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Sarbatti CoUeßC liörarg
JOHN AMORY LOWELL,
(Clau Ol 1815).
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/
ARCHIV
FÜR DAS
STUDIUM DER NEUEREN SPRACHEN
UND LITERATUREN
begrOndet von loowig herrig
HEBAUSOBOBBEN
TOM
ALOIS BRANDL UND HEINRICH MORP
LEX. JAHRGANG, CXV. BAND
DBB NEUEN SERIE XV. BAND
BRAÜNSCUWEIG
DEUOK UND VEBLAG VON GBOBGB WESTBBMANN
1905
Ä
Inhalts-Yerzeiclinis des CXV. Bandes,
der nenen Serie XV. BaBdes.
Abhandlungen. g^.^^
Zur Entstehung dea Märcheos. Von Friedrich von der Leyen. IIL (Fort-
setsoog) 1
ITiklas Prann nnd Pandolfo Collennccio. Von AdolfHauffen . . . . 22
Tolksliod-Miazellen. II. Von E. K. Blflmml 30
Zur Entstehung des Mlrchens. Von Friedrich von derLeyen. IV. (Fort-
setzong) 278
Wielands 'Metamorphose' in seiner eigenen Beurteilnng. Von Jnlius Stein-
berger 290
Über den Hymnus Ciedmons. Von A. Schröer 67
Noch einmal die Quelle des 'Monk'. Von Georg Herifeld 70
Die Bargbscbe Cato-Paraphrase. Von MazFörster. 1 298
Zur englischen Wortgeschichte. Von W. Hörn 824
Zur letsten Londoner Theaterseason. Von R. Fischer 329
Briefe von Gaston Paris an Friedrich Dies. Von AdolfTobler . . . 74
Phonetik und Semantik In der etymologischen Forschung. Von £. Tappolet 101
Beitrage rar französischen Stilistik und Syntax. Von EmilMackel . . 124
Cyrano de Bergerac (1619 — 1655), sein Leben und seine Werke. Ein Ver-
sach. Von H. Oflbi. IV. (Scblufs) 133
Stadien zur fir&nkischen Sagengeschichte. U. Von LeoJordan. . . . 854
Kote sal Boccaccio in Ispagna nell'Etk Media. Di Arturo Farinelli. II.
(Forfsetsung) 868
BUeinere Mitteilungen
Zur QaeUenkunde und Textkritik der altengl. Exodus. (F. Holthausen). 162
Zum ae. ^ereftu (Otto Ritter) 163
£dne vttiore&e Handsehrift der Sprüche Hendings. (Max Förster) . . . 165
Die Bibliothek des Dan Michael v<m Northgate. {Max Förster) ... 167
Zu Lydgates Secreta secretomm. (Max Förster) 169
Die mittelenglisehe Version von Claudians De consulatu Stiliehonis. (Max
Förster) 169
IV
8«tto
HisMÜen lor engliBchen Wortknnde. (Otto Ritter) 17S
Byrons Oedichte To Mr. Murray. (Otto Bitter) 176
Eine Shakespearesche Redewendang bei Annette Ton Droete-HfllBho£
(EL Sprenger) 176
Kentiflch hionne'. Hirnhant. (F. Lieber mann) 177
Bemerkungen lam Beowiilf. (Fr. Elaeber) 178
Das Mätsnersche Wörterbach 182
Ag8. rihthamtcyldi echtes Hoftor. (F. Liebermann) • • . 389
Zam 90. angelsachsischen Bfttsel. (Frits Erlemann) 391
Ein altengliscbes ProsartUsel. (Max Förster) 39S
Das Englisch des städtischen Rechts im 15. Jahrhundert (F. Li eher mann) 398
Ein neuentdecktes Manuskript Thomas Chattertons. (Helene Richter) 398
Zu Archiv CXU, 190 ff. (Anieige). (A. J. Barnouw) 397
Zu Archiv CXIV, 474 (Bibliogr.) 397
Mundarlgrenzen. (C. Haag) 182
Die Soci^ti des Textes fran9ais modernes. (H. M.) 189
Elex oder IUex7 (W. Mejer-Lttbke) 397
Notes sur ia prononeiation fran^aise du nom de Shakespeare. (Fernand
Baldensperger) 899
Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Max Batt, The treatment of nature in German literature from Gflnther to
the appearanoe of Ooethe's Werther. (R. Woemer) 405
K. Berger, Schiller. (Robert Petsch) 211
Goethe, Iphigenie auf Tauris. Ed. hj K. BreuL (R. M. M.) 194
Schiller, Geschichte des Dreifhigjährigen Krieges, abridged and edited by Karl
Breul. (Robert Petsch) 212
Frans Deibel, Dorothea Schlegel als Schriftstellerin im Zusammenhang mit
der romantischen Schule. (Richard M. Meyer) 218
Kuno Fischer, SchiUerschriften. (Robert Petsch) ..212
Th. Fontanes Briefe an seine Familie. (Richard M. Meyer) 410
L. Fulda, Schiller und die neue Generation. (Robert Petsch) 195
Ludwig Gelger, Gbethes Leben und Werke. (R. Woemer) 404
O. Harnack, Schiller. (Robert Petsch) 209
Julius Hartmann, Schillers Jugendfreunde. (Robert Petsch) 211
Schillers Sämtliche Werke, herausgegeben von Eduard Ton der Hellen.
(Robert Petsch) 198
Andreas Hensler, Lied und Epos in germanischer Sagendichtung. (Richard
M. Meyer) 403
Marbacher Schillerbuch, herausgeg. Tom Schwäbischen Sohillerrerein. (Robert
Petsch) 202
Ernst Martin, Wolframs von Esohenbach Pandval und Titurel. Zweiter
Teil: Kommentar. (Joseph Seemfliler) 190
R. Petsch, Vorträge über Goethes 'Faust'. (Richard M. Meyer) .... 405
V
Seite
N. Lenaii, Poöte lyriqne. Par L. Reynaad. (Helene Herrmann) . . . 406
Jan T. Bozwadowaki, Wortbildang und Wortbedeatnng. (W. Franz) 216
Die Gedichte Oswalde von Wolkenstein, heraasgeg. von J. Schatz. Zweite
verbesserte Ausgabe. (Hennann Michel) 192
Fr. Stahl, Wie sah Goethe ans? (Richard K. Meyer) 198
Fritz Stahl, Wie sah Biemarck aas? (Richard M. Meyer) 216
Emil Snlger-Gebing, Hngo v. Hofmannsthal. (Richard M. Meyer) . . 817
Pantheon -Ansgabe: Schillers Gedichte, ed. Weifsenfeis. ^Robert Petsch) 199
Frans Zinkernagel, Die Grundlagen der Hebbelschen Tragödie. (Theodor
Poppe) 213
Oskar Boerner, Die Sprache Robert Mannings of Brunne und ihr VerhUtnis
znr nenenglischen Mundart (Erik BjÖrkman) 223
Henry Br ad ley, The making of English. (K. Luick) 414
George Masons Grammaire Angloise nach den Drucken von 1622 und 1633
herausgegeben von Rudolf Brotanek. (Wilhelm Dibelius) . . . . 425
Bruno Basse, Wie studiert man neuere Sprachen? (M. Konrath) . . . 218
Theodor £ichhoff. Die beiden Ältesten Ausgaben von Romeo and Jnliet
(Ernst KrOger) 423
John Erskine, The Elisabethan lyric (Wilhelm Bolle) 227
a J. M. Fant, Engelskt uttal. (Erik BjOrkman) 426
R. Hall, Lehrbuch der englischen Sprache. Fttr M&dchenscbulen bearbeitet
in xwei Teilen. L TeU, 2. Aufl. ; U. Teil, 1. Aufl. (WUli Splettstöflser) 429
Alexander GiUs Logonomia Anglica, herausgegeben von Otto L. Jiriczek.
(K- Lnick) 230
Oscar Wilde, De profundis, herausgegeben und eingeleitet von Max Meyer-
feld. (A. Brandl) 235
Ernst Otto, Typische Motive in dem weltlichen Epos der Angelsachsen.
(Heinrich Spies) .222
W. Sattler, Deutsch-englisches Sachwörterbuch. (W. Franz) 236
W. Sattler, Deutsch-EngUsches Sachwörterbuch. (W. Franz) 429
Levin Liadwig Schüeking, Beowulfs Rückkehr, eine kritische Studie.
(A. Brandl) 421
Ebner Edgar Stell, John Webster; the periods of bis work as determined
by bis relations to the drama of bis day. (A. Brandl) 229
Graee Fleming Swearingen, Die englische Schriftsprache bei Goverdale.
(Erik Björkmap) 226
Wilhelm Swoboda, Lehrbuch der englischen Sprache fär Realschulen.
1. Teil: Elementarbuch der englischen Sprache ftlr Realschulen. —
2. TeU: English Reader (Lehr- und Lesebuch fQr die 6. Klasse). —
3. Teil: Literary Reader (Lehr- und Lesebuch für die 7. Klasse). —
4. Teil: Schulgrammatik der modernen englischen Sprache. (Willi
Splettstöfser) .427
Korits Trautmann, Das Beowulflied, als Anbang das Finn-Bruchstflck und
die Waldhere-Bruchstflcke, bearbeiteter Text und deutsche Übersetzung.
(Levin Ludwig Scbttcking) 417
L
VI
Seite
The nation's need. Chapters on education. Edited hj Spenser Wilkinson.
(W. Münch) 411
Martin Wolf, Walter Scotts Keniiworth. (Georg Hersfeld) 234
LeoDhard Wroblewski, Über die altenglisehen Qeeetze des Königs Knut.
(Heinrich Spißa) 282
Aus romanischen Sprachen und Literaturen. Festschrift Heinrich Morf lur
Feier seiner fllnftindswanzigjährigen Lehrtätigkeit Ton seinen SohQlem
dargebracht (H. M.) 430
Amalia Cesano, Hans Sachs ed i suoi rapporti eon la Letteratura Italiana..
(Arthur Ludwig Stiefel) 253
Festschrift, Adolf Tobler cum siebzigsten Geburtstage dargebracht von der
Berliner Gesellschaft fttr das Studium der neueren Sprachen. (Adolf Tobler) 238
I. Giorgi ed £. Sioardi, Abboszi di rime edite ed inedite di Francesco
Petrarca. (C. Appel) 464
O. Hecker, Neues deutsch-italienisches Wörterbuch. Teil H: Deutsoh-Ita-
Uenisoh. (Berthold Wiese) 468
Otto Knörk et Gabriel Puy-Fourcat, Le fran9ais pratique pour la jeu-
nesse commer9ante et industrielle. 1^'^ partle. (Keesebiter) .... 463
Wilhelm Mttnch, Didaktik und Methodik des französischen Unterrichts.
2. umgearbeitete Auflage. (Theodor Engwer) 246
George N. Oicott, Thesaurus linguae latinae epigraphieae. Band I, Liefe-
rung 1. (Max Niedermann) 245
Gabriel Puy-Fourcat, s. Otto Knörk.
Bernhard Schädel, Mundartliches aus Mallorca. (H. M.) 256
Arnold Schröer, Die Fortbildung der neusprachlichen Oberlehrer und das
Englische und Französische Seminar an der Handels-Hochschule in Köln.
(Theodor Engwer) 251
E. Sicardi, s. I. Giorgi.
A. Wa 1 d e , Lateinisches etymologisches Wörterbuch. Lief. 1. (Max Niedermann) 246
Verzeichnis der vom 13. Juni bis zum 1. Oktober 1905 bei der Redaktion
eingelaufenen Druckschriften 259
Veneichnis der vom 2. Oktober bis zum 28. November 1905 bei der Re-
daktion eingelaufenen Druckschriften 470
(?,
Ji.S'
0\ ^rW/^'''^-^ V ^Cty^'*-'^\__
Zur Enlstehnng des Märchens.
(Fortsetsong.)
m. Märchen bei alten Kulturvölkern.
Eine umfassende Sammlung und Beschreibung der Märchen
bei alten Kulturvölkern dürfte heute sogar unseren theologischen
Gelehrten, unseren Orientalisten und klassischen Philologen kaum
gelingen. Die Forschung, die solche Märchenmotive nachweist
und erkennt, steht, soweit ich sehe, noch in den Anfängen, sie
kam an vielen einzelnen Stellen zu schönen und verheifsungs-
reichen Erfolgen, doch konnten diese Ergebnisse noch nicht ver-
einigt und die Arbeit noch nicht in gröfserem Zusammenhang
geleistet werden. Um so weniger darf man von mir verlangen,
dafs ich jetwa die Ergebnisse der Fachgelehrten überhole und
hier die Übersichten biete, die sie uns noch nicht zu bieten ver-
mochten: ich versuche im Gegenteil, dankbar das zu benutzen,
was Jene Gelehrten erkannten und feststellten, und ich möchte
nur durch Beispiele zeigen, dafs Märchenmotive und Märchen bei
diesen Völkern bestanden, und dafs sie sich aus jenen primitiven
Vorstellungen entwickelten, die wir eben betrachtet; alsdann
möchte ich schildern, welche künstlerischen und organischen Be-
sonderheiten diese Märchen besitzen.
Die babylonische Sage von Izdubar Nimrod* hat mit dem
Märchen manche Eigentümlichkeiten gemeinsam. T)ie Handlung
wird durch schier unzählige Träume in Bewegung gesetzt, durch
welche die Götter den Menschen die Zukunft zeigen und Rat
erteilen. Diese Anschauung ist ein charakteristischer Bestandteil
der religiösen Anschauung der Babylonier und Assyrer. Ein
babylonischer Eigenname bedeutet "Vertraue auf Träume^V^ —
Das darf uns als neuer Beweis für die oben vorgetragene An-
schauung gelten, dafs viele Sagen und Märchen sich aus Träumen
heraushoben. — Jäger und Bauern gehören zu den führenden Per-
sonen in dieser babylonischen Sage, Menschen leben mit den
Tieren, als seien diese ihresgleichen, %it Gazellen frifst Eabani
Kräuter, mit dem Vieh des Feldes erfrischt er sich an der
* Vgl. Alfred Jeremias, Rditbar Nimrod, in Bosehers Lexüton II, 774 f.
' Jereniiafl a. a. O. II, 781.
Aicblv f. n. Sprochen. CXV. 1
2 Zur Entetehong des Märchens.
Tranke^ mit dem Getier des Wassers ergötzt sich sein Herz/
Eine Göttin verwandelt einen Menschen in einen Tiger^ Bäume
werden redend eingeführt^ der Geist eines Verstorbenen kommt
wie ein Windhauch aus der Erde: das sind alles Vorstellungen^
die uns bei den Naturvölkern oft entgegentraten^ und die aus
primitiven Vergangenheiten auch in unser Märchen herüber-
wanderten. Der Held Izdubar geht dann auf die Reise zu Sit-
napistim^ um den verstorbenen £a zu erwecken; auf dieser Reise
kommt er zuerst zu einem Gebirge, das schreckliche Skorpionen-
menschen bewachen; diese warnen ihn, und trotzdem wagt er
sich weiter, durch eine dicke Finsternis hindurch, zum Gestade
des Meeres hin. Dort sieht er einen herrlichen Baum, der Edel-
steine als Früchte tragt, an dem prächtige Aste hangen, dessen
Zweige Kristall tragen: die Königin des Meeres warnt ihn noch-
mals, und er überschreitet das Meer doch; endlich gelangt er
über den Totenflufs (den Wassergürtel des Meeres) hinüber, zur
Insel der Seligen. Er wird durch eine Zauberspeise gestärkt,
zum Lebensquell geführt, erhält auch eine Lebenspflanze, die er
aber aus Furcht vor einer Schlange in einen Brunnen fallen läist.
Man hat die Übereinstimmungen dieser Izdubarsage mit der
vom Herakles betont,^ beide Helden sind berühmte Jäger und
Löwentöter, beide kämpfen mit Riesen, steigen in die Hölle,
überwinden den Tod, fahren zum Göttergarten und erwerben die
Unsterblichkeit
Und ebensowenig lassen sich die Ähnlichkeiten der Er-
eignisse dieses Izdubarepos mit den Abenteuern und Gefahren
leugnen, die Alexander auf seiner Reise ins Jenseits im Roman
des Pseudo-Elallisthenes zu bestehen hat: auch ihn führt der Weg
durch Schluchten und Wüsten zu einem Plufs, in dem Wunder-
bäume wachsen und verschwinden, zu abenteuerlichen Tieren, zu
mehrtägiger Finsternis, dann zur Meeresküste und, durch eine
Taucherfahrt, ins Land der Seligen. Auf dem Wege dorthin
findet er das Wasser des Lebens, und Vögel warnen ihn, von
seinem gefährlichen Vorhaben abzustehen. Aber er überwindet
alle Gefahren und kehrt erst dann zurück.^
Gleich überraschend aber ist, dafs sich diese uralte baby-
lonische Sage in vielen Teilen liest wie die Märchen unserer
Tage, die vom Wasser des Lebens oder vom Reisen zum Teufel
erzählen. Es ist die Eigentümlichkeit dieser Märchen und der
uralten Sage, dafs die Helden aus einer Gefahr in eine, schlimmere
geraten, dafs einer nach dem anderen sie warnt, sie möchten doch
' Jeremias 822.
' Vgl. F. Kanipers, AJexcmder der Orofse und die Idee des WeltimpertumSj
Freiburg 1901, S. 86 f., iind die dort ansegebene Literatur; Wilhelm Hertz,
Gesammelte Abhandlungen, bes. S. 90 Anm. 1.
Zur Entetehung des Märchenfi. B
von ihrem überkühnen Wagnis abstehen, noch jeder sei dabei
zugrunde g^angen; dafs das Ziel der Beise in immer weitere
Feme rückt; ^ in den Märchen werden hier und da zuerst die
Tiere des Waldes^ dann die Fische des Meeres oder die Vögel
der Luft zusammenberufen^ keiner weifs den Ort, wo das Wasser
des Lebens verborgen liegt, bis endlich ein uralter Vogel oder
ein uralter Fisch sich erinnert und den Helden auf seinem
Rücken über das Meer an den Ort seiner Sehnsucht tragt Es
geschieht auch wohl^ dafs die Helden infolge von Verzauberungen
fast das verlieren oder verscherzen^ um dessentwillen sie doch
alle Gefahr und Mühsal auf sich nahmen.
Es würde mir nun als verfehlt erscheinen^ wollte man aus
diesen Ähnlichkeiten schliefsen, das Izdubarepos habe einen
inz unvergleichlichen^ bis heute nachwirkenden Einfluls auf die
^m und Märchen der ganzen Welt gehabt. Denn jede der
von mir vor^führten Ähnlichkeiten oder Übereinstimmungen
läfst sich wieder auf VorsteUungen zurüokleiten, die wir schon
kennen^ und die wir primitive nannten. Die Gleichartigkeit
von Izdubarepos^ Heraklessage, Alexanderroman und modernem
Märchen findet also in diesem Fall ihre recht einfache Erklärung
darin, dals eben die Vorstellungen, auf denen sie beruhen, uralt,
überall verbreitet und einander sehr ähnlich waren. Einige der
Lsdubarmotive, vor allem wohl die schreckhaften Gefahren, kom-
men aus dem Traumleben, die Vorstellung, dafs die Seele eines
Menschen, namentlich eines Zauberers, sich auf lange, unendlich
mühselige und gefahrvolle Reisen begibt, bis sie endlich zum
höchsten Himmdsgott oder ins Reich der Toten eindringt, ist
uns auch nicht fremd, ^ ebensowenig der Glaube an ein Land
der Seligen jenseit des Meeres, in kaum zu erreichender Feme.
Und das Merkwürdige und Unschätzbare an der Izdubarsage
wäre also für uns, dafs sie den, ich möchte sagen ehrwürdigsten.
Beweis für die These ^bt, dafs unsere Märchen, Märchen vom
Wasser des Lebens und der Unterwelt, schon vor manchem Jahr-
tausend erzählt wurden, dafs diese Märchen im engsten Zu-
sammenhange stehen mit den primitiven Vorstellungen, die sich
die Naturvölker bewahrten. — Die Lebenskraft und Eindring-
lidikeit dieser Vorstellungen ist heute so frisch und stark wie
in der ältesten Vergangenheit: die@,e Kraft verspürten auch die
Herakles- und Alexandersage und haben sie dichterisch erhöht.
Die religiösen Vorstellungen der alten Agjmter, die ich hier
zu nennen habe, unterscheiden sich gleichfalls kaum von denen
' Vgl. Hermann Usener, Rheinisches Museum, N. F. 56 (1901), 485 f.;
R. Köhler, Kleinere Schriften I, 186. 562; II, 332; Den., Zu Laura Oonxen-
hoch Nr. 64; Coequin I, 217; Chauvin, Bibliographie VI, 78.
« Vgl. oben Archiv CXIV, S. 2.
r
4 Zur EntstehuDg des Märchens.
der primitiveD Völker.' Die Seele des Menschen erscheint in
seinem Bilde, in seinem Schatten, sie lebte im Herzen und im
Blute, sie flattert als Vogel in der Luft und konnte in Bäume
eingehen. Wer den Namen eines anderen wufste, erlangte auch
dessen Kraft, wer ein Tor richtig nannte, dem mufste sich dies
Tor öffnen^ — und das ist doch eine ganz frappante Überein-
stimmung mit dem Hauptmotiv des berühmten Märchens aus
1001 Nacht i Sesam, öffne dich! — Der des Zaubers Mächtige
verwandelte sich in viele Gestalten, in einen Reiher, in eine
Schwalbe, eine Schlange, ein Krokodil, einen Gott. — Den Toten
suchte man die mühselige Beise ins Jenseits mit aller Klugheit
und allen Künsten zu erleichtern und ihnen die Rückkehr ins
Diesseits mit derselben Energie zu verwehren, man gab dem
Toten Früchte und Tiere, seine Diener und seine ganze Häus-
lichkeit, alles, was er im Leben besessen, in Abbildern ins Grab
mit, damit er sich weiter daran erfreuen möchte: denn man
meinte, er könne alle diese Bilder in das Leben zurückerwecken
und mit ihnen das Dasein fortsetzen, an dem er auf der Erde
gehangen. Auch Märchen wie unsere vom Rübezahl waren also,
wie uns dieser berühmteste, für die Kulturgeschichte so unver-
gleichlich bedeutsame ägyptische Brauch zeigt, vor Jahrtausenden
Wirklichkeit: wie Rübezahl die Prinzessin, indem er ihr aus
Rüben Abbilder ihrer Gespielinnen schuf und alles des Hofstaats,
ohne den sie nicht sein wollte, und diesen Abbildern Leben ein-
hauchte: so wollten schon die Ägypter ihre Verschiedenen über
den Verlust dieses Lebens forttäuschen und trösten. — Es scheint,
dafs die Ägypter sich an Märchen gern erfreuten und viele Mär-
chen kannten und erzählten, von diesem Reichtum sind uns nur
wenige Reste geblieben. Möglicherweise verbergen sich unter den
Märchen von 1001 Nacht manches alte ägyptische Motiv und man-
ches alte ägyptische Märchen, ohne dals sie sich heute mit Sicher-
heit herausnnden lassen. Wir besitzen einige Zaubergeschichten:
von einem Krokodil aus Wachs, das, wie es ins Wasser geworfen
wird, sich in ein wirkliches Krokodil verwandelt und einen Ehe-
brecher verschlingt — wie der Verwandler es packt, bildet sich
das unheimliche Tier in eine Wachsfigur zurück. Dies Märchen
ist also unmittelbar aus dem Glauben erwachsen, dafs im Bilde
eines Wesens auch dessen Seele wirksam ist. Ein anderer Zau-
berer kann die Hälfte eines Sees auf die andere legen, die eine
erreicht die doppelte Wasserhöhe, die andere wird wasserleer, der
' Vgl. Maspero, Les contes populaires de l'Egypte andenne, traduits et
comment6s, deuxi^ine 6d., Pari« 1889; Wiedemann, Die Unterhaltungslite-
ratur der alten Ägypter (Der alte Orient III, 101 f.), Leipzig 1902; Ders.,
Die Toten und ifire Reiche im Glauben der alten Ägypter (per alte Orient
II, 8:^ f.), Leipzig 1901.
* Wiedemann a, a. O. II, 62. — Chauvin V, 82 Anm. 1.
Zur Entflieh UDg des Märchens. 5
Grund des Sees deckt sich auf: da darf man immerhin an das
Rote Meer erinnern, das mit göttlicher Kraft von der Stelle fort-
^ezaubert wurde, an der es die Kinder Israels durchschritten J —
Wieder ein anderer Zauberer köpft Tiere und setzt den Kopf
richtig auf den Eumpf, schenkt ihnen dadurch auch ihr Leben
wieder: eine Kunst, die im Märchen nicht Zauberern allein, die
Aposteln und sogar dem Heiland nachgerühmt wird. Wir haben
noch davon zu reden. — Von Kindern wurde prophezeit, sie
würden die ruhmreichsten Herrscher; und so erfüllte es sich:
diese Kinder entgingen wirklich allen feindlichen Nachstellungen
des Königs, der fürchtete, sie würden ihm seine Macht rauben,
das Schicksal war stärker als die kleinen Eänke der Menschen.
Hier fallt uns Moses ein und dann die überaus reiche Zahl von
Märchen, die, vielleicht unter dem Einflufs der Mosesgeschichte,
ihre Helden als Schützlinge göttlicher Vorsehung hinstellten. ^
Diese späteren Geschichten erzählten, der Held sei, kaum ge-
boren, in einem Kästchen auf einen Flufs ausgesetzt und dann
in wimderbarer Weise gerettet worden. Ein viel späteres ägyp-
tisches Märchen weifs gar von einem Wettkampf zwischen Zau-
berern, einem äthiopischen und einem ägyptischen: beide konnten
einen König nachts aus seinem Palast holen, ihn von Ägypten
nach Äthiopien — oder umgekehrt ~ und wieder zurückbringen
und ihm aufserdem 500 Stockschläge versetzen, so dafs der König
am Morgen seinen Hofleuten voll Entrüstung den zerbläuten
Rücken zeigte. Wir erinnern uns, dafs die Beschützer des Aladdin
in 1001 Nacht und dafs die Beschützer von Andersens standhaftem
Zinnsoldaten desselben Zaubers mächtig sind.^ -- Verwegene und
wunderbare Reiseabenteuer haben sich die Ägypter gleichfalls
gern erdacht: wir besitzen die Erzählungen eines Schiffbrüchigen:
er habe, als sein Schiff unterging, sich an einen Balken geklam-
mert, sei an eine Insel verschlagen worden: dort hörte er von
einer mächtigen Schlange — sie war dreifsig Ellen lang und hatte
einen zwei Ellen langen Bart — , er sei auf der Seeleninsel, dort
lebten aufser ihr, der Schlange, noch ihre 75 Verwandten und
ein Mädchen. In vier Monaten werde ein Schiff kommen und
ihn abholen. So geschah es, und die Schlange gab dem Schiff-
' W. Hertz in seinen KoÜektaneen notiert ein ähnliches Motiy aus der
Alexandersflge: das Pamphilische Meer wich vor Alexander zurück und
lieJCs ihn mit seinem Heer vorbeiziehen. Plutarch, ed. Reiske IV, 40 f.
Carraroli, Leggenda d'AIeasandro (Mandovi 92) 35. 294 f. Hertz verweist auch
auf die japanische Sage von Nitta, der zum Gott des Meeres betete, sein
Schwert in die See warf, und am anderen Morgen war das Wasser zurück-
gewichen, so dafs er trockenen Fufses nachKamakura marschieren und seinem
Mikado Hilfe bringen konnte. — Junker von Landegg, Midxuhot/tisa III, H4.
' Vgl. etwa Grimm, KHM 29; Ernst Kuhn, Byxcmtinische Zeitschrift
IV, 241, und oben Archiv CXIV, S. 12 Anm. 2.
3 Grimm, KBM 116 (Das blaue Licht). Chauvin V, m L
6 Zur Entstehung dee Märchens.
brüchigen^ als er zurückfuhr, eine Fülle erlesenster Geschenke.* —
Andere Abenteuer, die des Sinouhit, haben für den Marchen-
forscher kaum Interesse. Eine Eüegslist des Thutia wäre noch
zu erwähnen, weil sich die alten Griechen von Troja, die Araber
von Ali Baba sehr ähnliche ersannen: dafs Thutia nämlich seine
kühnsten Helden und sich selber, in Krüge verbargen, in die zu er-
obernde Stadt tragen liefsen und sich dann der Stadt bemächtigten.^
Ausführlicher als alle die genannten, aufschlufsreicher und
vielfältiger, ist das berühmte sJte Märchen von den zwei Brü-
dern Anupu und Bitiu.^ Sie lebten in der brüderlichsten Ein-
tracht, bis die Frau des älteren nach dem jüngeren Bruder be-
gehrlich wurde; als er sich ihr sträubte, verleumdete sie ihn, er
habe sich an ihr vergreifen wollen, und sie habe ihn mit Mühe
zurückgestofsen. Anupu glaubte das und wollte den Bitiu töten,
diesen warnte mit menschlicher Stimme seine Euh. Er floh,
wurde von seinem Bruder verfolgt, aber ein Gott, der sich seiner
erbarmte, warf zwischen ihn und den nachfolgenden Bruder einen
Strom voll Krokodile. Anupu bereute seine Tat, und Bitiu zog
sich in das Tal der Akazien zurück, einer Akazienblüte vertraute
er sein Leben an und sagte zugleich dem älteren Bruder, wenn
das Wasser, das er trinke, sich trübe, so sei er, Bitiu, in Gefahr,
Dem Bitiu wurde die schönste der Frauen geschenkt, ihre Locke
tru? der Strom zum Pharao, der berauschte sich an ihrem Duft
und ruhte nicht, bis die Trägerin der Locke seine Frau wurde.
Die Treulose liefs den Akazienbaum fällen, unter dem Bitiu
lebte, und die Blume abschneiden, in der sein Herz war: dem
Anupu wurde gleichzeitig das Wasser trübe, das er trinken wollte.
Er zog dem Bitiu nach und fand nach vier Jahren sein Herz
in einer Beere, gab sie im Wasser dem Bruder zu trinken, und
dieser belebte sich. Er wurde zum Stier, erschien der treulosen
Frau und warnte sie; sie liefe den Stier töten. Zwei Blutstropfen
fielen aus ihm nieder, und aus diesen entstanden zwei Persea-
bäume. Die Frau liefs sie umhauen, da flog ihr ein Span in den
Mund, und sie gebar einen Knaben, der war wieder Bitiu, der die
Mutter tötete und sich und den Bruder zum Herrscher einsetzte.
Man kann diesem Märchen ansehen, dafs es nicht ein Mär-
chen ist, es besteht aus verschiedenen Märchen, die in- und durch-
einander gerieten, wobei sie nicht unversehrt blieben. Der Anfang
war wohl ein Märchen für sich und verlief wie die Potiphar-
geschichte in der Bibel auch: ein Unschuldiger wird vor seinem
Freunde von dessen Frau verletundet und von dem erzürnten
Gratten verfolgt, bis seine Unschuld sich offenbart und die Schul-
* Vgl. auch Erwin Rohde, Der griechische Roman 18u Anm. 1 (2 196).
• Chauvin V, 79. 83 Arm. 3.
« Ma«pero S. 5 f. und XLIV f. Ccsquin I, LVII f.
Zur Entstehung des Mfirchens. 7
dige ihre Strafe findet. — Dafs ein Mensch vor einem anderen
flieht und der Beschützer des Fliehenden vor dem Verfolgenden
unüberschreitbare Hindemisse auftürmt^ kennen wir als Motiv
aus anderen Märchen.^ — Der dritte Bestandteil des ägyptischen
Märchens ist dann das wirkliche Brüdermärchen^ dessen ältester
Inhalt wohl dieser war: Zwei Brüder trennen sich; wenn der eine
in Gefahr gerät, soll der andere helfen, und das Wahrzeichen, dafs
das Leben bedroht wird, ist etwa ein in einen Baum gestecktes
Messer, das rostet, oder eine Pflanze, die verwelkt, hier bei uns
ein Trank, der sich trübt ^ Solche Brüdermärchen reichten, das
scheint mir wenigstens nicht unmöglich,^ in die indogermanische
Urzeit: es gehört zu den verbreitetsten,^ hat manche Heldensage,
des Altertums wie des Mittelalters, entscheidend beeinflufst und
umgestaltet;' einer der Gewinne aus der Betrachtung der ägyp-
tischen Märchen wird für uns nun, dafs wir für die Brüdermär-
chen ein nachweisbares Alter von 4000 Jahren feststellen können ;
das wirkUche Alter ist natürlich gröfser. -> Ob das Märchen von
den Ägyptern und Indogermanen erfunden wurde, oder ob es
von den Ägyptern zu den Indogermanen kam, mufs unentschie-
den bleiben, solange w uns nicht in das Reich vagester Mög-
lichkeiten begeben wollen.
Wir kehren nun zur Analyse unseres Märchens zurück. Der
jüngere Bruder, Bitiu, wird von seiner Frau betrogen, und sie ver-
lälst ihn um des Königs willen und sucht ihn zu vernichten. Das
war wohl auch einmal eine Erzählung für sich, in ihrem Verlauf
der Anfangserzählung von dem älteren Bruder und seiner Frau
recht ähnlich, sie wirkt auf uns wie eine etwas abschwächende
Wiederholung der Anfangsgeschichte. Aber gerade diese in
künstlerischem Sinne nachteilige Ähnlichkeit wird für uns ein
Fingerzeig, sobald wir die Entstehung des Märchens erkennen
wollen: ursprünglich bestanden gewifs zwei unabhängige und
selbständige Erzählungen von der Untreue einer Frau an einem
Manne, der dies nicht verdiente. — Weil die Geschichten ein-
ander verwandt waren, gerieten sie auch nahe zusammen, und
ihre Helden wurden zu Menschen, die ebenfalls nahe verwandt
sind, zu Brüdern. Diese Doppelerzählung von Brüdern wurde
dann durch ein Brüdermärchen erweitert, und dies Märchen bot
sich um so eher dar, als es eine Art Zusammenhang zwischen
den beiden Geschichten von der treulosen Frau schaffen konnte:
der eine Bruder, der sich schuldig machte, weil er an die Schuld
' Oben Archiv CXIII, 266 Anm. 4.
' Cosquin LXV. Chauvin V, 87 Anm. 1.
' Vgl. auch Ej-etschmer, Mnletfung in die Oeschiehte der grieehischefi
Sprache, Göttingen 1896, 8. 85 Anm. 1.
* Sj'dney Hartland, Legend of Peraeus I, 28 f,
* Voretzsch, Epische Studien 349.
8 Zur Eotstehung des Märchens.
des anderen so leicht glaubte, und weQ er ihn verfolgte, machte
nun diese Schuld wieder gut, indem er die Rache für das Un-
recht, das dem Bruder dessen Frau angetan, erst ermöglichte.
Die Fortsetzung unseres Märchens sagt nun, dafs das Herz
des Bruders zuerst in einer Akazienblüte, dann in einer Beere
war, dafs er sich darauf in einen Stier verwandelte; in zwei
Blutstropfen, die dieser vergofs, war wieder seine Seele, sie ver-
barg sich nunmehr in Perseabäume und in einen ihrer Späne. —
Wir müssen uns hier besinnen, dafs bei den Naturvölkern viele
Vorstellungen von der Erscheinung und dem Aufenthaltsort
der Seele nebeneinander lebten, ohne sich zu stören, oder
ohne dafs die eine als Widerspruch gegen die andere empfun-
den wurde. Es hiefs: die Seele lebt im Blute, sie kann in
eine Pflanze schlüpfen, sie kann auch in einen Tierleib ver-
schwinden usw. Verwandelt man dies Nebeneinander in ein
Nacheinander, so ist sofort ein Märchen fertig, eben ein Mär-
chen unserer Art: die Seele eines Menschen verbirgt sich in
einen Baum, verwandelt sich dann in einen Stier usw. Solch ein
Märchen lebte gewifs einmal allein und für sich, das kann man
mit Sicherheit daraus schliefsen, dafs auch heute noch, in Serbien,
Ungarn, Rufsland, Griechenland, Deutschland und Frankreich,
ganz ähnliche Märchen für sich bestehen. ^ Ein walachisches z. B.
weifs von zwei Kindern, die eine Stiefmutter tötet, und deren
Seelen in zwei Apfelbäumen emporwachsen, dann in zwei Länmier
und schliefslich wieder in zwei goldene Knaben übergehen. Man
mufs nur hier wieder nicht annehmen, dafs unsere gegenwärtigen
abendländischen Märchen von den ägyptischen abhängen, man
mufs vielmehr der Gegenwart dasselbe Vermögen zutrauen wie
den alten Ägyptern, dals sie imstande sind, ein Nebeneinander
von Vorstellungen in ein Nacheinander umzusetzen.^ Ganz
Verwandtes läfst sich, wie ich bei anderer Gelegenheit zeigte, ^ bei
den Märchen und Mythen vom Wasser des Lebens beobachten:
verschiedene Berichte von der Herkunft des Wassers wurden
* Cosquin LIX f. Erwin Rohde, Der griechische Raman 158 Anm. 2.
* Es kann aus dem Nebeneinander auch ein Ineinander wer-
den: z. B. das von uns schon berührte Märchen (Archiv CXIV, S. 5
Anm. 3) von der Seele des Riesen sagt aus, diese Seele sei in einem Ei,
dies in einem Vogel, der Vogel wicäer in einem Ochsen versteckt ge-
wesen. Ich verweise hier mit Erwin Kohde a. a. 0. auf ein analoges
Motiv in einer späteren ägyptischen Erzählung (Maspero S. 177): ein
Zauberbuch liegt in einer Kiste von Eisen, diese in einer von Kupfer, dio«e
in einer von Maulbeerbaiimholz, diese in einer von Elfenbein und Eben-
holz, diese in einer von Silber und diese in einer von Gold, und um da.s
Ganze windet sich eine unsterbliche Schlange. Solches Einschachtelungs-
raffineineut ist wohl vor allem orientalische Liebhaberei. — Vgl. auch
Griffith, Staries ofthe Hiah PriesU of Memphis etc., Oxford 1900, 8. 21. 63.
Dazu Maspero, Journal des SavaniSj aoüt 1901.
^ Germanist. Ahhandltmyen für Paul S. 146 f.
Zur Entstehung des Märchens. 9
nebeneinander erzählt: die einen sagten, es sei in Töpfen oder
Flaschen verborgen, die anderen, ein Wassertier habe es ver-
schluckt und wolle es nicht hergeben, die dritten, es sei in Bergen
versteckt, die vierten, man müsse es aus dem Himmel holen:
reiht man einige dieser Motive nacheinander auf, so ergibt sich
das Märchen: ein Held wandert, unter vieler Mühsal und Ge-
fahr, zu dem Wasser, das im Berge verborgen wird, er spaltet
den Berg, findet das Wasser in Flaschen oder Töpfen, ver-
schluckt es und gibt es nachher wieder von sich.
Nun begeben wir uns noch einmal zu unserem Brüdermär-
chen selbst: sein Motiv am Scblufs, die wunderbare Geburt des
Helden (aus einem Span, den die Mutter verschluckt),^ hat sich
das Märchen gern, ebenso oder ähnlich, erdacht. Am ähnlichsten
unserem Märchen ist seltsamerweise ein Motiv aus einer Ge-
schichte der nordamerikanischen Tlinkits.^ Ich erwähne dies
Motiv gerade hier, weil die Brüdermärchen gern damit beginnen
und es in unserem ägyptischen Märchen wohl auch zu dem eigent-
lichen Brüdermärchen gehörte, aber von seiner ihm gebührenden
Stelle^ fortgeriet.
Über ein letztes Motiv habe ich schon früher gesprochen :3
dais den König ein unbezwingliches Verlangen nach der Frau
erfafst, sobald er eine Locke von ihr besitzt. Er hatte eben mit
ihrer Locke einen Teil ihrer Seele, und darum mufste die Trägerin
der Locke ihm gehören. Das jst ja die Anschauung, der unser
Motiv entsprang. Etwas sehr Ahnliches geschieht — ich erlaube
mir nochmals darauf hinzuweisen — in einer späteren ägyptischen
Erzählung: einem König wirft ein Adler den Schuh eines Mäd-
chens in den Schols, und er kann nun von diesem Mädchen nicht
lassen. — Ln Mittelalter wurde seltsamerweise fast dasselbe Motiv
wie das alte ägyptische durch die Tristansage berühmt:* zwei
Schwalben liefsen ein Frauenhaar vor König Marke fallen, und
nun konnte er nicht ruhen, bevor er Isolde, der dies Haar ge-
hörte, sein eigen nannte.
Das ägyptische Märchen führt uns also von vielen Seiten
in die bunte Welt der Märchenmotive, und es schenkt uns auch
einen Einblick in das Werden des Märchens. Es gibt uns, in
unserer Untersuchung das erste Mal, eine Anschauung, wie ein
Märchen sich aus verschiedenen Motiven und Bestandteilen zu-
sammensetzt. Verwandte Geschichten nähern sich, eine Geschichte
von Verwandten tritt dazu, und diese Vielheit hat das Bestreben,
immer vielfältiger zu werden; die alten, längst bekannten Vor-
* Vgl. bes. Sidney Hartlaad, Legend of Perseus I, 71 f.
* Aurel Krause, Die TlmJcit-Indianer 2t) 1.
» Oben Archiv CXIV, S. 10 Anm. 1; dazu Cosquin LXVI. Reinhold
Köhler I, 511. II, 328.
^ Reinhold Köhler, KL Schriften II, 328.
10 Zur B^tstehung des Märchens.
Stellungen von der Seele^ lose aneinandergefügt» setzen das Mär-
chen lort Es sind die Motive des Märchens ausnahmslos alt
und primitiv» in ihrer Zusammensetzung unbeholfen und kunst-
los, ohne rechten An&ng und ohne rechtes Ende» die Erzählungs-
kunst erhebt sich nicht viel über die Kunst der sogenannten
Naturvölker. Was aus der ersten schuldigen Frau wird» hören
wir gar nicht; weshalb sich der Bruder so vielfältig verwandelt,
und warum er nicht gleich seine Rache nimmt, wird uns ebenso-
wenig aufgeklärt, und aufser diesen Defekten könnte man noch
manchen anderen nennen. Aber gerade dies Zwecklose und Un-
verständige wirkt auf uns als echt märchenhaft und ist ja auch
Freude am Erzählen um des Erzählens willen. Man wird auTser-
dem zugestehen, dafs ein Gedanke, den wir einen sitüichen nennen
würden, trotz aUem zur Geltung kommt: dafs der Schuldige seiner
Strafe nicht entgeht» dafs sie in vielfältiger Verwandlung ihn
immer von neuem bedroht, und dafs den Gerechten die Götter
schützen.
Sie schützen aber mit derselben Kraft den verschlagenen
und rücksichtslosen Räuber. Denn das bleibt doch der Sinn des
Märchens vom Meisterdieb.* Herodot erzählt diese, von den
Griechen auch an anderer Stelle erwähnte Geschichte als ägyp-
tisches Märchen, und es liegt kaum ein Grund vor» ihre ägyp-
tische Herkunft zu bezwei&ln. Zwei Diebe» Vater und Sohn»
bestehlen das Schatzhaus des Königs» das der Vater selbst er-
baute; er hat in der Mauer einen Stein locker eingesetzt, diesen
nimmt er jedesmal heraus und setzt ihn nach vollbrachtem Dieb-
stahl wieder ein. Als die beiden ertappt werden» schlägt der
Sohn dem Vater den Kopf ab» der Rumpf wird ausgesteUt» der
Dieb stiehlt ihn den Wäcntern» nachdem er sie zuerst betrunken
machte und ihnen den Kopf schor. Der König befiehlt, seiner
Tochter solle jeder seinen verwegensten Streich erzählen» der Dieb
berichtet von seiner Tat, als man aber nach ihm greifen will,
lä&t er der Prinzessin die tote Hand seines Vaters. Nun ver-
spricht man ihm sie selbst, und er erhält sie wirklich zur Frau
und wird zum Lohn für seine kühnen Streiche gar noch Prinz.
Dies Märchen lebt noch heute in Europa als gern gehörtes
Volksmärchen und weicht von dem alten Märchen bei Herodot
nur in Einzelheiten ab.^ Nun ist merkwürdig, dafs in einem
Motiv alle diese Märchen sich gleich sind und gegen Herodot
übereinstimmen: nachdem nämlich der Dieb den Leichnam ge-
stohlen, zeigt der König seine Tochter allem Volke, in der Mei-
nung» nur der Kühnste» eben der Dieb» werde ihr nahen: und
* Alfred Wiedemann, Das uweüe Buch des Herodot AAl f.
* Reinhold Köhler, Kl. Schriften I, 198 f. — Ralston, Ttbeian TaJ^,
derived from Indian Sources S. XL VII, S. 87. 43. — Somadeva, übersetzt
von Tawney II, 98.
Zur EntBtehung des MafcheDB. 11
so geschieht es. Dem Dieb wird nun ein Strich oder sonst ein
Merkmal beigebracht^ aber er wird dessen gewahr mid bringt
das gleiche Merkmal allen anderen Anwesenden ebenfalls bei^ so
da(s er wieder nicht aus den anderen heraus erkannt werden
kann. Darauf erhält er dann des Königs Tochter. Es sind nun
zwei Annahmen möglich: die erste wäre die^ dafs die Form bei
Herodot das Ursprüngliche bietet und das 'Strichmotiv' später
in unser Märchen geriet. Es taucht ja auch in anderem^ wenn
auch ähnlichem Zusammenhang auf: man denke nur an die
Sage bei Paulus Diaconus, von dem kühnen Liebhaber, der sich
die Gunst seiner Königin erschlich und in ihr Gemach drang,
nachdem er das zwischen ihr und dem Gemahl verabredete Er-
kennungszeichen nachahmte:* der König, der nach ihm kommt,
merkty dafs jemand bei seiner Frau war, begibt sich unter das
schlafende Gefolge und erkennt den Übeltäter am klopfenden
Herzen; er schneidet ihm die Locke ab, aber der Verwegene
trennt auch allen seinen schlafenden Genossen die Locke vom
Haupte und wird schliefslich, da man ihn nicht herausfinden
kann^ auch nicht bestraft.^ — Es ist jedoch zu bedenken, dafs
alle europäischen Varianten das Strichmotiv kennen, während es
nur bei Herodot fehlt, und dadurch wird die zweite Annahme
wahrscheinlicher, dafs die Geschichte schon vor Herodot in der
Form erzählt wurde, in der sie noch heute besteht, und dafs
Herodot oder sein Gewährsmann diese Form änderte. Ein sol-
cher Vorgang wäre nichts Ungewöhnliches, in der Edda z. B.
erscheinen Märchenmotive viel gewaltsamer umgestaltet und ge-
ändert als im gegenwärtigen Volksmärchen. — Das Märchen vom
Meisterdieb kam auch nach Indien, wurde dort erweitert, und
diese Erweiterung blieb nicht ohne Rückwirkung auf einige euro-
paische Varianten: darüber nachher.
Dies Märchen hat nun einen wirkungsvollen Abschlufs und
steigert auch die Taten des Diebes nicht ohne Geschick: auch
aus diesem Grunde, nicht allein wegen der überkühnen Diebes-
taten, die es vermeldet, behauptete es sich durch die Jahrhun-
derte. Es stammt gewils aus einer Periode der Erzählungskunst,
die der früheren, in der das Brüdermärchen sich zusammensetzte,
weit überlegen war.
Wir beklagen jetzt, nachdem uns die wenigen erhaltenen ägyp-
tischen Märchen recht deutlich gezeigt, wieviel Verwandtschaft dies
alte Märchen mit unseren gegenwärtigen hat, und wie tief es uns
in die Erkenntnis der Märchen führt, um so lebhafter den Verlust
der vielen anderen Märchen. Es hat sich uns — ich wiederhole
« Erwin Rohde, Kleine Schriften II, 193.
» Aplulf und Theudelind, Grimm, BS 404; vgl. auch KHM 116 (Das
blaue Licht). Ohauyin V, 83 Anm. 2.
12 Zur Entstehung des Märchens.
das mit einer gewissen Pedanterie^ denn diese Tatsache ist für
unsere späteren Beobachtungen grundlegend — zu wiederholten
Malen bestätigt^ dals diese Märchen, sofern ihnen nicht einfache
Erlebnisse zugrunde liegen, aus Vorstellungen primitiver Völker
hervorgehen. Diese Vorstellungen sind die Märchenmotive, oder
sie erzeugen diese. Und die Motive werden verdoppelt, ähnliche
verbinden sich; solche Zusammensetzung ist dann ein Märchen.
Die Handlung schreitet nicht geradeaus fort, besinnt sich auch
nicht immer auf das Vorher und Nachher; aber wir beobachteten,
daTs der Darstellung beherrschende Ideen zugrunde liegen, und dafs
später kühne und wirksame Motive geschickt gesteigert werden.
Von den Erzählungen der Bibel sind manche aus Babylon,
manche aus Ägypten herübergenommen und veredelt. Die be-
rühmteste bibliscne Sage babylonischer Herkunft, die Sintflut-
sage, hat nur wenige Berührungen mit dem Märchen. Die Sage
vom Paradiese stammt vielleicht auch aus Babylon, persische und
griechische Mythen stehen, um das zu wiederholen, ihrem Inhalt
recht nahe, * und die Vermutung, dafs alle diese Sagen aus Träu-
men sich bildeten, kann man wenigstens nicht ausscnlielsen.^ Die
Heimat der meisten Geschichten von Jakob und Joseph war gewifs
Ägypten. — Anklänge an das Märchen lassen sich hier wieder
leicht herausfühlen: dafs eine Frau lange Zeit unfruchtbar bleibt
und ihr dann ein Trank oder Apfel oder andere Früchte die
ersehnte Fruchtbarkeit schenken, von diesem beliebten Motiv gibt
uns die Bibel in ihrer Erzählung von Rahel das erste Beispiel.^
Der Anfang der Geschichte von Joseph ist wieder ein Brüder-
märchen, freilich nur in Umrissen, kein ausgeführtes.^ Das ägyp-
tische Märchen zeigt die treuen, das biblische die treulosen Brü-
der, die Frauen in den Märchen beider Länder erscheinen als
treulos, hier in unserer Josephgeschichte und offenbarer und ab-
scheulicher noch in der Geschichte von Simson. Zu den Erleb-
nissen der Wirklichkeit, die das Märchen in sich aufnahm, steigerte
und verbreitete, gehörten also aufser den früher genannten die
Geschichten von treulosen und treuen Brüdern und von treulosen
Frauen. — Joseph wird von seinen neidischen Brüdern, weil der
Vater ihn mehr liebt als sie, verleumdet, mifshandelt und als
Sklave verkauft, dem Vater sagen die Brüder, wilde Tiere hätten
* Vgl. jetzt noch Hermann Gunkel, Deutsche Rundschau Januar 1905.
'-^ Vgl. auch nochmals Röscher, Ephialtes 38; oben Archiv CXIII, 261.
^ Vgl. Sidney Hartland a. a. O. 71 f,; W. Hertz, Oesamnielte Abhand-
lungen 275; Hermann Gunkel, Oenesis 298 f.
* Die Geschichte von Joseph wird in manchen Märchensammlunffen
als Märchen erzählt, vgl. z. B. Laura Gonzenbach, Sixüianische Märmen
Nr. 89. 91. — Prym und Socin, Der neuaramäische Dialekt von Tur *Ahdin,
Göttingen 1881, I, xix. II, 26. — Traumdeutungen, die denen des Joseph
vergleichbar sind, in den Jaiaka, übers, v. Cowell, Nr. 77.
Zur Entetehung dee M&rchens. 18
ihn zerrissen: gerade dieser Joseph aber kommt zu den gröfsten
Elbren^ beschämt seine Brüder und verzeiht ihnen grolsmütig.
Dieser Kontrast zwischen den älteren, verlogenen und heimtücki-
schen und doch erfolglosen, und dem jüngsten, mifshandelten,
hochsinnigen und erfo^reichen Bruder bleibt das Grundmotiv in
allen späteren Märchen von treulosen Brüdern und Genossen.
Der Verlauf und das Ende dieser Märchen ist nicht so freund-
lich wie der unserer Josephgeschichte: die Genossen und Brüder
des Märchens wollen, trotzdem ihnen verziehen, nicht von ihrer
Heimtücke lassen, sie verleumden den jüngsten von neuem oder
schaffen ihn ganz beiseite, und erst ein wundertätiges Wirken,
des Schicksals enthüllt Schuld und Unschuld, belohnt den Ge-
rechten und straft die Bösewichter. ^
Joseph, erzählt uns die Bibel weiter, erfreut sich der beson-
deren Gunst des Königs; weil das nach ihm lüsterne Weib des
Potiphar, dessen Werben er zurückweist, ihn verleumdet, wirft man
ihn in den Kerker; später gerät der König in eine schwere Lage,
aus der ihm keiner seiner Räte zu helfen weifs; nun erinnert er
sich seines früheren klugen Beraters, der, wie er glaubt, verurteilt
und getötet ist. Er hört, dieser lebe noch, aber schmachte im
Kerker: darauf läfst der Pharao ihn sofort befreien, schenkt ihm
die alte Stellung wieder, hört seinen Rat, rettet dadurch das
Land und überhäuft ihn mit neuen Ehren.
Solche Schicksale werden einem treuen Pürstendiener öfter
beschieden sein, dem ersten Blick zeigen sie kaum etwas Beson-
deres. Wer näher zusieht, erkennt, dafs sie viele und immanente
Schäden orientalischen Staatslebens sozusagen auf eine kurze, er-
schöpfende Formel bringen, die das Leben dann immer neu be-
weist. Die Willkür und die Launen des orientalischen Despoten,
der jähe Wechsel der Fürstengunst, die Verleumdung und Intrige
am königlichen Hofe, die heimliche Eigenmacht dieser, die Klug-
heit und Bedeutung jener Diener, das Hilflose und die Ohnmacht
des Herrschers, sobald er sich selbst helfen und selbst handeln
soll: all dies zeigt die kurze Geschichte in scharfer und heller
Beleuchtung, und darum ist sie sehr oft erzählt worden. In der
Bibel selbst noch einmal — das Buch Tobias spielt darauf an —
vom weisen Heikar, und im Indischen gleichfalls, in einer Samm-
lung, die sich auch über die ganze Welt verbreitete, in der Cuka-
saptati. Ihre Betrachtung werden wir also fortsetzen, wenn wir
beim Indischen angelangt sind.
Wenn im Märchen ein Mann einem Geist oder dem Teufel,
zum Lohn, dafs er ihm geholfen, das erste verspricht, was ihm
* Zum Märchen vom 'Jüngsten Bruder' vgl. noch Hermann üsener,
Rhein. Museum N. F. 58 (190'6), S. 8. 329, zu deu Treulosen Brüdern'
R. Köhler, Kl. Schriften I, 292. 537. 543 j Cosquin I, 212 f. 9 f.
14 Zur Entstehung des MarchenB.
jnety und ihm begegnet dann sein Kind^ so denken wir
sofort an die Bibel^ denn dies Motiv erscheint dort als das
Gelübde Jephthas.^ — Oder wenn, namentlich im nordischen
Märchen^ eine Verfolgte ruft: 'Hinter mir Nacht und vor mir
Tag^ und sich hinter ihr dichte Nebel zusammenballen^ in denen
sich ihre Verfolger verlieren, sie aber entkommt in hellem
Tag,^ so wiederholt sich die Sage vom Durchzug der Kinder
Israels durchs Bote Meer. — Und man wird in diesen Fallen
und ähnlichen, etwa bei der Geschichte von Moses^ Aussetzung,
es für das Wahrscheinliche halten, dafs die Wirkungen der Bibel
bis in unser Märchen hineinreichen. Für uns bleibt die Haupt-
sache, dalis diese Motive als märchenhaft empfunden werden, und
man darf sich nicht ge^en die Möglichkeit strauben, dafs die
Bibel sie ihrerseits alten Märchen entnahm.
Moses ist dumpf und stumpf in der Jugend, und er, von
dem es die wenigsten glaubten, wird später der Führer seines
Volkes: die germanische Sage schildert uns ihre Helden gern
ebenso, und im Märchen löst der verachtete Dummling alle Auf-
gaben und verrichtet alle Heldentaten, an denen seine klügeren
und stärkeren Brüder scheitern. — Für die Zaubertaten des Moses:
dalis er Wasser aus dem Felsen schlägt, dafs er einen Stab in
eine Schlange verwandelt und mit ägyptischen Zauberern Wett-
kämpfe besteht, bieten Sage und Märchen gleichfalls Parallelen.
Simsons Schicksale: seine Straft liegt in seinen Haaren,^
sein Weib lauscht ihm dies Geheimnis ab, fesselt ihn verräterisch
und überliefert den Kraftlosen seinen Feinden, leben seltsamerweise
auch in Indien als Märchen. Ein bei den Slawen und im Nor-
den verbreitetes Märchen von der treulosen Schwester oder Mutter
des Starken ^ hat mit der Sage von Simson auch auffallende Ver-
wandtschaft — Die Geschichte vom Kampf Davids mit Goliath
ist wohl kaum etwas anderes als eins der vielen hübschen Mär-
chen vom Wettkampf eines klugen, kecken und schwachen Mensch-
leins mit einem grofsen, ungefügen, dummen Kiesen, in dem der
Riese trotz seiner ungeheuren Stärke der Klugheit des Mensch-
leins unterliegt.
Salomo bleibt, wie man weifs, die für den Märchenforscher
* Vgl. etwa Grimm, KE[M Nr. 88, mit Anmerkungen ; Chauvin V, 176
Anm. l, und Cosquin Nr. 63 (II, 215 f.); auch Grunatvig, Oamle Danake
Minder II, 49. Wilhelm Hertz in seinen Kolleklaneen verweist auf Servius
zu jEneis III, 121: Idomeneus gelobt in einem Sturm dem Poseidon zu
opfern, was bei der Landung ihm zuerst en^egenkomme, und ihm be-
gegnet sein Sohn. — Ähnliche Sage bei Pseudo-rlutarch, Plutarch ed. Beieke
X, 744, und in China: Journal. Ästatique VI, 159.
■ Z. B. Grundtvig a. a. O. II, 30 und in anderen Märchen des Allerlei-
rauh-Tvpus, vgl. oben S. 5 Anm. 1 und Bd. CXIII, S. 268 Anm. 2.
3 Archiv CXIV, S. 8 Anm. 3. Frazer III, 352 Anm. 1. 390.
* von der Leyen, Märehen in Edda 28. 29.
Zur Entstehung des MärchenB. 15
merkwürdigste und auch rätselhafteste Gestalt der Bibel. Die
Geschichten von seiner Macht und seinem Glanz, seiner Zauber-
gewalt und Herrschaft über die Geister haben später die Araber,
die Geschichten von seinen dämonischen Kräften und Helfern
und seinem Trotz gegen Gott hat die spätere Literatur der Juden
verbreitet Und durch diese fabelhaften Kunden von Salomo
wurde die Dichtung und Phantasie des ganzen Mittelalters be-
fruchtet. — Oft erscheint Salomo als Richter und Rätsellöser
von unübertrefflicher Weisheit, und da bleibt nun höchst selt-
sam, dais gerade die Inder ganz ähnliche oder sogar dieselben
Weisheitsproben und -sagen von ihren Weisen mitteilen. Welches
Volk hier das andere beeinfluTste, wissen wir nicht; mir scheint
aber — warum, habe ich später zu b^ründen — , dafs hier die
Juden die Gebenden, die Inder die Nehmenden waren.
Ich erwähne von den Übereinstimmungen zuerst die, die mit
Recht die Forscher am stärksten überraschte: das weise Urteil
des Salomo zwischen zwei Müttern, die jede dasselbe eine Kind
als das ihre beanspruchten; dies gleiche Urteil überträgt eine alte
buddhistische Legende auf Buddha.^
In einer späteren Legende soll Salomo auf Wunsch der
Königin von Saba Mädchen und Knaben, die beide ganz gleich
gekleidet sind, voneinander unterscheiden. ^ Die Inder verlangen,
da(s ein Kluger von zwei ganz gleichen Pferden aussage, welches
die Mutterstute und welches das Fohlen sei.^ Der Thron des
Salomo war nach jüdischer Legende von märchenhafter Pracht
und entdeckte das Unrecht und verwehrte dem Unwürdigen den
Zutritt. Die Inder erzählten von einem solchen Thron, den man
ausgrub, ^eich einen ganzen Zyklus von Geschichten, in dem
sich der Scharfsinn des Königs offenbarte, dem dieser Thron
früher zu eigen war.*
Das sind alles kurze Hinweise, und es wäre nicht zu schwer,
auch diese noch wesentlich zu vermehren. Doch mufs die gründ-
liehe Behandlung dieser Probleme Berufeneren überlassen bleiben.
Für uns genügt die Erkenntnis, dafs die Bibel auch für den
Marchenforscher eine reiche Fundgrube ist Was sie uns bietet,
sind einzelne Motive oder die Anfänge und Grundrisse zu Mär-
chen: so ausführliche und zusammengesetzte Märchen wie bei den
Ägyptern entdecken wir hier nicht. Für den gelehrten Theo-
logen, der die Entstehung und Zusammensetzung der Bibel er-
kennen will, wird der Nachweis von Märchenmotiven darin viel-
' Oldenberg, Literatur des alten Indien S. 114. 291 (Gaidoz, Melusine
Bd. IV, 17).
' Wilhelm Hertz, Gesammelte Abhandlungen 417 f.
' Oukasaptati, übers., v. fiichard Schmidt, t. s. 48 t. o. 58.
^ Albrecht Weber, Über die Sinhuscma dvairiti^ikäf Indische Studien
XV, 185 f.
16 Zur EDtotehuDg des Märchens.
leicht von grolserer Bedeutung werden als für den Märchenfor-
scher, die vergleichende Märcnenkunde wird ihm möglicherweise
gEuiz neue Aufschlüsse und fk'leuchtungen schenken und ihn in
Zeiten und Schichten führen, die älter sind als alle, bis zu denen
er bisher vordrang.
Die Odyssee wurde von mir das alte Märchenbuch der
Griechen genannt. Denn wir haben aus ihr eine Fülle von Mär-
chenmotiven herausgehoben: die Geschichten von Tantalos, Sisy-
5 hos, den Danaiden deuteten wir als Traummärchen, und auch
ie rührende Geschichte von Odysseus^ Erwachen bei den Phäaken
scheint aus einem Traum emporgeblüht ^ Ein andere Gruppe
von Märchen darf man als Zaubermärchen bezeichnen, z. B. das
oben berührte Märchen von Proteus^ und ebenso das von der
Kirke, die, yne die Zauberinnen im Märchen so oft — es sei
nur auf das Brüdermärchen verwiesen ^ — , die Menschen in Tiere
verwandelt, bis auf einen, den die Götter schützen, vor dem ihre
Kunst machtlos wird, und auf dessen Drohungen sie auch den
verwandelten Tieren die menschliche Gestalt zurückgeben mufs.
Wie die Kirke den Odysseus, so schickt im Märchen oft eine
böse Zauberin ein Mädchen oder ein furchtsamer und heimtücki-
scher König einen Helden in die Unterwelt, ursprünglich, um
ihn zu vernichten : die nächsten Beispiele bieten die antiken Sagen
von Herakles und Theseus und das Märchen von Eros und Psyche.
Für wieder andere Märchen bei Homer ist Beisemärchen der
zutreffendste Name. Man hat seit langem erkannt, dafs diesen
Reisemärchen sich die Märchen namentlich orientalischer Völker
vergleichen: die Fahrt des Odysseus zu den Phäaken und seine
Erlebnisse bei ihnen haben eine auffallende, auch in Einzelheiten
bemerkbare Ähnlichkeit mit dem indischen Märchen von Sakti-
vega,^ andere verwegene Abenteuer und märchenhafte Bettungen
des Odysseus sind ungefähr die gleichen wie die, deren Sindbad
in 1001 Nacht sich rühmt. ^ Die Syraplegaden kennen schon Reise-
und Traumschilderungen der Naturvölker;^ die List, die Odysseus
und seine Gefährten vor dem übermächtigen Gesänge der Sirenen
schützt, ist anderen Märchen nicht fremd, ^ die märchenhafteste
Geschichte der Odyssee aber bleibt die vom Polyphem. Sie kehrt
unter den Abenteuern des Sindbad \vieder und gehört gewifs in
den Kreis der Raub sagen und Raubmärchen: ein Mensch über-
» Archiv OXIII, 258. • Archiv CXIV, 2.
•'' Sidney Hartland, Legend of Perseus III, 17 f. 105 f. Erwin Rohde,
Der griechische Roman il{i Anm. 2.
* Gerland, Ältgrieehische Märchen in der Odyssee (Magdeburg 1869) 18.
^ Erwin Rohde, Der griechische Ronian 173 Anm. 2. 180 Anm. 1.
^ V^l. von der Leyen, OermanisL Abh, für Paul S. 150 Anm. l ; dazu
Reinhold Köhler, KL Schriften I, 397; Cosquin II, 242.
' Reinhold Köhler 1, 125. Mako, übers, v. Co well, Nr. 96.
Zur Entstehung des Märchens. IV
listet eiDen Riesen und raubt ihm seine kostbarsten Besitztümer.
Der Kontrast zwischen dem schwachen, klugen Menschen und
dem ungeheuren, dummen und plumpen Riesen klingt in diese
Sage auch hinein. Die List selbst, dafs Odysseus sich niemand
nennt, erscheint sogar in Schwänken von Völkern, die nie etwas
von Homer und der Odyssee hören konnten: es wurde hier
ein uralter Schwank auf Odysseus übertragen.^ Auch das ganze
Beiwerk: die Einäugigkeit des Polyphem, das Entkommen des
Odysseus und seiner Gefährten unter den Widdern des Riesen,
die verspätete, furchtbare und vergebliche Rache des Unholdes,
das ist alles echt märchenhaft und abenteuerlich.
