomos, 
der  Königin  von  Saba  und  der  Sprache  der  Tiere,  von  den  Juden 
übernahmen  und  ihren  Reichtum  damit  vergröfserten.  Eine  an- 
dere Entscheidung,  die  im  Indischen  auch  gern  erzählt  wird:^ 
eine  Kurtisane  hat  ihren  Liebhaber  im  Traum  genossen  und 
empfängt  als  Lohn  den  Schatten  oder  das  Spiegelbild  des  aus- 
bedungenen  Lohnes,  erzählten  auch  die  Griechen,  und  die  Inder 
haben  sie  wohl  von  ihnen.  —  Im  Indischen  unterscheidet  ein 
kluger  Minister  eine  Stute  und  ein  Fohlen,  die  im  Aussehen 
nicht  unterschieden  werden  können,  und  ermittelt  bei  einem  mit 
Edelsteinen  besetzten  Stabe,  welches  die  Wurzel  und  welches  die 
Spitze  sei.^  Diese  Proben,  durch  die  er  seine  Klugheit  beweist, 
verhelfen  ihm  bei  seinem  König  zu  neuer  Gnade;   er  war  näm- 

*  Vgl.  Bolte  und  v.  der  Leyen  a.  a.  O.  und  Chauvin  VIII,  106. 

*  Vgl.  oben  Archiv  CXIV,  22  Anm.  3  und  Benfey,  Kleinere  Schriften 
III,  171.  233. 

'  VgL  oben  Archiv  CXIV,  22,  Anm.  8  und  Benfey,  PafUschaUtntra  I, 

127.    Ralston,  Tibetan  lales  163. 

*  ^ukasaptati  t  8,  48.  49;  t  o.  58. 


Zur  Entstehung  des  Märchens.  9 

lieh  verleumdet  und  gefangen^  das  wuCsiten  die  Nachbarstamme 
und  setzten  den  König  durch  diese  Fragen  in  Verlegenheit:  er 
wuTste  keine  Auskunft  und  rief  nach  dem  treuen  Minister.  Wir 
erkennen:  die  Rahmenerzahlung  von  Verleumdung  und  Begnadi- 
gung des  Ministers  ist  dieselbe  wie  die  von  Josef  und  wie  die 
vom  weisen  Heykar,  auf  die  auch  das  Buch  Tobias  anspielt  und 
die  spater  selbständig  weiterlebte  und  -wanderte.^  Diese  Kahmen- 
erzahlung  erfand  sich  überall  von  selbst,  aus  dem  Leben,  auch 
aufserhalo  Indiens.  Die  Inder  füllten  nach  ihrer  Art  diesen 
Rahmen  mit  zwei  Scharfsinnsproben  aus,  von  denen  die  eine 
wieder,  wie  ich  schon  sagte  (vgl.  oben  Archiv  CXV,  15),  an  eine 
Geschichte  des  Königs  Salomo  erinnert  An  diesen  Scharfsinns- 
proben fanden  die  Inder  selbst^  und  auch  andere  Völker  grolses 
Wohlgefallen,  sie  wiederholten  sie  oft  im  Rahmen  der  Heykar- 
geschichte. ^ 

In  einem  durch  ganz  Europa  und  weiter  verbreiteten  Märchen 
von  der  klugen  Dirne  —  auTser  der  deutschen  zählt  Reinhold 
Köhler^  russische,  litauische,  wendische,  italienische,  französische, 
englische,  finnische,  nordische  und  auch  tatarische  Fassungen  her, 
die  älteste  abendländische  hat  wieder  das  Altnordische,  die  Rag- 
nar  Lodbröksaga  —  erscheint  die  Forderung,  ein  Mädchen  solle 
kommen:  nicht  gekleidet  und  nicht  nackt,  nicht  geritten,  nicht 
gefahren,  nicht  im  Weg  und  nicht  aufser  dem  Weg  (Grimm, 
KHM  94)  (weder  bekleidet,  noch  unbekleidet,  weder  gespeist, 
noch  nüchtern,  nicht  allein,  und  doch  soll  kein  Mensch  sie  be- 
gleiten, Ragnar  Lodbröksaga).  In  den  verschiedenen  Versionen 
fehlt  bald  die  eine,  bald  die  andere  Forderung,  es  treten  auch 
an  Stelle  der  fortgefallenen  neue,  aber  die  Entstellungen  und  Zu- 
sätze sind  unwesentlich.  Die  Forderung  klingt  uns  so  seltsam 
ersonnen  und  ausgeklügelt,  dafs  wir  auf  Indien  als  auf  ihre  Hei- 
mat raten,  und  sie  findet  sich  dort  auch  in  einer  Geschichte 
buddhistischen  Ursprungs.'^  Ein  König  will  Reis,  nicht  zerstofsen 
mit  einem  Stöiisel,  aber  nicht  unzerstofsen,  gekocht  nicht  im 
Hause  und  nicht  aufser  dem  Hause,  nicht  mit  Feuer  und  nicht 
ohne  Feuer,  er  soll  geschickt  werden  nicht  im  Weg  und  nicht 
aufser  dem  Weg,  nicht  am  Tag,  aber  auch  nicht  im 
Dunkeln,®  nicht  von  einer  Frau,  aber  auch  nicht  von  einem 

'  Vgl.  oben  Arekiv  CXV,  13.    Chauvin  VI,  36  f.;  41  f. 

'  Benfey,  Kleinere  Schriften  III,  172  f.  (Dsanglun,  cap.  23).  —  Ral- 
ston, Tibetan  Take  110  f. 

'  Benfey,  a.  a.  O.  181,  nennt  u.  a.  eine  walachische  und  eine  un- 
garische Fassung. 

«  KJMnere  Schriften  I,  445  f.;  III,  514.  Wossidlo,  Mecklenburg,  Volks- 
Überlieferungen  I,  328. 

^  Kaiston,  libetan  Tales  138. 

^'  So  auch  in  verschiedenen  deutschen  und  wendischen  Fassungen, 
Köhler  448. 


10  Zur  Entstehung  des  Märchens. 

Mann,  der  nicht  beritten^  aber  der  auch  nicht  geht 
Die  Kerne  des  Reises  werden  nun  mit  Nägeln  soi^am  heraus- 
geschälty  auf  der  Schwelle  des  Hauses  und  in  der  Sonne  gekocht, 
der  Menschy  der  ihn  tragt,  geht  mit  emem  Fufs  auf,  mit  dem 
anderen  an  der  Seite  des  Weges,  der  Topf,  in  dem  der  Reis  ist, 
wird  mit  einem  dünnen  Tuen  bedeckt,  so  dafs  ihn  die  Sonne 
nicht  bescheint,  der  Träger  hat  einen  Fufs  beschuht  und  einen 
unbeschuht  und  ist  ein  Hermaphrodit^ 

Dafs  die  europäischen  Märchen  aus  diesem  oder  einem  ähn- 
lichen indischen  Märchen  schöpften,  dürfen  wir  um  so  unbedenk- 
licher annehmen,  weil  auch  andere  Motive  aus  der  klugen  Dirne 
im  Buddhistischen  erscheinen.  U.  a.  wird  dort  von  einem  Mann 
verlangt,  er  solle  Butter  von  Ochsen  bringen.  Als  Antwort 
schickt  er  einen  Mann^  der  sich  in  Schmerzen  windet,  weil  er 
die  Wehen  habe,  und  als  der  Eöni^  bei  dessen  Anblick  ausruft: 
'Das  ist  unmöglich  r  wird  ihm  erwidert:  'Es  ist  ebenso  unmöglich 
wie  dals  Ochsen  Butter  geben/  Eine  andere  Zumutung  ist: 
Stricke,  aus  Sand  gedreht  Und  die  Antwort:  man  wolle  eine 
Probe  dieses  Stoffes  sehen^  dann  würde  man  hundert  Ellen  lange 
Stricke  daraus  herstellen.'  Dem  entspricht  im  Abendländischen: 
ein  König  spricht  ein  Füllen  nicht  dem  Eagentümer,  sondern  dem 
Eigentümer  zweier  Ochsen  zu,  zwischen  die  es  sich  gelegt  Der 
ISgentümer  des  Füllens  fischt  nun  auf  dem  trockenen  Land  und 
sagt:  Ebenso  sut  wie  ich  im  Trockenen  fischen,  ebenso  gut  kann 
ein  Ochse  Füllen  werfen.  Und:  aus  zwei  Bündel  Leinen  sollen 
S^el  und  Taue  und  alles  Nötige  für  ein  Schiff  hergestellt  werden. 
Als  Antwort  schickt  man  ein  Stückchen  Holz^  daraus  solle  man 
Rocken,  Spindel,  Webstuhl  schnitzen.  Wenn  im  abendländischen 
Märchen  die  Tochter  die  Kluge  ist^  die  dem  ratlosen  Vater  die 
Lösungen  sagt^  so  hat  das  auch  seine  Analogie  in  manchem  in- 
dischen Märchen.^ 

Der  Zauberer  in  seiner  Ekstase  schickt  seine  Seele  in  den 
Himmel.  Dabei  geben  ihm  die  Stammesgenossen  Fragen  mit, 
die  ihm  der  Gott  im  Himmel  beantworten  soll.  Das  war,  wie 
wir  erfuhren  (oben  Archiv  CXIV,  2),  Brauch  bei  primitiven  Völ- 


^  Benfev  erinnert  (214)  an  die  Sage  von  Indra  und  Vrtra:  der  sollte 
setötet  werden  nicht  durch  Trockenes  und  nicht  durch  Feuchtes,  nicht 
durch  Steine  und  nicht  durch  Holz,  nicht  durch  Geschofs  und  nicht  durch 
Messer,  und  nicht  bei  Tag  und  nicht  bei  Nacht:  Indra  bringt  ihn  in  der 
Dämmerung  durch  Schlamm  um.  —  Und  B.  erinnert  auch  (216)  an  das 
folgende  griechische  Rätsel  {Anthologia  PalcUina  Appendix  107):  Es  gibt 
ein  Rätsel,  dafs  ein  Mann,  der  nicht  ein  Mann  (Eunuch),  der  sah  und 
nicht  sah  (er  schielte)  einen  Vogel,  der  nicht  Vogel  (Fledermaus),  der  auf 
einem  Holz  sais,  das  kein  Holz  (Dolde),  mit  einem  Stein,  der  kein  Stein 
(Bimstein),  warf  und  doch  nicht  warf  (er  traf  vorbei). 

•^  Chauvin  VI,  40  Anm.  2. 

^  Z.  B.  Oukaaaptati,  t,  s,  5  f.,  t,  o.  5  f. 


Zur  Entstehung  des  MSrchens.  11 

kern,  und  dieser  Brauch  lebte  zudeich  als  Märchen  fort  Dem 
Inder  war  dies  Märchen  auch  bekannt,  bei  seiner  Vorliebe  für 
Scharfsinnsproben  verwandelte  er  aber  die  Reise  in  den  Himmel 
in  eine  Reise  zu  einem  weisen  König  oder  Richter,  und  zugleich 
häufte  er  nach  seiner  Art  die  dem  Reisenden  mitgegebenen 
Fragen.  Äufserdem  kontaminierte  er  das  Märchen  mit  einem 
anderen :  ein  vom  Unglück  Verfolgter  hat  auf  einer  Reise  Unheil 
angerichtet,  ohne  dafs  er  Schuld  auf  sich  lud.  Er  wird  von 
denen  verklagt,  die  er  schädigte,  und  der  weise  König,  der 
schon  auf  jc^e  Frage  die  Antwort  wufste,  pariert  nun  noch 
jede  Anklage  durch  eine  Entscheidung,  die  durchaus  gerecht 
scheint,  die  aber,  in  die  Tat  umgesetzt,  die  Ankläger  noch  viel 
stärker  schädigen  würde,  als  sie  ohnehin  geschädigt  sind,  so  dafs 
sie  sich  lieber  bei  ihrem  ersten  Verlust  beruhigen.  Durch  diese 
Entscheidung  zeigt  der  König  dann  auch,  dafs  der  Mensch  nicht 
das  Schicksal  und  den  unseligen  Zufall  anklagen  soll,  wenn  er  sich 
nicht  in  die  unseligsten  Widerwärtigkeiten  verfangen  will.  Dies 
kontaminierte  Märchen,  in  dem  nunmehr  die  Klugheit  des  Königs 
ins  Überirdische  wächst,  erzählten  sich  schon  die  Buddhisten,^ 
aufserhalb  Indiens  lebten  die  klugen  Entscheidungen  des 
Richters  als  eigenes  Märchen  fort.  Ich  nenne  von  diesen  indischen 
Entscheidungen  zwei:  ein  Armer  hat  von  Reichen  Ochsen  entliehen, 
er  bringt  sie  zurück,  findet  die  Besitzer  aber  beim  Nachtmahl 
und  wUl  sie  nicht  durch  seine  Meldung  stören.  Untemachts 
laufen  die  Ochsen  davon.  Die  Entscheidung  lautet:  der  Ent- 
leiher soll  Bufse  zahlen,  dem  Besitzer  aber  die  Augen  ausgestochen 
werden,  weil  er  nicht  besser  aufpafste.  Unterwegs  will  der  Be- 
klagte essen,  die  Frau  des  Hauses,  in  das  er  eintritt,  holt  ihm 
etwas,  fällt  auf  der  Treppe  hin  und  erleidet  eine  Frühgeburt. 
Die  Entscheidung:  der  Übeltäter  soll  der  Frau  ein  neues  Kind 
machen.  Und  so  geht  es  fort,  teils  in  guter  Steigerung,  indem 
der  Verzweifelte  sich  einen  Abhang  herunterstürzt,  dabei  aber 
auf  jemand  anders  fällt,  diesen  tötet,  selbst  aber  leben  bleibt. 
Diese  Entscheidungen  nun  haben  sich  in  den  vielen  aufser- 
indischen  Varianten  '^  sehr  wenig  geändert.  —  Das  andere  Märchen 
aber  von  den  Fragen  blieb  im  Abendländischen  eine  Himmels- 
oder Höllenreise  und  nahm  auch  deren  bezeichnende  Motive  zu 
sich:  dafs  ein  neidischer  König  den  Helden  verderben  will,  den 
er  in  die  Hölle  schickt,  dafs  der  Held  aber  wundersam  behütet 
wird  und  der  König  in  die  Schlingen  fällt,  die  er  anderen  legte.  ^ 
In  diesen  abendländischen  Rahmen  aber  kam  nun  ein  Bild  in- 
discher Herkunft.    Der  Hauptinhalt  dieses  Reisemärchens   näm- 

*  Jataka  257.      Benfey,  PanUehatantra  l,  394  f.     Ralston ,   Tibetan 
Tales  29. 

»  Aufgezählt  bei  Benfey  a.  a.  0.    R.  Köhler  I,  578 ;  II,  580. 
3  Vgl.  oben  Archiv  CXV,  5  Anm.  2. 


12  Zur  Ent8tehuDg  des  Marchene. 

lichy  die  Fragen,  wurde  im  Äbendl&ndischen  aus  dem  Indischen 
herubergenommen,  denn  dort  waren  sie  so  märchenhaft  und  selt- 
sam, dals  durch  ihre  Einfügung  das  alte  Märchen  einen  neuen 
anziehenden  Reiz  erhielt^ 

Die  Fragen  sind  unter  anderen  etwa  im  Indischen:  ein 
Wasser  war  früher  klar  und  jetzt  trübe.  Warum?  Antwort: 
Schlangen  streiten  sich  darin.  Bei  Grimm:  ein  Marktbrunnen, 
aus  dem  früher  Wein  quoll,  ist  versiegt,  und  es  will  nicht  einmal 
Wasser  daraus  quellen.  Antwort:  eine  Kröte  (Schlange)  sitzt 
unter  einem  Stein  im  Brunnen.  Und:  die  Früchte  in  einem 
Garten  waren  früher  süfs,  jetzt  sind  sie  bitter.  Antwort:  weil 
die  Geistlichen  im  Garten  sich  g^en  ihre  Pflichten  vergehen 
(die  Antwort  ist  offenbar  nicht  ursprünglich,  sondern  buddhistisch). 
Bei  Grimm:  ein  Obstbaum  hat  sonst  goldene  Äpfel  getragen 
und  will  jetzt  nicht  einmal  Laub  treiben.  Woher?  Antwort: 
an  der  Wurzel  nagt  eine  Maus  usw.^ 

Gewifs  war  diese  Herzahlung  schwerfallig  und  langwierig. 
Sie  hat  aber  unsere  Erkenntnis  bereichert  Wir  sahen,  daTs  die 
Inder  hier  und  da  ein  Motiv  anderen  Völkern  entlehnten  und 
zu  ihrem  Reichtum  legten.  Wir  sahen  auch,  dafs  der  Rdchtum 
der  Inder  an  Geschichten  dieser  Art  —  wir  teilten  ja  nur  die 
Proben  mit,  die  aufserindisch  ihre  Parallelen  haben,  und  das  sind 
sehr  wenige  —  den  anderer  Völker  weit  übertrifil,  diese  nahmen 
nur  wenige  Münzen  aus  dem  grolsen  indischen  Goldschatz. 
Gerade  die  indischen  Entscheidungen,  Forderungen,  Einfälle  waren 
die  anziehendsten,  in  ihrem  Scharfsinn  unüberbietbar:  daher  ihre 
Ijcbens-  und  Verbreitungskraft.  Dabei  läfst  sich  hier  und  da 
beobachten  —  ich  erinnere  nur  an  das  Eontaminationsmärchen 
und  auch  an  die  Proben  aus  der  klugen  Dirne  — ,  dafs  die  Inder 
an  diesen  Scharfsinnsproben  allzu  lebhafte  Freude  hatten.  Sie 
häuften  sie  nämlich  hier  und  da  nur  um  des  Haufens  willen  und 
vernachlässigten  dabei  Aufbau  und  Komposition  der  Geschichten, 
in  dem  sie  doch  sonst  Meister  blieben. 

V.  Menschen  mit  wunderbaren  Eigenschaften 
und  Verwandtes.  Von  einem  Ungeheuer,  einem  Riesen  oder 
Drachen,  der  eine  Jungfrau  raubt  oder  bewacht,  melden  uns  viele 
Sagen  und  Märchen.  Sehr  oft  schildern  sie  bei  diesen  und  bei 
verwandten  Anlässen  die  Sehnsucht,  die  halbgöttliche  Wesen  nach 
den  Töchtern  der  Menschen  verspüren,  die  sie  dann  mit  List 
oder  Gewalt  in  ihren  Besitz  bringen  wollen. 

Dies  Motiv   wurde  in  Indien   nach  zwei  Seiten,  durch   eine 

*  Genaueres  über  Verbreitung  und  Varianten  des  MärchenB  bei  Ernst 
Kuhn,  Byxantin.  Zeitschrift  IV,  241.  Dazu  Chauvin  VIII,  146;  Oosquin, 
Revue  des  questions  histortques  73,  5  ff. ;  74,  207  ff. 

^  Vgl.  auch  Ton  der  Leyen,  Märchen  in  Edda  15  ff. 


Zur  Entstehung  des  Märchens.  18 

Vor-  und  durch  eine  Nachgeschichte^  erweitert.  Eine  Jungfrau 
soll  verheiratet  werden:  Mutter^  Bruder  und  Vater  suchen  ihr 
jeder  einen  Freier^  und  jeder  beg^net  einem^  der  eine  ungewöhn- 
liche Kunstfertigkeit  oder  einen  Gegenstand  mit  wunderbaren 
Eigenschaften  besitzt  Jeder  verspricht  ihm  das  Mädchen,  und 
als  die  drei  Freier  erscheinen,  an  einem  Tage,  ist  die  Entschei- 
dung kaum  zu  treffen.  Da  befreit  der  Drache  die  Menschen  aus 
ihrer  Unschlnssigkeit:  er  raubt  die  Jungfrau.  Nun  können  die 
Freier  ihre  Kunstfertigkeiten  wirklich  beweisen:  der  erste,  der 
alles  weifs,  ermittelt  den  Ort,  an  dem  der  Drache  die  Jungfrau 
verbirgt,  der  zweite,  der  einen  Wagen  hat,  der  durch  die  Lüfte 
fährt,  bringt  sie  alle  an  diesen  Ort,  der  dritte,  der  ein  treffliches 
Schwert  besitzt,  erschlägt  den  Drachen.  Sie  drei  bringen  die 
Jungfrau  zurück,  und  der  Streit  um  sie  beginnt  von  neuem.* 

Das  Hauptmotiv,  die  Entführung  durch  den  Drachen,  ist  bei 
diesem  Märchen  äufserlich  in  der  Mitte  geblieben  —  man  möchte 
aber  sagen,  es  ist  eine  Art  Puffermotiv  geworden  und  wird  durch 
indisches  Raffinement  von  beiden  Seiten  ganz  zerdrückt.  Die 
Jungfrau  hat  nicht  einen,  sie  hat  drei  Bewerber;  jeder  dieser 
Bewerber  hat  die  gleichen  Ansprüche,  sie  streiten  sich  um  ihren 
Besitz,  und  der  Streit  wird  verdoppelt:  gerade  in  dem  Moment, 
in  dem  er  ausbricht,  entführt  der  Drache  die  Jungfrau.  So  er- 
höht sich  die  Spannung,  und  die  zweite  Entscheidung  erschwert 
sich  noch  dadurch,  dais  die  Bewerber  ihrer  Fertigkeiten  und  Be- 
sitztümer sich  nicht  nur  rühmen,  dal's  sie  deren  Wert  vielmehr 
bewiesen.  Ahnlich  wie  bei  der  'hölzernen  Jungfrau'  hört  das 
Märchen  nicht  auf,  wie  die  Jungfrau  gerettet  ist:  im  Gegenteil, 
dann  gerade  kommt  der  Konflikt  auf  seinen  Höhepunkt. 

Dies  Märchen  kennt  nun  wieder  die  ganze  Welt.^  Sein 
erster  Teil,  die  erste  Werbung  um  die  Jungfrau,  wurde  in  den 
aufserindischen  Fassungen  vergessen.  Das  Folgende:  die  ver- 
schiedenen Gaben  der  Bewerber,  ihre  Reise  zum  Drachen,  der  Streit 
um  die  Jungfrau,  prägte  sich  dem  Gedächtnis  um  so  tiefer  ein.  Die 
Zahl  der  Bewerber  und  die  Art  der  Begabung  wechselte  vielfach. 

Während  die  aufserindischen  Völker  sonst  die  Motive  selbst 
oder  ihre  Komplikationen  behielten,  die  indischen  Pointen  ver- 
gafsen,  blieb  dies  Märchen  eigentlich  nur  wegen  seiner  Schlufs- 
frage  am  Leben.  Diese  interessierte  die  Völker  immer  von 
neuem,  sie  suchten  nach  immer  neuen  Lösungen  und  konnten 
sich  in  der  Schilderung  des  Streites  nicht  genug  tun.  Das  Mär- 
chen erscheint  in  der  Mongolei,  in  Rufsland,  in  rolen,  im  jüdisch 
Deutschen,  in  Böhmen,  in  Frankreich,  Italien,  Deutschland,  Däne- 

*  Vetälapafic  5.    Vgl.  v.  der  Leyen,  Ind,  Märchen  49,  142. 

«  Vgl.  Benfey,  Kleinere  Schriften  III,  94  f.  —  ß.  Köhler  I,  298.  488. 
—  Oben  Archiv  CXIV,  17,  Anm.  3.  —  Chauvin  VII,  124;  VIII,  76.  — 
Die  Gaben  der  Bewerber  geraten  oft  ins  Groteske,  vgl.  Grimm,  KHM  71. 


14  Zur  Entstehung  des  Märchens. 

mark  usw.  £^  ist  ein  beredtes  Zeugnis,  dafs  ein  Gebildei  wie  es 
sich  nur  die  Inder  ersinnen  konnten,  auf  der  ganzen  Welt  die 
Erzähler  anzog  und  zu  immer  neuer  Wiedergabe  reizte. 

Bei  dieser  Gelegenheit  komme  ich  noch  einmal  auf  ein  Mär- 
chen zurück;  das  auch  verwegene  Geschicklichkeit  rühmt,  auf  das 
Märchen  vom  Meisterdieb,  d.  h.  auf  seine  indische  Fassung.  Am 
ausführlichsten  und  hübschesten  erzählt  sie  eine  Märchensammlung 
aus  Tibet.^  Die  Diebe  sind  darin  nicht  Vater  und  Sohn,  son- 
dern Meister  und  Lehrling.  Der  Lehrling  entschliefst  sich  zum 
Stehlen  erst,  als  er  sieht,  aals  sein  Meister,  ein  Weber,  zu  seinem 
Wohlstand  nicht  durch  sein  Handwerk,  sondern  durch  die  Die- 
berei kommt.  Der  Lehrling  zeigt  durch  zwei  Proben  sofort  seine 
Überlegenheit  über  den  Meister  im  Stehlen.  Dann  werden  beide, 
als  sie  in  einem  Hause  durch  das  Loch,  das  sie  dareingeschlagen, 
kräftig  Diebereien  üben,  entdeckt;  der  Lehrling  haut  dem  Mei- 
ster den  Kopf  ab  und  zieht  damit  fort,  den  Rumpf  läTst  er  zurück. 
Er  weifs  aber,  dafs  er  dem  verstorbenen  Meister  und  Onkel  nodi 
die  religiösen  Pflichten  zu  erfüllen  hat  So  gebärdet  er  sich  als 
Verrückter  und  umarmt  den  kopflosen  ausgestellten  Leichnam, 
er  erscheint  dann  als  Fuhrmann,  schirrt  die  Ochsen  seines  Wagens 
ab,  steckt  dessen  Holzladung  an  und  verbrennt  die  Leiche;  ver- 
kleidet sich  als  Brahmane,  bittet  um  milde  Gaben  und  bringt 
Opferkuchen  auf  den  Begräbnisplatz,  verkleidet  sich  nochmals  in 
einen  Siwaverehrer,  sammelt  Knochen  und  Asche  und  trägt  sie 
in  den  Ganges.  Allen  Vorschriften  der  Religion  ist  so  genügt: 
immer  vor  den  Soldaten,  die  am  Platze  Wache  halten,  die  ganzen 
Vorgänge  mit  ansehen  und  sich  jedesmal  zu  spät  darauf  besin- 
nen, wer  der  Fromme  eigentlich  war,  und  jedesmal  dem  König 
ihre  verspätete  Entdeckung  viel  zu  spät  melden. 

Nun  will  der  König  den  verwegenen  Schlaukopf  fangen  und 
bringt  seine  Tochter  in  einen  Garten,  der  an  einer  Bucht  des 
Ganges  liegt.  Sowie  sie  berührt  werde,  solle  sie  schreien.  Der 
Dieb  verkleidet  sich  nun  als  Wasserträger,  läfst  sich  mit  grofser 
Geduld  von  der  Verdacht  schöpfenden  Wache  den  Krug  drei- 
mal zerschlagen  und  kommt  immer  von  neuem :  als  man  ihn  nun 
wirklich  für  einen  Wasserträger  hält,  schwimmt  er  rasch  über 
den  Strom,  bedroht  die  Königstochter  mit  dem  Tode,  wenn  sie 
einen  Laut  von  sich  gebe,  beschläft  sie  und  verläfst  sie. 

Dem  König  hilft  alles  Zürnen  nichts.  Nach  neun  Monaten 
bekommt  seine  Tochter  ein  Kind.  Der  Dieb,  als  Höfling  ver- 
kleidet, schleicht  sich  kurz  nachher  in  des  Königs  Palast,  und 
bei  seiner  Rückkehr  befiehlt  er,  das  Kaufmanns  viertel  zu  plün- 
dern, der  König  habe  das  gewollt.    "Es  gibt  einen  grofsen  Auf- 

*  Vgl.  auch  Somadeva  X,  64.   —   Ralston,    IHbetan   Talea  87,   dazu 
Schiefner  37.  44.    Ralston,  p.  XLVII.    Chauvin  VIII,  186. 


Zur  Entstehung  des  Märchens.  15 

rühr.  Nun  läfst  der  König  alle  Untertanen  kommen^  sich  in 
einen  grofsen  Kreis  aufstellen^  und  das  Kind,  mit  einer  Girlande, 
geht  auf  den  Dieb  zu  und  nennt  ihn  den  Vater.  Er  erhält  die 
Königstochter  und  die  Hälfte  des  Reiches. 

Diese  indische  Geschichte  beruht  offenbar  auf  dem  alten 
ägyptischen  Märchen.  Das  Verhältnis  der  Diebe  ist  anders:  der 
zweite  wird  erst  Dieb  und  übertrifil  dann  gleich  den  ersten;  auch 
die  Erbauung  des  Schatzhauses  ist  vergessen,  und  die  Listen  des 
Diebes  sind  geändert.  Durch  die  Änderung  der  Einzelheiten  er- 
hielt das  Märchen  ein  echt  indisches  Kolorit,  aufserdem  zeigt  diese 
Änderung  alle  uns  wohlbekannten  Eigenheiten  der  indischen  Er- 
zählungskunst. Die  Listen  des  Diebes  sind  gehäuft  und  steigern 
sich  langsam  und  systematisch;  dadurch,  dafs  die  Soldaten  die 
List  jedesmal  zu  spät  merken  und  melden,  und  der  König,  der 
klüger  sein  will,  noch  ärger  als  sie  betrogen  wird,  kommt  eine 
hübsche  Ironie  in  das  Märchen.  Die  Entscheidung  schiebt  der 
Erzähler  hinaus.  Der  Köni^  gibt  dem  Dieb  die  Tochter  nicht 
freiwillig,  sondern  weil  er  ihr  die  Ehre  wiedergeben  mufs.  Ein 
Kind  findet  den  Dieb  heraus,  den  alle  Klugheit  der  f^rwachsenen 
nicht  entdecken  konnte.  Und  die  Listen  des  Diebes  zerfallen  in 
zwei  gleichwertige  Gruppen:  die  einen  hängen  mit  dem  Leich- 
nam, die  anderen  mit  der  Tochter  des  Königs  zusammen.  Uns 
freilich  scheint,  als  sei  das  alte  Märchen  einfacher,  hübscher  und 
lustiger  und  das  indische  gar  zu  indisch. 

Ohne  Einflufs  auf  den  Okzident  blieb  aber  diese  indische 
Form  nicht:  das  Motiv  von  der  Lehrlingszeit  des  Diebes,^  das 
Wiedererkennen  des  Diebes  durch  das  Kind'^  und  des  Aufruhrs 
im  Kaufmannsviertel,^  letztere  beide  unverstanden  und  entstellt, 
erscheinen  auch  im  Abendländischen. 

Die  Inder  schwelgten  ja  in  Geschichten,  in  denen  ein  Schlau- 
kopf oder  eine  schuldige  frau  allen  Gefahren  und  Verlegenheiten 
entrannen.  Wie  ein  amüsanter  Kontrast  zu  solchen  Abenteuern 
mutet  uns  das  Märehen  vom  'Doktor  Allwissend'  an.  Sehr 
hübsch  erzählt  es  wieder  Somadeva.^  Harisarman,  ein  armer 
und  dummer  Tropf,  wird  von  einem  Brahmanen  vernachlässigt, 
zu  einem  Fest  nicht  eingeladen,  auf  das  er  eingeladen  sein  wollte. 
Damit  er  doch  seinen  Trost  habe,  befiehlt  er  seiner  Frau,  ihn 
als  Schlaukopf  zu  preisen,  und  stiehlt  dann  das  Pferd  jenes 
Brahmanen.  Als  der  danach  sucht,  verrät  er  ihm,  wo  es  ist:  er 
wisse  das  durch  seine  höhere  Einsicht.  Nun  werden  des  Königs 
Juwelen  gestohlen,  und   da  er  ja  'alles  weifs^  soll  er  den  Dieb 

*  B.  Köhler  I,  210. 

'  Gälißch  und  französisch  a.  a.  0.  199.  201/2.   Vgl.  auch  Prym  Socin, 
Syrische  Märehm  Nr.  LXII,  S.  170. 
'  GäUBch  a.  a.  O.  199. 

*  VI,  30,  Tawney  I,  272. 


16  Zur  Entstehung  des  Märchens. 

nennen.  In  seiner  Verzweiflung  ruft  er  'Zunge'  und  beschuldigt 
diese  elende  Schwätzerin^  dafs  sie  ihn  zu  solch  sinnloser  Prahlerei 
verführt.  Aber  die  Ma^,  die  die  Juwelen  stahl,  hdfst  wirkli<di 
'Zunge^  sie  lauscht,  erschrickt,  als  sie  genannt  wird,  und  beichteL 
Nun  wird  die  Allwissenheit  des  Glückpinsek  weiter  geprüft:  er 
soll  noch  sagen,  was  in  einem  Krug  verwahrt  ist^  weiis  es  Da- 
turlich wieder  nicht  und  ruft  in  seiner  Verzweiflung  Trosch',  so 
schalt  ihn  nämlich  sein  Vater.  Tatsächlich  aber  war  in  jenem 
Eruge  ein  Frosch  verborgen. 

Dieser  Tölpel  bringt  sich  mutwillig  in  den  Ruf  eines  All- 
wissenden, und  als  der  Ruf  erprobt  wird,  sagt  er  in  seiner  ko- 
mischen Ratlosigkeit  und  Verzweiflung  gleich  zweimal  hinterein- 
ander das  Richtige.  Das  ist  eine  ganz  reizende  Idee  und  ist 
erzählt,  wie  es  nur  die  Inder  erzählen  können:  dafs  wir  uns  an 
der  tödlichen  Verlegenheit  dieses  Prahlers  schadenfroh  weiden 
und  zum  Schlufs  doch  die  Düpierten  sind,  weil  seine  Dummheit 
recht  behält    In  Indien,  wo  betrügerische  Wahrsagekunst,  Eur- 

Cfuscherei,  gefälschte  Oottesurteile  ^  in   echt  indischer   Massen- 
aftigkeit  verfertigt  und   wiedergegeben   wurden,  hatte  man   an 
diesem  Schwank  gewifs  seine  besondere  Freude.^ 

Den  Reiz  der  Geschichte  empfanden  aufserdem  sehr  viele 
Völker,    die   sie   einander    immer   von   neuem   erzählten.     Der 

'  Man  denke  an  das  berühmteste,  das  in  Tristan  und  Isolde  erzählte, 
das  auch  von  Indien  kam;  Wilhelm  Hertz,  Tristan  tmd  Isolde^  546  f.  — 
Oldenberg,  Die  Literatur  des  alten  Indien  121. 

^  Verwandt  im  Wesen  mit  dem  'Doktor  Allwissend'  ist  das  'tapfere 
Schneiderlein',  Grimm  KHM  20.  Die  Motive  darin,  daüs  es  vor  einem 
Biesen  prahlt  und  diesem  dummen  Biesen  seine  Stärke  glauben  macht, 
besieg  und  überlistet,  sind  in  Kormanischen  Landern  seit  langen  Z^ten 
heimisch;  vgl.  von  der  Leven,  Märchen  in  Edda  40  f.,  46  f.  Die  Motive 
aber,  dafs  das  Menschlein  Heldentaten  verrichten  soll,  voll  tödlicher  Angst 
auf  seine  Fahrten  auszieht  und  infolge  seltsamer  Zufälle  wirklich  Biesen 
und  Ungeheuer  tötet,  sehen  indisch  aus  und  finden  sich  auch  in  indischen 
Märchen  Sammlungen.  Im  Jätaka  186  klettert  ein  Mensch  auf  einen  Baum, 
wirft  einem  Eber  Zweiglein  auf  den  Kopf,  so  dafs  der  erwacht,  und  als 
er  merkt,  daüs  der  Mensch  auf  dem  Baum  ihn  aufserdem  bestohlen  und 
nun  noch  auslacht,  rennt  er  voll  Wut  gegen  den  Baum  und  stöfst  sich  tot 
(ganz  ähnlich  tötet  sich  das  Einhorn  in  dem  Märchen  Grimms).  Bd  Jülg, 
Mongolische  Märchen  28,  ^eht  ein  Pferd  mit  solchem  Tapferen  durch,  er 
hält  sich  an  einem  Baum  fest,  der  fällt  um  und  erschlag  viele  Feinde,  die 
anderen  fliehen.  Derselbe  soll  einen  Fuchs  töten,  er  nat  seinen  Bogen 
dagelassen,  den  durchnagte  der  Fuchs  und  wurde  dabei  getötet:  der  Bogen 
schnellte  nach  durchbissener  Sehne  zurück  und  erschlug  ihn.  Drittens 
8oli  er  Dämonen  besiegen;  er  lälst  ihnen  sieben  weifse  Brote  zurück,  die 
man  ihm  mitgab,  während  er  von  sieben  schwarzen  eins  verzehrte:  er 
wird  betäubt.  Die  Dämonen  fallen  über  die  weifsen  her  und  veigiften 
sich.  —  Literatur  etwa  bei  Clous  ton.  Populär  Tales  and  FicHons  1, 133. 
—  R.  Köhler  zu  Qonzenbach  41.  Z.  des  V.  f,  Volksk.  6,  76.  B.  Köhler 
I,  5Ü5  (zu  Schiefners  Awarischen  Texten  11,  die  Erzählung  ist  der  mon- 
golischen recht  ähnlich).  Cosquin  I,  96  f.  (mit  modernen  indischen  Pa- 
rallelen). 


Zur  Entstehung  deg  Mfirchens.  17 

^Doktor  Allwisseod'  ist  fast  in  jeder  MarcheDsammluDg  enthalten. 
Dabei  überrascht  uns,  wie  treu  die  Erinnerimg  an  das  indische 
Original  blieb:  der  Zuruf  des  Unglücklichen  zu  sich;  ^osch' 
oder  (Krebs'  etc.;  blieb  in  allen  Versionen.^ 

VI.  Zeichensprache  und  Tiersprache.  Bei  primi- 
tiven Völkern  ersetzen  oft  sinnbildliche  Mitteilungen  und  Bot- 
schaften höchst  anschaulich  und  wirkungsvoll  die  Sprache.  Ein 
N^er  erhielt  von  einem  anderen  als  Botschaft  einen  Stein,  ein 
Stück  Kohle,  eine  Pfefferbüchse,  ein  gedörrtes  Getreidekora  und 
Lumpen,  in  Bündeln  zusammengebunden.  Das  bedeutete:  ich 
bin  stark  und  fest  wie  ein  Stein,  meine  Aussicht  in  die  Zukunft 
ist  schwarz  wie  eine  Kohle,  ich  bin  so  voll  Angst,  dals  meine 
Haut  wie  Pfeffer  brennt  und  Korn  auf  ihr  gedörrt  werden  könnte, 
meine  Kleidung  ist  ein  Lumpen.^  —  Ein  Maiskolben,  eine  Hühner- 
feder und  ein  Pfeil  an  einem  Baumast  am  Wege,  den  der  Feind 
kommen  mufs,  aufgehängt,  bedeuten  die  KÄgserklärung  der 
Niam  Niam.  Diese  Symbole  erklären  sich  f olgendermaTsen :  lafst 
ihr  euch^s  einfallen,  auch  nur  einen  Maiskolben  zu  knicken  und 
ein  Huhn  zu  greifen,  so  werdet  ihr  durch  diesen  Pfeil  sterben.^ 

Mit  diesen  Mitteilungen  vergleiche  man  die  von  Herodot 
(IV,  131.  32)  erzählte  Botschaft  der  Skj^en  an  Darius.  Sie 
sandten  dem  Perserkönig  einen  Herold  mit  Vogel,  Maus,  Frosch 
und  fünf  Pfeilen.  Sie  sollten  das  selber  deuten.  Darius  inter- 
pretierte: die  Skythen  unterwerfen  sich  selbst  (denn  die  Pfeile, 
ihre  wehrhafte  Stärke,  das  sind  sie),  sie  unterwerfen  ihre  Pferde 
(der  Vogel  bedeute  die  Pferde),  ihr  Land  (die  Maus  bedeute  das 
Land),  ihr  Wasser  (der  Frosch  bedeute  das  Wasser).  Die  Sky- 
then aber  wollten  sagen:  Wenn  Ihr  auch  gleich  den  Vö^ln  in 
die  Lüfte  fliegt,  wie  die  Mäuse  in  die  E^e  Euch  verkriecht, 
wie  die  Frösche  in  den  Sümpfen  verschwindet,  unseren  Pfeilen 
entgeht  Ihr  nicht.  Die  Botschaft  ist  denen  der  Naturvölker  über- 
rasdiend  ähnlich,  mit  der  einen  Steigerung,  dals  sie  nicht  einmal, 
sondern  doppelt,  zuerst  falsch,  dann  zutreffend  geschildert  wird.^ 

Verwandt  mit  dieser  Zeichensprache  ist  die  Oebärdensprache 

>  Benfey,  Orient  und  Okxddeni  III,  184.  R.  Köhler,  Kleinere  Schriften 
l,  39  f.  Cosauin  11,  187  f.;  mit  einer  kamaonischen  Fassung,  die  in 
manchem  nocn  ursprOnglicher  als  die  bei  Somadeva.  Zachariae,  Zeiteehr. 
des  Vereins  f,  Volkshinde  15  (1905),  873,  mit  sehr  wichtig  Bemerkungen 
zur  Geschiente  und  Verbreitung  dieses  Märchens  und  seiner  Motive. 

'  Waitz,  Anthropologie  der  Nttturvölker  II,  247 :  zitiert  bei  Burdach, 
Zs,  f.  d.  A.  27,  351. 

'  Andröe  I,  191. 

^  Ganz  ähnliche  Botschaften  mit  doppelter  Deutung  im  Alexander- 
roman, ygl.  R.  Köhler  11,^492,  und  im  mdischen  Epos  Harivamsa;  vgl. 
femer  Ottmann  in  seiner  Ülxursetzung  Lampreehts  Aiexander  (Halle  1898), 
zu  1438  f. 

Aichiy  t  n.  Spmchen.    CXVI.  2 


18  Zur  EntBtehnng  des  MftrchenB. 

durch  Finger,  auf  ihr  beruht  ein  besonders  im  Mittelalter  gern 
vorgetragener  Schwank,  der  aulserdem  die  Spitzfindigkeit  ond 
die  gewaltsamen  Deutungen  der  gelehrten  Theologen  verspotten 
sollte.  Die  einzelnen  Motive  in  dem  Schwank  variieren,'  zwei 
davon  kehren  eigentlich  immer  wieder,  und  aus  ihnen  entsprang 
denn  wohl  auch  das  Ganze.  Zwei  (spater  ein  Laie  und  ein  Theo- 
loge) disputieren  miteinander,  der  eine  steckt  einen  Finger  vor, 
der  andere  zwei;  der  erste  streckt  seme  flache  Hand  hin  und 
der  zweite  seine  Faust.  Die  natürliche  Deutung  ist:  der  zweite 
meinte,  der  andere  wolle  ihm  ein  Auge  ausatmen,  er  drohte, 
ihm  zwei  auszustechen,  dann  meinte  er  mit  einer  Ohrfeige  be- 
droht zu  werden  und  drohte  mit  einem  Faustsohlag.  Die  künst- 
liche Deutung  aber  war:  der  eine  Finger  sollte  b^agen,  es  gibt 
nur  einen  Gott,  die  beiden:  Gott  ist  ein  doppelter,  Gott  Vater 
und  Gott  Sohn.  Die  flache  Hand :  die  Welt  li^  vor  Gott  offen 
wie  eine  flache  Hand;  die  Faust:  er  hält  diese  Welt  fest  um- 
schlossen. Man  hat  geglaubt,  diesen  Schwank  aus  Indien  her- 
leiten zu  sollen,^  das  ist  kaum  nötig:  es  gehörte  keine  unge- 
wöhnliche Kunst  dazu,  ihn  aus  den  beiden  Motiven  der  Finger- 
sprache zu  entwickeb. 

In  Indien  hatten  die  gleichen  Motive  überdies  eine  ganz 
andere,  viel  künstlichere  Entwickelune.  Eine  Prinzessin  spricht 
dort  mit  einem  Minister  durch  die  Fingersprache :  sie  streckt 
den  Finger  einer  Hand  in  die  Höhe  und  fährt  mit  der  anderen 
im  Kreise  herum,  ballt  die  Hand  und  nimmt  sie  wieder  ausem- 
ander,  sie  legt  zwei  Finger  zusammen  und  deutet  nach  ihrem 
Hause.  Der  Minister  versteht  nichts,  seine  Frau  klärt  ihn  auf: 
der  eine  Finger  bedeutet^  bei  meinem  Palast  ist  ein  Baum,  der 
Kreis  um  den  Finger  ist  eine  Mauer  um  den  Baum ;  die  geballte 
und  auseinandergenommene  Hand  heifst:  komm  in  den  Blumen- 
garten; die  zusammengelegten  Finger:  bei  dir  möchte  ich  li^n. 

Im  Indischen  versteht  der  eine  gar  nichts  und  der  andere 
alles  richtig,  und  die  Zeichensprache  verwandelt  sich  in  ein  ge- 
heimes Liebesabenteuer.  Dies  wurde  dann  weiter  ausgebildet 
und  verkünstelt,  in  der  yetalapaucavim9ati:  da  sehen  ein  Kö- 
nigssohn und  sein  Freund,  der  Ministersohn,  eine  Kaufmanns- 
tochter. Sie  legt  einen  Lotos  ans  Ohr,  das  soll  heifsen:  ich 
wohne  in  Kamotpala  ('kama'  das  Ohr,  'utpala'  der  Lotos)  usw., 
ebenso  deutet  sie  ihren  Namen,  auch  den  Stand  ihres  Vaters  an. 
Der  Ministersohn  versteht  alles,  führt  den  Freund  in  ihre  Nähe, 
lälst  sie  das  durch  eine  Alte  wissen,  und  mit  der  spricht  Padma- 
vati  wieder  durch  Zeichensprache  (sie  ohrfeigt  sie  mit  zehn  Fin- 

»  AusführUches  bei  R.  Köhler  a.  a.  0.  479  f. 

■  R.  Köhler  a.  a.  O.  489,  aber  die  Parallele  aus  Somadeva  ist  wenig 
genau. 


Zur  Entstehang  des  Märchens.  19 

gero;  die  sie  sich  vorher  mit  Kampfer  bestrichen,  d.  h.  komme 
nicht  in  den  zehn  hellen  Nächten;  sie  ohrfeigt  sie  dann  mit  drei 
blutigen  Fingern,  er  solle  noch  drei  Tage  warten,  sie  sei  mi- 
wohl;  dann  schickt  sie  die  Alte  auf  einem  bestimmten  Weg 
zurück,  den  geht  dann  der  Eönigssohn). 

Hier  entdeckt  uns  die  Zeichensprache  einen  ganzen  Roman, 
die  Schicksale  eines  Liebespaares  von  dem  ersten  Zusammen- 
treffen bis  zur  glücklichen  Vereinigung,  mit  allen  Listen  und  allem 
Gedulden,  die  dazugehören.  Dies  höchst  kunstvolle  Märchen,  in 
dem  die  ursprünglicnen  Motive  der  Zeichensprache  fast  ganz  ver- 
schwanden, drang  teilweise  zu  den  Persem,  Arabern  und  auch 
nach  EuropaJ 

Im  Abendlande  entstand  also  aus  der  Zeichensprache  ein 
hübscher  Schwank,  in  Indien   ein  kunstvoll  aufgebauter  Roman. 

In  Märchen  und  Sa^e  verstehen  einzelne  Begünstigte  die 
Sprache  der  Tiere.^  Auch  Salomo  verstand  sie.  Einst  zog  er, 
nach  der  spätjüdischen  Sage,  mit  dem  ganzen  Heer  in  das  Tal 
der  Ameisen,  und  eine  von  diesen  rief:  Zieht  Euch  zurück,  sonst 
zertreten  Euch  Salomo  und  sein  Heer.  Salomo  aber  lachte,  als 
er  dies  gehört.^ 

Beide  Züge:  ein  König  versteht  die  Sprache  der  Ameisen 
und  lacht  darüber,  vermitteln  uns  auch  indische  Legenden.  Hinzu- 
gefü^  ist  die  glückliche  Erfindung,  dafs  die  Iran  des  Königs 
ihn  &agt»  warum  er  lachte.  Er  wul  es  nicht  verraten;  sie  sagt, 
wenn  ich  es  nicht  erfahre,  so  sterbe  ich.  Aber  auf  Anraten 
dessen,  der  ihm  die  Gabe  verliehen,  bleibt  er  fest,  und  als  sie 
das  merkt,  läfst  sie  auch  das  Fragen.^ 

Das  Märchen  hatte  nun,  ganz  unvermerkt,  einen  hübschen 
menschlichen  Inhalt  gewonnen:  es  schilderte  Art  und  Neugier 
der  Frauen.  Freilich  blieb  es  noch  immer  etwas  unbeholfen,  ihm 
fehlten  noch  das  rechte  Märchenhafte  und  die  Pointen  und  die 
Kontraste.  Alles  das  erhielt  es  durch  die  spätere  Kunst,  aber 
noch  vor  dem  Buddhismus. 

*  Vgl.  y.  der  Leyen,  Ind.  Märeken  125  f.  Jülg,  Mongol,  Märehen  111  f. 
Cloustoii,  Book  of  Sindibad,  1884,  65.  166.  248.  303.  Eiiling,  Qennanütüeke 
Abhandlungen  XVIII  (Studieo  über  HeiDrich  Kaufringer,  1900),  71  f. 
Chauvin  VI,  178  f.;  VIII,  75,  wo  noch  zitiert  sind:  Bwue  de  trad.  pop, 
14,  405;  Baseet,  Gontes  d'Äfrique  237;  Journal  Asiatiquey  1903,  I,  348. 

*  liebrecht,  Zur  Volkekunde  158.   Marx,  Märehen  v.  dankb.  Tieren  HO. 
^  Targum  Scheni  zu  Esther,  Eisenmenger,  Entdeektes  Judentum  II,  441. 

Qorän,  27,  16--19,  zitiert  Dach  Benfey,  Orient  und  Okxddmt  II,  133  f.  — 
Vgl.  aufserdem  ders.,  Kl,  Schriften  III,  234.  B.  Köhler  II,  610,  Amn.  2 
(Bolte).  —  Jataka  386.  —  Kuhn,  Mark,  Märchen  268. 

^  So  ungefähr  im  Bämäyana.  Legendenhafter  und  langweiliger  noch 
im  Harivamla;  da  sagt  die  Frau,  sie  habe  den  Gemahl  nur  prüfen  wollen. 
Benfey  a.  a.  O.  148.  —  Dies  die  ältesten  Formen,  die  seltsamerweise  die 
späten  Epen  Überliefern ;  das  äulkerlich  viel  ältere  buddhistische  Jätaka  386 
gibt  eine  viel  kompliziertere  Form  mit  verschiedenen  Motiv  Verdoppelungen. 


20  Zur  Ehitstehung  des  MftrchenB. 

Es  wurde  nämlich  erzählt;  woher  der  König  seine  Grabe,  das 
Verstehen  der  Tiersprache,  erhalten :  weil  er  eine  Schlange  ge- 
rettet ^  oder  weil  er  eine  Schlange  von  der  Untreue  ihres  W  eib- 
chens überzeugte.^  Aufserdem  empfing  der  Könis  die  Gabe  nur 
unter  der  Beoingung,  dafs  er  keinem  davon  erzSilen  darf.  Als 
sein  Weib  daher  erklärt^  sie  wolle  sterben,  wenn  sie  nichts  er- 
fahre, steht  er  vor  dem  Konflikt:  entweder  ich  schweige  und 
dann  stirbt  sie,  oder  ich  rede,  dann  sterbe  icL  Drittens  aber 
wurde  das  Anhören  der  Tiersprache  verdoppelt  Als  der  König 
in  seiner  Verzweiflung  dasitzt,  hört  er,  wie  ein  Bock  zu  einem 
weiblichen  Schaf  sagt,  das  Gräser  verlangt,  die  am  Rande  eines 
Brunnens  stehen  und  die  der  Bock  nur  mit  Lebensgefahr  holen 
kann:  Wenn  du  um  dieses  nichtigen  Gelüstes  willen  mein  Leben 
aufs  Spiel  setzest,  so  liebst  du  mich  nicht;  ich  hole  dir  die  Gra- 
ser nicht  Damit  ist  der  König  geheilt^  er  sagt  seiner  Frau  das 
Entsprechende.^  Das  letzte  Motiv  brachten  cRe  Araber  in  Tau- 
send und  Eiiner  Nacht  noch  drastischer.  Hahn  und  Hund  unter- 
halten sich  und  der  Hahn  sagt:  dieser  König  macht  mir  wenig 
Eindruck,  ich  werde  mit  hundert  Frauen  fertig,  ich  verprügele 
sie.    Und  das  Verprügeln  besorgt  dann  auch  der  König.^ 

Nun  war  in  dem  Märchen,  wie  wir  sahen,  der  indische  Kon- 
flikt und  auch  der  indische  Kontrast:  zuerst  verlacht  der  König 
die  Tiere,  und  dann  verlachen  sie  ihn.  Auch  das  Menschliche  in 
der  Geschichte  war  erweitert  zu  einem,  wie  wir  noch  sehen  werden, 
echt  indischen  Rezept,  wie  man  Frauen  zu  behandeln  hat  In 
dieser  Vollendung  fand  das  Märchen  Freunde  bei  vielen  Völkern; 
alle  Änderungen,  die  hineinkamen,  treffen   nichts  Wesentliches.' 

Hier  wira  also,  wie  in  manchen  anderen  Fällen,  ein  einfaches 
Motiv  zu  einer  lebenswahren  Geschichte,  indem  der  Inder  es  mit 
dem  Verhältnis  von  Mann  und  Frau  verflicht,  zugleich  weibliche 
Neugier  und  männliche  Langmut  schildert  und  das  Ganze  dann 
kunstvoll  verdoppelt,  seine  beiden  Teile  aber  in  hübschen  Kon- 
trast gegeneinander  stellt^ 

*  So  im  Jätaka  u.  im  Serbischen,  Wak  Stepbanowitsch  Karadachitach, 
Volksmärehen  der  Serben,  Berlin  1854,  Nr.  3. 

*  Auch  im  Jätaka;  hier  also  die  erste  Motivverdoppelung.  Femer  in 
der  Jainaform  (Munipaticaritram)  und  im  Türkischen  (bei  Rosen,  Ikäi 
Nameh  II,  286). 

'  So  im  Jatakoy  im  Tamuüschen  (Babin^n,  Mise.  Translaiions  I,  56) 
und  TOrkischen,  Benfe^  a.  a.  O.  —  Auch  m  der  Jaina -  Erzählune;  der 
Bock  sagt  dort:  Ich  bm  durch  Geburt  ein  Bock  (d.  i.  Schaf),  der  König 
ist  es  durch  sein  Benehmen.    Benfey,  Kl.  Sehriftm  a.  a.  O. 

*  So  Tattsend  und  Eine  Nacht  und  die  serbische  Form. 

^  In  Ibiisend  und  Einer  Nacht  unterhalten  sich  nicht  Ameisen,  sondern 
Ochse  und  Esel,  die  einander  raten,  wie  sie  mit  dem  Herrn  umgehen 
sollen.    Chauvin  V,  179. 

^  Eine  andere  Form  des  Tiersprachenmotivs  ist  es,  da(s  jemand  die 
Unterhaltung  von  Tieren  oder  Geistern  belauscht,  die  Gefahren  hört,  die 


Zur  Entstehung  des  Mfirchens.  21 

Vn.  Die  dankbaren  Tiere.  Tiere  bewahren  dem^  der 
ihnen  wohl  will  oder  wohltut,  eine  besondere  Anhänglichkeit  und 
Treue.  Das  zeigt  die  Beobachtung  des  taglichen  Lebens,  und 
Geschichten,  die,  vielleicht  auf  wahren  Erlebnissen  beruhend, 
ähnliches  berichten,  reichen  gewifs  in  sehr  alte  Zeiten.  Das 
Griechische  kennt  sehr  viele.  ^  Uns  sind  diese  Geschichten  seit 
unserer  Jugend  lieb;  ich  erinnere  nur  an  die  berühmteste,  an  die 
von  Androklos  und  dem  Löwen. 

Der  Inder  kontrastiert  sofort  die  Dankbarkeit  der  Tiere  mit 
der  Undankbarkeit  der  Menschen.  Ein  Affe  und  ein  Mensch 
sind  auf  einem  Baum,  ein  Tiger  belauert  sie.  Der  Mensch  schlaft 
ein,  der  Affe  beschützt  ihn  und  wirft  ihn  dem  Tiger  trotz  dessen 
Bitten  nicht  hinunter;  als  der  Affe  eingeschlafen  ist  und  der 
Tiger  seine  Bitten  wiederholt,  will  der  Mensch  ihm  den  Affen 
zuwerfen.* 

Neben  dieser  einfachen  Fabel  bestanden  seit  alter  Zeit  kom- 
pliziertere, die  auch  in  buddhistischen  Elreisen  weitergetragen 
wurden.^  Statt  eines  Tieres  erscheinen  drei  und  bezeugen  ihre 
Dankbarkeit  verschieden,  dadurch  wird  der  Verlauf  des  Märchens 
mannigfaltiger  und  der  Kontrast  zur  Undankbarkeit  des  Men- 
schen noch  starker.  Die  Vorgange  folgen  etwa  so:  drei  Tiere 
und  ein  Mensch  werden  von  einem  Menschen  aus  einer  Grube 
gezogen  und  gerettet.  Die  Tiere  erweisen  sich  dankbar.  Der 
Affe  speist  den  Menschen  mit  einer  kostlichen  Frucht;  der  Tiger 
schenkt  ihm  eine  Kette,  die  er  einem  Konigssohn  abnahm.    Als 

einem  Freunde  drohen,  und  sie  abwendet,  wobei  er  sich  selbst  fast  ums 
Leben  bringt.  So  z.  B.  im  Märchen  vom  Typus  des  Amun  Johannes, 
dessen  Hauptmotive,  die  Abwendung  der  Gefahren  und  das  Lebensopfer 
des  Königs  für  den  Diener,  doch  wonl  aufs  Indische  zurückgehen.  Denn 
die  Steigerung  der  Gefahren  ist  echt  indisch  (Somadeya :  er  soll  ein  Hals- 
band finden,  das  soll  ihn  erwürben,  wenn  er  es  anlegt;  er  soll  einen 
Fruchtbaum  sehen,  wenn  er  eine  Frucht  davon  ifst,  soll  er  sterben ;  wenn 
er  das  Haus  des  Schwiegervaters  betritt,  soll  es  über  ihn  einstürzen ;  und 
in  der  Brautkammer  soQ  er  hundertmal  niesen,  wenn  jemand  nicht  hun- 
dertmal Gesundheit  ruft,  so  soll  er  sterben),  und  das  Opfer  (im  Indischen 
in  einer  besonderen  Geschichte,  die  vom  treuen  Viravara  erzählt)  wird 
gerade  im  Indischen  rücksichtslos  verlangt.  Vgl.  Cosquin  I,  XXXVIII. 
—  Beinhold  Köhler,  ÄufacUxe  und  Sehrtften  1894,  S.  24  f.  —  Von  der 
Leven,  Ind.  Märehen  142  f.  —  Auch  das  Märchen  von  dem,  der  Geister 
belauschte,  ein  Wnnschding  nahm,  das  sie  zurficklielsen  (oder  von  wunder- 
baren Kuren  vernahm,  die  er  verrichten  könne),  das  einem  anderen  er- 
zählte, der  auch  zu  den  Geistern  kam  und  von  ihnen  empfindlich  mifs- 
handelt  oder  bestraft  wurde,  erscheint  zuerst  im  Indischen :  Jülg,  Mongol. 
Märchen  S.  8  f.  Chauvin  V,  150  f.  B.  Köhler  I,  510.  281  (bes.  286  mit 
Nachträgen  Boltes).    Cosquin  I,  bes.  90  f.  (zu  Nr.  7). 

^  Marx  a.  a.  O. 

*  Vgl  Weber,  Äd.  I^udien  15,  808  f. 

'  Jataka  178.  —  Cosquin,  Lea  eantes  pojndaires  et  leur  origine.  Der- 
nier  Hai  de  la  gueetion  {Compie  rendu  au  troisüme  eongrh  dee  Catholiqttes, 
5— Ä    Sept,  94),  Paris  1895,  8.  19  f.  —  Benfey,  Pantaehaiantra  1,  193  f. 


22  Zur  Entstehung  des  Märchens. 

er  nuD  mit  dieser  Kette  in  eine  Stadt  kam,  beschuldigt  ihn  der 
gerettete  Mensch,  er  habe  sie  gestohlen.    Man  warf  den    Un- 

Slucklichen  ins  Gefängnis.  Da  erschien  ihm  die  Schlange,  stadi 
ie  Tochter  des  Königs:  nur  der  Gefangene  konnte  sie  heilen. 
Er  wurde  befreit  und  erzahlte  seine  Gesdiichte.  Nun  erhielt  der 
Schuldige,  der  so  treulos  handelte,  wo  doch  sogar  Tiger  und 
Schlange  ihr  Versprechen  hielten,  seine  verdiente  Strafe.  —  Am 
vollendetsten  und  tiefsinnigsten  erzahlt  die  Geschichte  die  Ber- 
liner Handschrift  des  Pantschatantra  (Benfej  ü,  128),  ihren 
Wanderungen  und  Wandlungen  ging  Benfey  nach.  Sie  war  im 
abendländischen  Mittelalter  sehr  berühmt;  ihre  Einzelheiten  wur- 
den wohl  entstellt,  ihr  Wesen  aber:  die  Rettung,  die  märchen- 
haften und  wunderbaren  Gaben,  die  Dankbarkeit  der  Tiere  und 
die  Undankbarkeit  des  Menschen  blieben.  In  Schwaben  und 
Sizilien  lebt  die  Geschichte  als  Volksmärchen.  Auch  die  N^er 
der  Sklavenküste  ^  kennen  sie,  wahrscheinlich  durch  einen  üus- 
sionar.  Statt  der  Schlange  wird  eine  Ratte  gerettet,  diese  stiehlt 
einen  Stein  aus  dem  Schatzhause  des  Königs  und  bereitet  da- 
durch dem  Retter  Ungelegenheiten.  Die  Moral  ist:  'Man  solle 
sich  das  merken  und  nichts  aus  dem  Hause  des  Königs  stehlen.' 
Diese  Moral  scheint  freilich,  wie  Cosquin  meint,  eigens  dazu  er- 
funden, um  zu  beweisen,  dafs  die  Neger  nicht  einmal  eine  Ge- 
schichte auffassen,  geschweige  denn  sie  erzählen  können,  und 
sie  wird  dadurch  zu  einer  indirekten  glänzenden  Bestätigung  für 
die  Ansicht,  dafs  diese  Geschichte  in  Indien  entstanden  sein  mufe, 
was  ja  auch  ihre  märchenhafte  Verwickelung  sofort  direkt  zeigt. 
Das  Motiv  von  der  Dankbarkeit  der  Tiere  entfaltete  sich 
noch  anders:  die  Tiere  zeigten  aufser  ihrer  Dankbarkeit  ihre 
Klugheit  und  verhalfen  dem  Menschen  zu  wertvollen  Besitz- 
tümern, z.  B.  zu  einem  kostbaren  Talisman. 

Solche  Wunschdinge :  Tische,  die  nie  leer  werden,  Tiere,  die 
Gold  speien,  Kappen,  die  unsichtbar  machen,  Schwerter,  die  keinen 
Fehlhieb  tun,  u.  ähnl.  ersinnen  sich,  wie  wir  wissen,  alle  Völker. 
Die  Inder  erfinden  Wunschdinge,  die  nicht  allgemeine,  sondern 
bestimmte  Wünsche  gewähren  und  Fähigkeiten  besitzen,  wie  wir 
schon  aus  dem  Märchen  von  den  kunstreichen  Brüdern  erfahren 
(ein  Wagen,  der  durch  die  Lüfte  fährt;  ein  Schwert,  das  jeden 
erschlägt);  sie  verengerten  ihr  Wirkungsgebiet  und  konnten  sie 
deshalb  häufen  und  steigern.  Der  Inder  zeigte  aber  auch,  wie 
wenig  der  Mensch  die  Wunschdinge  verdient;  gerade  um  ihret- 
willen entsteht  der  ärgste  Betrug,  einer  listet  sie  dem  anderen 
ab,  und  oft  wissen  die  Menschen  nicht,  was  mit  ihnen  beginnen, 
sie  fürchten  von  ihnen  Unheil  und  suchen  sich  ihrer  zu  belreien.^ 

'  Ccsquin,  22,  Journal  asicUique  1,  208. 

*  Ich  gebe  einige  Beispiele.    Das  Märchen  erzählt  hier  und  da  von 
einer  Laute,  nach  der  alles  tanzen  muß  (Köhler  I,  55.  61.  89;  Ccsquin  1,30; 


Zar  Entstehung  dee  Märchens.  28 

Zu  diesen  Wanechdingen  gehört  auch  eb  Talisman  mit  der 
Gabe,  einen  kostbaren  Palast  zu  erbauen,  sowie  der  Stein  schwin- 
dety   so  schwindet   auch  der  Palast.     Diesen   Stein  verschaffen 


Grimm,  KHM  &  56.  110).  Im  Indischen  (Ralston.  TibeUm  Takt  229  f.) 
darf  man  nur  die  oberste  Seite  dieser  Laute  nicnt  berfihren.  Als  das 
Verbot  doch  übertreten  wird,  fangen  Bäume  und  Sträucher  an,  sich  zu 
drehen;  beim  zweiten  Male  stellt  ein  Haus  sich  auf  den  Kopf,  und  das 
Gkfichirr  geht  in  tausend  Scherben ;  beim  dritten  Male  kentert  das  Schiff, 
auf  dem  die  Laute  gespielt  wird,  und  alle  ertrinken.  Man  erkennt  als 
Indisch  die  Ausmalung  ms  einzelne  und  die  tragikomische  Steigerung.  — 
Wir  kennen  aus  dem  Märchen  den  Goldyogel:  wer  sein  Herz  und  seine 
Leber  iTst,  findet  täglich  ein  Goldstück  (z.  B.  Grimm,  KHM  60 ;  Ralston, 
Schiefner  129,  XLV;  Oosquin  I,  78;  Köhler  I,  409).  Im  Buddhistischen, 
Jätaka  286,  erscheinen  zwei  Vögel,  die  sich  zanken.  Der  untere  si^, 
wer  mein  Fleisch  brät  und  ilst,  findet  jeden  Tag  hundert  Gk)ldstücke;  der 
obere,  wer  mein  Fleisch  iTst,  wird  König,  wer  meine  Haut,  Hauptköninn, 
wenn  es  eine  Frau,  Feldherr,  wenn  es  ein  Mann,  wer  das  Fleisch  an  den 
Knochen,  königlicher  Schatzmeister,  wenn  er  ein  Hausyater,  des  König« 
Vertrauter,  wenn  er  ein  Heiliger.  Diese  Fülle  der  Gaben,  deren  sie  sidi 
Ao  unklug  rühmen,  wird  den  unbedachten  Vögeln  zum  Verderben.  Ein 
Reisigsammler  hört  sie  und  packt  sie,  um  sie  zu  verzehren.  Aher  auch 
er  wird  in  seiner  Hoffnung  betrogen;  eine  Welle  trägt  ihr  Fleisch  zu  an- 
deren, die  es  essen,  ohne  seine  Sgenschaften  zu  kennen  (y^l.  auch  Steel 
und  Temple,  p.  188).  Die  Anhäufung,  Verteilung  und  Differenzierung 
der  Gaben,  dals  die  Vögel  sich  durch  sie  den  Tod  anschwätzen,  dafs  das 
Geschick  sie  dem  Wissenden  nicht  gönnt  und  dem  Unwissenden  dbt,  das 
sind  alles  echt  indische  Züge.  Die  ganze  Kompliziertheit  dieses  Märchens 
hat  sich  aulserhalb  Indiens  nicht  erhalten;  aber  dals  gerade  dem  Wissen- 
den das  Begehrte  nicht  zuteil  wird,  dafs  die  verschiedenen  Körperteile  des 
Vogels  venchiedene  Gaben  gewähren,  erzählen,  offenbar  in  &innerung 
soldier  indischen  Geschichten,  auch  europäische  Märchen.  —  Es  mag  im 
Leben  oft  geschehen  sein,  dafs  einer  dem  anderen  etwas  Hübsches  schenkte, 
dieser  das  Geschenk  weiter^b,  der  zweite  Empfänger  es  auch  nicht  be- 
hielt, und  dafs  schUeÜBlich  die  Gabe  zum  ersten  Geber  zurückkehrte  (Oester- 
lej,  Baüai  Pacehiai,  p.  177/8).  Auch  in  Indien  hat  sich  derlei  gewils  oft 
ereignet.  Das  indische  Märchen  (Einleitung  zu  dem  Zyklus  vom  ver- 
zauberten Thron,  vgl.  oben  Archiv  CXV,  278  nnd  Lescallier,  Le  tröne 
enchanU  21  f.)  machte  nun  aus  der  Gabe  eine  Frucht  der  Unsterblich- 
keit oder  ein  besonders  kostbares  G^chenk.  Ein  König  erhielt  es  und 
Kab  es  seiner  Frau,  diese  ihrem  Günstling,  ^em  Minister,  der  aus  Ehr- 
furcht und  Zuneigung  wieder, dem  König.  Aufserlich  blieb  also  die  Gre- 
Rchichte  unscheinbar  und  natürlich,  aber  sie  enthüllte  jetzt  verborgene 
Zuneigungen;  gerade  durch  gute  Eigenschaften,  Liebe  und  Anhänglich- 
keit, wurden  verbotene  Verhältnisse  offenbar,  und  die  Menschen  zeigten 
ihre  Furcht  vor  kostbaren  Gaben.  Verschiedene  indische  Märchensamm- 
lungen kannten  diese  wandernde  Frucht.  Da  dieselbe  Geschichte  bei 
byzantinischen  Chronisten,  die  zudem  Nachrichten  aus  Indien  benutzten, 
Rieh  wiederfindet  (Chroniken  Paschale,  ed.  Dindorf,  Bonn  1882,  584;  Theo- 
phanes,  ed.  Clafsen,  Bonn  1839,  I,  158;  Malalas,  ed.  Dindorf,  p.  356;  Jo- 
nannes Antiochenus,  ed.  C.  Müller,  fragm.  hist,  Öraecae  4,535;  Kedrenas, 
ed.  Bekker,  I,  591),  dürfen  wir  mit  Sicherheit  annehmen,  dafs  sie  von 
Indien  über  Byzanz  nach  dem  Abendlande  kam.  Albrecht  Weber,  Ind. 
Studien  15,  212,  der  an  den  Einilufs  von  Indien  nicht  glaubte,  übersah 
die  Hauptsache,  die  unzweifelhaft  indischen  Charakteristika  der  Geschichte. 
—  In  emem  buddhistischen  Märchen  {Jätaka  186)  erhält  einer  eine  Axt, 


24  Zur  Entstehung  den  Märchens. 

einem  Brahmanen  ein  Affe,  den  er  gerettet,  die  anderen  ihm 
dankbaren  Tiere  sind  eine  Maus  und  ein  B5r.^  Kaufleute  be- 
rauben den  Brahmanen  des  Wundersträis:  die  Maus  weils  die 
schlafenden  Eaufleute,  indem  sie  über  sie  läuft,  in  eine  SteDung 
zu  bringen,  die  die  Wiedergewinnung  des  Wundersteins  erm^- 
licht;  mit  vieler  Muhe  und  List  wird  er  aus  dem  Zimmer  heraus- 
gebracht Auf  dem  W^  zum  Besitzer  fällt  er  ins  Wasser,  und 
die  Maus  bewegt  die  Wassertiere,  dals  sie  ihn  suchen  und  ans 
Land  bringen.  Diese  Listen  der  Tiere,  die  immer  von  neuem 
verzweifeln,  den  Stein  zu  erobern,  und  es  doch  immer  von  neuem 
versuchen,  bis  es  endlich  glückt,  sind  im  Indischen  viel  hübscher 
und  anschaulicher  erzählt,  als  ich  es  nacherzählen  kann.  Das 
Märchen  preist  die  unverdrossene  Dankbarkeit  und  die  immer 
neu  sich  bewährende  Erfindungsgabe  der  Tiere.  Die  anderen 
Völker  haben  ihr  Verständnis  für  dies  Märchen  dadurdi  gezeigt» 
dafs  sie  es  besonders  hübsch  wiedererzählten.  Uns  ist  es  dunäi 
Brentanos  Gockel,  Hinkel  und  Gackeleia  in  der  anmutigsten  Er- 
innerung.^ 


die  Feuer  macht,  ein  zweiter  eine  Trommel,  die  die  Feinde  in  die  Flucht 
jagt  und  ihn  mit  einem  Heere  umgibt,  ein  dritter  eine  Kugel,  die  zum 
Strom  wird  und  ihm  ein  Königreich  erobert  Em  vierter  hat  sich  in 
Besitz  von  Juwelen  ^bracht  (vgl.  oben  i:^.  16  Anm.  2).  die  Fingkraft  ver- 
leihen; er  tauscht  sie  mit  der  Axt  des  ersten  und  iälst  durdi  die  Axt 
deren  früheren  Besitzer  erschlagen,  ebenso  bemächtigt  er  sich  der  Trom- 
mel und  der  Kugel  und  erobert  sich  mit  Hilfe  der  Wunschdinge  ein 
mächtiges  Königreich.  Das  für  dies  Märchen  Bezeichnende  ist  das  Ab- 
listen der  wunderbaren  Dinge,  und  das  erzählen  denn  auch  dem  indisidien 
sehr  ähnlich  andere  Märchen.  Am  ähnlichsten  ist  Grimm,  KHM  54;  da 
sind  die  Wunschdinse  ein  Banzen,  aus  dem  Soldaten,  ein  Hfitlein,  aus 
dem  Artillerie  und  Kanonen  hervorkommen,  und  ein  Hömlein,  bei  dessen 
G^ebläse  alles  umfällt.  Alle  drei  werden  mit  Hilfe  eines  Tischlein  deck 
dich  abgelistet;  Cosquin  I,  128  f.;  Chauvin  V,  259  (der  Eingang  von 
KHM  54,  der  eine  Bruder  fiindet  einen  Silberbere,  der  andere  einen  Gold- 
berg, der  dritte  ^eht  weiter,  hat  sein  Vorbild  aucn  im  Indischen :  PanUeh. 
y,  8).  Die  Märchen  bei  Grimm,  der  Krautesel,  Tischlein  deck  dich,  sind 
in  der  Grundidee  verwandt  (vgl.  Somadeva  X,  57,  Zukunft  vom  23.  Dez. 
1899,  Beinhold  Köhler  I,  186  und  Baiston,  Tibetan  Tales  221).  Zu  den 
Wunschdineen  im  allgemeinen:  Chauvin  V,  229  f. 

*  Cosqmn  20  u.  Anm.  2.  B.  Köhler  I,  63.  Jülg,  Mongal.  Märeken  60. 
Benfey,  Pantsehatantra  I,  211.  Panzer,  Hüde  Gudrun  168.  Prym  Sodn, 
Syr,  Märchen  402. 

*  Dals  die  unlösbaren  Aufgaben  im  Märchen  (vgL  oben  Arekiv  CXI II, 
256  Anm.  4)  durch  Hilfe  dankbarer  Tiere  gelöst  werden,  die  der  Held 
schonte,  mag  auf  indische  Motive  zurQckeehen  (vgl.  Benfey,  PantsehaUmlra 
I,  217).  Von  diesen  Märchen  oder  ähnlichen  aus  gelangten  die  dank- 
baren Tiere  wohl  auch  in  das  Märchen  von  der  eingescmichteiten  Seele 
des  Biesen  (vgl.  oben  Archiv  CXV,  S.  8  Anm.  3  und  S.  288). 

München.  Friedrich  von  der  Leyen. 

(Schlufs  folf^t.) 


Die  Bnrghsehe  Gato-Faraphrase. 

(Sohlnft.) 


IV,  pnwL  GXIX. 

What  wiht  that  Hat  to  leede  in  BÜdrnesBe 
837         His  lif  and  keepe  hia  soule  from  acoombraunce 

Of  vioes,  which  a-yens  *food  thewee  expresae 
Beth  at  stryff,  com  yiff  ^ood  attendaunce. 
840         Thes  i>receptiB  keepe  wel  in  remembrance. 

Enrollyne  hem  and  pryntyng  in  vour  mynde. 

How  to  lyre  wel,  the  mene  shal  *ye  fynde. 

IV.  1  CXX.  fol.  103^ 

843    The  foule  talent  of  richesse,  my  child,  eschewe. 
Beeemble  nat  the  gredy  Tantalus 
Whos  etike  in  hungre  ia  alway  newe 
846         Among  the  fair  applis  delidous; 

Ne  watir  swete  auenchythe  his  ^thuret  riht  thns. 
To  the  violente  swoiwe  of  oouetise 
849    So  al  this  World  nat  can  ne  may  suffise. 

IV.  2  CXXI. 

Natur  can  be  with  litil  thvng  oontente, 
As  in  diete  a  man  Bhuld  neuer  Charge 

863  HymBÜf  with  mete;  for  many  men  be  snente, 

For  their  receitis  ben  to  grete  and  large. 
Men  *8e0n  al  day:  the  litell  boot  and  oarge 
866    Woi  drench  a-non,  whan  it  iB  ou^r-freiht. 

CheriBsh  nature,  but  hurt  *hir  nat  *fcfth  weiht. 

IV.  3  CXXII. 

Iff  *thin  thyng  thou  happe  to  '^myBgou^me 
868         Withoute  reBon  or  any  prouydence, 

Than,  myn  owne  child,  of  me  thiB  lesBOun  lerne: 
Sey  naty  it  was  thi  fortune  such  expence 
861         To  make,  but  wyte  it  thin  owne  necligence. 

For  fortune  may  neuar  compellen  the 

Thi  good  to  spende  but  at  thi  Uberte. 

IV.  4  CXXni.  fol.104' 

864  Loue  the  peny  as  for  cheuysaunce, 

Nat  for  the  coyn  to  hoord  it  *rp  on  heepe. 


838  good  f.  G«/      842  he  C,  he  Uiv,  the  He,  ßu  HoDFc  847  thrüt  CM, 

tkirtt  aAd,  tkruMt  HEFc;^,  portt  Ho     854  seyn  C,  satjne  F,  «ey  Hb  856  nat  Mr  &  \\ 

wkk  f.  &      857  tkyng  thin  CR,   tkmg  of  thyn  Hb  |  w/tgouere  C  866  m  G  tv  Z  •«, 
t^?  m  Hb,  ofi  BCpwDFc 


26  Die  Burghsche  Cato- Paraphrase. 

For  of  the  prynte  was  maad  an  ordinaunce 
867         Nat  for  it  ahuld  *in  eoffres  lye  and  ÜBepty 
But  for  ü  shuld  among  the  pepie  leepe 

In  ther  eschaunge.    Who  kepitn  it  inne 
870    As  for  the  founne,  is  söget  vnto  synne. 

IV.  5  CXXIV. 

Whan  thou  hast  plente  and  art  pecuniall, 
I  meene,  whan  thou  hast  erete  suffisaufice, 
873    Off  mony  foisoun  and  of  heltne  but  smalle, 

Than  spende  thi  monay  and  thi  seife  avaunce. 
Eeepe  neuer  thy  coyn  and  lyve  in  grevaunce. 
876    The  seek  hathe  siluer  in  fui  grete  excesse, 
But  of  hymsilfe  hathe  he  no  sikimesse. 

IV.  6  CXXV. 

Thouh  somtyme  thou  suffre  the  srete  sharpnesse 
879         Off  betyng,  yit  thi  maistres  cnastisment 

Take  weel  in  sree  withe  lowly  ^humblenesse, 
Sith  it  is  000  al  in  good  entente 
882         To  cause  the  lore  and  wisdom  for  to  hente. 

And  thouh  his  woordis  *  sownen  ful  of  ire, 

Yit  suffre  thou  the  talent  of  that  sire. 

IV.  7  CXXVI.  fol.  104" 

886    Also,  my  child,  thou  shalt  the  occupje 

To  werche  thynges,  that  ben  profitable. 
But  look  thy  vnttis  thou  neuer  applie 
888         To  thyng  that  may  nat  ben  aauavlable. 
To  caste  a  thyng,  that  is  nat  profetable, 
By  wit  or  stren^he,  it  is  but  grete  errour: 
891    Dispeired  hope  is  ende  of  suche  labour. 

IV.  8  CXXVII. 

WJian  thou  shalt  yive,  than  yive  in  freendly  wise. 
Frely  content  a  prayere  o)  requeste; 
894    For  thyn^  yoven  be  tyme  is  yoven  twise. 

Sith  gladsom  cbeer  makith  *yift%8  ncheste, 
Who  yiveth  gladly  and  soone  yeveth  beste. 
897    Lo,  no  thyng  may  bettir  freende  conquere 
Than  man  to  ^leene,  that  he  may  weel  forber. 

IV.  9  CXXVIII. 

Whan  in  a  thyng  thou  haste  a  coniecturey 
900         Ab  in  thi  conceyt  holdyng  it  suspecte, 

To  discusse  that  thyng  a-non  do  thi  eure. 
For  at  the  first  whan  such  thyng  is  reiecte, 
908         The  reste  is  aftir  esy  to  correcte; 

*And  thyng,  that  at  the  firste  is  nat  sett  by, 

Is  *oftyn  seyn  to  greven  fynally. 

867^  und  868 '^  f.  nt,  dafür  neu  nach  868  in  a:  Bui  oonly  tktr  lyvyng  ikertritk 
to  reepe  (but  f.  Hb,  for  to  gtete  [st.  re^e]  Hb)  880  kumbletse  ^RHf,  humiffy- 
netM  He  883  6«  sowen  rS^  towen  Ha  Fe,  sowne  CpAo^,  sowne  is  v,  9oumdem  x, 
sotmd  H,  SMu  Hc  895  yißu  f.  &  898  oder  1mm?  (b.  Ozf.  Diot.  unter  Lend  ▼',8,  a-b), 
he»  aCpHfCz,  lend«  RHc,  Iwe  Hb  Ad  904  A  CHbao;  905  oftyntyme  CUb,  o/ie 
tffWM  A,  o/ren  tyme»  u) 


Die  Burg^che  Cato-Paraphnwe.  27 

IV.  10  OXXIX.  fol.  106' 

S06    And  whan  thou  arte  disposid  iDwardli 

To  Venus  actis,  than  represse  corage. 
Fostre  nat  thi  fleessh  to  lustilj. 
909         For  [*]  grete  diete  makethe  the  flessh  outrage, 
Where-as  mesare  myht  cause  it  asswage. 
And  glotenye  is  clepid  cheeff  *promotrice, 
912    Leedyng  the  fldssh  to  wantounnesse  and  vice. 

IV.  11  CXXX. 

The  ranpaund  leoun  and  the  tigre  feile, 
The  irous  boor,  the  hound  ral  of  envve 
916    And  bestis  moo  than  nedithe  heer  to  teile 

Men  dreede  ful  sore  (md  fer  herr  tyrannye; 
And  wel  thei  do.    But  yit  oon  best  I  espye, 
918    That  is  to  feryn  most  in  espedal: 

*Mann  ja  *  the  beste,  that  tnou  moste  dreeden  shall. 

IV.  12  OXXXI. 

The  vertu,  that  is  clepid  fortitude, 
921         Stondith  nat  alle  m  strengtiiis  bodyiy, 

As  to  be  virouB,  myhti,  strong  and  rüde; 
But  in  the  souie  it  must  wsa  sikirly. 
924         Than,  if  thou  wilt  thi-selfe  fortifie 

Thi  soule  withynne  acqueynte  with  sapience; 

And  than  shalt  thow  be  strong  in  existence. 

IV.  18  CXXXII.  fol.  106» 

927    "^Wha/  thjrng  in  erthe  thou  shalt  take  on  *honde, 
And  thi  Supporte  shal  be  in  freendlynesse. 
No  Strang  wint  on  lyue  so  nyh  wol  the  stonde 
930         As  thi  knowen  ffrende,  mv  child,  this  is  expresse; 
Off  the  straungier  haste  mou  no  sikimesse. 
For  whan  all  othir  ben  ful  ferr  to  seche, 
933    The  feitheful  knowe  freende  kan  beste  be  thi  leche. 

IV,  14  CXXXIII. 

The  deethe  of  bestis,  that  beth  vuresounable, 
As  bi  custom  *and  riht  of  sacrifice 
936    To  purgyn  the,  is  no  seth  greable. 

Trust  nat  as  so  to  gete  thy  reprise; 
For  thei,  that  trust  so,  ben  ful  vnwise. 
939    Bi  dethe  of  bestis  Gknl  wil  nat  queemyd  be. 
And  man  a-bide  in  his  iniquite. 

IV.  16  OXXXIV. 

Whan  thou  wolt  chese  a  freende  for  trustynesse, 
942         Than  of  his  fortune  make  noon  inquiraunoe; 

For  fortune  is  moodir  of  changeabilnesse. 
Aske  of  his  liffe  and  of  his  gouemaufice; 
945         For  that  is  preeff  of  grettir  suffisaunce 

909  /!W  a  C  911  prwnotict  Cd  919  momijy«  CHb  |  /A«  f.  rnvk¥c  982 
p«rottf]  vroctf  v  (eurou$  x)  987  whan  r  |  kande  CftYAd  935  and  und  of  ntn« 
gestellt  in  a     936  no  seihe]  nothyng  H,  not  Db,  no  feith  Hf,  no  tuche  Hc  Ad 


28  Die  Borghsche  Cato-Paraplirase. 

ThAn  Tie  or  fortane,  that  is  caanell. 
For  liff  of  maD  his  fortnne  dothe  exoell. 


iv.  16  i;ajla.v.  fei.  106*- 

948    Vte  weel  the  richeBse.  that  thoa  hast  ^of  qaeste. 
Off  avariae  the  wikkid  name  eechewe. 
Lat  nat  thi  good  *be  stoppid  in  a  ehest 
961         Eeepe  nat  Üiy  stoff  ay  cloeid  stille  in  mewe. 

Sucne  old  treBoor  wol  make  thi  shame  fnl  oewe. 
What  pnofitethe  plente  of  grete  ^tresnr 
964    And  in  ponerte  a  wreoche  alway  endure. 

IV.  17  GXXXYL 

Iff  thou  deeir  to  reioisen  thi  fame 
In  honeste,  whil  thou  lyvest  heere, 

967  Eechiew  *the  thinges,  that  mav  cause  shame. 

LikerooB  lustis  mast  be  leid  on  beer 
And  thinges  feie,  that  fol  ioYous  appeer. 

960  This  worldis  ^toye  is  ay  fal  denectyfe: 

Be  war  of  ioye,  that  horteth  thi  good  liffe. 

IV.  18  cxxxvn. 

And  ay,  my  child,  conoeyve  and  adaartise, 

968  That  neuer  thou  skome  feeble  stoupyng  age. 
Thi  *elderis,  my  child,  for  nothvng  *ihou  despise, 

"^ThouA  in  ther  wittis  *thef  oe  natt  so  sage 
966         As  in  ther  *youth,  sith  age  is  outrage. 
Whan  age  oometh,  this  is  sothe  certeyn, 
A  man  Segynneth  to  ben  a  chyld  a-geyn 

IV.  19  CXXXVIII.  fol.  106^ 

969  Enforoe  thi  wittes  somwhat  for  to  lere; 

Acqueynte  the  withe  connyng.    For  that  is  sure, 
Iff  fortune  chaunge  and  than  ]x>uert  appeer, 
973         *Who  that  haue  konnyng,  is  likly  to  recure. 
Konnyng  and  crafte  *remayne  and  endure; 
And  bi  them  a  man  may  *him-silfe  releve, 
975    Whan  fortune  hathe  caste  hym  in  to  myscheeffe. 

IV.  30  CXXXIX. 

Be  stille  in  silens  with  apvisenesse. 

Taiv,  my  child,  til  othir  men  hau  seid; 
978    So  shalt  thou  lerne  somwhat  in  sothfastneese. 
Latt  nat  thy  tonge  sodenly  be  vnteid; 
For  that  myht  the  of  hastynesse  abreld. 

961  Bi  manys  woord  his  maner  *w«l  be  schewed. 

Bi  woord  is  knowen  the  wise  man  from  |>0  lewid. 


948  0»  CHb,  ;^  CpHeD  950  /y  C^YHf£  953  CreMMr  rAHfS,  trt- 
«oore  Ho  957  thei  C,  ihoo  ^  Cp  O  He,  f.  (>  E  ^  960  yay  C,  phmr^  Hb  964 
aU^ru  C,  eidere  FRv  \  thou  f.  CH^u  kDFc  965  Oou  G,  thow  Hb  |  O«  C  H. 
f.  Hf  966  iJumht  a,  thowtk  Hc,  yonghe  A,  yomgith  Hf  97S  whai  r  973  rcMay 
neike  ^  Hb  Cp  Hf  He  i^  D,  remaynen  M  974  tkm  tiffe  C  980  abrtUl]  lyftrcMb 
xD,  vbtreyde  He,  breyde  Hc,  umbrayde  Ä      981  tootd  G,  wol  RHfTHeO 


Die  Barghflche  Oato-Paraphrasa  29 

IV.  21  CXL. 

Thouli  in  konnyng  thou  have  ful  grete  conceit, 
961         Enforce  *<Ae  ay  yit  to  lerne  more. 

The  sonle  it  ia,  tbat  must  be  the  reeeit; 
Beplenissh  hir  with  that  treeoiir  and  stör. 
967         Vse  makithe  maistrie;  vse  konnynff  therfore. 

Vse  helpethe  art,  and  eure  helpithe  the  witte; 

Than  vse  and  *eure  to  konnyng  moste  be  *kn«tte. 

IV.  22  CXLI.  fol.  1(X7» 

990    Bodv  from  souie  mnat  haue  disseueraufice. 
Dethe  is  ende  comoun  to  euery  wiht. 
Charge  nat  to  muche  therfore  of  dethis  *chau»ce; 
996         The  tribut  of  dethe  must  thou  pay  of  riht. 
Bat  ^rit  bi  dethe  shalt  thou  eette  more  liht, 
Iff  bi  this  liff  thou  sett  no  thvng  expresse; 
996    It  18  so  fol  of  woo  and  wreccni&esBe. 

IV.  26  CXLII. 

*Lere  of  the  wise  and  teche  the  vnkunnyng. 
For  it  is  vertu  and  *ful  commendable 
999    Tencrese  doctryne  thoruh  such  oomonnyng. 
It  is  alway  a  deede  charitable 
To  lere  and  teche;  it  is  ful  greable 
1002    To  Qod.    Doctryne  kepithe  vertu  on  lyve. 

Whiche  ne  were»  doctryne  soone  from  man  shuld  slyve. 

IV.  24  CXLIII. 

Drynk  nat  to  muche,  no  mor  than  ^\x  maiste  bere. 
1006         Bewle  thy-silfe  bi  the  bridil  of  mesure. 

To  muche  drynke  wol  the  annoy  and  dere. 
Surfette  is  euermore  of  helthe  vnsure; 
1006         And  mesur  makethe  men  in  helthe  endure. 

Whatt  man  is  rewlid  aftir  lostys  vile, 

In  good  astate  ne  may  a-bide  no  while. 

IV.  25  OXLIV.  toi.  107*^ 

imi     And  iff  hit  happe  the  in  audience 

An  thyng  to  preyse,  be  war,  that  thou  ne  blame 
It  eft  affeyn  riht  in  the  aame  presence. 
1014         Iff  tnou  dispreise,  comende  nat  eek  the  same; 
Off  suche  trauers  must  needis  risen  shame. 
To  preisen  now  and  eft  to  blame  douteles 
1017    It  is  a  thynge  of  grete  vnstabilnesse. 

IV.  26  CXLV. 

Whan  thou  lyuest  beer  riht  at  thyn  owne  ese 
In  al  thy  ioye,  rest  and  prosperite, 
1020    Thynk  the  per-case  adiursite  may  sese; 
For  *weithe  stondithe  nat  in  sykirte. 
And  also  soone,  whan  any  aduarsite 

984  f.  C,  (At  F,  tJd  Ulf  Ue  D  96»  f.  C  Hb  B  AMette  C  992  ehatmge  0  Ad 
997  Tere  G,  ferne  HbACpxO^  996  f.  ^RFc,  aito  Hb,  at  ai  lywu  to  1003 
»leyw  H,  »lyffe  h  Hc,  »Iryvt  D,  achyvt  Fe,  ßtut  Cp      1021  welAe  C  E,  tomrih  Ad 


80  Die  Barghsche  Gato-Paraphnuie. 

1028  Aflsautethe  the,  yit  fall  nat  Id  dispeire; 
ThjDke  in  thi-silfe:  good  fortune  may  repdre. 

IV.  27  CXLVI. 

It  is  ful  fair,  my  chiid,  [*]  to  be  prudent 
loac         And  wys;  looke  thoa  lere  ther-fore. 
To  lerne  ay,  mr  sone,  do  thyn  entent. 
Bi  diligent  Dysynesse  wisdom  is  more. 

1029  Wisdom  is  she,  that  mav  nat  be  forbore. 
The  rare  pradence,  that  foUces  nyce  refuse, 
Can  nat  ben  had  bat  bi  procesee  and  Tse. 

IV.  28  CXLVII.  fol.  lOtSf 

1082    Beware  alway,  that  thou  neuer  enhaunoe 

In  thi  lawde  or  preisyng  a  wiht  to  hihe; 
For  thou  mayste  haue  cause  eft  to  [*]  dissavaufice 
1035         The  same.    But  av  thy  preysyng  modifie. 

For  att  oon  day  tnou  shalt  */W  wele  espye, 
*Whe<Aer  he  be  freende,  that  freendly  seemythe; 
1088    For  all  be  nat  freendis,  that  men  demethe. 

IV.  29  CXLVIIL 

Be  nat  asshamed,  my  child,  also  to  "^lere, 
*TßuU  thou  canst  nat;  for  it  is  bot  a  tecche 
1041    Off  foly  nat  to  desire^  doctryne  heere. 

Ful  wel  is  he,  that  to  konnyng  may  strecche, 
Sithe  konnyngles  a  man  is  but  a  wreoche. 
1044    To  könne  moche  is  riht  oomendable 
And  nouht  to  könne  is  ay  reproveable. 

IV,  31«  CXLIX. 

The  soleyn  stille  oft  meenethe  [*]  fraude  and  güe; 
1047         Off  such  a  man  eechewe  the  oompanye. 

For  the  stille  man  oompassethe  otiiir  wule 
Withynne  his  herte  oisceit  and  trecherye. 
1050         In  floodis  stille  is  watir  deep  and  hihe. 

In  stremys  softe  seemyng  to  thy  plesaunce 

Ofte  betidithe  ful  vnhappy  chaunoe. 

IV.  32  CL.  fol.  lOb» 

1068  With  thi  fortune  whan  thou  art  discontent 

And  kanst  nat  take  in  gree  thin  *adua»iture, 
Behold  and  feele  in  thin  aduisement, 
loöG         How  thei,  that  whilom  wer  as  thou  as  sur 

And  more  likly  in  welthe  for  to  endure 
Bothe  fore  bounte  and  eek  for  noblesse, 

1069  And  yit  haue  *  falle  doun  *ifUo  wrecchidnesse. 

IV.  33  CLL 

Attempte  the  thyng,  so  as  thou  maist  suffise. 

Passe  nat  thi  myht    Bere  nat  to  hihe  thi  saile; 


1025  for  to  T  1034  to  do  C  1086  fui  f.  C  1037  whedir  CHUfUeAU. 
wkert  Fe  1039  lmm€  t  Hb  1040  if  9'  K  1046  of  fraude  »  1064  adti^tktrt  C, 
apfnture  v      1059  dou»  faüe  r  |  imio]  doua  C,  tu  F  H 

*  IV.  30  folgt  als  Strophe  OLIV. 


Die  Borghsche  Cato-Paraphrase.  31 

1062    Ther  is  pereil,  if  that  the  storme  a-rise. 

Serteyn,  mj  child,  this  is  wlUiouten  faile: 
The  yessel  smalle  is  at  ful  grete  a-vaile, 

1066    Whan  with  his  ore  to  londe  he  may  a-reche, 
Where*aB  the  sailes  hihe  ful  oft  go  to  wrecche. 

IV.  34  CLII. 

A-^eyD8  the  trewe  iuste  man  brawle  nat  ne  stryTe; 
1068         For  to  Grod  a-boue  that  is  displesaunce. 

Trust  this  trewl^:  heer  is  no  man  on  lyve, 

That  to  the  luste  man  dothe  dere  or  greuaunce, 
1071         fiut  at  the  laste  God  wol  take  yengeaunce. 

And  heerof  it  *is  good  heed  [*]  to  take: 

The  riht-wiseman  of  Grod  is  nat  forsake. 

IV.  36  CUII.  fol.  109' 

1074    Iff  extorsioun  or  mysauenture 

Haue  plukked  at  the  and  maad  the  threedbare 
Off  richesse,  yit  do  thou  thi  force  tmd  eure. 
1077         To  be  mery  and  eschewe  thouht  and  care. 
For  fretyng  thouht  is  a  ful  cursid  snare; 
Cum  nat  ther-in.    Fortune  is  vnstable. 
1060    Aftir  pouerte  richesse  is  prdgnable. 

IV.  30  CLIV.  ^ 

Venus  is  reedi  to  all  hir  actis  vile, 

Whan  he,  Bachus,  hathe  set  hir  in  largesse 
loes    The  tresour  of  his  hoote  and  feruent  yle. 

Therfore,  my  child,  Üiin  appetite  represse. 
In  wynes  hoote  doo  nat  to  grete  excesse. 
1086    Drynk,  that  for  thi  soule  is  expedient. 

Esäiewe  stryffe.    Withe  mesure  be  content,    j 

IV.  36  CLV. 

It  is  an  härme  the  *gCK>des  to  forgoo, 
1089         That  ben  on  hande,  bi  force  and  violence. 

But  yit|  my  child,  *Üiou  most  considre,  who 
And  wliat  he  is,  that  dothe  the  such  offense. 
1092         Bi-twix  freend  and  fco  haue  ay  a  difference; 

For  in  som  case  thou  most  a  freend  forbere 

And  suffre  hym,  thouh  he  *annoy  and  deere. 

IV.  87  CLVI.  fol.  109^ 

1095    Be  nat  to  sure,  that  thou  shalt  lyue  heer  lonu;. 
A  wyht  shal  deye,  idle  be  he  lothe  or  leefie; 
And  as  the  old  so  deye  the  yonge  a-monge. 
1098         Dethe  stelithe  on,  as  dothe  a  pryvy  theefe. 
Loo,  a-yens  dethe  men  fynde  no  räeeffe. 
She  is  a-boute  to  make  a  devorse 
1101    And  folwethe  ay  the  shadwe  of  the  *cor8e. 

IV.  38  CLVII. 

Seme  ay  thi  God  withe  lowly  obseruaunce, 

Withe  herte  entier,  withe  swete  smellyng  encense; 

1072  »  f.  CHb   [  forto  C     1088  good  CHHc     1090  tho  C,  <Ac  Ha  He     1094 
anmtif  C,  «oy  fHciv     1101  corpn  i^R,  eour$e  Hf 


82  Die  BarghBche  Oato-Paraphnae. 

iioi    Such  Bacrifice  is  moost  to  bis  pleBaunce. 

Off  calues  amale,  that  neuer  dede  offenoe, 
Thooh  thou  hem  sie,  the  blood  may  nat  diBpeoce. 
With  the  lat  ^hem  growe  and  awynke  in  {>»  plonhe. 
Thin  herte  to  Qod  is  suffieant  *i-nouh. 


1X07 


IV.  99  CLVIII. 

Yiff  place  to  hym,  that  exoedith  thv  myht: 
uio         Thouh  thou  be  hurt,  it  may  prorette  parchaufice. 
And  aeeld  availethe  a  man  for  to  fiht 

Affeyns  such  on,  as  passith  his  pusaunce. 

1118  Thouh  he  greve  *not0,  yit  "^efte  ne  may  ayaunce. 
Ful  oftyn  is  seyn  aftir  the  grete  duresse 

The  myhty  man  wol  "kithe  his  gentilnesse 

IV.  4^)  CLIX.  tfA.  IKK 

1U6    Aftir  thy^  surffet  and  thi  grete  offence 

Chastice  thi-silfe,  correcte,  that  is  a-mys, 
Correcte  tili  gilte,  amende  thi  necligenoe. 

1119  Sorwe  for  synne  a  verray  medycyne  is. 
Bepent  the  *sore;  than  art  thou  saufe  iwis. 

For  fisik  seithe,  my  child,  I  *ihe  ensure: 
1122    A  bittir  drynk  the  *sharpe  sekenesse  may  eure. 

IV.  41  CLX. 

Yff  thou  haue  founde  longe  frenship  in  a  wyht 

Ful  ]^ore  ago,  thouh  he  begynne  to  chaufu», 

1125    ^Dispretse  hym  nat;  men  bide  nat  in  oon  pliht 

*Somtyme  was  an  abbey,  Üier  is  now  a  graufige  >. 
This  worldis  ooura  is  ful  queynte  and  stränge. 
1128    But  thouh  the  man  as  now  be  wax  vnkynde, 
His  olde  frenship  remembr  in  thi  mynde. 

IV.  42  OLXI. 

Iff  it  vre  the  in  office  to  be  sette, 
118J         Than  be  thou  gradous  to  othir  men. 

Thei  may  report:  a  goodly  man  is  mette 

With  sucn  office;  and  so  good  fame  shal  renne 
1184      •  A-boute  of  the.    But  */  ensure  the,  whenne 

Thofficer  is  vnkynde,  than  seithe  the  pres: 

Now  wold  God  this  man  *were  offic^es. 

IV.  48  CLXII.  fei.  uo» 

1187    Be  nat  suspect;  that  is  a  wückid  teoche. 

The  suspect  wiht  with  cowarde  ielousnesse 
In  his  lyv^ng  is  but  a  verray  wrecche. 
1140         Mucn  IS  a-mys,  and  all  wold  he  redresse. 
Hee  deemythe  fals  and  failethe  hertyneese. 

1105  dede  CHerc;,  deden  D,  dide  ttbr.  1107  kym  CDbAd,  Jkim  R,  tUm  MCp, 
tkaym  £  1108  l mouht  C  1113  nat  CHRUe*»  |  ofU  i9-Cp,  f.  v  1115  kitken  r, 
kythi/fh  H  1180  wriM  r,  tortfuUy  D,  f&r  y  Fe  1121  the  f.  t  1188  ekarper  OD 
1125  displeu  CHb,  ditpraue  Q,  disprtire  Yx  1186  aometywus  C,  some  A  1184 
/f.  Cv     1136  w  C 

'   Vi^l.  Skeltoo,  Colin  Cloute :   (Jf  am  ubbayt  yt  make  a  gratmge. 


Die  BurghBche  Cato-Paraphrase.  33 

His  fals  conceyt,  set  in  malencolye, 
1U8    Slethe  hjm  a-noon;  *deih  endithe  hia  folye. 

IV.  44  CLXIIl. 

Iff  thou  haue  men  withouten  liberte, 
Such  as  be  clepid  the  men  of  bondage, 
1146    Thouh  thei  ben  yndir  thi  captyuyte, 

Yit  oner  such  men  be  neuer  outrage, 
Iff  thei  be  holden  Tndir  thy  fseruage. 
1149    Thouh  thei  be  bonde,  yit  verray  men  thei  be. 
That  *thef  be  men,  than  ay  remembre  the 

IV.  46  CLXIV. 

Thi  first  fortune  receyve  withe  reedynesse; 
1162         BefuBe  it  nat,  thouh  it  be  scant  and  smalle. 
It  is  wele  bettir  in  gree  to  take  the  leese, 
Than  refuse  it  and  aftir  faile  of  alle. 

1166  Tiftis  of  fortune  take  them  as  thei  falle. 
Forsake  hem  nowe,  and  efte  thou  shalt  *hai4e  neede. 

•    Tyme  is  to  take,  whan  men  profere  and  beede. 

IV.  46  CLXV.  fol.  111' 

1168    Reioyse  thou  neuar,  my  childi  in  al  thi  lyve 

Tue  sodeyn  dethe  of  a  cursid  man  and  wrecche. 
Whan  he  is  deede,  the  soule  may  nat  revive; 
1161         Fro  peyne  to  iove  that  spirit  may  nat  strecche; 
The  leendis  holdyn  so  sore,  that  thei  may  kecche. 
Who  lyuethe  wele,  ful  wele  edi:e  deyethe  he; 
1164    That  soule  is  sykir  of  grete  felicite. 

IV.  47  CLXVI.  ^ 

Iff  t^  ju  haue  a  wiffe  in  assurauttce, 

Than  trust  hir  weele  and  Iove  hir  inwardlye 

1167  Withe  herte  and  thouht  and  al  thvn  affiauitce. 

Be  nat  infecte  with  suspecte  ielousye. 
lü  no  deffaute  in  hir  thou  kanst  espye 
1170    And  if  thi  freend  teile  the,  suche  is  the  *f&me, 
He  is  a  freend  and  she  nothyng  to  blame. 

IV.  48  CLXVII. 

Whan  thoruh  stody  and  lonse  ezcersyce 
1178         Thou  knowest  mochil  and  hast  grete  konnyng, 

Yit  do  thy  diligence  in  besy  wyse 

More  to  könne;  it  is  an  hobom  thyng. 
1176         To  grete  honour  konnyne  may  the  bryng. 

And  ay  eschewe  nat  for  to  be  tawhte. 

Withoute  techyng  science  wol  nat  be  kawhte. 

IV.  48  OLXVIII.  fol.  iw 

»'       ^  1179    And  if  thou  ouht  maruayle  and  lest  to  muse, 
]  In  nakid  *woordM,  why  my  verse  I  write, 

114S  f.  GHRFb,  this  F,  thu»  Hb,  thu»  d€th  A  lo  1160  tke  C  1166  kern 
CHb,  them  Cp,  f.  M B  1170  tam€  CR  1179  kat  CHc,  kut  «^  B  Ad,  lyitene  Hb, 
Hgt  oder  lifsis  flbr.      1180  woord  rR 

ArchiT  f.  n.  Sprachen.    CXVI.  3 


84  Die  BuTghsche  Cato-Paraphrase. 

In  no  wise  I  may  me  bettir  excuse, 
1182         Than  sey:  my  witt  so  dal  and  vnporfite 
Artith  me  thua  rudely  for  tendite. 

Bi  too  and  too  mv  metre  for  to  knytte 
1186    Nat  cauaeihe  me  but  sympiineBse  oi  witte. 

Explicit  aeeundum  Magiatxum  Benedich«m  cr»do  PJ  De.  b.  [oder  y  oder  s] 

Koiophon:  ExpUcü  Cato  x,  ExpUeä  kie  Oato  dam  castigamma  nato  FAY  (in  F 
folgt  noch :  Iste  Cafo  erat  umu  »vy\  prudendum  Rome.^  dato  et  Plato  et  ceter»  .  Deiur 
pro  peitna  »eripiori  pulcra  pu  [i.  e.  putUa].  T.  B.  J.  P,),  ExpUeU  Über  QUomt  "EL  Hb 
Ha  Ml  (in  Ha  dahinter  noch  Iran^osiiut  in  AngKcum;  in  Hc:  Explicet  ISbtr  Cai/mys 
compositum  per  Magjxirxim  Benedyclum  Beruh,  vicarius  de  ÄfeUdcun  m  Euex;  in  Hf 
dahinter  noch:  compotituB  per  MagtMtram  Benedictunk  Burgkf  vicarwm  de  MeUdoua 
et  cetera;  in  M  noch:  quod  scripci  [sie!]  da  michi  qmdmeruL  G.U.P.),  Thme  emdük 
Catoim  pat  Moftfo  and  worthi  cferke,  as  here  ii  shewUh  bif  ki*  cotnmendable  werke  G, 
Pars  quarta  et  vUima  Cp,  fehlt  übr. 


Lexikaliflch  verdienen  folgende  Wörter  unseres  Textes  Beachtung,  die 
zumeist  frühere  Belege  bieten  als  das  Oxford  Dictionary  (OD).  Die  we- 
nigen dort,  d.  h.  in  den  bisher  yeröffentlichten  Teilen,  noch  nicht  ver- 
zeichneten Wörter,  Formvarianten  oder  Bedeutungen  sind  mit  einem  Kreuz 
versehend 

Accombrcumee  837  fVar. :  encombraunee  SMv,  incumbraunce  Xt  combe- 
raunce  AxHcD)  'Bescnwerung,  Belästigung';  im  OD  zweimal  seit  1489 
(Caxton)  belegt. 

avaüable  153  ( Var. :  vailable  H  C  Fe,  vaüeabU  F  A  Fb),  aduaylable  888, 
an  letzterer  Stelle  synonym  mit  profiiable  gebraucht,  also  ^nützlich'  be- 
deutend;  in  diesem  Sinne  seit  1474  (Caxton). 

aggregge  408  (Var. :  <iggruggtth  C  H  Hb  A  Cp  ;k  ;  engreggüh  Q  Hf  He  D ; 
eneroehitk  M,  engrocekeih  a,  ingrogit  Fe,  engreehith  YHcj,  trans.  f'iil^^'' 
drücken'  {whan  dreede  of  dethe  a  man  so  aggreggithe).  Diese  Bedeutung 
fehlt  in  O  D ;  doch  ist  die  daraus  abgeleitete  intransitive  Bedeutung  'to 
be  heavy,  to  be  weighed  down'  aus  Gower  daselbst  belegt.  —  Die  Va- 
riante aggruage  gehört  zu  ne.  aggrudge  'to  grumble'  {O  D  seit  1470)|  mufs 
aber  hier  faxtitive  Bedeutung  haben,  etwa  t*to  annoy,  dissatisfy',  wie  sie 
auch  das  im  Promptorium  rarvulorum  (O  D)  bele^  Partz.  aggrogg^ 
^aggravatus'  verlangt.  —  Die  zu  ne.  enerotieh  zu  ziehende  Variante  0»- 
groccheih  ist  als  frimester  Beleg  zu  notieren,  da  O  D  diese  Form  erst  aus 
dem  16.  Jahrh.  kennt.  Die  beiden  anderen  Kontaminationsformen,  mgroge 
und  engreehe,  fehlen  O  D. 

agffrugge  s.  Mgregge, 

arable  350  (Var. :  areable  Cp,  erable  Db;t)  'beackerbar*  (O  D  seit  1577 
Tusser). 

a-setke  562  (Var.:  feith  Hf,  seetke  Hc;  aseth  HeA,  a  seihe  übr.)  in 
Eope  . . .  shal  make  tke  a  seihe  'dir  Genüge  tun,  Vergeltung  schaffen'. 
Wenngleich  auch  sonst  öfter  das  Präfix  a-  getrennt  geschrieben  wird,  po 
scheint  doch  das  Übereinstimmen  fast  aller  Handschriften  (nur  He  und 
A  schreiben  aseih  zusammen)  darauf  hinzudeuten,  dals  in  diesem  Falle  a 

'  Die  hier  gemachten  Zasammenstellongen  haben  in  erster  Linie  den  Zweck, 
Ergänzungen  zu  diesem  nicht  genug  su  bewundernden  Kiesenwerke  zu  geben  und 
dadurch  dem  jedenfalls  einst  notwendig  werdenden  Supplemente  vorzuarbeiten.  Da, 
wo  dae  Oxford  Dictionary  nicht  zum  Vergleich  vorlag,  habe  ich  solche  Wörter 
notiert,  die  ich  im  Mittelengliaohen  sonst  nicht  oder  nur  einmal  nachweisen  konnte, 
mochten  »ie  im  Neuenglischen  auch  noch  so  bekannt  sein. 


Die  Burghsche  Cato-Farapiirase.  35 

als  unbeetimmter  Artikel  und  sethe  als  die  Form  des  Substantivs  empfun- 
den wurde.  Geradezu  beweisend  für  diese  Auffassung  ist  das  Voncom- 
men  yon  no  seihe  936  (Var. :  fio  feith  Hf,  notkyng  H,  not  Db)  in  w  no 
sethe  greabU,  im  Sinne  einer  starken  Ne^tion  etwa  'keineswegs'.  (OD 
belegt  unter  ctssuth  ein  schott  na  syth  'kemeswegs'  um  1600.)  No  sethe  ist 
zu  a  sethe  offenbar  nach  Analogie  von  no  del  :  a  del  usw.  gebildet.  Im 
Lichte  dieser  Tatsache  ist  nun  wohl  auch  das  in  der  Handschrift  Hc  und 
in  den  Paston  Letters  (OD)  erscheinende  seethe  anders  zu  beurteilen,  bei 
dem  man  sonst  einfach  Apharäse  des  o-  anzunehmen  geneigt  sein  könnte. 
(Utentyfhesse  765  'Aufmerksamkeit'  (Var. :  ententyfhes  K  A  Hc) ;  O  D 
bele^  das  Substantiv  erst  seit  1549,  das  Adverb  attentifly  aber  schon  aus 
Wyclif.  Die  Variante  -f  ententyfhes  entspricht  dem  ne.  mtenttveness  'clo- 
seness  of  attention',  welches  OD  seit  1561  nachweist. 


Schul 

ACprxg;  —  a  tffayt  Hc).  £^n  Verbum  atoite  'tadeln'  fehlt  OD,  dage^i 
steht  es  bei  Mätzner.  Allerdings  ist  von  Mätzners  zwei  Belegen  der  eine 
abzulehnen;  denn  die  Shoreham- Stelle  (ed.  Eonrath  S.  94,  V.  248)  ver- 
langt die  Bedeutung  'rächen,  vergelten',  so  dafs  hier  sicher  mit  Kölbing 
das  überlieferte  atcyte  in  aetoyte  zu  ändern  ist.  Der  zweite  dort  angeführte 
Beleg  stammt  aus  Stans  ptier  ad  mensam  V.  28,  wo  das  Jesus -Ms.  56 
(Bei.  Ant.  I  157)  atoüe  hat,  andere  Handschrift^  aber  aUwite  (Hazlitt 
B.  Pop.  Poet.  III  25)  oder  edtoüe  (Fumivall,  Babeee  Book,  S.  29)  lesen. 
Der  letzteren  Lesarten  wegen  hat  0  D  die  Form  des  Jesus-Ms.  offenbar 
als  Schreibfehler  angesehen  und  darum  awüe  nicht  aufgenommen.  Nach- 
dem aber  an  unserer  Cato-Stelle  sechs  zu  verschiedenen  Gruppen  gehörige 
Handschriften  ein  awüe  bezeugen,  wird  an  der  Existenz  einer  solchen 
Nebenform  kaum  mehr  zu  zweifeln  sein.  Natürlich  handelt  es  sich  um 
Präfix -Vertauschung  oder  -Reduktion  zu  me.  ahoite,  ae.  cettvitan:  zeigt 
doch  das  Spätmittekngllsche  eine  starke  Neigung,  a-  nicht  nur  für  on-, 
of-,  and-,  ge-  eintreten  zu  lassen,  sondern  auch  für  up-  {abraid  980),  en- 
(aeeombranee  837)  u.  del.  m.  Vergl.  übrigens  auch  ne.  ado  und  aiioors 
(V.  726  lesen  alle  Handschriften  cUwyte,  nur  h  educyte). 

Beer  958  'Bs^re' :  fio  be  leid  on  beer  'zu  Grabe  getragen  werden',  dann 
hier  fifl-.  von  bösen  Lüsten  'aufgegeben  werden';  vgl.  Ol)  io  bring  on  bier 
seit  1480. 

berde  722  'Bart':  feaste  in  ihy  berde  'dir  ins  Gesicht  schleudern'. 

Casuel  274:  ü  is  a  easuel  'es  ist  ein  Zufall';  frühester  Beleg  für  die 
Substantivierung  des  Adjektivs  (Einenkel,  Streif züge,  S.  30),  die  O  D  seit 
1566  bezeugt. 

ehynehe  787  'geizen':  ihe  nygard  ehincheth  in  HbDb  (in  den  übrleen 
Handschriften  ist  ehynehe  'Geiuials'  Substantiv).  Das  Verbum  ist  bisner 
(O  D)  nur  aus  dem  Prompt.  Parv.  und  einer  Handschrift  des  Piers  Plow- 
man  bekannt.  Die  Variante  ehwige  G  ist  bisher  ungebucht;  vgl.  dazu 
O.  Ritter  im  Archiv  CXV  174. 

eondude  611  'folgern'  mit  prädikativem  Adjektiv :  to  eondude  ihe  bodu 
vnapte.  In  dieser  Konstruktion  bisher  erst  seit  1628  nachgewiesen,  doch 
mit  prädikativem  Substantiv  schon  seit  1512. 

eonsumyng  357  'zehrend'  (von  Kräutern)  im  Gegensatz  zu  nutritive. 
In  diesem  medizinischen  Sinne  ist  sowohl  das  Verbaladjektiv  wie  das  Ver- 
bum bisher  erst  aus  dem  17.  Jahrh.  belebt. 

eros  ne  pile  718:  Sum  man  . . .  that  hathe  nouthir  cros  ne  pile  'weder 
Vorderseite  noch  Rückseite  einer  Münze',  d.  h.  'gar  kein  Geld'.  Diese 
Form  kennt  O  D  erst  seit  1584,  jedoch  ptU  ne  crouehe  schon  aus  Gower. 

eryminous  745  'eines  Verbrechens  schuldig',  so  von  Personen  seit 
1585  (O  D). 

Deffeetyfe  960  'unvollkommen';  frühester  Beleg  bisher  1472. 


86  Die  BurghBche  Cato-Paraphrase. 

-f  delaviaunce  69  (Var.:  ddeoyancB  Hf,  ddauans  M;  —  daUaunce  ACp 
r  Hc  E  Fe  if>).  Die  zuletzt  genannte  Variante,  welche  dem  ne.  daüianee 
'Tändelei'  entflpricht,  pa&t  metrisch  und  inhaltlich  nicht  recht  in  den  Zu- 
sammenhanj^,  da  das  delaviaunee  of  woord  eaehewe  parallel  mit  to  he  sttUe 
and  keep  tht  Umge  in  mewe  steht  und  ein  lateinisches  eampeseere  linguam 
und  taeere  Dist.  1 8  wiedergibt.  Dag^n  ist  metrisdi  nichts  dnzuwenden 
eegen  das  durch  18  Handschriften  gesicherte  delaviaunee.  Ein  solches  Wort 
tehlt  nun  zwar  bisher  in  unseren  Wörterbflchem,  ist  aber  leicht  als  Ab- 
leitung zu  dem  me.  ne.  delapy  'überströmend'  >  'unmftfsiff'  zu  erlcläreo. 
Obendrein  findet  sich  ein  zu  demselben  Worte  gehöriges  Substantiv  ddavi- 
ness  'Unmäfsigkeit',  das  ebenso  in  Bezug  auf  das  Sprechen  gebraucht  wird 
(z.  B.  bei  Wyclif :  dilavynease  of  hinge)  wie  unser  delaviaunee.  Letzteres 
wird  daher  die  gleiche  Bedeutung  haben,  nämlich  *MalslosiRkeit'. 

delyueraunee  571  ^Var.:  delil^aunee  «Cxi.  Das  me.  ddivertumce  'Be- 
freiung^ pafst  mit  keiner  der  im  O  D  angeführten  Bedeutungen  in  den 
Zusammenhang  unserer  Stelle,  die  ein  lateinisches  Quod  sequitur  speeta 
quodque  imminet  ante  videto  (Dist.  II  27)  wiedergibt  Dag^n  würde  sehr 
gut  pass^  die  Bedeutung,  die  sonst  ne.  deliberatian  (lat.  aeliberatio)  hat, 
nämlich  'Überlegung,  Erwägung'.  Dals  wir  tatsächlich  ein  me.  deliveraunee 
mit  der  Bedeutung 'Erwägung'  erwarten  dürfen,  wird  uns  klar,  wenn  wir 
sehen,  dafs  es  im  Mittelenglischen  auch  ein  Verbum  deliver  mit  der  Be- 
deutung 'erwägen'  «ib  (6  Belege  in  O  D).  Für  dieses  galt  ursprünfflidi 
die  Form  däiber.  Es  gingen  aber  offenbar  ne.  deliber  'erwägen^  und  de- 
liver 'befreien'  im  15.  und  16.  Jahrh.  durcheinander;  und  wie  man  delirer 
in  der  Bedeutung  'erwägen'  gebrauchte,  fa&te  man  auch  d^iperaunce  fds 
Ableitung  davon  als  'Erwägung'.  Caxton  und  der  Schreiber  von  v  fühlten 
die  Zugehörigkeit  zu  deliber  und  schrieben  dafür  deliberaunee  mit  6. 

distanye  C  468  (Var.:  deatany  DE,  deatenye  SaHiHe Ad,- deetynye 
übr.)  ist  fus  neue  Formvariante  zu  deatinff  zu  buchen. 

do  893:  die  Phrase  to  do  for  'to  act  in  behalf  of  ist  bisher  erst  seit 
1528  belegt 

Bgallb2  'unparteiisch';  diese  Bedeutung  belegt  O  D  zuerst  aus  Shak- 
spere;  equal  erscneint  dort  etwas  früher  so  (1585). 

eil  oder,  wenn  man  dem  oft  und  ganz  willkürlich  verwendeten  Strich 
durch  Ü  eine  Bedeutung  beimessen  will,  eile  Liest  die  Handschrift  C  deut- 
lich an  zwei  Stellen  ^204  und  532),  aufserdem  an  der  zweiten  Stelle  auch 
der  Caxtonsche  Drucic.  Die  übrigen  Handschriften  haben  eUes,  elliSy  eUys 
oder  eis.  Die  Form  ohne  -<  ist  auch  sonst  noch  zweimal  üb^llefert,  näm- 
lich einmal  el  in  einer  Handschrift  (Harl.  201)  von  Bk>bert  of  Gloucester, 
V.  9258  (Var.  elles),  und  bei  John  Maundeville  (O  D).  Das  Oxf.  Dict. 
versieht  nun  zwar  beide  Formen  mit  Fragezeichen  und  scheint  also  ge- 
neigt, sie  als  Schreibfehler  aufzufassen.  Angesichts  der  drei  neuen  Belege 
(oben)  müssen  wir  ihr  aber  wohl  Existenzberechtigung  zuerkennen.  Auch 
ist  eine  solche  Nebenform  keineswegs  auffallend,  wenn  man  bedenkt,  wie 
stark  im  Mittelenglischen  die  Neigung  herrscht,  bei  allen  Adverbien  Doppel- 
formen mit  oder  ohne  -es  zu  gebrauchen ;  nur  dafs,  während  sonst  -s  ana- 
lo^sch  an^efüet  wird,  hier  nach  Analogie  der  «-losen  Formen  dasselbe 
irng  unterdrückt  ist. 

enable  152  absol.  'bestärken',  in  diesem  Sinne  bisher  seit  1584  belegt. 

engreehe  siehe  aggregge. 

engrocke  siehe  aggregge. 

enroüe  841  'einprägen',  in  dieser  fig.  Bedeutung  bisher  zuerst  bei  Palu- 
grave  (1580)  nachgewiesen. 

enteniyfneas  siehe  atteniyfnees. 

entrete  750  'to  beseech,  implore'  mit  dem  Akk.  der  Person;  so  seit 
1502  beleg^ 

exceaeifly  789  Adv.  'verschwenderisch'  (OD  seit  1552). 


Die  Burghsche  Cato- Paraphrase.  37 

Ferfulfiesse  796 :  dethe  is  eend  of  ferfutneaae  -  lat.  fmis  malorum,  Dist. 
III  2*2,  also  objektiv  'dreadfulnesB,  der  Schrecken\  OD  belegt  diese 
Qrundbedeutung  seit  Coverdale  1635. 

fretndlynesae  928  (O  D  seit  Caxton  1490). 

Oare  siehe  gatore, 

gawre  656  (Var. :  gaure  F  Hb  D  Hc  Ht,  gare  Cp ;  ~  gauie  R.  gawle 
Fb ;  —  gnare  M) :  tae  may  nai  leite  the  peple  io  gatore  and  erye  =  lat.  ar- 
hürii  non  est  nostriy  quidquisque  loquaUir,  Dist.  III  2.  Da  von  dem  Übeln 
Gterede  der  Leute  die  Kede  ist,  paust  die  ursprüngliche  Bedeutung  *to  stare, 
to  gape'  (OD)  hier  nicht;  es  wird  vielmebr)  parallel  zu  oryey  die  abge- 
leitete 'to  shout  or  crv'  hier  vorliegen,  die  das  OD  zuerst  aus  Palsgrave 
(1530)  nachweist.  —  £in  Synonymon  dazu  ist  offenbar  das  durch  zwei 
Handschriften  vertretene  gatäe,  ganole  —  hier  absolut  und  intransitiv  ge- 
braucht, während  es  in  dem  dnzigen  Belege^  des  OD  aus  Greene  (1592) 
transitiv  erscheint.  TDie  dort  mit  Fragezeichen  gegebene  Bedeutung  'to  bawl 
out'  wird  also  durcn  unsere  Stelle  bestätigt).  —  Die  dritte  Variante  gnare 
(M)  hat  einen  etwas  abweichenden  Sinn :  'knurren,  brummen'.  Sie  ist  als 
frühester  Bel^  (O  D  seit  1496)  besonders  zu  vermerken.  —  Das  gare  end- 
lich des  Oopluiaschen  Druckes  (1557)  ist  eine  (wohl  phonetische)  Schrei- 
bung für  gawre,  welche  O  D  auch  aus  Phaer  (1558)  und  Twyne  (1579) 
belegt.  —  Das  gleiche  gilt  für  V.  435 :  Mähe  nat  cul  men  on  ii  to  gaur  and 
erye  (Var.:  gawe  B,  gnare  M,  gare  Op),  nur  dafs  hier  noch  zwei  weitere 
Varianten  hinzukommen :  gavne  G  una  glauere  Ad.  Letzteres  ist  natürlich 
das  bekannte  me.  ne.  glaver  'schwatzen'.  Oavne  wird  wohl  für  gaune  stehen 
und  dem  im  OD  einmal  aus  Googe  (1563)  bel^^n  ne.aaiume  entsprechen, 
das  ich  als  Nebenform  zu  ne.  ycoon  'den  Mund  aufmachen,  gaffen^  ziehen 
möchte.  Mit  der  letzteren  B^eutung  würden  wir  sehr  wohl  an  unserer 
zweiten  Cato- Stelle  auskommen,  da  es  sich  hier  um  den  Gegensatz  von 
'Verschweigen'  und  'Bekanntmachen'  handelt.  Doch  sei  darauf  hingewie- 
sen, dafs  ne.  dial.  yaum  neben  'gaffen'  auch  die  Bedeutung  'schreien' 
(Wright)  hat,  die  wir  also  auch  für  unser  obiges  gavne  annehmen  können. 

gatole  siehe  gawre, 

gavne  siehe  gawre. 

gnare  fdehegaufre. 

gauerment  CHAx  576  (Var.:  gouemament  FHc,  gotiemaunce  M,  re- 
gement  D,  gouemement  übr.)  ist  eine  Nebenform  zu  govemmenty  die  O  D 
erst  aus  dem  16.  Jahrh.  kennt.  Das  Wort  hat  hier  seine  Grundbedeutung 
'control,  rule',  die  OD  zuerst  aus  Alday  (c.  1566)  nachweist.  Übrigens 
bildet  unsere  Gato-Stelle  das  bisher  früheste  Beispiel  für  das  Vorkommen 
des  Wortes  überhaupt. 

Hastyfty  GHe  790  (Var.:  haeÜyGB,,  haatyly  oder  haately  übr.)  kommt 
als  dritter  zu  den  bisherigen  zwei  Belegen  (14.  Jahrh.)  hinzu. 

herbeire  818  »Blumengarten'  (Var.:  herbere  CM  »'S,  erhayre  Ad).  Die 
hier  durch  den  Reim  auf  ayr^  fayr,  repeir  gesicherte  Nebenform  auf  -eire 
(kerbeire  und  erbayre)  wäre  in  OD  unter  arbour  hinzuzufügen. 

hertynesse  1141  (Var.:  hartynesee  Hb  Ha,  hertlyneese  x)  'Herzlichkeit'. 
Die  Form  hertynees  ist  bisher  erst  seit  Palsgrave  (1530)  belegt. 

Ingroge  siäe  aggregge. 

inheniaunce  721  'das  Erbe'  als  Gegenstand  (so  O  D  seit  1473). 

-^Jayisah  116  C  Cp  {Wwc'.jayeehe  Ho  E  D,  iayes  Pm,  iaühe  H,  jayeche 
Hefjaeche  Ad,  icnscy  F;  —  jangleyng  a;  —  rasshe  Ato;  —  ragtsake  Fe). 
£in  Adjektiv  jayiah  findet  sich  in  keinem  Wörterbuche  aufgeführt.  An 
unserer  Stelle  nimmt  ein  auch  jayiaak  folk  ein  vorausgehendes  wordy  folk 
(=  lat.  verboaoa,  Dist  1 10)  wieder  auf,  mufs  also  mit  ihm  annähernd  sy- 

*  Hftuflger  belegt  ist  das  damit  identische  me.  gouien  (s.  O  D  unter  gowl ; 
Björkroan,  Scandinavian  Loanwords  I  69). 


88  Die  Burghsche  Cato-Paraphrase. 

Donym  sein.  Daraus  ergibt  sich  die  Bedeutung  'ffeschwätzigi  plappernd'. 
Zu  dieser  können  wir  auch  auf  etymologischem  Wege  gelangen,  wenn  wir 
das  Adjektiv  als  Ableitung  zu  ne.  jay  (l)  'Häher,  £lster',  (2)  'an  imperti- 
nent chatterer'  (O  D)  ziehen,  natürlich  an  die  zweite  Bedeutung  anknüp- 
fend. Diese  letztere  Bedeutung  ist  nun  zwar  bisher  erst  seit  Skelton  (15^) 
nachgewiesen;  doch  dafs  die  Geschwätzigkeit  der  Elster  schon  damals  in 
England  sprichwörtlich  war,  zeigen  sowohl  die  beiden  Erzählungen,  die 
Wright,  Homes  of  Other  Days,  London  1871,  S.  253  ff.,  aus  dem  'Cheva- 
lier de  la  Tour-Landry'  und  den  'Seven  Safes'  anführt,  wie  zahlreiche 
Stellen  bei  Schriftstellern,  wie  z.  B. :  thou  Jangtest  aa  a  joy^  Chaucer  C.  T. 
B.  774;  ihey  mowe  wel  ehüeren,  as  doon  these  jageSt  Chaucer  C.  T.  G.  1397; 
elappe  and  iangle  foorth,  as  dooth  a  iay,  Uoccfeve  Bai.  to  Henry  V.  87; 
the  iay  tangUd  ihem  amonge,  Squyr  of  Lowe  Degre  V.  51  (OD);  lihe  a 
jay  jangdyng  m  his  cage,  Lydgate,  Minor  Poems,  S.  165;  thei  eheteryn 
and  ^atervn,  as  they  jays  teere,  Coventry  Myst.  S.  382;  to  jangle  as  a 
jaiUf  La  Belle  Dame  sans  merd  (ed.  Skeat)  V.  744 ;  he  jangUth  as  a  jay. 
Pfowmans  Tale  V.  792;  as  jangelynge  as  a  jay,  Russells  Boke  of  Nurture 
V.  36  (Babees  Book  p.  119)  usw.  Alles  dies  spricht  dafür,  dals  wir  ein 
neues  Adjektiv /aytsA  'eescnwätzig'  für  das  Wörterbuch  notieren  dürfen. 
In  der  Variante  tayes  ^m]  haben  wir  die  nördliche  Form  des  Suffixes 
"ish  vorliegen.  Die  Neoentormen  iaishe,  javscke  sind  zu  vergleichen  mit 
dem  prayng  des  Catholicon  Anglicum,  S.  z89:  Kontraktion  oder  Haplo- 
graphie.  Das  eleiche  gilt  wohl  von  jasehe  (mit  schott.  Schreibung?),  das 
wohl  schwerlich  mit  Douglas'  iasche  'a  noise'  (O  D)  und  schottischem  jass 
(Wright)  zusammenhängt.  Schwieriger  ist  das  iaiscy  (oder  iaiaeu?)  der 
sonst  sehr  sorgfältigen  Handschrift  F  zu  deuten,  wenn  es  aucn  wohl 
sicher  ebenfalls  zu  iay  gehört.  Sollte  hier  vielleicht  ein  falsch  abgetrenntes 
Suffix  'Cy  I  -sy  vorliegen  (vgl.  ne.  icy,  fleaey,  spiey,  juiey,  sluio^,  sauey), 
wofür  ich  freilich  sonst  kein  Beispiel  weifs?  Oder  soUte  man,  wie  bei  ne. 
dial.  jawsy  'talkative'  (Wright)  zu  jaws  'Kinnbacken*,  vom  Plural  jays  aus- 

fehen  müssen?  —  Die  Variante  iangjeung  'sdiwatzend'  ist  ein  wohlbe- 
anntes  Synonymen.  —  Einen  abweicnenden  Sinn  aber  hat  rash  'vor- 
schnell, voreilig,  unbesonnen',  das  in  A  und  o>  erscheint  Die  Variante 
ist  um  so  interessanter,  als  das  Wort  überhaupt  nur  zweimal  (OD)  in 
me.  Zeit  belegt  ist  und  speziell  in  dem  hier  erforderlichen  modernen  Sinne 
erst  seit  1558.  —  Das  sonst  unbezeugte  ragisshe  von  Fe  erklärt  sich  wohl 
am  ehesten  entweder  als  direkte  Ableitung  zu  rage  'Wut'  oder  als  Um- 
gestaltung (SuffixvertauBchung)  von  ragicus  'wütend,  rasend*. 

iupa^  824  trans.  'to  stake,  to  bet*  (so  O  D  seit  1470).    Var.:  iupard, 
jubarte,  jubard,  joberd,  gewparde,  jeopard,  gibarde,  iebarde,  ieparde. 

Knack  69<J:  For  even  so  riht  as  thou  deprauvst  hym,  hyhynde  thy 
ftakke  |  Riht  so  wol  men  make  the  a  mokke  a/nd  a  knaidcB  =  lat.  eaxmplo 
simüi  ne  te  derideat  alter,  Dist.  III  7.  Mithin  ist  make  the  a  mokke  and 
a  kncMe  annähernd  synonym  gebraucht  mit  deprave  'schlecht  macheu'; 
und  wer  solches  tut,  heÜBt  gleich  darauf  ein  skomer  'ein  Spötter,  Ver- 
ächter*. Daraus  ergibt  sich,  dals  sowohl  mokke  wie  knakke  so  etwas  wie 
'Gegenstand  des  Spottes*  heiÜBen  mufs,  entsprechend  dem  latein.  derideat. 
Das  O  D  führt  nun  ein  Wort  kncik  mit  der  Bedeutung  'a  taunt,  gibe*  auf, 
freilich  nur  mit  Belegen  aus  schottischen  Texten  des  16.  Jahrhunderts; 
ich  zweifele  aber  nicht,  dafs  dasselbe  Wort  mit  derselben  Bedeutung  hier 
an  unserer  Cato-Stelle  vorliefi:t.  —  Statt  mokke  lesen  C  Hb  £  Q  D  Fe  mowe 
und  CpHeHd  moppe.  Beide  Wörter  bedeuten  'Grimasse,  Fratze*.  Diese 
Kopisten  müssen  auch  knakke  in  einer  anderen  Bedeutung  gefalst  haben, 
jedenfalls  der  gewöhnlichen  von  'Posse,  Streich*. 

Leve  789:  to  take  leve  'Lebewohl  sagen*  >  'fortgehen,  schwinden*  (von 
der  menschlichen  Kraft  gesagt) ;  so  im  ng.  Sinne  bisner  seit  Dunbar  (1500) 
belegt. 


Die  Burghsche  Cato-Paraphrase.  39 

lofte  165 :  to  erye  an  lofle,  im  Gegenaatz  zu  speke  soft,  kann  nur  helGsen 
'laut  Bchrden',  eine  Bedeutung,  die  unter  aloft  im  O  D  fehlt,  aber  \  unter 
ioft  mit  zwei  Belegen  aus  'Aunters  of  Arthur'  und  'Golagros'  nachgeholt 
wird.  Ob  die  Steile  aus  Purchas'  Pilgrimage  (1618)  Sp&ake  aloft  and 
prowUey,  wo  O  D  die  sonst  nicht  nachweisbare  Bedeutung  'in  a  lofty  tone, 
loftily'  annimmt,  nicht  auch  hierher  zu  ziehen  ist? 

long  684:  fatthe  longe  'schlie&lich,  d.  h.  auf  die  Dauer,  auf  die  Länge; 
nichts  genau  Entsprechendes  in  O  D. 

M%8  657 :  if  tnei  sey  mys,  ihei  lye,  parallel  zu  maligne;  mithin  io  aey 
mys  'ubelreden,  verleumden',  was  für  me.  misseggen  mehrfach  belegt. 
Weitere  Beispiele  für  diese  Abtrennung  der  Verbalpartikel  stellt  Mätzner 
unter  mis  zusammen.  Dazu  Sidney-Cato  V.  468  (Engl.  Stud.  36,  40) :  If 
ßau  . . .  misse  pe  goueme. 

modifie  1035  'mäfsigen'. 

myserous  469  'unglQcklich'. 

mokke,  moppe,  mawe  siehe  knakke» 

Noysaunee  619  'Übel,  Schaden';  auch  Partenay  V.  401  (Btr.-Br.). 

noysaunt  723,  parallel  mit  ftd  of  greuanee,  gehört  offennar  zu  dem- 
selben Stamme  und  wird  'schädlich,  lästig'  heusen;  vergl.  me.  noyous 
'troublesome'. 

mUrytive  617  subst.  'Nahrung,  Nährmittel'. 

nyeä  601  (Var.:  nysed  MEx  Y,  nyee  F(>S;  —  icanton  Hb)  in  any 
nyced  fantasie  muXs  'närrisch  geworden'  heÜAcn  und  wohl  als  Partz.  zu 
me.  ntsen  'to  become  foolish'  (Gawain  1206  Str.-B.)  gezogen  werden. 

Offieeless  1186  'ohne  Amt',  hier  'aus  dem  Amt';  in  D  O  nur  aus  Cath. 
Angl.  1488  und  Fräsers  Mae.  1884  bel^. 

ouerfreiht  855  (•fraughtuh,  -frehi  F)  'fiberladen'  (vom  Boot  gesagt); 
bisher  frühester  Beleg  aus  Palsffrave  (1580). 

ouer^eyntid  288  'übermalt',  hier  fig.  (von  der  Bede  =  lat.  hlando  ser- 
mone,  Dist.  I  27)  'geschmückt,  geschminkt,  schönfärberisch,  schmeichle- 
risch'; so  in  fig.  Smne  bisher  erst  seit  c.  1750  nach^wiesen,  das  Wort 
gelbst  seit  1611.  Vgl.  me.  to  paint  'to  feign,  to  fawn" (Beispiele  in  OD, 
dazu  Bur^s  Cato  228,  wüh  peyntid  woord). 

Pari2&\:  fno  pari  'keineswegs',  fehlt  OD;  doch  some  part  'to  some 
extant,  somewhat'. 

peeuniall  871:  whan  ihou  hast  plente  and  ort  peouniall;  das  Wort 
mufs  also  hier  f 'reich'  bedeuten,  wie  sonst  me.  peounious,  obschon  0  D  nur 
die  Bedeutungöi  1)  'consisting  of  money',  2)  'pertaining  to  money'  kennt. 

mreignabU  1080 :  Aftir  pcmerte  riehesse  is  preignaUe  heUst  es,  wo  vom 
Wecnsel  des  Schicksals  die  Bede  ist;  somit  würde  hier  gut  passen  die 
Bedeutung  'wieder  erhältlich,  erlangbar'.  (Für  ne.  pregnable  oieten  die 
Wörterbücher  nur  die  Bedeutung  'mit  Gewalt  einnehmbar'.) 

preseruaiiffe  821  'konservierend,  erhaltend'. 

proeessour  488  'der  Prozefsführer,  Kläger'? 

progenytours  806  (Var  :  prymogenitours  HbHc)  'die  Eltern'. 

Rasshe  siehe  jayisshe, 

ragish  aehe  tayisohe. 

regest  845  'emschreiben'  >  'aufzeichnen'  (O  D  erst  seit  1520). 

reieete  902  'zurückweisen'. 

releeve  732:  to  othir  mennys  deede  releeve,  und  812  resorte  and  hidir- 
ward  rdeve,  beide  Male  also  intransitiv;  daher  etwa  'seine  Zuflucht  neh- 
men* bedeutend. 

retreve  814:  vnto  this  place  retreve,  intransitiv  'sich  wieder  einfinden, 
wieder  hingehen'. 

Seonfet  458  (Var. :  scomfUe  H  Ha  A  x  He  D,  seumfU  M,  seomfUed  v  v, 
sehoumfUe  Ad,  seonfyeted  He,  diseomfet  Cp)  'besiegt'. 

sethe  siehe  a-seth. 


40  Die  Burghsche  Cato-Paraphraae. 

alyve  1008  (Var.:  slyffe  k  Hc,  sleyue  H;  —  stryve  D;  —  sehyve  Fe; 
—  fUue  Gp) :  Dociryne  hepiths  vertu  on  lyve,  Wkiehe  ne  imt«,  doctryne  soone 
from  man  shuld  alyve,  ]Nach  dem  Zusammenhang  maus  ea  sich  bier  um 
ein  Verbum  der  Bewegung  oder  des  Sich-Trennens  handeln.  Der  enteren 
Bedingung  entspricht  das  ne.  dlaL  to  sHve  'gleiten,  schleichen'  (Wright), 
das  JMenfalls  identisch  ist  mit  Palsrnves  *I  üyve  downe^  I  mU  doume 
sodaynlyt  Je  coule'  (1580).  Daha:  düiten  wir  wohl  ffir  unsere  Gato-Stdle 
ein  me.  slyve  'entschlüpfen'  ansetzen.  Dasselbe  Wort  kommt  dialektisch 
auch  als  Faktitiyum  vor  in  der  Bedeutung  'to  put  on  an j  article  of  dress 
hastil^r  <uid  untidilj'  (Wright).  (Zur  Bedeutungsentwickäun^  vergleidie 
ne.  sHp  1)  'schlupfen,  gleiten',  2)  'schlupfen  machen'  >  'hurtis  anziehen' 
und  mndd.  slippen  1)  'eldten',  2)  'gleiten  lassen'  >  'den  Mantd  über  den 
Kopf  han^n'.)  Ich  naite  es  daher  für  sehr  wahrscheinlich,  dafs  das  Wort 
identisch  ist  mit  dem  ae.  sl^fan  'dn  Kleidungsstück  überwerfen,  über- 
streifen', das  einmal  belegt  ist  in  dem  Prosatöben  des  h.  Guthlac  (ed. 
Goodwin,  London  1848,  8.  68) :  Quäkte  hine  sylfhe  ungyrede,  <md  ßat  finff 
ße  he  genehiiee  on  htm  hiBfde,  he  hine  [lies  hü]  alefde  on  hone  forespreeenan 
man.  Lautlich  und  begrifflich  würde  sich  dies  ae.  Veroum,  ws.  *8lf€fan, 
*„slyfanf  angL  slsfan  zu  vläm.  ndl.  slöven  in  xijne  nwmoen  slooven  'die 
Ärmel  aufstreifen'  (s.  Franck)  steUen  und  mit  diesem  zusammen  auf  ein 
ur^.  ^slaußän-  oder  *8lawijdn-  zurückweisen.  Ableitungen  dazu  mit 
gleichem  Vokalismus  sind  ae.  slyfe,  slefe  'Ärmel',  ne.  eleepe  [=  mndl.  slöpe 
(ohne  i-Umlaut):  nfries.  saterl.  «/^,  Sylt  sltwn,  Siebs  im  Grdr.  8.  1350 
u.  1887,  beide  ein  afrs.  *8lSve  voraussetzend]  sowie  ae.  slebeeeoh  'soccus' 
imd  slpfleae  'ärmellos',  auch  das  sltfer  'lubricns'  der  Brüsseler  Glossen, 
falls  hier  nicht  ein  Schreibfehler  für  sltpor  vorliegt,  was  wc^n  des  ne. 
diaL  sUverly  'slinking,  crafty'  (Wright)  nicht  eben  wahrscheinuch;  weiter- 
hin mit  Ablaut  C^luf-t  slt^-)  me.  sloveyn,  ne.  sloven  :  ndl.  slof  'nachlässig' 
mit  Genossen  (s.  Franck).  —  Von  den  Varianten  ist  etryve  'streben'  durch- 
sichtig. —  Die  Form  sehyve  wird  dem  bei  Langland  und  Wydif  belegten 
me.  sehiven,  ne.  dial.  to  shtve  (Wright)  'schieben  (aus  ae.  *  seyfan  oder  an. 
skyfa)  entsprechen,  jedoch  hier  die  intransitive  Bedeutung  'sich  abschieben, 
fortbewegen'  haben,  welche  sowohl  bei  ne.  to  shove  wie  Mi  ne.  dial.  to  ahdve 
off  'to  go  away' (s.  Wrig^ht,  der  unnötig  hierfür  ein  neues  Verbum  annimmt) 
vorkommt  —  Fliue  bei  Copland  ist  wohl  nur  Druckfehler  für  sliue. 

sehyve  siehe  slyve, 

streeehe  1042  mit  to  'sich  strecken  nach,  trachten  nach'  (to  konnyng); 
vgl.  ne.  to  streich  for  'sich  anstreneen,  um  etwas  zu  erlangen'. 

super flue  579  'Überflüssiges'  fAdj.  oder  Subst?). 

surfetour  320,  488  'Schwelger',  ne.  surfeiter. 

Toüous  298  'eeschfiftig,  fleiisig'. 

Virous  922  (Var. :  vrous  v,  eurous  x)-  Die  Variante  der  schlechtesten 
Handschriften  -  Gruppe,  vrous,  eurous  'glücklich',  ist  leicht  verständlich, 
pa&t  aber  nicht  recnt  in  den  Zusammenhang.  Die  ganze  Strophe  handelt 
über  die  Stärke  (fortitude  =  lat.  praevaltdae  in  corpore  vires  ,,,  vir  fortis, 
Dist.  IV  12).  Der  Satzteil,  in  aem  das  Wort  erscheint,  as  to  he  virousj 
myhti,  strong  and  rüde,  ist  nichts  weiter  als  eine  nähere  Ausführung  des 
vorherigen  strengthis  hodyly;  mithin  muls  virous  so  etwas  wie  'kraftig, 
männlich'  oder  dgL  bedeuten,  obgleich  ich  das  Wort  sonst  nicht  nachzu- 
weisen vermag.  Da  im  Neuenglischen  ein  deichbedeutendes  Adjektiv  vi- 
rüe  erscheint,  werden  wir  unser  virous  wohl  mit  diesem  zusammensteilen 
dürfen,  sei  es  nun,  dais  wir  Suffixvertauschung  annehmen  oder  eine  ge- 
lehrte Neubildung  zu  lat.  vir  darin  sehen. 

Würzburg.  Max  Förster. 


Znr  Herkunft  von  ne.  slaziff. 

Mit  einem  Anhang  über  das  'bewegliche  s'  im  Englischen. 


Von  Wedgwood,  Skeat  und  anderen  wird  das  Wort  slang  'vulgär 
language'  aus  dem  Nordischen  hergeleitet:  norw.  sleng  *&  slinging, 
a  device,  a  bürden  of  a  song',  shngja  'to  sling',  slengja  kjeften  'to 
slang,  abuse'  (lit  'to  sling  the  jaw')  usw.  In  seinem  grofsen  Etymo- 
logischen Wörterbuch  bemerkt  Skeat  dazu:  'I  see  no  objection  to  this 
explanation;  which  is  far  preferable  to  the  wholly  improbable  and 
unauthorized  connection  of  slang  with  £.  lingo  and  F.  langue,  without 
an  attempt  to  explain  the  initial  s,  which  has  been  put  forward  by 
some,  but  only  as  a  guess.'  Schröer  läfst  die  Frage  nach  der  Her- 
kunft des  Wortes  offen ;  an  den  nordischen  Ursprung  scheint  er  nicht 
zu  glauben  —  er  begnügt  sich  mit  einem  [?]. 

Auch  mir  will  die  Ableitung  von  na  slan^  aus  nordischer  Quelle 
nicht  einleuchten.  Das  Wort  ist^  soweit  ich  sehe,  zuerst  in  Fieldings 
JofuUhan  Wild  (1748)  belegt;*  der  erste  Lexikograph,  der  es  buchte 
ist  Grose  {Classical  Dictionary  of  the  Vulgär  Tongue,  1785):  'Slang, 
Cant  language.'  Allem  Anschein  nach  ist  es  kein  altes  Wort,  das 
unserem  Blick  nur  durch  die  Ungunst  der  Überlieferung  entzogen 
würde;  es  ist  offenbar  erst  im  17.  (oder  gar  im  früh-18.?)  Jahrhun- 
dert aufgekommen.  Eine  so  späte  Entlehnung  aus  dem  Nordischen 
anzunehmen,  hat  aber  zweifellos  etwas  Bedenkliches.  Zudem  bietet 
die  Lautform  des  Wortes  Schwierigkeiten.  Ich  sehe  nicht,  wie  man 
von  sleng  aus  zu  slang  gelangen  sollte;  viel  eher  wäre  eine  Entwicke- 
lung  in  entgegengesetzter  Richtung,  zu  ^ sling  hin,  zu  erwarten  (cf. 
sling  <  sWngva,  string,  udng  usw.).^  Endlich  ist  auch  das  semasio- 
logische  Verhältnis  von  engl,  slang  zu  der  nordischen  Wortgruppe 
nicht  ganz  durchsichtig.  Das  englische  Wort  hat  meines  Bedünkens 
von  Haus  aus  die  Bedeutung  'besondere  Sprache  einer  Ge- 
sellschaftsklasse, ZunftspracheV  wie  sich  diese  aber  aus  den 


'  [Nachtrag.  Nach  gütiger  Auskunft  von  Dr.  Henry  Bradley  enthält 
auch  das  Material  des  N,E,D.  keinen  älteren  Beleg.] 

*  Ans  Lautungen  wie  slani  (me.  slenten)  und  skU  (?  zu  an.  aletta)  darf 
kein  Einwand  dagegen  herleitet  werden,  da  für  das  a  dieser  Wörter 
kdnesfalls  das  anlautende  sl-  verantwortlich  zu  machen  ist. 

'  Die  Bedeutung  'schelten,  Scheit-'  halte  ich  für  abgeleitet,  falls  nicht 
überhaupt  dieses  slang  von  dem  anderen  ganz  zu  trennen  ist. 


42  Zur  Herkunft  tod  ne.  slang. 

Bedeutungen  'slinging,  devioe,  abuse'  habe  entwickeln  können,  ist 
Bcbwer  zu  verstehen. 

Ich  möchte  eine  neue  Deutung  der  Herkunft  von  e.  slang  wagen. 

Meines  Erachtens  zerfällt  das  Wort  etymologisch  in  die  beiden 
Bestandteile  s  -)-  ^^-   Ich  stelle  die  Besprechung  des  zwaten  voran. 

Wie  H.  Reed  richtig  bemerkt  hat^  ist  slang  'a  word  belonging 
to  the  very  vocabulary  it  denotes'.  Bekanntlich  ist  nun  im  Slang 
die  Neigung  stark  ausgeprägt^  mehrsilbige  Wörter  abzukürzen;  es 
heilst  (oder  hieis)  im  Slang  eab  für  oabriolet,  mob  für  mobile  (vtdgus), 
phiz  für  physiognomy,  rep  für  repuUüion  usw.  So,  meine  ich,  hat 
man  auch  das  Wort  language  im  Slang  des  17.  Jahrhunderts  zu 
lang  verkürzt;  vielleicht^  dafs  das  französische  langue  dabei  von  Ein- 
fluls  gewesen  war.  ^ 

Wie  aber  wäre  das  anlautende  s-  zu  erklären  ? 

Ich  führe  es  auf  einen  Attraktions^ Vorgang  zurück.  Man  ver- 
wendete, so  möchte  ich  vermuten,  das  eben  ersdilossene  lang  beson- 
ders in  Verbindungen  wie  beggara*  lang,  gipsie»'  lang,  huniera'  lang, 
pedlars'  lang,  sailora'  lang,  ihievea'  lang,  Hnkera*  lang  usw.;  imd 
von  hier  aus  konnte  man  sehr  leicht  zu  slang  gelangen,  indem  man 
das  'S  zum  Anlaut  des  folgenden  Wortes  zog. 

Ein  genaues  Analogen  zu  dem  hier  für  die  Erklärung  von  ne. 
sUmg  angenommenen  Verschmelzungsprozefs  vermag  ich  aus  dem 
Dialekte  des  westlichen  Comwall  anzuführen.  ''In  West  Cornwall 
the  possessive  s  from  such  words  as  'pig's  crow',  'calf  s  crow',  etc.  has 
largely  attached  itself  to  the  latter  word,  and  <a  scrow'  is  as  common 
(probably  commoner)  as  <a  crow*,"  (The  English  Dialect  Dictionary 
8.  V.  scrow  *a  hut,  hovel«  shed').  3 

Die  Erscheinung  der  'Lautattraktion'  ist  ja  im  übrigen  etwas 
der  englischen  Sprache  ganz  Geläufiges;^  ich  brauche  nur  an  die 
bekannten  Typen  zu  erinnern: 

ch-am  <  ich  am ; 

l-one  <  cU  one; 

M-aodesfield  <be,  to  fam  A-,  Eedesfield; 

n^ewt  <  an  ewi; 

n-once  <  for  then  ones; 

*  Das  N.  E,  D.  verzeichnet  ein  (heute  Teraltetes)  langue,  lang(e}  <  frz. 
langue.  Ob  der  Beleg  aus  Carpentere  Pragm,  Jesutt  c.  1665  'If  yoar  lang 
be  flcanty,  Th'Italian  Tongue  welcoma  you  tuttie  quanti'  nicht  vielleieht 
für  unser  *lang  <  language  in  Anspruch  zu  nehmen  ist? 

*  Ich  bediene  mich  dieses  Ausdrucks  lediglich  in  Ermangelung  eines 
besseren . 

^  Ist  das  Verhältnis  von  dial.  swask  'pigs'  wash'  zu  wash  ebenso  zu 
beurteilen  ? 

*  Vgl.  die  eingehende  Abhandlung  von  Charles  P.  G.  Scott  in  den 
Tramaetions  of  the  American  Phiiologieal  Association  1892,  XXIII  179  ff.; 
1898,  XXIV  89  ff. ;  1894,  XXV  82  ff. 


Zur  Herkunft  von  ne.  slatig.  48 

n-uncle  <  mine  unde; 

n-under  (dial.)  <  an,  on  -|-  under; 

Pugh  <  Ap  (wal.  map  *Sohn';  ir.,  gael.  Mac)  Hugh; 

Beüy  Bee  (Flufsname)  <  be  there  ee;^ 

t-awdry  <  Saint  Ä%uiry\ 

t'Other  <  [the]i  oiker. 

Von  prosthetischen  «-Bildungen  dieser  Art  verzeichne  ich: 

's-arternoon  (West  Somerset)  <  ihis  aftemoon; 

'seure  (irisch)  <  devü's  cure;^ 

s'lay,  sley  (Somers.)  <  so  lay  <as  lief; 

sHke,  slrnk  (Yks.,  Grlouoestersh.,  Somers.)  'probably;  of  course,  cer- 

tainly'  <  ii  is  like; 
smacle  (Bozb.;  veralt)  'as  much'  <  as  miekle;  ähnlich  stite  (Nhb., 

Dur.,  Yks.)  'as  soon*  <  as  Ute  und  xmo  (Som.)  <  as  I  know; 
smiver  (Yks.)  'howeyer*  <  howsomever] 
'snaw  (Wilts,  Dors.)  'used  as  a  meaningless  expleüve'  <  dost  [thou] 

know; 
Swithold  <  Samt  WithoUL » 

Ob  auch  das  Wort  sneck-up,  snick-up  (Inteij.  ?*2um  Henker!*) 
hierhergehört,  ist  zweifelhaft;  die  Herleitung  aus  his  neck  up  will  mir 
wenigstens  nicht  recht  zusagen.  Eine  Gruppe  für  sich  bilden  die  Aus- 
rufe, in  denen  der  Genitiv  Ood's  (oder  auch  das  Pronomen  his)  euphe- 
mistisch zu  's  verkürzt  ist:  'sblood  [sblad,  zblad],  scurse  (dial.),  'sdeath 
[sdef>,  zdef>],  'sfoot,  'slid,  *slife,  'slight,  'snaüs,^  struth  (dial.),  xounds 
(<  Qod's  wounds).  Um  eine  blofse  Aphärese  handelt  es  sich  in 
Fällen  wie  seuse,  'scuse  <  excuse,  sdain  <  disdain,  smay  (dial.)  < 
me.  esmaien,  splay  <  display,  sport  <  disport,  stain  <  distain  usw.; 
aus  vorliterarischer  Zeit  wäre  (mit  Blluge)  *spraidjan  <  us-hraidjan 
(ae.  sprddan,  ahd.  spreiten)  hierherzustellen.  — 

Es  sei  mir  erlaubt,  diese  Gelegenheit  zu  einem  Exkurs  über  das 
sog.  'bewegliche  s*  im  Englischen    zu  benutzen.^    Die  fragliche 


*  Hempl  in  der  Fumivall-Festschrift  S.  154.  Ahnliches  im  Deutschen 
und  anderwärts:  lokal  Mich  <  im  Eichickt  (Schwarzburg.-R.) ;  Ra  <  in 
der  Aue  (Sachsen-Mein.) ;  Troppau  (slaw.  Opawa)  <  an  der  Oppa;  holstein. 
Sehreifen'  <  [de]8  grevm-  (Schröder,  PBB  29,  482);  ital.  SUmko,  türk. 
Jstanköi  'Kos'  <  h  rar  Km;  mittelalt.  Saihines  'Athen*  <  eis  li&rjvas; 
Stiva  'Theben'  usw.  [Stambid  ist  wohl  aus  (Konjstantinopel  verkürzt]. 

*  Wenn  neben  lob^s  course  ein  verkürztes  scouse  auftritt,  so  darf  nicht 
vergessen  werden,  dafs  lob's  course  erst  aus  lobscouse  entstellt  ist 

'  Der  Kuriosität  halber  erwähnt  sei  die  famose  Herleitung  von  eleeve 
'a  favour,  a  love-token'  aus  dtsch.  aus  Liebe  (zitiert  bei  Skeat,  PrEE  II 
448),  die  sich  der  Deutung  von  Stuttgart  aus  [s] Totengarten  würdig  an 
die  Seite  stellt. 

*  *ßy  goddes  precious  herte,  and  hj  his  natfles'  (Chaucer,  Pa/rd,  Tale), 
^  DaCs  bd  dem  Worte  slang  an  dieses  s  nicht  zu  denken  ist,  hab^ 

die  obigen  Darlegungen  gezeigt. 


44  Zur  Herkunft  von  ne.  8lang, 

Erscheinung  ist  namentlich  in  den  Dialekten  sehr  stark  ausgepFägt; 
meine  Beispiele  habe  ich  daher  groisenteils  dem  English  Dialeei 
Diciionary  entnehmen  können.  Das  Bild,  das  sich  dem  Betrachter 
bietet,  ist  von  verwirrender  Buntheit  Zuweilen  steht  dner  schrift- 
sprachlichen Form  ohne  s  eine  dialektische  mit  s  gegenüber,  oder 
umgekehrt;  häufig  sind  die  Wörter  in  beiderlei  Gestalt  der  Schrift- 
sprache fremd;  gelegentlich  aber  finden  sich  auch  Formen  mit  und 
ohne  8  im  Schriftenglischen  nebeneinander.  Einige  Wörter  sind  über 
ein  gröfseres,  andere  über  ein  kleineres  Sprachgebiet  verbreitet;  diese 
Form  ist  im  Norden  zu  Hause,  jene  etwa  im  Südwesten  heimisch; 
ja  es  kommt  wohl  auch  vor,  dafs  eine  Form  gleichzeitig  in  zwei  weit 
voneinander  entfernten  Gegenden  auftritt^  Chronologisch  wären 
verschiedene  Schichten  zu  unterscheiden,  deren  Entstehung  zum  Teil 
durch  Jahrhunderte  getrennt  ist.'  Was  die  Bedeutung  des  s-  an- 
langt, so  mag  ihm  zuweilen  eine  verstärkende  Kraft  innewohnen 
(ich  denke  vor  allem  an  onomatopoetische  Bildungen  wie  sereak, 
scrunch,  splash  usw.);^  in  anderen  Fällen  wird  davon  freilich  kaum 
die  Rede  sein  können,  so  dals  dort  das  s  blols  ein  'redundant  initial' 
(Elworthy,  EDS  50,  S.  688)  ist  Nur  ausnahmsweise  dürfte  falsche 
Abtrennung  eines  vorhergehenden  -s  (Flexions-5;  -s  von  his,  this, 
these,  ihose  usw.),  also  'Attraktion'  (s.  o.),  für  das  Bestehen  von  Doppel- 
formen  verantwortlich  zu  machen  sein.  Bei  Wörtern  französischen  Ur- 
sprungs spiegelt  die  Doppelgestalt  häufig  einen  in  der  Quellsprache 
vorliegenden  Wechsel  von  Formen  mit  und  ohne  Präfix  fejs-  <  ex- 
wieder.  —  Das  bekannte  lautliche  Kriterium,  demzufolge  anlautendes 
[sk]  in  Wörtern  germanischen  Ursprungs  auf  nordische  Herkunft 
deutet,^  ist  für  die  Wörter  mit  beweglichem  8  nur  ausnahmsweise 
anwendbar  (so  vielleicht  bei  8erab  <  schwed.  dial.  8kral>ba);  das  [sk] 
dieser  Wörter  ist  ähnlich  wie  das  in  (uk,  dtuk^  tu8k  zu  beurteilen.^ 
—  Ich  bemerke  noch,  dafs  ich  in  der  folgenden  Zusammenstellung 
nur  die  spezifisch  englischen  Fälle  von  beweglichem  8  berück- 
sichtigt habe. 


*  8o  wird  das  vb.  seaffle  im  Dial.  Diet.  für  Nord-Lincobishire  und 
Cornwall  bezeugt  AUerdings:  wie  weit  machen  die  Angabcm  des  Z>.  /). 
in  diesem  Punkte  auf  Vollständigkeit  Anspruch  ?  Da  hierüber  ein  Zweifel 
berechtigt  erscheint,  habe  ich  von  einer  genauen  Begistriening  der  ein- 
zelnen Verbreitungsgebiete  absehen  zu  dunen  geglaubt 

*  Sehr  alte  Dubletten  sind  z.  B.  spink  :  findi,  spunk  :  funkf  strum  : 
thrum;  ganz  jung  erscheinen  dag^en  Bildungen,  wie  sie  namentlich  in 
einigen  sudlichen  Dialekten  (Wilts,  Hants)  anzutreffen  sind :  spieter  'picture', 
spith,  spyxon  'poison'  usw. 

^  Wie  weit  hierbei  das  s-  <  afrz.  es-  von  Einflufs  gewesen  sein  mag, 
bleibe  dahingestellt 

*  Eine  Ausnahme  bilden  holländische  Lehn  worte  wie  landacape,  skatey 
skellum,  shipper  usw. 

^  Die  vereinzelt  aus  ae.  scr-  (regelrecht)  entwickelten  «^-Formen  habe 
ich  beiseite  gelassen. 


Zur  Herkunft  von  ne.  slang.  45 

sa-:  saunier  'adventure;  idle  tale'  (frz.). 

BJca-:  scaffle  *U>  equivocate,  to  change  one's  mind';  scagmagly 
'worthless'  neben  cag-mag  sb.  'anything  worthless';  scammisk  'awk- 
ward'  zu  chammish;  scant  *to canf;  scantle (frz.);  scatcher  (Lin.)  'oyßter- 
eatcher^;  s  ccUftJer-comer  'diagonally';  scause  (Nhb.)  *to  cause'. 

8 Ol-:  sclash;  sclasp;  sctaUii  'Schmutz';  sclaw;  sdem  ^  steal 
slyly'  zu  skeUum  'Schelm'  (D.  D.)?  oder  etwa  zu  clem,  dam  'klem- 
men'?; sclitnb;  scluchien  'flat-lying  ridge';  sdyte  'to  fall  heavily*. 

8  0O-:  seoanse  'pavement';  s^eocker  'rift  in  a  tree';  ?seog  'to  boast' 
zu  cog  'to  cheaf  ?  scoggers  (auch  hogger)  'leggings';  fcoüopfsj  'Fleisch- 
schnitte' <  seoüopfs)  <  frz.  escahpes;  ^scopious  'ample'  (Halliwell)  zu 
capious;  scorkle,  score  'care  of  an  apple  or  pear';  ?scottle  'to  cut 
badiy  zu  eui;  scouch  'to  stoop'  (afn.  escouäiier);  sco(u)rse  'aus- 
tauschen' (vgl.  hierzu  das  K  E.  D.  und  Scott  1.  c  XXIV  138  ff.); 
seowther  'to  drive'. 

8ora-:'  scrab  (Clydesd.  scribe)  'cro^apple';  scradge  'to  dress 
and  trim  a  fen-bank';  scraffish  'crawfish,  crayfish'  (frz.);  s\crag; 
s'cram;  scramble;  scranch;  s\craps  (schon  me.  scrappe);  Scratch; 
s cratch^cradie  zu  me.  crecche,  afrz.  creche;  scratcking  'refuse  of  lard'; 
scraw;  scrawl;  scraxe  'to  graxe'  {^sgr-  >  scr-;  zugleich  Anlehnung 
an  Scratch  f), 

BJore-:  screak;  screase;  screech;  screuwtatic  (War.  Nrf.)  'rheu- 
matics'  ist  offenbar  (ursprünglich  scherzhaft?)  an  screw  angelehnt. 

8|ori-:  scriggle  'to  wriggle  about'  zu  'struggle'  oder  zu  'wriggle'?; 
scrim  'Ejrume;  quetschen';  scrimp;  scringe;  scrinkle;  Iscrinkle  to 
shrivel'  zu  wrinkle;  scrip  'Beutel';  Scrips  (Name;  'the  son  of  Cris- 
jMn*)  neben  Orips,  Orisp  (cf.  Bardsley,  Dictum,  of  English  and  Welsh 
Sumames,  1901,  S.  678);  scrisum  (Derby sh.)  'fogey'  zu  chrisom; 
scritchy  scruch  (Cornw.)  'crutch*;  *iscriihe  'to  rvrithe*  (*sr-  >  scr-;  vgl. 
scriggle). 

soro-:  scroffle  'to  hobble  abouf;  scrome  'zusammenkratzen'; 
tscrooch  'to  stoop  down'  zu  crouch\  scroodU  'to  crouch';  scroot  sb. 
<weak  child',  vb.  'to  sprout'. 

8oru-:  tscruce,  scruse  (e.  Angl.)  Hruce'  (*«/r-  >  scr-);  scrudge; 
serump  'to  crunch;  to  shrivel';  scrumple;  scrunch;  scrush. 

seu-:  scuffsh.  'nape  or  "scruff"  of  the  neck',  vb.  *to  strike'; 
s  nulch 'rubbish';  scullion  'rogue'  (frz.);  sautch  (cf.  squitchr)  'couch-grass'. 

8  6-:  seUems  the  bars  of  a  gate'. 

8h r-:  skrags  (veralt)  'rags'  (*sr-  >  sr-;  Einflufs  von  shred'f); 
shrail  (East  Anglia)  'light  rail';  shrub  (Wilts)  'to  rub  along  somehow' 
("A  sibilated  form  of  rub"  E.  D.  S,  69,  p.  148). 

ska-:  skag  'stump  of  a  branch';  2?  skate  (Scotl.  Yks.)  'paper  kite\ 


'  Für  die  mit  sor-  beginnenden  Wörter  wurde  der  wertvolle  Auf- 
aau  von  H.  Schroeder  über  das  bewegliche  s  (PBB  29,  479  ff.)  ver- 
glichen. 


46  Zur  Herkiuift  von  ne.  slang. 

8  ke- :  s  kecUock  'charlock';  skeeangie  neben  oaingy  'cro88>tempered' 
(frz.);  8 kelcher  'heavy  fall  of  rain';  8 heiter  'order,  arrangemenf;  sker 
{skar,  cor)  'left-handed'. 

8|ki- :  skippet  <an  osier  buehel  baskef  zu  kipe  'large  basket*  (ae. 
cyp^\  skirpin  'göre,  or  strip  of  thin  doth,  in  the  hinder  part  of 
breeches'  zu  eurpin  'back,  backbone'  (frz.);  skirfr)  'the  wkirr  made 
by  certain  birdB  in  taking  flight*;  skist  'ehest*;  skUterways  neben 
cnter^unse  'diagonally'  (vgl.  s  catter-coTner). 

8  kl-:  aklammer  (ScoÜ.)  <to  damber  about';  sklaich  neben  clatch 
'mesB,  slop'  etc. 

8ko-:  skonk  (Som.)  'collection  of  people'. 

8  ku- :  skud  neben  ciid  *Üie  undigested  pellets  of  hair,  bonee,  etc. 
thrown  up  by  owls';  sküil-hrüü  (Shetl.  I.)  neben  goilbrul  'laut 
brüllen'  (nord.  gaula  -\-  hrkslai)\  shächinecU  'a  dial.  form  of  oochineal^ 
{D,  D.). 

8la-:  Slam  'to  beat  soundly*  (an.  lemja;  doch  vgl.  auch  norw. 
slemma  usw.);  ? slanger  'to  Unger*;  s  langet  'long  strip  of  ground'; 
slank;  slash. 

8  le- :  sleach,  sleech  'eintauchen'  zu  cleach  'to  lade  out  in  a  skim- 
ming  way';  8  leer  'to  sneer';  « leer-rib  'the  spare-rib  of  pork'. 

8lo-:  stock  'to  Iure,  entice'  zu  ae.  loccian;  sloonge  'heavy  blow 
with  the  open  palm'  zu  lunge  to  strike  heavily';  stoppet  'to  slouch'; 
s  tauch  (?<  afrz.  feajlochier);  slounge  to  tounge*. 

B\XL'i  stump, 

8  ma-:  smash;  smatter  'a  dial.  form  of  matter'  {D,  D.). 

8  me- :  s meagre;  s  melt,  müt  'the  spieen'  (ae.  m%Ue)\  s  mergh  'mar- 
row'  (ae.  merg);  smeuse  'gap  or  hole  through  a  fence  used  by  haree 
and  other  small  animals  to  pass  through'  (frz.  miiase). 

8  mi- :  smite  'a  mit^. 

8  mo-:  smoozed  'smoked'  zu  mose  'to  smoulder*  (norw.  diaL  mosa; 
Anlehnung  an  smoke,  smotdder?);  smoskert  'smothered'  zu  masker 
'to  choke'. 

smu-:  tmuggled  'cheap  and  trashy' <5niu^^M;  s  mulfered  {m^) 
'overdone  with  heat';  smttsh  'to  mash'. 

8 na-:  snab  'steep  place'  zu  knab'y  snag  (auch  gtMg)  'to  quarrel 
peevishly';  snaggle  neben  gnaggle  to  snap';  snaister  to  snap;  to  scold', 
snaisty  'peevish'  zu  naist  to  tease;  to  worry*;  snam  'to  snap  greedily 
at  anything';  ?  (kjnap,  gnap  'to  snap  with  the  teeth'  (cf.  knapsack, 
hnip-knap  \  snapsack,  sfiip-snap);  ?snape  'to  seize  by  the  nape  of  the 
neck'  (EinfluTs  von  snap,  snatchf);  ?snape,  snaple  'to  nip';  sruipsen 
'aspen'  (<  «  +  (a)n  aspen;  vgl.  snivett,  snope);  veralt  gnare  'to  snare*; 
gnarl  'snarV  (sb.  und  vb.);  snarl  ^gnarl  or  knot  in  the  wood',  snarly 
'gnarled';  snash  neben  (g)nash  'to  abuse ;  to  sneer';  snast  neben  knast, 
gnaste  (an.  gneisti)  'burning  wick  or  snuff  of  a  candle';  snawp  sb., 
vb.  'thump';  ?  Snazle,  Snaxelfl)  (Name)  zu  Kneesall,  Onadeshaü, 
Knateshall;  cf.  Bardsley  1.  c. 


Zur  Herkunft  von  ne.  sUmg,  AI 

Bue-:  sneg  'to  neigh';  sneexe,  ma  anesen  neben  na  dial.  neexe, 
me,  nesen  (<  *hneo8an)  und  ma  fnesen  <  /heo^an.^ 

8  ni-:  «ntcÄ;  neben  niek  *to  cut*  (cf.  an.  anikka);  snicker  *U>  laugh 
sneeringly';  sniff  ^emeiV;  sniffle  (?  vgl.  frz.  nifler);  snip  *to  m]p';  sni- 
veU  <  8  -\-  fajn  evet  *a  newf . 

B  no-:  «noeA;  neben  knoek;  snook  'to  lie  hidden'  zu  nook  'oomer' 
[aa  8noc?  <nook'  Earle,  Land'Quxrters];  snooxe  'a  noox^;  snooxle  zu 
yeralt  nooxU  'to  nuzzle';  ^nope  'bullfinch'  neben  alp\  nor  (ShetJ.  I.) 
'anore^';  snonis  vorus  (Gloua  Wilts)  'vehemenüy'  <  noUna  volena  (vgl. 
dial.  vorua-norus  ^rough,  bluBtering');  anoteh  sb.;  ae.  Snotingahäm  > 
ne.  Nottingham;  anowl  'head'  (aa  hnol).^ 

BJpa-:  «poee  *paee;  to  meaBure  by  paeea';  a paddle  'small  spade'; 
?5pan^  'pang';  ?apang  'Sprung;  heftiger  Stolii'  (gewöhnlich  zu  apank 
geBtellt)  zu  bang  (*«6-  >  ap-);  ^apat  *aL  pai,  to  pat  sharply*;  apatch 
(Sood.  Yks.)  'a  pateh  or  plaster;  to  patch\ 

Bpe-:  't  apeengierToae  (Scotl.)  'thej^ecm^;  apeg  (Lothian)  'wooden 
ptg  or  pin';  apeUer  \  pewter  (frz.  [<  germ.]). 

B  pi-:  Spiehfai  (Name)  neben  Pichfait  (cf.  Bardsley  1.  c);  Picker- 
nell  (Name)  neben  Sp^^  <  Spigumell)  ?apicketty  'speckied'  <  hz,picoi4; 
spicter  (Wilts)  'pidure';  apUchard  (Devonsh.)  *pilchard';  PUflJahury  < 
Spüabury  (cf.  Bardsley);  a\pink  ^finch';  apiae  neben  peaae  'to  ooze  out'; 
spith  (Hants)  'pith*;  a  pit-aparrow, 

B;pla-:  a  plaiee  (bätz.  plaia);  aplaah;  a  pkU,  aploi  ^plot  or  piece 
of  ground' <&e.a'plott;  a  plateh  Bh.,  vh,  'splash';  s  platter  'plantschen'; 
s  platter- faced  'having  a  f lat  face'. 

B;plo-:  aplodge  'to  wade  through  dirt';  a  plaiier,  plout(er)  'to 
splash';  faplotek  *blotch'  {apU  <  *ablr);  a  ploy  *a  frolic'  (<  employ). 

splu-:  aplunge. 

spo-:  apoach;  fapotatxar  (Yks.)  zu  potaherd. 

Bpra-:  faprag  (Shetl.  I.)  to  brag'  (apr-  <  *«6r-);  taprap  (8hr.) 
'to  prop  up'. 

Bpri-:  aprioe  (Ghesh.)  <  paradiae  'parvis';  aprize  (Chesh.)  'to 
prixe  or  force  anything  open  with  a  lever*. 

Bppo-:  a^prong;  aproae,  proaa  'to  boast*;^  ?atroweaa  in  Hollands 
Auun.  Marcel.  1609  'possibly  a  misprint  tor  proweaa*  (Nares). 

B|pm- :  apruce  zu  afrz.  Pruce  'Preufsen';  a  prue  'inferior  cuttings 
of  asparagus'. 

BJpu-:  apuddle;  schott  ir.  apung  'purse'  zu  ae.  pung;  ?punger 
'to  aponge  upon';  apunk  'Funke'  zu  me.  funke  (ne.  funk  'rauchiger 


'  *Sneexe  is  j^robabiy  Dothing  more  than  a  variant  of  the  older  fneexe, 
due  to  Bubstitutmg  the  common  combination  an  for  the  rare  ana  diffi- 
cult/n;  whilst  neexe  reeulted  from  dropping  /"'  Skeat,  PrEE  I  881  (?). 
*  Scott  a.  a.  O.  XXIV  149  deutet  anowl  (kaum  zutreffend)  aus  hiajnowL 
^  *Sprouxe,  This  stränge  verb  is  equivalent  to  stir  or  rouse  up,  or 
uprouae  the  fira  This  may,  probably,  be  its  origin,  with  an  accideutal 
sfbillant  prefixed.    Moor'a  Suff,  MS:  (HalliweU). 


48  Zur  Herkunft  von  ne.  tlaing. 

Geruch');  spurblind  (z.  B.  bei  Lily,  Sapho  and  Phcum  11  2)  <  pur-- 
blind;  Spurda(u)nce  (Name)  neben  Purdafujnce  (cf.  Bardsley);  s  pwrge 
(frz.  espurger);  Spurre,  pirre  'die  Schwalbe'. 

s'py- :  spyxan  (Wilts)  <  paison. 

aqua-:  squab  'noch  nicht  flügge'  {ygl, squobhy  *äM)y  und  me. 
quappen  'to  throb');  squab  <  scrab  (s.  o.);  squaeket  to  qtMck  ss  a  duck'; 
s  quackle  'to  Buffocate';  squaddy  'short  of  stature';  squaich  'loud 
scream';  squahn\  squash  (frz.);  s\quai  'pimple';  squat,  quod  'hocken' 
(frz.  es  quatir);  s  quatch  'to  betraj,  teil  a  secref;  f  squatting-piUs  'opiate 
er  quieting  pills'  (Wright^  iVov.  Dict.);  squaver  (Irel.)  to  throw  the 
arms  about'  zu  quaver  'to  brandiah,  to  dench  the  fists,  to  make  a 
feint  of  Btriking*;  s  qiuiw{'hole)  'broad,  shallow  pond'. 

aqua-:  squeasy;  squeech  (Suff.)  'small  grove'  zu  queach  'amall 
plantation  of  trees  or  bushes';  squeechy,  squ>eachy  'boggy';  sgueeier 
'to  work  in  a  weak  manner*;  squeexe  zu  me.  queisen  (?ae.  merc.  ^cwe- 
san)\  squelch;  squelstring  neben  qudfsjtring  ^sipeüerinf;  s^queU,  quilt, 
tioilt,  weU  sb.  resp.  vb.  'blow';  squench;    squexzen  'to  suffocate'. 

B  qui- :  squiet;  squiggle  <  *quiggle  zu  loiggle  (Cent  Dict);  squüky 
(Cornw.)  'frog*  zu  quiUdn,  unlkin  (altkorn.  ctoUcen);  squüt  'pimple'; 
s  quin,  queen  'small  scallop';  squinacy,  squinsy,  veralt  squinfanjcy, 
sioensie  'quinsy'  (afrz.  quinancie,  16.  Jahrb.  squinancfije);  squinch, 
squince  'quince';  squink  neben  udnk;  ?me.  squippen,  sunppen  to  move 
swiftly'  zu  ivippen  'to  jig*;  squirfr)  <  *quir  zu  whirr;  squirrly-unrly 
'an  ornamental  appendage'  zu  eurly-umrly;  squOch,  switch,  twUcfi 
'couch-grass';  squitch,  switch,  quitchy  'to  twitch';  squitcheü,  hoiteheü 
'narrow  passage  between  housee'  {hüi-  >  *qui''  >  squir);  squix  to 
examine  criticallj';  squixxle  'to  choke'  (cf.  squexzen). 

ß  p- :  ^  srake  (Yks.)  'to  rake\ 

Bta- :  8 tank  'pool'  (<  afrz.  estang,  bez.  port  tanque;  It  stagnum). 

Bte-:  ^?stemples  'cross  piecee  put  into  a  frame  of  woodwork  to 
Btrengthen  a  shaft'  zu  lat  templum  'small  timber';  s  tem  'Seeschwalbe' 
(ae.  steam,  dän.  teme). 

Bti-:  stickte,  -^  back;  ^sticky  neben  dial.  (Wilts)  tucky. 

s'to-:  stodge  'any  thick  food';  stotter. 

Bjtra-:  ?  Strom  (Somers.  Devonsh.  Cornw.)  'a  lie'  zu  oram  (Zwi- 
schenstufe *scram);  strampflej;  stransport  (Lanc.)  'transporf. 

stre-,  Btre*:  ?streel  (Irel.)  'nachschleppen'  zu  trau;  ^streid 
(Derbysh.)  sb.  und  vb.  Hread';  tstrent  (Dors.  Somers.  Cornw.)  sb.  und 
pz.  'renf  {^sr-  >  str-l);  strespass, 

8  tri- :  striddling  (Wilts)  'the  right  to  "lease"  apples  after  the 
gathering  in  of  the  crop'  zu  griggling  (^sgr-  >  *9cr'-  >  str-);  me. 
strikelen  'tröpfeln';^  me.  striken  neben  seltenem  triken, 

Btro-,  8t  ro:  fstroam  'to  wander  about  idly  and  vacantly'  < 

*  S.  auch  unter  s  eri-^  shr-  und  st  rfe-,  o-), 

'  'The  Io88  of  8  arose  in  the  phr.  terea  striiden  =  tears  trickle'  (Skeat). 


Zur  HerkuDft  yoq  ne.  slang,  49 

s-roam;  s  troll  (vgl.  strolhp  [Yks.  Lanc.  Flint]  'a  troüqp,  a  slovenly, 
untidy  woman  or  giri');  ^stroü  (Dev.)  *0f  hay:  a  long  roW;  veralt 
strossers  *trousers')  me.  strother  'rudder'. 

Btru-:  ?8truggle,  me.  strugden  zu  mnl.  iruggelen;  sirum  zu 
tkrum. 

BJtu- :  Sturgis  (Name)  neben  Turgis  (cf.  Bardsley). 

sjwa-:  fsuHXck  zu  whack  'schlagen'  (ebenso  stvacker  zu  whacker 
usw.);  swaddU\  sumse  to  Swing  the  arms'  zu  whaxe;  ??  dial.  swale 
Agende  rising  in  the  ground  with  a  corresponding  declivity'  <  s-wale 
oder  S'VcUe  {*sv->  sw-);  sitüaUopmg  *talV;  ?  me.  swdUer  {Morte  Ärtkwre 
3924)  zu  waUer  'weiter^;  swang  'üst,  grassy  land  liable  to  be  flooded'; 
swath  'apparition  of  a  person  at  the  moment  of  his  death',  vgl.  waff 
(der  Wechsel  von  \p]  und  [f],  [ä]  und  [y]  ist  in  den  englischen  Dia- 
lekten nichtB  seltenes);  s^wauve  'to  lean  over*;  sioave  (Cumb.)  'to  ufove* 
(oder  <  nord.  dial.  sveiva'i), 

8jWi-:  ^sunne^pe  'Weindrossel'  <  w(h)inerpipe\  swirl  neben 
whirl  (an.  hvirfla,  norw.  dial.  svirlc^\  stviie  'to  cut,  hack'  zu  *while  < 
ihiüüe?  vgl.  auch  stvütle  'whiitle';  ??dial.  sunver  'to  quiver*;  stoiz  'to 
tvhix^. 

sjwo-:  tswotchel  (Ozf.  LW.)  'to  roU  in  Walking'  zu  toaddle  (vg^. 
deutsch  watsehelny 

Halle  a.  8.  O.  Bitter. 


Areliiv  f.  n.  S|Knch«ii.    CXVl. 


Studien  zur  fränkischen  Sagengesehiehte. 


in.  Zu  den  Yerbanmingeii  Childerichs  und  Floovents. 

Verbannungssagen  kennen  alle  Völker  und  alle  Zeiten.  Nicht 
dafs  der  Wechsd  der  Jahresseiten  oder  des  Tages  und  der  Nacht 
hierzu  den  ursprünglichen  Anlafs  gegeben  hätte,  daft  die  Sage  aus 
mythologischen  Quellen  geflossen  wäre.  Denn  das  zu  behaupten, 
hielBe  ja  der  Abstraktion,  der  Allegorie  vor  dem  einfach  Konkreten 
den  Vorzug  geben.  Es  wird  aber  unschwer  aus  geschichtlichen  Perio- 
den zu  beweisen  sein,  dals  es  immer  ein  realer  Vorgang  ist,  der  dem 
Volke  zur  Quelle  seiner  Dichtung  wird,  und  dafs  Strömungen,  die 
aus  Abstraktionen  schöpfen,  stets  einer  Entartung  gleichzuseteen 
sind  —  übrigens  Strömungen,  welche  man  nur  in  abgeschlossenen 
Schichten  der  Gresellschaft  findet,  die  sich  von  der  Welt  abgewandt 
haben,  um  eine  Treibhauskultur  entstehen  zu  lassen:  Priestertum 
oder  höfische  Gresellschaft 

Auch  die  Merowinger-  und  Kärlingersage  kennt  solche  Verban- 
nungen, besonders  zahlreich  werden  sie  von  Vasallen  erzählt^  die 
irgendein  Verbrechen  begangen  haben:  wir  fanden  das  Urbild  Herzog 
Ernsts  in  der  jüngeren  Karlingerzeit;  wir  behandeln  in  einer  unserer 
Studien  eine  Reihe  von  Banditenieben  (=  Banniiusf)  in  den  Ardennen, 
unter  denen  der  uralte  Tierrid'Ardane,  'der  Tausende  ums  Leben 
gebracht  hat',  den  Beigen  eröffnet  Aber  auch  die  Herrscher  werden 
von  der  Sage  herangezogen.  Karl  der  Grolse  in  Vertretung  von  Karl 
Martell  mufs  als  Kjaabe  die  gewohnten  sieben  Jahre  in  Spanien  ver- 
bringen (Mainet),  Später  muTs  der  Merowing  Chilperich  mit  seinem 
Majordomus  Raginfted  vor  Karl  Martell  zum  Herzog  von  Aqui- 
tanien  flüchten,  eine  historische  Begebenheit»  welche  die  Sage  von 
den  Haimonshindem  mit  Ersetzung  der  historisch  Verbannten  durch 
vier  geschichtlich  nicht  nachweisbare  Brüder  in  sehr  alter  Zeit  zum 
Urbild  hat 

Eines  lehren  uns  diese  vier  genannten  Überlief erungen  alle: 
die  Verbannungssagen  der  historischen  Zeit  gehen  stets  auf  einen 
realen  Vorgang  zurück.  Bei  Herzog  Ernst  und  den  Haimonskmdem 
entspricht  die  Verbannungssage  auch  einer  wirklichen  Verbannung; 
im  Mainet  und  im  Tierri  d'Ärdjane  vertritt  sie  andere  Strafen:  Karl 
Martell  wurde  von  der  rechtmäfsigen  Gattin  seines  Vaters,  Plektrud, 


Studien  zar  fränkischen  Sagengeschichte.  51 

eine  Zeitlang  festgesetzt,  entschwand  also  den  Augen  des  Volkes. 
Tierri  d'Ardane  entspricht  vielleicht  einem  Bruder  oder  Satel- 
liten der  Mutter  Karl  Martells,  Dodo,  der  nach  einer  anderen  Sage 
zweimal  Widersacher  seiner  Schwester  ermordete  und  schliefslich 
selber  dabei  ums  Leben  kam.  Auch  hier  verschwand  wahrscheinlich 
eine  dem  Volke  sympathische  Figur  aus  dessen  Gesichtskreis,  und  es 
erfand  in  Verbindung  mit  dem  Doppelmorde  eine  Verbannung  in  die 
Ardennen,  'wo  er  haust,  uralt,  und  Tausende  ermordet  hat^.  Wie 
man  Kaiser  Friedrich  in  den  Kjffhauser  verschwunden  dachte. 

In  dieser  Beobachtung,  dafe  eine  das  Volk  interessierende  Per- 
sönlichkeit im  Falle  einer  Verbannung  oder  Festsetzung,  ja  heimlicher 
Bestrafung  mit  dem  Tode  aus  dem  Gresichtskreis  des  Eirzählenden 
verschwindet^  li^  bereits  der  Charakter  der  Darstellung:  mit  dem 
Entschwundensein  hört  das  reale  historische  Element  auf,  und  die 
Erzähler  sind  genötigt  zu  erfinden  oder  berühmten  Mustern  nachzu- 
ahmen. Und  so  finden  wir  denn  in  allen  vier  als  Muster  genommenen 
Verbannungssagen  nur  eine,  die  sich  in  etwas  an  die  historische  und 
geographische  Grundlage  hält:  die  Sage  von  den  Haimonskindern. 
Wogegen  Mainet  und  Tierri  d'Ardcme  geographisch  wie  historisch  frei 
verfahren,  Herzog  Ernst  sogar  der  Verbannung  ein  Märchen  aus 
Tausendundeine  Nacht  unterschob.  Wir  haben  uns  bei  Behandlung 
dieser  letzten  Verbannung  gefragt:  kann  von  vornherein  der  Sprung 
aus  echtem  Epos  ins  Märchenland  gemacht  worden  sein  ?  Wir  fanden 
eine  Frage,  die  sich  a  priori  nicht  entscheiden  liefs,  fanden  aber 
doch  besser  anzunehmen,  dafs  ursprünglich  eine  realer  gehaltene  Ver- 
bannung durch  die  belustigende  Sindbadreise  ersetzt  worden  sei.  Ein 
Beispiel  für  eine  solche  Ersetzung  werden  wir  im  Laufe  dieser  Studie 
antreffen,  in  welcher  die  Verbannung  derselben  Person,  die  nach  der 
Sage  des  G.Jahrhunderts  nach  Thüringerland  führte,  im  T.Jahr- 
hundert nach  der  burgundischen  Sage  in  Konstantinopel  lokali- 
siert ist 

Die  Verbannungssage  hat  eben  wie  jede  Sage  ihre  Mode:  die 
kärlingsche  führt  ihren  Verbannten  nach  dem  Westen,  dem  Lande 
ihrer  Elämpfe,  Spanien;  die  Sage  des  11.  und  12.  Jahiiiunderts,  der 
Ej*euzzug6periode,  nadi  dem  Orient  {Herzog  Ernst,  Buon,  Bueve 
de  Eansione), 

Die  ältere  nordfranzösische  Merowingersage  begleitet  ihre  Helden 
stets  zu  dem  Schauplatz  ihrer  nationalen  Kämpfe,  zu  den  Thürin- 
gern od^r  Sachsen.  Dort  verweilen  ihre  des  Vaterlandes  verwiese- 
nen Fürsten  die  üblichen  sieben  Jahre,  dort  holen  sie  sich  Ruhm 
und  Gattin,  um  als  Better  aus  Not  und  Erniedrigung  zu  den  Ihren 
zurückzukehren. 

Die  älteste  Figur,  von  deren  Verbannung  auf  Grund  sagenhafter 
Quellen  die  Merowlngerchroniken  berichten,  ist  Ghilderich,  der 
Sohn  des  Meroveus,  der  Vater  Clodwigs  (zirka  450).    Der  ehrwürdige 


52  Studien  sor  frfinkischen  Sagengeschichte. 

Gregor  von  Toure  (zirka  580 — 590),  unser  ältester  Gewährsmann 
für  Greschichte  und  Sage  dieser  Zeit,  der  noch  selber  zwischen  den 
beiden  Zwillingsgeschwistem  wenig  Unterschied  macht  und  nur  hier 
und  da  ein  Mifstrauen  andeutet,  wenn  er  in  seinem  Berichte  aus- 
schliefslich  auf  mündliche  Quellen  angewiesen  ist,  beginnt  die  Bdhe 
(Buch  II,  Kap.  XU):  In  frevelhaftem  Übermut  vergriff  sich  Childe- 
rich,  der  König  der  Franken,  an  den  Töchtern  seines  Landes.  Die 
Franken  aber  setzten  ihn  in  ihrer  Empörung  hierüber  ab,'  und  als 
Ghilderich  erfuhr,  dafs  sie  ihm  auch  nach  dem  Leben  trachteten, 
verliefs  er  das  Land  und  flüchtete  zu  den  Thüringern. 

In  der  Heimat  aber  lieis  er  einen  Freund  zurück,  nachdem  er 
eine  Goldmünze  mit  ihm  geteilt  hatta  Sollten  die  Zeiten  für  Ghilde- 
rich wieder  günstig  werden,  so  würde  ihm  der  Freund  seine  Hälfte 
als  ein  Zeichen  dafür  senden. 

Unterdessen  erheben  die  Franken  den  Römer  Egidius  zu  ihrem 
König,  als  aber  nach  acht  Jahren  die  Gemüter  sich  wieder  beruhigt 
haben,  sendet  der  Freund  dem  Verbannten  das  verabredete  Zeichen. 
Dieser  verlälst  den  Hof  des  Thüringerkönigs  Bysinus  und  seiner 
Gattin  Basina»  bei  denen  er  Zuflucht  gefunden  hatte,  kehrt  zurück 
und  erlangt  seinen  Thron  wieder.  Basina  aber,  die  den  Wert  des 
fränkischen  Helden  erkannt  und  ihn  liebgewonnen  hatte,  verlälst 
Heimat  und  Gatten,  um  Childerichs  Frau  und  Frankenkönigin  zu 
werden.  

Hundertdreiisig  Jahre  später  finden  wir  die  Erzählung  in  dem 
sogenannten  Lt&er  Historiae,  das  vielleicht  in  Ronen  im  Jahre  727 
entstanden  ist,  wieder.  Manches  zeigt  im  Wortlaut  die  Bekanntschaft 
mit  Gregors  Darstellung,  manches  aber,  was  über  Gregors  Bericht 
hinausgeht  oder  gar  ihm  widerspricht,  zeigt»  dais  der  Verfasser  eine 
Quelle  hatte,  aus  dem  er  Gregors  Lücken  ergänzen  konnte.  Die 
Chronik  erzählt  (Kap.  6,7): 

Wie  Childerich  wegen  verbrecherischen  Umganges  mit  den  Töch- 
tern seines  Landes  dieses  verlassen  soll,  berät  er  sich  erst  mit  seinem 
Getreuen  Viomadus,  wie  er  den  Sinn  der  ergrimmten  Franken  sich 
wieder  zuneigen  könne . . .  Viomadus  aber  erreicht  dies,  während  der 
König  bei  den  Thüringern  Zuflucht  gefunden  hat,  durch  folgende 
List:  er  schmeichelt  sich  bei  dem  zum  Könige  gewählten  Römer 
Egidius  ein,  so  dafs  ihn  dieser  zum  Ratgeber  wäilt  Der  falsche 
Ratgeber  aber  verleitet  den  dummen  Römer,  eine  Anzahl  Franken 
heimlich  zu  töten,  bis  das  römische  Regiment  den  Franken  unerträg- 
lich wird  und  sie  Childerichs  Rückkehr  erwünschen.  Dieser  ist  — 
entsprechend  der  Ursache  seiner  Verbannung  —  bereits  in  Thüringen 

*  lUtqtte  ob  hoc  indignantesj  de  regnum  eum  eiedunt,  Ist  reonum  kon- 
kret oder  abstrakt?  Ich  verstehe  es  abstrakt,  da  sonst  das  folgende  mir 
sinnlos  zu  sein  scheint:  Conperio  autem^  qttod  eum  etiam  interfieere  veUmU, 
Thonngiam  petiit. 


Studien  zur  frfinkipcben  Sagen geschichte.  53 

zu  der  Frau  seiner  Oastfreundes  in  Beziehung  gebracht:  Nam  dum 
in  Toringa  fmt  cum  Basina  regina  . . .  adulierium  commisit.  80  dafs 
nicht,  wie  bei  Gregor,  Baeina  auf  eigene  Faust  dem  Zurückkehrenden 
folgt,  sondern  nach  vorhergehendem  Einverständnis. 


Chronologisch  mitten  zwischen  diesen  beiden  nordfranzösischen 
Berichten,  sachlich  über  beide  hinausgehend,  steht  die  Version  des 
Burgunders  Fredegar.  Sie  zeigt  entsprechend  der  älteren  romani- 
schen Kultur  der  Burgunder  eine  starke  Differenzierung  von  der 
nordfranzösischen  Sage,  deren  Schauplatz  sie  nach  Konstantinopel 
verlegt  Deswegen  hat  ein  Bearbeiter  aus  der  Mitte  des  7.  Jahrhun- 
derts durch  Interpolationen,  die  er  wörtlich  Gregor  entlehnt^  eine 
Versöhnung  mit  der  nordfranzösischen  Überliefenmg  versucht.  Wie 
die  Ausgaben  der  Manumenta  Oermanias,  Script,  rer.  merov.  II,  95, 
machen  wir  diese  Interpolationen  durch  kleineren  Druck  als  solche 
kenntlich  und  setzen  sie  aufserdem  in  eckige  Klammern.  Fredegar 
aber  berichtet  (III,  11,  12): 

Wie  Childerich,  der  Verführer  fränkischer  Mädchen,  das  Land 
verlassen  muTs,  gibt  ihm  sein  Getreuer  Wiomadus,  der  ihn  einst  nebst 
der  Mutter  aus  hunnischer  Gefangenschaft  befreit^  den  Rat^  nach 
Thüringen  zu  fliehen,  er  wolle  unterdes  die  Franken  beruhigen. 
Hätte  er  aber  dies  vollbracht»  so  wolle  er  ihm  zum  Zeichen  einen 
halben  Aureus  ^  senden.  [Childerich  flieht  nach  Thüringen  zu  Bjsinua.] 
Wiomadus  aber  wird  vom  Frankenkönig  Eieio  (oder  Eiegio,  Egegio) 
zum  Unterkönig  (subreguhis)  ernannt  und  beginnt  seine  Rolle  zu 
spielen :  erst  verführt  er  den  König,  die  Franken,  die  freien  Franken, 
mit  einer  Kopfsteuer  von  einem  Aureus  zu  belasten  —  die  Franken 
murren  nicht  Er  bringt  den  König  dazu,  die  Kopfsteuer  auf  drei 
Aurei  zu  erhöhen  —  sie  zahlen  lieber  die  drei  Goldstücke,  als  sich 
von  Childerich  bedrücken  zu  lassen.  Da  bestimmt  er  Egidius,  hundert 
von  ihnen  umzubringen,  angeblich,  weil  sie  sich  mit  rebellischen  Ge- 
danken trügen  —  endlich  geht  den  Bedrückten  die  Geduld  aus,  und 
sie  verlangen  nach  dem  Regiment  Childerichs  zurück.  Wiomadus  aber 
versichert  mit  infernalischer  Ironie  dem  dummen  Römer:  nun  endlich 
habe  er  die  Franken  gebändigt.  Lassen  wir  für  die  folgende  nicht  be- 
queme Stelle  Fredegar  selber  das  Wort:  'Und  er  gab  ebenfalls  noch 
den  Rat,  dem  Kaiser  Mauritius  Gesandte  zuzusenden;  [die  ihm  melden 
sollten:]  man  könne  die  Nachbarvölker  heranziehen  {adtrahi  Passiv) 
[und],  dafs  etwa  50000  Solidi  vom  Kaiser  geschickt  würden,  damit 
die  Völkerschaften,  nachdem  sie  dies  Geschenk  empfangen,  besser 
sich  der  Herrschaft  (imperiö)  unterwürfen.     Hinzufügend  sagte  er 


*  Medium  aureum,  d.  h.  einen  halbierten,  denn  es  wurde  kein  halber 
Aureus  geprägt,  sondern  nur  ein  Drittel,  der  sog.  Triens.  Halbierung  zum 
Zweck  der  ZsQüung  war  allerdings  üblich. 


54  Studien  zur  fränkischen  Sagengescbiehte. 

jen^m:  *Aliqtumifäum  solides  htae  instantiae  loeum  aecipiens  müüavi; 
parum  servus  iuus  argentum  kaheo.  Vellebam  cum  iuis  legcUis  puemm 
dirigere^  ut  melius  Ckmstaniinopole  mihi  argenium  merearet,*'  —  Dieser 
Vorwand,  den  Rajna  der  Übersichtlichkeit  halber  fortläikt  (er  nennt 
ihn  8.  58  einen  futile  pretesto),  ist  kulturhistorisch  vielleicht  das  inter- 
essanteste an  der  ganzen  burgundischen  Version  der  Sage:*  sindem 
ich  auf  dein  Drangen  die  Stelle  (eines  Beraters?)  empfing,  habe  ich 
mir  einigermaisen  Gold  verdient  {militavif).  Zuwenig  aber  habe  ich, 
dein  Sklave,  Silber.  Ich  wollte  [wohl]  mit  deinen  Boten  einen  Knaben 
schicken,  dafs  er  mir  in  Konstantinopel  mehr  Silber  einhandle.«' 

Tatsächlich  war  in  der  mittleren  Merowingerzeit  das  Silber 
selten  geworden.  Man  hatte  an  dem  Vorrate  römischer  Kaisermünzen 
aller  Zeiten  ursprünglich  genug  gehabt  und  sich  auf  die  Goldprägung 
beschrankt  Erst  in  der  letzten  Merowingerzeit  zeigt  eine  starke 
Ausprägung  von  kleinen  rohen,  aus  der  Silberplatte  wie  ausgerissenen 
dicken  Denaren  das  entstandene  Bedürfnis  nach  Silbermünzen,  das 
unsere  Stelle  hier  unmittelbar  verrät  Soll  aber  ein  solch  kultur- 
historisches Moment  als  Motiv  in  die  Dichtung  aufgenommen  werden, 
so  muls  es  herrschend  sein. 

Als  Dichtungsmotiv  ist  es  berufen,  die  Übersendung  des  hal- 
bierten Aureus  an  Ghilderich,  der,  'wie  Wiomad  befunden,  in 
Konstantinopel  war',  zu  verdecken.  Wiomad  aber  gibt  dem 
Knaben  nicht  etwa  die  fünfzig  Goldstücke  mit,  welche  ihm  Ei^us 
geschenkt  hatte,  sondern  einen  Sack  voll  Blei  und  unter  diesem  den 
halben  Aureus,  das  verabredete  Zeichen.  Der  Knabe  eilt  dem  Ge- 
sandten voraus,  verständigt  Ghilderich,  dals  Eiegius  Tribut;  den  er 
aus  staatlichen  Mitteln  (Kurth  interpretiert:  dem  Kaiser)  zahlen  soll, 
dem  Kaiser  auferlegen  wolle;  Ghilderich  meldet  dies  dem  Kaiser, 
der,  erzürnt  über  solche  Frechheit,  die  Gesandten  in  den  Kerker 
werfen  läfst  und  das  Angebot  seines  Schützlings  annimmt^  ihn  an 
den  Franken  zu  rächen.  Reich  beschenkt  kehrt  Ghilderich  zu  Schiff 
nach  Gallien  zurück,  Wiomad  kommt  ihm  nach  Bar  entgegen,  et  a 
Barrmtibus  receptus  est.  So  wird  er  wieder  König  und  siegt  in  zahl- 
reichen Gefechten  über  Eiegius  und  die  Römer.  [Basina  kommt  von 
Thüringen  zu  ihm,  um  seine  Gattin  zu  werden.]  — 

Wir  haben  also  ein  und  dieselbe  Sage  in  drei  Versionen,  welche 
über  hundertdreifsig  Jahre  sich  erstrecken  und  zwei  verschiedene 
Gestaltungen  ergeben:  die  eine  im  einfachen,  ungeschmückten  Ge- 
wände, kurz  und  bündig,  mit  kraftvoller  Steigerung.  —  Die  andere, 
unsere  letzte,  bunt  ausgestattet  mit  verschiedenerlei  Federn,  in  der 
Fülle  des  Schmuckes  und  Beiwerkes  selbst  in  der  Inhaltsangabe 
schwelgend. 

Bleiben  wir  bei  ihrer  einfachen  Gestalt,  welche  uns  Gregor  und 
das  Liber  Hisioriae  überliefern. 


^  Vgl.  E  u  r  t  h ,  op.  ei^.  S.  1 89  '^,  der  aber  auch  die  Stelle  uminterpretiert  iaTst 


Stndieo  zur  frfiDkischen  Sagengeschichte.  55 

Pio  Baj  n  a  hat  alle  drei  epischen  Auszüge  in  Origini  deffEpopea 
frcmcese  in  glänzender  Weise  erklärt:  bezüglich  der  zwei  ersten  hält 
er  die  Version  des  Liber  Hisioriae  für  eine  etwas  ausfürlichere  Inhalts- 
angabe als  die  Gregors:  'Le  Oesta  Regum  Franeorum  ...  tftxg- 
giungon  cose  taeiute  cold\  Wenn  man  aber  bedenkt^  da&  diese  Chronik 
über  hundertdreüsig  Jahre  n  ach  Gregor  geschrieben  wurde,  so  erscheint 
es  wahrscheinlicher,  in  dem  Berichte  des  Lü)er  eine  entwickeltere 
Form  der  Sage  anzunehmen:  bei  Gregor  lastet  das  ganze  Gewicht 
auf  Childerichy  dem  Helden.  Er  ist  der  einzig  Handelnde,  er  läfst 
den  Freund  mit  einem  bestimmten  Auftrag  zurück,  der  aber  kaum 
über  eine  passive  Beobachtung  der  Dinge  hinausgeht»  sonderlich 
ihn  nicht  in  Beziehung  zu  den  Bömem  bringen  läfst  Und  dies  ist 
nicht  so  ungewöhnlich  wie  man  denken  könnte:  denn  die  ältere 
Sage  wird  sich  naturgemäfs  auf  ein  Theater  (Thüringen)  beschränkt 
haben,  sie  wäre  sonst  auch  die  einzige  Verbannungssage,  welche  nicht 
bei  dem  Verbannten  bliebe.  Erst  am  Schlüsse  der  Abenteuer  wird 
sie  auf  ihr  Ausgangstheater  mit  wenigen  Worten  zurückgekommen 
sein.  Hundertdreifsig  Jahre  später  finden  wir  die  Sage  ausgereift 
wieder.  Wiomad  ist  nicht  mehr  Zuschauer,  er  ist  Akteur.  Ghilderich 
berät  sich  mit  ihm.  Er  ist  es,  der  die  Schuld  an  dem  unvernünftigen 
Regiment  des  Egidius  trägt,  das  die  Sehnsucht  nach  Chil^erich  wieder- 
erwecken soll.  Rajna  meint,  dals  dieser^  Zug  der  ältesten  Sage  an- 
gehören müsse,  da  er  der  einzige  ist,  der  die  Wahl  eines  Römers  zum 
fränkischen  König  motiviert  Ein  Franke  hätte  sich  nicht  so  plump 
täuschen  lassen.  Und  er  erinnert  an  die  Worte  der  Kasseler  Glossen: 
StuUi  sunt  Romani,  sapienti  sunt  —  Fronet  f  Ich  mufs  bekennen, 
das  Argument  ist  bestechend.  Aber  diese  Rolle  des  Wiomad  bei 
Egidius  fehlt  nun  einmal  bei  Gregor,  im  Gegenteil  ist  sie  hier  als 
bei  den  Franken  stattfindend  festgelegt  Er  solle  die  Franken  mit 
Worten  besänftigen;  ihn  nennt  er:  fiominem  sibi  carum,  qui  virorum 
furentium  animus  verbis  linibus  mollire  possit. 

Es  lälst  sich  hier  hinein  die  Intrige  des  Liber  Historiae  nur 
einschmuggeln,  indem  man  einen  Irrtum  oder  eine  aus  irgendwel- 
chen kritischen  Gründen  von  Gregor  ausgeführte  Änderung  an- 
nimmt Aber  wozu  eine  Änderung  annehmen,  wenn  doch  feststeht» 
dals  das  6.  Jahrhundert  noch  unter  dem  Eindruck  der  Siege  Glod- 
wige  über  die  Römer  stand,  wie  ja  auch  Gregor  den  Siagrius  JRoma^ 
norum  Bex  nennt  (U,  27).  Rajna  wendet  hiergegen  ein,  es  handle 
sich  nicht  nur  um  Erklärung  der  Titel,  sondern  dessen,  dafs  die 
Franken  imanimiter  einen  Römer  zum  König  wählen.  Gut^  es  ist 
eben  die  historische  Sachlage  des  Jahrhunderts  in  poetischer  Weise 
auf  die  Spitze  getrieben  und  mit  der  Childerichsage  verknüpft 

Denn:  die  Ersetzung  des  Fürsten  durch  Neuwahl  und  seine 
Verbannung  war  durch  die  Childerichsage  bedingt;  ein  Römer 
als  König  und  Bedrücker  der  Franken  diurch  Sagen  über  Aötius 
und  Syagrius.    Solch  innige  Verschmelzungen  zweier  Sagen,   von 


56  Studien  zur  fränkischen  Sagengeechicfate. 

denen  jede  ihren  Teil   der  Motive  bestimmt,   ist  ja  nichts  Unge- 
wöhnlidies. 

Rajna  wie  Kurth  haben  sich  beide  an  die  Königschaft  dieses 
Egidius  gestofsen,  ohne  im  übrigen  sich  mit  seiner  Person  eingehen- 
der zu  beschäftigen.  An  der  Königschaft  ist  aber  nicht  das  geringste 
Auffällige:  den  Germanen  wurden  die  römischen  Statthalter  selbst- 
verständlich zu  Königen,  Sjagrius  war  in  der  Tat  so  unabhängig 
wie  ein  solcher  und  wurde  von  den  Barbaren  aucb  König 
genannt^  Syagrius  war  Clodwigs  Gregner.  Agidius,  des  Syagrius 
Vater,  wurde  ganz  natürlich  zum  Gegner  von  Clodwigs  Vater,  Qiilde- 
rieh.  Als  Vater  eines  Königs  wurde  er,  wie  der  ältere  Aetius,  eben- 
falls zum  König.  Man  vergleiche  dazu  eine  Stammtafel  des  10.  Jahr- 
hunderts, die  G.  Kurth  in  dem  genannten  Werke  aus  einer  Pariser 
Handschrift)  der  Lex  Salia,  entnahm: 

Egetius  genuit  Egegium 

EgegiuB  genuit  Siagrinm  per  quem  Bomani 

regnum  perdiderunt. 

Wer  ist  Egetius,  wer  ist  Egegium?  Seit  Heinsei  in  den 
Sitzungsberichten  der  Wiener  Akademie  (phü  hisL  Gl.  CXTV,  1887, 
417 — 514)  für  Aetius  die  Namenformen  beigebracht  hat:  Äieeius, 
Agetifis,  Egecius,  Agatius,  sollte  es  allgemeiner  bekannt  sein,  dals 
der  grofse  Besieger  Attilas  durch  eine  ganz  offenbar  romanische 
Verstümmelung  seines  Namens  (>  Ajejo)  mit  dem  Vater  des  Syagrius, 
eben  unserem  Ägidius  (>  Ejejo,  so  Fredegar!)  verwechselt  und 
verschmolzen  wurde.  Ein  Beispiel  für  die  vollkommene  Verquickung 
der  Persönlichkeiten  gab  schon  Grimm  in  der  Heldensage  aus  einer 
Chronik  des  10.  Jahrhunderts:  Attüa  omnem  pene  Oaüiam  dewistavü, 
^uo  usque  Deo  annuente  per  Aegidium  (d.  l  also  sicher  Aetius) 
pcUriiitim  ...  fugcUus  est  (Leibnitz,  Script  rer.  brunsv.  IE,  278). 

Settegast  hat  in  dankenswerter  Weise  diese  von  den  ein- 
schlägigen Arbeiten  übersehenen  Dinge  in  Erinnerung  gebracht 
{Queüensitidien  S.  88),  und  es  ergibt  sich  nun  für  uns  unzweideutig, 
wie  die  Bolle  des  römischen  Königs  entstanden  ist^  und  wie  sie  sich 
weiterentwickelt  hat 

Den  Zeitgenossen  Gregors  war  Aetius  und  Ägidius  bereits 
eine  Person.  Und  zwar  eine  typische  und  beliebte  Figur, 
denn  der  Sieg  über  Attila  hing  an  ihrem  Namen.  Deshalb  wurde 
er  dem  verbrecherischen  Franken  Childerich  von  den  eigenen  Leuten 
vorgezogen.  Und  deshalb  ist  die  tölpelhafte  Bolle,  die  Ägidius  in 
den  späteren  Berichten  hat,  bei  Gregor  nicht  ausgelassen,  sondern 
existierte  damals  in  der  Sage  überhaupt  noch  nicht 

Erst  als  die  Hochachtung  vor  Aetius-Ägidius  geschwunden 
war,  jene  Hochachtung,   die  ihn  eben  zum  (Gegenstück   in  bonam 

*  Hierüber  ist  Dahn,  Oerm,  und  Born,  Völker,  2, 3,  8.  45,  zu  vergleichen. 


Studien  zur  fränkischen  Sagengeschichte.  57 

parUm  des  Frauenschänders  Childerich  hatte  wählen  lassen  —  ent- 
wickelte er  sich  unter  dem  EinfluTs  neuer  Ideen  über  die  immer 
mehr  niedergehenden  Romanen  zu  einem  Gegenstück  in  malam  par- 
tem,  das  seinen  Vorgänger  an  Schlechtigkeit  und  Dummheit  noch 
übertraf.  Das  konnte  natürlich  erst  geschehen,  als  seine  Taten 
in  Vergessenheit  gerieten,  durch  die  Taten  Clodwigs  und  seiner 
Söhne  verwischt  waren  und  seine  Person  demzufolge  das  Typische 
verlor. 

Dafs  auch  in  den  Beziehungen  des  Flüchtlings  zu  Basina  zwi- 
schen Gregor  und  dem  lAber  Historiae  Unterschiede  zu  finden  sind, 
habe  ich  bereits  im  Laufe  der  Darstellung  angedeutet:  die  ältere 
Darstellung  scheute  sich  offenbar,  den  Flüchtling  als  Verbrecher 
am  Gastrecht  darzustellen,  die  jüngere  Sage  war  weniger  skrupulös 
und  brachte  durch  den  Ehebruch  am  Hofe  des  Bysinus  ein  gut  Stück 
Einheit  mehr  in  Handlung  und  Charakter  des  Helden,  der  ja  wegen 
ähnlicher  Verbrechen  des  Landes  verwiesen  worden  war. 

In  den  hundertdreifsig  Jahren  also,  die  zwischen  Gregor  und 
dem  Lü)er  Historiae  liegen,  ist  quantitativ  wenig  hinzugekommen; 
aber  jede  Zufügung  war  ein  Fortschritt  in  der  Komposition  der  Sage: 
sowohl  die  Verknüpfung  Wiomads  mit  Egidius,  wie  die  zwischen 
Basina  und  Childerich. 

Ganz  anders  Frede  gar  s  Version.  Dort  MtUtum,  hier  MuUa: 
die  Beziehungen  Childerichs  zu  Wiomad  geben  den  Stoff  zu  einer 
Vorgeschichte,  in  der  der  Getreue  Mutter  und  Sohn  aus  hunnischer 
Gefangenschaft  befreite.  Eine  Hunnenfluchisage,  wie  wohl  zahlreiche 
bestanden,  und  die  unleugbare  Beziehungen  zum  Walthari  zeigt,  dessen 
Heimat  sie  meiner  Ansicht  nach  teilt  (Kurth,  S.  161  ff.).  Dem- 
entsprechend ist  die  Rolle  des  Wiomad  im  Vergleich  zur  fränkischen 
Version  gewachsen ;  er  ist  einer  jener  uralten,  unfehlbaren  Ratgeber 
geworden,  wie  sie  das  Epos  gern  neben  die  Fürsten  stellt  Er  rät 
zur  Flucht,  schlägt  das  Symbol  des  halben  Aureus  als  Zeichen  der 
Rückkehr  vor.  —  Diese  Art  der  Zeichnung  Wiomads  ist  insofern  ein 
technischer  Fortschritt^  als  nun  ein  Grund  vorhanden  ist^  warum 
Egidius  den  bewährten  Ratgeber  in  gleicher  Stellung  heranzieht  Die 
Axt»  wie  er  diesen,  den  dummen  Römer,  blindlings  ins  Verderben 
treibt,  zeigt  eine  schöne,  mit  ihren  drei  Stufen  echt  poetische  Steige- 
rung: die  Franken  müssen  Abgaben  zahlen,  erst  ein  Goldstück,  dann 
drei.  Es  ist  nicht  nur  der  Verlust  des  Geldes,  der  moralisch  auf 
diesen  lastet»  sondern  die  Schmach,  durch  die  Abgabe  deklassiert 
zu  sein,  nicht  mehr  Franci  zu  sein,  denn  Francus  ist  der  Abgaben- 
freie. Die  Ermordung  von  hundert  ihrer  Häupter  bildet  den  Gipfel : 
'Modo  est  gens  Francorum  tuae  disciplinae  perdomitaJ  Und  wir  sehen 
ein  ironisches  Lächeln  um  die  Lippen  des  Sprechers  spielen,  der  sich 
zu  weiteren  Listen  anschickt 

Es  handelt  sich  nun  nicht  nur  darum,  Childerich  zurückzurufen, 
sondern  er  soll  auch  zugleich,  wie  es  einem  Fürsten  geziemt^  mit 


53  Studien  zur  franlciAchen  Sagen gemhichte. 

Heereemacht  und  (befolge  zarQdkkommen,  um  den  Bömem  entgegen- 
treten zu  können:  diee  wird  durch  eine  Oesandtschaft  des  i^dioe 
an  den  Kaiser  von  Konstantinopel,  Mauritius,  erreicht^  die  l^dius 
harmlos  scheint,  durch  Childeridi  aber  dem  Kaiser  interpretiert^  die- 
sen zu  höchstem  Zorn  aufreizt  In  Verbindung  damit  erscheint  uns 
die  Übersendung  eines  E[naben,  der  zum  Geldwechseln  ausgeeandt 
ist,  zu  schwerfällig  und  zu  kompliziert,  den  damaligen  Zuhörern  aber 
als  ein  Triumph  der  Findigkeit»  durch  den  ein  römischer  König  und 
ein  römischer  Kaiser  zugleich  ins  Qam  gelockt  wurden  und  Egidius 
zudem  noch  mit  einem  Qeschenk  von  fünfzig  Goldstücken  die  Kosten 
des  Verfahrens  zahlte.  Ausdrucklich  wird  erwähnt,  dais  der  schlaue 
Wiomad  in  dem  Beutel  mit  dem  halben  Aureus  Blei  schickte,  also 
das  Geschenk  zurückbehielt 

Die  burgundische  Entwickelung  bedeutet  demnach  in  der  Haupt- 
sache ein  Voranstellen  des  noXvfiiJTig  Wiomadus  und  ein  Abnehmen 
des  Interesses  am  Frankenkönig.  Seine  Beziehungen  zu  Basina  sind 
vergessen  und  nur  in  Gregor  ausschreibenden  Interpolationen  bei 
seiner  Rückkehr  aus  Konstantinopel  nachgefügt 

Bajna  glaubte,  wegen  dieser  Nachfügungen  es  mit  einer  Sagen- 
kontamination zu  tun  zu  haben  (8.  60):  La  sovrapposizione  (die 
Interpolation)  st  manifesta  anche  neüa  complieazione  ehe  il  doppio 
rifugio  di  Ghüderio,  prima  in  Turmgia,  poi  in  Constantmopoli,  pro- 
duce  neila  stnUtura,  e  nel  raüentamento  del  vineoh  tra  la  ventäa  dt 
Basina  s  i  easi  aniecedenti.  Ähnlich  betrachtete  Kurth  {Op,  dL) 
diese  Version  als  die  Vereinigung  zweier  selbständiger  Sagen  'impar- 
faitement  soudies*. 

Die  philologischen  Untersuchungen  haben  nun  ergeben,  daüs 
beide  Stellen,  sowohl  der  erste  Aufenthalt  in  Thüringen,  wie  Basinas 
Kommen,  jüngere  Zufügungen  sind,  welche  den  Bericht  Gregors  in 
dessen  Wortlaut  ausbeuten,  um  die  Version  Fredegars  in  etwa  mit 
derjenigen  des  Erzbischofs  von  Tours  in  Einklang  zu  bringen.  Das 
einzige,  was  nach  der  Ausgabe  der  Monumenta  Oermaniae  Anüquae 
vom  ursprünglichen  Schauplatz  der  Verbannung  übrigbliebe,  wäre 
der  Rat  Wiomads:  'Fliehe  nach  Thüringen'.  Woher  weüs  dann 
aber  Wiomad  später,  dafs  Childerich  in  Konstantinopel  ist?  Freilich 
fügt  die  Chronik  hinzu,  er  habe  dies  unterdessen  erfahren.    So  zeigt  J 

sie,  dals  sie  sich  bewufst  ist»  hier  etwas  Unwahrscheinliches  gebracht 
zu  haben,  und  so  halte  ich  es  für  natürlich,  dafs  ursprünglich  diese 
Bemerkung  über  die  Kenntnis  von  Childerichs  Aufenthalt  fehlte, 
und  dafs  Wiomad  von  vornherein  den  Rat  gab,  Konstantinopel 
aufzusuchen.  Das  heilist  wir  haben  hier  eine  Ersetzung  der  ur- 
sprünglichen Verbannung  diurch  eine  andere  und  nicht  Konta- 
mination zweier  Verbannungen.  Auch  nach  allgemeinen  Prinzipien 
ist  eine  Ersetzung  das  Näherliegende  und  findet  sich  auch  wohl  in 
anderen  Verbannungssagen  wie  in  Herzog  E}mst  und  Ihion  von 
Bordeaux  mit  einem  *  üremst  und  *  ürhuon  verglichen. 


Studien  znr  fränkiechen  Sagengeschichte.  59 

Es  kommt  die  schone  ErkläruDg  Rajnas  für  die  Ursache  die- 
ser Ersetzung  hinzu  (S.  65):  582—3  war  der  Prätendent  Gun- 
dovald,  von  Konstantinopel,  wohin  er  sich  geflüchtet^  kommend, 
in  Marseille  gelandet^  von  den  Aquitanem  auf  den  Schild  er- 
hoben, von  Quntchramn,  dem  Konig  von  Burgund,  aber  besiegt  wor- 
den. Die  Sympathie  des  Südens  für  den  Prätendenten, 
die  Parteinahme  gegen  den  eigenen  Merowingerkönig 
Ountchramn  ist  echt  burgundisch  und  spiegelt  sich  in 
Übertragung  auf  eine  andere,  ältere  Figur,  auf  Childe- 
rieh,  wider,  wo  sie  eine  ursprüngliche  Verbannung  nach 
Thüringen  ersetzte. 

Interessant  ist  auch  der  Name  des  byzantinischen  Kaisers  Mau- 
ritius (582 — 602),  der  also  als  typisch  galt^  da  er  weder  zu  dem 
150  Jahre  älteren  Childerich  noch  wohl  zu  Gundovald  historisch  in 
Beziehungen  stand,  wenn  auch  Fredegar  ihn  ebenfalls  hier  nennt 
Wir  wissen  aber  aus  dieser  Zeit  von  einer  Vorliebe  für  Konstanti- 
nopel und  oströmisches  Wesen  am  fränkisch -burgundischen  Hofe 
(vgl.  Rajna,  &.  67). 

Mit  Gundovald  und  Mauritius  ist  das  Jahr  600  als  ungefährer 
Zeitpunkt  der  Grestaltung  unserer  burgundischen  Sage  gegeben,  eine 
chronologische  Bestimmung,  mit  der  Rajna  (S.  67,  68)  abschlofs,  und 
der  wir  eine  Heimatsbestimmung  haben  anfügen  wollen. 

Man  könnte  uns  wegen  letzterer  Absicht  vorwerfen,  eins  unbe- 
sprochen  gelassen  zu  haben:  nach  der  Landung  wird  doch  Childerich 
in  Bar  von  Wiomad  empfangen,  die  Barenser  treten  auf  seine  Seite 
und  erhalten  deswegen  von  ihm  Freiheiten.  Auch  Rajna  hat  eine 
Untersuchung  hierüber  abgelehnt^  da  ihm  dieser  Zug  nicht  zur  Dich- 
tung zu  gehören  schien.  Selbst  aber,  wenn  dies  der  Fall  wäre, 
könnten  wir  mit  dem  Orte  nichts  anfangen:  denn  wir  wissen  nicht, 
wo  er  liegt  Der  Sachlage  nach  zwischen  Marseille  und  Dijon  oder 
Mäcon.  Rajna  entschied  sich  für  Bar-sur-Aube,  Kurth  mit  Ent- 
schiedenheit für  Bar-le-Duc,  weil  es  die  erste  Station  in  Neustrien 
sei.  Auch  die  Anmerkung  der  Monumenta  Oermaniae  ist  zu  konsul- 
tieren, die  ebenfalls  am  ehesten  an  Bar-le-Duc  denkt  und  der 
Ansidit  widerspricht,  dafs  zu  dieser  Zeit  die  Stadt  noch  nicht  be- 
standen habe.  Ich  halte  die  Frage  für  unlösbar  und  mache  darauf 
aufmerksam,  dafs  es  sich  um  ein  Castro  Barro  handelt 

Von  den  drei  Versionen  der  Childerichsage,  die  wir  besitzen, 
zeigen  also  die  nordfranzösischen  aus  den  Jahren  580  und  727  gleiche 
Form  und  gleichen  Inhalt,  während  die.burgundische  von  624  ganz 
andere  Wege  eingeschlagen  hat 

Vom  allgemeinen  Gesichtspunkt  aus  betrachtet,  geben  beide 
Sagen  ein  prächtiges  Bild  von  den  so  verschiedenen  Kulturen  der 
Franken  und  Burgunder  ab.  Dort  noch  alles  einfach  und  ur- 
sprünglich; hier  reife  Fülle,  buntfarbige  Phantasie,  überquellende 
Erfindung.    Dort  sicherlich  noch  germanisch-fränkische  Form,  hier 


60  Studien  zur  fraDkischen  Sagengeschichte. 

ebenso  sicher  romanische,  wie  denn  der  Name  Eieiö,  Egegio, 
Eiegio  Fredegars  die  romanische,  lautlich  gerechte  Entwickelung 
von  Egldius  zeigt  und,  wenn  es  für  Aetius  steht,  auch  für  diesen 
Namen  eine  mögliche  romanische  Form  bietet,  eine  Entwickelung, 
die  keinesfalls  aus  der  Chronik  stammt,  welche  Egidius  faöchsteiiB 
zu  Egedius  umgestaltet,  den  bekannten  AStius  aber  bewahrt 
haben  würde. ' 

So  zeigt  sich  an  den  Oestaltungen  des  CküderichrLUdßs  unzwei- 
deutig, dafs  ich  in  Beurteilung  des  Gegensatzes  zwischen  burgun- 
discher  und  fränkischer  Kultur  und  Sage,  bei  welcher  ich  die 
erstere  für  die  ältere,  reifere  und  romanische  aus  kulturhistorischen 
Gründen  erklärte,  recht  gehabt  habe.  Zugleich  zeigt  sich  aber»  daifl 
der  Übergang  vom  fränkischen  zum  französischen  Epos  nichts  wie 
ich  ebenfalls  vermutete,  durch  das  burgundische  Epos  hindurch- 
gegangen ist,  wenigstens  in  unserem  Falle  nicht:  denn  eine  fran- 
zösische Merowingerverbannungssage,  die  uns  erhalten 
ist,  die  Flooventsage,  ist  nicht  nach  der  Art  von  Fredegars 
Darstellung,  sondern  nach  der  Gregors  oder  des  Liber 
Hisioriae  gestaltet 

Ihr  wenden  wir  uns  nun  zu,  vom  halb  geschichtlichen,  halb 
sagenhaften  lateinischen  Bericht  zum  altfranzösisehen  Spielmannstezt 

2.    Die  Verbannung  Floovents,^ 

Ich  will  nur  in  aller  Kürze  versuchen,  die  mit  Recht  berühmte 
Darstellung  Rajnas  in  Erinnerung  zu  bringen,  ehe  ich  meine  Nach- 
träge bringe. 

Sachlich  zeigt  sich  die  Flooventsage  als  eine  Fortentwickelung 
der  bisher  besprochenen  Cküderichsage.  Sie  führt  den  Helden  nach 
Sachsen,  läTst  ihn  eine  sächsische  Königstochter  heimführen  und  von 
einem  treuen  Freunde  Richier  in  allem  unterstützt  werden. 

Der  epische  Name  Floovent  ist  ein  Patronymicum.  EUnter 
ihm  versteckt  sich  Clödwigs  Bastard  Theodorich,  dessen  Namen- 
gleichheit mit  dem  Goten  Theodorich  in  einem  Falle  wahrschein- 
lich zu  Verwechselungen,  in  anderen  Fällen  zu  Unterscheidungs- 
namen führte:  Hugo-Theodoricus,  Hugdietrich  (Hugo  heilst: 
'Franke'),  Wolfdietrich  (vgl.  Voretzsch,  Ep.  Stud,  S.  278  ff.). 

Das  schwierige  Kapitel  der  Flooventsage  ist:  das  Motiv  der 
Verbannung.  An  die  Stelle  der  Schändungen  von  Frauen 
durch  Childerich  ist  die  Schändung  eines  Lehrers  mittels  Bart- 


*  Vgl.  oben  S.  56  die  für  Aetius  beigebrachten  Vulgarformen  Aiedusj 
Egetius  etc.,  welche  einem  romajniischen  *Eiedxo  entsprechen.  Wenn  also 
Egidius  und  Aetius  romanisch  Ahnliches  ergeben,  so  sind  sie  eben  da- 
durch verwechßelt  worden.  Dann  ist  aber  der  Name  unter  allen 
Umständen  durch  romanische  Sage  erhalten  worden. 

^  Bröckstedt,  floovantstudden  (Diss.  Kiel  1904)  blieb  mir  bis  jetzt 
unzugänglich. 


Studien  zur  fränkischen  Sagen geschichte.  61 

abschneidens  getreten.  Ist  das  die  Milderung  obszöner  Szenen,  die 
wir  so  oft  antreffen,  und  die  der  Einspruch  eines  rein  denkenden 
Volkes  ganz  natürlich  mit  sich  bringt?  —  Die  Oesta  Dagoberti 
(Rajna  S.  146)  belehren  uns  eines  anderen:  Prinz  Dagobert  rächte 
sich  an  dem  Minister  seines  Vaters  Sadregisel,  der  ihn  schnöde 
behandelt  hatte  und  nach  der  Krone  trachtete,  indem  er  ihm  den 
Bart  schor.  Der  Wut  des  Königs  entging  er  an  geweihter  Statte,  an 
der  er  spater  zur  Erinnerung  die  Abtei  St-Denis  gebaut  haben  soll. 
Die  kirchliche  Konsequenz  der  episch  anhebenden  Erzählung  werden 
wir  mit  O.  Paris  und  Rajna  (147, 148)  dahin  verweisen,  wohin  sie  ge- 
hört, in  die  K  i  r  c  h  e.  Wir  vermuten,  dafs  die  8  a  g  e ,  ähnlich  ihren  Ver- 
wandten, Dagobert  für  die  Schändung  in  eine  Verbannung  führte. 
So  hätten  wir  im  7.  Jahrhundert  nebeneinander: 

1)  Eine  südfranzösische  Verbannung  Childerichs   nach   Kon- 

stantinopel (Motiv:  Schändung  der  Frankenfrauen). 

2)  Eine  nordfranzösische  Verbannung  Childerichs  zu  den  Thü- 

ringern (i2ouen?)  (Motiv:  Schändung  der  Frankenfrauen). 

3)  Eine {pstfrcmxösische 7)  Verbannung  Theodorichs  (=  Floovent) 

zu  den  Sachsen  (Motiv?). 

4)  Die  kirchlich  entstellte,  zur  Verherrlichung  von  Saint-Denis 

gefertigte  (also  zentralfranzösische  I)  Exposition  einer  gleichen 
Sage  über  Dagobert  (Motiv:  Schändung  des  Ministers). 

Die  Sagen  über  Ghilderich  verwehten,  die  Sagen  über  Floo- 
vent und  Dagobert  flössen  zusammen  und  mischten  sich  auf  das 
innigste:  der  epische  Name  Floovent  siegte  über  Dagobert 
Seinerseits  erhielt  sich  das  Motiv  von  des  letzteren  Verbannung.  Den 
Namen  von  Dagoberts  Widersacher  Sadregisel  erkennt  man  wieder 
in  dem  entstellten  Salardo  der  italienischen  Version  dier  Beali,  dem 
Sa]  vaerd  der  niederländischen  Version.  Jy^r  Floovent  nopnt  ihn  nur 
Senechal:  1444  Senechatd  de  Dijofi,  also  wohl  Ersetzung  eines 
mlTsverstandenen  Namens.  Die  Schändung  eines  Mannes  (hier  des 
Lehrers)  hat  über  die  Schändung  der  Frauen  aus  der  älteren  Mero- 
wingersage  gesiegt. 

Ab^  sagen  wir  hier  nicht  zu  viel?  Kennen  wir  denn  über- 
haupt die  Ursache,  derentwegen  Floovent  vor  seiner  Verschmelzung 
mit  Dagobert  wandern  muiste?  In  der  Tat,  wir  kennen  sie  nich^ 
und  nichts  berechtigt  uns  vorderhand,  anzunehmen,  dafs  diese  nach 
dem  Muster  von  Ghilderich  gemacht  worden  sei.  Im  Gegenteil  kann 
ja  die  Lehrerschändung  auch  ihm  gehören. 

Wir  besitzen  noch  eine  zu  Anfang  erwähnte  Anspielung  auf 
Floovent,  welche  ganz  andere  Berichte  über  ihn  vermuten  läfst, 
aus  der  man  aber  bisher  nichts  hat  machen  können.  —  Nehmen 
wir  sie  im  Wortlaut  vor:  Saianes  Tir.  III,  4: 

1   (Que)  dl  qui  tint  de  France  premiers  la  region 
Ot  a  non  Clodois,  que  de  fi  le  set  on; 
Peres  fu  Floovant,  qui  fist  la  mesprison 


62  Studien  zur  fränkischen  Sagengeschichte. 

De  sa  fille  la  bele,  qui  Aali£  (Helois,  Helois)  ot  non. 
5  Tant  fu  sage  et  cortoiee  et  de  bele  fa^on 
Que  novelee  en  vindrent  au  Saisne  Brunamont, 
Qui  justiBoit  Sessoigne  et  la  terre  an  yiron. 
Sarrazins  ert  li  Saisnes,  si  [creoit  an]  Mahon; 
De  la  franche  pucele  fist  requerre  le  don, 
10  Et  li  roiz  li  dona  par  male  (A:  fole)  antandon: 
Miax  li  yenist  avoir  tu4e  d'un  baston  . . . 
Car  (B,  A)  li  oir  k'en  issirent  fiurent  fier  et  fel<m. 

Gaston  Paris  schreibt  über  die  Stelle  (Hut.  PoU,  &.  221): 
'Ge  Floovant,  ...  eui  k  tort  de  marier  sa  fille  Äalix,  Helois  ou 
Heluiz  au  Saaon  Brunamont,  dont  les  descendants  rielamereni 
plus  tard  la  cauranne  de  FranceJ 

Und  auch  Rajna  versteht  die  Stelle  in  dieser  Weise  {Origini 
S.  188):  'Deüe  noxxe  di  una  figUuola  dt  Floavent,  per  nome  Aaliz 
0  Helois,  con  un  re  aassone,  tum  abbiamo  adesso  nessuna  espo- 
sixione  diffusa.' 

Der  altfranzösische  Text  ist  nun  doppeldeutig,  je  nachdem  man 
das  Possessivpronomen  in  Zeile  4  und  li  rois  in  Zeile  10  bezieht 
Paris  und  Rajna  beziehen  beides  auf  Floovent,  indem  sie  anneh- 
men, dais  mit  Vers  8  von  Clodwig  abgesprungen  wird.  Wo  aber 
ist  gesagt  worden,  dafs  Floovent  nun  König  sei? 

Nicht  anders  die  Anspielung  Alberichs  von  Trois-Fon- 
taines  ad.  658:  Quedam  hystoria  de  rege  Floovenz,  Clodovei  filio. 
Huius  filia  Helvidis  data  lustamundo  regi  Saxonum  peperü  Bruno- 
mtmdum  et  heredes  Withecindi. 

Die  Anspielung  ist  unabhängig  von  der  im  Saehsenlied,  denn 
sie  macht  die  Helvidis  ^  zur  Mutter,  nicht  zur  Qattin  Brunamunds. 
Wie  jene  ist  sie  zweideutig.  Huius  kann  grammatisch  auf  Floovent 
wie  auf  Clodwig  bezogen  werden. 

Man  kann  also  Paris  und  Rajna  entgegenhalten:  in  der  An- 
spielung der  Saisnes  ist  nicht  gesagl^  dals  Floovent  König  is^  mit 
U  rois  in  Zeile  10  ist  darum  eher  Clodwig  gemeint.  Damit  erhielte 
man  aber  einen  ganz  anderen  Sinn. 

Es  kommt  aber  noch  etwas  hinzu:  beide  haben  Vers  8  mesprison 
modern  französisch  verstanden:  m^prise 'Fehlgriff .  Der  Begriff  'fehl- 
greifen' dient  aber  auch  häufig  zur  beschönigenden  Bezeichnung  von 
'unrecht  tun'.  Vgl.  'sich  vergreifen  an  jemandem'.  Und  diese  Be- 
deutung hat  mesprison  auch  altfranzösisch.  Ja  im  Floovent  ist 
es  gerade  dieses  Wort,  das  (neben  mesfaü  19,  89)  für  die 
Schändung  des  Seneschals  angeführt  wird: 

1442    'Je  suis  fiz  Cloovis,  le  roi  de  Monloüm, 

Qui  me  cha9ai  de  France  por  une  mesprison 
Que  je  fis  vers  mon  maitre,  Senechaul  ae  D[ijon], 
Cui  je  copai  la  barbe  enz  apr^  lou  grenon.' 

*  Über  Aaliz,  Helois,  Helvidis  siehe  O.  Schultz,  'Hik^Ue^  in 
Toblerabhandlungen  S.  180.  Sein  Etymon  ist:  Hnlundis  (S.  184).  Über 
die  'obligaten  Namenvertauschongen'  s.  S.  185. 


Stndien  rar  frSnkischeii  Bagengeschichte.  63 

Eb  wild  nun  vor  allen  Dingen  klar  ^qui  fiat  la  mesprison  —  de 
aa  fiüß  ../  heifst  nicht:  'der  den  Fehlgriff  mit  seiner  Tochter  machte', 
ein  Ausdruck,  der  dann  erst  Vers  10  seine  Erklärung  finden  würde, 
da(s  er  sie  einem  Sachsen  verheiratet  hätte,  sondern  es  hei&t:  Floo- 
vent,  der  sich  an  seiner  oder  Clodwigs  Tochter  (das  wäre  dann 
seine  Stie&ch wester)  vergriff.  Sachlich  ist  diese  Deutung  zu  gut 
gestützt^  als  dab  man  an  ihr  zweifeln  könnte:  das  Vergreifen  an 
Mädchen  durch  die  etwas  ältere  Sage  Childerichs,  deren  langes 
Bestehen  Ihre  Beliebtheit  bezeugt^  und  wie  sie  Vorbild  für  Verban- 
nungssagen überhaupt  wurde,  auch  das  Motiv  der  Verbannung  be- 
einflussen mulste,  bis  ein  modaneres  es  verwischte.  Das  Unrecht 
und  die  Verbannung  als  Kern  der  Sage  Floovents  durch 
den  ertialtenen  Floovent,  der  noch  die  Bezeichnung  mesprison  braucht» 
wenn  auch  das  Unrecht  in  anderer  Form  auftritt 

Dals  sich  Floovent  an  Schwester  oder  Tochter  statt  an  den 
Töchtern  seiner  Untertanen,  wie  in  der  Ghüderichsage,  vergriffen 
habe,  ist  eher  eine  Stütze  für,  als  dafs  es  gegen  uns  sprächa  Die 
nordische  Sage  setzt  Elarl  den  Qrofsen  zu  einer  Schwester  in  ge- 
schlechtliche Beziehung  (ihr  sei  Roland  entsprossen)  und  zeigt,  dafe 
die  Franken  die  altgermanische  Sage  von  der  Liebe  xwischen  Bruder 
und  Schwester  kannten,  der  man  einen  mythologischen  Ursprung 
beimilst  Aber  auch  der  seiner  Tochter  nachstellende  Vater  bildet 
(wenn  unsere  Deutung  von  der  Beziehung  Floovents  zu  Aaliz  nicht 
genehm  ist)  ein  beliebtes  Thema,  das  wir  in  der  Manekine,  in  der 
Gamtesse  d'Anjou  als  Kern,  in  Orimms  Aüerleiratih  in  ursprünglicher 
Form,  in  der  Huon-Fortsetxtmg:  Ide  et  Olive,  als  Episode  in  Oriatal 
und  Doon  (8.  99  ein  Riese  exkommuniziert,  weil  er  ein  Kind  von 
seiner  Tochter  hat)  wiederfinden.  Kurz:  die  volkstümliche  Dichtung 
perhorresziert  das  Thema  'Blutschande'  nicht  nur  nicht,  sondern 
sucht  es  auf.  Übrigens  braucht  die  mesprison  Floovents  nicht  in 
Schändung  bestanden  zu  haben,  er  kann  ja  auch  ihr  die  Haare  ab- 
geschnitten oder  sonst  einen  Schabernack  gespielt  haben.  Über  den 
Inhalt  des  Wortes  aber  kann  ein  Zweifel  wohl  kaum  mehr  bestehen. 

Nun  wollen  wir  uns  ernstlich  zu  der  Frage:  Schwester  oder 
Tochter?  wenden.  Zu  ihrer  Erledigung  eine  Vorbemerkung:  Aaliz, 
Helois  ist  beleidigt,  geschändet,  dem  Sachsenkönig  gegeben  worden. 
Dafs  die  Sage  sie  hieraufhin  als  Intrigantin  gegen  die  Franken  ver- 
wandt hat,  ist  selbstverständlich,  wie  sie  die  Burgunderin  Crotechildis 
als  Qattin  Clodwigs  gegen  ihre  burgundischen  Verwandten  stellte. 
Ja,  man  könnte  annehmen,  dafs  diese  Sage  jener  von  Aaliz  zum 
Vorbild  gedient  habe.  Dafs  übrigens  die  Anspielung  der  Saisnes  in 
Aaliz  die  Intrigantin  sieht,  können  wir  aus  dem  scharfen  Vers  er- 
sehen: 11    Miax  li  venist  avoir  tuie  d'un  baston, 

Ihre  Schuld  war  nicht  nur  indirekt,  Qebärerin  der  Gegner  ihrer 
Sippe  gewesen  zu  sein,  sondern  eine  direkte,  für  die  sie  verdiente, 
wie  ein  Hund  totgeschlagen  zu  werden. 


64  Studien  zur  frankischen  Sagen geBchichte. 

Diese  Intrigantin  am  sächslBchen  Hofe  entspricht  nun  der  be- 
rühmten Intrigantin  am  thüringischen  Hofe,  der  Gotin  Amala- 
berga,  die  ihrem  Gatten  Irminfrid  den  Tisch  nur  halb  deckte,  da 
er  sich  mit  einem  halben  Königreich  begnügte.  Sie  war  Nichte  des 
Goten  Theodorichs.  Floovent  ist  aber  der  Franke  Theo- 
dor ich.  Hat  man  beide  verwechselt?  Man  hat  dies  offenbar«  denn 
nach  dem  sagenhaften  Bericht  Wittekinds  über  sie  ist  Amala- 
berga  Tochter  Clodwigs  und  Stiefschwester  Dietrichs 
(=  Floovent).    (Pertz  III,  420,  vgl.  Origini  S.  97  ff.) 

Als  nämlich  Huga  (d.  i.  Clodwig),  der  König  der  Franken,  stirbt» 
wählt  das  Volk  seinen  Bastard  Theodorich  (die  Bastardschaft  ist 
historisch)  zu  seinem  Nachfolger.  Man  überging  dabei  Hugas  recht- 
mäfsige  Tochter  Amalberga,  die  Gattin  des  Thüringers  Irminfrid  ge- 
worden war  und  bereits  ihren  Ehrgeiz  und  ihre  Lust  an  der  Intrige 
gezeigt  hatte. 

Theodorich  sucht  nun  die  Bestätigung  seiner  Wahl  durch  die 
Thüringer  zu  erhalten.  Er  sendet  eine  Botschaft  an  Irminfrid,  durch 
welche  der  Frieden  zwischen  beiden  Völkern  befestigt  werden  soll. 
Amalberga  aber  sucht  dies  Bestreben  ihres  Stiefbruders  zu  hinter- 
treiben. Sie  steckt  sich  hinter  den  Berater  Iring  und  macht  ihm 
klar,  dafs  ein  Bündnis  ihres  Mannes  mit  dem  Bastard  Theodorich, 
ihrem  Sklaven,  unmöglich  sei:  indecens  fore  proprio  servo  umquom 
manus  dare.  Und  Iring  bringt  es  fertig,  Irminfrid  eine  gleiche 
Antwort  in  den  Mund  zu  legen,  wonach  der  fränkische  Gesandte 
kündet:  Eine  solche  Beleidigung  könne  nur  mit  Blut  abgewaschen 
werden. 

Zu  diesem  Zwecke  sehen  wir  Theodorich  gegen  die  Thüringer 
ziehen,  die  ihn  bei  Bunibergun  an  der  Unstrut  erwarten.  Er 
schlägt  sie  in  dreitägiger  Schlacht  und  setzt  die  Unternehmungen 
gegen  sie  auch  dann  noch  fort.  'Denn,'  sagt  sein  Berater,  als  die 
Franken  nicht  übel  Lust  zeigen,  heimzukehren  nach  dem  ersten 
Siege:  'in  ehrenhaften  Dingen  halte  ich  die  Ausdauer  für  die  größte 
Tugend:  so  hielten  es  unsere  Vorfahren,  die  selten  oder  nie,  wenn 
sie  eine  Pflicht  übernommen,  dieselbe  nicht  zu  ihrem  Ende  führten.' 

Die  weiteren  Kämpfe  interessieren  uns  wenig,  zumal  sie  von 
den  Sachsen  tendenziös  entstellt  sind.  Hier  ist  die  Thüringerkönigin 
Amalberga  Schwester  Dietrich -Floovents,  Kronprätendentin, 
es  erklärt  sich  die  Anspielung  des  Sachsenliedes  in  aUen  ihren  Teilen, 
die  Rolle  des  Brautvaters  hat  tatsächlich  Clodwig,  diese  Verhei- 
ratung und  die  mesprison  decken  sich  tatsächlich  nicht,  die  Intri- 
gantenrolle der  Prinzessin,  die  uns  Vers  11  vermuten  lieis,  ist  ge- 
sichert 

Dais  die  ältere  (verlorene)  Sage  von  Thüringern  spricht^  die 
jüngere  von  Sachsen,  ist  nicht  auffallend.  Die  Sage  hat  die  Thü- 
ringer vollkommen  vergessen,  und  ich  glaube  sie  nur  noch  in  einer 
sarazenischen  Völkerschaft  Tirant,  Irant,  Torant,  die  durch  Zu- 


Stadien  zur  frfinkischen  Sagengeschichte.  65 

sammen werfen  von  *Torenc  (Thoringus)  mit  Tirant  (Tyrannus) 
entstanden  sein  könnte,  wiederzuerkennen: 

1)  Auberi-' Bruchstück  ed.  Bekker,  Fierabras  S.  LXVI,  Heiden- 

könig: Et  avec  aus  Torant  le  combatant 

2)  Fierabras  4918  Aufricans  (Eigenname)  li  tirans. 

3)  Ogier  796  Ne  Beduins,  n'Achopart  ne  Irant,  und  öfters. 

Rajna  hat  die  Ähnlichkeit  der  Bolle  der  Aaliz  mit  Amalberga 
wohl  erkannt^  aber  nicht  genug  gewürdigt,  wohl  hauptsächlich  weil  er 
die  Doppeldeutigkeit  der  Anspielung  der  Saisnes  nicht  bemerkt  hat 
(S.  168):  0  sarehhero  mai  queate  nozxe  (di  Aalix)  da  idenüficare  eon 
quelle  di  Ennenfrido  com  Amalberga,  che  conosciamo  da  un  pezzo? 
Abbiamo  in  ambedue  i  casi  un^unione,  ehe  da  pretesto  ai  barbari 
deüa  Oermania  di  meitere  avanii  pretensioni  aU'ereditä  dd  trono  from- 
cese,  La  sosiituxione  dei  Sassoni  ai  Turingi,  . . .  sarebbe  quanio  mai 
regolare,  Oid  posto,  siccome  Amalberga  si  fa  soreUa,  non  figlittola 
di  Teodorieo,  ne  verrebbe  ehe  Flooveni,  padre  di  Aalix,  fosse  aneor  egli 
Clodoveo, 

Wir  brauchen  die  Künstelei  nicht  und  stellen  die  Gleichung 
auf:  Aaliz  ist  gleich  Amalberga  der  Sage: 

1)  Beide  sind  nach  der  Sage  Töchter  Glodwigs. 

2)  Beide  von  ihm  an  den  Sachsenkönig  verheiratet 

8)  Beide  Intrigantinnen  der  Sage,  Pratendentinnen  des  Thrones, 
Widersacherinnen  gegen  den  Stiefbruder  Theodorich-Floovent, 
der  als  Bastard  geringeren  Anspruch  auf  die  Krone  hatte. 

Der  durch  die  Anspielung  der  Saisnes  gesicherte  *  Urfioovent, 
in  dem  sich  der  Held  an  der  Schwester  vergreift,  ist  also  eine  Vor- 
geschichte {Enfcmces)  zu  jener  Konkurrenz  beider.  Sie  fundiert  die 
Feindschaft  der  Stiefgeschwister,  indem  sie  den  Helden  der  Schwester 
nachstellen  und  ihn  wahrscheinlich  daraufhin  verbannen  läfst^  mit 
offenbarer  Nachahmung  von  Ghüderiehs  Verbannung  und  Speziali- 
sierung ihrer  Ursache. 

Nun  zu  dem  epischen  Namen  der  Heldin:  Amalberga  ergab 
französisch  Amauberge  und  später  wohl  Mauberge,  wie  Mau- 
gis  aus  Amaugis.  Hiervon  dürften  sich  im  Floovent  als  Varianten 
erhalten  haben  die  sächsischen  Oeschwister  Maudarant  und  Mau- 
doire  und  ihre  Schwester  Maugalie,  die  Floovent  heimführt 

Später  tritt  Willkür  in  der  Namengebung  ein,  indem  die  Hs.  der 
Saisnes  sie  Aaliz,  Helois,  Alberich  sie  Helvidis  nennt 

Dafs  aber  in  späteren  Jahrhunderten  die  mesprison  an  Amala- 
berga  noch  bekannt  war,  dafür  scheint  mir  zu  sprechen,  dafs  eine 
solche  in  die  Legende  der  heil.  Amalberga  übergegangen 
ist,  welcher  Karl  der  Grofse,  den  wir  hier  an  Stelle  seines 
Vorgängers  finden,  in  brutaler  Weise  nachstellte,  ob- 
gleich sie  sich  dem  Kloster  gewidmet  hatte:  Einst,  als  sie 
sich  vor  den  Altar  geflüchtet,  wollte  er  sie  fortziehen,  um  sie  zu  sei- 

Archlv  t  n.  Spmchen.    CXVI.  5 


66  Studien  zur  fränkiBchen  Sagengeschichte. 

nem  Willen  zu  zwingen,  und  brach  ihr  in  seinem  Ungestüm  den  Arm  ^ 
(8.  GaBton  Paris,  Bist.  PoSt.  8.  382;  Rajna,  Orig.  287*). 

Es  ist  kein  Wunder,  dafs  dieser  oder  ein  ahnlicher  Konflikt  aus 
dem  Floovent  verschwand,  und  dafs  die  Motivierung  der  Verbannung 
aus  Dagoberts  Sage  dafür  eintrat  Nur  die  Kirche  hielt  sie  länger 
noch  als  das  Volk,  und  so  kam  die  heilige  Amalberga  zu  einem 
Roman  mit  Karl  dem  Gro&en. 


'  Hier,  in  der  jüngeren  Form  der  Sage  von  Amalberga,  hatten  wir 
also  die  Beziehung  zur  Idanekinesiigey  die  wir  als  Pendant  zur  'Blutschande' 
brachten,  offcoikundig.  Das  Brechen  oder  Abschneiden  von  Arm  und  Hand 
ist  dort  zum  Märchen  gdiörig. 


Nachschrift  Die  seither  erschienene  Table  des  Noms  Propres 
dans  les  Chansons  de  Oeste  von  E.  Langlois  (Paris  1904)  weist  eine 
Erwähnung  des  Königs  Ans  eis  auch  im  Foueon  de  Oandie  nach. 
König  Ludwig  wird  dort  genannt  (8.  160):  'bon  roy  du  lignage  An- 
sSis\  Auch  die  Redensart  aus  Doon  M.:  dds  le  temps  AnsSi,  könnte 
auf  ihn  zielen  (ÖOSO,  vgl.  5860:  Ansehier).  —  Auch  zu  Torant  finden 
wir  andere  Belegstellen. 

München.  Leo  Jordan. 


Note  sul  Boccaccio  in  Ispag^a  nelPEt^  Media, 

(FortBeUung.) 


Assai  minor  fortuna  del  De  Caaibus  e  del  De  daris 
Mvlieribus  godettero  in  Ispagna  gli  altri  trattati  del  Boccaccio. 
Ma  si  del  De  genealogüs  deorum  gentilium,  come  del  De 
montibtM,  ailvis,  fontibus,  lacubua,  fluminibus.  stagnis  et  palu- 
dibua  et  de  nominibus  maria  si  ayeyano,  nel  '400,  traduzioni 
ed  imitazioni.  La  Oenealogia  de  loa  Dioaea  gentilea,  'en  castel- 
lano',  era  tra  i  libri  del  marchese  di  Santillana,  ed  e,  verosimil- 
mente,  opera  del  dottor  Pero  Diaz  de  Toledo,  uomo  di  vasto 
sapere,  Yolgarizzatore  di  Piatone.  Nelle  chiose  ai  Proverbioa, 
dove  e  memoria  di  'Damnes,  fija  de  Peneo'  (Obraa,  79),  la  Oenea- 
logia e  citata.  Nel  tempio  della  scienza  del  Marchese  figuraya 
pure  il  Libro  de  Johan  Bocagio  florentino,  poeta  laureado, 
d  quäl  ae  intitula  de  loa  montea  e  rioa  e  advaa,  e  sarä,  o 
non  sarä,  yersione  anonima,  fatta  per  istanza  del  gentiluomo 
spagnuolo  Nuno  de  Guzman,  intelligente  mediatore  fra  la  lettera- 
tura  umanistica  d'Italia  e  qaella  di  Spagna,  che  'infiniti  Yolumi', 
al  dire  di  Vespasiano  da  Bisticci,  f e  trascriyere,  e  perduraya  assorto 
ne'pensier  grayi  persino  a  tavola,  doye  ^s'astraeva  in  modo  che 
lasciaya  il  mangiare  ed  ogni  cosa'.  L'unico  suo  biografo  ci  assi- 
cura  ayere  il  Guzman  raccolta  ^una  degnissima  libraria,  la  quäle, 
preyenuto  lui  dalla  morte  in  Siyiglia,  capitö  male'.^ 

Tra  i  libri  di  Don  Alyar  Garcia  de  Santa  Maria,  zio  di 
Alonso  de  Gartagena,  troyi  aeia  cuadernoa  de  genealogia  Deorum, 
acquistati  prima  che  si  desse  mano  alla  yersione  castigliana,  con- 
temporaneamente  forse  ai  libri  del  De  Genealogia  di  proprieta 
di   Enrique  de  Villena.  *     Alla  compilazione  boccaccesca,   vera 

*  Bimando  all'accuratisBima  inda^e  di  Mario  Schiff  suUa  blblioteca 
del  Santillana,  che  potei  consultare  ndile  bozze.  ün'appendice  tratta  della 
yita  e  degli  scritti  di  Nufio  de  GuzmaD.  Vedi  anche  A.  Morel-Fatio,  No- 
tice  8ur  trois  manuaer.  de  la  bibl,  d*  Oauna  in  Roman.  XIV,  94  sff.  —  Due 
manoscritti  del  De  öeneal.  castigliano  sono  alla  Nazionale  di  Madrid,  un 
altro  (N.  458  del  fondo  spagnuolo)  alla  Nazionale  di  Parigi,  coUa  traduzione 
del  De  moniibus,  athis  ecc,  La  Oenealogia  de  los  Dioaea  de  loa  gentilea,  'en 
eaatellano^  'falto  del  principio'  h  registrata  nel  noto  Catdlogo  del  Rocamora 
p.  12,  N.  30. 

*  Vedi  gli  inyentari  del  Villena  e  di  Alvar  Garcia,  citati  altroye.  Nel 
Catdlogo  dela  Libreria  del  Cabildo  Toledano,  recentemente  compilato  (Eev, 

5* 


68  Note  Bul  Boccaccio  in  IspagDa  nell'Etä  Media. 

enciclopedia  della  mitologica  scienza»  frequentemente  consoltata 
e  studiata,  in  Italia  e  fuori,  compendiata  da  parecchi,  in  breve 
volger  di  tempo,  toglieva  il  Yillena,  giä  prima  del  SantillaDa, 
favole»  notizie  mitologiche,  candidamente  esposte  come  vere  etorie, 
e  tutte,  quäl  piü,  quäl  meno,  di  forte  sapor  terreno;  toglieya 
nomi  di  Divinita,  dichiarazioni  polisense  e  caotiche  de'  miti  an- 
tichi^  'reliquie  degli  dei  pagani,  spcrse  in  quasi  infiniti  volumi'. 
Traccie  di  un'assidua  lettura  del  De  Oenealogiis  trovi  nelle 
chiose  SilYEneide  tradotta,  ingombre  di  vite  e  di  miracoli,  desunti 
dalla  mitologia  antica;  pur  le  scopri  ne'trattati:  Los  Trabajot  de 
HercuIeSy  la  Consolatoria  d  Ferndndez  de  Valera  (che  associa 
il  Boccaccio  ad  altri  dotti:  Petrarca,  Isidoro,  Yalerio),  dove,  a 
conforto  dell'amico  afflitto,  si  narrano  esempi  di  sciagure,  patite 
dagli  Dei.  Nel  Prohemio  al  Condestable  de  Portugal,  il  mar- 
chese  di  Santillana  ricorda  gli  studi  della  ^gra^iosa  s^ien^ia' 
poetica,  compiuti  dal  re  'Johan  (I)  de  Chipri',  e  dal  Boccaccio 
espressamente  vantati  nell'^entrada  prohemial  de  su  libro  de  la 
Genealogia  6  Linage  de  los  dioses  gentiles,  fablando  con  el 
senor  de  Parma  (I),  mensajero  ö  embaxador  suyo';  ed  e  certo 
anche  un  po'  dietro  Tesempio  della  memoranda  difesa  e  magni- 
ficazione  boccaccesca  della  poesia,  negli  ultimi  libri  della  mito- 
gica  compilazione,*  che  il  marchese,  nell'esordio  deH'epistola, 
combatte  Terror  di  quelli  che  'penssar  quieren.ö  dedr',  non 
tendere  le  poetiche  favole  che  a  'cosas  vanas  e  lascivas',  ed  identi- 
fica  la  poesia,  cosa  tutta  Celeste  (^un  (elo  (eleste,  una  affection 
divina,  ...  de  arriba  infusa'),'  colla  scienza  piü  sublime,  ^mas 
prestante,  mas  noble,  o  mas  dina  del  hombre'.  La  definizione 
stessa  della  poesia,  o  ^gaya  s^ien^ia',  quäl  ^fingimiento  de  cosas 
ütiles,  cubiertas  6  veladas  con  muy  fermosa  cobertura,  com- 
puestas,    distinguidas   e    scandidas  por  (ierto  cuento,   pesso   e 

de  Äreh,f  Bibl,  y  Mus.  1903;  aggiunta  al  fasc  di  Luglio,  p.  57),  figorano: 
Los  13  primeros  libros  de  la  geneaiogia  de  los  dioses  traducuios  al  castdlano. 
Mb.  di  269  f.,  forse  giä  registrato  nel  vecchio  catalogo  del  1455. 

'  Vedi  lo  studio,  alquanto  superficiale,  di  £.  Woodbrige,  Boeoaecio's 
Defense  of  Poetry  in  PiwUecU.  of  the  Mod,  Assoe,  of  Ameriea,  NuoTa  Ser. 
Vol.  VI,  3,  pp.  333--49;  O.  Hecker,  Boceaeeio-Funde,  Braunschweig  1902, 
pp.  190  seg.,  dove  ^  un  opportuno  accenno  alla  difesa  della  poesia,  ten- 
tata  nel  De  CasibuSf  nelFepistole  a  Jacopo  Pizzinghe,  e  nel  conunento  di 
Dante,  e  si  ricordano  le  note  epistole  di  Coluocio  Salutati  a  Giovanni  da 
Samminiato.  Come  Albertino  Mussato,  in  alcune  sue  ripetute  difese  della 
poesia,  da  si  servisse  degli  argomenti  addotti  dal  Boccaccio,  ricorda  il 
Novati,  indagini  e  postiüe  dantescke  (Bibl.  stör.  orit.  d.  küer.  dani.  IX.  X), 
Bologna  1899,  p.  102.  Vedi  inoltre  la  ristampa  del  libri  XIV  e  XV  del 
De  Ueneal,  nelropera  del  compianto  Oddone  Zenatti,  Dante  e  Firenxe  — 
Prose  afUichej  con  note  iUustraiive^  Firenze  1903. 

'  'Nunca  esta  poesia  ^  gaya  sciencia  se  fallaron  si  non  en  los  änimos 
gentiles,  6  elevados  espiritus'  (Obras  2  sg.).  Femän  P^rez  de  GuzmÄD 
(Oane.  de  Baena  p.  615):  'La  gaja  9ien9ia  que  asy  como  rrosa  |  Nasciö 
en  el  yergel  de  la  poetria.' 


Note  sul  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media.  69 

medida',  e  tolta,  in  massima  parte,  da  quella  data  dal  Boccaccio 
nel  penultimo  libro  del  De  Oenealogiis.^  Chi  apre,  continua 
poi  il  marchese,  'las  escuridades  e  (erramientos  dellas  . . .  quien 
las  escIaresQe,  quien  las  demuestra  e  fa^e  patentes  sinon  la 
cloqiiengia  dul^  e  fermosa  fabla,  sea  metro,  sea  prosa'?'  E  chi 
piii  degno,  nel  concetto  del  Santillana,  di  svelare  ogni  poetico 
mistero,  del  Boccaccio  medesimo,  *orador  insine',  eminente 
scienziato,  autor  di  prose  'de  grand  eloqüencia'? 

*  Potera  awertirlo  il  Croce  nella  sua  bella  JSstetieOf  Napoli  1902,  p.  181. 

'  Non  ho  modo  di  consultare  ora,  n^  l'originale  latino  del  trattato  del 
Boccaccio,  n^  il  manoscritto  della  versione  castigliaDa,  e  mi  ^  forza  gio- 
varmi  della  versione  Betussiana,  BbiaditiBsima.  Cito  quei  brani  che  piü  con- 
cordano  col  Prohemio  del  marcheee  (DeUa  Oenealogia  degli  Dei,  L%b,  XIV, 
f.  232):   *..,  dicono  la  PoeBia  in  tutto  eeser  niente,  e  una  vana  facultä, 


cultä  non  vana,  ma  piena  di  succo  a  quelli,  che  vogliono  con  l'in^egno 
premer  fuori  i  sensi  aalle  fittioni.  ...  La  Poesia  ^  un  certo  fervore  di  scri- 
vere,  6  dire  astrattamente,  e  stranieramente  quello,  che  haverä  trovato,  il 
quäle  derivando  dal  seno  d'Iddio,  a  poche  menti  ...  ^  conoeduto.  Gli 
effetti  di  questo  fervore  sono  sublimi,  come  sarebbe  . . .  le  imaginate  (in- 
venzioni)  con  certo  ordine  distendere,  omar  le  composte  con  una  certa 
inusitata  testura  di  parole,  e  sentenze,  e  sotto  velame  di  favole  appropriato, 
nascondere  la  veritä  . . .'  (f.  284).  'ho  detto  questa  seien za  dal  seno  (Plddio 
essere  infusa  nelle  anime  anco  tenere  . . .  il  poeta  . . .  quasi  esser  enfiato 
da  un  certo  spirito  divino  . . .  Assai  si  pu6  vedere  . . .  la  Poesia  . . .  haver 
origine  dal  grembo  d'Iddio.  ...  £  gli  ^  pura  Poesia  tutto  quello,  che  sotto 
velame  componiamo,  e  stranieramente  si  ricerca,  e  narra  ...  affine,  che 
per  la  troppa  brevitft  non  levasse  la  dilettatione,  n^  con  la  soverchia  lun- 
ghezza  porgesse  rincrescimento,  con  certe  r^ole  di  misura,  e  tra  diffinito 
numero  di  piedi,  e  sillabe  il  (verso)  costrinsero  . . .'  (f.  286).  *La  favola  h 
una  locutione  eesemplare,  overo  dimostrativa  sotto  fittione,  da  cui  levata 
la  corteccia,  ^  maniiesta  la  intentione  del  favoleggiante.'  Nella  traduzione 
del  De  Gastbua  il  marchese  poteva  leffgere  (p.  XL V) :  '£  bien  assi  como  la 
sancta  scritura  declaro  primero  por  los  profetas  los  secretos  que  eran  por 
venir  de  la  divinal  voluntad  so  un  encubierto  callado  y  honesto :  bien  assi 
esta  sciecia  de  poetria  sus  ymaginaciones  en  si  concebidas  son  una  cobertura 
de  enfingimientos  muy  publica  manifesta'.  II  Santillana  possedeva,  come  h 
noto,  la  Vüa  di  Dante  ded  Boccaccio,  e  non  avrä  mancato  certamente  di 
leggervi  quanto,  nelPesordio  (§  10),  h  detto  sulla  sacra  missione  de'  poeti, 
i  quali:  'quando  con  finzioni  di  varii  Iddii,  quando  con  trasmutazioni  di 
uomini  in  varie  forme,  (][uando  con  leg^adre  persuasioni  ne  dimostrano 
le  ragioni  delle  cose  e  gli  effetti  delle  virtü  e  oei  vizi'.  —  Nelle  note  su 
Dante  in  Ispagna  osservava,  incidentalmente,  come  l'accenno  a'  'refranes  que 
dicen  las  viejas  tras  el  fuego'  ci  ricordi  il  cenno  alla  popolaritä  delle 
poetiche  favole,  'narrate  ai  oambini  dalle  vecchierelle  accanto  al  fuoco' 
{De  Oeneal.  Cap.  X).  Bileva  nel  Oonde  Lueanor  (4)  Pespressione :  'una 
palabra  que  dicen  las  viejas  en  Castiella^  C.  Michaelis  de  Vasconcellos, 
Tausend  portugiesische  Sprichwörter,  in  Festschrift  Ä.  Tobler,  Braunschweig 
1905,  p.  28.  —  L'immagine  del  legnetto  sbattuto  dall'onde,  e  raccoman- 
dato  a  stento  con  äncore  al  fondo  (De  Oeneal,  üb.  XV)  difficilmente  si 
garä  sovrapposta  alla  notissima  immagine  del  Purgatorio  dantesco  nella 
mente  del  poeta  che  rimava :  'La  flaca  barquilla  de  mis  pensamientos'  ecc. 


70  Note  8ul  Boccaccio  in  Ispagna  nelPEtä  Media. 

Gli  encomi  prodigati  dal  marchese  a'  massimi  Italiani  del 
^300  erano  raecomandazioni  valide  perche  si  leggessero  e  medi- 
tassero  le  opere  loro.  Non  oserei  affermare,  tuttavia,  che  il 
Prohemio,  incensatore  del  Boccaccio,  bastasse  perche  si  desse 
bando  alle  compilazioni  mitologiche  antiche  di  CiceroDe,  Oyidio, 
Apollonio  Rodio,  Macrobio,  Fulgenzio,  e  si  consultasse  unicameDte 
il  volume  del  Certaldese.  Don  Pedro  de  Portugal,  p.  es.,  a  cui 
il  Prohemio  era  indirizzato,  interroga  ancora,  nella  Sdtira  de 
fdice  e  infdice  vida,  il  De  natura  Deorum  di  Cicerone  (fönte 
alle  Genealogie  del  Boccaccio),  quando  gli  occorre  un'interpre- 
tazione  della  natura  di  Cupido,  e  non  si  da  pensiero  della  mito- 
logica  dottrina  accumulata  dall^eloquente  Boccaccio J  II  gran 
Tostado,  fenice  de'  teologi  e  dei  dottori,  si  rivela  invece  lettore 
attento  del  De  genealogiis  boccaccesco,  nella  Breve  obra  de  los 
fechos  de  Medea,  e  nel  Tratado  de  los  dioses  de  los  gentües.^ 

Tardi  mi  sorresse  fortuna  nelle  ricerche  assidue  e  costanti 
ch'io  feci  del  Liibre  de  les  transformacions  del  poeta  Ovidi, 
scritto,  in  fine  del  '400,  da  Francesch  Alegre,  dedicato,  *ab  humil 
affeccio^  a  Giovanna  la  pazza,  figlia  di  Fernando  d'Aragona,  e 
stampato  a  Barcellona,  nell'ultimo  decennio  del  '400.^  Da  un  ampio 
estratto  pervenutomi,  per  condiscendenza  somnia  di  un  mio  gio- 
vane  amico  di  Catalogna,^  so  di  quäl  natura  sieno  e  donde  sieno 
cavate,  le  riflessioni  allegorico-morali,  che  il  Catalano,  forte  di 
studi  umanistici,  traduttore  della  'Prima  guerra  punica'  di  Lco> 
nardo  Bruni  d'Arezzo  (1472),  compilando  'entre  la  ocupacio  de 
molts   negocis',   aggiunge  di   suo   alle   *trasformazioni'  tradotte, 

'  Qpuseol.  liier,  cit.  p.  68.  L'autore  della  caTallereaca  novella  Ourtal 
y  Ouelfa  (ed.  Bubiö  7  LIach,  Barcelona  1901)  si  compiace  assai  di  defini- 
zioni  mitologiche  (vedi  partioolarmente  il  cap.  18  det  libro  III),  ma  non 
ricorda  il  Boccaccio,  e  si  fa  forte  delPautoritä  di  Macrobio. 

'  'Tuvo  sin  duda  en  uno  y  otro  presente  el  celebrado  libro  de  Boc- 
caccio: Oenealogia  deorum\  cosl  A.  de  los  Rios,  Eist  VI,  269,  che  pro- 
babilmente  indovinava,  senza  le^r  ben  addentro  le  opere  del  Toataao  e 
del  Boccaccio.  Lessi  alla  Palatma  di  Vienna:  Las  ehesc  quesHones  vul- 
gares puestas  al  Tostado  y  la  respuesta  y  däerminacum  tPellas  sobre  los 
dioses  de  los  gentiUs  y  las  edades  y  virtudesy  nella  rara  edizione  di  Sala- 
manca,  1507.  II  De  Oenealogiis  D^rum  del  Boccaccio  vi  h  espressamente 
citato  al  f.  XXX  per  la  'octava  Question':  'Si  por  Diana  se  entiende  la 
luna'.  Nicolas  Antonio,  Bibl.  Vet.  Lib.  X,  cap.  VII,  p.  260  registra:  Ob- 
torxe  qttestiones  del  Tostado,  invece  dl  dieci,  e  ricorda,  a  p.  887,  un  trattato 
De  Minerva,  che  io,  pur  troppo,  non  lessi  e  non  vidi  mal. 

^  Äcaben  los  qutnxe  libres  d^  frans fonnations  del  poeia  Ovidi:  e  los 
quinxe  libres  de  aüegories  e  tnorals  exposieions  sobre  dls  estampats  en  Barce- 
lona per  Pere  Miguel  .  Bonaventuradament  en  espanya  e  en  los  reynes 
dArago  regnant  los  invictisims  Don  Ferrando  e  Dona  Isabel  any 
MCGCGLJÖCXXIUI  a  XXIIU  d  Abrü,  cosl  la  portata  finale  dell'esemplare, 
rarissimo,  conservato  nella  Bibl.  Prov.  Univ.  di  Barcellona.  Un'  altra  copia 
^  alla  Nazionale  di  Madrid  (1—1277}. 

*  II  sig^  Don  J.  Pijoan,  discepolo  attivo  e  intelligente  di  A.  Rubiö  j 
Lluch,  a  cui  rendo  qui  pubbliche  grazie. 


Note  8ul  Boccaccio  io  Ispagna  nell'Etä  Media.  71 

'fets',  osservava  un  anonimo  nella  Renaixenaa,  ^en  forma  de  diä- 
lech  sostingut  per  vint  doctors  antichs,  que  la  Yerge  Maria 
atenent  k  sa  deprecaciö  li  tramet,  guiats  per  Micer  Joan  Bocaci 
y  ahont  (unich  judici  que  la  llegida  superficial  d'alguns  trossos 
'us  pennet  fer)  al  costat  de  hipötesis  las  mes  xocantas  que  fan 
recordar  las  sutilesas  dels  antichs  escoliastas,  y  d'un  violent  y 
no  interromput  exercici  de  gimnusüca  intelectual,  . . .  que  li 
obliga  a  fer  sa  mania  de  desentranyar  l'origin  de  totas  las 
faulas,  s'hi  veu  una  asombrosa  erudiciö/'  Attingeva  l'Alegre 
allegramente  dal  De  Genealogiis  Deorum  del  Boccaccio,  ch'e 
giä^  per  se  stesso,  un'illustrazione  continua,  ragionata,  e  poco 
vagliata,  delle  favole  Ovidiane,  fönte,  non  esausta  mai,  di  mito*- 
logiche  notizie  e  fizioni.  Vero  e  che  il  Boccaccio  godeva  in 
Ispagna  'nominanza',  piü  o  meno  'onrata',  come  volgarizzatore 
del  breviario  Ovidiano  degli  amanti  nell'Eta  media,  *nel  quäle 
il  sommo  poeta  mostra  come  i  santi  fuochi  di  Venere  si  deano 
ne'  freddi  cuori  con  soUecitudine  nutricare'  {Filocolo\^  ed  i  due 
gran  nomi,  Ovidio  e  Boccaccio,  solevano  associarsi  con  frequenza, 
come  quelli  de'  piü  autorevoli  maestri  di  amore.^ 


*  Las  Metamörfosis  fTOvidi  {traduceiö  de  Franceseh  Aleare)  RenaioDensa, 
Barcelona  1871,  I,  189.  Qui  non  s'offre  che  un  estratto  breve  e  insigni- 
ficante  dell'esposizione  alle^orico  -  morale  della  metamorfosi  di  Daine, 
tratto  dall'efiemplare  della  biblioteca  di  San  Joan  di  Barcellona.  ün'altra 
copia  deve  trovarsi  all' episcopale  di  Vieh.  Dal  Orundr.  11/11,  121  rilevo 
come  altri  capitoli  delle  Transformaeions  si  riproducano  nella  Benaiocensa 
III,  816,  che  io  non  potei  consultare.  'Algo  de  Alegre,  tambien  de  las 
Mäam6rfosis\  scriyevami  tempo  fa  l'amico  carissimo  A.  Rnbi6  y  Lluch, 
'publicö  mi  padre  (J.  Bubi6  y  Ors)  en  una  de  las  Poesias  del  Bector 
de  Vallfoeona,  creo  que  de  1840'  (cap.  IV  del  Lib.  V  e  cap.  II  del  üb.  IX). 

'  NelTe  Metamorfosi  di  Ovidio  ^  rintracciata  dallo  Zingarelli  (Roman. 
XIV)  la  fönte  della  i^questione  d'amore  AtüFUocoh,  Vedi  ora  11  Rajna^ 
Roman,  XXXI.  L'Hortis,  nell' Operone  suo,  sempre  merayi^lioeo,  il  Cre- 
scini,  l'Hecker,  altri  dotti  scrissero,  con  senno,  delle  imitazioni  di  Ovidio 
nell'opere  del  Boccaccio. 

^  Col  nome  del  Boccaccio  era  battezzato  in  Ispagna,  non  so  bene  se 
anche  in  Italia,  un  commento  ad  un  volgarizzamento  in  versi  dell'jär« 
Amandi  di  Ovidio,  giä  registrato  tra  i  libri  del  Quzmän,  colla  Gadda  de 
Prmeipes,  Fiametta  y  PanfUo  en  easteÜano:  *  Ovidio.  De  Arte  Amandi 
con  comentario  de  f.  Boectcio  —  en  ioscano*  (Gallardo,  JSns.  IV,  1486), 
e  pure  sepolto  tra  i  manoscritti  dell' Eecorial.  Antonio  da  Borna  avrebbe 
aggiunte  e  frammischiate  le  proprie  chiose  a  quelle  del  Boccaccio.  La 
misoellanea,  ignota  a'  dotti  d'Italia,  meriterebbe  una  descrizione  ed  un'ana- 
lisi  ben  piü  minuta  di  quella,  necessariamente  superficiale  e  fueacissima, 
offerta  dal  Knust.  La  re^strava  TEbert  {Jahrb.  f.  rom,  engl.  lAter.  IV, 
50):  Arte  de  amar  de  Ovutio  explieach  por  Juan  Boehatio.  'f^cripto  de 
muy  buena  letra  por  Antonio  ae  Borna  1388'  (Man.  Escor.  P— Il — 10). 
Knust,  Ein  Beitrag  xur  Gesch.  der  EscoriaUnbl.  (Jahrb.  f.  rom.  engl.  Liter. 
IX,  801)  ricorda  il  manoscritto:  'Expliciunt  glosule  vulgares  Nasonis  Ovidii 
de  arte  amandi,  translate  et  vul^ansate  a  glosulis  licterali  sermones  ed. 
a  diio  Johe  Boehatio  de  Florentia,  quem  ego  Antonius  de  Roma  scripsi 
et  complevi  sub  annis  1388',  per  soggiunger  poi:  'Welcher  Theil  der  An- 


72  Kote  6ul  Boccaccio  in  Ispagna  nelVEtä  Media. 

Le  ^esposizioni'  dell'Alegre  si  aggiungono,  come  opera  nuova 
ed  apparenteroente  originaley  in  nne  della  versione  del  testo 
di  OvidioJ  Volevasi  qui  investigare  la  verita,  ascosa  sotto  il 
velo  della  favola»  e  TAlegre,  fresco  della  lettura  del  De  Genea- 
logiis, che  accoglieva,  negli  ultimi  libri,  le  e£Fasioni  dell'aniino 
del  grande  novellatore,  appare  lui  pure  irato  contro  gli  stolti,  gli 
ignoranti,  'qui  sol  mirant  la  escor^a  indican  los  poetes  per  ho- 
menB  mentirosos;  e  reprovant  les  faules  los  tanquen  les  Grelles'. 
La  yalorosa  boccaccesca  difesa  della  poesia  gli  e  fitta  in  mente, 
e  in  parte  la  riproduce  colle  parole  stesse  del  Certaldese.  Cre- 
don  moltiy  soggiunge,  esser  derivata  la  poesia  da  'poyo  grech', 
altro  non  significare,  poeta  che  'fengir',  ed  hanno  quindi  in  di- 
sistima  la  nobil  scienza;  ora  il  vocabolo  greco,  che  pur  si  ri- 
specchia  nel  latino^  vuol  dire  *crear\  e  chi  crea,  deve  necessaria- 
mente  avere  dottrina  e  sottile  intendimento.  ^  Segue  la  nota 
definizione  del  Boccaccio,  giä  dal  Santillana,  con  leggere  variauti, 
ripetuta:  Toesia  es  una  fervor  d  exquisitament  trobar  guian 
la  fantesia  en  ornadament  scriure  lo  que  havra  trobat,  proceint 
del  si  de  Deu  apochs  entenimets  atorgada  en  la  creacio.  Daon 
ve  que  pochs  son  ves  poetes  perque  atart  se  dexen  veure 
los  grans  efectes  de  aquesta  divina  fervor.  Aquesta  constrenj 
nostre  enteniment  a  desitg  de  ben  dir;  a  pensar  noves  e  in- 
hoides  invencions,  compon  les  ab  cert  orde  inusitats  vocables 
te  per  familiars:  y  les  grans  veritats  de  antiga  historia  ab  gentil 
vel  de  fictio  aporta  cubertes  y  molt  sovint  les  doctrines  morals.'  ^ 

merkun^n  von  Boccaccio  selbet  herrührt,  iat  nicht  zu  bestimmen.'  —  Non 
credo  sia  tntt'una  cosa  col  commento  contenuto  nel  codice  laorenziano 
XLI,  36,  deecritto  da  £.  Bellorini,  Note  ntUe  traduxioni  Oaliane  deWArs 
Amatoria  e  dei  Bemedia  Ämoria  dPOvidio  anteriori  al  Rinaseimento,  Ber- 
gamo 1902,  pp.  16  8gg.,  dove  non  ^  questione,  n^  del  Boccaccio,  n^  di 
Antonio  da  Koma.  £  noto  come  ü  Boccaccio  porgesse  ainto  e  consiglio 
alla  traduzione  delle  Eraidi  oyidiane,  attribuite  ad  un  ipotetico  Carlo 
Figiovanni,  bu  di  cui  vedi  £.  Bellorini  in  Mieeell,  di  shta.  crit,  d&L  ad 
Ä.  D'Äneana,  Firenze  1902,  pp.  13  sgg.  0.  Hecker,  BoeeaeeiO'F\mdey 
Braunschwdg  1902,  p.  33,  repstra  an  codice  (489)  dell'^a  Anumdi  di 
Ovidio,  con  scritture  marsinah  del  Boccaccio. 

*  fol.  CXXXVI:  Proleeh  de  Franeeeeh  Alegre  en  les  alegories:  e  marals 
eocposions  dels  libres  d^  träne  formaeums  dei  poeta  Ovidi  defmmt  poesia 
fatda  e  aUegoria:  'Arribat  a  la  fi  de  tant  treball  e  per  orde  posaaes  en 
ma  lengua  vulgär  les  faules  de  Ovidi :  no  oblidat  de  la  obligacio  . . .  giri 
lo  meu  entendre  en  cerca  de  la  Verität:  que  sots  ellas  se  cobra'. 

'  DeUa  Oeneal.  d.  Dei  (trad.  Betussi)  Lib.  XIV,  p.  234:  'Della  cui 
Poesia  il  nome  non  h  indi  nato,  onde  molti  poco  avertentemente  istimano, 
cio^  da  P070  Pop,  che  suona  Pistesso,  che  fingo  fingis,  anzi  ^  derivato 
da  Poetes,  antichissimo  vocabolo  de'  Greci,  che  Latinamente  suona  esquisita 
locutione. 

'  Boccaccio,  De  Oen.  trad.  Betussi  Lib.  XIV  f.  233  *La  Poesia  . . . 
^  un  certo  fervore  di  scrivere,  o  dire  astrattamente  . . .  il  quäle  derivando 
dal  seno  d'Iddio,  a  poche  menti  (come  penso)  nella  creatione  h  conoeduto. 
Ia  onde,  perch^  ^  mirabile,  Bempre  i  poeti  furono  rarissimi.    Gli  elfetti 


Note  sol  Boccaodo  in  Ispagna  nell'Etä  Media.  73 

Sempre  sulla  falsariga  del  Boccaccio,  citasi  poi  Torazione  di  Cice* 
rone  'pro  Archita' J  Distinte  qnattro  speci  di  allegorie,  vagamente 
sowenendosi  dei  reconditi  sensi,  immaginati  dal  Boccaccio,  nel 
corpo  delle  favole  (Lib.  I),  passa  alle  dichiarazioni  ed  esposizioni, 
non  senza  ascoltare  il  consiglio  del  Certaldese:  convenire  ai  poeti 
la  solitudine,  per  degnamente  considerare  le  cose  sublimi.  Fugge 
la  citta;  si  rifugia  alle  falde  di  un  monte,  e  quiyi  innalza  le  sue 
preci  alla  Vergine,  perche  aiuto  gli  somministri  a  svelar  gli  ar- 
cani  delle  favole  di  Ovidio.  La  Vergine,  impietosita,  accorda  al 
suo  devoto  Pinyocato  soccorso.  Muovesi  Taria  dolcemente;  ap- 
paiono  venti  gravi  uomini  biancovestiti,  scortati  da  un  duce,  che, 
dairabito,  dalla  leggiadria  del  volto,  rivela  essere  il  Boccaccio, 
onore  di  Toscana.  E  il  Boccaccio  favella;  addita  i  grandi  che  gli 
fan  corteggio;  De  e  meraviglia  di  trovare  con  lui  quei  medesimi 
che  furono  al  compilatore  delle  Genealogie  piü  larghi  di  dot- 
trina  e  di  consiglio:^  'entre  ells  vais  70  perque  ensemps  havem 
gercat  la  natura  dells  antichs  deus'.  Vedi  con  Lattanzio,  Eusebio, 
Cicerone,  Macrobio,  Plinio,  Pomponio  Mela,  Sant' Agostino,  Sant' 
Isidoro,  anche  'Teodosi',  il  Teodonzio  del  Boccaccio,  vedi  Rabano 
Mauro  e  Pronapide  ('Pronopides')  l'autore  del  Protocosmo,  e,  col 
'nostre  catala  tan  estimat  Orosi',  anche  Barlaam  il  calabrese,  e 
Paolo  Perugino.  Fra  cotanto  senno,  nelPassemblea  degli  illustri, 
che,  'ab  continuades  vigilies',  accumularono  'profondos  tresors  de 
seiendes',  1' Alegre  si  fa  cuore,  e  i  'reverents  insignes  laureats' 
prendon  seggio  attorno  a  lui.  'Micer  Joan  Bocacio',  'tenint  loch 
de  promoyedor',  arringa:  'Desliberat  es  per  aquests  senyors  ans 
de  res  dir  Teure  que  tu  duptes,  perque  dexades  largues  rations 
digues  que  vols  entendre  de  Ovidi  e  serat  satisfet.'  La  disputa 
ha  cosi  solenne  principio.  L' Alegre  espone  i  suoi  dubbi,  e  li 
sciolgono,  ne'  discorsi  loro,  i  gravi  dottori,  diretti  dal  Boccaccio, 
perche  %  agudesalde  son  alevat  e  especulativ  entendre  digna- 
ment  tal  carrech  li  procura'.  La  materia  delle  dispute  e  tutta 
tolta  dalle  boccaccesche  Genealogie,  Gominciasi  a  discutere  sul 
caos,  sull'origine  del  mondo  e  dei  venti,   e  prendon  successiva- 

di  gne8to  fervore  Bono  sublimi,  come  sarebbe  oondurre  la  mente  nel  desi- 
deno  del  dire,  imaeinarsi  rare  et  non  piü  udite  inventioni,  le  imaginate 
con  certo  orcUne  outendere,  ornar  lejcomposte  con  una  certa  inuaitata 
teetura  di  parole,  e  sentenze,  e  sotto  jyelame  di  favole  appropriato,  na- 
Bcondere  la  veritä.' 

'  Citata  ancora  dal  Boccaccio  in  fine  del^lib.  XIV,  p.  252  della  trad. 
BetuBsi. 

*  Bugli  autori  consultati  dal  Boccaccio  nel  suo  mitologico  trattato, 
vedi,  oltre  il  magistrale  capitolo  delPHortiB,  SHidi  pp.  363  s^g.  e  gli  Bparsi 
accenni  in  O.  Hecker,  Boeeaceio-Funde,  an  breve  studio,  nmasto  incom- 
pleto,  se  io  non  erro,  di  D.  Schöningh,  Die  OöttergenealMten  des  Boccaecio, 
Mn  Beitrag  xur  Oeachichte  der  unssenech.  Forsch,  im  XIV,  Jahrh.,  Posen 
1900/1901. 


74  Note  sul  Boccaccio  in  Isptigna  nelFEtä  Media. 

mente  la  parola  quegli  illustri  e  venerandi  che  il  Boccaccio,  nelle 
spiegazioni  sue,  allegava  come  autorita  principali.  D  Boccaccio 
chiude  yolta  a  volta  il  discorso,  dichiarando  'per  lo  seny  aliego- 
rieh  lo  que  ells  senyalen'.  Sotto  il  velo  tenue  della  favola»  sempre 
si  cela,  s'intende,  una  storia.  Torna  p.  es.  Lattanzio  a  narrar 
la  fiaba  della  generazione  dei  venti  (Aleqoria  dels  fäls  de  Auster 
en  los  quatre  vents  principals,  f.  CGLXIIII  sgg.),  e  Pronapide 
dimostra  altra  ragione,  quella  che  ognun  puö  vedere,  sfogliando 
le  carte  del  Boccaccio.  E  il  Boccaccio,  senza  piü  torturarsi  il 
cervello,  stillando  nuove,  cavillose  dottrine,  sentenzia,  traducendo 
per  TA  legre,  dal  suo  latiao,  nella  volgar  lingua  catalaua:  'Si  da- 
questas  faules  fictes  vols  trobar  lo  que  es  Verität  nota  primer: 
auster  pare  dels  vents  esser  lo  cel  estelat  perque  segons  lo 
creure  meu  lo  moviment  del  cel  e  dels  planetes  son  causa  dels 
vents  no  propinqua  mes  remota;  son  dits  mes  avant  esser  fills 
de  aurora  qui  es  aquella  estela  que  en  la  matina  da  guia  al 
cami  del  sol  perque  acostant  se  tal  hora  los  vents  comunament 
se  acostumen  moure;  lo  que  ha  dit  Lectanci  que  fören  per  Juno 
incitats  contra  Jupiter  se  enten  que  los  vents  son  empesos  (!) 
segons  lo  creure  de  alguns  per  la  terra  la  quäl  es  dita  Juno  ecc.' ' 
Aggiunge  pol  Isidoro  il  ragionamento  suo  e  le  sue  etimologie, 
come  le  aggiungeva  il  Boccaccio  nel  trattato.  Di  simil  natura^ 
derivate  dalle  medesime  scaturigini,  sono  le  altre  questioni  poste 
e  le  rispettive  soluzioni.^    Ai  maldicenti  che  osavano  affermare 

*  Converrebbe  sapere  se  alP Alegre  era  nota  la  versione  castigliana  del 
De  Oenealogiü.  Or  aui  cito  dalla  solita  versione  Betussiana  (Lib.  IV,  f.  75) 
'Di  qneste  üttioni  aaunqne,  se  vogliamo  trarne  il  oostrutto,  prima  d'ogni 
altra  cosa  h  bisogno,  che  crediamo  queeto  Astreo  loro  padre  essere  il  Oielo 
stellato,  in  (^uesto  modo  nondimeno,  che  tutto  un  Cielo  sia  ci6  che  si 
contiene  tra  il  concavo  della  Luna,  e  il  congiunto  all'ottava  sfera.  Per- 
cioch<^  istimo  esser  causato  dal  movimento  del  Gieio,  e  dai  Pianed,  si 
come  alauanto  solamente  da  piü  rimota  cagione.  . . .  Sono  poi  detti  figli- 
noli  dell  Aurora:  perch^  per  lo  piü  nello  spuntar  delFalba  i  Venti  sono 
soliti  nascere:  il  che  approva  rautoritä,  e  Pusanza  de' nocchieri :  i  quali 
dicono  che  in  quell' hora  si  Icvano;  e  perci6  le  piü  voite  aquel  tempp  in- 
cominciano  i  loro  viaggi,  onde  sono  cniamati  figliuoli  dell' Aurora,  i,  poi 
stato  finto,  che  quelE  fossero  armati  da  Giunone  contra  Qiove:  perch^ 
sono  tenuti  uscire  dalla  terra,  la  quäle  h  Giunone,  eoc.'. 

«      Cap.  IV  p.  CLXXI  Bocc.  De  Oeneal,  Lib.  IX,  trad. 

traetant  dttee  cUlegorias  so  es  de  Juno      Betussi  f.  148  sgg.     Oiunone  oUava 
y  de  Ttresias,  figltuola  dt  Saiumo. 

Bocaey.    Juno    es   dita    et    soror    et  GHanone   . . .  fa  figlinola  di   Satnmo 

ooniunx  del  deu  Jnpiter  ...  fos  ftUa  de  , . .  h  sorella  e  moglie  di  Giove  . . . 
Saturno    e    germana   de   Jupiter   y    ab  . . .   di  lei  molte  altre   eose   ai  riferi- 

aqnell  caaada,  segons  molts  altres  noms  scono.    Cerca  le  coee  predette,  che  sono 

no  impropriament    es   dita   e   muller   e  molte,  molti  diversamente  hanno  esposto 

germana  de  aqaell   e  per^o   esta  atent  varte  dicbiarationi  . . . 
a  les  rations  de  Varro,   maerobi,  servi, 
rabano,    e    leonsi,    perque    ab    aquelles 


Note  8ul  Boccaccio  in  Ispagna  nelPEtll  Media. 


75 


non  aver  lui  inteso  i  libri  di  Ovidio,  l'Alegre  turava  la  bocca 
con  coteste  morali  ed  allegoriche  esposizioni,  farate  tutte  clan-» 


seotiras  moltes  comb  de  Juno  e  70 
apres  dire  alguna  cosa  del  fengit  de 
aqaella. 

Vatro*  Segons  a  scrit  eonio  en  la 
sua  hiatoria  de  la  fllla  de  Satumo  7  de 
opis,  nasque  Juno  enaemps  dun  part  ab 
Jupiter  e  fon  nodrida  en  las  78la  de 
samo  aon  crescuda  fon  casada  ab  Jupiter 
e  per^o  en  aamo  era  lo  mes  amich  e 
noble  temple  de  quants  eran  a  Juno  con- 
aegrata,  en  lo  quäl  temple  era  la  7matge 
de  Juno  en  habit  de  donzella  novia  e 
loe  seua  annale  celebraven  com^a  festa 
de  noeses. 

Maeroby.  Juno  la  qui  es  dita  deeaaa 
de  les  dones  parint  per  on  es  per  aquelles 
cridada  nomenät  la  Juno  e  luoina  no 
68  la  fllla  de  Satumo  ans  por  ella  es 
entesa  la  luna,  de  qui  es  propi  destendre 
e  lexar  los  porös,  e  obrir  los  meats  per 
Ecu7tar  lo  part  e  segons  !aquest  acte 
ultra  los  dits  noms  es  dita  artemia: 
quot  latine  sonat  aerem  secäs  e  axi 
quant  prene  a  Juno  per  la  luna  es  dita 
no  solamet  deessa  en  los  parts  mes  en 
los  matrimonis  per  que  solen  les  muUers 
en  les  nits  esser  portades  a  casa  dels 
marits  en  la  quäl  part  del  dia  pre- 
domina  la  luna,  altres  voltes  es  presa 
Juno  per  lo  a7re  e  Jupiter  per  lo  cel 
e  azi  considerat  com  vehi  esta  laun 
del  altre  no  impropriament  lo  es  dita 
germana  7  mnller. 


Servy»  •  •  •  Jupiter  algunas  yegades 
es  pres  per  foeh  e  per  lo  cel  7  algunas 
vegades  per  lo  foch  solament  e  iuno 
sovint  es  pressa  per  la  terra  e  per  la7- 
gua:  o  com  es  dit  per  la7re  e  per^o 
degudament  es  lo  un  casat  ab  laltre: 
com  laete  sla  propi  del  foch  7  del  a7re 
e  la  passio  de  la  terra  e  de  1  a7gua  e 
axi  totes  coses  per  obra  lur  nazen  entre 
nosaltres. 

Babcmo.  Juno  a  ianua  es  dita  quasi 
obrint  les  portes  en  lo  naxer  7  enlo 
entrar  de  les  noves  esposes  en  casa  dels 
marits :  e  tal  interpretar  li  es  propi  com 
per  ella  es  enteea  la  luna. 

Leomy,  E  70  segulnt  aquells  qui 
a  la  terra  yolen  nomenar  Tuno  he  dit 


Nella  Sacra  historia  s!  legge,  Giunone 
essere  stata  generata  da  Cliove  Re . . . 
e  di  Opi  moglie  di  Satumo  in  un  parto 
istesso  con  Giove,  ma  pria  di  lui  esser 
nata,  et  secondo  Varrone  moglie,  fu 
nodrita  nell'  Isola  di  Samo  . . .  dove 
essende  cresciuta,  fu  maritata  in  Giove, 
e  per  cib  a  Samo  vi  fü  ediflcato  un 
nobilissimo  e  antichisaimo  Tempio,  dove 
era  Timagine  di  Giunone  figurata  in 
habito  d'nna  donsella,  che  si  mariti, 
alla  quäle  ogni  anno  si  celebravano  i 
saoriflci  nuttiali. 

Dice  Fulgwtzio  (l'Alegre  lo  confonde 
qui  con  Macrobio),  che  h  chiamata 
Dea  di  quelle,  che  partoriscono,  per- 
ch&  le  ricchesse,  ne*  quali  ella  i  Re- 
gina, sempre  ne  partoriscono  dell* altre; 
11  che  semplicemente  non  &  vero  di 
tutte,  . . .  perch^  la  Luna,  tenuta  una 
cosa  insieme  con  Giunone,  fu  solita  da 
quelle  che  partorivano,  essere  sotto  il 
nome  di  Lucina  invocata,  e  secondo 
Maerobio,  dicevano  che  in  potere  di 
Giunone  era  il  far  tosto  allargare  i 
meati,  e  le  vene  de  i  corpi  delle  donne 
nel  tempo  del  parto  ...  et  allora 
in  Greco  yiene  detta  Artemia,  latina- 
mente  come  sarebbe  seccante  Taere. 
. . .  Vogliono,  che-  fosse  Dea  di  matri- 
moni.  . . .  credettero  Giunone  essere  la 
Luna  . . .  hanno  tenuto  Giunone  per  la 
strada  guidare  le  spose,  che  partono 
dalle  case  dei  padri,  e  vanno  a  quelle' 
di  mariti  . . .  e  affermano  Giove  essere 
il  cielo  e  Giunone  Taere. 

Servio  dice  poi,  che  alle  volte  Giovej 
si  toglie  per  lo  fuoco  e  Taere,  e  talora 
per  lo  fuoco  solo;  cosi  Giunone  si  pi- 
glia  per  la  terra,  e  l'acqua,  e  tal  yolta 
per  I'aere  solo :  e  perö  . . .  meritamente 
sono  detti  marito  e  moglie,  hayendo  il 
fuoco  e  Taere  possa  di  oprare,  e  la  terra 
e  l'acqua  di  patire;  e  cosi  oprando  i 
superiori  oon  gli  inferiori  . . .  appresso 
noi  si  genera  il  tutto. 

Ma  Eabano  chiama  Giunone  quasi 
Gianone,  cio^  Janua,  rispetto  alle  pro- 
prieti  delle  donne,  perciocehi  ella  yenga 
ad  aprire  le  porte  delle  madri  ai  figli- 
uoli  . . .  e  delle  spose  ai  mariti. 

Tuttayia  Leontio  dice,   che  Giunone 
in  Greeo  si  chiama  nen  (fl^rj).    11  quäle 


76  Note  8ul  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media. 

destinamente  al  Boccaccio.  S'accommiata  poi  dalla  brigata  il- 
lustre; scioglie  una  prece  a  Dio,  all' 'infinit  deu  pare',  e  chiade 
Topera  strana  e  strafalaria,  che  nes^uno  piü  legge. 

Giä  era  spuntata  l'alba  del  nuovo  secolo,  e  scemato  d'assai 
in  Ispagna  il  favore  accordato  alle  opere  latine  del  Boccaccio  e 
del  Petrarca,  quando  Lodovico  Vives,  fustigatore  del  GentonoTelle 
del  Boccaccio,  degli  Amadigi  e  dei  Lancillotti,  nel  De  institutione 
feminae  christianae  (saccheggiato  da  Lodovico  Dolce  nel  dia- 
logo  Ddla  instituzion  ddle  donne\  ^  ayeva  ancora,  nel  3^  libro 
del  De  dißciplinis  tradendis,  memore  di  quanto  Erasmo  ayeTa 
scritto  sul  Boccaccio,  nell' analoge  trattato,^  una  parola  d'elogio 
per  il  compendio  boccaccesco  deUe  favole  mitologiche :  'Ad  poeta- 
rum  fabularumque  Cognitionen!  et  si  plurima  ex  Ovidio,  atque  iis 
autoribus,  quos  recensui,  desumpserit,  habet  tarnen  Joannem  Bo- 
catium,  qui  deorum  genealogias  in  corpus  unum  redegit,  felicius 
quam  illo  erat  seculo  sperandum:  tametsi  in  interpretandis  fabulis 
saepe  est  nimius  et  fingidus.'^  II  favoleggiare  suUe  divinita  ed 
i  miti  antichissimi  fu,  in  Ispagna,  mania  difficile  da  sradicare  e 
combattere.     I  trattati  mitologici   affluivano,   ed   il  Boccaccio, 


qa«  Yuno   es   dito  en   greebs   nen   qui  viene  da  ena  che  h  la  terra,  e  si  fa  la 

ve  de  era  qnod  est  terra  e  feta  matacio  mutatione   di   e  in   n,   alla  qnale   can- 

de  la  e  en  n  es  feta  nea,  e  mndada  la  giando  Va  in  n  si  fa  nea  (tjpa)  che   h 

a  in  n  es  la  nen  per  on  propriament  la  terra.    Onde  Giunone  propriamente  e 

es  juno  intesa  per  la  terra.  la  terra.                         / 

Boeacy.  A  aqaesta  son  aplicats  molts  —      —      —      —      —      —      —      — 

altres  noms   segös  diversos  actes   dela  —      —      —      —      —      —      —      — 

luna,    del    ayre    y   de  la  terra    segons 
de    oaaenns    en   aon    loch   deelarant    lo 
scrit   per  Ovidi  te   fare   m€oio:   a  ella 

Bon   assignades    quatorze   ninfes    segons  Et  acciocch^  la  Reina  degli  Dei  non 

qne  din  Virgili:   Sunt  mihi   bis   Septem  vadi   sola,    le  aggiungono  per  serventi 

prestäti    corpore    nimphe.      Les    armes  quattordici  ninie,  si  come  in  persona  di 

y  lo  carro   de   qae  parla  Virgili  . . .  li  lei  Virgilio  mostra,  dicendo:   Dae  volte 

assignaven  per  denotar  lo  carro  la  oir-  sette    ninfe    a  miei  servlgi  |  beUissime 

cnicio  continna  del  ayre,   entorn   de  la  di  corpo  stanno  pronte.  . . .  Le  fa  attri- 

terra,  e  les  armes  tant  per  mostrar  que  buita  la  Carretta,   per  dlnotare   il   con- 

lo  ayre  ab  ploges   y  grops  qae  so   les  tinuo  giro  deiraere   d'intomo  la   terra, 

saes  armes  exercita  ses  forces,  qnät  per  Le  furono   aggiante  Tarmi,  perdocb^  a 

esaer  germana  e  muller  de  Jupiter  per  guerreggianti   . . .   pare  cbe   ella   gli  le 

on  era  dita  deessa  dels  reynes  y  de  les  conceda.  . . .  Giunone  la  quäle  k  sorella 

riqneses  per  qui  sovint  son  mogudes  les  e   moglie    di   Giove.  . . .  Dea   di  Regni 

guerres e  delle  riccbeize  . . . 

*  Vedi  BoDgi,  AnnaU  di  Oabrül  Otoliio  de' Ferrari  1,  100  ggg. 

'  De  raiione  inetntendi  pueros,  Parigi  1511:  'Eküscenda  et  deorum  goiea- 
logia,  quibuB  undique  refertae  sunt  fabulae,  eam  post  Hesiodum  felicius 
quam  pro  suo  seculo  tradidit  Bocatius.' 

^  J.  Ludovici  Vivis  Valeutini,  De  Disdplinis,  Libri  XX,  Ck>lonia  1532, 
p.  301.  II  passo  citato  non  era  sfuggito  ad  A.  de  los  Rios,  Biet  VI,  41 
nota  1,  che  perö  non  ricorda7a  Erasmo.  Ora  sul  trattato  del  ViTes  h  da 
vedersi  la  dotta  monoKrafia  del  Bonilla,  Luis  Vive»  y  la  Filosofia  del 
Renadmiento,  Madrid  1903,  pp.  223  sgg. 


Kote  sul  Boccaccio  in  Ispagna  nell*Etä  Media.  77 

dalle  sileDziose  regioni  in  cui  posava»  poteva  gioire  della  di- 
scendenza  de'suoi  libri  magni.  II  poligrafo  e  canonico  di  Gra- 
nada, Juan  Perez  de  Moya  manda  alle  stampe,  nel  1585,  lo 
zibaldone:  Filosofia  secreta,  donde  de  baxo  de  historias  fahu- 
loßas  se  contiene  mucha  doctrina  provechosa  a  todos  estudios. 
Con  el  origen  de  los  Idolos  6  Dioses  de  la  Oentilidad.^  Un 
decennio  depo  (1594),  Juan  de  Azpilcueta  Navarro,  professore 
all'universita  di  Zaragoza,  mette  insieme  dieci  Dialogos  de  las 
imagines  de  los  dioses  antiguos,  togliendo  assai  dalla  scienza 
del  Boccaccio  e  da  altri  autori,  che  coscienziosamente  cita,^  ^sin 
negar  a  cada  uno  lo  que  es  suyo'y  e  'sin  cansar  con  prolixas 
alegorias  de  que  son  tan  amigos  los  Italianos  j  ni  hazer  largos 
discursos  con  moralizar  sub  figuras'.^  Un  Teatro  de  los  Dioses 
de  la  gentilidad  (ben  noto  al  Calderon),  in  due  volumi,  gravidi 
di  scienza,  racimolata,  per  chi  non  sapeva  di  latino,  dagli  an- 
tichi  e  dal  Boccaccio,  si  fabbrica,  in  pieno  '600,  il  frate  minorita 
Baltasar  de  Vitoria,  luminare  di  sapere,  a'  suoi  dL^ 

*  BiBtampavam  ancora  a  Madrid  nel  1673.  ^Es  matmia  muy  neeessaria 
para  eniender  Poetas,  y  Historiadore»'.  AI  trattato  del  Boccaccio  si  allude 
a  p.  67  {De  Juno),  a  {>.  229  (De  Luna\  e  altrove. 