Odysseus wird von einer himmlischen Nymphe geliebt und
verzehrt sich in Sehnsucht zu der fernen irdischen Gemahlin,
Achiileus ist das Kind einer himmlischen Nymphe, die einem
sterblichen Manne sich hingab, den Herakle&t will ein feiger König
verderben, er besiegt Ungeheuer, befreit von ihnen Jungfrauen,
wandert zum Paradies und erbeutet die Äpfel der Hesperiden und
schleppt den Kerberus aus der Hölle; rerseus wird von Danae
geboren, die ein Gott durch ein Wunder befruchtet, und man
hatte diese Danae eingeschlossen, damit sie kein Kind gebären
könne, den Knaben Perseus sucht ein König, wieder ein feiger und
sdiwacher König, zu vernichten, weil die Prophezeiung war, dafs
dieser Ejsabe ihm, dem König, Unheil bringen werde. Und so
erfüllt es sich: Perseus raubt den drei Graien ihr eines Auge, sie
zeigen ihm den Weg zu den Gorgonen, und er gewinnt den ver-
steinernden Schild der Medusa, er befreit Andromeda vom Drachen
und erringt ihre Hand: das sind alles alte griechische Sagen, und
sie klingen uns doch, als hörten wir eins unserer Märchen.* —
Die Forschung hat aus der griechischen und römischen Literatur
schon eine Fülle von Märchenmotiven zutage gefördert, die ich
hier nicht noch einmal ausbreiten will, ^ gewiis läfst sich die Aus-
beute leicht vermehren, und eine Übersicht über die griechischen
Marchenmotive und Märchen würde für die Entwickelung der
griechischen Dichtkunst, die Herkunft und den Ursprung ihrer
Stoffe, das Gestaltungsvermögen ihrer Dichter manche neue und
schone Aufklärungen geben. Ich vermerke hier im Interesse un-
serer späteren Betrachtungen noch einmal das Märchen vom klugen
* W. Grimm, Abhandlungen der Berliner Akademie^ 1857, S. 1—30. —
Erwin Bohde, Der griechische Roman 173 Anm. 2.
' Ich verweise nochmals auf die ausführliche Parallelensammlung zu
den PerseuB-Motiven bei Sidney Hartland in seinem hier oft genannten
Werke. — Vel. ferner Kretschmer, Einleitung (1896) S. 85 f.
' Eine schöne Übersicht gibt Friedländer, Sütengeschickte^ I, 468 f. —
Die Verdienste und Forschungen von Mannhardt (Antike Wald- und Feld-
kuUe), Erwin Rohde (Der griechische Roman; Psyche; Kleinere Schriften),
Marx (Orieehische Märehen von dankbaren Tieren^ L889), Crusius (in
Rasehers Lexikon und im Philologus) u. a. sind bekannt.
AidÜT t n. sprachen. CXY. 2
18 Zur Bntstehung des Märchens.
Sichter, dessen ürtefle und EntscheiduDgeD sich durch Schar&inn
überbieten,^ und das Märchen von den empfindlichen Menschen,
das die , späte mechische Kunst sich ersann: groteske und ko-
mische Übertreibungen, die die renommistische Empfindlichkeit
der Genülslinffe verspotten sollte.^
Ein grie^sches Volksmärchen blieb uns noch erhalten aus
dem späten Altertum, nicht rein und frisch, sondern fast zu-
gedeckt von künstlicher und steifer Allegorie, Eros und Psyche
des Apulejus. Wie unserem 18. Jahrhundert z. B. dem Musaeus
die M^ärchen als etwas Eandliches und Albernes erschienen, ein
Ammengeschwätz, auf das man mitleidig herabblickte und nur
durch eigene tiefe und wertvolle, vernünftige und aufklärende
Bemerkungen literaturfähig und genielsbar machen konnte, so
etwa erschienen sie auch dem Apulejus: er hat sein altes Mär-
chen durch Allegorie und Philosophie zu vertiefen sich bemüht:
uns erscheinen seine Zutaten als frostig, steif, aufdringlich und
die Einfalt der Geschichte schwer schädigend. Aber unsere Volks-
märchen gestatten uns überall, das Ursprüngliche und Kchte her-
auszulösen. ^
Ein König hat drei Töchter, die jüngste soll in die Gewalt
eines Ungeheuers kommen. Unter Trauern begleitet man sie zu
dem Felsen, unter dem das Ungeheuer haust> und sie stürzt sich
hinab, aber ein sanfter Windhauch trägt sie in ein blühendes
Tal, sie sieht darin einen Hain und eine Quelle, und das Unge-
heuer, bei Tag eine Schlange mit ungeheurem Rachen, gifttropfend,
ist bei Nacht ein schöner Jüngling. Psyche, die Jungfrau, lebt
in einem märchenhaften Palast, oie Gemächer glänzen so von
Gold, dafs es auch in der Nacht hell bleibt, eme unsichtbare
Dienerschaft erfüllt alle ihre Wünsche. Ihr Gemahl warnt sie:
sie solle sich von den Schwestern nicht ausfragen lassen und nie
nach seiner Gestalt forschen, sie widersteht auch eine Zeit dem
neugierigen Drängen dieser Neidischen, schlieislich fragt sie den
Gemahl doch, und da entschwindet er ihr, und sie wandert ihm
nach. Die neidischen Schwestern stürzen sich auch vom Fels,
aber zerschellen dabei, Psyche wandert weiter: sie wird von Venus
gepeinigt, von Traurigkeit und Sorge, ihren Dienerinnen, ge-
»ifselt, sie mufs durcheinander geworfene Garben, Kränze und
Eicheln wieder in Ordnung bringen, sie mufs Gerste, Weizen,
Hirse, Mohn, Erbsen, Linsen, Bohnen auseinanderlesen: dabei
helfen ihr die Aroeisen; sie mufs Wolle von bösen, wilden Schafen
mit goldenen Vliefsen bringen, das Schilf flüstert ihr zu, sie solle
warten, bis die Tiere es sich selbst abstreiften; sie mufs Wasser
* Vgl. oben Archiv CXIV, 22 Anm. 3.
* EjTwin Rohde, Der griechische Eoman^ 588/9.
' Friedländer, Sittengeschichte I, 407. 468 f. (mit Beiträgen von Adal-
bert und Ernst Kuhn). (Dosquin II, 217 f.
Zur Entstehung des Märchens. 19
aas einer Quelle holen, die von Drachen bewacht wird, ein Adler
füllt das Gefäis für sie.
Zum Schlufs soll sie in die Unterwelt steigen und Schön-
heitssalbe von der Totengöttin holen, dabei tr^ sie in einer
Hand Kuchen und Mehlbrei, in der anderen Honig und Wein,
im Mund eine Kupfermünze. Dreimal wird sie versucht, es fallen
zu lassen: zuerst begegnet ihr ein lahmer, mit Holz beladener
likel, der lahme Treiber bittet sie, die Holzscheite aufzunehmen,
dann schwimmt ein alter Mann ihrem Kahne nach, man möge
ihn auch hineinziehen, und alte Weiber am Webstuhl bitten sie,
auch Hand anzulegen. Sie widersteht den Versuchungen allen,
sie nimmt dann vom Mahl nur ein Stück Brot, das sie, auf der
Ejrde sitzend, zu verzehren hat, erhält die Büchse und öffnet sie
schon unterwegs, ein betäubender Dampf steigt hervor, aber sie
ist erlöst und mit dem Geliebten wieder vereint.
Man darf auch hier kaum von einem einheitlichen Märchen
reden: es sind wieder verschiedene Märchen und Märchenfrag-
mente, die im Wesen sich freilich berührten oder ähnlich waren,
lose aneinandergefügt, nicht organisch verbunden. Etwa das Mär-
chen von der Jun^^u, die nicht nach der Gestalt des Mannes
fragen darf und den Mann verliert, als sie das Gebot übertritt;
das Märchen von neidischen Schwestern, die der jüngsten ihr
Gluck nicht gönnen und schhefslich bestraft werden, das Mär-
chen von den unlösbaren Aufgaben, die ein Liebender doch löst,
um sich die Geliebte zu erringen (in anderen Märchen gewöhn-
lich durch die Hilfe dankbarer Tiere, die er vorher gutmütig vom
Tode rettete), das Märchen vom Wasser des Lebens und der
Hexe, die einen anderen dadurch beiseite schaffen wiU, dafs sie
ihn in die Hölle schickt und ihm Aufgaben gibt, die eigentlich
kein Mensch lösen kann.^
Das Motiv von der Jungfrau, die unter der Trauer der ganzen
Stadt einem Drachen geopfert wird, gehört in einen anderen Kreis;
und die ihm gebührende Fortsetzung ist die, dafs ein Held die
Jungfrau erlöst, nachdem er den Drachen besieg und getötet.
Die meisten europäischen Volksmärchen, die dem Apulejus
ähnlich sind und meist wohl auch von ihm abhängen,^ nehmen,
nachdem der Geliebte entschwunden, eine andere Wendung als
ihr antikes Vorbild: die Braut wandert durch die Welt, dem Ent-
schwundenen nach, findet mitieidi^e Helfer, die ihr Geschenke
geben; als sie den Geliebten endlich vdederfindet, will er sich
gerade mit einer anderen Braut vermählen, sie erwirkt sich von
dieser mit Hilfe ihrer Geschenke die Erlaubnis, in drei Nächten
bei dem GeUebten zu schlafen, und weifs endlich seine Erinne-
> Vgl Cosquin II, 237 f.
' VgL das VerzeichDis von Kuhn bei Friedländer I, 497.
20 Zur Entstehung des Märchen«.
rung zu wecken, so dafs sie sich mit ihra wieder vereinigt' —
Das bestätigt uns, was wir schon sagten: die Geschichte des
Apulejus ist keine einheitliche, sondern besteht aus verschiedenen,
einander verwandten Märchen. Sie entspricht darin durchaus un-
seren modernen Volksmärchen, deren Wandlungsfähigkeit ja darum
eine so unbegrenzte ist, weil sich die einzelnen Märchenmotive
und Märchenteile immer neu und anders miteinander verbinden
imd schon ganz leise Ähnlichkeiten und Anklänge solche Verbin-
dungen bewirken. Es liegt im Wesen dieser Märchenmotive, dafs
sie immer etwas unbestimmt bleiben, sich Veränderungen leicht
fügen und darum in immer anderen Zusammenhängen erscheinen.
Diese Eigentümlichkeit des Märchens führt meines Erachtens
auch zur Erkenntnis des wirklichen Unterscheidungsmerkmales,
das Märchen, Mythus und Sage voneinander trennt Im ersten
Ursprung sind niese gleich, Mythus und Sage stammen, ebenso
wie das Märchen, aus Leben, Sitten, Anschauungen der primi-
tiven Völker. Mit der Einschränkung freilich, dafs der Mythus,
sofern er nicht Göttersage ist, auf dem Kultus beruht, der seiner-
seits wieder auf uralte religiöse Vorstellungen zurückführt, und
dais die Heldensage in ihre rein sagenhafte Erzählung geschicht-
liche Erinnerungen an Taten und Helden der Vergangenheit ver-
webt Das Grundverschiedene vou Märchen und Sage ist aber
ihre Entwickelung: Die Sage verweilt viel länger und liebevoller
bei dem einzelnen Motiv, dem einzelnen Ereignis und der ein-
zelnen Person als das Märchen; das einzelne zieht sie stärker an,
während der Reiz des Märchens gerade in der immer wechseln-
den Verbindung oder in der Anhäufung der Motive besteht,
das Motiv für sich gilt ihm nicht so viel. Diese einzelnen Motive
gewinnen bei der Sage eine immer neue künstlerische Mannig-
faltigkeit, weil immer neue Dichter sich an den gleichen Mo-
tiven und Stoffen versuchen, dadurch vertiefj sich auch deren
Bedeutung. In ähnlicher Art wachsen die Helden der Sage, ein
Dichter nach dem anderen gibt ihnen von seinem Besten, und so
steigert sich ihr Heroentum, und sie erheben sich ins Überirdische.
Die Motive verlieren dabei oft ihren selbständigen Wert und
dienen nur zur Charakterisierung des Helden. Weil die Sage
sich so entwickelt, haben ihre Helden Namen, während die des
Märchens, die ganz in der Fülle immer wechselnder B^eben-
heiten verschwinden und, weil sie sich selbst dabei immer ändern,
zu keiner bestimmten Wesenheit gelangen können, ohne Namen
sind. Auch bleibt die Sage gern bei bestimmten Orten und ver-
klärt diese, das Märchen verbreitet sich über die ganze Welt.
Die Märchenraotive fügen sich leicht und willig zusammen, die
Sagen motive schwer, die Entwickelung der Sage ist langsam, eins
* Vgl. noch R. Köhler, KL Sehriftm I, 318 Anm. 1.
Zur Entstehung de« Märchens. 21
ihrer Motive widerstreitet oft dem anderen^ und auch in den
vollendetsten Sagen sind solche Konflikte noch nicht ganz über-
wunden; man fühlt^ dafs eine frühere Anschauung eines Ereig-
nisses oder eines Helden, die der späteren widerspricht, noch nicht
ganz beseitigt wurde: man denke etwa an die Sintflutsage oder
an die nordischen Sagen vom Ende der Welt oder an unsere
Nibelungen. Die Sage ist viel ernster als das Märchen, künst-
lerisch meist viel durchbildeter, sie wendet sich nur an einen er-
lesenen Kreis von Hörern und bleibt innerhalb nationaler Grenzen.
Damit steht in Zusammenhang, dafs, wenn Sagen in das Volk
dringen, meist gerade das Tiefste an ihnen, ihre Tragik und ihr
Adel, nicht verstanden oder mifshandelt wird — man erinnere
sich an unsere Sagen von Wieland dem Schmied, Hetel und
Hilde, Hildebrand und Hadubrand — , statt dessen wird sie mit
märchenhaftem Beiwerk überladen. Denn das Märchen bleibt
dem Volke verständlich und gehört zu ihm auf der ganzen Welt,
die kunstlose Aneinanderfügung von Märchenmotiven bedarf nicht
des Dichters und kann sich jederzeit im Volke abseits der höheren
Poesie entwickeln. Diese Bemerkungen wollen nur als vorläu-
fige gelten, ich hoffe sie später auszuführen und zu vertiefen
und habe sie hier nur darum nicht unterdrückt, weil ich glaube,
dafs sie zur Klärung unklarer Fragen behilflich sein können. * —
Wir haben nun bei der Betrachtung der Märchen der antiken
Volker einen recht stattlichen Beichtum von Märchenmotiven
überblickt und es oft bestätigt gefunden, dafs diese Motive aufs
engste mit dem Leben und dem Wähnen primitiver Völker zu-
sammenhängen. Aufserdem war es uns möglich, zu beobachten,
>vie aus einer Vielheit von Märchenmotiven Märchen entstehen.
Nun dürfen wir den letzten wichtigsten Schritt tun, den zum
indischen Märchen hinüber, und die Art unserer Betrachtung
läfst sich nun leicht erraten, wir vergleichen die alten Märchen-
motive mit dem indischen Märchen, die auf ihnen beruhen, ebenso
die antiken Märchen, die vom Meisterdieb, von den Empfindlich-
keitsproben, von klugen Bichtem u. a., mit den ihnen entsprechen-
den indischen, wir verfolgen aufserdem die Entwickelung der in-
dischen Märchen in Indien selbst, und auf der Erkenntnis f ufsend,
die wir derart vom indischen Märchen gewannen, suchen wir
die Frage vom Einflufs der indischen Märchen auf die Märchen
der anderen Völker nochmals zu beantworten.
' Ich verweise auf die sehr fördernden Bemerkungen von Hermann
Usener in seinen Sintflutsofien und Axel Olrik, Om Ragnaroky Kopen-
hagen 1903. Namentlich die letztgenannte Schrift sollte von Philologen
aller Disziplinen gelesen werden.
München. Friedrich von der Leyen.
(Fortsetzung folgt.)
Niklas Prann und Pandolfo GoUennccio.
In der Festechrift ^Hans Sachs- Forschungen, herausgegeben
von A. L. Stiefel'; Nürnberg 1894, S. 13—32, hat V. Michels
aus einer Handschrift der Berliner Königlichen Bibliothek einen
Dialog von Niklas Praun *Das pieret vnd der Kopff (vollen-
det 1542) veröffentlicht und die inm bekannt gewordenen Daten
über den bis dahin unbekannten Verfasser mitgeteilt Die
(mehrere Arbeiten Prauns enthaltende) Handschrift ist nur zum
kleineren Teile von Praun selbst geschrieben. Nach seinem Tode
hat Freund Hans Sachs nach losen Blättern des Verstorbenen
die Handschrift zu Ende geführt — der genannte Dialog ist
ganz von Sachs abgeschrieben — und mit einer sehr aufschlufs-
reichen hübschen Vorrede versehen worden.
Es ist sehr dankenswert, dafs Michels das ganze Gespräch
zwischen dem Barett und dem Kopf abgedruckt hat. Der Dia-
log ist gewifs die beste literarische Leistung Prauns. Ein aller-
dings seltsamer Gedanke — als 'wunderlich' bezeichnet Praun
selbst am Schlufs sein Gespräch — wird geistreich und witzig
durchgeführt, die bitterste Ironie über die unvernünftige Welt-
anschauung und Handlungsweise der grofsen Masse wird in
humorvollen Reden ausgegossen. Barett^ und Kopf stehen zu-
einander in einem scharfen, gut charakterisierten Gegensatz.
Das Barett ist klug, hochgebildet, welterfaliren, von sittlichen
Grundsätzen erfüllt. Der Kopf ist hohl, dumm, ungebildet und
richtet sich *nach der weit prauch', sieht nur auf den äufseren
Schein und nicht auf die innere Tüchtigkeit *
Das Barett eröffnet das Gespräch mit der Klage über sein
unglückliches Los, das ihn gerade auf einen so närrischen Kopf
gesetzt hat. Es tadelt den Kopf (ihn vom Anfang bis zu Ende
mit den ärgsten Scheit werten belegend), dafs der Träger seine
Koptbedeckung durch sein 'wankelmuetig vurnemen', durch Hin-
und Herrücken, durch ewigen Wechsel der Form und der
* Sachs schreibt nebeneinander: *pieret' und *piret*, es ist im 16. Jahr-
hundert eine häufige Nebenform (nach mittellateinisch birretum) neben
'baret' für Mütze überhaupt und im engeren Sinn für das Barett der
Doktoren.
NIklas Praun und Fandolfo CoUenuodo. 28
Ausschmückung ui] erträglich quäle. Aus den Auseinander-
setzungen darüber entwickelt sich zwischen beiden ein theore-
tisches Gespräch über Schönheit, Gewalt, Ehrerbietung usw.
Immer gibt zuerst der Kopf ganz unsinnige und verworrene Er-
klärungen, behauptet aber dann, wenn das Barett klar und
weise die Streitfrage zu Ende bringt» er hätte von Anfang ganz
dieselbe Meinung gehabt. Der Träger des Baretts geht nun
auf die Strafse, wo es zu neuen Streitgesprächen kommt, weil
der Träger mehrere Vorübergehende, einen Edehnann mit gol-
dener Kette, einen Arzt, einen Advokaten, einen reichen Kauf-
mann, einen Hauptmann ehrfurchtsvoll begrüfst Das Barett
aber, empört über die fortwährende Störung aus seiner Buhe,
beweist dem Kopfe, dafs alle die Gegrüfsten nur dem äufseren
Ansehen nach stattlich, in Wirklichkeit aber unlautere, ja laster-
hafte Persönlichkeiten seien. Der Kopf entschuldigt sich mit
der notwendigen Rücksicht auf die allgemeine Meinung und mit
der Redensart, dafs *man dem dewffel ein lichtlein aufzunden'*
müsse. Das Barett beschliefst das Gespräch mit einer längeren
Rede, in der es alle seine Beschwerden über den Kopf noch-
mals zusammenfafst (in ethischen Ausführungen, die gewifs die
persönliche Überzeugung des Verfassers wiedergeben), und spricht
endlich den Wunsch aus, von Motten verzelui; zu werden, um
des Jammers ledig zu gehen. In einem kurzen Nachwort gibt
der Verfasser als die Summe des Gespräches an, dafs *darin
die heuchlersich Ererpiettung fein hofllich gestochen wirt.'
Mit Recht wundert sich Michels über diese auffallende und
eigenartige literarische Leistung des sonst doch nicht hervor-
ragenden Autors. Er vermutet im allgemeinen Einflufs von
Dialogen Hans Sachsens, Lukians oder deutscher Humanisten,
wie Eobanus Hessus. Von diesen konnte er die Form der Dia-
loge und die Führung der Gespräche lernen, aber * woher kom-
men bei Praun solche Ansätze zu individueller Charakteristik?'
fragt Michels.
Diese Frage erlaube ich mir zu beantworten: Von dem ita-
lienischen Humanisten Pandolfo CoUenuccio, dessen Gespräch
'La beretta e la testa' Praun unmittelbar als Vorlage benutzt
hat. CoUenuccio^ ist als Verfasser zahlreicher lateinischer und
* Vgl. Thom. Murner, Narrenbesehwörung, Überschrift des 64. Ka-
pitels: *i>em tüfel xtoei lieeht anxmiden\ und oft.
' Vgl. Biographie universelle 8, 588 f. Die hier gegebenen Daten wer-
den wesentlich ergänzt und berichtigt durch die abschliefsende Monogra-
phie: A. Saviotti, P. Colienuceio, umanista pesarese, Pisa 18S8 (Estratto
dagli Annali della real scuoia normale superiora di Pisa), welche die Ge-
burts- und Todesdaten und aktenmäfsig den Lebensgang feststellt und
die Schriften gründlich beschreibt. (Auf diese Monographie hat mich
Prof. E. Freymond freundlichst aufmerksam gemacht!)
24 Niklas Praun und Pandolfo CoUenacdo.
italienischer Werke, als Dichter, Gelehrter und Staatsmann be-
kannt. Geboren am 7. Januar 1444 zu Pesaro in Oberitalien
(Umbrien), tritt er 1491 als Consigliere ducale in die Dienste
des Herzogs von Ferrara, Herkules I.^ Dieser kunstliebende
Fürst veranstaltete an seinem glänzenden Hofe häufige Auffüh-
rungen humanistischer Schauspiele. Viele Humanisten widmen
ihm ihre Werke und preisen ihn als Gönner. Ercole verwendet
Collenuccio auch als Gesandten, so zweimal 1494 und 1497
nach Innsbruck an Kaiser Maximilian, und ernennt ihn 1500 zu
seinem Capitano di giustizia. Einer heuchlerischen Einladung
folgend reist Collenuccio in seine Heimat und wird in Pesaro
auf Befehl Giovanni Sforzas am 11. Juli 1504 ermordet. Colle-
nuccio übersetzte den Amphitryon von Piautus ins Italienische,
schrieb das Schauspiel 'Jakob und Joseph', italienische Gedichte,
einen Erziehungstraktat und einen Abrifs der Geschichte des
Königreiches Neapel in Latein, endlich mehrere lateinische und
italienische Dialoge. In allen diesen Dialogen läfst er zum
Schlufs die 'erhabene' Gestalt seines fürstlichen Gönners er-
scheinen. Er nimmt förmlich Zuflucht zu Ercole, der wie ein
gütiger Dens ex machina erscheint, um mit seiner Weisheit alle
aus den Streitgesprächen erwachsenen Gegensätze aufzuheben,
alle Schwierigkeiten zu ebnen und mit einem gerechten Urteil
würdevoll den Dialog zu beschliefsen.
Von Collenuccios italienischen Gesprächen ist eines der be-
kanntesten 'II Philotimo. La testa e la beretta'* mit einem eigen-
artigen, genial erfundenen Motiv, das geistvoll und mit über-
sprudelndem Witz durchgeführt wird.
Diesen Dialog nun hat Niklas Praun verdeutscht, aber nur
die erste Hälfte davon und diese nicht in durchaus gleichmäfsi-
ger Weise. Mit Ausnahme der letzten Blätter hält sich Praun
ziemlich wörtlich an Collenuccio, abgesehen davon, dafs er eine
breitere Ausdrucksweise hat und so den italienischen Wortlaut
sprachlich erweitert. Auch kleinere oder gröfsere Zusätze mit
sachlichen Erweiterungen kommen oft vor. Seltener sind Aus-
lassungen aus dem Texte der Vorlage. Diese Art der nur
einigermafsen freien Übersetzung übt Praun von Anfang an bis
einschliefslich S. 28 des Michelschen Abdruckes. S. 29 und 30
* Über Ercole von Ferrara vgl. man W. Creizenach, QeschieJUe des
neueren Dramas 2, 217 und 204 ff.
' Saviotti bezeichnet als älteste bekannte Ausgabe: Venezia 1517.
Die AbfasBun^zeit und aUenfallsige ältere Drucke sind nicht bekannt.
Ich benutze ein Exemplar der ßeruner Königlichen Bibliothek, Bergamo
1594, mit dem Titel: II füotimo. Dialogo dim. P. Colienuccio. Apologia
contro gli abusi dello sberettare (MiCsbrauch des Grüfsens). Interlocutori :
Testa et Beretta, — In der Bieg. un. lautet der Titel: la bereita contro i
eortigiani (Höflinge), was nur für einen Teil des Dialoges stimmt. — Die
Ausgabe Venedig 1836 ebenfalls in Berlin.
Niklas PrauD und Pandolfo CoUenucoio.
25
weichen dann sehr stark ab von den betreffenden Abschnitten
des Italieners. Praun folgt hier nur im allgemeinen den aus
CoUenuccio gewonnenen Anregungen, und mit S. 31 Z. 6 bricht
er überhaupt die Übeiia^agung ab, läfst die ganze zweite Hälfte
des italienischen Dialoges unübersetzt und fügt (S. 31 und 32)
den schon oben gewürdigten, ganz selbständigen Scblufsabsatz
hinzu.
Zu diesen allgemeinen Bemerkungen über das Verhältnis
des italienischen Dialoges und des deutschen Gespräches seien
einige Beispiele angefügt.
Zunächst Proben der fast wörtlichen Übereinstimmung, so
gleich der Anfang:^
B. Fortana iniquissima dispensa-
trioe partiale de' luoghi. Maledetta
sia coai iniqua Borte, che sopra di
te mi poee.
T. Che hai tu, poi che da molti
giomi in qua, altro giamai che la-
menti e querele da te si sentono?
B. Jo vorrei, che quella pecora,
che produsse la lana, della ^uale io
nacqui, fasse stata dal lupo diuorata,
o che pur fusse arsa la lana fra le
dita dl quella sordida feminella,
che la fOö.
T. Che ti manca? che vorrestu?
da me non hai ingiuria alcuna.
B. Anzi da te sola ogni mio
male prooede, ogni mio torto nasce:
tu d'ogni mio lamento sei cagione:
perche di me ogni iniquo porta-
mento tu fai.
Und weitere Beispiele:
T. Tu mi fai per certo parer un'
altra, che io non sono: io non me
I
P. Dw Schalckhafftigs vnd
petrueglichs elueck, Ein Austaillerin
vber pos vnd guet, verfluecht Sev
mein vngelueck, vnd der So mich
auf dich nerrischen kopff ge-
setzet hat!
K. Ach, was ist dir mein liebes
iret? Ein lange Zeit her, darin
w nichs anders ^ethon hast, Den
dich zw peclagen, ist mir peschwer-
lich, Solichs von dir an zw hören,
vnd zw vememen.
P. ich wolt, das die wollen dar-
aus ich gemachet pin worden, mit
Sampt dem schaff das die wollen
getragen hat vnd herfuer pracht Ein
wuetiger Wolff zerissen vnd ge-
fressen het, oder das ich dem armen
weib, So mich gezaufset, kom-
met oder gespunen hat, zwischen
den vingem vefpnmen oder ver-
schwunden werl
K. Ach mein piret, was wer dein
pegeren? was nastw fuer man^el
von mir? hastw Etwan ein
Schmach oder vnEr von mir
entpfangen?
P. ja, allain von dir, dw holer
kopff, Entspringet Alles uebels vnd
dw allein pist meiner clag Ein vr-
sach ; den aw ^eprauchst dich mein
gancz petrueglich, in vil stuecken.
K. Dw machest frey, das ich
mich peilunck, ich Sey nit der, der
» Abkürzungen : B. = Beretta, T. = Testa, P. = Piret, K. = Kopf.
Die gesperrten Worte bedeuten Zusätze des deutschen Textes.
26 Niklafl Praun und Pandolfo Collenuccio.
medema, o pure forsi puo essere, ich doch pin, als ob ich mich Selb
dte io non mtenda te: parla piu nit vereten mueg, oder Aber das
chiaro. inocht sein, das ich verstunt dich
nicht, red ein wenig clarer; vnd
lewter von der meinung, auf das
ich dich auch versten mueg.
B ... Belezza h una atta e P. Nemlich Schone ist dner ge-
giusta proportione di tutte le rechte proports in allen glidem aes
membra, insieme con grande aspetto. menschen, wo die Selbig mit einem
grofsen vnd Erwirdigen Anscha-
wen pegabet ist
armata d'ignoranza. wol gewappnet mit Tuwizzenheit
Genaue, wenn auch ungeschickte Übertragung liegt auch
vor an der Stelle, wo Michels beabsichtigte Unklarheit annimmt.
Ich möchte gegen diese Vermutung nur einwenden, dafs das
Barett sich gerade immer sehr klar auszudrücken pflegt Es
handelt sich um den folgenden Satz (S. 24 Z. 8—11): ,Er er-
zaigen oder Er erpieten ist ain zaichen, [ist ein zaichen], Au-
spundig genaigte(r) Er vnd hochwirdigkeit, von wegen des aus-
gdruecten geErten erhochte thuegent? Das ist die Überset-
zung des im Italienischen völlig klaren Satzes: Honore e una
essibitione di riuerenza in segno di eccellente virtu dell hono-
rato d. h. *die Ehrbezeugung ist ein Ausdruck der Ehrfurcht im
Zeichen' (*zur Anzeigung' oder einfach *vor') *der ausgezeich-
neten Tüchtigkeit des Geehrten' (gemeint ist: *des Gegrüfsten').
Praun hat in segno ungeschickt mit *ausgdruecten' wiedergegeben
und dadurch, sowie durch versehentliche Wiederholung (.^ist ain
zaichen') und das Fehlen des r bei 'genaigter' den Satz unwill-
kürlich unklar gemacht
Sprachliche Erweiterungen werden von Praun dadurch
hauptsächlich hervorgerufen, dafs er gern, wie das bei den mei-
sten deutschen Übersetzern des 16. Jahrhunderts der Fall ist,
für einen Ausdruck der Vorlage zwei oder mehr Synonyme ver-
wendet und auch mit weiteren Ergänzungen vermehrt. Z. B.
für vacua testa: ,holer vnd doller köpf — giustamente: *aus
rechtem grund vnd manigfaltig vrsach' — huomo de valore:
*von guetem adel oder Erlich, tugentreich, verdienet lewt' —
le corone: 'pedeckimg des hauptes kaiserlicher kuncklich und
pebstlicher krön, Cardinelisch vnd herzogisch huet, pischofflich
und eptisch inffel'. — Erweiterungen ergeben sich auch durch
derbere Umschreibungen der Vorlage. So für un terribile: *ein
waidlicher Eisenfrefser', für hai pure una volta detto una buona
parola: *das ist vurwar ein wunder, das einmal aus deinem
holen, doUen kopif ein guet vrtail kumpt'. Und durch eine
gewisse pedantische Weitschweifigkeit. Für Chi est Imf *wes
geschlechts oder Adels ist dieser Edelmann? ist er ritter oder
Auch thurniers genos, das dw im Solich reverenz thuest?'
Niklas PrauD und Pandolfo Collenuccio. 27
Kleinere Zusätze ergeben sich durch die Einfügung von
Scherzen, Redensarten, Vergleichen, z. B, *dafs dw ein lawter
doctor in Narribus pist\ — Wo die Rede von goldenen Ketten
der E^elleute und den eisernen Ketten der Tollen ist, macht
Praun die Bemerkung: *vnd wie die Eifsren ketten die Narren
Still vnd ruwig helt, Also die gülden ketten machen Die narren
erst lawffen vnd juchzen/ Dieses Bestreben führt dann bei Be-
richten und Beschreibungen zu grofsen Erweiterungen gegenüber
der Quelle. Nur ein Beispiel für viele:
T. Jo tel dirb bene, e presto: K. Ich wü dirs pald Sagen vnd
belezza h lo haver una bella zazara, wol : Nemlich die schon ist ein
con la Beretta in foggia, sopra uno schöner glatter kelbeter kopff , dar-
ciglio: la calza tirata: la scarpa auf Dw wolgestalt pist, mit Samuet
stretta, con lo andare vago e leg- oder perlein geschmuecket oder mit
giadro della persona. porten, knebeln oder steften ge-
ziret, Ein wenig auf ein Aug oder
or gedruecket, mit wohicnenden
püsen durch krochen, Darzw dn
fuldene ketten mit einem gehenk am
als, es Sei verdeckt oder offenlich,
Ein Spanische kappn mit Samut
oder gestickt verpremet, ein par
hosen vnd wamas von Samuet, mit
glaten strumpffen, an die geraden
pain gezogen, Spanische schuch von
Samuet ^er Duech, glat am fues
angelegen, oder ein mardren rock
mit ainem Samueten schlepplein,
Sunst mit oberen klaidem nach
auslendischer art gemacht mancher
tracht vnd newer Sitten ; Doch das
Soldis alles mit ainem prechtigen
gang ^ziret Sey : Sunst wer Solichs
alles lein Schönheit noch stewr zw
der Schönheit.
Kleine oder gröfsere Streichungen sind (mit Ausnahme des
letzten Teiles) selten, und wenn Praun streicht, so tut er es
meist aus denj Gesichtspunkt, spezifisch Italienisches zu ver-
meiden, so bleiben die *creanze nel vero' Napolitane weg und
der Vergleich *come la stanga per il mastello'. Ferner fehlt im
deutschen Text (zwischen S. 22 und 23) ein grofses Stück (über
5 Quartseiten) des Originals ganz, Praun bemäntelt diese Lücke
nur durch einen kurzen Abschnitt (S. 22, Z. 1 — 8 v. u.). Die
fallen gelassene Stelle CoUenuccios handelt nämlich von der ga-
lantaria und damit zusammenhängenden durchaus italienischen
Verhältnissen.
Zu den grofsen Streichungen kann man auch die schon
obenerwähnte Weglassung des ganzen zweiten Teiles von CoUe-
nuccios Dialog (in dem mir vorliegenden Exemplar BI. 12 — 24,
also genau die Hälfte) rechnen, wo sich das Gespräch in höhere
28 Niklan Praun und Pandolfo CoUenuccio.
geistige Sphären erhebt. Wir befinden uns ganz im Rahmen der
italienischen Kultur am Ausgange des 15. Jahrhunderts. Nament-
lich durch das Dazwischentreten von Ercole. Denn wie in den
übrigen Dialogen von CoUenuccio, so wird auch hier schliefslich
von den Streitenden Ercole angerufen, um deren widersprechende
Meinungen durch seine Entscheidung zu einigen. Das ganze
letzte Drittel des Dialoges wird von dem Herzog beherrscht,
der in breiten humanistischen Ausführungen die Streitenden dar-
über belehrt, was wahre Tugend und was wahre Ehre sei, und
diejenigen, die wahre Tugend besitzen und wahre Ehre anstre-
ben, ab Filotimi (nach dem griechischen (ftXortfiog, ehrliebend,
nach Ehre strebend) bezeichnet. Den Beschlufs macht die
Mütze, die den Kopf, spöttisch mit: zucca mia salata (mein ge-
salzener Kürbis = Dickschädel) ansprechend, auffordert, dem
grofsen Herkules zu danken, che ti ha fatto conoscere, che cosa
sia il vero honore, e che vuol dir Filotimo ('imd was Filotimo
besagen soll'). Dieses Schlufswort, das nur auf den letzten
Blättern des Dialoges einige Male erwähnt wird, bildet auch den
Obertitel des Dialoges. Es ist wahrscheinlich, dafs CoUenuccio
mit der Überschrift 'II Filotimo' geradezu seinen fürstlichen
Herrn gemeint hat. ^
Praun hat mit sicherem Gefühl und literarischem Takt ge-
handelt, als er diesen zweiten Teil wegliefs, der zu seiner bi-
derben Verdeutschung des ersten Teiles gar nicht gepafst und
bei den Lesern, an die er denken mochte, wenig Verständnis
gefunden hatte. Durch seine Enthaltsamkeit hat sich Praun
einen einheitlichen Stil in Form und Inhalt bewahrt und so ein
abgenmdetes, heimisch anmutendes Werkchen geschaflfen, das
die italienische Vorlage trotz der teilweise engen Anlehnung
nicht mehr durchschimmern läfst. Aus dem Werkchen allein
hätte man nicht ohne weiteres auf eine italienische Quelle
schliefsen können. Ich habe ja diese auch nur gelegentlich ge-
funden, bei den Studien für mein Kolleg: Geschichte des Hu-
manismus.
Ein Bedenken will ich am Schlüsse nicht verschweigen.
Kann man Praun die Kenntnis des Italienischen zumuten? Aus
den geringen über ihn bekannten Daten ergibt sich nur, dafs
Praun, der einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie entstammt,
eine gute Schulbildung sich erworben hatte und des Lateinischen
mächtig war. Um das Italienische zu lernen, brauchte er nicht
* Soweit ich aus den wenigen Proben, die Saviotti von dem Philo-
timo ffibt, urteilen kann, scheint es, dafs seine 1864 gedruckte Fassung
im all^enieiDen mit der mir vorliegenden Ausgabe (1594) übereinstimmt.
Der Schlufs des Neudrucks aber weicht von der oben gegebenen Fassung
ab: che cosa il vero onore sioy te ha fatto itUendere, e tu per male avere
nofi vogli se da qiti inarUi ii chiamo füotimo.
Niklas Praun und Pandolfo ColleDUcdo. 29
nach Italien zu fahren. Nürnberg hatte damals rege wissen-
schaftliche und Handelsbeziehungen zu Italien und manche des
Italienischen kundige Männer in seinen Mauern.
FreiUch könnte man an die Möglichkeit einer Zwischen-
übersetzung denken. Eine französische Fassung liegt vor von
A. GeuflEroy, Dialogue de la teste et du honnet, traduit d'ita-
lien en francois, Paris 1543.* Sie kommt aber für Praun
nicht in Betracht, weil sie erst ein Jahr nach der Abfassung
des Praunschen Gespräches erschienen ist. Eine lateinische
Übersetzung konnte ich nicht ermitteln, obwohl ich in zahl-
reichen gröfseren Bibliotheken darnach gesucht oder angefragt
habe. Fände sich noch eine lateinische Übersetzung, die vor
das Jahr 1542 fällt, würde das Bild, das ich von dem Verhält-
nis zvrischen Praun und Collenuccio entworfen habe, nur in
unwesentlichen Zügen verschoben werden. Die stellenweise wört-
hche Übersetzung des italienischen Wortlautes spricht ohnehin
dafür, dafs CoUenuccios Dialog im Original Praun vorgelegen hat.
» Vgl. British Museum, CcUahgue of Printed Books, 14, 111—113.
(Hier keine lateinische Übersetzung des Füotimo.) In dem ^rofsen
Bücherkatalog Qesneri Bibliotkeca amjdificata per Prisium, Tigun 1583,
sind viele Schriften Oolienuccios verzeichnet, aber keine lateinii^e Über-
setzung des Filotimo.
Prag-Smichow. Adolf Hauffen.
Yolkslied-Miszellen.
IL
1. Zur ^arkgräfin und dem Zimmergesellen'.
Ein weitverbreitetes Volkslied (s. £rk-Böhme, Deutseher Lieder^
hört I [1893] 446 ff. Nr. 129»-^, und O. Schade, Deutsche Hand-
werkslteder [1865] 199 ff.; zu der dort verzeichneten Literatur
kommt noch: Bender-Pommer, Oberschef flenzer Volkslieder und volks-
tümliche Gesänge [1902] 56 f. Nr. 49; H, Ostwald, Lieder aus dem
Rinnstein U [1904] 8 ff.) ist jenes, das von den Beziehungen einer
Markgrafin zu einem Handwerker (Zimmermann, Schuster, Schnei-
der etc.) oder Soldaten berichtet Diese Beziehungen gereichen
dem Handwerker jedoch zum Unheil, denn nachdem sie ertappt
wurden, wird er zum Galgen verurteilt, doch später begnadigt.
Schade (a. a. O. 205 f.) führt eine Fassung an, die in Studenten-
kreisen zu Halle, Leipzig und Jena in den vierziger Jahren des
19. Jahrhunderts gern gesungen vmrde und die mit den Worten:
'War einst ein jung, jung ZimmergeselF beginnt (Aus Studenten-
kreisen auch bei H. "rr^e. Weltliche und geistliche Volkslieder und
Volksschauspiele [1855] 13 f. Nr. 7 und 267 f. = 2 [igÖS] 13 f.
Nr. 7 und 267 f.) Auf dieses Lied bezieht sich nun die vierte
Strophe im 'Lied Giraudet des Roten an Emmeline Damai^ (erster
Druck: Deutsche Dichtung, hg. von K. E. Franzos, V Nr. 11 [1889]
S. 254) von Richard Leander (Pseudonym für R. von Volkmann
[1830—1889], der seit 1843 bis zu seinem Ende in Halle lebte),
wo es heifst, wäre ich noch so jung wie du:
Wir setzten uns an des Flusses Rand,
Wir schauten hinab in die Wellen
Und sängen das Lied von der Lorelei
Und dem jung, jung Zimmergesellen I
Jedenfalls lernte R Leander, der auch sonst in seinen Gedichten
durch das Volkslied beeinflufst ist (s. O. Härtung, Deutsche Dich-
tung IV [1888] 218»), dieses Lied in Halle, wo er in den fünf-
ziger Jahren des vorigen Jahrhunderts studierte, in Studenten-
kreisen kennen. Bekanntlich hat auch Gerhart Hauptmann in
'Schluck und Jau' das Lied von der Markgräfin und dem Zimmer-
gesellen verwendet (s. Blümml, Arch. f, n. Spr. CXHI [1904] 286).
VolkBÜed-MiBzeUen. II. 81
2. Zu ^er hat vom Petrus das gedacht'.
A. Hruschka und W. Toischer {Deutsche Volkslieder aus Bohr
men [1891] 63 Nr. 95) teQen em sehr humoristisches Lded auf
den U. Petrus aus Plan in Westböhmen mit^ ohne zu ahnen^ dafs
dessen Verfasser Karl Waldemar von Neumann* ist Das
Lied findet sich zuerst in dessen mit Heinrich Keder zusammen
verfafstem Buche: Soldatenlieder von zwei deutschen Offizieren
(Frankfurt a. M. 1854) S. 9. Es ist das ein Buch^ in dem viele
Lieder mit Yolksliedton stehen (vgl. R Prutz^ Deutsches Museum
IV. 1 [1854] S. 951 f.). Ich gebe hier den Originaltext und dazu
die Varianten des deutschbohmischen Liedes:
Wer hätt' vom Petrus das gedacht.
1. Wer hatt' vom Petrus das ge- 8. Doch wann wir wieder zieh'n
dacht, nach Haus,
Dais er so tolles Wetter macht? Ist's mit dem hübschen Wetter aus!
Das ist ein ganz lan^eiliger, O so ein HeiPger ist gar fein, —
Ganz sonderbarer Heiliger! Der braucht ja nicht üabei zu sein I
2. Wann wir zum Exerciren geh'n, 4. 0 Petrus I denk' an Malchus Ohr
L*äOt er die Sonn' am Himmel st^'n ! Und steil' dir unser Elend vor.
Da wird dann hin und her marschirt, Geh, heil'ger Petrus, sei eescheit,
Dafs man die Lust gar bald verliert. LaQ regnen doch zur rechten Zeit 1
Varianten: 1, i hat; — 1, 2 tolles Wetter; — 1, 8 ganz fehlt; — 1,4
ganz fehlt,- dafür steht ein; — 2, i wenn; — '2, s dann fehlt; — 2, 4 dafs
man bald die Lust verliert; — 3, i wenn wir gdim . . .; — 3, 2 schönen; —
:^, 3 ist so ein Heiliger ja recht fein ; — 3, 4 Er braucht gar nicht . . . ; —
4, 1 Petrus, denk' noch an das Ohr; — 4, 2 dieses Elend ; — 4, 4 Gib
Sonn' und Beg'n zur rechten Zeit.
Strophe 3 zei^ in der mündlichen Überlieferung in Z. 3
und 4 eine Verdunkelung des ursprünglichen Sinnes, ebenso be-
deutet 4, 1 eine Verschlechterung, äffe übrigen Varianten ver-
ändern den ursprünglichen Text wenig.
3. *Ich klopf schon lang an deiner Pfort'.
Ein geistliches Lied mit solchem Anfang findet sich aus
Franken nach mündlicher Überlieferung bei Ditfurth, Fränkische
Volkslieder I (1855) 12 Nr. 17, aus Steiermark, eingelegt in das
Vordemberger Paradiesspiel, bei K. Wemhold, Weihnachtsspiele
und Lieder aus Süddeutschland u/nd Schlesien ^ (1875) 334 f., aus
Bayern bei A. Hartmann, W&ihnachtslied und Weihnachtspiel in
Oberbayem (1875) 103 ff. Nr. 132 (vgl. auch S. 46 f.), und Hart-
mann-Abele, Volkslieder, L Volksthümliche Weihnachtlieder (1884)
218 f. Nr. 134, und nach einem fliegenden Blatte bei F. L. Mittler,
* Über K.W. von Neumann (1830-1888) vgl. Fr. Brummer, Lexikon
der deutschen DiMer und Prosaisten des 19, Jahrhunderts III ^ 140.
82
Volkslied-MiBzellen. IT.
Deutsche Volkslieder- (1865) 332 Nr. 428. Eine nicht uninteressante
Variante dazu enthält das Manuskript Nr. 980 der Innsbrucker
k. k. Universitätsbibliothek^ das aus ca. 1760 stammt und von einem
Geistlichen, der in der Gegend von Ingolstadt, >vie mehrere Stellen
in den Liedern beweisen, lebte, zusammengeschrieben wurde.
Ode pastoritia.
[Xl^] 1. Ich klopf schon lang vor
dein port,
ach freindin, mach mir auf!
in diser au find sonst kein orth,
schon lang ich herumblanff;
ich bin ganz math, glaub sicherlich,
die herberg mir abschlage nit,
ich bitt herzinniglich.
2. wer da, wer klopft vor meiner
thir?
wer will zu mir herein?
mein hüttlein ich eröffne nit,
ich laQ niemand herein,
allhier ich mich allein befindt,
villeicht mechts sein ein loses kind,
nein, nein, lafs dich nit 'rein.
P>. Ich bin ein kind von hochen
stam,
o werthe schaff erin,
und hab niemand kein leyd gethan,
ganz from ich alzeit bin;
ein schäffidn ich verlohren hab,
so ich mueU sueohen tag und nacht,
forthin, bis ich es find.
4. glaub Bchwärlich, dajs(8) in
meiner au
sich ein frembds schaff befind(t),
bevor ich aber d'thir mach auf,
sag an, wer bist mein kindt?
oder wer ist der vatter dein,
da8(s) du iezt schon ein hirt must
sein,
so klein, so zart und fein?
5. mein vatter ist von ewikheit
und ewig ist sein reich,
sein eingbohmer söhn zugleich
ich ewig bey ihm bleib,
dein arme seel von dir begehr,
so ich mues suechen hin und her,
drum bin ich hier, schenckhs mir.
[U^J 6. o Jesu, was hab ich ge-
dacht,
o edler seelenschaz,
das(s) ich nit eh hab aufgemacht ?
bey mir solst finden blaz.
mein seel ich dir ergeben thue,
darin wolst nemen deine ruheS
ich bitt, versags mir nit.
Ein Vergleich der einzelnen Lieder untereinander ergibt:
1 = 1 D., M., H.; 2 W.; — 2 = teilweise 2 D., M., H.; — 3 =:^
3 D., M., W., H.; — 4 = 4 D., M., H.; — 5 = 5 D., M., H.; 4 W.; —
6 — 6 D., M., H. Die meiste Abweichung von allen bisher be-
kannten Texten zeigt 2 i_4.
4. Itzunder ist die Zeit, erhebt sich Krieg und Streit.
L. Erk hat in der von ihm besorgten Ausgabe von Des
Knaben Wunderhom IV (1854) 335 ff. ein Kriegslied aus ca, 1630
nach einer Handschrift mitgeteilt, das bei F. L. Mittler, Deutsche
Volkslieder'^ (1865) 871 f., und Hoffraann von Fallersleben, Die
deutschen OeseUschaftslieder des 16, u. 17, Jahrhunderts II ^ (1860) 50 ff.
Nr. 287 (vgl. auch K. Janicke, Das deutsche Krügslied [1871] S. 21),
wieder abgedruckt wurde. Das Lied war jedoch schon 1603 be-
kannt, wie das Manuskript M. 297 der kgl. öffentlichen Biblio-
thek in Dresden lehrt, worin das Lied auf S. 152 f. (Str. 1—6
* Einsilbig zu lesen, also: rue (= rüa).
Yolksried-Miszellen. IT. 83
auf S. 152, Str. 7 10 auf S. 153) unter der Aufschrift: *8ol-
dateD Liedlein' zu finden ist Ich gebe hier nur die Varianten
gegenüber dem Erkschen Drucke wobei jedoch orthographische
Varianten nicht berücksichtigt sind.
1, 2 erhebt sich mancher streit; - 8 das hertz; — 5 kom; — 7 nach einQ
jeden gnten kauff .
2,2 alda sich; — 3 prave; — 6 dem; — 7 Soldat da erscheint.
8, 1 keinen ; — 7 seinem.
4. 1 Dann muß mancher; — 2 seinen; — 6 davon; — 7 einen andern.
5, 2 Heiden; - 4 dan; — 6 bescheren; — 7 doch fehU; allen Ehren.
6.2 da klagt; - 4 thue; — 6 dennoch; — 7 ein ander yberkomme baldt.
7, 1 da hebt sich klagen an; — 8 den.
8. 1 praver; — 2 gweQen; — 8 vom feinde; — 7 gnadt ihm Oott.
9.2 thedlt man aaß gute beut; — 3 manchem Soldaten das hertz; —
6 ander krigt gelt; — 6 wie es den feit; — 7 zu fehU,
10, 2 kric^ allezeit; — 4 Gottfürchtig; — 6 sag ich dir frey.
5. Auf, auf ihr Hirten, nicht schlafet so lang.
Die Handschrift 980 (aus ca. 1760) der Universitätsbiblio-
thek in Innsbruck enthält von diesem Liede eine Fassung aus
Bayern, die von allen bisher bekannten Fassungen durch eine
Zusatzstrophe und auch sonst abweicht
[iS^^j De Christo nascente.
1. Auf, auf ihr hirten, nicht schlaf fet so lang!
Die nacht ist vergangen, es scheinet die sonn.
•!• ein kindlein klein, -l*
das unser erloser und heyland soll sein.
2. zu Betlehem drunten geht nider der schein,
es mues ja was himlisches verborgen drunten sein,
•(•ein alter stall l*
erglänzet und scheinet als wie ein GristalL
3. ein selzame music in wolckhen erklingt,
das gloria in zcelsis ein Engl vorsingt.
•|- los nur grad zue, j-
gelt urbel, es gfalt dir, i glaub dirs, mei bue.
4. so geh nu mei Frizl und bsin di nit lang,
stich ab mei feins kizl und wag halt ein gang.
•|- buckh dich fein schön •!■
und mckh flux dein hietl, wan d'eini wilst gehn.
5. zwischen zwey thieren, den esl und rind,
do ligt ganz erstarret das liebreiche Idnd.
•|- o großer gott, l»
ich trau mirs nicht z'sagen, ich schäm mich zu todt.
6. ein uralte[r] tattl in eisgrauen barth
den liebreichen kindlein ganz fleißig aufwarth.
•{- auf bloßer erd l*
ein zartes jungfreilein den heiland verehrt.
7. o göttliches kindlein, verschmech es doch nit,
wir opfern ein lämmlein, erhör unser bitt.
•|- o gotteslamm, •{•
nimm hin unsre sinden, es ist ja dein nam.
Archiv t. n. Sprachen. CXY. 3
34 Volkglied-MiBzelleD. II.
Die nächste Verwandtschaft zu diesem Text zeigt ein sechs-
strophiger Text aus Oberosterreich (W. Pailler, Weihnachtlieder
und Krippenspiele aus Oberösterreich und Tirol I [1881] 189 f. Nr. 180)
und der zu diesem nahe verwandte sechsskophige aus Nieder-
österreich (A. Hofer, Weihnachtslieder aus Niederösterreich, Programm
[1890] 27 Nr. XVII). Das Verhältnis zueinander stellt folgende
Übersicht dar:
1 ^ 1 P., H.; — 2 = 3 P., H.; — 3 = 2 R, H.; — 4 = 4 P., H.; —
5 = 6P.,H.; — 6 = 5P.,H.
Entferntere Verwandtschaft zeigen ein vierstrophiger Text aus
Niederösterreich (F. Ziska und J. M. Schottky, Österreichische Volks-
lieder mit ihren Singeweisen [1819] 44 f.; daiaach abgedruckt bei
J. M. Firmenich, Oermaniens Völkerstimmen 11 [1846] 800):
1 = teilweise 1 Z., F.; — 2 = 2 Z., F.; — 4 = gröfstenteils 3
und 4 Z., F.,
und eine sechsstrophige Aufzeichnung aus dem Erzgebirge ( J. Stock-
löw, Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böh-
men m [1865] 120):
1 = teilweise 1 St; — 2 = 4 St; — 4 = 3 St; — 5 12 =
5 12 St; 5 34 := 6 34 St; — 6 12 = 6 12 St; — 6 3i = 5 34 St
Bruchstücke des Liedes enthält das Weihnachtslied aus Käsmark
(Oberungam) im Gesang des Engels (K. J. Schröer, Deutsehe Weih-
nachtsspude aus Ungern [1862] 169 20^29):
1 1—3 = 15920—23 Seh.; — 2 2—4 = 159 24—27 Seh.; —
612 = 159 28 f. Seh.
Durch den Anfang ist das Lied auch für eine sechsstrophige
bayerische Fassung belegt (A. Hartmann, Weihnachtlied und Weih-
nachtspiel in Oberbayem [1875] 105 Nr. 135). Auch eine fünf-
strophige bayerische Fassung ist bekannt (Hartmann-Abele, Volks-
schaus^ [1880] 7 f.):
1 rzz 1 H.-A.; — 2 rr 2 R-A.; — 4^5 H.-A.; —
5 12 + 6 34 = 3 H.-A.; — 6 12 = 4 12 H.-A.
6. Zu 'Heissa! lustig ohne Sorgen\
Das Lied 'Heissa! lustig ohne Sorgen leb' ich in den Tag
hinein', dessen Verfasser Ferdinand Raimund ist (Hoff mann von F.,
Unsere volksthümlichen Lieder^ [1869] 67 Nr. 415; * besorg von
E. H. Prahl [1900] 115 Nr. 540), und das sich zuerst in dessen
'SämmilicJie Werke\ hg. von Joh. N. Vogl, IV (Wien 1837) 168 f.,
gedruckt findet, ist, wie bisher allen ent^ngen ist, im Elsals als
Volkslied aufgezeichnet worden (Curt Mündel, Elsässische Volks-
lieder [1884] 280 f. Nr. 249). Das Lied stammt aus dem 'Ver-
schwender' (l. Aufzug, 6. Szene), entstand 1833 und ist eine Ver-
Volkslied-Miszellen. II. 65
herrliohiiDg des Bedientenlebens. Ich gebe hier den Originaltext
and die Mündeischen Varianten.
[168] 1. Heissal lustije ohne Sorgen Drittens kann ich prächtig singen.
Leb' ich in den Tag hinein, Meine Stimme ^ot so aus:
Niemand braucht mir was zu Denn kaum laß ich sie erklingen,
borgen, Laufen's Alle gleich hinaus.
S^ön ist^s, ein Bedienter zW 3 yj^ ^ .^ ^^_
Erstens bin ich zart gewachsen, »ictvcuB jl.uixi i^u ov«*«
W« den M^ielB «> gefiült glJ'd'S^.^Ä'roÄliir "
2. Zweitens kann ich viel er- [169] Fünftens, sechstens, sieb'ntens,
tragen, achtens
Hab' ein lampelfrommen Sinn; Fallt mir wirklich nichts mehr
Vom Verstand will ich nichts ein;
sagen, Darum muQ meines Erachtens
Weil ich zu bescheiden bin! Auch das Lied zu Ende seynl
Was das Strophenverhältnis betrifft, ist: 1 1—4 = 1 M.; —
1 5—8 = 3 M.; — 2 1-4 = 4 M.; — 2 5—8 = 5 M.; — 3 i-4
= 6 M.; — 3 5—8 = 7 M. Die dritte Strophe Mündels ist ein Ein-
schiebsel ohne Entsprechung. Die Varianten sind nicht unbe-
deutend:
1 1 Ei 80 lustig; — 1 4 Es ist ja schön ein Herr zu sein; — 1 6 eroQ
gewachsen; — 1 6 schöner als ein Mann der Welt; — 1 7 f. alle Sach' nab'
ich erfahren, die den Mädchen wohl^fäUt ; — 2 2 Mein Leben hat einen
irohen Sinn ; ~ 2 6 f. Drittens kann ich tanzen und singen, Meine Stimme
riht mir's aus; — 2 7 Denn fehlt; — 2 8 Schauen alle Leut' heraus; —
1 lesen und schreiben; — 88 Dichtersg'sell; — 36 Endlich fallt mir
nichts . . .; — 8 7 Ei so muß bei meiner Eure; — 8 8 Dieses Lded.
Das lied hat sich im Elsafs aus einem Bedientenliede zu
einem Herrenliede entwickelt^ das gleichzeitig alles spezifisch
Wienerische (vgl. besonders 1 7 und 2 2) abstreifte. Interessant
ist die Umwandlung des Tischlergesellen (3 3) in einen Dichter-
gselleui denn ersterer hat dem Volke jedenfalls nicht für einen
erm gepafst. In 2 6 setzt der Text aus dem Yolksmunde an
die St^e von Verständlichem einen Unsinn.
7. Kapuzinerlied aus ca. 1760.
Die Handschrift 980 der k. k. Innsbrucker Universitäts-
biUiothek enthält ein aus Bayern stammendes E^apuzinerlied aus
ca. 1760; das in derbkomischer Weise^ etwa in der bekannten
Art BlumanerS; das Leben der Kapuziner schildert
r,^, Capucini.
1. unser leben war schon recht, 2. die kutten war uns a nit
wans no nit war gar so schlecht. z'schwar,
auwe, wie blats* mi, auwe, wie wans nur nit so lausig war.
blats mi. auwe (etc.).
' bl&ht es mich
36
Volkslied-MiBzelleu. II.
8. a rauche winterkutten hab ma do,
dajs emer'i) kaum derldden kon.
auwe (etc.)*
4. in garten mieß ma a graben
und dabey wenig z'nagen.
auwe (etc.).
5. und wan ma haben auch gra-
ben gnue,
krieg ma kam [a] bitschen' bier
dazue.
auwe (etc.).
[4^] 6. die bitschen bier, die war
schon recht,
die koBt ist halt zimla schlecht
anwehe (etc.).
7. öpfl, bim, gersten, reis
ist fast unser täglich speis,
auwe (etc.).
8. alleweil collation,
der magen will halt a nit dran,
anwehe (etc.).
9. und dabey kein dropfn wein,
kint den a was schlechters sein,
anwehe (etc.).
10. Der Quardian ist zimli stolz,
bständig roU ma tragen holz,
auwe (etc.).
11. wan ma holz haben tragen
gnue,
krieg ma no a bues dazue.
[auwe etc.].
12. beyn dag mieß ma schwizen,
bey der nacht auf den boden sitzen,
anwehe (etc.).
13. und kdn dropfa bier dabey;
ist Dit dis a lausereyT
auwe (etc.).
II. wassa trinckha no dazue,
war uns ['s] boden sitzen gnue.
auwe (etc.).
15. an brockha brod, den gibt ma
her,
fre6 aina offt 8 mahl mehr,
auwe (etc.).
16. drauff soll ma schlaffen gehen,
kan ainer kaum aufn bainem stehen,
auwe (etc.).
17. es garzt^ da bauch a no damit,
er gibt die ganze nacht kain fried.
auwe (etc.).
18. da strosackh, der ist unsa
bett,
i wolt, das ['s] grad der blunder*
hatt,
auwe (etc.).
19. und kein duckhnt no dabey,
da wickhla ma uns in d'kutten ein.
auwe (etc.).
20. und was das öreist no dazue,
so habma offt die naät kein ruhe,
auweh (etc.).
21. wan d'nacht ist in vollen
lauff,
da heissts, brüder gehts, stehts auf.
(auwe etc.).
[5*] 22. in chor da mied ma siuga.
das ma mechta daspringa.
aus wehe (etc.).
23. singa war uns a nit zschwar,
wans nu nit so trenzet^ war.
anwehe (etc.).
24. fangt ainer a wenig früer an,
da schreit der P. Quardian.
auwdie (etc.).
25. gehts iezt, brieder, gehts nachhaus,
?>tt sey lob, da chor ist aus.
uwe [fite).
* Hs. bischten ' knarrt, knirscht * eaphem. f&r Teufel
zusammenhangend
abgesetst, nicht
EId anderes Lied auf den Kapuziner, das im G^ensatze
zu unserem, welches subjektiv ist, die Gluckseligkeit dieses
Standes preist, liegt aus Steiermark vor (A. Schlossar, Deutsche
Volkslieder aus Steiermark [1881] 260 Nr. 235), noch ein anderes
aus Schwaben (E. Meier, Schwäbische Volkslieder [1855] 165
Nr. 74).
YolkBlied-MiszellQii. II. 87
8. Der Bauer und der Knecht zur Lichtmefszeit.
Job. Wurtb teilte aus Niederösterreich ein Lied mit {Die deut-
schen Mundarten IV [1857] 528 ff.), welches das Verhältnis zwi-
schen Bauer und Knecht zur Zeit um Lichtmefs, der Wanderzeit
der Dienstboten, behandelt Dieses und ein steirisches lied
(R Fischer, Oststeirisches Battemleben [1903] S. 153 f.) stellen Aus-
läufer eines Liedes dar, das sich in der Hs. 980 der Innsbrucker
Universitätsbibliothek findet, aus ca. 1760 stammt und in Bayern
zu Hause war. In diesem Liede tritt der Knecht noch selbst-
bewufster auf wie in dem niederosterreichischen und ist auch in
seinen Drohungen durchaus nicht zurückhaltend.
[89*] 'S BchlengP lied (Tempus matationlB servorum).
1. es kam wohl um die liechtmeß zeit,
die kDecht, die werden friach,
ein ieder legt sein brazen' od,
Btehtn bauer füm tisch.
2. der jüngste kund' aus all gottsam S
a köckha, frischa bue,
der fangt vor alle zu reden an,
sprichtn bäum aft zue.
3. *baur, i sag dirs, zahl mi aus,
[89^] mein lidlon mustma geben,
i schlag di sonst zum schwindaling«^
das di d'bäurin mus aufheben.'
4. Achlasst du mi zum schwinderling,
das mi [d'j bfiurin mus aufheben,
dawischtdi gwiß mein dochtaman,
der knarscht" di bis aufs leben.
5. derwischt di nu^ mein dochtamo,
der knarscht di bis aufs leben.
'han i 2 gstuzlte^ hund dahaim,
was gilts, sie wem di heben ^.'
6. hast du 2 gstuzlte hund dahaim,
was ^Its, sie wem mi heben,
han 1 a gutte kuglbix,
dein hunden 'n rest kan geben.
7. 'was frag i nach der kuglbix,
sie ko ma scmets nix than,
i und mei hund seind mitenand
weit fester als a bam.'
8. beürin trag ma'n geldsackh rein,
das i den narm zahln kan aus,
er fangt sonst a unglickh an,
bringn dauerst *° nit ausn haus.
' schlenkeln vb. = einen Dienst verlassen und einen anderen suchen ' ver-
ichtlich für: Schwert (vgl. Schmeller- Frommann, B, Wb. I 344) ' junge, unver-
heiratete Person * ans allen zusammen * Kopf; sum schwinderling = auf den
Kopf (vgl. auch Schm.-Fr., B. Wb. II 637) ^ quetscht dich (Schm.-Fr., B. Wb.
I 1358 a. v. knarrezen; Grimm, D. Wb. V 1493 s. v. knorzen 1) ^ nur * Hunde
uilt geatutstem Schweif ^ in die Höbe bringen, wegbringen ^ dennocb
38 VolksHed-MiBzeUen. II.
9. 'baur, dÖB war a anders kom,
wan [b dn amahl von gelt wajs Bient I'
[90*] kundt, gib ma iezt no gaette worUi,
Binst, meinaiB", kdn kireüxer kriegst.
10. 85, da hast an eörgls thala **,
konst warli schmozen " dazue,
ist a weiBser schimmel drauff,
a Bcheena gsteiffte*^ bne.
11. 'baur, a, i ho an den nit gnue,
der filt ma 'nsöckhl nit ein,
hat ^ait, i will sdilets" gelt answerffa,
wan i den lidlon nim ain.'
12. hast gmait, du wüst schlets gelt auswerffen,
wan du den lidlon nimbst ein,
hast aba mieOen bessa zur arbeith greiffen
und um a guets fleißiger sein.
18. 'hast mir offt a suppen geben ,
di mi nit feindtli ** gfrefit r
i han di offt an d'arweith gschafft,
hast a nit feindli geilt.
14. *baur, rupf" ma dös nit für,
dös is guet teütsch dalogen,
i ha ja troschen, gmat und gsat,
das i bin no einbogen^.'
15. dös ist ma wohl a bazete*',
schau, gehst do körzenkrad
[90^] und bist so schein* und röselet,
als wan gwest warst praelat.
16. *bey roggabrod und hobamues
waxt warli nit vil schmer,
i bin no von natur so hibsch,
als wan i war a her.'
17. 3 mahl die wochn knödl und fleisch
han i dir gebn gnue
und mit den hosten hier angfilt
den anderhalbmaOigen kru^.
18. 'Sey dem iezund wie ihm will,
i mues amahl halt fort,
bev dir bleib i halt nimamehr,
bekhim schon a onders orth.'
19. *bhüet nu eott, mei beOrin
und habt ma ni(£ts für übl,
schitt als guts und bös zusam
in eum buttakibl.'
20. *bhüet di gott, mein lippl»
und halt di nur i&n schein %
hab ^ot alzeit vor augna,
dem Daum fleißig dien.'
21. *bhüet di gott, mei ozenbue,
nim du die Joppen hin,
** wohl verschrieben fUr mainaid ^ Georgstaler " lächeln ^ Bursche
f il fkat ^ gemein; gewöhnliche, kleine Mfioste *^ sehr " vorrupfen 3=
>rr«n I« irebüfikt ^ Protziflrer ^ schön
oommc il taut ^ gemein; gewöhnliche, kleine
vorwerfen ^ gebückt ^ Protsiger * schön
Volksiied-MiBzelleD. IT.
89
[91*^] die dromaft] in meiBa kama ligt
und denckh halt a an mi.'
22. 'bhüet di gott, mei diem,
wanB afftai gschechen solt,
das d'amahl zur hex solst wem,
thue mier nix, merkhsmas*^ wohL'
23. 'bhiet nu ^tt iezt alle sambt,
was wölts nm mi vil rehren'^,
i geh halt fort in gottes nam
und snech ma an andern hem.'
^ wohl: nurkhdat =s merke es dir, oder merkhmas ca» merke es mir ^ Ge-
schrei machen
9. Zu ^eil du, o Philidor'.
Ditfurth {Deutsche Volks- und Oesellschaflslieder des 17. und
18. Jahrhunderts [1872] 19 f. Nr. 18) teilte nach einer alten Hand-
schrift ein Schäferlied auf Philidor mit, das sich auch in der
Handschrift 980 der Innsbrucker Universitätsbibliothek findet
und zwar in einer reineren, ursprünglicheren Fassung.
[81^] In amicum minus fidelem.
1. weill du, 0 Philidor,
mich nunmehr verlassen,
so wandere deine Straßen;
das sag ich dir bevor:
eh die Donau wird fließen
die hegst berg hinauf,
ehe du wirst ohne hießen
vollenden deinen lauff.
'^J 2. ist dir dan nit bekhant,
wie das actseon gefunden
zerrißiRi von den hunden,
nit wegen unbestandt,
mehr sein vorwizies sehen
hat ihn so zugericht;
wie wirds dan dem erst ergehen,
der' treu und glauben bricht!
3. falt dir dan nit mehr ein,
wie du bey deinen ehren
mir öffter thättest schweren,
kein ander soll es sein,
wie bald hat sich' verkheret
dein gestelte' Hebesbrunst!
hat länger nit gewehret
als nebl, rauch und dunst.
4. mein alzu leichter glaub,
in den ich tausend leben
vor deine treu hätt geben,
beforhte keinen raub.
du bringst mich io das leiden,
dan wie ich hör von dir,
wilst du iezt von mir scheiden,
dis fallet schmerzlich mir.
5. Versteh es zwar gar wohl,
das meine schäfferssitten
mit deines Stands meriten
ich nit vergleichen soll,
doch seind dis lehre fausen^
dan, wo die liebe rast,
kan man aus einer clausen
bald machen ein ballast.
6. untreyes herz, gedultl
ich wills den himml klagen,
will ihm mein noth fürtragen,
villeicht find ich noch huld.
glaub mir, der donnerstrahlen
gnu^sam noch gibt ab,
villeicht sie auf den fiihlen,
der mir bereith das grab.
7. adieu, o Philidor,
ich gehe zu meinen schäfen,
du wirst mich nit mer äffen,
vor dir schließ ich das thor.
docli winsch ich dir von herzen
nichts, als nur glickh und heil,
wilst au uns nur ausscherzen,
so lach ich meinen theil.
' Hs. das ' Hb. dich ' so beschaffene, so .aussehende * so die Hs., soll
wohl heifäen: flauseii < > •
Die Strophenfolge ist bis auf eine kleine^Umstellung (3 =t 3 D.;
— 3 ~ 2 D.) dieselbe.
I > / 'i • 1 1 II
40 YolkBlied-MiBzeUen. II.
10. Die Wallfahrt der Pinzgauer.
Die zwei bisher bekannten Fassungen dieses Liedes (älterer
und jüngerer Text) finden sich in Erk-Böhme, Deutscher Lieder-
hört III (1893) 547 ff. Nr. 1761 f., eine Literaturzusammenstel-
lung bringt Joh. Bolte, Der Bauer im deutschen Liede in Acta ger-
manica I (1890) S. 300 Nr. 210, beiden entging jedoch die Fas-
sung aus Salzburg bei M. Y. Süfs, Salxburgische Volkslieder (1865)
103 ff. Nr. 3 (Melodie S. 333 f. Nr. 26), und 'Die Wallfahrt der
Binsgauer zum hl. Rock nach Trier^ (Ditfurth, Die historischen
Volkslieder von der Verbannung Napoleons nach St. Helena 1815 bis
zur Gründung des Nordbundes 1866 [1872] 80 f. Nr. 56). Zwei be-
merkenswerte Varianten enthält die bayerische Hs. 980 der Inns-
brucker Universitätsbibliothek aus ca. 1760.
[85^] a) Pinzgenifi.
1. Die pinzger, die weiten kirchf arten gehen,
kyri widäre steleysonl
der S. Saivator am bergl thuet stehen,
Christi widäre steleysonl
sie gangen nmb d'kirchen und schrien von ehe
Juhel Kyri widäre!
gelobt sey Christi und Salomel
2. o Sanct Saivator, du guldner mo,
kyri etc.
schau uns nur für recht guette a,
Cristi etc.
pinzga seind wir, das weist von ehe,
Juhel etc.
gelobt etc.
8. gehts voran mit der hopfastanga *,
kyri etc.
gehts gschwind, thuets den Saivator mit branga',
Cristi etc.
opferts ein pfening und schmazts' fein von ehe,
Juhe etc.
[gelobt etc.]
4. Bchickh uns kiihe und schickh uns rinda,
kyri etc.
und darzue nit gar vil kinda,
Christi etc.
ein duzet ist gnue, das weist ja von eh,
Juhe etc.
gelobt etc.
5. laG unsem pf lega von teüffl bald holla,
kyri etc.
so derffen wir fein khein steür mer zohla,
Christi etc.
er schindt uns gar feindla, das weist ja von eh,
Juhe etc.
gelobt etc.
* Fahne ' tut den Saivator damit schmfickcn ' bringt einen ichallenden
I/ant hervor
Volkslied-Miszelleo. 11. 41
6. wir bitten endtlich um ein Beligee endt,
kyri etc.
das keinen die holl sein hosen verbrent,
Christi etc.
in hiinmel ists besser, das weist ja von ehe,
Juhe etc.
gelobt etc.
[1^^] b) Peregrinatio Pinzgerornm.
1. Pünsga, d'woltn khtirhfahrta gehen,
khiiii widiwe leisonl
aufn berg, wo S. Salvator thuet stehn,
Christi etc.
Pünsga sama, das weist schon von eh,
juhel hedi widi weh,
globt sey Christi und Salome.
2. o S. Salvata, du güettige man,
küri etc.
gaff' uns bönsg^ fein freindli an,
Christi etc.
Renta um die kürhn und schreits als von eh,
juhe etc.
globt etc.
3. schickh uns a waid und schickh uns hey,
khüri etc.
und nim ein ieden sein altes wei,
Christi etc.
sonst thue mas verwirgen', dis sogn ma dir von eh,
juhe etc.
globt etc.
4. Schickh uns khüe und schickh uns rinda,
küri etc.
dazue fein a ^teiffta' kinda,
Chnsti etc.
a duzet ist gnue, das waist schon von eh,
juEe etc.
globt sey etc.
5. unsem richta lass den tefiffl nu hoUn,
kfiri etc.
so derff ma ihm kain stair nit zohln,
Christi etc.
[73 *] a schert uns ga greüli, das waist schon von eh,
juhe etc.
globt etc.
6. buema, iez mießma in stockh^ wos legen,
kiri etc.
das ma fein kain sau nit aufheben ^
Christe etc.
so renna ma umb d' kirha und schreyn al von eh,
juhe eta
globt etc.
^ schaue ' erwürgen ' Kinder, wie sie sein sollen * Opferstock * Gegen-
•au xa: sieb ein« Kbre einlegen, also 'dafa wir keine Dummheit macben*
42 VolkBlied-MiszelleD. 11.
7. buema, lest ^ehta zu da Idrcha hinaus,
kin etc.
und fein achnuergrad ins wirihsIuiUB,
Christi etc.
trinckhts Salvaton gsundheit fein von eh,
juhe etc.
globt etc.
8.\ und wans Salvators gsundheit trunckha habt,
kiri etc.
und an ieda sein kröpf yoI an than^ hat,
Christi etc.
so renna ma haim und schreyen von ehe,
juhe etc.
globt etc.
' sich vollgegeuen bat, sich das KrGpflein gefüllt hat
11. Gerhards 'Spinnerin' und ihr Verhältnis
zum Volkslied.
Ein weit verbreitetes Lied (Arnim «Brentano, Des Knaben
Wunderhom III [1808] 40 f., danach Erlach, Die Volkslieder der
Deutschen IV [1835] 152 f.; A. Kretzschmer, Deutsche Volkslieder
I [1840] 209 f. Nr. 119; K. Simrock, Die deutschen Volkslieder
[1851] 408 f. Nr. 266; G. Scherer, Jungbrunnen [1875] 298 f.
Nr. 159; Kuhländchen: J. G. Meinert, AÜe deutsche Volkslieder in
der Mundart des Kuhländchens I [1817] 21 f., danach Pr. L. Mittler,
Deutsehe Volkslieder^ [1865] 584 f. Nr. 834; Böhmen: A. W. von
Zucealmaglio, Deutsche Volkslieder U [1840] 434 f. Nr. 229, da-
nach Fr. L. Mittler a. a. O. 586 f. Nr. 838, A. Hruschka und
W. Toischer, Deutsche Volkslieder aus Böhmen [1891] 206 f. Nr. 190;
Steiermark: A. Schlossar, Zeitschrift für ösierr, Volkskunde I [1895]
136 f. Nr. 8; Schlesien: Hoff mann von Fallersieben und E. Richter,
Schksische Volkslieder [1842] 144 Nr. 119, danach Fr. L. Mittler
a. a. O. 586 Nr. 837; Provinz Sachsen: L. Erk, Neue Sammlung
deutscher Volkslieder, 3. Heft [1842] 46 f. Nr. 43, danach J. M.
Firmenich, Oermaniens Völkerstimmen I [1846] 155 f.; Franken:
Ditfurth, Fränkische Volkslieder H [1855] 128 Nr. 171; Schwaben:
E. Meier, Schwäbische Volkslieder [1855] 151 f. Nr. 66; A. Birlinger,
Schwäbische Volkslieder [1 864] 1 1 f. Nr. 11 : Baden : A. Bender und
J. Pommer, Oberschefflenxer Volkslieder und volkstümliche Oesänge
[1902] 155 f. Nr. 136; Cleve und Bei^: L. Erk und W.Irmer, Die
deutschen Volkslieder mit ihren Singweisen, 3. Heft [1839] 47 Nr. 51,
Erk-Böhrae, Deutscher Liederhort H [1893] 640 Nr. 838*; Schles-
wig-Holstein : K. Müllenhof f, Sagen, Märchen und Lieder der Herzog-
thümer Schleswig, Holstein und Lauenburg [1845] 610 Nr. 22 und
H. Pröhle, Weltliche und geistliche Lieder und Volksschauspiele [1855]
157 f. Nr. 88; Braunschweig: R. Andree, Braunschweiger Volkskunde
[1896] S. 348 f.; Siebenbürgen: F. W. Schuster, Siebenbürgisch-
sächsische Volkslieder [1865] 135 Nr. 68) ist das Spinnerlied, worin
VoIkBlied-Miszellen. II.
48
die Matter ihre Tochter durch mancherlei Geschenke zum Spinnen
aufmuntern wiU^ doch kann dieselbe nicht spinnen, weil inr die
Finger weh tun. Endlich verspridit ihr die Mutter einen Mann,
und nun geht das Spmnen flott Eine Variante dieses Liedes,
die uns nicht überliefert ist und etwa der schwäbischen bei Meier
entsprochen haben wird, ist die Grundlage des Gedichtes Die
Spinnerin' von Wilhelm Gerhard (1780—1858), der zu Wei-
mar geboren wurde, Jedoch schon frühzeitig in das Königreich
Sachsen kam, so dals wir an eine sächsisdie Variante denken
können. Das Gedicht findet sich in dessen OediMe I (Leipzig
1826) S. 101 f. und hat folgenden Worthut:
[101] Die Spi
1. Spinn', spinne, liebes Töchter-
lein I
Ich Icanfe dir ein Kieid«
Von Seide, Mutter, laßt es seyn,
Die Kante bunt und breit I
Ich will auch eldch beginnen,
Seht nur wie flink ich dreh.
Doch nein, ich kann nicht spinnen,
Die Finger thun mir wehl
2. Spinn', liebe Tochter, spinne
fein!
Ein Hemde kauf' ich dir.
Das Hemde, Mutter, wird mich freun,
Mit Spitzen wünsch ich's mir.
Doch war's vom feinsten Linnen
Und weißer als der Schnee,
Kann, Mütterchen, nicht spinnen,
Die Finger thun mir wehi
8. Spinn, Tochter, du bekömmst
ein Paar
Qhhz nagelneue Schuh.
O kauft, mit Zwickeln fein und klar,
Auch Strümpfe mir dazu.
Mich neiden Nachbarinnen,
Wenn ich zu Tanze geh.
Doch spinnen? nur nicht spinnen!
Die Finger thun mir wehl
nnerin.
[lOS] 4. Und spinn' das F&dchen elatt
und rund,
Ich kauf' dir einen Hut.
Ja, Mutterchen, doch nicht zu bunt;
Ein gelber steht mir gut;
Ich war*, ihn zu gewinnen,
Wohl flinker als em Beb.
Dodi kann ich heut nicht spinnen,
Die Finger thun mir weh! ^
5. Spinn', liebe Tochter, spinne
flink,
Ein Kettlein kauf ich dir.
Das KetÜein und der goldne Ring
Bind schöner Braute Zier.
Wie schmeichelt ihr den Sinnen
Vom Kopf bis auf die Zehl
Erlaßt mir nur das Spinnen,
Die Finger thun mir wehl
,6. Spinn', Töchterchen, spinn' flink
und fein,
Ich kauf dir einen Mann.
Ein Mann, eyl liebes Mütterlein,
Der Stande mir wohl an.
Er soll mich zärtlich minnen,
Wenn ich mein Rädchen dreh'.
Und sc^tl ich kann wohl spinnen,
Thut mir kein Finger weh!
W. Gerhard behält^ wenn auch etwas variiert, das Höh kann
nicht spinnen, die Pinger tun mir weh' aus dem Volksliede bei,
ebenso die Eingangszeile 'Spinn', spinn' liebe Tochter'. Im Volks-
liede wird, eb^so wie bei Gerhard, von der Mutter der Gegen-
stand eenannt^ den sie der Tochter kaufen will, worauf im Volks-
liede £e kurze Erklärung der Tochter folgt, die Gerhard in den
Zeilen 5 und 6 weiter ausspinnt Die in dem Gedichte genannten
Gegenstände, welche von der Mutter der Tochter gekauft werden
sollen, finden sich auch in den überlieferten Varianten ; die Ant-
worten der Tochter sind meist abweichend. Ein vollständiges
44 VolkBlied-Mifizellen. II.
YerzeiohDis wird dies lehren, wobei jedoch Ditfurth und Schuster,
da nur das aogegeben ist, was die Matter kauft, eine Antwort
der Tochter jedoch fehlt, und Mülienhoff, da er nur die zwei
ersten Zeilen des Liedes angibt, auszuschalten sind:
Kleid: nicht zu en^ und nicht zu weit (£rk-BÖhme II 640: 3; Hoff-
mann-Bichter 144: 2 = Mittler 586: 2; Bender-Pommer
156: 2; Bcherer 298 f.: 8).
nicht zu weit (Meier 152: 5).
es wäre Zeit (Simrock 409: 2; Erk-Irmer 3, 47: 2).
Hemd: mit dem Namen (Meier 151: 8).
Schuhe: mit Schnallen {Wunderhom III 40: 1 = Erlach IV 152: 1
£rk- Böhme II 640: 1; Kretzschmer I 210: 1; Zuccal
magHo II 435: 1 = Mittier 586: 1; Meier 151: 1
Hruschka-ToiBcher 206 : 1 ; Simiock 408 : 1 ; Hoff mann-
Richter 144: 1 - Mittier 586: 1; Bender-Pommer 156: 3
Scherer 298: 1; Pröhle 157: 2).
die lasse ich ruhen (Meinert 22: 4 = Mittler 585: 4).
tun mir kein gut (Erk 3, 47: 5 = Firmenich I 156: 5).
Pantoffebi dazu (Erk-Irmer 3, 47: 1).
Ringlein dazu (Birlinger 11: 1).
Strümpfe: mit ZwickeLa (Wunderhom III 40: 2 = Erlach IV 152: 2;
Erk-Böhme II 640 : 2 ; E^retzschmer 1 210 : 2; Zuccalmaglio
II 485: 2 = Mittler 586: 2; Meier 151: 2; Hruschia-
Toischer 206: 2; Scherer 298: 2; Birlinger 11: 2).
komme nicht drum (Meinert 21: 3 = Mittler 585: 3).
Hut: tut mir nicht gut (Erk 3, 46 f.: 1 = Firmenich I 155: 1).
stünde mir gut (Schlossar I 136: 1).
Haube: tat mir taugen (Zuccalmaglio II 435: 3 = Mittier 586: 3;
Hruschka-Toischer 206: 3; Schlossar I 136: 2).
mit Florspitzen (Meier 152: 7).
Sammt darauf (Birlinger 12: 6).
Mütze: ist mir nichts nütz (Erk 3, 47: 2 = Firmenich I 155: 2;
Pröhle 157: 1).
Halsband: zur Zier (Meier 152: 8).
Rock: hab mirs gedacht <Meinert 21: 2 = Mittier 585: 2).
wird mir zu kurz (Erk 3, 47: 4 = Firmenich I 156: 4).
bin dann wie a Dock (Meier 151 f.: 4; Birlinger 11 : 3).
nicht zu kurz (Pröhle 157 f.: 3).
hab' ich zehn Schock (Andree 348: 1).
Tuch: ist mir nicht gut (Erk 3, 47: 3 = Fmnenich I 155: 3).
hab' ich genu^ (Andree 318: 2).
Schürze: ist mir was nütz (Meinert 21 : l = Mittler 584 f.: 1).
nicht zu kurz (Meier 152: 6).
nicht zu lang, nicht zu kiu"z (Bender-Pommer 156: 1; Bir-
linger 12: 4^.
Mieder. Schnüre daran/ (Birlinger 12: 5).
Haus: mit schönen Schindeln (Zuccalmaglio II 435: 4 = Mittler
586 : 4 ; Hruschka-Toischer 206 : 4).
Bräutigam: steht mir wohl an (Andree 349: 3).
Mann: steht mir wohl an (Wunderhom III 40: 3 = Erlach IV
152 f.: 3; Erk-Böhme II 610: 4; ZuccalmagUo II 435: 5
= Mittier 587 : 5; Hruschka-Toischer 206 f. : 5; Schlossar
I 137: 3; Simrock 409: 3; Erk-Irmer 3, 47: 3; Scherer
299: 4* Pröhle 158: 4).
wilfich haben (Meinert 22: 5 = Mittler 585: 5; Erk 3, 47: 6
= Firmenich I 156: 6).
Volkslied-MiszelleD. II. 45
mScht ich gero haben (Hoffmann-Bichter 144: 8 =: Mittler
58ö: 3).
du bist recht dran (Meier 152: 9; Birlinger 12: 7).
strenge mich fleißig an (Kretzschmer I 210: 8).
der's tanzen kann (Bender- Pommer 156: 4).
Vergleichen wir mit dieser Übersicht Gerhards Gedicht^ so
ergibt sidi: Str. 1, das Kleid ist bele^^ die Antwort der Tochter
nicht belegt; Str. 2 das Hemd ist belegt^ die Antwort nicht zu
belegen; Str. 3 enthält zwei Motive: in der Frage den Schuh (be-
1^), in der Antwort die Strümpfe mit Zwickeln (belegt), Motive,
die im Volkslied in zwei Strophen auftreten; Str. 4 der Hut ist
bel^, die Antwort ebenfalls, wenn auch nicht in dieser Ausführ-
lichkeit; Str. 5 das Kettlein samt Antwort nicht belegt; Str. 6 der
Mann samt Antwort belegt. Die Gerhard vorgel^ene Fassung
enthielt daher einiges, was uns nicht erhalten ist
12. Weihnachtslied: De nativitate Domini.
In Arnim-Brentano, Des Knaben Wunderhom III (1808) An-
hang S. 29 f., und bei F. M. Böhme, Deutsches Kinderlied und
Kinderei (1897) 322 Nr. 1585 (Ingolstadt 1758), steht ein Weih-
nachtslied, das in erweiterter Fassung bei K. Simrock, Deutsche
WeihnachtsUeder (1865) 131 ff. zu finden ist. Aus Oberösterreich
brachte dann W. Pailler, Weihnachtlieder und Krippenspiele aus
Oberösierreich und Tirol I (1881) 219 f. Nr. 210, eine Variante bei,
während A. Schlossar, Deutsche Volkslieder aus Steiermark (1881)
88 Nr. 65, eine solche aus Steiermark und A. Hofer, Weihnachts-
Ueder aus Niederösterreich (1890) 29 Nr. XX, eine solche aus Nieder-
österreich mitteilte. Nach einem fliegenden Blatte aus Graz
druckte es K. Weinhold, Weihnachtspiele und Lieder aus Süddeutschr
land und Schlesien (1875) 401 ff. Nr. HI, ab. Dieses Lied ist in
der Hs. 980 der Innsbrucker Universitätsbibliothek in einer er-
weiterten bayerischen Fassung aus ca. 1760 erhalten, die auch
dadurch interessant ist, dals sich deren sechste Strophe, die in
den übrigen Texten, aufser in dem aus der Iglauer Sprachinsel
(J. Stibitz, Das deutsche Volkslied VI [1904] 162 f.), nicht enthalten
ist, als zweite Strophe in einem gleich beginnenden oberbajeri-
schen Liede findet (A. Hartmann und H. Abele, Volkslieder L
Volksthümliehe Weihnachtlieder [1884] 220 Nr. 135), das sonst die
Erscheinung der heiligen drei Könige behandelt; diese sechste
Strophe pafst organisch nicht recht in unser Lied und scheint
zu beweisen, dals schon um 1760 zwei Lieder gleichen Anfanges
existierten, wovon das eine die Erscheinung der Engel (unsere
Fassungen), das andere die heil, drei Könige und ihre Anbetung
(Text Hartmanns) behandelte. Da das Lied auch sonst beachtens-
werte Varianten bietet, so möge es einen Abdruck finden.
46
VolkslM-MiszelleD. II.
[83»] De pastoritia (de
1. boz hundert, liebe bue,
meiii, loB a wenig zne,
wa i da will yerzehlen,
das heut in aller frue
ist gschehen auf der haid;
wie 1 d' schaff han gweid,
da kom in hui a bot hergrent,
den i mein lebta ha nit kent.
boz hundert etc.
2. Er hat a botschafft bracht,
das mir das herz hat glacht,
das unsa hergott sey,
zunäht drinna in da stodt
a klama bue sey wom,
äff dise weit gebohrn;
droff sein ma alle hingrent
auf betlhaim, so hat ers gnent.
boz etc.
3. ma suechten überall,
in ain orth offt 2 mohl,
wies umadum ist kema,
so lag er in an stall
in aina alten pfaidt,
ist nur 3 spana braith;
a klaina bue, a großer gott
ligt in an stall, ist schier a spott.
boz etc.
4. dort lifft er afu heü,
2 thier seina a dabey;
den ochsen ken i wohl,
wais nit, was anda sey.
es ist wie a ros,
nativitate Domini).
ist aba nit so gros,
steht dorten, wo die muetta sizt
und hat 2 lange ohm gspizt.
boz etc.
[88^] 5. der alte zimamo,
der schaut uns alle on,
wie er den klainen kind
so herzli schein hat thon,
a hatas ja dabust,
das erad ist gwest a lust;
schant ihms brod, ist selba mit,
ist do kain rechta votta nit.
boz etc.
6. ma sa^t, es sev a fest
in himmel Beut nacnt gwest;
mei bue, dös war a gspafi
und war nos alleböst,
glei wie i haim wolt gehen,
so sachi a liecht angäen,
wie a große wunderstern
oder gar ain, 2 latem.
boz etc.
7. und wars nu nit so weith,
i that dirs zaigen eleil
war i nit gwösen dort,
gar offt hatts mi schon greit.
hatt i nu eh dran dencknt,
i hattn kind was gschenckht,
2 öpfi han i ^chenckht mit brodt,
das kind hat glacht, es gfiell ma grad.
boz hundert, lieba bue,
die höU ist iezt schon zue.
13. Volkslieder in Heyses ^Weltuntergang'.
Paul Heyses fünfaktiges Volksschauspiel ^Weltuntergang*
(erster Druck: Deutsche Dichtung, hg. von K. E. Franzos, V
[1888/89] 81—93, 120—123, 141-146, 163-167) spielt in einer
kleinen rheinisch-westfälischen Stadt, wo die Spaltung in zwei
Lflger (Katholiken und Protestanten) streng durcngefümt ist, zur
Zeit der Glaubenskämpfe (1649). Mitten in diese G^ensätze
tritt Rochus, der früher in dieser Stadt als Mediziner gewirkt
hatte, dann bei den schwedischen Reitern diente, ein, der nach
Beendigung des Dreifsigjährigen Krieges wieder in seine Heimat
in der uniform eines schwedischen Reiters zurückkehrt und ein
keckes Reiterliedlein vor sich hinsingt (I. Akt, 2. Szene, S. 82^):
Und komm' ich wieder ins alte Quartier,
FeLQsliebchen schaut aus dem Fenster herfür.
*Wer da?*
Ein schwedischer Beiter. —
*8o reit* Er nur weiter I
Der Riegel ist fett an der Eammerthür.'
Volkslied-MiflzelleD. II. 47
Das Vorbild für dieses Lied ist iD ^ ritten drei Reiter zum
Tore hinaus, ade!' (F. L. Mittler, Deutsche Volkslieder^ [1865] 604 f.
Nr. 878) zu suchen.
Eiin feuriger Komet, der am Himmel sichtbar ist, erregt bei
den Leuten Besormis und auf Befragen eines Bauern verkündet
der gelehrte Arzt Cornelius, dals der Jüngste Tag nahe sei, wobei
er von der Ansicht ausgeht, dafs er durch diese Verkündigung
eine Aussöhnung der beiden feindlichen Lager bewirken könne.
Nun gebärden sich, der menschlichen Natur gemäls, einige ver-
zweifelt, während andere, darunter auch der erste Bürger, des
Lebens Lust noch auskostend, im Wirtshause trinken. Für sie
singt der erste Büirger (I. Akt, 8. Szene, S. 88*^):
'Wir haben ein Schiff mit Wein beladen,
Damit woll'n wir nach Engelland fahren — '
und trotzdem er unterbrochen und an ein christliches Ende ge-
mahnt wird, singt er ruhig weiter:
'La&t uns fahren, fahren, fahren, fahren
Nach Engelland und in den Himmel hinein!'
Diese vier Zeilen sind bekanntlich die erste Strophe des aus dem
17. Jahrhundert stammenden Volksliedes 'Das Schifflein^ (Mittler
a. a. O. 839 Nr. 1373 Str. 1), wobei der Dichter gemäfs der
Situation in die vierte Zeile 'und in den Himmel hinein' einschob,
wodurch dieselbe metrisch zu lang wurde, daher er von der Volks-
liedzeile 'Last vns fahm nach Engelland zu' nur, weil das übrige
schon in der dritten Zeile zu finden ist, 'nach Engelland' beibehielt.
Diese Spaltung in Nachtschwärmer, die das Leben noch aus-
kosten wollen, und in Andächtige, die Reue und Leid erwecken,
kommt auch noch später (IL Akt, 9. Szene, S. 93) zum Aus-
druck; die Nachtschwärmer singen die zweite Strophe des obigen
Volksliedes (Mittler 839 Nr. 1373 Str. 2) mit der schon bemerkten
Abweichung in der letzten Zeile und Einschiebung der zweiten
Zeile der ersten Strophe als dritte Zeile:
'Der Wein ist aus der Ma&en gut,
Er macht uns frischen, freien Mut,
Damit woll'n wir nach Engelland ifahren —
Lafet uns fahren, fahren, fahren
Nach Engelland und in den Hhnmel hinein 1' (S. 9i3%
worauf der Chor der Andächtigen erklingt:
'Ich hab' mein' Sach' auf Gott gestellt,
Der wird's wohl machen, wie's ihm gefällt,
Dem thu' ich mich befehlen.
Mein Leib und Seel', mein Ehr' und Gut,
Das hält er stets in seiner Hut,
Hie und im ewigen Leben.' (8. 93*.)
Dies ist die erste Strophe eines schon im 16. Jahrhundert be-
kannten geistlichen Volksliedes (Goedeke-Tittmann^ Liederbuch aus
48
Volkslied-BfisKellen. IT.
dem sechzehnten Jahrhundert^ [1881] 234 Nr. 29 Str. 1; Mittler
763 Nr. 1256 Str. 1). Die Trinker singen sofort darauf die vierte
Strophe (Mittler 839 Nr. 1373 Str. 4) des 'Schiffleins':
'Schenk ein, schenk ein den kühlen Wein!
Das Gütlein mufB verschlemmet sein.
Latst uns fahren' usw. (S. 93^),
worauf die Andfichtigen mit der zweiten Strophe des geistlichen
Liedes (Goedeke- Tittmann 234 f. Nr. 29 Str. 2; Mittler 763
Nr. 1256 Str. 2) emsetzen:
'Was alle Welt Terloren acht't.
Das halt Gott stets in seiner Macht,
Wenn's ihm gefällt zu wenden.
Ich eeb' mich in den Willen sein,
Er führt mich als der Vater mein
Zu meinem seligen Ende.' (S. 93*'.)
Eine andere Wirkung der Prophezeiung des Doktor Cornelius
kommt in der alten, blinden Bettlerin Barbe zum Ausbruch. Ihr
Geist verwirrt sich, und sie gibt sich selbst den Tod. Als sie
mit ihrer Führerin lisbeth über den Platz, wo der Marienbrunnen
steht, zieht, singt sie eintönig das Lied vom Jüngsten Tage vor
sich hin (IV. Akt, 1. Szene, S. 141):
1. Wenn der jüngste Tag will wer-
den,
Fallen die Sternlein auf die Erden,
Beugen ßich die Baumelein,
Schweigen die lieben Waldvögelein.
2. Kommt der liebe Gott gezogen
Mit dem schönen Regenbogen,
Spricht: Ihr Toten sollt auferstehn,
Sollt vor Gottes Gerichte gehn.
8. Ihr sollt treten auf die Spitzen,
Wo die lieben Englein sitzen.
Ihr sollt treten ai3 die Bahn,
Unsem Herrn Jesus beten anl
4. Ich bin von Qott, ich will zu Gk>tt.
Der liebe Gott hat mir ein Licht be-
schert.
Das wird mir leuchten
Bis in die ewigen Himmelsfreuden.
Bruchstücke dieses Liedes kehren auch in der Beschreibung wieder,
welche Laurentia dem Doktor Cornelius vom Tode der Barbe
gibt, als man diese auf einer Bahre dahertragt (IV. Akt, 10. Szene,
S. 145*): Wer über die niedere Mauer [des Friedhofs] schaut,
Sieht unten grad in den FluTs [Rhein] hinem
Und droben safs die Barbe und rief:
'Ihr sollt treten auf die Spitzen,
Wo die lieben Enelein sitzen — '
Ein Schauer mir durchs Gebeine lief.
Mutter Barbe, sagt' ich, was fällt Ihr ein?
Erst morgen kommt ja das jüngste Gericht.
Da schüttelte sie den Kopf: *Nein, neinl
Hört Ihr denn die Posaunen nicht?
Der Himmel ist so blutig rot —
Ich bin von Gott — ich will zu Gott —
Hab gute Nacht, du arme WeltT —
Und eh das letzte Wort verklungen,
Hatt' sie sich schon hinabgeschwungen
Kopfüber auf die Kiesel am Strand
Volkslied-Miszellen. II.
49
Auch dieses Lded ist bei Mittler 371 Nr. 474 aus Kurhessen
überliefert und entsprechen die obigen vier Strophen^ wenn auch
nicht ganz genau^ der ersten, zweiten, dritten und sechsten Strophe
Mittlers. Bekanntlich legte auch Cl. Brentano dieses Lied in seine
^Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen ÄnnerF ein
(s. R. Sprenger, Zeitschrift für den deutachen Unterricht XVI [1902]
253). Die Vorstellungen, die darin zum Ausdruck kommen, sind
uralte (vgl. Q. NoUe, Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache
und Literatur VI [1879] 413 ff., besonders 432—34, 441 f., 448).
14. Die Schindershochzeit.
Die Handschrift 980* der Innsbrucker Universitätsbibliothek
enthält ein bisher nicht bekanntes bajerisches Volkslied aus
ca. 1760, das in launiger Weise über die Hochzeit eines Schin-
ders zu Nürnberg berichtet.
[63^] Schiodershochzeitlied.
1. wo wird des schinderB hochzeit [64*] fleh, Idss und wanzen,
werden ?
schenckh frisch eml
zu l^iemberg hejn schwarzen bfim,
da wird des schmders hozeit wäm.
schenckh ^ch einl
2. wo gibt man sie zusamen?
Hchenckh etc.
zu Niemberg auf den branga,
da gibt man [sie zusama].
schenckh etc.
3. wer gibt sie dan zusama?
schenckh etc.
ein prsedicant in grauem bar,
er ist a schelm und ist a nar.
schenckh etc.
4. was hat der schinder für hoch-
zeitleith?
schenckh etc.
Schergen, schinder und bettri]leith
seind des schinters hochzeitleith.
schenckh etc.
5. was ^bt ma ihnen für die erste
rieht?
schenckh eta
kutteldreckh and schnepfenfleckh,
fressen d'naren alles weckh.
schenckh etc.
6. was gibt ma ihnen für die ander
rieht?
schenckh etc.
da kennen d'schelmen danzen.
schenckh etc.
7. was gibt ma für die dritte rieht?
schenckh etc.
hundsköpf und oxengrind
seind für dises Inmpengsind.
schenckh etc.
8. was gibt man für die vierte
rieht?
schenckh etc.
rossbeigl ', kazenschlögl
ist guet gnue für dise flegL
schenckh etc.
9. was gibt man für die lezte rieht?
schenckh etc.
kraut für d'nam sezt man auf,
le^t an gsdchten fuxen drauff.
schenckh etc.
1 0. was haben sie aber zu trinckhen ?
schenckh etc.
hier, most und blemplbier*
ist der Sauköpf Malvasier.
schenckh etc.
11. So sauffns dan wies liebe vieh,
schenckh etc.
sie gschwelln auf wie d'brozen^,
bald fressens, bald wider kozens.
schenckh etc.
* Haufen RoAtdreck * schlechtes Bier ' Hände; wenn man sich dieselben
erfriert, so scbweUen sie anf
▲itdiiT t n. Spnushen. CXV. 4
so VolkBlied-MisiseUeD. II.
12. WM gibt 60 for ein daflmusic? die heüt bejsam wohl gdgeo,
8chenckh etc. den zeigt man morgen die feigen ^.
der Schinder nam den sauschneider [schenckh etc.]
BcnencKh etc. schenckh etc.
13. 80 fangen sie an zn muei- gegn abend kimbt der schinderkarm,
eieren. ^ wirfft ma drauff die yoUn narm.
schenckh etc. schenckh etc.
* man macht die Feige, damit man nicht verschrien werden kann, damit
einem kein Unglflck sastöftt
15. Mörike und das NaoJitwäohterlied.
Ed. Mörikes Gel^enheitsgedicht 'An Gretchen' (erster Druck :
Deutsche Dichtung, hg. von K. E. Franzos, X [1891] 265), das er
am 10. Juni 1852 morgens 3 Uhr dichtete, b^innt mit den Worten :
'Wohlauf im Namen Jesu Christi
Der helle Tag erschienen isti'
So hört' ich um die Dämmerzeit
Den Wächter unten singen heut
Dies ist der Anfang eines nur aus alemannischem Sprachgebiet
zu belegenden Tagansingeliedes des Nachtwächters, für welches
Jos. Wichner, Stundenrufe und Lieder der deutschen Nachtwächter,
1897, eine grofse Anzahl von Belegen bietet (Baden: Beuren bei
Meersburg S. 31; - Elsafs: Ammerschweier, Dammerkirch,
Orschweier und Westhalten S. 66; Dorlisheim S. 67; — Schweiz:
Mayenfeld in Graubünden S. 221; — Vorarlbe!^: Bregenz S. 161;
Dombirn 8. 165; — Württemberg: Balingen, S. 114; Binsdorf
8. 118; Bühl a. d. Rottenburg S. 121; Endingen S. 127; Ostdorf
S. 146). Dieses Tagansingelied kann Mörike wirklich 1852 in
Stuttgart, wo er sich damds aufhielt, gehört hßbeu oder noch aus
einer seiner Pfarrgemeinden (Oberboihingen, Möhringeu, Eöngen
am Neckar, Pflumraem, Plattenhardt, Owen bei Kirchheira, El-
tingen bei Leonberg, Ochsenwang, Weilheim, Öthlingen und Clever-
sulzbach) in Erinnerung gehabt haben.
16. Der Italiener.
Alfred Tobler {Das Volkslied im Äppenzeüerlande [1903] S. 18 ff.)
teilte einige 'Tschinggelieder' (Lieder auf die Italiener) mit, die
sich an italienische Melodien anschliefsen und das Wesen des
Deutsch sprechenden Italieners zur Anschauung bringen wollen.
Ein solches Lied aus Bayern enthält auch die Handschrift 980
der Innsbrucker Universitätsbibliothek aus ca. 1760. Darin wird
ein mit Drahtwaren hausierender Italiener und sein deutscher
Kauderwelsch zur Darstellung gebracht
Volkslied-Miszellen. II. 51
[48»>) ItaluB.
1. I bin si braff kerl, bin wfirü kein narr,
I bring si ans welschland vil hübsch and schön wahr,
fDt hfu^erl', mansfall, der welschen kunst, dran
er Tefltschland nit kan.
2. I bin si braff kerl, kan handwerckh wohl fein,
hab glehret 3 wochen, bis i han ergriffen;
er macht dir, ISst geld und ist dir schön kanst;
lehr niemand nmbsunst.
3. Du hast dir daheimb beym teüffl vil meus,
sie stilt dir vil kom und frißt dir vii speiP,
gauff nur den mausfall und bsin dir mt Jang;
wirst warli maus fang.
4. du thust ihr darein ein bisserl speckh,
kombt nacher der maus, macht alleweil schmeckh,
gröbP ober, gröbl ummer, bis endli kombt drein;
nacher ist er sehon dein.
5. und wan wir dein weib will teüfflbös sein,
kanst machen der fozen% in mausfall spör ein,
gib nacher zu fre({ nicht, das hunger leiden thuet;
wird warli bald guet.
' Hechel * Splitter, Späne ' au grappelu, greifen, tauten, anch g r o p p e n
in gleieher Bedentang (vgl. Schmeller-Frommann, B. Wb. I 1006 und 1007) * flg.
für l'^rau (s. SehmeUer-Frommann, B, Wb, 1 782 b. v. fotsen 4)
17. Ein Gedicht von Fr. Kind und seine Beziehung
zum Volksliede.
Friedrich Kind hat in seiner Novelle 'Die Jägersbräute' (erster
Druck: Beckers Taschenbuch Toum geselligen Vergnügen für 1811,
Leipzig [1810], 8. 1 — 52) das Waidmannslied vom uneetreuen
Mädchen, das nach dem Junker äugelte' eingeigt Dasselbe wird
in der Krähenhütte vom Greise zur Har& gesungen und hat
folgenden Wortlaut:
[37] 1. Es that ein Jäger wohl jagen
Zwei Stündelein vor dem Tagen
Einen Hirsch, einen Hasen, ein Beb.
Er jaffte auf rosiger Halde
E^ Mäffdlein im fli^nden Kleide,
Das wollt' er nehmen zur Eh.
2. Er zog sie mit flüchtigen Schritten,
Er zog sie zur TannenreiGhütten,
Ließ all seine Hündlein los;
Sie saßen mit stillem Verlangen,
Mit schneeweißen Armen umlangen,
Auf Klee und duftendem Moos.
X Und als nun dahin eine Stunde,
Da boUen die spürenden Hunde;
E}b blies ein Schäfer ins Bohr.
52 Volkslied-MiszeUen. II.
[38] 'Zieh hin, zieh hin mit den Schaalen,
Mein Jäger, du hast es yerechlafen;
Ich bin noch Jungfrau, wie vorl'
4. Sie th&t den Jäger wohl fragen,
Ob sie ein Perl-Kränzlein dürft' tragen
In ihrem schwarzbraunen Haar?
'Feines Mägdelein I laß dir sagen.
Ein grün HÜÜein mußt du tragen,
Wie andre Jägersfrau'n garl'
5. 'So will ich meine Haare lassen fliegen.
Einen schmucken Junker zu kriegen.
Dem Jäger zu Spott und Schand I'
Das thät den Jäger yerdrieOen;
Er lud die Flinte zum SchieHen;
Sie starb von des Liebsten Hand.
Inhaltlich gehört dieses Gedicht zu den von Arnim und
Brentano^ Des Knaben Wunderhom I (1806) 292 f.^ und Büsching
und von der Hagen^ Sammlung deutscher Volkslieder (1807) 134 ff.
Nr. 51, veröffenuichten Volksliedern, doch sind dieselben nicht
die QueUen, aus denen Kind schöpfte. Das Wunderhomlied ist
zu kurz, enthält daher vieles nicht. Das Lied bei Büsching und
von der Ha^en enthält ebenfalls einiges wichtige nichts so fehlt
die entsprechende Schilderung zu Kind 2 4—6 und 5 1—3. Kinds
Quelle, wohl eine mündliche Fassung, die er wahrscheinlich
irgendwo in Sachsen vernahm, stand jedoch dem Liede aus dem
Kuhländchen (J. G. Meinert, Alte deutsche Volkslieder in der Mund-
art des Kuhländchens I [1817] 203 f., danach P. L. Mittler, Deutsche
Volkslieder'^ [1865] 179 f. Nr. 201) sehr nahe, was die Überein-
stimmungen zeigen. So entsprechen sich ziemlich genau: 1 K. =
1, 2 M.; 2 K, ^ 3, 4 M.; 3 4-6 K. 5 M.; 4 K. = 8, 9 M.;
5 1—3 K, = 10 M.; 5 4—6 K. = 6 M. Ganz durch Kind hinein-
gebracht ist 3 1—3 samt den sich daraus ergebenden Schafen (3 4),
ebenso sind 2 3 und 2 6 Kindsche Ausschmückungen. 5 4—6 K.
wurde von Kind zum AbschluTs genommen, das Volkslied kennt
diesen Schlufs nicht, denn dort will der Jager das Mädchen er-
schieisen, als sie ihm sagt, dafs sie noch Jungfrau ist, unterlafst
es jedoch auf ihre Bitte hin. Im Volkslied wahrt der Schlaf
vom Abend bis zum Morgen, bei Kind ist der Zeitraum von
einer Stunde angenommen.
18. Der Torwart
Die Handschrift 980 der Innsbrucker Universitätsbibliothek
aus ca. 1760 enthält ein aus Bayern stammendes, sehr frisches
Lied auf den Flurwächter und Gutsaufseher, der seine alten
Tage als Torwart verbringen will. Das Lied ist sehr humorvoll
gehalten und verdient, da es bisher nicht bekannt war, einen
Abdruck.
YoIkfllied-MiBzelleD. II.
58
[13 •]
Officialis militaris.
1. Kent ihr nit den bluethund,
wie er nicht* tumiert^
wie er mit den steckhen,
den banem tribuliert^
2. er hat a bissl pulver,
er hat a biasl a bley,
ein rostigen carbinar"*,
kein pfanner' ist dabey.
[23^] 8. er traft an seiner seithen
den BpratspiB' doll^ daher,
Yors Hannibals sdn zeiten
und etli jähr no mehr.
4. mit diaen feindla meßer
schlagt er dapfer drein
und masacriert vil 1000,
das no lebendi seyn.
5. er ist ein braffer officier,
wans frid ist in dem land.
drumb heist man ihn hans friderich,
in ganzer weit bekhant.
6. beim blageren ' ist er so köckh
und steht an d'mauer on,
statt ^ offen und stuehlweißenburg
dei*° reden no dervon.
7. ein offna heim als ritter
tragt er mit si herum,
zerriOnes hemet und wames
verlumpet um und dum.
8. iezt will er si begeben
ganz ^loreich in die ruhe
und kmfftig als thorwartl
sein leben Bringen zue.
9. braunegg" und buechhome**,
die streitten umb die ehr,
wer immer ihn bekhema thuet,
hat umb ein narren mehr.
' hier keine Verneinung, sondern, dem bsyerischen Dialekt gemUb, etwas
Fragendes ansdrückend ' lärmt ' neckt, sekiert * Karabiner ' Pulverpfanne
• fllr pratapieß =b Säbel (verächtlich) ' «um Verwundern schön * belagern * Stadt
''^ dö = die ** Brauneck, eine Einöde der Pfarre Harsdorf im Besirkaamt Kulm-
bacb, Oberfranken ^ vielleicht Bucbachom, ein Weiler der Pfarre Hohenpeiiben-
berg im Bezirksamt Schongau, Oberbayem
19. Die drei Roslein in Linggs ^arodeu^e^
Die Ballade Die Marodeure' von Hermann Lingg (erster
Druck: Deutsche Dichtung, hg. von K. E. Franzos, IX [1891] 162),
im Ton eines echten Landsknechtliedes, worin vier Landsknechte^
anstatt an der Schlacht teilzunehmen^ sich mit Tanz unterhalten^
wofür sie gehängt werden^ spricht in der dritten Strophe:
Die Knöchel, Krflg' und Karten
Sind aller Landsknecht' Not,
Drei Boslein rot
Blühn drunten in dem Garten,
Dahinter steht der Tod —
von drei Boslein, hinter denen der Tod lauert. Die Roslein sym-
bolisieren die lebenslustigen Landsknechte. Der Dichter hat über-
sehen, dafs eigentlich vier Böslein entsprechend den vier Lands-
knechten nötig gewesen wären, doch hat er, da das Volk die
tiDgeraden Zahlen besonders liebt (O. Weise, Zeitschrift für hoch-
dmtsche Mundarten I [1900] 34 f.), die Dreizahl beibehalten. Das
Motiv der drei Roslein hat er aus dem Volkslied entlehnt (vgl.
M, E. Marriage, Alemannia XXVI [1898] 111 und 117).
54 VoIkalied-MitzeUen. IL
20. Das Fest der Schneider.
Von den Sohneidera^ die einen Schmaus halten und dabei
echt 8chneidermä£sige Heldentaten verrichten, berichten eine grolse
Anzahl von Liedern (vgL die Literaturzusammenstellung bei Köhler-
Meier, Volkslieder von der Mosel und Saar I [1896] 453 Nr. 331).
Eine bemerkenswerte bayerische Variante, die der leider bei Eric-
Böhme, Deutscher Liederkort JJI (1894) 450, nicht vollständig mit-
geteilten Berliner Fassung aus 1855 sehr nahe zu stehen scheint,
bietet die Handsdirift 980 der Innsbrucker Universitätsbiblio-
thek aus ca. 1760.
[46*] Festum sartoram.
1. Die Schneider fügjetea ein dinzltagS
8. Florian mit nam
und kernen nein and neinzig
neinmahl nein und neinzig
der Bchneiderböckh zusam.
2. and als sie nun beysamen waren,
da hieltenB einen schmaus
und assen nein und neinzig
neinmahl nein und neinzig
zusam ein braten laus.
8. und als sie dis geessen hatten ,
so hattens no nit gnue
und frassen nein und neinzig
neinmahl nein und neinzig
ein mugenfuei] darzue.
'1. und als sie schon ersöttiget waren,
da warens voller mueth
und trankhen nein und neinzig
neinmahl nein und neinzig
aus einen fingerhuet.
5. imd da sie gnue gesoffen hatten,
da stig der wein in köpf
und danzten nein und neinzig
neinmahl nein und neinzig
auf einen glessem knöpf.
6. und als sie ausgedanzet hatten,
da warens voller hiz
und hupfen nein und neinzig
neinmahl nein und neinzig
auf einen nadlspiz.
[46^] 7. und sds sie dort ^chlaffen hatten,
da kam ein sieQer wind
und bliese nein und neinzig
neinmahl nein und neinzig
[in] ein spinengweb dahint.
' Tag der feierUcbea Zasammenknnft der Genossenschaft
Yolkslled-Miazellen. II.
55
* erdrückt
K und als sie dran gehangen waren,
Mtt8 bald ein spinne venchluckht,
wan nit all nein una neinzig
neinmahl nein und neinzig
ein fliegen hätt yOTdruckht^
Gegenüber allen übrigen Fassungen bieten die Strophen 3,
5, 7 und 8 Neues.
21. Henneke Knecht,
Von diesem niederdeutschen Liede des 16. Jahrhunderts sind
bisher zwei Übersetzungen ins Lateinische bekannt geworden.
Eane steht bei Dan. Eberh. Baringius in dessen Descriptio ScUae
principattts (Menbergici, Lemgo 1744, 11 p. 155 — 157 (danach ab-
gedruckt bei O. L. B. Wolff, Sammlung historiseher Volkslieder und
Gedichte der Deutschen [1830] 767 ff.), die andere aus 1646 bei
Hoffmann von Fallersleben. Henneke Knecht. Ein altes niederdeut-
sches Volkslied, Berlin 1872. Eine dritte lateinische Übersetzung
aus 1679 erwähnt F. M. Böhme, Altdeutsches Liederbuch (1877)
S. 580. Dazu kommt noch eine vierte aus 1603, welche die
Handschrift M. 297 der kgl. öffentlichen Bibliothek in Dresden
aufbewahrt, und die einiger Abweichungen wegen hier abgedruckt
werden mag.
[202] Cantion. de Henning.
1. Henninge, serve! si voles [203] 6. Bremam sed intrans inclytaxn
compellat hisce navitam:
mi n avium magister,
tuoB fac inter remiges
ad transita sim miniBter.
Mercede prisca serriefi
Messern per hanc aeetiyam.
Novos tibi de calceos
bene scis movere stivam.
2. Henningus inquit: iiic6
Servire nolo villico,
Bes spemo villicorum.
Maris petam fluctus, opum
Spe nempe largiorum.
3. Hera mox ad hanc seutentiam
miror tuam dementiam
tum nauta navigabis?
Agrum ligone citius
stivaque praeparabis.
4. Henningus ipsi neuticfuam
Parens, avenae copiam
Arcu statim mutabat;
Curtasque vestes militum
de more comparabat.
5. Arcu premente pendnlo
Tergum, pharetram dbgulo
Costis adhaerit ensem,
et cursitans illoc et hoc
Vrbem petit Bremensem.
7. Respondet ilie: remigem
temet libens conducerem,
Nisi rüdem meorum
Te proderet vox rusticum
Et insdum laborum.
8. Noviy refert, per Herculem,
Me promptiorem neminem
Quamvis ad actionem
Et aequo mentis robore
Et corporis Draconem.
9. Sed navigans in aequore
Fugacis instar capreae
Obmutuit repente,
Multum voluta[n]s pectore
Mortis metu tremente.
10. Se fulciens ad marginem
Erructat farraginem,
Ab ore brachialem
Hera, quae monebat exitum
Habere cerno talem.
56
YolksUed-MiBzeUen. U.
[204]
IL Cucurrit alee, flat DOtns
Trox, aeris forit statnie
Feroduntque fluctus
Alt, mihi, EÜvse magis
parerety bisce ductns.
12. Ah, me quis hunc ad Nobiles
Modo reducet Saxones
DyiBtrum inter atque Lainum,
Quo surffit inclTti Ducie
Arx celaa Lawenetainum.
7 3 rutem JOk. — 7 6 Ha. laborem.
lentibus.
18. Abi me quis hoc nunc ex ssdo
Brunsvigio reddet solo?
habebit, inde dignum
Satus avenae premium.
Et cum fabis medimnum.
14. Eni hujuB autor cantici
Eduxit Hennin^um Mari,
Nee lendibus penret,
Sed hoc ut elatos malo
EdoctuB erudiret.
- 8 4 i&. ad aequo. — 14 3 Hs.
Die 15. Strophe ist auch plattdeutsch in folgender Gestalt
gegeben:
^^ De Vnß düt ledeken helft erdacht,
Hatt Hennecken van der See gebracht,
Dat ebne de Iflse niht freten,
simdem he warnet alle gute gesellen,
datt sy nicht sindt yermeten.
22. Zwei Bauernlieder.
In der Handschrift 980 der Innsbrucker Universitätsbiblio-
thek aus ca. 1760 finden sich zwei bayerische Liedchen, wovon
das eine von einem lustigen Bauernsohn^ das zweite von einem
Bauern^ der ein Herr werden will, und seiner Frau handelt. Das
erste, ganz im Metrum und Ton dem Schnaderhüpfel gleich,
kann auch als Beleg für das Alter dieser Yolksliedgattung gelten,
dessen ältestes auf den Grafen Paar aus 1600 (s. J. Zahn, Steter-
märkische Oeschichtsblätter I\ [1883] 56; H. Grasberger, Die Natur-
geschickte des Schnaderhüpfels [1896] 8. 25 f.), dessen zweitältestes
aus Appenzell 1754 (T. Tobler, Die deutschen Mundarten IV [1857]
379) überliefert ist
[64b] a) Filius rustici.
1. unt^ mein huet 3. und wan ma mei mutta
stekht aller mein mueth. halt wida so thuet,
2. frey di, mein mutter, 4. so wird i a tn^na
i thue dir kain guett und thue halt [a] guet.
[46^] b) Busticus et mulier.
1. Rusticus: 3. Rusticus:
i mues no wern zum gstrengn hem, offtn ge i mit kain bauerbuben,
i mag kain baur bleiben. i friO weda kraut no rueben.
2. MuUer: 4. Mulier:
will kain hern, i ma* kan hern, jacet.
a baur must ma bleiben.
mag
Volkslied-Miszellen. II.
57
23. Die Försterin und das Rotkehlchen' von F. Dabn.
Die Vögel sind im deutschen Volksliede oft allwissend, be-
sonders verkünden sie Todesfälle und Mordtaten (vgl. M. E. Mar-
riage, Alemannia XXVI [1898] 166—168, 173). Dieses Motiv
verwendet Felix Dahn in seinem Gedichte: Die Försterin und
das Eotkeblchen {Sämtliche Werke poetischen Inhalts XVI [Leipzig
1898] 109 f.). Die Försterin fragt das wegfliegende Eotkeblchen,
ob es sich an einem Dorn ritzte, da es mit iBlut bespritzt ist:
[109] 3. *Mich hat kein Dom geritzt I
Bin ich mit Blut bespritzt,
So iBt's von MenBchenblut: —
Först'rin, du kennst es gut' —
Trägst du zum Neste dein
Die Blatter im Schnäbelein ?'
4. 'Mein Nest, das bau ich nit!
Ich flieg zum Bühl damit,
Dafs ich dem blassen Mann
Sein Auge decken kann.' —
'Liegt £iner am Bühl erschlagen?
Wer schlug ihn, kannst du's sagen ?'
[110] 5. 'Horch, ob ich's sagen kann:
Erschlagen He^t dein Mann,
Er lieet im Blute rot
Und dein Buhle schlug ihn tot.' —
'Schwele' still! — Flieg' fort, Rotkehlchen!
War' ich rein wie du, Liebseelchen 1'
24. Zu a)u Glöckerl im Thurm\
R H. Greinz und J. A. Kanferer (Tiroler VolJcslieder [1889]
188 f.) bringen ein Volkslied mit aiesem Anfange, das sich^ seines
ganzen Inhaltes w^en, als ein volkstümlicbes Lied erweist, und
tatsächlich ist dessen Verfasser J. Kart seh (Feldbleameln [Oe-
dichte in österreichischer Mundart], Zweiter Büschen, Wien 1847,
S. 44 f.). Auch F. F. Kohl (Echte Tiroler-Lieder [1899] S. XIX)
erwähnt dieses Lied für Tirol. Ich gebe hier den Originaltext
und die Tiroler Varianten.
W
's Hoamathglöckerl.
1. Du Glöckerl aum Thum
Bist a Ding ohni Herz,
Kannst a'n oanzigi Sprach,
Für d' Freud und fürn Schmerz.
2. Kannst nix als zwoa Tön
Und mit dö sägst so viel,
Als hast in dein Züngerl
A Herz und a G'fQhL
3. Oft klingst ma so liab
Und so hell und so fein
Als ruafad'n d' Eneerln :
In d'Eirch'n geh 'nein I
4. Oft schallst ma voll Tro»t,
V&nn mdn T&gwerch vollbracht;
Als wünscha's ^ ma herzli
A ruahs&nd N&cht.
5. Oft sägst ma: Hiazt san
Wied'r glückli a Päärl
So schwör'n sih dö Treu, so
Läng s' leb'n bdn Altar.
[45] 6. Oft mahnst mi, dass alias
Auf der Welt vageht;
Daß wied'r a Nächb'r
Bein Leb'n spförtl stdit.
7. Oft sinj^t oan, der d'rin liegt
In hölzana Schrein,
Wia d'Muada ihr Kindl
Zun letzt'nmäl ein.
8. Für den, den's 'd dk einsingst,
Für den schälist gär schön;
Ab'r trauri für dÖ,
Dö nach müaG'n gehn. —
58 VolkBlied-MiBzellen. II.
9. D'rum kämmst ma-r oft für, 10. AIb müaßt' as dein Nachbarn
Als wanns'd Herz hast und G'fühl, 'n Himml AIPb säg^n;
Als müaOas'd ob'n los'n Als müaGas'd mit uns henmt,
Aum Thum in da Still; Läch'n — und kläg'n. —
Zanächst hat dae Tirolerlied die Strophen 7 ff. als zu reflexiv
mit richtigem Gefühl ausgelassen. Die übrigen Abweichungen
sind gering:
1 1 im; — 22 du viel; — 28 hatt'st; — 23 dei'm; — 34 geh* ein; —
5 2. 3 Treu' für's Leben . . . ; — 6 2 auf Erden.
Besonders hervorzuheben ist nur noch, dais eine Strophe des
Tirolerliedes aus je zwei des Originaltextes besteht^ also 16.=
1, 2 K.; 2 G. = 3, 4 K; 3 G. = 5, 6 K.
25. Zu ^er immer annehmliche Freuden will genießen'.
Ditfurth (Deutsche VoUcs- und Geseüschaftslieder des 17, und
18, Jahrhunderts [1872] 194 f. Nr. 157) bewahrt uns nach einer
alten Handschrift ein Lied obigen Anfanges, das er auch nach
mündlicher Überlieferung des 19. Jahrhunderts in FVänkische Volks-
lieder II (1855) 218 f. Nr. 286 in einer vielfach abweichenden
Fassung mitteilen konnte. Eine ebenfalls ziemlich abweichende
bayerische Fassung aus ca. 1760 steht in der Handschrift 980
der Innsbrucker Universitätsbibliothek.
[ll''] Deliciae venatoriae.
1. Wer immer will freiden genießen,
verfiege sich eilends in wald
und nille Dianae zu füeßen,
ergebe sich ihren gewait
sie wird ihn ergezen mit jagen und hezen
in ihren griensameten saa!,
wo allerhand thierlein, füx, hasen und rehlein,
anstellen ein lustigen baal.
2. Kaum fanget mit güldenen strahlen
an Phoebus, nachdem er erwacht,
die gipfl der berg zu bemahlen,
zum jagen wird anstalt gemacht.
der jä^er blasts hörn, die hund spizen d'ohm,
gschwind wie der wind lauffen sie trauf,
bis das sie erdappen, ein wüdbret erschnappen
und fangen in yölligen lauff.
8. nit minder die andere Jäger,
versechen mit pulyer und bley,
erwarthen auf ihren ^en läger,
bis flieget ein thierlein vorbey.
der feyrrohr knallet, das wilapret schon fallet,
weils irisch ist, da weid man es aus;
wer aber so troffen, das es durch geloffen,
den machen die schizen ein blaus'.
* vom frz. applaudir 'Beifall klatschen', aber im Bayeriscben im verspottenden
Sinne, also yerspottendes loben, lachen, klatschen, spöttischer BeiÜBÜ
Tolkslied-Miszellen. II. 59
4. wan gehet zu gaden' die 8onne
und HesperuB ziechet auf d' wacht,
bey einen crystallenen bronen
die j^erbursch' lußtig sich macht.
[12 <^] da klingen die lauten, waldhom und flauten,
Diana nert Selbsten den Chor,
man pfeiffet, man singet, man danzet, man springet,
bis Phoebus zuschließet das thor.
' SU mhd. gaden 'Gemach, Kammer*; gehet au gaden ^ zieht sich in ihr
Gemach zorfick, geht unter ' die bursch sing, im Bayer, die BezeichnoDg für die
Oeeamtheit der Burschen, daher die jägerbursch sss die Jägerburschen
26. I häb amähl a Ringerl kriagt.
Als Verfasser dieses Liedes hat John Meier {KunsÜißder be-
kannter Verfasser im Volksmunde [1898] Nr. 413) den bekannten
Dialektdichter Anton Freiherm von Kiesheim nachgewiesen. Als
ersten Druck gibt Meier "s Schwarxblatl aus'n Weanerwald^ 1
(Wien 1858) 106 V an, doch findet sich das Gedicht schon in
's Schwarxblatl aus'n Weanäwaid I (Wien 1844) S. 62. K. H. Prahl
(Hoffmann von Fallersleben, Unsere volkstümlichen lAeder, ^ besorgt
von K. H. Prahl [1900] 146 Nr. 686) zitiert die dritte Ausgabe
des Schwarzblatls von 1856. Aufzeichnungen aus dem Yolks-
munde liegen vor aus Tirol (Greinz-Kapferer, Tiroler Volkslieder I
[1889] 45 f.; erwähnt bei F. F. Kohl, Echte Tirolerlieder [1899]
8. XX) und aus der badischen Pfalz (M. E. Marriage, Volkslieder
aus der badischen Pfalz [1902] 132 f. Nr. 85). Dazu kommt eine
Fassung aus Niederösterreich, die mein Freund R Zoder dem
geschriebenen Liederbuche der Marie Labner zu Kirchberg an
der Pidadi (Bh. St Polten, Bg. Kirchberg a. d. Pielach) 1900 ent-
nahm und mir freundlichst nberliefs. Hier der Text:
Ringerl und Rose.
1. I hah amal a RiDgerl kriagt 3. Es war halt nokoan Jahr verbeiß
Ton meiner herzliaben Dim, wars Besal nunma roth
I hab ihr dranf a Kösal gebm, UDd's Dirndl, was mein anzigs war,
so wia's im Frühjahr blühn K wohnt drobm beim liabm Gott.
2. Sie hat das Bösal voller 4. Bevor's gstorben is, hats na
Freud gsogt zu mir:
in ihr Gebetbuch gl^ Geh, woan dir [d*] Augen net ans,
Und i hab mir das Ringerl gleich Wir werden uns bald wiedersehn,
an rndnen Finga gsteckt. da drobm im Vatershaus.
5. Und kommst du einst ins Himmelreich,
an den Ring erkenn ich dich
und an den Röseri an mein^ Herz,
an den erkennst du mich.
* (fÜT dial. frimjahr blian ' dial. va'bei ' Hs. dein
60
YolkBlied-Miszellefii. II.
Zum Vergleich setze ich den Originaltext Elesheims bei:
[69] Ringerl und Böserl.
4. 'b war no not ganz £ Jahr v^bey,
War^B Böserl nimmer roth,
Und's De^derl dö mei AU's is gwest,
1. I hab ämahl i. Ringerl kriftgt
Von meiner Herzens-Dim,
Und i hab ihr i Röserl gebn,
Wi^'B halt in Summer bmih'n.
2. Si hat das B&serl Toller
Freud
In ihr Bethbüicherl gle^,
Und i, i hab das Ringen mir
An mein kl^ Finger g'steckt.
8. Drauf häm mir uns gar zartli
küOt
Und das V&prechn ^ebn,
Das mir uns nerzli li^b'n woll'n
Durch's ganzi Erdnlebn.
War obn beyn li&b'n Qot!
5. Und eh's no g'storbn is hat's
gsagt:
'G^ w^ dir d'Augn nöt aus,
Mir wer'n uns ja bald widersegn,
Dort obn in Vaterhaus I
6. Und kumst Du h'nauf in's
Himmebeich,
An'n Rinff erkenn i Di,
Und an dein Röserl an mein H^z,
An den erkennst Du mit'
Das Verhältnis der Aufzeichnungen aus dem Yolksmunde
zum Original stellt sich folgendermalsen dar:
1 = 1 GK., M,, B.; — 2 = 2 B.; — 3 = 2 GK., M.; —
4 = 3 GK., M., B.; — 5 =; 4 GK., M. (mit guter Änderung von
Z. 2), B.; — 6 = 5 GK. (mit guter Änderung von Z. 3), M., B.
27. Zu 'Warumb thustu mich krancken, Amor^.
Das 'Venusgärtlein' aus 1656 enthält auf 8. 164 ff. (Neu-
aus^abe von M. Freiherm von Waldberg [1890] 122 f.) dieses Lied
in einer an manchen Stellen ziemlich veraerbten Fassung. Das Lied
selbst kann Waldberg (a. a. O. XXXIII Nr. 81) nicht weiter nach-
weisen. Eine ältere und bessere Fassung aus 1603 findet sich in
der Handschrift M. 297 der kgl. öffenti. Bibliothek in Dresden
und gelangt dieselbe hier, strophisch gediedert, zum Abdruck^
wobei das Abweichende durch ^nlursivdrucK hervorgehoben ist.
[67]
1 . Warumb thust du mich krencken,
Amor, du schwere last?
was thuetu doch gedencken,
dass du mich also hast
mü solcher schmertx vnd Pein
verwundt das hertze meini
was tpü man dir doch schencken
zu dem Siege dein.
2. Weini^ wiratu gewinnen,
das ich meme jun^e tag
in trauren muß zubringen
in so fichmertzlicher klag,
in solcher tyranney
der Bchmertzen mangerley;
mein kindt, sey doch zufrieden,
das ich Dein Diener sey.
3. EeUstu mich gelaßen
Martiy dem Krieges Gott,
ihm zu dienen ohne ablaßen,
' wehr ich nicht in dem spott
gerathen, wie ich bin;
ach, ihr mein hetrvbte sin,
waß hat euch doch betöhret?
mein freudt ist gantz dahin I
[68] 4. Ach, ach, es ist geweßen,
ach, ach, ich weiß ee woU,
ein Mägdlein außerleßen,
die mir gefiel so woll,
so küpseh vnd so lieblich,
XU sehertxen so freundlich;
Galliarda vber die maßen
tantxl sie, dran verlM ich mich.