*  Vidi  ed  esaminai  alla  Nazionale  di  Parigi  un  manoscritto  di  queeti 
'Dialoghi':  Eep.  73  (ignoro  se  mai  sieno  stati  stampati,  n^  mi  soccorre  lo 
studio  di  M.  Arijita  7  Lasa,  El  doetor  navarro  D.  Martin  de  Axpüeueta 
y  sus  obras,  Pamplona  1895).  Oltre  il  Boccaccio  e  gli  antichi,  ^  di  grande 
autoritä  all'Azpilcueta,  Lilio  Gr^gorio  Giraldi.  La  farraginoea  operetta 
s'introduce  con  un  inchino  a  D.  Antonio  Augustin.  Iseo:  'Si  Don  A.  A. 
hubiera  querido  alargar  la  pluma  i,  mas  de  lo  q  sub  medallas  se  estendian, 
con  mas  satisfac^ion  pudiera  Cesarea  entender  las  Imagenes  de  los  Dioses 
que  quiere  que  yo'le  declare,  pues  fue  quien  con  mas  verdad  supo  las 
cosas  tocantos  £  sus  religiosas  nguras'.  . . .  Fabio:  *Ni  he  de  espantar  como 
Juan  Boccacio  a  los  muy  animosos  con  la  horrible  magestad  del  suzissimo 
y  feo  Dios  Demogorgo,  metido  en  tan  escuras  tinieblas,  que  con  teuer 
Giraldo  en  estas  cosas  ojos  de  Lynze  no  alcan96  i,  conocerlo .  AI  1^,  al  2®, 
al  6*^,  8®  e  9^  dialogo,  il  Boc(»ACcio  ha  somministrato  dottrina.  Oitasi,  col 
Petrarca  (De  rerum),  l'Ariosto,  il  Pontano,  FAlciato,  anche  Dante  (f.  6  b): 
'T  assi  Virgilio  disculpando  la  incredulidad  de  Dante,  cuando  finge  alla 
en  SU  Comraia  que  le  guiava  por  los  circulos  infernales,  diso  d  un  arbol 
de  donde  hayia  cortado  Dante  una  rama  que  se  quexava  de  la  offensa 
q  le  perdonasse^  que  por  no  haver  querido  creer  lo  que  ^l  savia,  ecc.' 

'  Con  ^uant'amore  e  passione  si  discutesse  delie  favole  mitologiche 
e  delle  origmi  de^ii  Dei  nella  cerchia  degli  umani^ti  di  Spagna,  in  fine 
del  '500,  e  come  si  porgesse  orecchio  a  tutto  quanto  fantasticavasi  in  pro- 
posito  in  Italia,  puo  vedere  ognuno  nelle  lettere  riprodotte  dal  Donnes, 
J^rogresos  de  la  histaria  en  el  reyno  de  Äragonj  Zaragoza  1680,  pp.  392; 
398  sgg.  (Nella  ristampa  della  Bibl,  de  Eserit.  Aragon.  Zaragoza  1870, 
pp.  452  s^.)  Curiose  e  dotte  le  lettere  deinilerden,  che  accennano  ad 
un  suo  nbro  De  natura  Deorum  (foggiato  sul  De  Diis  gentüium  del  Gi- 
raldi?), a  me  ignoto  ancora,  per  syentura. 

^  Ho  avuto  sott'occhi  l'edizione  di  Medina  del  Campo,  1657,  e  non  so  in 
che  dif  ferisca  dalle  edizioni  antecedenti  di  Salamanca,  1620  e  1623.  Copiosis- 
simi  sono  qui  i  rinTÜ  al  Petrarca,  a  Dante  e  al  Boccaccio.  V'^  pur  sfog^o  di 
dottrina  attinta  al  Pontano,  al  Sannazzaro,  al  Landino,  aU'Aldato,  all' Anosto. 


78  Note  sul  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media. 

Dalla  compilazione  geografica  del  Boccaccio  gli  Spagnaoli 
non  trassero  grande  profitto;  pur  fu  da  alcuni  consultata,  nel- 
Toriginale  e  nella  traduzione,  come  si  consultavano,  in  tanta 
febbre  e  novita  di  erudizione,  tutte  Topere  enciclopediche,  i 
dizionari  storici,  i  trattati  scentifici  dell'epoca.  'Mitto  ad  te 
übellum  De  fluminibus  et  montibus  Hispaniaram  quem  ipse 
edidi',  scriveva  da  Roma,  nel  1475,  airamico  *Teseo',  Terudito 
ellenista  catalano  Jeronimo  Pau,  yissuto  a  lungo  in  Italia,  e 
discepolo  del  Panormita.  ^  Sullo  stampo  del  trattato  boccaccesco, 
adottando  pur  lui  l'ordine  al&ibetico,  comodissimo,  aveya 
foggiato  il  Pau,  giovane  d'anni  ancora  e  d'esperienza,  con  gran 
lusso  di  richiami  agli  autori  antichi  (il  Boccaccio  noD  e  qui  pero 
citato  con  Omero,  Pomponio  Mela,  Lucano,  Marziale,  Silvio 
Italico  e  Topere  degli  umanisti)  un  suo  trattato,  non  yoluminoso, 
e  di  poca  pretesa,  nudo  elenco,  che  solo  ai  mari  ed  ai  fiumi  di 
Spagna  si  restringe. 


Meno  diffuse  e  meno  consultate  erano  nella  Spagna  del 
'400  le  opere  volgari  del  Boccaccio  dell'opere  latine  maggiori, 
gravide  di  scienza,  non  originali,  non  vive  e  non  durature. 
Quanto  piacesse  il  Corhaccio,  e  come  libero  corresse  ad  illumi- 
nare  le  genti  acciecate  da  lussuria  e  da  sfrenato  amore  alle  fem- 
mine,   come  giovasse  a  riporre  suUa  dritta  via  i  traviati,    s'e 

'  Opüsculoa  inidüas  del  cromsta  eataioH  Pedro  Miguel  Garbonei  in 
Colece,  de  doeum,  inSd.  del  arck.  gener,  de  la  Oor.  de  Aragon,  XXVIII,  381. 
11  trattatello  De  fluminibue  et  montibus  Hispaniae  {ad  reverendies,  D.  Rode- 
rieum  episc,  portuensem  card,  valentinum  vteeeaneMtrium)  h  a  staniDa  in 
A.  Scott,  Hisp.  illustj  Franoof.  1608,  11,  834  sgg.  Una  trascrizione  a'esso 
'original  de  letra  de  Jeronimo  Biancas'  h  aila  Nazionale  di  Madrid  (G.  178), 
come  rileva  J.  Massö  Torrents,  Manueerite  ecUalane  de  la  BibL  Nacion.  de 
Madrid,  Barcelona  1896,  p.^  192.  ('Spero  dabuntur  tuo  nomini  aliquando 
maiora:  Nunc  autem  aliquid  Cosmographiam  et  sUBcitationem  Antiauitatts 
pertinens,  per  vacationem  a  studio  iuris  coUectum',  cosl  il  Pau  nella  dediea.) 
JPrima  alquanto  del  Pau,  e  probabilmente  senza  attingere  alla  scienza 
geografica  del  Boccaccio,  Alfonso  Femandez  de  Palenda  scriveva  im  suo 
trattato  De  los  nombres  ya  olvidados  e  mudados  de  lasjprovincias  y  rios 
de  Espaha.  (Vedi  il  suo  Tratado  de  la  perfeceion  del  Iriunfo  müiiar  in 
Libros  de  Aniano,  Madrid  187Ö,  V,  102.)  Un'operetta  di  Francisco  Tarafa» 
canonico  di  Barcellona:  Dels  Pobles,  Rius  v  Monianyes  de  Espanya,  a  me 
ignota,  h  ricordata  da  N.  Antonio  {Bibl.  Nov,)  che  n'ebbe  notizia  daUa 
Öoroniea  universal  del  jmndpat  de  GathaUtnya  di  Hieron vm  Pujades  (1609). 
Vedi  G.  Cirot,  Les  htstoires  ghUrales  d'Espagne  entre  Alphonse  X  e<  T^t- 
lippe  II,  Paris  1905,  p.  170.  —  La  traduzione  castigliana  del  trattato  geo- 
grafico  del  Boccaccio  ^  piü  volte  citata,  con  altri  trattati  boccaoc^chi 
{De  las  mugeres  illustres,  De  hombres  illustres,  Del  origen  de  los  Dioses)^ 
e  col  De  Viris  ed  il  De  Herum  del  Petrarca,  nello  zibaldone  erudito,  di  un 
discendente  del  marcheee  di  Santillana:  Memorial  de  eosas  notables,  com- 
puesto  por  Don  Tnigo  Lopez  de  Mendoxa,  Duque  quarto  del  Infamlado, 
Guadalajara  1564,  pp.  47;  166;  215;  343. 


Note  sul  Boccaccio  in  IspagDa  ndrEtä  Media.  79 

detto  in  uno  studio  mio  paxticoläre.  ^  Alquanto  minor  fortuna 
s'ebbe  la  Fiammetta,  sprovyista  della  sacra  unzione  mistica, 
gridata  poi  corruttrice  dai  santi  inquisitori.  Pure,  dopo  il  Cor- 
baccio,  la  Fiammetta  del  ^famoso  Juan  Vocacio',  che  *por  sotil 
y  elegante  estilo',  'da  &  entender  rnuj  particularizadamente  los 
efectos  que  haze  el  amor  en  los  animos  ocupados  de  pasiones 
enamoradas'  (cosi  il  frontespizio  dell'edizione  castigliana  di  Lis- 
bona  1541)  fu  in  Ispagna  di  gran  lunga  il  libro  del  Boccaccio 
in  Yolgare  piü  letto  e  piü  schiettamente  gustato.  Spesse  fiate 
accenuano  ad  esso  scrittori  e  poeti.  Le  pene  ed  angustie  d'amore 
della  donna  abbandonata,  la  passione  che  pugnava  nel  suo 
povero  e  travagliatissimo  cuore»  passione  furente  e  possente,  che 
nessun  limite  conosce,  a  nessuna  leg^e  umana  e  divina  soggiace, 
e  la  natura  stessa  yince;  le  ansie^  i  sospiri,  i  gemiti^  gli  alti 
lai,  lo  sperare  ed  il  disperare,  l'interna  storia,  analizzata  a  fondo 
e  sapientemente^  con  finezza  psicologica  che  invidierebbero  i  mo- 
demiy  dal  grande  coDOscitore  ed  esperimentatore  del  cuor  di 
donna,  non  lasciava  inseusibili  gli  ingegni  di  Spagna,  awiati 
appena,  e  con  scarsa  esperienza,  aUa  composizione  di  novelle 
psicologiche.  II  quadro  esteriore,  quel  mettere  in  bocca  al- 
l'amante  la  storia  delle  proprie  sventure,  facile  a  proluDgarsi, 
ad  abbreviarsiy  e  variabile  a  piacere,  era  di  agevolissima  appli- 
cazione.  In  mezzo  allo  strazio  dell'anima  erano  gittati  ancora 
i  ricordi  eruditi.  Tornavasi  a  far  pompa  della  sapienza  antica. 
Non  disdiceva  quindi  la  Fiammetta  dall  altre  opere  boccaccesche 
latine.  La  tradussero  i  Catalani  ed  i  Castigliani,  non  sappiam 
bene  quando,  forse  giä  ne'  primi  decenni  del  '400,  e  cosi  vol- 
tata,^  presto  passö  alle  biblioteche  de' gran  signori;  trovo  dif- 

*  Note  stdla  forbuna  da  ^Gorbaecio'  ndla  Spagna  Medievale  (Miscellanea 
Mussafia)  Halle  1905. 

'  1  aue  manoscritti  della  versione  castigliana,  che  l'EBCorial  conserva 
(P-I-22;  e-III-9,  vedi  Ebert,  Jahrb,  f.  roman,  u,  engl  Liter.  IV,  bö  e  il 
Yolume  di  M.  Schiff  sulla  biblioteca  del  Santillana),  non  discordano  gran 
fatto  dalle  prime  stampe:  El  libro  llamado  Fiometa,  Sudamanca,  1497; 
Sevilla,  1528  (Lt'&ro  llamado  Fiameta  \  porque  traia  de  loa  amores  d'una 
notable  duena  napoliiana  üamada  Fiameta.  M  qtud  libro  conpuso  el  famoso 
Juan  Vocacio  poeta  florentino,  edizione  posseduta  da  F.  Colon) ;  n^  si  dovrä 
confondere,  come  fecero  il  Salyd,  il  Gayan^s  ed  il  Qallarao,  e  come  fa 
tuttodl  PHaebler  (BibL  Ib6r.  p.  *iS5,  N^  55)  il  primo  traduttore  anonimo 
col  cinquecentista  Pedro  Bocna,  valenziano,  buon  conoscitore  dell'Aretino, 
a  cui  accenno  nelle  note  sul  Oorbaecio,  —  La  Fiammeita  catalana,  bat- 
tezzata  anche  Fiameta  romana,  manoscritta  tuttora,  e  da  San  Cugat  del 
Vall^  passata  all'Archiyio  della  Corona  di  Aragon,  fu  da  mold  ricordata: 
dal  Tastu,  da  Torres  Amat,  MiM  y  Fontanafe,  A.  Pag^g,  Morel -Fatio, 
Bubi6  y  Lluch,  Massö  y  Torrents  ecc.  Ultimamente  B.  Sanvisenti  allungava 
ed  allar^ava  i  suoi  idropici  Primi  influssi,  riproduoendo  (pp.  395  sgg.) 
r*inte8tazione  di  tutti  i  capitoli  del  oodice.  Sarebbe  opportuno  lavoro  un 
utile  confronto  del  testo  catalano  coir  originale  itidiano  e  colla  vensione 
di  Castiglia. 


80  Note  sul  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media. 

fiisione  nelle  classi  colte,  e  f  e  sospirare  de'  suoi  sospiri,  pian- 
gere  del  suo  pianto,  gli  afQitti  e  torturati  d'amore.  Fiamraetta  e 
Pamfilo  furono,  con  Piramo  e  Tisbe,  Tristano  e  Isotta,  Lancillotto 
e  Ginevra»  Paride  e  Yienna,  ^  tra  le  coppie  famose  d'amanti  che 
a  memorando  esempio  ed  ammaestramento  solevansi  citare. 

Di  Fiammetta  soyviensi  Donna  Leonor  nella  Comedieta  de 
Ponga  del  Santillana,^  una  delle  tristi»  gemebonde  regine,  con- 
fortate  dal  Boccaccio  risorto.  II  dolor  che  le  preme  il  cuore 
la  muove  a  rimembrare  il  dolor  deU'amante  infelice,  i  cui  casi, 
la  'mano'  del  Boccaccio  ^registra  e  aprueva'.  La  fatal  lettera 
'del  lucto  sellada',  che  le  rivela  la  sua  maggior  sciagura,  e  le 
inonda  di  lacrime  il  yiso,  le  rammenta  4a  triste  nueva'  che  a 
Fiammetta  'del  pelegrino  le  fue  reportada'  (Obras  120).  II  gran 
dolore  della  'noble  Flameta'  muove  al  pianto,  stringe  il  petto 
('sobres  dolor  la  pensa  ma  constreta')  di  Fra  Rocaberti,  che, 
nel  suo  immaginato  ^iardino  d'amore,  scorge,  sospirante,  ge- 
mente^  con  altre  coppie  d'amanti,  la  sventurata  eroina  del  Boc- 
caccio. I  martiri  di  Francesca,  che  tristo  e  pio  fecer  Dante,  e 
a  lacrimar  lo  mossero,  hanno  suggerito,  come  altrove  ayrertii, 
questa  povera  e  scialba  visione.  Pamfilo,  che  abbandona  Fiam- 
metta in  yita,  non  l'abbandona  in  morte,  e  se  ne  sta;  'ab  cara 
desdenyosa,  |  desconaxent',  lagrimando,  muto  come  Paolo:  'trist 
abatut,  ab  la  cara  plorosa',  e  Fiammetta  piange,  e,  riyolta  a 
chi  ha  pieta  del  suo  mal  perverso,  favella  del  suo  amore'.  De- 
genere  sorella  di  Francesca,  lungi  dall'inneggiare  aU'indomabil 
passione,  che  della  morte  e  dell' Inferno  trionfa,  e  che  Dio  ri- 
spetta,  moralizza  banalmente  e  goffamente,  con  compunzione. 
Alle  genti,  dice,  'qui  mos  dictats  ligien',  gioverä  il  lamento  'de 
ma  fortuna',  'blasmen  tots  cells  quin  amen  mes  de  una'.  Assi- 
cura  ancora  dolersi,  offendersi,  dic'ella,  con  parola  tolta  a  Fran- 
cesca,'  della  fama  ch'e  rimasta  nel  mondo  del  dolor  suo.  £  il 
poeta,  che  si  ingiuria  Tarte  sovrana  di  Dante,  provasi  a  conso- 
lare  questa  misera  Fiammetta.  —  II  ricordo  di  Fiammetta  e  in 
altri  Catalani  e  Valenziani  di  quel  tempo,  in  Messen  Ruiz  de 
Cerella  p.  es.  {Tragedia  de  Caldesa).  Alla  Fiammetta  ed  al 
Corvafgi  accenna  fuggevolmente  Ferrant  Valentf,  di  Mallorca, 
nel  prologo  premesso  alla  traduzione  de'  Paradoxa  di  Cice- 
rone.  Trascrive  il  Jardinet  d'orats,  alquanto  catalanizzata,  una 

*  Der  aUfranxösisehe  Roman  Paris  et  Vienne,  Mit  einer  Einleitung, 
dem  katalanischen,  dem  spantsehen  Text  und  dem  Inhalt  der  italieniachm 
Umarfjeiiung,  neu  herausg.  v.  R.  Kaltenbacher,  Erlangen  1904. 

'  II  marchese  posBedeva  anche  l'originale  italiano  d(ill*Elegia  di  ma- 
donna  Fiammetta  (ora  alla  Nazionale  di  Madrid  6*— 11). 

^  Bipetuta  la  memoranda  sentenza  che  strazia  il  caore  di  Francesca, 
Tautore  del  IHrant  lo  Blaneh  soggiunge,  pur  con  palese  reminiacenza  dan- 
tesca  (Rahonament  que  fa  Tirant  a  la  Viuda,  Cap.  CXCVII.  Vol.  III,  11): 
*la  mia  pensa  sena  comparacio  esta  ofesa  per  ma  senyora'. 


Note  lul  Boccaccio  in  Ispagna  neU'EUl  Media.  81 

meschina  stanza:  Fhiameta  ä  Orimcdte,  delle  molte  che  adornan 
una  novella  di  Juan  de  Flores,  foggiata  sulla  sentimental  no- 
vella  del  Boccaccio: 

8i  los  gozos  desseados  Puea  damaa  eDamoradas, 

Durassen  siempie  en  un  esser,  Mirando  byen  lo  qae  diso, 

Aqueiloa  coando  cobradoi,  Cuando  maa  maa  adoraoas, 

Como  paasion  y  cuydados  Con  temores  de  olYidadaa, 

NoB  matarian  de  plazer.  Contraatad  al  enemigo. 

Maa  enfriase  el  amor  Porque  sua  actoa  gradoeoe 

Del  oorazon^amador,  De  la  beldad, 

Engendido,  Son  tiros  todoe  danyosos 

Y  queda  solo  el  dolor  Con  que  pierde  eua  repoaot 

Con  [loBJI  BuapiioB  del  honor  La  bondad. ' 
Ya  perdido. 

Fiammetta  dovoTa  pur  ardere  in  uno  de'  tanti  inferni 
d'amore,  che  i  versificatori  di  quell' eta,  sf  poco  incline  alla  yera 
poesia»  si  creavano  per  trastuUo.  Spasimante  tra  gli  spiriti 
*mal  fadados'^  'llagados'  da  Gupido,  la  scorge,  con  allere  illustri 
amanti  lo  Stuniga:  *Yi  &  Fiometa  inflamada  |  con  nn  florentin 
ingrato.'  • 

Nella  fantasia  de'  letterati  e  poeti  s'eran  yenuti  man  mano 
mescolando  i  casi  di  Fiammetta  e  gli  struggimenti  suoi  per 
Pamfilo^  coi  casi,  le  ayyenture  e  gli  struggimenti  d'amore  degli 
eroi  e  delle  eroine  de'  romanzi  brettoni,  de'  romanzi  cayalle- 
reschi,  delle  fayole  di  Amadigi,  da  piü  tempo  partorite,  in  voga, 
come  oguun  sa,  in  tutto  il  '400.  Attomo  al  cuor  di  donna 
giraya  il  mondo  de'galanti  e  degli  erranti  cayalieri.  Viyeyasi 
de' suoi  palpiti^  pasceyasi  de' suoi  sospiri.  II  sentimento  presto 
si  stempera  in  sentimentalita.  Si  gonnano  di  lagrime  gli  occhi« 
e  di  parole  e  di  esclamazioni  le  carte,  destinate  a  raccoglier  le 
storie  de'teneri,  appassionati  e  fedeli  amanti.  L'innamoramento 
e  l'abbandono  di  Fiammetta  ricordaya  per  giunta,  agli  Spa- 
gnuoliy  la  disperata,  leggendaria  passione  di  Macias.  Rodrfguez 
del  Padrön  andö  a  cercare  nelle  noyelle  di  Francia  parte  delle 
fayole,  degli  amori  e  delle  galanterie,  che  riempion  la  storia 
pietosa,  sentimentale:  El  siervo  libre  de  amor,  tutta  inyolta  in 
un  fitto  yelo  allegorico,  mosso  a  descriyere,  con  intendimento 
figurato,   e  con  allusioni  insistenti  ai  tre  stati  immaginari   del- 

'  Debbo  alla  cortena  dell'amico  Pijoan  una  copia  fedele  della  'cobla', 
accolta  nel  Jardinet  dParaU  (f.  126  r.  del  oodice  Barcellonese,  indicata 
giä  d'altronde  dal  MiÜL  VI,  420),  trascritta  in  linguaggio  soyente  irrioono- 
fidbile,  e  da  me  qui  corretta. 

'  Oaneümero  de  Lope  de  Stümga,  ed.  Madrid  1872,  p.  76.  —  Sft  de 
Miranda  ricorderit  poi,  a  sua  yolta,  in  yerai  castigliani,  la  Fiammetta  boc- 
cacoesca:  'Otra  yida  a  Beatriz  ha  dado  el  Dante,  j  A  Laura  hizo  el  Pe- 
trarca tan  famoaa  |  Que  suena  d'eate  mar  al  de  leyante,  |  Bocado  alz6 
Fiameta  en  yerso  i  prosa'  {Poeeiae  de  Franoiaeo  de  Sd  de  Miranda^  ed. 
G.  Michaelis  de  Vasooncellos,  Halle  1885,  p.  460). 

AichiT  f.  B.  HjinMiliwi,    GZyi.  6 


82  Note  8ul  Boccaccio  in  Ispagna  neU'Etft  Media. 

Fanima,  le  sofferenze  e  torture  d'amore»  i  dubbi  e  Tansie,  il 
logorarsi  e  il  rodersi  del  euere,  lacrimevol  martirio  che  solo 
cessa  coUa  vittoria  dell'intelletto  e  del  *libero  arbitrio*.  La 
Fiammetta  del  Boccaccio  doveva  prestare  il  pianto  e  l'elegiaco 
lamento  all'eroe  che  soffire  le  torture  di  un  Werther  antidpato. 
Esala  costui  in  lettere»  i  pianti  e  i  lai  del  cuore,  ed  esce  poi  di 
servaggio,  passando  'de  la  trabajosa  vida  &  la  perpetua  gloria 
que  poseen  los  leales  amadores'. 

Quello  che  piü  colpisce  in  questa  tragica  storia,  alla  quäle 
male  assai  si  sovrappone  l'allegoria  fredda  e  stentata,  Tinutile 
appai'ato  mitologico,  astronomico,  erudito*  h  lo  stile,  invohito, 
afifettato,  ridondante,  boccaccesco,  pieno  di  violente  e  inusitate 
t^asposizioni,  e  inversioni.  Decisamente  l'elegiaca  favella  di  Fiam- 
metta,  che  si  contorce  e  gonfia^  secondando  le  ambasce  del  cuore, 


^  Puö  anch'esso  esser  derivato,  in  parte,  come  nel  THunfo  e  in  altri 
sditti  di  Bodriguez  de  Padrön,  dalla  Fiammetta  del  Boccaccio,  in  parte 
anche  dal  Filoeoh.  —  (Fiammeita,  Opere  VI,  22) :  'Quantunc(ue  Febo  Boi^nte 
co'chiari  raggi  di  Gange  insino  alVora  che  nell'onde  di  Elsperia  si  taftä, 
colli  lassi  carri,  alle  sue  f atiche  dare  requie,  vede  nel  chiaro  giomo  . . .'  (Tri- 
unfo  de  las  Donaa.  O&nu  p.  8):  *Feria  Apollo  al  occidentai  orizonte  goq 
el  carro  de  la  luz,  llegado  al  punto  que  ya  bub  cavallos,  cansadoe  del 
celesticd  a^in,.  bafiaban  en  las  marinas  ondas.'  L'appreBsarei  della  sera  ^ 
cobI  espresso  nel  Füoeolo:  'I  disiosi  cayalli  del  Sole  caldi  per  lo  diumo 
affanno  si  bagnavano  nelle  marine  acque  d'occidente.'  (Nelle  note  mie 
Bul  Petrarca  in  üpagna,  p.  51  deli'estr.,  supponevo  forse  a  torto,  un'imi- 
tazione  del  sonetto:  'Quando  '1  sol  bagna  l'aurato  carro').  {Fiamm.  VI,  51): 
'quali  le  marine  onde  da'  venti  e  dalla  pioggia  80Bpinte\  (Oarta  d.  Kod. 
d.  Padr.  p.  175):  'trayendo  consi^  las  marinas  ondas  eoc.'.  (Fiamm,  p.  28): 
^uesti  con  dorate  piume  leggenssimo  in  un  momento  yolando  per  ü  suoi 
regni  tutti  gU  visita,  e  il  forte  arco  reggendo,  sovra  il  tirato  nervo  addatta 
lesue  saette^...  (p.  129):  ^Egli  era  giä  un'altra  volta  il  sole  tomato  nella 
parte  del  cielo  che  si  cosse  allora  che  male  i  suoi  carri  guido  il  presun- 


Fiammetta):  'xa  los  corredores  d'Apolo  robavan  |  Del  nuestro  hori9onte 
las  escuridades,  |  E  las  sua  fermosas  batallas  llegaban  |  Por  los  altos  montes 
d  las  sumidades'.  (Condest.  Satira  59):  ^mis  ojos  i  la  oriental  parte  le- 
yant4  . . .  no  porque  el  fermoso  mancebo  Febo  ä  Clicie  ya  no  ficiese  re- 
volver  los  oios  contra  Oriente  . . .  ya  sus  menudos  6  lumbrosos  rayos 
ferlan  los  altos  montes  . .  /  {Fiamm.  Opere,  VI,  lö6):  *E  giä  quel  Toro 
che  trasportö  Europa  teneva  Febo  colla  sua  luce,  e  i  giorni  alle  notti 
togliendo  luogo,  di  brevissimi  grandissimi  divenieno;  e  il  fiorifero  zeffiro 
sopravTenuto,  col  suo  leno  e  pacifico  soffiamento  avea  l'impetuose  guerre 
di  borea  poste  in  pace,  e  cacciati  dal  frigido  aere  i  caliginosi  tempi,  e  deU 
l'altezza  de'  monti  le  candide  nevi,  e  i  guazzosi  prati  rasciutti  delle  can^ 
dide  piove.'  {Füoeolo.  Opere  VII,  315):  'Zeffiro  non  era  stato  da  Eolo 
richiuso  nella  cavata  pietra,  anzi  Roffiando  correa  sopra  le  salate  onde 
coUe  8ue  forze.'  (VIII,  31):  *Era  giä  Apollo  col  carro  della  luce  salito 
al  meridiano  cerchio,  e  quasi  con  diritto  occhio  riguardaya  la  rivestita 
terra'  ecc.  Pj  stile  da  Ämadigiy  e  gli  Bpagnuoli  lo  imitavano  bravamente 
jriä  nel  primo  '400. 


Note  8ul  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media.  83 

piaceva  e  s'imponeva  a  Rodriguez  del  Padröo,  che  pur  ammi- 
rava,  e  pur  imitava  la  prosa  fiorita  de'  novellatori  di  Francia. ' 
La  Fiammetta  offriva  a'compagni  di  sventura  i  suoi  lan- 
guori  e  lamenti,  le  disperazioni  ed  imprecazioni,  gli  ohime  ripetuti, 
infiuiti.  Malediva  rinfelice  Tacerbo  destino;  malediva  l'amoFe, 
la  passione  fatale  e  struggente  che  steiler  non  poteva  dal  cuore. 
'Maladetto  sia  11  giorno  che  io  prima  ti  yidi,  e  Tora  e  il  punto 
nel  quäle  tu  mi  piacesti.  . . .  Ahi  maladetta  sia  la  mia  pieta' 
(cap.  VII).  Invocava  la  morte  come  termine  a'  suoi  mali,  e  pre- 
meva  dall' angoscioso  petto  il:  Non  fossi  nata  mal.  ^0  maladetto 
quel  giorno,  a  me  piü  abominevol  che  alcuii  altro,  nel  quäle 
io  nacqui.  Oh  quanto  piü  felice  sarebbe  stato,  se  nata  non 
fossiy  o  se  dal  tristo  parto  alla  sepoltura  fossi  stata  portata'. 
Non  gerne  altrimenti  l'eroe  di  Rodriguez  del  Padrön:  ^0  regurosa 
y  mal  comedida  muerte,   deseosa  de  mil    £  ya  que  en  plazer 

te  viene  el  trabajado  fyn  de  mis  dias 0  bien  aventurada 

muerte  que  tornas  en  propia  yidal  Alegre  y  suave  pena  que 
tomas  y  vienes  a  mi  en  folgangal  Otorgas  que  muera'  (p.  52; 
61).  Piaceva  similmente  Telegiaco  lamento  di  Fiammetta  al  *Con- 
destabel'  Don  Pedro  de  Portugal  che,  ispirato  al  Siervo  libre 
de  amo  r,  offriva,  tutta  pasciuta  di  gemiti  e  di  sospiri,  involuta 
e  boccaccesca  nella  forma,  la  Sdtira  de  felice  e  infelice  vida 
(*gemir,  sospirar  e  planir  le  de  por  respuesta'  p.  57).  *0  infor- 
tunado!'  esclama,  *Conosce  ser  4  ti  la  fortuna  adversal  0  des- 
esperadol  Conosce  tu  desesperacion!  0  ciego  hombrel  ...  Que 
te  puedo  decir,  salvo  el  mäs  mal  aventurado  de  los  nascidos, 
pues  tu  pena  quieres,  e  tu  pena  seguiendo  deseas?  (55)  . . . 
0  fados  crueles,  nunca  contentos  de  la  aumentacion  de  mis  in- 
ünitos  males  . .  Maldito  sea  el  dia  en  que  primero  am6,  la  noche 
que  velando  sin  recelar  la  temedera  muerte  puse  el  firme  selk> 
k  mi  infinito  querer  e  iure  mi  servidumbre  ser  fasta  el  fin  de 
mis  dias  I'  (89).  Questa  affinitä  di  sciagure  e  lamenti  non  isfug- 
giva  a' contemporanei,  ed  una  chiosa  alla  Sdtira,  che  nel  Can- 
cioneiro  geral  di  Resende  corre  col  nome  di  Duarte  de  Brito, 
autore  ben  noto  di  un  sentimentale  infemo  d'amore,  che  dal- 
Tinfemo  del  cuor  di  Fiammetta  alquanto  ritrae,  contrappone, 
non  a  caso,  alla  coppia  d'amanti:  Ardanlier  e  Liesse,  i  ^namo- 
rados  Pamphilo  con  Fyometa'.* 

'  Vedi  particolarmente  le  Nouveües  fran^aises  en  prose  du  XTU^'  süele 
ed.  L.  Moland  et  C.  d'H^ricault.    Paris  185Ö. 

*  Cane.ger.  III,  415.  —  C.  MichaeUe  de  Vasconoelloe  (Ortmdr,  II/II,  261) 
riaccosta  saggiameDte  la  Sdtira  alla  novella  di  Rodriguez  del  Padrön,  ma 
non  ha  presente  la  Fiammetta  e  il  Filoeolo  quando  scrive,  toccando  dello  Stile 
del  'condestavel':  *Die  konstante  Voran  Stellung  der  durch  adverbieUe  Bestim- 
mungen noch  erweiterten  Adjektive  giebt  dieser  Schreibart  ein  germaniich 
anmutendes  Qepräge'.  —  Ancbe  nella  Comedia  del  Bocaberti  ^  subito  me- 
moria di  Fiammetta  e  Pamfilo,  dopo  il.ricordo  degli  amanti  sventurati 

6* 


84  Note  8ul  Boccaccio  in  Ispogna  neirEtü  Media. 

AI  Planto  que  fiqo  Panta$äea,  *la  mas  triste  apassionada  ,  de 
quantas  sahen  amar ,  che  il  Santillana  raccoglie  in  aicune  sue  rime, 
si  mescola  il  pianto  di  Fiammetta.  Dolor  disperato  e  nel  cuore 
di  Pentesilea,  e  le  labbra  mormorano  rimpreeazione  al  destino 
(Obra$  414):  .q  maldita  eea  la  fada 

Guytada»  que  me  fadöl 

ßmadre  deaTenturada, 
que  tal  fija  pari6I 
Amaoona,  reyna  triste, 
Del  aioB  d'ijnor  maltractada, 
En  fuerte  ponto  naa^iste. 
0  en  algnn  ora  menguada, 

tO  triste  . . .  mejor  me  fuera 
Que  nunca  fuera  nas^ida. 

Maldito  sea  aquel  dia, 
Archilles,  en  que  nas^tel 

Alla  Fiammetta  similmente  ei  riconducono  le  smanie  e  gli 

struggimenti  nella   Tragedia  di  Don  Pedro  de  Portugal,   che 

ayviano  il  misero  alla  soglia  della  pazzia  (Homenaje  p.  698): 

6  Inego  mis  ropas  romper  fuj  membrado; 
feriendo  mi  rostro  inhnmanamente, 
comienyo  mi  planto  tan  desesperado, 
que  yo  me  quisiera  matar  ^reetamente. 
mas  fuj  de  tal  caso  por  Dios  resenraao. 

So  mndo  dlengio  mis  ojos  manavan 

asy  ookno  una  manante  fontana, 

por  los  mis  cabelloB  mis  manos  tirayan.' 

della  novella  di  Bodrfguez  del  Padrön  (p.  35  delPedisione  scellerata  di 
0.  Del  Balzo) :  ' Ardolies  veut  Liessa  finida  |  Volch  ser  umil,  ans  que  pendre 
Tonianca.' 

*  Anche  U  Füostraio  era  presente  alla  memoria  di  Bodriguez  del 
Padrön,  del  marchese  di  Santillana  e  del  'oondestayel'.  G^emeya  Griseida 
al  separarsi  da  Tioilo  {Füo9t.  Opere  XIII,  Parte  III,  14 1): 

Tal  pianger  fb,  che  mal  non  si  fö  tale. 

Erasi  la  dolente  io  sul  suo  letto 
Gittata  stesa,  piaagendo  si  forte, 
Che  dir  non  si  poria;  e  il  biaooo  petto 
Speeso  batteasi,  ehiamando  la  morte 
Cäie  raecidesse,  poichi  4  suo  dUetto 
Lasciar  le  convenia  per  dura  Sorte; 
E  i  biondi  crin  tirandosi  rompea, 
E  mille  Tolte  ognor  morte  ehiedea. 

Ella  diceTa:  laasa  STentnrata» 
Misera  me  dolente,  ove  vo  io? 
O  trista  me,  che  'n  mal  pnnto  fa'  nata, 
DoTS  ti  lascio  dolce  Tamor  mio? 
Oeh  or  ftiss  'io  nel  nascere  affogata, 
O  non  t'avessl,  dolce  mio  disio, 
Vedato  mai  . . . 


Note  Bul  Boccaccio  in  Ispagna  neü'Etä  Media.  85 

Dal  sentimentalismo  della  Fiammetta  derivano  le  sentimen- 
talita  delle  novelle  galanti,  che  molcevano  il  cuore  degli  Spa- 
gnuoli,  prima  che  il  '400  si  chiudesse.  II  Breve  Tractado  de 
Grimalte  y  Gradissa  di  Juan  de  Flores,  composto,  cred'io, 
nella  seconda  meta  del  '400,  offire  luminosissima  prova  della 
diffusione  della  Fiammetta.  ^Entre  las  gentes',  dice  qui  Gri- 
malte a  PamfilOy  *no  hay  otro  razonar  sino  de  vos  . . .  pues 
tanto  por  el  mundo  buela  vuestro  desconocimiento'.  Rarissimo 
oggidiy  noto  in  un  solo  esemplare,*  l'amoroso  e  sentimental 
'Trattato'  era  pure  ayidamente  letto  in  Ispagna  e  nella  Franda 
stessa.^  Lg  conosceva  indubbiamente  l'autore  del  Tirant  lo 
Blanch;  lo  conosceya  il  Cervantes.' 


'  Ora  alla  Nazionale  di  Madrid,  proyeniente  dalla  biblioteca  di  Serafin 
Est^banez  Calderon,  riprodotto  in  fototipia  a  Madrid,  nel  1883  (^  l'esemplare 
di  cai  io  mi  valgo),  coll'aggiunta  di  an  prologo  insignificante,  e  pressoch^ 
inntile,  di  Pascnal  de  GktyangOB.  Discorrerä  ampiamente  di  queeta  ncyella 
(edita  pure  a  Sevilla,  nel  1524  e  1529,  ed  a  Toledo,  nel  1526),  Men^dez 
y  Pelinro  nello  studio  promesso  sui  novellatori  anteriori  al  Cervantes. 

*  La  deplovrable  fin  de  flamete,  elegante  invention  de  Jehan  de  Fhree 
eepaignol,  tradu^e  en  langtte  franeoyee  (da  Maurice  Sc^ve),  Lyon,  15<{5, 
e  Paris,  1586.  £  a  Ohantiily.  (Le  Öabmet  dee  livres  imprimee  au  müteu 
du  XVP  süele,  Paris  1905,  p.  155).  Non  dovrä  confondersi  coUa  versione 
francese  della  Fiammetta  boccaccesca,  fatta  su  quella  castigliana  (citata 
anche  dall'Hortis,  Sttidi  a.  op.  lat.  d.  Boee,  p.  69e5):  Complainte  dee  trietee 
amoure  de  Flamette  ä  eon  amy  Pampküe,  Lyon,  1532.  —  Orimaite  eon 
Qradieea  figuran  pure,  eon  Pamfilo  e  Rammetta,  tra  le  coppie  amorose, 
nella  chiosa  alla  Sdiira  del  ^condestaveP  Don  Pedro,  di  Duarte  de  Brito 
{Gane.  ger,  de  Reeende  III,  415).  Giä  si  ricordarono  i  versi  di  Fiammetta 
a  Grimalte  nel  Jardtnet  de  orats. 

'  Bicorda  ognuno  l'espiazione  bizzarra  del  cavaliere  della  Mancha 
nella  Sierra  Morena,  e  il  vasar  suo,  per  selvaggi  luoghi,  in  tracda  del 
disperato  e  folle  Cardenio.  'He  acordado',  dice  Grimsdte,  'que  las  silvas 
7  108  capoB  y  lugares  y  envegeddos  desiertos  son  cöformee  a  los  mny 
desesperados  cora9one8\  Occulta  tra  selve,  Grimalte  ritrova  Fiammetta. 
'Propase  de  apartarme  de  lo  poblado,  y  por  los^  mötes  y  desabitadas 
Silvas  hazer  las  diligencias  a  la  Dusca  convenibles  siguiendo  aqella  via  de 
los  salvatges  .  Y  en  una  spessa  montanya  donde  diversos  caminos  se 
ayuntavan  . . .  passe  muchos  dias*.  S'imbatte  finalmente  in  'una  dama 
en  aparado  pomposa  y  honestos  antoios'.  Similmente,  h  tra  boschi  sel- 
Taggi,  e  cupe  solitudini,  che  Grimalte  trova  Pamfilo  'de  vestidos  desnudo', 
dandosi  'tales  consuelos  quales  los  desesperados  cora^ones  suelen  recebir 
de  soledad'.  'Allegado  en  la  muy  desesperadasilva:  andando  algunos  dias 
sin  poder  hallar  al^na  persona,  en  la  mayor  spessura  de  aqueUa  mötäya 
o  quasi  en  las  haldas  de  aquella  vi  star  unos  paatores  en  una  roqua  o 
quasi  asi  como  una  casiqua  ...  a  los  quales  pregunte  si  por  Ventura  a 
!ramphilo  conocian,  y  ellos  me  respondieron  que  muchas  vezes  un  höbre 
haviä  yisto  haziedo  salvaje  vida  en  aquella  silva  ...  asi  yo  anduve  muchos 
dias  perdido  en  la  texidura  de  los  arooles:  recibiendo  grandes  affruentos 
de  muy  spantables  animales  que  me  persiguian  .  v  qndo  algunos  hallava: 
eon  piadosas  vozes  llamava  el  nombre  de  pamphilo'.  Lo  riU'Ova,  soccorso 
da'  cani  ins^uitori.  'Y  despues  que  Päphilo  fue  de  la  cueva  saUido, 
quando  le  vi  :  de  tä  desfigurada  faciö  stava  . . .  mudado  en  salvaje  pa- 
re9er,  porq  no  solamete  los  cabellos  y  barvas  tenia  mucho  mas  q  su  sta- 


86  Note  8u1  Boccaccio  in  Ispagna  nelPEUt  Media.* 

I  ragionamenti  sull' efficacia  ed  il  poter  d'amore,  ^que*  todo 
veace',  le  querele,  i  disperati  gemiti,  le  torture  e  le  ambasce 
insanabili  del  cuore,  si  ripeton  quivi,  dietro  l'esempio  della  boc- 
caccesca  novella.  Si  esalano  i  lamenti  in  lettere,  che  regolar- 
mente  si  chiudono,  con  inverosimiglianza,  semplicita  e  candor 
mirabili)  in  candidi  Yersi,  di  meschina  fattura,  *  ^porque  lo  metri- 
ficado  mas  dulcemente  atrahe  a  los  sentidos  a  recebir  la  me- 
moria'. Rinnovasi  il  martirio  di  Fiammetta,  ma  le  parti  sono 
ora  inyerüte.  j^  l'uomo  che  patisce  I'abbandono  e  la  rigidezza 
della  donna  amata.  Gradissa  veste  i  panni  di  Pamfilo,  mossa 
in  parte  dalla  lettura  della  'famosa*  e  ^mny  graciosa  scriptura' 
del  Boccaccio;  e  perdura  insensibile  alle  riclueste  ed  agli  struggi- 
menti  dell'infelice  Grimalte;  Me  passion  de  fiometa  queria  tomar 
la  yenganga  de  su  pamphilo  eu  mi,  assi  que  por  las  ialtas  agenas 
azia  yo  la  penitencia'.  La  storia  di  Fiammetta  e  messa  a  base 
di  questa  novella  storia  d'amore  e  di  dolore;  anzi,  Tinvenzione 
stessa  del  Boccaccio,  compendiata  nell'esordio,  a  pro'  di  coloro 
che  ne  ignorassero  la  trama,  ^  e  qui  proseguita.   Torna  a  gemer 

tura  creddas :  mas  assi  mismo  era  muy  vieio  por  la  continuaciö  de  andar 
desnudo,  7  los  cabellos  de  la  cabe9a  7  barva  le  davan  cauteloeo  vestir . . . 
la  habla  de  si  despedido  havia,  que  per  infiDitas  pregutas  que  70  le 
hize  :  a  ninflpLiDa  me  respondio.' 

*  A  giudicare  dall' aggiunta  finale  al  Trcustado:  ^La  sepultura  de  Fio- 
meta con  las  coplas  7  canciones  quantas  son  en  este  tractado  hizo  Alonso 
de  Cordova',  queste  'coplas'  non  sembrano  opera  di  Juan  de  Flores,  ma 
di  un  amico  e  contemporaneo  suo,  oscurissimo.  Son  versi  stentati,  osciti 
da'  lambicchi  della  mente  ragionatrice,  freddi  bisticci,  come  ne  divulgavano, 
con  abbondanza  soverchia,  i  'Oancioneros'  di  quelPetä  prosaica.  Fiam- 
metta geme  e  sospira :  'Assi  que  biviendo  muero  |  Tal  morir  |  Que  ein  vida 
desespero  |  Mi  beyir';  e  Pamiilo  esorta  alPoblio:  Olvida  olvida  olvidada 
Olvida  no  te  des  nada  |  Tras  un  virote  perdido  |  Que  quieres  do  no  t^ 
quieren  |  . . .  Olvida  pues  70  te  olvido.'  Trovi  qui  pure  un  ricordo  alla 
memoranda  sentenza  di  Francesca  da  Rimini  (vedi  le  note  mie  su  Dante 
in  Ispcigna,  Estr.  d.  Oiom,  stör,  d,  Utter,  üal.,  1905,  Supp,  N"  8,  p.  58). 
—  In  versi,  similmente,  si  aggiungeranno  in  Oastiglia  i  sommari  alle  Treee 
Questionea  del  Füoeolo,  tradotte. 

*  'Comien^a  vn  breve  tractado  cöpuesto  por  Johan  de  flores  :  el  <Jl 
por  la  sieuiete  obra  mudo  su  nombre  en  grimalte  .  La  invecion  del  qu»I 
es  sobre  la  fiometa  .  porque  algunos  de  los  que  esto  le7eren :  por  Ventura 
no  habra  visto  su  famosa  scriptura  :  me  parecera  bie  decWar  la  en 
Ruma  .  Pucs  assi  es  que  eeta  sen7ora  f  ue  una  d'  las  que  en  beldat  7  valer 
a  las  otras  e9ed7a  .  7  seyedo  al  matrimonio  l7gada  con  compan7a  a  ella 
mu7  b7en  conven7ble  :  una  de  las  mas  bienaventuradas  en  su  t7empo  ^e 
presumia  .  Mas  como  seä  com  una  cosa  los  mudam7etos  de  la  fortüna  : 
aesden7ada  la  verguenga  7  pospuesta  la  honra  mu7  mudado  el  querer  del 
valeroso  marido  con  hü  strä70  hombre  lamado  paphilo  fue  damor  presa. 
7  en  esto  algn  t7empo  viv7endo  con  plazenteroe  deportes  passaron  S7n  con- 
trario impeaim7cnto  de  sus  amores  .  Y  eil  co  necessidat  huvo  de  partir 
adonde  era  natural  .  el  ql  dada  su  fe  auctorizada  con  infinidas  iura^<« 
dentro  de  quatro  meses  le  prometio  la  tornada  .  la  quäl  päphiio  no  man- 
tuvo  .  De  que  le  scguio  que  ella  mirado  la  gran  affeccion  q  le  havia  y 
la  gradeza  ue  bouores  q  por  eil  perdido  iiavia  :  7  a  la  fin  tal  paga,  le 


Note  sul  Boccaccio  in  Ispagna  nelVEtä  Media.  87 

Fiammetta  ed  a  sospirare  l'assenza  deH'amante  infedele;  raddopi»a 
i  pianti;  gronda  sangue  il  cuor  piagato,  finche  dalla  delusioa 
cruda  Tinfelice  donna  e  condotta  al  dolore  estremo  ed  alla  morte. 
Gradissa  sa  dei  casi  di  Fiammetta,  e  ingiunge  a  Grimalte 
di  porgere  airafflitta  amante  assistenza  e  conforto.  'Es  razon 
que  algun  vuestro  senyalado  seryicio  . . .  me  combide.  £1  quäl 
es  bueno  que  seha  de  disponer  vuestra  persona  en  favor  de 
fiomQta,  y  que  muestren  yuestras  obras  con  ella  los  desseos 
que  para  mi  registrar  mostrastes  .  Y  si  con  aquella  voluntad 
haveys  seguydo  a  mi  que  deziys  con  ella  trebays  en  su  servicio,  ; 
soy  cierta  que  pamphilo  de  ser  suyo  no  se  defienda  . . .  Assi 
que  . . .  Yos  pido  . . .  do  quiere  que  ella  sea  se  busque  .  y 
quando  con  nometa  seays,  sepa  ser  vuestra  yenyda  en  favor 
suyo  y  ruego  mio  :  y  por  mis  males  alevianar  algun  tanto  por 
la  compassion  suya  con  que  ella  quexa  sus  danyos  a  las  enamo- 
radas  duenyas  :  paregqua  que  alguna  huYO  que  con  piadad  toco 
sus  oreias.'  Parta  adunque,  raggiunga  Fiammetta  nella  soli«- 
tudine  sua,  e  le  esperienze  avute  esponga  poi  in  lettere  a  lei, 
Gradissa,  'assi  que  ella  (Fiammetta)  me  sera  un  speio  de  doc- 
trina  :  con  que  vea  lo  que  con  vos  me  cumple  hazer*.  K  Gri* 
malte,  docile  all'inyito  della  donna  sua,  si  muove,  peregrina 
per  monti  e  selve  disabitate,  triste  ricovero  di  amanti  delusi; 
trova  Fiammetta  'en  una  spessa  montanya',  disposta  a  giovar&ä 
deir  assistenza  del  suo  compagno  di  sventura.  'Yo  vos  offrezcp', 
dice  ella,  generosa,  a  Grimalte:  'todo  de  aqui  lo  que  por  vos 
pudiere  disponer  mas  a  vuestro  querer  que  al  mio,  reservando 
aquello  que  a  vos  gradissa  rehuea.'  Rinasce  la  speme,  sopita 
nel  cuore.  Pamfilo  e  cercato  e  trovato  nella  sua  natia  Firenze. 
Corron  lettere:  di  Fiammetta  a  Pamfilo,  di  Pamfilo  a  Fiam- 
metta, di  Grimalte  a  Pamfilo,  di  Pamfilo  a  Grimalte.  Si  succedon 
le  suppliche,  le  repulse.  Torni  l'amante,  dimentico  della  fede 
data,  alla  misera  Fiammetta,  ed  usi  ancor  pieta  uccidendola: 
*si  la  fin  de  mi  vida  te  satisfaze  :  o  quan  dulce  me  sera  por 
tu  mano  recebirla  en  respecto  de  aquella  que  yo  muchas  veces 
contra  mi  he  buscado.'  Ricordi  Fiammetta,  risponde  Pamfilo, 
l'ingiuria  fatta  al  marito,  Toner  perduto,  l'onta  comune  gridata 
nel  mondo;  e  Grimalte,  *con  infinitas  razones',  s'affanna  a  ricon- 
durre  Pamfilo  alla  donna  derelitta:  'No  se  con  quales  palabras 
comienge  a  recontar  vuestras  culpas  ...  Porque  una  senyorä 
mia  no  toviendo  iusta  causa  para  se  defender  de  mis  ruegos  y 

dava  :  tomo  por  remedio  manifeetar  sus  males  a  las  damas  enamora^as . . 
porque  en  ello  tomando  enzemplo  :  cötra  la  maldad  de  los  höbres  se 
apercebyesse  .  v  asi  mysmo  porque  en  quexar  sus  fatiguas  mas  senzilla^ 
las  sentiesse  .  Por  la  quäl  causa  venida  su  muy  graciosa  scriptura  a  la 
Doticia  duna  seyora  mia  Uamada  gradissa  :  las  s^enas  tristesas  tanto  la 
apassionarö  :  que  ella  no  raenos  llagada  que  aquella  otra  se  sentia.' 


88  Note  8ul  Boccaccio  in  Ispagoa  neirEtil  Media. 

recebidos  servicioB  :  ya  con  vos  j  vuestros  yerros  ha  fallado 
scusas  mir.  Un  convegno  degli  amanti  e  ottenuto  con  gran 
stenti;  ma  quando  Fiammetta  sta  per  libare  dal  calice  del  pia- 
cere,  e  scoccano  i  piimi  baci,^  rinfemo  le  e  nuoyamente  gettato 
nel  cuore.  Pamfilo  si  stacca,  determinato  a  non  piü  concedere 
favore  alcuno  all^amante,  e  Fiammetta  si  strugge,  ed  ha  la  vita 
in  orrore.  Raddoppia  gli  antichi  lai:  *0  malaventorada  de  ti  Fio- 
meta,  de  castas  mujeres  infamia,  derribamieDto  de  nobles  &mas, 
ensuziamiento  de  limpios  corazones»  embargo  de  los  castos  lechos', 
finche,  disperata,  'dando  mil  bueltas  a  unas  partes  j  otras  con 
spantables  senyales  en  la  desfigurada  cara  dio  fin  a  su  yida'. 
Ne  mai  morte  fa  piü  della  sua  lacrimata,  *ni  las  bijas  de 
priamo  |  lloraron  tanto  por  hector  |  ni  desolacion  de  troya  . . . 
ni  mucho  menos  eccuba  se  mostro  tan  dolorida  quando  el  cruel 
fuego  de  grecia  abrazava  sus  palacios  .  Pues  si  en  tal  tiempo 
legara  la  reyna  pantalizea  :  tomada  muy  piadosa  :  otra  muerte 
no  llorara  sino  aquella'.  Grimalte  stesso  n'e  si  scosso,  da  esplodere 
in  fieri  lamenti^.e,  come  termine  a'  suoi  mali,  invoca  la  morte: 
^Ven  por  mi  no  tardes  nada'.  Frattanto,  con  pietoso  sentit 
mento  che  i  romantici  gli  avrebbero  invidiato^  preludendo,  alla 
distanza  di  secoli,  alle  tumulazioni  immaginate  dal  Pr^yost  e 
dallo  Chateaubriand,  s'appresta  a  dar  degna  sepoltura  a  tanta 
donna,  vittima  sciagurata  d'amore.  La  tomba  ^de  piedra  de 
gran  firmeza  y  negro  color',  eretta  in  luogo  eccelso,  porta  alla 
sommitä  l'effigie  della  defunta,  'porque  su  gran  gentileza  desper- 
tasse  la  memoria  desta  senyora  . . .  pusse  alli  sus  seoyales  :  que 
faessen  entero  conocimento  con  entera  relacion  del  despendido 
y  mal  gastado  beyir',  e  a'  quattro  lati  e  adorna  di  simboliche 
ngurazioniy  illustrate  da  leggende  in  yersi.^    Udita  la  fatal  no- 

*  Grimalte  asslBte  alla  scena  del  ritroyo:  'no  creo  doe  enamoradoe  ia 
mas  mayoree  hoyiesse  .  ni  cod  tan  lindos  modos  meior  entenderse  . . .  me 
parecia  que  el  mismo  dioa  de  amores  le  ensepyaya  .  para  los  qoides  dent 
mil  secretos  tenia  reseryados  . . .  Y  despaes  q  ya  gran  pie^a  los  apartados 
labios  de  Fiometa  hoyjerö  yenganga  del  passado  tiempo  :  creyendo  en 
aqll  mometo  cobrar  enteros  plazeres  .  y  peleando  la  yieia  cögoza  con  la 
nueya  alegria ...  de  tal  forma  combatiero  quel  sobrado  gozo  derribo  a  ella 
en  el  suelo  quasi  muerta  . . .  Y  quando  yo  conoci  q  antes  el  ün  del  müde 
q  el  fin  de  tan  honrosa  baballa  feneci^ra  me  paredo  ser  bien  poner  les 
treguas.'  I  yersi  che  seguono,  ammoniscono :  'mas  enfriase  el  amor  |  Del 
corazon  matador  |  E^^endido  |  Y  queda  solo  el  dolor'. 

*  Questa  immaginata  tumulazione  di  Fiammetta  h  poyera  cosa,  ma 
Pautor  suo  attribuiya  ad  essa,  eyidentemente,  yalore  grandissimo.  Alcuni 
yersi  si  possono  ricordare :  'Estos  arboles  y  f  lores  1  Que  yedes  aqui  guarri- 
das  I  8on  los  deleytes  de  amores  |  Cogidos  para  dolores  |  De  las  muertef* 
doloridas'.  —  'Buscad a  cö  la  mayor  diligencia  ä  pude  la  tuba  muy  mas  alta 
d  aqllos  arrededores  do  seyalasse  su  descäso^,  prosegue  Grimalte,  'y  alli 
con  grädes  y  altas  höras  trahida  :  los  Infi  ni  tos  lloros  de  muchas  götee 
diyersas  q  para  mi  cöpäyia  en  el  caso  se  legarö  parecia  cö  sus  yozes  q 
los  muertos  recordaya  de  su  siglo  .  y  tanto  qnto  cö  los  oios  la  Uoraya 
tanto  con  sus  bocas  a  päphilo  maldeziä. 


Note  8ul  Boccaccio  in  IspagDa  nell'Etll  Media.  89 

vella,  Pamfilo  e  stretto  da  imprornsi  rimorsi;  smarrisce  la  ra- 
gione,  e,  rifiutata  la  sfida  di  Grimalte,  perche  vana,  determinato 
a  scegliere  lui  medesimo  piü  duro  e  convenevol  castigo,  fugge 
lungi  dagli  uomini,  in  Asia  nientemeno»  *al  fin  de  las  tierras 
todas',  dove,  depo  ventisette  anni  di  viaggio  e  di  faticosissime 
indagini,  in  cupa,  orrida  selva,  lo  raggiunge  Grimalte»  che  in- 
vidia  a  lui  la  selvaggia  vita  d'espiazione:  'Dexa  por  dios  a  mi 
el  premio  de  tal  bevir',  e  s'accinge  lui  pure  alla  penitenza  piü 
rigida.  'Fuyme  a  lo  mas  spesso  de  aquell  boscaie  adonde  mis 
vestidos  me  despoie  .  y  comen^e  a  tomar  possessio  de  aquell 
tä  triste  be^ir  j  morada,  y  las  manos  puestas  por  el  suelo  en 
la  manera  que  aquell  andaya  siguiendo  sus  pizadas  tomandolo 
por  maestro  de  mi  nuevo  officio/  Sopraggiunge  la  notte»  nemica 
di  chi  ha  nelFanimo  il  pianto,  ed  ai  due  infelici  il  martirio  e 
cresciuto  da  un'orribil  yisione,  quella  leggendaria,  serbata  agli 
sdegnosi  amanti,  di  cui  il  Lai  d'lgnauris  ofire  una  forma  primi- 
tiva,  narrata  dall' Helinand,  da  Vincent  de  Beauvais  (Speculum 
htstoriale)^  divulgata  dal  Passavanti  nel  suo  Specchio,  scritto 
tra  il  1354  e  il  1355,  assai  noto  e  letto  in  Ispagna,  dal  Boc- 
caccio in  una  novella  famosa,  da  altri  parecchi.  ^  Fiammetta  ap- 
pare,  sfigurata,  scarna,  immagine  direbbesi  della  Morte,  stnt- 
ziata,  con  atrocissimi,  inauditi  tormenti,  dalle  genti  d'inferno 
che  l'inseguono.  Fiamme  le  escon  dal  volto,  che  di  fosca  luce 
coloran  la  notte.  Posta  nuda  su  di  un  carro,  che  due  cavalli 
trascinano»  Pamfilo  pu6  contemplarla  a  piacere,  misurare  il  gran 
distacco  dalla  beilezza  vagheggiata;  e  la  visione  fatale  tre  volte 
in  settimana  si  ripete. 

'Ya  adunque  .  H  tuo  corso  non  puote  esser  molto  ordi- 
nato';  cosi  congediava  il  Boccaccio  Toperetta  sua.  '£t  se  alcuni 
troverai  che  leggendo  te,  i  suoi  occhi  asciugati  non  tenga;  ma 
dolente  e  pietosa  de'  nostri  mali  con  le  sue  lagrime  moltiplichi 
le  tue  macchie;  quelle  in  te,  siccome  santissime,  con  le  mie 
raccogli  . . .  chiunque  ella  sia,  priego  . . .  che  ella  mai  a  tali 
miserie  non  pervenga,  e  che  sempre  le  siano  gli  Dii  placabili 
e  benigni.'  La  pietosa  elegia,  4a  gracia  con  que  fiometa  quexa 
sus  males'y  piü  che  non  distogliesse  da  ogni  passione  cieca  e 
fiirente,  dava  nuoya  esca  all'amore  e  al  pianto,  pascolo  ai 
sospiri  dell'anima;  porgeva  a' troppo  rigidi  amanti  occasione  di 
riparare  i  falli  commessi,  alle  afflitte  e  deluse  il  conforto  della 
miseria  altrui.  Serviva  anche  un  po',  come  giä  un  tempo  VAr$ 
amandi  di  Ovidio,  e  la  storia  de'  peccaminosi  amori  di  Lancillotto 
e  Ginevra,  come  libro  Galeotto.  Moralizzava  tuttavia  la  Fiam- 
metta nella  novella  del  Flores:  'Y  algun  tanto  me  plaze  de 
hayer  publicado  mis  males  .  pues  por  el  gran  numero  dellos 

'  Yedi  lo  studio,  non  molto  completo  e  approfondito,  di  W.  A.  Neilson, 
Thü  Purgatary  of  oruel  beandies,  nella  Bomanta  XXIX,  85  sgg. 


90  Note  Bul  Boccaccio  in  Ispagna  Dell'Etä  Media. 

sera  causa  que  muchos  tomando  «n  mi  exenmplo  :  seaü  sams 
contra  los  engaiiyos  de  los  hombres'. 

Si  rinnovano  i  gemiti  di  Fiammetta  in  altra  pietosa,  divul- 
gatissima  storia  di  Juan  de  Flores:  Tractado  donde  se  con- 
tiene  el  triste  fin  de  los  amores  de  Grisel  y  Mirabella  (*Porque 
la  tierra  no  se  me  abre';  ^Ay  fortuna  que  mayor  tormento  me 
podias  tu  dar  jamas'  ecc).  I  languori  si  stemperano  tra  prolissi 
ragionamenti,  e  tediose  ed  aride  disquisizioni  teoretiche.  A  sazieta 
ripetevasi  come  ^todo  hombre  que  bien  ama  es  desdichado  y 
todas  venturas  contrarias  le  empecen'.  Gli  afflitti  d'amore  noB 
dovrebbero  sdegnare  il  sacrificio  della  vita,  perocche  *los  que 
verdaderamente  mueren  amando,  el  padescer  dello  por  vida 
llevau  y  por  galardon  . . .  y  por  trabajos  disfavores  y  males  se 
conosce  quanto  basta  la  fuerga  de  su  yirtud'.  Piacque  siffatta* 
mente  il  sentimental  pasticcio,  da  guadagnarsi  i  cuori  di  mol- 
tissimi  lettori  e  lettrici  di  Spagna.  Dal  1497  in  poi  le  stampe 
si  moltiplicarono.  *  I  Francesi  tradussero  prestissimo  la  novella: 
Le  jugement  d'amour  auquel  est  racomptde  Vhistoire  de  Isahd 
ßle  du  rot/  d^Escoce;  gli  Italiani,  all'esordire  del  '500,  piü  non 
riconoscendo  la  lontana  patemita  del  Boccaccio  in  siß'atto  genere 
di  storie  e  lamentevoli  e£fusioni,  s'ebbero  una  yersione  anch'essi, 
battezzata  dall'autor  suo,  Lelio  Manfredi,  gran  rimestatore  di 
roba  spagnuola,  col  titolo  piü  soave  di  Aurelio  e  Isabella,  gu* 
stata  e  ricercata  quanto  la  Carcel  de  amor,  a  cui  il  Ferrarese, 
per  diletto  e  svago  delle  gentildonne  del  tempo,  ayeya  pur  dato 
yeste  italiana;  si  ritradusse  infine  nella  lingua  originale  casti- 
gliana,  e  si  acconciö  sollecitamente  a  tutte  le  lingue.^ 

Crebbe,  declinando  il  secolo,  la  smania  per  i  deliqui  amo- 
rosi  dellc  coppie  sventurate.  Si  moltiplicarono  i  pietosi  ayveni- 
menti,  le  peripezie  dolorose  e  funeste,  le  separazioni  struggenti. 
Piangeyasi,  querelayasi,  inyocayasi  giä  allora  il  chiaror  del- 
l'amica  luna,  col  pateticume  elegiaco  de*romantici  di  piü  tardi 
secoli.  CoUa  Fiammetta,  correya  pur  tradotta  la  Historia  muy 
verdadera  de  los  dos  amantes  Eurialo  franco  y  Lucrecia 
senesa  di  Enea  Silyio;'  ne  fii  penuria  di  sfoghi  d'amore  in  let- 
tere,  e  declamazioni,  e  dichiarazioni,  e  confessioni,  alla  Richardson 
e   alla  Rousseau,   di   cui  un   lontanissimo  esempio   e  giä  nelle 

'  &  comunemente  ricordata  (da  Nicol.  Ant.  Bibl.  Nov.  I,  690,  dal 
Gayangos,  Libros  de  Caball.  nella  BibL  de  Aut,  JEsp,  Vol.  XL,  p.  LXXIY 
dal  Oallardo^  Ens.  ecc.)  col  titolo  apposto  all'edizione  di  Seyilla  1524:  Ixi 
Historia  de  Grisel  y  Mirabella  con  la  disptäa  de  Tbrreüas  y  Braxaida,  la 
quai  compuso  Juan  de  Flores  d  su  amiga. 

*  Un'edizione  castigliana,  col  testo  francese  a  fronte,  data  da  Anverea 
1556.  Si  ristampo  ancora  la  novella  in  yeste  italiana,  con  deganza  in- 
Bolita,  a  Firenze,  nel  1864.  Vedi  P.  Kajna,  Le  fonti  deWOrl  Fur^  Fi- 
renze-^  1900,  p.  156. 

'  Per  qualche  leggera  affinitä  della  noyella  col  Filostrato  yedi  P.  Savj- 
I^opez  in  Roman,  XXVII,  469.    I  Tedeschi  la  conobbero  nella  traduzione 


Note  sul  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etil  Media.  M 

Eroidi  Ovidiaüe»  prowida  fönte  alle  lettere  boccaccesche. 
PioYYero  le  'cartas  de  amores  escritas  de  dos  en  dos',  le  ^cartas 
y  razonamientos',  le  ^cartas  y  coplas  para  requerir  de  aroores', 
i  'processOB  de  cartas  de  amores'.  La  fantasia,  sbalestrata  lungi 
dal  reale,  amoreggiava  col  tetro  e  col  lugubre.  Le  nozze  obbligate; 
i  finali  congiungimenti  ed  accoppiamenti  delle  comedias  famose^ 
sarebbero  sembrate  allora  un  espediente  volgare  e  prosaico,  fuori 
dei  domini  delFarte.  Quando  un  matrimonio  era  minacciato, 
come  a  certo  punto  della  Carcd  de  ainor,  subito  si  creavan 
guai  e  sciagure  funeste,  per  scongiurarlo  e  tenerlo  ben  lungi. 
Fiumi  di  lacrime  si  versavano.  Si  finiva  coUa  tragedia,  non  col 
tripudio.  L'amore  doveva  consumare  fino  allo  strazio,  fino  ad 
invocar  la  morte  ed  a  procacciarselay  coUa  disperazione  in  cuore 
di  un  Werther. 

Cosi,  dalla  prima  diffusione  dell'intimo  roroanzo  di  Fiam- 
metta,  dal  Siervo  libre  de  amor  di  Rodriguez  del  Padröu,  s'eran 
venute  generando  via  via,  sul  suol  di  Spagna,  le  storie  d'amore 
e  di  morte,  di  cui  si  compiacquero  le  fantasie  accese,  nell' ul- 
timo scorcio  del  ^400  e  nel  secolo  appresso.  Pamfilo  e  Fiam- 
metta  traggon  seco  altre  turbe  d'amanti,  che  incedon  per  calli 
di  rovi  e  di  spine,  e  portano,  col  pianto  dell'anima  e  l'infemo 
in  cuore,  la  croce  d'amore:  Ardanlier  e  Liesse,  Grimalte  e  Gra- 
dissa,  Leriano  e  Laureola,  Arnalte  e  Lucenda, '  Peregrino  e 
Ginebra,    Curial   e  Guelfa,    Tirant  e  Carmesina,  ^   Lucindoro  e 

di  Niclas  von  Wyle,  rimaneg^ata  pol,  a  modo  suo,  da  Hans  Sachs.  Fu 
versificata  in  francese  [Eistovre  de  Eurialus  et  Luerece  vraya  amoureua, 
Paris  1498)  da  Octavien  de  Saint  Gelais  'pour  la  charge  expresse  |  d'une 
Dame  qai  ce  me  commenda'  (Goujet,  BibL  franc.  X,  231),  e  messa  in  prosa 
da  un  cappellano  de'duchi  di  Borgogna  (Picot,  Njrop,  Nouv,  reeueil  de  jarces 
p.  LH).  JLa  prima  edizione  castigliana  ^eWEurudo  y  lAiereeia,  Historia  de 
aos  amantes  usci  nel  1496  a  Salamanca,  e  fu  acquistata  da  Fernan  Colon, 
a  Medina  del  Campo,  per  17  'maravedies'  (Gallardo,  Bns,  II,  535);  altre 
ristampe  si  fecero  a  Sevilla  1512;  1524;  1530.  —  La  biblioteca  di  Fernan 
Ck)16n  poBsedeva,  pur  tradotti  dal  Piccolomini:  i  Bemedtos  contra  et  amor 
deshonestOf  il  Trataido  de  la  vida  y  eostumbresy  i  Proverbios,  La  Historia  de  Bo- 
hemia  (tradotta  da  Hernan  Nufiez  de  Toledo.  Gallardo,  Ens,  II,  533).  Altre 
opere  del  PApa  umanista  ebber  veste  spagnuola:  El  compendio  de  los  diehos 
y  heehos  ael  Key  D,  Alonso  de  Napoles  (trad.  da  Anton  Bodriguez  Dävalos), 
M  tratado  de  la  miseria  de  los  eortesanos  (Diego  Lopez  de  Gortegana),  La 
Vision  deleetable  de  la  ewa  de  Fortuna  (Juan  Gömez,  Valencia  1513).  Vedi 
nna  nota  del  Clemencin  nelle  Mem,  d.  la  R.  Acad,  de  la  Eist.  VI,  4SI. 

*  Jj  Historia  de  Arnalte  y  Lucenda,  attribuita  a  Diego  de  San  Pedro 
(ediz.  di  Burgos,  1522)  era  tra  i  libri  di  Fernan  Colon  (Gallardo  II,  547, 
N.  4055).  Era  giä  uscita  un' edizione  anteriore,  nel  1491;  fu  tradotta  in 
francese,  da  Nie.  Herberay  des  Essars;  in  italiano,  da  Bartolomeo  Mar- 
ratti  Fiorentino,  Piedol  TraUato  di  Arnalte  e  di  Lucenda  intitokUo  Uamante 
ntaUrattaio  dalla  sua  amorosa,  Lyon  1555;  su  quest' ultima  h  basata  la 
versione  inglese:  The  pretie  and  unttie  Historie  of  Arnalte  and  Lucenda, 
London  1575. 

*  Della  novella  Ourial  y  Ouelfa  avr5  modo  di  discorrere  ampiameqte 
altrove.    Nel  Tirant  del  Mflxtorell  (compinto  da  Mossen  Johan  de  Galbaj 


92  Note  8u1  Boccaccio  in  Isptgna  ndl'EUl  Mediiu 

Medusina,  Clareo  e  Florisea.^  Un  rimasuglio  di  cotesto  senti- 
mentale sdilinquire  e  ancora  nel  CSerrantes;  e  leggi  nel  romanzo 
immortale,  i  pietosi  casi  e  gli  amori  di  Lucinda  e  Gardenie,  di 
Grisostomo  e  Marcela.  Colla  lunga  storia  de'  triboli  e  delle  am- 
basce  d'amore  di  Persiles  e  Sigismnnda,  il  genial  uomo^chiu- 
deva  il  novellar  suo  e  la  vita. 


Nella  Carcd  de  atnor  che  genero  a  sua  volta  nnovi  amo- 
rosi  deliqui*  ('Qne  dulce  para  sabor  |  Qu6  salsa  para  pecar' 

i  pianti  e  i  gemiti,  sugeeriti  in  parte  da'  pianli  e  ffemiti  di  Fiammetta, 
non  han  fine.  Danno  la  stora  alle  laffrime  ed  ai  oisperati  lamoiti  ona 
oontCBsa  e  on  re  (ediz.  della  BibL  eataL  1,  15;  25;  64):  'O  trista  de  mi 
que  tota  la  mia  speran^a  veig  perdnda:  ving»  la  mort,  puiz  res  nom  pot 
yaler ...  yingaa  la  mort  sobre  mi  que  es  lo  darrerjreme]^  de  tots  loe  nuds 
. . .  O  dolorosee  laffrimes,  qui  la  destmocio  e  miseria  mia  repreeenten  . . . 
O  sino  consistis  ab  gemecüB,  triston  e  sotpirs  e  sanglots  esser  hoydes  . . . 
£  no  fora  millor  yo  fos  morta  ans  que  yeore  tanta  dolor  davant  lo« 
mens  alls'.  Geme  Tirant  (II,  70):  'O  dia  excdlent  qni  daras  lepos  a  la 
mia  fatigada  pcaisa,  amagua  la  tna  lum  pcroo  <]ue  breument  sia  complit 
lo  que  tinch  deUbenit  .  "&  sabia  70  que  azi  navien  a  finir  los  meus  tnsts 
e  adolorits  darrers  dies'.  Stephania  (II,  888):  'Danme  remey,  daume  la 
mort,  e  soterrau  los  meus  membree  bayats  ab  les  lagrimes  mies  en  mig 
del  cami  . . .  lo  sanch  f uig  de  mi,  e  la  natural  calor  desempara  lo  meu 
cor  e  lo  cors  ...  De  res  nom  penit  encara  que  los  cruels  fats  me  perse- 
guixen  . . .  altre  be  en  mi  no  resta  sino  que  ame  los  somnis  e  les  ymagi- 
nacions  que  de  nit  me  aparexen'.  La  reg^na  di  Tunis!  (III,  348):  'atri- 
bulada  de  mi  I  que  desige  ni  puch  desijar  smo  la  mort,  qui  dona  fi  a  tots 
loe  mals,  e  repos  a  les  penes  e  treballs  de  aquest  miserable  de  mon  e  ple 
de  miseries  . . .  Com  yols  perdi  de  yista  fon  aquell  asenyalat  dia  de  dolor: 
com  ja  no  pogues  cndar  ni  planyer,  lamentant  la  mia  fort  desayentura ... 
O  piadosos  hoynts,  contemplau  en  yostres  penses  los  meus  cabells  calats 
en  10  coli  y  en  les  spatles  scampats  . . .  e  axi  tremolaya  lo  meu  cors  com 
fa  la  aresta  del  blat  com  la  toca  lo  yent'.  Plaerdemayida  (IV,  118): 
'O  incomparable  desayentura  que  los  meus  trists  e  miserables  fats  han 
Bubjugat  la  mia  persona  ab  plors,  gemechs  e  dolorosos  pensamentsi  £  ja 
aquell  cruel  e  impiados  Pluto,  deu  de  les  i>eipetual8  e  norribles  tenebres, 
e  Jlegera  e  Proserpina,  ab  les  altres  furies  intemals  no  hagueren  suposat 
la  mia  anima  a  tan  cruels  e  incomportables  penes  e  turments  com  fa  a 
mi  la  desconexent  fortona  . . .  O  mort,  jatsia  la  memoria  tua  aterra  les 
penses  humanes,  prech  te  nom  sies  ara  piadosa:  tu  quest  fi  de  tots  lo« 
mals  de  la  trista  e  miserable  yida,  dona  terme  a  la  mia  incomportable 
dolor  e  intollerable  agonia'.  Sul  cadayere  di  Tirant  l'infelice  Cannesina 
(IV,  361):  *rompe  los  seus  cabells,  les  yestidures  ensemps  ab  lo  cuyro 
dels  pits  y  de  la  cara,  la  triste  sobre  totes  les  altres  adolorida'.  —  Altre 
esclamazioni  sul  poter  infinite  ed  uniyersale  d'amore  sono  tolte  di  peso 
dalla  Fiammetta, 

*  Vedi  VHistoria  de  los  amores  de  Clareo  y  Florisea  di  Alonso  Nnfiec 
de  Reinoso,  Venezia  1552,  fönte  ai  Tre^K^'os  de  Persües  y  Stattmunda  del 
Oeryantes,  come  doyeya  ayvertire  K.  Lareen  nell'articolo;:  drvantes'  Vor- 
stellung vom  Norden,  in  Studien  x.  vergL  Literaturgeseh,  V,  273  sgK« 

'  Sulla  traduzione  catalana  della  Oared  de  amor,  doyuta  a  En  Ber- 
nadi  Vallmanya.  vedi  T.  Banpere  i  Miquel  in  Rev,  de  bibL  eatal.  II,  1902, 
N.  4,  pp.  46  sgg.  Ancor  non  vidi  la  ristampa  dell'edizione  castigliana 
di  Sevilta  1492,  nella  Bibliotheea  Hispaniea,  Vol.  XIV,  Barcelona  1904. 


Note  snl  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media.  93 

diceya  della  Carcd  rautor  suo  Diego  de  San  Pedro,  nel  Desprecio 
de  la  foi  iuna)y  ^  trovi  pure  utilizzata  la  descrizione  boccaccesca 
delle  questioni  d'amore  del  Füocolo,  giä  note,  come  io  ferma- 
mente  ritengo,  a  Rodriguez  del  Padrön,  e  messe  a  profitto  nel 
Triunfo  de  las  donas,  alle  cui  sottili  distinzioni  risalgono  in 
gran  parte  le  dispute  siüla  donna»  e  le  ragioni  della  sua  maggiore 
o  minore  eccellenza,  nella  contesa  fira  Leriano  e  Teseo.  Sieche, 
anche  Famorosa  casistica  che  occupö  i  cervelli  oziosi  de'gentil- 
uomini  e  delle  gentildonne  di  Spagna,  all^usdr  dal  carcere  del 
Medio  £yo,  frutto  delle  medievali  *corti  d'amore',  di  consuetudini 
antiehissime,  non  ancor  bene  inyestigate,  deye  in  parte  la  sua 
voga  al  rinnoyamento  delle  questioni  d'amore»  offerto  nel  Füocolo 
boccaccesco,  che  gia,  in  forma  embrionale,  contiene  il  quadro,  la 
comice  piuttosto,  del  ^Decameron',^  Troyi  un  Füocolo  tra  i  libri 
del  Santillana,  indizio  sicuro  che,  giä  nella  prima  meta  del  '400, 
l'opera,  bench^  non  onorata  di  una  traduzione,  come  presto  lo  fu 
in  Germania,  in  Francia  e  in  Inghilterra,  era  letta  e  discussa  ne' 
crocchi  de'  piü  yalenti  e  dotti  uomini  di  Spagna.  T'imbatti  in 
un  Füocolo,  congiunto  al  nome  di  Blancafior,  nel  registo  degli 
amanti  della  Gloria  de  amor  del  Bocaberti,  e  pare  che  la  mente 
poco  chiara  del  Catalano  confondesse  insieme  la  storia  leggendaria 
poetica,  intimissima,  dei  due  amanti  e  la  romanzesca  narrazione 
del  Boccaccio.  I  casi  ayventurosi  di  Fiorio  e  Biancofiore,  fami- 
gliari  assai  per  tempo,  in  Ispagna,  come  altrove,  narrati  in  un 
Ubretto  popolare,  che  ha  stretti  yincoli  di  parentela  col  cantare 
italiano,  ^  piü  e  piü  yolte  ricordati  nel  yerso  e  nella  prosa, 
a  significare  la  costanza  nell'ayyersa  e  nella  prospera  fortuna,  e 
il  poter  magico  d'amore,  *  yenivan  cosi,   col  volger  del  tempo, 


*  Oaneion.  gener.  cL  GastiUo  I,  461:  Come  Jean  de  Meun,  nel  Testa- 
ment (2^  Str. :  * J'ai  fait  en  ma  jonesce  maint  diz  par  vanit^,  |  Ou  maintes 
gens  se  sontlpluseurs  fois  d^lite;  |  Or  me  doint  Diex  nng  faire  par  yraie 
Charit^  |  Pour  amender  les  autres  qui  peu  m'ont  profit^';,  come  l'autore 
del  Deeameron,  Diego  de  San  Pedro,  pentiva  l'opera  sua,  e  tendeva  al- 
Falto  le  bracda,  implorando  perdono  e  pietä:  'Mas  tu  Sefior  eternal  |  me 
sey  consejo  y  abrigo,  1  con  tu  perdon  general,  |  que  sin  gracia  divinal  |  no 
sabr^  lo  que  me  digo . 

*  Vedi  Bajna  in  Roman,  XXXI,  34. 

»  Vedi  V.  Creacmi  in  Qiom,  d.  fUoL  rom,  IV,  159  sgg.  e  U  I  Vol. 
dell'ottimo  e  compiutissimo  studio:  //  cantare  di  Fiorio  e  Staneifiore  edito 
ed  iUustrato  in  Smta  di  ourioa.  letter,,  Bologna  1889  (Le  fonti  del  romanxo 
spagnuolo  pp.  473—486). 

^  *0s  Randes  dossos  amores  |  Que  mi  e  yos  sempr'  ouvemos  |  Nunca 
Ihi  cima  uusemos  |  Coma-Brancafrol  e  Floree'  {Il  öanxon.  portogh,  della 
Bib.  Vaiieana,  ed.  Monaci,  Halle  a.  8.  1875,  p.  358).  'Ca  nunca  fue  tan 
leal  blanca  flor^a  frores,  |  nin  es  agora  tristan  con  todos  sus  amadores 
(Arch.  de  Hita,  Libro  de  bum  amoTf  ed.  Ducamin.  y.  1703).  L'Imperial 
nel  Decir  eU  naaeimiento  de  el  Bey  Don  Juan  {Oane.  de  Baena  p.  204): 

*Todos  los  amores  qae  oTieron  Arehiles, 
Ptris  i  Troyolos  de  las  ans  senoreSy 


$4  Note  sul  Boccaccio  in  tspagna  nell'Etä  Media. 

ad  assumere  un  colorito  estraneo  alquanto  alla  tradizione  del 
Tolgo,  e  particolare  al  racconto  giovanile  del  Boccaccio.^ 

Le  innocenti  dispute  d'amore,  proposte  e  risolte  uel  FUo- 
eolo,  derivate,  come  ognun  sa,  dai  partimens  di  Provenza  e  di 
Francia,  riprese  e  coltivate  nelle  societa  colte  e  galanti  d'Italia, 
gia  nel  XIII  secolo,^  descritte  poi  nel  Cortegiano,  e  piü  a  lüngo 
ne'  Trattenimenti  famosi  di  Scipione  Bargagli,  entrano  pure  Delle 
conBuetudini  dell'eletta  societa  di  Spagna  nella  seconda  metä 
del  '400.  I  Cancioneroa  accolgono  le  preguntas  e  respueitas, 
i  procesos  e  le  reqüestas,^  le  dialetticne  lambiccature  e  diva- 
gazioni  de'  cervelli  de'  poeti.  Dovevan  risolyersi  p.  es.  gli  inna- 
mofati  neir  alternativa  di  parlare,  senza  speranza  di  vederla 
giammai,  a  ^dania  muy  virtuosa,  |  en  e3d;remidad  fermosa',  per 
la  quale  il  cuor  si  strugge,  oppure  'verla  sin  la  poder  |  en  . . « 
vida  fablar';  di  scegliere,  stretti  dal  dovere,  fra  donna  *fea,  gra- 
ciosa,  indiscreta  en  muy  gran  cstremidad',  e  donna  ^mal  gra- 
ciosa,  indiscreta,  en'ferniosura  perfeta,  |  complida  de  necedad'.^ 
A  sciogliere  la  prima  di  coteste  *questioni',  Ludovico  Scriv4,  che 
visse  a  lungo  in  Italia,  e  gia  trovavasi  nel  1497  a  Roma,  am- 
basciatore  alla  Santa  Sede,  immagina  una  sua  corte  d'amore,  e, 

TrlBton,  Lan^arote,  de  laa  muy  gentile« 
SuB  enamoradas  6  muy  de  valorea; 
£1  6  BU  muger  ayau  mayores 
Que  los  de  Paris  i  los  de  Vyana, 
E  de  Amadis  6  los  de  Oryana, 
E  qae  los  de  Blaneaflor  i  flores*; 

RammeDio,  infine,  la  Codolada  del  Torrella  (MiU  y  Fontanals,  Obras  III, 
365)  che  allude  agii  amori  costanti: 

*De  Ploris  e  de  Blancheflors, 
D'Isolda  la  blonda  e  (de)  Tristauy 
Que  per  amor  s'emeroD  tau ; 
De  Titas  e  de  Ptramus'  ecc. 

Giä  A.  de  Maruelh  ha  an  ricordo  a  Biancofiore  (Mahn,  Werke  d.  7h>ub, 
I,  154):  *e  Bodocesta  ni  Biblis  Blaucaflors  ni  SemiramiB  Tibes  ni  Leyda 
ni  Elena'  ecc. 

*  Vedi  La  hisioria  de  los  dos  enamoradas  Flores  y  Biancaflor  rey  y 
reyna  de  Espana  y  emperadores  de  RomOy  Alcal&  1512,  parecchie  volte 
riß  tarn  pata  (Gayangos,  Libros  de  CabalL  in  Bib.  de  Autor.  Esp.  Vol.  XL, 
p.  LXXIX). 

*  Vedi  R.  Renier  nel  Oiom.  stör,  d.  letter.  ital,  XIII,  882.  —  Ai  jeux- 
partts  noti,  altri  quattro  ne  mette  in  luce  lo  2Schultz-Gora  nella  MiseeUanea 
in  onore  di  A.  Mussafia  (sciaguratamente  denominata  Bausteine),  Halle 
1905,  pp.  90  sgg.  Vedi  ora  lo  studio  di  F.  Fiset,  D<is  altfranxöstsehe  Jeu- 
Parti,  in  Boman.  Forsch,  XIX,  2,  1905. 

-'  Sulle  preguntas  spagnuole  e  portoghesi  promette  uno  studio  H.  R. 
l^ng,  Cancion.  gallcgo-caslelhano  I,  New  York,  London  1902,  p.  213. 

*  Scelgo  sp^itanicnte  gli  esempi  offerti  dall'amico  Men^ndez  y  Pelayo 
nella  suu  Antologia  (Vol.  Vi,  pp.  LXXVIII  sgg.)»  il  quale  pur  ricoraa 
Talternarai  delle  questioni  fra  'Gomez  Manrique,  Francisco  Bocanegra,  Juan 
de  Mazuela,  Die^o  de  Benavides,  FranciBco  de  Mlranda,  Diego  de  Saldafia, 
Pero  Guilleu  de  SSegovia,  Pedro  de  Mendoza,  Guevara,  Alvarez  Gato,  el 
Clavero,  D.  Garci  LOpez  de  Padilla'.   Vedi  anche  F.  Wolf,  Studien,  p.  202. 


Note  sul  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etä  Media.  95 

ispirato  in  parte  al  Filocolo  del  Boccaccio,  riempie  di  sotti-^ 
gUezze  e  lambicchi  un  suo  Veneris  Tribunal,  devotamente 
öflferto  al  duca  d'Urbino.  * 

Che  i  versificatori  del  tempo,  Castigliani,  Catalani  e  Valen- 
ziani,  amoreggiassero  co'distilli  in  rima  de'fratelli  d*oltre  Pire- 
nei,  ed  a'  dibattiti  d'amore  potessero  essere  stimolati  dalle  tro- 
badoriche  tenzoni  e  dai  j6ux  partia,  e  innegabile,  ma  non  e 
follia  ritenere  che,  pur  conservando  Pordine  di  rime  del  tipo 
provenzale,  alquanto  amassero  ripetere  anche  i  distilli  e  i  ca- 
villi,  i  *dubii  de  amore',*  de'  fratelli  d'Italia,  e  qualche  eccita- 
mento  traessero  dalle  questioni  esemplari,  poste  dal  Boccaccio 
nel  Filocolo,^  messe  giä  in  terza  rima,  verso  la  metä  del  '400, 
nel  Libro  di  definizioni  del  Senese  Jacomo  di  Giovanni  di  Ser 
Minonio. 

Alle  questioni  famose,  svolgenti  'materias  sotiles  de  amoi\ 
limitasi,  fatto  significantissimo  invero,  la  traduzione  parziale.e 
frammentaria  del  Filocolo,  tentata,  nei  primi  decenni  del  '500, 
da  un  cänonico,  ♦  Diego  Lopez  de  Ayala,  ^persona  muy  cobdiciosa 

^  L'iBpanista  americano  Huntington  diede,  or  non  ^  molto,  una  nitida 
ristampa  dell'edizione  napoletana  del  15B7  dd  Venerü  Tribunal,  Giä  b'^ 
diecorso  delie  questioni  che  allargano  ed  infaatidiscono  la  Eistoria  de  Örisd 
y  MirabeUa  di  Juan  de  FloreB. 

'  Stampano  A.  Luzio  e  B.  Benier  negli  studi  La  coUura  e  le  reiaxioni 
letterarie  dt  Isabeüa  d'Eate  Oonxaga,  raccolti  dal  Qiom,  stör,,  Torino  1903, 
p.  114  una  curiosa  lettera  di  Giangiacomo  Calandra,  in  cui  ^  detto  di  una 
awentura  d'amore  risolver  ^quasi  un  dubio  de  amore  che  Bi  suole  pro- 
ponere,  quäle  ami  piü  fervidamente,  o  quello  de  dui  gioveni,  che  non  ha 
mal  ancora  accolto  li  frutti  del  suo  amore,  o  quello  che  ha  goduto  de  la 
persona  amäta'. 

'  II  prof.  GiuBeppe'Zonta,  per  conBiglio  del  maestro  suo  Crescini, 
attende  ad  uno  studio  suUe  Questioni  d*amore>  Or,  siccome  a  me  pure 
fn  moBsa  domanda  sulla  voga  che  tali  dibattiti  ebbero  in  Ispa^a,  dir5 
qui,  per  incidenza,  sembrarmi  inopportune  affatto  ricercare  rorigine  de' 
partimens  provenzali  e  francesi,  e  delle  cosl  denominate  corti  d' amore 
nelle  consuetudini  arabe,  passate  a  traverso  la  Spa^na,  consuetudini  che  a 
noi,  per  investigar  che  si  faccia,  rimarranno  occulte,  in  ogni  tempo.  Di 
nessun  impulso  furono,  a  parer  mio,  le  questfoni  d'amore  dibattutesi  in 
Ispagna,  in  questo  o  in  quest'altro  secolo,  sulle  ouestioni  rigogliosamente 
üorenti  in  Italia  nel  primo  '500,  quando  appunto  le  genti  ispane  mag;^ior- 
mente  ammiravano  in  terra  italiana  i  diporti,  i  trattenimenti,  i  giuocni  di 
societä,  la  coltura,  il  lusso  e  lo  splendore  delle  corti,  le  galanterie  e  vir- 
tuodtä,  i  sottili,  meUiflui  e  lambiccati  discorsi  de' cortigiani.  La  Francia 
stessa  fa  buon  yiso,  in  pieno  '500,  alle  questioni  d'amore,  poste  e  risolte 
nel  Filocolo,  Quell' originale  di  Brant^me,  che  libaya  da  ogni  calice  Fern- 
dizione  sua,  e  rivdayasi,  in  ogni  tempo,  amantisaimo  delle  invenzioni  spa- 
gnuole,  offre  ancora  nelle  Vies  des  Dames  galantes  (ed.  di  Amsterdam  1690, 
pp.  4  sge.)  un  lungo  dibattito  sulP  efficacia  d'amore  nelle  donzelle  inesperte 
e  nelle  donne  vedove,  e  traduce  e  commenta  la  nona  questione  del  'PhHo- 
eoppe*  del  *venerable  et  docte  Bocace*. 

*  Singolare  quesfinsistenza  delle  pietose  genti  di  chiesa  nell'occuparsi 
del  Boccaccio,  e  nel  tradurre  comecnessia  le  opere  sue.  Ad  un  curato 
(Heinrich  Leubing?)  attribuisce  il  Drescher  la  versione  tedesca  del  De- 
eameron,  che  va  sotto  il  nome  di  Ärigo  (C.  Drescher,  Ärigo,  der  Ueber- 


i 


96  Note  iul  Boccaccio  in  Ispagna  nell'Etft  Media. 

de  servir  . .  ä  un  su  amigo',  che  dalla  lingaa  originale  toscana, 
Yolge  in  lingua  di  Gastiglia  le  Treze  que$tiones  muy  graeiosas 
dd  PhäociUo,  e  lascia  poi  occulta  e  sepolta  l'opera  sua.  La 
toglie  una  prima  volta  dall'oblio  an  ignoto»  e  la  divulga  '&  hur- 
tadas'  in  una  stampa  ormai  irreperibile^  credo  del  1641,  col 
titolo  Laberinto  de  amor  que  hizo  en  toseano  d  famoso  Juan 
Boceacto.^  Toma  a  ripescarla,  poco  dopo,  iin  ex-capitano,  che 
fini  eremita,  Diego  de  Salazar,  amico  e  ammiratore  entusiasta 
del  traduttore,  allettato  dal  meraviglioso  stile  boccaccesco  ('en- 
comenzaronseme  a  encender  las  orejas  de  calor  con  la  dulzora 
de  SU  estilo').  Vaggiunge  costui  di  suo,  in  strofe  di  undici  ottonari, 
i  sommari  delle  singole  questioni,  ed  altrettanti  sommari  delle 
soluzioni,  o  ^respuestas'  (di  dieci  ottonari  quest'ultimi).^  L'Ulloa 
poneya  poi  l'opera  'del  famoso  poeta  j  orador  Juan  Boccaccio'» 
tradotta  e  giä  divulgata  per  le  stampe,  in  calce,  quäl  coroUario, 
alla  divulgatissima  Ouegtion  de  amor. 

seUer  dea  Deeamerone  und  des  Fiore  di  FtrA^  in  QueUen  und  Fbrseh.  s. 
Sprache  und  Euliurgeeeh,,  Stralsbarg  1900);  finta  inyece  un  frate  nel  tra- 
duttore,  11  dotto  recensente,  G.  Bae^ke,  neH*  Anzeiger  f.  deutseh,  AUerth, 
XXXIV,  255. 

*  Vidi  6  Icflsi,  anni  or  sono,  qnesta  tradudone  Laberinto  de  amor  . . . 
apora  nuevamente  traduxtdo  en  nuestra  Ungua  eastellana  (Laberinto  en 
titolo  in  Yoga,  dopo  le  Treeientas  di  Juan  deMena,  anche  fnori  di  Spagna. 
Labyrinthe  de  Fortune  intitola  un'operetta  sua  Jean  Bouchet).  I  miei  ap- 
punti  ml  rimandano  ad  un'edizione  del  Laberinto  di  Sevilla  1541  (?),  ma  non 
ao  ora  piü  bene  donde  11  abbia  cavati.  II  Gallardo,  Ensayo  I,  890,  non 
rep;istra  che  Pedizione  di  Sevilla  1546,  contemporanea  alle  Trexs  QueMmes, 
e  in  cui  h  riassunto  brevemente  11  contenuto  novellesco  dd  FHoeoio, 

^  Treoe  questiones  muy  graeiosas  saeadas  del  Philoeulo  dd  famoso  Juan 
Boeaeio,  traaueidas  de  kngua  toscana  en  nuestra  romanee  eastellano  eon  mueha 
eteganoia  y  primor,  Sevilla  1546.  Quando  veramente  uscisse  la  prima  edi- 
done  di  qneet'  opuscolo,  che,  per  qualche  tempo,  giaceva  dimenticato,  come 
si  rileva  dairavvertimento  del  Garay,  non  so  dire.  II  GaUardo,  Ens,  II, 
K.  27*24,  r^stra  Tedizione  di  Toledo  1546;  il  P^rez  Pastor,  La  Lnprenta 
en  Toledo,  Madrid  1887,  p.  98,  quella  successiva  del  1549  (un'altra  ne  ap- 
jMirve  nel  1553^.  Vedi  sulla  versione,  P.  Bajna,  L'episodio  ddle  Questioni 
aofmore  nel  Filoeolo  del  Boccaccio  in  Roman,  XXXI,  28  8gfi^,  dove  pure 
h  un  cenno  alle  Treixe  elegantes  demandes  damours,  e  alle  Thirteen  most 
pleasant  and  deleetable  Questions  entiiuled  Ä  disport,  non  indipendenti, 
forse,  dalla  versione  castigliana.  'Sembra  ben  verosimile',  scrive  u  Bajna, 
p.  31,  'che  Pimpresa  minore  delle  'Treze  Questiones'  preoedesse  e  servisse 
come  di  eccitamento  aUa  maegiore  dell'Arcadia'.  Non  ha  nulla  a  che 
fare  colle  Questiones  de  amor  ooccaccesche,  11  eoloquio  pastorÜ:  Diseordia 
y  question  de  amor  di  Lope  de  Bueda,  riprodotto  dall'Uhagon  in  Bee, 
a.  Areh.y  Bibl.  y  Mus,,  1902,  pp.  340  sgg.  (trae  una  comedia  de  amores 
llamada  question  de  amor  \  entre  amor  y  unos  pastores). 

Gmunden.  Arturo  Farinelli. 

(Schlaf  folgt.) 


Kleinere  Mitteilnngen. 


Kleinigkeiten  zur  englischen  Wortforschung. 

1.  Mittelengl.  b%ke  'BienenneBt*. 

Me.  bike  ^est  für  wilde  Bienen  etc.;  Bienenschwarm'  führt 
Bjdrkman,  Sccmdincman  Locmivords,  6.  202  ffl,  unter  den  Wörtern 
auf,  *the  Seandinavian  ariffin  of  whieh  is  tolerably  certainJ  Die 
Quelle  des  Wortes  ist  nach  ihm  ein  nur  in  neuschwed.  hyke  'Haufe 
gemeinen  Volks,  Gesindel'  bewahrtes  skand.  Wort,  das  ursprünglich 
'Bienenschwarm'  bedeutet  haben  und  eine  Ableitung  von  aschw.  hy 
'Biene'  sein  soll.  Diese  Erklärung  ist  zwar  auf  den  ersten  Blid^ 
recht  ansprechend,  um  so  mehr  als  auch  dem  engl  hike  die  Bedeutung 
Kjresindel'  zukommt  Sie  hat  auch  von  verschiedenen  Seiten  Zustim- 
mung gefunden,  vgl.  Binz,  Z.  f,  d.  Ph,  36,  S.  508,  Flom,  Journal  of 
Engl,  and  Germ.  Phil.  V,  S.  428.  Gewichtige  Gründe  sprechen  je- 
doch gegen  Björkmans  Erklärung,  und  meines  Erachtens  kann  sie 
nicht  richtig  sein. 

Erstens  ist  das  schwed.  byke  sehr  spät  belegt,  meines  Wissens 
erst  nach  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  (Ihre,  DiaUct-Lexicon,  1766). 
Es  scheint  in  den  schwed.  Mundarten  nicht  gerade  viel  verbreitet  zu 
sein,  wenigstens  nach  Rietz'  Wörterbuch  zu  urteilen,  und  dem  älte- 
ren Nordisch  wie  den  übrigen  skand.  Mundarten  ist  es  gänzlich 
fremd.  Das  beweist  gewifs  nicht,  dais  das  Wort  jungen  Ursprungs 
ist,  aber  es  erregt  doch  schon  Bedenken. 

Zweitens  ist  es  mir  sehr  zweifelhaft,  ob  wir  überhaupt  berech- 
tigt sind,  ein  mittels  eines  -k-  (oder  besser  -A^)Suffize8  von  aschw. 
hy  abgeleitetes  aschw.  (adän.)  "^hyke  'Bienenschwarm'  anzusetzen. 
Björkman  teilt  keine  Fälle  ähnlidier  Bildung  mit;  er  spricht  nur 
ganz  allgemein  von  einem  A^Suffix,  das  kollektive  Bedeutung  gebe 
oder  etwas  dem  Stammworte  Zugehöriges  bezeichne.  Soviel  ich  weüs, 
gibt  es  keine  analogen  Fälle.  Die  von  Kluge,  Nom.  Stammbildtmgs' 
lehre,  §  68,  und  Wilmanns  Deutsehe  OrammaHk  11,  §  284,  aufge- 
führten westgerm.  Wörter  (ahd.  fedarah  u.  dgl.)  und  die  vereinzelten 
nordischen  Bildungen  (wie  altn.  smalke,  smeüce  m.,  neuschwed.  amolk 
u.  dgl.),  die  man  bei  Hellquist,  Den  nord.  Nominalbüdungen,  §  4, 
findet,  enthalten  vielleicht  teilweise  ein  kollektives  /c- Suffix,  aber 
keine  von  diesen  Bildungen  zeigt  dazu  noch  ein  io-Suffix.  Unter 
solchen  Umständen  ist  Björkmans  Hjrpothese  doch  mindestens  sehr 

AxchiT  f.  n.  sprühen.    CXVI.  7 


98  Kleinere  Mitteilungen. 

kühn.    Meines  Erachtena  kann  neuschw.  byke  unmöglich  mit  aschw. 
by  in  Verbindung  gesetzt  werden. 

Mir  ist  es  demnach  nicht  zweifelhaft»  daCs  engl,  bike  und  neu- 
schwed.  byke  ganz  auseinander  zu  halten  und  voneinander  unab- 
hängig zu  erklären  sind.  Von  dem  schwed.  Worte  hat  Tamm  eine 
durchaus  befriedigende  Erklärung  gegeben,  die  das  späte  Auftreten 
des  Wortes  berücksichtigt  Das  einzige,  was  gegen  sie  einzuwenden 
wäre,  ist  der  Umstand,  dals  sie  Zusammenhang  mit  engL  bike  aus- 
schliefst 

Auf  den  rechten  Weg  zur  Erklärung  des  engL  bike  hat  meines 
Erachtens  schon  Jamieson  gewiesen,  wenn  er  auf  mndl.  bieboek,  bie- 
buyck  'apiarium'  verweist  Im  MndL  findet  sich  auch  das  Simplex 
buuc  in  der  Bedeutung  'Bienenkorb'.  Ich  glaube,  bike  ist  eine  Ab- 
leitung von  altengl.  büo  'Bauch,  Eimer*.  Es  entspricht  einer  altengl. 
Form  mit  i-Umlaut»  z.  B.  *b^ee,  n.  oder  *byc,  f.  In  den  nordlichen 
Mundarten,  wo  das  Wort  allein  vorkommt»  konnte  eine  derartige  Form 
me.  bike  ergeben. 

Näher  die  Greschichte  des  Wortes  festzustellen,  dürfte  wegen  des 
Mangels  an  altengl.  Belegen  kaum  möglich  sein.  Man  kommt  nicht 
über  Möglichkeiten  hinaus,  und  der  Möglichkeiten  gibt  es  ja  viele. 
Die  folgende  Entwickelungsgeschichte  scheint  mir  eine  gewisse  Wahr- 
scheinlichkeit zu  haben. 

Als  altengl.  Grundform  kann  man  ein  neutrales  *byce^  etwa 
mit  der  Grundbedeutung  'bauchiger  (runder)  Gegenstand'  ansetzen. 
Aus  dieser  entwickelt  sich  die  Bedeutung  'Bienennesf ;  vgL  schwed. 
(mundartl.  und  veraltet)  biüa  'Nest  für  kleine  Tiere',  gietingebiUa 
'Homisnesf,  die  sich  zu  aschwed.  eterbiüa  'Eitergeschwür',  mndl. 
mndd.  biüe  'Arschbelle'  stellen  (s.  Tamm,  Nordiska  Studier,  S.  32  f.). 
Die  weitere  Bedeutungsgeschichte  wäre  ja  ganz  durchsichtig.  Be- 
treffs der  Wortbildung  kann  auf  Fälle  wie  neuschw.  (mundartl.)  ?iyve 
'Lug*  zu  huf  'gewölbter  Raum',  altengl  byre  'Kuhstall'  zu  bür  'Kam- 
mer' u.  dgl.  verwiesen  werden. 

Noch  eine  andere  Möglichkeit  will  ich  hier  erwähnen.  Im  vor- 
angehenden bin  ich  stillschweigend  davon  ausgegangen,  dals  die 
Bedeutung  des  mengl.  bike  'Nest  für  wilde  Bienen'  war.  Nun  kommt 
im  neuengl.  bike  auch  in  der  Bedeutung  'a  buHding  for  ihe  stanng 
of  grain\  nach  dem  Beispiele  zu  urteilen  'ein  bienenkorbformiger 
Stack',  vor;  vgl.  N.  E.  D,,  E.  D,  D.  Das  scheint  auf  ein  bike  'Bie- 
nenkorb' zu  deuten,  und  diese  Bedeutung  ist  in  den  beiden  mittel- 
engl.  Belegen  sehr  gut  möglich.  Ist  'Bienenkorb'  die  ältere  Bedeutung 
von  engl,  bike,  so  könnte  sich  das  Wort  zu  mndl.  b^i^^e  verhalten  un- 
gefähr wie  altengl.  hyf  'Bienenkorb'  zu  ndL  huif,  was  wohl  auf  alt- 

*  Zwischen  dieBem  *byce  und  norweg.  byk^e  n.,  das  neben  buk  in  der 
Bedeutung  'Krebsschale'  vorkommt,  braucht  kein  unmittelbarer  Zusammen- 
hang vorzuliegen. 


Kldnere  Mitteiltmgeii.  99 

engl.  *bye  f.  (<  ^hükiö-)  führen  würde.  Denn  h^f  ist  wohl  eher  wie 
id-  als  wie  i-Stamm  aufzufassen.  Zwar  scheint  der  Plural  hyfi  in 
Corp.  gl.  auf  i-Stamm  zu  deuten,  aber  in  diesem  Text  wird  kaum 
streng  zwischen  -t  und  -e  in  Endsilben  geschieden. 

Bleibt  somit  in  der  Geschichte  unseres  Wortes  vieles  dunkel^  so 
glaube  ich  jedoch  gezeigt  zu  haben,  dafs  es  mit  neuschwed.  hyke 
nicht  zusammengestellt  werden  kann,  sondern  vielmehr  zu  altengl. 
huß  zu  führen  ist 

Ist  meine  Erklärung  richtig,  so  könnte  doch  schliefslich  engl. 
bike  mit  schwed.  hyke  verwandt  sein.  Denn  das  Verbum  hyka  <bau- 
chen',  von  dem  hyke  eine  Ableitung  ist»  stellt  sich  vielleicht  zu  dem- 
selben germ.  *büka-,  von  dem  engl,  bike  abgeleitet  ist 

2.  EngL  litmue  'Lackmus\ 

Dies  Wort  wird  wohl  allgemein  für  ein  ndL  Lehnwort  gehalten 
und  zwar  für  eine  Entstellung  von  ndl.  lakmoes.  Vgl.  z.  B.  die  ety- 
mologischen Wörterbücher  von  Müller  und  Skeat,  das  Cmtury  Die- 
tionary,  das  New  Englieh  Dictionary  (wo  jedoch  als  nächste  Quelle 
mndl.  leeemoe,  lycmoee  angegeben  wird).  Nur  Fr.  Koch,  Jahrbuch 
für  Eoman.  und  Engl  Literatur  VIII,  8.  328,  hat  meines  Wissens 
diese  Erklärung  abgewiesen  und  lit-  von  altn.  lita  oder  litr  hergeleitet 
Über  das  letzte  Glied  des  Wortes  spricht  sich  Koch  nicht  aus. 

Die  landläufige  Etymologie  ist  sicher  unrichtig ;  litmtte  ist  skandi- 
navisches Lehnwort,  und  die  Quelle  ist  altn.  litmoee  'Flechten,  aus 
denen  ein  gewisser  Farbenstoff  bereitet  wurde,  z.  B.  leeanora  tartarea'. 

Als  erster  Beleg  wird  in  dem  N.  E,  D.  einer  von  1502  gegeben. 
Tatsächlich  findet  sich  jedoch  das  Wort  im  Englischen  viel  früher. 
Alexander  Bugge,  Studier  over  de  norske  byers  selvetyre  og  Handel  ftr 
HansecUemes  tid,  Kristiania  1899,  teilt  8.  200  ff.  einen  Auszug  aus 
den  Custom  Rolls  der  8tadt  Lynn  für  die  Jahre  1808—1807  mit 
Hier  wird  unter  den  aus  Norwegen  importierten  Waren  mehrmalB 
litmoee  genannt  Dafs  dies  das  altn.  Htmose  ist^  kann  ja  nicht  be- 
zweifelt werden  und  wird  auch  von  Bugge  angenommen.  Aber  es 
ist  ja  ebenso  augenscheinlich,  dais  wir  hier  die  Quelle  des  engl,  l/itmus 
haben.  Noch  im  18.  Jahrhundert  kommen  von  diesem  die  Formen 
litmoee,  litmoe  vor.  EngL  litmue  ist  eins  von  den  skandinavischen 
Wörtern,  die  durch  den  Handelsverkehr  ins  Englische  gedrungen  sind. 

Der  Wechsel  von  u  und  o  in  der  letzten  8ilbe  erklärt  sich  ein- 
fach daraus,  dafs  infolge  der  schwachen  Betonung  o  zu  9  überge- 
gangen war,  und  diesen  Vokal  konnte  man  ja  ebensogut  mit  u  als 
mit  o  bezeichnen ;  vgL  etirrup  aus  me.  etirop.  Auch  die  Form  Utmae 
kommt  vor.  Wenn  die  Form  litmue  durchgedrungen  ist^  so  kann 
das  teilweise  Einfluls  von  deutsch,  lackmue  oder  ndl.  lakmoee  (gespr. 
-müs)  zugeschrieben  werden.  Solcher  EinfluTs  erklärt  sich  gut  dar- 
aus, dafs  es  namentlich  Holland  ist»  wo  der  Farbenstoff  hergestellt 
wird. 


100  Eleiiiere  Mitteüimgen. 

S.  MittelengL  meth  'met'. 

Neben  gewöhnlichem  mede  (<  ae.  medu)  kommt  im  Mitteleng- 
lischen nicht  selten  eine  Form  mefejth  {fnepe)  vor,  die  z.  B.  bei  Chaucer 
C.  T.  Ä.  8261  durch  den  Beim  als  wirklich  gesprochene  Form  ge- 
sichert wird.  Aus  ae.  medu  kann  sich  dies  meeth  kaum,  wie  Di- 
belius,  Anglia  XXIH,  8.  450,  zu  glauben  scheint^  entwickelt  haben. 
Vielmehr  ist  es  eine  dem  skand.  (aisL  miopr)  entlehnte  Form  und 
Björkman,  Loantvorda,  8.  164,  nadizutragen. 

4.  Engl,  squint  'scheelen'. 

Die  Etymologie  dieses  Wortes  ist  noch  nicht  gefunden  worden. 
Murray  {K  E,  D.  s.  v.  asquint)  vergleicht  zögernd  (siehe  auch  Trans, 
PhiL  Soe.  1882—1884,  8.  510  f.)  squint  in  asquint  mit  ndL  schuinie 
'8chiefheit^  Schräge'; '  aber  dieser  Gleichung  stehen  lautliche  Schwie- 
rigkeiten im  Wege.  Das  ui  in  ndl.  schuin,  sehuinte  dürfte  auf  älteres 
ü  zurückgehen ;  entlehntes  schuin  dürfte  im  me.  askoyne  vorliegen. 
Skeat,  Conoise  Et.  Didion,,  bezeichnet  die  Herkunft  von  squini  als 
dunkel. 

Das  anlautende  squ-  deutet  auf  Entlehnung.  Ich  glaube,  squirU 
ist  skandinavischer  Herkunft 

Zum  Ausgangspunkt  für  meinen  Erklärungsversuch  wähle  ich 
neuengL  sqmnt  *to  squirf  (auch  subst  mit  der  Bedeutung  *a  squirf), 
das  im  E.  D.  D,  als  Dialektwort  aus  Nottinghamshire  mitgeteilt  wird. 
Diesem  entspricht  an  Form  und  Bedeutung  durchaus  ein  vielver- 
breitetes skand.  Wort,  z.  B.  norweg.  (mundard.)  skvetta  st  v.  'spritzen' 
(intr.),  das  wahrscheinlich  auf  älteres  *skwinta  zurückgeht»  vgl.  Noreen, 
Aisl.  Oramfn,\  §  106,  1.  In  den  älteren  skand.  Sprachen  ist  das 
Wort  nicht  belegt  Aisl.  skuetta  'verschüttet  werden',  das  von  Noreen 
a.  a.  O.  aufgeführt  wird,  findet  sich  bei  Fritzner  nicht  und  dürfte 
Vigfussons  Wörterbuch  entstammen,  wo  skvetta  als  neuisl.  Wort  ge- 
geben wird.  Dennoch  kann  es  kaum  zweifelhaft  sein,  dals  das  Wort 
alt  und  echt  nordisch  ist,  da  es  in  mehreren  lebenden  Sprachen  vor- 
kommt 

Ich  glaube  nicht,  dafs  die  auffällige  Übereinstimmung  des  engl. 
squint  mit  skand.  shfetta  auf  Zufall  beruht  Vielmehr  ist  neuengl. 
squint  'to  squirf  ein  skand.  Lehnwort»  das  in  älteren  Denkmälern 
zufällig  nicht  belegt  ist 

Es  fragt  sich  nun,  ob  auch  engl,  squint  'scheelen'  mit  squint 
'spritzen'  und  skand.  *skwinta  in  Verbindung  gesetzt  werden  kann. 
Ich  glaube,  das  ist  möglich,  zwar  nicht  unmittelbar,  da  das  Verbum 
squint  eine  späte  Rückbildung  von  asquint  zu  sein  scheint  (vgl.  K 
E.  D.  s.  V.  asquint),  aber  wohl  mittelbar  durch  dies  letztere  Wort^ 
das  schon  um  1230  belegt  ist 

Ein  starkes  Verb  *skwinta  oder  Ableitungen  davon  kommen  in 
mehreren  skand.  Sprachen  und  Mundarten  vor,  und  zwar  in  mehre- 
ren Bedeutungen.     Norweg.  skvetta  st  v.  ist  intrans.  und  bedeutet 


Elmnere  Mitteilungen.  101 

u.  a.  'spritzen,  sprudeln ;  auffliegen,  auffahren,  plötzlich  die  Flucht  er- 
greifen (von  Tieren  gesagt);  vor  Schrecken  zittern;  auffahren,  zu- 
sammenfahren' (Aasen,  Norsk  Ordbog).  Das  entsprechende  schwache 
skvetta  ist  transitiv;  es  bedeutet  'ausschütten,  spritzen'  u.  dgL  Neu- 
isl.  skvetta  wird  nur  intransitiv  in  der  Bedeutung  'spritzen'  gebraucht 
In  schwed.  Mundarten  finden  sich  das  nur  intransitive  skvitta  und 
skwätta,  das  sowohl  intransitiv  wie  transitiv,  stark  wie  schwach  ge- 
braucht wird.  Augenscheinlich  sind  hier  das  starke  intransitive  und 
das  schwache  transitive  skwäita  zusammengeworfen  worden.  Die 
Bedeutungen  von  skwätta  sind  u.  a.  'spritzen,  tropfen;  regnen;  vor 
Schrecken  zusammenfahren  oder  auffahren,  schnell  zur  Seite  weichen' 
(vergl.  Rietz*  Dialekt-  Wörterbuch),  Dan.  skvait  (skvatte)  bedeutet 
'spritzen;  verschütten  (z.  B.  Geld);  ohnmächtig  werden'.  Die  ältesten 
Belege  der  Wortgruppe  finde  ich  im  Dänischen,  wo  skvatte  um  1 622, 
skvaim0lle  'kleine  Mühle'  um  1648  bezeugt  sind;  vgl.  Kaikar,  Ordbog 
til  det  (sldre  danske  Sprog. 

Die  Bedeutung  'spritzen'  kommt  dem  Worte  in  allen  Sprachen, 
wo  es  überhaupt  belegt  ist,  zu  und  ist  ja  die  einzige  des  neuisländ. 
skvetta.  Demnach  kann  es  nicht  zweifelhaft  sein,  dafs  diese  Bedeu- 
tung ein  hohes  Alter  beanspruchen  kann.  Bedeutungen  wie  'auf- 
fliegen, vor  Schrecken  auffahren,  zusammenfahren,  zur  Seite  weichen', 
die  in  schwed.  und  norweg.  Mundarten  vorkommen,  dürften  auf  eine 
gemeinsame  Bedeutung,  wie  etwa  'eine  plötzliche  Bewegung  machen', 
zurückgehen,  und  der  dän.  Bedeutung  'ohnmächtig  werden',  die  sich 
mit  der  von  'zusammenfahren'  nahe  berührt^  liegt  wohl  dieselbe  Be- 
deutung zugrunde.  Die  Bedeutung  'eine  plötzliche  Bewegung  machen' 
läist  sich  also,  wie  es  scheint,  in  drei  verschiedenen  Sprachen  nach- 
weisen und  dürfte  demnach  alt  sein,  wenigstens  alt  genug,  um  für 
die  Erklärung  des  engl,  asquint  in  Anspruch  genommen  zu  werden. 
Ich  glaube  aber,  wir  können  noch  einen  Schritt  weiter  machen  und 
diese  Bedeutung  für  iu*sprünglicher  als  die  von  'spritzen'  halten. 

An  sich  scheint  es  mir  wahrscheinlicher  zu  sein,  dafs  die  all- 
gemeinere Bedeutung  die  ältere  ist  Weiter  legt  ein  anderes  skand. 
Wort  von  ähnlicher  Bedeutung,  dessen  Geschichte  wir  verfolgen  kön- 
nen, diese  Auffassung  nahe.  Aisl.  st^kkva  st  v.  ist  intransitiv  und 
bedeutet  u.  a.  'durch  eine  plötzliche  Bewegung  aus  der  Lage  kommen 
(Fritzner  gibt  es  auch  mit  skvatte  wieder) ;  prallen ;  fliehen ;  spritzen' 
(auch  hier  übersetzt  Fritzner  mit  skv€Btie).  Das  trans.  st^kkva  schw. 
V.  bedeutet  'vertreiben;  spritzen'.  Dieselben  Bedeutungen  wie  das 
starke  sUkkva  hat  das  entsprechende  aschw.  stiunka  (stionka)  st  v. ; 
das  schwache  stc&nkia  bedeutet  'ausschütten ;  spritzen'  u.  dgl.  In  der 
neuschwed.  Schriftsprache  ist  nur  das  letztere  bewahrt;  siänka  be- 
deutet nur  'spritzen',  transitiv  und  intransitiv.  In  dieser  Wortgruppe 
hat  sich  die  Bedeutung  'spritzen'  sicher  aus  der  Bedeutung  'durch 
eine  plötzliche  Bewegung  aus  der  Lage  kommen'  oder  dgl.  entwickelt 
—  Noreen  stellt  skuetia  zu  griech.  ömvötiv.    Ob  diese  Zusammen- 


^02  IQemere  MitteiluDgen. 

BteUung  sich  mit  der  von  mir  angenommenen  älteren  Bedeutung  des 
Wortes  vereinigen  läfst^  kann  ich  nicht  entscheiden.  Wenn  nidit, 
möchte  ich  lieber  Zusammenhang  mit  dem  griech.  Worte  als  die  von 
mir  aufgestellte  ursprünglichere  Bedeutung  aufgeben.  —  Die  Be- 
deutungen der  beiden  Verba  aisl.  aUkkva,  aschw.  stiunka  und  norweg. 
skvetta  etc.  zeigen  so  viele  Berührungspunkte,  dals  man  fast  versucht 
sein  könnte,  zwischen  ihnen  einen  näheren  Zusammenhang  anzu- 
nehmen und  zwar  derart,  dafs  ^akunnta  (>  skvetta)  aus  ^stinkipa 
(>  8i0khva)  durch  eine  Art  Metathese  entstanden  wäre;  vgl.  Kluge, 
Orundrß  I,  S.  884.  ^  Doch  darauf  lege  ich  keinerlei  Gewicht  Übri- 
gens ist  die  Etymologie  des  skand.  *  akunnta  für  unseren  Zweck  von 
sekundärer  Bedeutung.    Kehren  wir  zum  engl,  aaquint  zurück. 

Wie  Murray  bemerkt,  in  Trans.  Phil,  Soc.  1882  - 1884,  S.  512  f., 
dürfte  die  Grundbedeutung  dieses  Wortes  etwa  'off  ai  an  angle'  sein. 
Es  ist  eine  Bildung  ganz  derselben  Art  wie  engl,  aalant  'schief  oder 
aairay  'irre',  d.  h.  wie  sich  aalant  (me.  auch  aaleni)  zu  dem  Verbum 
*alanien,  alenten  'gleiten'  u.  dgL,  aairay  zu  me.  atraien  'irre  gehen' 
stellt,  setzt  me.  aagumt  ein  unbelegtes  me.  Verbum  *aquinten  voraus. 
Und  wie  aalant  durch  'alarUingly,  in  a  alanting  manner  {direcOon)', 
aairay  durch  Hn  a  atraying  manneir^  wiedergegeben  werden  kann,  so 
wäre  aaquint  mit  'in  a  ''aqumting"  mannw^  wiederzugeben.  Die 
Bildungsweise  der  Wörter  ist  freilich  nicht  klar.  Man  erwartet  in 
aalant,  aairay  Zusammensetzungen  von  Präp.  on  (a)  und  Subst  oder 
möglicherweise  Adv.  *alant,  *airaiy;  solche  sind  im  Mittelenglischen 
nicht  belegt 

In  dem  vorauszusetzenden  me.  Verbum  *aquinten  erblicke  ich 
eine  Entlehnung  von  skand.  *akunnta,  und  diesem  Verbum  kam  also 
die  Grundbedeutung  'eine  plötzliche  Bewegung  machen'  zu.  Daraus 
entwickelten  sich  leicht  Bedeutungen  wie  'eine  Bewegung  seitwärts 
machen'  (vgl.  schwed.  akwätta  'zur  Seite  weichen'),  'eine  abweichende 
Richtung  nehmen',  'prallen'  (vgL  die  Bedeutungen  von  skand.  aU/^kkva^ 
atifmka),  to  go  off  at  an  angle'  u.  dgl.  Zu  me.  *aquinien  in  einer 
derartigen  Bedeutung  stellt  sich,  wie  ich  glaube,  diu  Adv.  aaquini. 

Die  Einzelheiten  der  Geschichte  des  Wortes  können  natürlich 
nicht  mit  Sicherheit  festgestellt  werden.  An  meiner  Erklärung  mag 
vieles  zu  ändern  sein ;  im  wesentlichen  glaube  ich  aber  das  Richtige 
getroffen  zu  haben. 

Etwas  auf&llig  mag  vielleicht  erscheinen,  dafs  me.  aaquint  zu- 
erst in  einem  südlichen  Denkmal  (Ancren  Riwle)  belegt  ist  Das 
spricht  jedoch  nicht  gegen  nordische  Herkunft,  da  dies  Denkmal 
mehrere  skand.  Wörter  enthält 


'  rKorrektumote :  Dieser  Gedanke  ist  wohl  aufzugeben.  Falk-Torp, 
Etymologisk  Ordbog,  s.  y.  shreäef  stellen  dies  Wort  zu  ai.  akdndaü  'schnelle, 
springe,  spritze',  air.  scendim  dass.;  nach  dieser  Etymologie  wären  beide 
Hauptbedeutungen  von  *8kufinta  matt] 


Kleinere  Mitteilungen.  108 

Somit  wäre  für  die  alten  skand.  Sprachen  ein  starkes  Verbum 
*8kwmia  mit  den  Bedeutungen  'eine  plötzliche  Bewegung  machen' 
XL  dgl.  und  'spritzen'  aufzustellen.  Das  Englische  nahm  das  Wort 
mit  beiden  Bedeutungen  auf  und  hat  sie  bis  auf  den  heutigen  Tag 
bewahrt,  die  eine  zwar  nur  im  Adv.  asquint  mit  der  daraus  ent- 
wickelten Wortgruppe^  die  andere  in  einer  einzigen  Mundart 

Lünd.  Eilert  Ekwall. 

Zu  John  Heywoods  ^Wetterspiel*. 

Da  eine  direkte  Vorlage  zu  diesem  Zwischenspiel  *  bisher  meines 
Wissens  nicht  bekannt  geworden  ist^  dürfte  es  nicht  überflüssig  sein, 
darauf  hinzuweisen,  dafs  sich  in  Lukians  Dialog  Ikaromenippos^ 
Züge  finden,  die  direkt  oder  indirekt  dem  englischen  Dichter  einige 
Motive  geliefert  haben  könnten. 

Bekanntlich  tragen  im  Wetterspiel  Vertreter  verschiedener  Stande 
dem  Jupiter  ihre  einander  widersprechenden  Wünsche  in  bezug  auf 
die  Witterung  vor.  Ebenso  hört  Zeus  in  Kap.  25  des  Lukianschen 
Dialogs,  wie  einige  Schiffer  um  Nordwind,  andere  um  Südwind  bitten, 
wie  ein  Bauer  um  Regen  fleht»  ein  Walker  oder  Tuchscherer  {xvacpevg) 
um  Sonnenschein.  Heywood  lafst  V.  868  ff.  den  Kaufmann  um  gün- 
stigen, jeweils  nach  Bedarf  wechselnden  Fahrwind  beten,  vgl.  be- 
sonders V.  871 : 

Eut,  tpeat,  North,  and  South,  aa  besU  may  be  ui. 

Um  Regen  dagegen  bittet  bei  ihm  der  Watennyüer  V.  448  ff.,  um 
Sonnenschein  die  Wäscherin  {Unmder)  V.  894  ff.  Lukians  Zeus  hört 
alle  Bitten  an  und  untersucht  jede  sorgfältig,  um  dann  einzelne  zu  ge- 
währen, andere  abzuschlagen.  Einmal,  als  zwei  Männer  gleichzeitig 
um  ganz  entgegengesetzte  Dinge  gebeten  hatten,  ist  er  unschlüssig, 
erwägt  die  Sache  lange  hin  und  her  und  bleibt  schliefslich  die  Ent- 
scheidung schuldig.  Am  Ende  der  Audienz  —  die  allerdings  nur 
durch  Offnungen  im  Himmelsboden  vor  sich  geht»  durch  die  er  die 
Gebete  hören  kann  —  erhalten  Wetter  und  Winde  seine  Befehle 
(Kap.  26):  'Heute  soll  es  bei  den  Skythen  regnen,  bei  den  Libyern 
blitzen,  bei  den  Hellenen  schneien;  du,  Boreas,  blase  in  Lydien,  du, 
Notos,  halte  Ruhe;  der  Zephyros  soll  die  Adria  aufwühlen,  und  an 
Hagel  sollen  gegen  tausend  Scheffel  über  Kappadokien  ausgeschüttet 
werden  r  Entsprechend  bestimmt  Jupiter  bei  Heywood  V.  1156  ff., 
dafsj^das  Wetter  wie  bisher  veränderlich  bleiben  soll,  damit  die 
Wünsche  der  verschiedenen  Literessenten  nacheinander  erfüllt  wer- 
den können. 

Das  andere  Motiv,  worin  der  englische  Dichter  mit  dem  Spötter 

*  HerauBg.  von  Brandl,  Q.  F.  LXXX,  S.  211  ff.     Vgl.  dazu  £inl. 
S.  XL VII  ff.  und  Young,  Mod.  PhiL  II,  97  ff. 

*  Edüio  prineoM:  Florenz  1496.     Neue  Ausgabe  von  Sommerbrodt, 
Berlin  1896,  Vol.  II,  P.  2,  pag.  142 ff. 


104  Kleinere  Mitteilnngen. 

von  Samosata  übereinBtimmt»  ist  die  Figur  dee  Mery  Report  (als  Fioe). 
Wie  er  keck  bei  dem  HimmelBgotte  eindringt^  so  kommt  Monippos, 
der  Held  des  Lukianschen  Diidoges,  gleich  Ikaros  mit  Flügeln  in 
den  Olymp  (Kap.  22)  und  wird  sogleich  von  Zeus  mit  d^  homeri- 
schen Frage  empfangen  (Kap.  28): 

VgL  dazu  Wetterspiel  V.  101 : 

Why,  ichai  arte  thau  that  approdiyei  so  ny*t 

Als  M&ry  Report  seinen  Auftrag  ausgerichtet  hat  und  wieder  im 
Himmel  erscheint^  erzahlt  er  ruhmradig,  welche  Orte  er  alle  besucht 
habe  (V.  195  ff.).  In  derselben  Weise  berichtet  im  griechischen  Dia- 
loge Menippos  seinem  Genossen,  wie  er  von  der  l^e  zum  Monde, 
von  da  zur  Sonne,  und  schliefslich  zur  Burg  des  Zeus  geflogen  sei. 
Man  vergleiche  den  Anfang  (Kap.  1):  'Also  SOOO  Stadien  waren  es 
von  der  Erde  bis  zum  Monde  . . .  von  da  hinauf  zur  Sonne  gegen 
500  Parasangen'  usw.  mit  Heywood  V.  195  1: 

How  be  ftf  yf  jfe  aaoyd,  I  amlde  not  well  tdl, 
But  euer  I  tkynhe  a  tkoueande  myle  from  hdl. 

lifit  der  Aufzahlung  der  zahlreichen  von  ihm  besuchten  Städte 
und  Länder  (V.  199  ff.)  lafst  sich  bei  Lukian,  Kap.  11,  die  Nen- 
nung verschiedener  Gebirge  und  Gegenden  vergleichen,  die  Menippos 
bei  seinen  Flugübungen  berührt  und  vom  Monde  aus  gesehen  hat 
—  Die  Art  femer,  wie  der  OentyUnan  von  Mary  Report  empfangen 
und  vor  den  Thron  Jupiters  geführt  wird  (V.  217  ff.),  ist  der  Szene 
bei  Lukian,  Kap.  22,  nicht  unähnlich,  in  der  Hermes  dem  Ankömm- 
ling die  Himmelstür  öffnet  und  ihn  bei  Zeus  meldet 

Die  Götterversammlung  endlich,  worin  am  Ende  des  Dialoges 
Zeus  eine  donnernde  Strafrede  gegen  die  unnützen  Philosophen  hält^ 
könnte  vielleicht  die  Veranlassung  zu  der  Eröffnungsrede  Jupiters 
im  Wetterspiele  gegeben  haben:  da  erzählt  nämlich  der  Gott  selbst 
als  Prolokutor  von  dem  Streite  der  Wettergottheiten,  die  vor  seinen 
Thron  geladen  sich  gegenseitig  anklagten. 

Wenn  die  beiden  Dichtungen  im  übrigen,  was  Plan  und  Durch- 
führung der  Idee^  betrifil,  auch  stark  voneinander  abweichen,  so 
dürften  doch  die  genannten  Übereinstimmungen  kaum  als  Zufall  be- 
trachtet werden  können.  Sei  es  nun,  dafs  Heywood  unmittelbar  aus 
Lukian  geschöpft  hat»  sei  es,  dafe  ihm  dessen  Dialog  schon  in  fran- 
zösischer oder  lateinischer  Bearbeitung  vorlag:  ein  Zusammenhang 
des  Wetterspieles  mit  dem  Ikaromenippos  wird  sich  schwerlich  in 
Abrede  stellen  lassen.  Auch  hier  zeigt  sich  wieder  deutlich,  wieviel 
die  spätere  Zeit  trotz  aller  Neuerungen  dem  Altertum  verdankt! 

EjeL  F.  Holthausen. 


'  VgL  die  Inhaltsangaben  des  Hevwoodschen  Stückes  bei  Swoboda, 
Wiener  Bei tr.  III,  38  ff.  und  bei  Brandl  a.  a.  0.  Lf. 


Kleinere  Mitteflnngen.  105 

Ute.  rape  und  riding  *Beslrk'. 

Diese  Wörter  werden  allgemein  für  nordische  Entlehnungen  ge- 
halten. Am  ausführlichsten  wird  eine  solche  Auffassung  von  Steen- 
strup,  Normanneme  IV,  8.  75  und  93,  begründet  Er  leitet  rape 
aus  dem  altn.  hreppr  OSezirk'  (oder  aber  aus  der  von  ihm  angegebe- 
nen Nebenform  hrappr),  riding  aus  altn.  fridjungr  'Drittel',  auch  'Be- 
zirk', altdän.  Arithing,  her.  Diese  Etymologien  haben  allgemeinen 
Beifall  gefunden.  Sie  werden  z.  B.  vom  Century  Dictionary,  Skeat, 
Et.  Dictionary,  Jespersen,  Growih  and  Strueture  of  the  Englieh  Iamv- 
giboge  1905,  8.  78,  und  anderen  als  richtig  anerkannt  Meines  Wis- 
sens hat  aber  noch  niemand  sich  die  grolsen  lautlichen  Schwierig- 
keiten, die  mit  dieser  Auffassung  verbunden  sind,  klargemacht 
Man  hat  die  Etymologien  in  allen  anderen  Beziehungen  so  einleuch- 
tend gefunden,  dafs  man  über  die  lautliche  Seite  der  Frage  ganz 
hinweggesehen  hat  Nur  über  einen  Punkt  ist  man  ins  klare  ge- 
kommen:^ in  *thriding  ist  in  den  Verbindungen  North-thriding,  Eaet- 
thriding  und  Weet-thriding  lautgesetzlich  geschwunden.  Aber  an- 
dere Schwierigkeiten  sind  noch  zu  überwinden.  Aus  altn.  hreppr 
kann  nur  engl.  *repy  aus  hrappr  nur  *rap  und  aus  pridjungr,  thrithing 
nur  {thyriihing  mit  •  in  der  Stammsilbe  werden.  Diese  Schwierig- 
keiten lösen  sich  aber  ohne  weiteres,  wenn  wir  normannische  Ver- 
mittelung  annehmen.  Die  altenglischen  Bezeichnungen  *hr^  {*hrap) 
und  *prifing,  die  durch  die  Nordleute  seinerzeit  eingeführt  waren, 
wurden  also  von  den  Normannen  in  die  offizielle  Terminologie  auf- 
genommen* und  sind  von  da  aus  wieder  in  die  englische  Volks- 
sprache eingedrungen. 

1)  rape  'a  division  of  the  county  of  Sussex,  intermediate  between 
a  hundred  and  the  shire'  {Geni,  Dict,\  nach  Wright,  Engl.  Dial.  Dict,, 
*SL  division  of  the  county  comprising  several  hundreds'.  Hier  gilt  es 
zuerst  die  Eonsonantenquantitat  zu  erklären.  Wie  bekannt^  deckten 
sich  die  altfrz.  Quantitäten,  namentlich  die  der  Vokale,  nicht  völlig 
mit  den  englischen  in  entsprechender  Stellung;  das  Altfrz.  kennt 
auTserdem  in  der  Regel  wahrscheinlich  nur  einfachen  Konsonanten.  ^ 
Bei  der  Aufnahme  des  Wortes  ins  Anglonormannische  ist  also  die 
Quantität  des  p  wahrscheinlich  beträchtlich  gekürzt  worden.  Es  ist 
aber  nicht  notwendig,  die  anglonorm.  Form  als  rape  anzusetzen. 
Auch  eine  anglonorm.  Form  mit  pp  —  das  Anglonormannische  kennt 
nämlich  im  Gegensatz  zu  den  anderen  französischen  Dialekten  viel- 
fach doppelten  Konsonanten,  ja  einfacher  intervokalischer  Konsonant 
wird  nach  kurzem  Tonvokal  im  Anglonormannischen  sogar  vielfach 
gedehnt  —  würde  aber  bei  Rückentlehnung  ins  Englische  rape  er- 


*  Steenstrup  führt  treding  aus  dem  Domesday  Book  an. 

'  Vergl.  MoTsbach,  Die  angebliche  Originalitäi  dee  frühmiüeUn^lisehm 
King  Eom,  Halle  1902,  S.  82  (-:=  Beiträge  zur  rem.  u.  engl.  Philologie, 
Festschrift  für  Wendelin  Förster,  S.  328). 


I 


106  KleiDere  Mitteilungen. 

geben  können.  Es  genüge^  auf  die  analogen  F&lle  bei  Morsbach 
a.  a.  O.  hinzuweisen ;  so  entspricht  z.  B.  dem  altfirz.  passer  me.  päeen 
und  passen  (ne.j9ac0  und  pass).  Ein  anglofrz.  *rappe  würde  also  selbst- 
verständlich me.  *rape  ergeben  können.  Vgl.  altfrz.  grape,  grappe 
>  ne.  grape.  —  Aber  auch  der  Vokallaut  macht  Schwierigkeiten, 
denn  ein  altn.  ^krappr  'a  district',  das  vielfach  als  die  Quelle  des 
englischen  Wortes  angeführt  wird,  scheint  nicht  zu  existieren.  Der 
von  Cleasby-Vigfüsson  angeführte  Eigenname  Brappr,  der  eine  Neben- 
form zu  hreppr  sein  soll,  kann  doch  kaum  ernsthaft  mit  in  Betracht 
genommen  werden.  Es  wäre  entschieden  vorzuziehen,  wenn  wir  von 
der  einzigen  sicheren  altn.  Form  hreppr  ausgehen  könnten.  Dies  ist 
meines  Erachtens  auch  tatsächlich  der  Fall.  Und  zwar  sind  hier 
zwei  verschiedene  Möglichkeiten  in  Erwägung  zu  ziehen.  Es  ist 
wohl  möglich,  dals  hier  altn.  bezw.  altengl.  e  durch  anglonorm.  a 
wiedergegeben  worden  ist  Solche  Fälle  sind  auch  sonst  vorhanden. 
So  findet  sich  im  Domesday  Book  für  Essex  neben  seltenem  -dena 
sehr  häufig  -^anct,^  Auch  möge  auf  solche  Doppelformen  innerhalb 
des  Französischen  selbst  als  aretter  und  aratter,  woraus  me.  ctraten, 
ne.  rate  'to  chide,  reprimand'  —  wo  freilich  die  Verhältnisse  etwas 
anders  liegen  —  hingewiesen  werden.  Eine  zweite  Möglichkeit  er- 
gibt sich  in  der  Lautentwickelung  innerhalb  des  Dialekts  von  SufiblL 
Bei  dem  Fehlen  von  frühen  Belegen  und  bei  der  unsicheren  Lage 
dieser  Frage  kann  ich  aber  auf  diese  letzte  Möglichkeit  nicht  näher 
eingehen. 

Es  erübrigt  nun,  über  das  nordisdie  Substrat  ein  paar  Bemer- 
kungen zu  machen.  Das  Wort  hreppr  ist  nur  im  Westnordisdien 
belegt^'  rape  würde  also  auf  eine  norwegische  Ansiedelung  in  Suffolk 
hinweisen.  Nach  Falk  u.  Torp,  EtymoL  Ordbog  s.  v.  rimpe,  soll  das 
Wort  aus  einem  älteren  *hrimp-  entstanden  und  mit  ne.  rimple, 
mhd.  rimpJien  'in  Falten,  Runzeln  zusammenziehen,  krümmen,  rümp- 
fen' verwandt  sein.  So  besonders  einleuchtend  finde  ich  diese  Zu- 
sammenstellung nicht  Vor  allen  Dingen  macht  hier  die  semasio- 
logische  Frage  Schwierigkeiten.  AuTserdem  würden  wir  in  dem 
Worte  das  einzige  Beispiel  unter  den  nord.  Lehnwörtern  von  der 
nord.  Assimilation  mp  >  pp  zu.  erblicken  haben ;  das  wäre  an  und 
für  sich  nichts  unmögliches,  aber  da  wir  sonst  kein  einziges  ganz 
sicheres  Beispiel  von  den  Assimilationen  mp  >  pp,  nt  >  tt,  nk  >  kk 
in  den  nordischen  Lehnwörtern  besitzen  (vgL  Björkman,  Scand. 
Loanwords,  S.  169),  so  hätten  wir  doch  eher  hier  eine  Form  ohne 
Assimilation  zu  erwarten,  wenn  pp  in  altn.  hreppr  aus  mp  entstan- 
den wäre. 

'  VrL  Stolze,  Zur  Lautlehre  der  aUmgL  Ortanamim  im  Domesday  Book. 
Berlin  1902,  S.  16.  Auch  mare  und  Stade  ebenda  sind  in  Betracht  zu 
ziehen. 

'  Schwed.  diaL  r^  'mindre  trakt  af  en  socken'  in  dem  Norwegen  be- 
nachbarten Daisland  darf  nicht  für  ostnordisch  gelten. 


Kleinere  Mitteilungen.  107 

2)  riding  'one  of  Üie  Üiree  divisions  of  the  county  of  York\  In 
den  nordischen  Lehnwörtern  im  Englischen  wird  nord.  d  in  der  Regel 
als  Reibelaut  beibehalten.  Die  Normannen  konnten  aber  den  Laut 
zur  Zeit  der  Entlehnung  nicht  aussprechen,  sondern  lielsen  ihn  ent- 
weder ausfallen  oder  ersetzten  ihn  durch  den  stimmhaften  Reibe- 
laut j  *  oder  durch  den  stimmhaften  Verschluislaut  d.^  dm  riding 
deutet  also  unverkennbar  auf  anglonormannische  Vermittelung  hin. 
In  derselben  Weise  erklärt  sich  meines  Erachtens  das  me.  %,  das  von 
der  ne.  Form  vorausgesetzt  wird.  Das  i  in  der  anglonormannischen 
Aussprache  fiel  hinsichtlich  seiner  Quantität  weder  mit  engl,  t  noch 
mit  engl,  i  zusammen,  mufste  aber  mit  einem  von  den  beiden  wieder- 
gegeben werden.  Dazu  mögen  nun  frdlich  andere  Momente,  z.  B. 
Assoziation  mit  dem  Verbum  riden^  hinzugekommen  sein,  riding 
könnte  ja  von  dem  Volke  etwa  als  ein  Bezirk,  der  von  den  inspizie- 
renden Beamten  in  einer  gewissen  Zeit  beritten  werden  kann,  auf- 
gefalst  worden  sein. 

Göteborg.  Erik  Björkman. 


*  VffL  Morsbach  a.  a.  O.  8.  9  (805).  Die  Schrdbong  irihmg  (Steen- 
strup,  S.  75)  dbt  vielleicht  eine  Aussprache  mit  weggefallenem  d  wieder. 

^  Vgl.  Luhmann,  Die  ÜberUef&nmg  von  Lajamons  Brut,  Halle  1905, 
S.  38.    Stolze  a.  a.  O.  8.  41. 


Sitsnngen  der  Berliner  Oesellsehaft; 

für  das  Btudinm  der  neaeren  Sprachen. 

Sitzung  vom  13,  DexmAer  1904. 

Herr  Risop  erörtert  die  Formen,  anter  denen  sich  nach  Aoffafisnng 
der  mittelalterhchen  Christenheit  die  Beförderung  der  Seelen  der  soebeo 
aus  dem  Leben  G^chiedenen  in  die  Hölle  vollzog,  und  zwar  im  Anschlag 
an  die  Verhaltungsmafsregeln,  deren  Innehaltung  das  sogenannte  ando- 
normannische  Adamsspiel  (12.  Jahrhundert)  bei  solcher  Gel^enheit  den 
Darstellem  zur  Pflicht  macht  Er  hebt  aus  ihnen  insbesondere  den  Akt 
der  Fesselung  heraus  und  verfolgt  die  sehr  seltenen  Spuren  dieser  Vor- 
stellung, soweit  man  ihrer  innerhalb  der  Kunst  und  Literatur  des  Abend- 
landes ansichtig  wird,  und  zeigt,  dals  erst  bei  der  Massenbeförderung  der 
Seelen,  wie  sie  uns  die  Darstellungen  des  jüngsten  Gerichts  anf  den 
Bogenfeldern  der  Westportale  französischer  und  deutscher  Kathedralen 
romanischen  oder  gotischen  Baustils,  dann  aber  auch  der  Bahmen  d» 
Dürerschen  Allerheiligenbildes  zeigen,  dieses  Motiv  haufi^r  verwendet 
wurde.  Ungeachtet  der  starken  Analogien,  die  sich  aus  den  in  der  Savitri- 
episode  des  Mahabharata  erzählten  Ereignissen  entnehmen  lassen,  glaubt 
der  Vortragende  nicht,  dafs  ein  Zusammenhang  zwischen  dem  altindischen 
und  dem  christlichen  Ideengebiet  anzunehmen  sei;  sonst  anzutreffende 
christliche  Darstellungen  von  den  letzten  Dingen  l^n  vielmehr  die  Ver- 
mutung nahe,  dafs  die  Vorstellung  rein  christuchen  Ursprungs  sei,  zumal 
die  bei  der  Fesselune  und  Abffihrune  üblichen  Einzelheiten,  soweit  sich 
aus  der  mittelalterlichen  Literatur  und  Ikonographie  ergibt,  mit  den  For- 
men, die  den  der  weltlichen  G^chtsbarkeit  Veitallenen  gegenüber  beob- 
achtet wurden,  auffallend  übereinstimmen.  Der  Vortragende  schliefst  mit 
einem  Blick  auf  die  Attribute  des  Amor  camalt8y  wie  ilm  Giotto  auf  seiner 
Allegorie  der  Keuschheit  in  der  Unterkirche  zu  Assisi  und  nadi  Boccaccio 

fleicnzeitig  mit  ihm  auch  Francesco  da  Barbarino,  doch  ohne  den  Boeen- 
ranz,  in  uns  unbekannten  Gedichten  geschildert  hat  Der  Vortragende 
zeigt,  dafs  die  Vogelklauen  des,  wie  bei  den  alten  Christen  so  audi  hier, 
als  Dämon  gedachten  Amors  schon  in  vorgiottoscher  Zeit  an  den  Teufeln 

fewöhnlichen  Schlages  zu  bemerken  seien,  und  Amor  bereits  in  frisieren 
yzantinischen  Mal^eien  wie  auch  auf  spateren  französischen  Holzschnit- 
ten mit  der  Augenbinde  erscheine;  neu  sei  nur  der  um  den  Oberkörper 
geschlungene  Strick  mit  den  daran  befestigten  Herzen,  ein  Motiv,  dessen 
Beziehungen  zu  der  oben  geschilderten  Fesselung  der  Seelen  offen  zutage 
liegen,  ohne  daüs  sich  festHtellen  lasse,  von  wel<3iem  der  beiden  Künstler 
diese  eigenartige  Neugestaltung  der  Idee  ausgegangen  sei. 

Herr  Kuttner  erinnert  an  die  Ketten,  die  Marlevs  Geist  in  Dickens 
Ghristmaa  Oarol  mit  sich  schleppe,  und  Herr  Münch  an  ähnliche  Vor- 
stellungen im  Volksglauben. 

Herr  Münch  macht  auf  eine  neue  Übertragung  von  Garducd  und 
die  Bevue  aermanique  aufmerksam  und  berichtet  sodann  über  Eindrücke 
pädagogischer  Art  von  einer  Keise  nach  England.    In  London  bestehen 


Sitzungen  der  Berliner  GreseUBchaft  etc.  109 

vier  deutsche  Schulen;  dne  seit  HO  Jahren  in  St.  Mary;  eine  zweite  seit 
100  Jahren  ist  die  St  Gkorgsschule;  eine  dritte  ist  m  Islington,  und 
eine  vierte  ist  die  katholische  Bonifaciusschule  in  Whitechapel.  Die  deut- 
schen Väter  der  Schüler  sind  meist  Handwerker  und  Arbeiter,  die  ihre 
Kinder  aus  praktischen  Gründen  auf  die  deutsche  Schule  schicken ;  da  die 
Mütter  meist  Engländerinnen  sind,  haben  es  die  Lehrer  nicht  leicht,  ihren 
Schülern  das  Deutschtum  zu  erhalten,  und  es  gelingt  ihnen  das  auch  nur 
teilweise.  Die  Schulen  sind  recht  rückständig  in  bezug  auf  ihre  Lage 
und  ihre  Ausstattung.  Überdem  hat  namentlich  die  katholische  Schule 
Schwierigkeiten  mit  den  polnischen  und  litauischen  Elementen  unter  ihren 
Schülern.  Jedenfalls  yeraienen  die  an  diesen  Schulen  wirkenden  Ldir- 
kräfte  unsere  volle  Sympathie.  —  In  den  höheren  Schulen,  wo  der  fremde 
Besucher  jetzt  freundlicher  aufgenommen  wird  als  früher,  fällt  die  weit- 
gehende Spezialisierung  auf,  die  man  den  Schülern  bei  ihren  Studien  ge- 
stattet So  hatten  an  einer  Schule  8  Schüler  ihre  AbschluTsprüfung  für 
Mathematik  bestanden  und  widmeten  sich  nur  noch  dem  Studium  des 
Lateinischen  und  Griechischen.  Der  neusprachliche  Unterricht  ist  fast 
durchweg  in  guten  Händen;  aber  wenn  auch  die  Lehrer  die  fremden 
Sprachen  beherrschen,  die  Schüler  treten  nach  englischer  Art  wenig  aus 
sich  heraus,  und  ihre  Lebendigkeit  und  Teilnahme  am  Unterricht  ist  ge- 
ringer als  bei  uns.  Das  Verhältnis  zwischen  Lehrern  und  Schülern  er- 
scheint sehr  anffenehm,  ebenso  das  zwischen  Direktoren  und  Lehrern. 
Aber  selbst  in  den  besseren  Schulen  sind  die  Subsellien  «mz  elend,  sogar 
vielfach  ohne  Bückenldme.  Auch  zertiert  wurde  noch.  Das  Züchtigunn- 
recht  existiert,  aber  es  wird  —  aulser  von  den  Monitoren  —  kaum  mär 
ausgeübt.  An  einer  Schule  allerdings  bedeutete  die  Aufsteckung  einer 
Rute  den  Beginn  des  Unterrichts.  Das  Andenken  an  berühmt  gewordene 
frühere  Schüler  wird  sehr  gepflegt;  so  z.  B.  zeigt  man  in  Harrow,  wo 
man  noch  viele  Byron- Andenken  besitzt,  den  Briä,  worin  Bjrons  Mutter 
sein  Nichtkommen  damit  entschuldigt,  dafs  er  so  verliebt  sei.  —  Was  da» 
Universitätsleben  betrifft,  so  ist  es  in  einigen  Colleges  feierlicher  und  steifer 
als  in  anderen.  Die  Studenten  erhalten  zwei  Gtänge  zum  dinner,  die  Bache- 
lors drei,  die  Professoren  vier;  die  beiden  ersten  Gruppen  haben  auch 
noch  Bänke  ohne  Rückenlehne.  Die  wissenschaftliche  Höhe  der  Vorträge 
ist  leidlich,  wenn  auch  nicht  immer  das,  was  wir  gewöhnt  sind.  Die  Haine 
der  Zuhörer  sind  Studentinnen,  die  von  ihren  männlichen  Kommilitonen 
getrennt  sitzen.  In  moralischer  Beziehung  ist  manches  gesunder  als  bei 
uns ;  vormittags  wird  studiert,  der  Nachmittag  gehört  allgemein  dem  Spiel 
und  Sport;  gekneipt  wird  nur  im  Freundeskreise. 

Herr  Dr.  Thurau  wird  in  die  Gtosellschaft  aufgenommen. 

Süxung  vom  10.  Januar  1905. 

Herr  A.  Tob  1er  besprach  drei  Erscheinungen  des  neufranzösischen 
Sprachgebrauchs,  die  nach  seiner  Meinung  in  den  ihm  bekannten  Gram- 
matiken und  Wörterbüchern  des  In-  und  des  Auslandes  unzulänglich  be- 
handelt oder  auch  ganz  mit  Stillschweigen  Übergangen  sind.  1.  Die  Mög- 
lichkeit und  die  Art  und  Weise  der  Verwendung  des  Gerundiums  solcher 
Verba,  welche,  als  Verba  finito  gebraucht,  ein  tl  als  'grammatisches  Sub- 
jekt' vor  sich  haben  würden.  Hier  sollten  die  Grammatiken  die  Fälle 
reiner  Subjektslosigkeit  von  denen  scheiden,  wo  ein  Subjekt  in  Form  eines 
Infinitivs  oder  eines  Subjektsatzes  folgt  Warum  in  dem  einen  wie  in  den 
anderen  Fällen  ein  pronominales  Subjekt  beim  Gerundium  nicht  stehen 
kann,  ist  leicht  zu  erkennen.  Es  ist  desw^en  nicht  möglich,  weil  es  nur 
ein  betontes  sein  dürfte,  das  neutral  eebraudite  il  aber  eine  betonte  Form 
nicht  neben  sich  hat;  es  ist  aber  auch  gar  nicht  nötig.  Dafs  das  Gerun- 
dium wirklich  subjektloser  Verba  nicht  gebraucht  werde,  mufs  bestritten 


t 


110  Sitzungen  der  Berliner  G^esellflchaft 

werd«i.  y  ayant,  en  Stant  de  mime  begegnen  bis  auf  den  heotigen 
Tag  sehr  hfiufig,  während  freilich  ein  ^pieuvant  encore,  *fallant 
croire  u.  dergl.,  deren  italienische  oder  spanische  wörtliche  Wiedergabeo 
tadellos  sein  wQrden,  schwerlich  jemals  vorkommen. 

2.  aussi  hien  im  Sinne  desjenigen  blolsen  aussi  zu  gebrauchen, 
welches  als  'Satzadverbium'  den  Ausdruck  eines  Sachverhaltes  an  den  vor- 
angegangenen  eines  anderen  Sachverhaltes  nnht  und  andeutet,  dafs  der 
zweite  dem  ersten  entspreche,  sei  es  als  natdrUche  Folce,  sei  es  als  erklä- 
rende Ursache,  soll  nach  Descnauel  eine  diformation  de  Ja  langue  sein.  Dais 
dem  so  nicht  sei,  wurde  an  zahlreichen  Stellen  aus  Autoren  ohne  Tadel 
dar^tan  und  zugleich  gezei^,  dals  Herkunft  und  Bedeutung  jedes  der 
zwei  Wörter  sie  durchaus  geeignet  mach«!,  zusammentretend  aie  gekenn- 
zeichnete Funktion  zu  übenielmien.  d.  Weit  eher  liefse  sich  die  Bezeich- 
nung ^Verunstaltung  der  Sprache'  darauf  anwenden,  dafs  die  Franzosen 
zwar  du  beau,  du  vrai  sagen,  dagegen  rien  qua  de  heau,  de  vrat,  wo  doch 
jeder  grammatischen  oder  logisäen  Analyse  der  sogenannte  Teilnngs- 
artikei  durchaus  und  einzig;  anguneesen  scheinen  muls.  Dem  allgemeinai 
Gebrauche  gegenüber  —  denn  ein  rien  que  de  l'inidü  erscheint  als  auf- 
fällige Ausnamae  —  schweigt  natürlich  jeder  Tadel  und  hat  man  sich  auf 
die  Fraee  nach  der  Ursache  der  seltsamen  Abweichung  vom  Naturgemäfsen 
zu  beschränken.  Sie  liegt  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  in  der  Einwirkung 
der  nicht  minder  häufigen  und  ihrerseits  unanfeditbaren  Verbindung  rien 
de  vraif  de  beau.  Das  heute  übliche  rieft  que  de  vrai  scheint  sich  früher  als 
aus  dem  16.  Jahrhundert  nicht  nachweisen  zu  lassen.  Und  das  wird  nicht 
überraschen,  da  bis  zu  dieser  Zeit  rien  noch  seinen  ursprünelichen  Charakter 
bestimmter  bewahrt  hat,  ein  zuerst  weibliches,  dann  männliches  Substantiv 
geblieboi  ist,  das  ein  Adjektivum  (ohne  de)  einfach  als  Attribut  zu  sich 
nahm,  wie  das  in  einigen  weni^n,  aus  alter  Zeit  stammenden  Verbindungen 
rien  tel,  rien  autre,  noch  immer  statthat  (vgl.  Archiv  CXIV,  482). 

Herr  Penner  spricht  über  Jonas,  2Ö  QedieMe  in  fran^öeieeher  Spfneke^ 
und  über  Dickmann-Heuschen,  Leeebueh, 

Süxung  vom  24,  Januar  1905, 

Herr  Penn  er  sprach  über  einige  neuere  Lehrmittel  für  den  Unter- 
richt im  Französischen.  Zunächst  wurden  die  Bücher  von  Eurth  (Lissa), 
von  Lagarde  und  Dr.  Müller,  von  Harnisch  und  von  Eron  erörtert,  welche 
zu  Sprechübunsen  anleiten  soUen  und  welche  jedes  in  seiner  Wdse  und 
für  bestimmte  Gattungen  von  Schulen  zu  emprehlen  sind.  Besonders  die 
Bücher  von  Harnisch  und  Eron  verdienen  warme  Anerkennung.  —  Sodann 
ging  der  Vortragende  im  Anschlufs  an  die  Besprechung  der  Kühn-Diehl- 
schen  Lehrbücher,  die  im  Archiv  erschienen  ist,  zur  Erörterung  der  Fra^ 
über,  wie  die  Lehre  vom  französischen  Infinitiv  am  zweckmäßigsten  in 
der  Schule  zu  behandeln  sei.  Es  empfiehlt  sich,  nach  einleitenden  Bemer- 
kungen über  Substantivierung  des  Infinitivs  (le  devoir  usw.)  und  übet  die 
Präpositionen,  die  ihn  regieren,  zunächst  den  Infinitiv  mit  ä  zu  behandeln, 
weil  in  ihm  ein  klarer  Grundsatz  durchweg  zur  Geltung  kommt;  dieser 
Infinitiv  antwortet  nur  auf  die  Fragen:  wem?  wozu?  woran?  wohin? 
wobei?  Doch  mufs  der  Schüler  auf  die  abwdchende  Bedeutuns  von 
chercher  ä  (sich  Mühe  geben  bei),  reussir  ä  (Glück  haben  in),  aimer  3  (Ge- 
fallen finden  an)«  apprendre  ä  (sich  heranmachen  an)  usw.  aufmerksam  ge- 
macht werden.  Der  Infinitiv  mit  de  folgt  zunächst  demselben  Gedanken, 
indem  er  auf  die  Fn^en  wessen?  wovon?  antwortet.  Dann  aber  — 
und  das  allein  ist  die  Schwierigkeit  für  den  Schüler  —  steht  der  Infinitiv 
mit  de  meist  als  Antwort  auf  die  Fragen  wer?  oder  was?  und  wen?  oder 
was?  wo  die  Logik  den  reinen  Infinitiv  zu  verlangen  scheint  und  de  tSi^ 
nur  als  ein  Wort  darstellt,  das  gevrisse  nebeneinander  stehende  und  von- 


ffir  das  Stadium  der  neueren  Sprachen.  111 

einander  abhfin^ge  Satzteile  yerknfipft  Die  Konstruktion  des  reinen  In- 
finitivs findet  Bicm  wohl,  aber  nur  als  Ausnahme.  Besonders  zu  Üben  sind 
die  verschiedenen  lehrreichen  Konstruktionen  von  Verben  wie  offrir  de 
und  B* offrir  ä,  refuser  de  und  se  refuser  d,  risoudre  de  und  se 
resoudre  äf  jurer  ^^-  promettre  und  =  assurer,  dire  =  assurer 
und  —  ordonner,  —  Auch  die  zweckmäfsigste  Darstellung  des  Kapitels 
von  den  relativen  und  fragenden  Fürwörtern  wurde  erörtert. 

Herr  Dr.  Wespy  hat  sich  zum  Eintritt  in  die  Gesellschaft  gemeldet. 

Sitzung  vom  14.  Februar  1905, 

Herr  Spies  sprach  über  das  Thema  'Ekiglische  Wörterbucharbeit  und 
Vorführung  des  Gowerschen  Wortschatzes'.  Der  Vortragende  ging  von 
den  bisherigen  Leistungen  auf  dem  Qebiet  der  englischen  Lexikographie 
aus,  deren  augenblicklioier  Stand  kurz  charakterisiert  wurde,  und  erörterte 
dann  im  ersten  Teil  die  für  die  mittelenglische  Wörterbucharbeit,  ins- 
besondere für  die  Fortführung  des  Mätzner- Bielingschen  Werkes  aufzu- 
stellenden Fordernneen  im  Anschluis  an  die  in  verwandten  Disziplinen 
(besonders  der  lateinischen  und  germanistischen)  gemachten  Vorschläge  und 
Erfahrungen  und  legte  zugleich  die  Grundsätze  dar,  die  für  die  weiteren 
Sammluuffen  zu  den  Buchstaben  N — Z  den  Mitarbeitern  vorgezeichnet 
werden  sollen.  —  Im  zweiten  Teil  führte  der  Vortragende  den  von  ihm 
seit  1899  angelegten  Zettelapparat  vor,  der  den  Wortschatz  von  John 
Gowers  Oonfeeeio  Amantie  mit  Angabe  sämtlicher  Bele^tellen  enthalt. 
Entstehung,  Anlage  und  Zweck  wurden  eingehend  geschildert  und  zum 
SchluTs  darauf  hingewiesen,  dais  eine  derartige  Katalogisierung  des  Wort- 
schatzes zurzeit  für  Chaucer  und  für  die  gesamte  altenglische  Literatur 
möglich  und  höchst  wünschenswert  sei.  Der  erste  Teil  des  Vortrags  wird 
durch  den  Druck  der  Grundsätze  jedem  Interessenten  zugänglich  gemacht, 
der  zweite  gel^entlich  in  ausführlicher  Form  veröffentlicht  werden. 

Herr  AdoS  Tob  1er  wies  auf  eine  Reihe  von  Schwierigkeiten  hin, 
welche  sich  der  Abfassung  eines  wissenschaftlichen  Wörterbuches  entgegen- 
stellen, wenn  es  nicht  ins  Biesenhafte  wachsen  soll;  soll  man  z.  B.  alle 
Wörter  aufnehmen,  die  mit  Vorsilben  zusammengesetzt  sind,  welche  sich 
in  der  betreffenden  Sprache  vor  jedes  Zeitwort  setzen  lassen,  wie  im  Altfrz. 
re-  und  s^enire-l  Er  habe  in  seinen  Sammlungen  mundartliche  Formen 
im  Stichwort  in  die  Mundart  der  Isle  de  France  umgesetzt;  dazu  müsse 
man  aber  die  Ableitung  des  umzusetzenden  Wortes  kennen.  Godefrov 
habe  eine  empfindliche  Xücke  gelassen,  insofern  er  in  sein  Wörterbuch 
alle  die  Wörter,  welche  nodi  im  Neufranzösischen  fortleben,  nicht  aufge- 
nommen habe. 

Herr  Adolf  Müller  berichtet  im  Namen  der  Revisionskommission; 
es  wird  hierauf  den  Herren  Kassenführem  vom  Herrn  Vorsitzenden  Ent- 
lastung erteilt. 

Herr  Dr.  Wespy  wird  als  Mitglied  aufgenommen.  —  Zur  Aufnahme 
gemeldet  hat  sich  Herr  Dr.  Wilhelm  Greif,  Oberlehrer  am  Andreas-Real- 
gymnasium. 

Sitxung  vom  28.  Februar  1905. 

Herr  Herzfeld  sprach  in  Anknüpfung  an  eine  Schrift  von  H.  Ley 
(Erlangen  1904)  über  das  Leben  und  die  Werke  der  Lady  Craven,  der 
letzten  Markgräfin  von  Ansbach-Bayreuth  (1750—1828).  Sie  stammt  aus 
der  Familie  fierkelev;  noch  sehr  jung  heiratete  sie  Lord  Craven,  von  dem 
sie  nach  dreizehnjähriger  E^e  e^chieden  wurde.  Nach  längeren  Reisen 
auf  dem  Kontinent  fol^e  sie  der  Einladung  des  Markgrafen  Karl  Alezander 
nach  Ansbach,  wo  sie  erst  seine  Maitresse,  im  Jahre  1791  aber  seine  Gattin 
wurde.     Ihr  Leben   und  Treiben  bietet  manche  Parallele  zu  Schillers 


112  Sizungen  der  Berliner  G^eilschaft 

'Kabale  und  Liebe'.  Ihrem  Einflols  nachgebend  trat  der  Markgraf  seine 
Länder  an  Preufsen  ab  und  siedelte  mit  ihr  nach  England  Aber,  wo  er 
1806  starb.  Sie  überlebte  ihn  noch  22  Jahre.  —  Von  ihren  Werken  wor- 
den zunädut  die  dramatischen  kurz  vorgeführt.  Sie  hat  Lustspiele  und 
Opern  in  engl,  und  französ.  Spradie  verfaCst,  die  durchweg  Ton  geiingem 
Werte  sind.  Nicht  höher  stenen  ihre  Erzählungen  und  Gedichte.  Am 
interessantesten  ist  für  uns  ihre  Bearbeitung  yon  Schillers  'Bäubem',  die 
freilich  in  den  letzten  beidoi  Akten  eine  arge  Verballhomnng  des  Origi- 
nals darstellt  Am  wichtigsten  sind  (neben  ihren  Reisebrieran)  die  Me- 
moiren, die  sie  hinterlassen  hat.  In  vielen  Dingen  oberflächlich  und  nicht 
immer  der  Wahrheit  getreu,  enthalten  sie  doch  manches  CharakteristiBcfae 
und  Wissenswerte.  Im  ganzen  stellt  sich  uns  die  Markgräfin  als  Typus 
der  aristokratischen  Dilettantin  dar. 

Herr  Carel  berichtet  über  den  am  23.  September  1904  zu  Berlin  ver- 
storbenen Privatgelehrten  Herrn  Julius  Speier,  der  sich  etwa  seit  1875  bis 
zu  seinem  Tode  mit  nspr.  Literatur  beschäftiffte,  viel  gelesen  und  über- 
setzt hat  und  eine  vortrefflich  zusammengestellte  Bibliothek  der  Mdster- 
werke  deutscher,  französischer,  spanischer  und  portugiesischer  Literatur 
in  den  besten  Ausgaben  hinterlieis.  Von  den  etwa  10000  Bänden  kommen 
auf  das  Spanische  ungefähr  700  Bände,  deren  Benutzung  Speier  neben 
anderen  Freunden  auch  dem  Referenten  mit  freundlichster  Bereitwilligkdt 
anheimgab.  Von  Speiers  Druckschriften  bespricht  Herr  C:  1.  *Fem  im 
Südf*  eine  Novellensammlung  aus  Pedro  A.  de  Alarc6n,  O.  Munilla,  Fran- 
cesco Fl.  Garcia  und  Gustavo  A.  B^cquer.  Berlin  1885.  2.  Die  ^FainUiis 
Literarias'  des  Don  Tomas  de  Iriarte.  Berlin  1885.  3.  und  4.  ^Unverßng" 
liehe  Qesehiehten*  mit  aus^wählten  Beiträgen  aus  der  komischen  Literatur 
von  Gömez  de  Am puero,  Manuel  Cubas,  l^ardso  Campillo;  erschienen  in 
Ecksteins  Beisebibliothek.  Die  sämtlichen  Bände  enthalten  gute,  zum  Teil 
treffliche  Verdeutschungen.  Auch  im  Prosadrama  hat  sich  der  Übersetzer 
versucht;  mit  gleichem  Glück,  wie  z.  B.  ^Cor^raeidn  de  Veneeia*  (1810) 
des  Martlnez  de  la  Rosa  erweist,  die  jedoch  un gedruckt  blieb.  —  Sdir 
umfangreiche  Manuskripte  liegen  vor  von  spanischen  Lyrikern,  besonders 
17. — 19.  Jahrhunderts,  in  denen  Speier  eine  aufserordentliche  Beleeenheit 
besafs  und  an  deren  formvollendeter  Wiedergabe  er  lange  arbeitete.  Leider 
hat  er  das  begonnene  Werk  nicht  zu  Ende  führen  können,  das  vielleicht 
zu  einer  kritischen  Geschichte  der  span.  Lyrik  schäl^nswertes  Material 
geboten  hätte.  In  der  gegenwärtigen  Form  sind  die  Übersetzungen  zum 
gro&en  Teil  noch  nicht  druckreif.  Zweimal,  nämlich  am  8.  Februar  1898 
und  am  8.  Mai  1900,  hat  Herr  Speier  in  der  Gesellschaft  Gedichte  von 
Manuel  M.  Flores,  Aeufia,  Manuel  de  Vill^as  und  Jorge  Manrique  in 
seiner  Übersetzung  vor^tragen.  Referent  gibt  dann  als  Probe  aus  den 
hinterlassenen  Manusknpten  den  sehr  gescMtzten  ^Himno  o/  Sol'  des  Es- 
pronceda  in  Speiers  Verdeutschung. 

Herr  Oberlehrer  Dr.  Greif  wird  in  die  Gesellschaft  aufgenommen. 

SitxMig  vom  14,  März  1905, 

Der  Vorsitzende  macht  Mitteilung  von  dem  Ableben  zweier  Mitglieder, 
der  Oberlehrer  Dr.  Job.  Böhm-Berhn  und  Dr.  Reich -Gr.  Lichterfelde. 
Die  Versammlung  ehrt  ihr  Andenken  durch  Erheboi  von  den  Sitzen. 

Herr  Müncn  spricht  über  die  ^AngeUUda'  des  Erasmo  di  Valvasono, 
den  er  als  einen  Vorgänger  Miltons  bezeichnet,  womit  aber  nicht  ange- 
deutet sein  solle,  dafs  M.  diesem  (ebensowenig  wie  einem  der  sonstigen, 
ziemlich  zahlreichen  Vorgänger  in  der  Behandlung  des  Stoffes  von  Poro- 
diae  Lost  bezw.  bestimmter  Seiten  dieses  Stoffes)  etwas  ffir  den  Wert 
seiner  eigenen  Dichtung  Wesentliches  entlehnt  habe.  Diese  im  18.  Jahr- 
hundert aufgetauchte  Ansicht  hat  längst  bestimmt  zurückgewiesen  werden 


für  daa  Studium  der  neueren  Sprachen.  113 

müssen.  Als  interessant  darf  hier  aber  immerhin  die  Vergleichun^  zwi- 
schen den  beiden  Vertretern  zweier  verschiedenen  Jahrhunderte,  Nationen, 
Religionen  wohl  gelten.  Erasmo  di  Valvasone  hat  1528—1593  in  Friaul, 
meist  in  Zurüc^gezogenheit  auf  seinem  Schlosse,  gelebt;  1825  ist  in  einer 
Sammlung  von  Werken  einheimischer  (Friauler)  Dichter,  die  in  Udine  er- 
schien, seine  Angeleida  an  erster  Stelle  neu  veröffentlicht  worden,  mit 
einer  etwas  überschwänglichen  Verherrlichung  seines  poetischen  Schaffens 
(das  übrigens  n.  a.  auch  ein  schwungvolles  Lehrgedicht  *La  Caeoia'  um- 
fafst).  In  diesem  Elogio  wird  eine  Bekanntschaft  Miltons  mit  der  1590 
erschienenen  Aneelei'da  als  wahrscheinlich  hingestellt,  werden  auch  einige 
Mängel  und  Widersprüche  hervorgehoben,  die  sich  Erasmo  im  Unterschied 
von  Milton  nicht  habe  zuschulden  kommen  lassen.  Der  Vortragende  gibt 
nun  eine  eingehende  Analyse  des  (in  ottave  rime  abgefafsten)  itäienischen 
Epos,  dessen  Schwächen  dabei  von  selbst  hervortreten,  während  ander- 
seits der  Wohlklang  der  Verse,  auch  die  gelungene  Ausführung  mancher 
einzelnen  Partien  Anerkennung  verdient.  Die  Verquickung  der  streng 
kirchlich -dogmatischen  Anschauungen  mit  antikisierenden  Elementen  ist 
für  die  Zeit  überhaupt  charakteristisch;  dabei  erinnert  die  gestaltende 
Phantasie  Erasmos  allerdin^  mehr  an  eine  ältere  Periode  der  italienischen 
Malerei.  An  Geschmacklosigkeit  bietet  er  für  unser  G^ühl  nicht  wenig. 
Die  seelischen  Vorgänge  entbehren  aller  Originalit^ät  und  Vertiefung. 
Weiterhin  wird  dann  ausgeführt,  wie  sdir  Milton  —  bei  gewissen,  sehr 
erklärbaren  Koinzidenzen  —  durch  Gestaltungskraft,  persönlichen  Auf- 
schwung, Weite  des  Gesichtskreises,  auch  sprachliche  Originalität  über 
seinem  italienischen  Vorgänger  stehe,  wie  er  es  auch  erreicht  habe,  für 
das  kaum  Abzubildende  doch  mitunter  treffliche  Bilder  zu  finden,  und 
vor  allem  wie  weit  er  mit  der  Seelenschilderung  des  Fürsten  der  gefallenen 
Engel  die  früheren  Bearbeiter  unter  sich  lasse.  So  führt  die  Betrachtung 
der  (übrigens  in  Italien  selbst  wenig  mehr  gekannten)  Dichtung  des  E.  di 
Valvasone  zu  einer  um  so  begründeteren  Würdigung  des  grolsen  englischen 
Sängers. 

Herr  Gade  spricht  über  einige  Erscheinungen  aus  der  französischen 
Marineliteratur.  Unter  den  Historikern  der  französischen  Marine  verdienen 
Beachtung  C.  Ohabaud-Amault,  der  eine  Gesamtdarstellung  der  Geschichte 
der  Kriegsmarinen  {Hisioire  des  flottes  militaires)  geschrieben  hat,  femer 
E.  Jurien  de  la  Graviore,  dessen  Werk  Les  öuerres  maritimes  sous  la 
Bhniblique  et  r Empire  zu  dem  Besten  gehört,  was  auf  diesem  Gebiet  ge- 
schrieben ist;  endkch  Maurice  Loir,  dessen  jüngstes  Buch  ^udes  d'histoire 
maritime  über  manches,  wie  z.  B.  die  Seeschlacht  bei  Aboukir,  Napoleon  I. 
und  die  Marine,  Neues  und  Interessantes  bringt. 

Von  Gravii^res  obengenaantem  Werk  ist  eine  Bearbeitung  für  die 
Schule  bei  Weidmann  erschienen. 

Sitzimg  vom  28.  März  1905. 

Herr  Förster  sprach  über  Carducci  und  seine  deutschen  Über- 
setzer. Er  gab  zunächst  einen  Abrifs  des  bedeutendsten  italienischen  Lieder- 
dichters unserer  Zeit,  einen  Abrifs,  der  zugleich  dessen  dichterische  Eigen- 
art begründete  und  seine  Werke  nach  Form  und  Inhalt  beleuchtete.  Zu- 
gleich wies  er  auf  C.  als  Gelehrten  hin ;  der  Dichter  hat  als  solcher  einen 
Lehrstuhl  für  italienisches  Schrifttum  in  Bologna  inne.  Die  Hymne  auf 
Satanas  ist  voller  Schwung  der  Sprache  und  packenden  Gedankengehaites ; 


zeigen 

Abnahme  seiner  dichterischen  Kraft,  wenn  sie  auch  von  Sonnenuntergangs- 
wehmut erfüllt  sind ;  wir  mögen  aber  noch  auf  manches  schöne  Werk  ofes 

ArchtT  f.  n.  Sprachen.    CXVI.  8 


114  Sitzungen  der  Berliner  (Gesellschaft 

Dichters  hoffen.  Carducd  wird  von  seinem  Volk  nicht  verstanden  wer- 
den, kaum  von  allen  Gebildeten;  er  geht  selbstherrlich,  abseits  vom  Volks - 
tone,  seinen  einsamen  Weg,  wie  ein  Dante.  Immerhin  eeht  aber  dodi 
manches  schöne  Stimmungsbild  alle  an  und  leicht  bei  allen  ein.  Leider 
hat  er  auch  Schule  gemacht;  doch  ist  er  selbst  frei  von  jenem  natura- 
listischen 'Verismus',  gesund  -  natürlich  und  dichterisch -natürlich,  soweit 
als  seine  Gedichte  nidit  mit  ^schichtJichem  und  gelehrtem  Stoffe  belastet 
sind.  Carduccis  ^Heidentum'  ist  nichts  nur  Verneinendes;  es  ist  die  Ver- 
ehrung der  schönen,  festen,  alten  klassischen  Form,  die  'Liebe  zur  edlen 
Natur,  von  der  die  dnsame  semitische  Abstraktion  so  lange  und  mit  so 
wilder  Feindschaft  den  Geist  des  Menschen  abgewandt  hatte*.  Und  es  ist 
die  Auflehnung  des  plastischen,  antiken  'Klassizismus'  geeen  die  unklare 
'Romantik',  die  Gegenwirkung  gegen  die  verbummelte,  nachlässige  Dicht- 
weise seiner  Zeit.  Aus  dieser  flüchtet  er  sich  ins  Trecento  und  noch  weiter 
zurück  in  die  Welt  der  Römer  und  Griechen  bis  hinauf  zum  ewi^  jungen 
Homer.  Dabei  ist  er  immer  ein  echtes  Maremmenkind  und  ein  Sohn 
seiner  Zeit  geblieben.  In  Ergänzung  des  Lebensbildes  wies  der  Vortra- 
gende die  Eigenart  des  Dichters  an  einer  Reihe  von  Stellen  nach.  Er  kam 
zum  Sdblusse  auf  die  Übersetzer  zu  sprechen,  die  Frage  vorausschickend, 
ob  —  vom  SchauspicJ  abgesehen  —  Übersetzungen  übernaupt  ratlich  seien. 
Dies  zugegeben,  mögen  sie  sinn-,  nicht  wortgetreu  sein;  auch  das  Vers- 
getreu  sei  nicht  notwendig.  Es  solle  nicht  an  einer  Einführung,  an  einer 
Wertung  des  Dichters,  an  erläuternden  Anmerkungen  fehlen.  Am  besten 
auch  werde  d^  Urtext  neben  die  deutsche  Fassung  gedruckt  Von  C. 
liegen  vor  die  Übersetzungen  von  B.  Jacobson  mit  einer  vortrefflichen 
Einleitung  von  Hillebrand,  von  P.  Heyse,  von  Mommsen  und 
Wilamowitz-Möllendorff  (deutsch  und  italienisch),  im  Buchhandel 
nicht  erschienen;  von  Händler.  Diese  letzte  ist  die  reichhaltigste,  und 
sie  ist  in  der  Hauptsache  wohlgelungen.  Vereinzelte  Versuche  haben 
Jul.  Schanz  und  Herm.  Grimm  gemacht. 

Herr  A.  Tob  1er  fügte  einiges  hinzu  über  die  gelehrte  Tätigkeit  Car- 
duccis, sowie  über  die  £[ti  wie  dieser  in  seinen  Odi  barbare  antike  Vers- 
bUdung  zu  neuem  Leben  zu  erwecken  versucht  hat. 

Herr  Direktor  Dr.  Werth  in  Potsdam  hat  sich  zur  Aufnahme  ge- 
meldet. 

Sitxwng  vom  IL  Äprü  1905. 

Herr  B  ran  dl  sprach  über  eine  neue  Art,  Shakespeare  zu  spielen. 
Die  heutige  Bühnenkunst  verwendet  mit  dem  grö&ten  Erfolg  ihre  Mittel, 
um  die  iflusion  bei  der  Darstellung  der  Shakespeareschen  Dramen  zu  er- 
höhen. Die  Volksszenen  im  Julius  Cäsar  nach  Art  der  Meininger,  die  Wald- 
szenen im  Sommemachtstraum,  wie  sie  im  Neuen  Theater  Berlins  vorge- 
führt werden,  sind  ein  Beweis  dafür. 

Doch  hatte  auch  die  alte  Bühne  Shakespeares  Vorzüge,  die  freilich  seit 
dem  17.  Jahrhundert  in  Vergessenheit  geraten  sind,  obschon  der  Dichter 
gerade  jenen  Einrichtungen  seine  Dramen  angepafst  hatte. 

Der  Fulsboden  der  Bühne  sprang  nämlidi  bis  in  die  Mitte  des  Par- 
terres vor,  so  beim  Globus-Theater  und  bei  dem  1599  erbauten  Fortuna- 
Theater.  Das  war  günstig  z.  B.  für  den  Sprecher  eines  Monologs.  Auf 
der  hinteren  Hälfte  der  Bühne  stand  nicht  nur  ein  Balkon,  sonaern  auf 
Säulen  ein  mit  Fenstern  versehenes  oberes  Stockwerk,  das  bald  Mauer- 
zinnen, bald  Privatgemächer,  bald  eine  Galerie  für  Geister  darstellen  konnte. 
So  nahm  am  Abend  oben  Julia  Gift,  während  man  unten  das  Hochzeits- 
mahl  bereitete.  Am  Morgen  oben  Entsetzen,  als  die  Dienerin  Julias  Tod 
verkündete,  während  unten  der  Bräutigam  mit  Musikanten  aufzog.  Heute 
hilft  man  sich  hier  mit  Streichungen  und  läfst  sogar  den  Bräutigam  mit 
Musikanten  in  das  Schlafzimmer  der  Braut  eintreten. 


fflr  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  115 

Leicht  zu  vermeiden  sind  auch  heute  die  Pausen,  die  Sh.  ear  nicht 
kannte.  In  der  Folio  (1623)  sind  noch  viele  Stücke  ohne  Akt-  und  Szenen- 
pausen  gedruckt.  Heinrich  VIII.  dauerte  ohne  Pause  nur  zwei  Stunden. 
War  Dekorationswechsel  nötig,  so  wurden  ein  oder  zwei  Szenen  vor  dem 
Vorhang  gespielt,  der  die  Bflhne  in  der  Mitte  teilte,  also  vor  dem  Doppel- 
stockwerk hing.  Vor  dem  Vorhang  war  eine  offene  Strafse,  Schlachtfeld, 
Wald  u.  ä«,  aber  nie  Dekoration.  Hinter  dem  Vorhang  war  immer  eine 
bestimmte  Statte  zwischen  vier  Wänden  mit  vielerlei  Dekorationen.  Diese 
hintere  Illusionsbühne  brauchte  keine  Verwandlungspausen  wie  bei  uns, 
man  spielte  inzwischen  auf  der  illusionslosen  Vorderbühne  weiter. 

Das  griechische  Trauerspiel  freilich  hatte  Pausen,  in  die  es  den  Chor 
verlegte,  und  die  Oper  des  17.  Jahrhunderts  füllte  die  Pausen  mit  Musik 
aus  und  verschob  nach  der  Rückkehr  der  Stuarts  den  Vorhang  von  der 
Mitte  an  den  Vorderrand  der  Bühne.  Hiemach  wurden  dann  unsere  Dra- 
men, z.  B.  Teil,  eingerichtet.  Die  abgeschaffte  Zwischenaktsmusik  war 
durdiaus  an  ihrem  Platze.  Wollte  Sh.  sehr  grolse  Zeitabstande  markieren, 
so  liels  esr  wie  im  Heinrich  V.  und  im  Wintermärchen  einen  Prologredner 
auftreten.  Bei  Stücken  loserer  Fügung  (Hamlet,  Lear,  Eönigsdrama^  zer- 
legen die  modernen  Pausen  die  Stücke  leider  in  eine  Bolie  Tableaus. 
Hamlet,  in  zwei  Stunden  gespielt,  würde  nachhaltiger  wirken  als  in  der 
jetzt  üblichen  Vorführung. 

Am  29.  April  1905  wird  nun  in  Weimar  eine  pausenlose  Aufführung 
Bichards  IL  gewagt  werden.  Die  Darsteller  sina  durchaus  dafür,  weil 
häufige  Pausen  sie  oft  aus  der  Stimmung  bringen.  Da  eine  Drehbühne 
in  Weimar  nicht  vorhanden  ist,  wird  man  die  Pausen  durch  einen  Mittel- 
vorhang beseitigen. 

Im  ersten  Akt  sitzt  der  König  bereits  auf  dem  Thron  und  ladet 
Bolingbroke  und  Mowbray  nach  Coventry.  Vorhang  fällt  Vor  demselben 
spricht  Gaunt  mit  einer  Herzogin  über  eine  Untat  des  Königs  und  geht 
dann  vor  unseren  Augen  ab.  Inzwischen  ist  hinter  dem  Vorhang  die 
Coventryszene  vorbereitet  Der  Vorhang  geht  hoch.  Der  König  zieht  ein, 
Turnier  und  Verbannung  folgen.  Vomang  fällt  Vom  bleibt  der  ver- 
bannte Bolingbroke  mit  seinem  Vater  zurück. 

So  wirkt  der  erste  Akt  konzentrischer,  die  Hauptszenen  treten  mehr 
ins  Licht,  die  Sympathieszenen  in  den  Schatten. 

Im  zweiten  Akt  vom  Grespräch  des  Königs  mit  seinen  Günstlingen. 
Sie  treten  ab.  Vorhang  geht  hoch.  Bichard  IL,  der  auf  den  Besitz  des 
sterbenden  Gaunt  Hand  legt. 

Vorhang  fällt:  Gaunts  Freunde  planen  den  Aufstand.  Vorhang  hebt 
sich:  Die  Königin  redet  mit  den  Günstlingen.  Vorhang  fällt:  Lagerszene, 
die  Königlichen  auf  der  einen  Seite,  Bolingbrokes  Leute  auf  der  anderen. 
Vorhang  weg:  Der  König  in  Schlofs  Flint,  steigt  hinab  zu  den  Aufruh- 
rern, wird  abgeführt. 

Vorhang  fäUt:  Königin  und  Gärtner.  Hinten  wird  die  Westminster- 
halle  vorbereitet,  in  der  die  Abdankung  (vierter  Akt)  erfolgt. 

Der  Schlufsakt  braucht  drei  Szenen  mit  Dekoration,  daher  vor  jeder 
Hauptszene  (Bolingbroke  als  König  —  Richard  im  Kerker  —  Bolingbroke 
auf  dem  Thron)  einige  Aktionen  vor  dem  Vorhang. 

In  England  hat  man  seit  einigen  Jahren  zwar  Versuche  gemacht,  die 
Pausen  auszuschalten,  aber  die  \^rhang8gesetze  nicht  beobachtet;  daher 
kam  kein  Vorteil  heraus. 

Auch  Drehbühnen  haben  nicht  leisten  können,  was  Sh.  verlangte.  In 
neuester  Zeit  beschäftigen  sich  die  amerikanischen  Universitäten  gleichfalls 
mit  dem  Problem  der  Shakespeareauf fühmngen.  — 

Herr  Cornicelius  spracn  über  George  Sands  soziale  Romane. 
Die  Scheidung  der  Romane  George  Sands  m  vier  Gruppen,  neuerdinss  in 
der  literarhistorischen  Betrachtung  fast  allgemein  angenommen,  wird  mit 

8* 


^ 


116  SiteuDgen  der  Berliner  Gesellflchaft 

Unrecht  hier  und  da  (so  von  Kar^nine,  von  Leblond,  Bevue  de  Paris, 
1.  Jnli  19u4)  angriffen;  sie  ist  im  wesentlichen  wohlbegründet  Die 
sozial-humanitäre  Gruppe^  hauptsächlich  vertreten  durch  I^  Compagnon 
du  tour  de  France,  Le  Meunier  a'Angibault,  Le  P^ch^  de  Monsieur  Antoine, 
steht  bei  den  Franzosen  nicht  in  besonders  sutem  ästhetischem  Ruf.  Si^t 
man  diese  Romane  vor  allem  auf  den  chanäteristischen  Teil  ihres  Inhalts 
an,  so  ist  am  wichtigsten  der  zuletzt  (1847)  erschienene:  Le  P^ch^  de  Mon- 
sieur Antoine.  Der  von  dem  gut  gezeichneten  industriellen  Unternehmer 
Cardonnet  vertretenen  praktisch  materiellen,  rationdl  ^oisüschen  Lebens- 
auffassung stellen  sich  in  dessen  Sohn  Emile,  dem  Marquis  von  Boisguil- 
baut  und  dem  Grafen  Antoine  von  Chäteaubrun  u^d  seiner  Umgebung 
Idealisten  verschiedener  Schattierung  g^enüber.  Emile  Cardonnet,  der 
seinem  Vater  vergeblich  den,  wie  er  ül>n'zeugt  ist,  sicheren  praktischen 
und  ideellen  Erfolg  eines  kommunistisch  betriebenen  Fabrikuntemehmens 
ausmalt,  findet  ganz  unverhofft  in  dem  letzten  Abkömmling  eines  alt- 
adligen Geschlechts  einen  ausschweifenden  theoretischen  Kommunisten,  der 
ihn  als  soziRlpolitischen  Sohn  und  Erben  adcmtiert  und  ihm  Grundbesitz 
und  reiche  Geldmittel  zu  dem  praktischen  Versuch  einer  landwirtachaft- 
lichen  Kommunegründung  hinterläist.  —  Dieselben  kommunistischen  Ideen, 
die  hier  breiter  vorgetragen  sind,  künden  sich  in  dem  zwei  Jahre  älteren 
Roman:  Le  Meunier  d'^gibault  (1845),  schon  an,  und  auch  dem  Helden 
in  Le  Compagnon  du  tour  de  France  (1840)  schwebt  dnmal  eipe  gemein- 
nützige Verwendung  ihm  zugedachten  Reichtums  im  Sinne  Emile  Car- 
donnets  vor.  Sonst  aber  handeln  beide  Romane  hauptsächlich  von  der 
sozialen  Verwerflichkeit  des  Reichtums.  In  Le  Compagnon  du  tour  de 
France  ißt  die  Schilderung  der  französischen  Gesellenoünde  jener  Z&t 
kulturgeschichtlich  von  Wert.  Der  Titel  bezeichnet  ein  Mitglied  eines 
Gesellenbundes,  das  Frankreich  durchwandert  hat  Le  tour  ds  France 
scheint  aber  auch  die  (resamtheit  der  in  der  Wanderbewegung  beniffenen 
verschieden  inkorporierten  Handwerksgesellen  zu  bedeuten  (vgL  6d.  I  79. 
92).  —  George  Sand  hat  auch  in  der  Journalistik  für  ihre  sozialoi  Ideen 
ei^g  gearbeitet,  bis  zu  den  Junitagen  1848.  Dann  schied  sie  aus  der 
kämpfenden  Opposition,  ohne  wesenuich  ihre  Gesinnung  zu  ändern.  Ihre 
guten  Beziehungen  zu  Napoleon  benutzte  sie,  um  das  Schicksal  politisch 
Verfolgter,  soviel  sie  vermochte,  zu  mildem. 

Sitzung  vom  25.  April  1905. 

Herr  Splettstöfser  spricht  über  Ada  Negri.  Der  Vortragende 
schildert  die  norditaiienischen  Industrie-  und  Arbeiterv^hältnisse,  das 
Milieu,  in  dem  Ada  Negri  geboren  und  aufgewachsen  ist  Ihr  Lebenslauf 
offenbart  ihre  Abhängigkeit  von  dieser  Umgebung,  ihr  Ringen  und  Stre- 
ben darüber  hinaus.  Aus  diesen  Faktoren  erwächst  ihre  Dichtung,  deren 
Grundthema  der  Gegensatz  zwischen  Individuum  und  Gresellschaft  ist  Wie 
der  Russe  Gorki,  weiht  sie  den  unteren  Volksklassen  ihr  Mitleid  und  ihre 
Hoffnung.  Die  Propaganda  für  ihre  Erhebung  gründet  sie  auf  die  Mutter- 
schaft, die  allen  Menschen  heilig  ist.  In  ihrem  Zeichen  sind  alle  Menschen 
gleich ;  vor  ihr  verschwinden  die  trennenden  G^ensätze,  und  es  wird  mög- 
lich die  Rückkehr  zur  Natur,  die  Rückkehr  zur  Einfachheit  und  Menschen- 
liebe, wie  sie  einst  das  Evangelium  gepredij^  hat.  —  Der  Vortrag  dniger 
(tedichte  in  Hedwig  Jahns  Übersetzung  erläuterte  das  Gesagte. 

Herr  A.  Tobler  setzte  die  früher  (in  den  Sitzungen  vom  21.  April 
und  19.  Mai  1903)  gegebenen  Mitteilungen  aus  den  in  seinem  Besitze  oe- 
findlichen  Briefen  Gaston  Paris'  an  Friedrich  Diez  fort  und  begldtete  sie 
mit  den  zu  völligem  Verständnis  nöti^  scheinenden  Erläut^ungm.  Das 
Ganze  soll  demnächst  im  Archiv  verönentlicht  werden. 

Herr  Oberlehrer  Düvel  wird  in  die  Gresellschaft  aufgenommen. 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  117 

Sitzung  vom  16.  Mai  1905, 

Der  Vorsitzende  macht  Mitteilung  von  dem  Tode  des  Mitgliedes  der 
(resellschaft,  Oberlehrers  Karl  Falck.  Die  Anwesenden  ehren  sein  An- 
denken durch  Erheben  von  den  Sitzen. 

Herr  Lamprecht  spricht  über  Hanotauz,  Histoire  de  la  France  eon- 
temporatne,  Band  2.  Er  enthält  in  Kap.  1 — 9  die  Politik  vom  24.  Mai  187B, 
die  moralische  Ordnung,  die  monarchischen  Bestrebungen,  die  Zusammen- 
kunft der  Grafen  v.  Chambord  und  des  Abgesandten  Chesnelong  in  Salz- 
burg am  H.  Oktober,  den  Brief  des  Grafen  vom  27.  Oktober,  die  Fest- 
legung des  Septennats  für  den  Pr^identen,  das  zweite  Ministerium  Broglie, 
in  dem  der  Herzog  Decazes  das  Äufsere,  jener  das  Innere  hatte,  den  be- 
waffneten Frieden  und  den  Kulturkampf  und  den  Sturz  von  BrogUe  am 
16.  Mai  1874. 

Über  Quellensammlung,  Auffassung  und  Darstellung  ist  dasselbe  zu 
sagen  wie  über  den  ersten  Band  (siehe  Archiv  OXIV,  173).  Von  bisher 
ungedruckten  Quellen  sind  zu  nennen  die  Memoiren  von  Mac  Mahon, 
Auory  und  dem  Grafen  von  Paris,  die  Erinnerungen  von  dem  Vicomte 
d'Harcourt,  dem  Grafen  de  Vaussey,  die  Briefe  des  Herzog  Decazes  und 
des  Generals  le  F16,  der  Briefwechsel  von  Taine  u.  a.  Emffehende,  zum 
guten  Teil  auf  persönlicher  Bekanntschaft  beruhende  und  deshalb  treffende 
Charakteristiken  finden  sich  von  Mac  Mahon,  Herzog  de  Broglie,  Gam- 
betta,  Herzog  von  Audiffret-Pasquier,  Laboulaye  und  dem  Herzog  Decazes. 

Die  Kapitel  10 — 13  bdiandeln  die  Wiederaufrichtung  Frankreichs  und 
das  Emporkommen  der  republikanischen  Staatsform,  den  Stand  der  Lite- 
ratur, der  Künste  und  Wissenschaften,  die  sittliche  Krisis  in  jener  Zeit. 
Wenn  die  ersten  neun  Kapitel  den  Geschichtsforscher  interessieren,  so 
fesselt  das  zehnte  besonders  von  der  volkswirtschaftlichen  und  der  gesell- 
schaftlichen Seite.  Das  elfte  ist  für  die  Lehrer  des  Französischen  das 
wichtigste,  denn  darin  wird  behandelt  der  nachwirkende  Einflufs  von 
V.  Hugo,  Michelet,  Balzac  und  G.  Sand,  der  Einflufs  des  Krieges  auf 
Philosophie  und  Geschichtsforschung,  auf  das  Theater,  den  Boman,  die 
Literatur  über  die  Neuordnung  des  Staates,  die  eelehrte  und  Gelegenheits- 
literatur in  Büchern  und  Zeitschriften,  sowie  endlich  die  Presse.  Im  zwölf- 
ten findet  sich  Baukunst,  Bildhauerkunst  und  Malerei,  sowie  Musik ;  unter 
den  Wissenschaften  besonders  die  recht  eigentlich  modernen,  nämlich 
Physik,  Chemie,  Elektrizität  und  Anthropologie.  Das  letzte,  am  schwer- 
sten zu  verstehende  wird  besonders  den  Geschichtsphilosophen  anziehen. 
Wie  der  erste  Band,  so  verdient  auch  dieser  für  die  Bibliotheken  der  Real- 
gymnasien und  Oberrealschulen  die  allerwärmste  Empfehlung. 

Sitzung  vom  26,  September  1905, 

Der  Vorsitzende,  Herr  Adolf  Tob  1er,  dankt  in  dieser  ersten  Sitzung 
nach  den  Ferien  der  Gesellschaft  für  die  Ehrungen  zu  seinem  70.  Greburts- 
tage,  besonders  für  die  literarische  Festgabe,  die  recht  verdienstliche  und 
wertvolle  Arbeiten  enthalte. 

Sodann  macht  er  Mitteilung  von  dem  Ableben  des  Ehrenmitgliedes 
der  Gesellschaft,  Hofrats  Mnssafia  in  Wien,  der  erst  im  Februar  dieses 
.Tahres  seinen  70.  Geburtstag  gefeiert  und  nach  Aufgabe  seiner  Lehrtätig- 
keit sich  nach  Florenz  zurückgezogen  habe.  In  Spalato  als  Sohn  eines 
Kabbiners  geboren,  studierte  er  zuerst  Medizin  und  trat  dann  zum  Katho- 
lizismus über,  um  eine  öffentliche  Stellung  einnehmen  zu  können.  Wie 
Yr\,  Elise  Richter  in  den  zu  seinem  letzten  Geburtstage  herausgegebenen 
'Bausteinen  zur  romanischen  Philologie'  nachgewiesen  habe,  seien  von  ihm 
nicht  weniger  als  386  Arbeiten  erschienen,  die  nicht  nur  von  grofser  Ge- 
wissenhaftigkeit und  Feinheit  in  der  Form,  sondern  auch  von  erstaunlicher 


118  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

Vielseitigkeit  zeugten;  mit  Ausnahme  vielleicht  des  Rhätoromanischen 
habe  er  alle  romanischen  Dialekte  in  gleich  eingehender  Weise  behandelt. 
Seine  Hauptarbeiten  sind  die  über  die  Legenden  vom  Kreuzesholz  und 
von  den  Wundem  der  Jungfrau  Maria.  Eine  Sammlung  altfranzösischer 
Lcagenden  in  Prosa,  die  er  ^gönnen  hat  herauszugeben,  wird  wahrschein- 
lich nicht  vollendet  werden.  Am  meisten  Verbreitung  fand  seine  Italie- 
nische Grammatik;  aber  sie  hat  am  wenigsten  Wert. 

Auch  ein  ordentliches  Mitglied  der  Gesellschaft  ist  gestorben:  der 
Buchhändler  Albert  Cohn,  der  das  77.  Lebensjahr  erreicht  hat.  22  Jahre 
war  er  Besitzer  der  Firma  Asher,  beschäftigte  sich  sber  seit  1874  mit  dem 
Antiquariat  und  lebte  in  den  letzten  Jahren  ausschlielslich  wissenschaft- 
licher Tätigkeit.  Namentlich  seine  bibliographischen  Studien  Qber  Shake- 
8i>eare  uncT  sein  Buch  'Shakespeare  in  Germimy'  sind  sehr  geschätzt  — 
Die  GeseUschaft  ehrt  das  Andenken  beider  HÜerren  durch  Erheben  von 
den  Sitzen. 

Herr  Münch  sp^richt  über  *D%e  Oestalt  des  Aufidius  in  Shakespeares 
Ooriolantis*,  Im  'Coriolanus'  spiegelt  sich  der  Charakter  des  Helden  auf 
mannigfache  Weise  in  den  umgebenden  oder  gegenüberstehenden  Gestal- 
ten. Dabei  ist  aber  die  Auffassung  dieser  Gestalten  und  dessen,  was  sie 
dem  Helden  gegenüber  bedeuten  sollen,  bei  den  Beurteilern  vielfach  un- 
gleich. Dies  kann  schon  für  Menenius  gelten  oder  für  Volumnia,  gilt  aber 
am  meisten  für  Tullus  Aufidius.  Vorwiegend  handelt  es  sich  uro  die 
Frage:  Ist  A.  wesentlich  als  hal^ose  oder  als  tückische  Natur  aufzufassen? 
Das  letztere  ist  namentlich  die  Überzeugung  von  Oechelhäuser.  Zugleich 
hat  Bulthaupt  an  der  Zeichnung  der  G«talt  durch  den  Dichter  viel  aus- 
zusetzen. Unter  anderem  wird  die  nötige  Vollständigkeit  des  Bildes  ver- 
mifst  und  in  der  zum  SchluDs  geäufserten  'rapiden  und  wohlfeilen'  Beue 
ein  technisch  -  psychologischer  Mangel  gefunden.  Oechelhäuser  anderseits 
sucht  zu  beweisen,  dals  der  bei  der  Aufnahme  des  verbannten  Coriolan 
an  den  Tag  gelegte  Edelmut  des  Aufidius  als  durchaus  erheuchelt  aufge- 
fafst  werden  müsse.  Der  Vortragende  findet,  dafs  Shakespeare  in  allem 
Wesentlichtn  dnfach  der  Charakterschilderung  seiner  Queue,  des  North- 
sehen  Plutarch,  gefolgt  sei  und  diese  Schilderung  nur  ausgeführt  und  ver- 
tieft habe,  dais  das  Charakterbild  des  A.  durchaus  vollständig  und  deut- 
lich genug  sei,  und  er  charakterisiert  diese  Gestalt  schliefslich  durch  eine 
Zusammenstellung  mit  derjeni^n  von  König  Richard  IL  Entgeffeneesetzte 
Stimmungen  streben  auch  bei  jenem  rasch  zu  maislosem  AusdrucK,  eine 
überleicht  erregte  Phantasie  übt  eine  starke  Herrschaft  über  das  F^ühlen 
und  Wollen,  starker  Stimmungsumschlag  liegt  niemals  fem,  und  das 
empfindlichste  Selbstgefühl  wird  zugleich  zur  Qual  und  zur  Versuchung. 
Des  Aufidius  Wesen  und  dasjenige  Coriolans  treten  auseinander  wie  starre 
Stetigkeit  und  lockere  Unstetigkeii,  wie  anspruchsvoller  Stolz  und  empfind- 
licher P^rgeiz,  wie  Übermenschen  tum  und  Grolsmannssucht. 

Herr  Rudolf  Tob  1er  erstattete  einen  Bericht  über  den  Ferienkursus, 
der  im  August  1905  in  Edinburg  stattgefunden  hat.  Der  Leiter  des  Kursus 
war  der  im  englischen  rnterricht  wohlerfahrene  Professor  Kirkpatrick,  die 
Universität  hatte  die  Räume,  auch  ihre  Bibliothek  nebst  Lesesaal  dazu 
hergegeben.  Unter  den  englischen  Vorlesungen  war  besonders  zu  rühmen 
die  des  Herrn  Jack  ( Tennyson  and  Browning)  und  die  von  Herrn  Professor 
Kirkpatrick  [English  Langttage  and  Orammar),  letztere  für  Ausländer  be- 
sonders wichtig  durch  die  Anführung  und  Erklärung  zahlreicher  idioma- 
tischer Ausdrücke.  In  englischer  i^prache  waren  ferner  Vorlesungen  über 
Phonetik  (Prof.  Sweet),  iwer  Unterrichtsmethode  (Mifs  Bob^on,  Direktor 
Walter),  zwei  Vorlesungen  geschichtlichen  Inhalts,  zwei  astronomische  Vor- 
träge, ein  Vortrag  über  Alt -Edinburg  und  einer  über  die  letzte  englisdie 
Südpolffthrt.  Neben  den  englischen  Vorlesungen,  die  im  ganzen  47  Stun- 
den  füllten,   waren   praktische  Kurse   zu  je    15  Stunden  eingerichtet  in 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  119 

Grum)en  von  10—12  Mitgliedern,  wo  Aussprache  sowie  mündlicher  und 
schriftlicher  Ausdruck  geübt  wurde;  hier  machte  sich  die  Ungldchheit  der 
Vorbildung  sehr  unangenehm  fühlbar.  Neben  den  Vorlesungen  gingen 
einher  Kezitationsabende,  gesellige  Abende  mit  Deklamationen  und  Aus- 
flüge. Da  die  Kurse  hauptsächlich  für  £ndänder  und  Schotten  bestimmt 
waren,  fand  sich  auch  bei  den  letzteren  viel  Gelegenheit,  Englisch  zu  hören. 
Auf  den  französischen  und  den  deutschen  Kursus,  der  neben  dem  eng- 
lischen stattfand,  geht  der  Vortragende  nur  kurz  ein.  Er  rühmt  zum 
Schlufs  die  reiche  Anregung,  die  aie  verschiedenen  Vorlesungen  gegeben 
haben  und  bedauert  nur  die  Häufung  der  phonetischen  Vorlesungen  und 
die  unzweckmäfsi^  Anordnung  der  pjraktischen  Übungen. 

Herr  Borbein  meint,  es  wäre  ihm  interessant  gewesen,  aligemeine 
Bemerkungen  über  die  Beziehungen  zwischen  den  einzelnen  Studenten  zu 
hören.  Er  selber  habe  vor  einigen  Jahren  längere  Zeit  in  Edinburg  ver- 
bracht, in  einer  Art  studentischer  Gemeinschaft,  habe  sich  zwar  körper- 
lich und  wirtschaftlich  durchaus  wohl  gefühlt,  es  sei  ihm  aber  nicht  ge- 
lungen, in  Beziehungen  zu  den  englischen  Studenten  zu  treten.  Man  h^be 
ihn  zwar  nicht  belästigt,  aber  auch  nicht  gefördert.  —  Herr  B.  Tobler 
sowie  Herr  Hahn  und  Herr  Mangold  stellen  nach  ihren  Erfahrungen 
in  Edinburg  und  Cambridge  fest,  dals  sie  stets  das  liebenswürdigste  &t' 
gegenkommen  und  den  denkbar  besten  Ajischlufjs  gefunden  hätten. 

Sitzung  vom  10.  Oktober  1905, 

Der  Vorsitzende,  Herr  Adolf  Tobler,  macht  Mitteilung  von  dem 
Tode  des  Mitgliedes  Herrn  Sohier.  Die  Gesellschaft  ehrt  das  Andenken 
des  Dahingeschiedenen  durch  Erheben  von  den  Sitzen. 

Herr  Cornicelius  sprach  über  Cormenin.  C.  ist,  wie  P.  L.  Cou- 
rier für  die  Zeit  der  Restauration,  für  die  Julimonarchie  der  charakte- 
ristische Pamphletist;  charakteristisch  Courier  gegenüber  auch  darin,  dafs 
er,  wie  überhaupt  grofsenteils  die  französische  Literatur  jener  zwei  Jahr- 
zehnte nach  der  Julirevolution,  viel  nachlässiger,  unkünstlerischer  in  der 
Form  ist,  mit  viel  gröberen  Mitteln  nur  auf  den  nächsten  Effekt  hin 
arbeitet.  So  hat  ihn  Bainte-Beuve  schon  1848  (Partraiis  eontemporains  III 
406  ff.)  literarisch  neben  und  unter  P.  L.  Courier  gestellt.  —  1788  in  Paris 
geboren,  diente  C.  Napoleon  und  dann  den  beiden  Bourbonenkönigen  der 
Ilestauration  im  Staatsrat  und  gelangte  als  Jurist  zu  verdientem  Ansehen 
durch  sein  Werk  über  das  französische  Verwaltun^recht  (1822j.  Lud- 
wig XVIII.  machte  ihn  zum  Baron,  Karl  X.  zum  Vicomte  und  Majorats- 
herm.  In  die  Deputiertenkammer  trat  er  1828,  aber  erst  seit  1830  mischte 
er  sich  anhaltend  und  gleich  mit  lautem  Lärm  in  die  politischen  Tages- 
kämpfe. Zu  a11g;emeiner  Überraschung  vertritt  er  jetzt,  auf  dem  Grunde 
der  Voiksouveränität  und  der  anderen  Hauptlehren  des  Contrat  social,  die 
extremsten  Forderungen  der  radikalen  Demokratie:  vor  allem  ein  unbe- 
sdiränktes  allgemeines  gleiches  Wahlrecht  und  unbeschränkte  Prefsfreiheit. 
Aufs  heftigste,  ohne  irgendwelche  Rücksicht  greift  er  dann  die  für  König 
Louis  Philipp  geforderten  Staatsauf  Wendungen  an,  später  (1837  und  1840; 
die  Apanage-  und  Dotationsforderungen  für  den  Herzog  von  Nemours; 
mit  offenbarem  Erfolg  in  den  beiden  letzten  Fällen,  nicht  nur  bei  der  mit 
Schmeichelei  von  ihm  überhäuften  Masse  des  Volkes.  Wie  er  damals  auch 
literarische  Schule  gemacht  hat,  läfst  sich  in  den  Pamphleten  Claude  Til- 
liers  nachweisen.  —  Unter  Cormenins  übrigen  Schriften  am  wichtigsten 
und  von  französischen  Historikern  noch  benutzt  sind  die  zumeist  witzig 
boshaften  Charakteristiken  franz.  Parlamentsredner  besonders  der  Julimon- 
archie, denen  er  in  den  späteren  Ausgaben  den  anspruchsvollen  Titel 
Ltvre  des  orateurs  gab;  hier  hat  er  an  dem  Deutschen  Eudolf  Haym  (^Beden 
und  Bedner  des  ersten  preufsischen  Vereinigten  Landtages')  einen  Nach- 


120  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

ahmer.  Viel  geringer  an  Wert  sind  die  Entretums  de  vülagc,  welche  die 
mannigfaltigsten  I^formen  der  Zustande  auf  dem  französischen  Lande 
vorschlagen.  —  Als  gläubiger  Katholik  und  scharfer  Verteidiger  der  An- 
Sprüche  des  ultramontanen  franz.  Klerus  verlor  C.  gegen  Ende  der  Juli- 
monarchio  eine  Zeitlang  die  Volksgunst,  spielte  aber  in  den  ersten  Monaten 
nach  der  Februarrevolution  wieder  unter  den  radikalen  Bepublikanem 
eine  wichtige  Rolle.  Mit  dem  zweiten  Kaiserreich,  unter  dem  er  wieder 
in  den  IS30  von  ihm  verlassenen  Staatsrat  trat,  söhnte  er  sich  trotz  der 
mangelnden  Freiheiten  aus,  da  er  es  durch  das  Plebiszit  auf  das  Prinzip 
der  volkssouveränitat  gestellt  fand.  18(58  ist  er  gestorben.  Historisch 
bleibt  er  von  Bedeutung  als  der  wirksamste  unter  den  Publizisten,  die  nach 
1830  das  monarchische  Gefühl  in  den  breiten  Schichten  des  franz.  Volkes 
von  Grund  aus  zu  vernichten  begannen. 

Herr  Adolf  Tobler  hebt  hervor,  wie  Hervorragendes  die  Franzosen 
in  der  politischen  Beredsamkeit,  der  Journalistik  und  Pamphletistik  ge- 
leistet haben;  P.  L.  Courier  ist  der  glänzendste  Vertreter  dieser  Gattung; 
es  würde  sich  wohl  lohnen,  auch  manches  davon  im  Unterricht  zu  ver- 
werten. 

Herr  Ludwig  spricht  im  Anschlufs  an  Bennert,  The  Life  of  IjOpc 
de  Vega,  über  die  Jugend  des  spanischen  Dichters.  Der  Vortragende  zeigt, 
wie  die  bisherigen  biographischen  Quellen  durch  die  kürzlich  veröffent- 
lichten Akten  des  Beleidigungsprozesses  eines  Theaterdirektors  ^egen  Lope 
berichtigt  werden,  und  gibt  dann  eine  Darstellung  des  Verhältnisses  I^opes 
zu  Elena  Osorio  (der  Doroiea  und  Filis  seiner  Werke]  und  zu  Isabel  de 
Alderete  (Beiisa),  seiner  späteren  Gattin.  Es  wird  dargelegt,  wie  diese 
Liebeswirren  in  der  Eomanzcndichtuug  I^pes  ihre  poetische  Wiaerspiegelunfr 
finden,  und  der  Versuch  wird  gemacht,  Lopes  Verhalten  aus  seinem  Cha- 
rakter heraus  zu  verstellen.  —  Der  Vortrag  wird  in  der  Sonntagsbeilage 
der  Vossischen  Zeitung  erscheinen. 

Herr  Werner  sprach  über:  Besson,  SeJtüler  et  la  liüerature  frcui^aise. 
Nach  einigen  einleitenden  Bemerkungen  über  die  Rolle,  die  Schiller  in 
Frankreich  gespielt  hat  und  spielt,  wandte  sicli  der  Vortragende  den  Unter- 
suchungen Bessons  zu.  Der  französische  Literarhistoriker  will  zeigen,  wie 
die  franz.  Literatur  auf  Schiller  gewirkt,  was  er  von  ihr  gehalten,  was  er 
ihr  verdankt  hat.  An  zahlreichen  Beispielen  wurde  dies  im  einzelnen  dar- 
getan.  Der  Verfasser  kennt  Schiller  semr  gut;  er  tritt  ihm  im  allgemeinen 
durchaus  unparteiisch  entgegen,  und  so  können  wir  Deutschen  ihm  für 
seine  kleine  Jubiläumsgabe  (die  Schrift  ist  die  Erweiterung  einer  Confe- 
rence, die  Besson  am  y.  Mai  d.  J.  an  der  Universität  G renoble  gehalten 
hat)  nur  dankbar  sein. 

Herr  Dr.  Kurt  Mohnert  hat  sich  zur  Aufnahme  in  die  Gesellschaft 
gemeldet. 

Sitxung  vom  24,  Okiober  1905, 

Herr  Mangold  spricht  über  einige  Shakesperestellen  und  ihre  Vor- 
lagen im  Anschlufs  an  den  Aufsatz  von  E.  A.  Sonnenschein  (Unirer- 
sity  Review,  May  1905):  Shakcsjycre  atid  Sioicismy  in  welchem  cler  Ver- 
fasser nachweist,  dafs  tiic  berühmte  Stelle  über  die  Gnade  im  Merchant  of 
Vcnicc:  The  quality  of  mercy  is  not  straitied  durch  Senecas  De  cletncntia 
bceinflufst  ist,  insbesondere:  //  is  itcice  blessed  etc,  durch  I,  9  contendamus 
utrum  etc.;  'Tis  mighticst  etc.  durch  I,  19.  1 ;  U  becomes  etc.  durch  I,  8.  ^ 
und  I,  19.  1;  Btä  vicrey  is  abore  etc.  durch  I,  7.  2;  And  earlkly  potcer  etc. 
durch  Non  proxinuun  eis  etc.  I,  19.  9;  Consider  (his  etc.  durch  (Jogitato  etc. 
I,  ü.  1.  Auch  in  anderen  Dramen  zeigen  sich  Spuren  desselben  Traktates 
von  Seueca.  Da  die  ernte  englische  Übersetzung  von  De  dementia  1614 
crscliien,  kann  Sh.  nur  aus  dem  lateinischen  Original  geschöpft  haben.  — 
Ferner  >Yrist  {Sonnenschein  nach,  dafs  die  Stolle  des  J.  C^acsar  V,  1 : 


J 


für  daa  Studium  der  neueren  Sprachen.  121 

£yeo  by  the  rule  of  tfaat  pbilosophy 
By  whicb  I  did  blame  Cato  for  the  deatb 
Wbicb  he  did  give  himself  . . . 
auf  einem  Fehler  in  Norths  Plutarchiibersetzung  beruht.    Die  Stelle  Iv 
tpdoaofpiq  Xoyov  äfijxn  ueynv  heifst  bei  Amyot:  je  (eis  tm  dtscours  de  Philo- 
sophie, und  dies  gibt  North  fälschlich  wieder  mit:  I  irust  a  certain  rtde 
of  phHosophy,  by  the  which  I  did  greatly  blame  Cato.    Während  also  bei 
Piutarch  Brutus  als  Jüngling  gegen  den  Selbstmord  spricht  und  später 
sich  für  ihn  erklärt,  hat  der  Fehler  von  North  Shakespere  Teranlafst, 
Brutus  in  dem  Drama  selbst  hin-  und  herschwanken  zu  lassen. 

In  der  sich  daranschlielsenden  Erörterung  sprechen  die  Herren  Pen- 
ner und  Tanger  Zweifel  an  dem  direkten  Zusammenhang  mehrerer  Stellen 
mit  der  Vorlage  aus.  Herr  Mackel  zweifelt  überhaupt  an  der  Über- 
einstimmung des  Dichters  mit  Seneca  und  Horaz;  die  klassischen  Philo- 
logen hätten  die  Tendenz,  den  neueren  Dichtern  keine  selbständigen  Ge- 
danken zu  lassen.  Herr  Brandl  führt  aus,  dals  Collins'  Versuch,  Shake- 
speres  Abhängigkeit  von  griechischen  Autoren  nachzuweisen,  zwar 
zurückzuweisen,  dafs  aber  seine  Übereinstimmung  mit  den  zu  seiner  Zeit 
so  viel  gelesenen  lateinischen  Schulautoren  wie  Seneca  und  Horaz  nicht 
zu  leugnen  sei.  Bei  allen  Schriftstellern  der  Elisabethischen  Zeit  sind 
auTserordentlich  viele  Stellen  vorhanden,  die  alle  auf  lateinische  Vorlagen 
zurückgehen;  nicht  immer  direkt,  aber  sie  waren  eben  durch  die  Schul- 
lektüre verbreitet.  Die  Abhängigkeit  Shakesperes  von  Horaz  ist  übrigens 
sicher  gröfser  als  man  daubt;  eine  nähere  Untersuchung  würde  das  er- 
weisen (vgl.  Archiv  CXV,  483). 

Herr  Adolf  Tob! er  bespricht  einige  Erscheinun^n  in  der  neufran- 
zösischen  Grammatik :  Die  Verneinung  in  rhetorischer  Frage,  wo  pas  oder 
point  nicht  steht,  und  die  Wendung:  n'iiait ...  (n'itaient),  wenn  nicht  ge- 
wesen wäre  . . .  für  n'eüt  ite,  synonym  mit  sans.  Im  Altfranzösischen 
steht  das  imparfait  du  subjonctif :  ne  fiiat . . .  Der  Vortrag  wird  im  Druck 
erscheinen  (in  den  Sitzungsberichten  der  KÖnigl.  Akademie  der  Wissen- 
schaften). 

Herr  Direktor  Dr.  Prollius-  Jüterbog  hat  sich  zur  Aufnahme  gemeldet. 

Sitzung  vom  14.  November  1905. 

Herr  Boedieer  sprach  über  den  Plan  einer  Hamburger  Univer- 
sität. Er  sdiiloerte  das  Anwachsen  der  reichentwickelten  Vorlesungen 
in  Hamburg,  die  1.  öffentliche  und  jedermann  zugängliche  sind,  2.  Fort- 
bildungskurse, 8.  Übungen  und  Praktika.  Sie  in  einer  Universität  zu- 
sammenzufassen, ist  ein  alter  Wunsch,  für  den  eine  jüngst  erschienene 
Broschüre  von  Dr.  F.  Sievekin^  (Die  Hamburger  Universität  Ein  Wort 
der  Anregung)  von  neuem  eintritt.  Sie  besteht  im  wesentlichen  aus  einem 
Gutachten  des  Herrn  Dr.  Hugo  Münsterberg,  Professors  der  Philo- 
sophie an  der  Harvarduniversität.  Er  geht  von  der  gänzlich  irrigen  An- 
sicht aus,  dafs  der  Studierte  auf  den  Kaufmann  geringschätzig  hinab- 
schaue, dafs  dieser,  der  Kaufmann,  um  in  der  allgemeinen  Schätzung  ge- 
halten zu  werden,  auch  studiert  haben  müsse,  und  zwar  an  einer  Univer- 
sität Sie  soll  aber  auch  denen  offen  stehen,  die  nur  das  Einjährigenzeugnis 
erworben  haben,  und  in  einen  Unter-  und  Oberkurs  zerfallen.  Nach  Ab- 
solvierung des  ersten  wird  man  auf  eine  Prüfung  hin  Meister  —  der  Kauf- 
mann Kaufmeister,  der  Landmann  Landmeister;  zu  dem  sich  anschlieijsen- 
den  Oberkurs  werden  nur  Studierende  mit  dem,.  Abiturientenzeugnis  zu- 
gelassen, die  den  Doktortitel  erwerben  können.  Über  jede  Vorlesung  wird 
am  Schlufs  des  Semesters  ein  schriftliches  Examen  abgelegt.  Aufserdem 
empfiehlt  Herr  Münsterberg  Einteilung  des  Studienjahres  in  vier  Viertel- 
jahre, wovon  eins  nach  freier  Wahl  Ferienzeit,  Konvikte  usw.,  möchte  auch 


^ 


122  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

seine  Universität  um  die  technischen  Wissenschaften  yermdiren,  während 
er  auf  die  theologische  Fakultät  verzichten  wilL  Dais  die  alten  Univer- 
sitäten sich  nach  diesem  Muster  umbilden  werden,  hofft  er.  Der  Vortra- 
gende nicht.  Er  kann  in  der  Schöpfung  einer  neuen  Klasse  studierter 
Kaufleute  neben  den  un studierten  keine  Ausgleichung  der  Standesunter- 
schiede erblicken,  verwirft  die  ungeheure  Steigerung  des  Ezamenwesens 
mit  ihrer  Bevormundung  der  Studenten,  und  weist  auf  den  Zeitverlast 
hin,  den  die  Zulassung  des  Sekundaners  zu  den  Vorlesungen  für  den  Abi- 
turienten bringen  muis,  da  sie  doch  für  das  Verständnis  des  ersteren  ein- 
zurichten sind.  Man  vermische  nicht  die  verschiedenen  Bildungsanstalten, 
sondern  trenne  sie  nach  Vorbildung  und  Zielen  der  Besucher,  was  für  die 
älteren  eine  Fort-  und  Umbildung  nach  den  Ansprüchen  der  Gegenwart 
und  der  Praxis  nicht  ausschliefst.  Für  Hamburg  würde  selbst  die  mo- 
derne Münsterbergsche  Anstalt  kaum  alles  das  bieten  können,  waa  man 
dort  nach  Ausweis  der  Vorlesungsverzeichnisse  wünscht  und  braucht. 

Herr  Carel  berichtet  über  Gasnar  Nuflez  de  Arce.  Da  der  Vor- 
tragende an  anderer  Stelle  ausführlicner  über  den  Dichter  gesprochen  hat, 
beschränkt  er  sich  auf  eine  kurze  Darstellung  der  beiden  Hauptepochen 
seines  Lebens.  Nämlich  der  am  4.  Juni  1903  zu  Madrid  verstorbene  Ver- 
fasser der  *Orito8  del  combate'  ist  nicht  blois  dichterisch  tätig  eewesen, 
er  hat  sich  auch  seit  seinem  31.  Lebensjahre  (1865)  lebhaft  an  der  poli- 
tischen Entwickelung  Spaniens  beteiligt,  ist  auch  bis  zu  Ende  der  von 
ihm  gegründeten  Fortschrittspartei  treu  ^blieben.  Seitdem  er  ein  Mandat 
für  Valiadolid  angenommen  (18()5),  beginnt  die  unruhige  Zeit  politischer 
Kämpfe,  in  denen  er  die  Prinzipien  des  partub  progresiata  mit  Ehren  ver- 
focht und  zu  hohen  Staatsämtern  gelang.  Präsidentschaftssekretär  der 
radikalen  Besierung  nach  dem  Staatsstreich  von  1874,  nahm  er  1883  unter 
Sagasta  das  Mini8ter|)ortefeuille  der  überseeischen  Kolonien  an.  Doch  kam 
er  nicht  zur  Ruhe,  bib  er  auf  die  ideale  Verwirklichung  seines  Parteipro- 
gramms verzichtete,  etwa  1885.  Was  der  Politiker  aufsah,  gewann  der 
Dichter.  Dieser  zweiten  Epoche  fi;ehören  seine  besten  und  reiroten  dichte- 
rischen Leistungen  an,  die  ihn  ois  zu  seinem  Tode  beschäftigen.  Seine 
Dichtungen  sind  auiserordentlich  verbreitet. 

Der  Vortragende  gibt  eine  kurze  Übersicht  der  Werke,  die  den  Didi- 
ter  vornehmlich  als  Lvriker  kennzeichnen.  Denn  abgesehen  von  den  Ko- 
mödien vor  1865,  in  denen  er  sich  Ayala  und  Tamayo  anzuschlielsen 
scheint,  ist  nur  das  Drama  *El  Hax  de  lena*  zu  nennen,  das  Men^ndez 
^y  Pelayo  günstig  beurteilt.  Berühmt  und  allgemein  geschätzt  wurde  der 
Dichter  mit  einem  Schlage  durch  die  zuerst  Madrid  1875  erschienenen  und 
seitdem  oft  wiederholten  ^Qriios  del  combate\  Von  späteren  Ivrischen  und 
epischen  Gedichten  sind  zu  nennen:  die  sehr  geschätzte  und  oft  wieder- 
holte La  uUima  lamentacion  de  Lord  Byron;  La  Vtst6n  de  Fray  MarHn; 
Maruja;  j  Sursum  corda!  La  Pesca;  Un  Idüio  y  tma  Elegia;  endlich  La 
Selva  oacura.  Besonders  schätzenswert  sind  die  Poemaa  cortos,  aus  denen 
der  Vortragende  den  Sonettenkranz  *El  priniero  beso  de  amor^  in  dgener 
Übertragung  vorlegt.  Der  Zyklus,  interessant  als  ein  Stück  Lebens- 
geschichte aus  der  Feder  des  Dichters  selbst,  erinnert  durch  die  Innigkeit 
des  Gefühls  und  die  feine  psychologische  Zeichnung  an  die  edelsten  Töne 
von  Geibel  und  Rückert. 

Herr  Mackel  bespricht  in  eingehender  Weise  die  in  diesem  Jahre 
rrschienene  Französische  Stilistik  für  Deutsche  von  Clemens  Klöpper 
und  Hermann  Schmidt  und  weist  nach,  dafs  sie  weder  nach  Einteilung, 
Anordnung  und  Stoffauswahl,  noch  nach  der  Ausführung  im  einzelnen 
den  Anforderungen  entspricht,  die  an  eine  Französische  Stilistik  zu  stel- 
len sind. 

Herr  Adolf  Tob  1er  betont,  dais  immer  wieder  die  Frage  erörtert 
werden  inüsi^c:   Was  ist  Stil?  aber  nicht  in  dem  Sinne,  den  Bnffon  dem 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  123 

Worte  gibt.  Die  Verfasser  der  modernen  Bücher  über  Stilistik,  wie  Franke 
und  Klöpper,  besprechen  zu  viel  Dinge,  die  ins  Wörterbudi  gehören,  wäh- 
rend in  Wirklichkeit  bei  dem  Stil  nur  zu  erörtern  sind:  1.  das  Tempo, 
2.  die  Linie,  3.  die  Sphäre  der  Gedankenbewegung. 

Herr  Gade  bemerkt,  dafs  auch  er  das  Klöppersche  Buch  mit  Ent- 
täuschung fiesen  habe.  Uns  fehle  vor  allem  ein  Buch,  das  eine  Methodik 
des  französischen  Aufsatzes  liefere  und  dem  Lehrer  für  die  Besprechung 
und  Vorbereitung  der  Aufsätze  und  frden  Arbeiten  zur  Verfügung  stehe. 
Das  wertvollste  in  dieser  Beziehung  sei  noch  immer  Ulbrichs  Stilistik,  so 
kurz  sie  auch  sei.  Es  empfehle  sich  derartiges  als  Thema  für  eine  wissen- 
schaftliche Beilage  zu  einem  Jahresbericht,  wie  es  z.  B.  von  Reum  in  sei- 
nen Stilübungen,  einer  Beilage  zum  Bericht  des  Vitztumschen  Gymnasiums 
in  Dresden,  geschehen  sei. 

Der  Vorstand  der  Gesellschaft  für  1906  wird  neugewählt.  Da  Herr 
Adolf  Tobler  endgültig  auf  eine  Wiederwahl  verzichtet,  wird  Herr  Man- 
gold zum  ersten,  Herr  Risop  zum  zweiten  Vorsitzenden  gewählt;  erster 
Schriftführer  bleibt  Herr  P  enn  er ,  zweiter  wird  Herr  Hahn;  erster  Sdiatz- 
meister  bleibt  Herr  Pari  seile,  zweiter  wird  Herr  Werner. 

Herr  Direktor  Prollius- Jüterbog  wird  in  die  Gesellschaft  aufge- 
nommen. 

Herr  Lektor  Sefton  Delmer  und  Herr  Oberlehrer  Dr.  Piatow- 
Zehlendorf  haben  sich  zur  Aufnahme  gemeldet. 

Sitzung  vom  28.  November  1905, 

Herr  Risop  spricht  über  Folkloristisches.  Er  vergleicht  den  aus  den 
altfranzösischen  Epen  bekannten  sarrazenischen  Braudi,  behufs  Bekräfti- 
gung eines  Versprechens  oder  eines  Eides  an  den  Zahn  zu  pochen,  mit 
einer  in  den  unteren  Schichten  des  französischen  Volkes  heutzutage  bei 
ähnlicher  Gelegenheit  anzutreffenden  Sitte,  den  Nagel  des  Daumens  mit 
den  Zähnen  derartig  in  Berührung  zu  bringen,  dafs  sich  eine  Art  schnal- 
zenden Geräusches  ergibt  (faire  ciaquer  Pongle  de  son  ponce  sur  ses  dents). 
Der  Vortragende  hält  die  Annahme  für  erlaubt,  daüs  in  beiden  Fällen  der 
Beteuernde  andeuten  wolle,  dafs  seine  Zuverlässigkeit  ebensowenig  zu  be- 
zweifeln sei  wie  die  Festigkeit  und  die  Widerstandskraft  der  bei  der  Ge- 
bärde doch  wohl  zunächst  in  Betracht  kommenden  vorderen  Schneidezähne. 
Sprichwörtliche  Wendungen  gleichen  Sinnes  seien  äufserst  selten,  um  so 
häufiger  finde  man  aber  solche,  die  in  bildlicher  Weise  die  Unzuverlässig- 
keit  und  Aussichtslosigkeit  eines  Verhaltens  oder  Tuns  zu  veranschaulichen 
versuchen. 

Herr  Risop  bespricht  alsdann  unter  Vorlegung  der  vom  Kunstwart 
in  der  Reihe  seiner  Meisterbilder  veröffentlichten  Wieoergabe  Hans  Burgk- 
mairs  Helldunkelblatt  2>^  Tod  als  Würger,  und  kommt  zu  dem  Schlüsse, 
dafs  hier  ein  ganz  anderer  Vorgang  künstlerische  Gestalt  angenommen 
habe,  als  man,  wohl  mit  Hinblick  auf  die  freilich  nicht  auf  die  Dauer 
irreführende  Benennung  des  Bildes,  bisher  allgemein  zu  dauben  scheine. 
Das  alle  technischen  Merkmale  des  Einflusses  der  italienischen  Renaissance 
an  sich  tragende  Blatt  bewege  sich  auch  inhaltlich  durchaus  auf  dem 
fioden  der  romanischen  Gedankenwelt.  Das  zeige  nicht  nur  die  sich  auf 
den  scheinbar  vorhandenen  etymologischen  Zusammenhang  von  mors  und 
mordere  gründende  Tatsache,  dafs  der  Tod  sich  bei  der  Ausübung  seiner 
mörderisdien  Tätigkeit  der  Zähne  bedient,  sondern  werde  auch  nahegelegt 
durch  die  Manipulation,  die  er  mit  dem  bereits  niedergestreckten  Krieger 
Yorzunefajnen  im  Begriff  ist.  Eine  eingehende  Prüfung  der  Körperhaltung 
und  der  Bewegungen  der  Todesgestalt  läfst  erkennen,  dafs  hier  von  einem 
Würgen  nicht  die  Rede  sein  kann;  alles  deute  vielmehr  darauf  hin,  dafs 
der  Tod  seinem  Opfer  die  Seele  aus  dem  Leibe  ziehe,  weil  sie  nicht  frei- 


124  Sitzungen  der  Berliner  Gesellschaft 

willig  aus  ihrer  körperlichen  Hülle  zu  scheiden  gesonnen  sei,  und  gerade 
dieser  Vorgang,  der  mit  dem  von  dem  Tode  in  manchoi  romanischen 
Totentänzen  angedrohten  gewaltsamen  Verfahren  in  Einklang  stehe,  lasse 
sich,  wenn  auch  recht  selten,  in  en^  verwandter  Form  innerhalb  der  fran- 
zösischen und  italienischen  Visionsbteratur  nachwdsen. 

Eine  Äulserung  des  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  ange- 
hörigen  altfranzösischen  Dichters  Aimon  de  Varennes  über  die  Nachtigall, 
dahingehend,  dafs  sie  mit  ihrem  Singen  nidit  nur  erfreuen  wolle,  sondern 
den  ^l  ebenzweck  verfolg,  ihr  Nest  zu  schützen,  gibt  dem  Vortragenden 
Anlals,  den  volkstümhchen  Überlieferungen  nachzugehen,  die  ein  Ver- 
ständnis für  diese  seltsame  Vorstellung  zu  vermitteln  geeignet  sind.  Er 
berührt  zunächst  die  Versuche  mancher  Vögel,  ihre  l^inde  durch  List 
aus  der  Nähe  ihres  Nestes  zu  entfernen,  oder  dasselbe  so  anzulegen,  dals 
es  den  Blicken  der  Verfolger  verborgen  bleibt,  und  bespricht  die  Ursachen, 
die  nach  volkstümlichen  vorstellun^n  den  Vogel  zu  solchem  Verfahren 
bewein.  Näher  verwandt  mit  der  bei  Aimon  wiederklingenden  Anschauung 
erweise  ßich  die  schon  in  allen  französischen  Sammlun^n  auftauchende 
Fabel  von  der  Nachtigall  und  dem  Habicht  (bei  Lafontame  'Le  Rossignol 
et  le  Milan'  überschrieben),  und  noch  näher  stehe  die  dem  Vortragenden 
schon  aus  dem  15.  Jahrhundert  bekannt  gewordene  Sage  von  den  lümken, 
die  die  schlafende  Nachtigall  zu  umschlingen  trachten,  oder  die  von  der 
Blindschleiche,  die  aus  Bache  für  erlittene  Unbill  die  schlafende  Nachti^l 
bedroht  und  nach  einer  deutschen  Fassung  dauernd  die  Absicht  he^,  sich 
an  ihrer  Brut  zu  vergreifen.  In  diesen  letzteren  Fällen  sucht  sich  die 
Nachtigall  den  Nachstellungen  ihrer  Feinde  dadurch  zu  entziehen,  dai^ 
sie,  um  nicht  einzuschlafen,  die  ^anze  Nacht  hindurch  singt;  und  dieser 
Sorge  gibt  denn  auch  der  verschiedenartige  Wortlaut  Ausdruck,  den  das 
Volk  in  verschiedenen  Gegenden  Frankreichs  ihrem  Gesänge  als  Text 
unterzulegen  pflegt.  Der  Vortragende  schliefst  mit  einem  kurzen  Blick 
auf  verscniedene  Eigenheiten,  die  das  Volk  im  Widerspruch  zu  der  der 
Nachtigall  sonst  all^mein  entgegengebrachten  Wertschätzung  bei  ver- 
schiedenen Grelegenheiten  an  ihrem  sittlichen  Verhalten  auszusetzen  findet 

Herr  Kuttner  meint,  im  modernen  Französisch  bedeute  die  Geste 
des  Hervorschnellens  des  Fingernagels  von  den  VorderztUinen  her,  wobei 
die  Worte  pas  pa  gebraucht  werden,  nur  'nicht  das  Greringste^  'nicht  so 
viel'.  Das  wird  von  Herrn  Mangold  bestätigt,  der  aus  seinen  Erinne- 
rungen aus  dem  Kriegsjahre  anführt,  da(s  'nous  n'avons  rien  du  tout,  du 
tout,  du  tout'  bei  den  Landleuten  immer  von  einer  solchen  Greste  b^leitet 
sei.  Herr  B  ran  dl  stellt  fest,  dafs  das  Motiv  von  den  Stützen  der  Nach- 
ti^ll  gegen  einen  Dorn  in  der  Lyrik  der  Shakesi)earezeit  sich  häufig  finde. 
Die  Nachtigall  wird  hier  als  traurig  und  musikalisch  geschildert,  aber 
nicht  als  boshaft  Der  Edelstein  im  Kopfe  der  Kröte,  wovon  bei  Euphues 
die  Eede  ist,  wird  schon  bei  Plinius  erwähnt  Herr  Kuttner  erinnert 
sich,  von  dem  Vogel,  der  durch  verstellte  Flucht  den  Feind  vom  Neste 
ablenken  will,  schon  bei  Buffon  bei  der  fauvctte  gelesen  zu  haben.  Herr 
Adolf  Tob  1er  fügt  hinzu,  dafs  auch  der  Kranich  gern  dafür  sorge,  dafs 
er  nicht  einschla^,  und  zwar  dadurch,  dafs  er  sich  auf  dn  Bein  stelle, 
noch  sicherer  auf  kleinere  Steine,  damit  er  recht  wackle.  In  bezug  auf 
die  Erklärung  des  Biirgkinairschen  Bildes  gebe  er  dem  Vortragenden  recht 
Herr  Tan  c er  fragt,  seit  wann  wohl  das  Wort  folklore  gebraucht  werde, 
und  ob  nicht  'Volkskunde'  besser  sei.  Herr  Penner  sagt,  es  sei  184Ü 
im  Athenäum  zuerst  gebraucht  worden.  Herr  B ran  dl  erwidert,  'Volks- 
kunde* sei  passiv,  das  Wissen  vom  Volk,  'folklore*  sei  aktiv,  das  Wissen 
des  Volkes.  Dazu  käme»  nach  der  Bedeutung  des  altenglischen  Wortes 
Mar'  (Segensspruch  der  heidnischen  Priester)  das  Geheimnisvolle.  Auch 
Herr  Adolf  Tob  1er  ist  der  Meinung,  dafs  'Volkskunde'  einen  ungeheuer 
weitrn  Sinn  habe;   auch  die  Kunde  von  den  Volkstrachten  gehöre  dazu; 


für  das  Stadium  der  neueren  Sprachen.  125 

'folklore'  sei  eine  Art  xoologte  populatre,  wie  sie  der  Franzose  Rolian  ge- 
nannt habe.  Er  erzählt  eine  Deutung,  die  ihm  einst  ein  bäuerlicher  Imf  er 
gegeben  habe,  weshalb  die  Bienen  nicht  in  den  roten  Klee  gehen :  Es  stehe 
m  der  'Schrift\  d.  h.  in  der  Literatur,  daXs  die  Bienen  am  siebenten 
Schöpf ungs tage  gearbeitet  hätten  und  dafür  durch  Entziehung  des  roten 
Klees  gestraft  seien.  In  Wirklichkeit  sei  ihr  Bussel  nicht  lang  genug  für 
die  Blüten  des  roten  Klees;  für  die  Blüten  des  weifsen  Klees  genüse  er. 

Herr  Söhring  spricht  über  die  Verwendung  des  Monologs  in  Shake- 
speares Tragödien.  Nach  einer  kurzen  Würdigung  des  Buches  von  Düsel 
{Der  dramaiisehe  Monolog  in  der  Poetik  des  17,  und  18.  Jahrhunderts  und 
in  den  Dramen  Lessings,  Hamburg  und  Leipzig  1897)  und  des  Delius- 
sehen  Vortrages  über  den  Monolog  bei  Shakespeare  vom  Jahre  1881  (Shake- 
speare-Jahrbuch Bd.  XVI)  vergleicht  er  das  Verfahren  des  Dichters  mit 
Bezug  auf  Zahl  und  Masse  der  Monologe  (Selbstgespräche)  in  den  grolsen 
Tragödien  von  Titus  Andronikus  bis  zu  Antonius  und  Kleopatra.  Er 
kommt  zu  dem  Ergebnis,  dafs  B.  Fischers  Angabe,'  das  Sdbstgespräch 
nehme  mit  dem  zunehmenden  Alter  des  Dichters  an  Zahl  wie  besonders 
an  Masse  ab,  nicht  zutreffend  sd.  Die  darangeknüpften  Folgerungen, 
der  Dichter  habe  bewuist  mehr  und  mehr  auf  diesen  'konventionelien  Not- 
behelf verzichtet,  seien  somit  hinfälUg.  Von  Entwickelung  oder  gar  be- 
wufster  Entwickdung  könne  in  dieser  Hinsicht  bei  Sh.  keine  Bede  sein. 

Der  Vortragende  betrachtet  dann  die  Verwendung  des  monolo- 
gischen Elements  innerhalb  der  dramatischen  Komposition.  Dabei  zeigt 
sich,  dafs  Sh.  zu  allen  Zeiten  die  Hauptmasse  der  Monologe  in  die  Mitte 
der  Akte  gestellt,  und  dafs  auch  in  der  Szene  die  zentrale  Stellung 
bei  weitem  überwiegt;  anders  verfahren  nur  die  Jugenddramen,  so  dalS 
hier  ein  Fortschritt  des  Dichters  in  dramaturgischer  Hinsicht  vorzuliegen 
scheint  Im  Stücke  stehen  die  meisten  Monologe  in  der  Begel  in  den 
ersten  drei  Akten,  doch  machen  Bomeo  und  Julia  und  Othelß  eine  be- 
merkenswerte Ausnahme. 

Bei  der  Betrachtung  der  inneren  Verknüpfung  des  Selbstgesprächs 
mit  Handlung  und  Personen  sondern  sich  zunächst  von  den  übrigen  die- 
jenigen, die  einer  solchen  inneren  Verbindung  entbehren  und  dem  rein 
technisch-szenischen  Zwecke  der  Verknüpfung  zweier  Auftritte  dienen. 

Diese  Klammermonologe  sind  in  den  Tragödien  selten;  sie  finden 
sich  nur  im  Titus  und  im  Romeo;  im  Othello  scheinen  auch  Beispiele 
dafür  vorzuliegen,  die  aber  bei  genauerem  Zusehen  auch  innerlich  be- 
rechtigt sind.  —  Die  innerlich  motivierten  Selbstgespräche  werden  zer- 
legt in  Stimmungs-  und  Tatmonologe;  erstere  gliedern  sich  wieder 
in  Beflexions-  und  Affektmonologe,  letztere  in  Offenbarungs- 
und Entschlufsmonologe. 

[Von  diesen  vier  Klassen  finden  sich  blofse  Beflexionsmonologe  selten ; 
nur  Lear  und  Macbeth  weisen  sie  häufiger  auf.] 

Der  Vortragende  bricht  wegen  der  Vorgerückten  Zeit  ab  und  bittet, 
den  Kest  seiner  Studie  in  der  nächsten  Sitzung  vorlegen  zu  dürfen. 

Herr  Lektor  Sefton  De  Im  er  und  Herr  Oberlehrer  Dr.  Platow- 
Zelilendorf  werden  in  die  Gesellschaft  aufgenommen. 

Herr  Oberlehrer  Dr.  Budolf  Berger  von  der  5.  Bealschule  in  Berlin 
hat  sich  zur  Aufnahme  gemeldet. 

^  In  Beinern  Buche :  Zur  Ktnuientwickelung  der  englüehen  Tragödie,  Strafsborg  1893. 


i 


Verzeichnis  der  Mitglieder 

der 
Berliner  GeseUschaft  für  das  Studium  der  neueren  Spradien. 

Jaxi-uar  1Q06. 


Vorstand. 

Ehrenvorsitzender:  Adolf  Tobler. 

Vorsitzender:  Herr  W.  Mangold. 

Stellvertretender  Vorsitzender:      „     A.  Risop. 
Schriftführer:  „     E.  Penn  er. 

Stellvertretender  Schriftführer:     „     O.  Hahn. 
Erster  Kassenführer:  „     E.  Pariselle. 

Zweiter  Kassenführer:  ^     R.  Werner. 

A,   Ehrenmitglieder. 

Herr  Dr.  Purnivall,  Frederick  J.,  8  St.  George's  Square,  Frim- 

rose  Hill,  London  NW. 
„     Dr.  Gröber,   Gustav,   o.   ö.    Professor   an   der   Universität 

Strafsburg,  Universitätsplatz  8. 
Frau  Vasconcellos,   Carolina   Michaelis   de,   Dr.  phil.      Porto, 

Cedofeita. 

B,    Ordentliche  Mitglieder. 

Herr  Dr.  Berger,  Rudolf,  Oberlehrer  an  der  V.  stadtischen  Real- 
schule zu  Berlin.     Schöneberg,  Klixstrafse  41. 

„  Dr.  Block,  John,  Oberlehrer  am  Reform -Realgymnasium. 
Deutsch -Wilmersdorf,  Preufsische  Stra&e  7. 

„  Boek,  Paul,  Professor,  Oberlehrer  am  Königstädtischen  Real- 
gymnasium.   Grofs-Lichterfelde,  Marthastrafse  2. 

„  Dr.  Borbein,  Johannes,  Professor,  schultechnischer  Mitarbeiter 
im  Kgl.  Provinzial  -  Schul kollegium  zu  Berlin.  Friedenau, 
Beckerstrafse  SIL 

„     Dr.  Born,  Max.    Berlin  NW.  52,  Thomasiusstra&e  26. 


Mitglieder- Verzeichnis  der  Berliner  Gesellschaft  etc.  127 

Herr  Dr.  Brandl,  Alois,  ord.  Professor  an  der  Universität,  Mit- 
glied der  Akademie  der  Wissenschaften.  Berlin  W.  10, 
Kaiserin- Augusta-Strafse  73UL 

„  Dr.  C  a  r  e  1 ,  George,  Professor,  Oberlehrer  an  der  Sophienschule, 
Charlottenburg,  Schlofsstrafse  25. 

„  Dr.  Churchill,  George  B.,  Professor  am  Amherst  College. 
Amherst,  Massachusetts,  U.S.A. 

„     Dr.  Cohn,  Georg.     Berlin  W.,  Linkstrafse  29111. 

„  Dr.  Conrad,  Herrn.,  Professor  an  der  Haupt-Kadettenanstalt. 
Gr.-Lichterfelde,  Berliner  StraTse  19. 

„     Dr.  Cornicelius,  Max.    Berlin  W.,  Luitpoldstrafse  4. 

^  De  Im  er,  Frederic  Befton,  Lektor  der  englischen  Sprache 
an  der  Universität.  Haiensee  bei  Berlin,  Bornimer- 
stralse  19. 

^  Dr.  Dibelius,  W.,  Professor  an  der  Kgl.  Akademie.  Posen, 
NoUendorfstraTse  23. 

„  Dr.  Dieter,  Perd.,  Oberlehrer  an  der  IV.  städtischen  Real- 
schule.   Berlin  O.,  Frankfurter  Allee  80. 

„     Dr.  Driesen,  Otto.    Werder  a.  H.,  Zemsee  15,  Villa  Reisner. 

„  Dr.  Düvel,  Wilhelm,  Oberlehrer  am  Mommsen-Gymnasium. 
Charlottenburg,  KantstraTse  25. 

„  Dr.  Ebeling,  Georg,  Privatdozent  an  der  Universität.  Char- 
lottenburg, LeonhardstraTse  19. 

^     Engel,  Hermann,  Oberlehrer.   Charlottenburg,  Kantstrafse  40. 

„  Dr.  Engelmann,  Hermann,  Professor,  Oberlehrer  an  der 
Friedrichs- Werderschen  Oberrealschule.  Berlin  C,  Nieder- 
wallstrafse  12. 

„  Dr.  Eng  wer,  Theodor,  Oberlehrer  an  dem  Kgl.  Lehrerinnen- 
seminar und  der  Augustaschule.  Berlin  SW.  47,  Hageis- 
berger  StraTse  44. 

„  Dr.  Förster,  Paul,  Professor,  Oberlehrer  am  Kaiser- Wilhelm- 
Realgymnasium.    Berlin  SW.  12,  Kochstrafse  66. 

„  Dr.  Fuchs,  Max,  Oberlehrer  an  der  VL  städtischen  Real- 
schule.   Friedenau,  Stubenrauchstraise  5. 

^  Dr.  Gade,  Heinrich,  Oberlehrer  am  Andreas-Realgymnasium. 
Berlin  NO.  43,  Am  Friedrichshain  7nib. 

,,     Dr.  Goldstaub,  Max.    Berlin  W.  30,  Pallasstrafse  1. 

„  Dr.  Greif,  Wilhelm,  Oberlehrer  am  Andreas-Realgymnasium. 
Berlin  SO.  16,  Köpenickerstrafse  142  H. 

„  Dr.  Gropp,  Ernst,  Professor,  Direktor  der  städtischen  Ober- 
realschule.   Charlottenburg,  Schloisstrafse  27. 

„  Grosset,  Ernest,  Lehrer  an  der  Kgl.  Kriegsakademie.  Ber- 
lin SW.48,  Wilhelmstrafse  146IV. 

„     H  a  a  s ,  J.,  Oberleutnant  a.  D.  Berlin  C,  An  der  Schleuse  5  a. 

„  Dr.  Hahn,  0.,  Professor,  Oberlehrer  an  der  Viktoriaschule. 
Berlin  S.  59,  Urbanstrafse  31 H. 


128  Mitglieder- Verzeichnis  der  Berliner  Geeellschaft 

HeiT  Harsley,  Fred,  M.  A.,  Lektor  der  englischen  Sprache  an  der 
Universität     Berlin  W.  30,  GleditschstraTse  48. 

„  Dr.  Hausknecht,  Emil,  Professor,  Direktor  der  Oberreal- 
schule.     Kiel,  Knooper  Weg  74. 

„  Dr.  Hecker,  Oscar,  Professor,  Lektor  der  italienischen  Spracht- 
an  der  Universität  Berlin  W.  80,  Traunsteiner  SlraJse  10. 

^  Dr.  Heinze,  Alfred,  Oberlehrer  am  Kaiser- Wilhelm-Realgym- 
nasium.    Charlottenburg,  Weimarerstrafse  27. 

„  Dr.  Hellgrewe,  Wilh.,  Oberlehrer  an  der  städtischen  Ober- 
realschule.    Charlottenburg,  Berlinerstrafse  40. 

„  Dr.  Hendreich,  Otto,  Professor,  Oberlehrer  an  der  Luisen- 
städtischen Oberrealschule.  Berlin  W  50,  Nürnberger- 
strafse  70 L 

^  Dr.  Herrmann,  Albert»  Oberlehrer  an  der  XU.  städtischen 
Realschule.     Berlin  NO.  18,  Elbingerstrafse  98  L 

^  Dr.  Herzfeld,  Georg.  Berlin W.  10,  Kaiserin- Augustastrafs«^ 
77  part 

„  Dr.  Hosch,  Siegfried,  Professor,  Oberlehrer  an  der  Luisen- 
städtischen Oberrealschule.  Berlin  S.,  Oranienstrafse 
144n. 

„  J  a  e  g  e  1 ,  Emil,  Oberlehrer  am  Kgl.  Prinz-Heinrich-Gymnasium. 
Berlin  W  80,  Gleditschstrafse  49. 

„  Dr.  Johannesson,  Fritz,  Leiter  der  XIV.  städtischen  Real- 
schule.    Berlin  N.  65,  SeestraTse  61 U. 

^  Kabisch,  Otto,  Professor,  Oberlehrer  am  Luisenstädtiscben 
Gymnasium.     Johannistal,  Waldstrafse  6. 

^     Dr.  Kastan,  Albert     Berlin  W. 64,  Behrenstrafse  9. 

„  Dr.  Keesebiter,  Oscar,  Oberlehrer  an  der  IV.  städtischen 
Realschule.     Grunewald,  Gillstraise  5. 

„  Keil,  Georg,  Oberlehrer  an  der  Elisabethschule.  Berlin  SW.  48, 
Friedrichs trafse  32 III. 

„  Dr.  Keller,  Wolf  gang,  aufserord.  Professor  an  der  Universi- 
tät    Jena,  Inselplatz  7. 

^  Dr.  Kolsen,  Adolf,  Dozent  an  der  KgL  Technischen  Hoch- 
schule.    Aachen,  Theresienstrafse  14. 

„  Dr.  Krueger,  Gustav,  Oberlehrer  am  Kaiser- Wilhelm-Real- 
gymnasium, Lehrer  an  der  Kgl.  Ejriegsakademie.  Berlin, 
W.  1 0,  Bendlerstrafse  1 7. 

„  Dr.  K  u  1 1  n  e  r ,  Max,  Oberlehrer  an  der  Dorotheenschule.  Ber- 
lin W.  50,  Neue  AnsbacherstraTse  1 1 IV. 

„  Lach,  Handelsschuldirektor.  Berlin  SO.  16,  Dresdener 
Strafse  90  L 

„  Dr.  L am p recht,  F.,  Professor,  Oberlehrer  am  Gymnasium 
zum  Grauen  KJoster.     Berlin  C.  2,  Klosterstralse  73  IL 

^  Langenscheidt,  C,  Verlagsbuchhändler.  Schöneberg-Berh'n, 
Bahnstrafse  29—30. 


für  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  129 

Herr  Dr.  Li n du  er,  Karl,  Oberlehrer  am  Luisenstadtischen  Beal- 
gymnasium.    Berlin  80.,  SchäferstrafBe  9. 

jj  Dr.  Löschhorn,  Hans,  Professor,  Oberlehrer  am  Kgl.  Liehre- 
rinnenseminar  und  der  Augustaschule.  Berlin  W.  35, 
Genthiner  Strafse  41IU. 

„  Dr.  Lücking,  Gustav,  Professor,  Direktor  der  UI.  stadtischen 
Realschule.     Berlin  W.,  Steglitzer  Strafse  8  a. 

^  Dr.  Ludwig,  Albert^  Oberlehrer  an  der  HohenzoUernschüle. 
Schöneberg,  Grunewaldstrafse  98  a. 

„  Luft,  F.,  Oberlehrer  an  der  IX.  stadtischen  Realschule.  Ber- 
lin N.  58,  Gneiststrafte  19n. 

^  Dr.  Lummert,  August,  ordentlicher  Lehrer  an  der  Viktoria- 
schule.    Berlin  S.  59,  Camphausenstrafse  8. 

y,  Dr.  M  a  c  k  e  1 ,  £mil,  Oberlehrer  am  Prinz-Heinrich-Gymn asium. 
Friedenau,  Dürerplatz  8. 

jj  Dr.  Mangold,  Wilhelm,  Professor,  Oberlehrer  am  Aska- 
nischen  Gymnasium.  Berlin  8W.  47,  Gro&beeren- 
strafse  71. 

^  Dr.  Mann,  Paul,  Oberlehrer  am  Luisenstadtischen  Realgym- 
nasium.    Berlin  SW.,  NeuenburgerstraTse  28. 

„  V.  Mannt  z,  A.,  Oberstleutnant  a.  D.  Charlottenburg,  Knese- 
beckstralse  2. 

„  Dr.  Mehnert,  Kurt»  Probekandidat  am  Joachims thalschen 
Gymnasium.    Berlin  W.  50,  Nürnbergerstrafse  27  HI. 

^  Dr.  Mertens,  Paul,  Oberlehrer  am  Berlinischen  Gymnasium 
zum  Grauen  Kloster.    Berlin  W.,  Lutherstraise  44. 

„  Michael,  Wilhelm,  Oberlehrer  an  der  Oberrealschule.  Char- 
lottenburg, Kaiser-Friedrich-Strafse  92. 

^  Dr.  M  i  c  h  a  §  1  i  s ,  C.  Th.,  StadtrSchulrat  Berlin  W.,  Kurf ürsten- 
stralse  149. 

„  Mugica,  Pedro  de,  Lizentiat»  Lehrer  der  spanischen  Sprache 
am  Orientalischen  Seminar.  Berlin  NW.  21,  Wilsnacker 
Strafse  8. 

„  Dr.  Müller,  Adolf,  Professor,  Oberlehrer  an  der  Elisabeth- 
schule.    Berlin  W.,  GeisbergstraTse  15. 

„  Dr.  Müller,  August»  Oberlehrer  an  der  Kgl.  Elisabethschule. 
Berlin  SW.,  Grofsbeerenstra&e  55part 

jj  Dr.  Münch,  Wilhelm,  Geh.  Regierungsrat,  ord.  Honorar- Pro- 
fessor an  der  Universität  Berlin  W.  80,  Luitpold- 
stralse  22  H. 

^  Dr.  Münster,  Karl,  Oberlehrer  an  der  VH.  stadtischen  Real- 
schule in  Berlin.    Köpenick,  Kurfürstenallee  1. 

^  Dr.  Naetebus,  Gotthold,  Bibliothekar  an  der  Universitats- 
Bibliothek.     Grols-Lichterfelde,  Moltkestrafse  22  a. 

„  Dr.  Noack,  Fritz,  Oberlehrer  am  Gymnasium.  Grofs-Lichter- 
felde,  Lorenzstrafse  62. 

Archiv  f.  n.  SfinMilifla.    GXYI.  9 


130  Mitglieder -Verzeichnis  der  Berliner  OetseHschaft 

Herr  Dr.  Nobiling»  Franz»  Oberlehrer  an  der  Reakchule  zu  Pan- 
kow.    Berlin  N.  54,  LothringerstrafBe  82. 

^  Dr.  Nuck,  Richard,  Oberlehrer  an  der  LuisenstadtiBchen  Ober- 
realschule.   Berlin  SW.,  GneisenaustralBe  88. 

„  O  p  i  t  z ,  6.,  Professor,  Oberlehrer  am  Dorotheenstäddschen  Real- 
gymnasium.   Charlottenburg,  Goethes tra&e  81 III. 

^  Dr.  Palm,  Rudolf,  Professor,  Oberlehrer  an  der  L  stadti- 
schen Realschule.    Berlin  8W.,  Yorkstrafse  76  IL 

„  Dr.  Pariselle,  Eugene,  Professor,  Lektor  der  franzosischen 
Sprache  an  der  Universität»  Lehrer  an  der  Kgh  Kriegs- 
akademie.   Berlin  W.  30,  Landshuterstralse  86  IL 

^  Dr.  Penn  er,  Emil,  Professor,  Direktor  der  XTTL  stadtischeii 
Realschule.    Berlin  NW.  23,  Schleswiger  Ufer  U. 

^  Dr.  Philipp,  Carl,  Oberlehrer  am  Askanischen  Gymnasium. 
Berlin  SW.  46,  Eleinbeerenstra(se  20. 

^  Dr.  Platow,  Hans,  Oberlehrer  an  der  mit  dem  Gymnasium 
verbundenen  Realschula  Zehlendorf  bei  Berlin,  Alsen- 
strafse  45. 

„  Dr.  Prollius,  Max,  Direktor  des  Realprogymnasiums  mit 
Realschule.    Jüterbog. 

^  Dr.  Risop,  Alfred,  Professor,  Oberlehrer  an  der  YL  stadtischeii 
ReaJschule.    Berlin  SW.  47,  Grofsbeerenstralse  61  HE. 

^  Dr.  Ritter,  O.,  Professor,  Direktor  der  Luisenschule.  Berlin 
N.24,  ZiegelstraTse  12. 

^  Dr.  Roediger,  Max,  aulserord.  Professor  an  der  Universität 
Berlin  SW.  47,  Gro&beerenstraise  70 1. 

^  Roettgers,  Benno,  Professor,  Oberlehrer  an  der  Dorotheen- 
schule.    Haiensee,  RingbahnstraTse  121. 

^  Dr.  Rosenberg,  Oberlehrer  am  Eöllnischen  Gymnasium. 
Charlottenburg,  Enesebeckstralse  75. 

„  Rossi,  Giuseppe,  KgL  italienischer  Vizekonsul,  Lehrer  an  der 
Militär -Technischen  Akademie.  Berlin  NW.  40,  In  den 
Zelten  5  a. 

^  Dr.  Rust,  Ernst,  Oberlehrer  an  der  Vill.  städtischen  Real- 
schule.   Berlin  N.,  Dunckerstralse  51. 

^     Dr.  Sabersky,  Heinrich.  Berlin  W. 85, Genthiner Strafse  28L 

^  Dr.  Sachrow,  Karl,  Kandidat  des  höheren  Lehramtes.  Ber- 
lin SW.  61,  Teltowerstrafse  16,  8.  Aufg.  Hr. 

„  Dr.  Schayer,  Siegbert,  Oberlehrer  an  der  IV.  städtischen  Real- 
schule.   Berlin  NO.  43,  Greorgenkirchplatz  11 11  1. 

„  Dr.  Schleich,  Gustav,  Professor,  Direktor  des  Friedrich- 
Realgymnasiums.    Berlin  NW.,  Albrechtstralse  26  L 

„  Dr.  Schienner,  R,  Oberlehrer  an  der  Luisenstädtischen  Ober- 
realschule.   Berlin  8.,  Urbanstrafse  29. 

^  Dr.  Schmidt,  August,  Oberlehrer  an  der  Oberrealschule. 
Steglitz,  Düppelstralse  22. 


fOr  das  Studium  der  neueren  Sprachen.  131 

Herr  Dr.  Schmidt,  Karl,  Oberlehrer  am  Kaiser- Wilhelm-Realgym- 
nasium.    Berlin  8W.,  Yorkstraifle  68. 

^  Dr.  Schmidt,  Max,  Professor,  Oberlehrer  am  Prinz-Heinrich- 
Ojmnasium.    Berlin  W.,  Bankestraise  29111. 

„  Schreiber,  Wilhelm,  Oberlehrer,  Leiter  der  höheren  Knaben- 
schule zu  Tegel.    Tegel,  Hauptstra&e  83  a. 

„  Dr.  Schulze,  Greorg,  Direktor  des  Königlichen  Französischen 
Gymnasiums.    Charlottenburg,  Marchstralse  11. 

„  Dr.  Schulze-Veltrup,  Wilhelm,  Oberlehrer  am  Falk-Beal- 
gymnasium.     Berlin  NW.  28,  Lessingstrafise  80. 

„  Seibt,  Robert»  Oberlehrer  an  der  VIL  stadiischen  Realschule 
zu  Berlin.     Bchöneberg,  Siegfriedstraise  7. 

„  Dr.  Seifert,  Adolf,  Oberlehrer  an  der  stadtischen  Oberreal- 
schule.   Gharlottenburg,  Eosauderstraise  80. 

„  Dr.  Söhring,  Otto,  Oberlehrer  an  der  Hohenzollernschule  in 
Schöneberg.     Friedenau,  Albestralse  26. 

„  Dr.  Spatz,  Willy,  Oberlehrer  an  der  Hohenzollernschule. 
Schöneberg,  Hauptstrafse  146. 

„     Dr.  S  per  an  za,  Giovanni.  BerlinW.,  62,  Bayreutherstr.  17IL 

„  Dr.  Spiefs,  Heinrich,  Privatdozent  an  der  Universität.  Berlin, 
W.  57,  Kurfürstenstralse  164U  1. 

„  Dr.  Splettstöfser,  Willy,  Oberlehrer  an  der  XIH.  städti- 
schen Realschule.     B^lin  NW.,  Oldenburgerstr.  5Bni. 

„  Dr.  Strohmeyer,  Fritz,  Oberiehrer  am  Dorotheenstädti- 
sehen  Realgymnasium  zu  Berlin.  Haiensee,  Karlsruher- 
strafse  15. 

^  Stumpff,  Emil,  Oberlehrer  an  der  Hohenzollernschule  zu 
Schöneberg.     Friedenau,  SponholzstraTse  26. 

„  Dr.  Tanger,  Gustav,  Professor,  Direktor  der  IV.  städtischen 
Realschule.    Berlin  NO.  18,  Distelmeyerstrafse. 

^  Dr.  Th um,  Otto,  Lehrer  an  der  Berliner  Handelsschule.  Char- 
lottenburg, Rönnestraise  250. 

„     Dr.  T  h  u  r  a  u ,  Gustav,  Privatdozent  an  der  Universität  Königs- 
berg i.  P.,  Königstra&e  5. 
■    ^     Dr.  Tobler,  Adolf,  ord.  Professor  an  der  Universität,  Mitglied 
der  Akademie  der  Wissenschaften.     Berlin  W.  15,  Kur- 
fürstendamm 25. 

^  Dr.  Tobler,  Rudolf,  Oberlehrer  am  Joachimsthalschen  Gym- 
nasium.    Berlin  W.  15,  Kaiserallee  1. 

^  Truelsen,  Heinrich,  Professor,  Oberlehrer  am  Real-Progym- 
nasium  in  Luckenwalde. 

„  Dr.  U 1  b  r  i  c  h ,  O.,  Professor,  Direktor  des  Dorotheenstädtischen 
Realgymnasiums.     Berlin  NW.  7,  Georgenstrafse  80/81. 

jj  Dr.  Vollmer,  Erich,  Oberlehrer  am  Bismarck- Gymnasium. 
Deutsch- Wilmersdorf,  Pfalzburgerstraise  67. 

„     Weisstein,  Gotthilf,  Schriftsteller.  Berlin W.,  Lenn^trafse  4. 


182  Mitglieder -Verzdclmis  der  BerÜDer  Gesellschaft  etc. 

Herr  Dr.  Werner,  R,  Professor,  Oberlehrer  am  LuisenstadtiBchen 
RealgymnasiuiD.     Tempelhof,  Albrechtstrafse  12. 

„  Dr.  Werth,  Direktor  der  Btädtischen  höheren  Mädchenschule 
und  des  städtischen  Lehrerinnen- Seminars.  Potsdam, 
Waisenstralse  29. 

^  Dr.  Wespy,  Oberlehrer  an  der  HohenzoUemschule  in  Schöne- 
berg.    Berlin  W.  30,  Eisenacherstralse  65. 

^  Wilke,  Felix,  Oberlehrer  am  Reformgymnasium.  Charlotten- 
burg, Carmerstrafise  7. 

„  Dr.  Will  er  t,  H.,  Oberlehrer  an  der  VIL  städtischen  Real- 
schule.   Berlin  W.  85,  Steglitzerstrafse  88. 

^  Dr.  Wolter,  Eugen,  Professor,  Direktor  der  XIL  städtischen 
Realschule.    Berlin  0. 34,  Rigaerstra&e  8. 

„  Dr.  Wychgram,  Jakob,  Professor,  Direktor  des  KgL  Lehre- 
rinnenseminars und  der  Augustaschule.  Berlin  SW.  46, 
Eleinbeerenstralse  16  L 

^  Zack,  Julius,  Oberlehrer  an  der  XIIL  Realschule.  Berlin 
SW.  46,  Lucken walderstralse  10. 

C.    Korrespondierende  Mitglieder.^ 

Herr  Dr.  Begemann,  W.,  Direktor  einer  höheren  Privat-Töchter- 
schule.    Charlottenburg,  Wilmersdorf erstralse  14. 
^     Dr.  Claufs,  Professor.    Stettin. 

^     Dr.  Jarnik,  Joh.  Urban,  Professor  an  der  tschechischen  Uni- 
versität  Prag. 
„     Dr.  Kelle,  Professor  an  der  deutschen  Universität   Prag. 
„     Dr.  Erefsner,  Adolf,  Professor.    Kassel. 
^     Dr.  Meifsner,  Professor.    Belfast  (Lrland). 
„     Dr.  Neubauer,  Professor.   Halle  a.  S. 
„     Dr.  Sachs,  C,  Professor.    Brandenburg. 

Dr.  Scheffler,  W.,  Professor  am  Polytechnikum.    Dresden. 
Dr.  W  i  1  m  a  n  n  8 ,  Professor  an  der  Universität    Bonn. 

*  Berichtigungen  und  Ergänzungen  dieser  Liste  erbittet  der  Vorntzende. 


n 


Benrteilang^en  nnd  knrze  Anzeigen. 


Richard  Lowe,  Germanische  Sprachwissenschaft  (Sammlung  Göschen 
Nr.  2-'^8).  148  8.  Leipzig,  G.  J.  GGscheDSche  VerlagshandluniF,  1905. 
Lwbd.  80  Pf. 

Diese  dem  gegenwärtigen  Stande  onserer  Forschungen  enstprechende 
knapp  gefafste  Darstellunj^  wird  sich  dem  Anfänger  in  der  Germanistik 
und  Anglistik  sehr  nützlich  erweisen,  aber  auch  dem  der  germanischen 
Sprachwissenschaft  Femerstehenden  einen  guten  B^riff  von  den  Grund- 
tatsachen und  Hauptproblemen  vermitteln.  Dafs  der  Verfasser  in  manchen 
Dingen  seine  persönliche  Auffassung  zur  Geltung  gebracht  hat,  ist  selbst- 
verständlich und  sein  gutes  Recht.  Das  Büchlein  enthalt  in  der  Einleitung 
I.  Begriff  und  Aufgabe  der  germ.  Sprachwissenschaft.  II.  Die  idg.  Spra- 
chen und  die  serm.  Dialekte.  III.  Die  Sprachveränderungen  und  ihre 
Ursachen.  IV.  Das  Germanische  im  Kreise  der  idg.  Sprachen.  V.  Gliede- 
rung des  Germanischen.  Hierauf  folgen  die  Lautlehre  (Betonung,  Voka- 
lismus, Konsonantismus,  Auslautgesetze)  und  die  Formenlehre  (Nomen, 
Verbum). 

Da  Bücher  wie  das  vorliegende  erfahrungsgemäts  viel  gekauft  werden, 
erlaube  ich  mir  im  folgenden  einige  Verbesserungen  und  v  erbesserungs- 
vorschläge,  hauptsächlich  mit  Rücksicht  auf  das  iSiglische,  für  eine  zweite 
Auflage  hier  anzufügen. 

S.  11,  Z.  4  heiJBt  es:  'Das  Englische,  seit  etwa  600  n.  Chr.  bekannt. 
Es  heilst  bis  etwa  1150  Angelsächsisch  oder  Altengliscdi .. .';  'bekannt'  soll 
doch  wohl  heÜsen  'überliefert';  danach  ist  6*00  in  700  zu  ändern.  Auch 
würde  für  1150  besser  1100  gesetzt.  —  S.  18,  Z.  16  könnte  bei  der  Er- 
wähnung des  as.  Oberganges  von  ist  in  st  auch  auf  den  gleichen  Fall  im 
me.  (latost  >  kUfeJat  >  last)  hingewiesen  werden.  —  S.  '^7  oben  sollte  der 
Begriff  'südhum Drisch'  =  Kentisch,  sächsich,  mercisch,  so?rie  ein  Hinweis 
auf  die  westsächsische  xöinj  aufgenommen  werden.  —  Beim  Vokalismus 
würde  wie  beim  Konsonantismus  eine  übersichtliche  Tabelle,  die  ja  nicht 
viel  Platz  beansprucht,  dem  Anfänger  die  Einzelheiten  sehr  schön  zu  ßinem 
G^amtbilde  vereinen.  —  Das  Altenglische  wird  nicht  immer  berücksich- 
tigt, so  S.  41  unter  :^  S.  51  unter  2,  wo  folgerichtig  auch  die  ae.  Stimm- 
haftwerdung  der  Spiranten  unter  gewissen  Bedingungen  im  Inlaut  anzu- 
führen wäre.  —  D.  42  mflfsten  meines  Erachtens  die  beiden  i-ümlaute 
noch  stärker  geschieden  werden,  da  sie  meinen  Erfahrungen  nach  von  den 
Studierenden  sehr  leicht  durcheinander  geworfen  werden.  —  S.  44  beim 
Ablaut  wäre  vielleicht  eine  genauere  Erklärung  ganz  nützlich.  —  S.  58, 
Z.  2  steht  an  einer  der  wichtigsten  Stellen  im  Buche,  bei  der  Erklärung 
des  grammatischen  Wechsels,  ein  böser  Druckfehler:  lies  'stimmhaften' 
statt  'stimmlosen'.  —  S.  61,  Z.  Ü  fehlt  ae.  lippa.  —  Bei  der  Formenldire 
vermisse  ich  mancherlei,  so  beim  Pronomen  die  dritte  Person  des  Person- 
lichen u.  a.  Auch  würde  ich  es  für  sehr  nützlich  halten,  wenn  eine  Tabelle 
der  idg.  und  germ.  Endungen  bei  den  einzelnen  Gruppen  vorangestellt 
würde,  wodurch  die  Entwickelung  stärker  hervorträte. 


134  Beurteilungen  und  kane  Anseigen. 

Bei  einer  mit  Rücksicht  auf  den  Zweck  und  den  Preis  kurz  gefafsten 
Darstellung,  wird  man  immer  leicht  Nachli^ee  brinsen  können.  Dadurch 
wird  das  grofse  Verdienst  des  Verfassers  nioit  gescnm&lert 

Berlin.  Heinrich  Spies. 

Holländisch.  Phonetik,  Grammatik,  Texte.  Von  R.  Dijkstra,  Lehrer 
der  niederländischen  und  deutschen  Sprache  in  Amsterdam.  Skizzen 
lebender  Sprachen,  herausg^eben  von  Wilhelm  Vietor.  t^.  Leipzig, 
B.  O.  Teubner,  1908. 

Es  hat  lange  an  einem  den  Anforderunffen  des  heutigen  Sprachunter- 
richts entsprechenden  Hilfsmittel  zur  EinfimrunK  in  das  moderne  Nieder- 
ländisch gefehlt  Praktisch  angele{|^,  zum  Ten  weitläufige  Lehrbücher 
mit  Übungen  sab  es  schon  längst  nicht  wenise,  wie  z.  B.  das  französiRche 
von  Valette  oder  die  deutschen  von  Oambs- Schräm,  Traut -Van  der  Jaft 
und  was  noch  mehrere  vorhanden  waren,  bis  auf  die  vor  einigen  Jah- 
ren erschienene  Niederländüeke  Sprachlehrt  für  Deutsche  von  J.  Leopold 
(Breda  1898).  Wer  nach  dem  Studium  solcher  Hilfsbücher  noch  eine 
systematische  Einsicht  über  Grammatik  und  Sprachrichtigkeit  verlange, 
konnte  sich  an  der  Hand  niederländisch  abgetafster  Sprachlehren  orien- 
tieren und  hatte  vor  allem  in  Oosijns  NedS^landeehe  Spraakkunst,  einer 
vorzüglichen  Grammatik  im  Sinne  einer  Grammaire  raisonn^e  des  lite- 
rarischen Niederländisch,  eine  sichere  Führerin.  Aber  abgesehen  von  solch«) 
Lehrmitteln  praktischen  oder  gelehrten  Zweckes  gab  es  nichts;  es  fehlte 
ein  erstes  Büchlein  über  Holländisch,  das  dem  Lernenden  von  vornherein 
ein  ^naue«)  Bild  des  gesprochenen  sowohl  als  des  geschriebenen  Nieder- 
ländisch vermittelte,  uenn  alle  Darstellungen  stimmten  darin  überein,  dafs 
sie  die  wirklich  gesprochene  Sprache  in  oen  Niederlanden,  die  nicht  nur 
nach  der  lautlichen  Seite  von  der  Schriftsprache  und  der  Sprache  der  ge- 
hobenen Rede  so  sehr  verschieden  ist,  entweder  zu  wenig  oder  überhaupt 
^  nicht  berücksichtigten.  Es  entsprach  dieser  Mang^el  der  Nichtbeachtung, 
in  der  sich  die  Umgangssprache  als  Gegenstand  wissenschaftlicher  Beob- 
achtung in  Holland  selbst  oefand  —  bis  in  die  allerletzte  Zeit  hindn,  wo 
ihr  in  Fachzeitschriften,  wie  namentlich  Tool  en  Letteren,  eine  nicht  eeringe 
Aufmerksamkeit  zuteil  geworden  ist  Am  fühlbarsten  aber  war  das  Fehlen 
eines  Anfängerbuches,  das  dem  Lernenden  eine  exakte  Belehrung  fib«r  die 
niederländische  Aussprache  in  der  durch  die  neueren  phonetisch-pädagogi- 
schen Prinzipien  ermöglichten  Anschaulichkeit  darbot.  Eine  musterhane, 
aber  in  seiner  Gedrängtheit  nicht  leicht  anzueignende  Darstellung  der 
holländischen  Laute  fand  sich  in  Sweets  Handl^k  of  Phonettes,  ausge- 
zeichnete Einzelbeobachtungen  vor  allem  in  Storms  EngUsehe  Phüoiogie^ 
sonst  mit  Ausnahme  einiger  Notizen  oder  Ausspracheproben  in  Passys 
Mattre  Phonitique  nichts,  was  dem  Fremden  leicht  und  allgemein  zugäng- 
lich wäre. 

Bei  einem  solchen  Mangel  an  geeigneten  Lehrmitteln  zur  ersten  Ein- 
führung in  eine  Sprache  von  grofser  Wichtigkeit  für  die  Germanistik  und 
als  Schlüssel  zu  einer  Bildung  von  eigenartiger  Bedeutung  in  der  Geschichte 
von  hohem,  allgemeinem  Interesse  mufs  ein  Büchlein  wie  das  vorliegende, 
sei  es  auch,  seinem  nächsten  Zweck  entsprechend,  ein  Anfängerbüchlein 
von  geringem  Umfange,  mit  besonderer  Freude  bewillkommnet  werden. 
Dijkstraa  nolländtsch,  die  dritte  Nummer  in  Vietors  bekannten  Skizzen 
lebender  Sprachen^  bietet,  wie  schon  au8  dem  Titel  zu  ersehen  ist,  eine  pho- 
netische und  grammatische  Beschreibung  des  heutigen  Niederländisch,  be- 
gleitet von  einer  Anzahl  Textproben.  Die  Lautschrift  ist,  wie  in  den 
sonstigen  Nummern  der  Sammlung,  diejenige  der  Association  phon4tiqne 
internationale;  die  Grammatik  träfft  den  Formen  der  geschriebenen  und 
der  gesprochenen  Sprache  in  gleicher  Weise  Rechnung.    Die  Textprobeo, 


Beartdlnngen  nnd  kurze  Anzeigen.  185 

in  herkömmlicher  Orthographie  und  phonetischer  Umschrift  aufgestellt, 
schreiten  von  Stücken  der  feierlichen  Kede,  wie  Bibeltexte  und  Predigten, 
zu  der  leichteren  und  flüssigeren  Sprache  eines  modernen  Eonversations- 
stückes  fort.  Sie  bilden  in  dieser  ihrer  zweckgemäfsen  Anordnung  ein 
vorzügliches  Mittel  zu  dem  Studium  des  schwierigen  Kapitels  über  hol- 
ländische Satzphonetik. 

Kritik  una  Meinungsyerschiedenheiten,  die  einer  zweiten  Auflage  zu- 
gute kommen  können,  sind  schon  in  den  bereits  erschienenen  Anzeigen 
Seäulsert  worden.  Eine  gewisse  Unklarheit  haftet  an  der  Beschreibung 
er  V'  und  t^-Laute,  §.  20  ff.  Bei  einem  so  eigenartigen  und  schwierigen 
Sprachlaut  wie  das  niederländische  v  geht  es  nicht  an,  von  diesem  Laut  als 
dem  bekannten  auszugehen  und  dann  auseinanderzusetzen,  worin  dastr,  das 
wenigstens  so  wie  tß  im  Deutschen  gesprochen  werden  kann,  davon  ver- 
schieden ist.  Der  naturliche  Weg  wäre  eher  der  umgekehrte.  Eine  wissen- 
schaftliche Beschreibung^ der  v-  und  fi7-Laute  findet  man  nunmehr  in  Van 
Hamels  Artikel  *V  et  W  Hollandais'  in  La  Parole,  Jahrg.  1903,  S.  217  ff. 
(auch  in  Album-Kern,  Leiden  1908,  S.  368  ff.). 

Upeala.  Hj.  Psilander. 

Johannes  Bethmann^  Untersuchungen    über  die  mhd.  Dichtung 
vom  Grafen  Rudolf.   (Palaestra  XXX,)  Berlin,  Mayer  &  Müller,  1904. 

W.  Grimm  hat  in  der  gründlichen  Einleitung  seiner  trefflichen  Aus- 
gabe des  Gredichtes  vom  ^Grafen  Eudolf  1844  die  Sprache  der  Handschrift 
und  des  Dichters,  soweit  sie  sich  ihm  aus  den  Heimen  ergab,  die  Metrik 
und  die  mutmafslichen  Quellen  eingehend  untersucht  und  ist  hier  vielfach 
zu  abschliefsenden  Ergebnissen  gelangt  Eine  Neuaufnahme  dieser  Unter- 
suchungen in  ihrem  ganzen  Um£n^  war  trotzdem  seit  laneem  erwünscht 
und  ersdiien  seit  den  Arbeiten  Singers  (Zs.  80,  382)  und  Holz'  (P.  B. 
Beitr.  18,  565),  die  eine  spezielle  Frage  für  dieses  Denkmal  wirksam  för- 
derten, um  so  dringender. 

Dieser  Auf^be  hat  sich  Bethmann  unterzogen.  Er  bespricht  der 
Beihe  nach  die  Heimat  des  Dichters,  die  Sprache  der  Hs.,  Metrik,  Quel- 
len und  historische  Grundlage  der  Dichtung,  endlich  den  Stil  des  Ge- 
dichtes und  die  Persönlichkeit  des  Dichters  in  einzelnen  Kapiteln.  Am 
nötigsten  und  fruchtbarsten  war  diese  Bevision  der  Grimmschen  Dar- 
legungen für  das  erste  Kai)itel,  seit  Boethe  in  den  *Reimvorreden  des  Saeh- 
seruptegels'  ganz  neue  Gesichtspunkte  für  die  Sprachmischung  in  mittel- 
und  niederdeutschen  Gedichten  gebracht  und  Zwierzina  durch  seine  'Mhd. 
J^udien^  unsere  Kenntnis  des  hoch-  und  mitteldeutschen  Dialektes  dieser 
Z&t  wesentlich  vermehrt  und  bestimmte  Laut-  und  Stilerscheinungen 
genauer  abgegrenzt  hatte.  Von  diesen  neu^wonnenen  Gesichtspunkten 
aus  legt  Bethmann  das  Beimmaterial  noch  einmal  vor. 

Dafs  die  Reime  des  Gr.  B.  auf  einen  md.,  wahrscheinlich  thüringischen 
Dialekt  weisen,  ist  von  Bartsch  (Bert.  y.  HoUe  XXXVI)  zuerst  ausgespro- 
chen und  seitdem  oft  wiederholt  worden.  In  neuerer  Zeit  hat  nur  Edw. 
Schröder  sich  für  niederdeutschen  Ursprung  entschieden.  Bethmann  sucht 
zu  einer  genaueren  Umschliefsung  des  möglichen  Enstehungsgebietes  zu 

felaneen,  indem  er  die  moderne  Entsprechung  der  im  Gr.  B.  auftretenden 
>iale£tmerkmale  in  einzelnen  md.  Mundarten  aufsucht,  so  in  der  Salzuneer, 
Herzfelder,  Blankenheimer  und  Naunheimer,  und  mit  jeder  Spracherscnei- 
nung  des  Gedichtes  auch  ihr  heutiges  Geltungsgebiet  nach  dem  Sprach- 
atlas vergleicht.  So  sorgsam  und  umsichtig  Bethmann  hier  auch  vorgeht, 
zn  ganz  sicheren  Besultaten  gelangt  er  nicht. 

Am  stärksten  tritt  der  md.  Charakter  der  Beimbindungen  in  den 
«-Keimen  zutage.  Denn  hier  stehen  im  Beime  gebunden  gew^rte  :  generte 
H  9,  vräveU  :  ^bene  I  52,  herte  :  suerte  F^  52,  imre  :  ivetkere  H^  1,  mare  : 


186  Benrteiluiigeii  und  knne  AoEdgai. 

sire  H*  27,  ^ren  :  burg€ere  F^  16  usw.    Eb  mmt  also  ?: ^  vor  f^  a:^  «^  : « 
wie  in  der  ^Erlösung'  oder  der  ^Elisabeth'  und  anderen  md.  Gredichtec. 
Eine  nähere  Bc^enzung  des  md.  Gebietes  auf  das  östliche  Hessen  ergab 
8ich  aus  dem  Mangel  von  Keimen  o :  uo  und  e-.ie.    Im  Gebiete  des  Kod- 
sonantismus  ist  der  AbJ^U  des  ¥»  in  Flexionssilben,  insbesondere  im  Inf., 
eine  charakteristische  Erscheinung.   Die  Untersuchungen  BethmamiB  über 
die  Natur  der  Medien  h  und  g  im  In-  und  Auslaut  führen   zu   keinem 
Ziele.  Oder  sollen  wirklich  die  sieben  Keime  h:v  und  die  sechs  ch : g  den 
spirantischen  Charakter  erweisen  für  einen  Dichter,  der  nicht  nur  dienen . 
hebe  a  16,  habe :  cktge  n  20,  lag :  trat  a^  14,  grab  ilag  ß  24  reimt,  sondern  auch 
Rudolf  \  holt  ß^  5,  gduU :  orücs  B  25,  rede :  hebe  B^  9,  gnadin :  greue  B^  18  usw. 
unbeaenklich  bindet?     Eine  zeitliche  Scheidung  gegenüber  den    Mittel* 
deutsclien  der  Blütezeit  bietet  die  reinliche  Trennung  von  u :  uo  und  i :  f>. 
Bestimmte  nd.  Charakteristika  fehlen.    Zwar  dafs  keine  Keime  i  :^  eh.l. 
t:d,  ei:i,  kein  steü,  deit,  geit,  kein  tp$ren  (erant)  und  dergleichen  zu  finder 
sind,  w§re  auch  bei  der  Annahme  dnes  hochdeutsch  dichtenden  Nieda^- 
deutschen  selbstverständlich.    Aber  auch  ein  vereinzeltes  Über^leiten  ib 
den  gewohnten  heimischen  Dialekt,  das  sich  sonst  bei  jedem  Niederdeut- 
schen nachweisen  läfst,  ist  nirgends  zu  erkennen.    Für  nd.  könnte  man 
nur  behalt :  goU  A^  10,  mohte :  vireuchie  H^  48,  greven^ :  aäben  G**  7  und  die  öfte 
belegte  Bindung  a :  x  ansprechen.    Doch  läfst  sicm  —  hierin  stimme  ich 
Bethmann  vollkommen  bei  —  wenigstens  für  die  ersten  drei  Reime  ziem- 
lich sicher  md.  Ursprung  glaubhaft  machen.    Auffcdlend  ist  das  Fehlen 
der  Bindung  ei :  ege,  age,  das  sonst  mfr.  Eigenart  ist.   An  nd.  Einflufs  darf 
man  aber  auch  hierbei  nicht  denken,  da  solche  Keime  z.  B.  bei  Berth. 
V.  Holle  wiederholt  zu  finden  sind.    Im  Gesamtbilde  sprechen  die  Beime 
sicher  für  einen  md.  Dichter.    Einem  nd.  Verfasser  des  Gr.  K.    mfi&ten 
wir  jedenfalls  eine  erstaunlich  sichere  Kenntnis  hessischer  ma.  zuschreibeD. 
In   der  Anordnung  der  einzeLgH^n  Blätter  folgt  Bethmann    den  von 
Singer  und  Holz  vorgeschlagenen  Änderungen.    In  dem  edelen  nutn  aus 
Flandern,  dem  A7  das  aeaemidele  angewiesen  wird,  sieht  Bethmann  nicht 
einen  G^olgsmann  Kudolfs,  sondern  den  Grafen  selbst.   Diese  Auffassung 
hat  manches  für  sich:  erstlich  ist  von  einem  Vasallen  wdterhin  in  den 
uns  erhaltenen  Bruchstücken  keine  Kede  mehr,  sodann  hat  auch  in  der 
franz.  Quelle  bei  dem  vom  Helden  veranstalteten   eroüsen  Feste   dieser 
selbst  den  Ehrenplatz.     Die  einzig  Schwierigkeit  oleibt   nur,    dals   wir 
damit  die  unwahrscheinliche  Koniektur  Grimms  [der  hming^  toUeie  dax 
gegensidde  anerkennen,   die   zur  Annahme   eines  vierhebigen  klingenden 
Verses  zwingt  oder  doch  einen  schweren  dreisilbigen  Auftakt  verlangt 
Beides  kommt  zwai  im  Gedichte  vor,  die  wenigen  Fälle  jedoch  durch  eine 
Konjektur  zu  vermehren,  ist  immerhin  milslich.    Oder  könnte  auch  das 
einfach  aufnehmende  '4r,  das  Singer  einsetzt  und  auf  den  Grafen  bezieht, 
den  Konig   meinen?     Die   anaphorische  Verwendung  des  geschlechtigtoi 
Pronomens  hat  —  insbesondere  in  mhd.  Frühzeit  —  einen  ausgedehnten 
Gebrauch  als  heute.    Vergl.  in  Gr.  K.  selbst  B^^  AI  oder  D^  14  usw.    Von 
den  vielen  Versionen  der  Beute  de  J9att«<onne-8age,  die  Heinzel  zuerst  alf 
Quelle  des  deutschen  Gedichtes  erwiesen  hat,  vergleicht  Bethmann  nicht 
die  Faf^sung  des  Wiener  cod.,  den  Singer  zum  Vergleiche  heranzog,  son- 
dern die  anglonormannische  Fassung.    Ein  besonderer  Vorteil  ergibt  dch 
daraus  nicht,  da  zwar  einige  Einzelheiten  hier  dem  deutschen  Gedichte 
verwandter  erscheinen,  andere  Übereinstimmungen  aber  wieder,  auf  die 
Singer  hatte  hinweisen  können,  fehlen.     Überhaupt  brinfft  die  ziemlich 
umständlich   durchgeführte  Untersuchung  über  die  Quelle  und  die  ge- 
schichtliche Grundlage  des  Gr.  K.  weni^  neue  Kenntnis  von  einiger  Sicher- 
heit.    Interessanter   und  fruchtbarer  ist  der  letzte  Abschnitt  von  Betb- 
nianns  Arbeit,  die  Stiluntersuchung.   Sie  gibt  ein  gutes  Bild  der  Technik 
dieser  Zeit  und  zugleich  auch  der  Persönlichkeit  des  Dichters  selbst,  trotz- 


BeurteiluDgen  und  kurze  Anzeigen.  137 

dem  keine  syetematische  DarBtellung  gelben  wird,  sondern  mehr  einzelne 
BtilistiBche  Besonderheiten  herausgegrinen  und  untersudit  sind,  so  die 
ü&schreibung  der  Begriffsverba  durch  kommen,  bleiben,  beginnen,  pfle- 
gen usw.,  die  Stellung  des  adj.  Attributs  zu  seinem  Beziehungsworte,  die 
Wiederaufnahme  oder  Vorwegnahme  eines  Satzes  mit  dax,  Kongruenz  im 
Numerus  zwischen  Subjekt  und  Prädikat,  Parataxe  und  Hypotaxe,  ano 
xotrov,  Schachtelung  von  Sätzen,  Übersan^  der  direkten  Bede  in  die 
indirekte  usw.  Der  Nachweis  von  Paralle!st€&en  aus  anderen  Dichtungen 
beschliefst  diese  Untersuchung.  Ob  der  Dichter  des  Gr.  E.  den  Tristan  des 
Eilhart  kannte  und  benützte,  bleibt  mir  zweifelhaft.  Dafs  z.  B.  bei  der 
Obergabe  eines  Kindes  an  seinen  Erzieher  in  beiden  Gedichten  zum  Teil 
gleiche  Ausdrücke  sich  gegenüberstehen,  ist  bei  der  konventionellen  Auf- 
fassung von  Tugend  und  dem  engumgrenzten  Lebensideal  der  vornehmen 
Gresellschaft  jener  Zeit  keineswegs  auffallend.  Auch  die  Liebesszenen 
werden  immer  wieder  mit  den  gleichen  Worten  ausgemalt  oder  angedeutet. 
Dies  gilt  für  die  Frühzeit  so  gut  wie  für  die  eigentliche  Blütezeit.  Und 
was  sollen  vollends  Stellen  beweisen  wie  dax  laut  üf  die  truwe  befelhen 
Eilhart  2255  und  Gr.  R.  y  20  oder  und  fragete  in  wäre  er  teere  Eilhart  1177 
und  Gr.  R.  D  6? 

Im  ganzen  bleibt  Bethmanns  äufserst  sorgsame  und  genaue  Arbeit 
eine  schöne  Leistung,  die  nicht  nur  an  und  für  sich  unsere  Kenntnis  der 
mhd.  Frühzeit  mehrt,  sondern  auch  weiterhin  anregend  und  fördernd  wirken 
wird,  da  alle  ähnlichen  Untersuchungen  zu  ihr  Stellung  nehmen  müssen. 

Znaim.  Viktor  Dollmayr. 

Gertrud  Bäumer,  Goethes  Satyros.    Eine  Studie  zur  Entstehungs- 
geschichte.   Teubner,  Leipzig  1905.    126  S. 

Nach  dem  'Ewigen  Juden'  ist  der  'Satvros'  vielleicht  Goethes  erstaun- 
lichste Genialitätsprobe;  und  er  teilt  mit  ihm  jene  groi^artige  Verbindung 
an  ausgelassenstem  Humor  und  tiefster  Poesie,  die  Morris  (Goethestudien, 
2.  AufL,  I,  248)  bei  der  Annäherung  von  Trometheus  und  Hanswurst' 
entzückt  zusammenschaudern  lieis.  Ich  vergesse  die  tiefe  Wirkung  nicht, 
die  eine  Aufführung  im  'Berliner  Theater'  hinterliefs.  Was  den  Roman- 
tikern bei  ihrer  Vergötterung  der  'Ironie'  vorschwebte,  lehrt  dies  wunder- 
same Werklein  besser  als  all  ihre  eigenen  *Teufelein'  verstehen. 

Es  ist  daher  mit  besonderer  Freude  zu  begrüfsen,  dafs  eine  literar- 
historische Bearbeitung  dieses  ebenso  dankbaren  als  schwierigen  Themas 
mit  ungewönlich  reifem  Verständnis  und  sicherer  Hand  unternommen 
worden  ist  Wenn  die  Verfasserin,  etwas  weit  ausholend,  die  Vorgeschichte 
der  Satyrfigur  in  unserer  Dichtung  gibt  und  dabei  die  Verwandtschaft  mit 
dem  Kyklopen  (S.  57)  und  mit  Herkules  (S.  74, 1)  feinsinnig  ins  Licht  stellt, 
oder  wenn  sie,  viel  summarischer,  über  die  Sprachbdiandlung  (S.  94  f.) 
und  Metrik  (S.  106,  113  f.)  spricht,  so  würde  man  so  weit  nur  erst  die 
fleifsige  Schülerin  von  Brich  Schmidt  und  Max  Herrmann  zu  erkennen 
haben.  Aber  schon  die  klugen  Hinweise  auf  den  Einflufs  Hans  Sachsens 
auf  die  Technik  (S.  HO)  beweisen  ein  seltenes  Talent  eigener  Beobachtung. 
Das  beste  aber  ist  die  höchst  erfreuliche  Sicherheit,  mit  der  sie  die  eigent- 
liche Kernfrage  anfalst:  das  Problem  der  dichterischen  Entfaltung  des 
Stoffes,  das  hier  besonders  ein  Problem  der  Modellbenutzung  (vgL  bes. 
8.  70)  ist.  Dafs  Herder  ein  Hauptmodell,  ja  das  Hauptmodell  des  Satyros 
war  (S.  47  f.,  69,  71»,  12n,  bes.  81),  steht  ihr  fest,  wie  jetzt  wohl  für  jeden 
sachverständigen  Beurteiler  (vgl.  z.  B.  Morris  a.  a.  O.  II,  269);  aber  sie 
leitet  die  Herstellung  seines  Bildes  'nicht  von  einem  philologischen  Stu- 
dium seiner  Werke,  sondern  von  einem  groisen  lebendigen  Gesamteindruck 
seiner  Persönlichkeit  ab.'  Deshalb  widerstrebt  sie  dem  Aufsuchen  von 
Elinzelbeziehungen,  wie  es  z.  B.  Matthias  vorgenommen  hat,  und  geht 


If^  Benrteilaiigen  und  karae  AoMigen. 

hierin  vielleicht  sogar  zu  weit,  denn  Goethe  hat  stets  die  Portriltihnlich- 
keit  lirern  durch  smche  kleioen  Zfige  (2.  B.  das  Wort  'Getratsch'  in  Carlos- 
Mercks  Munde)  aufgehöht.  Die  Verf.  weils  die  autonome  Elntwickeluiifr 
einer  poetischen  Gestalt  viel  unbefangener  zu  würdigen,  als  es  gemeiniglich 
unsere  ^ableitenden'  Untersuchungen  tun,  und  widerspricht  deshalb  auch 
(S.  57  Anm.,  87)  mit  guten  Gründen  Tilles  Überschatzunff  von  Anklän- 
gen an  Wieland,  ohne  sie  etwa  ganz  zu  leugnen  (vgl.  S.  26,  40,  75). 
Aus  diesem  eindringenden  Erfassen  der  dichterischen  Involution  heraus 
erkennt  sie  auch  einen  Bruch  in  der  Entwickelune  des  Dramas  (8.  85, 89), 
d&  sich  den  bisherigen  Beobachtern  entzog,  nun  aber  kaum  noch  bestritten 
werden  wird. 

Durchaus  sympathisieren  wir  auch  damit,  daSä  die  Verfasserin  die  'jms- 
quinische  Seite  (8.  53)  zurücktreten  lalst  neben  der  positiven,  der  Ver- 
kündigung eines  neuen  Lebensgefühls  ^8. 42,  117  f.),  die  vor  allem  in  der 
unvergleioilichen  'Bousseaupredigt'  una  dem  SatjTlied  ^«71,  78,  bes.  88) 
Ausdruck  findet.  Sie  wird  aeehaiD  auch  dem  satirischen  Zu^e  nicht  immar 
gerecht;  so,  wenn  sie  es  auffallend  findet,  dais  Satyroe  nidit  bei  der  Tö- 
tung des  Einsiedlers  zugegon  sdn  will  (8.  84).  Tartuffe  (der  am  Sdiluls 
ja  ohne  Zweifel  mitspielt)  braucht  man  dazu  kaum  heranzuziehen;  es  ist 
die  typische  Scheinheili^keit  des  'Bonzen',  der  angesichts  des  für  seine 
Opfer  errichteten  6cJieiterhaufens  sein  'ecclesia  abhorret  sanguinem' 
hersagt. 

In  der  Geschichte  der  Satyrosforschung  liegt  ein  charakteristisches 
Stück  Geschichte  der  Gk)ethephiIologie,  und  kein  schlechtes.  Die  Verfasse- 
rin stellt  sich  würdig  in  eine  gute  Gesellschaft.  Hoffentlich  bleibt  sie  ihr 
treu;  es  liegen  noch  Probleme  gjenu^  um  die  Hütte  des  Waldteufels. 
So  das  der  Nachwirkung;  reicht  sie  nicht  vielleicht  bis  zu  Hebbels  ge- 
waltigem 'Mol  och'- Fragment? 

Berlin.  Richard  M.  Meyer. 

ClemeDS  Brentano,  Romanzen  vom  Rosenkranz«  Herausgegeben  von 
Max  Morris.    Berlin,  C.  Skopnik,  1908.    LXXIX  u.  402  8.    5  Mk. 

Da  die  Urschrift  Brentanos'sowie  Böhmers  Abschrift  (oder  Abschriften) 
sich  bis  heute  nicht  gefunden  haben,  wurde  diesem  Neudruck  zunSchst 
der  erste  Druck  in  den  OeaammeUen  Schriften  III  zugrunde  gelegt  und 
das  offenbar  Fehlerhafte  nach  einer  Handschrift  verbessert,  die  aus  dem 
Nachlafs  von  Görres  in  den  Handel  gekommen  war.  Als  nun  aber  derart 
zwei  J)rittel  des  Werkes  gedruckt  vorlagen,  drängte  sidi  dem  Herausgeber 
die  Überzeugung  auf,  das  gerade  diese  Handschrift  den  ursprünglidien 
echten  Wortlaut  enthalte,  während  der  Wortlaut  in  der  Gesamtausgabe 
von  Böhmer  ~  zum  Teil  recht  geschickt  —  überarbeitet  sei.  So  war  für 
den  Best  des  Druckes  die  Handschrift  aUein  mafssebend. 

Praktisch  ist  der  Milsstand  insofern  nicht  erheblich,  als] es  sich  nur 
um  eine  beschränkte  Z^l  von  Abweichungen  handelt  und  für  wissen- 
Rchaftliche  Zwecke  die  Überlieferung  aus  den  Lesarten  zu  ersehen  ist. 
Dennoch  gereicht  e^  begreiflicherweise  dem  Herausgeber  zur  Genugtuung, 
dafs  ihm  eine  in  M.  Hesses  Verlag  erscheinende  Auswahl  aus  Brentanos 
Werken  instand  setzen  wird,  statt  des  'halbschürigen'  Textes  einen  seiner 
Überzeugung  genau  entsprechenden  zu  bieten. 

In  der  umfangreichen  Einleitung  und  in  den  Anmerkungen  (8. 386 — 402) 
ftind  die  Erpfcbnisse  ebenso  mühsamer  wie  sorgfältiger  Forschungen  nieder- 
gelegt. Der  erste  Abschnitt  der  Einleitung  ^bt  die  äufsere  Gesdiichte 
von  Brentanos  unvollendetem  'Hauptwerk'  in  einer  Reihe  brieflicher  Zeug- 
niRse,  denen  zufolge  die  Arbeit  an  den  Romanzen  mindestens  bis  ins  Jahr 
1804  zurückreicht.  Der  zweite  erläutert  das  einführende  Gcdidit  in  Ter- 
zinen, soweit  es  vorliegt,  und  nach  seinem  geplanten  weiteren  Verlaufe. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  139 

Im  dritten  wird  auf  Grand  der  Entwürfe  eine  zusammenhängende  Darstellung 
der  Fabel  und  im  vierten  der  Nachweis  versucht,  wie  'dieser  seltsame  und 
in  den  unausgeführten  Teilen  auch  wohl  öfter  unerfreuliche  Plan  in  der 
Seele  des  Dichters  erwachsen'  sei.  Ein  f Qnfter  —  allerdings  nicht  besonders 
bezeichneter  —  Abschnitt  erörtert  noch  bis  ins  einzelne  die  verzwickten 
Vers-  und  Reimkünste,  die  Assonanzenschemata,  metrischen  Bravour- 
stücke usw.,  mit  deren  Hilfe  'alle  musikalischen  Mittel  der  Sprache  zu 
einer  äufsersten  Leistung  angestrengt'  werden  sollten. 

Die  Anmerkungen  zum  ausgefimrten  Gedichte  und  zu  den  Paralipo- 
mena  bringen  lehrreiche  Wort-  und  Sacherklärungen  und  besonders  auch 
reichliche,  wenn  schon  vielleicht  noch  nicht  erschöpfende  Quellennachweise 
zu  dem  Wust  geschichtlichen  und  sagenhaften  Stoffes,  den  'der  unersätt- 
liche Dichter'  da  zu  verwerten  unternahm. 

Mag  einzelnes  der  Verbesserung  fähig  sein  —  wie  z.  B.  seither  von 
Walzel  der  Name  'Moles'  (im  Gegensatz  zu  S.  LVII)  zweifellos  richtig 
auf  ScheUings  'Materie'  zurückgeführt  worden  ist  — ,  die  ganze  Arbeit 
bildet  einen  sehr  wertvollen  Beitrag  zu  den  täglich  sich  mehrenden  For- 
schungsergebnissen auf  dem  Gebiete  der  Romantik.  Sie  dürfte  auch  in 
weiteren  Kreisen  Anklang  finden,  denn  es  fehlt  heute  gewifs  nicht  an 
Liebhabern,  die  —  wenn  man  mit  dem  Herausgeber  Goethische  Worte 
über  Calderon  auf  Brentano  übertragen  will  —  solchen  'abgezogenen, 
höchst  rektifizierten  Weingeist,  mit  manchen  Spezereien  geschärft,  mit 
Sülsiekeit  gemildert',  gern  und  gierig  'als  schmacuiaftes,  köstliches  Reiz- 
mittel einnehmen'. 

Freiburg  L  B.  R  Wo  er  n  er. 

Jonas  Fränkel,  Zacharias  Weniers  Weihe  der  Kraft.  Eine  Studie 
zur  Technik  des  Dramas.  Hamburg  u.  Leipzig,  L.  Voss,  1904.  (Beitr. 
zur  Ästhetik,  herausg.  von  Th.  Lippe  u.  R.  M.  Werner,  IX.)   Xu.  141  8. 

Grillparzers  Wort,  nur  Zacharias  Werner  sei  bestimmt  gewesen,  als 
der  dritte  neben  unsem  gröfsten  Dichtem  zu  stehen,  hat  mich  viel  be- 
schäftigt, ohne  dafs  ich  es  je  begriffen  hätte.  Der  Enthusiasmus,  mit  dem 
des  Amerikaners  Coar  selbständig  gedachte  Sttidiea  in  Qerman  Liter ature 
sidi  für  Werner  einlegen,  wird  durch  die  begleitenden  Ausf ührun^n  nicht 
genügend  unterstützt.  Selbst  Poppenber^s  vortreffliche  Arbeit,  gewifs 
eine  wesentliche  Förderung  unserer  Kenntnis  dieser  seltsamen  Persönlich- 
keit, zeigt  in  ihm  mehr  die  typisch-romantischen  Seiten  auf  als  die  indivi- 
duellen. Fränkels  eindringende  Arbeit  aber  zeigt  sachlich  und  sicher, 
worin  Werners  Bedeutung  für  das  Drama  bestand,  in  welchem  Sinne  er 
sich  (8.  101)  von  Schiller  emanzipierte  und  eigene  Bahnen  einschlug  — 
freilich  auch,  wie  wenig  er  damit  trotz  mannigfacher  Bewunderung  gerade 
auch  von  den  ihm  Wichtigsten  gewürdigt  wurde:  von  seinem  'Helios' 
Goethe  (8.  120)  und  den  älteren  Romantikern  (S.  128). 

Schritt  für  Schritt  analvsiert  Fränkel  Werners  merkwürdigen  Versuch, 
'die  romantischen  Ideen  aul  die  Bühne  zu  bringen'  (8.  5),  gibt  die  mysti- 
sche Nebenhandlung  (S.  18)  mit  ihrer  geradezu  komischen  Wirkung  (S.  79) 
preis,  legt  aber  die  Kunst  in  der  Entwickelung  der  Haupthandlung  klar 
dar.  Kunstvoll  überlegte  Mittel,  wie  das  symmetrische  Gleichgewicht  der 
Auftritte  (S.  31),  die  schwierigen,  aber  gut  geführten  'übereinander  grei- 
fenden Szenen',  die  auch  Grillparzer  lieot  (S.  8'^),  Parallel-  und  Wieder- 
holungeszenen (S.  38 — 34),  Kontraste  (S.  35),  finden  sich  unauffällig  ver- 
wandt. In  den  Szenenanfängen  (S.  30)  zeigt  sich  ein  —  fast  modemer  — 
Sinn  für  die  J?timmung.  Die  Vorgänge  aufserhalb  der  Buhne  (S.  38)  werden 
dem  Fortschritt  der  ELandhin^,  die  Massen  und  Schauszenen  freilich  (S.  48) 
nicht  mit  Schillerscher  GrÖlsc  ihrer  Anschaulichkeit  dienstbar  gemacht. 
Sehr  stark  stehen  die  Monologe  (8.  50)  unter  dem  Einflufs  unseres  mäch- 


140  Beurtdiungen  und  kurze  Anzogen. 

tigsten  Dramatikers;  doch  fehlen  charakteriBtische  Formen  dei  Sdiiller- 
8(äeD  SelbstgeBprächs. 

Bei  dem  Vergleich  des  Dramas  (S.  52)  mit  dem  Mschichtlichen  Ver- 
lauf (8.  53  f.]  hätte  ein  Hinweis  auf  die  damals  noch  herrschende  grölsere 
Freiheit  in  aar  GrCBdiichtsdarstellung  nicht  fehlen  sollen.  Joh.  t.  Müller 
(8.  180)  war  von  Werners  Luther  entzückt  —  Leopold  Ranke  Tertmg 
nicht  einmal  Walther  Scotts  Ludwig  XI.  I  Warum  übrigens  kann  die 
Dalber^-Szene  (8.  44  Anm.)  nicht  trotz  ihrer  historischen  Grundlage  als 
Kompkment  für  den  Fürst-Primas  ^meint  sein? 