VoIksIied-Mif>zelleD. II.
61
5. Gleich wie die fische im mehr
praeaentiren ihre g estalt
an einem felOen scharfe;
alßdan so fliegen sie baldt,
wen dan der fischer kompt,
ihr gestaldt alda vemimbt,
thnt er das netz zerreißen,
in stücken es dahin schwimbt.
6. Also ist auch zerriQen
das netz der hoffnung mein;
alß ich thett erst ansdiauen
die höffliehe sehönheii dein,
tneini ich zu fangen dich,
betrog aber selber mich,
etwas vom Spiegel zu neiffen;
wie sehr man irret sich!
[69] 7. Aber wie den dem Allen,
ob ich schon habe fallirt
vnd es hat nicht (hat) sein sollen,
nach dem, wie ich petirt.
so bitte ich nur allein,
du wolst zufrieden sein,
daß ich dir möchte dienen
nach günstigen willen dein.
8. Hier mit wirdt o^en^ir^^
mein hochbetrübtes hertz
vnd auch recompensiret
der langwirige schmertz,
den ich so manches Jahr
an deiner lieb fürwar
Vnschuldig ?iab erlitten,
erduldet gantz vnd gar.
9. SoUestu aber zürnen,
das ich so liebe dich
vnd mich darüber erwürgen,
ach mein, was kUlff es mich I
der Verlust, der were zwar klein,
doch toürdt es so viel sein,
verlohren tcürdestu haben
den geireuesten Diener dein.
Dem Venusgärtlein gegenüber ergeben sich Besserungen in
1 5, 6 und 9 6; der Reim wird hergestellt in 2 2 und 3 3; die
Strophen 4 und 5 bieten eine klarere Fassung, während Strophe 6
und 9 4 im Venusgärtlein besser sind.
28. Ein Volkslied in Hejses 'Jungfer Justine^.
Paul Heyses vieraktiges Schauspiel 'Jungfer Justine' (erster
Druck: Deutsche Dichtung, hg. von K. E. Franzos, XIV [1893]
9—13, 41—48, 64—72, 88—94) spielt zur Zeit des Siebenjäh-
rigen Krieges, im Oktober 1758, teils in Dresden, teils im liiger
bei Hochkirch. Im dritten Akt, der in Friedrichs Hauptquartier
zu Rodemtz sich abwickelt, singt einer der jungen Grenadiere,
welche zu Friedrichs Leibwache gehören, zeitig in der Frühe,
nachdem er vom Schlafe erwacht und längere Zeit ins Feuer ge-
starrt hatte, mit heiserer Stimme:
Morgen früh müsfien wir marBchieren
Zu dem hohen Thor hinauB.
O du schwarzbraunes — (III. Akt, 1. Sz., S. 66%
wird jedoch vom Unteroffizier unterbrochen, der ihm befiehlt,
still zu sein. Dieses Lied scheint Heyse F. L. Mittler, Deutsche
Volkslieder'^ (1865) 895 Nr. 1454, entnommen zu haben, wo es
nach mundlicher Überlieferung aus Hessen mitgeteilt ist
29. Weicht ihr Nachtgespenster.
Die Handschrift 980 der Innsbrucker Universitätsbibliothek
ans ca. 1760 enthält auch folgendes, mir bis jetzt noch nicht
untergekommene bayerische Lied:
62 ' Volkslied-Miflzellen. IL
[101»] [101 b]
1. weicht ihr nacht^penster, 2. seh ich auf und nider, nider
Btöhrt mich nit in memer rueh, mit der pfeifen in der handt,
dorten an den fenster, fenster denckh ich halt gleich wider, wider
schauet mir mein schazgen zue. an das getobte landt,
und ihr helle stemei alwo nidits als freuden,
die ihr leuchtet bey der nacht, ja die allergröste lust,
^ebet dan von feme^ ferne, ferne, so uns allen beyden, beyd«i,
ferne auf mein schazgen acht. beyden ist gar wohl bewust.
3. guete nacht, mein schazgen^ schazgen,
weils die zeit nit lasset zue,
das [ich] auf mein plfizgen, plazgen
mit dir reden thue;
schlafe ohne sorgen,
dan was heunt nit tan sein,
werd ich ja gleich morgen, morgen,
morgen dop^t bringen ein.
30. Grillparzer und das deutsche Volkslied.
Grillparzer ist in allem ein echtes Wienerkind, ein Abbild
des Wieners, der sich an allem und jedem seinen Schnabel wetzen
mufs und zwar besonders an Neuerungen, die sein konservativer
Sinn nicht vertragt und nicht begreifen will. Nicht treffender
hätte Grillparzer sieb und die echten Wiener zeichnen können
als mit den Worten: 'Da mufs ich nun vor allem einen Fehler
eingestehen, der mir im Leben viel Schaden getan hat: ^Etwas
Einsames in meiner Natur und ein Widerwillen gegen alles Öffent-
liche und Gemeinsame, letzteres um so mehr, als ich selten mit
der Menge und den Vielen übereinstimme' (Sämtliche Werke, hg.
von A. Sauer, 5. Ausgabe, Stuttgart [1892], XVIII 75). Daraus
wird uns auch sein Hais* gegen die erst durch die Romantiker
aufgekommene germanische Philologie und alles damit Zusammen-
hängende klar, denn er, der in den Gefilden der griechischen und
spanischen Dichter und Denker wandelt, dem die deutsche Klassi-
zität (Goethe und Schiller) das Höchste ist, kann nicht begreifen,
wie man sich den 'faden' mittelhochdeutschen Dichtungen und
den Volksliedern, die ihm, von seinem klassischen Standpunkte
aus, freilich nichts bieten konnten, aber doch auf so viele unserer
grofsen Dichter (Ubiand, Heine, Eichendorff und andere) befruch-
tend wirkten, zuwenden kann. Er verstand als Städter nicht den
Wert des Volksliedes, er begriff von seinem klassischen Stand-
punkt aus, im Gegensatz zu Goethe, der hier doch seine Stürmer-
und Drängerschaft nicht verleugnen kann, dessen Wesen nicht,
und so verlegte er sich als echter Wiener aufs Schimpfen, ohne
jedoch die Sache totschimpfen zu können, denn mehr als je er-
kannte und erkennt man das Volkslied als Macht Ihm gUt die
Volkspoesie nichts, und so konnte er 1852 sagen:
Volt^lied-MiszelleD. II. - 68
Die Yolkspoeeie, die eu're Jünger
Lobpreisen mit soviel Emphatil,
Steht gleich mir mit der Volksmathematik,
Die eben nichts als die zehn Finger. (A. a. O. III ^ 183.)
Deutlich ergibt sich aas den letzten Zeilen, dafs er das Wesen
der Volkspoesie nicht erfalste, und so konnte auch von ihm jener
verhängnisvolle Irrtum^ der übrigens auch heute noch nicht ^nz
aus der Welt geschafft ist und noch imnaer spukt, dafs das Volk
im ganzen der geistige Urheber der Volkslieder sei, nicht um-
gangen werden, und höhnisch ruft er 1853:
Wenn unsere Zeit keine Dichter zählt.
Vermag das nicht uns einzuschüchtern;
Damit es nie an Poeten fehlt,
Erheben wir das Volk zu Dichtem. (III & 186.)
Nicht das Volk im ganzen dichtet, sondern immer nur ein ein-
zelnes Individuum, und erst der Erfolg eines Liedes macht es
zum Volkslied, an dem dann das Volk seine glättende und um-
arbeitende Tätigkeit versucht.
Er selbst gesteht es ja 1849 ein, dafs er sich nie vom Volks-
lied angezogen fühlte (a. a. O. XVIII ^ 161), doch auch bei ihm
kommt zeitweilig, so 1846, der Gedanke zum Durchbruch, dafs
das Volkslied nicht so verächtlich sei, sondern dafs es an seinem
Platze entzückt und erfreut, nur dürfe es von dort nicht ver-
pflanzt werden: Volkslieder sind wie die Wiesenblumen, die,
wenn man sie im Felde ohne Pflege und Kultur aufgewachsen
antrifft, erfreuen, ja entzücken; in den Gärten, zwischen Rosen,
Nelken und Lilien versetzt, sind sie nicht viel besser als Unkraut^
(XVIII ^ 36). Doch kann dem Nachsatze entgegengehalten wer-
den, dafs es auch wahre Perlen von Volksliedern gibt, die ruhig
in die Gärten verpflanzt werden können, und daß gerade jene
Lieder, die auf Volksliedem aufgebaut sind, grol'se Wirkungen
erzielten, was besonders von der Heineschen Lyrik gilt. Gerade
jenem Manne, der so viel dem Volkslied in seiner Dichtung ver-
dankt, dem B^ründer der wissenschaftlichen Volksliedforschung,
Ludwig Uhland, wirft Grillparzer seine Volksliedersammlung
1837 mit den Worten vor:
Was führst da selber Mörtel und Sand,
Zu hohem Werken berufen und schönem?
Wer bauen kann, bau' auf eig'ne Hand
Und lasse den Karren den Tagelöhnern. (III ^ 116),
vergessend, dafs gerade die Beschäftigung mit dem Volksliede
Uhlands beste Gedichte hervorrief. Dais man sich mit dem
Volksliede beschäftigt, daran ist nur die germanische Philologie
schuld, welche diepoetische Begabung für überflüssig erachtet
und das Volk zu Dichtern macht, wie Grillparzer das ca. 1860
anläislich der Besprechung der germanischen Philologie und Alter-
64 VolkBUed-Miszellen« II.
tumskunde ausdrückt: 'Die Volkslieder, die niemand gemacht
hatte, wurden der rohen Masse in die Schuhe geschoben, und man
bedurfte von nun an nur das Volk und ein paar Pedanten, um
jede poetische Begabung überflussig zu machen (XVI ^ 25). Noch
einmal wendet er sich, veranlafst durch Karajans Funde, ca. 1853 (?),
gegen die germanistischen Studien der Brüder Grimm und deren
Mitarbeiter, wenn er zu Sachsengang im Marchfelde ein Perga-
mentblatt entdeckt^ auf dem folgendes geschrieben steht:
'Da ob'n aufm Bergl
Da sitzen zwei Hasen,
Der eine tut Zithern spiel'n,
Der and're tut blasen.
Also ein Volkslied. Ein Volkslied, das, wie alle Volkslieder,
niemand gemacht hat, das naturwüchsig, wie einige von der Welt
behaupten, von selbst entstanden ist. Ich war glücklich. Zwar
schien das Lied sehr abgeschmackt, das sind aber die meisten
Volkslieder, bis ein Gelehrter den tieferen Sinn und die Bedeu-
tung derselben herausarbeitet. Für jeden Fall war deutscher
Humor darin, Hasen, die Zither spielen und blasen! Vielleicht
ein Bruchstück aus einem viehischen oder Tier-Epos!' (XHI^ 183.)
Wenn sich hier Grillparzer gegen die Auswüchse der germanischen
Philologie wandte, so hatte er vollständig recht, doch hat nicht
jede Wissenschaft und auch die Dichtkunst Auswüchse, ist ein
übertriebener Klassizismus, ein Nichtachten des eigenen Volkes
nicht auch ein Auswuchs? Das Wichtige dieser Mitteilung liegt
darin, dafs uns hier Grillparzer ein Kinderlied mitteilt, das heute
noch im Viertel unterm Manhartsberg in Niederösterreich fort-
lebt (s. Blümml, Der niederösterreichische Landesfreund IX [1900],
S. 3; vgl. auch J. A. und J. Lux, Deutsehe Kinderreime [1904] 140;
Ziska-Schottky, Österreichische Volkslieder [1819] 24).
Grillparzer will bei der alten Kunst bleiben und nicht die
neue volkstümliche Richtung pflegen (1861):
Bleib nur der alten Kunst getreu,
Sie ist zu allen Zeiten eine:
Wer sich unter die volkstümlichen Kleien mischt,
Den fressen die patriotischen Schweine.* (III ^ 223.)
Wohl gibt es nur eine Kunst, aber bei jedem Volke äufsert
sie sich anders, und das vergifst Grillparzer. Nicht nur die
Fremden bieten uns Poesie, auch das eigene Volk hat solche,
doch Grillparzer ist zu sehr Kosmopolit, um das einzusehen, und
so schimpft er 1837 frisch darauf los:
* S. auch Orillparxers Briefe und Tagebücher, hg. von K. Glossy und
Aug. Sauer, II (Stuttgart 1903) 51 unterm 19. Februar 1825 (anläfslich
der Aufführung des Ottokar): *Wer sich unter die volkstümlichen Kleien
mischt, dem geschieht recht, wenn ihn die patriotischen Schweine fressen I'
Volkslied-Miszellen. II. 65
Mit Mittelhochdeutach and Volkspoeeie
Weils ich fürwahr nichts zu machen I
Wer trinkt auch, solanse es Brunnen gibt,
Aus Wegapur gern und Lachen ?
Und fragst du mich, wo der Brunnen sei —
Hast du Homer nicht gelesen?
Fällt dir der groise Brite nicht bei?
Was Spanien und Welschland gewesen?
Dort lösche deinen brennenden Durst,
Dort aus dem vollen dich letze I
Der Pöbel erzeugt das Schöne nicht,
Noch gibt er dem öchönen Gesetze. (III & 115.)
Für Grillparzers Dramen konnte das Volkslied nichts bieten,
jedoch der Lyrik bietet es viel, und hätte da Grillparzer nicht
so verächtlich darüber hinweggesehen, so hätten wir innigere,
bessere Gedichte von ihm.
Aber der groise Volksliedfeind Grillparzer konnte sich doch
einige Male dem Einflasse des Volksliedes nicht entziehen. Das
sehen wir besonders an einer Stelle in ^Des Meeres und der Liebe
Wellen* (1840), wo Hero im 5. Aufzuge, nachdem Leander tot
aufgefunden wurde, sagt:
So laist an unser 'm Ufer ihn begraben,
Wo er erblich, wo er, ein Toter, lag,
Am Fuise meines Thurms. Und Bösen sollen
Und weifse Lilien, vom Tau befeuchtet,
Au&prossen, wo er liegt. (VII <> 100.)
Das sind die berühmten Unschuldslilien des 'Grafen Friedrich^
und 'des Ritters und der Magd^, Lieder, die im Wunderhom und
Uhlands Sammlung reichlich vertreten sind (vgl. auch M. K. Mar-
nage, Alemannia XXVI [1898] 127 ff.).
Zu einer besonders bissigen Abfertigung seines Feindes
Friedrich Schlegel und dessen Lucinde verwendet er das Schnader-
hüpfelmetrum und benennt seine beiden Vierzeiler 'Oberländer
Lieder' (mitgeteilt von A. Sauer im Jahrbuch der Orillparxer-Qe-
Seilschaft Vfl [1897] 166):
D'Luzind' hat mir geschrieben, Du wässeriger Hiesel,
Will jetzt sich beker'n; Was trinkst denn kan Wein?
Wann d'Hum amal alt seyn, Wie soll a Geist in dein Kopf seyn?
llians Betschwestern wer'n. Giesst niemals an 'nein.
Auch im Satzbau zeigt sich zweimal deutlich Volkslied-
dnflols^ nämlich in der behäbigen, breiten Aufzählung der Per-
sonen. So im 'Willkommen bei der Ankunft der vierten Ge-
mahlin Kaiser FVanz L' (1816):
Ja, staunet nur, staunet I Und wie wir so stehen,
Ich stand dort am Rain Ein jedes für sich
Und trieb meine Gänae Und schauen, der Entrich,
Ins Wasser hinein. Mein Pudel und ich... •(II'> 112.)
Arehir f. n. Spfmchen. CXV. 5
68 Yolkslied-Miszellen. IT.
Ebenso im Gedichte 'Zum Namenstag für Anna Fröhlich' (26. Juli
^* Auch steh'n auf dem Anger
Musikanten noch drei;
Ein kurzer, ein langer,
Ein dicker dabei. (I ^ 252.)
Auch das Kinderspiel wird herbeigezc^en, so wenn in 'der Zauber-
flöte zweiter Teil (1826) die Tiere, an deren Spitze der Ellefant
f o ' XiQ Dunkeln ist gat munkeln ;
Ich bin mfld', mein Schatz.
Ist nirgends ein besserer Platz?
FVau devaüerin, leih' mir d' Seher',
Wo steht's leer? (Xril'« 130.)
Sie führen dann ein Ballett auf, das Kinderspiel: ^Gevatterin,
leih^ mir die Schere^ aus dem oben der Spielreim wörtlich ent-
lehnt ist (vgl. Jos. M. Wagner, Die deutschen Mundarten VI [1859]
111 Nr. 19; F. M. Böhme, Deutsches Kinderlied und Kinderspiel
[1897] 649 f. Nr. 567; Vernaleken-Branky, Spiele und Reime der
Kinder in Österreich [1876] 95 Nr. 21), nachahmend, wobei eins
den Platz des anderen zu erhaschen sucht.
Aus dem Ganzen geht hervor, dals Grillparzer, trotz der
steten Bekämpfung des Volksliedes, auch an sich, wenn auch in
geringem Umfange, woran hauptsächlich seine dramatische Be-
schäftigung schuld war, die Macht desselben erlebte, so dals er
sich nicht ganz dessen Einfluls entziehen konnte. Für das Volks-
lied gilt auch ebendas, was Grillparzer 1822 über die Poesie
und Keli^on sagte: 'Mit der Poesie ist es wie mit den Religionen
Wenn beide einmal ihre Ächtheit durch Wunder bewährt naben>
mufs man über die einzelnen Sätze keine Beweise mehr fordern,
sondern an sie glauben^ (XV ^ 70). Denn auch das Volkslied
ist echte Poesie.
Wien. E. K. Blümml.
über den Hymnns Cadmons.
Der berühmte Hymnus Csedmons, wie er in der Handschrift
der Cambridger Universitätsbibliothek KK. V. 16 erhalten ist,
ist bekanntlich nicht nur sprachgeschichtlich, sondern yielleicht
in noch höherem Grade literärgeschichtUch von gröfster Wich-
tigkeit, und deshalb wird die Frage, wie dieser kostbare Rest
ältester altenglisch-christlicher Dichtung in die Handschrift der
Historia Ecclesiastica gekommen, den Literarhistoriker stets
beschäftigen und zu allerhand Vermutungen anregen. Dazu
ist es Yor allem wünschenswert, festzustellen, wie sich der alt-
englische Hymnus zum übrigen Inhalt der Handschrift verhält.
Zupitza hat vor mehr als 27 Jahren in seiner klaren, scharf-
sinnigen Weise zuletzt darüber gehandelt in der Zs. d, A. 22,
210 ff., besonders 213 — 215; ich rekapituliere, auf Grund einer
Prüfung der Handschrift am 19. Juni d. J., ergänzend den
Tatbestand: das letzte Blatt der gleichmäfsig, d. h. in gleicher
Schriftgröfse und Zeilenzahl geschriebenen Handschrift führt
auf der Vorderseite mit . . . semper ante fadem fuam. Ex-
plieit ... die Historia Ecclesiastica zu Ende, danach folgt noch
m derselben Hand und Schriftgröfse die Stelle bei Plummer,
p. 361, Ante DCCXXX Ceoluvlf . . . bis ad lucem propriam
reuersa, womit ebenso tief herabgehend wie sonst, also mit dem
Seitenschlufs, die Vorderseite schließt. *Die Rückseite 128^' —
ich lasse jetzt Zupitza reden, wobei ich das mir Wichtigschei-
nende gesperrt drucke — , 'gegenwärtig die letzte Seite der Hand-
schrift, beginnt mit dem Hymnus. Die Hand, die ihn schrieb,
ist nach meiner Ansicht eine andere als im vorhergehenden:
aber nach der Form der Buchstaben und dem Gesamteindruck
kann nicht der geringste Zweifel darüber obwalten, dafs es eine
deich alte Hand ist ... (folgt Abdruck des Hymnus und der
Glossen). ... Dann kommt wieder von einer anderen, aber eben-
falls gleichzeitigen Hand die Reihe der nordhumbr. Könige . . .'
Nun, bei dem bekannten Scharfsinn und der grofsen Gewissen-
haftigkeit Zupitzas mufs man da wieder einmal mit Wehmut be-
klagen, dafs der unvergefsliche Meister nicht mehr unter den
Lebenden weilt, dafs man ihn nicht mehr fragen kann, warum
er der Ansicht war, dafs die Hand, die den Hymnus geschrieben,
eine andere gewesen sei als die, die den vorhergehenden latei-
nischen Text geschrieben! Was mir den Mut gibt, trotz Zupitza
die Hand, die den Hymnus und auch die darauf folgenden Notizen
68 Über den Hymnus Csedmons*
geschrieben, für dieselbe zu halten, die den vorhergehenden
lateinischen Text geschrieben, ist die Beschreibung der Hand-
schrift von Bradshaw, dem nun leider auch nicht mehr unter
den Lebenden weilenden trefflichen Bibliothekar der Cambridger
Universitätsbibliothek, in The PalcBographiccU Society, Facsi-
mües of Manuscripts and Inscriptions, Edüed by E, A, Bond
and E. M. Thompson, Vol. IL London 1873—1883, FlaU 139,
140. Bradshaw sagt, wobei die Sperrschritt wieder von mir her-
rührt: ihen on the succeeding page the scribe cloaes his
work with (1) the original Anglo-Saxon of the aong of Cad-
mon, followed by four glossed words, (2) a list of Norihv/m-
brian kings down to 737 {but not including Ceoluulf'a abdica-
tion and Eadberct*8 sv^ccession in that year), and (3) a calcuia-
tion of several events backwards from the year 737, * Danach
folgt in einer Hand des 10. Jahrhunderts Sententia Hysidori ...
bis zum Seitenschlufs.
Man hat irüher bei Beschreibung der handschriftlichen Über-
lieferung des Hymnus mehrfach die Angabe gemacht, er wäre
an den Rand geschrieben — Zupitza nicht, er sagt, die Seite
beginnt mit dem Hymnus. Dem gegenüber scheint es mir nütz-
lich, auf Grund der eigenen Prüfung der Handschrift die nicht
unwichtige Erläuterung hinzuzufügen, dafs der die Bückseite be-
ginnende Hymnus in der gleichen Zeilenhöhe wie die Vor-
derseite und die vorhergehenden Seiten der Hs. geschrieben ist,
dafs also der ganz logische Ausdruck Zupitzas: 'beginnt' so zu
verstehen ist, dafs der betreffende Schreiber — wer immer er
gewesen, mit gutem Vorbedacht zu Beginn der leergebUebenen
letzten Seite die altenglischen Verse nicht wie eine beiläufige
Randnotiz, sondern wie etwas zu dem Vorhergehenden Gehöriges
ordnungsmäfsig hingeschrieben hat. Warum aber frühere
Berichterstatter die Angabe machen konnten, der Hymnus sei
an den Rand geschrieben, macht ebenfalls der Augenschein der
Handschrift begreiflich. Wenn man nämlich das Blatt nicht
durchs Licht betrachtet und so die Vorderseite nicht durch-
schimmern sieht, macht der Hymnus allerdings den Eindruck,
als wäre er an den oberen Rand gekritzelt, denn die danach
folgende, in gröfserer Schrift geschriebene Königsliste Ida regnare
coßpit . . . reicht weiter an die seitlichen Ränder und gleicht in
ihrer Regelmäfsigkeit mehr der vorhergehenden Historia Ecde-
siastica, obwohl die Buchstaben etwas kleiner als in dieser sind.
Wer blofs diese Rückseite betrachtet, mag allerdings den Ein-
druck bekommen, dafs der Hymnus erst nach diesen lateinischen
* Sweet, OET p. 148, sagt von der Schrift der Königsliste: in a hand
which may weil be the same as that of the Hütorv, und über den Hymnus
ebenda : ß is not impossible that the hymn may have been wriiien laier than
the List, to flu up the blank spaee. But the hand is evidenüy eontemporary.
über den HymnuB Cfedmons. 69
Königslisten auf den darüber befindlichen oberen Rand geschrie-
ben worden sei; dieser obere Rand müfste freilich etwas breit
gewesen sein, doch das fiele nicht auf, wenn man die Gröfse
des Randes auf der Vorderseite und den vorherigen Seiten nicht
beachtete.* Die erwähnte Tatsache aber, dafs der Hymnus in
derselben Zeilenhöhe wie die erste ZeiJe der lateinischen Vorder-
seite» also nicht auf den in der Handschiift üblichen oberen
Rand geschrieben ist, beweist meines Erachtens mit Sicherheit,
dafs der Hymnus zuerst geschrieben wurde und später erst
daran anschUefsend die Eönigsliste. Der Schreiber des Hymnus,
wenn er, wie ich mit Bradshaw annehme; auch der der Historia
Ecclesiastica war, hatte nach getaner Arbeit noch eine ganze
freie Seite übrig. Da schrieb er denn als eine Art erläuternden
Zusatz noch den Hymnus dazu; danach aber, da er schon am
Zusetzen war und schon zum Schlufs der Vorderseite des letz-
ten Blattes den bei Plummer, S. 361, abgedruckten Zusatz ge-
macht hatte, noch die Königsliste und weitere Notizen hinzu,
und zwar diese beiden Zusätze in etwas gröfserer Schrift. Den
Rest der Seite liefs er frei, denn diesen hatte später ein Schrei-
ber des 10. Jahrhunderts noch verwertet. Der seelische oder
gemütliche Prozefs, der in dem Schreiber des Hymnus vorge-
gangen, und den der Literarhistoriker sich in seiner Phantasie
zurechtlegen mag, war vielleicht auch* kein anderer, wenn der
Schreiber ein anderer als der der Hiatoria Ecclesiastica war.
Ob er derselbe war oder nicht, diese Frage möchte ich doch
noch anderen, in altenglischen Handschriften Erfahrenen bei Ge-
legenheit zur Erwägung geben; die verschiedene Schriftgröfse
scheint mir doch kein Grund für oder wider zu sein. Aber ob
er derselbe oder ein anderer zeitgenössischer Schreiber war, zur
Beurteilung der Niederschrift des Hymnus müssen noch die vier
Glossen herangezogen werden, die doch mit dem Hymnus und
dem übrigen Inhalt der Hs. nichts zu tun haben. Solche Glossen
finden wir, sei es als Federproben oder aus sonstigen Gründen,
häufig an leergebliebenen Stellen am Schlüsse von altenglischen
Handschriften. Dies scheint mir darauf hinzudeuten, dafs der
Schreiber den Hymnus nicht aus dem Gedächtnisse, sondern aus
irgendeiner handschriftlichen Vorlage, die Altenglisches und
wohl auch diese Glossen enthielt, niedergeschrieben habe. Es
würde dies durchaus nicht gegen das Fortleben der Verse in
mündlicher Tradition, die ja doch durch König Alfreds Wieder-
gabe sogar für anderthalb Jahrhunderte später erwiesen ist,
sondern nur für ihre Verbreitung im 8. Jahrhundert sprechen.
* So heisst es auch bei Sweet, OET p. 148, an der in vorhergehender
Fofsnote angeführten Stelle: ... to ßl up the hUmk spaee.
Cöln a/Rh, Juni 1905. A. Schröer.
Noch einmal die Quelle des ^Monk\
Im Band CXIII dfes Archivs fp. 56 ff.) hat 0. Ritter einen
Aufsatz veröffentlicht, in dem er sich gegen meine früher
(Band CXI, p. 316) aufgestellte Behauptung wendet, dafs der
Monk Yon Lewis auf einen deutschen Roman als Quelle zurück-
gehe, und seinerseits das umgekehrte Verhältnis^ annimmt. Ich
kann mich nicht davon überzeugen, dafs seine Gründe durch-
weg stichhaltig sind, und möchte daher mit eimgen Worten auf
den Gegenstand zurückkommen.
Für die Wahrscheinlichkeit meiner Annahme, dafs Lewis
von dem deutschen Roman abhängig ist, liefert mir Ritter selbst
(in einem früheren Aufsatz [Bd. CXI, 166 ff.]) einiges Beweis-
material. Er zeigt dort, wie schon die ältere Kritik auf Lewis'
Manier, ganze Stücke anderen Werken zu entlehnen, aufmerk-
sam geworden ist. Hierher gehört das Räuberabenteuer bei
Strafsburg, das übrigens auch im Gil Blas seine Parallele findet;
hierher auch der Schlufs, der wörtlich aus Veit Weber ent-
nommen ist (a. a. 0. p. 116, Anm. 2 und 3). Durchschlagend
erscheint mir aber das Zitat aus A. W. Schlegel, wonach 'einige
der beliebtesten, anmafslichen Originale aus schlechten deut-
schen zusammengeborgt und nachgeahmt sind [the
monk']r Spricht doch hier ein Mann, der genau Bescheid wufste,
der gewifs den deutschen Roman vor sich hatte und nur zu-
fällig genauere Angaben zu machen unterliefs.
Diese Abhängigkeit des Engländers von seinen deutschen
Vorbildern ist gerade der Punkt, auf den ich das gröfste Gewicht
legen möchte, und ich habe zwei bisher unbekannte Beispiele
davon angeführt {Feudal Tyrants, Romantic Tales: Bd. CXI,
319. 320). Ich mufs hier mein Bedauern ausdrücken, dafs Ritter
auf meine Argumente so gut wie gar nicht eingegangen ist.
Dagegen werde ich mich im folgenden an die seinigen halten
und sie, soweit es möglich ist, zu entkräften suchen.
Zunächst scheint es mir nicht gar so auffallend, dafs von
dem deutschen Roman (falls er, wie ich immer noch annehme,
zu Anfang der neunziger Jahre erschienen ist) die kritischen
Zeitschriften und die Literaturgeschichten keine Notiz genonünen
haben. Dazu war die Masse derartiger Produkte damals doch
.Noch einmal die Quelle des 'Monk'. 71
liel zu grofs, und der Roman wäre nach wie vor im Dunklen
geblieben, wenn nicht in den letzten Jahren die Forschung sich
seiner bemächtigt hätte. Wenn dann Ritter auf die zahlreichen
literarischen Vorbilder hinweist, die def Monk unzweifelhaft ge-
habt hat, so hätte er gleichzeitig beweisen müssen, dafs sie für
DR ebenfalls in Betracht kommen; denn bekanntlich sind ganze
Partien des Monh ohne Entsprechung im Deutschen. Übrigens
leugnet Lewis, den Diable amoureux des Cazotte vor Abfassung
seines Romans gekannt zu haben. Die Stelle steht, wenn ich
nicht irre, in der Vorbemerkung zur vierten Auflage, in der
übrigens die Änderungen nicht so geiingfägig sind, wie Ritter
(p. 61) zu glauben scheint. Der grofse Unterschied zwischen
Cazotte und Lewis ist der, dafs bei jenem Biondetta Don Alvare
wirklich liebt, und dafs dieser schliefslich den Schlingen des
Teufels entgeht, während Matilda nur eben ein Werkzeug des
Dämons ist, dem der Mönch am Schlufs zum Opfer fallt.^
Dafs von DR eine frühere Ausgabe existiert als aus dem
Jahre 1816, hat Ritter jetzt auch zugeben müssen (Bd. CXIV,
167). Mir war die Tatsache schon längst durch eine gütige
Mitteilung von Prof. Sauer bekannt Sie folgt notwendig aus
dem von mir Bd. CXI, 318 hervorgehobenen umstände, dafs
Grillparzer schon im Sommer 1813 den Stoff zu seinem Drama
gestaltete, daher die Ausgabe von 1816 nicht beuutzt haben
kann. Aber auch eine weitere Behauptung Ritters erweist sich
als irrig. Er kennt als erste nichtmusikalische Publikation aus
dem Verlage von Franz Haas, (Wien und) Prag, ein. Buch aus
dem Jahre 1807. Nun besitze ich aber aus demselben Verlage:
a) Vdeda, ein Zauberroman, 1796; b) Graf Roeenberg^ oder
das enthüllte Verbrechen: eine Oeschichte aus der letzten Zeit
des dreifsigjährigen Krieges (von B. Naubert), 1792.* Beide
Bücher stammen also gerade aus den Jahren, in denen, wie ich
glaube, DR zum erstenmal erschienen ist; speziell der zweite
Roman zeigt in einigen seiner Motive Ähnlichkeit mit DR,^
Auf S. 58 ff. hat dann Ritter eine Reihe von Sätzen aus
Lewis und DR einander gegenübergestellt, um zu zeigen, dafs
DR von Lewis abhängig ist. Der Beweis scheint mir nicht er-
bracht zu sein. Vieles ist ja gewifs in DR ungeschickt und
undeutsch ausgedrückt; das liegt an der geringen Bildung des
Verfassers und ist ein Nachteil, den er mit vielen anderen
Autoren der Zeit gemein hat. Die kritischen Journale dieser
Periode sind daher voll von Klagen der Rezensenten über den
schlechten Stil gerade dieser Romane. Anderseits ist nicht zu
' Vgl. auch Bentsch, M. O. Lewis p. 138.
« Vgl. Goedeke V, 497, 16.
' Natürlich ist auch die Angabe in Schwetschkes Codex Nundinarius
falsch.
72 Noch einmal die QneUe des 'Monk\
übersehen, dafs der Verfasser von DR die Sprache seiner Zeit
(untermischt mit einigen Provinzialismen) redet» die für uns
natürlich einiges Auffällige bietet Ich lasse hier eine Anzahl
Stellen folgen, die ich mit Parallelen aus Werken derselben Zeit
versehe:
DR p. 6: (Die Hütte) war klein, aber nett; vgl. Sanders,
jD. Wb. 11, 430a: Das SchiflF war zierlich und nett (Goethe). —
Wieso ^bequeme Stühle' ein undeutscher Ausdruck sein soll,
sehe ich nicht ein (vgl. Adelungs Wörterbuch II, 854). — Ibid.:
Der Wald mann (engl, woodman). Aber beides bedeutet nicht
nur 'Holzfäller', sondern überhaupt und speziell ^Waldbe-
wohner'; vgl. Cent Dict. 6967—69 und Sanders II, 232c.
(übrigens schon so im Mhd: Benecke*Müller II, 1, 47). — p. 8:
würde der Herr dich nicht so alt geglaubt haben. Vgl.
Lessings Nathan 3, 7: so glaube jeder sicher seinen Ring
den echten. — p. 11: alle diese Umstände blitzten ihm in
die Seele. Vgl.: es blitzte mir ein Gedanke durch die Seele
(Eichendorff bei Sanders I, 169b). Ähnlich auch: sie blitzen
Höllenflammen in mein Herz (Schiller, Kab, u. L. II, 2). —
p. 12: wenn ... der Wind in den Ästen rasselte. Annette
von Droste spricht von rasselndem Winterlaub, Bürger von
einem Lager von rasselndem Laube (Heyne s. v.). — p. 17: er
floh nach der Tür; sie flohen gleich dem Blitze fort. Vgl. hier-
zu, was in Grimms D. Wb, III, 1780 über die Berührung zwi-
schen den Begriflien des Fliehens und Fliegens gesagt ist. Andere
Beispiele bei Sanders I, 463 c. — p. 44: eine Nachtlampe schofs
einen schwachen Strahl, vgl. die Sonne schiefst Strahlen (Grimm,
D. Wb, IX, 41): drauf schiefst die Sonne die Pfeile von Licht
(Schiller). Es wird hiernach klar sein, dafs auch weniger ge-
wöhnliche Ausdrücke noch nicht beweisen, dafs DR aus dem
Englischen übersetzt ist. Der Beweis dagegen würde noch voll-
ständiger geführt werden können, wenn wir ein Spezialwörter-
buch über die Sprache des 18. Jahrhunderts besälsen.
Ein anderer Punkt, der hierher gehört, betrifft die Druck-
iehler. Ritter hat selbst zwei recht ergötzliche auf S. 61, A. 2
verzeichnet Es sind natürlich nicht die einzigen. Ritter hat
zunächst einen solchen in einer der von ihm zitierten Stellen
(p. 59 unten) übersehen. Es mufs da {DR p. 165) natürhch
heiüsen: dafs es einem Weibe kaum verdienstlich ist (statt
verdriefslich; bei Lewis scarcdy a merit), Dafe die Lyrica
auf S. 60, von denen gewifs nicht viel Rühmens zu machen ist,
durch Druckfehler stark entstellt sind, hat R. richtig bemerkt.
Einer scheint ihm auch hier entgangen zu sein, Str. 3 v. u. lies:
dort ein Alter, voller Trug (entsprechend dem engl, vicious
man and crafty devä), wodurch der Sinn der Stelle klar wird.
Ich sehe aber auch in diesem Falle nicht ein, warum es unge-
1
Noch einmal die Quelle des 'Monk\ 73
reimt sein soll anzunehmen, Lewis habe als gewandter Vers-
kiinstler aus schlechtem Material etwas Besseres gemacht.
Wenn dann R. (p. 62) sich darüber aufhält, dafs in DR
Ambrosio diesen seinen Namen führt, obwohl er Böhme ist, so
ist zu entgegnen, dafs dieser spanisch-italienische Name in dem
sprachlich so stark gemischten Österreich keineswegs auffallend
ist Auch der Duft der Orangenblüten in einem Garten zu Prag
mag als eine Nachlässigkeit des Verfassers von DR hingehen.
Anders steht es freilich mit den Namen Claude und Baptiste, die
sich in dieser Umgebung merkwürdig genug ausnehmen. Aber
aus diesem nebensächlichen Umstände kann man, wie mir scheint,
keine weitergehenden Schlüsse ziehen. Darf man vielleicht an
eine französische Quelle für DR denken?
Nach allen diesen Ausführungen glaube ich bei der Be-
hauptung stehen bleiben zu dürfen, dafs Lewis' Abhängigkeit
von DR mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie das umge-
kehrte Verhältnis. Hoffentlich bringt uns bald ein weiterer
glücklicher Fund die Entscheidung.
Zum Schlufs noch zwei bibliographische Notizen: a) die
hiesige KönigL Bibliothek besitzt ein Büchlein, betitelt: Die
Räuber im Elsafs, oder die Abenteuer Don Al/onaens von ihm
selbst erzählt (Gera u. Leipzig 1799). Es ist dies eine wört-
Uche Übersetzung der Erzählung Raymonds im dritten Kapitel
des ATonk. b) Der Romantiker Charles Nodier gab im Jahre
1822 ein Buch heraus unter dem Titel: Infemaliana ou anec-
dotes, petits romans, nouvelles et contes sur les revenans, les
spectres, les demons et les vampires. Gleich die erste Ge-
schichte, La nonne sanglante, ist eine stark verkürzte Wieder-
gabe der Erzählung bei Lewis.
Berlin. Georg Herzfeld.
Briefe Ton Gaston Paris an Friedrieh Diez.
In meinem Besitze befindet sich eine beträchtliche Zahl
schon von dem Empfänger geordneter Briefe deutscher und aus-
ländischer Gelehrter an Frieidrich Diez. Ihrer zwölf rühren von
Gaston Paris her und sollen nachstehend denen zur Kenntnis
gebracht werden, die von dem vrirklichen geistigen und Gemüts-
Verhältnis des jüngeren Forschers zu seinem um fünfundvierzig
Jahre älteren Lehrer eine zutreffende Vorstellung gewinnen
wollen. Hat G. Paris 1876 in der Romania Y, 412 und später
in dem bekannten Aufsatze des Journal des D4baU vom 2. März
1894 seiner Verehrung und Dankbarkeit für den Meister und
für den Menschen rührenden Ausdruck gegeben — dem aka-
demischen Lehrer, den er als ein urteilsfähiger Zuhörer nicht
kennen gelernt hatte, wird er freilich nicht gerecht — , so haben
die erst im Jahre 1904 durch Rajnas inhaltreichen Nekrolog
für den französischen Meister bekannt gewordenen Briefe des
siebzehn- oder achtzehnjährigen, noch dazu des Deutschen kaum
kundigen Bonner Studenten an seinen Schulkameraden Durande
die kurzen, früher bekannt gewordenen Kundgebungen wohl etwas
zurückgedrängt; und es scheint billig, auch der Stimme Gehör
zu verschaffen, die aus den Briefen des reiferen Schülers und
denen des Mitforschers zur Nachwelt spricht Das oft bewährte
Wohlwollen der Witwe des verewigten Freundes hat mich in-
stand gesetzt, aus den gut aufgehobenen Antworten Diezens
einiges beizubringen, was zu besserem Verständnis gewisser
Äufserungen seines Korrespondenten dienen konnte.
Pariif ee 6 oelobre 1861,
Monsieur et illustre ma^re,
Vailä bien longtemps que je n'ai eu de relatums avee vous et que je
me suis fait le fort de me priver de vos nouvelles et de votre commerce.
Ted meme laisse passer sans rous en feliciter votre nomincUion ä VAcor-
dhniey comptant il est vrai sur mon pbre pour vous dire comhien fUais
heureux de vous voir un lien de plus avec nous en meme temps que de voir
la France comprendre et ho9iorer votre merite. Tesphre cependant que vous
ne me garderex pas rancune de mon long silenoe et que rous vous retrou-
verex un hon souvenir pour votre aneimi attditeur qui sera toujours votre
disciple. Je m^occupe beaueoup de philologie en ce moment, et cette Stude
Briefe von Gfiston Paris an Friedrich Diee. 75
rn!a naturellement ramenS vers vaus, d^autant plus que vos admirables livres
tn'ont iti et me sont toua les jours du pltts grand seeours. Je faia pour
VEeole des Chartes une th^ sur ce m/ei: du roh de Vaeceni laUn dnns
la formaiion de la Icmgue fran^ise. Vous avex dit eoceellemment : Der
Äeeent in dtr romanisehen Spra>ehbüdung ist der Angelpunkt, um welche fnj
sie sieh dreht, (fest eette phrase que je veux developper par un travml
de detail et une itude minutieuse des cos aü Vaeeent a persistij de eeux aü
il s'est dSplaeS et des causes des exceptions qu'a sttbies la r^le generale.
^Fesph'e que vous prendrez qudque interet ä ce travail; s*il ne rencontre
pa^ ä VEcole des Chartes, oü il sera disoutS, des critiques trop vives, je le
ferai imprinier et je wms demanderai la permission de vous le didier,
comme au criateur et au maitre de la phüologie romane. Peut-etre cet
optiscuie pourra contribuer ä repandre parmi les erudits fran^is les prin-
eipes encore trop peu connus chex nous, sur lesquels vous avex construit
rotre sysÜme.
St je ne eraignais d*ahuser de votre honte, je vous demanderais votre
opinion sur quelques points qui m'arrefent et m'embarrassent. Pensex -vous
jmr exemple que les aecusatifs en ain (Ecain, nonnain) soient une imitor-
iion de Vaccusatif en am? Vm latin, il me semble, ne sonnait plus du
tout ä la fin des mots, et on pronon^it Eva au nomincUtfet ä Vaccusatif.
N'est-ce pas plutot une forme diminutive employee pour Vaeeusatif, et
n'en est-il pas de meme de la forme on da/ns Pierron, Gharlon, ou cet on
est-ü Vinntation des formes Huon, öuion etc.? — La 1^ pers. plur. des
verhes de la 3^ cofijugaison, nous lisomes ou lisons, nous eourons etc. sup-
pose^t-elle une forme legfmus, currfmus, ou faut-ü voir dans ons une termi-
naison appliquee lä par analogie (les formes faimes et dimes semblent
le prouver)? — Faut-ü admettre des formes comme currire, qucerire
ou voir dans les infinitifs querir, courir, l'application purement romane
et non dSjä faite en laiin vulgaire de la terminaison ir? La terminaison
escere ne peut s'appliquer qu'aux verbes qui ont la P pers. plur. en
issojis. Je vous dema^ide hien pardon de vous faire ces questions, mais
rotre autorite me deciderait sans doufe pour Vune ou Vautre des Solutions
qu'on peut leur donner, et je ne suis pas sur, par exemple pour la premitre,
que vous persi^tiex dans V opinion exprimee dans votre grammaire. Enfin,
»i vous aviex quelques ohservations nouvelles sur le sujet dont je m'oceupe,
je vous serais bien reeonnaissant de m'en faire pari.
Nous avofis eu pendant qitelque temps ici Adolf Tobler, qui est aussi
un de vos eignes et avec qui nous avons heaucoup parle de vous. II s*oe-
eupe surtout maintenant de litterature italienne et neglige la phüologie
romane; c*est dommage, cor il a un esprit juste et net.
J'esp^e, Monsieur, que vous ne m'en voudrex pas de vous dvovr dSrange
pendant quelques instants, et que vous me crovrex bien sinc^ement
Votre tr^-divouS serviteur ei ieolier
Qaston Paris
10, plckce royaU.
Über persönliche Berührung oder brieflichen Verkehr, die
zwischen Diez und 6. Paris seit des letzteren Abgang von Bonn
im Herbst 1857 bis zum Oktober 1861 stattgefunden hätten,
ist mir nichts bekannt. Dafs Diez zum korrespondierenden
Mii^liede der Academie des Inscriptions ernannt worden sei,
teilt ihm Paulin Paris in einem bei mir liegenden Briefe vom
25. Januar 1861. mit, aus dem man auch erfährt, dafs neben
Diez noch Schaffarik und Diefenbach in die Wahl gekommen
76 Briefe Ton Gaston Paris an Friedrich Dies.
waren, und dafs ganz besonders Leclerc sich bemüht hatte,
Diezens Wahl durchzusetzen. Die Vermutung, die Gaston in
dem obenangeführten Artikel der Debats ausspricht, es sei
solche Ehrung auf Littr6s EinfluTs zurückzuführen, stimmt mit
des Vaters bestimmter Aussage nicht überein. Vermutlich sind
die beiden französischen Gelehrten in gleicher Richtung tätig
gewesen, und, wie Diez im Entwurf eines Dankschreibens vom
31. Januar an Paulin Paris äufsert, wird auch dieser es an
freundschaftlichen Bemühungen nicht haben fehlen lassen.
Die Schriit über den Akzent, von der noch öfter die Rede
sein wird, trägt in der Tat die Widmung A Monsieur Fr£d4ric
Diez, professeur . . ., correspondant . . ., cet essai d'un de aes
disciples est respectueusement didii. Die von Diez in der
zweiten Auflage des zweiten Bandes (1858) über die afz. Femi-
nina auf -ain vorgetragene Ansicht ist noch in der dritten (1871)
im Texte festgehalten; eine lange Anmerkung stellt aber einen
anderen Sachverhalt als möglich hin, der jetzt als der wirkliche
meist anerkannt ist, mit dem von G. Paris für möglich gehal-
tenen jedoch nicht zusammenfällt.
Dafs ich ^auch einer von Diez' Schülern' sei, ist jedenfalls
richtiger als, was Paris nach Rajnas Zeugnis (S. 56) an diesen
geschrieben hat, ich sei le seul vrai ^ive de Diez, Jeder von
uns beiden — und aufser uns würde denn doch noch an manche
andere zu denken sein — hat zwei Semester in Bonn studiert
und daselbst neben anderen vortrefflichen Männern auch Diez
gehört, ich allerdings insofern im Vorteil, als ich die Landes-
sprache nicht erst zu erlernen brauchte, vier Jahre älter war,
vier Semester akademischen Studiums an meiner Heimatuniversi-
tät hinter mir und Diezens bis dahin erschienene Werke fleifsig
durchgearbeitet hatte. Wie mein schon damals liebgewonnener
Freund den Tasso, so habe ich ein Semester zuvor Dante durch
Diez erklären hören, schlicht und so, wie es für Schüler ange-
messen war, die sidi meist auf der Stufe erster Bekanntschaft
mit dem Italienischen befanden. Daneben habe ich seine Vor-
lesung über Gotisch gehört, ein Muster besonnener Auswahl des
Wichtigsten« strenger Ausschliefsung alles dessen, was die Auf-
merksamkeit von der Sache ab und etwa auf den Lehrer hätte
lenken können, immer gleichmäfsig vorbereitet, ruhig fortschrei-
tend und dabei fesselnd durch das unverkennbare, wenngleich
nie zur Schau getragene Interesse, das der Gegenstand für den
Lehrer selbst besafs. Jede Woche einmal durfte ich auf eine
Stunde allein zu Diez in die Wohnung kommen und nach eigener
Wahl dieses oder jenes Stück aus Mahns Werken der Trouba-
dours übersetzen, so gut ich es vermochte, und bin dadurch,
vielleicht mehr weil ich mich zu sorgsamer Vorbereitung ver-
pflichtet fühlte, als durch unmittelbare Belehrung, ohne Zweifel
Briefe von Gaston Pam an Friedrich Diez. 77
ebenfSEÜls gefordert worden. Diez war als Lehrer auch im münd-
lichen Unterrichte höher zu schätzen, als man nach 6. Paris'
frühesten Briefen denken möchte, und auch er würde jenen in
dieser Hinsicht anders beurteilt haben, hätte er ihn völlig ver-
stehen können. Aber was er und ich an Wissen, an Sicherheit
im Forschungsverfahren, kurz an Erlernbarem von Diez empfan-
gen haben mögen, das haben wir, denk' ich, mehr aus seinen
Büchern als sonstwie gewonnen, und gleiches wird so ziemlich
von allen denen gelten, die neben und nach ihm romanische
Philologie gepflegt haben und insofern seine Schüler sind. Den
unauslöschlichen Eindruck einer unendlichen Güte, einer vollen
Reinheit und höchsten Adels der Gesinnung konnte wohl nur
persönlicher Umgang hinterlassen. Dafs in dieser Hinsicht
G. Paris auf den Spuren seines Lehrers gewandelt ist, bei man-
chen Verschiedenheiten seines Wesens, das wissen, so viele ihn
gekannt haben; dafs man mich in solchem Zusammenhang ein-
mal aussi un 4Uve de D. nenne, darf ich nicht zu hoffen
wagen, sonst würde ich es injQig wünschen. Einen Versuch,
Diezens Persönlichkeit zu kennzeichnen, habe auch ich 1894
gemacht, s. Archiv XGUI, 154.
Paris, ce tS janvier 1861 (l 18621).
Monsieur,
Je V0U8 remercie de la tr^-aimabl^ lettre que vous avex bien voiUu
repondre ä la mienne, et de Vamitie que vous m*y temoignex. Tai termine
il y a un mois entiron le travail dont je vous ai parle; ü va passer ä
VEcole des Charles y ou je le soutiens cofnme thkse, lundi prochaitif et je
eompte le livrer aussitöt ä V impression. J'esp^e que vous y trouverex
quelqite interet et que vous ne serex pas humilie de voir votre fwm sur la
premiere page. Vous me pardonnerex aussi de me trouver sur quelques
points en desaccord avec vous; je pense que vous serex de mon avis sur un
ou deux petits details, et specialement sur ce que je dis des parfaits forts
et faibles et des formes anormales eomme nourresimes, ehotsisistes etc.
Je me permeitrai de vous signaler d'avmice une Etymologie qui m'est venue
en tele, et qui me parait assex heu/reuscy c'est celle de der v er, Votre tr^-
ingenieuse explicatumy dissipare, me semble avoir ete rifutee avee assex
de justesse par Oachet; outre les raisons qu'il donne, ne pensex-vous pas
que desver est un adoucissement de derver et que cette demihre forme
est la plus aneienne? U Etymologie que Oachet substitue ä la votre est
cerfainement inadmissible; pour mai je crois que derver vient de dero-
gare^ et la eomparaison apec corrogata = corvee et interrogare =
enterver m'a paru donner une bien grande vraisemblanee a mon opinionj
que je vous soumets. Puisque je vous parle d' etymologies, eroyex-vous pos-
sible que ealfar, chauffer, viennent de calefacere? Ce verbe n'aurait-
ü pas donne chauf faire? et la conjugaison ne serait-elle pas tout autre?
Je pense que ce verbe vient du bas-latin caleficarCy qu'on trouve dans
du Gange. — Nobile, forme de noble freqwente da^is les chatisons de geste,
m'a paru etre, non pas un deplacement de l'a^cent qui serait sans analogic
et sans vraisemblance, mais tm derive de nobilis, derive qui aurait ete
79 Briefe Von Gaston Paris an Friedriöh DiezI
en b, L nobilieus ou nobilius; jeti ai vu une preuve dana la ehaiuon
de Eolandy qwi ecrit tot^ours nobilie.
Je vaus ieris surtatU, Monaieury pour vou8 dema/nder la permission
^ctceoler nos deux noms sur la premiere page d*im travaü queje vais faire.
M. Heroldf qui dirige achtellement la Itbratrie Franckj ä Paris, vaulant
danner ä cette nunson une direction sp^dalement pküologique, a Vintention
de publier une serie d'opuscules de linguistique, Tai oru, ainsi que lui,
que rien ne pourrait mieux recommander ces puhlieaUons que si elÜ^ debu-
taient par quelque chose de vous, et ü a ete convenu qus je lui traduirais
V IntrodueUon de la Orammaire des Langues Rotnanes (V, I, p, 1 — 132).
Je Vai asstirS que vous verriex ce Iravaü avee plaisir, et il espbre que de
son cötS M. WeieTy ä qtd il va en icrire d'ici ä quelques jours, n'y mettra
pas d'opposition. Pour moi ce sera un grand plaisir de contribuer ä faire
connattre en IVance vos tranaux et votre noni et de payer ainsi auta/nt
qu'il est en moi la dette que fai contractee envers vos ouvrages, ou, fai
puise tout le peu de science que je puis avoir. Je vou>s serai oblige, si ce
projet a votre approbation, de vouloir bien 7n*envoyer une reponse lä^essus.
Je vais envoyer au Jahrbuch de Ebert une epltre forde pour le jour
de S. Etienne, dont les deux premihres strophes Staient seules eonnues: ü y
en a douxe. Elle est du commeneernefit du XII^ siede, et offre quelques
particülarites philologiques assex interessantes. Je la erois Scrite en Tou-
raine; eile offre un rnelange de formes normandes ei bourguignonnes qui
indique un pays oü les deux dialeetes se rencontraient. Ty ai vu des for-
mes que je n'ai rencontrees nulle part, comme es cot et, seet, avet ä la
2' pers. plur. de Vindicatif pr^ent, haierent, baterent ä la Supers,
plur. du parfait. Je crois que M. Ebert la publiera volontiers.
Mon ph-e a etS bien sensible ä votre bim souvenir, Monsieur) ü nie
prifi de (se) vous rappeler Vaffection qu'il a pour vous et l'estime qu'il fait
de votre mSrite. Paul Meyer nie prie de voua dire qu*il est Vauteur d'un
petit article public dans la Ghronique de la Bibliotheque de VEcole des
Charles sur votre nouvelle edition^ c*est aussi un de vos admirateurs con-
vaincus.
Pour mal, Motisieur, ce n'est pas seulenwnt parmi vos disciples, mais
bien pamii vos amis, que je me ränge, et c'est ä ce titre que je vous prie
d*agreer Vexpression de nia respectueuse et sintere a/fe^ioti.
Gaston Paris
10, place royale.
Die Jahreszahl 1861 im Datum des Briefes ist irrtümlich
und mit 1862 zu vertauscheD. Der avant-propos der zu Anfang
als vor einem Monat zum Abschlufs gebracht erwähnten Arbeit
trägt das Datum des 29. Januar 1862. — Die von G. Paris in der
Schrift über den Akzent S. 74 gegebene und nachmals auch von
Chabaneau (1868) gutgeheifsene Erklärung der Perfektendungen
-esiB, -esimes, -eststes bei inchoativen Verben aus Nachbildung
starker Perfekta hat Diez merkwürdigerweise in der dritten Auf-
lage der Grammatik niclit angenommen und doch auch in seiner
Rezension nicht angefochten; heute wird sie wohl von niemand
angezweifelt. Warum Diez die etymologischen Deutungen seines
Schülers von derver S. 83, chauffer S. 39 ablehnte, hat er im
Etymol. Wb. ausgesprochen.
Die hier erwähnte Übersetzung der ersten 132 Seiten der
Grammatik der Romanischen Sprachen ist wohl unmittelbar
Briefe tod Oaston Paris an Friedrich Dies^. 79
nach des Verfassers Gutheüsung in Angriiff genommen worden;
erschienen ist sie erst 1863; es ist von ihr in den späteren
Briefen noch öfter die Bede.
Die EpUre farcie, die G. Paris im Alexius S. 130 Anm. 2
etwas später ansetzt, ist noch 1862 im vierten Bande des Jahr-
buchs S. 311 ff. gedruckt worden, seitdem öfter wieder, bei
Stengel, Attsg. u. Abh, I (1882), Foerster u. Koschwitz, Übwagsb,
(1884), Bartsch, Langue et litUr. (1887) usw.; s. Gröber in sei-
nem Qrundrifs IIa 478.
Der erwähnte Artikel von P. Meyer füllt die Hälfte der
Seite 77 in der Biblioth. de VEcole des Chartes von 1862 und
bespricht den ersten Band der zweiten Ausgabe des Etymolog.
Wörterbuches. Der Rezensent rühmt, dafs die seit der ersten
Ausgabe ans Licht getretene etymologische Literatur fleifsig ver-
wertet sei, begriÜst mit Freuden auch die Benutzung der in der
Zwischenzeit erschienenen Bände der Anciens Pontes de la France
und äufsert seine Befriedigung darüber, dafs in kaum zehn
Jahren eine zweite Auflage des trefflichen Werkes nötig gewor-
den sei; er hofft, dafs Frankreich recht viel dazu beigetragen habe.
Pari», ce mereredi 24 mai [l862],
Monsieury
Vaus recevrex sans doute ä peu pr^ en meme temps que eette lettre
qu€itre exemplaires de nuyn Etüde sur le Rdle de l'accent latin; je
raus serai fort abligi si vaus votdex bien en offrir un de ma pari ä M. Delms
et un autre ä M, Monnard. Jfespdre que vous ne trouverex pas cet essai
iout-ä'fait indigne de Villtistre patronnage sotis lequel ü s'est place et qtie
TOU8 y retrouverex avec plaisir la plupart de vos idees et avee indtügence
quelques objedions. Je ne puis vaus dire combien je serais heureux 8*ü
Tims etait possible d'en dire un mot dans un Journal allemandf et plus
particulikrement dans le Jahrbuch de Ebert; mais je n'ose me flatter de
Vtspoir que vous trouviex le loisir de vous en oceuper.
La iraduction de V Introduktion ä la Orammaire des Langues romanes
est aehevee; eile cammencera ä s'imprimer dM que M. Herold, le successeur
de Franck, sera revenu d'Allemagney oü il est en ce moment. Xy ferai
moi-^meme une hUroduction oü je m' efforcerai peut^etre d'etablir la pari
que vous avex dans la creation de la philologie roma/ne et la vaieur de vos
divers travaux. Peut-Ure aussi nie bomerai-je ä une courte notice sur le
livre et rauieur; cela dependra du temps que j'aurai.
J'en ai pour le moment fort peu, et c'est ce qui me fait vous prier,
Monsieur, d'exetiser l'extreme brihvete de cette lettre. Je vous eerirai dans
qudque temps povar vous defmander divers petits edaircissements sur quel-
ques points qui m'ont embarrasse dans ma traduction. Je suis, Monsieur,
c^fec les sentiments de la plus vive et respeciueuse affection
Votre bien devoue serviteur
O Paris
Man pbre me eharge de tous ses compliments pour vous.
Von Beziehung, in die G. Paris schon als Student zu Nico«
laus Delius (geb. 1813, gest. 1888) getreten wäre, ist mir nichts
so Briefe von Gaston Paris an Friedrich Diee.
bekannt. In dem Nachruf, den er ihm in der Romania XVlll,
337 gewidmet hat, heifst es: il y a 32 ans, quand cdui qui
4crit ces lignea suivait les cov/rs de Vuniversiti de Bonn, es
n'Stait paa Diez — choee qui aurprend aufourd'hui — qui
enseignait la grammaire romane, Diez faiaait un eour$
public, — peu auivi — , de philologie germanique, un coura
prif>£ dana cequel il expliquait un texte allemand, et un pri-
vatiaaimum Ott on liaait la Qeruaalemme liberata; maia Ddiua
faiaait quatre legona par aemaine aur la grammaire comparie
dea languea romanea. On ne peut paa dire qu'il exergdt une
grande action aur aea auditeura, ni qu'ü expoaät dea iddea
tria originalea, maia il poaa4dait bien aon aujet et ü le trai-
tait avec une grande conacience. Er gedenkt dann der Arbeiten
des Gelehrten und seiner liebenswerten Persönlichkeit. DaTs er
ihn selbst gehört hätte, glaube ich nicht. In dem Briefe vom
17. Juni 1870 ist von einem kurz zuvor erfolgten Besuche Delius'
in Paris die Bede.
Auch mit dem trefflichen Charles Monnard (geb. 1790, gest
1865) hat Paris, glaube ich, nicht in engerer Verbindung ge-
standen. Seine Vorlesungen bezogen sich vorzüglich auf die
französische Literatur des 17. Jahrhunderts; und der von ihm
veranstalteten Übungen im Sprechen und Schreiben des Fran-
zösischen, in denen willige Schüler wohl Förderung finden konn-
ten, und an denen ich mich gern beteiligte, bedurfte der junge
Franzose nicht. Doch könnte wohl sein, dafs die Studenten aus
der französischen Schweiz, mit denen wir beide viel verkehrten,
Paris wohl mehr, als für sein Erlernen des Deutschen zuträgUch
war, ihn mit dem von ihnen wie billig hochverehrten Lands-
mann in Verbindung gebracht hätten. Im Jahre 1862 erschien
übrigens Monnards Chreatomathie dea proaateura frangaia du
XIV* au XVI* ai^de avec une grammaire et un lexique de la
langue de cette pdriode, une hiatoire abr4g4e de la langue
franqaiae depuia aon origine juaqu'au commencement du XVII*
ai^cle et dea conaidSrationa aur V4tude du meux frangaia,
Genf 1862. Was ich über das Buch gesagt habe (Neuea achweiz.
Museum II, 287 — 295), deucht mich nicht unbillig, doch hätte
es auszusprechen einem anderen vielleicht besser angestanden
als mir, der ich erst sechs Jahre zuvor Monnards Schüler ge-
wesen war und immer noch manches von ihm lernen konnte,
wenn auch nicht gerade Altfranzösisch. Aber Rezensenten für
derartige Bücher waren damals noch nicht so leicht zu finden wie
später, und ich konnte mich der Aufgabe nicht leicht entziehen.
Die gewünschte Besprechung von Paris* Schiift über den
Akzent hat Diez 1864 im fünften Bande des Jahrbucha er^
scheinen lassen; sie ist dann wieder gedruckt in der von Brey-
mann besorgten Sammlung von Diez' Kleineren Schriftes^
Briefe Yon Gasl»!! Paris tax Friedrich biek. 81
S. 197—205 (1883). Sie enthält einige wohlbegriindete Ein-
wendungen gegen das vom Verfasser Vorgetragene, daneben aber
yiel Anerkennendes. Paris spricht seinen Dank aus in den
Briefen yom 22. März 1864 und vom 8. Juli 1866.
Die Vorrede des Übersetzers zu Diezens Einleitung ist kurz
ausgefallen; warum, erfährt man aus dem Briefe vom 8. Sep-
tember 1862. Die folgenden Briefe kommen noch öfter auf sie
zurück. Dagegen ist die Bitte um Aufklärung über zwei, wie
es scheint, Paris nicht recht verständlich gewordene Einzelheiten
auch später nicht ausgesprochen.
Ce 8 iepttmhM 186t,
Monsieur,
La traduetum de votre Introditetum 8*vrnprime ra/pidement et aera sans
dot*te publiie le moie procha4n. Ucmnonce de la publication de M. Sckeler
ne m'a pas dSoouragS, parce que faurai d'abord l'avantage de le privenir^
et ensuite parce que V introductiony plus gSnSrale et plus restremte, trouvera
Sana doute un ptiblie plus considerable, Ce qui me pe4ne seulement, e'est
que mon Sditeur a naiurellement desiri que je ne misse plus de retard ä la
ptiblicatüm, ee 'qui m'empeche de faire une priface a/ussi considerable que
je Vaurais voulu. Jusqu'ä la fm d^aaüt, des eocamens juridiques tr^-
elra/ngers ä la phüologie ont compUtement absorbS mon temps; et mainte-
nant je suis dans un vülage ou ü m*est impossible c^avoir les livres dont
faurais besoin. Je dms done renoneer ä faire, commefen avais Vinten-
tion, une Sittde approfondie de la phüologie eomparSe des lanques romanes
teile qu'dle s'est oreie, princvpalement pa/r vous, depuis trente ans en Alle-
magne, et de la rattacher ä la direetion generale des trava/ux kistoriques
et pküologiques cUlemands. Je voitdrais eompenser ce qui me manquera,
— itemt obligi de travailler id loin de toute espece de matSriaux, — par
quelques ditails sur vos ouvrages, votre personnalitS et votre influence. Jai
lu quelque part que e'etait öoethe qui vous avait vndiqtd la voie que vous
avex si glorieusement suivie; pourrais-je vous demander de me dire ce qui
en est? En un mot, et pour vous dire elairement Vobjet de ma lettre, fai
pense que ce ne serait pas trop prisumer de votre bienveülance four moi
et pour une tentative qui a eu, — quand je Vai conptie au moins, — le
meriie d'etre la premihre de ce genre, que de vous demander quelques dStails
sur Vesprit gSniral de vos travaux et les idees qui vous ont amene ä les
faire et vous ont guidi(s) dans leur accomplissement. Ce sera donner ä
mon essai une valeur que je ne puis lui cUmner moi-mime: cor vous me
flattex bien en me disant que votts attendex de moi des notes et des criti-
ques, A peine trouverex-vous quatre ou dnq obseroations tr^-insignifiantes
sur des details. (fest dans la PrSface que je comptais me developper ä
mon aise, et c'est encore lä que grdce ä vous j*esphre mettre tout le nUrite
de ee qui m'est personnel dcms ce travail.
Pardonnex-^moi de vous importuner de la sorte; vous m'avex tottjours
temoigne tont de bon votUoir et d'amitie que j'ai cru pouvoir me permettre
cette demande, et que fai l'espoir que vous me V accorderex.
Je vous en remerde par avance, et je vous supplie bien de me croire
avec autant d*affection que de respect, Monsieur et cker mattre
Votre tout devoui disciple et ami,
G Paris
Mon ph'e se rappelle ä votre bon souvenir. — Ecrivexrmoi, je vous prie,
ä cette adresse: ä Avenay — par Ai (Marne),
AxfMf f. n. SpiMben. CXY. 6
B2 Briefe von Graston Paris an Friedrich Diez.