Fränkels  Talent,  auf  das  Wichtigste  loszugehen,  zeigt  sich  wieder  bea. 
den  Beobachtungen  über  den  Stil  (o.  89  f.).  Er  geht  von  dem  'Klima' 
der  Dichtung  aus  und  macht  die  nübsche  Bemerkung,  der  'pr^dilection 
d'artiste'  sei  die  Darstellung  des  Glaubras  besser  gelungen,  als  es  der 
eifernden  Gläubigkeit  h&tte  gelingen  können.  Als  romantisch  hebt. er  be- 
sonders die  Bergmannsszenen  (8.  §0)  und  die  Gleichnisse  aus  der  bildenden 
Kunst  (8.  92)  nervor.  All  das  trug  gewifs  dazu  bd,  die  literarischen 
Kämpfe  in  Berlin  lebhaft  zu  machen ;  milich  war  der  voranlaufende  Zei- 
tungsstreit (8. 105)  heftiger  als  später  die  Kritik.  Sollte  aber  wirklich  da- 
mals schon  'am  gleichen  Abend'  (8. 116)  ein  Theaterbericht  erschienen  sein? 

Und  endlich  überbietet  der  Dichter  die  heifseste  Kritik  durch  seinen 
Widerruf  (8.  134),  die  grausamste  'Autocharakteristik'  >-  um  ein  Wort 
Fränkels,  das  sich  hoffentlich  nicht  einbürgert,  einmal  zu  verwenden  — , 
von  der  wir  wissen  I  Die'Wdhe  der  Kraft'  ward  dem  nach  seiner  Bekeh- 
rung erloschenen  Dichter  zur  Weihe  der  eigenen  Unkraft.  Nun  hat  endlich, 
nach  einem  Jahrhundert,  diese  sorgsame  Arbeit  aus  Walzels  c[uter  Schale 
das  Werk,  das  sein  Meister  nicht  mehr  loben  wollte,  seinen  Meister  loben 
lassen  I 

Berlin.  Richard  M.  Meyer. 

O.  E.  Lessin^,  Grillparzer  und  das  Neue  Drama.  Eine  Studie.   Mün- 
chen u.  Leipzig,  R.  Piper  u.  Co.    VIII,  1/4  8. 

Als  Alte  und  Neue  Tragödie  stellt  im  Anschlufs  an  Hebbel  O.  E.  Les- 
sing zwei  völlig  verschiedene  Arten  dramatischer  Kunstwerke  einander 
entgegen:  die  Alte  Tragödie  zeigt  den  Einzelmenschen  in  seiner  Entwick- 
lung und  lälst  ihn  im  Kampfe  mit  der  Weltordnung,  mit  dem  Sittengesetz 
unterliegen;  sie  macht  ihn  zu  einem  Brennpunkt,  in  dem  sich  die  Strahlen 
der  Idee  treffen;  sie  ist  individualistisdi  und  —  da  die  Entwicklung  des 
Helden  zum  Untergang  führt  —  pessimistisch.  In  der  Neuen  Trfl^;ödie 
weicht  das  Individuum  der  Gattung;  'auf  den  Trümmern  einer  unter- 
gehenden Welt  baut  sich  eine  neue,  nöhere  auf;  die  Idee  entwickelt  sich 
zum  Pol,  dem  das  Individuum  zustrebt;  die  Neue  Tragödie  spiegelt  die 
Ei)twicklung  der  ganzen  Menschheit  und  ist  daher  kollektivistisch,  ihrer 
Endstimmung  nach  optimistisch.  In  dem  kollektivistischen  Ideendrama 
offenbart  sich  ein  Stück  Menschheitsgeschichte,  es  kann  daher  als  das 
kosmische  Drama,  als  das  Neue  Drama  schlechmin  bezeichnet  werden. 

Hebbel  selbst  hat  das  Ideal  dieses  Neuen  Dramas  nur  in  Agnes  Ber- 
nauer, Gyges,  Moloch  ganz  verwirklicht,  andere  Dramen  sind  nur  Voraus- 
setzungen zu  jenem  Ideal,  d.  h.  sie  haben  den  Bruch  mit  der  alten  Auf- 
fassung von  einer  tragischen  Schuld  bereits  glücklich  vollzogen :  Mariamne, 
Rhodope,  Genoveva,  sie  gehen  zugrunde,  weil  sie  ganz  sie  selbst  sind,  weil 
die  Tragik  schon  mit  ihrem  Dasein  gegeben  ist. 

Grillparzer  —  das  ist  des  Verfassers  These  —  hat  dieselbe  Entwicklung 
durchgemacht  wie  Hebbel;  auch  sein  Weg  führt  von  der  tragischen  Schuld 
über  die  dem  Individuum  immanente  Tragik  zum  Neuen  Drama,  und  diese 
Entwicklung  verfolgt,  liebevoll  forschend  und  deutend,  Lessing  in  seinem 
anregenden  Buche. 


Beartdlungen  und  kurze  Anzeigen.  141 

Trotz  unleugbar  poetischer  Reize  enthalten  Ahnfrau  und  Ein  Traum, 
ein  Leben  noch  nichts,  was  eine  hehre  Zukunft  verkündet;  darum  setzt 
die  Untersuchung  erst  mit  Sappho  ein,  des  Dichters  erstem  Versuche, 
einem  tragischen  rroblem  wirklich  auf  den  Grund  zu  gehen.  In  ausführ- 
licher, lehrreicher  Analyse  führt  Lessing  den  Nachweis,  dafs  Sappho  nichts 
als  eine  Talentprobe  und  ohne  selbständigen  Wert  für  die  Weltliteratur 
ist,  epochemachend  allein  für  deu  Dichter.  Höher  steht  das  Goldene  Vlieis, 
besonders  wegen  der  sicheren  Durchführung  der  Grundidee,  doch  erst 
König  Ottokare  Glück  und  Ende  kann  als  ein  Meisterwerk  bezeichnet  wer- 
den. Hier  steht  GriUparzer  völlig  auf  eigenen  Füfsen,  äufsere  und  innere 
Form  deken  sich  ganz  und  gar;  eine  gereifte  Weltanschauung  tritt  zutage, 
eine  neue,  bessere  Welt  erhebt  sich  aus  den  Tfömmem  einer  zerfallenden. 
Ottokars  Unterging  ist  die  Grundbedingung  für  das  Gedeihen  des  Kaiser- 
tums, die  Tragik  des  Individuums  für  das  Wachstum  der  Menschheit.  Für 
diesen  Aufschwung  macht  der  Verfasser  die  Lösung  Grillparzers  von  seiner 
Mutter  und  die  italienische  Heise  verantwortlich :  eine  neue  Lebensperiode 
beginne  mit  dieser  Reise  und  mit  der  von  ihr  ausgehenden  Anregung. 

Und  doch  verharrt  der  Dichter  nicht  auf  der  einmal  erklommenen 
Höhe:  in  Ein  treuer  Diener  seines  Herrn  ist  der  'kollektivistische  Opti- 
mismus des  Ottokar  zum  individualistischen  Pessimismus'  zurückgesunken 
—  nichtsdestoweniger  gehört  dieses  Drama  mit  Hero  künstlerisch  zu  dem 
vollendetsten,  was  Grillparzer  geschaffen  hat.  Gründlich  gebrochen  ist 
hier  mit  der  traditionellen  Auffassung  von  der  tragischen  Schuld;  daher 
sind  beide  Dramen  Durchgangsstadien,  und  erst  hinter  ihnen  tagt  das 'Ziel'. 

Bevor  Grillparzer  zur  Tragödie  der  Zukunft  reifte,  mulste  eine  neue 
Welt  sich  ihm  auftun :  das  Studium  Lopes,  historische  und  philosophische 
Anregungen.  Durch  sie  überwand  er  die  individualistische  Weltanschau- 
ung, sah  er  sich  der  kollektivistischen  zugeführt,  durch  die  sich  ihm  die 
Bahn  *zum  Drama  grolken  Stils'  erst  öffnete.  Verfasser  geht  nun  ausführlich 
auf  Grillparzers  Verhältnis  zur  Hegeischen  Philosophie  ein  und  konstatiert, 
dafs  Hegel  drei  Jahrzehnte  lang  einen  erheblichen  Teil  von  des  Dichters 
geistiger  Kraft  in  Anspruch  genommen,  und  dafs  der  Kollektivismus  Hegels 
und  das  Prinzip  seiner  Dialektik  dem  dramatischen  Schaffen  Grillparzers 
seit  der  Mitte  der  dreirBifi;er  Jahre  eine  neue  Richtung  gegeben  hat.  Li- 
bussa  und  Jüdin  von  Toledo  bleiben  unverständlich,  wenn  man  nicht  die 
Hegeische  Dialektik  als  treibende  Kraft  darin  anerkennt;  sie  sind  poetische 
Verkörperungen  der  Entwicklungsidee  im  kollektivistischen  Sinne.  In 
Esther  vertritt  Mardochai  dem  ursprünglich  individualistischen  Standpunkt 
Esthers  ff^enüber  das  abstrakt  kollektivistische  Prinzip;  der  Bruderzwist 
ist  ein  wieUdrama,  in  dessen  Charakteren  sich  das  Aufsteigen  einer  neuen 
Epoche,  das  Werden  und  Fliefsen  der  Zeit  spieeeln.  Aber  erst  mit  Libussa 
setzt  das  Neue  Drama  ein:  es  ist  ein  Kulturdrama,  das  die  Erfahrung^ 
und  die  Weisheit  eines  ganzen  Lebens  umfa&t.  Hier,  wo  die  Heldin  die 
Skala  Gefühl  —  Verstand  >-  Rückkehr  zum  (Mühl  durchläuft,  hat  Hegels 
Dialektik  poetisdie  Gestalt  angenommen,  die  Dialektik  ist  in  die  Idee 
selbst  hineingetragen.  Libussa  ist  das  höchste  Muster  der  Tragödie  der 
Zukunft,  des  Neuen  Dramas,  das  einst  Hebbel  im  Sinne  hatte;  neben 
Libussa  steht  die  Jüdin. 

Lessings  Buch  schliefst  mit  einem  'Ausblick'  (S.  145—174).  In  Goethes 
Faust  und  in  den  Wahlverwandtschaften  erblickte  Hebbel  die  Grundlage 
eines  Neuen  Dramas;  der  Verfasser  spürt  Anfänge  desselben  in  Lessin^ 
Philotas  und  im  Egmont  auf  ('aus  dem  Kampfe  der  willkürlichen  |T|  Frei- 
heit mit  der  willkürlichen  Tyrannei  mufste  notwendig  die  wahre  Freiheit 
hervorgehen');  Schiller  nähme  im  Fiesko,  im  Karlos,  m  der  Jungfrau  ge- 
waltige Ansätze  zu  einer  synthetischen  Entwicklung;  auch  Grabbe  nähere 
sich  m  seinen  letzten  Arbeiten  der  Höhe,  aber  das  Werk  Grillparzers  und 
Hebbels  habe  bis  jetzt  kein  deutscher  Dichter  würdig  fortgesetzt.    Unter 


142  Beurteilimgen  und  kurze  Anzeigen. 

den  Schwierigkeiten,  auf  diesem  Wege  yorwfirts  zu  kommen,  stehe  obenan 
die  Schöpfung  neuer  Ausdrucksformen  für  die  feinen  Nuanderunffen  des 
modernen  Kulturlebens,  und  die  Werkzeuge  dazu  habe  Arno  E^lz  ge- 
schaffen: er  verlangte  'absolute  StUeinheit,  Übereinstimmung  innerer  und 
äufserer  Form,  wie  sie  in  gleicher  Vollendung  mit  den  unzulandjchen 
Hilfsmitteln  der  älteren  Tec^ik  nie  erzielt  werden  konnte',  in  Hanns 
von  Gumppenberg  ahnt  Lessing  einen  Dichter,  der  zum  kollektivistischen 
Drama  vorzudringen  vermag;  von  den  Neuromantikern  und  anderen  mo- 
dernen Schulen  erwartet  er  nichts.  Aber  'kommen  wird  das  moderne  Neue 
Drama.  Das  ist  keine  müfsige  Prophezeiung.  Die  ganze  Entwicklung  der 
Dramatik,  nicht  nur  DeutscElands,  strebt  auf  jene  Gattung  hin.' 

Wir  haben  absichtlich  möglichst  mit  des  Verfassers  eigenen  Worten  den 
Inhalt  der  Schrift  kurz  skizziert,  die  von  Anfans;  an  des  Lesers  Interesse 
fesselt  und  spannt.  Ihren  Kern  bildet  der  Nachweis  des  Einflusses,  den 
die  Philosophie,  insonderheit  Hegel,  auf  den  Dichter  ausübte,  und  von 
dem  die  Gnllparzerliteratur  bisher  wenig  anzuführen  wnfste.  Grillparzer 
wird  dadurch  mitten  in  den  vollen  Strom  des  geistigen  Lebens  seiner  Zeit 

ferückt  und  zu  einem  Bahnbrecher  philosophischer  wie  künstlerischer 
deen,  zum  wirksam  kräftigen  Förderer  einer  neuen  dramatischen  Kunst 
erhoben,  von  dem  Gegenwart  und  Zukunft  zu  lernen  haben.  Ein  weiterer 
Wert  des  Buches  liegt  in  den  Analysen  einiger  Dramen,  durch  die  der 
Verfasser  seine  Urteile  begründet,  der  Leser  in  seinem  Verständnis  GriU- 
parzerscher  Kunst  gefördert  wird. 

Berlin.  H.  Löschhorn. 

Briefwechsel  des  junffen  Börne  und  der  Henriette  Herz.    Herausg. 
von  L.  Geiger.  OldenDurg  u.  Leipzig,  o.  J.  201  8.  Geh.  8  Mk.,  geb.  4  Mk. 

Die  Veröffentlichung  dieses  Briefwechsels  wird  damit  motiviert,  dafs 
die  Briefe  an  Henriette  Herz  noch  ungedruckt,  die  Börnes  an  sie  ver- 
erlffen  sind.  Freilich  ist  es  die  Fra^e,  ob  nach  ihnen  grolse  Nachfrage 
Herrscht.  Der  reife  Börne  ist  eine  interessante  Persönlichkeit,  der  ids 
Kritiker,  Journalist,  Stilist  noch  keineswegs  wissenschaftlich  gewürdi^  ist; 
der  unreife  Schreiber  dieser  Briefe  erhebt  sich  trotz  mancher  geistreichen 
Wendung  weni^  über  das  Niveau  des  begabten  ^krassen  Fuchses'.  Die 
Liebe  zu  Henriette  Herz  trägt  den  typischen  Charakter  spät  erwachter 
PubertätsgefQhle,  die  bei  soidien  Naturen  durch  das  ^stige  Interesse 
lange  zurückgehalten  wurden,  und  es  fehlt  auch  nicht  die  literarische  An- 
färbun^,  auf  die  der  Verfasser  mit  Recht  hinweist;  nur  dafs  dieser  Brief- 
wechsel allerdings  hinter  dem  Werthers  so  weit  au  Poesie  zurückbleibt 
wie  die  an  den  Apotheker  gerichtete  Bitte  um  Kattengift  hinter  dem  Ent- 
leihen der  Pistole  (S.  58,  60  vgl.  18).  Eigene  Züge  sind  nur  etwa  die 
Beobachtung"  dafs  aie  schöne  Frau  in  bestimmten  Stellungen  und  gewisser 
Kleidung  aui  sein  verliebtes  Herz  stärker  wirkt  als  in  andern  (S.  65,  69); 
denn  die  Sprachfehler,  aus  denen  er  sich  herauszubilden  hat  ('von  die  La 
Roche',  S.  64,  'die  Rede  kam  auf  Ihnen',  S.  93^,  sind  weder  bei  Heinrich 
V.  Kleist,  noch  bei  Dorothea  Schlegel  selten,  ja  nicht  einmal  bei  dem  iungen 
Tieck.  Henriette  schreibt  auch  (S.  HO),  dais  sie  'ins  Englisch  untemditet.' 

Börnes  Urteile  über  die  bedeutenden  Persönlichkeiten,  in  deren  Nähe 
ihn  ein  gunstiges  Schicksal  führt,  Beil  (S.  121),  Schleiermacher  (8.  127 
vgl.  159),  Steffens  (S.  164),  sind  höchstens  für  den  Briefschreiber  bezeidi* 
nend,  lustig  dagegen  die  auf  seine  Humoresken  vorbereitenden  Schilde- 
rungen des  Klatschnestes  Halle  (S.  112,  120,  171)  und  der  Familie  Reil, 
besonders  der  Frau  (S.  87).  Schriftstellerische  Gewandtheit  fehlt  aadi 
»onst  nicht,  auch  nicht  Blitze  des  'Originalgeniee'  (S.  lOU):  die  Kritik  der 
Sprache  wünle  Fritz  Mauthner  erfreuen:  'Gott  ist  nur  da,  wo  keine  Sprache 
ist'  (8.  127;  über  das  'Blumauerische'  Alte  Testament  S.  144). 


BeurteUungen  und  kune  Anzeigen.  148 

Henriette  weiBt  Börne  (S.  59 1)  enernsch  zurück;  seine  Liebe  empfand 
sie  nur  als  Zudringlichkeit,  und  ihr  Schlufsurteii  ist  die  harte  Kritik  einer 
in  sittlichen  FT9«en  unbeugsamen  Frau  Über  einen  zwischen  Moral  (Ab- 
richeu  vor  der  Unsittlichkeit  in  Halle,  S.  135)  und  —  Geniemoral  noch 
hin  und  her  schwankenden  Jüngling  (S.  190).  Es  bildet  den  ßchlufs  des 
Buchee  und  kann  den  unerfreulichen  Eindruck  des  psychologisch  und 
kulturhistorisch  nicht  allzu  ergiebigen  Briefwechsels  nur  steigern. 

Berlin.  Richard  l£  Meyer. 

Otto  Weddigeoi  Die  Ruhestätten  and  Denkmäler  unserer  deut- 
schen Dichter.  Mit  4  Photogravüren  und  69  Abbildungen  im  Text. 
Halle  1904.    Gesenius.    XII  u.  209  S. 

Der  MadonnenkultuB  der  katholischen  Kirche  brachte  einen  'Mariani- 
schen Atlas'  hervor;  es  war  kein  schlechter  Gedanke,  in  ähnlicher  Weise 
den  Spuren  des  modernen  Heroenkultus  nachzugehen,  und  eine  geogra- 
phische Übersicht  etwa  der  Schiller-  und  Goethedenkmäler  in  ihrer  Ver- 
teilung könnte  zu  allerlei  Schlüssen  anregen,  die  freilich  unsicher  genug 
bleiben  würden.  Schon  eine  Statistik  dieser  metallenen  oder  steinernen 
Niederschläge  unserer  Dichterliebe  wäre  zu  verwerten:  freilich  kann  die 
oberflächliche  Zählung  in  Weddigens  Einldtung  nur  als  unbrauchbar  be- 
zeichnet werden.  Und  eine  ernste  Berechnung  müslte  vor  allem  mit  dem 
Unterschied  der  Zeiten  rechnen,  die  einst  langsam  und  widerstrebend  zu 
einem  Goethedenkmal  in  Frankfurt  schritten  und  heut  auf  das  kaum 
zugeschüttete  Grab  des  unbedeutenden  Gottfried  Schwab  in  Darmstadt  ein 
Monument  pflanzen. 

Weddigen  begnügt  sich  mit  einer  Aufzählung  und  Beschreibung  der 
Grab-  und  Erinnerungsdenkmäler,  die  eewifs  nicht  vollständig  sein  wird 
—  so  macht  mich  Prof.  Brandl  auf  aas  Fehlen  des  Steubdenkmals  in 
Brizlegg  (Tirol)  aufmerksam  — ,  doch  aber  wenigstens  für  Stand  und  Ent- 
wicklung unseres  Monumentalitätsbegriffes  und  für  die  Geschichte  des  äulse- 
ren  DicnterideaLs  fruchtbar  gemacht  werden  kann.  Leider  nimmt  er  den 
Begriff  des  Denkmab  zu  wörtlich:  für  Schneckenburger  etwa  ist  doch  die 
Aiuschrift  der  *  Wacht  am  Rhein'  auf  dem  Postament  des  Niederwald- 
denkmals wichtiger  als  das  Monument  in  Tuttlingen! 

Die  Denkmäler,  die  der  Verfasser  selbst  in  kurzen  Charakteristiken  den 
Poeten  stiftet,  geben  leider  an  Trivialität  den  modernsten  Denkmalsschöp- 
fungen nichts  nach:  .*Anzengruber  ist  ein  tüchtiger  Dramatiker  und  ein 
grolser  Volksdichter  Österreichs'  (S.  2),  oder  'Fischart  ist  der  geistvollste 
und  beste  Schriftsteller  zu  Ausgang  des  16.  Jahrhunderts'  (S.  20).  In  der 
Regel  heilst  es  nur:  'X  schrieb  Gedichte',  und  so  auch  bei  Schiller:  ^Schil- 
lers Werke  enthalten  . . .'  (S.  151).    Dies  dürfte  bekannt  sein. 

So  wandert  man  auch  durch  diese  Siegesallee  nur  mit  gemischten 
Gefühlen,  freut  sich  aber  doch  schliefslich  in  dem  Gedanken,  dals  wohl 
kein  Volk  so  vieler  Dichter  liebend  gedenkt  wie  das  unsrige;  freilich 
leider  oft  erst  beim  Grabdenkmail 

Berlin.  Richard  M.  Meyer. 

Neue  Literatur  sur  Volkskunde. 

1)  Grassl^  Geschichte  der  deuteefa-böhmischen  AnsiedeluDgen  im 
Banat  (Beiträge  zur  deutsch -böhmischen  Volkskunde,  geleitet  von 
Hauffen.  Band  V,  Heft  2).  Mit  8  Lichtdrucktafeln.  Prag,  Calve  (Koch), 
1904.    VI,  128  S.  8. 

2)  Lebende  Worte  und  Werke.  Eine  Sammlung  von  Auswahlbänden. 
Je  M.  1,80  geh.,  M.  3  geb.    Düsseldorf  u.  Leipzig,  K.  R  Langewiesche 


144  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Bis  jetzt  liegen  die  Bände  vor:  Garlyle,  Luther,  £.  M.  Arndt,  Buskini 
Deutsche  Volkslieder. 

3)  Alfr.  Tobler^  Das  Volkslied  im  AppenzeUer  Lande.  Nach 
mündlicher  Überlieferung  gesammelt  (Schritten  der  Schweizer  Gesell- 
schaft far  Volkskunde,  lil).  Zürich,  Juchli  &  Beck,  190a  III, 
147  S.    M.  2,80. 

4)  C!oIin.  SchamaDD,  Lübeckisches  Spiel-  und  Ratseibuch.  Lübeck, 
Gebr.  Borchers,  1905.    XXII,  208  S.    8. 

5)  O.  Knoop^  Volkstumliches  aus  der  Tierwelt  (Beiträge  zur 
Volkskunde  der  Provinz  Posen,  1.  Bandchen).  Aogasen,  Selbstverlag 
des  Herausgebers,  1905.    IV,  68  S.    8. 

6)  A.  Bud.  Jenewein^  Das  Höttioger  Peterlspiel.  Ein  Beitrag 
zur  Charakteristik  des  Volkstums  in  lirol.  Innsbruck,  Wagner,  1903. 
DenUy  Alt-Innsbrucker  Hanswurstspiele.  Nachträge  zum  <Höt- 
tinger  Peterlspiel'.    Ebenda.    201  S.    8. 

7)  J.  F.  D.  Blöte,  Das  Aufkommen  der  Sage  von  Brabon  Sil- 
viuS;  dem  barbarischen  Schwanritter  (Verhandlingen  der  Koning- 
lijke  Akademie  van  Wetenschappen  te  Amsterdam,  Afdeeling  Letterkunde; 
Nieuwe  Reeks,  V.  4).    Amsterdam,  J.  Müller,  1904.    VI,  127  S.  gr.  8. 

8)  Aloys  Dreyer,  Franz  v.  Kobell  (Oberbayrisches  Archiv  für  yater- 
ländische  Geschichte.  Band  LH,  Heft  l).  München,  Verlag  des  histori- 
schen Vereins  für  Oberbayern,  1904.    X,  132  S.    8. 

9)  Bibliothek  deutscher  Schriftsteller  aus  Böhmen.  Herausgegeben 
im  Auftrage  der  Gesellschaft  zur  Förderung  deutscher  Wissenschaft, 
Kunst  und  Literatur  in  Böhmen.  Band  XI--XIV.  (XI:  A.  Stifters 
sämtliche  Werke,  1.  Band:  Studien,  herausseg.  von  August  Sauer. 
Mit  dem  Bildnis  des  Dichters  und  2  Lichtdruck  tafeln.  —  XII:  Das- 
selbe, 14.  Band:  Vermischte  Schriften,  1.  Abteilung,  herausgeg.  von 
A.  Horcicka.  Mit  18  Lichtdrucktafeln.  LXXXV,  402  S.  —XIII: 
Ausgewählte  Werke  des  Grafen  Kaspar  von  Stern berg,  1.  Band:  Brief- 
wechsel zwischen  Goethe  und  Sternberg  (1820 — 1832),  herausgeg.  von 
August  Sauer.  Mit  3  Bildnissen  Stemberffs.  LI,  434  S.  —  XlV: 
J.  Mathesius,  Ausgewählte  Werke,  4.  Band:  Mandsteine.  Herausgeg. 
von  Lösche.  Mit  2  Lichtdrucktafeln.  704  S.  Prag,  Calve  (J.Koch), 
L904.    8. 

10)  A.  W.  Fischer,  Über  die  volkstümlichen  Elemente  in  den 
Gedichten  Heines  (Berliner  Beiträge  zur  germanischen  und  romaui- 
sehen  Philologie,  germanische  Abteilung  15).  Berlin,  A.  Ehering,  1905. 
147  S.    8. 

11)  O.  Weise,  Unsere  Muttersprache,  ihr  Werden  und  ihr  Wesen. 
5.  verb.  Aufl.    Leipzig  u.  Berlin,  B.  G.  Teubner,  1904.   VIII,  2Ü4  S.    8- 

12)  M.  Beheim- Schwarzbach,  Deutsche  Volksreime.  Posen,  Joio- 
wicz.    42  S.    8. 

13)  G.  Blumschein,  Aus  dem  Wortschatze  der  Kölner  Mundart 
(Aus  der  Festschrift  zum  XI.  deutschen  Neuphilologentage.)  Köln, 
Neubner.    32  S.    8. 

Seit  unserem  letzten  Bericht  (Band  CXIII,  159  ff.)  sind  uns  gröfsere 
Arbeiten  enzyklopädischer  oder  methodischer  Art  zur  Volkskunde  nicht 
zugegangen,  und  das  in  den  Zeitschriften  aufgespeicherte  Material  mufs 
bis  zum  nächsten  Referat  zurückgestellt  werden ;  auch  von  Monographien 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  145 

über  einzelne  Gebiete  haben  wir  nicht  viel  zu  melden;  immerhin  bringt 
die  Arbeit  von  Orassl  über  die  deutsch-böhmische  Ansiedelung  im  Banat, 
trotz  ihres  vorzu^weise  kulturgeschichtlichen  Inhalts,  manches  voiEskundlich 
Interessante.  'Sie  erzählt  von  deutschen  Landsleuten  des  Böhmerwaldes,  die 
aus  Not  und  Armut  1827  und  1828  in  srofser  Zahl  ihre  Heimat  verlassen 
haben  und  dem  Rufe  in  die  damalige  Milit&rgrenze  gefolgt  sind,  wo  sie  in 
den  unwirtlichsten  Bergwäldern,  damals  an  der  Grenze  der  Türkei,  fem  jeder 
Kultur,  neue  Ansiedelungen  begründeten  und  unter  jahrzehntelangen,  har- 
ten Mühen  und  Bedrängnissen  aller  Art  sich  endlidi  zu  menschenwürdi- 
gen, ja  behaglichen  Verhältnissen  emporringen  sollten.'  Der  Verfasser, 
dessen  Eltern  selbst  an  der  Auswanderung  teilgenommen  haben,  richtet 
natürlich  vor  allem  seinen  Blick  auf  die  Entwickelung  der  wirtschaftlichen 
und  politischen  Verhältnissa  Immerhin  werden  im  5.  Abschnitt:  *Die 
Jahreszeiten  mit  ihren  Arbeiten  und  Festen',  Sitten  und  Bräuche  reichlich 
und  anschaulich  beschrieben,  während  Volksdichtung  und  Mundart  er- 
heblich schlechter  wegkommen.  Dabei  stellt  der  Verrasser  fest,  dals  von 
den  vier  wichtigsten,  bei  der  ursprünglichen  Ansiedelung  hervortreten- 
den mundartlichen  Schattierungen  das  Niederbayrische,  die  Sprache  des 
vorzugsweise  Ackerbau  treibenden  Teiles  der  jungen  Bevölkerung,  den 
Sieg  an  sich  gerissen  hat.  Wir  würden  nun  gern  hören,  ob  sich  hinsicht- 
lich der  Gebräuche  dasselbe  beobachten  läfst,  doch  verfährt  der  Verfasser 
hier  meist  deskriptiv  und  begnügt  sich  mit  einem  farblosen  ,hier  und  da', 
wo  wir  rdn liehe  Scheidung  erwarteten.*  Die  noch  wichtigere  Frage,  wie 
weit  sich  etwa  in  den  Texten  der  Volkslieder  und  ähnlicher,  besonders 
durch  den  Reim  gebundener  Erzeugnisse  der  Volkspoesie  das  Überwiegen 
eines  oder  des  anderen  Teiles  der  Bevölkerung  nachweisen  lasse,  liegt  G. 
fern.  Vielleicht  regt  aber  seine  schöne  Arbeit  andere  Forscher  an,  zu- 
nächst einmal  das  Material  zu  sammeln,  das  ja  dann  im  Vergleich  mit 
den  reichen  Sammlungen  der  deutsch  -  böhmischen  Gesellschaft  bei  der 
nötigen  Vorsicht  manchen  interessanten  Schlufs  ziehen  lassen  dürfte. 

GrÖlsere  Sammlungen  von  Märchen,  Sagen  und  Liedern  nach  dem 
Volksmunde  sind  in  der  Berichtszeit  nicht  erschienen,  doch  können  wir 
mit  Befriedigung  auf  eine  zu  literarischen  Zwecken  veranstaltete  Samm- 
lung volkskundlichen  Materials  verweisen,  die  weiter  Verbreitung  würdig  ist. 
Die  verständig  geleitete  und  vornehm  ausgestattete  Sammlung  Lebende 
Worte  und  Werke,  die  sich,  einem  Zuge  der  Zeit  folgend,  um  die  Bergung 
des  'eisernen  Bestandes'  in  den  Werken  älterer  Autoren  bemüht,  brinfl^ 
auch  in  einem  dieser  Bände  Von  rosen  ein  krenxelem,  d.  h.  eine  Auswahl 
von  etwa  hundertfünfzig  Volksliedern,  die  Stierling  aus  älteren  und  neue- 
ren Sammlungen  treu  und  geschickt  zusammengestellt  hat.  Das  mund- 
artliche Element  spielt  dabei  eine  grofse  Rolle,  auch  Auiserdeutsches  bleibt 
nicht  ganz  fem.  Mit  welchem  Recht  freilich  der  Herausgeber  behauptet: 
'Das  nur  im  Dänischen  erhaltene  Lied  von  Herm  Olof  kann  mit  gleichem 
Recht  für  Deutschland  in  Anspruch  genommen  werden'  (8.227),  sehe  ich 
nicht  ein.  Auch  scheint  uns  seine  Anordnung  bisweilen  etwas  willkürlich 
und  reifst  uns  ans  einer  Stimmung  in  die  andere.  Im  ganzen  aber  sei 
das  Buch,  das  solche  Perlen,  wie  den  'Herrn  von  Falkenstein',  den  'linden- 

*  Wenig  ist  uns  natSrlich  auch  mit  so  vagen  Bemerkungen  gedient;  wie  8.  121 
unten:  ^Noch  mufs  bemerkt  werden,  dafs  die  Hochseitsgebriuche  in  den  vier 
deutsch-böhmiichen  Ansiedelungen  hier  und  da  von  den  beschriebenen  unwesent- 
lich abweichen,  ja,  in  ein  und  demselben  Orte  nicht  mehr  die  gleichen  sind  und 
auch  die  gleichen  nicht  bleiben,  was  aber  su  bedauern  ist,  weil  der  nationale 
Charakter  dabei  mehr  und  nlehr  verwischt  wird.'  Hier  muftten  die  Differenzen 
mindestens  an  Stichproben  aufgezeigt  und  dabei  auch  zwischen  den  Qenerationen 
geschieden  bezw.  die  Überlieferungen  der  n&ohsten  Umgebung  vergleichend  heran- 
gezogen werden. 

AfdüT  t  n.  Bpnchen.    GXVL  10 


146  BeniteilüDgen  und  kurze  Anzeigeo. 

Schmidt'  usw.,  der  Q^genwart  wieder  näherbrinrty  bestens  empfohlen,  wo 
es  nicht  eine  Unterlage  für  wissenschaftliche  Untersuchungen,  sondern 
ein  Hilfsmittel  zur  ersten  Orientierung  über  das  Wesen  des  deutschen 
Volksliedes  gilt 

Mehr  den  Sammlungen  von  Volksreimen  und  dergleichen  nähert  sich 
die  schöne,  wertvolle  Arbeit  A.  Toblers  über  Dtu  vMalied  im  Äppen- 
xdler  Lande,  die  Texte  und  Weisen  in  die  Darstellung  selbst  verwebt 
Im  ganzen  ergibt  sich  doch  auch  hier  wieder  ein  ähnliches  Resultat  wie 
bei  so  manchen  anderen  Sammlungen  in  den  Bergländem:  unsere  alten 
Balladen  und  der  gröfste  Teil  unserer  Liebeslieder  sind  dort  so  gut  wie 
unbekannt;  lustige  Tanz-  und  Necklieder  bilden  den  Grundstock  und  be- 
rühren sich  noch  am  ehesten  mit  dem  binnendeutschen  Gut;  dazu  kommt 
dann    eine  grolse  Anzahl  spezifisch  sdiweizerischer  und  appenzellischer 
Texte,  auch  manches  in  den  Volksmund  übergegan^ne  Kunstlied  und 
die  Erzeugnisse  religiöser  Lyrik.    Es  mglste  eine  reizvolle,  freilich  auch 
schwierige  Aufgabe  nir  einen  geborenen  Alpler  sein,  den  Tendenzen  nach- 
zugehen, die  für  die  Auswahl,  Übernahme  und  Beibehaltung  der  önzelnen 
Nummern  im  Schweizer  Volksmunde  bedeutsam  geworden  sind.    Lobend 
anzuerkennen  ist  noch,  dals  Tobler  auch  ältere  Quellen  nach  Kräften 
auflgeschöpft,  vor  allem  sein  Buch  auch  nicht  den  Vierzeilem  und  Schna- 
derhüpfeln,  Jodlern  und  Kuhreihen,  Nachtwächter-  und  Sennsprüchen  ver- 
schlossen hat  —  Reime  und  Rätsel  vom  anderen  Ende  der  deutschen 
Welt  bringt  uns  Schumann,  als  erfolgreicher  Sammler  volkskundlichen 
Materials  wohlbekannt    Den  Hauptbestandteil  sdnee  Buches  bilden  die 
lübischen  Spiele  und  Spielrein^ie,  die  er  treu  nach  dem  Volksmunde  auf- 
zeichnet, teils  in  der  Mundart,  teils  in  der  neuerdinss  eingetauschten  oder, 
*me  besonders  bei  den  Reimen  und  Gesellschi^ftsspiden,  aus  Mitteldeutsch- 
land  mitgebrachten'   hochdeutschen   Form.     Dals  Schumann  in   seinem 
Herzen  noch  immer  der  m3nthologiBchen  Erklärungsmethode  anhängt  und 
aus  diesem  Glauben  auch  öffentlich  kein  Hehl  macht,  ist  betrüblich,  kann 
uns  aber  in  der  Freude  nicht  beurren,  mit  der  wir  seine  von  eelehrten 
Schrullen  allem  Anschein  nach  unberührten  Materialsammlungen  luis  solche 
begrülsen.   Die  Parallelen  sind  so  spärlich,  daJb  sie  eigentlich  besser  ganz 
w^geblieben  wären.    Von  Wert  sind  sie  eieentUch  nur  da,  wo  man  sich 
auieine  mit  dem  vollen,  heute  erreichbaren  Variantenmaterial  ausgestattete 
Sammlung  beziehen  kann,  wie  für  die  Rätsel  auf  die  ausgezeichnete  Arbdt 
Wossidlos.    Ganz  neues  Material  wird  wenig  zutage  gefördert,  dagegen 
ist  von  den  schönen,  idten,  vierzeiligen,  gereimten  &tseln  mandies  Stück 
im  lübischen  Volksmunde  erhalten  und  wird  hier  in  interessanter  Version 
mitgeteilt    Natürlich  stellen  auch  hier  die  Scherzfragen  einen  sehr  be- 
träcntlichen  Bestandteil  des  Rätselschatzes  dar,  und  mre  Zahl  hätte  sich 
wohl  noch  bedeutend  vermehren  lassen.    Indessen  wäre  hier  überhaupt 
kaum  eigentlich  neues  Material  beizubringen;  auch  ist  der  Wert  dieser 
Dinge  für  die  stammheitliche  Volkskunde  gering,  und  das  Material  für 
die  psychologische  Durchiorschung  der  betreffenden  Denkformen  ist  reich- 
lich ^anmielt  und  harrt  nur  der  wissenschaftlichen  Bearbeitung.  —  An 
WoBBidlos  treffliche  Arbeiten  erinnert  auch  die  kleine,  wertvolle  Samm- 
lung; O.  Knoops,  der  seine  Darlegungen  mit  dem  betrübenden  Bekenntnis 
beginnen  muls:  'Seit  dem  Erscheinen  meines  Posener  Sagenbuches  (Posen 
189<i),  das   trotz  seines  Umfanges  und  reichen  Inhaltes  doch   nur  ein 
Bruchstück  ist,  ist  von  deutscher  Seite  für  die  Volkskunde  des  Posener 
Landes  fast  nichts  geschehen,  und  die  reichen  Schätze  an  Volkssaja^en  und 
Aberglauben,  an  Sitten  und  Gebräuehen,  die  noch  vorhanden  smd  und 
auf  die  ich  schon  vor  Jahren  hingewiesen  habe,  blieben  bisher  ungehoben.' 
Ja,  eine  gröisere  kujavische  Sagensammlung,  die  der  Lehrer  Szulczewski 
zusammengebracht  hat,  harrt  noch  eines  mutigen  Verlegers.    Diese  Ver- 
hältnisse smd  innig  zu  beklagen.  Kolonisationsgebiete  sind  das  ergiebigste 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  147 

Arbeitsfeld  für  alle  Untersuchungen  über  die  eigentümlichen  Wandlungen 
volkstümlicher  Überlieferungen,  die  sich  aus  dem  Zusammenstols  heteror 
gener  Stamme  ergeben.     Hier  waren  nicht  blois  rein   inhaltliche  oder 
stilistische  Änderungen  einzelner  Lieder,  Märchen  usw.  zu  verfolgen,  son- 
dern vor  allem  festzustellen,  was  der  eine  Stamm  aus  dem  Erinnerungs- 
schatze des  anderen  sich  aneignet,  was  er  abstöfst,  was  er  nach  seinem 
Greschmack  ummodelt,  wie  weit  er  sich  in  der  Ausdrucksweise  von  den 
anderen  beeinflussen  laust  usw.    Hier  könnte  sich  die  Posener  Akademie 
auch  um  unsere  Wissenschaft  ein  wahres  Verdienst  erwerben  und  einer 
verständigen,  auf  wissenschaftliche  Erkenntnisse  begründeten  Propaganda 
des  Deutschtums  wertvolle  Fingerzeige  vermittein.    Zunächst  müssen  wir 
so  tüchtigen  und  geschulten  Sammlern  wie  Knoop  für  ihre  Mühe  dankbar 
sein.    Er  führt  hier  in  alphabetischer  Beihenfolffe  die  Tiere  auf,  an  die 
sich  irgendwie  volkstümliche  Anschauungen  anschlielsen.    Deutsches  und 
Polnisches  wird  durcheinandergebracht,  die  örtliche  Herkunft  des  Beleges 
jeweils  ange^ben.   Die  Mehrzahl  der  beigebrachten  Überlieferungen  gehört 
ins  Gebiet  des  Aberglaubens,  doch  fehlen  auch  Volksrätsel,  Tierstimmen- 
deutungen, Sprichwörter  und  dergleichen  nicht.   Augenscheinlich  sind  die 
gereimten  Produkte  hier  weit  weniger  zahlreich,  als  z.  B.  in  Mecklenburg. 
Wertvoll  und  von  jeanz  besonderem  Interesse  für  die  Leser  unserer 
Zdtschrift  ist  die  neue  Veröffentlichung  von  Jene  wein,  der  sich  bereits 
früher  durch  den  Abdruck  des  HoUinger  Peterlspiels  um  die  Erforschung 
der  tirolischen  Volksbühne  verdient  gemacht  hat.    Die  hier  vereinigten, 
^öfseren  Stücke,  in  denen  allen  Hanswurst  eine  sehr  wichtige,  bisweilen 
Fast  das  Interesse  ganz  auf  sich  konzentrierende  Bolle  spielt,  sind  uns 
zum  Teil  nicht  mehr  unbekannt.    Schon  1897  konnte  Erich  Schmidt 
auf  Vermittlung  von  Brandl  an  dieser  Stelle,  Band  XCVIII,  1  ff.,  zwei 
Volksschauspiele:  Don  Juan  und  Faust,  veröffentlichen.    Sie  erscheinen 
auch  hier  wieder,  doch  zum  Teil  in  abweichender  Form.    Leider  hat  der 
Herausgeber,  der  weniger  mit  dem  Interesse  des  wissenschaftlichen  For- 
schers als  des  Dilettanten  an  seine  Aufgabe  herantrat,  nicht  blols  die 
oft  sehr  mangelhaften  Bezeichnungen  der  Sprache  in  den  handschriftlichen 
Texten  vereinheitlicht  und  die  für  den  L^er  unentbehrlichen  szenischen 
Bemerkungen  eingefügt,  sondern  er  'hielt  sich  für  berechtigt,  hier  und  da 
etwas  zu  restaurieren,  zu  verbinden,  ja  sogar  noch  etwas  unterzuschieben'. 
Das  ist  um  so  schlimmer,  als  es  ihn  'gelockt  hat,  einige  von  Schmidt  im 
Anhange  zum  Faust  separat  gebrachte  Hanswurstszenen  dem  Ganzen  noch 
anzugliedern,  welche  Einbeziehungs-  und  Verbindungsarbeit  natürlich  nicht 
ohne  einige  Willkürlichkeiten  geschah.'    Das  ist  im  höchsten  Grade  be- 
dauerlich, und  wir  möchten  den  geschätzten  Herausgeber,  dem  wir  ja  für 
seine  Mitteilungen  im  übrigen  zu  aufrichtigem  Dank   verpflichtet  sind, 
dringend  darum  bitten,  sämtliche  von  ihm  vorgenommenen  Ab- 
weichungen zum   mindesten   in    einer   volks-   oder   landes- 
kundlichen Zeitschrift,  etwa  in  den  Veröffentlichungen  des 
F'erdinandeums,    nachträglich   zur   Kenntnis   der   an    seiner 
Ausgabe  philologisch  interessierten  Kreise  bringen.    Glück- 
licherweise nat  er  auf  der  anderen  Seite  von  jeder  'Eeini^ung'  der  Texte 
unter   engherzigen    pädagogischen    Gesichtspunkten   f;änzlich   abgesehen, 
während  seine  Individualität  bisweilen  in  rein  persönlichen  Anmerkungen 
etwas  zu  deutlich  in  den  Vordergnind  tritt.    Was  geht  es  uns  an,  wenn 
Herr  Jenewein  die  alten  Jungfern  schon  bei  Lebzeiten  ins  Moos  wünscht 
(169),  oder  wenn  er  S.  189  bedauert,  dafs  der  Teufel  noch  einmal  erscheint, 
um  Kasperle  zu  vexieren?    AuTser  dem  Don  Juan-  und  Faustspiel,  wel- 
ches letztere  gegenüber  der  von  Erich  Schmidt  mitgeteilten,  ziemlich  kor- 
rumpierten Form  immerhin  einige  Verbesserungen  erfährt,  ist  der  wich- 
tigste der  mitgeteilten  Texte  derjenige  der  Innsbrucker  G^noveva,  der,  so- 
weit ich  die  bisherigen  Aufzeichnungen  überblicken  kann,  eine  wertvolle 

10* 


148  Beurteilungen  und  kurze  Anzeig;en. 

Bereicherung  unseres  Materials  darstellt  Da  Prof.  Am  m  an n  in  Erummau, 
der  verdienstvolle  Herausgeber  (leider  bisher  eben  nur  Herausgeber)  der 
VoUcssehausjnele  des  Böhmertoaldes,  seine  Hand  auf  die  Geschichte  der  von 
ihm  mitgeteilten  Spiele  gelegt,  sein  Wort  freilich  bis  heute  nicht  eingelöst 
hat,  so  will  ich  von  einer  eingehenderen  Behandlung  des  neuen  Textes 
zuvörderst  absehen,  obwohl  die  Vergleidiune  mit  den  übrigen  Versionen 
verlockend  genug  wäre.    Zu  bemerken  ist,  dafs  das  ^anze  Stück  in  vier- 
hebigen,  hinsichtlich  der  Senkungen  sehr  unregelmäfsigen  Versen  abgefa&t 
ist;  der  Don  Juan  zeigt  vorwiegend  dreihebige  Beihen,  der  Faust  meist 
Alexandriner,  die  folgenden   Soierzspide  mengen   drei-   und   vierhebige 
Zeilen  mit  trochSischen  durcheinander.    Unser  Text  ist  so  verderbt,  diäs 
der  treue  Diener,  den  Golo  sträflichen  Umgangs  mit  der  Pfalzeräfin  be- 
zichtigt, gar  nicht  mehr  auftritt,  noch  auch  erwähnt  wiid.   Ob  hier  päda- 
gogiscne  Bedenken  vorlagen  ?   Jedenfalls  zei^  das  Ganze  eeistlichoi  Ein- 
nufs.    Der  Engel,  der  im  Volksbuch  und  m  der  Mehrauil  der  übrigeo 
Texte  (soweit  icn  sie  im  Augenblick  zur  Hand  habe)  erst  der  verzweifdo- 
den  Genoveva  in  ihrer  Waldeseinsamkeit  erscheint,  muTs  hier  schon  früher 
eingreifen,  um  die  Ermordung  der  Genoveva  durch  die  Henkersknechte  zu 
vereiteln,  wozu  übrigens  Hanswurst  nicht  gehört,  wie  etwa  in  Engels  Text 
Vielmehr  ist  dieser  au^nscheinlich  der  gute  Geist  im  Spiel,  der  dem 
Golo  von  vornherein  feindlich  gesinnt  ist.    Wohl  möglich,  dafs,  wie  die 
eigentlichen  Verleumdungen  und  die  Hexenszenen   ausgefallen  sind,  so 
auch  eine  früher  vorhandene  Aufklärung  des  Pfalzgrafen  durch  Hanswurst 
geschwunden  ist.    Ohne  diesen  kommt  natürlich  auch  der  Schluls  nicht 
aus,  und  sein  rechter  Widerpart  im  Puppenspiel,  der  Teufel,  ist  dabei,  um 
den  Golo  zu  holen.    Kaspar  und  Teufel  sind  die  beliebtesten  Figuren  in 
unseren  Spielen,  und  den  Ansprüchen  des  Bösen  auf  'dnen  Teil  seines 
Leibes'  weils  der  lustige  Diener  in  dem  letzten  Spiel  Die  BratUwerbung 
auf  sehr  derbe  Art  zu  erfüllen,  wie  er  sidi  anderseits  den  Geistern  der 
alten  Jungfern  im  Sterxmger  Moos  schlau  entwindet,    indem  er  sie  in 
Elif ersucht  aufeinanderhetzt,  so  dafs  sie  schliefslich  der  Zwietrachtsteufel 
holt.    Von  dieser  letzten  Nummer  vor  allem  mögen  die  Worte  gelten,  die 
der  über  seine  Sammlung  nicht  allzu  optimistisch  denkende  Herausgeber 
in  der  Einleitung  ausspricht:  'Zu  welcner  Zeit  die  vorliegenden  Stücke 
entstanden  sind,  läfst  sich  leider  nicht  mit  Bestimmtheit  angeben.    Jedoch 
steht  zu  vermuten,  dafs  sie  insgesamt  nicht  über  die  Befreiun^kri^e 
zurückreichen.    Nach  meiner  Schätzung  dürften  sie  alle  so  um  die  Mitte 
des  vorigen  Jahrhunderts  entstanden  sein  und  alle  somit  noch  mehr  der 
Individualpoesie  als  der  eigentlichen  Volkspoesie  anffehören.    Irgend  ein 
witziger  Kopf  hatte  sie  für  einen  bestimmten  Kreis  damals  ersonnen  und 
zum  besten  gee;eben,  dabei  sie  aber  wohl  auch  selbst  niederf^eschriebeii, 
80  dafs  jene  Verschmelzung  mit  dem  Volksgeiste,  welche  eine  längere 
mündliche  Überlieferung  bei  solchen  Dingen  bewirkt,  und  welche  aus 
der  Individualpoesie  ja  auch  erst  die  Volkspoesie  macht,  hier  noch  nicht 
Platz  greifen  Konnte.'     Wenn  wir  bedenken,   dafis  J.  K.  v.  Pauersbach, 
Sekretär  am  N.-Ö.  Landrecht  in  Wien,  für  das  Marionettentheater  des  Für- 
sten Esterhazy  ein  Genovevaspiel  schrieb  (Golz,  Pfakaräfin  Oenoveva  in 
der  deutschen  Dichtung,  Leipzig  1897,  S.  159),  so  werden  wir  gerade  bei 
dem  sentenziösen,  fast  pikanten,  mit  bewufster  Nachahmung  der  Hexen- 
szene des  ^Macbeth'  arbeitenden  Altjungfemspiel  am  ehesten  an  solche  lite- 
rarische Entst^ung  jglauben.    Den  volkstümlichen  Kreisen  näher  stand 
wohl  der  Verfasser  der  derben  Szene  vom  'kranken  Wirt',  dem  der  ^ 
prellte  Handelsjude  den  Bauch  aufschwellen  macht,  bis  ein  'zufällig  im 
Theater  anwesender'  wohlbekannter  Kurpfuscher  (er  starb  um  I87u)  auf 
eine  sehr  drastische  Weise  die  Heilung  bringt,  um  dann  wieder  auf  seinen 
Platz  zurückzukehren,  weil  ihm  das  Spiel  so  gut  gefällt.    Diese  Durch- 
brechung der  Illusion  und  dies  unmittelbare  'Anulken'  lebender  Mitglieder 


BearteiluDgen  und  kurze  Auzeigen.  149 

der  GemeiDde  dürfte  gauz  modern  sein  und  könnte  allerdings  das  Puppen- 
spiel zu  einer  gefährlichen  Waffe  in  der  Hand  irgendeiner  dörflichen  Par- 
tei machen  und  ihm  damit  zu  einer  Neubelebung  verhelfen,  von  der  sich 
die  alten  Pup^nspieler  mit  ihrer  künstlerischen  Objektivität  nichts  träu- 
men lieisen.  übrigens  sind  doch  auch  diese  nicht  ausgestorben,  wenn- 
fleich  ihre  Texte  mehr  und  mehr  korrumpiert  werden,  fdi  selbst  konnte 
ürzlich  in  der  Zeiisekrift  des  Vereins  für  Volkshunde  (1905,  Heft  3)  ein 
fränkisches  Faustspiel  veröffentlichen,  und  der  Puppenspieler  Schmidt,  von 
dessen  Bühne  jene  Version  stammt,  spielt  unter  anderem  noch  'Genoveva', 
das  'verwunschene  Schlofs'  usw.  Es  gilt  auch  hier  aufzupassen  und  das 
noch  Erreichbare  treu  und  behutsam  zu  bergen. 

Die  Probleme  der  Sagenbildung  berührt  die  Arbeit  von  Blöte.    Der 
Verfasser  trachtete  noch  vor  einem  Jahrzehnt  (Zeüsehrift  für  deutsches 
Altertum  XXXVIII,  S.  272),  die  mythischen  Elemente  der  Schwanritter- 
sage festzule^n,   wies  dabei  auf  die  in  den  Überachwemmungsgebieten 
des  Niederrheins  und  der  Scheide  früher  noch  als  Lenzboten  regelmäßig 
auftretenden  wilden  Singschwäne  hin,  die  von  der  keltischen  Bevölkerung 
mit  ihrem  Lichtgotte  Lueus,  später  aber  von  den  germanischen  Batavern 
mit  ihrem  Gotte  Tius  in  Verbindung  gebracht  wurden,  und  deutete  somit 
das  Ganze  auf  einen  Frühlin^mythus  (mit  dem  Sommer  verschwinden  die 
Schwäne,  zieht  der  lichte  (^tt  von  dannen).    War  hier  die  mythologi- 
sierende Phantasie  des  Verfassers  vielleicht  ein  bifschen  üppig  ins  Kraut 
geschossen,  so  verhält  er  sich  jetzt  um  so  skeptischer,  sieht  in  dem  Schwan - 
nachenmotiv  sowie  im  Frageverbot  mehr  untergeordnete  Bestandteile  der 
Sage  und  sucht  das  Zustandekommen  des  ganzen  Komplexes  mehr  mit 
den  Hilfsmitteln  historischer  Kritik  zu  begründen,  wobei  er  der  Selbstän- 
digkeit fürstlich-genealorächer  Legenden  praxis  augenscheinlich  zu  viel,  der 
Zäigkeit  rein  volkstümlicher  Überlieferungen   zu  wenig  Bedeutung  ein- 
räumt.   Natürlich  ist  die  stimmungsvolle  Sage  vielfach  für  dynastische 
Zwecke  verwandt  worden,  vor  allem  in  den  Häusern  Boulogne-BouUlon, 
Brabant  und  Cleve.    Für  das  letztere  Fürstengeschlecht  hat  nun  Bl.  (Zeit- 
sekrift  für  deutsches  Altertum  XLII,  S.  1  ff.)  zur  Evidenz  nachgewiesen, 
wie  von  selten  der  Chronisten  in  der  ersten  Halte  des  VX  Jahrhunderts 
die  um  1200  schon  bekannte,  aber  noch  nicht  historisch  verwertete  Sage 
geflissentlich  mit  der  Genealogie  des  schlesischen  Hauses  verknüpft  wira, 
um  dann  im  15.  Jahrhundert,  wo  Cleve  zum  Herzogtum  erhoben  wurde, 
ihre  eigentliche  Blüte  zu  erleben.   Schwieriger  ist  die  Frage  nadi  der  Ver- 
bindung des  Fürstenhauses  von  Brabant  mit  der  Schwanrittersage  zu  lösen, 
eine  Fr^e,  die  für  uns  um  so  interessanter  ist,  als  ja  Wolfram  von  Eschen- 
bach und  nach  ihm  Konrad  von  Würzburg,  der  jüngere  'litiurel  und  der 
'Lohengrin'  die  Herzöge  von  Brabant  Bick  zur  Abstammung  von  dem 
Schwanritter   bekennen   lassen.     In  französischen   Dichtungen  wird  den 
Brabantern  diese  Herkunft  nirgends  zugesprochen,  und  bei  aen  Deutschen 
scheint  Gottfried  von  Bouillon  erst  dann  mit  den  Brabantern  verbunden 
zu  sein,  als  an  Stelle  des  'Herzogs  von  Niederlothringen'  sich  immer  mehr 
die  Bezeichnung  'Herzog  von  Brabant'  einbürgerte.   Man  kann  verstehen, 
dafs  bei  solcher  Namensübertragung  auch  das  Sagenmotiv  selbst  auf  das 
andere  Geschlecht  mit  vererbt  wurde,  doch  hat  Bl.  wohl  recht  mit  der 
Ansicht,  dafs  zu  der  schnellen  und  gründlichen  Verknüpfung  der  Saee 
mit  den  Brabantern  der  Wille  der  letzteren  mitgewirkt  nahe.    Er  sucht 
demnach  die  Zeit  zu  bestimmen,  zu  welcher  die  Herreu  von  Brabant  die 
Schwanenstammsage  gleichsam  rezipiert  haben.    Wenn  freilich  die  Tat- 
sache, dafs  die  mit  den  Grafen  von  Loewenstamm  verwandten  Hennegauer 
sich  keiner  Herkunft  vom  Schwanritter  rühmen,  zur  Bestimmung  des  ter- 
minus  post  quem  verwendet  werden  soll  (die  Sage  könnte  unter  diesen 
Umständen  erst  im  12.  Jahrhundert,  nach  Abtrennung  des  hennegauischen 
Zweiges,  von  den  Brabantern  angenommen  sein),  so  uegt  hier  unseres  Er- 


150  Beurtdlungen  und  kurze  Auzeigen. 

achtens  ein  methodisches  Bedenken  yor:   ganz  aus  freier  Lnft  greift  ^n 
Fürstenhaus  derartig  8a^n  doch  nicht,  zum  mindesten  werden  sie  dann 
nicht  so   voikstümbch  wie  gerade  die  Schwanenherkunft  der  Brabanter; 
hier  muTs  das  Volk  schon  selber  mitgewirkt  haben,  und  es  ist  zum  min- 
desten sehr  wahrschein  lieh  j  dafs  eine  volkstümliche  Tradition,  die  von  oben 
her  sicherlich  begünstigt  wurde,  den  Glauben  an  die  geheimnisvolle  Her- 
kunft des  Fürstenhauses  trug  und  nährte,  lange  ehe  er  offiziell  kanonisiert 
wurde.    Den  termintis  ad  quem  bietet  Maerlants  tadelnde  Bemerkung  über 
den  Stammeshochmut  der  Brabanter,  von  denen  er  nunmehr  Gottfrieds 
Stamm  zu  sondern  trachtet.  Alir  macht  seine  Haltung  fast  den  Eindruck, 
als  habe  er  die  offizielle  Anerkennung  der  Sage  durch  die  Herzöge  als 
eine  vor  gar  nicht  so  langer  Frist  erst  erfolgte  Tatsache  in  noch  frischer, 
anmutiger  Erinnerung.    «Jedenfalls  ^dit  aus  seinen  Worten  auch  hervor, 
da£«  die  Schwaneage  in  enger  Yerbmdung  stand  mit  der  genealogischen 
Verknüpfung  des  Brabanterhauses  mit  Gottfried  von  Bouillon,  und  da  die 
Häuser  von  Boulogne  und  Brabant  noch  im  12.  Jahrhundert  streng  ge- 
schieden sind,  so  mufs  nach  der  Ansicht  Blötes  eine  fürstliche  Hdrat  die 
enee  Verbindung  beider  Linien   und  damit  auch  ihrer  Stammsagen  im 
VolksbewulBtsein  vermittelt  haben.   Wie  weit  diesem  Argument  Tragweite 
beigemessen  werden  kann,  weiüs  ich.  nicht  zu  sagen.    Systematische  Beob- 
achtungen über  Einwirkungen,  welche  äuTserliche  Verhältnisse,  wie  fürst- 
liche Hochzeiten,  die  freilich  zu  jener  Zeit  tiefer  ins  Volksbewufstsein  ein- 
schneiden mochten  ab  heute,  auf  die  Überlieferungen  der  Völker  aus- 
übten, sind   meines   Wissens  noch   nicht  angestellt  worden.     Jedenfalls 
kommt  Bl.  zu  folgendem  Ergebnis:  Heinrich  I.,  der  Krieger,  der  vierte 
Herzog  von  Brabant  (1190—1235),  heiratet  1179  Mathilde  von  Boulosne 
(t  1211).    Durch  diese  Verhältnisse  ist  Heinrich  auch  eine  Zeitlang  (bis 
1191)  Graf  von  Boulo^e.  Die  Kinder  seiner  Ehe  heiJGsen  mit  Fug  S^ach- 
kommen  des  Schwanritters,  und  zwar  infolge  der  Herkunft  der  Mutter. 
Und  hier  glaubt  Bl.  allerdings  dem  Volksmunde  die  erste  Verbindung 
der  immer  mehr  in  ein  ideales  Licht  rückenden  C^talt  Gottfrieds  von 
Bouillon  mit  der  alten  Schwansage  zutrauen  zu  dürfen.    Durch  welche 
psychologische  'Hilfe'  freilich  diese  Verbindung  zustande  kam,  versucht 
er  nicht  zu  bestimmen,  obwohl  ihm  bei  seiner  eindringenden  Kenntnis 
aller  einschlägigen  Faktoren  diese  Bestimmung  noch  am  ehesten  möglich 
sein  dürfte.    Der  Hinweis  auf  die  negativen  Faktoren,  die  einer  streng 
historischen  Auffassung  entgegenwirkten  (S.  18),  genügt  natürlich  nicht 
Für  die  Fortpflanzung  der  Sage  speziell  im  Brabanter  Hause  aber  wurde 
dann  die  obenerwähnte  Identinzierung  von  Brabant  und  Niederlothringen 
wichtig,  denn  der  letzteren  Linie  gehörte  das  Stammschiols  Bouillon.    Das 
alles  konnte  natürlich  wieder  nur  für  die  regierenden  Kreise  gelten  und 
sagt  uns  noch  nichts  über  die  Ummodelung  der  Sage  im  Volksmunde. 
Übrigens  können  die  Anschauungen  Wolframs  ganz  wohl  durch  höfische 
Vorstellungen  beeinfluiät  sein,  anderseits  ist  freilich  ein  stetes  Hin  und 
Her  zwischen  rein  populären  und  dynastischen  Anschauungen  gerade  für 
jene  Zeit  nicht  ohne  weiteres  auszuschlieüsen.    BL  macht  es  wahrschein- 
lich, dafs  die  Form  der  im  Brabanter  Hause  gepflegten  Schwanrittersage 
diejenige  der  Chansotu  du  Chevalier  au  cygne  war,  wonach  der  Stammherr 
selost  als  Schwan  gedacht  wurde.   Dann  scheinen  im  14.  Jahrhundert  die 
mythischen  Züge  zugunsten  einer  rationalistischen  Umdeutune  abgestreift 
zu  sein.    In  der  Chronik  des  Hennen  von  Merchtenen  (Anfang  des  15.  Jahr- 
hunderts)  wird  die  Herkunft  der  Brabanter  auf  Nachkommen  des  Priamus 
zurückgeführt;  ein  junger  Fürst  aus  dieser  Linie,  die  zu  Nimwegen  re- 
giert, verliebt  sich  als  Gast  des  griechischen  Kaisers  in  dessen  Tochter 
Swane,  die  mit  ihm  flieht,  Mutter  Julius  Cäsars  wird  und  nach  seinem 
Tode  das  Land  zwischen  Scheide  und  Rhein  regiert.   Inzwischen  hat  sich 
ihr  Bruder  Oktavian  aufgemacht,  um  die  Verschwundene  zu  suchen.  Wäh- 


Beurtdlnng«!  und  kurae  Anzeigen.  151 

rend  er  zu  Cambrai  lagert,  reitet  einer  seinOT  Bitter,  Breboen,  einem  wun- 
derschönen Schwan  nach,  der  ihn  Bchliefslich  zu  Bwane  führt,  wo  er 
freundlich  aufgenommen  und  ihm  ein  Erkennungszeichen  für  Oktavian 
eingehändigt  wird.  So  vermittelt  er  die  Zusammenkunft  der  getrennten 
Geschwister  und  wird  zum  Lohn  für  manche  bestandene  Heldentat  mit 
Swanes  gleichnamig  Tochter  vermählt  und  das  Land  nach  ihm  Brabant 
getauft.  Gerade  die  historischen  Widerspruche,  die  hier  vorliegen  und 
von  Bl.  scharf  betont  werden,  lassen  doch  wohl  darauf  schlie&en,  dafs  es 
sich  um  keine  künstliche  Mache  handelt,  nicht  um  eine  von  dem  höfischen 
Historiographen  mühselig  zusammengeklaubte  Fixierung,  sondern  um  die 
zunächst  wohl  mündlich  vollzogene  Verschmelzung  verschiedener  Sagen- 
kreise mit  der  alten  Schwanensage  und  um  nachträgliche  Versuche, 
diesem  Sagenkomplex  eine  geschichtliche  Sanktionierung  zu  geben.  Aber 
auf  diese  eigentliche  Kernfrage  im  Sinne  der  Sagenkunde  gät  Bl.  nicht 
ein,  und  demjenigen,  der  niäit  wie  er  die  gesamte  Literatur  zu  über- 
schauen vermag,  wäre  ein  Nacharbeiten  auf  diesem  Gebiete  wohl  ein  Ding 
der  Unmöglichkeit.  Immerhin  beginnt  mit  der  Bearbeitung  durch  Hennen 
eine  mehr  literarische  Periode  im  Fortleben  der  Sage,  aas  von  nun  ab 
mehr  historisches  als  volkskundliches  Interesse  hat.  Handelt  es  sich  doch 
im  allgemeinen  um  die  Ausfüllung  der  genealonschen  Lücken,  einmal 
zwischen  Brabon  und  Earleman,  anderseito  von  Noah  über  Troja  bis  auf 
Brabon  Sylvius.  In  diesen  späteren  Versionen,  ja  schon  bei  Hennen  sind 
diejenigen  Züge  der  alten  Sage,  die  für  uns  besonders  charakteristisch  sind, 
die  geneimnisvoUe  Fahrt  aus  dem  Wunderlande  im  Nachen,  der  vom 
Schwan  gezogen  wird,  und  das  Verbot  der  Fräse  nach  der  Herkunft  spur- 
los verschwunden,  der  Kern  zugunsten  der  Säale  eeopfert.  Wenn  also 
auch  BL's  Buch  uns  wenig  über  die  ei^ntliche  volkstümliche  £nt- 
wickelung  des  Motivs  oder  gar  über  seme  Entstehung  sagt,  so  bietet  er 
doch  dem  Volksforscher  ein  mit  tiefer  Sachkenntnis  und,  was  das  eigent- 
lich Geschichtliche  anlangt,  mit  kritischem  Geiste  durchgeführtes  Beispiel 
jener  Schicksale,  denen  Volkstraditionen  auf  ihrem  mehr  Bterarischen  Ent- 
wickelungsgan^e  ausgesetzt  sind. 

Im  Anschfufs  an  die  Volkspoesie  gedenken  wir  der  Kunstdichtung  im 
Volkston.  Dem  bekannten  ob^bayrischen  und  pfälzischen  Dialektdiditer 
Franz  von  Kobell  widmet  Dreyer  eine  fleifsiffe,  aber  weder  mit  echter 
biographischer  Kunst  in  die  Ticae  der  Persönlicmkeit  eindringende  und  die 
einzelnen  Lebensäu&erungen  zu  einheitlichem  Bilde  rundende,  noch  auch 
eigentlich  literarhistorische  Darstellung.  Er  schildert  daa  an  grolsen  Er- 
echütterungen  arme  Leben  des  Gelehrten  und  Dichters,  sucht  durch  ein- 
zelne Stichproben  seine  über  den  Durchschnitt  des  gebildeten  Mannes 
nicht  eben  erhabene 'Weltanschauung'  zu  skizzieren,  schildert  seine  litera- 
rischen Beziehungen  und  gibt  dann  unter  dem  etwas  irreführenden  Titel: 
'Überblick  über  Kobells  literarische  Bedeutung*  (S.  69  ff.)  eine  deskriptive 
Charakteristik  seiner  Dialc^tdichtun^,  wobei  er  die  mehr  städtischen  und 
reflektierenden  Pfälzergedichte  geschickt  gegen  die  mehr  ländlichen,  naiven, 
aber  doch  in  Anschauungs-  und  Ausdrucksweise  nicht  immer  echt  volks- 
tümlichen, altbayrischen  sich  abheben  läfst  Aber  ich  weiia  nicht,  wie  weit 
der  Nutzen  solcher  atomistischen  Darstellun^weise  reicht;  Kobell  ist  doch 
schliesslich  als  Dialektdiditer  kdne  Persönhckeit  von  geradezu  typischer 
Bedeutung;  er  kommt  doch  nur  als  ein  Glied  in  einer  ^oiaen  Entwicke- 
lungskette  in  Betracht  und  mufste  als  solches  charaktensiert  werden ;  was 
nützen  die  paar  Notizen  über  den  unmittelbaren  Zusammenhang  mit  seinen 
Vorbildern,  z.  B.  auch  mit  dem  Volksliede,  über  die  'Einwirkungen',  die 
er  empfangen,  und  die  'Anregungen^  die  er  ausgestreut  hat  Es  mufste 
seine  ganze  Technik  mit  denen  seiner  Vordermänner  und  Nebenleute  ver- 
suchen werden,  damit  klar  hervortrat,  worin  die  Eigentümlichkeiten  des 
Richters  bestäien,  und  damit  aus  der  Arbeit  der  G^chichte  der  Dialekt- 


152  Beurteilungen  und  kurae  Anzdgen. 

dichtung  überhaupt  ein  Vorteil  erwuchs.  Bisweilen  hätte  doch  ein  Ver- 
gleidi  etwa  mit  Anzenffruber  bo  nahegelegen,  z.  B.  hinsichtlich  jener  No- 
vellen, die  auf  die  Heuung  von  töricnter  Gespensterfurcht  hinauslaufen; 
auch  Kobells  seltsames  Ungeschick,  sich  in  hochdeutscher  Sprache  poetisch 
auszudrücken,  fordert  doch  zur  Parallele  mit  Anzengrubei^  und  mit  Bai- 
mund,  sowie  zur  Kontrastierung  mit  Stieler  heraus.  Übrigens  erhält 
Dreyers  Büchlein  einen  besonderen  Wert  durch  eine  umfänglidie  Biblio- 
graphie, deren  Vollständigkeit  ich  freilich  nicht  nachprüfen  kann,  durch 
ein  dironoloeisches  Verzeichnis  der  in  den  Sammelbänden  erschienenen 
Gedichte  Kobells  (leider  ist  aber  auf  dieser  Grundlage  keine  eigentliche 
Entwickelungsgeschichte  seiner  Anschauungen  und  seiner  Technik  ver- 
sucht worden),  femer  durch  die  Mitteilung  einiger  ungedruckten  Gedichte 
und  Briefe  des  Dichters. 

Eine  stärkere  dichterische  Persönlichkeit  als  Kobell,  doch  ihm  nahe 
verwandt  in  der  durch  eifrige,  wissenschaftliche  Forschung  genährten  innigen 
Vertrautheit  mit  der  Natur,  ist  Adalb.  Stifter.   *Sein  Ruhm  ist  im  Auf- 
steigen begriffen,  immer  reiner  und  klarer  erstrahlt  sein  Bild.    Nicht  nur 
als  Naturschilderer  und  Kleinmaler  wird  er  anerkannt,  der  kräftige  Realis- 
mus, auf  dem  seine  ganze  Dichtung  ruht,  verleiht  seinen  bodenständigen 
Schöpfungen  eine  eiserne  Gesundheit.   In  einer  Zeit,  die  die  Heimatskunst 
über  alles  hochschätzt,  wird  der  Wert  dieses  echten  Heimatskünstlers 
immer  stärker  empfunden.  —  Festwurzelnd  in  seiner  geschlossenen  Lebens- 
und Weltanschauung,  errang  er  sich  auch  die  Achtung  derjenigen,  die 
diese  Überzeugung  nicht  teuen  können.  ...  Ein  um  sein  angestammtes 
Volkstum  muti^  ringendes  Geschlecht  sidiit  in  ihm  dn  weithin  ragendes 
Wahrzeichen  seines  teuren  heimatlichen  Landes.'    Um  so  dankbarer  be- 
grüfsen  wir  die  grofse,  mit  wissenschaftlicher  Kritik  gearbeitete  Ausgabe 
seiner  Werke,  die  uns  die  Gesellschaft  zur  Förderung  deutscher  Wissen- 
schidt  usw.  in  Böhmen  jetzt  besdiert  und  deren  Vorwort  wir  die  eben 
angeführten  Worte  entnehmen.    Der  sie  schrieb,  August  Sauer,  wandelt 
nicht  in  ausgefahreuen  Geleisen.   Er  sucht  mit  kräftiger  Hand  den  'förm- 
lichen Rattenkönig  von  weitverbreiteten  L^enden'  zu  zerstören,  der  sich 
an  Stifters  Person  angeschlossen  hat,  als  sei  dieser  tapfere  Selbstbezwinger 
und  Lebenskämpfer  nur  ein  leidenschaftsloser  Fanatiker  der  Ruhe  gewesen ; 
auch  die  literarische  Stellung  des  Dichters  wird  schärfer  bestimmt  als 
bisher.    'Aus  innerer  Verwandtschaft  und  äufserer  Anregung  zum  selb- 
ständigen und  bewulsten  Schuler  Tiecks,  Jean  Pauls  und  £.  T.  A.  Hoff- 
manns geworden  und  als  Fortsetzer  und  Erneuerer  aller  gesunden  Elemente 
der  Romantik  in  die  Literatur  eingetreten,'  rückt  er  in  unmittelbare  Nähe 
zu  Mörike;  beide  sind  feinfühlige,  zum  Träumen  geneigte  Naturen,  beide 
sind  'tiefe  Seelen  forscher  und  doch  schlechte  Menschenkenner',  aber  'Mörike 
ist  der  weitaus  gröfsere  Künstler,  Stifter  gelang  es,  mit  seinen  verwandten 
Schöpfungen  viel  stärker  auf  die  Zeitgenossen  zu  wirken.'    Der  bd  aller 
warmen  Liebe  ruhige  und  von  jedem  ranegyrismus  freie  Ton  der  Einlei- 
tung Sauers  berührt  uns  besonders  wohltuend  und  wird  für  die  Einbürge- 
rung Stifters  auch  in  aufserböhmischen  Kreisen  mehr  tun,  als  verhimmelnde 
Festreden  und  derdeichen.   Stifter  bezeichnet  den  Höhepunkt  einer  Nach- 
blüte der  Romantik,  wie  sie  eben  in  den  Tagen  des  'jungen  Deutschlands' 
in  Österreich  und  wohl  nur  in  Österreich  in  dieser  Weise  sich  entfalten 
konnte.   Diesen  romantischen  Elementen  ist  Sauer  mit  feinem  Sinne  nach- 
gegangen, Stifters  Praxis  gegen  die  Manifeste  etwa  eines  Th.  Mundt  kon- 
trastierend.  Wir  können  auf  die  vielversprechende  Ausgabe,  die  nicht  blofs 
die  Werke  im  engeren  Sinne,  sondern  auch  alle  bibliographisch  wichtige- 
ren Dokumente  in  sich  vereinigen  soll,  hier  nicht  ausmhrlicher  eingehen, 
wünschen  aber,  dafs  die  unter  Sauers  Leitung  augenschaniich  recht  eifrig 
und  mit  gutem  Erfolge  betriebenen  Studien  über  den  deutsch-böhmischen 
Dichter  auch  den  eigentlich  volkstümlichen  Elementen  in  seiner  Darstellung 


Beorteilangen  nnd  kurze  AnzeigeD.  153 

und  in  sdnem  Stile  nachgehen  machten.  Freilich  wird  mit  dem  AbschlufB 
solcher  Studien  bis  zur  Vollendnnf?  der  Ausgabe  zu  warten  sein.  Der  von 
Horcicka  bearbeitete  14.  Band  läfst  uns  für  die  Folgezeit  die  reichsten 
Aufschlüsse  über  die  ästhetischen  Anschauungen  des  Maler-Dichters  er- 
hoffen, ausgiebige  Register  sollen  endlich  den  ganzen  Reichtum  in  bequemer 
Weise  erschliefsen.  —  Noch  reichere  Ausbeute  an  volkstümlichen  Anschau- 
ungen, vor  allem  was  Volksaberglauben  und  sprichwörtliche  Weisheit  an- 
langt, versprechen  des  Mathesius'  Predigten,  insbesondere  über  das 
Bergmannsleben,  mit  deren  Auswahl  Lösche  seine  wertvolle  Ausgabe  der 
Schriften  des  ersten  Lutherbiographen  würdig  abschliefst.  Vor  allem 
die  Sarepta,  die  Sammlung  von  Predigten  und  Traktaten,  die  ausdrück- 
lich auf  bergmännisches  Publikum  berechnet  sind,  liefert  nach  mancher 
Hinsicht  wertvolle  Ausbeute.  Unaufhörlich  sprudeln  sprichwörtliche 
Redensarten  hervor,  teils  mit  Zitaten  aus  den  klassischen  Sprachen  ver- 
bunden, teils  für  sich  und  oft  mit  einer  gewissen  Lust  gehäuft.  Aus  der 
zweiten  Predigt  allein,  *Von  ankunfft  der  bergwerck*,  die  ich  für  diese 
Besprechung  eingehender  durchgearbeitet  habe,  und  in  der  Vorrede  zum 
ganzen  Werke,  insgesamt  auf  etwa  hundert  Druckseiten,  läTst  sich  reiche 
Ernte  halten:  'Die  armen  Heiden  hatten  wohl  läuten  hören,  aber  nicht 
nachschlagen'  S.  8884,  <der  Apfel  fällt  nicht  weit  vom  Baum,  und  das 
Kalb  gerät  gewöhniglich  nach  der  Kuh'  S.  89  n,  '£ulen  hecken  nicht 
Sperber  aus'  S.  95  2o,  «Arn  Vater  kennt  man  gemeiniglich  die  Kinder  und 
am  Herrn  das  Gesind,  und  wie  die  Alten  sungen,  so  zwitschern  die  Jun- 
gen, a  bove  maiori  discit  arare  minor'  S.  97  30,  'Neu  Geld,  neu  Plag,  grofs 
Geld,  grofse  Sorg  und  Gefahr'  S.  112  8,  «Arm  macht  reich  wers  Glück 
hat'  S.  1173,  »Untreu  trifft  seinen  eigenen  Herrn  und  Unrecht  Gut  faselt 
(wudelt  S.  1363^)  nicht'  S.  187^,  'Es  ist  nichts  so  klein  gespunnen,  es 
wird  alles  wieder  an  die  Sonne  kommen'  S.  137  27,  'Wer  ehe  kommt,  der 
malt  ehe'  S.  188  ^7,  <Ein  Jeder  für  sich  selber,  Gott  unser  Aller  Richter' 
S.  141  <>  usw.  usw.  Mit  Vorliebe  flicht  der  Verfasser  auch  Fabeln  und 
Sagen,  auch  volkstümliche  Anekdoten,  besonders  religiösen  Beigeschmacks, 
miib  ein.  Er  erzählt,  mit  Beziehung  auf  Petrus,  das  Märchen  von  den  drei 
verhängnisvollen  Wünschen  S.  HO,  oder  die  Fabel  von  der  fleifsigen  Ameise 
und  der  faulenzenden  und  im  Winter  hungernden  Heuschrecke  S.  153  f. 
Vor  allem  aber  zeigt  er  seine  eigene,  ganz  im  Sinne  des  Volkes  unerschöpflich 
wirkende  Phantasie  bei  der  näheren  Ausführung  dieses  Gleichnisses,  und 
dabei  tritt  seine  Liebe  zur  Natur,  eine  inniee  Versenkung  in  das  Leben 
und  Treiben  der  Ameise  wohltuend  zutage,  die  diese  Abschnitte  zu  einem 
wahren  Musterstück  unserer  älteren  Prosa  macht,  das  gar  wohl  der  Auf- 
nahme in  unsere  Lesebücher  wert  wäre.  Nebenbei  werden  natürlich  allerlei 
Bergwerkssagen  erwähnt,  wie  von  der  Auffindung  des  Goslarer  Werkes 
durch  ein  Pferd  (S.  121),  das  Verschwinden  von  Kindern  im  Berge  auf 
das  Locken  eines  Gespenstes,  also  eine  Erzählung  aus  dem  Sa^jenkreise 
des  Rattenfängers  von  Hameln  ^ebenda);  geistlichen  Ursprungs  ist  wohl 
die  kleine  Geschichte  von  der  Anfertigung  des  Teufels  durch  einen  Berg- 
mann (S.  122),  wozu  andere  erbauliche  Berichte  (S.  125  f.)  zu  vergleichen 
wären.  Brauch  und  Glauben  werden  nicht  verschmäht:  Mathesius  ^eht 
den  Fastnachtsbräuchen  nach  (S.  111)  und  erwähnt  dabei  manches  Trmk- 
wort  und  Trinksitten:  'Wenn  man  flu^  süffe',  meinen  die  Bergleute,  'so 
wüchse  das  Erz'  (S.  109):*  er  freilich  ist  anderer  Meinung  und  liest  den 
Trinkern  ebenso  wie  den  Modenarren  eine  derbe  Epistel,  die  dem  deutschen 
Lexikographen  reiche  Ausbeute  verspricht  (S.  89  ff.),  wie  anderseits  die 
Auseinandersetzungen  über  das  Bergrecht  (S.  138  ff.)  für  die  Rechts- 
geschichte in   Betracht  kommen.     Vor  allem  aber  dürfen   natürlich  die 

*  Vgl-Mie  Erw&hnuDg  der  Scherzfragen  S.  81 12,  (VolkBmedizin  S.  71  30  und  die 
wertvollen 'MitteUoDgeu  fiber  die  Volkskunde  seiner  Heimat  Rochlitz  S.  71 — 72. 


154  Beurteilimgen  nnd  knrz«  Anzeigoi. 

Speziallexika  der  technologischen  Ausdrücke  reichen  Zuwachs  erwarten, 
und  wir  bedauern  in  diesem  Sinne  nur,  daTs  sich  die  Gesellschaft  nicht 
zur  Drucklegung  der  ganzen  Sarepta  entschlossen  hat;  da  der  Anhang 
zeigt,  wie  trefflich  sich  der  Herausgeber  in  die  oft  recht  dunkle  und 
schwierige  Bergmannssprache,  in  die  Anschauungen  und  Bräuche  des^  Be- 
rufs einzuleben  wufste,  hatte  man  doch  von  ihm  gern  eine  kommentierte 
Ausgabe  des  Ganzen  erwartet.  Immerhin  ist  das  dargebotene  Material 
höchst  dankenswert  und  eröffnet  reiche  Fundgruben  fflr  die  Sprache  der 
Bergleute  und  Glasbläser.  Freilich  hat  Lösche  diese  Gruben  nicht  ans- 
^esdiöpft,  denn  sein  ^Verzeichnis  der  häufiger  vorkommenden  Worte',  das 
im  allgemeinen  auch  ohne  Belege  bleibt,  kann  für  die  bezeichneten  Zwecke 
nicht  genügen.  Aber  den  ganzen  Sdiatz  von  bergmännischen  Fach- 
ausdrücken, den  Mathesius'  Sarepta  birgt,  hat  inzwischen  £.  Göpfert  im 
Beiheft  zum  3.  Bande  der  Zeitschrift  für  deutsehe  Wortforschung  gehoben. 

Minder  wertvoll  für  das  Sondergebiet  der  Volkskunde  möchte  auf  den 
ersten  Blick  die  von  der  böhmischen  Gesellschaft  in  Angriff  genommene 
Auswahl  der  Schriften  des  Grafen  Kaspar  von  Sternberg  erscheinen, 
als  deren  erster  Band  der  Briefwechsel  erscheint,  den  dieser  'Schöpfer  der 
neueren  geisti^n  Kultur  Böhmens'  mit  Goethe  geführt  hat;  die  rein  natur- 
wissenschaftlichen Schriften  bleiben  ausgeschlossen,  dagegen  sollen  noch 
seine  Selbstbiographie,  seine  Tagebücher  und  Beisebeschrabungen  und 
seine  kleineren,  allgemeinverständlichen  Aufsätze  und  Beden  zum  Abdruck 
kommen.  Ist  auch  der  Hauptinhalt  des  vorliegenden  Buches  durch  die 
wissenschaftlichen  Interessen  bedingt,  die  der  grolse  Dichter  mit  seinem 
Freunde  teilte,  so  fällt  doch  für  den  Volksforscher  manches  ab,  was  der 
scharfe  Beobachter  seiner  Umgebung  abgelauscht  hatte,  und  worüber  das 
ausgezeichnete  Sachregister  unter  'Sagen,  Volkslieder,  Volkspoesie,  Volks- 
gesang'  erwünschte  Auskunft  gibt 

Auch  die  kleine  Schrift  von  Fischer  gilt  den  Beziehungen  zwischen 
Kunst-  und  Volkspoesie.    Der  Verfasser  hat  das  in  Heines  Gedichten 
(warum  nur  in  diesen  ?)  verwertete  volkskundliche  Material  fleifsig  gesam- 
melt und  umsichtig  nach  formalen  und  stofflichen  Bestandteilen  ^*uppiert 
und  uns  insofern  über  das  hinausgeführt,  was  Greinz  (Beinrieh  Beine  und 
das  deutsehe  Volkslied  1894)  und  Götze  {Heines  Buch  der  Lieder  und  sein 
Verhältnis  xum  deutschen  Volkslied,  Hallische  Dissertation  1895)  bisher  ge- 
leistet hatten.   Aber  abschliefsend  ist  seine  Arbeit  leider  bei  weitem  noch 
nicht;   über  die  Wandlungen  des  Verhältnisses  Heines  zur  Volkspoesie 
erfahren  wir  wenig,  über  diejenigen  Elemente  seines  eigenen  Innenlebens, 
<lie  den  Anschauungen  und  Ausdrucksformen  des  Volkes  entgegenkamen, 
so  gut  wie  nichts,  die  Verschmekung  von  volkstümlichen   und  kimst- 
mäfsigen  Elementen  wird  nicht  ^bührend  ins  Licht  gestellt    Wie  ver- 
lockend hätte  es  für  einen  so  tüchtigen  Kenner  des  Volksliedes  sein  müssen, 
Heines  Balladen,  vor  allem  auch  seine  Tannhäuserdichtung  in  dieser  Hin- 
sicht eingehender  zu  analysieren!    Der  neue  Bearbeiter,  der  das  leisten 
will,  wird  sich  aber  weder  auf  Heines  Lyrik,  nodi  anderseits  vorzugsw^se 
auf  die  lyrische  Volksdichtung  beschränken  dürfen,  sondern  auch  Märchen, 
Sagen  und  Bätsei  zum  Vergleich  heranziehen  und  Heines  gesamte  Schrift- 
stellerei  durchforschen  müssen.   Vor  allem  aber  wären  doda  Heines  eigene 
Äufserungen  über  das  Volkslied,  etwa  in  der  Schrift  über  die  'romantische 
Schule',  zur  Grundlage  der  ganzen  Arbeit  zu  machen  gewesen,  auf  die 
sich  das  folgende  immer  wieder  hätte  zurückbeziehen  können. 

Noch  ein  paar  Worte  über  einiges  zur  volkstümlichen  Sprache.  Weises 
Büchlein  freilich,  das  inzwischen  in  5.  verbesserter  Auflage  erschien,  bietet 
uns  nicht,  was  wir  suchen;  dankbar  werden  wir  die  Bemerkungen  über 
(las  Stamniheitliche  im  Wortschatz  begriÜjsen  (S.  44  ff.),  wie  auch  die  Aus- 
führungen über  die  Mundart  (S.  68  ft),  obwohl  sie  wenig  Neues  nnd  das 
Alte  bisweilen  im  Gewände  der  Phrase  bieten.    Wichtiger  und  dankens- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  155 

werter,  freilich  auch  schwieriger  als  die  gegenseitige  Abgrenzung  yon 
Schriftsprache  und  Mundart  wären  Beobachtungen  über  das  VerhältniB 
von  Buch-,  Amts-  und  Umgangssprache,  bei  letzterer  wieder  mit  sorg- 
fältiger Scheidung  zwischen  verschiedenen  Schichten  der  Bevölkerung, 
gewesen;  denn  die  wenij^en  Sätzchen  S.  126 — 128  können  natürlich  für 
diese  Zwecke  nicht  genügen.  Die  Hauptfrage  wäre  doch  diese:  lassen 
sich  bei  zwanglosem  Gesprach  unter  'Gebildeten'  und  unter  'Ungebildeten', 
um  der  Bequemlichkeit  halber  die  abgetakelten  Begriffe  zu  gebrauchen, 
verschiedene  'Denkbahnen',  verschiedene  Artäi  der  Assoziation  der  Vor- 
stellungen bezw.  der  Auswahl  unter  den  aufsteigenden  feststellen?  Sind 
die  ganz  offenbar  auftretenden  Unterschiede  rein  individuell,  oder  sind  sie 
sexuell,  kulturell,  sozial,  national  bedingt  usw.  usw.?  Hier  bleibt  auch 
nach  den  trefflichen  Arbeiten  von  Wunderlich  noch  genug  zu  tun.  —  Nicht 
mehr  als  eine  hübsche  Spielerei,  die  manchen  unserer  'Gebildeten'  die 
Augen  für  den  Reichtum  unserer  Sprache  an  Stab-,  Assonanz-  und  End- 
reimen eröffnen  mag,  ist  das  Büchlein  von  Beheim.  Mit  Recht  zieht  er 
auch  jene  'Wortverbindungen  hinein,  die  sich  zwar  nicht  durch  die  an- 
mutende Weihe  des  Reimes  legitimieren  können,  die  aber  trotzdem  durch 
Gebrauch  und  Anerkennung  von  dem  deutschen  Volke  zu  unlöslichem 
Bunde  zusammengesprochen  sind,  eine  Gruppe,  die  wir  Genossen  der  Volks- 
reime oder  uneigentliche  Volksreime  nennen  wollen';  er  meint  Verbindun- 
gen wie  'Hab  und  Gut,  Berg  und  Tal,  Hieb  und  Stofs'.  Ich  möchte  hier 
lieber  von  'Begriffsreimen'  r€»en  und  zu  bedenken  geben,  wie  weit  bei  ihrer 
Prä(i:ung  wieder  verschiedene  Kutturepochen,  ja  starke  Individualitäten 
in  Betracht  kommen;  soviel  ich  weifs,  hat  auch  jeder  Stand,  jeder  Beruf, 
vielleicht  jede  Landschaft  bei  uns  derartige  Begnffspaare,  die  nicht  über 
die  jeweiligen  Grenzen  hinaus  dringen,  bis  sie  etwa  durch  dichterische 
Verwendung  zum  Allgemeingut  gemacht  werden;  Begriffereime  wie  'Soll 
und  Haben',  'Hammer  und  Ambos',  'Psalter  und  Harfe'  haben  ihre  Ge- 
schichte; auch  Namen  treten  zu  solchen  festen  Verbindungen  zusammen, 
wie  'Schiller  und  Goethe',  'Lachmann  und  Haupt';  äufsere  'Hilfen'  treten 
sofort  zutage  bei  Verbindungen  wie  'Paul  und  Braune'  usw.  Man  sieht, 
dafs  da  entweder  in  bestimmten  Kreisen  oft  gebrauchte  oder  dem  natür- 
lichen Menschen  mit  elementarer  Wu^t  sich  aufdrängende  Assoziationen 
'fest'  geworden  sind;  wie  weit  hier  Ahnlichkeits-  und  Berührungsgesetze 
in  Betracht  kommen,  wie  weit  auch  das  Prinzip  der  Polarität  zur  An- 
wendung kommt  ('Alt  und  Jung',  'von  Kopf  bis  zu  Fufs'  u.  dgl.)  wäre 
noch  weiterhin  zu  untersuchen.  —  Der  Vortrag  von  Blumechein  geht 
über  eine  blofse  Wortsammlung  hinaus,  ja  er  gibt  mehr  als  die  sorgfältig 
durchgeführte,  hier  übrigens  nicht  näher  zu  prüfende  Etymologie  Kölni- 
scher Dialektworte;  er  bringt  auch  eine  knappe  Übersicht  über  die  all- 
mähliche geschichtliche  Entwicklung  der  syntaktischen  Gefüge,  die  in 
unserer  Mundartenforschung  doch  immer  noch  als  Stiefkinder  behandelt 
werden ;  freilich  ist  da  bei  den  alten  Dokumenten  sorgfältig  auf  die  Unter- 
schiede zwischen  gesprochenem  und  Aktendeutsch  Rücksicht  zu  nehmen; 
aber  die  mundartliehen  Verhältnisse  müssen  doch  schliefslich  das  Beste 
für  die  genetische  Erklärung  der  neuhochdeutschen  Svntax  abgeben. 
Heidelberg.  Robert  Petsch. 

Alt-  und  mittelenglisches  Übungsbuch  zum  Gebrauche  bei  Uni- 
versitatsvorlesungen  und  Serainarübungen  mit  einem  Wörter- 
buche von  Julius  Zupitza.  Siebente  verbesserte  Auflage,  bearb.  von 
J.  Schipper.  Wien  und  Leipzig,  Wilhelm  Braumüller,  1904.  XTI, 
338  S.  8.    Kr.  8   -  M.  6,80. 

Kaum  mehr  als  zwei  Jahre  nach  dem  Erscheinen  der  6.  Auflage  des 
Zupitza- Schi pperschen  Übungsbuches  ist  wieder  eine  neue  Auflage  nötig 


156  Beurteilangen  und  kunse  Anzeigeii. 

fewordeD.  Gewifs  ein  unverkennbarer  Beweis  ffir  die  groTse  Brauchbar- 
eit  und  Beliebtheit  des  BudiesI 

In  der  uns  yorl]€|[enden  Auflage  sind  alle  Stficke  der  vorbergdienden 
wiederholt  worden.  Neu  hinzugekommen  ist  nur  ein  kurzes  poetischeB 
Stuck,  das  von  Holthausen  im  Archiv  CVI  8.  846  in  metrischer  Form 
sedruckte  Schlulsgedicht  zur  ae.  Oura  pastoralis.  Durch  diese  Zurück- 
naltuns;  wurde  erzielt,  die  sechste  Aurlagp  noch  neben  der  siebenten 
brauchoar  zu  erhalten,  mit  welcher  sie  hinsichtlich  der  Zahl  und  des  In- 
halts der  Seiten  wesentlich  dbereinstimmt  Niditsdestoweniger  unter- 
scheidet sich  die  neue  Auflage  nicht  unerheblich  von  der  voransegangenen, 
indem  viele  Textbesserungen  Aufnahme  gefunden  haben  und  das  Wörter- 
buch eine  grQndliche  Revision  erfahren  hat.  Die  von  verschiedenen  Re- 
zensenten vorgeschlagenen  Emendationen  sind  mit  sorgfältigem  Urteile 
ausgenutzt  worden. 

Zu  meiner  Anzeige  der  sechsten  Auflage  im  Archiv  CX  S.  164 — 167 
habe  ich  wenig  hinzuzufügen.  S.  3:  Im  ersten  Verse  vom  Kreuze  von 
Ruthwell  ist  nach  Yietor,  Die  northumbriichen  Bunensteine  8.  7,  dnmal 
sicher,  einmal  möglicherweise  ^  (g')  statt  X  (g)  zu  lesen  (almeehttig 
'Spuren  der  Henkel,  rechts  als  deutlicher  Punkt',  modig  'Henkel  undeut- 
licn,  vielleicht  a'),  was  Schipper  unerwähnt  läfst  Im  zweiten  Verse  des- 
selben Denkmals,  Rune  89,  ist  nach  Victor  nicht  a  (f)^  sondern  o  i/f)  zu 
lesen.  Rune  50  in  Vers  2:  kein  Aufstrich  mehr  (?)  sichtbar  (Vietor). 
S.  5,  V.  4,  Rune  11  glaubt  Vietor  ^  (g')  zu  lesen.  8.  6,  V.  2,  Zeile  3: 
dorstcB  ist  zwar  (nach  Vietor)  richtig,  stimmt  aber  nicht  zu  Schippers 
Wiedergabe  der  Runen  (S.  8);  ebenso  das  richtige  bismarcBdu  (V.  2,  Z.  4), 
wozu  in  Schippers  Runen  wiedergäbe  biammradu  steht.  8.  231 :  Hat  ae. 
dro8  wirklich  kurzes  o  ?  Vgl.  Walde,  Kuhns  ZeiUchrifl  XXXIV  &  153, 
N.  E,  D,  s.  V.  dross» 

Göteborg.  Erik  Björkman. 

The  battle  of  Maldon  and  short  poema  from  the  Sazon  chronicle 
edited  with  introduction,  notes  and  glossary  by  W.  J.  Sedgefield 
[=  The  Belles-Lettree  Series.  Section  I.  English  literature  from  its 
beginning  to  the  year  11001.  Boston  and  London,  D.  C.  Heath  &  Co. 
XXIV,  96  8.  8. 

Sedgefield,  der  1899  König  Alfreds  Boethius  herausgjegeben  hat,  bietet 
uns  im  vorlieg^enden  Büchlein  eine  trefflidie  kommentierte  Ausgabe  der 
historischen  epischen  Lieder  der  Angelsachsen. 

The  batile  of  Maldon^  das  bedeutendste  Denkmal  dieser  Gattung;  in 
der  angelsächsischen  Literatur,  das  Hohelied  von  germanischem  uäes- 
mutigem  Heldentum  und  Mannentreue,  nimmt  bei  8.  naturgemfifs  den 
ersten  und  wichtigsten  Platz  ein.  Besondere  teztkritische  Schwierigkeiten 
ergeben  sich  für  den  Herausgeber  hier  nicht  Die  einzige  Handschrift, 
die  uns  dies  Denkmal  überlieferte,  ist  1731  verbrannt;  die  Herausgeber 
sind  daher  allein  auf  die  1726  erschienene  Ausgabe  des  Gedichts  von  Tho- 
mas Hearne  angewiesen,  die  in  dessen  History  of  Olastonbury  enthalten  ist. 
Das  Gedicht  ist  nach  der  an  vielen  Stellen  verbesserungsbedüritigen  Ausübe 
von  Hearne  noch  oft  herausgegeben  worden.  Es  st^nd  8.  also  eine  reiche 
Auswahl  von  Textverbesserungen  zu  Gebote;  er  hat  von  dieser  Auswahl 
einen  umsichtigen  Gebrauch  eemacht  und  hier  und  da,  wenn  auch  mit 
lobenswerter  Vorsicht,  eigene  kleine  Verbesserungen  am  Text  vorgenommen. 

Sein  Kommentar  erklärt  in  knapper  Form  alles,  was  einer  Erklärung 
bedurfte.  Nur  zwei  Stellen  dieses  Kommentars  erscheinen  mir  bedenklich. 
V.  186  ff.  heifst  es:  fi 

P^r  tpurdon  Oddan  heam        d^est  on  fleame, 
•    Godne  fram  güpt  — 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  157 

8.  hält  ee  für  wahrBcheinlich,  dalk  tpurdon  hier  ein  Fehler  für  tvtirde  sei; 

er  faTst  beam  als  Bing,  auf  und  bezieht  es  auf  Oodrfe  allein.    V.  191  ü, 

heifst  es  aber: 

and  bis  brömru  mid  him 

Godwine  and  öodung,  güße  ne  gymdon, 

ac  w&ndon  ßram  ßäm  wige. 

Somit  flohen  nicht  nur  Godric,  sondern  auch  seine  Brüder  Qodwine  und 
Godwig  aus  dem  Kampf.  Es  besteht  also  nicht  der  geringste  Anlafs, 
vmrdon  als  Entstellung  von  t€urde  und  beam  als  Sing,  anzusehen.  —  Nach 
S.  ist  in  V.  300:  Wlgdtnes  beam  Wigeltnea  wahrscheinlich  ein  Fehler  für 
Wig{k)dine8,  Auch  diese  Annahme  ist  grundlos.  Wfgdfn  ist  Koseform  zu 
den  mit  Wtg  beginnenden  Personennamen  (Wfgbeald,  Wighelm,  usw.);  es 
gibt  im  A^.  eine  Beihe  von  Kosenamen  auf  -Im:  aulser  Wigelin  noch 
MUgelfn,  TuUiUy  Beslfn,  Ceawlin  (vgl.  meinen  Aufsatz  über  'Angelsächsische 
Deminutivbildungen  in  Engl,  Stu£  32,  348). 

Unter  den  nach  'The  battle  of  Maldon'  abgedruckten  Liedern  aus  der 
Sachsencfaronik  steht  The  battle  of  Brunnanburh'  obenan.    In  der  Aus- 

fabe  dieses  Gedichts  stimmt  S.,  abgesehen  von  zwei  Fällen,  mit  Wülkers 
'ext  {Bibl.  der  ags.  Poesie  I)  wörtlich  überein.*  Diese  Übereinstimmung 
erklart  sich  dadurch,  dais  beide  Herausgeber  ihrem  Text  die  gleiche  Hb. 
Cotton  Tib.  A.  VI  fdie  *Canterbury-Chronik')  zugrunde  legen. 

Einige  dunkle  Stellen  des  Gedichts  deutet  S.  in  neuer  Weise.  In 
V.  12:  /e^  dennade  schlägt  er  statt  des  bisher  unerklärten,  nur  hier  be- 
legten dennade  die  Lesart  aänode  'wurde  nafs'  vor,  ein  Vorschlag,  der  be- 
aditenswert  ist.  Zu  V.  54 :  Dynges  mere  stellt  S.  es  als  möglich  hin,  dafs 
Dynges  mere  mit  dem  heutigen  Dungeneea  zusammenhänge.  Diese  Etvmo- 
lo^ie  würde  nach  ihm  eine  Stütze  für  die  Annahme  sein,  dafs  die  Schlacht 
bei  Brunnanburh  an  der  Humbermündung  stattgefunden  habe  (?).  In  der 
Einleitung,  S.  XVI,  gibt  aber  S.  selbst  zu,  dals  die  Teilnehmer  an  der 
Schlacht,  Dänen  von  Dublin  und  Schotten,  mit  den  Angelsachsen  am 
ehesten  an  der  englischen  Westküste  zusammenstoisen  mufsten,  was  wieder 
gegen  seine  eben  vorgeführte  Deutung  von  Dynges  mere  sprechen  würde. 

V.  20  liest  8.:  teerig  icigges  s^  (säd  =  Saat).  Einleuchtender  ist 
hier  Kluges  Lesart  sced  =  (des  Kampfes)  satt  (Ags.  Lesebuch^  S.  131). 

Die  übrigen  fünf  Denkmäler  aus  der  Sachsenchronik  stimmen  in  der 
Aussähe  von  S.  auch  fast  durchweg  mit  dem  Text  bei  Wülker  überein. 

Meine  kleinen  Ausstellungen  hindern  mich  nicht,  Sedgefields  sorgfäl- 
tige saubere  Ausgabe  für  Seminarübungen  und  sonstige  akademische  Lehr- 
zwecke warm  zu  empfehlen. 

Freiburg  i.  6r.  Eduard  Eckhardt. 

Der  AlteDglische  Regius-Psalter^  eine  Interlinearversion  in  Hs.  Royal 
2  B  5  des  Brit.  Mus.  Zum  erstenmal  vollständig  herausgegeben  von 
Dr.  Fritz  Boeder.  (Studien  zur  englischen  Philologie,  herausgeg.  von 
Lorenz  Morsbach,  XVIII.)    Halle,  Niemeyer,  1904.    305  S. 

Die  Begius-Glosse  verdient,  abgesehen  von  ihrer  lautlichen  Form,  unter 
den  uns  erhaltenen  11  ae.  Psalterglossen  eine  besondere  Beachtung  inso- 
fern, als  sie,  selbst  zwar  dem  lat.  Texte  des  'Psalterium  Bomanum'  (rs  R)  * 


*  In  V.  37:  #«  firöde  (Wülker:  fröda)  ist  fröde  offenbar  nur  Druckfehler. 
V.  56  liest  Wülker:  atptse  möde,  S.:  cSwiacmöde,  V.  59  Ändert  S.  dos  kremige 
der  Handschrift  (ebenso  Wülker)  ans  metrischen  Gründen  in  hremge. 

*  Diesem  folgen  im  ganzen  fünf  Glossen  (ich  behalte  die  Bezeichnungen  Cooks 
in  Bihl  Q»oL  m  OE.  Pr.   Wriiers,   London  1898,  p.  XXVII,  bei):   A  =  Ms.  Cot- 


158  BearteilungeD  und  kurze  Aozogen. 

folgend,  nach  Lindelöf  {Shidien  xu  ae,  PsaUergL  =  Bonner  Beür,  x.  AngL 
13,  Bonn  1904,  p.  102  ff.  122  f.)  als  Kern  einer  Reihe  von  Glossen  (HKF, 
z.  T.  auch  G  J)  *  zu  betrachten  ist,  die  sich  auf  dem  Text  des  'Psalterium 
Gallicanum' (r 8  G)  aufbauen.  Gegenwärtige  Ausgabe  bietet  somit  der  For- 
schung eine  Kdhe  von  neuen  Gesichtspunkten,  die  besonders  auf  das  gegen- 
seitige Verhältnis  der  einzelnen  Glossen  neues  Licht  werfen,  erschlielst  ihr 
aber  zugleich  in  sprachlicher  Hinsicht  eine  Fülle  von  interessantem  Material 
und  muls  daher  von  der  Fachwelt,  besonders  aber  von  dem  engeren  Kreise, 
welcher  sich  seit  Jahren  dem  Studium  dieser  Glossen  voll  Eifer  hingegeben 
hat,  mit  Freuden  begrülst  werden,  um  so  mehr,  als  der  Name  des  Her- 
ausgebers volle  Gewähr  für  ihre  Güte  zu  bieten  vermae.  Boeder  hat  sich 
bereits  durch  seine  kulturgeschichtliche  Studie  über  'DieTamilie  der  Angel- 
sachsen' vorteilhaft  in  die  englische  Philologie  angeführt.  Auch  in  diesem 
neuen  Werke  bekundet  er  tüchtige  methodische  Schulung  und  gründliche 
Vertrautheit  mit  der  ags.  Sprache,  sowie  allen  mit  dieser  verwandten  Sprach- 
zweigen und  arbeitet  mit  beachtenswertem  Fleifs  und  geradezu  muster- 
hafter Sorgfalt  und  Akkuratesse. 

Die  Glosse  (D)  und  der  lat.  Text  (DL)  sind,  wie  wir  in  der  ausführ- 
lich über  Handschrift  und  deren  Schreiber,  sowie  über  die  textkritische 
Tätigkeit  des  Herausgebers  orientierenden  Einleitung  erfahren,  von  einem 
Mann  aus  der  ersten  Hälfte  des  10.  Jahrhunderts  geschrieben.  Der  ae. 
Text  ist  fast  unangetastet,  nur  hier  und  da  am  Bande  mit  Glossen  von 
Händen  10.  und  11.  Jahrhunderts  versehen,  während  der  lat  Text  mannig- 
fache Korrekturen  und  Basuren  von  mindestens  drei  verschiedenen  Hän- 
den des  ausgehenden  12.  und  beginnenden  13.  Jahrhunderts  erfahren  hat. 

Von  dem  ae.  Text  gibt  B.  einen  genauen  Abdruck  und  sucht  uns 
zugleich  durch  erklärende  Anmerkungen  unter  dem  Text  in  das  Verständ- 
nis desselben  einzuführen.  In  diesen  trifft  man  einübende  Auseinander- 
setzungen über  Fehler  (im  Text  durch  *  gekennzeichnet),  Unebenheiten 
und  Ungenauigkeiten  in  der  Glossierung,  sinnvolle,  oft  scharfsinnige  Deu- 
tungen schwieriger  und  zweifelhafter  Stellen,  sowie  wohl  befriedigende  — 
wenn  auch  oft  erst  unter  Leitung  kundi^ter  Führer  wie  Morsbach,  Bul- 
bringi  Pogatscher  gefundene  —  Etymologien  dunkler,  bei  Sweet  und  Toll«- 
nicht  belegter  Wörter.  Letztere  sind  am  Schlüsse  des  Buches  nochmals 
in  einer  Liste  zusammengestellt,  aus  der  ich  nur  einige  besonders  inter- 
essante wie  cBiDicnes  (alte  Bildung  neben  ecnes),  CLseyhhan  'verscheuchen', 
tocwaseednes  quassatio,  vnderwengel  adversarius  hervorhebe.  —  Für  seine 
kritische  Tätigkeit  zieht  K  dem  Stande  der  Forschune  gemäfs  sämtliche 
ae.  Psalterglossen  zum  Vergleich  heran,  besonders  die  Gruppe  HKFG  J, 
sowie  auch  E  und  gibt  in  den  Anmerkungen  zur  Aufklärung  der  bestdien- 
den  Schwierigkeiten  und  zur  Beleuchtung  des  Abhängigkeitsverhältnisses 
der  Glossen  voneinander  stets  ein  genaues  Verzeichnis  der  Varianten  aller 
in  Frage  kommenden  Hss.  Für  letztere,  soweit  noch  nicht  ediert,  hatte 
ihm  Lindelöf  seinen  Varianten apparat  zur  Verfügung  gestellt,  wie  wir  in 
der  Einleitung  erfahren,  für  G,  H  und  J  hatte  B.  selbst  Auszuge  semacht. 
Im  einzelnen  gibt  die  korrekte  und  gewissenhafte  Arbeitsweise  des  Her- 
ausgebers kaum  zu  Bemerkungen  Anlafs.    Nur  wenige  Punkte,  wo  ich 

ton  Vesp.  A  1  Brit  Mus.  B  =  Juuius  27  Bibl.  Bodl.  C  =  Ff  I  83  üniv.  Libr. 
Cambr.  I)  =  Royal  S  B  ö  Brit  Mas.  E  =  Trinity  Coli.  Gambr.;  dem  Psalt  Oall. 
die  ttbr.  6:  /'  =  Stowe  2  Brit.  Mas.  G  =  Cotton  Vitel.  E  18  ebd.  H  =  Cot. 
Tiber.  C  6  ebd.  /  =  Lambeth  427.  J  =r  Arandel  60  Brit.  Mus.  K  z=z  Salia- 
bury  150  Cath.  Libr.  Über  B  vgl.  U.  Lindelöf  in  Mimoiru  cb  /a  SoeiiU  neophSL 
(I  Uelsimgfori  111,  1  ff.  1901;  über  E  mein  Der  P9aUer  dei  £adiome  (Stud.  c  migT. 
Phil  XIU),  Halle  1905  (Ead  Ps). 

*  Auf  D's  Verhältnis  za  £  komme  ich  unten  ausfllhrlicli  surfick« 


BeurteUungen  und  kurze  Anzeigen.  159 

anderer  Meinung  bin  oder  etwas  hinzuzufügen  habe,  seien  hervorgehoben : 
Die  S.  XXII  von  E.  abgedruckten  Resultate  von  Ldndelöfs  Arbeit  dürften 
wohl  in  bezug  auf  £  nach  meiner  Arbeit  Ober  diese  Glosse  zu  berichtigen 
sein.  E  stammt,  was  seine '^Urform  betrifft,  ^nz  sicher  von  einem  Glos- 
sator und  steht  in  keinerlei  Abhängigkeitsverhältnis  zu  D,  noch  zu  irgend- 
einer anderen  der  uns  erhaltenen  Glossen,  da  sie  diese  alle  bei  weitem  an 
Alter  überragt.  Dagegen  haben  nun  der  Korrektor  der  Eadwine-Hs.  und 
die  Schreiber  einiger  kleiner  Partien  (Pss.  4U,  5— 10;  84,  18 — 14;  Hy.  4, 
4 — 4,  9.  9 — 12),  hier  und  da  auch  die  Hauptschreiber  A  und  B,  aber  nicht 
die  des  II.  Tales  (0  D  £  F)  die  Glosse  D  oder  einen  mit  dieser  verwand- 
ten l^pus  benutzt  und  zum  Teil  abgeschrieben.  Teil  II  zeigt  aufserdem 
in  dem  Teile  90, 15 — 95,  2  eine  Kopie  des  bekannten  Pariser  Psalters,  nicht 
wie  Lindelöf  und  mit  ihm  B.  (p.  175  ff.  Anm.)  meint:  eine  eigene  'poetische 
Fassung'.  Wo  £  II.  Teil  trotzdem  Übereinstimmungen  mit  emer  der 
übrigen  Glossen,  z.  B.  D,  aufweist,  bleiben  uns  meines  Erachtens  nur  zwei 
Wege  der  £rklärifng:  entweder  hat  der  D-Glossator  *E  ^  benutzt  (vgl.  S.  162) 
oder  die  betreffenden  Lesarten  beider  Glossen  gehen  unabhängig  auf  eine 

Semeinsame  lat.  Quelle  zurück.  —  Ps.  17,  29  swareunga  tenebras  gehört, 
a  bei  Sweet  und  Toller  nicht  belegt,  in  die  liste  am  Schlufs.  —  18,  7 
gencyris  zusammengezogen  aus  ^enc^r  [Ä]w.  —  82,  8;  14  ymbhuryrt  [Druck- 
fehler?] orbem  iür  ymbhwyrft.  —  42,  5  über  andwlttanmin(jgn\);  ure(gnl) 
47,  9;  gast  witn(ac()  141,  4;  megene  Jnne{dt\)  67,  29  vgl.  u.  S.  1(32.  — 
46,  9  -am  in  hcugam  wird  unter  Einflufs  der  Endung  des  zugehörigen  lat. 
Wortes  sanctam  stehen,  ebenso  mannum  hominum  106,  21.  —  54,  18  ofer 
tna  mielu  super  me  magna  scheint  mir  verschr.  f.  ofer  me  m.  (der  Vor- 
lage?). —  59,  6  7  wird  auf  urspr.  et  der  lat.  Vorlage  zurückzuführen  sein, 
desgleichen  in  77,  18;  die  frühen  Psalterien  schwanken  oft  zwischen  ut 
und  et,  beachte  106,  22.  118,  88  (ut  custodiam,  wo  Ps  B  et  c).  —  üO,  5 
eardunge  velamento  ist  lediglich  nachlässige  Wiederholung  des  kurz  vor- 
hergehenden earckmge  tabernaculo,  vgl.  feldas  locum  108,  8 ;  genihäsumnesse 
abundantes  143,  13;  andstoara  respondebit  Hy  2,  15.  —  75,  4  Anm.  Z.  5 
lies  Ps  G,  ebenso  97,  2  Anm.  Z.  2  und  118,  18  Z.  1.  —  106,  20  wyrde 
interitu  wohl  verschr.  f.  fortoyrde,  denn  vgl.  108,  18.  —  Für  Hy  4,  7.  9, 
53 ;  55  hätte  erwähnt  werden  müssen,  dafs  E  lediglich  eine  Abschrift  von 
D  oder  von  einem  D  nahe  verwandten  Typus  ist. 

Von  dem  lat.  Text  (DL)  der  Handschrift,  der,  wie  ich  bereits  oben 
hervorhob,  durch  Korrekturen  und  Rasuren  stark  entstellt  ist,  bietet  B. 
keine  genaue  Wiedergabe,  sondern  versucht,  auf  Grund  eingehender  Prü- 
fung und  Vergleichung  mit  dem  Ps  B  und  Ps  G  den  ursprünglichen, 
d.  h.  von  dem  Schreiber  der  Hs.  beabsichtigten  Text  wieder  herzustellen, 
im  gguzen  kann  man  sagen  mit  Glück.  Dagegen  sind  nun  viele  Ab- 
sonaerlichkeiten  und  Abweichungen  des  ursprünglichen  Textes  oder  der 
Glosse  von  dem  Normaltext  des  Ps  B  bei  Migne,  Patrologia  XXIX,  mit 
denen  sich  B.  hier  und  da  in  den  Anmerkungen  oder  in  der  Einleitung 
abzufinden  sucht,  meines  Erachtens  nicht  richtig  gedeutet  worden.  Und 
zwar  li^t  dies  besonders  daran,  dafs  die  Eigenart  dieses  Textes  (DL)  von 
B.  nicht  erkannt  worden  ist.  Zwar  lesen  wir  S.  XVI,  dafs  DL  'manche 
Abweichungen  von  der  bei  Migne  abgedruckten  Fassung'  des  Ps  B  auf- 
weise, aber  woher  diese  stammen,  erfahren  wir  nicht.  In  Kürze  sei  hier 
auf  das  Wichtigste  aufmerksam  gemacht'  Wie  AL  und  EL  (vielleicht 
auch  BL  und  CL^)  stellt  auch  DL  keinen  reinen  Typus  des  Ps  B,  sondern 

'  So  bezeichne  ich  die  Vorlage  von  E. 

'  Nicht  berflcksichtigt  habe  ich  im  folgenden  die  Hymnen  der  drei  Texte, 
denen  ich  in  einiger  Zeit  eine  besondere  Betrachtong  widmen  werde. 

'  Die  vhm.  Bestandteile  in  GL  hebt  bereits  Wescott  (in  Smith,  Dictionarg  of 
the  Bible  IV,  p.  3451  ff.)  hervor. 


160  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

einen  sog.  Mischtezt  vor.  Alle  drei  Texte  —  und,  wie  ich  vermute,  auch 
die  beiden  anderen  —  gehen  höchstwahrscheinlich  auf  einen  Grundtext 
Lz  zurfick,  der  mit  zanlreichen  vhm.  Rudimenten'  und  sonst  nirgends 
nachweisbaren  Sonderlesarten*  untermischt  und  in  Bibellatein  (oder  Vul- 
^rlatein)  niedereeschrieben  war.  Mit  der  Zeit  hat  man  diese  fremden 
Bestandteile  durdi  Angleichung  an  das  Ps  R  auszumerzen  versucht,  so  dafs 
also  die  überlieferten  Texte  AL,  DL  und  EL  in  wesentlich  umgearbeiteter, 
modernisierter  Form  vorliegen.  Immerhin  aber  ist  in  ihnen  die  Beschaffen- 
heit des  Grundtextes  noch  deutlich  zu  ersehen,  denn  alle  drei  haben,  und 
zwar  wohl  unabhängig  (doch  vgl.  8.  162)  voneinander,  noch  unverkenn- 
bare Reste  der  obenerwähnten  EigentQmuchkeiten  bewahrt.^  Und  was  in 
ihnen  durch  Korrekturen  späterer  Zeit  verloren  gegangen  ist,  das  haben 
uns  zum  Teil  die  Glossen  gerettet:  auch  sie  lassen  —  jede  in  ihrer  Art 
und  die  älteste  E,  vielleicht  noch  nach  Lx  selbst  abgefalist,  naturlich  am 
meisten  —  in  häufigen  Fehlern  und  Uneenauigkeiten  den  Charakter  von 
Lx  noch  hinreichend  erkennen.*  —  Überdl  da  also,  wo  pL  zu  berichtigen, 
wiederherzustellen  oder,  da  von  Ps  R  abweichend  zu  erklären  war,  hätte 
R.  vor  allen  anderen  die  vhm.  Version  um  Rat  fräsen  müssen  —  Ps  G, 
mit  dem  DL  und  auch  AL,  EL,  soviel  ich  gefunden  habe,  gar  kdne  oder 

*  Fflr  die  yhm,  Version  lege  ich  «nch  hier  dieselben  Texte  zogninde  'vtie  in 
meinem  Ead  A  (p.  213).  Ps  S  ==  Psalterinm  Sangermanense;  Ps  Mos  =  Psal- 
terium  Mozarabicnm;  Ps  V  =  Psalterinm  Veronenae. 

'  Vgl.  n.  Anm.  8. 

'  Von  diesen  ist  in  grOfiierem  Umfang  nur  die  Fehlerhaftigkeit  in  DL  Ton  R. 
bemerkt,  doch  ihre  Ursache  nicht  erkannt  worden.  Einige  der  wichtigsten  —  «ach 
von  R.  nicht  erwähnten  »-  Fälle  seien  hier  smsunmengestellt  (vgl.  auch  mein 
Ead  Ps  p.  228):  irrig  stehen  a  flir  o:  velamenta  62,  8;  ae  f.  e:  aequos  75,  7; 
fr  f.  u:  salvafrit  97,  2;  d  f.  t:  obdurantis  67,  6;  6  f.  ae:  gravate  87,  5;  a  f.  i:  con- 
sammatione  (auch  AL)  118,  96;  elege  (geceos!)  83,  11:  flmbreis  44,  14;  fodeatnr 
98,  13;  generations  94,  10;  intercedentis  28,  7;  mara  71,  8;  vana  (on  idell)  61,  10; 
f  f.  e:  adoliscentior  118,  141;  discendant  108,  8;  fiunim  58,  15;  morti  78,  11; 
patns  (fbderes!)  67,  6;  u  f.  a:  ezultavit  109,  7;  v  f.  b:  exaceroaverant  77,  40;  41; 
56.  104,  28  (anchAL);  iudicarit  (ctnnie!),  implerit  (gefyldel)  eic.  109,  7;  revelant 
28,  9  u.  a.;  u  f.  f:  protMinaverint  88,  82.  85;  uf.  o:  laqueus  (grin)  10,  7;  pmmp- 
tnaria  (auch  AL)  148,  18.  A-Schwund:  [A]abitationibu8  108,  10;  ft-Hinxafllgiui|(: 
Aostinm  140,  3;  perAibnnt  145,  4.  t-Schwnnd:  castodiar[t]um  78,  1;  demon[ijii 
105,  37;  de8olator[t]is  119,  4.  m-Schwund:  dilecta[m]  28,  5;  ante  con8pectn[»] 
28,  5.  m-Hinzufilgttng:  sab  üngaam  meam  (ßmder  iungan  mme).  «-Schwund:  effo[«|sa 
79,  17;  vaMsis  70,  22;  eo[«]  77,  45.  «-Schwnnd:  fract[u]um  (auch  ALEL)  127,  2; 
man[ii]am  91,  5.  140,  2.  —  Über  die  vhm.  Lesarten  s.  S.  161,  Anm.  4;  die  Sonder- 
lesarten stimmen  fast  genan  mit  denen  in  EL  (AL)  flberein,  vgl.  daher  mein  Ead  fV, 
p.  219  ff. 

*  Die  Sparen  dieser  Eigentümlichkeiten  sind  in  den  ans  erhaltenen  Texten, 
lat  sowohl  wie  ae.,  natfirlich  sehr  verschiedenartig  verteilt:  bald  begegnen  sie  in 
zwei  Glossen  und  dem  lat.  Text  der  dritten  (79,  17  agottm  AE  =  effosa  [aber 
effusa  =:  Ps  S  u.  BL]),  bald  in  zwei  Glossen  und  dem  lat.  Text  einer  von  dieaen 
(108,  31  ßearfancB  K,  pearfana  D  ^  panpernm  DL;  109,  7  dnmc  ...  Mpakof  A, 
dranc  . .  .  upahof  D  =  bibit  . . .  ezaltayit  DL),  bald  in  nur  zwei  Glossen  (95,  8 
ditra  [über  ostia]  ED,  aber  oiuegdniue  A;  98,  5  wyntttudoBp  B,  iq>akMad  i  ge- 
fCBgniad  D  [über  exultate];  113,  6  wtordiaä  A,  gebiddaß  E  [ttbw  adorabont]  aber 
gestoacead  D),  bald  Jn  nur  einer  Glosse  und  dem  lat  Text  einer  anderen  (119,  4 
nüd  colum  ioltsendts  A  =  cum  carbonibus  desolatoris  [f.  ^riis]  DL;  146,  4  taünm. 
his  noman  E  :=:  omnibus  eius  nomina  DL),  bald  in  nur  einer  Glosse  und  deren  lat. 
Text  (83,  11  geceos  D  =  elcge  DL),  bald  in  nur  einer  Glosse  (144,  1  tc  geftegmie 
[über  exultabo],  aber  exaltabo:  Ps  R  u.  G)  usw.  Die  Beispiele  lassen  sieh  leicht 
vermebren. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  161 

nur  wenig  Berührungspunkte  gemein  haben,  konnte  nur  für  die  späteren 
Korrekturen,  soweit  sie  aus  ihm  stammen/  in  Betracht  kommen  — ,  zumal 
da  ihm  in  vielen  Fällen  sämtliche  übrigen  Texte  keine  befriedigende  Les- 
art bieten  konnten.  Einer  der  vielen  von  Sabatier  (Bibliorum  aaer.  Lai, 
versionea  . . .  Remis  1748 — 49,  Bd.  2)  herangezogenen  älteren  Texte  würde 
ihm  in  jedem  einzelnen  Fall  Klarheit  verschafft  haben.  Ich  erwähne  nur 
einige  Beispiele:  2,  18  in  eum  —  Ps  8;  in  8,  7  wird  DL  mit  Ps  8  urspr. 
circumdantifi  gelesen  haben,  wie  auch  aus  ymbseUendrm  in  E  hervorgent, 
ebenso  in  31,  A  dum  confringitur  mihi  spina ;  84,  8  in  laqueo  =  Ps  Moz, 
ebenso  49,  28  salutare  meum;  u.  a.,  vgl.  4,  8.  9,  30.  17, 18.  28,  6;  9.  42,  8. 
45,  10.  49,  6.  73,  19.  143,  11.  —  In  Fällen,  wo  die  von  PsR  abweichende 
Lesart  in  DL  oder  in  D  mit  Vhm  und  mit  Ps  G  übereinstimmt  (vgl.  z.  B. 
:J8,  4  exardescet  DL  =  Ps  V  u.  Ambrosius,  auch  =  Ps  G;  110,  6  virtu- 
tum  DL,  aber  mögen  D  =  Ps  8,  audi  =:  Ps  G;  121,  4  illic  DL,  aber 
Lider  D  =  Ps  8,  auch  t^  Ps  G)  werden  wir  also  nach  meinen  obigen  Aus- 
lührungen  für  DL  nicht  mit  B.  das  Ps.  G.,'  sondern  unbedin^  Vhm 
als  Quelle  ansehen  müssen  (vgl.  meine  Ead  Pa,  p.  218).  Für  meine  An- 
nahme spricht  einmal  die  strenge  Scheidung,  die  besonaers  bis  zum  9.  10. 
Jahrhundert  zwischen  den  Texten  des  Ps  K  und  Ps  G  stattgefunden  hat, 
sodann  aber  vor  allem  die  Tatsache,  dafe,  wie  ich  schon  o&en  bemerkte, 
weder  DL  —  natürlich  abgc^hen  von  den  späteren  Korrekturen  —  noch 
D  irgendwelche  speziellen^  Übereinstimmungen  mit  Ps  G  aufweist,  dafs 
dagegen  solche  mit  der  vhm.  Version^  in  ihnen  —  in  DL  in  einigen  Fäl- 
len auch  da,  wo  sie  in  AL  EL  nicht  mehr  be^gnen,  z.  B.  81,  4.  49,  23. 
67,  6^  —  überaus  häufig  sind.  Von  den  nur  m  D  auftretenden  sind  mir 
folgende  aufgefallen:  9,  30  attrahit  (=  Ps  B  u.  G)  Ae  fram  aiykä  (=  ab- 
strahlt ---  Ps  8,  auch  AL  BL  GL);  28,  9  dicent  (=  Ps  R  u.  G)  ewed  (~ 
dicit  Ps  V  u.  Augustin) ;  42,  8  in  tabemaculo  tuo  (=  AL  EL)  on  eardtmge 
ßine  (=  in  tabernaculum  tuum  Ps  Moz) ;  45,  10  scuta  (==  Ps  R  u.  G)  seyld 
(=  seutum  Ps  Moz) ;  57,  5  aspidis  . . .  obdurantis  ( —  Ps  R  u.  G)  nadran 
. . .  fordyecende  (=  aspides  . . .  obturantes  =  Ps  8,  auch  AL);  70,  15  pro- 
nuntiabit  (=  PsR  u.  G)  eypde  (—  pronuntiavit  Vhm);  71,  14  liberabit 
(=  Ps  R)  he  alyede  (—  liberavit  -  Ps  8);  84,  14  ambuUbit  (=  Ps  R  u.  G) 
eode  (=  ambuiavit  Ps  8);'  hierher  gehören  auch  die  oben  bereits  behan- 
delten Fälle  in  110,  H  u.  121,  4.  —  Für  einen  Teil  der  letzteren  Fälle  findet 
R.  natürlich  leicht  eine  andere  Erklärung.  Wo  die  Lesarten  in  D  näm- 
lich zufällig  mit  irgendeinem  lat.  Text  der  übrigen  Hss.  überdnstimmen  — 
die  übrigen  Fälle  erklärt  er  nicht  — ,  wie  z.  B.  in  9,  80,  sieht  er  einfach  diese 
als  Quelle  für  D  au.    Dies  braucht  nach  obiger  Darlegung  der  Verhält- 

*  Die  Korrektnreo  späterer  Zeit  sind  nicht  immer  nach  Ps  G  gemacht  worden 
—  s.  B.  in  78,  19  ist  nrspr.  animas  conHtentes  =  Ps  B  u.  G  korrigiert  su  animS 
confltente  =  Yhm  ALEL,  a.  a.  vgl  49,  6.  58,  10.  128,  7)  — ,  hätten  daher  von 
R.  stets  mit  möglichster  Ansillhrlichkeit  in  den  Anmerkungen  angegeben  werden 
mllBsen,  da  sie  immerhin  hier  und  da  Ar  das  Verständnis  der  Glosse  von  Wert 
sein  können. 

*  So  muA  man  wenigstens  aus  seinen  Anmerkungen  verstehen. 

*  Als  solche  können  natürlich  nur  Lesarten  gelten,  die  sich  von  denen  der 
übrigen  Texte  deutlich  unterscheiden. 

*  Vgl.  hierüber  meine  Zusammenstellung  vhm.  Lesarten  ftlr  EL  (mein  Ead  Pt, 
p.  813  ff.),  mit  der  DL  mit  wenigen  Ausnahmen  übereinstimmt.  Von  den  nur  in 
E  erhaltenen  sahireichen  vhm.  Spuren  lassen  sich  jedoch  in  D,  die  Ja  unserer 
obigen  Ausführung  gemäfs  naoh  einem  bereits  modernisierten  lat.  Text  angefer- 
tigt sein  mu(^,  fast  keine  mehr  (in  A  auch  nur  wenige)  erkennen. 

*  Dasu  kommen  noch  einige  auf  blofser  Fehlerhaftigkeit  beruhende:  31,  6 
(oravit).  34,  9  (exultavit).  48,  16  (liberavit). 

^  Letstere  drei  sind  wobl  nur  Fehler. 

Aichiv  f.  n.  Sprühen.    GXYI.  11 


162  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

nisBe  (vgl.  o.  S.  160  und  Anm.  6)  nicht  der  Fall  zu  sdn.  Viel  wahrscbeio- 
licher  dünkt  mir,  dafs  diese  Abweichungen  der  Glosse  D  von  DL  auf  eine 
ältere  Fassung  des  letzteren/  die  höchstwahrscheinlich  dessen  direkte  Vor- 
lage *DL  noch  gehabt  hat,  zuröckgehen.  Der  geschulte  und  meist  ge- 
wissenhafte Schreiber  des  Ke^us- Psalters  aber  wird  diese  altertümliche, 
zum  Teil  fehlerhafte  Form  seiner  Vorlage  beim  Abschreiben  —  vielieicht 
durch  Vergleichung  mit  anderen  Texten  des  Ps  R,  die  aber,  wie  es  sdieint, 
ebenso  unrein  waren  wie  *  DL  —  nach  Möglichkeit  zu  beseitigen  versucht 
haben.  Zweifelhaft  ist  mir  nur,  ob  diese  Vorlage  *DL  selbständig  neben 
den  übrieen  Texten  AL,  BL,  CL,  *  EL  auf  den  —  jvrohl  allen  gememsameD 
—  Grunatext  Lx  zurüc)cgeht.  Aus  der  ^rofsen  Ähnlidikeit,  die  speziell 
zwischen  DL  und  EL  existiert,  ist  man  eher  auf  eine  engere  Zusammen- 
gehörigkeit dieser  beiden  Texte  zu  schliefsen  geneigt  Vermutlich  stelit 
ersterer  lediglich  eine  Kopie  der  Vorstufe  *EL  dar,  welche  einst  der  etwa 
um  930,  also  kurz  vor*  der  Niederschrift  von  D(L),  ins  Wests,  übe^t^ag^ 
nen  Urform  von  E  als  leitender  Grundtext  diente.  Von  diesem  Gesichts- 
punkte aus  würden  sich  dann  auch  einige  Üoereinstimmungen  bdder 
Glossen  auf  das  beste  erklären.  In  D  und  in  £.  auch  im  zweiten  Teile, 
finden  sich  nämlich  mdireremal  an  gleicher  Stelle  diescdben  fehlerhaften 
Glossierungen,  die  in  ihrer  Art  in  D  sonst  nirgends  belegt  sind,  in  Eaber 
häufig  wiederkehren,  ja  man  kann  saeen  zu  den  speziellen  Eigentümlich- 
keiten des  Glossators  von  E  gehören  (vgl.  mdn  Ead  Ps,  p.  238  ff.) :  42, 5 
vultus  md  ~  D  andiclttan  i»m(I),  E  ondwlitcm  min:  41,  9  (dei)no8tri  = 
DE  ure([),  —  godea  ure;^  6j,  17  clamavi  et  exaltavi  =  D  tic  ekopode  7  ie  upa- 
hebbe{\),  E  ie  elepode  (aus  urspr.  clipie  v.  Korr.)  7  ic  upahebbe  (a.  a.  0. 
p.  241^),  67,  29  virtuti  tuae  -  D  megene  pine{\),  E  megne  ßine;  98,  1  mo- 
veatur  =  D  biä(l)  astyred,  E  hiä  onstyred  (a.  a.  0.  ebd.);  101,  15  terrae 
eins  =  D  eorde{})  his,  E  eorpe  his  (a.  a.  0.  p.  238) ;  123,  8  adiutoriam  = 
D  io(\)  fvüume,  E  to  fuUome,  desgl.  noch  in  E  88,  24.  HS,  114  (a.  a.  0. 

S.  282);  131,  16  exultatione  exultabunt  =  D  gefcegenunga  gefagemtngm^ 
\  hihte  kihte  (a.  a.  0.  p.  245);  141,  4  spiritum  meum  =  D  gast  mtn{!, 
E  gcBsi  min,*  In  diesen  Fällen*  wird  wso  der  Schreiber  von  D(L)  die 
Glosse  *E,  welche  er  im  allgemeinen  wegen  ihrer  vielen  Fehler  behutsam 
umfangen  haben  wird,  einfach  abgeschrieben,"  bezw.  (in  131,  16)  nach- 
geahmt haben ;  wenigstens  scheint  mir  dies  die  einzig  annehmbare  Deutung. 
Obgleich  uns  B.  in  dem  Vorwort  seiner  Ausgabe  eine  Arbeit  Ober  das 
Abhängigkeitsverhältnis  D's  von  den  übrigen  Glossen  in  Aussicht  stellt, 

*  Man  könnte  geneigt  tein,  die  Qloase  inhaltlich  gHuilich  von  dem  lat.  Text 
zu  trennen.  Dies  ist  aber  sicher  unmöglich,  da  erstere  oft  aonst  nirgends  nachweis- 
bare, zum  Teil  auf  Verderbtheit  beruhende  Lesarten  (10,  7  laqueus  grm;  47,  14 
in  virtutea  on  moegenu]  106,  22  laudls  eins  lofes  hit]  vgl.  femer  S.  160  Aom.  '^] 
des  letzteren  deutlich  widerspiegelt 

'  Dies  ist  iweifellos,  und  leicht  nachzuweisen. 

'  ure  nostri  91,  14,  das  ebenso  au  erklären  sein  wird,  entsieht  sich  leider 
unserer  Beurteilung,  da  *£  von  90,   15—95,  2  nicht  erhalten  ist. 

*  Auch  das  fehlerhafte  mic^ttm  (usuris)  71,  14,  das  dem  Glossator  von  D  kaom 
zuzutrauen  ist,  findet  durch  eine  Übernahme  aus  *E,  wo  derartige  Glosaiemngeii, 
wie  aus  E  II.  Teil  noch  deutlich  hervorgeht  (vgl.  mein  Ead  Ps,  p.  232),  fiberaiu 
b&ufig  gewesen  sein  werden,  eine  befriedigende  Erklärung. 

^  Auch  die  Fälle  von  S.  160  Anm.  4,  wo  D  mit  £  fibereinstimmt,  konnten 
hiernach  in  noch  einfacherer  Weise  gedeutet  werden. 

*  Dftfs  der  Schreiber  im  allgemeinen  ae.  Vorlagen  benutzt  hat,  erhellt  einmal 
aus  kleinen  ^'ersehen,  die  zum  Teil  auch  von  R.  hervorgehoben  werden,  wie  ^' 
cr/rit  für  gencyr  his  18,  7;  he  wies  mämtten  is  comparatus  est  48,  21 ;  o»  ongweorct 
in  factura  91,  4:  dm  ic  eom  ic  tuus  sum  ego  118,  94  etc.,  sodann  aber  vor  allein 
aus  dem  äufserst  variierenden,  heterogenen  Wortschatz. 


Bearteilungen  und  kurze  ÄDzeigen.  163 

habe  ich  es  doch  für  nötig  gehalten,  auf  das  Verhältnis  yon  D  zu  E  hier 
mit  einigen  Worten  einzugehen,  da  mir  dieses,  wie  auch  das  ihrer  beiden 
lat.  Texte,  von  E.  nicht  Klar  durchschaut  zu  sein  scheint.  Inwieweit 
diese  meine  Ausführungen  bezw.  Vermutungen  den  Verhältnissen  genau 
entsprechen,  kann  natürlich  nur  durch  eine  gründliche  Untersudiung 
über  diese  Fragen,  die  uns  von  R.  hoffentlich  oald  vorgelegt  wird,  ent- 
sdiiieden  werden.  Das  eine  aber  steht,  glaube  ich,  schon  jetzt  fest  und 
mufs  auch  von  R.,  dessen  Arbeit  als  Ganzes  genommen  übrigens  durch 
obige,  leider  oft  viel  Raum  erfordernde  Anmerkungen  und  Nachträge  in 
ihrem  Wert  keineswegs  herabgesetzt  werden  soll,  ohne  Bedingung  zuge- 

feben  werden:  dafs  für  die  richtige  Interpretation  dieser  Glossen,  die  zum 
'eil  auf  recht  alten  lat.  Texten  basieren,  und  für  die  Bestimmung  ihres 
gegenseitigen  Verhältnisses  eine  durchaus  gründliche,  bis  in  alle  Einzel- 
eiten  gehende  Kenntnis  der  zugehörigen  lat.  Texte  vonnöten  ist.  Wird  R. 
dieser  Tatsache  in  den  versprochenen  Arbeiten  in  vollem  Maise  Rechnung 
tragen,  dann  wird  er  uns  zweifelsohne  noch  Bedeutsames  über  diesen 
Gegenstand  zu  sagen  haben. 

Charlottenburg.  Karl  Wildhagen. 

Karl  WildhageD;  Der  Psalter  des  Eladwine  von  Canterbury.  Die 
Sprache  der  altenglischen  Glosse;  ein  frühchristliches  Psalterium  die 
Grundlage.  Mit  2  Abbildungen.  1905.  XV,  261  8.  8.  M.  0.  (Studien 
zur  engl.  Philologie,  herausgeg.  von  Lorenz  Morsbach,  XIII.) 

Dr.  Fritz  Roeder^  Oberlehrer  an  der  Kaiser  Wilhelm  IL-Oberrealschule 
(J.  £.)  in  Göttingen.  Der  altenglische  Redus-Psalter.  Eine  Inter- 
linearversion in  Hs.  Royal  2  B.  5  des  Brit.  Mus.  Zum  erstenmal  voll- 
ständig herausgegeben.  1904.  XXII,  305  S.  8.  M.  10.  (Studien  zur 
engl.  Philologie,  nerausgeg.  von  Lorenz  Morsbach,  XVI II.) 

Mit  diesen  beiden  Arbeiten,  die  mit  kurzer  Zwischenzeit  in  den  Mors- 
bachseben  Studien  erschienen  sind,  hat  die  Anglistik  wieder  sehr  wichtige 
und  wertvolle  Beiträge  zur  Kenntnis  der  altenglischen  Interlinearglossen 
zum  Psalter  gewonnen.  Auf  diesem  Gebiete  waren  ganz  kurz  vorher  zwei 
Aufsätze  von  Lindelöf  erschienen:  eine  Einzeluntersuchung  der  Glosse  in 
der  Hs.  Junius  27  (Mimoires  de  la  SociitS  Nio-phüologique  d-  Helsingfors 
III  S.  1  ff.,  1901)  und  seine  Studien  zu  altenelischen  Psalterglossen  {Bonner 
Beiir,  xur  Anglistik  XIII,  1904).  Noch  früher  wurden  die  Psalterglossen 
von  Cook  in  der  Einleitung  zu  seinen  BibliecU  Quoiaiions  1898  behandelt. 
Gewifs  in  wenigen  Jahren  ein  vielversprechender  Anfang,  dem  es  hoffent- 
lich nicht  an  Nachfolge  fehlen  wird! 

Von  den  elf  ae.  Interlinearglossen  zum  Psalter,  die  wir  kennen,  bilden 
fünf  insofern  eine  besondere  Gruppe,  als  ihr  Latein  dem  Typus  des  Psal- 
terium Romanum  folgt;  die  anderen  sechs  vertreten  den  Tjrpus  des  Psal- 
terium Oallicanum.  Die  uns  vorliegenden  Arbeiten  befassen  sich  beide 
mit  Interlinear  Versionen,  deren  lateinischer  Text  zur  ersten  Gruppe  ge- 
hört. An  Gesamtausgaben  einzelner  Hss.  der  Gruppe  I  lagen  vorher  vor: 
Hs.  Cotton  Vespasianus  A.  1,  herausgeg.  von  Sweet  (Oldest  English  Texte 
S.  183  ff.),  Hs.  Trinity  CoUege,  Cambridge,  von  Harsley  E,  E,  T,  S.  1899 
(—  Eadwine's  Canterbury  Psalterj;  aus  der  Hs.  Junius  27  hat  Lindelöf 
in  der  obenerwähnten  Arbeit  zanlreiche  Auszüge  mitgeteilt.  Es  liegen 
also  fast  alle  fünf  Glossen,  die  zur  ersten  Gruppe  gehören,  in  Sonder- 
untersuchungen vor.  Mit  der  Gruppe  II  —  deren  Latein  dem  Typus  des 
Psalterium  Romanum  folgt  —  Stent  es  aber  schlechter,  indem  nur  eine 
Handschrift  und  zwar  in  sehr  unzuverlässiger  Weise  heraus^geben  worden 
ist:  der  sogen.  Spelman  Psalter  (1040).  Dazu  kommen  die  Auszüge  bei 
Lindelöf  in  den  Bonner  Beiträgen  XIII  und  die  Lesarten,  die  Roeder  in 
seiner  uns  hier  vorliegenden  Ausgabe  des  Regius-Psalters  aufnimmt. 

II* 


164  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Wildhagen  dbt  uns  zuerst  in  der  £}inleitung  (8.  l— 10)  einige  Notizen 
über  die  HandBcnrift,  ihren  künstlerischen  Schmuck,  ihre  Entstehungszeit 
und  über  den  Schreiber  Eadwine.  Wildhagen  möchte  die  Vollendung  der 
Handschrift  in  die  Jahre  1115 — II 20  setzen.  Die  Interlinearglossen  sind 
erst  nach  der  Fertigstellung  des  lateinischen  Textes  und  des  künstlerischen 
Schmuckes  nachgetragen  worden. 

Die  eigen tlidie  Abhandlung  zerfällt  in  drei  Abschnitte:  I.  Die  Einheit 
des  Psalters;  IL  Untersuchung  über  Dialekt  und  Zeit;  III.  Zeit-  und 
Dialektbestimmung.  Aus  der  interessanten  Untersuchung  über  die  ver- 
wickelten  Schreiberverhältnisse  der  Glosse  (wir  haben  es  mit  sechR  yer- 
schiedenen  Schreibern  zu  tun)  geht,  wie  mir  scheint,  mit  Evidenz  hervor, 
dafs  die  eanze  Glosse  zwar  aus  einem  und  demselben  verlorenen  Ganzen 
stammt,  oaTs  aber  der  erste  Teil  der  Glosse  durdi  die  zwei  Schreiber,  die 
daran  gearbeitet  haben,  und  durch  Korrektoren  starke  Umarbeitungen, 
Verbesserungen  und  Zusätze  erfahren  haben.  ^  Der  zweite  Tdl  (die  Arbeit 
der  vier  anderen  Schreiber)  scheint  aber  der  Vorlage  viel  näher  zu  stehen. 
Es  empfahl  sich  deshalb,  wie  es  Wildhagen  getan  hat,  der  Untersuchung 
über  Dialekt  und  Zeit  den  zweiten  Teil  zugrunde  zu  legen  und  den  erstoi 
Teil  nur  zum  Vergleich  heranzuziehen. 

Diese  Untersuchung  über  Dialekt  und  Zeit  bildet  den  weitaus  gröDsten 
Teil  der  Arbeit  (S.  S5 — 190).  Es  genüge,  zu  konstatieren,  dafin  sie  mit  grolser 
Umsicht  und  Gewissenhaftigkeit  vorgenommen  ist  und  von  dem  gesunden 
Urteil  des  Verfassers  auch  in  rein  sprachlichen  Dingen  Zeugnis  ablegt.  Die 
Hauptresultate  lassen  sich  folgenaerweise  kurz  zusammenfassen:  aus  der 
Lautlehre  ereibt  sich  für  die  Vorlage  ein  durchaus  westsächsischer  Lautstand. 
Die  fremddiuektischen  Elemente,  die  sich  erkennen  lassen,  sind  nicht  einem 
bestimmten  Dialekt  mit  Sicherheit  zuzuweisen.  Die  Flexionslehre  führt 
uns  in  diesem  Punkt  etwas  weiter,  indem  alles  nicht  Westsächsische  in  der 
Flexion  sidi  als  aneUsch  (nicht  kentisch)  erweist  Da  nun  aufserdem  im 
Wortachatz  grofse  Übereinstimmungen  mit  dem  Anglischen  sich  erkennen 
lassen,  indem  das  Denkmal  eine  nicht  geringe  Anzahl  von  Wörtern,  die 
fast  nur  in  anglischen,  einige  sogar,  die  nur  in  poetischen  (d.  h.  anglischen) 
Denkmälern  belegt  sind,  aulweist,  so  beruhen  sämtliche  Übereinstimmungen 
mit  dem  Anglischen  aller  Wiüirscheinlichkeit  nach  nicht  auf  späteren  Lm- 
flüssen  anglischer  Schreiber,  sondern  sie  sind  Beste  eines  ursprünglichen 
Zustandes.  Der  Eadwine-Psalter  ist  also  ein  anglisches  Original  werk,  das 
nur  in  westsächsischer  Übertragung  erhalten  ist,  die  in  unserer  Hand- 
schrift kopiert  ist. 

Diese  anglische  Urform  sucht  nun  der  Verfasser  in  dem  dritten 
Abschnitt  (S.  191— 2u 8)  auf  Zeit  und  Dialekt  hin  näher  zu  bestimmen. 
Was  nun  die  Zeit  der  Abfassung  der  westsächsischen  Überarbeitung 
betrifft,  so  erhalten  wir  einen  Hinweis  in  der  Behandlung  von  ws.  «s,  U: 
der  lange  ie-Laut  ist  zum  grolsen  Teil  gewahrt,  der  kurze  Laut  dag^n 
schon  zum  gröfsten  Teil  in  %,  y  monophthongiert  Solche  Verhältnisse 
sprechen  entschieden,  für  das  10.  Jahrhundert  Wildhagen  setzt  als  Zeit 
der  westsächsischen  Überarbeitung  das  zweite  Viertel  des  10.  Jahrhunderts 
an.*    Damit  hat  sich  für  die  Urform  selbst  eine  Grenze  nach  oben  er- 


*  Der  erste  Abschnittf  worin  diese  Untersachnng,  auf  die  wir  sonst  nicht 
weiter  eingehen  können,  unternommen  wird  (S.  11—84),  zerfiUlt  in  die  folgenden 
Unterabteilungen:  Die  Schreiber  der  Glosse,  Wortschatz,  Übersetzungsfehler,  Kor- 
rekturen im  ersten  Teil  nach  anderen  Psalterglossen,  Modemisierangen  der  Schrei« 
her,    Graphische  Merkmale  der  Glosse. 

'  Nebenbei  sei  bemerkt,  daOi  laje  in  <m  Dtone  iajt  etc.,  das  Wildhagsn  in 
diesem  Zusammenbange  bespricht,  kaum  identisch  mit  dem  Worte  /aju  'Gesetz' 
sein  kann.  Ich  verweise  auf  den  Aufsatz  'Danelaw'  von  H.  Logeman  in  ScamdiOy 
Ti^chriß  tfoar  scandinavische   Taal  e%  LttUrtny  1904,  S.  90  ff. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  165 

§eben.  An  Hand  allerlei  sprachlicher  Tatsachen  will  der  Verfasser  aber 
ie  Urform  der  Eadwine-GIosse  viel  früher,  'spätestens  etwa  Regen  das 
Ende  des  8.  Jahrhunderts'  ansetzen.  Seine  Gründe  für  eine  so  frühe  Da- 
tierung will  ich  hier  kurz  berühren.  Auf  die  beiden  Formen  jedes,  wtdtihx 
(2.  Präs.  Sg.  Ind.  von  jedön,  toi^teon),  wo  die  Endung  -5  für  sehr  hohes 
Alter  spredien  sollte,  scheint  mir  wirklich  nicht  viel  zu  geben  zu  sein. 
*D]e  Erhaltung  von  -s  in  diesen  beiden  Beispielen  berechtigt  daher  zu  dem 
Schlüsse,  dafs  im  Präsens  auch  aller  Verben  diese  alte  Endung  noch  vor- 
geherrscht  haben  wird.'  Könnte  man  aber  nicht  in  diesen  beiden  Fällen 
ebensogut  von  'Weglassung  von  -t*  wie  von  'Erhaltung  von  -s'  sprechen? 
Solche  Fehler  könnten  ja  einem  sonst  ganz  gewissenhaften  Schreiber  mit 
unterlaufen!*  Übrigens  ist  zu  bemerken,  dafs  die  Handschrift  [je]desi 
hat,  wozu  Harsley  *t  add.  by  Corr.?'  bemerkt,'  und  dafs  eine  Weguussung 
von  t  nach  der  Buchstabengruppe  hx  sich  ganz  leicht  psychologisch  er- 
klären lielse.  Aufserdem  ist  in  Erwägung  zu  ziehen,  ob  nicht  sogar  recht 
späte  Schreiber»  die  aus  dem  anglischen  oder  gar  ken tischen  Gebiete  ge- 
bürtig waren,  sich  von  anderen  Verbalformen  inres  Heimatsdialektes  mit 
-(e)8  nätten  beeinflussen  lassen  können.  Den  zweiten  Beweis  (die  Prä- 
teritalbildung  der  schwachen  Verba)  muXs  ich  hier  beiseite  lassen,  da  ich 
bekennen  mufs,  daüs  ich  dem  Gedankengang  des  Verfassers  nicht  folgen 
kann.  Der  Verfasser  hat  sich  hier  augenscneinlich  in  seine  eigenen  Ge- 
danken so  vertieft,  dals  er  vergessen  hat,  dafs  der  Leser  sie  noch  nicht 
alle  erfahren  hat.  Ebensowenig  vermag  ich  dem  e  der  Formen  necdecte, 
jedyrstlecte  usw.  irgendeine  Beweiskraft  für  ein  besonders  hohes  Alter  oei- 
zumessen.  Solche  Formen  können  ja  auch  jung  sein  und  lehnen  sich  ja 
ungesucht  an  den  Infinitiv  an.  Die  Formen  aes  Verbums  preagan  mit 
'Cuo-  (cBw)  sind  gewils  sehr  interessant,  aber  dürften  kaum  an  und  für  sich 
für  ausschlaggebend  gelten.  Die  Flexion  von  swigian  ohne  Mittelvokal 
im  Präteritum  ist  zwar  sonst  nur  im  Nordhumbrischen  (noch  in  den 
Lind.  Gosp.)  belegt,  würde  aber  bei  der  Spärlichkeit  der  Belege  sich  auch 
in  anderen  Dialekten  (z.  B.  im  Nordmercischen)  in  ziemlich  später  Zeit 
denken  lassen.  Dagegen  mufs  ich  zugeben,  dafs  die  zahlreichen  b  für  die 
Spirans  recht  auffaUend  sind  und  für  ein  ziemlich  hohes  Alter  zu  sprechen 
scheinen.  So  sind  wohl  auch  die  zahlreichen  d  für  ä  zu  erklären,  obwohl 
man  hier  an  anglonormannischen  Einflufs  denken  könnte  (vgl.  die  häufigen 
ie  für  ?,  8c  für  c).  Sehr  wichtig  ist  aber  der  Nachweis,  dafs  die  Glosse  nach 
einem  lateinischen  Psaltertexte  ohne  Worttrennung  gemacht  worden  ist. 
Handschriften  mit  Worttrennung  beginnen  um  das  ^.  Jahrhundert  häu- 
figer zu  werden.  Die  Glossierung  ist  wahrscheinlich  vor  850  entstanden. 
Das  scheint  mir  auch  einleuchtend.  Aber  die  Annahme,  dafs  sie  schon 
aus  dem  8.  Jahrhundert  stammt,  scheint  mir  unbegründet.  Was  wir  von 
den  anglischen  Schreiberschulen  dieser  Jahrhunderte  wissen,  ist  ja  sehr 
spärlich.  Hier  und  dort  könnte  ja  das  b  für  die  stimmhafte  Spirans  noch 
im  9.  Jahrhundert  fortleben.  Ausschlaggebend  sind  wohl  auch  nicht  die 
Schlüsse,  die  der  Verfasser  aus  dem  u/ä-Umlaut  der  Vokale  e  und  i  zu 
ziehen  versucht;  ich  brauche  aber  nicht  darauf  einzugehen,  da  der  Ver- 
fasser die  Unsicherheit  seiner  Theorie  selbst  einräumt:  'Folgende  Be- 
obachtung gestattet  uns  vielleicht,  die  Zeitgrenzen  noch  enger  zu  ziehen.' 
Alles  in  allem:  eine  gewisse  Wahrscheinlioikeit  für  eine  so  frühe  Datie- 
rung als  das  8.  Jahrhundert  hat  der  Verfasser  zwar  beigebracht,  und  ich 
kann  seine  Annahme  nicht  direkt  in  Abrede  stellen.  Beweisen  läijst  sich 
aber  nur,  dafs  die  Urform  kaum  später  als  850  entstanden  sein  kann. 

'  Vgl.  die  Schreibfehler  pauktet,  souhtes,  muhtes  in  dem  Mortonschen  Text  der 
Ancren  Riwle  (Vogel,  Zur  FUxion  des  engluchen  Verbumty  1903,  S.  24). 

'  Hat  sich  der  Verfasser  durch  Autopsie  davon  überzeugt,  dafs  t  wirklich  vom 
Korrektor  stammt? 


lOÜ  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Danach  untersucht  der  Verfaißser  den  Dialekt  der  so  herausgeschalten 
Refite  der  Urform  und  kommt  zu  dem  Resultat,  daTs  wir  diese  Urform 
wahrscheinlich  im  nördlichen  Mercien  nahe  der  Grenze  nach  Nordhumbrieo 
(Entstanden  zu  denken  haben.  Auffallend  sind  gewiDs  die  unverkennbaren 
Anklänge  an  das  Nordhumbrische;  aber  lassen  sie  sich  wirklich  nicht 
andererweise  als  durch  die  Annahme,  dafs  die  Urform  aus  dnem  Grenz- 
gebiete stammt,  erklären?  Bei  der  Beurteilung  mittelenglischer  Denk- 
mäler hat  man  gar  zu  oft  Dialektmischungen  in  der  Weise  erklärt,  dafp 
man  für  jeden  neugefundenen  fremden  Dialektzue  das  Denkmal  so  und 
so  viele  Kilometer  näher  dem  fremden  Dialektgeoiete  lokalisiert.  Eine 
solche  Verfahrungsweise  hat  sich  aber  in  der  letzten  Zeit  als  ziemlicli 
unmethodisch  erwiesen.  Würde  dasselbe  nicht  auch  für  altenglische 
Sprachverhältnisse  gelten?  Könnte  man  nicht  an  eine  rein  mercischc 
(oder  rein  nordhumbrische)  Urform  denken? 
^,     Im  Anhang  (S.  212— 2-19)  bespricht  der  Verfasser  teils  den  zur  Glosse 

fehörigen  lateinischen  Text  und  seinen  Grundtext,  teils  die  Glosse  in  in- 
altlicher  Beziehung.  Die  Ergebnisse  seiner  überaus  interessanten  und 
fördernden  Untersuchungen  über  den  lateinischen  Text  fafst  er  S.  22l> 
kurz  zusammen:  Dieser  Text  geht  auf  einen  stark  mit  vorhieronymiani- 
Kchen  Lesarten  und  zahlreichen  Sonderlesarten  durchsetzten  Text  des 
Psalierium  Romanum  zurück,  dessen  Spuren  noch  ins  G.  Jahrhundert 
hinaufreichen.  Dieser  Lateintext  mufs  unserem  Glossator  in  einer  sehr 
ursprünglichen  Form  vorsele^en  haben,  die  noch  keine  Worttrennnng  auf- 
wies und  zahlreiche  Fehler  m  sich  bar^.  Die  uns  überlieferten  I^tein- 
texte  des  Eadwine-Psalters  und  des  mercischen  Psalters  haben  durch  häu- 
fige Glättun^en  und  Anpassungen  an  das  Psalterium  Romanum  an  Ur- 
sprünglichkeit stark  eingebüfst,  doch  lassen  sich  an  beiden,  besonders  an 
dem  unseres  Psalters,  die  alten  Verhältnisse  noch  ziemlich  deutlich  er- 
kennen. —  Zuletzt  bespricht  der  Verfasser  die  zahlreichen  fehlerhaften 
Übersetzungen  im  zweiten  Teil  der  Glosse,  die  wirklich  sehr  interessant 
sind.  Sie  zerfallen  in  zwei  Hauptgruppen :  solche  Fälle,  wo  der  lateinische 
Text  die  eigentliche  Ursache  des  Irrtums  war,  und  solche,  die  lediglieb 
der  Unkenntnis,  Laune  und  Unachtsamkeit  des  Glossators  zur  Last  fallen. 
Zu  beiden  Gruppen  gibt  der  Verfasser  zahlreiche  und  belehrende  Beispiele. 
Zu  der  ersten  Gruppe  gehören  Fehler,  die  durch  die  Nichtabtrennung  der 
Wörter,  und  solche,  die  durch  Buchstaben verschreibungen  verursacht  sind. 
Ich  will  ungern  mit  Tadel  von  diesem  Buche  scheiden,  dessen  grolle 
Verdienste  ich  nur  loben  kann,  und  dessen  Lektüre  mir  eine  Quelle  reicher 
Belehrung  gewesen  ist.  Ich  kann  aber  nicht  umhin,  einen  besonderen 
Punkt  hervorzuheben,  der  mir  als  vollkommen  verfehlt  erscheint.  Ich 
meine  die  weitläufigen  Auseinandersetzungen  über  das  Wort  slfde  S.  2-JO' 
bis  248.  Nach  der  Ansicht  des  Verfassers  sollten  dieses  Wort  und  seine 
Ableitungen  noch  'an  altheidnische  Vorstellungen  anknüpfen  und  einen 
schönen  Beleg  dafür  liefern,  wie  das  Christentum  bezw.  die  Kirche  den 
altheidnischen  Wortschatz  sich  zu  eigen  zu  machen  verstand'.  Wildhagen 
beruft  sich  auf  einen  völlig  veralteten  Aufsatz  von  Dietrich  aus  den  fünf- 
ziger Jahren  des  19.  Jahrhunderts,  wonach  die  Bedeutung  des  'Grausieen, 
Grauenhaften,  Furchtbaren',  weiche  das  Wort  in  sämtlichen  germanischen 
Sprachen  hat,  sich  aus  der  heidnischen  Welt  in  die  christhche  hinüber- 
gerettet habe.  Die  Hauptstütze  für  alle  diese  Ausführungen  soll  nun  der 
mythologische  Name  Slidr  in  der  älteren  Edda  liefern.  Dafs  das  Wort 
slidr  'schlimm,  gefährlich'  substantiviert  worden  ist,  um  einen  Höllenflnfe 
zu  bezeichnen,  darf  meines  Erachten»  nicht  befremden.  Nach  Wildhagen 
und  seinen  Autoritäten  sollte  der  Name  aber  das  Primäre  sein!  Da  koeret 
auch  geloube  xuof  Mit  Wildbagen  glaube  ich  zwar,  dafs  Toller  im  Un- 
recht ist,  wenn  er  ein  neues  sltbe  mit  der  Bedeutung  ^farmed,  mouldedj 
ficttiSf  graten  {imagey  annimmt,  aber  ich  vermag  nicht  aus  den  von  Wild- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  167 

hagen  angeführten  Fallen  dieselben  Schlüsse  zu  ziehen,  wonach  daa  Worti 
'das  ursprünglich  den  Namen  für  den  unterweltlichen  Höllenflufs  abgab, 
in  die  cbristliche  Vorstellungswelt  herübergenommen  allgemein  zur  Be- 
zeichnung von  "Teufel,  Götzenbild"  verwandt  wurde'.  Wollen  wir  uns 
zuerst  die  Fälle  ein  wenie  näher  ansehen!  Sin  jescinde  eaUe  ha  äe  je- 
biddaä  pa  $lidan  'confundantur  omnes  aui  adorant  sculptilia'  (96,  7),  and 
tcorhton  acecelf  an  ehoreb  and  jebedon  ocb  slideleecen  'at  fecerunt  vitulum 
in  ehoreb  et  adoraverunt  sculptile'  (105,  19),  and  ßiowdon  sliänesae  hirm 
'et  servierunt  sculptilibus  eorum'  (105,  86),  becenuB  da»  onsedon  dce  sltädcen 
'filiarum  quas  sacrificaverunt  sculptilibus' (105, 88);  ähnliche  Beispiele  führt 
Toller  aus  dem  Spelman-Psalter  an.  Was  bedeutet  nun  pa  slidan,  slidness 
usw.?  Gewifs  nicht  'graven  Images,  a  graven  image'.  Einige  Beispiele 
aus  der  deutschen  Bit^lausgabe,  die  ich  augenblicklich  zur  Hand  habe, 
werden,  glaube  ich,  die  Frage  zur  Genüee  bäntworten.  Es.  64,  19  st^t: 
(Jeh)  sollte  das   Übrige  xum  Greuel  maenen;  die  entsprechende  Stelle  der 

öfter 

Man 

abominationum 

Buarum'  und  Jer.  VII,  80:  Denn  die  Kinder  Jtida  tnun  Übel  vor  meinen 

Alicen,  spricht  der  Herr,  sie  setzen  ihre  Greuel  in  das  Haus,  das  nach 

meinem  Namen  genannt  ist     Der  Vulgata-Text  hat  hier  'offendicula'. 

Greuel  und  Götzenbild  waren  auch  in  Altengland  synonyme  Wörter:  pa 

slfdan  bedeutet  also  'die  Greulichen,  die  Greuel',  und  slidness  bedeutet 

'Greuel'.   Die  Nennune  dieser  Schreckgestalten  bei  ihrem  richtifl;en  Namen 

muls  bei  den  Engländern  dieser  Zeiten  als  eine  Art  Tabu  gegolten  haben. 

Die  Wörter  sl^de  'formed,  moulded'  und  slidness  'a  graven  Image'  sind 

also  endgültig  aus  der  altenglischen  Lexikographie  auszumerzen,  und  die 

obigen  Belege  können  für  mythologische  Schlüsse  keine  Stütze  gewähren. 

Auch  Eadw.-Ps.  106,  34   (jeseite  eordcen  westmerende  on  dcsm  slipendum 

'posuit  terram  fructiferam  in  salsilaginem')  wird  ähnlichen  Zwecken  nicht 

mehr  dienen  können. 

Über  die  Boedersche  Ausgabe  vom  Be^ius-Psalter  kann  ich  mich  kurz 
fassen.  Es  ist  in  manchen  Beziehungen  eine  sehr  interessante  Glosse,  die 
hier  zum  erstenmal  veröffentlicht  ist.    Sie  ist  mit  groiser  Sorgfalt  aus- 

S^arbeitet;  sowohl  Text  als  Glosse  sind  auiserdem  sehr  sauber  gjeschrieben. 
azu  kommt,  dals  der  Text  auch  in  sprachlicher  Hinsicht  vieles  Inter- 
essante bietet,  und  dals  sie  unter  den  altenglischen  Psalter-Glossen  eine 
selbständige  Stellung  einnimmt,  indem  sie  von  keiner  anderen  Glossen- 
hADdschrift  abhängig  zu  sein  scheint,  sondern  vielmehr  den  Kern  einer 
grofsen  Glossengruqpe  zu  bilden  scheint.  In  der  Einlei tun|[  teilt  der  Her- 
ausgeber eine  Beschreibung  der  Handschrift  mit  und  untemchtet  uns  über 
die  Trinzipien  der  Texteestaltung.  Boeder  bestrebt  sich  darum,  den  latei- 
nischen Text  in  der  Form  zu  geben,  wie  der  Schreiber^  ihn  selbst  be- 
absichtigt und  niedergeschrieben  hat.  Die  zahlreichen  Änderungen  der 
Korrektoren,  die  teils  darin  bestehen,  dafs  der  Versuch  gemacht  wird,  die 
lateinische  Fassung  des  PsaUerium  Romanum  der  des  Psalterium  Galli- 
canum  anzugleichen,  teils  offenbare  Versdien  korrigieren,  teils  nur  ortho- 
graphischer Natur  sind,  werden  gröfstenteils  unberücksichtigt  gelassen, 
namentlich  wo  der  ursprüngliche  Text  ganz  deutlich  zu  erkennen  ist. 
Von  dem  altenglischen  Texte  wird  ein  genauer  Abdruck  g^eben.  Fehler- 
hafte Glossen  werden  in  den  Fällen  mit  einem  Stern  versehen  und  in  den 
Anmerkungen  besprochen  und  womöglich  emendiert,  wenn  die  Versehen 
dem  Schreiber  wiaer  seinen  Willen  unterlaufen  sind.  Die  Ausübe  ist 
ein  höchst  willkommener  Beitrag  zur  Kenntnis  der  altenglischen  rsalter- 
glossen;  sie  ist  mit  eroisem  Fleifs  und  Sorgfalt  ausgearbeitet.  Zu  noch 
gröfserem  Dank  werden  wir  dem  Herausge^r  verpflichtet  sein,  wenn  er 


168  Beurteilangen  und  kurze  Anzeigeii. 

einmal  Bein  Venprechen,  dne  Abhandlung  über  die  Sprache  der  Redus- 
Glosse  und  ihr  VerhäliniB  zu  den  übrigen  Handschriften  in  nicht  idlzu- 
langer  Zeit  vorzulegen,  erfüllt  hat. 

Als  Anhang  folgt  eine  kurze  Liste  der  von  Bosworth- Toller  und 
Sweet  nicht  belegten  Wörter. 

Göteborg.  Erik  Björkman. 

Dr.  F.  Langer,  Zur  Sprache   des  Abingdon  Chartular&     Berlin, 
Mayer  &  Müller,  1904.    75  S.  8. 

Von  den  in  den  beiden  Handschriften  des  Britischen  Museums  Cotton 
Claudius  C  IX  (C)  und  Cotton  Claudius  B  VI  (B)  enthaltenen  Urkunden 
sind  diejenigen  zum  Gegenstand  einer  sprachlichen  Untersuchung  gemacht 
worden,  welche  aus  der  altenglischen  Zeit  (vor  1066)  stammen.  Das 
Chartular  ist  nämlich  in  beiden  Handschriften  in  zwei  Bucher  geteilt,  von 
denen  das  erste  bis  zum  Jahre  1006  reicht  und  also  ungesucht  zu  einer 
Sonderun tersuchung  Anlafs  gibt.  Nach  der  eigentlichen  Untersuchung 
(S.  2i~71),  die  sich  nur  auf  die  Lautlehre  bezieht,  folgt  eine  Zusammen- 
fassung der  Resultate.  Der  Lautstand  stimmt  im  allgemeinen  mit  dem 
der  spätaltenfflischen  Schriftsprache  überein.  Einige  Zuge,  die  von  dieser 
spätaltenglischen  Schriftsprache  abweichen  und  zugleidi  beiden  Hand- 
schriften gemeinsam  sind,  werden  vom  Verfasser  für  Abingdon  angehörig 
gehalten.  Einige  von  diesen  sind  sonst  für  das  Anglische  diarakteristisch 
und  sprechen  dafür,  dafs  eine  —  übrigens  ganz  b^reifliche  —  anglische 
Beimischung  vorliegt  Was  die  dialektisdien  Eigentümlichkeiten  der 
Schreiber  betrifft,  ist  kaum  mehr  anzuführen,  als  oaCs  einer  unverkmm- 
baren  kentischen  Einschlag  zeist.  Zum  Schlufs  werden  die  vereinzelten 
fieste  alter  Lautformen  besprochen. 

Dieser  sprachlichen  Untersuchung,  die  an  und  für  sich  nicht  beson- 
ders interessante  Ergebnisse  oder  Einzelheiten  bietet,  geht  eine  Einleitung 
(S.  2—23)  voran,  die  in  folgende  Abschnitte  zerfällt:  Die  Überlieferung 
des  Abingdon  Chartulars,  &haltstabelle  über  die  Urkunden  im  ersten 
Buche  des  Abingdon  Chartulars,  Das  gegenseitige  Verhältnis  der  Fassun- 
gen, Das  zu  erwartende  Sprachmaterial,  Die  Scnreiber  und  ihre  VerläTs- 
uchkeit,  Die  Verlafslichkeit  der  Herausgeber.  Ich  kann  nicht  umhin,  in 
dieser  Einleitung  den  weitaus  wichtigsten  Teil  der  Arbeit  zu  erbUcken. 
Besonders  beacntenswert  sind  die  Ausführungen  über  das  gegenseitige 
Verhältnis  der  Fassungen.  Langer  erweist  zuerst  die  Unrichtigkeit  der 
Ansicht  Stevensons,  weicher  C  für  eine  unvollkommene  erste  Ausgabe, 
B  für  eine  später  mit  Hilfe  der  Originalurkunden  bewirkte  Revision  ehies 
gemeinsamen  Originals  hält.  Statt  dessen  greift  B  auf  äne  bedeutend 
altere  Fassung  als  die  von  C  zurück,  und  C  selbst  repräsentiert  in  meh- 
reren Hinsichten  eine  stärkere  Entfernung  von  der  gemeinsamen  Urquelle. 
B  benützt  aber  gleichzeitig  eine  jüngere  Fassung,  der  er  im  ganzen  zw«ten 
Buche  folgt.  Die  Frage  nach  dem  gegenseitigen  Verhältnis  der  Fassungen 
wird  nun  noch  weiter  beleuchtet  und  zuletzt  durch  ein  Schema  ver- 
anschaulicht. Auch  die  Ausführungen  über  die  Schreiber  und  ihre  Ver- 
lafslichkeit sind  beachtenswert 

Göteborg.  Erik  Björkman. 

Casimir  C.  Heck,  Zur  Geschichte  der  nicht-germanischen  Lehn- 
wörter im  Englischen.  A.  Die  Quantitäten  der  Accentvokale  in 
ne.  offenen  Silben.  (Im  Auszug.)  Berliner  Inauguraldissertation.  Offen- 
bach a.  M.,  Druckerei  Wilh.  Wagner,  1904.    72  S.  8.    M.  2. 

Vorliegende  Dissertation  enthält  nur  einen  Auszug  aus  einem  Teil 
einer  geplanten  grOfseren  Arbeit  über  die  nicht-germanischen  Lehnwörter 


Beurtdlungen  und  kurze  Anzeigen.  169 

im  Englischen;  sie  befalst  sich  hauptsächlich  mit  den  Fragen  nach  den 
Quantitätsentwickelungen  ia  den  betreffenden  Lehnwörtern.  Es  gilt  vor 
allen  Dln^n,  die  schwankenden  Quantitäten  der  heutigen  Akzentvokale 
in  verschiedenen  Wortformen  bei  gleichem  Stamm  zu  erklären,  z.  B. 
severe  :  seperity,  crime  :  eriminal,  nation  :  national^  femcUe  :  feminine. 
Der  Verfasser  bewegt  sich  also  auf  einem  Grebiete,  das  früher  von  Luick 
in  seinem  bekannten  Aufsatz  'Die  Quantitatsveränderungen  im  Laufe  der 
englischen  Sprachentwickelung'  (Änglia  XX  H35  ff.)  eingehend  behandelt 
worden  ist.  Er  verwirft  die  Luickschen  Theorien,  wonach  drei  Quantitäts- 
stufen für  die  Akzentsilben  (je  nach  der  Siibenzahl  des  Wortes)  anzusetzen 
seien;  statt  dessen  stellt  er  folgendes  Hauptgesetz  auf:  in  Entlehnungen 
aus  fremden  Sprachen  werden  die  ursprünglichen  Quantitäten  der  Akzent- 
vokale in  offenen  Silben  mehrsilbiger  Lehnwörter  mit  übernommen  und 
beibelialten.  Französische  Lehnwörter  alter  und  neuerer  Zeit  haben  dem- 
nach nur  Kürzen,  mit  Ausnahme  des  u  <  frz.  ü,  das  aus  bekannten 
Gründen  zu  fu  wird.  Für  die  Vokale  in  einsilbigen  Wörtern  ergab  das- 
selbe Gesetz  Länge,  weil  diese  Vokale  im  Afrz.  lang  auBges})rochen  wur- 
den: hieraus  erklären  sich  nun  Unterschiede  wie  crime  :  eriminal.  Für 
die  lat.  Lehnwörter  wird  je  nach  ihrer  ursprünglichen  Quantitierung  Länge 
und  Kürze  unterschieden.  Dieses  Beobachten  der  lat.  Quantitäten  ist 
definitiv  erst  durch  die  Humanisten,  teilweise  vielleicht  durch  die  Re- 
naissance eingeführt  worden.  In  lat.  Lehnwörtern  vor  dieser  Zeit  sind 
wahrsdieinlich  nur  Kürzen  anzusetzen  (Ausnahme  u  =  frz.  ü).  Alle  Aus- 
nahmen von  diesem  Gesetz  sind  Analogien.  Ne.  nature,  navy,  ncUion  sind 
deshalb  keine  r^elmäfsigen  Entwickelungen  von  me.  na'türe,  na'vie,  na'tion, 
sondern  verdanken  ihren  langen  Vokal  dem  Einflufs  lateinischer  Vorbilder, 
in  denen  die  Humanisten  den  Vokal  lang  aussprachen.  Es  ist  nicht 
möglich,  über  dieses  Resultat  ein  definitives  Urteil  zu  fällen,  da  der  Ver- 
fasser aus  seiner  Beweisführung  das  allerwichtigste  Moment,  die  Material- 
sammlung, ausgeschlossen  hat.  Auch  in  anderen  Beziehungen  ist  die 
Darstellung  sehr  lückenhaft.  Geradezu  enttäuscht  wird  man,  wenn  der 
Verfasser  dies  oder  jenes  interessante  Thema  berührt  und  dann  plötz- 
lich seine  Darstellung  mit  der  Bemerkung  abbricht,  dafs  das  weitere 
in  seinem  Manuskript  sich  befindet  oder  in  der  geplanten  Arbeit  folgt. 
Ab  und  zu  haben  wir  es  demgemäß  mehr  mit  un  Degründeten  Behaup- 
tungen, die  an  akademische  Thesen  erinnern,  zu  tun  als  mit  einer  wirlc- 
lich  wissenschaftlichen  Darstellung.  Trotzdem  enthält  das  Büchlein  nicht 
wenige  richtige  oder  beachtensw^te  Beobachtungen;  und  es  ist  wohl 
mögflchy  dafs  man  dem  Verfasser,  wenn  die  Arbeit  einmal  in  dem  ge- 
planten Umfange  vorliegt,  in  vielen  Punkten  wird  recht  geben  müssen. 
Einstweilen  muTs  ich  midi  aus  den  schon  angedeuteten  Gründen  mit  einem 
'non  liquet'  begnügen.* 

Göteborg.  Erik  Björkman. 

Ernst  Sieper,  Lydgate's  Reson  and  Sensuallyte.    Vol.  IL    Studies 
and  Notes.   London  1P03.    IX  u.  132  8.  8.    (EETS.ES,  LXXXIX.). 

Das  Buch  bringt  natürlich  die  Summe  der  Ergebnisse,  zu  denen  Sieper 
bei  der  Bearbeitung  des  kritischen  Textes  von  Keson  and  Sensuallyte  ge- 
kommen ist.  Die  Veröffentlichung  des  schönsten  Lydgateschen  Gedichtes, 
wenn  man  will  des  einzigen,  das  heute  noch  aufserhalb  der  philologischen 
Welt  auf  Leser  rechnen  darf,  hatte  der  Literaturfreund  freudig  begrüfst. 
Die  Lydgate- Philologen  mochten  im  vorigen  Jahre  das  neue  Bändchen, 
die  Studies  und  Notes,  gleich  erwartungsvoll  entgegennehmen. 

^  Bei  der  Korrektur  bemerke  ich,  da(^  Heck  eine  ausfülirlichere  Darstelluii^ 
der  Frage  iieuerdings  ia  der  Änglia  XXIX  S.  55 — 119  veröfifentlieht  hat. 


170  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Die  Stadies,  sechs  grölsere  Kapitel,  füllen  etwas  mAt  als  die  Hälfte 
des  Bandes.  Zur  Untersuchung  der  Frage  nach  Autor  und  Datum  schafft 
sich  Sieper  mit  glücklichem  Gedanken  eine  Basis  dadurch,  dafs  er  die 
charackteristischen  Eigentümlichkeiten  des  Gedichtes  auf  Grund  derer  im 
Troy-Book  und  im  Pilgrimage  nachprüft  und  sie  als  identisch  mit  ihneo 
erkennt  Die  von  Schick  gegebene  Zahl  der  Entstehung  'zwischen  1406 
und  1408'  modifiziert  er  in  'vor  1412'  (p.  8).  Als  Resultat  der  Unter- 
suchungen im  zweiten  Kapitel  ergibt  sicn,  dafs  das  Prinzip  der  Schick- 
schen Typen  im  gleichen  für  Lydgates  Viertakter  zutrifft,  nacn  der  Häufig- 
keit geordnet  Typus  A,  dann  Typus  D  (nahezu  30%  1),  dann  Typus  C. 
Für  Typus  B  findet  8.  in  den  7C00  VV.  nur  drei,  für  Typus  E  nur  sieben 
Beispiele.  Ob  diese  Typus  E -Verse  nicht  verirrte  Fünf  takter  sind?  Am 
liebsten  möchte  ich  ihnen  den  von  S.  unter  ^Vpos  B  aufgeführt«!  V.  1471 
(p.  13  ob.)  beizählen  oder  abändern  in  (En)  Clynyng  by  fleshly  ap- 
petyte.  Bemerkenswert  ist  zum  Scblufs  noch,  dafs  sich  mehrere  Fälle 
von  amalgamierten  Typen,  drei  für  (D  +  C)  und  sieben  für  (D-|-  B)  finden 
(p.  13);  einige  Beispiele  für  das  Fehlen  der  Auftakte  im  ersten  und  zugleich 
im  zweiten  Hemistich  fanden  sich  ja  schon  in  den  Fünftaktem  des  Secr. 
Secr.  B.  hat  es  für  gut  erachtet,  vom  'Standpunkt  des  Agnostikers'  ans 
bei  diesen  Untersuchungen  mit  äufserster  Vorsicht  vorzugehen.  Nach 
meinem  Empfinden  hätte  die  ganze  Beweisführung  lapidarer  geschehen 
können.  Dals  die  VV.  Viertakter  sind  in  Nachahmung  der  französischen 
Achtsilber  der  Quelle  (p.  14),  war  die  Voraussetzung  so  sicher  wie  ein 
mathematisches  Datum;  dafs  unter  den  von  den  Schickschen  Typen  her 
bekannten  Eigentümlichkeiten  die  VV.  —  mit  drei  Ausnahmen  (p.  14)  •— 
tadellos  laufen,  kein  Beispiel  einer  harten  Verschleif ung  etc.  (pp.  10,  11) 
und  kein  Verstofs  gegen  Wort-  und  Satzakzent  (pp.  15,  16)  aufzuweisen 
ist,  war  die  Thesis.  Der  Beweis  konnte  nicht  anders  als  glücken.  Die 
beiden  nächsten  Kapitel  (Flexion  und  Beim)  führen  in  den  Zentralpunkt 
der  Lydgate- Forschung,  zur  Frage  des  End-e.  Am  stärksten  ersdieint  der 
Abfall  oes  End-e  wieder  beim  Verb,  besonders  häufig  bei  den  kurzstäm- 
migen Infinitiven  der  starken  Konjugation  (p.  34),  so  zwar,  dais  alltägliche 
Verba  wie  give  und  come  'beinah  ausschlielslich  monosyllab'  sind.  Be- 
achtenswert ist,  dafs  nach  den  p.  43  aufgefühiten  Beispielen  die  End-e- 
Formen  reimender  französischer  Adjektive,  gleichviel  ob  masc  oder  fem., 
die  Regel  zu  sein  scheinen.  Hierher  heranzuziehen  sind  noch  zwei  von 
S.  an  früherer  Stelle  (pp.  14  und  11)  gemachte  Konstatierungen:  einmd, 
das  End-e  adjektivischer  ja-Stämme  ist  immer  silbisch  und  Formen  wie 
loühotUe,    fortüne  (mit  stummem   End-e)  etc.  sind   ihm  nie   sicher  be- 

fegnet;  zum  andern  fällt  ein  End-e,  das  zwischen  zwei  Dentale  zu  stehen 
ommt,  ab.  Die  weitere  Entwicklung  der  Lydgate- Studien  wird  zeigen, 
inwieweit  S.s  Behauptungen  richtig  smd.  Hat  S.  somit  manni^ach  posi- 
tive Anregungen  georacht,  die  zum  mindesten  dankbar  entgegenzuneh- 
men sind,  so  bietet  er  im  fünften  Kapitel  über  den  Stil  Untersuchun- 
gen, wie  sie  vorher  nie  gemacht  waren.  'Beduplication'  des  Ausdruckes 
möchte  man  die  Hauptnote  in  Lydgates  Technik  heifsen;  man  könnte 
geneigt  sein,  ein  Kunstprinzip  in  dem  Parallelismus  zu  finden,  mit  dem 
Lydgate  seine  Perioden  'baut'  (vgl.  die  pp.  48  und  49  gegebenen  Bei- 
spiele) ;  aber  man  weifs,  bis  zu  welcher  Monomanie  der  alte  Lydgate  z.  B. 
in  den  VV.  500—1000  des  Secr.  Secr.  in  'Wiederholungen*  geradezu  ver- 
bohrt und  verloren  ist.  Klerikerblut  und  Priesterbrauch  und  das  schnl- 
meisterliche  Bedürfnis,  sich  gemeinverständlich  und  klar  zu  machen, 
haben  dem  armen  Benediktiner  wohl  hauptsächlich  zu  der  'IvdgateBchen 
Manier'  verhol fen.  Es  widerfährt  dem  'guten  Mönche*  (p.  48)  sicherlidi 
übergenug  Ehre,  wenn  S.  sich  bemüht,  die  verschiedenen  Kunstetückcben 
zu  ordnen  in  'reduplication,  straining  after  epithets  etc.,  intensifying'ad- 
verbs,  downright  tautology'  usw.,  und  wenn  er  gar  die  fossilen  Wendungen 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigipn.  171 

der  Btop-^ps  auseinander  klauben  will.  Das  sechste  und  letzte  Kapitel 
erledigt  die  Quellenfrage  und  bringt  wesentliche  Ergänzungen  zu  S.s  frühe- 
ren Studien  über  die  Echtes  amoureux.  Guido  de  Colonnas  De  regimine 
prindpum  hat  sich  nunmehr  als  Hauptquelle  für  den  zweiten  längeren 
Teil  der  Ech.  am,  erwiesen.  Lydgatc  hat  also  mehr  als  ein  Menschenalter 
den  Plan  mit  sich  herumgetragen,  einen  der  Secr.  Secr. -Texte  versifizieren 
zu  wollen.  Zum  Schlnf«i  iührt  »S.  die  Pariser  Handschriften  vollständig 
an,  in  denen  das  allegorische  Gedicht  der  Eck.  am,  kommentiert  ist,  und 
zeigt  an  einem  Beispiel  (MS.  des  16^)  den  Gedanken  und  Zweck  dieser 
Kommentare. 

Viel  Material  ist  dann  in  den  Notes  zusammengetragen,  und  Lexiko- 
graph wie  Literaturforscher  finden  doit  Stoff  genug  zur  Ausbeute. 

Das  Bändcheu  atmet  Elastizität  und  I^ebonslun;  es  sind  nicht  biofs 
reine  philologische  'facts';  es  ist,  als  ob  ein  Stück  vom  Verfasser  mit- 
ginge, und  als  ob  sich  etwas  durch  die  ganzen  Untersuchun^n  hindurch- 
zieht, das  in  all  die  Darlegungen  Leben  bringen  und  sie  pulsieren  machen 
möchte.  Der  deutsche  I^er  aber  hat  eines  anzumerken.  Das  Buch  ist 
von  dem  deutschen  Gelehrten  selbstredend  englisch  geschrieben.  Die  Kor- 
rekturbogen wurden  mit  scharfem,  wachsamem  Auge  gelesen.  Es  berührt 
aber  eigentümlich,  zu  sehen,  dafs  in  der  p.  15  zitierten  Stelle  aus  dem 
Buche  eines  deutschen  Forschers  innerhalb  weniger  Zeilen  mehrere  Druck- 
fehler stehen  bleiben  durften.  P. 

Theodor  Erbe,  Die  LocriDesage  und  die  Quellen  des  pseudo- 
shakespearischen  Locrine.  Studien  zur  englischen  Philologie,  her- 
ausgegeben von  Lorenz  Morsbach.  XVI.  Halle  a.  S.,  Max  Niemeyer, 
1904.    72  S.    M.  '2. 

Wilfrid  Perrett,  The  story  of  King  Lear  from  Geoffrey  of  Mon- 
mouih  to  Shakespeare.  Palaestra,  Untersuchungen  und  Texte  aus 
der  deutschen  und  englischen  Philologie,  herausgegeben  von  A.  Brandl, 
G.  Roethe  und  E.  Schmidt.  XXXV.  Berlin,  Mayer  u.  Müller,  1904. 
308  S.    M.  9. 

Emil  Bode,  Die  Learsage  vor  Shakespeare,  mit  Ausschlufs  des  älte- 
ren Dramas  und  der  Ballade.  Studien  zur  englischen  Philologie,  her- 
ausgegeben von  Lorenz  Morsbach.  XVII.  Halle  a.  S.,  Max  Niemeyer, 
1004.     105  S.    M.  4. 

Arbeiten  wie  die  vorlie^nden  sind  gegenwärtig  en  vogue  in  der  Shak- 
spereforschung,  seit  Churchill  mit  seinem  Buche  mekara  the  Tkird  vp  to 
Shakespeare  anfing,  die  Evolution  einer  Shakspereschen  Gestalt  von  ihrer 
historischen  Basis  aufwärts  zu  zeigen.  Untersuchungen  über  ältere  Be- 
arbeitungen Shaksperescher  Stoffe  fehlen  auch,  vorher  nicht:  Max  Moltke, 
Shakespeare* 8  Hamietquellen  (1881),  Israel  Gtollaiicz,  Hamlet  in  Iceland  (1898) 
u.  a.;  neu  war  aber  das  von  Churchill  in  den  Vordergrund  gesteljte  Mo- 
ment, den  Werdegang  des  Stoffes  als  solchen  herauszuarbeiten.  Ahnlich 
versuchte  Evans  Bonner  Düs.  1902),  die  präshakspereschen  Hamletbear- 
beitungen chronologisch  und  genealogisch  zu  ordnen;  ähnlich  versuchte 
auch  ich  in  meiner  Kürzlich  erschienenen  Schrift  über  'Macbeth'  (vgl.  An- 
zeige von  Münch  im  Archiv  CXIII,  428  ff.}  dem  Geiste  nachzugehen,  der 
hier  still  und  geschäftig  Jahrhunderte  hindurch  Shakspere  vorgearbeitet  hat. 
Nunmehr  haben  der  pseudoshakspereschc  Locrine  und  der  Lear  Bearbeiter 
gefunden.  Für  den  Falstaff  und  für  Margarete  von  Anjou  sind  entspre- 
chende Arbeiten  meines  Wissens  in  Vorbereitung,  und  die  Inangriffnahme 
dieser  Charaktere  ist  höchst  verdienstlich.  *   Zwei  von  den  krausesten  und 

*  Baeske,  FalsUtf  {Paiataira  L),  ist  erschienen. 


172  Beurteilimgen  und  kurze  Anzeigen. 

kompliziertesten  Gemischen  Shaksperescher  Charakterknnst  —  denn  in 
welcne  Schubfächer  ihres  noch  so  reichen  Katalog  wollen  unsere  Bühnen- 
leiter und  Dramaturgen  diese  beiden  Gestalten  einordnen?  —  dürften  eine 
interessante  Aufklärung  erfahren.  Abschliefsende  Arbeiten  über  den  Romeo 
and  Juliet-Stoff,  das  Shy lock- Motiv  u.  a.  sind  Desiderata. 

Worin  liegt  der  Nutzen  derartiger  Arbeiten?  höre  ich  fragen,  ein  Ein- 
wand, dem  auch  Münch  in  der  Anzeige  meines  Baches  kurz  entgegen- 
li^etreten  ist.  Von  wie  geringem  Interesse  ist  es,  die  älteren,  oft  so  un- 
künstierischen  Fassungen  kennen  zu  lernen,  die  dem  Dichter,  um  dessen 
Werk  es  sich  handelt,  ganz  unbekannt  waren,  und  die  darum  keinen 
Einflufs  auf  sein  Schaffen  geübt  haben  I  Die  Kenntnis  der  Quellen  ist 
gewifs  ein  ^lises  Hilfsmittel  zum  Verständnis  der  Dichtung,  ah&c  das 
hat  doch  mit  all  jenen,  oft  um  Jahrhunderte  zurückliegenden  Vorstufen 
nichts  zu  tun. 

Der  Einwand  trifft  nicht  den  Kern  der  Sache.  Die  so  sprechen,  über- 
sehen zunächst,  dals  doch  erst  die  Vergleichung  der  Dichtung  mit  den 
älteren  Fassungen  uns  Aufschlufs  gibt  über  die  Quellen,  dals  wir  über- 
haupt nicht  sagen  können,  welche  Versionen  Shakspere  gekannt  und  benutzt 
hat,  bevor  wir  nicht  alle  gelesen  haben.  QuellenEunde  und  Kenntnis  der 
gesamten  Vorgeschichte  ist  mithin  eins.  Sodann  aber  vergessen  jene  Ein- 
wendenden ganz,  dafs  die  Quellen  eines  dichterischen  Stoffes  oder  Cha- 
rakters auch  hinter  und  jenseits  der  dem  Dichter  bekannten  Vorlagen  liefen. 
Quelle  ist  nichts  anderes  als  literarische  Evolution.  Die  Stoffe  der  grofsen 
Shakspereschen  Dramen  haben  sämtlich  sich  wie  Lebewesen  entwickelt, 
sie  haben  eine  Kindhdt  gehabt  und  sind  stufenweise  zu  voller,  schöner 
Männlichkeit  herangereift  Wie  wir  aber  die  Wesensheit  eines  Menschen 
nie  vollkommener  begreifen  als  auf  Grund  vollständiger  Bekanntschaft  mit 
seinem  Werdegang  und  seiner  Entwicklung,  so  auch  bei  der  literarischen 
Produktion.  Das  Verständnis  für  Hamlet  wird  uns  nie  voller  aufgehen, 
als  wenn  wir  diese  Gestalt  im  entwickelnden  und  ausgestaltenden  Schofse 
der  Jahrhunderte  haben  heranreifen  sehen.  Aber  man  sehe  ganz  ab  von 
Shaksperes  Titanengestalten,  sehe  auch  ab  von  so  gewaltigen  Konze{>tionen 
wie  Faust  und  Don  Juan,  man  nehme  bescheidenere  G^talten  wie  den 
unausbleiblichen  Pfarrer  der  englischen  Romane  des  17.  und  18.  Jhs., 
oder  den  Byronschen  Helden,  jenes  so  krause  Gemisch  heterogner  Eigen- 
schaften, und  man  wird  die  Richtigkeit  meiner  Behauptung  nicht  minder 
klar  erkennen.  Es  ist  gewifs  sehr  Billig,  zu  sagen,  dals  Goidsmith  in  sei- 
nem Vicar  dem  Vater  ein  Denkmal  ^etzt,  dals  Byron  in  seinen  (Stalten 
sich  fortwährend  selbst  photographiert  habe,  und  es  soll  hier  auch  nicht 
bestritten  werden,  dafs  der  wahre  Dichter  jeder  seiner  Schöpfungen  ein 
Teil  seines  Charakters  mit  auf  den  Weg  gibt,  aber  das  Verständnis  der 
dichterischen  Gestalten  wird  damit  nicht  erschöpft.  Das  erschliefst  uns 
erst  voll  die  Kenntnis  der  Evolution.  Sie  zeii^  uns  beispielsweise  die 
verschiedenen  Ingredienzen  des  Bvronschen  Heldentypus  und  ihr  Zusam- 
menfliefsen;  sie  zeigt  uns,  wie  schon  Shakspere  hier  die  Grundlinien  der 
Figur  schuf  mit  seinem  EMmund  Gloster  (der  Verbrecher  und  Liebling 
der  Frauen  ist),  Grundlinien,  die  Schiller  mit  seinem  Karl  Moor  vertiefte, 
während  Goethe  mit  seinem  Wer(her,  Chateaubriand  mit  seinem  Ren^, 
Benjamin  Constant  mit  Adolphe,  Etienne  S^nancour  mit  Obermann  usw. 
die  auf  die  Tränendrüsen  der  Leser  spekulierende  Melancholie  hinzufügten; 
und  über  all  das  gol's  nun  Byron  den  Zauber  der  blendenden  äufseren 
ErscheinunL',  und  sein  Held,  die  Krankheit  des  beginnenden  19.  Jhs., 
war  fertig.  So  allein  entstehen  solche  Charaktergebilde;  das  gleiche  Schau- 
spiel, nur  um  vieles  grofsartiger  und  gewaltiger,  zeigt  sich  bei  Shakspere. 
Bald  ist  es  der  einzelne  Charakter  (welch  weiter  Weg  vom  Miles  Gioriosus 
der  Romer  bis  zu  Falstaff"!),  bald  die  Fabel  (von  Geoffrey  of  Monmouth  geht 
der  Weg  des  Königs  Lear  bis  zu  Shakspere,  und  weiter  hinaus  zu  Bauacs 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  178 

'P^re  Gk>riot'  und  zu  Turgeniews  'Lear  der  Steppe');  hier  ist  ein  ewiger 
FIuJGs,  und  die  Tradition  bricht  nicht  ab.  Wir  sehen  also  schon,  der  Ge- 
winn derartiger,  die  literarische  Tradition  eines  Stoffes  untersuchenden  Ar- 
beiten kann  sehr  hoch  sein:  nicht  nur  vertiefen  sie  das  Verständnis  des 
Kunstwerkes,  nein,  sie  seben  uns  auch  einen  Einblick  in  das  Schaffen 
der  Eünstlerseele,  und  aas  ist  das  Höchste  und  Letzte  jeder  Literatur- 
forschung. 

Ich  begrüTse  daher  das  Erscheinen  der  eingangs  erwähnten  Arbeiten 
mit  grolfier  Freude  und  möchte  gern  ihre  Verdienste  anerkannt  sehen. 

Erbe  hat  sich  mit  dem  Locrinedrama  beschäftigt;  dies  gehört  bekannt- 
lich zu  den  sogenannten  pseudoshakspereschen  Stücken,  und  zwar  meines 
Erachtens  zu  denen,  die  am  wenigsten  Anspruch  darauf  machen  können,  in 
Zusammenhang  mit  Shakspere  gebracht  zu  werden.  Unter  den  Stücken, 
die  Unkenntnis  oder  buchhändlerische  Berechnung  später  unter  Shaksperes 
Namen  hat  erscheinen  lassen,  befinden  sich  immerhin  einiee,  die  des 
groDsen  Dichters  nicht  unwürdig  sind  und  ihrem  Werte  nach  von  ihm 
herrühren  können:  dies  gilt  aufser  von  'Perikles'  (wo  Shaksperes  Mit- 
arbeiterschaft ziemlich  sicher  ist)  von  *£dward  III.'  und  The  two  noble 
ktnsmen'.  Die  Frage  der  Autorscnaft  der  pseudoshakspereschen  Stücke  ge- 
hört ja  unzweifelhaft  zu  den  schwieri^ten  der  ganzen  Sbaksperekritik,  auch 
zu  den  bisher  am  wenigsten  in  Angriff  genommenen.  Ohne  neues  Material 
wird  sich  kaum  hier  Sicheres  saeen  lassen;  wohl  aber  steht  zu  hoffen, 
dafs,  wenn  die  reichen  Schätze  in  den  Archiven  der  englischen  Adelshäuser 
zugänglicher  gemacht  werden,  uns  eine  Fülle  neuer  Kenntnis  für  Shakspere 
und  seine  Zeit  zuteil  wird.  Bis  dahin  wird  die  Frage  nach  der  Autor- 
schaft der  pseudoshakspereschen  Dramen  eine  offene  bleiben  müssen. 

Gleichwohl  bin  ich  geneigt,  einiges  negative  schon  jetzt  zu  entscheiden ; 
ich  möchte  behaupten,  dals  der  *Locrine  ganz  aus  der  Beihe  der  täg- 
lichen Stücke  ausscheidet.  Weder  der  Abdruck  in  der  ;s.  Folio  von  l(>ö;5, 
noch  der  Druck  von  1595  mit  den  Initialen  W.  S.  als  Autor,  fallen  meines 
Erachtens  irgendwie  ins  Gewicht  ge^nüber  dem  äuüaerst  geringen  poeti- 
s<dien  Wert  des  Stückes  (Erbe  gibt  leider  nur  eine  Analyse  des  Stückes, 
keine  ästhetische  Würdigung,  vor  allem  keine  psycholodsche  Sezierung 
der  Charaktere).  Tieck  plädiert  zwar  für  die  Echtheit  (er  hat  es  in  seinem 
AÜenglischen  Theater  übersetzt) ;  aber  man  weils,  dafs  Tieck  ein  weni^  vor- 
eilig war  in  der  Annahme  der  Autorschaft  Shaksperes  für  zweifelhafte 
Stücke.  Der  'Locrine'  ist  ein  geistloses  Machwerk,  ein  Beispiel,  wie  ein 
wundervoller  Stoff  von  einem  unfähigen  Dichter  verdorben  werden  kann; 
die  Sprache  ist  bombastisch,  erinnert  an  Marlowe;  die  komischen  Szenen 
sind  höchst  unglücklich,  ganz  episodenhaft,  sie  wachsen  ^ar  nicht  in  die 
Haupthandlung  hinein,  und  wie  wundervoll  ist  gerade  dies  letztere  bei 
Shakspere  I 

Der  Stoff  des  *Locrine'  ist  freilich  prächtig;  mit  Recht  betont  Erbe 
die  poetische  Kraft  der  Locrinesage,  und  mit  !E^ht  bedauert  er,  dafs  der 
Ston  noch  nicht  den  genialen  Dramatiker  gefunden,  der  aus  ihm  ein  blei- 
bendes Bühnenwerk  geschaffen  hätte;  das  Zeug  zu  einem  solchen  trägt 
der  Stoff  in  sich.  Es  sind  alte,  ewige  Akkorde,  die  hier  erklingen:  von 
der  sinnlichen  Gier  des  Mannes,  der,  durch  die  Politik  an  ein  ungeliebtes 
Weib  gekettet,  in  wilder  Leidenschaft  zu  einem  anderen  Weibe  entbrennt, 
von  der  in  brunhildehafter  Eachgier  auflodernden  verschmähten  Gattin, 
von  dem  Tode  des  treulosen  Gatten  oder  der  glücklicheren  Nebenbuhlerin. 
£b  sind  dieselben  Akkorde,  die  Bacine  in  der  Andromaque,  Körner  in  der 
Kosamunde  Glifford,  Grillparzer  in  der  'Jüdin  von  Toledo'  angeschlagen 
hat;  auchPonsard  hat  in  seiner  'Agnes  de  M^ranie'  einen  ähnlichen  Stoff 
mit  Glück  behandelt.  Vielleicht  findet  auch  der  'Locrine'  noch  seinen 
Ketter;  unsere  heutigen  Dramatiker  scheinen  ihre  Aufmerksamkeit  dem 
altenglischen  Drama  zuwenden  zu  wollen ;  nun,  der  'Locrine'  verdient  eine 


174  Beuiteilangen  und  kurze  Anzeigen. 

Neubelebung  nicht  minder  als   Massingers  'Fatal  Dowry'  und  Otways 
'Venice  Preserved*. 

Erbe  untersucht  in  seiner  Schrift  den  Werdegang  der  Locrinesage  vor 
und  nach  dem  Drama,  wodurch  sich  die  beiden  Uauptteile  seiner  Arbeit 
ergeben.  Fflr  den  ersten  Teil  kommen  so  ziemlich  dieselben  Werke  in 
Betracht  wie  für  Lear  (s.  u.);  Geoffrey  ist  der  Ausg»uinpunkt,  meiocs 
Erachtens  auch  der  Erfinder  (an  die  echte,  volkstümlidie  Sage  glaube  ich 
bei  Locrine  so  wenig  wie  bei  Macbeth  und  Lear)  Von  Geonrev  ^eht  der 
Stofi'  durch  zahlreiche  Zwischenstufen  (darunter  die  Brutbearbeitungen : 
Münchener  Brut,  Wace,  Layamon,  wohl  die  künstlerischsten  Versionen) 
bis  zu  den  Chronisten  des  iU.  Jhs.:  Hardyng,  Fabian,  Graf  ton,  Mirror 
for  Magistrates,  Stow,  Holinshed;  auch  Spenser,  Lodge,  Hanrey  kennen 
die  Sage. 

Interessanter  ist  die  Weitereeschichte  des  Stoffes  nach  dem  Drama. 
Schon  das  ist  ein  Zeichen  für  den  geringen  Wert  des  Dramas,  dafs  die 
literarische  Tradition  nicht  nach  ihm  verstummt  wie  bei  den  grolken  Tra> 
K&dien  Shaksperes.  So  gewaltig  die  Vorgeschichte  zu  Hamlet,  Lear, 
Macbeth,  Othello,  Romeo  and  Juliet  ist,  so  wenig  dbt  es  einen  Weiter- 
gang dieser  Stoffe  nach  Shakspere,  er  sprach  eben  hier  das  letzte  Wort; 
gewaltig  ist  nur  das  Nachleben  seiner  Dramen,  so  gewaltig,  so  dominie- 
rend, dafs  es  keinem  gelang,  das  gleiche  Motiv  in  noch  so  abweichender 
Umgebung  zu  behandeln,  ohne  fortwährend  an  Shakspere  anzuklin^o 
(Gottfried  Keller,  Balzac,  Turgenjew).  Der  Locrinestoff  dagegen  wird  weiter 
behandelt,  eben  weil  das  Drama  so  wenig  als  letzte  Darstellung  gelten 
konnte:  wir  haben  eine  Ballade  *Duke  of  Cornwairs  Daughter'  von  sehr 
unsicherer  Datierung  (gedr.  1784),  sodann  die  Hineinziehune  der  Sage  in 
Miltons  'Comus'  (Sabrina,  die  Nymphe  des  Sevem),  vor  allem  aber  das 
fünfffesängige  Epos  von  Morgan,  Kavanagh ;  es  stammt  aus  1839  und  ist 
Soutney  gewidmet.  Die  Behandlung  des  Gegenstandes  ist  sehr  frei;  Erbe 
nennt  es  die  würdigste  und  poesievollste  Bearbdtung  der  Sase.  Die  letzte 
Version  ist  das  Drama  Swinbumes  (1887),  ein  'Buchdrama,  fflr  die  Bühne 
ungeei«^et\ 

Erbe  vergleicht  sodann,  nach  der  Übersicht  und  kurzen  Skizzierung 
sämtlicher  Versionen,  die  alten  Sagenbearbeitungen  auf  ihren  Inhalt  hin, 
indem  er  Geoffrey  zugrunde  legt  und  wichtigere  Abweichungen  in  den 
späteren  Autoren  parallel  druckt;  auf  Grund  der  durch  diese  Vcrgleichung 
erlangten  Resultate  sucht  er  sodann  die  Frage  nach  den  Quellen  des 
Dramas  zu  beantworten.  In  eingehender,  überzeu^nder  Weise  legt  der 
Verfasser  dar,  dafs  Geofirey  die  Hauptauelle  des  Dramas  ist,  und  dafs 
neben  ihm  noch  Caxton  und  Holinshed  oenutzt  worden  sind.  Ganz  aus- 
geschaltet hat  Erbe  leider  die  ästhetische  Betrachtung,  darin  liegt  mdnes 
Erachtens  ein  Mangel.  Fragen  nach  dem  tragischen  Gehalt  des  Dramas, 
der  psychologischen  Ausgestaltung  der  Charaktere,  der  künstlerischen 
Motivierung  der  Vorgänge  nätten  wohl  mehr  Baum  finden  können.  Davon 
abgesehen,  ist  Erbes  Buch  eine  sehr  annehmbare  Leistung  von  wiasen- 
Bchaftlichem  Werte. 

Perretts  Buch  über  'King  Lear  from  Geoffrey  to  Shakespeare'  ist  ganz 
trefflich.  Alles,  was  man  von  einem  \Verke,  das  auf  Wissenschaftlichkeit 
Anspruch  erhebt,  zu  fordern  berechtigt  ist,  mufs  hier  nachgerühmt  werden: 
vollständige  Beherrschung  der  einscnlägigen  Literatur,  ruhige  Sicherheit 
des  Urteils,  neue  positive  Resultate  und  eine  vornehme,  elegante  Sprache. 
Das  Buch  liest  sich  gut;  Pcrrett  versteht  die  seltene  Kunst,  zugleich 
wissenschaftlich  und  interessant  zu  schreiben,  mit  welcher  Banerkung  ich 
sein  Werk  hoffentlich  nicht  bei  denen  diskreditiere,  die  beides  immer  noch 
für  unvereinbare  Gegensätze  halten. 

Im  ersten  Kapitel  *Geoffrey  of  Monmouth'  (S.  1 — 28)  untersucht  der 
Verfasser  die  Herkunft  des  btoffeö.    Er  räumt  zunächst  mit  den  pr&gal- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  175 

fredischen  Theorien  auf;  es  ist  nichts,  weder  mit  der  fauU  de  mieux  auf- 
gestellten Hypothese  von  einem  keltischen  Ursprung  des  Learstoffes,  noch 
mit  der  Entdeckung  De  Gubematis'  von  einem  indischen  'Ur-Lear'.  Es 
hat  ja  viel  Verführerisches  an  sich,  in  Indien,  der  Heimat  so  vieler  wan- 
dernden Sagen,  auch  nach  dem  Quell  des  Lear  zu  suchen;  aber  die  Pa- 
rallele aus  dem  MahäbhArata,  welche  De  Gubematis  als  'King  Lear  in 
embryo'  bezeichnet,  genügt  denn  doch  nicht  den  bescheidensten  Anforde- 
rungen an  Parallelismus.  Die  Liebesprobe,  welcher  der  Vater  seine  Töchter 
unterwirft,  der  Kern  des  Learstoffes,  fehlt  im  Indischen,  und  ohne  diesen 
Kern  kann  von  einer  Verwandtschaft  nicht  gesprochen  werden.  Sehr  scharf- 
sinnig sind  des  Verfassers  Ausführun^n  über  einen  keltischen  Ursprung 
des  Stoffes:  weder  in  einer  keltischen  Volkssage  noch  in  einem  einfachen 
Naturmythus  (so  nahm  Alfred  Nutt  an)  haben  wir  nach  Perrett  die  Basis 
der  Leargeschichte  zu  suchen. 

Vielmehr  ist  der  Lear,  als  Ganzes,  nicht  auf  seine  Teile  hin  betrachtet, 
durchaus  GeofiTreys  Erfindung;  das  ist  das  gesicherte  Ergebnis  der  Unter- 
suchung Perretts.  Ich  glaube  noch  weniger  als  Perrett  an  das  *librum 
vetustissimum  britannici  sermonis',  das  Geoffrey  benutzt  haben  will;  das 
ist  ein  literarischer  Kunstgriff,  der  in  mittelalterlichen  Chroniken  zu  häufig 
begegnet,  um  nicht  mit  äuTserstem  Milstrauen  aufgenommen  zu  werden. 
Geoffrey,  in  seinem  Bestreben,  seinem  Volke  eine  sagenhafte  Vorgeschichte 
zu  bieten,  füllte  die  Lücken  in  Nennius  (79(5)  mit  einer  Schar  satter, 
lebensvoller  Gestalten  aus;  dals  er  in  dem,  was  er  von  diesen  erzählt, 
nicht  immer  original  war,  tut  der  Originalität  der  Gestalten  keinen  Ab- 
bruch. Nicht  die  Aneimung  fremder  Stoffe  macht  den  Plagiator  (dann 
wären  Shakspere  und  Möllere  die  gröfsten  Plagiatoren),  sondern  das  Wie, 
die  Aufnahme  und  Wiedergabe,  unterscheidet  den  originalen  Dichter  und 
den  bloisen  Nachtreter;  und  Geoffrey  war  ein  Original. 

Geoffrey  machte  Lear  zum  Gründer  von  Ijcicester;  der  Chronist  hat 
eine  fast  verdächtige  Vorliebe  für  solche  Erklärungen  von  Ortsnamen 
(Perrett  S.  5  f.).  Leicester  ist  vielmehr  L^recastra,  nach  dem  Flusse  Legra 
(oder  Loar).  Für  die  Geschichte  von  König  Lear  und  seinen  Töchtern 
verwendete  Geoffrey  nun  2wei  uralte  Märchenmotive,  die  Liebesprobe  und 
die  kindliche  Undankbarkeit.  Die  Liebesprobe,  der  Lear  seine  drei  Töchter 
unterwirft,  geht  zurück  auf  das  'Salzmotiv':  die  eine  Tochter  antwortet 
dem  Vater  auf  die  Frage  nach  der  Höhe  ihrer  Liebe,  'sie  liebe  ihn  wie 
das  Salz'. 

Perrett  bringt  hierfür  26  bezw.  *25  Varianten;  gut  ist  seine  Bemer- 
kung, dafs  diese  internationale  Fabel  eine  tendenziöse  Erfindung  sei,  den 
anscheinend  geringen,  tatsächlich  so  hohen  Wert  des  Salzes  einander  gegen- 
überzustellen. Das  zweite  Motiv  von  der  kindlichen  Undankbarkeit  (der 
älteren  Töchter)  gegen  den  allzu  gütigen  Vater  ist  zwar  oft,  wie  in  den 
Learbearbeitungen  und  in  den  meisten  'Salzgeschichten',  mit  dem  ersteren 
Motiv  verbunden ;  nötig  ist  dieses  keineswegs.  Ursprünglich  ist  das  zweite 
Motiv  durchaus  unabhängig,  ja,  es  ist  sogar  das  umfassendere  von  beiden. 

Nach  A.  Toblers  Einteilung  zerfallen  die  Erzählungen  von  dem  allzu 
vertrauensseligen  Vater  (der  allen  Geschichten  gemeinsam  ist)  in  drei 
Gruppen:  1)  die  bevorzugten  Kinder  sind  undankbar,  und  die  zurück- 
setzten und  verkannten  sind  dankbar;  dahin  würden  der  Learstoff  und 
die  meisten  'Salzgeschichten'  gehören;  2)  der  undankbare  Sohn  wird  durch 
das  Beispiel  seines  eigenen  Sohnes  zur  Erkenntnis  seiner  Schlechtigkeit 
und  zur  Umkcdir  gebracht;  dahin  gehören  unter  anderem  das  altfranzö- 
sische  Fablel  *La  Houce  partie',  die  mittelhochdeutsche  Erzählung  'Der 
Kotze',  in  weiterem  Sinne  auch  das  von  Stanislas  Julien  mitgeteilte  chine- 
sische Volksmärchen  aus  den  Avadänas  (Paris  1859);  8)  der  Vater  bringt 
die  undankbaren  Kinder  durch  die  Täuschung,  er  habe  noch  Schätze  zurück- 
behalten, dahin,  ihn  wieder  mit  Liebe  zu  oehandeln.    Grundform  dieser 


176  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Gruppe  ist  die  auch  von  Perrett  angeführte  G^chichte  vom  'Schier  in 
Paulis  'Schimpf  und  Ernst',  deren  zahllose  Varianten  sich  so  ziemlich  bei 
allen  indoeuropäischen  Völkern  finden.  Durchaus  treffend  ist  die  schon 
von  Simrock  gemachte  und  von  Perrett  wiederholte  Bemerkung,  da&  in 
jener  Erzählung  ein  Best  alten  Heidentums  stecke,  eine  Erinnerung  ao 
den  barbarischen  Gebrauch  vieler  Völker,  die  untauglichen  Greise  durch 
ihre  eigenen  Söhne  (oder  nächste  Verwandte)  mit  einer  Keule  oder  einem 
Hammer  erschlagen  zu  lassen  (vgl.  dazu  Erwin  Bohde,  Der  grieehiseke 
Romano  1900;  S.  247,  oder  Massingers  Stück  'The  Old  Law').  Es  ist  eme 
Lieblingsansicht  von  mir,  derartige  internationale  Fabelmotive  als  Beste 
alter  Bechtssitten  und  Volksbräucne  aufzufassen,  und  nur  ungern  habe 
ich  seinerzeit  Simrocks  Erklärung  des  wandelnden  Waldes  abgewiesen. 
Hier  stimmt  die  Sache  nicht;  wohl  aber  wird  kein  Zweifel  daran  sein, 
dafs  in  dem  oft  beeeKuenden  Motiv  des  Kampfes  zwischen  Vater  und 
Sohn  (Hildebrand-Haaubrand,  Bosthem-Suhrab)  eine  Erinnerung  vor- 
liegt an  den  uralten  Bechtsbrauch  mancher  Naturvölker,  wonach  der 
Vater,  der  Herr  des  Hauses,  sowie  Zweifei  an  seiner  Tüchtigkdt  und 
Fähigkeit  berechtigt  werden,  sein  Anrecht,  das  Haupt  des  Hauses  zu  sein, 
durch  einen  Kampf  mit  dem  Sohne  von  neuem  erweisen  mulste.  Ebenso 
sicher  ist  es,  dals  die  'Shylock-Fabel'  ihre  Entstehung  verdankt  dem  Stre- 
ben milderer  Zeiten,  alte  barbarische,  aber  noch  in  Kraft  bestehende 
Gesetze,  deren  Wortlaut  man  nicht  gern  anfechten  wollte,  durch  besonders 
scharfsinnige,  fein  ausgetüftelte  Deutung  zu  umgehen. 

Geoffrey  verband  also  für  seinen  L^ar  die  beiden  obigen  Motive  von 
der  Liebesprobe  und  der  kindlichen  Undankbarkeit;  vielleicht  auch  hat 
er  sie  schon  irgendwo  verbunden  gefunden;  das  wird  sich  schwer  entschei- 
den lassen.  Das  Salz  freilich  schaltete  er  aus,  wohl  aus  äulseren  Gründen; 
bei  ihm  gibt  Cordelia  die  nur  'mit  attischem  Salz  gewürzte'  Antwort: 
'Quantum  habe«,  tantum  vales,  tantumque  te  diligo*.  Aus  Eigenem  hinzu- 
gefügt hat  Geoffrey  den  tragischen  Ausgang  (der  freilich  später  als  bei 
Shakspere  eintritt),  denn  in  den  verwandten  volkstümlichen  Greschichten 
endet  die  Sache  fröhlich.  Diese  Wandlung  ist  nach  Perrett  ein  keltischer 
Einschlag  (S.  25  ff.);  nach  ihm  haben  die  keltischen  Stofife  alle  eine  Nei- 
gung zu  tragischem  Ausgang:  die  Bösen  siegen  zumeist,  und  die  Guten 
gehen  unter. 

Ich  habe  bei  der  Betrachtung  des  ersten  Kapitels  länger  verweilt, 
einmal  weil  es  wegen  des  vielen  Neuen  am  meisten  Interesse  hat,  sodann 
weil  es  mich  besonders  anzog  wegen  der  Parallele  zu  'Macbeth'.  Die  Ähn- 
lichkeit ist  frappant;  in  beiden  Fallen  haben  wir  das  bleiche  kunstmälsige, 
wohlüberlegte  Schaden  (das  freilich  auch  mit  volkstümlichen  Stoften 
arbeitet) ;  nur,  dafs  es  sich  in  dem  einen  Fall  um  eine  frei  erfundene  (Lear), 
in  dem  anderen  um  eine  geschichtliche  Persönlichkeit  (Macbeth)  handelt. 
Durch  Hineinziehung  des  Yolkselementes  nun  wandeln  Geoffrey  das  Mär- 
chen, Wyntoun  die  Geschichte  zur  Sage,  aber  wohlgemerkt:  zur  Kunstsage, 
nicht  Volkssage! 

Im  zweiten  Teil  seines  Buches  (S.  29 — 142)  schildert  Perrett  die  Evo- 
lution des  Stoffes  von  Geoffrey  zu  Shakspere  durch  57  Zwischenstufen, 
deren  genealogischen  Zusammenhang  eine  am  Eingänge  des  Buches  ab- 
gedruckte übersichtliche  Tabelle  veranschaulicht.  Aus  der  Fülle  der  Zwi- 
schenstufen, deren  Stellung  und  Wert  der  Verfasser  eing^end  würdigt, 
hebe  ich  als  besonders  wichtig  hervor:  die  wallisischen  Übersetzun- 
gen (S.  7),  bei  deren  Betrachtung  Perrett  nachweist,  dafs  der  Brut  Tisylio 
nicht,  wie  früher  (z.  B.  von  Simrock,  Ward)  angenommen,  Geoffreys  Vor- 
lage war,  vielmehr  umgekehrt  auf  diesem  beruht,  den  Layatnon  (8.  8), 
die  Leargeschichten  in  den  Oesta  Romanorum  (S.  23— *25),  wo  der  Ver- 
fasser wieder  zu  dem  entgegengesetzten  Ereebnis  wie  Simrock  gelangt,  der 
die  Geschichte  vom  Kaiser  Theodosius  und  seinen  drei  Töchtern  für  die 


Beurteilnngen  und  kurze  Anzeigen.  177 

Quelle  zu  Geofheys  Lear  hielt,  den  Mirror  for  Magistraten  (8.  48), 
Spen»er*8  Fairie  Queene  (8.  51):  Prinz  Artur  liest  im  Hause  der 
Temperance  eine  alte  Chronik  seiner  Vorfahren,  darin  auch  die  Geschichte 
Lears  (Buch  II,  Ges.  10),  The  Old  Play  (8.  53):  das  alte  8tück  beruht 
auf  dem  Mirror  for  Magistrates,  der  Fairie  Queene  und  Warner's  Albion ; 
über  den  Verfasser  des  rrä-Lear  wagt  Perrett  nichts  zu  entscheiden,  die 
alten  Hypothesen  (man  dachte  auDser  an  Shakspere  an  Eyd,  Marlowe, 
Lodge,  Jreele,  Greene,  auch  an  eine  Kollaboration  mehrerer  Autoren)  sind 
sehr  unsicher  fundiert;  Bchlielislich  The  Bailad  (8.  57):  hier  steht  die 
Frage  im  Vordergrunde,  ob  die  Ballade  älter  oder  jünger  sei  als  8hak- 
speree  Lear;  Perrett  spricht  sich  für  die  letztere  Annahme  aus,  nach 
ihm  hat  der  Balladendichter  Shakspere  gekannt  und  benutzt,  daneben 
Hollnshed. 

Der  dritte  sehr  umfangreiche  Teil  (8.  143 — 289)  ist  8hakspere  ge- 
widmet; hier  ist  der  Verfasser  mir  bisweilen  zu  scharfsinnig:  er  sieht 
Schwierigkeiten,  Probleme,  wo  keine  sind.  Gleich  seine  lange  Kontro- 
verse, OD  eingangs  equalitiea  (so  Qi)  oder  qualities  (F,)  zu  lesen  ist, 
erscheint  mir,  wenn  auch  nicht  überflüssig,  so  doch  in  gar  keinem  Ver- 
hältnis zu  der  Bedeutung  dieser  Variante.  Ich  sehe  wMer  ein,  wo  die 
Schwierigkeiten  bei  der  I^art  equalities  lic^n,  noch  begreife  ich,  wie  die 
vermeintlichen  Schwierigkeiten  (die  viele  Kritiker,  auch  Perrett,  hier  finden) 
durch  das  von  Perrett  bevorzugt«  qualities  beseitigt  werden.  Selbstver- 
ständlich sprechen  Gloster  und  Kent  in  der  ersten  Szene  nur  von  den 
Anteilen  Gonerils  und  Regans,  und  die  können  so  mathematisch  gleich 
(equalities)  sein,  wie  sie  wollen,  darum  kann  Cordelias  Anteil  doch  gröiser 
sein.  Wenn  Lear  bei  der  Ausstattung  Begans  nachher  von  this  ample 
third,  no  less  in  spaee,  validity  and  pleasure,  than  that  conferred  on  Ooneril 
spricht,  so  ist  natürlich  nicht  an  ein  mathematisches  Drittel  zu  denken 
(oann  mülsten  alle  Töchter  exakt  gleiche  Teile  bekommen),  wie  das  un- 
mathematische a  third  more  opulent  than  your  sisters  zu  Cordelia  beweist. 
Auch  die  Lesart  qualities  vertragt  sich  doch  nur  (wie  Perrett  8.  151  zu- 
geben muis)  mit  einer  weiteren  Deutune  des  third;  wo  liegt  hier  also  die 
Schwierigkeit,  die  Perrett  sieht  (One  diffieuUy  is  renuwed)! 

Abgesehen  von  diesen  Subtiiitäten,  denen  oft  bei  ihrer  allzu  feinen 
Zuspitzung  die  Spitze  abbricht,  enthält  der  dritte  Teil  nicht  minder  feine, 
vortrefflich  beobachtete  Einzelheiten  wie  die  beiden  vorhergehenden ;  so  die 
Bemerkungen  über  die  Bolle  des  Narren  (Appendix  II,  S.  300).  Perrett 
sieht  in  dem  Narren  weniger  eine  Person  von  Fleisch  und  Blut  als  eine 
symbolische  Deutung  auf  C^rdelia ;  er  ist  der  Vertreter  ihrer  Wahrhaftigkeit 
nach  ihrem  Wegeang  von  der  Bühne  (sowie  er  anderseits  verschwindet, 
als  sie  wieder  auftritt);  'in  this  respect  ihe  two  charaeters  are  one'.  Das 
ist  richtig,  der  Narr  hat  keine  Individualität,  wie  er  auch  keine  Geschichte 
hat;  gleichwohl  möchte  ich  nicht  soweit  gehen  wie  Perrett,  der  verlang, 
Cordelia  und  der  Narr  sollen  von  einer  Künstlerin  dargestellt  werden  (wie 
wahrscheinlich  zu  Shaksperes  Zeiten) !  Der  Narr  ist  doch  nicht  die  in  Wams 
und  Hosen  verkappt  zurückgebliebene  Cordelia;  es  besteht  zwischen  ihnen 
eine  Obereinstimmung  nach  der  Innenseite  ihres  Wesens,  wie  sie  beispiels- 
weise bei  Viola  und  Sebastian  für  die  äufsere  Erscheinung  besteht;  ebenso- 
wenig wie  ich  hier  das  Tun  mancher  Bühnenleiter  billigen  kann,  beide 
Rollen  derselben  Künstlerin  anzuvertrauen,  kann  ich  es  lur  Cordelia  und 
den  Narren  wünschen;  auch  der  Gewinn  für  die  Darstellung  scheint  mir 
zweifelhaft. 

Der  Lösung  der  Quellenfrage  für  Shaksperes  Lear  (nach  Perrett  be- 
nutzte Shakspere  lür  sein  Drama  Geoffrey,  Spenser,  Holinshed,  Camden, 
den  Mirror,  aas  alte  Drama)  wird  man  unbedenkllich  zustimmen  können. 

Ich  kann  jedem  Shaksperefrennde  die  Lektüre  des  Perrettschen  Buchee 
nur  auf  das  wärmste  anraten. 

Anhxf  L  a.  Sprachen.    CXVI.  12 


178  Beurtetlungen  und  kurze  Anzeigen. 

Bode,  der  zweite  Bearbeiter  des  Learstoffes,  hat  in  sdnem  Buche  die 
Grenzen  der  ünterBuchnng  erheblich  enger  gezogen  als  Perrett,  was  an 
»ich  kdn  Vorwurf  sein  soll.  Er  geht  zunächst  in  seinen  Forschungen 
nicht  über  Geoffrey  hinaus,  sondern  glaubt  noch  an  die  alte,  von  Perrett 
nunmehr  als  unhaltbar  nachgewiesene  Ansicht  von  einer  keltischen  Safe. 
Sodann  berücksichtigt  Bode  nur  die  'nichtdramatischen  B^andlungen  des 
Stoffes  vor  Shakspere',  schaltet  also  aus  das  präshakspereeche  Drama  und 
ferner  die  Ballade;  doch  TerheiÜBt  uns  der  Verfasser  eine  Fortsetzung  sei- 
ner Arbeit,  die  sich  gerade  mit  diesen  beiden  Versionen,  und  zwar  unter 
steter  Bezugnahme  auf  Shakspere,  beschäftigen  solL  Für  die  Behandlung 
des  somit  übrigbleibenden  Teils  hat  der  Autor  dne  Form  gewählt,  die 
gerade  durch  ihre  völlige  Abwdchung  von  Perretts  Darstellung  interessant 
ist.  Während  letzterer  jede  Version  besonders  untersucht,  gibt  Bode  zu- 
nächst eine  Aufzählung  aller  Bearbeitungen  mit  den  nötigen  Mitteilungen 
über  Alter,  Zahl  der  Handschriften  bezw.  Drucke,  wobei  möglichste  Voll- 
ständigkeit erstrebt  ist,  sodann  (8.  37  ff.)  den  Inhalt  der  Quellen  in  der 
Weise,  dafs  Geoffrey  und  Caxton  parallel,  die  anderen  Texte  kurz  skizziert 
unter  dem  Strich  gedruckt  werden.  Auf  Grund  dieser  Verj^leichung  unter- 
sucht der  Verfasser  im  dritten  Kapitel  das  Abhängi^keitsyerhältnis  der 
einzelnen  Versionen  (S.  97—108),  wobei  er  in  der  Placierung  unbedeuten- 
derer Denkmäler  bisweilen  zu  abweichenden  Resultaten  von  Perrett  gelangt. 
Im  vierten  Kapitel  wird  die  Sache  selbst  betrachtet  (S.  109 — 185),  und 
zwar  in  der  Weise,  dafs  Bode  die  G^chichte  vom  König  Lear  erzählt, 
ihrem  bekannten  Verlaufe  nach,  und  jedesmal  die  einzelnen  Darsteller  in 
ihren  gröfseren  oder  geringeren  Abweichungen  erwähnt,  eine  Form,  für 
und  ^egen  die  sich  manches  sagen  läfst.  Nicht  zu  ihrem  Becht  kommt 
bei  dieser  Methode  die  Persönlichkeit  des  jedesmaligen  Autors,  der  g^z 
und  gar  verschwindet,  wogegen  die  Fabel  mit  all  ihren  feinen  Einzelheiten 
und  Abweichungen  in  der  F^rzählung  der  verschiedenen  Momente  um  so 
mehr  zur  Geltung  kommt. 

Wenn  Bode  in  seiner  Schlufsbetrachtung  dem  Lear  die  'grofszüp;ige 
Entwicklung*  abspricht  und  den  Grund  hierfür  in  dem  anfänglich  fertigen 
Charakter  der  Sage  sieht,  so  ist  dies  richtig  bis  auf  die  Bemerkung,  daf^ 
Geoffrey  die  Sage  fertig  vorfand,  die  dahin  zu  verbessern  ist,  daüs  et  sie 
aus  verschiedeneu  volkstümlichen  Elementen,  die  er  um  die  frei  erfundene 
Gestalt  Lears  rankte,  schuf.  Die  Evolution  betrifft  eben  bisweilen  grofse, 
einschneidende  Veränderungen  (das  Beispiel  hierfür  ist  der  'Macbeth^,  bis- 
weilen feine  Polierungen  des  Details. 

Der  Bodeschen  Arbeit  ist  Vollständigkeit  des  Materials  und  gutes 
Urteil  über  die  einzelnen  Learbearbeitungen  nachzurühmen;  es  ist  eine 
sorgfältige,  anerkennenswerte  Leistung.  Ein  endgültiges  Urteil  möchte  ich 
mir  noch  vorbehalten,  bis  der  zweite  Teil,  der  naturgemäfse  Abschlufs 
des  bisher  erschienenen,  vorliegt,  der  hoffentlich  nicht  (wie  Idder  so  oft) 
ad  calendas  grsecas  vertagt  wira. 

Berlin.  Ernst  KrÖger. 

Thomas  Hughes,  Tom  Brownes  school  days  by  an  old  boy.  In 
gekürzter  Fassung  für  den  Schulgebrauch  herausg^eben  von  Pro- 
fessor Dr.  HaDS  Heim,  Darmstadt.  Mit  13  Abbildungen  und  Plänen. 
(Frevtags  Sammlung  französischer  und  englischer  Schriftsteller.)  Leipzig 
und 'Wien,  1904.    162  S.  8.    Geb.  M.  1,80.    Wörterbuch  M.  0,60. 

Von  früheren  Schulausgaben  sind  mir  die  von  C.  Thiem,  Berlin, 
Simion,  1884,  J.  Schmidt,  Taudinitz,  Students'  Series,  2  Bände,  0.  Beichel, 
Gotha,  Perthes,  1903,  bekannt.  Am  schwächsten  ist  die  erste,  am  besten 
die  zweite;  doch  auch  die  letztgenannte  ist  fleüsig  gearbeitet  Die  hier 
gebotene  ist  sehr  selbständig;   sie  zeichnet  sich  aus  durch  äulserst  zuver- 


Beurteilangeii  und  kurze  Anzeigen.  179 

lässig  Erklärung  der  Dinge  und  Angaben  der  Auseprache.  Ein  jedes 
Schriftwerk,  das  sich  mit  dem  täglichen  Leben  eines  Volkes  in  irgendeinem 
Ausschnitt  befafet,  verlangt  zu  seinem  Verständnis  eine  genaue  Kenntnis 
dieses  Volkes  wie  seiner  Sprache.  Diese  scheinbar  sdbstverständiiche 
Tatsache  kommt  doch  nicht  jedem  zum  Bewufstseini  sonst  worden  sich 
nicht  so  viele  Unberufene  an  die  Erklärung  fremder  Schriftwerke  machen ; 
sie  glauben  das  mit  ein  paar  ^druckten  Hilfsmitteln  schaffen  zu  können. 
Nein,  wer  hier  etwas  leisten  will,  mufs  Volk  und  Sprache  aus  eigener  An- 
schauung kennen.  Eine  gute  Ausgabe  mit  Anmerkungen  ist,  abgesehen 
von  ihren  anderen  Leistungen,  immer  ein  Bealienbuch,  und  dies  gilt  von 
Heims  vorli^ender  in  allen  Stücken.  Es  gibt  jetzt  bei  uns  eine  'Kanon'- 
bewegung.  wenn  diese  je  dahin  gehen  wollte,  den  neusprachlichen  Leh- 
rern Bääer  als  verbindlichen  Lesestoff  aufzudrängen,  so  müTste  jeder, 
der  gern  seine  eigene  Vernunft  gebraucht,  sich  mit  Händen  und  Ffiisen 

fegen  solches  Papsttum  sträuben.  Will  sich  aber  die  sogenannte  Kanon - 
ommission  damit  begnügen,  Listen  von  Büchern  aufzustellen,  welche  ihres 
Inhalts  wegen  und  weil  nach  dem  Urteil  der  zustehenden  Kritiker  gute 
Ausgaben  davon  vorhanden  sind,  Empfehlung  verdienen,  so  soll  sie  will- 
kommen sein.  Beide  Erfordernisse  treffen  bei  Tom  Browns  School  Days 
und  Heims  Bearbeitung  davon  zu.  Es  ist  darin  kein  Obermals  von  &- 
klärungen,  wie  das  leider  vielfach  Mode  geworden  ist,  aber  das  der  Er- 
klärung Bedürftige  ist  ausreichend  und  vor  allem  treffend  erklärt;  und 
eine  Anzahl  Bilder  kommt  der  Anschauung  zu  Hilfe.  Über  Rugby  School 
wird  erschöpfende  Auskunft  eeboten;  sie  geht  wie  das  übrige  auf  selb- 
ständige Forschung  an  den  Quellen  zurück.  Auf  den  31  Seiten  Bemer- 
kungen sind  kaum  zwei  oder  drei,  an  denen  ich  etwas  zu  ändern  hätte. 
iquare-headed  möchte  ich  mit  tue  earrie,  womit  die  Franzosen  die  Deut- 
schen schimpfen,  vergleichen;  snak^headed  ist  richtig  übersetzt  mit  *mit 
biegsamem,  elastischem  Hals'.  H.  wird  einem  englischem  Boxen  einmal 
beigewohnt  haben;  da  wird  ihm  das  eigentümliche  Vorschiefsen  und  Zu- 
rücKziehen  des  Kopfes  beim  Stofs  und  der  Parade  aufgefallen  sein.  Ein 
Kuter  Boxer  mufs  m  der  Tat  einen  Schlangenhals  haben,  muüioned  Win- 
dows: 'Pfeilerfenster,  breite,  senkrecht  geteilte  Fenster*,  'breite'  würde  ich 
streichen.  ocUeh  me/  'das  lafs  ich  bleiben'.  Es  könnte  noch  hinzugefügt 
werden:  die  vollere  Form  lautet  oateh  me  doing  that  oder  mit  ähnlichem 
Grerundium  oder  Partizip. 

eraft  wurde  meines  Wissens  von  jedem  Handwerk  und  jeder  Kunst 
gebraucht.  Eine  Erklärung  von  as  mad  as  a  hatter,  die  mir  völlig  ein- 
feuchtete, findet  sich  in  Notes  and  Queries,  8^^  series,  XII,  2l:H.  Bei  like 
a  young  bear  braucht  man,  glaube  ich,  nur  an  die  bekannte  Physiologus- 
mär,  dafs  die  Bärenmutter  ihre  Junten  licks  into  shape,  zu  denken.  In 
sorgfältiger  Aussprache  hört  man  einen  Unterschied  zwischen  Francis, 
das  kurzes  i  hat,  und  Frances,  dessen  letzter  Vokal  zwischen  e  und  i 
liegt. 

Le  Juge,  Das  Englische  Beer  1896,  gibt  das  indische  Heer  auf 
281500  Mann,  wovon  77500  Mann  Engländer,  an.  —  Die  Ausgabe  ist 
eine  Musterleistung.  Möge  der  Verfasser  uns  Tom  Brown  at  Oxford 
ebenso  bearbeiten. 

Berlin.  G.  Krueger. 

1)  H.  Plate,  Lehrgang  der  englischen  Sprache.  Erster  Teil:  Unter- 
stufe. 7y.  Aufl.,  bearb.  von  Ör,  Gustav  Tanger.  Leipzig-Dresden- 
Bö-lin,  L.  Ehlermann,  1903.    271  S.    M.  1,80,  geb.  M.  2,40. 

2)  John  Kochy  Elementarbuch  der  endischen  Sprache^  neu  bearbeitet 
30.  Aufl.  Ausgabe  B.  Hamburg,  Henri  Grand,  1904.  218  8.  Geb. 
M.  2,10. 

12» 


180  ßeurteilungeii  und  kurze  Anzeigen. 

3)  £.  Nader,  English  grammar  with  exercises  (II.  Teil  des  Lehrbuches 
der  engliechen  Sprache  für  Mädchen-Lyzeen  und  verwandte  Anstalten). 
Wien,  Alfred  Holder,  1903.    224  S.    Geb.  M.  2,80. 

4)  Wilhelm  Swoboda,  Elementarbach  der  englischen  Sprache  für 
Itealschulen.  Wien  und  Leipzig,  Franz  Deuticke,  1904.  167  8.  Geb. 
M.  2. 

5)  J.  C.  G.  Gras^  Idiom  and  grammar  for  higher  forms  on  an  in- 
ductive  plan.  Gronineen,  J.  B.  Wolters,  1904.  112  u.  80  8.  (Condse 
Grammar)  u.  15  8.  (äercises).    fL  1,90. 

6)  H.  Poutsma,  A  grammar  of  Laie  Modem  Enelish,  for  the  use 
of  Continental,  especially  Dutch,  students.  Part  I.  The  sentence. 
Section  I.  The  elements  of  the  sentence.  Groningen,  P.  Noordhoff, 
1904.    348  8.    M.  4,50. 

WoUte  man  die  verschiedenen  Lehrbücher  der  neueren  Sprachen ^ach 
ihren  Methoden  einteilen,  so  mülste  man,  um  einigermalsen  einen  Über- 
blick zu  erhalten,  zunächst  zwei  grolse  Hauptklassen  unterscheiden:  die 
der  alten  oder  grammatischen  Methode,  die  den  Schwerpunkt  auf  die 
Grammatik  und  das  Übersetzen  legt,  und  die  der  Beformmethode,  deren 
Ziel  der  freie  Gebrauch  der  Sprache  ist  Dazwischen  aber  saht  es  die 
unzähligsten  Nuancen  von  der  ältesten  rein  grammatischen  Methode  der 
^schrieoenen  Sprache  an,  hinweg  über  die  'Anpassungen'  dieser  älteren 
Methode  an  'zeitgemälse'  Forderungen  in  bezug  auf  R^ien  und  Sprech- 
übungen, hinweg  über  die  ersten  in  fremder  Sprache  geschriebenen  Lehr- 
bücher, über  die  ersten  Versuche,  den  freien  Georauch  der  Sprache  in  den 
Vordergrund  zu  drängen,  bis  zu  den  allerschärfsten  Reformern,  denen  die 
Grammatik  und  selbst  häufig  die  Lektüre  nur  ein  Mittel  ist,  zum  frden 
Denken  in  der  fremden  Sprache  zu  erziehen. 

Die  hier  zu  besprechenden  Schulbücher  des  Englischen  sollen  in  der 
Reihenfolge  erörtert  werden,  in  der  sie  sich  etwa  jener  Entwickelungsreihe 
einordnen  liefsen. 

Das  Buch  von  Plate  und  das  von  Koch,  die  beide  in  neuer,  etwas 
veränderter  Auflage  erschienen  sind  und,  wie  die  79.  des  einen  und  die 
30.  des  anderen  beweisen,  sich  als  Lehrbücher  längst  bewährt  haben,  ge- 
hören noch  der  älteren  grammatischen  Methode  an,  die  sich  mehr  und 
mehr  den  neueren  Forderungen  anzupassen  sucht.  Das  Lehrbuch  von 
Plate  ist  bekanntlich  schon  im  Jahre  1899  von  Tanger  einer  sehr 
gründlichen  Durchsicht  und  zeitgemäfsen  Neubearbeitung  unterzogen  wor- 
den, wobei  namentlich  das  'Buchenglisch'  durch  'idiomatisches'  Englisch 
ersetzt  wurde.  Da  die  Einführung  der  neuen  Orthosraphie  nunmehr  einen 
Neusatz  des  Buches  notwendig  machte,  so  bot  sich  Gelegenheit  zu  einer 
nochmaligen  eingehenden  und  die  heutigen  Forderungen  noch  mely:  be- 
rücksichtigenden Revision.  Man  mufs  anerkennen,  dus  sämtliche  Ände- 
rungen einen  Fortschritt  bedeuten.  Auiker  Umstellungen  einiger  Kapitel 
aus  praktischen  Gründen  sind  die  wichtigsten  Änderungen  die,  dals  die 
Regeln,  soweit  es  nötig  war,  vervoUstänchgt  und  in  ihrer  Fassung  ver- 
bessert sind,  freilich  mit  strenger  Berücksichtigung,  das  Zuviel  zu  ver- 
meiden, und  dai's  die  Lautlehre  bedeutend  vereinfacht  und  gekürzt  ist. 
Namentlich  das  letztere  muis  man  mit  Freude  begrüfsen.  Denn,  so  not- 
wendig und  den  Sprachunterricht  erleichternd  auch  ein  einleitender  Lautier- 
kursus ist,  so  leicnt  kann  er  durch  allzu  grolse  Ausführlichkeit  ermüdend 
und  daher  hemmend  wirken.  Die  letzten  Feinheiten  der  Lautlehre  gehören 
genau  so  wenig  in  die  Schule  wie  die  der  Formenlehre  und  Sjntax.  Auch 
die  Aussprachebezeichnungen  sind  vereinfacht  worden.  Im  übrigen  sind 
die  einzelnen  Lektionen  und  das  Lesebuch  so  unverändert  ^blieben,  dala 
ein  Benutzen  der  früheren  Auflagen  neben  der  neuen  möglich  bleibt. 


Benrtefltingen  nnd  kurze  Anzeigen.  181 

Denen,  die  das  Elementarbuch  Ton  Koch  mit  seinen  im  alTgemefnen 
Idchten  und  dem  Interesse  und  Verständnis  der  Schüler  an^pafeten 
kleinen  Leseetückchen  im  Unterricht  gern  gebraucht  haben,  wird  diese 
neue  Auflage  eine  willkommene  Gabe  sein.  D(e  neue  Auflage  ist  wohl 
hauptsachlich  für  das  Eealgymnasium  bestimmt.  Ihr  Hauptvorzug  be- 
steht darin,  dafs  sie  um  ein  Obertertiapensum  vermehrt  worden  ist,  das 
in  etwa  zwölf  Kapiteln  neue  kleine  englische  Lesestücke  und  Übungssätze 
in  der  Art  des  Untertertiapensums  und  die  Syntax  des  Verbums  nebst 
einem  Verzeichnis  der  gebräuchlichsten  Präpositionen  und  Konjunktionen 
bringt.  Das  neue  grammatische  Pensum  ist  auf  ein  Minimum  beschränkt. 
Da  es  ab^  alles  absolut  unentbehrliche  enthält,  kann  man  nur  zufrieden 
sein,  für  die  Obertertia  ein  Buch  zu  erhalten,  nach  dem  man  das  vor- 
geschriebene erammatische  Pensum  bei  den  armseligen  drei  wöchentlichen 
Stunden  erledigen  und  doch  dabei  noch  Zeit  finden  kann,  zum  freieren 
Gebrauch  der  Sprache  vorzubereiten.  Die  in  der  alten  Auflage  neben  der 
'I.  Reihe'  einherlaufenden  Lese-  und  Übungsstücke  der  IL  Reihe  sind  be- 
rechtigterweise fortgelassen  worden,  da  bei  der  beschränkten  Zahl  der 
Unterrichtsstunden  doch  kein  Lehrer  mehr  als  die  Erledi^ng  der  einen 
Reihe  leisten  kann.  Einige  Stücke  der  IL  Reihe  sind  für  dra  neuen  Teil 
des  Buches  mitbenutzt  worden.  Der  alte  Teil  ist  im  groisen  und  ganzen 
geblieben  wie  er  war,  so  dais  die  früheren  Auflagen  noch  daneben  benutzt 
werden  können.  Hier  und  da  sind  zu  einigen  Kegeln  Zusätze  gemacht. 
Das  lange  Kapitel  über  die  unregelmäfsigen  Verben  ist,  auf  allgemeinen 
Wunsch,  in  zwei  Kapitel  geteilt  worden ;  noch  vorteilhafter  wäre  es  ja  ge- 
wesen, die  Verben  hätten  in  viel  kleineren  Abschnitten  eine  Verteilung 
Auf  das  ^anze  Buch  gefunden.  Die  Anordnung  in  zwei  Kapitel  ist  aber 
weiter  kern  grofser  Fehler,  da  es  ja  jedem  Lehrer  freisteht,  die  in  den  vor- 
hergjehenden  Kapiteln  schon  reichlich  vorkommenden  Verben  von  vorn- 
herein in  dem  Verzeichnis  anstreichen  und  lernen  zu  lassen,  so  dafs  bei 
der  Erledigung  dieser  Kapitel  schon  fast  alle  bekannt  sein  werden.  Von 
einer  geplanten  Verteilung  der  als  Anhang  gegebenen  'Stoffe  zu  Sprech- 
übungeir  ist  leider  Abstand  genommen  worden.  Sie  hätten  innerhalb  der 
einzemen  Kapitel  viel  mehr  die  erforderliche  und  fördernde  Benutzung  ge- 
funden. Als  schwacher  Ersatz  dafür  wird  wenigstens  am  Ende  jder  Ka- 
pitel auf  die  danach  am  passendsten  zu  verwendenoen  Stücl^^  dieser  Übungen 
verwiesen.     In  der  Lautschrift  sind  einige  praktische  Änderungen  vor- 

fenommen;  die  wichtinte  davon  ist  die  Wahl  der  Zeichen  ?*  und^"  statt 
er  alten  H  und  cHh  die  oft  die  Schüler  zu  falscher  Aussprache  verlei- 
teten. Neu  hinzugekommen  sind  elf  Seiten  zusammenhängende  deutsche 
Übungsstücke  zum  Übersetzen  ins  Englische.  Es  sind  teils  Umformun^n, 
teils  Erweiterungen  der  englischen  Lesestücke,  teils  Stücke  verwandten 
Inhalts. 

Die  in  Österreich  erschienene  Bnglish  Orammar  von  Nader  gehört 
zu  den  Büchern  der  gemäfsigteu  Reformer.  Bei  den  Übungen  wie^n  bei 
weitem  die  freien  Übungen  vor,  die  Reeeln  sind  in  deutscher  und  m  eng- 
lischer Sprache  abgefafst.  Diese  Doppeisprachigkeit  bildet,  abgesehen  von 
den  Übungen,  das  Originellste  des  Buches.  Der  Verfasser  ^t  auf  dem 
oberen  Teil  der  Seiten  die  Regeln  in  deutscher  Sprache  mit  den  dazu- 
gehörigen Beispielen,  unten  anmerkungsweise  eine  knappe  Übertragung  der 
Kegeln  ins  Englische.  Diese  ist  richtigerweise  keine  sklavische  Übersetzung, 
sondern  eine  n-eiere  Wiedergabe  des  Wesentlichen,  so  dafs  auch  dieser  Teil 
des  Buches,  wie  der  Verfasser  selbst  sagt,  mithelfen  soll,  den  Schüler  zu 
einer  freieren  Ausdnicks weise  zu  bringen,  deren  schlimmster  Feind  das 
wortgetreue  Übersetzen  ist.  Diese  Einrichtung  ist  entschieden  vorteilhaft. 
Für  die  obersten  Klassen  österreichischer  Mädchenschulen  ist  durch  die 
Lehrpläne   die  englische  Sprache   als  Unterrichtssprache  vorgeschrieben. 


182  Beiirteilnngen  und  knnse  Anzeigen. 

Dieser  Forderune  wird  das  Buch  gerecht,  nnd  es  beseitigt  zngleidi  die 
beiden  Schwierigleiten,  die  zu  entstehen  pflegen,  wenn  einerseits  Schaler, 
die  nur  eine  deutsch  geschriebene  Grammatik  in  Händen  habeo,  eich  im 
Unterricht  englisch  über  grammatische  Din^e  ausdrücken  sollen,  oder 
wenn  anderseits  weniger  begabte  Schüler  Begdn,  deren  Verstäadnis  ihnen 
ohnehin  Mühe  macht,  nur  m  der  fremden  Sprache  vorfinden.  Aber  audi 
für  den  Lehrer,  der  im  Gebrauch  der  englischen  Sprache  für  grammatische 
Pinge  noch  nicht  sehr  geübt  ist,  dürfte  diese  Anordnung  des  Baches  mit 
der  Möglichkeit  der  schnellen  Auffindung  des  passenden  Ausdruckes 
höchst  willkommen  sein.  Schade,  dafs  hm  und  wieder  die  englische 
Wiedergabe  allzu  knapp  ist,  so  dafs  eerade  wichtiee  Ausdrücke  zuweilen 
nicht,  oder  wenigstens  nicht  an  der  betreffenden  Stelle,  zu  finden  sind. 
So  fehlt  §  127  eine  enelische  Bezeichnung  für  'OrtsadTerbien',  §  183  eine 
solche  (ür  'Stoffnamen^,  'Sammelnamen'  und  'Gattungsnamen'  and  die 
ffanze  Übertragung  des  §  l;J7,  wo  von  'Verwandtachafi',  'Stand',  'Rang* 
die  Rede  ist,  Au8(&ücke,  die  sich  durchaus  nicht  von  selbst  verstefa^i. 

Eine  Laut-  und  Beton ungslehre  bringt  das  Buch  absichtlich  nicht, 
da  das  Nötigste  davon  in  einem  zu  diesem  Untorrichtswerke  gierigen 
Elementarbuch  enthalten  ist.  Trotzdem  wäre  es  wohl  ausbracht  gewesen, 
nach  dem  Muster  anderer  Schulgrammatiken  bei  schwiengen  Wörtern  wie 
preterit,  preterUo-preserUs  usw.  die  Betonung  anzugeben,  damit  die  Schüler 
nicht  erst  etwas  Falsches  sich  einprägen. 

Das  Buch  eröffnet  dne  in  englischer  Sprache  geschriebene  hiatorische 
und  sprachgeschichtliche  EMnleitnuff.  Formenlehre  und  Syntax,  die  folgen, 
ziehen  oft  in  lehrreidier  und  anziäender  Weise  Etymologie  und  Si»«ch- 
vergleichung  mit  heran  (z.  B.  §  48  bei  den  Präteritopräsentien  tna^  nnd 
catij  §  280  zur  Erklärung  des  /  in  eouid,  i)  286  Vergleich  der  Auadmck»- 
weise  leotddhave  ctdded  mit  der  entsprechenden  mittelhochdeutschen  usw.*. 
Femer  sei  noch  erwähnt,  dafs  Anglizismen  überall  reichlich  berücksichtigt 
werden.  Im  Übrigen  halten  sich  Formenlehre  und  Syntax  an  die  alt- 
hergebrachte Darstellun^art.  Beide  sind,  ebenfalls  nach  althergebrachter 
Art,  für  Schulbücher  reichlich  ausführlich  und  bringen  manches,  was  ins 
licxikon  gehört  Man  vergleiche  z.  B.,  dals  unter  den  Wörtern,  die  nur 
im  Plural  vorkommen,  sogar  measles  'Masern',  und  unter  denen,  die  nur 
im  Singular  vorkommen,  smcUl-pox  'Pocken'  zu  finden  ist 

Der  Lautldire  schliefst  sich  eine  das  Deutsche,  Lateinische,  besondere 
aber  das  Französische  vergleichende  Wortbildungslehre  an  (neun  Seiten), 
bei  der  man  nur  nicht  recht  einsieht,  warum  der  erste  Teil,  die  Ableitongs- 
lehre,  ganz  englisch,  der  zweite,  die  Lehre  von  der  Zusammensetzung,  ganz 
deutsch  abgefafst  ist. 

Die  Syntax  brinet  im  allgemeinen  eine  reiche  Anzahl  englischer  Bei- 
spiele zur  Ableitung  der  darauf  folgenden  Regel,  und  der  Vernisser  betont 
im  Beiwort  ganz  besonders,  dals  diese  Beispiele  erst  Eigentum  der  Schuler 
sein  müssen,  ^e  die  Resel  selbst  durchzunehmen  ist.  Hier  und  da  hätten 
sie  freilich  noch  reichlicher  sein  können ;  so  fehlen  i;  20t>  vollständig  Bei- 
spiele für  to  be  mit  <o  gleich  deutschem  'es'.  Knapp  und  klar  g^alten 
sind  die  Regeln  über  die  Tempora,  die  Stellung  der  Adverbien;  sehr  aus- 
führlich dagegen,  ihrer  Wichtigkeit  entsprechend,  auf  allein  20  Seiten,  sind 
die  Präpositionen  behandelt.  Es  wird  nicht  zur  Vertiefung  des  gram- 
matischen Verständnisses  beitragen,  wenn  der  Schüler  (§  189)  lernt,  dafs 
von  'konkreten'  Substantiven,  die  keinen  Artikel  habmi,  unter  anderen 
ohurch,  Bchool,  prison  usw.  zu  merken  sind,  'wenn  ihre  Verwendung  ge- 
meint ist'.  Diese  Wörter  sind  dann  eben  Abstrakta.  Die  Übersetzung 
von  to  make  tchat  diseoveriea  I  eauld  'etwaige  Entdeckungen'  (§  235)  ist 
wohl  nicht  zutreffend,  da  'etwaige'  so  viel  bedeutet  wie  'etwa  möglicfae', 
während  der  Sinn  ist  'alle  Entdeckungen,  die  ich  machen  konnte .  Der 
Unterschied  zwischen  thus  und  so  wird  aus  {$  SiS  nicht  goiügend  klar. 


Benrteilungen  und  kurze  An  sagen.  188 

Seltsamerweise  sucht  man  vergeblich  in  der  Syntax  nach  7  have  to  do 
'ich  muXs  tun'. 

Auf  die  Syntax  folgt  ein  kurzer  Abschnitt  Aber  Interpunktion,  die 
grofsen  AnfangsbuchBtaben  und  die  Silbenabteilung,  unter  oen  Beispielen 
ffir  die  letztere  fehlen  solche  mit  abgetrennter  Flexionsendung,  wie 
defeal-ed  usw.  Daran  schliefsen  sich  eine  kurze,  deutsch  abgefalste  Syno- 
nymik, Some  Remarka  on  Letter- Writing  nebst  Musterbriefen,  eine  Versi- 
ficatwn  und  eine  englische  Beschreibung  der  Hölzelschen  'Jahreszeiten'. 

Die  Übungen  enthalten  eine  grofse  Anzahl  ( 11  Seiten)  freie  Aufgaben : 
Beantwortung  grammatischer  Fragen,  Sätze  in  anderen  Zeiten,  in  der 
Aktiv-  oder  JPassivkonstruktion,  im  aca  cum  inf.  oder  der  Partizipial- 
konstruktion  wiederzugeben,  Sätze  in  Fragen  aufzulösen,  fehlende  Wörter 
einzusetzen,  direkte  in  indirekte  Eede  zu  verwandeln,  Substantiva  durch 
Pronotnina  zu  ersetzen,  Sätze  durchzukonjugieren  und  schlielslich  eine 
Menge  Aufsatzthemata,  die  vom  Leichtesten  zum  Schweren  allmählich 
fortschreiten.  Sie  beginnen  mit  der  Zerlegung  des  Themas  in  Fn^n,  die 
einfach  zu  beantworten  sind,  dann  folgen  Umformungen  von  Stücken, 
Auszüge  und  Nacherzählungen,  BeechreiDunffen,  Vergleiche,  Dispositionen 
nach  em  paar  gegebenen  Mustern,  Verwandlunevon  Qedichten  in  Prosa, 
wozu  gleichfalls  ein  Muster  gegeben  ist,  und  Themata  zu  Briefen.  Die 
Aufga&n  selbst  sind  sämtlich  in  englischer  Sprache  abgefalst. 

Den  Schluis  des  Buches  endlich  bilden  25  Seiten  deutsdie  Sätze  zur 
Rückübersetzung}  die  sich  an  die  Kapitel  der  Grammatik  anschÜefsen. 
Er  ist  nicht  yi^a;  aber  derartiges  Material  zu  beschränken,  ist  ja  nie  ein 
Fehler.  Die  Übungen  zu  den  Präpositionen,  auf  die  ein  besonderes  Ge- 
wicht gelegt  wird,  nehmen  allein  4Vs  Seiten  davon  ein. 

Im  Raster  fehlt  unter  be  ein  Hinweis  auf  to  be  to  §  812. 

Dem  gleichfalls  in  Österreich  erschienenen  Elementarbuch  von  Swo- 
boda^  merkt  man  es  auf  Schritt  und  Tritt  an,  dals  es  das  Ergebnis  einer 
viele  Jahre  langen  Erfahrung  ist.  Dafs  es  sich  dabei  noch  etwas  schärfer 
auf  die  Seite  der  Reformer  wendet  als  das  vorher  besprochene  Buch,  ist 
eine  um  so  erfreulichere  Tatsache,  als  hier  und  da  Stimmen  laut  zu  werden 
binnen,  welche  meinen,  gründlichere  Erfahrung  führe  von  dem  Sturm 
und  Drang  der  jungen  Reformer  wieder  mehr  imd  mehr  zur  alten  gram- 
matischen Methode  zurück.  Auf  gründlicheren  Erfahrungen  als  das  vor- 
liegende Buch  dürften  wenige  Elementarbücher  beruhen. 

Das  Buch  beginnt  mit  einer  'Vorschule  der  Aussprache',  einigen  pho- 
netischen Belehrungen  elementarer  Art,  die  mit  deutschen  Fremdwörtern 
aus  der  englischen  Sprache  ihren  Anfang  machen  und  gleich  von  vorn- 
herein kleine  Aufgaben  enthalten.  Das  Charakteristische  des  Buches  ist, 
dafs  dieser  einleitende  Lautierkursas,  der  sehr  knapp  gehalten  ist,  um 
nicht  ermüdend  zu  werden,  durch  das  K&nze  Buch  ninaurch  in  kleinen 
Abschnitten  über  Schrift  und  Aussprache  {^SpeUing  and  Promineiatüm) 
seine  eingebende  Erweiterung  erhält.  So  fmdet  man,  um  nur  einiges 
herauszugreifen,  auf  S.  15  etwas  über  die  stummen  Konsonanten,  S.  24 
über  die  Aussprache  von  r,  S.  '^5  über  Konsonanten  Verdoppelung,  8.  71 
über  th,  S.  87  über  ä  vor  n  und  m  usw.  zusammengestellt.  Das  nat  den 
grofsen  Vorteil,  dafs  die  Besprechung  und  Gruppierung  lautlicher  Erschei- 
nungen ausführlicher  werden  kann,  als  wenn  alles  in  dem  einleitenden 
Kursus  abgemacht  werden  sollte,  und  dafs  sich  bei  diesen  eingestreuten 
Besprechungen  allmählich  immer  mehr  schon  bekannte  Wörter  von  selbst 
bieten. 

Auf  die  'Vorschule'  folgen  45  englische  Lesestücke,  denen  sich  jedes- 
mal einige  grammatische  Regeln,  von  vornherein  mit  möglichster  Benutzung 

*  Über  eine  andere  Aoagtabe  des  Buches  vgl.  Arehw  CXV,  487  ff. 


184  Beurtdlangen  und  knrze  Anceigen. 

eo^lischer  Termini,  und  in  englischer  Sprache  abgefafste  Aufgaben,  aber 
keine  deutschen  Übunnsatze  anschlieÜBen. 

Die  Auswahl  der  Leseetücke  kann  in  vieler  Beziehung  geradezu  als 
eine  Musterleistunff  für  ein  Elementarbuch  hinbestellt  werden.    Kdn  ein- 
ziges ist  banal  an^dotenhaft,  kein  einziges  trocken  belehrend,  ein  frischer, 
zum  Teil  humoristischer  Ton  geht  durch  alle;  alle  enthalten  sie  gutes,  se- 
sprochenes  Englisch,  und  dabei  sind  sie  so  streng  systematisch  ausgewählt 
und  angeordnet,  dafs  sie  vom  ganz  Leichten  allmählich  zum  etwas  Schwe- 
reren fortschreiten,  sich  dem  grammatischen  Plan  des  Buches  anpaBsen 
und,  was  man  in  so  ausgedehnter  Eigjenart  selten  irgendwo  anders  nndet, 
fast  ßtändig  eine  Wiedemolung  der  m  den  vorhergehenden  Stucken  ge- 
lernten Vokabeln  und  Wendungen,  ja  stellenweise  ^radezu  Wiederholungen 
ganzer  früherer  Stücke  bieten.   Aber  auch  inhaltlich  sind  die  Stoffe  nicht 
aufs  Geratewohl  gewählt    Sie  gehen,  nach  den  Forderunsen  einer  weisen 
Pädagogik,  vom  Naheliegenden,  vom  Bereiche  des  Schülers  aus.   Die  ersten 
22  L^estücke  bringen  fast  nur  Bilder  aus  dem  Schulleben:  Beschreibung 
des  Klassenzimmers,  eine  englische  Unterrichtsstunde,  das  englische  Lese- 
buch, eine  praktische  Lesestunde,  eine  französische  Stunde,  Szenen  aus 
der  Klasse,  ein  Stück  How  to  read,  in  dem  der  Schüler  auf  die  geschick- 
teste Weise  durch  die  blofse  Art  der  Wendungen  zum  sinngemSsen  Be- 
tonen gezwungen  wird  (ein  höchst  wertvolles  Muster  für  die  Lektüre  der 
anderen  Stücke,  wie  es  wohl  wenige  andere  Lehrbücher  aufzuweisen  haben), 
eine  Erzählung  von  dem  Marienkäfer,  der  Spinne  und  dem  Wind,  die  in 
folgenden  Stücken  zu  Diktaten  und  anderen  Übungen  Verwendung  findet, 
eine  Schreibstunde,  eine  Diktatstunde  in  Gesprächsform,  ein  Stück  über 
Unsorgfältigkeit  und  Unordnung  im  Schulleben,  eins  über  das  Verbessern 
von  Fehlem,  das  Zuspätkommen,  den  Stundenplan,  die  Bechenstunde  und 
eine  Szene  beim  Papierhändler.    Irotz  der  Fülle  idl  dieses  aus  ein  und 
demselben  Gebiet  entnommenen  Lesestoffes  wird  er  nicht  ein  einziges  Mal 
lauRweilig  oder  eintönig,  eben  weil  die  Darstellun^wdse  eine  so  frische 
und  die  Kinzelart  der  Stücke  höchst  mannigfaltig  ist.    Dafür  aber  bietet 
er  den  ganz  aulserordentlichen  Vorteil,  dafs  er  fast  alle  Schulausdrücke, 
die  für  einen  in  englischer  Sprache  abgehaltenen  Unterricht  unumgäng- 
lich notwendig  sind,   auf  leicnteste  una  gefällige  Weise  zum  Eigentum 
des  Schülers  macht.   Die  Österreichischen  'Instruktionen'  verlangen  ebenso 
wie   unsere  'Lehrpläne'   von  vomherdn  Sprechübungen  in   der  fremden 
Sprache.    Nichts  erleichtert  das  aber  mehr,  als  wenn  die  Schulausdrücke 
dem  Schüler  bekannt  sind.    Von  den  übrieen  Stücken  handeln  17  über 
englische  Sitten  und  ähnliches  (englische  Mahlzeiten,  Tisdigespräche,  ein 
Boarding ' House i    Weihnachten,   englische   Spiele,   Brief   und    Post^te, 
Boarding '  School  und  Beschäftigungen  englischer  Schüler  aufserhalb  der 
Schule),  die  übrigen  haben  Dinge  aus  der  Natur,  wie  EUmmelsrichtun|en, 
Wald,  Sonnenschein  und  Regen,  zum  Thema,  zwei  bringen  je  ein  Gedieht 
der  ersten  Stufe.    Alles  ist,  wie  gesagt,  sehr  anziehend  schrieben  (von 
sehr  verschiedenen   englischen  Autoren   herrührend)   und,  was   man   bei 
einem  Elementarbuch  einer  fremden  Sprache  nicht  dringend  genug  fordern 
kann,  sprachlich  sehr  einfach  und  leicht.    Erwähnt  sei  nocn,  dafs  mehr- 
fach ^Aavertiwments'  zwischen  die  einzelnen  Paragraphen  eingestreut  sind. 
Die  Grammatik,  die  bruchstückweise  zwischen  die  Lesestücke  verteilt 
ist,  sucht  von  vornherein  auf  das  'gesprochene'  Englisch  hinzuarbeiten. 
So  weist  schon  No.  5  auf  die  Abschwächung  des  Tones  bei  Wörtern  wie 
arey  am,  ahaü,  you,  your,  der  Präposition  to  usw.  hin  und  bringt  Zusam- 
menziehungen (in  der  Aussprache)  wie  /  am  --  aim,    ths  boy  w  =  dkg 
bvix,  the  Iwya  are  =  dh9  hvix9  usw.    Die  Regeln  selbst  sind  knapp  und 
klar  gehalten  und  sehr  praktisch  verteilt.    Nach  manchen  Lesestücken  ist 
das  grammatische  Pensum  minimal,  oder  es  fehlt  ein  solches  ganz,  nie  ist 
es  senr  grofs.    Um  eine  Vorstellung  von  der  Art  der  Verteilung  zu  geben, 


Beurieilangen  und  kurze  Anzeigen.  185 

seien  die  mmmatischen  Pensen  der  ersten  Stücke  angeführt :  No.  1 :  Best. 
Artikel.  No.2:  Einige  örti.  Präpositionen,  Deklin.  der  Substantiva,  refelm. 
Wortstellung.  No.  8 :  das  a  der  8.  Person  Präs.  No.  4 :  Unbest.  Artikel.  No.  5 : 
PersÜnl.  Fürwörter,  Greschlecht  der  Subst.,  Präsens.  No.  6:  Imperativ.  No.  7 : 
Pron.  po88.  und  Adjekt  No.  8 :  Futurum  und  jetzt  schon  das  Allerwichtigste 
über  ean,  may,  musi,  need,  die  alle  schon  vorher  vorgekommen  sind.   Sehr 
praktisch  ist  dabei  die  kurze  Zusammenstellung,  die  man  leider  nicht  in 
allen  Grammatiken  findet:  'Die  negative  Form  von  may  ("kann,  ist  mög- 
lich") ist  cannot,  von  may  ("darf")  must  not  ("darf  nicht"),  von  miut 
("mufs")  need  not  ("muijs  nicht,  braucht  nicht")'  (S.  15).    Von  den  fol- 
genden Paragraphen  sei  nur  einiges  erwähnt   Schon  in  No.  10  findet  sich 
to  he  to  'sollen',  schon  in  No.  \l  io  kave  to  'müssen'.    No.  12  bringt  die 
ersten  zehn  bisher  vorgekommenen  unregelmäfsigen  Verben  zusammen- 
gestellt, die  nächste  Zusammenstellung  in  No.  19  usw.    Die  Konstruktion 
mit  to  do  in  Fra^re-  und  Verneinungssätzen  findet  sich  erst  in  No.  13 
und  14.   Das  ist  vielleicht  etwas  spät.  Dafür  wird  sie  aber  sehr  ausführ- 
lich behandelt,  da  der  Verfasser  gerade  auf  dieses  Kapitel,  g^n  das  er 
erfahrungseemäis  die  meisten  und  schlimmsten  Schülerfehler  beobachtet 
hat,  besonderen  Nachdruck  leet.  Daher  sind,  die  zahlreichen,  in  fast  jeder 
Nummer  wiederkehrenden   Übungen   dazu  auch  ausgezeichnet;    zahllose 
Fragen  solcher  Art,  wie  *Where  did  the  spider  swing  himself?*  sind  mit 
Hervorhebung  der  richtigen  Verbform  zu  beantworten ;  in  positive  Sätze 
ähnlicher  Natur  ist  not  einzusetzen  usw.    No.  19  bebandelt  sehr  genau 
die  verschiedenen  Stellungen  des  Objekts.    Anderer  Meinung  kann  man 
sein,  wenn  der  Verfasser  ebenda  (S.  44)  sagt:  Mn  dem  Satze  Minnie  had 
put  tke  ehek  on'y  den  er  als  einen  Ausnahmefall  r^lmäTsi^en  Stellungen 
wie  The  teaeker  pute  off  hie  coat  gegenüberstellt,  'sdiliefse  sich  das  on  wie 
eine  Nachsilbe  an  eloek  an'.    Der  Grund  ist  wohl  eher  der,  dafs  auf  on 
der  Ton  liegt.    Man  vergleiche  die  sehr  gründliche  Untersuchung  über 
solche  Stellungen  in  dem  als  letztes  hier  besprochenen  Buche  von  Poutsma 
S.  274—276.   Erst  No.  20  bringt  die  Zahlwörter;  das  ist  spät;  doch  kom- 
men einige  als  Vokabeln  schon  früher  vor.    Erst  No.  31  sagt  etwas  über 
die^  Pluralia  ealves  usw.;   das  ist  jedoch  weiter  kein  Schaden,  da  diese 
meist  so  emsig  auswendig  gelernten  Wörter  mehr  ins  Lexikon  gehören. 
Erwähnt  sei  aber  doch  nocn,  dafs  eine  viel  wichtigere  Sache  schon  in 
diesem  ersten  Elementarbuche  (No.  35)  zu  finden  ist,  das  englische  Per- 
fektum  statt  des  deutschen  Präsens  imd  das  Imperfektum  statt  des  Per- 
fektums.    Verstreut  ziehen   sich  auch   schon   durch  das  Elementarbuch 
Synonjrma. 

Die  gleichfalls  überall  zwischen  die  Lesestücke  eingereihten  Übun^n 
sjnd  in  englischer  Sprache  abRefafst  und  enthalten  grundsätzlich  keine 
Übersetzungssätze.  £^  sind,  aulser  den  schon  bei  to  do  erwähnten  Fragen 
nach  dem  Inhalt  der  Stücke,  grammatische  Fragen,  Ausspracheübungen, 
Vervollständigung  unvollständiger  Sätze,  Umwanaeln  von  Sätzen  in  allerlei 
andere  Konstruktionen,  Heraussuchen  von  Beispielen  für  eine  Regel, 
Rechenaufgaben,  kleine  Nacherzählungen,  Umwandlungen,  B^chreibungen 
(mit  Hilfe  von  e^benem  Skelett)  usw.  usw.  Auch  diese  Übungen  ver- 
raten den  vieleitahrenen  Schulmann. 

An  das  Buch  schliefsen  sich  Wörterverzeichnisse,  deren  Anordnung 
in  fortlaufenden  Zeilen  mir  zum  Erlernen  unpraktisch  erscheint.  18  deut- 
sche zusammenhängende  Stücke  zum  Übersetzen,  die  nach  den  'Instruk- 
tionen' 'zugelassen  sind,  aber  nicht  zur  Einübung  bestimmter  Regeln 
dienen  können  und  dürfen',  und  ein  alphabetisches  englisches  Wörter- 
verzeichnis. 

Dem  Elementarbuche  sollen  in  kurzer  Zeit  ein  Englieh  Reader,  ein 
lAterary  Header  und  eine  Sdiulgrammatik  folgen. 

An  Druckfehlem  sind  mir  nur  aufgefallen:  S.  3,  Z.  3:  stimmhaften 


186  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

8t.  stimmhafte,  8.  53,  No.  24,  Z.  4 :  kejd  st  kep  und  8.  105,  Z.  18  y.  u.: 
entweder  the  floor  st.  /Zoor  oder  'FulBboden'  st  'der  Fulsboden'. 

Das  in  Holland  erschienene  Buch  von  Gras^  bildet  den  dritten  Teil 
eines  Unterrichtswerkes,  dessen  beide  ersten  Teile:  ^Oefeningen  tn  de  Engd- 
sehe  Tool'  I  und  II  1903  und  1904  erschienen  sind.  Ein  Blick  in  das 
Buch  sagt  auch  dem,  der  die  beiden  ersten  Teile  nicht  kennt,  da(s  es  sich 
um  das  Werk  eines  weitgehenden  Reformers  handelt.  Es  enthält  den 
Lehrstoff  fdr  den  zweiten  oder  zweiten  bis  dritten  Jahreskursus  im  Eng- 
lischen. Auf  den  linken  Sdten  bringt  es  LesestOcke,  auf  den  rechten  die 
dazugehörigen  grammatischen  Regeln. 

^er  Leisestoff  eines  Buches,  das  den  Schüler  in  das  Verständnis  dee 
gesprochenen  und  geschriebenen  heutigen  Englisch  einführen  soll,  mufa, 
nacn  des  Verfassers  Meinung,  aus  den  modernsten  Autoren  genommen 
sein.  Aufserdem  soll  er  aber  auch  in  def>  Schfilers  GMankenbereich  liegen, 
die  anderen  Unterrichtsgegenstande  ergänzen  helfen,  recht  interessant  sein 
und  möglichst  reale  Dinge  behandeln.  In  bezug  auf  den  letzteren  Punkt 
mufs  man  dem  Verfasser  insofern  recht  geben,  als  Lesestücke,  die  sich 
mit  Realien  befassen,  sich  zu  Sprechübungen  viel  anregender  und  weiter 
ausgestalten  lassen  als  z.  B.  historische  Stücke  oder  Erzählungen.  Die 
hier  gewählten  Texte  sind  so  eigenartig,  dafs  etwas  ausführlicher  davon 
gesprochen  werden  muis.  Das  erste,  SSidnds  and  Symbols  (2  8.)  b^andelt 
Artikulationserscheinungen  und  dient  damit  zugleich  als  Einleitung.  Das 
zweite,  Kenfs  Gavern  and  the  Äneient  Cave-men  (8  8.)  gibt  an  ein^n  der 
geologisch  merkwürdigsten  Beispiele  der  Erde  eine  für  den  reiferen  Schüler 
durchaus  verständliche  und  senr  interessant  geschriebene  Einführung  in 
das  Studium  der  Geologie  und  in  die  Frage  nach  dem  bisher  nachweis- 
baren Alter  des  Menschen.  Das  dritte  Stück  enthält  eine  ebenfalls  sehr 
interessante  Stoty  of  our  Alphabet  (8  S.).  Das  vierte,  A  Tiff  in  Stdmrbia 
(2  S.),  bringt  eine  etwas  banal  gehaltene  Ehezwistszene ;  abgesdien  von 
ein  paar  schönen  stilistischen  Wendungen,  die  sich  darin  finden,  könnte 
man  dieses  Stück,  freilich  als  einziges  des  Buches,  gern  missen.  Dafür 
entschädigt  das  fiinfte  wieder  durch  dne  sehr  lesenswerte  Beschreibung 
des  grofsen  Ozeandampfers  The  BaUie  (4  8.).  Das  sechste,  Oreat-Brüain 
(6  So,  gibt  eine  sehr  ^te  und  äufserst  Inhaltreiche  Schilderung  Groia- 
britanniens,  nicht  nur  m  bezug  auf  politische,  geographische  und  klima- 
tische Verhältnisse,  sondern  auch  auf  Handel  und  auf  Entwickelung,  Aus- 
breitung und  Eigenart  der  englischen  Sprache  usw.  Das  siebente,  Whai 
our  Boay  is  maäe  of  (4  8.),  und  das  achte,  Air  and  Food  (6  8.),  b^andeln, 
ebenfalls  in  sehr  anregender  Form,  chemische  Fragen,  die  das  täglidie 
Leben  berühren  und  von  allgemeinem  Nutzen  sind.  Das  neunte,  A  Trick 
(8  S.),  ist  eine  Darstellung  dreier  'Kniffe':  wie  die  alten  ägyptisdien  Prie- 
ster dem  gläubigen  Volke  weiszumachen  wuIsten,  dals  sich  die  Tür  des 
Gottes  Apis  von  selbst  Öffnete  und  schlofs;  die  Einrichtung  des  ersten 
in  einem  ägyptischen  Grabe  gefundenen  Automaten  und  die  Ausführung 
eines  Zautoicunststückes.  Das  zehnte  Stück  bringt  eine  Schilderung 
Deutschlands  (4  S.)  und  das  letzte  eine  Erklärung  des  Auedo^Spiels  (4  8.). 
Wir  können  dem  Lehrbuch  einer  Sprache  nur  dankbar  sein,  wenn  es  auch 
zur  Bereicherung  anderer  Wissenszweige  als  der  mit  der  Sprache  not- 
wendig zusammenhängenden  beiträgt  und,  wie  die  Belehrung  über  die 
Lebensmittel,  vor  allem  aber  der  Abschnitt  aus  der  für  die  Grundlage 
einer  späteren  Weltanschauung  so  hochwichtigen  und  auf  der  Schule  ort 
so  arg  vernachlässigten  Geologie,  mithilft,  den  Gesichtskreis  des  Schülers 
nach  allen  möglichen  Richtungen  hin  zu  erweitem.  Zwischen  die  Stücke 
sind  eine  Menge  Rätsel  eingestreut,  die  zum  Teil  für  Schüler  ziemlich 
schwer  verstänolich  und,  indem  sie  das  Schicksal  der  meisten  Rätsel  teilen, 
wenig  geistreich  sind;  Wert  können  sie  lediglich  dadurch  haben,  dafs  ee 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  187 

fast  sSmtlich  Spiele  mJt  mehr  oder  minder  wirklichen  Homonjnnen  sind. 
Zur  Charakterisierung  der  Rätsel  sei  ein  Beispiel  angeführt:  IVhat  ü  ihe 
difference  bettceen  the  Kaüer  and  a  ragged,  shoeUsa  heggar?  —  One  issttea 
ki8  manifestoes;  the  other  manifeats  hü  ioea  withoiä  hü  shoes  (S.  94).  Zwi- 
schen all  diesen  Texten,  die  sprachlich  nicht  gerade  leicht  sind,  befinden 
sich  Hl  dazugehörige  Abbildungen  der  verschiedensten  Art,  wie  die  Teile 
des  Mundes,  alte  geologische  und  prähistorische  Funde,  Hieroglyphen, 
Durchschnitt  durch  einen  Dampfer,  Lebenemitteltabellen  usw.,  'Oeeattse 
ihings  seen  are  mightür  than  ihingg  heard*,  wie  der  Verfasser  mit  Tenny- 
son  saft. 

Die  grammatischen  Dinge  sind,  wie  überhaupt  das  ganze  Buch,  durch- 
gängig in  englischer  Spraclie  abgefalst,  da  der  Verfasser,  der  schon  im 
ersten  Jahreskursus  fast  alles  nur  englisch  bebandelt  haben  will,  für  diese 
vorgeschrittenere  Stufe  natürlich  erst  recht  die  Vermeidung  der  Mutter- 
sprache verlangen  mufs.  £r  will  sich  aber  darum  nicht,  wie  er  selbst  in 
der  Einleitung  sa^,  zum  Sklaven  der  Begel  machen,  indem  er  j^liches 
Verwenden  der  Muttersprache  als  ein  Übel  ansieht:  ^Many  ways  lead  to 
the  common  aoal.*  Ee  ist  jedoch  selbstverständlich  Sache  des  Lehrers  und 
nicht  des  Lehrbuches,  wo  und  wann  man  einmal  praktisch  vom  Gebrauch 
der  Fremdsprache  abweichen  mufs,  wie  ja  überhaupt  jedes  Lehrbuch,  und 
sei  es  noch  so  gut,  erst  dann  anfängt,  von  wahrem  Nutzen  zu  sein,  wenn 
der  Lehrer  anmort,  von  ihm  abzuhängen.  Die  Sprache,  die  das  Buch 
lehren  will,  ist,  wie  die  Einleitung  sagt,  nicht  die  Literatursnrache,  son- 
dern die  gesprochene  und  geschriebene  Sprache  des  täglicnen  Lebens. 
Nicht  Übersetzungsgymnastik,  sondern  die  Kunst  des  freieren  mündlichen 
wie  schriftlichen  Ausdrucks  soll  ceübt  werden;  die  Grammatik  selbst  ist 
daher  aufs  notwendigste  zu  beschränken;  Übersetzungen  aus  dem  Eng- 
lischen in  die  Muttersprache  (das  Holländische)  haben  nur  gelegentlich, 
aus  der  Muttersprache  ins  Englische  nur  selten  stattzufinden.  Da  das 
Buch  für  Fortgeschrittenere  l)e8timmt  ist,  so  bleiben  die  allerelemen- 
tarsten  Dinge  unberührt.  Auch  ist  es,  nach  des  Verfassers  Meinung, 
zwecklos,  sich  mit  solchen  Dingen  aufzuhalten,  wie  dafs  news  früher  Plural 
war  —  jetzt  ist  es  eben  Singular !  — ,  oder  gar  mit  solch  gesuchten  Unter- 
schiedoi  wie  zwischen  peas  und  peaae.  Dagegen  ist  der  Wortbildun^s- 
lehre  mit  'lebenden'  Präfixen  und  Suffixen  ein  eingehenderer  Abschnitt 
gewidmet. 

Natürlich  sind  auch  in  diesem  Buche,  wie  es  schon  die  Anordnung 
mit  den  neben  dem  Lesestoff  stehenden  Regeln  mit  sich  bringt,  diese 
nicht  in  planmäfsigem  Zusammenhange  behandell.  So  wird,  um  nur  ein 
Beispiel  aus  dem  Anfang  herauszugreifen,  jetzt  etwas  über  die  Pronomina 
relativa  und  die  Interpunktion,  dann  über  die  Pronomina  demonstrativa, 
dann  wieder  über  ean  und  may  und  den  Acc.  cum  inf.  gelehrt.  Sämt- 
liche Beispiele  zu  den  Regeln  sind  aus  den  Lesestücken  oder  dem  gram- 
matischen Teile  selbst  entnommen.  Der  Verfasser  zitiert  z.  B.  auf  S.  25 
als  Beispiel  für  die  Wortstellung  einen  auf  8.  15  als  Regel  gegebenen 
Satz:  *Mttat*  ü  hardlg  wer  uaed  in  the  Paat  Tenae,  Ein  derartiges  Ver- 
fahren ebnet  den  Weg  dazu,  auch  in  den  in  der  Fremdsprache  gegebenen 
Abhandlungen  über  grammatische  Dinge  neuen  Lese-  und  Übungsstoff 
selbst  zu  sehen,  und  wenn  wir  uns  erst  daran  gewöhnt  haben,  so  dürften 
wir  hoffen,  dafs  die  Zeit,  wo  wir  allgemein  auch  die  grammatischen  Regeln 
in  der  Fremdsprache  behandeln,  nicht  mehr  in  allzu  ferner  Zukunft  li^t. 
Wenn  auch  der  Verfasser,  der  Natur  seines  Buches  entsprechend,  sich 
nicht  in  gelehrte  Auseinandersetzungen  über  früher  übliche  oder  seltene 
Erscheinungen  einläfst,  so  verschmäht  er  es  doch  nicht,  an  passender 
Stelle  die  französische,  deutsche  und  holländische  Si)rache  zum  Vergleich 
heranzuziehen.  Einen  solchen  Vergleich  vermisse  ich,  nach  deutschem 
Empfinden,  auf  S.  27,  wo  er  über  das  Paat  und  Preaent  Perfed  handelt 


188  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Ein  Beispiel  wie  ü  toaa  the  toooUy  speewnens  (hat  tived  fAerv  bedürfte  eineF 
Hinweises  auf  das  deutsche  'Die  wolligen  Arten  haben  dort  gelebt'  genaa 
so  gut,  wie  bei  /  have  been  waüing  for  you  so  lang  auf  das  aentsche  und 
französische  Präsens  in  solchen  Sätzen  hingewiesen  wird. 

£ine  sehr  praktische  Einrichtung  des  Buches  ist,  dafs  schwieriger  zu 
betonende  Wörter  sowohl  in  den  Lesestücken  als  auch  in  dem  gram- 
matischen Teile  stets  mit  Betonungsangaben  versehen  sind,  und  zwar,  um 
unenglische  Akzente  zu  yermeiden,  auf  die  sehr  einfache  Weise,  dafs  der 
betoute  Vokal,  wenn  er  lang  ist,  allein,  wenn  er  kurz  ist,  mit  dem  fol- 
genden Konsonanten  fett  geruckt  ist. 

Im  einzelnen  sei  auf  folgende  besonders  vorteilhafte  Fassungen  von 
Regeln  hingewiesen:  8.  8  die  Unterscheidung  der  Aussprache  von  th  am 
Ende  eines  Wortes  +  s  bei  vorhergehendem  langem  oder  kurzem  Vokal, 
8.  88  die  besondere  Hervorhebung  der  in  der  8pr£3he  des  täglichen  Lebens 
fast  ausschliefslich  gebrauchten  Pronomina  relativa  who  und  thai,  S.  4-^ 
die  Erklärung  des  snall  in  shcUl  you  eome?  als  hindeutend  auf  die  Ant- 
wort 1  shall  camSf  ebenda  die  Vergleichun^  des  Präsens  I  forget  ('ich  habe 
vergessen')  mit  /  do  not  remember,  8.  55  die  mannigfaltigen  Verwendungen 
von  to  have  mit  Infinitiv  und  Partizipium  usw. 

Von  kleinen  Versehen  sind  mir  auf  ^fallen:  auf  8.  5  fehlt  bei  der 
Kegel  über  die  Verwandlung  von  y  in  t  em  Hinweis  auf  die  Komparation, 
fflr  die  auch  ein  Beispiel  eegeben  wird  (wohl  ein  Druckfehler).  Must 
(S.  15)  als  Ausdruck  eines  Befehls  (commomQ  anzugeben,  ist  nicht  zu- 
treffend. In  dem  den  Passivkon struktionen  gewidmeten  Abschnitt  (8. 37 — 39) 
ist  einiges  nicht  ganz  klar.  Es  wird  die  Kegel  über  die  doppelte  Passiv - 
konstruKtion  bei  Verben  mit  Dativ-  und  Akkusativobjekt  eegeben,  es 
fehlen  aber  Beispiele  dazu.  Allerdings  finden  sich  in  den  Oefmingen  IT, 
8.  121  Beispiele  dafflr,  doch  wären  nier,  des  Zusammenhang  wegen, 
wohl  auch  einige  am  Platze  gewesen,  zumal  der  Verfasser  eine  Menge 
Beispiele  fflr  die  Aktivkonstruktion  und  mehrere  fflr  die  Ausnahme  ffibt, 
wo  im  Passiv  nur  eine  Konstruktion  möglich  ist.  Wenn  er  femer  oabei 
sagt:  *Though  most  CLCtive  sentenees,  containing  a  "direct  objeef'  and  an 
^*indireet"  or  a  **prepo8iitonal  olp'eet",  aüow  of  two  ptusive  construetions^ 

onlv  one  is  po8a%ble : b.  'HcUh  the  direet  obfeet"  for  subfeety  tchen  the 

vero  aovems  ttoo  aeeusatives*,  und  dazu  vorher  unter  b  als  Beispiel  ^bt 
'William  lU  was  croumed  King  of  EnglancV  und  *He  had  been  prodatmed 
Pharaoh\  so  liegt  darin  ein  mderspruch,  da  man  doch  King  und  Pharack 
kein  'indirektes'  oder  'präpositionales  Objekt'  nennen  kann.  Ein  Versehen 
ist  es  femer,  wenn  der  Verfasser  als  Beispiel  für  'Adjectitfes  used  as  Nouns* 
(8.  89)  das  Beispiel  gibt:  Ttoo  elasses  ofroeks:  the  stratified  and  the  tm- 
stratified,  wo  docn  stratified  und  unstratified  zweifellos  Adjektive  geblieben 
sind,  wie  er  ja  auch  selbst  auf  8.  81  zugibt,  wo  er  dasselbe  Beispiel  fflr 
die  R^^l  anfahrt,  dafs  zwei  'Adjektive',  hinter  denen  ein  Substantiv  zu 
ergänzen  ist,  kein  one  bekommen,  wenn  sie  Gegensätze  ausdrücken.  Nicht 
ganz  zutreffend  gefafst  ist  endlich  die  Begel  über  das  Pronomen  inter- 
rogativum  tchcU  (S.  49):  'Whaf,  used  adjectivehfi  inquires  after  the  'Hnd 
of  person  or  thing,  *What^,  used  suhstaniwdyy  inquires  in  a  'generaV  way\ 
auch  das  adjektivische  whai  kann  doch  ganz  'allgemein'  («n  a  general  way, 
fragen,  und  der  Verfasser  gibt  gleich  darauf  als  Gegensatz  zu  dem  aU- 
gemein  fragenden  what  die  zutrenende  Regel  für  which:  ^Whieh',  substan- 
tively  and  adjeetively  asks  for  an  individtuU  out  of  a  group  of  persons  or 
thinga, 

Dero  Buche  ist  angefügt  ein  Voeabulary^  d.  h.  ein  alphabetisch  ^- 
ordnetes  Verzeichnis  einiger  seltenerer,  im  Text  begegnender  und  daselbst 
durch  einen  Punkt  hervorgehobener  Wörter,  die  jedoch  nicht  in  die  Mutter- 
sprache übersetzt,  sondern  durch  eine  englische  Erklärung  umschrieben 
werden.     Es  soll  das,   wie  die  £}inleitung  sagt,  der  Versuch  zu  dnem 


BeurteilangeD  und  kurze  AnzeigeD.  189 

EngKshrEnglüh  dictionary  for  sliahtly  advaneed  pupüa  sein.  Daus  so  etwas 
sehr  nützlich  sein  kann,  wird  keiner  bestreiten,  und  jeder  Lelirer  der 
neueren  Sprachen  wird  schon  mehr  oder  minder  hfiufig  Vokabeln  in  dieser 
Weise  abgefragt  haben.  Ob  man  aber,  wie  der  Verfasser  sich  das  denkt, 
bei  so  ToEabelreichen  Lesestücken  ein  ausführliches,  in  die  Muttersorache 
übersetzendes  Wörterverzeichnis  ganz  wird  entbenren  können,  od  der 
Unterricht  in  der  Klasse,  bei  nocn  so  genauer  Durchnahme  der  Stücke, 
imstande  ist,  all  diese  Wöner  mit  ihrer  Aussprache  auch  dem  unb^ab- 
teren  Sdiüler  sicher  einzuprägen,  das  ist  doch  noch  die  Frage.  Wieviel 
Schulen  haben  derartig  b^abte  Schüler?  (Jnd  wir  möchten  doch  nicht, 
dafs  die  Fortschritte  und  Errungenschaften  moderner  Methodik  nur  dem 
begabten  Schüler  zugute  kommen;  im  Gegenteil,  dem  unbegabteren  wären 
sie  noch  nötiger,  da  der  begabte  Schüler  auch  neben  der  grammatischen 
Methode  meist  noch  Zeit  ^nug  für  allerlei  Sprechübungen  übrigbehalten 
wird.  In  dem  Wörterverzeichnis  fehlt  die  Erklärung  des  Wortes  SyUabiut, 
das  auf  S.  74  mit  einem  auf  das  Wörterverzeichnis  hinweisenden  Stern- 
chen versehen  ist.  Endlich  sind  dem  Buche  als  Anhang  noch  zwei  Heft- 
chen mitgegeben :  eine  conctse  grammoTy  eine  kurze  systematische  Zusam- 
menstellung aller  vorgekommenen  Regeln  ohne  Beispiele,  worin  die  rechten 
Seiten  stets  freigelassen  sind  zum  Nachtragen  und  Vervollständigen  (4ü  S. 
Text),  und  ein  Heftchen  (15  S.)  ÜSsereises.  Den  kleinsten  Teil  aieser 
Übungen,  etwa  ein  Viertel,  nehmen  holländische  Sätze  zum  Übersetzen 
ins  Englische  ein;  sonst  sind  es  Aufgaben,  englische  Sätze  mit  fehlenden 
Wörtern  zu  vervollständigen,  aneegeMne  Wörter  an  die  richtige  Stelle  zu 
setzen,  grammatische  Fragen  zu  b^intworten.  Regeln  an  Beispielen  zu  er- 
klären, Aktiv  in  Passiv  zu  verwandeln  und  umgekehrt,  einen  angep;ebenen 
Infinitiv  im  richtigeo  Tempus  einzusetzen,  Sätze  mit  ihaA  in  die  Kon- 
struktion des  acc.  cum  inf.  umzugestalten,  Sätze  mit  angegebenen  Wör- 
tern zu  bilden,  oder  es  sind  freiere  Aufgaben,  wie  Rechenexempel,  mathe- 
matische Aufgaben,  Briefe  und  kleine  Aufsätze,  zu  denen  meist  einige 
Wendungen  eeffeben  werd^. 

An  DrucK&hlem  sind  mir  aufgefallen:  S.  XIII,  Z.  5:  IS  st  18,  15; 
S.  9,  Z.  27:  noun-^laiuse  st  fiotm,  eUmBe\  S.  24,  Z.  28:  m  st.  o«;  S.  25, 
Z.  1:  Word-ordar  st  Word9-ordeT\  S.  36,  Z.  12:  Punkt  vor  owwg  weg; 
S.  88,  Z.  27:  if  st  of\  S.  48,  Z.  8:  promenade  st  pramanade;  S.  51,  Z.  2d: 
form  st  from;  S.  62,  Z.  18:  and  st  anda;  S.  84,  Z.  7:  a  st  o/  und  Komma 
w^;  S.  92,  Z,  2S:  out  st  our. 

Das  Lehrbuch  von  Poutsma,  das  gleichfalls  in  Holland  erschienen 
ist,  kann  nicht  gut  in  die  angegebene  Remenfolge  eingeordnet  werden,  da 
es  kein  Schulbuch,  sondern  eine  wissenschaftliche  Grammatik  ist.  Man 
mülBte  es  denn  insofern  als  der  neueren  Richtung  angehörig  betrachten, 
als  es  ganz  und  gar  in  englischer  Sprache  abgefalst  ist 

Der  Titel  sa^,  dafs  wir  es  mit  einem  Buche  zu  tun  haben,  das  die 
Erscheinungen  des  modernsten  Englisch  festzudtellen  sucht  Der  Verfasser 
versteht  darunter  das  Englisch  ungefähr  der  letzten  200  Jahre.  Aus  den 
Autoren  dieser  Zeit  oder  der  Zeit  kurz  vorher  sind  die  Beispiele  genom- 
men. Da  es  aber  natürlich  bei  einer  wissenschaftlichen  Grammatik  nicht 
sanz  ohne  Vergleiche,  ohne  Hinweisuogen  auf  die  historische  Entwicke- 
lung  abgehen  kann,  so  sind  oft,  wo  es  nötig  war,  auch  Beispiele  aus  dem 
JEarly  moderte  English,  aus  Shakeäpeare  und  manchmal  auch  aus  dem 
Mittel-  und  Alten^lischen  herangezogen. 

Von  vornherein  gleich  sei  bemerkt,  dals  es  sich  hier  um  ein  hervor- 
ragendes, hochinteressantes  Werk  handelt,  das  Resultat  einer  über  viele 
Jahre  ausgedehnten  emsigen  Forschung,  eine  Arbeit  voller  Feinheiten  und 
Eigenheiten  hinsichtlich  der  einzelnen  Aufftussung  sowie  der  Zusammen- 
stdlung  und  Anordnung  des  Ganzen. 


190  Beurtdlmigen  und  kurze  Auzeigen. 

Die  EiDteiluDg  wacht  tou  der  üblichen  betrSchtlich  ab.  Znnichst 
hat  der  Verfasser  Ableitunn-  und  Wortbildungslehre  sowie  Fhooedk  ans 
seinem  Programm  ausgeschlossen.  Formenldire  und  Syntax  ^trennt  m 
behandeln,  nätte  zu  dem  Charakter  und  Plan  des  Buches  oicnt  gepafst. 
Der  Verfasser  hat  daher  eine  andere  Einteilung  gewählt.  Das  groia  ange- 
legte Werk  soll  aus  zwei  Hauptteilen  bestehen,  von  denen  der  erste  ober 
den  '8atz',  der  zweite  über  die  'Bedeteile*  handeln  soll.  Der  erste  Teil 
wieder  setzt  sich  aus  zwei  Unterabteilungen  zusammen:  1)  Die  Blemente 
des  Satzes,  2)  Der  zusammengesetzte  Satz.  Der  Torliegende,  348  Seiten 
starke  Band  ziemlich  grolsen  Formates  enthält  diese  erste  ünterabteilnng: 
'Die  Elemente  des  Satzes'.  Die  zweite  Unterabteilung  soll  im  Anfang  des 
Jahres  l'J05  erscheinen.  Der  Verfasser  hat  einige  neue  grammatische  Ter- 
mini eingeführt,  die  zum  Teil  schon  Ton  anderen  yorgeschlaf;en,  zum  Teil 
ranz  neu  gebildet,  alle  durchaus  einfach  und  verständlich  sind  und  sich 
daher  sicher  praktisch  bewähren  werden.  So  faist  er  Nomen  und  Adjek- 
tivum  als  nominal,  alle  näheren  Bestimmungen  eines  solchen  nominal  als 
adnominal  adjunets  und  die  Begriffe  des  Compound  sentenee  und  eofnplex 
sentence  unter  eompotüe  sentenee  zusammen.  Ferner  führt  er  für  das  un- 
bestimmte 'if  als  Subjekt  und  Objekt  die  B^dchnung  sham-eubfeet  und 
skam-object  ein. 

Es  ist  selbstverständlich,  dafs  das  Buch  alles  Wichtige,  was  im  eigenen 
Lande  oder  in  anderen  Ländern  über  englische  Grammatik  geechneben 
worden  ist,  berücksichtigt  und  überall,  wo  es  nötig  ist,  darauf  verweist 
Seine  Hauptvorzüge  aber  bestehen  in  seinem  Beichtum  an  idiomatisdieD 
Wendungen,  in  der  Unmenge  der  mit  rastlosem  Fleifs  zusammengetrage- 
nen, aufs  sorgfältigste  ausgewählten  und  stets  mit  der  Quellenangabe  Ter- 
sehenen  Beispiele  und  in  der  streng  zeitlichen  Anordnung  wechselnder 
Ausdruckfiweisen  (man  vergleiche  z.  B.  hinsichtlich  des  letzten  Punktes 
den  §  70  über  die  Umschreibung  mit  ^to  do*)»  Das  Buch  ist,  wie  schon 
gesagt,  vollständig  in  englischer  Sprache  abgefafst;  wo  es  nötig  war,  ist 
aber  natürlich  die  entsprechende  holländische  Ausdrucksweise,  hier  und 
da,  wo  sie  nicht  mit  der  holländischen  übereinstimmt,  auch  die  deutsche 
mit  der  englischcii  verglichen  worden. 

Das  I.  Kapitel  des  Werkes  handelt  über  das  Prädikat.  Über  die  Be- 
zeichnung 'Prädikat'  und  'Prädikatsnomen'  (das  hier  nominal  pari  of  Üie 
predicaie  genannt  wird)  läfst  sich  bekanntlich  streiten,  insofern  man  unter 
Prädikat  oald  nach  der  alten  Weise  das  Verbum  oder  eine  sc^nannte 
'Kopula'  mit  'Prädikatsnomen'  versteht,  bald  nur  das  reine  Verbum,  wobei 
man  dann  das  sogenannte  'Prädikatsnomen'  als  eine  Ergänzung  im  Nomi- 
nativ ansieht,  oder  aber  mit  'Prädikat'  alles  das  bezeichnet,  was  von  dem 
Gte^benen,  dem  Bekannten  als  neu  und  wissenswert  ausgesagt  wodeo 
soll,  wobei  jede  beliebige  Wortart  'Prädikat'  sein  kann.  Die  alte  Beseich- 
nung,  die  auch  unser  Autor  beibehalten  hat,  indem  er  zwei  Arten  eines 
Prädikates,  das  verbal  predicaie  und  das  nominal  predieaU  (d.  h.  eoptda  -f 
nominal  or  a  wordgroup  doing  dtäy  as  a  nominal)  unterscheidet,  hat  ihre 
Schwierigkeiten,  für  die  auch  dieses  gerade  in  seiner  Eintdlunff  und  An- 
ordnung mit  peinlichster  Sorgfalt  ausgearbeitete  Buch  noch  Belege  genug 
dbt  Warum  sollten  z.  B.  die  Sätze  my  bed  i$  done  io  the  waü  und  fWf 
oed  Stands  close  to  the  waü  (S.  2)  in  ihrer  Natur  so  verschieden  sein,  da& 
man  im  ersten  is  als  'Kooula'  und  daher  is  dose  io  the  wall  als  Prädikat 
ansieht,  in  dem  zweiten  ais  Prädikat  nur  das  selbständige  Verbum  Stands 
betrachtet?  Die  Verben  to  seem  und  to  appear  befinden  sich  nicht  unter 
den  'Kopulas',  da  ein  Satz  wie  he  seems  happy  nach  des  VerÜEUss^is  Deu- 
tung eine  Abkürzung  für  den  Satz  he  seems  to  be  happy  und  dieser  wieder 
eine  solche  für  it  seems  that  he  is  happy  ist,  was  er  durch  Vergleiche  be- 
weist. Da  über  das  verbal  predieate  nichts  weittf  zu  sagen  ist,  handele 
die  ersten  17  Seiten  nur  von  den  'Kopulas'.    Der  Verfasser  unterscheidet 


Beurteiluiigen  und  kurze  Anzeigen.  191 

drei  Arten:  solche,  die  ein  Sein,  solche,  die  ein  Bleiben,  und  solche,  die 
ein  Werden  ausdrücken.  Der  interessanteste  und  mit  zahUosen  Beispielen 
belegte  Teil  ist  der,  in  dem  er  die  Verben  zusammenstellt,  deren  Bedeu- 
tung allmählich  so  zusammengeschrumpft  ist,  dafs  sie  zur  'Kopula'  herab- 
fesunken  sind.  Er  belegt  nicht  weniger  als  für  die  erste  Art  14  (wie 
8tand  lisUmished  at  my  own  moderatiofh  S.  7),  fOr  die  zweite  Art  10  fwie 
The  weather  hdd  phenomenaüy  siUnt,  6.  10),  für  die  dritte  Art  11  Veroen 
(wie  Ai  last  he  waxed  täterly  mad,  8. 16).  Bei  vielen  dieser  Verben  geht  er 
auch  der  mutmafslichen  Entstehungsgeschichte  dieser  'Kopulas'  nach.  Ab- 
gesehen v<Hi  dem  aufserordentlichen  Wert  einer  so  gründlichen  Zusammen- 
stellung Ton  Verben,  die  ohne  jeden  Zweifel  zusammengehören,  bei  denen 
man  nur  über  die  Benennung  verschiedener  Meinung  sein  könnte,  drängen 
sich  auch  hier  wieder  die  Schwierigkeiten  hinsichtlich  des  Begriffes  'Ko- 
pula' auf.  Warum  soll  z.  B.  io  look  in  Why  looks  your  grace  so  pale,  wo- 
neben es  eine  Ausdrucks  weise  mit  io  he  gibt,  wie  in  Young  Pen  looked  to 
be  a  lad  of  mueh  more  eonaequenee,  'Kopula'  sdn,  während  to  seem  in  he 
seema  happy  wegen  eines  daneben  bestenenden  he  seems  to  be  happy  das- 
selbe abgestritten  wurde? 

D^  zweite,  besonders  interessante  und  gleichfalls  ausführlich  beleste 
Teil  dieses  Kapitels  betitelt  sich  Complex  PredieaUe,  Der  Verfasser  be- 
handelt darin  auf  nicht  weniger  als  74  Seiten  die  'Hilfszeitwörter'.  Er 
teilt  sie  in  sechs  Gruppen:  1)  solche,  die  ausdrücken,  thai  a  stalement  ü 
coruidered  maiter  of  eertainiy  or  uneertainty  (to  be,  ean,  may,  must,  ahaU, 
ftnü),  2)  thcU  a  eubsianee  is  aeted  upon  by  a  certain  power  (to  be,  to  have, 
must,  med,  ought,  ^haü,  unU)^  'S)  thai  an  action  or  etaie  ü  habüual  or  re- 
eurrent  (can,  to  uae,  will),  4)  that  it  ia  poaaible  for  a  peraon  to  da  a  certain 
aetion,  or  to  be,  remain  or  get  infto)  a  eertain  atate  (can,  mau,  muat),  5)  to 
dare,  ö)  to  do.  Diese  Einteilung  ist  höchst  glücklich  gewählt  und  trotz 
des  grolsen  Keichtums  sehr  übersichtlidi.  Von  feinen  Beobachtungen,  die 
sich  darin  finden,  sei  nur  hervorgehoben  die  Erklärung  eines  amll,  das 
schon  Gegenstand  manches  Streites  gewesen  ist  und  zu  den  verschieden- 
sten Deutungen  Anlafs  gegeben  hat,  in  Sätzen  wie  There  ia  not  a  girl  in 
toton  but  let  her  have  her  tctll  in  going  to  a  maak,  and  ehe  'ahalT  dreas  like 
a  ahepherdeaa  (S.  47).  Der  Verfasser  weist  auf  Grund  einer  Reihe  von 
Beispielen  nach,  dafs  wir  es  hier  einfach  mit  dem  ahall  zu  tun  haben,  das 
nach  Ausdrücken  des  'Vers^prechens'  gebraucht  wird,  wobei,  ebenso  wie 
bei  dem  holländischen  beUwen,  das  to  promiae  häufig  den  Sinn  von  to 
asaure  annimmt.  Höchst  ansprechend  ist  es  auch,  wie  der  Verfasser  die 
beiden  Begriffe  der  'Fähigkeit  und  'Möglichkeit',  die  so  oft,  namentlich 
in  Schulgrammatiken  fast  als  gegensätzlich  hingestellt  werden,  gemeinsam 
unter  der  vierten  Gruppe  behandelt,  wie  er  an  einer  Unzahl  von  Beispielen 
zeigt,  dals  die  beiden  verwandten  Begriffe  häufig  unentzifferbar  ineinander 
übergehen  und  miteinander  verwecnselt  werden,  und  wie  er  dann  die 
Bchwer  zu  findende  Grenze  zwisdien  beiden  wenigstens  einigermaCsen  fest- 
zulegen sucht  Auf  eine  kleine  Ungenauigkeit  in  der  Ausarucksweise  sei 
aufmencsam  gemacht.  Der  Verfasser  sagt  auf  S.  79:  Nor  ia  cüher  of  the 
auünliariea  *to  hare'  or  ^to  be'  ever  ua^  unth  Ho  do\  während  er  S.  87 
uatürlich  das  bekannte  don't  be  afraid  etc.  nicht  vergessen  hat. 

Das  II.  Kapitel  handelt  über  das  Subjekt.  Hier  erfahren  wir  zu- 
nächst etwas  über  das  aftam-aubfect,  d.  h.  über  die  sogenannten  ^unpersön- 
lichen  Verben',  dann  etwas  über  das  anticipatory  aulneei,  d.  h.  aas  auf 
etwas  Folgendes  hinweisende  subjektive  it,  sowie  die  Fälle,  wo  es  fehlt, 
dann  finden  wir  in  einem  Abschnitt,  der  sich  besonders  viel  mit  der  histo- 
rischen Entwickelung  der  heutigen  Ausdrucksweise  beschäftigt,  eine  sehr 
interessante  und  eingehend  belegte  Zusammenstellung  der  Verben,  die 
neben  ihrer  eigentümlichen  Konstruktion  sich  eine  solche  herausgebildet 
haben,  wo  Objekt  und  Subjekt  mitdnander  vertauscht  worden  sind,  wie 


192  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

ft  grieves  me  und  /  arieve  ai  (he  thougkt  ([8.  109),  ü  seemed  to  hdm  und  he 
seemed  (S.  121),  una  endlich  erhalten  wir  im  AnschlulB  daran  eine  sehr 
einsehende  Erklärung  und  EntstehuDgsgeechichte  der  Ausdrücke  /  had 
ratner,  sooner,  liefer,  liever,  better,  best  uaw. 

Das  III.  Kapitel  hat  das  Objekt  zum  Thema.  Wenn  der  Ver&sser 
hier  zwischen  direet  or  *pa8sive'  obfeet  und  indireet  dbjeet  unterscheidet,  so 
scheint  mir  der  Ausdruck  ^paeeM  gerade  fürs  Englische  nicht  passend 
gewählt,  weil  auch  das  indirekte  Objekt  im  Englischen  Subjekt  des  Pas- 
sivums  werden  kann.  Der  Abschnitt  über  das  'prfipositionslose  Objekt' 
belehrt  uns  über  das  redundant  obfeet,  d.  h.  das,  was  man  auch  sonst 
'Dativ US  ethicus'  nennt,  wie:  Äa  I  was  emohing  a  musty  room,  oomee  me 
the  prince  and  Claudio,  hand  in  kand,  in  aad  eonferenee  (S.  131,  aus  Shake- 
speare), über  die  Konstruktion  der  im  Holländischen  mit  präpositionslosem 
Objekt  verbundenen  Adverbien  und  Adjektiva  enough,  auffieient,  eaey, 
difficult,  possible,  impossible  und  verwandte  und  s^bt  uns  eine  sehr  int«'- 
essante,  eingehend  Delegte  Zusammenstellung  der  Konstruktionen  von 
worth,  tcortMf,  proof,  bysy,  like,  unlike,  alongside,  astride,  inside,  outaide^ 
near  und  opposite.  Darauf  foifft  ein  Abschnitt  über  das  aham-objeBt,  d.  h. 
das  unübersetzbare  objektivische  it  in  Ausdrücken  wie  to  lord  it.  Hier 
wäre  eine  Begründung  angebracht  gewesen,  warum  der  Verfasser  in  Sätzen 
wie  One  day,  aa  ill-luek  wotUd  have  it,  thegame  becafne  more  exciting  thixn 
uaual  und  ne  unü  have  it  that  all  virtuea  and  aeconipliahmenia  met  in  hie 
hero  und  ähnlichen  (S.  148)  das  t^  als  indefinite,  not  anticipating,  also 
ebenso  wie  in  give  it  kirn  with  the  left  (S.  148)  aufgefaist  haben  will.  Über 
das  zweite  Beispiel  sagt  er  nur:  M  theae  quotationa  there  ia  an  eüipaia  of 
an  anteeedent  *ao\  and  the  elauae  introdueed  by  ^that'  ia,  iherefore,  adverbial. 
Es  könnte  doch  aber  auch  naheliegen,  in  dem  it  einfach  einen  Hinweis 
auf  die  Sätze  the  game  became  . . .  und  that  all  virtuea  ...  zu  sehen,  wie 
doch  auch  in  dem  deutschen  4ch  will  es  haben,  dals  du  das  tust'  das 
*es'  auf  den  folgenden  dals-Satz  hinweist,  genau  so  gut  wie  in  'Ich  habe 
es  versprochen,  morgen  zu  kommen'.  Der  nächste  Abschnitt  behandelt 
das  anticipatory  objeet  it,  der  folgende  the  indireet  objeet.  Hier  erhalten 
wir  eine  'vollständige'  Liste  der  Verben  (1^9  an  der  Zahl),  die  einen  prä- 
positionslosen Dativ  neben  einem  Akkusativ  haben  können,  und  eine  Liste 
von  7o  Verben,  die  stets  einen  Dativ  mit  to  haben  müssen,  sämtlich  mit 
Beispielen  belegt. 

Kapitel  I  v  bespricht  die  attributive  adnominal  adjunota,  und  zwar  zu- 
nächst die  'Apposition'.  Der  Verfasser  sucht  den  etwas  unklaren  und 
sehr  allgemeinen  Begriff  'Apposition'  näher  und  schärfer  zu  begrenzen; 
er  erkennt  nur  drei  Arten  von  Appositionen  an:  1)  solche,  die  nur  dne 
andere  Benennung  des  Beziehun^wortes  enthalten,  wie  Joan  of  Are,  the 
Maid  of  Orleana,  2)  solche,  die  zu  einem  Quantitätsbegriff  den  Geg^- 
stand  angeben,  wie  a  doxen  ahirta,  8)  solche,  die  einen  Gattungsbegriff 
spezialisieren,  wie  the  river  Rhine.  Dagegen  spielt  nach  seiner  Meinung 
in  king  Alfred  das  hing  nur  die  Bolle  eines  Adjektivs  und  ist  in  Edward  Vu, 
hing  of  England  das  king  of  England  als  unvollständiger  Satz  anzusehen. 
Sobald  aber  in  der  letzten  Art  das  zweite  Nomen  derart  eng  bestimmt 
ist,  dafs  es  mit  dem  ersten  fast  gleichbedeutend  ist,  wie  in  Edupard  VII, 
the  preaent  king  of  England,  dann,  meint  der  Verfasser,  könnte  man  es 
ebensogut  als  Apposition  betrachten.  Von  dem  vielen,  das  auf  den 
15  Seiten  über  die  drei  Arten  der  Apposition  zu  finden  ist,  sei  nur,  als 
ein  Beispiel,  wie  fein  und  vorsichtig  alles  bedacht  ist,  auf  die  Erklärung 
solcher  Ausdrücke  wie  10000  foot  (S.  199)  hingewiesen.  Der  Verfasser 
möchte  sie,  ebenso  wie  10  000  infantry,  cavalry,  Sorae,  rank  and  file,  rem^ 
lar  troopa  etc.,  am  liebsten  durch  die  Ellipse  eines  men  erklären,  zu  dem 
dann  infantry  usw.  eine  Apposition  oder  eine  Art  unvollständigen  Satzes 
wäre.    Freilich  läfst  er  noch  andere  Erklärungen  als  möglich  erscheinen, 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  198 

weist  aber  die  rein  äuliserliche,  in  foot  und  horae  einen  unveränderten 
Plural  zu  sehen,  entschieden  ab.  Jedenfalls  werden  durch  seine  Erlclärung 
auch  solche  Ausdrücke  wie  200  wounded,  200  siek  sofort  klar. 

Das  V.  Kapitel,  das  über  die  adverbial  adjunets  handelt,  bringt  zu- 
nächst Beispiele  für  alte  adverbiale  Genitive,  wie  ^o  thy  toays,  noto-a-days 
usw.,  und  im  Anschluis  daran  eine  sehr  ausführliche  und  eineehcod  be- 
legte Zusammenstellung  der  Konstruktionsarten  englischer  Zeitbestim- 
mungen im  allgemeinen.  Es  sei  nur  ein  Beispiel  angeführt,  das  wiederum 
eine  Eigenart  dieses  Buches  bel^t.  Überall  ist  der  Verfasser,  ohne  es  be- 
sonders zu  sagen,  bemüht,  die  Lebendigkeit  und  damit  die  Schwierigkeit 
der  en^Uschen  Sprache  möglichst  deutlich  hervortreten  zu  lassen,  zu  zei- 

fen,  wie  so  sehr  oft  für  denselben  Qedanken  die  verschiedensten  Aus- 
rucksweisen  möglich  sind,  die  Ausdrücke  ineinander  fibergehen  und  die 
noch  lebensfrische  Sprache  jeder  scharfen  Regel  spottet  und  übermütig 
darüber  hinweghüpft.  Er  tut  das  besonders  durch  Anführen  solcher  Bei- 
spiele, wo  du  und  derselbe  Autor  in  ein  und  demselben  Satze  genau  das- 
selbe auf  zwei  verschiedene  Weisen  ausdrückt,  Beispiele,  die  der  Verfasser 
mit  grofser  Sorgfalt  überall  zusammengesucht  hat.  So  zitiert  er  hier  aus 
David  Copperfield:  There  are  two  parhurs:  ihe  parlour  in  tohioh  we  sit 
*of  an  epentng'y  my  moiker  and  I  and  Peggotiy,  amd  the  be8t  parlour  tohere 
toe  sit  *on  a  Sunaay^» 

Kapitel  VI  handelt  über  die  predieative  adnominal  (tdiunets,  worunter 
er  prädikative  Bestimmungen  zu  anderen  Verben  als  den  sogenannten 
'Kopulas'  versteht. 

Kapitel  VII  gibt  eine  all^meine  Einteilung  der  Sätze. 
Kapitel  VIII  bespricht  die  Wortstellung,  und  zwar  zunächst  die  Stel- 
lung des  Subjekts.  Nicht  weniger  als  36  Beispiele  gibt  der  Verfasser  für 
die  Inversion  (oder  Nichtinversion)  nach  negativen  Adverbien  oder  Kon- 
junktionen wie  hardly^  lHUe,  never  usw.  ^sZh  einigen  Beispielen  anderer 
Fälle,  wo  ein  Adverbium  im  Anfang  eines  Satzes  Inversion  des  Subjekts 
bewirkt,  berichtet  der  Abschnitt  Inversion  eaused  by  front-position  of  the 
objeet  hauptsächlich  über  die  Inversion  oder  Nichtinversion  in  Sätzen,  die 
in  eine  direkte  Bede  eingeschoben  sind,  wobei  nach  der  Art  des  Subjekts, 
des  Verbums  und  der  Erweiterungen  sehr  klar  verschiedene  Fälle  einge- 
teilt werden.  Ebenso  klar  werden  die  Fälle  der  Inversion  nach  vorauf- 
gehendem 'Prädikatsnomen'  dadurch  gemacht,  dafs  genau  nach  der  Be- 
tonung des  Verbums  unterschieden  wird,  wie  z.  B.  Blessed  are  the  poor 
in  sptrit  (S.  V60)  und  The  more  virtuous  a  man  is,  the  happier  he  is 
(S.  262).  Nach  allerlei  anderen  interessanten  Dingen  handelt  der  nädiste 
gröisere  Abschnitt  von  den  Satzteilen,  die  zwischen  Subjekt  und  Prädikat, 
und  ein  folgender  von  denen,  die  zwischen  den  Teilen  eines  zusammen- 
gesetzten Prädikats  stehen.  Sehr  lehrreich  ist  femer  der  Abschnitt  über 
die  Stellung  des  Objekts,  wo  aus  der  Anordnung  und  Besprechung  der 
zahlreichen  Beispiele  deutlich  hervorgeht,  dafs  die  Stellung  des  Objekts 
sich  nicht  streng  nach  der  in  manchen  Schulgrammatiken  sogar  als  un- 
umstöislichen  ^gel:  *Verbum  —  Objekt  —  andere  Satzteile*  richtet,  son- 
dern nach  zwei  ganz  anderen  Gesichtspunkten,  erstens  der  mehr  oder 
minder  engen  Zugehörigkeit  eines  Satzteiles  zum  Verbum,  die  den  betref- 
fenden Satzteil  dem  Verbum  näherbringt,  und  zweitens  der  Stärke  der 
Betonune,  die  ihn  möglichst  vom  Verbum  trennt.  Auch  bei  der  Stellung 
des  Objekts  im  Anfang  des  Satzes  begnügt  sich  der  Verfasser  nicht  mit 
der  herkömmlichen  und  falschen  Erklärung,  das  Objekt  stehe  im  Anfang 
des  Satzes,  wenn  es  besonders  betont  ist,  sondern  er  unterscheidet  zwei 
Fälle:  solche,  wo  das  vorangestellte  Objekt  die  Person  oder  die  Sache  be- 
zeichnet, an  die  der  Sprechende  vor  allem  anderen  denkt,  wie  in  silver  and 
gold  have  I  ncne  (wo  das  'Betonte'  natürlich  gerade  none  ist),  und  solche, 
wo  die  Voranstellung  einen  bequemen  Anscnlufs  an  Vorhergehendes  b^ 

AxtMi  i.  D.  Sprachen.    CXYI.  13 


194  Beurteiiungen  und  kurze  Aozeigeu. 

werkstelligt,  wie  Hü  pasMums  and  prefudtees  had  led  kirn  Mo  a  greai 
error,  Thai  error  ns  determined  tc  reeani  (S.  278).  Aub  dem  laageQ 
AbscliDitt  über  die  Stellung  der  adverbialen  Bestimmungen  sei  nur  noch 
auf  die  ausführliche  und  reich  belegte  Liste  der  Stellungen  der  Adverbien 
90j  thuSt  Uioughj  elsCf  besides,  hotoever  usw.  hingewiesen.  Dann  folgen  Ab- 
schnitte über  die  Stellung  des  Attributs,  besonders  des  Adjektivs,  des 
Possessivpronomens,  des  Zahlwortes  (hier  finden  wir,  um  noch  ein  Bei- 
spiel von  der  Fülle  der  Belege  zu  eeben,  allein  fflr  boih  in  seinen  ver- 
schiedenen SteUungen  nicht  weniger  als  42  Zitate),  des  Infinitivs,  des  Parti- 
zips und  anderes  mehr. 

Hoffentlich  erscheint,  wenn  die  verdienstvolle  Arbeit  beendet  ist,  ein 
alphabetisches  Inhaltsverzeichnis  dazu,  damit  sie  zu  der  Fteude,  die  sie 
jedem  Leser  bereiten  wird,  auch  noch  den  Nutzen  eines  praktischen  Nach- 
schlagewerkes bringt  Wegen  der  eigenartigen  Einteilung  des  Buches 
müiJste  dann  allerdings  dieses  Inhaltsverzeichnis  sehr  eingehend  sein,  selbst 
z.  B.  solche  Wendungen  wie  to  look  one  in  ihe  face  und  io  look  in  one^s 
face  (8.  144)  enthalten,  da  sonst  mancher  eine  reiche  Schatzgrube  besäüse, 
ohne  zu  wissen,  wo  er  die  Schätze  im  Augenblick  sudien  soLL 

Fritz  Strohmeyer. 

E.  Herzog;  Streitfragen  der  romanisehen  Philologie.  Erstes  Bänd- 
chen: Die  Lautgesetzfrage.  Zur  französischen  Lautgeschichte. 
Halle,  Niemeyer,  1904.    122  S. 

Es  geht  ein  frischer,  ori^neller  Zug  durch  das  Büchlein  von  Herzog, 
das  viel  mehr  enthält,  als  sein  Umfang  erraten  läfst.  Die  ersten  80  Seiten 
bringen  eine  Abhandlung  über  die  Lautgesetzfrage  in  neuer  Beleuchtung. 
Der  Verfasser  stellt  als  einheitliches  Prinzip  des  Lautwandels  die  Ge- 
schlechterablösung  auf.  Dieser  in  den  Paragraphen  40  ff.  ausge- 
sprochene Gedanke  ist  der  Kern  der  Arbeit  In  den  vorhergehenden  Ab- 
schnitten werden  die  früheren  Lösungen  des  Problems  kritisiert  und  ab- 
gelehnt, um  dem  neuen  Vorschlag  Platz  zu  machen.  Dabei  hat  der  Ver- 
fasser Gelegenheit,  die  Lautgesetzfrage  nach  allen  Seiten  zu  drehen,  mit 
Beispielen  zu  belegen,  die  keck  aus  Sültn  romanischen  und  aus  vielen  an- 
deren Sprachen  gezogen  sind,  und  so  entwirft  er  ein  glänzendes,  geist- 
volles Plaidoyer,  welchem  man  trotz  der  Gedrängtheit  der  Erklärungen 
mit  Spannung  fol^t  Der  philosophische  Zug,  der  durch  alle  Wissen- 
schaften ^eht,  scheint  auch  unseren  Prinzipienfragen  zugute  kommen  zu 
wollen:  in  letzter  Zeit  mehren  sich  allgemeine  Abhandlungen.  Die 
Rousselotsche  Schulung  hat  die  jüngeren  l%ilologen  daran  gewöhnt,  mit 
den  kleinsten  Unterschieden  der  Lautartikulation  zu  rechnen.  Die  Dia- 
lektologie hat  zur  besseren  Erfassung  sprachlicher  Vorgänge  durch  ihr 
reiches,  kontrollierbares  Material  besonders  viel  beigetragen.  Herzogs  An- 
sichten sind  aus  dem  gegenwärtigen  Stande  der  Forschung  hervorseganffen. 
Wenn  trotzdem  seine  Hauptthese  nicht  annehmbar  erscheint,  so  lieft  dies 
weniger  am  Autor  als  an  der  Undurchdringlichkeit  der  Sache.  Unsere 
Erfahrung  ist  noch  zu  sehr  theoretisch.  Wir  verfolgen  ffewissermafsen 
den  Lauf  der  Dinge  von  Stunde  zu  Stunde,  aber  noch  nicht  von  Minute 
zu  Minute  oder  von  Sekunde  zu  Sekunde. 

Sehen  wir  uns  gleich  das  Ablösun^sprinzip  näher  an.  Nach 
Herzog  verändert  sich  der  Laut,  den  wir  in  der  Jugend  erlernt  haben, 
infolge  des  Wachstums  unserer  Organe.  Diese  wachsen  'schwerlich  alle  in 
genauer  Proportion  zu  einander,  so  dafs  zu  der  GrÖfsen Veränderung  noch 
Veränderung  der  gegenseitigen  Lage  kommt,  die  Knochen  werden  härter, 
die  Stimme  mutiert,  etc.'  (p.  50).  So  hören  die  Kinder  von  erwachsenen 
Menschen  nicht  ganz  denselben  Laut,  den  die  ältere  Generation  in  ihrer 
Jugenil   gesprochen  bat;   mit  dem  Älterwerden   der  zweiten   G^eneration 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  195 

wiederholt  sich  das  Spiel,  und  so  kommt  ein  kontinuierlicher  Wandel  zu- 
stande. Herzog  verhehlt  sich  nicht,  dafs  die  Menschen  sich  nicht  alle 
dreilsig  Jahre,  sondern  beständig  ablösen,  so  dafs  in  Wirklichkeit  eine 
ganz  uoregelmäfsige  Geschlechterfolge  eintritt;  die  Spracherlernung  erfolgt 
nicht  immer  von  den  Eltern  zu  den  Kindern  u.  s.  f.  Aber  das  scheint 
mir  ffir  Annahme  seiner  Theorie  kein  grofser  Übelstand  zu  sein,  denn  tat- 
sachlich tun  sich  die  Leute  naph  Generationen  zusammen,  und  man  kann 
die  Zwischenglieder  auf  die  Älteren  oder  Jüngeren  verteilen.  Aber  das 
Ablösungsprinzip  hat  andere  Schwächen.  Herzog  will  z.  B.  den  Schwund 
des  -d'  über  -S-  dadurch  erklären,  dafs  die  Zunge  des  Erwachsenen  'bei 
der  Vergröfserun^  des  Organs  nicht  mehr  hinreicht,  einen  vollständigen 
Abschlul's  zu  bilden'.  Nun  ist  aber  a  priori  durchaus  nicht  gesagt,  oaTs 
die  Zun^e  nicht  im  gleichen  Mafsstabe  wächst  wie  die  Entfernung  vom 
Halszäpfchen  zur  oberen  Zahnreihe.  Die  Behauptung,  dafs  die  Zunse 
zurückbleibe,  ist  auf  nichts  fi;egründet.  Auch  könnte  die  proportionefle 
Verkürzung  der  Zunge  durcm  die  vermehrte  Energie  des  Erwachsenen, 
die  von  Herzog  nicht  in  Anschlag  gd;>racht  wird,  kompensiert  werden. 
Eine  solche  Erklärung  würde  ich  im  gegebenen  Falle  nur  auf  Grund  wirk- 
licher Messungen  an  einer  Reihe  von  Individuen  annehmen.  Und  wir 
haben  a  priori  nicht  das  Becht,  vorauszusetzen,  dafs  die  Yerändeniue  der 
Oreane  bei  jedem  Individuum  in  gleicher  Bichtung  erfolge,  so  dals  die 
einneitliche  Tendenz  mehrerer  Geschlechter:  -d-  =  0  rätselhaft  wäre. 
Den  Einwand,  dafs  nach  seiner  Theorie  in  jeder  Sprache  -d-  verstummen 
müfste,  während  im  Germanischen  umgekehrt  eine  Stimmlose  daraus  ent- 
stehe,' sucht  Herzog  dadurch  zu  entkräften,  dafs  er  verschiedene  Abarten 
von  d  annimmt,  z.  B.  ein  schmal-  und  ein  breitflächiges,  wobei 
schmal  und  breit  die  Dimensionen  von  vom  nadi  hinten  oezeichuen. 
Die  erste  Abart  soll  dem  Französischen  zugrunde  liegen,  wo  -cf-  schwin- 
det, das  provenzalische  -x^  aus  -d-  soll  sich  aus  einem  breitflächieen  -d- 
entwickelt  haben.  Aber  wie  soll  aus  einem  ursprünglich  schmalfläcnigen  d 
im  Provenzalischen  ein  breitflächiges  entstanden  sein,  wenn  nach  der 
obigen  Erklärung  die  Zungenaktion  mit  dem  Reifwerden  des  Individuums 
an  Intensität  verliert?  Und  mir  scheint  der  Übergang  einer  Gruppe  wie 
ada  zu  a8a  auf  einem  Vorgang  zu  beruhen,  bei  welchem  es  weniger  auf 
die  Beteiligun^breite  der  Zunge,  als  auf  die  Lage  der  Zungenspitze  an- 
kommt. Eis  wird  zwischen  den  beiden  a  mit  der  Hebung  derselben  ge- 
spart, und  so  kommt  statt  eines  festen  ein  loser,  an  den  Schneidezähnen 
gebildeter  Verschlufs  zustande,  der  leicht  in  eine  Spirans  überseht.  Liefse 
sich  beweisen,  dafs  das  provenzalische  x  über  S  entstanden  ist,  so  fiele 
Herzogs  Annahme  eines  breitflächigen  d  für  einen  Teil  des  französischen 
8üdens  dahin.  Es  scheint  mir  also  der  Versuch,  das  neue  Prinzip  durch  einen 
prägnanten  Fall  zu  illustrieren,  in  mehrfacher  Hinsicht  gescheitert  zu  sein. 
Die  bessere  Kenntnis  der  Lautphysiologie  ist  nicht  nur  von  grofsem 
Nutzen,  sondern  durchaus  notwendig  gewesen;  sie  hat  aber  ein  neues  Feld 
der  Kasuistik  eröffnet,  auf  welchem  jeder  Schritt  mit  der  gröfsten  Behut- 
samkeit ausgeführt  werden  mufs.'   Gar  leicht  wird  eine  Aussprache  theo- 

'  Im  §  49  versacht  Herzog  auch  die  deutschen  Laatverschiebungen  mit  dem 
AblÖBUngspriusip  za  vereinbaren.  Ich  überlasse  gern  die  Knlik  dieses  Punktes 
den  Germauisten. 

'  Ich  möchte  aber  nicht  unterlassen,  zu  betonen,  dafs  Hersog  in  dieser  Schrift 
selten  für  alte  Sprachznstände  ganz  bestimmte  Sprechweisen  stipuliert,  sondern 
meist  von  heutigen  Erfahrungen  und  Experimenten  ausgeht.  Aber  hie  und  da 
kann  ich  seine  phonetischen  Aufstellungen  nicht  billigen,  so  p.  32  Anm.|  wo  er 
behauptet,  dafs  bei  p  die  Oberzähne  auf  der  Innenfläche  der  Unterlippe  ruhen. 
Unverstindüch  ist  mir  der  Ausspruch  (p.  61  Anm.),  dafs  lat.  a  im  Altfrz.  zu  e 
geworden  sei,  ohne  ^  zu  berühren,  und  anderes  mehr. 

18* 


196  Beurteilungeo  wad  kurze  Anzeigen. 

retisch  angenommen,  um  im  nächsten  Augenblick  von  selten  eines  erfinde- 
rischen Kopfes  wieder  umgestoisen  zu  werden.  Und  bis  die  langsame 
Kritik  ihr  Wort  gesprochen  hat,  kann  es  passieren,  daJb  der  Urheber  einer 
Theorie  sie  län^t  wieder  aufgegeben  hat.  Es  wird  sich  daher  immer 
empfehlen«  die  Bache,  wenn  möglich,  auf  praktischen  Boden  zu  stellen. 
Wenn  in  der  Nähe  provenzalisdier  Mundarten,  die  -d-  zu  -x-  wanddn, 
heute  breitflächige  d  oder  ein  Laut,  der  nachweislich  daraus  hervorging, 
zu  hören  sind,  darf  man  annehmen,  dals  die  -;&-Mundarten  einst  dieselM 
Vorlage  besafsen.  Fast  jeder  &anzösische  Lautübergang  läfst  sich  in 
irgendeinem  modernen  Winkel  der  Komania  studieren.  Genaue  Beobach- 
tungen wirklicher  Verhältnisse  werden  uns  rascher  Torwarts  bringen  als 
theoretische  Spekulationen. 

Der  Verfasser  selber  sagt  mit  aller  Offenheit  und  Deutlichkdt,  dals 
die  Ablösungstheorie  zuerst,  bevor  sie  auf  Gültigkeit  ein  Bedit  be- 
anspruchen kann,  *die  Feuerprobe  der  Erfahrung'  bestehen  mufs  (cf.  §  47, 
48,  41)).  Einstweilen  ist  sie  eine  geistreiche  Hypothese.  Ich  bin  nun  weit 
entfernt,  den  Wert  der  Theorie  verkennen  zu  wollen.  Jede  neue  Art  der 
Fragestellung  ist  anregend  und  unter  Umständen  fruchtbar.  Und  auch 
die  Praxis  hat  ihre  Schattenseiten.  Wenn  die  Theorie  durch  Verallgemeine- 
rung sündigt,  so  versandet  oft  die  Beobachtung  im  einzelnen  Experiment. 
Ich  begreife,  dafs  Mever-Lübke  die  neue  Schrift  Panconcellis  über  die  ita- 
lienischen Nasalvokaie  mit  einem  Seufzer  aus  der  Hand  legte;  mir  selber 
war  die  Pkonettqtie  italienne  von  Freeman-Jocelyn  eine  grofse  jSnttäuschung. 
Nur  oft  wiederholte  und  auf  breiter  Basis  angestellte  Versuche  hab^ 

fenerellen   Wert.     Und  in  Ermangelung  des  Beweismaterials  mufs   die 
heorie  das  Feld  behaupten. 

Obschon  ich  Herzogs  Formulierung  des  Ablösungsprinzips  für  unbe- 
wiesen halte,*  glaube  icn,  dafs  der  Geschlechterwechsel  in  verschiedener 
Art  am  Lautwandel  beteiligt  ist.  Herzog  hat  sehr  ridhtig  hervorgehoben, 
dals  die  Lautgesetze  viel  öfter,  als  man  es  gemeinhin  annimmt,  auf  Assi- 
milationserscheinungen beruhen,  also  auf  einer  Art  Beibung  der  Wort- 
elemente. Diese  Reibung  scheint  mir  am  stärksten  zu  sein  bei  der  kräf- 
tigen, mittleren  Generation,  innerhalb  welcher  am  ehesten  neue  Lautgesetze 
entstehen  können.  Ein  beginnendes  Gesetz  bringt  eine  grofse  Unoranung 
mit  sich,  indem  ein  Wort,  ein  Individuum  williger  ist  als  das  andere. 
Diese  Ungleichheit  hört  meist  bei  der  nachwachsenden  Generation  auf, 
die  das  Gesetz  konsequenter  durchführt.  Oder  es  wird  eine  nachlässig 
Artikulation  der  Alten,  z.  B.  ein  8,  von  den  Jungen  übertrieben,  was  zum 
gänzlichen  Schwunde  des  Lautes  führt.  Hierbei  scheint  eine  Art  Ver- 
erbung mitzuspielen.  Auch  das  Gehör  ist  am  Lautwandel  beteiligt:  ein 
unbetonter  Diphthong,  dessen  Elemente  nahe  beieinander  li^n,  z.  B.  et^ 
kann  als  7  wiedergegeben  werden.  Vielleicht  sind  noch  aUerlei  andere 
Ü bertraff ungsmöglichkeiten  vorhanden  Ich  würde  nicht,  wie  der  Ver- 
fasser, darauf  dringen,  allen  Lautwandel  auf  eine  Ursadie  zurückzufüh- 
ren. Genau  betrachtet,  gibt  er  selbst  verschiedene  Wege  zu.  So  nimmt 
er  §  2A  (ungenaue  Wortwiedergabe)  Gehörfehler  an;  die  Prothese 
von  e  vor  8  tmpurum  führt  er  auf  den  Fall  la  'staie  ^  esiate  zurück,  der 
auf  la  Stella  ^  esteüa  analogisch  eingewirkt  hätte;  er  1^  grolises  Gewicht 
auf  den  Ausgleich  der  AUegro-  und  der  Lento-Formen  usw.  Trotzdem 
ich  theoretisch  die  Forderung  einer  Erklärung  für  allen  Lautwandel  an- 
erkenne, wird  es  mir  einstweilen  nicht  leicht,  mich  für  irgendeine  der  vor- 
geschlagenen Einheitstheorien  zu  erklären.  Es  wird  mir  schon  schwer 
genug,  z.  B.  lautliche  Analogie  {buona  nach  buonUf  dieses  mit  Diphthong 


'  Sollte  nicht  aucli,   wenn  der  Bau  der  Organe   eine   so  grotM  Bolle  spielt, 
flberall  leicht  eine  besondere  Frauen  spräche  entstehen? 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  197 

wegen  des  auslautenden  u)  und  eigentlichen  Lautwandel  *  als  Aufserungen 
desselben  Prinzi}»  zu  betrachten. 

So  weit  bin  ich  mit  dem  Autor  einv^erstanden,  dafs  mit  jeder  neuen 
Generation  die  Sprache  einen  Kuck  vorwärts  tut,  und  dais  die  Verantwort- 
lidikeit  für  entstehenden  Lautwandel  der  mittleren,  sprechstarken  Gene- 
ration zugeschrieben  werden  muDs.  Ich  halte  es  daher  für  eine  Inkon- 
sequenz, wenn  p.  7'2  das  rasche  Vorauseilen  des  An^onormannischen 
gegenüber  dem  kontinentalen  Französisch  durch  den  Tod  vieler  reifer 
Männer  im  Kampf  erklärt  wird,  wodurch  der  'retardierende  und  kontrol- 
lierende Rlnflufs,  den  die  ältere  Generation  auszuüben  pfle^',  eingeschränkt 
wurde.  Übrigens  bezieht  sich  diese  Xontrolle  nur  auf  die  groben  Sprech- 
fehler der  Kinder,  nicht  auf  keimende  Lautgesetze,  die  unbemerkt  bleiben, 
auch  wenn  ohrfällige  Vertauschungen  stattfinden,  wie  sy  z=  S,  Zungen- 
spitzen-r  =  Halszäpfchen-r  etc. 

Mit  der  Tendenz,  das  Ablösungsprinzip  zu  vollem  Rechte  kommen 
zu  lassen,  hängt  die  hier  und  da  zu  eilige  Beseitigung  von  Spezialfällen 
zusammen,  die  bisher  angenommen  wurden  und  den  Wert  der  neuen 
Theorie  schmälern  könnten.  Herzog  möchte  beweisen,  dafs  Fernassimi- 
lation, springender  Lautwandel,  Metathesen  auf  ein  Prinzip  zurückzufüh- 
ren sind  =  Täumliche  und  zeitliche  Verschiebungen  von  artikulatorischen 
Bewegungen'.  Er  nimmt  z.  B.  an,  dafs  in  cherchier  für  eerchier  die 
für  ^  nötige  Zungen  Wölbung  sukzessive  über  die  ganze  erste  Silbe  aus- 
griff,' bis  der  Anfangskonsonant  erfafst  wurde  (§  33).  Nun  ist  zunächst 
unrichtig,  dafs  durch  die  antizipierte  Organstellung  des  S  das  e  und  r 
'dem  Klange  nach  vollständig  oder  nahezu  unberührt  bleiben';  ferner  wird 
die  Erklärung  unmöglich  für  die  Dialekte,  welche  die  Fem  assimilierung 
zu  einer  Zeit  durchfiihren,  wo  der  zweite  Laut  ein  Explosivlaut  ist:  ther- 
titer.  Ebenso  ungläubig  verhalte  ich  mich  gegenüber  den  Argumenten, 
die  gegen  den  sog.  spnngenden  Lautwandel  vorgebracht  werden.  Dafs 
die  Zitterbewegung  des  alveolaren  r  durch  die  Zungenhaut  auf  das  Zäpf- 
chen übertragen  worden  sei  und  so  ein  Ersatz  von  r  durch  R  entstand, 
leuchtet  mir  nicht  ein.  Ich  habe  zwar  eine  Person  gekannt,  die  einen  der- 
artigen Übergangslaut  sprach,  der  besonders  im  Worte  sennteur  auffiel, 
aber  ich  sah  es  für  eine  Kontamination  von  r  und  R  an;  der  Betreffende 

fehörte  einer  verdeutschten,  ursprünglich  französischen  Familie  an.  Da 
aa  R  besonders  in  städtischen  Zentren  um  sich  greift,  glaube  ich  viel  eher 
an  modische  Lautsubstitution.  Die  Landluft  enthält  weniger  a- Bazillen. 
In  Italien,  wo  die  /e- Infektion  noch  wenig  verbreitet  ist,  liefsen  sich 
darüber  Beobachtungen  anstellen.  Ob  Deutschland  sein  R  aus  Paris  be- 
zogen hat,  ist  schwer  zu  sagen,  da  uns  für  die  vergangenen  drei  Jahr- 
hunderte jede  Statistik  darül^r  fehlt. 

Eine  Metathese,  wie  formatieu  —  fromage,  soll  über  ffmage  ent- 
standen sein.  Theoretisch  ist  die  Bildung  von  r  mit  verschiedenen  Vokal- 
klängen, überhaupt  die  gegenseitige  Durchdringung  der  Laute  nicht  au- 
zufecnt^.  Aber  es  scheint  mir,  in  einer  Gegend,  wo  gerade  formatieu 
mit  fromaticu  leicht  wechselt,  wie  in  der  französischen  Schweiz,  sollte 

ein  ff  doch  häufig  anzutreffen  sein,  und  ich  erinnere  mich  blols,  es  im  Wallis 

gehört  zu  haben.   Das  Aufgehen  des  Neutralvokals  in  r  :  ^mer  habe  ich  oft 

f^troffen,  selten  aber  f  oder  r  etc.    Eine  Gesetzmäfsigkeit  ist  in  solchen 
allen  nicht  vorhanden.   Es  wird  difemier  zu  d^fremeTf  aber  nicht  yemir, 
verdir,  vermine  zu  vre,,,  oder  gar  servir  zu  «re....    In  fromage  wird  zu 


*  Herzog  verwirft  mit  Recht  die  Bezeichnang  spontaner  Lautwandel.    Jedes 
I^antiresets  ist  arsprttnglich  bedingt. 

*  Solche  F&lle  wären  für  die  Experimentalphonetiker  ein  interessantes  Objekt. 


198  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigeit* 

einer  Zeit,  da  man  vergessen  hatte,  daTs  der  Käse  nur,  wenn  er  in  der 
Presse  geformt*  wird,  so  zu  betiteln  ist,  wo  also  der  Zusammenhang  mit 
forme  gelöst  war,  die  Häufigkeit  der  Gruppe  fr  in  Wörtern  wie  fro- 
ment  etc.  gewirkt  haben.  Um  die  Metathese  zu  einer  zeitlichen  Arti- 
kulationsverschiebung zu  machen,  nimmt  Herzog  kunstliche  Zwischen- 
formen  an,  die  mir  wenig  Realit&t  zu  besitzen  scheinen.  Dafür  noch  ein 
anderes  Beispiel :  den  Wandel  von  afrz.  stut  zu  suü,  den  er  richtig  ^Ersatz 
eines  unusuellen  Phonems'  nennt,  möchte  er  auch  mit  Hilfe  einer  Durch- 

ü 

ffanssform  sit  der  schnellen  Bedeweise  erklären.  Treibt  er  hier  nicht 
Mifsbrauch  mit  der  Annahme  von  Allegroformen  ?    D^  man  z.  B.  eine 

ü 

Alle^oform  frit  =  fruit  annehmen?  Kommt  überhaupt  dieses  Wort  so 
häufig  ab  Schnellsprechform  vor,  dals  man  von  da  aus  eine  analogiache 

Bewegung:  frit :  fruit  =r  sit :  suit  erwarten  darf?  Das  entbehrt  alles  der 
Stfltze  durch  Erfahrungstatsachen. 

In  einem  Punkte  weichen  meine  Anschauungen  stark  von  denen  Her- 
zogs ab,  nämlich  in  den  Vorstellungen  über  die  eeographiscbe  Ausbreitung 
des  Lautwandels.  Die  Mode  wird  als  Faktor  des  Sprach  wandeis  viel  zu 
leichthin  abgeldint.  Zugegeben  sei,  dafs  die  Schlagwörter  von  der  Wellen- 
theorie und  vom  Ölfleck  nicht  ganz  das  richtige  treffen,  wie  Herzog  be- 
merkt. Nach  der  Wellenbewegung  tritt  beim  Wasser  alles  in  die  frühere 
Buhe  zurück,  nach  einer  Lautwelle  ist  ein  veränderter  Sprachzustand  ge- 
schaffen ;  der  Ölfleck  versinnbildlicht  schlecht  die  Ausdehnung  eines  Wan- 
dels über  sehr  grofse  Gebiete,  wie  et  =  iS  oder  it.  Wenn  aber  die  bis- 
herigen Bezeichnungen  unzutreffende  oder  irreführende  waren,  so  spielt 
die  Sache  doch  eine  viel  gröfsere  Bolle,  als  man  glaubt»  Herzog  meint, 
Aussprachemoden  hätten  in  Alpendörfem  weniger  Chancen  als  in  städti- 
schen Zentren.  Das  wäre  richtig,  wenn  es  sich  um  affektierte  Wohlreden- 
heit  handelte.  Aber  unbewufste  Anpassung  findet  überall  statt  In  jedem 
dialektischen  Milieu  kann  man  jederzeit  generalisierende  Aussprache- 
tendenzen konstatieren.  _Z.  B.  breitet  sich  im  Kanton  Bern  die  Aussprache 
w  für/  aus:  gäw  iüi  giä  (gelt),  miwx  für  rnüx  (Milch)  etc.  Sie  dringt 
sogar  gegenwärtig  vom  Lande  her  in  die  Hauptstadt.  Da  darf  man  nicht 
sagen:  in  Bern  verwandelt  sich  ^genwärtig  /  oder  besser  gesagt  i  (ve- 
lares  /)  in  w,  sondern  es  breitet  sich  durch  Ansteckung  eine  Aussprache- 
mode aus.  Nichts  ist  schwieriger,  als  zwischen  wirklichem  Lautwandel 
und  eindringenden  Lautnuancen  zu  unterscheiden.  Es  kann  ja  auch  gleich- 
mäfsige  Bewegungstendenz  vorliegen  I  Haben  wir  in  diesem  einen  Falle 
die  Stadt  unter  der  Domination  der  ländlichen  Umgebung  gesehen,'  so 
spielt  sich  ein  anderes  Beispiel,  das  ich  zitieren  möchte,  ganz  unter  Alpen- 
dörfern ab.  Im  Val  de  bagne  (Wallis)  hört  man  das  Wort  *cinque 
xle  aussprechen.  Es  ist  nun  ganz  ausgeschlossen,  dafs  aus  lat.  e*^*  ein  ;/ 
entsteht,  obschon  irgendein  findiger  Theoretiker  vielleicht  Übergangsstadien 
herausklügeln  könnte,  sondern  ich  erkläre  mir  den  Vorgang  auf  folgende 
komplizierte  Weise.  Ein  Wort  wie  elave  wird  im  Wallis  je  nach  den 
Dialekten  zu  ;t/a  oder  &ä.  Kommt  nun  die  Aussprache  x^  ins  Wan- 
jdern,  so  kann  in  einem  Tale,  das  ursprünglich  &a  und  ^e  =  einque 
sagte,  welche  zufällig  im  Anfangslaut  übereinstimmten,  das  9"  in  beiden 
Ausdrücken  durch  ;c»  ersetzt  werden  (Überentäufserung).  So  wird  es  im 
Val  de  Bagne  geschehen  sein.  Man  könnte  dieses  Vorfahren  Dialekt- 
lagerung nennen.    Wieviel  von  der  Sprach  Veränderung  auf  allmählichen 

'  Cf.  Lachsinger,  Das  Molkereigträl  in  den  romamichen  AlpentUaUkt^m  dtr 
Sehweü,  p.  9.    (Vgl.  hier  S.  236.) 

'  Wobei  starker  Zasag  vom  Lande,  Demokratiaiemiig  der  Schale  etc.  mit- 
•pielen. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  199 

Eigenwandel,  wieviel  auf  Lagerung,  d.  h.  Mode,  zurückgebt,  ist  einet- 
w^en  gar  nicht  abzusehen,  viele  soeenannte  Ausnahmen  erklären  sich 
dadurch,  dafs  das  Gesetz  im  neuen  Milieu  entweder  hinter  den  ursprüng- 
lichen Grenzen  zurückblieb  oder  darüber  hinausging. 

Im  Satz,  dafs  die  Erzeu^un^  der  Artikulationen  rein  mechanisch 
geschieht  Tp.  12)  und  die  Autwirkuns  von  Bewufstsein  und  Willen  sich 
auf  die  Zeit  der  Spracheriemung '  Deschränkt,  scheint  mir  der  Autor 
die  jMychische  Seite  des  Lautwandels  zu  verkennen.  Ist  denn  die  Auf- 
lösung einer  sprachlichen  Analode  ohne  Mitwirkung  des  Gehirns  denk- 
bar? Bewufstsein  und  Wille  stdien  wohl  überhaupt  nicht  auf  derselben 
ätufe.  Wenn  ich  ein  ä  spreche,  so  mufs  ich  den  rfasalkanal  öffnen,  das 
geschieht  nicht  automatisch,  sondern  es  bedarf  dazu  eines  kleinen  Willens- 
aktes, der  mir  aber  nicht  bewufst  wird.  Wird  aus  apto  <.  attOf  so  ist 
möglicherweise  darin  ein  rein  mechanischer  Assimilationsprozeis  zu  sehen, 
besonders  wenn  aHo  seitens  des  Hörenden  als  cio  verstanden  und  wieder- 
gegeben wird.  Wenn  aber  in  planta  das  Gaumensegel  etwas  zu  früh  her- 
untergelassen wird  und  das  a  sich  nasal  färbt,  so  kann  man  darin  ein  psy- 
chisches Vorgreifen  der  späteren  Artikulation  erblicken.  Oder  wenn  Herzog 
p.  ^9  sa^t,  dafs  in  lat.  tietnus  das  erste  i  weniger  sorgfältig  geschlossen 
wurde  (t  relächi)  und  daraus  z.  B.  span.  veeino  diulurch  entstäit,  dafs  man 
den  Unterschied  übertrieben  wiedergibt,  so  ist  daran  die  Psyche 
beteiligt.  Herzog  selber  sagt,  dafs  infolge  eines  psychologischen  Ge- 
setzes 'Differenzen  zwischen  zwei  ähnlichen  Reizen  gröfser  empfunden 
werden,  als  sie  sind'.  Unleugbar  psychisch  sind  viele  Metathesen,  Konta- 
minationen von  ähnlich  klingenden  oder  bedeutungsähnlichen  Wörtern; 
auf  das  Gehirn,  das  überhaupt  jedes  menschliche  Tun  regiert,  gc^en 
Affekt,  Tempo,  Stil,  Betonung  usw.  zurück. 

So  ist  mir  Herzogs  Aufbau  seiner  These  zu  schematisch,  und  daher 
befinde  ich  mich  oft  mit  ihm  in  Widerspruch  bei  seinem  raschen  Gan^ 
durch  alle  Möglichkeiten  der  Lautdifferenzierung;  aber  wie  oft  freue  ich 
mich  darüber,  dafe  er,  von  anderen  Voraussetzungen  ausübend,  zu  den- 
selben Resultaten  gelangt;  wie  oft  eröffneter  neue  Ausblicke,  löst  er  spie- 
lend schwierige  Probleme.  Mein  Referat,  das  mehr  an  die  mir  negativ 
scheinenden  Seiten  seines  Systems  anknüpft,  darf  nicht  den  Verdacht  auf- 
kommen lassen,  es  sei  in  Herzogs  Schrift  nur  Problematisches  und  rein 
Hypothetisches.  Wo  er  gegen  den  individuellen  Anteil  am  Sprachwandel 
Front  macht,  gegen  das  Ausgehen  von  der  Kindersprache  zur  Erklärung 
der  allgemeinen  sprachlichen  Bewegung;  wo  er  die  Gründe  der  Gegner 
des  Lautgesetzes  abfertigt,  das  Bequemlichkeitsprinzip  verwirft;  wo  er 
nachweist,  dafs  der  Umlaut  nic]it  etwas  vom  Lautgesetz  Verschiedenes  ist, 
sondern  nur  eine  bestimmte  Aufserungsform  desselben;  wenn  er  einen 
prinzipiellen  Unterschied  zwischen  Umlaut  und  Epenthese  leugnet;  über- 
naupt  wo  er  sich  g^en  die  rein  äufserliche  Einteilung  der  Sprachgesetze 
von  Wechssler*  richtet,  da  sind  seine  Worte  knapp  und  klar  und  voll- 
ständig überzeugend. 

Ab  Beispiel  für  seine  ebenso  überraschenden  als  instruktiven  Deu- 
tungen romanischer  Vorgänge  möchte  ich  seine  Erklärung  von  span. 
fuente  ^  hijo  erwähnen.  Er  sagt  (p.  24  ff.):  'Auch  im  Deutschen  bildet 
man  f  verschieden  nach  den  folgenaen  Vokalen.  So  bestanden  auch  beim 
apan.  f  verschiedene  Mundstellungen,  mit  gröfserer  Enge,  wenn  lippen- 
engere  Vokale  darauf  folgten,  losere,  wenn  lippenweite  danach  zu  sprechen 
waren.  Von  einem  bestimmten  Zeitpunkt  an  wurde  noch  weiter  an  den 
folgenden  Vokal  'assimiliert';  der  Spalt  wurde  so  weit,  dais  das  Reibungs- 


'  Ob  wirklieh  die  Kinder  mit  grOCberezn  Bewvfttsein  sprechen? 
*  Qi^  «f  LmUg99elubf  (Festgabe  Snehier). 


200  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

geräusch  bei  den  Lippen  ganz  yerschwand  und  nur  noch  der  blolse  Hauch 
hörbar  war;  so  blieb  nur  die  engste  Varietät  des  f^  dasjenige,  das  vor  dem 
lippeneugsten  Vokal,  dem  u,  gesprochen  wurde  {fueeo\  ferner  dasjenige^  auf 
das  überhaupt  kein  Vokaf  folgte  {frondä)  etc.*  Von  der  Richtigkeit  dieser 
Ansicht  kann  sich  jeder  leicht  mit  einem  Spiegel  überzeugen.  E^  könnt« 
also  die  Bewegung  in  ihren  Anfängen  auf  f  vor  %  limitiert  gewesen  sein 
und  progressiv  einen  Fall  nach  dem  anderen  erfafst  haben.  Im  Sranischen 
wurde  die  Bewegung,  nachdem  o  zu  ue  geworden  war,  sistiert.  Im  Gasoogni- 
schen  wirkte  die  Gewöhnung  an  lässige  /'•Aussprache  weiter,  bis  alle  Falle 
betroffen  waren.  Immerhin  zeigen  die  fast  100  Karten  des  Gilli^ronschen 
AtlcLs  mit  Anlaut-^;  dafs  in  der  Position  fl  und  fr  das  Gesetz  weniger 
konsequent  durchgeführt,  also  modemer  ist.  Nichts  hindert  uns  a&o, 
das  Lautgesetz  f  =  k  auf  eine  Reihe  von  Jahrhunderten  auszudehnen 
und  den  ersten  AnstoÜs  dazu  doch  im  Iberischen  zu  suchen.  Der  starke 
Einwand  von  Meyer-Lübke  (Mnf.  p.  188),  dafs  der  iberische  Einflufs  sich 
unmöglich  erst  geltend  macnen  konnte,  nachdem  g  zu  ue  geworden  war, 
fällt,  sobald  wir  die  Möglichkeit  einer  Verteilung  des  Vorganges  auf  sehr 
lange  Zeit  erhalten.  Das  würde  auch  Herzog  zugeben,  der  aliotüngs 
glaubt,  dafs  ethnische  Einflüsse  auf  den  Sprachwandel  durch  Nachschub 
aus  der  Metropole  nach  und  nach  paralysiert  werden,  aber  doch  so,  dafs 
kleine  Differenzen,  'wie  sie  auch  sonst  innerhalb  der  Sprache  einer  Sprach- 

gemeinschaft  vorkommen'  (p.  77),  stehen  bleiben  können.  Ich  glaube  über- 
aupt,  dafs  er  auch  in  diesem  Punkte  zu  weit  geht.  Wir  dürfen  uns  in 
dieser  Frage  nicht  zu  sehr  durch  moderne  Erfahrungen  bednfluBsen 
lassen.  Im  Kanton  Waadt  hat  man  vom  18.  bis  zur  Mitte  des  19.  Jahr- 
hunderts ein  stark  idiomatisch  gefärbtes  Französisch  gesprochen.  Erst  die 
neueren  veränderten  Kulturverhältnisse  (Eisenbahn,  Phonetik,  bessere 
Schulung  etc.)  haben  auf  einmal  auffallende  Besserung  gebracht  In  der 
Vergangenheit  waren  die  Bedingungen  von  Land  zu  Ls^d  und  von  Zeit 
zu  Zeit  verschieden,  es  kam  auf  frimere  oder  spätere  Loslösung  von  Rom, 
auf  den  Grad  der  Völkermischung,  auf  die  Art  der  Verbreitung  der  frem- 
den Sprache  an.  und  so  können  die  vorromanischen  Spracnen  in  der 
verschiedensten  Weise  nachgewirkt  haben. 

Im  zweiten  Teile  seiner  Schrift  unt^wirft  Herzog  einige  schwierigere 
Punkte  der  französischen  Lautgeschichte  scharfer  Kritik.  Zunächst  das 
von  Horning  verfochtene  Gesetz,  dafs  die  Gruppe  ti  intervokal  vortonig 
=  ix,  nachtonig  =  ta,  z.  B.  pruter  ^  puix.  Gegen  "diese  Ansicht  werden 
einige  prinzipielle  Bedenken  geltend  gemacht,  z.  B.  dafs  sonst  im  Fran- 
zösischen eine  solche  verschiedene  Behandlung  je  nach  der  Akzentlage 
nicht  vorkommt,  dafs  das  Wort  pris  der  aufgestellten  Regel  widerspricht, 
dafs  die  Beispiele,  welche  Horning  zur  Stütze  seiner  These  zitiert,  anders 
erklärt  werden  können  oder  unsicherer  Herkunft  sind  usw.  In  der  Tat 
fängt  man  sogar  nach  den  neueren  Arbeiten  von  Pieri  und  Clark  {Rom. 
1905)  an,  daran  zu  zweifeln,  dafs  die  Behandlung  der  Konsonanten  im 
Italienischen  von  der  Betonung  abhängig  sei.  Zwar  lälst  sich  aus  den 
genannten  Arbeiten  noch  kein  klarer  Überolick  über  die  italienischen  Ver- 
hältnisse gewinnen;  aber  das  Meyer-Lübkesche  Gesetz  muis  revidiert  wer- 
den, und  das  wird  auch  für  den  genannten  altfranzösischen  Fall  von 
Wichtigkeit  sein.  Herzog  hat  wohl  recht  mit  seiner  Behauptung,  dafs 
pris  =  pretium  einen  'lautgerechten  Wandel  darstellt  und  eine  ana- 
logische Bewegung  wohl  von  pris  zu  priaier,  aber  nicht  umgekehrt  vom 
abstrakten,  vernältnismäfsig  wenig  gebrauchten  Infinitiv  zum  Substantivum 
supponiert  werden  darf.  Auch  Suchier  betont  in  der  zweiten  Auflage  des 
Qrvmdrisses  (p.  737  Anm.),  dafs  Horning  sich  methodisch  verfehle,  wenn 
er  das  Unsichere  gegen  das  Sichere  ausspielt.  In  der  Beiirteilung  der  ab- 
weichenden Formen  freilich  wird  man  nicht  immer  die  Auffassung  Her- 
zogs billigen  wollen.    Dafs  das  Wort  puteum  durch  den  Mund  der  Ge- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  201 

bildeten  hindurchgegangen  sei,  ist  wenig  walirscheinlicli.  Ebenso  dafs 
das  sdir  lebenskräftige*  und  vom  Stammwort  caput  früh  losgerissene 
eapitium  anderswoher  entlehnt  oder  sein  /  durch  eaput  länger  gehalten 
worden  sei.  Suchier  hat  auch  beide  Fälle  anders,  aber  noch  nicht  über- 
zeugend, erklärt.  So  weit  möchte  ich  einstweilen  Herzog  recht  geben, 
daJb  'ti'  so  früh  zu  einem  einheitlichen  Palatallaut  wurde,  dafs  es  noch 
die  Sonorisierung  mitmachte,  während  -et-  zurückblieb  und  länger  als 
Kompositlaut  gefühlt  wurde.  Der  Weg  Ton  e  zu  i  ist  auch  länger  als 
von  t  zu  f,  wie  die  entsprechenden  Gaumenbilder  deutlich  beweisen.  Mit 
dem  -ef-  fällt  die  späte,  gelehrte  Behandlung  des  -ti-  zusammen,  welche 
künstlich  das  i  autrechterhielt.  Von  den  drei  Itesultaten  von  -itia 
sieht  Herzog  -iise  als  den  regelrechten  Fortsetzer  an,  obschon  es  im 
Französischen  so  selten  vorkommt.  Die  Bemerkung  Herzogs,  dafs  pi- 
gritia  >  ^pareüe  unter  Einflufs  des  Lateins  durch  ^lehrtes  parece  er- 
setzt wurde,  während  richetse,  proeüe  sich  deswegen  hielten,  weil  die  Ge- 
lehrtensprache keine  stammgleichen  Entsprechungen  besafs,  ist  sehr  zu 
beachten.  Die  Mundarten  sind  hierin  dem  Ursprung  treuer  geblieben. 
So  hat  das  Greyerzer  Patois  die  schöne  Form  pareise  (im  Wörterbuch 
von  L.  Bomet,  gesprochen  par§^)  erhalten.  Die  vielen  Formen  auf  -w, 
worunter  allerdings  viele  vorkommen,  neben  welchen  ein  Verbum  auf  -tr 
steht,'  möchte  er  durch  Einflufs  des  Partizips  auf  -itus  erklären.  Die 
ganze  Sache  ist  noch  nicht  spruchreif,  und  vieles  ist  trotz  aller  neueren 
Arbeiten  noch  ganz  dunkel.  Warum  ergibt  z.  B.  vieinu  >  vetsin  und 
voeem  nicht,  wie  man  erwarten  sollte,  *voüe  >  *voi8^  Warum  vortonig 
plaisir  =  raison,  aber  nachtonig  feix  ^  palaist  Die  mundartlichen  For- 
men sind  wenig  dienstbar  und  fügen  neue  Bätsei  hinzu,  cfr.  für  puteu 
im  Berner  Jura  die  Form  pusj  für  voce  in  der  Montagne  neuchateloise 
tnoSs^  etc. 

Weiter  bespricht  der  Verfasser  die  Entsprechungen  von  hordeum, 
oleum.  Der  häufige  Genitiv  hordei,  olei,  ohne  Palatallaut,  hätte  das 
d  und  l  auch  in  den  anderen  Kasus  bewahrt.  Das  Dictionnaire  gSnSral 
sieht  hier,  wie  so  oft,  keine  Schwierigkeit  und  gibt  einfach  an:  diu  — 
oüu  etc.,  als  ob  nicht  foliu  >  fueil  daneben  stände. 

Endlich  macht  Herzog  glaublich,  dafs  gedeckter  Zwischentonvokal 
altfranzösisch  immer  zu  e  wird,  daher  ehalengier,  eraventer,  nuiiemel, 
volentiers  etc. 

Damit  glaube  ich  bewiesen  zu  haben,  welch  vollgerüttelt  Mafs  von 
Problemen  und  Lösungsversuchen  das  angezeigte  Bücnlein  enthält  und 
wieviele  Anregungen  davon  ausgehen. 

Bern.  ^  L.  Gauchat. 

Paul  Bastier  (Lecteur  ä  TUniversit^  de  Koenigsberg),  F^nelon  oritique 
d'art.    Paris,  librairie  £mile  Larose,  1908.    Fr.  1. 

F6nelon  hat  sein  Leben  lang  ein  offenes  Auge,  ein  groises  Interesse, 
ein  feineres  Verständnis  als  die  meisten  seiner  Zeitgenossen  für  alle  Aufse- 
rungen  der  bildenden  Kunst  gehabt.  Mehr  noch  als  in  den  Dialogues, 
die  ausdrücklich  künstlerische  Dinge  behandeln  (Z>.  entre  Parrhasius  et 
Pouesin,  D.  entre  Poussin  et  Leonard  de  Vinci,  D,  de  Chromis  et  Mnasile^ 
wozu  noch  der  Jugement  sur  differents  tabUaux  in  den  Opuscules  kommt), 
findet  sich  diese  Behauptung  durch  die  vielen  gelegentlichen  Bemerkungen, 


'  Cfr.  altfrs.  ckevecif  cheveqaiüe,  ckevecei,  cheoecerie,  ckwecier,  ohivecine  etc. 
'  franchise,  garaiUUt,  reereanttse  etc. 

'  Diese  Mundarten  lassen  bekanntlich  regelmäfsig  die  Endkonsonanten  (auAer  r 
gelegentlich)  abfiülen. 


202  Beurteilungen  und  kurze  Anseigen. 

Urteile,  AbBchätzüngen  bestSti^t,  die  fdch  in  allen  seinen  Werken  finden; 
Reine  eigenen  Beschreibungen,  ja  seine  Spracfaei  Ausdrücke  wie  ganze  bild- 
liche Wendungen  zeigen  Spuren  dieser  vorherrschenden  Neigung,  der  er 
gewiis  in  seinem  so  beschäftigten  Leben  nicht  nach  Tollem  BelieMn  nach- 
gehen konnte. 

Der  Verfasser  hat  durch  sehr  fieifsige  Benützung  dieser  verschiedenen 
Quellen  uns  zunächst  eine  sehr  willkommene  Ergänzung  des  Charakter- 
bildes F^nelons  geffeben ;  vrir  würdi^n  ihn  erst  ganz,  wenn  wir  den  schön- 
heitsbegeisterten Mann  auch  in  semen  Beziehungen  zur  Kunst  kennen. 
Wir  werden  danach  aber  auch  aufhören  mfissen,  z.  B.  mit  Bruneti^re  zu 
behaupten,  dafe  die  Kunstkritik  in  Frankreich  erst  mit  Diderot  beginne. 
Gewifs,  F^nelon  war  mehr  das,  was  man  einfach  amateur  (Tart  nennen 
könnte,  als  Kunstkritiker  im  heutigen  Sinne  des  Wortes.  Sdne  An- 
schauungen, sdne  Urteile  gehen  auf  die  verschiedensten  Quellen  zurück, 
Altertum  und  ei^ne  Zeit,  heidnische  und  christliche  Kunst,  Literatur 
und  Moral;  sie  sind  von  Widersprüchen  nicht  frei,  wenigstens  hat  Verf. 
diese  Widersprüche  nicht  immer  zu  lösen  gesucht.  Doch  aber  haben  wir 
in  der  Gesamtheit  der  an  den  verschiedensten  Orten  zerstreuten  Urteile, 
die  oft  bis  ins  einzelne  gehen  und  selbst  vor  technischen  Fragen  nicht 
zurückschrecken,  eine  recht  genaue  Darstellung  der  künstlerischen  Auf- 
fassung des  17.  Jahrhunderts.  Seiner  Zeit,  wie  in  manchen  Dingen,  auch 
auf  diesem  Gebiete  vorauseilend,  hat  F^nelon  auf  die  Kunst  des  18.  Jahr- 
hunderts einen  bedeutenden  Einflufs  ausgeübt  Er  ist  dazu  einer  der 
ersten  gewesen,  der  von  dem  Einflüsse  künstlerischer  Bildung  auf  die  ge- 
samte Lebensiührung  gesprochen  hat,  der  die  Kunst  in  der  Erziehung 
des  Kindes,  der  Kleidung  der  Frau  u.  a.  eine  Bolle  spielen  lassen  will: 
*Le  beau  ne  perdroit  rien  de  son  prix,  quand  il  seroit  eommun  ä  taut  le 
genre  humain*  Positiv  ausgedrückt  kehrt  dieser  Gedanke  erst  in  neuester 
Zeit,  bei  Ruskin  etwa,  wieder. 

Wenn  F^nelon  die  Kunst  liebte,  so  vergalt  es  ihm  diese  in  reichem 
Mafse.  Eine  —  sicher  nicht  vollständige  —  Liste,  die  die  Seiten  51 — 57 
füllt,  zeigt,  wie  viele  Künstler,  von  den  berühmtesten  bis  zu  den  gering- 
sten, von  Coyzevox,  Anfang  des  IS.  Jahrhunderts,  bis  zu  Meissonnier,  Mitte 
des  19.,  sich  Vorwürfe  aus  dem  TiUmaquB  geholt  haben. 

Berlin.  Theodor  Engwer. 

J.  Bonnard  et  Am.  Salmon^  Grammaire  sommaire  de  l'ancien 
fraD9ai8y  avec  un  essai  sur  la  prononciation  du  IX^  au  XIV*  si^le. 
Paris  und  Leipzig,  H.  Welter,  1904.    70  S.  gr.  8.    Fr.  3,50. 

Die  Herren  J.  Bonnard,  Professor  an  der  Universität  Lausanne,  und 
Am.  Salmon,  Professor  am  University  Ck)llege  zu  Reading,  haben  aus 
Godef roys  Dictionnaire  de  Vaneienne  langue  fran^ise  vor  einiger  Zeit  einen 
Auszug  veröffentlicht.  Ihr  Leocique  de  Vaneien  fran^ist  *  immer  noch  ein 
stattlicher  Band,  soll  dem  Romanisten,  den  die  Kostspieligkeit  des  grofsen 
Werkes  von  der  Anschaffung  abschreckt,  einen  gewissen  Ersatz  nieten. 
Es  führt  ihm  nämlich  die  dort  enthaltenen  Wörter  sämtlich  vor,  zwar 
ohne  Belege,  aber  mit  einer  Übersetzung,  erteilt  ihm  also,  soweit  Godefroy 
sie  nicht  selbst  ver^a^n  würde,  für  die  Lektüre  eine  rasche,  kurze  Aus- 
kunft, die  er  später  m  einer  öffentlichen  Bibliothek  nachprüfen  und  er- 
gänzen mag. 

Zu  dem  in  seiner  Art  nützlichen  Werke  tritt  nun  eine  Grammatik 
des  Altfranzösischen  hinzu.   Offenbar  ist  sie  für  Anfänger  bestimmt,  doch 

*  Fridhio  Oodtfroy,  Lfcdqu$  de  randm  fran^,  ptMU  par  /e«  «o6w  ifa  l/J/. 
J.  Bomard  et  Am.  Stdmtm.     Paris  and  Leiprig,  H.  Welter,  1900. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  208 

kann  sie  auch  Fortgescbrittenen  zur  Wiederholung  oder  zum  Überblick 
dienen.  Neue  ErgebnisBe  bringt  sie  selten,  beansprucht  sie  auch  nach 
ihrer  Anlage  nidit  gerade  zu  bringen,  aber  ihre  Ausführungen  sind  im 
all^meinen  zuverlässig  ihre  Erklärungen  fehen  etwa  die  DurchFchnitts- 
meinung  in  streitigen  Tällen.  Zum  Lobe  einer  grammaire  sommaire  darf 
man  ferner  sagen,  dafs  sie  übersichtlich  angeordnet,  knapp  und  einfach 
gehalten,  verständlich  geschrieben  ist. 

In  der  Absicht  der  Verfasser  hat  es  leider  nicht  gelegen,  das  ganze 
Buch  systematisch  mit  Literaturangaben  auszustatten.  Für  die  Einleitung, 
die  Lautlehre  und  noch  für  die  Formenlehre  des  Nomeus  haben  sie  ziem- 
lich viele  gespendet  und  plötzlich  vom  Pronomen  ab  ohne  ersichtlichen 
Grund  damit  aufgehört.  Ein  festes  Prinzip  ist  auch  bei  der  Auswahl 
schwer  zu  erkennen,  eine  gewisse  Willkür  hat  anscheinend  gewaltet.  Hier 
und  da  haben  Bonnard  und  Salmon  sich  den  begreiflichen  Wunsch  nicht 
versagt,  den  Rundigeren  mit  einem  interessanten  Nachweis  zu  erfreuen 
oder  seine  Bedenken  zu  beruhigen ;  indessen  mit  der  steten  Bücksicht  auf 
die  Bedürfnisse  des  Lernenden  verträgt  sich  dergleichen  schlecht.  Was 
jener  nicht  mehr  braucht,  eine  vollständige  Aufzählung  und  Beurteilung 
der  hauptsächlichsten  Hilfsmittel,  wäre  diesem  z.  B.  nützlicher  gewesen 
als  die  Anführung  mancher  gelehrten  Werke,  Abhandlungen  undf  selbst 
Rezensionen,  zu  denen  er  erst  später  —  wenn  überhaupt  jemals  —  den 
Weg  findet.  Ich  sehe  nicht,  dafs  Eüenne  oder  der  auch  ins  Französische 
übersetzte  Schwan -Behrens  an  irgendeiner  Stelle  genannt  würden. 

Der  erste  Abschnitt,  Histonquey  handelt  von  Ausbreitung  und  Ge- 
schichte der  Sprache.  Hierbei  scheint  mir  die  Bereicherung  des  Wort- 
schatzes durch  die  germanischen  Eroberer  einigermafsen  unterschätzt,  be- 
sonders vom  altfranzösischen  Standpunkt  ({^  '2  und  10).  Auch  würde  ich 
die  Aufnahme  der  bekannten  Suffixe'  und  der  Laute  h  und  tv  nicht  als 
petiis  eas  de  phorUtique  abtun  (§  2,  A.  5).  Da  das  Neufranzösische  au&er- 
halb  Europas  (^  4)  erwähnt  ist,  ro  hätte  ich  von  dem  Altfranzösischen 
im  Orient  gern  ein  Wort  gehört.  Die  Erklärung  des  Unterschiedes  zwi- 
schen moU  populatres,  tnots  d'emprunt  und  mots  savants  mag  man  trotz 
einer  gewissen  Subtilität  gelten  lassen.  Für  die  Eonstanz  der  Lautgesetze 
ist  aber  (::^  9)  kein  glückliches  Beispiel  gewählt  mit  betontem  e  in  offener 
Silbe;  denn  abgesehen  von  der  Beeinflussung  durch  Toraneehendes  e,  er- 
kennt der  Ijeser  bei  einigem  Nachdenken  die  fatale  Verschiedenheit  der 
Schicksale  des  aus  ihm  entstandenen  oi,  dessen  wichtigste  Stufe  oe  hier 
nicht  einmal  genannt  wird. 

Die  Lautlehre  beginnt  mit  einem  Kapitel  MSeanüme  gSnh-al  de  la 
iranaformation  du  UUxn  vulgaire,  das  ganz  den  Akzentverhältnissen  {ge- 
widmet ist.  Mit  der  Fassung  von  §  18  I  a  {Proparoxytons  riels)  bin  ich 
nicht  einverstanden:  ich  glaube,  dafs  auch  in  angcy  imagey  orgue  (aus 
anaeley  imageney  orgutne)  nicht  der  Vokal  der  lateinischen  Pänultima  er- 
halten ist,  gehe  aber  auf  die  viel  erörterte  Frajge  hier  nicht  weiter  ein. 

Dann  folgen,  originell  gruppiert,  allgemeine  Bemerkungen  über  die 
Entwicklung  des  Vokalismus.  Ich  vermisse  darunter  eine  Andeutung 
des  Vorkommens  von  q  statt  p  vor  Labial;  sonst  bleiben  eohtevre  {^  16), 
juetme  (18)  ein  Rätsel.  Ebenso  hätten  die  wichtigen  Fälle,  in  denen  lat.  E 
oder  X  durch  Schuld  von  auslautendem  i  im  Französischen  als  %  erscheint, 
irgendwo  besprochen  werden  müssen,  spätestens  in  der  Formenlehre  bei 
ciaty  ü  oder  bei  prw,  feeis  etc.  Der  §  27  über  die  Kombination  von  j  mit 
Vokalen  und  Diphthongen  ist  ohne  Beispiele  unverständlich.  Von  ü^  ü 
heifst  es  §  28:  Cette  Svomion  ghUrale  est  un  des  caraethres  qui  disünguent 

'  Halb  und  halb  mflfste  man  lu  ihnen  jetst  auch  'Ori  rechnen,  wenn  es  den 
von  A.  Thomas,  Nomtaua  Euais  de  philofrgie  fi^anqaise,  Paris  1904,  S.  119  ff.,  be- 
haupteten EinflnA  auf  die  Eotwickelung  von  -arku  >  -ier  wirklich  gehabt  hat. 


204  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

nettement  le  francais,  du  Midi  eomme  du  Nord,  des  atäres  langues  romana. 
Auch  wer  die  Tneorie  über  die  Dialekte  von  P.  Meyer  und  G.  Pftiis  ver- 
tritt, die  den  Höhepunkt  der  Anerkennung  schon  überBchritten  hat,  sollte 
das  Provenzalische  nicht  als  fran^is  du  Midi  bezeichnen.  Die  anderen 
Fundorte  für  ü  auf  romanischem  Boden  sind  in  Anm.  4  nicht  voUstandig 
aufgezählt:  merkwürdigerweise  fehlen  gerade  die  in  Betracht  kommenden 
oberitalienischen  Mundarten.  Die  Enklisis  ist  ziemlich  gut  dargestellt; 
nur  ersinne  ich  vergebens  einen  Fall,  wo  nach  §86,2  das  Pronomen  le 
sich  mit  de,  a  zu  del,  al  verbinden  könnte.  Nach  den  vorangegangenen 
Auseinandersetzungen  durften  die  einzelnen  Erscheinungen  des  Vokalis- 
mus kurz  behandelt  werden;  immerhin  war  es  ein  Kunststück,  sie  auf 
1^'4  Seite  zusammenzudrängen,  und  dabei  haben  sich  point,  fontaine  u.  a. 
unter  o  libre  verirrt  (Jj  44). 

Beim  Konsonantismus  treten  die  grölseren  Gesichtspunkte  hinter  der 
Zusammenstellung  der  Tatsachen  zurück.  Die  Auffassung,  das  heute  in 
h,  hilas,  oura  etc.  hörbare  s  habe  sich  aus  alter  Zeit  erhalten,  teile  ich  durch- 
aus nicht  (§  62).  Das  Zusammentreffen  von  mouilliertem  /  und  auslau- 
tendem 8  wird  unter  L  in  §  67  geschildert:  devant  Vs  de  flexion  T  se 
vocalise:  *veelo8  (daas,  vetulos)  >  viels,  vieus.  Das  ergibt  em  fal- 
sches Bild;  denn  die  Reihe  ist  bekanntlich  *veela8  >  vieVs  >  vieix  > 
rieux  >  rieusy  und  vielx  lälst  sich  ebensowenig  verleugnen  wie  trtttah, 
genolx  §  124. 

Den  B^chlufs  der  Lautlehre  machen  einige  Paragraphen  über  Stö- 
rungen der  Entwickelung.  Das  f  von  soif  erklären  aucn  die  Verfasser 
durch  die  an  den  Haaren  herbeigezogene  Analoj^e  von  hoif  in  der  Bedens- 
art  hoif  8%  [besser  se]  tu  as  soif  ({^  73).  Über  die  mancherlei  Wörter,  wo  f 
sporadisch  für  altes  d  im  Auslaut  eintrat  (noch  nfrz.  bief,  fief),  haben  sie 
sich  leider  nicht  ausgesprochen  (vf l.  Nyrops  Erklärung,  Orammairs  histo- 
riqus  de  la  langue  franQaise  I^  §  SOS^  1  A.). 

In  der  Formenlehre  verdient  die  Deklination  besonderes  Lob.  Doch 
würde  ich  den  §  984  2  und  96  eine  etwas  andere  Fassung  wünschen: 
irgendwie  wird  man  den  Anfänger  auf  die  Angleichung  des  Nom.  Sing, 
an  den  Obl.  aufmerksam  machen  bei  hues,  monxy  leons  u.  a.,  vrie  es  bei 
den  Partizipien  auf  -anx  in  §  li)6  geschehen  ist.  Bei  ^fesy  äbes  §  106 
hätte  ich  die  Betonung  angegeben.  §  121  steht  soris,  empereris  statt  sorixj 
empererix  und  i^  122  jors  statt  jorx  (vgl.  §  62).  Die  Bezeichnung  des 
Nom.  Sing.  Fem.  granx,  forx  als  etymologische  Form  (^  134)  entspricht 
nicht  den  Ausführungen  von  §  117  ÜMr  fins,  reisons.  Wenn  bei  den  Pro- 
nomina neben  den  gewöhnlichen  Formen  auch  weniger  übliche,  örtlich 
und  zeitlich  in  ihrer  Anwendung  beschränkte,  genannt  werden,  so  erwartet 
man  meistens  eine  orientierende  Bemerkung.  Sie  fehlt  z.  B.  in  bezug  auf 
das  Verhalten  von  mi  zu  mei  moi  (§  156),  von  lei,  lii  zu  li  (157),  von 
mitte  zu  meie  moie  (161),  von  no  zu  nostre  (162).  Dals  meon  (§  161),  meos 
(162)  in  den  Eiden  und  nur  in  den  Eiden  sich  finden,  weÜB  auch  nicht 
jeder  von  Haus  aus. 

Von  der  Konjugation  handelt  zunächst  ein  allgemeiner  Abschnitt, 
und  darauf  folgt  eine  Tabelle  der  sogenannten  rerbes  de  la  eonfugaison 
morte.  Ich  habe  gegen  jenen  wenig  einzuwenden;  denn  3.  Sg.  Präs.  Ind. 
fenit  statt  fenist  (§  187)  halte  ich  nur  für  einen  Druckfehler,  obschon  für 
eiuen  störenden,  auret  der  Eulalia  anrei  zu  schreiben,  sehe  ich  kaue  Ver- 
anlassung (§  175).  je  voi  und  ähnliche  Formen  begegnen  in  der  Dichtung 
nicht  blols  bis  zum  18.  Jahrhundert  (§  188,  A.  4).  Der  §  232  ist  gar  zu 
kategorisch:  cabaUicent  gibt  allerdings  ehevalchent  ehevauehent  wie  eabai' 
licanfy  aber  oaballicet  ist  als  ehevalxt  erhalten,  während  eaballietU  zu  ehe- 
valehet  chevaucke  wurde,  überhaupt  hätten  die  merkwürdi^n  Formen 
der  3.  und  der  2.  Sg.  Präs.  Konj.  mancher  Verben  der  I.  Konjugation 
mehr  Beachtung  verdient    Endlich  hätte  ich  unter  den  vorbes  inriffuUtn 


BeurteiloDgen  und  kurze  Anzeigen.  205 

de  la  premüre  eof^ugaison  auch  dotier,  trover  etc.  ein  bescheidenes  Plätz- 
chen neben  alerf  ester  gegönnt  (§  267). 

Die  ladge  Tabelle  (§  2()8)  betrachte  ich  dag^en  mit  gemischten  Gre- 
fühlen.  Ihre  Grundsatze  für  die  Auswahl  der  Formen  teilen  B.  und  S. 
selbst  S.  41  A.  5  mit:  Nous  en  dormons  les  formes  compltte$,  teUes  qu'elles 
se  priaenterU  dans  lea  iexiea,  anUrieura  au  XVr  süele,  rectmllü  Jans  le 
Dtetionnaire  de  l'ancienne  langue  fran^aise  de  Oodefroy,  ou 
dans  lea  deux  recueils  de  Bartseh:  Chrestomathie  de  Vancien  fran- 
pais  et  La  langue  et  la  littiraiure  franpaises  depuis  le  IX*  stiele 
jusqu'au  XIV'  stiele,  E^  ergielst  sich  infolgedessen  eine  Fülle  des 
Segens  über  den  Le<^er,  ohne  dals  natürlich  eine  absolute  Vollständigkeit 

Sewährleistet  oder  erstrebt  würde.  Der  Fortgeschrittene  wird  zwar  hier- 
urcb  in  die  La^e  gesetzt,  die  Menge  der  Erscheinungen  einigermalsen  zu 
überblicken,  yieileicht  auch  ihm  unbekannte  Formen  rasch  unterzubrin- 
gen. Den  Anfänger  aber  mufs  die  grolse  Mannigfaltigkeit  und  scheinbare 
Kegellosigkeit  verwirren:  17  verschiäene  Formen  oder  {Schreibweisen  allein 
von  dem  Part.  Pass.  von  eonaistre,  ohne  ein  Wort  der  Erklärung  an- 
einandergereiht, schrecken  den  Eifrigsten  ab.  Und  doch  könnte  die  müh- 
same Zusammenstellung  in  Verbindung  mit  dem  allgemeinen  Abschnitt 
leichter  benutzbar  werden  und  bessere  Dienste  leisten,  wenn  das  Wichtige, 
und  zwar  alles  Wichtige,  gegenüber  dem  Nebensächlichen  durch  Sperr- 
druck hervorgehoben  und  in  der  Anordnung  ein  klar  erkennbares  Pnnzip 
durchgeführt  wäre.  Man  vergleiche  nun  aber  das  Präs.  Ind.  von  erotre: 
l'''a.  erei,  ereid,  oroi,  croy,  orois,  ero;  2^  s,  crots,  croix;  3'  s,  creü,  eroü; 
i*"'  pl.  creons;  2*  pL  crees;  3*  pl,  ereient,  eroient,  craient.  Wer  soll  sich 
danach  ein  Bild  von  den  Tatsachen  und  von  ihrem  Zusammenhange 
machen  ? 

Während  ich  also  diese  Tabelle  im  Rahmen  einer  grammaire  som" 
tnaire  nicht  loben  kann,  freue  ich  mich  um  so  mehr,  dafs  die  Verfasser 
auch  eine  Syntax  aufgenommen  haben,  die  mit  reichlichen,  selbstgewählten 
Beispielen  über  die  wichtigsten  Abweichungen  von  der  Syntax  des  Neu- 
französischen  unterrichtet. 

Der  letzte  Abschnitt,  Pronondation  betitelt,  ist  eigenartig  und  an- 
regend. Er  beginnt  mit  einer  Übersicht  über  das  Lautsystem  des  9.  bis 
10.  Jahrhunderts.  Natürlich  enthält  diese  manche  problematische  Auf- 
stellungen :  dals  damals  uou  in  fuou,  i^  in  jieu,  lieu  vorhanden  war,  wird 
sich  kaum  beweisen  lassen,  solange  uns  die  Denkmäler  nur  im  Versinnern 
die  Vertreter  von  foeum  und  Utcum  zeigen  (§  840  und  H41).  Die  Ge- 
schichte der  einzelnen  Laute  bis  zum  Ende  der  altfranzösisdien  Epoche 
wird  dann  ausführlich  vorgetragen. 

Den  längsten  Paragraphen  widmen  B.  und  S.  der  Demonstration  des 
Satzes:  L'ü  conserve  la  valeur  laiine  ou  jusque  vers  la  fin  du  XI*  sücle, 
ä  la  tonique  comme  ä  VcUone  (828).  Gegen  diese  Annahme  hat  inzwischen 
schon  Suchier  in  der  zweiten  Auflage  vom  I.  Band  des  Orundriss^  (S.  729) 
gewichtige  Bedenken  geäufsert:  er  ist  sogar  überzeugt,  dafs  der  Übergang 
von  ü  in  ü  nicht  später  eingetreten  ist  als  im  4.  Jahrhundert  n.  Chr. 
Wie  immer  auch  die  Frage  beantwortet  werden  mag,  so  ist  von  den  (sonst 
beachtenswerten)  Gründen  der  Verfasser  einer  na(£  meinem  Dafürhalten 
hinfällig.  Les  mots  empruntes  par  Vaneien  haut  aüemand  au  gallo-roman 
pendant  les  IX* — X'  sücles  ont  un  ü:  mulhtra  {lat,  mulctra),  mül 
(tat.  mulum).  Au  contraire  les  mots  empruntes  par  VaUemand  dans  le 
XU'  süclsy  ont  ü:  mütxe  <  almuce,  aumusse,  Sie  berücksichtigen 
dabei  nicht,  dalä  das  Althochdeutsche  selbst  ein  langes  ü  —  gewöhnfich 
tu  geschrieben  —  frühestens  seit  dem  10.  Jahrhundert  kennt  (s.  Braune, 
Ahoi  Orammatiky  2.  Aufl.,  Halle  1891,  §  42  und  49).  Bis  dahin  konnte 
es  französisches  ii  nicht  anders  wiedergeben  ab  durch  ü,  wie  z.  B.  die 
Italiener  heute  noch  tun. 


206  Beartdlungeii  und  kune  Anzeigen. 

Die  Qualität  von  ei  ist  in  dem  Lautschema  (§  818)  nicht  bezdchnet 
La  diphUmgue  H  ^eivre,  veine,  feire,  etc.),  liest  man  §  331,  a  ä  peu 
prka  leson  de  ey'  aans  veille  d^  le  XI*  süele;  eUepasse  ä  öi  du  XII'  au 
Xni*  eüeky  excepU  devani  une  nasale  ou  une  l  mauiUSe:  plein,  eanseil. 
Zunächst  gehören  veine  und  plein  gar  nicht  hierher,  da  sie  den  nasalen 
Diphthongen  ei  aufweisen,  also  naoi  §  345  zu  beurteilen  sind.  Sodaoo 
ist  es  höchst  bedenklich,  für  das  11.  JaJirhundert  die  Aussprache  fi  'w 
beivre,  feire  {feria)  usw.  anzusetzen,  also  von  der  bewährten  Annahme 
eines  ei  abzugehen.  Wir  wfirden  nämlich  zu  dem  völlig  unwahrschcin- 
iichen  Schiufs  kommen,  daTs  im  Roland  zwei  ^i  vorlägen,  die  nicht  mit- 
einander assonieren  und  auch  nachher  nicht  zusammenfallen  (aufser  im 
Normannischen  und  in  den  südwestlichen  Dialekten):  jenes  angebliche  fi 
aus  betontem  e  in  offener  Silbe  oder  mit  angezogenem  t  — :  spater  ot  — 
und  das  tatsächlich  nachweisbare  ^  aus  ai  —  später  f  — .  Auch  in  bezug 
auf  eu  billige  ich  die  ähnlichen  Ausführungen  der  Verfasser  nidit  (§  334), 
die  nur  eu  m  der  ganzen  Zeit  des  Altfranzösischen  kennen. 

Breslau.  Alfred  Pillet. 

Walter  Bokemann,  Französischer  Euphemismus.    Berlin  1904.  VIII, 
174  S. 

Das  Oebiet  des  Euphemismus,  der  gemilderten  oder  verhüllten  Bede- 
weise, scheint  noch  wenig  durchforscht  zu  sein.  Der  Verfasser  der  vor* 
liegenden,  sehr  fleifisigen  und  gründlichen  Arbmt,  einer  erweiterten  Ber- 
liner Dissertation,  hat  zwar  mannigfaltige  Definitionen  des  Euphemismus 
vorgefunden,  die  er  zu  prüfen  und  zu  berichtigen  nicht  unterlälst;  aber 
nirgends  bezieht  er  sich  auf  eine  umfassendere  Vorarbeit,  abgesehen  von 
der  einer  besonderen  Gattung  von  Euphemismen  crewidmeten  Sammlung, 
die  unter  dem  Titel  'Verblümter  Ausdruck  und  Wortspiel  in  altfrauzo* 
sischer  Bede'  als  Anhang  zur  zweiten  Beihe  der  Vermischien  Beiträge  %ur 
französischen  Orammattk  von  A.  Tobler  g^eben  ist,  sowie  der  dasclbet 
S.  192  zitierten  Sammlungen  von  van  Hamel  und  Nyrop,  die  ebenfaUs 
nur  spezielle  Arten  des  Euphemismus  in  Betracht  ziehen. 

Der  grofsen  Schwierigkeit,  die  die  reinliche  Abgrenzung  des  Grebiete? 
des  Euphemismus  von  verwandten  Spracherscheinungen  bietet,  ist  sich 
der  Verfasser  wohl  bewufst  gewesen.  An  mehr  als  einer  Stelle  drückt  er 
seinen  Zweifel  darüber  aus,  od  gewisse  Ausdrucksweisen  noch  irgendwie  als 
Euphemismus  bezeichnet  werden  können,  sei  es  hinsichtlich  des  Zustande- 
kommens derselben  oder  der  erzielten  Wirkung.  Wir  wollen  darauf,  die  Er- 
wägungen Bökemanns  ergänzend  und  weiterführend,  etwas  näher  eingdieo. 

Der  Begriff  des  Euphemismus  setzt  den  einer  normalen,  direkten, 
un verhüllten  Ausdrucksweise  voraus.  Aber  von  normalem  Ausdruck  zu 
deutlichem  Euphemismus  gibt  es  feine  Übergänge.  Jedes  Wort  hat  neben 
seinem  logischen  Wert  einen  eigentümlichen  Gefühlswert,  durch  den  es 
euphemistischer  Wirkung  angenähert  oder  abgerückt  wird.  Sind  nicht  schon 
saton,  conderge,  magaxdn,  bonne,  gouvemante  in  ihrer  iregenwärtigen  Be- 
deutung Euphemismen  —  Bökemann  zieht  sie  nicht  in  Betracht,  trotzdem 
er  dem  Begriff  des  Euphemismus  die  äuiserste  Dehnbarkeit  gibt  — ,  die 
über  die  Eigenschaften  des  Winzigen,  Unscheinbaren,  Mißachteten  bei 
den  bezeichneten  Personen  und  Sachen  hinwegtäuschen  sollen  ?  Ist  ander- 
seits im  Deutschen  die  Bezeichnung  ^Kammerjäger'  für  ^en  berufs- 
mälsigen  Vertiiger  lästiger  Lebewesen  noch  als  Euphemismus  anzuseben, 
wenn  sie  amtlich  und  von  den  diesen  Beruf  Ausübenden  selber  angewendet 
wird?  Ist  die  Benennung  eines  Lumpensammlers  als  'Naturforscher',  eines 
ständigen  Zuhörers  bei  strafgerichUichen  Verhandlungen  als  'Krimioal- 
stndent'  Euphemismus  oder  nur  humorvolles  Spiel  mit  Wörtern  und  Be- 
griffen?   Es  wird  für  die  Entscheidung  in  solchen  Fällen,  wie  es  auch 


fieurteilungeii  und  kurze  Anzeigen.  207 

Bökemann  aus  Anlafs  ähnlicher  Fälle  auBSpricht,  oft  auf  die  individuelle 
Empfindung  oder  die  Auffassung  seitens  einer  Sprachgemeinschaft  an- 
kommen. 

Wo  sich  für  einen  den  Euphemismus  begünstigenden  Begriff  wie  z.  B. 
^sterben'  sehr  viele  Verhüllungen  und  Umschreibungen  finden,  wird  man 
nach  dem  Grade  der  erreichten  Milderung  oder  Verhüllung  eine  Art  Skala 
aufstellen  können,  zwischen  deren  Qliedern  eine  relative  Euphemie  statt- 
lindet.  'Entschlafen'  und  Verscheiden'  sind  beides  Euphemismen ;  ersteres 
für  unser  Gefühl  der  stärkere;  'zur  ewigen  Freude  eingehen'  ist  noch 
stärker.  Wie  steht  es  aber  nun  mit  dem  hiemeben  so  ganz  anders  wir- 
kenden 4nB  Gras  beilsen',  französisch  *fnordre  la  paussi^e'  ?  Ist  dies  auch, 
wie  Bökemann  will,  ein  Euphemismus?  Oder  müfste  man  hier  nicht 
wenigstens  hinsichtlich  des  Gefühlswertes  von  etwas  Entgegengesetztem, 
von  Dysphemie,  reden?  Der  Phantasie  läfst  diese  Bedensart^  da  Men- 
schen nie  anders  als  in  Todesqual  das  Bezeichnete  tun,  keinen  Spielraum, 
keine  Wahl;  vielmehr  veranschaulicht  sie  durch  eine  Art  pars  pro  toto 
das  Sterben  in  abschreckender  Weise.  Immerhin  wird  auch  hier  die  Ab- 
sicht der  Verhüllung,  wenigstens  ursprünglich,  bestanden  haben,  wenn 
diese  Verhüllung  audi  nicht  mildernd  zu  wirken  vermag.  Noch  eine  an- 
dere  Beispielgruppe  möge  zeigen,  wie  sich  verhüllte  Ausdrucksweise  nach 
zwei  entgegengesetzten  Dichtungen  von  der  Wirkung  direkter  Sprediweise 
zu  entfernen  vermag.  'Sie  kommt  gewlTs,  die  Stunde,  die  uns  nach  der 
Zypresse  ruft'  ist  Verhüllung  mit  erzielter  Milderung.  Moltkes  am  14.  Juli 
187u  gesprochene  Worte:  'Wenn  ich  unser  Heer  in  diesem  Kriege  führen 
kann,  so  mag  der  Teufel  dieses  Gerippe  holen'  sind  trotz  der  verhüllenden 
Form  für  den  Gedanken  des  Sterbens  von  einer  Wirkung,  die  der  der 
Euphemismen  wenigstens  nach  einer  Seite  hin  entgegengesetzt  ist.  Man 
würde  freilich  in  dieser  Bedeweise  auch  eine  aus  bescheidener  Gesinnung 
fliefsende  Selbstherabsetzung  sehen  können,  aus  der  eine,  von  Bökemann 
nioht  übersehene,  Gruppe  von  Euphemismen  herstammt. 

Dal's  die  Unterbrechung  einer  begonnenen  Bede,  die  Aposiopesis,  in 
vielen  Fällen  euphemistisch  gedacht  ist  und  auch  so  wirkt,  ist  nicht  zu 
bestreiten;  vielleicht  aber,  ob  das  immer  der  Fall  ist.  Bökemann  setzt 
seinen  Beispielen  das  klassische  mws  ego!  voran.  Es  fragt  sich,  ob  hier 
und  in  manchen  anderen  Fällen  das  Verschweigen  der  den  Ungehorsamen 
zugedachten  Strafe,  da  es  alle,  auch  die  schlimmsten  Möglichkeiten  offen 
läifet,  nicht  eine  Wirkung  hervorbringt,  die  der  Bezeichnung  dieses  Mittels 
als  Euphemismus  widerstrebt;  wenn  auch  zugegeben  werden  mufs,  dafs, 
wie  Bökemann  es  ausdrückt,  'den  Bedenden  nicht  die  Schuld  trifft,  wenn 
in  der  Vorstellung  des  anderen  ein  unerwünschtes  Bild  erwächst'.  —  Ähn- 
lich ist  es  mit  dem  Ausdruck  des  Gedankens  durch  eine  Gebärde,  ein 
Verfahren,  das  Bökemann  auch  als  Euphemismus  hinstellt.  Ein  Berühren 
der  Stirn  kann  viel  stärker  und  verletzender  wirken  als  ein  noch  so  bar- 
sches 'du  bist  verrückt'.  Der  die  Greste  statt  der  Bede  Wählende  hat  aber 
den  leidigen  Trost,  eine  Dysphemie  vermieden  zu  haben. 

Wo,  wie  in  diesen  beiden  Fällen,  die  Absicht  des  Bedenden  erkenn- 
bar ist,  sich  selbst  durch  die  Form  der  Gedankenäuiserung  in  Vorteil  zu 
setzen,  sich  vor  möglicher  Anschuldigung  zu  bewahren,  da  wird  man 
immerhin  noch  von  Euphemismus  reden  dürfen.  An  die  äuüserste  Grenze 
dieses  Gebietes  wird  man  diejenigen  hierhergezogenen  Bedeweisen  setzen 
mössen,  die  übertreiben,  ohne  zu  mildem.  So,  wenn  für  'schielen'  gesagt 
wird:  aoovr  um  oedl  ä  Paris,  l'atUre  ä  Pontoise,  Doch  auch  hier  kann 
man  noch  insofern  vop  Euphemie  reden,  als  das  Gefühl,  das  durch  direkte 
Benennung  des  Häfslichen  verletzt  werden  könnte,  dadurch  geschont  wird, 
dafs  die  Pnantasie  des  Hörers  in  ablenkender,  wenn  auch  grotesker  Weise, 
in  Bewegung  gesetzt  wird,  und  die  Vorstellung  der  gemeinten  Sache  erst 
auf  Umwegen,  durch  einen  Akt  der  Intelligenz,  gewonnen  wird. 


208  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen« 

Die  yoretehenden  Erwigunjgen  deuten  nach  verschiedenen  Richtungen 
hin  die  Schwierigkeiten  an,  wekhe  einer  SammLunff  und  Gruppierung  der 
Euphemismen  einer  Sprache  anhaften,  Schwierigkeiten,  die  in  der  vor- 
liegendeu  Arbeit  durch  eine  sehr  geschickte  Gliederung  des  Stoffes  grOIsten- 
teils  überwunden  sind.  Wir  gel^n  nunmehr,  unter  gelegentlichen  Ergän- 
zungen, einen  Überblick  fiber  die  Quellen,  den  Plan  und  den  Inhalt  des 
Buches,  dessen  Nutzen  durch  ein  genaues  Eegister  noch  hätte  erhöht 
werden  können. 

Erstaunlich  ffrofs  ist  die  Zahl  und  die  Mannigfaltigkeit  der  Euphe- 
mismen, die  der  Verfasser  aus  der  französischen  Sprache  von  Rabelais  ab 
vorführt.  Als  Quellen  haben  ihm,  aufser  Wörterbüchern,  namentlich 
Rabelais,  Moli^re  und  26  moderne  Romane  gedient  Einige  Ausbeute  hatte 
auch  Grüners  Dietionnaire  de  ia  eauaerie  fran^ise,  sowie  der  Anhang  zu 
Boissi^res  Dietionnaire  analogique  geliefert,  das  von  Sachs  nicht  benutzt 
worden  ist.  E^  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  dals  ein  grofser  Teil  der 
gesammelten  Euphemismen  sich  auf  unerfreuliche  oder,  euphemistisch  ge- 
sprochen, natürhche  Dinge  und  Vorgang  bezieht.  Die  Einleitung,  weldie 
versucht,  die  Entwicklung  des  französischen  Euphemismus  in  ä&ziehung 
zu  setzen  zu  der  Kultur-  und  Geistesgeschichte,  namentlich  im  17.  Jahr- 
hundert, ist  der  am  wenigsten  gelungene  Teil  des  Buches.  Der  Verfasser 
zeigt  sich  hier  völlig  aufserstande,  seinen  Gedanken  einen  verstandlichen 
Ausdruck  zu  geben:  die  acht  Seiten  der  Einleitung  sind  für  den  Leser 
eine  Tortur.  Weniger  mifslungen  ist  die  kurze  Auseinandersetzung  über 
das  Wesen  des  Eu^emismus,  obgleich  auch  hier  der  Verfasser  nidit  im- 
stande ist,  den  deutlichen  Ausdruck  dafür  zu  finden,  dals  er  zum  Eio- 
teilunffsgrund  für  seine  Sammlung  von  Euphemismen  das  verschiedene 
Verfahren  wählt,  durch  welches  der  Redende  die  euphemistische  Wirkung 
erzielt. 

In  Kap.  I  hören  wir  von  der  Änderung  der  Laut^talt  solcher  Wörter, 
die  man,  namentlich  aus  religiöser  Scheu,  zu  vermeiden  wünscht.  Dahin 
gehören  die  zahllosen,  von  Bökemann  sehr  sorgfältig  untersuchten  und 
gruppierten  Entstellungen  von  Dieu,  eaerement,  Notre-Dame,  diable  und 
Verwandtes.  Ea  folgen  Änderungen  anstöfsiger  Wörter  in  Rede  und 
Schrift.  Zu  der  Umschreibung  *lee  cinq  lettresy  wobei  an  das  englische 
*man  of  three  letters*  erinnert  wird,  wäre  noch  zu  stellen  das  französische 
'sot  en  trois  lettres'  (doch  jedenfalls  zur  Unterscheidung  von  den  gleich- 
klingenden eceau  und  eeau);  auch  das  Deutsche  hat  Euphemismen  dieser 
Art.  Kap.  II  handelt  von  Beschränkung  und  Unterbrechung  oder  Ab- 
Bchwächung  des  Ausdrucks.  Dies  geschieht  erstens  durch  Aposiopesis, 
wozu  der  Verfasser  auch  den  Ersatz  der  Rede  durch  eine  Geste  stellt 
(das  Beispiel  S.  13  aus  P.  M^rim^e  stammt  übrigens  nicht  aus  Cohmbtt, 
sondern  aus  La  prise  de  la  redotUe);  zweitens  durch  Verneinung  von 
etwas  Besserem,  Harmloserem  als  das,  was  man  im  Sinne  hat  Beispiele: 
1)  Buvex^,  au  je  vous  ...;  2)  Qu'allex^vaue  devenir  tous  les  deuac,  quemd  je 
ne  serai  plus  lä?  Kap.  III  ist  dem  Anagramm  und  Wortspiel  gewidmet. 
Ersteres  kann  freilich  nur  sehr  uneigentlich  als  Euphemismus  bezeichnet 
werden.  Dagegen  liefert  das  Wortspiel  und  die  verblümte  Rede,  für  deren 
Behandlung  Bökemann  Toblers  obenerwähnte  Arbeit  für  das  Altfranz6- 
sische  benutzen  konnte,  ein  bedeutendes  Kontingent  an  Euphemismen. 
Dem  Ausdruck  Saint-Jean  le  Rond  (S.  54)  liegen  zwei  ^anz  verschiedene 
Anschauungen  zugrunde:  die  Wendung  Ure  de  la  paratsae  de  St'Jean4»- 
Rond  =  *  betrunken  sein'  hat  schwerlich  etwas  mit  der  Verwendung  von 
St-Jean-k'Rond  -  cul  zu  tun;  sie  beruht  vielmehr  auf  dem  Euphemis- 
mus rond  'betrunken',  den  Bökemann  nicht  erträhnt  (cf.  Gopp^,  Le 
Naufragl:  le  capiiaitie  elaii  toujours  rond  eomme  un  ceuf).  In  Kap.  IV, 
Euphemistische  Ausdrucksart  durch  einen  Betriff  von  weiterem  Umfange, 
kommt  die  gebräuchlichste  Art  des  französischen  Euphemismus  zur  Dar- 


BenrtdlungeD  und  kurze  Anedgen.  209 

stelluDg.  Der  Verfasser  gliedert  das  Material  in  BezeichnuDgen  von  Per- 
sonen und  solche  von  Sachen.  Eine  Person,  deren  Nennung  man  zu  ver- 
meiden wünscht,  wird  oft  durch  on  bezeichnet.  Zu  solchem  on  läfst  sich 
ein  Prädikativum  nicht  nur  im  Femininum  setzen,  was  Bökemann  aus 
Meliere  belegt,  sondern  auch  im  Plural.  So  V.  Hujgo,  Souvenir  de  la  nuü 
du  4,  V.  22:  On  est  done  des  brigands?  —  Die  euphemistische  Anwendung 
von  ü  geht  noch  weiter,  als  es  in  den  von  Bökemann  gesammelten  Stellen 
geschieht  (wo  es  sich  überall  um  bekannte  Personen  handelt),  in  folj^nder 
Stelle  aus  R.  Tospffer,  La  Peur:  J'etais  sous  la  voüte  du  oidy  qu%  seule, 
durant  ia  nuüy  ninspire  point  de  frayeur.  J'avais  autour  de  moi  de  Ves- 
p€use  et  quelqtte  elarU.  S'ü  vient,  pensais-je,  je  le  verrat  venir,  —  ^ü  vieni! 
AUendiex-vous  quelqu'un?  —  Sans  aueun  dauie.  —  M  qui?  —  Cduiqu'on 
aitend  quand  on  a  peur.  Et  vous,  n'eütes-vous  jamais  peur  9  Le  soir, 
autour  de  Vigltse,  ä  l'ieho  de  ros  pas:  la  nuity  au  planeher  qui  eraque;  en 
vous  eouehant,  lorsqu'un  genou  sur  le  lit  vous  n'osiex  retvrer  Vautre  pied, 
crainte  que,  de  dessous  une  main,  . . .  Prenex,  la  lumihre,  regardex  bien : 
rien,  personne,  Posex  la  lumi^re,  ne  regardex  plus:  ü  y  est  de  nouveau. 
Cest  de  eelui-lä  que  je  parle.  -—  Zu  den  Fällen,  wo  Bökemann  den  Ge- 
brauch von  il  und  lui  zwecks  Vermeidung  des  Namens  Napoleon  belegt, 
ist  noch  zu  stellen  das  Gedicht  V.  Hugos  in  den  Orientales,  das  unter 
der  Überschrift  *Lui'  den  Genannten  in  vielen  Strophen  verherrlicht,  ohne 
seinen  Namen  jemals  auszusprechen.  —  Der  Verfasser  bespricht  dann 
rautrsy  qudqu'un,  certain,  komme,  monsieur,  fille,  femme,  cdui  qui  (das, 
wie  es  scheint,  sich  nicht  mit  unvollständigem  Relativsatz  findet,  wie  etwa 
deutsches  'das  ist  derjenige,  welcher!').  E»  folgt  die  verhüllende  An- 
wendung von  en  und  y,  von  le,  oa,  ehose,  quelque  ehose,  allein  und  mit 
andeutenden  Zusätzen,  autre  ehose,  part,  ce  que  vous  savex  und  ähnliches, 
bei  dem  das  zu  Verhüllende  sehr  verschiedener  Art  sein  kann.  Aus 
Gründen  der  Übersichtlichkeit  stellt  Bökemann  von  hier  ab  den  Be^ff 
desjenigen  voran,  was  gemildert  werden  soll,  und  führt  dann  die  versdiie- 
denen  Euphemismen  für  jeden  solchen  Begriff  auf.  —  Kap.  V  handelt  von 
euphemistischer  Ausdrucksart  vermöge  eines  Vergleiches  durch  einen  Be- 
griff, der  einem  sanz  anderen  Gedankenkreise  als  das  zu  Bezeichnende 
angehört.  Auch  das  reiche  Material  dieses  Kapitels  ordnet  der  Verfasser 
nach  den  Dingen  an,  die  ^mildert  oder  verhüllt  werden  sollen:  eheliche 
Untreue,  natürliche  Funktionen,  sittlidie  Verirrungen,  Krankheiten,  un- 
sittliche Berufe,  geistige  und  körperliche  Mängel,  Obdachlosigkeit  u.  s.  f. 
Erstaunlich  reich  ist  das  Französische  an  Euphemismen  für  Sterben  (ich 
vermisse:  toumer  l'ceil,  z.  B.  A.  de  Vigny,  Servitude  p.  55:  lorsque  je  vien- 
drais  ä  iaumer  VobU,  eamme  on  dit  poliment),  verhältnismäfoig  arm  an  sol- 
chen für  Trinken  und  Betrunkensein.  Für  die  euphemistische  Verwen- 
dung von  Sprichwörtern,  die  eine  so  grolse  Bolle  im  Niederdeutschen 
spielt,  führt  Bökemann  nur  wenige  Beispiele  auf.  Mit  Recht  bildet  er 
eine  besondere  Gruppe  aus  den  Benennungen,  welche  in  humoristischer 
Weise  trivialen  Dingen  volltönende,  prahlerische  Namen  geben.  Dahin 
würde  auch  meurtrir  romopkUe  ä  quelqu'un  zu  stellen  sein,  wo  der  Euphe- 
mismus durch  Anwendung  eines  gelehrt  klingenden  Wortes  zustande 
kommt.  Interessant  wäre  eme  Zusammenstellungder  Eu|)hemiBm6n  nach 
den  Lebensgebieten,  denen  sie  entnommen  sind,  wie  bezeichnend  für  den 
redelustigen  Franzosen  ist  doch  der  Ausdruck  avoir  une  discussion  avec 
le  pavi  für  'hinfallen'.  —  Kap.  VI  behandelt  unter  dem  Titel  'Indirekter 
Euphemismus'  solche  Ausdrucksweisen,  bei  denen  der  Hörer  erst  durch 
Nachdenken,  durch  geistiges  Nacharbeiten  das  Gemeinte  erkennen  kann. 
Es  ist  schwer  zu  begreifen,  weshalb  der  Ausdruck  lame  de  Saint- OrSpin 
für  'Schusterahle'  in  das  V.  Kapitel,  dagegen  eambats  de  Vinus  in  das  Vi. 
gehören  soll.  Uns  scheint  auch  in  sehr  vielen  der  in  früheren  Kapiteln 
aufgezählten  Euphemismen  das  Gemeinte  nur  durch  mehr  oder  weniger 

ArehiY  f.  n.  Sprachen.    CXYI.  14 


210  BeiirteilnngeD  und  kurxe  Anzeigen. 

intensive  Beflexion  erfaist  werden  zu  können.  Die  erste  Unterabteilung 
von  Kap.  VI  bringt  'Euphemismen  mittels  Anlehnune  an  Eigennamen 
aus  antiker  Mythologie,  alter  Sage  und  Geschichte,  antiker  Dichtung,  aus 
der  Geographie  (z.  B.  eandidat  pour  Gharenton),  Wir  vermissen  hier  den 
bekannten  Euphemismus:  le  qfiart  d'heure  de  Rabeiata  zur  Bezeichnung 
einer  unangenehmen  Situation,  durch  die  man  hindurchmuis;  femer  die 
Agnä8  aus  Möllere  für  ein  beschränktes  Mädchen.  —  Kap.  VII  ist  den 
verschiedenen  Arten  der  *Umnennung'  im  engeren  Sinne  gewidmet.  Voran- 
ffestellt  ist  die  Benennung  durch  das  Gegenteil  (z.  B.  lat.  Pontus  Euxinus). 
Bökemann  sagt  hier  S.  159:  sacrS  vor  dem  Substantiv  bedeute  'verdammt, 
verflucht'.  Dies  trifft  für  das  17.  Jahrhundert  noch  nicht  zu,  sonst  hätte 
Corneille  nicht  den  Don  Diego  zu  Don  Gormas  sagen  lassen:  Joignoru 
d'un  saere  noBud  ma  maison  ä  ia  vdtre.  —  Eine  zweite  Art  der  Um- 
nennung  ist  die  mittels  geräuschnachahmender  und  Refrain-Silben,  sowie 
der  Silbeneinschiebung  in  der  Gaunersprache.  Drittens  werden  unheim- 
lichen Wesen  ziemlich  willkürliche  Eigennamen  gegeben  (vgL  Freund  Hein, 
frz.  le  vieux  OuiUaume;  der  Henker  heilst  Mattre  Jean-wiiUaume),  Eine 
vierte  Gruppe  bildet  Bökemann  aus  den  Höflichkeitseuphemismen  (Dieu 
vou»  assiste  =  ich  kann  nichts  geben).  Hierher  stellt  er  auch  die  Milde- 
rung eines  gebrauchten  Wortes  durcn  abschwächende  Zusätze  wie  rere- 
rence  parier,  e'il  votu  plM.  An  dieser  Steile  hätte  auch  der  Euphemis- 
mus Platz  finden  können,  der  in  der  Verwendung  aller  der  Redensarten 
liegt,  mit  denen  jemand  «eine  Rede  als  lediglich  subjektive  Meinung  hin- 
stellt {ä  mon  avü,  pour  ainsi  dire),  wie  sie  Goethe  einmal  für  das  Deutsche 
zusammengestellt  hat  (Ausg.  von  Gödeke  VI,  411).  —  Besonders  mannig- 
faltig und  interessant  sind  die  Umnenn uugen  vom  Standpunkt  der  AvJ- 
fassung  des  Sprechenden.  Bökemann  führt  unter  seinen  Beispielen  mit 
Recht  die  berühmte  Stelle  aus  Lukrez  an,  die  Mohäre  seinem  Mieantkrape 
(II,  'D  einverleibt  hat  Er  erwähnt  aber  nicht,  dafs  ganze  Gedichte  ihren 
Schwerpunkt  in  solchen  Umnennungen  haben  können.  So,  um  deutsche 
Dichtungen  dieser  Art  unerwähnt  zu  lassen,  das  Gedicht  UainuMe  voleur 
von  G.  Nadaud,  wo  der  Räuber  einem  Reisenden  seine  Uhr  mit  den  Worten 
abnimmt:  Si,  par  hasartl,  au  eoin  d'un  boie,  II  me  tombait  entre  les  doigUf 
Un  chrcnomkre  de  reneontre . . .,  freilich  aber  diesem  Euphemismus  Nach- 
druck gibt  durch  den  Zusatz:  D'aiüeure,  fai  lä  deux  pieUdets! 

Der  Gegenstand,  dem  Bökemanns  Arbeit  gewidmet  ist,  ist  seiner  Natur 
nach  unerschöpflich.  Wir  tragen  zum  Schlufs  noch,  wie  es  der  Verfasser 
auch  getan  hat,  einige  uns  kürzlich  aufgestofsene  Euphemismen,  die  wir 
uns  nicht  erinnern  können  bei  Bökemann  gefunden  zu  haben,  in  bunter 
Reihenfolge  nach.  Sehr  beleibte  Personen  heiOsen  ka  marlyre  de  la  grai89e\ 
eine  gewisse  Art  von  Ausflü^n:  partir  en  partie  fine;  tüchtig  beim  Essen 
zulangen :  etre  une  banne  cuüier.  Don  Rodrigue  in  dem  CHd  von  Comeiile 
kleidet  seine  Herausforderung  an  den  Grafen  Gormaz  in  die  euphemistische 
Wendung:  A  quaire  paa  d'iei  je  ie  le  faia  aavoir,  'Flatterhaft  sein'  wird 
ausgedrückt  durch  voler  le  papüUm, 

Kiel.  F.  Kalepky. 

Max  Walter^  Der  Gebrauch  der  Fremdsprache  bei  der  Lektüre 
in  den  Oberklassen.  Vortrag,  gehalten  auf  dem  XL  Deutschen  Neu- 
philologen tage  zu  Köln  a.  Rh.  am  27.  Mai  ll'U4.  Mit  Ergänzungen 
und  Anmerkungen.    Marburg,  Elwert,  1905.    M.  0,70. 

Der  auf  dem  XI.  Neuphilologen  tage  zu  Köln  am  27.  Mai  1904  gehaltene 
und  mit  grolsem  Beilfall  aufgenommene  Vortrag  des  Herrn  Direktor  Walter 
liegt  nun,  mit  einigen  Ergänzungen  versehen,  gedruckt  vor.  Viel  war  be- 
reits in  den  letzten  Jahrzehnten  über  die  Anwendung  der  Beformmethode 
im  fremdsprachlichen  Unterricht  in  den  unteren  und  mittleren  Klassen  der 


BenrteiliiDgen  und  kurze  Anzeigen.  211 

höheren  Schulen  gesprochen  und  geschrieben,  und  zahlreiche  Erfahrungen 
waren  auf  diesem  Gebiete  schon  gesammelt  worden,  so  da(s  man  von  einet 
bestimmten,  auf  ziemlich  allgemein  anerkannten  Grundsätzen  geerflndeten 
Unterrichtsmetliode  sprechen  konnte,  in  die  sich  jeder  Lehrer  ohne  allzu 
grofse  Schwierigkeiten  einzuarbeiten  imstande  war.  Spärlicher  waren  da- 
gegen die  Erfahrungen  mit  der  neuen  Methode  in  den  oberen  Klassen, 
weiter  gingen  hier  die  Meinungen  auseinander,  es  fehlte  noch  eine  feste 
Richtschnur,  und  es  schien  die  Gefahr  zu  drohen,  dafs  das  auf  der  Unter- 
und  Mittelstufe  mühsam  Erarbeitete  und  Errungene  auf  der  Oberstufe 
der  alten  Methode  geopfert  werden  müfste  und  so  gänzlich  verlorengehen 
könnte.  Ein  Licht  in  dieses,  Dunkel  warf  dann  endlich  Klinghardts  Buch 
und  ferner  Walters  Schrift  Über  den  englischen  ünterrteht  nach  dem  Frank- 
furter Lehrplan  (Marburg,  Elwert,  1900),  welche  durch  die  vorliegende  Bro- 
schüre eine  wertvolle  Ergänzung  findet. 

Der  Verfasser  stellt  die  beiden  Fragen:  1)  Wie  hat  der  Lehrer  den 
Text  in  der  Klasse  zu  behandeln?  und  2)  Wie  bereiten  die  Schüler  den 
Text  zu  Hause  vor?  Die  Beantwortung  beider  Fragen  zeigt  wesentliche 
und  durchgreifende  Unterschiede  von  der  bisher  allgemein  üblichen  Be- 
handlung der  Lektüre  in  den  oberen  Klassen. 

Für  die  Verarbeitung  des  Textes  in  der  Klasse  stellt  Walter  sehr  hohe 
Anforderungen  an  den  Lehrer,  denn  dieser  soll  einen  gröliseren  Abschnitt 
entweder  frei  aus  dem  Gedächtnis  vortragen,  was  Walter  für  das  Idealste 
hält,  oder  wenigstens  doch,  wenn  ihm  aas  nicht  möglich  ist,  das  Lese- 
stück den  Schülern  kunstvoll  vorlesen.  Ist  der  Text  schwierig,  so  ist  es 
geboten,  denselben  Satz  für  Satz  an  die  Tafel  schreiben  zu  lassen,  also 
im  Klassendiktat  vorzunehmen.  Die  Schüler  stellen  dann  fest,  was  ihnen 
unbekannt  ist,  worauf  der  Lehrer  ihnen  die  neuen  Ausdrücke  möglichst 
in  der  fremden  Sprache  erklärt  und  durch  Verarbeitung  im  Satzzusammen- 
hang befestigt.  Mit  Recht  legt  Walter  grofsen  Wert  darauf,  dafs  jedes 
neue  Wort  dem  Schüler  immer  in  der  Verknüpfung  mit  schon  Bekanntem 
geboten  werde.  Ist  so  die  Aufgabe,  welche  an  den  Lehrer  gestellt  wird, 
nicht  gering,  so  ist  sie  nicht  minder  schwierig  für  den  Schüler,  welcher 
nun,  ^i  einem  leidiiteren  Text,  diesen  sofort  wiedererzählen  und  an  die 
Tafel  schreiben  soll,  denn  mündliche  und  schriftliche  Darstellung  müssen 
stets  Hand  in  Hand  gehen.  Der  Schüler  soll  befähigt  sein,  das,  was  er 
sprechen  kann,  auch  sofort  niederzuschreiben,  er  soll  also  nichts  schrei- 
ben, was  er  nicht  sprechen  kann.  Die  mündliche  Wiedergabe  durch  die 
Schüler  geschieht  in  der  Art,  dafs  einzelne  Schüler  das  Gehörte  frei  vor 
der  Klasse  vortragen,  damit  sie  sich  an  freies  Sprechen  gewöhnen.  Die 
anderen  Schüler  machen  sich  Notizen  über  die  Verstöfse  des  Vortragenden 

Segen  Aussprache,  Grammatik,  Ausdruck  und  Inhalt  und  geben  am  Schlufs 
es  Vortrages  eine  Kritik.  'Man  mulis  die  Schüler  zum  Sprechen  ermutigen, 
auf  die  Gefahr  hin,  dals  sie  Fehler  machen;  besser  falsch  sprechen,  als 
überhaupt  nicht  sprechen.'  Darauf  wird  nach  den  eben  angegebenen  Ge- 
sichtspunkten das  Schriftbild  an  der  Tafel  von  der  Klasse  verbessert, 
womit  Übungen  im  Ersatz  des  Ausdrucks  durch  gleichbedeutende  Aus- 
drücke verbunden  sind,  damit  der  Schüler  sich  immer  freier  und  selb- 
ständiger in  der  fremden  Sprache  bewegen  lernt.  Auch  Sprachgeschicht- 
liches  und  Etymologisches  wird  festgestellt,  Ableitungen  werden  gebildet, 
das  Grundwort  wird  gesucht,  und  rein  grammatische  Untersuchungen 
und  Vergleiche  mit  anaeren  Sprachen  werden  angestellt.  Für  dieses  Ver- 
fahren ist  es  notwendig,  dafs  in  der  Klasse  mehrere  Tafeln  vorhanden 
sind,  damit  mehrere  Schüler  zu  gleicher  Zeit  an  der  Tafel  beschäftigt 
werden  können.  Der  Lehrer  ist  verpflichtet,  in  jeder  Stunde  und 
möglichst  viel  schreiben  zu  lassen,  damit  diese  Übung  nicht  vernach- 
lässigt wird.  Walter  bemerkt  ausdrücklich,  dafs  diese  verschiedenen 
Übungen  nicht  alle  in  derselben  Stunde  vorgenommen  werden  sollen, 

14» 


212  BeurteilungeD  und  kurze  Anzeigen. 

sondern  dafs  der  Lehrer  beliebig ,  1e  nach  den  ümBtändoi,  abwechsle, 
denn  der  Verfasser  erblickt  ^aoe  darin  einen  grolsen  Vorzug  der  neuen 
Methode,  dals  der  Lehrer  mit  möglichst  groDser  Bew^ungsfreiheit  einmal 
die  eine,  ein  andermal  eine  andere  Übung  vornehmen  kann,  so  daCs  das 
langweilige  Unterrichten  nach  einer  einzigen  bestimmten  Schablone  ver- 
hinaert  wird.  So  weit  die  Durdmahme  des  Textes  in  fremder  Sprache 
in  der  Klasse. 

In  ihrer  häuslichen  Vorbereitung  benutzen  die  Schäler  in  Frankfurt 
einsprachige  Wörterbücher,  und  zwar  für  das  Französische  den  kleinen 
Larousse  und  für  das  Englische  Annandale,  The  Ckmeiae English Dietio- 
nary  (London,  Blackie  and  Son).  [AuTser  diesen  empfiehlt  Walter  auch  noch 
Peitt  Larive  et  Fleury  (Paris,  Delan-aye)  und  Gazier  (Paris,  Colin)  für  das 
Französische,  sowie  Chambers'  Twentieih  Oentury  Dietionary  ofthe English 
Langttage  (London,  Chambers)  für  das  EngUsche.]  Ist  die  Erklärung  eines 
Wortes  in  der  fremden  Sprache  zu  umständlich,  so  können  die  Schüler 
auch  das  deutsche  Wort  in  ihr  Präparationsheft  eintragen;  sonst  aber 
müssen  sie  die  fremdsprachliche  Erklärung  einschreiben  und  auch  stets 
die  neuen  Ausdrücke  im  Satzzusammenhang  angeben  können.  Sind 
die  Schüler  imstande,  die  fremdsprachliche  Worterklarung  ohne  Nieder- 
schrift zu  behalten,  so  kann  man  ihnen  die  Arbeit  des  Aufschreibens  er- 
sparen, und  der  Lehrer  erspart  sich  dann  die  Mühe,  die  Vokabelhefte  der 
Schüler  immer  wieder  durchsehen  zu  müssen.  Mit  besonderem  FleÜs 
haben  die  Schüler  den  neuen  Text  zu  lesen,  um  ihn,  vor  der  Klasse 
stehend,  ihren  Mitschülern  eut  und  sinngemäls  vorlesen  zu  können;  diese 
notieren  sich  die  Fehler,  welche  ihr  Kamerad  bei  dem  Lesen  macht,  worauf 
dann  die  Kritik  folet.  Besonders  ist  den  Schülern  einzuschärfen,  dals  sie 
bei  der  häuslichen  Vorbereitung  immer  den  Text  laut  lesen.  Sie  haben 
sich  aber  ferner  auch  den  Inhalt  des  neuen  Stückes  so  einzuprägen,  dafe 
sie  imstande  sind,  in  der  Klasse  auf  Fräsen  des  Lehrers  oder  der  Mit- 
schüler zu  antworten  oder  das  Ganze  vor  der  Klasse  vorzutragen  oder  an 
die  Tafel  zu  schreiben.  Nach  einiger  Zeit  werden  grölsere  Abschnitte 
noch  einmal  zusammengefaist,  es  werden  Dispositionsübungen  angestellt 
und  Themata  zum  freien  Vortrag  gestelit.  Stets  aber  müssen  die  Schüler 
gerüstet  sein,  den  gelesenen  Text  auch  in  der  Muttersprache  wieder- 
zugeben, uua  es  werden  gelegentlich  Musterübersetzungen  charakte- 
ristischer Stellen  in  das  Deutsche  angefertigt.  Was  also  nach  der  alten 
Methode  dauernd  ^schieht.  geschieht  nach  der  neuen  gelegentljch, 
aber  dann  gründlich,  una  es  wird  Wert  darauf  gelegt,  da(s  die  Über- 
setzung auä  wirklich  ein  reines,  musterhaftes  Deutsch  biete. 

Nach  des  Verfassers  Ansicht  liegt  in  der  steten  Nötigung,  welche  bei 
dem  überwiegenden  Gebrauch  der  Fremdsprache  dem  Schüler  aufgelegt 
wird,  sofort  den  Inhalt  des  Gelesenen  oder  Gehörten  zu  erfassen  und 
umgekehrt  einen  Gedanken  sogleich  in  das  fremde  Gewand  zu  kleiden, 
eine  grofse  geistige  Schulung,  die  schliefslich  auch  dem  Deut- 
schen zugute  kommt,  da  durch  diese  Methode  eine  ^Öfsere  Schlagfertig- 
keit in  der  Auffassung  und  eine  gröisere  Gewandtheit  in  der  Form  des 
sprachlichen  Ausdrucks  erzielt  wird.  Es  wird  anderseits  die  Gefahr  ver- 
mieden, welche  bgi  der  alten  Methode  leicht  eintritt,  dals  nämlich  der 
Schüler  bei  dem  Übersetzen  und  dem  ewigen  Hin-  und  Herpendeln  zwi- 
schen zwei  Sprachen  gar  nicht  dazu  kommt,  den  Inhalt  des  Gelesen^i 
richtig  zu  erfassen. 

Eine  möglichst  groüse  Beschränkung  im  Gebrauch  der  Muttonprache 
ist  aber  auch  unerlälslich,  wenn  wir  ohne  Stundenvermehrune  eine  mög- 
lichst hohe  Steigerung  der  Leistungen  in  den  neueren  Sprachen  erzielen 
wollen.  Es  muls  das  Verstehen  mit  dem  Lesen  zusammenfallen, 
damit  die  Schüler  dazu  angeregt  werden,  auch  später  noch  ^em  Franzö- 
sisch und  Englisch  weiterzutreiben.    Das  soll  das  höchste  Ziel  sein,  wel- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  218 

ches  der  Unterricfat  erreichen  mufs:  die  Erweckung  dieses  starken  Inter- 
esses, um  dieses  im  Schüler  zu  erhöhen,  ist  es  wünschenswert}  dafs  die 
Klassenbibliotheken  neben  deutschen  Büchern  auch  geeignete  fremd- 
sprachliche enthalten,  welche  den  Schülern  zur  PnvatTektüre  in  die 
Hand  gegeben  werden,  und  über  die  sie  gelegentlich  in  der  Klasse  be- 
richten müssen;  an  diese  Berichte  schliefst  sich  dann  eine  ^Besprechung 
in  Form  von  Bede  und  Gegenrede.  Freilich  darf  der  Ldirer  bei  der  mo- 
rsen Belastung  unserer  Schüler  ihnen  hierin  nicht  zu  viel  zumuten,  aber 
eine  Anregung  zu  einer  solchen  Privatlektüre  wird  ffewifs  manchmal  auf 
guten  Boaen  fallen.  Um  den  Schüler  an  ein  schnelles  Erfassen  des  In- 
halts zu  gewöhnen,  gibt  es  noch  ein  Mittel,  nämlich  die  statarische  Lek- 
türe ^egentlich  durch  die  kursorische  zu  ersetzen,  welche  den  Schüler 
auf  die  ^öfseren  Auf^ben,  die  ihm  das  Leben  stellen  wird,  vorbereitet. 
Schliei'slich  kann  der  Lehrer  dem  Schüler  dadurch  persönlich  nähertreten, 
dafs  er  wichtige  Tagesfragen  in  die  fremdsprachliche  Unterhaltung 
hineinzieht  und  die  letztere  durch  Vorführung  von  Bildern  aus  Büchern 
und  Zeitschriften  noch  mehr  belebt.  Es  wächst  so  der  Einflufs  des  Ldi- 
rers  auf  die  Schüler,  welche  ihn  immer  mehr  als  Berater  und  Freund 
schätzen  lernen.  — 

Die  Gedanken,  welche  Herr  Direktor  Walter  in  dem  besprochenen  Vor- 
trag, den  ich  auf  dem  Kölner  Neuphilologen  tage  mit  Verenüg^en  gehört  habe, 
entwickelte,  und  von  deren  praktischer  Ausmhrung  icn  mich  im  vorigen 
Herbst  persönlich  in  Frankfurt,  wo  ich  verschiedenen  Stunden  in  der  Muster- 
schule beiwohnte,  überzeugen  konnte,  stellen  gewifs  an  Lehrer  und  Schüler 
die  höchsten  Anforderungen  und  sind  ein  beredtes  Zeugnis  für  die  ideale 
Gesinnung,  mit  der  Direktor  Walter  das  Studium  und  den  Unterricht 
der  neueren  Sprachen  erfafst.  Ob  diese  Gedanken  aber,  gerade  weil  sie 
aus  einer  so  hohen  Auffassung  entsprungen  sind,  überall  und  ganz  durch- 
führbar sind,  erscheint  vielleicht  zunächst  manchem  Leser  der  Walterschen 
Broschüre  fraglich.  Manch  einer  wird  fürchten,  daüs  die  Schüler  bei  dem 
blolsen  Lesen  des  fremden  Textes  und  der  fremdsprachlidien  E}rklärung 
desselben  sich  leicht  eine  gewisse  Oberflächlichkeit  bei  ihrem  Arbeiten  an- 

fewöhnen  und  nicht  immer  so  tief  in  das  Verständnis  des  Inhalts  ein- 
ringen, als  wenn  der  Text  wörtlich  und  ^enau  in  die  Muttersprache  über- 
tragen wird,  ohne  dals  dieses  dabei  eine  Kunstvolle  Musterübersetzung  zu 
sdn  braucht  Auch  der  Gebrauch  der  einsprachigen  Wörterbücher  und 
die  Einführung  der  Beformausgaben  mit  Erläuterungen  in  der  fremden 
Sprache  wird  manchem  bedenklich  erscheinen,  denn  was  soll  der  Schüler 
z.  B.  anfangen,  wenn  er  im  Larive  et  Fleury  für  ehameau  die  Erklärung 
findet:  Oenre  de  grands  mammifires  ruminants  ayant  sur  le  dos  une  ou 
detix  bosses  volumineuses,  oder  in  den  Erläuterungen  zu  Alges  Ausgabe 
von  Daudets  Le  Petit  Owee  in  der  Rolsbergschen  Beformbibliothek  für 
*fnSmoire8* :  reloHon  ecrite  par  ceux  qui  ont  pris  part  ä  des  Svenements 
(S.  45),  oder  für  *rttban' :  les  dames  et  les  jeunes  fUles  portent  des  rubans 
sur  leurs  chapeaux,  dans  les  cheveux  fS.  39)?  Der  Schüler  hat  hier  eine 
doppelte  Arbeit,  denn  er  mufs,  nachdem  er  wahrscheinlich  über  diese 
französischen  Erklärungen  nachgedacht  hat,  ohne  ihren  Sinn  zu  ergrün- 
den, doch  zu  Sachs  oder  einem  anderen  französisch-deutschen  Wörter- 
buche ^reifen,  in  welchem  er  dann  durch  ein  einziges  deutsches  Wort 
plötzliche  Klarheit  erhält.  Aber  selbst  wenn  ein  geschickter  und  kun- 
diger Lehrer  imstande  ist,  leichtere  Texte  in  der  fremden  Sprache  zu  er- 
läutern, so  dürfte  es  deren  doch  nicht  allzuviele  geben,  die  dasselbe  bei 
einer  schweren  Lektüre,  etwa  gar  bei  einem  poetischen  Werke,  und  dann 
no<di  in  französischer  und  englischer  Sprache  auszuführen  vermöchten. 
Es  liegt  die  Gefahr  nahe,  dafs  man  sich  mit  einfacheren  Schriftstellern 
b^nfigt,  um  die  fremde  Sprache  ohne  ^rofse  Mühe  gebrauchen  zu  kön- 
nen,  wobei  dann  leicht  das  geistige  Niveau  der  Klasse  zu  tief  herab- 


214  Beurteiltuigen  und  kurze  Anzeigen. 

gedrückt  werden  kann,  oder  daüs  die  fremdsprachlichen  Erklärungen 
Bchwierigerer  Texte  die  Reinheit  des  sprachlichen  Ausdrucks  yermiBsen 
iassen  und  danu  unklar  bleiben. 

Das  alles  Bind  Bedenken,  die  sich  vieloi  aufdrangen  werden,  und  die 
sicherlich  nicht  von  der  Hand  zu  weisen  sind,  wenn  man  in  Erwägune 
zieht,  dafs  eine  grolse  Zahl  von  Schülern  nur  mittehnälsig  begabt  ist,  und 
dafs  viele  Lelu'er,  namentlich  wenn  sie  mit  vielen  UnterrichtsstuDden  und 
anderen  Arbeiten  fiberlastet  sind,  nicht  imstande  sind,  ein  schwiaigeres 
Lesestück  in  zwei  fremden  Bprachen,  Französisch  und  Englisch,  zu  er- 
klären. Trotzdem  möchte  ich  doch  die  Waltersche  Methode,  auch  in  diese 
ihrer  Anwendung  für  die  oberen  Klassen,  für  die  beste  erklärai,  die  zu 
versuchen  und  auszubauen  unser  aller  hödistes  Ziel  sein  mfiüite.  Zwei 
Gründe  scheinen  mir  für  sie  zu  sprechen.  Einmal  ist  sie  die  wirklich 
natürliche  Methode,  wenn  man  nämlich  Französisch  und  Englisch  in 
dem  Sinne  treibt,  dals  die  Schüler  in  diesen  Stunden  eben  möglichst  viel 
Französisch  und  Englisch  lernen,  und  wenn  man  nicht  die  früher  noch 
häufig  verbreitete  Ansicht  teilt,  dafs  die  Erlernung  der  fremden  Sprachen 
vor  allem  zu  einem  besseren  Verständnis  der  Mutterspradie  dienen  soll. 
Ist  aber  das  Können  in  der  Fremdsprache  das  Hauptziel,  so  wird  man 
zugeben  müssen,  dafs  dieses  um  so  besser  erreicht  wird,  je  mehr  die 
Fremdsprache  gebraucht  wird  und  je  weniger  die  Muttersprache  störend 
dazwiscnentritt.  Zweitens  spricht  aber  für  die  Waltersche  Methode  auch 
ein  praktischer  Grund,  nämlich  die  Berücksichtigung  der  geringen 
Stundenzahl,  die  dem  Französischen  und  Englischen  auf  den  Gymnasien 
und  dem  Französischen  auf  den  Beform- Realgymnasien  gewährt  ist  Man 
muls  hier  eben  mit  der  Zeit  geizen ;  jeder  Augenblick  ist  kostbar  und  für 
die  Fremdsprache  auszunützen,  wenn  das  hochgesteckte  Ziel  erreicht  werden 
BoU.  Bei  gutem  Willen  läfst  sich  hier  auch  sicherlich  viel  errdch^i,  und 
ein  Versucn  wird  zeigen,  dafs  die  allerdings  grofse  Mühe  reichen  Lohn 
bringt.  Ich  selbst  habe  anf anrieh,  als  ich  Walters  Methode  nur  als 
Theoretiker  beurteilen  konnte,  an  der  Möglichkeit  ihrer  Ausführung  etwas 
fi;ezweifelt,  aber  jetzt,  nach  praktischen  Versuchen  in  der  Obersekuncb  eines 
Reform -Realgymnasiums,  sehe  ich  ein,  wie  sehr  ein  Unterricht  in  dieser 
Art  die  Schüler  anregt,  und  wieviel  Förderung  er  auch  dem  Lehrer  ge- 
währt. Die  Arbeit  wird  leichter  werden,  wenn  Mündis  Wünsche  für  eine 
bessere  Ausbildung  der  Neuphilologen  und  für  eine  Einschränkung  ihrer 
Arbeitsleistung  (s.  Walter  S.  18—19)  sowie  Borbeins  Vorschlag  dner  Ar- 
beitsteilung der  Neuphilologen  (Walter  S.  21)  erfüllt  sein  werden,  und 
noch  mehr,  wenn  vielleicht  die  Schüler  der  oberen  Klassen  durch  das  Zu- 
geständnis von  wahlfreien  Fächern  entlastet  weiden  (Walter  S.  'S^)).  Wei- 
tere Versuche  und  mehr  Erfahrungen  in  den  oberen  Klassen  werden,  so 
hoffe  ich,  zu  einer  vielseitigen  und  individuellen  Ausgestaltung  der  Unter- 
richtsmethode führen,  denn  hier  muls  ein  jeder  möglichst  selbständig  und 
frei  werden  und  sich  nicht  mit  einer  blofaen  Schablone  begnügen.  Es  ist 
doch  in  der  Unterrichtskunst  wie  in  den  schönen  Künsten,  wo  die  Nach- 
ahmung häufig  zur  blolsen  Manier  wird. 

Wilmersdorf -Berlin.  J.  Block. 

ClemeoB  Klöpper  und  HermaDii  Schmidt,  Französische  Stilistik 
für  Deutsche.  Dresden  u.  Leipzig,  C.  A.  Koch,  1905.  VII,  382  S.  8. 
M.  8. 

Ich  glaube,  dafs  jeder  Neusprachler,  der  ein  Verzeichnis  eben  erschie- 
nener Bücher  überfliegt,  sofort  aufmerksam  innehalten  wird,  wenn  er  als 
Buchtitel  liest:  Französische  Stilistik.  Er  wird  into'essiert  nach  dem 
Namen  des  Verfassers  sehen,  der  eine  so  ungeheure  Aufgabe  übernommen 
hat    Eine  Stilistik   soll  doch  noch  etwas  Höheres  als  eine  eigeotliche 


BeurteiluDgen  und  kurze  Anzeigen.  215 

Grammatik  nein;  sie  iftt  doch  zum  mindesten  der  zusammenfassende  In- 
begriff, der  Gipfel  und  die  Krönung  der  Grammatik ;  und  wer  nicht  einen 
klaren  Überblick  über  die  gesamten  Ausdrucksmittel  der  Schriftsprache 
und  der  Umgangssprache  hat,  wird  sich  nicht  unterfangen,  eine  Stilistik 
zu  schreiben.  —  Er  wird  aber  vor  allem  ein  gesteigertes  Interesse  dem 
Werke  selbst  entgegenbringen.  Er  weifs  ja  aus  vielfacher  Erfahrung,  daüs 
ein  Satz  unter  Beobachtung  aller  grammatischen  Be^ln  ganz  korrät  ge- 
baut sein,  aber  doch  durcn  Härte  und  Seh  werf  äUigkeit  des  Ausdrucks 
und  der  Wortfügung  das  Ohr  des  Eingeborenen  verletzen  kann.  Ein 
Buch  also,  das  geeignet  wäre,  ihm  selbst  den  letzten  Schliff  zu  geben, 

feeignet  zugleich,  ihm  die  Wege  zu  weisen,  auf  denen  er  andere  anldten 
Önnte,  zum  Guten  den  Glanz  und  den  Schimmer,  zur  äufseren  Richtig- 
keit die  Eleganz  zu  fügen,  ein  solches  Buch  müDste  hochwillkommen  sein. 
Wer  nun  mit  so  hochgespannten  Erwartungen  die  Stilistik  von 
Klöpper  und  Schmidt  in  die  Hand  nimmt,  wird  sidierlich  enttäuscht,  so 
sehr  er  seine  Freude  an  einzelnen  Abschnitten  mit  ihren  fleifsigen  Zu- 
sammenstellungen haben  mag.  Nun  sagen  die  Verfasser  zwar  bescheiden 
im  Vorworte,  sie  mafsten  sich  nicht  an,  etwas  durchaus  Neues  auf  dem 
Gebiete  der  Sprachvergleichung  gebracht  zu  haben.  Aber  man  durfte  doch 
auf  alle  Fälle  erwarten,  dafs  das  Gebrachte  über  das  hinausrage,  das  schon 
andere  geboten  hatten.  Das  ist  nun  aber  eigentlich  nicht  der  Fall.  Viel- 
mehr sind  all  die  Unzulänglichkeiten,  die  A.  Tobler  in  seiner  mustergül- 
tigen Besprechung  Archiv  CHI,  S.  244  ff.  für  die  Franxösiaehe  Stilistik 
von  E.  Franke  (das  einzige  Werk,  das  in  Betracht  kommt)  aufgezeigt 
hat,  Zug  um  Zug  auch  in  der  neuen  Stilistik  von  Klöpper  und  Schmidt 
zu  finden,  einige  sogar  in  noch  stärkerem  Mafsa 

Vor  allem  nätten  die  Verfasser  sich  doch  klar  sein  müssen  über  den 
Inhalt  und  den  Umfang  ihrer  Auf^be.  Eine  grundsätzliche  Auseinander- 
setzung über  die  sicherlich  schwierige,  aber  wichtige  Grundfrage,  was  in 
die  eigentliche  Grammatik,  was  in  die  Stilistik  gehört,  findet  sich  nir^nds ; 
die  gelegentlichen  Bemerkungen  zu  dieser  Frage  wirken  eher  verwirrend 
als  klärend.  Man  vergleiche  folgende  Gegenüberstellun^n :  (Vorwort  S.  III) 
Jede  Sprache  hat  ihre  besonderen  Mittel,  Gedanken  m  Worte  zu  kleiden, 
im  einzelnen  sowohl  wie  hinsichtlich  des  gesamten  Stils; 
(S.  Ü)  In  den  Fällen  nun,  wo  das  deutsche  Substantiv  nicht  durch  ein 
ifranzösisches  Substantiv  wiedergegeben  werden  kann  ...,  oder  wo 
es  aus   stilistischen   Gründen   nicht  angebracht  ist;    (S.   101)  In 

frammatisch-stilistischer  und  rein  stilistischer  Hinsicht  be- 
andeln  wir  nun  das  deutsche  Verb  im  Verhältnis  zum  französischen  nach 
folgenden  Kategorien;  (8.  119)  Die  Behandlung  sämtlicher  franzö- 
sischer Verben  dieser  Art  überschreitet  die  Aufgabe  der  Stilistik  und 
gehört  mehr  in  das  Gebiet  der  Lexikographie.  £^  kann  sich  daher 
1er  nur  um  eine  Zusammenstellung  der  wichtigsten  dieser  Verben  han- 
deln; (am  Schlufs  des  folgenden,  korrespondierenden  Kapitels,  S.  180)  Die 
Zahl  der  deutschen  Verben,  die  durch  verschiedenartige  französische  ge- 
geben werden,  lieüse  sich  noch  bedeutend  vermehren ;  doch  wir  brechen 
ab,  da  wir  sonst  auf  das  Gebiet  der  Synonymik  geraten  würden.  Im 
allgemeinen  scheint  es,  als  ob  die  Verfasser  alles  das  zur  Stilistik  rechnen, 
was  vom  Deutschen  abweicht,  vgl.  z.  B.  S.  U7  oben;  in  manchen  Ab- 
schnitten aber,  vor  allem  in  dem,  der  die  Überschrift  trägt:  'Harmonie 
des  Ausdrucks  und  die  Belebung  der  Bede  durch  Tropen  und  Figuren' 
(S.  iib2 — 292),  werden  allgemeine,  für  alle  Sprachen  gleichmäfsig  gültige 
Gesetze  des  Stils  behau dät. 

Bei  solcher  Unklarheit  der  Scheidung  ist  es  nicht  zu  verwundem, 
dafs  viele  sprachliche  Erscheinungen  behandelt  sind,  die  in  die  Grammatik 
oder  das  Wörterbuch  gehören.  Nun  ist  ja  sicher,  dafs  es  die  Stilistik 
mit  demselben  sprachlichen  IStoff  zu  tun  hat  wie  die  Grammatik.    Über 


216  Beurteilangen  und  kurze  Anzagen. 

diese  Frage  haben  doch  wohl  Biee'  Ausführungen  in  seinen  Buche:  Wa^ 
ist  SufUax?  (Marburg  1894)  6.  121  ff.  volle  Klarheit  geschaffen.  Ver- 
schieden siDd  nur  die  Gesichtspunkte,  aus  denen  sie  diesen  8toff  behan- 
deln. 'Die  Stilistik  wählt  aus  der  vollstfindigen  Grammatik  das  ffir  Ihre 
Zwecke  Passende  aus,  gruppiert  es  neu  unt«r  ihrem  Gesichtspunkt,  dem 
der  stilistischen  Wirkung,  und  vereinigt  es  zu  einem  neuen  selbständigen 
Ganzen'  (Ries  S.  127).  Solche  stilistischen  Gesichtspunkte  ergeben  sich 
aus  dem  Hinblick  auf  die  Eigenart,  auf  das  Charakteristische  einer  Sprache  ; 
auf  die  Aufstellung  solcher  Gesichtspunkte  (s.  Ries  8.  180;  Lyon,  Kurz- 
gefaßte  deutsehe  ^ilistik  S.  2  und  4),  auf  die  Herausarbeitimg  solcher 
neuen,  selbständigen  Ganzen  kommt  es  an.  Dafs  der  Verfasser  einer  eng- 
lischen Stilistik  z.  B.  alle  Fälle  der  für  die  englische  Sprache  so  charak- 
teristischen persönlichen  Konstruktionen  im  Passiv  zusammenfassend  be- 
sprechen miifste,  wird  niemand  bestreiten.  Ebenso  müfsten  die  für  die 
französische  Sprache  so  charakteristischen  verschiedenen  Infinitivkonstruk- 
tionen zusammenfassend  gruppiert  werden.  Klöpper  und  Schmidt  be- 
gnügen sich,  an  mehreren  Stellen  die  Vorliebe  des  Franzosen  für  In^i- 
tive  und  Infinitivkonstruktionen  hervorzuheben;  sie  verabsäumen  es  aber, 
darzutun,  welchen  Einflufs  und  welche  Wirkung  die  Neigung  für  den  In- 
finitiv auf  den  französischen  Satzbau  hat,  und  wie  sie  den  Deutschen,  der 
französisch  sprechen  und  schreiben  will,  zwingt,  seine  CManken^änge  in 
besondere  Zucht  zu  nehmen,  ihn  vor  allem  anhalten,  nicht  unnötigerweise 
mit  dem  Subjekt  zu  wechseln.  Die  Verfasser  haben  unzweifelhm  recht, 
wenn  sie  die  Infinitivkonstruktionen  unter  den  allgemeinen  Gesichtspunkt 
des  Strebens  nach  Klarheit  und  Deutlichkeit  der  Bede  stellen  (S.  311), 
und  wenn  sie  unter  demselben  G^ichtspunkte  die  Herausstellung  des 
Subjekts  behandeln  in  Sätzen  wie  Poniatowski,  quoiqu'il  n'eüt  poini 
de  eommandement  dans  VamUe,  raüia  ...  (S.  307).  Aber  unter  denselben 
Gesichtspunkt  fallen  meines  E^rachtens  auch  der  Vorantritt  des  Subjekts 
jm  französischen  direkten  Fragesatz,  die  Herausstellung  des  Objekts  in 
Sätzen  wie  on  imagine  les  raisons  qu'ü  pouvaü  leur  donner  (deutsch: 
man  kann  sich  denken,  welche  Grün  de  . . .,  y^L  Archiv  CV,  55  ff.)  u.  a.  m. 
pie  Stilistik  von  Kl.  u.  Seh.  bestätigt,  was  mir  schon  durdi  die  Franke- 
sche klar  geworden  war:  die  für  die  eigentliche  Grammatik  übliche  Ein- 
teilung des  Sprachstoffes  nach  Wortarten  und  Satz  bau  läfst  sich  nicht 
ohne  weiteres  auf  die  Stilistik  übertragen;  vor  allem  deshalb  nicht,  wdl 
durch  diese  Einteilung  der  Zerreifsung  zusammengehöriger  f^cheinunpen 
einerseits  und  Wiederholungen  anderseits  Tür  und  I^r  geöffnet  wird. 
Machen  wir  uns  das  an  einem  einfachen  Beis{>iele  klar.  Die  deutsche 
Sprache  ist  an  altüberlieferten  formelhaften  Verbindungen  sinnverwandter 
Wörter  (wie  Mann  und  Maus)  sehr  reich,  und  'da  durch  sie  ein  Bc^ff 
in  lebendiger  Weise  veranschaulicht  und  dem  Gemüte  näher  gebracht  wird 
(Lyon  a.  a.  O.  S.  14),  so  muls  von  ihnen  in  einer  Stilistik  gesprochen 
werden.  Sie  fehlen  nun  auch  im  Französischen  nicht,  und  es  wäre  sehr 
anr^end,  zu  erfahren,  in  welchem  Umfange  sie  hier  existieren,  woher  sie 
stammen  und  welchen  Begriffssphären  sie  angehören.  Kl.  u.  Seh.  sprechen 
von  dieser  Erscheinung  nur  kurz  beim  Substantiv,  indem  sie  ein  Bei- 
spiel anführen,  wo  ein  deutsches  Substantiv  durch  zwei  französisdie,  und 
zwei  Beispiele,  wo  zwei  deutsche  Substantive  durch  ein  französisches 
wiedergegeben  werden  (/«  territoire  =  Grund  und  Boden,  trowoer 
moyen  ~~  Mittel  und  Wege  finden.  Ich  füge  noch  hinzu  sur  place  = 
an  Ort  und  Stelle,  de  eette  maniire  -  auf  diese  Art  und  Weise, 
sans  foi  =  ohne  Treu  und  Glauben,  son  avoir  =  sein  Hab  und 
Gut,  ä  hon  droit  =  mit  Fug  und  Recht).  Fälle  aber  wie  nul  =  null 
und  nichtig,  tout  entier  =  ganz  und  gar,  earesser  mit  Sach- 
objekt -^  hegen  und  pflegen  nätten  die  Verfasser  an  anderer  Stelle 
benandeln  müssen.    Dafs  sie  zusammengehören,  dals  sogar  im  selben  Ka- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  217 

pitel  Fälle  wie  41  faul  hien  =  man  mufs  wohl  oder  übel  hätten  zur 
Sprache  kommen  müssen,  ist  mir  nicht  zweifelhaft. 

Nun  ist  noch  ein  anderer  Umstand  vorhanden,  der  der  Willkür  in 
der  Anordnung,  der  Zerreiisung  des  Zusammengehörigen,  den  Wieder- 
holungen den  allergTÖlBten  Vorschub  leistet:  die  Verfasser  gehen  meistens 
nicht  vom  Französischen,  sondern  vom  Deutschen  aus,  und  das  zum 
Teil  von  dem  Deutschen,  das  sie  erst,  oft  mit  unnötiger  Freiheit  und 
sonst  ungenau,  aus  den  französischen  Stellen,  die  angefüml  werden  sollen, 
gewonnen  haben.  So  kommt  es  z.  B.,  dafs  die  bekannten  Verbindungen 
8e  faire  connaitre,  se  faire  aimery  die  doch  sicherlich  verbaler  Natur  sind, 
einmal  beim  Hauptwort  (S.  82)  und  einmal  beim  Eigenschaftswort 
(8.  54)  behandelt  werden,  und  das  blofs,  weil  sie  das  eine  Mal  wieder- 
gegeben werden  durch  'sich  einen  Namen  machen,  sich  Liebe  erwerben', 
das  andere  Mal  durch  'sich  bekannt,  sich  beliebt  machen'.  CHait 
pitie  de  wir  reihen  die  Verfasser  S.  45  unter  die  stilistischen  Eigentüm- 
lichkeiten des  Adjektivs,  weil  sie  es  übersetzen  mit  'es  ist  schreck- 
lich'. Ja,  wenn  man  es  nun  übersetzte  mit  'es  ist  ein  Jammer'  und 
dabei  noch  meinte,  man  habe  den  Gefühlswert  des  französischen  Aus- 
drucks auf  diese  Weise  besser  getroffen?  Ist  'er  wird  bei  weitem  nicht 
einwilligen'  (S.  88),  'alles  würde  gut  gehen  ohne  das  Abtragen  der 
Kleider'  (=  totU  irait  bien  ...  eans  üs  kabüs  qui  s'usenf)  (8.  84),  'die 
Soldaten  von  Friand  vor  Semenowska  aufgestellt,  schlagen  ...'  (S.  296) 
gutes  Deutsch?  Ist  das  ein  Deutsch,  das  über  die  Einordnung  in  be- 
stimmte Kapitel  entscheiden  kann  ?  Natürlich  mufs  in  einer  französischen 
Stilistik  für  Deutsche  das  Deutsche  zur  Vergleichung  herangezogen  wer- 
den; jede  Stilistik  beruht  ja  im  letzten  Grunde  auf  Vergleichung.  Aber 
die  Hauptsache  bleibt  doch,  Sinn  und  Wesen  der  französischen  Aus- 
drucksmittel und  Darstellungflweise  zu  verstehen.  Man  kann  nicht  genug 
die  Warnung  Toblers  (a.  a.  0.  S.  246)  beherzigen,  'die  zahllosen  Beispiele 
von  Divergenz  des  Ausdrucks  nach  der  Art  des  Ersatzes  zu  sondern,  den 
bestimmte  Arten  der  Wortverbindung  in  der  anderen  Sprache  finden 
können',  nicht  genug  seine  Mahnung  S.  247,  'im  allgemeinen  von  der 
Vergleichung  mit  dem  Deutschen  abzusehen,  Wörter,  Formen,  Funktionen, 
Wortgruppierungen  blols  daraufhin  anzusehen,  wss  sie  für  den  Franzosen 
sind'.  Ja,  auch  die  einzelnen  Wörter I  Welchen  Gewinn  kann  es  bringen, 
wenn  S.  95  aufgezählt  wird,  auf  wievielerlei  Art  'als'  wiedergegeben  wird, 
und  dabei  so  verschiedenartige  Dinge  wie  eti,  comme;  itant,  (hvenu;  en  tont 
gue;  plue  de  zusammengewürfelt  werden?  Und  ist  es  mehr  als  eine  rein 
mechanische  Sprach behandlung,  wenn  in  dem  Abschnitte,  der  von  den 
Präpositionen  handelt,  mechanisch  aufgezählt  wird,  auf  wie  mannigfache 
Art  an,  auf,  bei  u.  s.  f.  französisch  übersetzt  werden  können;  wenn 
dann  weiterhin  (S.  206 — 240)  nach  willkürlicher  Auswahl  in  alphabetischer 
Reihenfolge  1)  deutsche  Verben,  2)  deutsche  Eigenschaftswörter,  3)  deutsche 
Hauptwörter  'in  Verbindung  mit  Präpositionen'  aufgezählt  werden?  Wenn 
ir^ndwo,  so  muffte  hier  das  rein  Grammatische  und  Lexikalische  vom 
Stilistischen  geschieden  und  'neue  Ganze'  stilistischer  Geltung  geschaffen, 
z.  B.  alle  Fäile  abweichender  Raum-  und  Zeitanschauung  zusammengefalst 
w^den.  Sollten  aber  die  einzelnen  Präpositionen  systematisch  behandelt 
werden,  so  mufste  von  den  französischen  Präpositionen  ausgegangen 
und  aus  der  Grundbedeutung  die  einzelnen  Verwendungsgebiete  abgeleitet 
werden. 

Ebenso  wie  die  Einteilung  und  Anordnung  des  Stoffes,  so  ^bt  auch 
die  Ausführung  im  einzelnen  zu  mancherlei  Ausstellungen  Anlals.  Ich 
will  nicht  allzuviel  Gewicht  auf  die  Lücken  legen.  Da  wird  leicht  der 
eine  dies,  der  andere  das  vermissen.  Die  stilistische  Kraft  des  nicht  ge- 
trennten e'est  qtte  ist  von  den  Verfassern  nicht  gewürdigt  worden  (vgl. 
Sätze  wie :  //  est  heureux  que  monsieur  Beniard  ne  soit  plita  de  ee  monde,  — 


218  BearteiluQgeo  und  kune  Aszdgen." 

M  pourquoi?  —  C'eat  ju't2  seraü  pour  man  fih  tm  rwal  äafngwtuob  peui- 
etrey  W^^  de  la  Seigli^re  1,  5;  ee  qui  est  BÜr,  e'eat  gue  ...;  ai  lea  nobla 
8*hahüUni  en  bmtrgeots^  e'est  qu'iU  sota  eua^mhnea  devenus  de»  bowrgeois, 
Taine,  Origines  de  la  Fronet  eontemparaine).  Die  Btilistuch  wichtige  Frage 
nach  den  manni^rfachen  Fällen,  in  denen  der  Franzose  eine  komparaÜTlsdie 
Wendung  für  einen  deutschen  PoMtiv  oder  einen  KomparatiTsatz  der  Un> 
gleichheit  für  einen  im  Deutschen  üblichen  der  Gleichheit  gebraucht,  ist  nur 
eben  angerührt  (S.  58).  Pourvu  que  (=  utinam),  putsque  an  der  Spitze  Ton 
Hauptsätzen  (vgl.  A.  Schulze,  Arehiv  XCVIII,  6.  863  ff.),  charakteristische 
Partizipialkonstruktionen  wie  die  mit  une  fots  und  ähnliches  hätten  Er- 
wähnung verdient,  ebenso  die  abweichende  Gestaltung  des  Satzes  im  Hin- 
blick auf  die  N^ration  und  den  Ausdruck  der  Allgemeinheit  (vgl.  Sätze 
wie  Que  pareüle  ehose  arrire  eneort!  =  dafs  mir  das  nicht  noch  ^mal 
geschieht!;  iout  ee  quireluii  n'eet  paa  or\  le  maUre  de  poste  dont  preeque 
iou8  lea  ehevaux  avaient  iU  mia  en  riquiaitüm  wir  ncire  eawderie  == 
. . .  dessen  Pferde  fast  alle  . . .);  das  Kapitel  von  der  Ellipse  wird  man- 
cher sehr  mager  finden  und  ungern  eigenartige  Wendungen  wie  et  dire 
und  et  penaer,  hiatoire  de  rire^  rien  qu'ä  le  rotr,  le  tempa  de  dÜeler  u.  a.  m. 
vermissen.  Recht  lückenhaft  ist  auch  das  Kapitel  vom  Gebrauch  der  Zeiten 
(S.  147  ff.)  geraten.  Der  stilistische  Unterschied  zwischen  Pass^  d^ßni 
(Schriftsprache)  und  Pass^  ind^fini  (Umgangssprache)  auf  der  einen  Seite 
und  Imparfait  auf  der  anderen  ist  nicht  hinreichend  beleuchtet  (vgL  be- 
sonders Kalepky,  Der  Unteraehied  xtciaehen  Imparfait  und  Paaai  difinif 
Progr.  des  Falk- Realgymnasiums,  Berlin  1004).  Sollten  nun  einmal  die 
Funktionen  der  einzelnen  Zeiten  aufgezählt  werden,  so  durfte  das  Futurum 
nicht  fehlen,  das  Seeger  das  'prophetische'  genannt  hat  (vgl.  Tobler,  F.  B. 
II,  124  ff.),  und  das  deutsch  am  besten  mit  sollte  wiedergegeben  wird 
(vgl.  folgende  Sätze  aus  Taine  a.  a.  O.:  Äuaai  l'exaltation  qui  eommenee 
ne  aera  guere  qu'une  ibuUition  de  la  eervdle,  et  Vidyüe  preaque  entihrt 
se  jouera  dana  Ua  aalona.  11  n^y  eut  jamaia  rien  tPigal  en  hiaUnre;  pour 
la  premihre  foia,  on  va  voir  dea  brutea  devenuea  foUea  trtMPaiUer  en grand . . .). 
//  a  pu,  du  pleurer  'er  mag,  muls  geweint  haben'  wird  nidit  er- 
wähnt, u.  8.  f.  Ich  möchte,  wie  gesagt,  auf  solche  Lücken  kein  groises 
Gewicht  legen,  vielmehr  gern  anerkennen,  dals  die  Verfasser  eine  reiche 
Fülle  von  Erscheinungen  zur  Sprache  bringen.  Doch  kann  über  die  Art, 
wie  sie  besprochen  werden,  leider  nicht  so  milde  hinweggegangen  werden. 
Es  fehlt  fast  durchweg  an  der  erforderlichen  Schärfe  und  Riätigkeit  im 
Ausdruck  und  in  der  logischen  oder  psychologischen  Analyse.  Es  ist 
charakteristisch,  dals  ein  Werk  wie  Toblers  Venniaehte  Beiträge  überhaupt 
nicht  genannt  wird.  Auch  Meders  Erläuterungen  xur  franxöaiaehen  Syntax 
(Leipzig  1899)  hätten  öfter  zu  einer  vertief teren  Auffassung  der  franzö- 
sischen Sprachverhältnisse  führen  können.  Es  sträubt  sich  förmlidi  das 
grammatische  Gefühl,  wenn  wir  S.  112  lesen:  Es  gibt  manche  deutsche 
reflexive  Verba,  die  im  Französischen  ae  unbeschadet  ihrer  Be- 
deutung ablegen;  oder  S.  259:  Mit  Vorliebe  verwendet  die  französische 
Sprache  den  partitiven  Genitiv  dazu,  den  Superlativ  hervorzuheben, 
wo  es  gilt,  den  Ausdruck  *e*eat  un  ouvrage  dea  plua  intireaaanta'  zu 
charakteiisieren.  Es  ist  auch  eine  recht  unsorgsame  Redeweise,  wenn  es 
S.  155)  heifst:  Das  deutsche  Possessivpronomen  sein,  ihr  wird  im  Fran- 
zösischen durch  en  wiedergegeben  1.  als  Attribut  eines  voran- 
gegangenen Subjekts  (gemeint  sind  Sätze  wie:  diese  Angelegenheit 
ist  kitzlich,  ihr  Erfolg  ist  zweifelhaft);  oder  S.  160:  tei  dient  zuweilen 
zur  Wiedergabe  des  neutralen  das  (besser  S.  259);  oder  S.  258:  Die  Be- 
tonung des  durch  erst  und  nur  eingeschränkten  Wortes  geschidit  im 
Französischen  durch  ee  n'eat  que  . . .  que  oder  durch  il  n'y  a  que  . . .  qui 
oder  qtie.  S.  151  wird  der  Satz  il  a*Sveilla  de  banne  heure,  et  a'etant 
habilU  tranquiüement,  il  aartit  aeul  folgendermaiaen  analysiert:  'StUistiach 


BeorteilangeD  und  kurve  ÄDzeigen.  219 

wichtig  ist  noch,  dafs  im  FranzöBischen  in  der  erzählenden  Prosa  gern 
das  Partizip  oder  der  Infinitiv  ein^efüet  wird/  Dafs  hier  nicht 
etani  für  sich  genommen  werden  darf,  vielmenr  der  Geeamtsatz  Gegen- 
stand der  Analyse  sein  muIiB,  dals  also  der  Satz  nicht  in  den  Abschpitt 
gehört,  der  von  den  Wortarten,  sondern  in  den,  der  von  den  Satzarten 
handelt,  wird  ohne  weiteres  einleuchten.  Als  Satzart  war  auch  die  schon 
oben  angeführte  Ausdrucksweise  zu  behandeln:  sachons  le  projet  Qu'ü 
medüe  (deutsch:  ...  welchen  Plan  ...).  Die  Verfasser  bringen  sie  beim 
Interrogativum  zur  Sprache  und  erläutern  recht  oberflächlich  (S.  173): 
'Zuweilen  wird  das  deutsche  Interrogativum  durch  eine  relativische  Wen- 
dung ersetzt.' 

£jS  ist  wohl  überflGssig,  noch  weitere  Beispiele  anzuführen;  zur  Ver- 
fügung stehen  noch  viele. 

Meines  Erachtens  hat  die  Stilistik  am  wenigsten  mit  dem  Teile  des 
Sprachgutes  zu  schaffen,  das  der  einzelne  nicht  nach  freier  Wahl  gestalten 
kann;  oder  hat  es  doch  nur  insofern  damit  zu  tun,  als  dieser  Teil  des 
Sprachgutes  sich  mit  einer  charakteristischen  Eigenart  der  Sprache  oder 
der  Nation  verknüpfen  läfst,  wie  die  im  Anfang  berührten  lormelhaften 
Wendungen,  wie  die  feststehenden  Sprachmetaphem.  Am  meisten  nun 
der  individuellen  Sprachgestaltung  anheimgegeben  ist  der  Satzbau,  und 
die  Form  und  der  Anbau  des  Satzes  wird  die  Hauptdomäne  der  Stilistik 
sein.  Ich  würde  die  Wortarten  und  Redeteile  nebst  der  Wortbildung 
auch  als  Teile  der  Stilistik  des  einfachen  Satzes  behandeln.  Kl.  u.  Seh. 
haben  dem  Satzbau  auch  mehr  Aufmerksamkeit  zugewandt  als  Franke. 
Aber  was  sie  briogen,  reicht  bei  weitem  nicht  aus  und  bleibt  zu  sehr  an 
der  Oberfläche.  Ganz  ihre  Sdiuld  ist  das  nicht;  ich  meine,  es  ist  über- 
haupt verfrüht,  eine  französische  Stilistik  zu  Hchreiben.  Dazu  müTsten 
die  tvpisdien  Satzformen  des  Französischen  in  der  Schriftsprache  und  in 
der  ifmgangssprache  erst  genauer  durch  Einzel  Untersuchungen  durch- 
forscht werden.  Hier  läge  ein  schier  unerschöpfliches  Feld  für  angehende 
Doktoren. 

Ich  will  zum  Schlufs  noch  auf  eine  solcher  Satzformen  hinweisen. 
In  Elsafs-Lothringen,  z.  B.  in  Metz,  werden  Schuler  oder  Schülerinuen 
französischer  Nationalität  stets  geneigt  sein,  eine  Aussage  so  anzufangen : 
Der  Kaiser,  als  er  dies  gesagt  hatte,  gab  . . .,  eine  Aussage,  der  Schüler 
deutscher  Nationalität  derselben  Klasse  ohne  weiteres  diese  Form  gegeben 
hätten :  Als  der  Kaiser  dies  gesagt  hatte,  gab  er  ....  Wenn  O.  Brahm 
in  seiner  Kirnst- Biogravhie  (j^rlin,  Fontane  &  Ko.)  8.  170  (und  ähnlich 
öfter)  sagt:  Adam,  während  er  Hals  über  Kopf  Toilette  macht,  spricht 
etwas  von  ...,  so  wird  man  darin  französischen  Einfiuis  erkennen,  be- 
Honders  wenn  sich  noch  andere  Gallizismen  bei  diesem  Schriftsteller  finden. 
Für  die  normale  deutsche  Ausdrucksweise  ist  hierbei  charakteristisch,  dafs 
der  Nebensatz  an  zwei  Stellen  stehen  kann,  einmal  als  Vordersatz  zu  An- 
fang des  ganzen  Gefüges  (Während  Adam  Hals  über  Kopf  Toilette  macht, 
spricht  er  etwas  von  . . .)  oder  aber  gleich  nach  dem  Verbum  finituni 
(Adam  spricht,  während  er  Hals  über  Kopf  Toilette  macht,  etwas  von  . . .). 
Kl.  u.  Seh.  sprechen  von  dieser  Satzform  (S.  304),  und  zwar  in  dem  Ka- 
pitel, das  von  der  'Einheit  und  Klarheit  der  Periode'  handelt.  Es  heilst 
dort:  Ungleich  dem  Deutschen  wird  das  Subjekt  des  Hauptsatzes,  wenn 
es  zugleich  Subjekt  des  Nebensatzes  ist,  an  den  Anfang  der 
Periode  gestellt;  dann  folgt  ein  Nebensatz,  in  dem  das  Subjekt  durcn  ein 
Pronomen  wieder  aufgenommen  ist,  oder  eine  Partizipialkonstruk- 
tion,  und  dann  erst  das  Prädikat.  Als  Beispiele  werden  u.  a.  angeführt: 
ThSmistoeie,  arrive  ä  LacSdenioney  ne  voultU  point  . . . ;  l'armee  d'Annibal, 
hrsqu'elle  enira  en  lUUie,  Siait  beaucoup  inferieure  en  nombre  ....  Rqgel 
wie  Beispiele  erwecken  den  Eindruck,  als  wenn  die  Partizipialkonstruktiou 
unter  allen  Unaständen  einem  deutschen  Nebensatz  entspräche.   Das  ist 


220  Beurteilungen  und  kurze  Anzeige)]. 

keineswegs  der  Fall.  Auch  wir  haben  ^rade  hier  die  Möglichkeit,  änen 
Partizipialsatz  anzuwenden:  ein  appoeitiver  Partizipialsatz  Tor  dem  Sub- 
jekt ist  durchaus  im  Geiste  der  deutschen  Sprache;  es  ist  dn  gutes  Deutsch, 
wen^  wir  sagen:  Von  den  Russen  geschlaffen,  beschliefet  Gustav  III.  ...; 
In  Sparta  angekommen,  wollte  Themistokles  ....  Französisch  heilst  das 
dann  am  besten :  Gustave  III  battu  par  ks  Ruues^  rUout ...  u.  s.  f .  Noch 
ein  weiteres  aber  haben  lEH.  u.  Seh.  nicht  beachtet.  Dieselbe  Aussage- 
form hat  statt,  wenn  an  Stelle  eines  Nebensatzes,  eines  appositiven  Parti- 
zipialsatzes nur  eine  adverbiale  Bestimmung  vorhanden  ist.  Oder  sollten 
Satze  wie  le  NU,  aprhs  aon  inondation,  laisse  un  limon  ferHle;  Bona- 
parte^  dans  un  mouvement  d'impatienee^  prononfa  le  mot  de  de- 
miasion;  Bonaparte,  apris  la  batatlle  des  Pyratnides,  s'äaü  trouve 
mattre  de  VEgypte  nicht  ganz  dieselbe  sprachliclie  Erscheinung  darbieten? 
Man  beachte  auch,  dafs  wir  im  Deutschen  wieder  die  Mö^chkeit  ^er 
vorhin  gekennzeichneten  doppelten  Stellung  hab^i:  Nach  seiner  Über- 
schwemmung läfst  der  Nil  ...,  oder  unmittelbar  nach  dem  Verbum 
finitum:  Der  Nil  läfst  nach  seiner  Überschwemmung  ....  Franzö- 
sisch ist  es,  wenn  Brahm  a.  a.  O.  S.  274  sagt:  Kleist  mit  seinem  ein- 
zigen Bardenchore  läfst  die  Erinnerung  an  Klopstock  und  seine  Nach- 
ahmer weit  zurück.  Und  wir  alle  haben  eine  französische  Stileigentüm- 
lichkeit angenommen,  wenn  wir,  wie  wir  jetzt  so  sehr  geneigt  sind,  sagen : 
A.  Darmesteter,  in  seinem  Buche  La  Vie  des  Mots,  bdiauptet  ....  Die 
Frage  ist  durchaus  noch  nicht  erschöpft,  aber  was  ich  hier  dartun  wollte, 
ist  wohl  jetzt  schon  klar:  Kl.  und  Seh.  haben  die  Frage  ganz  einseitig 
behandelt;  sie  kann  erschöpfend  nur  behandelt  werden,  wenn  vom  Fnin- 
zösischen  ausgegangen  wird. 

Die  Franxösisme  Stüisiik  von  Kl.  und  Seh.  wird  sich  nichtsdesto- 
weni^r  in  mancher  Beziehung  als  ein  nützliches  und  lehrreiches  Budi 
erwei8cn.  Es  wird  sich  als  solches  erweisen  vor  allem  durch  die  mit  Um- 
sicht und  Fleifs  gesammelten  Beispiele  und  durch  die  Reichhaltigkeit  man- 
cher Sammlungen. 

Friedenau.  E.  Mackel. 

Etndes  sur  l^istoriographie  espagnole:  Geoi^ges  Cirot,  Mariana 
HistorieD.  Bordeaux  1905.  XV,  481  S.  Frs.  15.  (Biblioth^ue  de 
la  Fondation  Thiers.  VIII.) 

Das  Schicksal,  das  Juan  de  Mariana,  der  gelehrte  spanische  Jesuit, 
bei  der  Nachwelt  hatte,  ist  merkwürdig  genug:  der  Ruhm,  den  sein  histo- 
risches Werk  erwarb,  liefs  vergessen,  dais  er  auf  manchem  anderen  Felde 
des  Wissens  Hervorragendes  und  Eigenartiges  gleistet  hatte;  wer  von 
Mariana  sprach,  dachte  an  den  Verfasser  der  Htstorta  general  de  B^pana. 
Als  nun  in  späterer  Zeit  von  solchen,  die  sich  der  Erforschung  und  Schil- 
derung spanischer  Geschichte  widmeten,  immer  häufiger  der  Vorwurf  ^- 
hoben  wurde^  dafs  der  berühmte  Vorgänger  doch  zu  leichtgläubig  seinen 
Quellen  alle  möglichen  Fabeln  nacherzähle  und  ihnen  den  Schein  unantast- 
barer Wahrheit  verleihe,  da  wurde  der,  den  man  so  gern  den  spanischen 
Tacitus  genannt  hatte,  in  Bausch  und  Bogen  verdammt.  Kaum  daCs  man 
ihm  noch  den  Ruhm  lieis,  das  von  seinen  Vorgängern  aufgehäufte  Matmal 
zwar  unkritisch,  aber  doch  in  gutem  Stil  bearbeitet  zu  haboi.  Dab« 
blieb  es  denn  auch,  als  Pi  y  Margall  im  j£^re  1854  den  Denker 
Mariana  förmlich  neu  entdeckte ;  dem  Historiker  machte  der  gelehrte  Her- 
ausgeber der  Werke  in  der  Biblioteca  de  autores  espanoles  wahrlich  kein 
Kompliment,  wenn  er  (S.  XLVI)  den  Wert  der  Htstorta  darin  fand,  dafs 
sie,  wenn  nicht  die  Entwickelung,  doch  die  Beispielsanunlung  für  das 
philosophische  System  ihres  Verfassers  sei. 

Nun  hat  auch  der  Historiker  Mariana  in  Gl  rot  seinen  Verteidigar 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  221 

gefunden.  Nicht  als  ob  er  den  fruchtloeen  Versuch  gemacht  hätte^  das 
Werk  seinee  Helden  als  modernen  AnsprQchen  noch  genügende  Darstel- 
lung der  spanischen  Oeschichte  zu  empfehlen,  aber  den  Vorwurf  der 
Kritiklosigkeit  und  wissenschaftlichen  Unzuverlässigkeit  will  er  von  ihm 
nehmen.  Und  dazu  hat  er  sich  mit  gutem  Rüstzeug  versehen:  zunächst 
ist  ihm  die  gedruckte  historische  Literatur  des  Mittelalters  und  der  Ke- 
naissance,  soweit  sie  für  seine  Studien  irgend  in  Frage  kommt,  vertraut 
(zu  gleicher  Zeit  mit  dem  Marianabuch  erschien  von  ihm  ein  Werk  über 
die  Hütoires  ginSreUes  d'Espctpne,  ein  anderes  über  die  Vorgänger  Marianas 
wird  angekündigt),  sodann  ist  aber  auch  sehr  umfangreiches  und  wert- 
volles uneedrucktes  Material  (vor  allem  Marianas  Manuskripte  im  British 
Museum)  neransezogen  und  durc^  Abdruck  in  den  Beilagen  allgemein  zu- 
ganglich ^macnt;  erst  hierdurch  werden  Marianas  Leben  und  Charakter, 
seine  Beziehungen  zu  Zeitgenossen  und  die  Entstehungszeit  seiner  Werke, 
endlich  sein  ProzeTs,  alles  Din^e,  von  denen  man  bis  jetzt  nur  sehr  un- 
vollkommen unterrichtet  war,  emigermaisen  klar.  Denn  dafür  haben  wir 
dem  Verfasser  noch  besonders  zu  danken,  dafs  er  seine  Aufgabe  nicht 
bloXs  vom  fachwissenschaftlichen  Standpunkt  angriff,  sondern,  um  den 
Historiker  Mariana  verteidigen  zu  können,  den  ganzen  Menschen  zu  ver- 
stehen suchte.  Dabei  bleibt  stets  der  oberste  Qesichtspunkt,  den  der  Titel 
angibt,  gewahrt;  wenn  sich  die  Darstellung  auch  manchmal  in  behaglicher 
Breite  ergeht,  wird  man  ihr  Überflüssiges  kaum  nachweisen  können. 

Der  Stoff  gliedert  sich  in  drei  grofse  Abschnitte :  dafs  nach  seinem 
Lebensgan^  und  nach  seinen  nichthistorischen  Werken  Mariana  Neigung 
und  FäiffEeit  zu  wissenschaftlicher  Kritik  hatte,  den  Sinn  für  die  Wahr- 
heit, mocnte  sie  auch  geistlichen  Vorgesetzten  und  weltlicher  Obrigkeit 
wenig  erfreulich  sein,  ist  das  Thema  probandum  des  ersten  Abschnittes, 
und  es  sei  gleich  hinzugefügt,  dafs  der  Beweis  zweifellos  erbracht  ist. 
Nachdem  der  Verfasser  sic^  so  seinen  Boden  bereitet  hat,  soll  der  Fort- 
gang des  Buches  zeigen,  dafs  Mariana  als  Historiker  sidi  nicht  untreu 
geworden  ist:  der  zweite  Abschnitt,  Historiqtte  de  l'Histoire  d^Espagne,  er- 
zählt von  der  Entstehung  des  grofsen  Geschichtswerkes  in  seiner  latei- 
nischen und  seiner  spanischen  Form,  der  Aufiiahme  bei  Gelehrten  und 
Laien,  den  verschiedenen  Ausgaben  und  ihrem  Werte,  endlich  von  dem 
Urteil  der  Nachwelt  und  seinen  Wandlungen ;  der  dritte  Abschnitt,  Valeur 
de  VHistoire  etc.  betitelt,  behandelt  Marianas  historische  Methode,  seine 
Quellen,  seine  Geschichtsauffassung,  schliefslich  auch  in  drei  besonders 
anziehenden  Kapiteln  seine  Sprache  und  seinen  Stil.  Das  Ziel  dieser  Ab- 
schnitte ist  vor  allem,  den  Standpunkt  festzustellen,  von  dem  Mariana  aus 
beurteilt  werden  mufs,  und  das  ist  nicht  der  der  absoluten  Eichtigkeit 
des  von  ihm  Gebotenen.  Der  Jesuit,  der  in  der  Theologie,  der  Moral- 
philosophie, auch  in  der  wissenschaftlichen  Erforschung  antiquarischer 
Fragen  seinen  Mann  stellte,  sah  sich  in  der  Geschichte  selbst  nicht  als 
Forscher  an;  sein  Ziel  war  erreicht,  wenn  er  den  Inhalt  guter  Quellen 
in  angemessener  Form  wiedergab.  Freilich,  wer  so  Geschichte  eraählen 
will,  braucht  Vorarbeiten,  und  die  waren  nicht  für  jede  Periode  der  spa- 
nischen Geschichte  vorhanden;  hat  nun  Mariana  in  solchen  Fällen  dem 
ersten  besten  Gewährsmann  leichtgläubig  nacherzählt,  oder  hat  er  die  G^ 
legenheit  benutzt,  historische  Kritik  zu  üben,  die  sich  ihm  trotz  seines 
bächeiden  gesteckten  Zieles  förmlich  aufdrang?  Die  Beispiele,  durch  die 
Cirot  im  Laufe  seiner  Untersuchungen  Marianas  Art  zu  arbeiten  beleuch- 
tet, genügen  vollständig,  um  ihn  gegen  den  so  oft  erhobenen  Vorwurf 
schnellferti^er  Vertrauensseligkeit  zu  schützen.  Cirot  geht  noch  weiter 
und  faist  aas  Ergebnis  seiner  Untersuchungen  in  die  Worte  \Mariana)  ne 
pemait  eomposer  qu'tme  oßuvre  de  vulgairisation  ...  il  a  su  faire  de  ceUe 
Histoire,  jusqu'ä  im  certain  poini,  une  ceuvre  de  criiique  et  de  eeience,' 
Hierzu  seien  einige  Bemerkungen  gestattet. 


222  Beurteiiang«»  und  kurze  Anseigen. 

Liest  mau  Cirots  Kapitel  III,  4:  L'informaHon  de  Mairiana,  so  mag 
man  freilich  erstaunen  über  die  Menge  Quellenschriftstelier,  die  Mariana, 
obwohl  er  nur  Kompilator  sein  wollte,  heranzog;  abnr  die  Zahl  der  be- 
nutzten Quellen  tut  es  nicht  allein,  es  kommt  doch  sehr  auf  das  Wie  an. 
Danach  hätte  Cirot  mehr  fragen  können.  So  scheint  mir  das  Beispiel  auf 
S.  ;V20  f.  wenig  geeignet,  den  Kuhm  des  Historikers  Mariana  zu  vermehren ; 
wenn  er  bei  seinem  Bericht  über  römische  G^andtschaften  an  Hannibal 
mehr  als  eine  Quelle  (neben  Livius  auch  Polybius)  heranzog,  so  nahm  er 
dabei  auch  eine  Quellen kontamination  vor,  die  wohl  auch  vom  Stand- 
punkte der  Historiographie  des  17.  Jahrhunderts  nicht  zu  billigen  ist.  Aber 
wichtiger  deucht  mich  doch  noch  ein  anderes.  Cirots  Liste  der  für  die 
Hisiona  benutzten  Quellen  scheint  vor  allem  auf  ein^n  im  Nachlafs 
Marianas  gefundenen  Notizblatte  (pag.  447),  den  Angaben  im  Index  der 
lateinischen  Ausgabe  und  am  Rande  der  spanischen  Ausgaben  zu  beruhen; 
eine  Nachprüfung  dieser  Angaben  hat  wohl  nicht  immer  stattgefunden. 
Und  doch  wäre  aas  sehr  nötig  ^wesen,  wäre  auch  wohl  geschehen,  wenn 
dem  belesenen  Verfasser  nicht  eine  sehr  interessante  Kritik  des  Historikers 
Mariana  fremd  geblieben  wäre:  dieienige,  die  ihm  Ranke  in  Zur  Krüik 
neuerer  OeeehiefUsehreiber^  60  ff.  widmete.  Da  stellt  der  berühmte  Histo- 
riker fest,  dals  (in  den  Büchern  20 — 3ü)  Mariana  zwar  'des  Anton  tod 
Lebrixa,  des  Peter  Martyr,  des  Carajaval,  des  Alvar  Qomez  gedenkt',  in 
Wirklichkeit  aber  'alle  wichtigen  Nachrichten  Marianas  aus  Zurita  (Anales 
de  la  Corona  de  Aragon)  genommen  sind'.  'Ich  habe  sie  beide  (Mariana 
und  Zurita)  durchaus  exzerpiert  und  kann  beinahe  nichts  finden,  wo 
Mariana  eigentümlichen  Berichten  gefolgt  wäre.'  So  scheint  denn  die 
Frage,  in  welchem  Umfange  Mariana  übär  die  direkte  Vorlage  hinaus  'zu 
den  Quellen  stie^',  der  Nachprüfung  noch  sehr  bedürftig;  leider  hat  Cirot 
diese  nun  nicht  leicht  gemacht  Niemand  wird  tadeln,  dals  er  die  Tatsache 
mehr  oder  minder  häufiger  Quellen  benutzung  zunächst  an  ihm  geeignet 
erscheinenden  Einzelbeispielen  beweist;  aber  anstatt  darauf  einfach  die 
Quellen  ohne  Andeutungen  über  ihre  Wichtigkeit  zusammenzustellen,  hätte 
er  doch  wohl  besser  getan,  nach  einer  etwas  übersichtlicheren  Anordnung 
zu  streben.  Wäre  es  nicht  möglich  gewesen,  die  Quellen  um  die  Haupt- 
vorlagen zu  gruppieren?  Also  anzuheben,  wem  in  den  einzelnoi  Perioden 
der  spanischen  Geschichte  Mariana  den  Lauf  der  Begebenheiten  im  wesent- 
lichen nacherzählt,  und  dann  hinzuzufügen,  wo  Cirot  die  Benutzung  eigent- 
licher Quellenschriftsteller  konstatiert  oder  sie  auch  nur  vermutet  hat? 
So  würde  der  Leser  nicht  nur  die  Überzeugung  davontragen,  dafs  Mariana 
mehr  oder  minder  häufig  wirkliche  wissenschaftliche  Arbeit  geliefert  hat, 
er  würde  audi  ein  genaueres  Bild  von  dem  Anteil  erhalten,  den  der  Histo- 
riker an  dem  Werke  des  Kompilators  hat.  Wie  die  Sache  liegt,  wird  man 
sich  auch  für  die  letzten  Bücher  leicht  diesen  Anteil  viel  gröAer  vor- 
stellen, als  er  nach  Ranke  sein  kann. 

Wenn  so  Zweifel  erlaubt  sind,  ob  der  Orad,  bis  zu  dem  Marianas 
Werk  Hme  muvre  de  critique  et  de  seienee'  ist,  schon  endgültig  präzisiert 
ist,  so  soll  damit  der  These  an  sich  nichts  abgemarktet  werden ;  als  blofsen 
xurddor  de  frases  wird  niemand  mehr  Mariana  behandeln  dürfen,  davor 
scheint  er  mir  durch  die  grofse  Fülle  von  Einzeluntersuchnng»!,  in  der 
LMrot  seinen  Helden  gegen  alle  und  neue  Tadler  in  Schutz  nimmt,  dn 
für  allemal  geborgen  zu  sein.  Auch  wenn  der  Verfasser  dabei  selegent- 
lich  im  Eifer  für  Mariana  oder  gegen  seine  Gegner  zu  weit  gäity  wird 
man  im  einzelnen  wohl  widersprecnen,  im  ganzen  ihm  doch  recht  geben 
müssen. 

Unter  diesem  Gesichtspunkte  mögen  folgende  Einzelheiten  aufgefaist 
werden,  die  ich  mir  bei  der  Lektüre  des  Werkes  als  zweifelhaft  oder  doch 
näherer  Aufklärung  noch  bedürftig  angemerkt  habe.  Da  ist  zunächst  die 
Frage  nach  dem  Wert  der  einzelnen  Ausgaben  der  spaniscken  Hiatoria, 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  228 

von  denen  drei  zu  Lebzeiten  Marianas  erschienen.  Schon  Herausgeber 
des  lü,  Jahrhunderts  hielten  die  beiden  jüngeren  Ausgaben  (yon  lüli  und 
it>25)  nicht  für  authentisch,  Girot  ist  nur  die  Ausgab  von  1628  verdäch- 
tig, weil  in  ihr  sich  einige  Stellen  finden,  die  er  für  Interpolationen  hält : 
Entlehnungen  aus  apokryphen  Quellen,  deren  Wertlosigkeit  Mariana  wohl 
bekannt  war.  Nun  beweist  Oirot  die  Tatsache  der  Interpolation  —  und 
um  die  handelt  es  sich  zunächst  —  so  einleuchtend,  wie  derartiges  eben 
bewiesen  werden  kann ;  aber  damit  scheint  mir  die  Frage  nach  dem  Werte 
der  Ausgabe  durchaus  nicht  erledigt.  Ein  Gesuch  Marianas  an  Philipp  IV. 
um  Qeldbeihilfe  zum  Druck  (254)  behauptet  von  dieser  Ausgabe  ausdrück- 
lich, sie  sei  vermehrt  und  verbessert.  Das  schlielst  nun  die  Möglichkeit 
von  Interpolationen  nicht  aus  —  Mariana  war  alt  geworden  und  hat 
vielleicht  nicht  selbst  den  Druck  durch  alle  seine  Stadien  überwacht  — 
aber  es  muls  doch  gefragt  werden,  ob  sich  nicht  Zusätze  oder  Verände- 
rungen finden,  die  keine  Interpolationen  sind,  der  Ausgabe  sogar  ihren 
eigenen  Wert  geben.  Darum  genügt  es  wohl  für  Cirots  nächsten  Zweck, 
wenn  er  nur  bei  den  aus  irgendwelchem  Grunde  besprochenen  Stellen  den 
Text  der  verschiedenen  Ausgaben  vergleicht;  für  die  Entscheidung  über 
den  Wert  der  einzelnen  Drucke  muls  eine  umfassende  Kollation  als  not- 
wendig erscheinen.  —  Wer  ist  der  Interpolator  der  Ausgabe  von  lt)2b? 
Ich  glaube,  dafs  Cirot  da  Tamayo  de  Vargas  zu  schnell  freispricht.  Aller- 
dings ist  der  Gedanke  nicht  sehr  erfreulich,  dai's  derselbe  Tamayo,  der  eine 
Verteidigungsschritt  für  Mariana  gegen  seinen  Kritiker  Pedro  Mantuano 
verfafste,  zum  Fälscher  am  Werke  des  Meisters  wurde.  Aber  die  Ver- 
dachtsgründe  gegen  ihn  (25<>  ff.)  sind  recht  gravierend,  und  was  Cirot  für 
ihn  vorbringt,  ist  wenig  stichhaltig:  eine  der  Änderungen  widerspricht 
Tamayos  sonst  dargelegter  Ansicht.  Traut  man  aber  dem  Interpolator 
die  Schlauheit  zu,  sich  gerade  stofflich  ziemlich  unwichtige  Einzelheiten 
für  seine  Fälschungen  herauszusuchen,  um  unliebsames  augenblickliches 
Aufsehen  zu  vermeiden  (2bü)y  so  wird  man  ihm  auch  nicht  zu  viel  Ehre 
antun,  wenn  man  annimmt,  dal's  er  gerade  in  solchem  Widerspruch  ein 
Mittel  sah,  sich  selbst  vor  jedem  Verdacht  zu  schützen.  Damit  bleibt 
also  Tamayo  der  Meistbelastete;  was  Cirot  gegen  andere  vorbringt,  bleibt 
doch  reine  Konjektur.  —  Dagegen  scheint  mir  jener  Mantuano,  der  Ver- 
fasser der  Aävertencüia  d  la  Bisioria  de  Juan  de  Mariana  (it>ll  und  lolä), 
zu  schlecht  wegzukommen.  Dai's  der  Kritiker  nicht  *UnUe  la  bonne  foi 
iUsirabW  zu  seinem  Unternehmen  mitgebracht  habe,  halte  ich  nicht  für 
erwiesen.  Es  wird  ihm  vorgeworfen,  er  habe  sich  mehrfach  einseitig  an 
den  späteren  spanischen  Text  gehalten,  während  ein  Vergleich  mit  der 
älteren  lateinischen  Fassung  ihm  seinen  Tadel  als  unbegründet  oder  doch 
nur  die  Güte  der  Übersetzung  treffend  hätte  zeigen  müssen.  Dieser  Argu- 
mentation vermag  ich  nicht  zu  folgen.  Wenn  (210  Anm.)  die  lateinische 
Fassung  über  den  Todesort  Konradins  nichts  berichtet,  die  spanische  aber 
fälschlich  Messina  nennt,  so  hatte  Mantuano  vollkommen  recht,  das  zu 
rügen ;  wenn  die  lateinische  Ausgabe  hat  Hannonem  nunciarunt  ...  in 
Piceno  agro  cum  copiis  omnibus  oppreaaum  fuieae,  die  spanische  aber  sagt 
/ue  ...  tencido,  desbaratado,  y  muerto,  so  scheint  mir  das  kein  Übersetzungs- 
fehler zu  sein,  sondern  ein  Zusatz,  den,  wenn  er  falsch  ist,  das  Lateinische 
nicht  rechtiertigen  kann.  Ähnliches  gilt  doch  auch  von  den  anderen  Bei- 
spielen; nur  beim  zweiten  (Cäsars  Tod,  den  die  erste  Fassung  richtig  auf 
die  Iden  des  März  legt,  findet  im  spanischen  Text  am  7.  März  statt;  han- 
delt es  sich  augenscheinlich  um  ein  blolses  Versehen,  das  allerdings  nicht 
als  historischer  Fehler  hätte  aufgemutzt  werden  sollen.  Bei  den  anderen 
Vorwürfen  wird  man  wenigstens  leicht  Milderungsgründe  für  Mantuanos 
Verfahren  finden  können :  dafs  er  Quellennachweise  Marianas  weglieis, 
lä£st  sich  (bei  dem  Beispiel  S.  212  Anm.  4  II  Ö  liegt  es  auf  der  Hand) 
daraus  erklären,  dafs  Mariana  die  Meinung  der  Quelle  ja  zu  seiner  eigenen 


224  Beurteilnngen  und  knne  Anzeigen. 

zu  machen  schien;  bedenklicher  ist,  dafs  Mantuano  in  den  Äetverteneias 
Stellen  früherer  Ausgaben  monierte,  die  inzwischen  im  Druck  von  iüu8 
verbessert  worden  waren,  und  zwar,  wieCirot  179  f.  wahrscheinlich  macht, 
auf  Grund  eines  ersten  ( verlorenen j  Druckes  von  Mantuanos  eigener  Kritik. 
Doch  auch  hier  erscheint  das  Verhalten  des  Kritikers  wenigstens  in  mil- 
derem Lichte,  wenn  man  die  Ausführun^n  auf  8.  176  berücksichtigt. 
Auf  eine  höfliche  Übersendung  seiner  Kritik,  der  durch  dne  JBemerkung 
in  der  Vorrede  jeder  verletzende  Stachel  wenigstens  genommen  werden 
sollte,  erhielt  Mantuano  von  dem  bärbeiisigen  Mariana  —  man  glaubt  das 
treffliche,  dem  Buch  beigesebene  Portrat  sprechen  zu  hören  —  eine  der- 
artig grobe  und  verächtliche  Antwort,  d als  er  wohl  zunächst  nicht  auf 
den  Gedanken  kommen  konnte,  seine  Besserungsvorschläge  könnten  irgend- 
wie berücksichtig  werden.  Jedenfalls  ist  denkbar,  dals  von  nun  an  seine 
Kritik  nicht  mdbr  dem  Werke,  sondern  dem  Verfasser  galt,  und  dafs  er 
sich  berechtigt  glaubte,  zur  Charakteristik  des  Feindes  auch  inzwischen 
verbesserte  Schnitzer  blofszustellen.  So  wird  sein  Verhalten,  wenn  nicht 
entschuldbar,  doch  erklärlich.  Cirot  hätte  vielleicht  besser  getan,  mit  Bei- 
seiteschiebung des  Persönlichen  seines  Helden  Sache  dadurch  zu  führen, 
dafs  er  die  Kleinlichkdt  dieser  in  Einzelheiten  steckenbleibenden  Kritik  in 
den  Vordergrund  stellte:  den  glücklich  gefundenen  Splitter  machte  Man- 
tuano zum  Balken,  für  das  Grofse  der  ganzen  Leistung  ging  ihm  und 
den  meisten  seiner  Zdt,  auch  Tamavo,  dem  Verteidiger  Marianas,  der 
Blick  ab.  Die  nächsten  Jahrhunderte  haben  Mariana  ja  zunächst  reicjilich 
für  die  philisterhafte  Beurteilung  seiner  Zeit  entschädigt.  Cirots  Vber- 
blick  (2ü0ff.)  ist  in  dieser  Beziehung  recht  interessant;  ergänzend  sd  hier 
darauf  hingewiesen,  dais  der  Spanier  auch  in  Deutschland  seine  Verehrer 
fand:  nachdem  der  auch  sonst  als  Vermittler  spanischen  und  deutscheo 
Geisteslebens  bekannte  Publizist  Friedrich  Buchholz  (1768—1843)  in  Wolt- 
manns  Zeitschrift  Oesehtehte  und  Politik  I  2ö5  ff.  (Berlin  1801)  einen  Ar- 
tikel 'Über  Mariana  und  einige  seiner  Werke'  —  nämlid^  die  Historia  und 
das  Buch  De  rege  —  hatte  erscheinen  lassen,  veröffentlichte  er  drei  Jahre 
später  noch  eine  Art  historisch-philosophischen  Boman :  Juan  de  Mariana, 
die  Bnttpicklungsgeeekichte  eines  Jesuiten  (BerUn  1804),  der  als  Zeitdoku- 
ment der  Aufklärungsperiode  einiges  Interesse  hat. 

Zum  Schluis  mö^e  noch  ein  Wunsch  ausgesprochen  werden.  Cirot 
betrachtet  seine  drei  Bücher  über  die  spanische  Historiographie  nur  als 
Materialiensammlungen  *il8  ne  vaudront  pcu  ä  eux  taue  un  livre  eauri  et 
condensi  sur  ee  beau  et^ef  —  das  zu  schreiben  er  aber  anderen  fiberlassen 
will.  Das  ist  bedauerUch:  niemand  wäre  dieser  sdiönen  Aufgabe  besser 
gewachsen  als  Cirot,  nicht  nur  sachlich  —  wer  wäre  ihm  an  Kenntnissen 
auf  diesem  Spezialgebiet  gewachsen  I  —  sondern  auch  formell ;  wer  einen 
an  sich  trockenen  Stoff,  wie  der  des  vorliegenden  Buches  immerhin  ist, 
so  anziehend  zu  behandeln  weifs,  der  braucht  keinen  anderen  zu  suchen 
*pour  prieenter  lea  ehoaea  d^une  iacon  plus  agriabU\ 

Säiöneberg.  ^^  A.  Ludwig. 


yerzeie|hnis 

der  vom  29.  November  1905  bis  zum  8.  März  1906 
bei  der  Redaktion  eingelaufenen  Druckschriften« 


The  AmericaD  Journal  of  phüoloc^.    XXVII,  4,  whole  no.  104. 

Zeitschrift  ffir  österreichiscne  VolKskunde.  XI,  5—6  [F.  Lentner,  Über 
Volkstracht  im  Gebirge.  —  G.  Polivka,  Eine  alte  Schulanekdote  und  ahn- 
liehe  Volksgescbichten.  —  A.  John,  Volkstümliches  Ina  *  Freischütz*.  — 
Kleine  Mitteilungen.  —  Ethnographische  Chronik  aus  Österreich.  —  Be- 
sprechungen. — .  Mitteilungen  aus  dem  Verein  und  dem  Museum  für  österr. 
Volkskunde]. 

Zeitschrift  für  Ästhetik  und  allgemeine  Kunstwissenschaft,  hs.  von 
Max  Dessoir.  I,  l  [Th.  Lipps,  Zur  *ästh€ tischen  Mechanik'.- —  K.  Lange, 
Die  ästhetische  Illusion  im  18.  Jahrh.  —  H.  Riemann,  Die  Ausdrucks- 
kraft musikalischer  Motive.  —  G.  Simmel,  Über  die  dritte  Dimension  in 
der  Kunst.  —  H.  Spitzer,  Apollinische  und  dionysische  Kunst.  —  Th.  Poppe, 
Von  Form  und  Formung  iu  der  Dichtkunst  —  fiesprechungen.  —  Schriften- 
verzeichnis für  I9u51. 

Philosophische  Wochenschrift  und  Literatur-Zeitung.  1, 1  [H.  Renner, 
Über  Philosophie  und  ihre  Popularität.  —  R.  Eucken,  Die  Philosophie 
und  das  deutsche  Publikum.  —  F.  Berolzheimer,  J.  Kohler  als  Recnts- 
philos'jph.  —  B.  Bauch,  Zum  Begriff  der  Erfahrung.  —  Selbstanzeigen.  — 
Besprechungen.  —  Zeitschriftenschau]. 

Dilthey,  W.,  Das  Erlebnis  und  die  Dichtung:  Lessing,  Goethe, 
Novalis,  Hölderlin.    4  Aufeätze.    Leipzig,  Teubner,  1906.   405  S.   M.  4,80. 

Oswald,  Ehigene,  The  legend  of  fair  Helen  as  told  by  Homer,  Goethe 
and   others,   a  study.    London,  Murray,   1905.    XII,   2ll   p.     [In  wohl- 

femeinter  Begeisterung  für  die  Goethesche  Lichtgostalt,  die  im  zweiten 
*eil  des  Faust  die  Schönheit  des  Altertums  vertritt,  als  Persönlichkeit, 
nicht  als  Allegorie,  hat  Oswald,  der  renommierte  Förderer  der  Goethe- 
Society,  zu  schildern  unternommen,  wie  viele  Sagenbildungen  von  ihr  vor- 
handen sind.  Die  Poesie  der  verschiedensten  Völker  von  Homer  bis  zur 
Gegenwart,  die  Musik  und  die  Künste  hat  er  ausgebeutet,  von  den  alten 
Ägyptern  ging  er  bis  zu  Lewis  Morris,  vom  ernsten  Dante  zu  Offenbach, 
um  das  soiier  unerschöpfliche  Wachstum  der  Helenensage  aufzudecken. 
Wenig  ist  nachzutri^en.  Die  Anrede  von  Marlowes  Faust  an  die  Helena 
*Wa8  this  the  face  that  launehed  a  ihotisand  ahips*  fand  mehrfaches  Echo 
bei  Shakespeare,  am  deutlichsten  in  AIV8  well  I,  8,  74 :  Was  thü  fair  face 
the  eauee  why  the  Orecians  sacked  Troy?  Etwas  fem  er  abstehend,  doch 
immerhin  noch  nennenswert  ist  Riehard  II IV,  1,  288:  Was  this  the  face 
that,  like  the  sun,  did  mdke  beholders  mnk?  Was  this  the  face  that  faced 
so  many  foUies?  Femer  scheint  Oswald  eine  Jugenddichtung  von  William 
Morris  entgangen  zu  sein  (bei  Mackail,  Life  ofw'.  M.  I,  283),  in  der  es 
Bich  um  ihre  Rückgewinnung  durch  Menelaus  und  ihre  halb  freiwillige 
Mithilfe  bei  der  Erscnlagung  ihres  dritten  Gatten  Deiphobus  handelt :  ein 
Fragment  von  barocker  iSaft.  Ein  schönes  Bild  von  D.  G.  Rossetti, 
Helene  ein  Halsjuwel  sich  ansteckend,  schmückt  das  Buch.] 

ArrhiT  f.  n.  Sprachen.    CXVI.  15 


226  Verzeichnis  der  eingelaufenen  DruckachTiften. 

Finck,  Frans  Nikolaus,  Die  Aufgabe  und  Gliederung  der  Sprach- 
Wissenschaft.    Halle,  Rudolf  Haupt,  1905.    55  8. 

Taylor,  Dr.  Clifton  O.,  Über  das  Verstehen  von  Worten  und  Sfitzen. 
S.-A.  aus  der  Zeitsekrift  für  Psychologie  und  Physiologie  dar  Sinneeorgane, 
hg.  von  EbbinghauB  &  Naeel,  1905,  8.  225—51. 

Taubner,  Kurt,  Sprachwurzel-BUdungsgesetz  und  harmonische  Welt- 
anschauung.   Berlin,  W.  H.  Kühl,  1905.    Sb  8. 

Lipperheide,  Franz  Freiherr  von,  8pruchwÖrterbuch,  Sammlung 
deutscher  und  fremder  Sinnsprüche,  Wahlsprüche,  Inschriften  an  Haus 
und  Gerat,  Grabeprüche,  Sprichwörter,  Aphorismen,  Epigramme,  von  Bibel- 
steilen,  von  Zitaten,  von  Schnaderhüpfln,  Wetter-  und  Bauernregeln, 
Bedenftarten  uaw.,  nach  den  Leitworten,  sowie  geschichtlich  geordnet  und 
unter  Mitwirkung  deutscher  Gelehrter  und  Schriftsteller  herausgegeben. 
In  20  monatlichen  Lieferungen,  je  3  Bogen  fassend.  5.  Lieferung.  Berlin 
(W.35,  Potsdamerstr.  88)  1906.    S.  193—240. 

Schroeder,  Otto,  Vom  papiemen  StiL  6.  durchgesehene  Auflage 
Leipzig  u.  Berlin,  Teubner,  1906.    VIII,  102  8.    M.  2,80. 

Zur  Kunst.  Ausgewählte  Stücke  modemer  Prosa  zur  Kunstbetrach- 
tung  und  zum  Kunstgenufs,  hg.  von  Dr.  M.  Spanier.  Mit  Einleitung, 
Anmerkungen  und  Bilderanhang.  (Aus  deutscher  Wissenschaft  u.  Kunst) 
Leipzig  u.  Berlin,  Teubner,  1905.    X,  148  8.    M.  1,20. 

Koltan,  J.,  Für  die  akademische  Freiheit I  [S.-A.  des  Nachwortes 
aus  den  Naturphilosophüehen  Strömungen:  £.  HacKds  monistische  Welt- 
ansicht].   Zürich,  Speidel,  1905.    19  8.    M.  0,30. 

Curöin,  Dr.  Milan,  Das  serbische  Volkslied  in  der  deutschen  Lite- 
ratur.   Leipzig,  Fock,  1905.    [Wiener  Doktordissertation.]    220  8. 

Literaturblatt  für  germanische  und  romanische  Philologie.  XXVI, 
11,  12;  XXVII,  1,  2  (Nov.  1905— Febr.  1906). 

Modem  language  notes.  XX,  7  [B.  Holbrook,  The  printed  text  of 
four  fabliaux  in  the  'Becueil  j;^n^ral  et  complet  des  fabliauz'  compared 
with  the  readings  in  the  Harleian  ms.  2253.  —  M.  W.  Smith,  The  num- 
bers  in  the  ms.  of  the  old  English  'Judith'.  —  E.  P.  Morton,  An  18^  Cen- 
tury translation  of  Ariosto.  —  D.  Klein,  A  contribution  to  a  bibliographj 
of  the  medieval  drama.  —  W.  M.  Beiden,  Heine's  Sonnenuntergang  and 
an  American  moon-myth.  —  £.  £.  btoll,  On  the  dates  of  some  of  Ghap- 
man's  plays.  —  J.  D.  Brauer,  Parallel  situations  in  Hemani  and  Filippo. 
—  K.  Campbell,  A  neglected  ms.  of  *The  pnck  of  conscience'.  —  J.  R. 
Effinger,  Lemercier's  M^l^agre.  —  G.  F.  swearingen,  English  orthogra- 
phy.  —  C.  L.  Nicolay,  Francisco  Pacheco  and  the  Italians.  —  Albert 
Cook,  Shakespeare,  Hamlet  3.  4.  56.  —  Reviews.  —  Correspondenoe]. 
8  [F.  A.  Wood,  The  origin  of  color-names.  —  RH.  Wilkins,  Notes  on 
the  inflection  of  Spanish  verbs.  —  B.  C.  Holbrook,  Heg!  Hayl  Hay 
avanti  and  other  Cid  French  locutions  used  for  driving  beasts.  —  C.  8. 
Northup,  A  bibliography  of  comparative  Uterature.  —  C.  J.  Kullner, 
A  passage  in  'Hermann  und  Dorothea'.  —  W.  O.  Sypherd,  Chaucer's 
eight  vears'  sickness.  —  G.  Norton,  The  use  made  W  Montaigne  of  some 
special  words.  —  Reviews.  —  Correspondenoe].  XaI,  1  [J.  Adams,  The 
sources  of  Ben  Jonson's  'News  from  the  new  world  discovered  in  the 
moon'.  —  M.  A.  Buchanan,  Partinupl^  de  Bles.  —  A.  8.  Cook,  Cynewulf. 
Christ  1320.  —  J.  P.W.  Crawford,  Some  notes  on  'La  constante  Amarilis^ 
of  Christoval  Suarez  de  Figueroa.  —  L.  M.  Harris,  Macbeth's  'unmaniierly 
breech'd  with  göre'.  —  C.  S.  Northup,  A  bibiioffraphy  of  comparative 
literature.  —  L.  Pound,  Arnold's  sources  for  'Sonrab  and  Rustum*.  — 
P.  M.  Bück,  Note  on  Milton's  Comus.  —  E.  N.  8.  Thompson,  The  'Ladus 
Coventriae'.  —  E.  E.  Stoll,  The  influenoe  of  Jonson  on  Dekker.  —  Browne, 


i 


Veneichiiis  der  eingelanfeDen  Druckschrifteii.  227 

'Paw';  Havelock's  Lameot.  —  Beviews].  2  [Leite  de  Vasconcellos,  A  rola 
viuva  na  poesia  populär  portugueea.  —  O.  M.  Johneton,  Sources  of  the 
lay  of  the  *Two  lovers*.  —  i.A.  Wood,  Etymological  notes.  —  A.  F. 
Cnamberlain,  Preterite  fonns,  etc.  in  the  language  of  English-speaking 
children.  —  L.  Gooper,  A  dissertation  upon  northem  Ughts.  >-  L.  Foulet, 
The  proloffue  of  *Sir  Orfeo'.  —  A.  8.  Cook,  »Tempest*  2.  2.  28.  —  J.  Walz, 
An  Enfflish  parallel  to  Elopstock's  'HermannsBchlacht'.  —  Reviews  etc.]. 

Publications  of  the  MoMlern  Language  Aasociation  of  America.  XX,  4 
[A.  C.  L.  Brown,  The  kniefat  of  the  lion.  —  F.  N.  Scott,  The  scansion 
of  prose-rhythm.  —  A.  E.  Jack,  Thomas  Eyd  and  the  Ur-Hamlet.  —  J.  L. 
Lowes,  The  prologue  of  Üie  'Legend  of  good  women'  considered  in  its 
chronological  relations.  —  Appendix  etc.l. 

Die  neueren  Bprachen  ...  hg.  Ton  W.  Vietor.  XIII,  8  [A.  Schröer, 
Zu  Spenser  im  Wandel  der  Zeiten.  —  B.  J.  Lloyd,  Olides  between  Con- 
sonants  in  English  (VIII).  —  H.  ßomecque,  Biomans  francais  ä  lire.  — 
Berichte.  —  Besprechunmi.  —  Vermischtes].  XIII,  9  [O.  Jespersen,  Zur 
G«8chi(dite  der  Phonetik  (Schlufs).  —  G.  Huth,  Bestands  ÖuranOf  eine 
Bereicherung  der  französischen  dramatischen  Lektüre.  —  Berichte.  —  Be- 
sprechungen. —  Vermischtes]. 

Schweizerisches  Archiv  für  Volkskunde,  hg.  von  E.  Hoffmann- 
Erayer  und  J.  Jeanjaquet.  IX,  4  [£.  Bandi,  Volkstümliche  Hand- 
werkerkunst und  b&urische  Zierformen.  —  Chr.  Luchsinger,  Das  Molkerei- 
gerat in  den  Alpendialekten  der  roman.  Schweiz  (Schluls).  —  A.  Bossat, 
Les  Paniers  (suite).  —  8.  Meier,  Volkstümliches  ans  dem  Frei-  und  Keller- 
amt. —  Miszelien.  —  Bücheranzeigen.  —  Vereinschronik.  —  Begister]. 

Neuphilologische  Mitteilungen,  hg.  vom  Neuphilol.  Verein  in  Helsing- 
fors.  Nr.  7/8,  1905  [J.  Uschakoff,  Die  Einteilung  der  neuhochdeutschen 
starken  Verben.  —  A.  Wallensköld,  Oontribution  ä  Tenseignement  des 
verbes  irr^uliers  en  francais,  —  Besprechungen.  —  Zeitschriften-Bund- 
schau. —  Protokolle.  —  Eingesandte  Literatur.  —  Mitteilungen]. 

Modem  philology.  III,  8  [E.  E.  StoU,  Shakespeare,  Marston,  and 
the  malcontent  type.  —  E.  J.  Dubedont,  Shakespeare  et  Voltaire;  ^OÜiello' 
et  'Zaire'.  —  J.  Q.  Adams,  Greene's  Menaphon  and  *The  Thracian  wonder'. 

—  L.  Ck)op6r,  The  Abyssinian  paradise  in  Ooleridge  and  Milton.  —  F.  M. 
Josselyn,  An  obscure  passaee  in  Dante's  Turgatory\  —  A.  D.  Schoch, 
The  differenoe  in  the  middle  English  'Bomaunt  of  the  rose'  and  their 
bearing  upon  CSiaucer's  authorship.  —  J.  M.  Manly,  The  lost  leaf  of 
'Piers  the  Plowman'.  —  J.  8.  P.  Tatlock,  Chaucer  and  Dante.  —  J.  J. 
Jusserand,  Spenser's  'Twelve  private  morale  vertues  as  Aristotle  hath  de- 
vised'.  —  D.  B.  Shumway,  Indo-European  I  and  E  in  Qermanic]. 

Modem  language  teaching.  I,  7  [B.  J.  Lloyd,  On  thinking  in  a 
foreign  tongue.  —  Discussion  column :  The  use  and  abuse  of  conversation 
in  modern  language  instmction.  —  The  Esperanto  congress  at  Boulo^e. 

—  University  of  London:  Holiday  course  for  foreigners.  —  The  vacation 
courses  in  modern  languages  in  Edinburgh.  —  Examinations.  —  From 
here  and  there.  —  Editorial  note].  8  [Direktor  Walter  on  the  direct  me- 
thod.  —  Discussion  column:  The  use  and  abuse  of  conversation  in  mo- 
dern language  Instruction.  —  E.  Miall,  My  little  French  claas.  —  Suggestions 
for  a  modern  French  curriculum.  —  B.  J.  Lloyd,  A  summary  of  tne  gram> 
mar  of  the  Esperanto  language.  —  From  here  and  there  etc.].  II,  I  [An- 
Doal  meeting  of  the  Modem  Language  Association.  —  H.  G.  Atkins,  On 
the  comparison  of  opposite  extremes.  —  D.  L.  Savory,  The  form-master 
System  m  public  schools  in  relation  to  modern  language  teaching.  —  B.  J. 
Uovd,  The  usee  and  abuses  of  the  Eepetanto  language.  —  Correspondence. 

—  heviews.  —  From  here  and  there.  —  Good  articles].  2  JTH.  W.  Atkin- 
son,  On  thinking  in  a  foreign  languaee.  —  B.  H.  Allpress,  On  translation. 

—  V.  Partington,  On  the  teaching  of  French  phonetics.  —  V.  E.  Kästner, 

16  ♦ 


228  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Drackschiiften. 

Du  Bymbolisme  dans  Tenseigneinent  Bup4rieur.  —  B.  J.  Lloyd,  The  ums 
and  abuses  of  the  EBperanto  lan^age.. —  DiscusBion  colnmn  etc.]. 

Skandinavisk  mänadsrevy.  f,  5  [öberg,  Det  grundläegande  spräket. 
—  G.  RaphaeU  L'enseigneinent  des  langues  Vivantes  en  rranoe.  —  Mi»- 
cellanea.  —  H.  Hun^erland,  Liliencron  als  Erzieher.  —  Dänisd^e  Lehrbücher 
der  deutschen  Spracne.  —  Engiish  books  for  schools  etc.].  Ü  [H.  Kunger- 
land, Das  historische  Studium  der  deutschen  Sprache.  —  The  EZipmig 
reader.  —  Miscellanea.  —  R^solutions  de  TAcad^mie  Franpaise  relatives  a 
la  simplification  de  Torthographe.  —  Comptea  rendues  etc.]. 

The  modern  language  review.  I.  2  (Jan.  1906)  [F.  W.  Moorman,  Tne 
pre-Shakespearian  ghost.  —  H.  A.  Rennert,  Notes  on  some  comedias  of 
Ix>pe  de  Vega.  —  W.  Bang,  Memorandums  of  the  immortal  Ben.  —  W.  W. 
Jackson,  On  the  Interpretation  of  'pareelio'  in  Dante.  —  A.  £.  Bwaen, 
G.  0.  Moore  Smith,  A.  B.  McKerrow,  Notes  on  'The  devil's  Charter*  by 
Bamabe  Barnes]. 

Brinkmann,  Friedrich,  Syntax  des  Französischen  und  Englischen 
in  vergleichender  Darstellung.  2.  unveränderte  Ausgabe  des  1884  erschie- 
nenen Werkes.  Braunschweig,  Yieweg,  190(5.  Bd.  I :  XVII,  628  S.  Bd.  II: 
920  S. 

Hoffmann,  P.,  L'expansion  ^conomique  et  la  qnestion  des  langes 
Vivantes  dans  l'enseignement  moyen  et  sup6rieur.  Rapport  präsente  au 
Congr^  international  d'expansion  ^con.  mondiale,  Mons  19U5,  Section  I.  — 
Enseignement.    34  S. 

Potel,  M.,  Trois  ans  de  m^thode  directe  in:  'Bulletin  mensuel  de  U 
Soci^t^  des  professeurs  de  langues  vivantes^  D^cembre  1905.  [Der  Redner 
der  Generalversammlung  der  jSoe.  des  prof,  de  langues  Vivantes  konstatiert, 
dais  die  Unterrichtsreform  von  1902  dem  neusprachlichen  Unterricht  in 
Frankreich  ^olsen  Gewinn  gebracht  habe.  Die  Stellung  der  langues 
Vivantes  sei  im  Mittelschulunterricht  und  in  der  Reifeprüfung  eine  viel 
bedeutendere  und  würdigere  geworden.  Die  dabei  vorffeschrieMne  Unter- 
richtsmethode habe  sich  bewährt.  Qui  done  a^fourd'nui  panni  nous  — 
je  vaus  le  demande  —  voudrait  rayer  la  mithode  direete  de  son  enseigne- 
ment? Die  heifsen  Kämpfe  seien  vorüber,  die  Gegner  haben  sich,  auf 
Grund  der  Erfahrun»3n,  verständigt.  Auf  ^  die  rein  praktische  Sprach- 
erlernung der  ersten  Jahre  folge  ein  Unterricht,  der  höhere  wissenschaft- 
liche Ansprüche  stelle,  einen  neuen,  lebensvolleren  Betrieb  der  Grammatik 
darstelle  (la  mithode  direete  ...  a  rinovi  les  itudes  grammatieales),  der  vor* 
läufig  auch  noch  mit  der  Herübersetzung  als  Kontrollmittel  arbeite,  und 
in  welchem  man  spreche  nicht  blofs  um  Sprechübungen  zu  machen,  son- 
dern pour  dire  miM^fueehose  et  ee  quelMieehose,  e*est  le  pays  iirangery  la  vie 
du  peuple  qui  Vhabtte  et  sa  UttäreSureT] 

Steinhausen,  Georg,  Germanische  Kultur  in  der  Urzeit.  (Aus  Natur 
und  Geisteswelt,  75.  Bändchen.)   Leipzig,  Teubner,  1905.    156  8.   M.  1,25. 

Streitberg,  Wilhelm,  Gotisches  Elementar  buch.  Zweite  verbesserte 
und  vermehrte  Auflage  (Sammlung  germanischer  Elementar-  und  Hand- 
bücher. I.  Reihe:  Grammatiken,  Nr.  2).  Heidelberg,  Winter,  1906.  XV, 
351  S.    M.  4,80. 

Berg,  Rüben  Gison,  Nägra  anteckninear  om  n&ffra  fall  af  attraktion  I: 
Nkgra  Svenska  arbeten  [S.-A.  aus  Nyfuologiska  SäUskapets  i  Stockholm 
Publikationl    Stockholm  1905.    S.  127—154. 

Östergren,  Olof,  Stiliska  studier  I:  Tömeros^  spr&k  (Upsala  uni- 
versitets  ärsskrift  1905).    Upsala,  Lundström,  1905.    iX,  150  S. 


VerzeicbiiiB  der  eingelaufenen  Druckschriften.  229 

Zeitschrift  für  deutsche  Mundarten.  I,  l  [O.  Weise,  Das  prädikative 
Eigenschaftswort.  Einige  sprichwörtliche  Redensarten.  Küchenlatein.  -— 
G.  Binz,  Eine  Probe  der  basellandschaftlichen  Mundart  aus  dem  17.  Jahr- 
hundert. —  L.  Hertel,  Erzählung  in  Suhler  Mundart.  —  O.  Heilig,  Alte 
Flurbenennungen  aus  Baden.  —  W.  Unseld,  Schwäbische  Sprichwörter 
und  Redensarten.  —  L.  Sfitterlin,  Sprache  und  Stil  in  Rosegeers  <Wald- 
Schulmeister'.  -—  W.  Schoof,  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Schwälmer  Mund- 
art —  Y.  Hintner,  Mundartliches  aus  Tirol.  —  Bücherbesprechungen.  — 
Biicherschau]. 

Piquet,  F.,  L'originalit^  de  Gottfried  de  Strasbourg  dans  son  po^me 
de  Tristan  et  holde,  Etüde  de  litt^rature  compar^  [Travaux  et  m^moires 
de  rUniversit^  de  Lille.  Nouvelle  S^rie.  I.  Droit  -  Lettres.  —  Fase.  5], 
Lille,  Si^ge  de  l'universit^,  1905.    3ȟ  S. 

4;  Anz,  Heinrich,  Die  lateinischen  Manerspiele.  Untersuchun^n  und 
Texte  zur  Vorgeschichte  des  deutschen  Weihnachtspiels.  Leipzig,  Hin- 
richs,  1905.    VIII,  163  S.    M.  4,50. 

Kaulfufs-Diesch,  Carl  Hermann,  Die  Inszenierung  des  deutschen 
Dramas  an  der  Wende  des  16.  und  17.  Jahrhunderts.  Ein  Bdtr^  zur 
älteren  deutschen  Bühnengeschichte  (Probefahrten  VII).  Leipzig,  voigt- 
länder,  1905.    VIII,  236  S.    M.  6. 

Euling,  Karl,  Das  Priamel  bis  Hans  Rosenplüt.  Studien  zur  Volks- 
poesie (Germanistische  Abhandlungen,  begrQndet  von  Karl  Weinhold, 
hg.  von  Friedr.  Voigt,  25.  Heft).  Breslau,  Marcus,  1905.  VIIL  583  S. 
M.  12. 

Sahr,  Julius,  Deutsche  Literaturdenkmäler  des  16.  Jahrhunderts, 
III:  Von  Braut  bis  Rollenhagen:  Braut,  Hütten,  Fischart  sowie  Tiere^s 
und  Fabel,  ausgewählt  und  erläutert  (Sammlung  Göschen  Nr.  36).  Leip- 
zig, Göschen,  1905.    155  S.    M.  0,80. 

Gedichte  von  Otto  Heinrich  Grafen  von  Loeben.  Ausgewählt  und 
herausgeg.  von  Raimund  Pissin  (Deutsche  Literaturdenkmale  des  18.  u. 
19.  Jahrb.).    Berlin,  Behr,  1905.    XVII,  171  S.    M.  3. 

Briefe  von  und  an  G.  E.  Lessing.  In  ftinf  Bänden.  Hg.  von  Franz 
Muncker.  Vierter  Band:  Briefe  an  Lessing  aus  den  Jahren  1771 — 1773. 
Leipzig,  Göschen,  1905.    VI,  296  S.    M.  5. 

Br^ant,  Frank  Egbert,  On  the  limits  of  descriptive  ^riting  apropos 
of  Lessing's  Laocoon  (Contributions  to  rhetorical  theory,  ed.  by  Pred 
Newton  Scott,  VI).    Ann  Arbor  (Mich.)  1906.    4S  S. 

Thayer,  Harvey  Waterman,  Laurence  Sterne  in  Gtermanv.  A  con- 
tribution  to  the  study  of  the  literary  relations  of  England  and  Germany 
in  the  eighteenth  Century  (Columbia  Üniversity  Germanic  studies,  II,  i). 
New  York,  Columbia  Press,  1905.    198  S.    %  I. 

Braun,  Wilhelm  Alfred,  Types  of  Weltschmerz  in  Grerman  poetry 
(Columbia  üniversity  G^ermanic  studies,  II,  n).  New  York,  Columbia 
Univ.  Press,  1905.    91  S.    $  1. 

Bodmer,  Dr.  H.,  Goethe  und  der  Zürichsee  [8.-A.  aus  der  Neuen 
Zürcher  Zeitung].    Zürich  1905.    81  S. 

Fries,  Albert,  Miszellen  zu  Goethe  [S.-A.  aus  dem  Pädagog,  Archiv 
XLVII,  10,  Okt.  1905].    S.  581—583. 

Goethes  Iphigenie  auf  Tauris,  edited  with  introduction  and  notes  by 
Max  Winkler.    New  York,  Holt,  1905.    CV,  211  S. 

Etudes  sur  Schiller,  par  MM.  Ch.  Schmidt,  A.  Fauconnet,  Ch. 
Andler,  Xavier  L6on,  E.  Spenlö,  F.  Baldenspercer,  J.  Dresch, 
A.  Tibal,  A.  Ehrhard,  M™«  Talayrach  d'Eckardt,  H.  Lichten- 
berger, A.  Levy  (Bibliothfeque  de  philologie  et  de  litt^rature  modernes). 
Paris,  Alcan,  1905.    VII,  228  8.    Fr.  1. 

Kräger,  Heinrich,  Zu  Schillers  Gedächtnis.  Rede,  gehalten  zu  Düssel- 
dorf am  9.  Mai  1905.    16  S. 


230.  Verzeichnis  der  eingelaufeDen  Druckschriften. 

Fries,  Albert,  Miszellen  zu  Schiller  (8.-A.  ans  dem  Pädagog,  ArMr 
XLVII,  718,  Juli— Aug.  1905).    S.  401—405. 

Soergel,  Albert,  Ahasyer-Dichtungen  seit  Goethe  (Probefahrten  VI). 
Leipziff,  Voigtländer,  1905.    VIII,  172  S.    M.  4,80. 

Ploch,  Arthur,  Qrabbes  Stellung  in  der  deutschen  Literatur.  Leip- 
zig, Scheffler,  1905.    224  8.    M.  2. 

Dresch,  J.,  Une  correspondance  in^dite  de  Karl  Gutzkow,  de  Ma- 
dame d'Agoult  (comtesse  de  Chamao^)  et  d'Alexandre  Weill  [8.-A.  aus 
der  Revue  germanique  II,  1,  64 — 95].    Paris,  Alcan,  1906. 

Lyrische  Andachten.  Natur-  und  Liebesstimmungen  deutscher  Dichter, 

S sammelt  von  Ferdinand  GregorL    Budischmuck  von  Fidus.    Leipzig, 
esse  Lo.  J.].    XXXII,  367  S. 

Deutsche  Lyrik  seit  liliencron.  Hg.  von  Hans  Bethge.  Mit  8  Bild- 
nissen.   Leipzig,  Hesse  Fo.  J.].    XXXn,  297  S. 

Eoltan ,  J.,  E.  Häckels  monistische  Weltansicht.  (Naturphiloaophische 
Strömungen  der  Gegenwart  in  kritischen  Darstellungen.  Ente  Folge.) 
Zürich,  Speidel,  1905.    88  8.    M.  1,50. 

Deutsdie  Schulausgaben,  hg.  von  Dr.  Julius  Ziehen.   Dresden,  Ehler- 
mann  [o.  JJ. 
Nr.  84.  Quellenbuch  zur  deutschen  Geschichte  Ton  1815  bis  zur  Gegen- 
wart   Hg.  von  Dr.  J.  Ziehen.    187  S.    M.  1,45. 
3Nr.  85.  Goethes  Gedankenlyrik.    Hg.  von  Dr.  Paul  Loren tz.    162  8. 
M.  1,40. 
Nr.  36.  Kömers  Zriny.  Hg.  von  Dr.  H.  Seh  lad  eb  ach.  104  S.  M.0,80. 
Nr.  37.   Hebbeibuch.    Auswahl  von   Gedichten  und   Prosa.    Hg.  yon 
Dr.  Paul  Lorentz.    160  8.    M.  1,2<). 

Zur  Erdkunde.  Proben  erdlnindlicher  Darstellung  für  Schule  und 
Hflus,  ausgewählt  und  erläutert  von  Dr.  Felix  Lampe  [A.  v.  Humboldt, 
Über  die  Wasserfälle  des  Orinoco.  —  K.  Bitter,  Aus  der  Einleitung  zur 
^Erdkunde'.  —  O.  Peschel,  Der  Zeitraum  der  groiaen  Ekitdeckxmgen.  — 
H.  Barth,  Beise  in  Adamana.  —  Bichthofen,  Aus  China.  —  K  ▼.  Dry- 
galski,  Die  deutsche  Südpolarezpedition.  —  A.  Sarchhoif,  Das  Meer  im 
Leben  der  Völker.  —  F.  Batzel,  Deutschlands  Lage  und  Baum.  —  J.  Partsch, 
Das  niederrheinische  Gebirge.  —  E.  v.  d.  Steinen,  Die  Indianer  am  Schingu]. 
Leipzig  u.  Berlin,  Teubner,  1905.    151  S.    M.  1,20. 

Zur  Geschichte  der  deutschen  Literatur.  Proben  literariiistorischer 
Darstellung  für  Schule  und  Haus,  ausgewählt  und  erläutert  tou  Dr.  Ru- 
dolf Wessely.    Leipzig  u.  Berlin,  Teubner,  1905.    169  S. 

Tumlirz,  Karl,  Deutsche  Sprachlehre  für  Mittelschulen.  Wien, 
Tempsky,  1906.    145  8.    1  K  50  h. 

HÖlzelB  Wandbilder  für  den  Anschauuna»-  und  Sprachunterricht 
Serie  III,  Blatt  11:  Wien,  aufgenommen  von  Fr.  Beck.  Mit  einem  Be- 
gleitwort von  Prof.  Dr.  F.  Umlauft.  Grölse  des  Bildes  142  :  92  cm. 
Wien,  Hölzel,  1006.  Auf  Ldnwand  g^pannt  M.  8,50.  [Die  frühere  Auf- 
nahme von  Wien  in  Hölzeis  Städtebiidem,  die  einen  Blick  auf  die  Mil- 
lionenstadt nur  aus  der  Ferne,  vom  Abhänge  des  Kahlengebirges  aus, 
wiedergab,  ist  vergriffen  und  jetzt  durch  eine  ^anz  neue  Aufnahme  ersetzt, 
wobei  der  Beschauer  vor  der  Oper  gedacht  ist,  natürlich  in  Vogeihöb& 
Das  Strafsennetz  der  inneren  Stadt,  der  Deutlichkeit  halber  etwas  vit- 
einfacht,  bildet  das  Zentrum;  das  dunkle  Gestein  des  Stephanstarmes 
überragt  das  ganze  Gewirr  mit  beherrschender  Wucht.  Dahinter  stiebt 
zuerst  das  schmale  Silberband  des  Donaukanals  hervor,  noch  weiter  rück- 
wärte  das  brdtere  des  Donaustromes.  Nach  Unks  zu  erheben  sich  Kahlen- 
berg  und  Leopoldsberg.  Warum  die  Stadt  gerade  hier  entetand,  wo  die 
Donau  aus  den  letzten  Ausläufern  der  Alpen  hervorbricht,  welche  Stel- 
lung sie  gegenüber  den  drohenden  Magyaren  im  Osten  einnahm,  und  wie 
das  Gelände  beschaffen  war,  auf  dem  sich  Iö83  die  entscheidende  Türken* 


I 


Verzeiehnis  dc^  eingekrafenen  DruckBchriftest.  281 

Bchlacht  abspielte,  wird  hier  auf  groisartige  Weise  sichtbar.  Es  ist  ein 
schöDes  und  lehrreiches  Bild,  das  nicht  blofs  österreichischen  Schfllem 
zum  Vorteil  gereichen  wird.  —  In  dem  Begieitwort  des  Prof.  Umlauft 
sind  die  wichtigsten  Ereignisse  aus  der  Stadtgeschichte  knapp  erwähnt, 
mit  besonderem  Akzent  auf  der  Schaffung  von  Orols-Wien.] 


Englische  Studim.  XXXV,  3  [J.  Wei^htman,  Vowel-levelling  in 
Early  Kentish,  and  the  use  of  the  symbol  e  in  OK  Charters.  —  P.  Len- 
deertz  jr.,  Die  Quellen  der  ältesten  mitteiengl.  Version  der  Assumptio 
Mariae.  —  Fr.  Brie,  Zum  Fortleben  der  Havelocksage.  —  H.  Willert,  Vom 
Gerundium].  XXX VI,  1  [M.  Förster,  Eine  nordengl.  Cato -Version.  -— 
Ch.W.  Wallace,  New  Shakespeare  documents.  —  A.  Greeff,  Byron's  Lucifer. 

—  A.  Western,  Some  remarira  on  the  use  of  English  adverbs.  —  P.  Fijn 
van  Draat,  After]. 

Anglia.  XXVlII,  4  [H.  Gnskar,  Fletchers  Monsieur  Thomas  und 
seine  Quellen.  —  E.  Flügel,  fSne  mittelenglische  Claudian- Übersetzung 
(1445).  —  Fr.  Klaeber,  Notizen  zur  Texterklärung  des  Beowulf.  -  Fr.  Klae- 
ber,  Zum  Beowulf.  —  H.  A.  Evans,  A  Shakespearian  controyersy  of  the 
eighteenth  Century.  —  W.  Hom,  Zur  engl.  Grammatik.  —  E.  Einenkel, 
Zum  engl.  Indefinitum.  —  E.  Einenkel,  A  friend  of  mine]. 

Beiblatt  zur  Anglia.    X,  10—12.    XVII,  1,  2. 

Bonner  Beiträge.  XVII  [Brüters,  Otto,  Über  einige  Beziehungen  zwi- 
schen altsächsischer  und  altenglischer  Dichtung.  —  Bülbring,  Karl  Daniel, 
Die  Schreibung  des  eo  im  Ormulum.  —  Heuser,  Wilhelm,  Das  frühmittel- 
englische  Josephslied.  —  Thtutmann,  Moritz,  Nachträgliches  zu  Finn  und 
HiTdebrand.  Der  Heliand  eine  Übersetzung  aus  dem  Altenglischen.  Auch 
zum  Beowulf  (ein  Grufs  an  Herrn  Eduara  Sieyers).  Die  Auflösung  des 
11.  (9.)  Bätsels.  Die  neueste  Beowulf- Ausgabe  und  die  altenglische  Vers- 
lehre]. 191  S.  M.  6.  —  XIX  [Ostermann,  Hermann,  Lautlehre  des  germ. 
Wortschatzes  in  der  von  Morton  herausgegebenen  Handschrift  der  Ancren 
riwle.  —  Williams,  Irene,  A  grammatical  investigation  of  the  Old  Kentish 
Glosses.  —  Trautmann,  Moiite,  Alte  und  neue  Antworten  auf  altenglische 
Rätsel;  Hasu].  218  S.  M.  7.  —  XXI  I  Wilkes,  J.,  Lautlehre  zu  ^ifrics 
Heptateuch  und  Buch  Hiob].    176  S.    M.  1,60. 

Scottish  historical  review.  III,  10  [A.  Lang,  Portraits  and  jewels  of 
Mary  Stuart.  —  H.  Brown,  The  Scottisn  nobility  and  their  part  in  the 
national  history.  —  T.  F.  Henderson,  'Charlie  he's  my  darling ,  and  other 
Bums'  Originals.  —  J.  Ekiwards,  Greyfriars  in  Glasgow.  —  J.  H.  Round, 
The  Ruthven  of  Freeland  barony.  —  H.  Bineham,  The  early  history  of 
the  Scots  Danen  Company.  —  Sir  Herbert  Maxwell,  The  *8calacronica' 
of  Sir  Thomas  Gray.  —  Reviews.  —  Queries.  —  Notes  etc.]. 

Bausteine,  Zeitschrift  fflr  neuen^lische  Wortforschung.  I,  2  [L.  Kell- 
ner, Beiträge  zur  neuenglischen  Lexikographie.  —  H.  Richter,  Ohattertons 
Rowley-Sprache  (Schluls).  —  G.  Krüger,  bhakespeareana.  —  J.  EUinger, 
Der  doppelte  Akkusativ  oder  Nominativ  im  heutigen  Englisch.  —  H.  Ull- 
rich, Nachträge  zu  Murets  Wörterbuch.  —  J.  Hatschek,  Der  parlamen- 
tarische Ausdruck  ^Session'.  —  Kleine  Notizen.  —  Fragen  und  Antworten. 

—  Bficherschau.  ~  Plauderecke].    3  [R  Dyboski,  Die  Sprache  Tennysous. 

—  G.  Reiniger,  Ergänzungen  zu  E.  W.  Eitzens  (Jommercial  Dictionary.  — 
R.  Brotanek,  Übersicht  ^er  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  der  eng- 
lischen Lexikographie  im  Jahre  19<»B.  —  R.  Dyboski,  Zur  Wortbildung 
in  Tennysons  Jugendgedichten,  etc.]. 

Ren  ton,  William,  Outlines  of  English  literature,  with  diagramms. 
London,  Murray,  1905.    XI,  248  S. 

Clark,  J.  Scott,  A  study  of  English  prose-writers,  a  laboratory  me- 
thod.  New  York,  Scribener,  1904.  Xv,  879  S.    [Mit  eigenartigem  Streben 


232  Verzeichois  der  eiogelaufenen  Drackfichrifteii. 

nach  Unbefangenheit  und  Vollständigkeit  sind  hier  21  englische  uod 
T)  amerikanische  Schriftsteller  von  Irancis  Baeon  bis  herab  zu  John 
Ruskin  auf  ihren  Stil  hin  beschrieben.  Jener  dieser  Autoren  ist  för  sich 
behandelt:  zuerst  erhalten  wir  eine  kurze  Lebens beschreibunff,  dann  dn 
Verzeichnis  der  Schriften,  die  Gber  seinen  Stil  irgendwelche  Urteile  ent- 
halten, dann  partieular  eharaeteristies,  und  zwar  sind  letztere  aus  den 
vorgenannten  stilistischen  Urteilen  abstrahiert.  Jede  Eigenschaft,  die  den 
meisten  Beurteilem  und  am  meisten  auffiel,  ist  vorangestellt;  also  bei 
Bacon  concüeness,  bei  Milton  fnapnifieeneef  bei  Bunyan  terseness,  bei  Addi- 
son elegance,  bei  Steele  eoüoquuU  eaae,  bei  Defoe  mintUeneaa,  bei  Swift 
cauatic  satire,  impaiience  of  absurdüyy  bei  Goldsmith  oracefid  easte,  bei 
Johnson  latinised  dictum^  bei  Burke  impatient  elooumce,  bei  Lamb  quaint- 
nesSf  bei  Walter  Scott  vivtd  perwnal  portraüure,  bei  De  Quincey  excessirf 
qualifieation  and  suapense^  bei  Macaulay  fondnesi  for  eontragt,  baianee, 
ooint  and  epigramm^  bei  lluickerav  haired  of  shatns,  bei  Kewman  fimsk, 
oei  Matthew  Arnold  lüerary  inside,  bei  Carlyle  fr»  coinage  and  verbal 
ejcenirietties,  bei  Georee  Eliot  psychologieal  analysis  of  characteTf  bei 
Dickens  earieaiure,  bei  Kuskin  descriptive  power,  üidem  Clark  die  Wert- 
urteile anderer  summierte,  hat  er  nach  möglichst  vielseitiger  und  objektiver 
Charakteristik  gestrebt;  sicherlich  nicht  ohne  Erfolg.  Auf  die  Haupt- 
eigenschaft folgen  mehr  oder  minder  viele  Nebeneigen ly^haften,  illustriert 
durch  einige  bezeichnende  Sätze  aus  dem  Autor  selbst.  Wir  erhalten 
hiermit  eine  Art  von  arithmetischer  Proeaästhetik,  die  dem  Lehrer  der 
englischen  Literatur  treffende  Ausdrücke  an  die  Hand  gibt  und  auch  dem 
literarhistorischen  Forscher  zu  denken  gibt] 

Jespersen,  Otto,  Growth  and  structure  of  the  Ekiglish  language. 
Leipzig,  Teubner,  1905.    IV,  260  6.    M.  3. 

Schön,  Eduard,  Die  Bildung  des  Adjektivs  im  Altenglischen  (E^ieler 
Studien  zur  engl.  Philologie,  hg.  von  F.  Holthausen,  Neue  Folge»  Heft  2). 
Kiel,  Cordes,  1905.    110  8.    M.  8. 

Schuld  t,  Claus,  Die  Bildung  der  schwachen  Verba  im  Altenglischen 
(Kieler  Studien  zur  engl.  Philologie,  hg.  von  F.  Holthausen,  Neue  Folge, 
Heft  1).    Kiel,  Cordes,  190ö.    95  S.    M.  2,50. 

Stofsberg,  Franz,  Die  Sprache  des  altenglischen  Martyrologiumf^. 
Bonn,  Hanstein,  1905.    167  S.    M.  4. 

Trilsbach,  Gustav,  Die  Lautlehre  der  spätwestsächsischen  Evan- 
gelien.   Bonn,  Hanstein,  1905.     173  S.    M.  4. 

Palmgren,  Carl,  English  gradation-nouns  in  their  relaüon  to  streng 
verbs.    Inauguraldissertation.    Upsala,  AppelberSi  1904.    92  S. 

Neues  und  vollständiges  Handwörterbuch  der  englischen  und  deut- 
schen Sprache  von  Dr.  F.  W.  Thieme.  18.  Auflage,  vollständig  neu  be- 
arbeitet von  Dr.  Leon  Kellner.  Zweiter  Teil,  Deutsch-Englisch.  Braun - 
schweig,  Vieweg,  1905.    XLIV,  597  S.    M.  6. 

Beowulf,  Alteuffl.  Heldengedicht,  übersetzt  und  mit  Einleitung  und 
Erläuterungen  vers^en  von  Paul  Vogt.  Mit  einer  Karte  der  Nord-  und 
Ostseekfisten.    Halle  a.  S.,  Buchhdlg.  d.  Waisenh.,  1905.    108  8.  M.  1,50. 

8 chl ei ch ,  G.,  Sir  Eglamour  (Palaestra  LIII).  Berlin,  Mayer  h Müller, 
190C.    160  S.    M.  4,50. 

L  owes,  John  Livingston,  The  prologue  to  the  'Legend  of  good  women' 
considered  in  its  chronological  relations.  [Beprinted  irom  the  Publieaiions 
of  the  Modern  Language  Äseoeiaiion  of  Ameriea  XX,  4.]  Modem  Language 
Association  of  America,  1905.    S.  749—864. 

French,  John  C,  The  problem  of  the  two  prologues  to  Chaucer's 
Legend  of  good  women.  Jonns  Hopkins  Univ.  diss.  Baltimore,  Fürst, 
1905.  100  p.  [Nochmals  wird  die  Frage  mit  Genauigkeit  behandelt,  ob 
G  ein  erster  Entwurf  war,  wie  Skeat  sofort  behauptete,  oder  «ne  spatere 
Umformung,  wie  teu  Brink  wollte.    Sinn,  Satzbau  und  Metrik  ^sind  für 


VerzeidmiB  der  emgelaufenen  Druckfichriften.  233 

French  deutliche  Zeugen  der  erstereo  Auffassung.  Nach  ihm  wurde  G 
Tom  Dichter  später  umgeformt,  um  die  Königin  Anna  als  daisy  und  Al- 
cestis  zu  preisen,  wahrscheinlich  nicht  viel  später.  Sollten  ten  Brink, 
Koeppel  u.  a.  dies  auf  der  Oberfläche  liegende  Argument  wirklich  fiber- 
sehen haben  ?  Den  unfertigen  Zustand  von  G  leugnet  niemand ;  die  Frage 
ist  nur/  ob  G  die  Grundlage  des  ersten  oder  des  zweiten  Entwuiies  war. 
Die  Ansicht  von  French  ist  natürlicher,  die  von  ten  Brink  deshalb  noch 
nicht  unmöglich.  Der  Stil  ist  eben  in  dironologischen  Dingen,  wie  bei 
Echtheitsfragen,  ein  sehr  unsicherer  Führer,  während  er,  wenn  die  chrono- 
logische Reihenfolge  feststeht,  für  die  Entwickelung  des  Autors  der  Kron- 
zeuge ist.l 

Vocabularium  latino-anglicum  saeculo  quinto  decimo  compositum  e 
manuscripto  Musei  Britannid  edidit  Hermannus  Varnhagen.  Universi- 
tätsschrift.    Erlangen  1905.    27  8. 

Brie,  Friedridi  W.  D.,  Greschichte  und  Quellen  der  mittelengb'schen 
Prosachronik  The  Brüte  of  England  oder  The  chronides  of  England.  Mar- 
burg, Elwert,  1P05.    VIII,  130  S. 

JBaeske,  Wilhelm,  Gldcastle-Falstaff  in  der  endischen  Literatur  bis 
zu  Shakespeare  (Palaestra  Bd.  L).  Berlin,  Mayer  &  Müiler,  1905.  VI, 
119  8.    M.  8,60. 

Dow  den,  Edward,  Shakespeare.  Deutsch  von  Paul  Tausig  (Max 
Hesses  Volksbücherei  245—247:  Dichter  und  Denker  II).  Leipzig,  Max 
Hesse  [o.  J.].    200  S.    M.  0,60. 

Franz,  Wilhelm,  Orthographie,  Lautffebung  und  Wortbildung  in  den 
Werken  Shakespeares  mit  Ausspracheproben.  Heidelberg,  Winter,  1905. 
VI,  125  S. 

Vershofen,  Wilhelm,  Charakterisierung  durch  Mithandelnde  in 
Shakespeares  Dramen  (Bonner  Beiträge,  XX).  Bonn,  Haustein,  1905. 
157  8.    M.  5. 

Garth's  'Dispensary'.  Kritische  Ausgabe  mit  Einleitung  und  An- 
merkungen von  Wilh.  Jos.  Leicht  (Engl.  Textbibliothek,  hg.  von  Hoops, 
Nr.  10).    Heiddbere,  Winter,  1905.    VIII,  175  8.    M.  2,40. 

Varnhagen,  Hermann,  Über  Byrons  dramatisches  Bruchstück  'Der 
umgestaltete  MÜBgestaltete'.  Rede  bdm  Antritt  des  Prorektoiates  der  Uni- 
versität Erlangen.    Erlangen,  Junge,  1905.    27  S.    M.  0,80. 

Leonard,  W.  E.,  Byron  and  Byronism  in  America.  Columbia  Univ. 
dies.  Boston  1905.  VI,  126  p.  [Sub4iterary  nennt  Leonard  mit  einem 
bezdchnenden  Wort  den  Einflufs  auf  die  amerikanische  Literatur,  denn 
eine  Menge  unbedeutender  Zdtschriften,  Dichter  und  Kritiker,  haben  ihn 
Termittelt,  während  von  namhaften  Autoren  niu:  Poe  ein  eigentliches  Ver- 
hältnis zu  ihm  hatte.  Der  puritanische  Grdst  Amerikas  war  dem  Autor 
des  'Don  Juan'  im  innersten  Wesen  abgekehrt.  Das  zdgte  sich  z.  B.  in 
einer  Anzeige  dieses  Epos  im  Portfoh'o  1823:  es  sd  a  terrtble  poem  far 
potUhfid  remers  —  tke  toork  of  a  titled  profltgaie  —  sneera  ai  that  charaeter 
an  which  in  the  female  sex  tke  happiness  of  life  depends,  a  virtuous  and 
Tnodest  tpoman  (p.  24).  Daneben  gao  es  jenseits  des  Ozeans  zwar  viele  Re- 
flexe der  Bewunderung,  die  Byron  in  Europa  genofs,  aber  sie  gingen  alle 
nicht  tiefer.  Die  Studie  ist  ein  Zeugnis  dafür,  wie  in  den  Vereinigten 
Staaten,  kaum  dafs  sie  ein  Jahrhundert  nennenswerter  Literatur  gehabt, 
schon  deren  Geschichte  einsetzt] 

Longfdlows  Evangeline.  Kritische  Ausgabe  mit  Einldtung,  Unter- 
suchungen über  die  Geschichte  des  englischen  Hexameters  und  Anmer- 
kungen von  Ernst  Sie  per  (Engl.  Textbibliothek,  hg.  von  Hoops,  Nr.  11). 
Hddelberg,  Winter,  1905.    VII,  177  8.    M.  2,60. 

Ruskin,  John,  Steine  von  Venedig,  Band  III.  Aus  dem  Englischen 
von  Hedwig  .Jahn  (John  Ruskin,  Ausgewählte  Werke  in  vollständiger 
Obersetzung,  Bd.  X).    Jena,  Diederichs,  190(5.    458  8.    M.  10,  geb.  M.  1 1. 


234  Veraeidmia  der  eiBgeUufencn  Dfucksduiften« 

Ben  ton,  William,  Oile  and  watar-oolonn  (Natnre  poems).    A  i 
edition.    London,  Oreening,  1905.    160  8.    5  s. 

Oollection  of  British  authors.    Tanchnitz  edition.    i  M.  1,60. 
Vol.  3845 — 46:  Stanley  J.  Weyman,  Starvecrow  fann. 
«     8847:  £.  W.  Hornnng,  A  thief  in  the  night. 
^     3848—49:  H.  Bider  Haggard,  Ayeaha.  The  retuin  of  '8he'. 
y,     8850:  Oertrude  Ath ertön,  The  travelling  thirds. 
„     8851:  Bobert  Hichens,  The  black  spaniel  and  otiier  atmea. 
,     3852:  Agnes  and  Egerton  Castle,  French  Nan. 
„      3858:  Lloyd  Osbourne,  Baby  Ballet 
,     3854 — 55:  F.  Marion  Crawford,  8oprano. 
,     8856:  W.  W.  Jacobs,  Captains  alL 
y,     8857—58:  H.  G.  Wells,  Kipp«. 
«     3859:  Arnold  Ben  nett,  Sacrod  and  profane  love. 
„     3860:  "Q"  (AT.  Qniller-Conch),  Shakespeare's  Christmaa  and 
otner  stories. 
:    „     3861:  John  Buskin,  Sesame  and  Itliee. 

„     3862:  Kate  Douglas  Wiggin,  Böse  o'  the  riyer. 
.     3863:  Oeorge  Moore,  The  lake. 
y,     8864—65:  Maurice  Hewlett,  The  fool  errant 
,     8866:  Yemon  Lee,  Pope  Ja<^th,  etc.     - 
y,     8867—68:  Horace  Annesley  vachell,  Brothers. 
,     8869:  Eden  Philipotts,  The  golden  fetich. 
„     8870—71:  John  Buskin,  The  stones  of  Venice. 
„     3872:  <Bita',  Prince  Charming. 

Beventlow,  Graf,  Die  euglische  Seemacht  (England  in  dentsdier 
Beleuchtung,  Einzelabhandluugen  hg.  von  Dr.  Tli.  Lenschau,  Heft  5). 
Halle,  Gebauer-Schwetschke,  1906.    72  S.    M.  1. 

Pünjer,  J.,  und  Hodgkinson,  F.  F.,  Lehr-  und  Lesebuch  der  eng- 
lischen Sprache.  Ausgabe  B,  I.  Teil.  Dritte  yerbeeserte  und  verm^rte 
Auflage.  Hannover  n.  Berlin,  Carl  Meyer,  1905.  VIIi;  149  S.  M.  130. 
Swoboda,  W.,  und  Kaiser,  K.,  'Senior  book',  Part  L  Lehr-  nnd 
Jjesebuch  für  den  2.  Jahrgang  des  englischen  Unterrichts  (L^rbuch  der 
englischen  Sprache  für  höhere  Handelächulen,  II.  Teil).  Wien  u.  Leipzig, 
Deuticke,  1906.    IV,  186,  54  8.    8  K  60  h. 

Goerlich,  Ewald,  Englisches  Lesebuch.  Ausgabe  für  sechsklaasige 
Schulen  (Bealschulen  und  Bealprogymnasien).  PaderDom,  Schöningh,  19<%. 
VII,  325  S.    M.  2,80. 

Selections  from  English  poetrv.  Auswahl  englischer  Dichtungen  von 
Dr.  Ph.  Aronstein.  Ergänzungsband  (Velha^en  Sc  Klasings  Sammlung, 
English  authors,  Lief.  104).  Bielefeld  und  Leipzig,  Velhagen  A  Klasing, 
1906.     130,  63  8. 

Macaulay,  J.  B.,  Selections.  Für  den  Schulgebrauch  hg.  von  Dr.  A. 
Sturm  fei  8  (Freytags  Sammlung  franz.  u.  engl.  Schriftsteller).  Ldpzig 
u.  Wien,  Freytag^l906.    164  S.    M.  1,60. 

Jefferies,  Richard,  The  life  of  the  fields.  In  Auszügen  mit  An- 
merkungen und  einem  Wörterbuch  zum  Schulgebrauch  hg.  von  A.  W. 
Sturm  (Kühtmann's  English  library  37).  Dresden,  Kühtmann,  1906.  160, 
8,  50  8. 

Schmidt,  Friedrich,  Short  English  prosody  for  use  in  schools.  Leip- 
zig, Benger,  1905.    14  S.    M.  0,30. 

Borgmann,  Ferdinand,  Leitfaden  für  den  englischen  Anfangsunter- 
richt. II.  Teil :  Erweiterung  der  Formenlehre  und  Syntax.  Drittes  Schul- 
jahr.   Bremerhaven,  Vangerow,  1906.    VIII,  167  8.    M.  1,50. 

Oamerlynck,  G.,  A  handbook  of  English  composition  for  the  use 
of  Continental  pupils.    Leipzig,  Brandstetter,  1906.     176  S. 

Ellinger,  Dr.  Joh.,  und  Butler,  A.  J.  Perdval,   Lehrbuch  der 


Veneichms  der  eiiigelaufenen  Druckschriften.  2ö5 

englischeii  Bpradie,  AuBsabe  A.  (Für  Realschulen,  Gymnasien  und  yer- 
wandte  höhere  Lehjranstalten.)  I.  Teil:  ElementarbudL  Wien,  Tempsky, 
1905.    165  S.    2  K  25  h. 

Hamburger,  Sophie,  English  lessons.  After  S.  AWs  method  for 
the  first  Instruction  in  foreign  languages.  With  £d.  WüzeVB  pictures. 
Fifth  edition.    Lapzig,  Brandstetter,  1905.    X,  246  S.    M.  2,40. 

Poutsma,  M.,  A  grammar  of  lato  modern  English  for  the  use  of 
Continental,  especiall^  Dutch,  students.  Part  I,  Section  II:  The  compo- 
site  sentenoe.    Orooningen,  Noordhoff,  1905.    S.  349—812.    M.  6. 

Swobo da,  Wilhelm,  Schulgrammatik  der  modernen  englischen  Sprache 
noit  besonderer  Berücksichtigung  der  Oeschfiftssprache  (Lehrbuch  der  eng- 
lischen Sprache  für  höhere  Handelsschulen,  I V.  Teil).  Wien  u.  Leipzig, 
Deuticke,  1906.    VIII,  125  S.    2  K  20  h. 

Bomania  p.  p.  P.  Meyer  et  A.  Thomas.  N«>  136,  Octobre  1905 
[A.  Jeanroy,  Po^sies  du  troubadonr  Oavaudan.  —  A.  Thomas,  Nouveaux 
documents  in^its  pour  serrir  k  la  biographie  de  Pierre  de  Nesson.  — 
A.  Pia^t,  La  Belle  dorne  sans  tnerei  et  ses  imitations  (fin).  —  A.  Del- 
bonlle,  mots  obscurs  et  rares  de  Pandenne  langue  fran^aise.  —  Ck)mptes- 
rendns  —  P^riodiques  —  Chronique]. 

Bevue  des  langues  romanes.  XL VIII,  6  [F.  Oastets,  Oandide,  Sim- 
piddue  et  Candido,  —  M.  Bonnet,  Deux  fantes  dans  le  Discours  de  Bossuet 
sur  l'Histoire  Universelle.  —  A.  de  Stefano,  Una  nuora  grammatica  latino- 
italiana  del  sec.  XIU.  —  H.  Guy,  La  Chronique  fran9aise  de  Maitre 
Quill.  CMtin,  suite  et  fin.  —  J.  Calmette,  La  correspondance  de  la  ville 
de  Perpignan  de  i:^99  k  1480.  —  Biblio^phie]. 

Bomanische  Forschungen,  Organ  für  roman.  Sprachen  und  Mittel- 
latein, hg.  von  K.  Vollmöller.  [Vgl.  Archiv  OXV,  265  und  475;  die 
Hefte  XIX,  3 ;  XX,  2  u.  3 ;  XXI,  1  stehen  noch  aus.!  XXI,  2  [K.  Lewent, 
Das  altprovenzalißche  Ereuzlied.  —  H.  Heifs,  Studien  Aber  die  burleske 
Mbdedichtung  Frankreichs  im  XVII.  Jahrhundert]. 

Bück.  C.  D.,  Elementarbuch  der  oskisch-umbnschen  Dialekte,  deutsch 
von  E.  Prokosch  (Sammlung  indogerm.  Lehrbücher,  hg.  von  H.  Hirt). 
Heidelberg,  Winter,  1905.    XI,  235  S.    Geb.  M.  6,50. 

Bog  er,  M.,  Ars  Malsachani.  Trait^  du  verbe  publik  d'apr^  le  ms. 
lat.  13026  de  la  Biblioth^ue  Nationale,  Paris,  A.  Picard,  1905.  XXIV, 
86  8.    Fr.  2. 

Boger,  M.,  L'enseignement  des  lettres  classiques  d'Ausone  ä  Alcuin. 
Introduction  k  Phistoire  des  ^oles  carolingiennes.  Paris,  Picard,  1905. 
XVIII,  457  S.  Fr.  10.  [Von  Ausonius  bis  zur  Benaissance,  d.  h.  wäh- 
rend mehr  als  eines  Jahrtausends,  sind  die  klassischen  Studien  nie  völlig 
verschwunden,  doch  haben  sie  schwere  Krisen  durchgemacht.  Das  Buch 
Kogers  untersucht  die  schwerste  und  älteste  dieser  Krisen,  die  ein  halbes 
Jahrtausend  füllt,  vom  4. — 8.  Jahrhundert.  Gallien  steht  im  Zentrum 
dieser  Untersuchung;  doch  ist  weder  Cassiodor  oder  Gregor  der  Grofse 
noch  Isidor  von  Sevilla  übergangen,  und  fast  die  Hälfte  des  Bandes  ist 
Britannien  und  Irland  gewidmet.  ~  E^  ist  kein  unerforschtes  Land,  durch 
waches  B.  uns  geleitet.  B.  hat  sich  denn  auch  fortwährend  mit  denen 
ausMnanderzusetzen,  die  vor  ihm  des  Weges  gegangen  sind,  der  von  Auso- 
nins  über  Sidonius  Apollinaris,  Fortunat,  Gregor  von  Tours,  den  Gram- 
matiker Virgilius  zu  den  keltischen  und  angelsäcbsischen  Mönchen  und 
von  diesen,  mit  Alcuin,  wieder  nach  dem  Lande  der  Franken  fährt.  Diese 
Auseinandersetzungen  sind  ebenso  besonnen  wie  kundig.  B.  ^winnt  in 
hohem  Mafse  das  Vertrauen  des  Lesers  durch  die  strenge  Sachlichkeit  der 
Kritik,  die  er  an  den  Theorien  übt,  von  denen  Ozanam  oder  Fustel  de 
Ooulanges   sich  in  nu^orwn  Eeeleaiae  oder  Oalliae  gloriam  haben  leiten 


236  Verzeichnis  der  eiDgelaufenen  Druckschrifteii.. 

laBseo.  Beeondere  lehrreich  ist  hier  sein  ürtdl  über  den  Gnumnatiker 
VirgiliuB,  in  dessen  Epftomas  und  Epistolae  er  ein  wertvolles,  wenn  anch 
mit  äufserster  Vorsicht  za  benntzendee  Denkmal  sieht,  und  den  er  ein- 
gehend (8.  110 — 26)  behandelt.  —  Diese  Pariser  Doktordissertation  ist 
eine  hervorragende  Leistung.] 

Muret,  E.,  OlauettBy  etude  d'^tymologie  romane.  Extrait  des  'M^ 
langes  Nicole'  8.  879->8P.  Gen^ve,  imprim.  Kdndig,  1905.  [In  gdstmcher 
Welse  führt  Mnret  span.  Joeo^  port  laueo  etc.  auf  den  Eigennamen  Olau- 
cutt,  spez.  den  Namen  des  lykischen  Führers  bei  Homer,  zurück.] 

Luchsinger,  Chr.,  Das  MolkereigerSt  in  den  romanischen  Alpen- 
dialekten der  Schweiz.  Zürcher  Inauguraldissertation  [8.-A.  aus  dem 
ScktDeix,  Archiv  für  Volkskunde,  IX].  Zürich,  Juchli  &  Beck,  1905.  51  8. 
und  9  Tafeln  mit  H8  Illustrationen.  [Zweimal  bat  der  Verf.  dieser  an 
Gienoux,  La  terminologie  du  vtgneron  dans  les  paiois  de  la  Suiste  romande, 
1902,  erinnernden  Arbeit  das  romanische  Alpengebiet  der  Schweiz  (Gruy^re, 
Alpes  vaudoises  et  valaisannes;  Tessin;  Graubünden)  durchwandert  und 
dabei  die  Ausdrücke  für  die  Sennhütte  mit  ihren  Gerfitscljaften, 
für  die  Milchprodukte  und  ihre  Herstellung  und  für  die  Alpler- 
familie gesammelt.  Wir  werden  also,  nachdem  er  sich  hier  auf  dieMit- 
tdlung  des  Materials  für  die  Gerätschaften  beschränkt  hat,  noch  dn  meh- 
reres  von  ihm  erwarten  dürfen.  —  Diese  Gerätenamen  zeigen  eine  auf- 
fallende, auch  die  germanischen  Schweizeralpen  umfassende  Einheitlich- 
keit. Manche  sind  mit  den  Greraten  über  die  Sprachgrenze  hin  und 
her  gewandert,  und  gerade  diese  sind  auch  zumeist  etymologisch  dunkel, 
zum  kleinsten  Teil  römischen  Stammes,  sondern  Zeugen  uralter,  vorroma- 
nischer Eulturschichten.  Das  gesamte  Namenmaterial  (195  Wörter)  ver- 
teilt sich  auf  etwa  150  verschiedene  Wortstämme,  von  denen  mehr  als  die 
Hälfte  (67  Proz.)  sich  als  römisch  erweisen:  so  ist  auch  auf  diesem 
Kulturgebiet  der  Grundstock  lateinisch.  Das  Germanische  tritt  (mit 
11  Proz.)  stark  zurück.  Von  den  80  Molkereigeräten,  die  L.  behandelt 
und  illustriert  —  das  Bild  war  hier  unentbäirlich  — ,  sind  nur  drei 
der  Milchwirtschaft  eigentümlich:  die  Rahmkelle  und  das  Butterfafs;  die 
Käseformen.  Ihnen  gelten  insbesondere  die  kulturhistorischen  Vorboner- 
kungrn  des  Verfassers:  die  Butterbereitung  kommt  von  den  Germanen  zu 
den  Bomanen;  das  Käsen  ist  den  umgekehrten  Weg  gegangen  und  auf 
schweizerischem  Boden  wohl  zuerst  im  romanisierten  Wallis  heimisch  oder 
doch  vervollkommnet  worden.  Den  Hauptteil  der  Arbeit  bildet  das  syste- 
matische Verzeichnis  der  195  Termini  technid  mit  etymologischer  Dis- 
kussion. —  Diese  sehr  verdienstvolle  Studie  Luchsingers  gehört  zu  jenen 
Arbeiten,  die  in  der  Atmosphäre  des  Olossaire  des  paiois  de  la  Stdsse  ro- 
mande  grofs  geworden  sind  und  als  willkommene  Vorboten  zeigen,  was 
wir  von  diesem  Werke  erwarten  dürfen.] 

Revue  de  philologie  francaise  p.  p.  L.  Cl^dat  XIX,  4  [E.  Philipon. 
Oompte  en  dialecte  lyonnais  au  XlV*^  si^le.  —  E.  Gasse  et  E.  Chaminade, 
VieiÜes  chansons  patoises  du  P^rigord,  avec  musique  (fin).  —  H.  Yvon, 
La  grammaire  francaise  au  XX^  si^le.  —  Comptes  rendus.  —   Table]. 

Zeitschrift  für  französische  Sprache  und  Literatur,  hg.  von  D.  Beh- 
rens. XXIX,  l  und  8  [P.  Fischmann,  Moli^re  als  Schauspieldirektor. — 
R.  Brugger,  L'enserrement  de  Merlin.  Studien  zur  Merlin-Sage.  T.  Die 
Quellen  und  ihr  Verhältnis  zueinander.  —  D.  Behrens,  Wortgeschicht- 
liches:  battSe;  beeqtiemotdx;  lyon.  bhyi;  wall,  bongej  davai;  oeur.  eodai; 
daghet;  freneau]  gaupe;  blais.  gSgneux;  afz.  hoc;  tnoine  =  Kreisel;  ostfr. 
möx^;  pet;  tamisaille;  tin;  blais.  tou;  vendöm.  trios;  ostfr.  trous,  —  G.  C. 
Keidel,  The  foliation  Systems  of  french  incunabula].  XXIX,  2  and  3  [der 
Referate  und  Rezensionen  erstes  und  zweites  Heft]. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  287 

Beyue  des  Etudes  Rabeiaisiennes.  III,  4  [£.  Picot,  Babelais  ä  Tentre- 
Yue  d'Ai^uesmortes  nuület  1638).  —  A.  Lefranc,  Les  antographes  de  K. 
mit  Faksimiles.  —  U.  Cioüzot,  Le  v^ritabie  nom  du  Beigneur  de  Saint- 
Ayl.  —  M^ianges.  —  Comptes*rendus.  —  Chronic^ue]. 

Bulletin  du  Qlossaire  des  Patois  de  la  Suisse  romande.  4^  ann^, 
N<>  a  et  4.  Lausanne,  Bridel  &  C'%  1905  [J.  Jeanjaquet,  Le  fi^u  et  ses 
parties  dans  la  Luisse  romande.  —  F.  Isabel,  Les  diminutifs  dans  le  patois 
des  Alpes  vaudoises.  —  J.  Öurdez,  Pronostics  et  dictons  agricoles.  Patois 
du  Clos  du  Doubs,  Jura  bernois  (suite).  —  G.  Christin,  La  moiason  d'autre- 
fois,  dialogue  en  patois  d'Aire-la-ViUe  (Qen^ve)]. 

Qlossaire  des  Patois  de  la  Suisse  romande.  iSepti^me  rapport  annuel 
de  la  rädaction.     1905.    Neuch&tel,  Attinger,  190t).    it»  8. 

Freytags  Sammlung  französischer  und  englischer  Schriftsteller.   Leip- 
zig) Freytag,  1905: 
J.  Sandeau,  Madeleine,  für  den   Schulgebrauch  hg.  von   G.  Gurke. 

106  S.    Geb.  M.  1,20.    Hierzu  ein  Wörterbuch,  18  S.,  M.  0,30. 
L.  Gautier,  £pop^  franyaises,  für  den  Schulgebrauch  hg.  von  Dr.  F. 
Strohmeyer.     122  S.    Geb.  M.  1,20.    Hierzu  Wörterbuch,  39  S., 
M.  0,40. 
Le  Commerce  de  France,  für  die  Oberklassen  von  Handelsschulen  hg. 
von  Prof.  H.  Fr.  Haastert.   14ö  S.  Geb.  M.  1,50.  Hierzu  Wörter- 
buch, 84  S.,  M.  0,40. 
J.  Sandeau,  La  Itoche  aux  Mouettes.    Für  den  Schulgebrauch  hg.  von 

H.  Glinzer.    77  S.    Mit  Wörterbuch.    Geb.  M.  1. 
Französische  Parlamentsreden   aus  der  Zeit  von  1789 — 1814;   für  den 
Schulgebrauch  hg.  von  Dr.  £.  Schulenburg.   152  S.  Geb.  M.  1,50. 
Bibliothlque  Iranyaise.    Dresden,  G.  Kühtmann,  1905: 
N<>  80.    La   maison  roulante  par  M°^®  de  Stolz.     Mit  Anmerkungen, 
Fragen  und  Wörterbuch  nach  der  9.  Auflage  des  Originals  für  den 
Schulgebrauch  bearb.  von  Oberl.  Dr.  Bahn.   94,  34,  ö5  S.   M.  1,20. 
Le  Bourgeois,  F.,  Manuel  des  chemins  defer.  Karlsruhe,  J.  Biele- 
feld, 190t).    XI,  162  S.    Geb.  M.  2,80. 

Gk>rmond  et  Isembart.  R^production  photocollographique  du  manu- 
Bcrit  unique  avec  une  transcription  littärale  par  A.  Bayot.  Bruxelles, 
Misch  &  Thron,  1906.  XX III  S.  u.  8  Tafeln.  Publications  de  la  Bwue 
des  BiblioMques  et  Ärehivea  de  Belgiquey  N°  2. 

Gerhards  französische  Schulausgaben,  N^  20:  Extraits  de  journaux. 
Tableaux  de  la  vie  moderne  en  France  par  £.  Dannheii'ser.  Mit  Er- 
laubnis der  Kedaktionen.  I.  Teil:  Einleitung  und  Text.  VIII,  160  S. 
G^eb.  M.  1,80.  II.  Teil:  Französische  Anmerkungen  und  Wörterbuch.  48  S. 
M.  0,85.    Leipzig,  K.  Gerhard,  1906. 

Nyrop,  Kr.,  Podsies  frangaises,  1850—1900,  publik  et  annot^. 
Gopenhague,  Schubothe,  1905.  II,  löH  S.  [Fünfzehn  Poeten,  von  Leconte 
de  Lisle  über  Baudelaire,  Bichepin,  Mallarm^,  R^gnier,  Samain  bis  zu 
Bruant  und  Xanrof  in  origineller  Auswahl,  sorgfältigem  Text  mit  knappen 
Erklärungen,  für  Universitätsübungen  bestimmt  und  sehr  brauchbar.] 

Fink,  P.,  Volkstümliches  auä  Südburgund,  mit  besonderer  Berück- 
sichtigung des  Trinklieder.  Gen^ve,  Impr.  du  'Journal  de  Gen^ve',  1905. 
28  S.  [Der  gemeinverständliche  Vortrag  bringt  eine  Zusammenstellung 
von  Bräuchen,  Redensarten,  Liedern,  die  zum  Teil  der  Bresse,  dem 
Bu^y  etc.  eigentümlich,  meist  aber  weit  verbreitet  sind.  —  Sarraain,  p.  5, 
heilJBt  einfach:  heidnüeh,  ungetauft,  wie  in  der  alten  epischen  Überliefe- 
rungj 

Paris,  G.,  La  litt^ature  franyaise  au  moyen  äge  (XI<^— XIV®  si^e). 
Troisi^me  ^tion,  revue,  corrig^,  augment^  et  aocompagnde  d'un  tableau 
chronologique.  Paris,  Hachette,  19o5.  XVI,  844  S.  Fr.  3,50.  [Diese 
dritte  Ausgabe  des  nun  klassisch  gewordenen  Handbuches  ist  mit  Hilfe 


288  Veraeichiiis  der  fiingrfaqfaace  DniolachrlffeeB. 

der  Tom  Verf.  hinterlawenen  handschrifUichen  Verbeaaerungeu  und  Aach- 
trä^Q  von  P.  Meyer  und  J.  B^er  beeoret  worden.  Eme  erhebliche  £r- 
weiterune  hat  der  Text  bei  den  zahlrei(£eii  Detailändeningen  nicht  er- 
fahren. Auch  in  das  Tableau  ehronoiogique  hat  Q.  P.  mit  aober  Sorgfalt 
die  kleinen  fieaultate  der  Fonchung  eingetragen.  Vom  häieren  Alter  dee 
Partenopeu  (gegen  1155)  scheint  er  sich  nicht  überzeugt  zu  haben;  tär 
Gautiers  lUe  ei  Oaleran  nahm  er  *ver»  1168'  an ;  der  altere  Eraeie  ist»  wohl 
durch  ein  Versehen,  aus  der  Tabelle  verschwunden.  Ivam  beliels  er  trotz  sei- 
ner Bemerkung,  Romama  XXVIII,  I(>0  f.,  h^ert  1172',  Wie  mannigfach  ond 
sorgfältig  im  einzelnen,  auch  im  Text,  kleine  JSrganzungen,  StreichoDgeo, 
Umstellungen  etc.  von  G.  P.  vorgenommen  worden  sind,  zeigt  z.  B.  §  55 
über  die  Lais,  i^ine  letzte  Meinuns  über  den  apokryphen  TVitSan  Ghrötiens 
kommt  {^  5t>  f.  nicht  zum  Ausdruck.  Die  Notes  btbiiographiques  sind  am 
durchgreifendsten  umgestaltet  und  vermehrt  worden.  Ob  es  ratsam  war, 
von  dem  durch  G.  P.  befolgten  System  der  Verweisungen  absuwdcbeo, 
mag  dahingestellt  bleiben.  Dankenswert  ist  eine  so  mühevoUe  Arbeit,  wie 
die  Fortiührung  der  Bibliographie  eines  anderen,  auf  alle  Fälle.  Da£s 
bei  dem  System  Wechsel  manches  unter  den  Tisch  fallen  mu&te,  ist  er- 
klärlich. Ich  hebe  nur  ein  Beispiel  hervor.  G.  P.  hat  die  Daistellang 
des  Sponaua  geändert  und  vom  Weihnachtszyklus  (§  lti5)  zum  Osterdrmma 
(§  löti)^ verschoben :  zur  bibliographischen  Orientienm^  über  diese  erheb- 
liche Änderung  genügte  der  Hinweis  auf  die  sogep.  jüngste  Ausgabe  des 
Sponaus  in  Romama  189. i  —  die  aufserdem  nicht  die  jüngste  ist  —  nicht, 
sondern  es  mufste  auf  Zeitsehrift  für  roman,  Phüoloffie  1898  p.  385  oder 
wenigstens  auf  Romania  1698  p.  (525  verwiesen  werden  —  nach  dem  Syatem 
G.  Paris'.  Auch  anderswo  kommt  die  ausländische  Mitarbeiterschaft  auf 
diese  Weise  nicht  zu  ihrem  bibliographischen  Recht  Doch  soll  d^^eicheo 
nicht  zu  schwer  ins  Gewicht  faUen,  da  wir  nun  doch  die  Freude  haben, 
das  unschätzbare  Buch,  das  seit  zwanzig  Jahren  so  viele  geführt  hat,  in 
neuer  Fonn  zu  besitzen.] 

Cloetta,  W.,  Jean  Bodels  l^ikolausspieL  S.-A.  aus  der  öskrreicki- 
sehen  Rundschau  Band  V,  Heft  57,  S.  200—208.    Wien,  Eonegen  [1^05]. 

Piaget,  A.,  La  Belle  Dame  sans  Merci  et  ses  imitations.  Paris, 
Bouillon,  1905.  224  S.  [Die  gelehrten  und  lehrreichen  Aufsätze,  die  Piaget 
seit  1901  über  das  Gedicht  des  Alain  Chartier  in  der  Ronumia  hat  er- 
scheinen lassen,  finden  sich  hier  vereinigt] 

Gerhardt,  M.,  Der  Aberglaube  in  der  französischen  Novelle  des 
10.  Jahrhunderts.  Rostocker  Inauguraldissertation.  Schdneberg,  Langen- 
scheidtsche  Druckerei,  1900.  XII,  158  S.  [Nachdem  Kömer  I9u3  den 
Aberglauben  in  den  Dramen  des  10.  Jahrhunderts  in  Frankreich  behan- 
delt Hat,  wird  hier  mit  ganz  zweckloser  Ausführlichkeit  der  Aberglaube 
in  der  Novelle  in  langen  Beispielreihen,  weitläufigen  Zitaten  and  au 
petit  bonheur  zusammengerafften  Parallelen  und  Beredungen  aufgerollt 
Hoffentlich  kommt  nicht  einer  mit  dem  'Aberglauben  bei  dtti  Lyrikern 
des  10.  Jahrh.'  oder  mit  dem  'Aberglauben  in  der  Novelle  des  17.  Jahih.' 
nachl  —  Der  Nutzen  und  das  wahrhaft  Wissenschaftliche  einer  Arbeit 
wie  der  vorliegenden  würde  darin  bestehen,  daft  das  neue  und  ffir  Epik 
und  Epiker  besonders  bezeichnende  Material  aus  dem  groisen  Wust  heraus- 
gearbeitet und  nadi  der  spracbgeschichtlichen,  künstlerischen  und  folk- 
lorietischen  Seite  scharf  charakterisiert  würde.] 

Eigal,  £.,  La  mise  en  sc^ne  dans  les  trag^ies  du  16®  ai^e  (Elztraits 
de  la  Revue  d'HxsU  HU.  de  la  France^  de  Janvier-Mais  et  d'Avrfl-Juin 
1905).  Paiis,  Colin  1905.  74  S.  [Die  Entwickelung  der  Benaisaance- 
dramatik  in  Frankreich  ist  in  der  letzten  Zeit  Gegenstand  erneuter  Unter- 
Huchung  geworden.  Lanson  hat  190'i  in  der  Remis  d^hist.  UU,  der  Frage 
Commeni  s'est  operee  la  Substitution  de  la  iraa6die  omk  Jifystires  et  Moramis 
biuen  längeren  Aufsatz  gewidmet,  der  eine  Zusammenstellung  aller  Nach- 


VenEeidmis  der  eingelanfeDen  Druckschriften.  299 

richten  über  Aufführungen  von  1552 — 1628  enthält.  Eigentlich  Neues 
ergibt  sich  daraus  nicht  viel;*  aber  lehrreich  ist  die  scharf umrissene  Über- 
SLcnt  über  das  ganze  Material,  die  uns  gestattet,  festeren  FuDb  zu  fassen. 
Kurz  darauf  resümierte  J.  Haraszti  in  der  nfimlichen  Eevua  XI,  680  ff. 
einen  Aufsatz,  in  welchem  er  sich  bemühte,  nachzuweisen,  daÜB  die  Tra- 
gödie des  Iti.  Jahrh.  wirklich  buhnenmäfsige  Darstellung  ^funden  habe. 
Vor  Kenntnis  dieses  Artikels  hatte  Kigal  schon  die  im  Titel  aneeführte 
Studie  abgeschlossen  und  der  Remte  eingereicht:  er  behandelt  auf  Grund 
neuer  Lektüre  der  Stücke  von  Jodelle,  Grevin,  Jean  de  la  Taille,  Garnier 
und  Montchr^tien  ein  Detail  der  ganzen  Frage:  die  Inszenierung.  Wie  hat 
sich  der  Dichter  die  Bühne  gedacht?  £r  zeigt  ausführlich  und  über- 
zeueend,  daüs  auch  die  Autoren,  die  ihre  Trauerspiele  ausgesprochener- 
malsen  für  die  Aufführung  schrieben,  wie  Jodelle,  Jean  de  la  Taille,  Mont- 
chr^tien,  sich  in  vagen  Szenenvorstellungen  bewegten,  und  insbesondere 
von  Garnier  bestätigt  Bigai,  dals  'er  den  Bchauolatz  mit  augenscheinlidier 
Nachlässigkeit  behandelt.'  Wie  naiv  entlehnt  and  kombiniert  z.  B.  Gar- 
nier nach  Bigais  interessanten  Beobachtungen  die  szenischen  Angaben 
seiner  Quellen  I  Es  gelingt  nicht,  die  Sorglosigkeiten  dieser  Behandlung 
des  Ortes  mit  Hilfe  der  Annahme  kombinierter  mittelalterlicher  Inszenie- 
rung zu  überwinden,'  wie  Petit  de  Julleville  gemeint  hat  —  sie  finden 
ihre  Erklärung  nur  darin,  dals  diese  Tragöden  überhaupt  nicht  eine  dra- 
matische Aufführung  in  unserem  Sinne  im  Auge  hatten,  sondern  eine 
dialofi;ische  Bezitation.  Diese  Trauerspiele  wurden  nicht  sowohl  gespielt 
als  deklamiert  Es  sind  Stücke  rnetorischer  Kunst  und'  rhetorischer 
Übung  —  Buchdramen.  Ihre  eig^entliche  Heimstätte  ist  die  Kollegien- 
bühne, die  den  Zweck  hatte  de  faire  parvenir  Us  enfanta  en  iloquence,] 

Heifs,  H.,  Studien  über  die  burleske  Modedichtung  Frankreichs  im 
XVII.  Jahrhundert.  S.-A.  aus  Prof.  Dr.  K.  Vollmöllers  Boman.  For^ 
sehunaen,  Band  XXI,  S.  449— (>97.  Erlangen,  Junge  &  Sohn,  1905.  [Eine 
mit  Liebe,  euter  Sachkenntnis  und  bemerkenswertem  Darstellun^talent 
ausgeführte  Charakteristik  der  travestierenden  Dichtung  um  die  Mitte 
des  17.  Jahrhunderts,  speziell  Scarrons,  Dassoucys  und  Perraults.  Denn 
den  Ausdruck  'burlesk'  definiert  der  Verf.  im  Sinne  der  modernen  Poetik, 
speziell  im  Sinne  Schneegans',  und  diese  Definition  —  die  ihr  gutes  Becht 
hat  —  beschränkt  literatureeschichtiich  die  Burleske  wesentlich  auf  die 
Travestie  (und  Parodie)  aer  Antike.  Das  17.  Jahrh.  hat  aber,  wie  auch 
H.  kundig  ausführt,  le  burleaque  in  viel  weiterem  Sinn  als  literarischen 
Jux  aufgefaCst,  und  wer  von  'burlesker  Modedichtun^  Frankreichs  im 
17.  Jahrh.'  spricht,  hat  eigentlich  kein  Becht,  diese  poiate  burlesquß  anders 
und  enger  zu  fassen,  als  es  jene  Zeit  tat.  H.  hat  also  zunächst  den  Titel 
seiner  Studie  entschieden  nicht  zu  Becht  formuliert.  Er  hat  auch  meines 
Erachtens  sich  stofflich  überhaupt  zu  sehr  beschränkt,  indem  er  aus  der 
reichen  poUie  burleaque  nur  die  Travestien  herausgriff  und  sie  in  grölserer 


*  An  meiner  flreilich  knappen  Darstellung  (Geschichte  der  neum'en  frana.  Litt, 
I,  §§  27  ff.)  hatte  ich  nichts  ErhebUehes  xo  ändern,  und  die  Tatsache,  dafii  der 
erste  Versuch  einer  Emenerang  der  dramatischen  Literatar  von  den  Protestanten 
ausgeht,  habe  ich  gebührend  hervorgehoben.  Ich  glaubte  sogar,  eine  besondere 
Strömung  protestantischer  Dramaturgie  konstatieren  au  können  (§§  88,  82).  lian 
wird  aber  snkünftig,  nach  Lanson,  hervorheben  mUssen,  daOi  1560 — 1600  in  der 
franaösischen  Provinz  Renaissancetragödien  —  vorzflglich  auf  der  Kollegien- 
bfllme  —  sur  Vorfflbmng  kamen,  denen  die  hauptstädtische  Bflbne  der  Paasions- 
brfider  yerschlossen  war. 

'  Cf.  jetrt  Bigais  Nachtrag  in  Rtv.  h'sL  UtL  XII,  508,  wo  er  Montchr^Üens 
Scphamebe  in  ihren  drei  Bedaktio&en  (1696,  1601,  1604)  auch  daraufhin  unter- 
sucht 


240  Verzeichnis  der  eingelaufeDen  Drackscbriften. 

Auaf  ührlichkeit  behandelte,  als  die  künstlerische  und  geschichtliche  Bedeu- 
tung dieses  Stoffes  erwarten  ÜeTs.  Er  war  der  Mann,  auf  den  250  Seiten 
dieses  Buches  die  poisie  hurlesque  jener  Zeit  in  ihrem  vollen  Umfange  dar- 
zusteilen,  so  wie  sie  sich  aus  den  Übertreibungen  der  Preziositat  ent- 
wickelt hat  und  dann  durch  italienische  fBemi,  Lduca,  Mauro  etc.)  und 
spanische  Vorbilder  beeinflulst  und  gestärkt  worden  ist,  so  dafs  sie  mit 
ihrem  archaischen,  vulgären,  ja  obszönen  Ausdruck  das  Gregenstück  zu 
Purismus,  Prüderie,  Feierlichkeit  und  Re^lzwang  ward.  Wie  dieses  bur- 
ieaque  aus  den  Übertreibungen  der  Preziositat  spontan  entstanden  ist,  zeigt 
Balzacs  Beispiel.  Seine  Hyperbel,  seine  Art,  für  alltagliche  Dinge  eine 
feierliche  Form  zu  wählen,  streift  ans  Burleske  (Parodie;.  Er  fühlte  auch 
dessen  bedrohliche  Nähe  und  suchte  sie  abzuwehren.  Von  all  dem  spricht 
auch  H.  gelegentlich,  aber  immer  nur,  um  davon  die  'eigentliche  Burleske', 
d.  h.  die  Travestie,  loszuschälen.  Hoffentlich  kommt  er  darauf  in  einer 
neuen  Arbeit  über  die  ganze  poisie  burlesqae,  zu  der  er  wohl  berufen  ist, . 
zurück.] 

Pletscher,  Th.,  Die  Märchen  Charles  Perraults.  Eine  literarhisto- 
rische und  literatur vergleichende  Studie.  Berlin,  Mayer  &  Müller,  19oü. 
Vi,  75  S.  [Die  Studie  erscheint,  trotzdem  sie  vielfach  flüchtig  gearbeitet 
ist^  und  zumeist  nur  Forschungen  anderer  kurz  resümiert,  als  bequem 
und  nützlich,  da  sie  zerstreutes  Material  vereinigt.  Der  Verf.  steht,  was 
die  Ursprungsfragen  anbelangt,  auf  dem  Standpunkt  B^diers  (Polygenesie). 
Er  hebt  die  literaturgeschichtliche  und  folkloristische  Bedeutung  cler  Contes 
Perraults  zutreffend  hervor.  Die  Bibliographie  hätte  übersichtlidier  dar- 
gestellt werden  können.*  Die  Argumentation  gegen  die  alte  und  zuletzt 
von  Marty-Laveaux  vertretene  Annahme,  dals  der  junge  Perrault  der 
eigentliche  Verfasser  sei,  ist  entschieden  mifslungen.  —  Mit  Recht  lehnt 
PL  die  phantasievollen  Deutungen  des  Namens  Contes  de  tna  tnire  Voie 
ab:  der  Name  bezeichnet  ursprünglich  einen  bestimmten,  nicht  mehr  er- 
kennbaren Tiermärchenzyklus  aus  der  Zeit,  da,  wie  Rabelais  sagt, 
les  betes  parlaient,  —  Zu  den  acht  (resp.  neun)  Märciien  Perraults  werden 
BchlieCslich  eine  Reihe  sehr  ungleich  gearbeiteter  Notizen  gefügt,  Leee- 
fruchte,  in  deren  Mitteilung,  wie  in  der  ganzen  Arbeit,  ein  fester  Plan, 
eine  Scheidung  des  Wesentlichen  und  Neuen  vom  Unwesen tlidien  und 
Bekannten  zu  sehr  vermü'st  wird.] 

Waldberg,  M.  von.  Der  empfindsame  Roman  in  Frankreich.  Erster 
Teil :  Die  Anfänge  bis  zum  Beginne  des  XVIII.  Jahrhunderts.  Straisburg 
u.  Beriin,  K.  J.  Trübner,  190i).  XIII,  489  S.  M.  6.  [Aus  Vorbereitungen 
zu  einer  Geschichte  des  deutschen  Romans  ist  diese  Arbeit  über  den  fran- 
zösischen roman  senttmenkU  hervorffewachsen,  deren  zweiter  Teil  von 
F^nelon  bis  zu  Rousseau  führen  soll.  Was  hier  vorliegt,  ist  eine  sehr 
verdienstvolle  Leistung.  Das  Gebiet  des  französischen  Romans  der  zweiten 
Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  ist  wenig  durchforscht:  das  traditionelle  Ur- 
teil über  ihn  ^ht  auf  einige  wohlbekannte  Spezimina  zurück,  zwischen 
denen  tote  Penoden  von  ganzen  Jahrzehnten  liegen.  W.  füllt  diese  Lücken 
auf  Grund  einer  umfassenden  Lektüre  und  einer  eindrinKenden  Quellen- 
forschung aus  und  erneut  mit  dieser  Aufdeckung  des  Unbekannten  auch 

*  Schon  die  einleitenden  Bemerkungen  über  die  Brflder  Perrault  bedeuten 
keine  zutrauenerweckende  Einführung.  Jean  Perrault  ist  1669,  also  keineswegs 
^jung*  gestorben.  Den  Hauptanteil  an  den  Travestien  der  Troj»-Epik  h«t  Claude, 
und  ihm  allein  gehört  das  nun  längst  gedruckte  8.  Buch  der  Mun  d§  TVoyt  samt 
Vorwort  (Revue  d'hist.  tiU.  VII,  451;  VIII,  110)  u.  ä. 

'  Die  Bibliographie  der  Originalausgaben  der  Gri§eUdi»^  Peau  cfdae  etc  ftiidet 
sich  bei  Jules  le  Petit,  Bibliogr,  de»  prineip,  iäiHom  arigmaUs  ^dcrwmmi  ßrmm^aü 
du  XV*  au  XVIW  nicU,  Paru  1888. 


Veneichnis  der  fingelanfenen  Druelrechriftai.  241 

das  urteil  über  die  bekannten  Din^e.  Er  hat  mit  ausgesprochen  ent- 
wickelungtgeschichtlicbein  Intereeae  em  ebenso  lehrreiches  wie  lebensvolles 
Buch  {;eBc]uieben.  Bisweilen  freilich  scheint  er  mir  durch  die  Neigung 
za  pointierter  Darstellung  der  Entwickeiung  etwas  Gewalt  auzutun  — 

fldchsam  zu  fein  hören  zu  wollen,  wie  denn  unzweifelhaft  die  Darstellung 
urch  Vereinfachung  gewonnen  hätte. '  Einige  Bedenken  gegen  die  Chrono-  ^ 
logie  wehrt  die  Vorrede  (p.  VII)  ab;  andere  bleiben  schon  deswegen  be-  * 
stehen,  weil  der  Verf.  die  genaue  Datierung,  sei  es  aus  Veraehen  (3er  aus 
künstlerischer  Abeicht,  gel^entlich  vernachlässigt,  so,  um  nur  gleich  den 
ersten  Fall  zu  nennen,  o.  2,  wo  Le  tambeau  des  rotnans  —  an  welchem 
übriffens  8orel  selbst  sicherlich  grofsen  Anteil  hatte,  cf.  E.  Roy,  Charles 
Sorä,  1891  —  vor  dem  Berger  eadravagani  und  dieser  vor  Cyranos  Brief 
Sur  un  kipoeondre  hirdlque  de  roman  zu  nennen  war.  —  Chronologische 
Übersichtstabellen  des  reichen  Materials,  das  hier  zum  erstenmal  syste- 
matisch dargestellt  wird,  bringt  uns  wohl  der  zweite  Band.] 

Fueter,  £.,  Voltaire  als  Historiker  [8.-A.  aus  der  Beilage  wur  Äü- 
aemmnm  Zeitung  N<»  210  und  211  vom  12.  und  18.  September  1905].  6  8. 
[Der  Verfasser  stellt  Voltaire  als  Profanhistoriker  dar  und  hebt  im  Rah- 
men dieses  kurzen  Aufsatzes  die  Bedeutung  der  von  Voltaire  zum  ersten- 
mal geübten  überlieferunffskritischen  Geschichtschreibung,  die  Neuheit 
seines  wirtschaftlichen,  an tnropolo^sch- vergleichenden  Standpunktes  treff- 
Uch  und  mit  ttat  gewählten  Beispielen  hervor.  Aber  auch  die  Schatten- 
seiten von  Voltaires  utilitaristischer  Betrachtungsweise,  die  Mängel  seiner 
Systemlosigkeit  und  das  Unzureichende  seiner  Methode  werden  von  F. 
deutlich  und  eerecht  dargestellt] 

Mangold,  Dr.  Wilhelm,  Prof.  am  Askanisehen  Gymnasium  zu  Berlin, 
Voltaires  Rechtsstrdt  mit  dem  Königlichen  Schutzjuden  Hirschel  1751. 
Mit  einem  Anhang  ungedruckter  Voltaire-Briefe  aus  der  Bibliothek  des 
Verlegers  und  mit  drei  Faksimiles.  Kleine  Ausgabe  ohne  die  Akten. 
Berlin,  Ernst  Frensdorff,  1905.    48  S.    M.  1. 

Lenz,  K.  G.,  Übo'  Rousseaus  Verbindung  mit  Weibern.  Zwei  Teile 
in  einem  Bande.  Unverkürzte  Neuausgabe  des  Originals  von  179?.  Mit 
12  Porträts  und  Illustrationen  nebst  1»  nenaufgefundenen,  bisher  unver- 
öffentlichten Briefen  Rousseaus  an  die  Gräfin  Houdelot.  BerUn,  Bars- 
dorf, 1906.  VII,  376  S.  M.  4.  [Eine  sehr  flberflüssige  anonyme  Neu- 
ausMibe  des  dnst  ebenfalls  nnonjm  erschienenen  Buches  über  Rousseaus 
Liebesieben  nach  seinen  'Confessions',  das  heute  die  Kenntnis  Rousseaus 
in  keiner  Weise  fördert  Die  Lettres  tnSdües  aber  wird  der  Lernbegierige 
liei)er  bei  Buffenoir,  La  Oomtesse  d^Eoudetot,  im  Original  nachlesen.] 

Annales  de  la  Soci^t^  Jean- Jacques  Rousseau.  Tome  premier.  Ge- 
n^ve,  JuUien,  1905.  XVI,  327  S.  [Die  Gesellschaft,  von  deren  Gründung 
und  deren  Zielen  hier  CXII,  394  die  Rede  war,  versendet  soeben  diesen 
ersten  echönen  Band  an  ihre  Mitglieder  (Jahresbeitrag  12  francs),  deren 
Zahl  jetzt  300  ist  Das  Archiv  wira  in  einem  ausführbcheren  Referat  auf 
die  Publikation  zurückkommen.  Hier  sei  nur  kurz  auf  den  Inhalt  hin- 
gewiesen: H.  Tronchin  behandelt  die  Beziehungen  des  vom  Verfol^ngs- 
wahn  geplafcten  Rousseau  zu  dem  berühmten  Docteur  Tronchin  naäi  un- 
edierten  Bnefen ;  Ph.  Godet  teilt  ein  Kapitel  aus  seinem  Buch  über  die 
Neuenburgerin  Madame  de  Charri^re  mit,  die  sich  des  Andenkens  Rousseaus 
so  warm  annahm;  G.  Lanson  gibt  ungedruckte  Aktenstücke  zur  Ver- 
urteilung des  Emüe  und  der  Lettres  de  la  M<mtagne\  E.  Istel  behandelt 
die  Originalpartitur  des  I^gmcUion;  Th.  Dufour  unterrichtet  über  die 
nachgelassenen  Bduriften  iMUsseaus,  die  man  seit  1825  veröffentlicht  hat. 


'  CMMhiaobe  Zitate  dttrften   in  einem  solchen  Baobe  Aglieh  in  Übersetsnng 
gegeben  werden;  dadarch  würden  anch  Drackfehler  vermieden  (S.  XIll). 

AreUT  f.  n.  Sprachen.    CXVI.  16 


242  Verzcnchuls  der  eingelanfenei)  Druckschriften. 

und  fügt  zehn  neae  Inedita  hinzu,  Torzüglich  aus  Rousseaus  Bildungszeit 
in  Ohamb^ry.  £8  foleen  kleinere  Mitteilungen,  z.  B.  unsedruckte  Bemer- 
kungen Voltaires  zur  Frofession  de  foi  du  vieaire  savoyarS  (mit  Faksimile): 
Ikonographisches  über  M'"®  de  Warens.  Eine  Bibliogravkie  und  eine  Chro- 
nique  scnliefsen  das  Buch,  das  in  Papier,  Druck  una  Einband  vornehm 
und  j^eschmackvoU  ist  und  an  der  Spitze  dne  vortreffliche  Reproduktion 
des  Housseau  peint  par  Ramsay  (1766)  tragtl. 

Qärtner,  J.,  Das  Journal  Etranger  una  seine  Bedeutung  für  die  Ver- 
breitung deutscher  Literatur  in  Frankreich.  Heidelberger  Inauguraldisser- 
tation. Mainz,  Falk  &  Söhne,  1905.  VIII,  95  8.  TEs  wäre  sehr  erwünscht, 
von  den  älteren  literarischen  Zeitschriften,  besonaers  von  den  kosmopoli- 
tischen, monographische  Dar8tellunfl[en  zu  haben.  Schon  darum  ist  diese 
Studie  über  das  Journal  Etranger  (1754 — 6'i)  sehr  willkommen,  obwohl  der 
erste  Teil,  die  äufsere  Qeschidite  des  Unternehmens  unter  Grimm,  Pr^ 
vost,*  Froren,  Arnaud,  Su^  etc.,  nur  eine  Skizze  bleiben  konnte,  da 
dem  fleifsigen  Verf.  die  Schätze  der  französischen  Bibliotheken  nicht  er- 
reichbar waren.  Im  doppelt  so  umfangreichen  zweiten  Teile  stellt  er  dann 
systematisch  zusammen,  was  das  JounuU  während  eines  Jahrzehnts  seinen 
Ijesem  an  sympathisch-klugen  und  aufklärenden  Urteilen  Aber  deutsches 
Geistesleben  (über  Sprache,  Schulwesen,  epische,  lyrische,  dramatische 
Dichtung  und  literarische  Kritik)  mitgeteilt  hat.  Gdlert  und  sdn  Werk 
steht  im  Zentrum  des  Interesses;  aber  alle  bedeutenderen  Namen  der  deut- 
schen Literatur  seit  Hagedorn  und  Gottsdied  finden  ihre  Erwähnung,  und 
mit  Lessing,  Klopstock  und  Winkelmann  leuchtet  auch  der  neue  denteche 
Tag  noch  über  dem  Journal  Etranger.] 

Gobineau,  Le  comte  de,  Deux  etudes  sur  la  Gr^oe  moderne:  Capo- 
distrias;  le  royaume  des  Hell^nes.  Paris,  Plön,  1905.  IV,  825  S.  [Dieser 
Band  verdnigt  zwei  zeitlich  weit  auseinanderii^nde  (1841  und  1878),  in- 
haltlich eng  verbundene  Arbeiten  Gobineaus,  die  beide  jenem  PhilhellaiiB- 
mus  Ausdruck  feben,  den  ihr  Autor  trotz  aller  Schwankungen  seinea  Ur- 
teils sich  bewahrt  hat,  und  der  ihn  in  beredten  Ausführungen  Über  die 
Kulturmission  des  modernen  Griechenland  sprechen  läfst.  L.  Schemann 
hat  dem  Band  ein  kurzes  Begleitwort  vorausgeschicktl 

Tob  1er,  A.,  M^langes  de  grammaire  fran9aise.  Traduction  irao^aise 
de  la  deuxi^me  Vitien  p.  M.  Kuttner  avec  la  collaboration  de  L.  S udre. 
Paris,  Picard,  1905.  XXI,  372  S.  [Den  Reichtum  der  Toblerschen  Ver- 
mischten  Beiträge  auch  denen  leicht  zugänsÜch  zu  machen,  für  welche  die 

—  hier  besonders  schwierige  —  deutsche  ^rm  ein  Hindernis  bildete,  war 
ein  ebenso  verlockendes  wie  heikles  Unternehmen.  Die  Übersetzer,  dosen 
die  Sympathie  G.  Paris'  und  der  werktätige  Rat  A.  Toblers  zur  Seite 
stand,  haben  die  Schwierigkeit  glücklich  überwunden,  und  der  Verleger 
hat  das  Buch  sehr  schön  ausgestattet    Hoffentlich  folgen  Band  II,  ill 

—  und  IV  der  Beiträge  diesem  ersten  bald  nach.] 

Burghardt,  E.,  Über  den  Einflufs  des  Englischen  auf  das  An^lo- 
normannische  in  syntaktischer  Beziehung.  Göttinger  Inauguraldissotation. 
Halle  a.  S.,  Karras,  1905.  VIII,  81  S.  [Eine  s^r  fleifsiee  und  nützliche 
Arbeit,  die  zum  erstenmal  systematisch  dem  syntaktischen  Einflula  des 

*  Privoats  Zeitschrift  heifst  nicht  Le  Pour  et  le  Contre^  sondern  Le  Pour  et 
CotUrey  was  er  selbst  Band  V  p.  21  humorvoll  begrfindet  —  Über  den  Bemer 
Vinzenz  von  TBcharner  vgl.  hier  XCVII,  448.  —  Die  chronologische  Oenanigkeit 
läfät  da  nnd  dort  za  wünschen  übrig,  und  eine  schlimme  Nachlässigkeit  liegt  dem 
Urteil  zugrunde,  dafs  Gersner  deshalb  in  Joum.  £lir.  so  wenig  Beachtung  finde, 
weil  seine  Werke  bereits  früher  Übersetzt  worden  seien.  Qefsner  wurde  erst  seit 
Ende  1759  in  Frankreich  übertragen,  und  da  der  Übersetzer,  M.  Huber,  ein  Mit- 
arbeiter des  Joum.  Etr,  war,  so  ist  die  Zurückhaltung  der  Zeitschrift  um  so  weniger 
erklärlich. 


Verzeichnis  der  emgelaufenen  Druckschriften.  243 

Englischen  auf  das  Inselfranzösische  nachgeht.  Er  deckt  z.  B.  eine  un- 
^esänte  Verbreitung  des  'faire  mit  dem  Infinitiv  zur  Umschreibung  des 
Verbum  finitum'  (Tobler,  Verm,  Beür,  I2  20  ff.)  oder  der  ans  englische 
iciU  erinnernden  Verwendung  von  voloir  auf  (wozu  auf  die  Berliner  Dissert. 
von  E.  Weber,  Über  den  Oärauch  von  ^devoir*  etc.,  1879,  p.  27  fi,  zu  ver- 
weisen war)  und  gibt  zu  den  mehr  gelegentlich  von  anderen,  z.  B.  von  Stim> 
ming  und  Suchier,  angemerkten  Erschemungen  Belege,  die  einen  wirklichen 
Sprachgebrauch  erweisen.  Freilich  überschätzt  er  nicnt  selten  den  gesuchten 
englischen  Einflufs,  da  seine  Kenntnis  der  gemeinfranzosischen  Syn- 
tax Lücken  aufweist.  80  liegt  z.  B.  in:  Sn  mer  lea  esttiet  periüer,  oder 
in:  pu%8  lui  prent  st  ffraunde  püee,  S.  77,  keine  Verwechselung  von  Dativ 
und  Akkusativ,  sondern  eine  herrschende  Konstruktion  vor.  Prendre  a  => 
'beginnen  zu'  ist  völlig  gemeinfranzösisch.  Die  Häufigkeitsverhältnisse, 
die  der  Verf.  für  anglonorm.  son  «  'sein'  und  aa  =  'ihr'  berechnet  (S.  10  ff.), 
sind  irrtümlich,  weil  son  conU,  sun  eonqueat,  mvn  herite  ausscheiden: 
conti  und  eonqueat  sind  Maskulina;  mun  heriti  aber  verhält  sich  zu  älterem 
m'kertte  wie  mon  amie  zu  m'amie  und  ist  zur  Zeit  Fantosmes  auch  auf 
dem  Kontinent  zu  finden.  In  solchen';  Versehen  verrät  sich  der  Eifer  des 
Anfängers.] 

Bezard,  L.,  Toponvmie  communale  de  l'arrondissement  de  Mamers 
(Sarthe).  Strasbourg,  Heitz,  1905.  91  S.  [Das  nördlich  von  Le  Mans 
gelegene  Arrondissement  Mamera,  kommt  hier  zu  sehr  sorgfältiger  topo- 
nymischer  Darstellung,  für  welche  Lognons  Dietionnaire  topographique  de 
la  Mamey  1891,  das  Vorbild  geliefert  hat.  Bezard  klassifiziert  und  behan- 
delt ungefähr  150  Ortsnamen.  Das  historische  Material  ist  augenschein- 
lich sehr  sorgfältig  gesammelt  und  macht  die  Arbeit  sehr  wertvoll.  Die 
Phonetik  ist  etwas  eklektisch.  Auch  bei  Ortsnamen  ist  in  erster  Linie 
vom  Laut  auszugehen.  B.  aber  ^bt  nur  selten  die  örtliche  Lautung  des 
Namens  an,  und  auch  dann  nur  m  einer  un phonetischen  Notierung.] 

Scharfen  ort,  Hauptmann  a.  D.  von.  Übungsstücke  kriegsgeschicht- 
lichen Inhalts  zum  Übersetzen  aus  dem  Deutschen  ins  Französische,  zum 
Selbstunterricht  mit  Anmerkun^n  und  Lösungen  behu&  Vorbereitung 
für  die  Aufnahmeprüfung  zur  Kriegsakademie.  Teil  1:  Text.  64  S.  Teil  II: 
Anmerkungen  und  Lösung.  83  S.  Berlin,  Barth,  1905.  M.  2,25.  — 
225  deutscne  Aufgaben  für  die  Dolmetscherprüfung  in  Fremdsprachen. 
162  8.  Berlin,  Barth,  1906.  —  Petit  dietionnaire  des  difficult^s  gram- 
maticales.  Zum  Oebrauch  bei  französischen  Arbeiten  zusammengestellt. 
Berlin,  Barth,  1904.    173  S.    Geb.  M.  3,60. 

Brunot,  F.,  La  rdforme  de  l'orthographe.  Lettre  ouverte  ä  M.  le 
Ministre  de  l'Instruction  publique.  Paris,  Colin,  1905.  72  S.  Fr.  1.  [Ein 
sehr  beredter  Appell  an  den  Unterrichtsminister,  in  der  Sache,  in  der  die 
sämtlichen  pädagogischen  Körperschaften  des  Landes,  dann  die  ÄUianee 
fran^tse,  die  lEaaion  laique  fran^iae,  die  Philolo^n  und  so  viele  her- 
vorragende Literaten  gegen  die  reaktionäre  ÄeadSmte  stehen,  entschlossen 
zu  handeln.  Br.  spricnt  zuerst  von  den  dringenden  Wünschen  der  Volks- 
schule, deren  Geifsel  die  Orthographie  sei,  und  für  deren  Bedürfnisse  die 
Akademie  in  ihrem  Gutachten  nicht  einmal  ein  Wort  habe.  ^L'Seole  com- 
munale,  oü  vont  se  former  lea  miüiona  de  cüoyena  de  demain,  Vieole  de  la 
dSmoeraiie  n'est  paa  nommee/  Dann  spricht  er  vom  guten  Recht  und  von 
der  Pf  Ucht  der  Staatsregierung,  die  ortno^aphische  frage  zu  entscheiden : 
vne  orthographe  nationale,  a  dit  Q,  PortSy  est  une  dea  formea  de  la  vie 
publique.  Er  skizziert  die  geschichtliche  Bolle  der  Äcademie,  die  hier 
Keineswegs  zu  legiferieren  berufen  sei,  und  der  gegenüber  der  Minister 
nicht  mcär  als  eine  Form  zu  erfüllen  habe :  il  lui  doü  une  politeaae,  aprha 
eda  ü  eat  lihre,  Schliefslich  geht  er  auf  die  einzelnen  Gründe  ein,  welche 
das  famose  Gutachten  der  Äcademie  ^egen  die  Vorschläge  der  Beform- 
kommission  geltend  macht,  und  übt  eme  scharfe  Kritik  an  diesem  Dilet- 

16» 


244  VerzeichniB  der  eiDgeLaufenen  DruckschriftaD. 

tantitmiu.  ^  Der  offene  Brief  ist  eine  erfrischende  Lektüre  und  bringt 
auch  dem,  dem  die  ganze  8tr«tfrage  vertraut  ist,  mandiee  Neue.] 

Faguet,  £.,  Simplification  simple  de  l'orthographe.  Paris,  Soc.  frang. 
d'imprimerie  &  de  librairie,  1905.  40  6.  Fr.  0,bO.  [Fagnet  ist  der  Mei> 
nuog,  dafs  man  der  Orthographiereform  überhaupt  viel  zu  grofse  Bedeu- 
tung beimesse.  Auch  die  gröfste  Vereinfachung  werde  den  Schulunter- 
richt nicht  stark  erleichtem  und  dem  Schfller  hÖ<mstens  vier  Wochen  Leni- 
zeit  ersparen.  Zwischen  den  Vorschlägen  der  Reform kommission  und  der 
reaktionären  Akademie  nimmt  er  eine  yermittelnde  Stellung  ein,  oppor- 
tunistisch jede  grundsätzliche  Regelung  der  brennenden  Frage  ablehnend. 
Er  schlägst  vor,  dafs  der  Schule  gestattet  werde,  die  Französiening  des 
Schriftkleides  griechischer  Wörter  (rtime)  und  die  Vernachlässigung  der 
Doppelbuchstaben  (fkUerj  home)  zu  tolerieren.] 

Haberlands  Unterrichtsbriefe  für  das  Selbststudium  lebender  Fremd- 
sprachen mit  der  Aussprachebezeichnung  des  Weltlautschriftvereins  (Assoc. 
mion^tique  internationale).  Ein  zuverlässiger  Führer  zur  vollstandimi 
Beherrschung  der  Sprachen  im  mündlichen  und  schriftlichen  freien  Ge- 
brauche. —  Französisch.  Im  AnschluCi  an  ein  franz.  Lustspid  und  unter 
Zugrundelegung  der  Sprechform  hg.  von  Rektor  H.  Michaelis  in  Bieb- 
rieh  a.  Rh.  und  Prof.  Dr.  P.  Passy  in  Bourg-la-Reine.  Leipzig,  £.  EEaber- 
land.    Brief  1.    40  S. 

Keller,  W.,  Das  Sirventes  'Fadet  Joglar'  des  Guiraut  von  Calanso. 
Versuch  dnes  kritischen  Textes  mit  Einleitung,  Anmerkung,  Glossar  und 
Indices.  Zürcher  Inauguraldissertation.  Erlangen,  Junge,  1905.  142  S. 
[Auf  diese  mit  grofser  Sorgfalt,  Umsicht  und  Sachkenntnis  ausgeführte 
Ausf;abe  des  ebenso  wichtigen  wie  schwierigen  Stückes  wird  das  Asrekiv 
in  emgehenderer  Besprechung  zurückkommen.] 

Schultz-Gora,  O.,  Altprovenzalisches  Elementarbuch  (Sammlung 
romanischer  Elementarbücher,  ng.  von  W.  Meyer-Lübke,  L  Reihe:  Gram- 
matiken, 8).  Heidelberg,  C.  Winter,  1906.  X,  187  S.  M.  3,00.  [Ein  sol- 
ches Elonentarbuch  zu  schreiben,  erfordert  viel  Abn^ation:  eineraats 
mufs  der  Verf.  darauf  verzichten,  interessanten  Detailproblemen  nach- 
zugehen, und  anderseits  mufe  er  doch  recht  viel  Eigenes  in  die  sum- 
marische Darstellung  einfUefsen  lassen.  Es  sind  ihm  die  Ausführungen 
verwehrt,  mit  denen  er  eigene  Forschungsresultate  kenntlich  machen  und 
begründen  könnte,  denn  das  Interesse  des  Anfän^rs,  für  den  er  eme  '£än- 
fünrung'  schreibt,  soll  allein  ihn  leiten.  Das  ist  in  diesem  aprov.  Ele- 
mentarbuch geschehen :  es  ist  knapp  und  klar;  seine  Ausführungen  stehen 
auf  der  Höhe  der  Forschung:  in  ihrer  elementaren  Form  entbehren  sie 
nicht  persönlicher  Art.  Die  dreilsig  Seiten  leichterer  Text  (mit  Glossar) 
Roheinen  f^ehr  umsichtig  gewählt  und  in  den  grammatischen  Teil  wohl- 
verarbeitet zu  sein.  Das  ist  ein  treffliches  Hilfsmittel  für  den  akademisdien 
Unterricht  und  das  Selbststudium.] 