Das Erscheinen der übersetzten Einleitung hat sich doch
wohl etwas weiter hinausgezogen, als Paris gedacht hatte. Wenig-
stens bedankt sich Diez erst am 26. März 1863 aus Bonn für
ein schön gebundenes und mehrere geheftete Exemplare des
kleinen Buches. In dem nämlichen Briefe liest man:
'Von Hm. P. Meyer habe ich einen freundlichen Brief erhalten:
Seine Arbeiten intereeaieren mich ungemein. Seine fij*itik, deren Leetüre
ich noch aufschieben mufs, wird gewifs recht schöne Beiträge und Berich-
tigungen enthalten. Ich würde sie später in einem Supplanent zur Boman.
Gramm, mit Dank benutzen. Wenn Sie mir, theurer Freund, dnmal
schreiben, so bitte ich, mir bemerken zu wollen, aus welcher Gegend von
Frankreich und aus welchem Orte Hr. M. ist.'
Inzwischen aber hatte Scheler sich mit folgendem Briefe
an Diez gewandt:
BrOsael, den 10. Mai 1S62.
Hochgeehrtester Herr und Meister,
Ich trage mich seit längerer Zeit mit dem Plane herum, Ihre roma-
nische Grammatik für das französische Publikum zu bearbeiten. Diese
Arbeit entspricht einem wirklichen Bedürfnisse und würde sich, wie mir
dünkt, lohnen. Ich. habe mich neulich deisfalls an Didot in Paris ge-
wendet; derselbe würde wohl den Verlag gerne übernehmen, wenn augen-
blicklich das wissenschaftliche Interesse nicht gar so abgestumpft wäre.
Er bemerkt dazu, dafis der Absatz in Frankreich 200 Exempl. kaum über-
steigen würde. Da ich berechnet habe, daiJs circa 250 feste Abonnenten
die Herstellungskosten decken, und ich nicht verzweifle, im nichtdeutschen
Europa diese Zahl aufzutreiben, vorzüglich mir schmeichle, dafs Didot,
der 500 Ex. meines Dictionnaire ang^auft, wohl etwa 150 Ex. Ihrer
Grammatik übernehmen würde, glaube ich den Gedanken noch nicht auf-
geben, im Gegentheil die Ausf ühning desselben um so ernstlicher betreiben
zu müssen.
DalB ich mich aber der Aufgabe nicht unterziehen will, ohne die Be-
jhiedißung zu haben, da& ich es mit Ihrer Einwilligung und unter Ihren
Anspielen thue, brauche ich Ihnen nicht zu versichern.
Die Franzosen müssen endlich in die offen gelegten Geheimnisse dex
neueren Sprachwissenschaft gewaltsam eingewcdbt und zur gerechten Wür-
digung der deutschen Forschung und besonders Ihrer honen Verdienste
getrieben werden.
Mein Freund Grandgagna^e ermuthigt mich ganz besonders zur Ver-
wirklichung meines Planes, u. ich glaube, daia, nach Eintreffen Ihrer Zu-
sage, ich die besagte Üebersetzung in den Vordergrund meiner literarischen
Arbeiten schieben werde.
In der Erwartung Ihrer freundlichen Antwort und mit der Versiche-
rung der aufrichtigsten Hingebung j^ ergebenster Schüler
Dr. Aug. Scheler,
Bibliothekar des Königs.
Diez scheint, da ja Paris die Absicht, das ganze Werk zu
übertragen, nie geäufsert hatte, seine Zustimmung gegeben und
Scheler daraufhin eine vorläufige Anzeige seines Unternehmens
veröflfentlicht zu haben; von einem davon offenbar verschiedenen
förmlichen prospectus Schelers spricht Paris in dem undatierten
Briefe vom Sommer 1863.
Briefe yon Oaaton Paris an Friedricli TD^ez. 8S
Die juristischen Prüfungen, denen er sich zunächst zu unter*
werfen hatte» sind die, in denen er den Grad eines ZtcdnctV en
droit erwarb; die Thesen, die er bei diesem Anlafs am 28. August
1862 verteidigte, sind die beiden bei Jouaust in diesem Jahro
gedruckten De tutda und De la tuteile, die man in der Biblio-
graphie des travaux de (?. Paris p, p, J. Bddier et M, Roques
unter Nummer 1195 findet
Das Dorf Avenay, etwa 20 Kilometer von Reims, war der
Geburtsort des Vaters und des Sohnes, und da pflegte der
Sohn seine Ferien zu verbringen; siehe darüber in der Schrift
von Rajna S. 49 Anm. 4 und 5. Dafs der Vater während des
Krieges 1871 sich inmitten deutscher Truppen dort aufhielt,
ohne von ihnen zu leiden, wird man dem Briefe des Sohnes vom
7. Mai 1872 glauben dürfen oder müssen.
Dals Diez sich nicht in umfänglichen Darlegungen über
seine Persönlichkeit, seine Werke, seinen Einflufs, über die Ge-
danken auslassen würde, die ihn bei seinen Arbeiten geleitet
hätten, war zu erwarten; doch hat er die dringende Bitte seines
jungen Freundes auch nicht ganz unerfüllt lassen wollen, und
in der Vorrede zu der Übersetzung findet man zwei kurze
Stellen, die Paris als von Diez herrührend bezeichnet: ^Ce qui
m'a poused ä entreprendre mes travaux philologiquee et ce
qui m'a guid4 dane leur ex4cution, c'est uniquement Vexemple
de Jacob Grimm. Appliquer aux langues romanee ea gram-
maire et sa mithode, tel fut le but que je me propoeai. Bien
entendu, je n^ai proc£d4 ä cette application qu^avec une cer-
taine libertd^ (S. XVI); und '8i je pouvais suivre mon goüt,
je voudrais mettre tout ä fait de c6t4 lea dtudee grammati-
edles, et m'occuper plutöt d'histoire litt^raire; mais il n'est
pas facile de se retirer d'un champ oil on a travaüld tant
d'annieff (S.^ XVIII). Gleich darauf führt Paris (S. XIX) eme
schriftliche Äufserung seines Lehrers an, die dieser aus Anlafs
einer Meinungsverschiedenheit über eine grammatische Einzelheit
getan habe; man könnte dabei an die in dem Briefe vom 14. Mai
1862 in Aussicht gestellte Bitte um Aufklärung über einige
Punkte denken, wenn nicht jener Brief aus dem gleichen Jahre
stammte wie die im Oktober 1862 geschriebene Vorrede, in der
es heiüst: ^Etudiant, Vannie derniire, un point sur lequel
je me trouvais un peu en dSsaccord avec sa grammaire, je lui
4crivis pour lui demander son avis; et je regus cette r^ponse :
Voici mon conseil, mon eher ami, Si vous etes en doute de
ce que j'avance, suivez votre inspiration et n'allez pas surfaire
une atUorit^ itrangire, Nous nous trompons tous, et les vieilles
gens sont spicialement sujets ä ce defaut de se tenir attaches
ä une id£e ä laqudle ils se sont accoutumes. La jeunesse est
plus mve et plus libre; eile trouve souvent ce qui nous Schappe.
6*
84 Briefe von Oaston Paris an Friedrich Biez.
Si V0U8 me dScouvrez des fautes, ditea-le sans h^siter^ je vous
en remercterau'
Wo schon vor 1862 etwas über den folgenreichen Besuch
Diezens bei Goethe zu lesen gewesen sein mag^ weiüs ich nicht.
Später ist er oft erwähnt worden. Da Diez auf den Brief vom
8. September noch vor dem Abschlufs der pr4face geantwortet
hat und in dieser S. XIY erzählt ist, wie Diez in Jena durch
Goethe auf Raynouards Arbeiten hingewiesen worden sei, so ist
an der Tatsache nicht zu zweifeln.
Die Bemerkungen des Übersetzers zu dem in der Vorlage
Enthaltenen sind in der Tat weder zahlreich (etwa fünfzehn)
noch von sonderlichem Belang; Diez hat denn auch später nichts
davon in die dritte Ausgabe der Grammatik herübergenommen,
obgleich er in einem Briefe an Paris vom 6. August 1863 freund-
lich urteilt: 'Ihre Noten zur Introduction sind kurz, aber tref-
fend und niemals überflüssig.' Er hatte damals, da die Über-
setzung der Einleitung in die nun beabsichtigte Übertragung
der gesamten Grammatik übergehen sollte, jene genau durch-
gesehen und eine sehr beträchtUche Zahl von Druckfehlern darin
gefunden, auf die er nun aufmerksam machte, damit sie in dem
neuen Druck nicht wiederholt würden. S. 147, wo der Über-
setzer übrigens ein paar nicht unwesentliche Zeilen des Ori-
ginals (über den Leodegar) vermissen läfst, hatte er, während
Diez 1856 dies mitzuteilen versäumt hatte, angegeben, Passion
und Leodegar seien seit 1852 von diesem herausgegeben. Diez
hat nicht einmal von diesem kleinen Nachtrage Gebrauch ge-
macht
Monsieur et eher maitre,
Votts devex etre surpris de man long silence, et hien que fen sois un
peu cotipablej vous me feriex tort de Vattribuer uyiiqtwment ä ma negligence.
J'etais en Italien ou je mens de faire un fort agreable voyaye, quand votre
lettre est arrivee ä Paris, et je ne stiis de retour que depuis assex peu de
temps. Tespere que vous avex pa^se keurettsetnent le temps qui s'est ecoule
depuis que j'ai eu de dos nouvelleSj et que vous etes ocoupe de quelque ira^
vail agrcable pour vous et utile pour nous autres. Pour vioi, je n'ai pa-s
beaucoup travaille cette annee, et j'ai besoin de rattraper le temps perdu
par un effort rigoureux cet hiver. Je m' ocoupe pour le moment d'un trarail
d'histoire litteraire qui me prendra bi-en du temps et que j'ai du reste com-
mence depuis plusieurs 7nois, J'espP,re qu'il vous offrira de l'interet: c'est
VHistoire poetique de Charlemagne, Si vous eonnaissiex sur ce sujet quelque
dooumeut qui ait echappe ä Bartsch et aux autres chercheurs, ou si vous
am'ex vous-meme quelque renseignement interessant, vous savex que je rece-
vrais vos ifidications aveo la plus grande recotmaissanee.
Mais pour parier de cfwses qui vous interessent plus directemefit, vous
avex Sans douie appris que la grande affaire de la traduction de la Oram-
matre est decidement en bonne voie. II a ete convenu que M. Scheler en-
verrait sa traduction icij que je reverrais les epreuves et ä l'occasion que
je pourrais ehanger ou annoter, et que le toiU serait imprime ohex Herold,
Briefe yon Gaston Paris an Friedrich Diex. 85
Voknable et intelligent edifetir de VIntroduction. Vbus dormeriex ä eette
enireprise une raleur bien grande^ eher Monsieur, si vous aviex qudqvs
additian ou qtidque changemefit ä notis envoyer; cependcmt la demihre
edition est si recenie que votts ne devex gubre avoir de modifications ä y
faire. Mais ee gm je vous demanderai instammentf c'est de me commu-
niquer les observations que vous avex pü faire sur^V Introduction, qui
Pflf reparaitre dans l'ensemble de Vouvrage; je connais d^'ä par un artiele
de Mussafia un lourd eontre-sens (die längste Grenze = qui fut le plus
longtemps la fronti^e): fai peur qu'il n'y en ait eneore d'autreSf et je
campte sur vous pour me sig?ialer toutes les fautes que vous avex remar-
quies fant datis le texte que dans les quelgues notes. La Preface sera con-
siderabletnefit changesy tout en resta/nt ä peu pres dans le mefne ton, mais
arcc un peu plus de details sur l'ensemble de votre methode et des resultats
que Tous avex inebranlablement etablis. Votis pensex que pour tout cela
rotrc eoncours sera le bien-venu; je voudrais que la traduetimi füt digne
du livre; j'esph'e que notre entreprise reussira bien. Au moins VIntro-
duction se vefid-elle bien et a-t-elle dejä assex hien prepare le terrain.
Je viens de recevoir le prospeetus de M, Seheier pour la traductian
qu'il preparait ä lui seul Van dernier; il penae qu'on pourrait Vutiliser
pour la nauvelle. Je suppose que vous Varex vu. Pour moij je crois qu'il
raudrait mieux en faire un autre. D'abord le style de M. Seheier est lourd
et un peu embarrasse; puis il parle de ses peines et de ses sacrifioes
ee qui est d* assex maurais gout ä mon sens et ce que je ne voudrais pas
prendre pour moi. II y a beaucoup de petites observations de ce genre qui
me feraient refeter ce prospecttts. En outre, il iniitide votre livre: Expose
de la Formation et de la Orammaire des Langues Rom^nes. Je crois qu'il
raut mieuj' meftre siniplement: Oram^maire (ou Qr. comparee?) des
Ijangues Romanes. Je serais content de savoir quel est le titre qui pous
eonviendrait le 7nieux.
Sur tout cela, eher nuiitre, j'attends avec impatience votre reponse. Je
serai bien heureux de lire datis le Jahrbuch un mot de vous su/r mon
Aecent latin; si vous ne Vavex pas trouve tout-ä-fait indigne de votre eeole,
cest le plus bei eloge que vous puissiex lui donner,
Mon pere se rappelte ä votre souvenir. Votcs aurex lu dans la Bibl.
de VEcole des Chartes le pr emier artiele de Meyer sur VHistoire de la
Langue Fran^aise (ainsi nommee bien improprement) de M, LittrS; je crois
que rous en aurex Ste assex content. Je serais eurieux de eonnaitre votre
opinicn sur le Dictionnaire de lAttre et aussi sur celui de Scheler, que je
ne connais pas. Vous me deniandex la patrie de Paul Meyer; je ne sais
pas bien quel interet cela offre pour vous; enfin il est de Paris: c'est un
jeune komme intelligent, instruit, philologue serieusement et qui par con-
sequent vous admire comme il le doit.
AdieUf eher Monsieur, croyex-moi toitjours bien sine^ement
Votre tout diwuS serviteur et a/mi
e Paris.
Dem vorstehenden Briefe fehlt die Datierung; es kann aber,
da Diez am 6. August 1863 dai-auf geantwortet hat, keinem
Zweifel unterliegen, dafs er im Sommer 1863 gesehrieben ist,
nach einem Schweigen, das seit dem 8. September 1862 ge-
dauert hatte. Diez hatte am 26. März 1863 für Exemplare der
Introduction gedankt und bei diesem Anlafs auch nach dem
Heimatsorte P. Meyers gefragt (s. oben S, 82). Über G. Paria'
86 Briefe von Gaston Paris an Friedrich Dies.
erste Reise nach Itab'en wie auch über die sechs späteren, die
ihm das schöne Land immer teurer machten und ihn mit einer
grofsen Zahl hervorragender Menschen in persönliche Berührung
brachten, gibt Rajna S. 40 und Anm. 90 erwünschte Auskunft.
Die Histoire po4tique de Ckarlemagne hat ihren Verfasser
natürlich lange beschäftigt; er spricht davon auch im März 1864,
und erst im Juli 1865 sieht er sich am Ziele.
Zu einer gemeinsam auszuführenden Übersetzung der Oram-
matik der romanischen Sprachen hatten sich inzwischen Scheler
und Paris zusammengetan und hatten in Herold, dem Inhaber
der Firma A. Franck in Paris und Leipzig, der auch die Intro-
duction gedruckt hatte, einen Verleger gefunden. Jeder der
beiden Genossen scheint angenommen zu haben, der andere
habe Diez von der Übereinkunft in Kenntnis gesetzt; denn auch
Scheler schreibt:
BrflRsel, 3 Okt. 1863.
Hochgeehrtester Herr Professor,
Dals es mir gelungen ist, die Franck'sche Buchhandlung in Paris
dazu zu bewegen, meine Uebersetzung Ihrer Eomanischen Grammatik in
Verlag zu nehmen, ist Ihnen vielleicht durch H. Gaston Paris, der sich
mehr oder weni^ an meiner Arbeit betheiligen wird, kekaunt geworden.
Der Druck des Werkes sollte eben binnen, als ich von meinem Ver-
lier benachrichtigt wurde, dals der Ihrige, H. Weber, Einsprache gegen
das Erscheinen der Uebersetzung bei ihm eingelegt habe.
Sofort schrieb ich H. Weber, dafs ich nidit nur, bereits im Mai 1862,
von Dmen als Verfasser zur Ausführung meines Vorhabens ermächtigt
worden sei, sondern dafs Sie mir in demsäben Briefe, auch die Erlaubnus
des Verlegers notifizirt hatten.
In seiner Antwort bestätigte H. W. ganz einfach seinen Protest u.
nahm von jenem erwähnten Bnefe gänzlich Umgang. Auf die umsehend
am 10^^° Sept. an ihn gerichtete Anfraee, ob er den Inhalt Ihres Briefes
vom Mai 1862 anerkenne oder nicht, nahe ich bis jetzt keine Antwort.
Er ist natürlich in die unangenehme Lage versetzt, entweder sich selbst
oder Ihnen ein Dementi zu geben.
Ich hiedt es für meine Pflicht, Sie von dieser eben so unerwarteten
als leidigen Ungelegenheit in Kenntnifs zu setzen. Vielleicht sind Sie im
Stande, durdi ein vermittelndes Einschreilen, die Schwierigkeit zu lösen.
Ich kann mir nicht vorstellen, dafs H. Weber bei vernünftiger Ueber-
legung des durch seinen Protest, der Anerkennung ihres Verdienstes, der
Bdohnung meiner mühsamen Arbeit,, seinem eigenen merkantilischen Rufe,
u. vor AÜem den Interessen der Wissenschalt erwachsenden Schadens,
bei seinem Widerstände verharrt.
Vielleicht werden mich bald einige Zeilen von Ihrer Hand hierüber
beruhigen. Einstweilen genehmigen Sie, werther Meister, die neue Ver-
sicherung meiner tiefen Verehrung.
Dr. Aug. Scheler
62 me Mercelis
Man sieht hier zugleich zum erstenmal die Schwierigkeiten
auftauchen, die der Durchführung des Unternehmens sich so
lange in den Weg stellen sollten, und von denen nachher zu
reden sein wird. Was die Beteiligung des Verfassers an etwaigen
Briefe Ton Gaston Paris an Friedrich Dies. 87
Zusätzen der Übersetzung gegenüber dem deutschen Werke be-
trifiFt, 80 schreibt Diez am 6. August 1863 an Paris:
'Buchhändler Weber protestiert ge^en meine Theilnahme an der fran-
zösischen Ausgabe der Grammatik und man kann ihm dies nicht fibel
nehmen, aber dieser Protest ist überflüssig. Was den Prospectus von
Hm. Scheler betrifft, so bin ich in allen Puncten Ihrier Meinung. Der
passendste Titel scheint auch mir Qrammaire des kmgues rom. Vielleicht
aher ist Ör, comparee ete. mehr nach französischem Geschmack. Die
Stelle: avee le concours de l'auteur muls ich bitten zu unterdrücken so-
wohl mit BQcksicht auf meinen Verleger wie auch auf das richtige Sach-
yerhaltnis. Ebenso die Worte avee Vasaentiment de rSdüeur; ich glaube
wenigstens nicht, dafs dies Statt gefunden hat,'
Was jenes Sachverhältnis betrifft, so war Diez, wie er in
demselben Briefe vorher ausgeführt hat, zwar willens, später
etwa nötig werdende neue Ausgaben der Grammatik und des
Wörterbuches um einiges zu erweitem (s. oben Bemerkungen
zum Briefe vom 8. September 1862), hatte aber davon noch nichts
ausgearbeitet, so dafs er zur Übersetzung Zusätze zu geben nicht
in der Lage gewesen wäre, auch wenn er das für schicklich ge-
. halten hätte. In bezug al3er auf die Zustimmung des Verlegers
hat ihm, wie der anzuführende Brief Schelers vom 29. Oktober
1863 zeigt, das Gedächtnis nicht treu gedient.
Die Besprechung der Introduction hat Mussafia laut Elise
Richters Verzeichnis seiner Schriften in der Katholischen Lite-
ratur-Zeitung X, 85—86 (1863) erscheinen lassen. Ob die Vor-
rede zu der Übersetzung in dem Neudruck wirklich eine ein-
greifende Umgestaltung erfahren hat, vermag ich nicht fest-
zustellen.
Mit der Besprechung der Schrift über den Akzent war
Mussafia in der Wochenschrift für Wissenschaft, Kunst und
öffentliches Leben, 1862, Nn 26, S. 207, Diez zuvorgekommen.
Der Artikel P. Meyers über Littres Histoire de la langtte
frangaise steht in der Bihlioth. de VEcole des Chartes, V ® Serie,
T. 5. Das Wörterbuch Littres, von dem in der Vorrede der
Introduction S. XUI als von einem Denkmal die Rede ist, das
sich den bewundernswerten französischen lexikalischen Arbeiten
seit dem 16. Jahrhundert würdig anreihen werde, hat 1863 zu
erscheinen begonnen. Schelers Etymologisches Wörterbuch war
zum erstenmal 1861 herausgekommen. Diez beantwortet die
ihm hier vorgelegten Fragen am 6. August 1863 wie folgt: 'Was
Schelers Dictionn. etym. betrifft, so scheint es mir ein brauch-
bares Buch. Der Verfasser zeigt überall ein bescheidenes und
besonnenes ürtheil. Eine Kritik davon hat Diefenbach geschrie-
ben, sie steht in der Zeitschrift für vergleichende Sprachwiss.
(Kuhn). Er nennt den Verfasser gelehrt, aber grade die Ge-
lehrsamkeit, d. h. die Quellenkunde vermisse ich. Littre's Wörter-
buch habe ich noch nicht genau angesehen. Was den Artikel
88 Briefe von Gkuiton Paris an Friedrich Dies.
des Hrn. Meyer über Littres Hist de la langue franq. betrifft,
so bedaure ich sehr, das neueste Heft der BibL de VEcole des
Charles noch nicht gesehen zu haben ... Ich freue mich aber
nicht wenig auf diese Lecture, denn in Hm. Meyer verehre ich
einen Forscher im vollen Sinne des Wortes. Er hat mich vor
einigen Wochen mit seinem angenehmen Besuche überrascht,
der aber leider nicht lange gedauert hat. Gegenwärtig befindet
er sich in Soden . . .'
Die Antwort auf Diezens Frage (s* oben zu dem Briefe vom
8. September 1862) nach der Gegend und dem Orte Frank-
reichs, woher P. Meyer stamme, scheint mit einiger Ungeduld
gegeben, beinah so, als käme sie von diesem selbst. Der Name,
dessen provenzalischer Ursprung nicht einmal für Herrn Mistral
in seinem Tresor festzustehen scheint, legte eben die Vermutung
irgendeines Zusammenhanges mit Deutschland oder doch mit
Eisafs-Lothringen nahe, und ob ein solcher bestehe, durfte Diez
wahrlich fragen, ohne dafs darin eine Kränkung lag.
Paris, ce §amedi Sl odohre 186St
Monsieur et eher mattre,
Je ne sais si vmis etes au courant des negodations gut sont iniervenues
depuis quelque temps entre M. Weber, M. Scheler et M. Herold ä propos
de la traduction de votre Orammaire des langues romanes. nPetms abseni
de Paris, et vous Veiiex de Barm, pendant que s'eehangeaient la plupart
des lettres de ces messieurs, depuis la premih'e oü M. Weher a fwtifie ä
la lihrairie Franck (Herold) son refus de consentir ä la traduction jusqu'ä
une lettre de M. Sctieler ä M. Herold qui vient de ni'etre eommuniquee et
qui ms jette dans la plus grande surprise. Je n'ai pas doutS jusqu'iei de
la bienveillanee que vous m'arex ioujours temoignee; fai plus d'une lettre
de vous Ott vous m'en donnex les assurances; je saisy et par votre conver-
sation et par votre correspondance, que vous desirex virenient voir votre
livre traduit en fran^ms; et qua/nd je vous ai eerit que je me deeidais ä
in*assoeier ä M. Scheler pour atteindre ce but, vous m'avex repondu, le
9 aout demier, que cette nouvelle vous itait extremenient agrktble, que vous
ne doutiex pas de l'heureux sueces de notre entreprise, et quant ä ma tra-
duction de V Introduction, que vous la trouviex tr^-riussie. Äpr^ depareüles
assurances, que votre loyaute et votre cara-ctere me rendaient et me rendent
eneore pa/rfaitement att-dessus de tout soup^on, jugex de mon etonnemenl
en lisant ce matin dans une lettre de M. Weber ä M. Scheler, dont eelui-ci
reproduit des passages, les phrases suivantes (eetui-d rappelaii ä M. Weber
que dans une lettre de mar vous l'aviex assure du consentement de ce
libraire): ^Nur so viel ist mir gegenwärtig, dass, als ich vor ea 6 Wochen,
vor seiner Abreise, mit ihm (Prof. Diex) in Bexug auf Ihre Äusserung
darüber sprach, er doch in Abrede stellte, Ihnen meine Einwilligung
daxu mitgetheilt xu haben, sich aber über das ganxe Unternehmen, u>ie es
sich nun Ihrerseits und seitens des Hn Oaston Paris und Franck jetxt her-
ausstellen soll, nicht eben in sehr befriedigender Weise äusserte. Ich habe
daraus wenigstens nicht entnehmen können dass es ihm besonders angenehm
sei. — Ob er in seiner Antwort auf ein Schreiben des H^ Gaston Paris,
das ich ihm entxiffem half, dies auch angedeutet hat, tceiss ich nickt xu
sagen,'
Briefe von Qaston PariB an Friedrich Dias. 89
Votis eomprendrex assurSment qtiefifwoque en reponse ä cetie msinua-
Hon toute la franehise de votre temoignage: je compte (Tautant plus sur une
deelaration eontraire ä V Interpretation de M. Weber qtie la lettre ä laqu^Ue
il fait aUusion^ et dont fai rappele le fond tout-ä-Vheure, lui est compUte-
meni opposie. Ten ai aussi le plus grand besoin; car je me suis resolu
ä aeeepter les propositions qui me sont faites, pour eette traductiofij sur-
totst par le desir de vous etre agreable en realisant un voeu queje sais que
Tous formex depuis longfemps. Sans cette idee et eelle de serdr la science
je n*aurais eertainement pas eonsenti ä me charger d'nn travail qui sans
doute ne me rapportera rien et qui me derange au milieu d'occupations
nombreuses et trhs-differentes. Äussi n^hesiterais-je pas ä en abandonner
la pensee si je croyais que M. Weber eilt raison, et que vous ne rissiex pas
eette entreprise avee plaisir; fai donc le plus grand ififeret ä savoir ce
qui en est. Je desire aiissi, si vous donnex raison ä mes esperancesy que
vous fa-ssiex bien nettement part de vos dispositions ä M. Weber; il ne
pourra plus ainsi cueher des refus dont le bui pSamiaire me paraH assex
elair derrihre une pritendne repugnance de votre part. Oserai-je vous de-
mandcTy Monsieur et eher maiire, de me donner sans retard une reponse?
Si M. Weber a dit vrai, ne croyex, pas queje vous en vetiiUe pour cela;
TOUS aurex sans doute pense que votre livre gagnerait ä attendre un tra-
dueteur plus digne, et je sais trop quelle est mon insuffisance pour ne pas
eomprendre cette manihre de voir, qtii me surprendrait seulement en ce qu'elle
eontredirait toutes vos assertions prScedentes et m^enlhverait une illusion qui
m'itait preeieuse, celle de votre sympatkique approbation pour mes travaux.
Pardonnex-moif eher Monsieur, d'avoir pü supposer que vous ne m'eüs-
siex pas dit la vSrite tout entiere; au fond je ne doute pas que Weber n'ait
ou mal eompris ou mal rendu vos paroles, et je me persuade que vous me
regardex toujours eomme votre disciple. Veuillex donc m'en donner prompte-
ment la bonne assura/nce; je pense que votre interrention auprhs de Weber
ne pourrait noi4s etre que d*un trhs-bon seeours.
Öroyez-moi bien, eher maUre,
Votre tout d6voue,
O Paris.
J'ai vu que votre livre sur la poSsie portugaise avait paru; je serais
heureux de le lire. — Meyer m^a donne de vos nourelles, ei fort heureuse-
meni de bonnes.
Etwas früher als vorstehenden Brief wird Diez den folgen-
den, auf die nämlichen Dinge bezüglichen Schelers erhalten
haben :
Brttasel, den 29 Okt. 1863.
Hochgeehrtester Herr Professor,
Meinen vor etwa drei Wochen an Sie abgesandten Brief, worin ich
Ihnen die von H. Weber gegen das Erscheinen der franz. Ausgabe Ihrer
Grammatik erhobene Einsprache gemeldet, werden Sie bei Ihrer Böck-
kmift vorgefunden haben.
Es li^ mir nun um so mehr daran Ihre Ansicht über diese leidige
Angelegenheit zu kennen, als H. Weber nur in seinem Briefe vom 14. Okt.
schreib^ er überlasse es Ihnen sich über die Erlaubnils auszusprechen,
die Sie mir in Ihrem Schreiben vom 28. Mai 18H2, betreffend die Ueber-
setzung des Werkes, in Ihrem u. des Veriej^crs Namen, ertheilt haben.
Er henift sich darauf, dafs Sie die Richtigkeit meiner Aussage bezweifelt,
als er Ihnen davon sesprochen, u. überhaupt sich über das Unternehmen
Francks in Paris nicht in sehr befriedigender Weise ausgesprochfin hatten.
90 Britfe von (^aston Paris an Friedrich Dies.
Bia ich hierflber Ton Ihnen selbst ins Klare gesetzt werde, erlaube
ich mir den betreffenden Passus Ihres Briefs Tom Mai 1862 hier bei-
zufügen :
^Meine Zustimmung also^ w^een deren Sie bei mir anzufragen die
Güte hatten, haben Sie hiemit Zum Ueberflusse habe ich auch die
des Verlegers noch eingeholt. Ich fand Herrn Weber mehrmals
nicht, mit welchem Umstand ich die yerzögerte Antwort zu erklären und
zu entschuldige bitte.''
Sie sehen, daüs ich es nach so bestimmter Genehmigung mir nicht
einfallen lassen konnte, von Bonn aus auf Hindemisse zu stoisen. Ich
bin aus Liebe zur Sache ans Werk gegangen, habe Vieles auf die Seite
Beworfen , um es schnell zu EInde zu fuhren, und soll nun mit dem Ver-
achte belohnt werden, mich unrechtmäfsiger Weise fremden Eigoithums
haben bemächtigen zu wollen.
Ich hoffe noch immer, daJb Ihre Dazwischenkunft die Sache auf güt-
lichem Wege lösen wird.
Mit ausgezeichneter Verehrung
Ihr ganz ergeoener
Dr. Aug. Scheler.
Über dem, was Ursache gewesen war zu diesen beiden
Briefen, und was leicht nicht blofs die Fortführung der begon-
nenen Arbeit hätte in Frage stellen, sondern auch das Einver-
nehmen zwischen Diez und seinen Übersetzern gefährden kön-
nen, liegt einiges Dunkel. Diez scheint insofern nicht ganz
ohne Schuld gewesen zu sein, als er, wie aus Schelers Brief
vom 29. Oktober 1863 sich ergibt, letzterem im Mai 1862 ge-
schrieben hatte, er habe die Zustimmung des Verlegers ein-
geholt, während er dieser Zustimmung doch so wenig sicher
war, dafs er am 6. August 1863 an Paris schrieh: 4ch glaube
wenigstens nicht, dafs dies (aasentiment) Statt gefanden hat.'
Leider fehlen hier Briefe, die gewechselt worden sein müssen:
von Scheler liegt mir überhaupt kein weiterer mehr vor; der
nächstfolgende von Gaston Paris, vom 22. März 1864, sprcht
zwar noch von Schikanen des deutschen Verlegers, erwähnt aber
nicht mit der leisesten Andeutung des früheren, jetzt offenbar
völlig geschwundenen Mifstrauens gegenüber dem Meister, und
Diezens darauf antwortender Brief vom 23. April 1864 spricht
gegen Ende von einem letzten Schreiben, in welchem er Paris
auf ein neues französisches Gesetz und die Deutung des darin
vorkommenden Ausdruckes contrefct^on aufmerksam gemacht
habe, und dieser Brief fehlt im Nachlafs. Bis auf weiteres wird
man glauben müssen, wenn irgendwo man es an der wünschens-
werten Geradheit habe fehlen lassen, so sei es beim deutschen
Verleger gewesen.
Das Buch über die erste portugiesische Kunst- und Hof-
poesie ist in Bonn bei Eduard Weber 1863 erschienen; in den
folgenden Briefen ist seiner mehrmals noch gedacht — Dafs
P. Meyer in Bonn Diez besucht hatte, ergibt sich aus einer oben
(zu Paris' Brief vom Sommer 1863) erwähnten Briefistelle. Meyer
Briefe von Gk^ton Paris an Friedrich Dies. 91
selbst in einem mir gehörenden Briefe an Diez vom 27. Juli
1864, in welchem er sich für die Zusendung des Buches über
die portugiesische Kunstpoesie bedankt, sagt: vous avez pu
juger par vons-m^me, lors de la visite que j'eus l'honneur de
vous faire Van demier, de ma faiblesse en aUemand.
CawM9t ce 22 imt» 1864,
Monsiemr et eher maitre,
Vaüä longtemps que je ne voua ai ecrity et je doie commeneer eette
lettre par de daubles remereiements. Tai re^ ce matin une lettre de
M. Ebertf qui me dit avoir entre les mains tm artiele de vaua aur mon
Äeeent latin; ü m'assure que vous avex bien voulu vous eocprimer sur mon
compte d'une manihre trhs-favorable, II est itmtile de vous dire eombien
fen suis flattS et reconnaissant ; qui pourrait m'etre plus doux que le suf-
frage de eelui qu*on reeonnait universellement pour le maitre des etudes
aiixquelles se roMaehe mon travail? M. Ebert me dit aussi que vous ajoutex
beaueoup de dStaila nouveaux sur le sujet de Vaccent; je nCem, refouis beau-
eot^, et fespk-e bien y trouver de quoi eompUter et amSliorer beaueoup la
thiorie que fai developpie d*a/prhs vous. II seradt fort ä souhaiter qu'on
fit sur Vensenible des lafigues romanes le travadl que fai essaye sur le
fran^is; mais ce ne sera pas en France qu'on entreprendra qudque chose
d'aussi malaise; nous attendrons cda de l'Allemagne.
*rai d*autres remereiements ä . vous faire pour Venvoi de votre petit
livre sur Vaneiemie lyrique portugaise. II m*est arrivS justement la veille
de mon dSpart pour le Midi, oü la mauvaise scmte de ma mhre notis a
fait passer l'hiver. Je Va/i lu id avec d'autant plus d'intSrit que ce sujet
m*etait tout-ä-fait inconnuj et que votre exeellente critique le place mainte-
nant en pleine lumüre. Cette po6sie artificielle qui a gard4 un ton popu-
iaire est vraiment un phenomhne curieux et qui dorenavant a sa place
marquee dans Vhistoire littSraire du m^yen-^ige. Ä propos d'une note de
rotre ouvrage, permettex-moi de vous soumettre une opinion un peu diffe-
rente de la votre. Vous proposex. (p. 36, note *) une explication de la forme
ortkographique Ih, nk, qui me parait, si j'ose le dire, un peu forcee. On
trouve dans les Serments de 842, comme vous savex^ adjudha, cadhuna,
et ü est bien vraisemblable que Vusage de Vh aprbs tme consonne pour en
marquer safis doute V cmiollissement (dh = d doux) ou Vaspiration (dh =
tk anglais) est emprunte aux la/ngues germaniques, Le texte allemand des
Serments en offre plusieurs exemples. Or il me semble que Vaneien alle-
mand solhe, weihe etc. offre une grande analogie de sons avee le Ih pro-
ven^ fwelher, melhor), dont la prononciation pouvait bien etre un peu plus
rüde et aspiree qu*elle ne l'est mavntenant. Je crois donc que ce groupe-
ment de lettres pour exprimer VI que nous appelons mouille est emprunte
a Vallenmnd. Le nh aurait la meme origine (manhe, etc.). C'est une
pure hypothese, que vous trouverex peut-etre adtnissible.
J'admire dans votre ouvrage Vexaetitude et la beaute de vos traductians
en vers; voilä qui sera ä tout jatnais impossible dans notre langue. II y
a un romancero portugais d' Almeida-Oarrett que je 7ie connais pas. Ijes
romanees qu'ü contient sont-elles anciennes, et croyex-vous que fy trouverais
quelque chose ä prendre pour mon Histoire poetique de Gharle-
magne? (Test la mon unique occupation pour le moment, et fai bien de
ia peine ä y travailler beaueoup i&i, ou je mattque de livres; c'e.sf un sujet
qui preeisement ne peut se traiter qu'ä l'aide d'une multifude de volumes
en toutes langttes; je suis oblige de laisser dans mon trarail bien des blancs
que je remplirai plus tard.
92 Briefe von Gaston Paris an Friedrich Diez.
Mon depart pour Can7ies, qui a ete totä-ä-fait imprevu et suMtj et qui
cohicidait avec relui de M. Herold pour Alger j a stispendu pour quelque
femps Vaffaire de la traduction. Mais nous sommes decides ä passer outre
et ä ne tenir mwun catnpte des chicanes de M. Weberj qui fie nous sem-
bletit aucunefnent fondees. Avex-rous fait avec lui un traite dans lequel
roti-s lui cediex votre droit d'auforiser une traduction? Si vous ne Vavex
pa^ faity il vous reste plein et entiery et rotre pertnission ftotts sufßt pleine-
ment pour etre dans notre droit. D'ailleursj le titre du livre ne contient
auvune prohihition de traduction, et d/ftis re cas-lä la loi prussienne, m'a-
t-on a-ssure, ne donne aueun droit ä Vediteur original, II est impossihle
qu'un editeur prussien ait en France un droit qn'il n'a pas dans son
pays. Nous sotnmes donc resolus ä irnprimer. Des que je serai de retour
ä Paris, c'est-a-dire dans trois semaines, nous allons ntettre sous presse,
et je tdcherai de faire mar eher la chose rofidentent, une fois conimene/e.
Portex-rou-s bien, cJwr Monsieur, continuex. ä nous rSjouir de tetnps ä
antre par un beau livre, et croyex-moi bieti entihrement ä vous
0 Paris
Diezens Erklärung der portugiesischen Darstellung des
mouillierten l durch Ih geht bekanntlich dahin» es sei zunächst
z. B. das aus lat. meliorem entstandene Wort mellior geschrie-
ben worden mit doppeltem l zur Andeutung der Kürze des
vorangehenden Vokals; da aber diese Schreibung zu der irrigen
Auffassung liätte verleiten können, als sei das Wort dreisilbig,
so habe man das obere Ende des i durch ein horizontales Strich-
lein mit dem vorangehenden l verbunden, und die so verbun-
denen zwei Buchstaben hätten dann ein A ergeben, das so ent-
standene Ä aber wäre dann auch zur Andeutung entsprechenden
Sachverhaltes nach n verwendet worden.
Der Romanceiro von Alraeida-Garrett ist, soweit er ursprüng-
liche Volksdichtung enthält, 1851 erschienen und in Deutsch-
land durch F. Wolfs Abhandlung und Übersetzungen in den
Sitzungsberichten der philosophisch -historischen Klasse der
Wiener Akademie, Bd. XX (1856), bekannt geworden. Durch
Wolf, der mit P. Paris befreundet war, mag auch Gaston von
dem Werke erfahren haben, das ihm in Cannes wohl nicht zur
Verfügung stand. In der Histoire po4t, de Charlemagne sind
den portugiesischen Romanzen nur wenige Zeilen (S. 216) ge-
widmet.
Diezens Brief aus Bonn vom 23. April 1864 an G. Paris:
Theuerster Freund 1
Ihren mir sehr erfreulichen Brief vom 21.* März empfieng ich nach
meiner Rückkehr von einer Reise nach Giefsen vor 9 — 10 Tagen. Das
gegenwärtige Schreiben wird Sie nun wieder in Paris finden. Hoffentlich
hat der Aufenthalt im Süden auf die Gesundheit Ihrer Frau Mutter den
besten Einflufs gehabt!
Ich ersehe aus Ihrem Briefe, dafs Hr. Ebert Ihnen einiges aus meiner
Recension Ihrer Schrift De Vace. lat. mitgetheilt hat. Es versteht sich,
* Oenaaer 28.
Briefe von Gaston Paris an Friedrich Diez. 93
^afs aie nicht anders als sehr günstig sein konnte. Wenn aber Hr. E.
sagt, dals ich viele neue Details über den Gegenstand mitgetheilt habe,
so werden Sie sich sehr getauscht finden, wenn der Aufsatz, weldier 6 — 7
Seiten füllen wird, Ihnen zu Geeicht kommt. Ich habe nur über den
Aoeent in der provenz. Mundart einige neue Bemerkungen gemacht.
Aufserdem habe ich einige Fälle berührt, worin ich andere ^sichten
habe als die von Ihnen ausgesprochenen : ob diese Ansichten die richtigen
sind, wissen die Götter. Andere Ihrer Bemerkungen hoffe ich bei andern
Gelegenheiten, ich glaube fast immer beistimmend, berühren zu können.
Dals Ihre Arbeit für die Sprachwissenschaft bedeutend ist, habe ich, nach
meiner Überzeugung, entschieden ausgesprochen.
Ich habe mit Vergnügen gelesen, aais Sie sich für mein Werkchen
über altportugiesische Poesie interessiert haben. Mir selbst war diese
Litteratur fremd geworden, als ich diese Arbeit anfieng, daher hat sie viel
Zeit gekostet Möchte das Büchlein den Erfolg habeuj dafs ein tüchtiger
Kenner den ganzen Codex vaticanus herausffäbe! — Sie fragen, ob der
Romanceiro von Garrett auf Karl d. Gr. Bezügliches enthalte. Mir ist
das Buch nicht zur Hand, ich ersehe aber aus Bdlermanns portugiesischen
Volksliedern (Leipz. 1864) p. 268, dafs die port. Romanzen dieses Cyclus
aus SpKanien eingeführt und spanisch vorhanden sind. Dahin gehören auch
die beiden bei Bellermann abgedruckten von Gaiferos u. D. Beitran. —
Was Sie mir mittheilen über die Schreibung Ihf nh, nehme ich mit Dank
an und werde es zu seiner Zeit überlegen. Das Sprichwort sagt doeendo
discimus] ich glaube, man würde mit mehr Wahrheit sagen diMaiido
diseimus. Wenigstens macht die Wissenschaft auf dem letzteren Wege
gröfsere Fortschritte als auf dem ersteren.
Es ist ein schöner Entschlufs, dafs Sie die Übersetzung der Rom.
Gramm, nicht aufzugeben gedenken. Was Ihre Frage betrifft, so bemerke
ich, dals ich Herrn Weber das Recht, eine Übersetzung zu autorisieren,
nicht abgetreten habe. Dieses Recht gehört nämlich in Preussen und ohne
Zweifel m ganz Deutschland, dem Verleger, nicht dem Verfasser;
ich konnte es ihm also nicht cedieren. Der Ausländer aber ist an dieses
Recht des deutschen Verlegers nich.t gebunde^i, und wenn er den deut-
schen Verleger oder Verfasser um ihre Einwilligung ersucht, so ist dies
eine blofse Sache der Höflichkeit. Weber gab Hrn. Scheler diese Ein-
willigung, weil er juristisch kein Mittel gegen die Übersetzung hatte, denn
er glaubte, das Buch sollte in Belgien erscheinen. Ob aber ein deutscher
Buchhändler eine Übersetzung in Frankreich hindern kann, ist eine
andeje Frage. Dafs der Titel des Originals in diesem Falle das Verbot
der Übersetzung enthalten müsse, ist, so viel ich weifs, nicht nöthi^. Eine
Hinterlegung {consignaiion) von 2 Exemplaren des Originals bei einem
der Ministerien zu Paris (ich weüs nicht bei welchem?) ist genügend, und
dies hat W. gethan. Alles kommt darauf an, was in dem neuen franzö-
BJscheu Gesetz unter conirefa^on zu verstehen ist. Doch darauf habe ich
Sie in meinem letzten Schreiben bereits aufmerksam gemacht; ich wünschte
auch, dafe Sie Hrn. Herold darauf aufmerksam machten, damit er in kei-
nen Schaden käme, denn ich halte es für möglich, dals W. deshalb eine
Klage bei den französischen Gerichten anstellen könnte.
Leben Sie nun recht wohl, lieber Freund, und behalten mich in gutem
Andenken. Ganz der Ihrige p^edr. Diez.
Paris, ce samcdi S juiUet [l865]
Vailä bien longtemps queje ne vmts ai ecrity man eher maitrey et depuis
nia dernüre lettre j'ai ete froppe par im hien yrand malheur; jai per du
via paupre mbre, que vous are:^ eonnue. Voilä plus de qiiatre mois maintc-
94 Briefe von Gkiston Paris an Friedrich Dies.
fumtj et je cammence ä me relever de ce coup terrible. Je ne doute pas que
vous ne prentex pari ä notre afßetum.
Je remets ce mot ä unjeune komme qui dSsire becmeoup vous voir et
vau8 exprimer son admiration pour vos travaux. (Test VcuUeur d'une petite
plaqitette sunr Bruneau de Tours, qu'il txms a envoyee. Je lui cd du qu'il
pouvaü eompter sur un hon aecueil de votre part, et je vous assure qu'il
le m6rtte ä tous egards,
Mon Gharlemagne va enfm paraitre; ü m'a pris bien du temps et de
la peme; je suis ravi d*en etre enfm dibarrassS, Nous donnerex^-vous bien-
tdt quelque chose?
Je ne sais plus, dans ce Umg silenee, st je vous ai remerciS de votre
article sur mon Accent. En tout cos, vous jugex combien ü m*a H^ pre-
deux; vos critiques sont d'u/ne valeur qui donne plus de paids ä vos Hoges,
et je donne les mains ä presque toutes. Gombien j'<U ite heureux et fier
de lire ces lignes signees d'un tel nomf Une partie de Veloge Statt due
Sans doute ä Vamitie, ma/is cette anidtie atissi etait pour moi une grandejoie.
Si je puis faire ce que je veux (chose rare/), firai vous voir vers la
fm de septembre; fai envie de faire un tour de votre coti, et draller a/u
eongrh des phüologues, qui se tient, je erois, ä Heidelberg,
Adieu, mon eher ntaitre; portex-vous bien et faites-nous jouir de temps
en temps de quelque production notwelle.
Ibut ä vous,
G Paris.
Die Jahreszahl fehlt, kann aber nur 1865 sein, in welchem
Jahre der 8. Juli in der Tat ein Sonnabend war. G. Paris'
Mutter, deren Tod er hier beklagt, hatte Diez 1857 kennen zu
lernen Gelegenheit gehabt, wo sie zusammen mit einer Tochter
einen Aufenthalt von über drei Monaten in Bonn machte;
s. P. Rajnas vor der Akademie der Grusca am 27. Dezember
1903 gehaltene Rede S. 58 Anm. 41 und S. 38 des Sonderdrucks.
Der junge Mann, der empfohlen wird, ist Auguste Brächet.
Die Broschüre Etüde svr Bruneau de Tours, trouvire du
XIII* siide war 1865 bei Franck erschienen; s. den Nekrolog,
den ihm 1898 P. M. widmet, in Romania XXVII, 517. Auch
von ihm besitze ich eine Anzahl an Diez gerichteter Briefe
(1867 — 71). Über den jfreundlichen Empfang, den er bei Diez
fand, 8. Paris' Brief vom 21. November 1865.
Einen Dank für die Besprechung der Schrüt über den
Akzent hatte Paris im Briefe vom 22. März 1864 ausgesprochen,
aber ohne sie noch gelesen zu haben.
Paris, ee 21 novemJbre [1866].
eher ma^ire,
Vous arex sans doute repi* m^ deux th^es; j'esphre que VHistoire
poetique de Charlemagne merttera votre suffrage. Jai ete souffrant, bien
que sans gravite, pendant les va^^ances, au moment oüje voulais aller faire
un tour en Allemagfie; je me promettais un grand plaisir ä vous voir;
fespere que mon projet de voyage, pour etre differi, n*est paa perdu.
Le jeune Brächet m'a donne de bonnes nouvelles de vous; il a etS touehe
et tr^-reoonnaissant de la rSceptian que vous lui avex faite.
Briefe von G^ton Parie an Frledrioh Diez^ 95
Ätfex-wms repü la eircuUUre que je vou8 ai fait envoyer au nom de la
Bevue Critique dont je suis un des fandateurs? Nous vouhns essayer de
ripandre en France les bonnes mSthodes sdentifiques et pour eeia com-
mencer par faire ä la fausse soienee une guerre achamee. R faut que la
critiqtte dSblaie le terrain avant que la production se developpe. Nous serions
hien flottes si vous nous permettisx de vous inscrire parmi les eollaborateurs.
Vas artieles, si vous nous en envoyiex, seraient traduits en fran^ads avec soin,
A ce propoSf Vaffaire de la traäuction de votre Qrarmnaire revient sur
Veaii. Herold f le libraire, est mort, ai^isi que Scheler; tnais Vieweg, suc-
eesseur d* Herold, est dans les memes idees, et je compterais m'assoeier pre-
cisement Brächet, qui serait heureux de pratdre pari ä une CBUvre si hono-
rable et si utile. Vieweg a du Scrire ces jours-ei ä Weber pour savoir
definitivement le prix qu'il demanderait pour autoriser la traduction; c'est
la en somme le nceud de la question. Je n'ai pas besoin de vous dire que
je eompte, si vous etes consulte, que vous userex de votre influence en notre
fapeur,
tTose m'itonner, eher mattre, de Wavoir pas repu votre opuscule sur
les Qlossaires romans. Je Vax vu chex le libraire, et ce que fen ai lu
ejoeite mon intiret au plus haut point; je vous serais bien obligi de me
V envoyer au plus tot; fen rendrais eompte dans la Revue Critique.
Je ne vous en ecris pas plus long, parce que je sais que mon Scriture
vous fatigue les yeux. Oroyex-moi bien entiirement, eher mattre et ami,
Votre dSvou6,
Q Paris.
Meyer, qui est en Ängleterre, m'ecrit un mot ou je lis ceei: ^Comment
se fait'il que M. Diex n'ait pas re^ d'esceniplaire de la traduction de
r Introduction?' Je dis ä mon tour: comment se fait-il que Meyer oroie
ce/a, puisque je sais trks-bien que M. Diex en a un eacemplaire?
Mon adresse est aettiellement 44, rue du Gherche-Midi.
Die zwei Thesen siud bekanntlich die Histoire poMque de
Ckarlemagne und die Schrift De Pseudo-Turpino, beide 1865
erschienen. Die Revue critique, über deren Gründung Rajna
S. 31 ff. handelt, hat 1866 zu erscheinen begonnen und besteht
bekanntermafsen in geachteter Stellung fort, übrigens seit längeren
Jahren ohne BeteiUgung Paris' an der Redaktion. Charles Morel,
geboren den 20. Mt^ 1837 in LigneroUes (Kanton Waadt), einer
der ersten vier Herausgeber, gehörte zu dem Kreise schweize-
rischer Freunde, mit denen G. Paris schon 1856 iu Bonn gern
verkehrte; er starb am 26. Februar 1902 in Genf, wo er einer
der Redaktoren des Journal de Gen^ve war. Siehe über sein
Leben und seine vielfache Tätigkeit einen Nekrolog im Bulletin
Nr. VIII der Asaociaiian pro Aventico, Lausanne 1903.
Die Ältromanischen Glossare berichtigt und erklärt von
Friedrich Diez sind in Bonn bei Weber 1865 erschienen. G. Paris'
Besprechung des kleinen Buches steht im ersten Bande der
Revue critique S. 85 — 88.
Der Verleger Herold war laut dem Brief vom 22. März
1864 krankheithalber nach Algier gereist und nunmehr gestor-
ben. Scheler aber war nichts weniger als tot, hat im Gegenteil
noch jahrelang eine sehr rührige und verdienstliche Tätigkeit
96 Bri^e von Gaston Fans an Friedlieh Die^
entfaltet und bis 1890 gelebt (s. den Nekrolog in der Romania
XX, 180). Wenn Paris hier von ihm als einem Verstorbenen
spricht, so meint er damit wohl nur, dafs er für das geplante
Unternehmen ein Abgeschiedener sei. Was seinen Zurücktritt
yeranlafste, vermag ich nicht zu sagen. Dafs G. Paris wenig
Wohlgefallen an Schelers Schreibweise hatte, erhellt aus dem
Briefe ohne Datum vom Sommer 1863; vielleicht war auch in
Fällen von Meinungsverschiedenheit mit dem zwanzig Jahre
älteren Gelehrten weniger leicht fertig zu werden als mit dem
1844 geborenen Brächet Übrigens war auch mit diesem Mit-
bearbeiter des ersten Bandes Paris laut dem Briefe vom 1. Fe-
bruar 1875 weit weniger zufrieden als mit Morel-Fatio, der die
beiden anderen Bände übertragen half. Die ganze Sache zog
sich sehr lange hinaus: während am 22. März 1864 Paris ge-
glaubt hatte, in drei Wochen mit dem Drucke des ersten Bandes
beginnen zu können, erschien dieser erst 1872; der zweite und
der dritte wären nach der Bibliographie 1874 ausgegeben wor-
den, und nach dem Briefe vom 7. Mai 1872 sollte gemäfs dem
Vertrage mit dem Ministerium bis zum 1. Januar 1874 alles
erschienen sein ; aber am 1. Februar 1875 war der sechste Bogen
des dritten Bandes noch nicht abgezogen. Dafür konnte freilich
die dritte Ausgabe des Originals zur Grundlage dienen.
Mon eher et vSn&rS maitrej
Ma soRUTj qui est mariSe ä Moscou, vient nous voir cette annSe et je
ffois apr^-demain La chercher ä Gologne. Je ne veux pcts passer si pr^ de
vaus Sans aller vous vo-ir; je compte arriver ä Gologne dimafiche matin,
aller vous dire hmijour ä Bonn, puis retourner attendre ma scxur au train
qui arrive de Berlifi ä Cologne ä 8 heures du soir, je crois. JTespere voir
ausst M. DeUuSj dont la reeetite visite ä Paris nous a fait tant de plaisir.
Pour etre sür de vous trouver, fai cru bien faire de vous ecrire ee
mot d'avance; attendex-moi donc, stiivant toutes les praisemhlaticeSy dimanche
avant midi, et eroyex que je serai bien heureux de vous assttrer une fois
de plus de mon vif et respectueux devouement.
Öaston Paris,
Paris, le 17 juin 1870.
Dafs Paris Diez auch vorher einmal wiedergesehen hatte
und zwar in Giefsen ersieht man aus dem schon oben erwähnten,
im Journal des Dibats 1894 gedruckten Aufsatz zur hundert-
sten Wiederkehr von Diezens Geburtstag, wonach 1866 ein sol-
cher Besuch stattfand. Der Tatsache gedenkt auch Diez in
einem Brief an Bartsch vom 28. Oktober 1866, den Stengel in
seinen Diez- Reliquien, Marburg 1894, S. 23 abgedruckt hat.
Dafs er auch 1870, unmittelbar vor dem Ausbruche des Elrieges,
in Bonn mit seinem Lehrer zusammengetroffen sei, erwähnt Paris
in jenem Aufsatze nicht. Sollte der hier so bestimmt in Aus-
Briefe von Gas ton PanB an Friedrich Die2. W
sieht gestellte Besuch gar nicht eiiblgt sein? Auf der Reise zu
der geliebten Schwester in Moskau war er auch 1874, als er
auf kurze Zeit in Misdroy bei mir einkehrte und bei dieser Ge-
legenheit durch mich auch Karl MüUenhoff persönlich kennen
lernte. Von der Frau» die die letzten Jahre seines Lebens be-
glückt hat, war er begleitet, als ich ihn und sie 1900 auf ein
paar Tage in Berlin beherbergen durfte, wohin er zum Jubiläum
der Akademie der Wissenschaften als einer der Vertreter der
französischen Akademie entsandt war.
Ports, ce 7 mai 187t,
Mon eher maUre^
Enfin notis avons conclu avec le Ministhre un tradtS qui ctssure la trti-
ducHon de votre Orammaire. Le premier volwne parattra le 1^ cunU (ce
ne sera qu'un demi-volume) ; les irois volumes doivent avoir paru avarU le
l^janvier 1874, II n'est que temps, cor si noua avions tardi nous aurions
sürement eU devances par les Italiens, 11 est vra/i qtie eeux-ci trouvent une
Sorte de compensation dans V abrege de Fomacdaro; ce qu'ü a a^outS de
son cru est rare et mauvais: c'est etormant que les tkSories extravagantes
de Nannucei n'atent pas encore ite absolument deraci?iSes en Italic.
Tai eti profondiment touclU et je vous suis bien reeonnaissant de ce
que vous me dites d'amiccU do/ns votre lettre, Pour ce qui conceme rÄlexis,
la critique allemande Va juge en gSnSral avec une bienveillance extreme et
meme eocagir^, Xy vois ä prSsent bien des erreurs et bien des laeunes;
il s'en faut que j'aie encore atteint cette Einsicht et cette Umsicht qui per-
mettent d'enihrasser d'emblSe touies les faces d*une question, et grdce avjx^
quelles vos ouvrages ne vieülissent pas,
J'esph'e que c'est par un simple oubli que vous ne me dites rien du
premier numero de la Romania; s'ü ne vous Stait pas parvenu, je vous
demanderais de m*€n prevenir par un simple mot; au reste, vous deve%
mainienant avoir repe« aussi le second. Nous vous prums, Meyer et moi,
de vouloir bien aeeepter cet hotnmage. Je n*ai pas besoin de vous dire que
si vous trouviex dans vos papiers quelques lignes inedites, nous serions
keureux et honoris de les inserer.
Quand vous me dites, mon eher mattre, que vous avex ihr Geschäft
geschiossenj fesphre bien que ce n'est pas tout ä fait exact. Bauer m*a dit
que vous lui aviex eerit que vous prepariex un rcTnanieme^it des Olossaires;
ce serait lä un travail bien precieux, car ä mes yeux c'est un de vos icrits
les plus utiles et les plus adtnirables. Gombien j'ai senti, en essayant d'y
joindre quelques notes, quelle est notre inferiorite ä tousJ Quand il n'y
aurait que cette erudition si vaste et si variee, ä laquelle le spSdaliste le
plus laborieux peut ä peme ajouter pd et lä quelque chose, ce serait un
avantage incommensurahle; et pourtant ce n'est que la mati^e, qv/i est
mise en oeuvre avec u/ne penetration et une ingeniosite sans igates.
Je me permets cependant de vous contredire quelquefois, bien qu'en
tremblant. Sur faite je ne doute pas de votre approbation, mais fen suis
moins sür pour navrer; pourtant y je l'avoue, nabager me par alt inad-
missible.
J'ai, non pas une demande, mais une exposition fort indiscr^e ä vous
faire. Je n'ai achete ni la troisitme edition de la Orammaire ni edle du
IHetionnaire, pensant que peut-etre vous en auriex eu un exemplaire ä m^'en-
wyer. Pour la Orammaire, Vieweg m'a foumi des feuilles de la troisikme
edition (tome I), qui ont servi ä l'impression de la traduction et sont fort
AiddT f. n. SfHachen. CTV. 7
98 Briefe Ton Gaston Paris an FriMrich Diezi
tneompUtes, Je n'ai aucunement Videe de np pas acheter ces deux auvragety
mais ü me serait disctgriable de les acheter si vaus aciex peut-efre Vinten-
tion de me les donner, ei vous seriex sa/ns doiäe aussi eontrarie, (Test ce
qui m'enhardit ä vaus parier de cet vnddent, a/uquelje vous supplie de tiai-
taeher aticune importanee quelconque. Si votre Sditeur ne vous donne pas
d^exemplaireSj votlä la ckose finie; mais dans le cos contraire peut-etre
vous reste-t-il dans un com qttelque exemplaire dont vous ne faües rien,
et qui me serait doublement precieux s'il portait un moi de votre main,
Mon pbre a He bien sensible ä votre souvenir; ü se porte tres-bien et
travaüle ä un ouvrage de longue haieine sur les romans de la Table Bände.
H a passe le temps de la guerre en Champagne, et n*a pas eu maUrieÜe-
ment ä souffrir, bien que les Aüema/nds aient oecupi et oceupent encore
notre village ,d' Ävenay.
Je vous' deniande redletnent pardon de fatiguer vos yeux par un si
long griffomiage, mais il me faut encore r^pondre d uns question que vous
m'adressex. Je suis maintenant professeur suppUant au Collhge de Franke
et direeteur-adßoint ä VEcole pratique des hautes Etudes. Mais si vous
me faites le grand plaisir et le grand konneur de m'Serire, il est inutile
de rnettre ces titres sur Vad/resse; ce n'est pas id un usage comme en Alle-
magne. Quant ä mon adresse a^tuelle^ c'est rue du Regard, 7; mon pbre
demeure au no 3 de la meme rue avec ma soeur, che% laquelle je prends
mes repas, de sorte que sans etre marie fai une v6ritable vie de /amille,
ce qui est bien doux pour un travailleur.
Je vous prierais de saZuer pour moi M. Delius et M. von Sybel si je
ne savais que vous les voyex rarement. Pardonnexrmoi mon indiserition ä
laquelle vous ferex bien de ne faire aucune aMention, et permettex-moi, mon
eher et venire maitre, de 7ne dire wne fois de plus, ou pour mieux dire de
pus pus Votre respectueusement dSvaui,
G Paris.
Der Name des italienischen Bearbeiters lautet richtig Baf-
faello Fornaciari und der Titel des Buches Grammatica storica
della Lingua italiana estratta e compendiata dalla grammatica
romana dt Federigo Diez, Parte 1. Morfologia. Torino, Fi-
renze e Roma, Loescher. 1872. 16^. 128 S.
Die deutsche Kritik hat den Alexis nicht anders als mit
wärmster Anerkennung besprechen können; ich erwähne die
ÄuCaerungen von Mussafia im Lit. Centralblatt 1872 Sp. 335 — 337,
von J. B. (Baechtold) in der Augsburger Allgem. Zeitung 1872,
1. Mai, und meine eigene in den Göttinger Gelehrten Anzeigen
1872, Stück 23 S. 881—903, die nach Eomania I, 398 meinem
Freunde ofienbar Freude bereitet hat
Bauer, Alfred, ist der Verfasser der 1870 erschienenen fran-
zösischen Übersetzung der Altromanischen Glossare, zu welcher
Rönsch und Paris Anmerkungen, letzterer aufserdem eine Vor-
rede beigefügt hatten. Seine Bedenken gegen Diezens Erklä-
rungen von faite und von navrer hat Paris in der Romania
I, 96 und 216 eingehender dargelegt und ebenda die eigenen
Ansichten kennen gelehrt und gerechtfertigt (s. dazu Baist in
Gröbers Zeitschrift V 556 und Romania XXUI 493).
Von dem 'Schlufs des Geschäftes' spricht Diez auch in einem
«Briefe von tJaston I^arie an iFViedrich Biez. öö
an uiich gerichteten Briefe vom Juni 1873, dessen hergehörige
Stelle in der Zts. f. rom, PhüoL VII, 489 Anm. 1 zu lesen ist.
Das Werk, mit dem Paris, der Vater, 1872 beschäftigt war,
trägt den Titel Les romans de la Table Ronde, mia en iiovr
veau langage et accompagnis de recherches sur Vorigine et le
caract^re ae cea granaes compositions, Paris 1868 — 77, fünf
Bände. Über den reichen Ertrag des langen und arbeitsamen
Lebens (1800—1881) handelt der Sohn in Romania XI, 1—21
(1882).
JParU, ee l*r f Syrier 1875.
Man eher et v6n6ri maitre,
J'ai 6ti bkn heiureux d^apprendre par M. Ändresen que non-seulement
VOU8 etes en bonne scmte de corps et d'esprit, mais vous avex entrepris un
fwuvedu travaüj sur le rapport, m'a-t-il dity des langues romanes
au latin. Gette questiony que vous avex vohntairement amise dans la
Orammaire, preoccupe actuellement beaucoup de vos il^ves; mais tous re-
connaitront que c'est au maitre ä la resoudre. Ne pensex-vous pas que
ce travaü dwrait figurer dans^ le qtuUri^me volume de la traduction fram-
faise, qui doit eontenir un Supplement ä taut Vouvrage? Mais je ne sais
si voire manuscrit est pret ä itre imprimi. Au reste on pourrait traduire
direetement sur le manuserit, si vous vouliex me Venvoger, La Romania
serait atissi, naturellementy fort honcr^e de le publier.
Je vous icris surtout pour vous demander un ielairoissement avcmt de
donner le hon ä tirer de la siodhne feuüle du tome III de cette traduction.
Vous dites ä la p, 98 que le nominatif ne peut eire rSgi par aucun autre
mot. Puis vous ajoutex: *Da er indessen xu dem Accus, in einem Wechsel'
Verhältnisse steht, und logisches Suhject werden kann, so darf er in diese
Lehre mit aufgenommen werden,' Je ne comprends cette phrase qu*en chan-
geant Suhject en Object. Si j'ai raison, il est inutile de me ripondre;
mais si je me trompe, et que le texte tel qu'ü est soit bon, je vous serai
bien oblige de me le faire savoir par un simple mot.
Au reste, ce 3^ volume offre des difficultes de traduction toutes parti-
culih-es. La langue fran^ise est si peu habituee ä traiter ces sujets qu'il faul
ä tout moment creer des mots ou trouver des equivalents; et nous serons
bien hin d'arriver ä rendre ce style si concis et en metne temps si anime.
Je vous en Scrirais plus long si je ne craignais de vous fatiguer.
Laissex-moi seidement vous dire que je vous serais bien reconnaissant de
m'indiquer les fautes que vous aurex remarqtiees dans les deux volumes
imprimes. Elles doivent surtout etre nomhreuses dans le premier, pour
lequel favais un eollaborateur moins exact et moins attentif que pour les
deux autres.