Armana  Prouven gau  p^r  lou  b^  an  de  Di^u  1906,  adouba  e  publica 
de  la  man  di  feiibre.  Porto  joio,  soulas  e  passo  ttois  en  tont  lou  pople 
döu  Büejour.  An  cinquanto  -  dousen  döu  Felibrige.  Avignoun,  Rouma- 
nille,  1906.  1118.  (Unter  den  60—70  poetischen  und  prosaischen  Stücken 
befinden  sich  auch  diesmal  wieder  einige  Beiträge  Mistrals,  der  nicht  müde 
wird,  als  Lehrer  und  Führer  seines  Volkes  —  poMure  popU  dt  IVouehKo 
nennt  er  es  —  dessen  Sprache,  dessen  Lieder,  dessen  GeMsfaichte  gegen 
offizielle  Bedrängung  und  Fälschung  zu  verteidigen  und  es  zum  einüi^iMn, 
genügsamen  heimatlichen  Leben  zu  ermahnen: 

Fo»€  Ü  coMlounf  refoul 
Parfo  JUr  tmm  promenqaul 
Qjenirt  mar^  Ihtrhkip  e  Rote 
Fai  hon  vUftrty  DUu  hm  «Mp/ 


Verzeichnis  der  eingelaufeaeo  Druckschriften.  245 

Die  meieten  Beiträge,  und  von  den  friachesteni  entetammen  der  Feder  des 
Bedaktore,  dessen  Name  nirgends  ausdrficklich  genannt  wird:  Jules 
Bonjat's.] 

Giomale  storico  deUa  letteratnra  italiana,  dir.  e  red.  da  Fr.  Novati 
e  R.  Benier.  Faec^  138  [A.  Pompeati,  Le  dottrine  politiche  dl  Paolo 
Paruta.  —  F.  Pellegrini,  Intomo  a  nuovi  abbozsi  poetici  di  Fr.  Petrarca; 
cf.  hier  CXV,  464.  -—  A.  Segre,  La  vera  data  di  an  lamento  storico  del 
sec.  XV.  —  G.  Bertoni,  Giammaria  Barbieri  e  Lud.  Castelvetro.  ^  Ras- 
segna  bibliografica.  —  BoUettino  bibliografioo.  —  Annunzi  analitici.  — 
PnbbL  nuziali.  —  Comrounicazioni  ed  appunti.  —  Cronaoa]. 

Bulletin  Italien.  Y  (1905),  4  [F.  Strowski,  Une  soorce  itaiienne  des 
Eisaü  de  Mootaiene:  V Examen  vanitatis  doctrina  gentium  de  Francois 
Pic  de  la  Mirandole.  —  P.  Dnhem,  If^nardo  da  Vinci  et  Bemaroiiio 
Baldi.  —  M^lanees  et  documents:  L.  Auvrav,  Inventaire  de  la  coUeetion 
Costodi,  1^^  et  demier  article.  —  Bibliograpnie.  —-  Chronique]. 

Flamini,  Fr.,  Avviamento  allo  studio  della  Divina  Gommedia  (in: 
Biblioteca  degli  studenti,  riassunti  per  tutte  le  materie  d'esame  nei  Licei,. 
Ginnasi,  Istituti  technid  ecc.  VoL  1.34—36).  livomo,  Giusti,  1906.  X,  122  S. 
Lire  1.  [Obwohl  dieser  'FCihrer  durch  die  Dir.  Oommedia*  für  Schüler  ge- 
schrieben ist,  so  ist  er  doch  eine  selbständige  wissenschaftliche  Leistung. 
Wie  in  seinem  grölseren  Werke  //  sigmficati  reeondiU  della  Oommedia  di 
Dante)  sucht  Fl.  das  Licht,  das  aie  yerschiungenen  Pfade  des  Danteschen 
Gedankens  erhellen  soll,  bei  Thomas  von  Aquino.  Dessen  Summe  ist  la 
fcmte  vera  del  peneiero  morale  dell'Äligkieri.  Man  wird  das  —  bei  allen 
Vorbehalten  im  einzelnen  —  besonders  ffir  den  späteren  Dante  zugeben 
mi&ssen  und  ^ern  anerkennen,  dafis  Fl.  hier  einen  sehr  nützlichen  und 
aufklärungsreichen  Leitfaden  geschrieben  hat,  dessen  einzelne  Tdk  treff- 
lich ineinander  gearbeitet  sind.  Ein  Ka]>itel  über  die  Entstehung  der  Oom- 
media  steht  am  Anfang;  zwei  Abschnitte  über  ihre  späteren  Schicksale 
und  über  die  Hilfsmittel  zum  Studium  stehen  am  Scnlnüs  des  Tortreff- 
liehen,  seine  Ausführungen  durch  Skizzen  erläuternden  Büchleins.  —  Von 
den  Vorbehalten  möchte  ich  vor  allem  den  j^eltend  machen,  dafs  mir  Fi. 
das  thomistische  Moralsystem  zu  sjrstematisch  der  ganzen  Ckmwtedia 
aufzwängt.  Die  Commedia  ist  nicmt  ein  Werk  ans  dnem  Guis,  sondern 
eine  Sc&pfung  langer  Jahre.  Ihre  Gedanken wdt  stand  nicht  von  An- 
fang; an  fest,  in  thomistischen  Formen  erstarrt.  Auch  sie  war  im  Flufs, 
und  der  Schöpfer  der  Commedia  lernte  und  entwickelte  sich  während  der 
Arbdt.  Als  Dante  den  Anfang  sdner  Vision  erzählte,  da  stand  Tor  sei- 
nem inneren  Auire  vieles  noch  nicht  so  scharf  gegliedert  da  wie  später. 
Das  gibt  auch  I^amini  z.  B.  für  den  düeUoeo  monte  zu: 

Ch'e  principio  e  cagion  di  tuUa  gioia     (Inf,  I.  77), 

d.  h.  den  Berg,  der  das  irdische  Paradies  trägt,  zu  dessen  beaütudo  der 
Terirrte  Dante  umsonst  emporstrebt:  auch  Flamini  scheint  ihn  für  einen 
ersten  noch  vagen  Entwurf  des  Purgatoriumsber^es  (p.  29)  zu  halten. 
Dieser  erste  Entwurf  mit  sdnen  vagen  Umrissen  stimmt  nicht  mehr  ganz 
zum  späteren,  genau  lokalisierten  und  scharf umrissenen  Paradiesesbery: 
der  zweiten  Cantica,  und  doch  hat  der  Künstler  Dante  ihn  am  Eingang 
des  GMichtes  stehen  lassen.  Gerade  so,  meine  ich,  erscheinen  am  Ein- 
gang des  Gredichtes  die  drei  Ti^re  als  Repräsentanten  der  Wollust  {hnxa), 
des  Stolzes  (leane)  und  der  Habgier  (lupa)  —  so  wie  sie  die  alten  Kom- 
mentatoren auffajsten,  die  Dantes  Geistesgenossen  gewesen  sind  ---,  ob- 
wohl diese  Sündenübersicht  nicht  System atisch-thomistisch  ist  und  sich 
nicht  mit  dem  später  von  Dante  entwickelten  Sündensystem  deckt.  Diese 
Bestien  thomistisoh  zu  deuten  als  malixia  (Imwa),  nuüiX'ia  besHale  (leone) 
und  malixia  eecondo  paesione  Ifupa),  wie  dies  Flamini  tut,  ersdidnt  mir 


246  VerzeichniB  der  ciDgelaufenen  DruckBchrifteo. 

fcewaltBam  und  entbeiirt  für  mich  jeder  überzeugimgskraft.  Für  mich  hat 
Dante  in  den  drei  Bestien  einfach  seine  eigenen  Hauptfichwfichen  personi- 
fiziert, wie  sie  aach  die  Vüio  Älberiei  gibt.  Es  ist  rein  persönliche 
Poesie,  deren  tiefbewegter  Urheber  an  gar  keine  Systematisienuig  dabei 
gedacht  hat.  Und  rein  persönlich  sind  auch  die  drei  donne  beneaeUe  ge- 
bildet: die  Gnadenmutter,  die  sich  seiner  erbannt  und  seine  Patronin 
Santa  Lucia,  deren  fedeU  Dante  war,  aufbietet,  welche  ihrerseits  ihm 
zur  Bettung  die  teure  Beatrice  —  che  Vamd  tanto  —  sendet  Ich  vermag 
hier  durdiaus  keine  System atisierung  des  Gnadenweges  zu  erkennen, 
und  weder  die  gratia  iUuminana  noch  irgendwelche  anaere  theologische 
Konstruktion  erklärt  mir  hier  etwas  —  ja  nicht  einmal  an  eägentliche 
Personifikation  glaube  ich.  Ich  verstehe  und  genie&e  hier  naiv  und  sehe 
in  dem  Ü  tuo  fäde  (II,  08)  den  Hinweis  auf  uns  verborgene  enge  persön- 
liche Beziehungen  des  Dichters  zur  heiligen  Lucia,  die  offenbar  seine 
Schutzpatronin  war.  Dante  hat  im  Himmel  drei  Helferinnen:  die  Him- 
melskönigin, zu  der  alle  Sünder  mit  ora  pro  nobis  flehen;  eine  Heilige, 
die  seine  und  anderer  Schutzpatronin  ist:  Lucia,  und  die  Geliebte  seiner 
Jugend:  Beatrice.  In  dieser  Reihenfolge  läfst  er  sie  in  Aktion  treten, 
und  die  Beatrice,  die  um  seinetwillen  zur  Holle  niedersteigt,  ist  zunächst 
weder  fede,  noch  sapienxa  noch  teologia  —  sie  ist  einfacn  das  liebende 
Weib:  die  Liebe  neigt  sich  zu  ihm.  Das  ist  poetisch  und  einfach  — 
sollte  es  deswegen  vor  der  Dantologie  des  20.  Jahrhunderte  nicht  bestehen 
können?  Schon  das  allein  rechtfertigt  das  stolze  Wort,  mit  dem  Dante 
die  Vüa  Nova  schliefst:  spero  di  dirt  di  lei  quello  ehe  mai  non  fu  deüo 
d^cdeuna.  Und  wenn  später  vom  irdischen  Paradies  aus  dieselbe  Beatrioe 
ihn  hinanzieht,  so  ist  es  wieder  die  Liebe,  die,  beseligend,  ihm  Gottes 
Himmel  aufschliefst,  wo  sie  selbst  heimisch  ist,  so  das  sich  ihm  alles 
offenbart  imd  sein  Glaube  zum  Wissen  wird  —  ohne  dafs  ich  mir  darüber 
den  Kopf  zerbreche,  ob  diese  Liebe,  diese  Beatrice,  nun  das  Symbol  des 
Glaubens  oder  das  des  Wissens  oder  das  der  Offenbarung  oder  das  der 
Theologie  sei.  Sie  ist  schliefslich  das  alles  —  weil  sie  keines  davon  ist. 
Sie  ist  die  in  den  Himmel  entrückte  Jugendliebe,  die,  ein  Pharus  im 
Meere  des  Lebens,  die  Blicke  des  Sünders  aufwärts  führt  und  seine  Seele 
hinanzieht,  wo  auch  er  schauen  kann.*  —  Lassen  wir  den  Künstler 
Dante  über  dem  moralisierenden  Systematiker  nicht  zu  kurz  kommen. 
Diese  Gefahr  aber  besteht,  nicht  nur  bei  der  systematischen  Anwendung 
des  Thomismus  auf  die  Oommedia,  sondern  bei  der  ganzai  herrschenden 
Dantologie,  die  mir  zu  sehr  zu  vergessen  scheint,  dafs  Dante  nicht  den 
Aristoteles  seiner  Prosaschriften,  sondern  den  Vergll  zum  Lebensführer 
seines  Gedichts  erhoben  hat.  Den  Aristoteles  überschüttet  er  in  seiner 
Prosa  mit  bewundernden  Titeln  vrie  maestro  e  duca  della  gente  umotio, 
maestro  deÜa  umana  ragione,  maestro  della  noatra  vita^  magiater  sapienHum 
und  prcBceptor  morum  —  in  der  Oommedia  verneigt  er  sich  nur  im  Vorbei- 
gehen vor  ihm  und  wählt  statt  dieses  Gepriesenen  als  dueeh  signore  e 
maestro  den  alttssimo  poeta^  glorta  de'  Laiint  und  stellt  so  das  Kunstwerk 
in  den  Schutz  des  Künstlers.] 

Scartazzini,  G.  A.,  Dantologia.  Vita  ed  opere  di  Dante  Alicen, 
terza  edizione  con  ritocchi  e  ginnte  di  N.  Scarano.  Milano,  Hoepli 
[Manuali  Hoepli  N"  42  e  48J,  1906.  XVI,  417  S.  Lire  8.  [Dieses  be- 
queme, zur  Einführung  in  das  Studium  Dantes  bestimmte  Handbuch,  das 
zum  erstenmal  1888  und  in  zweiter  Auflage  1894  erschienen  ist,  hat  die 
Vorzüge  und  Mängel  Scartazzinischer  Dante- Arbeit :  es  beruht  auf  ein- 
g^endster,  liebevoflster  Beschäftigung  mit  Dante,  ist  geschickt  und  prak- 

*  Sie  ist  seine  Fahrerin  aaf  dem  Wege  sn  den  Yirtutes  theologieas:  FideiD, 
Spem,  Garitatem  (J/ofiardUe  III,  16,  et  Purg,  VU,  S4). 


Yerzeichnls  der  eiD gelaufenen  DruckflChriften.  247 

tisch  angelegt;  aber  man  yermifst  die  ruhige  und  sichere  Führung  des 
Forschers.  Daran  hat  der  Bedaktor  dieser  dritten  Ausgabe  nichts  ändern 
können,  sollte  das  Buch  nicht  überhaupt  neu  geschrieben  werden.  Er  liefs 
Scartazzinis  Argumentation  bestehen,  yerzeichnete  wohl  in  Fufsnoten  einige 
Einwände,  änderte  da  und  dort  einige  Seltsamkeiten,  korrigierte  augen- 
scheinliche Irrtümer,  besserte  am  Stil  —  denn:  lo  Scartazzini  era  un 
tedesco  —  und  ergänzte  die  Bibliographie  (die  freilich  auch  um  manche 
ältere  Arbeit  hätte  verkürzt  werden  dürfen).  In  dieser  Form  verdiente 
das  Buch  wohl  neu  aufgelegt  zu  werden.  Es  darf  als  Orientierung  über 
Dantes  Leben  und  Werke  und  über  die  wissenschaftliche  Arbeit,  die  die- 
sem Leben  und  diesen  Werken  gilt,  dem  empfohlen  werden,  der  zu  eigener 
Beschäftigung  mit  Dante  übergehen  will.] 

Caraucci,  6.,  Bede  auf  Petrarca,  bearbeitet  von  Fr.  Sandvofs 
(Xanthippus).    Weimar,  Böhlaus  Nachf.,  1905.    25  8.    M.  0,80. 

Hauvette,  H.,  Les  bailades  du  D^cameron.  Extrait  du  Journal  des 
Savants.    Paris,  Impr.  nationale,  1905.     12  S.  . 

Anzalone,  E.,  Su  la  poesia  satirica  in  Franda  e  in  Italia  nel 
secolo  XVI.  Appunti.  Catania,  Musumeci,  1905.  189  S.  [Man  weiüs, 
wie  die  vergleichende  Literaturgeschichte,  besonders  unter  Vianeys  Füh- 
rung, immer  deutlicher  die  Aluiängigkeit  der  französischen  Renaissance- 
poesie vom  italienischen  Quattrocento  und  Cinquecento  aufdeckt.  Auch 
die  gröfsten,  wie  Bonsard  und  Dubellay,  sind  Plagiatoren  der  Italiener, 
imitatores  imitatorum,  wenn  auch  originelle  Nachahmer.  Der  sehr  kun- 
dige Verfasser  dieser  Schrift  stellt  die  Abhängigkeit  Frankreichs  auf  dem 
Gebiete  der  natirischen  Dichtung  dar  (über  Weib  und  Liebe,  Poet  und 
Dichtung,  Hof  und  ewige  Stadt).  Er  resümiert  nicht  nur  geschickt  die 
bisherige  Forschung,  er  weist  auch  auf  bisher  übersehene  Beziehungen 
hin  (z.  B.  zwischen  Ariosts  Satira  quinta  und  Du  Bellays  Reffrets,  Sm. 
XV  und  XIX)  und  schreibt  ein  angenehmes  und  nützliches  Buch.] 

Vofsler,  K.,  Tassos  Äminta  und  die  Hirtendichtung.  S.-A.  aus  den 
Sttidien  xur  vergl,  Literaiurgeschiehte^  hg.  von  M.  Koch,  VI,  S.  26—40. 
1906.  [Der  schöne  Vortrag,  mit  dem  die  Äminta- Auffijhiung  der  Heidel- 
berger Studenten  eingeleitet  wurde.] 


Luquiens,  Fr.  Bliss.  The  Roman  de  la  Böse  and  medieval  Casti- 
lian  literature  [S.-A.  aus  Rom,  Forschungen  XX,  S.  284—320^].  [Der 
Bosenroman  hat  auf  die  spanische  Literatur  nur  einen  auffallend  geringen 
und  beschränkten  Einflufs  ausgeübt:  die  Klischees  seiner  Naturschilderungen 
finden  sich  in  den  Cancioneros  wieder;  der  Rest  des  grolsen  G^ichtes 
lälat  keine  besondere  Wirkung  bei  den  Spaniern  erkennen.] 

Mariezcurrena,  Dr.  A.  N.,  Deutsch -spanische  Handelskorrespon- 
denz. Nach  der  Methode  von  Prof.  Th.  de  Beaux  bearbeitet  [Qöflcnens 
Kaufmännische  Bibliothek,  Band  8].  Leipzig,  Göschen,  1905.  274  S.  Geb. 
M.  3. 

Haussen,  F.,  De  los  adverbios  mucho,  muy  j  mueh  [S.-A.  aus  den 
Anales  de  la  üniversidad  de  Chile  de  enero  y  febrero  de  1905].  Santiago 
de  Chile,  Impr.  Cervantes,  1905.  37  S.  [Adverbiales  muUum  >  mu/Uo 
ergab  an  betonter  Stelle  span.  mueho;  an  tonschwacher  Stelle:  a)  vor 
Vokalen  muit  >  mueh  (muehaynä)^  ß)  vor  Kons.  mui(t)  >  muy.  Jenes 
mueh  ist  schon  im  älteren  Spanisch  selten;  schliefslich  ist  es  neben  muy 
ganz  geschwunden.  Es  handelt  sich  also  im  wesentlichen  nur  um  mueho 
und  muy.  Die  Sprache  scheidet  ihren  Gebrauch  nach  dem  Satzton:  mueho 
era  mos  blaneo  (Al&mndre  387;  diese  Konstruktion  ist  gemeinromanisch, 
cf.  Böhmers  R&man.  Studien  III  287  und  Meyer-Lübke,  Gram.  III  §  494); 
mueho  amaba,  mueho  mos  grande  —  aber  muy  blaneo,  muy  mos,  muy 
mayar.    Doch  liegt  natürlich  in  dieser  Regulierung  der  Formen  mueho — 


^8  .Verzeichnifl  der  emgelAofeiien  DruckBchrHten. 

muy  durch  die  Saubetonuog  ein  stark  ftubjektives  Element,  das  einer  r^el- 
haften  starren  Scheidung  des  Gebrauchs  Idndenid  in  den  Weg  trat,  vu 
sprechende  Individuum  war  eeneigt,  in  der  £mphase  mueho  aach  da  su 
gebrauchen,  wo  in  der  alfeEtarmen  Rede  muy  herrschend  war  (mueko 
grande),  und  eine  bequeme  Brücke  für  diese  Ül!erefinge  werden  die  Paiti- 
zipien  bilden,  denen  als  Verfoalformen  nrnchöy  als  Nominaiformen  mmv  su- 
steht:  muoho  amadOf  muy  amado,  Hanssens  Arbelt  zeigt  die  CIrnndzOge 
solchen  Gebrauchs  in  den  älteren  spanischen  Texten  in  fleifsigen  Zusam- 
menstellung, wie  er  sie  uns  schon  fQr  eine  ganze  Anzahl  von  Fragen 
der  altspanischen  Sprache  und  Metrik  geliefert  £at  Man  mufs  ihm  dafQr 
sdbr  dankbar  sein.  —  Seine  zusammenfassende  Besprechung  der  hier  vor- 
gelegten F&lle  h&tte  mit  Nutzen  die  gemeinromanischen  Gesiehtspunkte 
mehr  ins  Licht  setzen  kOnoeo.] 

Tiktin,  H.,  Rumänisches  Elementarbuch.  Sammlung  roman.  £le- 
mentarbflcher,  hg.  voo  W.  Meyer-LObke.  I.  Reihe:  Grammatiken.  Heidel- 
berg, C.  Winter,  1905.    VIII,  228  S.    M.  4,80. 


Vetter,  Th.,  über  russische  Volkslieder.  LXIX.  Neujahrsblatt  zum 
Beeten  des  Waisenhauses  in  Zürich  für  1906.  Zürich,  Fftsi  &  Beer,  1906. 
31  S. 

Kawraysky,  Dr.  Th.  v.,  Russisch -Deutsche  Handelskorrespondenz 
(GOschens  E&ufminnische  Bibliothek,  Band  7).  ^Leipzig,  GOacben,  1905. 
VII,  259  8.    M.  3. 


f  »      • 


AKcmv 


FÜE  DAS 


STUDIUM  DER  NEUEREN  SPIIACHEN 
UND  LITERATUREN 


BEGROWDET  von  LUDWIG  HERRIG 


HEKAUSGEaEBEN 


VON 

ALOIS  BRANDL  UND  HEINRICH  MORF 


CXVI.  BAND,  DER  NEUEN  SERIE  XVI.  BAND 

3.  u.  4.  HEFT 


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BRAÜNSCHWEIG 

BRBITK9TRA88K    S 


DRÜCK  UND  YERLAO  VOK  GEORGE  WE8TERMANN 

1906 


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Heimat  und  ßSSail^^^^jBSBat^^    Gediehte. 

Das  isländische  Sondergat 


Alles,  was  wir  an  eddischer  Dichtung  im  weitesten  Sinne 
besitzen,  geht  auf  engeren  Raum  zusammen  als  der  Minnesang 
der  Manessischen  Handschrift  oder  als  die  dänischen  Folkeviser 
in  einer  der  grofsen  Sammlungen  des  sechzehnten  Jahrhunderts. 
Aber  in  weit  höherem  Grade  erhalten  wir  von  der  Eddapoesie  den 
Eindruck:  diese  wenig  umfängüche  Dichtmasse  ist  nicht  der  Er- 
trag einer  ^Schule^  sie  entspringt  nicht  einer  kurzen  Eunst- 
blüte  in  einem  begrenzten  Kreise.  Innerlich  ganz  verschiedene 
Gebilde  sind  hier  zusammengetreten;  mehrere  Kulturschichten 
lagern  übereinander,  zeitlich  und  vielleicht  auch  räumlich  ent- 
legenes. 

Wenn  dies  in  den  Literaturgeschichten  nicht  klar  hervor- 
tritt, liegt  es  daran,  dafs  man  den  Gegensatz  der  Gattungen 
nicht  genügend  herauszuarbeiten  pflegt.  Die  stoffliche  Grup- 
pierung, wie  sie  einem  isländischen  Sanmiler  des  Mittelalters 
naheliegen  mufste,  übt  immer  noch  ihre  Macht.  Wir  sind  ge- 
wohnt, Frymskvida  und  Alvlssmäl  als  Nachbaren  zu  sehen:  zwei 
Lieder  von  dem  Gotte  Thor,  aber  zwei  Lieder  von  so  grofsem 
geistigem  Abstände,  wie  er  in  der  ganzen  reichen  Folkeviserdich- 
tung  nicht  auszumessen  ist. 

G.  Yigfiisson,  der  eine  höchst  selbständige,  gedankenreiche 
Gliederung  und  Aufteilung  unserer  Dichtwerke  unternahm,  wurde 
durch  seine  Lieblingsidee  von  der  britannischen  Heimat  zu  einer 
starken  Verkennung  des  isländischen  Anteils  geführt.  Jessen 
seinerseits  hatte  das  Späte,  Meistersingerische,  Isländische  an  der 
Eddadichtung  vortrefflich  empfunden,  und  sein  Fehler  lag  wohl 
nur  darin,  dafs  er  den  doch  nicht  so  geringen  Bruchteu,  den 
jene  Beiwörter  nicht  treffen,  unterschätzt  hat. 

Ich  beschränke  mich  hier  auf  die  eine  Fragestellung:  wie 
weit  äufsert  sich  in  den  Eddagedichten  die  besondere  literarische 
Kultur  Islands?    Dabei  gehe  ich  von  diesen  Erwägungen  aus. 

Island  hat  in  der  Überlieferung  der  Eddapoesie  nicht  blofse 
Schreiber-  und  Sammlerdienste  versehen.  Was  man  im  dreizehnten 
Jahrhundert  aufzeichnete,  hatte  der  Hauptmasse  nach  vorher  im 
Munde  isländischer  Männer  gelebt,  und  ein  Teil  dieser  Poesie 

▲ichi?  f.  n.  Spnuduoi.    CXVl.  17 


250  Heinutt  und  Alt»  der  eddischen  Gedichte^ 

ist  sicher  auf  Island  und  nirgendwo  sonst  gedichtet  worden: 
darin  sind  alle  einig,  so  yerschieden  sie  sonst  über  die  Herkunft 
der  Lieder  denken.  Ob  man  nun  den  isländischen  Ursprung 
auf  die  jüngeren  oder  jüngsten  Gedichte  beschränkt  und  diese 
als  uneigentUche  Eddalieder  bezeichnet,  gleichviel,  man  erkennt 
an,  dafs  Island  zu  einer  Zeit  seine  besonderen  literarischen  Be- 
dingungen hatte,  und  dafs  diese  ihren  Beitrag  lieferten  zu  der 
eddischen  Familie.  Ebenso  wird  das  Folgende  einleuchten.  Die 
Isländer  hatten  anfangs  die  gleiche  Dichtkunst  wie  das  Mutter- 
land Norwegen  und  wie  die  übrigen  Siedelungen  mit  norröner 
Gesellschaft.  Es  gab  einen  Zeitraum  der  gemeinwestnordischen 
Dichtgattungen:  die  einzelnen  Länder  hatten  sich  literarisch  noch 
nicht  zur  Sonderart  entwickelt.  Wie  lange  dieser  Zeitraum  auf 
Island  dauerte,  kann  man  nicht  aus  unmittelbaren  Zeugnissen 
bestimmen.  Am  besten  denkt  man  sich  die  Grenze  um  das 
Ende  der  Sagazeit,  als  die  noch  im  Heidentum  herangewachsene 
Generation,  der  Gode  Snorri  und  die  anderen  Helden  der  Bauem- 
romane,  ins  Grab  gesunken  waren.  Auch  für  Norwegen  bildet 
diese  Zeit  einen  wichtigen  Einschnitt.  Also  bis  ungefähr  1030, 
nehmen  wir  an,  dichtete  man  auf  Island  in  annähernd  denselben 
Gattungen  wie  in  Norwegen  und  den  anderen  norrönen  Ländern. 

Um  bei  den  Eddagedichten,  die  mutmalslich  in  diesen  älteren 
Zeitraum  fallen,  zu  unterscheiden  zwischen  norwegischer,  islän- 
discher, britannischer  Heimat,  kann  man  nicht  die  durchgreifen- 
den Züge  der  poetischen  Gattung  befragen:  nur  von  Einzelheiten 
in  Inhalt  und  Form  kann  man  Aufschlufs  erhoffen.  Aber  die 
bisherigen  Ergebnisse,  die  unbefangener  Prüfung  Stich  halten, 
sind  gleich  nufi.  Diese  traditiongebundene,  gegenwartfeme  Dich- 
tung erlaubt  so  selten  den  Schlufs:  dieses  Bild,  diese  Sitte  hat 
der  Dichter  im  eigenen  Lande  gesehen.  Und  den  dichterischen 
Sprachgebrauch  des  neunten  und  zehnten  Jahrhunderts  kann 
man  nicht  nach  der  Jahrhunderte  jüngeren  Prosa  Norwegens 
lyid  Islands  beurteilen.  Es  wird  sich  wenig  von  dem  Satze  ab- 
ziehen lassen:  die  Eddalieder  der  älteren  Schicht  können  alle 
aus  Island  stammen,  aber  keines  braucht  aus  Island  zu  stam- 
men. Es  haben  sich  eben  noch  keine  nur-isländischen  Merk- 
male herausgebildet 

In  dem  jüngeren  Zeitraum  wird  dies  anders.  Während  die 
eddische  Dichtkunst  im  Mutterlande  ausstirbt,  bleibt  sie  auf 
Island  am  Leben,  und  zu  den  alten  Gattungen,  die  weiter  ge- 
pflegt werden,  treten  neue:  die  nur-isländischen  Gattungen. 

Dafs  auch  norröne  Vikingreiche  auf  britannischem  Boden 
ihre  besonderen  Spielarten  der  Eddakunst  entwickelt  haben,  ist 
recht  wohl  möglich;  es  mag  —  als  Gegenstück  zu  den  nur- 
isländischen  —  nur-orkadische,  nur-irische,  nur-manzische  Gat- 


Heimat  und  Alter  der  eddischen  (Gedichte.  251 

tiiDgen  gegeben  haben.  Die  Kulturmischungen  in  diesen  Reichen 
mögen  im  zehnten  und  elften  Jahrhundert  sehr  eigenartig  ge- 
wesen sein.  Dafs  jedoch  ein  Teil  der  uns  überlieferten  Edda- 
poesie  diese  nur  -  britannische  Gesittung  spiegle,  dies  ist  nicht 
glaubhaft  gemacht  worden.  Die  Heimatsfrage  bei  den  Edda- 
gedichten kann  so  gestellt  werden:  gemeinwestnordisch 
oder  nur-isländisch?  das  ist  nach  dem  Gesagten  gleich- 
bedeutend mit:  eine  ältere  Schicht,  bis  ungefähr  1080,  wo  noch 
die  alten  gemeinsamen  Gattungen  gepflegt  wurden  und  nur  selten 
ein  Anhalt  für  die  engere  Heimat  sich  bietet  —  und  eine  jüngere 
Schicht,  nach  1030,  wo  das  isländische  Sondereigentum  erkenn- 
bar wird. 

Von  Grönland,  dem  Ableger  Islands,  sehe  ich  hier  ab.  Mit 
Symons,  Lieder  der  Edda,  S.  CCXCV  ff,,  bin  ich  der  Meinung, 
dafs  die  grönländischen  Atlamäl  mit  ihrem  ganz  für  sich  stehen- 
den spradilichen  Stile  eher  dagegen  als  dafür  sprechen,  dafs 
noch  andere  Lieder  die  gleiche  Heimat  haben.  Die  Benennung 
des  älteren  EtzeUiedes,  der  Atlakvida,  als  groenlenzk  braucht 
nicht  mehr  auszusagen,  als  dafs  dem  Sammler  das  Gedicht  durch 
einen  Grönländer  zukam  (Ranisch,  Eddalieder,  S.  14):  was  aus 
Grönland  kam,  war  'grönländisch';  den  Entstehungsort  zu  er- 
mitteln, waren  weder  der  Sammler  noch  sein  Gewährsmann  in 
der  Lage. 

■ 

Als  die  alten,  gemeinwestnordischen  Eddagat- 
tungen darf  man  betrachten:  das  unmittelbar  erzählende  Lied 
(Ereignislied)  mit  Inhalt  aus  der  Götter-  und  Heldensage,  und 
zwar  sowohl  in  der  doppelseitigen  Darstellungsform  wie  in  der 
reinen  Redeform.  Ferner  die  Mehrzahl  der  spruchhaften  Gat- 
tungen: einzelne  Spruchstrophe,  ethisches  Lehrgedicht,  runatal, 
rituale  Verse  u.  a.  Fraglich  scheint  mir,  ob  ebenfalls  zu  dem 
gemeinsamen  Grundstock  zu  rechnen  sind:  die  monologischen 
VisionsUeder;  die  Scheltszenen  in  sagenhaftem  Gewände;^  die 
Novelletten  mit  gnomischer  Spitze  (wie  die  Odinsbeispiele). 

Dafs  diese  gemeinnorrönen  Gattungen  zum  Teil  gemeinger- 
manisch sind,  und  dafs  ostnordischer,  ja  selbst  südgermanischer 
Ursprung  eines  Eddaliedes  in  den  Bereich  des  Möglichen  fällt, 
sei  nur  im  Vorbeigehen  angemerkt.  Der  Satz,  auf  den  man 
sich  geeinigt  hat:  'unsere  Eddagedichte  sind  westnordisch  und 
nicht  älter  als  etwa  830'  erleidet  ja  die  bekannte  Einschränkung: 
'die  Eddagedichte  in  der  vorliegenden  Gestalt,'  und  diese  Ein- 

»  Holger  Pedersen  {B\istshrift  tu  Usnng,  Kbh.  1900,  8.  185  ff.)  führt 
den  Männervergleich,  tnannig/midry  auf  irische  Anreeune  zurück.  Dies 
würde  nicht  auMchlieiBen,  dafs  schon  im  neunten  una  zehnten  Jahrhun- 
dert sagenhaft  eingekleidete  Mannervergleiche  als  gemeinnorröne  Dichtart 
vorkamen. 

17» 


252  Heimat  und  AHcr  der  eddischcai  Qedidite. 

BchränkiiBg  kann  einer  Aufhebung  recht  nahe  kommen  —  man 
denke  an  dänische  Balladen  in  isländischer  Gestalt  und  ähnlidies. 
Ein  Gedicht  ist  nicht  nur  eine  Kette  von  Wörtern,  sondern  auch 
ein  Aufbau  yon  Szenen,  Charakteren  usf.,  und  für  diese  geistigen 
Werte  haben  die  Zeitgrenze  830  und  die  Sprachgrenze  westnor- 
disch keine  unbedingte  Geltung.  Damit  soll  das  Gewicht  der 
tiefer  liegenden  Merkmale,  wie  der  Landschaflsbilder,  nicht  ver- 
ringert werden. 

Jene  alten  Gattungen  haben  auf  Island  auch  in  dem  jün- 
geren Zeiträume  schöpferische  Pflege  gefunden.  Daher  bleibt 
bei  jedem  einzelnen  Gedichte  zunächst  die  Frage  offen,  ob  es 
der  ersten,  norrönen,  oder  der  zweiten,  isländischen  Periode  zu- 
falle. Die  Zugehörigkeit  zur  alten  Gattung  gibt  nur  die  Mög- 
lichkeit alten  Ursprungs,  Einzelmerkmale  müssen  hier  ergän- 
zend eingreifen.  Die  Hymiskyida  und  das  Innsteinslied  nenne 
ich  als  zwei  Vertreter  des  alten  Ereignisliedes  (doppelseitig  und 
einseitig),  die  für  die  jüngere,  isländische  Schicht  in  Anspruch 
zu  nehmen  sind. 

Als  die  isländischen  Neubildungen,  die  nur-islän- 
dischen  Gattungen,  sehe  ich  folgende  an: 

I.  Die  heroische  Elegie,  das  mehr  oder  weniger  lyrische 
Situationsbild  oder  Rückblicksgedicht  (seltener  Traum-  und  Weis- 
sagungslied); die  folgerichtigste  Form  der  rein  monologische 
Ichbericht 

Die  Gattung  ist  ohne  Zweifel  etwas  Jüngeres  und  bringt  in 
die  germanische  Heldendichtung  neue  Gebilde  herein.  In  Deutsch- 
land fehlt  jede  Spur  derartiger  Versuche;  von  den  englischen 
stabreimenden  Elegien  lassen  sich  überhaupt  nur  Deors  Klage 
und  das  erste  sogenannte  Rätsel  vergleichen,  aber  der  Unter- 
schied ist  viel  gröfser  als  die  Verwandtschaft  Erst  die  Ballade 
bringt  dann  wieder  ähnliche  Rückblickslyrik.  Die  Annahme, 
dafs  diese  eddische  Kunstweise  erst  in  der  christlichen  Zeit,  nach 
dem  rauhen  heroischen  Sagaalter,  aufkam,  hat  gewüs  innere 
Wahrscheinlichkeit  Wenn  wir  sie  Norwegen  absprechen,  so  be- 
ruht das  auf  der  Erwägung,  dafs  in  Norwegen  seit  der  christ- 
lichen Zeit  die  eddische  Kunstpflege  allmählich  erlosch,  so  wie 
die  alte  Sagendichtung  in  England  und  Teilen  von  Deutschland 
früh  dem  Untergang  verfiel.  Es  ist  im  Zweifelsfelle  nicht  an- 
zunehmen, dafs  diese  niedergehende  norwegische  Kunstübung 
noch  den  neuen  Schofs  der  lyrisch-seelenmalenden  Gedichte  ge- 
trieben habe.  Diese  Elegien  stehen  zwar  den  alten  Heldenstoffen 
innerlich  ferner  (die  Dichter  blicken  aus  Abstand  auf  die  grofsen 
Schicksale,  sie  fühlen  sich  nicht  mehr  naiv  mitten  drin);  aber 
zugleich  setzen  sie  bei  Verfasser  und  Hörer  eine  sehr  lebendige 
Sagenkunde  voraus:  die  leisesten  Anspielungen  rechnen  auf  Ver- 
ständnis und  Mitgefühl.    Man  vergegenwärtige  sich  die  andeu- 


Heimat  nnd  Alter  der  eddiBchen  Qedichte.  258 

tenden  Bückblicke  in  der  Gudrüiiarhy9t  oder  im  Oddrdnargr&tl 
Der  Boden,  der  diese  Gedichte  trug,  mufs  von  der  alten  Sagen- 
poesie voll  bestrahlt  gewesen  sein.  Das  trifft  für  diesen  späteren 
Zeitraum  doch  wohl  am  besten  auf  Island  zu. 

Doch  sei  nicht  verschwiegen,  dafs  Axel  Olrik  hierüber 
anders  denkt  Er  hält  z.  B.  Starkads  Sterbelied  (Saxo  S.  397) 
für  norwegisch;  Arkiv  10,  278. 

Die  Blüte  dieser  Elegien  möchte  wohl  noch  ins  elfte  Jahr- 
hundert fallen:  die  Gudrun-,  Oddrun-,  Brynhildrückblicke  der 
alten  Sammlung.  Wenn  man  die  zweite  Gudrunarkvida  früher 
ansetzt  als  die  Verwandten,  so  geschieht  es  unter  dem  Druck 
der  Bezeichnung  en  forna.  Das  Lied  selbst  könnte  nicht  auf 
den  Gedanken  fuhren,  dafs  wir  hier  auf  einer  altertümlicheren 
Stufe  stehen,  *auf  der  Grenze  älterer  und  jüngerer  Kunstübung* 
(Symons  a.  a.  0.  S.  CCLXXV).  Stilgeschichthch  ist  der  Monolog 
ohne  Rahmen  gewifs  das  spätere  gegenüber  der  Form  von 
Gudrünarhv9t  usw.,  wo  man  noch  an  die  unmittelbare  Erzäh- 
lung alten  Schlages  anknüpft.  Die  männlichen  Elegien,  aus- 
genommen vielleicht  die  des  Starkad,  fallen  nicht  früher  als  das 
zwölfte  Jahrhundert,  desgleichen  aus  dem  Liederbuche  das 
'Traumlied',  umschrieben  in  der  V9lßungasaga  c.  25. 

IL  Die  zweite  isländische  Neubildung  sind  die  Sagaein- 
lagen. 

Auf  Island  erwuchs  der  prosaische  Heldenroman  (Fomaldar- 
saga).  In  seine  Prosa  konnte  man  Strophenreihen  einlegen, 
episch-lyrischer,  eristischer,  spruchhafter  Art.  Zuweilen  nahm 
man  diesen  Schmuck  von  älteren,  selbständigen  Gedichten:  un- 
zweideutige Beispiele  in  der  Y9lsunga8aga  und  mancherorts  bei 
Saxo.  In  diesem  Falle  sind  Alter  und  Heimat  der  Strophen 
unabhängig  von  Zeit  und  Ort  der  Saga,  öfter  aber  sind  die 
Verseinlagen  von  Anfang  an  für  die  (mündliche)  Saga  gedichtet 
worden:  auch  wo  sie  vollständig  vorliegen,  sind  sie  nach  um- 
fang, Gehalt  oder  Abrundung  nicht  befähigt,  für  sich  allein 
vorgetragen  zu  werden.  Sie  können  wohl  jünger,  nicht  aber 
älter  als  ihre  Saga  sein.  Ihre  Heimat  bestimmt  sich  nach  der 
der  Saga. 

Die  Gattung  Fomaldarsaga  hat  ihre  Voraussetzung  in  der 
geschichtlichen  Saga  der  Isländer,  in  den  IslendingasQgur  und 
KonungasQgur.  Danach  müssen  wir  den  Heldenroman  samt  sei- 
nen (untrennbaren,  unselbständigen)  Verseinlagen  zu  den  nur- 
isländischen Gattungen  rechnen.  Die  besonders  von  Olrik  ver- 
tretene Auffassung,  dafs  Saxos  Fornaldars9gur  mit  ihren  Strophen 
norwegische  Schöpfungen  seien,  müfste  das  gesamte  Bild  der 
altnordischen  Prosa-  und  Dichtkunst  umgestalten;  im  Zusammen- 
hange der  ganzen  Literaturentwickelung  ist  diese  Auffassung 
noch  nicht  begründet  worden.^ 


254  Heimat  und  Alter  der  eddiecbeD  Gedichte. 

Saxo  gibt  uns  den  sicheren  terminus  ad  quem:  im  zwölften 
Jahrhundert  hat  der  mündliche  isländische  Heldenroman  mit 
Sagaeinlagen  mannigfacher  Art  in  voller  Blüte  gestanden.  Die 
Mehrzahl  der  Stücke  in  den  Eddica  minora  darf  man  dem 
zwölften  Jahrhundert  zuschreiben.  Einiges  ist  später;  diese  an 
die  Prosa  angelehnte  Kleinkunst  enthält  die  letzten  Ausläufer 
der  eddischen  Familie  und  reicht  noch  über  das  Jahr  1300  herab. 

Das  älteste  Zeugnis  für  die  Forualdarsaga  mit  Yerseinlagen, 
SturL  If  19  f.,  gilt  dem  Jahre  1119.  Sehr  viel  älter  wird  der 
Heldenroman  nicht  gewesen  sein. 

Unmittelbarer  irischer  Einflufs  auf  unsere  Gattung  ist  schwer- 
lich anzuhehmen,  doch  mittelbarer,  indem  die  Vorgängerin^  die 
geschichtliche  isländische  Saga,  vermutlich  einen  Anstofs  von 
den  iris^en  Prosaerzählern  empfangen  hat 

Man  darf,  wie  mir  scheint,  die  Frage  aufwerfen,  ob  nicht 
auch  einzelne  Teile  des  eddischen  Liederbuches  als  Sagaeinlagen 
entstanden  sind.  Ein  Lied  wie  die  Helreid  Brynhildar  könnte 
man  sich  gut  als  Schmuck  einer  älteren  mündlichen  ^Sigurdar- 
saga'  gedichtet  denken.  Auch  bei  etlichen  Strophengruppen  in 
den  Komplexen  Helg.  Hi9rv.  und  Helg.  Hund.  II  kann  sich  der 
Z^^eifel  regen,  ob  sie  denn  notwendig  aus  geschlossenen  Lied- 
kompositionen losgesprengt  sind  (die  Zahl  der  Helgilieder  wäre 
unheimlich  grofs);  ob  sie  nicht  eher  den  losen  Schmuck  einer 
Saga  bildeten.  Bei  den  fünf  Weissagestrophen  der  Vögel  in 
den  Fafnismäl  40  ff.  entgehen  wir  manchen  Schwierigkeiten  durch 
die  Annahme,  dafs  diese  Verse,  die  als  Abschlufs  eines  Fafhis- 
liedes  ebenso  unmöglich  sind  wie  als  Einleitung  eines  Sigurds- 
UeJes  (geschweige  eines  Sigrdrifaliedes)  —  dafs  sie  von  Hause 
aus  lose  Strophen  waren,  dazu  bestimmt,  in  einer  zusammen- 
hängenden 'Sigurdarsaga'  von  der  Drachengeschichte  zu  der 
Brynhildsage  überzuleiten.*  Dann  braucht  nichts  von  der  Stro- 
phengruppe verloren  zu  sein,  wie  ich  in  der  Festschrift  für  Paul 
S.  29  angenommen  hatte.  Chronologische  Bedenken  treten  diesen 
Vermutungen  nicht  entgegen:  die  hier  in  Frage  stehenden  Dich- 
tungen müssen  nicht  älter  sein  als  die  Frühzeit  der  Fomaldar- 
S9^ur,  das  beginnende  zwölfte  Jahrhundert.  Und  dafs  der  be- 
liebteste aller  Helden,  Sigurd,  seine  mündliche  Saga  bekommen 
hatte  lan^e  vor  unserer  Vplsungasaga,  das  hat  man  auch  von 
anderen  Elrwägungen  aus  vermutet 


*  Auf  die  Strophen  folgte  Sigurds  Ritt  zu  Gjuki,  die  Verm&hluns  und 
weiter  die  gemeinsame  Werbungsfahrt  zu  Brvnhild,  kurz  der  Inhalt  der 
Brynhildsage:  dies  entspricht  der  klaren  Beikenfolge  in  den  Weisaafl 
atrophen,  gegen  deren  Verrückun^  Symons  mit  Recht  eingetreten  ist  (^ 
f,d,  Phü,  24  f  20).  Indem  der  Lieoersammler  die  sogenannten  Sigrdilfumä 
einschob,  durchbrach  er  den  von  den  fünf  Strophen  skizzierten  Ghmg  der 
Begebenheiten. 


Heimat  und  Alter  der  eddischen  Gedichte.  255 

III.  Das  Beiwort  'nur-isländisch'  gebührt  am  allermeisten  einer 
dritten  Gruppe,  die  freilich  recht  verschiedenartige  Stücke  beher- 
bergt. Es  ist  die  antiquarische  Gelehrsamkeitsdichtung,  die  islän- 
dische Meistersingerei,  die  philologisch  angehauchte  Eddapoesie. 

Das  entlegene  kleine  Volk,  dessen  höherer  Lebensluxus  fast 
ganz  in  den  Werken  seiner  Sprache  bestand  und  das  nachgerade 
auf  einen  reichen  Schatz  von  Überlieferungen  aus  drei  Jahr- 
hunderten zurückschaute,  schuf  eine  heimische  Altertumskunde, 
Poetik  und  Sprachlehre.  Das  Ziel  war,  zu  sammeln  und  ord- 
nen, zu  erklären,  zu  ergänzen  und  nachzuahmen. 

Ihren  Gipfel  gewann  diese  einzigartige  Kulturbewegung  in 
dem  Zeitalter  und  dem  Werke  Snorri  Sturlusons.  Seine  Edda 
fällt  in  die  zwölfhundertzwanziger  Jahre.  Nicht  lange  danach 
entstand  das  eddische  Liederbuch,  um  1250  die  Grammatik  des 
Olaf  hvitaskild. 

Die  Anfänge  liegen  vier  Menschenalter  früher,  bei  Ari  und 
Ssemund,  den  ersten  isländischen  Schriftsteltem  und  Historikern. 
(Den  Beginn  der  Schreibezeit  setzt  man  1117/8.)  Die  kleine 
Notiz  in  Aris  Libellus  Islandorum,  Anhang  II:  •Yngve  Tyrkia 
conungr.  Ni9rl)r  Svia  conungr^  wirft  einen  dünnen  hellen  Licht- 
strahl auf  die  Tatsache,  dafs  die  Väter  der  isländischen  Gelehr- 
samkeit nicht  nur  exakte  Historie  trieben,  sondern  auch  über 
die  alte  Göttersage  sich  ihre  Gedanken  machten  und  die  euhe- 
meristische  Theorie  ausheckten,  die  uns  dann  bei  Snorri  und  in 
Andeutungen  bei  Saxo  begegnet.  Und  derselbe  Anhang  des 
Libellus  zeigt  uns,  dafs  man  schon  die  zeitlose  Heroendichtung 
durch  lange  Stammbäume  mit  den  isländischen  Grofsbauern  ver- 
knüpft hatte. 

'  In  denselben  anderthalb  Jahrhunderten,  als  auf  Island  diese 
heimische  Philologie  blühte,  hatte  Norwegen  an  vaterländischen 
Traditionen  so  gut  wie  nichts  in  die  Scheunen  zu  bringen,  die 
Rechtsdenkmäler  ausgenommen.  Als  sich  endlich  unter  Hakon  IV. 
ein  weltliches  Schrifttum  einbürgerte,  da  war  es  eine  ganz  der 
Gegenwart  zugekehrte  Ritterprosa.  Auf  den  norwegischen  Königs- 
spiegel wirft  kein  Götter-  und  Heldenaltertum  —  es  sei  denn 
das  der  Bibel  —  seine  Schatten. 

Snorris  Edda  ist  halb  ein  gelehrtes  Buch,  halb  ein  Kunst- 
werk. Es  gilt  von  dieser  isländischen  Scholastik  im  allgemeinen: 
Wissenschaft  und  Dichterei,  Forschung  und  Spiel,  Sammeln  und 
Schaffen  gehen  wunderbar  durcheinander.  Ein  Teil  der  islän- 
dischen Gelehrsamkeit  ist  in  eddischen  Dichtformen  niedergelegt 
und  bildet  den  Ausschnitt  der  Eddafamilie,  dessen  Umfang  wir 
hier  überschauen  wollen.  Diese  Dichtungen  geben  sich  zum  Teil 
un verhüllt  lehrhaft;  öfter  aber  ist  es  die  Art  der  Unterhaltungs- 
poesie, und  manche  dieser  Stücke  mögen  sich  über  die  lesekun- 
digen Kreise  hinaus  verbreitet  haben  und  volkstümlich  geworden 


256  Heimat  und  Alter  der  eddiBchen  Gedichte. 

sein  wie  die  alten  naiyen  Erzählungen  in  Vers  und  Prosa.  Eine 
gewisse  Altertumstracht  bewahren  sie  alle.  Aber  mit  Unter- 
schied: die  einen  gehen  mehr  auf  täuschende  Nachahmung  aus,^ 
die  anderen  scheuen  sich  nicht,  in  Inhalt  oder  Aufbau  Ton  den 
älteren  Liedern  Tühlbarer  abzuweichen.^ 

Diese  isländische  Gelehrsamkeit,  in  ungebundener  und  ge- 
bundener Form,  hat  den  Geist  des  germanischen  Altertums  weit 
hinter  sich  gelassen,  auch  wo  ihr  Gegenstand  altgermanische 
Götter  und  Helden  sind.  Die  Denkarbeit,  die  hinter  diesen 
Schöpfungen  steht,  hat  oft  etwas  erstaunlich  Modernes  und  — 
man  möchte  sagen  —  spielerisch  Freies.  Die  Einwirkungen  der 
Fremde  gehen  tiefer:  schon  jener  *Tyrkia  conungr*  ist  ja  nicht 
in  isländischem  Garten  gewachsen!  Gleichwohl  zeigt  sich  die 
Selbständigkeit  der  Isländer  nirgends  so  greifbar  wie  auf  diesem 
antiquarischen  Felde.  Was  aus  der  Eddadichtung  hierher  fällt, 
das  sind  fast  lauter  Unika  —  man  darf  vielleicht  sagen:  in  der 
Weltliteratur.  Was  keinen  Preis  des  künstlerischen  Wei'tes  be- 
deuten solL  Hier  ist  nun  die  Geisteskultur  der  Insel  von  der 
gemeinnorrönen  Vikinggesittung  weit,  weit  weg  gerückt. 

In  diese  gelehrte  Gruppe  und  damit  ins  zwölfte  und  drei- 
zehnte Jahrhundert  gehört  unbestritten  die  Hauptmasse  der 
Pulur,  d.  i,  der  in  Verse  gebrachten  Namen-  und  Vokabel- 
reihen. Vier  Handschriften  der  Snorra  Edda  überliefern  bei- 
läufig 170  Strophen  mit  2600  Vokabeln,  von  verschiedenen  Vers- 
machern herrührend;  vgl.  F.  Jönsson,  Lit,  2,  171  ff.;  auch  Bugge, 
Arkiv  16,  31  hat  sich  für  isländischen  Ursprung  dieser  Namen- 
haufen erklärt.  Auch  die  umfänglichen  I^ulabestandteile  im  ed- 
dischen Liederbuche,  als  Einschiebsel  zumal  in  der  Vsp.  und 
den  Grimn.,  sowie  die  beiden  Pulur  in  den  Skäldskaparmäl 
brauchen  nicht  älter  zu  sein  als  das  zwölfte  Jahrhundert.  Doch 
ist  kein  Zweifel,  dafs  die  Pulaform  in  anspruchsloser  Verwen- 
dung ein  uraltes  Mittel  der  gedächtnismäfsigen  Überlieferung  ist 
{EM.  S.  LXXXIX).  Auch  die  Liste  der  norwegischen  Sv9ldr- 
kämpfer  mit  43  Namen  (dazu  noch  Orts-  und  Vaternamen),  also 
schon  recht  stattlichem  Umfange,'  mag  inmierhin  bald  nach  dem 
geschichtlichen  Ereignis  (a.  1000;  in  Verse  gebracht  worden  sein, 
am  ehesten  doch  wohl  von  einem  isländischen  Sagamann:  um 
die  Namen,  die  ein  historischer  Vorfall  gleich  schon  vereinigt 
an  die  Hand  gab,  zu  ein  paar  Memorialstrophen  zu  ordnen, 
brauchte  es  keine  sammelnde  Gelehrtentätigkeit,  keine  besondere 
literarische  Kultur. 


*  Vsp.  ßk.,  H^ndL,  ßvipd. 

*  Alv.,  RlRsf).,  auch  Grip.  (die  neben  den  alteren  Sigurdsgedichten  als 
etwas  entschieideD  Neues  gewirkt  haben  muls),  die  f)ulur. 

»  Oddr,  Ol.  Tr,  1Ö53,  8.  55  f.  64  f.,  1895  ß.  104;  Wer.  1,  425  f.;  vgl. 
übrik,  Arkiv  lü,  267  ff. 


Hdmat  und  Alter  der  eddischen  Gedichte.  257 

Dagegen  als  ein  bezeiclinendes  Werk  der  isländischen  Meister- 
singerei  betrachten  wir  die  grofse  Bräyalla|)ula^  d.  i.  die  Liste 
der  Krieger,  die  unter  den  Sagenkönigen  Harald  HilditQnn  and 
Hring  die  Völkerschlacht  auf  den  Brävellir  mitmachten.  Wir 
kennen  sie  aus  Saxo  S.  376  fif.  und  einem  isländischen  Saga- 
bruchstück (S9gubrot)  Fas.  1,  379  ff.  Verschiedene  Forscher, 
am  einläfslichsten  Olrik,  Arkiv  10,  223  ff.,  haben  die  Herstel- 
lung der  zu  Grunde  liegenden  Verse  unternommen. 

Es  ist  eine  ansehnliche  Namenmasse:  im  SQgubrot  zählt 
man  an  die  100,  bei  Saxo  an  die  170  Namen,  die  Vatemamen 
mitgerechnet;  dazu  noch  viele  Beinamen  und  Ortsnamen.  Die 
l^ula  verteilt  diese  Kriegerscharen  auf  die  Ostseeländer,  Nor- 
wegen und  Island.  Um  überlieferte  Gestalten  der  HilditQnnsage 
handelt  es  sich  hier  nur  zum  allerkleinsten  Teile:  der  Verse- 
schmied mufste  die  Nunmiem  seiner  Liste  selbst  erst  schaffen. 
Wir  haben  hier  keine  lexikalische,  keine  Sammell)ula;  man  kann 
es  eine  Phantasiepula  nennen. 

Aber  der  Dichter  hielt  sich,  um  die  Menge  von  Namen 
guten  Klanges  zusammenzubringen,  an  die  Überlieferungen  aus 
Sage  und  Geschichte.  Sein  Gedächtnis  umfafst  einen  erstaun- 
lich weiten  Stoffkreis.  Aus  Heldensage  und  Heldenroman  sind 
ihm  bekannt:  der  Kreis  der  älteren  Skiöldunge:  Biarki  Str.  14, 
vielleicht  Skale  Scanicus  Str.  2  (vgl.  Saxo  S.  92);  der  Kreis  der 
Ynglinge:  Yngvi  .,.  Älfr  ...  Alreks  synir  Str.  23,  Adils  ofläti 
frä  Upps9lum  Str.  24,  Ali  Str.  23  (Müllenhoff,  DÄk.  5,  354), 
Saxi  flettir  Str.  13;  aus  Hildit9nns  Jugendtaten  holt  er  das 
Paar  Dalr  eun  digri,  Dükr  vindverski  Str.  5  (=  Duc  et  Dal, 
duces  Sclavorum,  Saxo  S.  366),  während  der  Übbi  enn  frfski 
Str.  5  (=  Ubbo  Fresicae  gentis  athleta,  Saxo  S.  366)  seinen 
älteren  Standort  in  der  Brävallaschlacht  haben  mag;  die  Arn- 
grimssöhne  bieten  einen  Büi  Brämason  Str.  5,  vielleicht  auch 
Barri  ok  Töki  Str.  4;  aus  der  Hildesage  stammt  Hedinn  miövi 
Str.  9,  von  dem  Hundingstöter  Helgi:  H9dbroddr  Str.  10,  aus 
der  Hunnenschlacht  Humbli  Str.  8;  die  Starkadsagen  liefern  ihm 
Beigadr  und  Haki  Str.  4,  Visna  Str.  7,  Hama  Str.  8  (25),  die 
synir  Beimuna  Str.  10;  aus  der  Hälfsdichtung  bezieht  er  Styrr 
enn  sterki  und  Steinn  Str.  13,  Hrökr  svarti  Str.  14  (sind  auch 
die  dicht  hintereinander  stehenden  Hreidarr-Hrolfr  kvennsami- 
Hringr  Str.  15  ein  Nachklang  der  Gruppe  Hreidarr  -  Hi9rleifr 
kvennsami-Hringia  in  der  Hälfssaga?);  Ragnarr  lodbrök  stellt 
Amr  und  Ella  Str.  1;  Qrvar-Oddr  erscheint  als  Oddr  vidf9rli 
Str.  20,  vielleicht  Eirfkr  mälspaki  (Ericus  disertus)  als  S9gu- 
Eirfkr  Str.  19. 

Dann  die  Entlehnungen  aus  der  Geschichte,  den  Konunga- 
89gur:  Haki  aus  Hadaland  Str.  10:  Haki  Hada-berserkr  Hkr,  1, 
91;    die  Thelemärker   Haddr   ennjhardi,   Hröaldr   tä  Str.  17: 


258  Heimat  und  Alter  der  eddiBchen  Gedichte. 

Hröaldr  hrjrggr  ok  Haddr  enn  hardi,  broedr  iTeir  af  Pelam9rk 
Hkr.  ly  123;  i^örir  moerski  Str.  18:  Pörir,  R9gnTaldB  son  Mce- 
raiarls  Hkr.  1,  131;  Töki  af  lömi  Str.  7:  Pdlna-Töki  (Bugge 
yermutet  Str.  2  Aki  af  Fiöni:  Bruder  und  Sohn  Pdlna-Tökis 
Fms.  II9  43.  55);  vier  Namen  bezw.  Beinamen  aus  der  ST9ldr- 
liste  (s.  0.)  Str.  19.  20;  Erlingr  sn&kr  Str.  20:  Erlingr  Skialgs- 
son  -Y  Eyyindr  sn&kr  bei  Sv9l£;  Sigvaldi  mit  elf  Schiffen  Str.  26: 
iarl  Sigvaldi  mit  elf  Schiffen  bei  Sy9ldr  Hkr.  1,  434;  Holti  und 
R9gnvaldr  ryzki  Str.  25 :  Namen  der  russischen  Dynastie,  s.  Olnk, 
S.  255;  (Gardr)  Stangbüi  Str.  2:  (Haquinus)  e  yilla  Stangby 
a.  1026,  Saxo  S.  517;  Lsesir  Str.  25:  der  pohlische  Stamm  Lcesir 
in  einer  Strophe  Piödolfs  Hkr.  3,  76. 

Um  die  zwei  Strophen  (Nr.  3  und  21)  mit  isländischen 
Kriegern  und  Skalden  zu  füllen,  sammelt  der  Verfasser  Namen 
aus  isländischen  Familien:  Brandr,  Blceingr,  Torfi,  Teitr,  Tyr- 
fingr,  Hialti,  vgl.  das  Register  der  Landn&mabök,  und  er  lügt 
die  isländischen  Buchten  Midfi9rdr  und  Skagafi9r^  bei.  Er  er- 
innert sich  des  isländischen  Skalden  Glümr  (Geirason)  aus  dem 
zehnten  Jahrhundert,  und  die  zwei  Hoidichter  Haralds  des  Ge- 
strengen, Grani  und  Illugi  Bryndcelask&ld,  verschmelzen  ihm  zu 
einem  Grani  bryndoelski.  Das  Paar  Bragi  -  Hrafnkell  Str.  21 
scheint  auf  den  alten  Skalden  und  den  von  ihm  angeredeten 
Hrafnketill  zu  deuten.  Aber  auch  unter  die  norwegische  Kriegs- 
mannschaft stellt  der  Autor  ein  paar  Namen,  die  man  aus  der 
isländischen  Besiedelungsgesohichte  kannte:  Alfr  enn  egdski 
Str.  20,  Sigurdr  svfnh9mi  Str.  19,  vielleicht  auch  Hafr-Biarni 
Str.  18  (Hafr-Bi9rn  Ldn.),  Grettir  Str.  17,  Hi9rtr  Str.  4.* 

Es  fällt  dem  Dichter  nicht  ein,  seine  Statisten  persönUch 
gleichzusetzen  ihren  aus  Sage  und  Geschichte  bekannten  Namens- 
vettern. Er  weifs  recht  wohl,  dafs  der  alte  Biarki,  der  Hr61£s- 
held,  oder  der  Jarl  Sigvaldi,  Olaf  Tryggvasons  Vermter,  nicht 
auf  den  Br&vellir  gekämpft  haben.  Die  Absicht  war,  durch  die 
überlieferten  Namen  einen  allgemeinen  Schimmer  von  Vorzeit 
auszubreiten;  im  einzelnen  nachrechnen  durfte  man  der  Blüten- 
lese des  Verfassers  nicht  Darum  mischt  er  auch  sorglos  Namen 
und  Beinamen  und  nimmt  sich  Freiheiten  in  der  Heimatsangabe: 
Amr  und  Ella  sind  bei  ihm  Süddänen,  die  Häliskrieger  Styrr 
enn  sterki  und  Steinn  erscheinen  als  Westgauten,  Bragi  und 
Hrafnkell  stehen  unter  den  Isländern  u.  dgl.  m.  Daneben  sorgt 
er  doch  dafür,  dafs  die  verschiedenen  Volksstämme  gewisse  kcDU- 
zeichnende  Namenklänge  erhalten:  Sveinn,  Hröi,  Tümi  sind  Dänen, 
Gautr  und  Guti  sind  Gauten,   Gnizli  und  Grenzli  sind  Wenden. 


*  Für  die  obige  ZusammenBtellang  benutzte  ich  aulser  Olrik  und  den 
^       '  '  *•    "•'    ift  von  S.  Bugge:  Noräk   ^      '  '  "'" 

lag  mir  bis  &  160  vor. 


dort  genannten  Arbeiten  die  Schrift  von  S.  Bugge:  Narsk  SagafortcBlling^ 
Kristiania  IDOl  ff.,  S.  78  ff.    Sie  las  mir  bis  &  160 


Heimat  und  Alter  der  eddiBchen  Gedichte.  259 

Poesie  wird  man  diese  absonderliche  Schöpfung  nicht  wohl 
nennen.  Aber  es  ist  eine  Art  von  Gelehrsamkeit  und  kunst- 
reichem Spiel,  die  nicht  immer  und  überall  im  Mittelalter  gedieh, 
sondern  ihre  sehr  mannigfachen  und  eigenartigen  Voraussetzungen 
hat  Dieses  Stolzstück  der  I^uladichtung  gehört  in  das  Land 
der  I^ulur,  das  Land  der  Fomaldars9gur  und  Konungas9gur,  Is- 
land, und  sehr  lange  vor  Saxos  Gesta  Danorum  wird  es  das 
Licht  des  Tages  nicht  erblickt  haben. 

Diese  Heimat-  und  Altersbestimmung  steht  in  Widerspruch 
mit  den  Ergebnissen  Olriks  und  S.  Bugges.  Die  beiden  Forscher 
sind  einig  darin,  dafs  die  grofse  I^ula  zusammengehört  mit  der 
epischen  Schilderung  der  %r&yallaschlacht;  die  beiden  Stücke 
bilden  zusammen  eine  Dichtung,  das  Brävallalied,  dessen  Spie- 
gelbild wir  in  den  Prosen  Saxos  und  des  Sogubrot  besitzen. 
(So  weit  stimmt  auch  G.  Storms  und  MüUenhoffs  Ansicht^  Die- 
ses umfassende  Br&vallalied  stamme  aus  Harald  hardräais  Zeit 
(t  1066).  Olrik  erschliefst  einen  norwegischen  Dichter  aus  Thele- 
marken  und  legt  die  Abfassung  um  1050.  Bugge  denkt  an  einen 
Norweger  oder  Isländer  (a.  a.  0.  S.  110),  entscheidet  sich  dann 
aber  für  den  Thelemärker  (S.  128);  dieser  habe  im  Spätsommer 
1066,  auf  König  Haralds  Fahrt  nach  England,  unser  Br&yalla- 
lied  verfafst  unter  Benutzung  einer  älteren,  personenärmeren 
Br&yalladichtung. 

Die  Beurteilung  der  Frage  verschiebt  sich  zunächst  da- 
durch, dafs  wir  in  dem  epischen  Schlachtberichte  bei  Saxo  und 
im  S9gubrot  keine  Wiedergabe  eines  Liedes,  sondern  eine  saga- 
mäfsige  Stoffgestaltung  erblicken.  Dabei  lege  ich  kein  Gewicht 
darauf,  dafs  Saxos  Ausdrücke  (Danico  digessit  eloquio;  cuius 
seriem  pro  more  patrio  vulgariter  editam  digestamque;  belli 
huius  seriem  sermone  patrio  edidit)  entschieden  gegen  ein  ^Car- 
men' sprechen.  Denn  das  entscheidende  ist  nicht,  dafs  Saxo 
keine  Verse  zu  Ohren  bekam,  sondern  dals  die  Erzählung  inner- 
lich nicht  liedhaft  beschaffen  ist. 

Nehmen  wir  die  Züge,  die  beiden  Quellen  gemein  sind  oder 
nach  innerer  Wahrscheinlichkeit  der  gemeinsamen  Vorlage  ge- 
hört haben,  und  sehen  wir  ab  von  verdächtigen  Zutaten  wie 
den  Adhortationes  der  zwei  Heerführer  bei  Saxo.  Dann  finden 
wir  eine  Darstellung  mit  grofsem  strategischem  Apparat,  mit  viel 
Zahlen  und  Namen,  mit  einer  Reihe  individualisierter  Kämpen- 
taten in  der  Schlacht:  Ubbis  Waffengänge  —  StarkaA  —  die 
Thelemärker  Hadd  und  Hröald  —  die  Schildmaid  Vebi9rg  — 
Starkad  überwindet  acht  bis  zehn  mit  Namen  Genannte.  Und 
als  Kehrseite:  sehr  wenig  direkte  Rede  oder  Anlafs  zu  solcher; 
die  Haupthandlung,  das  Schicksal  des  alten  Hildit9nn,  durch 
das  Massen-  und  Kämpenbeiwerk  an  den  Anfang  und  Schlufs 
gedrängt 


60  Heimat  nnd  Alter  der  eddischen  Gedichte. 

Den  Ma&stab  dafSr,  wie  nordische  Heldenlieder  eine  gröfsere 
Schlacht  zur  Darstellung  brachten,  müssen  wir  entnehmen  dem 
Gedichte  von  der  Hunnenschlacht  und  der  Helg.  Hund.  I,  in 
zweiter  Linie  den  Biarkamäl  und  dem  Vfkarsb&lk  (Str.  7 — 15\ 
Der  Abstand  unseres  Schlachtberichtes  ist  so  grofs,  dafis  eine 
von  Grund  aus  sagamäfsige  Formung  anzunehmen  ist.  Die  sehr 
nahen  Berührungen  zwischen  Saxo  und  dem  S9gubrot  erklären 
sich  dann  hier  ebenso  wie  z.  B.  in  der  Hrölf  Krakigeschichte: 
eine  isländische  Sagaprosa  hat  sich  erst  kurz  vor  der  beidsei- 
tigen schriftlichen  Fixierung  genabelt  zu  der  dänischen  ^Über- 
lieferung einerseits,  der  isländisdien  anderseits. 

Dafs  HilditQnns  Ende  in  der  gewaltigen  Volksschlacht  ein 
alter  Liedinhalt  war,  darf  man  gewifs  annehmen.  Es  ist  einer 
der  feierlich  grofsen  Heroenstoffe,  die  sich  in  der  guten  alten 
Zeit  des  nordischen  Heldensanges  geballt  haben.  Seinen  Inhalt 
wird  man  nicht  abstrakt  politisch  fassen  dürfen  wie  MüUenhoff, 
DAk.  5,  348—50:  er  war  menschlich  und  dramatisch,  es  war 
das  Schicksal  des  Odinshelden,  der  nach  einem  Leben  voUer 
Siege  von  seinem  göttlichen  Schützer  heimgeholt  wird  mit  einem 
Valhallgefolge  ohne  gleichen.  Über  Heimat  und  Zeit  dieser 
Dichtung  —  sie  kann  in  mehr  als  einem  Liedtezte  gelebt  haben, 
wie  die  Sigurds-,  die  Atlilieder  —  will  ich  keine  Vermutung 
äufsem,  auch  darüber  nicht,  wieviel  sie  schon  von  den  einzelnen 
Gestalten  und  Zügen  unserer  sagahaften  Darstellung  enthielt. 
Klar  sind  die  zwei  Dinge:  diese  Dichtung  kann  kein  Rückblick 
des  Starkad  gewesen  sein,  kein  Ichbericht;  denn  faUs  Starkad 
auftrat,  war  er  eine  nebensächliche  Figur,  und  weiter:  die  Form 
mufs  die  des  doppelseitigen  Ereignisliedes  gewesen  sein,  wie  in 
Hunn.  und  HHu.  I;  denn  der  Stoff  bot  nicht  entfernt  genug 
Redemöglichkeit  für  die  rein  dialogische  Anlage. 

Als  Bestandteil  eines  solchen  erzählenden  Heldenliedes  aber 
ist  eine  Riesenl>ula  mit  200  Namen  undenkbar.  Man  stelle  sich 
in  irgendeinem  unserer  doppelseitigen  Eddagedichte  einen  solchen 
Apparat  vor,  und  man  sieht  sogleich  die  Unmöglichkeit.  Die 
Pula  ist  eiue  späte  Zutat  der  isländischen  Meistersingerei.  Aus 
Abstand  vergleichen  sich  die  ebenfalls  I>ulahaften  Zutaten  zu 
den  Biarkamäl  und  zu  Hiä^lmars  Sterbelied;  die  Neigung  zu 
Statistennamen  zeigt  sich  femer  in  den  isländischen  Gedichten 
Vfkarsbälk,  Hrökslied,  Sterbelied  des  Asbi9rn  pnidi;  vgl.  Cph, 
1,  353  ff.  die  'heroic  muster-roUs'.  Aber  in  unserem  Falle  kam 
freilich  eine  Namenliste  von  ganz  anderem  Reichtum  und  weit 
höheren  Ansprüchen  heraus,  und  die  Aufforderung  zu  einer  so 
ausgreifenden  Arbeit  lag  in  dem  besonderen  Sagenstoffe.  Die 
alte  Hildit9nndichtung  schlug  den  Ton  an:  alle  nordischen  Lande 
mit  ihren  Untertanstaaten  stellen  Krieger  zu  der  grofsen  Schlacht, 
zu  dem  grofsen  Gefolge,  das  den  Odinsschützling  in  die  Yalhall 


Heimat  und  Alter  der  eddischen  Gedichte.  261 

begleitet.    Diesen  Dichtergedanken  setzte  der  Isländer  in  zwei- 
hundert Namen  um. 

Fraglich  bleibt,  ob  Starkad  als  Sprecher  der  Pula  fingiert 
wurde.  Möglich,  dafs  er  als  Dichter  —  nicht  als  Sprecher  — 
des  epischen  Liedes  galt.  Dies  braucht  den  poetischen  Bericht 
selber  nicht  berührt  zu  haben.  Die  Stellen,  die  den  Starkad 
als  Gewährsmann  für  einzelne  Begebenheiten  nennen  (S9gubrot 
S.  383  u.  ok  pöttist  varla  . . .,  S.  384;  Saxo  S.  388),  kamen  erst 
mit  der  sagamäfsigen  Verbreiterung  herein.  Und  zwar  sieht  es 
so  aus,  als  ob  sie  einem  wirkUchen  Starkaägedichte,  d.  h.  einem 
RückblicksUede,  entsammten.  Dann  möchte  die  Angabe,  Starkad 
habe  unsere  Brävallaerzählung  verfafst,  überhaupt  erst  eine 
Folgerung  Saxos  sein. 

Wahrscheinhch  wurde  die  grofse  Pula  verfertigt,  als  das 
epische  Lied  noch  im  Wortlaute  bestand.  Ob  die  Vortragenden 
den  Mut  hatten,  die  kurze  heroische  Dichtung  durch  Einschal- 
tung der  25  Namenstrophen  aus  den  Fugen  zu  treiben?  Viel- 
leicht war  man  schonend  genug,  den  gelehrten  Katalog  getrennt 
neben  dem  Liede  hergehen  zu  lassen. 

Bald  aber  setzte  der  Prozefs  der  Sagabildung  ein.  Man 
schmelzte  dieses  Lied,  wie  so  manches  andere,  in  ausführliche 
Prosa  um,  und  dabei  verwertete  man  den  Namenschatz  der  Pula. 
Der  epische  Teil  bringt,  aufser  den  drei  Hauptgestalten  Harald, 
Bruni,  Hring,  zwei  Dutzend  Namen,  die  im  wesenthchen  aus  der 
Pula  stammen  werden;  ein  paar  bedeutendere  Figuren  können 
schon  dem  Liede  angehört  haben  (Starkad,  Ubbi,  die  Schild- 
maide).  Alle  hundert  und  einige  Krieger  der  Fula  in  der  Schlacht 
anzubringen,  das  ging  über  die  Kraft  des  Sagamannes  und  über 
die  Geduld  der  Hörer.  Anderseits  hegt  es  nur  an  Mängeln  der 
Überlieferung,  wenn  zwei  oder  drei  Namen  des  epischen  Teiles 
in  der  Pula  fehlen:  die  prosaische  Ausformung  geschah  in  Ab- 
hängigkeit von  der  grofsen  Namenreihe. 

In  die  Saga  wurde  dann  die  l^ula  im  Wortlaute  oder  wohl 
eher  in  leichter  Prosaauflösung  eingeschaltet.  Für  das  S9gu- 
brot  nimmt  Olrik  S.  246  eine  aufgelöste  Form  als  Vorstufe  an, 
und  auch  Saxo  spricht,  wie  wir  sahen,  nicht  von  Versen. 

Wenn  Olrik  und  S.  Bugge  die  Brävallapula  als  norwegisch 
patriotische  Dichtung  feiern,  so  wirft  die  Poesie  des  epischen 
Stoffes  ihren  Glanz  auf  das  gelehrte  Anhängsel.  Ein  'vocabu- 
larium,  secundum  leges  metricas  digestum'  ist  kein  sehr  brauch- 
bares Gefäfs  für  vaterländische  Begeisterung  —  so  wenig  man 
etwa  in  den  Goldkenningstropen  der  Biarkamäl  einen  glühenden 
Ausdruck  der  Mannentreue  erbücken  wird.  Ob  die  uns  vor- 
liegende sagamäfsige  Gesamtdarstellung  der  Brävallaschlacht  als 
politisch  angehauchte  Tendenzdichtung  wirkt,  darüber  kann  man 
wohl  verschieden   denken.    Auch  die  rühmliche  Rolle,   die  den 


262  Heimat  nnd  Alter  der  eddiscfaeo  Gedichte. 

thelemärkischeii  Kämpen  zufällt,  wird  yieUeicht  als  rein  dichte- 
rische Zierde  yerständlich.  In  einem  Schrifttum,  zu  dessen  be- 
herrschenden Zügen  die  Abwesenheit  des  Nationalismus  gehört, 
wird  man  nur  zögernd  das  Vaterlandsgefuhl  als  treibende  Kraft 
eines  einzelnen  Werkes  anerkennen. 

Was  der  I^uladichter  an  Namen  aus  Harald  hardrädis  Re- 
gierungszeit hergeholt  hat,  ist  nicht  so  viel  und  so  gewichtig, 
dafs  man  auf  einen  Zei^enossen  Haralds  schliefsen  müfste. 
Und  die  vielen  versteckten,  verkleideten  Anspielungen  auf  Harald, 
die  Bugge  scharfsinnig  herausliest,  erklären  sich  ungezwungener 
ohne  diese  überaus  raffinierte  politische  Allegorie,  aus  der  Auf- 
gabe des  Dichters,  die  dänische  und  die  schwedisdie  Streitmacht 
aus  recht  vielen  Völkern  und  Landschaften  zu  rekrutieren. 
Gegen  den  von  Bugge  vermuteten  Zeitpunkt  der  Abfassung  spricht 
nadidrücklich  das  auffallige  Verschweigen  der  britischen  Lande: 
Haralds  Heer  hatte  soeben  den  grofsen  Zuzug  von  den  Orkaden 
erhalten  (Hkr.  3,  196),  und  der  Dichter,  der  unter  dem  Sagen- 
namen Hring  eigentlich  Haralds  Kriegerlaufbahn  verherrlichte, 
hätte  diesen  starken  Gegenwartseindruck  übergangen  und  sich 
auf  (vermeintliche)  entlegene  Anspielungen  beschränkt,  die  ohne 
Kommentar  nicht  zu  würdigen  waren. 

In  welche  Umwelt  pafst  denn  ein  geistiges  Erzeugnis  wie 
dieser  Namenhaufe?  Man  kann  sich  ihn  nicht  vorgetragen  den- 
ken vor  einem  norwegischen  Kriegsheere,  das  zur  Eroberung 
Englands  hinübersegelte.  Diese  Kiiegsmannen  hätten  nicht  das 
redete  Verständnis  gehabt  für  solche  Verse.  Anreizung  zum 
Kampfe,  Befeuerung  der  Königstreue  und  des  Todesmutes,  das 
mufste  ihnen  in  anderen  Formen  entgegengebracht  werden.  'Er- 
wacht und  aber  erwacht,  ihr  Freundesseelen  . .  .1',  die  Klänge 
der  Biarkamäl,  das  war  ein  Lied  für  Kriegsleute.  Welche 
geistigen  Umwege  mufste  man  nehmen,  um  in  der  Kette 
von  zweihundert  Namen  vaterländische  Begeisterung  durchzu- 
fühlen! 

Den  Hörerkreis  unserer  I^ula  denke  ich  mir  ganz  anders 
beschaffen.  Isländische  Altertumskundige,  wohlbewandert  in 
Prosa  und  Versen;  Namenfanatiker.  Ich  sehe  sie  vor  mir,  wie 
sie  das  neue  Prunkstück  ihres  Kollegen  bedächtig  kritisch  auf- 
nahmen; wie  sie  verstehend  lächelten,  wenn  ein  Gnizli  und  ein 
Grenzli  die  Wenden  kennzeichnete,  und  bestärkend  kopfnickten, 
wenn  die  vielen  berühmten  Namen  aus  Sage  und  Geschichte  in 
dieser  neuen  Beleuchtung  antraten.  Saj^o,  der  brachte  seine 
eigenen  Vorbedingungen  mit  für  eine  warme  Aufnahme  dieser 
isländischen  Scholastik.  Für  ihn  war  es  urkundliche  Historie 
und  war  es  Erzählung  des  bewunderten  Helden  Starkad,  vater- 
ländische Erzählung!  Wie  sollte  da  nicht  der  Landeshistorio- 
graph  und  der  Patriot  in  Feuer  geraten! 


Heimat  und  Alter  der  eddischen  Gedichte.  268 

Die  Einwirkungen  der  irischen  Clontarfschlacht  auf  unsere 
Schlachtschilderung  halte  ich  nicht  für  erwiesen.  Doch  liefse 
sich  dieser  Teil  von  S.  Bugges  Gedankengang  leicht  yereinigen 
mit  isländischer  Heimat,  da  die  Überlieferungen  Yon  Clontarf 
auf  Island  lebendig  waren. 

Die  Pula  bei  Saxo  bringt  zwei  Abteilungen  isländischer 
Krieger,  Str.  3  und  21,  die  eine  in  HilditQnns,  die  andere  in 
Hrings  Lager.  Das  S9gubrot  hat  die  zweite  Gruppe  mit  ihren 
deutlichen  isländischen  Ortsnamen  gestrichen,  bei  der  ersten 
Gruppe  unterdrückt  es  die  isländische  Heimat 

Li  dem  chronologischen  Yerstofse,  dafs  Isländer  an  der  vor- 
geschichtlichen  Schlacht  teilnehmen,  sieht  Olnk  einen  Beweis, 
dafs  der  Dichter  kein  Isländer  war  (a.  a.  0.  S.  260.  262). 
MüUenhoff  {DAk.  5,  346)  und  Bugge  (a.  a.  0.  S.  118)  beurteilen 
es  als  bewufste  dichterische  Freiheit;  denn  der  Verfasser,  sagt 
Bugge,  yerrät  zu  viel  Kenntnis  von  Island  und  den  Isländern, 
als  dafs  ihm  die  späte  Besiedelung  der  Insel  unbekannt  sein 
konnte. 

£s  handelt  sich  um  eine  Frage  des  poetischen  Kostüms, 
und  unser  Fall  ist  zusammenzuhalten  mit  den  zwei  anderen 
Fällen,  wo  Isländer  in  Geschichten  der  fom  9ld  auftreten.  Es 
sind  Revo  und  Bero  bei  Saxo  S.  433  £  und  Thorkillus  bei 
Saxo  S.  420  ff.  Vgl  OWk,  Sakse  2,  136,  Ranisch,  Qautreks- 
saga  S.  LVI  f.  Zu  beachten  ist,  dafs  das  isländische  Gegen- 
stück jenes  Revo,  der  Refr  der  Gautrekssaga,  als  Norweger  er- 
scheint. Unsere  auf  Island  überlieferten  Fornaldarsogur  ziehen 
niemals  einen  Isländer  in  die  Begebenheiten  der  Heldenromane 
herein.  Ich  möchte  den  Widerspruch  Saxos  mit  unseren  islän- 
dischen Texten  so  erklären.  Die  isländischen  Erzähler  des 
zwölften  Jahrhunderts  waren  in  dieser  Kostümfrage  weniger 
streng:  sie  brachten  gelegentlich  auch  einen  Landsmann  in  die 
fom  9ld,  sie  und  ihre  Hörer  machten  sich  weiter  keine  Gedan- 
ken über  diese  Lizenz.  Saxo  gibt  in  den  drei  Fällen  diese 
Stufe  wieder.  Später,  im  dreizehnten  Jahrhundert,  kam  die 
strengere  Forderung  auf  (unter  dem  Einflufs  der  Landnämabök 
und  der  Konungas9gur?):  man  hielt  jetzt  darauf,  dafs  die  wohl- 
bekannte Zeitgrenze  von  Islands  Besiedelung  auch  in  den  sagen- 
haften Erzählungen  respektiert  werde;  eine  Art  von  historischem 
Purismus.  Daher  wurde  Refr  zum  Norweger,  und  die  Thylenses 
der  Brävallaschlacht  mufsten  zur  Hälfte  verschwinden,  zur  Hälfte 
unter  HilditQnns  Dänen  untertauchen. 

Wer  von  Olriks  oder  Bugges  wohldurchdachten,  glieder- 
reichen Beweisketten  überzeugt  war,  wird  meine  Bemerkungen 
hier  nicht  als  Gegenbeweis  ansehen.  Ich  möchte  nur  zu  der 
erneuten  Prüfung  angeregt  haben:  müssen  wir  die  Brävallal>ula 
losreifsen  von   dem  Lande  und   der  Zeit  der  anderen  grolsen 


264  Heimat  und  Alter  der  eddisdieD  Gedidite. 

Pulur?  Soüten  wir  nicht  neben  den  mancherlei  geschichtliehen, 
örtlichen,  sprachlichen  Einzelheiten  den  so  bestimmt  ausgepräg- 
ten literarischen  Gesamthabitns  dieses  Denkmals  in  erster  Linie 
zu  Rate  ziehen? 

Einigkeit  herrscht  darin,  dafs  die  V9luspä  en  skamma 
und  die  Uripisspä  isländische  Erzeugnisse  der  Schreibezeit  sind. 
Jene  eine  Studie  im  Stile  der  älteren  V9lu8pä,  doch  mit  dem 
Nachdruck  auf  den  genealogischen  Angaben;  die  Gripisspä  ein 
Auszug  und  Programm  zu  einer  geschriebenen  kleinen  Samm- 
lung von  Heldenhedem. 

Auch  bei  den  HyndluliöS  haben  sich  Jessen  und  neuer- 
dings Mogk  und  Symons  für  jungen  isländischen  Ursprung  aus- 
Sesprochen;  vgl.  auch  Ranisch,  Oautr,,  S.  XLII  ff.  Die  Namen 
es  Heldenkataloges  gehören  zum  kleineren  Teile  der  Heroen- 
dichtung an  (Str.  23/4.  25,  5 — 28),  zum  gröiseren  Teile  dem 
Heldenromane  (Eomaldarsaga).  Für  eine  späte  Zeit  sprechen 
insbesondere  der  Kreis  des  völlig  romanhaften  Hrölf  Gautreksson 
(Str.  22.  25,  1 — 4)  und  der  söhnereiche  Heldenvater  Halfdan 
(Str.  14 — 16),  über  den  die  Snorra  Edda  S.  139  f.  genauer  be- 
lehrt: augenscheinlich  eine  Kombination  der  gelelai;en  islän- 
dischen Sagengenealogen  und  Etymologen.  Da  der  'Halfdan, 
hsestr  SkiQldunga'  Str.  14  dem  Scvlding  ^heah  Healfdene'  des 
Beow.  57  gleichgesetzt  werden  muis,  hat  unser  Dichter  diesen 
berühmten  Dänenkönig  zusammengeworfen  mit  dem  fiktiven 
Stammvater  Halfdan  gamli,  der  nach  Fas.  2,  8  in  Norwegen 
gedacht  wurde.  Auch  sonst  scheint  er  zu  den  Gestalten  der 
Heroendichtung  kein  näheres  Verhältnis  zu  haben.  Man  be- 
achte noch,  dafs  das  Wort  'hird^  (25,  3)  sonst  in  eddischen 
Versen  nicht  begegnet  aufser  in  der  jungen  Zusatzstrophe  Biark. 

4,  2;  die  älteren  Ausdrücke  sind  *drött^  und  'verdun^. 

In  den  Alvissm&l  erblicken  die  meisten  Forscher  einen 
sprechenden  Vertreter  der  isländischen  gelehrten  Poetik;  vgl. 
schon  Weinhold,  Altn,  Leben,  S.  78,  ferner  Ljungstedt,  Eddan, 

5.  25;  Mogk,  PGrdr?  2,  598;  Golther,  Nord.  Lit.  (Lpz.  1905), 
S.  24;  Symons,  Edda,  S.  CCLXVm.  Die  Datierung  F.  Jöns- 
sons  —  um  950,  norwegisch  —  möchte  sich  aus  der  Greistes- 
kultur  jener  Zeit  schwer  rechtfertigen  lassen.  Da  der  junge  Ur- 
sprung bei  den  Alv.  als  gesichert  gelten  darf,  lernen  wir  aus 
dem  Gedichte,  dafs  auch  ein  Spätling  der  Schreibezeit  eine  voll- 
endete Herrschaft  über  die  gnomisch  -  dialogische  Versform  er- 
langen konnte;  für  das  epische  Mafs  bedarf  es  eines  einzelnen 
Beleges  nicht. 

Hätte  Schütte  recht  mit  der  Annahme  (Idg.  Forsch.  17, 
451  ff.),  dafs  der  Dichter  südgermanische  Wörter  wie  *fold, 
sunna,  funi,  niöl,  barr,  biörr*  geflissentlich  den  Göttern  zuteilt. 


Heimat  nnd  Alter  der  eddischen  Gedichte.  265 

weil  ihm  die  god  =  Goa(|)i6a)  =  (Süd-)6ennaiien  gelten,  dann 
läge  darin  ein  neuer  Beweis  för  den  späten  und  gelehrten  Ur- 
sprung. Denn  die  Gleichsetzung  von  God(][>iöd),  aus  älterem 
Gotpiöd,  mit  dem  appellatiyum  god  ^GötteP  entsprang  gewifs 
der  isländischen  Philologie.  Aber  die  Rechnung  stimmt  nicht 
so  genau  wie  es  bei  Sdiütte  aussieht:  das  gemeingerm.  Wort 
^manr'  steht  nicht  bei  den  Göttern,  sondern  bei  den  Zwergen 
(24,  6);  und  die  ebenfalls  südgerm.  Wörter  *vÄgr,  veig,  sumb? 
(mit  stärker  abweichender  Bedeutung  *vegar,  mi^ctr,  ▼9xtr')  sind 
nicht  den  Göttern,  sondern  den  Vanen,  Helbewohnem  oder 
Riesen  zugeschrieben. 

Man  pflegt  den  Hauptteil  der  Alvissmäl  als  Sammlung 
vorhandener  Synonyma  zu  bezeichnen.  Das  trifft  nur  sehr  be- 
dingt zu.  Von  den  65  unprosaischen  Ausdrücken  finden  wir 
nicht  mehr  wie  ein  Dutzend  als  poetische  Sjrnonyma  überliefert;^ 
wobei  man  absehen  mufs  von  den  Pulur  der  Sn£.,  die  unser 
Gedicht  exzerpiert  haben.  Mehr  als  vier  Fünftel  der  Menge 
sind  Neubildung  des  Dichters,  entweder  so,  dafs  er  einem  Prosa- 
worte einen  neuen  Sinn  beilegt:  *8kin'  für  Mond,  *V9ndr'  für 
Wald,  *gröandi'  für  Erde  us£;  oder  so,  dafe  er  dichterische  Ab- 
leitungen, Komposita  und  Wortverbindungen  mit  neuer  Bedeu- 
tung gebraucht:  *skyndir'  für  Mond,  *alsKir'  für  Sonne,  *fagra 
rsßfr'  für  Himmel  usf.;  oder  endlich  so,  dafs  er  lexikalisch  neue 
Wörter  schafft  (Ableitungen  und  namentlich  Komposita),  richtige 
hapax  legomena:  ^gneggiudr,  eyglöa,  vindflot,  sve&gaman'  usf. 
Das  Zahlenverhältnis  zwischen  den  überlieferten  und  den  erfun- 
denen Ausdrücken  könnte  sich  etwas  verschieben,  wenn  wir  die 
Dichtung  jener  Zeit  lückenlos  kennten.  Aber  die  grofse  Mehr- 
zahl der  Worte  bliebe  doch  —  begrifflich  oder  formal  —  Neu- 
schöpfung des  Dichters.  Dieser  hat  also  kein  heitatal  schaffen 
wollen  in  der  Art  der  SnE.-Listen,  kein  sammelndes  Hilfsmittel 
für  junge  Skalden,  wie  es  die  Skäldskaparmäl  sind.  Es  ist  ein 
phantasievolles  und  sprachschöpferisches  Spiel  mit  der  Form 
der  Synonymenliste.  Zu  einem  richtigen  heitatal  verhält  es  sich 
etwa  so  wie  vorhin  die  Br&vallal>ula  zu  einer  blofs  sammelnden 
Pula  von  Heldennamen. 

Die  Neubildungen  treten  auch  in  ihrem  Stile  aus  dem  skal- 
dischen heiti-  imd  kenning  -  Geschmacke  fühlbar  heraus.  Man 
nehme  beispielsweise  die  fiinf  Ausdrücke  für  *  Wolke'  Str.  18: 
*skurv4n'  Schauerhoffnung,  *vindflot'  Windfahrzeug  (?),  *ürvÄn' 
Feuchtigkeitshofihung,  'vedrmegin'  Wettergewalt,  *hiälmr  huliz' 
Tarnkappe.  Das  ist  frischer,  erlebter  als  die  durchschnittliche 
skaldische  Umschreibung.     Es  fehlen  auch  bezeichnenderweise 


'  fold  Str.  10,  hlfmir  12,  sunna  16,  vägr  24,  funi  26,  grfma  30,  ni^  30, 
barr  32,  bi6rr  34,  veig  34,  sumbl  34,  wohl  auch  mylinn  14. 

AjKbh  t  n.  SpmdMn.    CXVL  18 


Wi  Eeimat  und  Alter  der  eddisdien  GedicIiteL 

alle  Anspielnogen  auf  Mythus  ttnd  Sage,  attsgenomm«!  16,  3 
'DraliiiB  leika\  In  den  wallisischen  'Tmden^  die  Walter,  Da« 
alte  Wales,  S,  520  f.  mitteilt,  erinnert  einiges  an  den  Umschrei- 
bungsstil  der  Alvfssmäl;  z.  B.: 

'Die  drei  venchönemden  Namen  der  Sonne:  Fackel  der  Welten,  Auge 
des  Tages  und  Glanzpunkt  der  EKmmel. 

Die  drei  verschönemden  Namen  des  Mondes:  Sonne  der  Nacht,  der 
Liebliche  und  Sonne  der  Feen. 

Die  drei  verschönernden  Namen  des  Windes:  Held  der  Welt,  Werk- 
meister des  schlechten  Wetters  und  Bestürmer  der  HügeL' 

Auch  die  stehende  Anordnung  zu  dreien  liefse  sich  den 
Sechsergruppen  des  isländischen  (xedichtes  vergleichen.  Die 
Triade  als  beliebte  kymrische  Dichtform  ist  seit  dem  zwölften 
Jahrhundert  nachzuweisen;  vgl.  Loth,  Lee  Mabinogion  (Pahs 
1889)  1,  22  ff.;  2,  201  ff.  Ob  etwa  auch  für  die  unerklärte  Zu- 
weisung der  Synonyma  an  verschiedene  mythische  Geschlechter 
die  welsche  Literatur  den  Schlüssel  bietet,  weifs  ich  nicht  zn 
sagen.  Mit  der  isländischen  Entstehung  der  Alv.  um  1200  liefse 
sich  kymrische  Einwirkung  gut  vereinigen,  siehe  Falk  (und 
S.  Bugge),  Arkiv  9,  331  f. 

Falk  scheint  mir  in  der  zu  wenig  beachteten  Abhandlung 
im  Arkiv,  Band  9  und  10,  den  Nachweis  erbracht  zu  haben, 
dafs  auch  das  Doppelgedicht  'Svipdagsmäl'  (Grögaldr  -{-  Fi9i- 
svinnsmäl)  nur  als  Gewächs  der  isländischen  Schreibezeit  zu  ver- 
stehen ist 

Eine  Brautfahrtnovelle  mit  märchenartigen  Motiven,  einem 
Texte  in  den  wallisischen  Mabinogion  besonders  nahestehend, 
bildet  die  epische  Grundlage.  Der  Isländer  hat  aber  die  Ge- 
schichte nicht  fortlaufend  durcherzählt,  sondern  zwei  getrennte 
Auftritte  herausgehoben  und  zu  zwei  eddaähnlichen  Gedichten 
geformt  Den  ersten  Auftritt  stilisierte  er  als  Totenerweckung 
und  in  seinem  Hauptteile  als  Zauberspruchliste  (liödatal).  Vor- 
bilder waren  einerseits  HervQrUed,  Baldrs  draumar,  Hyndluliöä, 
anderseits  das  liödatal  der  Sammlung  Hävamäl.  Auf  den  zweiten 
Auftritt  haben  die  Skimism&l  stark  eingewirkt,  sein  Hauptstüd 
aber  wurde  nach  dem  Vorbilde  der  Viäpnidnismäl  und  Alviss- 
mäl  zu  einer  Kette  von  Wissensfragen  und  Antworten.  Beide 
Gedichte  haben  ihren  Schwerpunkt  aufserhalb  des  epischen 
Ganges:  die  Zaubersprüche  der  Mutter  kommen  nicht  zur  V^- 
wendung,  und  die  Wissensfragen  führen  den  Helden  nicht  zum 
Ziele:  dde  Nennung  seines  Namens  ist  es,  was  die  Hemmnisse 
besiegt;  Fi9lsv.  Str.  41  könnte  unbeschadet  der  epischen  Hand- 
lung gleich  an  Str.  8  anschliefsen  mit  Überspringung  des  ganzen 
Hauptteiles.  Die  beiden  Formeln  stehen  sich  gegenseitig  im 
Wege:  'der  Held  muTs  wundersame  Hindernisse  überwinden  und 
Aufgaben  lösen'  und  'der  Held  muis  sich  als  den  Rechten,  den 


Heimat  tiod  Alter  der  eddiBchen  Gedichte.  267 

Erwarteten  zu  erkennen  geben,  seinen  Namen  nennend  Von 
der  ersten  Formel  ist  nur  die  Ankündigung  der  Hindemisse  bei- 
behalten; damit  eben  hat  der  Dichter  die  Kette  der  Wissens- 
fragen gefüllt. 

Das  ganze  Verfahren  ist  alles  andere  eher  als  naives  Fabu- 
lieren. Aber  auch  das  Hauptmotiv  der  Greschichte  —  dafs  die 
böse  Stiefmutter  den  Helden  behext,  so  dafs  er  nach  einer  ver- 
wunschenen Jungfrau  ausziehen  mufs  —  zeugt  schon  entschei- 
dend gegen  altnordische  Dichtung  des  zehnten  Jahrhunderts. 
^Stiüpmoeara  sQgur'  kennen  wir  aus  der  heidnischen  Heldensage 
der  Germanen  nicht  —  und  (da  man  die  Svipd.  auch  schon 
unter  die  Götterlieder  gestellt  hat)  aus  der  Göttersage  ebenso- 
wenig! Aber  noch  manches  andere  spricht  gegen  heidnische 
Entstehungszeit. 

FiQlsv.  38 — 40  werden  neun  sonst  unbekannte  Göttinnen 
mit  Namen  genannt,  denen  man  an  altargeweihter  Stätte  (ä  stall- 
helgum  stad)  opfere.  Lebte  der  Dichter  im  Heidentum,  so 
müfste  dieses  Verzeichnis  ernst  gemeint  sein,  und  die  an  Kult- 
göttinnen arme  germanische  Religion  erhielte  hier  einen  Zuflufs, 
der  durch  seine  Reichlichkeit  Bedenken  wecken  mufs.  Anders, 
wenn  die  Liste  mit  ihren  durchsichtig  appellativen  oder  durch- 
sichtig entlehnten  Namen  {Ark.  10,  72)  die  altertümelnde  Ein- 
kleidung eines  Novellenzuges  ist. 

Die  Warnung  vor  der  toten  Christin  (Grog.  13)  wäre  als 
ernsthafte  Polemik  eines  heidnischen  Dichters  ein  einzigartiger, 
unschätzbarer  Rest  in  der  Eddapoesie:  sonst  wurde  ja  mit  der- 
gleichen gründlich  aufgeräumt.  Aber  die  ganze  Strophe  sieht 
aus  wie  eine  unklare  Variation  über  das  Thema  Sigrdr.  26, 
*wenn  dich  die  Nacht  ereilt,  so  meide  die  Herberge  bei  der 
Zauberin,'  und  die  christliche  Grabbewohnerin  an  Stelle  der 
lebenden  Malefica  ist  ein  Anlauf  zu  christenfeindlichem  und  da- 
durch altertümlichem  Kolorit. 

Das  neue  hödatal  im  Grog,  hat  einige  gut  getroffene  Stro- 
phen, daneben  aber  solche,  die  aus  dem  Gedankenkreise  alt- 
heidnischer Zauberdichtung  herausfallen  und  den  Epigonen  ver- 
raten. Man  vergleiche  das  Gegenstück  in  den  Hävamäl  mit 
seinen  bestimmt  gezeichneten  Lebenslagen  (aufser  der  auch  for- 
mal verdächtigen  Str.  146).  Grog.  Str.  6  und  7  nennen  eine 
ungreifbare,  verblasene  Situation;  zu  dem  Inhalte  'dafs  du  hinter 
dich  werfest,  was  dir  verderblich  dünkt;  du  selber  leite  dich 
selbst'  kann  man  sich  schwer  eine  magische  Formel,  einen  wirk- 
lichen galdr  vorstellen.  Und  dafs  auflauernde  Feinde  durch  ein 
ZauberUed  zur  Versöhnung  gestimmt  werden  sollen  (Str.  9), 
atmet  nicht  eben  den  Geist  der  Vikingzeit.  Ein  Gedicht  von 
der  Art  dieser  beiden  liöäat9l  fordert  notwendig  zu  der  Frage 
heraus:  hat  der  Dichter  die  authentischen  Formeln,  deren  AnlaCs 

18* 


268  Heimat  nnd  Alter  der  eddiecfaen  Qedidite. 

und  Wirkung  er  beschreibt,  auch  wirklich  gekannt,  so  dafs  er 
den  Anspruch  erheben  konnte,  selber  diesen  Zauber  in  seiner 
Gewalt  zu  haben?  Diese  Frage  wird  man  bei  dem  älteren 
liödatal  wohl  bejahen  dürfen,  und  damit  hat  es  den  Bang  yon 
echter  Spruchdichtung  im  Dienste  des  praktischen  Aberglaubens. 
Bei  der  Nachahmung  im  6r6g.  muls  man  jene  Frage  verneinen; 
es  ist  nur  noch  ein  Spielen  mit  der  Schale,  der  zauberkräftige 
Kern  steckt  nicht  mehr  darin. 

Ähnliches  ist  von  den  Wissensfragen  der  Fi9lsy.  zu  sagen. 
Sie  enthalten  ^mythologische  Gelehrsamkeit'  (Mogk,  a.  a.  0.  S.  607); 
aber  ein  sammelndes  und  ordnendes  Memorialgedicht  wie  die 
Vafl>nidni8m&l  oder  Grfnmismäl  sind  sie  nicht:  sie  woUen  nicht 
überlieferten  Mythenstoff  übersichtUch  yorfuhren.  Die  Züge, 
von  denen  die  ^Fragen  ausgehen,  sind  die  der  modernen  Novelle: 
das  Gattertor  der  verwunschenen  Burg,  die  hütenden  Hunde, 
der  wundersame  Baum  auf  dem  Burgplatz  usf.  Diese  Märchen- 
züge hat  der  Dichter  teilweise  mit  altmythischen  oder  mythisch 
klingenden  Namen  und  Motiven  behängt:  die  Märchenlinde  gleicht 
er  der  Weltesche  an  mit  Entlehnung  aus  Odins  Runenlied 
(Str.  20);  als  Verfertiger  der  wunderbaren  Waffe  zieht  er  Loki 
herbei  (Str.  26,  aus  einer  Fassung  der  Baldrfabel?);  zu  den 
Hindernissen  um  die  Burg  gehört  eine  Waberlohe,  zaghaft  aus 
den  Skimismäl  geholt  (Str.  31);  einer  der  bewachenden  Hunde 
heifst  Geri  wie  Odins  Wolf  (Str.  14);  über  die  Vergöttlichung 
der  Dienerinnen  der  Heldin  (Str.  38  ff.)  s.  o.  Der  Hauptteil 
der  Fi9lsv.  hat  somit  die  Allüren  der  Memorialdichtung,  die  alte 
Form  mit  neuem  Inhalt  Zu  den  Vaff^r.  oder  Grimn.  verhält  er 
sich  ähnlich  wie  die  Alvissmäl  zu  einem  richtigen  heitatal. 

Nach  Falks  Darlegungen  darf  man  die  Svipdagsm&l  be- 
zeichnen als  'Studien  im  eddischen  Stile'.  Der  Name  hinechte 
Eddapoesie',  den  man  oft  unzutreffend  auf  die  harmlos  archai- 
sierenden Sagaeinlagen  angewandt  hat,  trifft  bei  den  Svipd.  am 
ehesten  zu:  sie  geben  sich  fiir  etwas  anderes  aus,  als  sie  sind. 
Ein  frisch  aus  der  Fremde  gekommener  romantischer  Novellen- 
stoff soll  auf  den  Hörer  wirken  nicht  als  kindisches  'Stieffnutter- 
märchen,  wie  sich's  die  Hirtenjungen  erzählen^  (Oddr  OL  Tr. 
prol.)»  auch  nicht  als  modische  Rittergeschichte,  wie  man  sie 
am  zeitgenössischen  Norwegerhofe  hören  konnte,  sondern  als 
ehrwürdiges  ^fomt  kvsedi'  mit  altheimischem  Zauberdunkel  und 
Mythengehalt.  Diese  Wirkung  hat  der  Dichter  auch  erreicht, 
ob  bei  seinen  Zeitgenossen,  ist  fraglich,  jedenfalls  aber  bei 
manchen  Lesern  des  neunzehnten  und  zwanzigsten  Jahrhunderts: 
Urformen  der  Baldr-  und  der  Brynhildsage  hat  man  aus  einem 
Gedichte  herausgeholt,  das  mit  seinen  losen  Mosaiksteinchen 
aus  eddischer  Sagendichtung  nur  fragwürdige  Beiträge  zu  unserer 
Kenntnis  germanischer  Sage   liefern   kann.     Wohl   ist   die    zu 


Heimat  und  Alter  der  eddiichen  Gedichte.  269 

Grunde  liegende  Brautfahrtnoyelle  eine  entfernte  Verwandte  des 
Domröschentypns,  aber  das  berechtigt  noch  lange  nicht»  die 
nordischen  Quellen  für  Sigurds  Erweckungssage  aus  den  Svip- 
dagsmül  zu  ergänzen. 

Bei  drei  Gedichten  sehe  ich  keinen  festen  Anhalt»  den 
Kulturherd,  dem  sie  entsprungen  sind,  und  damit  das  Alter  zu 
bestimmen.  Ich  meine  die  Baldrs  draumar,  die  Vafpriid- 
nismäl  und  die  GrimnismÄl. 

Das  erstgenannte  Gedicht,  das  Jessen,  S.  76,  für  einen  ^is- 
ländischen literarischen  Versuch  des  dreizehnten  Jahrhunderts' 
hält,  hat  keine  ausgeprägten  Züge  der  Gelehrsamkeitsdichtung. 
Für  ein  Memorialstück  ist  es  zu  namenarm;  die  Ausgestaltung 
einer  dichterischen  Szene,  das  episch-dialogische  Leben,  scheint 
dem  Verfasser  die  Hauptsache  gewesen  zu  sein.  Sofern  das  Lied 
eine  anscheinend  neu  erfundene  Handlung,  Odins  Heiritt,  an  den 
alten  Stamm  der  Sage  anlehnt,  läfst  es  sich  vergleichen  mit 
einigen  der  Heldenlieder  der  isländischen  Nachblüte  (Gudr.  HI, 
Oddr.).  Das  prophetische  Vorwegnehmen  der  Sage,  als  Haupt- 
inhalt eines  Gedichtes,  gemahnt  an  noch  jüngere  Werke,  das 
Traumlied  (Vols.  s.  c.  25),  die  Gripisspä.  Die  Ähnhchkeiten  mit 
der  Prymskvioa  würde  ich  nur  aus  Nachahmung,  nicht  aus  Ein- 
heit der  Dichter  erklären  (vgl  Cph.  1,  181;  F.  Jönsson,  Lit.  1, 
148);  denn  die  Anlage  der  beiden  Lieder  im  Grofsen,  ihre  ge- 
samte Stellung  zum  Stoffe  ist  aUzu  verschieden.  Schuck,  Stu- 
dier 2,  27  sieht  in  den  Bdr.  'tydligen  en  ganska  ung  dikt' 

Viel  wichtiger  wäre  es,  über  die  Vaf.  und  Grimn.,  diese 
zwei  Hauptquellen  der  Götterlehre,  ins  Klare  zu  kommen.  Bei 
ihnen  ist  nun  der  Charakter  der  lehrhaften,  katalogischen  Dich- 
tung sehr  ausgeprägt.  Man  würde  daher  zunächst  an  das  zwölfte 
Jahrhundert,  erste  Hälfte,  denken.  Aber  schon  die  Sprache 
weckt  eher  die  Vorstellung  einer  älteren  Zeit,  und  vor  allem 
könnte  man  sich  schwer  denken,  daüis  vier  Menschenalter  nach 
der  Bekehrung  ein  so  reicher  mythologischer  Stoff  aufzutreiben 
war.  In  welcher  Gestalt  wäre  er  so  lange  überliefert  worden? 
Doch  nicht  in  zahllosen  epischen  Gedichten!  Diese  kosmogoni- 
schen  Dinge  haben  gewifs  zum  kleinsten  Teil  in  erzählerischen 
Zusammenhängen  gestanden;  mau  erinnere  sich  an  Olriks  Aus- 
fuhrungen über  den  Ragnarökstoff,  Aarhöger  1902,  bes.  S.  284. 
Auch  aus  einer  Unzahl  von  Einzelstrophen  oder  aus  blofsen 
Umschreibungen  der  Dichtersprache  hätte  die  Schreibezeit  diese 
mythologische  Weisheit  nicht  wohl  gewinnen  können.  Und  wenn 
wir  ältere  Lehrgedichte  von  ähnlicher  Art  als  Quellen  annähmen, 
schüfen  wir  nur  Doppelgänger  zu  Vaf.  und  Grlmn. 

Symons,  der  die  didaktische,  katechetische  Haltung  der  zwei 
Gedichte  betont,  glaubt,  das  isländische  Heidentum  zwischen  930 


270  Heimat  und  Alter  der  eddiechMi  Gedichte. 

und  980  biete  den  geeigneten  Hintergrund  (a.  a.  0.  S.  CCLXIV. 
CCXCIII).  Gewifs  ist  von  Leidenschaft  in  Glaubenssachen,  ja 
Yon  dem  mindesten  Seitenblick  auf  die  neue  Religion  in  Yaf. 
und  Grimn.  nichts  zu  bemerken,  aber  diese  Sachlichkeit  vertrüge 
sich  ebensogut  mit  der  Zeit  um  1030  oder  1050,  und  damals 
kann  die  Mythenkenntnis  noch  nicht  wesentlich  yerkümmert  sein, 
da  ja  das  fortdauernde  Interesse  daran  verbürgt  wird  schon 
durdi  die  Weitergabe  der  heidnischen  Gedichte.  Dafs  aber  eine 
Dichtweise  wie  die  in  Yaf.  und  Grfmn.  eines  der  Mittel  war, 
wodurch  'man  die  heimische  Sitte  zu  hüten,  den  alten  Glauben 
wenigstens  äufserlich  zu  schirmen  suchte',  das  klingt  nicht  recht 
überzeugend.  Legte  denn  das  germanische  —  oder  das  islän- 
dische —  Heidentum  diesen  Nachdruck  auf  mythologische  Einzel- 
kenntnisse, war  seine  Rechtgläubigkeit  von  so  abstrakter  und 
theoretischer  Art?  Von  'Sitte'  und  'Glauben'  (im  religiösen 
Sinne)  steckt  ja  eben  so  blutwenig  in  diesen  zwei  Dichtungen. 
Dafs  die  ältere  isländische  Sagazeit,  die  Zeit  Egils  und  Kormäks, 
den  Zug  auf  'lehrhafte,  sammelnde  Betrachtung'  entwickelt  habe, 
dafür  sehe  ich  mich  in  den  Quellen  vergeblich  nach  einem  Stütz- 
punkt um.  Aber  auch  für  die  Zeit  um  1030  oder  1050  kann 
man  solche  Bestrebungen  nicht  nachweisen,  sie  zeigen  sich  erst 
in  der  ritöld.  Und  darin  liegt  die  Schwierigkeit  für  die  Datie- 
rung der  Vaf{>rüdnismäl  und  Grimnismäl. 

Weit  festere  Handhaben  für  die  Einordnung  gewährt  die 
Rig8f>ula. 

In  der  Bestimmung  von  Heimat  und  Alter  hat  man  freilich 
bei  keinem  zweiten  Eddagedichte  so  verschieden  geraten.  Nor- 
wegen oder  Dänemark  oder  die  Insel  Man  oder  die  Orkaden 
oder  endlich  Island  zog  man  als  Entstehungsort  in  Betracht 
Und  die  Entstehungszeit  dachten  sich  die  einen  um  das  Jahr  900, 
so  dafs  die  Rp.  in  der  allerältesten  Gruppe  stehen  würde,  Seite 
an  Seite  mit  der  Prymskvida  und  dem  Wielandsliede  (F.  Jöns- 
son,  AI.  Bugge),  die  anderen  um  zwei,  drei  Menschenalter  später 
(Bj.  M.  Olsen,  Mogk);  Karl  Lehmann  neigte  zum  elften  Jahr- 
hundert, E.  H.  Meyer  dachte  an  Einar  Skiilason  um  1150,  und 
Eirikur  Magnussen  fand,  dafs  nichts  in  dem  Liede  einen  früheren 
Zeitraum  verlange  als  das  dreizehnte  Jahrhundert.^ 

Über  den  verlorenen  Schlufs  des  Gedichtes  erhalten  wir 
Aufklärung  aus  zwei  Prosastellen,   die  nach  Olriks  Nachweise 

*  F.  JÖDBBon,  IM.  1,  65.  186  ff.,  B6kmmta9aga  (Kph.  1904)  1,  89; 
AI.  Bugge,  Vü^ingeme  (Kbh.-Eri.  1904),  S.  94.  278  ff.,  Vesterlandenes  Lid- 
fjydeUe  j&  Nordboeme  (Kri.  1905),  8.  111.  163.  212  u.  ö.;  Bj.  M.  Olsen, 
IHmarit  15,  66  ff.;  Mogk.  POrdr.'^  2,  602;  K.  Lehmann,  Festschrift  für 
Julius  V.  Arnsberg  (Bostock  1904).  S.  1  ff. ;  £.  H.  Meyer,  Volu»pa,  8.  284  f.; 
Eirikur  Magnüason,  Saga-book  of  the  Viking  Club  1896. 


Heimat  und  Alter  der  eddischoi  Gedichte.  271 

aus  der  isländischen  Ski9ldangasaga  stammen  (Anfang  des  drei- 
zehnten Jahrhunderts).  Die  Saga  und  das  Lied,  gleichviel  wie 
ihr  Abhängigkeitsverhältnis  sich  stelle  (s.  u.),  vertreten  in  dem 
Hauptpunkte  die  nämliche  Auffassung: 

Erstmals  hat  es  in  den  Ländern  nordischer  Zunge  keine 
^konungar^  gegeben.  Da  war  aber  einmal  in  Dänemark  ein 
Machthaber  —  Rigr  nach  der  Skipid.,  Rigr-Konr  ungr  nach  der 
Rf>.  — ,  der  wurde  so  mächtig,  dafs  er  sich  den  Königsnamen 
beilegte,  die  höchste  Herrscherwürde  begründete;  dies  war  der 
erste  'konungr'  in  nordischen  Landen. 

Dieses  Königtum,  dessen  Begründung  die  Rt>.  der  Stiftung 
der  drei  Geburtsstände  folgen  Uefs,  gehört  einer  sagenhaften 
Frühzeit  an.  Rigr  ist  viel  älter  als  die  dichtunggefeierten  Herr- 
scher der  Hälfdan-  und  der  Adilsgruppe  und  mufs  es  sein;  denn 
Hälfdan,  Adils  samt  ihren  Verwandten  und  Gegnern  sind  ja  doch 
^konungar',  sie  haben  also  später  gelebt  als  jener  erste  König 
der  Nordlande.  Die  Namen  Danr  und  Danpr,  die  unsere  letzte 
Strophe  des  Gedichtes  nennt,  weckten  in  jedem  verständnisvollen 
Hörer  die  Vorstellung  einer  grauen  Urzeit 

Die  Fragestellung:  ^Welchen  zeitgenössischen  Fürsten  hat 
der  Dichter  mit  seinem  Rigr-Konr  ungr  gemeint?'  entbehrt  von 
vornherein  jeder  Berechtigung.  Er  hat  den  sagenhaften  ^ersten 
König*  gemeint,  weiter  nichts;  gerade  so  wie  er  mit  dem  PrsBll 
den  ersten  Knecht,  mit  dem  Karl  den  ersten  Bauer  meinte. 
Weder  Harald  Schönhaar  noch  einen  Dynasten  der  Insel  Man 
konnte  der  Dichter  mit  seinem  Rigr-Konr  ungr  verherrlichen; 
denn  unmöglich  konnte  er  es  so  hinstellen,  als  ob  diese  Fürsten 
des  neunten  und  zehnten  Jahrhunderts  als  erste  den  Namen 
^konungr*  getragen  hätten;  das  wäre,  mit  Snorri  zu  reden,  kein 
Lob,  sondern  Hohn  gewesen.  Wufste  doch  jeder,  dafs  Haralds 
Vorfahren  seit  alters  'konungar'  gewesen  waren,  und  dafs  die 
vielen  Kleinfürsten,  die  er  sich  unterwarf,  gleichermafsen  •konun- 
gar'  hiefsen.  Auch  die  übrigen  Voraussetzungen  des  Gedichtes 
widerstreben  der  Anknüpfung  an  ein  norwegisches  oder  ein  bri- 
tannisches Königshaus.  Rigr-Konr  ungr  ist  zweifellos  als  ein 
dänischer  Machthaber  gedacht,  ebenso  wie  Danr  und  Danpr, 
mit  denen  er  sich  verschwägert.  Vgl.  die  treffenden  Ausfuh- 
rungen von  Bj.  M.  Olsen  a.  a.  0.  S.  70  ff.,  denen  ich  nur  von 
dem  Punkte  an  widersprechen  mufs,  wo  sie  geheimnisvolle  An- 
spielungen auf  die  Politik  des  ausgehenden  zehnten  Jahrhun- 
derts zu  entdecken  glauben. 

Ähnlich  wie  hier  Bj.  M.  Olsen  suchte  Mogk  a.  a.  St  nach 
einer  Beziehung  zu  einem  zeitgenössischen  Fürsten.  Die  Rf).  sei 
verfafst  als  Lobgedicht  auf  dänische  Könige,  etwa  Gorm  den 
Alten  oder  Harald  Blauzahn;  diese  würden  nicht  dem  ersten 
König  Rigr  gleichgesetzt,  aber  in   diesem  ihrem  Ahn  verherr- 


272  Heimat  und  Alter  der  eddiBcheo  Gedichte. 

licht  Hierg^en  spricht  folgendes.  Die  Dänenherrscher  wufsten 
nichts  von  einem  Stammvater  Rlgr,  sie  leiteten  sich  auf  Ski9ldr 
oder  Danr  zurück.  Sie  hätten  es  auch  schwerlich  als  rreis 
empfunden,  dafs  man  ihnen  den  selben  Urvater  gab  wie  den 
veiuchteten  Sklayen.  Mogk  beruft  sich  auf  das  Sküdatal,  die 
häufigen  Aufenthalte  isländischer  Dichter  am  Dänenhofe;  aber 
das  Skäldatal  kennt  keinen  Dichter  unter  den  Königen  Gorm 
und  Harald  Blauzahn  (SnE.  3,  258.  267).  Dals  die  Rf).  als 
Ganzes  auf  ein  anderes  Zeitalter  und  eine  andere  Umwelt  weist, 
yersucht  das  Folgende  zu  zeigen. 

Die  ganze  Annaimie,  dafs  die  Rf).  eine  aktuelle  Spitze  habe, 
ein  'lofkysedi',  ein  Fürstengedicht  sei,  gründet  sich  aiii  den  Teil, 
den  wir  nicht  haben.  Eine  auf  solcher  Grundlage  aufgebaute 
Vermutung  heischt  das  'Nicht  sehen  und  doch  glauben^  und 
läfst  keine  Widerlegung  zu.  Aber  das  eine  darf  man  yerlangen: 
wir  wollen  über  dem  yerlorenen  Teile  den  erhaltenen  nicht  yer- 
gessen.  Und  der  erhaltene  ist  yor  allen  Dingen  eines:  gelehrte 
Poesie.  Hier  haben  wir  kein  naiyes  Göttermärlein  und  keine 
spannende  Heldengeschichte  und  keine  Ausprägung  yolkstüm- 
lieber  Sitten  Weisheit;  hier  haben  mi  ein  Stück  Kulturgeschichte 
und  Poetik. 

Das  Gedicht  spekuliert  über  einen  urzeitlichen  Vorgang, 
die  Anfänge  der  menschlichen  Stände;  es  ist  in  der  Tat  ein 
'mythus  philosophicus'  (P.  E.  Müller,  Saxo  2,  39). 

Das  Gedicht  bringt  keine  Ereignisse  im  Sinne  der  altger- 
manischen Erzählpoesie,  sondern  setzt  sich  zusammen  aus  Schilde- 
rungen des  ruhenden,  ereignislosen  Alltagslebens,  aus  realistisch- 
genrehaften  Bildern  der  materiellen  Gesittung  und  der  Rasse. 

Das  Gedicht  häuft  appellativa,  überlieferte  und  neugebildete, 
68  an  der  Zahl,  und  giot  sie  als  Eigennamen  der  yorzeitlichen 
Knechte,  Bauern,  Edeln  und  ihrer  Eltempaare  aus.  Diese 
Vokabelhaufen  —  heitat9l  wie  in  Snorris  Edda,  nur  gewisser- 
mafsen  historisch  drapiert  —  haben  dem  Liede  seinen  Namen 
eingetragen;  denn  'Rigsl)ula'  heifst  nicht  *Königslied'  (Edzardi, 
Beiträge  8,  367),  sondern  ^das  an  Rigr  geknüpfte  Versvokabular'. 
Und  an  einen  dieser  Scheinnamen  knüpft  sich  eine  scharfsin- 
nige Etymologie:  Rfgr-iTonr  ungr  wird,  nachdem  er  die  höchst« 
Herrscherwürde  begründet  hat,  zum  Rigr  konungr,  d.  h.  sein 
(zweiter)  Eigenname  wird  zur  Bezeichnung  der  von  ihm  ge- 
schaffenen Würde  —  sowie  man  (nämlich  die  Isländer)  das  Wort 
*gramr'  von  einem  König  namens  Gramr,  das  Wort  'snotr*  von 
einer  Göttin  namens  Snotra  herleitete  usf.  (bes.  SnE.,  S,  35  f. 
139),  nur  dafs  der  Fall  bei  Konr  ungr  kunstreicher  liegt,  indem 
man  hier  das  Appellativum  in  zwei  sinnvollo  Bestandteile  (*Für- 
stensprofs  —  jung^  zerlegte:  nicht  nur  die  äufsere  Herkunft, 
auch  die  lautliche  Etymologie  des  Wortes  will  man  erklären. 


Heimat  mid  Alter  der  eddischen  Gedichte.  278 

Diese  Eigenschaften  der  Bf),  weisen  gebieterisch  auf  das 
Vaterland  und  Zeitalter  Snorri  Sturlusons.  Elinem  nordischen 
Kopf  ans  Harald  Schönhaars  Zeit  —  mit  oder  ohne  fremden 
Einflnfs  —  dürfen  wir  Gedankengänge  dieser  Art  nicht  zutrauen. 
Damit  unterschätzen  wir  die  geistige  Raffiniertheit  in  dem  Liede, 
die  den  Unterbau  der  isländischen  Altertumskunde  und  Poetik, 
die  Gedankenarbeit  literarischer  Generationen  zur  Voraussetzung 
hat  Die  Bf),  ist  das  isländischste  aller  Eddalieder;  wir  haben 
kein  Recht»  die  verwickelten  Entstehungsbedingungen  eines  sol- 
chen Werkes  in  irgendeinem  anderen  Lande  zu  suchen. 

Verschiedene  Einzelheiten  deuten  in  derselben  Richtung. 

Als  dänische  Kleinfiirsten  erscheinen  Danr  und  Danpr.  Der 
Name  Danpr  stammt  aus  der  gotischen  Sage  von  der  Hunnen- 
Schlacht»  vielleicht  war  er  dort  schon  gepaart  mit  dem  Namen 
Danr  (Don  und  Dnjepr,  vgl.  Heinzel,  Hervararsaaa,  S.  61  ff.). 
Anderseits  gab  es  den  dänischen  heros  eponymos  Danr.  Dieser 
zog  das  gotisch-südrussische  Paar  Danr-Danpr  an  sich,  so  dafs 
nun  auch  Danpr  zu  einem  dänischen  Sageniürsten  wurde:  eine 
Kombination»  die  mehr  nach  isländischer  Gelehrsamkeit  des 
zwölften  Jahrhunderts  als  nach  Volkssage  des  neunten  Jahr- 
hunderts aussieht 

Dann  der  Name  Rfgr.  Die  einfache  Vorstellung:  ^Einst  gab 
es  im  Norden  noch  keine  ^^konungar"»  bis  ein  dänischer  Herr 
diesen  Titel  aufbrachte/  könnte  alte  volkstümliche  Sage  gewesen 
sein.  Sie  könnte  auch  einen  geschichtlichen  Eem  enthalten; 
denn  das  nordische  Wort  ^konungr'  mit  seiner  merkwürdigen 
Lautabweichung  von  dem  westgermanischen  'kuning^  wird  wohl 
einmal,  etwa  in  der  späteren  Völkerwanderungszeit»  als  Lehn- 
wort von  den  SüdgermancQ  (Franken?)  herübergekommen  sein 
und  zuerst  bei  den  Dänen  Fufs  gefafst  haben:  so  dafs  in  der 
Tat  der  *er8te  König'  nordischer  Zunge  ein  Däne  war.^ 

Nun  ging  man  aber  weiter.  Dieser  *erste  König'  hiefs  Rigr. 
rig  (Nom.  sg.  ri)  ist  das  irische  Wort  für  *König'.    Hinter  der 


*  Etwas  anders  AI.  Bagge,  Vesterl,  S.  86  f.  Auch  Saxo  S.  21  bringt 
die  Vorstellung,  dals  den  ältesten  Danenherrschem  das  regium  nomen 
fehlte.  P.  E.  Müller  not.  üb,  8.  45  denkt  an  geistUch  gelehrten  Ursprung 
der  Hypothese.  —  A.  a.  St.'  vermutet  AI.  Bngge,  'konunCT'  habe  ursprüng- 
lich den  Eönigssohn,  im  besonderen  den  "i^&Gnfolffer  bezeichnet,  und  er 
fü^  bei:  'denselben  Übergang  von  der  ursprünglichen  Bedeutung  des 
Wortes  konungr  zu  der  späteren  finden  wir  in  der  B{).,  wo  larls  Sohn 
Konr  uner  deutlich  als  Vertreter  der  Königs  würde  aufgefaist  ist;  gldch- 
wohl  heiM  er  von  Geburt  an  Konr  ungr  (=  konungr).'  Diese  Auslegung 
scheint  mir  irrig.  Der  Gedanke  der  Bp.  ist  dieser  (s.  o.  S.  272) :  von  Ge- 
burt an  heilst  der  Betreffende  Konr  ungr,  'der  junge  Fürstensprols',  und 
später,  nachdem  er  die  regia  potestas  geschaffen  hat,  wird  das  angebliche 
nomen  proprium  zum  AmtotiteL  £in  reales  Gregenstück  zu  dieser  Fiktion 
ist  der  Name  Caesar.  Über  die  Bedeutungsent Wickelung  des  Wortes 
'konungr'  erfahren  wir  aus  der  B^.  nichts. 


274  Heimat  nod  Alter  der  edducben  GMidite. 

Namenvahl  steckt  also  BerechnuDg;  es  maÜB  wohl  diese  sein: 
jener  'erste  König'  war  seinem  Namen  nach  schon  König,  ehe 
er  den  Titel  'konungr'  aufbrachte;  indem  er  sich  dann  ^konungr' 
nannte,  übersetzte  er  gleichsam  seinen  Namen  ins  Nordische. 
(Dafs  er  aus  keltischen  Landen  gebürtig  war,  kann  nach  dem 
ganzen  Zusammenhange  nicht  die  Meinung  sein.)  Es  ist  ein 
sprachliches  Gedankenspiel,  das  wiederum  nach  isländischer 
Philologie  riecht.  Die  dänischen  Chronisten  kennen  keinen  Rig, 
auch  Saxo  scheint  ihn  bei  seinen  Thylenses  nicht  gefunden  zu 
haben,  er  hätte  sich  ihn  schwerlich  entgehen  lassen.  Mag  sein, 
dafs  der  Verfasser  der  SkiQldungasaga,  bekanntlich  ein  9ehr  kon- 
struktiver Kopf,  diesen  Gedanken  aufstellte.^  Den  Rigr  brachte  er 
allerdings  nicht  mehr  in  die  überlieferte  HaupÜinie  der  Skiold- 
unge  hinein,  er  mufste  ihn  seitlich  ankleben.  Das  wäre  sicher 
anders,  wenn  der  'erste  Dänenkönig  Rigr'  eine  alte  Sagenfigur 
wäre! 

Den  von  der  SkiQld.  vertretenen  Gedanken  übernahm  der 
Dichter  der  RJ).,  und  er  formte  ihn  reicher  aus:  seine  eigene 
Fassung  erklärt  sich  als  Weiterbildung  der  SkiQld.-Formel,  nicht 
umgekehrt.  Er  verband  nämUch  mit  dem  'Rigr  fyrstr  konungr' 
Qeine  etymologische  Hypothese  (s.  o.)  'Konr  ungr  >  konungr^. 
Daraus  ergab  sich  die  aufiallige  DoppelbenennuDg  des  jüngsten 
Jarlssohnes,  Rigr-Konr  ungr:  Rigr  mufs  er  heifsen,  weil  die 
Skiold.  lehrt,  dafs  der  erste  König  Rigr  war;  Konr  ungr  mufs 
er  heifsen,  weil  der  neue  Herrschertitel  aus  seinem  Namen 
fliefsen  soll. 

Dafs  der  Dichter  schon  dem  Vater  und  Großvater  den 
Namen  Rigr  verleiht,  weifs  ich  nicht  zu  erklären:  hier  ragt  das 
mythologische  Rätsel  herein.  Aber  so  viel  darf  man  aus  diesem 
Umstände  wohl  entnehmen:  die  irische  Bedeutung  des  Wortes 
rig  war  dem  Dichter  nicht  mehr  gegenwärtig.  Wufste  er,  dafs 
der  Name  soviel  wie  'rex'  bedeutet,  so  hätte  er  sich  die  eigene 
Pointe  verdorben,  wonach  erst  der  Jarlsspröfsling  Würde  und 
Namen  des  Königs  als  etwas  Neues  aufbringt.  In  der  älteren, 
einfacheren  Fassung,  der  der  SkiQldungasaga,  war  dies  logisch: 
da  gibt  es  einen  Rigr  =  *rex'  =  fyrstr  konungr. 

Trifft  das  Gesagte  zu,  so  gewinnen  wir  die  zwei  Schlüsse: 
die  RJ).  fufst  auf  einer  gelehrten  sprachlich -historischen  Idee, 
die  zu  Anfang  des  dreizehnten  Jahrhunderts  in  der  isländischen 
Ski9ldungasaga  niedergelegt  wurde;  und:  Dichter  und  Publikum 
der  R{>.  haben  nicht  in  der  Nähe  von  keltischer  Sprachgemein- 
schaft gelebt 


*  Die  der  Skioldungasaga  naheetehende  Ynelin^iasaffa  bringt  auch 
zwei  iriBche  Wörter/ die  sich  nicht  als  Lehngut  in  der  islSndiAchen  Sprache 
eingebürgert  hatten:  dlar^S.  11,  5,  biaoak  8.  11,^12. 


Heimat  und  Alter  der  edduchen  Gedichte.  275 

Für  die  KoUe  des  ständegründenden  Gottes  hat  man  das 
fremde  Vorbild  meines  Wissens  noch  nicht  gefunden.  Denn  die 
Anknüpfung  an  Noah  und  seine  drei  Söhne  bei  E.  H.  Meyer, 
Vsp.,  &  15  ff.  hat  wohl  wenige  überzeugt.  Naher  liegt  der 
Gedanke  an  die  Ungleichen  Kinder  Evae,  wenn  auch  in  anderem 
Sinne  als  bei  J.  Grimm,  Kl.  Schm.  7,  106  ff.,  MythoL  1,  194. 
In  das,  was  wir  von  nordischen  Göttern  und  germanischem 
Standesgefühl  wissen,  fiigt  sich  dieser  göttliche  Erzeuger  auch 
des  häfslichen  Urknechtes  so  wenig  ein,  dafs  man  ohne  auslän- 
dische Quelle  nicht  auskommt,  und  solange  diese  unbekannt  ist, 
fühlt  man  sich  allerdings  in  der  BeurteUung  der  RJ).  sehr  ge- 
bunden. Doch  werden  die  vorgebrachten  Gründe  für  späten 
isländischen  Ursprung  unabhängig  von  der  Quellenfrage  be- 
stehen. Auch  der  Wortschatz  und  die  Kulturschilderungen  des 
Gedichtes  sind  dem  dreizehnten  Jahrhundert  nicht  feindlich 
gesinnt. 

Setzte  man  die  RI>.  um  das  Jahr  900,  so  nahm  ihr  Wort- 
schatz eine  merkwürdige  Stellung  ein.  Dafs  sie  für  eine  Menge 
Wörter  die  älteste  Fundstelle  wurde,  ist  nicht  anders  zu  erwar- 
ten; denn  viel  nordische  Dichtung  yor  900  besitzen  wir  ja  leider 
nicht.  Aber  yerwundem  mufste  die  Tatsache,  dafs  die  Bf),  etwa 
zehn  Kulturwörter  enthält,  die  in  dem  Sprachschätze  der  ge- 
samten älteren  Poesie,  der  eddischen  wie  der  skaldischen,  fehlen 
und  erst  in  der  Prosa  oder  in  Strophen  des  zwölften  bis  vier- 
zehnten Jahrhunderts  auftreten.    Es  sind  folgende  Wörter: 

Drei  altheimische,  die  wenig  zu  bedeuten  haben:  ardr  Tflug', 
hlaäa  ^Scheune',  rokkr  ^Rocken':  diese  nur  in  Prosa  belegt. 
Sieben  Lehnwörter:  bolli  *Topl',  nur  pros.;  frakka  *Speer',  in 
den  tulur  der  SnE.  1,  570  (aus  der  RI).?),  in  Prosa  das  Komp. 
rydfirakka  Hävard.  S.  22; '  kanna  *Kanne',  nur  pros.;  kartr  *  Wagen', 
nur  pros.;  kinga  'Brakteat',  in  Prosa  und  bei  Einarr  Gilsson  (vier- 
zjehntes  Jahrhundert),  BS.  2,  29;  kölfr  ^Bolzen^  in  Prosa  und  in 
Asb}9m  prüdis  Strophen  (wohl  dreizehntes  Jahrhundert)  Fiat.  1, 
528;  kyrtill  (in  geitakyrtia  23,  3)  'Rock',  in  Poesie  noch  EM. 
Laus  F.  2  skinnkyrtill  (zwölftes  oder  dreizehntes  Jahrhundert). 

Dazu  kann  man  noch  nehmen :  skokkr  'Truhe',  nisL  (BjHalld.), 
sonst  in  Bed.  'Schifisrumpf  od.  ähnL;  dükr  'Tischtuch',  so  nur 
in  Prosa,  in  anderer  Bedeutung  auch  in  älterer  Poesie. 

Für  AI.  Bugge,  der  die  RJ).  um  900  datiert,  sind  diese 
Wörter  ein  Beweis,  dafs  das  Gedicht  in  Britannien  entstanden 
isty  'in  Irland  oder  am  ehesten  in  Schottland,'  Vesterl.  S.  212. 
In    seiner   vortrefinichen   Darstellung    der    vikingischen   Kultur 


'  Der  von  AL  Bugge.  VeaterL,  S.  212  anffeführte  Bel^  aus  Hallfreds 
Hfikonardrdpa  (f^iE.  STM,  Str.  82)  beruht  auf  Konjektur  Böderbergs,  eiehe 
Wi8^,  CN,  1,  135. 


276  Heimat  und  Alter  der  edduchen  Gedidite. 

taucht  immer  wieder  die  Rf>.  auf  als  ältestes  Dokument  für  die 
Entlehnung  eines  fremden  Wortes  und  einer  fremden  Sache. 
Das  Gedicht  bekommt  geradezu  einen  prometheischen  Zug,  es 
trägt  die  Feuerfunken  der  südlichen  Gesittung  in  die  nordische 
Dichtung  herein.  Stellt  man  die  Rf».  ins  dreizehnte  Jahrhundert, 
so  finden  diese  Wörter  Anschlufs  an  die  gleichzeitige  i8l.-norw. 
Prosa;  die  meisten  sind  geläufige  Wörter  der  Alltagssprache,  — 
aufser  den  genannten  auch  z.  B.  die  in  der  Dichtung  spärlich 
Torkommenden  skutill  'Schüssel',  sloeda  'Schleppkleid',  pl6gr 
'Pflug',  tafl  'Spielbrett'.  Mir  scheint,  diese  Beleuchtung  der  Sache 
ist  an  und  für  sich  die  glaubhaftere.  Es  bleiben  die  zwei  hapax 
legomena,  das  aus  dem  Englischen  entlehnte  smokkr  'Brusttuch' 
und  das  dunkle  m9smar  'Kleinode' (?)  Str.  38,  5;  auf  diese  zwei 
Wörter  wird  man  keine  Vermutung  über  Heimat  und  Alter  be- 
gründen wollen. 

In  diesem  Zusammenhang  sei  noch  erwähnt,  dafs  S.  Bugge, 
Skaldedigtning,  S.  30,  yermutete,  das  Wort  'fli6d'  (Str.  25,  5) 
sei  durch  unseren  Dichter  selbst  aus  dem  ae.  Namenghede  '-fled' 
gebildet  worden.  Das  Wort  kommt  schon  in  Eddaliedern  der 
älteren  Schicht  vor  und  bei  Guttorm  sindri  Hkr.  1,  179.  Der 
Überblick  über  die  Scheinnamen  der  Rf>.  spricht  für  die  An- 
nahme, dafs  ein  Ausdruck  wie  fliöd  —  ohne  malende  Bedeutung, 
ohne  den  Charakter  des  Spitznamens  —  vom  Dichter  nicht  neu 
gebildet,  sondern  aus  der  Überlieferung  geholt  wurde.  Es  steht 
aber  auch  nichts  im  Wege,  dafs  'tQtrughypia,  Haderlump'  zuerst 
in  der  Scheltrede  HHu.  I  43,  7  gestanden  hat  und  von  hier 
unter  die  Spitznamen  RI>.  13  gelangte.  Die  Wendungen  älm  of 
bendi  28,  3,  älm  at  beygia  35,  5,  hiQrvi  brä  37,  8  eignen  sich  nicht 
zur  Bestimmung  von  Abhängigkeitsverhältnissen  (vgl.  S.  Bugge, 
Home  of  the  eddic  poems,  S.  389  f.).  Individuell  ist  dagegen 
der  Kurzvers  nidrbiügt  er  nef  10,  5,  gleichlautend  in  der  gut 
beglaubigten  Strophe  des  Ste&ir,  Anfang  des  elften  Jahrhunderts 
(Kristnisaga  ed.  Kahle  S.  44,  8):  hier  kann  füglich  kein  Zweifel 
sein,  dafs  der  Zusanmienhang  bei  Stefhir  der  ursprünglichere  ist 

Hätte  man  den  Dichter  der  Rf).  gefragt,  welches  Zeitalter 
er  schildere,  so  hätte  er  geantwortet:  die  uralte  Zeit,  als  es  noch 
keine  Könige  gab.  Dies  war  die  Absicht  des  Dichters.  Er 
war  ein  mittelalterlicher  Mensch  und  wollte  nicht  wie  ein  mo- 
derner Naturalist  seinen  Hörern  umständlich  vormalen,  was  sie 
in  ihrem  gemeinen  Alltagsleben  um  sich  hatten. 

Eine  andere  Frage  ist,  was  er  in  Wirklichkeit  geschildert 
hat.  Da  er  keine  Quellen  aus  Dans  und  Danps  Tagen  benutzen 
konnte,  standen  ihm  für  seine  Beschreibungen  zu  Gebote:  die 
poetischen  und  prosaischen  Überlieferungen,  die  bis  ins  neunte 
Jahrhundert  zurückgingen,  und  die  Beobachtung  der  eigenen 
Umwelt.   Gar  vieles  aus  seiner  Gegenwart  mochte  er  unbedenk- 


Heimat  und  Alter  der  eddischen  Qedichte.  277 

lieh  in  die  Urzeit  znräcktragen,  weil  er  sieb  gar  nicht  vorstellen 
konnte,  daXs  man  es  damit  jemals  anders  gehalten  habe.  In 
anderen  Fällen  aber  wurde  er  auf  die  Unterschiede  von  einst 
und  jetzt  aufmerksam,  und  dann  hat  er  archaisiert.  Es  yer- 
stand  sich  von  selbst,  dafs  er  den  larl  und  seine  Söhne  nicht 
zum  Turnier  reiten  liefs,  und  dafs  er  statt  der  christlichen 
Taufe  das  heidnische  Begiefsen  mit  Wasser  brachte;  es  lag  nahe 
genug,  die  geistige  Überlegenheit  des  Konr,  statt  durch  stil- 
widrige Sprachenkunde  und  Bücherweisheit,  durch  stilvolle 
Runenkunst  zu  markieren. 

Man  hat  die  Rp.  immer  betrachtet  als  ein  getreues  Licht- 
bild, das  ein  Dichter  von  seiner  eigenen  Umgebung  aufgenom- 
men habe.  Die  Kultur  der  Yikingzeit,  realistisch  und  ohne 
Hintergedanken  abgebildet  von  einem  Zeitgenossen:  dies  fand 
man  in  unserem  Gedichte.  Statt  dessen  müfste  man  an  die  Rp. 
die  Frage  stellen:  wie  weit  flielst  dem  Dichter  das  Bild  der 
eigenen  Zeit  ein,  des  dreizehnten  Jahrhunderts,  wie  weit  hat  er 
aus  literarischer  Überlieferung  altertümhche  Züge  verwertet,  und 
zu  welchen  Zeiten  stimmen  diese  Züge?  Allerdings  würde  sich 
dann  wohl  herausstellen,  dafs  der  gröfsere  Teil  neutral  ist, 
ebensogut  zum  dreizehnten  wie  zum  zehnten  Jahrhundert  pafst. 
Die  Gesittung  hatte  sich  nicht  so  durchgreifend  gewandelt. 

Als  Dinge,  die  sich  besser  mit  dem  dreizehnten  als  dem 
zehnten  Jahrhundert  vertragen,  fallen  diese  auf. 

Der  grofse  Abstand  zwischen  dem  mittleren  und  dem  dritten 
Paare  nebst  ihren  Nachkommen.  Nach  den  sonstigen  Zeugnissen 
würde  man  die  Lebenshaltung  der  boendr  und  h9läar  auf  der 
einen,  der  hersar  und  iarlar  auf  der  anderen  Seite  für  die  heid- 
nische Zeit  nicht  so  verschieden  veranschlagen.^  Die  Vornehmen 
sind  in  der  Rf).  ganz  aus  dem  bäuerhchen  Leben  herausgewach- 
sen. Schon  die  Schilderung  der  Mödir,  Str.  28  f.,  liefse  den 
Unbe&ngenen  schwerlich  am  das  zehnte  Jahrhundert  raten,  und 
wenn  dann  Möäir  das  Mahl  aufträgt,  versilberte  Schüsseln  auf 
ein  gemustertes  leinenes  Tischtuch  stellt,  Wein  aus  der  Kanne 
in  Kelche  schenkt,  so  fühlt  man  sich  mehr  bei  einem  Vornehmen 
H&kons  IV.  als  Haralds  des  Schönhaarigen  zu  Gaste.  AI.  Bugge 
erklärt  freilich  alle  diese  Züge  aus  dem  Leben  der  vornehmen 
Engländer  {VesterL  S.  174  ff.),  und  dies  mufs  man  ja  zugeben: 
wäre  die  Schilderung  um  900  entstanden,  so  müfste  man  aller- 
dings nach  aufsemordischen  Vorbildern  ausschauen. 

Dafs  der  Dichter  das  Torfstechen  in  seiner  isländischen 
Heimat  zur  Genüge  beobachten  konnte,  sei  nur  erwähnt,  weil 
man  diesen  Zug  so  oft  unverdientermafsen  für  die  Heimatbestim- 


*  Vgl.  z.  B.  Hertzberg,  Det  norske  ofristokraHs  historü,  8.  6  f.    Adam 
y.  Bremen  IV  31. 


278  Hdmat  und  Alter  dar  eddiKhcn  GMidite. 

mung  bemüht  hat  (noch  AI.  Bugge»   Vesterl.,  S.  256;  treffend 
Lehmann,  a.  a.  0.  S.  22  fX 

£ir.  Magndsson  und  Ldimann  haben  darauf  hingewiesen, 
dafs  die  Knechte  einfach  als  niedrigere  Landarbeiter,  auf  eige- 
nem Boden,  gezeichnet  werden,  nicht  als  besitzlose  Sklayen. 
Das  würde  zum  dreizehnten  Jahrhundert  passen,  wo  die  Un- 
freiheit auf  Island  erloschen  war.  Aber  bei  dem  eigentümlichen 
Verfahren  des  Dichters,  wonach  es  Knechte  gibt,  ehe  die  Herren 
da  sind,  konnte  der  niedrigste  Stand  gar  nicht  in  persönlicher 
Abhängigkeit  erscheinen. 

Dies  führt  auf  einen  letzten  Punkt:  wie  ist  die  ständische 
Dreiteilung  und  ihre  Benennung  ^I>r8Bll  —  karl  —  iarl-  bei  einem 
Dichter  des  dreizehnten  Jahrhunderts  zu  erklären?  Od^,  um 
es  zu  yerein&chen:  die  Zweiteiluna  der  Freien  in  ^karl  —  iarl'. 
In  seiner  fördernden  Abhandlung  hat  K.  Lehmann  betont,  dafs 
es  damit  gar  nicht  so  selbstversibändlich  liegt,  auch  wenn  man 
das  zehnte  oder  elfte  Jahrhundert  im  Auge  hat 

Dafs  ein  Isländer,  der  die  Gesellschaft  der  nordischen  Ur- 
zeit schildern  wollte,  nicht  die  Verhältnisse  seiner  Insel  kopierte, 
sondern  den  Blick  zunächst  nach  Norwegen  und  zwar  nach  dem 
norwegischen  Altertum  schweifen  liefs,  darüber  braucht  es  keine 
Worte.  Einen  anderen  Einwand  könnte  man  yielleicht  g^en 
unsere  Fragestellung  erheben,  nämlich:  Der  Dichter  meint  mit 
seinem  'iarl  gar  keinen  Geburtsstand,  sondern  nur  den  minderen 
Fürstenrang,  der  seiner  Ansicht  nach  dem  höheren,  dem  des 
Königs,  vorausging.  Darauf  wäre  u.  a.  zu  erwidern:  So  wie  der 
Dichter  den  Iarl  zeichnet,  schwebt  ihm  kein  Herrscheramt  yor, 
weder  ein  souveränes  noch  gar  ein  lehensmäfsiges.  Wir  be- 
kommen das  Bild  eines  reichen,  kriegerischen  Gutsherrn:  red 
bann  ätiän  büum,  ^er  gebot  über  aditzehn  Höfe,  bäuerliche 
Wirtschaften'  (Str.  38),  das  ist  weder  ein  Gau  (herad^  noch  eine 
Völkerschaft  (fylki),  sondern  ein  privater  Grofsgrundoesitz.  Der 
'iarF  der  RJ).  vertritt  einen  wirklichen  Stand,  nicht  die  politische 
Institution  des  Kleinfürsten,  des  princeps« 

Das  der  Erklärung  Bedürftige  liegt  in  folgenden  Umstän- 
den. Weder  'karl'  noch  ^iarl'  erscheinen  zu  irgendeiner  Zeit  als 
technische  Benennungen  von  Ständen.  Und  eine  einfache  Zwei- 
teilung der  Freien  —  vom  König  abgesehen  —  läfst  sich  schon 
seit  dem  Beginn  der  geschichtlichen  Zeit  nicht  mehr  erkennen. 

In  Norwegen  um  900  gab  es  die  Stufen:  Ixendr  —  h9ldar 
—  hersar  —  iarlar.  Eine  gemeinsame  technische  Bezeichnung 
für  die  hersar  -f~  i&rlAr,  also  mit  dem  Sinne  von  'Adel,  nobili* 
tas',  kennen  wir  nicht.  Dafs  der  Standesunterschied  zwischen 
dem  iarl  als  'tiginn  madr'  (fürstenbürtigen)  und  dem  hersir  ge- 
legentlich stark  empfunden  wurde,  zeigen  Fälle  aus  dem  zehnten 
und  elften  Jahrhundert  (Hkr.  1,  367;  3,  142). 


Heimat  und  Alter  der  eddiscben  Gedichte.  279 

In  Norwegen  mn  1200  gab  es  über  dem  I»r»ll  die  Stufen: 
1.  leysingi,  2.  leysingia  snnr,  3.  rekspegn,  4.  böande,  5.  hQlär, 
6.  lendr  maSr  +  stsJlari,  7.  äboti  -f-  abbadis,  8.  iaxl  -f  by®" 
kup,  9.  erkibyskup  +  bertugi,  10.  konungr.  Davon  werden  die 
Stufen  1.  4.  5.  6.  8.  10  im  Prinzip  überall  vorausgesetzt  Alle 
zehn  Stufen  werden  unterschieden  Frost  XIII  15  {NgL.  1,  244). 

Aber  die  Sprache  der  Dichtung  hatte  immer  vereinfacht 
Da  wird  der  'h9ldr'  gesetzt  für  den  Freien  schlechthin.  Und 
das  über  dem  Freien  Stehende  wird  zusammengeSafst,  indem  viele 
kenningar  und  heiti  dem  hersir,  iarl  und  konungr  gemeinsam 
sind;  vgl.  Snorris  Bemerkung  in  seiner  Edda  S.  123  f.  In  der 
eddischen  Dichtung  hat  ^iarV  den  sehr  allgemeinen  Sinn  ^edler 
Krieger,  Vornehmer  in  der  Umgebung  des  Fürsten',  wovon  sich 
deutlich  abhebt  das  siebenmalige  ^iarl'  in  der  Prosa  der  Helg. 
Hi^rv.  mit  der  Bedeutung  ^Unterfürst,  Statthalter  eines  Königs', 
dem  jüngeren,  offizieUen  Spraehgebrauche  folgend.^ 

£in  mit  der  alten  Dichtung  vertrauter  Isländer  konnte  auch 
von  den  norwegischen  Verhältnissen  des  dreizehnten  Jahrhun- 
derts aus  wohl  zu  dem  Schlüsse  gelangen:  diesen  vielen  Fächern 
ordnet  sich  eine  Zweiteilung  über;  einst,  im  Altertum,  gab  es 
nur  die  zwei  Arten  der  Freien,  die  besseren  und  die  geringeren. 
Aber  einfacher  erklärt  man  sich  seinen  Gedankengang  so.  Der 
Dichter  kannte  die  vorharaldische  Zeit  aus  ungefähr  denselben 
Quellen  wie  wir,  d.  h.,  von  der  Dichtung  abgesehen,  aus  den 
Konunga-  und  Fornaldars9gur.  Er  fand  da  neben  den  ^konungar' 
die  'is^lar'  und  die  'hersar'  genannt  als  solche,  die  über  die 
Menge  der  Bauern  und  Krieger  hinausragten.  Gemäls  seiner 
Theorie  betrachtete  er  die  'konungar^  als  spätere  Entwickelung. 
Blieben  also  die  ^iarlar'  und  'hersar'  als  vornehmer  Stand. 

Und  nun  galt  es,  die  Benennungen  zu  wählen.  Der  Dichter 
macht  zwischen  ^iarV  und  ^hersir'  keinen  Standesunterschied; 
denn  wenn  Iarl  die  Tochter  des  Hersir  heiratet  (Str.  39  f.),  so 
ist  das  nicht  als  Miisehe  gedacht  Dafs  nun  von  den  beiden 
zur  Wahl  stehenden  Ausdrücken,  ^arl'  und  'hersir',  der  erste 
für  den  Vertreter  des  Standes  genommen  wurde,  mag  diese 
Gründe  gehabt  haben.  'larl^  hatte  die  vollere  poetische  Reso- 
nanz, es  klang  mehr  nach  Altertum:  in  den  Geschichten  aus 
der  fom  9ld  begegnen  weit  öfter  ^arlar'  als  ^hersar'.  'Iarl'  klang 
auch  nicht  so  spezifisch  norwegisch  wie  'hersir':  in  allen  frem- 
den Ländern  liefsen  isländische  Erzähler  4arlar'  auftreten.  Ferner 
pauste  das  einsilbige  'iarl'  zu  den  einsilbigen  'praell,  t>ir, .  karl, 

*  Der  Sinn  'Fürst,  Herrscher'  ist  wohl  Häv.  97,  4  anzunehmen  (iuris 
yndi  . .  .)•  Die  von  Gering,  VoUstä/nd.  Wb.y  Sp.  535  angesetzte  Bedeutung 
'Mann  im  allg.'  würde  ich  nur  bei  Ghv.  21,  I  erwägen,  und  auch  da  läist 
sich  die  Obenetzung  'Edle'  rechtfertigen:  der  Dichter  bleibt  im  Kostüm, 
seine  Hörer  b^andelt  er  als  hochgeborene  Leute. 


280  Hdmat  und  Alter  der  eddinchen  Gedidite. 

sn^r,  ern,  konr':  alle  diese  HauptspröfBÜnge  und  ihre  Frauen 
fuhren  einsilbige  Namen,  wie  die  Eltempaare  ^ü-edda'  usw. 
zweisilbige. 

Nun  der  Name  für  den  Vertreter  der  geringeren  Freien. 
Man  würde  am  ehesten  *h9ldr'  erwarten  in  dem  fdlgemeineren, 
untechnischen  Sinne,  den  die  Dichtung  bewahrt  hat  (s.  o.).  Auch 
^pegn'  hätte  sich  gut  geeignet,  vgl.  das  stabende  Paar  ^egn  ok 
t>r8eU,  Freier  und  ICnecht';  vielleicht  stand  im  Wege  die  häufige 
Bedeutung  ^Untertan',  die  zu  dem  Sohne  von  Afi  und  Amma 
nicht  gepafst  hätte.  So  kam  l>egn',  gleich  wie  'h9ldr',  nur  in 
die  Schar  der  Söhne  (Str.  24,  4).  Der  Stammhalter  selbst  bekam 
den  Namen  'karl',  und  daran  bleibt  etwas  Befremdliches.  Wenn 
die  Wahl  auf  dieses  Wort  fiel,  so  werden  dem  Dichter  formel- 
hafte Stellen  im  Ohre  geklungen  haben  wie  die  bei  Sighvat 
{Hkr.  3,  31,  Z.  11):  *A;ar2folk  ok  svä  iarla\  auch  Wendungen 
wie  ^karld  hus'  opp.  ^konungs  gardr',  ^konun^i  ok  karlC  (Leh- 
mann S.  28).'  Dazu  die  Klanj^nlichkeit  mit  ^iarl'.  Man  ver- 
gesse nicht,  dafs  unser  Dichter  keine  aktenmäfsige  Historie 
schreibt,  sondern  zwischen  Wahrheit  und  Dichtung,  zwischen 
Ernst  und  Spiel  wandert. 

Nach  dem  hier  Ausgeführten  meine  ich,  die  Ständeeinteilung 
und  -benennung  der  RI>.  wird  begreitlich  aus  dem  Materiale 
unserer  Quellen  heraus,  ohne  dafs  man  dem  Dichter  einen  uns 
verschlossenen  Nahblick  auf  vorgeschichtliche  Zustände  zu- 
schriebe. Das  Lied  folgt  den  freieren  Unterscheidungen  der 
Poesie,  nicht  den  straffen  und  vielgliedrigen  Sonderungen  des 
Rechtes.  Dafs  es  jemals  bei  den  Nordgermanen  einen  Geburts- 
stand unter  dem  Namen  ^Jarle'  gegeben  habe,  entsprechend  dem 
südgermanischen  Stande  der  nobiles,  adalingi,  edelen,  eorlas, 
dies  darf  man  aus  unserem  Liede  —  im  Widerspruch  mit  den 
Geschichts-  und  Rechtsquellen  —  nicht  herauslesen. 

Hierbei  habe  ich  der  Möglichkeit,  dafs  der  Dichter  die 
Dreizahl  in  seiner  zu  vermutenden  fremden  Quelle  vor&nd,  nicht 
Rechnung  getragen.  Die  Frage,  ob  die  altenglische  Formel 
^eorlas  and  ceorlas'  eingewirkt  habe,  hat  schon  Lehmann  be- 
rührt und,  >vie  mir  scheint  mit  Recht,  verneint  (S.  29).  Auch 
AI.  Bugge,  VesterL,  S,  43,  scheint  sie  nicht  zu  bejahen. 

—  Die  R{>.  ist  eines  der  wenigen  Eddaffedichte,  die  in  der 
altisländischen  Literatur   selber   zitiert  werden:    ^heiti   fiir   die 

*  In  der  Edda  allerdings  steht  'karl'  mit  der  ständischen  Bedentang 
'freier  Bauer'  nur  in  der  lE^.  Die  übrigen  Stellen  bei  (Gering,  Wb,,  b.  v. 
'karP  sind  so  zu  ordnen:  1.  maa  opp.  femina:  Br.  20  pr.  11,  Hlr.  14, 
Am.  62,  Häv.  90,  Am.  69;  2.  Bauer  (mit  verächtlichem  Beiklang),  Kerl, 
Alter,  diese  Bedeutungen  nicht  scharf  zu  sondern:  alle  Übrigen  SteUen, 
auch  HHu,  II  2  <era  bat  karls  »tt,  das  stammt  nicht  von  Bauempack', 
verächtlich,  nicht  stanoiach-technisch. 


Heimat  und  Alter  der  eddiftchen  Gedichte.  281 

Knechte  stehen  in  der  Rigs{>ula,'  heifst  es  SnE.  2,  496.  Diese 
Anführung  reiht  das  Gedicht  ein  in  den  Zusammenhang,  der 
ihm  gebührt:  in  die  gelehrte  isländische  Poetik,  die  in  Snorris 
Skaldenlehrbuch  ihr  Meisterwerk  hervorbrachte.  Die  BJf.  ist  in 
ihren  Namenstrophen  ein  dichterisches,  leichtgeschürztes  Gegen- 
stück zu  den  planmäfsig-umfassenden  Skäldskapann41.  Aber  sie 
ist  noch  manches  andere.  In  keinem  zweiten  Gedichte  kommen 
die  Bestrebungen  der  isländischen  Altertumskunde  so  vielseitig 
zu  Worte.  Und  dabei  hat  der  Dichter  auch  das  Erzählen  ge- 
lernt; ein  Erzählen  freilich,  grundverschieden  von  dem  der  alten 
epischen  Lieder;  denn  es  f^lt  ihm  das,  worin  die  Stärke  der 
alten  Sagendichter  lag,  die  Rede. 

Seit  dreifsig  Jahren  hat  man  oft  betont:  die  eddische  Dich- 
tung atmet  das  Geistesleben  der  Vikingzeit. 

Der  Satz  bedarf  starker  Einschränkung. 

Sehr  vieles  in  der  Eddadichtung  ist  —  seinem  Geiste,  seiner 
Gesittung  nach  —  vorvikingisch.  Eine  ganze  Reihe  von  alten 
Götter-  und  Heldenliedern  trägt  in  keinem  Zuge  den  Stempel 
des  bestimmten  Zeitalters,  das  mit  dem  Jahre  793  anbrach.  Die 
grofsen  Dichtergedanken  der  Heroensage  sind,  tatsächUch  oder 
der  Art  nach,  älter  als  das  Vikingwesen:  wie  eine  richtig 
vikingische  Erfindung  aussieht,  mufs  man  bei  Ragnar  Lodbrök 
und  Qrvar-Odd  erfiragen. 

Aber  nicht  weniges  in  der  Eddafamilie  ist  nachvikingisch. 
In  der  Lyrik  der  heroischen  Elegien  ahnt  man  schon  die  Nähe 
des  Spätmittelalters  mit  seiner  Balladenblüte.  Und  das  gelehrte 
und  geistreiche  Spiel  der  Brävallaliste,  der  Svipdagsmäl  und  der 
Rigs{>ula  führt  aus  der  Luft  der  sagenfrohen  Seekrieger  in  die 
Kreise  grübelnder  und  formgewandter  Literaten. 

Die  gemeingermanisch -heroische  Stufe,  die  norrön-vikin- 
gische,  die  isländisch-nachvikingische,  zum  Teil  literarische:  alle 
drei  liegen  in  der  Eddadichtung  vor.  Wir  werden  jeder  ihr 
Recht  geben,  wenn  wir  sie  klarer  auseinanderhalten. 

Berlin.  Andreas  Heusler. 


Aichir  f.  n.  Spnehen.    CXVI.  19 


Zur  Entstehung  des  Härchens. 

(BeUvft.) 


VULL  Rückblicke  and  Ergebnisse.  Iigendwie  voll- 
ständig  sollen  die  von  mir  senannt^  Beismele  nun  nidit  sein: 
es  gibt  noch  manche  andere  Märchen^  die  mre  Heimat  in  Indien 
haben.  Da  aber  eine  Reihe  sehr  instruktiver^  in  ihrer  Gesdiichte 
und  Zusammensetzung  erkennbarer  und  für  Indien  bezeichnender 
Märdien  aufgezählt  wurde  und  die  Fülle  der  hier  gestreiften 
oder  ausführhch  erzählten  Mfirchen  auch  manchem  schon  be- 
ängstigend und  verwirrend  scheinen  mag,  darf  ich  anhalten  und 
auf  den  langen  W^  zurückblicken. 

Voreingenommenheit  für  das  indische  Märchen^  die  Sacht, 
anderen  VöUcem  die  Elrfindune^be  abzuspredien  und  sie  den 
Indem  dafür  zuzuschieben,  wird  diesen  Betrachtungen  niemand 
angemerkt  haben.  Es  ist  hio:  >  im  Gr^enteil  nicht  allein  zu- 
gegeben —  was  niemals  hätte  bestritten  werden  sollen  — ,  da(s 
Märchenmotive  auch  aulserhalb  Indiens  bestanden,  vielmehr  noch, 
daTs  die  Inder  den  Griechen^  und  Juden ^  manches  entlehnt  haben. 
Die  Bausteine  zum  Märchen,  die  dnzehien  Motive,  auch  hier  und 
da  einfachere  Märdien  selber  hatten  andere  Volker  ebensogut 
wie  die  Inder,  deren  Grofse  und  eigentliche  Begabung  es  war^ 
die  Motive  zur  Geltung  zu  bringen  und  zusammenzusetzen. 

Die  Inder  bauten  die  Märchen,  die  in  ihrem  eigenen  Lande 
blieben,  senau  wie  die  anderen,  die  in  die  Fremde  kamen.  Sie 
häuften  die  Motive  an  und  steigerten  sie,  oder  sie  erzählten  sie 
Schlag  auf  Schlag,  in  überstürzendem  Tempo,  oder  sie  zeigten  sie 
nicht  auf  einmal  und  nicht  als  Summe,  sondern  allmählich  und 
zerlegt  in  ihre  einzelnen  Teile,  sie  fügen  diese  TeUe  aneinander, 
indem  sie  geschickt  immer  zum  Bedeutsameren  fortschreiten,  den 
Schlufs  der  Geschichte  gern  hinausschieben  und  die  Spannung  zu- 
gleich erhohen.  Sie  zeigen  diese  Motive  nicht  als  Motive  üb^- 
haupt,  sondern  sie  kontrastieren  sie  miteinander,  sie  kehren  sie 
plötzlich  um,  sie  stellen  sie  immer  in  den  Dienst  einer  Handlung, 
sie  bringen  sie  vor  allem  in  engsten  Zusammenhang  mit  diesem 
Leben.  Uns  erscheinen  dadurch  die  Märchen  oft  zu  ernsthaft,  als 
da(s  sie  Märchen,  und  zu  märchenhaft,  als  da(s  sie  Smst  sein  sollten. 


«  VgL  z.  B.  oben  Ärehip  CXV,  284;  CXVI,  13. 

*  Vgl.  z.  B.  oben  Archiv  CXV,  277.  282  f.;  CXVI,  8.  18. 


Zur  EntstehuDg  dee  MftrchMiB.  288 

Man  kann  imen  also  ähnlicbee  vorwerfen,  wie  man  dem  in  In- 
dien erfundenen^  auch  so  änfserBt  vennckelten  und  differenzierten 
Schachspiel  vorgeworfen  hat,  daTs  es  nämlich  zu  ernst  für  ein 
Spiel  und  wieder  zu  sehr  Spiel  sei,  als  dais  man  es  ernst  nehmen 
dürfe.  —  Die  Inder  schildern  im  Märchen,  wie  die  Wunderdinge 
auf  die  Menschen  einwirken,  zeigen  die  Menschen  im  Kampf  mit 
den  wunderbaren  Gaben,  die  ihnen  verliehen  werden,  wie  diese 
Graben  nur  die  Begehrlidikeit  reizen,  wie  sie  zu  schwach  für  die 
Gaben  sind,  wie  sie  auch  die  gnädigsten  Geschenke  nur  entstellen, 
wie  sie  sich  um  Wunderdinge  betrügen,  wobei  sie  im  Grunde  selbst 
die  Betrogenen  bleiben,  und  wie  sie  durch  ihre  Künste  und  wun- 
derbaren Eigenschaften  sich  vernichten.  Zum  Schlufs  hören  wir 
dann  oft  die  Fräse:  welche  von  den  wunderbaren  Gaben  war  die 
wunderbarste?  Und  das  ganze  Märchen  scheint  dann  dem  Inder 
nur  ein  Anlafs,  uns  seinen  Scharfsinn  und  seine  Begabung  fürs 
Märchenhafte  vorzuzeigen,  denn  er  lebt  in  seinem  eigentlichsten 
Element,  sowie  er  scharfsinnige  Urteile,  Entscheidungen,  Beweise 
von  Klugheit  und  Spürsinn  mitteilen  und  anhäufen  kann,  er  er- 
findet dabei  die  sonderbarsten  und  spaTshaftesten  Geschichten 
und  vergleicht  auch  hier  die  einzelnen  Klugheiten,  weil  er  sich 
doch  selbst  auch  in  seinem  Scharfsinn  überbieten  muGs. 

Die  indische  Erzählungskunst,  der  Aufbau  und  die  Kom- 
position ihrer  Geschichten  sind,  wie  wir  an  vielen  Beispielen 
zeigten,  von  keinem  Volk  erreicht  worden,  und  was  wir  von  der 
Eraählungskunst  anderer  Völker,  etwa  der  Griechen  und  Juden, 
zum  Vergleich  heranzogen,  erschien  dagegen  kunstlos  und  un- 
beholfen. Der  Märchenreichtum  des  einen  Landes  Indien  über- 
trifft noch  immer  den  Märchenreichtum  aller  anderen  Völker,  die 
g^en  Indien  sehr  wenig  originale  Märchen  besitzen.  Ihr  Keich- 
tum  wurde  den  Indem  wiener  zum  Unsegen:  sie  häuften  ihre 
Geschichten  zu  oft  ins  Massenhafte,  konnten  sich  auch  nicht 
genug  tun,  eine  immer  wieder  in  die  andere  zu  schachteln,  ebenso 
waren  ihnen  ihre  Erfindungen  und  Motive  nie  künstlich,  nie  span- 
nend und  nie  raffiniert  genu^,  ihnen  fehlte  der  Sinn  für  das  Ein- 
fache, Anspruchslose  und  Kmdliche  des  Märchens,  und  wie  wir 
das  auch  erfahren  haben,  sie  entstellten  und  verdarben  darum 
hübsche  und  feine  Geschichten,  indem  sie  ein  Raffinement  in 
sie  hineinbrachten,  das  nicht  in  sie  gehörte.^ 

*  Es  wnrde  hier  versucht,  die  Erzählungskunst  der  indischen  Märchen 
zu  analysieren  und  durch  Betrachtung  dieser  Kunst  die  Kriterien  zu  ge- 
winnen, die  über  die  indische  Herkunft  eines  Märchens  entscheiden.  Andere 
Forscher,  namentlich  E.  Gosquin,  Contes  poptdaires  I,  XXVI  f.  unternahmen, 
in  abendländischen  Märchen  Züge  nachzuweisen,  die  nicht  aus  abendlän- 
dischen, sondern  aus  indischen  religiösen  Anschauungen  und  Idealen,  so- 
zialen Zuständen  und  Gebräuchen  zu  erklären  seien.  £än  solcher  Nachweis 
kann  nur  in  seltenen  Fällen  gelingen,  denn  Märchen  sind  internationale, 
keine  nationalen  Gebilde,  und  was  an  indischen  Märchen  in  knlturgetchicht- 

19  ♦ 


284  Zur  Enlstehnng  des  MiicheiiB. 

Die  Inder^  wie  sie  uds  zuletzt  HenDann  Oldenbei^^  schil- 
derte, sind  ein  Volk  des  geschmeidigsten  und  gelenk^ten  K^^ 

lichem  Sinne  indisch  ist,  mufste  sich  auf  der  Wanderung  durch  die  Welt 
meist  abstreifen.  Man  hat  z.  B.  vermutet,  die  böse  Stiefmutter  in  abendlän- 
dischen Märchen y  die  ihre  Stieftochter  beim  Eönie  verleumde,  sei  eigentlich 
die  Haui>tkÖnigin,  die  die  junge  rivalisierende  Nebenkdni^  verdächtige 
und  beiseite  schaffen  wolle.  Das  trifft  aber  nicht  zu :  die  indischen  Märchen 
erzählen  vom  Streite  der  Frauen  untereinander  nie,  dazu  sind  ihnen  die 
Frauen  an  sich  viel  zu  unwichtig,  nicht  die  Frau  interessiert  sie,  sondern 
der  Umgang  von  Frau  und  Mann.  Ich  kenne  im  Indischen  nur  ganz 
wenig  unbedeutende  Märchen,  die  von  schlechten  Stiefmfittem  (etwa  Cukas, 
t,  0.  50)  und  von  rivaüsierenden  Nebenfrauen  (etwa  Somadeva  VI,  82,  Taw- 
ney  I,  286)  berichten  (die  von  Oosquin  I,  XXX  mitgeteilte  Geschichte  von 
der  lUkschasi,  die  sich  als  achte  Frau  heiraten  läfst  und  die  anderen  sieben 
verdächtigt,  ist  modern  indisch).  Die  b6se  Stiefmutter  im  deutschen 
Märchen  hat  anderen  Ursprung :  zum  Teil  sind  die  verhafsten  Stiefmütter 
Hexen,  und  der  Hbü  ge^  die  Hexen  ist  auf  die  Stiefmütter  übertrafleD, 
wenn  sie  teuflischer  Künste  verdächtig  scheinen,  Kinder  vertauschen, 
Quellen  verzaubern,  Menschen  verwandein  u.  ähnL  (vgl.  Grimm,  KHM  3. 
11.  81  etc.  und  Liebrecht,  Zur  Volkskunde  17  f.  —  auch  oben  Arekiv  CXIV, 
S.  5  Anm.  1).  —  Aulserdem  erzählt  das  Märchen,  wie  wir  wissen,  seit  sehr 
alten  Zeiten  von  treulosen  und  neidischen  Brüdern,  Schwestern  und  Ge- 
fährten, die  eerade  den  guten  und  unschuldigen  nachstellen  und  ihn  zu- 
letzt doch  nidit  vernichten  können,  sie  werden  dafür  das  Opfer  der  agenen 
Bosheit.  Die  Eigenschaften  dieser  Treulosen  ^gen  auf  die  Stie&nutter 
fast  unverändert  über;  es  ist  auch  keineswegs  Zurall,  dais  neben  der  treu- 
losen Stiefmutter  fast  immer  die  neidische  und  haisliche  Schwester  er- 
scheint, v^l.  z.  B.  Grimm  KHM  21.  24.  1H5  usw.  —  Einige  weitverbreitete 
Märchen  &eilich  haben  ihre  indische  Grundanschauung  nicht  einbüf»^ 
können,  diese  schimmert  durch  alle  europäischen  Zutaten  und  Überdeckungen 
hindurdi.  Man  erinnere  sich  etwa  an  das  Märchen  vom  undankbaren  Men- 
schen und  dankbaren  Tierer :  dessen  Erzählungskunst  und  dessen  Grund- 
anschauung sind  indisch,  ^nauer  buddhistisch,  alle  Wesen  sind  ^t,  doch 
ein  Gefäfis  uler  Schlechtigkeit  ist  der  Mensch  (vgl.  auch  Ck)squin  I,  XXVI  f.). 
Noch  buddhistischer  fast  ist  das  Märchen  von  der  undankbaren  Gattin, 
die  starb,  und  die  der  Mann  zum  Leben  erweckte,  indem  er  ihr  die  Hälfte 
seines  Lebens  abtrat,  die  zum  Dank  diesen  edelsten  mit  einem  Erüppel 
betrog,  einen  Abhane  hinunterstürzte  und  ihn  dann,  als  er  lebend  bheb 
und  sie  endlich  wiedersah,  noch  verklagte.  Diese  Geschichte  wird  sich 
wohl  ein  weiberhassender,  weitabgewandter  Buddhist  ersonnen  haben,  und 
sie  enthält  trotz  aller  Erklügeltheiten  Szenen  von  grandioser  Tiefe  und 
Menschenkenntnis.  Sie  verbreitete  sich  schon  vor  Jahrhunderten,  ihre 
Verästelungen  und  Verzweigun^n  hat  Gaston  Paris  in  einer  seiner  letzten 
Abhandlungen  gezeigt  (Zeüaehrift  des  Vereifu  für  Volkskunde  XIV  [1908], 
1—24.  129—50).  Als  Volksmärchen  (Ck>squin  II,  842.  —  Grimm,  KHM  16) 
lebt  sie  noch  heute  und,  wie  sehr  auch  viele  ihrer  ursprünglichen  Motive 
verblafstenp  wie  viele  Züge  anderer  Märchen  in  sie  hinein  gerieten,  die 
Grundidee,  die  bodenlose  Untreue  und  der  schmähliche  Unduik  der  Frau 
gegen  ihren  Mann  und  Lebensretter,  «ib  ein  Erzähler  immer  dem  anderen 
weiter,  und  sie  geht  noch  wie  eine  s(3iwere  Ankla^  durch  unser  Märchen. 
—  Beiläufig  sei  bemerkt,  dafs  Artur  Bonus  {Preufsuche  Jahrbücher  Februar 
1905)  dieses  Märchen  mit  dem  ägyptischen  Brüaermärchen  vergleicht,  als 
führe  es  darauf  zurück:  wie  er  zu  dieser  Verirrung  kommt,  ist  mir  un- 
begreiflich, da  Gedanken,  Motive,  Inhalt  beider  Märchen  von  Grund  aus 
verschieden  sind.  Die  unbesonnene  Voreingenommenheit  gegen  das  in- 
dische Märchen  führt  manchmal  zu  seltsamen  Entgleisungen.  —  Em  Motiv 


Zur  EntetehuDg  des  Mftrchens.  285 

perbanes^  bedfirfnifilos^  weil  sie  in  einem  Land  von  versdiwende- 
rischer  Fruchtbarkeit  lebten  und  mit  geringer  Nahrung  ihr  Leben 
fristen  konnten.  In  immaterieUen  Genüssen  trieb  das  gleiche 
Volk  einen  sonst  nicht  gekannten  Luxus^  es  berauschte  sich  an 
Düften  und  E^enzen.  Sein  Körper  ermüdete  nicht  im  Kampf 
um  den  täglichen  Unterhalt^  und  aie  Kräfte  für  den  Geist  blieben 
frei.  Der  bewegte  sich  mit  virtuoser  Gewandtheit  in  den  ver- 
wickeltsten  Gedankengängen^  leicht  und  anmutige  ironisch  über- 
legen, zu  schillernder  Erfindung,  zu  phantastisch  verworrenen  und 
sdtsam  tiefen  Träumereien  gern  geneigt  Die  Inder  wurden  in 
ihrem  Lande  bald  ein  zahllos  grofses  Volk,  die  einzelne  Existenz 
galt  wenig  oder  nichts,  das  Leben  breitete  sich  in  unübersehbarer 
Mannigfaltigkeit  um  den  einzelnen,  unendliche  Menschenmassen 
in  einer  unendlich  reichen  Natur,  und  wer  sich  behaupten  wollte, 
bedurfte  jeden  Tag  und  jede  Stunde  indischer  Schmiegsamkeit 
und  Klugheit,  zumal  dort,  wo  sich  das  höchste  Leben  abspielte, 
am  Hofe  der  launischen  und  grausamen  Despoten,  die  Hofmänner, 
nicht  Staatsmänner  um  sich  wollten.  Hofmänner,  die  jeder  Laune 
biegsam  entgegenkamen,  die  sich  mit  immer  neuen  Känken  und 
Schlichen  in  ihrer  Stellung  erhalten  mufsten  und  schliefslich  doch 
skrupellos  verstofsen  wurden.  Das  indische  Leben  hat  eine  be- 
ängstigende Fülle,  eine  beängstigende  Schönheit,  es  ist  grenzenlos 
unsicher,  und  jeder  Tag  scheint  ungeahnte  Katastrophen  bringen 
zu  können:  weil  die  Schönheit  und  der  Genufs  so  unerhört  waren, 
reizte  es  die  Inder  immer  von  neuem,  ihn  ins  Unerhörtere  zu  stei- 
gern; ebenso  sehr  aber  wuchsen  die  Qualen.  Dies  Leben  erschien 
dann  wie  ein  böser,  nie  endenwollender  Traum,  immer  neue  Leiden 
erzeugend,  und  die  Inder  erhöhten  sich  diese  Qualen,  indem  sie 
den  Glauben  an  die  Seelenwanderung,  an  die  ewige  Wiederkehr 
der  Menschen  und  Lebewesen  schufen,  ganz  und  gar  ins  End- 
lose. Es  ist  dieser  Glaube  eine  merkwürdige  raffinierte  und  echt 
indisch  grausame  Selbstpeinigung;  Oldenberg  hat  ihn  mit  einer 
Wanderung  durch  die  Wüste  im  hei&esten  Sonnenbrand  ver- 
glichen, bei  der  der  Wanderer  schliefslich  in  ein  Becken  mit 
glühenden  Kohlen  stürzt  Es  ist  auch  nur  zu  natürlich,  dafs 
gerade  Indien  das  Land  der  Entsagung  und  Lebensüberwindung 
wurde,  in  dem  man  alles,  was  gerade  dieses  unerschöpflich  reiche 
Land  bieten  konnte,  seine  Schätze  und  Drohungen  alle,  ach  so 

aas  dem  Märchen  von  der  undankbaren  Gattin,  die  Errettung  der  Frau 
ans  Lebensgefahr,  ihr  Ehebruch  mit  dem  Räuber  und  die  Hinterlist  gegen 
den  Erretter  fand  aufserdem,  was  noch  nicht  bemerkt  wurde,  in  ein  ganz 
anderes  Märchen  Eingang:  in  das  von  der  treulosen  Mutter  oder  treulosen 
Schwester,  vgl.  vor  älem  Balston  Schiefner,  Tibetan  Tales  291  f.  mit  Les- 
kien Brugmann  401,  Waldau,  Böhmisches  Märehenbueh  469,  femer  R  Köh- 
ler I,  804. 

'  Die  LUeratm-  des  aUen  Indim  15  f.  65  f. 


286  Zur  Entstehang  des  Märchens. 

gern,  von  sich  warf  und,  ohne  jedes  irdische  Bedürfnis,  nur  in 
die  Geheimnisse  eines  unergründeten  göttlichen  Seins  sich  ver- 
senkte. 

Verblendender  Glans,  sinnbetörende  Lockung,  unerhörter  Ge- 
nufs,  furchtbare,  endlose  Qualen:  all  das  rann  dem  Inder  in- 
einander, so  traumhaft,  dafs  sich  alle  Grenzen  der  Wirklichkeit 
verloren  und  verwirrten.  Darum  ist  auch  das  indische  Mär- 
chen ein  so  seltsames  Hin  und  Her  zwischen  Wirklichkeit  und 
Wunder,  die  Welt  selbst  erschien  dem  Inder  oft  märchenhafter 
als  das  sonderbarste  Märchen  und  traumhafter  als  der  ertraum- 
teste  Traum.  Märchen,  Novelle,  Boman  und  Leben  unterschei- 
den sich  in  Indien  kaum,  und  das  indische  Märchen  spiegelt 
uns  das  ganze  indische  wirkliche  Wesen.  Wir  haben  auch  etwas 
davon  gespürt  —  wir  haben  freilich  nur  wenige  indische  Mär- 
chen betrachtet  — :  die  Endlosigkeit,  das  Massenhafte  und  Unüber- 
sehbare, die  Freude  an  scharfsinnigen,  komplizierten,  unerhörten 
Erfindungen  und  Entscheidungen,  aas  Schwelgen  in  wunderbaren 
und  seltsamen  Gaben,  die  tiefe  Erkenntnis  von  der  Nichtigkeit 
des  Irdischen  und  der  erbärmlichen  Schwäche  des  Menschen,  das 
fortwährende  uns  immer  neu  frappierende,  dem  Inder  ganz  ge- 
wohnte Ineinandergreifen  von  Wirküchkeit  und  Märchen,  als  hätte 
die  Welt  des  Wunders  und  die  des  Märchens  genau  die  gleiche 
Existenz  und  sei  die  eine  nur  da,  um  die  Schwäche  der  anderen 
zu  offenbaren  —  alle  diese  Eigenschaften  stellen  sich  uns  nun 
dar  als  Eigenschaften  des  indischen  Märchens  und  zugleich  des 
indischen  Wesens.  Wir  sahen  diese  Eigenschaften  eine  nach  der 
anderen  vor  uns  auftauchen  und  eine  nach  der  anderen  sich 
wiederholen  und  als  indisch  bestätigen,  und  wir  dürfen  zuversidit- 
lich  und  getrost  noch  einmal  aussprechen,  was  uns  vorher  jedes 
Beispiel  zeigte,  dafs  die  Märchen,  die  ynr  aus  so  einfadien  Mo- 
tiven so  überraschend  sich  bilden  sahen,  und  die  alle  Märchen 
der  anderen  Völker  weit  überflügelten:  dafs  diese  Märchen  nur 
in  Indien  entstehen  konnten,  denn  ihre  Entwicklung  stimmt  mit 
den  Eigenheiten  keines  anderen  Volkes,  dafür  aber  bis  ins  ein- 
zelnste mit  den  Eigenheiten  des  indischen  Wesens. 

Die  Vermutungen  Benfeys^  über  Geschichte  und  Ausbrei- 
tung des  indischen  Märchens  erhielten  eine  Überfülle  von  Be- 
stätigungen. Benfey  suchte  zu  beweisen,  dafs  die  meisten  der 
indischen  Märchen  auf  buddhistische  zurückgingen,  und  als  dann 
die  reichen  buddhistischen  Märchenschätze  bekannt  wurden,  recht- 
fertigte fast  jedes  Stück  diese  Meinung  und  war  als  Variante  oder 
als  ^tere  Form  der  späteren  indischen  Märchen  leicht  zu  erkennen. 
Auch  der  Einfluis   und   die  Bedeutung  der  indischen   Märchen 

'  Vgl.  etwa  PantchatofUra  1,  XXII  f.   Orient  und  Okxidmt  I,  133  f. 
Kleinere  Schriften  III,  67.  160.  224. 


Zar  Entotehnng  des  MSrchens.  287 

für  die  Märchen  der  Welt  stellte  sich  als  ein  vid  imposanterer 
und  beherrschenderer  dar^  als  sogar  Benfey  geträumt  hatte,  die 
mongolischen,  die  awarischen,  die  türkischen,  die  tibetischen,  die 
syrischen,  die  afrikanischen  Märchen,^  die  in  den  Jahrzehnten  nach 
dem  Pantschatantra  bekannt  wurden,  zeigten  auf  Schritt  und  Tritt 
Spuren  der  indischen  Einflüsse,  ja  das  Wertvollste  und  Interessan- 
teste an  ihnen  war  indisches  Lehngut  Mit  dem  Buddhismus 
hatte  eben  auch  das  buddhistische  Märchen  die  asiatische  Welt 
si^reich  durchschritten.  Wenn  nun  bei  halbbarbarischen  rohen 
und  zurückgebliebenen  Völkern  die  indischen  Märchen  solche 
Eindrücke  hinterliefsen,  wie  sehr  mufsten  dann  erst  die  Völker 
des  Abendlandes  unter  ihren  Bann  geraten  I  Es  ist  kein  Wunder, 
dafs  manche  Forscher  meinten,  es  gäbe  kein  Märchen,  das  nicht 
in  Indien  seine  Heimat  habe,  auch  die  Märchen  seien  indisch, 
deren  indische  Vorbilder  man  bisher  nicht  auffand,  dafs  manche 
auch,  schlechten  Beispielen  von  Benfey  folgend,  in  abendlän- 
dischen Märchen  nach  einzelnen  Motiven  suchten,  die  indischen 
ähnlich  waren,  diese  Motive  dann  für  die  ursprünglichsten  und 
die  Herkunft  der  ganzen  Märchen  für  indisch  erklärten.^ 

Durch  diese  Übertreibungen  wurde  nun  das  Vertrauen  zu 
Benfeys  Theorie  recht  erschüttert.  Wir  können  es  wieder  be- 
festigen, indem  wir  zugeben,  dafs  Benfeys  Ansichten  teils  sehr 
wesentlicher  Ergänzungen,  teUs  sehr  wesentlicher  Einschränkungen 
bedürfen. 

Der  Ergänzung  insofern,  als  die  Geschichte  des  Märchens 
weit  über  den  Buddhismus  hinaufreicht.  Gewifs,  die  in  Indien 
erzählten  Märchen  beruhen  sehr  oft  auf  dem  Buddhismus,  aber 
die  buddhistischen  Märchen  zeigen  uns  selbst,  dafs  ihnen  ältere 
Geschichten  zugrunde  liegen,^  und,  um  das  noch  einmal  zu  sagen, 
die  Märchenmotive,  aus  denen  sich  diese  und  noch  ältere  Ge- 
schichten zusammensetzen,  gehören,  zusammen  mit  den  primitiven 
religiösen  Vorstellungen,  den  Anfängen  der  Sage  und  des  Mythus 
jedem  Volk  und  der  Urzeit  des  Menschen.  Manche  haben  sich 
im  Abendlande  die  Jahrtausende  hindurch   unverändert  erhalten 


*  VgL  etwa  Jülg,  Kdlmüekisehe  Märchen  1866;  Jfllg,  Mongolisehe  MStt- 
ehen  1868;  Schiefner,  Ätporisehe  Texte  1873;  Baiston  Schiefner,  Tibekm 
Tales  1882;  Eadloff,  Proben  der  VolkalüeraHtr  der  türkisehen  Stämme  Süd- 
sibiriens 1BQ6 — 72;  Prym  und  Socin,  Der  neuctramäisehe  Dialekt  des  *Tär^ 
'Äbdin  1881;  Stumme,  Timisiseke  Märehen  und  Gedichte  1893. 

*  VgL  oben  Archiv  CXV,  289  Anm.  2. 

'  VgL  z.  B.  Serge  d'Oldenbourg,  Journal  of  the  Royal  Asiaiie  Society j 
N.  S.  25  (1893)  301  f.  —  Man  erkennt  jetzt  ^anz  klar,  da£s  die  Buddhisten 
dieJie  Geschichten  vorfanden  und  in  sie  die  buddhistische  Weltanschauung 
hineinbrachten,  vgl.  Oldenberg,  Litertxtur  des  alten  Jkdien  108  f.  —  Einzelne 
Jätakas  sind  kontaminierte,  entstellte,  in  Motiven  gehäufte  Märchen,  vgl. 
etwa  die  Kümmern  41,  77, 120, 114,  284,  432, 186,  257,  357.  —  48, 193  (spate 
Auswüchse). 


288  Zur  Entstehung  des  Märchens. 

und  sich  mit  neueren  Gebilden,  audi  Qebilden  indischen  Ur- 
Sprungs,  verbunden. 

Der  Einschränkung  insofern,  als  lange  nicht  alle  abendlan- 
dischen Märdien  indischen  Ursprungs  sind.  Die  Märchen  von 
Domröschen  und  Schneewittchen  etwa,  die  von  Goldener  und 
Ällerleirauh,  die  vom  Wasser  des  Lebens  und  den  Hollenreisen,' 
die  vom  Bauer  Elinochs,  der  seine  Dorfgenossen  inuner  betrc^ 
und  immer  auflebte,  wenn  sie  ihn  tot  glaubten,^  die  Schild- 
bürger- und  Narrenstreiche,  der  Meisteraieb:  diese  Märchen, 
um  nur  einige  Beispiele  herauszugreifen,  gehören  zum  TeO  seit 
langen  Jahrtausenden  dem  Abendlande  an,  sie  haben  sich  aus  den 
deichen  Motiven,  nur  kunstloser,  entwickelt,  wie  die  indischen 
Märchen  auch:  sie  sind  diesen  in  Aufbau,  Steigerung,  Kompo- 
sition weit  unterl^en,  aber  gerade  in  ihrer  Einfachheit,  weil  sie 
die  alten  VorsteDuneen  so  treu  bewahren  oder  so  kindlich  und 
barmlos  oder  so  derb  und  drastisch  erzählen,  gerade  darin  liegt 
ihr  Zauber  und  ihre  Lebenskraft  Ihre  Heimat  aufzufinden  durfte 
schwer  oder  unmöglich  sein,  und  Entdeckungsreisen  danadi  kann 
man  kaum  empfehlen;  die  Hauptsache  bleibt,  daTs  man  diese 
Märchen  unbefangen  betrachtet  und  sich  ihrer  freut,  ohne  daTs 
man  durch  die  Frage,  sind  sie  indisch  oder  nicht  indisch,  gequält 
und  gewaltsam  festgehalten  wird. 

Das  darf  man  aber  behaupten:  erkennt  man  in  einem  euro- 
päischen Märchen   eine  kunstvolle  Art  der  Erzählung,   wie  wir 

'  Die  Opfer,  die  bei  einer  Höllenfahrt  zu  entrichten,  die  Gefahren  und 
Mühseligkeiten,  die  zu  überwinden  sind,  schildert  das  Indische  wieder  in 
seiner  Weise,  angnehäuft  und  sich  steigernd.  Odysseus  (0dy99ee  XI,  28  f.) 
ffräbt,  bevor  er  die  Schatten  der  Toten  beschwört,  eine  Grube,  gieikt  für 
die  Toten  einen  Weiheufs  hinein :  Honig,  Milch,  Wein  und  zuletzt  Waaaer, 
das  bestreut  er  mit  Mehl  und  gelobt,  zu  Hause  ein  Bind,  dem  TLresuis 
einen  fehllosen  Widder  zu  opfern.  Bei  Jülg,  Mongol.  Märchen  S.  96,  muis 
ein  Held,  der  eine  Unterweltsreise  macht,  einem  eisernen  Alten,  der  ge- 
schmolzenes Blei  getrunken,  Reisbranntwein  geben,  zwei  aufeinander- 
stofsende  Widder  durch  Hefekuchen  bes&nfti^n,  einer  Schar  von  Gepan- 
zerten Fleisch  und  Kuchen  verabreichen,  zwei  blutigen  behaarten  Dienern 
des  Höllenrichters  ein  Blutopfer  entrichten  usw.  und  die  Gefahr  und 
Mühsal  schildert  ein  Märchen  aus  Tibet  so  (Ralston,  Schiehier  S.  62) :  drei 
und  nochmals  drei  Berge  und  dann  den  Gebirgsstock  des  Himavant  über- 
schreiten, über  einen  trägt  em  Vogel;  Zaubergeechöpfe,  ähnlich  Bock  und 
Widder,  einen  greulichen  Zaubergeist  zu  übconnden,  eine  Schlimro,  die 
wie  ein  wütender  Strom  zischt,  erschlagen,  zwei  Widdern,  die  mit  Efömem 
aneinanderstolsen,  Homer  abbrechen,  von  zwei  eisernen  Mäimem  mit 
Waffen  einen  erschlagen,  einem  Geist  mit  Eisenlippen  einen  Schleuder  an 
die  Stirn  schleudern,  über  einen  grofsen  gärenden  Teich,  der  sechzig  Faden 
tief,  schreiten,  Geister  bezwingen  etc.  etc.  (die  Worte  hier  sehr  dunkel, 
Ralston  64  Anm.).  Mit  dieser  Überfülle  von  Gefahren  vergleidie  man  die 
der  Psyche  bei  Apuiejus  drohenden  —  oben  Archiv  CXV,  19  —  wie  wenig 
weidMi  ^s  I 

'  R.  Köhler  I,  91.  230  f.  Cosquin  I,  114  f.  (indische  Formen,  modern) 
226  f. 


Zur  EntstehuDg  dee  MärcheDs.  289 

sie  durch  unsere  Beispiele  anschaulich  machten^  so  ist  seine  Heimat 
bestimmt  Indien.  Man  wolle  dabei  nicht  vergessen,  daTs  nur 
wenige  der  indischen  Märchen  nach  dem  Abendlande  kamen,  ge- 
rade das  Echteste  und  Feinste,  das  durchaus  Indische  am  m- 
dischen  Märchen  war  zu  fein  und  kompliziert  für  andere  Völker. 
Vergleicht  man  die  abendländische  Form  eines  indischen  Mär- 
chens mit  der  indischen,  so  erscheint  jene  als  verblafst  und  ab- 
Seschwächt.  Oft  kamen  nicht  die  ganzen  indischen  Märchen 
erüber,  sondern  nur  Episoden  und  Bruchteile,^  die  sich  in  Mär- 
chen anderer  Herkunft  einfugten,  oft  auch  nur  besonders  feine 
und  wirkungsstarke  Motive,  die  sich  gleichfalls  an  andere  Märchen 
ansetzten  und  neue  Verbindungen  eingingen.  Das  wurde  auch 
aus  unseren  Beispielen  klar,  wenn  es  auch  aufserhalb  unserer 
Au%abe  lag,  den  Wanderungen  und  Wandlungen  im  einzelnen 
nachzugehen,  der  kaleidoskopischen  immer  neuen  Zusammensetzung 
und  den  geographischen  Wegen  zu  folgen.^  Auch  bleibt  es  anderen 
vorbehalten,  die  Märchenkunst  europäischer  Völker  zu  charakte- 
risieren durch  Veigleichung  des  Indischen  und  Nichtindischen  in 
ihren  Märchenschätzen  und  durch  Betrachtung  der  Art,  in  der 
sie  die  indischen  Motive  aufnahmen  und  verwandelten.' 

Die  Zahl  der  Märchen  indischer  Herkunft  innerhalb  der 
abendländischen  Märchensammlungen  bleibt  aber  noch  immer  eine 
stattliche.  Was  die  Benfeysche  Hypothese  einbüfste:  dafs  sie 
manches  abendländische  Märchen  verlor,  auf  das  sie  früher  zählte, 

>  Vgl  oben  Arekw  CXV,  286;  CXVI,  9.  11.  15  Anm.  5.  20  Anm.  2. 
22  Anm.  1. 

*  Doch  sind  die  literarischen  Hinweise,  die  ich  gab,  immer  so  ein- 
gerichtet, diese  Forschoneen  zu  ermöglichen. 

^  Über  das  deutsche  Märchen,  seine  Geschichte,  seine  deutschen  und 
nichtdeutschen  Bestandteile,  hoffe  ich  demnächst  etwas  ausführlicher  zu 
sprechen.  —  Schon  hier  aber  möchte  ich  auf  die  Verse  im  deutschen  Mär- 
cnen  hinweisen,  die  dann  als  Beweise  für  hohes  Alter  und  deutschen  Ur- 
sprung der  Märchen  gelten  dürfen,  wenn  sie  die  Eigentümlichkeiten  des 
alten  deutschen  volkstümlichen  Verses  sich  bewah^n;  Assonanz  statt 
Reim,  Fehlen  klingender  Beime,  schweren  Auftakt,  bald  mehrsilbige 
Senkung,  bald  Synkope  der  Senkung,  dipodischen  Charakter.  Vgl.  z.  B. 
Grimm,  KHM: 

12     RapünzM,  Rapunzel  |  Lifa  Dein  H4ar  herunter.  — 

15     Entchin,  Entch^n  |  Da  steht  uns  GrMM  und  EGiinsM  | 

Kein  St^g  and  keine  Brücke  |  Nimm  uns  auf  deinen  weiÄen  Bücken  >\. 

89     W^h  Weh  Windchin     Nimm  Kurtchto  sein  Hiitch^n. 
Wenn  das  Deine  Mutter  yrtCsth 
Das  H^rs  thftt  ihr  zerspring^D. 

141     Der  K6ch  der  w^tzt  das  Möss&r 

will  mir  das  Hirs  durohstöchto.     Usw. 

Zur  Vortra^weise  der  Märchen  im  aUgemeinen  sei  auch  hier  an  €k>ethes 
Werther  erinnert:  'so  daCs  ich  mich  jetzt  übe,  sie  (die  Märchen)  unver- 
änderlich in  einem  sinsenden  Silbenfall  an  einem  Schnürchen  weg  zu  reci- 
tieren'  (Hempel  14,  58). 


290  Znr  Entstdumg  dw  MfircheDS. 

hat  sie  für  das  aaTserindische  Asien  reichlich  ein^bracht,  hier 
hat  sie  sich  ^x>fsartiger  und  vielfältiger  bewahrt,  als  irgend  jemand 
voraussah.  Einige  Aufsen  werke  hat  die  Hypothese  v^oren;  aber 
durch  die  Verluste  wurde,  was  ihr  bUeb,  nur  fester  und  unüber- 
windlicher; bei  den  Märchen,  die  sie  behalten,  läfst  sidi  die  Her- 
kunft aus  Indien  Punkt  für  Punkt  nachweisen. 

Die  Forscher,  die  g^en  Benf ey  kämpften,  haben  alle,  mit 
einziger  Ausnahme  von  Erwin  Rohde,  das  indisdie  Märdien  nicht 
so  gekannt^  wie  sie  es  hätten  kennen  müssen,  wenn  ihre  Polemik 
wirklich  den  Kern  der  Meinung  Benfejs  treffen  woUte.'     Aller 


*  Wilamowitz,  Euripides  HippolytaSy  Berlin  1891,  S.  36  f.  sagt:  'Seit 
den  letzten  Jahrhunderten  des  Mittdalters  besitzt  die  europaische  Literatur 
einen  groDsen  Schatz  von  solchen  Novellen;  in  unübersenbarer  Fülle,  in 
tausend  Bearbeitungen,  immer  verändert  und  immer  dasselbe  Uegen  ne 
vor  uns.  Es  ist  unzweifelhaft,  dafs  Europa  sie  aus  dem  Ori^it  erhalten 
hat,  und  dafs  die  greisen  indischen  Sammlunj^en  an  Alter  und  ürsprünj^- 
lichkeit  hervorragen.  Aber  die  fast  all^mem  geltende  Ansicht,  die  in 
Indien  die  Heimat  dieser  Geschichten  siät,  ist  schon  dadurch  widerlefft, 
dafs  einzelne  Stücke  mehr  als  ein  Jahrtausend  frfiher  in  mediischen  oder 
lateinischen  FasBun^en  erhalten  sind,  und  dafs  die  Tierfiibel  des  Mittel- 
alters in  Ost  und  West  griechischer  Herkunft  ist  Ja,  ein  paar  Schwanke 
von  betrogenen  Ehemännern,  die  man  den  Griechen  am  wenigsten  zutrauen 
würde,  werden  ganz  zufällig  bei  Aristophanes  owahnt  Der  Philologe, 
der  wirklich  die  nellenische  Unterhaltungsliteratur  kennt,  der  an  der  Ss^ 
gelernt  hat,  den  Umfang  und  die  Bedeutung  der  ungeschriebenen  Literatur 
zu  schätzen,  kann  überhaupt  gar  nicht  erst  darütwr  debattieren,  dafs  es 
mit  den  milesischen,  lydischen,  ionischen,  sybaritischen  Geschichten,  mit 
den  Sieben  Weisen  und  der  Fanrt  in  das  Wunderland  im  Verhältnjis  zu 
der  orientalischen  Novellistik  genau  so  steht  wie  mit  Alexander  und  Asop. 
Der  Orient  hat  in  dem  Novellenschatze  das  Erbe  des  Hellenismus  ge- 
rettet, das  Erbe  vieler  Jahrhunderte,  wo  in  seinen  weiten  Reichen  üb» 
allen  Völkern  die  einigende  und  vermittelnde  Macht  der  heUenischen  Kul- 
tur und  Sprache  stand.  Diese  Macht  ist  durch  die  niedergedrückten  Völker 
zerstört  worden,  durch  Skythen  und  Parther  und  Araber  und  Türken; 
aber  wie  die  Blüte  des  Orients  die  hellenische  Herrschaft  war,  so  zdirt 
seine  Phantasie  an  dem  Vermächtnis  des  Hellenismus,  und  dies  hat  er 
dem  barbarischen  Europa  wiedergegeben.  Es  versteht  sich  von  selbst,  dala 
die  Geschichten,  indem  sie  in  die  fremden  Zungen  und  Gegenden  und 
Sitten  übergingen,  Eigentum  der  anderen  Völker  geworden  sind,  denen 
nichts  an  ihrem  individuellen  Verdienst  gekränkt  werden  soll.  Es  ver- 
steht sich  auch  von  selbst,  dafs  die  hellenische  Novelle  genau  die  Voraus- 
setzungen hat  wie  der  Hdlenismus,  und  dafs  darin  das  Hellenische  nicht 
der  einzige  Faktor  ist  Ja  die  jonische  Novelle  schon,  die  man  um  500 
auf  den  Alärkten  von  Milet  und  Samos  erzählte,  verarbeitete  keinesw^s 
rein  hellenischen  Stoff,  sondern  die  gemischte  Kultur  der  kldnasiatischen 
Küste  und  die  Erkundungen  eines  an  allen  Küsten  verkehrenden  Kauf- 
mannsvolkes  sind  ihre  Voraussetzungen.  Die  Kultur  der  Völker  um  das 
östliche  Mittelmeer  ist  ja  Jahrtausende  älter.  Aber  den  Hellenen  hatten 
die  Götter  nun  einmal  beides  gegeben,  sowohl  die  Phantasie  wie  die  Form, 
hatten  ihnen  die  Aufgabe  gesteUt,  die  Summe  aus  der  Kultur  der  Jahr- 
tausende zu  ziehen,  indem  sie,  dieses  von  sich  heraus,  den  freien  Staat, 
das  freie  Denken,  die  freie  Wissenschaft  hinzubrachten;  damit  waren  sie 
auch  befähigt,  den  Schatz  von  Kultur  und  Menscheaerfahnuic^  von  Laiine 


Zur  Entstehung  des  MSrcheoB.  291 

Einschränkung  und  Ergänzung  ungeachtet,  gab  es  in  der  Wissen- 
schaft selten  eine  Theorie,  die  so  viel  glänzende  und  unerwartete 
Bestätigungen  erhielt,  so  viel  Dauer,  innere  Wahrheit  und  Lebens- 
kraft besitzt  und  der  Elrkenntnis  literarischer  Zusammenhänge  so 
fruchtbar  wurde  wie  die  Benfeys.  Es  wird  nunmehr  überhaupt 
gut  sein,  das  törichte  allgemeine  Ankämpfen  g^en  die  Priorität 
der  indischen  Märchen  aufzugeben;  ob  em  abendländisches  Mär- 
chen auf  ein  indisches  zurückgeht,  mufs  in  den  Fällen,  die  wir 
nicht  berührten,  jedesmal  durch  eine  Einzeluntersuchung  nach  Art 
der  hier  geführten  festgestellt  werden.  Dais  die  Ansichten  der 
englischen  Forscher:  die  Märchen  seien  überall  und  voneinander 


und  Humor,  Schwänken  und  Fabeln  zu  sammeln,  auszumünzen  und  unter 
die  Leute  zu  bringen,  der  dann  so  und  so  oft  uberprägt  oder  auch  um- 
^eschmoizen  Jahrtausende  lang  kursiert  hat  und  nocn  kursiert.  Sie  haben 
freilich  keinen  Homer  oder  Asop  für  die  Novelle  gehabt :  aber  wer  Vater 
Herodotos  recht  kennt,  der  weils  dennoch,  wo  die  Väter  der  Novelle  zu 
Hause  sind  und  wie  sie  etwa  ausgesehen  haben.' 

Von  diesen  Behauptungen  trifft  zu,  dals  die  Griechen  Märchen,  No- 
vellen und  Schwanke  Kannten  und  erzahlten,  und  dafs  von  diesen  Ge- 
schichten auch  manche  in  den  Orient  drangen,  manche  in  den  Erzählungs- 
schätzen  des  Mittelalters  wieder  auftauchen  und  sich  dort  in  der  Naä- 
barschaft  von  Geschichten  anderer  Herkunft  aufhalten.  Ein  andere  Völker 
durchweg  ausschlieiaendes  Monopol  auf  die  Erfindung  von  Geschichten 
besaisen  eben  die  Inder  nicht.  —  Das  war  aber  alles  unnötie  zu  sagen, 
denn  man  wuTste  es  vor  Wilamowitz  schon  längst;  schon  1876  hatte  das 
Eririn  Rohde  (Der  grieohtsehe  Romain*  578  f.  Über  ariechisehe  Noveüen- 
diehUma  und  ihren  Zusammenhana  mit  dem  Orient)  besonnen  und  über- 
zeugena  ausgesprochen,  und  derselbe  hatte  in  seinem  griechischen  Roman 
überall  auf  Spuren  des  griechischen  Märchens,  von  Homer  an,  verwiesen. 
Allerdings  betonte  auch  Rohde  nicht  den  sehr  bemerkenswerten  Unter- 
schied zwischen  den  von  ihm  genannten,  einander  sehr  ähnlichen  indischen 
und  griechischen  Schwänken  und  gab  eine  recht  wunderliche  und  verkeiirte 
CharsuLteristik  des  indischen  Märchens  (598).  Die  uns  ernaltenen  Reste 
griechischer  Märchen,  Schwanke  und  Novellen  sind  aber  dürftig  und  stehen 
auf  keinem  sehr  hohen  kOnstlerischen  Standpunkt:  es  sind  Motive,  Anek- 
doten und  kurze  Geschichten  wie  sie  sich  andere  Völker  auch  erfinden 
konnten  und  erfanden  (vffl.  die  Anekdoten  über  die  Todesarten  griechischer 
Dichter  und  Denker  bei  Wilhelm  Hertz,  OesammeUe  Abhandlungen  312  f.). 
Wir  müssen  darum  annehmen,  dafs  diese  Erzeugnisse,  im  Gegensatz  zur 
Fabel  und  zur  Kunstdichtung,  sich  mündlich  überlieferten  una  nic^t  von 
Eünstlerhänden  geformt  wurden.  Da  nun  andererseits  die  Geschichten 
indischer  Herkunft,  die  wir  vorführten,  und  auch  die  Novellen,  die  wir 
noch  vorführen  wollen,  durchaus  das  Gepräge  indischen  Geistes  und  in- 
discher Kunst  zeigen  und  nur  aus  diesem  verständlich  werden,  oft  auch 
in  Zeiten  hinaufreichen,  die  vor  allen  griechischen  Einflüssen  liegen,  bleibt 
von  der  Annahme  von  Wilamowitz,  die  Inder  hätten  mit  ihren  Erzäh- 
lungen das  Erbe  des  Hellenismus  der  Welt  überliefert,  nichts  als  ihre  bare 
Willkür,  zumal  da,  wieder  im  Gegensatz  zur  Fabel,  die  Erzähler  dieser 
Novellen  niemand  nennt  und  kennt  und  die  Erzählungen  selbst  sich  auch 
fast  spurlos  verlormi.  —  Ich  habe  zu  den  Behauptungen  von  W.  nur  Stel- 
lung genommen,  weil  sie  Eindruck  machten;  Vj^  Kögel,  Oesehiehte  der 
deutschen  Literaiur,  Stra&burg  1807,  I,  2,  248  f.  Wie  W.  dazu  kommt,  das 
Europa  zur  Zeit  der  Kreuzzüge  'barbarisch'  zu  nennen,  weiTs  ich  auch  nicht. 


292  Znr  Entstdinng  des  Mirchens. 

unabhängig  entstanden,  fast  nur  für  die  Märdienmotive  gilt  und 
für  Zeiten,  die  weit  vor  dem  Buddhismus  liegen,  bis   zu    dem 
Benfey  doch  nur  vordrang,  dürfte  nun  auch  jedem  einleuchten  ; 
Benfeys  Theorie  wird  dadurch  gar  nicht  getroffen.    Wir  gewan- 
nen aber  durch  diese  Forscher  und  durch  Benfey  die  Möglidi- 
keit^  das  Werden  des  Märchens  in  den  Urzeiten  ahnend  zu  er- 
kennen,  seine  Geschichte,  seinen  Zusammenhang  mit  Diditun^ 
und  Kultur  durch  die  Jahrtausende  hindurch,  bei  primitiven  and 
bei  gebildeten  Völkern  zu  begleiten,  das  Wesen  der  Volker  auch 
durch  ihre  Märchen  zu  bestimmen,  und  zugleich  den  ungeheure], 
über  Orient  und  Okzident  sich  ausbreitenden,  tausendrach   ver- 
zweigten Einflufs  des  indischen  Märchens  zu  untersuchen:   alles 
Aufgaben  und  Ziele,  die  zu  den  weltumspannenden  and  zu  den 
verlockendsten  gehören,  die  literarische  Forschung  erreichen  kann 
und  die  zugleich  die  tiefsten  Einblicke  in  die  Völker  und   ihre 
Dichtung  verheilst. 

V.  (Anhang.) 
Btfdiers  Fabliaux.    Die  indischen  Novellen. 

In  einem  Anhang  möchte  ich  noch  zu  einem  Werke  Stellmig  ndimen, 
das  vielen  Foinchem  ihre  stärksten,  noch  heute'  wirksamen  Zweuel  an  der 
Theorie  Benfeys  eingab :  B^diers  Fabliaux.  Es  war  ja  zuerst  die  Begdste- 
rung  über  dieses  Buch  eine  allgemeine.  Dann  wurden  dem  Verfasser  durch 
Cloetta  und  Euling*  eine  inmmelnde  Fülle  von  falschen  Angaben,  FlOch- 
^^tigkeiten  und  Irrtümern  nach^väeseni  und  zwar  alles  so  augenfällig, 
da(s  man  sie  gar  nicht  we^treiten  konnte.  Wäre  über  einen  deutschec 
Gelehrten  ein  ähnlicher  kntischer  Schauer  niedergegangen,  so  wäre  wohl 
der  Glaube  an  Treu  und  Bedlichkeit  für  immer  zerstört  gewesen,  den 
N^  Franzosen  eab  man  noch  nicht  prds.  Die  Methode,  hiefs  es,  die  scdiarf- 
sinnige  und  geistreiche  Methode  des  Verfassers  mache  die  Benfevsche 
Theorie  doch  zu  nichte,  und  wenn  auch  noch  so  viele  Tatsachen  nüsch 
wären,  die  Methode  bleibe  unwiderl^lich.  Das  klinet  ungefähr  so,  als 
wenn  man  sagt,  die  Soldaten  alle  sind  gefallen,  der  Feidhorr  alldn  hat 
durch  seine  eeniale  Strategie  das  feindliche  Land  erobert,  und  es  ist  auch 
ebenso  glaubhaft  Wir  wollen  uns  nun  einmal  diese  vielgerühmte  Methode 
näher  betrachten  und  wenden  uns  dem  Werk  von  B4dier  auch  darum  für 
längere  Zeit  zu,  weil  es  uns  bestätigen  soll,  dafs  für  die  Novellen  indischer 
Hencunft  genau  das  gleiche  gilt  wie  für  die  Märchen. 

B6dier  faüst  seine  Ersebnisse  8.  XVIII,  XIX,  XX  der  Vorrede  in 
diesen  Sätzen  zusammen :  L*immense  majorit^  des  contes  populaires  (pres- 
Que  tous  les  fabliaux,  jpresque  toutes  les  fahles,  presque  tons  les  contes 
ae  f^)  ^chappent  par  leur  nature  ä  toute  limitation. 

Les  ^l^ments  qui  les  constituent  rMlement  reposent,  soit,  dans  k 
plupart  des  fabliaux  et  des  fahles,  sur  des  donnöee  morales  si  g^n^rales 
qu'elles  peuveut  ^^ement  6tre  admises  de  tout  homme  en  un  temps  ^uel- 
conque,  soit  dans  la  plupart  des  contes  de  f4ee  sur  un  merveflleux  si  pen 
caract^ris4  qu'il  ne  choque  aucune  croyance  et  peut-^tre  indiff^remment  ac- 


'  Vgl.  z.  B.  Hermann  Reich,  Deutsche  Lüeratuntitung  vom  8.  Jnli  1905. 

>  Cloetta,  Archiv  XCIH,  206  f.  —  Enling,  Ana.  f.  deuUch.  Alt&rk  XXni,  265  t 
(1897)  —  vgl.  auch  die  Beaprechangen  von  Josef  Jacobs,  FoJk  Latt  VII,  61,  Des 
üranges,  Romama  XXIV,  135. 


Znr  Entstehnng  des  MarcheiiB.  298 

oept^,  ft  titre  de  simple  fantaisie  amnaante,  par  ud  bouddhiste,  un  chr^- 
tieD,  un  musnlmaD,  un  f^tichiste. 

De  lä  leur  double  don  d'ubiquit^  et  de  p^rennit^.  De  ]k  par  con- 
s^qiience  im  mediale  rimpossibillt^  de  rien  savoir  de  leur  origine,  m  de  leur 
mode  de  propaeation.  iIb  n'ont  rien  d'ethni(][ue:  comment  lee  attribuer 
ä  tel  penple  createur?  IIa  ne  sont  caract^ristiques  d'aucune  civilisation : 
comment  les  localiaer?    D'aucun  temps:  comment  les  dater? 

U  faut  donc  conciure  ft  la  pol^^gen^sie  des  oontes. 

Man  wird  das  Einleuchtende  in  diesem  Bäsonnement  gern  zugeben 
und  zugleich  den  methodischen  Fehler  darin  leicht  sehen.  B4dier  unter- 
scheidet nämlich  nicht  zwischen  Märchenmotiv  und  Märchen.  Ffir  die 
Märchenmotive  trifft,  wie  wir  sehr  oft  erfuhren,  allerdings  zu,  was  B.  sagt, 
dais  sie  jederzeit  und  bei  jedem  Volke  entstdien.  Ein  Märchen  aber  setzt 
sich  aus  verschiedenen  Märchenmotiyen  zusammen,  und  die  Art  dieser  Zu- 
sammensetzung, ebenso  die  Verwertung  und  Ausbildimg  der  Märchen- 
motive kann,  ganz  allgemein  gesprochen,  sehr  wohl  für  bestimmte  Völker 
charakteristis<£  sein.  Wie  oft  hat  sich  uns  das  bei  Betrachtung  der  in- 
dischen Märchen  gezeigt!  So  vergüst  B.  bei  seinen  Erörterungen  gerade 
das,  was  für  den  Märdienforscher  doch  die  Hauptsache  ist  Soviel  über 
seine  Methode  im  allgemeinen. 

Was  sind  nun  seine  methodischen  Elinwände  im  einzelnen  gegen  die 
Herkunft  vieler  fabliauz  aus  orientalischen  Vorlagen?  B.  behauptet  zu- 
erst (1)  115  f.  8)  130  f.),  da(s  nur  zu  elf  von  147  fabliaux  Parallelen  in  älteren 
oder  jüngeren  orientalischen  Sammlungen  nachzuweisen  wären.  Dieses 
quantitative  Argument,  das  auf  viele  Forscher  den  ^ölsten  Eindruck  machte, 
wurde  von  Cloetta  (a.  a.  0.  215)  und  Pillet*  zerrissen.  Pillet  zeif;te  näm- 
lich, dafs  unter  den  elf  fabliaux  nur  die  wichtigsten  Vertreter,  nicht  aber 
sämtUche  Varianten  eines  Stoffes  von  B.  aufgezählt  werden,  daÜB  aber 
umgekehrt  die  verbleibenden  130  fabliaux  nicht  etwa  nach  den  wichtigsten 
Vertretern,  sondern  nach  jeder  einzelnen  Variante  gezählt  sind.  Femer 
wurden  von  B.  auch  manche  orientalische  Erzählungen  übersehen.  —  Was 
sind  nun  die  qualitativen  Einwände?  Und  die  Einwände  gegen  die  ein- 
zelnen fabhaux,  die  man  bisher  aus  orientalischen  Erzählungen  herleitete? 

B.  sagt  (S.  155):  En  un  mot  on  peut  reduire  une  version  quelcon^ue 
d'un  conte  ä  une  forme  irr^uctible:  ce  substrat  demier  devra  ndcessaire- 
ment  passer  dans  toutes  les  versions  existantes  ou  m6me  imaginables  du 
r^it,  u  est  hors  du  pouvoir  de  l'^prit  humain  d'en  supprimer  un  jota. 
On  redirait  le  conte  dans  dix-mille  ans  que  cette  forme  essentielle  se  main- 
tiendrait,  immuable. 

Cela  pos^  (nous  apelerons  ca  cet  ensemble  de  traits  organiques)  . . . 
n  s'ensuit  que  nous  ne  pouvons  ne  rien  savoir  du  rapport  des  deux  ver- 
sions qui  ne  possMent  que  ces  seuls  traits  en  commun. 

Mais  11  est  Evident  que  Jamals  un  conte  ne  s'est  transmis  sous  cette 
forme  sommaire,  abstraite  et  comme  symbolique:  le  jour  m6me  oü  il  a  6t^ 
invent^  ces  personnages  vivaient  d^jä  d'une  vie  ^lus  concr^te,  plus  oom- 
plexe.  Chacun  des  incidents  n^cessaires  de  Fintngue  6tait  exphqu^,  mo- 
tiv^:  c'dtait  ici  un  detail  de  mceurs,  lä  un  mot  plaisant,  lä  un  trait  de 
caract^re.  Si  on  nous  permet  d'employer  ces  formules  le  conte  ne  s'ex- 
primait  point  par  lo,  mais  par  <<;  -|-  a,  b,  c,  d  etc.  Chacun  de  ces  traits 
acoessoires  a,  d,  c,  d  . . .  est  par  nature  transitoire  et  mobile.  Ils  sont 
les  acddents  du  conte  dont  a?  est  la  substance.  Ils  sont  par  d^finition, 
arbitraires,  et  peuvent  varier  d'un  conteur  ä  Fautre. 

8i  donc  on  retrouve  Fun  d'entre  eux  dans  deux  versions  —  et  dans 
ce  cas  seulement  —  ces  deux  versions  sont  idissolublement  unies.  De 
möme  qu'une  famille  de  manuscrit  est  constitn^  par  l'existence  d'une 


*  Dtufableau  vom  den  (rois  Bouu»  MmutrtU,  Htlle  1901,  p.  32,  a.  1. 


2H  Zar  Entstoliiing  6m  MbtlbmM, 

mtoe  faute  dans  divers  manntcrits,  de  mßme  pliudenTB  ▼enions  dhm 
coote  peuTCDt  6tre  rang^  en  nne  m^me  familie,  fd  cep  yerrionB  pr^sen- 
tent  les  m^es  traits  acoeetoires  en  oommnn  ...  La  tantaiaie  cr^thoe 
6tant  iin  acte  de  Tesprit  auesi  indlviduel  que  Terreur. 

Diese  letzte  Behauptung  schränkt  B.  sofort  sehr  stark  ein  in  der  An- 
merkung: II  reste  ici  oomme  dans  les  claasißcations  de  maouscrit  un 
ä^ment  de  critique  subjective:  de  mteae  qu'nne  faute  identique  peut  avoir 
^t^  sugg^r^  ft  deux  copistes  ind^pendants  de  mftme  un  m^me  trait  aooes- 
Boire  peut  ea  certain  cas  avoir  M/&  imagin^  par  deux  conteurs  ind^pendants. 
Chaaue  cas  doit  6tre  ^tndi^  ä  part. 

Mit  Hilfe  dieser  Methode  untersucht  nun  B.  ffinf  fabliaux,  am  denen  die 
Parallelen  in  orientalischen  Erzählungen  nachgewiesen  sind.  In  zwei  von 
diesen  fünf  ereignet  es  sich  nun,  dals  orientalisdie  und  okzidentalische  Ver- 
sion dieselben  traits  aooeesoires  haben.  Erstens  in  den  trois  boesua  mdne- 
Btrels:  die  Geschichte  von  der  Frau,  die  an  einen  häCslichen  Buckligen 
yerheiratet  ist  Sie  läist  sich  zu  ihrem  Verniilgen  tou  drei  anderen  Buck- 
ligen vorsingen,  trotzdem  ihr  eifersüchtiger  Mann  ihr  das  verboten.  Mitten 
in  das  Vergnügen  kommt  er  zurück,  sie  versteckt  die  Bucklisen  in  Eisten, 
der  Mann  ^eht  beruhu^t  wieder  fort,  die  Bucldigen  aber  sina  unterdessen 
erstickt.  Die  Frau  ruft  einen  Träger,  der  ihr  den  ersten  forttragt  und  ins 
Wasser  wirft ;  als  er  seinen  Lohn  will,  weist  sie  entrüstet  auf  den  zwdten, 
warum  er  ihr  den  Toten  zurückgebracht  habe.  Der  Träser  trägt  zornig 
auch  den  zweiten  fort.  Das  eleiche  8piei  wiederholt  sicn  beim  dritten, 
und  als  der  Träger  in  voller  Wut  unter  furchtbaren  Drohungen  auch  den 
dritten  versenkt  hat  und  zurückkehrt,  sieht  er  wieder  einen  Buckligen 
hinter  sidi  —  es  ist  natürlich  der  Mann,  stürzt  sich  auf  ihn,  erdroesielt 
ihn  und  wirft  ihn  ins  Wasser.  Darauf  gibt  ihm  die  Frau  voller  Entzücken 
seinen  Lohn  und  ist  von  ihrem  Qatten  b^Ereit.  Die  erzählte  Form  da* 
Greschichte  begegnet  nur  in  der  hebräischen  Version  des  Sindabadkreisee 
(im  Mischle-Sandabar),  d.  h.  in  den  berühmten  Erzähluneen  der  sieben 
weisen  Meister,  die  uns  persisch,  arabisch,  hebräisch,  syrisch  und  in  vielen 
abendländischen  Übersetzungen  erhalten  blieb,  und  für  die  Benfey  ein  in- 
disches Oriflinal  wahrscheinEch  buddhistischer  Herkunft,  den  Siddhapati 
erschlols.  Es  ist  nun  die  Annahme  sehr  natürUch,  daCs  der  Hebräer  aus 
einer  orientalischen  Quelle  schöpfte,  besonders  da  die  trois  bossus  ein 
durdbaus  orientalisches  Gepräge  nahen,  da  namentlich  in  indischen  Mär- 
chen Bucklige  und  Krüppel  sehr  oft  auttreten,  die  Frauen  gmde  in  in- 
dischen Schwänken  —  ich  erinnere  an  die  Cukasaptati  —  mit  ihren  Lieb- 
habern und  Gatten  genau  ebenso  rücksichtslos  und  verwe|ren  umgehen, 
und  da  ein  Ansatz  zu  unserer  Geschichte  im  arabischen  BtQi&r  i  Danüsh 
entdeckt  wurde.  Auch  das  verdreifachte  Forttragen  des  Buckligen  und 
die  Pointe,  dafs  die  Frau  zum  Lohn  für  ihre  Frechhdt  noch  vom  Mann 
befreit  wird,  mutet  uns,  die  wir  das  indische  Märchen  kennen,  als  echt 
indische  Erändung  an.  B.  meint  aber,  da  die  Erzählung  in  keiner  anderen 
Rezension  des  Sinaabad  wiederkehre,  so  brauche  sie  abi^lut  nicht  aus  dem 
Orient  zu  stammen,  sondern  könne  ebensogut  irgendwo  anders  erfunden 
sein.  Irgendwelche  oestimmte  Beweise  für  cueBe  E^hauptung  beizubringen, 
hält  B.  der  Mühe  nicht  für  wert.  Es  ist  nun  zum  Glück  unwiderl^^cfa 
durch  PiUet  in  seiner  genannten  Abhandlung  erwiesen  worden,  dals  £  im 
Unrecht  war;  der  Ston  der  trois  bossus  ist  orientalischer  Herkunft  und 
orientalischen  Charakters.* 

^  Eine  dem  fabliau  sehr  ähnliche  Greschichte  wurde  Jetst  aseh  in  einw  sehr 
wertvollen  modernen  indischen  HftrcheDaammlnng  geAinden :  Ltsudes,  CtmiM  ti  LM/mdet 
mamitsf,  Saigon  1886,  p.  190.  Vgl.  Gaston  Paria,  iUmama  XXX  (1903),  IM  f. 
(und  140,  a.  1),  wo  auch  sehr  fibeneugend  Aber  die  Tevschiedenen  Formen  noseree 
Schwankes  gesprochen  wird. 


Zur  EntartelinDg  des  MXrdienB.  296 

Das  wire  das  erste  ünglflck.  Nun  die  qnatre  sonhaits  8t  Martin. 
£s  ist,  wie  B.  säet,  'une  plairaite  et  obsc^e  ezag^ration'  eines  bekannten 
Schwankes  von  den  Wfinschen,  die  Menschen  erfüllt  werden,  und  deren 
Erfüllung  die  Wünschenden  zur  Verzweiflung  oder  in  die  lächerlichsten 
Situationen  bringt,  so  dals  sie  erleichtert  aufatmen,  wenn  durch  den  letz- 
ten Wunsch  der  frühere  gewöhnliche  Zustand  wiederhergestellt  wird.  Dies 
fabliau  findet  sich  in  aUen  orientalischen  Versionen  der  Sindabadgruppe 
und  nur  in  diesen.  Daraus  schlieist  doch  jeder  Unbefangene,  dals  cne 
Sindabaderzfihlung  die  Vorlage  für  das  fabliau  war.  Um  so  eher,  als  wir 
die  Idee  des  Schwankes :  die  Menschen  sind  nicht  einmal  fähig,  aich  einen 

Siten  Wunsdi  auszudenken  und  bringen  sich,  wenn  ihnen  eine  besondere 
nade  zuteil  wird,  durch  ihre  dumme  Gier  in  die  albernsten  Situationen 
—  als  wir  diese  Idee  als  eine  durchaus  indische  wiedererkennen.  Anders 
B.,  er  sagt:  qu'un  fabliau  et  un  recueil  oriental  se  groupent  dans  une 
m^e  sous-funille,  c'est  un  fait  qui  ne  prendrait  de  signification  que  s'il 
^tait  oonstant.  mais  il  est  tr^s  rare.  Das  ist  doch  nichts  als  eine  küm- 
merliche Ausflucht,  die  sich  aufserdem  mit  den  oben  zitierten  Exklama- 
tionen  nicht  in  Einklang  bringen  läfst.  Ferner  behauptet  B.,  das  fran- 
zösische fabliau  könne  ebensogut  Vorlage  der  sämtlichen  orientalischen 
Versionen  sein  wie  umgekdirt.  Was  er  sich  bei  dieser  Bdiauptung  denkt, 
weils  ich  nicht;  wenn  es  ihm  Ernst  damit  wäre,  so  müfste  er  annehmen, 
dais  unsere  französische  Erzählung  im  yierten  Jahrhundert  vor  Christus 
nach  Indien  wanderte  und  dort  in  die  buddhistischen  Märchensammlungen 
aufgenommen  wurde.  Herr  B.  hat  also  keinen  anderen  Grund  gegen  den 
orientalischen  Ursprung  unseres  fabliaus  als  den,  dafs  die  Tatsache  dieses 
Ursprungs  nicht  zu  der  eigenen  vorgefafsten  Meinung  pafst,  und  um 
dieser  Meinung  willen  scheut  er  vor  leeren  Ausflüchten  und  vor  unmög- 
lichen Behauptungen  nicht  zurück. 

Die  Art,  wie  Herr  B.  die  traits  accessoires  in  seiner  Methode  behan- 
delt, kann  also  kaum  ein  günstiges  Vorurteil  für  die  Methode  selbst  wecken, 
und  diese  ist  der  Methode  nachgeahmt,  die  man  bei  der  Klassifikation 
der  verschiedenen  Handschriften  eines  Textes  anzuwenden  pflegt.  Es  be- 
steht zwischen  beiden  Methoden  nur  ein  sehr  wesentlicher  Unterschied,  und 
durch  diesen  wird  die  des  Herrn  B.  meines  Erachtens  wertlos:  bei  Hand- 
schriften sucht  man  den  Archetypus,  wie  er  einmal  existiert  haben  mufs, 
und  wie  er  existieren  würde,  w&e  er  ims  erhalten  geblieben,  während 
BMiers  oi  in  Wirklichkeit  niemals  existiert  haben  kann.  Somit  mag  Bädiers 
Methode  sehr  nützlich  sein,  so  lange  es  gilt,  eine  grolse  Gruppe  von  Ver- 
sionen einer  Erzählung  übersichtlich  anzuordnen ;  damit  erschöpft  sich  aber 
ihre  Bedeutung.  Soll  sie  benutzt  werden  zur  Ehrkenntnis  der  wirklichen 
literarischen  Zusammenhänge,  so  kann  sie  uns  nur  trügerische  Ergebnisse 
vorspiegeln.  Eben  weil  das  w  des  Herrn  B.  eine  imaginäre  und  keine 
wirkliche  Grö&e  ist,  darf  man  es  der  tatsächlichen  Entwickelung 
nie  zugrunde  legen;  eben  weil  es  eine  gelehrte  Erfindung  bleibt,  kann  es 
uns  zur  Erkenntnis  eines  lebenden  Organismus  nicht  verhelfen. 

Bei  der  Untersudiung  des  dritten  der  fünf  fabliaux,  des  'Lai  d'äpervier' 
führt  uns  B.  wieder  durch  seine  Methode  in  die  Irre.  Die  Cukasaptati 
(t.  s.  2t>-— t  o.  85)  erzählt:  Eine  Frau  hat  zwei  Liebhaber,  und  diese  sind 
Vater  und  Sohn.  Als  der  Sohn  gerade  bei  ihr  ist,  kommt  der  Vater.  Sie 
versteckt  jenen,  da  kommt  auch  der  Mann.  Der  Vater,  von  ihr  verstän- 
digt, entfernt  sich  drohend ;  als  der  Mann  sie  fragt,  was  denn  das  bedeute, 
antwortet  sie:  der  Sohn  habe  sich,  von  jenem  Manne  verfolgt,  hierher  ge- 
flüchtet, und  sie  habe  ihn  dem  Wütenden  nicht  ausliefern  wollen. 

Diese  Geschichte  stimmt  in  ihrer  raffiniert^  Durchtriebenheit  durch- 
aus zur  indischen  Eksählungskunst.  Der  Mann  ist  zugleich  der  Betrogene 
und  Bbunierte.  Drei  Männer  dienen  der  Frau  für  ilm  Lust,  und  indem 
sie  diese  drei  in  einem  Moment  betrügt,  triumphiert  sie  dreifach,  indem  sie 


296  Zur  Entstdmng  dee  Mirohens. 

gleichzeitig  fortwährend  fürchten  muls,  entdeckt  zu  werden.  Das  ist  alles 
echt  indisch.  Der  Inhalt  dieser  Geschichte  ist  im  wesentlichen  zugldch  der 
des  'Lai  d'  l'^pervier',*  der  also  auch  auf  eine  indische  Quelle  sich  zurück- 
führen läfst.  Der  Schwank  wurde  auch  sonst  vielfach  enahlt»  naturgem&fs 
mit  mancherlei  Varianten,  die  sich  aber  zwanglos  als  Milderunmi  der 
indischen  Form  erklären  lassen  und  von  Gaston  Paris  (Romanta\lI,  1) 
auch  sehr  hübsdi  so  erklärt  worden  sind.  Namoitlicn  erschien  Tiden 
Erzählern  das  Verhältnis  der  Liebhaber,  Vater  und  Sohn,  zu  frivol.  Sie 
machten  daraus  schon  im  Morgenland  Herr  und  Knecht,  im  Abendland 
Bitter  und  Knappe,  Armer  und  Reicher  etc. 

B.  stellt  sein  ot  her:  une  femme  a  deux  amants.  ün  jour  qu'en  l'ab- 
sence  de  son  mari  eile  a  re^u  Tun  d'eux,  l'autre  survient.  Le  premier 
amant  se  dissimule  devant  le  nouvel  arrivant.  Tandis  qu'elle  s'entretient 
avec  oelui-ci,  le  mari  revient  Elle  s'en  aper^it  ä  temps.  EUle  fait  jouer 
ä  l'amant  qui  lui  tient  compagnie  une  scene  de  col^re:  il  prend  un  air  tr^ 
irrit6,  passe  devant  le  mari  en  prof^rant  des  menaoes  terribles  et  s'en  va  alnsi. 

Le  mari  fort  intrigu^  demande  des  ezplications  ä  sa  femme  qui  lui 
r^j^nd  tr^  simplement,  L'homme  qui  sort  d'ici  empoursuivait  un  autre 
qui  s'est  r^fugi^  chez  nous.  Je  n'ai  pas  voulu  le  trahir,  11  aurait  ^t^  tu^ 
Je  lui  ai  donn^  asile,  le  voici.  Elle  präsente  alors  le  premier  amant  ä  son 
mari.    Voilä  le  bonhomme  rassur^. 

Dieses  a>  ist  ein  rechtes  Unding.  Ektrakt  und  beinahe  länger  als  die 
Geschidite  selbst,  und  dazu  lälst  es  die  nächstli^enden  Fragen  unbeant- 
wortet, wie  B.  selbst  zuResteht  Z.  B.  warum  denn  überhaupt  der  erste 
Liebhaber  sich  zurückzieht,  warum  beide  zur  selben  Stunde  im  Hause  des 
Mannes  sind  etc.? 

Dann  safft  B.  weiter:  die  Entwickelnng  braucht  nicht  vor  sich  ge- 
gangen zu  sem,  wie  Gaston  Paris  sie  uns  schildert.  Die  verschiedenen 
Varianten  konnten  auch  unabhängig  von  einander  erfunden  werden.  ^  Ich 
habe  das  €o  nämlich  verschiedenen  Herren  vorsel^,  die  die  Geschichte 
nicht  kannten.  Ich  habe  sie  ^beten,  sie  mö<£ten  sich  nun  die  nähere 
Motivierung  überlegen,  das  Veäältnis  der  Liebenden  sich  ausdenken  etc. 
Und  sidie  da,  sie  erfanden,  jeder  unabhängig  vom  anderen,  sämtliche  uns 
überkommenen  Variationen.  —  Das  ist  gewils  möglich.  Ich  erinnere  nur 
daran,  dafs  das  (o  B^ers  in  Wirklichkeit  gar  nicht  existierte 
und  also  auch  keinem  der  mittelalterlichen  Erzähler  vorlag; 
vielmehr  hatten  diese  immer  eine  ganz  bestimmte  Formulierung  der  Ge- 
schichte vor  sich.  Und  somit  ist  Herrn  B^ers  Beweis,  den  er  4^time' 
nennt,  blofse  Spieeeifechterei  und  durchaus  wertlos,  er  beruht  auf  einer 
Grundlage,  die  er  künstlich  schuf.  Nebenbei  hatte  aas  sanze  Eraerinient 
einen  amüsanten  Zwisdienfall.  Als  nämlich  ein  Erzähler  für  die  Lieb- 
haber das  Verhältnis  Vater  und  Sohn  herausgefunden  hatte  (also  das  in- 
dische I)  wurde  das  Herrn  B.  triumphierend  a£s  die  beste  Lösung  gemeldet. 
Die  Inder  besalsen  also  doch  eine  gewisse  Begabung,  G^eschichten  zu  er- 
finden I 

Nun  das  fabb'au  'des  tresses'.  Die  Geschichte  des  Pantschatantra,  die 
bisher  als  sdne  letzte  Quelle  galt,  verläuft  so  (I,  4):  Ein  Trunkenbold  er- 
tappt seine  Frau,  wie  sie  sich  zu  einem  Stelldichein  schleichen  wilL  Er 
bindet  sie  an  einen  Pfosten  und  schläft  ein.  Währenddem  kommt  dne 
Freundin  der  Frau,  bindet  sie  los  und  sich  fest,  damit  jene  dodi  zu  ihrem 
Liebhaber  könne.  Kurz  danach  erwacht  der  Mann,  sein  Zorn  ist  ver- 
raucht, er  spricht  ihr  begütigoid  zu;  doch  aus  Furcht,  sich  durch  ihre 
Stimme  zu  verraten,  antwortet  sie  nicht  Da  erbost  er  sich  wieder  and 
schneidet  ihre  Nase  ab.  Nach  dieser  Heldentat  sdiläft  er  nochmals  ein. 
Nun  erscheint  die  Frau,  ihren  alten  Posten  einzunehm«n.  Sie  eifiLhrt,  was 

>  Vgl  Mich  W.  H«rts,  Spi9lmmmtbuok2  t68.  4tS. 


Zur  EntBtdiiing  dee  Mfirchens.  297 

sich  zngetrageo,  and  als  nun  der  Mann,  zum  zweitenmal  erwachend,  wieder 
poltert,  schwört  sie,  so  wahr  si^  keusch  sei,  würden  auch  die  Qötter  ihre 
Nase  wieder  heil  machen.  Der  Mann  sieht  sie  unverletzt  und  bittet  tief 
beschämt  um  Verzeihung. 

Das  fabliau  hat  folgenden  Inhalt:  Eine  Frau  verlangt  von  ihrem 
Liebhaber,  dals  er  sich  nachts  in  das  Zimmer  schleiche,  in  dem  sie  mit 
dem  Gemahl  schläft  £r  dringt  ein,  tastet  sich  nach  dem  Bett  lud  be- 
rührt dort  unglücklicherweise  den  Mann,  der  noch  wach  ist.  Der  hält 
ihn  für  einen  Dieb,  ringt  mit  ihm  und  stölst  ihn  ins  Nebenzimmer,  in 
dem  sein  Lieblingspferd  und  ein  Maulesel  stehen.  Dort  stellt  er  ihn  in 
einen  groÜBen  Zuber  und  schreit,  seine  Frau  solle  ihm  Licht  bringen.  Aber 
sie  gibt  vor,  sie  werde  in  der  Dunkelheit  niemals  die  Küchentflr  finden, 
sie  wolle  den  Dieb  bewachen,  und  er  mÖe;e  unterdes  das  Licht  holen.  Der 
Mann  geht  darauf  ein;  sie  laist  sehnen  den  'Dieb'  entwischen,  und  als 
der  Gemahl  mit  dem  Licht  in  der  einen,  dem  Degen  in  der  anderen  Hand 
wieder  erscheint,  hält  sie  im  Zuber  den  Kopf  des  Maulesels  mit  dem 
ernstesten  Glicht  der  Wdt  Da  ahnt  jener  denn  doch  den  Betrug 
und  wirft  sie  hinaus.  Sie  geht  ins  Nachbarhaus,  in  dem  der  Geliebte 
ihrer  wartet,  und  weiüs  ^e  Freundin  zu  bewegen,  zu  ihrem  Mann  zu 
gellen  und  diesen  zu  besänftigen.  Das  wird  dem  zu  arg,  im  Glauben,  es 
sei  seine  Frau,  prügelt  er  die  Arme  und  schneidet  ihr  schließlich  zwei 
Flechten  ab.  Dann  befördert  er  sie  vor  die  Tür.  Sie  erzählt  der  Frau 
ihr  Mifs^eschick,  die  tröstet  so  gut  sie  kann,  schleicht  sich  ins  Ehebett 
zurück,  m  dem  der  Mann  nun  endlich  entschlief,  nimmt  die  Flechten,  die 
de  unter  seinem  Kopflnssen  gefunden,  fort,  legt  statt  ihrer  einen  Pferde- 
schwanz hin  und  schläft  friedlich  bis  zum  Morgen.  Und  nun  das  Erwachen! 
Der  Mann,  der  die  Frau  unverletzt  findet,  mufs  natürlich  glauben,  er  habe 
geträumt,  und  damit  er  in  Zukunft  weniger  lebhafte  Träume  habe,  muis 
er  sich  auf  Zureden  der  Frau  zu  einer  langen  Pilgerfahrt  entschlielsen. 

B^ier  —  seine  Rekonstruktion  des  (o  können  wir  diesmal  füglich 
übergehen  —  sagt  nun :  das  Pantschatantra  hat  die  schlechtere  Form.  Bei 
ihm  gelingt  der  Scherz  und  die  eij^ntliche  Pointe  der  G^chichte  nicht. 
Die  abgeschnitt«ne  Nase:  das  wird  im  Dorf  einen  schönen  Skandal  geben  I 
und  wenn  nun  der  Ehemann  davon  erfährt,  der  sich  doch  erinnert,  eine 
Nase  abgeschnitten  zu  haben,  was  dann?  Dann  wird  er  seinen  Irrtum 
einsehen,  und  die  List  der  Frau  wird  sich  gegen  sie  selbst  kehren.  Darüber 
schweige  das  Pantschatantra  wohlweislich. 

Wurde  B.  das  indische  Märchen  etwas  besser  kennen,  so  würde  er 
wissen,  dals  dort  in  Indien  es  auf  eine  Nase  mehr  oder  weniger  nicht  so 
sehr  ankommt:  eine  abgeschnittene  Nase  ist  dort  ebenso  auffällig  oder 
unauffällig  wie  in  Frankreich  abgeschnittenes  Haar.  Der  Scherz  des 
Pantschatantra  ist  also  ebensowohl  gelungen  wie  der  des  fabliau,  und  ein 
Skandal  braucht  daraus  nicht  zu  entstehen. 

Femer  sagt  B.:  im  Pantschatantra  lenke  der  Zufall  die  Ereignisse,  im 
fabliau  die  Frau,  sie  beherrsche  die  Situation  mit  bewundernswertem  Ge- 
schick und  Verschlagenheit,  sie  sei  eine  rus^.  Unsere  Erzählung  gehöre 
aber  in  die  Gruppe  der  ruses  feminines  und  darum  sei  die  Version  des 
Pantschatantra  aie  entstellte,  die  des  fabliau  die  primitive. 

Mir  scheint  das  Umgekehrte  zutreffend.  In  der  indischen  Version 
handelt  die  Frau  -—  wie  m  indischen  Geschichten  dieser  Art  so  oft  —  in 
der  Not  und  Eingebuns;  des  Augenblicks.  Und  das  ist  das  Ursprüngliche. 
Das  Handeln  nach  wohlerwogenem  Plan,  die  Beherrschung  der  Situation 
setzt  ein  reicheres  Erzählungsmaterial  und  eine  durchbildetere  Technik  der 
Darstellung  voraus.  Das  Pantschatantra  gibt  das  Primitive,  das  fabliau 
mildert  und  hebt  die  Geschichte  in  eine  künstlerische  Höhe.' 


'  So  auch  Dee  Grangos,  Romama  XXIV,  185. 
AivhiT  f.  n.  Spivchen.    CXVI.  20 


2d8    •  Zur  Entetehimg  dw  ICfircheiiB. 

Aulkerdexn  aber  bat  die  Frau  im  PantBcbatantra  gar  keine  Möglich- 
kdt,  ihre  Schläue  zu  entfalten;  diese  Möglichkeit  orhalt  eie  «st  dadurch, 
daOi  der  Geschichte  vom  abgeschnittenen  Haar  dne  andere  Yoranffeschickt 
wird,  sei  es  durch  den  französischen  Erzähler,  sei  es  durch  seine  Vorlage. 
Diese  andere,  B.  nennt  sie  *\a,  mule^  bestand  früher  für  sich.  In  der  Form, 
wie  sie  im  fabliau  auftritt,  ist  sie  nicht  —  das  bemerkt  B.  —  vollkom- 
men; dafs  der  Mann  einen  Menschen  mit  einem  Esel  verwechsle,  sei  zu 
unmöglich.  Die  primäre  Form  der  Geschichte,  zugleich  die,  in  der  sie  der 
französische  Erzähler  oder  sein  Yoreänger  vorfana,  sei  in  der  Cukasaptati 
erhalten  und  diese  Form  habe  der  rVanzose  abgeschwächt' 

B.  gibt  also  hier  zu,  dafs  der  Franzose  seme  Vorlage  milderte.  Da- 
durch inrd  unsere  Auffassung,  dafs  er  sie  bei  der  abgeschnittenen  Nase 
auch  milderte,  nur  wahrscheinlicher.  Zweitens  gibt  Herr  B.  zu:  die  ur- 
sprüngliche Version  unseres  fabliau  hat  die  indische  Cukasaptati  und 
in  dieser  Form  fand  sie  der  französische  Erzähler  vor.  Das 
ist  doch  einmal  ein  schönes  Eingeständnis.  Aber,  si^t  B.  wdter  (161,  A.  2), 
wenn  Indien  auch  hi«r  die  primäre  Form  habe,  darum  brauche  die  Cre- 
schichte  noch  nicht  dort  entstanden  zu  sein.  —  Wo  denn  sonst? 

B.  verschweigt  uns  nun  die  primäre  Forn^  dieser  Geschichte.  Das  ist 
begreiflich ;  ich  hätte  sie  auch  lieber  verschwiegen.  Der  Wissenschaft  wegen 
mujb  ich  sie  trotzdem  erzählen  (OukaaaptcUi  t.  s,  21,  t.  o.  36).  Eine  Frau 
genieist  ihren  Liebhaber,  während  ihr  Mann  neboi  ihr  schläft  Dieser 
wacht  auf  und  faist  den  Liebhaber  bei  seinem  Glied.  'Haiti'  ruft  er  voller 
Angst  zu  seiner  Frau.  'Ich  habe  einen  Dieb,  mach'  Licht,  dais  wir  ihn 
halten.'  Die  Frau  gibt  vor,  sie  habe  Angst,  es  sei  so  dunkel,  der  Mann 
solle  nach  dem  Licht  suchen,  sie  werde  unterdes  den  Dieb  bewachen.  Also 
geht  der  Mann  in  die  Küche,  sie  läist  unterdes  den  Schuldigen  entwischen 
und  greift  nach  der  Zunge  eines  nahebeistehenden  Kalbes.  'Sieh!'  sagt 
sie  dem  Zurückkehrenden,  'das  war  der  Dieb.  Aus  Hunger  hat  er  Speichel 
zurückgelassen.'  Tief  beschämt  wegen  seiner  Angst  kriecht  der  Muin  ins 
Bett  zurück.  —  Also:  der  Ehebruch  vollzieht  sich  neben  dem  fäemann  im 
Ehebett,  und  die  Frau  spielt  die  Überreste  des  auTserehelichen  Ooitus  gegen 
den  Mann  aus  und  bescnämt  ihn  noch  damit  —  eine  solche  Situation  so 
erfinden  und  sie  mit  solchem  Raffinement  und  solcher  Un- 
verschämtheit ausbeuten  konnten  nur  die  Inder.  Das  fabliau 
'des  tresses'  entstand  demnach  —  das  ist  nun  so  gut  wie  sicher  —  so: 
eine  indische  Geschichte,  die  von  der  Nase,  wurde  mit  einer  anderen  in- 
dischen Geschichte,  nennen  wir  sie  'La  mule',  verbunden  und  beide  im 
Abendlande  gemildert.  Wo  die  Verbindung  sich  vollzog,  ob  im  Orient  oder 
im  Okzident,  läfst  sich  nicht  sagen.  Aber  durch  die  Verbindung  gewann 
der  französische  Erzähler  die  Möglichkeit,  die  List  der  Frau  zu  entwickeln 
und  die  Frau  ids  Leiterin  der  ganzen  Situation  darzustellen  —  das  geschah 
dann  mit  einer  Grazie  und  einer  überlegenen  Kunst,  die  die  des  Originals 
weit  übertraf. 

Das  fünfte  der  von  B4dier  geprüften  fabliaux  ist  der  Lai  d'Aristote.' 
Alezander  er^bt  sich  gar  zu  sehr  der  Liebe  zu  der  reizenden  Phyllis.  Der 
gestrenge  Meister  Aristoteles  macht  ihm  deshalb  die  ernstesten  Vorwürfe 
und  Alexander  glaubt  es  seinem  Herrscherberuf  schuldig  zu  sein,  dafs  er 
nun  auf  Phyilis  verzichtet.  Er  geht  dann  doch  wieder  zu  ihr,  und  als 
sie  erfährt,  warum  er  sie  vernachlässigt,  will  sie  den  Meister  betören:  sie 
zeigt  sich  ihm  in  der  Morgenfrühe,  nur  mit  einem  Hemd  bekladet,  schreitet 
durch  das  betaute  Gras  des  Gartens,  summt  Liebesliedchen  vor  sich  hin 
und  macht  den  gelehrten  Meister,  der  alle  ihre  Beize  sieht,  so  närrisch. 


*  Um  l'ont  rsDdne  pliu  diente  et  moiiis  ciairs,  B.  «.  161. 

*  VgL  Wilhelm  Hertz,    Spidnuuumbuck^  i21.     Borgeld,   AruMtles  m  Pkfäk, 
Qroningen  1902,  bes.  p.  86  f. 


Zur  Entstehnng  des  Mfirchcns.  299 

dafk  er  sich  Ton  ihr  ~  weil  er  anden  ihre  Gunst  nicht  erlangen  könne 
—  ab  Pferd  reiten  läfet.  Der  König,  von  Phylüa  an  einen  Beohadbtnngs- 
poeten  gestellt,  hat  alles  gesehen  und  lacht  nun  laut  auf,  wie  der  Meister 
auf  allen  vieren,  die  Schöne  auf  ihn  reitend,  mfihsam  dahiniriecht;  jener 
aber  erwidert,  wenn  ihn,  den  Alten,  dies  Mädchen  schon  so  weit  bringe, 
wie  sehr  mflsse  sich  erst  der  junge  König  tot  dieser  Tnxi  hüten,  üna 
Meister  und  Schfiler  Tersöhnen  sich. 

Diese  Geschichte  war  im  Mittelalter,  vor  allem  in  Frankreich,  flberaus 
beliebt,  der  gerittene  Aristoteles  wurde  auch  in  der  büdendeu  Kunst  dar- 
gestellt, und  man  konnte  ihn  auf  Chorstühlen  und  Kirchenfenstem  be- 
trachten. Keiner  hat  die  Geschichte  aber  so  geistrdch,  yerlockend  und 
anmutig  erzählt  wie  Henri  d'Andeli,  der  Dichter  des  Lai  d'Aristote. 

Man  könnte  nun  zuerst  mit  B^ier  glauben,  die  Geschichte  habe  ein 
französischer  Kleriker  sich  zum  Spafs  ersonnen,  und  sie  sei  aus  irgendeiner 
übermütigen  Laune  entstanden.  Aber  dazu  ist  das  Motiv  vom  gerittenen 
Aristoteles  zu  erklügelt  und  die  Pointe  auch,  dafs  er  von  demselben  Mäd- 
chen viel  ärger  gedemütigt  wird,  vor  dem  er  seinen  königlichen  Herrn 
warnte,  zu  sorgfStig  erwogen. 

Das  Pantwdiatantra'  erzählt  nun  eine  Geschichte:  ein  Minister  hat 
sich  mit  seiner  Frau  verzümt.  Sie  wird  nur  dadurch  versöhnt,  daCs  er 
ihr  zu  Füfsen  föllt  und  duldet,  dafs  man  ihm  das  Haupt  zur  Unzeit  schert. 
Der  König,  der  zu  diesem  Minister  gehört,  ist  in  derselben  Lage.  Er  ver- 
söhnt seine  Frau,  indem  er  sich  von  ihr  wie  ein  Pferd  herrichten,  be- 
steigen und  antreiben  lälst  und  dabei  wiehert  er  sogar.  Der  König  be- 
lustigt sich  nun  über  den  zur  Unzeit  geschorenen  Minister,  und  der  sagt : 
er  wisse  von  jemand,  der  wieherte  una  doch  kon  Pferd  war. 

Die  G^cnichte  ist  buddhistischer  Herkunft'  und  lebte  in  Indien 
weiter.  Li  Tibet  wird  sie  in  der  Form  erzählt,  dals  zuerst  der  König  — 
als  Beitpferd  —  gedemütigt  wird,  und  dafs  dieser  aus  Bache  den  Minister 
mit  Hilfe  von  dessen  Frau  demütigt,  durch  das  Haarscheren.' 

In  einer  arabischen  Form  der  indischen  Geschichte  aus  dem  9.  Jahr- 
hundert n.  Chr.  ärgert  sich  die  Königin  über  dnen  Wesir,  der  den 
König  vor  den  Frauen  warnt,  und  schickt  dem  Wesir  eine  Sklavin,  die 
ihn  durch  ihre  Schönheit  vollkommen  betört;  damit  sie  ihm  ganz  zu  Willen 
ist,  lälst  er  sich  von  ihr  reiten;  das  sehen  König  und  Königin  und  ver- 
lachen ihn,  worauf  er  aber  antwortet:  'Das  meinte  ich  ja  eben,  wenn  ich 
dich  vorher  warnte,  den  Weibern  den  Willen  zu  tun.^ 

Und  in  einer  zweiten  arabischen  Geschichte  ist  es  eine  von  den  Frauen, 
die  der  Sultan  auf  den  Bat  des  Wesirs  verschmäht,  die  den  Wesir  in  der 
geschilderten  Weise  demütigt,  und  der  Wesir  verteidigt  sich  wie  in  der 
anderen  arabischen  Version? 

Wenn  wir  nun  an  Stelle  der  einen  der  verschmähten  Frauen  die  G^e- 
liebte  des  Königs  setzen,  so  haben  wir  die  Geschichte,  wie  sie  Henri  d'An- 
deli erzählt 

Wir  überblicken  die  folgende  Entwickelung:  im  Pantschatantra  werden 
Minister  und  König,  jeder  durch  dne  besondere  Demütigung,  erniedrigt. 
Im  Tibetischen  zuerst  der  König,  dann  auf  seinen  Bat  der  Minister;  un 
Arabischen  fällt  die  Demütigung  des  Köni^  fort  und  die  des  Ministers 
wird  nicht  auf  den  Bat  des  Königs  durch  eine  Frau,  sondern  aus  eigener 


>  IV,  6,  Borgeld  86/7. 

*  Jätäka  191  erzählt  auch  von  einem  Kann,  den  seine  Frau  wie  ein  Pferd  reitet. 
'  Schiefiier,  Mahdkätifttyana  und  König  Tnanda  Ptadfota.   Memoires  de  TAcademie 

imperiale  des  Sciences  de  St.  Petenbonrg,  Vlle  Serie,  Tome  XXII,  Nr.  7  (1876). 
Borgeld,  S.  98. 

^  Schieüier,  p.  66.    Borgeld,  p.  97. 

*  Gordonne,  Melangea  de  la  Uäeraiurt  anenkUe  I,  16,  Paris  1870.    Borgeld,  p.  98. 

20* 


800  Zur  EDtstdiimg  des  Mlrchens. 

Inittattve  der  Frau  ausgeffihrt;  zuerst  durch  eine  Bklavin  der  Frau,  diso 
durch  die  Frau  selbst.  —  Im  8t off  ist  also  die  indische  Geechichte  die 
reichste,  und  sie  kontrastiert  nach  indisdier  Art  zwei  Demütigungen  mit- 
einander. In  der  Erzählungskunst  stdit  der  französische  Dichter,  der 
nicht  erfand,  sondern  den  ganzen  Stoff  Torfand,  am  höchsten.  Wenn  B. 
glaubt,  die  französische  Geschichte  sei  nach  dem  Orient  gekommen,  so 
wird  das  aus  chronologischen  Gründen  —  die  arabische  Form  stammt, 
um  es  zu  wiederholen,  aus  dem  9.  Jahrhundert  —  immöglich,  und  eben- 
sowenig darf  man  sagen,  die  Geschichte  des  Pantschatantra  entstand  für 
sich  und  hat  mit  der  französischen  keinen  Zusammenhang.  Das  wäre 
möglich,  existierten  nur  die  arabischen  Formen  nicht,  die  eich  deutlich 
als  yermittelnde  zu  erkennen  geben. 

Die  Inder  und  die  Buddmsten  erzählen  sehr  oft  und  sehr  gern,  wie 
weise  Manner,  namentlich  Asketen,  durch  Frauen  ^edemütigt  werden. 
Griechenland  und  das  Abendland  hingegen  wissen  m  früher  Zeit  von 
Liebschaften  des  Aristoteles  so  gut  wie  gar  nichts.  Dafür  aber  übertrug 
das  Mittelalter  auf  Aristoteles  und  Alexander  eine  Reihe  von  G^eechichten, 
die  ihnen  ursprünglich  nicht  zukamen;  besonders  nah  liegt  der  Verweb 
auf  die  Sage  vom  Qiftmädchen,  das  so  berückend  schön  war  und  vor  dem 
Aristoteles  den  Alexander  mit  Erfolg  zurückhielt*  Die  Folgerung  ereibt 
sich  also  für  uns  von  selbst,  dafs  auch  hier  eine  orientaliscme  8&g^  dem 
Aristotelee  angedichtet  ist. 

8o  kann  man  bei  dem  letzten  fabliau  die  Angriffe  B^diers  ebenfalls 
siegreich  abschlagen ;  und  alle  fünf  haben  die  Heimat,  aus  der  er  sie  ver- 
treiben wollte,  Indien.  Die  indischen  Novellen  zeieen  uns  auch  eine  dem 
indischen  Märchen  durchaus  entsprechende  Erzählungskunst,  die  Freude 
an  verwegenen,  höchst  kunstreich  erdachten  Situationen,  die  Freude  an 
den  verwegensten,  unerwartetsten  Ausflüchten,  überall  ein  echt  indische^, 
sonst  nie  erreichtes  Baffinement  und  eine  Art  Wehmut,  dafs  die  Männer 
ffar  so  töricht,  und  die  Menschen  überhaupt  gar  so  verblendet  sind,  klingt 
doch  hinein.' 

Herrn  B^diers  Methode  aber  löst  sich  bei  näherer  Betrachtung  in  er- 
folgloses Räsonnement  und  in  Spiegelfechterei  auf,  Benfeys  Theorie  bleibt 
durch  sie  ganz  unberührt.  Man  Könnte  sich  höchstens  erstaun^i,  dafs  öne 
solche  Methode  fortgesetzt  von  ernsthaften  Forschem  revolutionär  geoannt 
wurde,  wüIste  man  nicht,  daiß  auch  in  der  Wissenschaft  der  von  vorn- 
herein der  Sympathie  sewiTs  ist,  der  verbreitete  und  allgemein  g^laubte 
Theorien  angreift.  Und  wer  aulBerdem  seine  Behauptungen  mit  dieser 
Bestimmtheit  ausspricht,  als  sei  der  dn  Narr,  der  zu  widersprechen  wa^, 
wer  sich  dazu  noch  den  Anschein  der  Wissenschaftlichkeit  und  der  tief 
eindringenden  Methode  so  geschickt  gibt,  dem  wird  besonders  gern  ge- 
glaubt; denn  man  wagt  nicht  leicht,  zu  prüfen.  Ich  aber  hoffe,  ich  habe 
auch  den  Glauben  an  B^ers  Methode  gründlich  ersdifittert 

'  Wilhelm  Herta,  Gtaammelit  AbkamUmgem,  8.  166  f.  Die  Abhandlmig  Aristo- 
teles in  den  Alexanderdichtangen  des  Mittelalters  (S.  1  f.)  gibt  noch  viele  Beiapiel'* 
solcher  Übertragungen.  —  VgL  anefa  Boigeld,  104  t 

*  Über  buddhistiache  ZOge  im  abendllndiachen  Märchen  spricht  B.  aaeh  (118  f.). 
Ich  brauche  nicht  darauf  einsugehen  und  kann  auf  daa  oben  S.  283  Anm.  1  Be- 
merkte yerweiaen. 

Mfincfaoii.  Friedrich  v.  der  Leyen. 


Altenglische  Fredigtqnellen.  L 


1.  Psendo-Angnstin  und  die  7.  Blickling  Homily. 

Die  siebente  Blickling  Homily,  ^  vod  der  ich  Archiv  Xd  182 
nur  ein  kleines  Stück  auf  das  Nicodemus-Evangelium  zurück- 
führen konnte,  ist  in  ihrem  ersten  Teile  (ed.  Morris  83 — 93^^) 
eine  mehr  oder  weniger  wörtliche  Übersetzung  einer  Pseudo- 
Augustinschen  Predigt,  Sermo  CLX  bei  Migne  Patr.  lat.  XXXIX 
2059  ff.  Freilich  hat  der  bei  Migne  gedruckte  Text  dieser  Pre- 
digt die  eingefügte  Version  von  Christi  Höllenfahrt  gegen  Ende 
stark  verkürzt  und  verstümmelt;  derselbe  wird  aber  ergänzt  durch 
das  leider  auch  ohne  Schlufs  überlieferte  Fragment  des  Descensus 
Christi  ad  inferos  in  dem  s.  g.  Gebetbuche  des  Bischofs  JE|)el- 
weald  [von  Lichfield?],  welches  letzthin  A.  B.  Kuypers,  The  Prayer 
Book  of  Äedeluald  the  Bishop,  commonly  called  ihe  Book  of  Gerne, 
Cambridge  1902,  8.  196—198  veröffentlicht  hat  Ich  hoffe  auf 
dieses  Quellenverhältnis  noch  einmal  zurückzukommen  und  dann 
auch  die  Frage  zu  behandeln,  wie  sich  diese  neue,  am  voUstän- 
digsten  also  in  unserer  englischen  Homilie  erhaltene  Höllenfahrt- 
Version  zum  Nicodemus-Evangelium  und  zu  der  supponierten 
gnostischen  Urversion  des  Descensus  Christi  ad  inferos  verhalt. 
Einstweilen  vergleiche^  man: 


Morris  83«>: 

üuton  DU  gehyran  &  gel>encan, 
hwset  he  dyde  &  mid  hwy  he  us 
freo  gedyde.  Nses  he  mid  nseDigum 
nede  gebseded,  ac  he  mid  his  sylfes 
willan  to  eor^an  astag  &  her  ma- 
nige  setunga  &  searwa  adreag  aet 
ludeum  set  f)£em  unlsedum  bocerum; 
&  f)a  ffit  nehstan  he  let  his  lichoman 
on  rode  mid   nsBglam  gefsestnian; 


Migne  XXXTX  2059: 

(1)  Audite,  quid  fecerit.  Nulla 
necessitate,  sed  propria  Toluntate  in 
ligno  se  suspendi  permisit,  clavis 
corpus  suum  perforari  non  renuit, 
animam  ponendo  mortem  suBtinuit, 
carnem  in  sepulcro  repoBuit  et  comi- 
tante  secum  anima  ad  mfema  deecen- 
dit,  tenebrarum  et  mortis  prineipem 
colligavity  legiones  ilüns  pertubavit; 


^  Über  sonstige  Quellen  der  Blickling  Homilies  haben  gehandelt:  ich 
selbst  Arehiv  XCI  179—206  und  ClU  149  und  H.  G.  Fiedler,  The  Modem 
LangiKige  QucUerly  VI  (1904)  122  —  124,  woselbst  die  erste  Blickling  Homily 
als  Übersetzung  einer  Pseudo- Augustinschen  Weihnachtspredigt  (Migne, 
Patr.  lat.  XXXIX  1984  ff.)  nachgeinesen  ist 

'  Die  bei  Migne  in  Klammem  eingeschlossenen  Interpolationen  fehlen 
stete  in  dem  altenglischen  Texte. 


302 


Altenglische  Predigtquellen. 


&  deaf)  he  gebrowode  for  us,  for- 
f)Oii-^  he  wolae  ub  ^<Bt  ece  lif  for- 
gifan  .  &  he  ]>a  onsende  his  {x>ne 
wuidorfsBBtan  gast  to  helle -gründe 
&  {>8er  tx)De  eaidor  ealra  {leostra  & 
bses  ecean  dea{)e6  geband  &  gehynde, 
&  ealne  bis  eeferscipe  8wy][>e  ffe- 
dre£de;  &  heUe-geatu  &  hire  pa 
iBrenan  scyttelas  he  ealle  tobrtec; 
&  ealle  bis  ba  gecorenan  he  t>onon 
alffidde,  &  para  deofla  {>eostro  he 
oforgeat  mid  bis  |>nm  scinendan 
leohte. 

Hie  {ml  swi]>e  forhte  A  abreRde 
f>us  cwsedon :  'Hwonon  is  t>^  pus 
Strang  &  f>u9  beorht  &  |>U8  eges- 
fall?  8e  middangeard,  be  ur  wsss 
lange  8Br  underbeoded  &  us  deab 
[lies  deat)e  oder  aeat)es]  mycel  gafol 
geald,  —  ne  eelomp  hit  na  ser,  fx»/ 
US  swylc  deap  geendod  [lies  dead 
gesenaed]  wsere,  ne  us  n»fre  swylc 
ege  ne  wear})  aer  to  heile  eeende- 
byrded  .  £ala  nu,  hwset  is  pes,  [>e 
bus  unforht  gssip  on  ore  semeero? 
&  nis  no  ]^  an,  hat  he  nim  ure 
witu  ondrsede,  ac  he  wile  eac  of>re 
of  urum  bendum  alesan. 


portarum  infemi  vectes  ferreos  con- 
mgit;  omnes  iustos,  qui  originali 
peccato  astricti  tenebantur,  abeoMt, 
captivos  in  libertatem  pristinain  re- 
Yocavit,  jpeccatorum  tenebris  obcae^ 
catos  splendida  luce  perfudit.  .  • . 


(2)  ...  Territae  ac  trementes  inqui- 
rere  coepenint :  (3)  'Unde  est  ist«  tarn 
splendiausy  tarn  fortis,  tarn  praecla- 
rus  tam^ne  terribilis?  Munaus  ille, 
qui  nobis  subditus  fuit  semperque 
[semper  usque  nunc,  qui  Evang,  Nteo- 
demt  S.  379]  nostiis  usibus  mortis 
tributa  peraolyit^  nunquam  nobis 
talem  [talem  mortuum  hominem  Ep, 
Nieod,]  misit,  nunquam  talia  inferis 
munera  destinavit.  Quis  ergo  iste 
est,  qui  sie  intrepidus  nostroe  fines 
inffreditur;  et  non  solum  nostra  sup- 

Shda  non  veretur,  insuper  et  alioe 
e  vinculis  nostris  absolvit? 


Noch  wörtlicber  ist  die  folgende  Stelle,  wo  auch  die  Des- 
census- Version  des  Book  of  Gerne  (C)  einsetzt,  dessen  Varianten 
unter  dem  Text  mitverzeichnet  sind: 


Morris  87  »: 

I^a  sona  instsepes  seo  unarimedlice 
menigo  haligra  saula,  be  ser  gehseft- 
nede  wseron,  to  f)8ßm  Hselende  on- 
luton  &  mid  wependre  halsunga  hine 
bffidon  &t>U8  cwsedon:  'l^u  come  to 
US,  middangeardes  alysend ;  l>u  come 
to  US,  heofonwara  hyht  &  eor]>wara 
&  eac  ure  hyht;  for|x>n  us  geara 
flBr  witgan  t>e  toweardne  saegdon,  & 
we  to  I>inum  hidercyme  nopodan 
&  hyhtan.  Pu  sealdeet  on  eorban 
mannum  synna  forgifness«  [Es,  for- 
gifnessal;  ales  us  nu  of  deofles  on- 
walde  i.  of  helle  haeftnede.     [Nu] 


Migne 


2061: 


(4)  ...  £cce  subito  innumerabiles 
sanctorum  populi,  qui  tenebantur  in 
morte  captivi,  8alvatoris  sui  geni- 
bus  obvoluti,  lacrimabili  enm  ob- 
secratione  deposcunt,  dicentes :  *  'Ad- 
venisti,  redemptor  mundi ;  advenisti, 
quem  desiderantes  quotidÜe  speraba- 
mus;  ad  venisti,  quem  nobis  futurum 
lex  nuntiayerat  et  prophetae.  Ad- 
yenisti,  donans  in  carne  viris  indul- 
sentiam  peccatoribus  mundi;  solve 
defunctos  et'  captivos  infemi.'  Des- 
cendisti  pro  nobis  ad  inferos;  noli 
nobis  deesse,  cum  fueris  reversurus 


'  Dafür  in  C:  ßoc  €§t  omtio  mmsmerabiti»  sanetcrum  popmU,  qui  temdKtntur  in 
infemo  eaptwüaU.  Lacrimabili  voct  et  obtecraüone  sahatorem  d^)oseunt^  Idicente* 
qiuutdo  ad  tnfero»  disctndiL 

'  et  fehlt  in  C. 

'  Die  hierauf  bei  Migne  folgende,  in  Klammem  eingeschloasene  Interpolation 
fteht  weder  in  C  noch  im  altengliechen  Texte. 


AltengliBche  Predigtqnellen. 


803 


J!>u  for  QB  astige  on  helle-grund ;  ne 
briset  bu  üb  nu  on  witum  wunian, 
|x>nne  pu  to  f>inam  nplican  rice 
cyrre.  Bu  asetteet  ^ines  wuldres 
myrecels  on  worlde;  Bete  nu  ]>in 
wnldree  tacn  in  helle? 

Nses  |)a  nsenig  ylding  to  {)on  J)a  * 
f>eoB  ben  wses  gehyred ;  f>a  sona  seo 
unarimede  menigo  haligra  saula  mid 
Drihtnes  hseae  wseron  of  ])8ßm  c?nc- 
Busle  ahafene  [Es.  ahafenal :  &  he 
gefylde  |>one  ealdan  feond  &.  on 
nelle-grund  gebundenne  awearp.** 
I^a  halgan  sawla  f>a  mid  unasecggend- 
licum  gefeftn  cleopodan  to  iTrihtne 
&  j^UB  cwserfon  [Es,  cwfie{>on] :  *  Astig 
nu,  Drihten  Hselend  Crist,  up,  nu 
bu  hafast  helle  bereafod  &  ^eea 
aea|)e8  aldor  on  f)y88um  witum  j?e- 
bundenne  [Es.  gebundenden  ne].  Ge-. 
cyf>  nu  middangearde  blissei  pcet  on 
f)inum  upstige  geblissian  &  gehyh- 
ton  ealle  f)ine  gecorenan.' 


ad  Buperos.    Posuisti  titulum  glo- 
riae  in  saeculo;'  pone  Signum  vic- 


toriae  in  infernoJ 


(5)  Nee  mora;  postauam  audita 
est  postulatio  atque  altercatio  in- 
numerabilium  captivorum,  statim  a 
Domini  iussu  omnes  antiqui  iusti 
iura  potestatifi  accipiunt  atque  in 
Buos  tortores  ipsi  protinus  tormenta 
con  vertu  ntybumili  supplicatione  cum 
ineffabili  gaudio  clamantes  Domino 
atque  dicenteB:'  'Ascende,  Domine 
lesu,  spoliato  infemo  et  auctore 
mortis  vinculis  irretito;  redde  iam 
laetitiam  mundo.  lucundentur  in 
asceuBU  tuo  fideles  tui,  aspicientes 
cicatrices  corporis  tui.'^^ 


Hier  bricht  die  Mignesche  Gestalt  der  Homilie  mit  der 
Höllenfahrt- Version  ab;  dagegen  fährt  das  Book  of  Gerne  in  völ- 
liger Übereinstimmung  mit  dem  Altenglischen  folgendermafsen  fort: 


Morris  8725: 

Adam  t)agft  &  £ua  nseron  on- 
lysde,  ah  on  bendum  hie  wseron 
hsefde.  Adam  f>a  wependre  Btefne 
&  earmlicre  cegde  to  Drihtne  & 
cw8ef>:  'Miltsa  me,  Drihten,  miltsa 
me  for  f)inre  mycclan  mildheort- 
nesse;  &  adilega  mine  unrihtwis- 
nes86  [Es.  -nessi^.  Forf>on  l>e  &num 
ic  ^esyngade  &  mycel  yfel  beforan 
{)e  IC  gedyde.  Ic  gedwolede,  swa-swa 


Kuypers  197 1«: 

(6)  Adam  autem  et  Eva  adbuc 
non  sunt  desoluti  de  vinculis.  Tunc 
Adam  lugubri  ac  miserabili  voce 
damabat  ad  dominum  dicens:  *Mi- 
serere  mei,  deus,  miaerere  mei  in 
ma^a  misericordia  tua;  et  in  multi- 
tudine  miserationum  tuarum  dele 
iniquitatem  meam  [Pis.  50,  3],  Quia 
tibi  8oli  peccavi  et  maium  coram 
te  feci  [Ps.  50,  6\,   Erravi  sicut  ovis, 


*  Vgl.  Beda  I  c.  16  (ed.  Schipper  48  ^^7):  jVe  uhes  da  ylding  to  ßan  pcat  ki 
heapnuelum  coman  (vgl.  Wfllfing  II  §  949);  das  Fragezeichen  hinter  to  ßon  pa  'nntil* 
in  Morris*  Olossar  darf  also  gestrichen  werden. 

**  Morris   druckt   im  Text   hier  awearp;    doch    bexeichnet    er  selbst    dies   im 
Glossar  S.  274  als  Druckfehler  für  awearp, 

'  m  »aeettla  G;  Miffjie  bemerkt  zur  Stelle:  'Mss.  fere  omnes  m  caelo';  die  ae. 
Version  setzt  aber  das  in  »aecuio  des  Textes  voraus. 

'  Hierauf  folgen  in  C  eine  Reibe  von  Psalmenversen:  Ps.  32,  22;  85,  10; 
84,  8;    73,  2;    78,  8—9. 

'  Dafür  in  C:  fnnufnerabUium  eapUvorum  postquam  aiUem  audita  ett  poHulaiio  et 
obgecratiOy  9taHm  ivbente.  domino  omnes  antiqvi  iusti  an«  aüqua  mora  ad  imperium  do- 
mim  sakfoloris  resofutis  vineuHs  domim  tahatoris  gmibua  ^wohtd  humiü  u^Uoaiiont 
cum  ineßabiii  gaudio  clamamie». 

*  Statt  der  gansen  Rede  in  C  nur  zwei  Psalmenstellen :  Ps.  115,  16 — 17; 
102,  10. 


804 


AltengÜBche  Predigtqnelleii. 


>£b/  Boeap,  '^at  forwearb.*  See  nn 
Mnne  f)eow,  Drillten,  forf>on-|>e  bine 
landa  me  eeworhtan  &  ^eheowodao. 
Ne  forlset  pu  mine  saule  mid  hell- 
warom;  ac  do  od  me  t>me  mild- 
heomesse'  &  alsed  me  üt  of  {)7B8um 
bendum  &  of  'pyses  carceraee  huse 
&  of  deaf)e6  scuan.' 

Drihten  Haolend  t>a  wses  miltsi- 
gende  Adame;  &  ra|)e  bis  bendas 
weron  onlysde.  &,  befealden  to 
Hselendes  cneowumi  becwseb:  *Mln 
eaul  bletsaf)'  Dribten,  &  ealle  mine 
{>a  inneran  hie  fx)ne  balgan  na- 
man.  Pn-^  Arfsest  eart  geworden 
ealium  mmum  ünribtwisneiiBum ; 
bu-f)e  ^ebseldeet  mtne  adla;  &  min 
lif  of  psere  ecean  forwyrde  bu  on- 
iysdeet;  mine  geomesse  mid  gode 
{)U  gefyldest.' 

Eua  ]>ag^  on  bendum  &  on  w6pe 
[Bs.owtpe]  ^urhwunode.  Heo  cwsep: 
'So{>fee8t  eart  t>u,  Dribten,  &  ribte 
gyndon  {>ine  domas,  for|K)n-be  mid 
gewyrbtum  ic  bäs  ^rowige.  Ic  waes 
mid  weor{)mende  on  neorxna-wange 
&  ic  ^<Bt  ne  ongeat;  ic  wee  wi{)£- 
mede  &  ünwisum  netenum  gelic  ge- 
worden. Ac  })u,  Dribten,  ecylaa 
[Hb.  Bcyld]  minre  iugo{>e  &  mines 
unwisdomes  [H8.  min  onunwiBdomesl 
ne  wes  f)u  gemyndig.  Ne  ne  abwyrt 
{>u  {>ine  onsyne  ne  bine  mildbeort- 
neese  from  me,  ne  pu  ne  gecyr  on 
erre  from  {>inre  {>eow6ne.' 


qoae  perierat  [Pi.  118, 176],  BeBolve 
Yincnia  mea,  auia  manus  tnae  face- 
mnt  me  et  plaBmaverunt  me  [Pb. 
118f  73],  Ne  dereiinquas  in  Inferno 
animam  meam  [Ps,  15, 10] ;  sed  fac 
mecum  misericordiam  [Pb.  118, 124] 
et  educ  vinctum  de  domo  caFceris 
et  ombrae  mortiB*  [vgl.  Pb.  141,  8; 
106, 14]. 

(1)  liinc  domino  miaerante  Adam 
e  vinculiB  resolutus  domini  leau 
CbriBti  genibuB  provolutuB.  Tunc 
domino  lesu  CbriBti  provolutus: 
'Benedic,  anima  mea,  dominum,  et 
omnia  interiora  mea  nomen  Banctum 
eiuB  [Pb.  102, 1].  Qui  propitiuB  fac- 
tuB  est  iniquitatibuB  meiß ;  qui  Banat 
omnee  bmguoreB  meoe;  qui  redimet 
de  interitu  vitam  meam;  qui  satiat 
in  boniB  desiderium  meum'  [Pa.  102, 
3—5]. 

(8)  Adbuc  Eya  persistit  in  fletu, 
diceuB:  'lustus  ee,  domine,  et  rec- 
tum iudicium  tuum  [Pb.  118, 137\, 
quia  merito  haec  patior  [Oen.42, 2/). 
Nam  e^o,  cum  in  honore  eRsem,  non 
intellexi;  conparatuB  Bum  iumentis 
inBipientibuB,  et  nunc  BimiÜB  factus 
Bum  illiB  [P^.  48, 13].  Sed  tu,  do- 
mine, delicta  iuv^tutiB  et  insipien- 
tiae  meae  ne  memineriB  [i^.  24,  7]. 
Ne  avertas  faciem  misericordiae  tuae 
a  me,  et  ne  declines  in  ira  ab  an- 
ciila  tua'  [Ä.  26,  9]. 


Hier  bricht  das  Book  of  Gerne  ab^  weil  die  letzte  Lage  der 
Handschrift  (üniversity  Library,  Cambridge,  LI.  1.  10,  aus  der 
ersten  Hälfte  des  9.  Jahrhunderts)  verloren  gegangen  ist^  Es 
läfst  sich  aber  leicht  zeigen,  daTs  das  in  der  altenglischen  Homilie 
Folgende,  die  weiteren  Worte  Evas  sowie  die  Abrahams,  min- 
destens bis  mid  pinum  tocyme  (Morris  89^)  in  der  neuen  latei- 
nischen Höllenfahrt-Version  gestanden  haben  mufs.  Mit  den 
Worten  Mid  pon-ße  Drihten  setzt  wieder  die  Homilie  in  der  Migne- 
sehen  Gestalt  ein: 


*  Ae.  forweorPttH  heifst  nar  'lugmnde  gehen';  mithin  hat  der  Überaetaer  du 
lat.  periertU  falsch  verstanden,  das  hier  'verloren  gehen'  bedeatet. 

'  Weitere  Beispiele  ftlr  /-Schwand  fahren  an  Klaebor,  Modtm  Language  Notes 
XVlll  244,  und  O.   Ritter,   Archiv  CXV   17  a. 

'  Der  Angelsachse  las  wohl  nicht  den  Imperativ  ÖM^dic,  sondern  den  Indikativ 
benedicit  in  seiner  Vorlage. 


AltengliBche  Predigtquellen. 


d05 


Morris  89®: 

Mid  bon-be  Drihten  |>a  t>a  here- 
hy|)e  [Mb,  -liyh{)  {)el  on  helle  ge- 
Dumen  hffifde,  ra{>e  ne  lifgende  ut- 
eode  of  hie  bmenne,  mid  bis  agenre 
mibte  aweht,  &  eft  mid  bis  unwem- 
mum  licboman  hine  gegyrede. 

bis  (Morris  91  ^^) 

Uton  we  ealle  wyosumiaD  on 
Dribten,  —  we  be  bis  seriste  mser- 
8iat>  — ,  for^n-pe  be  bis  Kodcund- 
nesse  nan  wibt  ne  ^ewanoae,  {)a  be 
I>one  menniBcan  licboman  onfeng 
&  U8  of  deofles  anwalde  alesde. 


Migne  XXXfK  2061  §  5: 

Facta  praeda  in  infemo,  Yi^ns 
exiit  de  sepulcro;  ipse  se  eua  po- 
tentia  Buscitavit  et  iterum  se  Imma- 
culata came  vestivit. 


bis 

Omnis  per  totum  mnndum  catbo- 
lica  gratuletur  ecclesia,  quia  Cbristua 
Dominne  et  de  sua  divinitate  nibil 
minuit  et  bominem,  quem  fecerat, 
liberavit. 


In  dem  Vorstehenden  habe  ich,  aufser  der  bereits  Archiv 
XCI  183  begründeten,  einige  Teztbesserungen  angebracht,  die 
der  Rechtfertigung  bedürfen: 

1)  In  dem  Satze  Nu  pii  for  us  astige  on  heUs-gnmd  (s.  oben 
S.  303  ^=  Morris  87  ^^  habe  ich  das  subordinierende  nu  gestrichen 
und  damit  den  Satzteil  zu  einem  koordinierten  Hauptsatze  ge- 
macht. Dies  verlangt  sowohl  die  Fassung  der  lateinischen  Vor- 
lage {Descendisii  pro  nobis  ad  inferos)  als  auch  die  Analogie  des 
vorhergehenden  und  des  folgenden  Satzes  im  Altenglischen  {Pu 
sealdest ,  Du  asettest  .....). 

2)  In  ic  wtBs  unpennede  &  ununsum  netervwm  gelic  geworden 
(oben  S.  304  =  Morris  89  ^)  würde  ae.  unpennede,  das  sonst 
^widerwärtig'  (objektiv  gefafst)  oder  'halsstarrig'  (subjektiv)  heifst, 
nur  dann  in  den  Zusammenhang  passen,  wenn  man,  wie  Morris 
es  tut^  hier  eine  besondere,  venJlgemeinerte  Bedeutung  'perverse, 
schlecht^  annimmt,  für  die  ich,  abgesehen  von  der  vorhegenden 
Stelle,  keinen  einigermafsen  sicheren  Anhaltspunkt  wüfste.  Weiter 
mufs  uns  stutzig  machen,  dafs  auf  jeden  Fall  dies  Wort  nicht 
zu  dem  lat.  comparatus  der  Vorlage  stimmt.  Wenn  wir  endlich 
noch  beachten,  dafs  der  ganze  Satz,  sogar  mit  Beibehaltung  des 
für  Eva  nicht  passenden  Geschlechtes,  aus  Psalm  48, 13  {compa- 
ratus  est  iumentis  insipientibus  et  similis  factus  est  iüis)  stammt 
und  dort  mit  undmeten  he  is  netenum  ununsum  <&  gelic  geworden 
he  is  him  (R^us-Ps.)  oder  loidmeten  is  nietenum.  u/nwisum  vel  un- 
snytrumi  &  gäie  getoorden  is  him  (Trinity-Ps.)  oder  undmeten  is 
n/Oenu  on  ununsum  (lies  nitenum  ununsum)  dt  gelic  geworden  is  him 
(Stowe)  übersetzt  ist,  so  werden  wir  es  für  höchst  wahrscheinlich 
halten,  dafs  obiges  tvipermede  der  Homilie  aus  unpmeten  verderbt 
ist.  Der  gemeinsame  Dativ  ununsum  netenum  wäre  dann  wohl  um- 
zustellen: entweder  vor  unpmeten  oder  ganz  ans  Ende  des  Satzes. 

3)  Morris  89  i^  {=^  oben  a  304)  liest  Ac  pu  Drihten  scyld 
minre  iugope  &  min,  onununsdomes  ne  ufes  pu  gemyndig  und  über- 


d06  AlteDglisdbie  PredigtqnflUen. 

setzt  'Lord,  shield  of  my  youth  and  of  me,  be  not  mindfid  of  my 
folhf.  Die  Vorlage  (Sed  tu,  DomiDe,  ddicta  luventotis  et  ,m- 
sipientiae  meae  ne  memineris)  zeigt  hier  klar,  dals  scyld  dem 
lateinischen  ddicta  entsprechen  mufs,  dals  es  also  nicht  zu  ae.  scüd 
'Schild^,  sondern  zu  ae.  scyld  'Schuld'  zu  ziehen  und  von  gemyndig 
abhängig  zu  machen^  d.  h.  in  den  Genetiv  scylda  umzuändern  ist. 
Ebenso  entspricht  min  onunwisdomea  genau  dem  lat  inHpienHae 
meae,  so  dals  statt  min  eine  adjektivische  Genetivform,  zu  un- 
toisdomes  passend,  zu  erwarten  ist  Wenn  wir  weiter  beachten, 
dals  das  oubstantivum  onunwiadom  eine  sonst  unbelegte  und  an 
sich  auffällige  ^  Zusammensetzung  darstellt,  so  werden  wir  geneigt 
sein,  on  von  unwisdom  abzutrennen  und  zu  min  zu  zidien,  dann 
aber  als  Korruptel  aus  dem  zu  min  gehörigen  Genetivsuffix  -es 
aufzufassen.  Etwas  Analoees  wäre  der  FiS  Blickling  Homilies 
203,  18,  wo  das  handschriftliche  ßone  aptdite  in  fa  NecgnUite  zu 
ändern  ist  {Archiv  Xd  198). 

4)  Die  oben  nicht  abgedruckte,  aber  Archiv  XCI  183  be- 
handelte Stelle  Ac  hwcet  wüt  pu  his  nu  don  ?  <t  hwcst  mihi  pu  his 
onwendan?  (Morris  85^)  =  Quid  est,  quod  egisti?  Quid  est,  quod 
facere  voluisti?  (Migne  XXXIX  2060  §  3)  ist  mir  auch  durch 
die  nun  gefundene  Quelle  noch  nicht  ganz  klar  geworden.  Ich 
glaube  aber,  dafs  das  auffällige  onwendan  für  voluisti  sich  daraus 
erklärt,  dafs  der  Übersetzer  ein  handschriftliches  uoluisti  fälsch- 
lich als  volvisH  auffafste  und  zu  lat  volvere  zog.  Wir  haben  hier 
hier  also  ein  neues  Beispiel  für  die  auch  sonst  zu  beobachtende 
Unvollkommenheit  der  Übersetzungstechnik  in  den  Blickling 
Homilies. 

Es  sei  hier  noch  darauf  hingewiesen,  dafe  der  unserer  Ho- 
milie  zugrunde  liegende  Descensus  Christi  ad  inferos  auch  die 
Quelle  ist  für  die  Hollenfahrt-Stellen  in  'Christ  and  Satan'  437  ff., 
in  'Christi  Höllenfahrt'  84  ff.  und  im  mercischen  Martyrologium 
(ed.  Herzfeld  S.  50),  wie  sc^ar  wörtliche  Anklänge  lehren  in  dem 
Teile,  wo  der  lateinische  Text  nicht  mehr  erhalten  ist: 

*  Zwar  führt  Bosworth-ToUer  auch  noch  ein  Adjektivum  onunwis  und 
ein  Sabatantiyum  ominsped  (beide  mit  Fra^eichen)  an.  Doch  finden 
sich  beide  nur  je  einmal  in  der  sehr  nachlässig  geschriebenen  [s.  lindelöf, 
Bonner  Beiträge  XIII  93]  Psalterglosse  des  Stowe-Ms.  2  (ed.  SpeUnan  1640), 
und  zwar  an  Stellen,  wo  alle  anderen  mir  zuffänelichen  Fsalterfflosaen 
das  on  nicht  haben:  Ps.  43,  24  oferßitest  unapeSe  (Keg.,  Irin.;  vmei/nisse 
Yesp.)  und  Ps.  48.  21  neaiwm  ununsum  (Yesp.,  Beg.;  unsnytrtun  Trin.]. 
Überaies  kann  das  on-  an  beiden  Stellen  dadurch  entstanden  sein,  dau 
der  Glossator  zunächst  nur  die  erste  Silbe  des  zu  fflossierendein  Wortes 
(inopiae  und  insipientibua)  ins  Auge  falate,  wie  ein  solches  Versehen  auch 
im  Vespasianischen  Psalter  Anglia  Beibl,  XII  856  von  mir  nachgewiesen 
ist.  Auch  sei  daran  erinnert,  daüs  spatere  Kopisten  Öfter  on-  und  un- 
yerwechseln.  Ich  meine  also,  die  drei  Wörter  ommaped,  ommwis,  ommwis- 
dom  seien  in  unf»eren  I^xizis  zu  tilgen. 


Altenglische  Predigtquellen. 


807 


Christ  und  Satan  430: 

I>u  fram  mmre  dohtor,  drihteD,  on- 
woce. 

Martyrologiam  ,8.  50: 

£ua  hine  halsode  for  BonctA  Ma- 
riaii  megsibbe,  Juet  he  hire  milt- 
Bade.  Heo  cwsed  to  him :  'Gremyne, 
min  drihten,  |k0^  seo  wsbb  ban  of 
minum  banum  ond  Übbsc  of  mmum 
flffiBce;  help  min  fordon.' 


Morris  89»: 

bu  waat,  'pcst  {>n  of  minre  dehter, 
drihten,  onwoce. 

Morris  8917: 

'Ic  {>e  hakige  nu,  drihten,  for  f)inre 

{>eowene,.  aanctsL  Marian,  Pu 

waat,  t^  ...  &  ^^  hire  flseec  is 
of  minum  flsesce  &  hire  ban  of 
minum  banum  . . .  Miltsa  me  &  ge- 
nere  me.' 


2.   Pseudo-Angnstin  und  Mltric. 

In  der  interessanten  Bittwochenpredigt  seiner  dritten  Postille 
(Lives  of  SairUs,  ed.  Skeat,  Nr.  X VlI)  hat  Mlfnc  ^  sich  gegen 
eine  Reihe  von  abergläubischen  Volksbranchen  ausgesprochen 
und  dabei  den  'weisen  Bischof  Augustin'  (Z.  67)  zitiert  (remeint 
ist  damit  jedenfalls  eine  Homilie  De  Augtmis  (Nr.  278  bei  Migne^ 
Patr.  lat.  aXXTX  2269  ff.)>  welche  schon  dem  grofsen  Bonifaz 
als  Augustinisch  galt,  aber  von  der  Forschung  als  unecht  nach- 
gewiesen ist.  ^Imc  hat  jedoch  seiner  Gewohnheit  gemäTs  keines- 
wegs die  ganze  Homilie  übersetzt,  sondern  er  hat  nur  —  falls 
ihm   nicht  eine  von  der  Migneschen   stark  abweichende  Text- 

S estalt  vergelten  hat  — ,  einige  wenige  Stellen  daraus  genommen, 
lehr  oder  weniger  frei  übersetzt  sind  nur  die  folgenden  fünf 
Stellen:  Z.  67—99  =  Pseudo-Augustin  §  1;  Z.  108  f.  =  §  3; 
Z.  174—176  und  190— 202  ==  §  4;  Z.  216—221  =  §  5.  Alles 
andere  dürfen  wir,  solange  nicht  eine  zweite  Quelle  oder  eine 
interpolierte  Form  der  Fseudo-Augustinschen  Predigt  nach- 
gewiesen ist,  als  ^Ifrics  eigene  Zutat  ansehen.  Dies  Ergebnis 
ist  nicht  unwichtig  für  die  altenglische  Volkskunde.  Denn,  wenn 
wir  sehen,  dafs  ^Ifric  viele  der  bei  Augustin  genannten  Volks- 
brauche ausläfst  und  dafür  andere  anführt,  so  dürfen  wir  nun- 
mehr wohl  folgern,  dafs  ^Ifric  die  letzteren  aus  zeitgenössischem 
Volksglauben  geschöpft  hat,  dafs  jene  Brauche  also  lun  1000 
noch  lebendig  gewesen  sind.  Als  solche  Zusätze  ^Ifrics  ergeben 
sich  z.  B.  die  Zeilen  84—87;  90;  100-104;  110-173  u.  a.  m. 
Zum  Beweise  der  Richtigkeit  meines  Quellennachweises  möge 
die  Gegenüberstellung  des  oeiderseitigen  Anfanges  folgen,  zu- 
gleich sus  ein  Beispiel  von  ^Slfrics  freier  QuellenbehancUung: 

'  Über  sonetise  Quellen  JBifricecher  Predigten  haben  jgehandelt:  H.  Ott, 
Über  die  Quellen  aer  Heiligenleben  in  JElfrics  lAves  of  Savnta  7,  Halle  1892 ; 
M.  Förster,  Über  die  Quälen  von  JElfries  Bomiliae  OcUholieae,  L  Legendenj 
Berlin  1892,  und  Über  die  Quellen  von  ^Ifries  eooegetisehen  Homüiae  CcUho- 
Ueae  in  Anglia  XVI  1—61.  Nachtrag  in  Engl  Stud.  XXVIIl  423  Anm.; 
A.  Stephan,  Bme  weüere  Quelle  wm  Mlfriee  Oregorhomilie  in  Ängl,  Beibl. 
XIV  315—820. 


808 


AHengliache  Predigtqu€!IlniL 


iEafrio  Z.  67: 

Agustiniu  06  snotera  bisceop  BSBde 
eac  on  sumere  bec:  'Mine  geDrodra 
{)a  leofestaD,  edome  ic  eow  war- 
node  and  mid  nederlicre  carfulnjsse 
ic  eow  cudlice  manode,  ^at  ge  and- 
ssetan  wiglunge,  be  nnwise  men 
healdad,  mid  ealle  forlffitan  ewa-swa 
geleaffuUe  men;  fordan,  butan  ic 
eow  wamige  and  bone  wol  eow  for- 
beode,  ic  sceal  agyldan  gescead  I)am 
BodÜBstan  deman  minre  gymeieaate 
and  mid  eow  beon  foidemed.  Nu 
alyse  ic  me  svlfne  wid  God  and  mid 
lufe  eow  forbeode,  {m8<  eower  nan 
ne  axie  {>arh  seninie  wicce-crseft  be 
aenigum  dinge  odde  be  eanigre  un- 
trumnysse,  ne  galdras  ne  sece  to 
gremiKenne  hin  scyppend;  fordan 
se-de  pjB  ded,  se  foriysd  bis  cristen- 
dom  and  bid  bam  hsedenum  gelic, 

Se  hleotad  be  tum  s^lfum  mid  dass 
eoflee  ersefte,  t>e  bi  forded  on  ec- 
nysBe;  and  butan  be  selmyssan  and 
mvcele  dsedbote  bis  scyppende  ge- 
omige,  flßfre  he  bid  forloren  [84 — 87 
ist  ^Ifries  Zusaix].  Eall-swa  gelice, 
B6-de  gelyfd  wiglungum  odae  be 
fugelum  odde  be  fnonim  odde  be 
horsum  odde  be  hundum,  ne  bid 
be  na  cristen ;  ac  bid  for-cud  wider- 
saca.  Ne  sgcaI  nan  man  cepan  be 
daffum,  on  bwilcum  daege  ne  fare 
odae  on  bwylcum  be  eecyrre;  for- 
dan-{>e  Qod  gesceop  eaUe  da  seofan 
dagas,  {>e  ymad  on  bsere  wucan  od 
bysre  wonilde  ^eendnnge.  Ac  sede 
hwider  faran  wille,  singe  bis  pater- 
noster  and  credan,  pi  be  cunne,  and 
clypige  to  bis  drynten  and  bletsiee 
hine  syUne,  and  sidige  orsorh  burn 
Godee  geBcj^ldnyese  butan  asera 
sceoocena  wiglunga.' 


Migne  XXXrX  2269: 

Bene  noetia,  frmtreB  (wriwiiini,  me 
▼obiB  fre(}uentiu8  supplicaflae  et  pa- 
terna  aolbcitudine  commonuiBse,  pa- 
riter  et  contestatnm  eese,  ut  illaa 
saoilegaa  pa^anorum  consuetudinet 

obseryare   minime   deberetis 

Quia  ei  vobis  ego  non  dixero,  et 
pro  me  et  pro  vobis  malam  sum 
redditurufl  rationem  in  die  iudicii 
et  Yobiscum  mihi  erit  necesse  aetema 
suppUcia  sustinere,  ego  me  apud 
Deum  absolvo,  dum  iterum  atque 
iterum  admoneo,  pariter  et  contestor, 
ut  nuUus  ex  yobis  caragoSi  vel  di- 
yinos  vel  sortilegoe,  requirat,  nee 
de  qualibet  eos  aut  causa  aut  in- 
firmitate  interroget.  NuUus  sibi 
praecantatores  adnibeat;  quia  qui- 
cum^ue  fecerit  hoc  malum,  statim 
peribit  baptismi  sacramentum  et 
continuo  sacrileguB  et  paganus  effi- 
citur;  et  nisi  grandi  eleemosyna, 
dura  et  prolixa  poenitentia  sub- 
venerit,  statim  in  aeternum  peribit. 
Similiter  et  auj^ria  observare  no- 
lite,  nee  in  itinere  positi  aliquaa 
aviculas  cantantee  attendite,  nee  ex 
illarum  cantu  diabolicas  divinatio- 
nes  annuntiare  praeeumite.  Nullus 
ex  vobis  observet,  qua  die  de  domo 
exeat,  qua  die  itmim  revertatur; 
quia  omnes  diee  Dens  fecit,  sicut 
Bcriptura  dicit :  Et  factus  est  primus 
dies  et  secundus  dies  et  tertius, 
similiter  et  quartuB  et  quintuB  et 
sextuB  et  sabbatum.  . . .  Illas  yero 
non  Bolum  sacrilegas,  sed  etiam  ridi- 
culosas  stemuationes  considerare  et 
observare  nolite.  Sed  quoties  vobis 
in  quacumque  parte  fuerit  neceesi- 
tas  properandi,  signate  vos  in  no- 
mine Jesu  Christi  et  symbolum  vel 
orationem  Dominicam  fideliter  di- 
centea  securi  de  Dei  adlutorio  iter 
agite. 


3.  Adso  nnd  Wnlfetan* 

Die   zweiundvierzieste   Homilie   der  Wulfstanschen   Samm- 
luDg^  (ed.  Napier,  Berlin  1883^  S.  191  ff.)  ist  eine  meist  ziem- 

'  Die  Quellen  von  vier  Homilien  dieser  Sammlung,  nämlich  Nr.  XLIII, 
XLIV,  XLV  und  LVII,  hat  R.  Priebsch  in  den  CHia  Marseiana  I  129 
(Liverpool  1809)  behandelt.    Napier  wies  8.  VIII  seiner  AuBgabe  darauf 


AltmgliBche  Predigtquellen. 


809 


lieh  wörtliche  ^  Übersetzung  des  Libeütis  de  Antichristo,  welches 
zwischen  949  und  954  von  dem  franzosischen  Abte  Adso^  (f  992) 
von  Montier-en-Der  verfafst  ist,  in  den  Handschriften  aber  auch 
dem  Alcuin  und  Babanus  Maurus  zugeschrieben  wird.  Dasselbe 
ist  uns  in  verschiedenen^  stark  abweichenden  Textrezensionen 
überliefert,  von  denen  eine  kürzere  bei  Migne,  PcUr.  lat,  XL  1131 
und  nach  einer  Metzer  Handschrift  des  beginnenden  11.  Jahr- 
hunderts von  Floss  in  der  Z,  f.  d.  Ä,  X  265  veröffentlicht  ist, 
eine  längere,  wohl  interpolierte,  bei  Migne,  Pair,  lat  CI  1291. 
Der  altenglische  Te^  stimmt  im  alleemeinen  am  besten  zu  der 
kürzeren  Fassung  der  Metzer  Handschrift,  gelegentlich  aber  auch 
zu  den  Lesarten  der  längeren  Version.  Anderseits  enthält  der 
altenglische  Text  Stellen,  wie  193  ^^^  195  »-i^,  198  23  —  199  7^ 
199  ^ — 201  ^,  die  sich  in  keiner  der  bis  jetzt  gedruckten  latei- 
nischen Fassungen  finden^;  auch  sind  Anfang  (19126 — 192^) 
und  Schluls  (202  6  —  205  8)  neu. 

Man  vergleiche  folgende  Stelle  über  die  Geburt  des  Teufels: 


Napier  193  8: 

Sodlice,  {>oiine  he  geetryned  bid, 
{)oni]e  fserd  se  deofol  ford  mid  into 
his  moder  innode,  and  {)8er  he  hine 
healt  and  weardad  inne;  and  sefre 
fram  {>am  timan,  be  he  geetryned 
bid,  a  he  bid  mid  him  and  hine 
nsdfre  ne  foriffit.  And  ealswa  ee 
halga  ffast  com  to  sca  Marian  ures 
hsB^ndes  Cristes  moder  and  hy  mid 
his  mihte  ofersceadewade  and  mid 


Z.f.d.AX  266: 

In  ipso  autem  conceptionis  suae 
initio  diabolus  simul  introibit  [<d, 
intrabit]  in  uterum  matris  eins;  et 
ex  virtute  diaboii  confovebitur  et 
contutabitur  [al.  contnrbabiturj  in 
yentre  matris ;  et  virtus  diaboii  sem- 
per  cum  ilio  erit.  Et  sicut  in  ma- 
trem  Domini  nostri  lesu  Christi 
Spiritus  sanctus  yenit  et  eam  sua 
yirtute  obumbrayit  et  diyinitate  re- 


hin, dais  fast  die  Hälfte  der  29.  Homilie  (136  36  —  140  s)  aus  dem  ae.  Ge- 
dichte Be  domes  dcege  (V.  92—269)  stammt.  Und  ich  selbst  habe  in  meiner 
Arbeit  'Über  die  Quellen  von  JElfriea  Rom,  Gath.  L  Legenden'  (Berlin  1892) 
S.  18  Anm.3  yermerkt,  dafe  ein  Abschnitt  der  16.  Homilie  (98H--10019) 
eine  freie  Nacherzählung  der  Passio  Petri  et  Pauli  (ed.  B.  Lipsius,  Acta 
apostolarum  apoeryphay  Ceipzig  1891)  I  120  ist.  Einzelne  Reden  sind  aber 
wörtlicher  wiedergegeben,  wie  z.  B.  die  folgende: 

'Ic   halsige    eow,    deofles   gastas,    |>e  *Adiaro  vos,  angeli  Satanae,  qai  eum 

|)»ne  deofles  mann  gynd  |)a  Ijft  feriad       in  aera  fertis  ad  decipiendam  hominam 
and  durh   |>Bt  menn   bepsecad,   |>et  ge 
|>arh  Qodes  elmihtiges   bebod   hine   nu 
da  forlstan.'  Napier  100  18-1«. 


infldelinxn   cordaf   per   Deam   creatorem 
.  .f   at  eum   ex   hac  hora  iam 


omumm 

non  feratis,  sed  dimittatis  illum/ 

Passio  §  66. 

*  Die  grölseren  Abweichungen  mögen  sich  daraus  erklären,  daüs  die 
lai.  Textgestalt,  welche  dem  Angelsachsen  yorgelegen  hat,  uns  yorläufig 
nicht  zugänelidi  ist. 

'  ÜMr  Adso  ist  zu  yergleichen  A.  Ebert,  Allg.  QeschiehU  d,  Literatur 
d.  MütOaÜers  im  Abendlande  III  474-482;  W.  Meyer,  Der  Ludm  de  Anti- 
ehristo  m  den  Süsc-Ber.  d.  bayer.  Akad.  d.  Wüs,  1882  I  3  ff .  Über  Adsos 
Nadiwirken  siehe  Meyer  a.  a.  0.  und  Gröber  im  Orundrifs  f.  rom.  Phil. 
n  1,  8.  426,  691,  865. 


810 


Altenglitche  PredigtqaeUen. 


godcDndnyBM  fgetyldet  ewa  fmt  heo 
Boeolde  geeacnian  of  {>am  halgaQ 
gaste  and,  bsBt  heo  acende,  wsere 
cimd  and  halig,  Bwa  se  deofol 
Id  into  Antecriates  moder  in- 
noae  and  hy  eall  ymbutan  ymb- 
trymd  mid  deotlicre  mihte,  and  swa 
him  sylfum  he  hi  geahnad,  {»et 
deofle  samod  wyrcendum  *  heo  burh 
man  ^eeacnod  on  mnode;  and,  pcet- 
|)e  bia  of  hire  acenned,  eall  hit  bid 
unrihtwiB  and  eall  yfel  and  eal  for- 
loren.  Danan  is  se  deofles  man 
gehaten  'forwyrdee  bearn',  fordan 
swa  mycel,  swa  he  meest  mseg,  he 
forspila  manncynnes;  and  he  sylf 
SBt  endenyhstan  mid  ealle  forwyrd. 
Nu  ge  gehyrdon,  hu  he  bid  ge- 
boren ;  hlystad  nu,  and  ic  eow  secge 
{>8Bre  stowe  naman.  |)e  he  bid  on 
geboren.  Swa-swa  Dnhten  ure  aly- 
send  foresceawode  him  {>8Bt  castel 
ba  cynelican  Bethleem,  to  dan  {>8Bt 
ne  wolde  |>8Br  on  t>ffire  byrig  men- 
niscnesse  underfon  and  U8w. 


plerit,  ut  de  spiritu  aancto  oodo 
peret  et,  quod  nasceretar,  divinum 
esset  et  sanctum,  ita  quoque  dia- 
bolus  in  matrem  Anticbristi  des- 
cendet  et  totam  eam  replebit,  totam 
drcumdabit,  totam  tenebit»  totam 
interius  et  exterius  poscidebit,  ut 
diabolo  per  hominem  oooperante 
condpiat  et,  quod  natum  fuerit,  to- 
tum  Sit  iniquum,  totum  malam,  to- 
tum  perditum.  ünde  et  ille  homo 
'filiuB  perditionis'  [2,  Theas,  2y  3]  ap- 
peliatur,  quia,  in  quantum  potent, 
genus  humanum  perdet  et  ipee  in 
novissimo  perdetur. 


Ecce  audistis,  qualiter  nasoetur; 
audite  etiam  locum,  ubi  nasci  de- 
beat.  Nam  sicut  Dominus  ac  re- 
demptor  noster  Bethlehem  sibi  praa- 
yidit,  ut  ibi  pro  nobis  humanitatem 
assumere  et  uaw. 


W^en    ihrer    mythologischen    Wichtigkeit    vergleiche 
auch  noch  die  Stelle: 


man 


Napier  19716: 

And  he  ahefd  hine  sylfne  ofer 
ealle,  |>a-de  hsedene  men  cwsedon, 
^set  godas  beon  sceoldan  on  hsedene 
wisan,  swylc  swa  wses  Erculus  se 
ent  and  Apollinis',  {>e  hi  mseme 
eod  leton,  I*or  [torr  F]  eac  and 
Owden  [Oben  F\  |)e  hsedene  men 
heriad  swiae. 


ZLf.d.Ä.  X  269: 

'Et  extoUitur',  id  est,  in  superbia 
[o/.  Buperbiam]  erigitur,  'supra  omne, 
c[uod  dicitur  Dens'  \2,  TfuM.  2,  4], 
id  est,  super  omnes  deos  gentium, 
[Herculem  videlicet  Migne  Öl  1295], 
Apoilinem,  lovem,  Mercuiium,  quoe 
quos  pagani  deos  \al,  •)-  esse]  existi- 
mant. 


4.  Anselm  von  Canterbnry. 

Der  spataltendische  Sermo  in  festis  S,  Mariae  Virginis  des 
Ms.  Yespas.  D.  XlV  foL  151**  — 158%  welchen  zuerst  Kluge  in 
seinem  AngeUächsischm  Lesebuchs  1888  S.  71—74  [:^  3  98—102] 
veröffentlicht  hat^  ist  eine  meist  ganz  wörtliche,  aber  nicht  immer 
gewandte  und  fehlerfreie  Ubersetzune  der  Homilia  IX  des  Erz- 
bischofes  Anselm  von  Cimterbuiy  (Migne^  PatroL  tat.  CLVllI 
644  ff.).    Da  Anselm  1093  nach  Ejnghmd  gekommen  und  1109 

'  Also  eine  genaae  Naehbildnag  des  Ist  AbL  abs.;  wsitero  Beispiele  Arekm 
XCl  185  Anm. 

*  Man  beachte  den  falschen  Vominatiyy  den  der  ObenetMr  la  dem  Akk. 
.ApoUmmn  gebildet. 


Altenglische  Predigtquellen.  311 

starbt  bestätigt  dieser  Quellenfund  auf  das  treffliebste  die  späte 
Datierung  des  eDglischen  Textes  durch  Kluge  und  Vauce.^  jSxxt 
würde  ich^  da  die  Handschrift  wohl  schon  um  1125  geschrieben 
sein  mag^  die  Entstehung'  unserer  altenglischen  Version  lieber 
um  die  Jahre  1100 — 1120  statt  1150  (Vanoe)  ansetzen.  Was 
Vance  8.  15  über  die  Bedeutung  von  ccestel  in  unserer  Predigt 
sagt^  ist  nicht  ganz  stichhaltig.  Der  Übersetzer  fafste  castel  offen- 
bar überall  schon  im  Sinne  von  ^urg',  ebenso  wie  auch  der  aus 
der  Normandie  kommende  Anselm  bei  dem  casteUum  der  Peri- 
kope  (Luk.  X  38:  Inircmt  Jesus  in  quoddam  casteüum)  nach  Aus- 
weis seiner  Erklärung  (ccbsteU/u/m  enim  dicitur  quaelibet  turris  ei 
nmrus  in  drcuitu  eins  =  for  ecBstel  is  gedypod  sum  heh  stepel,  ße 
hyi  mid  weaUe  betrymed)  an  eine  normannische  Burg  gedacht  hat. 
Für  die  Wörtlichkeit  der  Übersetzung  vergleiche  man^  wobei 
ich  den  englischen  Text  nach  der  lateinischen  Vorlage  neu  inter- 
pungiere^ 

EHuge,  Zeile  51 — 61:  Anselm  1.  c.  646: 

Sume  nsBmned  |>one  caeatel  Mag-  Sunt  qui  casteüum  hoc  Magdalum 

dalam,  {)e  Maria  wses   of  Ma/rda-  fuisse  arbitra[ii]tur,    a  quo   Maria 

lenisc  geclypod;   and  {>et  becumd  Magdalena  cognominatur;   qnod  si 

wel    to   {)788ere   trahtnunge.     For  verum  est,  praedictae  interpretationi 

Magdalus  is  'stepeP  geclypod,  and  famulatur.    Ma^alus  enim  'turris' 

betacned  eadmodnysse.   JElere  he  nis  dicitur  et  humihtati  coaptatur.  Hie 

beo    name   gecyded ,    ac   is   gesaed  yero   non   nominatur,   sed   tantum 

'snm' csestel;  and  bset  nis  na  on  idel  'quoddam*  dicitur;   quod  indiscus- 

gedon.     For  'sunr   csestel,   I)8et  is  sum  praeterire  non  debemus.  'Quod- 

'sunderlic'  esestei,  bset  wses  t>8et  mse-  dam',    id   est  'singulare'  castellum 

den  Maria.    For  peh  manege  odre  fult  yirgo  Maria.   Quamvis  enim  et 

habben  msdgedhades  weall  and  ead-  muFtae  aliae  murum  vir^itatis  ha- 

modnvssen  stepel,  swa  bset  heo  mse-  beant   et  turrim  humilitatis,  —  id 

dene  oeon  and  eac  eadmode,  beh-  est,  et  virgines  sint  et  humiles  — , 

hwedere  ne  mu^en  heo  gehealdene  tamen  salva  virginitate  matres  esse 

msBgedhade  modres  beon  ne  bearn  non  possunt  neque  fiiios  generare; 

geberen,  swa  ^eos  s^nderlice  dyde.  quod  ista  sola  fecit.   Ed  ideo  castel- 

And  for|)an  heo  is  nhtlice  geclypod  lum    hoc  merito  'auoddam',  —  id 

<sum'  csestel,  —  {)set  is  'syndenic'  est  'singulare'  — ,  aicitur,  quia  ista 

csestel  — ,   for  heo  wass  synderlice  singulanter  et  virgo  et  mater  fuit; 

moder  and  mseden,  swa  nan  oder  quod  nuUa  alia  esse  potuit  yel  esse 

ne  mihte  ne  nsefre  ma  ne  mseig.  poterit 

Es  soll  dem  Übersetzer  nicht  vergessen  werden^  dafs  er 
einiges  von  dem  sinnigen  Detail  bei  dem  reizenden  Mutteridyll 
selbst  erfunden  hat: 

Kluge,  Zeile  107—109:  Ansehnus  1.  c.  648: 

On  his  cildlicen  unf emysse  heo  Infirmum  per  infantiam  iacentem 
hine  badede  and  beddede  [Es,  be-  non  solum  yisitayit,  sed  balneando, 
dede]    and  smerede  and   bser   and      foyendo,  leniendo,  gestände  frequen- 


'  Vance,  Der  spätangMkhsuehe  Sermo  in  fesHs  Sanctae  Mariae  Vir' 
gim»,  Jenaer  DisMrt,  Dannstadt  1894,  S.  81. 


812  Altengliflche  PndigtqneUen. 

frefrede  and  Bwadede  and  roc-  tavit,    nt   merito    de    ea    dicatnr: 

Code,  8wa  {)set  man  mseig  rihtlice  *  Maria  f/tes  Martha]  auton  sataeeUt 

beo  hire  aecgen:  'Martha  wses  bisig  circa    nrequens    ministeriuiii'   [Lue, 

and  cearig  emb  |>a  I)enange'.  X  40], 

6*   Honorios'  Elucidarinni. 

Wanley  S.  205  führt  bei  der  Inhaltsangabe  von  VesMsian 
D.  XIV  unter  Nr.  XLVH  (bei  Wanley  verdruckt  als  XLU) 
einen  theologiscben  Traktat  an,  den  er  'De  Peecato,  Hbero  Arbi- 
irio  ete/  überschreibt.  Es  ist  dies  [=  fol.  159»  — 163*>]  eine  wört- 
liche Übersetzung  aus  des  Honorius'  Mucidarium  lib.  U  cap.  1 — 6 
(Mime,  PtUroL  Uü.  CLXXII  1133  ff.).  Man  vergleiche  den 
Annmg: 

Sum  mann  Bseigd,  {kb^  ajnne  nie  Ditoipuku:  Dicitur  malam  nihil 

nan  |>ing;  otMi  gyi  fk9<  sod  u,  fxmne  esse;  et  si  nihil  est,  valde  mimm 

is  hit  wunder,  hoU  GUkI  fordernd  ^a  videtur,  cur  Deua  homines  vel  an- 

msonn  for  {>a  ^inge,   t>e  naht  nia.  gelos  damnet,  cum  nihil  faciant   Si 

And  ^yf  aynne  is  senig  hing,  |)onne  autem  aliquid  est,  yidetur   a  Deo 

gewornte  God  hit;  for  he  geworhte  esse,   cum  omnia  sint  ex  ipeo;  et 

ealle  l)ing.     And   gyf  ^ai  sod  is»  secjuitur,  quod  Dens  sit  auctor  maJi, 

bonne  foniemd  he  elt  mid  unrihte  et  miuste  eoe,  qui  hoc  fadont,  dam- 

pa  mffiun,  f)e  dod  hcei-^cBt  he  avlf  nari.   —  Magister:    A   Deo    nempe 

Kcacop.   —   Of  Gode  synden  ealle  sunt  omnia,   et  omnia  fedt   valde 

ping;    cmd  ealle   he  geworhte  heo  bona;  et  ideo  malum  probatur  nihil 

E*e;  and  for  l)an  we  understanded,  per  substantiam  esse.  [Ein  Saix  aus- 

synne  nis  nan  {>ing  on  antimbre.  aekusen.]     Omnia   vero   aubatantiA 

'  8dlc  antimber  is  god;   ac  yfel  bona  est;   aed   malum    non    habet 

nsefd  nan   antimber,  and  for  pan  aubatantiam:  ergo  malum  nihil  est 
hit  nia  naht. 

Das  in  der  Handschrift  folgende,  von  anderer  Hand  geschrie- 
bene Stück,  Wanleys  Nr.  XLYIH  Quaesiianes  et  responsiones  de  Christi 
reaurrectione  et  ascensione  [=  fol.  163** — 165*],  ist,  wie  ich  in  *An 
English  Misceüany  presented  to  Dr.  FumivaU'  (Oxford  1901)  S.  89  ff. 
gezeigt,  eine  ebenso  wörtliche  Übersetzung  von  lib.  I  cap.  23 — 25 
(nicht  21 — 22).  Ich  halte  es  für  möglich,  dals  die  beiden  Eiuci- 
darium- Abschnitte  in  unserer  englischen  Handschrift  als  Predigten 

rächt  sind.  Jedenfalls  ist  die  ganze  Handschrift  Vespasianus 
XIV  ein  homiletisches  Hilfsbuch  zum  praktischen  Gebrauch 
für  den  niederen  Pfarrklerus  und  für  Mönche,  die  ja  damals  in 
grolsem  Umfange  r^elmäfsige  pastorale  Tätigkeit  in  den  um- 
Uzenden  Pfarren  ausübten  und  nicht  nur  für  Laiengemeinden, 
sondern  auch  für  die  grofse  Zahl  von  Laienbrüdem  und  unge- 
bildeten Mönchen  in  der  Volkssprache  predigen  mulsten.  *   Uber- 

*  B.  Cruel,  Oeschiehte  der  deutsehen  Predigt,  Detmold  1879,  S.  129; 
J.  Linffard,  Histarv  and  Antiquities  of  the  Anglo-Saxon  Qiureh,  London 
1845,  1  167.  —  Der  Abschnitt  über  'Die  angelsSchaiache  Predigt'  bei 
H.  Hering,  Die  Lehre  von  der  Predigt,  Berlin  1905,  8.  07  1,  geht  woiiger 
auf  die  Intereaaen  dea  Kultur-  und  litararhiatorikm  ein. 


Altenglische  Predigtquellen.  818 

dies  ist  die  dialogische  Predigt'  als  eine  besondere  Predigtart 
wenigstens  für  Deutschland  nachgewiesen J 

Da  des  Honorius  schriftstellerische  Tätigkeit  in  die  erste 
Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  zu  verlern  ist  und  unsere  englische 
Handschrift  wohl  um  1125  entstanden  sein  wird,  müssen  also 
obige  Übersetzungen  aus  seinem  Jugendwerke  verhaltnismäfsig 
bald  nach  der  Entstehung  des  Ori^ales  hergestellt  sein.  DaTs 
das  Werk  eines  in  Südoeutschlana  lebenden  Autors  damals  so 
schnell  nach  England  verbreitet  worden  ist,  darf  uns  nicht  wunder- 
nehmen, zumal  da  Honorius  auch  sonst  direkte  Beziehungen  zu 
England  gehabt  hat.  Wir  wissen  nämlich,  daTs  Honorius  seine 
Predigtsammlung  Speculum  ecdesiae  (Migne,  Pcär,  lat,  CLXXH 
813  n.)  den  fratres  Ckmtuariensis  eccUaiae^  gewidmet  hat^  worunter 
meiner  Ansicht  nach  die  Christ  Church  Priory'  zu  Canterbuiy 
^meint  ist,  und  dais  er  sich  vorher  eine  Zeitlang  in  ihrem 
Kloster  {in  nostro  conventu)  aufgehalten  und  gepredigt  hat;  auch 
hat  Prof.  Endres  neuerdings  auf  seine  starke  Abhängigkeit  von 
Anselmschen  Ideen  hingewiesen.  Und  vollends  wird  uns  alles 
dies  verständlich^  wenn  wir  uns  die  interessante  Aufstellung  des 
Prof.  Endres  in  'Eisiorisch^olüisehe  Bläüer'  CXXX  (1902)  8. 160 
zu  eigen  machen  dürfen,  wonach  Honorius  mit  dem  Schotten- 
kloster 8.  Jakob  zu  Begensburg  in  Verbindung  gestanden  hat 
und  sonach  die  Möglichkeit  vorhanden  wäre,  dafs  Honorius  von 
Geburt  ein  Angelsachse*  oder  Inselkelte  gewesen  ist' 


*  R.  Cruel  a.  a.  O.  S.  605 — d07;  A.  Linsenmayer,  Oesehiehte  der  IVe- 
digt  in  DeuUMand,  München  1886,  8.  189,  869,  447. 

'  J.  Kelle,  TJniersuehungen  über  das  SpeeuUvm  eeciesiae  des  Honorius 
und  die  Libri  deflorationum  des  Äbtes  Werner  in  den  Wiener  Sitxmtgs- 
berichten  CXLV  (1902)  8.  41  f. 

'  J.  Kelle  a.  a.  O.  meint,  dafs  unter  den  frcUres  Oaniuariensis  ecdesiae 
die  Kanoniker  an  der  Kathedrale  von  Canterbury  zu  verstehen  seien.  Es 
scheint  mir  aber  einfacher  imd  natürlicher,  an  den  alten,  durch  seine 
Bücherschätze  und  Bildungshöhe  bekannten  Conventus  Eedesicte  Christi 
Cantuariensis  zu  denken,  d.  h.  Christ  Church  Priory  zu  Canterbury,  zu 
der  auch  Anselm  nachweislich  Beziehungen  gehabt  hat.  Da  nach  mittel- 
alterlichem Sprachgebrauch  das  Kloster  meist  einfach  mit  Eeclesia  öhristi 
Cantuariensis  bezeichnet  wird,  ist  z.  B.  der  offizielle  Titel  seines  Vor- 
standes Prior  Ecdesiae  Christi  Cantuariensis,  wofür  auch  weniger  förm- 
lich Prior  Ecdesiae  Cantuariensis  gesetzt  werden  kann  (s.  The  hSter  Books 
of  the  Monastery  of  Christ  Church,  Canterbury,  ed.  Sheppard,  Rolls  Series, 
1887 — 89,  passim).     Und  das  eleiche  gilt  von  den  MÖncnen. 

*  Für  deutsche  Abkunft  des  Honorius  pflegt  man  ins  Feld  zu  führen, 
dafs  er  viermal  deutsche  Wörter  in  seinen  Werken  anführt,  nämlich 
asierum  'Ostern',  platta  *Tonsur',  kyrica  'Kirche'  und  soean  'aufsuchen' 
(Cruel  8^  131).  Aber  man  scheint  noch  nicht  beachtet  zu  haben,  dafs, 
abgesehen  von  dem  sowohl  niederdeutschen  wie  oberdeutschen  östarün, 
diese  Wörter  niederdeutsche  Lautgestalt  aufweisen,  was  schlecht  zu  der 
angenommenen  süddeutschen  Heimat  des  Honorius  passen  würde.  Sind 
nun  diese  Formen  durch  niederdeutsche  Abschreiber  in  die  Texte  ge- 
Archiv f.  n.  Spnicb«ii.    CXYI.  21 


814  Altengliflche  ^«diftquetlcn.  ] 

lidir  darfiber  in  Bilde  in  meiiicni  *AheDffimhmk  Cbto',  wo 
im  Anhane  simtüche  ODgedmckteD  Texte  ooBerar  HMäeefanft 
veröffentücmt  werden  sollen. 

Die  nnter  4  und  5  genannten  engliadioi  ÜberaetEungeD 
scheinen  mir  ans  zwei  Gründen  von  besonderer  Wichtigkeit: 
a)  einmal  weil  sie  wohl  die  einzigsten  eneliscben  Texte  sind,  dexeo 
Abfassungszeit  (nicht  blolse  Niraerschrin)  mit  ziemlicher  Sicher- 
heit in  die  ersten  Dezennien  des  12.  Jahriiunderts  zu  versetzen 
ist,  und  b)  weil  sie  bis  jetzt  die  frühesten  Texte  in  englisdier 
Sprache  sind,  in  denen  gegenüber  dem  rein  patristischen  Cha- 
rakter der  sonstigen  theologischen  Literatur  des  Altenglischen  ein 
Einschlag  der  dialektisch-pmlosophischen  Bew^ung  der  Scholastik 
zu  verspüren  ist,  und  zwar  vom  Standpunkte  jener  Richtung 
aus,  weiche  die  Realität  der  Gattungsbegriffe  behauptete  und  in 
Ansdm  von  Canterbuiy  ihren  Hauptvertreter  fand. 

kommen  >-  es  handelt  sich  um  die  zwei  Werke  Oemma  ammae  nnd  8a4sra^ 
meniarium  — ,  oder  standen  im  Original  etwa  die  altengüschen  Formen 
etutron,  eyriee  und  seeanJ  Ein  ae.  *plati  oder  *plat(t)e  'Tonsur'  (vgl.  ahd. 
blaUa,  alrs.  mndd.  platte  'Tonsur';  mhd.  blatSy  vlaie  'Platte ;  Tonsur',  mndd. 
plaU,  an.  plaia  'Platte')  ist  nicht  belegt,  falls  es  nicht  etwa  in  der  an- 
sicheren  Glosse  pkUum  obrixum  (Leo  518,  45;  Napier  I  3584)  stecken  sollte 
oder  identisch  ist  mit  ae.  platt  'ßchlae*  (yd.  mndl.  plat  1.  'flach'  2.  'Schlag" 
und  nnld.  iemand  plat  sUuxn  'einen  aurcnprügeln').  Doch  mag  es  leicht 
existiert  haben,  da  ja  ein  Partizip  äplatoa  und  das  Subet  pkSung  ^Icgt 
sind  (s.  auch  Franck  s.  v.  plaat,  Falk-Torp  s.  v.  pUMde,  piaty  pletj.  Über- 
dies ist  das  Wort  platta  ranein- mittellateinisch  (s.  Du  Can^,  Körting, 
EHuge,  Ordr,  I*  84b)  und  oraucht  hier  gar  nicht  als  germanisches  Wort 
gemeint  zu  sein. 

^  Die  neaerdings  yon  J.  Kelle  und  Hauck  vorgebrachten  Ansichten 
über  das  Mueidarium  werden  teilweise  schon  durch  die  Existenz  unserer 
alten^li sehen  Übersetzung  widerl^.  —  Die  mittelenglische  Version  des 
ISucuiariumf  welche  unter  Fortiassung  alles  Gelehrten  nur  Üb.  I  cap.  1 — 31 
und  lib.  II  cap.  1 — 8  übersetzt  hat,  ist  aus  den  bdden  Handschriften 
St.  John 's  College,  Cambridge,  G.  25,  foL  1—16,  und  üniversity  Library, 
Cambridge,  li.  6.  2ü^  p.  158 — 208  (beide  des  15.  Jahrhunderts)  von  Herrn 
Reallehrer  Fr.  Schmitt  in  Bamberg  abgeschrieben,  der  sie  hoffentlich  bald 
den  Fachgenoflsen  vorlegen  wird. 


Nachtrag.  Die  Stelle  über  Jamnes  und  Mambres  (Livesof  S.  XVII 
118),  für  welche  ich  Archiv  CVIII  27  keine  Quelle  wn&te,  kann  ^Ifric 
aus  der  Pcusio  Petri  et  Pauli  §  84  {sieut  Aegyptii  magi  Jamnes  et  MatnbreSf 
^i  Pharaonem  et  eaoereitum  eiue  ntieerunt  in  errorem,  quoutque  demergerenUir 
in  mari)  geschöpft  haben,  die  er  nachweislich  für  die  Homiliae  Oatholicae 
fs.  meine  Dies.  S.  18)  benutzt  hat.  —  Die  Paseio  b.  Margaretae  (vel.  Areküf 
CX  427)  nennt  die  beiden  Magier  zwar  nicht  in  Pipers  Text  (Naehtrtige 
nm  älteren  deutsehen  Lüeraiur  S.  834),  wohl  aber  in  der  bei  A  fsmann, 
Ags,  Homüien  S.  2()8  veröffentlichten  Version  §  16  (In  kbris  tarnen  lamne 
et  Mambre  invenies  genms  nostntm), 

Würzburg.  Max  F  6  rat  er. 


Zur  Geschichte  der  Französischen  Akademie. 

(Zur  Kenntnis  der 'DIbcoutb  dei^ception'  von  Antoine-Vincent  Arnaiilt, 
Eugene  Scribe,  Octave  Feuillet,  Pierre  LotL) 


Hätte  die  Feder  A.  Daudete  im  Immortü  einem  selbstlosen 
Motive  gedient,  so  würde  dieser  vielgelesene  Roman  als  läuternde 
Kraft  auf  bedenkliche  Zustande  gewirkt  haben.  Doch  hat  die 
fesselnde  Erzählung  eigentlich  nur  die  vorhandenen  Schatten  nutz- 
los vertieft  und  schlecht  orientierte  Pessimisten  des  Auslandes 
mafslos  in  ihrer  abfälligen  Kritik  der  Bedeutung  der  franzosischen 
Akademie  bestärkt  Solche  oft  ganz  unmotivierte  Geringschätzung 
spiegelt  sich  von  Zeit  zu  Zeit  in  den  spottischen  Randglossen, 
mit  welchen  vielverbreitete  deutsche  Ti^esblätter  die  Discours 
de  riception  neugewählter  Mitglieder  der  minzösischen  Akademie 
b^leiten.  Und  gleichzeitig  stehen  wir  doch  im  Zeitalter  der 
vertieft  psychologischen,  überaus  sensitiven  Erforschung  der  Lite- 
raturgeschichte. Weshalb  zieht  man  deshalb  nur  in  Ausnahme- 
fällen in  Betracht,  dafs  auch  die@e  Aufnahmereden  trotz  offen- 
kundiger Mängel  und  Einseitigkeiten  beachtenswertes  Zeugnis 
ablegen?  Um  so  mehr,  da  sie  unwillkürlich  viele  spontane  Aufe- 
rungen  enthalten  und  in  ihrem  Gefolge  nach  sich  ziehen?  Über- 
dies offenbaren  die  Discours  de  ricepiion  in  den  verschiedenen 
Jahrhunderten,  auf  welche  die  franzosische  Akademie  seit  ihrer 
Gründung  zurückblicken  kann,  die  sich  innerhalb  der  französi- 
schen Nation  vollziehende  Wandlung  höchster  geistiger  Inter- 
essen. Wenn  das  17.  Jahrhundert  im  Schofse  der  Akademie 
auch  noch  stark  eingeengt  erscheint  durch  den  lange  nachwirken- 
den rigorosen  Absolutismus  Richelieus,  so  streut  das  18.  doch 
bald  echt  revolutionäre  Aufklärungsfunken  unter  anscheinend 
harmlose  literarische  Theorien,  und  dem  19.  Jahrhundert  verdankt 
die  Akademie  manchen  von  EHoIg  gekrönten  rhetorischen  Ver- 
such, allen  Geistesrichtungen  Frankreichs,  ja  der  gesamten  zivili- 
sierten Welt^  klassische  Formprägung  abzugewinnen.  Ein  sorg- 
samer Leser  wird  die  Discours  de  ricepiion  als  unentbehrliche 
Quellen  für  die  unparteiische  Beurteilung  der  französischen  Lite- 
raturgeschichte bezeichnen  müssen,  und  zwar  in  positiver  wie  in 
negativer  Hinsicht  Diese  zeitraubende  Lektüre  erteilt  überdies 
eine  ernste,  zur  Bescheidenheit  mahnende  Lehre:  Wer  sich  ge- 
legentlich zutraut,  auf  Grund  jahrelanger  Forschung  gründlidie 

21* 


816  Zur  Oeechichte  der  fnmzösischen  Akademie. 

Kenntnis  bestimmter  literaturabschnitte  erworben  zu  haben^  wird 
sich  häufig  die  Frage  vorigen  müssen,  was  bedeutet  diese  oder 
lene  Anspielung^  was  trägt  Schuld,  dais  dieser  oder  jener  einst 
hochgefeierte  Schriftsteller  klang-  und  sanglos  der  Veigessenhdt 
anheimgefallen  ist;  ist  wohl  die  Literaturgeschichte  gJeicfa  der 
Weltgeschichte  das  unfehlbare  Weltgericht  über  dauerhafte  und 
unvergängliche  Leistungsfähigkeit? 

Man  pfl^  die  sogenannten  hancdiUs  des  rSeepHans  acadSrniques 
des  17.  Jahrhunderts  bis  auf  wenige  sclmnmemde  Fäden  achtlos 
als    unentwirrbaren   Knäuel    zur  Seite   zu    schieben.     Im    Jahre 
1897  ^    hat    der    treffliche    secr^taire    perp^tuel    der    Akademie, 
M.  Gaston  Boissier,  wenigstens  die  al^emeine  Aufmerksamkeit 
auf  die  Aufnahmesitzung  gelenkt,  in  der  La  Bruy^  (1693)  be- 
strebt  war,   seinem   Discours   mit  der  plastischen   Kraft  lebens- 
voller portraits  litUraires  dauernden  Wert  zu  verleihen.    Vielleicht 
war  auch  La  Bruy^re   der  erste,  dem  dieser  ernstgemeinte  Ver- 
such wirklich  glückte.     Der  g^n  die  angestammte  Königstreue 
der   französischen   Akademie   so    energisch   protestierende    Abb^ 
de  Saint-Pierre  (1658  bis  1743)  liefert  den  Beweis,  dals  im  enge- 
ren Kreise  der  Akademiker  selbst  lange  Zeit  widersprechende 
Ansichten    über   die   Bedeutung  der  Akademiereden   herrschten. 
Der  jedem  formellen  Zwange  abholde  Abb^  wollte  sich   selbst 
von   seinem  treuen  Freunde  Fontenelle^  nicht  von  der  Notwen- 
digkeit überzeugen  lassen,  dafs   sein  für  den  3.  März  1695   be- 
stimmter Discours  de  rScepiion  dringend   der  Feile   bedürfe.     Ces 
sories  de  DiscourSy  rSpondit-il,  ne  mSriteni  pas,  pour  l'utilitS  dont  ils 
sont  ä  rEtat,  plus  de  deux  heures  de  temps;  fy  en  ai  mis  quatre,  ei 
cela  est  fort  honnete,^   Auch  der  Brauch,  zwei.  Ja  mehr  Mitglieder 
in   einer   einzigen^   Sitzung   zugleich   aufzunehmen,   hat   bis   ins 
19.  Jahrhundert  dazu  beigetragen,  den  Verfassern  wie  den  Hörern 
von  Akademiereden  den  Eifer  zu  dämpfen. 

Nach  der  französischen  Revolution  folgte  überdies  ein  kur- 
zer Zeitraum,  währenddem  Neugewählte  der  Verpflichtung  ent- 
hoben waren,  eine  feierliche  Antrittsrede  zu  halten.^  Auch  die 
am   21.  März  1816  durch   bourboniscfae  Gewaltmafsr^el   einge- 

*  Gf.  UÄeadSmie  Franpaise  au  XVIP  sÜkHe.  {Revue  des  deux  Mondes, 
15  juln  1897,  p.  25  88.) 

*  Fontenelle  war  bekanntlich  der  einzige,  der  gegen  die  Aasstolkung 
Saint-Pierres  aus  der  Akademie  stimmte. 

'  Of.  D'Alembert,  Htstoire  des  Membres  de  VAeadhnie  fran^aise,  t.  I. 
p.  95  SS. 

*  So  z.  B.,  als  1672  Racine  aufgenommen  wurde;  1807,  als  der  Ver- 
fasser von  Paul  et  Virginie  drei  neue  Mitglieder  (Laujuni  RaTnouard  und 
Picard)  zugleich  begriilden  mufs  u.  a.  m. 

^  Gf.  Paul  Mesnard,  Hiatoire  de  l'AeadSmie  Fran^ise,  depuis  sa  fon- 
dation  juequ'en  1830,  Paris  1857,  p.  234 — 235  ...  La  premüre  harang%ie 
de  reception  ftU  celle  de  Pamy,  admts  le  6  nivdse  an  XII.  (27  d^cembre  1803.) 


Zur  Geschichte  der  franzöeiechen  Akademie.  317 

setzten  Akademiker  wurden  ohne  Einzelfeierlichkeiten  eingereiht^ 
Es  fehlen  somit  unter  Napoleon  I.  wie  unter  Ludwig  XYIEL 
Zeugnisse  akademischer  Beredsamkeit,  die  der  Literarhistoriker 
gern  verwerten  würde.  Unter  den  1803  klanglos  eingetretenen 
Akademikern  befindet  sich  auch  der  lebenslängliche  Schützling 
Napoleons,  Antoine-Vincent  Arnault  (1766  bis  1834),  der 
zu  den  elf  Exilierten  des  Jahres  1816  gehört.  Am  24.  Januar 
1829  gleichzeitig  mit  Etienne  zurückberufen,  hielt  er  eine  feier- 
liche Gedächtnisrede  auf  seinen  Vorgänger  Louis-Benoit 
Picard  (1769  bis  1828).  Bereits  am  28.  Januar  1836  wurde 
Augustin-Eug^ne  Scribe  (1791  bis  1861)  Amaults  Nach- 
folger. Am  26.  März  1863  trat  Octave  Feuillet  (1821  bis 
1891)  an  die  Stelle  des  gefeierten  Modelustspieldichters.  Seit 
dem  7.  April  1892  ist  der  1850  geborene  Romancier  Pierre 
Loti  Lihaber  des  gleichen  Fauteuils.  Der  Klang  der  Namen: 
Arnault,  Scribe,  Feuillet,  Loti  ist  in  vielen  Beziehungen 
lehrreich,  besonders  für  die  wetterwendischen  Launen  des  Zeit- 
geschmacks. Überdies  fallen  die  Aufnahmereden  dieser  Schrift- 
steller in  historisch  wichtige  Zeitabschnitte:  unter  Karl  X.,  Louis- 
Philippe,  das  zweite  Kaiserreich,  die  dritte  Bepublik. 

V  on  Arnault  melden  unsere  Literaturgeschichten  nur  weniges. 
Heute  rühmt  man  seine  Fabeln,  vielleicht  von  Hörensagen,  be- 
zeichnet ihn  wohl  als  Tragödiendichter  streng  klassischer  Rich- 
tung und  somit  als  Gegner  der  Romantiker.  Ist  seine  Antritts- 
rede vom  Jahre  1829  geeignet,  neues  Interesse  für  ihn  zu  wecken? 
Wohl  schwerlich,  insofern  er  kein  direktes  künstlerisches  Kredo 
ablegt.  Aber  seine  kritische  Musterung  der  Verdienste  Picards 
weckt  Teilnahme.  Denn  abgesehen  von  einer  rapiden  aber  sorg- 
samen Analyse  der  meisten  Bühnenprodukte  Picards  gestattet  er 
sich  Quellenangaben,  lehrreiche  vergleichende  Ausblicke,  auch 
generalisierende  Betrachtungen  über  die  der  Prosa  wie  dem  Verse 
gebührende  Rolle  im  französischen  Drama.  Auch  legt  er  als 
Zeitgenosse  Zeugnis  ab  von  der  historisch  treuen  Sittenschil- 
derung, die  Picards  Bühnenstücken  zwar  nicht  ewige  Zugkraft, 
aber  das  dauernde  Interesse  der  Soziologen  sichern  wird:  Picard 
a  peint  les  ohjeis,  qu'ü  voyait,  et  les  seuls  qu'il  lux  füt  pennis  de 
peindre,  II  Va  fait  avec  une  singuliere  fidSHtS  qui  donne  ä  son  ihiätre 
une  physionomie  particuliSre,  et  le  fera  rechercher  indSpendamment 
de  tout  autre  mSrite,  par  quiconque  voudra  connattre  les  moeurs  fran- 
Qaises  pendant  la  pSriode  qui  s'est  ecouUe  entre  le  renversement  de  la 
sociStS  en  France  et  son  ritahlissement  Rien  ne  prouve  mieux  que  ce 
thSätre  la  jtistesse  de  cette  opinion  d'tdn  de  nos  oonfrires  *  qtte  Vhistoire 

'  Man  giD^  auf  dieee  Weise  einer  grolBen  Verlegenheit  aus  dem  We^e, 
denn  die  fbdlierten  konnten  doch  unmöglich  von  ihren  Nachfolgern  m 
Gedächtnisreden  wie  Tote  gefeiert  werden, 

'  Etienne. 


318  Zur  GeBchichte  der  franzöflischen  Akademie. 

des  mwurs  d'un  peuple  se  retraoe  dans  les  modificatians  qu'a  SprouvSes 
son  thiätre  comique,  Amault  benutzt  diese  Gelegenheit,  sich  für 
einen  ausgesprochenen  G^ner  der  Prosakomodie  zu  erklärend 
Ceat  Svidemment  par  les  nrnnes,  par  les  bouffona  de  place,  qui  ne  se 
donnaierä  pas  la  peine  de  versifier  les  improviscUions  dant  üs  divertis- 
saient  la  pcpulaee,  que  l'ttsage  de  la  prost  s'esi  introduü  dans  le  dia- 
logue  eamiqtte.  En  le  transporta/ni  des  iriteaux  sur  le  ÜUaire,  les 
auteurs  d'un  ordre  sup4r%eur  n'oni  agi  que  dans  l'interet  de  hur  paresse. 
Est-ce  agir  dans  l'interet  d'un  art,  que  d'en  rendre  la  pratiqus  plus 
faeile  en  le  d^ouiUant  d^une  difficuUi  d'ou  nalt  son  plus  hei  ome- 
tnent,  et  que  de  mettre  ä  la  portSe  de  Vartisan  ce  qui  n'itaü  qu^ä  la 
portSe  de  Vartiste?  Picard  habe  wie  Moli^re  nur  aus  Zeitmangel, 
als  Autor^  Schauspieler  und  zugleich  Theaterdirektor  die  Vers- 
komödie vernachlässigt  Wenn  Amault  einen  Vergleich  mit 
Regnard,  Dancourt,  Destouches,  ja  Beaumarchais  riskiert,  so  be- 
weist dies  einerseits  die  zeitgenössische  Beliebtheit  seines  akademi- 
schen Vorgängers,  anderseits  die  Möglichkeit,  dals  Picards  Ver- 
dienste in  den  Augen  der  Nachwelt  durch  erneute  Lektüre  viel- 
leicht zu  steigen  vermöchten.  Amault  formuliert  wenigstens  bei 
aller  Vorsicht  sein  Gesamturteil  überraschend  günstig:  Äu>ssi  morcä 
mais  plus  comique  que  Destouches,  phis  vrai,  plus  riservi  ei  presque 
aussi  original  que  Regnard,  Picard  n'a-t-il  pas  droit  de  prendre  place 
sur  le  meme  rang  qu'eux,  ou  ne  doit  pas  se  irouver  Dancourt,  qui  ne 
met  pas  toujours  dans  l'action  la  v6rit6  qu'on  trouve  toujours  dans  son 
dialogvs,  et  qui  s'applique  moins  d  venger  la  morale  qu'd  peindre  des 
moBurs  dissolues,  dans  des  seines  oü  illes  montre  sous  Vaspect  ridicule 
moins  que  sous  l'aspect  plaisant?  Auch  der  Stil  Picards  nötigt 
Amault  rückhaltlose  Bewunderang  ab:  Le  style  de  Picard  n'est  ni 
moins  naturel  ni  moins  comique  que  celui  de  Dancourt  et  de  Lesage, 
ei  peut-etre  est'41  habituellemsnt  plus  vif.  R  doit  cette  vivacitS  ä  rusage 
de  certaines  ellipses  qui  jettent  dans  son  dialogue  un  mouvemeni  qu'on 
ne  trouvait  gu^e  avant  lui  que  dans  le  dialogue  de  Beaumarchais.  Les 
rSparties,  chez  Picard,  ne  sont  pas  d  la  v4riti  aussi  scintiüantes  d'esprit 
et  de  jeux  de  mots  que  chez  l'auteur  du  Barbier,  mais  elles  sont  plus 
vraies;  et  Picard,  si  spirituel  d'ailleurs,  ne  diffSre  guire  de  Beaumar- 
chais qu'en  ce  qu'il  n'a  pas  use  de  l'esprit  jusqu'd  Valms, 

Rein  persönliche  Ansichten  Amaults  treten  bei  seiner  Wieder- 
aufnahme in  die  Akademie  nur  verschleiert  zutage.  Scribes 
Gedächtnisrede  auf  den   bald  verstorbenen  secr^taire  perp^tuel- 

*  In  völlig  entgegengesetztem  Sinne  äufserte  sich  vor  einigen  Jahren 
Georges  Ohnet  im  Figaro:  Le  vers  est  une  admirable  bSquille.  II  soutient 
les  piices  tmU  faites.  La  prose  les  laisse  trU  Inen  tomber,  Le  vers  est  donc 
avantageux. 

'  Ste-ßeuve  beklagt  in  den  Notweanon  Lundis  (t.  XII,  l'ÄeadSfnie 
franpaise)  die  rasche  Aufeinanderfolge  von  drei  secr^tairee  perp^tuele: 
Auger  stirbt  1829,  ihm  folgt  Andrieux,  der  schon  am  10.  Mai  1838  stirbt, 
Amault  ersetzt  ihn  nur  bis  zum  Id.  September  1884. 


Zur  Geschichte  der  franzönschen  Akademie.  819 

bringt  einen  zwar  verepäteten  aber  nodi  kraftigen  Nachhall  des 
Unwillens^  den  Arnaults  Verbannung  durch  den  Gönner  seiner 
Jugend^  Ludwig  XVIII.,  in  Frankreich  erregt  hatte.  SinfftdiSre 
destinSe  que  la  siennef  Ce  protecteur  qu'ü  s^Stait  donnS,^  prince  alors 
et  plus  tard  devenu  roi,  ohUge  deux  fais  M,  Amault  d  sortir  de  France: 
en  92  par  son  d&pcurt,  en  1815  par  son  retour.  Äufserst  humoristisch 
beleuchtete  Scribe  die  Mitarbeiterschaft  Napoleons  am  fünften 
Akte  von  Arnaults  Tragödie  les  VSnitiens.  Der  ursprüngliche 
Schluls  des  Dramas  forderte  die  Milsbilligung  eines  Membre  de 
l^nstitut  heraus,  des  Generals  Bonaparte,  qui  avait  en  littirature 
des  (dies  aussi  arretSes  qu'en  politique.  II  dStestait  Voltaire,  ü  avait 
le  maiheur  de  ne  pas  amier  beaucoup  Bacine,  mais  ü  aurait  faii  Cor- 
neae Premier  minisire,  II  Üait  pour  les  dSnou^emens  Snergiques,  et 
voulait  que  rmine  au  thiätre  toutes  les  difficultSs  fussent  enlevöes  d  la 
bdionnette.  Der  junge  Dichter  fügte  sich  tatsächlich  dem  kategori- 
schen Befehle:  //  faut  que  le  Mros  meure!  II  faui  le  tuer  . . .  tuez- 
le.  Es  bedarf  kaum  der  Erwähnung,  dals  dem  Publikum  der 
neue  Tragödienschlufs  behagte,  und  dafs  Napoleon  huldvoll  die 
Widmung  annahm. 

Die  vergleichend  vertiefte  ^  Anerkennung  des  Fabeldichters 
Amault  durch  Scribe  ist  allem  Anschein  nach  in  viele  Literatur- 
geschichten übergegangen. 

Einen  beträchtlichen  Teil  des  Umfangs  seiner  Aufnahme- 
rede benutzte  Scribe  zu  einem  anderen  Zwecke,  d.  h.  zur  Ver- 
teidigung eines  Paradoxon,  das  ihm  sehr  am  Herzen  zu  liegen 
schien.  Zwar  fühlte  sich  der  b^rüisende  Directeur  Villemain 
zu  der  berechtigten  sarkastischen  Aufserung  veranlafst:  une  question 
que  vous  avez  diddie  avec  plus  d'esprit  et  de  succes  que  de  veritö, 
aber  Scribes  harmlose,  pikante  Auseinandersetzung  spiegelt  seine 
liebenswürdige  Persönlichkeit  in  all  ihren  Schwächen  und  Vor^ 
zügen.  Er  gefällt  sich  in  der  unwahrscheinlichen  Annahme,  dafs 
durch  irgendeine  Katastrophe  sämtliche  historische  Dokumente 
von  der  Erdoberfläche  verschwinden  könnten.  E^  sei  behauptet 
worden,  dafs  in  diesem  Falle  die  Com^ies  einen  Ersatz  bieten 
würden.  Scribe  ist  anderer  Meinung:  viel  unersetzlicher  dünkt 
ihn  der  etwaige  Verlust  der  virelais,  noels,  pont-neufs  et  vaud&iniles 


'  Amault  hatte  dem  Comte  de  Provence,  dem  späteren  Ludwig  XVIII., 
seine  Tragödie  Marius  gewidmet. 

'  ...  ses  fahles,  son  plus  beau  titre  litter airty  sehn  moi;  ear  il  a  eriS 
un  nouveau  genre  qui  restera  eomme  modMty  par  eela  meme  qu'ü  n*a  eher  ehe 
ä  imiter  ni  La  Fontaine,  ni  Florian;  ee  n'est  point  la  naive  bonhomie  du 
Premier,  ni  la  sensUnlite  elegante  et  gradeuse  du  seeond:  e'est  de  l'ipigramme, 
c'est  de  la  satire,  e'est  JuväuU  qui  s'est  fait  fabuliste/  eomme  lui  peut^re! 
Paussant  jusqu'ä  Vexe^  sa  mordante  kyperhole,  AL  Ä.  ort-ü  fait  la  soeiite 
trop  vieieuse  et  les  hommes  trop  mMumts?  On  a  reproehi  avee  raison  ä 
Fwrian  (Tavoir  mis  dans  ses  bergeries  trop  de  moutons:  peut-Stre  dans  les 
fables  de  M.  Ä.  y  c^t-il  un  peu  trop  ...  de  loups. 


S20  Zur  Geecbichte  der  franzÖeischeD  Akademie. 

satiriques  imprimis  jasqu'ä  nos  jours  . . .  Voyons  si  pctr  kasard  et 
avec  ces  seuls  documents  il  seraii  tout  d  fait  impossible  de  rStabUr  les 
principaux  faits  de  notre  histoire.  Die  an  diese  küluie  Behaup- 
tung geknüpfte  Darlegung  der  historischen  Bedeutsamkeit  der 
'chansons^  ist  so  geistvoll  und  witzsprühend^  dais  der  Leser  (wie 
schon  einst  der  Zuhörer)  sich  über  die  Fülle  eingetauschter  Trug- 
schlüsse gar  nicht  recht  klar  wird.  Scribe  gestattet  manchen 
originellen  Ausblick.  Wie  oft  hat  das  buntscheckige  Ued  im 
Laufe  der  Jahrhunderte  keck  sein  Gewand  gewechselt:  seit  den 
Zeiten  Rolands^  der  trouv^res  und  m^nestrels,  der  Kreuzzüee, 
unter  Karl  VII.  und  Agnes  Sorel,  Franz  L,  der  liga  und  der 
Fronde:  Ättaquant  les  rois,  renversant  les  ministres,  changeant  ks 
parlemens.  Denn  in  Frankreich  war  unter  den  Konigen  lange 
2ieit  die  chanson  la  seide  Opposition  possible.  On  definissaii  le  gou- 
vemement  d'cdors  tme  monarchie  absolue  tempirie  par  des  chansons. 
La  liberti  de  la  chanson  ging  der  Prefsfreiheit  voraus.  Sous  Ma- 
xarin  le  peuple  payait,  il  est  vrai,  mais  ü  chantait,  (fest  d  dire  il  pro- 
testait.  Dieser  Protest  half  die  Revolutionsideen  vorbereiten.  La 
chanson  empeche  Richelieu  de  dormir  et  Mazarin  de  dtner.  Auch 
Ludwigs  XTV.  geheiligte  Majestät  dient  unausgesetzt  ihren  spöt- 
tischen Angriffen  zur  Zielscheibe.  Hohn  ergielst  sich  über  seine 
Liebesverhältnisse^  seine  Feldzüge  und  nicht  zuletzt  seine  finan- 
zielle Mifswirtechaft.  Scribe  liefert  einige  köstliche  Vers-Dlustra- 
tionsproben,  u.  a.  die  folgende: 

Dans  ses  eoffres  pas  un  daublonf 
n  est  si  pauvre  en  son  minage, 
Qu*  an  dtt  que  la  veuve  Scarron 
Ä  fait  un  mauvais  mariage! 

Das  Herannahen  der  Revolution  ^staltet  die  Chansons  zu 
einer  gefürchteten  Macht:  sie  trotzt  den  lettres  de  cachet;  sie 
schreibt  ihr  flammendes  Menetekel  an  die  Mauern  der  Bastille; 
sie  enthüllt  schonungslos  die  Zustande  im  Serail  von  Versailles, 
gibt  unterschiedslos  den  Monarchen,  Minister  und  Favoritinnen 
dem  bittersten  Spotte  preis.  Auch  von  dem  Welteroberer  Napo- 
leon entwirft  sie  Zerrbilder  —  solange  sein  Glücksstern  strahlt 
Ihre  Bedeutung  erlischt  erst  mit  der  gewährten  Pressfreiheit. 
Jedenfalls  besafsen  diese  so  gefällig  vorgetragenen  Ansichten 
Scribes  im  Jahre  1836  den  Reiz  der  Neuheit;  man  beobachtet 
ihn  mit  Vergnügen,  solange  er  sich  auf  dem  Terrain  dieser  lebens- 
frischen  Dichtungsgattung  bewegt  Er  fragt  allerdings  nicht 
danach,  ob  die  pikanten  Anspielungen  der  Chansons  ohne  histori- 
schen Kommentar  jedermann  verständlich  bleiben  würden;  er 
greift  —  leider  —  auch  zu  negativen  Einwänden  g^en  die  Be- 
deutung der  Bühnenstücke  für  zeitgeschichtliche  und  sittliche 
Belehrung.  Die  Literaturgeschichte  hat  Scribe  augenscheinlich 
nur  wie  ein  recht  oberflächlicher  Dilettant  beurteilt   Am  grellsten 


Zur  Geschichte  der  französischen  Akademie.  321 

offenbart  sich  sein  Mangel  sensitiven  Verständnisses  in  einigen 
Aufserungen  über  Moli^re:^  La  comSdie  de  Molüre  rums  instruii- 
elle  des  grands  SvSnemens  du  siMe  de  Louis  XIV?  Nous  dit-eüe  un 
moi  des  erreurs,  des  faihlesses  ou  des  fauies  du  grand  roi?  Nous 
parle-t-eUe  de  la  rivocation  de  Vedit  de  Nantes?  Unter  Ludwig  XV. 
beschäftige  sich  die  Bühne  ebensowenig  mit  dem  Pa/rc  aux  Cerfs 
und  der  Teilung  Polens,  ebensowenig  unter  Napoleon  mit  der 
manie  des  conquetes.  Was  die  zeitgeschichtliche  Sittenschilderung 
anbelangt,  so  räumt  Scribe  ein  que  la  comSdie  est  plus  pris  de  la 
vSriti  des  mcßurs  que  de  la  vSriti  historique,  aber  zugleich  ist  er 
der  Ansicht,  dafs  nur  seltene  Ausnahmen,  wie  Turcarei,  als  chefs 
d'ceuvre  de  fidSliU  gelten  können :  //  se  trouve,  par  une  faialiti  assez 
bizarre,  que  presque  toujours  le  ihidtre  et  la  soeiSti  ont  St4  en  oontra- 
dietion  direcie.  Eine  geschickt  zusammengetragene  Fülle  von  An- 
gaben scheint  Scribe  recht  zu  geben.  Er  fthrt  z.  B.  an,  dafs 
1793,  unbekümmert  um  den  Königsprozefs,  La  helle  Fermiire, 
comidie  agricole  et  sentimentale  in  Paris  über  die  Bretter  ging. 
Immer  nur  von  einem  einzigen  Gesichtspunkt  ausgehend,  führt 
Scribe  seine  negative  Argumentation  bis  zur  Neuzeit  und  krönt 
sie  mit  dem  energischen  Protest:  Le  ihSätre  est  donc  hien  rarement 
Vexpression  de  la  sodStS  —  souvent  Veapression  inverse;  et  (fest  dans 
ce  qu'il  ne  dit  pas  qu'il  faut  chercher  ce  qui  existait. 

Mit  dieser  pikanten  Streitfrage  hat  sich  der  bekannteste 
Bühnendichter  der  Julimonarchie  nicht  widerspruchslos  in  die 
Akademie  eingeführt.  Villemains  Entgegnung  fiel  vornehm  über- 
legen aus;  der  treffliche  Literarhistoriker  war  im  Jahre  1836 
bereits  recht  vertraut  mit  einer  psychologisch  vertieften  Erfor- 
schung der  grofsen  französischen  Dichter.  Würdevoll  wies  der 
noch  jugendlich  begeisterte  Gelehrte  den  verständnislosen  An- 
griff auf  Moli^re  ab:  Connattriez-^vous  parfaitement  le  siede  de 
Louis  XIV  sans  Moliere?  Sauriez-vous  aussi  hien  ce  qu'itaient  la 
cour,  la  ville,  et  Tartuffe  surtout  ?  II  n'est  aucune  piece  de  Moliire, 
jtisqu'au  drame  fantastiqtte  de  Don  Juan,  qui  ne  rums  montre  quelque 
cöt6  curieux  de  Vesprit  humain  dans  le  17^  siick,  qui  ne  vous  fasse 
sentir  le  mouvement  des  mcßurs,  et  deviner  le  travail  meme  des  opinions, 
sous  le  calme  apparent  de  cette  grande  et  majestueuse  ipoque.  Selbst 
schwache  Dramen  sind  in  mancher  Beziehung  wertvolle  Doku- 
mente. Scribe  habe  wenigstens  Turcaret  der  Erwähnung  wert 
befunden,  et  le  mariage  de  Figaro,  p,  ex,,  est  un  renseignement  incom- 
parable  pour  Vhistoire  et  la  fin  ^une  monarchie, 

*  Als  1829  Etienne  an  Stelle  Augers  seinen  Sitz  in  der  Akademie 
zurückgewann,  war  er  im  Gegensatz  zu  dem  ihn  begrüfsenden  Directeur 
Droz  der  Ansicht,  dala  Augers  Commentaire  de  MoliSre  von  hohem  Werte 
sei:  Ces  qualites  quHl  reelamait  comme  indispensable  dans  Vhomme  appele 
a  mesvrer  toute  la  hauteur  de  Moli^re^  M,  Auger  les  avait  en  lui-meme. 
IScribe  bekundet  viel  weniger  Verständnis  für  Moliere. 


822  Zur  QeBchichte  der  französischen  Akademie. 

Auf  Scribe  wie  YiUemain  wirft  die  geschilderte  Akademie- 
Sitzung  wertvolle  Streiflichter.  SiebenunazwaDzig  Jahre  später 
erhalten  wir  ein  neues  eigenartiges  Bild,  als  der  kaiserliche  Günst- 
ling, Octave  Feuillet>  den  durch  Scrib^  Tod  erledigten  Sitz  ein- 
nimmt und  von  Vitet  begrnist  wird.  Diesmal  weht  Hofstim- 
mung  und  schnürt  klerikfder  Einflnls  jeden  freieren  Meinungs- 
austausch ein.  Feuillete  Eede  ist  si<meriich  auch  aus  diesem 
Grunde  weniger  charakteristisch  als  diejenige  Sandeaus  vom  Jahre 
1859,  mit  der  dem  Eingeweihten  der  Vergleich  sehr  nahe  liegt. 
Sandeau  sprach  bei  dieser  Gelegenheit  kühn  von  den  grofsen 
Bomanschnftstellem  Lesage,  Pr^vost,  Balzac,  deren  Ruhm  der 
Akademie  gefehlt  habe.  Feuillet  äuJbert  sich  über  das  ^ddie 
Thema  (die  Bedeutung  des  Romans  für  die  Literatur)  viel  be- 
hutsamer, im  Grunde  genommen  entsprediend  der  hofisch-aristo- 
kratisch abgeglätteten  Tonart  seiner  einst  so  vielgelesenen  Romane. 
Als  chronologisch  wichtig  für  die  ablehnend  abwartende  Haltung 
der  Akademie  gegenüber  den  RomanschriftsteUem  ist  die  ein- 
leitende Aufserung  Feuillets  hervorzuheben,  dafs  die  Akademie 
zum  zweitenmal  innerhalb  weniger  Jahre  einen  simple  auteur  de 
romans  in  ihre  Mitte  berufen  habe.  Auch  bezeidinet  er  im  Laufe 
seiner  Auseinandersetzung  den  Roman  bescheiden  als  gmre  seoonr- 
daire,  dessen  Entwickelung  er  bb  zum  14.  Jahrhundert  zurück- 
verfolgt und  als  ursprünglich  tändelndes  Unterhaltungsspiel  der 
höheren  Gesellsdiaftskreise  definiert  Er  streift  die  Schäfer- 
romane, die  preziösen  Machwerke  des  klassischen  Jahrhunderts, 
spricht  von  emer  MatanU  exeepHon^  dieser  fad  behandelten  Un- 
terhaltungsstoffe, erwähnt  dann  in  ziemlich  knapp  gehaltoier  Auf- 
zählung OH  Blas,  La  nouveüe  HeUnse,  Paul  ei  Virginüf  BenS  und 
Corinne  und  gleitet  schliefslich  mit  ziemlich  vagen  Aufserungen, 
ohne  auch  nur  einen  einzigen  Namen  oder  Titel  zu  nennen,  über 
alle  gefeierten  Romanschriftsteller  seines  2ieitalter8  hinweg.  La 
fiction,  la  description  pütoresque,  Vitiude  des  caracUres  et  des  passions, 
les  domaines  atUrefois  rSservSs  et  distincts  de  la  poisie,  du  ihiätre, 
de  la  phüosophie  meme  et  de  Vkistoire,  —  le  roman  envahissaü  totU, 
et  quelquefois  tisufpaU  totä.  Les  imaginations  les  plus  riches,  les 
esprits  les  plus  phUtrants,  les  plumes  les  plus  heureuses,  rivaUsaient 
en  oe  genre,  d'invention  sSduisante,  d'observaüon  forte  et  d'Üoquenee 
passionnSe.  Le  roman,  par  ses  mSrites  et  aussi  par  ses  eocees,  par  la 
compliciti  ardente  du  goüt  public  dans  ioutes  les  dasses  de  la  nationy 
par  son  actum  manifeste  sur  les  idSes  et  sur  les  mours  du  siSde,  ii- 
mmgnait  d'une  vitaliti  vSritable,  II  avait  prouvS,  dans  Vordre  liitSraire, 
qu'il  pouvait  servir  ä  la  gloire  du  pays,  dans  Vordre  moral,  qu'ü  poun 
vait  faire  le  bien  et  le  mal.  Moral  lautete  in  der  Tat  die  an  die- 
sem merkwürdigeD  Tage  ausgegebene  Parole  der  Akademie.   Der 

*  Jedenfalls  ist  Madame  de  La  Fayette  gemeint. 


Zur  Gkflchichte  der  franzöeiBchen  Akademie.  328 

Feuillet  begrülflende  Directeur  (Yitet)  war  sichtlich  bemüht,  diese 
anBcheinend  sittlich  gedämpfte  Atmosphäre  noch  durch  einen  ge- 
wagten Vergleich  zwischen  Musset  und  Feuillet  druckender  zu 
gestalten.  Allerdings  nur  in  einer  ganz  begrenzten  Richtung. 
Feuillet  hat  bekanntlich  zu  Mussets  Speetade  dans  un  Fauteuil 
anmutige  Fortsetzungen  geliefert.  Yitet  ist  zwar  ehrlich  genug, 
den  höheren  dichterischen  Gehalt  der  Mussetschen  Produkte  ge- 
bührend hervorzuheben  und  gegen  Feuillet  einzuwenden:  La  touche 
moins  fenne,  le  trait  moins  assurS,  et  Vexpreasion  hien  qua  svelte  et 
piqtumte  *ne  faisait  pas  jaiüir  aussi  aouvent  cea  idairs  de  pensie,  ces 
notes  incomparahles  oü  se  irahissait  le  poete*;  mads  en  revanohe  quel 
parfum  plus  sahibre,  quelle  atmoaphire  nouveüe,  quel  caXme  et  quelle 
sSrSnüS.  Plus  de  froide  ironie,  plus  de  mots  dessMuints,  plus  d'images 
suspeetes:  le  lieencieux  ei  le  seeptique  avaient  ä  la  fois  disparu  , . . 
Tout  en  vous  inspircmt  des  gräees  de  votre  modele,  toui  en  lui  dirobani 
ses  secrets,  vous  premez  hardimerU  le  cotärepied  de  ses  doctrines. 

Wahrlich,  die  klerikale  Partei  am  Hofe  Napoleons  HL  konnte 
am  26.  März  1863  mit  der  Akademie  zufrieden  sein.  Die  sittlich- 
strenge Tendenz  der  Werke  Feuillets  trug  —  wohl  zum  ersten 
und  einzigai  Male  in  seinem  Leben  —  einen  offiziell  verkündeten 
Sieg  über  ein  Genie  wie  Musset  davon.  Wird  ihm  diese  klerikal 
beeinflufste  Anerkennung  wirklich  Freude  bereitet  haben?  Eine 
noch  seltsamere  posthume  Ehrung  stand  ihm  allerdings  im  Jahre 
1892  durch  seinen  akademischen  Nachfolger  Pierre  Loti  bevor. 

Loti  hat  sich  mit  der  ihm  eigenen  lässigen,  halb  naiven, 
halb  manierierten  rhetorischen  Grazie  in  die  Akademie  eingeführt. 
Seine  Bede  ist  bekanntlich  im  franzosischen  wie  im  ausländischen 
kritischen  Blätterwalde  mit  teilweise  mifsfälligem  Bauschen  be- 
grüfst  worden,  unterzog  man  sich  doch  sogar  der  Mühe  einer 
Berechnung,  wie  oft  er  das  liebe  Wörtlein  'ich'  in  den  Mund 
genommen  habe.  Und  das  war  eigentlich  nicht  verwunderlich: 
Loti  bot  doch  nur  einen  spontanen  Ausflufs  seiner  künstlerischen 
Eigenart,  des  stark  persönlichen  Gepräges  seiner  Werke.  Als 
unverschleiert  subjektives  Bekenntnis  des  Verfassers  der  Peeheurs 
d'Islande  ist  die  Bede  wertvoll,  wenn  sie  auch  als  Wildling  dem 
Mafsstab  des  Literarhistorikers  und  methodischen  Kritikers  wider- 
strebt. Haarscharf  analysiert,  spiegelt  sie  zwei  widerspruchsvolle 
Anschauungen  Lotis:  einerseits  sein  Verlegenheitslob  einer  Boman- 
gattung,  die  als  echtes  Salonprodukt  von  der  Herrscherlaune  der 
Mode  abhängig  ist,  überdies  eine  Kluft  bildet  zwischen  veralteter 
und  moderner  Künstlertechnik,  die  sich  bei  dem  gellen  Kon- 
trast Feuillet-Loti  nicht  durch  pietätvoll  vermittelnde  Sentimen- 
talität überbrücken  läTst.  Anderseits  das  sich  leise  r^ende  Mifs- 
fallen  des  angehenden  Vierzigers,  der  sich  hochmodernen  lite- 
rarischen Strömungen  gegenüber  bereits  zur  Defensive  rüstet. 
Wer  wagt  nach  seiner  Ansicht,  Feuillet  für  veraltet  zu  erklären? 


824  Zur  Oescbichte  der  franKÖsischen  Akademie. 

Ceriaines  petits  jeu/nes  gens,  qui  se  eroient  des  auteurs  pour  avoir 
publiS  deux  ou  irois  saugrenuiUa  inintelligibles  dans  ces  feuiües  ^hS- 
mSres  eonsacries  aux  dMqueacenees  e^ibrcUes  du  jour.     Der   klare 
Denker  Loti,  dem  ein  knstallheller  Stil  zu  Gebote  steht,  konnte 
für  die   stark  garende  Bichtung  der  ^Symbolistes^^  freilieh  nicht 
viel  Verständnis  übrig  haben.    Er  vergafs  sogar  momentan,  dafs 
diese  von  ihm  so  scharf  bekrittelte  Dichtergruppe  eine  wirkungs- 
volle   Gegenströmung    gegen    den   von   ihm    am   gleichen    Tage 
schroff  bekämpften  Realismus  und  Naturalismus  verhiels.     Seine 
Polemik  kam  -  insofern  wir  sie  nicht  als  offiziellen  Protest  der 
franzosischen  Akademie  auffassen  wollen  —  zu  spät,  da  die  er- 
sehnte  Reaktion   gegen  2iolas    Schule^   bereits   eingetreten    war, 
jedoch  beansprucht  sie  historisches  Interesse,  da  auch  sie  geeignet 
ist,  Wandlungen  der  Literaturinteressen  zu  veranschaulidien,  die 
als   stetig  sich   weitende  Wellenringe   schliefslich  unmerklich   im 
weiten   Ozean  des  Volkergeschmackes  verlaufen.     Lotis   Änfse- 
rungen  offenbaren  den  freimütigen  Blick  des  Seemanns,  der  eher 
über  den  Koterien  steht:  Le  rülisme  et  le  naturalisme  qui  en  est 
reaceis,  je  suis  hin  de  cantester  leurs  droits:  mais  comme  de  grands 
fe/ux  de  paiüe  impure  qui  s^cdlument,  Hs  ont  jetS  une  ipaisse  fumie 
par  trop  envahissante,  La  oondamnation  du  naturalisme  est,  dPaiUeurs, 
en  ced,  &est  qu'ü  prend  ses  sujets  uniquement  dans  oette  lie  du  peupU 
des  grandes  vüles,   ou  ses  auieurs  se  complaisent.     N'ayani  jamais 
regardi  que  cette  flaque  de  boue,  qui  est  tres  spMale  et  tres  restreinte, 
ils  gSnSralisent,  sans  mesure,  les  ohservations  qu'ils  ont  faites-et,  alors, 
ils  se  trompent  outrageusemtnt,    Ces  gens  du  monde  qu'ils  essayent  de 
nous  peindre,  ou  bien  ces  paysans,  ces  laboureurs,  pareils  tous  d  des 
gens  que  Von  prendrait  dans  des  bals  de  BeüeviUe,  sont  faux.     Cette 
grossiireti  absolue,  ce  cynisme  qui  raiUe  tout,  sont  des  phinomines 
morbides,  particuliers  aux  barrieres parisiennes,  j' en  ai  la  certitude, 
moi  qui  arrive  du  grand  air  du  dehors.    Et  voHd  pourquoi  le 
naturalisme,  tel  qu'on  Ventend  aujourd'hui,   est  destinS  —  meUgrS  le 
monstrueux  talent  de  quelques  icrivains  de  cette  Scole,  ä  passer,  qtumd 
la  euriositi  nuüsa/ine  qui  le  soutient  se  sera  lassSe  . . .     Der   be- 
grüfsende  Directeur  de  M^ziferes  protestierte  mit  vollem  Rechte 
gegen    Lotis    Bemühung,   seine   eigene   Künstleranschauung   mit 
derjenigen  Feuillets  zu  identifizieren :  ^  n'est-ce  point  Id  une  tl/tmon 
ou  un  artifice  de  piStS  aeadSmiqus?    Denn  Loti  hatte  es  wahrlich 

*  Cf.  A.  G.  yan  Hamels  treffliche  kleine  Studie:  F^^ansehe  Symbo- 
listen (Overdruk  uit  de  Gids),  1902. 

'  Man  datiert  bekanntlich  den  Abfall  einer  Anzahl  Jünger  Zolas  von 
dem  Erscheinen  seineB  Romans  La  Terre. 

^  Beachtenswert  bleibt  Lotis  nachdrückliche  Erklfirun^:  IJh  eommun 
degaüi  nous  unissait  d'aiüeurs  eontre  tout  oe  qui  est  grosster  ou  seulement 
vulgatre,  et  peut-etre  aussi,  ü  faut  l'avouer,  un  comfMm  iloignefnent  trop 
dedaigneiucj  pa^  assex  tolerant,  ä  peine  ßistifiable,  pour  oe  qui  tient  le  milieu 
de  Vecltdle  humaine,  pour  les  demi-^duoations  et  les  banalttSs  bourgeoiaes. 


Zur  GeBchichte  der  französischen  Akademie.  825 

nicht  nötige  sich  hinter  dem  bröckebideD  Gemäuer  des  veralteten 
Schlofsbaues  eines  Feuillet  wie  hinter  einem  Schutzwall  zu  ver- 
schanzeui  um  Angriffe  auf  neuere  und  neueste  Pamal'sströmun- 
gen  Frankreichs  zu  unternehmen.  Aber  in  einer  wichtigen  Be- 
ziehung stiefs  Loti  bei  M^zi^res  auf  völliges  Verkennen  seiner 
künstlerischen  Eigenart.  Quoiqiie  vaus  restiez  un  idSaliste  convaincu, 
votts  ne  reculexpas  devant  la  reproduoiion  laplics  hardie  de  la  riaUU . . . 
Aucun  romcm  naturaUste  ne  dSpasse  en  harreur  et  en  räcUiti  la  peinture 
que  votts  nous  faites  des  demieres  annSes,  des  demiers  jours  d'un 
vietix  marin.  Uicole  nouveüe,  meme  la  vötre,  ne  connatt.pas  les  scrur 
ptäes  littSraires  qui  tourmentaieni  hvie  et  qui  tronblaient  la  consdence 
d'Oeta/ve  Feuillet,  Pou/rvu  qu'eüe  secoue  nos  nerfs,  qu'elle  fasse  jpasser 
dans  nos  veines  un  frisson  de  piti6  ou  de  terreur,  les  moyens  lux  sont 
indiffirents,  S&ntiments  et  sensaiions,  angoisses  moraUs  et  souffranees 
physiques,  tout  vous  est  hon,  Monsieur,  pour  nous  arracher  des  larmes. 
Personne  de  notre  temps  n'en  fait  plus  verser  que  vous.  Unbestreit- 
bar arbeitet  Loti  mit  viel  intensiveren  Farben  wie  Feuillet^  seine 
Kunst  wirkt  modern-sensitiv^  aber  war  er  nicht  durchaus  be- 
rechtigt, die  zarte  Feinheit  seiner  Darstellungsgabe  von  den 
brüsken  Mitteln  der  Hauptvertreter  des  modernen  Realismus, 
insbesondere  eines  Zola,  abzusondern?  Ihm  widerstrebt  die 
dumpfe,  drückende  Atmosphäre  der  widrig  lasterhaften  Grofs- 
städte.  Dem  frischen  Auge  des  Weltums^lers  hat  der  strah- 
lende Abglanz  einer  lichteren  Sonne  reinere  Linien,  edlere  mate- 
rielle und  geistige  Konturen  eingeprägt  Glücklicherweise  besann 
sich  de  M^zi^res  auf  die  peiniure  plus  discrete  de  la  dovdeur  in 
den  Pecheurs  d^Iskmde,  Aus  den  Schlufsworten  seiner  BegrüTsungs- 
rede  klingt  die  warme  Anerkennung  des  praktischen  Nutzens, 
den  der  Romancier  Loti  durch  seine  plastisch  emreifende  Schil- 
derung des  Fischerelends  seiner  bretonischen  Heimat  gestiftet 
hat.  Die  gerügte  literarische  Skrupellosigkeit  der  modernen  Kunst 
hat  in  diesem  Falle  ungeahnt  segensreiche  Wirkungen  zu  ver- 
zeichnen, weil  sie  der  oberflächlichen  Lebensflüchtigkeit  moder- 
ner Generationen  werktätige  Teilnahme  an  ergrei&ndem  Men- 
schenelend zu  entlocken  vermocht  hat.  Das  Meisterwerk  Pecheurs 
d'Islande  verzeichnet  somit  von  der  Leserschar  ungeahnte  Nütz- 
lichkeitserfolge, deren  hochpoetische  Kristallisation  der  rührenden 
Heitnatsliebe  des  Seemanns  ihre  Entstehung  verdankt! 

In  malerischem  Kontraste  zu  der  mehr  nüchternen  Utilitäts- 
frage  steht  die  fesselnde  Eingangsschilderung  der  Rede  Lotis. 
Hier  ist  der  Dichter,  in  einem  glücklichen  Momente,  zum  Worte 

^kommen.     Wie    originell    wirkt    diese    Situationsbeschreibung! 

fiemals  ist  wohl  die  Kunde  eines  Wahlerfolges  auf  bizarrerem 
Wege  zu  den  Ohren  eines  in  fernen  Landen  weilenden  zukünfti- 
gen Akademikers  gedrungen.  Das  Stimmungsbild,  das  er  ent- 
wirft, gleicht   der   feinsten   Mosaik    bunt    wechselnder  Dichter- 


SM  Zur  QeBchichte  der  franzOflischen  Akademie. 

empfindoDfieD,  insbeeoDdei«  in  der  dem  Seemaim  cfavakteristi- 
0cheD  Misdrang  vod  Lebensfreiide  mit  Wehmut:  Toui  en  gUsmmi 
mr  Feau  tranquüle,  je  dichiirai  um  d  un,  les  papiers  bbas,  KmmU  de 
pr^,  a/ux  demiSres  kieurs  rouges  du  jour,  dane  le  beau  er^puscUh 
eommen^ant,  ees  ßUeitaiions  qui  fn'arrwaient  de  ioutes  parte,  et  au 
lee  mote:  jaie,  honheur,  revenaient  toujours  d  c6U  du  mot  gMre. 
Dans  oe  ealme  du  jaur  de  prwUempe  qui  fmiesaii,  cei  instant  me  eem- 
blait  aolennel,  eomme  chaque  foie  qu'un  grand  pas  vient  cTitre  francki 
dane  la  vie;  je  eeniaie  meme  une  sarte  d^angoisse  Orange,  comme  si 
un  manteau  trop  magnifique — mais  en  mime  temps  trop  lourd,  trcp 
immobüisant — edt  4tS  taut  d  coup  jetS  eur  mes  Spaules.  M  puis,  je 
songeais  d  celui  dont  le  dipart  m^awiit  ouvert  oes  portes,  et  qui  prS- 
cisMnent  avait  6tS,  dane  le  monde  des  lettres,  le  premier  dSdarS  de 
tous  mes  amis  inieüeetuels ;  il  me  semblait  qu'en  prenant  sa  plaee,  je 
le  plongeais  plus  avant  dans  la  grande  nuit  oü  naus  aUons  tous.  — 
Ist  die  GeBohicbte  des  Fauteuil  'Loti'  im  19.  Jahrhundert 
nicht  überaus  lehrreich?  Dringt  nicht  aus  den  Discours  de  re- 
ception  eines  Arnault,  Scribe^  Feuillet,  Loti  ein  lebens- 
voller Hauch  beachtenswerter  individueller  B^abung?  Für  die 
Kenntnis  der  Geschichte  des  französischen  Theaters  wie  des 
französischen  Romans  im  19.  Jahrhundert  sind  aus  der  Lektüre 
dieeer  Aufnahme-  und  Begrfl&ungsreden  wertvoUe  Rnger«ige 
und  Berichtigungen  einzusammeln.  Und  zwar  rechtzeitig.  Denn 
in  seinen  origindlen  SensaHions  d'Italie  ^  erteilt  Bourget  den  Lite- 
rarhistorikern eine  beachtenswerte  Lehre  ,.,  Un  Iwre,  par  eocemple, 
n*esi  plus  tout  d  fait  le  meme  d  cent  ans  de  distance,  Les  mois  n'en 
ont  pas  bougS,  mais  gardent-^ls  exaetement  le  mime  sens?  Quel 
lecteur  hdbituS  aux  sensations  inteÜeetuelles  ne  eomprend  que,  pour 
un  komme  du  diac-septiime  siede,  les  vers  de  Racine  n'itaimi  pas  ee 
qu'ils  sont  devenus  pour  nous 9  ,.,  U  semble  qu'en  effet  nous  ajou- 
tions  d  VcBuvre  en  VinterprStant  d'une  certame  manidre  et  dans  le  sens 
de  nos  besoins  personnels  d'esprü,  En  rialM,  ce  que  noi^  paraissons 
lui  ajouter,  eile  nous  le  suggere,  Elle  portait  en  eüe  la  possibiliti. 
La  preuve  en  est  que  certaines  criaiions  seulement  des  temps  passSs 
ont  gardis  cette  puissance,  d'autres  non  Die  Disoours  de  ricq>iion 
sind  mehr  oder  weniger  ^Stimmungsbilder^  die  verblassen\  Tra- 
gen wir  rechtzeitig  oorge^  die  Quellen  zu  würdigen,  denen  sie 
ihre  Entstehung  verdanken.  Auch  im  Schofse  der  französischen 
Akademie  pulsiert  literarischer  Lebensstrom;  seine  Frische  und 
Originalität  unbefangen  zu  genielken  und  fruchtbringend  aua«.- 
nutzen  ist  eine  Pflicht,  die  bis  jetzt  nur  in  vereinzelten  FaUen 
getreue  Erfüllung  gefunden  hat, 

>  Seneatiofu  cPBalie,  p.  130. 
München.  M.  J.  Minckwitz. 


Snr  4es  Gontemplations^  de  Yietor  Bugo. 


L'un  des  plus  fidles  amis  de  Victor  Hugo,  son  ex^cuteur  testa- 
mentaire,  le  po^te  M.  Paul  Meurice,  a  entrepris  de  publier  une  nou- 
velle  Mition  des  oBuvres  compl^tes  de  Victor  Hugo,  qui  formera  qua- 
rante  volumes, '  et  qui  deviendra  bien  vite  indispeiiBable  aux  biblio- 
philes comme  aux  lettr^s.  Les  bibliophiles  j  trouveront  une  Im- 
pression d'une  beaut6  grave,  due  ä  rimprimerie  Nationale  de  Paris, 
des  facsimil^  des  manuscrits,  et  des  gravures  emprunt6e8  aux  ^ditions 
ant6rieures,  ä  la  Maison  de  Victor  Hugo,  aux  archives  de  la  ComMie 
Fran9aise,  etc.  —  Les  lettr^s  y  trouveront  mieux  encore:  Thistoire 
des  Oeuvres  publikes,  des  notioes  bibliographiques  et  iconographiques, 
des  variantes,  des  textes  nouveaux,  des  traces  multiples  et  pr^ieuses 
des  recherches  pr^paratoires  et  du  travail  de  composition  auxquels 
se  livrait  le  f^cond  6crivain.  Trois  volumes  ont  paru  d6jä  ^  et^  pour 
Noir^Dame  de  Paris,  nous  avons  des  canevas  curieux,  qui  nous  per- 
mettent  de  survre  les  tätonnements  du  romancier;  pour  Marie  Tudor 
et  pour  les  Burgraves,  deux  prologues  inconnus,  dont  le  second  ne 
compte  pas  moins  de  six  cents  vers.  Les  Coniemplations  ne  sont  pas 
accompagn^  de  documents  de  ce  genre;  mais  M.  Paul  Meurice,  sans 
faire  une  Edition  vraiment  critique,  en  a  multipli^  les  variantes,  et 
surtout  il  nous  a  donn6,  sur  les  diverses  pikses  qui  composent  ce  re- 
cueil,  des  indications  chronologiques  compl^tes,  qui  sont  d'une  capi- 
tale  importance.  Cest  sur  la  Chronologie  nouvelle  des  CorUempkUions 
que  je  voudrais  appeler  l'attention  de  mes  lecteurs. 

Les  Chätiments  datent  de  1858;  les  Coniemplations  ont  6t^  pu- 
bli^s  ^  Paris  le  24  avril  1856,  mais  d'apr^  une  Impression  beige 
qui  6tait  achev6e  ^  la  fin  de  1855.  Deux  ann^  seulement  s^parent 
donc  les  deux  ouvrages,  et  ces  deux  ann^es  ont  6t6  consacr^es  ä 
beaucoup  d'oeuvres,  outre  les  Coniemplations.  Sans  parier  des  dis- 
cours,  lettres  et  actes  politiques  de  toute  sorte  que  Ton  trouve  dans 
Actes  et  paroles,  Victor  Hugo  composait  alors  un  grand  nombre  de 
pi^es  de  la  future  LSgende  des  siecks;  en  1854  il  6crivait  la  plus 
grande  partie  de  la  Mn  de  Satan  et,  en  1855,  amen6,  par  les  Con- 


*■  Grand  in-S*'  k  10  francs  le  voiume.    Paris,  librairie  Ollendorff. 
'  Bomain:  Notre  Dame  de  Paris;  —  ThOUre,  tome  III;  —  PoMes:  les 
ConiempkUions, 


S28  Sur  'les  Contemplations'  de  Victor  Hugo. 

templaiions  m^mee,  ä  sonder  les  probl^es  m^taphysiques,  11  toivail 
Dieu,  termin^  au  mois  d'avril.  D'autres  po^ies  datent  aussi  de  cette 
Periode,  qui  ont  6t6  ins^r^es  dans  des  recueils  post^rieurs:  les  Chan- 
sons des  ities  et  des  bois  (1865),  les  Quatre  venis  de  Vesprü  (1881), 
Toute  Ja  lyre  et  les  Ännies  funestes  (recueils  posthumes).  Sans  qu'une 
liste  de  ees  demi^s  pi^ces  soit  utile,  on  voit  combien  Tactivit^  du 
po^te  4tait  prodigieuse  au  temps  oü  il  6criyait  les  Cantemplations, 

n  est  yrai  que  les  Contemplations  n'ont  pas  le  caract^  des  re- 
cueils lyriques  ant^eurs.  Eux  ne  nous  donnaient  de  renseignemente 
sur  FAme  et  l'art  de  Victor  Hugo  qu'ä  un  moment  pr^is  et  court; 
les  Gontemplations  sont  une  autobiographie  morale  et  po^dque  allant 
del880äl855  —  1856  m^me,  si  Ton  consulte  les  dates  de  certaines 
po^sies  —  et  formte  de  documents  qui  s'^chelonnent  le  long  de  ce 
Kjrraude  mortalis  aevi  spatium'.  Du  moins  le  po^te  nous  le  dit  et, 
malgr6  quelques  restrictions  peu  importantes,  les  critiques  le  r§p%tenL 

Victor  Hugo  6crit  dans  sa  prtface: 

<Si  un  auteur  pouvait  avoir  quelque  droit  d'influer  sur  la  dis- 
position  d'esprit  des  lecteurs  qui  ouvrent  son  livre,  l'auteur  des  Gon- 
templations se  bomerait  ä  dire  ceci:  ce  livre  doit  ^tre  lu  comme  on 
lirait  le  livre  d'un  mort 

'Vingt-cinq  ann^  sont  dans  ces  deux  volumes.  Qrande  mor- 
tcUis  aevi  spatium,  L'auteur  a  laissä»  pour  ainsi  dire,  ce  livre  se  faire 
en  lui.  La  vie,  en  filtrant  goutte  ä  goutte  ä  travers  les  ^v^nements 
et  les  souffrances,  l'a  d6pos4  dans  son  cceur.  Ceux  qui  s'j  penche- 
ront  retrouveront  leur  propre  Image  dans  cette  eau  profonde  et  triste, 
qui  s'est  lentement  amass^e  Ik,  au  fond  d'une  Arne. 

<Qu'est-ce  que  les  Coniemplaiions?  Cest  ce  qu'on  pourrait  ap- 
peler,  si  le  mot  n'avait  quelque  pr^tention,  les  Mimovres  d*une  äme. 

*Ge  sont^  en  effety  toutes  les  impressions,  tous  les  Souvenirs, 
toutes  les  r^alit^s,  tous  les  fantömes  vagues,  riants  ou  fun^bres,  que 
peut  contenir  une  conscience,  revenus  et  rappel^s  rajon  ä  rayon, 
soupir  ^  soupir,  et  m^l6s  dans  la  m^me  nu6e  sombre.  Cest  Texis- 
tence  humaine  sortant  de  l'^nigme  du  beroeau  et  aboutissant  h 
l'enigme  du  cercueil;  c'est  un  esprit  qui  marche  de  lueur  en  lueur, 
en  laissant  derriäre  lui  la  jeunesse,  Tamour,  Tillusion,  le  combat^  le 
d^sespoir,  et  qui  s'arrdte  6perdu  *'au  bord  de  Tinfini".  Cela  com- 
mence  par  un  sourire,  continue  par  un  sanglot^  et  finit  par  un  bruit 
du  clairon  de  l'abime. 

'Une  destin^e  est  6crite  lä  jour  ä  jour.' 

L'ouvrage  lui-m6me  est  divis6  en  deux  parties,  subdivis^  chacune 
en  trois  livres:  I.  AtUrefois:  1830^1843  (Aurore,  VAme  en  fleur,  les 
Luites  ei  les  reves);  H.  Aujourd'hui:  1843 — 1855  {Patusa  meae,  en 
Marche,  au  Bord  de  Vinfini),  La  plupart  des  pi^ces  sont  dat^es,  et, 
si  nous  classons  ces  dates,  voici  ä  quel  tableau  nous  arrivons: 

Au/rore  a  une  pi^  qui  remonte  ä  1820;  deux  qui  sont  datßes 
d'une  fa9on  vague;  seize  qui  vont  de  1830  ä  1840;  sept  qui  vont 


Sar  'les  CoDtemplationfi'  de  Victor  Huga  329 

de  1840  ü  1848.  üne  —  la  pi^  Vm  —  est  de  1854,  mais  parce 
qu'elle  est  une  suite  (c'est  du  reste  le  titre)  de  la  pi^  VII,  dat6e 
de  1884  et  intitul^  RSponse  d  un  acte  d'accusation.  Cette  pi^  6tant 
exceptio,  ce  liyre  est  pour  la  plus  grande  partie  ant6rieur  ä  Bayona 
et  ombres,  en  partie  peu  post^rieur. 

UÄme  en  fleiwr  oommence  moins  töt^  comme  il  est  naturel,  mais 
ne  nouB  fait  pas  descendre  plus  bas.  Ce  livre  contient  une  pi^  de 
1889  et  vingt-sept  non  dat^ee;  oe  sont  des  pi^ces  d'amour  qui  rap- 
pellent  les  po^es  d'amour,  non  dat^  aussi,  des  Ghants  du  cr^ptts- 
cule  ou  des  Voix  vnUiri&wres,  et  qui  doivent  dtre  sans  doute  du  mdme 
temps. 

Nous  ne  commen9onB  ^  descendre  qu'avec  les  Luttes  et  les 
rives:  cinq  pi^oes  ant^rieures  ä  1840;  trois  de  1840;  une  de  1841; 
quatre  de  1842;  seize  de  1848;  une  de  1846. 

Le  livre  Patica  meae,  form6  par  les  po^sies  inspir^  par  la  mort 
de  L^poldine,  ouvre  nettement  une  p^riode  nouvelle  de  la  vie  de 
Hugo:  'Nous  venons  de  le  dire,  c'est  une  &me  qui  se  raconte  dans 
ces  deux  volumes:  Autrefois,  At0ourd'hui.  Un  abime  les  s^pare,  le 
tombeau.'  II  est  dono  naturel  que  ce  livre  conunence  par  une  sorte 
de  prologue,  dat^  de  1848  et  ant^rieur  au  manage  de  L^poldine, 
Bur  la  noble  destin^e  qu'on  pouvait  pr6dire  ^  cette  jeune  fille;  qu'il 
continue  par  une  pi^  sur  le  mariage  m^me  (15  f6vrier  1848);  qu'il 
nous  Signale  par  une  simple  ligne  de  points  la  catastrophe  du  4  sep- 
tembre  1848,  et  qu'il  nous  pr^ente  ensuite,  de  1844  ä  1854,  les 
lamentations  du  p^re-po^te. 

Le  livre  V,  En  marehe,  a  une  pi^ce  sans  millMme;  le  reste  est 
de  1846  (une  pi^ce,  avec  post-scriptum  de  1855),  de  1852  (deux 
pi^ces),  de  1854  (huit  pi^ces)  et  de  1855  (quinze  pi^oes). 

Le  livre  VI,  Au  hord  de  Vinßm,  remonte  ^1846  pour  l'fl^gie 
de  Ciaire,  mais  se  place  ensuite  tout  entier  pendant  l'exil:  1852  (une 
pi^);  1858  (quatre),  1854  (sept),  1855  (onze),  1856  (deux). 

L'ensemble  du  recueil  est  encadr^  par  un  pr^lude  de  1889  et 
la  belle  pi^  d'envoi  ä  sa  fille  morte,  A  ceUe  qui  est  restSe  en 
Frame,  1855. 

A  vrai  dire,  quelques -unes  de  ces  dates  ont  4t6  discut^es. 
M.  Bir6^  a  ing6nieusement  montr6  que  la  Biponse  d  u/a  acte  d'accu- 
scUion  ne  pouvait  pas  ^tre  de  1884,  parce  qu'en  1884  le  po^te 
n'aurait  pas  employ^  les  mots  doubles,  les  mots  centaures,  comme 
on  les  a  appel^,  qui  abondent  dans  ce  po^me:  le  bagne  leoßique,  la 
home  Aristote,  Vastre  Instittä,  la  lettre  aristocrate,  la  Umteme  e^mt, 
la  bakmce  hSmistiche,  la  cage  cSsure,  Le  m^me  critique  a  affirm^  que 
la  pi^ce  Ecrit  en  1846  6tait  certainement  antidat^e;^  et  M.  Rochette  ^ 


>  Victor  Hugo  apr^  1852,  page  95—97.      *  Victor  Bugo  aprU  1830, 
Ch.  V.      '  VAlexomdrin  ehcx.  Victor  Bugo,  p.  40. 

Archiv  t  n.  SpiMhen.    CXVI.  22 


^30  8ur  'les  OontempUtionB'  de  Victor  Hugo. 

a  oontest6  auwi  la  dato  de  1M5  aHnbn^e  anz  piteee  J  JBiraoe  et 

Dans  lear  ensemble  oependant^  lee  indicationB,  en  quelque  sovte 
officielleB,  des  Mition«  ont  ^  aooqptßes,  et  on  en  a  tir§  dee  oon- 
clusions  litt^airefl  fort  importanteB.  M.  Fernand  Gregh  6crit  dans 
ses  6tudes  gur  Victor  Hugo  ^ :  'Le  prenuer  ouvrage  qu'il  donna  au 
monde  fut  l'cBuvre  de  sa  col^re,  lea  Chätimenis.  Mais  il  continuait 
lä  (ä  Jersey]^  dans  oette  solitude  laboiieuse,  une  <Buvre  oommeno6e, 
mürie  d^k  dans  la  retraito  oü  il  s'^tait  enferm^  aprte  la  mort  de  aa 
fille,  les  CkmiempkUians.  Hugo,  en  ef fet^  s'^tait  miB  k  leB  toire  im- 
m^diatement  apr^  les  Rayons  et  les  ombres  (quelques  piöoes,  peut- 
^tre  antidat^  sont  ukkae  marqu^ee  conune  6tant  de  183...)»  et  la 
plupart  des  piiees  du  premier  i?olu$ne,  Autrefois,  soni  aniirtei^ires  d 
1843,*  En  cons^quence,  M.  Gr^^h,  qui  veut  faire  dee  oeuvree  de 
Victor  Hugo  une  revue  atrictement  chronologique,  Studie  les  Ckmiem- 
plations  (et  mdme  le  second  volume,  qu'il  6tait  diffimlft  de  Sparer 
du  premier)  ayant  les  Ghätimenis.  Ainsi  ne  fait  pae  M.  Brunietiäre 
dans  le  coun  fameux  oü  il  Studie  l'^volution  de  la  po^ie  lyrique 
au  XIX®  si^e.  Voulant  Studier  oonform^ment  k  la  Chronologie  la 
secande  maniire  de  Victor  Hugo,  il  laiase  les  CSiätiments  avaiit  les 
Cowtemplations;  mais  il  a  bien  soin  d'ajouter: 

'Voufi  me  permettrez  de  ne  rien  dire  du  premier  volume  des 
Gontemplations.  Les  pi^oes  qu'il  contient  sont  toutes  dat6e8  de  1830 
ä  1848  et,  —  Sans  ezaminer  ä  ce  propos  les  raisons  que  le  po^te 
avait  eues  de  ne  pas  les  ins^rer  dans  ses  pr6o6dentB  reeueils  [en 
note:  "J*si  t&ch^  d'indiquer  plus  loin  quelques-unes  de  oes  raisons"], 
—  toujours  est-il  que  la  facture  n'en  diff^re  pas  sensiblemoit  de 
Celle  des  Ghanis  du  eripuscuLe,  ou  des  Voix  ifUSrieures.  M^me  Ob- 
servation ä  faire  du  premier  livre  du  second  volume:  c'est  celui  qu'il 
a  oonsacr^  ä  la  memoire  de  sa  fille,  sous  le  titre  de  Pa/uoa  Meae. 
VouB  7  trouverex  d'ailleurs  quelques-uns  de  ses  chefs-d'oBuvre:  Thns 
ans  apris;  Veni,  vidi,  vixi;  A  ViüequMr.  ... 

'Mais  tout  en  6tant  plus  ^mues,  plus  sinc^res,  plus  humainee 
peut-^tre,  moins  m^l^es  de  rh^torique  que  la  PrUre  pour  tous  ou  la 
Tristesse  d*  Olympia,  je  ne  trouve  pas,  Messieurs,  que  rien  d'essentiel 
les  en  distingue,  —  si  ce  n'est  un  degr6  de  maitrise  ou  de  perfection 
de  plus. 

<I1  n'en  est  qu'une  qui  fasse  exception;  c'est  la  douzitoe  de  ce 
premier  livre:  Ä  quoi  songeaient  les  deux  eavaUers  dans  la  forü;  et 
auBsi  est-elle  dat6e  de  1858. 

La  nuit  6tait  fort  noire  et  la  for^t  tr^  sombce, 
Hennann  ä  mes  o6t^  me  paraiMsit  une  ombre, 
Nos  chevaux  galopaient  . . . 

*Ce  n'est  pas  qu'elle  ne  soit  extr^mement  romantique,  presque  alle- 
mande,  —  et,  si  je  ne  me  trompe,  visiblement  inspir^  de  la  lAnore 

'  Bevue  de  Buie,  15  mars  1902,  p.  838. 


BiiT  ^es  ContempUtioiis'  de  Victor  Hugo.  331 

de  Buiger,  —  mais,  en  P^tnidiaDt  de  plus  pi^  je  ne  eroifl  paa  Bie 
tromper  non  plus  quand  j'j  vois  l'mdioation  au  moinB  d'an  ohange- 
meiit  de  manitee  ...^' 

De  oee  positioiiB  la  entique  eat  en  gnuade  partie  däog^e  par  oe 
qui  est  mamtenant  oonnu  du  manuecrit  autographe  des  Ckmümfria- 
tions,  D6jä  M.  Victor  Qladiant,  dans  une  ^tulde  oritique  publik 
par  la  Bevue  unwersüaire^,  avait  dornig  pour  certaines  pitees  lee 
datofl  du  manuscrit  et  avait  fait  remarquer  qu'eUes  u'^taifiDt  pas 
Celles  des  ^ditdons;  mais  ces  indioations  de  M.  Glaohant  6taient  peu 
nombreuses.  M.  Paul  Meurice,  dans  la  belle  Mition  des  cdUTras  de 
Victor  Hugo  qu'il  fait  imprimer  par  rimprimerie  nationale,  est  alU 
beaucoup  plus  loin:  avec  une  tr^  interessante  bistoire  des  Cbnism- 
plations,  des  notes  sur  oertaines  pi^oee  et  une  longue  s6rie  de  variantes, 
il  a  donn^  la  liste  compl^te  des  dates  du  manuscrit  compar6es  auz 
dates  que  Victor  Hugo  avait  assign^s  ä  ses  po^sies  dans  les  Mütions. 
Pour  un  petit  nombre  de  pi^ces  senlement  la  date  manque  dans  k 
manuBcrit^  mais  M.  Paul  Meorice  a  pu  la  su{^16er  en  oonsid6rant  k 
papi«*  employ^  par  le  po^te,  k  caraet^re  de  son  toiture  et  d'autres 
indices  encore.  Maintenant  enfin,  nous  avons  une  base  s^rieuse  pour 
Studier  la  composition  du  recueiL 

Lorsque,  en  1854,  Victor  Hugo  a  con^u  le  projet  de  revenir  ^ 
la  po^sie  lyrique  et  de  faire  succ^der  aux  Chätiments  les  (JofUempla^ 
tions,  il  se  proposait  d'abord  de  ne  publier  qu'un  seul  volume;  une 
note,  ^rite  sur  la  feuille  de  titre,  porte:  'Trier  encore,  Dans  le  vo- 
lume aotuel  ne  mettre  que  Dieu,  la  nature  et  Didine  (L^poldine).' 
Puis,  rid6e  d'^crire  les  Mimoires  d'uns  äme  a  s4duit  le  po^te,  et  il 
s'est  arr^t6  quelque  temps  ä  ce  premier  plan: 

Tome  L    Atubrefide.  —  1883—1842. 

Li  vre  premier:  lea  Jcies 

Livre  deuzi^me:  les  MSves  (?) 
Tomell.    At0ourd^hu4.  —  1842—1854. 

Livre  troisi^e:  Au  herd  du  tombeau  (ou  le  Tomheau) 

Livre  quatri^me:   Au  bord  de  la  tner  (ou  PEkJdfy 

II  Bongeait  aussi  ä  d'autres  titres:  Vivre*  —  HSver.  —  Plewrer.  — 
Jtfourir*  Et  il  dMiait  son  livre  ä  la  Franoe,  pour  laquelk  il  ^cri- 
vait  r^pigrapbe  qui  est  ensuite  pass^e  en  t^  de  la  LS^ende  des 
siides. 

Peu  ä  peu,  le  plan  s'est  modifi^;  les  quatre  livres  ont  fait  place 
aux  six  livres  actuels;  Tensemble  de  Foeuvre  a  6t6  d6di6  d  celle  qui 
Statt  restie  en  France,  dans  le  cimeti^e  de  Villequier;  mais,  plus  que 
Jamals,  Victor  Hugo  s'attachait  &  lld^  de  faire  son  bistoire  po6tique, 


'  Bruneti^e,  U6vi>Mion  de  la  poMe  lyrique  en  fVwnee  au  JLUL*  siMe, 

1894,  t.  II,  p.  87—88. 

*  Avril  1898,  p.  362  aqq. 

22* 


382  Bur  'le«  CootemplatioDfi'  de  Victor  Hugo. 

de  donner  auz  lecteurs  un  cycle  de  potooes  qui  caract^risAt  lee  di- 
venefl  phasee  de  sa  yie  —  et  aussi  de  la  leur,  puisque  'nul  de  ooos 
n'a  llionneur  d'avoir  une  vie  qui  seit  &  lui.  Ma  yie  est  la  y6tre, 
votre  vie  est  la  mienne,  vous  vivez  ce  que  je  vis;  la  destin^e  est  une'^ 
Victor  Hugo  voulait  pouvoir  dire  au  public:  'Vingt-cinq  ann^es  sont 
dans  ces  deux  volumes.  . . .  L'auteur  a  laiss^  pour  ainsi  dire,  ce  livre 
se  faire  en  lui.  La  vie,  en  filtrant  goutte  ä  goutte  )i  travers  lee 
6v6nemeiitB  et  les  souffrances,  l'a  d^pos^  dans  son  cobut^.' 

Or,  les  po^es  de  llieure  pr^ente,  Victor  Hugo  n'avait  qu'ä  les 
^rire;  les  ä^gies  et  les  m^ditations  que  lui  avait  inspirto  la  mort 
de  sa  fille,  il  les  avait  conserv^,  ^ooiouvantes  et  sublimes;  mais, 
pour  les  p^riodes  ant^rieures,  les  recueils  d^ä  publi6s  avaient  presque 
tout  pris  et  il  n'y  avait  que  peu  de  cbose  dans  les  portefeuUles  du 
po^te.  II  fallait  donc  ou  renoncer  ä  son  programme  ou  fabriquer 
apr^  coup  de  'vieilles  chansons  du  jeune  temps';  et  c'est  ä  quoi  Hugo 
se  d^ida.  Les  pi^ces  ^crites,  il  les  datait  d'apr^  les  Souvenirs 
qu'elles  6voquaient  ou,  si  je  puis  dire,  d'apr^  Tage  des  sentiments 
qu'elles  exprimaient  Dans  cette  sorte  de  reconstitution,  le  goüt  seul 
devait  guider  le  po^te;  les  dates  6taient  &  lui  comme  les  vers  mdmes; 
il  pouvait  les  inventer  pour  les  pi^ces  nouvelles,  il  pouvait  mdme 
les  changer  pour  les  pi^ces  anciennes;  et^  de  fait^  il  les  a  chang^es 
souvent 

En  agissant  ainsi,  avouons-le,  il  avait  quelquefois  d'autres  rai- 
sons  que  des  raisons  de  gott,  et  les  adversaires  de  Victor  Hugo 
n'avaient  pas  tout  ä  fait  tort  de  le  soup9onner.  8i  la  Biponse  d  un 
ade  d'ancusaiion  a  4t6  dat6e  de  1834  (au  lieu  de  1854,  oü  eile  a  6t6 
compos^e  en  m^me  temps  que  la  pi^  Suite),  c'est  bien  parce  que  le 
po^te  trouvait  flatteur  pour  lui  d'avoir  eu  d^  1834  la  pleine  con- 
science  de  son  r61e  r^volutionnaire  en  po^ie.  Mais  il  ne  songeait 
pas  ä  tromper  longtemps  le  public,  puisqu'il  laissait  la  date  exacte, 


*  Pr^face. 

'  üne  foia  6clair6  sur  l'histoire  vraie  des  OorUemplaiiaru,  on  remarque 
ais^inent  que  la  pr^face  ne  dit  pas  ce  qu'elle  semblait  dire  autrefois.  Dans 
le  passage  que  nous  venons  de  citer,  comme  dans  ceiui  qui  le  suit  imm^- 
diatement,  pas  ud  mot  n'affirme  que  les  ^tats  d'&rae  successifs  du  po^te 
sont  repr^sent^s  dans  son  livre  par  des  pi^ces  <jui  en  sont  contemporaines ; 
au  contraire,  les  ezpressions  employ^es  nous  mvitent  k  admettre  que  le 
po^te  a  6voqu6  du  lond  de  son  &me  les  Souvenirs,  qui  j  darmaientf  du 
pass^  (cf.  le  dernier  vers  de  la  JHstesse  d' Olympia: 

C'est  toi  qui  dors  dans  Tombre,  ö  Bacr6  sonvenir). 

Je  cite  encore  une  fois,  en  soulignant  les  termes  les  plus  expressifs: 
'L'au^ur  a  laiss^,  pour  ainsi  dire,  ce  livre  se  faire  en  tui,  La  vie,  en 
filtrant  ffoutte  k  goutte  k  travers  les  ^v^nements  et  les  souffrances,  l'a 
d^pos^  £ins  son  cceur.  Ceux  qui  s'y  pencheront  retrouveront  leur  propre 
imaffe  dans  cette  eau  profonde  et  triste,  qui  s'est  lentemeni  amassie  lä,  au 
fona  d'une  äme  . . .  Oe  sont,  eu  effet,  toutes  les  impressions,  tous  les  Souve- 
nirs, toutes  les  rialiUs,  Ums  les  fantomes  vagues,  riants  ou  fun^bres,  que  peut 
conienir  une  conscience,  rerefius  et  rappelis  rayon  k  rayon,  soupir  k  soupir, 
et  m^^  dans  la  mtoe  nu^  sombre . 


Bor  'les  ContemplationB'  de  Victor  Hugo.  338 

toutes  les  dates  exactes  sur  son  manuscril^  qu^il  deetinaity  ayec  les 
autres  manuscrits  de  ses  oeuvres,  ä  la  BiblioÜi^ue  Nationale,  üne 
seule  fois  peut-^tre  il  est  permis  de  le  prendre  en  flagrant  däit  de 
supercherie  compl^te.  Une  pi^ce  qui  est^  au  point  de  Tue  politique, 
le  pendant  de  ce  qu'est,  au  point  de  yue  litt^raire,  la  Eiponse  d  u/n 
acte  tPaccusation,  et  qui,  comme  eile,  a  un  post-scriptum  dat6  de 
1855,  porte  pour  titre:  ilcrU  en  1846,  M.  Paul  Meurice  lui-m^me 
doute  que  Victor  Hugo  ait  pu  avoir  en  1846  les  id6es  qu'il  affiche 
dans  ce  po^me;  et  cependant,  au  lieu  de  le  dater  dans  son  manuscrit 
de  1854,  Victor  Hugo  a  ^crit:  'Recopi^  le  12  novembre  1854';  et  ä 
cAt^  de  ces  deux  vers: 

Mais,  Longwood  et  Goritz  m'en  sont  t^moins  tous  deux, 
Jamais  je  n'outrageai  la  proscription  sainte, 

il  a  ajout6  cette  note:  'On  n'a  rien  chang6  ä  ces  vers  6crits  en  1846: 
aujöurd'hui  Tauteur  eüt  ajout4  Claremont/ 

Mais  il  est  arriv6  aussi  que  les  soup9ons  portassent  —  au  moins 
en  partie  —  ä  faux.  La  piSce  A  propos  d'Horace,  dat6e  de  1835, 
a  bien  6t6  achev6e  ä  Jersey  en  1855;  seulement  eile  avait  6t^  com- 
menc^  k  Paris,  ä  une  dato  que  le  manuscrit  ne  pr^cise  pas.  Et  ce 
qui  est  arriv6  surtout,  c'est  que  le  po^te  ait  chang6  ses  dates  sans 
dessein  int^ress^,  qu'il  les  ait  chang^es  m^me  par  habitude  d'en  dis- 
poser  librement,  et  sans  but  nettement  visible. 

Quoi  qu'il  en  soit,  on  voit  que  d'assertions  ruineuses  ont  6t6 
fond^es  sur  les  dates  des  ^ditions,  et  avec  quel  soin  il  faudra  d^sor- 
mais  examiner  les  dates  reelles. 

II  ne  peut  plus  6tre  question,  par  exemple,  pour  faire  Thistoire 
des  vill^giatures  de  Victor  Hugo,  de  s'appuyer  sur  les  pi^ces  des 
Contemplaiions  qui  pr6tendent  avoir  6t6  ^(ürites  ä  GranviUe  ou  aux 
Roches  K  Les  Roches,  propri6t6  des  Bertin,  et  la  vall^  de  la  Bi^vre  oü 
cette  propri6t6  4tait  situ6e,  ont  tenu  une  grande  place  dans  la  vie  du 
po^te.  JA  ont  et^  Berits  ou  inspir^,  entre  autres  po^mes,  BiSvre  des 
Feuilles  d'automne  (6  juillet  1831)  et  la  Tristesse  d'Olympio  (31  oc- 
tobre  1837);  de  lä  peut-4tre  vient  la  pi^ce  Le  poete  s'en  va  dans  les 
champs  des  Coniemplations,  dat^e  de  juin  1831  et  qui  est  en  r^älit^ 
du  31  octobre  1843;  mais  A  Andri  ChSnier  n'est  plus  n6  aux  Roches 
en  juin  1830,  ni  Oui,  je  suis  le  reveur  en  aodt  1835:  les  deux  CBUvres 
sont  n^  ä  Jersey,  et  en  1854. 


'  *  Cependant  M.  H.  Dupin  ^crit  dans  son  ^!hide  sur  la  ehronohpe  des 
ContemplationSf  MSlanges  dliist.  litt,  p.  106,  n.  1  (yoir  la  note  addittonnelle 
ci-apr^s):  'II  convient  de  constater  ici  avec  quel  souci  d'exactitude  et  de 
pr^cision  Victor  Hu^o  antidate  ses  pi^ces.  Partout  oü  la  y^rification  est 
possible,  on  s'aper^oit  aue  le  po^te  se  trouvait  r^llement  aux  eodroits 
qu'il  iudigne  daus  son  edition,  le  jour  ou  dans  le  mois  dont  il  date  sa 
pi^ce.    On  peut  v^rilier,  ä  l'aide  de  la  C!orrespondance  et  des  r^tB  de 

voyage,  qu*u  ^tait  bien:  Aux  Roches,  en  juin  l831  (pifece  I,  1,2)  etc ' 

—  Mais  aucune  y^rification  n'a  6i6  possible  pour  les  deux  po^mes  que 
je  cite  ä  la  fin  de  cet  alin^:  A  AndrS  (Mnier  et  Oui^  je  suis  le  riveur. 


334  Sor  'le*  CoBtcnplaftiooB'  de  Victor  Hugo. 

De  mtoe  on  ne  poum  plus  dire,  oonime  je  Tsi  fait  moirintee 
daas  mon  Vieior  Hugo  poHe  ipiqus  (p.  19^  qu«  ki  fin  de  BaMt  m 
ffMurehant  präudait  ä  la  poMe  6pique  de  la  LSgends  d^  1837,  puisque 
Halte  en  marckarä  est,  ea  rMitl^  de  1855. 

Mais  il  Importe  aus«  qu'use  rßaction  aveugle  contre  lea  aadene 
direa  ae  fasse  pas  Biaintenant  m^onnailre  tout  oe  qui,  dana  la  pie- 
mi^  Periode  de  la  canri^re  de  Hugo,  a  pr^par^  et  rendu  posiible 
la  seeonde.  Tont  ce  qui  constitue  la  profonde  et  ^blouiflsante  poMe 
de  l'ezil  ^it  en  genne  dane  l'oeuTre  ant^rieure,  et  U  y  a  dana  la 
premi^  partie  des  Ckmkfnphiiang  des  pi^oee  caraet^ristiqiieB  qni 
Bont  anciennes.  8i  Halte  en  marckant  est  de  1855,  fe  Rouei  d^Omr 
phcUe,  que  je  dtais  au  m^me  endroit  de  mon  livre,  est  de  1843;  de 
1840  est  la  Fete  che»  Thiriee;  la  Vie  aux  ehampe  et  la  Saurce  sont 
de  1846;  Mdancholia  a  6t6  compos^  en  plusieurs  fois  de  1833  en- 
viron  k  1838. 

Fassons  en  revue  les  six  livres  des  Oontemplations,  et,  apr^  en 
avoir  indiqu6  la  Chronologie  conyentionnelle,  indiquons-en  maintenant 
la  Chronologie  r^lle. 

La  production  du  livre  I,  Af4rore,  ne  part  plus  de  1 820,  puisque 
la  courte  pi^  intitul^:  Vers  1820  est  de  1854;  eile  ne  part  plus 
m^me  de  1886,  puisque  la  pi^  intitul^:  Ä  Oranviüe,  en  1836  est»  eile 
aussi,  de  1854;  nous  y  trouvons  une  po^ie  de  1839  (N^  I),  deux  de 
1840  (N<»  X  et  XXII;  encore  le  N«"  X  a-t-il  4t6  remani6  en  1855), 
une  de  1841  (XVII),  deux  de  1842  (III  et  XX),  trois  de  1843  (H, 
XI  et  XXV),  deux  de  1846  (VI  et  XXIV),  une  de  1847  (XXVIII). 
Sauf  quelques  vers  au  d^but  de  la  pi^  XIII,  Ä  Horaee,  tout  le 
reste  est  de  1854  (onze  pi^ces)  et  de  1855  (cinq  pikses). 

Le  livre  11,  l'Ame  en  fleur,  est  en  grande  partie  ant^eur  aa 
livre  1^,  ce  qui  paralt  d'abord  assez  Strange,  et  ce  qui  s'explique 
pourtant  fort  ais^ent  £n  effet^  M.  Gregh  se  trompe  quand  il  6crit 
que  'quelques  pi^ces,  peut-^tre  antidat^es,  sont  marqu^  comme  6tant 
de  183../.  Lies  pi^ces  auxquelles  il  senge  sont  en  r6alit6  marqu6es 
comme  6tant  de  18...,  et,  par  lä,  comme  par  le  sujet  et  par  le  ton, 
elles  ressemblent^  nous  l'avons  dit^  k  force  pi^ces  des  Ghants  du  ere- 
puscule  ou  des  Voix  intirieures.  Apr^  la  repr^entation  de  Lucrece 
Borgia,  apr^  sa  liaison  avec  Juliette  Drouet^  Victor  Hugo  avait 
^crit  pour  cette  demi^re  tant  de  po^ies,  qu'il  n'avait  pas  os^  les 
ins^rer  toutes  dans  ses  recueils  de  1885,  de  1837  et  de  1840;  et  il 
n'avait  pas  oess^  d'toire  des  pi^ces  d'amour  apr^  les  Rayons  et  ks 
ombres:  ü  lui  en  restait  donc  un  certain  nombre  avec  lesqndles  il 
pouvait  peindre  l'Ame  en  Fleur,  Ce  livre  contient  une  po^ie  de 
1H38  (V),  deux  de  1834  (X  et  XVI),  une  de  1838  (XX),  une  de 
1839  (VI),  une  de  1841  (II),  une  de  1842  (XXIV),  deux  de  1843 
(in  et  XXH),  une  de  1845  (VH),  six  de  1846.  H  est  compl6t§  par 
trois  pi^ces  de  1854  et  neuf  de  1855. 

Le  livie  111,  les  Lüttes  et  les  reves,  oontient  un  plus  grand 


Snr  1e«  ContempIatioiiB*  deTietor  Hugo.  ^S& 

nombre  de  pi^ces  r^centee:  deaz  de  1858,  htut  de  1B54,  huit  de 
1855.  MekmekoUa  (II),  compl6t6e  seulement  en  1855,  a  6tö  oam- 
menc^e  ven  1883  et  compoe^  surtout  en  1888;  Magniiudo  parvi 
(XXX),  aehev^  en  1855,  data  en  partie  de  1836;  les  autres  pi^ces 
sont  de  1889  (III  et  XXI),  1841  (XVIII),  1843  (V,  XV,  XXIV  et 
XXV),  1846  (VI,  XI  et  XIV)  et  1847  (TV). 

De  Tadmirable  livre  IV,  Päuea  meas  (d'abord  intittil^:  Lärmes), 
M.  Faguet^  a  dit:  'H  7  a  Ih  le  po^e  complet  de  la  douleur  vraie, 
toutes  les  pbases  successives  du  grand  deuil  profond';  et  sa  critique 
p^n^trante  a  montr^  ayec  quelle  logique  douloureuBe  ces  phaees  se 
suec^atent  dans  les  vers  du  p^re-po^te.  Malbeureusement,  Tordre 
od  se  pr^sentaient  ces  vers  n'6tait  pas  Pordre  qu'impliquaient  les 
dates  des  6ditions,  et  M.  Perrollaz^,  s'appuyant  sur  ces  dates,  a  essay^ 
de  aubstituer  ä  Texplication  de  M.  Faguet  une  autre  Evolution  de  la 
douleur.  Comme  si  la  marche  normale  de  la  souffrance  n'^tait  pas 
sans  oesse  travers6e  par  des  ^lans  impr^vus  et  g^n^e  par  d'in^vitables 
retoursl  En  r^alit^  M.  Faguet  6tait  d'accord  ayec  la  conception 
g^n^rale  du  po^te,  teUe  qu'il  en  avait  eu  eonscience  apr^  coup,  et  ni 
M.  Faguet,  ni  M.  PerroUaz  n'^taient  d'accord  avec  les  dates  exactes 
de  la  composition. 

Le  prologue  de  1843  n'a  6t6  fait  qu'en  1855;  de  1854  datent 
les  pi^ces  Vlll,  XVI  et  XVII;  et,  au  contraire,  la  pi^e  Xu,  la 
seule  que  M.  Bruneti^re  attribue  ä  la  p6riode  de  Texil  (A  quoi  son- 
geaient  les  detuc  cavaliers  dans  la  forü)  n'a  m^me  pas  6t6  corapos^e 
k  propos  de  L^opoldine  et  date  du  11  octobre  1841.  Ajoutons  qu'une 
pi^  du  livre  VI,  la  7^  que  les  ^ditions  datent  de  1855,  est  en  r6a- 
lit6  du  4  septembre  1846,  jour  anniversaire  de  la  catastrophe  de 
Villequier,  et  se  rattaebe  donc  intimement  aux  Pa/uca  msae.  Et  ajou- 
tons aussi,  en  passant,  que  Fimpression  produite  sur  le  po^te  par 
cette  catastrophe  a  6t6  plus  profonde  encore  qu'on  ne  le  supposait 
Sauf  la  petite  pi^:  Le  poete  s'en  va  dans  les  champs  qui,  sauf  erreur 
de  r^dition  nouvelle,  est  du  81  octobre  1848  ^  le  p^re  accabl^  n'a 
pu  torire,  de  septembre  1848  ä  l'ann^  1846,  que  Timmortel  po^me 
Ä  Viüequier  (4  septembre  1844  et  24  octobre  1846> 

n  est  inutile  d'insister  sur  le  livre  V,  Sn  marche^  et  sur  le 
livre  VI,  Au  bord  de  rinfini,  qui,  de  par  leurs  titres  m^mes  et  leur 
objet,  devaient  comprendre  uniquement  des  po^mes  r^emment  Berits. 
Quelques  oeuvres  ant^rieures  s'y  sont  gliss^  cependant  Au  poete 
qui  m'envoie  tme  plume  d'aigle  (V,  XIX),  qui^  6tait  de  1841;  Au(c 
FbmUaniines  (V,  X);  ßcouiex,  je  suis  Jean  (VI,  IV)  et  Oroire,  mais 


'  Dix-neuviime  siide,  JBtudes  litUraireSy  p.  178. 

'  Louis  PerroUaz,  Victor  Hugo  pleurofU  la  mort  de  sa  fiüe,  Etüde  küto- 
rique  et  psychologique  sur  les  Pauea  Meae,  Be8an9on,  1902,  8^. 

^  M.  H.  Dupin  (voir  la  note  odditionneBe)  dit  qu'elle  n'a  pas  6!t6  dat^ 
par  le  po^te  et  la  date  lui-m6me  de  1843,  sans  indication  plus  pr^dse.  — 
£n  revanche,  11  place  au  20  octobre  1844  la  petite  pi^ce  VHvrondeÜe  au 
prvniemps  . . .  (I>  2,  16). 


336  8ur  'les  Ck>nteinplatioDi'  de  Victor  Hugo. 

p<is  en  nous  (VI,  VH),  qui  6taient  de  1846;  et  une  paitie  de  Pteun 
dans  la  Nuü  (VI,  VI)  qui  datait  d'avant  Fexil;  mais  tout  le  reste  esi 
bien  de  1852  (V,  n),  de  1854  et  de  1855. 

De  1855  auBsi,  et  tout  k  fait  de  la  fin  de  rann^,  data  la  belle 
pi^  d'envoi  d  CelU  qui  est  resUe  en  France. 

Tek  0ont  les  principaux  renseignementB  qu'il  m'a  pani  utile 
d'extraire  de  la  publication  de  H.  Meurice.  Les  critiques  seront 
peut-^tre  un  peu  f  Ach^  de  voir  teile  ou  teile  de  leurs  aseeitions  in- 
finn^e  par  la  Chronologie  nouyelle  des  Gontemplations ;  les  moralistes 
gronderout  contre  la  d^involture  avec  laquelle  le  grand  po^te  faus- 
sait  r^tat  civil  de  ses  oeuvres;  mais  les  artistes  n'en  admir^-ont  que 
davantage  la  souplesse  et  la  prestigieuse  habilet^  d'un  g^ie  qui 
savait  raviver  tous  ses  Souvenirs,  retrouver  en  les  compl^tant  toutes 
ses  inspirations  et  nous  peindre,  en  m^me  temps  que  les  feux  de  son 
Aurore,  ce  qu'il  entrevoyait  au  bord  sombre  de  Vinfini.  Tous  enfin 
remercieront  M.  Paul  Meurice  d'avoir,  en  publiant  son  beau  volume^ 
rendu  un  signal6  servioe  aux  historiens  qui,  avant  tout^  se  pr^occu- 
pent  de  la  v^rit^ 

Montpellier  (d^cembre  1905).  Eugene  Rigal. 


Note  additionnelle. 

Depuis  que  Tarticle  ci-dessus  a  6t6  6crit  et  livr6  ^  I'impression, 
M.  Paul  Meurice  est  mort^  —  et  un  travail  interessant,  fait  sur  le 
manuscrit  m^me  de  Victor  Hugo  et  pour  lequel  M.  Meurice  aviüt 
fourni  des  renseignements  utiles,  a  ^t^  publik  par  M.  H.  Dupin  sous 
ce  titre:  ßtude  sur  la  Chronologie  des  Contemplations. 

La  mort  regrettable  de  M.  Meurice  va  sans  doute  retarder  Vidi- 
tion  nouvelle  de  Victor  Hugo  et  peut-^tre  en  changer  quelque  peu 
le  caract^e;  du  moins  ne  Tarr^tera-t-elle  pas  K 

Quant  au  travail  de  M.  H.  Dupin,  il  a  pour  objet  essentiel  de 
montrer  que  les  dates  du  manuscrit  nous  renseignent  exactement 
sur  la  composition  des  po^mes  que  contiennent  les  Gontemplations; 
il  traite  une  question  que,  pour  mon  compte,  j'avais  suppos^e  r^solue, 
mais  que  Ton  con^oit  aussi  qui  soit  ezamin^  dans  tous  ses  d^tails: 
ne  se  pourrait-il  pas,  en  effet,  que  les  dates  inscrites  par  le  po^te 
sur  le  manuscrit  fussent,  dans  bien  deä  cas,  les  dates  oü  les  pi^ces 
ont  6t6  recopi^es,  tandis  que  la  date  vraie  de  la  composition  ou  au 
moins  d'un  premier  jet  serait  donn^  par  les  4ditions  ?  Pour  montrer 
qu'il  n'en  est  rien,  M.  Dupin  examine  les  arguments  qui  peuvent 

*  Pendant  que  s'imprimait  cet  article.  la  continuation  de  PMition  a  i\i 
confi^e  Ä  Tauteur,  exceilemment  informe,  de  VEnfance  de  Victor  Hugo  et 
du  Roman  de  /Sainie-BeuvCj  M.  Gustave  Simon,  et  un  nouveau  volume  a 
paru,  contenant  le  Bhin, 


Sur  les  OontemplationB'  de  Victor  Hugo.  837 

^tre  avanc^s  en  faveur  des  deiix  explications  possibles;  et  surtout  il 
Studie  k  divers  points  de  vue  les  oeuvres  de  Victor  Hugo  dont  la 
Chronologie  ne  peut  ^tre  contest^,  pour  leur  comparer  celles  qui  fönt 
Tobjet  propre  de  ses  recherches.  D  examine  ainsi  T^volution  du 
sentiment  de  l'amour  chez  Victor  Hugo  de  1820  k  1865,  des  Ödes 
aux  Chansons  des  rues  ei  des  bois,  —  ce  qui  lui  pennet  de  condure 
ä  Tanciennet^  ou  ä  la  nouveaut^  des  poäies  amoureuses  des  Can- 
templations,  H  examine,  en  ce  qui  conceme  les  coupes  et  les  enjambe- 
ments,  la  versification  de  Victor  Hugo  de  1882  II  1854;  il  fait  de 
m^me  pour  le  style.  Form6  aux  m^thodes  rigoureuses  de  l'^rudition 
par  M.  G.  Lanson,  dont  il  est  —  ou  dont  il  a  6t^  —  Tä^ve  ä  la 
Facult6  des  Lettres  de  Paris,  il  multiplie  les  statistiques,  les  tableaux, 
les  index;  il  nous  donne,  chemin  faisant^  nombre  d'indications  qui 
ont  leur  yaleur. 

Enfin,  M.  Dupin  Studie  en  particulier  quelques  pi^ces,  dont  la 
date  est  exceptionnellement  importante:  R^onse  d  tm  acte  d'accur 
sation,  Quelques  mois  d  v/n  autre,  ikrü  en  1846. 

Comme  son  memoire  peut  ^tre  souvent  consult^,  il  ne  sera  pas 
inutile  de  faire  ici  quelques  remarques  de  detail. 

Je  ne  comprends  pas  tr^s  bien  ce  que  dit  M.  Dupin,  p.  52,  de 
la  pi^  Ä  Vüleqtder:  'Le  manuscrit  porte  les  deux  dates  de  4  sep- 
tembre  1844  et  26  octobre  1846.  L'^dition  porte  la  date  du  4  sep- 
tembre  1847.  La  vraie  date  doit  6tre  la  date  terne  de  26  octobre 
1846.  [S'il  faut  cboisir,  Findication  est  judicieuse,  mais  pourquoi  le 
po^me  n'aurait-il  pas  6t6  compos^  en  deux  fois7]  Victor  Hugo  a 
mis  d'abord  la  date  de  l'6v6nement  [oü  cela?],  puis  la  date  du  pre- 
mier  anniversaire.  Enfin,  comme  il  parlait  de  douleur  apais^  il  a 
report6  la  pi^  jusqu'en  1847.    [Cette  fois,  l'explication  est  juste.]' 

II  est  malais^  de  y^rifier  les  statistiques  sur  la  versification; 

mais,  dans  leur  ensemble,  elles  sont  ^videmment  exactes  et  instruc- 

tives.    De  m^me,  on  doit  accepter  les  conclusions  g6n6rales  sur  le 

style;  mais  on  pourrait  contester  tel  ou  tel  jugement;  pourquoi  Timage 

de  la  page  72: 

Qui  Yous  dit 
Que  la  bulle  d'azur  que  mon  souffle  agrandit 

est-elle  d^Iar^  singttHire?  pourquoi  l'image  de  la  page  89: 

L'ftme  de  deuils  en  deuils,  Thomme  de  rive  en  rive, 

Roule  h  P^temit^ 

est-elle  d6clar6e  banale^  Elle  ne  parait  pas,  du  moins,  banale  dans 
sa  forme,  puisque  ces  deux  vers  disent  sous  une  forme  tr^s  elliptique 
que  Yäme  roule  d  Vetemiti  de  deuils  en  deuils,  comme  Vhomme  de  rive 
en  rive  arrive  au  port.  —  P.  78,  on  pourrait  ajouter  k  Phistoire  des 
substantifs  accoupl^s  et  signaler,  par  exemple,  le  g6ant  Paris  dans 
les  Fhuilles  (^automne,  le  gSant  Europe  dans  les  Voix  intSrieures.  — 
Dans  les  po^ies  qui  s'6tagent  de  1880  ä  1840,  il  y  a  plus  d'images 
qui  sont  des  sensations,  de  choses  animSes  et  personnifiäes,  —  de 


338  ^r  'leg  Göntemplfttion«'  de  Yfctor  Hugo. 

nUte^hores  ou  idSes-^moffes,  —  et  m^me  de  symboleg^mdiaphores  que 
ne  le  croit  M.  Dupin. 

Panni  les  tableaux  qui  nous  sont  offerts,  qnatiie  sonf  parti- 
culi^rement  eommodes:  celui  des  pi^eee  ponr  lesqueUes  la  date  du 
manuscrit  et  celle  des  Mitions  concordent  (p.  41—42);  —  orini  des 
dates  du  mannserit  compar^s  h  oelles  des  6di(ions  ponr  le«  pidces 
oü  il  n'y  a  pas  concordance  (p.  48 — 46);  —  la  liste  de«  a&avres  non 
dat^es^  ayec  la  date  que  M.  Dupin  leur  attrilme  (p.  46 — 47);  —  et 
Pordre  chrouologique  de  toutes  les  pi^oes  (p.  99 — 102).  En  ^todiant 
ces  documents,  je  suis  amen6  ä  faire  les  remarques  suiyantea: 

M.  Dupiu  est  en  d^sacscord  avec  M.  Meuriee  quand  il  enr^istre 
les  dates  assign^  par  le  manuscrit  k  certaines  pi^ces.  On  vil,  on 
parle  ...  (11,  4,  11)  est  dat6  par  M.  Dupin  du  II  juillet  1846  et 
par  M.  Meurice  de  1846  seuleraent  —  Ge  que  du  la  bauche  tfornbre 
(n,  6,  26)  est  des  1—18  octobre  1854  pour  M.  Dupin,  des  1—13 
octobre  1855  pour  M.  Meurice.  —  Pure  irmoeenee,  vertu  sainief 
(U,  4,  1)  et  la  fin  de  Melanc?ioHa  (I,  8,  2)  sont  de  1855  pour  Tun, 
du  22  janvier  et  du  1<^  f^vrier  1855  pour  Tautre.  Je  passe  sur 
d'autres  divergences  mdns  importantes  (pi^ces  II,  4,  8;  II,  6,  22; 
n,  5,  14;  I,  2,  27;  I,  1,  18). 

M.  Dupin  et  M.  Meurice  ne  s'entendent  pae  pour  d^arer  ä 
telles  pi^es  sont  dat^  ou  non.  D'apr^  M.  Dupin,  le  Poete  t^en  va 
dans  les  champs  (I,  1,  2),  Veni,  vidi,  viooi  (11,  4,  18)  et  la  Souret 
(I,  8,  6)  ne  sont  pas  dat^es:  M.  Meurice  trouve  pour  cee  pi^ces  dans 
le  manuscrit  les  dates:  81  octobre  1848,  11  avril  1848  et  4  oetol»« 
1846.  Inversement»  M.  Dupin  date  du  20  octobre  1844  et  du  12  oc- 
tobre 1846  les  pi^ces:  l'BirondeUe  au  printemps  (I,  2, 16)  et  0  souve- 
nirs,  priniemps,  aurore  (II,  4,  9)  que  M.  Meurice  d6clare  non  dat4te. 
Pour  VEvrondeüe  au  priniemps,  M.  Meurice  adopte  l'ann^  1884,  et 
il  semble  bien  avoir  tort  (voir  Dupin,  p.  71  et  89). 

Quand  il  s'agit  d'assigner  une  date  ^  des  pi^oes  ou  ä  des  par- 
ties  de  pi^ces  incontestablement  non  dat^,  on  comprend  mieuz  que 
les  divergences  soient  grandes.  Le  d^but  de  Ä  propos  d^Horaei 
(I,  1,  18)  est  de  1846  pour  M.  Dupin  et  n'a  pas  de  date  preise 
pour  M.  Meurice.  —  Le  d^but  de  Mdancholia  (I,  3,  2)  est  de  1846 
pour  Tun  et  de  1 888  pour  Tautre.  ^—  Le  d4but  de  Magnitudo  parvi 
(I,  8,  80),  que  M.  Dupin  place  en  1846,  a  6t^,  d'apr^  M.  Meurice, 
toit  en  deux  fois:  en  1886  et  deuz  ou  trois  ans  apr^  —  Le  re- 
merciement  Au  poite  qui  m'envoie  une  plume  cPaigle  a  6t6,  pour 
M.  Dupin  qui,  du  reste,  n'6tudie  gu^  cette  pi^ce,  ^rit  en  1852 
(yoir  p.  100;  1825,  par  erreur,  k  la  p.  45):  il  est  de  1841  pour 
M.  Meurice.  —  Je  ne  signale  pas  un  certain  nombre  de  pi^oes,  pour 
lesquelles  M.  Dupin  h^ite  entre  1854  et  1855,  alors  que  M.  Meurice 
choisit  Tune  ou  Tautre  de  ces  dates. 

'^,Pour  deuz  pi^ces,  M.  Dupin  est  en  contradiction  avec  lui-m^me: 
^  la  p.  42,  il  place  au  15  f6vrier  1848  la  pi^  qui  porte  oette  date 


1 


Sur  'Im  Contemplationfi'  de  Victor  Hugo.  839 

pour  titre  (11,  4,  3);  mais  k  la  p.  89,  il  veut  qu'elle  Boit  de  1846.  — 
Uenfani,  voyant,  VdwuU  ...  (I,  3,  25)  est  du  25  aoüt  1843  ^  la  p.  41, 
mais  du  25  aoüt  1854  ou  1855  aux  p.  45,  47  et  100. 

Eufin  le  maniement  du  Tableau  chronologique  de  M.  Dupin 
est  rendu  moins  commode  qu'il  ne  devrait  T^tre  par  une  inadvertance 
et  par  des  oublis: 

Quelques  pi^s,  qui  portent  un  titre,  sont  rappelt,  non  par 
ce  titre,  mais  par  leur  premier  vers:  Juin  1842:  Dana  le  frais  dair- 
obscur;  lire:  Mes  detia  fiUea  (1, 1,  3);  —  26  juin  1846,  Eüe  me  dit  un 
soir  en  souriant;  lire:  Un  soir  que  je  regardais  le  ciel  (I,  2,  28);  — 
20  aoüt  1854,  0  femme,  pensie  aimantel;  lire:  N'envions  rien  (I,  2, 
19);  —  30  octobre  1854,  On  conieste,  on  dispute  ...;  lire:  Voyage 
de  nuii  (U,  6,  19);  —  18  janvier  1855,  Je  ne  songeais  pas  ä  Rose; 
lire:  Vieiüe  chanson  dujeune  temps  (I,  1,  19). 

Cinq  pi^s  ont  6t6  omises;  30  avril  1839,  Saiume  (I,  3,  3;  la 
date  de  cette  pi^  a  6t6  attribu6e  par  erreur  k  la  pik^  suivante: 
Lettre,  I,  2,  6,  qui  est  du  15  mai  1839);  —  15  juin  1839,  ühjour, 
je  vis  debout  ...  (prologue);  —  15  f^vrier  1843,  15  Fivrier  1843  (11, 
4,  3;  cf.  p.  42);  —  12  juillet  1846,  Chanson  (I,  2,  4);  —  11  avril 
1848  d'aprfes  M.  Meurice  (voir  ci-dessus):  Veni,  vidi,  vixi  (II,  4, 13).^ 

Le  memoire  de  M.  Dupin,  avec  deux  autres  du  mSme  genre: 
les  Sources  grecques  des  TVois  cents  (dans  la  Legende  des  siicles)  par 
M.  E.  Fr^minet,  et  JStude  sur  les  manuscrüs  de  Lamartine  eonservSs 
d  la  Bibliothique  nationale  par  M.  J.  des  Cognets,  forme  des  MSlanges 
d'histoire  littiraire  (21<^  fascicule  de  la  Bibliothiqus  de  la  FacuUe  des 
Letires  de  Paris,  Alcan  6diteur,  1906,  8»). 

M.  Fr6minet  prouve  que  V.  Hugo  s'est  servi  de  la  traduction 
d'H6rodote  autrefois  6crite  par  du  Byer;  il  donne  une  Edition 
soigneusement  annot^  des  Trois  cents  et,  grftoe  aux  r6v61ations  du 
manuscrit,  il  6claire  les  proc6d^  de  composition  du  po^te.  M.  des 
Cognets,  de  son  c6t4  Studie  la  fa9on  de  composer  de  Lamartine  et 
nous  donne  les  variantee  d'un  certain  nombre  des  pi^ces  des  Midi- 
tations  et  des  Harmonies. 

>  J*ai  d^jä  reley^  quelques  fautes  d'impreBsion ;  en  voici  d'autres. 
P.  55,  ä  la  demi^re  ligne  des  notes:  Soudain  ftion  dme  s'iveiUera  doit  se 
lire  en  deuz  vers  {Baytms  et  ombres,  27)  :1 

Soudain  mon  ftme 
S'iveillera. 

'  ^*     »  ^^^'        Le  dÖmon  dans  ccs  boia  reposej 

Non  le  grand  vieax  Sabin  fonrchu  . . . 

P.  58,  n.  1,  Elle  itait  diehauasee  ne  doit  pas  Stre  ^crit  comme  une  citation, 
mais  comme  un  titre,  faisant  suite  ä  la  VieiUe  (et  non  Vielle)  chanson  du 
jeune  temps.  —  P.  58,  n.  3,  lire:  I,  1,  14  et  non  I,  1,  12. 

(Janvier  1906.)  E.  R. 


Cervantes 

et 
le  troi8i^me  Centenaire  du  ^Don  Q1licllotte^ 


La  f^te  litt^raire  cA6hr4e  en  Espagne  au  mois  de  mai  1905, 
en  Fhonneur  du  Don  Quichotte,  dont  la  premi^re  partie,  comnie 
chacun  sait,  parut  ä  Madrid  en  1605,  a  ^t^  roccasion  ou  le  pr^ 
texte  de  nombreuses  publications  portaut  seit  sur  la  vie,  soit  sur 
les  Oeuvres  de  Cervantes.  Ces  publications  se  r^partissent  ais^ 
ment  en  deux  groupes:  Celles  qu'on  pourrait  nommer  de  circoDs- 
tance,  qui  sont  dues  uniquement  k  la  t^te,  qui  n'existeraient  pas 
si  eile  n'avait  pas  eu  lieu;  et  puis  Celles  qui  avaient  6t4  pr^ 
par^s  auparavant,  que  leurs  auteurs  tenaient  pour  ainsi  dire  eo 
r^erve  et  dont  la  föte  a  seulement  hftt^  ou  o^id^  rimpression. 
Je  ne  dirai  que  quelques  mots  des  premi^res. 

Beaucoup  d'^crivains  ont  voulu  s'associer  k  cette  solennit^ 
par  des  discours,  des  articles,  des  essais,  des  aper9us.  Ces  ^rits 
valent  naturellement  ce  oue  valent  leurs  auteurs:  il  en  est  de 
spirituels,  d^ing^nieux,  d'^toquents;  il  en  est  aussi  de  simplement 
curieuxy  de  paradoxaux  et  d'insignifiants.  A  coup  sür,  il  ne  sau- 
rait  6tre  indifferent  de  connattre  ce  que  tel  critique,  ou  tel 
^rudit  en  renom  aujourd^hui,  pense  de  l^uteur  du  Don  Quichotte^ 
de  la  valeur  litt^raire  et  morale  du  cä^bre  roman  et  des  autres 
ceuvres  de  Cervantes.  Ainsi,  on  lira  certainement  avec  plaisir 
etprofit  le  beau  discours  prononc^  par  D.  Marcelino  Men^ndez 
y  relajo  le  8  mai  dernier  dans  le  grand  amphith^ätre  de  FDni- 
versite  de  Madrid,  ^  et,  parmi  les  contributions  de  r^tranger  ä  la 
c^iebration  de  la  f^te,  celui  qu'a  demand^  k  M.  Arturo  FariDelli 
le  cercle  de  lecture  Hottingen  de  Zürich.^  Ces  deux  discours 
repr^entent  des  points  de  vue  assez  diff^rents.  Le  premier  est 
d^un  Espagnol  pur  sang,  d^fenseur  ardent  des  anciennes  gloires 

'  Dücurso  aeerea  de  Cervantes  y  d  'Quifate*,  leido  en  la  ühiversidad 
Öentraif  en  8  de  mayo  de  1905,  por  D,  Marcelino  MenSndex  y  Peiayo,  de  la 
Real  Academia  Espanola,  Maarid)  1905,  31  pagee  in  8^  (Eztrait  de  la 
Revieta  de  Ärehivos,  Biblioteeas  y  Museoe), 

'  Cervantes,  Zur  300jährigen  Feier  des  *Don  Quijote'.  Festrede  gehalten 
in  Zürich  am  6.  Marx  1905,  im  Auftrage  des  Lesezirkels  HoUingen,  von 
Arturo  Farineüi,  München,  1905,  39  pagee  in  »<>  (Extrait  de  la  Beilage 
lur  Allgemeinen  Zeitung  des  16,  17  et  18  mai  1905). 


Cerrantes  et  le  troifti^me  CeDteoaire  du  'Don  Quichotte'.         841 

de  8on  pays  pour  lesquelles  il  combat  saDs  cesse,  et  quelquefois 
un  peu  ä  la  fagon  du  bon  cbevalier  de  la  Manche,  mais  avec 
tant  de  sinc^rit^  de  conviction   et  de  talent  qu'il  gagne  la  sym- 

Sathie  de  ceux  m^me  qui  sentent  ce  que  certaines  de  ses  reven- 
icatioDS  ont  d'exag^r^.  Je  dois  dire  qu'id  cette  exag^ration 
n'apparalt  pas;  M.  Men^ndez  y  Pelayo  se  montre  au  oontruFe  tr^ 
mesur^  et  f ait  voir,  avec  beauooup  de  tact  et  de  nuances,  que 
Foeuvre  de  Cervantes  ne  forme  pas  un  bloc  intangible,  oomme 
le  voudraient  quelques  fanatiques,  mais  un  assemblage  de  parties, 
les  unes  tout  k  fait  sup^rieures  oü  se  marque  Tempreinte  d'un 
grand  maitre  d'invention  et  de  style,  les  autres  plus  faibles  oü 
Fauteur  sacrifie  au  goüt  du  jour,  imite  et  ne  s^l^ve  pas  plus 
haut  que  la  moyenne  des  ^rivains  de  son  temps.  L'autre  dis- 
cours  est  d'un  homme  de  culture  plus  cosmopolite  qui,  gräce  k 
son  Erudition  tr^  ^tendue,  a  toujoiu»  pr&ent  ä  Tespnt  le  tableau 
compar^  de  nos  litt^ratures  modernes,  qui  cherche  ä  d^finir  et  ä 
appr^ier  le  g^nie  de  Cervantes,  non  pas  seulement  en  T^tudiant 
dans  son  mineu  mais  par  rapport  aus  grandes  oeuvres  d^imagi- 
nation  des  autres  pays;  ses  jugements  ont  d'autant  plus  d'am- 
pleur  et  de  port^  qu%  ne  sont  pas  influenc^  par  Pamour  propre 
national 

Le  discours  acad^mique  de  D.  Juan  Yalera  ^  ne  donne  pas  la 
vraie  mesure  du  talent  si  d^licat  de  ce  charmant  esprit  dont  les 
lettres  espagnoles  pleurent  la  mort  r^cente.  Si  Pon  veut  oon- 
nattre  toute  la  pens^e  du  c^l^bre  romancier  sur  son  grand  an* 
c^tre,  car  ils  appartiennent  bien  tous  deux  ä  la  mdme  famille,  mieux 
vaut  recourir  k  un  morceau  ddjä  ancien,  qui  date  de  1864,  mais 

2ui  n'a  rien  perdu  de  sa  valeur.^  —  Bestreint  aux  rapports  de 
iervantes  avec  la  ville  de  Valence  et  ses  habitants,  le  discours 
de  Texcellent  ^rudit  valencien  D.  Jos^  E.  Serrano  y  Morales 
m^rite  qu'on  s'y  arröte.'  L'auteur  y  parle  avec  comp^tence  et 
exactitude  de  la  participation  de  certams  commer9ant8  de  Va- 
lence au  rachat  de  Cervantes,  des  s^jours  que  fit  dans  la  belle 
ville  m^diterran^enne  Fauteur  du  Don  Quichotte,  des  Souvenirs 
qu^il  garda  de  la  localit^  et  des  Yalenciens,  enfin  de  la  propa- 
gation  de  son  roman  due  aux  presses  de  Fimprimeur  Mey.   Con- 

*  Juan  Valera,  JHseurso  eserüo  por  eneargo  de  la  Becd  Academia 
Espanola  para  conmemorar  el  iercer  eerUenarto  de  la  puhlicaci6n  de  *El  in- 
genioso  htdalgo  D.  Quijote  de  la  Mancha\    Madrid,  1905,  46  pages  in  8^ 

'  Sohre  ä  Quijote  y  eobre  lae  diferentee  maneras  de  eomeniarle  yjux- 
garle,  dans  Düertaeiones  y  jutcios  lüerarioe  par  D.  Juau  Valera.  (Siblio- 
ieea  Perqjo\  Madrid,  187^,  in  8^;  ou  bien  dans  les  Discureoe  academicos, 
du  m^me,  t.  I  {Ohras  eompletas),  Madrid,  1905. 

^  Valencia^  Cervantes  y  el  Quijote,  Diseurso  leido  por  el  Excmo,  Sr. 
D.  JosS  Serrano  Moralea  en  el  aeto  de  la  eoheaMn  de  La  prvmera  piedra 
para  la  construßeiön  de  la  Eseuela  gradtuida  *  Cervantes*,  Valencia,  1905, 
24  pages  pet.  in  4^ 


l 


342         OarranteB  et  le  troisi^me  Centenaire  du  <Doo  Quchotte'. 

trairemeDt  k  oe  ou'a  prdteDdu  Pedro  Stlv^  suivi  pur  D.  Qe- 
mente  CortgöO;  M.  Serrano  pense  qn^fl  existe  ime  et  non  dem 
4ditioD8  valenoiennes  du  Don  QuichoUe  soos  k  data  de  1605,  et 
oe  lee  diff^rencee  que  Fon  ooDstate  entre  lea  exemplaires  sortis 
e  l^primerie  de  Pedro  Patrioio  Mey  tieimeiit  k  des  change- 
ments  pratiqu^  pendant  le  tirage  et  n^impUauent  pas  one  nou- 
velie  impreaeion:  FopiDion  du  savant  auteor  du  Dimonario  de  las 
imprmtas  en  Valencia  a  naturellemeDt  un  grand  poids. 

Quelqne  m^rite  que  poBB^dent  oes  morceaux  et  d^autres  quil 
serait  facue  de  citer,  il  est  dair  que  le  geure  du  disooars  oo 
de  la  Conference   ne  pennet  gu^  de  s'^tendre,   d^entrer    dans 
Fezamen  minutieux  de  questions  compliqu^  et  de  diie  du  dou- 
veau.     Le  discoureur  ooit   tenir  compte   de  aon  public    auqud 
suffisent  dee  vues  ^^i^ralee  et  des  aper^ua  aommaires,   et  que 
des  details  ttop  pr^cis  ou  des  nouveautiSe  impr^vues  ^tonoerai^t 
et  ^gareraient.   J'en  viens  donc  aux  pubHcations  du  seoond  sroupe. 
n  s^a^t  de  travaux  de  longue  haleine  et  präpar^   de  plus 
longue  mau3,  dont  la  puUication  seule  a  coincide  avec  la  föte 
parce  que  leurs  auteurs  ont  jug^  ie  moment  propioe  pour  metbre 
en  lumi^  le  fruit  de  leurs  veilles.    H  s^agit  anssi  de  disaer- 
tadons  ^rudites  de  moindre  volume;  mais  r^ultant  souveat  d'el- 
forts  prolong^  et  r^p^t^,  qui  ont  coüt^  du  temps  et  de  la  peine 
et  of^ent  parfois  autant  <rinter^  que  de  gros  livres.     Comme, 
bien  entendu,  je  ne  puis  parier  de  tout>  je  renvoie  ceux  qui  von- 
draient  se  renseigner  plus  comptetement   k  la  bibliographie  da 
Centenaire  de  D.  Emuio  CotaraloJ     On  peut  ^alement    ood- 
sulter,  surtout  pour  les  prix  des  ouvrageSy  un  catidogoe  de  la 
librairie  de  la  viuda  de  Rico  k  Madrid.'    J^examinerai  sucoes- 
sivement  les  puUications  relatives  ä  la  vie  de  Cervantes  et  eelles 
qui  portent  sur  ses  oeuvres  et  sa  carri^re  litt^raire. 

Une  bioeraphie  dooument^  munie  de  tout  Fappareil  d'un 
travail  d'^nidition,  n^^tait  plus  k  faire;  eile  existait  d^  la  veille 
du  Centenaire  sous  la  forme  d^un  respectaUe  volume  in-folio, 
intitule  Cervantes  y  su  ipooa  et  que  son  auteur,  D.  Bamiki  Ledn 
M£nez,  destinait  k  servir  d'introduction  k  une  nouveUe  Edition 
du  Don  Quiehotte,  laquelle  n^a  pas  encore  paru.'    N'ayant   pas 

'  Biblioarafta  de  los  prineipales  escrüos  publioados  eon  oeasi^  dd  tereer 
eetUenario  ael  Qu^'ote  (Nom^ro  de  mai  1905  de  la  Bofieta  de  Artkkfos, 
Bibliotecas  y  Museos).  M.  Cotarelo  n'a  pas  recens^  lee  artäcleB  des  joumaux 
ou  ceux  des  revues  qui  n'ont  pas  pabli^  un  oum^o  spMal  il  propos  du 
Oentenaire. 

*  Tereer  centenario  del  *Quifoie',  OaUUogo  de  una  coleooiÖH  de  libros 
cerpanHnos  que  se  venden  en  la  libreria  de  la  Viuda  de  Rico.  Madrid,  1905, 
95  pagOB  in  8^. 

'  iVtfiMra  edioi&n  del  Quiifate  en  Jerwt,  OervaniBs  y  sm  fP^^^  P^ 
D.  Ramön  Leon  Mäinex^  tomo  I.  Jeres  de  la  Fontera,  1901,  XXLV,  572 
et  XXII  pages  in-fol.    La  oouverture  porte  la  date  1901—1903. 


OrwiteB  et  le  trasi^me  GeDteDaire  du  'Don  Quidiotte'.         848 

^tadi^  de  pr^  tontee  lee  paitieB  de  oet  important  oovrage;  je 
m^abstiesdrai  de  {»roDoncer  un  jugement  d^eosemble;  je  puia  dire 
oepeiMknt  que  lee  passa^es  que  j'eo  ai  lus  m'cMit  paru  aasez  satifi- 
faisante.  Le  r^it  se  fonde  fiur  ies  iravauz  des  anciens  bio- 
graphes^  tels  que  Pellicer  et  Navarrete^  comme  sur  Ies  recherches 
r^oentes  et  Ies  belles  d^oouvertes  documentaires  que  D.  Cristdbal 
P^res  Pastor  a  pr^ent^  au  public  daos  ses  deux  volumes  de 
Dooumemios  cervantmos  (Madrid,  1897  et  1902),  saus  parier  d'autres 
trouvailles  dues  ä  d^autres  oervantistes,  au  nombre  desquels  il 
f  aut  surtout  mentioDQer  le  tr^  intellieent  ^rudit  s^villan,  D.  Fran- 
cisco Eodr%ue2  Marin.  La  biographie  de  M.  Maines  est  dono 
e^n^ralement  au  oouiant  des  demi^res  investigations  et  nous  en 
donne  le  räsum^;  eile  t^oigne  au  surplus  d'un  esprit  judioieuz 
et  prudent.  De  proportions  un  peu  dämesuräes  et  d'une  forme 
litt^rake  trop  provinciale,  qui  manque  de  sobri^t^  et  de  l^^ret^, 
eile  effraiera  peut-^tre  certains  lecteurs  qui  eussent  präf^r^ 
quelque  chose  de  moins  massif.  N^immoins  cet  in-folio  s'im- 
pose,  non  seulement  par  son  volume,  mais  par  des  qualit^  b6- 
rieuses  et  m^toires.  Bon  gr^,  mal  gr^  quiconque  se  propose 
d'aoqu^rir  nne  oonnaissance  un  peu  oompl^te  du  sujet  devra  s'en 
nouirir. 

Ce  que  le  Centenaire  aorait  du  nous  apporter,  puisque  le 
travail  savant  nWait  pas  attendu  la  f6te  pour  se  proauire,  c^est 
un  petit  livre  semblaUe  ä  oes  primers  an^lais  si  bien  compris 
et  comme  il  en  existe,  par  exemple,  pour  Shakespeare,  ou  enoore 
semblable  ä  la  Dantoloffia  de  Scsurtazzini  dans  Ies  ManuaU  Hoepli; 
j'entends  un  r^sum^  succinct  des  principaux  ^pisodes  de  la  vie 
de  Cervantes  et  un  aper9u  sommaire  de  son  oeuvre  aocompagoäs 
d'une  bibliographie  tr^  soign^e  et  comptete,  de  r^f  ^ences  oopieuses 
et  tr^  exactes.  Un  tel  petit  livre  nous  manque  et  nous  en  sen- 
tons  le  besoin:  heoreux  celui  qui  le  fera,  car  il  pourra  oompter 
sur  la  reconnaissance  de  tous,  des  ignorants  comme  de  ceux  qui 
croient  savoir. 

En  revancbe,  le  Centenaire  nous  a  valu  une  nouvelle  vie 
de  Cervantes,  un  ouvrage  de  plus  de  six  cents  pages  et  qui  a 
obtenu  un  grand  succte,  quoiqu'il  ne  s'adresse  ^videmment  qu'ä 
une  partie  assez  restreinte  du  public,  ä  des  lecteurs  assez  lettre. 
H  porte  le  titre  spirituel:  El  mgenioso  kidalgo  Mügusl  de  Gervantes 
Saavedraj  sucesos  de  su  vida  contadoe  por  Francisco  Ncwarro  y  Le^ 
desnui,  1  Dans  Ies  'deux  mots^  au  lecteur  qui  lui  servent  de  pr^ 
face,  M.  Navarro  y  Ledesma  nous  expose  son  pn^ramme:  'Le 
po^me  de  la  vie  de  Cervantes  demanderait  ä  6tre  chant^  par  un 
grand  poäte  et  non  par  un  humble  joumaliste  comme  moi.  Verüi 
ei  poSste,  voilä  le  üixe  qui  c<Nivi»Kirait  k  oette  narration,  si  ä  la 

>  Madrid,  1905,  618  pagoB  in  &>. 


844         CeiTanteB  et  le  trowitoe  Centenaire  du  'Don  Quichotte'. 

v^rit^  d^oouverte  par  tant  de  patients  inveBtigateurs,   qui   dans 
oes  derniers  temps  ont  ^tudi^  la  vie  de  Cervantes,  je  r^usaissais 
ä  joindre  la  po^eie  qui  jaillit  des  documents.'   H  s'agit  donc  d'un 
livre  saus  pr^tentions   ^nidites,  mais  non  sans  pr^tentions  litt^ 
raires.    Appliquer  ä  son  r^it  le  titre  des  m^oires  de  Goethe, 
se  donner  la  mission  d'extraire  la  po^ie  dont  est  impr^^^  la 
vie  de  Cervantes  est  le  fait  de  quelqu^un  qui  entend   sortir  de 
Torni^re  oommune  et  tenter  quelque  chose  ae  non  tent^  encore. 
A  certains  ^gards,   rien   de  mieux.     Nous   avions   d^jä,    depnis 
Pellicer  et  Navarrete  jusqu'ä  M.  Mäinez,  plusieurs  types  de  bio- 
graphies  tr^  document^es,  tr^  alourdies  de  notes  et  de  disser- 
tations;  on  pouvait  d^irer  autre  chose:   un  livre  bien   inforni^ 
mais  agr^blement  ^rit  et  qui  ne  trainerait  pas  apr^  lui   une 
encombrante  bcUumba  de  commentaires  et  d^appendices   destin^ 
aus  seuls  ^rudits.    Reste  ä  savoir  si  Tinnovation  de  M.  Navarro 
7  Ledesma,  si  oe  mäange  de  v^rit^  et  de  po^ie  qu'il  nous  pr^ 
sente    oomme  la  caract<^ristique    de   son  livre  m^ritent   Fappro- 
bation.    Certes,  on  voudrait  n'avoir  qu^ä  louer  ce  jeune  publi* 
eiste  et  professeur  mort  il  y  a  quelques  mois,  laissant  k    tous 
oeux  qui  Font  oonnu  et  ont  appr^i^  ses  4crits   de  trte  vifs  re- 
grets.    Mais  nVt-on  pas  dit  qu'on   ne  doit  aus  morts  que  la 
v^rit6?    Les  eritiques  d'ailleurs  qu^on  peut  adresser  ä  oette  nou- 
velle  biographie  atteignent  beaucoup  moins  Tauteur  lui-m^me  que 
le  genre  de  litt^rature  qu'il  pr^conise.   Tous  les  genres  sont  per- 
mis,  hors  le  genre  ennuyeuz;  d'acoord,  mais  parmi  les   genres 
permis  il  s'en  trouve  qui  offrent  certains  inoonv^nients  et  mtoie 
certains  dangers,  surtout  dans  un  pays  comme  TEspagne  oü  la 
critique  ne  court  pas  pr^is^ment  les  rues.     Or,  ce  que  nous 
expose  M.  Navarro  y  Ledesma  est  tantöt  une  biographie  fond^ 
sur  les  informations  les  plus  süres,  tantöt  un  roman   historique 
oü  Pauteur,  tr^s  imaginaüf  de  sa  nature,  donne  libre  cours  k  sa 
fantaisie.    Si  enoore  il  nous  avertissait  lorsqu^il  ohange  de  ma- 
ni^re,  quitte  le  terrain  historique  pour  Fhypoth^se  et  la  divination, 
le  mal  serait  moindre;  mais  il  ne  le  fait  pas.    Y^rit^  et  po4sie 
s'enchev^trent  et  se  confondent  ohez  lui  au  point  que  les  lecteors 
non  familiaris^  avec  la   documentation   de  la  vie  de  Cervantes 
—  et  ce  sont  naturellement  les  plus  nombreux  —  ne  r^ussisaent 
pas  k  faire  le  d^part  de  ce  qui,  dans  ce  r^cit,  est  historique  ou 
lictif.    Un  exemple  fera  toucher  du  doigt  le  proc^4.    Chaeun 
connait  P^pttre  en  vers  adress^  vers   la  fin  de  1577  par  Cer- 
vantes, captif  dans  les   bagnes  d^Alger,    au  secr^taire  de  Phi- 
lippe U  Mateo  Y^quez,   qui  jouissait  alors   de  la  faveur  ab- 
solue  de  son  maitre,  qu'on  tenait  m^me  pour  bien  plus  influent 
que   les   ministres.     La  faveur  de  oe  YäiKquec   remontait  d4)k 
k  quelques  ann^es  auparavant;  oe  fut  en  efiet  k  partir  de  1572 
que  Philippe  11  commen9a  k  se  servir  de  lui  et  k  lui  donner 


Cervantes  et  le  troifii^e  Centenaire  du  'Don  Quichotte'.         845 

des  missions  de  confianoe.  CervanteSy  oomme  tous  ses  oon- 
temporaiiiSy  oonnaissait  l'ä^vation  de  Väzquez  et  son  or^t  en 
croissanoe;  il  en  fut  oertainement  infonn^  en  Italic  et  avant 
sa  captivit^  Lora  donc  que  ViA4e  loi  vint  de  rimer  sa  supplique^ 
d^implorer  dans  une  ^pitre  en  vers  sa  d^vrance  des  bagnes^  en 
rappielant  ses  honorables  Services  et  ses  souffranoes,  il  n'est  pas 
^tonnant  qu^  ait  adress^  ce  document  ä  quelqu'un  qui  toncnait 
de  si  pr^  la  personne  du  roi,  qui  passait  pour  le  prmcipal  ex^ 
cttteur  et  m^e  pour  Pinspirateur  de  sa  volonte.  N^osant  pas 
^crire  ä  Philippe  II^  il  ^rivit  ä  son  secr^taire  le  plus  influent. 
Inutile  de  supposer  des  relations  ant^rieures  entre  Yäzquez  et 
Cervantes;  d'auleurs  la  teneur  m^me  de  T^pitre^  qui  n'a  peut- 
6tre  jamais  atteint  le  destinataire^  n'incite  pas  ä  les  supposer. 
Cervantes  y  enguirlande  son  oorrespondant  de  flatteries  assez 
grosses  pour  se  le  rendre  favorable^  mais  pas  un  vers  du  mor- 
ceau  ne  trahit  un  lien  d^amiti^,  une  rencontre^  une  relation  quel- 
conque  entre  les  deux  hommes.  Ajoutons  que  dans  aucun  autre 
4crit  de  Cervantes  on  ne  voit  apparaitre  le  nom  de  Mateo  Ydz- 
quez.  Or,  que  fait  M.  Navarro  y  Ledesma?  II  s^empare  de  ce 
Väzquez^  qui  parait  Favoir  s^uit  ä  cause  de  ses  origines  obscures 
et  myst^rieuses,  il  en  fait  un  camarade  d^enfance  de  Cervantes; 
il  les  met  sur  les  bancs  de  la  m^me  ^cole  ä  S^ville,  il  sait  leurs 
conversations  et  les  vers  qu'ils  se  r^citaient  Fun  ä  Fautre.  Plus 
tard^  les  deux  amis  se  rencontrent  ä  Madrid,  peu  apr^  la  mort 
d^Elisabeth  de  Yalois,  ä  la  memoire  de  laquelle  Cervantes  rima 
des  vers  ^l^aques,  ses  premiers  essais  poltiques.  Mateo  Yäz- 
quez,  ddjä  en  passe  de  devenir  un  personnage,  prot^ge  son  ancien 
camarade,  lui  parle  de  la  reine,  hntroduit  dans  le  monde  ...  et 
ue  sais-je  encore?  Le  lecteur,  qui  ignorait  ces  belles  choses,  se 
it:  voilä  du  nouveau,  sans  doute  M.  Navarro  y  Ledesma  a  mis 
la  main  sur  une  correspondance  in^ite  entre  ces  deux  amis; 
c'est  tr^  curieux.     Oui,  c^est  tr^  curieux,  mais  c'est  surtout  du 

Sur  roman:  M.  Navarro  n'a  puis^  tout  ce  qu'il  nous  conte  que 
ans  son  Imagination,  il  a  tout  tir^  de  sa  fantaisie.  ^  Est-ce  trop 
dire  apr^s  c^a  que  ce  genre  est  faux  et  condamnable?  Je  ne 
le  crois  pas.  Libre  ä  ceux  qui  le  veulent  et  le  peuvent  d'^rire 
des  romans  historiques  —  et  Cervantes  est  un  sujet  de  roman 
historique  comme  un  autre  et  m6me  meilleur  qu^un  autre,  vu  le 
caract^re  romanesque  de  beaucoup  d^^pisodes  de  sa  vie  —  mais 
en  ce  cas  il  faut  mtituler  son  livre  roman  et  ne  pas  nous  laisser 
croire  ä  un  r^it  historique.    Ces  r^erves  faites,  je  dirai  que  le 


3 


*  Dans  ces  passages  concemant  Väzquez,  M.  Navarro  y  Ledesma  s'in- 
spire  tr^s  yisiblement  de  la  biographie  de  Mäinez  (p.  167  et  suiy.);  seule- 
ment  ce  qui  chez  ce  dernier  n'est  qu'une  hvpoth^se,  ä  mon  ayis  injustifi^e, 
prend  chez  l'autre  l'apparence  d'un  fait  demontr^  et  certain. 

Axchi?  f.  n.  Sfundun.    CXVI.  28 


346         GervaDt€fl  et  le  troiai^e  Centenaire  du  1>od  Quichotte*. 

livre  de  M.  Navarro  y  Ledesma  m^rite  d'^tre  In,  ä  cause   de  a 
reelle  valeur  litt^raire,  de  la  dialeur  de  TexpoeitioDy  du  joli  eDtnio 
qui  j  r^ne,  de  la  passion  m^ine  qni  y  perce  ä  propoB   de  cer- 
taiDes  qaestiODs  d^attues/   enfin  ä  cause  de  bod  style,   un  pea 
trop  travaill^  pour  mou  goüt  et  d'une  recherche  verbale  exag^r^ 
mais  en   sornme  lut^ressant.     Ud   autre  m^rite  de  Fauteiir  est 
celui-ci:  il  cherche  ä  nous  donner   uue  vision  nette  des  milieuz 
oü  a  v^u  Cervantes,  il  s'efforce  de  d^rire  les  localit^   et  les 
personnageSy  de  ressusciter  IHSspagne  du  XYI^  si^le  et  de  nous 
lamiliariser  avec  les  gens  que  Cervantes  a  trouv^  snr  sa  route, 
qu'il  a  aim^  ou  hus,   oenx  qui  Tont  aid^  ä  conjurer  Finfortnne 
et  ceux  qui  ont  jalous^  son  talent  et  vouln  le  desservir,  ses  pro- 
tecteurs,  ses  4mules,  ses  rivaux.    Dire  que  l'auteur  a  toujours 
r^ussi  dans  oette  restitution  du  pass^  qu^  a  toujours  trouv^  la 
note  juste  et  que  iamais  il  n'outrepasse  les  limites  prescrites  ä 
lliistorien,  je  ne  1  oserais  pas.    Son  Information  ne  semble  pas 
partout  de  premi^re  main  et  il  est  facile  de  s^aperoevoir  qu'il  Pa 
amass^    un    peu    hfttivement;    eile  n'est   pas   le  r^ultat    d'une 
longne  intimit^  avec  les  livres  et  les  autres  Souvenirs  de  r^poque 
mais  une  acquisition  r^cente,  parfois  insuffisamment  dig^r^.     E 
n'importe:   Tintention   ^tait  bonne  et  la  tentative  vaut  qu'on  la 
loue,  car  dans  nne  biographie  le  h^ros,  quelque  grand  qu^  soit, 
ne   peut   pas    toujours    absorber  ^attention;   il   a  autour   de  lui 
d^autres   ^tres  qui   lui  fönt  cort^,  et  c'est  cet  entourage   qu'il 
faut  expliquer,  peindre  et  animer,  ou  bien  il  n'aura  pour  nous 
aucune  signification  et  nous  n^  pr^terons  auoun  int^rftt   On  lira 
donc  M.  Navarro  y  Ledesma,  mais  de  pr^f^renoe  apr^  avoir  lu 
une  biographie  exc^jusivement  historique,  afin  d'6tre  ann4  contre 
certains  d^Dordements  d'imagination   qui  risqueraient  de  tromper 
un  lecteur  non  pr^venu. 

II  reste  ä  signaler  quelques  publications  plus  modestes  qui 
ont  trait  ä  la  vie  de  Cervantes  et  dont  chacune  a  son  utilit^. 

D'abord  un  petit  volume  du  m^me  M.  Cotarelo  auquel  nous 
devons  la  bibliographie  du  Centenaire,  volume  intitul^  EfemMdes 
eervantinas,  6  sea  resümen  cronolöffico  de  la  vida  de  Miguel  de  Cer- 
vantes Saavedra,  ^  M.  Cotarelo  a  eu  Vid6e  ing^nieuse  de  cataloguer 
chronologiquement  les   faits  importants  de  la  vie  de  Cervantes 


*  M.  Navarro  se  pose  en  fervent  admirateur  du  talent  po^tique  de 
Cervante»,  qu'il  d^fend  contre  les  attaques  de  certains  critiqueB,  parti- 
culi^rement  de  Quintana.  Le  'bon  monsieur  Quintana'  et  son  ode  ä  la 
Vaccine  passent  un  mauvais  quart  d'heure.  Cr,  la  queetion  n'est  pas  de 
eavoir  si  les  vers  de  Quintana  valent  plus  ou  moins  que  ceux  de  Cer- 
vantes, mais  si  Quintana  a  vu  juste,  comme  critique,  en  signalant  les 
faibleeaes  de  beaucoup  de  vers  de  Cervantes:  il  mon  sena,  il  a  ea  par- 
faitement  raison. 

'  Madrid,  1905,  315  pagee  in-12. 


Cervantes  et  le  troin^roe  Centenaire  du  'Don  Quichotte'.         847 

depuis  la  naissaiice  de  F^orivain  msqu'ä  sa  mort,  en  les  accom- 
pagDant  d'indications  bibliographiques  pr^ses  et  qui  mW  paru 
g^n^ralement  exactes  et  oompl^tes.  Cet  aide-m^moire  facilite  beau- 
ooup  les  recherches  et  ren^  de  bons  Services. 

Un  oollaborateur,  qni  ne  s^est  pas  nomm^^  de  la  Bevista 
penüeneiaria  de  Madrid  dous  a  offert  une  description  de  la  pri- 
80D  de  S^ville  ^  oü  Ton  admet  mamtenant  que  Cervantes  a  ooncu 
8on  grand  roman^  leque]^  selon  ses  propres  paroles,  ^fut  engendr^ 
en  une  prison^  II  se  trouve  que  I  on  poss^e  une  relation  par 
UD  contemporain  de  Faffreux  repaire  de  mis^res  et  de  vices 
qu^^tait  la  prison  de  S^ville  vers  la  fin  du  XVI*  si^e,  ä  P^poque 
pr^is^ment  oü  Cervantes  fut  condamn^  k  j  s^joumer  quelques 
mois  ä  cause  de  certaines  irr^gularit^  reconnues  dans  sa  compta- 
bilit^  d^agent  du  fisc.^  Cette  relation  a  servi  k  Pauteur  de  Tar- 
ticle  pour  nous  d^peindre  P^tat  mat^riel  et  Fadministration  de  la 

Jrison^  son  personnel^  les  occupations   et  les  moeurs  des  d^tenus. 
[  7  a  Joint  une  6tude  sur  la  criminalit^^  les  lois  pönales,  la  po- 
lice,  etc. 

Un  autre  sp^ialiste  —  cette  fois  un  g^c^raphe  —  a  trait^ 
de  la  Manche  au  temps  de  Cervantes.  ^  Cette  province  que  Fau- 
teur  du  Don  Quichotte  connaissait  bien^  qu^il  a  parcourue,  oü  il  a 
s^joum^y  quoique  plus  personne  ne  croie  ä  la  Inende  de  son 
emprisonnement  ä  Argamasilla  de  Alba,  cette  province  aui  joue 
un  si  grand  röle  dans  son  roman,  oü  nous  marchons  et  aormons 
sous  le  soleil  et  la  pluie  en  oompagnie  du  bon  hidalgo  et  de  son 
^uyer^  il  Importe  ä  coup  sür  que  nous  apprenions  d^un  homme 
comp^tent  ce  qu'elle  repr^entait  g^grapniquement,  administra- 
tivement  et  socialement.  D.  Antonio  Bläzquez  satisfait  notre 
Intime  curiosit^  d'une  fa^on  sobre  et  explicite.  Sur  la  condition 
des  habitants  de  la  province^  qui  nous  Interesse  particuli^re- 
ment,  il  a  tir^  quelques  pr^cieux  renseignements  de  la  grande 
entreprise  de  statistique  prescrite  par  Philippe  11^  les  fameuses 
Belaciones  iqpogrdficas,  qm  malheureusement  ne  furent  pas  con- 
duites  ä  bonne  fin. 

La  marine  de  guerre  espagnole  a  voulu  aussi  apporter  son 
tribut  ä  la  solennit^;  eile  s'est  souvenue  du  plus  gloneux  Episode 


*  Omtenario  del  Quijote,  Homena^e  de  la  Revista  pemteneiaria.  Betrato 
de  Oervanies.  La  Gareel  de  Sevilla  en  1597  donde  ee  engendrö  el  Quifate,  etc. 
Madrid,  1905  (Extrait  du  num^ro  de  mal  1905  de  la  Revista), 

*  Ce  contemporain,  avocat  de  l'Audience  de  S6ville,  se  nommait 
Cristöbal  de  Chaves ;  sa  relation  a  6t6  publice  par  D.  Aureliano  Femindez 
Guerra  dans  VEnsayo  de  Gallardo,  t.  1,  col.  1841  et  suiv. 

'  La  Maneha  en  tiempo  de  Cervantes.  Conferenda  IMa  el  dfa  3  de 
mayo  de  1906  en  la  velada  que  la  Beal  Soeiedad  geoffrdfiea  dedieö  ä  ean- 
memorar  la  publieaciön  del  Quijote  de  la  Maneha  por  ihn  Antonio  Eldxr- 
quex.    Madrid,  1905,  31  pages  in  8<^. 

23* 


848         Cervantes  et  le  troisi^e  Oentenaire  du  'Don  Quichotte'. 

de  la  carri^re  navale  de  CervaDtes^  la  bataiDe  de  L^ante.  Dane 
OD  Dum^ro  spMal  de  la  Beviata  general  de  mahna,  *  xm  noini»- 
matifite  tr^  comp^tent,  D.  Adolfo  Herrera,  dous  a  donn^  la  dea- 
criptioD  avec  planches  ä  Fappoi  des  m^ailles  oomm^moratives 
de  la  grande  victoire  chr^tienne;  apr^  quoi,  le  savant  historien 
de  la  marine  eapagDole,  D.  Ces^breo  Fernändez  Duro,  a  disseit^ 
6ur  les  ^tendards  de  la  Sainte  Ligue  remis  par  le  pape  Pie  V 
k  Don  Juan  d'Autricbe  et  qui  sont  encore  oonserv^  dans  le  tr^ 
sor  de  la  cath^rale  de  Tofede. 

Un  autre  recneil  de  mäanges  doit  aussi  ötre  cit^;  il  porte 
le  titre  de  Cervantes  y  el  Quijote^  et  contient  une  s^rie  d'articles 
de  cervantistes  anoiens  et  modernes,  relatifs  les  uns  k  la  vie  de 
CervanteS;  les  autres  k  son  roman.  Le  recueil  vaut  surtout  par 
ses  illustrations  tr^  nombreuses,  qui  mettent  sous  nos  yeuz,  en 
m^me  temps  que  beaucoup  de  localit^  interessantes,  depuis  AI- 
calä  de  Henares  jusqu'ä  la  Cueva  de  Montesinos,  les  portraits 
de  divers  oontemporains  c^tebres  de  Cervantes  et  oeux  de  ses 
commentateurs  les  plus  appr^i^s. 

A  D.  Francisco  Rodr^uez  Marin,  si  connu  par  son  admirable 
recueil  de  chants  populaires  espagnols  et  tant  d'autres  travaux  sur 
Fhistoire  litt^raire  andalouse,  nous  devons  la  seconde  ^tion  d^un 
opuscule  qui  en  1901  avait  vivement  piqu^  la  curiosit^;'  il  y  d6- 
montrait  p^remptoirement,  et  d^ontre  mieux  encore  aujoura'hui, 
que  les  parents  de  Miguel  habit^rent  S^ville  en  1564  et  1565,  il 
nous  d^uvrait  la  proiession  du  p^re,  medico  zurujano,  retrouvait 
ä  Osuna  et  k  Cordoue  les  traces  au  grand-p^re  Juan,  rendait  aussi 
possible  la  fr^uentation  par  Miguel  d'un  coU^  de  la  Compagnie 
de  J&us  k  S^ville  qui  expliquerait  les  äoges  sentis  qu'il  d^cema 
plus  tard  k  Fenseignement  des  P^res  dans  son  Gotoquio  de  los 
perros,  M.  Bodriguez  Marin  met  beaucoup  de  bonne  grdce  k  ex- 
poser  les  r^sultats  de  ses  trouvailles  et  sait  rendre  attrayant  tout 
ce  qu^il  4crit 

U^pltre  en  vers  de  Cervantes  k  Mateo  Yäzquez  est  essen- 
tiellement  un  document  autobiographique;  c'est  pourquoi  je  parle- 
rai  ici  de  la  nouvelle  Edition  qu'en  a  donn^  D.  Emilio  Cot^relo.^ 
D.  Leopolde  Eius^  nous  dit  que  ce  morceau,  d^couvert  en  1863 

*  Bevista  general  de  marina.  Homenme  d  Oervantes  en  el  Uaroer  eenU- 
nario  de  la  publieaeiön  dd  Quijote.  Mam'id,  1905,  56  pa^ee  in  4^*,  avec 
planches  et  reproductioDB  en  couleur  des  ^tendards  de  la  Ligue. 

*  OervatUes  y  el  'Qw^oie',    Madrid,  1905,  171  pagee  in  4». 

3  Cervantee  eetudiö  en  Sevilla  (1564-^1565).  Segtmda  edieiän.  Sevilla, 
1905,  ttti  paffes  pet.  in  4^',  et  une  planche  de  facsimil^. 

^  Epietola  a  Mateo  Växqtfex  dirigida  en  1577  desde  Argd  por  Miguel 
de  Cervantes  Saaredra,  eon  introdueciön  y  algtmas  notas.  Madrid,  1905, 
2*2  pages  in  16.    L'introduction  est  sign^e  dee  initiales  £.  G. 

^  Bibliograßa  crüica  de  las  obras  de  Miguel  de  Cervantes  Saavedra, 
Madrid,  1895,  U  I,  p.  184. 


Ceryaotee  et  le  troiBi^me  Centenaire  du  'Don  Quichotte'.         849 

dans  les  archives  du  comte  d^Altamira^  fat  public  pour  la  pre- 
mi^re  fois  dans  le  num^ro  du  3  mai  de  cette  aun^  de  M  Museo 
Universal;  il  ajoute  que  le  manuscrit  qui  servit  ä  Fimprimeur 
^tait  d^une  'mam  du  temps  de  CervaDte6^  L'^dition  que  Signale 
Rius  D^est  peut-^tre  pas  la  premi^re:  en  tout  cas^  j^ai  sous  les 
yeux  le  num^ro  du  1^*"  mai  1863  du  Boletin  bibliogräfico  espanol 
de  Hidalgo  oü  le  morceau  se  trouve   aussi^  et  Ik  F^iteur  dit 

3u^aus8itöt  la  d^couverte  connue  et  ^bruit^e  par  les  journaux 
iverses  personnes  demand^rent  des  copies  de  F^pitre  pour  les 
livrer  k  Fimpression.  Quel  a  ^t^  le  sort  du  manuscrit,  lequel 
d^ailleurs  n^^tait  qu'une  copie  et  non  ^original  autographe  que 
personne  n'a  vu?  A-t-il  ^t^  compris  dans  quelque  lot  des  ar- 
chives d'Altamira  vendues  de  droite  et  de  gaucne?'  Comment 
les  cervantistes  n'ont-ils  pas  veill^  sur  cette  pr^ieuse  religue? 
En  attendant  qu^on  la  retrouve,  il  faut  se  contenter  des  ^ditions. 
Celle  de  M.  Cotarelo  ne  reproduit  pas  Forthographe  du  manuscrit, 

Ju'avait  respect^  Hartzenbusch,  dans  le  tome  iV  du  Don  Quijote 
^Argamasilia,^  ainsi  que  F^diteur  du  Boletin  bibliogräfico;  eile  con- 
tient  quelques  f autes,  ^  mais  M.  Cotarelo  a  Joint  au  texte  des  notes 
utiles.  Lui  aussi  penche  h  admettre  des  relations  ant^rieures 
entre  Väzquez  et  Cervantes,  ä  cause  de  ce  premier  tercet: 

Si  el  bajo  Bon  de  la  zampofia  mia, 
Sefior,  ä  vuestro  oido  no  ha  ilegado, 
En  tiempo  que  aonar  mejor  debia. 

Mais  Cervantes  veut  simplement  dire  que  sa  musette  aurait 
rendu  un  m  Uleur  son  s^il  en  avait  jou^  avant  d^avoir  perdu  sa 
libert^.  Ces  vers  indiqueraient  tout  au  plus  que  le  captif  avait 
eu  d^autres  occasions  d^adresser  une  requSte  au  secr^taire,  et  quant 
aux  autres  passages  qui  'corroboreraient  la  pr^somption^,  je  les 
cherche  en  vain. 

Ce  Qui  convient  le  mieux  comme  introduction  ä  F^tude  des 
Oeuvres  aun  auteur  est  la  bibliographie  de  ces  oeuvres.  En  ce 
qui  concerne  Cervantes,  le  travail  avait  ^t^  fait  d'une  fa9on  tr^s 
recommandable  par  D.  Leopoldo  Rius  dans  sa  Bibliografia  critica 
de  las  obras  de  Miguel  de  Cervantes  Saavedra  (Madrid  et  Barcelone, 
1895 — 1899),  deux  volumes  grand  in  8^,  qui  ont  ^t^  augment^ 
d'un  troisi^me  en  1905:  il  n^y  avait  pas  k  y  revenir.  Rius 
donne  Fessentiel  et  m^me  beaucoup  d^inutilit^,    ayant  accueilli 


*  II  n'y  a  pas  tr^  longtempe,  i'un  de  cee  lots  fut  propo«^  au  duc 
d 'Au male  pour  la  biblioth^que  de  Chantill]^. 

^  M.  Cotarelo  ne  cite  ni  cette  ^ition  ni  celle  de  Guardia  dans  sa  tra- 
duction  du  Viaje  del  Pamaso  (Paris,  18t)4). 

'  Dans  le  troisi^me  tercet  de  la  pa^e  17,  il  faut  supprimer  la  virgule 
apr^  esearmünio  et  lire  pudo  au  lieu  de  pudeJl 


850         CervanteB  et  le  troisi^me  Centeoaire  du  'Dod  Quichotte'. 

dans  Bon  r^pertoire  oertains  enfaDtUlages  qu'Q  eüt  peut-^tre  mieux 
valu  omettre,  et  perdu  beauooup  de  place  ä  analyser  longuanoit 
de  tr^  pauvres  äucubrations.  Les  bibliographes  d^sireux  de 
cä^brer  ä  leur  fa90D  le  Centenaire  n^avaient  donc  plus  ä  reoenser 
les  Eltons  innombrables  du  Don  Quiehoiie,  les  traductions  qui 
en  ont  6i6  faites  en  toutes  langues  et  les  travaiuc  de  ses  iriter- 
pr^tes;  mais  plusieurs  ont  pens^  que  le  meilleur  moyen  d^t^ 
resser  le  public  k  lliistoire  au  roman  consistait  k  mettre  sous  ses 
yeuz  des  facsimil^  des  premi^res  impressionSy  des  reproductioiis 
d'estampes  ou  de  gravures  des  ^itions  illustr^  et  oe  certames 
Oeuvres  d'art  inspir^  par  les  ^pisodes  les  plus  connus  de  IVn- 
genioso  hidalgo,  Ceux  qui  n'ont  pas  pu  visiter  FexpositioD  biblio 
graphique  et  artistique  du  Centenaire  instali^  dans  trois  salles 
de  la  Biblioth^ue  nationale  de  Madrid  examineront  avec  uo 
r^l  plaisir  le  catalogue  qui  en  a  ^t^  dress^ '  et  qui  comprend: 
la  description  de  ce  que  poss^e  ce  grand  d^pöt  en  fait  d'^itioos 
du  Don  Quichotte  (avec  facsimil^  pour  les  premi^res);  des  repro- 
ductions  de  dessins,  de  tableaux  et  de  tapis,  et  en  demier  lieu 
un  essai  bibliographique,  intitul^  'La  biblioth^ue  de  D.  Quijote^, 
oü  ont  ^t^  d^critS;  d^apr^  les  exemplaires  du  d^p6t,  les  ouvrages 
qui  composaient  la  collection  de  Thiaalgo  si  brutalenient  expuiig^ 
par  ses  amis^  c^est-ä-dire  surtout  des  livres  de  chevaleries.  Le 
volume  n'aura  pas  Fexistence  ^ph^m^re  de  beaucoup  de  catalogues 
d'exposition;  on  le  gardera,  car  il  rend  un  excellent  t^moignage 
de  1  intelligence  des  biblioth^caires  de  la  Nationale  de  Madrid  et 
de  leurs  conuaissances  professionnelles. 

D^rire  des  ^itions  est  chose  utile,  en  faire  si  Ton  peut  de 
bonnes  vaut  mieux  encore.  Divers  imprimeurs  d'£spagney  pour 
r^pondre  aux  besoins  du  jour,  ont  rapidement  reproduit  le  texte 
du  roman  en  entier  ou  en  Fabr^eant.  De  oes  ^ditions  je  ne 
parlerai  pas,  mais  je  signalerai  avec  ^loge  Pinitiative  d'un  6di- 
teur  de  Barcelone  qui  nous  a  donn^  pour  le  prix  extr^mement 
modique  de  4  pesetas  F^dition  en  facsimil^  des  deux  parties  du 
Don  Quichotte  (Madrid,  1605  et  1615).*  Cette  reproduction  un 
peu  pftle,  mais  tr^s  suffisamment  lisible,  remplacera  pour  beau- 
coup d'amateurs  la  phototypie  fort  coüteuse  ex^ut^  ä  Barcelone 
de  1871  ä  1873  par  D.  Francisco  Lopez  Fabra. 

Quelle  cat^gorie  de  lecteurs  vise  la  soi-disant  'primera  edi- 
ciön  crftica'  de  El  ingenioso  hidalgo,  pompeusement  mise  au  jour 
par  D.  demente  Cortejön,  directeur  et  professeur  de  ITustitut 

'  Gaiöiogo  de  la  eocponcion  celebrada  en  la  Biblioteea  naeional  en  d 
tereer  eenienario  de  la  publicaciön  del  Quijotet  Madrid,  1905|  100  et  LT 
pages,  et  40  planche»,  in  4". 

'  Miguel  de  Gervantee.  El  ingenioao  hidalgo  Don  Quixote  de  la  Maneka, 
Edieiön  faesimUe,  etc.  Barcelona,  1905,  2  vol.  in  12  (Eneielopedia  liieraria. 
t.  Vll  et  VIU). 


Ceryantefi  et  le  troisi^me  CeDtenaire  du  'Don  Quichotte'.         351 

g^n^ral  et  technique  de  Barcelone?^  Od  se  le  demande,  oar  11 
est  ä  craindre  que  la  m^thode  ici  suivie  ne  Batisfasse  ni  les  ^ru- 
ditS;  qui  la  jugeront  tout  k  fait  d^fectueuse^  ni  les  simples  curieuz 
auzquels  le  fatras  de  variantes^  de  citations  et  de  commentaires 
ainsi  que  le  verbiage  ampoul^  et  fleuri  de  F^iteur  donneront 
litt^ralement  la  naus^e.  Sans  doute^  on  4prouve  quelque  gdne  ä 
condamner  si  cat^goriquement  les  bonnes  intentions  de  ce  tr^ 
digne  ecd^siastique,  ongiuaire  de  Meco,  pr^s  Alcalä  de  Henares^ 
ce  qui  le  rend  presque  'pays^  du  grand  Miguel  et  d'autant  plus 
sympatbique.  Mais  aussi  qu^allait-il  faire  dans  cette  gal^re? 
M.  Cortej<5n  me  parait  s^^tre  tromp^  aussi  bien  sur  ^Etablissement 
du  texte  que  dans  le  commentaire  extraordinairement  diffus  et 
g^n^ralement  inutile  qu^il  y  a  Joint.  En  Fabsence  de  tout  manu- 
scrit  autoeraphe  ou  non  du  Don  Quichotte,  les  sources  uniques 
du  texte  du  roman  sont  les  Editions  publikes  du  vivant  de  Cer- 
vantes et  auxquelles  on  peut  supposer  qu^il  a  eu  une  part  quel- 
conque^  c^est-ä-dire,  dans  Tesp^e^  pour  la  premi^re  partie^  les 
deux  Editions  de  Juan  de  la  Cuesta  de  1605,  celle  du  m^me  im- 

Srimeur  de  1 608,  et,  pour  la  seconde  partie,  P^dition,  toujours  de 
uan  de  la  Cuesta,  de  1615.  II  est  en  effet  tr^s  invraisemblable 
qu'il  ait  corrigE  ou  fait  corriger  les  ^itions  publik  ailleurs  qu'ä 
Madrid,  par  exemple  eelles  de  Valence,  Milan,  BruxeUes,  oü  ron 
note  des  le9ons  nouvelles.  Ces  le9ons  ont  la  valeur,  non  de  va- 
riantes,  mais  de  corrections  dues  aux  imprimeurs  ou  aux  protes, 
corrections  qu^il  faut  traiter  exactement  oomme  Celles  des  ^iteurs 
modernes.  Or,  M.  Cortejön  confond  tout,  variantes  des  Editions 
originales  et  corrections,  et  il  nous  donne  de  ces  variae  lectiones, 
de  cat^ories  distinctes,  des  sp^imens  en  tableaux  qui,  d^pli^, 
couvriraient  une  table.  A  quoi  sert  cet  Etalage?  A  rien,  si  ce 
n'est  peut-^tre  k  amuser  les  badauds.  D^ailleurs,  d'nne  fa9on 
gEnErale,  toutes  les  discussions  qui  remplissent  les  premieres  pages 
de  ce  livre  sont  oiseuses,  puisque  la  gEnEalogie  aes  Editions  du 
Don  Quichotte  a  4t6  Etablie  dEjä  et  se  trouve  tr^s  suffisamment 
indiquEe  par  Rius  ou  Fitzmaurice-Kelly.  Apr^  un  pareil  dE- 
ploiement  de  pseudo-Erudition,  on  pouvait  s'attendre  au  moins  ä 
voir  FEditeur  conserver  scrupuleusement  Porthographe  ancienne 
des  Editions  primitives.  Point;  il  transcrit  le  texte  dans  Fortho- 
graphe  acadEmique,  et  le  comble  est  que  cette  orthographe  a  EtE 
m^me  introduite  dans  les  variantes  citEes  au  bas  des  pages,  et 
tirEes  des  Juan  de  la  Cuesta  et  autres!  DEjä  M.  Fitzmaurice- 
Kelly  avait  diminuE  la  valeur  de  son  Edition  de  Londres  (David 

^  Ei  ingenioao  Hidalgo  Don  Quijote  de  la  Maneha  compuesto  por  Miguel 
de  Cervantes  Saavedra.  Primera  eaieiön  oritica  por  D,  Clemente  Cort^&n, 
direetor  y  eatedrdtieo  de  hiatoria  de  la  literatura  en  d  BtetittUo  aeneral  y 
tSmico  de  Barcelona.  Primera  parte.  Tomo  I.  Madrid^  1905,  CtXVI  et 
300  pages  in  1. 


852         Cervantes  et  le  troiBÄme  Centenaire  du  *Don  Quichotte'. 

Nutt,  1898)  en  adoptant  Forthographe  acad^mique  sou8  pr^texte 
Que  les  'extravagances^  de  Robles  ou  de  Cuesta  ne  m^ritaient  pas 
a^tre  reBpect^s;  maie  ces  extravagances  Cervantes   en  commet- 
tait  d^analogues,   et   elles   ressemblent  en   tout  cas  davantage  ä 
ce  qu'il  ^rivait  que  Fespagnol  du  XX^  si^ele.     Au  surpluB,  il  y 
avait   un   travail   intelligent    ä  essayer   dont  M.  Cortejdn    aurait 
pu  s^octroyer  le  m^rite  et  la  gloire.     Nous   poss^dons    de  Cer- 
vantes bien   plus  d'^crits  autographes  qu'il  n'en  faut  poor   fixer 
les  prineipaux  traits  de  son  orthographe  usuelle^  et  de  ces  Berits 
il  serait  parfaitement  legitime  de  se  servir  pöur  reetifier  9a  et  lä 
Juan  de  la  Cuesta.     Mais  passons  au  commentaire.    H  Buffit  de 
le  parcourir  pour  se   convaincre  que  la  partie  historiaue   r^p^te 
en  les  däayant  les  notes  de  Clemencln  et  y  ajoute  des  digressions 
dont  le  moins   qu'on   puisse  dire  est  qu'elles  ne  contribuent  en 
rien  ä  F^laircissement  du  texte  de  Cervantes.  Au  reste,  M.  Corte- 
j<5n  ne  semble  pas  fort  vers^  dans  la  connaissance  des  moeurs  et 
des  institutions  de  FE^pagne  au   XVI®  et  au  XVII®  si^e,  sa 
note  sur  duelos   y  quebrantos  le   montre  surabondamment ;   il  se 
donne    surtout   pour  un   grammairien    et   un   connaisseur    de  h 
langue  castillane.   Quand  U  tient  un  idiotisme^  il  ne  le  lache  pas 
avant  d'avoir  vid^  son  sac.     Ainsi  le  solas  y  semras  tr^s    iuste- 
ment  introduit  par  Pellioer  au  chap.  XI  de  la  premi^re  parüe,  au 
Heu  de  solas  y  senoras,  qui  ne  donne  aucun  sens^  nous  vaut  sii 
pages  de  commentaire    Sur  cette  locution  toute  faite,  prot^g^  en 
outre  par  une  allit^ration^  comme  modos  y  maneras,  si  M.  CortejÖD 
avait  voulu  nous  communiquer  quelque  chose  de  topique,  il  aurait 
U;  par  exemple,  signaler  un  passage  de  la  nouvelle  de  Lope  de 
ega,  Las  foriunas  de  Diana,   oü  nous  voyons  'una  mujer  sola  y 
senera,  que  caminaba  . . .  por  la  aspereza  de  los  montes'^  et  faire 
remarquer  que  Tödition  pnnceps  porte  sola  y  senora,  ce  qui  prouve 
que  la   faute  ^tait  de  Celles    que  les   compositeurs   de  F^poque 
commettaient  volontiers,  et  que  par  cons^uent  la  correction  de 
Pellicer  a  gagn^  droit  de  cit^  dans  le  texte  du  Don  Quichotte, 
En   r^um^,  et  sans   rien   vouloir  dire   de  d^sobligeant  au  trte 
m^ritant   professeur^  j^estime   peu   d^sirable  que  F^norme  labeor 
qu'il  a  entrepris  arrive  ä  son  terme,  d'autant  moins   que  la  m^ 
tnode  de  travail  quMl  a  adopt^,  et  qui  consiste  ä  se  faire  aider 

f)ar  des  jeunes  gens  qui^  assis  autour  de  sa  table,  lui  dictent  les 
e9ons  du  texte,  n^inspire  qu'une  m^diocre  eonfiance,  mdme  pour 
ce  qui  touche  au  relev^  des  variantes  et  des  corrections.  Quant 
au  commentaire,  et  d^une  fa9on  g^n^rale  qui  ne  s^applique  pas 
seulement  ä  M.  Cortejön,  il  me  semble  qu^au  proc^^  des  notes 
de  longueur  dämesur^e,  oui  encadrent  le  texte  et  l'^touffent,  mieui 
vaudrait  substituer  un  dictionnaire  dans  le  genre  du  Dictionary 
of  proper  names  and  notable  maiters  in  the  Works  of  Dante  de 
M.  Paget  Toynbee,   oü  figureraient,  avec  tous  les  noms  de  per- 


^" 


CeiTaDteB  et  le  troisi^me  CeDtenaire  dn  'Don  Quichotte'.         358 

sonne  et  de  lieu  des  oeuvres  de  Cervantes^  ]es  curiosit^s^  les 
traits  de  moeurs  et  de  costume^  en  un  mot  tous  les  faits  et 
toutes  les  choses  qui  Filament  une  explication  historique.  La 
langne  foumirait  la  mati^re  d^un  autre  lexique,  et  sur  ce  point 
je  reviendrai  tout  ä  Fheure.  Mais  avant  d^en  finir  avec  cet  essai 
malheureuz  d^une  '^ition  critique',  je  me  permets  d^exprimer  le 
voeu  qu^on  reproduise  bientöt  en  phototypie  toutes  les  ^itions 
originales  de  toutes  les  ceuvres  de  Cervantes.  Pour  le  Bon  Qui- 
chotte, il  ne  reste  plus  ä  reproduire  que  le  second  Juan  de  la 
Cuesta  de  1605;'  pour  les  autres  oeuvres,  l'op^ration  s'accom- 
plirait  sans  difficult^,  et  certainement  celui  qui  s^en  chargerait 
pourrait  compter  sur  une  r^mun^ration  tr^s  süffisante,  car  tous 
les  amis  de  Cervantes  voudraient  poss^er  oes  facsimil^s  qui 
nous  d^livreraient  des  '^itions  critiques^  faites  ou  projet^es,  cha- 
cun  ayant  ainsi  sous  la  main  Instrument  n^cessaire  pour  ^tablir 
un  texte  ä  sa  guise. 

La  langue  de  Cervantes  ou,  pour  parier  plus  exactement,  celle 
du  Don  Quichotte  a  6U  Fobjet  d'un  travail  important  par  D.  Julio 
Cejador  y  Frauca,  dont  la  premi^re  partie  consacr^  k  la  gram- 
maire  a  seule  paru.^  Comme  les  Espagnols  d^antan,  M.  Cejador 
a  soumis  son  livre  ä  Fapprobation  d  un  censeur,  qui  n^est  autre 
que  F^minent  linguiste  D.  Rufino  Josö  Cuervo,  le  maitre  uni- 
versellement  reconnu  et  admir^  des  ^tudes  de  langue  espagnole. 
L'assurance,  donn^  par  ce  demier,  qu'il  se  sent  plus  souvent 
d'accord  qu^en  contradiction  avec  Fauteur  rassurera  tout  le  monde, 
et  c'est  pourquoi,  sans  toucher  au  fond  du  livre  et  k  sa  doctrine, 
me  bornerai-je  k  quelques  remarques  sur  sa  composition.  A  quoi 
r^pondent  la  phon^tique  et  la  morphologie  g^n^rales  qui  rem- 
plissent  les  deux  cents  premi^res  pages?  On  ne  le  voit  pas 
clairement,  car  dans  cet  expos^,  oü  Fauteur  r^^te  surtout  des 
choses  assez  connues,  il  est  fort  peu  question  de  Cervantes.  Ce 
qu'il  y  a  ä  dire  d^int^ressant  sur  la  phon^tique  et  la  morpho- 
logie de  cet  auteur  tiendrait  tr^s  ais^ment  en  dix  pages:  k  quoi 
bon  s'^carter  ainsi  du  sujet?  Avec  la  syntaxe,  qui  occupe  les 
trois  Cents  derni^res  pages  du  volume,  M.  Cejador  y  revient, 
seulement  ce  qu'il  nous  donne  n^est  que  la  syntaxe  du  Don  Qui- 
chotte et  non  celle  de  tout  Cervantes.  Le  lexique,  qui  formera 
le  second  volume  de  Fouvrage,  ne  contiendra  aussi  que  le  voca- 
bulaire  du  roman.    Cette  restriction  se  comprend  puisque  le  pro- 

*  La  premi^re  Edition  de  1605  et  celle  de  la  seconde  partie  de  1615 
oot  ^t^  reprodiiites  deux  fois,  comme  il  a  6i6  dit.  Celle  de  1608,  l'a  ^t^ 
en  1897  par  les  ^iteurs  Montaner  y  Simon  de  Barcelone,  qui  ont  aussi 
r^p^t^  la  seconde  partie. 

'  La  len^jua  de  Oervanies.  Oramätica  y  diceionario  de  la  lengua  casie" 
llana  en  El  ingenioso  hidtUgo  Don  Quijote  de  la  Maneha.  Tomo  1.  Oramäß> 
tica,    Madrid,  1905,  XII  et  571  pages  in  8^. 


354         Ceryantes  et  le  troisi^me  Oentenaire  du  'Don  Quichotte'. 

gramme  du  concours   de  FAteneo  de  Madrid  portait    OTamäÜea 
y  vocabulario  dd  Quijote  et  que  M.  Cejador  devait  s^y   oonfonoDer, 
mais  ce  d^coupage  d'un  auteur  n'eii  offre  pas   moins    de  graves 
inoonv^nieDts.    Jue  Don  Quichotte  a  beau  oocuper  la   place    pr^ 
pond^rante   dans   Toeuvre    de   Cervantes^    nous    ne    connaitrons 
vraiment  la  langue  du  grand  ^rivain  que  lorsqae  tous  ses  ^rite 
auront  ^t^  analys^  par  le  lexioograpbe.   Rien  qu'au  poist  de  voe 
du  vocabulaire^  les  NouveUes  foumissent  autant  si  non  plua  que 
le  Don  Quichotte,  et  quant  ä  la  syntaxe,  la  OaUUea  et  le  Persües, 
qui  repr^sentent  les  deuz  extremes   de  la  vie  litt^raire  de  Cer- 
vantes, le  pomt  de  d^part  et  le  terme  final,  Filament  Pezamen 
au  m^me  titre  que  Foeuvre  principale  qui  occupe  le  milieu  de  la 
carri^re.     On  souhaite  donc  que  M.  Cejador  ^tende  son    ^tude 
et,  puisqu'il   a  si   bien  commene^,  entreprenne   un  travail    d'en- 
Bemole   qui  formerait  un  pendant  au  Shakespeare-Lexicon  d'AIex- 
andre  Scnmidt,  incomparable  modele  dont  le  lexicographe  espagnol 
fera  bien  de  s^inspirer.    H  est  vrai  que  ce  lexique  g^n^ral   sup- 

Eose  la  publication  pr^able  des  facsimil^  dont  je  parlais  plus 
aut,  car  il  Importe  que  les  renvois,  oomme  M.  (Jejador  Fa  bien 
reconnu  pour  le  Don  Quichotte,  s'appliquent  aux  ^itions  origi- 
nales, lesquelles  doivent  ^tre  rendues  toutes  facilement  accessibles 
afin  de  perraettre  au  lecteur  de  se  reporter  au  texte  et  de  v^ri- 
fier  les  citations. 

Une  question  concemant  l^istoire  du  Don  Quichotte,  et  noD 
r^solue  encore,  est  celle  de  Fauteur  du  faux  Don  Quichotte,  de  ce 
Segtmdo  tomo  del  Ingenioso  Hidalgo   public  en  1614   k  Tarragone 
sous  le  nom  du  licenci^  Alonso  Fem^dez  de  Avellaneda.     La 
rechercbe  du  personnage  r^el   qui   s^est  cach^  sous  oe  Pseudo- 
nyme, car  le  nom  d^ Avellaneda  semble  fictif,  a  fait  couler  beau- 
coup  dienere,  en  g^n^ral  de  mauvaise  euere.    Avant  de  discuter, 
il  convient  d'avoir  sous  les  yeux  le  corps  du  d^lit;  aussi  devons- 
nous  des  remerciments  k  M.Men4ndez  y  Pelayo  pour  avoir  provoqu^ 
une  rämpression  fid^le  de  T^ition  de  Tarragone.  ^     U  y  a  Joint 
une  dissertation  instructive  oü   il   examine  les  th^ses   anciennes 
poiu"  les  d^truire,  d^fend  sans  beaucoup  de  conviction,  me  semble- 
t-il,  un  nouveau  candidat,  et  pol^mise  contre  M.  Groussac,  auteur 
de  Fidentification  d^ Avellaneda  avec  un  Juan  Marti  qui  passe 
pour  avoir  6crit  le  faux  Ouxman  de  Alfarache,   hypoth^  insou- 
tenable  pour  bien   des  raisons  et  qui  n'a  obtenu  aucun  succ^^ 


*  M  ingenioso  kidaigo  Don  Quiooote  de  la  Maneha  eompuesto  por  ä 
lieeneiado  Alonso  Femdndex  de  Avelkmeda,  natural  de  Tbrd^illas,  Nueva 
edieiön  eotefada  eon  la  original^  publicada  en  Tarragona  en  1614,  anotada 
V  preeedida  de  una  tntrodueeiön  por  Don  Mareelino  MenSndex^  y  Pdayo, 
.Barcelooa  [1905],  LXIV,  380  pagea  et  10  feuillets. 

'  Voy.  BulUtin  hispanique,  t.  V  (1908),  p.  859,  et  surtout  Farticle  cod- 
cluaut  de  D.  Jos^  E.  Öerrano  y  Morales,  M  lieeneiado  Aloneo  FemdndM 


Geryantes  et  le  troiBi^me  Centenaire  du  'Don  Quichotte'.         355 

Le  mieux  serait  maintenant  de  ne  plus  rien  ^rire  k  ce  propos 
tant  au'on  n'aura  pas  d^arguments  di^sifs  k  produire  en  laveur 
de  teile  od  teile  solutioD;  surtout  Fon  pourndt  souhaiter  ne  pas 
voir  reprendre  de  vieilles  suppositions  depuis  longtemps  an^anties, 
comme  il  est  arriv^  k  Fauteur  d^une  brochure,  bien  k  tort  cou- 
ronn^  par  les  Jeux  floraux  de  Saragosse  en  1904,  qui  soutient 
encore  la  candidature  du  P5re  Aliaga!* 

U^pith^te  d'ingenioso  appliqu^e  par  Cervantes  au  h^ros  de 
soD  roman  a  donn^  du  fil  k  retordre  k  certains  commentateurs : 
ClemenclD,  entre  autres^  la  trouve  obscure  et  peu  heureuse.  Le 
criminaliste  bien  connu  D.  Rafael  Salillas  en  cnerche  Fexplioation 
dans  le  c^l^bre  livre  du  D'  Juan  Huarte,  Examen  de  ingeniös, 
auquel  il  attribue  une  grande  influenae  sur  Cervantes^  allant 
jusqu'ä  nommer  Huarte  4e  grand  inspirateur  du  romaneier^.^  Sans 
aucun  doute  Cervantes  avait  lu  YEzamen,  oet  ouvrage  si  amü- 
sant et  si  remarquablement  ^rit,  mais  qu^il  y  ait  pris  Fid^  du 
genre  de  folie  de  son  chevalier  et  d^autres  choses  encore,  c'est 
ce  qui  me  parait  fort  improbable.  En  ce  qui  conceme  F^pith^te 
d'ingenioso,  il  va  de  soi  que  Cervantes  devait  accompagner  le 
mot  hidalgo  d'un  qualificatif  favorable:  el  hidoUgo  Don  Quijote 
aurait  eu  un  sens  presque  p^joratif,  ^tant  donn^  que  la  condition 
du  gentillätre  campagnard  pr^tait  alors  d^jä  au  ridicule  et  que 
le  nom  de  Quiiote  ^tait  en  soi  burlesque.  II  fallait  donc  en 
quelque  sorte  relever  Fexpression,  la  corriger  par  un  adjectif  ex- 
primant  Fid^e  que  Cervantes  voulait  qu^on  se  fit  de  son  h^ros: 
un  homme  bon,  noble,  judicieux  et  avis^  toutes  les  fois  que  sa 
manie  ne  lui  trouble  pas  la  cervelle;  un  homme  n^ayant  rien 
de  commun  avec  VkidcUgo  grotesque  du  th^ätre  populaire;  car, 
comme  Fa  si  bien  dit  Samuel  Johnson  dans  sa  Vie  de  Butler: 
'Cervantes  had  so  much  kindness  for  Don  Quixote  that,  how- 
ever  he  embarrasses  him  with  absurd  distresses,  he  gives  him 
so  much  sense  and  virtue  as  may  preserve  our  esteem:  wher- 
ever  he  is,  or  whatever  he  does,  he  is  made  by  matchless  dex- 
terity  commonly  ridiculous,  btU  never  contemptibleJ  La  thterie 
des  diferencicts  de  ingenio  propos^e  par  Huarte  n^a  rien  k  voir 
lä  dedans. 

Conune  il  ^tait  ä  pr^voir,  les  dramatistes  espagnols,  toujours 
en  qu^te  de  sujets,  ne  manqu^rent  pas  de  mettre  k  pront  la 
fable  du  Don  Quichotte,   dont  la  publication  comcida  avec  F^pa- 

de  AveUaneda  fiU  Juan  Marti  ly  publik  en  1904  dans  la  JRevista  de  Ar- 
chivos,  Bibliotecaa  y  Museos  et  reproduit  par  M.  Men^ndez  y  Pelayo  k  la 
Buite  de  sa  dissertation. 

^  Ckrvantee  y  el  autor  del  fdlso  Quifote  por  Don  Josi  Nieto.  Madrid, 
1905,  175  pagCB  in  8». 

^  Un  gran  inspinrador  de  Oervantes,  M  doctor  Juan  Huarte  y  su  Exa- 
men de  ingeniös.    Madrid,  1905,  Itt*2  pages  in  8^. 


856         Ceryantes  et  le  troisi^me  CentenaiTe  du  'Don  Quichotte'. 

Douissement  de  la  comedict.     Nous  poBS^dons  de  Fun   des  pluf 
cä^bres  auteurs  dramatiques  de  r^poque,  Guill^n  de  Castro,  aeux 
pi^es  iDtitiil^s,  Fune  Don  Quixoie  de  la  Maneka,  Fautre  El  curioso 
impertinente,  ceUe-ci  tir^  de  la  nouvelle  intercal^  par  Cervantes 
dans   60D   roman:    ni   Fune   ni   l'autre    ne   oomptent    parmi    les 
meilleures   de  Vingenio  valencien.     Chez  lui,  oomme  dans    toutes 
les  autres   pi^es   de  th^ätre^   le  personnage  de  Don  Quichotte 
n'apparalt  que  oomme  une  caricature  du  h^ros  du  livre.     Castro 
certes  avait  FAme  assez  haute  et  le  tact  assez  fin   pour  d^mäer 
dans  Phidalgo  de  Cervantes,  ä  c6t^  des  extravagances  ridicules, 
des  signes  r^v^lateurs  de  la  plus  noble  des  natures,   mais   sll 
avait  mis  sur  la  sc^ne  un  Don  Quichotte  s^rieux,  les  bcmeos  n'au- 
raient  pas  compris   et  les  mosqueieros  auraient  siffl^:  Fadmirable 
compl^xit^  du   caract^re  de  lliidalgo  d^passait  Fintelligenoe   un 
peu  fruste  du  vtdgo  amateur  de  th^tre,  eile  n'a  4!t6  bien    saisie 
que  de  nos  jours.    Quoiqu^il  en  soit,  le  Don  Quixoie  de  Castro 
est  une  pi^e  assez  curieuse  que  la  soci^td  valencienne  du  Bat- 
Penat  a  eu  raison,  apr^s  Favoir  fait  jouer,  de  r^imprimer  d^aprte 
Fddition   fort  rare  de  1621J     La  petite  faroe  de  Francisco  de 
Avila,  Los  invencibles  hechos  de  Don  Quijote  de  la  Mancha,  qui  vieDt 
d'^tre  r^imprim^e,  transporte  le  Chevalier  dans  le  milieu  picaresque 
des  cabaretierSy  des  muletiers  et  des  Maritomes;  nous   sommes 
ici  dans  la  parodie  burlesque,  assez  ctossc  mais  amüsante.     La 
pi^ce  du   reste  peut  passer,  comme  le  dit  son  ^iteur  qoi  en 
a  ^lucid^   les  passages  difficiles,   pour   une  'curiosit^  bibliogra- 
phique^  ^ 

Et  puisque  je  viens  de  toucher  au  th^&tre,  je  signalerai  ici 
une  brochure  relative  ä  Cervantes  auteur  dramatique  et  qni 
pourra  servir  de  euide  ä  ceux  qui  se  proposent  d^aborder  T^tude 
de  ses  drames,  de  ses  com^dies  et  de  ses  farces.^  Cet  essai 
m^ritoire  sera  remplac^  bientöt  par  un  ouvrage  beaucoup  plus 
d^velopp^,  FAcad^mie  Espagnole  de  la  Langue  ayant  choisi  comme 
sujet  du  premier  concours  de  la  fondation  Institut  par  le  duc 
d^Albe,  comte  de  Lemos,  en  memoire  de  son  inoubliable  m^ 
et  pour  r^compenser  des  auteurs  de  travaux  litt^raires,   histo- 

'  'D.  Quixote  de  la  Mancha*,  eomedia  en  tres  jomales  y  en  vere  per 
D,  OuiUem  de  Castro  y  Bellvis.  Representada  de  veU-nou  en  lo  Teabro 
Principal  de  Valencia,  en  la  nü  del  VUI  dia  de  Maig  de  MDCCCOV.  Va- 
lencia, 1905,  VI  et  119  pazes  in  8^. 

*  Ourioaidad  bibliogrdfiea,  Los  inveneibles  keehos  de  Don  Qtnfote  de  la 
Mancha,  entremis  famoso  eompuesto  por  Francisco  de  Ävila,  naiwrU  de 
Madrid.  Madrid  [1905],  35  pages  in  8^  L'ayant-propos  est  sign^  des 
initiales  F.  P.  G. 

'  Äpuntes  escinicos  cervanUnos  6  sea  un  estudio  histörieo,  hMiogrdfieo 
y  biogrdfico  de  las  comedias  y  erUremeses  escritos  por  Miguel  de  Oervanies 
Saatedra,  etc.  por  Nareiso  Diax  de  Eseovar,  Madrid,  1905,  79  pages  pet. 
in  80. 


Cervantes  et  le  troisi^me  Centenaire  du  'Don  Quichotte'.         857 

riques  et  scientifiques,  P'^tude  critique  du  th^tre  de  Miguel  de 
Cervantes^ ' 

Le  s^jour  de  Don  Quichotte  en  Aragon  chez  un  duc  et  une 
duchesse,  qui  h^bergent  le  Chevalier  et  son  ^uyer  et  s'en  amu- 
aent^  sera  toujours  tenu  pour  un  des  plus  d^licieux  ^pisodes  du 
^rand  livre:  rhumour  de  Cervantes  atteint  id  son  maximum. 
Ces  chapitres  accusent  aussi  les  intentions  satiriques  de  F^cri- 
vain  qm^  avec  une  habilet^  consomm^e,  y  a  d^peint  les  vices  du 
r^me  seigneurial  en  Espagne  au  XVII^  si^le.  Depuis  Pellicer, 
qui  a  identifi^  la  villa  oü  est  accueiUi  Don  Quichotte  avec  le 
bourg  de  Pedrola  et  l^le  Barataria  avec  Aloaldi  de  Ebro,  une  tra- 
dition  s^est  accr^it^  suivant  laquelle  le  duc  qui  rdalise  le  r^ve 
de  Sancho  aurait  ^t^  le  chef  d'une  des  plus  grandes  maisons  de 
la  noblesse  aragonaise,  le  duc  de  Villahermosa.  Profitant  de  cette 
tradition,  les  Aragonais  d'aujourd'hui  l'ont  c^l^br^e  par  une  masca- 
rade  et  des  f^tes  dont  une  a  eu  lieu  ä  Pedrola,  sous  les  auspices 
de  la  duchesse  de  Villahermosa,  Dona  Marfa  del  Carmen  Aragon 
Azlor,  grande  dame  aussi  patnote  que  lettre  et  que  la  mort 
häas!  est  venue  surprendre  il  y  a  quelques  mois  avant  la  publi- 
cation  du  beau  volume  consacr^  au  souvenir  de  cette  comm^- 
moration.  ^ 

Je  terminerai  cette  revue  par  quelques  mots  sur  la  parti- 
cipation  des  ^trangers  ä  la  c^l^bration  du  Centenaire.  UAngle- 
teire,  oü  Fhumour  de  Cervantes  a  toujours  eu  de  fervents  ad- 
mirateurs  et  m^me  inspir^  de  grands  ^rivains  —  que  ne  doit 
pas  Fielding  k  son  anc^tre  espagnol?  —  FAngleterre  poss^de 
aujourd'hui  un  cervantiste  fort  distingu^,  ^teur,  biographe  et 
traducteur,  dans  la  personne  de  M.  James  Fitzmaurice -Kelly. 
Sa  contribution  k  la  f^te  a  oonsist^  en  une  lecture  qu^il  a  faite 
devant  la  British  Academy,  de  fondation  r^cente,  sur  Cervantes 
en  Angleterre.^  —  UAllemagne  a  rafralchi  en  la  r^imprimant 
une   traduction   renomm^,   celle   de   Tieck,*   et   nous   a   offert 

*  UentremSa  de  Cervantes  intitul6  El  vixeaino  fmgido  yient  d'Stre  r^- 
imprim6  avec  un  commentaire  assez  estimable  mais  beaucoup  trop  yer- 
beux  (Estudio  orüico  aeerea  del  entremis  *El  vixcaino  fmgido  de  Miguel 
de  Cervantes  Saavedra  por  Manuel  Joai  Qarefa,  Madria,  1905,  184  pagee 
in  8^.) 

'  AUmm  cervanHno  aragonis  de  los  trabc^os  literarios  y  artisticos  eon 
que  se  ha  cetdtrado  en  Zaragoza  v  Pedrola  el  III  eentenario  de  la  edidön 
principe  del  *Quiiote\  Publicalo  la  Excma,  Sra»  Duquesa  de  ViUahermosa, 
Madrid,  1905,  XV,  224  pagee  et  26  planchea  in-folio. 

'  The  Brüish  Äeademy,  TereentefMry  of  *Don  Qtnxote*.  Cervantes  in 
England.    London,  1905,  19  pases  in  ^. 

*  Leben  und  fixten  des  scharfsinnigen  Edlen  Don  Quiaote  von  la  Mancha 
von  Miguel  de  Cervantes  Saavedra,  Übersetxt  von  Ludwig  Heck.  Jubiläums- 
Ausgabe  in  vier  Bänden  mit  einem  Titelbild,  Mit  einer  biographisch -kri- 
tischen Einleitung  und  erklärenden  Anmerkungen  herausgegeben  von  Dr.  Wolf- 
gang von  WwrxbatA.    Leipzig  [1905],  2  vol.  in-12.    La  biographie  de  Cer- 


358         Ceirantes  et  le  troisi^me  Centenaire  du  *Don  Qaicllotte^ 

une  Douvelle  ^ition    d'une  autre  version    trte  appr^i^   aussi, 
odle  de  Ludwig  Braunfels J     II  y  aurait  un  chapitre  et  presque 
un  livre  ä  ^rire  sur  les  tiaducteurs  du  Don  Quiehotte    et  lenr 
m^thode.   A  mon  avis,  pour  un  roman  de  ce  genre,  que  savoure 
le  monde  entiery  aucun  genre  de  traduction  n'est  ä  exclure,  tous 
ont  leur  raison  d'^tre,  depuis  la  'belle  infid^le^  jusqu'H   la   tra- 
duction  la  plus  exacte  et  la  plus  savante.    Ce  qui  captive  la 
plupart  des  lecteurs  est  la  fable  avec  ses  incidents^  surtoat  les 
inimitables  dialogues  de  lliidalgo  et  de  son  ^uyer,  et  oela  peut 
6tre  rendu  intelligible  dans  une  forme  agr^ble  et  facile  en  abr^ 
geant  le  texte,  en  äaguant  de  ci  de  lä  certaines  superf^tations  et 
des  passages  qui  sentent  trop  le  terroir  pour  pouvoir  ^tre  ais^ 
ment  transpos^  en  une  langue  ^trang^re.    Mais  le  Don  Quichotte 
s^adresse  aussi  ä  un  autre  public  qui  s^int^resse  ä  la  langue,  au 
style,  aux   particularit^   de  la  vie  espagnole,  qui  voit   dans  ce 
livre  le  grand  roman   social  de  FElspagne  des  rhilippe.     E^  un 
mot,  le  Don  Quichotte  n'est  pas   un  livre  simple  oomme   l'autre 
roman   mondial,  Bahinson  Crusoi,  qui   n^a  ni  style  ni  m^me  de 
date,   puisQu'il  ne  s^y   trouve    pour  ainsi   dire   aucune    allusioD^ 
aucune  couieur  historique.    Le  Don  Quichotte  lui  est  en  quelque 
Sorte  ä  deux  faces,  il  se  r^v^le  altemativement  sous  deux  aspects 
distincts.    Aux  deux  cat^ories  de  lecteurs,  il  faut  donc  des  tra- 
ductions  appropri^.    CeUe  de  Tieck   me  semble  conserver  sa 
valeur  comme  livre  de  lecture  courante,  malgr^  les  contresens  et 
les  inexactitudes  qu^on  y  pourrait  noter;   mais  je  con9oi8   que  le 
lecteur  allemand   d^ireux  de  p^^trer  plus  profond^ment   dans 
Foeuvre  de  Cervantes,  d^en   assmuler,  autant  que  faire  se   peut 
Sans  savoir  la  langue  originale,  el  sabor  de  la  tierruca,  comme  dirait 
Pereda,  ait  d^ir^  une  version  plus  fid^le,  serrant  de  plus  pr^ 
le  texte  espagnoL    A  ce  lecteur  la  traduction  de  Braunfels  don- 
nera  enti^re  satisfaction.    Sous  sa  premi^re  forme,  dans  la  Ool- 
lection  Spemann,   eile  contenait  des  notes  assez  nombreuses   que 
les  r^viseurs  de  la  nouvelle  Vitien,  MM.  H.  Morf  et  S.  Grafen- 
berg,  ont  en  partie  omises.    Je  le  regrette  un  peu  pour  ma  part^ 
quoique  je  comprenne  les  raisons  ^itoriales  qui  ont  motiv^  cette 
suppression.    Quoiqu'il  en  soit,  en  renouvelant  dans   cette  Jubi- 
läumsausgabe,  aussi   correcte   qu'^l6gante,  la  meilleure  peut-^tre 
des  traductions   du  Don  Quiehotte,  M.  Karl  J.  Trubner  rend  un 
vrai   Service   ä   ses   oompatriotes    et   ä  tous    les    amis    de   Cer- 


vantes et  r^tude  de  ses  oeuvres  uar  M.  von  Wurzbach,  qui  renaeignera  le 
public  allemand  sur  tout  ce  qu'il  a  besoin  de  savoir,  donne  un  piiz  parlä- 
culier  ä  cette  r^impression. 

'  Der  »ifmreiene  Junker  Don  Quifote  von  d&r  Maneha  von  Miguel  de 
Oervantea  Saavedra,  Übereetxt,  eingeleitet  und  mit  Erläuterungen  vereehen 
von  Ludwig  Braunfels.  Neue,  revidierte  Jubüäumaimsgabe,  Strassburg,  1905, 
4  voL  in  0". 


Cervantefi  et  le  troisi^me  Centenaire  du  'Don  Quichotte'.         859 

vantesJ  —  La  France,  ot  depuis  le  AVIL«  si^le  Cervantes 
a  joui  d'une  si  grande  popularit^  et  oü  d^^minents  critiqües  ont 
appr^i^  son  g^nie  avec  tant  de  finesse,  la  France  cette  fois 
s^est  abstenue,  car  j^ose  ä  peine  mentionner  un  opuscule  de 
quelques  pages  oü  celui  qui  ^rit  ces  lignes  a  d^nonc^  un  faux 
autographe  de  Cervantes,  lequel  s'^tait  gliss^  dans  une  de  nos 
coUections  publiques.^ 

Ce  court  r^um^,  et  qui  ne  vise  nuUement  h  ^tre  complet, 
des  publications  du  Centenaire  laissera,  je  Fesp^re,  une  assez 
bonne  impression.  Si  surtout  Fon  compare  cette  comm^moration 
ä  Celle  du  deuzi^me  centenaire  de  la  mort  de  Calderon  c4l4br4e 
il  7  a  tantöt  vingt-cinq  ans,  on  estimera  que  les  Espagnols  ont 
cette  ann^  bien  mieux  r^ussi  qu^en  1881.  A  la  v^rit^,  le  h^ros 
de  la  f^te  de  1905  avait  beaucoup  plus  d'ampleur,  son  nom 
parle  ä  la  nation  enti^re.  Calderon,  au  contraire,  ne  repr^ente 
que  certains  traits  du  g^nie  espagnol  qui  ne  r^pondent  plus 
ä  nos  id^es  d^aujourd^hui  et  que  beaucoup  d'Espagnols  jugent 
m^me  antipathiques  et  nuisibles.  Entre  le  dramaturge-th^logien 
du  XVn®  si^le  et  FEspagne  moderne  le  contact  s'est  perdu; 
pour  le  renouer  il  faut  des  efforts   multiples  et  un  ^tat  d^äme 

f)articulier.  Cest  pourquoi  le  centenaire  de  Calderon  fut  surtout 
'oeuvre  de  quelques  lettre  aui  provoquferent  un  enthousiasme 
de  commande,  tout  ä  fait  factice,  que  ne  partf^ea  point  la  masse 
du  public.  Cervantes  lui  r^unit  tous  les  suffrages,  il  peut 
compter  sur  la  Sympathie  universelle.  Ceux  m^me  qui  ne  Font 
point  lu  savent  en  gros  ce  qu^il  fit  et  ce  qu^il  ^rivit;  ils  savent 


'  J'en  ai  examin^  les  premiers  chapitres  avec  assez  d'attention.  Dans 
le  Prologue,  htjo  del  erUendimiento  doit  ^tre  rendu,  non  par  Söhnt  mais 
par  Kind  aui  se  trouve  chez  Tieck.  —  Plus  loin,  dans  le  m^me  Prologue, 
il  me  semole  que  oficiales  amigos  sont  plut6t  des  'amis  empress^'  que 
des  'compa^ons  de  mutier  amis'.  Tieck  lait  aussi  de  oficiales  un  adjeetdf 
qu'il  traduit  mal  par  vertraute,  Eeste  ä  savoir  si  Cervantes  emploie 
ailleurs  adjectivement  ofioial  ayec  le  sens  du  frangais  'officieux\  — 
Chap.  I^'.  Salpicön  n'est  pas  un  p&t^  {Fleiechkuehen)  mais  une  salade  de 
viande  froide,  comme  l'explique  longuement  ä  Oudin  son  rival  Ambrosio 
de  Salazar.  —  Chap.  IV.  £n  traduisant  infante  par  Prinx,  Braunfels  a 
pens^  qu'il  respectait  un  idiotisme  espagnol,  mais  infante  avait  aussi  le 
sens  d'^enfant'  qui  convient  seul  au  passage  (cf.  une  note  interessante  de 
D.  Bamön  Menendez  Pidal,  La  leyenda  de  los  infantes  de  Larch  p*  442). 
Tieck  a  bien  mis  ^uibe.  —  Chap.  18.  *Sin  salir  del  Camino  real,  que  per 
all!  iba  muv  seguido'  n'est  pas  'ohne  von  der  Landstrasse  abzuweichen, 
die  dort  vielbegangen  war',  mais  'sans  sortir  de  la  route  royale  qui  en 
ce  lieu  s'avangait  en  ligne  droite'.  Seguido  a  le  sens  qu'on  trouve  plus 
loin  (chap.  20)  dans  Padverbe  seguidamente:  *Dilo  seguidamente',  c'est  ä 
dire:  'd'une  traite,  saus  t'6carter  du  sujet'.  Oudin  avait  d^jä  commis  la 
faute.  —  Comme  on  le  voit  par  ces  quelques  remarques,  11  ne  s'agit  que 
de  v^tilles. 

'  Un  faiuao  cnäographe  de  OervafUes,  Paris,  1905,  15  pages  in  8^  (Ex- 
trait  du  Bulletin  du  Bibliophile). 


360         Ceryantes  et  le  troisi^e  Ontenaire  dn  'Don  Qnicfaotte*. 

qu'il  personnifie  oe  qu'il  y  a  de  plus  sain  et  de  plus  fin  dao^ 
le  temp^rament  eepagnol:  le  courage  et  la  gait^  l^ironie  epiri- 
tuelle  et  le  d^int^ressement.  Aussi,  malgr^  quelques  voix  dis- 
cordantes,  quelques  r^serves  de  certaiDB  durecteurs  de  FopinioD,^ 
les  Espagnols  ont-ils  le  droit  de  croire  et  de  dire  que  leur  f^te 
fnt  beDe  et  vraiment  digne  du  h^roa,  le  plus  grand  k  tous  ^ank 
de  leurs  grands  ^rivains. 

PariSy  janvier  1906.  Alfred  Morel-Fatia 


P.  S.  Depuis  qu^ont  ^t^  Pontes  les  ligiies  qui  pr^skleDt, 
quelques  nouveaux  travaux  sont  venus  grossir  la  litt^rature  d^jä 
ooDsid^rable  du  Centenaire.  Je  citerai  notamment  une  disser- 
tation  de  D.  Julio  Puyol  y  Alonso,  qu^a  oouronn^  FAcad^e 
des  Sciences  morales  et  poutiques  de  Madrid^  et  qui  roule  sur 
F^tat  de  la  soci^t^  espagnole  tel  qu^il  apparatt  dans  le  Don  Qui- 
chotte:^ le  suiet  avait  6tA  trait^  d^jä  et  M.  Puyol  ne  Pa  pas 
reuouvel^,  mais  sod  expos^  conduit  avec  assez  de  m^thode  m^te 
une  mentioD  honorable.  Une  autre  publicatioD  beauooup  plus 
importante  est  le  Rinconete  y^  GortadiUo  de  D.  Francisco  Rocmguez 
Marin J  U^tablissement  du  texte  de  cette  nouvelle  offre  des 
difficult^s  particuli^res^  car  il  faut  tenir  compte  ici  d^une  version 
manuscrite  assez  diff^rente  du  texte  imprim^  en  1613  et  1614 
M.  Rodriguez  Marin  nous  fait  connaitre  les  deux  ikUs  du  cä^bre 
conte  picaresoue  dont  le  seul  rapprochement  est  fort  instmctif 
et  dissipe  quelques  obscurit^  des  ^itions  courantes,  mais  je  De 
pardonne  pas  k  T^rudit  ^diteur  son  amour  pour  1  orthographe 
acad^mique.  Comment  un  homme  de  goüt  comme  lui  et  si  vers^ 
dans  la  connaissance  de  Pancienne  langue  ne  sent-il  pas   que 

^  J'entends  id  parier  de  Tarticle  un  peu  chagrin  et  mausaade  de 
M.  GUSmez  de  Ba<^uero  intitul^  'El  centenario  del  Quijote.  Lo  que  ha 
sido  7  lo  que  debiö  de  8er\  dans  La  Espana  modema  du  1®' juin  1905. 
Dans  UD  autre  num^ro  de  la  möme  reyue  (l^'^  d^cembre  1905]),  D.  Miguel 
de  Unamuno,  recteur  de  TUniversitä  de  Salamanque,  qualine  le  Cente- 
naire de  'ridicule'.  Cette  boutade  ne  tire  pas  k  cons^quence,  M.  Unamuno 
se  tenant  et  se  donnant  pour  un  grand  humouriste,  Beulement  son  humour 
n'a  rien  de  commun  avec  celui  de  Cervantes.  —  Pour  finir,  j'avertis 
charitablement  que  le  livre  du  Fhre  Juan  Mir  y  Noguera,  M  eerUenario 
quijotesco  (Madrid,  1905,  245  pages  in  8®)  n'est  (ju'un  manuel  du  purisme 
et  des  r^formes  que  l'auteur  voudrait  introduire  dans  respagnol  d'aa* 
jourd'hui  en  le  remodelant  sur  6elui  qu'dcrivaient  les  auteurs  de  son  choix 
au  XVI«  et  au  XVII«  siöcle. 

>  Estado  social  que  reflga  'El  Qu/igM,  Madrid,  1905,  108  pagee  gr. 
in  8«. 

'  Rinconete  y  Oortadillot  notfela  de  Miguel  de  Oervantes  SaavedrOy  edir 
ci6n  critiea  por  Frandseo  Bodriguez  Marin,  Sevilla,  1905,  485  pages,  pet. 
in  4^. 


Cervantes  et  le  troisi^me  Centenaire  du  'Don  Quichotte'.         361 

transcrire  un  ouvrage  du  XVII®  si^de  en  Venture  de  trois  eitles 
post^rieure  donne  au  lecteur  quelque  peu  raffin^  rimpression  de 
ces  cath^rales  romanes  ou  gothiques  9ur  lesquelles  on  a  plaqu^ 
un  portaQ  i^suite  ou  un  clocher  en  fönte?  Qu'on  fasse  des  ^i- 
tions  populaires  des  auteurs  cä^bres  en  dcriture  moderne,  cela 
se  con90it  et  cela  doit  Stre,  mais,  pour  Dieu!  que  Celles  qui  ne 
s^adressent  qu'aux  ^rudits  et  aux  curieux  respectent  le  costume 
et  le  style  du  temps;  sans  compter  au^en  alt^rant  la  forme  des 
vieux  livres,  T^iteur  se  prive  du  meilleur  moyen  de  rendre  plau- 
sibles les  corrections  qu  il  juge.  ä  propos  d^introduire  dans  son 
texte.  Ceci  dit,  je  me  bäte  de  donner  au  travail  de  M.  Kodrlguez 
Marfn  tous  les  ^loges  auxquels  il  a  droit:  le  commentaire  k  la 
fois  linguistique  et  nistorique  dont  il  a  entour^  la  petite  nouvelle 
s^villane  est  d'une  richesse,  d'une  pr^ision  vraiment  admirables; 
et  ce  tr^sor  de  renseignemeuts  puis^  aux  meilleurs  sources  et 
si  agr^ablement  pr^sent^s  aux  lecteurs  justifie  ce  qu^il  dit  de  ces 
^diteurs  qui  pensent  avoir  fait  quelque  chose  en  copiant  un  texte 
et  en  le  ponctuant:  'Es  mucho  mäs  filcil  copiar  un  texto  que 
entenderlo,  depurarlo  y  fijarlo.  Hasta  Pero  GniUo  conocfa  y 
pregonaba  esta  verdad/  L  Acad^mie  Espagnole  a  eu  bien  raison 
ae  r^ompenser  ä  nouveau  son  ancien  laur^t  et  de  se  charger 
des  frais  d^impression  de  cet  excellent  ouvrage. 

Avril  1906.  A.  M..F. 


Axchir  f.  n.  Sprühen.    CXVI.  24 


Kleinere  Mitteilungen. 


Die  Bedeutung  der  Wörter  Himmel  und  HimmelreiclL 

Himmel  und  Himmelreich  als  Aufenthaltsort  der  Seligen  -- 
Himmel  als  Himmelsgewölbe  sind  die  ursprünglichen  VorsteUungeo, 
die  mit  beiden  Wörtern  verbunden  werden. 

Hinter  beiden  Namen  stecken  aber  noch  viele  andere  Bedeu- 
tungen. Das  Wort  Himmel  bezeichnet  häufig  Gegenden  von  rei- 
zender Lage  mit  entzückendem  Um-  und  Ausblick.  In  Vorarlberg 
im  Gamperdonertal  liegt  der  berühmte  Nenziger  Himmel.  Rings 
von  dunklen  Wäldern  und  saftgrünen  Mähdem  lunrahmty  nimmt 
sich  dieser  umfangreiche  Weideplatz  zu  beiden  Seiten  des  Mäog- 
baches  ganz  prächtig  aus.  Zahllose  Alpenhütten,  teils  in  Reihen  ge- 
stellt, teils  in  Gruppen,  sind  rings  auf  der  grünen  Fläche  zerstreut 
In  der  Mitte  steht  das  stille  8t  Bochuskirchlein  (Ludw.  v.  HörmaDD, 
Wanderungen  von  Vorarlberg  S.  185). 

Himmel  bedeutet  audb  ein  einzelnes  Haus,  wie  z.B.  in  meinem 
Heimatlande  nahe  der  Grenze  des  Gerichtsbezirkes  Kirchbach  an 
der  Pielach.  Pamphilus  Gengenbach  besafs  in  Basel  seit  1508  9 
seine  eigene  Offizin:  'daneben  hat  er  auch  einen  laden  im  hause 
zum  roten  kleinen  löwen  in  der  freien  straise  (Nr.  31)  neben  dem 
zunfthaus  zum  himmel'  {Zeitschr,  f.  d,  Phil.  37,  S.  48). 

Am  Himmel  ist  eine  herrliche  Anlage  mit  Park,  Schlofs  und 
einer  Meierei,  die  heute  nach  Einbeziehung  der  Vororte  zu  Wien  im 
Stadtgebiete  unweit  von  Sievering  liegt  Diesem  Himmel  eilen  Ein- 
heimische und  Fremde  gern  zu,  denn  man  geniefst  von  hier  einen 
bezaubernden  Ausblick  auf  das  Häusermeer  der  grofsen  Stadt  und 
auf  die  vielen  Hügel  und  Berge,  die  sie  umsäumen. 

Eine  andere  Landschaft,  die  'Am  Himmel'  zubenannt  ist^ 
breitet  sich  um  den  836  Meter  hohen  Himmelberg  aus  und  greift  in 
die  Lehenrotte,  Ortsgemeinde  Tümitz,  über.  Unweit  davon  steht  das 
Haus,  welches  Himmelbauer  heifst  Andere  einzelne  Häuser  fuh- 
ren die  Namen  Himinelfeld,  Himmelreich^  Himmelreichs- 
wies,  Vorder-  und  Hinterhimmelsberg  {lbpograpkiev.N,-Ösir. 
IV,  264). 

In  Elling  bei  Ingolstadt  in  Oberbayem  ist  ein  in  Felsen  aus- 
gehauener unterirdischer  Gang.  Von  anderen  vielleicht  mit 
diesem  zusammenhängenden  imterirdischen  Gängen  sind  Spuren  yo^ 
banden.     Auf   dem    betreffenden   Steuerblatte   sind   folgende  Orts- 


Kleinere  MitteÜungen.  368 

namen  angezeigt:  Höllriegel,  Himmelreich,  Osterbnmngewänder, 
Osteräcker,  Osterwiesen  (Frd.  Panzer,  Bayr.  Sag.  u,  Oeb.   I,  62). 

In  Mittelfranken  liegt  der  anderthalb  Wegstunden  lange  und 
dreiviertel  Wegstunden  breite  Haselberg.  Da  finden  sich  Orte  mit 
den  Namen:  Schlöfslesbuck,  das  Drutental,  die  Osterwiese,  der  Han- 
genstein, die  Schwarzefichte  und  das  Himmelreich.  Daran 
knüpft  sich  die  Sage:  Vom  Schlöfslesbuck  nach  dem  Heslasberg 
zieht  ein  unterirdischer  Gang.  Auf  dem  Bchlöslesbuck  wohnten  drei 
Jungfrauen,  man  nannte  sie  die  Schlölslesbuckjungferle;  sie  waren 
klein  und  gingen  nicht  weiter  als  in  das  Himmelreich  und  in  das 
Drutental.  Zwei  waren  ganz  weiis,  die  dritte  weifs  bis  zum  Gürtel, 
abwärts  schwarz  (Panzer,  a.  a.  O.  186). 

Himmelreich,  Heigraben,  Gründlein  sind  Benennungen  ein- 
zelner Plätze  eines  schönen  bei  Vestenberg,  zweieinhalb  Stunden  von 
Ansbach  gelegenen  Eichwaldes  (a.  a.  O.   11,  254). 

Sollten  die  würdigen  Augen  eines  Abstinenten  von  striktester 
Observanz  auf  diesen  Absatz  etwa  fallen,  so  ist  er  freundlich  ge- 
beten, die  paar  Zeilen  zu  überspringen,  denn  das  Graacher  Him- 
melreich würde  sein  Gemüt  betrüben  oder  ihn  gar  aufser  Rand 
und  Band  bringen;  von  diesem  Himmelreich  erzählt  nämlich  unser 
launiger  Julius  Wolf  im  Landsknecht  von  Coch&m  S.  41,  dafs  dort 
einer  wächst,  der  zur  besten  Sorte  gehört 

Himmelreich  ist  ein  häufig  vorkommender  Ortsname.  In  Ru- 
dolfs Ortslexikon  erscheint  er  zweiunddreifsigmal  (A.  Heintze,  Deut- 
sche Familiennamen  161). 

Aussee  ist  das  steirische  Himmelreich  (Kolm.  Kaiser,  Da 
franxel  in  da  Fremd  S.  10). 

Jeder  Besucher  Gmundens  kennt  die  aussichtsreiche  Himmel- 
reichswiese, die  sich  über  dem  Nordostende  des  Traunsees  auf  dem 
Wege  zum  Franzi  im  Holz  und  zum  Laudachsee  erhebt 

Welchen  Zauber  das  Himmelreich  einer  Darstellung  zu  ver- 
leihen vermag,  das  zeigen  die  'Kinder  von  Finkenrode*  von  Wilhelm 
Raabe,  S.  62,  wo  die  Frage  auftaucht:  'Kennen  Sie  auch  das  roman- 
tische Jägerhaus  unter  dem  Wartemberg,  das  Haus  im  Himmel- 
reich'? —  Hier  ist  das  Himmelreich  ein  idyllisches  Jägerhaus. 

Gasthöfe,  Herbergen  führen  mitunter  auch  poetische  Kenn- 
zeichen. Die  Bezeichnung  zum  ewigen  Leben  kommt  im  Stadt- 
gebiet von  Wien  öfters  vor;  wie  die  Tageschronik  meldet,  mufs  es 
irgendwo  auch  einen  Gasthof  zum  Himmelreich  geben :  'Ein  zwanzig- 
jähriger Student  und  eine  siebzehnjährige  Hausbesorgerstochter  ent- 
flohen miteinander.  Die  zwei  losen  Vögel  wurden  in  einem  Gast- 
hofe, der  den  wohlangebrachten  Namen  zum  Himmelreich  führte 
ertappt  und  den  Familien  übergeben'  {Neue  Freie  Presse  vom 
11.  März  1904). 

In  Köln  heifst  nach  der  Zeitschrift  f.  d.  deutsehen  Unterricht  XV, 
772  eine  ganze  Strafse  das  Himmelreich,  und  irgendwo,  bemerkt 

24* 


864  Elebere  MitteilangeQ. 

0.  Weise  {Ästh,  d.  d,  Sprache  152),  bezeichnet  Himmelreich  da^ 
Stadtviertel,  wo  die  Ärmsten  wohnen. 

So  benennt  man  auch  Wohnnngsbestandteile,  die  nach  obenn 
liegen:  'Vorwärts,  Antonio!  halt  dich  nicht  auf!'  rief  Lieoii&  Vor- 
wärts treppauf  ins  Himmelreich'  (W.  Raabe,  Die  schwarze  Gakm 
S.  42). 

Das  Antlitz  gilt  auch  als  Himmel:  'In  ein  Gewitter  oder  in  ein 
stürmendes  Meer  sehe  ich  herzhafter  als  in  das  kleine  Gesicht;  in 
einen  heitern  Himmel  von  drei  Nasenlängen'  (J.Paul,  Hesperus  23. 
Hundsposttag). 

Das  Himmelreich  ist  Kennzeichen  der  Bildung.  Abraham  a 
Sancta  Clara  scherzt  in  Auf  auf  ihr  Christen :  'Man  kann  ganz  richtig 
wissen,  was  ihr  für  Landsleut  seid,  ob  ihr  aus  dem  Himmelreich 
oder  Lümmelreich'. 

Himmel  nennt  man  in  katholischen  Ländern  den  an  vier  Stan- 
gen befestigten  Traghimmel,  d.  L  Tragbaldachin,  unter  dem  bei  der 
Auferstehungs-  und  Fronleichnamsprozession  der  Priester  das  hoch- 
würdigste Out  trägt  Auf  die  metaphorische  Bezeichnung  von  Him- 
mel in  Thronhimmel,  Betthimmel  und  Himmelbett  hat 
Dr.  A.  Waag  in  seinem  hübschen  Buche  über  die  Bedeutungsent- 
toiekelung  unseres  Wortschatzes  (Nr.  248)  aufmerksam  gemacht 

Um  eine  gewisse,  relativ  bedeutende  Höhe  zu  bezeichnen,  ver- 
wendet der  aus  dem  Jahre  1558  stanunende  Tiroler  Landreim  das 
Wort  im  Sinne  von  First»  wie  in  der  Anmerkung  ang^eben  ist  Die 
Stelle  lautet: 

Da  wirt  des  suessea  Wassers  vil 

In  die  werckh  gfüertj  wie  mans  hab'n  wiL 

Bus  es  den  Himel  thuet  anriem 

Doch  nit  den  |  daran  stet  das  Gtotim. 

(V.  241—244.) 

Von  der  Taubstumm -Blinden  Laura  Bridgman  ist  ein  Gedicht 
überliefert^  in  dem  der  Himmel  als  heiliges  Heim  gilt:  Heaven  is 
holy  home  (Prof.  Dr.  W.  Jerusalem,  Laura  Bridgman  S.  63). 

Mögen  uns  Menschen,  Gewalt-  und  Machthaber  verkennen,  ver- 
unglimpfen, kränken  und  zurücksetzen,  ein  Hinunelsausschnitt  weils 
uns  zu  versöhnen:  es  ist  der  vaterländische  Himmel. 

An  den  Wörtern  Himmel  und  Himmelreich  ist  der  Bedeutungs- 
wandel des  Wortes  gut  zu  beobachten.  Von  der  Bedeutung  des 
Himmelsgewölbes  gehen  die  Namen  über  zur  Bedeutung  der  maleri- 
schen, romantischen  Lage  einer  Gegend,  von  der  Gregend  zu  dem 
einzelnstehenden  Haus,  vom  Haus  zu  dessen  Bewohner,  wie  das  so 
manche  Familiennamen  deutlich  zeigen:  Friedrich  Heinrich 
Himmel  danken  wir  u.  a.  sinnige  Liederkompositionen  und  die 
Oper  ,Franchon',  die  seinerzeit  viel  Aufsehen  erregte.  Wilma 
Himmelreich  ruft  Mitleid  hervor,  denn  sie,  die  achtundzwanzig- 
j ährige  Meisterstocbter,   wurde,  wie  die  betrübende  Nachricht  aus 


Kleinere  Mitteilungen.  866 

Esseg  vom  9.  September  1 904  meldete,  von  dem  um  zehn  Jahre  jün- 
geren Gesellen  ihres  Vaters,  weil  der  von  einem  Liebesverhältnis  der 
beiden  wegen  ihres  Altersunterschiedes  nichts  wissen  wollte,  durch 
vier  Revolverschüsse  getötet 

Zuchthäuser,  Grefängnisse  u.  dergl.  führten  in  früheren  Tagen 
mitunter  sehr  drollige  Namen,  wie  z.  B.  Das  Schellen  werk  in  Bern,^ 
das  berüchtigte  Loch  des  Nürnberger  Rathauses,^  das  alte  Loch,' 
das  Hundeloch,^  den  Narrenkotter  und  das  Narrenhäusel,<^  das  Hain- 
burger Jungfrau  Kötterl,^  die  Harfe  der  Stadt  Meiningen,*^  die  Keuche 
der  ehemaligen  Benediktiner  Universität  in  Salzburg,^  die  Scherg- 
stube zu  Neuhaus  in  Böhmen,^  die  Bärenhaut,  besser  Bemhut^^^^  ein 
Gefängnis  für  Hurer  und  Ehebrecher,  den  schwarzen  Sack,  den 
Diebskeller  11  —  ja,  man  bekäme  bald  ein  ganzes  Büchlein  solcher 
bodenständiger  Bezeichnungen  zusammen,  wollte  man  planmäfsig 
von  Stadt  zu  Stadt  derartige  Überlieferungen  verfolgen;  doch  die 
anmutigste  darunter  dürfte  doch  der  alte  Gefängnisname  der  landes- 
fürstlichen niederösterreichischen  Stadt  Hainburg  an  der  Donau  blei- 
ben: das  Himmelreich. 

Josef  Maurer  erwähnt  in  seiner  Geschichte  dieser  Stadt  einige- 
mal diesen  sicheren  Aufenthaltsort,  wobei  aus  verwichenen  Tagen 
auf  das  Leben  und  Treiben  in  diesem  Städtchen  ein  wertvolles  Streif- 
licht fällt  S.  870:  Die  fremden  Schuhmacher  wurden  ausgewiesen, 
ihre  Rädelsführer  kamen  in  das  Himmelreich.  —  S.  877:  Der 
Müllermeister  Michael  Hintermüller  bezahlte  wegen  schlechten  Brotes 
fünf  Reichstaler  Strafe,  Michael  Fasser  aus  der  gleichen  Ursache 
drei  Gulden  und  Jos.  Georg  Zeininger  wegen  schlechtem  Mehlmals 
einen  Reichstaler.  Am  1.  August  1698  sank  ohnehin  das  Gewicht 
der  Ereuzersemmel  auf  10  Lot,  das  des  Sechskreuzerlaibes  auf 
4 1/3  Pfund,  das  des  Groschenlaibes  auf  2  y^  Pfund.  Michael  Fasser 
redete  respektwidrig  gegen  den  Rat  wegen  seiner  Strafe  und  kam 
dafür  einen  Tag  ins  Himmelreich. 

S.  428:  Die  Bürger  hielten  aufs  neue  um  Entschädigung  für 
die  durch   die  Baireuthschen  Dragoner   im  Jahre  1704   erlittenen 


*  E.  L.  Bochholz,  SekweixerBogen  (ma  dem  Aargau  I,  219. 

'  Gutzkow,  BohemckwafMou  V,  33H. 

^  Wilhelm  Raabe,  Das  Hom  von  Wanxa  S.  166. 

^  Dr.  H.  Wimmer,  Oesokiehie  der  Pfarre  St.  Agathe  xm  Hausleäen  bis 
zur  Diöxesanregtdierung  im  Jahre  1783,    Wien. 

^  Puntschert,  Denkwürdigkeiten  der  Stadt  Retx  8.  136,  141. 

^  Ratschlulfl  vom  12.  September  1710. 

^  Balthasar  Spiels,  Idiotikon  93. 

^  Beiträge  der  österreichischen  Erxiehungs-  und  Schulgeschichte,  V.  Heft, 
S.  32,  86. 

^  Führer  durch  Neuhaus  8.  36.    Bei  A.  Landfras  in  Neuhaus. 

»  Alemannia  15,  8.  192. 

"  Dr.  Georg  von  Below,  Das  ältere  deutsche  Städtewesen  und  Bürger- 
tum 8.  50. 


866  Kleinere  Mittel luDgen. 

Einquartierungslasten  an.  Dabei  ging  es  wieder  nicht  ohne  Läns 
ab.  Als  mit  dem  Handelnnanne  Johann  Engler  abgerechnet  wurde, 
war  dieser  nicht  zufrieden  und  'gofs  villfaltige  Scheltwort  höchst 
straffmälsig  aus',  so  dafs  er  ins  Himmelreich  gesperrt  werder 
mufste,  bis  er  seinen  schuldigen  Täz  bezahlt  und  nachgewiesen  hatte, 
dafs  er  1704  wirklich  24  Klafter  hartes  Holz  für  die  Soldaten  her- 
gegeben. 

S.  456:  Der  Hofmeister  des  Pfarrers  Mathias  Wolf  war  mit 
den  Fuhrleuten  des  Kardinals  von  Sachsen -Zeitz  so  grob,  dafs  er 
für  acht  Tage  ins  Himmelreich  gesperrt  wurde. 

8.  466 :  Hanns  Andreas  Schettin,  Schuhmacher  in  Berg;  lästerte 
im  Hause  seines  Vaters  in  Hainburg  Gott,  schmähte  über  die  zehn 
Gebote  Gottes,  die  Heilige  Schrift  und  den  Stadtrat  Er  wurde  am 
15.  Januar  1716  vormittags  ins  Himmelreich  gesperrt»  dann 
durfte  er  sich  eine  Stunde  im  Gerichtszimmer  wärmen,  worauf  er  von 
zwölf  bis  zwei  Uhr  wieder  eingesperrt  wurde. 

Respektwidriges  Benehmen,  Fluchen  und  Schelten^  Grobheit» 
Gotteslästerung,  Schmähung  der  Heiligen  Schrift  und  auch  dee  löb- 
lichen Stadtrates,  ausgielsen  von  Injurien  bei  der  Einquartierung 
von  Soldaten,  ausgiefsen  von  Calumnien,  erwiesener  Ungehorsam, 
wie  der  Ratschluis  der  Stadt  vom  19.  Juli  1710*  zeigt,  das  alles 
führte  in  das  Hinunelreich  von  Hainburg. 

Himmel  und  Himmelreich  zeigen  so  deutlich,  welch  mannig- 
fache Bedeutungen  die  Wörter  unserer  Sprache  anzunehmen  ver- 
mögen. Das  eine  wie  das  andere  Wort  leistet  gute  Hilfsdienst^  die- 
ses oder  jenes  zu  benennen,  wobei  meistens  die  ünterströme  dee  Be- 
wufstseins  auch  in  Flufs  geraten  und  das  menschlidie  Gemüt  in  Be- 
wegung setzen.  Der  Glückseligkeit  der  Menschen  helfen  die  beiden 
Wörter  schlicht  und  einfach  zum  Ausdruck.  Da  jeder  Mensch  in 
etwas  anderem  sein  Glück  und  seine  Glückseligkeit  findet,  so  ist  ^ 
begreiflich,  wie  viele  verschiedene  Bedeutungsnuancen  in  Himmel 
und  Himmelreich  verborgen  sind.  Aber  das  Erhabene,  das  Er- 
quickende, das  Beglückende  im  Erkennen,  Fühlen,  Wollen,  alles, 
was  dem  Menschen  als  heilig  gilt,  dann  beseligende  Zufriedenheit, 
fernab  zu  sein  vom  grofsen  Strome  der  Welt  in  einem  stillen  Winkel 
des  Glücks,  die  Zauber  der  Romantik  mit  allem,  was  angenehm  ist 
oder  wenigstens  so  vorgestellt  wird,  schimmert  bei  den  beiden  Namen 
immer  durch.  Daher  kommen  auch  bei  der  Namengebimg  Orte  in 
Betracht,  wo  die  Sage  ihre  zarten  Fäden  spinnt  Aus  den  Namen 
Kanzelried,  Himmelsbühl,  Sonnenbrunnen  und  Heiligematten, 
wie  einige  Wiesgründe  und  Zeigen  in  der  Schweiz  benannt  werden, 
schliefsen  die  dortigen  Leute  sogar  auf  einen  Tempel,  der  da  ge- 


•  Für  die  Freundlichkeit,  dafs  mir  der  Herr  Gemeindesekretär  Frani 
Hölzl  in  die  Katsprotokolle  der  Stadt  Hainburg  Einsicht  gewährte,  sei  an 
dieser  iStelie  der  ihm  gebührende  Dank  abgestattet 


Kleinere  Mitteilungen.  S67 

standen  haben  soll  (E.  L.  Bochholz,  Schweixersagen  TL,  299).  Schliels- 
lich  lehnt  sich  alles  Grofse,  das  sittlich  Hohe,  ausgiebige  mathemati- 
sche Höhe,  das  Wunderbare  und  alles,  was  in  der  Seele  des  Menschen 
Staunen  hervorruft,  mehr  oder  minder  an  diese  Himmel-  und  Himmel- 
reichbenennungen an. 

Wien.  Franz  Branky. 

Zu  *N.  Fraiin  und  P.  Collenaocio^  Aroh.  OXV  22  ff. 

Bei  Abfassung  des  obgenannten  Artikels  habe  ich  leider  eine 
Studie  von  Prof.  L.  A.  Stiefel  'Eine  Quelle  Niklas  Prauns'  über- 
sehen, die  Zs.  f.  d.  PhüoL  XXXH  478 — 484  erschienen  war.  Ich 
stelle  fest,  dafs  bereits  Prof.  Stiefel  durch  einen  genauen  Vergleich 
von  Cynthios  Libro  della  origine  delli  volgari  proyerbii  (Kap.  34 
Contrasto),  CoUenuccios  Philotimo  und  Praun  erwiesen  hat^  dafs  nicht 
Cynthio,  sondern  Collenuccio  allein  die  Quelle  Prauns  ist 

Adolf  Hauffen. 

Die  Lösung  des  ae.  Frosarätsels. 

Zu  dem  Archiv  CXV  892  gedruckten  Prosaratsel  macht  mich 
Kollege  Schick  darauf  aufmerksam,  dafs  dasselbe  bereits  gelöst  ist: 
der  treffliche  Dietrich  hat  es  am  Schlüsse  seines  bekannten  ersten 
Ratsei -Aufsatzes  in  der  Z.  /*.  d,  A.  XI  489  f.  behandelt  Dietrich 
meint,  das  Rätsel  habe  'zwei  anscheinend  verschiedene  Teile',  da  die 
'sprechenden  Gegenstände'  verschieden  seien:  der  Ausdruck  min  agen 
toif  weise  auf  einen  Mann,  während  ie  wcbs  mines  brodör  dohtor  eine 
Frau  verlange.  Eigentlich  zwei  Rätsel  lägen  also  vor,  deren  erstes 
mit  'Tag*  gelöst  werden  könne;  bei  dem  zweiten  sei  offenbar  Eva 
gemeint  Doch  fügt  Dietrich  hinzu:  'Eva  könnte  auch  im  ersten 
Teile  sprechen,  wenn  man  die  Begriffe  "Vater"  für  "meiner  Mutter 
Mann"  und  "Sohn"  für  "den  mein  eigen  Weib  gebar"  einsetzt  und 
die  Verallgemeinerung  der  Vorstellung  des  ersten  Manns  zu  Mann 
überhaupt  annehmen  will.' 

Ich  glaube  nun  mit  Schick,  dessen  Briefe  ich  im  folgenden  mehr- 
fach glückliche  Formulierungen  entnehme,  dafs  wir  nur  ein  Rätsel 
anzunehmen  haben,  und  dafs  das  Ganze  mit  'Eva'  zu  lösen  ist  Eva 
ist  sowohl  die  Tochter  Gottes  als  auch  Adams  ^  ( —  da  aus  seiner 
Rippe  geschaffen  — )  und  der  Erde.^  Adam  ist  aber  zugleich  ebenso 
Solm  Gottes  und  der  Erde;  er  ist  also  in  zwiefacher  Weise  auch 


*  In  einem  lateinischen  Rätsel  bei  Mone,  Anxeiger  für  Kunde  der  teut- 
aehen  Vorxeü  VII  49,  wird  von  Evas  nuiter  maseula  (d.  i.  Adam)  ge- 
sprochen. 

'  Man  beachte,  dafs  hierin  eine  biblische  und  eine  uralte  Volks- 
anschauung  (A.  Dietench,  MiUter  Erde,  Leipzig  U)05,  und  G.  Schütte,  Die 
Sehöpfungsaage  in  Deutschland  und  im  Norden  --  Indog.  Forsch,  XVII 
444  ff.)  zusammengeflossen  sind. 


868  Kleinere  MitteiluogeD. 

Evas  Bruder.  Weiter  ist  Eva  durch  die  Jungfrau  Maria  die  Mutter 
Christi,  d.  h.  Gottes,  geworden.* 

Danach  dürfte  das  Rätsel  der  Hauptsache  nach  klar  sein. 
Orel  du  minne  brodor  [grülse  du  meinen  Bruder,  d.  i.  Adam],  tninre 
modor  ceorl  [?],  ßone  aeende  min  ctgen  mf  [?].  Änd  ic  'uxbs  mines 
brodor  dohior  [d.  h.  Adams  Tochter].  And  ic  eom  mines  f€Bdar  modor 
geworden  [d.  h.  die  Mutter  Christi,  d.  i.  Grottes,  meines  Vaters].  And 
mine  beam  [meine  Nachkommen  bis  auf  Maria]  syndon  geworden 
mines  fceder  modor  [d.  h.  Christi  Mutter].  Der  letzte  Satz  liefse  sich 
mit  Schick  auch  f olgendermafsen  deuten :  mine  beam,  d.  h.  die  Men- 
schen überhaupt,  sind  mines  fceder  modor,  nämlich  Adams  Mutter, 
d.  h.  Erde,  Staub  geworden;  doch  möchte  ich  die  erstere,  theologische 
Deutung  mit  Rücksicht  auf  die  unten  Anm.  1  ausgehobenen  Stellen 
und  namentlich  wegen  des  präteritalen  syndon  geworden  vorziehen. 

Zwei  Punkte  machen  noch  Schwierigkeiten: 

1)  Was  heifst  minre  modor  ceorl  f  Da  der  Ausdruck  in  Appo- 
sition zu  Adam  steht,  kann  sich  modor  wohl  nur  auf  die  £rde  als 
Evas  Mutter  beziehen.  Das  Wort  ceorl  hat  im  Altenglischen,  von 
der  Grundbedeutung  *Mann'  ausgehend,  sich  in  zwei  Bedeutungß- 
Sphären  ^  gespalten :  a)  eine  geschlechtliche,  im  Verhältnis  zum  Weibe 
entweder  'männliches  Wesen''  schlechthin  oder  'Ehemann'  ^  bedeu- 
tend, und  b)  eine  rechtlich  -  ständische,  ^  ursprünglich  den  *Gemein- 
freien'  schlechthin  bezeichnend.  Als  aber,  wie  überall,  so  auch  in 
England  der  Stand  der  Gemeinfreien  sich  nach  der  Art  und  Weise 
des  Besitzes^  spaltete,  wurde  ceorl  auf  die  niedrigste  Stufe  derselben 
beschränkt,  zu  welcher  die  kleineren  Grundeigentümer,  namentlich 


'  Blickling  Homilies  89  i^  sagt  Eva  zu  Christus:  ßu  wasty  ߀Bi  ßu  of 
minre  dekUr,  DrihUn,  onwoce,  und  'Christ  &  Satan'  437  heilst  es:  pu  fram 
minre  dohltor,  Drihten,  onwoee;  auch  Mones  Anzeiger  1838  Sp.  286  leh ... 
ward  in  meinem  weeen  an  aelayd,  das  mein  sun  mein  vater  foardt, 

'  Die  Bedeutungsscheidungen  bei  Bosworth-ToUer  sind  hier,  wie  so 
oft,  völlig  unbrauchbar.  Freilich  ist  die  Bedeutunffslehre  überhaupt  der 
schwächste  Teil  unserer  altengUschen  Philologie.  In  einer  von  mir  ge- 
planten Serie  von  'Beiträgen  zur  englisdien  Wortlehre'  hoffe  ich  gerade 
diesem  Punkte  erhöhte  Aufmerksamkeit  zu  schenken. 

'  Beweisende  Belege  im  Alteuglischen  sind  selten:  mas  ceorl  Wr.-W. 
449  9;  dazu  ae.  ceorl-strang  Wr.-W.  108 17,  in  mittelengliedier  Zeit  jedoch 
taucht  diese  Bedeutung  mehrfach  wieder  auf. 

*  Corp.  Gl.  2175  uxorius  ceorl  \  Napier  I  5160  maritum  ceorl  \  Denkspr. 
Ezeter  9/  biä  his  cSol  eumen  and  kyre  eeorl  to  hämy  ägen  ^tgeofa;  Joh. 
IV  18  (ed.  Bright,  Boston  1904)  pu  n^fdest  flf  ceorlas,  and  se-de  äu  nu 
hiffstf  nis  din  ceorl;  Joh.  IV  Iti  elypa  ßinne  ceorl;  Cura  Past.  405  "  gif 
hwelc  wif  forUH  hiere  ceorl ;  99  12  HabSe  . . .  alc  wif  hiere  eiorl.  [Dazu 
Liebermann  II  88.]  Vgl.  auch  ae.  eeorlian  ^einen  Mann  nehmen,  heiratoi' 
und  eeorUes  'ffattenlos'. 

'  Belege  oei  Bosworth-ToUer,  Schmidt  und  demnächst  vor  allem  bei 
Liebermann  [soeben  erschienen]. 

^  Amira  in  Pauls  Qrtmdrifs  III 2  184. 


Eleiiiere  Mitteilungen.  869 

die  Hintersassen  eines  Landherm,  ^  sagen  wir  also  etwa  die  'Bauern',  ^ 
gehörten. 

Welche  der  beiden  Grundbedeutungen  ^  paTst  nun  an  unserer 
Rätselstelle?  Kaum  die  erstere;  denn  ich  wüfste  nicht,  wie  Adam 
der  Ehemann  von  Evas  Mutter  genannt  werden  kann.  Und  minre 
modor  ceorl  mit  Dietrich  als  Kenningar  für  'Vater*  anzunehmen,  will 
mir  hier  wenig  passend  dünken.  Es  bliebe  also  nur  die  zweite  Be- 
deutung übrig.  Aber  mit  dem  rein  ständischen  Begriffe  'Gemein- 
freier' oder  'Bauer*  werden  wir  hier  immer  noch  nicht  auskommen 
können:  nur  wenn  sich  die  ständische  Bedeutung  auch  zu  einer  Be- 
rufsbezeichnung 'Bauer*  =  'Landbebauer,  Landmann,  Ackersmann' 
weiterentwickelt  hat,  wüfste  ich  an  unserer  Stelle  mit  ceorl  etwas  an- 
zufangen. Und  tatsächlich  ist  auch  diese  Sinn-Nuance  nachzuweisen. 
Ich  finde  sie  nämlich  einmal  in  den  Metren  des  Boethius  XII  27 
(wo,  ebenso  wie  in  unserem  Rätsel,  ein  Genitiv  mit  ceorl  verbunden 
ist):  sujorswa  hndes  ceorl  of  his  cecere  lycd  yfel  weod  'ebenso  wie  ein 
Landmann  [so  richtig  Krämer,  Bonner  Beiir.  VUI  108]  schlimmes 
Unkraut  auszieht',  und  anderseits  in  dem  Kompositum  cecer-ceorl 
'agricola',  das  uns  zwar  nur  durch  Somner  überliefert»  aber  kaum 
von  diesem  erfunden  ist  Ich  übersetze  also  mit  Schick  minre  modor 
ceorl  'den  Bebauer  meiner  Mutter,  d.  i.  der  Erde'. 

2)  Schwieriger  ist  die  Deutung  des  nun  folgenden  ßone  acende 
min  agen  wif.  Im  allgemeinen  ist  wieder  klar,  dafs  gemeint  sein 
mufs:  Adams  Mutter,  d.  i.  die  Erde.  Aber  wie  kann  die  Erde  Evas 
(igen  loif  genannt  werden?  Für  sich  betrachtet  könnte  der  Ausdruck 
mm  agen  wif  wohl  dreierlei  bedeuten: 

a)  'mein  eigen  Weib',  d.  i.  'meine  Ehefrau'  —  sei  es,  dafs  man 
ägen  als  ein  das  Possessiv  verstärkendes  Adjektiv^  nimmt,  wie  in 
min  agen  beam  usw.,  oder  dafs  man  ägen-wif  als  Kompositum  fafst, 
wie  an.  eiginkona,  eiginkvän,  eiginhüsfrü  'Ehefrau',  eigenböndi  'Ehe- 
mann'. 


*  Amira  a.  a.  O.  III 2  138. 

^  Mit  dieeem  Heruntersinken  als  Standesbegriff  erhielt  das  Wort  auch 
einen  pejorativen  Nebensinn,  der  sich  namentlich  in  Ableitungen  wie 
ceorlise  ^bäuerlich  >  bäuerisch'  (z.  B.  eeorlisc  fole  'vulgus  uel  plebs'  Wr.- W. 
17U37)  und  ceorlfolc  'vulgus'  (iElfrics  Gramm.  300  i»)  fühlbar  macht  und 
im  Neuenglischen  ausschlaggebend  geworden  ist.  Die  Bedeutung  'Unfreier', 
die  Grein  im  Sprachseh,  und  Kluge  im  D,  etym.  Wtb.  unter  Kerl  schon 
fürs  Altenglische  annehmen,  erhidt  das  Wort  aber  erst,  als  durch  die  nor- 
mannische Eroberung  der  sächsische  Bauer  ziun  luifreien  Knecht  herab- 
gedrückt war. 

^  Mindestens  folgende  fünf  Bedeutungen  wären  also  für  ae.  ceorl  an- 
zusetzen: 1}  'Mann,  männliches  Wesen',  "2)  'Ehemann',  8)  'Gemeinfreier', 
4)  'freier  Bauer',  5)  'Landmann'. 

*  Weitere  Beispiele  (ebenfalls  stark  flektiert)  siehe  bei  Bosworth-Toller 
unter  agen  sowie  bei  L.  Kellner,  Eist,  OuÜines  of  English  Syntax,  London 
1892,  §  310. 


870  Kleinere  IffitteQimgen. 

b)  Zweitens  könnte  man  ein  Kompoeitum  aqmwif  annehmen, 
das  mit  dem  in  den  Gesetzen  belegten  ae.  ägenfrea  'Eigentümer*  <  zu- 
sammenzuhalten wäre  und  dann  die  Bedeutung  'Eigentümerin*  haben 
müfste.  Aber  mit  dieser  Bedeutung,  selbst  in  dem  verallgemeinern- 
den ^  Sinne  von  'Herrin',  wülste  ich  in  unserem  Zusammenbange 
wenig  anzufangen,  da  die  Erde  doch  wohl  kaum  Evas  Besitzerin 
oder  Herrin  genannt  werden  kann. 

o)  Eine  letzte  Möglichkeit  wäre  endlich,  min  ägen  unf  oder,  ab 
Kompositum  aufgefafst»  min  ägenwif,  als  'höriges,  leibeigenes  Weib, 
Sklavin'  zu  deuten  und  unsere  Stelle  mit  Schick  zu  übersetzen  'meine 
Dienerin',  d.  \l  'die  mir  untertane  Erde'.  Mein  Hauptbedenken  hier- 
gegen ist  nur,  dafs  wir  nicht  die  geringste  Spur  habeü,  dals  das 
Adj.  agen  auf  englischem  Boden  je  die  Bedeutung  'leibeigen'  ent- 
wickelt  hat^  welche  ja  für  as.  egan  (nur  Genesis  169:  ihm  egan  skalkl 
mndd.  egen,  mndl.  eighen,  afrs.  ein  und  ahd.  eigan  (Otfried)  freilich 
gesichert  ist  und  auch  in  den  Kompositis  an.  eignarmailtr  (nur  Karla- 
magnussaga:  eignarmenn  konungs\  mndL  eighmman,  mhd.  eigenman 
'Knecht^  Dienstmann'  und  mhd.  eigemotp,  eigendiu  'Hörige'  zutage 
tritt  Sachlich  würde  diese  Bedeutung  aber  sehr  wohl  passen;  denn 
von  der  Erde  als  'Dienerin  Evas'  könnte  man  insofern  sprechen,  ah 
Jehovah  Grenesis  I  28  dem  ersten  Menschenpaare  die  Weisung  gab: 
repleie  terram  ei  eubjiciUe  eam,  ^ 

Nach  allem  möchte  ich  mich  für  diese  letzte  Erklärung  ent- 
scheiden und  den  ersten  Satz  also  folgendermafsen  übersetzen :  'Grüise 
du,  0  Wanderer,  meinen  Bruder,  meiner  Mutter  Bebauer,  den  meine 
Dienerin  gebar*. 


*  Belege:  s.  B.  II  Onut  24,  1  und  Ine  58,  wo  drei  Ebs.  ag&ndfno 
mit  d  lesen.  Man  möchte  deswegen  versucht  sein,  die  Form  oqm^r^a  auf 
das  auch  sonst  sicher  belegte  und  gleichbedeutende  agendfrta  'Eigentümer', 
eine  Ziisammensetzung  von  ae.  ägend  'Eigentums'  Hh  /^^  'Herr'  zurück- 
zuführen und  lautlich  also  Verstummen  des  mittelsten  von  drei  Konso- 
nanten (Bfllbrin^  |;>  58H)  anzunehmen.  Anderseits  könnte  man  aber  auch 
an  Parallelen  wie  mhd.  eigtnherr  'Eigentömer'  (Lexer),  bayer.  aigenhary 
aigmfräu  'Be8itzer(in)'  (Schmeller  I^^  48|  erinnern  und  von  einem  jetzt 
bei  Liebermann  II  9  c  belegten  Subetantivum  ägen  'Eigentum'  ausgehen, 
das  einem  gt.  aiginy  an.  eiqn^  afrs.  ein,  as.  ^an^  mndd.  ^gtn^  ahd.  eigon 
entspricht  Wesen  des  Nebeneinander  von  agmfreii  und  aamdfrea  würde 
im  letzteren  Falle  auf  an.  eigumcidr  (zu  an.  eiga  'Eigentum')  neben  eigan- 
diamaär  zu  verweisen  sein. 

'  Vgl.  ae.  ögend  'Eigentümer',  im  weiteren  Sinne  auch  'Herr';  so  z.  B. 
von  Gott  gebraucht  Elzod.  295  und  Beow.  3075. 

'  Ähnlich  die  Anschauungen  der  Kirchenlehrer,  z.  B.  Hilarius  (Migne 
IX  420):  üi  ereatis  aut  uterSur  atU  dominaretur  homo  est  dectus)  Hugo 
de  8.  Victor  (Migne  CLXXV  87):  Dominari  delmü  homo  omm&t»,  sed  per 
peeeatum  amisii  dominium;  Petrus  Abaelardus  (Migne  GLXXVIII  4<0: 
Non  kominem  homini  praeponit  Deusy  sed  insensihiHbua  tanium  vel  trratvh 
nalibus  creaiurisy  tä  eas  ecüieet  m  poiesUäem  aeeipitU;  Emaldus  (Migne 
CLXXXIX  \h^4):  Dominatio  omnium,  quae  tr>  terra  est  et  guae  in  aquis 
euntf  homini  data  est. 


Kleinere  Mittdlimgen.  371 

Nach  dieser  Losung  kann  natürlich  von  Volkstümlichkeit  auch 
bei  diesem  Rätsel  nicht  mehr  die  Bede  sein. 

Der  Vollständigkeit  wegen  sei  noch  erwähnt,  dafs  das  ae.  Prosa- 
rätsel sowohl  von  H.  F.  MaTsmann  in  Mones  Anzeiger  für  Kunde 
des  teutschen  Mittelalters  (1838)  Sp.  238  als  auch  von  Orein  im 
Appendix  zur  Bibliotfiek  der  ags.  Poesie  (1858)  Bd.  U  8.  410  aus 
Wanley  abgedruckt  worden  ist 

Würzburg.  Max  Förster. 

Die  Aussprache  des  ne.  aw* 

Einen  neuen  Beleg  für  die  Gleichsetzung  des  ne.  au,  aw  mit 
kontinentalem  ä,  worüber  in  der  letzten  Zeit  öfters  gehandelt  ist,  ^ 
finde  ich  in  Alex.  Popes  (f  1744)  Gedichtchen  *Phryne*  (Olohe  Edition 
p.  183  unten),  wo  es  V.  7  ff.  von  der  englischen  Dirne  heifst: 

Her  leamin^and  good  breedins  such, 
Whether  thutallan  or  the  Dutdi, 
Spaniards  or  French  came  to  her: 
10    To  all  obligiDg  she'd  appear: 

Twas  Si  StpnioTj  'twas  Yaw  Mynheer, 
Twas  i^tl  raus  piaist,  Monsieur, 

Yaw  in  V.  11  soll  offenbar  das  holländ.  ja  wiedergeben ;  interessant 
ist  auch  der  Reim  Mynheer  :  appear,  woraus  für  das  letztere  Wort 
die  ältere  Aussprache  c^)er  folgt 

Kiel.  F.  Holthausen. 

Etymologien. 

1.    Ne.  reak,  reek  —  aisl.  rek. 

Ne.  reak,  reek,  schott  reüi  'Streich,  Possen',  nach  dem  N.  E.  D. 
1575  zuerst  belegt  jetzt  veraltet  und  meist  im  Plural  gebraucht 
scheint  mir  das  aisl.  rek  n.  {<*vrek)  'Unternehmung,  Bestrebung*  — 
auch  in  af-^ek  'ausgezeichnete  Tat*,  far-rek  *Verdrufs,  Verlegenheit', 
tor-rek  'Verlust'  —  zu  sein.  Das  Subst  gehört  zum  Verbum  fv)reka 
=  got  uorikan,  ae.  ujrecan  'treiben'  und  bedeutet  also  eigentlich  'Be- 
trieb'. Bemerkenswert  ist  noch  die  Bedeutung  'aufziehen,  hänseln',  die 
aisl.  reka  u.  a.  aufweist  weil  sie  so  gut  zu  der  des  engl.  Subst  pafst 
Da  anlautendes  v  vor  r  geschwunden  ist,  müTste  das  engl.  Wort  aus 
dem  Westnord,  entlehnt  sein,  vgl.  BjÖrkman,  Zur  dialekt,  Provenienz 
der  nord.  Lehnwörter  im  Englischen  {Spräkvetenskapl.  sällsk.  ßrhandl. 
1898—1901)  S.  22  f.  Die  Länge  des  Vokals  stammt  natürlich  aus 
den  Gas.  obl. 

2.    Ne.  to  jaunt,  jaunee  —  gr.  xäfinr ok 

Ne.  to  jaunt  hat  nach  dem  Oxf.  Dict,  folgende  Bedeutungen: 
"1)  To  make  (ahorse)  prance  up  and  down;  to  exercise  or  tire  a  horse 
by  riding  him  up  and  down.  Obs.    2)  To  prance.   Obs.  rare.    8)  To 


^  Zuletzt  von  W.  Hörn,  ünterss.  xmt  ne.  Lautgeseh.  (Q.  F.  98)  S.  21  If. 


372  Kleinere  Mitteilnngen. 

carry  up  and  down  on  a  prancing  horse;  to  'cart  abouf  in  a  vehide. 
Obs.  rare.  4)  Of  a  person:  To  trot  or  trudge  about  (with  the  Dotion 
of  ezertion  or  fatigue);  to  run  to  and  fro.  Obs.  or  areh,  5)  To  make 
a  Bhort  journey,  trip,  or  ezcursion;  to  take  a  jaunt»  now,  esp^  for 
pleasure."  Im  lebendigen  Grebrauch  sind  also  nur  noch  die  beiden 
letzten  Bedeutungen.  —  Dazu  gehört  das  Subst  jauni:  "1)  A  fati- 
guing  or  troublesome  joumej.  2)  An  ezcursion,  a  trip,  or  joamey, 
eap.  one  taken  for  pleasure."  Das  Verbum  weist  auf  ein  afrz.  *janier 
hin,  meines  Wissens  bisher  unbelegt^  aber  leicht  aus  gr.  xäfinritr 
'beugen,  biegen,  krümmen,  einlenken,  umlenken,  wenden,  umkehren* 
abzuleiten.  Das  Lautliche  macht  keine  Schwierigkeiten,  da  gr.  x  im 
lat  Anlaut  gern  als  g  erscheint  (Schwan-Behrens  §  27, 1)  und  -mpt- 
>  -n(-  wird,  vgL  coräer  <  eompfujtare. 

Ein  aus  vulgarlat  *garUäre  weitergebildetes  *gantiäre  steckt  non 
offenbar  in  dem  selteneren  jaunee  to  make  (a  horse)  prance  up  and 
down';  'to  prance  as  a  horse',  das  bei  Palsgrave  und  Cotgrave  als 
frz.  jancer  'ein  Pferd  kraftig  im  Stalle  bewegen'  bezeugt  ist^  woneben 
Palsgrave  ein  auf  pikard.  norm.  *gancer  ^  zurückweisendes  engl  Yer- 
bum  gaunce  (in  der  Bedeutung  von  jaunee)  anführt^  vgl  das  Oxf. 
Biet.  s.  V. 

8.    Ne.  rein,  frz.  rtne. 

Afrz.  resne,  aglnorm.  redne,  nfrz.  r^ne  'Zügel'  kann  nicht  auf 
lat  reiina  beruhen  (wie  ital.  redvna,  span.  rienda,  port  redea),  sondern 
setzt  ein  vulgarlat  *restina  voraus,  vgL  pastinaea  >  afrz.  pasnaüf 
cBstimare  >  afrz.  esmer.  Dies  mag  auf  verschied)Bne  Weise  entstanden 
sein,  da  man  sowohl  an  Einflufs  von  restis  'Seil,  Strick'  wie  von 
*adrestcire  >  afrz.  arester  'festhalten'  oder  von  *restinere  'zurückhalten' 
(nach  aba-'Ünere)  denken  konnte.  —  Die  afrz.  Nebenformen  regne, 
raigne,  rainne,  prov.  kat  regna,  auf  denen  ne.  rein  beruht^  lassen 
sich  nur  durch  Umbildung  nach  regnum,  regnare  erklaren.  > 

KieL  F.  Holthausen« 


*  [Pic  norm,  würde  die  Form  *ganMer  lauten.] 

'  [Für  das  allerdings  rätselhafte  *  reiina  ein  *re8Una  anzusetzen,  ist 
wegen  afrz.  reene,  anglon.  redne  (d.  h.  reSne)  doch  nicht  nötig:  <,  9  sind 
die  schwankenden  Bezeichnungen  des  postdent.  tönenden  B;eiMauteB,  der 
in  reSena  zur  Zeit  der  Synkope  erklang,  und  der  dem  völligen  Schwand  des 
Lautes  vorangeht  d  und  s  alternieren  dabei,  cf.  adne^  ehaidne.  In  engl 
meddle  ist  der  französische  Laut  (medler)  als  d  festgehalten  worden ;  in  engl. 
male  ist  er  geschwunden  (afrz.  maelej  modle).  —  Regne  ist  keine  Umbil- 
dung durch  regnare,  das  bekanntlich  im  Afrz.  trotz  gn  kein  mouilliertes  f» 
aufweist,  und  dessen  Lautgeschichte  selbst  unaufedElart  ist.  Es  könnte 
sich  nur  um  Angleichung  der  Schreibung  handeln.  Visine  vermutete 
vielmehr  Einflufs  von  *retinare  auf  regnare  schon  Z.  f.  rom.  Fyiü.  VI,  37y, 
und  der  ist  im  höchsten  Mafse  wahrscheinlich,  oder  besser:  afrz.  retter, 
reni  gehören  zu  rene  <  *  retina,  und  regnare  tritt  nur  nachträglich  als 
Lehnwort  in  die  Entwickelung  ein.  —  Die  Oraphie  gn  in  Konkurrenz  mit 
en,  dn  ist  keineswegs  regne  eigentümlich,  cf.  wnel  etc.,  und  stellt  ein  all- 
gemeineres Lautproolem  dar  (d.  Bomama  XV,  618  1).    H.  M.] 


Kleinere  Mittttlungen.  373 

Beiträge  zur  Qaellenkunde  der  me.  geistlichen  Lyrik. 

I. 

In  Bd.  ClXy  S.  69  des  Archivs  hat  B.  Fehr  aus  der  Hs.  Sloane 
2593  unter  Nr.  LXXT  ein  in  kurzen  vierzeiligen  Strophen  geschrie- 
benes religiöses  Lied  mit  dem  Anfang:  Enmy^  Herowde,  pu  wekkyd 
kyng  veröffentlicht,  das  sich  schon  durch  den  beigesetzten,  allerdings 
gra&lich  entstellten,  lateinischen  Urtext  als  eine  Obersetzung  zu  er- 
kennen gibt  Der  Quelle,  damit  auch  der  Erklärung  und  Verbesse- 
rung der  geradezu  grotesken  lat  Beilage^  ist  F.  nicht  weiter  nach- 
gegangen, obwohl  sie  mit  Hilfe  der  vorzüglichen  Register  in  Dreves' 
Ändkcta  hymnica  nicht  eben  schwer  zu  finden  war.  Es  ist  der  sehr 
bekannte  und  beliebte  Hymnus  II  des  Dichters  Caelius  Sedulius, 
und  zwar  entsprechen  die  Verse  1  — 16,  d.h.  die  vier  ersten  Strophen 
der  me.  Übersetzung,  den  Versen  29 — 36,  41 — 44  und  49->ö2  der 
lat  Dichtung,  die  ebenfalls  in  Vierzeilen  verfaist  ist,  und  worin  jede 
Strophe  der  Reihe  nach  mit  einem  Buchstaben  des  Alphabetes  be- 
ginnt Wie  aus  dem  hier  unten  beigefügten  Abdruck  zu  ersehen  ist, 
wiurden  nur  die  mit  H,  I,  L  und  N  beginnenden  Strophen  wieder- 
gegeben —  vorausgesetzt,  daTs  wir  es  mit  einer  vollständigen  Kopie 
zu  tun  haben. 

Das  Original  lautet  nach  der  Ausgabe  von  Huemer  {Oarp.  script 

eccles,  kUin.  X)  p.  163: 

Hostis  Herodes  imj^ie, 
so    Christum  venire  quid  times? 
Non  eripit  mortafia 
Qui  regna  dat  caelestia. 

Ibant  magi  qua  venorant, 
Stellam  sequentes  praeviam; 
3ß    Lumen  requirunt  lumine, 
Daum  fatentur  munere. 

41    Lavacra  puri  gurgitis 
Caelestis  a^us  attigit 
Peccata  qm  mundi  tulit 
Nos  abluendo  sustulit 

* 
Noviim  genus  potentiae: 
60    A^uae  rubescunt  hydriae, 
Vmumque  iussa  fundere 
Mutavit  unda  originem. 

Die  letzte  Strophe  {Oloria  tibi,  domine  etc.)  ist  offenbar  eine  spätere 
Zutat;  Huemer  gibt  sie  in  den  Fufsnoten  S.  168  in  etwas  anderer 
Fassung  nach  mehreren  Handschriften,  deren  Mitteilung  nicht  lohnt, 
weil  die  engL  Übersetzung  auf  dem  beigedruckten  lat  Texte  beruht 
Statt  (sj  com  ist  natürlich  bei  Fehr  saneto  zu  lesen! 

EieL  F.  Holthausen. 


So  hat  offenbar  die  Hs.  an  Stelle  von  Eumy, 


374  Kleinere  liGtteiliiDgeii. 

Ein  englisches  Kinderlied. 

In  OsterreichiscIi-SchleBien  entscheiden  die  Kinder  beim  Blinde- 
kuhspiel und  'Haschen',  wer  zuerst  die  unangenehme  Bolle  des  Blin- 
den, bezw.  des  'Häschers'  zu  übernehmen  habe,  indem  das  älteste 
Kind  folgende  Worte  spricht  und  bei  jedem  Wort  eines  der  im  Kreise 
aufgestellten  Mitspielenden  berührt;  das  beim  letzten  Wort  berührte 

Kind  ist  das  Opfer.      Enze,  Denze,  Diche,  Dache, 

Bohne,  Enache, 
Im,  Schim, 
Pär,  Lein,  Paff.      Du  gehst  raus! 

In  England  wird,  wie  ich  aus  Mrs.  Hope  Merricks  Einakter  Jimmy's 
Mother  sehe,  das  gleiche  Verfahren  beobachtet  —  mit  etwas  anderen 

Worten:  Ena  Dena  Dma  Dust 

Bettle  o'  Wena  Wina  Wust 

Each,  Peach,  Pear,  Plum, 

Black  Ink,  Old  Tom.      Out  goes  one. 

Czemowitz.  L.  Kellner. 

Das  Iiiederbuoh  MS.  Bawlinson  Poet.  185.^ 

In  a  note  to  the  second  song  of  the  Bawlinson  MS.  songbook 
Herr  Bolle  says :  ^ber  diese  Melodie  (i.  e.  The  Tune  of  Legonmto) 
ist  weiter  nichts  bekannt',  and  immediately  before:  'der  Tune  of  Lego- 
ranto  ist  natürlich  mit  dem  Lacoranto  (Nr.  XV)  identisch.'  [Archiv 
CXIV,  856.]  I  belieye  I  can  prove  to  satisfaction  that  the  tune  is 
a  wellknown  one. 

One  of  the  favourite  dances  of  the  17^  and  18^  centuries  was 
the  courante  {corani,  eurrant,  corrarU,  eouratmt)  or  coranio  {couranio, 
choranio,  corranto,  caranto,  caronto,  carranto,  carranla,  curranto),  The 
name  was  used  both  for  the  step  and  for  the  music  to  which  it  was 
danced,  a  tune  in  triple  time.  There  were  some  varieties  of  the  cou- 
rante,  such  as  couranie  diminuSe,  courante  madame,  courante  roy€de, 
(v.  Fl.  V.  Duyse,  Het  tenstemmig  Fransch  en  Nederlandsch  Lied  823, 
293,  292.)  For  the  music  and  further  particulars  I  refer  the  reader 
to  ChappelPs  Old  English  Populär  Music,  Grove's  Dictionary  of 
Music,  Land's  Luitboek  van  Thysius,  i.  v.  courante.  Also  to  the  New 
English  Dictionary  for  numerous  examples  of  the  different  forms  of 
the  Word.  —  Another  populär  dance  was  the  volia  which  had  been 
inti'oduced  from  Italy.  Instead  of  calling  it  'the  volta',  it  was  invari- 
ably  named  'the  layolta',  the  Italian  article  la  having  been  mistaken 
for  a  part  of  the  word.  The  name  took  vanous  forms  in  the  mouths 
of  the  people:  lavalto,  la/voUo,  lavolt,  lovaUo,  levcUto,  levolio.  {Y.N.E.D. 
i.  V.  lavoUa.)  The  form  letxdto  occurs  in  the  Badmrgh  Baüads  (Hind- 
ley)  II,  170,  where  A  Pleasant  BaUad  of  King  Henry  the  Second  is 
set  to  the  tune  of  The  French  Levalto.  In  The  Knigkt  of  the  Buming 

«  Archiv  CXIV,  326—357, 


Kleinere  Mitteünngen.  875 

I^esiU  in,  5,  Merrythought  ssys:  'Plaj  me  a  light  kwoUa'.  The  name 
of  the  dance  was  even  made  into  a  verb:  to  lavolia,  levali,  lavoU. 

Perhaps  Labcmdala  ahoi  given  as  the  tune  of  a  song  in  Robin- 
Bon's  Ä  HandftU  of  Pleasant  Delights,  p.  57,  is  another  case  in  point, 
but  there  can  be  no  doubt  that  in  De  Nieuwe  LaborS  given  as  tune 
to  Starter's  song  beginning  Stü,  stU  een  reys  (p.  42  of  Van  Vloten's 
edition),  labert  is  corrupted  out  of  la  borä  {baurS,  hourrie,  Yalerius 
147  La  Boree\  a  well-known  dance,  called  in  England  horee,  hory; 
V.  N.E.D.  i.  y.  horee,  and  Land,  Luüboek  van  Thysvus  p.  880,  896; 
OudrHoüand  I,  109. 

There  can  be  little  doubt  that  lacoranto,  legorarUo  is  a  corruption 
of  la  eourante  influenced  by  the  form  coranio,  and  is  on  a  par  with 
lavolta  and  labcri.    Cp.  lavolta  and  lavolto. 

It  is  a  pity  that  Dr.  Bolle  does  not  teil  us  whether  the  text  in 
the  Archiv  is  a  verbatim  reprint:  we  do  not  know  whether  such  a 
form  as  Iron  foseU  for  Iron  to  seü  (I,  41),  sUnking  nettle  for  stinging 
neiile  (XIV,  70),  storkinge  for  stochinge  (XV,  10),  waad&n  for  wooden 
(?  XV,  58),  sheeps  for  sheepe  (ib.  49),  lones  for  Uyues  (ib.  104),  dmks  for 
climhe  (ib.  122),  hanen  (ib.  57),  carres  for  iarres  (XVII,  2)  are  printer's 
errors,  errors  of  the  writer  of  the  songbook,  or  errors  of  the  transcriber. 
Is  höre  (I,  22)  in  the  MS.?  As  some  of  these  poems  contain  very 
interesting  words  it  is  important  to  know  how  far  Üie  text  is  reliable. 

Medley  seems  also  to  have  been  applied  to  a  danoe  consisting 
of  Steps  f^om  various  dances;  N^  447  of  Het  ItUtboek  van  Thysius 
(Veertiende  Afdeeling:  Danswyzen)  is  Le  Medly.  There  are  good 
examples  of  this  sort  of  song  in  Meirry  Drollery,  pp.  182  and  888, 
each  consisting  of  a  number  of  stanzas  written  to  various  tunes,  not 
merely  of  'opening  lines^  *refrains',  'proverbs'  etc.  (Archiv  357.) 

For  Lord  Wüloughhy's  March  (N»  XVI  The  Garman's  Whistle) 
I  refer  to  Lord  Willoughby^s  Welcome  home,  and  for  0  neighbour  Ro- 
bert to  Soet  Robb&rtgen  in  Het  Luitboek  van  Thysius  p.  87;  to  Prins 
Bobberts  Mars,  a  tune  in  Gysbert  Japicx,  RymUvrye,  p.  18,  and  es- 
pecially  to  Fl.  v.  Duyse,  Het  Oude  Nederlandsche  Lied,  pp.  1149 — 54. 

Groningen.  A.  K  H.  Swaen. 

Nachträge  zu  dem  Aufsatz  ^Quellen  und  Komposition 
von  Eustaohe  le  Moine',  diesen  Boman  und  hauptsächlioh  den 

*Trubert'  betreffend. 

(Vgl.  Archiv  CXIH,  S.  66—100.) 

1.  Eustache  le  Moine. 
Zum  Eustache  haben  wir  nur  eine  kurze  Bemerkung  nachzu- 
tragen :  Der  verschlagene  Held  versteckt  sich  einmal  auf  einem  Baume 
und  pfeift^  als  ob  er  eine  Nachtigall  wäre:  ,Ochi,  ochi/*  Der  Graf  aber 
antwortet:  *Je  l'ocirai  par  saint  Eichier!*  (V.  1148).  —  Dais  Eustache 
als  Vogel  dem  Grafen  entgeht^  ist  wohl  ein  Märchenmotiv.  In  Grimm  s 
Märchen  findet  auf  der  Flucht  Verwandlung   in  eine  Ente  slaU 


S76  Kleinere  Mitteilungen. 

(Nr.  51,  56),  der  Zauberlehrling  (Nr.  68)  verwandelt  sich,  wenn  er 
entkommen  will,  in  einen  Vogel. 

Das  Motiv:  Ein  Tor  hält  Tierstimmen  oder  Naturlaate  für 
Worte,  ist  stehend  und  versagt  wohl  auch  nie  seine  burleske  Wir> 
kung.  Die  Katze  macht:  'Miau,  Miau',  der  Edelknabe  versteht:  'Durch- 
aus,  durchaus  nicht'  (Grimms  Märchen  Nr.  70).  Der  ins  Wasser 
Fallende  macht  'Plump',  die  anderen  verstehen  'Kommt!'  und  fal- 
len auch  hinein  (Nr.  61).  Weitere  Auslegung  von  Tierstimmen  fin- 
den wir  in  den  Märchen  21,  24,  27,  47,  105,  171  u.  a.  m. 

Ein  weiteres  Motiv  der  Robin  Hood-Baüaden  und  des  Eustaeke, 
die  Heiligkeit  der  Mahlesgemeinschaft^  vor  der  sogar  der  OutJaw  sich 
beugt^  findet  eine  hübsche  Parallele  in  der  orientalischen. Literatar, 
die  ich,  obgleich  nur  Verwandschaft  der  Anschauungen  vorliegt,  den- 
noch dem  Leser  nicht  vorenthalten  möchte. 

In  der  Bibliographie  arabe  Chauvins  ist  eine  Erzählung  ana- 
lysiert» die  sich  in  1001  Nacht  beHndet  und  die  von  einem  Diebe 
folgendes  erzählt  (Bd.  VI,  S.  195): 

'ün  mancßuvre,  poussi  par  la  misire,  se  Joint  d  des  voleurs  ei 
pSnetre  avee  eux  dans  le  irSsor  du  rot.  Ayant  tottchS  de  la  langtie  un 
moreeau  de  sei  qu^il  voit  briUer  eomme  un  joyau,  il  se  considere  comfne 
rhote  du  sfdtan  et  obtieni  de  ses  complices  qu'ils  laisseni  iout  IcL' 

Ahnlich  erzählt  Lafcadio  Hearn  in  jSro^o(1905)  aus  Japan: 
'£^  gibt  eine  Geschichte,  die  von  dem  berühmten  Räuber  Ishikawa 
Goemon  erzählt»  dieser  sei  bei  dem  nächtlichen  Einbruch  in  einem 
Hause  vor  dem  Lächeln  eines  Kindes,  das  ihm  sein  Händchen  ent- 
gegenstreckte, so  bezaubert  gewesen,  daCs  er  sein  verbrecherisches 
Vorhaben  völlig  vergab.'  — 

Dem  Stande  entsprechend,  dem  die  Erzähler*  und  Zuhörerkreise 
orientalischer  Märchen  angehören,  nämlich  dem  Kaufmannsstande, 
haben  diese  Märchen  naturgemäis  ganz  andere  Vorstellungen,  wie 
solche  der  Landbewohner.  So  finden  wir  auch  hier,  im  Gegensatz 
zu  Eustache  und  Robin  Hood,  den  Stadtdieb,  den  Einbrecher,  eine 
Figur,  die  im  orientalischen  Märchen  nicht  weniger  beliebt  ist^  als 
der  Strauchdieb  im  germanischen.  Davon  zeugt  Chauvins  Samm- 
lung in  der  Bibliographie  arabe  Band  VII,  S.  184  Les  voleurs  mit 
84  Nummern  und  dem  Verweis  auf  45  andere  zerstreute  Erzählungen. 

Von  den  kulturellen  Unterschieden  zwischen  Räubern  und 
Dieben  abgesehen,  finden  wir,  den  angeführten  Erzählungen  nach, 
dieselbe  Anschauung  von  der  Heiligkeit  der  Mahlesgemeinschaft  in 
Orient  wie  Okzident 

2.  Die  Quelle  des  THibert. 

Fast  gleichzeitig  mit  unseren  Ausführungen  über  Eustache  und 
Trubert  erschien  eine  Neuausgabe  dieses  von  Jakob  UlricL^    Es 

*  Truberty  afrz.  Schelmenroman  des  Douin  de  Lavesne,  GeseUsch.  f. 
roman.  Lit.,  Bd.  4.    1904. 


Kleinere  Mittelungen.  377 

ist  dem  Herausgeber  gelungen,  ein  Märchen  in  mehreren  modernen 
Versionen  beizubringen,  von  dem  der  Verfasser  des  Trubert,  Douin 
de  Lavesne,  Kenntnis  gehabt  und  das  er  in  seiner  Wdse  verwandt 
hat,  ein  Zusammenhang,  den  bereits  R.  Köhler  vermutete  {Ztschr.  f. 
Rom.  Phil.  VI,  483).  Dieses  Märchen  hat  ungefähr  folgenden  Inhalt: 
Ein  Bauernbursche  (Sohn  einer  Waschfrau  u.  dergl.)  wird  bei  Ver- 
kauf eines  Huhns  (Schweins  etc.)  von  einem  Räuber  betrogen.  Um 
sich  zu  rächen,  verkleidet  er  sich  als  Mädchen,  erweckt  die  Begierde 
des  Räubers,  veranlafst  diesen,  den  Gebrauch  eines  Galgens  zu  de- 
monstrieren und  bindet  ihn  daran  fest  Dann  prügelt  das  vermeint- 
liche Mädchen  den  Räuber,  sagt^  wer  er  sei  und  wofür  die  Prügel 
seien,  und  macht  sich  aus  dem  Staube. 

Hierauf  verkleidet  er  sich  als  Arzt,  wird  zu  dem  von  den  Prü- 
geln kranken  Räuber  geschickt^  und  die  Kur  endet  abermals  mit 
Prügel  und  Offenbarung. 

Während  nun  statt  eines  dritten  Auszuges  die  von  Ulrich  er- 
zählte französische  Version  (S.  XVI  ff.)  den  Rachsüchtigen  mit  einer 
Geldsumme  befriedigen  läfst^  übernimmt  in  der  sizilianischen  Version 
(S.  XI  ff.)  der  Peiniger  als  Strafsenkehrer  verkleidet  den  Transport 
des  schwerkranken  geprügelten  Räubers  ins  Hospital  (I  ?),  nimmt  ihm 
unterwegs  alles  Geld  ab,  worauf  neue  Prügel  und  Offenbarung.  Beide 
Märchen  scheinen  mir  in  diesem  letzten  Zuge  unursprünglich  zu  sein. 

Ulrich  nimmt  nun  im  zweiten  Abschnitt  seiner  Einleitung  dieses 
Märchen,  wie  es  da  ist^  als  Quelle  des  Trvhert  und  bespricht  die  Ab- 
weichungen des  letzteren: 

Dafs  im  Gegensatz  zum  Märchen  Trubert  einem  Herzog  gegen- 
übergestellt wird,  erscheint  Ulrich  nicht  symptomatisch:  'Wie  man 
sich  in  den  Fabliaux  so  oft  über  Bauern,  Bürger  und  F^faffen  lustig 
macht,  muis  hier  zur  Abwechslung  einmal  —  in  Anlehnung  an  Mär- 
chenmotive —  eine  Familie  aus  der  ritterlichen  Gesellschaft  her- 
halten.' —  Ich  glaube  wohl,  dafs  die  Verteilung  der  Rollen  im  Tnj^ 
hert,  der  Waldbewohner  als  unerbittlicher  Verfolger  des  Fürsten,  wie 
ich  in  meinem  Aufsatz  S.  86  und  90  angegeben,  einem  Ouilawtomsji 
nachgebildet  ist 

Für  den  seltsamen  Handel  mit  dem  Herzog,  von  dem  Trubert 
als  Gegengabe  für  seine  bemalte  Ziege  vier  Haare  von  einem  gewis- 
sen Körperteile  verlangte,  ihn  aber,  statt  diese  auszureifsen,  tief  in 
das  Fleisch  stach,  wufste  ich  seinerzeit  keine  Analoga  zu  nennen. 
Ulrich  bringt  als  treffende  Parallele  ein  modernes  Märchen  aus  der 
Basse-Bretagne  bei,  in  welcher  ein  Bursche  seine  silberne  Pfeife  um 
Hrois  cotips  d^aiine  que  je  votis  dormerai  dans  le  derriire'  zu  verkaufen 
bereit  ist  (S.  XX).  Im  Tnibert  ist  das  Motiv  aber  dadurch  kompli- 
ziert, dafs  sich  der  Schelm  vier  Haare  ausbedingt.  Dieses  Aus- 
reilsen  von  Haaren  aus  Bart  oder  Haupthaar  oder  von  Zähnen  ist 
ebenfalls  ein  Märchenmotiv.  Wir  beobachteten  es  im  Oaufrey  und 
warfen  auch  einen  Blick  auf  Huon  im  Archiv  CXI,  S.  332  ff.    Und 

ArcliiT  t.  n.  Sprachen.    CXVl.  25 


S78  Eleinei«  Mittoilungen. 

ftuch  hier  war  die  Zahl  vier  eine  typische,  durch  die  Sanune  «ner 
«railen  Abgabe  bedingt^  so  dafe  die  Quelle  dieser  vier  Haare  fest- 
steht Dafs  die  Haare  Tom  Hinterteile  genommen  werden, 
ist  ein  weiteres  typisches  Beispiel  für  die  absichtliche 
Trayestierung  ernsthafter  Motive,  die  den  Trubert  aus- 
zeichnet 

Ebenso  ist  aufsuf assen,  wenn  Trubert  als  Trophäen  von  seinem 
angeblichen  Kriegszug  gewisse  Teile  eines  Frauenzimmers  mitbringt 
Ulrich  bringt  hierzu  (8.  XXITT  u.)  eine,  wie  er  selbst  gesteht,  nicht 
ganz  passende  Parallele.  Es  ist  aber  nur  dieselbe  Art  der  Travestie- 
rung  wie  vorhin.  Der  Märchenheld  bringt  als  Trophäen  stereotyp 
die  Zunge  des  Drachen  oder  den  Kopf  des  Riesen  mit  Trub^ 
mh&  den  angeblichen  Mund  und  Schnurrbart  des  Königs,  die  aber 
in  Wirklichkeit  ganz  etwas  anderes  sind. 

Dieser  Auszug  Truberts  nebst  seinen  vermeintlichen  Helden- 
taten, dem  im  Märchen  nichts  entspricht»  fand  eine  Parallele  in 
Ber^ngier  au  long  cul  (mein  Aufsatz  6.  89),  während  Ulrich  eine  tref- 
fende Parallele  aus  Hindu-  und  mongolischen  Märchen  beibringt 

(a  xxni). 

Truberts  Beziehungen  zur  Herzogin  sind  wohl  aus  der  Fabliaux- 
Uteratur  (Dreilager;  mein  Aufsatz  S.  88)  besser  erklärt  als  wie  Ulrich 
es  tut»  mit  Heranziehung  italienischer  Novelle  und  eines  Zigeuner- 
märehens. 

Für  die  weiteren  Züge  vergleiche  man  folgende  Angaben: 

1.  Trubert  tauscht  mit  dem  Neffen  des  Herzogs  Klei- 
der, der  dann  statt  seiner  gehängt  wird  (S.  88,  Hinweis  auf 
Outlawromsjie);  Ulrich  8.  XXIV,  Das  siebenbürgische  Märchen 
vom  dummen  Hans. 

2.  Trubert  verführt,  als  Mädchen  verkleidet,  die  Her- 
zogstochter (S.  89;  S.  XX Vn.  Ulrich  hat  seither  den  Zusammen- 
hang mit  Fabliaux  ebenfalls  erkannt:  Born,  Forschungen  XIX,  682). 

8.  Die  Tochter  ist  vom  heiligen  Geist  schwanger  (S.  89; 
8.  XXVIH). 

4.  Die  Travestierung  des  Märchens  von  der  unterge- 
schobenen Braut  (8.  90;  8.  XXIX). 

Ulrich  ist  es  hier  gelungen,  eine  genau  entsprechende  Parallele 
aus  den  8treichen  des  ^rumänischen  Eulenspiegels'  Bacala  oder  Pacala 
beizubringen:  Grenau  so  wie  im  Drubert  läist  sich  der  Rumäne  einen 
Faden  ans  Bein  binden  und  macht  sich  drau6en  los.  Es  scheint 
mir  zweifelhaft,  ob  man  auf  Grund  des  einen  rumänischen  Märchens 
dieses,  d.  h.  eine  Version  desselben,  als  Quelle  Truberts  ansehen  darf 
und  ob  die  Titivestierung  nicht  eben  Trvbeirt  zukommt  Freilich 
müfsten  wir  dann  annehmen,  dais  aus  unserem  Gedichte  die  Schwank- 
litemtur  geschöpft  hat  und  diese  Episode  bis  nach  Rumänien  drang, 
und  das  ist  durchaus  nicht  immöglich.  Die  einzelnen  Elemente  der 
Szene  finden  sich  übrigens  auch  sonst:  Derselbe  Verwand,  unter  dem 


Eignere  BfltteilimgeQ.  879 

sich  Trubert  entfernt  (2877),  findet  sich  in  einer  Version  dieses 
Märchens,  in  dem  franko-italienischen  Gedichte  von  Berta  le  li  gran 
Pü  (BomatUa,  Bd.  UI): 

854    'A  le  matin  quant  el  avera  soner, 
E  eo  me  levarö  si  oomo  a  ori[D]er; 
Enlora  por^  en  le  Idto  entrer.' 

Wie  dieses  Mittel  Trubert  ermöglicht,  ein  wirkliches  Mädchen 
ins  Bett  zu  schmuggeln,  so  gibt  es  der  richtigen  Berta  Gelegenheit, 
die  Umarmung  des  Königs  noch  hinauszuschieben,  indem  sie  an  ihrer 
Stelle  eine  Magd  ins  Bett  läiat,  die  aber  dann  als  die  falsche  Berta 
diesen  Platz  behält 

Zu  dem  Motiv,  dafs  der  brünstige  Ehemann  die  vermeintliche 
Gattin  an  einen  Faden  bindet,  damit  sie  sich  nicht  entfernen  könne, 
schrieb  ich  damals  (8.  90):  'Auch  das  Anbinden  am  Strick  ist  nicht 
ohne  Vorbilder.'  Seitha:  habe  ich  ein  älteres  Beispiel  dafür  wieder- 
gefunden: Es  steht  in  einer  Erzählung  aus  1001  Nacht»  Der  Kadi 
und  die  Kaufmannatochter,  in  der  sich  ein  Mädchen  vor  dem  Vezir 
auf  gleiche  Weise  rettet  V.  Chauvin  erzählt  in  seiner  uns  so  wert- 
vollen Bibliographie  arabe,  die  uns  sogleich  noch  beschäftigen  wird, 
die  Szene  folgendermafsen  (Bd.  VI,  S.  159): 

Le  vixir  veut  la  säduire,  et  dans  ce  but,  tue  suocessivement  les 
troie  enfants;  menacde  eUe-fneme  de  mort,  eile  feint  de  consentir 
et  obtient  de  sortir  un  instant,  une  eorde  attachSe  d  la 
main:  eile  la  dSnoue,  la  lie  d  un  arbre  et  s'enfuit,* 

Man  sieht  im  Trubert  abermals,  wie  ein  ganz  ernsthaftes  Moüv, 
burlesk  gefafst»  also  travestiert  wurde. 

Es  hat  von  selten  Ulrichs  keine  Besprechung  erfahren:  Das 
Mittel,  mit  dem  der  Schelm,  als  Frau  verkleidet,  den  Räuber  (Metz- 
ger) veranlaTst,  seinen  Kopf  durch  die  Schlinge  zu  stecken,  eine  Epi- 
sode, die  dem  Märchen  ureigen  ist»  da  sie  durch  okzidentale  und 
orientalische  Version  (s.  unten)  gebunden  ist  Ahnlich  lälst  in  Han- 
sel und  Oretel  sich  das  Mädchen  von  der  Hexe  vormachen,  wie  man 
den  Kopf  in  den  Backofen  steckt»  und  schiebt  sie  dann  hinein  (Grimm 
Nr.  15).  Ähnlich  lälst  im  Trubert  der  Held  als  Baumeister  den 
Herzog  einen  Baum  ausmessen,  bindet  ihn  daran  fest,  worauf,  wie 
stets,  Prügel  und  Offenbarung  folgen. 

Gleich  drei  solcher  ^Mittel,  um  jemand  zu  binden',  bringt  das 
Märchen  vom  tuunderlichen  Spielmann  (Grimm  Nr.  8).  Der  Wolf  will 
fiedeln  lernen.  Daraufhin  fordert  ihn  der  Spielmann  auf,  seine  eine 
Pfote  in  einen  hohlen  Baum  zu  legen,  und  keilt  diese  mit  einem  Stein 
dort  fest  Dem  Fuchs  ergeht  es  nicht  besser.  Er  muis  sich  mit  bei- 
den Pfoten  an  heruntergebogene  Haselnufsbäume  binden  lassen  und 
wird  in  die  Höhe  gesdbnellt  -  Der  Hase  (der  wohl  ein  gefähr- 
licheres Tier  erst  sekundär  vertritt)  wird  an  den  Baum  gebunden 

25  ♦ 


380  Kleinesre  Mitteilungen. 

und  muls  zwanzigmal  herumrennen,  dalk  er  sich  nicht  mehr  rühren 
kann. 

So  ist  zu  vermuten,  dafs  der  Volkserzahlung  noch  eine  ganze 
Reihe  solcher  ingeniösen  Mittel  zur  Verfügung  stehen. 

Von  dem  Märchen,  das  Ulrich  als  Quelle  Truberis  beibrachte, 
befindet  sich  eine  weitere,  von  den  bekannten  unserem  Gedicht  am 
nächsten  stehende  Version  in  1001  Nacht 

Ich  fand  dieses  für  uns  wichtige  Märchen  wiederum  durch  Ver- 
mittelung  von  Chauvins  wertvoller  Bibliographie.  Dort  finden  wir 
im  VU.  Bande  unter  den  Rauher-  und  Diebserzählungen  auch  die 
folgende:  430^    __  Histoire  du  premier  filou,' 

Un  jeune  orphelin  veut  vendre  un  veau;  mais  les  quarante  bouchers 
de  la  Corporation  s'entendent  pour  lui  dire  qua  c'est  une  ch^vre  et  lui  en 
donner  un  prix  d^isoire.  II  Pacoepte  cepenaant  pourvu  qu'on  lui  remette 
aussi  la  queue  du  veau. 

B^BOiu  ä  8«  venger,  il  en  fait  un  fouet  V^tu  en  femme,  il  va  trou- 
ver  le  chef  de  la  corporatioii,  chez  qui  les  bouchers  festoyaieot  en  man- 

feant  le  yeau ;  11  lui  plalt  et,  rest^  Beul  avec  lui,  il  Tam^ne  ä  se  suspendre 
la  corde  oü  il  pend  lea  animauz  et  le  bat  sana  piti^;  puls  il  part,  lui 
enlevant  de  i'argent  et  des  objets  pr^ieux. 