Je serai bien heureux d'apprendre de temps en temps de vos bonnes
nouvelles, et fesp^e bien un jour ou l' autre aller vous voir. Bappelex-moi
au bon souvenir de voire sceur, si eile est auprhs de vous, et croyex-moi
bien, mon eher et venSr6 maitre, rr * * * j- ^ £ xix^ *
* ^ Votre tout devoue eleve et am%,
Q Paris,
7, rue du Regard,
UAcademie de Baviere m'a fait Vinsigne honfieur de ms nommer votre
confrhre, Elle a maintenant pour assodes etra/ngers deux romanistes, mais
. , . les extremes se touchent,
PomI Meyer, qui sort de chex mai, me Charge de vous prisenter ses
reapeds,
7*
100 Briefe von Oaston Paris an Friedrich Dlez.
Mit der von Diez noch in Angriff genommenen Arbeit, deren
Hugo Andresen bei G. Paris erwähnte, kann nur die noch 1875
ersdiienene ^Romanische Wortschöpfung' gemeint sein. Sie trägt
übrigens auch den Nebentitel ^Grammatik der Romanischen
Sprachen* Anhang,
Wenn Paris darüber klagt, dafs die einleitenden Zeilen des
fünften Kapitels im ersten Abschnitte der Syntax (III^, 96) nicht
yerständlich seien, so kann man ihm nicht ganz unrecht geben.
Es scheint mir aber nichts gewonnen zu werden, wenn man
^logisches Subjekt' mit ^logisches Objekt' vertauscht. Diez hat
hier den Ausdruck ^logisches Subjekt' blofs in etwas anderem
Sinne gebraucht, als gewöhnlich geschieht. Er denkt an solche
Fälle, wo das, was in einem Satze Objektsakkusativ ist, durch
abweichende Gestaltung des nämlichen Gedankeninhalts zum
Subjekt gemacht werden kann {me laudant = ego laudor); dem
Gedanken nach (logisch) ist dann Subjekt, was zuvor Objekt
war, ist freilich auch dem sprachlichen Ausdrucke nach (gram-
matisch) Subjekt; und wir pflegen die beiden Ausdrücke *gram-
matisch' und logisch' sonst da zu gebrauchen, wo grammatischer
und logischer Sachverhalt nicht übereinstimmen. Diez hat wohl
vorzugsweise an die Fälle gedacht, von denen er unter Nr. 7
des dem Akkusativ gewidmeten zweiten Abschnittes (S. 121) jenes
fünften Kapitels spricht (corsero la strada neben la strada fu
corsa).
Berlin. Adolf Tobler.
Phonetik und Semantik in der etymologischen Forschung/
Die romanischen Idiome bieten uns ein Beobachtungsfeld von
seltener Ausdehnung und wunderbarer Mannigfaltigkeit: seit 2000
Jahren ertönt die Sprache Korns von Lissabon bis Bukarest und von
Syrakus bis Brüssel, und je weiter hinunter wir sie verfolgen, um so
verwickelter wird ihre dialektische Verzweigung.
Diese unübersehbare Differenzierung desselben Sprachstammes
ist ein linguistisches Schauspiel, wie es uns keine andere
Sprachgruppe in so durchsichtiger Weise vor Augen führt; denn
nicht nur gehen sieben romanische Schriftsprachen und unzahlige
Dialekte auf ein und denselben Mittelpunkt» auf Kom, zurück, son-
dern - - was andere sprachliche Disziplinen so schmerzlich ver-
missen — dieser gemeinsame Ausgangspunkt ist uns in sprachlicher
und kultureller Hinsicht ungewöhnlich gut bekannt
So dürfte wohl die romanische Sprachwissenschaft ganz beson-
ders dazu angetan sein, die Fragen nach dem Wesen der Sprach*
entwickelung fördern zu helfen.
Die sprachwissenschaftlichen Probleme zerfallen in allgemeine
und spezielle. Unter allgemeinen verstehe ich hier solche, die
mit dem Wesen der Sprache direkt zusammenhängen, unter spe-
ziellen solche, die eine Eigentümlichkeit einer engeren Sprach-
genossenschaft behandeln. Da wir nun, nach moderner Auffassung,
das Wesen der Sprache auf keinem anderen Weg als auf dem empi-
rischen erforschen können, und da dieser empirische Weg uns not-
gedrungen durch die Einzelsprache hindurchführt, so folgt daraus
einerseits, dafs es im Grunde lieine allgemeine Sprachwissenschaft
geben darf, die nicht die Erforschung der Einzelsprache zum Aus-
gangspunkt nimmt, und anderseits, dafs jede einzelne Sprache oder
Sprachgruppe Probleme allgemeiner Natur enthält, die der betreffende
Fachmann im Zusammenhange mit den Grundfragen des Sprach-
lebens zu behandeln die Pflicht hat Demzufolge erscheinen die Spezial-
* Nachfolgende Arbeit ist die erweiterte Form der akademischen An-
trittsrede, die Verfasser am 28. Oktober 1904 an der Universität Basel
gehalten hat. Was sich darin an allgemeiner Orientierung und dem Ro-
manisten Allbekanntem vorfindet, möge der Fachmann durcn den erwähnten
Anlais gütigst entschuldigen«
102 Phonetik und Semantik in der etymologischen FoTBchnng.
forschungen auf dem Boden der Einzelsprache den Wurzeln und
Fasern eines gewaltigen Baumes vergleichbar, dessen Stanun die all-
gemeine Sprachwissenschaft darstellt» und dessen Ejiospen und Blüten
uns den erwünschten Aufschlufs über das Wesen der Sprache hoffen
lassen. Der Stamm ist die Fortsetzung der Wurzeln, kein Teil des
Ganzen hat Existenzberechtigung ohne den anderen. Der einzel-
sprachliche Forscher darf nicht das gemeinsame Ziel aufser Augen
verlieren, er darf mit seinen Studien nicht — um im Bilde zu blei-
ben — sich unter der Erde verborgen halten, er muTs hinauf trachten,
er muls dem Stamme, und womöglich der Krone, seine Kräfte zu-
fliefsen lassen.
Wie der eine nach oben streben soll, so darf der andere, der
mehr spekulativ angelegte Sprachphilosoph, niemals den Boden unter
den Füfsen verlieren; je tiefer er im Boden der realen Verhältnisse
wurzelt» je überzeugender werden seine SchluTsfolgerungen sein.
In dieser Beleuchtung betrachtet, erscheint die allgemeine Sprach-
wissenschaft als selbständiges Fach wie ein übermenschliches Unter-
fangen. Wo wird sich das Gehirn finden, das imstande wäre, alle
uns bekannten Sprachen und Dialekte wissenschaftlich zu bewäl-
tigen ? Zwar taudien da und dort derartige Sprachengenies auf, die,
mit ungewöhnlichem Wortgedächtnis versehen, erstaunliche Leistun-
gen aufweisen: ich erinnere z. B. an den erst vor dniger Zeit ent-
deckten Italiener Trombetti, der sich mit dem Wagemut des Auto-
didakten an das Rätsel aller Rätsel, der Frage nach dem 'Ursprung
der Sprache', herangewagt hat Dazu brauchte es die ganze Kühn-
heit und Energie eines auTserhalb der Zunft Stehenden, denn bereits
hatte die reguläre Sprachwissenschaft auf die Lösung dieses Grund-
problems verzichtet Ob die kühnen Hoffnungen, die Italien auf
die Forschungen Trombettis setzt» in Erfüllung gehen, wird erst die
Veröffentlichung seines Werkes lehren.
Nach wie vor darf gesagt werden, dafs solche umfassenden Gei-
ster selten sind, und solange die Wissenschaft auch auf die Mit-
arbeit gewöhnlicher Sterblicher angewiesen ist, so lange wird der
Grundsatz non muUa sed mulium zu gelten haben.
Tatsächlich wird es auch so gehalten. Die Vertreter der allge-
meinen Sprachwissenschaft — oder, wie sie unzutreffenderweise auch
heifst» der 'vergleichenden' Sprachwissenschaft — , sie beschäftigen
sich durchaus nicht ausschliefslich und direkt mit den Grund-
problemen, sie sind auf ihrem Gebiet ebensogut Spezialforscher wie
Germanisten, Romanisten oder Orientalisten, nur hat ihr Gebiet viel
weiteren Umfang sowohl in räumlicher wie in zeitlicher Beziehung.
Sie haben es sich zur Hauptaufgabe gemacht, die indogermanischen,
besser indoeuropäischen, Sprachen in grofsen Zügen zu vergleichen,
insbesondere jene grofse Brücke zu schlagen vom Lateinischen, Grie-
chischen, Germanischen, Keltischen und Slawischen hinüber zu den
indischen und iranischen Sprachgruppen.
Phonetik und Bemantik in der etymologiBchen Fonchung. 108
Doch ihre Tätigkeit beechrankt sich nicht auf die historiadh be-
legten Sprachen, sie nehmen sich immer mehr der allzulange veiv
nachlässigten Idiome der sogenannten Naturvölker an.
So sehen wir denn, dafs auch die Sprachvergleicher in ihren
Beobachtungen auf die einzelnen Sprachen und Dialekte zurück-
gehen, um auf Grund möglichst eingehender Einzelkenntnisse der
Sprache ihre ewigen Gesetze abzulauschen.
Es kann demnach auch kein wesentlicher unterschied in Ziel
und Forschungsmethode bestehen zwischen Indogermanisten einer-
seits und den Vertretern engerer Sprachgruppen wie germanische
und romanische Sprachen anderseits. Alle zusammen, die einen nicht
mehr als die anderen, sind Sprachvergleicher, die an der Ähn-
lichkeit und Unähnlichkeit der Formen und der Bedeutungen die
für alles postulierte Gesetzmälsigkeit ergründen und so ihre Ein-
sicht in den Gang der Sprachdinge mehren wollen.
An und für sich eignet sich jede Sprache, jeder Dialekt in glei-
chem Mafse zum Studium ebendieser immanenten Entwickdungs-
gesetze. Tatsächlich aber verdienen naturgemäfs diejenigen Sprachen
den Vorzug, deren Entwickelungsgang wir durch mehrere Jahrhun-
derte hindurch verfolgen können, und deren Wort- und Formen-
material uns jederzeit und in vollem Umfange zur Verfügung steht
Wie sollen wir Lautgeschichte treiben an literaturlosen Neger-
sprachen, deren ältere Sprachformen ein für allemal spurlos veiv
Uungen sind?
Um so mehr gewinnen die Kultursprachen an linguistischem
Wert Aus ihrem Schofse sind die meisten Probleme hervorgewachsen,
die heute den Sprachforscher beschäftigen.
Es sei heute einem Vertreter der romanischen Sprachwissenschaft
vergönnt, ein Problem allgemeiner Natur aufzuwerfen und mit Bei-
spielen aus seinem Wissensbereich zu beleuchten.
Was ich vorbringen möchte, betrifft die Methode der etymo-
logischen Forschung. Die Wissenschaft hat die Autorität ab-
geschafft An ihre Stelle ist die wissenschaftliche Mediode getreten,
die jedoch, im Gegensatz zur früheren Autorität, stets der Nachprü-
fung bedarf. Im folgenden soll ein Teil dieser neuen Autorität in
Wiedererwägung gezogen werden. Es handelt sich um die prinzipielle
Frage: welche Bedingungen müssen erfüllt sein, um von
einer Etymologie sagen zu können, sie sei richtig?
^ Die erste Antwort des heutigen Linguisten wird lauten: eine
Etymologie ist dann richtig zu nennen, wenn nachgewiesen werden
kann, dals der vorgeschlagene Entwickelungsgang sich mit den
Lautgesetzen im Einklang befindet
Aber dürfen wirklich die Lautgesetze allein den Ausschlag
geben? Ist das Wort auf seinem langen Wege durch die Jahrhun-
derte nur lautlichen Veränderungen ausgesetzt? Geschieht es nicht
aehr oft^ dals auch sein Inhalt sich umgestaltet^ dals sein Sinn sich
104 Phonetik und Semantik in der etymologischen Forschung.
trübt^ ja bis zur Unkenntlichkeit yerstiunmelt wird? Wer vermöchte
auf den ersten Blick im frz. truie 'Mutterschwein' die glorreiche
Hauptstadt Eleinasiens, Troja, wiederzuerkennen? oder was hat eine
Briefanarke mit einer Pauke gemeinsam? Und doch kommt das frz.
timbre vom griech.-lat. tympanüm 'Handpauke'.
Um solche Dinge glaubhaft zu machen, genügen die kabalisti-
schen Formeln der Lautgesetze nicht mehr. Da braucht es anderer
Argumente für den Uneingeweihten, denn nicht am Lautwandel
dieser Wörter nehmen wir Anstols, sondern an dem sonderbaren
Wandel ihrer Bedeutung.
Damit sind wir am strittigen Punkt unserer Frage angelangt:
bedarf nicht auch die begriffliche Seite einer Etymologie des aus-
drücklichen Nachweises? Und ist nicht etwa dieser begriffliche Nach-
weis ebenso notwendig zur Richtigkeit der Etymologie wie der laut-
liche Nachweis?
Auf die erste dieser Fragen wird jeder Etymologe ohne weiteres
mit ja antworten, selbstverständlich, wird er sagen, erst wo die Be-
deutungsentwickelung möglich erscheint, ist die vorgeschlagene Her-
kunft des Wortes gesichert
Über die zweite Forderung aber, -dafs lautliche und begriffliche
Prüfung der Etymologie mit gleicher Strenge durchgeführt werden
soll, darüber herrscht Meinungsverschiedenheit, darüber gibt es einen
längeren literarischen Handel, der sich in den letzten Jahren von
1899 — 1903 zwischen zwei hervorragenden Vertretern der roma-
nischen Sprachwissenschaft abgespielt hat; die beiden Opponenten
heifsen Antoine Thomas und Hugo Schuchardt
Unsere Aufgabe wird also in folgenden Punkten zu bestehen
haben:
Zuerst haben wir über den Verlauf der Kontroverse zu be-
richten, dann das Dafür und Dawider des neuen Postulates abzu-
wägen und endlich unsere persönliche Stellung dazu Ihrem Urteil
zu unterbreiten.
Bevor wir jedoch an diese eigentliche Aufgabe herantreten, sei
es mir gestattet, einige Erwägungen allgemeiner Art vorauszuschicken.
Der Hang zum Etymologisieren, worüber sich kürzlich Rudolf
Thurneysen in einer trefflichen Schrift* geäufsert hat, ist eine
psychologische Erscheinung von besonderem Interesse, erstens weil
er sehr alt imd zweitens in allen Schichten der Bevölkerung ver-
breitet ist. Der Herkunft der Wörter nachsinnen ist wohl die älteste
Form des Nachdenkens über die Sprache und zugleich auch die-
jenige linguistische Tätigkeit, die auszuüben jeder ein göttliches
Recht zu haben glaubt.
Wie keck oft der Volksgeist dabei zu Werke geht, das zeigt
1 JXe Etymologie, ProrektorcUsrede vom IL Mai 1904. Freiburg i, B.
Phonetik und Semantik in der etymologischen Forschung. 105
uns jene eigenartige Umbildung der Worter, die man Volksety-
mologie nennt: 'Abend teuer* aus mhd aventiure und Armbrust aus
arcvbdlista sind allbekannt Einleuchtender als diese beiden ümdeu-
tungen ist» was der Volkswitz aus dem Philosophen Leibniz ge-
macht hat: er nannte ihn in Hannover Lövenix, der 'nichts glaubt'.^
Wir alle sind Zeuge gewesen der drolligen Verstümmelungen des
Wortes Influenza, das die moderne Medizin vor einigen Jahren un-
bedachtsamerweise ihrem geheimen Dossier hat entschlüpfen lassen.
In Frankreich geht es den medizinischen Ausdrücken nicht besser.
Die Usion interne *inhere Verletzung* wird im Volksmunde zu Ugion
(^internes; die poiion opiacSe 'der opiumhaltige Trank' zu la potion
d pioncer; das deliriu/m tremens zu einem wenig einleuchtenden di-
lire d'homme ires minee. Den 'Tramway' nennt der Pariser gern le
iraine-moi.
Oft begegnet man recht sinnreichen Deutungen: die Orange
heifst frz. orange, ital. dagegen arancio\ die ital. Form ist die ur-
sprüngliche, das Wort ist arabischer Herkunft. Das o von orange
ißt ein Anklang an or 'Gold', offenbar im Gedanken an die gold-
gelbe Farbe der Frucht — Der Deutsche sagt Admiral, der Fran-
zose amiral; die letztere Form ist die etymologisch richtige, auch
dieses Wort ist arabisch. Trotzdem kommt unser Admiral aus dem
Französischen, wo es im 16. und 17. Jahrhundert so hiefs in Anleh-
nung an admirer.
Sicherheit in et3rmologischen Dingen ist erst eingetreten durch
die Entdeckung der Lautgesetze: d. h. seit dem ersten Drittel des
vorigen Jahrhunderts, wo die drei grundlegenden Grammatiken von
Bopp, Grimm und Diez erschienen sind, der erste der Begründer
der indogermanischen, der zweite deijenige der germanischen und
der dritte, Diez, der Gründer der romanischen Sprachwissenschaft
Diese Entdeckung spaltet die ganze etymologische Forschung
in zwei Perioden: in eine unkritische vor dem 19. Jahrhundert
und in eine kritische oder wissenschaftliche in und nach dem
19. Jahrhundert
Das Verfahren der unkritischen Etymologen ist allbekannt: es
ist dasjenige des Volkes und der Kinder, denen sich gelegentlich
auch ein Reimkünstler beigesellt; da wird auf gut Glück aus äufser-
licher Ähnlichkeit zweier Wörter auf ihre innere Verwandtschaft ge-
schlossen, und will die Deutung nicht recht plausibel erscheinen, so
werden ganz willkürlich einige Mittelglieder erfunden. Ein typischer
Vertreter dieser Methode in Frankreich ist Manage, ein Zeitgenosse
Molidres. Berüchtigt ist seine Ableitung von Jiaricot 'Bohne', das in
allem Ernst vom Tat faba stammen soll, und zwar auf folgende
Weise: von faba 'Bohne' wird gebildet fabaricus, dann fabaricotus
und durch Aphärese aricotus, lutricoL Kein Wunder, dafs derselbe
> Siehe L. Feuerbach, SärnÜiche Werke 6 S.V.
106 Phonetik und Semantik in der etymologischen Forschung.
Hexenkünstler es fertig bringt^ frz. rcU vom lat müs herzuleiten
über die Zwischenglieder: muraiius, rcUus, rail
Wir können uns nicht enthalten, dabei an das bekannte dXwnijl^
'Fuchs' erinnert zu werden, und begreifen, wie Voltaire von dieser
PseudoWissenschaft sagen konnte: c^est tme seiend oü lea voyelles ne
fönt rien et les eonsonnes fort peu de ckose. ^
Solchem planlosen Tasten gegenüber war die Begründung der
Sprachwissenschaft für die Etymologie eine erlösende Tat Erst
seit dieser Zeit haben sich wieder ernste Geister ihr zugewandt Man
hat unter dem Einfluis der naturwissenschaftlichen Methode erkannt,
dafs auch die Wortveränderungen nicht ein Spiel des Zufalls sind,
sondern dafs sie gesetzmälsig verlaufen, dafs also die erste Aufgabe
des Linguisten darin besteht, diese Sprachgesetze aufzufinden. Nur
an der Hand dieser Gesetze können wir die Richtigkeit einer auf*
gestellten Etymologie ermessen, und wenn noch hie und da die alte
etymologische Kunst ihr Wesen treibt, so wird sie ebensowenig ernst
genommen wie die astrologische neben der astronomischen Wissen-
schaft
Es ist bis jetzt noch nicht gelungen, vom Inhalt eines Wortes
auszusagen, er müsse im Lauf der Jahrhunderte in dieser oder jener
Richtung sich verändern, wie wir es von der Lautform eines Wortes
leidlich behaupten können. Das wäre das Ziel einer wissenschaft-
lichen Bedeutungslehre; wir stehen kaum in den ersten Anfängen.
Das einzige, was man erreicht hat, ist die Abgrenzung der verschie-
denen Arten von Bedeutungswandel, wie sie Darmes teter, Paul,
Wundt {Völkerpsychologie I, 2, 487 ff.) u. a. aufgestellt haben. ^ *Die
'Semasiologie ist ein Stiefkind der Grammatik' (man lese: Linguistik),
beginnt Hey seinen bemerkenswerten Artikel {Ärch. f. lat. Lexiko-
graphie 9, 193). Darüber haben sich viele Forscher beklagt^ so
Curtius, Heyse, Schleicher, Geiger, Steinthal, Lazarus,
L. Tobler, Heerdegen u. a. (siehe darüber Hecht, Die grieehisehe
Bedeutungslehre, Leipzig 1888).
Ich muls hier einen wichtigen Unterschied andeuten: all den
genannten Semasiologen liegt daran, die Arten und die Ursachen
des Bedeutungswandels zu kennen und sie mit möglichst vielen Bei-
spielen zu belegen. Für die Etymologie wäre ein anderes Verfahren
' Weniger begreiflich ist, dafs der grolse Dietionnaire eneyehpidique
von LarouBse in dasselbe Hom bläst und sagt: quand une Uymologie est
savantBy il y a cent ä parier contre un qu'eüe est fausse, — Man sieht, wie
lange begangene Sünden nachwirken, man sieht aber auch, wie lan^ es
geht, besonders in Frankreich, bis sprachwissenschaftliche Erkenntnis in
solchen Sammelwerken Eineang findet.
' Was gewisse Sprachrorscher wie Whitney und von der Gabe-
lentz noch Dez weif ein, ist doch wohl nicht, wie Wundt (Völkerpsychologie
I, 2, 4) anzunehmen scheint, die GeHetzmäfsigkeit der Bedeutungsverände-
ruugen an sich, sondern die Möglichkeit, die in Frage stehenden Erschei-
nungen in Gesetze zu fassen.
Phonetik und Semantik in der etymologischen Forsch ung. 107
ersprieifilicher: nämlich statt vom Wort vom Begriff auszugehen
und zu zeigen, mit welchen Mitteln irgendein Begriff ausgedrückt
worden ist, folglich ausgedrückt werden kann.
Vergegenwärtigen wir uns, dafs jedes Wort aus zwei Elementen
besteht, einem lautlichen und einem begrifflichen, und dafs
diese Elemente gleichwertig sind, weil weder ein Wort ohne Be-
deutung noch eine Bedeutung ohne lautlichen Halt bestehen kann,
so folgt daraus, dafs Lautwandel und Bedeutungswandel bei der
Etymologie gleichmäfsig berücksichtigt werden müssen.
Ein Beispiel mag das veranschaulichen : die romanische Sprach-
wissenschaft behauptet, das frz. cMtif 'armselig, schwächlich' komme
vom lat captwus 'der Grefangene'.
Worauf gründet sich diese Behauptung? Sie gründet sich auf
zweierlei Erwägungen:
Erstens wird gesagt: das neufrz. chStif ist die lautgesetzliche
Entsprechung des lat. *cactivus für capiivus, was so viel bedeutet
als: die Lautverbindung *cactivu konnte im Neufranzösischen nichts
anderes ergeben als ehitif, denn
1) der Nexus ca erscheint regelroäfsig nfrz. als che: caballu zu
chevaly capillu zu cheveu auch unter dem Ton: caput zu chef, carus
zu e?ier und nach dem Ton: manica > manche, dominica > dimanche;
2) der Nexus ad wird regelmäfsig zu aii, daher afrz. chaitif,
prov. eaitiu, man vergleiche: factu frz. faxt, lade frz. lait, tradu frz.
irait; endlich wird
3) Avufa) zu ifi 80 vivu zu vif, iardivu zu iardif, *re8tivu($) zu
ritif 'widerspenstig*.
Damit ist die lautliche Entwickelung von *eadivus zu chSiif be-
wiesen, willkürlich bleibt nur noch der Schritt von captivtis zu *(xu>-
tivus. Diese Vertauschung — kt für pt — ist noch nicht genügend
aufgeklärt; am einleuchtendsten ist der Vorschlag Thumeysens, der
keltischen Einflufs annimmt (s. Keltorofnanisches S. 16), dadurch er-
klärt es sich auch, weshalb das ital. eattivo 'schlecht' und das span.
eauiivo 'gefangen', wo ja keltischer Einflufs fast ausgeschlossen ist,
auf capiivus, nicht auf *cadivus zurückgehen.
Trotz dieser letzteren Schwierigkeit darf man also die Etymo-
logie, chStif aus capiivus, vom lautlichen Gesichtspunkt als ge-
sichert hinstellen.
Was sagt zweitens nun die Semasiologie zu unserer Aufstel-
lung? Capiivus heifst gefangen, chSiif bezeichnet ein armseliges,
kränkliches Wesen, ein erbärmliches Ding. La chStive pScore nennt
Lafontaine den unverständigen winzigen Frosch, der es dem dicken
Ochsen an Leibesfülle gleichtun wollte. // a chStive mine sagt man
von einem, dessen Äufseres unansehnlich ist, une chiiive ricolte ist
eine magere Ernte.
Damit sind wir ziemlich weit von der ursprünglichen Bedeutung
'gefangen' abgekommen, die sich, wie bekannt, im gelehrten captif
108 Phonetik und Semantik in der etymologischen Fonchnng.
erhalten hat^ und müssen zugeben, dafs, wenn uns nicht die Laut-
gesetze kategorisch auf eapHvus hingewiesen hätten, wir kaum darauf
verfallen wären, ein Wort von der Bedeutung 'gefangen' zu suchen.
Und so geht es bei den meisten etymologischen Versuchen: die
Lautgestalt des Wortes bringt das Gedächtnis des Forschers in Be-
wegung, er sucht nach einem ähnlich klingenden in der alteren
Sprache — er braucht dazu ein gutes 8tück Phantasie — , glaubt er
ein Etymon gefunden zu haben, so gilt es, an Hand von vielen Bei-
spielen die lautliche Nachprüfung vorzunehmen, fällt diese günstig
aus, so sucht man nachträglich auch die Bedeutungsveränderung,
falls eine solche vorhanden, diurch ein paar mehr oder weniger zu-
treffende Definitionen plausibel zu machen, und — die Etymologie
ist fertig.
Was wir in unserem Falle haben sollten, ist ein semasio-
logisches Gesetz, das da sagt: bedeutet ein Wort 'gefangen', so
geht es innerhalb eines gewissen Zeitraumes und innerhalb eines ge-
wissen Bprachgebietes in die Bedeutung 'armselig' über. Ein solches
Gesetz dürfte sich ebenbürtig unseren Lautgesetzen an die Seite
stellen und gäbe für jede Etymologie die erwünschte Kontrolle. Doch
das ist Zukunftsmusik, vorläufig haben wir keine solchen Gresetze,
und es ist auch keinerlei Aussicht vorhanden, daTs wir je den Be-
deutungswandel mit dieser Präzision in Formdn fassen können.
Kehren wir zu unserem 'Gefangenen' zurück.
Worauf stützt sich — so fragen wir auch hier — die Behaup-
tung, 'gefangen' sei zu 'elend' geworden? Sie stützt sich, abgesehen
von ihrer logischen Möglichkeit, auf eine bis jetzt verschwiegene Tat-
sache: das Altfranzösische hat nämlich seinem chaitif die ursprüng-
liche Bedeutung noch bewahrt, und bis ins 15. Jahrhundert hinein
lebt die Bedeutung 'gefangen' neben der neufranzösischen fort^ diese
erscheint jedoch ihrerseits schon im Rolandsliede, wo es von der um
ihren Gatten trauernden Heidenkönigin Bramimonde heilst (V. 2596):
trau 868 cheveU 8% 86 cleimet eaüive
'sie rauft ihr Haar und klaget jämmerlich'. Wir konstatieren somit,
dafs dieselbe Lautform während mindestens drei Jahrhunderten un-
sere beiden Bedeutungen 'gefangen' und 'elend' in sich vereinigte.
Da diese Bedeutungen sich begrifflich so nahe stehen, wäre es
ebenso sinnlos, anzunehmen, chaitif 'gefangen' sei ein anderes Wort
als cfiaitif 'elend', wie dies auf der Hand liegt bei txmsin 'Vetter'
und Cousin 'Stechmücke' und durch die verschiedene Etymologie —
das eine von consobrinus, das andere von culicinum — bestätigt wird.
Wenn nun dasselbe Wort mehrere Bedeutungen aufweist^ so ist
logischerweise nichts anderes denkbar, als dafs die eine von der an-
deren abgeleitet ist, es mufs sich somit auch die allgemeinere Be-
deutung 'armselig' aus der spezielleren 'gefangen' herausentwickelt
haben.
Phonetik und Semantik in der etymologischen Forscbimg. 109
Sie haben sich vielleicht schon längst gewundert» dafs ich mit
emem ganzen Apparat von Tatsachen und Überlegungen aufrücke,
während doch die Dinge so einfach lägen, und sind vielleicht an jene
ersten Geometriestunden erinnert worden, wo man angehalten wird,
Dinge zu beweisen, deren Evidenz man deutlich vor Augen sieht
Es sei ja leicht begreiflich, werden 6ie sagen, es liege ja in der
Sache begründet, dafs das Wort 'Gefangener' den Sinn 'armselig'
annehme, da der meist schlecht behandelte Gefangene sich in einem
kläglichen Zustande befinden müsse.
Darauf erlauben Sie mir wohl zu antworten, dafs der gesunde
Menschenverstand zwar eine unentbehrliche Eigenschaft jedes wissen-
schaftlich Arbeitenden sein soll, dafs aber dieser sogenannte gesunde
Menschenverstand nicht bei jedem gleichgeartet ist und deshalb nicht
immer das zuverlässigste Mittel sein dürfte, um die Wahrheit zu er-
forschen.
In unserem Fall, ich gebe es zu, streifen die Dinge an Evidenz.
Sobald ich Ihnen aber mitteile, dafs capiivtts im Italienischen 'schlecht'
{un uomo cattivo) und captiva im Sardischen 'Witwe' bedeutet, so
werden Sie im ersten Augenblicke kopfschüttelnd einwenden, das
müsse ein anderes Wort sein, es seien doch nicht alle Gefangenen
'schlechte Menschen', noch werden alle gefangenen Frauen zu Witwen.
Was uns zu trennen scheint, ist der Unterschied zwischen histo-
rischer Argumentation und logischer Argumentation, zwischen
einem Tatsachenbeweis und einem Deduktionsbeweis. Letzterer mag
oft geringere Mühe kosten, denn
Leicht beieinander wohnen die GManken,
Dodi hart im Baume stolsen sich die Sachen,
aber in jeder empirischen Wissenschaft gilt der Grundsatz: eine ein-
zige sicher beobachtete Tatsache besitzt mehr Beweiskraft als die
schönste aprioristische Deduktion.
Wir stehen noch am Bedeutungswandel: 'gefangen' zu elend.
Sehen wir uns nach weiteren semasiologischen Beweismitteln um.
Da liefert uns das Keltische ein frappantes Analogen (Thurneysen,
Op. oit. p. 16 Anm. 1): altirisch cacht aus lat eaptus hat ebexifalls
die Doppelbedeutung 'gefangen' und 'unglücklich« elend', wobei die
erstgenannte gleichfalls die ursprünglichere ist.
Fügen wir dazu das deutsche 'elend', ahd. elirlenti, in anderem,
fremdem Lande befindlich, 'ausländisch', auch 'gefangen' bedeutend,
so können wir mit ruhigem Gewissen sagen: der Bedeutungsübergang
'gefangen' zu 'elend' ist nicht nur logisch wahrscheinlich, sondern
— was mehr wert ist — historisch gesichert, und zwar durch drei
Sprachen, französisch, keltisch und deutsch, die sich in der Haupt-
sache unabhängig voneinander entwickelt haben.
Sv/mma aumniarum, die Etymologie, ehetif aus captivus, ist
lautlich und begrifflich kaum anfechtbar, und Sie werden nach
110 Phonetik und Semantik in der etymolo^Bclien Forschung.
dem Gehörten der romanischen Sprachwissenschaft, die sie aufstellt,
recht geben.
Ich war bemüht, Ihnen für dieses Beispiel das ganze Beweis-
material vorzuführen. Es geschah in der Absicht^ Ihre Aufmerksam-
keit auf die Verschiedenheit der Beweisführung zu lenken, die be-
steht zwischen lautlichem und begrifflichem Nachweis.
Jenem stehen Lautgesetze zur Verfügung, die eine fast absolute
Kontrolle ermöglichen, während diesem, dem Bedeutungsnachweis,
nichts Ahnliches zu Gebote steht.
Wir sind in semasiologischer Hinsicht auf dreierlei Hilfsmittel
angewiesen:
1) auf Belegstellen aus der Übergangszeit,
2) auf Parallelentwickelungen aus anderen Sprachen,
8) auf aprioristische Erwägungen.
Bei der Etymologie 6hMif — captwus waren wir in der glück-
lichen Lage, die beiden ersten Mittel mit Erfolg anwenden zu können,
und so konnten wir dem gefährlichen dritten, der blols logischen
Konstruktion, aus dem Wege gehen. Sehr oft aber ist dieses dritte
Mittel die letzte Zuflucht der Etymologie.
Wir kehren zu unserer Streitfrage zurück und berichten zuerst^
was über dieselbe geschrieben worden ist.
Der erste, der meines Wissens auf diese Ungleichheit in der
Beurteilung aufmerksam machte, ist der französische Sprachvergleicher
Michel Br6al, der das grundlegende Werk von Bopp: Verglei-
chende Orammatik der indogermanischen Sprdchen ins Französische
übersetzte und dadurch die vergleichende Sprachforschung in Frank-
reich begründete.
Michel Br6al schrieb im Jahre 1889 einen kurzen Aufsatz, be-
titelt: De Vimportance du sens en dtymologie et en grammaire {MSm.
de la Soc, de linguistique VI, 163 ff.). Oleich am Anfang heifst es:
ü y a, en ^tymohgie, un guide dont on ne tieni pas ctssez compte:
&est le sens du moL Darin erzählt er, wie Stowasser das lat
meridies 'Mittag* aus merus dies *heller Tag* ableitet, entgegen der
gewöhnlichen Etymologie von medius dies *die Mitte des Tages*. Diese
letztere Ableitung hält Br^al mit zweierlei semasialogischen Gründen
aufrecht
Erstens verweist er auf andere Sprachen, wie wir es bei chStif
aus captivus getan haben. Der Begriff 'Mittag' wird in den meisten
Sprachen durch *Mitte des Tages' wiedergegeben. *
Zweitens führt er die logische Wahrscheinlichkeit ins Feld. Es
ist in der Tat von vornherein wahrscheinlicher, dafs, um die Mitte
des Tages auszudrücken, sich dies mit medius zu einem Worte ver-
* Nur das Baseldeutsche macht hiervon eine bemerkenswerte Aus-
nahme, indem es drximmis 'aum Imbils' sagt
Flioiietik und Semantik in der etymologischen Forechnng. 111
binde als mit merus, das seiner Kernbedeutung 'rein, unvennischf
nach überhaupt schlecht zum Begriff dies pa&t ^
Auch Bcdiuchardt spricht sich für meditis dies aus, er meint
geradezu, einem anderen Ursprung nachsinnen sei chercher midi d
qtiatorxe heu/r es!
Wir können uns hier nicht darauf einlassen, die lautlichen und
begrifflichen Schwierigkeiten, die beide Vorschläge bieten, gegen-
einander abzuwägen, der Fall meridies ist für uns hier lediglich von
prinzipieller Bedeutung. Lautlich ist mems dies vorzuziehen, begriff-
lich ist medius dies zu erwarten.
Darf in dnem derartigen Falle, wo lautliche Bedenken bestehen,
die Semasiologie den Ausschlag geben? So lautet die Fraga Br^al
sagt ja, er drückt sich folgendermaisen aus: on a hien tort de re-
pousser, au nom des Uns phoniques, des etymologies qui s'imposent
Diesen Grundgedanken nimmt ein Jahr später, 1890, Hugo
Schuchardt in einem seiner zahlreichen etymologischen Artikel
wieder auf. Wir werden uns im folgenden hauptsächlich mit ihm
zu beschäftigen haben.
In dem erwähnten Artikel fragt sich Schuchardt, weshalb so
viel Etymologien nicht befriedigen, ohne dafs man ihnen einen eigent-
lichen Verstoss gegen die Herleitungskunst nachweisen könne. Er
sieht den Grund hierfür in der UnvoUkommenheit der Kunst, die
auf die lautliche Prüfung mehr Gewicht lege als auf die begriffliche.
Schon hier argumentiert er mit demjenigen romanischen Worte, das
unbestreitbar am meisten Tinte hat müssen über sich ergehen lassen,
mit it. andare, fr. aller, prov. anar, span. andar, nach Schuchardt
aus lat ambtUare,
Dieses berühmte andare 'Frohlem ist allerdings ein treffliches
Beispiel zugunsten seiner These. Wenn ambulare das richtige Ety-
mon ist» so hat die Phonetik einmal glänzend unrecht, und die Se-
mantik feiert einen seltenen Triumph. Denn man mag ambulare
drehen und wenden wie man will, um zu andare oder zu aller zu ge-
langen — nie werden die gestrengen Lautgesetze ihre Zustimmung
geben ; begrifflich aber gehört diese Herleitung, auch für unser Dafür-
halten, zu jenen Uymohgies qui s'imposent, von denen Br^al spricht.
Wo eben so starke Gleichheit der Bedeutung vorliegt, wie romanisch
'gehen' und lateinisch 'wandeln', da müssen die Lautgesetze den
kürzeren ziehen, d. h. als uns noch unvollständig bekannt angesehen
werden. Vgl. E. Bovet, Äneora ü problema andare, Roma 1901.
' In einem Punkte hat Br^al unrecht. Er sagt: qitand il a'agit d*ex-
pressions aussi prieisesj on ne doit pas les expliquer pa/r des ä peu
prds. Dem widersprechen die Tatsachen: z. B. gerade die Bedeutungs-
entwickelung von imbia, das zuerst irgendeine Mahlzeit ohne
nähere Zeitbestimmung bezeichnet, dann das Mittagessen, und
Bchlielslich wird es auch, gerade in Basel, für Mittagszeit ohne Bezug
auf das Essen gebraucht.
112 Fhonetilr und Semantik in der etymologiBcben Forschung.
Vorderhand bleibt die Schuchardtsche Anregung unbeachtet.
Nur gelegentlich fällt eine Bemerkung in seinem Sinne: so eagt z. B.
Brugmann im Jahre 1895 {Anzeiger f. idg. Sprack- u. Altertumskunde
V, 17): 'Es gibt nicht nur Gesetzmäfsigkeiten im Lautwandel, son-
dern auch gewisse RegelmäTsigkeiten in den Bedeutungsverschiebungen.
Wie jene, so hat der Etymologe auch diese zu berücksichtigen.' Be-
merkenswert ist die Abstufung im Ausdruck: der Bedeutungswandel
zeigt nur 'gewisse RegelmaisigkeitenM
Ähnlich äu&ert sich ein anderer Indogermanist^ Osthoff. In
der Vorrede zu seinen Etymologischen Parerga 1 (Leipzig 1901) sagt
er, er habe 'die lautliche und morphologische und vor allen Dingen
auch die begriffsgeschichtliche Seite der in Bede stehenden
Fragen ... erörtert' Er wird seinen guten Grund haben, weshalb er
gerade die semasiologische Seite so stark betont
In den Jahren 1898 und 1899 erschienen die ^Romanischeti
Etymologien' von Schuchardt, die den Kampf eröffnen sollten. Dieser
Kampf erstreckt sich über einen Zeitraum von vier Jahren, er spielt
sich ab in den zwei angesehensten romanistischen Zeitschriften, von
denen die eine in Deutschland {Zeitschr, f: rom. PhiL)^ die andere in
Frankreich (Romania) erscheint Den einen Gegner kennen wir be-
reits, es ist Schuchardt Der andere ist Antoine Thomas. Es
sind somit zwei gewiegte Etymologen, die aneinander geraten. Wir
wollen versuchen, sie in Kürze zu skizzieren.
In der erwähnten Sammlung von romanischen Etymolo-
gien finden sich zwei prinzipielle Erörterungen. In der ersten ver-
wahrt sich Schuchardt dagegen, dafs bei etymologischen Fragen der
persönliche Geschmack des Forschers mitspielen dürfe. Ein solcher
Protest sollte überflüssig sein, auch scheint er mehr als Veranlassung
zu einigen etymologischen Grundsätzen zu dienen, von denen ich
zwei hervorhebe:
1) 'Es sei bei jeder Etymologie die lautliche und die begriff-
liche Entwickelungsreihe in ihrer Kontinuität zu verfolgen.' Darauf
folgen drei Wortuntersuchungen. Neu ist an seiner Darstellung die
scharfe Trennung der lautlichen von der begrifflichen Besprechung
des Wortes. Beiden Elementen wird gleich gründliche Behandlung
zuteil.
2) Es sei erste Aufgabe des Etymologen, die Bedeutung des
Wortes möglichst genau zu ermitteln.
Beide Ratschläge sind alt und selbstverständlich. Neu und ori-
ginell ist bei Schuchardt nur die Art ihrer Befolgung. Den ersten
haben wir durch chitif — captivus zu veranschaulichen versucht;
wie er den zweiten verstanden wissen will, soll uns das Wort gilet
zeigen.
Das franz. güet wird gewöhnlich abgeleitet von Oüles, lat ^gi^
dius, deutsch Oilgen, z. B. Sankt Oügen eine Sommerfrische im Salz-
burgischen. Qiüe(8) ist in Frankreich der Name einer komischen
flumetik tmd Semantik in i& etTmolo^schcoi ^otschung. llS
Figur des Jahrmarkttheaters — ein Hanewurat» der eine kurze, ärmel-
lose Weste getragen haben soll, daher güet 'Weste', gerade wie das
neufranzosische Wort für 'Hose' panialon ganz sicher von einer ita-
lienischen Theaterfigur herrührt, dem Pantalone, der lange Hosen trug.
Bis dahin scheint bei gilet alles sehr einleuchtend. Dodi
Schuchardt will der Sache auf den Grund gehen, er sagt sich: wenn
die Weste nach diesem Oüle benannt wurde, so mufs jene Theater-
weste Ton besonders auffallender Gestalt gewesen sein. Es drangt
ihn, eine solche wirklich zu sehen. Er sucht also in umfangreichen
Kostumwerken und findet nichts, er durchblättert drei Bände von
Stichen Watteaus und findet nichts, endlich schreibt er an den
Kostümv^rwalter des Th^tre fran9ais, der ihm freundlichst einen
Oiüe von Watteau zuschickt Und was findet er? Das so mühsam
gesuchte gilet entpuppt sich als gewöhnlicher langärmeliger Pierrot-
rock, der bei niemandem den Eindruck einer Weste erweckt
Diese Etymologie ist also sachlich sehr schlecht gestützt Ihr
gegenüber steht nun erstens das türkische Wort yelek, das ebenfalls
'Weste' bedeutet und begrifflich keinerlei Schwierigkeiten machte
zweitens die kulturhistorische Tatsache, dafs verschiedene Völker die
türkische Weste entlehnt und ydek oder ähnlich benannt haben. So
die Griechen, die Albaner, die Rumänen, die Slawen, femer die Ita-
liener (gnUecco) und die Spanier {güeco, jakeo, auch ohaleeö). Das
Wort für die türkische Weste wurde sodann auf ähnliche Kleidungs-
stücke übertragen, unter anderen auch auf die in Paris aufkommende
moderne Weste, die von da an bald die zivilisierte Welt eroberte. *
Wir müssen also wohl auf die Ehre verzichten, in einem Hans-
wurstkostüm herumzugehen, und müssen uns mit einem ffi^ ^^ür-
kischer Abstammung zufrieden geben!
Ein anderes Gebiet in das sich Schuchardt, der Etymologie zu-
liebe, hineingearbeitet hat, ist das der Fischerei. Er hat dabei einen
kostbaren Fang getan, den er uns ebenfalls in seinen ^Eomaniadien
Etymologien' voiführt: es handelt sich um die Herleitung von frz.
trauver, it trovare, prov. trobar (daher Trouhadur eig. *der Versfinder').
Dem schon erwähnten amiore-Problem stellt sich das ^otxire-Problem
würdig zur Seite. Da es zum Hauptzankapfel zwischen Schuchardt
und Thomas wurde, mufs ich Sie kurz darüber unterrichten.
Das Lateinische hat zwei Wörter für 'finden': reperire und tn-
venire, beide sind in den romanischen Volkssprachen spurlos ver-
schwunden. An ihre Stelle getreten ist das romanische trovare. Woher
mag es gekommen sein ? Es stehen sich in der Hauptsache nur zwei
Ableitungen gegenüber: die alte von Diez aus turbare 'verwirren',
dann 'durchstöbern', 'durchsuchen' und von da 'finden', und die
neuere von Gaston Paris aus einem hypothetischen *tropare, vom
' Lautlich ist das zu erwartende *güec durch Suffixvertaaschung zu
gilet umgewandelt worden. Man vergleiche it albercocco mit frz. abrtcot.
AidÜT i. n. 8|imcheii. CXV. 8
114 Phonetik und Semantik in der etymologiBchen ForBchungl
griecb. TQ^n^g 'Art und Weise', das bedeutet hatte: 'Melodien erfin-
den', 'komponieren', dann 'finden' überhaupt Lautlich ist *tropa/re
einwandlos, begrifflich fehlt ebenfalls nichts ab der Nachweis, da(s
es so gegangen.
Bohttchardt nun nimmt die Diezsche Ableitung aus turbcare wieder
auf. Dabei ist ihm zweierlei gelungen: erstens hat er die lautlichen
Bedenken bedeutend reduziert^ und zweitens hat er den Bedeutungs-
übergang von 'verwirren' zu 'finden' in hohem Malse wahrscheinlich
gemacht
Auf die lautliche Seite kann ich hier nicht eintreten. Gunz neu
ist nur die Begriffsentwickelung; sie ist ein Muster von Gründlich-
keit und überzeugender Darstellung. Turbare 'verwirren' wurde in
der Fischersprache gebraucht: turbare aquam hiefs das Wasser ver-
wirren, das Wasser durchwühlen, trüben, um die Fische aufzuscheu-
chen und in die Netze zu treiben, eine bestimmte, weitverbreitete
Art des Fischfanges, die man deutsch 'Pulsen' nennt Tarbatrt verlor
den allgemeinen Sinn 'verwirren' (worin es bald durch Ujurhukarty
troubler ersetzt wurde) und wurde ausschliefslich Fischerausdruck;
daher die Schwierigkeit das Wort literarisch zu belegen. Das Pulsen
nun ist eine Art des Fischesuchens, und Fisches u che n ist wenig-
stens für einen Fischer von Beruf, meist mit einem Fischef inden
verbunden. — Suchen und Finden stehen in einem eigentümlichen
Verhältnis zueinander; bald gegensätzlich, wie z. K: ich habe
ihn lange gesucht aber nicht gefunden, bald eng verwandt, wie
im Sprichwort: wer sucht der findet bald identisch, denn man
kann ebensogut sagen 'er sucht überall Schwierigkeiten' wie 'er
findet überall Schwierigkeiten', oder Quellen such er und Quellen-
finder. Jedes Finden ist nichts anderes als ein mit Erfolg betrie-
benes Suchen; da das in der Fischerei die Begel ist — wie könnte
es auch ohne diese Bedingung ein Lebensberuf sein? — , so ist die
Vertretung von 'suchen' durch 'finden' naheliegend, und Schuchardt
ist theoretisch unwiderlegbar. Der letzte Schritt endlich von 'Fische
finden' zu 'finden' überhaupt läfst sich durch viele Analoga belegen.
So heilst frz. gagner ursprünglich 'durch Weiden (dial. durch Säen,
aspan. durch Mähen) erwerben', dann überhaupt 'erwerben, gewinnen';
arracher ist zuerst 'Wurzeln ausreifsen', dann 'ausreiisen' schlechthin ;
bechern früher nur: 'aus Bechern trinken', heute von jedem Trink-
gelage gebraucht
Was ich oben über den Begriffsübergang von 'verwirren' zu
'finden' wiedergegeben habe, umfafst in der Schuchardtschen Ab-
handlung allein 131 wohldurchdachte Druckseiten! Um über das
Fischtreiben in den verschiedenen Ländern genau unterrichtet zu
sein, hat er die Mühe nicht gescheut sieben vielbändige, in sechs
verschiedenen Sprachen geschriebene Spezialwerke über Fischerei
durchzusehen. Wir begreifen, dais ihm daran gelegen ist ^^^ ^'^^
so ungewöhnlich zähes Suchen nun auch zum Finden geführt haba
t^honeäk und Semantik in ä«r etymologischen {"orsc^ung. lllB
Die fransosischen Gelehrten Gaston Paris und Antoine Thomas
waren nicht dieser Ansicht Thomas äulserte sich 1900 in einer Be-
sension der Schuchardtsohen Schrift {Born. XXIX, 488). Darin inter-
essieren uns zwei Punkte: seine prinzipielle Stellung und seine Ab-
lehnung der Schuchardtsohen Etymologie: irou/ver aus iurbare.
Nachdem er dem Grazer Gelehrten nach französischer Art ein
Ej»nzchen gewunden hat^ kritisiert er seine Methode folgendermaisen:
er behauptet 1) M. Seh. revendique fieremmU la libert4 de traüer Viiy-
tnologie ä sa guise, 2) ü faü trop bon marchS de la phonitique und
S) La sSmantiqtie a trauvS en lui un briUant ehampion: fai bien peur
qn^en txmlant conquMr le monde pour sa dorne, ü ne aime les ruines
8ur sa rotäe, was so viel heilst als: Herr Schuchardt geht in etymo-
logischen Dingen eigenmächtig vor, er nimmt es zu leicht mit den
Lautgesetzen, er wird statt Rosen nur Domen ernten. Diese drei
Gredanken zusanunen — eine ungünstige Charakteristik, ein metho-
discher Vorwurf und eine schwarze Prophezeiung — liefsen natürlich
die lobenden Worte am Anfang als Zucker für die Pille erscheinen.
Nach so schwerwiegenden Anschuldigungen hatte man eine ein-
gehendere Kritik der Schuchardtsohen Etymologien erwarten dürfen.
Auf eine Diskussion über iurbare lalst er sich vorläufig gar nicht
ein; er sagt nur kurz am Schluis: je ne eroia paa du tout ä turbare,
et pour rien au monde je ne dSserterais *tropare, que la pho-
niUque peut eeul aw>uer.
Noch im selben Jahr erfolgt Schuchardts flrwiderung: 'die
Kritik einer Kritik^, ein scharfer Artikel. Schuchardt hatte die Pille
trotz der Versülsung nicht verschluckt^ er antwortet: seine Methode
sei nicht willkürlich, aber er, Thomas, trete dogmatisierend auf; sein
Dogma sei die Superiorität der Lautgesetze über die Gesetze des Be-
deutungswandels, während doch Laut und Begriff sich aufs innigste
im Worte verbänden und beide der allgemein postulierten Gresetz-
mäbigkeit unterworfen seien. Deshalb habe er, Schuchardt^ sich der
Dame Semantik angenommen, die wie ein Aschenbrödel behandelt
werde, und wenn auch diese seine Dame nicht durch äufsere Beize
glänze wie die Dame Phonetik, die sich Thomas auserkoren habe,
80 habe sie dafür innere Vorzüge, die ihre Verehrer reichlich ent-
schädigen.
Daraufhin wird Thomas etwas alttestamendich und sagt: ä mon
(wie la eeienee a parU par la bouohe de Gaeton Paris (Born, XXX, 154),
wie wenn es in der wissenschaftlichen Forschung Priester und Pro-
{Aeten gäbe!
Doch damit ist der Streit nicht beigelegt Schuchardt ruht nicht,
bis Thomas antwortet Dieser Zähigkeit verdanken wir eine weitere
prinzipielle Erörterung {Zeitschrifl /*. rom, Phü. XXV, 244 ff.). Sie
hebt an mit dem seither oft zitierten Satze: 'Lautgesetze' werden
nicht unter Donner und Blitz verkündigtl Mit anderen
Worten: was wir als 'Lautgesetze' proklamieren^ ist menschlichen
8*
116 Phonetik und Semantik in der ctyroologiBchen Foracbung.
ürsprongs, und was Menschen geschaffen, darf nicht auf Unfehl-
barkeit Anspruch erheben, also sei eine jeweilige Nachprüfung dies^*
'Lautgesetze' geboten. Der Philologe erkennt darin den Autor der
bekannten Streitschrift gegen die Junggrammatiker ^Über die Loid^
gesetxe' (Berlin 1885).
Neben diesen noch sehr revisionsbedürftigen Lautgesetzen stän-
den die 'Bedeutungsgesetze', die, wie auch Wundt annehme, in glei-
chem MaTse die Sprachentwickelung beherrschten wie die Lautgesetze.
Er falst sein Postulat in folgendem Satz zusammen: Bei jeder ety-
mologischen Untersuchung sind Lautwandel und Be-
deutungswandel miteinander in Einklang zu bringen,
unkritisch yerfährt, wer den einen über dem anderen yemachlässigt ^
Diese erneute Proklamation drückt Thomas wieder die Feder in
die Hand. Li seinen ^Problemes itymologiquea' (Rom, XXXT, 1 ff.)
beharrt er auf seinem Standpunkt von der Allmacht der Phonetik.
Bezeichnend ist folgende Stelle, worin er die Unmöglichkeit von tur-
bare — trouver darzutun sucht; er sagt: si turbare ne peui pas sup-
porter Veocamen phordtique, ü ne compte plus, il est mort II peui
avoir beaueoup de qucUüSs par aiüeurs, comme kt jument de Roland;
rien ne pourra compenser ce terrible dSfaut; (car) on ne peut rien
prStendre en itymologie sans Vaveu de la phonStique;
mais la phorUiique ne suffU pas ä tout
Nach Thomas äuisert sich G. Paris, der Autor der von Schuchardt
bekämpften Etymologie *ir6pare. Auch er hält an seiner Idee fest^
folgt aber Schuchardt auf das ihm eigene Gebiet des Bedeutungs-
wandels, was Thomas nicht tut, und stellt folgendes fest: Zur Evi-
denz der Gleichung turbare =r trouver fehlen noch zwei Dinge:
1) der historische Nachweis, dafs turbare im romanischen Sprach-
gebiet den Sinn von pulsen angenommen habe; die jetzigen Sprachen
und Dialekte brauchen andere Wörter;
2) der semasiologische Nachweis, dafs ein Wort für 'suchen'
vollständig — nicht nur gelegentlich — die Bedeutung 'finden' an-
genommen hat.
Lizwischen war eine interessante Sammlung wohlerwogener Ety-
mologien von Thomas erschienen unter dem Titel : MSlanges d'Stymo-
logies fran^aises (Paris 1902), deren Vorrede eine Art sprachwissen-
schaftliches Glaubensbekenntnis enthält Es heifst da u. a.:
Pour ickapper ä Verreur, nous avons deux guides tris prScieux,
' Diese Forderang steht im Geffensatz zur herkömmlichen Auffassung,
wie sie sich z. B. bei Diez aussmicnt. Diez schreibt im Jahre 1858 (^Vor-
rede zum Etym, Wörterbuch p. aVII): 'Die Etymolone hat ihre wissen-
schaftliche Grundlage in der Lautlenre', oder p. XV: 'Die Form bietet
dem Etymologen überall den sichersten, von subjektiver Auffassung un-
abhängigsten Anhalt' Dafs die Bedeutung einigermaTsen stimmen mufs,
ist selostyerständlieh. Dafs sie aber eine entscheidende Bolle spielen
könnte, scheint für Diez ausgeschlossen zu sein, wenigstens berührt er
diesen Punkt mit keinem Wort
Phonetik und Semantik in der etymologischen Fonchimg. 117
qui aont eomme les yeux de VStymologie: la phonStique et la sS-
mantique.
Bis dahin ist jedermann, auch Schuchardt einverstanden; denn
daifl die Etymologie mit einem ihrer Augen schielen könnte^ daran
denkt niemand I Nun fährt aber Thomas fort:
J'attiuhe im prix particudier au conoours de la phorUtique; je me
suis (xppliquS d vwre en hon accord amc eUe; je la vSndre et j'observe
ses Uns religieuseiment, denn, sagt er weiter unten, (ees) lots tme fois
ilabories ant un earactire absolu, was Schuchardt und viele mit ihm
energisch bestreiten.
Mit weniger Wärme spricht er von der Semantik.
La simantique est insfyarable, eUe aussi, de la reeherche itymo-
logique, ...jene crois pas eependant qu'eUe ptHsse jouer tm rdle aussi
actif, aussi dSeisif, que la phonitique ... d cause de Vextrime fluiditS
des äUments sur lesquels portent ses spimlaHons.
Noch deutlicher wird die Stellung der beiden Mächte im Sdilufih
ßatz markiert, wo es hellst:
La simantique est appeUe ä rendre de grands Services a V^tymoU)-
ffiste; mais il faut qu'ü sacke la disdpliner et lui inspirer Vesprü de
Subordination vis-drvis de la p?um6tique.
Da haben wtr's mit unzweifelhafter Deutlichkeit ausgesprochen:
der Bedeutungswandel hat bei der Beurteilung einer
Etymologie vor dem Lautwandel zurückzutreten.
Diese Schrift samt Vorrede veranlaTst Schuchardt 1902 zu einer
vierten (und nicht letzten) Auslassung. Etymologiscke Probleme v/nd
Prinzipien heifst der Artikel {Ztsohr. f, rom. Phil. XXVI, 385 — 427).
Er bringt nicht viel Neues für uns, die wir hier auf eingehende
Diskussion der Beispiele verzichten müssen. Nur eine Stelle sei
ihrer Prägnanz wegen erwähnt Thomas zitierend, sagt Schuchardt:
'Wenn ttiarbare die lautliche Prüfung nicht bestehen kann, so ist es
tot' GewiTs, aber ebenso gewifs ist *tropare tot^ wenn es die begriff-
liche Prüfung nicht bestehen kann. — Ob aber die begriffliche Prü-
fung mit gleicher Sicherheit durchgeführt werden kann wie die laut-
liche, das sagt uns Schuchardt nidit Wir werden auf diesen Punkt
zurückzukonunen haben.
Die Thomassche Theorie von der Unterordnung des Bedeutungs-
wandels widerlegt Schuchardt treffend durch das Beispiel cousin
'Vetter* und 'Mücke'. Er sagt: Wenn wir nicht wüTsten, was die
beiden cousin bedeuten, so würden wir nie und nimmermehr das eine
auf consobrinus, das andere auf *culicinus 'Schnake' zurückführen;
die Phonetik arbeitet hier unter Oberleitung der Semantik.
Damit freilich gibt Schuchardt seiner eigenen Methode unrecht,
die beide, Phonetik und Semantik, gleichstellt
Schuchardt könnte seinen Artikel und damit seine Polemik mit
Thomas nicht besser beschliefsen, als er es tut, nämlich mit einem
Arbeitsprogramm.
118 Phonetik und Semantik io der etymologischen Fonchong.
Die wiseenBchaftliche Arbeit hat eioh stets zu veijüngen, so un-
gefähr führt er aus: Was tun, um den Gesetzen des Bedeutungs-
wandels beizukommen? Das Auseinanderweichen der Laute darf
die Sprachgeschichte nicht ausfüllen; das Auseinanderweichen der
Bedeutungen (und der Ausdrucksweisen) verdient nicht minder eine
systematische Betrachtung. Frisch auf denn zur Arbeit, ruft es
uns aus seinen Worten zu. Das Feld liegt bracht es ist in doppelter
Richtung zu durchpflügen : einmal sind innerhalb der einzelnen Sprach-
gemeinschaft die Wörter nach Begriffsgruppen zusammenzustellen,
um so die gegenseitige Beeinflussung in lautlicher und begrifflicher
Hinsicht ermessen zu können, und anderseits sind die Ausdrücke für
die gleichen Begriffe in den verschiedenen Idiomen zu sammeln,
um so für die Wahrscheinlichkeit oder ünwahrscheinlichkeit eines
vorgeschlagenen Bedeutungswandels einen Ma&stab zu bekommen.
Dieser Vorschlag deckt sich auffallend mit dem, was Brugmann
sieben Jahre vorher gesagt hat {Idg. Forsch. V [1895], Anz. S. 17).
Brugmann äufsert sich etwa f olgendermaften : 'Eine systematische
Bearbeitung der Bedeutungslehre ... ist notwendig für die gedeih-
liche Weiterentwickelung der wissenschaftlichen ... Etymologien.'
Und weiter unten : 'Durch semasiologische Untersuchungen (nach Be-
griffsgruppen) gewinnt der Etymologe nicht nur Kriterien zur Ent-
scheidung über Wahrscheinlichkeit und Ünwahrscheinlichkeit von
vorliegenden Versuchen, sondern solche Forschungen haben auch
heuristischen Wert für die Auffindung der Grundbedeutung der
Wörter.'
Beide Gelehrten kommen so in ganz verschiedenem Zusammen-
hang zum gleichen Schlufs: nur eine systematische Behand-
lung des Bedeutungswandels kann zur gewünschten Sicher-
heit im Urteil führen.
Was sagen nun die französischen Gelehrten zu diesem versöhn-
lichen Ausblick in die Zukunft?
Thomas {Rom. XXXI, 625 ff.) lenkt etwas ein. Auf die 62 Seiten
der * Etymologischen Frinxipien' Schuchardts antwortet er mit einer
halben Seite, auf der er die prinzipielle Forderung Schuchardts mit
den Worten abtut: des considirations bonnes d mSdiier! — G. Paris
beschrankt sich auf die Diskussion des Bedeutungswandels von iur-
bare. In einer spateren Notiz (Rom, XXXI, 646) bekennt er Farbe;
er steht auf dem Standpunkte, den Thomas in seiner Vorrede ein-
nimmt Die Semantik wirkt wie ein heimtückischer Sirenengesang.
^On doit souvent/ sagt er, 'boucher ses oreiües aux plus s4duisantes
propositions de la sSmanHque,
Was von da an noch hüben und drüben geschrieben wird, ist
für uns belangloses Nachspiel. Schuchardt wundert sich über die
'starre Einseitigkeit' von G. Paris (Zeitschr, f, rom. Phü. XXVII, 97),
und darauf folgen ein paar rein referierende 2ieilen in der Romania
(XXXII, 5) über den Artikel Schuchardts.
Phonetik und Semantik in der etymologiBcben Fonchung. 119
So endet der mit einem stattlichen Bande begonnene Prinzipien-
kampf in ein paar Einzelbemerkungen.
Wir haben einem 'richtigen Gelehrtenstreit' beigewohnt^ bei dem
es nicht ohne Menschlichkeiten abging. Er hat auch das Typische
an sich, dais, wenn auch der Streit selber fertig isty die Streitfrage
deshalb noch lange nicht zum Abschluls gekonunen ist
Koordination oder Subordination der Semantik? so tönt
es durch die ganze Polemik hindurch. Der deutsche Geehrte ver-
langt gebieterisch das erstere, die französischen das letztere. Wer hat
recht? Bis jetzt hat meines Wissens niemand direkt zur Schuchardt-
schen Alternative Stellung genommen. So wollen wir denn unser-
seits eine Lösung versuchen.
Ich sagte vorhin absichtlich zur Schuchardtschen Alternative,
denn er, nicht Thomas, hat sie aufgestellt Thomas hat sich erst auf
das Drangen seines Gegners hin über das Bangverhaltnis geaufser^
mehr 'der Not gehorchend als dem eigenen Triebe'.
Bevor wir uns für Koordination oder für Subordination ent-
scheiden, muÜB die Vorfrage gestattet sein, ob überhaupt Phonetik
und Semantik Dinge seien, die unbedingt in einem Rangverhältnis
stehen müssen.
Vergessen wir nicht, dafs Phonetik und Semantik Sammelnamen
sind für alle diejenigen Argumente, die der Etymologe der Laut-
geschichte und der Bedeutungsgeschichte entnimmt Besteht ein
Rangverhältnis, z. B. das der Subordination, so heilst das im kon-
kreten Falle: jedes lautliche Argument hat von vornherein mehr Be-
weiskraft als das begriffliche. Anders kann ich mir die Unterordnung
nicht vorstellen.
Greifen wir auf captivus ziirück. Das Palatalisierungsgesetz —
k ixk ch — ist eins der wichtigsten Lautargumente, wenn bewiesen
werden soll, dafs chitif auf captivus ziurückgeht Halten wir daneben
ein begriffliches Argument: z. B. dafs Grefangene meist elend dran
sind. Wer möchte hier entscheiden, ob das lautliche Argument star-
ker, gleich stark oder weniger stark ins Gewicht falle als das be-
griffliche? Denn hätten wir statt chitif z. B. *pSiif, so käme cap-
tivus ebensowenig in Betracht, wie wenn es nicht wahr wäre, dafs
Gefangene meist elend dran sind. Stellen wir aber dem Palatali-
sierungsgesetz eine andere semasiologische Tatsache gegenüber, z. B.
dafs ehStif noch im Altfranzösischen 'gefangen' heilst, so wird man
zugeben müssen, dafs dieses letztere Argument seinem lautlichen
Partner an Beweiskraft erheblich nachsteht Denn wäre uns auch
zufälligerweise diese altfranzösische Bedeutung nicht überliefert^ wir
würden doch an captivus festhalten.
Anders liegen die Dinge bei amhiUare — aUer. Da erscheinen
alle lautlichen Bedenken untergeordneter Art vor der einen grolsen
Tatsache, dals ambulare annähernd die gleiche Bedeutung hat wie
das Verbum für 'gehen' in den romanischen Sprachen« Da hat di^
120 Phonetik und Semantik in der etymologiBchen Fonchnng.
Phonetik zu schweigen yor der Allgewalt der Bemantik, ein einziges
begriffliches Argument kann hier die bestbelegten Lautgesetze über-
tonen. Also nicht mehr Koordination, sondern Subordination, nur
im umgekehrten Sinne.
Ist auch Thomas mit aller aus ambtüare nicht einverstanden, so
ist er es doch mit dem schon berührten eousin aus consobrinus, wo
Schuchardt ausdrücklich die Oberleitung der Semantik feststellt
Aber auch die starke Betonung des Begrifflichen hat ihre Ge-
fahren. So sagt Br4al {Op.cü.^. 165): ... VcLÜemand elf, xwölf doit
oacher le nom de nombre ^dioc^ dans ton If fmdl, goth. lif Quelqtie
difficuM qu'on puisse avoir avec la phonStique en presence de V^quation
taikim = lif, je penehe a priori pour Vaffirmaiive, en vertu d'une
eertitude qui a bim sa valeur aussi, la certitude mathSmatique.