Les  bouchers  m^nent  leur  chef  au  bain  pour  le  gu^rir;  le  filou  ^e 
couvie  de  sang,  se  fait  aussi  admettre  au  bain,  bat  de  nouveau  le  boucber 
et  fuit  par  une  autre  issue. 

On  conduit  le  boucher  k  la  campagne;  un  b^ouin,  aux  gages  du  filon, 
vient  crier  que  c'est  lui  qui  Pa  battu  et  attire  ä  sa  poursuite  les  bouchers 
qui  veillent  sur  lui:  le  fflou  bat  de  nouveau  son  ennemi  et  le  d^pouille. 

Le  boucher  demande  alors  qu'on  feigne  de  l'enterrer  pour  que  son  per- 
s^cuteur,  le  croyant  mort,  le  laisse  en  paix.  Pendant  qu'on  le  porte,  le 
filou  lui  donne  un  cou^  qui  le  ressuscite. 

Puis  le  filou  se  retire  dane  la  cayerne  oü  le  sultan  vient  le  trouTer. 
Le  sultan  le  gracie. 

In  der  Anlage  haben  wir  also  eine  gleiche  Erzählung  wie  7Vu- 
bert:  Ein  Bursche  hat  gegen  eine  Person  einen  besonderen  Hals, 
zieht  zu  verschiedenen  Malen  verkleidet  aus,  und  es  gelingt  ihm  jedes- 
mal,  den  Gehafsten  gehörig  zu  verprügeln. 

Dafs  es  sich  um  eine  weitere  Version  des  von  Ulrich  beige- 
brachten Schelmenmärchens  handelt»  ist  sofort  ersichtlich.    Der  erste 
Auszug  als  Mädchen  stimmt  Zug  um  Zug  zu  den  okzidentalen  Re- 
daktionen.   Der  zweite  Auszug  ist  in  1001  Nacht  offenbar  verderbt, 
hier  ist  die  Rolle  des  Arztes  durch  okzidentale  Versionen  und  Tru- 
hert  gesichert    Das  Prügeln  des  blindlings  Verfolgenden  hat  in  un- 
seren Versionen  keine  Parallele,  die  Wiedererweckung  des  angeblich 
Toten  ebenfalls  nicht,  ist  aber  zweifellos  der  beste  und  volkstüm- 
lichste Schluls  von  allen.    Das  Zusammenhalten  einer  Zunft  zwecks 
Betrügen  eines  anderen  hat  im  Eulenspiegel  Parallelen.    Was  für 
uns  besonders  wichtig  ist,  wäre:  Im  orientalischen  Märchen  verkauft 

*  Hennings  Ausgabe  in  Beelams  Universalbibliotkek,  XXIII,  213. 


Kleinere  lißtteilimgen.  381 

der  Schelm  ein  Kalb  um  den  Preis  einer  Ziege  ...  im  Trubert 
ein  Kalb,  um  dessen  Erlös  er  eine  Ziege  einhandelt  Diese 
Ziege  bemalt  der  Schalk  und  kommt  mit  derselben  zum  Herzog,  der 
von  nun  ab  das  Objekt  der  Rache  wird,  obgleich  nach  allen  Ver- 
sionen hierzu  deijenige  dienen  sollte,  welcher  das  Tier  unter  dem 
Preis  oder  umsonst  gekauft,  d.  h.  der  macecrier  (84)  des  Herzogs. 
Diese  Auseinanderzerrung  ist  dafür  beweisend,  dafs  die  Quelle 
des  Trubert  denselben  Eingang  hatte  wie  das  orientalische  Märchen: 
Der  Held  verkauft  ein  Kalb  (=  1001  Nacht,  Trubert\  der  Metzger 
(=  1001  Nacht,  Trubert  84)  macht  ihm  weife,  es  sei  eine  Ziege  (=:  1001 
Nacht;  vgl.  Trubert  46  fl)  und  kauft  das  Tier  unter  dem  Preis  (1001 
Nacht^  Trubert  41).  Gegen  diesen  betrügerischen  Käufer  wendet  sich 
von  nun  ab  des  Schelmen  Rache  (1001  Nacht;  okzidentale  Märchen). 


Der  Dichter  des  Trubert  kannte  also  eine  einfache  Erzählung 
im  Stile  derer,  die  wir  aus  1001  Nacht  beibrachten  und  von  der 
noch  moderne  Versionen  umlaufen  (Ulrich).  Er  entwickelte  dieselbe 
in  freier  Weise,  indem  er  die  Gestalt  des  Helden  nach  den  Vorbil- 
dern der  Outlaws  seiner  Heimat  umgestaltete,  ihn  in  den  Wald 
versetzte  und  einem  Fürsten  gegenüberstellte.  Hierdurch  wurde  der 
ursprünglich  einfache  Anfang  unklar.  Das  als  Ziege  verkaufte  Kalb 
wurde  zu  einer  Ziege,  die  für  den  zu  geringen  Erlös  eines  Kalbes 
eingehandelt  worden  war.  Der  ursprüngliche  Grund  des  Hasses,  der 
Betrug  des  Käufers,  blieb  stehen,  aber  ohne  Zweck,  während  es  dem 
Verfasser  nicht  gelang,  einen  neuen  Grund  des  Hasses  gegen  den 
Herzog  zu  erfinden  (vgl.  S.  86  meines  Aufsatzes  u.,  wo,  ohne  die 
Quelle  zu  kennen,  das  Auffallende  hiervon  gezeigt  wurde,  ohne  da(s 
der  richtige  Grund  angegeben  werden  konnte). 

Von  hier  ab  hielt  sich  der  Dichter  des  Trubert  nur  in  etwas  an 
seine  Quelle,  entwickelte  die  'Verprügelung  des  festgebundenen'  und 
'diejenige  des  kranken  Gegners'  in  eigener  Weise,  unter  steter  Be- 
nutzung von  Motiven  aus  der  Fabliauxliteratur  und  interessanter 
Travestierung  von  Märchenzügen.  Erfand  Truberts  Rolle  als  Krie- 
ger (4.  Auszug)  und  entwickelte  aus  der  auch  schon  in  der  Vorlage 
enthaltenen  'Verkleidung  des  Filou  als  Frau'  die  lange,  besonders 
ergötzliche  Travestierung  des  Märchens  'von  der  untergeschobenen 
Braut',  verquickt  mit  dem  Märchen  *von  dem  Freier  in  Weiber- 
kleidern', in  deren  Mitte  die  Schilderung  leider  abbricht 

Wir  können  also  unsere  Studien  über  Trubert  nun  als  vollends 
beendigt  betrachten.  Die  Entdeckung  der  Quelle  seitens  Ulrichs  und 
Interpretierung  der  letzten  noch  nicht  erläuterten  Züge  hat  uns  in 
den  Stand  gesetzt,  das  Verfahren  seines  Dichters  hell  zu  beleuchten 
und  das  Wesen  des  ganzen  für  seine  Zeit  hochbedeutsamen  Gedicht- 
chens klar  zu  erkennen. 

München.  Leo  Jordan. 


982  Kleinere  Mitteilungen. 

Der  Infinitiv  als  yoranstehendes  Subjekt. 

Die  Orammatiken  weisen  fOr  daB  Neufranzösische  bisher  nur 
Beispiele  auf  für  den  nachgestellten  Infinitiv  mit  de,  Dais  die  Prä- 
position de  be^nnt,  sich  sogar  dem  voranstehenden  Subjektsinfinitiv 
aufzudrängen,  und  dafs  nach  ü  lui  fui  pSnible  de  mentir  ein  de  meniir 
lui  fut  pSnible  sich  einzubürgern  anfangt,  dafür  mögen  die  folgenden, 
aus  einer  gröfseren  Zahl  ausgewählten  Bel^e  einen  Beweis  liefern: 

Aus  Bourgets  Le  Divorce: 

De  reeommeneer  ä  fnenür  lui  fut  si  pSnible  qu'ü  pranon^  eette  phra»e 
avee  um  impaiimU  brusquene  (p.  237). 

I>e  raeofUer  ä  qui  que  ee  fOi  eette  douUmreuee  histoire  Im  a  M  frtyp 
pimble  (p.  884). 

JDeTapprmdrB  Vaipoü  rempli  tPune  eoHre  tronsformie  en  indignation 
(p.  280). 

De  dSeouvrir  pte  eetie  äme  de  femtne  n'itaü  plus  tout  efUüre  ä  lui  . . . 
le  eeeouaü  d^un  fnsson  de  rivoUe  et  de  douleur  (p.  255). 

De  ee  reeoir  apr^  e*Ure  quiUie  eur  un  muliame  ei  eharg€  de  pauea 
aeive  ehex  eux  Vangoieee  de  seneibüiU  (n.  263). 

D'avoir  aeeisie  aute  demiere  jours  ae  eon  phre,  d^Üre  alU  ensuiie  dam 
ee  eoin  de  provinee  d*aü  sortait  leur  lignSe,  d'avoir  vSeu  eeUe  eemaine  entiht 
atee  dee  pareiUe  et  parmi  lee  eaueenire  du  morty  avaii  eueeüi  ehez  le  jeune 
komme  des  peneSee  et  dee  eetUiments  bien  diffSrmte  de  eeux  et  de  eeux  qu'ü 
aeait  eus  autrefoiSf  et  de  eeux  meme  dofU  Vidat  avait  rempli  eette  piiee  (p.  329). 

Aus  Bourgets  L'Eau  Profonde: 

Le  dieeaurs  intSrieur  enveloppait  un  de  eee  redoutoblee  eeerete  eomme  la 
pie  SUganie  en  ea6ke  tont  eaut  eee  riiee  frivehe.  De  ee  le  prononeer  avaü 
mie  du  rose  aux  joues  (Fordinaire  trop^  pdies  de  la  jeune  femme  (p.  13). 

De  constater,  ä  de  ir^  petits  inaices,  eomme  eeux-läy  que  son  aventwr 
avec  ie  mari  de  sa  eausine  aaü  soupponnSe^  Firritait  Un^ours  (p.  44). 

De  sctsoir  que  lee  deux  eompUees  n'avaient  pas  ea%ei  eette  opporttmüe 
d'une  rentrie  l'un  aeee  l'autre  suspendait,  pour  quelques  instante,  la  erite 
de  douleur  morale  qu'elle  subissait  depuis  la  veille  (p.  94). 

D^Svoquer  seulement  la  Silhouette  SlSaante  de  sa  femme  dans  un  pareü 
dieor  lui  parut  une  teile  absurdiU  qu*ü  haussa  les  fyaules. 

Aus  Bourgets  Le  Fantöme: 

Et  d'y  entrer  me  fait  si  mal  que  je  n'y  vais  jms  six  fois  Fan!  (p.  102^. 

Si  AfUoinette  pouvait  reeeeoir  encore  quelque  joie  dans  ee  pays  de  tStemel 
oubli  oü  eile  est  entrie,  de  sentir  eombien  eile  me  reste  rieante  ne  hn  serait- 
il  pas  une  doueeur?  (p.  121). 

Je  sais  eela,  et  de  le  sopoir  est  pour  moi  eomme  un  jugement  en  effet^ 
eomme  une  eondamnation  (p.  220). 

Aus  Bourgets  CEJuvres  eompUies,  Romans  I: 

Si  eüe  aeait  oublU  sa  bourse?  Non,  eile  aeait  40  franes  en  petites 
pi^s  de  10  franes.  Tant  pis,  eile  en  donnerait  une  ä  V komme,  ear  d^at- 
tendre  de  la  monnaie  sur  le  trottoir,  eile  ne  le  pourrait  posVp,  182). 

De  e^itre  lee^  si  tot  Vavait  d^  SpuisSe  pour  tout  le  jour  (Vojageuses  1, 
CosmopoliB  1896,  p.  407). 

Aus  Bourgets  (Euvres  compleiee,  Bomans  U: 

Mais  pourquoi,  de  roir  ee  vieux  beau  parier  familih'emenl  ä  Suzanne, 
ä  demi  retourrUe  et  qui  s'^ventaitt  fit-il  du  mal  ä  Reni,  tant  de  mal  quü 
se  reiüra  brusquement  du  eoulour?  (p.  215). 


Kleinere  Mitteilungen.  388 

Hilcisf  d'avoir  causS  avee  Morainea  lui  avait  suffi  pour  le  jeter  de 
nouveau  dans  l^pire  aHme  du  doute  (p.  226). 

II  avait  8(n*ffert,  et  ü  savaü  que  de  erier  sa  souffranee  ^oulage  (p.  242). 

Mais  de  aire  au  jeune  komme  ce  qu'elle  avadt  fait,  eUe  le  remettaü 
d'heure  en  heure,  ineapcile  maintenant  de  braver  sa  eoUre  (p.  267). 

Ib.  Romans  HE: 

EUe  sentit  que  de  laisser  ainsi  tomber  la  phrase  ttmoeente  du  petit 
garpcn  me  ferait  mal  (p.  186). 

Ib.  Romans  IV: 

II  lui  avait  semblS  que  de  se  retirer  ainsi  eonsiiiuait  um  honteux  aveu, 
une  lache  disertion  et  eile  äaü  resti  (p.  150). 

Aus  Doumic,  J^Grivains  d^aujourd'kui: 

De  savoir  qu'il  y  a  des  gens  qui  sauffrent,  eela  doit  sufßre  pour  que 
nous  formions  le  projet  de  n*Ure  jamais  oastse  de  cette  souffranee  t^ux  autrui, 
mais  de  la  soulager  partout  oü  nous  la  reneontrerons  (p.  20). 

D'ilre  dSsenehante,  e'est  lä  encore  une  supirioriti  morcUe:  e'est  siane 
qu*on  s'itait  fait  de  la  vie  une  eoneeption  releiSe  et  qu'on  avait  un  ideal  ^ 
(p.  29). 

Herr  Prof.  Morf  stellt  mir  aus  Bruneti^re  (Art  Lafontaine  in 
der  Orande  EncyeU>p6die)  das  Beispiel  zur  Verfügung: 

De  dire  qu'il  l'est  par  le  den  de  Veaopression  pittoresque,  oe  n'en  serait 
rien  dire  que  Ton  ne  saehe  .... 

und  ebenso  aus  N.  Faret^  Uhonmte  komme,  Paris  1687,  p.  5: 

Mais  de  s' aller  figurer  que  mes  avis  le  puissent  mettre  au  dessus  de  la 
roue  de  Fortune  ....  e'est  une  proposition  irop  ridicule  pour  tomber  en  un 
sens  raisonnabk. 

Wie  alt  übrigens  die  Neigung  des  Infinitivs  ist^  ein  de  vor  sich 
zu  nehmen,  das  zeigt  und  erklärt  Tobler  in  seinen  VermisMen  Bei- 
trägen I,  11  u.  217. 

*  Ganz  anders  geartet,  aber  interessant  durch  die  Stellung  des  adver- 
bialen Infinitivs  sind  folgende  Beispiele  aus  A.natole  France,  CrainquebiUe : 

De  la  vair  acketer  des  choux  au  petit  Martin,  un  aale  coco,  %vn  pae  grand* 
ehoae,  il  en  avait  requ  un  coup  dans  Vestomae. 

Et  il  se  vit  lui-meme  assis  sur  un  sthge  SlevS,  comme  si  de  parattre  devant 
des  Magistrats  Vaecusi  lui-meme  en  recevaU  un  funeste  honneur  (p.  6). 

Oharlottenburg.  H.  Engel. 


Beiurteilimgpen  nnd  knrze  Anzeigren. 


W.  Meyer-Rinteln,  Die  SchopfuDg  der  Sprache.    Leipzig,  GruDow, 

1906.    XIV,  256  S. 

Wieder  eine  jener  unglückseligen  'Entdeckungen',  bei  denen  mils- 
brauchter  FleiTs  und  verirrter  Scharfsinn  jeder  methodischen  Schulung 
sorgfältig  ausweichen.  Von  den  b58en  Orts-  und  besonders  FlufSsnamen 
ffeht  das  ünglOck  aus,  wie  so  oft;  sie  haben  von  V.  Jacobis  traurig- 
berühmten  binden  Hessen  an  bis  zu  Th.  Lohmevers  Eauptaeseixen  der 
germanischen  Flufsnamengesetxgebung  gar  zu  häune  die  wildesten  Ety- 
mologien ermutigt.  *Alles  ist  im  Flusse':  dieselbe  Wurzel  erscheint  nicht 
nur  als  gel,  aer^  gem^  gen,  sondern  auch  als  geo  (8.  97) ;  und  da  stellt  sich 
denn  auch  der  selige  Doppelsinn  der  ürworte  C.  Abels  ein:  v{y.r;  ist  ganz 
eins  mit  vlci  (8.  98).   Der  Strom  erweitert  sich  dann  furder  noch  zu  gephy 

?^eehj  geth  (8.  124)  —  kdn  Wunder,  wenn  dieselbe  Wurzel  in  mhd.  tra/, 
at.  Lemures  und  lat.  rnorior  (ebd.)  auftreten  darf.  'In  jeder  Wurzel  kön- 
nen alle  Konsonanten  spirantischer  Natur  beliebig  miteinander  wechseln' 
(S.  146).  Lat.  nortare  ist  in  umgelagerter  Form  got.  draaan  (S.  161),  rigoTf 
gelu,  aigor  sind  (S.  160)  ungefähr  dasselbe.  Alles  kann  alles  oedeuten  (ygl. 
z.  B.  8.  212  über  'Wurzeln  mit  dem  generellen  Bedeutungsinhalt  ''flierseo"^), 
und  so  haben  wir  denn  (S.  221)  Alster,  Ulster,  Inster,  Amstel,  Vispel, 
Mulde,  Moldau,  Fulda,  Brigach,  Precel,  Warte,  Trave  'fast  mit  mathe- 
matischer Sicherheit  bestimmen  können  ,  obgleich  nicht  recht  zu  erklären  ist, 
weshalb  jede  dieser  'zahllosen  Möglichkeiten'  (S.  228)  gewählt  wurde.  Die 
unerklärliche  Verteilung  der  Formen  (8.  201)  ermächtigt  uns,  von  jeder 
Systematisierung  im  Sinne  der  bisherigen  Etymologie  abzusehen ;  und  dieser 
Rückfall  in  die  wildeste  Zeit  des  Wurzelratens  bedingt  (S.  251)  eine  'Be- 
volution  der  Denkart',  wie  Kant  und  Galilei  sie  herbeiführten. 

Berlin.  Bichard  M.  Meyer. 

Spruchwörterbuch,  herausgegeben  von  Franz  Freiherm  von  Lipperheide. 
Berlin  W.  35,  Expedition  des  Spruchwörterbuches.  Lieferung  1  bis  4; 
erscheint  in  20  monatlichen  Lieferungen,  je  drei  Bogen  umfassend,  zu 
M.  0,60,  G^amtpreis  M.  12. 

Der  auf  dem  Gebiete  der  Kostümkunde  als  Sammler  und  Forscher 
hochverdiente  Verfasser  hat  in  langjähriger  Arbeit  und  Fürsorge  ein  eigen- 
artiges Werk  zustande  gebracht,  das  ihn  auf  einem  ganz  anderen,  noch 
nicht  genügend  bestellten,  aber  reichen  Ertrag  verheiisenden  Ackerlande 
als  rüstigen  Vorarbeiter  zeigt.  Wir  hatten  bisher  internationale,  nationale 
und  stammliche  Sprich wörterlexika,  und  daneben  mehr  oder  minder  reich- 
haltige Zitatensammlungen,  wie  das  Büchmannsche  Werk  Geflügelte  Worte, 
die  nebenher  auch  das  Volkstümliche  berücksichtigen.  Aber  die  bisherigen 
Sammler  waren  doch  nicht  von  der  auf  den  ersten  Blick  befremdeDoeo, 
und   dennoch,    wie  sich  zeigen  wird,   auf  einem   ganz   richtigen  Gefühl 


BeurtdluDgen  und  kurze  Anzeigen.  885 

beruhenden  Abeicht  ausgeffangen,  volkstümliche  und  rein  individuelle 
Sprichwörter,  'Sprüche'  und  Aussprüche  in  einer  lexikalischen  Sammlung 
zu  vereinigen,  d.  h.  möglichst  alles,  was  'einen  selbständigen  Gedanken 
trägt,  der  möglichst  knapp  und  sinnvoll,  gebunden  oder  ungebunden,  all- 
gemeine Wahrheiten  irgendwelcher  Art  aus  den  verschiedensten  Gebieten 
menschlicher  Lebensweisheit  verkündet'  Das  Riesenwerk,  dessen  Anfang 
vorliegt  und  das  im  ganzen  etwa  30000  Stellen  bringen  wird,  beruht  auf 
der  gemeinsamen  Arbeit  einer  kleinen  Schar  von  treu  -  fleiisi^n  Gehilfen. 
Der  Herausgeber  nennt  als  Sammler  der  deutschen  und  ^echischen  Zitate 
W.  Queckenstedt,  der  lateinischen  H.  Grau,  der  italienischen  C.  Pozzoni, 
der  französischen  £.  Zimmermann,  der  englischen  J.  Drabig.  Die  aus- 
ländischen Beiträge  umfassen  insgesamt  nur  ein  Sechstel  des  ganzen  Wer- 
kes, weil  es  dem  Verfasser  nicht  sosehr  darauf  ankam,  ein  ethnologisches, 
als  ein  nationales  Werk  zu  schaffen  und  er  darum  vor  allem  dasjenige 
berücksichtigen  wollte,  was  aus  fremden  Sprachen  Hausrecht  bei  uns  er- 
langt hat.  Das  ist  nun  ein  relativer  Begriff,  und  solange  uns  nicht  zahlen- 
mäfsig  nachgewiesen  werden  kann,  wo  und  wie  oft  ein  Wort  zitiert  wird, 
läfst  sich  das  'Hausrecht'  nicht  bescheinigen;  eben  deshalb  wird  man  die 
Fülle  des  Gebotenen  um  so  dankbarer  begrüfsen,  zumal  damit  ein  reiches 
Vergleichsmaterial  dargeboten  wird.  Dafs  dabei  das  Mafs  des  Aufgenom- 
menen durchaus  von  dem  subjektiven  Ermessen  des  jeweils  verantwort- 
lichen Mitarbeiters  abhängt,  liegt  auf  der  Hand  und  läfst  sich  nicht 
ändern.  Die  direkten  und  Hauptquellen  sind,  soweit  sich  das  bis  jetzt 
übersehen  läfst,  sorgfältig  ausgeschöpft,  und  wer  wollte  die  indirekten  alle 
übersehen,  die  oft  für  ganz  bestimmte  Kreise  sehr  bedeutsam  werden? 
Z.  B.  hat  der  verdienstvolle  Be^ünder  des  deutschen  Gymnasiums  zu 
Madrid,  der  verstorbene  Fritz  Fliedner,  in  seinen  zahllosen,  von  echter 
Popularität  getragenen  und  mit  reichem  Humor  durch  würzten  Schriften 
und  Predigten  manches  spanische  Sprichwort  in  orinneller  Verdeutschung 
zu  wahrhaft  geflügelten  Worten  umgeprägt,  die  sich  weithin  eingebürgert 
haben.  Z.  B.:  'Wenn  deine  Frau  dir  sagt:  du  springst  vom  Dache,  so 
bitte  Gott  nur,  dafs  er's  niedrig  mache.'  Auf  solche  Quellen  aber  wird 
mancher  besser  achten  lernen,  der  ein  Werk  wie  dieses  ausgiebig  benutzt 
und  dadurch  sein  Ohr  für  die  epigrammatische,  satirische  usw.  Prägung 
der  Gedanken  geschärft  hat 

Die  Zitate  selbst  sind  möglichst  genau  nach  den  Quellen,  die  aus- 
ländischen zum  gröfseren  Teile  deutsch  und  in  der  Ursprache  wieder- 
gegeben. Die  Quellen  selbst  werden  genannt  und  zeitlich  fixiert,  soweit 
das  irgend  möglich  ist.  Innerhalb  der  einzelnen  Artikel  sind  die  Belege 
chronologisch  geordnet;  am  Schlufs  werden  die  anonymen  Produkte  zu- 
sammengestellt. Nun  ist  aber  zwischen  Sprichwort  und  individuellem 
Spruch  nicht  immer  leicht  zu  scheiden,  so  wenig  wie  zwischen  Volksliedern 
und  volkstümlichen  Kunstliedern,  und  eerade  in  Sprichwörtern  wird  recht 
viel  'fabriziert';  obwohl  wir  nun  den  Bearbeitern  des  Werkes  nach  den 
vorliegenden  Proben  gern  zutrauen  wollen  und  dürfen,  dafs  sie  ihre  Quellen 
nicht  olois  mit  Fleifs,  sondern  auch  mit  Kritik  benutzt  und  ausgeschöpft 
haben,  müssen  wir  doch  gestehen,  dafs  uns  als  Philologen  die  blofse  Be- 
zeichnung 'Spridiwort'  nicht  immer  genügt,  und  die  vieldeutige  Angabe 
'Alter  Spruen'  noch  weniger  helfen  kann.  P^s  dürfte  gut  sein,  ein  ge- 
naueres Verzeichnis  der  benutzten  Lexika,  Sammlungen  usw.  zu  veröffent- 
lichen und  für  die  Sprüche  die  jeweils  älteste,  von  den  Mitarbeitern  er- 
mittelte Belegstelle  zu  notieren.  Erst  dann  würde  das  Werk  im  vollen 
Umfange  der  Wissenschaft  dienstbar  gemacht  werden  können. 

Denn  daran  hat  der  Herausgeber  doch  wohl  vor  allem  gedacht,  der 
Forschung  ein  möglichst  reiches  Kapital  an  die  Hand  zu  ^ebcn,  mit  dem 
sie  wuchern  kann,  und  dieser  Erfolg  dürfte  nicht  ausbleiben.  Ist  doch 
gerade  in  diesen  letzten  Jahren  die  '^hlagwortforschung'  zu  einem  eigenen 


t)86  BearteQangen  und  kune  AnMigvi. 

Spcrialfach  geworden,  in  deasea  DienBt  sich  u.  a.  £[lHgOB  ZeiiUekrifi  für 
ditä8ch€  WcSrtfarsehunff  mit  Fug  und  Becht  gestellt  hat  In  dem  neaeo 
Spruehiüörterbuch  liegt  nun  eine  stattliche  Grundlage  vor,  auf  der  sich 
weiterbauen  lalst. 

Aber  auch  da  wird  es  dann  doch  mit  der  blolMi  Sammlnng  nicht 
getan  sein;  die  geistig  Durchdringung  des  MateriaU  ist  die  Hauptsache; 
es  handelt  sich  um  seine  psychologische  Verarbdtung,  wodurch  die  Sprache 
und  vor  allem  die  Literaturwissenschaft  rdche  und  wertvolle  Befruchtung 
erfahren  werden.  Hier  können  freilich  nur  ein  paar  Gesichtspunkte  er- 
öffnet werden. 

Alle  hier  in  reichster  Fülle  vereinig^ten  Aussagen,  also,  um  den  Tltd 
zu  kopieren:  'Deutsche  und  fremde  Sinnsprüche,  Wahlspruche,  Inschrif- 
ten an  Haus  und  Gerät,  Grabsprüche,  Sprichwörter,  Aphorismen,  Epi- 
gramme, Bibelstellen,  Liederanfänge,  Zitate  aus  älteren  und  neueren  £3as- 
sikem  sowie  aus  den  Werken  moderner  Schriftsteller,  Schnadahüpfln,  Wetter- 
und Bauernregeln,  Redensarten'  usw.  haben  doch  das  gemeinsam,  dafe  sie 
eine  auf  allgemeine  Anerkennung  rechnende  Wahrheit  auf  eine  eindring- 
liche, durch  ihre  inhaltliche,  logische  oder  formale  Eigenart  frappiereooe 
Weise  aussprechen  —  eine  Ausdrucksweise,  die  zweifellos  einen  ästnetiBchen 
Beiz  ausüben  soll  und  ausübt ;  so  können  wir  die  ganze  Gattung  vielleioht 
auf  eine  bestimmte  Form  der  ästhetischen  Api)erzeption  der  Aulsenwelt 
zuriickführen,  für  die  ich  den  Namen  der  'gnomischen  Apperzeption' 
vorschlagen  möchte. 

Aus  der  Menge  der  Einzelformen,  die  eine  senaue  Durchforschung 
auf  Grund  des  Spruehtcärterbuehea  verdienen,  heben  wir  nur  folgendes 
heraus: 

Die  allgemeine  Wahrheit  kann  zunächst  schlichtweg  als  Gesetz  for- 
muliert werden,  und  ihr  ästhetischer  Beiz  beruht  dann  einfach  darauf, 
dafs  sie  etwas  unmittelbar  Gegebenes  und  von  allen  Gefühltes  durch  Aus- 
sprache in  das  Bewufstsein  erhebt.  Aber  mit  dem  blolaen  Lehrvortng 
ist  es  nicht  getan;  auch  ein  Zitat,  wie  das  Lessingsche:  'Man  wird  des 
Guten  und  auch  des  Besten,  wenn  es  alltäglich  zu  werden  b^nnt,  so- 
bald satt'  (S.  10)  erhält  doch  erst  durch  den  mitschwingenden  Gegensatz 
von  'gut'  und  'satt',  also  durch  das  Angrenzen  an  das  Paradoxe  seinen 
Reiz.  Oder  die  Wahrheit  wird  zwar  allgemein  gefühlt,  li€^  aber  nicht 
auf  der  Oberfläche,  wird  in  der  Praxis  gern  umgangen  und  bedarf  einer 
P>hebung  über  das  Alltägliche  zu  ihrer  Anerkennung;  dahin  gehört  etwa 
das  englische  Tßie  noblesi  moiim  ta  the  public  good  (S.  10). 

In  der  Spruchweisheit  des  Volkes  viel  häufiger  ist  eine  andere  Vor- 
tragsform, die  eng  mit  der  symbolischen,  das  Einzelne  für  die  Gesamt- 
heit, den  Teil  für  das  Ganze,  den  Namen  für  die  Sache  nehmenden  Auf- 
fassungsweise zusammenhängt,  wie  sie  im  Sympathiezauber  so  bedeutsam 
hervortritt.  E^n  Einzelfall  wird  zur  Illustration  der  allgemein  gültigen 
Wahrheit  verwendet:  'Wenn  das  Wenn  und  das  Aber  nicht  wäre,  so  wäre 
der  Bauer  ein  Edelmann.'  Dabei  braucht  nun  die  Wahrheit  nicht  immer 
dem  Allgemeinsten  zu  gelten:  gewöhnlich  streift  der  Mann  aus  dem  Volke 
doch  nur  in  das  Menscmenleben  hinein;  aber  was  er  über  dies  zu  sagen 
hat,  verdeutlicht  er  gern  an  parallelen  Züeen  mit  dem  Naturleben,  wie 
ja  denn  Jesu  Gleichnis  vom  bösen  Baum,  der  keine  ffuten  Früchte  brin- 
gen kann,  in  diese  Reihe  gehört  Dabei  ist  nun  zu  beachten,  dais  dodi 
wieder  in  volkstümlicher  Rede  die  Natur  (vielleicht  entsprechend  dem 
engen  Verhältnis  des  Bauern  zu  ihr)  viel  stärker  anthropomorphisiert 
wird:  'Alte  Kuh  gar  leicht  vergilst,  daJs  sie  ein  Kalb  sewesen  ist'  (S.  12); 
oder  noch  auffallender:  'Ein  gut  Ampt  vematuret  offt  dais  Schaaff  in 
einen  Wolff  (S.  18),  was  nun  freilich  nicht  aus  dem  Volksmund,  sondern 
aus  Lehmanns  Politischem  Blumengarten  (1662)  stammt.  Auch  hier  wirkt 
die  Freude  an  der  Antithese  mit. 


Beurteilungeii  und  kurze  Anzogoi.  387 

Diese  führt  nun  zu  einer  ganz  besonders  beliebten  weiteren  Unter- 
abteilung, die  wir  die  epigrammatische  oder  paradoxe  nennen  könnten. 
'Alter  sdifitzt  vor  Toriieit  nidit.'  Dabei  kann  eine  Paradoxie  durch  die 
andere  erklärt  werden;  schon  in  allgemein  gefühlten  Wahrheiten  werden 
Naturparallelen  als  Beweisstützen  gern  beigefügt  (^'n  ollen  Mann  un  'n 
cid  Piärd  sinn  nix  mehr  wähd\  münsteriscn,  8.  12),  oder  denken  wir  an 
Schillers  Ideal  und  Leben: 

Knr  dem  Ernst,  den  keine  Mtthe  bleichet, 
Rauscht  der  Wahrheit  tief  versteckter  Born, 
Nur  des  Melfsels  schwerem  Schlag  erweichet 
Sich  des  Marmors  sprOdes  Korn. 

Vielmehr  nun  bedarf  es  solcher  Hilfen  unter  individuellen  Verhält- 
nissen, wie  in  Arndts  Blücherlied: 

So  frisch  blfiht  sein  Alter,  wie  g^isender  Wein. 

In  anderen  Fällen  freilich  wird  die  Paradoxie,  die  Abweichung  der 
eigenen  Meinung  von  der  allgemeinen  Ansicht  einfach  zugestanden;  so 
sagt  Goethe  im  Vorspiel  zum  'Faust': 

Das  Alter  macht  nicht  kindisch,  wie  man  spricht, 
Es  findet  nns  nur  noch  als  wahre  Kinder. 

Hier  spricht  der  Dichter  eine  eigenste  Erfahrung  aus,  immerhin  auf 
Zustimmung  rechnend  und  nicht  gesonnen,  erst  einen  Beweis  anzutreten; 
gewisse  Anknüpfungspunkte  beim  Hörer  aber  setzt  jede  Aufserung  vor- 
aus, die  Anspruch  auf  allgemeine  Geltune,  auf  die  Rezeption  als  'Spruch' 
erhebt.  Häufig  gibt  das  reUgiöse  Leben  den  durch  die  Praxis  verhüllten, 
nun  aber  aufgedeckten  Untergrund  her:  'Almosengeben  armet  nicht,  Kir- 
chengehen säumet  nicht'  (S.  11). 

Damit  genug.  Wir  wollten  an  einigen  Stichproben  zeigen,  was  sich 
alles  in  dem  Buche  beobachten  und  lernen  läfst,  und  die  Wissenschaft 
kann  dem  verdienten  Sammler  für  das  beigebrachte  Biesenmaterial  keinen 
besseren  Dank  abstatten,  als  den  der  Tat:  Möge  sie  es  denn  an  der  Ver- 
arbeitung nicht  fdüen  lassen,  für  die  wir  einige  Anregung  geben  wollten. 

Heiaeiberg.  Robert  Petsch. 

Karl  Weinhold^  Kleine  mittelhochdeutsche  Grammatik.  3.  Auflage, 
neubearbeitet  von  Gustav  Ehrismann.    Wien  und  Leipzig  1905. 

Die  von  Ehrismann  besorg  3.  Auflage  von  Weinholds  Kleiner  mittel- 
hochdeutscher Grammatik  bnngt  uns  das  Büchlein  in  einer  fast  ganz 
neuen  Gestalt,  wenn  auch  natürlich  der  ursprüngliche  Zweck,  mit  ihm 
eine  knappe  Einführung  in  die  Lektüre  mittelhochdeutscher  Texte  zu 
bieten,  sowie  Anlage  und  Plan  im  grofsen  beibehalten  blieb.  Der  Her- 
ausgeber hatte  eben  nicht  nur  die  Forschungsergebnisse  der  letzten  16  Jahre 
auf  diesem  Gebiete  zu  berücksichtigen,  er  mu&te  auch  in  der  Anordnung 
selbst  vielfach  ändern.  Weinholds  eigenartige  Arbeitsweise,  welche  die 
Menge  gemachter  Einzelbeobachtungen  nur  selten  in  ein  übersichtliches 
System  zu  vereinigen  verstand,  vermochte  hier  so  wenig  wie  in  sejnen 
übrigen  grammatischen  Arbeiten  Laut-  und  Flexionslehre  ohne  Restbestände 
in  Darstellung  aufzulösen.  Diese  aber  waren  nicht  immer  glücklich  un- 
tergebracht. 

Hier  war  also  viel  zusammenzufassen  und  umzustellen,  insbesondere 
aber  viel  auszuscheiden.  Rezensenten  scheint  hierin  die  Neuauflage  nicht 
imm»  weit  genue  gegangen  zu  sein.  Schreibeewohnheiten  und  graphische 
Eigenheiten  einzelner  Schulen,  wie  die  Umstellung  de«  r  aller-alre,  keUer- 
kärey  unerkant-unrekant,   verdienen  in  diesem  AorilB  ebensowenig  einen 


388  Beniteilaiigen  nnd  kurze  Anseigen. 

Platz  wie  so  vielee  andere^  was  von  Ehrismann  mit  Recht  aua^paKhiedes 
wurde.  Weit  eher  hätte  z.  6.  hier  der  Schwand  des  r  id  rltesen  il  a. 
erwähnt  werden  können.  Dafs  die  übersichtUche,  khire  Entwickelnng  der 
Lautwandlungen  Einzelerscheinungen  oft  absichtlich  übersehen  mofe  unl 
die  bestimmte,  normative  Sprache  eines  lichrbuches  die  tatsachlichen  Ver- 
hältnisse bisweilen  etwas  verschiebt  und  zurechtrückt,  ist  nie  ganz  zu 
yermeiden.  Immerhin  wünscht  man  z.  B.  eine  Korrektur,  woin  es  ^  27 
heilst:  'Die  mittelhochdeutschen  Dichter  vermeiden  Beime  zwischen  dem 
e  und  dem  älteren  Umlauts-^  binden  aber  e  mit  dem  jüngeren  Umlaats-o", 
da  die  grolse  Gruppe  der  österreichischen  Dichter  auch  e  und  ä  im  Beime 
trennt.  Ebenso  §  y6  :  'Die  Verschiebung  des  westgermanischen  d  zu  t  bt 
nur  oberdeutsch  eingetreten,  während  im  Mitteldeutschen  d  geblieben  ist' 
Auch  hier  möchte  man  gern  den  letzten  Teil  des  Satzes  einschränken  und 
ein  Wort  über  die  Bewegung  des  d  zu.  t  ia  bestimmten  Stelinngen  hä 
einzelnen  mitteldeutschen  Mundarten  im  Laufe  des  13. — 15.  Jahrhunderte 
hören.  Zur  Unklaifieit  führte  Kürze  des  Ausdrucks  §  68:  'Neben  ß^ 
und  jdmer  gehen  Formen  ohne  j,  ener  und  ämer,  welche  aber  gar  nicht 
miteinander  stammverwandt  sind'  —  was  wohl  nur  sa^en  will,  dafe  euer 
nicht  durch  Abfall  des  j  in  alt-  oder  mittelhochdeutsäier  Zeit  zustande 
kam.  Denn  in  letzter  Linie  bleiben  f^ier  und  'Sner  doch  stammverwandt, 
da  fiSner  auf  ener  oder  eine  damit  ablautende  Form  (ags.  jeonne)  zurück- 

J^eht,  die  sich  mit  dem  to-Pronomen  verband  (vgL  Brugmann,  Abhamd- 
ungen  der  phü^-hiaL  Klasse  der  kämglieh  säefunschen  GesäUckaft  der  Wis- 
sensehaften,  Bd.  XXII  Nr.  6). 

Im  ganzen  bleibt  die  sorgsame  Umarbeitung,  die  auch  nicht  eine  ZeQe 
der  alten  Auflage  unbesehen  nerübemahm  und  die  in  allem  nicht  nur  den 
wohlunterrichteten  Fachmann,  sondern  den  im  gleichen  Arbeitsfelde  tätiges 
Forscher  verrät,  eine  schöne  Leistung,  für  welche  wir  dem  Bearbeiter  Duik 
wissen  müssen. 

Znaim.  Viktor  Dollmayr. 

Waldemar  Oeblke,  Bettina  von  Arnims  Briefromane.    Berlin  IdO-S. 
Mayer  u.  Müller  (Palästra  X  41).    865  S. 

Es  ist  wohl  noch  selten  an  ein  ähnliches  Thema  aus  der  neuest 
deutschen  Literaturgeschichte  so  viel  gründlicher  Fleiis,  so  viel  scharfsinnige 
Beobachtung  und  unablässige  Aufmerksamkeit  gesetzt  word^i;  und  der 
eigentliche  Oegenstand:  Bettinens  Verhältnis  zu  ihren  'Quellen',  ksDD 
gewiis  im  wesentlichen  als  damit  erledigt  gelten.  Freilich  doch  nur,  soweit 
unter  diesen  Quellen  wirkliche  OriginalbridFe  von  Frau  Rat  Groethe,  Cle- 
mens und  der  Günderode  zu  verstehen  sind  —  auf  den  Briefroman  mit 
Philipp  V.  Nathusius  erstreckt  sich  die  Arbeit  nicht  — ,  die  entweder  un- 
mitteloar  benutzt,  oder  als  Vorbild  für  einigermafsen  analoge  Fiktionen 
gebraucht  sind.  Versteht  man  unter  'Quellen'  Bettinens  ihre  lebendige 
Anschauung  der  Persönlichkeiten,  so  fehlt  fast  das  Beste:  es  wäre  dann 
noch  erst  zu  studieren,  wie  sich  tatsächlich  jene  Gestalten  in  ihrem  Auge 
malten.  Denn  wohl  ist  in  eewissem  Sinne  alles,  was  Bettine  schreibt,  'nar 
Selbstporträt'  (S.  358),  docn  schon  die  Posen,  die  sie  sidii  gibt,  sind  von 
ihrer^ Auffassung  des  Gegenübers  abhängig. 

Überhaupt  merkt  man  dem  Buche  em  gewisses  Haften  am  literari- 
schen an,  wie  es  neuerdings  Walzel  mit  Kecht  an  vielen  Studien  zur 
Bomantik  getadelt  hat  —  der  Mensch  'kommt  nicht  heraus'.  Der  Verfasser 
weifs  nicht  nur  vortreffliche  Stilbeobachtungen  zu  machen  —  wie  schade^ 
dafs  ein  Wortverzeichnis  zu  seinen  guten  Bemerkungen  über  die  Wort- 
wahl fehlt  — ,  sondern  er  erhebt  sich  auch  zu  geistreichen  Bemerkungen 
über  den  Stil  im  ganzen,  etwa  (8.  858)  über  Beftinas  Interpunktion,  oSer 
(8.  326  f.)  über  ilu'en  und  Caroline  Günderodes  StiL    Aber  dem  Psycho- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  $89 

logischen  bleibt  er  so  fremd,  dals  er  (S.  341)  jenen  wüsten  Brief  Brentanos, 
von  dem  Zeit  1er  {Deutsche  Liebesbriefe  aus  neun  Jakrkunderteny  8.  429) 
treffend  urteilt,  es  dampfe  aus  ihm  eine  Mischung  aus  Satyriasis  una 
VampirismuB,  als  'urspriin glich'  bezeichnet,  wenn  auch  daneben  als  'toll'. 
und  der  sorgsame  8tilkritiker  versteigt  sich  (S.  339)  zu  dem  mehr  als 
wunderlichen  Satz:  'Grolse  dichterische  Geister  haben  nidit  eigentlich 
ein^  8til,  denn  sie  schaffen  an  dessen  Fundament  für  andere'.  Also  wäre 
Stil  eigentlich  das  Kennzeichen  untergeordneter  Geister! 

Indes  —  dafs  die  Untersuchung  noch  tiefer  gehen  könnte,  macht  ja 
die  literarische  Prüfung  nicht  weniger  wertvoll.  f%r  sie  hat  der  Verfasser 
alles  ausgenutzt,  mit  grolsem  Geschick  sogar  (für  die  Datierungen)  die 
Temperaturtabeilen  Bansas  (8.  78,  84,  119,  185,  253,  276).  Von  der  Lite- 
ratur scheint  ihm  aufser  meinem  Aufsätzchen  über  Goethes  Sonette  — 
das  sich  freilich  in  der  Chronik  des  Wiener  Ooethevereins  versteckt  hat  — 
nichts  entgangen  zu  sein.  Für  die  Vergleichung  bringt  er  aber  neben 
den  Kenntnissen  auch  Objektivität  mit,  die  er  z.  B.  in  der  schwierigen 
Untersuchung  über  Bettinens  Verhältnis  zu  Bartholdy  (8. 104  f.)  bewährt. 

Besonders  interessant  ist  natürlich  das  Ergebnis  betreffs  der  Dichtun- 
gen :  der  Sonette  Goethes  (S.  ÜÜ  f.,  69,  74,  82,  86,  100)  oder  des  Gedichtes 
*  Wiederfinden'  (8.  145),  vgl.  157,  der  Dichtungen  Tians  (8.  224  und  be- 
sonders 8.  219;  auch  hier  vermiist  man  ein  Kegister  der  Stellen).  Wie 
Bettine  nichts  unverändert  läfst  (8. 144),  wie  sie  einmal  eine  Stelle  in  allen 
drei  Briefromanen  verwendet  (8.  77),  wie  sie  Berufungen  erfindet  (8.  2*27) 
und  überhaupt  aus  ihrer  eigenen  Brief technik  (8.  355)  heraus  umformt 
(S.  6,  302,  311)  —  das  alles  oereichert  unsere  Anschauung  von  Bettinens 
Art  und  Kunst  auf  das  verdienstlichste. 

Durfte  nun  diese  Arbeit  von  bleibendem  Wert  nicht  auch  einer  besse- 
ren Form  wertgehalten  werden  ?  Die  wirren  (S.  06)  oder  unklaren  (8.  227) 
Sätze  passen  so  wenig  zu  der  Art  der  Arbeit;  die  hastig  hingeworfenen 
Ausdrücke  ('Schreiblässigkeit'  8.  81,  'für  Unechtheit  prädestiniert'  8. 127, 
'Zusammenhäufuns'  8.  805),  oder  die  barbarische  Verkoppelung  von  Ge- 
dankenstrichen und  —  Gottvertrauen  (8.  305)  ärgern;  die  lieblose  Anein- 
anderreihung meint  man  dem  Verfasser  um  seiner  selbst  willen  verdenken 
zu  müssen.  Wollen  wir  wieder  in  die  ungekämmte  Manier  verfallen,  die 
unseren  früheren  Literarhistorikern  so  sehr  geschadet  hat?  Bei  einer  un- 
bedeutenden Arbeit  liegt  nicht  so  viel  daran;  Oehike  aber  durfte  mit  dem 
schönen  Wort  schliefsen,  mit  dem  er  Bettina  charakterisiert:  als  einen 
'Protest  gegen  das  Unbedeutende!' 

Berlm.  Richard  M.  Meyer. 

Max  Drescher,  Die  Quellen  zu  Hauffs  Lichtenstein.  Leipzig,  Voigt- 
länder, 1905.  (Probefahrten.  Erstlingsarbeiten  aus  dem  Deutschen 
Seminar  in  Leipzig.   Herausgegeben  von  Alb.  Köster.  Bd.  VIII.)  VII, 

146  8. 

Die  aufmerksame  Arbeit  bietet  mehr  als  sie  ankündigt:  sie  behandelt 
Hauffs  Technik  im  'Lichtenstein'  überhaupt.  Insofern  freilich,  als  bei 
der  starken  Abhändgkeit  unserer  Erzähler  am  Anfang  des  19.  Jahrhunderts 
die  literargeschichüichen  Vorbilder  (8.  51  f.)  unmittelbar  auf  die  Auf- 
fassung von  Ereignissen  (8.  8  f.)  und  Personen  (8.  25  f.)  oder  Sagen 
(8.  32  f.)  einwirken,  kann  man  ja  auch  diese  Vorbilder  zu  den  'Quellen' 
rechnen. 

Drescher  vergleicht  Hauffs  Technik  (8.  77  f.)  und  Art  mit  der  von 
Gramer,  Spiefs,  Fouquö  und  Van  der  Velde,  sowie  des  mir  bisher 
uobekannten  Hildebrand  (8.  52);  die  Vergleichung  zeigt  Van  der  Velde 
den  vier  anderen  bedeutend  überlegen.  Aber  immer  wieder  hat  der  Ver- 
fasser (der  überhaupt  recht  monoton  schreibt  und,  besonders  8.  61,  pe- 


390  Bearteil  UDgen  und  kurze  ADselgea. 

dantiflch  eintdlt)  zu  betonen,  dafs  Hanff  vid  stärk«*  von  Scott  bedingt 
ist  als  von  allen  deutschen  Vorbildern.  Natürlich  wirkt  dabei  (S.  145 
Anm.)  der  schottische  Zauberer  mit  seiner  GesamtlMstnng,  nicht  etwa  (wie 
Eastman  meinte)  blols  mit  'Iyanlioe\ 

Die  Untersuchung  enthält  sich  sdi&dlicber  Parteilichkeit,  und  wenn 
Drescher  auch  nicht  eigentlich  zu  charakterisieren  versteht,  gibt  er  doch 
etwa  aus  Cramers  und  Fou<ju^s  Sprache  (8.  75)  oder  ana  den  typi- 
schen Kerkerszenen  (S.  140)  geeignete  Beispiele.  E^in  Versuch,  Anreron- 
gen  festzustellen,  die  nicht  von  historischen  Bomanen  der  Zeit  auseuieD, 
bldbt  aulser  dem  Hinblick  auf  Sprichwörter  (8. 119  f.)  und  ältere  Lieder 
(S.  120  f.)  aus.  E)rgieb]g  aber  wird  Hauffs  StU  besonders  auch  in  bezug 
auf  die  Varianten  des  Ausdrucks  (8.  116)  untersucht. 

Im  ganzen:  die  etwas  mühsame  Arbeit  des  fleifsigen  Schülers  eines 
tüchtigen  Lehrers. 

Berlin.  Richard  li.  Meyer. 

Friedrich  Hebbel,  Briefe.  I  1829-39  (Nr.  1—91),  414  S.  —  II  18:^9 
bis  1843  (Nr.  92—172),  VIII,  370  S.  —  m  1844—46  (Nr.  178— 228>, 
VI,  3Ö5  8.  —  IV  1847—62  (Nr.  229—894),  X,  425  S.  —  (Friedrich 
Hebbel,  Sämtliche  Werke.  Historisch-kritische  Ausgabe,  herausgegeben 
von  E.  M.  Werner.    3.  Abt.).    Berlin  1904—1906,  je  M.  8,  geb.  M.  4. 

Hebbels  Briefe  stehen  zwischen  seinen  Tagebüchern  und  seineii  Dich- 
tungen :  mit  jenen  teilen  sie  den  monologischen  Charakter,  das  Momentane 
und  Improvisatorische,  mit  diesen  die  für  den  Dichter  so  bezeichnende 
Tendenz,  sich  selbst  aufzuklären,  indem  er  sich  in  fremde  Seelen  vcarsetzt 
Im  ganzen  sind  sie  doch  naturgemäfs  den  privaten  Aufzeidmungen  noch 
näher  verwandt  und,  wie  diese,  eine  unmchdpf liehe  Schatzkammer  für 
den  Literarhistoriker,  den  Ästhetiker,  den  Psvcnologen. 

Die  nicht  genug  zu  rühmende  Hingabe  R.  M.  Werners  mulste  selbst- 
verständlich dies  corpus  epistulamm  der  grofsen  Gesamtausgabe  anfügen, 
wodurch  der  Herausgeber  und  auch  der  Verlier  mit  tapferer  Selbstver- 
leugnung die  eigene  'Nachlese'  überflüssig  gemacht  haben.  In  schlichter 
SacnlichKeit  le^  Werner  die  Briefe  in  ihrer  chronologischen  Folge  vor. 
Unzugänglich  blieben  wenige  Originale,  wie  Nr.  208  (3,  260),  im  Besitz 
der  Familie  Gurlitt;  verschollene  wurden,  wie  Nr.  138  (2,  132),  aus  Knhs 
Biographie  ergänzt.  In  den  Anmerkungen  hielt  der  Herausgebt'  s^ich 
zurück,  fügte  nur  etwa  dem  berühmten  'Memorial'  (Nr.  113;  2,  ."59)  eine 
Übersicht  von  Hebbels  Beziehungen  zu  seinem  weiblichen  Sindbad  Amalie 
Schopi>e  bei,  oder  tut  in  chronologischen  Feststellungen  (zu  Nr.  99;  2. 
19)  philologische  Arbeit  Auf  die  Briefe  der  Korrespondenten  wird  fast 
zu  selten  Bezug  ^nommen  (so  zu  Nr.  372 ;  8,  349).  Gelegentlich  (wie  zu 
Nr.  184;  2,  68)  sind  Nachweise  zu  Hebbels  Anspieluneoi  auf  eigene  Dich- 
tungen gegeben.  Eine  Riesenarbeit  haben  wir  noch  von  Werners  be- 
währtem FleiTs  zu  erwarten:  das  Register. 

Mit  dieser  Ausgabe  ist  Hebbel  auch  offiziell  in  die  Reihe  unserer 
grand^  Scrivains  eingetreten;  und  wenn  in  Briefpublikationen  für  Anzen- 
^ruber  oder  MÖriKC  vielleicht  des  guten  schon  zu  viel  geschehen  ist, 
dürfte  bei  dem  Genie  der  ästhetischen  Beichte  freilich  auch  kein  Zettel 
fehlen.  Die  Briefe  an  Hedde,  ein  seltsames  Gemisch  von  Aktenwesen  und 
Dichterspielen,  geben  den  Prolog  zu  dieser  ungeheuren  Lebensarbeit  des 
Kirchspielschreibers,  der  wie  der  Methodist  Whiteficld  auf  seinen  Grab- 
stein hätte  schreiben  dürfen :  'Die  Welt  ist  mein  Kirchspiel'.  Und  ist  in 
dieser  leidenschaftlichen  Aufmerksamkeit,  die  jeden  Einfall  und  jede  Be- 
obachtung ins  Repositorium  legt,  ist  in  der  Art,  wie  Hebbel  soidie  Auf- 
zeichnungen in  semen  Dichtungen  nutzt,  nicht  jederzeit  etwas  von  dem 
Aktenschreiber  lebendig  geblieben?    Waltet  in  der  pathetischen  Anrede 


BeuTteilangen  und  kurze  ÄDzeigen.  891 

des  Poeten  Hebbel  ans  Wesselburen  vom  30.  März  1881  nicht  schon  etwas 
von  jenem  Geist  der  Selbststilisierung,  der  ihn  auf  solche  Höhen  geführt  hat? 

Dann  wandern  wir  durch  die  verhängnisvollen  Erlebnisse  mit  Elise 
Lensing  und  Amalie  Schoppe:  es  ist  die  Zeit  seiner  breitesten  Brief- 
schreibung, fast  die  einzige,  in  der  er  korrespondiert,  um  zu  berichten  und 
Berichte  zu  empfangen.  Der  literarisch  -  geschäftliche  Briefwechsel  mit 
Gutzkow,  Tieck,  Kühne,  Menzel,  Oehlenschiäger  entwickelt  sich.  Mit  dem 
dritten  Bande  tritt  Bamberg  auf,  und  der  Briefwechsel  fän^t  an,  vernehm- 
lich 'zum  Fenster  herauszusprechen'.  Die  Wiener  Zeit  zeigt  den  Dichter 
dann  bereits  als  beherrschenaen  Mittelpunkt  eines  grofsen,  geistig  regsamen 
Kreises,  aber  zugleich  auch  einer  ihn  mit  Liebe  umgebenden  und  enüUen- 
den  Familie.  Die  Kämpfe  mit  den  Dramaturgen  und  den  Kritikern  ge- 
winnen eine  dramatische  Lebhaftigkeit.  Ein  niät  geringes  Mafs  von  Diplo- 
matie, von  klug  berechneten  Andeutungen  besonders  beim  Urteil  Ober 
andere  Autoren,  ist  reizvoll  zu  beobachten.  Mit  dem  Münchener  Sieg  der 
'Agnes  Bernauerin'  schliefst  wirksam  der  zweite  Band,  und  'Nux'  unter- 
schreibt sich,  wie  der  Amtsschreiber  in  dem  Briefwechsel  mit  Freund 
Hedde  sich  hatte  unterschreiben  können:  'Fröhlich,  aber  geplagt'.  So 
wird  auch  der  Herausgeber  sich  unterschreiben  können,  wenn  er  auf  seine 
Arbeit  zurückschaut:  'Greplagt,  aber  fröhlich I' 

Berlin.  Bichard  M.  Meyer. 

£.  Satro^  Das  Doppel wesen  des  Deokens  and  der  Sprache. 
Herausgegeben  unter  dem  Protektorat  der  Internat,  physio-psych.  Ge- 
sellschaft.   Berlin  1905.    XIV,  279  S. 

Auch  in  diesen  auf  die  Entstehung  der  Stimme  und  der  Sprache  ge- 
richteten Untersuchungen  finden  wir  nur  voreilige  'Gesetze'  auf  schmälster 
empirischer  Basis.  *Wenn  man  genau  zuhört,  wird  man  finden,  dafs  in 
der  Sprache  der  Ausdruck  für  das  Abstrakte  einen  ^rölseren  Wohlklang 
in  sich  birgt  als  der  für  das  Konkrete'  (S.  121).  Bei  zusammengesetzten 
Wörtern  geht  die  Bewegung  bei  dem  ersten,  dem  ideellen  Wort,  vom 
Zwerchfell  aufwärts,  beim  zweiten,  dem  reellen,  vom  Zwerchfell  abwärts 
vor  sich  (S.  146).    Und  so  entsteht  (S.  232)  'eine  neue  Wissenschaft'. 

Berlin.  Bichard  M.  Meyer. 

J.  Ernst  Wülfing,  Was  mancher  nicht  weifs.  Sprachliche  Plaude- 
reien.   Jena,  Costenoble,  1905.    VIII,  192  S. 

Wieder  eins  der  seit  Hildebraud,  Schroeder,  Schrader  Mode 
gewordenen  Spracherziehun^bücher,  das  (wie  die  meisten)  seine  Aufgabe 
spielend  zu  lösen  sucht,  bchla^worte,  Zitate,  Fremdworte,  Redensarten 
werden  besprochen,  etymologisch  beleuchtet,  kritisch  gewürdigt ;  ^erstklassig' 
wird  (S.  139)  glücklicherweise  verworfen.  —  Die  Anordnung  ermüdet  durdi 
ihre  Willkür,  wird  aber  durch  ein  Wortverzeichnis  einigermaisen  ausge- 
glichen. Der  Umkreis  der  besprochenen  Worte  und  Wendungen  ist  ziem- 
lich weit;  sogar  der  funkelnagelneue  'Concern'  fehlt  nicht  (S.  155).  Natür- 
lich steht  auch  recht  viel  dann,  was  mancher  schon  weiüs;  aber  als  Zei- 
chen des  neuen  Interesses  an  det  Sprache  begrülsen  wir  auch  dies  Büchlein. 

Berlin.  Bichard  M.  Meyer. 

Friedrich  Blatz^  Neuhochdeutsche  Schulgrammatik  für  höhere  Lehr- 
anstalten. 7.  Auflage,  neubearbeitet  von  Dr.  Eugen  iStulz,  Professor 
am  Grofsherzoglichen  Lehrerseminar  in  Ettlingen.  Karlsruhe,  J.  Längs 
Buchhandlung,  1905.    272  S. 

Die  BlatzBche  Schulgrammatik  hat  durch  diese  Neubearbeitung  eine 
-wesentliche  Umgestaltung  erfahren.   Hinzugetreten  ist  zu  dem  alten  Stoffe 


392  Beurteilungen  und  kurze  Anzdgen. 

vor  allem  ein  Abrii«  der  Phonetik  mit  erläuternden  Abbildungen  auf 
Techmers  Phonetik  und  ein  Überblick  über  die  geschichtliche  Entwicke- 
ln nf  der  deutschen  Sprache,  in  dem  die  drei  Sprachstufen,  Alt-,  Mittei- 
und  Neuhochdeutsch,  im  allgemeinen  charakterisiert  werden,  der  zeitliche 
Bedeutungswandel  der  Wörter  durch  Beispiele  anschaulich  gemacht  und 
die  Differenzierung  der  Sprache  in  Mundarten  sowie  deren  G^tungsg^iet 
besprochen  wird.  Dafs  es  dem  Bearbeiter  insbesondere  darum  zu  tun  ist 
dem  Schüler  deutlich  zu  machen,  dals  die  Sprache  etwas  geschichtlich 
Gewordenes,  in  steter  Entwickelung  und  Veränderung  Begrinenes,  etwas 
Lebendiges  ist,  zeigt  sich  nicht  nur  hier.  Dahin  zielen  auch  Tielfaich  Be- 
merkungen in  der  Flexions-  und  Satzlehre.  Und  darum  findet  sich  auch 
nirgends  jene  schulmeisternde  Engherzigkeit  und  Unduldsamkeit,  die  nur 
eine  Oebrauchsform  als  richtig  anerkennt,  wo  die  tatsächlichen  Verhält- 
nisse oft  schwanken  und  Doppdf ormen  vorliegen,  wie  im  Prät.  von  &agira, 
fragte  —  frug,  oder,  um  eins  für  vieles  zu  erwähnen,  in  der  Konstruktion 
von  lehren  mit  Akk.  -und  Dat.  der  Person,  welch  letzteren  die  Latein - 
schulen  meist  schon  des  Parallelismus  mit  docere  wegen  perhorreszieren. 
Und  doch  ist  hier  die  Dat. -Konstruktion  —  auch  in  aktiven  Wendungen 
(vgl.  dagegen  Blatz-Stulz  §  150  4,  Anm.  1)  —  in  der  Umgangssprache 
wie  in  der  Kunstprosa  (z.  B.  Goethes)  oft  zu  bellen  und  darum  erlaubt. 

Der  Stoff  der  früheren  Auflagen  ist  starfc  gekürzt,  insbesondere  in 
den  Beispielsammlungen,  aber  audi  in  der  Darstellung,  welche  freilich 
darum  stellenweise  eine  Kürze  und  Prägnanz  zeigt,  die  nur  bei  ausgiebiger 
mündlicher  Erörterung  von  Seite  des  Lehrers  fruchtbar  werden  dürtte 
Dafs  der  Bearbeiter  trotz  mancher  tiefgreifender  Umformung  im  wesent- 
lichen die  alte  Einteilung  nicht  änderte  und  an  der  alten  Abgrenzung  der 
Syntax  festhielt,  ist  nur  zu  billigen.  Die  von  John  Ries  aufgerollte  rrin- 
zipienfrage  {Was  ist  Syntax,  18U4)  ist  an  und  für  sich  noch  nicht  zum 
Austrage  gebracht,  und  auch  in  rein  wissenschaftlichen  Darstellungen  von 
vielen  Syntaktikern  mit  gutem  Grunde  in  konservativem  Sinne  beant- 
wortet worden.  Um  so  weniger  darf  eine  Schulgrammatik  diese  neuen, 
unsicheren  Wege  beschreiten.  In  dieser  Überzeueung  hat  Bezens^ten 
Sütterlins  interessanter  Versuch  (Die  deutsche  Sprache  £r  Oegenwart,  1900) 
^er  bestärkt  als  erschüttert. 

In  Einzelheiten  der  Anordnung  hätte  Stulz  allerdings  noch  bessern 
Rollen.  So  sind  auch  in  der  neuen  Auflag  die  deutscnen  Betonungs- 
gesetze nicht  im  Zusammenhange,  sondern  in  drei  Abschnitten  zerstreut 
besprochen.  Am  meisten  Bedenken  erregt  im  Anhangteile  die  Darstellung 
der  Lautverschiebung.  Dafs  die  idg.  Media  Aspirata  im  Germ,  nicht  zu 
'weichen  Verschlufslauten  (MediäV  wurden,  wufste  Stulz  gewils  selbst,  aber 
auch  der  Vereinfachung  halber  durfte  er  diesen  Satz  nicht  schreibe»,  da 
er  ja  doch  im  folgenden  den  Terminus  'tönende  Spiranten'  gebraucht. 

Znaim.  Viktor  Dollmavr. 

Arthur  Ritter  von  Vincenti^  Die  altenglischen  Dialoge  von  Salo- 
mon  und  Saturn.  Mit  historischer  Einleitung,  Kommentar  und 
Glossar.  Erster  Teil.  Leipzig,  A.  Deichertsche  Verlassbuchhdlg.  Nachf. 
(Georg  Böhme),  19U-I.  XXI,  1-^5  S.  8.  M.  3,t)0.  (Münchener  Beitrto 
zur  roman.  u.  engl.  Philologie,  hg.  von  H.  Breymann  und  G.  Schier, 
XXXI.  Heft.) 

Der  erste  Teil  der  noch  nicht  vollständig  erschienenen  Arbeit  über 
das  altenglische  Gedicht  Salomon  und  Saturn  bildet  gewissermaCsen  eine 
literaturgeschichtliche  Einleitung  zu  dem  noch  abzuwartenden  zweiten 
Teil,  der  eine  Lautlehre  und  einen  unter  nochmaliger  Vergleichung  der 
Handschriften  hergestellten  kritischen  Text  mit  beigefügtem  Kommentar 
und  Glossar  bringen  wird.    Bisweilen  beruft  sich  der  Venaaser  auf  BeBul- 


BeurteiluDgen  und  kurze  Anzeigen.  ^98 

täte,  die  der  zweite  Teil  bringen  wird;  in  solchen  Fällen  ist  es  natfirlich 
nicht  möglich,  sich  über  die  Richtigkeit  seiner  Darstellung  eine  Ansicht 
zu  bilden. 

Die  eigentliche  Einleitung  (S.  1 — 25)  behandelt  die  allgemeine  Ge- 
schichte der  Sagen  von  i:^alomo.  Zuerst  wird  natürlich  über  die  Berichte 
über  Salomo  in  der  Bibel,  dem  Talmud  und  den  kabbalistischen  und  tal- 
mudischen Schriften  gehandelt.  Es  war  natürlich  nicht  die  Absicht  des 
Verfassers,  in  dieser  und  der  folgenden  Darstellung  der  Geschichte  der 
Sa^en  von  Salomo  Neues  zu  bringen.  Es  kam  natürlich  nur  darauf  an, 
mehr  oder  weniger  bekannte  und  feststehende  Tatsachen  kurz  und  hand- 
lich zusammenzufassen.  Der  Verfasser  zitiert  hier  wie  sonst  sehr  fleifsig 
die  einschlägige  Literatur ;  in  dieser  Hinsicht  scheint  sogar  Vollständigkeit 
angestrebt  zu  werden.  Der  elfte  Band  der  grofsen  ^toish  Eneydopedia 
(herausgegeben  von  Singer),  wo  die  semitischen  Sagen  von  Salomo  aus- 
führlich behandelt  werden,  erschien  nach  der  uns  vorliegenden  Arbeit  und 
konnte  also  vom  Verfasser  nicht  benutzt  werden. 

Von  den  Juden  wanderte  die  Sage  zuerst  zu  den  Arabern,  wo  sie 
mehrfach  umgestaltet  wurde.  Aus  dem  Orient  wanderte  sie  nach  dem 
Abendlande,  wo  sie  einen  riesigen  Erfolg  erzielte  und  in  fast  alle  Vulgär- 
snrachen  übersetzt  und  aufserdem  fast  überall  poetisch  behanddt  wurde. 
Der  Verfasser  erwähnt  kurz  ihre  Entwickelung  in  Byzanz,  in  den  sla- 
wischen, germanischen  und  romanischen  Ländern.* 

Von  den  germanischen  Bearbeitungen  ist  die  altenglische  Sage  von 
Salomo  und  Saturn  sicher  die  älteste.  Sie  unterscheidet  sich  von  den 
Fassungen  der  Sage  in  anderen  Ländern  dadurch,  dafs  sie  von  der  be- 
kannten Entführungsgeschichte  keine  Spur  enthält;  eine  Frau  des  Salomo 
wird  nicht  einmal  erwähnt,  und  ebensowenig  kommt  ein  Ring  oder  ein 
Hörn  zur  Sprache. 

Die  altenglische  Fassung  gehört  nun  zu  jener  Gestaltung  der  Sase, 
in  welcher  zwei  Persönlichkeiten  sich  in  einem  Redekampf  messen.  In 
drei  Gesprächen  tritt  Salomo  als  König  der  Christenheit  dem  heidnischen 
Saturn  gegenjiber.  In  dem  ersten  poetischen  Dialog  erklärt  Salomo  dem 
Saturn  die  Überlegenheit  des  Paternoster  über  die  Teufel,  und  dies  in 
ganz  orientalischer  Weise.  Hierin  erblickt  v.  Vincentl  eine  Anlehnung 
an  die  Dämonensagen,  wie  sio  bei  den  Juden,  Arabern  und  im  Testament 
des  Salomo  vorliegen.  Der  darauf  folgende  prosaische  Dialog  mit  der 
riesenhaften  Beschreibung  de»  Paternoster  erinnert  an  die  Beschreibungen 
des  Aschmedai  (Asmodeus),  die  wir  in  talmudischen  Schriften  finden.  In 
einer  von  diesen  schleudert  Aschmedai  den  Köni^  Salomo  400  Meilen  weit 
hinwe^y  in  einer  anderen  wächst  er,  als  Salomo  ihm  seineu  Ring  gegeben 
hat,  nesig  empor;  ein  Flügel  reicht  bis  in  den  Himmel,  der  andere  stützt 
sich  auf  die  Erde.  Er  verschluckt  den  König  und  speit  ihn  400  Para- 
sangen  weg  von  sich.  In  dem  dritten,  poetischen  Dialog  belehrt  Salomo 
den  Saturn  über  allgemeine  Dinge  theologischen,  naturwissenschaftlichen 
oder  rein  menschlichen  Interesses.  Mit  denjenigen  Dialogen  in  latei- 
nischer, französischer  und  deutscher  Sprache,  die  zu  einer  Vergieichung 
herangezogen  werden  können,  hat  dieser  ae.  Dialog  so  gut  wie  gar  nichts 
gemeinsam.  Einige  Berührungspunkte  zwischen  der  englischen  Sage  im 
allgemeinen  und  den  anderen  Salomo- Marko Iphsagen  lassen  sich  jedoch 
erkennen,  worauf  wir  aber  hier  nicht  näher  einzugehen  brauchen  (v.  Vin- 
centi  S.  24  f.). 

Danach  behandelt  der  Verfasser  die  altenglische  Sage  selbst,  zuerst 
«ihre  Überlieferung  und  dann  ihre  Komposition  (S.  20 — 125).    Im  ersten 


'  Der  schwedische  Marcolphus  (s.  3chttck,  Svemk  Ulerciturhisiona,   Stockholm 
1890,  S.  361  f.)  ist  dem  Verfasser  nnbekannt  geblieben. 

ArchiT  f.  n.  Sprachen.    CXYI.  26 


894  BeurteiluDgen  und  kurze  Anzeigen. 

Abschnitt  (S.  26—44)  wird  über  die  Ausgaben,  Textverbessenuigeii  nnd 
Besprechungen  der  flJtenelischen  Bearbeitungen  der  Sage  berichtet.  Von 
der  Gestaltung  der  Sage,  die  im  Cotion  VitdUtu  A  XV  überliefert  ist,  wird 
mit  Recht  ganz  abgesehen,  da  sie  mit  den  anderen  Fassungen  gar  nichts 
zu  tun  hat  und  in  ein  ganz  anderes  Gebiet  gehört.  In  diesem  Abschnitt 
wird  auch  über  die  vom  Verfasser  in  Aussicht  gestellte  Ausgabe  gehan- 
delt Er  will  versuchen,  'einen  den  philosophischen  Anforderungen  ent> 
sprechenden  Text  mit  vollkommenem  Varianten  Verzeichnis  zu  liefern'; 
ebenso  hat  er  sich  bemüht,  durch  einen  ausführlicheren  Kommentar  das 
Verständnis  der  schwierigeren  Stellen  zu  erleichtem  und  durch  das  bei- 
gefügte vollständige  Glossar  einem  sämtlichen  Ausgaben  anhaftenden 
Mangel  abzuhelfen.  Hier  gibt  der  Verfasser  auch  die  verschiedenen,  oft 
weit  auseinander  gehenden  Ansichten  der  Gelehrten  über  diese  Dialoge 
wieder.  S.  44 — 51  enthalten  eine  Beschreibung  der  Handschriften  mit 
Auseinandersetzungen  über  ihr  Verhältnis  zueinander  und  ein  Verzeichnis 
der  handschriftlichen  Längezeichen. 

Der  Best  des  Heftes  (S.  52 — 125)  handelt  über  die  Komposition  der 
Dialoge  und  zerfällt  in  aie  folgenden  Abschnitte:  1)  Wesen  und  Erklä- 
rung der  altengjischen  Fassungen,  2)  Die  Persönlichkeiten  des  Salomo 
und  Saturn,  8)  Über  die  Gottheit  Satums  bei  den  Germanen,  4)  Quellen- 
frage. 

Die  drei  Zwiegespräche,  woraus  der  altenglische  Salomo  und  Saturn 
besteht,  sind  voneinander  vollständig  unabhängig;  die  zwei  poetischen 
Stücke  rühren  von  zwei  verschiedenen  anslischen  Dichtem  her,  das  Prosa- 
stück ist  von  einem  Westsachsen  verfaßt.  Der  vollständige  Beweis  für 
diese  Behauptungen  wird  erst  in  der  noch  ausstehenden  Xiautlehre  er- 
bracht. Die  eingehende  Analvse  der  Dialoge,  die  der  Verfasser  schon  in 
dem  uns  vorliegenden  Teile  bringt,  soll  seine  Behauptungen  in  diesem 
Punkte  noch  weiter  erhärten.  Durch  sie  wurde  es  auch  möglich,  den 
Kern  der  Dichtung  und  das  Wesen  des  rätselhaften  Saturn  zu  ergründen. 

Wie  schon  bemerkt,  ist  die  altenglische  Überlieferung  in  drei  geson- 
derte, unabhängige  Stücke  %u  zerspalten.  Die  beiden  Gedichte  sind  sicher 
nur  wegen  der  äufserlichen  Ähnlichkeit,  dafs  in  beiden  Salomo  und  Saturn 
auftreten,  in  eine  Handschrift  vereinigt  worden;  die  Prosa  wurde  nur 
wegen  des  verwandten  Inhalts,  den  sie  mit  dem  ersten  Gedichte  hat,  ein- 
geschoben; denn  in  ihrer  Auffassung  des  Paternoster  ist  sie  mit  dem 
ersten  Gedichte  gänzlich  unverwandt 

Über  das  Wesen  und  den  Inhalt  der  altenglischen  Fassungen  berichtet 
uns  nun  der  Verfasser  sehr  ausführlich,  woSd  einige  Beiträge  zu  ihrer 
Erklärung  geliefert  werden.  Natürlich  muXis  ich  auf  ein  eingehendes 
Referat  dieses  Abschnittes  verzichten.  Nur  einige  Punkte  werde  ich  hier 
herausgreifen.  Saturn  ist  ein  Chaldäer;  er  ist  ferner  ein  Heide,  der  über 
das  psumenbezweigte  Paternoster,  über  den  Cantic  und  über  das  Wesen 
des  Christentums  aufgeklärt  sein  will.  Über  diese  Gegenstände  entspinnt 
sich  nun  das  Zwiegespräch  zwischen  ihm  und  Salomo;  hierbei  handelt  es 
sich  aber  hauptsächlidi  um  die  Gewalt  des  Paternoster  und  der  neunzehn 
Buchstaben  desselben.  Zugmnde  gelegt  ist  das  Paternoster  nach  Matthäus 
VI  9 — 18  (nach  der  Vulgata).  Eine  lateinische  Vorlage  ist  sicher  dafür 
anzunehmen.  Nach  der  Ansicht  des  Verfassers  wollte  der  Dichter  mit 
seiner  Schilderung  des  Paternoster  vor  allem  den  Zweck  verfolgen,  die 
Überlegenheit  des  Christentums  über  die  heidnisch-germanische  Keli^on 
zum  Ausdruck  zu  bringen.  Noch  deutlicher  tritt  uns  dieselbe  Tendenz 
in  dem  auf  das  erste  Glicht  folgenden  prosaischen  Dialoge  entgegen,  des 
nun  vom  Verfasser  analysiert  wird. 

Nach  dem  Prosabruchstück  ist  ein  Blatt  herausgeschnitten  word^i. 
Der  Verfasser  ist  nun  der  Meinung,  dafs  dieses  Blatt  nicht  die  Fortsetzung 
der  Prosa  enthielt;  diese  Fortsetzung  mufs  man  sich  nämlich  viel  aus- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  895 

fuhrlicher  YoretelleD,  als  dafs  ein  einziges  Oktavblatt  dafür  ausgereicht 
hätte.  Vielmehr  mufs  man  annehmen,  dafs  sich  auf  dem  fehlenden  Blatte 
die  Fortsetzung  des  zweiten  Gedichtes  (also  nach  V.  501  =  V.  504  bei 
Grein- Wulker)  befand,  an  die  sich  dann  der  Schlufs  des  zweiten  Gedichtes 
in  den  Versen  169—177  (=  V.  170—178  bei  Grein-Wülker)  anschlofs.  Die 
letztgenannten  Verse  gehören  nämlich,  wie  der  Verfasser  in  der  Laut- 
lehre zu  zeigen  verspricht,  der  Sprache  nach  zum  zweiten  Gedicht  und 
bilden  also  nicht  den  Schlufs  des  ersten  Gedichtes.  Dafs  auf  dem  feh- 
lenden Blatte  die  Fortsetzung  des  zweiten  Gedichtes  gestanden  hat,  will 
der  Verfasser  auch  aus  anderen  Umstanden  erschliefsen :  zwischen  V.  501 
(504)  und  V.  169  (170)  haben  wir  nämlich  höchstwahrscheinlich  eine  Aus- 
einandersetzung Salomos  über  das  Jüngste  Gericht  und  die  Verurteilung 
des  bösen  Menschen  sowie  die  letzte  Frage  Saturns  nach  dem  Jüngsten 
Gericht  zu  erwarten.  Dieses  kann  höchstens  zwei  Seiten  in  der  Hand- 
schrift ausgefüllt  haben  und  mufs  den  Versen  169—177  (170—178)  vorher- 
gegangen sein. 

Wie  schon  angedeutet,  weicht  das  Prosastück  von  dem  ersten  Gedicht 
inhaltlich  ab.  Das  Paternoster  erscheint  in  der  Prosa  nicht  als  ein  Palm- 
baum, sondern  als  ein  Riese  von  unermefslicher  Gröfse :  seine  Augen  sind 
12000  mal  glänzender  als  die  ganze  Erde,  seine  Arme  12000  mal  langer 
als  die  Erde,  sein  Gedanke  ist  schneller  als  12000  heiliee  Geister  usw. 
Noch  mehr  sticht  der  Verfasser  des  Prosastückes  gegen  den  des  zweiten 
Gedidites  ab,  das  nun  vom  Verfasser  analysiert  wird.  Auf  diese  Analyse 
will  ich  auch  nicht  weiter  eingehen.  In  Bezug  auf  die  Überlieferung 
möge  erwähnt  werden,  dafs  der  Verfasser  annimmt,  dafs  vor  S.  23  ein 
Blatt  fehlt,  und  dafs  dieses  eine  lange  Betrachtung  Saturns  über  das 
Wasser  ^wahrscheinlich  über  die  Taufe)  enthielt  Schipper  und  Wülker 
nehmen  hier  keine  Lücke  an.  —  In  dem  zweiten  Gedient  unterscheidet 
der  Verfasser  acht  verschiedene  Hauptpunkte;  hier  finden  wir  orientalisch- 
rabbinische,  christliche  und  germanisch-heidnische  Elemente  vereinigt.  Wir 
haben  hier  sehr  ernste,  ja  recht  objektive  Auseinandersetzungen  in  JEtätsd- 
form. 

In  allen  drei  Fassungen  lafst  sich  eine  Gegenüberstellung  von  Christen- 
tum und  Heidentum  erkennen.  Der  Verfasser  ist  deshalb  der  Ansicht, 
dals  sie  in  einer  Zeit  entstanden  sind,  in  der  das  Christentum  das  ger- 
manische Heidentum  noch  nicht  end^ltig  besiegt  hatte. 

Das  zweite  Gedicht  ist  nach  v.  Vmcenti  von  einem  Nordhumbrer  ver- 
fafst.  Um  es  zu  datieren,  müssen  die  kirchlichen  Verhältnisse  Nordhum- 
briens,  wo  die  Kultur  im  9.  Jahrhundert  von  den  Dänen  zerstört  wurde, 
mit  in  Betracht  genommen  werden.  Als  terminus  ad  quem  könnte  das 
Jahr  1000  betrachtet  werden. 

Der  Abschnitt  schliefst  mit  einigen  Vergleichen  von  den  altenglischen 
Dialogen  mit  anderen  Denkmälern,  mit  welchen  sie  a  priori  nähere  oder 
entferntere  Verwandtschaft  vermuten  liefsen.  Ein  Vergleich  mit  anderen 
englischen  Denkmälern  führt  aber  nur  zu  einem  negativen  Resultat.  Da- 
gegen erinnern  die  Dialoge  in  hohem  Grade  an  die  Wortkämpfe,  die  wir 
in  der  altskandinavischen  Literatur  finden.  Hier  kommt  vor  allem  das 
altnordische  Vaf|)rüdnismäl  in  Betracht.  Dagegen  hat  das  Hdrbarbsliöd 
mit  unseren  Dialogen  nichts  gemeinsam.  Andere  Eddagedichte  bieten 
jedoch  einige  Ähnlichkeiten.  Auch  in  der  altfranzösischen  Literatur  lassen 
sich  hier  und  dort  einige  Berührungspunkte  mit  unseren  Dialogen  er- 
kennen. 

Danach  bespricht  der  Verfasser  (S.  86 — 107)  die  Persönlichkeiten  des 
Salomo  imd  Saturn.  Über  Salomo  ist  dabei  nicht  viel  zu  sa^en;  dals  er 
zugleich  als  Herrscher  Israels  und  als  König  der  Christenheit  erscheint 
und  den  Saturn  über  das  Paternoster,  das  Jüngste  Grericht  usw.  aufklärt, 
ist  nicht  so  besonders  auffallend   und  steht  mit  der  Auffassung  dieser 

26* 


896  Beurteilungen  und  kune  Anzdgen. 

Zeiten  völlig  im  Einklang.    Von  einer  Frau  SalomoB  wird  kein  einzigee 
Wort  gesagt 

Um  80  mehr  intereasiert  uns  aber  die  Persönlichkeit  ßatums.  Er 
ist  in  allen  Hinsichten  eine  echt  orientalische  Figur;  mit  dem  römischen 
Gott  hat  er  nur  den  Namen  gemeinsam.  Dafs  ihm  dabei  auch  heidnisch- 
germanische Weisheitssprüche  in  den  Mund  gelegt  werden,  lälst  sich  ja 
Mcht  erklären ;  sogar  der  Philisterfürst  führt  ja  den  germanischen  Namen 
'Wandernder  Wolf .  In  seiner  Auffassung  von  der  Persönlichkeit  Satoms 
weicht  der  Verfasser  von  den  Ansichten  Vogts  {Salman  u.  Morolf,  Halle 
1880,  8.  Lin  ff.)  mehrfach  ab.  So  z.  B.  weist  v.  Vincenti  die  Ansicht 
Vogts,  wonach  Saturn  als  der  Bruder  Salomos  aufzufassen  sei,  mit  Recht 
zurück. 

Qanz  besonders  interessiert  uns  die  Frage,  wie  die  altenglischen 
Verfasser  resp.  deren  Quellen  dazu  kamen,  den  Chaldäerfürsten  Saturn 
dem  Salomon  ee^enüber  zu  stellen.  Der  Verfasser  beruft  sich  hier  auf 
Schenkels  BibeUeSikon,  wonach  der  echt  italische  Saturn  ziemlich  früh  mit 
dem  alten  Kronos  identifiziert  wurde;  bei  einer  späteren  Identifizierung 
hellenischer  und  phönizischer  Götter  stach  bei  Kronos  der  Zug  in  die 
Ausen,  dafs  er  die  Kinder  verschlunffen  hatte,  und  dies  führte  nun  dahin, 
da£  man  ihn  mit  dem  kinderverscnlingenden  Moloch  zusammenstellte. 
Auch  die  astrologische  Bedeutung,  die  Saturn  erhielt,  mufs  man  mit  in 
Betracht  nehmen.  'Den  babylonisch  £1  genannten  Planeten  finden  wir 
durch  die  Vermittelung  des  Kronos  latinisiert  als  Saturn  wieder,  und  so 
wird  dieser,  resp.  der  ihm  entsprechende  Moloch,  in  das  astrologische 
System  gebracht,  so  dafs  der  Planet  El-Moloch  oder  Kronos-Saturn  zum 
wichtigsten  Schicksals bestimmer  wird,  dem  unter  den  Wochentagen  der 
Samstag  gewidmet  wurde.'  Es  ist  deshalb  wahrscheinb'ch,  dafs  der  dem 
Salomo  gegenübergestellte  Saturn  eine  Erinnerung  an  den  chaldäischen 
Sternenkultus  und  Wi^sagedienst  widerspiegelt.  Natürlich  ist  in  dem 
Falle  die  Vermittelung  antiker  oder  anderer  Quellen  anzunehmen.  'Der 
gemeinsame  Zug  des  Kinderfressens  wird  doch  wohl  der  Grund  zu  der 
Vermischung  von  Moloch  und  Saturn  gewesen  sein.  Für  die  Verbindung 
des  SaJomo  mit  Moloch  und  die  Ausgestaltung  zur  Sage  mag  vielleicht 
der  Bericht  aus  3.  Könige  Kap.  11,  5  und  6:  'und  Salomo  verehrte  den 
Moloch,  den  Götzen  der  Am  moniter'  einen  Einflufs  gehabt  haben. 

Der  Name  Moloch,  der  König  bedeutet,  gehört  nur  der  LXX  an;  im 
Hebräischen  heilst  er  Molech,  Milcom,  MaJcom,  Malcol,  und  so  müssen 
wir  wohl  mit  ten  Brink  annehmen,  dafs  durch  die  Verwechselung  von 
Malcol  mit  Marcol  Saturn  als  Salomos  Dialogist  in  die  Reihe  gekom- 
men ist' 

In  dem  folgenden  Abschnitt  (S.  107 — 122)  bespricht  v.  Vincenti  die 
von  früheren  Gelehrten  ausgesprochene  Ansicht,  daüs  wir  auch  einen  Sa- 
turn als  germanischen  Gott  ansehen  dürfen.  Diese  schon  a  priori  durch- 
aus unwsuirscheinliche  Behauptung  wird  nun  einleuchtend  widerlegt  und 
dürfte  wohl  jetzt  endgültig  aus  der  Welt  gebracht  sein. 

Zuletzt  berührt  der  Verfasser  k&dz  kurz  die  Quellenfrage  (S.  122—125). 
Die  Vorlage,  die  unsere  altenglischen  Verfasser  benutzten,  ist  noch  nicht 
gefunden.  Die  Ansicht  früherer  Forscher,  dafs  wir  sie  In  der  verlorenen, 
m  einem  Dekret  erwähnten  Contradietio  Sahmonü  zu  erblicken  hätten, 
weist  der  Verfasser  als  höchst  unwahrscheinlich  zurück.  Es  ist  aber  ziem- 
lich sicher,  da(s  die  Verfasser  nach  einer  lateinischen  Vorlage  arbeiteten. 

Ich  habe  mich  in  meinem  Referat  absichtlich  jeder  Kritik  enthalten. 
Eine  solche  überlasse  ich  berufeneren  Kräften.  Besonders  viel  Neues  ent- 
hält das  Buch  ja  nicht.  Aber  es  bildet  eine  sehr  nützliche  und  dankens- 
werte Einleitung  zu  dem  Studium  dieser  überaus  interessanten  altenglischen 
Denkmäler. 

Göteborg.  Erik  Björkman. 


BeurtdluDgen  und  kurze  Anzeigen.  897 

Max  SchünemaDD,  Die  Hilfszeitwörter  in  den  englischen  Bibel- 
übersetzungen der  Hexapla  (1388—1611).  Berlin,  Mayer  &  Müller, 
1902.    59  S. 

Franz  J.  Ortmann,  Formen  und  Syntax  des  Verbs  bei  Wycliffe 
und  Purvey.  Ein  Beitrag  zur  mittelengliBchen  Qrammatik  nebst 
einem  Anhang.    Berlin,  Mayer  &  Müller,  1902.    VII,  95  S. 

Die  Sprache  der  englischen  Bibelübersetzungen  hat  hier  zwei  gleich- 
zeitig erscnienenen  verbaLByDtaktischen  Untersuchungen  das  Matenal  ge- 
liefert, das  in  glücklicher  Arbeitsteilung  von  den  Verfassern  für  die  For- 
sdiung  nutzbar  gemacht  worden  ist.  Scnünemann  unternimmt  es,  in  stoff- 
licher Begrenzung  des  Gegenstandes  der  Entwickelung  nachzugehen,  die 
die  bedeutsame  Kategorie  der  Hilfsverben  in  einem  ^i träum  von  etwas 
mehr  als  zwei  Jahrhunderten  durch^macht  hat. 

Die  in  dem  Neudruck  The  Engltsh  Hexapla,  London  1841,  vereinigten 
sechs  Übersetzungen  des  Neuen  Testaments  umfassen  die  Zeit  von  13S8 
(Wyclif-Purvey)  bis  1611  (Authorised  Version);  beinahe  150  Jahre  liegen 
zwischen  dem  Text  von  Wydif  und  seinem  unmittelbaren  Nachfolger, 
dem  Tyndaleschen  in  der  revidierten  Fassung  vom  Jahre  1534,  nur  fünf 
Jahre  dagegen  trennen  diesen  von  der  dritten  Version  der  Hexapla,  der 
Cranmersdien,  die  drei  übrigen  Fassungen  verteilen  sich  auf  die  nächsten 
siebzig  Jahre.  Schünemann  beschränkt  sich  in  seinen  Untersuchunj^en 
auf  die  Evan^ien  des  Matthäus  und  Markus  und  betrachtet  jedes  Verb 
nach  seiner  Verwendung  als  Begrifteeitwort  und  eigentliches  Hilfs- 
zeitwort. 

Auf  Einzelheiten  näher  einzugehen,  fehlt  es  mir  leider  bei  meiner 
gegenwärtigen  beruflichen  Stellung  an  Zeit  und  Möglichkeit  der  Nach- 
prüfung. Bemerkenswert  scheint  mir,  dafs  Wyclif  das  emphatische  do 
überhaupt  nicht  gebraucht,  was  Verfasser  mit  seinem  engen  Anschluls  an 
das  Original  wohl  richtig  erklärt ;  zur  Bildung  der  Negation  wird  do  nur 
in  den  beiden  letzten  Versionen,  aber  auch  hier  in  zwanglosem  Wechsel 
mit  der  einfachen  Negation  verwandt  Aus  dem  Abschnitt  über  sculan 
möchte  ich  hervorheben,  dafs  Wyclif  zur  Futurbildung  immer  shaü  ver- 
wendet —  die  zwei  Ausnahmen  gehören  kaum  hierher  — ,  die  übrigen 
Versionen  in  der  1.  Person  überwiegend  tviü,  in  der  2.  und  3.  shall  ge- 
brauchen. Naturgemäfs  ist  überall  die  sprachliche  Entwickelung  am  spür- 
barsten bei  Gegenüberstellung  der  Texte  von  Wyclif  und  Tyndale,  zwi- 
schen denen  anderthalb  Jahrhunderte  liegen.  Die  Veränderungen  im 
Sprachgebrauch  der  übrigen  Versionen  sind  verhältnismäfsig  geringfügig, 
bestimmte  Schlufsfolgerungen  lassen  sich  aus  ihnen  um  so  wemger  ziehen, 
als  Verschiedenheit  der  Vorlage  —  hier  Urtext,  dort  Vulgata  —  und  Ab- 
hängigkeit einzelner  Fassungen  von  einander  die  Einsicht  in  den  Zusam- 
menhang trüben.  So  sidit  sich,  was  genaue  zeitliche  Bej^renzung  von  Neu- 
bildungen angeht,  der  Verfasser  genötigt,  seine  Ausführungen  mit  einem 
Fragezeichen  abzuschlielsen. 

Gegenüber  diesem  interessanten  Versuch  einer  Aufstellung  von  Ent- 
wickelungsreihen  für  eine  b<Mtimmte  Verbengruppe  behandelt  Ortmann  in 
seiner  Arbeit  mit  Ausschlufs  der  Hilfszeitwörter  die  gesamte  Verbalsyntax 
eines  einzelnen  Denkmals  und  schöpft  sein  Material  aus  der  Wyclifschen 
Übersetzung  allein,  natürlich  mit  steter  Heranziehung  der  Purveyschen 
Überarbeitung.  Vorausgeschickt  ist  eine  kurze  Übersicht  über  den  For- 
menstand des  Verbums,  der  auch  bei  Schünemann  tabellarisch  verzeichnet 
ist  Wie  zu  erwarten,  herrscht  hier  regelloses  Nebeneinander  alter  histori- 
scher Formen  und  analogischer  Neubildungen,  doch  möchte  ich  darauf 
aufmerksam  machen,  da(f  im  Ind.  Praea,  cße  nördlichen  Endungsformen 


898  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

der  2.  Person  sing,  und  des  Plurals  gar  nicht  yorkommen,  eboiso  findet 
sich  der  flektierte  Infinitiv  auf  -enne  nicht  mehr,  sondern  es  erscheint 
stets  die  Endung  -yng(e).  Im  syntaktischen  Teil  verzichtet  Verfasser  an- 
erkennenswerterweise darauf,  das  ganze  Material  innerhalb  des  herkömm- 
lichen Schemas  vorzuführen,  er  ONeschränkt  sich  auf  die  Abweichung^ 
vom  gewöhnlichen  Sprachgebrauch  des  Me.  Er  hätte  vielleicht  in  dies^er 
Beschrankung  noch  weiter  gehen  können,  so  in  den  Abschnitten  über 
Tempora  und  Modi,  Dagegen  ist  die  eingehende  Behandlung  des  Id- 
flniüvB  und  der  Formen  auf  -ynge  rühmend  hervorzuheben.  Der  Kon- 
struktion des  Akkusativs  mit  dem  Infinitiv  ist  ein  besonderer  Anhang  ge- 
widmet, der  den  Einf  lufs  der  lateinischen  Syntax  auf  diese  Bildung  recht  gut 
erkennen  läfst,  so  gibt  Wyclif  so^r  das  lateinische  se  bei  Subjektsgleich- 
heit des  regierenden  und  abhängigen  Satzes  durch  das  Pronomen  wieder. 

Am  Schlufs  seiner  Untersucnunffen  wirft  der  Verfasser  noch  die 
Frage  nach  dem  Anteil  Wyclifs  an  der  unter  seinem  Namen  gehenden 
Bibelübersetzung  sowie  nach  deren  Bedeutung  für  die  Geschichte  der 
englischen  Sprache  auf.  Er  glaubt,  Wyclif  mit  Bestimmtheit  die  Über- 
setzung der  vier  Evan^ien  zusprechen  zu  können;  die  Antwort  auf  den 
zweiten  Punkt  befriedigt  nicht  recht,  denn  was  da  über  die  nahe  Ver- 
wandtschaft der  Bibelsprache  mit  dem  modernen  Englisch  vorgebracht 
wird,  gilt,  wie  der  Veirasser  selbst  zu^bt,  fast  ausschlielislich  von  der 
Purveyschen  Revision.  Übrigens  hätte  ich  gewünscht,  dafis  der  Verfasser 
zur  weiteren  Klärung  dieser  wichtigen  Frage  im  Verlauf  seiner  Ausfäh- 
rungen den  neuenglSchen  Sprachgebrauch  öfter  zur  Vergleichung  heran- 
gezogen hätte. 

Danzig-Langfuhr.  H.  FüchseL 

Margarete  Rosler,  Die  Fassungen  der  Alexius-Leg^de  mit  beson- 
derer Berücksichtigung  der  me.  Versionen  (Wiener  Seiträge  zur  engl 
Phüolopie  XXI).  Wien,  Braumüller,  1905.    X,  197  S. 

Schipper  lälst  die  Quellen  vergleichung  zu  seinen  me.  Alexius-Au?- 
|aben  duix^  eine  fleifsige  Schülerin  nachtnigen,  die  zunächst  vier  Grund- 
fassungen unterscheidet,  in  griechischer  oder  lateinischer  Sprache,  und 
dann  die  mittelalterlichen  Texte  in  den  Volkssprachen  einreiht.  Die  sechs 
me.  Versversionen  gehen  auf  zwei  verschiedene  Typen  zurück :  der  Vemon- 
Text,  der  nördliche  Ashmole-Gg-Text  und  Barber  beruhen  auf  jenem  Gnmd- 
typ,  der  besonders  durch  die  Acta  sanctorum  Boll.  und  die  Legenda  aurea 
vertreten  ist;  die  drei  übrigen  auf  einer  Grundform,  die  nicht  so  deutlich 
zu  bezeichnen  ist,  aber  gerade  von  Dichtern  gern  bearbeitet  wurde,  auch 
in  Frankreich,  Deutschland  und  Spanien.  Jetzt  sieht  man  des  weiteren, 
dafs  alle  sechs  me.  Dichter  unabhängig  voneinander  gearbeitet  haben;  dafs 
keiner  eine  nennenswerte  Originalität  entfaltete,  war  von  vornherein  jedem 
Leser  klar.  Gerade  deshalb  wäre  jetzt  an  ihren  Produkten  gut  zu  er- 
örtern, wie  dieselben  Dinge  in  verschiedenen  Dialekten  mit  verschiedenen 
Wörtern  und  Phrasen  ausgedrückt  wurden;  es  wäre  vielleicht  der  beste 
Nutzen,  den  die  englische  Philologie  aus  ihrer  Unmasse  geistloser  Lösen- 
den ziehen  kann ;  die  Autoren  pflegten  eben  nicht  die  Auffassung,  sondern 
nur  das  Sprachgewand  zu  wechseln.  —  Im  Anhang  bietet  Bösler  noch 
eine  Eeihe  bisher  ungedruckter  Texte:  zwei  griechische  aus  der  Pariser 
Nationalbibliothek,  einen  in  englischer  Prosa  des  früh  15.  Jahrhunderts 
(Hs.  Harl.  4775,  nach  Vignt^  Übersetzung  der  Leg.  aur.),  einen  lat.  des 
11.  Jahrhunderts  (Hs.  Reg.  Bruxell.  Lat.  II  992)  und  einen  enger  damit 
verwandten  franz.  des  13.  Jahrhunderts  (Hs.  Francais  412),  enahch  drei 
italienische  in  Strophen  aus  neuerer  Zeit.  Die  ganze  Ueschlchte  der  Alexius- 
Legende  ist  hiemit  in  helleres  Licht  gerückt. 

Berlin»  A.  Brand  1. 


Beurteiltingen  und  kurze  Anzeigen.  399 

Dr.  Karl  Süfsbier,  Sprache  der  Cely-Papers^  einer  Sammlung  von 
englischen  Eaufmannsbriefen  aus  den  Jahren  1475 — 1488.  Berlin, 
E.  Ehering,  1905. 

Dafs  Caxton  und  die  folgenden  Drucker  den  weitaus  bedeutendsten  An- 
teil an  der  Konsolidierung  der  neuenglischen  Schriftsprache  hatten,  scheint 
jetjst  allgemein  angenommen  zu  sein.  Der  Umfang  von  Caxtons  Tätigkeit 
wird  uns  um  so  klarer,  je  deutlicher  der  Hintergrund  wird,  von  dem  sich 
seine  Arbeit  abhebt.  Emen  nicht  unwichtigen  Beitrat  zur  Illustrierung 
dieses  Hintergrundes  bieten  uns  die  Cely-Papers :  die  Celys  waren  Londoner 
Kaufleute  mit  vielen  auswärtigen  Handeisbeziehungen,  und  ihre  Briefe 
stammen  aus  derselben  Zeit,  in  der  Caxton  in  London  zu  drucken  b^ann. 
Dieselben  Faktoren,  die  die  Sprache  der  Celys  bedingen,  sind  auch  bei 
Caxton  wirksam.  Nur  kommt  bei  ihm  noch  zweierlei  hinzu:  er  ist  ge- 
bildet, d.  h.  in  sprachlicher  Beziehung:  er  steht  stärker  unter  dem  Ein- 
druck überlieferter  literarischer  Formen;  und  er  ist  Drucker,  daher  schon 
durch  den  Kontakt  mit  der  Maschine  zu  mehr  Gleichmäfsigkeit  genötigt. 
Die  Celys  aber  zeigen  eine  starke  Vorliebe  für  phonetische  Schreibung 
und  zugleich  eine  wdtgdiende  Unsicherheit  in  der  Bezeichnung  yon  un- 
betonten Vokalen,  von  Gleitelauten,  von  Kürzung  vor  gewissen  Konso- 
nanten und  von  Konsonanten  Übergängen,  namentlich  bei  den  ^Lauten. 
Für  die  betonten  Vokale  sind  bei  ihnen  folgende  wichtige  Schreibungen 
zu  verzeichnen:  e  für  a  in  offener  Silbe,  o  mr  a  neben  Labialis,  y  +  r 
für  «  +  r,  u  -\-  r  für  y  -\'  r,  y  für  ^  ey  für  I,  ou  für  66^  ou,  mo  für 
anglonorm.  au  vor  Nasalis,  endÜch  seh  -{-  on  für  -eyon;  femer  wechseln 
a  und  o  vor  nd,  sowie  e  und  a  vor  ^edeöktem  r;  nach  dunklem  Vokal 
vor  gedecktem  /  wird  u  eingeschoben  m  auUy  hawlfe  u.  dgl.  Für  gewisse 
häufig  vorkommende  Wörter  haben  sie  eine  bestimmtere  Schreibung,  so 
für  andy  hand,  anstcere;  auch  tühen,  das  frdlich  überhaupt  für  Londoner 
Schreiber  —  nicht  aber  für  Drucker  —  im  letzten  Viertel  aes  Jahrhunderts 
als  fest  zu  betrachten  ist;  beim  Schreiber  WC  glaubt  man  sogar  Caxtons 
Scheidung  von  than  --  quam,  then  =  tum  zu  bemerken.  Ausgesproche- 
ner Dialekt  wird  von  BüTsbier  bei  zwei  Gruppen  von  Korrespondenten 
konstatiert:  die  eine,  zu  der  der  alte  Richard  Ceiy  gehört,  neigt  zu  süd- 
lichem Dialekt;  die  andere,  zu  der  der  jüngere  Richard  Cely  und  ein 
entfernterer  Verwandter,  William  C,  zählen,  hat  viele  nördliche  Eigentüm- 
lichkeiten, die  ja  sich  überhaupt  in  der  zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts 
in  London  bemerkbar  machten.  —  Auf  Grund  der  Celyschen  Schreibweise 
glaubt  S.  zwei  Erscheinungen  genauer  als  bisher  datieren  zu  können: 
die  Verdumpfung  des  a  neben  i^^  und  die  r- Modifikation  er  >  ur,  die 
bisher  beide  auf  Grund  der  Untersuchungen  über  die  Literatursprache 
später  angesetzt  wurden.  Es  zeigt  sich  eben  auch  hier,  dals  die  volks- 
tümliche Aussprache  fortschrittliäer  ist,  wie  ja  heute  die  Sprache  un- 
gebildeter Londoner  schon  die  Weiterentwicklung  des  e*  zu  ai  und  des 
ai  zu  an  hören  läist;  mindestens  aber  ist  deutlich,  dalk  Ungebildete 
sich  weniger  scheuten,  den  Lautwandel  auch  schriftlich  zum  Ausdruck 
zu  bringen. 

SüjSbiers  Arbeit  stellt  diese  sprachlichen  Verhältnisse  klar  und  deut- 
lich dar  nach  dem  Schema  der  bekannten  Göttinger  Arbeit  von  Römstedt 
über  Caxton. 

Die  einschlägige  Literatur  wird  reichlich  zitiert,  namentlich  Luicks 
bedeutsame  und  weitausschauende  Arbeiten  {Änglia  XIV,  XVI,  Unter- 
suchungen 1896,  Studien  1908). 

Es  ist  nur  schade,  dafs  die  so  interessante  Arbeit  durch  zahlreiche 
Druckfehler  und  auch  durch  das  Fehlen  der  letzten  sprachlichen  Feile 
entstellt  wird. 

Halberstadt  S.  Blach. 


400  BeurteUungen  und  kurze  Anzeigen. 

Specimens  of  the  Elizabethan  drama  from  Lyly  to  Shirley  A.  D. 
1580— A.  D.  1642.  With  introduction  and  notes  by  W.  H.  Williams, 
M.  A.  Oxford,  Clarendon  Prees,  1905.    VIII  u.  576  S.    7  8.  6  d. 

Die  Ziele,  die  sich  der  Herausgeber  der  vorliegenden  Auswahl  gesteckt 
hat,  sind  praktischer  Natur.  Er  will  denen,  die  nicht  in  der  La^  sind, 
sich  eingenend  mit  dem  Drama  der  Elisabethzeit  zu  beschäftigen,  ^ne  gut« 
Chrestomathie  in  die  Hand  geben,  um  sie  mit  dem  Stil  und  dem  G^ist 
jener  einzig  dastehenden  Blütezeit  des  englischen  Theaters  bekannt  zn 
machen.  Wissenschaftliche  Ziele  verfolgt  der  Herausgeber  also  nicht;  bei 
dem  grolsen  Mangel  an  praktischen  Chrestomathien  aus  dieser  Periode  — 
wir  Sitzen  nur  Lambs  Spedmens  of  Engliak  dramaÜc  poets,  das  als 
nennenswerte  Ausnahme  erwähnt  werden  muls  —  ist  seine  bescheidene 
Gabe  sehr  willkommen,  und  sie  wird  gewifs  auf  englischen  Schulen  und 
auf  deutschen  Universitätsseminaren  dankenswerte  Aufnahme  finden.  Der 
Herausgeber  bietet  mit  Übergehung  Shaksperes,  den  er  sich  ganz  in  den 
Händen  seiner  Leser  denkt,  eine  Auswahl  von  24  Autoren :  L<yly,  Kyd, 
Marlowe,  Peele,  Greene,  Lodee,  Nashe,  Chettle,  Munday,  Jonson,  Chap- 
man,  Dekker,  Marston,  Miodleton,  Bowley,  Heywood,  Day,  Beaumont- 
Fletcher,  Massinger,  Field,  Webster,  Toumeur,  Ford,  Shirley,  die  mit  ins- 
gesamt 89  Stücken  zu  Worten  kommen.  Die  Bechtschreibung  der  Elisabeth- 
zeit  ist  durch  die  neuenglische  ersetzt,  ein  Verfahren,  das  ich  bei  dem 
praktischen  Charakter  des  Buches  ganz  am  Platze  finde.  Eine  Verglei- 
chung  des  Buches  mit  Lamb  liegt  nahe.  Lamb  hat  &ne  rdchere  Auswahl 
(insgesamt  1 78  Stücke) ;  er  setzt  bedeutend  früher  ein,  bei  dem  Gorboduc, 
und  geht  hinunter  bis  zu  den  letzten  Stuarts  (d'Ui^ey).  Auch  gibt  er 
einige  pseudoshaksperesche  Stücke,  was  mir  ein  Vorzug  zu  sein  scheint. 
Ich  haoe  das  Fehlen  solcher  Stücke  bei  Williams  ungern  bemerkt.  Ein 
Vorzug  des  Williamsschen  Buches  vor  Lamb  sind  dagegen  die  biographi- 
schen Einleitungen,  die  jedem  Autor  vorausgeschickt  sind.  Sie  sind  bis- 
weilen allzu  ausgedehnt,  doch  sonst  wohlgeraten.  Bei  Kyd  hätte  ich  eine 
Erwähnung  des  Ur-Hamlet  gewünscht. 

Gregen  die  Auswahl,  wdche  der  Herausgeber  getroffen  hat,  irgend- 
welche Ausstellungen  zu  machen,  unterlasse  ich;  Tadel  über  mesen 
Punkt  sind  bei  Chrestomathien  und  Anthologien  bekanntlich  sehr  wohl- 
feil. Der  Hauptmangel  des  Buches  liegt  an  anderer  Steile,  nämlich  in 
dem  Fehlen  einer  historischen  Übersicht  der  Entwickelungsgeschichte 
des  englischen  Dramas  bis  auf  EHisabeth.  Gerade  bei  dem  %weck,  den 
der  Herausgeber  verfolgt,  wäre  es  gut  gewesen,  die  älteren  Perioden,  die 
nicht  mit  Erzeugnissen  zu  Wort  gekommen  sind,  kurz  in  einer  Ein- 
leitung zu  skizzieren.  Eine  solche  Übersicht  hätte  nicht  allzuviel  Platz 
beansprucht,  sondern  sich  aiif  ungefähr  30  Seiten  wohl  geben  lassen. 
Vielleicht  holt  d^  Herausgeber  das  Unterlassene  in  einer  späteren  Auf- 
lage nach. 

Ist  mir  der  Herausgeber  hier  zu  karg  gewesen,  so  hat  er  an  anderer 
Stelle  zu  viel  gegeben,  nämlich  in  den  Anmerkungen,  die  fast  ein  Viertel 
des  Buches  einnehmen.  Dafs  bei  einem  Buche,  welches  sich  an  den  ge- 
bildeten Laien  und  nicht  an  den  Forscher  wendet,  veraltete  oder  schwie- 
rige Wörter  und  Redensarten  reichlich  mitgeteilt  und  erklärt  werden,  ist 
selbstverständlich;  Teztvarianten  zu  verzeichnen  ist  höchst  überflüssig. 
Die  benutzt  erfahrungsgemäfs  nur  der  Forscher;  dem  aber  ist  mit  dem 
vorliegenden  Text  nicht  gedient.  Er  kann  nur  die  kritischen  Ausgaben 
brauchen. 

Alles  in  allem  ist  der  Herausgeber  seinen  Zielen  gerecht  ^worden, 
und  sein  Buch  erscheint  mir  vollauf  geeignet,  eine  bestäende  Lücke  aus- 
zufüllen. 

Berlin.  Ernst  Kroger. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzdgen.  401 

Rudolf  Schoenwerth,  Die  niederländischen  und  deutschen  Bearbei- 
tungen von  Thomas  Kyds  Spanish  Tragedy  (Literarhist.  Forschungen, 
hg.  von  Schick  und  v.  Waldberg,  26).  Berün,  Falber,  1903.  CXXVII,  227  S. 

In  diesem  Buche  liegt  das  Werk  Tor,  das  Schick  bereits  1898  in  der 
Temple  Edition  der  Spanish  Tragedy  ankündigte.  Zu  den  dort  kurz  auf- 
geführten holländischen  Aus«iben,  von  denen  Schoenwerth  ein  volles  Drittel 
entdeckt  hatte,  ist  in  dem  abgesdilossenen  Werke  noch  eine  neue  aus  dem 
Jahre  1678  hinzugetreten,  so  dals  mit  EinschluÜB  eines  verloren  gegangenen 
Druckes  von  1674  das  Dutzend  voll  ^worden  ist.  Es  mag  sein,  dais  das 
düstere,  mit  dem  Untergang  des  spanischen  Königshauses  endieende  Stück 
in  Holland  Erinnerungen  an  die  schweren  Tage  der  spaniß(£en  Fremd- 
herrschaft wachrief  und  dafs  man  gerade  dort  das  ausschweifende  Bache- 
gefühl  Jeronimos  besonders  nachempfinden  konnte.  Es  ist  wohl  nicht 
zufällig,  dafs  in  der  Bearbeitung  von  1638  der  Figur  der  Bache  besondere 
Worte  der  Verwünschung  gegen  Spanien  in  den  Mund  gelegt  werden. 
Jedenfalls  ist  es  interessant,  an  der  Hand  der  Untersuchungen  Schoenwerths 
zu  v^olgen,  wie  die  mit  dem  Hamletstoffe  so  eng  verwandte  Spanish  Tra- 

fedy  die  Holländer  immer  wieder  zu  Neuausgaben  anreizt  bis  m  das  erste 
>rittel  des  18.  Jahrhunderts  hinein.  Diese  zum  grüDsten  Teil  allerdings 
unbewulste  Wertschätzung  der  Muse  Kyds  auf  fremdem  Boden  bildet  für 
diesen  gewissermafsen  sein  'Century  of  praise',  und  als  das  vorüber  ist, 
setzt  bereits  im  Heimatlande,  wo  Kyd  längst  vergessen  worden  war,  mit 
der  ersten  Ausgabe  von  Dodsleys  Old  Englüh  plays,  1744,  die  literar- 
historische Betrachtung  Kyds  ein. 

Zur  allgemeinen  Charakteristik  der  sämtlichen  fünf  von  Schoenw.  vor- 
geführten Bearbeitungen  sei  vorw^  bemerkt,  dalB  sie  in  der  sprachlichen 
wie  technischen  Behandlung  des  Stoffes  weit  hinter  dem  Original  zurück- 
bleiben und,  was  darin  zum  Teil  schon  eingeschlossen  lie^,  sich  auch 
ziemlich  weit  von  ihm  entfernen;  wörtliche  Herübemahme  ist  jedenfalls 
sehr  selten.  Dies  erklärt  sich  wohl  daraus,  dafs  das  eigentliche  Bindeglied 
zwischen  dem  Original  und  fast  allen  Bearbeitungen,  nämlich  die  Fassung, 
welche  den  englischen  Komödianten  für  ihre  Aunührungen  als  Qrundlage 
diente,  leider  verloren  gegangen  ist 

Schoenw.s  Arbeit  gliedert  sich  in  zwei  Teile.  Im  ersten  Teil  erhalten 
wir  neben  dankenswerten  Mitteilun^n  über  das  Leben  und  die  literarische 
Tätigkeit  der  holländischen  Bearbeiter  eine  äuiBerst  einsehende  und  sorg- 
fältig durchgeführte  Parallele  zwischen  jedweder  Bearbeitung  und  dem 
Ori^al;  der  zweite  Teil,  der,  wie  mit  dem  Verfasser  zu  wünschen  ist, 
hoffentlich  das  Interesse  holländischer  Vertreter  der  Wissenschaft  auf  sich 
ziehen  wird,  bringt  den  Neudruck  der  drei  holländischen  Bearbeitungen. 

Aus  den  Untersuchungen  des  ersten  Teils  ist  folgendes  hervorzuheben: 
Den  Beigen  der  holländischen  Bearbeiter  eröffnet  ein  Epiker,  Everaert 
Siceram,  der  bereits  1615  in  seine  Übersetzung  von  Ariosts  'Basendem 
Boland'  den  hauptsächlich  in  den  ersten  drei  Akten  der  Spanish  Tragedy 
vorgeführten  Stoff  einrückte  als  Ersatz  für  gewisse  Streichungen,  die  er 
sich  an  Seiner  italienischen  Vorlage  erlaubt  hatte.  Schon  Worp  (Shake- 
spearer-Jahrbueh  1894,  183  ff.)  hat  auf  Grund  einer  Lesart  gezeigt,  dafs 
Siceram,  übrigens  der  erste  Holländer,  der  aus  einem  englischen  Drama 
wörtb'ch  entlehnt,  auf  einer  Ausübe  vor  der  von  1599  fuTst,  also  einen 
der  ältesten  Texte  benutzt.  Es  ist  bezeichnend,  dafs  Siceram,  der  seine 
Auswahl  ziemlich  geschickt  zu  treffen  weifs,  den  längsten  der  langatmigen 
Schlachtenberichte,  welche  den  Anfang  der  Spanish  Tragedy  so  schwer- 
fällig machen,  übergeht,  während  er  sich  sonst  im  allgemeinen  en^  an 
seine  Vorlage  anschlielst.  Die  beiden  anderen  niederländischen  Bearbeitun- 
gen beruhen  auf  einem  jüngeren  Text,  denn  sie  kennen  bereits  die  Addi- 
tions.  Die  eine,  von  Schoenw.  mit  A  bezeichnet,  ein  vieraktiges  Drama  in 


402  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Alexandrinern y  hat  A.  van  den  Bergh  zum  Verfasser,  von  dem  auch  eic 
'Polidoor'  und  ein  *Titu6  Andronikus'  herrühren,  und  stammt  aus  dem 
Jahre  1621.    Hiemach  ist  die  Angabe  von   Lee  im  Diei.  of  Not.  Biogr. 
XXXI,  850  zu  berichtigen,  der  lt>08  als  Entstehungsjahr  angibt  und  in 
einer  Ausgabe  von  1688  irrtiunlich  eine  Neuausgab«  von  A  sieht.     Bald 
darauf  folgte  die  dritte  Bearbeitung  (B),  ein  anonymes  Drama,  welches  A. 
obwohl  in  demselben  Versmafse  geschrieben   und   auch   sonst    in    Tielen 
Punkten  von  ihm  abhängig,  in  formaler  Hinsicht  übertrifft  und  überhaupt 
an  Gewandtheit  des  Ausdrucks  und  der  Komposition  dem  Ori^nal   von 
sämtlichen  Bearbeitungen  am  nächsten  kommt.   Schoenw.  vergleicht  beide 
untereinander  und  mit  der  Spanish  Tragedy  in  denkbar  genauester  Wei^ 
und  gibt  von  Szene  zu  Szene,  zum  Teil  in  Paralleldruck,  so  ausführliche 
Inhaltsangaben,  dafs  dadurch  der  Abdruck  des  Textes  im  zweiten   Teil 
fast  überflüssig  gemacht  wird.    Vielleicht  war  eine  solche   von  gröfster 
Geduld  zeugende  JBIleinarbdt  in  diesem  Falle,  wo  teztkritische  Erörterun- 
gen nicht  in  Frage  standen  und  die  zeitliche  Aufeinanderfolge  der  Be- 
arbeitungen bekannt  war,  doch  nicht  angebradit.    Sowohl  in  A  wie  in  B 
fehlt  es  nicht  an  auffälligen  Abweichungen  von  der  Spanish  Tragedy.    So 
wird  in  beiden  Fassungen  aus  dem  Loren zo  ein  Don  redro,  dem  bei  Kyd 
nur  vier  Worte  g^ben  werden,  und  aus  Balthasar  statt  dessen   in  B 
Lorenzo,   was   wonl   aus   einer   Verwechselung   oder  einer  Schauspiel^- 
laune  zu  erklären  ist.   Inwieweit  vielleicht  Einflüsse  aus  anderen  Stucken 
zu  Abweichungen  Anlais  gegeben  haben  könnten,  erörtert  Schoenw.  nicht. 
Gewisse  Stellen  scheinen  an  das  Jeronimovorspiel  anzuklingen.    So  sind 
die  Worte  Belimperias,  als  sie  in  Ohnmacht  fällt,  I.  B  2.  79:  Ick  swijnty 
ick  sijghy  ick  sterf  zu  vergleichen  mit  Jeron.  II.  4.  US:  I  awound,  I  die^ 
In  B  stürmt  Lorenzo  auf  Don  Pedro  ein,  weil  er  ihn  für  seinen  Neben- 
buhler Oratio  hält,  wie  in  Jeron.  Lazarotto  dem  fälschlich  für  Andrea  ge- 
haltenen Alcario  sogar  den  Garaus  macht.    In  einem  Schlufsmonolog  des 
Don  Pedro  (B  I.  4.  57)  erinnern  die  Worte:  Ick  sie  het  soo  iny  dai  myn 
susier  sal  Verliesen  Haer  Minnaer,  hy  sieh  selfs  an  die  entsprechende  Mo- 
nologstelle Jeron.  I  1.  121 :  So  she  a  kusband,  he  shaU  lose  a  teife.    Doch 
diese  und  ähnliche  Anklänge  mögen  zufällig  sein.   Eher  konnten  aus  dem 
Hamlet,  den  die  englischen  Schauspieler,  die  seit  dem  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts häufig  nach  den  Niederlanden  kamen  (vgl.  Cohn,  Shakespeare  in 
Oermany,  LXXV  ff.),  wohl  ebenfalls  herübergebracht  haben  werden,  und 
dessen  nahe  Stoffverwandtschaft  mit  der  Spanish  Tragedy  ja  kaum  ent- 
gehen konnte,  konkrete  Einflüsse  kommen.   Schon  in  A  ist  der  Geist  de» 
Andrea  durch  den  des  Oratio  ersetzt  worden.    Wie  also  im  Hamlet  der 
Geist   des  Vaters  dem   Sohne  mahnend  gegenübertritt,  so  nun  hier  der 
Sohn  dem  Vater,  und  zwar  ist  dieser  Gtoist  —  zum  Unterschiede  von  dem 
Andreas  in  der  Spanish  Tragedy,  der  in  die  Handlung  ja  gar  nicht  ein- 
greift —  in  die  Szene  Spanish  Tragedy  III.  2  hineingebracht  worden,  die 
der  Szene  Hamlet  I.  5  insofern  entspricht,  als  auch  hier  der  Hdd  die 
erste  Nachricht  über  den  zu  rächenden  Mord  erhält.    Dem  Verfasser  von 
B  ist  der  Brief,  den  Belimperia  zu  Jeronimos  Aufklärung  schreibt,  offen- 
bar nicht  ^enug.    Der  Geist  des  Oratio  mufs  ihr  diesen  Brief  entreifsen 
und  ihn  mit  eindringlicher  Mahnung  zur  Bache  seinem  Vater  überbringen. 
Es  scheint  also  gleichsam  nach  dem  Grundsatze:   'Doppelt  hält  besser' 
eine  Herübemahme  der  Geistererscheinung  aus  dem  Hamlet  stattgefunden 
zu  haben.    Dal's  Oratio  sich  dabei  seiner  Braut  mit  den  Worten  vorstellt 
(B  II.  5.  92) :  Ick  ben  Oraty  Oheest  . . .  Van  uwen  Broeder  moort  in  d armen 
van  sijn  Bruyt,  ihr  also  die  Mordtat  erzählt,  von  der  sie  doch  2^uge  ge- 
wesen und  auf  deren  Sühnung^  sie  schon  bedacht  ist,  ist  in  B  ganz   un- 
motiviert und  mag  auf  den  Hamlet  zurückgehen,  wo  eine  solche  Beieh- 
rung seitens  des  Geistes  für  Hamlet  notwendig  ist.    B  als  die  interessanteste 
Bearbeitung  wurde  mit  geringfügigen  Abweichungen  immer  wieder  heraus- 


BeurteünngeD  und  kurze  Anzeigen.  403 

gegeben.  Die  letzte  Ausgabe  stammt  aus  dem  Jahre  1729.  An  eine  dieser 
Ausgaben  knüpft  auch  Caspar  Stielers  Bellemperie  (C)  aus  dem  Jahre  1680 
an,  die  bei  Schoenw.  so  gut  wie  zum  erstenmal  im  Rahmen  der  wissen- 
schaftlichen Forschung  erscheint.  Zu  bedauern  ist,  dafs  nicht  auch  diese 
Fassung  zum  Abdrucs  gelangte,  zumal  davon  nur  ein  einziges  von  Bolte 
entdecnes  Exemplar  in  Kopenhagen  bekannt  ist  und  die  Abweichungen 
von  B  sehr  bedeutend  sind.  C  ist  fast  ganz  in  Prosa  geschrieben  und  setzt, 
die  Handlung  auf  einen  Zeitraum  von  etwa  24  Stunden  zusammendrängend, 
erst  mit  der  bei  ß  erwähnten  Erscheinung  Horatios  ein.  Charakteristisch 
für  C  ist,  dafs  die  komischen  Szenen,  die  schon  in  A  und  B  reichlich  ver- 
treten sind,  die  Haupthandlung  fast  zu  überwuchern  drohen.  Die  überall 
herumspukenden  Geister  sinken  auf  die  Stufe  von  neckischen  Kobolden 
herab,  die  ebenso  wie  ein  Totentanz  der  Erschlagenen  mehr  Heiterkeit  als 
Entsetzen  erregen.  Auf  EinfluTs  italienisch-französischer  Komödien  deutet 
hin,  dals  dem  Liebesverhältnis  zwischen  Horatio  und  Bellemperie  ein  solches 
zwischen  Skaramutza  («  Pedringano)  und  Gillette,  einer  Kammerzofe  der 
Bellemperie,  g^enübergestellt  wird,  wie  überhaupt  den  Dienern  ein  gröfserer 
Anteil  an  der  Handlung  eingeräumt  ist.  Schon  erfu^en  ist  nur  eine 
Szene,  II.  l,  wo  Bellemperie,  vor  dem  Bilde  Horatios  ninffekniet,  Rache 
schwört  Bell,  ist  überhaupt  viel  mehr  als  in  der  Spanish  'fi'agedy  bei  der 
Rache  die  treibende  Kraft;  sie  gibt  hier  dem  Hieronymo  ein  von  ihr  ver- 
fafstes  Stück,  das  der  Ausführung  der  Rache  dient.  An  letzter  Stelle  ge- 
langt bei  Schoenw.  die  bekannte  Telimperia'  von  Ayrer  (D)  zur  Besprechung, 
die  ihrer  Entstehungszeit  nach  —  zwischen  1598  und  1605  —  an  den  An- 
fang der  ganzen  Reihe  gehört  Weit  ab  hält  sich  das  sechsaktige  Stück 
von  den  anderen  Bearbeitungen  dadurch,  dafs  es  den  Schauplatz  nach 
Konstantinopel  verlebt  und  durch  die  völlig  abweichende  Gestaltung  des 
einwiegten  Schauspiels.  Welche  Vorlaee  Ayrer  benutzte,  hat  auch  Schoenw. 
nicht  endgültig  entscheiden  können.  I)er  Umstand,  dafs  D  alles  in  allem 
17  Personen  weniger  hat  als  die  Spanish  Tragedy,  könnte  zu  der  Annahme 
führen,  dafs  er  aus  dem  Manusknpt  oder  aus  Aufführungen  einer  Schau- 
spielertruppe  schöpfte,  während  anderseits  die  zwischen  D  und  Spanish 
Tragedy  sclion  von  Tittmann  festgestellte  wörtliche  Übereinstimmung  sowie 
die  von  Schoenw.  vermerkte  Gleichheit  'im  Aufbau  der  Handlung  und  in 
der  Folge  der  Gedanken'  und  eine  gewisse  Anlehnung  an  die  Fassung  A 
doch  noch  eine  andere  Quelle  zur  Voraussetzung  zu  haben  scheinen.  Mit 
den  niederländischen  Bearbeitungen  bestdit,  wie  mir  scheint,  audi  insofern 
Ähnlichkeit,  als  Don  Pedro  und  Balthasar  in  D  wie  in  B  Reue  über  ihre 
Untaten  empfinden,  was  Kyds  Helden  ^anz  fremd  ist.  —  Bis  auf  A  schlie- 
fsen  die  dramatischen  Bearbeitungen  im  Gegensatz  zu  Kyd  mit  einem 
kleinen  fabula  docet 

Den  Beschlufs  von  Schoenwerths  Buch  machen  Anmerkungen,  die 
sachliche  Erläuterungen  und  Übersetzungshilfen  für  den  deutschen  Leser 
bringen,  und  ein  kurzer  Nachtrag  mit  der  graphischen  Darstellung  des 
Abhängigkeitsverhältnisses  der  Bearbeitungen,  das  Ergebnis  der  mühsamen 
und  äufserst  gewissenhaft  angefertigten  Untersuchungen.  Da  nach  Schoen- 
werths eigenen  Angaben  (S.  aYIII  u.  L)  Siceram  und  B,  was  kaum  zu- 
fällig sein  dürfte,  in  gleicher  Weise  etwas  aus  der  Szene  Spanish  Tragedy 
IV.  2  in  die  Szene  if.  5  übertragen,  so  konnte  wohl  auch  Siceram  mit  B 
durch  eine  Abhängigkeitslinie  verbunden  werden. 

Berlin.  Otto  Michael. 

Shakspere^s  vocabulary.  Its  etymological  elements.  I.  By  Eilert  Ekwall 
(Upsala  Universitets  ärsskrift  1903).    XIX,  99. 

Berechnungen  und  Betrachtungen  über  das  prozentuale  Verhältnis  der 
verschiedenen  Sprachanteile  am  englischen  Wortschatz  gehören  schon  lange 


404  BeurteiluDgen  und  kurze  Auzeigen. 

zu  den  beliebtesten  Fragen  der  englischen  Sprachgeschichte,  an  denen 
selbst  ninz  elementare  Lehrbücher  seüen  yorbeizugehen  pflegen,  da  sie 
allgemeinen  Interesses  sicher  sind.  Zur  wissenschaftlichen  Lösung  und 
exakten  Beantwortung  dieser  Fragen  lie^  jedoch  weniK  brauchbares  Ma- 
terial vor.  Die  älteren  Auszählungen  leiden  an  drei  Grundmän^eln :  sie 
gehen  entweder  von  einer  zu  kleinen  oder  aber  von  einer  zu  grolaen,  uo- 
übersehbar  zerflielsenden  Stoffbasis  aus;  sie  individualisieren  die  Zahl- 
meUioden  nicht  hinreichend;  sie  sind  endlich  auf  unzureichenden  etymo- 
logischen Erkenntnissen  aufgebaut;  wie  viele  feinere  Fragen  der  Etymologie, 
z.  B.  der  Einfluls  der  skandinavischen  Sprachen,  sind  erst  in  den  letztes 
Jahren  ihrer  Lösung  näher  geführt  worden  I  Die  exakte  Forschung  hat 
hier  so  ziemlich  neu  aufzubauen,  und  es  werden  sich  viele  Hände  rühren 
müssen,  ehe  du  mare  magnum  des  englischen  Wortschatzes  in  aUen  seinen 
Strömungen  und  Mischungen  uns  wie  auf  einem  fein  detaillierten  Karten- 
bilde  in  ninreichender  Individualisierunjg  entg^entreten  kann.  Denn  es 
sind  hier  vielerlei  Quer-  und  Längsschnitte  zu  ziehen,  verschiedene  Zähl- 
methoden zu  verfolgen  und  individudle  Gruppen  zu  umschrdben,  soll  au« 
der  Statistik  Einsicht  in  ein  organisches  Gebilde  hervorgehen. 

Was  in  älterer  Zeit  in  erster  Linie  des  Interesses  stand,  die  Zusam- 
mensetzung des  ganzen  englischen  Lexikons,  wird  vermutlich  das  letzte 
Forschungsobjekt  bilden,  die  Dachkrönung  eines  Gebäudes  von  vielen 
Stockwerken  mit  zahlreichen  Räumen,  das  erst  zu  errichten  ist.  Kein 
ernsthafter  Philologe  wird  selbstverständlich  eine  lexikalische  Auszählung 
des  englischen  Wortschatzes  vornehmen  vor  Vollendung  des  New  ßnglisA 
Dieticnary;  aber  auch  wenn  der  CTOüse  Augenblick  einmal  gekommen  ist, 
wo  der  glückliche  Anglist  seine  Hand  auf  den  Turm  von  Folianten  legen 
und  sa^n  kann:  hie  est  liber  —  auch  dann  wird  das  Auszählresultat, 
höchst  interessant  an  sich  und  unentbehrlich,  nicht  die  Lösung  der  Frage 
schleditiiin  für  ihn  bedeuten,  weil  das  Thema  eben  nicht  eine  Frage,  son- 
dern ein  ganzes  Bündel  von  Fragen  ist,  die  von  verschiedenen  Gesichts- 
punkten erforscht  werden  wollen,  während  der  lexikalische  Stoff  nur  eine 
Art  von  Querschnitt  ermöglicht. 

Schon  die  Analyse  der  allgemeinen  Prinzipien  einer  Wortstatistik 
zeigt,  dafs  vier  Zerle^ngsmethoden  nebeneinander  notwendig  sind,  nm 
ein  volles  Bild  zu  gewinnen.  Der  Hauptsache  nach  kommen  in  Betracht: 
1.  das  Zählprinzip,  2.  die  Abgrenzung  der  Materialbasis. 

1.  Das  Zählprinzip  kann  lexikalisch  oder  statistisch  sein,  d.  h.  man 
zählt  das  Wort  als  lexikalische  Einhdt  ohne  Bücksicht  auf  die  Häufigkeit 
seines  Vorkommens  nur  einmid,  oder  man  zählt  jedes  Wort  des  Textes  als 
separate  Nummer.  Die  Prozentberechnun^  ergibt  natürlich  sehr  abweichende 
Resultate:  der  Prozentsatz  heimischer  Wörter  im  Wortschatze  Shaksperes 
beträgt  nach  Marsh  bei  lexikalischer  Zählung  60  Prozent,  bei  statistischer 
aber  91—88  Prozent.  Beide  Zählmethoden  müssen  geübt  wollen,  da  sie 
verschiedenen  Erkenntnis  wert  haben :  die  lexikalische  zeigt  die  Zusammen- 
setzung, die  statistische  die  Gebrauchshäufigkeit. 

2.  Die  Basis.  Die  Zählung  kann  sich  erstrecken  a)  auf  kürzere  und 
längere  Abschnitte  eines  Wortes,  die  dann  nur  annähernde  typische  Re- 
sultate ergeben;  fi)  auf  die  ganze  Produktion  eines  Autors;  y)  auf  den 
Sprachschatz  der  einzelnen  Janrhunderte  oder  auf  den  Gesamtsprachschatz. 
Bei  /)  kommt  aus  naheli^enden  Gründen  nur  die  zweite  Alternative  in 
Betracht,  da  Speziallexika  für  die  einzelnen  Jahrhunderte  nicht  existieren ; 
von  den  Zählmethoden  ist  aber  nur  eine,  die  lexikalische,  anwendbar,  und 
das  durch  sie  Erreichbare  ist  daher  nur  eine  einseitige  Eirkenntnis.  Selbst 
diese  ist  zu  wenig  individualisierbar;  denn  jedes  neuenglische  Lexikon  um- 
fafet  den  Sprachschatz  mehrerer  Jahrhunderte;  wieviel  davon  ist  nur  kurz- 
lebig gewesen,  wieviel  sogar  nur  ein-,  zweimal  von  einem  Einzelnen  ge- 
braucht und  ad  hoc  geprägt  worden  I  Das  Ergebnis  der  Auszählung  eines 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  405 

neuenglischen  Lexikons  zeigt  daher  nur,  über  welche  etymologischen  Be- 
standteile die  Sprache  in  ihrem  ganzen  Verlaufe  verfügt  nat;  gewifs  eben- 
falls ein  wissenswertes  Besultat^  aber  für  alle  feineren  Fragen  versagend. 
Am  leichtesten  wäre  ein  historisch  einheitlicher  lexikalischer  Quersoinitt 
bei  Beschränkung  auf  die  lebende  Sprache  zu  ermitteln;  aber  die  Schei- 
dung zwischen  gesprochenem  oder  auch  literarisch  wirklich  lebendem  und 
totem  Sprachgut  stöfst  im  einzelnen  auf  grofse  Schwierigkeiten.    Es  ist 
daher  notwendig,  sowohl  Längsschnitte  —  die  Entwickemn^  durch  die 
«Tahrhunderte  umfassend  —  als  Querschnitte,  den  gleichzeitigen  Sprach- 
gebrauch zei^nd,  zu  ziehen.    Wieviel  bleibt  da  nodi  zu  tun  übrig,  von 
der  Detaillisierun^  der  Schnittlinien  in  Unterabteilungen  zu  schweigen  I 
Von  allcQ  Seiten  her  werden  wir  zu  der  Erkenntnis  gedrängt,  dais 
zurzeit    am   notwendigsten  und   am   fruchtbarsten    die  Eitorschung  des 
Wortschatzes  einzelner  Autoren  ist.   Ekwall  hat  Shakspere  herausgegriffen 
und   darf  des  Dankes  für  diese  Wahl  sicher  sein;   ein  Buch,  das  den 
Sprachschatz  Shaksperes  nach  etymoloeischen  Gesichtspunkten  untersucht, 
dient  nicht  nur  den  allgemeineren  spracästatistischen  Forschungen,  sondern 
ist  auch  zugleich  ein  Beitrag  zur  Stilerkenntnis  des  Dichters,  soweit  die 
Sphäre  lexikalischer  Kriterien  eben  reicht.   Diese  Arbeit  ist  umsichtig  an- 
gelegt und  mit  ernstem  Fleifse  ausgeführt;  wir  haben  es  nicht  mit  einer 
oberflächlichen  Summarisierung  ni^  einem  bequemen  Schema  und  auf 
Grund  etymologischen  Gemeingutes  aus  dritter  oder  vierter  Hand  zu  tun ; 
Ekwall  ist  bestrebt,  die  etymologischen  Forschungen  direkt  zu  verwerten 
und   übt   in  den   zweifelhaften  Fällen   selbständig  Kritik.     Dafs  hierbei 
nicht  immer  Abschlieisendes  oder  Erschöpfendes  geboten  werden  konnte, 
liegt  in  der  Schwierigkeit  der  Sache.   Ein  Eingehen  auf  Einzelheiten  mufs 
ich  den  Etymologen   vom  Fach  überlaasen.     Der  vorliegende  erste  Teil 
enthält  eine  interessante  Einleitung  über  die  älteren  sprachstatistischen 
Studien,  von  Hickes,  1705,  bis  auf  unsere  Tage,  sowie  über  Methode  und 
Ziele  solcher  Forschungen,  und  die  von  lehrreichen  Fulsnoten  begleiteten 
Listen   der  heimischen,   skandinavischen   und  kontinental  -  germanischen 
Wörter  (76  —  13  —  4  Seiten).    Der  zweite  Teil  wird  die  romanischen, 
keltischen  und  sonstigen  Elemente  behandeln  und  die  Schlüsse  aus  dem 
gesamten  Material  zienen.   Hierbei  soll,  sehr  richtig  und  notwendig,  nicht 
nur  der  lexikalische  Prozentsatz,  sondern  auch  der  Gebrauchswert  berück- 
sichtigt werden,  letzterer  jedoch  nicht  auf  Grund  einer  Gesamtauszählun^, 
sondern  durch  Analysen  ausgewählter  Partien.    Man  hat  kein  Recht,  die 
enorme  Arbeit  der  Auszählung  von  dem  Verfasser  zu  Verlanen  und  mufs 
ihm  beistimmen,  wenn  er  die  dabei  zu  erreichenden  Ergebnisse  als  hardiy 
tporth  tohiU  bezeichnet;  es  gibt  Grenzen  selbst  statistischer  Forschungen, 
über  die  hinaus  kein  Erkenntniswert  von  wirklich  wissenschaftlichem  Be- 
lang zu  erwarten  ist.    Dabei  fällt  besonders  ins  Gewicht  der  (von  Ekwall 
geltend  gemachte)  Gesichtspunkt,  dafs  in  den  verschiedenen  Worten  Shak- 
Bperes  verschiedene  Prozentverhältnisse  herrschen  können.    Man  möchte 
in  der  Tat  von  vornherein  annehmen,  dais  die  Benaissanceei)en  und  die 
Sonette  sich  von  den  Dramen  auch  in  diesem  Punkte  unterscheiden.   Damit 
hängen  weitere  Fragen  zusammen:  zeigt  die  Sprache  der  verschiedenen 
sozialen  Schichten  in  den  Dramen  abweichende  etymologische  Prozentver- 
hältnisse, übt  das  Thema  des  Dialogs  einen  Einflufs  darauf  aus?    Hier 
ist  die  Linie,  wo  wortstatistische  Forschungen  in  Stüuntersuchungen  ohne 
scharfe  Grenze  überfliefsen.    Für  alle  diese  Fragen  würde  eine  allgemeine 
Gebrauchsstatistik   versagen;    Partienanalyse   wird    viel    lehrreicher    sein. 
Immerhin  wäre  zu  bedenken,  ob  nicht  schon  auf  Grund  der  Konkordanzen 
und  des  Schmidtschen  Lexikons  sich  wenigstens  scheiden  lielse  zwischen 
hapex  eiremena,  ganz  seltenen  und  allgemeiner  üblichen  Wörtern,  und  ob 
eine  Sondertabelle  darüber  nicht  Typisch- Wertvolles  ergäbe.    Denn  es  ist 
ein  wesentlicher  Unterschied,  ob  wir  wissen,  dafs  Shakspere  eounsd  und 


406  BeurteilungcD  und  kurze  ÄDzeigen. 

rede  bat,  oder  ersehen,  dafs  er  rede  nur  eiDmal,  'Hamlet'  1,  3,  51,  g^>raucbt: 
and  recke  not  hie  own  rede,  sicher  in  Zusammenhang  mit  der  alliterieren  den 
Bindung  und  beeinflufst  von  dem  Charakter  der  Stelle,   wo    tod    den. 
Sittenprediger  die  Rede  ist,  angepa&t  dem  archaisierenden  PredigertoD. 
den  Ophelia  schelmisch  nachahmt.     Und  ähnliches  lieüse  sich  noch  mehr 
anführen,  was  auf  die  Notwendigkeit  einer  synonymischen  Crebranchsbe- 
trachtung  hinleitet.    Solche  Individualisierung  ist  von  einem  Werke  lexi- 
kalisdier  Art  nicht  zu  erwarten ;  sie  kann  nur  in  stilistischen  Arbeiten  zu 
Rechte  kommen;  wieviel  hier  zu  gewinnen  und  noch  zu  holen  ist,  haben 
die  sehr  anregenden  und  lehrreidien  Stilstudien  Sarrazins  gezeigt.     Wie 
weit  die  stilistischen  Gesichtspunkte  bei  der  Analyse  von  Partien  in  EkwalJ^ 
Buch  zu  Worte  kommen  werden,  bleibt  abzuwarten,  da  der  Verfasser  kein 
Programm  aufgestellt  hat  (/  eannot  enter  more  fuüy  upan  ihis  part  of  my 
pUm,  OS  many  (hinge  may  oecur  to  me  in  the  eouree  of  my  work,  of  fchieh 
I  am  not  aware  now) ;  da(s  ihm  die  Notwendigkeit  freier  Differenzierung 
der  Methode  in  der  Verwertung  der  Ergebnisse  gegenwärtig  ist,  zei^  die 
Bemerkung,  dafs  auch  nach  der  Art  der  Redeteile  Queriinien  zn  zidien 
sein  werden,  wobei  von  Form  Worten  abzusehen  ist;  Adiektiva,  Substantivs, 
Verba  dürften  verschiedene  Prozentsätze  aufweisen.    So  drängt  auch  hier 
alles  nach,  einer  Stilistik  Shaksperes  hin,  deren  wir  dringend  bedürfen 
(vgl.  die  Aufserungen  H.  Conrads  in  dieser  Zeitschrift  CXIV,  443);  sie 
von  Ekwalls  Buch  erwarten,  hiefse  den  Zweck  und  das  Arbeitsgebiet  seiner 
Studie  verkennen ;  aber  es  verspricht,  willkommene  Beiträge  dazu  zu  bieten, 
und  die  Ergebnisse  von  Ekwalls  mühevoller  und  nützlicher  lexikalisch- 
statistischer  Arbeit  worden  auch  der  Stilästhetik  zu  gute  kommen;   'denn 
wer  in  den  Schönheitsschatz  eines  Dichters  die  Eimer  ganz  tief  hinabsenkt, 
wird  der  Grammatik  als  den  Elementen  des  Ausdrucksvermögens  nicht 
entrinnen^  (Brandl).    Dem  Abschlufs  der  Arbdt  darf  man  mit  Interesse 
entgegensehen. 

Münster  i.  W.  Otto  L.  Jiriczek. 

R  Koeppely  Studien  über  Shakespeares  Wirkung  auf  zeitgenossi- 
sche Dramatiker.  Louvain  1905  («  Materialien  zur  Kunde  des  älte- 
ren englischen  Dramas^  hrsg.  von  W.  Bang.    Bd.  9). 

Die  vorlie^nde  Schrift  ist  ein  Seitenstück  zu  zwei  früheren  allge- 
meineren Arbeiten  Koeppels,  Quellenstudien  xu  den  Dramen  Ben  Jansens, 
MarstonSy  und  Beaumonts  und  FUtchers  (1895),  und  Quellenstudien  %u  den 
Dramen  Chapmans,  Massingers  und  Fords  (1897).  Die  in  den  baden 
'Quellenstudien'  untersuchten  Dramatiker  kommen  natürlich  für  die  sie 
ergänzenden  neuesten  'Studien'  nicht  in  Betracht,  da  etwaige  Einwirkun- 
gen Shakespeares  auf  ihre  Dramen  schon  in  jenen  behandelt  worden  waren. 
Es  scheint  aber  Koeppels  Absicht  gewesen  zu  sein,  die  übrigen  Dramatiker 
jener  Zeit,  die  in  neueren  Ausgaben  vorliegen,  in  annähernder  Vollstän- 
digkeit auf  ihr  Abhängigkeitsverhältnis  von  Shakespeare  zu  untersuchen. 
Wenigstens  vermisse  ich  unter  den  vom  Verfasser  herangezogenen  jünge- 
ren Dramatikern  der  Renaissance  nur  Day,  Nabbes  und  Samuel  Rowley; 
Toumeur  war  von  Koeppel  schon  anhangsweise  in  seinen  'Quellenstudien' 
behandelt  worden. 

Um  die  'Ausstrahlungen  eines  Herrschergeistes'  wie  Shakespeare  in 
den  Werken  seiner  jüngeren  Zeitgenossen  verfolgen  zu  können,  dazu  be- 
darf es  vor  allem  einer  umfassenden  Belesenheit,  einer  allseitigen  Vertraut- 
heit mit  den  Werken  des  Meisters,  die  nicht  häufig  anzutreffen  ist.  Koeppel 
besitzt  diese  Eigenschaften  in  hohem  Grade.  Allerdings  wurde  seine  Arroit 
durch  das  trefUiche  Shakespeare-Lexikon  von  Alexander  Schmidt  beträcht- 
lich erleichtert.  Dies  Hilfsmittel  versagt  aber,  wo  es  sich  nicht  um  die 
Entlehnung  einzelner  Biedewendungen  SShakespeares  handelt,  sond^n  eine 


Beurteilungen  und  kurze  Anzdgen.  407 

allgemeine  Situation,  ein  einzelnes  Motiv  oder  ein  Charakter  aus  einem 
seiner  Stucke  von  einem  anderen  Dramatiker  nachgeahmt  worden  ist.  Auch 
in  solchen  Fällen  bewährt  sich  durchaus  die  hervorragende  Shakespeare- 
kenntnis des  Verfassers. 

Eine  Quellenuntersuchung,  die  den  Einflufs  eines  einzelnen  Dichters 
auf  die  Literatur  seiner  eigenen  oder  einer  späteren  Zeit  erforschen  will, 
kann  auf  zwei  Arten  angestellt  werden :  entweder  indem  man  von  dem  als 
Quelle  gegebenen  Dichter  ausgeht,  den  Stoff  nach  dessen  einzelnen  Wer- 
ken gliedert  und  innerhalb  eines  jeden  Abschnittes  alle  bei  anderen  Schrift- 
stellern vorkommenden  Anklänge  an  das  betreffende  Werk  vorführt,  oder 
indem  man  die  Werke  der  Nacnahmer  einzeln  durchgeht  und  bei  jedem 
dieser  Werke  alle  Fälle  solcher  Nachahmung  zusammenstellt.  Durch 
erstere  Art  wird  deutlich,  in  welchem  Umfange  und  Grade  die  einzelnen 
Werke  des  als  Quelle  dienenden  Dichters  nachgeahmt  worden  sind ;  letztere 
Art  lälst  die  Eigenart  des  Nachahmers  eher  hervortreten.  Eoeppel  hat 
recht  daran  getan,  diese  Art  zu  wählen;  um  sich  aber  auch  die  Vorteile 
der  ersteren  Art  nicht  entgehen  zu  lassen,  bietet  er  S.  97  ff.  ein  nach 
den  Stöcken  Shakespeares  geordnetes  Verzeichnis  derartiger  Fälle  von 
Nachahmung. 

EoeppeS  Arbeit  hat  zunächst  grosses  geschichtliches  Interesse.  Es 
ist  natürhch  von  hohem  unmittelbarem  Wert  für  die  literaturgesdiicht- 
liche  Forschung,  den  tatsächlichen  Einflufs  der  Werke  Shakespeares  auf 
die  Dramen  seiner  jüngeren  Zeitgenossen  im  einzelnen  festzustellen.  Erst 
nach  einem  Mosaik  bilde  solcher  Einzelheiten  können  wir  uns  ein  Urteil 
über  das  allgemeine  literarische  Abhängigkeitsverhältnis  des  betreffenden 
Dichters  von  Shakespeare  bilden.  Als  mittelbarer  Grewinn  von  Koeppels 
Buch  ergibt  sich  auiserdem  gelegentlich  die  Möglichkeit,  ein  Stück  Shake- 
speares genauer  zu  datieren.  In  dem  vorhin  erwähnten  Register  (Eoeppel 
8.  97  ff.)  hat  der  Verfasser  die  für  die  Chronologie  der  Dramen  Shake- 
speares wichtigen  Stellen  durch  fetten  Druck  hervorgehoben.  In  einem 
Falle  gewinnt  er  aus  seiner  Untersuchimg  auch  ein  I&iterium  gegen  die 
Echtheit  eines  zweifelhaften  Stückes.  Es  erweist  sich  nämlich,  daijs  bei 
Thomas  Heywood  Spuren  von  Bekanntschaft  mit  Shakespeares  Dramen 
nur  selten  anzutreffen  sind.  Um  so  auffälliger  sind  die  zahlreichen  Shake- 
speareanspielungen in  dem  bisher  Heywood  zugeschriebenen  Lustspiel 
'The  Fair  Maid  of  the  Exchan^e^  Eoeppel  schliefst  sich  daher  der  Mei- 
nung Fleays  an,  der  aus  dem  eoen  genannten  Grunde  das  Stück  Heywood 
abspricht.  Heywoods  Verfasserschaft  wird  danach  in  der  Tat  redit  un- 
wahrscheinlich. 

Anzuerkennen  ist  es,  dafs  Eoeppel  nicht  nur  die  Dramen,  sondern 
auch  die  bisher  zu  wenig  beachteten  epischen  Dichtungen  Shakespeares 
in  den  Ereis  seiner  Betrachtung  gezogen  hat.  Die  verhältnismälsige 
Häufigkeit  von  Anklängen  an  diese  Epen  bei  den  Dramatikern  jener 
Zeit  TOweist  uns,  wie  beUebt  »Shakespeares  epische  Dichtungen  bei  seinen 
Zeitgenossen  waren. 

Die  Besprechung  wenigstens  der  gröfseren  Dramatiker,  Dekkers,  T.  Hey- 
woods, Middletons,  Richard  Bromes,  Randolphs,  James  Shirleys  und 
Glapthomes  gibt  dem  Verfasser  Gelegenheit,  einige  feinsinnige  Bemer- 
kungen zur  aSgemeinen  Charakteristik  ihrer  dichterischen  Persönlichkeiten 
einzuflechten. 

Auch  Eoeppel  selbst  ist  sich,  wie  sein  Vorwort  zeigt,  dessen  wohl 
bewuTst  gewesen,  dafs  bei  der  von  ihm  angewandten  Art  der  vergleichen- 
den Betrachtung  eine  gewisse  Subjektivität  des  Urteils  zuweilen  unver- 
meidlich ist,  und  dais  eine  solche  Betrachtung  schwerlich  jemals  vöUig 
erschöpfend  sein  kann.  Der  aufmerksame  Leser  der  von  Eoeppel  behan- 
delten Dramatiker  wird  daher  leicht  zwischen  diesen  und  Shakespeare 
neue  Ähnlichkeiten  entdecken,  die  dem  Verfasser  entgangen  sind.   Zu  der 


408  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Zeit,  als  ich  mit  EoeppelB  Buch  bekannt  wurde,  beechaftigte  ich  mich 
gerade  mit  den  Dramen  von  James  öhirlej.  In  diesen  Dramen  ist  mir 
eine  Reihe  von  Shakespeareanklängen  aufgestolsen,  die  ich  als  Nachtraf 
zu  Koeppels  Arbeit  hier  anführe.  Für  einige  dieser  Anklänge  muis  ich 
freilich  dasselbe  Recht  der  Subjektivität  für  mich  in  Anspruch  Dehrooi. 
das  Eoeppel  für  sich  selbst  geltend  gemacht  hat. 

Im  Lustspiel  *The  Changes,  or,  Love  in  a  Maze'  sagt  Sir  Gerva.«e 
Simple:  thy  ehin  is  haich'd  toüh  ailver,  nach  'Troilus  und  Cressida'  (I  :3, 
Ö5),  wo  Ulysses  den  Nestor  Vener<Me  Nestor,  hateh^d  in  süver  nennt. 

Die  spottlustige  und  spröde  Männerfeindin  Carol  im  Lustspiel  *Hyde 
Park^  bei  der  die  Spottlust  im  Grunde  nur  ein  Panzer  ist,  hinter  dem 
sich  ihre  Liebe  zu  Fairfield  verbirgt,  gleidbt  der  Beatrice  in  'Much  Add 
about  Nothing'.  Sie  äufsert  an  einer  Stelle  (Shirley,  Dram,  Works  wit'h 
Notes  by  OiffSrd  <md  Dyes  II,  S.  502):  —  ne'er  tcas  simple  eamomtle  so 
trod  on,  Yei  still  J  groto  in  love, 

Yf\.  Falstaff  in  «Henry  IV',  Part  I,  II  4,  ^41  ff.:  the  camomUe,  ihe 
more  tt  is  trodden  on  ihe  faster  it  ffrows,  Koeppel  (S.  70)  zitiert  eine  andere 
camom»i^-Stelle  in  Wilkins  'Miseries  of  Enforced  Marriage'  und  betont  mit 
Recht,  dafs  die  Vergleiche  mit  der  Kamille  wegen  ihrer  Häufigkeit  bei 
den  alten  Dramatikern  zur  Feststellung  eines  Shakespeareeinflusses  nicht 
genügen.  Shirley  konnte  hier  auch  unmittelbar  aus  Lylys  *Euphues'  ge- 
schöpft haben,  der  auch  Shakespeares  Quelle  für  die  angeführte  Stelle  ge- 
wesen war.  Aber  gleich  darauf  b^egnet  in  Shirleys  Stück  eine  andere 
Steile,  die  es  meines  Erachten»  wiuirscheinlich  macht,  dafs  Shirley  hier 
doch  den  ersten  Teil  von  Shakespeares  'Henry  IV.'  als  Muster  vor  sich 
gehabt  hat.    Carol  sagt  (S.  508): 

Oh  ffive  me,  lend  me  btU  the  tilken  tie 
About  your  leg,  tphich  aome  do  call  a  garter. 

Diese  humoristische  Umschreibung  eines  Alltagsbegriffs  erinnert,  wie 
mir  scheint,  an  eine  andere  bekannte  Stelle  in  derselben  Rede  Falstaffs 
au  den  Prinzen  (II  4,  453  ff.):  There  is  a  thing,  Harry,  which  thou  hast 
often  keard  of,  and  it  is  known  to  many  in  our  land  by  the  natne  of  püeh. 

Ein  anderes  Mal  erkennen  wir  in  Oarols  Worten  an  Fairfield: 

you  have 
A  medley  in  your  face  af  many  nations,  usw. 

eine  Nachahmung  des  wenig  ^schmack vollen  Scherzes  in  'The  Comedy 
of  Errors',  wo  Dromio  die  einzelnen  Körperteile  seiner  Geliebten,  der 
Küchenfee  Neil,  mit  verschiedenen  Ländern  vergleicht  (vgl.  auch  Koeppel 
S.  S-i), 

In  'The  Gamester'  begebet  das  aus  Shakespeares  'All's  well  that 
ends  well'  und  'Measure  for  Measure'  bekannte  Vertauschun^motiv :  Der 
lüsterne  Wilding  schlaf  seiner  Nichte  Penelope  einen  nächtlichen  Besuch 
vor;  diese  aber  will  seine  eigene  Frau  an  ihre  Stelle  treten  lassen.  Dss 
Motiv  wird  dadurch  variiert,  dafs  Wilding  nicht  selbst  zum  vermeintlichen 
Stelldichein  mit  Penelope  geht,  sondern  statt  seiner  den  Spieler  Hazani 
hinschickt,  dem  er  zu  Dank  verpflichtet  ist,  und  dafs,  wie  am  Schlafs 
herauskommt,  Hazard  von  Wildings  Anerbieten  keinen  Grebraach  ge- 
macht hat. 

In  der  Tragikomödie  *The  Doubtful  Heir'  verwendet  Shirley  ein  durch 
Shakespeares '1  weif th-night'  aufgebrachtes  Motiv:  Rosania  folgt,  als  Page 
verkleiaet,  dem  Geliebten  ihres  Herzens,  Ferdinand,  dem  Köni^  von 
Murcia,  und  wird  am  Schiulis  mit  ihm  vermählt  Zum  Unterschied  vom 
Herzog  Orsino  bei  Shakespeare  weils  aber  Ferdinand  von  vornherein,  wer 
der  ihm  folgende  Page  ist. 

Auiserdem  ist  noch  zu  erwähnen,  da(s  zu  den  zahlreichen  Nachahmern 


Bearteilungen  und  kurze  Anzeigen.  40^ 

der  Gestalten  der  Polizdrüpel  in  Shakespeares  *Much  Ado  about  Nothing' 
auch  Samuel  Rowley  gehört.  Die  Nachahmung  erkennen  wir  in  den 
Wortverdrehungen  und  dem  Schlafbedürfnis  des  ersten  Wachmannes  in 
dem  einzigen  erhaltenen  StGck  dieses  Dramatikers,  When  you  see  me,  you 
know  me,  or,  The  Fcmious  Ckroniele  History  of  King  Henry  VIU,  (hrsg.  von 
Elze,  Dessau  und  London,  1874). 

Schliefslich  sei  noch  die  Bemerkung  Koeppels  (S.  79)  berichtigt, 
'The  Cit^-Nightcap'  sei  das  einzige  uns  erhaltene  Stück  von  Davenport. 
Dieser  Dichter  ist  auch  der  Verfasser  von  zwei  anderen  Dramen,  die  aller- 
dings nur  in  Originaldrucken  des  17.  Jahrhunderts  überliefert  sind:*  eines 
Lustspiels  'A  New  Trick  to  cheat  the  Devil',  und  eines  Trauerspiels  'King 
John  and  Matilda'.  Ich  habe  im  Herbst  vorieen  Jahres  beide  Stücke  in 
der  Bodleiana  in  Oxford  in  Händen  gehabt.  Das  zuerst  genannte  Lust- 
spiel ist  dadurch  merkwürdig,  dals  Davenport  den  bekannten,  auch  von 
Andersen  in  seinem  Märchen  vDer  kleine  una  der  grofse  Klaus'  verwerteten, 
ursprünglich  altfranzösischen  Schwank  'Der  arme  Schüler'  (vgl.  Hertz, 
Sptelmannsbiieh)  hinein  verarbeitet  hat. 

Diese  Zusätze  mögen  mein  grofses  Interesse  an  Koeppels  Buch  be- 
weisen, das  ich  als  eine  wertvolle  Bereicherung  der  Literatur  über  Shake- 
speare und  seine  Nachfolger  willkommen  heÜse. 

Freiburg  L  Br.  Eduard  Eckhardt. 

Johnson^  Samuel,  Lives  of  the  English  poets,  ed.  by  George  Birk- 
beok  Hill,  D.  C.  L.  Oxford,  Clarendon  Press,  1 905.  Vol.  I :  XXVII, 
487  S.    Vol.  II:  440  S.    Vol.  III:  568  S.    86  «li.  net. 

Auf  die  bekannten  Ausgaben  von  Johnsons  'Leiters'  und  'Life',  die 
Birkbeck  Hill  vor  wenigen  JfOiren  im  grolsen  Oxforder  Verlage  erscheinen 
liefs,  ist  jetzt  ein  Neuaruck  von  Johnsons  Dicbterbiographien  mit  einem 
Kommentar  gefolgt,  der  alle  52  Lebensbilder,  wie  sie  der  literarische  Dik- 
tator der  Goldsmith-Zeit  entwarf,  in  neues  Licht  rückt.  Mit  anerkennens- 
wertem Fleifse  und  Gedächtnis  hat  der  Herausgeber  jeden  Satz  nach- 
geprüft, jede  vorkommende  Persönlichkeit  erläutert,  die  Zitate  nachgeschla- 
gen, Parallelen  aus  den  Werken  Johnsons  und  seiner  Zeitgenossen  auge- 
führt  und  seine  Quellen  Schritt  für  Schritt  festgestellt.  Ich  glaube  nient, 
dals  ein  modemer  Biograph  bisher  einen  so  gründlichen  Interpreten  ge- 
funden hat.  Das  Werk  ist  für  den  Forscher  in  der  Literatur  des  18.  Jahr- 
hunderts eine  Fundgrube. 

Die  Methode  mlls  kann  man  als  eine  antiquarische  und  zugleich 
vergleichend-kritische  bezeichnen.  Er  will  uns  sagjen :  wer  die  Leute  waren 
unof  was  sie  taten;  ferner:  wieweit  Johnsons  Urteile  mit  denen  seiner  Zeit 
übereinstimmten,  und  ob  sie  dem  englischen  Geschmack  entsprachen. 
Diese  beiden  Ziele  erreicht  er  durch  ausgiebige  Stellenvergleichung.  Als 
Kommentator  haftet  er  naturgemäfs  am  vorliegenden  Satz.  Die  Entwicke- 
lung  von  Ideen  und  Formen  in  freierer  Weise  zu  verfolgen  wäre  über 
seine  Grenze  hinausgegangen  —  das  ist  Sache  des  Literarhistorikers,  der 
deshalb  immer  noch  einiges  beizufügen  vermöchte.  Wenn  Johnson  z.  B. 
im  Artikel  über  Milton  (1779)  —  dem  Hauptstück  der  ganzen  Samm- 
lung —  erklärt:  'The  kigheat  praise  of  genius  ts  original  invention'  (I  194), 
so  uegt  es  nahe,  an  Thomas  Youngs  Essay  'On  original  composiiion'  (1759) 
zu  denken  und  an  die  ganze  Ausbildung  der  Genielehre  seit  Dryden,  als 
an  die  Vorbedingung  jener  lapidaren  Sentenz.   Bei  Johnsons  Einschätzung 


*  Wie  ich  Dachträglich  bemerke,  gibt  es  aach  eine  Nenausgabe  der  Werke 
DavenportB  (von  Ballen,  London  1890),  die  allerdings  nach  englischer  Unsitte  in 
sehr  kleiner  Aoflage  gedruckt  worden  ist. 

ArduT  f.  n.  Sprachen.    CXVI.  27 


410  Bearteiliixig«n  und  kurze  Anzeigen. 

dee  £p06  idfl  der  erhabeneten  Poeucffattuns  erinnert  man  sich  gern  an 
das  Herauswachsen  dieser  Lehre  nicht  blo£  aus  Le  Bossu,  Dryden  und 
Addison,  die  Hill  I  171  anführt,  sondern  ans  Longinus,  in  dessen  ^fls^i 
vy/oti*  sie  wurzelt  Johnsons  Wort  über  ^Allegro'  und  'Penseroeo'  (*Ecay- 
man  tkat  reads  them  reads  tkem  tcüh  pleasure'  I  165)  lielse  sich  duräi 
zahlreiche  Nachahmungen  dieser  Gedichte  bei  den  englischen  Landschafts- 
dichtem  des  18.  Jahrhunderts  erhärten,  u.  dgl.  Nicht  als  Ausstellung  sei 
dies  erwähnt,  sondern  um  die  Leistungslinie  Hills  zu  markieren  und  der 
banalen,  niemals  zutreffenden  Meinung  Torzu beugen,  die  Forschung  sei 
jetzt  auf  einem  Gebiete  abgeschlossen.  Im  Gegenteil,  jetzt  drängen  sich 
erst  die  Fragen  auf,  wodurch  sich  Johnson  von  früheren  Lebensbescfarei- 
bem  untersdieidet,  nach  welchen  ästhetisdien  Prinzipien  er  urteilte,  woher 
er  sie  hatte,  und  inwiefern  er  sie  förderte?  Die  Dichterbiographie  setzte 
in  England  mit  Sidney  passiv  ein  (Life  of  Sidneu  von  seinem  Freunde 
Fulke  Greville  f  1628,  gedr.  1652),  die  Dichterkritik  mit  demselben  Manne 
in  aktivem  Sinne  (Defe$tee  of  poetry);  auf  beiden  Gebieten  fand  Johnson 
schon  eine  bedeutende  Erbschaft  vor;  was  er  aus  eigener  Kraft  beifugte, 
ist  jetzt  mit  Hills  Hilfe  leicht  ins  Klare  zu  stellen. 

Vielleicht  hätte  es  der  Herausgeber  selbst  in  einem  Prol^omenon 
getan,  wenn  ihm  das  Leben  geblieben  wäre.  Aber  er  starb  1908,  und  so 
steht  vor  seinem  nosthumen  opus  magnum  seine  eigene  Lebensskizze,  ver- 
fafst  von  seinem  Neffen  H.  S.  Scott,  wir  erfahren  daraus,  wie  eine  Menge 
Faktoren  zusammenwirken  mufsten,  um  diesen  eingehenden  Kommentar 
möglich  zu  machen.  Hill  war  geboren  (1835)  und  aufgewachsen  im  Schul- 
haus Bruce  Castle,  Tottenham,  Middlesex,  das  mit  Heinrich  VIII.  und 
Elisabeth  in  Beziehung  stand.  Sein  Vater  war  ein  Schüler  Priestleys  ge- 
wesen und  übertrug  dessen  rationalistischen  Geist  ab  innerliche  Nadi- 
wirkung  der  Johnson-Zeit  auf  seinen  Sohn,  so  dafs  dieser  in  der  Juceiid 
nicht  anders  zu  denken  verstand  als  utilaristisch  und  in  der  Art  der  äiin- 
burffh  Reviewers.  Doch  prägte  er  sich  bereits  damals  achtzehn  Stücke  von 
Shakespeare  ins  Gedächtnis,  so  dafs  er  sie  noch  als  hoch  Siebziger  jeder- 
zeit hersagen  konnte.  Persönliche  Bekanntschaft  mit  Dichtern  gewann  er 
zu  Oxford  im  Kreise  der  Prärafaeliten.  Im  Jahre  1878  vertiefte  er  sich 
in  Johnson  mit  einer  Studie  über  dessen  Freunde  und  Kritiker,  blieb  ihm 
fortan  mit  geringen  Unterbrechungen  treu  und  begann  schon  1892  zu  den 
vorlie^nden  Bänden  'lAves*  da«  Material  zu  sammeln.  Das  erklärt  die 
Treffhchkeit  seiner  Leistung. 

Berlin.  A.  Brand  1. 

Heinrich  Heines  Verhältnis  ssu  Lord  Byron,  von  Felix  Melchior. 
Berlin,  Emil  Felber,  1903  (Literarhistorische  Forschungen,  Heft  XXVII). 
170  8. 

In  Germany,  Heine  has  long  since  been  crowned  and  definitely  ac- 
cepted  as  the  country's  ereatest  lyric  poet  of  Roman ticism,  despite  the 
fact  that  officially  bis  (£aracter  as  a  'geistreicher  Schalk'  (Treitschke) 
still  prevents  him  from  attaining  the  highest  pinnacle  of  recognition.  In 
England,  on  the  contrary,  the  place  of  Byron  in  English  Uterature  is  still 
under  debate.  It  is  one  of  the  strandest  phenomena  of  literary  history 
that  thiA  should  be  so,  and  that,  while  the  whole  Continent  enthusiasti- 
cally  hails  him  as  the  hero  of  the  Bomantic  movement,  England  still  per- 
sists  in  considerin^  his  case  as  'non-proven'  and  his  position  in  the  gallery 
of  Fame  as  still  dfisputable.  It  is  ahsurd,  however,  thus  late  in  the  day, 
to  do  as  Melchior  does  in  this  otherwise  most  interesting  comparative 
study  of  his,  and  rail  at  the  Enclish  for  not  acoepting  Byron  as  un- 
questioninKly  and  as  absolutely  as  ne  himself  has  been  taught  to  do.  'Die 
Engherzigkeit  und  Heuchelei  des  Krämervolkes,  welches  elf  Jahre  vorher 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  411 

Beinen  gröfsten  Dichter  aus  dem  Lande  getrieben  hatte,  lernte  auch  Heine 
jetzt  kennen'  says  Melchior,  with  noble  rage  making  Byron's  poetic  woes 
his  own.  But  isn't  all  thie  talk  about  'Kramervolk'  and  'Heuchelei' 
rather  silly  and  out  of  place  in  a  scientific  essay  ?  Sudi  expressions  must 
be  put  down,  I  suppoee,  to  the  ill-informed  enthusianm  of  adolescent 
wisdom ;  but  theee  and  similar  Statements  will,  it  is  to  be  hoped,  be  Struck 
out  in  the  second  edition  which  the  book  well  deservee. 

It  was  an  attractive  and  remunerative  theme  to  trace  the  influence 
of  the  great  Mediterranean  Bomanticist  upon  his  acolyte  of  the  Northern 
Piain.  Born  eight  years  alter  Byron,  the  poet  Heine  grew  to  maturity 
in  an  atmosphere  of  glorified  B^ron  worship.  A  Mr.  Jacobsen,  apparently 
of  Young  Hdne's  circle,  even  mvited  Byron,  much  to  the  poet's  amuse- 
ment,  from  Venice  to  Holstein,  with  ttuk  'of  the  wild  roses  growing  in 
the  Holstein  sununer';  'why,  then/  asks  Byron  demurely'  'did  the  Oimbri 
emigrate?' 

The  wild  roses  growing  in  the  Holstein  summer',  by  the  way,  is 
quite  in  the  mood  of  romantic  hyperbole  which  Byron  in  his  earlier  poetry 
often  indulged  in,  and  which  comes  in  for  Thackeray's  realistic  wrathl 
(Thack.,  Works  V,  G25). 

The  influence  of  Frau  y.  Hohenhausen's  hero-worship  and  of  A.  W. 
Schlegel's  aesthetic  praise,  together  with  other  details  traced  by  Melchior, 
seem  to  have  aroused  in  Heine's  breast  the  'ambition  to  become  a  German 
Byron,  and  he  even  begins,  somewhat  to  M.'s  disgust,  to  refer  to  himself 
as  Byron's  "Vetter".  The  development  of  the  Düsseldorf  bard  certainly 
shows  many  stränge  examples  of  Byronic  attitudinizing  and  literary  'mi- 
micry'  (I  believe  that  is  the  name  naturalists  give  to  the  phenomenon) 
and  there  is  talk  about  Byron  having  'discovered  new  worlds  m  his  acony'. 
L«ater  on  the  literary  parallelism  between  the  two  poets  is  also  remarkable. 
It  is  just  this  'Weltschmerz'  Byron  that  his  compatriots  will  not  hear  of ; 
This  side  of  Byron  was  made  much  of  in  England  up  to  about  1850 
(a  fact  which  Melchior  does  not  seem  to  know)  but  with  the  rise  of  the 
realistic  and  anti-sentimental  novel  in  England,  Byronlsm  of  this  sort  re- 
ceiyed  a  great  set-back,  and  gradually  Byron  has  come  to  be  most  prized 
for  that  splendid  work  in  oUava  rima  which  is  one  of  the  highest  glories 
of  En^lish  poetry.  —  In  Don  Juan  Byron  throws  'Weltschmerz'  and  all 
its  attitudes  to  thedogs..  The  real  Byron  be^ins  when  the  poet  discoyered 
his  Comic  power,  and  from  that  time,  as  Swinburne,  the  kindred  poet  of 
reyolt  at  the  end  of  the  nineteenth  Century,  has  said,  Byron  rose  at  once 
beyond  sight  or  shot  of  any  riyal.  No  one,  none  of  the  Italians  eyen, 
knew  the  wonderful  capabilities  of  the  oüava  rima  before  Byron  wrote 
his  Don  Juan.  Heine  and  Gildermeister,  as  M.  points  out,  haye  both  tried 
to  translate  this  masterpiece,  and  Goethe  with  admirable  critical  insi^ht 
characterized  it  as  proying  'dafs  die  englische  Poesie  schon  eine  gebildete 
komische  Sprache  hat,  welche  wir  Deutschen  ganz  ermangejn',  at  the  samc 
time  recommending  it  as  a  'treffliches  Übungsobjekt  für  Übersetzer'.  The 
maryellous  elastid^  of  the  oüava  rima  rhjthm  in  Byron's  hands  renders 
possible  one  particular  deyice  of  style  which  Heine,  whether  he  imitated 
it  or  not,  uses  in  many  poems  with  an  altogether  fatal  result.  This 
parallelism  M.  as  far  as  I  remember  does  not  mention.  I  mean  the  habit 
of  suddenly  dropping  from  a  iyric  or  heroic  strain  to  one  of  comic  or 
satiric  jest  This  takes  place  with  perfect  propriety  and  without  offending 
US  at  all  in  a  hundred  places  in  Don  Juan.    One  example  at  random : 

The  ship  was  evidently  settling  now 

Fast  by  the  head;  and,  all  distinetion  gone, 

Some  went  to  prayers  again,  and  made  a  tow 

Of  Candles  to  their  sainfei,  —  bat  there  were  none 

27* 


412  BeurteUungen  und  kurae  Anzeigen. 

To  pajr  them  with;  and  some  looked  o'er  the  bow 
Some  hoisted  out  the  boats;  and  there  waa  one 

That  begged  Pedrillo  for  an  abaolntion 

Who  told  him  to  be  damn'd  —  in  hia  eonfiision. 

When  Heine  in  hie  lyrics  drope  as  he  notoriously  so  often  does  froE 
the  lyric  to  the  satiric  and  leering  vein,  the  effect  is  qaite  different  aud 
^uite  indefensible  althongh  the  method  ib  the  same  aa  byron's;  why  thts 
Ib  the  same  thing  rig^ht  when  Byron  does  it  in  Don  Juan  and  wroDg 
when  Heine  does  it  in  his  lyrics?  The  fact  is,  it  seems  to  me,  thä: 
Byron  here  antidpated  that  reaction  against  the  lachrymoae,  the  maudür 
and  sentimental  in  En^lish  literature  which  was  a  little  more  than  half 
a  Century  later  to  be  pilloried  and  bnuded  with  psychological  contemp: 
by  Geo.  Meredith. 

In  Kudyard  Eipling's  Tales  we  find  an  absolutely  analogons  deviee 
for  presenting  the  reader  with  the  fall  pathos  of  a  Situation  and  at  tbe 
same  time  keeping  him  from  succumbing  to  this  pathoa.  Byron  wbh  $. 
pioneer  of  this  method  and  no  better  example  can  be  found  of  it  thao 
the  Shipwreck  in  Don  Juan.  What  the  spiritual  genesis  and  motive  of 
this  aesthetic  device  is  in  Byron,  Heine,  Meredith  and  Kipling  respecdrely, 
is  of  course  another  matter. 

The  comparison  between  the  metrical  and  linguistic  devicea  of  Heioe 
and  Byron  is  just  as  interesting,  and  Melchior  marshals  his  facta  with 
considerable  skill  and  betrays  much  finesse  and  insight  into  word  'yalnes' 
both  in  En^lish  and  Oerman.  It  seems  ungenerous  where  there  is  so 
much  that  18  good,  to  dwell  upon  a  fault,  but  a  point  in  M.'s  readJDg 

's  *Good  Night^  seems  to  me  to  challenge 


of  Childe  Harold's  'Good  Night'^  seems  to  me  to  challenge  criticisnu  'Die 
englische  Betonung  **8tauneh  yeomdn"  ist  altem  Gebrauch  zufolge',  he 
says  (p.  63)  'im  Ton  des  Volksuedes  wohl  eher  statUiaft,  als  die  im  Deut- 
schen nachgeahmte  Betonung  "Schlöfsdienstmänn",  die  etwas  schwerer  ins 
Ohr  fällt.'  I  have  not  the  slightest  doubt  that  Byron  pronounced  'yeo- 
man'  'jo^'man'  with  the  same  accent  as  'foeman'.  The  words  'staunch'  and 
'French'  before  'yeoman'  and  'foeman'  respectively  are  then  pronounced 
with  Bomewhat  of  a  drawl  so  that  they  become  equal  to  aissyllable». 
This  is  certainly  only  a  way  out  of  the  metrical  difiiculty;  but  to  read 
Compounds  of  '-man'  with'a  füll  'se'  would  now*a-days  be  ludicrous. 
M.  should  remember  that  Byron  with  all  his  brilliance  is  not  an  infallible 
metrist.  'Even  at  its  best'  says  Swinburne  in  the  middle  of  a  fervent 
eulogy  of  him,  'the  serious  poetry  of  Byron  is  often  so  roueh  and  loose, 
so  weak  in  the  screws  and  joints  which  hold  together  the  numework  of 
verse  that  it  is  not  easy  to  praise  it  enough  without  seeming  to  condone 
or  exten  uate  such  faulta  as  should  not  be  overlooked  or  forffiven.'  This 
verdict  could  certainly  not  apply  to  Heine,  and  it  is  a  venuct  which  in 
the  case  of  Byron  is  probably  still  beyond  the  ken  of  many  of  his  conti- 
uental  admirers. 

Another  instance  of  Melchior's  naive  Byronic  prejudice  is  to  be  found 
in  his  disparaging  remarks  about  Heine's  'Lebewohl'  contrasted  with  the 
original,  the  notorious  'Fare  thee  well'.  Melchior  actually  accuses  the 
Germau  poet  of  a  too  rhetorical  style  in  his  rendering.  As  if  'rhetoric* 
were  not  the  crying  fault  of  the  English  poeml  M.  here  as  in  other  places 
falls  to  distinguish  Byron's  bad  verses  from  his  good  ones,  a  lack  of  dis- 
crimination  in  which  he  does  not  stand  alone.  It  is  interesting  to  re- 
member Thackeray's  criticism  of  this  poem,  —  a  poem  which  Thackeray 
gives  as  an  example  of  litcrary  snobbism.  I  take  the  liberty  of  quoting 
jet  another  passage  of  Thackeray  as  bearing  witness  to  Byron's  vogoe 
in  England  in  1 845,  as  well  as  for  the  interest  of  the  passage  as  a  motest 
of  the  new  realism  which  had  ousted  Sir  Walter  Scott  and   the  Gothic 


Beurteilungen  und  kurze  Ansdgen.  418 

romance.  The  passage  points  to  facta  which  Melchior  in  his  bias  has 
quite  loBt  sight  of. 

'No'  says  Thackeraj  speaking  of  maids  to  love,  'give  me  a  frefih,  dewy, 
healthy  rose  out  of  Somersetahire,  not  one  of  those  süperb,  tawdry,  un- 
wholesome  exotics  (of  Greece);  Lord  Byron  wrote  more  cant  of  this  eort 
than  any  poet  I  know  of.  Think  of  ''the  peasant  girls  with  dark  blue 
eyes"  of  tne  Bhine  —  the  brown-faced,  flat-nosed,  thick-lipped.  dirty 
wenchesl  Think  of  "filiing  high  a  cup  of  Samian  wine'';  small  beer  ib 
nectar  compared  with  it,  and  Byron  himself  always  drank  gin.  That  man 
never  wrote  from  the  heart  He  got  up  rapture  and  enthusiasm  with  an 
eye  to  the  public.  The  Great  rublic  admires  Greece  and  Byron:  the 
public  knowB  best.  ...  Welll  woe  be  to  the  man  who  denies  the  public 
gods.'   (Thack.,  Works  V,  624.) 

The  last  chapter  of  M.'8  book  is  a  philosophic  consideration  of  the 
causes  of  the  ^Weltschmerz'  in  the  two  poets  and  in  their  age,  and  con- 
tains  much  that  is  stimulating  and  mucn  that  is  debatable. 

I  would,  in  conclusion,  tain  recommend  this  study  of  Byron's  and 
Heine's  literary  relationship  to  all  English  students,  as  Hkdy  to  prove 
valuable  to  them  both  in  matter  and  in  suggestiveness.  Such  studies  as 
this,  —  the  attempt  to  establish  causal  historical  and  ps^chological  con- 
nections  between  the  German  and  the  English  protaeonists  of  a  poetic 
attitude  —  illustrate  the  German  conception  of  the  lunction  of  literary 
history  and  of  its  benehmen.  Literary  history  has  become  a  ^sdence' 
with  a  philosophical  'method'  of  its  own.  Its  goal  is  still  far  off,  and 
its  aim  is  to  ezplore  and  describe  the  imaginative  processes  of  the  creative 
writer  and  to  rdate  him  to  the  history  of  mairs  mind;  it  traces  and 
investigates  (I  quote  Dilthey's  words)  'die  Phantasie  des  Dichters,  ihr  Ver- 
hältnis zu  dem  Stoff  der  erlebten  Wirklichkeit,  und  ihr  Verhältnis  zu  dem 
Stoff  der  üeberlieferung.' 

This  purely  scientinc  and  well  defined  aim  the  writer  of  this  book 
on  Byron  and  Heine  seems  to  have  held  before  him,  in  the  present  study, 
in  the  modest  consciousness,  however,  that  he  was  not  an  architect  work- 
ing  at  the  final  edifice  but  merely  a  mason  helping  to  prepare  tbe  foun- 
dations  of  a  great  work  to  come.  And  it  is  one  of  the  fine  things 
about  this  theory  of  literary  history  that  it  invites,  acknowledges  and 
welcomes  multitudes  of  such  humble  labourers  and  renders  them  proud 
of  their  co-operation  in  a  great  task. 

I  only  noticed  two  misprints  in  the  yolume:  ausgesprochen,  page  11. 
1.  1.    Ä  2500  (not  '2500  £')  p.  32. 

Haiensee.  F.  Sefton  Delmer. 

E.  Kruisinga^  A  grammar  of  the  dialect  of  West  Somerset, 
descriptive  and  historicaL  Bonn,  P.  Hanstein,  1905  (Bonner  Beiträge 
zur  Anglistik,  hg.  yon  Prof.  Dr.  M.  Trautmann,  Heft  XVIII). 

Wer  die  spärlichen  Fortschritte  auf  dem  Grebiete  der  wissenschaft- 
lichen englischen  Dialektforschung  yerfolgt,  wird  begreiflich  finden,  dafs 
jede  Neuerscheinung  auf  diesem  karg  angebauten  Felde  der  Anglistik  yon 
voraherein  freudiger  Bewillkommnung  sicher  sein  darf.  Die  letzten  drei 
Jahre  haben  uns  nun,  seit  Wrights  erster  auf  wissenBchaftlicher  Grund- 
lage aufgebauter  Orammatik  (ks  WindhiU  Dialect  (189*2),  mehrere  Be- 
reicheruDgen  der  Dialektliteratur  rasch  hintereinander  beschert:  Kjeder- 
qvists  Dialect  of  Pewsey,  'Wiltshire*  l!>03,  Hargreaves'  Dialect  of  Ädlington, 
(Lancashire)  1901,  denen  sich  nun  als  vierte  Dialektgrammatik  <iie  hier 
angezeigte  yon  Kruisinga  (1905)  anreiht.  Sie  ist  der  Mundart  yon  West 
Somerset  gewidmet,  die  lange  Jahre  hindurch  allen  Dialektforschem  durch 
die  oft  gerühmten  und  unentbehrlichen  Arbeiten  yon  Elworthy  (The  Dia- 


414  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Isct  of  West  Somersd  1875,  An  Ouätne  of  ike  Orammar  0/'  ike  Dialeei  of 
West  Somerset  1877,   West  Samereet  Word  Book  (1886,  mit   Nachtrigeo 
Aihenaeum  1898,  282)  yon  allen  heutigen  Mundarten  am  leichtesten  zu- 
gänglich und  verhältnismäßig  am  bekannteeten  war.     K.  hat  sich  nun 
zur  Auieabe  gemacht,  mit  Elworthys  Material  eine  dcskriptiTe  and  hiau>- 
rieche  Grammatik  dee  Dialekts  aufzustellen.     Für  die  Formenlehre  b^«! 
ihm  bereits  Elworthys  zweites  Werk  ausfQbrliche  systematische  VorarbeiteB 
mit  verstreuten  Beiträgen  zur  syntaktischen  Betrachtung.   Daie^en  mufsteo 
hauptsächlidi  die  Wortlisten  der  ersten  Veröffentlichnnf  Eaworthya,  U 
deren  Aufstellung  sich  dieser  mehrfach  der  Beihilfe  EUia'  und  MurrsT« 
bediente,  und  in  denen  die  Lautlehre  des  Dialekts  niedergelegt  ist,  zu 
einer  systematischen,  deskriptiven  und  historischen  LauÜehre  verarbeitet 
werden.    K.  ist  nicht  der  erste,  der  die  Durchführung  dieser  sehr  lockeD«! 
erscheinenden  Aufgabe  unternommen  hat,  an  die  er  auf  Anregung  voc 
ProL  Bül bring  herangetreten  ist    Dais  er  nun  als  der  erste  mit  den  Re- 
sultaten seiner  Forschungen  in  einem  stattlichen  Bande  vor  die  Öffent- 
lichkeit trat,  ist,  trotz  aller  Bedenken,  die  im  folgend^i  geaulsert  werdiD 
müssen,  schon  deswegen  zu  begrülsen,  da  jetzt,  nach  seiner  PublikatioD, 
ein  in  engeren  Kreisen  schon  länger  feststehendes  urteil  über  den  Wert 
der  Eiworthyschen  Dialektwerke  mit  Sicherheit  begründet  nnd  offen  aus- 
gesprochen werden  kann.    Bei  näherer  Beschäftigung  mit  d^n  Material 
von  Elworthy  nämlich  stellte  sich  den  bisherigen  ßarbeitem,    die  des- 
wegen auch  die  Resultate  ihrer  Untersuchungen  noch  zurückgehalten  habcE, 
immer  klarer  heraus,  dals  die  unbedenkliäe  Wertschätzung,  deren  sich 
die  Eiworthyschen  Arbeiten  in  der  englischen  Dialektforschung  zu  erfreuen 
haben,  grulsen  Zweifeln  unterworfen  werden  muls.    Wie  hoä  Elworthjs 
Bemühungen  um  seinen  Heimatdialekt  im  einzelnen  stets  geschätzt  werden 
dürfen,  so  kann  doch  nicht  län^  unausgesprochen  bleiben,  dafa  die  vid- 
fach  sich  ergebenden  Ungenauigkdten  und  Widersprüche  seiner  Aufstd- 
lunsen,  die  keinem  Bearbeiter  auf  die  Länge  verborgen  bleiben,  und  zwir 
nicht  nur  in  den  zeitlich  aufeinanderfolgenden  Veröffentlichungen,  sod- 
dern  innerhalb  ein  und  desselben  Werkes,  auf  tieferliegende  Ursachen  za- 
rückzuführen  sind,  als  gemeinhin,  und  auch  von  dem  Verfasser  der  vor- 
liegenden  Grammatik,   angenommen   worden  ist.     Die   Annahme  unvoll- 
kommener Erfassung  und  Präzisierung  des  phonetischen  Lautwertes,  dk 
Heranziehung  des  sdiriftsprachlichen  Einflusses  oder  ähnliche  Erklärung»- 
mittel,  wie  sie  auch  K.  in  schwierigen  Fällen,  teilweise  xewifs  mit  ^^[san 
iScharfsinn  und  manchmal  mit  Gluck,  verwendet  hat,  nelfen  allein   übet 
die  Unsumme  von  Schwierigkeiten,  die  Elworthys  Materialien  dem  Be- 
arbeiter auf  Schritt  und  Tritt  bieten,  nicht  hinweg.    Mit  grolW  Wahr- 
scheinlichkeit scheint  jetzt,  nach  dem  Eindruck  der  systematischen  Be- 
arbeitung des  Materials  im  ganzen  durch  K.,  festzustäien,  dafs  es  sich 
bei  Elworthy  nicht  um  eine  wirklich  geschlossene  Dialekteinheit  bandelt, 
sondern  dafs,  worauf  schon  die  weit  gezogene  Umgrenzung  'West  Somerset' 
deutet,  in  seinen  Aufstellun^n,  besonders  auf  lautlichem  Gebiete,  neboi- 
einander  herlaufende   und  sich  durchkreuzende  Entwickelungen   im  ein- 
zelnen unterschiedener  Unterdialekte  zu  erblicken  sind.    Auch  Elworthv 
selbst  ist,  wie  es  scheint,  an  einigen  Stdien  seiner  Bücher  darauf  auf- 
merksam geworden,  ohne  aber  der  Entwirrung  der  Probleme,  die  seine 
ganzen  Untersuchungen  hätten  um^talten  müssen,  weiter  nachzuffefaeD. 
Gelegentlich  statuiert  er  nämlich  einen  Unterschied  zwischen  ^vals-  und 
'^»//'-Distrikt  (vgl.  z.  ß.  bei  K.   Anm.  zu  S.  25),  ohne  aber  Ortsbezeich- 
nungen hinzuzufügen,  die  überhaupt  bei  ihm  fenlen,  oder  nähere  Angaben 
über  die  Ausdehnung  der  betr.  Erscheinung  zu  machen.    Eb  soll   dqd 
nicht  verkannt  werden,  dafs  K.  der  Schwierigkdt  seines  Unternehme» 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  sich  stets  bewufst  bleibt  und  im  einzelnen 
mit  scharfsinnigem  Eindringen  und  grofsem  Fieifse  an  die  deskriptive  und 


Beurtdlungen  und  ktirze  Anzeigen.  415 

historische  Behandlung  der  Mundart  herangetreten  ist.  Um  so  bedauer- 
licher ist  es  daher,  dafs  ihn  seine  gewifs  über  längere  Zeit  sich  erstrecken- 
den Bemühungen  um  den  Dialekt  nicht  zur  letzten  Konsequenz  geführt 
haben,  das  ganze  Material  mit  der  Dosis  Skepsis  zu  betrachten,  die  ihn 
unbedin^  veranlafst  hätte,  gleich  einem  früheren  Bearbeiter  der  Elworthy- 
schen  Listen,  an  Ort  und  »teile  die  Nachprüfung  der  Aufstellungen  zu 
betreiben.  Wahrscheinlich  wäre  dann  auf  gesichertem  Material  die  Dar- 
stellung eines  lokal  scharf  umgrenzten  Dialektgebietee  in  West  Bomerset 
zustanae  gekommen,  wie  Wrignt  für  Windhill  und  seine  neueren  Nach- 
folger für  andere  Orte  sie  versucht  haben,  und  die  für  den  Fortschritt 
der  Kenntnis  der  heutigen  Dialekte  noch  in  gröfserer  Anzahl  dringend 
erwünscht  sind.  Da  sidi  nun  K.  hierzu  nicht  Terstanden  hat,  so  sind 
ihm  bei  aller  Anerkennung  der  gründlichen  Durchforschung  und  scharf 
methodischen  Zergliederung,  die  er  dem  Material  gewidmet  hat,  die  besten 
Früchte  seiner  schwierigen  und  langwierigen  Stuaien,  die  Zuverlässigkeit 
und  Unantastbarkeit  der  erlangten  Kesnltate,  über  der  Unsicherheit  des 
schwankenden  Untergrundes  verloren  gegangen.  Das  volle  Mals  der  An- 
forderungen, die  seitens  der  Phonetik,  der  historisch-vergldchenden  Sprach- 
forschung und  der  Prinzipien  Wissenschaft  an  eine  Dialektgrammatik  gestellt 
werden  müssen  (vgl.  darüber  z.  B.  Holthausen,  Soester  Ma,  Vorrede),  ist 
also  in  K.s  Werk  nicht  zur  Verwirklichung  gelangt. 

Über  die  methodischen  Grundsätze,  die  ihn  bei  der  Bearbeitung  von 
Eiworthys  Materialien  geleitet  haben,  gibt  der  Verfasser  in  der  Vorrede 
Aufschlufs.  Er  macht  vor  allem  von  dem  von  Luick  aufgestellten  Satz 
Gebrauch,  dafs  bei  Doppelheit  der  Belege,  und  auch  sonst,  jede  mit  der 
Schriftsprache  übereinstimmende  Lautung  an  und  für  sich  den  Verdacht 
der  Entlehnung  aus  dieser  unterliegt,  und  nur  das,  was  von  ihr  abweicht, 
als  echt  dialektisch  anzusehen  ist.  Mehrfach  begegnet  die  Annahme  einer 
*diaiedal  adaptation  of  the  Standard  prommeiaiion*,  also  einer  Anpassung, 
nicht  Übereinstimmung  der  dialektischen  Lautung  mit  der  schrirtsprach- 
lichen,  z.  B.  i;  214,  207,  Anm.  zu  S.  117  u.  ö.  Mit  der  'Übersetzung  aus 
dem  Lautsystem  der  Schriftsprache  in  das  der  Mundart'  (Luick,  Archiv 
CHI,  05)  ist  zweifellos  zu  rechnen,  nur  ist  meines  Erachtens  vor  billiger 
Verallgemeinerung  dieses  Erklärungsgrundes  zu  warnen,  dessen  Berech- 
tigung nur  dann  über  jeden  Zweifel  erhaben  ist,  wenn  alle  sonstigen  Er- 
klärungen im  betreffenden  Falle  versagen.  Die  Nachbardialekte  sind  mehr 
zum  Vergleich  als  zur  Erklärung  und  Aufhellung  einzelner  Erscheinungen 
herangezogen  worden.  Bei  unserer  derzeitigen  mangelhaften  Kenntnis 
dieser,  die  sich  nur  auf  wenige  Einzel  Untersuchungen,  in  der  Haupt- 
sache aber  noch  auf  EUis'  Listen  stützt,  hat  dies  sicher  seine  Berech- 
tigung. Über  den  Wert  der  letzteren  urtdlt  übrigens  K.  sehr  treffend 
(Vorrede  S.  3). 

Bevor  ich  auf  einzelne  Punkte  von  K.s  Untersuchungen  näher  ein- 
gehe, seien  noch  einige  Bemerkungen  mehr  äufserer  Natur  gestattet.  Der 
Verfasser  hat  Eiworthys  'Glossic  "fi-ansscription*  in  Ellis*  'Piüaeotype'  um- 
gewandelt, das  er,  weil  in  Ellis'  OEEP.  angewandt,  für  bekannter  annimmt. 
Es  ist  fraglich,  ob  er  nicht  der  Mehrzahl  seiner  Leser  mit  der  Anwendung 
des  handlicheren  und  angenehmer  lesbaren  Bell-Sweetschen  Systems,  wie 
es  z.  B.  Wright  in  seiner  Orammatik  benutzt  hat,  einen  gröfseren  Dienst 

feieistet  hätte.  Auch  das  von  dem  Verfasser  gewählte  Verfahren,  alle 
)ialektwörter  io  der  Standard-Orthographie  zu  geben  und  ein  für  allemal 
auf  das  Glossar,  das  die  phonetische  Umschrift  enthält,  zu  verweisen, 
empfiehlt  sich  meines  Eracntens  nicht  zur  Nachahmung.  Es  erschwert 
dem,  der  fremd  an  den  Dialekt  herantritt,  aufserordentlich  das  Einlesen 
und  verursacht,  selbst  bei  genügender  Vertrautheit  mit  der  Mundart,  Zeit- 
verlust durch  fortwährendes  Nachschlagen  und  die  Nötigung  zur  bestän- 
digen Umsetzung  des  Wortbildes.    Endlich  hätte  K.  dem  nachprüfenden 


416  BeurteilungeD  und  kurze  Anzeigen. 

Leeer  seiner  Grammatik  die  Übersicht  bedentend  erleichtert,  weon  eac  die 
Belegliste  seiner  Dialektwörter  in  den  einzelnen  Paragraphen  alphabetisch 
angeordnet  und  bei  der  phonetischen  Beschreibung  der  Laute  die  jedes- 
malige Nummer  der  betreffenden  liste  bei  Elwoiäy  mit  berückBichtigt 
hätte. 

Die  Untersuchung  setzt  im  ersten  Kapitel  mit  dner  Beschreibnng  der 
mundartlichen  Laute  ein.  8ie  wird  mit  ^fser  Gründlichkeit  und,  wenn 
man  die  hier  gerade  sich  häufenden  Schwierigkeiten  in  Elworthys  Material 
berücksichtigt,  mit  viel  Glück  geführt.  Stellenweise  frdlich  bieten  sich 
Beispiele  höchst  künstlicher,  wenn  auch,  was  gern  zugegeben  sein  mag, 
scharfsinniger  Interpretation,  die  man  eh^  zur  Eruierung  von  Schreiber- 
gewohnheiten in  alten  Texten  guiheifsen  mag,  als  wo  es  sich  um  die  Be- 
schreibung^ lebender,  in  der  Gegenwart  zugänglicher  Laute  handelt.  Man 
lese  zum  Beweise  dessen  die  Deutung  von  Elworthys  willkürUchem  Ver- 
fahren bei  der  Setzung  des  Länge  bezeichnenden  Punktes  nach  auslau- 
tendem Vokal  (§  2.  8).  Die  Übersicht  über  dieses  wichtige  Kapitel  wäre 
übrigens  durchweine  Tabelle  aller  in  der  Mundart  vorkommenden  Laute 
wesentlich  erleichtert  worden. 

Das  folgende  IL  Kapitel  eeht  der  Herkunft  der  heutigen  betonten 
Vokale  und  Diphthonge  der  Mundart  bis  zum  Me.  nach.  Es  sind  hier, 
soweit  sich  nachprüfen  läfst,  alle  bei  Elworthy  vorkommenden  Wörter 
übersichtlich  und  sorgfältig  behandelt.  Im  einzelnen  läfst  sich  hier  und 
da,  gegenüber  K.8  Anordnung  und  Unterbringung  dnes  Wortes,  eine  ab- 
weicnende  Meinung  befunden.  So  konnte  z.  B.  nu»S  (marsh)  151,  1  me. 
mershy  ae.  merse^  mertsc  zu  2  <»  =  me.  e,  taySy  said  mit  <9  zu  3  «  ~ 
spätme.  ^  gestellt  werden.  Bei  a  (158)  mrdjäp  (sf^lp)  vermifst,  das  unta- 
2  'me.  a,  varying  tcüh  t'  zu  bringen  ist  Von  den  154,  1  angegebenen 
Beispielen  gelten  ^hini'  und  *beiunxt'  mit  e  besser  als  Fortsetzungen  von 
me.  e,  elot  (ebenda  unter  6)  kann  auf  me.  o^te,  ae.  *eliat  zwmckgetien, 
del  (duU)  neben  entlehntem  dol  (unter  7)  ae.  *dyU  fortsetzen,  vgl.  Napier, 
Äead.  4t,  447.  Sm  (shine)  156,  6  konnte  nach  Luick,  Ärehiv  CIU,  275, 
unter  5  (=  me.  %)  aufgeführt  und  durch  sekundäre  Dehnung  vor  n  (wie 
eine  Überwiegend  grolM  Anzahl  der  Bel^  in  5)  erklärt  werden.  Eben- 
dort  fehlt  %8  ^es)  :  me.  yü,  vgl.  Sweet,  HES.  89B.  157  ist  unter  1  oder  4 
hrip  (reap)  hmzuzufügen,  zu  158,  5  wör  (wäre)  :  ae.  (jejunar,  während 
schriftsprachliches  Hcar^  auf  die  ae.  flektierten  Formen  zurückweist,  vgl 
Koeppel,  Archiv  CIV,  62. 63.  Natä  (nesh)  175, 3  laCst  sich  besser  aus  me.  o, 
ae.  hfuesce  erklären  als  durch  me.  6,  das  die  schriftsprachliche  Form  fort- 
setzt. 17()  fehlt  eine  Aufklärung  über  Hvaip%  das  von  Elworthy  dem  ne. 
tcisp  gleichgesetzt  vrird,  wahrschdniich  geht  es  auf  ae.  teipian  (verb.)  zu- 
rück. 180  bleibt  shovel  unerwähnt,  dessen  Diphthong  auf  schon  me.  shoül 
zurückgeht.  In  mehreren  Fällen  wäre  besser  schon  in  der  allgemednen 
Übersidit  der  Vokale  auf  den  für  die  Mundart  so  wichtigen  Einflufs  be- 
nachbarter Konsonanten  einzugehen  gewesen,  so  bei  a  rür  a  (151,  1)  in 
der  Nachbarschaft  von  n  und  fj  (vor  Dentalen  nur  in  drei  Fällen),  bei  ta 
für  me.  e  (lti>2,  1)  vor  /  und  r,  bei  «9  für  me.  ä  (182,  5)  nach  $,  k,  g. 

Die  historische  Betrachtung  der  mundartlichen  Laute  umfafst  das 
das  III.  Kapitel,  mit  dem  sich  das  IV.,  die  Erörterung  einiger  schwie- 
riger Probleme  der  Lautlehre,  sehr  eng  berührt.  Ein  Abschnitt  über  die 
Quantitätsverhältnisse  bildet  die  Einleitung.  Es  zeigt  sich  im  allgemeinen, 
da(s  der  Dialekt  an  den  quantitativen  und  qualitativen  Vokalwandlungen, 
die  die  Schriftsprache  betroffen  haben,  teilgenommen  hat.  Abweichungen 
im  einzelnen  ergeben  sich  für  die  Lautfolge  -end,  für  die  %n*  {end)t  neben 
schriftsprachlich  beeinflufstem  end,  und  '(in'  me.  tend,  die  sich  neben 
Orms  ^ende,  wendenn*  stellen,  Länge  erweisen.  Bd  -Id  zeigt  die  Mundart 
den  Stand  der  Schriftsprache,  giä  (gold)^  für  das  K.  (195)  me^  gdld  an- 
setzt, weist  nach  den  Lautverhältnissen  aes  Dialektes  auf  frühne.  ^  <  ou 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  417 

<  ol,  vgl.  auch  Kluge,  ördr.»  1, 1043.  Bei  fiam  {fem)  195  c  war  auf  frühne.  ? 
in  diesem  Worte  zu  verweisen,  vgl.  Luick,  AngL  B.  VIII,  1;J1.  Die  Be- 
lege für  -8t  erweisen  Dehnung  vor  a,  «,  o,  u.  Ottenbar  ist,  worauf  K. 
sdor  richtig  hinweist,  der  Bestand  an  Ddinungsprodukten  durch  die  Ein- 
wirkung der  Schriftsprache  stark  reduziert  worden.  Die  Klarstellung  der 
in  den  Dialekten  herrschenden  Dehnungs-  und  Verkürzungsgesetze  wird 
zweifellos  die  Forschung  in  Zukunft  noch  mehr  beschaftigei),  wenn  erst 
eine  gröfsere  Keihe  von  Dialekten  der  verschiedensten  Gegenden  in  zu- 
verlässigen Darstellungen  vorliegen. 

Was  nun  über  die  Gesdiicnte  der  me.  Vokale  und  Diphthonge  in 
diesem  und  den  Exkursen  des  nächsten  Kapitels  niedergelegt  ist,  bildet 
den  Kernpunkt  des  Buches.  Da  es  sich  hier  um  dialektische  Beflexe 
wichtiger,  in  ihren  Einzelheiten  umstrittener  Probleme  der  englischen  Laut- 
lehre handelt,  sei  es  gestattet,  etwas  ausführlicher  auf  sie  einzugehen.  Im 
allgemeinen  kann  betont  werden,  dafs  wir  die  Lautgeschichte  der  Mund- 
art in  K.s  Darstellung  eut  überblicken.  Dafs  jedoch  in  einzelnen  Punkten 
seine  Deutung  des  Sachverhalts  der  Er&^änzung  und  Berichtigung  bedarf 
oder  manchmal  Widerspruch  hervorruft,  ist  oei  der  Schwieri^eit  der 
Untersuchung  und  der  Eigenart  des  Objekts,  das  der  Analyse  unzählige 
Hindernisse  m  den  Weg  &^,  nicht  verwunderlich.  Es  wird  sich  daher 
im  folgenden  Öfters  Gelegenheit  bieten,  zu  dieser  und  jener  Frage,  teil- 
weise in  einer  von  K.  abweichenden  Weise,  Stellung  zu  nehmen. 

Bei  der  Betrachtung  der  dialektischen  Entwickelung  von  me.  a  ( 1 97—209) 
wird  die  Vertretung  durch  äy  neben  der  durchgehenden  ä,  nicht  besonders 
erwähnt.  Indes  scheint  die  Kürze,  die  in  einer  Reihe  von  Beispielen  bei 
Elworthy  vorliegt,  doch  die  ursprüngliche  Lautung  gewesen  zu  sein,  aus 
der  sich  als  Quantitätsänderung  vor  gewissen  Konsonanten,  hauptsäch- 
lich Gruppen  oder  Doppelkonsonanz,  der  lanee  Vokal  herausbildete.  Die 
heutige  Länge  des  Dialekts  vor  9  -\-  Kons.,  p  und  f  kann  also  auf  ein- 
facherem Wege  als  in  der  Schrift<«prache  erreicht  worden  sein.  In  der 
Entwickelung  der  Gruppen  a  4~  '  +  Kons.  (205)  nimmt  der  Verfasser  als 
reguläres  Ergebnis  dialekt.  o  (=  schriftsprachl.  ö)  an,  weifs  aber  das  da- 
neben sehr  gut  bezeugte  ä  nicht  aus  dem  Wege  zu  schaffen.  Wenn  in 
dieser  Dop^heit  nicht  lokid  verschiedene  Lautentwickelungen  zu  er- 
blicken sind,  die  in  Elworthys  ungenügender  Fixierung  zusammengeworfen 
sind,  läfst  sich  die  Lautung  ä  lus  Fortsetzung  des  frühne.  au  >  &,  das 
im  18.  Jahrhundert  in  der  Schriftsprache  zum  heutigen  5  wurde,  auf- 
fassen, die  aber  allmählich  dem  EinfluOs  des  letzteren  zum  Opfer  fällt, 
vgl.  Elworthy,  Word  Book  S.  856  oÄ  =  au'U  aa'l  (rarely).  —  Auch  bei 
me.  e  (210 — 217)  scheint  mir  der  dem  me.  Laut  nächstliegende  Entmcke- 
lung  ^  zu  wenig  Platz  eingeräumt  zu  sein.  Aus  ihr  hat  sich  einerseits 
die  für  den  Dialekt  charakteristische  Halblänge,  besonders  vor  m  und  n, 
ergeben,  anderseits  die  Öffnung  >  a.  —  Für  me.  i  wurden  in  218  Mur- 
rays Feststellungen  (bei  Elworthy,  Dial,  S;.114)  über  den  Wechsel  zwi- 
schen i  und  9  ('natural  voweP)  benutzt.  —  Ober  die  schon  öfters  auffällig 
bemerkte  Vertretung  des  me.  -iht  durch  et  und  des  f  in  ^  pig  with'  (22:^, 
224)  weils  auch  K.  Iceiilen  Aufschluis  zu  ^ben,  dagegen  sind  in  226  spät 
(sptt),  släi  (me.  slitten)  und  ät  (kit)  richtig  durch  Neubildung  aus  dem 
Präterit.  erklärt.  Für  die  starke  Flexion  des  letzteren  konnte  noch  auf 
Wright,  WnuOi.  Dial.  373,  verwiesen  werden.  —  Zu  me.  o  (228—233)  wäre 
eine  zusammenfassende  Behandlung  der  Lautgruppen  o  -\-  l,  o  -^  r  sehr 
erwünscht  gewesen.  Soweit  ich  s^e,  begnügt  sich  K.  mit  der  Feststel- 
lung, dafs  *yolk'  und  *folk'  mit  der  Vertretung  von  me.  g  gehen,  nimmt 
aber  für  beide  Einwirkung  des  schriftsprachlichen  Lautes  an.  Für  *yolk' 
soll  dies  durch  die  'echt  dialektische'  ]N ebenform  Helk'  bewiesen  sein;  wie 
sich  die  danebenstehende,  im  Glossar  als  schriftsprachlich  beeinflufste 
Form  ^k*  verhalten  soll,  bleibt  unklar.  An  Beispielen  war  noch  J9k  iyoke\ 


418  BearteiliingeD  und  kane  Anzeigen. 

daneben  jökj  zu  erwähnen,  das  sich  zn  Orms  jcHdt  stellt  In  281  ist  knal 
statt  knod  zu  lesen,  ebenda  fehlt  das  in  drei  Varianten  auftretende  *€lot. 

—  Der  Vertretung  des  me.  u  durch  dial.  t.  (235,  u.  Anm.)  ist  anschdnend 
von  K.  nur  die  Bedeutung  einer  'dialectai  pronundation  of  the  literaiy 
sound'  beigelegt.  Es  fragt  sich  aber,  ob  nicht  in  den  hierhergehörigen 
Wörtern  {rust,  hm,  auch  u.  a.,  eine  vollständige  Liste  derselben  vennis^ 
ich  bei  E.)  eine  jüngere  Entwickelung  aus  o  vorliegt  Sie  findet  sich  be- 
sonders vor  Dentalen  und  palat  S.  —  In  288  ist  die  Vorgeschichte  der 
Wörter  Hcood,  fnUl,  bush,  eaukP  nicht  zu  klarem  Ausdruck  ^langt.  E^^ 
handelt  sich  hier  (auiser  bei  eouldy  über  dessen  frühne.  ü  v^l.  1/uick,  Angi. 
XVI,  471)  um  jene  ü  in  ceschlossener  Sübe,  die  sich  auch  m  der  Schrift- 
spräche  seit  ae.  Zeit  infoLie  Nachbarschaft  labialer  Konsonanten  erhalten 
haben.  Sie  sind  in  dem  Dialekt  mit  den  ü  aus  me.  ö  zusammeDgefalien 
und  mit  diesen  zu  Ö  weitergegangen.  Auffällig  bleibt  dabei,  dals  die 
kurzen  u  ganz  entsprechend  den  lanjgen  (bei  K.  288)  behandelt  worden 
sind.  Die  Erklärung  scheint  mir  dann  zu  suchen  zu  sein,  dais  bei  der 
schon  für  jene  Zeit  anzunehmenden  Neigung  des  Dialekts  zur  Halblange 
vor  gewissen  Konsonanten  der  quantitative  Unterschied  zwischen  Lange 
und  ursprünglicher  Kürze  sehr  gering  war. 

Die  Ausführungen  über  die  langen  Vokale  und  die  Diphthonge  der 
Mundart  machen  den  Rest  dieses  und  den  größten  Teil  des  nacbstoi  Ka- 
pitels aus.   Hier  berührt  es  auffällig,  dafs  es  der  Verfasser  durchweg  ver- 
mieden hat,  sich  mit  Luicks  Ergebnissen,  die  im  ersten  Bande  seiner 
*ünterMiehungeu*  niedergelegt  sind,  auseinanderzusetzen.   Mag  man  mit  E. 
(Vorwort  8.  2)  zugeben,  dafs  Luicks  ^nanntem  Werke  g^isere  Bedeu- 
tung durch  die  Anregung  neuer  Forschungsweisen  als  durch  die  Sicher- 
heit der  Resultate  zukommt,  so  durften  doch  die  letzteren   nicht  stllJ- 
schweigend   übergangen  werden.     So  sucht  man  z   B.   in  dem   der  Di- 
phthongierung des  me.  ä  gewidmeten  Exkurs,  491  ff.,  vergebens   einen 
Hinweis  auf  Luicks  Ausführ un^n  a.  a.  0.  248  ff.   Es  wird  dort  der  Ver- 
such unternommen,  den  Zeitpunct  der  nach  Luick  an  offene  Vokaloualität 
gebundenen  'Abstumpfung'  des  ä>  e9  (auch  dieser  glücklich  gewählte  Ter- 
minus ist  nirgends  bei  K.  erwähnt)  durch  Ansetzung  einer  oberen  (Wallis 
1650)   und  einer  unteren  Grenze  (Gill  1621)   als  das  zweite  Viertel  des 
17.  Jahrhunderts  wahrscheinlich  zu  machen.    Den  Übergang  des  »  >  «» 
in  der  Nachbarschaft  von  S,  kjg  erweist  K.  (492)  richtig  von  der  Stufe  e». 

—  Auch  bei  der  Erörterung  der  schwierigen  Fra^n,  die  sich  an  die  Ent- 
wickelung von  me.  f  und  e  m  der  Mundart  knüpren  (258 — 273 ;  49  \ — 497), 
läfst  sich  mehrfach  der  Eindruck  nicht  abweisen,  daJs  die  Probleme  klarer 
hervorgetreten  wfiren,  wenn  der  Verfasser  die  fraglichen  Abschnitte  in 
Luicks  *  Unter suekungen*  herangezo^n  hätte.  Auch  wer  der  Lehre  d^ 
symmetrischen  Entsprechungen  (Luick  a.  a.  O.  229  ff.)  nur  den  Wert  einer 
Hypothese  zuspricht,  wird  sicher  nicht  leugnen,  dafs  mit  ihr  manche  Zu- 
sammenhänge recht  glücklich  beleuchtet  sind.  Hierher  ist  vor  allem  die 
dort  angedeutete  innere  Parallele  zwischen  dem  Beharren  des  me.  f  auf 
der  .^-Stufe,  der  auffälligen  Bewahrung  des  me.  ai,  ei  und  der  Abstumpfung 
des  &  >  09  zu  rechnen,  auf  die,  soweit  ich  sehe,  bei  K.  nicht  eingegangen 
ist,  obwohl  sie  mir  für  den  Zusammenhang  der  Lauterscheinungen  wichtig 

§enug  erscheint,  um  eine  zustimmende  oder  ablehnende  AuCserung  zu  v^- 
ienen.  Die  auffällige  Vertretung  des  me.  f  durdi  f  und  i»  (neben  ge- 
wöhnl.  s)  gibt  zu  einer  gründlich  geführten  Untersuchung  der  hierher- 
gehörigen Wörter  Anlafs.  «9  in  ^dean,  sleep,  beat,  bead*  (494),  alle  vier  da- 
neben mit  f  belegt,  erledigen  sich  offenbar  durch  schriftsprachlichen  Ein- 
fluls,  was  mir  zweifelfreier  erscheint  als  K.s  Versuch,  aie  Lautung  als 
'different  appreciation  of  t  aufzufassen.  Schwieriger  ist  das  VerhaltniB 
des  heutigen  f-  (bezw.  r-)Laute8  in  deaff  ahred,  inatead,  beam,  heap  (406), 
hinzuzufügen  ist  noch  aheaih,  K.  sucht,  gestützt  auf  Grammatikerzeug- 


BearteOimgai  und  kune  Anzeigen.  419 

niese,  für  die  meieteo  der  fra^ichen  Wörter  Vorstufen  mit  B  zu  kon- 
struieren. Sein  Hinweis,  dafs  eine  genauere  Kenntnis  der  modernen  Dia- 
lekte in  abeehbarer  Zeit  eine  Revision  dar  heute  geltenden  R^In  über 
die  lokale  Verbr^tung  der  Entsprechungen  von  westg.  ai  -f-  •  und  weetg.  ä 
im  Me.  herbeiführen  werden,  ist  beachtenswert.  Auf  jeiden  Fall  ist  er 
mit  seiner  Erklärung  über  Kluges  Versuch,  s  für  f  durch  i-Umlaut  zu 
rechtfertigen,  hinausgekommen,  ebenso  über  Curtis'  unzureichende  Erklä- 
rung AnaL  XVI,  428,  d^  die  'keltische  Nachbarschaft'  verantwortlich 
maoit.  Wer  sich  allerdings  das  über  den  allgemeinen  Charakter  des  Ma- 
terials Gesagte  vergegenwärtigt,  wird  vorläufig  nicht  zu  einer  uneinge- 
schränkten Anerkennung  von  K.s  Hypothese  gelangen.  Die  Annahme 
unzulänglicher  Aufzeichnung  durch  Elworthv  einerseits  oder  das  unerkannt 

gebliebene  Ergebnis  von  Dialektmischung,  besonders  mit  einer  Mundart, 
ie  andere  Verkürzungsgesetze  als  die  Schriftsprache  kennt,  ist  nicht 
durchaus  von  der  Hand  zu  weisen.  —  Die  Vertretung^  eines  me.  e  durch 
dialekt  §  an  Stelle  des  r^ulären  f,  2^5,  die  der  Dialekt  mit  mehreren 
Distrikten  des  Südens  una  Ostens  teilt  (Belege  bei  Curtis,  AngL  XVI, 
42;i),  ist  von  K.,  nach  Luicks  Vorgane  als  'Rückbildung  aus  dem  Vokal- 
extrem'  beurteilt  worden,  wonach  'frunne.  i  wieder  zu  ?  ^enkt'  worden 
wäre  (Lnick  a.  a.  O.  156).  Unerklärt  bleibt  aber  bei  dieser  Annahme, 
warum  gerade  diese  me.  e  von  der  Rückbildung  ergriffen  wurden,  andere 
aber  nicht  Dieses  unregelmäfsige  B  hat  seine  Parallele  in  dem  viel  er- 
örterten ö  des  Dialektes  für  me.  ö,  für  welches  sich  der  Beweis  der  Rück- 
bildung sicher  erbringen  lä&t.  —  Auch  die  interessante  Frage  des  Fort- 
lebens einer  speziell  südwestlichen  Ei^ntümlichkeit  in  ae.  und  frühme. 
Zeit,  p  <  te,  Umlaut  von  e&,  eo  wird  in  2b7  bei  Besprechung  von  ^beeUe* 
und  *hear^  berührt.  Ob  die  diphthongische  Lautnne  (9f)  dieser  Wörter 
mit  Recht  nur  als  Entlehnung  aus  einem  Nachbardiuekt,  südöstlich  von 
West  Somerset,  hingestellt  werden  darf,  wie  K.  es  tut,  oder  ob  nicht  doch 
letzte  schwache  Spuren  der  alten  Lautung  voriieffen,  bleibe  dahingestellt. 
In  letzterem  Falle  wäre  Elworthys  Angabe,  dals  der  Diphthong  nur  selten 
^ört  werde,  nach  Ellis  V  S.  49,  Nr.  314  (Christian  Malford,  Wilts.)  zu 
interpretieren,  wo  für  'Aearef  der  Diphthong  mit  dem  Zusatz  'older  people' 
angaben  wird. 

Das  me.  f  lebt  im  Dialekt  neben  der  regulären  diphtbcnigischen  Ent- 
wickelung  als  ^  Y  und  E  fort  (498 — 503).  Die  schon  früher  öfters  be- 
sproche'nen  Fälle  der  Erhaltung  des  f  werden  von  K.,  wie  schon  vorher 
von  Luick,  teils  auf  verkürztes  i  zurückgeführt,  teils  durch  Analogie  er- 
klärt. Über  die  auffällige  Vertretung  von  ae.  eoÄ,  eah,  ieh  -^^  i  durch  ^ 
in  *fighi^  etc.  spricht  sich  K.,  auüser  der  Konstatierung  der  Tatsache  in 
228,  nicht  weiter  aus.  Ellis,  bei  Elworthy,  DUü.  S.  40,  Vorbem.  zu  Liste  12, 
scheint  dilese  me.  %  das  Schicksal  derjenigen  teilen  zu  lassen,  die  zu  e 
und  9  weitergingen,  wie  pig  >  peg,  Luick,  Artkiv  CHI,  274,  deutet  eine 
andere  Auffassung  an,  nach  der  eine  Bewahrung  der  ersten  Stufe  der 
Diphthongierung  anzunehmen  sei.  Die  dialektischen  Produkte  von  me.  6 : 
öf  ö,  09,  U9,  werden  von  K.,  wie  aus  274  ^.  hervorgeht,  als  phonetiscne 
Varianten  ein  und  desselben  Lautes,  des  regulären  ö,  der  phonetisch  näch- 
sten Stufe  des  me.  Lautes,  aneesehen.  Die  ungenaue,  ja  teilweise  sich 
widersprechende  phonetische  Amzeichnung  durch  Elwortbv  und  besonders 
das  häufige  Vorkommen  ein  und  desselbpn  Wortes  in  beiden  Gestalten 
des  oben  genannten  Diphthongen  lassen  allerdings,  wie  durchaus  nicht 
bestritten  sein  mag,  diese  radikale  Auffassung  des  Sachverhaltes  zu.  Wie 
sich  aber  damit  einige  von  anderen  bereits  festgestellte  Erscheinungen  in 
der  Lautlehre  der  südwestlichen  Dialekte  vereinigen  lassen,  ist  eine  andere 
Frage.  Schon  Luick  (Unternteh,  61  ff.)  sah  in  dem  Nebeneinander  der 
heuti^n  Entwickeluns;  das  Produkt  lautlicher  Verenge  und  suchte  die 
schwierige  Vorgeschichte  dieser  zu  rekonstruieren.    Besonders  war  es  ihm 


420  BeurteiluDgeD  und  kurze  Anzeigen. 

um  die  Aufklärung  des  Verhältnisses  der  beiden  'Abfltumpfungsdiphthonge' 
o9  und  U9  zu  tun,  denen,  wie  wir  sahen,  bei  K.  kdnerfei  Bedeutung  zu- 
gelegt wird.  Ist  ihr  Nebeneinander  eine  Folge  von  Dialdctmischung,  oder 
ist  U9  aus  09  hervorgegangen,  wie  Luick  (a.  a.  O.  60  ff.)  für  einige  G^endeo 
von  Lincolnshire  wahrscheinlich  macht?  Da&,  soweit  ich  überblicke,  die 
U9  vor  gewissen  Konsonanten,  hauptsächlich  Dentalen,  seltener  Labialen, 
stehen,  läist  vielleicht  auf  einen  stufenweisen  Übergang  von  o9>  t»  schlie- 
fsen.  Auch  das  merkwürdige  gü  (go)  285,  dessen  ü,  wenn  es,  wie  K.  an- 
nimmt, auf  me.  ö  zurückweist,  nach  den  Lautverhältnissen  des  Dialekt« 
ohne  Zusammenhang  bleibt,  kann  bei  Annahme  einer  Monophthon^erung 
im  Auslaut  <  U9  in  anderer  Beleuchtung  erscheinen.  Die  Wörter  in  278, 
die  für  me.  g  im  Anlaut  den  steigenden  Diphthongen  U9  aufweisen,  er- 

gsben  sich  als  besondere  Weiterentwickelung  der  'Abstumpfung*  U9.    Die 
ntwickelun^  des  me.  p  zu  heutigem  o  wird  von  K.  in  275  als  'Kürzung* 
bezeichnet.    Luick  {Untersuch,  88  ff.)  hatte  diese  Erscheinung  unt^  der 
sehr  gut  gewählten  Bezeichnung  der  'Aufhellung'  ausführlich  oesprochen. 
Das  Verhältnis  dieser  zur  'Abstumpfung*  und  die  etwaige  jnnere  Beziehung 
zur  Erhaltung  der  ot-Diphthonge  ist  ebendort  erörtert.   Über  die  letztere, 
die  durch  Grammatikerzeugnisse  für  das  16.  und  17.  Jahrhundert  bezeugt 
wird,  ist  in  289  ff.  gehandelt.  Die  zahlreidien  e9  vor  r,  /  und  ^  an  Steue 
der  diphthongischen  Lautung,  in  einer  Reihe  häufig  gebrauchter  Wörter 
(daneben  meist  auch  die  lautgesetzliche  Form)  werden  durch  schriftsprach- 
lichen Einflufs  Reutet,    ggtin  {again)  (25t}),  das,  wie  Luick  gezeigt  hat, 
sich  in  den  Dialekten  teils  mit  ä,  tdls  mit  f  berührt,  deutet  unzweifelhaft 
auf  me.  ä.    Über  die  schwierigen  Doppelformen  vd^  und  eäer  in  ^eäher- 
ways*  sucht  der  Verfasser  durcn  doppelte  me.  Grundlagen  oitder  und  either 
wegzukommen;   eine  Vereinigung  der  beiden  ist  na(3i  den  Lautverhält- 
nissen des  Dialekts  schlechterdings  ausgeschlossen.  —  Die  Entwickelung 
des  me.  au  (802  ff.)  zeigt  das  Nebäeinanaer  von  9  und  ä,  das  auch  bei  me. 
a  '\-  l  -\-  Kons,  zu  konstatieren  war  und  seine  wahrscheinliche  Erklärung 
in  dem  dort  Bemerkten  findet.    Uiaughter*,  bei  dem  im  Glossar  auf  8:^1 
verwiesen   sein  müfste,  erscheint  als  därter  mit  der  Entsprechung  von 
me.  au.    Für  den  r-Einschub  in  diesem  Worte,  der  im  Konsonantismus, 
3dl   behandelt  ist,  finden  sich  weitere  Beispiele  in  der  Brieforthographie 
des   16.  Jahrhunderts,  vel.  Schröer,  E.  St.  XXVII,  127.  —  Für  me.  ou 
scheint  K.  erst  nachtr^fich  (s.  Nachtrag  zu  312)  die  Vertretung  durch  9 
als  lautgesetzlich  zuzulassen.    Sie  entspricht  der  'Aufhellung,  die  auch 
me.  Q  traf,  mit  dem  der  Diphthong,  wie  in  der  Schriftsprache,  parallele 
Entwickelung  zeigt. 

Auf  die  historische  Behandlung  des  Konsonantismus  und  der  Flexionen 
in  den  weiteren  Abschnitten  dieses  Kapitels  soll  hier  nicht  mehr  einee- 
rangen  werden.  Sie  ermöglichte  eine  weit  abgerundetere  und  übersi<£t- 
ßchere  Darstellung  der  Vorgeschichte,  da  sich  die  Entwickelung  einerseite 
in  klareren  Züeen  vollzieht  und  anderseits,  besonders  für  die  Flexionslehre 
das  Material  bei  Eiworthy  schon  ziemlich  gesichtet  vorlag.  Das  V.  Ka- 
pitel bringt  einige  willkommene  Beigaben  ül>er  das  Verhältnis  des  Dialekts 
zu  den  benachbarten,  bei  Ellis  unter  Dialect  4.  10.  11  behandelten,  seine 
Stellung  zur  Schriftsprache  und  den  im  Südwesten  datierten  Denkmälern 
des  Me.    Viele  Leser  hätten  zweifellos  dem  Verfasser  für  einige  Dialekt- 

Sroben,  wie  sie  bei  Elworthy  geboten  sind.  Dank  gewufst.  Den  Schlufs 
es  Buches  bildet  ein  Glossar  aller  bei  Elworthy  vorkommenden  Wörter, 
dem,  wie  mir  zahlreiche  Stichproben  bewiesen,  ffanz  besonders  die  Eigen- 
schaften ^rofser  Zuveilässigkeit  und  GründlicbKeit  nachgerühmt  werden 
können,  die  überhaupt,  trotz  aller  Einwände  im  allgememen  und  beson- 
deren, K.S  Werk  zu  einem  rühmlichen  'specimen  eruaitionis'  machen.  Ist 
zwar  für  diesmal  noch  seine  Arbeit  dem  Idealbild  einer  englischen  Dialekt- 
grammatik, wie  sie  dem  Mundartenforscher  zur  Förderung  seiner  Disziplin 


Beurteilungen  und  kurze  Anzogen.  421 

vorschwebt,  in  wesentlichen  Zögen  fem  geblieben,  so  darf  man  den  wei- 
teren Veröffentlichungen  des  V^assers  nach  dieser  Probe  mit  Interesse 
entgegensehen. 

Kernen.  Carl  Bcriba. 

Englisches  Lehr-  und  Lesebuch  für  höhere  Mfidchenschulen  und  Mit- 
telschulen von  Prof.  Dr.  Rudolf  Dammholz.  Ausgabe  B.  1.  Teil:  Erstes 
Unterrichtsjahr.  2.  Term.  Aufl.  Hannover  u.  Berfin,  Carl  Mejer  (Gustav 
Prior),  1900.  M.  2.50.  —  2.  Teil:  Oberstufe,  Band  IIa:  Lesebuch  für 
KUsse  2.    Daselbst  1899. 

Schulgrammatik  der  eDglischen  Sprache  nebst  einer  Synonymik  und 
Übun^stücken,  bearb.  von  Prof.  Dr.  John  Koch.  2.  verb.  u.  verm.  Aufl. 
(4.  Teil  des  Lehrbuches  der  englischen  Sprache  von  Foelsing-Koch). 
Hamburg,  Henri  Grand,  1905. 

Methodische  englische  Sprechschule.  Englische  Texte,  Systematisches 
Wörterverzeichnis,  Phraseologie  von  Direktor  Dr.  A.  Harnisch  und  Pro- 
fessor Dr.  John  G.  Robertson.  1.  Teil  mit  einem  Plan  von  London. 
Leipzig,  O.  B.  Beisland,  1904.  Preis  geb.  M.  1.80,  Ausg.  ohne  Plan  M.  1.40. 

Das  Lehrbuch  der  englischen  Sprache  von  Prof.  Dammholz  ist  ein 
Werk,  das  sich  zur  Einführung  sehr  gut  eignen  dürfte.  Es  zerfällt  in  zwei 
Teile:  English  Örammar  und  BnglishIieadSr.  Seine  Absicht  ist,  den  Schüler 
möglichst  schnell  zum  Sprechen  zu  führen.  Darum  geht  es  von  Lesestücken 
aus,  die,  anfänglich  leicht,  allmählich  schwieriger  werden.  Daran  wird 
Aussprache  una  Grammatik  gelehrt,  die  an  folgenden  Summaries  und 
Exercises  befestigt  werden.  Die  Ausnutzung  der  Lesestücke  ist  sehr  ge- 
schickt. Manches,  das  später  seine  systematische  Behandlung  findet,  wie 
die  Zahlen,  wird  an  den  Kapitelüberschriften  vokabelmälsig  vorweggelernt. 
Die  Aussprachelehre  fulst  auf  dem  so  oft  überganjgenen  Grundgesetz  vom 
Lautwert  in  offener  und  geschlossener  Silbe.  Die  'Wiederholungstafeln' 
und  'Grammatische  Übersicht'  (S.  00 — 108)  stellen  noch  einmal  zusammen, 
was  im  Orammar  auf  die  einzelnen  Kapitel  verteilt  war.  Der  English 
Reader  fängt  an  mit  Gegenständen  des  taglichen  Lebens,  der  Schule,  des 
Hauses,  um  dann  zu  Themata  allgemeinen  Inhalts  und  Gedichten  überzu- 
gehen. Ein  endisch-deutsches  und  deutsch-englisches  Wörterverzeichnis 
beschUelst  den  Band,  den  ich,  trotz  des  naiven  Inhalts  seiner  Lesestücke, 
seiner  praktischen  Anlage  wegen  unbedenklich  auch  für  Knabenschulen 
empfehlen  würde,  wenn  nicht  inzwischen  die  Grammatik  von  Wilhelm 
Swoboda  erschienen  wäre. 

Eine  Fortsetzung  des  English  Reader  ist  das  Lesebuch  für  Klasse  2. 
Die  Proben  sind  in  fünf  Gruppen  eingeteilt:  1)  Usefid  Knowledge;  2)  Tales 
and  Sketches  from  British  Hisiory;  3)  Taies  and  Sketches  from  British  Oeo- 
graphy;  4)  Tales  and  Sketches  on  British  Life  and  Oustoms;  5)  Letters. 
Dazu  kommt  eine  Auswahl  Gedichte.  Die  Zusammenstellung  dieses  Buches 
ist  weniger  fflficklich  als  die  der  Grammatik.  Der  erste  und  letzte  Teil 
hätten  Kirtbleiben  sollen,  um  breiteren  Raum  für  den  Rest  zu  lassen. 
Stücke  wie:  Ood,  our  Creator,  How  a  house  is  buiU  (in  drei  Abschnitten), 
Speaking  waren  als  langweilig  in  jedem  Fall  auszuscheiden.  Ein  guter 
Gedanke  war  es  dagegen,  einen  tüchtigen  Satz  aus  Defoes  Robinson  Örusoe 
aufzunehmen  (den  Schiffbruch  und  Freitags  Rettung).  Die  übrigen  Teile 
eeben  keine  rechte  Übersicht  über  englisdie  Geographie,  Geschichte  und 
Sitten.  Der  Abschnitt  aus  dem  Vicar  of  Wakefield  (S.  189)  scheint  nur  der 
Stelle  wegen  abgedruckt  zu  sein :  They  kept  up  the  Christmas  carol,  sent 
true  love-knots  on  Valentine  moming,  ate  pancakes  on  Shrovetide,  showed 
their  unt  on  the  first  of  April,  and  religiously  eracked  nuts  on  Michaelsmas 
eve,  und  The  Children  ofBlentam  Ohyll  (S.  141)  erzählt  einen  Unfall,  der 


422  BeurteOuBgen  und  kurze  Anzeigen. 

Sewilk  nicht  nur  für  die  Westmorelflnd-Berge  ^pisch  ist.  Auch  die  Auewafal 
er  Gedichte  iet  unzulänglich,  «o  umfangreich  sie  ist  Th.  Moore  ist  mit 
drei  kleinen  Gedichten  vertreten,  wovon  Little  things  ganz  fehlen  konnte 
und  für  den  Abdruck  von  The  evenin^  beUs  nur  der  Zwang  der  Traditioo 
bestand.  Für  die  alltäglichen  Poesien  der  Eliza  Cook,  Mary  Howitt. 
M.  A.  Stodart  und  anderer  hätte  ich  etwas  Bedeutendes  von  Öyron  und 
Shelley  eingesetzt,  die  gänzlich  fehlen. 

Die  Sekulgrammalik  der  englüehen  Sprache  von  J.  Koch  ist  für  obere 
Klassen  bestimmt  und  darum  ausführlich  gehalten,  so  ausführlich,  da£« 
man  zuweilen  an  I.  Schmidt  erinnert  wird.  Meine  Meinung  ist,  dafs  sie 
als  Schulbuch,  als  das  sie  gedacht  ist,  bei  eini^  Beschränkung  gewonnen 
hätte.  Der  Hinweis  auf  veraltete  Konstruktionen  durfte  zu  allermeist 
fehlen.  Es  hat  unter  der  Ausführlichkeit  die  Übersichtlichkeit  gelitten, 
und  der  Lehrer  wird  häufig  streichen  und  umstellen  lassen  müssen,  um 
den  Überblick  zu  erleichtem.  Allerdings,  und  das  ist  ihr  Vorzug,  wird 
diese  Grammatik  den  Schüler,  besonders  den  künftigen  Anglisten,  über 
die  Schule  hinaus  b^leiten  können  und  ihn  noch  unterweisen,  wenn  er 
imstande  ist,  ihre  Mangel  selbst  zu  erkennen  und  zu  korrigieren.  Im 
Hinblick  auf  diese  Zeit  hat  der  Verfasser  seinem  Werke  eine  Übersicht 
über  den  Ursprung  und  die  Entwicklung  der  englischen  Sprache  voraus- 
eeschickt  uno  «ne  Synonymik  beigegeMn,  die,  nach  Titem:  Natur  und 
Welt,  Handel  und  Verkehr,  Geist  und  geistige  Tätigkeit,  Eigenschaften  usw. 
gesondert,  viel  dankenswerten  Fleifs  enthüllt  Übungssätze  und  Übungs- 
stücke bilden  den  Schlufs.  —  Für  eine  Neuauflage  empfdile  ich  folgende 
Stellen  zur  Revision. 

S.  29,  §  2,  Anm.  1  ist  die  Rej^el  zu  eng  sefafet.  Der  Artikel  fdilt 
ganz  allgemein  bei  Subst.  -f-  Ad].,  wenn  diu  Adjektiv  nidits  Neues  zum 
Substantivoegriff  hinzuträgt:  bold  Bobin  Hood;  Merry  (M  Engiand;  An- 
defU  Oreeee  (wonach  Modem  Oreeoe  gebildet  ist).  Dagegen:  The  OH  World 
is  nearly  double  the  sixe  ofthe  New  (8.  38,  §  16).  —  J&^em  Afrika,  Western 
Afrika  etc.  sind  zu  Formeln  erstarrte  Eigennamen. 

S.  85,  §  9a:  moet  das  meiste  ^nicht:  die  meisten). 

S.  37,  §  14:  Nicht  wird  in  einer  Reihenfolge  von  Substantiv^i  die 
Auslassung  des  Artikels  beim  zweiten,  dritten  u.  s.  f.  durch  den  Umstand 
reruliert,  aafs  alle  'in  demselben  Satzverhältnis'  stehen,  sondern  dadurch, 
dus  sie  zusammen  nur  einen  einzigen  Begriff  ergeben :  TTie  bear,  foolf,  wüd 
boar,  and  wild  ox  (=1  wild  beaels)  peopled  the  foreete.  —  The  face  and  hands 
(:=  the  body  ofman  od.  man)  should  he  washed  three  or  four  time»  a  day.  — 
Philip  eolkeied  an  immense  fleet  and  army  /==  oower). 

S.  87,  §  15  fehlt  bei  Aufzählung  der  Graapartikeln  as,  so,  too  etc.: 
hoicever, 

S.  36,  §  12.  Es  ist  un^nau,  zu  sagen:  Der  unbestimmte  Artikel  steht, 
'wenn  Zahl-,  Mafs-  und  Zeitan^ben  zu  einer  Maisdnheit  etc.  in  Bezidiiung 
gesetzt  werden'.  Es  sollte  mindestens  heilsen:  in  distributive  Bezie- 
hung. Man  soll  doch  nicht  an  Beispiele  wie  das  folgende  denken :  365  days 
are  oalled  a  year. 

Ungenau  ist  z.  T.  auch  S.  50,  §  26  c  ^alst:  To  steht  vor  dem  Dati?, 
'wenn  er  von  Substantiven,  ...  abhängig  ist:  A  merry  C^irislmas  io  ^ou! 
—  Woe  to  the  hand  that  shed  this  eostly  bloodf  Diese  Sätze  sind  elliptisch, 
und  der  Dativ  hängt  von  dem  fehlenden  Verb  ab.  Bei  dem  von  einem 
Substantiv  abhängigen  Dativ  könnte  an  den  Genitiversatz  gedacht  werden: 
Jessieoj  daughter  to  Shyloek  (§  24,  Anm.  2),  wenngleich  auch  diese  Auf- 
fassung nicht  einwandfrei  ist 

S.  76,  §  52, 4 :  *This  in  Verbindung  mit  Zeitangaben  bedeutet  oft  heute; 
tritt  noch  eine  Zahlbestimmung  hinzu,  so  bedeutet  these,  zuweilen  auch 
this:  schon  seit  etc.'  —  So  etwas  sollte  man  in  einer  Grammatik  nicht 


BeurteilaDgen  und  kurze  Anzdgen.  423 

sagen.  ÜbrigeoB  gehört  diese  Erscheinung  in  die  Tempuslehre,  wo  ihre 
Deutung  sicherlich  mehr  im  Geist  der  englischen  Sprache  ausgefallen  wäre. 

8.  101,  §  77,  2e:  to  (2o  steht  'öfters  als  Füllwort  im  Verse:  Bote  skall 
I  know  that  I  do  ehoose  the  rigkt?  —  Then  did  the  liUly  maid  reply.*  Im 
ersten  Beispiel  ist  do  des  Nachdrucks  halber  ab  notwendig  hinzugeeetzt, 
im  zweiten  steht  es  wegen  der  Inversion.  Wollte  man  to  do  &a  dieser  Stelle 
iür  ein  Füllwort,  d.  h.  für  etwas  Überflüssiges  halten,  dann  mfliste  man 
die^e  Auffassung  auf  jede  Fragekonstruktion  mit  to  do  ausd^nen,  was 
jedenfalls  nicht  englischer  Ansdiauung  entspräche. 

S.  104,  §  79,  3,  Anm.:  'Mitunter  erscheint  auch  wiU  in  der  ersten  Per- 
son, wo  deutsch  "wollen"  und  "werden"  wechseln  könnte.'  Darin  spricht 
sich  kein  Unterschied  aus;  denn  diese  Yertauschung  ist  immer  möglich, 
wie  das  Englische  mit  seiner  Wahl  von  will  zur  Wiedergabe  des  Futurums 
beweist  Will  gebraucht  man,  wenn  nicht  die  futurische  Handlung,  son- 
dern der  Wille  dazu  betont  werden  solL 

Zum  Schlufs  ein  paar  Druckfehler: 

S.  37,  §  14:  The  face  aud  hands  (st.  and))  S.  38,  Z.  1  v.  o.:  auüer 
ather  (st.  quile,  raiher);  S.  51,  §  27,  Anm.:  yonrsdf  {st  yourself);  S.  78, 
1.  Z.  V.  u.:  dertermincUiv, 

Die  Methodische  englische  SprechsehuU  von  Harnisch-Robertson  ist  ein 
Seitenstück  zu  der  19U8  erschienenen  Methodischen  französischen  Sprech- 
schtde  von  Harnisch-Duchesne.  Die  Titel  sind  schief,  ßber  die  Bücher 
selbst  sind  gut.  Das  englische  Werk  zerfällt  in  dreizehn  Teile:  1)  7ß^  human 
body;  2)  The  famüy;  3)  Time;  A)  Dress;  5)  !7%6  house;  6)  Meals;  7)  Seasans, 
toeatheTj  sickness;  8)  The  toten;  9)  Professions  and  occupations;  10)  Travel; 
11)  Oorrespondenee;  12)  London;  13j  Society,  Dem  französischen  Teil  ent- 
gegen habe  ich  die  Abschnitte  vermifst,  die  sich  auf  das  Schulleben  be- 
ziehen {Notre  classcy  Les  le^ons).  Bei  diesem  Kapitel  sind  Schüler  und 
Lehrer  wegen  der  Redensarten  besonders  häufig  m  Verlegenheit,  und  es 
wäre  zu  wünschen,  dafs  bei  einer  Neuauflage  das  Fehlende  hinzukäme. 
Die  englische  Diction  ist  einfach,  klar  und  die  Darstellung  zum  gröf^ten 
Teil  interessant.  Den  trockenen  Ton,  der  Aufzählungen  ihrer  Art  gewöhn- 
lich anhaftet,  haben  die  Verfasser  zumeist  glücklich  vermieden.  Das  Werk 
dürfte  eine  geeignete  Grundlage  für  Klassenvorträge  sein.  —  Aufgefallen 
sind  mir  Druckfehler :  S.  5 :  banns  (st.  bans)  und  bridesmaids  (st.  bride^s-maids). 

Von  dem  Buche  ist  ein  zweiter  Teil  in  Aussicht  gestellt. 

Berlin.  Willi  Splettstöfser. 

The  British  empire:  ite  geography,  histoiy  and  literatare.  Ein 
Hilfsbuch  für  den  englischen  Unterricht  in  den  oberen  Klassen  von 
Dr.  Ew.  Goerlich,  Oberlehrer  am  Realgymnasium  zu  Dortmund. 
Paderborn,  F.  Schöningh,  1901.    157  S. 

This  book  is  a  reprint  of  the  second  part  of  the  author's  'Englisches 
Lesebuch',  and  is  intended  to  afford  to  students  in  the  higher  classes  of 
Bchools  suitabie  material  for  home  reading  and  school  conversation.  In 
such  classes  the  students  of  English  must,  according  to  the  directions  of 
the  Prussian  Minister  of  Education,  be  made  acquainted  with  the  Life, 
Manners  and  CXistoms,  Geography,  History  and  Actualities  of  the  British 
Isles  and  their  dependencies. 

Now  that  so  many  CJerman  teachers  have  adopted  the  new  method 
of  using  English  as  the  medium  of  instruction  in  the  higher  classes,  it 
is  only  to  be  expected  that  the  number  of  school  text-books  of  various 
kinds  written  in  English  by  Oermans  will  conatanüy  increase.  No  one 
can  deny  the  many  advantages  attaching  to  such  books.  Bat  the  dangers 
and  difüculties  of  writing  in  a  foreign  tongue  •*  even  when  mere  com- 


424  BearteilttngeQ  und  kurze  Anzeigen. 

pilation  of  other  men's  sentenoee  is  in  question  -—  shoold  neyer  for  a  mo- 
ment  be  forgotten.  It  should,  I  think,  be  Lud  down  as  a  general  rule 
Üiat  no  English  book  should  be  published  by  a  Qerman  author  nnlees 
it  has  first  been  carefully  and  thoroughly  read  and  corrected  by  some 
competent  Englishmen.  Such  proof-reading  of  non-indieenous  literatnit 
is  no  doubt  apt  to  be  a  trying  teet  of  the  proof-readers  judgment  and 
patience.  It  is  sometimea  ten  timea  eaaier  to  re-write  than  to  patch  seo- 
tencea  where  the  syntax  Ib  of  snch  a  hybrid  nature.  The  advantage  of 
such  books,  howeyer,  lies  in  the  fact  that,  when  properly  done,  they  give  the 
Gkrman  pupil  exactly  that  infonnation  which  the  German  teaciier  alone 
knowB  the  *little  clergeon'  wants  and  in  the  form  moBt  capable  of  easy 
digestion.  The  great  shortcoming,  on  the  other  band,  of  German  writteo 
English  books  is  that  thev  always  lack  style;  for  style  includes  a  thousand 
national  peculiarities  and  more  or  less  unconscious  niceties  of  diction  and 
rhythm  that  can  hardly  be  attained  by  the  most  highly  trained  foreign 
reader. 

In  the  present  volume  the  lack  of  an  English  revising  band  is  verj 
visible.  The  author  seems  to  have  relied  too  much  on  his  own  industry. 
The  conftequence  is  that  this  otherwise  very  useful  compilation  la  marred 
by  various  major  and  minor  errors  which,  until  they  are  remedied,  cod- 
siderably  discount  its  value  as  a  school  reading-book.  One  finds  in  it  for 
ezample  such  slips  as  writing  the  '£'  sign  after  the  numeral  —  ^frcm 
5  Ito  10  V  (p.  64)  instead  of  irom  £5  to  £  Iff  —  '4000000  L'  written 
without  commas  as  in  German,  —  the  superfluous  use  of  hyphens  (io 
accordance  with  German  ussgel)  in  such  phrases  as  'herring-  and  cod- 
fisheries*  (p.  8);  —  ^grand  heywid  deseripUons*  (p.  16):  ^beyond  de$criptioni 
if  it  meant  anything  would  mean  beyond  actual  descriptions  which  hare 
already  been  made;  of  oourse  ^beyond  description'  is  meant.  'The  outburst 
of  a  plant  into  flower^  (p.  104)  is  a  still  straneer  slip;  etc.  etc.  Bat 
on  many  pages  more  serious  errors  occur,  chiefly  sins  against  English 
syntactical  usaee.  One  or  two  examples  will  suffice  to  show  what  I  mean: 
On  the  Farne  Klee,  (siej  on  the  aame  eoast,  lived  örace  Darling,  the  young 
woman  that  ao  hravely  ea/oed  the  lives  of  people  who  wert  once  shipwreektd 
there  (1888).  (The  mass  of  contradictory  syntactical  forma  may  here  be 
avoided  simply  by  writing  *ltve$  of  the  people  shipwreeked  there  in  183'^.) 
*It  WOB  ealled  the  uhxt  of  the  Spinish  sueeession,  whieh  Uuted  from  1702  io 
1713.'  Of  oourse  a  continuative  relative  is  here  out  of  place  and  'which' 
should  be  replaced  by  'and  it\  'It  (the  Elixabethan  eraj  mag  be  plaeed  by 
the  sidee  tviih  the  apee  of  Perielesy  Äugustus  e.  e,'  (p.  104).  Of  course  it 
should  be  *by  the  side  of ;  etc.  etc. 

But  these  and  similar  faults  can  all  be  corrected  in  a  careful  revision 
for  a  new  edition.  The  book  will  then  be  of  solid  value  as  a  reading 
book,  for  it  contains,  in  a  Condensed  and  very  lucid  form,  very  good  short 
Bummariee  of  the  essential  facts  of  British  geography,  history  and  lite- 
rature  put  in  a  manner  likely  to  interest  pupils  and  to  form  a  good  basi» 
for  conversational  ezercises. 

Halensee.  F.  Sefton  Delmer. 

Gormood  et  Isembart.  Beproduction  photocoUographique  du  manu- 
scrit  unique,  II  181,  de  la  Biblioth^ue  royale  de  Belgique  avec  une 
transcription  litt^rale  par  Alphonse  Bajot  (Nr.  2  der  Publieatüms 
de  la  Revue  des  Bibliotk^ques  et  Arehivee  de  Belgique),  Bruxelles,  Misch 
&  Thron,  1905.    4«. 

Diese  Veröffentlichung  setzt  sich  aus  drei  Teilen  zusammen:  Be- 
Bchreibune  der  Handschrift,  deren  Geschichte  und  Biblio^phie;  Um- 
schrift; Pnototypieu  der  acht  Seiten  des  Fragmentes.    In  einem  Vorwort 


BeurteiluDgen  und  kurze  AnzdgeD.  425 

weist  Verf.  mit  Recht  darauf  hin,  dafs  die  bisherigen  Ausgaben  des  Epos- 
bruchstflckes,  dem  er  mit  G.  Paris  den  Titel  Le  rot  Louis  gibt,  ^  der  nch- 
tigen  Grundlage,  nämlich  einer  richtigen  Lesung,  entbehren.  Wir  kennen 
es  in  der  Tat  mit  Freude  be^üfsen,  da(s  die  bisherige  Lücke  nun  in 
bester  Weise  dank  des  untrüglichen  Mittels  der  Photographie  ausgefüllt 
ist.  Auch  Rezensent  ist  durchaus  der  Ansicht,  dafs  es  auf  die  moindres 
partictdariies  ankommt,  dafs  von  der  Lesung  als  Grundlage  eines  Textes 
sehr  viel  abhängt.  Wie  flüchtig,  um  keinen  schlimmeren  Ausdruck  zu 
gebrauchen,  war  der  sogenannte  'wortgetreue'  Abdruck  Schelers.  Wie  er- 
wünscht wären  uns  photographische  Wiedergaben  sämtlicher  alten  afrz. 
Sprachdenkmäler.  Ist  nicht  die  kürzlich  erschienene  Kollation  der  Rd- 
chenauer  Glossen  (Za.  f.  rom,  Phil,  XXX  49 — 52)  ein  schlagendes  Beispiel? 

Zu  der  ausführlichen  Beschreibung  der  Handschrift  —  eine  solche 
fehlte  bisher  —  scheint  mir  folgendes  nachzutragen:  der  Rücken  des 
Kniffe,  den  Blatt  2  und  3  oben  aufweisen,  befindet  sich  auf  der  äufseren 
Seite,  also  auf  fol.  2'*'  und  8^;  dort  auch  die  Papierspuren.  Ob  aber 
darin,  dalB  die  Blätter  als  Doppelblätter  an-  bezw.  eingeklebt  waren,  die 
Ursache  für  den  Unterschied  mrer  Färbung  zu  sehen  ist,  oder  ob  wir  es 
nicht  vielmehr  mit  Pergamentblättem  zu  tun  haben,  welche  den  Unter- 
schied zwischen  Fleisch-  und  Haarseite  deutlich  hervortreten  lassen,  wie 
sich  solche  meist  im  Süden,  aber  auch  in  Frankreich  finden,  mö^e  dahin- 
gestellt bleiben.  —  Die  oberen  Innenecken  von  Blatt  2  und  3  sind  rund- 
lich beedmitten;  die  Rundung  b^nnt  jedoch  erst  ein  Stück  über  dem 
Kniff.  —  Nicht  erwähnt  sind  die  Heftlöcher,  einmal  die  eigentlichen,  am 
Rücken  der  zusammengeklappten  Blätter  an  je  vier  Stellen  befindlichen, 
und  dann  einige  auf  der  Knifiiinie,  die  sich  beim  Zusammenklappen  nicht 
decken.  —  Bezüglich  der  Initialen  ist  eine  Unregelmäisigkeit  zu  erwähnen : 
V.  87  folgt  ein  grünes  L  auf  ein  Q  (V.  83)  von  gleicher  Farbe.  —  Die 
Federproben  gehören  durchaus  nicht  dem  16.  Jahrhundert  an,  sondern 
dem  LS. — 14.;  auch  ist  MareseaUua  zu  lesen.  —  Was  das  Alter  der  Hand- 
schrift betrifft,  so  setzte  sie  Reiffenberg  ins  12.  Jahrhundert,  Scheler  ans 
Ende  des  12.  oder  Anfang  des  13.,  Foerstcr  'ungefähr  Mitte'  des  13., 
G.  Paris  sowie  Verf.  allgemeiner  ins  13.,  sie  wird  dem  12.  jedenfalls  nicht 
und  eher  schon  dem  zweiten  als  dem  ersten  Viertel  des  13.  zuzuweisen  sein. 

Der  möglichst  getreu,  d.  h.  mit  allen  Fehlern  wiedergegebene  Text 
gibt  Rez.  zu  folgenc&n  Anmerkungen  Anlaüs: 

V.  4  ist  Garrant  zu  bessern;  vgl.  Oris  446. 

V.  28.  el  camp,*  Bezüglich  der  Worttrennune  mufote  Verf.  etwas 
subjektiv  verfahren.  Rez.  würde  entsprechend  vorziehen :  enfist  55,  desafre 
124  (vgL  defescamp  143),  eis  165  (e  gehört  ja  zur  Vorkolumne,  und  diese 
ist  bei  der  Umschrift  nicht  berücksichtigt),  enmpainnes  612;  umgekehrt 
getrennt  ß  Im  202  (vd.  cd  hon  226). 

V.  36.  UrsprüngSch  findet  sich  die  Sieben,  das  Abkürzun^zeichen 
für  et,  geschrieben,  doch  mit  verblafster  Schrift ;  das  kräftige  v  gäit  deut- 
lich darüber  hinweg. 

V.  98.  dinot^  nat  Rez.  eele^ntlich  einer  Kollation  der  Hs.  auch  ge- 
lesen.   Das  0  ist  etwas  dickflüssig  geraten;  vgl.  a.  296. 

V.  122.  In  der  Vorkolumne  nndet  man  sonst  nur  das  breite  s.  Hier 
hatte  der  Schreiber  zunächst  ein  j  geschrieben  (also  den  folgenden  Buch- 
staben —  j  ---  i  am  Zeilenanfang)  und  daraus  ein  langes  s  zurechtgestutzt. 

V.  139.   Eher  del  als  dol;  vgl.  z.  B.  seirU  146,  reis  431. 


^  Bez.  hält  den  Titel  Isembart  oder  Itembart  e  Oormund  f&r  angemessener. 
'  Dieses  Wort  nennt  Heiligbrodt  (Rom.  Stud.  III  537)  zn  Unrecht  ' 
'  Heil,  trennt   encUn  at,  was  nun   schon   durch  die   richtige   Lesang  unnötig 
erscheint. 

AivhiT  f.  n.  Sprachen.    CXVI.  28 


426  Beurtdlungen  und  kurze  Anzdgen. 

V.  154.   Beide  Punkte  gehören  zu  dem  (?;  desgl.  341.* 

V.  180.  Sen^  mit  breitem  rundem  «.  Ebenso  hätte  Saienas  507,  Sarra- 
Mn(s)  592,  595,  636  gedruckt  weiden  sollen.  Desgl.  Pntx  218,  Se  557, 
i?  614,  wo  der  Initialen  wegen  eroise  Buchstaben  stehen  (vgL  Pvü  255, 
Qvaire  514,  2^'  87,  112,  599);  wohl  auch  dementsprechend  Ariere  6,  62,  84, 
134,  161.  Eoenso  gehören  in  die  Vorkoiumne  eigentlich  durchgängig 
grofse  Buchstaben;  wenn  Verf.  jene  auch  nicht  beibehalten  hat,  so  hätte 
er  doch  auf  dieses  hinweisen  sollen.  Ist  doch  die  unterschiedliche  Ver- 
wendung von  t  und  j  in  der  Hs.  kaum  eine  andere  als  etwa  die  von  q 
und  QJ 

V.  228.  Die  Hs.  zeigt  deutlich  geua,  an  sich  ebensowenig  berechügt 
wie  ehenaus  161. 

y.  253  ist  mixeelB  zu  lesen. 

y.  371  wird  idunc  zu  Recht  bestehen  können.    Vgl.  eomeneent  4S2. 

y.  467.  Schon  das  yorhandensein  zwder  i-Striche  scheint  die  Lesung 
i  uiree  zu  verlangen.  Dals  der  zweite  etwas  näher  dem  dritten  als  dem 
vierten  Balken  der  Gruppe  uu  steht,  ist  nicht  grofs  von  Belang.  Das 
uuree  des  Verf.  ist  eb^isowenig  berechtigt  wie  das  Schelersche  virree. 

y.  529.   Der  Buchstabe  der  yorkolumne  ist  ein  n. 

y.  536.  Es  läTst  sich  der  Abstrich  eines  p  und  die  untere  Hälfte 
eines  9  (=  cun)  erk^inen. 

y.  629.  Die  Hs.  hat  quarefor»  Der  letzte  Buchstabe  sieht  einem  s 
zwar  recht  ähnlich,  unterscheidet  sich  jedoch  von  einem  solchen  durch 
den  runden  Duktus:  es  liegt  r  nach  o  vor.  Als  ebenso  triigerisch  wäre 
etwa  or  102  zu  nennen. 

Gegenüber  dem  beiläufig  gegen  50  Fehler  aufweisenden  Schelerschen 
Abdruck  sei  noch  auf  einige  Formen  hingedeutet :  ambe$dou9  2b<,  astdes  52, 
nuist  143,  Jon  350  (=  w  +  cn,  vel.  jan  281),  frei  410,  jorx  413,  le  506, 
c(must  576,  lex  630  und  schlieislidi  deueret  633.  Erwähnt  sei  auch,  daüs 
die  von  Heiligbrodt  a.  a.  O.  8.  537  der  Hs.  beigelegte  Schrdbung  ou  nicht 
vorhanden  ist.' 

Die  Phototypien  sind,  abgesehen  von  dem  unvermeidlichen  Durch* 
scheinen  der  korrespondierenden  Seiten,  gut  geraten.  Desgleichen  ist  der 
fehlerfreie  Druck  zu  loben. 

Hoffentlich  werden  in  Bälde  mehr  und  mehr  Schätze  der  noch  so 
manche  Überra8chunfl;en  bergenden  Brüsseler  Bibliothek  ans  Tageslicht  ge- 
fördert, nicht  nur  durch  den  der  Vollendung  entgegengehenden  neuen 
Katalog,  sondern  auch  in  der  Fassung,  wie  sie  Kronjuwelen  zukommt. 

Berlin.  Walter  Benary. 

VeröffeDtlichuDgeD  aus  der  Hamburger  Stadtbibliothek  1.  Der 
HÜGE  SCHEPPEL  der  Gräfin  Elisabeth  von  Nassau-Saar- 
brücken^  nach  der  Handschrift  der  Hamburger  Stadtbibliothek,  mit 
einer  Einleitung  von  Hermann  Urtel.    Hamburg  1905.    Grolsfolio. 

Diese  typographisch  wie  sachlich  gleich  interessante  yeröffentlichung 
ist  der  germanistischen  und  der  romanistischen  Sektion  der  48.  Versamm- 
lung  deutscher  Philologen  und  Schulmänner  zu  Hamburg  dargebracht 

*  Dieae  Abkarzung  fttr  Gormmd  noch  49,  247  und  464. 

*  Mit  AuAnahme  von  Aerr/  47  findet  sich  j  nur  am  Zeilenanfiing  (da  stet«) 
und  am  Zeilenende  (vorwiegend).  —  r  statt  u  aeigt  sich,  auf«er  am  Zeilenanfaug, 
in  t;  ==  ubi  200,  la  v  507,  527,  554,  lä  v  628;  v  =  an«  36,  428,  t'  639  ;  ferner 
in  ße»  375,  rimev  434,  kvtü  444.  Man  beachte  fibrigens  den  hier  als  diakritisches 
Zeichen  geltenden  »-Strich,  woiu  noch  d  d  547,  •  ä  595,  etpee  53  su  veigleiehen 
wären 

^  dous  28,  317,  337,  qaiou  41,  65,  tmout  174,  fous  190  kommen  nicht  in  Betracht. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  427 

Wir  erfahren  vorab,  dafa  zwei  Schweeterhandschriften  der  Hamburg 
Stadtbibliothek,  die  eine  den  Roman  Loher  und  Maller  (Nr.  lim  9criino)y 
die  andere  den  Huge  Seheppel  nebet  dem  Roman  von  der  Königin  Sütüle 
enthalten  (Nr.  12):  das  büeh  von  konnig  karl  von  franekrich  Vnd  finer 
huffrouwen  Sibillen  die  vmb  eins  gettrerch  \  tcÜlen  verjaget  wart,  und  von 
letzterer  Geschichte  erfahren  wir,  daXs  Herr  Dr.  Burg  eine  Ausgabe  vor- 
bereitet 

Die  Handschriften  sind,  wie  aus  den  sie  schmückenden  Wappen  her- 
vorgeht, für  den  Grafen  Johann  III.  von  Nassau-Sa^brücken  angefertigt, 
und  zwar  wahrscheinlich  zwischen  1455  und  1472.  Übersetzerin  aus  dem 
Französischen  aller  dieser  Texte  und  dazu  des  Herxog  JBbrpin  war  die 
obengenannte  Gräfin  Elisabeth  von  Nassau-Saarbrücken  (geb.  etwa  1399, 
t  17.  Januar  1456)  (S.  3—4). 

Die  Handschrift  des  Huge  Seheppel  weist  mehrfach  Lücken  auf,  die, 
wie  so  oft,  wahrscheinlich  von  einem  Miniaturendieb  herrühren.  Sie  ist 
die  einzige  erhaltene  Handschrift  des  Romans  (S.  7),  der  als  Volks- 
buch grofse  Triumphe  gefeiert  hat,  und  von  welchem  Urtel  zehn  Drucke 
hat  amfinden  können.  Das  Verhältnis  der  Drucke  ist  nach  seiner  Unter- 
suchung   (S.  11): 

1500 

I 
1508 

1604  "  1537 

1794  1616  1556 

I  I 

1652  1571 

1664. 

Für  uns  Romanisten  ist  natürlich  der  Vergleich  der  Übersetzung  mit 
dem  afrz.  Spätling  hauptsächlich  von  Interesse.  Denn  während  jene  in 
ihrem  ersten  Teile  das  m  der  Sammlung  der  Aneiens  Pontes  de  la  France 
veröffentlichte  Gedicht  getreu  wiedergibt,  ist  die  zweite  Hälfte  nach  Oapets 
Krönung,  nämlich  der  Verrat  des  Färi  und  Asselin,  wohl  nach  einer  an- 
deren, uns  unbekannten  Version  dargestellt,  die  freilich  in  den  Haupt- 
zügen mit  der  unserigen  übereinstimmt 

Hier  und  da  scheint  nun  die  Übersetzung  einzelne  Züge  in  authen- 
tischerer Version  zu  bieten  als  das  altftranzösische  Gedicht.  Es  landen 
beispielsweise  die  Venezianer  hierin  in  dem  Seinehafen  Harfleur,  was  un- 
gereimt scheint,  in  jener  der  ^eo^aphischen  Sachlage  entsprechendj^r  in 
Aiguesmortes,  doch  ist  dies  miüch  erst  aus  der  etwas  kühnen  Über- 
setzung XU  dem  spiixen  dode  zu  erschliefsen.  Weitere  Punkte,  in  denen  die 
Übersetzung  ihre  Quelle  emendiert,  sind  S.  16  aufgezählt 

Das  Verhältnis  des  zweiten  Teiles  veranschaulicht  eine  Tabelle  (S.  19), 
nach  der  einige  Worte  eine  Perspektive  über  die  Vorgeschichte  der  Htum- 
Gapet-Tyiohixmg  beleuchten,  an  die  Benutzung  des  Vomx  du  Paon  (nach 
1312)  erinnern  und  Verwandtschaftsmomente  berühren,  die  ihn  mit  Bau- 
douin  de  Sebovro  und  dem  Bur^^unden  Äuberi  verbinden.  Hoffentlich 
findet  Urtel  einmal  Zeit,  die  hier  aufgeworfenen  Probleme  und  Ver- 
mutungen eingehender  zu  untersuchen,  was  er  beabsichtigt. 

Wertvoll  ist,  dals  man  zu  den  im  Texte  veröffentliditen  Miniaturen 
auch  Robert  Schmidt  als  Kunsthistoriker  zu  Worte  hat  kommen  lassen. 
Danach  sind  diese  Miniaturen,  die  Schmidt  ausführlich  beschreibt,  nicht 
deutsche  Originale,  sondern  Kopien  von  französischen.  In  Loker  und 
Miller  kommt  nun  die  Stadt  Amiens  vor.  Hier  ist  eine  Miniatur  ange- 
bracht, die  'einen  grünen  Plan  vor  den  Toren  der  Stadt'  darstellt,  'der  von 

28* 


428  Beurtälungen  und  kurze  AiizeigeD. 

W^;eD,  die  sich  mehrfach  kreuzen  und  den  Eindruck  eineB  achtstrahligeD 
Stemee  machen,  durchzogen  ist.  Darin  bteht  das  Wort  •oeU>fy»\  ^ne 
solche  Promenade  ist  n^di  heute  vor  Amiens  zu  finden,  und  als  ihr 
Name  hat  sich  dies  Oetovie,  wenn  auch  rerstümmelt,  erhalten,  nämlich 
FVomenade  de  la  Hotoie,  —  'Die  Bilder  der  Huge-Scheppei- Handschrift  sind 
von  einem  mittebheinischen  Illustrator  zweiten  Ranges  um  1460 — 70  an- 
gefertigt, und  zwar  als  indirekte,  mehr  oder  wenieer  freie  Kopien  nach 
Miniaturen,  die  etwa  um  1420 — äO  von  mehreren  Händen  einer  franko- 
fiandrischen  Werkstatt  gearbeitet  worden  waren.' 

Nun  folgt  der  Text  mit  allen  Miniaturen  nach  photographischen  Re- 
produktionen, dann  ein  Namenverzeichnis  und  zum  Schluls  die  farbige, 
ganzseitige  Wiederj^abe  von  drei  Miniaturen  in  Orieinalgröfse,  die  ver- 
kleinerte farbige  Wiedergabe  einer  Seite  der  Handschrift  und  einige  Schrift- 
proben. 

Dem  Jugendfreunde  Hermann  Urtel  meine  Glückwünsche  zu  der  mit 
allem  Erfolge  durchgeführten  ehrenden  Au^be,  zugleich  mit  dem  Wunsche, 
dals  der  ersten  Veröffentlichung  aus  der  Hamburger  Stadtbibliothek  bald 
eine  zweite,  ebenbflrtige  folgen  möge  und  der  Koman  von  Loher  und 
Mauer  nicht  zuletzt  an  die  Kieihe  komme. 

München.  Leo  Jordan. 

Otto  Lan^eim^  De  Vis^^  sein  Leben  und  seine  Dramen.  (In- 
augural-Dissertation,  Marburg.)  Wolfenbüttel,  Robert  Angermann,  1908. 
110  S.  gr.  8».    M.  3. 

Als  Widersacher  Moli^res  in  dem  Streit  um  die  FVauensehuUy  als 
Herausgeber  des  Mercure  Galant^  und  Mitarbeiter  von  Th.  Corneille  und 
wegen  seiner  vielseitigen  dramatischen  Tätigkeit  verdiente  der  rührige 
Donneau  de  Vis^  der  Gegenstand  einer  ein^henderen  Untersuchung  zu 
werden.  Der  Verfasser  der  vorliegenden  Arbeit  hat  sich  im  wesentlichen 
darauf  beschränkt,  was  wir  von  der  Biographie  de  Vis^  wissen,  zusam- 
menzustellen, und  die  dramatischen  Werke  nach  ihrem  Inhalt  und  den 
Eiinzelheiteu  der  Aufführungen  eingehend  zu  besprechen.  Er  behandelt 
zunächst  die  polemischen  Werke  de  Vis^,  Zeltndey  Vengeanoe  des  Marquis, 
die  er,  wie  jetzt  wohl  ziemlich  allgemein  angenommen  wird,  mit  der  Lettre 
sur  les  affaires  du  thiätre  und  den  Nouveües  nauveües  de  Vis^  zuschreibt, 
ohne  Mitarbeit  de  VilUers'.  Es  folgen  dann  die  übrigen  Werke  de  Vis^, 
nach  ihrem  Inhalt  in  einzelne  Gruppen  geteilt  Quinaults  und  de  Visa 
Komödien  'La  M^re  coquette'  werden  eingehend  verglichen,  die  zeitliche 
Priorität  von  de  Vis^  Stück  wahrscheimich  gemacht  und  die  Vorzüge 
der  Quinaultschen  Bearbeitung  gebührend  hervorgehoben.  Wir  erfahren 
nur  allgemein,  dals  beide  Dicnter  eine  spanische  Quelle  benutzt  haben, 
da(s  einzelne  Züge  in  dem  Stücke  de  Vis^  Sorels  Berger  Extravagant 
und  La  Calpren^ee  Gassandre*  entnommen  sein  sollen.  Auf  eine  ein- 
gehendere Quellen  Untersuchung  hat  der  Verfasser  an  dieser  und  ande- 
ren^ Stellen  verzichtet   Überhaupt  beschränkt  er  sich  zu  sehr  auf  Inhalts- 


'  De  Vis6  ist  nicht  'der  eigentliche  Begrflnder  des  franiftBiBchen  Journalismus'. 
Lange  vor  ihm  hatte  der  erfinderische  Th^ophraste  Renaudot  seine  Gasette  de  Fnmee 
(1631;  gegr  findet 

*  Der  Geliebte  Roxanes  wird  Orondate  statt  Oroondate  genannt.  Auch 
sonst  sind  besonders  in  den  Zitaten  Druckfehler  h&ufig.  S.  85  Anm.  2  1.  Othon, 
Agisilas  statt  Othon,  Alexandre. 

'  'La  Venve  &  la  Mode'  (1667)  wird  auf  La  Fontaines  Fabel  'La  jeune  venve', 
die  jedoch  mit  dem  ersten  Buch  der  Fabeln  erst  1668  bekannt  wurde,  und  in> 
direkt   auf  dad  Fabliau   'La  Veuve*   snrttckgefllhrt.     Ein   nftherer   Zossmmenhang 


Beurtellimgeii  und  kurze  Anzogen.  429 

angaben  und  die  trockene  Aufzählung  von  Tatsachen.  In  eine  vollBtandiffe 
Würdigung  de  Vis^s  hätte  eine  Charakteristik  seiner  Stellung  innerhalb 
der  dramatischen  Literatur  der  Zeit  und  Moli^re  gegenüber  gehört.  Das 
aktuelle  Interesse,  die  detaillierte  Milieuschilderung,  die  Selbstzweck  wird 

fegenüb^  der  stets  auf  die  Darstellung  allgemein  menschlicher  Typen 
inzielenden  Komik  der  Moli^reschen  Possen,  das  sind  Züge,  die  de  Vis^ 
mit  den  'Bealisten'  und  einer  Gruppe  zeitgenössischer  und  nachmoli^rischer 
Komödien-  und  Possendichter  teilt. 

Heidelberg.  F.  Ed.  Schneegans. 

Voltaires  Rechtsstreit  mit  dem  KoniglicheD  Schutzjuden  Hirschel, 
1751.  Prozeßakten  des  Königlich  Preulsischen  Hausarchivs.  Mit- 
geteilt von  Dr.  Wilhelm  Mangold^  Professor  am  Askanischen  Gym- 
nasium zu  Berlin.  Mit  einem  Anhang  ungedruckter  Voltairebriefe  aus 
der  BibUothek  des  Verlegers  und  mit  8  Faksimiles.  Berlin,  E.  Frens- 
dorff,  1905.    IV,  XXXVII;  138  S. 

Wenn  man  beim  grolsen  Publikum  eine  Enquete  veranstalten  könnte 
mit  der  Frage:  Was  wissen  Sie  von  Voltaire?  so  wäre  gewiis  die  Aus- 
kunft, die  am  häufigsten  wiederkehren  würde,  bei  vielen  die  einzige  viel- 
leicht, die  sie  ^eben  könnten:  Er  hat  in  Berlin  einen  Juden  geprellt  und 
beim  Prozefs  die  Eichter  hinters  Licht  geführt;  so  wie  etwa  bei  Jßousseau 
die  Tatsache  am  bekanntesten  sein  mag,  dafs  er  ein  Buch  über  Kinder- 
erziehung geschrieben  und  die  eigenen  Kinder  ins  Findelhaus  geschickt 
hat.  Nun  ist  aber  Tatsache,  da£  Voltaires  Berliner  Judenaffaire,  trotz 
allem,  was  bisher  darüber  geschrieben  wurde,  noch  keineswegs  geklärt 
war.  Die  unzureichenden  Daten,  die  bisher  vorlagen,  und  der  ämserst  ver- 
wickelte Charakter  der  Angelegenheit  brachten  es  mit  sich,  daüs  das  letzte 
Wort  der  Voltairebiographen  und  der  letzte  Eindruck  ihrer  Leser  eben 
doch  durch  die  Pointe  des  bekannten  Lessin^chen  Epigramms  und  durch 
Friedridis  unmutige  Äufserungen  über  Voltaires  Gaunerei  bestimmt  wurde. 
So  ist  es  ein  äuCserst  dankenswertes  Unternehmen,  wenn  einmal  akten- 
mäfsig  festgestellt  wird,  was  in  der  Sache  wirklich  über  und  g^en  Vol- 
taire vorliegt,  und  wenn  durch  Veröffentlichung  aller  noch  vorhandenen 
Aktenstücke  jedem  Gelegenheit  gegeben  wird,  sich  ein  eigeneb  Urteil  zu 
bilden. 

Ich  versuche,  die  wesentlichen  Punkte  an  der  Hand  der  Akten  und 
mit  HÜfe  von  Mangolds  einleitendem  Kommentar  herauszustellen.  Am 
80.  Dezember  1750  reidit  Voltaire  eine  Klarschrift  beim  Grofskanzler 
Samuel  von  Cocceji  ein  ge^en  den  königlichen  Schutzjuden  Abraham 
Hirschel,  der  ihn  'durch  allernand  seiner  Nation  gewöhnlicne  complaisances 
und  Kunstgriffe  dergestalt  zu  faszinieren  gewmst,  dala  er  sich  in  ver- 
schiedene negotia  mit  ihm  eingelassen.'  Er  klagt  auf  Herausgabe  eines 
auf  Paris  ausgestellten  Wechsels  von  40000  Frs.,  den  er,  Voltaire,  habe 
protestieren  müssen,  und  den  Hirschel  ihm  bis  dato  noch  nicht  'retradiert' 
nabe,  sowie  auf  Taxierung  von  Pretiosen,  die  Hirschel  ihm  angeboten  zur 
Abzahlung  eines  Darlehens  von  8000  Btlrn.,  das  Hirschel  am  17.  De- 
zember bei  ihm,  Voltaire,  aufgenommen  und  auf  Barzahlung  der  Summe, 
die  nach  Abzug  der  sachverstandig  taxierten  Diamanten  an  den  von  Hir- 
schel geschuldeten  3000  Btlrn.  noch,  fehlt.  Im  Verhör  der  beiden  Parteien 
macht  Hirschel  Enthüllungen  über  die  Geschichte  des  Wechsels  von 
40000  Frs.   Er  will  ihn  von  Voltaire  laut  einer  'Konvention'  haben,  kraft 


Iftfiit  sich  nicht  erkennen,  und  der  Verfasser  begnügt  sich  mit  der  flüchtigen  An- 
deatang.  Auf  die  Lettre  sur  des  affaires  du  ihiätre  glaubte  der  Verfasser  leider  nicht 
nfther  eingehen  su  müaeen. 


430  Beurteilaogen  und  kurze  Anzdgen. 

deren  ihm  Voltaire  ('aus  Begierde,  reich  zu  werden')  den  Auftrag  zum 
Aufkauf  von  B&chaischen  Steuerscheinen  in  Dresden  gegeben  habe  (nach 
dem  10.  Artikel  des  Dresdener  Friedens  von  1743  mu&ten  diese  im  Wert 
stark  gesunkenen  Scheine  aus  den  Händen  preulsischer  Untertanen   zum 
vollen   Wert  angenommen   werden.     Die  Spekulation   damit  war  durch 
Friedrichs  Verordnung  schon  1748  verboten  worden,  p.  V).  Voltaire  leugnet 
im  ganzen   Prozefs  die  fjcistenz  dieser  Konvention  ab,  zuletzt  noch  in 
dem  vom  Gericht  ihm  zugeschobenen  Eide,  den  Mansold  erstmals  ver- 
öffentlicht.  In  diesem  Eid  spricht  er  nun  allerdings  nicht  blois  von  einer, 
sondern  sogar  von  drei  Konventionen  mit  Hirsche!,  von  denen  die  eine, 
vom  23.  !m>vember,   Hirscheis  propositiones  der  Steuerscheine  enthalten 
habe,  aber  nicht  unterschrieben  worden  sei,   eine  andere,  'keine  Stener- 
Bcheine  zu  nehmen',  am  24.  November  von  Hirschel  unterschrieben  wor- 
den sei,  eine  dritte,  'Zobelpelze  und  Diamanten  betreffend',  am  24.  No- 
vember von   beiden,  Voltaire   und   Hirschel,   unterschrieben   worden  sei. 
Denn  so  erklärt  nun  Voltaire  die  Geschichte  des  Wechsels:  das  Steuer- 
scheinnegotium  sei  ein  'unverschämtes  mendacium'  des  Beklagten;  'da.« 
negotium,  weshalb  Kläger  dem  Beklagten  die  Wechsel  geeebä,   hat  in 
einer  versprochenen  Lieferung  von  Diamanten  und  Pdzwerk   bestanden.' 
Die  Dokumente,  die  Hirschel  zum  Beweise  seiner  Behauptung  vorbringt, 
reichen  juristisch  zur  Konklusion  nicht  aus.    Mangold  schließt  sich  oer 
Ansicht  eines  der  Richter,  des  Geheimrats  Löper  an,  der  in  einer  von  Man- 
gold im  Geheimen  Staatsarchiv  gefundenen  und  von  ihm  erstmals  ver- 
öffentlichten Relation  in  der  Sache  urteilt:  'Ich  habe  nach  allen  Regeln 
der    Wahrscheinlichkeit  nicht   den   geringsten   Zweifel,    dals   Kläger  die 
Wechsel  dem  Bekla^n  in  der  Absicht  gegeben,  Steuerscheine  d£für  zu 
erhandeln,  und  das  vorgeben,  Diamanten  und  Pelzwerk  dafür  zu  kaufen, 
ist  ...  lächerlich.'    Der  moralische  Wahrscheinlichkeitsbeweis,  den  Man- 

?;o1d   fflr  die  Richtigkeit  der  hierauf  sich  beziehenden  Angaben  Hirschels 
Uhren  zu  können  glaubt,  ist  wohl  als  gelungen  zu  betra<äiten.    In  ihrem 
Erkenntnis  wollen  die  Richter  auf  die  Fra^e,  ob  Steuerschein-  oder  Pelz- 
und  Diamantenhandel  vorgelegen  habe,  nicht  eingehen,  da  es  'darauf  nicht 
ankomme'.    Damit  stflnde  nun  fest,  einmal,  dus  Voltaire  sich  auf  eine 
in  Preufsen  unerlaubte  Spekulation  eingelassen  und  dann  —  nach  Ansicht 
des  Herausgebers  — ,  dafs  er  in  dem  Reinigungseide  falsch  geschworen  hat. 
Ohne  die  starken  Wahrscheiulichkeitsgründe,  die  für  diese  Meinung  spre- 
chen, zu  verkennen,   möchte  ich  doch  die  Einschränkung,  die  Mangold 
selbst  hinzufügt,  dals  der  Falscheid  juristisch  nicht  genügend   bewiesen 
werden  könne,  noch  starker  unterstreichen.    Die  Mö^ichkeit  ist  meines 
Erachtens  nicht  ausgeschlossen,  dafs  der  Eid  seinem  Wortlaut  nach  der 
Wahrheit  entspricht.    In  einem  Billett  Voltaires,  das  Hirschel  vorbringt 
und  das  Voltaire  am  stärksten  belastet,  ist  von  Diamanten  die  Rede,  wo 
Steuerscheine  gemeint  sein  müssen,  wenn  Löper  und  Mangold  recht  haben. 
Möglich  wäre  nun  immerhin,  dafs  auch  die  Konventionen,  die  wir  nun 
einmal  im  Original  nicht  mehr  haben,  von  dem  vorsichtigen  Voltaire  in 
entsprechender  Weise  in  verschleiernder  Form  formuliert  worden  wären. 
In  dem  angeblichen  baren  Darlehen  von  8000  Rtlm.  sieht  Mangold 
eine  Schwindelei  Voltaires,  da  er,  wie  schon  Löper  in  seiner  Relation  ner- 
vorgehoben,  dieses  Darlehen  mit  nichts  beweisen  könne;  er  befindet  sich 
hier  im  Gegensatz  zum   richterlichen  Erkenntnis,  nach  dem  'Kläger  hin- 
länglich bewiesen,  dafs  Bekla^er  ihm  nach  dem  16.  Dezember  3000  Rtlr. 
Hchuldig  gewesen'.     Mangold  ist  geneigt,  Hirschel  zu  glauben,  der  nach 
AuHstelTuDg  einer  gegenseitigen  Generalquittung  vom    lö.  Dezember   von 
Voltaire  nichts,  insbesondere  kein  bares  Geld  erhalten  haben  will.     Die 
mit  den  Juwelen  gedeckte  Schuld  rührt  nach  Hirschels  Angabe  vielmehr 
von  einem   Rchon   im   September  1750  von  A.  Hinchel,  dem  Vater,   bei 
Voltaire  juifgenommenen   Darlehen  von  4430  Talern  her,  worüber  dieser 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  481 

einen  Wechsel  ausstellte.  Nun  war  dieser  Wechsel  Hirschel  am  24.  No- 
vemher  (zum  Gebrauch  beim  Steuergeschäft)  eingehändigt  worden.  Da 
das  Steuergeechäft  sich  zerschlagen  hatte,  mufste  Hirschel  den  Wechsel 
von  4430  Talern  einlösen,  eine  Verbindlichkeit,  der  er  sich  teils  durch 
Barzahlung»  teils  mit  den  obengenannten  Juwelen  entiedist  habe.  Dem- 
ffe^nüber  Deruft  sich  Voltaire  für  seine  behauptete  Barzanlung  auf  zwei 
S<£eine,  einen  vom  19.  und  einen  vom  24.  Dezember,  in  denen  Hirschel 
eine  Schuld  von  8000  Rtlm.  anerkennt  (der  erste  beginnt  mit  den  Wor- 
ten :  Pour  payement  de  3000  R  par  moy  du8,  fay  tfmdu  etc. ;  der  zweite 
enthält  die  Worte :  en  payement  de  trois  mil  Sctis  quü  me  devaü),  Hirsdiel 
leugnet  während  des  Prozesses  lange  seine  Unterschrift  unter  dem  ersten 
Schein,  mufs  aber  doch  schliefslich  seine  Hand  anerkennen.  Er  erklärt 
ihn  dann  als  einen  Scheinschein,  den  ihm  Voltaire  durch  seine  Bitten  ab- 
gedrungen, ^um  das  vorgehabte  Steuerschein  -  Negotium  desto  besser  zu 
verbergen;  womit  bei  Sr.  Königl.  Majestät  er  sich  damit  le^timieren  und 
zeigen  könne,  dafs  die  unter  uns  vorgewesenen  negotia  emen  Juwelen- 
handel betroffen.'  Hirschel  bezichtigt  Voltaire  weiter  der  Fälschung  dieses 
Scheins  durch  nachträgliche  Zusätze  und  Radierungen.  Die  Richter  schie- 
ben Voltaire  den  Eid  zu,  der  am  Schluls  des  Prozesses  schwört,  dais  der 
Schein  'gänzlich  in  des  Juden  Gegenwart  so  geschrieben  wurde,  als  er 
jetzt  beschaffen,  ohne  dafe  nachher  ein  einzig  Komma  daran  verändert.' 
Mangold  ist  geneigt,  diesem  Schwur  ffir  richtig  zu  halten,  obwohl  er  Vol- 
taire an  sich  eine  solche  Änderung  von  Urkunden  zutraut,  wie  er  denn 
in  der  Tat  an  einer  anderen  Stelle  der  Akten  eine  Radierung  und  Kor- 
rektur von  Voltaires  Hand  gefunden  hat  und  mitteilt  zur  Charakterisie- 
rung Voltaires,  'um  seinen  Mangel  an  Respekt  vor  Aktenstücken  zu  zei- 
gen.  Mangold  urteilt  mit  bezeichnender  und  berechtigter  Vorsicht:  Die 
Fälschung  des  Scheins  ist  nicht  nur  nicht  erwiesen,  sondern  sogar  un- 
wahrscheinlich (denn  er  enthält  an  sich  nichts,  was  auf  eine  soläe  hin- 
deutet), wenn  auch  nicht  über  jeden  Zweifel  erhaben.  Bei  der  ganzen 
Frage  ist  mifslich,  dafs  das  Original  des  Scheines  nicht  mehr  b^i  den 
Akten  li^t.  Wir  haben  nur  noch  ein  Faksimile  davon  aus  der  im  Jahre 
1790  gedruckten  Nachrieht  von  dem  Rechtsstreit  des  berühmten  Voltaire 
wider  den  Juden  Abraham  Hirsch,  und  dieses  zdgt  natürlich  die  behauptete 
Radierung  nicht.  Die  Aussage  der  vereidigten  Schreibmeister  ist  gleich- 
falls nicht  mehr  vorhanden.  Man  fragt  sich,  von  wem  diese  schwer- 
wi^enden  Aktenstücke  entfernt  worden  sind  und  cui  bono?  Mangold 
enthält  sich  darüber  jeder  Vermutung.  Einen  Dolus  Voltaires  nimmt  er 
bei  dem  fraglichen  Schein  insofern  an,  als  dieser  zur  Stütze  der  falschen 
Behauptung  iener  Barzahlung  benutzt  wurde.   Wenn  die  Richter  Voltaire 

f tauben,  weil  sie  zwischen  der  im  Schein  genannten  runden  Summe  und 
er  von  Hirschel  durch  die  Juwelen  angeblich  gedeckten  Teilsumme  jenes 
ersten  Darlehens  vom  September  eine  von  Hirschel  nicht  erklärte  Diffe- 
renz finden,  so  erscheint  Mangold  diese  Erwägung  nicht  beweiskräftig 
ffegen  Hirscheis  Ge^en vorbringen.  Er  glaubt,  die  Differenz  anderweitig 
durch  Beiziehung  emes  anderen  Aktenstückes  und  Mitberechnung  der 
Kursdifferenz  erklären  zu  können.  Wobei  dann  freilich  psychologisch 
nicht  ganz  klargelegt  ist,  warum  Hirschel  nicht  selbst  diese  Aufklärung 
gegeben  hat,  und  warum  er  zunächst  die  doch  auf  die  Dauer  unhaltbare 
Ableugnung  seiner  Unterschrift  vorgezogen  und  dann  in  seiner  zweiten 
Verteiuigungsposition  die  Stelle  mit  den  3000  Talern  als  gefälschten  Zu- 
satz bezeichnet  hat,  statt  sie  nach  Mangolds  Hvpothef>e  zu  erklären.  Zu 
einem  völlig  freisprechenden  Urteil  kommt  Maneold  in  der  Frage  des 
zweiten  Scheines  (vom  24.  Dezember),*  den  HirscheT  ebenfalls  für  häb  ge- 
fälscht erklärte,  und  dessen  Richtigkeit  Voltaire  daher  gleichfalls  beschwören 
mufste.  Auch  von  diesem  Schein  ist  das  Original  nicht  mehr  bei  den 
Akten.     Auch  für  eine  weitere  Anschwärzung  Hirscheis,  Voltaire  habe 


482  BearteiluDgen  und  kurze  Anzeigen. 

seine  Juwelen  durch  minderwertige  yertauscht,  konnte  kein  Beweis  erbracht 
werden. 

Dies  ungefähr  sind  die  Punkte,  die  für  die  moralische  und  juristische 
Beurteiiunff  des  Falles  wesentlich  sind;  die  interessanten  und  heiteren 
Momente,  die  der  Prozels  auf  Schritt  und  Tritt  darbietet,  sind  danait  weit 
nicht  erschöpft;  aber  dazu  wäre  es  nöti^,  den  ganzen  ausgezeichneten 
Kommentar  Mangolds  auszuschreiben.  Mir  scheint  das  wichtigste  Ergeb- 
nis der  Aktenpublikation  zu  sein,  dais  die  Dinge  juridice  günstiger  für 
Voltaire  liegen,  als  die  communis  opinio  bisher  wollte.  Doch  müssen  wir 
Philologen  uns  hier  bescheiden  und  das  Urteil  der  juristischen  Fachkritik 
abwarten,  die  sich  ja  wohl  auch  Yemehmen  lassen  wird.  Der  Mensch 
Voltaire  enthüllt  sich  in  diesem  seinem  'Handel  mit  dem  Alten  Testament' 
wieder  in  seiner  ganzen  naiyen  Gewissenlosigkeit  und  zeigt  sich  in  jener 
uns  wohl  an  ihm  bekannten  Verständnislosigkeit  für  die  Werte  der  per- 
sönlichen Würde,  der  Ehre,  des  Charakters,  die  bei  ihm  so  sehr  Natur 
ist,  dafs  der  Eindruck  des  Komischen  immer  wieder  vorschlägt  yot  dem 
Eindruck  des  Verächtlichen. 

Dem  Herausgeber  schuldet  die  Voltaireforschung  warmen  Dank  für 
seine  neue  Qabe.  Es  steckt  ein  respektables  Stück  mühsamster  Arbeit 
und  umfassender  Nachforschungen  in  seinen  erläuternden  Fufsnoten  und 
in  dem  lichtvollen  fjcpos^  seiner  Einleitung,  mit  dem  er  dem  Leser  einen 

geradezu  unentbehrlicmen  Leitfaden  durch  ein  Aktenlabyrinth  gegeben 
at,  in  dem  der  juristische  und  finanztechnische  Laie  sich  ohne  solche 
Hilfe  unmöglich  zurechtfinden  könnte.  Mangold  hat  den  Briefwechsel 
durch  ein  s^r  interessantes  NoYum  bereichert:  Fünf  Briefe  Voltaires  an 
Cocceji,  in  denen  man  Voltaires  Künste  in  der  captatio  benevolentiae  seines 
Richters  studieren  kann ;  er  hat  einen  wichtisen  Abschnitt  der  0>rTespon- 
dance  g^n^raie  in  der  Molandschen  Ausgabe  chronologisch  vollständig 
neu  geordnet.  Und  so  darf  wohl  unter  den  gerade  in  den  letzten  Jahren 
wieder  reichlicher  flieCsenden  neu  erschlossenen  Quellen  für  die  Voltaire- 
biographie Mangolds  Beitrag  als  der  bedeutsamste  bezeichnet  werden. 
Stuttgart.  P.  Sakmann. 

Gustave  Simon^  Uenfance  de  Victor  Hugo  avec  une  analyse  com- 
pl^te  et  des  fragments  d'^Irtam^ne'  et  de  ses  premi^res  po^ies  in^itee. 
Paris,  Hachette,  1904,  in  8«,  VIII  et  282  p. 

Der  Verfasser  hat  für  diese  Untersuchung  Vorarbeiten  veröffentlicht: 
Vietar  Hugo  ieolier  (Rep.  de  Paris  X,  5.  Sept— Oct.  1903,  445),  Vieior 
Hugo  auUur  dramattque  ä  quaiorxe  cms  {Rev.  aHist,  liU,  de  la  IVanee  1904, 
XI,  1).  —  Der  Gang  der  Arbeit  Simons  stützt  sich  auf  Vieior  Hugo  ra- 
eonU  par  un  Umoin  de  aa  vie.  An  Wert  ^winnt  dieses  Buch  durch 
mehrere,  bisher  noch  nicht  veröffentlichte  Briefe  (S.  7,  49,  92,  219,  222, 
264).  Der  Verfasser  ist  bestrebt,  das  Wesen  von  Hugos  Kunst,  die  Anti- 
these, zu  erklären.  Er  betrachtet  diese  als  eine  dem  Dichter  eigene  Art 
des  Sehens,  das  nur  Licht  und  Schatten  an  den  Gegenstanden  wahrnimmt: 
eine  Ansicht,  die  schon  L.  Mabilleau  {Rev.  d.  d,  mondes  LX*  an.y  3**  ph. 
8:i4)  ausgesprochen  hat,  und  die  auch  E.  Bertaux  (Victor  Hugo  ariiste,  in 
der  Qaxette  des  Beaux-Arts,  1903)  beibehält.  Nun  ist  zwar  wahr,  dsis  bei 
Victor  Hugo  die  Inhalte  der  Vorstellungen  des  Gesichtssinnes  bei  weitem 
die  der  anderen  an  Stärke  übertreffen;  doch  muls  betont  w^en,  und 
darauf  macht  auch  W.  Martini  (Victor  Hugos  dramatische  Technik  nach 
ihrer  historischen  und  psychologischen  Enttotcklung,  Zs,  f.  frz,  Sp,  u.  Lit. 
27 y  ÄbhcU.  6  u.  7,  346)  aufmerksam,  dals  der  Gefühlswert  der  Empfin- 
dungen bei  Victor  Hu^o  so  stark  ist,  dafs  sich  das  Wesen  so  vieler  Ter- 
Honen  in  den  Dramen  m  den  stärksten  Geeensätzen  entwickelt:  mafisloeee 
Überheben  und  Demut,  Edelsinn  und  glmiender  Hals  lösen  nur  zu  oft 


BeurteiluDgen  und  kurze  Anzeigen.  4ti3 

einander  in  der  Seele  eines  Helden  ab  (Cromwell,  Triboulet,  Ruy  Blas 
u.  a.).  Man  vel.  meine  Untersuchung:  Die  Typen  der  Bdden  und  Hel- 
dinnen in  den  Dramen  Victor  Hugos  (Prg.  d.  2,  deutschen  Eealsehule,  Prag 
1905,  19). 

G.  Simon  zählt  in  dem  Abschnitt  Fi^vre  depoesie  (S.  99  ff.)  die  in  einem 
Hefte  vereinieten  Poesies  diverses  des  Dichters  auf;  er  bespricht  ziemlich 
ausführlich  trtambne,  Hugos  erstes  Drama  (S.  111—127);  Äthelie  tut  er 
mit  11  Seiten  ab,  er  kommt  kaum  über  die  Inhaltsangabe  des  Stückes 
hinaus,  um  Inex  de  Castro  überhaupt  nur  zu  erwähnen.  Gerade  dieses 
vollständige  Drama  hatte  eingehender  betrachtet  werden  können,  spinnen 
sich  doch  von  ihm  aus  Fäden  in  die  spätere  dramatische  Tätigkeit  Hugos. 
Wenn  auch  der  Verfasser  sich  entschuldigt,  dafs  nicht  alle  diese  Jugend - 
dramen  in  seiner  Untersuchung  besprochen  werden  konnten,  so  empfinden 
wir  doch  diesen  Muneel  umsomehr,  wenn  wir  auf  3  Seiten  (157  ff.)  aus- 
fuhrlich erfahren,  auf  welche  Weise  der  junge  Dichter  eine  Abhandlung 
(Le  honheur  que  procure  VStude  dans  toutes  les  situations  de  la  vis)  bei  der 
Acadimie  franpatse  einreichen  wollte.  Vieles,  schon  lange  Bekanntes,  in 
Victor  Hugo  rae.  Abgedrucktes  hätte  in  kürzerer  Form  dargeboten  werden 
können;  ein  wenig  Malshalten  mit  dem  Heranziehen  von  Victor  Hugo  rae. 
wäre  geboten  gewesen;  dieses  Werk  kann  als  Quelle  in  literarischen  Fra- 
gen doch  nur  mit  der  gröfsten  Vorsicht  benutzt  werden. 

Der  Verfasser  führt  die  Lebensgeschichte  Hugos  bis  zum  Erscheinen 
der  ödes  et  Poisies  diverses  (1822);  in  dem  Schlulsworte  seines  Buches 
weist  Simon  mit  Becht  darauf  hin,  dafs  weniger  die  Schule  und  das  Stu- 
dium Victor  Hugo  bildeten,  als  vielmehr  des  Dichters  Mutter,  die  Natur 
und  die  Menschen. 

Eine  wertvolle  Bereicherung  erfährt  die  zahlreiche  Literatur  der  Jugend- 
dichtungen Hugos  durch  Simons  Arbeit  nicht.* 

Prag.  Willibald  Kammel. 

Ernest  Dupuy,  La  Jeunesse  des  Bomantiques:  Victor  Hugo  — 
Alfred  de  Vigny.  Soci^t^  franyaise  d'imprimerie  et  de  librairie, 
1905,  in-18  jösus. 

En  1902,  M.  Ernest  Dupuy  —  qui  d^jä  avait  publik  sur  Victor  Hugo, 
l'homme  et  le  poHe  un  ouvrage  Eloquent,  plein  de  vues  ing^nieuses,  auquel 
on  ne  pouvait  reprocher  qu'un  plan  un  peu  factice  et  un  enthousiasme 
peut-^tre  trop  constant  —  avait  voulu  celäbrer,  ^ur  sa  part,  le  cente- 
naire  du  grand  po^te  en  publiant  une  savante  et  impartiale  ^tude  sur  la 
Jeunesse  &  Victor  Hugo. 

Apr^  avoir  pratiqu^  des  fouilles  heureuses  dans  les  archives  de  l'Aca- 
d^mie  Fran9aise,  apr^s  s'^tre  entour^  de  documents  peu  connus  ou  in^its, 
apr^  avoir  Stabil  avec  soin  la  Chronologie  des  premi^res  oeuvres  de  Hugo 
et  des  oeuvres  contemporaines,  M.  Dupuy  avait  suivi  le  po^te  depuis  son 
prämier  concours  acaoemique  en  1817  jusqu'ä  son  triompne  d'Ifernam  en 
1830,  et  il  avait  signal^  nettement  les  influences  qu'il  a  subiee,  les  ^v^ne- 
ments  qui  ont  d^termin^  la  direction  de  sa  pens^e,  les  amis  et  les  disciples 
qu'il  a  group^B  autour  de  lui,  les  changements  et  les  progr^s  qui  se  sont 
marqu^  dans  ses  productions.  Chemin  faisant,  ii  avait  rectifie  des  dires 
de  M.  Bir^,  sem6  des  remarques  interessantes,  cit^  des  articles  curieuz  du 
Oonservateur  litiSraire  et  de  la  Muse  frangaise. 

Ce  travail  ayant  ^t^  bien  accueilli,  l'id^e  est  venue  ä  M.  Dupuy  d'6tendre 

*  Gustave  Simon,  Victor  ffugo^  Awii€8  denfanct  (BibKotheque  dts  ecoles  et  des 
famiUes),  Paris,  Hachettc,  1904,  in  8",  VIII  et  188  p.  —  Von  unbedeutenden  Ver- 
änderungen abgesehen,  sind  die  Annees  ctenfance  nichts  anderes  als  der  Abdruck  des 
obigen  Baches. 


484  Beurteilungen  und  kune  Anzeigen. 

see  inTestigationB  ä  la  jeunesse  et  ä  la  formation  intellectuelle  de  tous  les 
romantiquee  notables.  8ur  oe  sujet  excdlent  11  publiera  une  B6ne  de 
volumes  que  nou8  attendons  avec  confiance :  le  premier,  que  nous  annon^oo» 
aujourd'hui,  est,  comme  il  fallait  s'y  attendre,  un  tr^  bon  livre. 

II  se  compose  de  cinq  chapitres:  La  jeunesse  de  Victor  Hugo;  —  Viäor 
Hugo  et  eon  pere;  —  La  jeunesse  d Alfred  de  Vijfny;  —  L'amitie  d'Äl/rtd 
de  Vigny  et  de  Victor  Hugo;  —  Les  origtnes  littSratres  d' Alfred  de  Vigmf^ 

A  une  petite  addition  et  ä  une  petite  suppression  pr^,  le  chapitre  sur 
la  jeunesse  de  Victor  Hugo  n'eat  que  la  r^ition  de  la  brochure  de  190*2. 

Le  chapitre  sur  Victor  Hugo  et  son  ph^  se  divise  en  deux  parues : 

La  premi^re  est  une  ^tude  minutieuse  et  attachante  ä  la  fois  sur  leg 
relations  du  po^te  avec  son  p^re  Lipoid  Sigisbert  Hugo.  Jusqn'en  18iC, 
ces  relations  sont  fort  peu  ae  chose:  la  femme  du  sän^ral  avait  obtenn 
en  1818  un  jugement  de  Separation  de  corpe,  et  son  ms,  qu'elle  avait  ^lev^, 
avait  pour  eile  une  affection  tout  ezclusive;  lorsque  Victor,  &noe  d'AdMe 
Foucher,  dut  s'adresser  iL  son  p^re  pour  lui  demander  son  consentement 
au  mariage  qu'il  d^irait,  il  se  reprocnait  am^rement  oette  conduite:  *J'aimr 
et  je  re^pecte  la  memoire  de  ma  m^re,  et  je  Poublie,  cette  m^e,  en  6cri- 
vant  ä  mon  p^rel'  Mais,  une  fois  rapproch^  de  son  p^re,  Victor  Hugo 
sent  naitre  et  s'accrottre  en  lui  pour  le  glorieux  soldat  une  affection  tendre 
et  pieuse;  son  bonapartisme  naissant  le  rend  fier  de  l'ancien  mar^cfaai  de 
camp  du  roi  Joseph,  du  vaillant  d^enseur  de  ThionTille;  et,  ä  son  tour. 
son  admiration  fiuale  pour  Tun  des  collaborateurs  de  Napol^n  en  fait  le 
chantre  de  plus  en  plus  convaincu  de  T^pop^  imperiale.  Lee  dissentimeoU, 
in^vitables,  entre  AdMe  Hugo  et  la  seconae  femme  du  g^n^ral  —  disseoti- 
ments  momentanes,  d'ailleurs  —  n'enl^vent  rien  ä  la  ooraialite  des  relations 
entre  le  p^re  et  le  fils:  le  28  janvier  1828,  (^uand  le  g^n^ral  meurt  snbite- 
ment,  il  avait  quitte  Blois,  son  ancienne  r^sidence,  et  habitait  &  Paris  tout 
pr^  de  son  fils;  Victor  venait  mßme  de  passer  gaiement  tonte  la  soir^ 
avec  lui. 

Cette  histoire,  en  grande  partie  oont^e  au  moyen  de  documents  non- 
veauz,  de  lettres  in^dites,  de  rectifications  apport^es  au  r^cit  du  Victor 
Hugo  racontS,  cette  histoire  ne  fait  pas  seulement  ressortir  une  fois  de  plus 
la  noblesse  de  certains  l^entiments  de  Victor  Hugo  et  son  devouement  ä 
tous  les  siens.  Elle  ^claire  une  portion  de  l'oeuvre  du  po^te,  et  c'est  ce 
que  montre  M.  Dupuy  dans  une  seconde  partie  od,  de  l'ode  ä  Mon  phre  a 
la  petite  ^pop^e  la  f^atemite,  il  parcourt  rapidement  les  po^mes  que  la  fiert^ 
et  la  piete  hliales  ont  inspir^s  au  fils  respectueux  de  'Joseph -Leopold • 
Sigisbert  Comte  Hugo,  lieu^tenant  g^neral  aes  armdes  du  roi,  non  inscrit 
sur  l'arc  de  triomphe  de  TEtoile'.* 

I^  troisi^me  chapitre,  sur  la  Jeunesse  d^ Alfred  de  Vigny,  s'appuie  aussi 
sur  des  documents  in^dits :  on  y  trouve  des  extraits  de  Memoires  du  po^te 
et  des  pi^ces  officielles  empruntees  ä  la  Biblioth^que  nationale,  aux  Arcnives 
ou  au  Minist^re  de  la  j^uerre.  GrAce  ä  ces  documents  et  surtout  gr&ce  l 
une  m^thode  critioue  ngoureuse,  M.  Dupuy  nous  retrace  l'histoire  exacte 
des  Vigny  et  des  Baraudin,  c'est  ä  dire  des  aieux  paternels  et  matemels 
du  fier  auteur  de  V Esprit  pur;  il  r^duit  ä  leur  juste  mesure  ses  pretentions 
nobiliaires  et  ses  revendications  de  gloire  guerri^re  ,*  surtout,  il  nous  montre, 
mieux  qu'on  ne  l'avait  encore  fait,  dans  les  regrets  aristocratiques  et  dans 

'  Ce«  chapitres  ont  paro  s^par^ment  dans  des  Revuea,  et  on  s'en  apei^oit  par 
eodroits.  Ainai,  en  rapprochant,  p.  346 — 347,  la  ftn  de  Crnq-Mmn  du  d4bnt  de 
OromweUf  M.  Dapuy  parat t  oublier  qu*il  a  dijk  fait  la  mime  remarqae  iDt^asante 
k  la  page  260. 

'  Ainai  s'ezprime,  on  le  sait,  ponr  reparer  un  injuste  oubli,  la  dMicace  des 
Voix  iniMewrts.  —  P.  89,  n.  2,  Kre  'apria  le  d^te  de  sa  prämiere  femme'  —  et 
non  'de  aa  aeconde';  p.  114,  1.  6,  lire  'retenue'. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  435 

r^ucation  morose  de  oe  gentilhomme  une  des  causes  de  son  pessimisme. 
Maintenant,  est-il  juste  d'aiouter  (p.  163)  que  Vieny  a  ^t^  'de  bonne  heure 
tr^g  Bceptique  en  mati^re  de  religion  et,  juBqu'ä  l'heure  de  la  mort,  atb^e, 
non  pas  peut-^tre  ''avec  d^iices'^  comme  Andr^  Ch^nier,  mais  tr^  r^80- 
lument  et  par  haine  du  dieu  biblique,  ä  la  Voltaire,  ä  la  Byron'?  Le 
d^8accord  aes  critiques  sur  les  croyances  religieuses  ou  irr^ligieuses  de 
Vigny  montre  qu'elles  ne  Bont  pas  ais^  k  connaitre,  et  je  n'esBaierai 
donc  pas  de  les  d^terminer  en  quelques  lignes;  mais,  lorsaue  Vigny  perd 
sa  m^re,  cette  m^re  qui  autrefois  l'avait  conjur^  de  s'attacner  avant  tout 
ä  l'existence  de  Dieu  et  ä  Pimmortalit^  de  r&me,  le  Journal  d'un  poHe  le 
montre  bien  s'inclinant  devant  la  divinit^;  et  si,  en  dehors  de  cette  p^riode, 
Vigny  ^prouve  le  plus  souvent  pour  Dieu  une  sorte  de  haine,  cette  haine 
parait  bien  s'adresser  ä  un  Dieu  r^el  et  personnellement  maliaisant,  non 
pas  seulement  ä  Vidie  d'un  Dieu. 

L'amiti^  de  Vigny  et  de  Victor  Hugo  a  une  histoire  aui  est  ^troite- 
ment  li^  ä  Thistoire  mdme  de  T^cole  romantique;  eile  a,  ae  plus,  connu 
des  yiciesitudes  dont  les  causes  appellent  toute  l'attention  aes  psycho- 
logues.  Elle  m^ritait  d'^tre  6tudi^  avec  soin  et  avec  finesse.  M.  Dupuy 
a  donc  consacr^  ä  cette  amiti^  son  chapitre  quatre,  oü  sont  produites  pour 
la  premi^re  fois  d'int^ressantes  lettres  des  deux  po^tes.  Comment  a  coni- 
menc^  la  liaison,  sans  doute  par  Pinterm^diaire  a'Emile  Deschamps;  com- 
ment eile  a  6t^  d'abord  resserr^e  par  les  douleurs  et  les  joies,  et  quels 
mutuels  Services  les  deux  fr^res  d'armes  se  sont  rendus ;  comment,  ensuite, 
le  mariage  de  Vigny,  les  perfidies  de  8ainte-Beuve,  les  rivalit^  litt^raires 
et  les  divergeuces  politiques  ont  reläch^  des  liens  si  doux;  comment  enfin 
Tamiti^  a  reparu,  mais  pour  sombrer  d^finitivement  dans  la  catastrophe 
politique  qui  a  fait  de  Victor  Hugo  un  exil^  et  de  Pancien  l^gitimiste 
Vigny  un  ami  mod^r^  du  Gouvernement  de  Napoleon,  on  le  verra  dans 
l'^tude  si  pleine  de  choses  de  M.  Dupuv. 