Br6al hat zwar mathematisch richtig gerechnet, aber die Rechnung
ohne den Wirt gemacht Die moderne Forschung weifs nichts von
einer Bedeutung 'zehn'; zu einem sicheren Grundwort ist sie aller-
dings auch nicht gekommen. Das Schweiz, Idiotikon (I, 288) sieht
in dem lif den Stamm von mhd. beliben 'bleiben', df wäre somit =
eins bleibt noch, eins noch übrig (von den zehn, über die man be-
reits hinweggezählt hat). Eine onomasiologische Studie über die Zahl-
wörter könnte hierüber Aufklärung bringen.
Wir sehen, dafs das Verhältnis der beiden Argumentationen
kein konstantes ist; bald sind die lautlichen Gründe stichhaltiger,
bald die begrifflichen, einen absoluten Mafsstab für beide gibt es
nicht, somit auch kein absolutes Bangverhältnis.
Es möchte sich damit ähnlich verhalten wie bei der pädago-
gischen Streitfrage, ob die körperliche Ausbildung wichtiger sei als
die geistige. Wer wollte darauf ohne konkrete Vorlage antworten?
Fragt man aber, was einem englischen Sportsman oder einem über-
arbeiteten Gymnasiasten not tue, so wird man sofort jenem die gei-
stige, diesem die körperliche Betätigung anempfehlen.
Wenn nun wirklich zwischen Phonetik und Semantik kein Rang-
verhältnis besteht und sowohl die Thomassche Subordination als die
Schuchardtsche Koordination illusorisch sind, worin besteht dann
eigentlich die Differenz zwischen beiden?
Wir müssen hier unterscheiden zwischen Theorie und Praxis.
Theoretisch stehen Thomas und Schuchardt weit auseinander, prak-
tisch stehen sie sich viel näher. Wenn die etymologische Arbeit mit
dem Betrieb eines Bergwerks verglichen werden darf, so stehen sie
beide seit langen Jahren in den untersten Stollen und dort wieder
in den vordersten Reihen. Ihre Funde sind mit Erfolg gekrönt, ihre
etymologische Kunst wird allgemein anerkannt. Wie wäre es denk-
bar, dafs beiden zugestimmt würde, wenn der eine von ihnen auf
ganz falscher Fährte wandelte? Die Übereinstimmung im Urteil der
Fachgenossen deutet an, dafs ihre Methode im ganzen und grofsen
dieselbe ist Ihre Divergenz in der Theorie tritt nur in einzelnen
Phonetik and Semantik in der etymologiBchen Forschung. 121
Fällen zutage, wie z. R bei den vielbesprochenen Verben turhcwe und
(unbulcare, wo man auch ohne prinzipielle Gegensätze in guten Treuen
yerschiedener Meinung sein kann.
Es wäre psychologisch interessant, zu wissen, ob die Theorie be-
stimmten Etymologien ihren Ursprung verdankt bezw. ihnen zuliebe
erfunden worden ist, oder ob sie durch bloise logische Deduktion
entstanden ist
Eins sehen wir deutlich aus dem Verlaufe der Polemik:
Schuchardt ist der alleinige Urheber der Streitfrage. Thomas wird
fast gegen seinen Willen zu einem Bekenntnis gedrangt So wird
aus dem linguistischen Problem ein psychologisches.
Die Polemik hat zwischen Thomas und Schuchardt eine Kluft
geschaffen, die bei näherer Betrachtung auf einen Gradunter-
schied hinausläuft: Thomas legt mehr Gewicht auf das Lautliche,
Schuchardt mehr auf das Begriffliche. Diese Divergenz kann keine
wesentliche genannt werden.
Wie kommen aber die beiden Gelehrten dazu, eine so schroffe
Alternative wie Subordination oder Koordination aufzustellen?
Mir scheint, sie gehen von verschiedenen Voraussetzungen aus:
Schuchardt erscheint 'Hiomas gegenüber als I d e a 1 i s t, ihm schwebt ein
Wortmaterial vor, das räumlich und zeitlich lückenlos ist und bereits
lautlich und begrifflich verarbeitet vor ihm liegt Diesem Idealzustande
hat er seine Methode angepa&t, und da gilt ohne jeden Zweifel der
Satz: eine Etymologie hat nicht nur den Lautgesetzen,
sondern auch den Bedeutungsgesetzen zu genügen.
Diese in die Zukunft blickende Auffassung liegt Thomas fem.
Er treibt Realpolitik, wenn ich so sagen darf; er sagt als prak-
tischer Etymologe: beim gegenwärtigen Stande der Forschung sind die
Lautgesetee ein zuverlässigerer Führer als die uns noch so wenig be-
kannten Bedeutungsgesetze. Er huldigt dem Grundsatz : 'Das Bessere
ist der Feind des Guten'. Bis jetzt sind wir mit der lautlichen Me-
thode nicht übel gefahren, wie leicht könnten wir in der elastischen
Welt der Begriffe auf Abwege geraten?
Mit anderen Worten: Schuchardt stellt ein ideales Postulat
auf, Thomas ein reales. Aber indem die Thomassche Forderung der
Wirklichkeit angepalst ist, hört sie eigentlich auf, eine Forderung zu
sein. Swmma simimarum: Schuchardt sagt, was man tun
sollte, Thomas sagt, was man tut Schuchardt empfindet einen
Mangel, Thomas nicht Schuchardt strebt höher, Thomas bleibt stehen.
Wir werden nicht zögern, uns dem Höherstrebenden anzuschlielsen.
Die Vorliebe Schuchardts für das Begriffliche hat noch einen
anderen Grund. Jeder Linguist kennt seine skeptische Haltung den
'Lautgesetzen' gegenüber. Sie zeigt sich äufserlich darin, dafs er das
Wort 'Lautgesetze' gern unter Anführungszeichen setzt Die Kritik
hat seinen Zweifeln im grofsen und ganzen recht geben müssen.
Nun geht es ihm, wie es schon manchem skeptisch veranlagten
122 Phonetik and Semantik in der etymologiBchen Forschung.
Idealisten gegangen iet, der den Glauben verloren hat Er wirft eich
mit jugendlichem Eifer auf ein neues Qebiet, in der Hoffnung, hier
einen Ersatz für das Verlorene zu finden. Die Enttäuschung, die
ihm die Lautgesetze gebracht haben, sucht er durch das Studium der
begrifflichen Vorgänge allmählich auszumerzen.
Ganz anders denkt Thomas: während Schuchardt eine 8duift
verfafst gegen die Ausnahmslosigkeit der gefundenen Lautgesetze,
beteuert uns Thomas in seiner Vorrede, dafs er als Etymologe diese
Lautgesetze verehre und sie gewissenhaft beobachte (je v&nire \fa
phanStiqtte] et fobserve ses Um religieusemefU), Wer von einer 8adie
dergestalt erfüllt ist^ ist begreiflicherweise weniger geneigt, sich für
eine andere begeistern zu lassen.
Versuchen wir zum Schlufs das Gesagte zusammenzufassen, so
können wir etwa sagen: was die drei Sprachvergleicher Br6al, Brug-
mann und Osthoff mehr gelegentlich betont haben, das hat Schuchardt
in die Form eines kategorischen Imperativs gekleidet, der da lautet:
die etymologische Forschung hat ebensogut mit der Ge-
setzmäfsigkeit des Bedeutungswandels zu rechnen, wie
sie es bisher mit derjenigen des Lautwandels getan hat
Dieser seiner Mahnung hat Schuchardt die Tat folgen lassen.
Seine unter diesem neuen Gesichtspunkte durchgeführten Unter-
suchungen haben fast allgemein Anerkennung gefunden.
Wenn sein Fachgenosse Thomas jene idealistisch gedachte For-
derung nicht anzuerkennen vermag, so scheinen ihn zwei Dinge davon
abzuhalten ; einerseits die Rücksicht auf das gegenwärtig Erreichbare
und anderseits das grofse Vertrauen in die Verwertbarkeit der Laut-
gesetze. Jene Rücksicht ist gewifs praktisch berechtigt, sein grofses
Vertrauen in die Lautgesetze aber halten wir für gefährlich.
Wenn wir auch zugeben müssen, dafs beim jetzigen Stand der
Forschung die Lautgesetze im allgemeinen immerhin noch die zu-
verlässigeren Ratgeber sind, so schliefsen wir uns mit voller Zu-
versicht der Schuchardtschen These an, soweit sie eine von der Gegen-
wart absehende, ideale Forderung aufstellt» die zu ihrer Verwirk-
lichung einer vorbereitenden Periode bedarf.
Über die Vorarbeiten zum Ausbau einer semasiologischen Wissen-
schaft lieJBe sich ein ganzes Buch schreiben. Ich mufs es mir ver-
sagen, näher darauf einzugehen. Nur eins sei bemerkt: es sind be-
reits deutliche Ansätze vorhanden, indem der eine Hauptteil des
Schuchardtschen Arbeitsprogramms schon in Angriff genommen wor-
den ist» ja sich schon einen eigenen Namen zugelegt hat, ich meine
die Lehre von der Begriffshezeichnung oder die Onomasiologie,
wie sie Zauner {Die romanischen Namen der Körperteile in Born,
Studien 1902) treffend genannt hat Die Grundlage jeder onomasio-
logischen Studie ist die: wie wird ein gegebener Begriff in verschie-
denen Sprachen und Dialekten ausgedruckt?
Phonetik und Semantik in der etymologischen Forschung. 123
Unter diesem Gesichtspunkte sind bereits einige Begriffsgruppen
und viele Einzelbegriffe untersucht worden : so im weitesten Umfange
die Yerwandtschaftsnamen, nämlich auf indogermanischem, roma-
nischem und deutschem Sprachgebiet, dann im Romanischen allein
die Körperteile, die Jahreszeiten und die Monate. An Einzelbegriffen
seien beispielsweise erwähnt: das Wiesel, die Fledermaus, der Haspel,
das Alpdrücken in romanischen Dialekten u. v. a.
Die reichhaltigste Ausbeute dieser Art bietet der gegenwärtig
erscheinende Dialektatlas Frankreichs, der Atlas linguistique de la
Franee von Oilli6ron und Edmond.
Statt Dmen die romanische Sprachwissenschaft im Sonntags-
gewande positiver Ergebnisse vorzustellen, habe ich es vorgezogen,
Sie in eine der Werkstätten romanistischen Schaffens einzuführen.
Sollten Sie dabei den Eindruck erhalten haben, als sei diese etymo-
logische Werkstätte eine Art Versuchslaboratorium, so haben Sie
nicht ganz unrecht, denn es hat in der Tat mit der Etymologie seine
besondere Bewandtnis. Sie ist von allen Betätigungen des Linguisten
diejenige, bei der das subjektive Empfinden des Forschers am ehesten
zum Durchbruch kommt
So vollständig auch unsere Nachschlagewerke sein mögen, so
sicher unsere Methode scheint — unser Suchen und Tasten nach der
Wahrheit mahnt uns immer wieder daran, dafs die Etymologie nicht
ein Handwerk, sondern eine Kunst ist
Wissen und Methode sind unentbehrliche Vorbedingung, aber
es braucht dazu noch Eigenschaften, die oft von der Wissenschaft
unterschätzt werden: es braucht Findigkeit und Phantasie.
Wem die Natur die glücklichen Einfälle versagt hat, der wird es
auf etymologischem Gebiete schwerlich zum Meister bringen.
Jeder Etymologe ist einem Dichter vergleichbar, dem das Ideal
eines Reimwortes so lange im Kopfe herumgeht, bis ein erlösender
Genius ihm das Gesuchte auf die Zunge legt Beide, Dichter und
Etymologe, sind Wortsucher, die darauf bedacht sein müssen, dafs
Form und Inhalt sich harmonisch ineinander fügen. Was sie so
finden, ist jeweilen eine schöpferische Tat, und wie der Dichter zu
seinen Schöpfungen in ein persönliches Verhältnis tritt, so mischt
sich auch oft in die wissenschaftliche Forschung des Etymologen ein
subjektives Element, das ihn daran erinnert, dafs die Sprache nicht,
wie Tier, Pflanze und Stein, der Aufsenwelt angehört, sondern dafs
sein Untersuchungsobjekt aufs engste mit seinem geistigen Organis-
mus verwachsen ist
Basel. E. Tappolet
Beiträge zur franzosisehen Stilistik and Syatax.
(Vgl. Archiv CV, 48 f.)
IV.
Ich habe Archiv CV, 48 f. von einer im Deutschen recht
häufigen Art von Satzverbindung gesprochen, in der einem Sub-
jekte drei verschiedene Prädikate beigelegt werden, und festge-
stellt, dafs die fast regelmäfsige Form solcher Sätze mit drei-
gliederigem Prädikat im Deutschen ist : Sie plünderten die Dörfer,
stiegen wieder auf ihre Pferde und schleppten die Beute in
die Wüste hinein, d. h. das Prädikat enthält drei Glieder, die
gleichförmig nebengeordnet sind, wobei dann das dritte Glied mit
'und' an die beiden vorhergehenden gefügt wird. Ich habe dann
weiter darzutun versucht, dafs eine der entsprechenden typischen
Formen dieser Sätze im Französischen ist: ils pillaient les vil-
lages, et remontant sur leurs chevaux, emportaient leur butin
dans le fond du d^ert, d. h. das mittlere Glied ist in Gestalt
eines appositiven Partizipiums eine blofse Satzbestimmung ge-
worden, das Prädikat ist also nicht dreigliederig, sondern nur
doppelgliederig, und das et steht gleich nach dem ersten Gliede.
Es lag mir nun daran festzustellen, ob auch der deutsche
dreigliederige Nebensatz im Französischen ebenso häufig in der
gekennzeichneten Form auftrete wie der drei|Uederige Haupt-
satz; und da mu(s ich bekennen, dafs ich mr in oiesem Falle
überhaupt noch nicht beg^net bin. Nebensätze mit dreigliede-
rigem Prädikat sind ja naturgemäfs nicht so häufig wie die ent-
sprechend gebauten Hauptsätze, aber sie finden sich doch auch.
Dann entspricht entweder, wie ja nicht selten auch im Haupt-
satze, die französische Aussageform der deutschen, z. B. pendant
que la taute sautait, tawmait autour de nous et criait: vive le rot,
Erckmann-Chatrian, Waterloo, oder aber es wird nunmehr das
erste (nicht das zweite) Glied appositive Satzbestimmung in Form
eines Partizipialsatzes; von den beiden anderen Gliedern ist ent-
weder das erste dem letzten Gliede nebengeordnet und mit ihm
durch 'et' verbunden, oder es tritt gleichfalls als Partizipialsatz
auf, so dafs nur noch das letzte Glied ein Verbum finitum ent-
hält. Wir denken uns folgenden deutschen Satz: Einmal war
es der junge Graf von Chalais, welcher dem geheimen Wunsche
dieses Fürsten nachgab, gegen das Leben lüchelieus konspirierte und
BdtrSge zur französischen Stilistik und Syntax. 125
auf einem Schafott umkam. Dieser Satz heifst bei Lam^Fleuiy,
Histoire de France: ... Tantöt c'^tait le jeune comte de Cha-
lais . . . qui, cidant au disir secret de ce prince, conspiraü contre la
tne de Eichelieu et pärissait sur un ickafavd. Oder ich habe fol-
genden deutschen Satz: Murad Bei schleuderte auf diese leben-
den Zitadellen 1000 — 1200 unerschrockene Reiter^ die unter lautem
Geschrei vorsprengten, ihre Pistolen abschössen und sich dann auf die
Front der Karrees stürzten. Er heifst bei Thiers, Egyptische Mc-
pedition, Weidmannsche Sammlung, 4. Aufl., 8. 51: Murad Bey
lan9a sur ces citadelles Vivantes mille ä douze cents cavaliers
intr^pides, qui, se pricipitant d grands cris, dSchargeant leurs pistoleis,
vinrent se jeter sur le front des carrSs,
Ein Satz der ersten Form würde noch folgender sein, der
ebenfalls aus Lam^-Fleury, Histoire de France, entnommen ist:
Mais voyant s^avancer le conn^table de Bourbon qui, hrouüU avec
le rot de France, 4taü sorti du royaume et avait embrassS le parti de
ses enfiemis; ein Satz der zweiten Form aber folgende Verse aus
V. Hugos UExpiaiion (Engwer, Anthologie des Pontes Fran9ais,
Velh. u. Klas., S. 93, 23):
La D^route — — — — — — — —
Quiy päle, Spouvantant les plus fiers bataillons,
Changeant aubitement les drapeatix en haiUons . . .
Se live grandissante au milieu des armSes.
Wenn nun im Nebensatze mit dreigliederigem Prädikat
die eben besprochene Satzform eher beliebt wird als die, welche
wir als besonders gebrauchlich für den Hauptsatz mit drei-
gliederigem Prädikat kennen gelernt haben, so geschieht das nach
meiner Ansicht unter Einflufs der französischen Aussageform,
die dem deutschen Nebensatze mit zweigliederigem Prädikat
entspricht. Wir kommen damit zu einer weiteren typischen Art
von Satzverbindung im Französischen. Es heifst Kacine, Bri-
tanniens, V. 17:
Vaus qui dishSritant le fUs de Qaudius
Avex, nomme Cesar rheureux Domitius.
Wir würden sagen: Du, die du den Sohn des Claudius um sein
Erbe gebracht u nd den glücklichen Domitiits zum Cäsar ernannt hast.
Es heifst bei Erckmann-Chatrian, Histoire d'un Conscritx
Le vent secouait les peupliers, dont les feuilles jaunes, voltigeant
auiour de nous, annongaient Vhiver. Wir würden sagen: Der Wind
schüttelte die Pappeln, deren gelbe Blätter um uns herum flatterten
und den Winter ankündigten.
Es liefsen sich leicht Hunderte solcher Beispiele anführen.
Es ist dabei ganz gleich, ob der Nebensatz von einem Bindewort
oder von einem rückbezüglichen Fürwort eingeleitet wird, ob wir
es also mit einem Konjunktionalnebensatz oder mit einem Ee-
Ifi6 Beitrage sur franzMBcheii Stilistik und S^täx.
lativnebensatz zu tun haben. Eiine Auswahl von Beispielen wird
ausreichen.
Faneen wir mit dem allgemeinsten Bindewort an, mit que
(dafs). Mais crains qvs Va/oenir dStruisant le passS H ne finiase adnsi
qu'Ättguste a commmcS, Bacine, Brit V. 33; Bonaparte soutenait
que Venireprise d'Egypte, Stcmt Umt d faii imprävue, ne renconireraü
point d'obstacles, TUers, S. 14; II vit que Vartiüerie, n'iUmt pas
sur affüt de campagne, ne pourrait se porter dans la pleine, eb. 8. 55
(kurz vorher [8. 53] war derselbe Gedanke bei relativischer Ver-
knüpfung folgendermaisen ausgesprochen worden: des batteries
immobiles, dont las piices, n'itant pas sur affüt de campctgne, ne pou-
vaient etre dSplac4es); Les lettres qu'il ^cnvait ^taient si d^sol^
que OicSron, ovbliant qu*ü avait 6prou/o6 ks mimes regrets pmdani
son exü, lui reprochait doucemeni ce qu'ü appehiU ses soUises (^dafs
Cicero vergals und ihm vorwarP), Boissier, Cio^ron et ses Amis,^
8. 246 ; On nous avait pr^venus qus M. T%ters, meikmt au serviee
du gouvemement nouveau sa Umgue eocpMenee et sa grande autoriiS,
6taii parti pour porter des propositions aux divers cabinets, 8aroey,
8i^ de Paris.
Nach si. Cher ami, si mon pdre un jour dSsabusS PlaitU le
malheur d'u/n fils faussement accusS, Bac^ Ph^dre V, 4; Qui von-
drait passer sa vie en de steriles contemplations, si ehacun, ne
consiUtant que les devoirs de l'homme et les besoins de la nature, n'avait
de temps que pour la pairie, pour les malheureux et pour ses amis,
J.-J. Rousseau, Emile; 8'il avait d^ Fabord tenu un langage
f erme, ou si, se fiant au hon sens de la populaiion parisienne, ü avaii
tout de suiie aceordS les Slectums, nou^ n'aurions pas vu les scenes
attristantes qui nous restent d conter, 8arcey, 8i^ge de Paris, usw.
Nach lorsque und quand. Les noces du jeune Henri
avec Marguerite de Valois ^taient pr^s de se condure, lorsqus
la reine Jeanne d* Albret, atteinte d'un mal subit et inconnu, eapira en
peu d'instants entre les hras de son fils inconsolable, Lam4-Fleuiy,
Histoire de France; Quelques-uns parlaient d^jä de prendre la
fuite, lorsque Henri, reparaissant tout couvert de poussiere, leur
cria . . . , eb. ; Quelques ann^s auparavant, Catoü venait de leur
rendre un ^atant hommage, lorsque, ne sachant d qui se fier, ü
Vavait chargi de recueillvr et de porter d Borne le trSsor du roi de
Chypre, Boissier, Cic. et ses Am., S. 334; Et quand un membre
de la gauche, impatient6 de ce süence, s'avisait de denumder d la Gham-
hre quelques renseignements plus positifs, Sarcey, eb.
Nach parce que. 'En fait de r^its de bataiUe, lui dit-il,
je me fie surtout aux plus peureux^; probablement parce que,
s'itant terms lovn du combat, ils en ont mieux pu voir Vensemble, Bois-
sier, Cic. et ses Am., 8. 247, usw.
' PariS; Hachette, 9. Aufl., 1892.
Beitiige zur franzöflischen Stilistik vnd Byntax. 127
Man sieht, dalB das appositive Partizipium sioh immer an
das Subjekt anlehnt. Damit hangt denn wohl zusammen, dals
sich die besprochene Satzform besonders häufig nach dem rela-
tiven Nominativ 'qui' findet, in Fallen also wie : H voulait s'em-
parer de cette tle qui, eommandani la navigation de la M6diterravUe,
devmaü importante pou/r l'Egypte, Thiers, S. 26. Thiers ist eben
auch im Satzbau der Nationatfranzose par excellence.
Wenn das Prädikat nicht ein Geschehen, sondern ein
Sein ausdrückt, so tritt an Stelle des Partizipiums naturlich ein
Adjektiv, z. B. an Stelle von oubliant ein oublieux. Auch hierfür
einige Beispiele : Est-ce qu'ovhlieuse de sa naiasance et de son rang,
eile partagerait la passion qu'eüe inspire, Sandeau, M^^^^ de la Seig-
li^re III, 1; Hs frapp^rent ä coups redoubl^ sur des esprits
d^jä 4mus qui, mäcontenis des ehoses et d'eux-memes ..., ne savaient
d qui s'en prendre (die unzufrieden waren und nicht wufsten),
Sarcey, Si^e de Paris, usw.
Um zu zeigen, wie häufig die besprochene Satzform über-
haupt ist, will idi die Beispiele zusammenstellen, die mir allein
in Kacines Brit. aufgestofsen sind.
V. 17. Voua qui desMritatU le fils de Claudius
Aoex nammi OSsar Vheureux Domitiue,
V. 33. MsdB crains que Vavenir dUrtmant le paasS
II ne finisse aitui qu* Auguste a oommeneS,
V. 43. Que m'importe, apr^s tout, que Neron plus fidHe
&une longue vertu laisse un jour le modHe,
V. 297. BanB deute on ne veut pas que melant nos douleurs
Nous nous aidians Vun Vatäre ä porter nos malheurs,
y. 1073. Souffrez que de vos coeurs rapprochant les liens,
Je me cache ä vos yeux, et me d&robe aux siens,
y. 1149. C'est aioFB ^««0 chacuny rappdant le passe,
Dicouvrü man dessem diß trop avancS.
y. 1430. Sur les pas des tyrans veux-tu que je m'engage,
Et que Rome, effa^nt tont de titres d'honneur,
Me laisse pour Ums noms celui d'empoisonneur?
Die beiden Glieder, die im Deutschen einander nebengeordnet,
im Französischen mit Vorliebe einander untergeordnet auftreten,
stehen in den einzelnen Aussagen dieser Art nicht immer im
gleichen inneren Verhältnis zueinander. Hinsichtlich ihres in-
neren, logischen Verhältnisses nun lassen sich vor allem folgende
HauptfäUe feststellen: 1) die beiden Glieder sind auch dem Ge-
danken nach nebengeordnet; 2) das durch das zweite Zeitwort
ausgesagte Geschehen liegt zeitlich nach dem Geschehen des
ersten Uliedes; 3) das erste Glied drückt inhaltlich die B^rün-
düng zu dem im zweiten Gliede ausgesagten Geschehen aus.
Im ersten Falle sagen wir einfach 'und', im zweiten 'und
Dun'^ 'und dann', im dritten 'und so', 'und daher'. Beispiele
zu 1 : ce gouvemement qui ramassant un pou/voir tonibe d terre,
amdt U9tirp4 la redatUable mission de reparer tarU de malheurs (welche
128 Beitrage 2ur fniiiz5siBchen StiÜBtik und Syntax.
• . . aufgerafft und gewaltsam die furchtbare Aufgabe übemommeD
hatte), Sarcey^ Si^ge de Paris; oder: Le roi oonsentit ä le livrer
ä des juges qui, lui appliqiumt totäe la rigueur des lots, le condam-
nireni d mort, Lam4-Pleury, Histoire de France; zu 2: D^un cöt^
sont les dissipateurs qui, ayant consumS leur pairimoine, ne peuvent
souffrir ceux qui en ont un (. . . und nun . . ,), Taine, Origines de
la France Contemporaine ; oder: Et en effet ces soldats sont les
m^mes qui, mourcmt de faim ä Dyrrhachium, dSdaraient qu'ils matir
geraient Vicorce des arbres plutöi que de laisser ichapper PompSe,
Boissier a. a. O., S. 256; zu 3: II voulait s'emparer de oette ile,
qui, commandant la navigation de la MiditerranSe, devenait importarUe
pour VEgypte (... und daher ...)> Thiers, S. 26; oder: il lui re-
fusait le min, c'est-ä-dire Pimpöt foncier, qui, reprisentant U droit
de la conquete, appartenait d la Porte, eb. 8. 43.
Hierzu ist noch folgendes zu bemerken: Soll ausdrücklich
hervorgehoben werden, oaTs das erste Geschehen dem zweiten
voran^aht, so wird es lieber mit apris avoir ... untei^eordnet,
z. B. M. Ducrot ^tait un g^n^ral qui, apres avoir itS fait prison-
nier ä Sedan, avait eu le bonheur de s'Schapper, Sarcey, Si^ge de
Paris. Soll aber die Gleichzeitigkeit des zweifachen Geschehens
betont werden, so wird das erste Geschehen nicht durch das
Partizipium, sondern das Gerundium mit en ausgedrückt, das
noch durch tout verstärkt werden kann (... und dabei ...), z. B.:
on se rel^ve ä ses propres yeux quand, en se confessant, on croit
eonfesser le genre humain, Taine, eb.; Les caf^s ... d^bordaient
de consommateurs qui, tout en huvant des liqueurs, suivaient des
yeux ceiie scene inouie, Sarcey, eb., usw.
Nicht selten auch ^bt bei dieser Aussageform das erste Ge-
schehen das Mittel an, durch welches das im zweiten ausgedrückte
Geschehen erst möglich wird. Dann ist die normale deutsche
Aussageform ... und dadurch ..., z. B.: Uhumanit^ y avait
moins de part que Fint^r^t bien entendu, qui, en s'imposant qtielque
retenue dans le präsent, manage Pavenir, Boissier, S. 334, usw.
Ich brauche wohl nicht erst zu bemerken, dafs auch die deutsche
Satzform dem Franzosischen durchaus nicht fremd ist und sich
Sätze wie : Aucun remords n'atteint plus Väme qui Srige sa barbarie
en patriotisme et se fait des devoirs de ses attentats nicht gerade selten
finden. Aber es steht doch fest, dafs dem Französischen, dank
der Tatsache, dafs sein System von Partizipien sich volle Lebens-
kraft erhalten hat, noch eine weitere Ausdrucksweise zur Ver-
fügung steht, die durch Flufs, Lebendigkeit und Klarheit ausge-
zeichnet ist. Dagegen nimmt sich die andere Formgebung des
Gedankens, die dem Deutschen zu Gebote steht, ungeschickt aus,
ich meine die, wonach das erste Glied als attributive Bestimmung
vor das Hauptwort gesetzt wird, also z. B. anstatt zu sagen:
Und als ein Mitglied der Linken über dieses Schweigen ung^
BdtrSge zur französisclien Stilistik und Syntax. ti^
duldig tourde und sich einfallen liefe, die Kammer um bestimmtere
Auskunft zu bitten^ zu sagen: ^ühd als ein über dieses Schweigen
ungeduldig gewordenes Mitglied der Linken sich einfallen liefs, ../
(franz.: Et quand un membre de la gauche, impatienti de ce sHence,
s'avisait de demander d la Chambre des renseignements plus positifs).
Ich will zum Schlüsse die Gelegenheit benutzen^ um noch
auf einen anderen Fall hinzuweisen, in dem der deutschen Neben-
ordnung zweier Satzglieder im Französischen häufig subordinie-
recde Ausdrucksweise gegenübersteht, und zwar dieselbe sub-
ordinierende Ausdrucksweise, die schon aus dem Lateinischen
bekannt ist, hier allerdings von den Lehrbüchern der Stilistik
als für Hauptsätze geltend angeführt wird. Wenn wir sagen:
Aristides u?ar zwar verbannt, aber er nahm doch an der Schlacht
bei Salamis teil, so kann dieser Satz im Lateinischen folgende
Form annehmen: Aristides, obgleich er verbannt tvar, nahm er doch
an der Schlacht bei S. teU, d. h. mit quamquam . . . tamen ge-
bildet werden; s. Nagelsbach, Latein. Stilistik, 8. AufL, S. 624.
Damit vei^eiche man franzosische Sätze wie: Murad-Bey, qui,
quoique sans instruction, Stait douS d'un grand caractSre et d*u/n ooup
d'cBÜ penetrant, devina sur-le-champ Fintention de son adversaire,
Thiers, eb. S. 56; und: Cic^ron avait bien pr^vu que, quoique
C^far en ^rivant ses Commentaires n'annon9ät d'autre pr^tention
que de pr^parer des mat^riaux pour l^stoire, la perfection de
cet ouvn^e emp^herait les gens sens^ de le recommencer^ Bois-
sier, eb. S. 255, usw.
V.
Archiv CV, 55 ff. hatte ich auseinandergesetzt, dafs der
Franzose einen Satz von folgender Bauart: *Wenn Sie wüfsten,
welchen Schmerz Sie mir bereiten', gern in folgender Form
ausspricht: Si vous saviex le mal que vous me faites. D. h.,
im G^ensatz zum Deutschen und noch mehr zum Lateinischen
mit seinem 'novi qua via ad felicitatem perveniatur' (s. Nä^els-
bach a. a. O., S. 171) stellt der Franzose aus einem indirekten
Fragesatz mit dem adjektivischen 'welcher' als Fragewort das zu
'welcher' gehörige Substantiv heraus und macht dieses zum Ob-
jekt des Zeitwortes des Denkens und Sagens, zu welchem im
Deutschen (und im Lateinischen) der indirekte Fragesatz als Ob-
jektsatz gehört, wodurch dann der Fragesatz ein auf dieses Objekt
bezüglicher Relativsatz wird. An SteUe also zu sagen: 'Er sieht,
in welchem Zustande wir sind', sagt der Franzose gern:
Er sieht den Zustand, in welchem wir sind.
Ich sagte mir nun von vornherein folgendes: Wenn die
französische Sprache wirklich die Neigung hat, sich solchergestalt
auszudrücken, so mufs sich das auch zeigen in solchen abhängigen
Fragesätzen, die im Deutschen mit 'was alles' anfangen, d. h.
in solchen abhängigen Fragesätzen, in welchen von dem neutralen
Aichiv f. u. Sprachen. CXV. 9
130 BdtrSge zur franzöflischen Stilistik und Syntax.
substantivischeD Frageworte Vas' das neutrale^ ursprünglich gene-
tivische 'alles' abhängt Es muTs im Franzosischen also anoh
hier 'alles' als Objekt zum Zeitwort des Obersatzes treten und
was' als Relativum darauf bezogen werden können. Mit an-
deren Worten: Ein Satz von folgender Bauart Ich habe ver-
gessen, was er alles versprochen haf muis im Französischen in
folgender Form auftreten Können: 'Ich habe alles vergessen, was
er versprochen haf, fai oubUS totU ee gu'ü a promis.
Und so ist es auch wirklich. In Radnes Britanniens fragt
V. 1022 Brit. seine Junie: Et sa/oex-vous pour moi tout ce qvs vous
quittex? Dem ganzen Zusammenhange nach kann das nichts an-
deres heüsen als : Weifst du auch, toas du aües für mich hingeben
willst? Ebenso liegt die Sache V. 1464, wo Narcisse zu N^ron
sagt: Quoi donc? ignorexr^xnis tout ce gu'üs osent dire? Was?
Weifst du denn nicht, was sie alles zu sagen sich herausnehmen?
Tout ce que heilst was . . . alles auch an folgenden Stellen von
Bostans L'Aiglon (I, 1): On ne peut pas savoir tout ce qu'on perd;
(n, 2) J'admire ce 'mais'; Seniez-vaus tout ce que ce ^mais' veut
dire ? Aus der Prosa führe ich folgende Stellen an : Vous etes-
V0U8 quelquefois demandS tout ce que ce titre de grand profeeseur dra-
mcUique suppose de qualit^ contradictoires? L^ouv^, L'Art de
Lecture, S. 213; Qui ne sentirait tout ce que cette suecession deJer-
mes, iJoignement, or gerne, insirumerU, mis en reUef par les vers aou-
nent de force et je dirai voloniiers de noblesse au demier vers, eb.
S. 221 ; Corneille ne nous dit rien de toui ce qu'on peut dire pour
la defense de ce röle, L. Petit de Julleville, Einleitung zum Cid,
Paris, Hachette, 10. Aufl., 8, 43.
£^ ergibt sich nun die bemerkenswerte Erscheinung, dals
tout ce qui, tout ce que vom deutschen Standpunkte aus gesehen
doppeldeutig ist, dals es heifsen kann : 'alles, was' und 'was alles'.
Onenbar ist der Sinn nicht ganz derselbe. Wenn ich sage: 'Ich
werde dir alles sagen, was ich weifs'^ so kann dies 'alles' an und
für sich wenig sein; aber dieses Wenige werde ich ohne Rest
sagen. Wenn ich aber sage: 'Ich weifs nicht mehr, was er alles
gesa^ hat', so liegt in dieser Ausdrucksweise unter allen Um-
standen die Vorstellung einbeschlossen, dafs 'er* recht viel, eigent-
lich zu viel gesagt habe. Ich erinnere hier an eine andere fran-
zösische doppelsinnige Satzform, in der tout eine Bolle spielt:
toui ce qui reluä n'eat pcts or, und was Tobler darüber Vermischte
Beträge V, S. 162 sagt
VI.
Mit tout hat es auch die dritte Frage zu tun, die hier be-
handelt werden soll.
Wenn wir von einer Allgemeinheit von Menschen oder einer
Menschengruppe ein Sein, Tun oder Erleiden aussagen wollen,
es uns aber nicht genügt zu sagen: alle, alle Menschen, alle
BdtrSge zur {ranzABiBchen Stilistik und Syntax. 181
FraoEOfien^ alle Untertanen^ gondern wir den E&rperteil^ den Sinn,
das geistige Vermögen bezeichnen wollen, der bei dem Tun oder
Leiden (einer Gesamtheit von Menschen) besonders beteiligt oder
in Mitleidensdiaft gezogen war, so pflegen wir das auszudrücken,
indem wir zu der speziellen Bezeichnung des Sinnes oder des
Seelenvermögens den Wesfall von 'alle^ hinzufügen, indem wir
also sagen: ^aller Augen^ 'aller Herzen', 'aller Gesich-
ter'. L) all solchen Fälen setzt nun der Franzose fast regel-
mafsig toits, knUes nicht als genetivisches, sondern als adjekti-
visches Attribut zum Hauptwort, er sagt also nicht ^le» yeux de
ious' usw., sondern 'tous tes yeux, ioua les co&urs, tous les
visages*. Aus der Fülle von Beispielen, die zu Gebote stehen,
führe ich folgende an:
1. Aus Bacine, Brit:
V. 720. La foi dans tous les eaurs n'est p<i8 eneore Steinte.
?^icht in aller Herzen ist die Troue erloschen.)
'irai semer partout ma crainte et ses alarmes
Et Tanger tous les oceurs du parti de ses larmes,
V. 1830. NSron da/ne tous les cceurs est-tl las de rigner.
Y. 1683. Juge» eombien ce eoup frappe tous les esprits.
Bei Thiers a. a. O.:
S. 31. La possibiUU de rencontrer les Anglais Statt prisente d
tous les esprits.
S. 72. Le dibarqtiement en Egypte, Voecupation d'Alexandrie,
la haiaiüe des Pyramides, frappirent toutes les imaginations en
Framce ei en Europe.
S. 87. üne sombre tristesse divoraü tous les coeurs.
Bei Erckm.-Chatr., Waterloo : La fwr&uir ei rindignation Staient
peMes sur toutes les figures.
Bei Victor Hugo:
L'Expiation, a. a. O., 8. 93, 30: Toutes les bouches criaient.
Burggraves, Pr^f ace : Dans tme famiUe pareüle, ainsi diveloppS
d tous les regards, d tous les esprits ...
Eb. I, 2: Loin de tous les regards.
Bei Boissier a. a. O.:
8. 87: Une cause si ^latante, qui amä attirS sur Im tous
les regards.
S. 325: Aussi tous les yeux Staient-üs ftxSs sur ce grave
jeune komme qui ressemblait si peu aux autres.
Bei Sarcey, Si^e de Paris: La constemation etait sur tous
les visages; Uaüigresse 4tait peinte sur tous les visages; Au
fond de tous les co&urs, il y avait comme un secret espoir que les
choses s'arrangeraient ; Gela flamboyait d tous les yeux, usw.
Zu 'toiW liefse sich noch vieles andere sagen. Ich will zum
Schlüsse nur noch auf einen Punkt hinweben. In zurückbezüg-
9»
182 Beitrfige zur franzÖsiBchen StiÜBtik und Syntax.
liehen Sfitzen, die mit 'donf eingeleitet werden^ und in denen
von einer Allgemeinheit^ Gesamtheit etwas ausgesagt werden soll,
stellt der Frsmzose Houa, totUes, alle' regelmäßig attributiv vor
das Hauptwort, der Deutsche aber ebenso regelmafsig 'alle' prar
dikativ zum Zeitwort. Taine sagt in seinen Orieines: H leur
est impossible d'entretenir la vie et ce mouvement du vaste corps
doni tous les membres sont paralysds, wo wir sagen müfsten:
'dessen Glieder alle gelähmt sind*. Vergl. folgende Beispiele
aus Saroey^ a. a. O. : De cette lanteme dont tous les chässis vOrSs
peuvent s'ouvrir, tombe un jour splendide, — üne position, doni on lui
avait avee tont de eomplaisance invmiri tous les avantages.
Noch deutlicher wud uns der Unterschied, wenn der Begriff
der Allgemeinheit durch presque eingeschränkt wird, wie in fol-
gender Stelle von Erckm.-Chatr., Histoire d'un Consent: Le
maltre de poste du vUlage, dont presque tous les chevaux avaieni
6tä mis en riquisition pour notre oavcUerie ('dessen Pferde fast
alle requuiert worden waren^.
Man wird hier mit Recht sagen, die Verschiedenheit der
Satzstelle, an der die Allgemeinheit zum Ausdruck gebracht wird,
hängt damit zusammen, dafs dont doch eigentlich gar nicht 'des-
sen, deren' heilst, überhaupt eigentlich kein Belativwort, sondern
(aus de unde entstanden) ein Umstandswort ist, und dafs sich
die Stellung von tous, toutes unfi;ezwungen auf diese Weise er-
klärt Aber so erklärt sich aucn die r^elmäfsige Wortstellung
nach dont, so auch die Beibehaltung des bestimmten Artikels bei
dem Satzteil, der durch dont mit dem Beziehungswort relativisch
und possessivisch verknüpft wird. Wird in den Grammatiken
von der regelmäfsigen Wortstellung und der Beibehaltung des
Artikels beim Hauptwort in besonderen Paragraphen gesprochen,
so verdiente auch wohl die verschiedene Stellung des zu diesem
Hauptwort gehörenden 'alle' eine Erwähnung in einer Anmerkung.
Friedenau b. Berlin. Emil MaokeL
Cyrano de Bergerac (1619—1655),
sein Leben und seine AVerke.
Ein Versuch.
(SehlnA.)
Der zweite Teil des Romans^ die Reise nach der Sonne^
schliefst sich unmittelbar an das Ende des ersten Teiles an^ wie
wir diesen aus dem Manuskript wiederhergestellt haben. Cyrano
kommt zu Schiff in Toulon an und nimmt Abschied von seinen
Reisegefährten. Der Pilot b^nugt sich^ da der Mondreisende
kein Geld hat^ mit der Ehre, einen Mann in seinem Schiffe
transportiert zu haben^ der vom Himmel gefallen ist. Er reist
nach Toulouse zu seinem Freunde, Monsieur de Colignac, der sehr
erfreut ist, ihn wiederzusehen, weil er ihn in Kanada mit jenem
Drachen verbrannt glaubte. Cyrano erzählt ihm seine Rettung
und seine Abenteuer im Monde. De Colignac fordert ihn au^
sie niederzuschreiben. Cyrano tut es nach einigem Zögern, und
sobald er ein Heft fertig hat, bringt es de Colignac in Toulouse
unter die Leute. Der Autor wird schnell berühmt. 'Die Kupfer-
stecher stachen, ohne mich gesehen zu haben, mein Bildnis, und
die Stadt ertönte auf jedem Platze von dem heiseren Geschrei
der Kolporteure, welche aus vollem Halse schrien: Voild le por-
trau de VAutheur des Estais et Empires de la Lune.' Aber bald
schlagt die Stinmiung um. Der mit Unwissenheit gepaarte Aber-
glaube sieht zuerst in dem Werke nur kindische Fabeleien {des
peaux d'asnes): 'Tel n'en connoist pas setUement la sintaae gui con-
dainne VAutheur ä porter tme hougie ä St- Mathurin.' Der Streit
zwischen den Lunaires und den Antilunaires tragt zur Verbrei-
tung der Schrift bei. Die Exemplare des Manuskripte werden
unter der Hand verkauft {'se vendirent sous le manteau'). Aber die
Sache wird allmählich schlimmer. Eine Deputation von neun
oder zehn Mönchen {'barbes d Urngv^e rohe') erscheint im Schlofs
und verlangt die Herausgabe des Hexenmeisters. Aus Rücksicht
auf den Schlofsherrn werde man ihn ohne Skandal verbrennen.
Colignac lacht sie aus und verspricht Cyrano, der angstlich ge-
worden ist^ seinen Schutz. Mit einem gebildeten Nachbarn, dem
Marquis de Cussan, zusammen führen sie ein genufsreiches Leben
mit Jagd, Promenade, Besuchen, Lektüre und wissenschaftlichem
Gespräch^ bald in Cussan^ bald in Colignac Unterdessen hetzt
184 Cyrano de Bergerac
aber ein Pfaffe, Messire Jean, dem wir schon in den Letires be-
gegnet sind, gegen Cyrano. Dieser wird durch seinen Dämon,
der auch den beiden Freunden gleichlautende Traume eingibt,
gewarnt Diese Traume werden ausführlich erzählt und erinnern
ebenfalls an die Träume in den Briefen.
Bei der Übersiedelung nach Cussan wird Cyrano von einer
Bande von Bauern unter der Führung des Pfarrers {Messire Jean)
aufgehoben. Die Schilderung des ÜberfaUs ist ein Muster gro-
tesker Komik und gehört wie die ganze Zwischenerzählung, welche
die beiden Reisen verbindet, sn dem Besten, was aus Cyranos
Feder geflossen.«
Unter den Büchern, die bei dieser Gelegenheit in die Hände
der Bauern fallen, befindet sich La Physique de Monsieur des
Oartes^ mit den Kreisen, welche die Planetenbew^ung darstellen,
und vor welchen die Bauern samt dem Pfarrer einen abergläu-
bischen Schrecken bezeugen. Das Reitpferd Cyranos, der allein
ist, reifst aus, das Maultier mit den Büchern wird in den Pfarr-
hof getrieben, unser Autor in einem benachbarten Flecken in
das Gefängnis geschleppt. Von diesem wird eine haarsträubende
Schilderung entworfen. Immerhin gelingt es dem Gefangenen
durch Bestechung des Kerkermeisters und seines Knechtes, sich
etwas Essen und eine Gelegenheit zur Flucht zu verschaffen.
Er erfindet, dafs ihm ein Engel den Besuch der Kirche mit dem
Knecht empfohlen habe, und macht sich während der Messe davon
nach Toulouse. Unglücklicherweise stöfst er beim Umherirren
auf den Kerkermeister, der ihn erkennt und verfolgt. Es gelingt
Cyrano zwar durch eine List, diesen verhaften zu lassen, aber
auf der Flucht gerät er immer wieder in feindliche Hände. Die
Verkleidung als Bettler, die Vermummung als Aussätziger helfen
nur für kurze Zeit. Den Häschern der Stadt wird er von denen
des Grofsprofosen entrissen; wahrend beide Parteien sich um
die Beute streiten, flüchtet er sich wieder, aber zu seinem Un-
flück in das Gefängnis selbst und wird zum Gefangenen des
Cöni^s erklärt. In diesem Turme wird er einer Art von ge-
richtlicher Anthropometrie unterworfen. 'Chague Gfuichetier Pun
apris l'autre, par y/ne exaete dissedion des parties de mon visage, venaü
• Die Bibliotheca Bodleiana in Oxford enthält, unter Nummer V 38
der Kollektion Douce, mit zwei anderen Fluffschriften des 17. Jahrhun-
dert8 zuBammengebunden einen in Köln bei Tierre Marteau MDCXCIX
gedruckten anonymen Sermon du Oure de Coligtuie, der von La Mon-
naye, Mena^iana vol. III, p. 08/69, und von Ch. £tienne Jordan,
Reeueil de iMUrature, de Philosophie et d'Histoire (AmBterdam 1730) p. 44,
unserem Cyrano zugeschrieben wird. Bestimmte Beweise liegen nicht vor,
aber die burleske Predigt verdiente an sich publiziert zu werden, und ich
habe mir dies vorgenommen.
* Gemeint sina die Principia Philosophiae, Amsterdam 1644, in wel-
chen das System der tourbilhne entwickelt ist.
Gyrano de Bergerac. 185
Urer mon tahleau sur la toiUe de sa mSmotre/ Da er kein Geld
mehr hat^ wird er far die Nacht in ein schreckliches unterirdi-
sches Loch geworfen. Aus diesem wird er zwar darch die Inter-
vention von Colignac und Cussan^ die seine Spur aufgefunden
und jenes Gefecht zwischen den Häschern veranlaist hatten^ be-
&eit) aber sie können nur erreichen, dais er bis zur Beendigung
der Untersuchung im 'Grofsen Turm' interniert wird. Von ihnen
erfährt er auch das Ende, welches der Pfarrer von Colignac,
'norman de nation et chieaneur de son mesUer' verdientermafsen er-
fahren hat Er ist durch den Hufschlag von Cyranos Pferd, das
er für sich einfangen wollte, getötet worden. Cyrano läfst sich
in sein Turmzimmer mit flachem Dach Bücher und Instrumente
bringen und fabriziert eine Flugmaschine, die in der Amster-
damer Ausgabe von 1710, vol. II, p. 79, abgebildet ist und so
beschrieben wird: 'Es war eine grofse, sehr leichte und gut-
schUefsende Kiste {boite\ sechs Fufs hoch und drei bis vier Fufs
breit; im Boden und in der Decke waren Offnungen angebracht.
In der oberen steckte genau eingepafst das Bohr eines zwanzig-
eckigen Eristallgefäfses, welches emen Brennspiegel bildete, da
jede Fläche (faceiie) konvex und konkav war. In der Kiste war
eine kleine Sitzbank angebracht.'
Nachdem er die Abwesenheit seiner Wächter dazu benutzt
hat, diese Maschine auf der Terrasse seines Turmes der Sonne
auszusetzen, fliegt er eines Morgens nach neun Uhr auf. Die
Sonne erhitzt und verdünnt durch den ikosaedrischen Helm der
Maschine die Luft, und die von unten nachdrängende kalte Luft
hebt sie in die Höhe. In dem Innern seines Schreins (chässe)
entwickelt sich ein prächtiges Farbenspiel. Das rasche Auf-
steigen verhindert es, dafs er mit einem angebrachten Segel
steuern kann, um nach Colignac zu kommen. So gibt er das
Segel preis. Auch oberhalb der mittleren Il^on bleibt die Auf-
wärtsbew^ung konstant, weil der Äther zum Luftzug wird. In
der mittleren HegioD, wo Kälte und Hunger ihn plt^en, stärkt
sich C^ano mit einer Flasche Lebensessenz. In grö&erer Höhe
läfet die steigende Sonnenwärme die niederen Badürfnisse des
Organismus nicht mehr aufkommen. Da die radikale Feuchtig-
keit (humeur radicale) im Grunde identisch ist mit der Körper-
wärme (ehaleur naturelle) oder durch sie ersetzt werden kann, so
entsteht in der Zusammensetzung des Körpers kein Defekt bei
zunehmender Sonnenwärme. 'Je n'avois garde d'en manqtier dans
une region oü de ces peius corps de flame qui fönt la vie ü 8*en r^-
unissoü davaniage d mon estre qu'ü ne s'en dStachoit.' Dafs die
Sonnennähe ihn nicht verzehrt, kommt davon, dafs es eigentlich
nicht das Feuer ist^ welches brennt, sondern ein gröberer Stoff,
welchen das Feuer vor sich herstöfst. ^Dieses Funkenpulver
fjpoudre de UueUe8\ welches ich Feuer nenne, durch sich selbst
186 Cyrano de Bergerac.
bew^lich^ verdankt wohl alle seine Bewegung (action) der Rund-
heit seiner Atome, denn sie kitzeln, erhitzen, verbrennen je nach
der Natur der Korper, welche sie mit sich ziehen/ Als Beweis
wird das Verhalten von Strohhalm, Holz, Eisen gegenüber dem
Feuer betrachtet Auch die Freude und das Fieber sind im
Grunde ein Feuer.
Wahrend seines Fluges beobachtet er die Erde, welche sich
von Osten nach Westen (sie) um die Sonne dreht. Zuerst kommt
nach Frankreich Italien, Griechenland, der Bosporus, das Schwarze
Meer usw. in Sicht. Bei weiterem Aufstieg erscheinen andere
ungenannte Erden (terres), die etwelche Attraktion auf ihn aus-
üben, aber ohne die Kraft seines Aufstieges brechen zu können.
Den Mond passiert er, während dieser zwischen Erde und Sonne
steht Ej* lafst Venus zur Rechten. Nach neueren astronomischen
Theorien hebt er ihre Planetennatur hervor, ^ch beobachtete
immerhin, dals während der ganzen Zeit, wo Venus diesseit (au
deoa) der Sonne erschien, um welche sie sich dreht, sie beständig
im Wachsen schien.' Dafs die Planeten nur reflektiertes Licht
haben und abgeben, beobachtet er auch an Merkur, ebenso sieht
er die Monde der Planeten. Er sucht nach kosmologischen
Gründen, um diese zu erklären. Im Anfang der Schöpfung
einigten sich die ähnlichen Körper nach dem Prinzip, dafs jedes
Ding seinesgleichen sucht Die Ähnlichkeit besteht aber in der
Form der Atome. So entstand die Luft. Andere, denen die
Gestalt möglicherweise eine Kreisbew^ung verlieh, bildeten, indem
sie sich vereinigten, die Gestirne, welche sich nicht nur um ihre
Achse drehten, sondern sich auch von der Masse trennten und
anderen kleineren Kugeln, die in ihre Sphäre gerieten, die rotie-
rende Bewegung aufzwangen. Der Übergang der Erde, der Venus,
des Merkur, des Jupiter, des Saturn aus Sonnen in Planeten wird
durch Erkälten erlaärt Die Sonnenflecken beweisen, dafs auf
der Sonne mit dem Abgeben des Lichtes eine Verminderung der
Wärme verbunden ist, und dafs vielleicht die Sonne einst ein
dunkler Körper wie die Erde sein wird. Zur Zeit, wo die Erde
noch eine Sonne war, war sie bewohnt von höheren Wesen, den
Dämonen des Altertums, den Engeln der Heiligen Schrift.
Nach viermonatlicher Reise landet Cyrano auf einem der
Sonnenflecken; sein Kopf ist umgeben von der Helligkeit der
Himmel. Er läTst seine Maschine mit verdecktem Hut auf einem
hohen Berge; durch Erosionsrinnen verschwundener Gewässer
steigt er in eine mit Schlamm bedeckte Ebene hinunter, kommt
dann in eine Kiesgrube (fondriere), wo er einen kleinen Menschen
ganz nackt auf einem Steine sitzen sieht. Sie unterhalten sich
sogleich mit vollem Verständnis in einer Sprache, die Cjrano
nie gehört hat und doch versteht. Der Kleine erklärt ihm das
durch den Satz, dafs es in den Wissenschaften eine Wahrheit
Cynno de Bergerac 187
gebe^ aofterhalb welcher man immer vom YerstandDis entfernt
bleibe. Das nämliche gelte auch von der Masik. Sie unterhalten
sich nun über diese Ursprache der Menschheit^ welche ein In-
stinkt der Natur ist und einst auch von den ersten Menschen
auf der Erde gesprochen wurde und deren intimen Verkehr mit
den Tieren ermöglichte.
Der EHeine erklart Cyrano die Beschaffenheit des Bodens,
auf dem sie stehen. Diese Kosmologie sieht antik aus. Das
Eigentümliche daran ist die dreifache 'coction', welcher die Materie
ausgesetzt wird, um den Menschen hervorzubringen. Die vorher-
gehenden Stadien sind: das Meer (feucht und salzig) und das
Vegetative. Die drei eoctions entsprachen der vegetativen Seele
(Leber, Fähigkeit zu wachsen), der Lebenskraft (Herz, Sitz der
Tätigkeit) und dem Intellekt (Gehirn, Sitz des Denkens). Daher
braucht der Mensch auch neun Monate zur Entwicklung. Wenn
das Pferd zehn bis vierzehn braucht, so kommt das nicht von
höherer Organisation, sondern von kälterem Temperament, wes-
halb auch das Pferd nur an geschwollener Milz oder anderen
Übeln stirbt, die von Melancholie kommen. Wenn jetzt auf der
Erde keine Menschen mehr aus dem Schlamm entstehen, so
kommt das davon, dafs die kalte Feuchtigkeit fehlt; die zweite
oder die dritte Umkochung fällt fort, es entsteht eine Pflanze
(vigital) oder höchstens ein Insekt. Auch habe er bemerkt, dafs
der Affe, welcher, wie wir, seine Kleinen neun Monate lang
tragt, uns nach so viel Seiten ähnelt, dafs viele Naturforscher
uns als Art nicht unterschieden haben, und der Grund dafür ist,
dafs ihr Samen, der ungefähr gleich temperiert ist wie der un-
serige, während dieser Zeit ungefähr die MuTse gehabt hat, diese
drei Umformungen (digestions) durchzumachen.
Dafs der kleine nackte Mann so gut Auskunft weifs über
Dinge im Weltall, auch auf der Erde, erklärt sich leicht; denn
in einer der Sonne benachbarten Gegend wie die seinige sind
die Seelen voll Feuer und viel heller, viel feiner und durch-
dringender als andere Geschöpfe auf entfernteren Sphären; ihre
bew^liche Vernunft bewegt sich ebenso leicht rückwärts als vor-
wärts, und sie ist imstande, die Ursache durch die Wirkung zu
erreichen, da sie ja durch die Ursache zu den Wirkungen zu ge-
langen vermag.
Die Diskussion wird dadurch unterbrochen, dafs der Kleine
als Hebamme funktionieren muls bei der Geburt eines Bruders,
der, wie er selbst vor drei Wochen, geboren werden soll aus
einem von der Sonne befruchteten Erdklofs. Cyrano sucht seine
Maschine auf, die im Begriff ist, ohne ihn davonzufliegen. Nach
emer aufr^enden Jagd gelingt es ihm, sie wieder einzufangen
und in ihr zur Sonne aufzusteigen. Die Erde verschwindet dabei.
Auf der Reise braucht er weder Nahrung noch Schlaf. Das
188 Cjnaio de Bergenc
Körperliche^ auch seiner Maschine^ fallt io Gestalt eines schwarzen
Nebels von ihm ab^ und er wird durchsichtig wie seine Maschine.
Er sieht sich selbst^ aber nicht seine Loge, weQ die Sonne an-
ders wirkt auf Belebtes als auf Unbelebtes. Seine Bewegung
wird langsamer, weil die Verdünnung der Luft immer grolser
wird. Er fürchtet daher zu fallen, aber als er in der aufsersteo
Not die Augen zum Himmel erhebt, hebt die Glut seines Willens
ihn selber samt der Maschine. Da diese seinem dag^endrangen-
den Kopfe unangenehm wird, öffnet er tastend die Türe und
stürzt sich hinaus, und da er instinktiv, um sich zu halten, den
Ikosaeder berührt, springt dieser in Stücke, die Maschine fallt
hinunter, vereinigt sich in der unteren Region mit dem dunklen
Nebel, den sie abgesondert hat, und gelangt zur Erde, in der
Äquatoriallinie, auf Bomeo, wo ein Insdaner sie findet, ein por-
tugiesischer Kaufmann sie erwirbt, bis sie von Hand zu Hand
an einen polnischen Ingenieur kommt, der sich ihrer zum Fliegen
bedient. Cyrano hat sie selbst in ihrem ursprünglichen Zustand
in Polen wiedergesehen.
Sein weiterer Flug zur Sonne wird nur durch seinen Willen,
dorthin zu kommen, gefördert. Darin li^ nichts Unverstand-
liches, me an dem Beispiel des Sprunges expliziert wird. Wenn
ein solcher nicht immer zum Ziele führt, so kommt dies davon,
dafs die allgemeinen Prinzipien in der Natur die besonderen über-
wiegen. Da nun die Macht des Willens eine besondere Eigen-
schaft der empfindenden Dinge ist, die Eigenschaft nach dem Zen-
trum zu fallen aber allgemein in der ganzen Materie verbreitet
ist, so ist mein Sprung gezwungen, aufzuhören, sobald die Masse,
nachdem sie den Einflufs des sie überraschenden Willens über-
wunden hat, sich dem Punkte nähert, nach welchem sie tendiert.
Nach einer Reise von 22 Monaten kommt er in den 'grolsen
Ebenen des Tages^ an. Der Boden gleicht dort feuerfarbigen
Schneeflocken (flocons de neige ambrasSe), so leuchtend ist er. Wie
Cyrano von dem Augenblick an, wo sein Kasten fiel, nicht mehr
unterscheiden konnte, ob er steige oder falle, so ist auch das
Gehen auf der Sonne beständig aufrecht, auf welchen Körperteil
er sich auch dabei stützt. Er erkannte daraus, da(s die Sonne
eine Welt ist, welche kein Zentrum hat, und da er sehr weit
von der Anziehungssphäre unserer Welt und aller, welche er
begegnet hatte, ist, so war es folgerichtig unmöglich, dafs er noch
Gewicht hatte, da die Schwere nur die Attraktion des Zentrums
innerhalb der Sphäre seiner Wirksamkeit ist.
Nach einer Reise in der Sonne von ungefähr 14 Tagen,
wobei er marschiert wie Gott in den Wolken schwebt, kommt
er in eine weniger leuchtende Gegend. Durch das Wiederauf-
treten der Undurchsichtigkeit (opaciti), nach der sich sein Körper
zu sehnen scheint, wird er müde und empfindet Sdilaf, 'dieaen
Cyrano de Bergerac. 189
T^n^anneii der Hälfte unserer Tage\ Er schläft auf einer ganz
nackten Ebene ein und erwacht unter einem Baume mit gol-
denem Stamme^ silbernen Ästen^ Smaragdblättem und Blöten
und fVüchten aus Edelsteinen. Auf diesem Wunderbaume singt
eine wanderschöne Nachtigall. Ein Granatapfel^ den er aufmerk-
sam betrachtet, verwandelt sich in einen Däumlinge der vor ihn
tritt und in der Ursprache mit ihm redet Nachdem ihm Cyrano
über seine Person Auskunft ^eben^ belebt der Däumling alle
Teile des Wunderbaumes zu kleinen Menschen, die seine Unter-
tanen sind. Das Mittel ist, dafs er sich in sich selbst sammelt
und alle inneren Federn des Willens hemmt. Alle tanzen einen
Reihen um Cyrano, nur die Nachtigall bleibt unverwandelt, 'weil
sie ein wirklicher Vogel ist und nur das, was sie scheint.' Auf
der Reise zu den 'dunklen Gründen' will der Däumling, auf den
Schultern Cyranos stehend, ihm die Geschichte der Nachtigall
ins Ohr sagen. Aber er ermüdet zu rasch und schlägt vor, die
Nachtigall solle ihre Geschichte singen. Cyrano fürchtet, die
Sprache der Vögel nicht zu verstehen, da er von dem Weisen
auf dem Sonnenflecken nur die Sprache der vierfüfsigen Tiere
(bruies) gelernt habe. Der Däumling gibt nach, springt von der
Schulter zu Boden und fängt an, mit seinem ganzen Volke in
Kreisen, die sich immer mehr verdichten und verringern, zu tan-
zen. Cyrano empfindet die rhythmische Bewegung mit. 'Es
schien die Absicht des Balletts, einen enormen Riesen darzu-
steUen', in der Tat aber entsteht aus diesem Wirbel ein wunder-
schöner Mann mittlerer Gröfse, der dadurch Leben gewinnt, dafs
ihm der König des Baumvolkes in den Mund kriecht. Dieser
Jünding nun erzählt seine eigene Geschichte und die der Nach-
tigaS: Er und sein Volk sind in den leuchtenden Teilen der
Sonne geboren und unternehmen grofse Reisen durch die Sonnen-
welt. Um langsamer reisen und dadurch besser beobachten zu
können^ verwandelten sie sich in Vögel, die Untertanen in Adler,
der König in eine singende Nachtigall. Auf der Reise durch
eine dunkle Provinz (rSgion opaque) trafen sie auf eine Nachtigall
dieser Gegend, welche sich durch das, was sie sieht, täuschen
lälst und den Sonnenkönig-Nachtigall, weil sie ihn in der Gewalt
der Adler glaubt^ melodisch beklagt. Er findet so sehr Gefallen
an ihren Klagen, dafs er sie in ihrem Irrtum bestärkt, und die
beiden singen ein Liebesduett der zärtlichsten Art während
24 Stunden. Die Nachtigall der dunklen Welt macht sogar einen
heroischen Versuch, ihren Freund aus der vermeintlichen Ge-
fangenschaft zu befteien, und läfst sich auch durch sein Bekennt-
nis nicht eines anderen belehren. Daher verwandelt er sein Volk
zum Teil in einen Flufs mit kleinem Schiff, in welchem die bei-
den Nachtigallen fahren, während die Adler vorausfliegen. Nach
der Wiedervereinigung verwandeln sie sich^ um die ungläubige
140 Cynmo de Bergerac
Nachtigall von ihrem wahren Wesen zu überzeugen, in den
Wunderbaum, den Cyrano angetroffen hat Alle diese Verwand-
lungen sind nach der Erklärung des Konies-Nachtigall duidiaus
keine Wunder, sondern rein natürliche Wirkungen aus der leuch-
tenden Natur der wahren Sonnenbewohner. Sie sind das, was
die stumpfsinnigen Menschen der Erde Geister (esprits) nennen,
tatsächlich keine anderen Wesen als die Menschen, nur dals ihnen
ihre feurige Einbildungskraft die Fähigkeit ribt, die Materie,
welche sie völlig beherrschen, in jedem Augenblicke nach ihrem
Gutdünken zu verwandeln und zu gestalten durch impulsive Be-
wegungen. Cyrano denkt, dafs sich so auf der Erae manche
Fabel erklären lasse: Cippus, König von Italien, Grallus Vitius,
der König Codrus, mehrere schwangere Frauen, welche Unge-
heuer gebaren, der berühmte Hypochonder des Altertums, wel-
cher sich einbildete, ein Krug zu sein.
Der Sonnenkönig verwandelt sich wieder in eine Nachtigall,
der Jüngling zerfällt, die Adler fliegen davon, und Cyrano folgt
der wirklichen Nachtigall in einer dreiwöchentlichen Reise in eine
Gegend des Königreiches dieser kleinen Sängerin, wo sie ihn
verläfst £ir 1^ sich an einem mit allen Beizen der Natur ge-
schmückten Plätzchen^ zum Schlafen nieder.
Er wird geweckt durch das Erscheinen eines wunderschönen
Vogels, der ihm zu verstehen gibt: 'Du bist ein Fremder und
geboren in einer Welt, der ich entstammet Der Vogel setzt
femer auseinander: dafs nicht alle Menschen und Vöeel sich
gegenseitig verstehen, beweist nichts dagegen, dafs beide Teile
sprechen können und yemünftige Wesen sind. ApoUonius von
Tyana, Anaximander, Äsop und andere haben die Vc^elsprache
verstanden. Es ist also kein Wunder, wenn einzelne Vögel die
Menschensprache verstehen. In jeder Welt hat die Natur den
Vögeln den Wunsch eingegeben, zur Sonne zu gelangen, und
vielleicht sind ihnen deswegen Flügel gewachsen, wie schwangere
Frauen ihren Kindern die Muttermale von Dingen einpflanzen,
* Die Ausgabe von 1710, mit welcher nach P. Lacroix p. 207 die
OrigiDalausgabe und die von 1761 stimmt, schliefst diesen Abschnitt
p. 158 mit den Worten: *0e rocher estoit couvert de plusieure arhresy dont
la gatUarde et verte fraickeur exprimoü lajeunesse: mais camme d^ tout
amoly par lee ekarmes du lieu je eommen^ois de m'endormir ä Vombre,'
Der folgende Abschnitt beginnt in allen mir bekannten Ausgaben mit
den Worten: *Je commenpois de m'endarmir ä Vombre lors que fappereeus
en Vavr un Oiseau' etc.