Mais  la  partie  la  plus  importante  du  volume,  c'est  sans  doute  le  der- 
nier  chapitre,  sur  les  origines  litt^raires  d' Alfred  de  Vigny.  Sans  vouloir 
contester  —  et  bien  s'en  faut  — :  l'originalit^  fonci^re  du  po^te  philosophe, 
M.  Dupuy  montre  qu'il  s'est  inspir^  soit  pour  la  formation  m^me  de  son 
Instrument  po^tiaue  et  de  sa  philosophie,  soit  pour  la  composition  de  teile 
ou  teile  Oeuvre,  ae  quelques  po^tes  franyais  ou  ^trangers  qu'il  connaissait 
bien. 

Andr6  Ch^nier  lui  a  ^t^  fort  utile  pour  ses  premiers  po^mes,  et  il 
n'est  pas  besoin  pour  Fadmettre  de  rejeter,  comme  l'a  fait  Sainte-Beuve, 
les  dates  assign^es  ä  ces  po^mes  par  leur  auteur. 

Delille,  aujourd'hui  trop  d^aign^,  n'a  pas  ^t^  sans  influence  sur  les 
descriptions  de  Vigny,  pas  plus  que  sur  Celles  de  Lamartine  ou  de  Victor 
Hugo. 

On  savait  que  la  Neige  devait  son  sujet  ä  Emma  et  Eginhard  de 
Millevoye;  mais  Vigny  s'est  aussi  servi  des  Regrets  d^une  infUüle  et  de 
SymUhe  pour  Doloriäoy  et  les  po^mes  bibliques,  comme  les  po^mes  antiques, 
de  Millevoye  lui  oni  sugg^r^  quelques  beaux  vers. 

L'influence  de  N^pomuc^ne  Lemercier  est  moins  nette,  et  peut-^tre 
M.  Dupuy  ne  la  signale-t-il  que  pour  avoir  une  occasion  de  noter  d'in- 
t^ressants  emprunts  faits  par  Victor  Hugo  ä  l'auteur,  dont  il  a  occup^  le 
fauteuil  k  l'Acad^mie,  de  la  Panhypocrisiade, 

Pour  Klopstock,  M.  Dupuy  n'a  pas  de  peine  ä  montrer  que  Vigny 
s'en  est  beaucoup  moins  inspiri^  qu'on  ne  Ta  cru. 

Le  erand  inspirateur  frangaifi  de  Vigny,  c'est,  comme  il  est  naturel, 
'le  grand  sachem  de  la  po^sie  romantique',  Chateaubriand.  Les  Mariyrs 
ont  ^tä  'pour  les  jeunes  po^tes  roy allstes  de  la  Kestauration  une  sorte  de 
ThesoMrua  poeiieus  fran9ais  ou,  si  l'on  veut,  une  Mer  des  imaffes'.  Vignv 
y  a  puis^  bien  des  vers  de  son  HilSna,  l'id6e  d'une  so^e  de  7a  Oaime  de 


436  BeurteiluDgeD  und  knrze  Anzeigen. 

Jone  et  jusqu'au  Symbole  g^^teur  de  la  Maiton  du  Berger,  comme  il  a 
pris  dans  Aiaia  le  passage  d.*Eloa  oü  est  trop  ^l^gamment  d^crit  le  oolibri. 
C'eBt  peut-^tre  Chateaubriand  qui  a  oonduit  Vigny  ä  Milton  et,  ce 
faisant,  il  lui  a  rendu  un  Eminent  Service,  car  Moa  doit  beaucoup  an 
Parodie  perdu,  Mais  est-il  Trai,  comme  parait  le  dire  M.  Dupuy  (p.  o4It 
que  la  öolhre  de  Sameon  doit  beaucoup  aussi  au  Sameon  agoniatee  et  qae 
Viffny,  en  ^crivant  le  sombre  po^me  oü  est  d^pdnte  la  kitte  Oemelle  qoi 
ee  litfre  en  tout  tempe,  en  ioiä  heu 

Entre  la  bont£  d'Homme  et  U  rase  de  Femme, 

a  eu  pour  objet  de  *iutter  d'orifiinalit^  et  de  vigueur  avec  un  homme  de 
g^nie  dans  un  sujet  oü  il  avait  laiss^  des  traces  ineffa^ables  ?'  Lee  diff^- 
rences  m^mes  que,  loyalement,  M.  Dupuy  laisse  yoir  entre  lee  deax  ceavres 
rendent  ces  assertions  difficiles  ä  acceptisr.  Le  Sameon  agonistee  met  en 
sc^ne  Samson  aveugle  et  sa  mort:  le  Samson  de  Vigny  n'est  aveugl^ 
qu'aux  dernieis  versT  —  La  Dalila  de  Milton  vient  ionniement  parier,  pour 
Tavilir  encore,  ä  celui  qu'elle  a  perdu:  la  Daliia  de  Vi^y  tremble  ae  ee 
sentir  dans  le  m^me  temple  que  lui  et  ne  se  rassure  qiren  disant:  *Ii  ne 
me  verra  pas  V  —  Le  Samson  de  Milton  s'accuse  de  sa  d^gradation,  caus^ 
par  la  concupiscence:  le  Samson  de  Vigny  n'accuse  que  la  femme  et  U 
naturel  —  Le  Samson  de  Milton  demande  pardon  ä  Dieu:  le  Samson  de 
Vigny  fait  remonter  ä  Dieu  la  responsabilite  du  mal: 

Qnand  le  combat  qne  Dieu  fit  poar  la  or^tore 
Et  contre  son  semblable  et  contre  la  nature 
Force  rhomme  k  chercher  an  sein  oü  repoaer! 

Si  Vigny  a  connu  le  po^me  de  Milton  (ce  qui  est  possible,  car  il 
^rivait  la  ÖoUre  de  Sameon  en  Angleterre,  ä  Shavington;  mais  ce  qoi 
n'est  pas  oertain,  car  il  a  pu  tirer  son  sujet  du  chapitre  16  des  Juges),  il 
Ta  donc  compl^tement  transform6,  et  dans  quel  sens?  dans  un  sens  iri^Ii- 
gieux  et  pessimiste,  on  vient  de  le  voir;  mais  il  faut  ajouter:  dans  an 
sens  personnel. 

reu  favorable  —  et  je  l'en  loue  hautement  —  aux  critiques  litt^raires 
qui  se  d^lectent  au  r^it  des  scandales  qu'ils  trouvent  dans  la  vie  de  lenr» 
auteurs;  agac6,  si  j'ose  dire,  par  tant  de  rev^lations  retentissantes,  M.  Dupuy 
n'a  pas  4^  fäch^  d'expulser  de  la  OoUre  de  Sameon  le  souvenir  de  li 
Dalila  du  po^te,  de  la  com^dienne  M™®  Dorval.  Mais  que  de  vers  —  et 
quels  versi  —  du  po^te  r^istent  k  oette  violence: 

Elle  rit  et  triomphe;  en  sa  froideur  savante 

An  miliea  de  ses  soeon  eile  attend  et  se  yante 

De  ne  rien  ^prouver  des  atteintes  da  feu. 

A  sa  plas  belle  amle  eile  en  a  fait  Tavea: 

Elle  se  fait  aimer  sans  aimer  elle-mSme; 

Un  maitre  lui  £ut  pear.     Cest  le  plaisir  qa'elle  aime; 

L'Homme  est  rüde  et  le  prend  sans  savoir  le  donner. 

Un  sacriflce  illostre  et  fait  pour  6tonner 

Rehausse  mieux  qae  Tor,  aux  yeux  de  ses  pareille^, 

La  beaote  qui  prodoit  tant  d'^tranges  merveilles  . . . 

Toojours  mettre  sa  force  &  garder  sa  coltee 
Dans  son  ooeur  offens^,  comme  en  an  sanctuaire 
D'oü  le  fea  s'^chappant  irait  toat  dövorer; 
Interdire  &  ses  yeoz  de  voir  on  de  plearer, 
CVst  trop! 

Certes,  Vi^y  a  pr^tendu  faire  de  la  CoUre  de  Sameon  une  peinture 
^pique,  symbobque  et  d'un  int^r^t  universel.  Mais  cette  Dalila,  mystdrieuse 
dans  sa  perversit^,  peut-elle  vraiment  repr^enter  la  femme?  Le  symbole, 
ä  force  a'^tre  excessif,  ne  perd-il  pas  tonte  valeur?   Vigny  n'est-ii  pas  id 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  437 

un  esprit  aigri  qui  obde  ä  son  amertume  et  g^^raÜBe  indüment  son  ex- 
p^rience?  Le  Souvenir  cuisant  de  M^^  Dorval  a  fait  pour  Vigny  de  la 
Femme  une  Dalila  en  1839;  apais^,  le  po^te  fera  de  la  Femme  une  Eva 
en  1842,  dans  la  Maison  du  Arger. 

Si  je  crois  devoir  contester  ici  l'assertion,  ou  plut6t  l'insinuation,  de 
M.  Dupuy>,  en  revanche  je  trouve  tout  ä  fait  ingenieuse  et  plausible  son 
hypothese  au  sujet  de  Tarticle  que  Victor  Hugo  a  consacr^  ä  iHoa  dauB 
la  Muse  fran^aise  de  1824  et  ^u'il  a  reproduit  en  1834  dans  LüUrature 
et  Philosophie  tnelees,  en  Pappliquant  c€tte  fois  au  Paradis  perdu,     Les 


termes  de  cet  article  caractärisent  beaucoup  mieux  le  po^me  anglais  que 
l'oeuvre  fran9aise.  '. ..  L'6chelle  enti^re  de  la  cr^ation  parcourue  depuis 


d6mon',  toutes  ces  expressions  ne  font-elles  pas  supposer  que  Victor  Hugo 
avait  d'abord  ^crit  une  ^tude  k  T^loge  du  Parodie  perdu;  qu'il  Ta  d^tourn^ 
de  sa  deetination  en  1824  pour  c6librer  plus  vite  Tapparition  d*i!loa;  et 
qu'il  lui  a  rendu  en  1834  sa  pbysionomie  primitive?  Qu'une  pareille  m^- 
tamorphose  en  1824  ait  6t6  ä  la  rigueur  possible,  voilä  qui  est  d^jä  suffi- 
samment  k  l'^loge  de   Vigny. 

Plus  que  Cmiteaubriand,  plus  que  Milton,  un  po^te  a  agi  fortement 
Bur  Vi^y,  et  non  seulement  sur  le  po^te,  mais  sur  le  penseur,  dont  il  a 
en  partie  fonn^  le  pesslmisme.  C'est  Byron,  dont  M.  Dupuy  cite  de  nom- 
breux  passages  en  les  rapprochant  de  passages  analogues  de  Vigny.  Seule- 
ment, le  pessimisme  de  Vigny  est  plus  e^n^ral,  plus  sombre,  plus  d^sesp^r^ 
que  celui  de  Bvron;  'Si  le  nihilisme  de  Vigny  contient  le  pessimisme  de 
Byron,  il  le  depasse,'  dit  avec  raison  (p.  360)  M.  Dupuy.  A-t-il  raison 
aussi  d'ajouter  ce  qui  suit?  'Jusqu'ä  quel  point  (il  le  d^passe)  un  trait 
suffit  ä  le  montrer.  Childe  Harold,  qui  ne  nait  point  Fhomme,  s'extasie 
devant  la  nature.  Manfred,  qui  a  Tbomme  presque  en  horreur,  se  r^fugie 
encore  en  eile;  il  repose  ses  yeux  sur  le  glader  couvert  de  neige  vierge, 
et  le  torrent,  dont  'la  nappe  d'argent'  brilie  au  soleil  'ä  Pheure  de  midi' 
suffit  pour  lui  verser  rencnantement.  La  nature  laisse  Vigny  indifferent 
k  sa  beaut6;  il  reste  devant  eile  hostile,  accusateur,  autant  que  devant 
Dieu  lui-m6me: 

Vous  ne  recevrez  pas  un  mot  d'amoar  de  moi.' 

La  Philosophie  de  Vi^y  est  moins  coh^rente  qu'on  ne  la  fait  souvent  et 
que  ne  la  tait  ici  M.  Dupuy.  Le  po^te  refuse  ftprement  son  amour  k  la 
nature  dans  la  Maieon  du  Berger,  mais,  dans  la  mSme  Maison  du  Berger, 
ii  in  vite  Eva  ä  se  reposer  avec  lui  dans  la  nature: 

La  Nature  t'attend  dans  un  ailence  aust^re  .... 
Le  cr6pu8cule  ofni  a'endort  dans  la  vallöe  .... 
Et  Uk,  parmi  les  fleurs,  nous  trouverons  dans  l'ombre 
Pour  nos  cheveuz  unis  un  lit  silencieuz. 

On  pourrait  ajouter  aux  rapprochements  que  fait  M.  Dupuy,  et  il  le 
dit  lui-mßme.  Quelques-uns  de  ces  rapprochements  i>ourraient  aussi  6tre 
contest^,  et  dans  toute  ^tude  de  sources  un  tel  accident  est  in^vitable. 
Pourquoi  serait-il  vrai,  par  exemple  (p.  829),  que  '/a  FHU  de  JephtSy  6crite 
en  1820,  n'a  pas  d'autre  origine  que  cette  belle  comparaison  qui  sert,  dans 
les  Martyrs,  a  exprimer  T^tat  de  la  soci^tä  chr^tienne  ä  la  veilie  de  la 
pers^ution:  'L^EeliBG  se  pr^parait  ä  souffrir  avec  simplicit^:  comme  la 
fille  de  Jepht^,  elk  ne  demandait  ä  son  p^re  qu'un  moment  pour  pleurer 
son  sacnfice  sur  la  montagne?'   Pourquoi  Vigny,  qui  Hsait  assidüment  la 

'  Pröcisie  dans  un  article  de  la  Rtmie  d^kutoirt  liudraire  de  la  Frottee  sur 
Alfred  de  \'igny  et  tan  Umpt  de  M.  L^on  S^chi  (Avril-JnfD  190S,  p.  340  sqq.). 


438  Beurteilnngen  und  kurze  Anzeigen. 

Bible,  n'Aarait*il  pas  prii  le  sujet  au  chapitre  XI  des  Jttge»?  —  B.  ZtJ, 
M.  Dupuy  7eut  que  aeux  po^mes  de  Victor  Hugo  vieiinent  de  passages 
de  N^pomucfene  Lemercier:  'Croira-t-on  que  Victor  Hugo  ait  pu  ure  arec 
indiff^rence  le  dialogue  de  Bourbon  et  de  la  0>necience?  Croira-t-on  que 
Bon  cerveau  retentissant  n'ait  pas  €\A  comme  ^branl^  par  cette  ligne-d? 

La  Conseience. 

J'ai  des  ailes;  sar  toi  je  fonds  ea  ^penrier. 

'A  mon  avia,  ce  vers  a  p^n^tr^  dans  son  esprit,  et  il  en  est  ressorti 
S0U8  ia  torme  du  symbole  Baisisaant:  l'Äigle  du  Casque.  AiUeure,  ce  soot 
lee  vents  qui  s^acharnexit  ä  aecouer  et  ä  ditruire  i'abri  que  les  soidats  ont 
fait  avec  dea  drapeaux  pour  couvrir  la  töte  du  roi;  et,  la  tente  arrach^, 
toutea  lea  voix  de  l'ouragan  poussent  ce  ch  d'orgneil: 

....  los  veots  impitaettz 
Re«pectent-ilB  des  rois  lee  fronte  migeataeux? 
Sar  la  terre  et  les  cieax  d^eolant  leors  empir«s, 
Nons  brisons  eans  ^ards  leura  dais  et  leurs  navires. 

'Hugo  a  recueiili  i'id^  et  il  en  a  tir^,  par  un  trait  de  g^oie,  la  Bote 
de  VInfanteJ  II  se  peut  que  ces  lignea  aient  raison;  mais  il  ^  a  bien  loio, 
ä  vrai  dire,  du  vera  de  la  Conseienee  ä  cette  hardie  invention  de  Taigle 
d'airain  se  d^tachant  du  casqne  qu'il  surmontait,  s'^lan^ant  pl«n  de  Tie  et 
de  col^re  Bur  Tiphaine  et  s'enYolanti  terrible,  apr^  lui  avoir  crev^  les  yeox. 

Quant  iL  la  Eoae  de  l'InfatUe,  quelque  chose  en  ^tait  peut-ötre  en 

§erme,  d^  1830,  bien  avant  que  Victor  Hugo  relüt,  pour  faire  aon  61oge  aca- 
^mique,  N6pomuc^ne  Lemercier,  dans  ceB  Teri  des  Feuiüea  d^A.utamne  (I): 

Je  pourrai  dire  an  joar,  loreqne  la  niüt  dontense 
Fera  parier  lea  eoirs  ma  Tieilleaae  contenae, 
Comment  ee  haut  deatio  de  gloire  et  de  terrear 
Qui  remaait  le  monde  anz  pas  de  l*Empereur, 
Dans  son  sonf&e  oragenz  m'emportant  sans  defense, 
A  tons  les  vente  de  Tair  fit  flotter  mon  enfance, 
Car,  lorsque  Taquilon  bat  ses  flots  palpitants, 
L'Ocian  convidsif  tounnatU  em  sime  temps 
Le  nomre  ä  <row  pomis  qtd  Umme  avte  toroge. 
Et  h  fttiiU«  ichappee  mix  arhrts  du  rwage!^ 

II  est  vrai  que  ce  souTenir  des  Feuilles  d^ÄuUnnne  a  fort  bien  pu,  dans 
Tesprit  de  Tauteur  de  la  LSgende,  se  concilier  avec  oelui  de  la  Panhypo- 
crisiade.  Et  ii  est  vrai  encore  aue  ce  eont  lä  de  menus  d^taila  qui  n'ini- 
portent  gu^re  ä  la  v^rit^  g^^nue  du  tableau  que  nous  a  trao6  M.  Dupuy. 

Remercions  le  savant  critique  de  son  ouvrage  et  aouhaitons  Fheureux 
ach^vement  des  volumes  qui  doivent  suivre. 

Montpellier.  Eugene  BigaL 

Johannes  van  den  Driesch^  Die  Stellung  des  attributiven  Adjek- 
tivs im  Altfranzosischen.  Stra&burger  Dissertation.  Erlangen  lOQb. 
124  8. 

Der  Verfasser  bat  die  dankenswerte  Selbstfiberwindung  beaessen,  zu 
dem  im  ganzen  erprobten  und  als  richtig  erwiesenen  Satz  Gröbers  in  sorg- 
fältiger Arbeit  die  Beweistabellen  zu  liefern.    Er  untersucht  einige  Prosa- 

*  P.  364,  M.  Dapay  Signale  quelques  influeDces  moins  importantes  qui  se  Bont 

exerc^es  sur  Vi^y:  Celles  de  Dante,    de  Rabelais.     M.  Jacques  Langlais  a  insist^ 

roceinment,  non  sans  quelque  ezagiration,   sur  celle  de  Corneille.     Voir  Alfred  de 

Vigng  critique  de  ComeUU^  d^apres  des  doeu9u»is  midiia,    Clermont-Fenmnd,  1905,  8^. 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  4d9 

texte  des  13.  Jahrhunderts  systematisch  vom  modern-psychologischen  Stand- 
punkte aus,  indem  er  nicht  mechanisch  nur  konstatiert,  wann  das  Adjektiv 
vor,  wann  nachgestellt  ist,  sondern  feinfühlig  und  verständnisvoll  der 
jedesmaligen  Bedeutung  im  Zusammenhang  des  Satzranzen  gerecht  zu 
werden  sucht.    Das  Gängen  war  der  Arbeit  von  vornherein  gesichert. 

Nach  einem  kurzen  historischen  Überblick  über  die  bisherigen  Arbeiten 
auf  seinem  Gebiete  werden  die  einzelnen  Adjektivgruppen  betrachtet,  und 
es  ergibt  sich  das  folgende  Resultat:  (S.  49—52)  Uas  Adjektiv  wird 
vorangestellt,  sobald  es  sich  um  eine  subjektive  Bewertung  (B,  27) 
resp.  um  den  Ausdruck  des  Gefühlsanteils  handelt,  den  der  Spre- 
chende an  der  Bewertung  nimmt.  Dagegen  ist  es  nachbestellt  bei 
Artunterscheidung  oder  ruhig  sachlicher  Erklärung,  bei  der  die  moderne 
Sprache  den  determinierenden  B^itf  gewohnheitsmäisis  nach  dem  De- 
terminierten setzt  Dabei  ist  bemerkenswert,  dafs  (nach  Bud.  Wagner, 
S.  31)  75  Prozent  aller  vorgesetzten  Adjektiva  Artwörter  sind  (S.  49)  und 
(ebd.  S.  99)  85  Prozent  aller  nachgesetzten  gelehrte  Wörter  (S.  26).  Der 
Verfasser  beobachtet  gut  ein  doppeltes  Stellungsprinzip  (S.  65): 
Das  gewohnheitsmäfsiee,  vor  Zeiten  bewulste  und  das  stets  er- 
neute, momentan  bewulste.  Manchmal  gehen  beide  zusammen,  manch- 
mal widerstreiten  sie  einander,  denn  die  in  einer  sprachlichen  Periode 
affektische  Stellung  wird  zur  gewohnheitsmäfsiKcn  einer  fol- 
genden dadurch,  dals  manche  Stellungen  analogisch  wiederholt  werden, 
80  dafs  ihre  ursprüngliche  Bedeutung  verblafst  und  verloren  geht  Am 
klarsten  wird  dieser  Vorgang  bei  zusammengesetzten  Wörtern,  z.  B.  prud- 
komme,  Malmaison,  BeaumotU,  minuü,  Umgiemps  etc.,  deren  mittlere  Sta- 
dien (gewohnheitsmälsige  Vorstellung  des  Adjektivs)  im  18.  Jahrhundert 
van  den  Driesch  uns  vorführt 

Unter  den  vorangestellten  Adjektiven  finden  wir  die  Bezeichnungen  für 
Quantität  (darunter  auch  die  Elardinalzahlen)  und  Qualität,  auch  bei  über- 
tragener Bedeutung,  wie  la  maistre  porie,  la  mere  eglise  (S.  41)  etc.,  alle 
Bezeichnungen  für  Grad,  Vollständigkeit  und  ähnliches.  In  diese  Gruppe 
gehören  also  nicht  nur  alle  Ausdrücke  für  subjektive  Schätzung,  sondern 

—  dies  hat  der  Verfasser  nicht  genug  hervorgehoben  —  auch  alles,  was 
eine  relative  Bewertung  aneibt:  jeune,  aiard  können  doch  nicht  gut 
neben  hd,  hon  unter  subjektive  Werte  eingereiht  werden. 

Auffallend  ist  nun,  dafs  auch  die  Farbadjektive  voranstellt 
werden,  die  doch  nicht  unter  affektische  oder  subjeKtive  oder  relative  Be- 
wertung eingeordnet  werden  können,  sondern  —  für  den  naiv  Sprechenden 

—  eine  ganz  objektive  Gültigkeit  haben.  Verfasser  erklärt  die  Fälle  von 
Voranstellung  damit,  dafs  dem  Sprechenden  die  Farbe  besonders  auffalle, 
also  doch  eine  affektische  Bedeweise  vorliege.  Vne  blanche  main,  weil 
das  Adjektiv  ein  '^pith^te  m^liorative'  (Cl^at)  ist,  blonde  ehepeux,  weil 
blond  die  einzig  geschätzte  Haarfarbe  im  Mittelalter  war.  Also  gleichsam : 
der  Sprechende  konstatiert  nicht  nur,  dals  die  Hand  weils  ist,  im  Gegen- 
satz zu  einer  roten,  sondern  er  druckt  auch  aus,  wie  sehr  ihm  ihre  Weifse 
auffiel,  ins  Auge  fiel.  Zur  Erklärung  der  Voranstellung  in  blane  moine, 
novr  moine  etc.  zieht  der  Verfasser  die  Verwendung  von  deetre  und  eenestre 
zur  Hilfe  heran.  Man  bezeichnete  die  Mönche  nach  ihrer  Kleidung;  ur- 
sprünglich mufste  also  das  Farbadjektiv  als  distinguierend  nachstehen. 
Dann  genügte  die  Farbbezeichnung  allein,  wie  eben  deetre,  eeneetre,  und 
das  Substantiv  wurde  als  erläuternder  (mehr  oder  weniger  überflüssiger) 
Nachtrag  gesetzt  (S.  84).  Den  Verfasser  selbst  befriedigt  diese  Erklärung 
nicht  (S.  8ö);  die  Beihe  von  Beispielen,  die  er  gibt,  ist  auch  wirklich 
damit  nicht  genügend  analysiert  Vielleicht  wäre  er  mit  seiner  anderen 
Erklärung  weiter  gekommen. 

Die  sprachliche  Gewohnheit,  das  Farbadjektiv  sowohl  vor-  als  nach- 
zustellen, ist  der  schwierigste  Punkt  für  die  ganze  Untersuchung,  weil  die 


440  Beurteil UDgen  und  kurze  ADzdgeu. 

VoranstelluDg  eben  nur  dann  genfigeod  erklärt  ist,  wenn  das  FarbadjektiT 
wirklich  als  'auszeichnendes  Attribut'  aufffefafst  werden  kann,  was  bei  der 
Mehrzahl  der  angeführten  Bdspiele  nicht  der  Fall  ist.  Wenn  Villehardoniii 
erzählt :  Li  euens  . . .  «e  kerberja  es  vermeiÜea  ientes  l'empereor  Morekufles. 
so  ist  doch  bei  vermeiUea  kein  subjektiver  Anteil  des  Sprechendeo,  kdne 
'affektische  Attribuierung'  denkbar.  £her  könnte  man  sa^en:  tenies  Fem- 
pereor  Morehuflks  ist  ein  begriffliches  Ganzes  und  vermetües  wurde  aus 
stilistischen  RGcksichten  vorgesetzt,  statt  es  nach  Morchufles  folgen  zu 
lassen,  wo  es  entweder  ungeschickt  nachhinkt  oder  gar  zu  stark  in  den 
Vordergrund  geschoben  winl.  Aber  in  dem  Beispiel  ...  ei  ot  iendues  ses 
vermeiluss  tenies  ist  auch  diese  Auslegung  nicht  möglich.  Die  Bedeutung 
ist  wohl  die:  Der  Kaiser  hat  —  wie  man  weils  —  purpurrote  Zelte,  und 
die  hat  er  aufgeschlagen.  Also  gerade  die  der  affektischen  entgegen- 
gesetzte Bedeutung  liegt  vor;  das  ^doppelte  Stellungsprinzip'  aliein  Kann 
hier  Aufklärung  ge^n.  Mag  vermeiÜea  tentes  ursprunglich  ausdrucken, 
dafs  der  Beschauer,  von  der  Pracht  der  Farbe  geblendet,  in  die  Bezeich- 
nung einen  besonderen  Akzent  legen  wollte,  so  ist  es  im  Verlaufe  der 
Erzählung  zur  gewohnheitsmäCsigen  Stellung  vorgeröckt  Vgl.  im  Deut- 
schen etwa:  I.  Die  Zelte  aus  (eitel)  Purpur  >  II.  die  purpurnen  Zelte  > 
III.  die  Purpurzelte.  Auch  hier  ist  I.  malend,  II.  berichtend,  III.  re- 
kapitulierend. E^  wäre  also  zur  genauen  Feststellung  des  Sachverhaltes 
noch  geboten,  auch  bei  jedem  einzelnen  Adjektiv  innernalb  jeder  einzelnen 
Erzählung  zu  konstatieren,  wie  es  zuerst  und  wie  später  auftritt.  Der 
Verfasser  hat  selbst  manchen  Anlauf  dazu  genommen,  so  bd  der  Erklä- 
rung von  eaude  pierre  (S.  58).  Auch  bei  den  vorangestellten  Farbadjek- 
tiven hätte  er  wie  hier  aufstellen  können:  es  wird  auf  etwas  schon  Be- 
kanntes zurückverwiesen;  das  Substantiv  soll  durch  das  Adjektiv  nidit 
abermals  distinguiert,  nur  das  Gefühl  des  Hörers  für  das  schon  EWähnte 
in  Anspruch  genommen  werden.  Bedeutsamer  weise  haben  wir  es  j^fötzh^ 
nicht  mit  dem  affektischen  Anteil  des  Redenden,  sondern  des  äft^- 
den  zu  tun.  Wird  nun  aber  das  Wort  vorangestellt,  nur  'um  aui  Be- 
kanntes zurückzuweisen',  so  sind  wir  also  bei  der  anal^schen  Stellung 
angelangt,  und  diese  führt  zur  gewohnheitsmäCBi^n.  äanc  mome  etc. 
war  im  IM.  Jahrhundert  halb  und  halb  auf  dem  Weee,  feste  Verbindung, 
wie  Urne  tens  und  ähnliches,  zu  werden,  ist  aber  nicht  zu  dnem  einheit- 
lichen Wortgefüge  vorgedrungen  wie  diese,  weil  die  Notwendigkdt  zu 
distinguieren  immer  wieder  zwang,  das  Adjektiv  nachzustellen.  Dadurch 
inuiste  das  Bewufstsein  der  Zusammensetzung  stets  lebendig  bleiben.  Vgl. 
dagegen  Entwicklungen  wie  rouge-gorge,  Noimumstier  u.  a. 

S.  14  ist  irrtünuich  lettre  de  oonduit  sauf  alani  ei  sauf  renani  ange- 
führt; auch  in  cyant  tox,  entrant  august  ist  das  Partizip  in  voller  verbaler 
Kraft,  die  Einreihung  dieser  Beispiele  also  nicht  gerechtfertigt.  Die  Ein- 
reihung von  riehe  und  den  Adjektiven  -eus  unter  die  Elative  ist  einiger- 
mafsen  gewaltsam  und  nicht  überzeugend ;  tatsächlich  sieht  sich  der  Ver- 
fasser genötigt,  sie  aulserdem  noch  an  verschiedenen  anderen  Orten  zu  er- 
wähnen. Bei  den  Adjdcti  ven  -aide  widerspricht  die  elementare  Bedeutung  des 
Suffixes  dieser  Behandlung.  Genau  genommen  ist  eigentlich  jedes  vor- 
angestellte, also  affektisch  gesetzte  Adjektiv  als  Elativ  zu  deuten. 
Übrigens  werden  die  Elative  selbst  ebenso  gebraucht  wie  die  anderen  Ad- 
jektiva ;  also  ist  die  Ausdehnung  des  Begriffs  ^elativ'  auf  alle  S.  1 18  ff. 
genannten  Adjektiva  gar  nicht  notwendig.  Der  Verfasser  hätte  nur  von 
vornherein  die  für  die  Elative  gebrauchte  Unterscheidung  auf  alle  Adjek- 
tive ausdehnen  sollen:  Nicht  nur  der  Elativ  wird  nachgesetzt, 
wenn  er  'mit  Nachdruck'  gesprochen  wird  (8.  114),  sondern  jedes 
Adjektiv.  Im  Ganzen  wird  man  also  sagen:  die  Nachsetzung  des 
Adjektivs  erfolgt,  um  die  Art  zu  bezeichnen,  um  zu  distinguieren, 
zur  gegensätzlichen  Heraushebung,  zur  Heraushebung  über- 


Beurteflungen  und  kurze  Anzeigen.  441 

« 

haupt.    Das  nachgesetzte  Adjektiv  ist  an  sich  voller  betont  als  das  vor- 

gesetzte.  Die  8.  2t>,  27  Anm.  vorgebrachte  Ao sieht  des  Verfassers  ist  in 
iesem  Zusammenhange  wohl  auch  einer  Modifizierung  bedürftig.  Er  sagt 
da:  die  gefühlsmäfsige  Wortsteilunj^  ist  die  'unwillkürliche',  daher  zei^ 
sich  in  ihr  das  von  Wundt  formulierte  allgemein  psychologische  Prinzip 
wirksam;  die  verstandesmälsi^  ist  die  willkürliche,  lür  sie  ist  die  Logis 
bestimmend.  Diese  Unterscheidung  scheint  mir  nicht  zutreffend.  Auch 
die  affektische  Wortstellung  ist  niäit  eanz  'unwillkürlich';  auch  die  ver- 
standesmäfsige  ist  nicht  ganz  'willkürlioi'.  6eit  den  ältesten  Zeiten  sprach- 
licher Überlieferung  ^bt  es  —  natürlich!  —  affektische  und  Verstandes- 
mäfsiffe  Ausdrucksweise.  Beide  sind  aus  dem  innersten  Bedürfnis  des 
Mitteilenden  heraus  entsprungen.  Beide  sind  von  alters  her  Überliefert, 
also  habituell  Die  eine  ist  so  willkürlich  (oder  so  unwillkürlich)  wie  die 
andere.  Auch  die  scharf  pointierte  Gegeneinanderstellung  von  psycho- 
logischen und  lo^schen  Prinzipien  bei  der  Wortstellung  ist  nicht  gerecht- 
fertigt. Was  die  beiden  Stellungen  von  Anbeginn  geschieden  haben 
mufs,  ist  dnzig  und  allein  das  Prinzip  inneren  Gegensatzes.  Die 
eine  ist  von  vornherein  —  grundsätzlich  —  das  Gegenteil  der  anderen. 
Aber  man  könnte  nicht  sagen,  dals  eine  bestimmte  Stellung  für  den 
affektischen  Ausdruck  prädestiniert  ist.  Die  historische  Betrachtung  l^rt 
das  Gegenteil.  Die  Alten  drückten  sich  gewifs  nicht  weniger  'logiscn'  aus 
als  wir,  obzwar  für  sie  der  Satz  vom  ni^gestellten  distln^erenden  Ad- 
jektiv nicht  gilt.  Es  ist  aber  die  Eigenart  aller  sprachhchen  Entwick- 
lung, daCs  die  zu  einer  bestimmten  Periode  geltenden  Gesetze  nicht  für 
Zeit  und  Ewigkeit  anwendbar  sind.  Die  affektische  Stellung  sowohl  als 
die  distinguierende  wird  gewohnheitsmäfsig,  dann  wirkt  keine  mehr  an 
ihrem  Platze,  und  um  eindrucksvoll  zu  reden,  werden  die  Stel- 
lungen umgekehrt.  Dies  haben  wir  ^rade  beim  Adjektiv  zu  beob- 
achten die  Möglichkeit.  Denn  im  Lateinischen  wurde  ja  das  schildernde 
Adjektiv  vor,  das  affektische  nachgesetzt.  Daraus  hat  sich  die  moderne 
Gepflogenheit  entwickelt ;  es  liegt  nur  in  der  Natur  der  Sache  selbst,  dafs 
sie  sich,  sobald  sie  vollkommen  gewohn heitsmäÜB ig  geworden 
ist,  in  ihr  Gegenteil  verwandeln  mufs.  Aber  die  Beobachtung 
groEser  Zeiträume  ist  erforderlich,  um  sich  davon  überzeugen  zu  können. 
Bei  der  Entwicklung  vom  Lateinischen  zum  Französischen  hat  sich 
der  SatzrhythmuB  dahin  geändert,  dafs  das  nachgesetzte  Wort  stär- 
ker betont  wird  als  das  vorgesetzte.  Dafflr  haben  wir  einen  schla- 
f enden  —  weil  mechanischen  —  Beweis  im  Verhalten  des  altfranzösischen 
Possessivpronomens:  nur  bei  der  Nachsetzung  mufs  es  die  volle  Form 
haben;  bei  der  Vorsetzung  schwankt  es.  Auch  die  Verschiedenheit  in 
der  Behandlung  des  femininen  tel  und  der  übrigen  Adjektiva  der  konso- 
nantischen Deklination  spricht  deutlich  für  die  gewohnheitsmälsige  kräf- 
tige Heraushebung  des  nachgesetzten  Wortes. 

Van  den  Driesch  ^stellt  uns  einen  zweiten  Teil  seiner  Untersuchung 
in  Aussicht,  der  die  Übersetzungen  des  18.  Jahrhunderts  in  ihrem  Ver- 
hältnis zur  Origiuiüprosa  behandeln  soll.  Wünschenswert  wäre  es,  wenn 
er  die  bisher  nur  Deschreibende  Arbeit  mit  einem  dritten  Teil  krönte, 
der  uns  einen  historischen  Überblick  der  verschiedenen  Entwicklungs- 
stadien gäbe. 

Wien.  Elise  Kichter. 

Alexis  Francois^I^  Grammaire  du  Purisme  et  L'Acad^mie  Fran- 
9ai8e  au  XVTTTe  si^le.     Paris  1905.    XV,  279  S.  8. 

Die  fleilsige,  kritische  Zusammenstellung,  die  das  vorliegende  Werk- 
chen bietet,  ist  ein  vorläufiges  Pronamm  über  eine  methodische  Unter- 
suchung aller  im  Laufe  ihres  Bestehens  von  der  Acad^mie  fran^aise  ver- 

ArchiT  f.  n.  Spradien.    CXYI.  29 


442  BourteQongen  mid  kurze  Anzagen. 

falBten  Kommentare.   Eine  solche,  wenn  auch  nur  vorläufig  abschliefoende 
Arbeit  ist  gerade  jetzt  mit  Freude  zu  begrülsen;  denn  es  ist  an  der  Zeit, 
Yom  Stande  der  heutigen  grammatischen  Forschung  aus,  zumal  bei  der 
lebhaften  Agitation  von  Neuerem  mannigfacher  Art,  die  selbst  die  B^^ 
renden  zu  Eonzessionen  veranlafst  haben,  zu  untersuchen,  welchen  Eän- 
flufs  denn  die  höchste  Behörde  des  guten  Greschmacks  und  der  korrekten 
Sprache  auf  die  Bildung  und  Gestaltung  des  Französischen  wirklich  aus- 
eefibt  hat.    Die  nach  Vorrede  S.  IX  zunächst  durch  Brunot,  Htstoire  de 
la  langue  fran^aüe  angeregte  Arbeit  des  Verfassers  kann  ein  wesentlicher 
Beitri^  zur  Geschichte  der  französischen  Sprache  werden.   Vemiers  Buch 
Voltaire  grammainen,  das  manchem  Forscher  zunächst  die  W^e  gewiesen, 
fangt  an  zu  veralten,  und  das  von  Brunot  in  seinen  Hauptzugen  ent- 
wonene  und  allgemein  begrenzte  Gebiet  verlangt  nunmehr  vertiefte  Er- 
forschung im  einzelnen :  Feststellung,  im  Rahmen  der  Entwickelung,  der 
Ansichten,  Systeme,  positiven  Verdienste  der  einzelnen  Grammatiker  und 
Kommentatoren,  und  daraus  die  intimere  Erkenntnis  des  Entwickelungs»- 
sanges  der  Sprache.   Hier  lassen  sich  bald  zwei  Richtungen  unterscheiden. 
Nämlich  gegenüber  den  Bestrebungen  der  Neuerer,  die  teils  von  ihrem 
eigenen  Sprachgefühl  und  ihrer  eigenen  Geschmacksrichtung,  tdls  durch 

feschichthche  Studien  und  daraus  gewonnene  Gesichtspunkte  gelotet  wer- 
en,  hat  die  Acad^mie  stets  die  höhere  Warte  inne;  sie  hat  die  Wahrung 
der  Imponderabilien  der  Nation  stets  im  Auge,  hat  auch  in  der  Sprache 
als  letzte  und  höchste  Instanz  stets  zum  G^etz  zu  machen  oder  gelten 
zu  lassen,  was  dem  geläuterten  Geechmacfc  und  dem  Schönheitsideal  ihres 
(bestimmten)  Zeitalters  entspricht;  sie  bleibt  dabei  als  Hüterin  der  über- 
lieferten Güter  des  spracluichen  Besitzes  wesentlich  konservativ,  den 
Neuerern  gegenüber  sosar  r^tionär.  Im  ganzen  betrachtet  ergeben  sich 
demnach  zwei  Hauptricntungen,  eine  vorncShmlich  konservierende  und  eine 
emanzipierende;  wenn  wir  auch  Vertretern  beider  Richtungen  in  einer 
Person  begegnen,  läist  sich  doch  jede  einzeln  für  sic^  in  gesonderter  Be- 
trachtung verfolgen.  Während  F.  Gohin,  Les  transformations  de  la  langue 
fran^ise  pendant  la  deuxihne  maütS  du  dw-kuüiime  stiele  (Paris,  Belin, 
i90i^.  8  )  den  Gang  der  emanzipierenden  genauer  bespricht,  hat  A.  Fran- 
9ois  die  Untersuchung  der  konservierenden  zu  seiner  Aufgabe  gemacht; 
doch  ist  zur  Gewinn  uns  eines  objektiven  Gresamteindrucks  das  Studium 
beider  Richtungen  für  den  Leser  unerläfslich. 

In  der  Einleitung  (S.  1—80)  entwickelt  der  Verfasser  die  Stellung 
der  Acad^mie  am  Antans  des  18.  Jahrhunderts.  In  zwei  Abschnitten  be- 
trachtet er  ihr  wachsenaes  Ansehen  und  ihre  Wirksamkeit,  ihre  Starke 
und  ihre  Schwäche.  Erstere  wird  wesentlich  gehoben  durch  das  könig- 
liche Patronat,  das  nach  und  nach  alle  bedeutenden  Schriftsteller  zu  Aka- 
demikern macht  Durch  sie  gewinnt  die  Acad^mie  an  Ansehen,  durch 
Anerkennung  schon  vom  urteusf^iffen  Bürgertum  geschätzter  Gelehrten 
und  Dichter  ehrt  sie  sich  selbst  und  gewinnt  mehr  und  mehr  die  Macht 
des  maisgebenden  Urteils  über  bedeutende  Männer  und  ihre  Werke:  es 
wird  der  Ehrgeiz  der  Besten,  dieser  Körperschaft  anzugehören.  Sie  be- 
ginnt auch  sdion  mit  der  statutenmäfsigen  Erfüllung  ihrer  Au^ben: 
lt>94  erscheint  die  erste  Ausgabe  des  Dtdionnaire.  Aber  die  Schwäche 
der  Acad^mie,  die  durch  ihre  Machtstellung  als  höchster  Gerichtshof  der 
Grammatik  anerkannt  wird,  tritt  zutage,  sobald  sie  an  die  anderen,  nament- 
lich die  in  den  Artikeln  24—26  ihrer  Verfassung  gestellten  Aufgaben  geht. 
Zunächst  ist  die  Gesellschaft  der  Akademiker  zu  buntscheckig;  sie  ent- 
hält zu  verschiedene  Elemente,  die,  gerade  wenn  sie  sich  zu  rersönlich- 
keiten  entwickelt  haben,  in  wichtigen  Konferenzen  über  grammatische 
Kleinigkeiten  zu  Gericht  sitzen  sollen.  E^  bleibt  fraglich,  ob  die  Idee, 
aus  diesem  Zusammenwirken  die  Grundlagen  zu  einer  nanzösischen  Grain- 
matik  zu  gewinnen,  überhaupt  ausführbu*  werden  wird.    Personen  frei- 


Bearteilungen  und  kurze  Anzeigen.  443 

lieh,  deren  mitwirkende  Teilnahme  durch  berufliche  Vorbildung  nicht  ge- 
trübt ist,  dbt  es  genug:  in  der  Tat  sind  von  den  vierzig  Unsterblichen 
im  18.  Jahrnundert  nur  zwei  Grammatiker  von  Fach,  Beauz^  und  Girard. 
Aber  dieser  Umstand  konnte  gerade  nur  dem  Bestreben  förderlich  sein, 
die  Atmosphäre  der  Schulstube  aus  den  Verhandlungen  fernzuhalten,  die 
für  den  Gedankenausdruck  einer  ganzen  Nation  ma&gebend  werden  sollten. 
Dennoch  wird  trotz  der  Statuten  mit  dem  wachsenden  Mnflufs  der  Aca- 
d^mie  die  Zunahme  ehrgeiziger  Sonderinteressen   den   eigenüichen  Auf- 

faben  der  Gesellschaft  mnderlich  sein;  denn  Prinzen  von  Greblüt  und 
ober  Adel,  Würdenträger  der  Kirche  und  des  Heeres,  Minister  und  erste 
Staatsbeamte  mit  ihren  Kreaturen,  Prinzenerzieher,  Pädagogen,  Gelehrte, 
die  sich  schon  in  der  Acad^mie  des  Inscriptions  hervorgetan  naben,  Über- 
setzer, endlich  auch  einige  Dichter  und  Denker,  wennschon  recht  bedeu- 
deutende,  sollen  mit  Grammatikern  von  Beruf  ihre  Meinungen  austauschen. 
Die  Unmöglichkeit  des  Zusammenarbeitens  wird  die  gehoffte  Grammatik 
nebst  ihren  Beiwerken,  Rhetorik  und  Poetik,  unmÖg;lich  machen,  die  Tätig- 
keit der  Acad^mie  weniger  produktiv  als  konstitutiv  sein;  sie  wird  keine 
Werkstätte  grammatischer  Arbeit:  die  überlälst  sie  den  Philologen;  aber 
sie  wird  ein  Observatorium  mit  ziemlich  weitem  Gesichtskreis  in  dem  Be- 
reich der  Sprache  und  der  Nation.  Dadurch  wird  sie  produktiv  nur  zu 
Observationen  und  Kommentaren  gelangen;  konstitutiv  wird  ihr  aktueller 
EinfluJGa  Gutes  genug  stiften  können,  zumal  bei  ihrer  äuJberlich  zuneh- 
menden Machtftdle. 

Hier  beginnt  nun  die  eigentliche  Arbeit  von  Alexis  Franyois.  Ist  auch 
das  vorliegende  Buch  nur  erst  das  Programm,  so  läfst  sich  nach  den  Prä- 
missen der  bisherigen  Entwickeluns  doch  bestimmen,  worauf  nunmehr  im 
Verlauf  des  18.  J^Quhunderts  die  Acad^mie  ihr  Augenmerk  richten  kann, 
was  sie  gewollt  und  was  sie  getan  hat;  der  nächste  Band  wird  die  Beläge 
aus  der  riesigen  grammatischen  Literatur  vorle^o. 

Die  Aufgabe  der  Acad^mie  bleibt  also  subjektiv  und  objektiv  zu  er- 
örtern; subjektiv  sind  Inhalt  und  Umfang  der  puristischen  Aufgabe  zu 
geben,  wie  die  Acad^mie  sie  jetzt  auffafst ;  objektiv  die  in  den  entwickelten 
Absichten  produzierten  Schriften.  Dazu  kommen  hier  schon  in  vier  Ap- 
pendices  grundle^nde  Dokumente  und  Proben. 

Der  erste  Teil  (S.  31 — 168)  handelt  in  vier  Kapiteln  von  der  Aufgabe, 
den  Ziden,  dem  Geiste  des  puristischen  Programms.  Kapitel  I:  Es  fragt 
sich  zunächst,  ob  die  Acad^mie  Bemerkungen  über  gute  Schriftsteller  oder 
einen  grammatischen  Traktat  schreiben  soll.  Dazu  folgen  die  Vorschläge 
von  Saint-Pierre,  Valincour,  Genest,  F^nelon,  die  Opuscula  von  Dangeau. 
Daran  sdüielsen  sich  die  ersten  CTammatischen  Kommentare  klassischer 
Schriftsteller:  Bemerkungen  zum  Q,  Ourtius  von  Vaugelas  und  zur  Aihtüie 
von  Racine.  Zuletzt  wird  die  Einwirkung  aulBerhalb  der  Acad^mie  be- 
sprochen. 

Kapitel  II— III  sprechen,  in  Ausführung  des  Programms,  von  den 
verfolgten  Zielen  1)  hinsiditlich  der  Grammatik,  2)  hinsichtlich  der  Kom- 
mentare. —  1)  Kapitel  II:  Der  akademische  Versuch  einer  Grammatik, 
vom  Jahre  1740;  allgemeine  und  besondere  Leitsätze;  Schwierigkeiten  bei 
ihrer  Anwendung;  Emflufs  der  lateinischen  Grammatik ;  Ausartungen  und 
Erfolge  der  Neuerer;  die  grammatische  Überlieferung;  Zusammensteilune 
von  Kegeln;  konstitutive  und  präservative  Kritik;  endlich  das  Schicksal 
der  besonderen  Leitsätze :  die  Grammatik  in  den  Wörterbüchern  (S.  63 — 92). 
2)  Kapitel  III:  Dafe  man  die  Sprache  aus  guten  Schriftstellern  lernt; 
Unternehmung  von  Kommentaren  zu  Klassikern;  d'Olivet,  seine  Freunde 
und  seine  Feinde;  Voltaire  als  Kommentator  Corneilles,  sein  Verhältnis 
zu  früheren  und  späteren  Kommentatoren;  die  Kommentare  der  Acad^mie; 
Gesamtresultate  für  das  18.  Jahrhundert  (S.  92—127). 

Kapitel  IV  macht  unfl  mit  dem  Geiste  des  puristischen  Programms 

29* 


444  Bearteflangeii  und  kurze  AnzeigeD. 

bekannt  und  handelt  von  den  Wandlungen  im  Begriff  des  'Gebräuch- 
lichen'. Es  spricht  von  den  konservativen  und  den  rationalistischeil  Nä- 
guncen  in  der  Grammatik  des  18.  Jahrhunderts,  von  der  EntsteUonp  d.  L 
Umbildung  von  Vaugelas'  Auffassung  der  Sprachentwickelune  in  ihr 
G^enteil;  vom  Gebrauch  der  gesprochenen  Sprache:  in  der  Stadt  und  in 
der  bQreerlichen  Gesellschaft;  vom  Gebrauch  der  geschriebenen  Sprache: 
bei  den  Klassikern  der  Zeit  Ludwigs  XIV.;  femer  behandelt  es  die  Kritik 
des  Sprachgebrauchs  bei  guten  Schriftstellern:  Archaismen,  Nachlässig- 
keiten, Kühnsten;  endlich  den  grammatischen  Gebrauch:  das  Beibehalten 
infolge  von  Überlieferung,  Entscheidung  nach  logischen  Grründen;  die 
Anak^gie. 

Der  zweite  Teil,  Kapitel  V— VI  (S.  168—239),  beschäftigt  sich  mit 
den  Schriften,  und  zwar  1)  mit  den  Schriftstellern,  die  kommentiert  wer- 
den; 2)  mit  der  Abfassung  der  Kommentare.  —  1)  Kapitel  V:  Wer  $oil 
kommentiert  werden?  Wollen  wir  Originale  oder  Übersetzungen  (von 
Mustersdirif tstellem) 7  Die  französischen  Klassiker  des  17.  Jahrhunderts; 
Wahl  der  Kommentatoren:  Dichter;  edlere  Stoffe;  dramatische  Stoffel- 
Übersicht  der  grofsen  Dichter  von  Malherbe  bis  Racine;  die  Klassiker 
des  18.  Jahrhunderts.  2)  Kapitel  VI:  Neudrucke  französischer  Klassiker 
im  18.  Jahrhundert;  historische  und  kritische  Kommentare;  die  Beurtd- 
lung  des  Cid  durch  die  Acad^mie;  Grammatik,  Poetik,  Rhetorik;  h'te- 
rarische  und  grammatische  Ejritik.  —  Schlufsbetrachtung. 

In  den  Appendices  (S.  289—276)  wird  wichtiges  Beiwerk  übersichtlich 
angeführt:  1)  Die  grammatische  Korrespondenz  derAcad^mie  im  18.  Jahr- 
hundert; 2)  Grammatische  Werke,  die  der  Acad^mie  im  18.  Jahrhundert 
gewidmet  oder  vorgelegt  werden;  3)  Bibliographische  Notizen  über  gram- 
matische Kommentare  von  Klassikern,  die  im  18.  Jahrhundert  verfallt 
wurden;  endlich  4)  Specimina  akademischer  Kommentare. 

Der  Fortsetzung  der  fleilsigen  und  sorgfältigen  Arbeit  darf  man  mit 
guten  Erwartungen  entgegensehen. 

Charlottenburg.  George  CareL 

Abel  LiefraDCj  La  langae  et  la  litt^rature  fran9ai8e8  au  Coll^ 
de  France.  Leyon  d'ouverture  de  la  chaire  de  Langue  et  Litt^rature 
fran^aises  modernes  pronono^  au  Goll^^e  de  France  le  7  d^oembre 
1904  (Editions  de  la  Revue  politique  et  htt^raire,  Paris  1905). 

Kurze  Zeit  nach  dem  Hingang  von  G.  Paris  ist  auch  die  Professnr 
für  neuere  französische  Literaturgeschichte  am  College  de  France  durch 
den  Tod  Deschands  erledigt  worden.  Sein  Nachfolger  ist  Abel  Lefranc, 
bisher  Secr^taire  am  College  de  France,  geworden,  der  sich  durch  sane 
zahlreichen  und  mannigfaltigen  Untersuchungen  zur  Geschichte  des  Mittel- 
alters wie  zur  Geschichte  und  Literatur  von  Keformation  und  Renaissance 
in  Frankreich  einen  Namen  gemacht  hat.  zunächst  durch  die  beiden  im 
Jahre  1888  erschienenen  Schnften  über  die  Jugend  Calvins  und  Ober  die 
Geschichte  der  Stadt  Noyon  im  Mittelalter,  dann  durch  seine  Geschichte 
des  GoU^ffe  de  France  (1898),  schlielslich  durch  seine  Ausgabe  der  'Doni^res 
Po^ies'  der  Margarete  von  Navarra  (1896)  und  die  sich  daran  anschlieTsen- 
den  Studien  über  Marc^arete,  Rabelais  und  die  Renaissanceliteratur.  Der 
neue  Vertreter  der  neiuranzösischen  Literatur  am  College  de  France  wur- 
zelt demnach  —  wenn  wir  von  gelegentlichen  Beiträgen  zu  A.  Chenier 
und  ähnlichem  absehen  —  im  1(>.  Jidirhundert  (und  weiter  zurück  im 
Mittelalter),  aber  hier  bewegt  er  sidi  auch  mit  einer  Vielseitigkeit,  als 
Historiker  wie  als  Literarhistoriker  und  Herausgeber,  welche  ihm  ein  all- 
seitiges Erfassen  der  beiden  crolsen  geistigen  Bewegungen,  der  Renaissance 
und  der  Reformation,  ermögucht  und  welche,  auf  die  folgenden  Jahrhun- 
derte angewendet,  zu  den  wichtigsten  und  fruchtbarsten  Ergebnissen  fCübreii 


Beurteilungen  und  knrze  Anfdgen.  445 

muüs.  Wenn  der  Verfasser  in  seiner  hier  vorlieeenden  Antrittsrede  die 
französische  Sprache  und  Literatur  am  College  de  France  behandelt,  so 
gibt  er  uns  damit  nicht  nur  die  Geschichte  seines  ^enen  Lehrstuhls, 
sondern  er  knüpft  zugleich  an  seine  Geschichte  des  '(^ll^ge'  an^  die  er 
bisher  nur  bis  zum  Ende  des  ersten  Kaiserreichs  geführt  hat:  es  ist  so- 
zusagen ein  Ausschnitt  aus  der  bis  auf  unsere  Zeit  rortgeführten  Geschichte 
dieses  Ck)ll^ge. 

Verfasser  gliedert  seine  Bede  in  drei  Teile.  Im  ersten  schildert  er  in 
grofsen  Zügen  die  Entstehung  des  College  de  France,  bei  welcher  von 
einem  französischen  Lehrstuhl  noch  keine  Rede  ist,  den  Kampf  der  fran- 
zösischen Sprache  gegen  das  Latein,  die  Verdienste  gerade  der  Lehrer  des 
€k)ll^ge  um  die  Anerkennung  des  Französischen,  die  Bolle  der  Gram- 
matiker, der  Acad^mie,  der  Salons  und  vor  allem  der  CTofsen  Schriftsteiler 
in  der  Ausbildung  und  Durchbildung  der  französisäen  Sprache.  Auf 
wenigen  Seiten  hat  hier  der  Verfasser  einen  wichtigen  historischen  Ent- 
wickelungsprozefs  unter  Hervorhebung  der  dabei  wirkenden  Faktoren  klar 
und  anschaulich  zur  Vorstellung  gebracht 

Dieser  allgemeine  Teil  bildet  somit  den  passenden  Hintergrund  für 
den  zweiten,  speziellen  Teil,  die  Geschichte  des  Lehrstuhls  für  französische 
Sprache  und  Literatur  am  College  de  France.  Im  Jahre  1773  wurde 
dieser  Lehrstuhl  begründet,  zu  dem  doppelten  Zwecke  die  in  Paris  weilen- 
den Ausländer  mit  den  hervorragenden  Schriftstellern  Frankreichs  bekannt 
zu  machen  und  den  Franzosen  selbst  bei  der  Ausbildung  ihres  Stils  be- 
hilflich zu  sein.  Genau  genommen  handelt  es  sich  freilich  nicht  so  sehr 
um  eine  Neugründung  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes,  sondern  um  eine 
Umwandlung  der  bisher  von  Batteux  innegehabten  Professur  für^echi- 
sche  und  lateinische  Philosophie  in  eine  solche  für  französische  Sprache 
und  Literatur.  Die  verschiedenen  Inhaber  des  Lehrstuhls  werden  nach 
Charakter  und  Wirksamkeit  geschildert:  als  erster  Abb^  Aubert  (1773 
bis  1784),  welcher  seine  Antrittsrede  *8ur  les  progrhs  de  la  lanffue  et  de  la 
litteraiure  frcm^tse  et  sur  la  nieeeeiU  d^en  Studier  le  g6nie  et  le  caract^e' 
dem  bisherigen  Usus  zum  Trotz  auf  Französisch  hält  und  so  auch  in 
dieser  Hinsicht  erwähnenswert  ist;  nach  ihm  Abb^  de  Ck)urnand  (1784 
bis  1814)  und  Andrieux  (1814 — 1833),  dieser  als  Dichter  bedeutender  denn 
seine  beiden  Vorgänger,  als  Mensch  eine  sehr  sympathische  Erscheinung, 
als  Lehrer  aufserordentlich  erfolgreich.  Mit  J.  J.  Ampere  (1888—1864) 
besteigt  zum  erstenmal  ein  methodisch  geschulter  Kritiker  und  Gelehrter 
den  neuen  Lehrstuhl,  bekannt  vor  allem  durch  seine  Histoire  lüteraire  de 
la  France  avant  le  XII'  süele.  So  hat  er  eerade  dazu  beigetragen,  die 
Wichtigkeit  der  mittelalterlichen  Studien  zu  oetonen,  für  wekhe  1858  ein 
besonderer  Lehrstuhl  begründet  wurde,  den  zuerst  Paulin  Paris  und  nach 
ihm  Gaston  Paris  innegehabt  hat.  Auf  Lom^nie  (1864 — 1878)  und  den 
nur  kurze  Zeit  (1878 — 1880)  am  'College*  lehrenden,  aber  durch  seine  Ge- 
schichte der  neueren  französischen  Literatur  wohlbekannten  Paul  Albert 
folgt  Emile  Deschanel  (1881 — 1904),  welchem  der  Verfasser  als  seinem 
Lehrer  und  unmittelbaren  Vorg^ger  den  grölsten  Teil  des  dritten  Ab- 
schnitts widmet:  eine  substantielle,  von  persönlicher  Wärme  getragene 
Schilderung  des  vielBeitig;en  Schriftstellers,  Conferenciers  und  Lemrers,  der 
auch  als  Charakter  gebührende  Anerkennung  fordert. 

Gilt  80  der  Inhalt  von  Lefrancs  Bede  im  wesentlichen  den  Dingen 
und  Personen  der  Vergangenheit,  so  nimmt  der  Verfasser  am  Schlufs  des 
Ganzen  die  Gelegenheit  wahr,  uns  auch  einen  Blick  in  die  Zukunft,  in 
seine  eigenen  Pläne  und  Vorsätze  tun  zu  lassen.  Er  will  die  neuere  fran- 
zösische Literatur  nach  derselben  Methode  behandeln,  wie  es  für  die  übri- 
gen Gebiete  der  Literaturgeschichte  schon  längst  üblich  ist,  nach  den 
Prinzipien  der  historischen  und  vergleichenden  Methode,  unter  stetem 
ZurficKgehen  auf  die  Quellen,  aber  ohne  auf  den  ästhetischen  Genulis  der 


446  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

Dichtwerke  Belbet  zu  verzichten.  In  alledem  kann  man  ihm  nur  zaetiin- 
men,  sind  es  doch  Grundsätze,  welche  gerade  den  deutschen  literarhistori- 
kern  in  erster  Linie  mafseebeud  sind.  Möge  es  Lefranc  yergoont  sein, 
sein  Vorhaben  zu  ^tem  Ende  zu  führen  und  die  Früchte  seiner  Be- 
mühungen selbst  reifen  zu  sehen  I  Man  wird  dann  mit  dem  Besinn  seiner 
Lehrtätigkeit  eine  neue  Ära  in  der  Geschichte  seines  Ldbrstuhls  ansetzen 
dürfen. 

Tübingen.  Carl  Voretzsch. 

PL  Plattner  und  J.  KühDe^  Unterrichtswerk  der  französischen 
Sprache.  Nach  der  analytischen  Methode  mit  Benutzung  der  natür- 
lichen Anschauung  im  Anschluis  an  die  neuen  Lehrpiäne.  L  Teil: 
Grammatik.    Karlsruhe,  J.  Bielefelds  Verlag,  1904.    152  8.    M.   1.50. 

Dieses  Werk,  eine  gekürzte  Bearbeitung  des  französischen  Unterricht«- 
Werkes  Ton  Plattner  und  Heaumier,  ist  für  solche  Schulen  bestimmt,  die 
das  Französische  als  erste  oder  einzige  Fremdsprache  lehren.  Li  dem  uns 
vorii^enden  ersten  Teil,  der  aufser  einer  vollständigen  elementaren  Lsot- 
und  l^rmenlehre  eine  knappe  Satzlehre  enthält,  deren  Beispiele  aus  Teil  II, 
einem  Lese-  und  Übungsbuch  für  die  zwei  bis  drei  ersten  Unterrichtsjahre 
entnommen  sind,  ist  eine  bewundernswerte  Fülle  praktischer  Erfalurong 
niedergelegt.  An  Übersichtlichkeit  der  Anordnung,  an  bequemer  Einrich- 
tung rar  den  Schüler,  auch  den  minder  begabten,  dürfte  es  schwerlich  zu 
übertreffen  sein.  Im  folgenden  seien  einige  Berichtigungen  nebst  einigen 
unmafsgebUchen  Besserungsvorschläffen  dargeboten. 

S.  '6  ist  sied  in  eine  uilsche  Zene  geraten;  bei  ieu  wäre  offenes  und 

Seschlossenes  eu  {aieur  und  monsieur)  zu  trennen.  S.  4  ist  nicht  zwischen 
en  beiden  x  (fixer,  exercioe)  unterschieden.  Bei  der  Bindung  wäre  ge- 
nauer zwischen  notwendiger  und  möglicher  zu  scheiden.  Die  orthographi- 
sche Anomalie  in  tieeueüf  orffueü  erscneint  uns  einfacher  durch  Umstellung 
des  den  ö-Laut  ausdrückenden  eu  zu  ue  zu  erklären.  Der  Schüler  findet 
sdir  leicht  den  Grund  dafür  und  ist  nicht  auf  mechanisches  Behalten  d^ 
ziemlich  komplizierten  Regel  (S.  10,  n.  28)  angewiesen.  Mit  oeü  verhalt 
es  sich  eben  anders ;  es  ist  das  einzige  Wort,  in  welchem  der  Laut  c  durch 
(B  ausgedrückt  wird.  S.  18  wäre  zu  la  Bible  noch  le  Nouveau  Testamest 
(S.  24  erwähnt)  zu  stellen.  S.  15  Z.  15  1.  compagne.  Der  R^;eln  über 
die  Bestimmung  des  Geschlechts  nach  der  Bedeutung  sind  bei  dem  ge- 
ringen Beispielvorrat  zu  viele.  S.  1^*  sind  ami,  favori,  roi  unter  die  Wörter 
geraten,  deren  Geschlecht  nach  der  Endung  bestimmt  wird.  Gewils  nicht 
empfehlenswert!  Könnte  man  dem  Schüler  hinsichtlich  des  Zusammen- 
hanges zwisdien  Geschlecht  und  Bildungssiibe  nicht  von  vornherein  etwas 
mehr  zumuten  und  mit  den  sogenannten  Ausnahmen  auf  age  aufräumen! 
Das  ist  doch  viel  leichter  zu  fassen  als  der  Begriff  (gibt  es  in  der  ganzen 
Grammatik  einen  untauglicheren?)  der  Abstracta  (=  gedachte  Dinge)  auf 
eur.  S.  23  wäre  zu:  Cette  maladie  est  benigne  aie  deutsche  Beoeutung 
^gutartig*  zu  setzen;  srec,  grecque  sind  versehentlich  in  den  Abschnitt 
geraten,  der  von  lauUichen  Veränderungen  der  Vokale  handelt.  S.  27 
wäre  bei  joli,  joliment  auf  S.  7,  9  zurückzuverweisen.  S.  28  dürfte  die 
Unterscheidung  zwischen  'Ma  tante  seuie  est  ä  la  maison'  und  'Ma  tant« 
seulement  est  ä  la  maison'  doch  verfrüht  dargeboten  sein.  S.  29.  Die 
Stellung  des  que  von  ne  . .  que  müiste  durch  mehrere  Beispiele  veranschau- 
licht werden.  Dem  schülerhaften  Mifsbrauch  des  Terminus  'beziehen' 
leistet  die  Anmerkung  zu  ne  . .  aue  reichlichen  Vorschub.  S.  42  dürfte 
die  gleiche  Verdeutschung  von  demonstratif  und  d^terminatif  leicht  das 
Verständnis  beeinträchtigen.  S.  44,  2  1.  il;  S.  49  würde  *ayant  donn^' 
praktischer  und  sachlich  richtiger  als  'zusammengesetzt'  (nach  Analogie 
der  zusammengesetzten  Zeiten)  zu  benennen  sein.    S.  69,  2  v.  u.  1.  serai; 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  447 

S.  70:  Wenn  auf  S.  46  von  'yerbes  passifs'  gesprochen  wird,  so  ist  es 
nicht  konsequent,  den  Terminus  'voix  passive  einzuführen.  Dieser  Ter- 
minus fehlt  auch  S.  47  bei  der  Aufzählung  dessen,  was  in  der  Konjugation 
zu  unterscheiden  ist.  Sehr  nützlich  und  ganz  im  Sinne  dieses  Buches 
würde  es  sein,  beim  Infinitiv  gleich  seine  Verbindung  mit  de  und  de  ne 
pas  einüben  zu  lassen,  also  ins  Paradigma  zu  setzen.  S.  89  fehlt  s  bei 
tu  acquisses;  S.  107  bei  g^sir  Erinnerung  an  die  Aussprache- Anomalien ; 
auch  sonst  dürften  sich  einige  Ausspradiehilfen  empfehlen  (les  Vosges, 
yacht);  8.  112  1.  bei  naltre  im  P.  d^t.  ii  statt  U;  S.  113  Z.  4  v.  u.  6tre; 
8.  114  fehlt  u  in  acquerrai;  S.  133  m.  1.  volon^aire,  Z.  2  v.  u.  serr^rent; 
Anm.  1  veuille;  S.  137 :  die  zutreffendste  Übersetzung  für  c'est  que  dürfte 
hier  wie  oft  'ja'  sein:  wir  sind  ja  mitten  im  Sommer.  8.  138:  zu  dem 
Beispiel  für  non  que  pafst  die  Übersetzung  *nicht  als  ob'  nicht.  S.  142: 
Die  Kegeln  über  das  Part.  pass6  gehen  zu  sehr  ins  Einzelne.  Welcher 
Lehrer  ist  nicht  froh,  den  Schülern  die  drei  Hauptregein  sicher  eingeübt 
zu  haben!  S.  149  findet  sich  zu  dem  Mustersatz:  Le  capitaine  a-t-il 
accept^  le  jeune  Frangais  ?  die  seltsame  Hegel :  Das  Subjekt  wird  durch 
ein  Fronomen  wiederholt,  wenn  nach  dem  Verbum  ein  regime  steht.  Also 
darf  der  Schüler  schreiben:  a  accept^  le  capitaine?  oder:  a  le  capitaine 
accept^?    Oder  was  soll  die  Regel  besagen? 

Kiel.  F.  Kalepky. 

J.  PüDJer  und  H.  Heine,  Lehr-  und  Lembuch  der  französischen 
Sprache  für  Handelsschulen.  (Unter  Mitwirkung  von  Hippolyte 
Treillard,  Professor,  Hamburg.)  Groise  Ausgabe  (Ausgabe  A).  II.  Aufl. 
Hannover  u.  Berlin,  Carl  Meyer  (Gustav  Prior),  1904.    340  S. 

Der  groise  Aufschwung  des  kaufmännischen  Unterrichtswesens  in 
Deutschland  hat  in  den  letzten  Jahren  eine  fieberhafte  Produktion  von 
Lehrbüchern  aller  Art  hervorgerufen.  Immer  neue  Grammatiken,  für  die 
Spezialbedürfnisse  kaufmännischer  Anstalten  zurech tgeschnitten,  erscheinen 
auf  dem  Plan.  Manche  von  ihnen  haben  den  Fdiler,  dafs  sie  zu  viel  auf 
einmal  geben  wollen.  Auch  bei  dem  vorliegenden  Buche  ist  dies  der  Fall. 
Das  Bestreben,  nicht  nur  grammatische  Unterweisung  zu  geben,  sondern 
auch,  neben  der  Fertigkeit  im  mündlichen  AusdrucK,  dem  Schüler  die 
Kunst  beizubringen,  einen  guten  kaufmännischen  Brief  zu  schreiben  und 
ihn  auch  gleichzeitig  in  den  kaufmännischen  Betrieb  einzuführen,  hat  die 
Autoren  auf  Gebiete  geführt,  die  ihnen  offenbar  fernlagen.  Sie  muisten 
sich  auf  fremde  Autorität  verlassen,  und  dies  geschah  nicht  immer  mit 
Glück.  Wie  oft  möchte  man  den  Verfassern  mit  Moli^re  zurufen:  Votis 
vous  ites  rSglSs  sur  de  tnichanis  modales. 

Von  den  zahlreichen  Beispielen  unrichtiger,  ungeschickter  oder  ver- 
alteter Ausdrucks  weise  seien  hier  nur  einige  angeführt.  Welcher  Kauf- 
mann schreibt  heute  —  im  Zeitalter  des  Telephons  und  der  Schreib- 
maschine —  noch  solche  Schlufskomplimente  wie  das  ioi^ude:  Nous 
sommes  avec  considircUion,  Monsieur,  vos  trhs  humhlea  et  tres  obSisaants 
serviteurs  (S.  197).  Das  klingt  ja  ^anz  rokoko,  für  unsere  Zeit  iedoch  ist 
eR  ein  wenig  *rigolo\  Ebensowenig  kaufmännisch  ist  die  Schlufsformel 
S.  200 :  öroyexy  eher  monsieurj  attx  sentiments  bien  affeciueux  de  votre  tr^ 
devoiti.  Auf  S.  25  findet  sich  der  Ausdruck:  J'ai  acheie  ä  votre  ordre. 
Es  mufs  natürlich  heii'sen:  J'ai  acketS,  eonformSment  ä  votre  ordre  oder 
en  eonfonnitS  de  votre  ordre.  Den  Schüler  irreführend  ist  es,  wenn  die 
Verfasser  den  Direktor  einer  Aktiengesellschaft  (französisch  übrigens  soeiete 
anonyme  und  nicht  soeiete  d^acUormaires)  folgendermalsen  unterzeichnen 
lassen :  Friedr.  Falke,  p,  p.  SoeiSte  d'aetiannaires  ^Photographie  d*amateurs\ 
—  Die  Abkürzung  für  per  procura  ist  franzÖBisch  w**  oder  pp"";  der  Name 
des  Prokuristen  steht  nicht  über   aondem  unter  Sem  l^&mcn  der  Firma, 


448  BeurtdlimgeD  and  kurze  Anzeigen. 

für  die  er  zeichnet  Ein  Direktor  zeichnet  nicht  p.  p.,  sondern:  Z> 
teur-gSrant  oder  in  einer  anderen  seine  Eigenschaft  als  Direktor  kenn- 
zeichnenden Form. 

Daus  den  Verfassern  die  wichtigsten  Dinge  des  kaufmännischen  Lebeos 
Yoilkommen  fremd  sind,  davon  wäien  noch  manche  Beispiele  anzufahren. 
So  finden  sich  (S.  123)  auf  die  Fraee:  Que  trouvons  notu  dans  une  leUrt 
de  ehanffe?  folgende  —  recht  sonderbare  —  Antworten: 

29.  La  daie  de  Venvot  de  la  lettre.  (Ea  muls  natürlich  hdÜBen:  La 
date  de  l'imisston.) 

5°.  Le  nom  de  eelui  qui  doü  reeevoir  Vargent,  On  VappeVe  V aocepieur. 
(Ea  muls  selbstverstinduch  heifsen:  le  preneur,  oder  le  henefieiairt,) 

8^  Lee  mois  ^Premüre  de  chomge't  eane  lesquels  la  lettre  de  ehauge 
n'a  pas  de  valeur.  (Das  deutsche  Wechselgesetz  verlangt  nur  das 
Wort  Wechsel,  das  französische  schreibt  überhaupt  keine  derartige . Be- 
zeichnung vor.  Premiere  de  ekange  ist  überhaupt  nur  unentbehrlich, 
wenn  der  Wechsel  in  mehreren  Exemplaren  ausgestelit  ist) 

Von  falschen  Übersetzungen  seien  nur  einige  hervorgehoben.  S.  325, 
Vocabulaire  zu  Lekt  31:  Veffet  'Wirkung,  Staatepapier'  (anstatt  'Wedisel*); 
S.  340,  Vocabulaire  zu  Lekt  40:  Le  finde  de  commerce  'Geeellsch&fteein- 
lage'  (anstatt  'Geschäft');  S.  820:  le  bSnifiee  'Gewinn  des  Schlauen'  (an- 
statt 'Gewinn  des  Kauiiuanns') ;  S.  324:  un  «ndossi  'ein  Indossator*  (an- 
statt 'Indossat'  oder  'Indossatar');  6.  306,  Vocabulaire  zu  Lekt.  25:  re- 
passer  'glätten'  (anstatt  'bügeln'  oder  'plätten').  Auch  in  der  nichttech- 
nischen Terminologie  finden  sich  Fehler,  z.  B.  S.  335  zu  Lekt  80:  le 
suspeet  'Verdacht'  (anstatt  'das  Verdächtige'  —  rien  de  suapeet  hdlst  es 
im  Text). 

Der  Lehrstoff,  der  über  drei  Jahreskurse  verteilt  ist,  ist  übrigens 
schön  angeordnet,  sowohl  was  die  Fragen  und  Antworten  als  auch  was 
die  Erzährunfi;en  und  Briefe  betrifft,  die  mehr  oder  weniger  sdle  der  gram- 
matischen Unterweisuna;  dienstbar  gemacht  sind.  Die  als  zweite  Teil 
folgende  systematische  Grammatik  ist  recht  sorgfältig  gearbeitet.  Sie  gibt 
in  engem  Kahmen  das  Wesentliche,  was  der  Schüler  wissen  muls.  Einzemes 
würde  in  anderer  Anordnung  anschaulicher  sein.  So  wäre  z.  B.  btt  den 
Verben  mit  ^tre  anstatt  der  alphabetischen  Reihenfolge  eine  logische  Grup- 
pierung eher  am  Platze  —  etwa  in  folgender  Weise :  entrer  und  sortir, 
arriver  und  partir,  nattre  und  mourir  usw.  Die  unter  der  Über- 
schrift Exerciees  de  leeture  zu  Anfang  gegebene  Darstellung  der  Lautwerte 
ist  etwas  dürftig  ausgefallen.  So  ist  u.  a.  der  Laut  a  recht  stiefmütterlich 
behandelt;  gras  xmdparlämes  werden  z.  B.  unter  der  Bezeichnung  long 
ou  demi-long  zusammengekoppelt 

Frankfurt  a.  M.  Gustav  Weinberg. 

Dr.  W.  BickeDy  Direktor  der  Oberrealschule  zu  Hagen  i  W.,  Einige 

Perlen  französischer  Poesie  von  ComeiUe  bis  Copp^  Mit 
einigen  Zusätzen  für  Unterrichtszwecke  heraussegeben.  Beilage  zu 
dem  Programm  der  Oberrealschule  zu  Hagen  i.  W.   Hagen  i.  W.,  1905. 

Das  Heftchen,  das  sechsunddrei fsig  französische  Dichtungen  und  im 
Anhange  sechs  Übersetzungen  aus  dem  Deutschen  enthalt,  ist  für  junee 
Leute  von  15  bis  20  Jahre»  bestimmt  und  für  Erziehungsanstalten,  welche 
dem  französischen  Unterricht  nur  wenig  Zeit  widmen  können.  Wie  auch 
sonst  aus  der  Vorrede  hervorgeht,  hat  Herausgeber  besonders  L^r^- 
Seminare  im  Auge.  Da»  17.  Jahrhundert  ist  mit  dem  Monolog  Bodriffues 
aus  dem  'Cid',  den  Chören  aus  'Athalie'  (I,  4  und  II,  9)  und  sechs  Fabeln 
Lafontaines  vertreten,  das  18.  Jahrhundert  mit  je  einer  Dichtung  von 
Florian,  Andrieox,  A.  de  Ch^nier  und  der  'Marseillaise'.  Von  den  Dich- 
tern des  11).  Jahrhunderts  sind  neben  B^ranger  die  Romantiker,  insbeson- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  449 

dere  V.  Hugo  berücksichtigt,  dazu  kommt  *Le  Vase  Bris^'  von  Sully- 
Prudhomme  und  drei  Stücke  von  Copp6e. 

Der  Anhang  enthalt  einige  allgemeine  metrieche  Bemerkungen  in 
deutscher  und  französischer  Sprache,  dazu  einen  Überblick  über  aie  Ge- 
schichte der  französischen  Literatur,  der  auf  zweieinhalb  Seiten  natürlich 
nur  eine  kurze  Aufzählung  geben  kann. 

Berlin.  Theodor  Eng  wer. 

Li.  Herrig  et  G.  F.  Burguy,  La  France  litt^raire,  remani^  par 
F.  Tendering,  Directeur  du  'Realgymnasium  des  Johanneums',  Ham- 
bourg.  47®  Edition.  Brunswick,  George  Westermann,  Libraire-J^diteur, 
1903.    VIII,  708  p.    Commentaire  122  p. 

Die  nach  literarischen  Grundsätzen  abgefafsten  fremdsprachlichen 
Lesebücher  (Chrestomathien),  deren  bekannteste  Typen  das  oben  genannte 
Buch  in  seiner  früheren  Gestalt  und  Ploetz  Mamit  waren,  sind  im  Laufe 
der  Beformbewegung  fast  vollständig  aus  dem  Unterricht  verschwunden. 
Nachdem  das  Lärbuch  der  unteren  Stufe,  das  den  ersten  Wortschatz  wie 
die  Elementargrammatik  an  methodisch  geordnetem  Anschauungsmaterial 
zu  übermitteln  diente,  erledigt  war,  ging  man  von  der  Mittelstufe  an  zu 
der  zusammenhängenden  Lektüre  über  und  wählte,  auch  hier  vom  Leichten 
zum  Schwierigeren  emporsteigend,  Werke  oder  Sammlungen  von  gleich- 
artigen kleineren  Werken,  die  die  Klasse  während  eines  Semesters  oder 
gar  länger  beschäftigten,  ihr  das  Gefühl  eines  organischen  Ganzen,  damit 
zugleich  einen  EinbÜck  in  die  Eigenart  einer  literarischen  Persönlichkeit, 
vielleicht  einer  Epoche  geben  konnten. 

Die  zahlreichen,  nach  Meinung  vieler  zu  zahlreich  erscheinenden 
Schulausgaben  hatten  wenigstens  das  Gute,  dafs  sie  dem  Lehrer  eine  weite 
Wahl  lie&en  und  aus  einer  lebenden  Literatur,  die  sich  durch  täglichen 
Zuwachs  stetig  bereichert,  neben  vielem  Minderwertigen  auch  manches 
wertvolle  Erzeugnis,  manchen  bedeutenden  Schriftsteller  der  Schule  zu- 

f anglich  gemacht  haben.  An  Stoff  fehlt  es  sicherlich  nicht  mehr,  aber 
ieten  die  Schulpläne  genügend  Zeit,  um  auch  bei  sorgsamer  Auswahl 
der  zu  lesenden  Werke  die  Forderung  der  Lehraufgaben  von  1901  voll  zu 
erfüllen,  wenn  man  nur  ganze  Werke  oder  gröisere  Abschnitte  von  solchen 
lesen  will?  Für  das  Gymnasium  ist  in  bezug  auf  die  Lektüre  das  Lehr- 
ziel: 'Verständnis  der  bedeutendsten  französischen  Schriftwerke  der  letzten 
drei  Jahrhunderte',  was  doch  wohl  nicht  blofs  eine  Vorbereitung  in  sprach- 
licher Hinsicht  bedeutet,  sondern  verlangt,  dafs  der  Schüler  an  dem  von 
ihm  Gelesenen  die  Eigenart  des  Schriftstellers  und  seine  Bedeutung  für 
die  Literatur  wenigstens  in  den  Hauptzügen  erkennen  lerne,  dafs  ihm  der 
Bück  für  die  Zusammenhänge  der  Einzelerscheinun^n  weni^tens  geöffnet 
werde.  Für  die  Realanstalten  kommt  ausdrücklich  ninzu  'einige  Kenntnis 
der  wichtigsten  Abschnitte  der  Literatur-  und  Kulturgeschichte  des  fran- 
zösischen Volkes'  {Lehrplan  und  Lehraufgaben  von  1901,  S.  S4,  '^6,  87). 
Dafs  Zweifel  über  die  Erfüllbarkeit  der  Forderungen  aufgetaucht  sind, 
beweist  das  Erscheinen  jetzt  schon  zahlreicher  neuer  Lesebücher,  die,  wie 
Rofsmanns  Französisches  Lese-  und  Realienbuch  (1908),  Klincksiecks 
Franxösisches  Lesebuch  (1903),  Fuchs'  Anthologie  des  Prosateurs  Francis 
(1904),  bestimmt  sind,  nach  bestimmten  Richtungen  hin  die  Lektüre 
von  ganzen  Werken  zu  ergänzen,  neben  ihr,  ergänzend  und  verbindend, 
herzugehen.  Ein  klares  Programm  hierfür  ist  auf  Anregung  des  Bre^^Iauer 
Philologen tages  (s.  Die  Neueren  Spraeheny  Bd.  XII,  H.  1,  April  1904)  auf- 
gestellt worden.  Das  von  der  Kommission  ins  Auge  gefalste  Lesebuch 
soll  Lücken  ausfüllen,  die  trotz  sorgfältiger  Auswahl  der  Scmesterlektüre 
und  weiser  Einteilung  der  Zeit  bestehen  bleiben,  Proben  von  solchen 
Schriftstellern  und   Werken  geben,  deren  Studium  von  Wichtigkeit  ist. 


450  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

aber  im  gewöhnlichen  Programm  aus  verschiedenen  Gründen  zu  kurz 
kommt,  und  zwar:  1.  Reden  und  Briefe,  2.  Prosaliteratur  des  18.  Jahr- 
hunderts, 8.  Werke,  die  Einblicke  in  das  wirtschaftliche  Leben  und  in 
die  Topographie  Frankreichs  vermitteln,  4.  die  Fabeldichtung  seit  Lafon- 
taine und  lyrische  Poesie,  insbesondere  des  19.  Jahrhunderts.  Kühn  und 
Charl^ty  nahen  in  La  France  LittSraire  dies  Programm  zu  erfüllen  ge- 
sucht. 

Wir  sehen,  es  handelt  sich  nicht  um  eine  Rückkehr  zu  der  alten 
'ChrestomfliMe',  die  für  Jahre  die  einzige  Lektüre  bot,  kurze  Proben  aus 
möglic^t  vielen  Schriftstellern  gab,  als  Anordnungsprinzip  nur  die  zeit- 
liche Aufeinanderfolge  kannte,  deren  einzelne  Stücke  meist  durch  keinerlei 
Verwandtschaft,  sei  es  inhaltlich,  sei  es  literarhistorisch,  miteinander  in 
Verbindung  standen.  Es  handelt  sich  jetzt  um  eine  Ergänzung  der  Lek- 
türe durch  Abschnitte,  die  seeiniet  sind,  die  Verbindung  herzustellen  von 
dem  Autor,  dem  Schriftweäe  des  einen  Semesters  zu  dem  des  folgenden, 
und  auch  inhaltlich,  um  eine  Vertiefung,  eine  Erweiterung  der  aas  einem 
Werke  gewonnenen  Erkenntnis  für  die  Geschichte,  die  Kultur,  das  Leben 
und  die  Sitten  des  fremden  Volkes.  Idi  stimme  in  bezu^  darauf  mit  dem 
Breslauer  Philologentage  überein,  meine  aber,  dals  zwei  nach  diesen  Ge- 
sichtspunkten geordnete  Sammlunsen^  die  eine  für  Prosa,  wie  die  Antho- 
logie von  FucSb,  die  andere  für  die  Versdichtung,  das  beste  wftroi  und 
wohl  die  Lektüre  durch  die  oberen  Klassen  hindurä  begleiten  könnten. 

Fügt  sich  nun  Tenderings  Neuausgabe  diesem  Programm  ein?  Ja 
und  nein.  Die  alte  Chrestomathie  hat  in  der  Tat  eine  durchaus  veränderte 
Gestalt  bekommen.  //  ne  s'agü  plus  comme  atUrefoü  d^Hudier  la  lütSraiure 
fran^iae  par  la  leeture  de  fragments  du  plus  grand  nombre  tPicrivains  pos- 
sible  et  un  priets  de  Vkistoire  de  la  litUraiure  fram^aise  sagt  die  Vorrede. 
Die  Zahl  der  Eänzelstücke  ist  bedeutend  verrinj^ert  worden,  neben  aus- 
zugsweise gegebenen  ganzen  Werken  sind  Abschnitte  von  gröiserer  Länge, 
A&chnitte,  die  einen  mehr  oder  minder  selbständigen  Teil  des  Gesamt- 
werkes bringen,  zum  Abdruck  gebracht  worden.  Nicht  mehr  nur  nach 
literarischen  Gesichtspunkten  wurde  die  Auswahl  der  Stücke  vorgenom- 
men, man  verfolgte  auch  das  Ziel,  einen  £}inblick  in  die  Kultur-  und 
allgemeine  Geistesentwickelung  des  französischen  Volkes  zu  vermitteln. 
Aber  damit  ist  die  andere  Fn^  nicht  erledigt:  D«ikt  sich  der  Verfasser, 
wie  Johannes  Schmidt  (in  der  eingehenden  Besprechung  des  Buches  in 
der  Zs.  für  das  Öymnasialw.y  LVni.  Jahrgang,  309  ff.,  s.  insbesondere 
S.  31 '2  o.)  es  wenigstens  für  das  Gymnasium  befürwortet,  sein  Buch  als 
Ersatz  der  Einzellektüre  oder  nur  als  Erj^nzung?  Umfang,  Wahl  und 
Länge  der  ausgewählten  Stücke  lassen  für  erstere  Annahme  schlielsen. 
Wozu  wären  sonst  der  (Hdj  Atkalie,  Les  Femmes  Savantes,  auch  ein  neueres 
Drama,  Mademaiselle  de  la  SeiglthrSy  hier  abgedruckt,  die  doch  gewiXs  auf 
jedem  Programm  figurieren. 

In  diesem  Punkte  bin  ich  anderer  Meinung  als  der  Verfasser.  Trotz- 
dem die  Zeit,  die  dem  Französischen  im  Gymnasium  gewidmet  wird,  ge- 
ring ist,  möchte  ich  doch  auch  hier  das  Lesebuch  nicht  die  Einzellekture 
verdrängen  sehen.  Ist  es  schon  aus  praktischen  Gründen  nicht  ratsam, 
dals  der  Schüler  Jahre  hindurch  ein  so  dickes  Buch,  das  die  Lektüre 
mehrerer  Klassen  enthält,  mit  sich  herumschleppt  —  die  Zerl^ung  in 
zwei  Teile  macht  die  Sache  kaum  viel  besser  —  so  begreife  ich  in  der  Tat 
nicht,  warum  Stücke,  wie  die  oben  erwähnten,  die  in  so  bilUgen,  bequemen 
Einzelausgaben  zu  haben  sind,  nun  auch  hier  gegeben  werden.  Um  sie 
zu  kürzen?  Um  so  und  so  viele  Szenen,  wie  z.  B.  im  'Cid'  und  in  'Athalie', 
nur  in  kurzer  Inhaltsangabe  zu  bringen?  Sollten  nicht  diese  charakteristi- 
schen Stücke  wenigstens  eanz  gelesen  werden,  und  wenn  nicht  ganz  ge- 
meinsam in  der  Schule,  aie  Zwischenszenen  wenigstens  in  Privatlektüre 
zu  Hause,  mit  kurzer  Besprechung  in  der  Klasse?    Nein,  diese  Proben 


Beorteiliingen  und  kurze  Anzeigen.  451 

waren  meines  Erachtens  zunächst  zu  streichen»   um  diese  anderswo  so 
leicht  zugänglichen  Stücke  wäre  zunächst  das  Buch  zu  entlasten. 

Aber  der  Umfang,  könnte  man  sa^n,  schliefst  die  Brauchbarkeit  des 
Buches  nicht  aus.    Dient  es  auch  meines  Erachtens  besser  nur  als  Er- 

Sänzung,  so  ist  es  vielleicht,  wie  sonst  die  Dichteranthologie,  ein  Werk, 
as  den  Schüler  über  die  Klassen  hinaus  ins  Leben  begleiten  wird,  wenn 
es  seiner  Aufgabe,  Sinn  und  Liebe  für  die  französische  Literatur  zu  er- 
wecken, gerecht  geworden  ist.  Mancher  wird  sich  später  freuen,  hier  be- 
quem zusammen  zu  finden,  worauf  er  doch  auch  noch  in  späteren  Jahren 
wieder  gern  einmal  einen  Blick  wirft. 

Ist  der  Verfasser  aber  der  anderen  Aufgabe,  ein  brauchbares  Ergän- 
zungsbuch zu  liefern,  gerecht  geworden  7  Erreicht  er  das  Ziel,  das  ersieh 
nach  dieser  Seite  hin  gesteckt  hat  und  in  bezug  auf  das  er  sich  mit  Leuten 
im  Einklang  befindet,  die  von  anderen  Erwägungen  heraus  das  Programm 
eines  Lesebuches  aufgestellt  haben,  nämlich  faire  eonnattre  lapieei  Vkisioire 
de  la  natton  fran^üe.  Ich  glaube,  trotzdem,  oder  gerade  mit  Bücksicht 
darauf,  dafs  in  bezu^  auf  die  Auswahl  je  nach  der  persönlichen  Eigenart 
sehr  verschiedene  Wunsche  sich  geltend  machen  werden,  die  Fni^e  im  all- 
gemeinen mit  'Ja'  beantworten  zu  können.  Wer  vieles  bringt,  wird  vielen 
etwas  bringen.    Das  ist  der  Vorzug  eines  so  umfangreichen  Werkes. 

Die  Breslauer  Forderungen  sind  nach  den  verschiedensten  Seiten  hin 
erfüllt.  Wir  finden  als  Bridschreiber  M*°*  de  S^vign^  (leider  nicht  Vol- 
taire), als  Redner  Bossuet  und  Mirabeau  vertreten.  Als  Schrifsteller, 
denen  kein  ganzes  Semester  gewidmet  werden  kann,  deren  Kenntnis  aber 
von  grofser  Wichtigkeit  ist,  werden  Descartes,  Pascal,  Boileau,  F^nelon, 
insbesondere  aus  dem  18.  Jahrhundert  Montesquieu,  Voltaire  (aber  leider 
nur  mit  einem  Stück  aus  Le  sücle  de  Louis  XIV)  und  Rousseau  (auch 
nur  mit  einer  Probe  aus  Emile)  gebracht.  Dieser  Abschnitt  lieTse  sich 
gut  auf  Kosten  anderer,  die  selbständiger  Lektüre  vorbehalten  blieben,  um 
vieles,  Werke  wie  Schriftsteller,  z.  B.  Diderot,  vermehren.  Lafontaine 
findet  sich  mit  fünfzehn  seiner  besten  Fabeln,  allerdings  ids  einziger  Ver- 
treter dieser  Literatui^attun^.  Die  lyrische  Poesie  bietet  in  Andr^  Ch^nier, 
B^ranser,  V.  Hugo,  Lamartine,  de  Vigny,  Musset,  Copp^,  Prud'homme, 
Paul  Verlaine  Ersatz  wenigstens  für  die  gewöhnlichen  Anthologien.  Für 
die  Kenntnis  von  Land  und  Leuten  sind  mannigfache  Proben  aus  leider 
meist  älteren  Historikern  des  19.  Jahrhunderts,  Guizot,  S^gur,  Mignet, 
Thiers,  Thierry,  Duruy,  Lanfrey  und  Taine,  im  ganzen  etwa  220  Seiten 
des  grolsen  Formats,  vorhanden,  woneben  die  moderne  erzählende  Prosa 
mit  Zola  und  Daudet  sehr  spärlich,  kaum  charakteristisch  und  noch 
weniger  genügend  reich  bedacht  ist,  der  einzige  Fingerzeig  dafür,  dafs  sich 
der  Verfasser  doch  wohl  nicht  sein  Lesebuch  als  einzige  Lektüre,  selbst 
für  die  Gymnasien,  denkt. 

Sind  nun  die  Stücke,  deren  Auswahl  nach  Inhalt  wie  Umfang  etwa 
dem  Breslauer  Programm  entspricht,  auch  immer  so  ^wählt,  dals  sie  das 
Charakteristischste  für  den  Verfasser,  womöglich  für  die  von  ihm  bestimmte 
Literaturepoche  darstellen?  Diese  Frage  ist  schwer  zu  beantworten.  Viel- 
leicht würde  kein  Buch  jedem  genügen. 

Für  das  18.  Jahrhundert  Habe  ich  bereits  meine  Ausstellungen  ge- 
macht. Hier  liefse  sich  vielleicht  am  leichtesten  zeigen,  was  zu  den  drei 
gewählten  Stücken  von  Montesquieu  (Esprit  des  Lots:  De  la  ConsiihUion 
aÄngleterre),  Voltaire  (Siede  de  Louis  XIV:  Querre  de  Hollande)  J.  J.  Rousseau 
(//  faut  qu'ßmile  apprenne  un  metier)  hinzuzufügen  wäre;  wenigstens  für 
den  Fall,  wo  dies  die  einzige  I^ektüre  für  den  Zeitraum  bleiben  soll,  denn 
sonst  sind  geschickt  zusammengestellte  Bändchen  aus  Erzeu^issen  dieser 
Zeit,  die  wohl  ein  Semester  füllen  könnten,  ja  vorhanden.  Die  wohldurch- 
dachten Erwägungen  und  Wünsche,  die  B.  Tobler  in  einem  der  vorigen 
Hefte  ebendieser  Zeitschrift  bei  Besprechung  der  Voelkebchen  Sammlung 


452  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

der  Art  ausgeeprochen  hat,  wiren  auch  für  eine  neue  Ausgabe  dieses  Wer- 
kes Behr  zu  benerzieen. 

Es  versteht  sich  von  selbst»  dais,  je  mehr  wir  uns  der  Neuzeit  nähern, 
desto  mehr  die  Wünsche  auseinandergehen  w^en.  Gleich  für  Chateau- 
briand z.  B.  wäre  mir  statt  der  ÄverUures  du  demier  Abeneerraae,  die  aller- 
dings Gelegenheit  geben,  auch  ein  paar  der  seltenen  Versdichtungen  des 
Venassers  zu  bringen,  ab^  im  wesentlichen  erzählend  sind,  Ueber  gewesen, 
die  mit  Schilderungen  durchsetzte  Ätala  oder  ein  Stück  aus  dem  Ömü 
du  ChrisHaniame  zu  finden,  das  die  charakteristische  poetiscne,  Ijnsdie 
Prosa  des  Dichters  zeigt,  wegen  deren  er  immer  zu  den  Vorläufern,  den 
'initiateürs'  des  Bomanusmus  gezählt  werden  wird.  Wenn  in  der  kurzen 
Notiz  über  das  19.  Jahrhundert  von  den  Pamassiens  gesagt  wird:  L'idie 
n'est  pour  rtisn,  la  forme  est  Und,  so  hätte  das  Buch  doch  wohl  Probe» 
solcher  Dichtungen,  die  dies  Urteil  etwa  rechtfertigen,  sehen  können.  Von 
Copp^  und  Sullv-Prudhomme,  die  aus  äuiseren  Grünoen  wohl  der  Schule 
beigerechnet  werden,  in  ihrer  inneren  E^^nart  aber  gewils  selbständig  sind, 
gilt  die  Behauptung  doch  in  keiner  Wase.  Und  dann  hätten  doch,  schon 
um  die  Entwickelung  der  Poesie  im  19.  Jahrhundert  zu  zeigen,  nach  den 
zahlreichen  Proben  der  Romantiker,  die  Pamassiens  nicht  ganz  fehlen 
dürfen.  Leconte  de  Li  sie  und  Heredia  wären  wichtiger  für  die 
Schule  als  Verlaine;  jedenfalls  ist  letzterer  kaum  zu  verstdien,  wenn 
man  nicht  die  Reaktion  des  Gefühls  gegen  eine  im  letzten  Grunde  ver- 
standesmäfsige  Dichtung  aufzeigen  kann.  Die  Historiker  sind  verhältnis- 
mäfsig  am  reichsten  vertreten,  wenn  ich  auch  hier  den  Anteil  Taines  auf 
Kosten  älterer  Darsteller  ver^öfsert  sehen  und  Probep  aus  den  bedeuten- 
den neueren  Geschichtsschreibern  finden  möchte.  Ober  die  Dürftigkdt 
modemer  erzählender  Prosa  sprach  ich  bereits.  Hier  dürften  Zola  und 
Daudet  nicht  die  einzigen  Vertreter  bleiben,  selbst  wenn  man  nur 
Abschnitte  wählen  wollte,  die  'Land  und  Leute'  behandeln,  hätte  man 
unter  vielen  ersten  Schriftsteilem  bis  Anatole  France  hinauf  die  Wahl 
gehabt. 

Und  nun  kommen  wir  zu  dem  literaturgeechichtlichen  Teil.  Dieser 
int  mit  Recht  im  Vergleich  zu  den  früheren  Ausgaben  beträchtlich  |;ekürzt 
worden.  Die  die  Literatur  bis  zum  17.  Jahrhundert  einsclüieCBhch  be- 
handelnde Einleitung,  die  in  der  Ausgabe  von  1887  noch  56  Seiten  ein- 
nahm, ist  hier  auf  1 1  Seiten  verkürzt  worden.  Der  Verfasser  bemüht  sich, 
statt  der  Aufzählung  von  Namen  und  Daten  die  grofsen  Züge  der  Ent- 
wickelung zu  eeben.  Biographisches  kommt  später  bei  den  Hauptver- 
tretera,  die  Prooen  liefern,  hmzu;  Einführung  m  die  |;ebotenen  Werke, 
Winke  zum  Verständnis  der  ausgewählten  AbBchnitte  bietet  der  Anhang. 
S.  186  bietet  eine  kurze  Besprechung  des  18.,  S.  257  eine  solche  des  19. 
Jahrhunderts.  Hier  wäre  es  Unrecht,  Einwendungen  zu  erheben  oder 
Wünsche  zu  äufsern.  Wenn  über  eine  Epoche,  die  von  Chateaubriand 
bis  zu  Maeterlincks  'Monna  Vanna'  reicht,  etwas  auf  so  wenigen  Seiten 
sesa^  werden  soll,  so  werden  immer  Zusammenstellungen  herauskommen, 
die  oem  Unkundigen  nichts  nützen,  den  Kundigen  zu  Widerspruch  reizen, 
und  Urteile  gegeoen  werden,  die  dem  einen  nicht«  sagen,  den  anderen 
nicht  befriedigen.  Ich  möchte  nur  den  einen  Wunsch  ausspredien,  dafs 
das  etwas  verzettelte  Material  mehr  konzentriert  würde,  wenigstens  das  im 
Anhang  Gegebene  noch  zu  den  Einzelnotizen  vor  dem  Texte  hinzugefügt 
würde. 

Dem  Buche  lose  beigefü^  ist  ein  ziemlich  starker  Anhang»  der  auTser 
den  schon  erwähnten  literarischen  Bemerkungen,  wie  die  Schulausgaben, 
alles  Sprachliche  und  Sachliche  zu  geben  sich  bemüht,  das  zum  Verständ- 
nis der  gegebenen  Texte  nötig  ist.  Die  ihm  angefügte  Zeittafel  der  fran- 
zösischen Geschichte  erklärt  sich  aus  der  besonderen  Berücksichtigung, 
die  die  historische  Literatur  gefunden  hat. 


BearteihiDgen  und  kurze  Anzogen.  453 

Ich  habe  TeiideriDfi;8  ZuBammenfitellung  nicht  bedingungsloB  loben 
können,  trotzdem  der  Leser  viel  Gutes  in  dem  Buche  findet  und  jeder 
Schüler  es  gewils  mit  Nutzen  für  seine  literarischeD  und  Bachkenntnisse 
lesen  wird.  Als  ausschlielkliche  Lektüre  betrachtet,  ist  es  meines  £r- 
achtens  im  Prinzip  verfehlt;  als  Ergänzungsbuch  enthält  es  nach  mancher 
Bichtun^  hin  zu  viel,  nach  mancher  anderen  hin  zu  wenig. 

Berbn.  Theodor  Engwer. 

J.  ÄDsIade,  Deux  Troubadours  narbonnais,  Guillem  Fahre,  Ber- 
nard  Alanhan.    Narbonne,  F.  Caillard,  1905.    85  S.  8. 

Die  beiden  Dichter,  welche  von  dieser  sorgf älti^n  kleinen  Monographie 
behandelt  werden,  haben  uns  zusammen  nur  drei  Gedichte  hintenassen: 
Guillem  Fahre  ein  Sirventes,  in  dem  er  in  hergebrachter  Art  die  Zeit- 

§enoB8en  des  Geizes  beschuldigt  und  den  Niederrang  des  Christentums 
en  Fürsten  und  Geistlichen  zur  Last  legt,  und  ein  anderes,  das  im  An- 
gesicht eines  drohenden  kriegerischen  Zusammentreffens  verwandter  Streiter 
feschrieben  ist  und  diese  ermahnt,  anstatt  einander  zu  befehden,  ihre 
[eere  zu  vereinen  und  geeen  die  Ungläubigen,  welche  Bethlehem  und 
Jerusalem  in  der  Gewalt  haben,  zu  kämpfen.  Auch  das  einzige  Lied 
Bernard  Alanhans  ist  ein  Sirventes,  das  in  kraftvoller  und  bilderreicher, 
freilich  auch  gesuchter  Sprache  (auch  die  Reime  iga,  atssa,  ant€h  ais  stre- 
ben, das  gewohnte  Gleis  zu  vermeiden)  die  Fehler  der  Welt  geiißelt. 

Die  orei  Gedichte  sind  in  meinen  Pariser  Inedüis  zum  erstenmal  voll- 
ständig gedruckt  worden,  und  Anglade  schliefet  sich  ihrem  Texte  dort 
fast  durchweg  an.* 

Das  Verdienst  seiner  Arbeit  besteht  darin,  dals  er  versucht  hat,  die 
Persönlichkeiten  der  Dichter  aus  den  Urkunden  festzustellen.  Daus  sie  in 
Narbonne  lebten,  sa^t  uns  die  Überschrift  ihrer  Lieder.  Bernat  Alanhan 
in  den  Dokumenten  der  Stadt  zu  finden,  ist  nicht  gelungen.  Ein  Bemardus 
de  Albainhana  trägt  freilich  einen  auffallend  ähnlichen,  vielleicht  für  Alan- 
hano  verschriebenen  oder  verlesenen  Namen.  Dagegen  findet  sich  in  den 
Narbonner  Urkunden  des  12.  und  13.  Jahrhunderte  um  so  häufiger  der 
Name  Guillelmus  Faber.  Es  handelt  sich  um  wenigstens  zwei  Persön- 
lichkeiten, und  Anglade  ist  geneigt,  den  Trobador  in  dnem  Guillelmus 
Faber  filius  alterius  Guillelmi  Fabri  zu  erkennen,  der  uns  1253  genannt 
wird.  Dafs  dieser  der  Dichter  ist  und  nicht  ein  anderer,  weit  häufiger 
erwähnter,  in  seiner  Vaterstadt  offenbar  in  hohem  Ansehen  stehender 
Guillelmus  Faber  fiilius  Petri  Raymundi  Fabri,  schliefst  Anglade  daraus, 
dafe  dieser  einen  Bruder  Sicard  hatte,  während  aus  einem  Sirventes  Ber- 
tran  Carboneis  hervorgeht,  daCs  der  (oder  ein)  Bruder  Guillem  Fabres  'Joan' 
hiefs. 

Der  Nachweis  scheint  mir  nicht  erbracht.  E^nen  'Wilhelm  Schmidt' 
urkundlich  festzustellen,  ist  eine  mifsliche  Sache.  Es  ist  meines  Erachtens 
durchaus  nicht  sicher,  dafs  der  Guillem  Fahre,  von  dem  Bertran  Carbonel 
spricht,  unser  Dichter,  noch  dafs  er  mit  dem  Guillem  Fahre,  von  dem 
Bemart  d'Auriac  viel  Gutes  zu  rühmen  weils  (Bartsch,  Qrdr^  57,  2),  iden- 

*  In  Pu$  dels  majori^  V.  24 — 26,  setzt  er  mit  Unrecht  andere  Interpanktion. 
Es  ist  au  fibersetzen:  'Hernach  werden  wir,  wenn  sie  mit  argem  Sinn  schlagen 
nnd  augreifen,  manche  Rttstnng  sehen.'  Uon  may$  vey  V.  54  würde  ich  entweder 
wie  Chabaneau  ergänzen  oder  etwa  Laiasus  el  cel  Josstiz  em  palz.  Druckfehler:  Htm 
mays  V.  20  gehört  zu  Str.  2;  No  puesc  mudar  V.  12  vils,  28.  no-us,  30  »Mira. 
Übersetzung:  Pus  dels  mq^'ors,  V.  12:  desamors  ist  wohl  nicht  indiff^rence  ponr  la 
foi,  sondern  steht  dem  amor  V.  30  gegenflber.  No  puesc  mudar  V.  36  verstehe 
ich  franker  wie  Levy  Suppl.  III  589  als  'bezwingen':  la  crotz  . . .  <m  Dieus  plors 
frayt,  'wo  er  unsere  Tränen  brach',  d.  h.  Mhre  Ursache  aufhob'. 


454  Benrteflungeo  und  kuree  Anzeigen. 

tisch  18t  In  dem  letzten  möchte  ich  Tiel  eher  den  Trobador  sehen.  Aber 
ihn  nennt  Bemart  d'Auriac  £n  Guillem  Fahre  und  versichert  tme  naä 
iemps  fabres  nan  fo,  während  Bertran  Carbonel  sagt: 

Joan  Fahre,  yeu  eti  fach  tw  demam 
A  ton  frairty  et  a  m'e»  M  espot: 
GuUlemy  dis  ieu,  per  que  es  fahre  vosf 
E  refpandec:  cor  ieu  vau  fabrega». 
D'aqueJ  mestier  que  kom  a,  caUqtt«  na, 
0  d'aquei  ort,  lo  vay  lo  nome  teguen, 
C'aisi  »'a  Jaü  dretz  adhordenamen. ' 

£e  scheint  also  hiemach,  dafs  dieser  Guillem  Fahre  wirklich  Schmied 
war,  und  ein  en  steht  weder  bei  seinem  Namen  noch  dem  »eines  Bruders«. 
Auch  das  Milieu  Joan  Fabres  erscheint  als  ein  anderes,  als  wir  bei  einem 
Bruder  des  Eja  Guillem  Fahre  voraussetzen  möchten.  So  reden  wohl 
Bertran  Carbonel  und  Bemart  d'Auriac  von  verschiedenen  Personen,  und 
die  Möglichkeit  ist  nicht  ausgeschlossen  —  von  einer  Sicherheit  kann 
naturgemäfs  nicht  die  Bede  sein  — ,  im  Guillem  Fahre  des  Bernart  d'Anriac 
und  in  dem  Dichter  den  filius  Petri  Raymundi  Fabri  der  ürkund^i  zu 
erkennen. 

Breslau.  C.  AppeL 

Kart  Lewenty  Das  altprovenzalische  Kreuzlied.  Erlangen,  Junge 
&  Sohn,  1905.  128  S.  (Berliner  Dissertation,  auch  in  den  Roman. 
Forschungen,  XXI,  321  ff.,  erschienen.) 

Nur  schwer  sind,  solange  die  Mehrzahl  der  Trobadorw^ke  noch  dner 
textkritischen  Bearbeitung  entbehrt,  auf  dem  Gebiete  der  altprovenzalischeo 
Lyrik  literarbbtorische  Untersuchungen  anzustellen.  Wer  sich  trotzdem 
schon  jetzt  einer  solchen  Arbeit  mit  Sachkenntnis  unterzieht,  kann  damit 
sicherlich  auf  Dank  rechnen,  und  K.  Lewent  verdient  für  seine  Berliner 
Dissertation  Ober  das  altprovenzalische  Kreuzlied  um  so  mehr  Anerken- 
nung, als  er  darin  seinem  Gegenstände  die  heute  Überhaupt  erreichbare 
Förderung  auch  wirklich  zu  teil  werden  Ifilst 

Von  den  acht  Kapiteln  der  Abhandlung  enthält  das  erste  gelegeit- 
liche  Trobadoraüssprüche,  die  betreffs  einiger  Dichter  zwar  ein  Widerstre- 
ben gegenüber  den  Kreuzzügen  dartun,  sonst  aber,  indem  sie  lobend  her- 
vorheben, was  für  die  heilige  Sache  bereits  getan  ist,  oder  tadelnd  und 
ermahnend  bemerken,  was  darin  versäumt  und  noch  nachzuholen  ist,  die 
Trobadors  als  Freunde  des  Krieges  gegen  die  Heiden  hinstellen.  Aus  den 
Gedichten  des  Girant  de  Borneil  würden  noch  hierher  gehören  die  Stellen 
Gr.  242,  18  II,  28  VI  VII,  m  IV  V  und  32  V;  femer  könnte  man  den 
Zitaten  S.  4  Anm.  1,  welche  besagen,  dafs  die  Liebesqualen  wdt  schlim- 
mer seien  als  die  Schrecknisse  der  Gefangenschaft  bei  den  Mohammedanern, 
die  von  Girant  Gr.  242,  25  VII,  VIII  in  ähnlicher  Weise  geäulserte  Klage 
über  die  Grausamkeit  seiner  Geliebten  als  weiteres  Beispiel  hinzufügen. 
Wenn  Lewent  S.  9  sagt,  'dem  Papste  allein'  werde  in  Gr.  242,  77  Nach- 
lässigkeit vorgeworfen,  so  sei  dem  g^enüber  hingewiesen  auf  die  V.  33 
bis  M :  Tals  quer  d*emoert  Corona  (^i  noatra  fe  mal  defen. 

Im  nächsten  Abscnnitt  über  das  Wesen  dieser  literarischen  Gattung 
wird  das  provenzalische  Kreuzlied  als  eine  in  Liedform  abgefafste  Predig 
gekennzeichnet,  deren  vornehmlicher  Zweck  der  Aufruf  zur  Beteiligung 
an  der  Kreuzftdirt  sei.  Gedichte,  die  nur  nebenbei  zum  Glaubenskampfe 
auffordern,  sind  demnach  von  der  Klasse  der  Kreuzlieder  auszuschlieuen. 
Zu  S.  18,  3  wäre  da  zu  erwähnen,  dais  Gr.  242,  24  in  den  Hss.  RS^Va 

^  y.  5,  6  sind  bei  Anglade  zu  korrigieren;  V.  2  vielleicht  eher  reipMf 


BeurteiluDgen  und  kurze  Anzeigen.  455 

noch  ein  zweites  Geleit  hat  E'l  Senker,  que  n'es  poderos,  Nos  eonduia  e 
si.'  ab  fios,  welches,  mit  dem  Anfang  des  Gedichtes  zusammen  betrachtet, 
des  Verfassers  Annahme,  dais  das  Lied  im  heiligen  Lande  entstanden  sei, 
noch  glaubhafter  erscheinen  lälst. 

Unter  Aufwendung  groisen  Scharfsinns  und  zumeist  in  überzeugender 
Weise  unternimmt  L.  im  folgenden  Kapitel  die  Datieruns;  der  83  eigent- 
lichen Kreuzlieder.  Mehr  als  die  Hälfte  derselben  sina  danach  in  der 
Zeit  vom  Falle  Jerusalems,  1187,  bis  zum  Jahre  1215  entstanden;  alle  bis 
auf  vier,  welche  die  Kreuzzüge  nach  Spanien  betreffen,  rufen  die  vornehme 
Gesellschaft  zum  Kampfe  gegen  die  Mohammedaner  des  Ostens  bezw.  zur 
Befreiung  des  heiligen  Grabes  auf.  Die  Frage,  wer  in  dem  Gedichte  des 
B.  de  Vaqueiras  Gr.  392,  9a  unter  dem  Kaiser  zu  verstehen  sei,  entscheidet 
Liewent  B.  26  ff.  mit  guten  Gründen  zugunsten  Balduins  und  dbt  damit 
Crescini  Becht  gegen  Zenker,  der  eher  Alexius  IV.  in  dem  Kaiser  er- 
kennen wollte. 

In  dem  Kapitel,  welches  dann  von  dem  Inhalt  dieser  poetischen 
Kreuzpredigten  handelt,  werden  die  sehr  mannigfachen  in  ihnen  oegegnen- 
den  Gedanken  gruppenweise  eingehender  Betrachtung  unterzofi|en  und 
S.  72  geschickt  zur  Bildung  eines  Aufrufs  verwertet,  der  inhaltlich  den 
Typus  der  behandelten  Gattung  darstellen  soll.  Gelegentlich  des  Ver- 
suchs, die  einzelnen  in  Frage  kommenden  Gedichte  zu  charakterisieren, 
zeigt  es  sich,  wie  schwer  es  ist,  das  Kreuzlied,  in  dem  Beligion,  Moral, 
Politik  und  Bitterlichkeit  Hand  in  Hand  gehen,  gegen  die  anderen,  nicht 
der  Minne  gewidmeten  Dichtarten  abzugrenzen.  Besondere  Formen  oder 
bestimmte  Melodien  haben  sich  für  diese  Liedergattung  nicht  nachweisen 
lassen. 

Dafs  unter  den  Kreuzfahrern  nur  wenige  von  den  Dichtem  zu  finden 
sind,  dafür  weils  L.  verschiedene  Gründe  anzugeben.  Abgesehen  davon, 
dafs  die  Trobadors  sich,  wie  es  scheint,  zu  persönlicher  Teilnahme  am 
Kreuzzuge  gar  nicht  berufen  fühlten,  sondern  wohl  nach  ihrer  eigenen 
und  anderer  Meinung,  wenn  sie  nur  ihre  Aufrufe  erliefsen,  für  die  heilige 
Sache  schon  genug  geleistet  hatten,  blieb  so  mancher  lieber  daheim,  um 
sich  durch  seine  Abreise  die  für  ihn  in  geistiger  und  materieller  Hinsicht 
häufig  so  wichtige  Freundschaft  seiner  JDame  nicht  zu  verscherzen,  wäh- 
rend andere  von  der  Fahrt  Abstand  nahmen,  weil  sie  die  Waffen  nicht 
zu  handhaben  verstanden  oder  so  arm  waren,  dals  sie  nur  als  Kri^- 
knechte,  nicht  aber  als  Bitter  hätten  mitziehen  können.  Wie  L.  im  7.  Ka- 
pitel wahrscheinlich  macht,  haben  neben  einer  kleinen  ZaJü  Trobadors, 
von  denen  gar  kein  ^Aufruf  auf  uns  gekommen  ist,  nur  drei  Kreuzlied- 
dichter unter  den  achtzehn,  welche  in  Betracht  kommen,  sich  bestimmt 
an  dem  heiligen  Unternehmen  beteiligt,  G.  de  Bomeil,  B  de  Vaqueiras 
und  G.  Faidit. 

Was  G.  de  Borneil  anbetrifft,  so  entnimmt  der  Verfasser  S.  96  den 
Beweis  für  den  Aufenthalt  desselben  im  heiligen  Lande  und  in  Jerusalem 
selbst  einer  Stelle  in  Girauts  Klagelied  auf  Ademar  V.,  Gr.  242,  56  VIII, 
welche  lautet:  Qu'el  deing  aitxdr  Sels  qu'iü  querran  Ä  Varma  *  ü  do  repaus 
e  patXy  E'l  eains  vas  en  qu'el  fo  pat^catx,  Qu'eu'l  vi  baixar  tnoiU  umimen, 
Li  si^  en  luee  de  ho  guiren, 

L.  legt  mit  Lowinsky  {Ztsehr.  f,  frx,  Spr.  u,  Lü,,  XX,  176,  Anm.  64) 
die  letzten  drei  Verse  folgendermalsen  aus:  'Das  heilige  Grab,  in  das  er 
(Christus)  gelegt  ward,  welches  ich  (Girant)  ihn  (Ademar)  sehr 
demütig  küssen  sah,  möge  ihm  (A.)  ein  guter  Beschützer  sein.'  Danach 
sollte,  nachdem  Gott  selbst  um  Frieden  für  Ademars  Seele  gebeten  war, 
nun  das  Grab  Christi  ihn  beschützen.  Kann  das  aber  gemeint  sein? 
Nach  meiner  Auffassung  wollte  Girant  in  diesem  Klagelieae  auf  Ade- 
mar sagen,  Gott  möee  Ademars  Seele  Frieden  seben  und  sein  (Ade- 
mars)  Grab   möge  ihn   (Ademar,   d.  h.  seinen  Leib)    gut  beschützen 


4S6  Beurteilungen  und  kurze  Anzdgen. 

('das  Grabi  in  das  er  gelegt  ward,  das  heilig'  ist,  denn  ich  sah,  wie 
man  es  demütig  küfste').  Geht  aber  aus  dieser  Stdle  nicht  her\'or,  dals 
Girant  mit  Ademar  das  heilige  Grab  besucht  habe,  so  fallen  auch   die 
Schwierigkeiten  weg,  welche  die  gegenteilige  Schlufsfolgerung  Lewents  mit 
sicJi  bringt.  Nun  brauchte  Girant  nicht  noch  von  der  Belagerung  Akkon:« 
(12.  Juli  1191)  an  bis  nach  dem  Friedensschlufs  (1.  September  1192),  also 
eegen  14  Monate  mindestens,  in  Palästina  zu  verwdlen,  um  Jerusalem  zu 
Besuchen,  sondern  er  konnte,  gemäüs  der  Angabe  der  prov.  Lebensnach- 
richt  (Archiv  102,  202^),  während  Philipp  August  und  viele,  aber  nicht 
tuü  li  baron,  s'en  tomeron,  sich  nach  der  Einnahme  Akkons  an  den  Hof 
Bohemunds  III.  von  Antiochia  begeben  haben.     Indes  glaubte  der  Ver- 
fasser auch  die  Mitteilung  der  Biographie,  dals  Giraut  mit  Richard  Löwen- 
herz  hinübergefahren  sei  und  der  Belagerung  Akkons  überhaupt  beige- 
wohnt habe,  bestreiten  zu  müssen,  und  zwar  auf  Grund  der  Strophe  IV 
in  Gr.  242,  15,  die  aber,  anders  verstanden,  seinen  Zweifel  nicht  bestätigen 
dürfte.    Die  Worte,  die  da  meines  Erachtens  zu  lauten  haben:  E  gens 
bobans  . . .  era  cobrara  so  drei^  En  ean  eu  vet,  Pas  lo  reis  Riehartx  es  pas- 
satx;  E  pos  el  es  lai  aribats,  N^i  a  tans  vaiens  compagnos,  Derga  so  ehap 
crestientatXf  übersetze  ich  so:  *Und  liebliche  Prachtentfaltung  (Freigebig- 
keit) wird  jetzt,  soviel  ich  sehe,  ihr  Recht  wiedererlangen,  da  der  König 
Richard  hinübergefahren  ist,  und  wenn'  er  dort  angelangt  ist  und  dort 
HO  viele  wackere  Genossen  hat,  dann  möge  die  Christenheit  ihr  Haupt  er- 
heben.'   Daraus  brauchte  man  nicht  notwendig  mit  L.  zu  schlielsen,  d&L 
Richard,  der  ja  am  8«  Juni  1191  in  Akkon  landete,  dort,  als  Girauts  Ge- 
dicht 15  entstand,  oder  gar  schon  vier  Wochen  vorher,  auch  wirklich  be- 
reits eingetroffen  war,  dafs  also  Giraut  im  Juli  1191  noch  im  Abendlande, 
und  zwar  in  Aragon,  wo  er  das  Lied  der  Tornada  zufolge  verfafste,  ge- 
wesen wäre  und  an  der  Einnahme  von  Akkon  am  12.  Juli  nicht  hatte 
teilnehmen  können.    Dem  widersprächen  auch  die  Eingangsverse  des  be- 
treffenden Gedichtes,  Era,  can  vei  reverdezttx  Los  vergers  e  eobra  Festatx 
('und   die  warme  Jahreszeit  wieder  ersteht'))   welche  eher  zeigen, 
dafs  das  Lied  im  März,'  als  dafs  es,  wie  Leweot  S.  96,  Anm.  3  meint, 
im  Juli  entstanden  ist.   Hätte  aber  nicht  Giraut  im  März  1191  von  Richard, 
der  schon  seit  dem  22.  August  1190,  wo  er  sich  in  Marseille  eingeschifft 
hatte,  'unterwegs'  war,  sagen  können:  pos  el  es passaix  und  hätte  er  nicht, 
da  ja  Richard  sein  passar  mehrmals  unterbrochen   hat,  auf  Sizilien,  wo 
er  sogar  noch  bis  zum  12.  April  1191  weilte,  und  auf  Cypem,  das  er  im 
Mai  1191  unterwarf,  von  ihm,  selbst  gesetzt,  man  zöge  auch  für  das  zweit« 
pos  die  kausale  Bedeutung  vor,  sagen  können,  da  er  ja  vermutlich 
'dort  angelangt  ist'?    Nachdem  sich  dann  die  Unrichtigkeit  seiner  Ver- 
mutung nerauseestellt  hätte,  konnte  er  etwa  als  Begleiter  Ademars,  von 
dessen   Kreuzfahrt   mir  freilich   sonst  nichts  bekannt  ist,   Richard   noch 
auf  Cypem  oder  sonstwo  leicht  eingeholt  haben,  mit  ihnen  beiden,  der 
Angabe  der  Biographie  gemäfs,  hinübergefahren  und  auch  bei  der  Ein- 
nahme Akkons  am  12.  Juli  zugegen  gewesen  sein.    Scheint  er  doch,  als 
Richard  nicht  viel  später,  nach  dem  20.  August  1191,  gen  Askalon  zog, 
ihn,  wie  seine  Worte  in  57  VII   Can  passei  (passem)  vas  Esealona  ver- 

'  Dafs  lo  taint  vas  hier  ni^ht  dajB  Grab  Christi,  sondern  das  des  Ademar  ist, 
habe  ich  schon  in  der  Tobler-Festschrift  von  1906,  S.  224,  Anm.  sa  Y.  24  an- 
gedeutet. In  seinem  bei  Springer,  Dat  aUpror.  KlageHed  S.  100  gedruckten  pkmk 
bezeichnet  auch  F.  Bremen  mit  lo  cor«  san»  wiederholentlich  (V.  6,  23,  33)  den 
Körper  de»  Blacatz  und  nicht  den  heiligen  Leib  Christi. 

'  Man  vgl.  pcs  que  *wenn'  bei  Oiraut  in  Appels  Chr,^y  St  63,  119  und  afn. 
puii  que  in  der  Bedeutung  *du  moment  que'  und  beachte  im  vorietsten  Verse  des 
Zitats  das  verknüpfende  N*  —  ne,  ni. 

'  Cf.  Girauts  Worte  Q«intomalacaiors.,,,arisär  de  mars  (Appels  Ckr,^,  St.  22  I). 


BeurtdluDgen  und  kurze  Anzeigen.  457 

muten  lassen,  auch  auf  diesem  Wege  begleitet  zu  haben,  um  dann  etwa 
von  Askalon  aus  die  Beise  nach  Antiochia  anzutreten.  Dort  mag  er, 
wiederum  in  Übereinstimmung  mit  der  Lebensnachricht,  das  Gedicht  51 
verfalst  haben,  in  dessen  Strophe  IV  die  Worte  amres  nostre  passatge  sich 
auf  die  Rückkehr  in  die  Heimat  beziehen  wfiraen.  Dais  aber  Girant 
wirklich  im  heiligen  Lande  gewesen  ist,  beweisen  aufser  der  ziti^ten  Stelle 
aus  57  VII  die  Strophen  VlI  und  VIII  seines  Liedes  88:  Aprea  l'anar 
C'avem  empres  En  lai  on  es  comunals  baina,  St  Dens  naa  o  don 
€ichabarf  Out  esser  pro  fis,  e'al  tornar  St^  amiea  onratx.  e  jauxüx.  EvoSf 
Seiner,  e'ane  no  mentitXy  Lainos  gitcUx  {no'ns  gteatx?)  E  dela  Saraxis 
asemuUx  Com  la  lor  leia  ombriva  (Schattenglaube,  Soheinglaube)  haia  E 
seüa  puei  que'U  savia  paisf  E  ja,  Seiner,  no  eonaentatx  Que  l'avoh 
gens  vas  mi  s'eslais,  Ans  aion  ehassat  pari  Roais!  Das  Ziel  der  un- 
ternommenen Reise  war  demnach  das  comunale  bains,  das  Bad  der  Wieder- 
geburt, das  wohl  identisch  ist  mit  dem  von  Lewent  S.  13  u.  59  erwähnten 
uivador  des  Marcabrun  im  Tale  Josaphat.  Nach  alledem  stii^imen  die 
vom  Verfasser  angezweifelten  Angaben  der  Biographie  mit  den  AuTserun- 
gen  Girauts  überem,  und  seine  Behauptung  von  der  Anwesenheit  dieses 
Trobadors  im  heiligen  Lande  wird  erst  jetzt  als  bewiesen  gelten  können. 
Schlieislich  seien  mir  zu  dem  der  Textkritik  gewidmeten  Kapitel  8, 
das  auch  eine  Bearbeitung  der  vier  Kreuzlieder,  Gr.  9,  10,  Gr.  155,  7, 
Gr.  138,  11  und  Gr.  312,  1  enthält,  noch  einige  Bemerkungen  gestattet. 
S.  100,  Gr.  293,  22  VII:  Sil  li  (1.  Si  Ui)  fara  la  mortx  pudir  verstehe  ich: 
'So  wird  der  Tod  ihn  stinken  (modern)  machen';  vgl.  dazu  Girant  de  Bomelh 
26  V  om  mor  dolairos  €U>  gerne  Eptä  pueia  mil  tana  que  fema  und  betreffs 
der  Verwendung  des  Dativs  üi  Tobler,  F.  B.  1 168.  —  S.  104  zu  III  4.  In 
E'l  erotx  ist  'l  {=:'iÜ  der  Hs.  E)  der  weibliche  Artikel  (s.  Appels 
Chr.  S.  XVI»»).  —  S.  108,  Gr.  155,  7  III  5.  Lewents  Text  lautet:  ni  ere 
que '  ü  plaaaa  Que  *  ü  dirai  ai  ao  mal  no;  Maa  aevala  la  deahonor  Poac  dir, 
der  Herauseeber  bezeichnet  aber  selbst  in  der  Anmerkung  den  Indikativ 
dirai  hier  us  auffällig.  Auf  Grund  der  meisten  Hss.  würde  ich  nun,  auch 
in  der  Interpunktion  von  L.  abweichend,  vorschlagen,  zu  lesen:  ni  cre 
que  *  H  plaaaa  Qui  *  /  di  re  (rei,  rem,  ren);  ai  ao  mal  no,  Maa  aevala  ...  — 
S.  112  zu  IV  10:  na  ist  n'a  =  ne  a,  ni  a.  —  S.  117,  Gr.  133,  11  VI  8.  Mit 
Hilfe  des  acc.  lo  fiU  der  Hss.  CR  lese  ich  Car  iea  lo  M  no  -  i  deu  atendre  - 1 
paire  und  verstehe:  'denn  nimmer  soll  der  Vater  (Cnristus)  auf  den  Sohn 
zu  warten  haben.'  —  S.  121,  Gr.  312,  1  V.  Die  ersten  vier  Verse  des 
Textes  haben  folgende  Gestalt: 

Paire  verai,  senher  del  fermameu, 
qa'en  la  verge  yengnes  per  nos  salvar 
e  baptisme  prezes       .... 

on  moris  a  türmen. 

Zur  Füllung  der  Lücke  enthält  die  hier  verderbte  Hs.  R  nur  die  Wör- 
ter per  lantica  leg.  Der  Herausgeber,  nach  Zurückweisung  von  Ravnouards 
Verschlimmbesserung  (Lex.  II  24)  bestrebt,  die  fehknden  4  +  4  Silben  zu 
ersetzen,  gibt  dabei,  teilweise  Milä  folgend,  die  Überlieferung  gänzlich 
preis.  Weit  einfacher  wäre  es  doch  wohl,  unter  Beibehaltung  des  von  der 
Hs.  R  Dargebotenen  den  Versen  8  und  4  etwa  den  Wortlaut  zu  geben : 

e  baptisme  prezes  per  [ref<)rm]ar 
l'antica  ley,  on  (weshalb)  moris  a  türmen. 

An  der  trefflichen  Schrift  Lewents,  einer  Frucht  grofser  Belesenheit 
und  gründlicher  Forschung,  war,  wie  man  sieht,  nicht  eben  viel  auszu- 
setzen; eher  fand  ich  hier  und  da  Gelegenheit  zu  Ergänzungen,  für  die 
mir  besonders  das  in  meinen  Händen  befindliche  Giraut-Material  einigen 

Stoff  lieferte. 

Aachen.  Adolf  Kolsen. 

AxtdÜT  f.  n.  Sprachen.    GXYI.  30 


458  BeorteQuDgen  und  kurze  AnzcigeD. 

Po^sies  de  GuiUaume  IX^  comte  de  Poitiers.  ^klitioii  critiqae 
publice  avec  une  introductioD,  une  traduction  et  dee  notes  par  A.  Jean- 
roy^  profemeur  ä  la  Facuit^  dee  lettree  de  Toulouse.  Toulouse,  Privat, 
1905  (Sonderabdruck  aus  den  Annales  du  Midi,  April  1905). 

Zwei  Ausgaben  besafsen  wir  bisher  von  den  Liedern  dee  Grafen  Wil- 
helm IX.  von  Poitiers,  eine  von  A.  Keller  aus  dem  Jahre  1848  und  eine 
zweite  1850  von  A.  KeUer  und  W.  Holland  gemeinsam  veranstaltete. 
Ihnen  fügt  nun  A.  Jeanroy  eine  dritte  hinzu,  die  zum  erstenmal  sämt- 
liche diesem  Trobador  zugeschriebenen  Lieder,  elf  an  der  Zahl,  darbietet 
und  aufser  den  Texten,  dem  fast  vollständigen  handschriftlichen  Apparat 
und  dem  Kommentar  eine  Einleitung  von  vier  Kapiteln  über  frühere  Aus- 
eaben  und  den  Dichter  betreffende  Arbeiten,  unechte  und  vermüste  Ge- 
dichte, Sprache  und  Keimkunst  Wilhelms  und  über  die  Fraee  seiner  Ur- 
sprünglicnkeit  in  Stoff  und  Bedeweise  enthält  und  auch  Übersetzungen 
bringt,  soweit  sich  der  Inhalt  nicht  gerade  als  allzu  schlüpfrig  diSür 
erwies. 

Dafs  wir  diese  Veröffentlichung  willkommen  heifsen,  braucht  kaum 
gesagt  zu  werden;  nicht  nur  ihrer  grölseren  Vollständigkeit  w^en  freuen 
wir  uns  der  neuen  Ausgabe,  sondern  auch  deshalb,  weil  Jeanroy,  wie  das 
von  ihm  nicht  anders  zu  erwarten  war,  darin  so  manches  Neue  zur  Ver- 
vollkommnung und  Erklärung  der  Texte  beiträgt. 

Dennoch  bleibt,  was  sich  der  Herausgeber  selbst  auch  keinesw^s  ver- 
hehlt, zu  ihrer  Instandsetzung  noch  immer  viel  zu  tun  übrig;  handelt  es 
sich  doch  um  Gedichte,  welche  wegen  ihres  oft  recht  frivolen  Tones  sicher- 
lich vielfach  Anstofs  erregt  und  daher  nur  eine  verhältnismärsig  geringe 
handschriftliche  Verbreitung  gefunden  haben.  Aber  auch  mit  dem  wenigen 
Material,  das  uns  zu  Gebote  steht,  wird  sich  noch  mancher  Fortechritt  er- 
zielen lassen ;  das  glaube  ich  um  so  mehr,  als  auch  mir  t)ei  der  Durchsicht 
von  Jeanrovs  Ausgabe  verschiedenes  in  den  Sinn  gekommen  ist,  dessen 
Mitteilung  für  die  Verbesserung  und  Aufhellung  mangelhafter  oder  dunkler 
Stellen  in  Wilhelms  Gedichten  vielleicht  weiteren  Nutzen  stiften  könnte. 
Sehen  wir  einmal  zu,  was  es  damit  für  eine  Bewandtnis  hat. 

Gred.  I  Companho,  faray  un  vers  (B.  Gr.  183,  3;  Appel,  Chr.  St.  59). 

V.  7  und  8.  Dos  co/vcUha  ai  a  ma  selka  \  ben  e  gen; 

Bon  son  e  adreg  per  armas  \  e  valen. 

Der  zweite  Teil  der  meisten  entsprechenden  Verse  des  Gedichtes  ist  vier- 
silbig; wie  nun  Jeanroy  und  Crescini  in  V.  1  und  5  ^etan  haben,  so 
schiene  ich  in  diesen  beiden  Versen  je  eine  Silbe  ein;  m  V.  7  lese  ich 
nach  einem  Komma  be  n'es  e  gen  und  in  V.  8  .sa  e  valen.  Der  V.  8  wäre 
dann  zu  übersetzen:  'Gut  sind  sie  und  für  den  Kriegsdienst  geeignet,  ge- 
sund und  stark'.  Wie  sich  nämlich  in  V.  10  und,  nach  meiner  sogleich 
noch  darzulegenden  Auffassung,  besonders  in  V.  13  zeigt,  sind  die  TOiden 
Pferde  noch  gar  nicht  dressis  au  combat  et  vaillants,  sondern  sollen  erst 
abgerichtet  werden.  Daher  nehme  ich  valen  in  der  auch  für  afrz.  vaiUant 
von  Godefroy  belehn  Bedeutung  'stark'  {Robuste,  vtgoureua^),  die  es  in 
den  beiden  Kreuzhedern  des  Girant  de  Bornelh  hat  (s.  mdne  Anm.  zu 
I  22  in  der  Tobler-Festschrift  von  1905,  S.  214).  In  11  76  steht  es  bei 
Giraut  ebenfalls  mit  dem  von  mir  hier  vorgeschlagenen  sa  zusammen; 
in  I  22  ist  da  valene  d* armas  mit  ardüx,  verbunden,  was  hier  anzuführen 
nicht  überflüssig  ist,  da  auch  an  unserer  Stelle  Hs.  E  die  Lesart  ardit 
per  armas  e  vcUen  aufweist.  Dieses  ardit  von  E  in  der  weni^  geläufigen 
Bedeutung;  'kräftig,  fähig',  die  es  auch  bei  Giraut  hat  (s.  ib.),  ist  wohl 
ursprüngUcher  als  das  adreg  in  G,  so  daCs  V.  8  im  Original  gelautet  haben 
mag:  Bon  son  et  ardit  per  armas,  san  e  valen, 

V.  18.         La  tms  fo  dels  montanhiers  lo  plus  corren. 


Benrteflangen  nnd  kurze  Anzeigen.  459 

Von  dem  Verstofs  gegen  die  Grammatik  (eorren  ohne  a)  ist  keine  Bede 
mehr,  wenn  man  mit  C  La  un  fon  liest,  fon  zu  fondar  (lat.  fundare) 
'Rundlich  unterrichten'  (s.  Levy,  Swb.  JII  580)  stellt  und  verstent:  'das 
eine  suche  ich  zum  schnellsten  der  Bergpferde  gut  abzurichten'.  In  die- 
sem Sinne  steht  nun  der  Vers  noch  besser  an  seiner  Stelle  als  zuvor,  wo- 
durch wiederam  Appels  in  der  ?.  Auflage  der  Chrestomathie  8.  216  von 
einem  Fragezeichen  begleitete  Übersetzung  des  Wortes  hailar  in  V.  15 
und  die  oben  geaufserte  Ansicht  von  der  gröfseren  Ursprflnglichkeit  der 
Hs.  E  mit  baimr  gegenüber  baUar  in  C  eine  gewisse  Stütze  erhält. 

y.  24.  Durch  Einführung  des  ges  von  den  Hss.  abzuweichen,  ist  nicht 
nötig,  da  beide  Befriedigendes  bieten. 

Ged.  II  Compaigno,  non  puose  mudar  (B.  Gr.  183,  4;  P.  Meyer,  Beeueü 
1,  69;  Bartsch,  L6.  47;  Bartsch,  Ghr,^  81). 

V.  5.  Da  Vu8  und  VaUre  in  V.  6  darauf  hinweisen,  dafs  überhaupt 
nur  zwei  Hüter  beteiligt  sind,  so  wird  quada  trei  in  dem  Satze  Ans  la 
teno  esserrada  quada  trei  nicht  'je  drei'  (trois  par  troisY  sondern  'zu  dritt' 
(ä  trois)  bedeuten.  Der  Dichter  will  nicht  sagen,  je  drei  Wächter  hätten 
abwechselnd  die  Dame  eingeschlossen,  sondern  die  gardador  hielten  die- 
selbe mit  sich,  den  beiden  Hütern,  selbst  zu  dritt  eingesperrt,  die  Dame 
sei  nie  ohne  die  beiden  Wächter,  niemals  allein,  sie  bleibe,  was  auch  der 
den  Hütern  ihre  allzu  grofse  Wachsamkeit  vorwerfende  V.  12  zeigt,  keinen 
Augenblick  unbewacht  und  unbelästigt.  In  dem  folgenden  V.  6  ist  denn 
auch  von  diesen  drei  Personen,  dem  einen  und  dem  anderen  Wächter  und  der 
Dame,  die  Bede. 

V.  7.  Et  aquü'l  fan  erUre  lor  aüal  agrei. 

Zwar  wäre  aquü'l  =  aquil  li  nicht  unmöglich  (s.  Tobler,  Archiv  CI  465), 
indessen  ist  hier  li  ^ar  nicht  erforderlich;  man  lese  also  aquill.  —  Agrei 
braucht  auch  hier  nichts  anderes  zu  sein  als  das  in  Levys  Swb,  I  34  und 
in  der  Tohler-Festsckrift  von  1905  8.  215  zu  V.  68  besprochene  Wort,  so 
dafe  der  Vers  bedeuten  würde:  'Und  jene  machen  unter  sich  solche  Ver- 
anstaltung'. 

Den  V.  8  Uus  es  eompains  gens  a  foc  mandacarrei  (mandaeairei  N  ^) 
bezeichnet  P.  Meyer  im  Recueü  am  Fulse  der  S.  69  als  vers  corrompth 
Bartsch  schreibt  im  Lb. :  a  for  Mandaeairei,  gibt  ab^  in  der  Ohr,  dem 
Verse  die  Fassung:  L'us  es  eompains  gens  a  for  mandcLcarrei  und  ver- 
steht, wie  mit  HiKe  des  Glossars  ersichtlich  ist:  'der  eine  ist  ein  treff- 
licher Gefährte  nach  Art  eines  Kärrners'.  Jeanroy  nimmt  nun  den  Wort- 
laut aus  Bartschs  Chr.  herüber,  hält  aber  in  der  Anm.  die  Übersetzung 
des  Wortes  mandacarrei  durch  'Kärrner'  für  sehi  gewagt.  Er  erwähnt 
auch  Chabaneaus  Vorschlag,  a  folc  Mand*a  cairei  zu  schreiben,  was  er 
eventuell  in  del  folc  Mand'a  cairei  verbessern  möchte,  so  dais  es  bedeuten 
würde:  'Der  eine  ist  ein  netter  Bursche  von  der  Bande  des  M.*;  in  Mand'a 
cairei  (=:  quadrivium)  sieht  CHabaneau  den  Spitznamen  eines  Banden- 
führers, aber  nur  die  Form  cairoi  im  Sinne  von  'Kreuzweg'  ist  bis  jetzt 
belegt  (s.  Levy,  Swb.  1  185).  Auch  erwartet  man  unmittelDar  nach  den 
Worten  fan  aüal  agrei  des  V.  7  nicht  eine  Charakteristik  des  einen  oder 
anderen  Grefährten,  sondern  die  Schilderung  eines  ihrer  dummen  Streiche. 
Von  solchem  Streich  erhält  man  aber  Kenntnis,  wenn  man  liest:  L^us 
eompains  gens  a  foc  manda  |  qtte  a  rrei  oder  nach  iV^:  que  a'i  rei 
und  V.  8  und  9  übersetzt:  'Der  eine  Gefährte  ruft  Leute  (oder  ganze 
'Scharen')  zum  Feuer,  so  dafs  (da)  etwas  los  ist,  und  sie  machen  viel  grö- 
fseren Lärm  als  das  Gesinde  des  Königs'.  Zu  gens  'Schar'  s.  Levy,  Swb. 
IV  101,  1,  zu  mandar  'auffordern  zu  kommen,  entbieten*  ib.  V  93,  4  und 
zu  ren  'etwas'  Rayn.,  Lex.  V  55^;  rrei  steht  statt  rei  wie  V.  22  ssei  statt 
sei;  betreffs  der  poitevinischen  Formen  auf  ei  statt  e  bei  Wilhelm  vgl. 
Jeanroys  Bemerkung  S.  11  §  III;  die  beiden  rei  reimen  auch  bei  B.  de 
Born  (Stimmingi  20,  7  und  8)  miteinander;  a  kann  als  Form  des  selb- 

30* 


460  Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen. 

standigen  Verbums  aver  vor  rei  stehen,  und  noch  im  Nfrz.  bedeutet  ü  y 
a  qe.  'es  ist  etwas  los'.  Das  handschriftliche  foc  bleibt  unangetastet;  es 
hat  ein  Schreiber  infolge  falscher  Auffassung  hinter  l'us  eigenmächtig  ein- 
geschoben und,  da  der  Vers  nun  um  eine  Silbe  zu  lane  wurde,  das  e  toq 
que  fortgelassen;  vor  Vokal  findet  sich  que  aber  auch  in  V.  12  que  ad 
oras  und  sonst  noch  Öfter  bei  Wilhelm.  Durch  Entfernung  des  sinn- 
entstellenden es  hat  V.  8  jetzt  auch  in  metrischer  Hinsicht  die  ihm  zu- 
kommende Gestalt  erhalten,  nämlich  7  «^  -|-  3.  Hinsichtlich  seines  Inhalts 
vel.  man  Crois.  Alb.  509:  A  foc!  a  foc!  eserian  li  gartx  trafur  pudnaü. 
Die  Strophe  III  ist  nunmehr,  nachdem  der  Kärrner  sich  in  Wohlgefaller. 
'aufgelöst^  und  der  Bandenführer  sich  aus  dem  Staube  gemacht  hat,  durch- 
aus verständlich  und  erföllt  gut  ihren  Zweck,  die  Gemeinhdt  und  Nieder- 
tracht der  beiden  Wächter  darzutun,  welche  die  Stadt  durch  mutwillige 
Erregung  von  blindem  Feuerlärm  in  Schrecken  und  Aufregung  versetzen 
und  trotz  ihrer  geringen  Anzahl  sogar  einen  groDsen  Haufen  Menschen 
im  Toben  noch  üoertreffen. 

Ged.  iV  Farai  um  vers  de  dreyt  nten  (B.  Gr.  183,  7;  Appel,  Otr, 
Ä.  39). 

V.  28 — 80  Ni  no  m'en  cau,  —  qu*anc  tum  ac  Norman  ni  Frances  — 
dins  mon  oatau.  Es  ist  nicht  einzusehen,  warum  der  Dichter  hier  ur- 
plötzlich erzählen  soUte,  dafs  ihn  nie  ein  Normanne  oder  Franzose  in  sei- 
nem Hause  besucht  habe.  Auch  Jeanroy  vermifst  in  der  Anm.  allen  Zu- 
sammenhang zwischen  dieser  Aufserung  und  dem  Vorhergehenden,  glaubt 
aber  doch  mit  Panon  aus  dieser  Stelle  auf  den  G^^satz  schlieisen  zn 
können,  der  damals  zwischen  Nord-  und  Südfrankrach  bestanden  habe. 
Einen  ganz  anderen  Sinn  werden  die  Verse  29  und  30  aber  ergeben,  wenn 
man,  onne  Verwendung  von  Majuskeln,  no  n'ae  norma  [njni  frances 
schreibt,  normOf  das  im  Lex.  rom.  fehlt,  wie  das  lat.  und  ältere  it.  Wort 
mit  'Winkelmals'  und  franeeSy  das  ein  Getreidemafs  bezeichnet  (s.  Levy, 
Swh,  III  587),  mit  'Hohlmafs'  übersetzt.  Dann  würde  der  Dichter  haben 
sagen  wollen,  er  mache  sich  aus  dem  Benehmen  der  Dame  ihm  gegenüber 
nichts,  denn  er  habe  in  seinem  Hause  niemals  dafür  irgendein  Mafs  ge- 
habt, er  habe  ihre  Worte  und  Taten  nie  auf  die  Wagschale  gelegt. 

V.  35  und  86.  Qu'ie-n  sai  gensor  e  beüaxor  —  e  que  mais  vau.  V.  So 
müTste  auf  ^  und  nicht  auf  or  ausgehen,  und  Appel  fragt  in  der  Okrest. 
S.  217,  ob  Mlaxor  hier  etwa  in  Assonanz  mit  ^  stehe.  Das  auf  beüaxor 
folgende  e  des  V.  36  scheint  mir  sein  Dasein  einem  schlecht  geschrie- 
benen oder  falsch  gelesenen  t  zu  verdanken;  aus  bellaxort  wäre  dann  aber, 
da  Xf  p  und  c  in  den  Hss.  nicht  selten  mitänander  abwechseln,  unschwer 
be'U  acort  herauszulesen  und  die  dem  V.  36  durch  den  Verlust  def^  e  ab- 
handen gekommene  Silbe,  indem  man  qu'ela  statt  que  liest,  leicht  zurück- 
zugewinnen. Gewifs  wurde  heüaxor^  das  übrigens  auch  in  Wilhelms  Ge- 
dient I  17  vorkommt,  unter  dem  Einflufs  des  vorhergehenden  gensor  ge- 
Rchrieben  und  qu*ela  in  qu^  gekürzt,  weil  durch  das  fälschlich  in  den 
V.  36  hineingeratene  e  der  Vers  um  eine  Silbe  zu  lang  geworden  war.  In 
ihrer  jetzigen  Gestalt  Qu'ie'n  sai  gensor  e  be'U  acort  —  qu'ela  mais  rau 
bedeuten  nun  die  Verse:  'Denn  ich  kenne  eine  Schönere  als  sie  und  ge- 
stehe ihr  wohl  zu,  dafs  sie  besser  ist'.  Zu  acordar  'zugestehen,  bewilligen' 
s.  Appel,  Chr.  Gloss. 

Die  auf  Str.  VI  in  E  folgende  Strophe,  die  Appel  meines  Erachtens 
mit  Fug  in  den  Text  aufgenommen  hat,  hält  Jeanroy  für  interpoliert, 
weshalb  er  sie  S.  29  unten  gesondert  abdruckt.  In  den  beiden  letzten 
Versen  dieser  Strophe  (V.  41  und  42  bei  Appel)  E  pexa'm  he  quar  sai 
remanc  —  aitan  vau  hat  der  Schreiber  im  Gegensatz  zu  dem  bei  den 
Versen  35  und  30  beliebten  Verfahren  dem  Beimwort  remafn)  noch  ein  c 
angehängt,  das  als  que  in  die  folgende  Zeile  gehört  Es  wäre  also  zu  lesen 
E  pexam  be  quar  sai  rema  — ,  que  a'i  tan  viu  und  zu  verstehen :   'und 


BearteiluDgen  und  kurze  Anzeigen.  461 

es  bekümmert  mich,  dafs  sie  hier  zurückbleibt,  denn  sie  besitzt  so  grolsen 
Wert'.  Das  Wort  vau,  das  schon  in  V.  36  im  Sinne  von  lat.  vtUet  im 
Reime  steht,  ist  im  V.  42  das  bei  Rayn.  V  463,  2  einmal  belegte  Sub- 
stantiv.   Der  letzte  Vers  fehlt  noch  in  Appels  Text. 

Gted.  V  Farai  un  vers,  pos  mi  somdk  (B.  Gr.  183,  12;  Appel  Ckr. 
St.  60). 

V.  9.  Mu  si  es  monges  o  eiergal.  Liest  man  dafür  Mas  s'es  de  monge 
o  clergal  oder  Mas  s'es  de  mong'  o  de  elergcU  (s.  bei  Appel  im  Gloss.  der 
Chr.  die  Nebenform  morgue)  *aber  wenn  es  sich  um  einen  Mönch  oder 
Oeistlichen  handelt'  oder  'wenn  sie  aber  einem  Mönch  oder  Geistlichen 
angehört',  so  wird  das  vorher  für  clergal  vermifste  Flexions-A  überflüssig. 

V.  59  und  60.  Q^a  pauc  non  perdei  La  volar  —  e  Varditnent,  Hs.  N 
liat  la  valors,  C  dagegen  nuu  amars;  die  zu  erwartende  Reimend ung  ist  ps. 
Durch  Einsetzung  von  mos  raxos  für  la  valor  würde  der  Reimfehler  ent- 
fernt und  inhaltüch  als  Gegenstand  des  Verlustes  dem  Mut  auch  noch 
der  Verstand  hinzugefügt  werden.  Perdre  sas  raxos  heifst  'seine  Berech- 
nungen, Überi^ungen,  seinen  Verstand  verlieren';  vgl.  nfrz.  perdre  la 
raison. 

In  V.  88  und  85  würde  des  Reimes  wegen  die  Nebenform  malavetx 
in  den  Text  gehören.  Betreffs  der  Verse  31 — 33  und  52  darf  ich  wohl 
auf  meine  Ausführungen  in  diesem  Archiv  Ol  148  (nicht,  wie  bei  Appel 
in  der  Chr,'^  steht,  S.  8)  verweisen,  ebenso  für  die  Verse  73 — 78,  deren 
Ton  mir  selbst  aus  N  kopierter  Text  da  allerdings  etwas  anders  lautet  als 
der  in  Jeanroys  Auftrage  koUationierte. 

Ged.  VI  im  vudh  que  sapehon  U  pluxor  (B.  Gr.  183,  2;  B.  Chr.«  28). 

V.  28  'wofür  ihr  mich  auch  ansehen  möget'. 

V.  62  E  fon  jogaix.  Nimmt  man  jogatx  als  Subst.  =  'Spiel,  Scherz' 
wie  oraix  'Wunsch*  (s.  G.  v.  Bornelh  1894,  S.  123  meine  Anm.  zu  V.  14), 
so  könnte  man  verstehen  'und  das  Spiel  hatte  statt,  gine  vor  sich'  (esser 
'statthaben',  App.  Chr.  Gloss.);  damit  wäre  der  Flexionsfehler  abgetan. 

Die  beiden  vorhergehenden  Strophen  sind  voll  Zweideutigkeiten ;  dabei 
scheint  taulier  'Spielbrett'  und  'Schürze,  Gewand'  (s.  Rayn.,  Lex.  V  308, 
1,  2),  dal  'WürfeP  und  'Stofs'  (vgl.  it  dado  'Wurf)  bedeuten  zu  sollen. 
Den  V.  59,  der,  wie  die  Anm.  besagt,  schon  so  viele  Auslegungen  erfahren 
hat,  könnte  man  vielleicht  auf  Grund  von  C,  indem  man  cairauallier  zer- 
legt, lesen :  Etil  duy  foron,  e'a-i  rav',  aüier  und  so  deuten :  'und  die  beiden 
(duU)  waren,  denn  Zwiebel  gibt  es  da,  solche  mit  Knoblauch',  d.  h.  sie 
waren  derb;  aüier  wäre  dann,  wie  es  im  Airz.  ein  Subst.  aülier  ('marehand 
daü  ou  de  sauce  ä  Vau*  God.)  gibt,  ein  von  alh  abgeleitetes  Adjektiv,  für 
dessen  übertragene  Bedeutung  man  diejenige  von  xwiebeln  (=  jem.  zu- 
setzen) und  von  Ausdrücken  wie  gepfeffert,  gesalxeny  gespiekt,  saftig  ver- 
gleichen möge.  Plombar  'mit  Blei  beschweren'  ist  ein  rür  das  Fälschen 
der  Würfel  nicht  selten  gebrauchtes  Verbum  (s.  Stimming  zu  B.  de  Born  i 
29,  12  und  Canello  zu  A.  Daniel  IV  26);  hier  käme  das  aber,  was  auch 
für  aüier  der  Fall  sein  könnte,  nur,  insofern  es  sich  um  ein  Wortspiel 
handelt,  in  Betracht;  versteht  man  plombatx  im  nächsten  Verse  im  Sinne 
Ton  'nachdrücklich,  gründlich',  so  stimmt  unsere  Auffassung  der  Verse  59 
und  60  nicht  übel  zu  dem  fort  ferir  des  V.  lil. 

Ged.  VII  Pus  vexem  de  novelh  florir  (B.  Gr.  183,  11).     ^ 

V.  29  und  30.  Et  a  totx  sels  aaieel  aixt  —  obediens  (ÜJ)8.:  attentif 
aux  eapriees  de  totts  ceux  qui  habitent  ce  sejour).  Der  V.  29  soll  aber  auf 
ts  endigen;  wenn  wir  ihn  nun  lauten  lassen  Et  a  totx  sels  d'aiceV  aixis, 
so  würde  die  Stelle  bedeuten:  'und  allen  denen  ergeben,  die  ihr  nahe- 
stehen'; vgl.  aixi  App.  Chr.  Gloss.  und  dazu  aixdu  Levy,  Swh.  I  45,  1, 
und  aixitx  de  Tobler-FesUchrift  von  1905,  S.  214  zu  33. 

V.  45  und  46.  Das  m  des  V.  46,  das  sich  auch  in  V.  50  nicht  mehr 
wiederfindet,  lehnt  sich  so  leicht  an  das  que  des  V.  45  an,  dals  wohl  nicht 


462  BearteiluDgen  und  kurze  AnzdgeD. 

anzunehmen  ist,  der  Dichter  habe  es  so  wenig  kunstgemafÄ  dem  Bdn- 
wort  lau  anhängen  wollen. 

Ged.  VIII  Farai  ehansoneta  nueoa  (B.  Gr.  183,  6;  B.  Chr.*  30;  Apf^i 
Ckr,  Ä.  12). 

V.  13.  Dem  afet  der  Hs.  ist  es,  wie  auch  Appel  liest,  vorznzieheD,  weil 
in  V.  16  und  18  von  der  Dame  noch  in  der  3.  Pers.  ISing.  die  K^de  i>t, 
während  sie  erst  von  V.  19  an  in  der  2.  Pers.  Plur.  angesprochen  wiri. 

y.  31  fri  e  trembU.  Das  fri  gehört  zu  dem  bei  Bayn.  III  400  uni 
bei  Levy  III  603  an  erster  Stelle  stehenden  frire  (=  lat  frigere);  nich* 
'ich  schaudere',  wie  auch  Bartsch  im  Gloss.  will,  sondern  *ich  zittere  vor 
Verlangen'  wäre  wohl  hier  der  Sinn  des  Wortes. 

Ged.  XI  Pas  de  ehantar  (B.  Gr.  183,  10;  B.  Lb.  87,  Crescini,  Man,  195). 

V.  3  und  4.  Mais  tum  serai  obedienx  —  en  Pdtau  ni  en  Lernoxi. 
Diez,  L.  u.  FF. '^  12  übersetzt  'ich  werde  nicht  mehr  gehorsam  sein'  and 
ffigt  erklärend  hinzu,  wahrscheinlich  sei  der  Dienst  der  Liebe  geznänt; 
Chabaneau  fällst,  wie  Jeanroys  Anm.  zeigt,  obedieris  =  lat.  oboediendui 
auf.  Die  Lesart  Non  serai  mais  hobediens  in  N  lallst  mich  tnai  so  bediem 
verstehen;  bediene  =  benedieens  (r.  bendir  *dire  du  bien'  Rayn.,  Lex.  III 
54,  9).  Danach  würde  der  Dichter,  der  ja  sonst  nur  lustige  Liedo*  ver- 
fertig hat  (s.  Jeanroy  S.  18),  hier  im  Anschluis  an  seine  ÄuXserurig,  er 
werde  einmtü  (ausnahmsweise)  einen  ernsten,  traurigen  vers  machen,  nnd 
im  Hinblick  auf  seine  unmittelbar  darauf  angedeutete  Absicht,  en  eüil 
zu  gehen,  gesagt  haben  Maifs)  non  sera'i  so  beiienx  —  en  Peüau  ni  en 
Lemoxi  'aber  nimmermehr  wird  das  in  P.  und  L.  jemand  gutheÜBen'. 

Am  Anfang  des  Gedichtes  VI  zeigt  Wilhelm  IX.,  ?neviel  ihm  daran 
gelegen  ist,  aus  seinem  obrador  nur  Gedichte  de  bona  eolor  heryorgeheo 
zu  sehen,  die  ihm  dazu  verhelfen  sollen,  d'ayselh  mestier  la  flor  für  sich 
zu  erringen.  Schon  jetzt  pflichtet  auch  Jeanroy  (S.  20)  der  Ansicht  der 
Grelehrten  von  der  perfeetion  rekUive  de  son  s^le  et  de  sa  versificaHon  bei; 
in  der  Folge  dürfte  er  aber  die  von  ihm  S.  14  und  S.  17  Anm.  2  der 
Beimnot  des  Dichters  und  S.  17  seiner  n^ligence  zugeschriebenen  Dekli- 
nationsfehler und  Beimversehen,  die  zu  tilgen  so^ar  wir  prosaische  JN'icht- 
provenzalen  des  20.  Jahrhunderts  uns  anneischig  machen,  und  sonstige 
den  Text  betreffende  Ungereimtheiten  in  den  Gedichten  auf  Bechnung 
nicht  des  Autors,  sondern  der  Oberlieferung  zu  setzen  um  so  geneigter 
spin,  je  mehr  von  den  durch  seine  so  verdienstvolle  Arbeit  hervorgerufen«! 
Anderun^vorschlägen  seiner  Leser  er  der  Berücksichtigung  für  wert  er- 
achten wird. 

Aachen.  Adolf  K eisen. 

P.  Savj- Lopez,  Storie  Tebane  in  Italia.  Testi  inediti  UlustratL 
Biblioteca  storica  delia  letteratura  italiana  diretta  da  Francesco  Novati, 
Vol.  8.  Bergamo,  Istituto  itaiiano  d'arti  grafiche,  1905.  XLIII,  126  8. 
8».    L.  6. 

Nach  einer  kurzen  Einleitung,  welche  die  Verbreitung  des  thebanischen 
Sagenkreises  in  Italien  behandelt,  ^eht  Savj-Lopez  näher  auf  die  beiden 
venezianischen  Texte  ein,  die  er  hier,  den  einen  ganz,  den  anderen  in 
Proben,  veröffentlicht.  Der  ältere,  ganz  herausgegebene  Text,  in  einer 
Marcianischen  Handschrift  aus  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts 
überliefert,  aus  der  fol.  6r  (nicht  7,  wie  fälschlich  darauf  gedruckt  ist) 
mit  einer  hübschen  Federzeichnung  in  Faksimile  beigegeben  ist,  ist  eine 
Übersetzung  sus  dem  dritten  Teüe  der  französischen  Prosa,  die  Paul 
Meyer  als  Histoire  ancienne  jusau'ä  Cesar  bezeichnet  hat  Aus  der  Be- 
B('haffenheit  der  Handschrift  scneint  mir  auch  hervorzugehen,  da&  der 
Schreiber   nur   diesen  einen  Teil   als  selbständiges  Ganze   abgeschrieben 


BeurteUungen  und  kurze  Anzeigeii.  468 

hat;  damit  ist  aber  nicht  ausgefichlossen,  daüs  er  eine  vollständige  oder 
wenigstens  umfangreichere  Übersetzung  der  Histowe  als  Vorlage  benutzte. 
Es  wäre  übrigens  zur  Beurteilung  der  Frage  festzustellen,  ob  die  Worte 
'sicamo  vuy  pore  Mir  auanti  eitel  ehonpui  l'irutoria  de  Troia  ehe  drte 
qttesta  ütoria  ne  sera  ekontado*  in  der  französischen  Vorlage  vorhanden 
sind.  Der  zweite  Text,  in  einer  Marcianischen  Handschrift  des  15.  Jahr- 
hunderts erhalten,  ist  eine  Übersetzung  des  betreffenden  Teiles  der  Fiorita 
Armanninos.  Seine  Hauptquelle  war  Statins,  danejt)en  benutzte  er  aber 
auch  die  französische  Prosa  und  nahm  selbständige  Änderungen  vor,  kurz, 
er  übte  auch  hier  ein  Verfahren,  wie  ee  schon  für  seine  Darstellung  der 
Trojanischen  Ereignisse  und  der  Geschichte  des  Aeneas  und  Caesar  fest- 
gestellt war. 

Dem  Abdruck  der  Texte  geht  eine  kurze  Darstellung  der  Lautlehre, 
Formenlehre  und  Syntax  der  abgedruckten  Stücke  voran.  Leider  hat 
Savj-Lopez  beim  Zitieren  dasselbe  Verfahren  eingeschlagen,  welches  ich 
schon  bei  Gelegenheit  meiner  Anzeige  von  Novatis  Brendanslegende  (Lüe- 
raturblaü  für  genn,  und  rom.  Phüdogie,  1893,  Bd.  XIV,  So.  19—20)  als 
unzweckmälsig  bezeichnet  habe:  statt  dafs  die  Zeilen  der  Seiten  einfach 
gezählt  sind,  wird  nach  c.  r.  und  c.  v.  angezogen.  Man  mufs  da  oft  lange 
suchen,  um  ein  Beispiel  zu  finden,  und  nur  zu  oft,  wie  auch  bei  Novati, 
sucht  man  es  vergebens,  wdl  r.  und  v.  oder  oft  schon  die  c.  verkehrt  an- 
gegeben sind.  Ich  könnte  Dutzende  von  Beispielen  anführen.  Die  Texte, 
namentlich  der  erste,  bieten  eine  Fülle  interessanter  Erscheinungen,  und 
Savj-Lopez  hat  es  wohl  verstanden,  sie  in  aller  Kürze,  vielleicht  sogar  zu 
knapp,  nerauszuheben.  S.  XXX  N.  18  ist  e  tra  voeali  ungenau:  nach  voc. 
vor  e  und  i  mü&te  es  heifsen.  41  v.  (nicht  r.)  würde  ich  das  S.  XXXVIII 
55  a  V  bebandelte  lassa  als  lassd  ==  lasaai  lesen.  Etwas  recht  stiefmütter- 
lich ist,  wie  gemeiniglich  in  solchen  Darstellungen,  der  syntaktische  Teil 
behandelt.  6^  a  far  S.  XL  N.  62  fasse  ich  einfach  als  Futur  mit  ge- 
trennten Bestandteilen.  Vgl.  mein  EUmentarhueh  §  47  S.  170.  Das  a^i- 
spiel  ebenda  volese  o  nan  Anphioraus  eonvene  andar  ist  kein  Beweis  für 
persönliches  eonvenirs)  es  liegt  Auslassung  des  li  vor.  In  den  S.  XLI 
rf.  (54  angeführten  beiden  Sätzen  halte  ich  das  ehe  nicht  für  ein  Relativ- 
pronomen, sondern  für  eine  Wiederaufnahme  der  Konjunktionen  tnperfd 
che  und  ho  ehe.  Ebensowenig  ist  es  als  eanfusione  zu  bezeichnen,  wenn 
einfaches  ehe  nach  Unterbrediung  des  Satzes  wiederholt  wird.  Ein  wei- 
teres Beispiel  findet  sich  S.  41  Z.  1 — 2.  Dazu  vgl.  mein  Elementarbuch 
§  119  8.  190.  In  dem  N.  65  aufführten  Satze  *e  diese  ehe  li  soldati  ehe 
vignirä  d'eetranie  eontrade  ..,  elt  donerä  tanto  del  seo  ehe  di  ee  ne  eon- 
tmterä'  ist  e'  li  donerä  zu  lesen,  also  nachherige  Bestimmung  des  Kasus 
des  Substantivs  durch  ein  Fürwort.  Vgl.  Mementarlmeh  §  111  S.  186; 
vidleicht  auch  statt  dessen  e  diese  ek'ali  ...  eli  donerä. 

Das  schnelle  Verständnis  des  Textes  hätte  sehr  gewonnen,  wenn  Savj- 
Lopez  nicht  gar  so  sparsam  mit  Satzzeichen  gewesen  wäre  und  Akzente 
ganz  verschmäht  hätte.  Warum  er  die  v  der  Handschrift,  die  reichlich 
vorhanden  sind,  wie  das  Faksimile  zeigt,  immer  durch  u  ersetzt  hat,  ist 
nicht  verstandlich.  Sonst  scheint  die  Lesung  zuverlässig  zu  sein,  wie  ein 
Vergleich  mit  dem  Faksimile  dartut;  nur  einmal  ist  ein  leicht  verzeih- 
liches horribelle  statt  horibelle  untergelaufen.  Im  einzelnen  möchte  ich 
noch  folgendes  erwähnen.  Zunächst  ist  Savj-Lopez  an  einigen  Stellen  zu 
Unrecht  von  den  Handschriften  abgewichen,  indem  er  in  ihnen  ein  e  tilgte ; 
die  Häufigkeit  der  Fälle  hätte  ihn  stutzig  machen  sollen.  Ich  klammere 
die  getilgten  e  ein.  S.  2  Z.  2  Quando  la  dama  holdy  ehussi  parllar  lo  re, 
(e)  momo  mare  ne  fo  moUo  trisia;  S.  70  Z.  28  Ä  queste  parole  eh'eila  dixeun, 
(e)  plan^eua  moUo  tenera  menie;  S.  108  Z.  8  E  quel  demonio  ehe  iera  sempre 
€ieon^  de  dir  eose  ehe  mal  fose  (e)  dise;  S.  110  Z.  17  Z>>  re  Äraeto  eon 
tuti  li  9UO  baroni  la  defende  e  tuta  la  ^ente  dd  paiace  (e)  la  si  e  trata; 


464  Beurteiluogen  und  kurze  Anzeigen. 

S.  111  Z.  3  Quäa  uecando  U  mo  fioU,  la  eh'm  prima  per  paura  aum 
fdanto,  (e)  ePalegrefia  lagrems  renoua.  Vgl.  EUmeniarbueh  §  117  und  118 
S.  189.  S.  6  Z.  18  ist  auB  iora  der  HandBchrift  wohl  (Toro  zu  entnehmen; 
68  könnte  aber  auch  iera  sein  mit  auagelaflsenem  Belativpronomea.  Vgl 
Elementarbueh  §  92  8.  188  und  hier  8.  22  Z.  6—7  ...  uno  prodomo  essa- 
uioy  Adarastus  auia  nome.  S.  7  Z.  17  und  23  hätte  ich  die  Schreibung 
li  'era  vorgezogen;  8.  11  Z.  10  L  ne  statt  me;  B.  12  Z.  24  Punkt  nach 
mare  statt  Komma;  8.  15  Z.  2  1.  doUor  a  dearnixura  statt  e;  S.  16  vor- 
letzte Z.  tilee  Semikolon  nach  doUar;  8.  2-H  Z.  24  kann  die  Schrdbung 
aÜmdo  ahltäo  bedeuten,  was  oft  vorkommt  (=  ^habiutu);  S.  33  Z.  3 
L  hauuto  statt  honto;  8.  34  Z.  4  muCs  Tideus  statt  Tiocks  gelesen  werden; 
8.  41  vorletzte  Z.  ist  sicher  onta  zu  erganzen  (so  z.  B.  S.  43  Z.  9);  S.  4;{ 
Z.  2  ist  nach  meiner  Ansicht  keine  Lücke:  li  ist  entweder,  und  das  ist 
das  Wahrscheinlichere,  das  Ortsadverbium,  oder  es  liegt  eine  ungenaue 
Beziehung  auf  Etiocles  vor;  8.  49,  Z.  23  1.  maurado  statt  inagurado;  S.  ol 
Z.  23  war  uegnudo  ruhig  zu  belassen  in  Hinblick  auf  die  Ansführung 
8.  XLI  N.  65;  8.  59  Z.  4  L  a  queio  statt  aouelo;  das.  Z.  19  1.  e'  li  statt 
eli;  8.  60  Z.  20,  23  und  24  würde  ich  ehe  li  statt  eh'di  les^;  S.  80  Z.  2 
doch  wohl  eU)  xo  da\  dann  wäre  dies  Beispiel  8.  XL  N.  63  zu  streichen; 
S.  93  vorletzte  und  letzte  Z.  1.  /V/m«>M;  8.  97  Z.  11  1.  ^  statt  g%o\ 
8.  105  Z.^  \,  che  el  statt  ehe'd\  8.  106  Z.  11  halte  ich  piaxeaeU  für  einen 
Schreibfehler  statt  piaxette;  8.  108  Z.  21  ist  in  «e  no  /öm  cAW  seeorao  das 
cA'  zu  belassen,  es  gehört  zu  ae  no.  Vgl.  auf  derselben  Seite  in  etwas 
anderer  Weise  Z.  27  ioeto  ehe  statt  tasto;  S.  116  Z.  5  von  unten  1.  parte 
statt  po^e;  8. 118  Z.  20  ist  das  trouade  der  Handschrift  als  ^roiia  i2e  zu  be- 
lassen; schon  Novati  hat  im  Brendan  8.  XLIII  diese  Verwendung  von 
de  für  ei  nachgewiesen,  und  ein  weiteres  Beispiel  findet  sich  hier  S.  120 
Z.  13:  s'eli  nde  steee. 

Das  Wörterverzeichnis  ist  sehr  mager  eeraten,  und  das  scheint  Savj- 
Lopez  selber  nach  einer  Aulserung  8.  XLIi  empfunden  zu  haben,  wenn- 
gleich er  hier  von  Absicht  spricht  Er  kann  überzeugt  sein,  daCs  er  sich 
den  Beifall  der  Fachgenossen  erworben  hätte,  wenn  er  es  etwas  einsehender 
ausgestaltet  hätte,  vollends  aber  den  der  Ajifänger,  die  sicher  üoer  sehr 
viele  Worte  vergebens  AufschluTs  suchen  werden  und  doch  nicht  das  weit 
zerstreute  und  teilweise  schwer  zugängliche  Material  zur  Auüdärung  zur 
Hand  haben  können.  Auf  nur  zwei  Seiten  hätte  sich  das  Wichtigste  unter- 
bringen lassen.  Ich  will  hier  aber  keine  Nachlese  geben,  obgleiä  ich  mir 
für  meinen  Gebrauch  eine  solche  aufgestellt  habe  —  es  fehlen  eanz  seltene 
Worte,  und  dafür  sind  andere,  öfter  belegte  aufgeführt.  Menda  heilst  an 
der  angezogenen  SteUe  Warnung;  mua  =  tmUat  halte  ich  für  durchaus 
richtig:  choüu  ehe-see  mua  in  la  tera  =  wer  sich  in  das  Land  be- 
gibt; amaia  wird  frz.  hamais  sein;  eadar  ist  schwerlich  von  eaptare,  ge- 
wöhnlich eatar,  zu  trennen  und  scheint  hier  die  Bedeutung  aeeattare  zu 
haben. 

Auch  so,  wie  die  Ausgabe  vorliegt,  haben  wir  aber  aUen  Grund,  ßavj- 
Lopez  zu  danken,  dafs  er  uns  diese  interessanten  Texte  zugänglich  ge- 
macht hat. 

Halle  a.  S.  Berthold  Wiese. 

Carlo  Bertani,  II  maggior  poeta  sardo  Carlo  Buragna  e  11  petrar- 
chismo  del  seicento.     Milano,  Ulrico  Hoepli,  1905.     178  8.  8. 

Die  sardische  Literatur,  deren  Greschichte  zu  schreiben  die  Zeit  noch 
nicht  gekommen  ist,  weist  keinen  Namen  von  hervorragender  Bedeutung 
auf.  Auch  der  Poet,  dem  diese  nützliche  Monographie  gewidmet  ist,  ge- 
hört nicht  zu  den  ersten  Zierden  des  italienischen  Schrifttums ;  doch  unter 
den  Kleinen  seiner  heimischen  Insel  ist  er  ein  Grofser.    Und  dieser  Hei- 


BeurteiltmgeD  und  kurze  Anzeigen.  465 

mat  ist  er  nur  wegen  seiner  Herkunft  zuzurechnen:  widrig  Schicksale 
vertrieben  ihn  am  £^nde  des  Knabenalters  mit  seiner  Familie  von  Sar- 
dinien; und  da  er  seitdem  sein  Leben  drüben,  in  Neapel  und  sonst  im 
SSüden  Italiens  verbrachtei  machte  er  eine  andere  Entwickelung  durch,  als 
wenn  er  zu  Hause  geblieben  wäre. 

Sein  äulseres  Los  war  kein  glückliches,  und  dem,  was  er  schrieb,  war 
kein  besseres  beschieden.  Buragna  scheint  zu  Lebzeiten  nichts  dem  Druck 
übergeben  zu  haben;  von  seinem  Nachlals  aber  ging  das  meiste  durch  die 
Sorglosigkeit  der  Freunde  und  den  bösen  WiUen  der  Gegner  verloren. 
So  haben  wir  nur  kärgliche  Nachricht  über  seine,  von  Galileis  Wirken 
beeinflu&ten  Bestrebungen  auf  verschiedenen  Gebieten  der  Wissenschaft, 
besonders  der  Philosophie,  die  seinen  Namen  einst  berühmt  machten. 
Was  gerettet  wurde,  ist  —  auiser  geringen  Prosaresten  —  nichts  als  eine 
kleine,  nur  noch  in  einem  Ebcemplar  bekannte  Ausgabe  von  Liebesgedich- 
ten, die  sich  innerhalb  der  Produktion  jener  Zeit  deutlich  auszeichnen 
durch  die  Abwendung  von  der  secentistischen  Manier,  durch  ein  ZuriicJc- 
gehen  auf  ein  älteres  Vorbild,  auf  Petrarca. 

Einen  *Antimarinisten'  will  Bertani,  im  Gegensatz  zu  Caravelli,  weder 
Buragna  noch  seinen  gleichstrebenden  Freund  rirro  Schettini  nennen,  da 
der  'Marinismus'  zur  Blütezeit  dieser  beiden  Dichter  schon  in  dem  allge- 
meinen *Secentismus'  aufgegangen  war.  Doch  auch  die  —  an  sich  schon 
schreckliche  —  Bezeichnung  'Antisecentist'  lehnt  er  ab,  weil  ihnen  das 
Kämpferische,  das  damit  verknüpft  wäre,  völlig  gefehlt  hat.  Richtiger 
charakterisiert  Bertani  sie  als  Vorläufer  der  Arcadia,  als  erste  Vertreter 
einer  verändeiten  Geschmacksrichtung. 

Dies  der  Kern  der  sorgfältigen,  vielleicht  nur  etwas  zu  ausführlichen 
Abhandlung,  deren  einzelne  Kapitel  die  Familie  Bura^a  in  Sardinien, 
die  Jugend  Carlos,  seine  letzten  Lebensjahre,  die  dichtenschen  Leistungen 
und  seine  Stelle  in  der  Literaturgeschichte  zum  Gegenstande  haben,  be- 
sonders interessant  ist  darin  die  Gestalt  des  Vaters  Giovan  Battista  Bu- 
ragna, eines  energischen,  charaktervollen  Mannes,  der  sich  als  Schrif steller 
und  als  Beamter,  mit  Wort  und  Tat  gegen  die  Mifs Wirtschaft  und  Un- 
gerechtigkeit der  spanischen  l^rannei  wehrte,  die  seine  Heimatinsel  und 
das  neapolitanische  Land  in  Fesseln  hielt.  Indem  Bertani  uns  die  Be- 
kanntschaft mit  Sohn  und  Vater  Buragna  vermittelte,  hat  er  sich  ein 
doppeltes  Verdienst  erworben. 

Breslau.  Richard  Wendriner. 

El  Lindner,  Die  poetische  Personifikation  in  den  Jugendschau- 
spielen Calderons.  Ein  Beitrag  zu  Studien  über  Stil  und  Sprache 
des  Dichters.  (Münchener  Beiträge  zur  rom.  u.  enel.  Philo!.,  hg.  von 
H.  Breymann  und  J.  Schick,  Heft  82).  Leipzig,  Deicherts  Verlag  (Georg 
Böhme),  1904.    X,  150  S.  8.    M.  4. 

Richtig  bemerkt  Gries,  der  Übersetzer  des  Dichters,  Calderon  zeige 
einen  ungeheuren  Überflufs  an  gemachten  stehenden  Phra- 
sen, die  sich  bei  jeder  ähnlichen  Gelegenheit  wiederholen. 
Sammlung  und  Sichtung  dieses  Materials  können  recht  wesentliche  Dienste 
leisten,  zumal  der  sehr  fruchtbare  Dichter  für  sprachliche  Beobachtung 
ein  ausgedehntes  Untersuchungsfeld  bietet.  Ohne  weiteres  leuchtet  der 
vielfache  Nutzen  einer  solchen  Untersuchung  ein.  Denn  erst  die  mög- 
lichst ausgedehnte  Erkenntnis  seiner  Sprache  führt  zur  Erkenntnis  seines 
Gedankenausdrucks,  zunächst  rein  formal,  setzt  aber  den  Leser  iu  den 
Stand,  nicht  blofs,  was  der  Dichter  gesagt  hat,  zu  verstehen,  sondern 
auch,  was  er  hat  sagen  wollen;  auch  an  sprachlich  dunklen  Stellen 
und  wo  auffälliger,  nach  seinem  sonstigen  Spracngebrauch  ungewöhnlicher 
Ausdruck  erscheint,  wird  nach  den  Resultaten  einer  lexikologischen  Über- 


466  BeuTteilung«!!  und  kurze  ABMigen. 

sieht  über  seiiie  Sprache  wenigstene  erkannt  werden  können,  was  an  der 
fraglichen  Stelle  Yon  dem  sonst  üblichen  Ausdmck  abwddit,  vidldcht 
ab^  auch  die  Abeicht  des  Dichters  ^kannt  werden  und  die  richtige  Auf- 
legung zu  ermitteln  sein.  Richtig  macht  Krenkel  in  diesem  Sinne  darauf 
aufmerksam,  dais  Galderon  aus  sich  selbst  erklärt  werden 
müsse  (Vorrede  zu  Bd.  I  der  kommentierten  klassischen  Bühnendich- 
tungen der  Spanier).  Femer  wird  diese  phraseologische  Zusammenstellnng 
einer  kommentierten  Auslegung  einzelner  Stücke  und  der  Lexikographie 
zugute  kommen.  Sie  wird  auch  mit  ihren  G^esamtresultaten  Galderon  als 
Vertreter  des  estilo  culto  charakterisieren,  eine  Stelle  in  der  Geschichte 
der  spanischen  Sprache  ausfüllen,  dem  Dichter  seinen  richtigen  Platz  in 
der  hterarischen  Entwickelung  seines  Volkes  anweisen,  sein  Verhältnis  zn 
ebenso  corforschten  Vor^^ängern  und  Zeitgenossen  bestimmen,  endlich  für 
die  vergleichende  und  die  Weltliteratur  eine  Zusammenstellung  mit  grolsen 
Dichtern  anderer  Nationen  ermögiichen  helfen. 

Einen  Beitrag  zur  Calderon-rorschung  und  zur  Sprachforschung  in 
diesem  Sinne  wül  Ernst  Lindner,  selbstverstiuidlich  mit  Einschränkungen 
und  für  passend  erachteten  Kürzungen,  in  der  vorliegenden  Arbeit  gercn. 

Behack.  Bd.  III,  bei  der  Besprechung  Galderons,  macht  darauf  auf- 
merksam, dais  gerade  bei  diesem  Dichter  die  Sprache  in  ihrer  Entwicke- 
lung Beobachtung;  verdient,  weil  sie  oft  einen  Anhaltspunkt  für  die  Ghrono- 
logie  seiner  Stücke  gibt,  ein  Grund  mehr  für  den  Verfasser,  diese  Bahn 
zu  beschreiten,  zumal  die  sprachliche  Forschung  für  Galderon  noch  viel 
zu  tun  gibt  Mit  dieser  nämlich  haben  sich  beschäftigt:  1)  Valentin 
Schmidt,  der  in  seiner  von  Leopold  Schmidt  besorgen  Ausgabe  der 
Schauspiele  (1857,  Elberfeld)  nur  einen  kleinen  Beitrag  von  G.8  poetischer 
Sprache  gibt;  2)  Joh.  Abert,  Schlaf  und  Traum  bei  Oalderon  (Festschrift 
fiir  Professor  Urlich,  Würzburg  1880);  3)  Max  Krenkel,  der  in  der 
oben  bereits  erwähnten  kommentierten  Äuaaabe  span,  klassüeher  Bühnen- 
dichtungen (Leipzig  1881 — 87)  wertvolles  Material  bietet;  4)  Konrad 
Pasch,  der  in  den  Äu^ewähUen  Sehautpiden  (kUderons  (Freibufg  i.  B. 
1891—96)  gelegentlich  Eigentümlichkeiten  in  Sprache  und  Stil,  niät  er- 
schöpfend. Dehandelt. 

Eine  vollständig  Untersuchung  ad  hoc  mit  abschlielsenden  Resultaten 
fehlt,  kann  auch  nicht  im  Rahmen  ein^  Abhandlung  auf  ein  paar  hun- 
dert Seiten  geführt  werden:  dazu  ist  das  Material  zu  riesig.  Eine  Ab- 
handlung kann,  da  räumliche  und  sachliche  Btochränkung  geboten  ist, 
nur  als  ein  Spezimen  sprachlicher  Erforschung,  immerhin  mit  sachlicher 
Vertiefung  auf  kleinerem  Gebiet,  durchgeführt  werden.  Dies  hat  der  Ver- 
fasser richtig  erkannt  und  meines  Erachtens  eeschickt  durchgeführt.  Von 
den  108  comedias,  die  in  drei  Perioden  gedichtet  werden,  walte  Lindner 
zu  seiner  Untersuchung  passend  die  der  Jugendenoche  des  Dichters,  die 
er  nach  Hartzenbusch  zitiert  (Madrid,  seit  1^8).  »ie  umfalst  die  21  Dra- 
men des  ersten  und  zweiten  Teiles  der  Werke,  die  in  der  editio  princeps 
1636— 87Je  12  Stücke  enthalten.  Dazu  kommen  noch  4  bis  1638,  die 
von  der  Kritik  der  Jugendepodie  zugevnesen  sind.  Wo  bei  Hartzenbusdi 
vielleicht  willkürlich  geänderter  Wortlaut  vorliegt,  ist  der  variierende  Text 
der  ersten  Ausgabe  hinzugefügt. 

Zur  sprachlichen  Untersuchung  auf  diesem  Gebiete  wählte  Lindner 
die  poetische  Personifikation;  mit  Kecht,  weil  die  dichterische  Eigenart 
des  jungen  Dramatikers  hier  besonders  deutlich  erscheint.  Hier  hat  der 
Verfasser  auf  anderen  Gebieten  vergleichender  Forschung  ähnliche  Ver- 
suche schon  vorgefunden,  deren  Mängel  er  vermeiden  konnte,  deren  Vor- 
züge er  sich  zu  eigen  machte.  Friedrich  Goldmann  untersuchte  in 
zwei  Programmen  (Halle  1885  und  1887)  Die  poetische  Personifikation  bei 
Plautus,  Hoburg  brachte  in  einem  Programm  (Husum  1872)  Emige  Bilder 
und  Personifikationen  aus  Shakespere;  G.  G.  Hense  behandelte  Personi- 


Beurteilungen  und  kurze  Anzeigen.  467 

fikaiionen  in  grieeküeJien  Dichtungen  (Festschrift,  Parcbim  1864;  Halle 
1868,  8^;  und  in  zwei  Programmen:  Parchim  1874;  Schwerin  1877).  Lind- 
ner  vermied  es,  wie  Hense  tut,  von  den  personifizierenden  Attributen  aus- 
zugehen; er  folgte  Goldmanns  und  Hoburgs  Weg,  Gegenstände  uud  Er- 
scheinungen, wie  sie  der  Lesestoff  brachte,  der  Il^ihe  nach  zu  betrachten. 
Auch  so  bieten  sich  noch  Schwierigkeiten  genug.  Was  ist  hier  als  Per- 
sonifikation anzusehen  ?  Grammatiker  una  Rhetoriker  weichen  selbst  in 
ihren  Definitionen  voneinander  ab.  Hense  und  Goldmann  fassen  den  Be- 
j^riff  zu  weit:  sie  nehmen  Fälle  hinzu,  die  vielleicht  besser  als  Metonymie, 
Synekdoche  oder  Metapher  anzusprechen  sind,  wie  Brinkmann,  Die 
Metapfiem  (Bonn  1878),  wahrscheinlich  macht.  Auch  bleiben,  nach  Aus- 
schaltung dieser  Fälle,  immer  noch  zwei  Arten  eigentlicher  Personifikation 
zu  unterscheiden :  1)  die  durch  den  Gebrauch  überlieferten,  in  der  an  sich 
schon  bilderreichen  spanischen  Sprache;  2)  die  von  dem  jungen  Dichter 
absichtlich  geschaffenen.  Erstere,  die  verblafsten,  kommen  hier  nicht 
in  Betracht;  für  unzweifelhaft  Calderonisch  werden  nur  die  letzteren  gelten 
können  und  in  dem  Rahmen  der  sprachlichen  Fortentwickelung  von  Be- 
deutung sein.  Doch  wird  eine  bestimmte  Scheidung  nur  durch  vergleich 
in  Wörterbüchern  und  eingehende  Beobachtung  von  Calderons  Sprach- 
gebrauch möglich. 

Auch  das  Wie  der  Ausführung  bietet  Schwierigkeiten.  Lindner  ver- 
suchte jedes  Bild,  in  dem  mehrere  Vorstellungen  aus  verschiedenen  Ge- 
dankenkreisen verschmolzen  sind,  in  seine  einzelnen  Bestandteile  zu  zer- 
legen und  führte  diese  an  verschiedenen  Stellen  auf.  Dabei  muiste  er 
einer  trockenen  lexikalen  Aufzählung,  die  zu  einem  Sonderwörterbuch  ge- 
fuhrt hätte,  aus  dem  Wege  gehen :  er  durfte  nicht  die  Stellen  im  Original 
ohne  belebenden  Zusammenhang  nebeneinander  stellen.  Er  ord- 
nete deswegen  den  Katalog  seiner  Gegenstände  sachlich  nach  Haupt- 
begriffen und  gab  die  jeweilig  zu  zitierenden  Bilder  im  Zusammenhang 
mit  gelungener  poetischer  oder  meist  sehr  genauer  prosaischer  Übersetzug 
der  ganzen  zugenörigen  Stelle,  deren  Erläuterung  er  vornimmt.  Auf  diese 
Weise  ermöglichte  er,  auch  in  langer  Reihe  von  Fällen  zu  einem  Haupt- 
begriff, Klarheit  für  jedes  Bild  für  sich  im  Zusammenhang  mit  seiner 
Stelle. 

Die  weitaus  gröfste  Zahl  der  Personifikationen  betrifft  Gegenstände 
aus  dem  Gebiet  der  Natur,  in  denen  sie  als  plastische,  plastisch- 
beseelende, beseelende  erscheinen.  So  personifiziert  der  Dichter 
z.  B.  die  Sonne,  deren  Strahlen  er  mit  Vorliebe  ihre  blonden  Haare 
nennt,  die  sie  weit  ausgebreitet  über  Berge  und  Wälder  entfaltet;  Purg. 
I,  157b: 

el  8ol  las  dorudas  trenzas 
Extiende  desmaraüadas 
Sobre  los  montes  y  selvaa. 

Auch  im  übertragenen  Sinne;  so  Saher  I,  30*^ — 31*,  wo  die  goldenen 
Locken  der  Sonne  noch  hinter  dunklen  Wolken  verhüllt  sind:  aber  bald 
wird  ihr  Licht  wieder  hell  erstrahlen,  d.  h.  die  Wahrheit  wird 
bald  an  den  Tag  kommen: 

Sacari  k  lus  la  verdad 
Destos  nubladoB  que  ban  sido 
La  noche  de  vuestro  bonor, 
Hasta  que  claros  y  limpios 
Deje  el  sol,  vendendo  sombras 
CabelloB  Crespos  y  rizos. 

Zu  S.  12,  1  bemerke  ich:  Lindner  sagt:  Die  Sonne  wird  auch  zum 
Phoebus   Apollo,    der   mit   Anbruch   des   Abends    seine   gol- 


468  BearteUungen  und  knne  Anzeigeii. 

denen  Locken  in  den  silber^linzenden  Wogen  badet  nnd  der 
Nacht  die  Erlaubnis  gibt,  ihre  schwarzen  Schatten  zu  ent- 
falten; Ärgenis  I,  437: 

el  dorado  Febo 

Bn  ondu  de  plata  y  nieve 

Bafia  loi  nibio6  cabelioe 

Dando  lieencia  k  la  Doehe 

Que  baje  entre  oscnros  yelos. 

In  dieser  plastisch-beseelenden  Personifikation  könnte  das  Bild  der  Nacht 
noch  anschaulicher  werden,  wenn  man  die  letzte  Zeile  wörtlich  wiedergibt ; 
die  Nacht  soll  nicht  ihre  schwarzen  Schatten  entfalten,  sondern 
nach  der  letzten  Zeile  zwischen  dunklen  Schleiern,  d.  h.  angetan 
mit  dunklen  Schleiern,  herabsteigen. 

Auf  derselben  S.  12,  zu  Anm.  9,  gibt  Lindner  an,  daüs  die  Nacht, 
in  Schatten  gehüllt,  den  leuchtenden  Sonnenwagen  in  den 
kühlen  Wellen  verbirgt.  Auch  hier  ist  das  Bild  nicht  genau  wieder- 
gegeben, wie  vorher.    Die  Stelle  lautet  (FHne.  I,  260^): 

....  la  noche, 
EnTQelta  en  sombras,  el  Inminoio  ooche 
Del  toi  eaconde  entre  las  ondaa  puras. 

Oemdnt  ist  offenbar,  wie  die  letzte  Zeile  erweist,  ein  klarer  Sonnen- 
reflex, d.  h.  die  Sonne  eoll  ihr  Bild  in  den  klaren  Wellen 
widerspiegeln.    Was  sollen  hier  kühle  Wellen? 

Im  übrigen  will  ich  gerade  der  Sorgfalt,  mit  der  der  Verfasser  nach 
den  Texten  die  deutsche  Einkleidung  zur  Entwickdung  der  Bilder  aus- 
geführt hat,  die  verdiente  Anerkennung  nicht  versagen.  Denn  gerade  die 
Einkleidung  setzt  den  Leser  in  den  Stand,  Jede  der  angezogenen  Stellen 
selbst  zu  beurteilen,  ohne  erst  jedesmal  die  Texte  nachzulesen. 

Auch  habe  ich  bei  sorgfältiger  Prüfung  der  Zitate  nur  wenige  Druck- 
fehler oder  Ungenauigkeiten  gefunden,  die  ich  gleich  hier  erledigen  möchte: 

S.  20,  Anm.  7,  Zeile  5 :  ,..  el  nuu  remoto  eUma,  donde  d  sol  ap6nas 
nudo  lueiente  del  globo,  se  defar  (icechar  du  dia.  Zu  lesen:  se  d^a 
aeechar  d.  d. 

S.  24,  Anm.  3 :  ...  esos  rayos,  de  guten  el  eielo  fue  un  amago  brere, 
statt  amägo  (oder  dmago,  das  nler  unmöglich). 

S.  58,  Anm.  5: 

Si  al  mismo  oielo  te  sabes, 
Campafia  serin  las  nubes 

Qoe  hagan  de  mi  honor  alarde.       May.  noHstruo  I,  498^. 
Zu  lesen  campana. 

In  vier  Kapiteln  von  sehr  ungleicher  Länge  behandelt  Lindner  nun: 
1)  S.  8 — 99  Personifikationen  aus  dem  Gebiete  der  Natur;  2)  P.  von 
Teilen  des  menschlichen  Körpers,  sowie  von  Äufserungen  und  Zuständen 
seiner  sinnlichen  und  seelischen  Existenz ;  3)  P.  von  abstrakten  Begriffen; 
1)  P.  von  Gebäuden,  Geräten.  Kap.  2 — 4  geben  zusammen  auf  48  Seiten 
kaum  die  Hälfte  der  Ausbeute  von  Kap.  1.  In  der  Tat  kommt  bei  C, 
wie  Lindner  in  den  am  Schlufs  entwickelten  Ergebnissen  (S.  149)  richtig 
hervorhebt,  namentlich  in  der  Sprache  der  Liebenden  das  reiche  Gebiet 
der  Natur  zur  Geltung,  und  hier  zeis;t  der  Dichter  die  ganze  Fülle  und 
Kraft  seiner  poetischen  Phantasie.  Zuzugeben  ist,  dafs  er  biswdlen  des 
Guten  zu  viel  tut:  so  in  der  überschwenglichen  Schilderung  des  Festes 
zur  Huldigung  für  den  Kroninfanten  Baltasar  (unter  Philipp  IV.,  März 
IG32  zu  Madrid),  in  dem  Stück  La  handa  y  la  flor,  aas  man  bei 
Schlegel  I,  3()8  nachlesen  kann.  Richtig  bleibt  schlielJslich,  wenn  man 
Calderon  neben  Shakespere  betraditet,  trotz  aller  Begeisterung  für  den 


Beurteilungeii  und  kurze  Anzdgeo.  469 

grofsen  Spanier^  dafs  er  in  seinen  Personifikationen  einen  Vergleich  mit 
dem  Briten  nicht  aushält  (S.  150),   worin  man  dem  sorgfältig  prüfenden 
Verfasser  wohl  recht  geben  darf,  obwohl  er  seine  Untersuchung  nur  auf 
daa  erste  Drittel  des  gesamten  zu  beurteilenden  Materials  beschränkt. 
.  Charlottenburg.  George  Carel. 


Th.  Both^  Der  Einflufs  von  Ariosts  Orlando  FuricNso  auf  das 
französische  Theater.  (Münchener  Beiträge  zur  rom.  u.  engl.  Philol., 
h^.  von  H.  Breymann  und  J.  Schick,  Heft  34.)  Leipzig,  Deicherts 
Verlag  (Georg  Böhme),  1905.  XXII,  255  S.  8  (nebst  Anhang,  8  S.). 
M.  5,80. 

Auf  die  französische  Literatur  hat  von  den  fremden  wohl  die  ita- 
lienische den  nachhaltigsten  Einflufs  ausgeübt,  obwohl  namentlich  seit  der 
Renaissance  Dichter  und  Schriftsteller  bdiaupten,  sich  durch  das  Studium 
und  nach  dem  Vorbild  der  Alten  gebildet  zu  haben,  eine  Angabe,  die  sich 
bis  in  die  Literaturgeschichten  der  neuesten  Zeit  fortgeerbt  hat.  Sainte- 
Beuve,  Saint-Marc  Girardin,  Nisard  stellen  die  Nachahmung  des  Alter- 
tums als  vorherrschend  hin  und  berühren  italienische  Einwirkungen  nur 
fluchtig.  Auch  für  Lotheissen  ist,  trotz  seines  nachdrOcklichen  ]ffinweises 
auf  die  Bedeutung  italienischen  Schrifttums  in  Frankreich,  die  Pleiade 
zuerst  Nachahmerin  der  Alten,  Malherbe  einseitiger  Bewunderer  der  Grie- 
chen und  Römer,  Kegnier  nur  Schüler  des  Horaz.  Seit  Du  Verdier  (1585}, 
der  nur  Übersetzungen  und  freie  Übertragungen  italienischer  Dichter  auf- 
zählt, italianisierende  französische  Lyrik  aber  gar  nicht  zu  kennen  scheint, 
bis  Ende  des  18.  Jahrhunderts  erfährt  der  italienische  Einflufs  nur  lücken- 
hafte und  unkritische  Würdigung.  Einen  Anfang  zu  seiner  Erforschung 
macht  An t.  Scoppa  (1803),  Traite  de  lapoesie  üaltenne,  rapporte  ä  la  poSsie 
fran^iae,  indem  er  nachweist,  dafs  ein  grofser  Teil  der  französischen  Vers- 
kunst von  der  italienischen  beeinflufst  wurde.  Auch  ßathery  (1858), 
Infltience  de  l* Balte  sur  les  lettrea  franpaises  depuis  le  XIII'  aücle  jusqu'au 
ritgne  de  Louis  XlVy  spricht  zur  Frage,  untersucht  aber  mehr  den  Ein- 
flufs Frankreichs  auf  Italien  und  sucnt  z.  B.  Tassos  afrz.  Quellen  zu  er- 
mitteln, brin^  aber  am  Schlufs  erst  die  Urteile  von  Boileau  und  Voltaire. 
Gründlicher  ist  E.  Arnould  (1858)  in  den  ^Essais  de  throne  et  d'histoire 
litt^raire':  De  Vinfluence  exercee  par  la  lütirature  italienne  sur  la  litterature 
fran^ise.  Chronologisch  und  übersichtlich  untersucht  er  den  Einflufs  des 
italienischen  Stiles  auf  den  französischen,  geht  aber  nicht  ins  einzelne,  be- 
hauptet z.  B.,  'für  die  zweite  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  sei  bei  franzö- 
sischen Schriftstellern  italienischer  Einflufs  leicht  erweislich,'  legt  aber 
keinen  Wert  darauf,  ihn  zu  verfolgen.  Auch  D^mogeot  (1880),  laisiaire 
des  littSrcUures  etrangh'es,  spricht  iiber  die  Frage,  nach  Bathery,  und  sucht 
mehr  nach  französischem  Einflufs  in  Italien. 

Erst  E.  Campardon  (1880),  Les  Comediens  du  Rot  de  la  troupe  ita- 
lienne pcndani  les  deux  derniers  sieclesj  geht  in  die  Frage  ein,  soweit  sie 
mit  der  inneren  Geschichte  seines  Gegenstandes  zusammenhängt.  Nolhac 
e  Solerti  (1890),  //  viaggio  in  ItaTia  di  Enrico  III,  besprechen  in  ihrer 
ausführlichen  Beisebeschreibung  des  Königs  erstes  Zusammentreffen  mit 
den  eomid  gelosi  in  Venedig.  A.  L.  Stiefel  forscht  nach  unbekannten 
iial,  Quellen  Mt  Jean  Rotrou,  Bd.  LXXXVI,  47  (1891)  unserer  Zeitschrift 
nach  den  Quellen  des  Parasüe  von  Tristran  VHermite.  —  Den  Einflufs  der 
italienischen  Benaissance  auf  die  französische  betrachtet  J.  Texte,  Reirue 
des  Cours  et  Conferences  (1894)  und  Etudes  de  liUSrature  eurapSenne  (1898), 
bringt  aber  keine  Beweise.  —  Fr.  Flamini  (1895),  Studi  di  stör,  lett.  itcU, 
e  straniera,  erörtert  den  Einflufs  Itnliens  auf  Franz  I.  und  die  Universität 
Paris.  —  Sehr  verdienstvoll  ist  P.  Toldo,  der  bei  der  Untersuchung  der 
französischen  Novellen  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  die  Hälfte  der  Stoffe 


470  BeurteilimgeEi  und  kurze  Anzogen. 

schon  in  italienischen  Sammlungen  vorfindet,  was  auch  gegen  Gaston  Paris 
bestehen  bleibt.  Noch  wichtiger  sind  Toldos  Untersuchungen  über  das 
Drama  Ü898 — 99):  La  Gomidte  fran^ise  de  la  Renaissancey  durch  die 
gründlicne  Analyse  der  Motive  in  beiden  Literaturen.  —  Bd.  C,  103  un- 
serer Zeitschrift  (1899)  entwickelte  er  L'arU  ücUtana  neU'opera  di  Babelats. 
Ebenso  untersuchte  er  die  italienischen  Beziehungen  von  Montesquieu, 
Diderot,  Voltaire.  Zum  erstenmal  untersucht  J.  Vianey  (1900^,  L'ÄriosU 
et  la  PUiajdey  in  dem  Buü.  üal.  I,  das  Verhältnis  besonders  hinsichtlich  der 
Lyrik.  —  Einen  Versuch^  die  Wechselbeziehungen  italienischen  und  franzö- 
sischen Schrifttums  zusammenzufassen,  machte  Betz,  La  litterature  eotn- 
parte  (1900),  doch  unübersichtlich,  da  die  Schriften  nicht  nach  Gruppen« 
sondern  nach  ihrem  Erscheinen  ^rdnet  sind.  —  Gegenüber  den  älteren 
Literaturhistorikern  sind  die  verdienstvollen  Arbeiten  von  Lanson..  Morf 
und  Petit  de  JuUeville  von  dem  Verfasser  mit  Recht  benutzt  und 
berücksichtigt  worden. 

Ausgehend  von  der  Bedeutung  der  ewigen  Stadt  als  Mittelpunkt 
und  oft  ersehntes  Besuchsziel  der  abendländischen  Christenheit  und  der 
Schätzung  der  Seinestadt  als  Hochburg  scholastischer  Gelehrsamkeit, 
knüpft  der  Verfasser  früh  die  eigentlich  nie  ganz  und  lange  unterbroche- 
nen Beziehungen  zwischen  Rom  und  Paris.  Sie  beginnen  schon  mit  den 
gegenseitigen  dienstlichen  Besuchen  der  päpstlichen  L^aten  und  der 
ischöfe  aes  allerchristlichsten  Königs;  Scholastiker  und  Dichter,  gerade 
die  gröfsten,  kommen  wissensdurstig  oder  schutzbedürftig  nach  Frank- 
reich: Thomas  von  Aquino  und  Brunetto  Latini;  Pico  della  Mirandola, 
Dante,  Petrarca,  Boccaccio.  Bald  lesen  und  studieren  die  Or^tin,  Molinet, 
Chastellain,  Meschinot  die  guten  Schriftsteller  Italiens,  die  ersten  Über- 
setzungen von  Dante,  Petrarca,  Boccaccio  dringen  in  weitere  Kreise,  wozu 
bei  Blanc,  Bibliographie  itcUo-fran^ise  (1886)  in  der  BM.  de  traduetions 
fran^ises  d'auteurs  italiens  die  Beweise  vorli^en.  Seit  diesen  Anfängen 
hat  der  literarische  Verkehr  mit  Italien  nicht  aufgehört,  ist  also  ein  so 
eindringlicher  und  wirkungsvoller  geworden,  dafs  er  bis  zu  Ariost  eine 
fortlaufende  geschichtliche  Betrachtung  der  Dichtungsarten  erfordert,  die 
als  Einleitung  dem  Hauptabschnitt  der  Arbeit :  Ariost  in  Frankreich, 
vorangehen.  Roth  ..bespricht  also  in  vier  weiteren  Abschnitten,  die  der 
bibliographischen  Übersicht  des  I.  Abschnittes  folgen,  den  italienischen 
Einflufs  II.  auf  die  französische  Lyrik,  III.  auf  das  französische  Epos, 
IV.  auf  die  Novelle  und  den  Roman,  V.  endlich  auf  das  französische 
Theater,  das  in  fünf  Unterabteilungen  1)  italienische  Schauspieler  in  Frank- 
reich, 2j  italienischen  Einfluis  auf  die  Tragödie,  8)  den  auf  die  Komödie, 
4)  den  auf  die  Pastorale,  5)  den  auf  die  Oper  untersucht  In  knapper 
Aufzählune  trägt  er,  nach  dem  Stande  der  Forschung,  Schriftsteller,  ihre 
Werke  und  den  beobachteten  Einflufs  vor,  mit  Nachweis  von  untersuchen- 
den Schriften  und  Dokumenten  (S.  9 — 71). 

Es  folgt  die  Besprechung  Ariosts  in  Frankreich  (S.  75—248). 
Sie  zerfällt  in  zwei  sachliche  Hauptteile,  die  sich  nach  der  Einführung 
des  Dichters  und  der  Einwirkung  seiner  Dichtung  auf  das  französische 
Theater  bestimmen.  Der  erste  Teil  spricht  I.  von  Ariosts  Einführung  und 
Verbreitung  in  Übersetzungen,  II.  von  seinem  Einflufs  auf  die  franzö- 
sische Lyrik,  III.  von  seinem  Einflufs  auf  das  Epos,  IV.  von  seinem  Ein- 
flufs auf  das  französische  Theater.  Dieser  letzte  Abschnitt  ist  die  Haupt- 
aufgabe der  ganzen  Abhandlung  und  bildet  füglich  den  zweiten  Teil  der 
Untersuchung.  Sie  zerfällt  nach  den  Hauptepisoden  des  Orlando,  die  bis 
ins  einzelne  geprüft  werden,  in  elf  Abschnitte;  ein  zwölfter  fiiiirt  ver- 
einzelte Entlehnungen  auf. 

In  den  Ergebnissen  (S.  248 — 255)  kommt  Roth  für  das  Verhältnis 
beider  Literaturen  zu  wichtigen  Resultaten,  die  sicherlich  nicht  ganz  neu 
sind,  deren  Richtigkeit  im  ganzen  aber  nicht  anzufechten  sein  wird,  ob- 


Beurteilimgen  und  kurze  Anzeigen.  471 

gleich  sie  die  Stellung  Italiens  in  ganz  neuer  Beleuchtung  erscheinen 
lass^.  Daran  ändert  der  Umstand  nichts,  dais  die  Sond^orschung  im 
einzelnen  immer  noch  zu  korrekteren  Erkenntnissen  füfaxen  kann:  sie 
^iverden  die  Gesamtresultate  nicht  wesentlich  alterieren. 

Als  erwiesen  darf  man  ansehen,  dafs  Italiens  Anteil  an  der  Entwicke- 
lung  der  neufranzösischen  Literatur  ebenso  wichtig  ist,  manchmal  sogar 
noch  wichtiger  als  der  antike  Einflufs;  bei  letzterem  namentlich  hat 
Italien  oft  die  Vermittlerrolle  zu  spielen,  durch  Dichter,  Gelehrte, 
Künstler  wie  durch  Meisterwerke  im  Original  oder  in  Übersetzungen,  die 
den  antiken  Q&st  vermitteln. 

In  Form  und  Inhalt  der  französischen  Lyrik  ist  italienischer  Einflufs 
anzuerkennen  seit  Einführung  der  terxa  rima  durch  J.  Lemaire  de  Beiges. 
IDie  Sonettdichtung  ist  ganz  italienischen  Ursprungs. 

Die  Ode  verdankt  ihre  Anregung  bei  der  Pleiade  weniger  den  Alten 
al8  dem  Italiener  Alamanni.  Von  Marot  bis  Malherbe  herrschen  in  der 
lyrischen  Dichtung  als  Muster  platonischer  Liebe  Petrarca,  als  Muster 
sinnlicher  Erotik  ßembo  und  Ariost. 

Im  Epos  enthält  Bonsards  Franciade  viele  Entlehnungen  aus  Or- 
lando ;  spatere  romantische  Epiker  schöpfen  aus  ihm  und  der  Gerusalemme 
liberata.  Das  komische  Epos  ist  ganz  auf  die  italienische  burla  zurück- 
zuführen. Sogar  Henri  ade  und  Pucelle  von  Voltaire  haben  noch  den 
Hauch  der  itäienischen  Epiker.  Und  im  19.  Jahrhundert  nennt  Victor 
Hugo  Dante  seinen  Divin  maitre. 

Die  Novelle  stammt  nicht  aus  den  altfranzösischen  fabliaux,  sondern 
in  der  Hauptsache  aus  der  italienischen  Novella.  Lafontaines  Vers- 
zählungen gehen  zur  Hälfte  auf  italienische  Quellen  zurück ;  Montesquieus 
Lettres  persams,  Voltaires  Zadtg  haben  italienische  Vorbilder. 

Auf  dem  Theater  ist  italienischer  Einflufs  dem  antiken  mindestens 

fleichzustellen.  Mit  dem  Einzug  italienischer  Schauspieler  und  dem  Auf- 
ommen  der  Com  media  delParte  beginnt  ein  konstituierter  Schau- 
spielerstand seine  Arbeit  nach  italienischem  Muster.  Die  altfranzösische 
Farce  schwindet.  Moli^res  OharakterkomÖdie  steht  unter  italienischem 
Einflufs,  der  auch  im  18.  Jahrhundert  noch  fortdauert,  im  19.  bei  A.  de 
Musset  anzutreffen  ist. 

Weniger  abhängig;  erscheint  die  Tragödie;  zunächst  sind  Vorbilder 
Seneca  und  die  Spanier;  aber  1550 — 163(5  werden  auch  italienische  Tra- 
gödien nachgedichtet;  dann  wieder  im  18.  Jahrhundert  Metastasio  und 
Alfieri. 

Pastorale  und  Oper  sind  spezifisch  italienisch^  werden  zeitweilig  spa- 
nisch, aber  seit  Mazarin  bis  Verdi  italienisch. 

Den  mächtigsten  Einflufs  zeigt  Ariost;  er  ist  97  mal  übersetzt  worden 
(Anhang  S.  256—263).  Im  16.  und  17.  Jahrhundert  sind  fast  alle  Epi- 
soden des  Furioso  in  ihrer  vollen  Tragik  von  französischen  Dichtem  er- 
fafst  und  dramatisiert  worden,  wahrscheinlich  weil  man  das  Bitterepos  in 
dieser  Zeit  noch  versteht.  Die  Aufklärung  des  18.  Jahrhunderts  zerstört 
diesen  romantischen  Zauber  durch  zahlreiche  Parodien,  die  in  der  neuen 
romantischen  Schule  des  19.  Jahrhunderts  die  Rittergestalten  des  Orlando 
nicht  wieder  aufkommen  lassen;  die  Zeit  der  letzteren  auf  dem  Theater 
scheint  vorüber  zu  sein. 

Beide  Arbeiten,  Lindners  Calderon  und  Boths  Orlando  auf  dem 
franxösischen  Theater,  seien  dem  Studium  bestens  empfohlen. 

Charlotten  bürg.  George  Carel. 


der  vom  9.  März  bis  zum  31.  Mai  1906  bei  der  Redaktion 

eingelaufenen  Druckschriften. 


Zeitschrift  für  Österreichische  Volkskunde.  XII,  1 — 8  [A.  Sikora,  Zur 
Geschichte  der  Zillertaler  Tracht.  —  J.  Blau,  Die  tschechische  Volkstracht 
der  Tauser  Gegend.  —  Joh.  Bochmann,  Das  Erzgebirge  nadi  seinen  Sied- 
lungen und  die  Beschäftigung  seiner  Bewohner.  —  £.  Weslowski,  Die 
Möbel  des  rumänischen  Hauernhauses  in  der  Bukowina.  —  A.  Sikora. 
Zwei  alte  Tiroler  Bauernhäuser.  —  £.  Zellweker,  Leipniker  Dreikönigslied. 
—  A.  Hellwig,  Umfrage  über  kriminellen  Aberglauben]. 

Ratz  ei,  Friedrich,  Kleine  Schriften.  Ausgewählt  und  hg.  durch  Han^ 
Helmolt.  Mit  einer  Bibliographie  von  Victor  Hantzsch.  Mit  dneni 
Bildnis  Friedrich  Eatzels  una  zwei  Tafeln.  Mönchen  u.  Berlin,  R.  Olden- 
bourg,  1906.  2  Bde.  I:  XXXV,  530  8.,  II:  IX,  542  S.,  und  Bibliographie 
LXlI  8.    M.  25. 

Haywar^,  F.  H.,  Drei  historische  Erzieher:  Pestalozzi,  Fröbel,  Uer- 
bart  Autor.  Übersetzung  von  G.  Hief.  Leipzig,  London,  Paris,  A.  Owen 
&  Co.,  190().    6«  S.    M.  1,60. 

Kleinpeter,  Hans,  Mittelschule  und  (jegenwart  Entwurf  einer 
neuen  Organisation  des  mittleren  Unterrichts  auf  zeitgemäfser  Grund- 
lage.   Wien,  Fromme,  1906.    VI,  100  8.    M.  2,50. 


Literaturblatt  f.  germanische  u.  romanische  Philologie.  XXVII,  3 — I 
(März— April  1906). 

Modern  language  notes  XXI,  3  [R.  Holbrook,  Pateiin  in  the  oldest 
known  texts:  I.  Guillaume  Le  Roy,  Pierre  Levet,  Germain  Beneaut  — 
K.  D.  Jessen,  A  note  on  phonetics.  —  FL  Tupper,  Legacies  of  Ludan. 
—  F.  Wehse.  Chronological  order  of  certain  scenes  in  Gmihe's  Faust  — 
A.  8.  Cook,  Samson  Agonistes.  —  J.  A.  Childy  A  note  on  the  Introduzione 
alle  virtü.  —  P.  M.  Bück,  Notes  on  the  Shepherd's  calendar  and  other 
matters  concerning  Üie  life  of  Edmund  Spenser.  —  A.  Remy,  Some  Spanish 
words  in  the  worls  of  Ben  Jonson.  —  L.  Lockwood,  A  note  on  Milton's 
geography.  —  H.  Baker,  On  a  passage  in  Marlowe's  Faustus].  4  [F.  Tupper, 
Dolutions  of  the  E^eter  book  riddles.  —  8haw,  Another  early  monument 
of  the  Italian  language.  —  Klaeber,  Hildebrandslied.  —  Cook,  Chaucer: 
Pari.  Foules  353 ;  Kotes  on  Marlowe's  Tamburlaine,  first  part.  —  Browne, 
Lucian  and  Jonson.  —  Schinz,  Simplification  of  French  orthography.  — 
Walz,  Schillers  Spaziergang  and  Thomson's  SeasonsJ. 

Publications  of  the  ]^£)dern  Language  Association  of  America  XXI, 
1  [Frank  Edgar  Farley,  Three  Lapland  songs.  —  J.  W.  Scholl,  Schl^rel 
and  Goethe  1790—1802:  A  study  m  early  German  romanticism.  —  J.  W. 
Cunliffe,  Nash  and  the  earlier  Hamlet.  —  H.  Seidel  Canby,  The  English 
fabliau.  —  R.  W.  Trueblood,  Montaigne:  The  average  man.  —  Kenneth 
McKenzie,  Italian  fahles  in  yerse]. 


Verzeiclmis  der  efngelaufenen  DruckschrifteD.  473 

Die  neueren  Sprachen  ...  Iig.  von  W.  Vietor.  XII,  10  [Th.  Gautier, 
Remarques  sur  le  dictionnaire  de  Sachs-Villatte.  —  H.  Th.  Lindemann,  Der 
Humor  Addisons.  —  Besprechungen.  —  Vermischtes].  XIII,  1  [K.  Haag, 
Vom  Bildungswert  des  Sprachenlernens.  —  R.  J.  Lloyd,  Glides  between 
consonants  in  English  (IX).  —  Berichte.  —  Besprechungen.  —  Vermischtes]. 

Schweizerisches  Archiy  für  Volkskunde,  h^  von  £.  Hoffmann- 
Krayer  und  M.  Re^mond.  X,  1  und  2  [B.  f'reuler,  Die  Holz-  und 
Kohlentransportmittel  im  südlichen  Tessin.  —  A.  Hellwig,  Die  Beziehungen 
zwischen  Aberglauben  und  Strafrecht.  —  Un  livre  de  meige  vaudois.  — 
A.  Rossat,  Les  Paniers  (Fin).  —  S.  Meier,  Volkstümliches  aus  dem  Frei- 
und  Kelleramt.  —  Miszellen.  —  Kl.  Chronik.  —  Bücheranzeigen.  —  Biblio- 
graphie]. 

Modern  language  teaching  II,  8  JBourdillon,  Poetic  touch  in  classical, 
mediseyal  and  modern  times.  —  £.  MiaU,  My  little  French  class.  —  C.  E. 
Stockton,  Notes  of  an  elementary  German  class.  —  Atkinson,  Modern 
language  teaching  in  the  TransvaaL  —  Lloyd,  On  thinking  in  a  foreign 
language]. 

SkandinaTisk  mänadsrevy  I,  7  [H.  Hungerland,  Das  historische  Stu- 
dium der  deutschen  Spradie,  Fortsetzung  und  Schlufs.  —  E.  A.  Kock, 
Welche  Substantive  gehören  zur  gemischten  Deklination?  —  Esperanto 
or  English?  (Holge  Wiehe,  The  case  for  Esperanto;  Godmund  Schätle, 
The  case  for  EngUsh)].  8  [H.  Söderb^h,  Tyska  eller  Enj^elska?  — 
H.  Hun^rland,  Gustav  Falke.  —  C.  S.  Fearenside,  The  Kiphngreader: 
Famine  m  India.  —  C.  Polack^  Les  livres  de  M.  Krön].  9  [H.  Hunger- 
land, Zur  Frage  der  Universitätslektorate  in  Schweden.  —  G.  Cohen, 
Le  parier  beige.  —  A  new  Swedish  Hamlet  —  H.  Hun^erland,  Schiller 
in  England.  —  H.  Hungerland,  Radikale  Reform  oder  vermittelnde  Methode 
im  neusprachlichen  Unterricht?  —  C.  S.  Fearenside,  Questions  in  fkigUsh 
pronunciation]. 

Modem  lan^age  review  I,  3  [E.  Armstrong,  Dante  in  relation  to  the 
Sports  and  pastimes  of  his  age.  —  J.  Derocquigny,  Lexicographical  notes. 

—  F.  W.  Moorman,  Shakespeare's  ghosts.  —  P.  G.  Thomas,  Notes  on 
the  language  of  Beowulf.  —  H.  Bradley,  Some  textual  puzzles  in  Greene's 
Works.  —  J.  T.  Hatfield,  Newly  -  diacovered  political  poems  of  Wilhelm 
Müller.  —  H.  J.  Chaytor,  Giraut  de  Bomelh :  Los  Apleitz.  —  Miscellaneous 
notes.  —  Reviews.  —  Minor  notices.  —  New  pubhcations]. 

Neuphilologische  Mittdlungen,  hg.  vom  Neujphil.  Verein  in  Helsing- 
fors.    Nr.  3/4.     1906  TW.  Söderhjelm,  Jehan  de  Paria.  —  Besprechungen. 

—  Die  schriftlichen  Maturitätsprcben  im  Frühjahr  1906.  —  Protokolle.  — 
Eingesandte  Literatur.  —  Mitteilungen]. 

M^moires  de  la  Soci^t^  n^o'philologique  h  Helsingfors.  IV.  Helsing- 
fors  Waseniuska  bokhandeln;  Paris,  Welter;  Leipzig,  Harrassowitz,  1906. 
409  S.  [0.  J.  Tall^een,  Las  «  y  p  del  antiguo  castellano  iniciales  de  sllaba, 
estudiadas  en  la  m^dita  Oafifa  de  Segovia,  [Die  Oaya  6  Conaonantea  de 
(Pero  Ouiäen  de)  Segovia  ist  ein  handschriftlicnes  Rimarium  aus  dem  letz- 
ten Viertel  des  15.  Jahrhunderts,  also  älter  als  Nebrijas  'Ortographie'  1517. 
Die  Arbeit  tritt  zu  den  verwandten  von  Cuervo,  Ford  und  Saroihandy.  Tall- 
green  teilt  die  Auffassung,  die  der  letztere  im  Bulletin  hispaniaue  1902 
vorgetragen  hat.]  —  Torsten  Söderhjelm,  Die  Sprache  in  dem  altfr.  Martins- 
leben des  P^an  Gatineau  aus  Tours.  Eine  Untersuchung  über  Lautver- 
hältnisfle^  Flexion,  Vers  und  Wortschatz.  [Eine  sorgfältige,  wertvolle  Studie, 
durch  die  ein  Bruder  die  verdienstliche  Arbeit  des  andern  ergänzt]  — 
H.  Pipping,  Zur  'Dieorie  der  Analogiebildung.  [Von  Jespersens  Einteilung 
'a)  erhaltende  und  b)  schaffende  ^alogiebudungen'  ausgehend,  zeigt  r. 
unter  Zugrundelegung  dänischen  Sprachmaterials,  dals  die  beiden  Formen 
der  Analogie  versdiiäene  Lebensbedingungen  haben,  und  dafs  der  erhal- 
tenden Analogiebildung  die  grölsere  Bedeutung  zukommt.]  —  A.  L&ngfors, 

Archiv  f.  n.  Sprachen.    GXYI.  31 


474  VerzeichDis  der  eingelauieDen  DruckschiifteD. 

Li  Ate  Maria  en  JRoumans  par  Huon  le  Eoi  dt  Cambrai,  publik  pour  U 
premi^re  fois.  —  J.  Poirot,  Quanti^g  et  accent  dynarnique,  travail  dn  I&- 
Doratoire  de  physiologie  ä  l'uniyenit^  de  Helsmgfon,  Section  de  phooe- 
tique  exp^rimentale.  —  M.  WaseniuB,  Uate  des  trayaux  snr  lea  lasgii« 
et  litt^ratures  modernes,  publica  en  Finlande  1902 — 51. 

Panzer,  Fr.,  Der  romanische  Bilderfries  am  südlichen  Choreingang 
des  Freiburser  Münsters  und  seine  Deutung.  34  S.  fol.  8.  A.  aus  deo 
Freiburger  Münsterbl&ttem  hf,  vom  Freiburger  Münsterbauverdn,  zweiter 
Jahrgane,  erstes  Heft  [Es  sind  sechs  Bilderszenen,  deren  Deutung  Pan- 
zers nach  Inhalt  und  Ausstattung  gleich  schöne  Arbeit  ralt :  die  Lmtfahrt 
Alexanders;  Davids  Löwenkam^;  der  Wolf  in  der  8aiule;  Kentauren- 
kämpf;  der  Kampf  mit  dem  Greifen;  die  Birenen.  Man  folgt  Beinen  Aus- 
führungen, die  ein  reicher  Büdersdunuck  illustriert,  mit  dem  groisteD 
Interesse,  läfist  sich  von  seiner  anschaulichen  Darstellung  gern  überzeugen 
und  erwartet  mit  Spannung  die  Lösung,  die  er  aus  der  Oswaldlegende  für 
die  Sirenenszene  zu  gewinnen  hofft.  Man  bewundert  die  Verbindung  von 
kunstgeschichtlichem  und  literarhistorischem  Wissen,  die  es  Panzer  erUubt, 
die  (^büde  der  Steinmetzen  durch  die  Erzählungen  der  Poeten  zu  be- 
leuchten und  in  so  fesselnde  Weise  an  so  unscheinbaren  Objekte  die  Ein- 
heitlichkeit des  geistigen  Lebens  nachzuweisen.  Auf  die  Entwickeiungs- 
eeschichte  des  ^ei burger  Münsters  fällt  dabei  ebensowohl  neues  Liebt 
(Beziehungen  zu  St-Ursanne  und  Basel)  wie  auf  die  Art  und  Weise,  wie 
die  lehrhiSte  Kirche  sich  das  Heidentum  und  die  Weltlust  uralter  Tradi- 
tionen dienstbar  macht.]  

Cappelli,  A.,  Cronologia  e  Oalendario  perpetuo.  Tavole  cronogra- 
fiehe  e  quadri  sinottici  per  verificare  le  date  storiche  dal  principio  del- 
Tera  Oristiana  ai  giorni  nostri.  Milano,  N.  Hoepli,  1906.  XXXIII,  421  S. 
Geb.  Lire  6,50.  [Das  handliche  und  typographisch  vortrefflich  ausgestat- 
tete Buch,  eines  der  nunmehr  900  'Manual!  Hoepli',  wird  allen  denen  will- 
kommen sein,  die  bei  ihren  historischen  Arbeiten  nicht  eines  der  grofsen 
chronologischen  Werke  zur  Hand  haben.  Es  vereinigt  als  Frudit  mühe- 
voller Arbeit  und  reicher  Erfahrung  in  gedrängtester,  aber  übersic^tlichCT 
Form  die  Chronologie  der  christlicnen  Zeit  von  den  römischen  Kaisero, 
(Jen  mittelidterlichen  Fürsten  und  Päpsten  bis  zur  Gegenwart,  führt  die 
Ära  der  Byzantiner,  Spanier,  Muhamedaner  und  der  Revolution,  eibt  einen 
ewigen  Kalender  nach  dem  System  der  35  Osterfeste  und  sorgraltig  ge- 
arbeitete synoptische  Tabellen  über  die  Regierungszeiten  in  den  Haupt- 
ländem  Europas.] 

Methode  Toussaint- Langenscheid t.  Brief Ucher  Sprach-  und  Sprech- 
unterricht f.  d.  Selbststudium  der  schwedischen  Sprache  von  £.  Jonas, 
E.  Tuneid,  0.  G.  Mor^n.  Berlin,  Langenscheid t.  Brief  36  (letzter); 
BeiWe  III— VI;  Sachregister,  zu  M.  1. 

Berj^,  Rüben  G»'''',  Svenska  Skalder  främ  Nittitalet,  sex  essäer.  Aktie- 
bolagst  Ejus.    Stockholm,  1906.    108  S.    En  Kronas. 

Deutsch -österreichische  Literaturgeschichte.  Ein  Handbuch  zur  Ge- 
schichte der  deutschen  Dichtung  in  Osterreich  -  Ungarn,  hg.  von  J.  W. 
Nagl  und  J.  Zeidler.  Wien,  Carl  Fromme.  28.  Lieferung,  bezw.  11.  Liefe- 
rung des  Schlufsbandes :  S.  481—528.  Neuere  und  neueste  Zeit  K.  1,20 
=  M.  L 

Unser,  H.,  Über  den  Rhythmus  der  deutschen  Prosa  [Freiburger 
Inauguraldissertation].    Heidelberg,  Hörning,  1906.    88  S. 

Fellweker,  E.,  Prolog  und  Epilog  im  deutschen  Drama,  ein  Bei- 
trag zur  Geschichte  deutscher  Dichtung.  Leipzig,  Deuticke,  1906.  102  S. 
M.  3. 


VenelchniB  der  eingelAufeDen  Drucksduiftan.  475 

Merker,  Paul,  Stadien  zur  neohochdeutschen  Legendendichtune,  ein 
Beitrag  zur  Geschichte  des  deutschen  Gkisteslebens  (Probefahrten  9).  Xeip- 
zig,  VoiKtländer,  1906.    VIII,  158  S.    M.  4,80. 

Uhl,  W.y  Entstehung  und  Entwickelun^  unserer  Muttersprache  (Aus 
Natur  und  Geisteswelt,  84.  Bd.).  Leipzig,  Teubner,  1906.  128  S.  Geb. 
M.  1,25. 

Kleinpaul,  Rudolf,  Das  Fremdwort  im  Deutschen.  Sammlung 
Göschen  55.    8.  A.    Leipzig,  Göschen,  1905. 

Graef ,  Hermann,  ochillers  Romanzen  in  ihrem  Gegensatz  zu  Goethes 
Balladen.  Beiträge  zur  Literaturseschichte,  hg.  von  H.  Graef.  Leipzig, 
Verkff  für  Literatur,  Kunst  und  Musik,  1906.    42  S.    M.  0,60. 

Graef,  Hermann,  Heinrich  Heine.  Beiträge  zur  Literaturgeschichte, 
hg.  Ton  H.  Graef.  Nr.  5.  Leipzig,  Verlag  für  Literatur,  Kunst  und 
Musik,  1906.    80  S.    M.  0,40. 

Kunad,  Paul,  Immermanns  Merlin  und  seine  Beziehungen  zu  Richard 
Wasiiers  Bing  des  Nibelungen.  Beiträge  zur  Literaturgeschichte,  hg.  yon 
H.  Graef.  Nr.  8.  Leipzig,  Verlag  für  Ldteratur,  Kunst  und  Musik,  1906. 
16  S.    M.  0,40. 

Bri schar,  Karl  M.,  Jens  Peter  Jacobeen  und  seine  Schule.  Beiträge 
zur  Literaturgeschichte,  hg.  von  H.  Graef.  Leipzig,  Verlag  für  Literatur, 
Kunst  und  Musik,  1906.    19  S.    M.  0,40. 

Knodt,  Karl  Ernst,  Theodor  Storm  als  Lyriker.  Beitr^;e  zur  Lite- 
raturgeschichte, hg.  von  H.  Graef.  Nr.  4.  Leipzig,  Verlag  für  Literatur, 
Kunst  und  Musik,  1906.    27  S.    M.  0,40. 

y.  Wildenbruch,  Ernst,  Das  deutsche  Drama,  seine  Entwickelung 
und  sein  ffeeenwärtiger  Stand.  Beiträge  zur  Literaturgeschichte,  hg.  von 
H.  Graef  Nr.  6.  Leipzig,  Verlag  für  Literatur,  Kunst  und  Musik,  1906. 
49  S.    M.  0,80. 

Aus  deutschen  Lesebüchern,  epische,  lyrische  und  dramatische  Dich- 
tungen, erläutert  für  die  Oberklassen  der  höheren  Schulen  und  für  das 
deutsche  Haus.  IV.  Bd.,  1.  Abteilung:  Epische  Dichtungen  [Nibelungen- 
lied, Gudrun,  Parciyal,  Armer  Heinrich,  Gilückh.  Schiff,  Messias,  Heliand, 
Hermann  und  Dorothea,  Der  70.  Geburtstag,  Reinekel  4.  AufL  Unter 
Mitwirkung  yon  G.  Frick  und  G.  Po  lack.  Leipzig,  Th.Hofmann,  1906. 
XII,  508  S.    Geh.  M.  4. 

Zur  Geschichte.  Proben  yon  Darstellungen  aus  der  deutschen  Ge- 
schichte, für  Schule  und  Haus  ausgewählt  und  erläutert  yon  Dr.  Willy 
Scheel  [Aus  deutscher  Wissenschan  und  Kunst].  Leipzig,  Teubner,  1906. 
174  S.    Geb.  M.  1,20. 

Englische  Studien  XXXVI,  2  [Gordon  Hall  Gerould,  Social  and 
historical  reminiscences  in  the  Middle  English  'Athelston'.  —  E.  M. 
Wright,  Notes  on  *Sir  Gawayne  and  the  green  knight'.  —  W.  y.  d.  Gaaf, 
Miracles  and  mysteries  in  South-East  Yorkshire.  —  B.  Petsch,  Hamlet 
unter  den  Seeräubern.  —  A.  L.  Stiefel,  Zur  Quellenfrage  yon  John  Fletchers 
'Monsieur  Thomas'.  —  J.  Ellinger,  Das  Partizip  Präsens  in  gerundialer 
Verwendung]. 

Anglia  XXIX,  2  [L.  Diehl,  Englische  Schreibung  und  Aussprache  im 
Zeitalter  Shakespeares,  nach  Briefen  und  Tagebüchern.  —  C.  Heck,  Die 
Quantitäten  der  Akzentyokale  in  ne.  offenen  Silben  mehrsilbiger  nicht- 
germanischer Lehnwörter,  IL  —  F.  Morgan  Padelford,  The  relation  of  the 
1812  and  1815—1816  editions  of  Survey  and  Wyatt.  —  F.  Klaeber,  Notizen 
zu  Cynewulfs  Elene.  -—  F.  Klaebe>  Berichtigung]. 

Beiblatt  zur  Anglia  XVII,  3  7 

Scottish  historical  reyiew  Ur'  *:  rC.  H.  Fvrth,  BsWads  on  the  bishopa' 
war  1688—40.  —  A.  Lang,  p!;'  i^.}:^  and  ^e^eU  0^  ^«7  Stuart  — 
J.  Maitland  Anderson,  James  J  ^iJJ^   tbe  unhetst^  ^^  ^^-  AJidrewa.  — 


\ 


476  Verzeichnis  der  eingelaufeDen  Druckschrifteti. 

H.  Bingham,  The  early  Organisation  in  London  of  the  Scots  Darieo  Com- 
pany. —  H.  Maxwell,  The  'Bcaiacronica'  of  Sir  Thomas  Gray.  —  J.  IL 
ttouard,  The  Ruthven  of  Freeland  barony]. 

Bausteine,  Zeitschrift  für  neuenglische  Wortforschung.  I,  4  [A.  Wtkt- 
ner,  Sentiment  und  sentimental  —  R.  Brotanek,  Übersicht  der  flrschd- 
nun^en  auf  dem  Gebiete  der  englischen  Lexikographie  im  Jahre  l9ijZ 
(Schluis).  —  L.  Kellner,  Beitrage  zur  neuenglischen  Lexikographie  (Foit- 
setzung).  —  Kleine  Notizen.  —  Frag«i  und  Antworten.  —  BücherBchau. 
—  Plaudereckel. 

Walker,  Kichard,  Geschichte  der  englischen  Literatur  yon  den  ält^ten 
Zeiten  bis  zur  Gegenwart.  2.  neubearbeitete  Auflage.  Leipzig  und  Wien, 
Bibliographisches  Institut,  190(5.  15  Lieferungen  ä  M.  1.  Heft  l,  t>4  8. 
M.  1. 

Schröer,  M.  M.  Arnold,  Grundzüge  und  Haupttypen  der  aiglischen 
Literaturgeschichte.   Sammlung  Göschen  286  u.  287.   I:  Von  den  ält^eten 
Zeiten  bis  Spenser,  168  S.;  II:  Von  Shakespeare  bis  zur  Gegenwart,  loti  S. 
Leipzig,  Göschen,  1906.  Geb.  ä  80  Pf.   [Der  Plan  der  Sammlung  GöBchen 
erlaubte  nur  eine  Auswahl  des  Wichtigsten.    Schröer  geht  auf  Beowulf 
und  Chaucer  näher  ein,  wobei  seine  philologischen  Vorarbeiten  ihm    zu- 
statten kameuj  sehr  hübsch  auf  Spenser,  dessen  Verständnis  man  als  den 
Gradmesser  einer  gründlichen  Einsicht  in  die  englische  Literaturentwicke- 
lung betrachten  kann,  natürlich  auf  Shakespeare  und  Milton,  am  liebe- 
Yollsten  auf  Volkspoesie  und  Burns,  im  Sinne  des  heute  in  England  herr- 
schenden Geschmacks  auf  Byron,  Wordsworth  und  ihre  Zeitgenossen.   Mit 
allen  hat  er  gelebt;   da  und  dort  bringt  er  eine  originelle  Beobachtung 
bei,  z.  B.  beim  Beowulf  über  die  typische,  zur  Situation  nicht  passende 
Lobpreisung  Hrothgars,  bei  Layamon  über  die  Verwechslung  von  natio- 
nalem und  lokalem  Patriotismus ;  in  Einzdlieiten  ladet  er  wohl  auch  zum 
Widerspruch  ein,  z.  B.  wenn  Grendels  Mutter  ein  Meerweib  genannt  wird, 
während  sie  doch  unter  einem  Binnensee  wohnt,  oder  wenn  Dr.  Johnson 
schlechtweg  als  Gegner  der  Romantik  erscheint,  der  doch  in  der  *£else 
nach  den  Hcbriden'   für  mittelalterliche  Kultur  und  wildschöne  Natur 
kraftvoller  als  irgendein  Vorgänger  eintrat.    Nicht  selten  yerläfst  er  die 
wissenschaftliche  Heerstrafse,  macht  z.  B.  bei  Wyclif  einen  langen  Exkurs 
in  das  Religionswesen  des  heutigeo  England,  ergeht  sich  an  der  Schwelle 
des  18.  Jahrhunderts  auf  mehreren  Seiten  über  oritischen  Nationaldünkel 
(inatäar  asinüy)  und  kommt  bei  der  Entstehung  der  ae.  Schriftsprache 
sogar  auf  das  ündeutsch  der  Tschechen  und  Polacken  in  Wien  zu  reden. 
Man  glaubt  manchmal  eine  Zeitung  zu  lesen,  aber  der  Ton  ist  immer 
frisch,    das   Wissen   gelehrt   und  die   Aufrichtigkeit  des   Verfassers    un- 
zweifelhaft   Eine  Anzahl  Bücherangaben  erleichtern  die  nähere  Einarbei- 
tung, zwei  Zeittafeln  die  Übersicht.] 

Otto  Jespersen,  Growth  ana  structure  of  the  English  language. 
Leipzig,  Teubner,  1905.  IV,  260  S.  Geb.  3  M.  lünter  ^Sprache*  versteht 
Jespersen  hier  in  erster  Linie  jene  Verhältnisse  der  Flexion,  Wortbildung 
una  Syntax,  die  auf  der  Grenze  zwischen  dem  hergebrachten  Schema  und 
dem  Individualstil  lie^n.  Von  Lautiere  im  eigenüichen  Sinne  kommt 
in  seinem  Buche  wenig  vor;  von  Flexionslehre  nicht  ein  einziges  Para- 
digma; solch  elementare  Dinge  setzt  er  eben  als  bekannt  voraus«  Aber 
welche  Wörter,  Ableitungen  und  Phrasen  durch  Christentum,  Dänen,  Nor- 
mannen und  Humanisten  aufkamen,  wie  Shakespeare  sein  Englisch  ge- 
brauchte und  in  manchen  Wendungen  noch  die  modernen  Schriftsteller 
beeinfluf^te,  wie  ^ich.  Kirchen-,  Sdiul-  und  Umgangssprache  sondern,  wie 
sich  die  Logik  von  der  Grammatik  entfernt,  derlei  Probleme  bespricht  er 
mit  der  Sachkenntnis  und  lebendigen  AuHassung,  durch  die  sich  bereits 
sein  'Progress  in  language'  auszeidhnete.  Bisher  unbenutztes  Material  hat 
er  hauptsächlich  aus  Murrays  Dictionary  geschöpft;   interessant  ist  die 


VerzeichniB  der  emgelaufenen  DruckBchriften.  477 

Liste  der  französiecheD  Wörter,  deren  Eindringen  er  danach  für  jedes 
halbe  Jahrhundert  seit  1050  festzustellen  sucht  (S.  98)|  natürlich  nicht  mit 
Anspruch  auf  volle  Verläfslichkeit,  denn  die  grofsen  Zahlen  in  der  Zeit 
1250 — 1400  erklären  sich  ungleich  mehr  aus  dem  damaligen  Anschwellen 
der  Literatur  als  der  Sprachmischung.  Viel  Belesenheit  muls  man  ihm 
nachrühmen ;  doch  in  der  deutschen  Fachliteratur  ist  er  nicht  immer  ganz 
zu  Hause;  am  meisten  ist  mir  dies  betreffs  s  und  th  im  3.  Sgl.  Präs.  auf- 
gefallen :  was  er  darüber  sagt,  ist  gesenüber  HÖlpers  Zusammenstellungen 
{Sprachgebrauch  hei  Tottel,  1891)  dürftig  und  schief.  Auch  über  das  Ein- 
dringen dänischer  Sage  in  spätags.  Zeit  wäre  Triftigeres  vorzubringen,  als 
was  S.  61  f.  steht.  Es  ist  nicht  leicht,  auf  einem  so  ausgedehnten  Ge- 
biete die  Einzeldinee  alle  gründlich  zu  beherrschen  und  dabei  grolse  Ent- 
wickelungslinien  glatt  durchzuführen.  Die  Kleinforschung,  die  vorangehen 
sollte,  ist  vielfach  noch  im  Rückstande;  sie  dürfte  wohl  durch  Jespersens 
groXszügige  Fragestellung  belebt  werden.] 

C.  Aiphonso  Smitn,  Studies  in  JSnglish  syntax.  Boston,  Ginn, 
1006.  92  S.  [Drei  Aufsätze  sind  hier  vereint,  von  denen  der  erste  in 
M.  L,  Ä,  Publ,  1900,  der  zweite  in  M,  L,  Not  1904  bereits  erschienen  war. 
£^  sind  Erwägungen  über  *  Sprachdummheiten  ^  die  einen  tieferen  Sinn 
haben.  1.  'Interpretative  svntax'  zeigt  an  Verwechslun^beispielen  bunter 
Art,  dals  nicht  blofs  die  Vorgeschichte  einer  Konstruktion  für  sie  charak- 
teristisch ist,  sondern  auch  iure  Weiterentwickelung;  so  ist  toeordan  als 
Wort  tot,  lebt  aber  virtuell  fort  in  become,  grow,  get  und  dei^l.  II.  *The 
short  circuit'  macht  auf  Anakoluthe  aufmerksam,  die  veranlalÄt  wurden 
durch  Fernabrücken  des  regierenden  Wortes.  III.  'The  position  of  words' 
betont  die  verschiedene  Auffassung  eines  Akkusativobjekts,  je  nachdem  es 
vor  oder  nach  dem  Verb  steht.  Letzterer  Essay  zeigt  am  meisten  Neu- 
beobachtune;  alle  Essays  sind  Weiterfühlungen  der  von  Einenkel,  Franz, 
Kellner  und  anderen  Svntaktikern  aufgestellten  Thesen;  ihr  Wert  liegt 
nicht  so  sehr  in  der  Fülle  der  Belege  als  vielmehr  in  der  interessanten  Zu- 
sammenstellung bisher  isoliert  gedachter  Erscheinungen.] 

Schön,  äuard,  Die  Bildung  des  Adjektivs  im  Altenglischen  (Kieler 
Studien,  Neue  Folge,  Heft  2).    Kiel,  Cordes,  1905.    110  S.    M.  3. 

Schuldt,  Claus,  Die  Bildim?  der  schwachen  Verba  im  Altenglischen 
(Kieler  Studien,  Neue  Folge,  Heft  1).  Kiel,  Cordes,  1905.   95  S.    M.  2,50. 

Van  Zandt  Cortelyon,  John,  Die  altenglischen  Namen  der  In- 
sekten, Spinnen  und  Krustentiere  (Anglistische  Forschungen  XIX).  Heidel- 
berg, Winter,  1906.    VII,  124  S.    M.  3,60. 

Dellit,'Otto,  Über  lateinische  Elemente  im  Mittelenglischen.  Bei- 
träge zur  (beschichte  des  englischen  Wortschatzes.  Marburger  Studien, 
Heft  11.    Marburg,  Elwert,  1906.    VIII,  101  S.    M.  2,50. 

Grimm,  Conrad,  Glossar  zum  Vespasian  -  Psalter  und  den  Hymnen 
(Anglistische  Forschungen,  XVIII).  Heidelberg,  Winter,  1906.  VI,  220  S. 
M.  4. 

Deutschbein,  Max,  Studien  zur  Sagenffeschichte  Englands.  Erster 
Teil:  Die  Wikingersagen.  Homsage,  Havelocksage,  Tristans^,  Boeves- 
sage,  Guy  of  War  wicksage.  Cöthen,  Otto  Schulze,  1906.  XII,  264  S. 
M.  7. 

Imelmann,  Rudolf,  Lajamon,  Versuch  über  seine  Quelle.  Berlin, 
Weidmann,  1906.    VIII,  117  S.    M.  3. 

W.  Shakespeares  dramatische  Werke.  Übersetzt  von  A.  W.  v.  Schlegel 
und  L.  Tieck.  Im  Auftrage  der  rjpntßchen  Shakespeare  -  Gesellschaft  hg. 
von  W.  Oechelhäuser.  Auf  \t  \,nlafts^^8  ^^  "feerauBgebere  revidiert 
von  G.  Conrad.  Stuttgart  un*^^^^^\ff.  Deutsche  Verla^anstalt.  XV, 
1032  S.  ^  \jd\V^^' 

Koeppel,  E.,  Ben  Jonao.  .-.vunß  «d    xeilgöi^awftc^«  Drama- 

tiker und  andere  Studien  zuiTvX^    W^^aÄcii\c\i\Ä  d»  «i%^«<i^«^  ^^««^^ 


\ 


478  Veraeichnifl  der  eiogelaufeDen  DruckschrifteD. 

(AnglistiBche  Forschungen,  XX).    Heidelberg,  Carl  Winter,  1906.    238  S. 

Löwe,  Ernst,  Beiträge  zur  Metrik  Budyard  Kiplings.  Marburger 
Studien,  X.    Marburg,  Elwart,  1906.    103  8.    M.  2,50. 

Oollection  of  British  Authors.    Taudmitz  edition.    ä  M.  1,60. 
Vol.  3873—74:  Maarten  Maartens,  The  healers. 
,     3875 :  Beatrice  Harraden,  The  scholar's  daughter. 
y,     3876:  Daniel  Woodroffe,  The  beauty-shop. 
^     3877:  Max  Pemberton,  My  sword  foT  Lafayette. 
y,     3878—79:  E.  F.  Benson,  The  angd  of  pain. 
^     3880:   The  Author  of  «Elizabeth   and   her  German   garden'.   The 

Princess  Prisdlla's  fortnight. 
n     3881 :  The  author  of  «Elizabeth  and  her  Qerman  garden',  The  ad- 

yentures  of  Elizabeth  in  Bügen. 
^     3882:  W.  B.  H.  Trowbridge,  A  dazzling  reprobate. 
r     3883—84:  H.  Bider  Haggard,  The  way  of  the  spirit. 
^     3885:  Affnes  and  E^erton  Castle,  'If  youth  but  KnewI' 
Krüeer,  Qustay,  Des  Enjglfinders  gebräuchlichster  Wortschatz.  Kleine 
Ausgabe  dee  Systemaite  Engltsh- Qerman  vocabulary.   Für  den  Schul-  und 
Selbstunterricht.     Mit  Angabe  der  Aussprache.     Dresden   und   Leipzig, 
C.  A.  Koch  (F.  Ehlers),  1906.    VIII,  72  S.    M.  1. 

Degenhardt,  Budolph,  Lehrgang  der  englischen  Sprache.  I.  Grund- 
legender Tdl.  Der  neuen  Bearbeitung^  11.  Auflage,  oesorgt  yon  Kar! 
Munster.    Dresden,  Ehlermann,  1900.    XII,  288  S.    Geb.  M.  2,50. 

Döhler,  Emil,  Grammatik  für  die  Oberstufe,  der  dreibändigen  Aus- 
gabe B  für  höhere  Mädchenschulen  des  Lehrbuches  der  engUschen  Sprache 
(Dr.  Otto  Bömers  NeusprachlicheB  XJnterrichtswerk),  im  AnschluTs  an 
Thiergens  Ha/uptregeln  der  englischen  Syntax.  Leipzig,  Teubner,  1906.  88  8. 
Geb.  M.  1,20. 

Krueger,  Gustay,  Englisches  Unterrichtswerk  für  höhere  Schulen. 
Unter  Mitwirkung  yon  WiUiam  Wright  2.  Teil:  Grammatik.  Leipzig. 
Freytag,  1906.    374  S.    Geb.  M.  4. 

Thiergen,  O.,  und  E.  Döhler,  Lehrbuch  der  englischen  Sprache 
Dreibändige  Ausgabe  B,  Teil  III  (Dr.  0.  Bömers  Neusprachliches  Un- 
terrichtswerk).   Leipzis,  Teubner,  1906.    192  8.    M.  3,20. 

Selections  from  English  poetry.  Auswahl  yon  Dr.  Ph.  Aronstein 
( Velhaeen  u.  Klasings  Sammlung,  English  authors,  üeferung  104).  Eide- 
leld,  Velhaeen,  1905.  XII,  81ö  S.,  14  Illustrationen.  —  Ergänzungsband 
[I.  Zur  Verslehre;  IL  Anmerkungen;  IIL  Übersetzungen;  IVT  Wörterbuch. 
t)3  S.]. 

Lytton,  Edward  ßulwer,  Harold,  The  last  of  the  Saxon  kinss.  Für 
den  Schulgebrauch  erklärt  yon  Fritz  Meyer.  Franz.  und  engl.  Sdulbibl. 
149.    Leipzig,  Beneer,  1906.    IX,  110  S. 

Maartens,  Maarten,  Bret  Harte,  Hardin^  Dayis,  and  other  authors: 
a  Christmas  posy,  stories  and  sketches  of  Chnstmas  äme,  für  den  Scbal- 
gebranch  hg.  von  J.  Bubbe  (Freytags  Sammlung  französischer  und  engli- 
scher Schriftsteller).  Leipzig,  Freytag,  1906.  164  S.  Geb.  M.  1,60.  - 
Hierzu  ein  Wörterbuch.    62  S.    M.  0,60. 

^iS^^^i  Kate  Douglas,  The  birds'  Christmas  carol,  für  den  Schul- 
gebrauch hg.  yon  Elisabem  M  er  haut  (Freytags  Sammlung  frz.  und  engl. 
Schriftsteller).    Leipzig,  Freytag,  1906.    b3  S.    Geb.    M.  1. 


Bomania  p.  p.  P.  Meyer  et  A.  Thomas.  N^  137,  janyier  1906 
[E.  Philipon,  Trovenz.  -encj  ital.  -ingo,  -engo.  —  P.  Meyer,  Fragments  de 
mss  fran9ai8.  —  J.  A.  Herbert,  An  early  ms.  of  Oui  de  Wartciek.  — 
A.  Thomas,  Jeamette  de  Nesson  et  Merlin  de  Oordebeuf-M^langes :  G.  Huet. 


Verzdchnie  der  eingdaufenen  DruckBchriften.  479 

£nooTe  Floire  et  EUxnchefleur.  —  F.  Lot,  Quendon-OaneUm.  —  Gh.  Drou- 
chet,  Franc.  6paule.  —  A.  Thomas,  'Giraut  de  Bomdl'  ou  ^Guiraut  de  Bor- 
nelh'  ?  —  rroT.  anc.  albuescch  prov.  mod.  aubieco,  —  Un  sena  rare  du  mot 
voiiure,  —  F.  Noyati,  Ital,jana,janara.  —  Ck)mpteB  rendus,  —  P^riodiques 
—  ChroDique]. 

Gesellschaft  für  romacische  Literatur.  Zweiter  Jahrgang  1903.  Vierter 
und  letzter  Band,  d.  h.  nach  der  ganzen  Beihe 

Band  6:  Tres  Oomedias  de  Alonso  de  la  V^,  con  un  prölogo  de  D.  Mar- 
celino  Men^ndez  v  Pelayo.    XxX,  HO  8. 

Dritter  Jahrgang  1904.  Erster  und  zweiter  Band,  d.  h.  nach  der  ganzen 
Reihe 

Band  7:  Gedichte  eines  Jombardischen  Edelmannes  des  Quattrocento, 

mit  Einleitung  und  Übersetzungen  h^.  von  Leo  Jordan.    74  S. 
Band  8 :  II  canzoniere  provenzale  della  Riccardiana,  no.  2909.   Eklizione 
diplomatica  preceduta  di  un' introduzione  per  il  prof.  Giulio  Ber- 
toni.    XL  VI,  245  8.  und  zwei  Tafeln. 

Alle  drei  Bände  ausgegeben  im  März  1906. 

Ulrich,  J.,  Proben  der  lateinischen  Novellistik  des  Mittelalters.  Aus- 
eewählt  und  mit  Anmerkungen  versehen.  Leipzig,  Rengersche  Buchhand- 
lung, 1906.  217  S.  M.  4.  [Etwa  zweihundert  Stücke,  zumeist  in  Prosa, 
der  Disdplina  elericalu,  dem  Direetorium  humanae  vüae,  der  Historia  de 
Septem  sapientibtUf  dem  Dolop<ttho8,  den  Oesta  Eomanorum,  den  Mcemplts 
des  Jacques  de  Vitry  und  des  Etienne  yon  Bourbon  u.  a.  entnommen. 
Von  den  yorausgescnickten  zwölf  rhythmischen  Märchen,  Fabeln  und 
Schwänken  ist  das  längste  Stück  der  Unibos,  Die  Auswahl  hätte  sich 
wohl,  ohne  dafs  sie  umfangreicher  geworden  wäre,  noch  etwas  mannig- 
facher gestalten  lassen.  Ein  philologischer  Kommentar  fehlt.  Die  nütz- 
liche Zusammenstellung  des  Stoffes  auf  Seite  209^15  gibt  knappe  Ver- 
weisungen auf  die  Entsprechungen  bei  Köhler,  Benfey,  Liebrocht  etc. 
Die  Numerierung  der  Stücke  der  Dise,  der,  fehlt  im  Text  p.  23  ff.  und 
ist  p.  210  von  No.  6  ab  irrtümlich.  Das  Buch  ist  ein  willkommenes  Hilfs- 
mittel zum  Unterricht  in  der  mittelalterlichen  Literatur.] 

Niedermann,  M.,  Pr^cis  de  phon^tique  historique  du  latin.  Avec 
un  ayant-propos  par  A.  Meillet.  (Nouyelle  collection  ä  Pusage  des  classes, 
no.  XXVIII.)  Paris,  Klincksieck,  1906.  XII,  151  S.  kart  fr.  2,50.  [Die 
ersten  60  Seiten  —  ^yolution  du  yocalisme  —  dieses  für  die  Schulen  be- 
stimmten Handbuchs  sind  yor  zwei  Jahren  als  Schulprogramm  erschienen 
(ygl.  hier  CXIII,  456).  Nun  ist  der  Konsonantismus  hinzugefügt  worden, 
der  ebenso  übersichtlich  und  in  klarer  Kürze  dargestellt  erscheint  wie  der 
Vokalismus.  —  Zu  der  phonetischen  Anschauung  und  Terminologie,  die 
§  5  und  6  yorgetragen  wird,  wäre  manches  zu  bemerken.  Nicht  nur  stimmt 
die  Tabelle  yon  §  6  nicht  eenau  mit  den  'Bemar^ues'  (es  fehlt  das  yordere 
/  und  das  n,  sondern  es  durfte  überhaupt  die  historische  Grammatik  der 
toten  Sprachen  sich  mit  den  Erkenntnissen,  die  an  den  lebenden  Sprachen 
und  durch  die  experimentelle  Phonetik  gewonnen  worden  sind,  mehr  ver- 
traut machen  una  so  mit  präziseren  Artikulationsvorstellungen  arbeiten. 
Der  yage  Terminus  'guttural'  dürfte  endlich  verschwinden  (cf.  G.  Paris, 
MÜanges  Ungutstiqttes,  I,  80  ff.)  und  den  bestimmten  'palatal',  Welar'  Platz 
machen.  Niedermann  aber  nennt  ein  /,  das  *ä  la  naissanoe  des  indsives 
(d.  h.  dental-alveolar)  gebildet  wird,  ein  '/  paUUaV  —  unter  /  palcUale  aber 
versteht  der  Phonetiker  ein  am  Palatum  gebildetes,  d.  h.  'mouilliertes'  /  etc. 
Solche  Differenzen  machen  sich  denn  auch  in  den  ent wickelungsgeschicht- 
lichen Partien  bemerkbar.  So  z.  B.  in  dem  was  über  v  (p.  10)  gesagt  ist. 
Das  w  des  fmnz.  Schauer  {eftce)  ist  ein  öilabio-t^e^er-Reioelaut  mit  natur- 
gemäfs  sehr  wenie  Reibungsgeräusch;  das  v  in  franz.  tin  (§  36)  ist  ein 
sehr  kräftiger  labiodentaler  Reibelaut.  Latein,  intervokales  v  Taus  b) 
z.  B.  in  ineomparavüü,  devere  ist  zunächst  weder  das  eine  noch  aas  an- 


480  Veneichnis  der  emgelaufenen  Drackachrifteii. 

dere,  Bondern  ein  einfacher  bilabicUm-  Reibelaut;  es  ist  erst  viel  späte 
labiodental  (wie  in  franz.  devotr,  rtn)  geworden.  Das  tritt  in  §  86  und  52 
nicht  deutlich  hervor.  Auch  lehrt  die  romanische  Sprachgeschichte,  daif 
Graphien  wie  vene  für  bene  nicht  mit  devere  auf  eine  Stufe  zu  setzen  sind, 
wie  man  auch  sonst  von  Parodis  Auffassung  (ßomania  XXVII,  177  ff. i 
denken  mag.  —  Auch  die  hier  (CXIII,  456)  monierte  Vorstellaiig  vom 
Kampf  der  'psychischen'  Analogie  gegen  die  'physiologischen'  Lautges^ze 

—  bald  rigles,  bald  hü  genannt  —  ist  stehen  geblieb^,  obschon  der  Ver- 
fasser in  der  Vorrede  sdbst  sagt,  dals  in  einem  solchen  Manuel  nichts 
stehen  soll,  *oui  soit  en  contradtetiofi  avee  les  rUultaU  Hahlis  par  la  9eienct\ 

—  Das  Werkchen,  das  sich  an  die  Schüler  höherer  Schulen  richtet,  die 
ja  im  fremdsprachlichen  Unterricht  nun  bereits  an  eine  lebendige  Pho- 
netik gewöhnt  sind,  wird  noch  nützlicher  und  brauchbarer  werden,  wenn 
es  seine  phonetischen  Lehren  mit  den  dort  vorgetragenen  in  Einklang 
bringt.  Das  wird  einem  so  kundigen  Forscher  wie  N.  nicht  schwerfalleo. 
£n  attendant  sei  es  auch  in  dieser  Form  schon  bestens  empfohlen.] 


Zeitschrift  für  französische  Sprache  und  Literatur,  hg.  von  D.  Beh- 
rens. XXIX,  5  [W.  Eüchler,  Über  das  künstlerische  Element  in  Th^ 
phile  Gautiers  Persönlichkeit  und  Schaffen.  •—  A.  L.  Stiefel,  Über  Jeao 
RotrouB  spanische  Quellen.  —  E.  Stemplinger,  Nik.  Bapin  als  Übersetzer. 
—  J.  Frank,  Zur  Satire  M^nipp^  —  L.  E.  Kastner,  The  Vision  of  Saint- 
Paul  by  the  anglonorman  trouv^re  Adam  de  Boss.  —  W.  Förster,  Zu 
Perrin  von  Andcourt  —  D.  Behrens,  Wortgeschichtlichee].  —  XXIX,  6 
und  8  fder  Beträte  und  Bezensionen  drittes  und  viertes  Heft]. 

Bulletin  du  Glossaire  des  patois  de  la  Suisse  romande.  5^  ann^.  N'^  1. 
Lausanne,  Bridel  &  C'^,  190().  16  S.  [E.  Tappolet,  Les  expressions  ponr 
une  'vol^  de  coups'  dans  les  patois  fnbour^eois  et  vaudois.  —  M.  Gab- 
bud,  Enigmes,  jeux  de  mots  et  formulettes  bagnardes.  Patois  de  Lourtier 
(Valais).  —  L.  Gauchat,  Semorau/-juin.  —  J.  Jeanjaquet,  Anden  neuch&te- 
lois:  enirives], 

Novati,  F.,  Li  Di$  du  koc  di  Jean  de  Cond4  ed  il  gallo  del  campa- 
nile  neUa  poesia  medievale,  con  due  appendid  e  una  tavola.  (S.  A.  au? 
den  t^tidi  medtevali  I.)  Bergamo,  Istituto  d'arti  grafiche,  1905.  48  8.  [N. 
druckt  das  von  Scheler  als  Dia  des  troia  estas  dou  monde  im  zwdten  Bande 
der  D%8  et  Contee  des  Baudouin  und  Jean  de  Ck)nd4  herausgegebene  Moral- 
gedicht neu  ab,  auf  Grund  einer  Kollation  der  dnzigen  Kömer  Hs.,  die 
Scheler  nicht  selbst  eingesehen  hatte,  und  begleitet  diese  Ausgabe  mit  einem 
reichen  literarhistorischen  und  kulturgeschicntlichen  Kommentar,  wie  man's 
von  ihm  gewöhnt  ist.  Was  bisher  über  die  tausendjährige  Sitte,  metalleDe 
Hähne  auf  Kirchtürmen  anzubringen,  bekannt  war,  ergänzt  er  durch  inter- 
essante Mittdlungen  über  dnen  Turmhahn  vom  Jahre  820,  den  das  Museum 
zu  Brescia  aufbewahrt.] 

Ulrich,  J.,  Proben  der  französischen  Novellistik  des  16.  Jahrhunderts. 
Texte  und  Kommentar.  I.  Texte.  Leipzig,  Bengersche  Buchhandlung,  19(K}. 
263  S.  4  M.  [Das  Buch  will  nach  dem  Vorwort  kdne  Blüten  lese  sdn, 
sondern  charakteristische  Proben  geben,  daher  seien  hier  aus  den  NoveUen- 
büchem  {Grand  Parangon^  Nouv,  lUGriatione,  Bepiamirony  Contes  du  monde 
aventureuxj  Pantagrudy  Apologie  pour  HSrodoiej  den  Geschichten  Noele  du 
Failj  den  Äprie-diners  au  Seigneur  de  GholüreSy  den  SerSee  und  dem 
Moyen  de  parvenir)  nicht  die  Stücke  ausgelesen,  Mie  man  an  Töchter- 
schulen lesen  kann'.  'Sogenannte  kitzlige  Themata'  sden  'weder  g^ucht 
noch  gemieden'.  Der  in  Aussicht  gestellte  zweite  Band  wird  —  mit  dem 
versprochenen  sprachlichen  und  literarischen  Kommentar  —  gewife  auch 
über  die  Grundsätze  Auskunft  geben,  die  bd  der  Wahl  der  einzelnen  Aus- 
gaben niafsgebend  gewesen  sind.    Auch  wird  man  gern  vernehmen,  für 


VeneichniB  der  eingelaufenen  Druckschriften.  481 

^^en  eine  solche  Sammlung,  die  yielfach  ganz  leicht  zugängliche  Drucke 
ifviedergibt,  eigentlich  bestimmt  ist.] 

Evers,  Helene  M.,  Critical  edition  of  the  Discours  dela  vie  de  Pierre 
de  Ronsard  par  Claude  Binet.  (Bryn  Mawr  College  Monographs  toI.  II.) 
Philadelphia,  The  John  C.  Winston  Co.,  1905.   IV,  190  S.   One  doUar. 

Soci^t^  des  Textes  francais  modernes.  Paris,  Soci4t4  nouvelle  de  li- 
brairie  et  d'^ition  E.  Com^y  et  C*®: 

Jacques  Amyot,  Les  Vjes  des  hommes  illustrem  grecs  et  romains. 
P^ricl^  et  Fabius  Maximus.    Edition  critique,  publik  par  Louis  Cle- 
ment,   a— i,  XXVII,  115  8.    190G.  —  Jules  Marsan,  La  Sylvie  du 
Sieur  Mairet   Tragi-com^ie-pastorale.  LXII,  244  S.  1905.  [Die  beiden 
ßande  eröffnen  aufs  glücklichste  die  Publikationen  der  neuen  Gesellschaft 
von  der  hier  CXV,  1^9  die  Rede  war  und  deren  Mitgliederzahl  sich  seit- 
lier  verdoppelt  hat.   Der  erste  Band  gehört  der  I^"  aerie  (eouverture  grise) 
an,  die  kritische  Ausgaben  ohne  Kommentar  brin^;  der  zweite  Band  der 
ir»f  sirie  (eouverture  rose)  mit  umfangreicher  Einleitung  und  ausführlichem 
Kommentar.    L.  Clement  hat  die  Absicht,  mit  der  Zeit  den  jranzen  Plu- 
tarch  Amyots  herauszugeben.    Dais  aus  den  Vtes  zunächst  rerikles  und 
Fabius  Maximus  heraus^griffen  sind,  hat  seinen  Grund  im  programme  de 
l'agrepation  de  ^ammatre.   Amyots  Brief  an  Heinrich  II.  und  die  Vorrede 
an  die  Leser  sind  mit  Recht  oeigegeben.    Mit  guten  Gründen  wird  die 
Aussähe  Vascosan  - 1567  (die  dritte  und  letzte)  für  die  Wiedergabe  ge- 
wählt; die  spärlichen  Abweichungen  der  früheren  Drucke  sind  beigefügt. 
Der  Druck  ist  hübsch  und  beauem,  er  ist  leicht  modernisiert  (J  und  t;  v 
und  u  geschieden  etc.);  die  Üoersichtlichkeit  ist  durch  Alinea,  die  das 
Originaf  nicht  kennt,  erleichtert    Man  freut  sich,  den  ehrwürdigen  Text 
in  dieser  Form  zur  Hand  zu  haben.  —  J.  Marsan  liefert  eine  inhaltreiche 
introdttetioriy  wie  übrigens  von  dem  Verfasser  der  Pastorale  dramaHque  en 
France,  1905,  nicht  anders  zu  erwarten,  zu  einer  sehr  sorgfältigen  kriti- 
schen Ausgabe  der  Sylvie  (nach  dem  definitiven  Text  von  Targa,  1G30). 
Er  macht  es  wahrscheinlich,  dafs  die  berühmte  Stichomythie  zwischen 
Phil^ne  und  Silvie  ursprünglich  als  selbständiges  Stück  von  Mairet  ver- 
fafst  und  gedruckt,  una  dais  die  Sylvie  erst  als  Schale  dieser  Ekloge  ge- 
schrieben (1626)  wurde.   Er  weist  nach,  wie  ausgiebig  Mairet  für  die  ganze 
Anlaee  und  Führung  seines  Schauspiels  Racans  Bergeries  benutzt  hat,  wie 
ihm  die  Verse  seines  verstorbenen  Freundes  Th^phile  in  den  Ohren  klin- 
gen, wie  er  sich  Hardys  erinnert,  wie  aber  auch  die  Romane  Ästrie,  Äma- 
dis,  Argenia  und  Sidueys  Areadia  nicht  vergessen  hat.    Er  zeigt  neben 
den  traditionellen  Zügen  und  den  moreeaux  rapportis  die  poetische  Eigen- 
art des  Stückes,  das  zum  erstenmal  die  Romantik  der  Tragikomödie  mit 
der  Schäferwelt  organisch  vereinigt  {tragieomedie  pastorale).    Die  Grund- 
lagen dieses  Urteils  liefern  in  ausgiebi^ter  und  gründlichster  Weise  die 
70  Seiten  des  Oommentaire  historique,  der  in  einem  reichen  Inventar  des 
poetischen  Stils  jener  Zeit   die  Belege   für  die  Quellen  und   die  Nach- 
ahmungen  der  Svlvie  vereinigt.     Eine  Abbildung  der  Bühnendekoration 
der  SyTvie  nach  dfem  Ms.  Man^lot  der  Nat.  Bibl.  ist  beigegeben.] 
Die  Fruchtschaie.    München,  R.  Piper  &  Co.: 
N^  4.    Amieis  Tagebücher.   Deutsch  von  Dr.  Rosa  Schapire.    Mit  zwei 

Porträts,  o.  ü.  VIII,  302  S.  geh.  M.  3. 
N^  9.  Nicolas  Ohamfort,  Aphorismen  und  Anekdoten.  Mit  Porträt  und 
einem  Essay  von  H.  Efswein.  XLVI,  227  S.  geh.  M.  8.  [Die  Samm- 
lung ist  sehr  schon  ausgestattet,  die  Auswahl  aus  Amieis  Journal  intime 
und  aus  Chamforts  Caracteres  et  anecdotes,  Maadmes  et  pensees  etc.  ist  ge- 
schmackvoll getroffen  und  die  Übertragung  gefällig.  Der  E^say  über 
Chamfort  ist  stilistisch  und  inhaltlich  gekünstelt;  seine  französischen  Zitate 
sind  durch  böse  Druckfehler  entstellt,  zu  denen  der  anspruchsvolle  Ken- 
nertoD  des  Ganzen  wenig  palst.] 


482  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Drnckschiiften. 

Taine,  H.,  Sa  vie  et  sa  correapondanoe.    Tome  IIL      L'HlstorieD 
(1870—75).     2*"«  Edition.     Paris,  Hachette,  1905.     364  8.     [Vgh  Arckü 
CXI  II,  492.   Dieser  dritte  Teil  führt  bis  zu  der  Zeit,  da  Taine  den  ersten 
Band  seiner  Originet,  das  Anden  rigime,  hatte  erscheinen  laseen  (Dezein- 
ber  1875).    Er  umfa&t  die  Zeit  des  eroläen  Krieges  und  der  Kommune. 
seine  Beise  nach  £nRland,  die  Jahre  nistorischer  Torschung  in  ChAtenay 
und   in  Menthon-St-Bemard.     Die  LektOre  der  etwa  150  Briefe  —  nur 
wenige  sind  an  ausländische  Korrespondenten,  wie  6.  Brandes,  Max  Müller 
oder  Genfer  Professoren,  gerichtet  —  ist  vom  hödisten  Intereese,  ebenso 
wie  die  Notizen  (p.  296 — 357),  die  sich  Taine  während  der  Vorbereilnageii 
seines  groüsen  Werkes  gemacht  hat.   In  den  herben  Urteilen  über  deutsche 
Literatur  und  Forschung  wirkt  die  durch   1870  g»chaffene  Abneigung 
deutlich  nach.    Ein  vierter  Band  wird  den  Schluls  bringen.] 

Sammlung  französ.  und  enfl^cher  Schulausnben.    Prosateura  fnn- 
(ais,  K''  157;  159—61;  163— 65 ;  Th^ätre  fran^ab,  ^T«»  71.   Jedes  Bändcbeo 

geb.,  mit  einem  Heft  deutscher  Anmerkungen.    Bielefeld  u.  Leipzig,  Vd- 
agen &  Klasing,  1905  u.  1906: 

L  Prosateurs: 
157.   Pages  choisies  par  [sicl]  Alfred  de  Musset   In  AusKÜgen  mit  An- 
merkungen für  den  Schulgebrauch  hg.  von  R  B.  Busse  IL    VI, 
105  S.    M.  1. 

159.  Morceaux  choisis  des  oeuvres  de  J.-J.  Rousseau.  Für  den  Schul- 
gebrauch ausgewählt  und  mit  Anm.  yersehen  von  Dr.  E.  Rudolph. 
XIV,  128  S.    M.  1,20. 

160.  Histoire  de  France  p.  A.  Monod.  [Der  junge  französische  Histo- 
tiker  hat  .hier  die  Geschichte  seines  Landes  auf  175  Sdten  in  ge- 
schickter Übersicht  für  deutsche  Schuld  dargestellt  und  noch  40  Seiten 
'Lectures'  aus  berühmten  Historikern  hinzufügt  Der  Band  ist 
mit  zwei  Karten  von  Frankreich  versehen,  doch  ohne  Anmerkungen.] 
VI,  224  a    M.  1,4U. 

161.  Campagne  de  1806 — 1807  par  P.  Lanfrey.  Auszug  aus  Hist  de 
Napoleon  I^'.  Mit  Anmerkungen  und  zum  Schulgebrauch  hg.  und 
erklärt  von  K.  Beckmann.  Mit  6  Übersichtskärtohen.  XI,  122  S. 
M.  1,30. 

163.  La  petite  Fadette  par  G.  Sand.  Mit  Anm.  zum  Schulgebiauch  hg. 
von  M.  Rosenthal.    XL  118  S.    M.  1,20. 

164.  Contes  du  soir  par  A.  Chatelain.  Zum  Schulgebrauch  ausgewählt 
und  erklärt  von  Prof.  Dr.  K.  Sachs.    IV,  116  S.    M.  1. 

165.  Histoire  de  la  r^volution  fran^aise  depuis  1789  jusqu'ä  la  mort 
de  Robespierre  par  Th.  H.  Barrau.  Für  den  Schulgebrauch  aus- 
gewählt und  erklärt  von  Fr.  Petzold.  Mit  einer  Karte  von  Frank- 
reich, einem  Plan  von  Paris  und  einem  Personenverzeichnis.  163  S. 
M.  1,30. 

IL  Thöätre: 
71.  La  Samaritaine  par  E.  Rostand.   Mit  Anm.  zum  Schulgebrauch  hg. 
von  Th^rfese  Kempf.    XXVI,  82  S.    M.  1. 
Velhagen  u.  Klasinss  Sammlung  franz.  u.  engl.  Schulausgaben.    Re- 
formausffaben  mit  fremasprachl.  Anmerkungen.    N^  11,  13  u.  14.    Biele- 
feld und  Leipzig  1905  u.  1906. 

11.  Choix  de  nouvelles  modernes.  Contes  d'^crivains  francais  contem- 
porains.  Edition  ä  Tusage  des  ^coles  annot^  par  J.  Wychgram. 
Ed.  fran^aise  p.  R.  Riegel.  Tome  I.  A.  Daudet,  H.  de  Bomier, 
A.  Theuriet,  Maupassant,  P.  Ar^ne.  VI,  73  S.  M.  0,80. 
13.  Onze  r^cits  tir^  aes  Lettres  de  mon  moulin  et  des  Contes  du  lundi 
p.  A.  Daudet.  Extraits  accompagn^  d'une  introduction  et  de  uoW 
en  fran9ais,  publik  ä  Tusage  des  classes  p.  J.  Wychgram.  Tra- 
duction  et  revision  p.  G.  Dausac.    VII,  77  S.    M.  0,90. 


L 


Verzeiduis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  483 

14.   L'Ayare,  com^ie  en  5  actee  p.  Moli^re.  Edition  ä  Tusage  des  Cooles 

p.  W.  Schef  fler  et  J.  Com  d es.  Biographie  et  notice  p.  R.  Riegel. 

Avec  3  illustrations.    XVIII,  99  S.    M.  0,90. 

Mar t.  Hartmanns  Schulausgaben  französischer  Schriftsteller.  N^12: 

X^&   Fontaine,  Ausgewählte  Fabeln,  mit  Einleitung  und  Anmerkungen 

h.g.    von  M.  F.  Mann.   Zweite  verb.  Auflage.  Leipzig,  Dr.  P.  Stolte,  1905. 

X!x:iII,  52  S.    Anmerkungen  77  S.    Geb.  M.  1. 

Le  Bourgeois,  F.,  Manuel  des  chemins  de  fer.  Karlsruhe,  J.  Biele- 
feld, 1906.  XI,  162  S.  Geb.  M.  2,80.  TDer  Verfasser,  Lektor  an  der 
Kölner  Handelshochschule,  stellt  hier  in  üoersichtlicher  Weise,  auch  mit 
Uilfe  von  Planskizzen,  das  deutsche  (preulsiscbe)  Eisenbahnwesen  dar, 
xkm  den  deutschen  Eisenbahnbeamten  und  Kaufmann  in  die  französische 
Terminolo^e  einzuführen.  Vom  Verkehrswesen  Frankreichs,  Belgiens  und 
<ier  Schweiz  ist  in  einem  Anhang  die  BedeJ 

Kuhn,  K.,  und  CharMty,  S.,  La  France  litt^raire.  Extraits  et 
histoire.  Zum  Schulgebrauch  h^.,  mit  einem  Plan  von  Paris,  einer  Karte 
«ier  Umgebung  yon  Paris  und  emer  Karte  von  Frankreich.  Bielefeld  und 
Leipzig,  Velhaffen  &  Klasine,  1906.    VIII,  376  S.    Geb. 

Französische  und  englisdie  SchulbibUothek,  hg.  von  Otto  E.  A.  Dick- 
mann.  Reihe  A:  Prosa.  Französisch.  Nr.  150  und  151.  Leipzig,  Renger- 
8che  Buchhdlg.,  1906: 

150.  P^cheur  d'Islande  von  P.  Loti.  Ffir  den  Schulgebrauch  erklärt 
von  Otto  E.  A.  Dickmann.    VIII,  103,  9  (Anm.)  8. 

151.  La  Guerre  1870 — 71  von  Chuquet  Im  Auszug.  Für  den  Schul- 
gebrauch erklärt  von  K.  Quossek.  Mit  5  Kartenskizzen  im  Text 
und  5  Karten  im  Anhang.    VIII,  114  S. 

Jullian,  C,  Verkjngetorix.  Von  der  Acad^mie  gekrönt  (Grand  prix 
Gobert).  2.  Auflage.  Übersetzt  von  Dr.  H.  Sieglerschmidt,  Prof.  im 
Kadettenkorps.  ]£t  11  Karten  und  5  Illustrationen.  Glogau,  C.  Flem- 
ming  [1906].  XII,  329  S.  Geh,  M.  3.  [Eine  gute  Übersetzung  des  ganzen 
Werkes,  von  dessen  Urschrift  der  nämliche  Bearbeiter  vor  zwei  Jahren 
eine  verkürzte  Schulausgabe  geliefert  hat,  worüber  Archiv  CXIII,  461 
referiert  ist.    Die  Ausstattung  ist  vortrefflich.] 

VioletA  Sprachlehmovellen :  La  lutte  pour  la  vie.  Nouvelle,  syst6- 
matiquement  r^di^^e  pour  servir  ä  l'^tude  de  la  langue  pratique,  des 
moeurs  et  des  institutions  franyaises  ä  l'usage  des  ^coles  et  de  l'enseigne- 
ment  priv^  p.  L.  Lagard e.  Avec  un  appendice:  notes  explicatives.  Stutt- 
gart, W.  Violet,  1906.    VIII,  144  S. 

Biblioth^que  franyaise  ä  l'usage  des  classes.    Leipsic  et  Berlin,  B.  G. 

Teubner,  1906: 

Le  verre  d'eau  ou  les  effets  et  les  causes  par  E.  Scribe.    Ed.  accom- 

pagn^e  d'un  commentaire  et  d'un  questionnaire-r^p^titeur  p.  J.  De- 

l&ge.    X,  14U  S.  (Einleitung,  Text,  Wörterbuch),  82  S.  (Notes  et 

r^p^titeur).  ^Geb.  M.  2. 

Französische  Übungsbibliothek  Nr.  19:  Paul  Heyse,  Im  Bunde  der 
Dritte,  Charakterbild  in  einem  Akte  (1883).  Zum  Übersetzen  aus  dem 
Deutschen  ins  FranzÖBische  bearbeitet  von  A.  Brunnemann.  Dresden, 
Ehlermann,  1906.    VII,  61  S.    Geb.  M.  0,80. 

Hagen,  Dr.  P.,  Wolfram  und  Kiot.  S.-A.  aus  der  Z8.  f.  deutsche 
PhHologu  Band  o8,  Heft  1  und  2.  Halle  a.  S.,  Buchhdlg.  des  Waisen- 
hauses, 1906.    78  S. 

Farinelli,  A.,  Voltaire  et  Dante.  S.-A.  aus  den  *  Studien  xur  vergl. 
Literaturgeschichte.  Berlin,  Duncker,  19u6.  116  S.  [In  eingebenden,  von 
einem  reichen  —  ja  nur  zu  reichen  —  Apparat  von  Anmerkungen  beglei- 
teten Ausführungen  stellt  F.  in  diesem  neuen  Ausschnitt  aus  seinem 
'Dante  in  Frankreich'  dar,  wie  Voltaires  ablehnendes  Urteil  über  Dante 
das  Urteil  seiner  ganzen  Zeit  ist,  der  Zeit  der  klassizistischen  biensSance, 


484  YerzeichniB  der  eingelaufenen  DnickBchrifteo. 

Wenn  fiber  Voltaires  Wort  ein  beBonderer  Kampf  entbrannte,  so  Ibz  das 
nidit  daran,  dafs  er  zuerst  oder  gar  allein  Dante  verwarf,  sondern  daran, 
dafs  es  Voltaire  war,  dessen  scharfe  Stimme  besonders  weit  trug.  Da« 
wuIste  man  schon  früher.  Farinelli  setzt  es  durch  seine  in  die  Tiefe  und 
in  die  Weite  gehenden  Forschungen  in  neues  Licht;  er  deckt  neue  Zu- 
sammenhänge auf,  zeigt  neue  überraschende  Perspektiven  und  gestaltrt 
das  Ganze  zu  einem  fesselnden  Kulturbilde.] 

Morel,  L.,  'Hermann  et  Doroth^'  en  France.  E^trait  de  la  BeoM 
d*hut.  lütSraire  de  la  Francey  d'octobre  —  d^mbre  1905.  Paris,  A.  Colio, 
1906.    36  S. 

Schoop,  H.,  Eine  Studentenkomödie  Friedrichs  des  Grolsen.  Gen^e, 
Impr.  du  JoumflJ  de  Gen^ve,  1906.  25  S.  FBchandelt  die  Posse  L'eeoie 
du  monde,  in  welcher  der  König  die  Unterricntsmethode  der  üniveDsitateo 
verspottet] 

Grein,  H.,  Die  *Idvlles  Prussiennes'  von  Th.  de  Banville.  £^  Bei- 
trag zur  Geschichte  der  Kriegspoesie  von  1870/71.  Beilage  zum  Ja^resber. 
des  RecUaymn,  xu  Neunkirehm,  Ostern  1906.  50  S.  [Eine  hübsche  Cha- 
rakteristik der  fünf  Dutzend  'Idyllen',  die  als  Getegenheitsdichtangn} 
1870/71  im  belagerten  Paris  entstanden  sind.] 

Massis,  EL,  Comment  Emile  Zola  oomposait  ses  romans.    D'apr^ 
ses  notes  personnelles  et  in^ites.    Paris,  Charpentier,  1906.    XII,  346  8. 
[Diesem  höchst  interessanten  Buche  dienen  als  Grundlage  die  Handschriften 
Zolas,  welche  die  Witwe  der  Nationalbibliothek  geschenkt  hat  (91  Quart- 
bSnde).   An  den  Manuskripten  und  Korrekturbogen  der  Romane  und  dem 
Konvolut  'Notes  et  extraits  divers'  lafst  sich  Zolas  Arbeitsweise  von  den 
ersten  Planen  und  Entvrürfen  bis  zur  Vollendung  eines  Werkes  studieren : 
der  Mann,  der  so  rastlos  und  unermüdlich  doeuments  hutnains  zusammen- 
trug, um  in  die  Gehdmnisse  des  Menschenlebens  einzudringen  und  die 
'Naturgeschichte'  einer  Familie  zu  schreiben  —  dieser  Mann   hat  selbst 
aus  seinem  Leben  kein  Geheimnis  gemacht  und  die  doeuments  humains. 
die  ihn  selbst  betreffen,  den  anderen  geliefert.    Man  weifs,  wie  er  sein 
Ich  dem  Arzte  Toudouze  zu  experimentellen  Untersuchungen  rückhalclo? 
überlassen  hat  (1896)  mit  der  ganzen  unerschütterlichen  Sirlichkeit  und 
jener  Furchtlosigkeit  seines  Wesens,  die  nicht  einmal  die  Ladierlichkeit 
scheut.    In  den  mnterlassenen  Papieren  der  Nationalbibliothek  breitet  er 
seine  Arbeitsweise  aus,  völlig  unbekümmert  darum,  ob  der  Vorwurf  des 
Plagiats,  der  ja  früh  ge^n  3m  erhoben  wurde,  dadurch  weitere  Nahrung 
finoe  oder  nicht.    Zola  ist  auch  hier  nur  auf  Wahrheit  erpicht.    Diese 
unbesiegbare  Wahrheitsliebe  ist  der  eindrucksvollste  Zug  an  der  impo- 
nierenden Gestalt  dieses  Mannes.    So  stellte  er  der  Nachwelt  selbst  das 
Material  zur  Verfügung,  um  die  'Naturgeschichte'  des  Künstlers  Zola  zu 
schreiben,  und  er,  der  immer  wieder  erklärte,  dafs  faire  de  la  vie  sein 
Künstlerberuf  sei  {ma  fonetion  e'est  de  faire  de  la  vie)^  er  setzt  selbst  den 
Arzt  und  den  Historiker  in  Stand  de  faire  sa  vie,  —  Das  Buch  Massis' 
ist  also  nach  Inediten  gearbeitet,  druckt  vieles  daraus  ab,  auch  kleine 
Zeichnungen,  Skizzen  von  Quartieren,  Gebäuden,  und  teilt  so  sehr  viel 
neues  Detail  mit,  ohne  indessen  den  Anspruch  zu  erheben,  uns   einen 
neuen,  bisher  unbekannten  Zola  zu  zeigen.    Das  Neue  und  überaus  Fes- 
selnde des  Buches  liegt  darin,  dafs  es  den  Mikrokosmus  des  Schaffens 
Zolas  aufweist,  dafs  wir  ihn  an  hundert  charakteristischen  Punkten  an 
jener  Arbeit  sehen,  deren  grofse  Züge  uns  ja  längst  vertraut  sind.   Massis 
stellt  in  einem  ersten  Teue  das  Werden  des  ganzen  Bougon-Macquart- 
Planes  dar  und  behandelt  dann  speziell  die  Entwickelungsffeschichte  des 
Assommoir.     Er   bestätigt  dabei   ausdrücklich,    wie  sehr   der   Naturalist 
Zola,  sobald  er  vom  Sammeln  der  Dokumente  zur  eigentlichen  Gestal- 
tung über  geht,  Romantiker  wird  —  er,  der  die  Romantiker  so  sehr  ver- 
abscheute.] 


Vendchnis  der  eingeliiiifeDeii  DruckschrifteD.  485 

MoisisovicB,  Dr.  £.  yon,  Metrik  und  Sprache  Butebeufs.  Heidel- 
berg, Winter,  1906.    71  S. 

Roche,  Ch.  de,  Lee  noms  de  lieu  de  la  vall^e  Montier- Grand val 
(Jura  bemois).  Etüde  toponomastique  (Zürcher  Inauguraldissertation). 
Salle  1906.  47  S.  [Auch  erschienen  als  Beiheft  IV  zur  Zeüschrifl  für 
romanische  Philologie,  Eine  tüchtige  Arbeit  über  die  Orts-  und  Flur- 
namengebung  (600  verschiedene  Namen)  der  jurassischen  Heimat  des 
Verfassers.] 

Cornu,  J.,  Fhon^tique  fran^aise:  Chute  de  la  voyelle  finale.  S.-A. 
aus  den  MSlanges  öhabaneau.    Erlangen,  Junge  [1906]. 

Schläger,  Dr.  G.,  Sprechübungen  im  neusprachlichen  Unterricht. 
Programm  der  Realschule  Oberstein-rdar.    1906.    13  S. 

Kicken,  Dr.  W.,  Französisches  Gymnasialbuch  für  den  Unterricht 
bis  zum  Abschluis  der  Untersekunda.  Auf  Grund  der  preufsischen  Lehr- 
pläne von  1901  für  gymnasiale  Anstalten  mit  deutscher  Unterrichtssprache. 
2.  verb.  Auflage.  Berlin,  Chemnitz,  Leipzig,  Gronau,  1905.  IV,  263  S. 
(vgl.  Archiv  CXlV,  465). 

Alge,  S.,  und  Rippmann,  W.,  Legons  de  fran^ais  bas^s  sur  les 
tableaux  de  Hölzel.  Ftemi^re  jpartie.  Neuvi^me  Edition  enti^rement  re- 
fondue  avec  quatre  tableaux.  §t-Gall,  Fehr;  Leipzig,  Brandstetter,  1908. 
197  S.    Geb.  M.  1,80. 

Alge,  S.,  Lecons  de  fran^ais.  Deuzi^me  partie.  Neuvi^me  Vitien 
enti^rement  refondue.  St-Gall,  Fehr;  Leipzig,  Brandstetter,  1903.  217  S. 
Geb.  M.  1,80. 

Alge,  8.,  Lezioni  d'italiano.  Leitfaden  für  den  ersten  Unterricht  im 
Italienischen.  Unter  Benutzung  von  Hölzeis  Wandbildern  für  den  An- 
schauunes-  u.  Sprachunterricht.  Mit  4  Bildern.  3.  Aufl.  St.  Gallen,  Fehr; 
Leipzig,  Brandstetter,  1904.  VIII,  1:>9  S.  M.  2.  [Über  die  zweite  Auflage 
des  französischen  Leitfadens  ist  hier  LXXXVII,  382  und  über  die  erste  des 
italienischen  C,  467  empfehlend  gesprochen  worden.  Seither  haben  Alges 
Lehrmittel  weite  Verbreitung  gefunden,  und  er  selbst  hat  sich  in  W.  Kipp- 
mann und  S.  Hamburger  eifrige  und  selbständige  Mitarbeiter  beigesellt. 
Alges  Unterrichts  werk  ist  ohne  Zweifel  von  allen  Lehrbüchern  der  induk- 
tiven Methode  das  am  konsequentesten  durchgebildete.  In  langer  Unter- 
richtserfahrung  sind  die  einzelnen  Teile  (Aussprache,  Lautschrift  und  Über- 
gang zur  historischen  Rechtschreibung,  Wortschatz,  zusammenhängendes 
Sprechen,  Grammatik)  ineinander  gearbeitet  und  zusammengeschweifst 
worden,  so  dafs  ein  Lehrbuch  von  scharf  geprägter  Einheitlichkeit,  ein 
Werk  aus  einem  Gusse,  entstanden  ist.  Es  gibt  insbesondere  keinen  Leit- 
faden, der  die  Gewinnung  des  Wortschatzes  unter  solcher  Eontrolle  hält 
und  so  systematisiert,  wie  es  die  Lecons  Alges  tun.  Seine  Unterrichts- 
erfahrung hat  Alge  auch  theoretisch  in  einer  Reihe  von  Schriften  zur 
Methodik  des  Sprachunterrichts  niedergelegt,  die  reiche  Anregung  bieten 
und  die  z.  B.  den  Übergang  zur  Orthographie  so  lehrreich  behandeln,  wie 
ich  das  sonst  nirgends  geuinden.  Es  ist  deshalb  sehr  willkommen,  dals 
er  den  Inhalt  dieser  zerstreuten  Broschüren  in  neuer  Form  zusammen- 
gefaist  hat  in 
Alge,  S.,  Methode  d'enseignement  du  fran9ais  et  commentaires  aux 
'Lebens  de  franyais',  I^^""  partie.  M.  1,20.  —  Oommentaire  aux  'Le9ons 
de  francais^  II*'  partie.  M.  0,80, 
die  im  nämlicnen  Verlage  erschienen  sind.] 

Plattner,  Ph.,  Ausführliche  Grammatik  der  französischen  Sprache. 
Eine  Darstellung  des  modernen  französischen  Sprachgebrauchs  mit  Be- 
rücksichtigung der  Volkssprache.  IL  Teil:  Ergänzungen.  Drittes  Heft: 
Das  Verbum  in  syntaktischer  Hinsicht.  Karlsruhe,  J.  Bielefeld,  1906. 
155  S.    M.  2,60. 


486  VerzdchniB  der  dngelaiifeDeii  Druckichriften. 

Bathe,J.,  Die  moralischen  EnBenhameiiB  im  AltprovoizaliBcbeo.  £^ 
Beitrag  zur  ErziehuDgs-  und  Sitten^ieschichte  SüdfranKreichs.  Belage  znsi 
Jahreeber,  über  das  Gymnasium  zu  Warburg,  Ofitem  1906.  29  S.  [Vgl 
die  Arbeit  des  nämlichen  YerfasserB  hier  OXIII,  394.    In  diesem  Pr<> 

framm  charakteriBiert  und  analysiert  er  trefflich  die  neun  ensenhamem, 
ie  er  hier  8.  598  au/zählte.] 

Wendel,  H.,  Die  Eutwickelune  der  Nachtonvokale  aus  don  Latd- 
nischen  ins  Altprovenzalische.  (Tübinger  Inauguraldissertation.)  Halle, 
£.  Karras,  1906.  122  8.  [Die  Arbeit  erscheint  gut  disponiert  und  om- 
sichtig  auseeführtj 

Appel,  C,  Zur  Metrik  der  Sancta  Fides.  S.-A.  aus  den  Müanga 
Chabaneau  8.  197—204.    Erlangen,  Junge  [1906]. 


D'Ancona,A.,  La  poesia  popolare  italiana.  Studj .  Seconda  edizione 
accresduta.  Livorno,  R.  Qiusti,  1906.  VIII,  572  8.  Lire  5.  [Vor  28  Jahren 
sind  diese  schönen  8tudien  zur  lyrischen  Volksdichtung  Italiens  zum 
erätenmal  ausgegeben  worden.  Heute  erscheinen  sie  zum  zweitenmal,  dc^m 
nämlichen  Freunde  und  Mitforscher,  C.  Nigra,  gewidmet.  Das  Buch  ist 
von  dem  neuen  Verleger  im  Text  etwas  freier,  in  den  Anmerkungen  enger, 
in  den  Tavole  übersichtlicher  gedruckt.  Text  und  Anmerkungen  hahes 
vom  Verfasser  reiche  und  sorgfältige  Vermehrung  erfahren,  doch  ist  in- 
haltlich das  treffliche  Werk  dasselbe  geblieben,  so,  wie  es  uns  nnn  seit 
langen  Jahren  vertraut  ist.  Die  Strambotti  des  Leon.  Giustiniani  sind 
aus  dem  zweiten  Bande  des  Giomale  di  filologia  ronumxa  (1879)  als  An- 
hane  hinzugekommen  ^8.  543 — 61).,  worauf  8.  159  Anm.  4  hatte  yerwiesen 
werden  soUen.  —  Leiaer  fehlt  auch  diesem  Neudruck  ein  Sachindex,  ja 
es  fehlt  wieder  jedes  Inhaltsverzeichnis,  so  dafs  die  Orientierung  in  den 
zwölf  Kapiteln  des  Buches,  die  zudem  keine  Titelüberschriften  tragen,  in 
keiner  Weise  leichter  gemacht  ist.  Die  elf  auf  die  Einleitung  folgenden 
Kapitel  behandeln:  II.  Die  Beste  der  Volkspoesie  des  Dugento;  ifi.  Die 
florentinische  8chule  des  Dugento;  IV.  Die  politische  Poesie  von  1300 — 135(»: 
V.  Die  lyrisch-epische  Poesie  der  Ballata*  etc.;  VI.  Bispetti,  Strambotti 
des  Quattrocento;  VII.  Die  Gemeinsamkeit  der  ital.  Volkspoesie;  VIII.  Ihre 
Verschiedenheit;  IX.  Ihr  Ursprung  (Sizilien);  X.  Die  drei  Typen  (siz.,  tosk., 
oberital.);  XI.  Berührung  von  VoTkspoesie  und  Kunstpoesie;  XII.  Kunst- 
poetische Quellen  der  volkstümlichen  Dichtung.] 

Tor  res,  G.,  Pensieri  di  Goethe  e  Lichtenberg,  scelti  e  tradotU.  Ve- 
rona-Padova,  Fratelli  Drucker,  1906.    XI,  119  8.    Lire  2,50. 

Del  Vecchio,  A.,  Commemorazione  di  Au^sto  Franchetti  con  la 
bibliografia  de'  suoi  scritti.  Firenze,  tipogr.  Gableiana,  1906.  115  8.-1. 
rpiese  mit  dem  Bilde  Franchettis  geschmückte  Oofnmemorax4one  ist  die 
Bede,  mit  der  Del  Vecchio  das  Wintersemester  des  R,  MhUo  di  Sdavu 
Sociali  zu  Florenz  eröffnete,  und  mit  der  er  dem  letztes  Jahr  allzufrüh 
geschiedenen  Freund  und  Kollegen  ein  schönes  Denkmal  setzt.  Franchetti 
gehörte  zu  den  italienischen  Gelehrten,  die  Forscher  und  Künstler  zu- 
gleich sind,  und  auf  deren  unermüdliche  und  fruchtbare  Arbeit  man  mit 
Bewunderung  blickt.] 

Teubners  kleine  Sprach bücher.  III.  Italienisch,  l.  Tdl:  Lezioni  ita- 
liane,  prima  parte.  Kurze  praktische  Anleitung  zum  raschen  und  sicheren 
Erlernen  der  italienischen  Sprache  für  den  mündlichen  und  schriftlichen 
freien  Gebrauch  von  A.  Scanferlato.  Dritte  verb.  Auflage.  Büt  einer 
Karte  von  Italien.    Leipzig,  Teubner,  1906.    VI,  254  8.    Geb.  M.  2,40. 


*  Hier  fehlt   zam  Reigenlied  der  Bele  AoUm  (p.  99)  der  Verweis   auf  Qaitoa 
Paris'  Arbeit  {MeUmgu  Wakhmd,  1896,  1  —  12). 


Veneichnis  der  dngelanfenoD  Druckschriften.  487 

Methode  TouBsaint-Langenscheidt  Brieflicher  Sprach-  und 
Sprachunterricht  für  das  Selbststudium  der  italienischen  Sprache  von 
Dr.  H.  Sabersky,  unter  Mitwirkung  von  Prof.  G.  Sacerdote.  Berlin, 
Lanffenscheidt.   Brief  3b  (letzter);  Beilage  III— VII;  Sachregister  zu  M.  1. 

Hecker,  O.,  II  ^iccolo  Italiano,  manualetto  di  lingua  parlata  ad  uso 
degli  Studiosi  forestien  compiiato  sugli  argomenti  principali  della  conver- 
sazione  d'ogni  giorno  e  corredato  dei  segni  per  la  retta  pronunzia.  Seconda 
ediz.  notevolmente  accresciuta  ed  in  gran  parte  rifusa.  Karlsruhe,  J.  Biele- 
feld, 190(5.  XII,  240  S.  Geb.  M.  2,5ü;  dazu:  Modo  di  servirsi  deiPiceolo 
Itttliano,  11  S.,  M.  0,20.  [Das  treffliche,  bis  in  alle  Einzelheiten  genau 
gearbeitete  Hilfsmittel  der  wirklichen  toskanischen  Lingua  farlcUa  nsX  in 
dieser  Neuauflage  eine  vollige  Durch-  und  Umarbeitung  erfahren.] 


BuUetin  hispanique  VIII  (1906),  l  [H.  de  La  Ville  de  Mirmont,  Oic^- 
ron  et  les  fispagnols  (suite  et  fin).  —  A.  Morel- Fatio,  D.  Bernardino  de 
Mendoza,  I.  La  vie.  —  0.  P^rez  Pastor,  Nuevos  datos  acerca  del  histrio- 
nismo  espaftol  en  los  siglos  XVI  y  XVII  (segunda  serie).  —  F.  Strowski, 
Un  contemporain  de  Montaigne:  Sanchez  le  ^eptique.  —  G.  Cirot,  Docu- 
ments  sur  le  faussaire  Hisuera.  —  Bibliographie.  —  Chroniquel.  VIII,  2 
[A.  Mesquita  de  Figueireoo,  Buines  d'antiques  Etablissements  a  salaisons 
sur  le  litteral  sud  ou  Portugal,  avec  gravures.  —  J.  Saroihandy,  Un  saint 
bordelais  en  Aragon.  —  A.  Morel-Fatio,  D.  Bern,  de  Mendoza,  II.  Les 
Oeuvres.  —  C.  PErez  Pastor,  Nuevos  datos  acerca  del  histrionismo  espailol 
en  los  siglos  XVI  y  XVII  (suite).  —  A.  Paz  v  Melia,  Gartapacio  de  dife- 
rentes  versoe  ä  diversos  asuntos,  compuestos  o  recogidos  por  Mateo  Rosas 
de  Oquendo.  —  H.  MErimEe,  Un  romance  de  Carlos  Boyi.  —  G.  Cirot, 
Kecherches  sur  lee  Juifs  espagnols  et  portugais  ä  Bordeaux,  I.  Les  vestiges 
de  l'espagnol  et  du  portugais  dans  le  parier  actuel  des  Juifs  bordelais.  — 
Varietes:  S.  Cirot,  Des  noms  et  des  pr^noms.  —  C.  Pitollet,  'Toujours 
perdrix'.  —  Questions  d'enseignement.  —  Bibliographie.  —  Chronique]. 

Morel-Fatio,  A.,  Etudes  sur  lEspagne.  Deuxi^me  s^ria  Deuxi^me 
Edition  revue  et  corrieEe.  Paris,  Champion,  1906.  XVI,  429  8.  Frs.  6. 
[Die  drei  Bände  der  'spanischen  Studien'  Morel  Fatios  sind  hier  CXIV, 
257  erwähnt  worden.  Nun  ist  auch  das  zweite  Stück  der  Serie  in  neuer 
Auflage  erschienen,  betitelt:  Orands  ä^Espagne  et  peius  prinees  aUemands 
au  XvIII'  siMe  d'aprks  la  eorrespondance  inedüe  du  comte  de  Feman 
Nunex  avec  le  prtnee  Emmanuel  de  Salm- Salm  et  la  duehesee  de  Befar,  ein 
lebensvolles  Kulturbiid  aus  der  spanischen  Gesellschaft  der  zweiten  Hälfte 
des  18.  Jahrhunderts  mit  vielen  Ausblicken  auf  die  Zustände  der  anderen 
Länder,  besonders  auf  die  französischen  und  deutschen.  FamiUengeschidite, 
Literatur,  Diplomatie,  Kriegswesen,  Hofleben,  Reisen  —  überall  finden  wir 
Interessantes  und  Charakteristisches.  Man  begegnet  Voltaire  und  Dalem- 
bert,  hört  vom  Marquis  de  Mora  und  vernimmt  einen  bewundernden  Be- 
richt über  Friedrichs  IL  Kavalleriemanöver  im  Vergleich  zur  spanischen 
B«iterei.  Das  lan^e  Namenregister  zeift,  durch  welche  Galerie  oerühmter 
und  vergessener  Zeitgenossen  der  Vert.  an  der  Hand  der  gräflichen  Kor- 
respondenz und  mit  seiner  eigenen  bewundernswerten  Detailkenntnis  uns 
führt.  Es  ist  das  Spanien  der  Zeit  Karls  III.,  die  Zeit  des  Kampfes  zwi- 
schen den  Ideen  der  französischen  Aufklärung  und  der  altspanischen  Tra- 
dition. —  Die  neue  Auflage  verrät  auf  jeder  Sdte  die  sor^ältig  nach- 
bessernde Hand  des  Verfassers.  Das  Buch  ist  mit  den  Hinweisen  auf 
die  neuesten  Arbeiten  versehen,  U]^^  da  inzwischen  F.  Nuftez'  Bericht  über 
die  Expedition  nach  Algier  von  \'^nf)  veröffentlicht  worden  ist,  so  ist  das 
siebente  Stück  des  inhaltsreich^Y^  Aühs^S^  y^^  weggelassen.  —  Man 
kennt  das  Spanien  der  Bourboi^Ä^  vnUiß^  noc\i  verbaUniBmäfeig  wenig  -- 
um  so  willkommener  ist  ein  a^?^  ^^  QneTScYmltt  dvirch  sein  Leben,  wie 


4B8  Verzeichnis  der  angelaufenen  Druckschiiften. 

ihn  dieses  treffliche  Buch  bietet,  das  auch  deutschen  Lesern  sehr  emfiloh- 
len  sei.] 

Violets  Echos  der  neueren  Sprachen:  Eco  de  Madrid.  GonTerBad6ii 
espafiola  moderna  (Paliques).  Unterhaltungen  über  alle  Gebiete  des  mo- 
dernen Verkehrs  in  spanischer  Sprache  (spanische  Plaudereien)  von  P.  de 
Mugica  7  Ortiz  de  Zärate..  Achte,  völlig  neu  geschriebene  Auflage. 
Stuttgart,  W.  Violet,  190(5.  VIII,  175  S.  mit  spanisdi-deutschein  Wörter- 
buch, 42  S.    Geb.  M.  3,50. 

Puscariu,  Dr.  S.,  Etymologisches  Wörterbuch  der  mmäniacheD 
Sprache.  I.  Lateinisches  Element  mit  Berücksichtigung  aller  rom&nischefi 
Sprachen  (Sammlung  roman.  Elementarbficher,  hg.  von  W.  Meyer- Lübke, 
III.  Reihe:  Wörterbücher  I).  Heidelberg,  Winter,  1905.  XV,  235  S. 
Geh.  M.  6.  [Dieses  etymologische  Wörterbuch  des  lateinischen  Ele- 
mentes des  Rumänischen  illustriert,  im  Vergleich  mit  Gihacs  Dictionnairt 
(1870)  —  der  für  seine  Zeit  eine  treffliche  Leistung  war  — ,  die  neue  Rich- 
tung und  den  Fortschritt  der  sprachgeschichtlichen  Forschung  überhaupt 
und  der  rumänischen  Linguistik  im  besonderen.  Während  sich  Oihac  ao^- 
schiiefslich  an  die  Schriftsprache  hielt  und  viele  blol^  Buc^wörter  auf- 
nahm, legt  P.  die  lebende  Sprache  zugrunde  und  berücksichtigt  neben 
dem  Hocnru manischen  auch  Sonderformen  der  dakorumänischen  Mund- 
arten, sowie  das  Rumänische  der  westlichen  und  südlichen  Diaspora: 
Istrorumänisch,  Makedorumänisch  und  Meglenitisch.  Über  seine  Grund- 
sätze spricht  er  sich  in  der  Vorrede  ebenso  bestimmt  wie  bescheiden  aus, 
und  diesen  Grundsätzen  —  denen  man  gern  zustimmen  wird  —  gemäiV 
ist  das  Buch  sorgfältig  und  sachkundig  gearbeitet  So  ist  ein  vortreff- 
licher Führer  entstanden,  und  es  ist  nicht  sein  geringstes  Verdienst,  dafs 
er  durch  gewissenhafte  Anführung  der  als  sicher  bekannten  romanischeD 
Entsprechungen  auch  zum  erstenmal  ein  ungefälures  Bild  von  der  Ver- 
wandtschaft des  Rumänischen  mit  den  übrigen  roman.  Idiomen  gibt.] 


Boyer,  P.,  et  Sp^ranski,  N.,  Manuel  j^ur  T^tude  de  la  langae 
russe.  'rextes  accentu^s,  commentaire  grammatical,  remarques  diverses  en 
appendice,  lexic^ue.    Paris,  A.  Colin,  1905.    XIV,  386  8.    Fr.  10. 

Lan genscheid ts  Taschenwörterbuch  der  russischen  und  deutschen 
Sprache,  Methode  Toussaint-Langenscheidt,  von  Karl  Blattner.  Berlin, 
Langenscheidt,  1906.    972  S.    Geb.  M.  3,50. 

von  Eawrayskv,  Russische  Handelskorrespondenz  für  Anfänger 
[de  Beaux'  Briefsteller  für  Kaufleute.  Erste  Stufe,  B.  51.  Ldpzig,  Gtöscheo, 
1906.    VII,  195  S.    Geb.  M.  1,30. 

Cram,  Ralph  Adams,  Impreesions  of  Japanese  architecture  and  the 
allied  arts.    London,  Laue,  1906.    228  S. 


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