Das scheint mir zu beweisen, dafs ursprfinKÜch die Beise in die Sonne
eine zusammenhängende Erzählung war und die Unterabteilung Histaire
des Oiseaux erst von dem Buchhändler hinzugefugt wurde. Für den Vogel-
staat fand Cyrano Beispiele bei Aristophanes und Babelais. Für die
sprechenden Bäume eine ?5telle bei Sorel {Francion p. 97): ^J'ouis un
caqtiet contimiel ... tl y avoü six arbres qui au lieu de feuiUea avotent des
lunguea menues aUaeheee aux hra/nehesJ
Cyrano de Bergerac. 141
Dach denen sie begehren^ wie man im Traum schwimmen lernte
wie der Sohn des Krösus sprechen lernte, wie jenem Verfolgten
aus dem Altertum Homer wuchsen. In der Sonne angekommen
begibt sich jeder Vc^l in den Staat seiner Art. Der zu C^rano
sprechende ist ein I'honix, wie es deren auf jeder Welt nur
einen gibt, der nach 100 Jahren ein Ei in die Kohlen seines
Scheiterhaufens von Aloe, Canelle und Weihrauch le^ und sich
zur Sonne aufschwingt. Der Phönix ist ein Hermaphrodit, aber
uuter den Hermaphroditen gibt es noch einen anderen, aufser-
ordentlichen Phönix, denn . . . Der Vogel unterbricht hier seine
Blrklärung, weil er Sicichen des Unglaubens an seinem Zuhörer
bemerkt, und fli^t, nachdem er die Wahrheit seiner Aussage
eidlich versichert, fort Cjrano folgt ihm und gelangt nach einem
Marsche von 50 Meilen in das V<^elreich.
Er wird gleich von den Vögeln umringt und von vier Adlern
durch die Luft mehr als 1000 Meilen weit in einen Wald fort-
getragen, wo die Residenz des Vogelkönigs ist Eine Elster
warnt ihn, keinen Widerstand zu leisten. Er wird in den hohlen
Stamm einer Eiche gefangen gesetzt und scharf bewacht Die
Wache wird alle 24 stunden abgelöst Die Elster teilt ihm mit,
dafs die Vögel sehr aufgebracht gegen ihn seien und ihn, als
einen Menschen, ein ganz unnützes und abscheuliches Wesen,
den Erbfeind der Vögel, umbringen wollten. Sie nennen ihn
kahles Tier, gerupften Vogel, Schimäre, Sammelsurium aller Arten
von Naturen, das allen Furcht einflöfst Sehr sarkastisch machen
die weisen Vögel sich lustig über den Menschen, der mit seiner
hellsehenden Seele Zucker und Arsenik, Schierling und Peter-
silie nicht unterscheiden kann; ^der Mensch, welcher behauptet,
dals man nur durch die Sinne Verstandesempfindungen hat, und
der doch die schwächsten, langsamsten und unzuverlässigsten
Sinne unter allen Eji'eaturen hat.^ Die Menge vollends urteilt:
'Wie, er hat weder Schnabel, noch Federn, noch Klauen, und
seine Seele sollte geistig (spirittieUe) sein? Ihr Götter! welche
Impertinenz r
Dennoch wird ihm ein regelrechter Prozefs gemacht Die
Klageschrift wird auf die Rinde einer Zypresse geschrieben, und
nach einigen Tagen wird er vor das Vogeitribunal getragen. Als
Advokaten, Räte und Richter fungieren nur Elstern, Häher und
Stare, welche die Sprache des Angeklagten verstehen. Er wird
rittlii^ auf ein Stück verfaulten Holzes gesetzt und von dem
Präsidenten nach Herkunft, Nation und Art befragt. Auf den
Rat der Ellster gibt er sich für einen Affen aus, der sehr früh
von den Menschen seinen Eltern entrissen worden sei. Seine
Heimat sei Frankreich, im gemäfsigten nördlichen Klima, wo er
seine Muttersprache verlernt und die schlechten Gewohnheiten
der Menschen, z. B. auf zwei FüTsen zu gehen, angenommen habe.
148 Oyrano de Bergerac
Man solle ihn von Experten untereuchen lassen, und wenn er
sich als Mensch heransstelle, so wolle er als Ungeheuer (monstre)
vernichtet sein. Eine Schwalbe wendet ein: In Frankreich er-
zeugen die Affen nicht, also sei der Angeklagte nicht, was er
behaupte. Cyrano repliziert, dals er eben so jung von Hause
fortgekommen sei, da(s er als Heimat nur den Ort angeben
könne, dessen er sich am frühesten erinnere. Dieses Argument
überzeugt eigentlich niemanden, aber man findet es nützlich, an-
zunehmen, SiaTs ein so abscheuliches Wesen wie der Mensch
überhaupt nicht existiere.' Vor Entzücken schlagt das ganze
Auditonum mit den Flügeln. Er wird also zur Untersucmune
durch die syndics in ein entferntes Gehölz gebracht Wahrend
24 Stunden machen sie ihm allerhand Kapriolen vor, Prozessionen
mit Nufsschalen auf dem Kopfe, Purzelbäume, graben kleine
Gruben, die sie wieder zufüllen, u. ä. Im zweiten Termin geben
die syndics auf ihr Gewissen an, dals sie den Angeklagten nicht
für einen Affen halten, weil er auf ihre Äff ereien (singeriea) nicht
reagiert habe.
Die Abstimmung wird durch Verdüsterung des Himmels
unterbrochen, denn im Reiche der V^el wird ein Kriminalpro-
zefs nur bei heiterem Himmel erledigt, damit dem Angeklagten
kein Unrecht geschehe durch die trauriee Stimmung der Richter.
Im Gefängnis wird Cyrano durch Königsbrot {pain du Boy) ge-
nährt, d. h. durch etwa fünfzig Würmer und Grillen, die man
ihm von sieben zu sieben Stunden bringt Nach fünf bis sechs
Tagen erfährt er, dafs sein Prozefs verschoben worden sei wegen
einer Klage, welche die Gemeinde der Kohlmeisen {cammunauU
des Chardands) gegen einen der ihren angestrengt hat, dem es
seit sechs Jahren nicht gelungen ist, einen Freund zu erwerben.
Er wird daher verurteilt, König eines ihm fremden Volkes zu
werden. So wird er alle Mühsale und Bittemisse des König-
tums erleiden, ohne eine seiner Freuden genieisen zu können.
Gegen Ende der Woche wird Cyrano wieder vor seine
Richter gebracht Er wird auf die Gabel eines kleinen blatt-
losen Baumes gesetzt; die Vögel, sowohl die^Gerichtspersonen
{de longue rohe) als das Publikum, bedecken die Aste einer grofsen
Zeder. Die Elster steht ihm bei, obschon sie zugibt, dals die
Gattung Mensch ausgerottet zu werden verdiente. Sie erinnert
sich aber mit Dankbarkeit an ihr Leben unter den Menschen,
besonders an die guten weichen Käse.
Cyrano will sich vor einem Adler, der sich auf den näch-
sten Baum setzt, zur Erde werfen, aber die Elster belehrt ihn,
dafs dieses grofse Tier keineswegs ihr König sei. Dieser werde
vielmehr unter den schwachen auserwählt, damit er keine Ty-
rannei ausüben könne. Jede Woche versammeln sich die Stände,
um über den König zu richten. Ek* sitzt auf emer grolsen
Cyrano de Bergerac. 143
]Sibe ijjf) am Rande eines Teiches, FüTse und Flügel gebunden.
Wer sich über ihn zu beklagen hat, kann ihn ins Wasser werfen,
aber er muTs nachtraglich seine Anklage beweisen; sonst stirbt
er des traurigen Todes, d. h. er wird mit traurigen Liedern zu
Tode gesungen. Gegenwärtig ist eine sanfte Taube König, die
nicht begreSen kann, dals es eine Feindschaft eibt.
Die mitleidige Elster wird selbst als verdächtig verhaftet.
Als die Taube -König ankommt, wird Klage geführt gegen die
Elster von dem Grolszensor der Vögel. Auf die Frage nach
ihrem Namen, und ob sie den Angeklagten kenne, gibt sie an,
sie heiise Margot. Auf der Erde hat sie von dem anwesenden
'guiUery Venrund' gehört, ihr Vater heifse 'Courte queüe' und ihre
Mutter *Oroqitenoia:^, Sie weifs es selber nicht, denn sie ist ganz
juDg ihren Eltern geraubt worden. Die Mutter starb vor Gram,
der Vater ging aus Verzweiflung in den ^ri^ der Häher', wo
er durch einen Schnabelhieb in das Gehirn getötet wurde. Die
Elster wurde von wilden Tieren geraubt, die man Schweinehirten
(porchers) nennt, und in ein Scmofs gebracht, wo sie den Ange-
klagten kennen lernte. Dieser sorgte liebreich für sie, schützte
sie vor den Verfolgungen der Dienstboten, besonders eines ge-
wissen Verdelet, der sie der Katze geben wollte aus Bache, weil
sie ihn unwillkürlich verraten hat. (Die Anekdote scheint aus
Cyranos Leben zu stammen.) Der König -Taube spricht die
Elster unter Verwarnung frei und gibt dem Ankläger das Wort.
Es folgt nun das lange Tlaidoyer vor dem Parlament der
Vögel, bei versammelten Kammern, gegen ein Geschöpf, ange-
klagt, ein Mensch zu sein/ Er vertritt als ZivUpartei 'GuiUe-
mette die Fleischige, Rebhuhn von Geburt', welche eben, vom
Blei des Jägers verwundet, von der Erde kommt und Rache an
den Menschen heischt Da der Angeklagte zu diesen gehört, so
sollte er unschädlich gemacht werden. Aber er soll nicht un-
gerecht behandelt werden, damit wir Vögel nicht den Menschen
gleich werden.
Der Kern {namd) der Streitsache besteht darin, zu wissen,
ob dieses Geschöpf ein Mensch ist, und für den Fall, dals wir
erkunden, dals er es ist, ob er dafür den Tod verdient.
Die Prämisse wird bewiesen 1) durch den Abscheu, welchen
Cyrano den Vögeln einflöfst, 2) weil er lacht wie ein Narr, 3) weil
er weint wie ein Tor, 4) weil er sich schneuzt wie ein Bauer
(viiain), 5) weil er kahl ist wie ein Räudiger, 6) weil er den . . .
vom trägt, 7) weil er eine Menge kleiner, viereckiger Kiesel im
Munde trägt, die er weder den verstand hat auszuspucken noch
zu schlucken, 8) weil er jeden Morgen Augen, Nase und Mund
zum Himmel aufhebt, die Hände faltet und die Beine knickt
und, nachdem er einige magische Worte gemurmelt, aufsteht, als
ob nichts passiert wäre. Das deutet auf Magie, deren nur ein
144 Cyrano de Bergerac.
Mensch fähig ist mit seiner schwarzen Seele; also ist dieser ein
Mensch.
n. Soll er darum getötet werden? Ja, denn alle Wesen
sind von der Mutter Natur dazu geschaffen, in Gemeinschaft zu
leben. Wenn nun der Mensch dazu bestimmt scheint, diese Ge-
meinschaft der Schöpfung zu stören, so verdient er, dals die
Natur ihr Werk an ihm bereue. Das Fundamentalgesetz jedes
Staates (rSpubliqfie) ist die Gleichheit {igaliU). Unter nichtigen
Verwänden seiner Superiorität, die nur eine Barbarei ist, ohne
die Kraft der Adler, Kondors und Greifen, unterdrückt er die
schwächeren Vögel. Ebensowenig ^bt ihm seine grölsere Statur
(auch bei den Menschen gibt es Riesen und Zwerge) ein Recht
der Herrschaft Diese ist überhaupt bei den Menschen, den ge-
borenen Sklaven, imaginär. Die Armen dienen den Reichen, die
Jungen den Alten, die Bauern den Edelleuten, die Prinzen den
Monarchen und diese den selbstgegebenen Gesetzen. Nur um
dienen zu können und der Freiheit zu entgehen, schmieden sie
sich Götter auf allen Seiten; sie werden solche lieber aus Holz
machen als keine haben, und der Redner glaubt soear, dafs sie
sich mit den falschen Hoffnungen auf l^sterblicUceit kitzeln,
weniger aus dem Schauer, womit das Nichtsein sie erschreckt,
als aurch die Furcht, welche sie haben, dafs ihnen nach dem
Tode niemand mehr befehlen wird.
Von diesem törichten Hochmut ausgehend, bildet der Mensch
sich ein, dafs die Natur alles nur zu menschlichen Zwecken ge-
schaffen habe, wie Vogeljagd als Preis des Adels, Deutung des
Vogelflugs und der f^ingeweide der Vögel (sie!).
Für die Fehler, welche der Mensch, das arme Tier, das nicht
wie die Vögel mit Vernunft begabt ist, aus Unverstand b^;eht,
verdient er zwar nicht den Tod, wohl aber für die aus freiem
Willen begangenen Missetaten, wie Vo^elmord und Abrichtung
der Sperber, Falken und Geier zur Jagd.
Der Redner beantragt den traurigen Tod. Der amtliche Ver-
teidiger verzichtet aus Uewissensgründen auf die Verteidigung
eines solchen Untiers {monstre).
Die Elster, welche sich hierauf zur Verteidigung meldet,
wird recusiert, als zugunsten des Angeklagten voreingenommen,
denn im Gerichtshof der Vögel darf ein Advokat nur für die
Sache, nicht für den Klienten eingenommen sein.
Bei der Abstimmung wird, weil der König zur Milde neigt,
das Urteil dahin abgeändert, dafs Cyrano von den Mücken ge-
fressen werden soll.
Der Angeklagte wird entfernt, weil .ein Vogel in Ohnmacht
gefallen ist v orher wird ihm das Urteil von der Ohreule, welche
als Gerichtsschreiber (greffier criminel) fungiert, verlesen. So-
gleich wird der Himmel schwarz von klemen Insekten, auch
Cyrano de Bergeiiac. 146
Flöhen (sie!). Fortgeführt wird Cyrano^ auf einem schwarzen
Straals reitend, welche Stellung als schimpflich gilt, von fünfzig
Kondors und fünfzig Greifen und gefolgt von einer Schar kräch-
zender Raben. Zwei Paradiesvögel sollen ihn auf dem letzten
Gange trösten, und folgendes sind ihre Argumente:
'Der Tod kann kein grofses Übel sein, da Mutter Natur
alle ihre Geschöpfe ihm unterwirft. Er ist auch nichts Wichtiges,
da er so oft und ohne Veranlassung eintritt. Wenn Leben oder
Tod ausgezeichnete Dinge wären, so lä^e es nicht in unserer
Gewalt, sie zu geben. Es ist vielmehr wahrscheinlich, da das Ge-
schöpf durch Spiel (jeu) beginnt, da& es ebenso endet. Das gilt
für den Menschen, dessen Seele nicht unsterblich ist wie die der
Vögel. Wenn du stirbst, stirbt alles mit dir. Was dir heute
widerfährt^ geschieht anderen deinesgleichen morgen. Sie sind
beklagenswerter als du, denn wenn der Tod ein Übel ist, so
steht ihnen dies vielleicht fünfzig bis sechzig Jahre lang bevor,
dir nur eine Stunde. Wer nicht geboren ist, ist nicht unglück-
lich. Einen Augenblick nach dem Tode wirst du sein wie einen
Augenblick vor dem Leben oder andere, die vor abertausend
Jahren gestorben sind. Ist aber das Leben ein Gut, so ist nicht
ausgeschlossen, dais du ein zweites Mal seiest, wenn die näm-
lichen Zufälligkeiten der Materie, die dich schufen, sich wieder '
zusammenfinden sollten. Dals du dich an dein erstes Leben er-
innersty ist dabei irrelevant, wenn du dich nur leben fühlst, und
vielleicht wirst du dich über den Verlust des zweiten Lebens
mit den Argumenten trösten, die ich dir jetzt vorhalte. Aber
wichtiger ist fo^ndes, um dich zu veranlassen, diesen Wermut
(absind) in Geduld zu trinken. Du und die anderen materiellen
Tiere (brtUes) werden durch den Tod, welcher die Materie nicht
vernichtet, sondern nur verändert, in einen anderen Zustand über-
geführt Wenn du auch nur ein Erdklofs oder ein Kiesel wirst,
so ist das immer noch besser als ein Mensch. Aber (und das
ist ein Geheimnis), wenn du von den Mücken und kleineren In-
sekten gefressen wirst, wirst du in ihre Substanz übergehen, und
wenn du selbst auch nicht denkst, wirst du sie denken machen.^
Am Hinrichtungsorte warten vier Reiher auf vier Bäumen.
Fischadler heben den Cyrano in die Höhe. Die Beiher halten
ihn ausgespannt in der Luft, und die kleinen Henker machen
sich, jeder an seinem Teile, bereit, als der Ruf: Gnade I Gnade!
ertönt, von zwei Turteltauben überbracht. Cyrano fällt, von den
Reihern losgelassen, auf einen weifsen Straufs herunter, der ihn
im Galopp vor den König bringt. Sein Retter ist Cäsar, der
Papagei (jperroquet) von Cyranos Cousine, dem er einst die Frei-
heit wiedergegeben hat, und zu dessen Gunsten er so oft den
Satz verfochten hat, dafs die Vögel vernünftig seien {raisonnent).
Weil nun, wie der König -Taube sagt, eine gute Tat bei den
AichiT t n. Sinachen. GXV. 10
146 CTrano de Bergerae.
Yöeeb niemals verloren ist^ und in Anerkennung dessen, dab
er die Vögel richtig beurteilt hat, wird er frei. Der weifse Straufs,
geleitet von den zwei Turteltauben, galoppiert mit ihm einen
halben Tag lang und verläfst ihn am Eingang eines Waldes, in
den Cyrano eindringt und von dem herabtraufelnden Honig sieh
nährt Aus Müdigkeit am Fufse der Bäume hingestreckt, hört
er griechisch reden und vernimmt eine medizinische Konsultation,
durch welche eine Eiche für ihren Freund, die Ulme mit drei
Köpfen, welche von einem hektischen Fieber und von einem
^isen Moosübel {mcU de mausse) befallen ist, Hilfe verlangt Der
Kat ist, die Ulme solle aus ihrem Bette möglichst viel Feuchtes
saugen, fröhlich sein und sich von den Naditigallen etwas vor-
singen lassen. Wenn der Zustand sich etwas gebessert hat, wird
ihr der Storch ein Klistier geben.
Nach einiger Zeit hört Cyrano das Zwiegespräch der ge-
gabelten (fourchu) und der frischen Rinde, die einen Mensdien
m der Nähe wittern. Elr ergreift also das Wort und gibt sich
als solchen zu erkennen; ebenso ihm die Eichen, die von Dodona
stammen. Ein Adler, der von der Erde zur Sonne flog, hat sich
einst hier seines Überflusses an unverdauten Eicheln entledigt,
und daraus sind die Eichen entstanden. Aber nur diese Eichen
sprechen griechisch, die anderen Bäume haben jede Art ihre be-
sondere Sprache, die im Säuseln des Waldes sich äufsert,^ wel-
ches aber die Menschen zu dumm sind zu verstehen. Ebenso-
wenig merken es die Menschen, dals die Bäume leben und z. B.
der Axt des Holzfällers einen bewufsten Widerstand entg^en-
stellen. Es folgt eine wundervolle Schilderung von dem läebes-
leben der Natur. Die Yögel singen das Lob der Bäume, diese
beschützen deren Nester vor dem Menschen. Nur die Wohnstätte
(aire) der Raubvögel, der Zänker und der Abschreckenden, wie
die Eulen, lassen sie ungedeckt Auch die Liebesszene zwischen
Baum und Erde im Frühling, von welcher eine sehr weitgehende
Schilderung gegeben wird,^ sehen die Menschen beständig, ohne
sie zu begreifen. Der sprechende Baum bricht hier ab, weil ihm
der Atem ausgeht Ein anderer befriedigt die Neugierde Cyranos,
indem er ihm die Geschichte der verliebten Bäume (arbres amants)
erzählt.
Orestes und Pylades fielen in einer Schlacht, sich im Sterben
fest umschlingend. Aus der Verwesung ihres Rumpfes erwuchsen
zwischen den bleichenden Knochen ihrer Skelette zwei Büsche,
* Wunderschöne Stelle und frei von dem Preziösen, welches das sonst
80 hübsche Idyll des Campagnard (s. ojoen Bd. GXIV, S. 128) entstellt
' Dals diese Stelle in der Originalausgabe unverkürzt gegeben wurde,
scheint mir zu beweisen, dafs Lebret nicht der Redaktor des Textes war.
In der Ausgabe von Kugfene Müller (s. oben Bd. OKIII, 8. 'ib6) ist sie
ausgelassen.
Cyrano de BergeraC 147
die sich in ihren Stengeb, Zweigen und Knospen wieder zu ver-
einigen strebten und sich ganz gleichmarsig ernährten. ^Sie zogen
beide die Brustwarzen ihrer Amme nach innen^ wie ihr anderen
sie von aulsen aussauget/ So erzeugten sie WunderapfeL Wer
von den Apfehi des einen aTs^ verliebte sich in die rerson^ die
von den Äpfehi des anderen gegessen hatte. Unter Personen
des gleichen Geschlechtes bewirkt der Genufs Freundschaft, bei
ungleichem Liebe. Wer mehr davon gegessen hatte, wurde auch
mehr geliebt. So entstanden die Freundespaare Herkules und
Theseus, Achilles und Patroklus, Nisus und Euryalus. Man
pflanzte Absenker dieser Bäume im Peloponnes und bei Theben.
An letzterem Orte entstand so die Heilige Schar {bände sacrSe),
Aber die Apfel konnten auch Schaden und Gefahr stiften, z. B.
Myrrha una Kinyras (hierbei Wortspiel mit den Folgen dieses In-
cestes), Pasiphae und der Stier, Pygmalion und die Statue, Iphis
und Janthe, Narcissus und Echo, Salmacis und Hermaphrodite.
Diese beiden Fabeln werden in einer von der Tradition abwei-
chenden und der These besser entsprechenden Form erzählt
Seltsam ist die Erzählung von der Hochzeit des Cambyses, bei
welcher dieser Prinz von den Äpfeln des Orestes ifst. Da die
Substanz dieser Frucht sich nach den drei Umbildungen {eoctions)
in einen vollkommenen Keim verwandelt hatte, budete sie im
Leibe der Köni^n den Embryo ihres Sohnes Artaxerxes, dessen
Liebe zu einer Platane, auf welche sein Vater einen Zweig des
Orestesbaumes gepfropft hat, geschildert wird. Sein Leichnam
wurde auf dem Scheiterhaufen der Platane verbrannt, und ihre
beiden Seelen stiren in einer Feuersäule zur Sonne empor, wo
sie den Orestesbaum erzeugten, während der Eigennutz der
Mütter diese Pflanzen auf der Erde zerstörte, so dafs man dort
keinen wahren Freund mehr findet. Aber aus der von den
Regengüssen in die flammenden Bäume kalzinierten Asche ent-
standen Elisen und Magnet, die sich gegenseitig anziehen. Im
AnschluTs an diese Geschichte ,.wird die Natur der Erdpole so
entwickelt: ^ie Pole sind die Offnungen (bouches) des Hnnmels,
durch welche er das Licht, die Wärme und die Einflüsse {in-
fluences), welche er auf der Oberfläche verbreitet hat, wieder-
gewinnt. Sonst, wenn nicht alle Schätze (tresors) der Sonne wieder
zu ihrer Quelle aufstiegen, so würde es nicht lange gehen (da
ihre Helligkeit nur ein Staub entflammter Atome ist, welche sich
von ihrer Kugel [globe] ablösen), bis sie erloschen wäre und nicht
wieder leuchtete, oder bis dieser Uberflufs kleiner feuriger Kör-
per, welche sich auf der Erde ansammelten, um sie nicht wieder
zu verlassen, diese aufgezehrt hätten. Also müsse es im Himmel
Luftlöcher (soüpircmx) geben, durch welche die Anschoppungen
{r^Utions) der Erde una anderer (Weltkörper) sich entleeren, und
woraus der Himmel seine Verluste deckt, damit der ewige Kreis-
10*
148 Cyrano de Bergerac.
lauf dieser kleinen Lebenskörper allmählich in aDe Kugeln {glches)
des grofsen Weltalls eindringe. Es wird behauptet^ die Alten
hätten von einem entschwundenen Heros gesagt, er sei zum Pol
aufgestiegen u. ä. Auch die Beobachtung modemer Nordpol-
fahrer über das Nordlicht während der Polarnacht spreche daiur.
Dieses komme von den Strahlen des Tages und von einem gro-
fsen Haufen Seelen, welche^ aus leuchtenden Atomen bestehend^
zum Himmel zurückkehren.
Der Diskurs wird unterbrochen von dem Geschrei der
Bäume: ^gare la peste et passe parole* Die Gefahr kommt von der
Salamandre, welche das Königreich der Bäume zu verbrennen
droht Cyrano will fliehen, verirrt sich aber und ist nach acht-
zehn Stunden hinter dem Walde, aus dem er fliehen will. Nach
weiteren vierhundert Stadien Marsch wird er Zeu^e des Kampfes
zwischen der Salamandre und der Remora, auch animoL glo/^on
geheifsen. Er trifft dort mit einem Greise zusammen, der durch
Assimilation an Cyranos Materie dessen Gedanken errät (hierbei
eine aktuelle Erinnerung an Zwillinge in Paris mit unwillkürlich
gleichen Gedanken und Erlebnissen). Es ist Thomas Campa-
nella, der ihm alle Auskunft gibt und ihn bis ans Ende der
Erzählung begleitet
Auf der Erde bewohnen die Bemoren das Eismeer, sie er-
zeugen durch Verschlingen des Eises die eisfreien Flächen, welche
man gegen den Pol hin beobachtet hat, aber auch durch ihr Aus-
speien die Wiederbildung des Eises (hier Anspielung auf Be-
obachtungen von Piloten um Grönland herum). Auf dem Lande
nähren sie sich von Schierling, Fingerhut, Opium und 'rtuindra^
goTe\ Das stygische Wasser, mit dem man Alexander den Grofsen
vergiftete, war Harn eines dieser Tiere. Sie lassen auch die
Schiffe, welche nach dem Nordpol wollen, einfrieren, so dals nur
die Hälfte zurückkommt Die Feuertiere ipestes ä feu) dagegen
wohnen unter dem Ätna, dem Vesuv und dem Gap rouge, ' 'Die
Knospen {poutons\ welche du an den Brüsten {gorge) dieses Tieres
siehst) und welche von der Entzündung seiner Leber herrühren,
sind . . . (hier ist offenbar eine Lücke im Text, die auch von der
Amsterdamer Ausgabe als solche kenntlich gemacht ist Was die
Auslassung veranlafst hat, ist unklar).
Das Duell endet mit dem Tode der Salamandre. Campa-
nella ergreift ihren Leichnam, nachdem er sich die Hände mit
Erde, über welche sie gegangen, eingerieben hat. Er will sie als
unverwüstliches Brennmaterial in seiner Küche an dem Koch-
* Es gibt ein Vorgebirge dieses Namens zwischen Quebec und Mont-
real, in einer Gegend, die Cyrano kennt (s. oben Bd. CXIV, S. 877), aber
es ist nicht vulkanisch. Vielleicht liegt eine Verwechselung mit JFeuer-
land vor.
Cyrono de Bergerac. 149
kessel (crimiliere = orSmailUre) aufhangen. Die Augen sollen ihm
zur Beleuchtung dienen. Schon die Alten hätten diese benutzt
als 'lampes ardmte^» Man habe sie in Grabern gefunden, aber
aus Unverstand zerstört Aus dem Laich der Remoren entstehen,
wenn ein Schiff darüber fährt» eine Art fliegender Fische/ die
man Mcuiuereusea nennt, und die eine Fastenspeise sind.
Ovrano und Campanella setzen ihre Reise durch die Sonne
fort Diese ist in Königreiche, Republiken, Staaten und Fürsten-
tümer eingeteilt wie die Erde. Die vierfüfsigen Tiere, die Vögel,
die Pflanzen, die Steine haben ihre besonderen Reiche, und nur
ein Philosoph darf ungestraft alle besuchen. Campanella erklärt,
er sei auf der Reise in die Provinz der Philosophen begriffen.
Die Sonne ergänzt sich nämlich durch die Seelen der aus dem
Merkur, Venus, der Erde, Mars, Jupiter und Saturn abgeschie-
denen Pflanzen, Tiere und Menschen. 'Die gröbsten dienen ein-
fach dazu, das Fett (embonpoint) der Sonne zu ersetzen, die feinen
schleichen sich an den Platz ihrer Strahlen, aber diejenigen der
Philosophen, die in ihrem Exil nichts Unreines angenommen
haben, gelangen ganz in die Sphäre des Lichtes (jour), um dessen
Bewohner zu werden, während die anderen in der Masse der
Sonne aufgehen.'
Campanella zeigt sich eilig, um mit dem erst angekommenen
Descartes zusammenzutreffen, für dessen Philosophie er eine hohe
Verehrung bezeugt Cyrano macht ihn auf einen Widerspruch
in der kartesianischen Lehre aufmerksam, der darin besteht, dafs
Descartes an den Anfang aller Dinge ein festes Chaos stellt, das
durch Gott in eine unzählige Menge kleiner Würfel aufgelöst
wird, deren jedem von Gott eine entgegengesetzte Anfangs-
bewegung gegeben wird, aus denen durch Reibung kleinste Körper
von tulen Formen entstehen. Diese Bewegung enthält geometrische
Widersprüche und läfst sich ohne Annahme des VaKuums nicht
erklären. Campanella meint, Descartes werde diesen Widerspruch
leicht durch Erklärung beseitigen. Auch über einen anderen
Widerspruch im kartesianischen System^ geht Campanella etwas
' Nach P. Brun p. 298 wäre diese Meinung in Cyranos Zeit aligemein
verbreitet gewesen.
' Auch hier zeigen Varianten in den Ausgaben, dafs fast von Anfang
an am Cyranotext Anderun^n vorgenommen worden sind, die ihm nicht
zum Vorteil gereichten. In oer Diskussion vertritt Campanella den Stand-
punkt Descartes', Cyrano den Gassendis. Es ist aber nicht g^anz leicht,
m den Textworten die beiden Sprecher auszuscheiden. Die Kritik Cyranos
beruht darauf, dafs es nicht logisch sei, wenn nach Descartes' Meinung
unser Verständnis be^nzt, die von demselben zu erfassende Materie aber
unbe^enzt teilbar sei. Über die Textvarianten vgl. P. Lacroix I, p. 260
Anm. 1. Die Ausgaben von 1710 und 1761 stimmen auch hier überein.
Ob die Originalausgabe ihren Text oder den von P. Iiacroix gegebenen
fehlerhaften hat, kann ich nicht entscheiden.
150 Cyrano de Bergerac.
oberflächlich hinweg, da sie in dem Wundertal ankommen, wel-
ches den See des l^hlafes, die fünf Quellen und die drei Flüsse
enthalt, und dessen Wohltaten sich auf das ganze Universum
ausdehnen. Die fünf Quellen sind die fünf Sinne, die nur fünf-
zehn bis sechzehn Stunden tätig sind und bei der Annäherung
an den See immer schwächer werden. Nachdem die Nymphe
des Friedens in der Mitte des Sees sie eine 2ieitlang ^wiegt
hat, treten sie auf der anderen Seite des Sees wieder m die Er-
scheinung und zwar Gehör und Tastsinn zuerst, der Geschmack
zuletzt Die Beschreibung der Grotte des Schlafes ist wie bei
Ovid. Hier träumt Cyrano den 'gelehrtesten und geistreichsten
Traum der Welt^, aus dem der Phnoeoph ihn weckt, und dessen
Erzählung er uns schuldig bleibt, vielleicht nur aus dem Grunde,
weil er ihn dem Leser in einem seiner 'Briefe' bereits geschildert
hat (s. oben Bd. CXIY, S. 129). Eine Anspielung auf sich selbst
ist vielleicht die lobende Bemerkung über die 'pküosophes-r^veurs
dont no8 ignorans se fnoquenf. Bei raschem Weitergehen, einer
Art Fliegen, kommen sie zu den Flüssen Gedächtnis (ifömotre),
Einbildungskraft (Imagination) und Urteil (Jugemenf).
Die oonnenbewohner, deren brennende Atome beim Tode
durch diese Flüssigkeiten angefeuchtet werden, leben 7 — 8000
Jahre lan^ und zerfallen dann in Teilchen roter Asche. Aber
dabei bleibt es nicht, sondern nach den Fähigkeiten, welche sie
durch Benetzung aus den drei Flüssen etc. erhalten haben, ver-
binden sie sich in den umliegenden Sphären mit den vorgefun-
denen Stoffen zu Pflanzen, um zu vegetieren, weiter durch Stoff-
wechsel zu Tieren, um zu empfinden, und schliefslich zu Men-
schen, um die drei Funktionen: Gedächtnis, Einbildungskraft und
Urteil, auszuüben.
Unter solchen Beobachtungen und Gesprächen reisen sie fünf
bis sechs Tage län^ der drei Flüsse auf aem Wege zur Provinz
der Philosophen. Unterwees stofsen sie auf einen Sterbenden,
dem das Gehirn vom Denken so aufgeschwollen ist, dafs ihm
schliefslich der Kopf zerspringt. T>iese Art zu sterben ist die
der grofsen Genies, man nennt das vor Geist platzen (crever
d'esprity
In der Sonne sind einige Provinzen dunkel, andere hell, und
diejenigen, welche sie betreten, folgen diesem Zustande. Die
Philosophen ziehen aus Erinnerung an die Erde die dunkleren
Partien vor. Übrigens können sie durch lebhafte Willenskraft
durchsichtig werden und so einander die Gedanken ablesen und
Gefühle wie Zuneigung und Hafs ohne Worte mitteilen.
Dieses Gespräch wird durch eine Verfinsterung des Himmels
unterbrochen. Ein Käfig fällt aus der Wolke, die ein riesiger
Kondor ist, wie sie auf der Insel MandraTOra (sie) vorkommen
und einen Juchart mit ihren Flügeln bedecken, zu ihren Fü&en.
CTrano de Bergerac. 151
Ihm entsteigen ein Mann und eine Frau aus dem Königreich
der Liebenden^ die einen seltsamen Prozefs miteinander haben^
den sie vor den Philosophen entscheiden lassen wollen. Die Frau
klagt ihren Mann an, ihr jüngstes Kind zweimal getötet zu haben.
Im Königreich der Liebe reguliert nämlich ein Gesetz und eine
jeden Abend vorgenommene ärztliche Untersuchung die Anzahl
der Umarmungen, welche der Ehemann seiner IVau schuldet
Der Augeklagte war auf sieben taxiert worden, hat aber, gealtert
durch einige lebhafte Worte der Frau vor dem Zubettegehen,
dieselbe überhaupt nicht berührt. ^6ott aber, der die Sache der
Betrübten rächt, hat zugelassen, dafs er, von einem Traume
kitzelt, im Schlafe einen Menschen verlor/ So bewirkte
Elende, klagt die Frau, 'dais mein Kind nicht ist und nicht ge-
wesen ist^.^ Der Ehemann brachte die Richter durch die Aus-
rede in Verlegenheit, dafs er, über seine Frau erzürnt, gefürchtet
habe, einen Rasenden zu erzeugen. Die beiden wurden deshalb
vor ein anderes Gericht verwiesen. Deshalb sind sie nun hier
mit ihrem Gefährt, dessen Bespannung, die Kondors, auch die
zum Schlafen nötige Dunkelheit hervorbringt Campanella ver-
weist die Frau an Sokrates^ dem man in der Sonne die Ober-
aufsicht über die Sitten gegeben habe. Sie ihrerseits gibt den
beiden Auskunft über das Königreich der Verliebten, welches
auf der einen Seite an die Republik des Friedens, auf der an-
deren an die der Gerechten stöfst
Im Königreich der Verliebten werden die Knaben mit sech-
zehn, die Mädchen mit dreizehn Jahren in einen grofsen Palast,
Noviziat der Liebe, gebracht Während des Probejahres suchen
sich die Knaben die Zuneigung der Mädchen und diese die
Freundschaft der Knaben zu erwerben. Nach Ablauf der zwölf
Monate b^bt sich die medizinische Fakultät in corpore in dieses
liiebesseminar, untersucht die Zöglinge genau una bis ins ge-
heimste und läfst die erste Paarung unter ihren Augen voll-
ziehen. Die Knaben, welche sich zuchtfähig erweisen, erhalten
zehn, zwanzig, dreifsig oder vierzig Mädchen zugeteilt, von
denen, welche sie lieben und von welchen sie wiedergeliebt wer-
den. Er darf aber je nur mit zweien geschlechdich verkehren
und keine mehr berühren, die schwanger ist. Die Unfruchtbaren
werden zu Dienerinnen erniedrigt, die Impotenten zu Sklaven,
welche sich mit den Sterilen (brayhaignes) fleischlich vermischen
dürfen. Sobald eine Frau gebiert, wirft die staatliche Erspamis-
kasse eine Summe aus für die Erziehung des Kindes. Familien,
* Die gleiche burleske Spitzfindigkeit wird auch in einer anderen un-
edierten Stelle des Voyage ä la lune erörtert (s. oben Bd. CXIV, S. 887 und
Msa. No. 4558, p. 97), wo allerdings der Text durch Schreibfehler weniger
klar ist
152 Cyrano de Bergerac.
die ihre Kinder nicht aUe unterhalten können, nimmt der Staat
dieselben ab.^
Die Frau ladet die beiden ein, ihr Gefährt zu benutzen. Der
an einem Seidenfaden hängende schwere Anker wird auf eme
sophistische Manier gehoben. Sophistisch ist auch der Grund,
warum der Seidenfaden nicht reifet, und die Methode, wie sie
selbst den Korb, in dem sie sitzen, an einem Kabel zur Rolle
(potUie) und zum Vogel hinaufziehen. So fliegen sie etwa zwei-
hundert Meilen, bis sie einem anderen Kondor b^egnen, der
einen Gefanj?enen transportiert. Dieser ist zum Tode verurteilt,
weil er überführt ist, sicn nicht vor dem Tode zu fürchten. Denn
in dem Lande, aus dem er kommt, dürfen dies nur diejenigen,
welche ins Kollegium der Weisen^ aufgenommen worden sind;
denn ^andere, die nicht fürchten, das Leben zu verlieren, sind
geneigt, es aUen anderen zu rauben'.
Die Frau kann auf Campanellas Fragen über die ^loix et
coustumes du Royaume des Amans' nicht völlig Auskunft geben,
weil sie aus dem Königreich der Wahrheit' stammt. Ihre Mutter
hatte nur diese Tochter, darum wurde diese, dreizehn Jahre alt,
auf Befehl des Königs und der Arzte in den Talast der Liebe'
geführt, damit sie fruchtbarer werde als ihre Mutter.
Anfangs hatte sie Mühe, sich einzugewöhnen, und die Ge-
wohnheiten und namentlich die Beden ihrer jungen Liebhaber
sind allerdings seltsam genug. Die jungen Männer beklag^ sich,
dafs die Freundin sie mit ihren Augen töte, mit ihrer Flamme
versenge usw. Darüber erschreckt, will sie fliehen, aber man er-
klärt ihr, dafs der Palast von einer Tränenflut umgeben sei, in
der sie alle ertrinken müfsten. Die unglückliche Ursache von
so viel Unglück will sich aus der Welt schaffen, aber ihr feu-
rigster Anbeter läfst ihr sagen, dafs die Glut seines Herzens den
See bereits ausgetrocknet habe. Um dieser Sündflut zu ent-
rinnen, empfiehlt ihr ein anderer, der Eifersüchtige genannt, sich
das Herz aus der Brust zu reifsen und in diesem, in welchem
so viele Platz haben, sich auf dem Meere seiner Tränen fort^-
treiben zu lassen von dem günstigen Winde seiner Seufzer. Sie
öffnet sich also die Brust mit einem Messer und will sich eben
das Herz herausreifsen, als ein neuer Liebhaber dazukommt^ sie
daran verhindert und den schlimmen Ratgeber vor Gericht zieht.
Die Strafe des Eifersüchtigen wird durch das Parlament im König-
reich der Gerechten ausgesprochen. Er wird auf ewig verbannt,
soll seine Tage als Sklave in der Republik der Wahrheit be-
schliefsen. Er und seine Nachkommen bis ins vierte Glied dürfen
* Diese Beschreibung des Liebeereiches ist durchaus originell, und
Cyrano verdankt Sorel (Francion p. 31(5) nur eine Anregung. Cf. Em. Roy,
lia vie et les cpuvres de Ch, Sorely Paris, Hachette, 1891, p. 88ö — 87.
Cyrano de Bergerac. 158
nicht in die Provinz der Liebenden zurückkehren^ und er darf,
bei Todesstrafe, keine Hyperbel brauchen. Die Frau vermählt
sich nach ihrer Heilung mit ihrem Retter, hat dann aber mit ihm
den angeführten Rechtsstreit Dafs der Angeklagte nicht spricht,
konunt von einem ausdrücklichen Verbot Er darf den Mund
erat vor dem Richter wieder öffnen.
Auf eine Entfernung von drei Meilen verkündet Campanella
die Annäherung Descartes', und die Zweifel Cyranos werden ge-
hoben durch dessen Erscheinen. Sie verlassen den Kondor und
begrüfsen sich. Die Möglichkeit des Vorhersehens einer ab-
wesenden Person erklärt Campanella so: 'Es gehen von allen Kör-
pern Stoffe (especes), d. h. körperliche Bilder (images corpordles)
aus, welche in der Luft herumfliegen. Trotz ihrer Beweglichkeit
behalten sie Gestalt und Eigenschaften der Dinge, von denen sie
sprechen, und dringen, weil sie sehr subtil sind, durch unsere
Organe, ohne sie anzuregen, bis in die Seele, welche sie auch
ganz entfernte Dinge sehen machen.' Wie das geschieht, wollen
die beiden Cyrano später zeigen.
Hier bricht der Text unerwartet ab, und wir sind ohne
Mittel, zu sagen, was und wieviel nachher noch hätte kommen
sollen; denn alles spricht dafür, daFs Cyrano selbst den Roman
nicht zu Ende führen konnte. Ob sich die mysteriöse 'Hisioire de
VEtinceUe* hier oder bei dem Kampf der Remora und Salamandre
hätte anschliefsen können, wage ich bei dem Mangel an allem
Material nicht zu entscheiden.
Schi ufs wort.
Und nun? Wird mir gelingen, was der gelehrte P. Brun
gegenüber der Tradition und der geistreiche Emile Magne gegen-
über dem Theaterstück Rostands erstrebten, nämlich an die Stelle
eines Phantoms den wahren, den historischen Cyrano zu
setzen? Ich fürchte nein; denn abgesehen davon, dafs es sehr
schwer hält, Anschauungen, die auf der poetischen Einbildungs-
kraft von Tradition und Bühne beruhen, mit den nüchternen
Vorstellungen, welche uns Urkunden und Manuskripte liefern,
zu korrigieren, ist eben der Charakter Cyranos selbst ein so kom-
plexer, dafs auch eindringendstes Studium nicht in alle Falten
seiner Seele blicken lälst. Das ist leicht begreiflich, weil er selber
in den schwierigsten Fragen, welche Religion und Wissenschaft,
oft in Konkurrenz, noch öfter in Konflikt gegeneinander, gerade
im 17. Jahrhundert so lebhaft beschäftigten, nicht zu völliger
Klarheit in sich zu gelangen vermochte. Und dies nicht nur aus
äufseren Gründen, die allerdings viel hemmender wirkten, als man
sich dies heutzutage vorstellt, sondern doch hauptsächlich darum,
154 Cyrano de Bergerac.
weil er bei einer uDgewöhnlioben Begabung auf literarischem und
wissenschaftlichem Uebiet und trotz einer starken Hingabe an
seine Stoffe doch nicht das Genie besafs^ welches überall bis ans
Ende geht und erst am Ziele Halt macht Nicht dafs er nur
ein Dilettant gewesen wäre oder ein geschickter Macher: im
G^enteil^ er hat beinahe überall neue W^e gefunden und neue
Forderun^n aufgestellt^ aber er hat diese nicht selber erfüllen
können. Und daran hätte wohl auch ein längeres Leben nicht
viel gebessert. Aber zweifellos war er einer der geistvollsten
und kenntnisreichsten Franzosen der ersten Hälfte des 17. Jahr-
hunderts, und sein Ruhm wäre längst fest begründet, wenn das
Werk seines Lebens von Freund und Feind nicht so übel be-
handelt worden wäre. Zu einer vorurteilslosen Würdigung ist
jetzt sicher die Zeit gekommen, und wenn meine Schrift ein Ver-
dienst hat, so ist es das, dafs sie die Mittel dazu reiner bietet
als die bisherige Literatur. Ich scheide damit für einmal von
Cyrano — ungern genug, denn er hat es noch jedem angetan, der
sich eingehend mit ihm beschäftigte, dieser ungezogene Liebling
der Musen.
Beilage B.^
Beschreibung des ManuBkripts von Cyranos
Voyage dans la Lune.
Das in einem alten Einband von gepreXstem Leder buchfönni^ ein-
gebundene Manuskript (Oktayformat) ist sehr schön und gleichmälsig ge-
schrieben in einer willkflrlichen, aber konsequenten Oitnographie und
Interpunktion. Es weist nur s^r wenige Selbstkorrekturen des Schreibers
und nur ganz vereinzelte von späterer Hand auf. Auch offenbare Ver-
schreibungen sind sehr selten, und absichtlich ausgelassen scheint ein ein-
ziges Wort (Ortsname) gegen den SchluTs zu. fiandschrift und Ortho-
graphie weisen auf das 17. Jahrhundert hin. Es enthält 152 auf dem
ßecto paginierte Blätter und ein unbeschriebenes mit zweimal durch-
strichener Pagina 135. Zeilenzahl 21-23.
Auf dem Deckel steht inwendig von alter Hand und in schlechter
Schrift:
VI. 11.
^ Liyre rare et (onloseriich) 11 ien a trois Ezemplaires en France.
Dann folgt ein Vermerk wahrscheinlich von M. DeuUin d'Epemay,
welcher das Manuskript 1890 der BibUoth^ue Nationale schenkte:
Pay6 ft*. 66. 70 vente Monmerquö n^ 3891 mars 1861
Hierauf von der Hand von M. de Monmerqu6:
Ge livre a eti 6orit soob Louis XIII.
U y eat fait mentioii de Tristan THermite po6te-attaoh6 k Gaston.
II est de Gyrano de Bergerao, mais je suis ^tonni qu'il aie M imprimi
et qu'il est ici, ear 11 y a des passages bien hardis pour le temps.
> Beilage A ist oben, Bd. CXIV, S. 125—7, abgedruckt.
Cyrano de Bergerac. 155
II a M imprim^ dans les OBayres de Cyrano de Bergerac V. 1*^' p. 288
ed. d'Amsterdam 1710, inais avec de granda retranchements que la hardiease
du livre et plns soavent son impertmence neeeBsitaient.
Cette circoDStance donne de la cariosiU a ce petit msa. J'indiqaerai en
lea Boulignant les paasagcs retrauchSa a rimpresaion.
De Monmerqud hat dies anfangs mit [ ] y ersucht, aber später anf-
g^ffeben. Auf der ersten (nicht paginierten) Seite stdit aufgeklebt die
ibliotheksnummer
P R
NOÜV. ACQ.
■ ' ^
4, 5 5 8.
Es folgten fünf leere weiise Seiten, dann folgt am Rande oben rechts
mit A bezeichnet:
A Lanteur Des Eatats et
Empires de la Lone ou de
L'autre monde.
Epigramme,
Accepte ces aix meschana vera
Qae ma main tescrit de trauera
Tant en moj La Frayeur abonde
Et permeta qu'ai^onrdliay J'Eoite ton abord
Car aatant qn'une affreuae mort
Je eraina lea yena de Lautre monde
R de P
Darunter wieder:
FR nouv. acq. 4558
Auf der Rückseite von A steht:
Autre du Meame
an meame
Ton Eaprit qu'en son toI nul Obatade n'arreate,
Deacouure vn aatre monde a noa Ambitieuz,
Qui tona Eagallement reapirent Sa oonqaeste,
Comme yn noble chemin pour arriver Anx cieux
Mais ee n'est point pour Enx que la palme S^apreste ;
81 J'Eatoia du conaeil dea deatina et dea dieux
Ponr priz de ton audace on chargeroit ta teste
Dea couronnea dea Roya qui oaptiuent cea lienx.
Mais non Je m'endedia L'Inconatante Fortune
Semble anoir trop d'Empire en celny de la lune
Son ponuoir nj paroist qne p' tont renneraer.
Pent eatre yerroia tu dans cea demeures mornes
dea le premier Inatant ton Eatat s'Eclipser
et du moina chacque moia en retreaser lea bomea
De P.
Ee folgt noch vor dem Text Cyranos ein leeres weifses Blatt, ge-
zeichnet B.
156 Cynino de Bergerac.
Auszüge
P|ff' 22 r«, Cette tenre cy est La Lune que vous voyfe de vre elobe et ce lieu
z- 3 ▼. o. ^^ ^^ ^^^g march^ est [le paradis mais c'est le Paradis Terrestre ou
n'ont Jamais entr^ que six personnes, Adam Eue, Enoc, moj qui suis le
vuieil heliei St Jeau L Evan^eliste, et tous, vous scau^ bleu oomme Les
deux Premiers en füren t banis mais vous ne Scav^ pas cöe ils arriuerent
en vostre monde. Scach^ donc qu'apr^s auoir tast^ tous deux de la
pomme deffendue Adam qui cndgnoit que Dieu irrit^ par sa presence ne
ren^egeast sa punition considera La Lune Vostre terre cö le seul refuge
ou il se pouuoit mettre a L'abry des poursuittes de Son createur] ores
pag. 22 v-o eQ I ee temps L'imagination chez Lhöe Estoit Si forte pour n'auoir point
Encore este corrompue ny par les desbauches, ny par la crudit^ des ali-
mens, ni par Lalteration des maladies, qu'Estant aiors Excite du Violent
desir d'aborder cet azile & que toutte Sa masse estant deuenue Legere
par le feu de cet anthousiasme il y fut enleu^ de la mesme sorte qu'il
s'est veu des philosophcs Leur Imagination. fortem^ tendue a quelque chose
Estre Empörtes en L'air par des rauissemens que vous appeles extatiques.
[Eue] que L'Infirmit^ de Son Sexe rendoit plus foible et moins chaude
n'auroit pas eu Sans doute L'Imagination assez Vi^ureuse pour vaincre
pac. 23. par la contention de sa volonte le poids de la matiere mais par ce qu'il
z. 1 V. u. y auoit tres peu [qu'elle auoit est^ tir6e du corps de son mary] La Sim-
pathie dont cette moiti^e Estoit encore li^ a son tout La porta vers
luy a mesure qu'il montoit coe Lambre se faict suiure de la paille, coe
Laimant se tourne au Septentrion, d'ou il a Eet^ arrach^ et Aaam attira
Louurage de sa coste cöe la mer attire les fleuues qui sont sortis d'elle.
Arriv^s qu'ils furent en Vostre terre ils s'abituerent entre la mesopotamie
et L'arabie les hebreux Pont connu Sous le nom d'adam et les Idolatres
Sous le nom de Prometh^ que Leurs poetes feifnirent auoir desrob^ le
feu du cid a cause de ses descendans qu'il engenara pour ueus d'vne ame
aussi parfaicte que celle dont Dieu L auoit remply, ainsy pour habiter
pag. 23 V» Vostre I monde, Le premier hoe Laissa celuy cy descrt, mais le tout-sa^
ne voulut pas qu'vne demeure si heureuse restast sans habitans il permit
peu de Siecles apres qu'Enoc Ennu^^ de la compa^ie des hommes dont
LInnocence se corrompoit eut Enuie de les abandoner mais ce S^ Per-
sonage ne Jugea point de retraite asseur^ contre L'ambition de ses parens
qui S'esgorgeoient desja pour le partage $le vr^ monde, si non la terre
Dien heureuse dont Jadis Adam son ayeul Luy Avoit t4int parl^, toutte
fois comment y aller L'Eschelle de Jacob n'estoit pas Encore invent^c
La grace du tres haut v supplea car eile fit qu'Enoc s'avisa que le Feu
du ciel descendoit sur les hoiocaustes des Justes et de ceux qui estoient
pag. 24 r^ afreabjles deuant la face du Seigneur Selon la parole de Sa bouche,
^' ^ L^odeur des Sacrifices du Juste est mont^ Jusques a moy un Jour que
cette Fl&me diuine estoit acham^ a consommer une victime, qu'il
offroit a l'Etemel de la Vapeur qui S'EIxaloit il remplit deux Grands
vases qu'il luta hermetiquement et se les attacha sous les esseles, La fum^e
aussi tost qui tendoit a S'Eslever droit a Dieu ce qui ne pouuoit que par
miracle penetrer du metal poussa Les vases en haut et de la sorte En-
leuerent auec eux ce 8^ hoe, quand il fut mont^ Jusques a La Lune et
qu'il eust Jett^ les yeux Sur ce beau Jardin vn epanouissem^ de Joye
casi sumaturel Luy fit connoistre que c'estoit le Paradis Terrestre ou son
pag. 24 V«, grand pere auoit autres-fois demeur^, il deslia promptement les vaisseaux
z. 1 V. 0. ^^}|j avoit ceinct eue des aisles autour de ses Espaules et le fit auec tant
de bonhcur qu'a peine estoit 11 en L'air quatre toises au dessus de La
Lune LorsQu'il prit cong6 de ses nageoires, L'eleuation cepcndant Estoit
assez granae pour le beaucoup blaisser sans le Grand tour de sa robe ou
le vent s'engouffra & L'ardeur du feu de la charit^ qui le soustint aussy:
Cyrano de Bergerac. 167
ponr les vases ilz monterent touBJours jneques a ce que dieu les en-
chftasa dans le ciel et c'est ce qu'aujourdhuv yous appeliez Les Balances
qui noos montrent bien tous les iours qu^eiles Sont EDCore pleines des
odeuTs du sacrifice d'un | Juste par Les influences fauorables qu'elles in- 9^' 25 r>,
spirent sur L'horoscope de Louys le Juste qui Eust les balances pour ^*^^*^'
ascendant. il n'Estoit pas Encore tontte fois en ce iardin, il ny arriua
que — quel^ue temps apres. Ce fut lorsque desborda le deluge, car les
£aux ou vre monde S'£n^loutit monterent a vne hauteur Si prodigieuse
que L'arche voguoit dans les cieux a cost^ de la lune, Les humains ap-
perceurent ce globe par la Fenestre mais la reflection de oe grand corps
opacque s'affoiblissant a cause de leur proximit^ qui partageoit sa lumi^re
cnacun d Eux crut que c'estoit un canton de la terre qui n'auoit pas |
£st6 noy^ ; II ny eust qu vne fille de Noe nomm^ Achab qui a cause peut PH- 25 v«.
Estre qu'elle auoit pris Garde qu'a mesure que le nauire haussoit ilz ap- ^' ^ ^' ^'
Erochoient de cet astre, Soustint a cors et a cry qu'asseurement c'Estoit
i lune, on eut beau luv representer que la Sonde lettre on n 'auoit trouu^
que quinze coud^es d'Eau. eile respondit que le fer auoit donc reucon-
tr^ le dos d vne baieine qu'ilz auoient pris pour la terre que quand a eile
qu'elle estoit bien asseuree, que c'estoit la lune en propre personne qu'ilz
alloient aborder. Enfin cde chacun opine pour son semblable touttes
Les autree femmes se le persuaderent en suitte, Les voila donc malgr^ .
la deffence des hoes qui Jettent L'Esquif en mer Achab Estoit la plus p^- ^ ^>
hazardeuse aussy voulut eile la premiere essayer le peril, eile se lance ^' ^ ^' ^'
all^prement dedans et tout son sexe L'alloit ioindre sans vne vague qui
separa le bateau du nauire on eust beau crier apres eile, L'appelTer cent
foiB lunaticque protester qu'elle seroit cause qu^un Jour on reprocheroit
a touttes les Femmes d'auoir dans la teste vn quartier de la lune Elle
se mocqua d'Eux, la voUa qui vogue hors du monde les animaux suiui-
rent son exemple car la plus part des o^seaux qui se sentirrent L'aisle
asses forte pour risquer le voyage impatiens de la premiere prison dont
on eust encore arreste | leur liberS donnerent Jusques la, des quadrupedes p^-. ^ ^'°^
mesmes les plus courageux se mirent a la nage il en Estoit sorty pres de ^'^^^^^
mille auant que les filz de No^ pussent fermer les Estables que la fouUe
des animaux qui s'Eschapoient tenoient ouuertes; la plus part aborderent
ce nouueau monde; pour L'Esquif il alla donner core vn costau fort
agreable ou la genereuse Achab descendit et ioyeuse d'auoir connu qu'en
effect cette terre la estoit la lune ne voulut point se rem barquer pour re-
joindre Ses freres, eile s'habitua quelque temps dans une grotte et cöe un
Jour eile se promenoit balancant si eile seroit fachte (Pauoir perdu la
compagnie des siens ou si eile en seroit bien aise eile apperceut vn hoe
qui I abbatoit la Gland ; La ioye dVne teile rencontre la fit voler, aux p^- 27 i^",
Embrassements, eile en reyeut de reciproques car il y avoit encore plus ^' ^'
longtemps que le vieillard n'auoit veu de visage humain c'Estoit Enoch
le iuste, il vesquirent ensemble et sans que le naturel impie de ses £n-
fans et L'orgueil de sa femme L'obligea de se retirer dans les bois ils
auroient acheu^ ensemble de filer leur iours auec toutte La douceur dont
dieu benit le mariage des Justes; La tous les Jours dans les retraittes
les plus sauuages de ces affreuses soiitudes ce bon vieillard offroit
a Dieu d'vn esprit espur^ son ceur en holocaaste, quand de Parbre
de science que vous scaves qui Est en ce Jardin, vn Jour estant tomb4
vne pomme dans la riuiere | au bord de la quelle il est plante eile p^^* 27 v«,
fust portäe a la mercy des vagues hors le Paradis un vn lieu ou le ^' ^'
pauure Enoc pour sustenter sa vie prenoit du poisson a la pesche ce
beau fruit fut arreste dans le filet, il le mangea, aussitost il connut ou
estou le paradis terrestre et par des secrets que vous ne scauri^s con-
ceuoir si vous n'au^ mang4 coe luy de la pomme de science il y vint
demeurer.
158 Cyrano de Bergeracl
n fault maintenant que Je vous raconte la fa^on dont J'y suis venu:
Tous o'au^s jpas oubli^ Je pense que ie me nomme helle car ie vous l'ay
dit Dauere Vous scaur^ donc que J 'eetois en vre monde et que J'abitois
auec £lis4e vn hebreu coe moy sur les bords du Jourdain ou ie uiuois
p?«- 28 1«, parmy lee Liuree | d'vne vie assez douce pour ne la pas re^ter encore
z. 1 T. o. q^'ei[Q s'esooulast, cependant plus les Lumieres de mon Eepnt croissoient
plus croissoit aussy La connoissauce de Celles que ie n'auois point, iamais
HOS prestres ne me ramenteuoient Adam que Ie Souuenir de cette phllo-
sophie parf aicte qu'il auoit possed^e ue me fit souspirer ; ie desesperois de
la pouuoir acquerir, quaud un Jour apres auoir sacrifi^ pour L'£zpiation
des foiblesses de mon Estre mortel ie m'endormis et L'ange du Seigr m'ap-
parut en Sonee; aussi tost que ie fus eueill^ ie ne manqu6 pas de tra-
uailler auz cnoses (ju'il m'auoit preecrites: ie pris de L'aiman environs
deux pieds en carr^ le les mis au Foumeau puls lors qu'il fut bien purg^,
p^' 28 V», precipit^ et dissous i'en | tir^ L'attractif, calcin^ tout cet elldr et le re-
z. 1 ▼. 0. Juigjg gjj yjj morceau de la grosseur enuiron d'une balle mediocre.
En suitte de cee preparations ie fis construire vn chariot de fer fort
Leger et de la a quelques mois tous mes engins estans acheuez i'entre
dans mon industrieuse charette : vous me demauder^s possible a (juoy bon
toit oet attiraiL Sach^s que L'ange m'auoit dit en Songe que si ie uou-
lois acquerir vne Science parf aicte cöe ie la desirois^ ie montasse au
monde de la lune ou ie trouuerois dedans le Paradis d'Adam L'arbre de
science parcequ'aussitost que J'aurois tast^ de son fruit mon ame seroit
esclaire de touttes les veritez dont vne creature est capable voila donc le
png. 29 r«« voyage I pour le(}uel i'auois basty mon chariot, enfin le mont4 dedans et
^ Lorsque le fus bien ferme et bien appuy^ sur le siege ie ru^ fort hault
en l'air cette boule d'aiman, or la machine de fer que i'auois forg^e tout
expr^ plus massiue au milieu qu'aux extremit^z fut enleu^ aussi tost
et dans vn parfaict Equilibre a cause qu'elle se poussoit tousjours plus
viste par cet endroit La, ainsy donc a mesure que i'arriuois ou l'aiman
m'auoit attir^ et des que i'estois saut^ iusques la, ma main le faisoit re-
partir: mais L'interrompis-je comment Lancia vous vre balle si droit au
dessus de vre chariot qu il ne se trouuait Jamals a oost^, ie ne vois point
p"R-29vo, de merueille en cet auanture me dit il, car L'aiman poussoit qu'il estoit
^' ^ ^' ^' en Lair attiroit le fer droit a soy, et par consequent il estoit impossible
que ie montasse iamais a cost^: ie vous confesseray bien que tenant ma
boule a ma main ie ne Laissois pajs de monter paroe que le chariot cou-
roit tousjours a L'aimant que ie tenois au dessus de luy mais la saillie
de ce fer pour embrasser ma boule estoit si Vi^ureuse qu'elle me faisoit
plier le corps en quatre doubles; de sorte que le n'os^ tenter qu'une fois
cette nouuelle experience a la verit^ c'estoit un spectacle a veoir bien
estonnant, car le soin auec lequel iauois poUy L'ader de cette maison vo-
pag. 30 r», laute reflessissoit de tous costez la Lumiere du Soleil | si viue et si aigue
z. iv. o. q^g Ig croyois moy mesme Estre empört^ dans vn chariot de feu: Enfin
apres auoir beaucoup ru6 et voll^ apres mon coup, i'arriu^ cöe vous aues
faict en vn terme ou ie tombois vers ce monde cy, et parce qu'en oet
instant ie tenois ma bouUe bien serr^e entre mes mains mon chariot dont
le siege me pressoit pour approcher de son attractif ne me quitta point,
tout ce qui me restoit a craindre Estoit de me rompre le col: mais pour
m'en Garantir ie regettois ma boule de temps en temps affin que ma
machine, se sentant naturellem^ rattir^e prit du repos et rompit ainsy la
force de ma cheute, puis enfin quand ie me vis a deux ou trois cens toises
pag. 30 To, preg ^Q terre ie Lance | ma balle de tous costez a fleur du chariost tantost
z. 1 y. o. ^g ^ tantost dela, Jusques a ce que mes Yeux le descouurirent, aussy
tost ie ne manqn^ pas de la ruer dessus et ma machine L'ayant suiuie ie
me Laiss^ tomber tant que ie me Discern^ pres de briser contre le Sable
car alors ie la iett^ seulement vn pied par dessus ma teste, et ce petit
Cyrano de Bergerac. 159
coup la esteignit tont a faict la roideur que Iny auoit imprim^ le predpice
de Borte que ma cheutte ne fut pas plus violente que si ie fusse tomb^
de ma hauteur. Je ne vous repreeenteraj point L'Estonnem^ dont me
Saisit La rencontre des merueilles <jui sont ceans par oe qu'ii fut a peu
pree semblable a celuj dont ie vous vieuB de voir consteme, [vous scaur^ <
seolement que ie reucontr^ des le lendemain. L'arbre de vie par le moyen ^^\^^ ^^
duquel ie m'empech^ de vieillir, ü consomma bientost et nt exaler le ' ^'^'
aerpent en fum^.
A ces mots venerable & sacr^ Patriarche: Luy dis-jel ie serois bien
ayse de scauoir ce que voub entend^s par ce serpent qui fut consomma
Lui d'vn visage riant me reepondit ainsy.
J'oubliois 0 mon filz a vous deecouurir vn secret dont on ne peut
pas vous veoir instruit, vous scaures donc qu'apres ^u'Eue et son mary
euren t mang6 dela pomme deffendue, Dieu pour punir le serpent ^ui les
en auoit tentez le relegna dans le corps de Lhomme il n'est pomt n^
depuis de creature humaine qui en punition du crime de son premier
pere ne | nourrisse vn serpent dans son ventre issu de oe premier vous le p<^e- 31 t<>
nommes les boyaux et vous les croy^ necessaires aux fonctions de la vie,
mais apren^ que ce ne sont autre chose que des serpens pliez sur eux
metmes^ en plusieurs doubles quand vous entend^s vos Entrailles crier
c'est le serpent qui siffle et qui suiuant ce naturel gloutton dont Jadis
ii incita le premier hOe a trop manger demande a manger aussy, car
Dieu qui pour vous cbastier vouloit vous rendre mortel cöe les autres
animaux vous fit obseder par cet insatiable affin que si vous luy donni^
trop a manger vous vous Estouffassies ou si Lors qu'auec les dents in-
uisibles dont cet affam^ mort vostre Estomach vous luy refusi^ sa pi-
tance il criast, il tempestat, il degorgeast | ce venin c|ue vos docteurs pa?. 32 r«
appelent La bile, et vous Eschauf fast tellem^ par le poison qu'il inspire
a vos arteres que vous en fussi^ bien tost consume, Enfin pour vous
monstrer que vos boyaux sont vn serpent aue vous aues dans le corps
— * souven^s vous qu'on en trouua dans les tombeaux d'Esculape de
Sdpion d' Alexandre de Charles martel et d'Edouard dAngleterre qui se
nourrissoient Encore des cadaures de leurs hostes, En Enect luy dis-ie
en L'Interrompant i'ay remarqu^ que coe ce serpent Essaye toujours a
s'Eschapper du corps de Lhome on luy voit la teste et le col sortir au
bas de nos ventres mais auBsy Dieu n'a pas permis que Lhome seul en
fut tourment^ il a voulu qu'il se bandast contre La femme pour luy
Jetter son venin et que L fmflure durast | neuf mois apres Favoir picqu^e p«g. S2 vo
et pour vous monstrer que ie parle suiuant La paroUe du seigf c'est qu'il
dit au serpent pour le maudire qu'il auroit beau faire tresbucher La
femme en se roidissant contre eile qu'eUe luy feroit enfin baisser La Teste,
ie voulois continuer ces fariboles, mais helie m'en empescha song^ dit il
que ce lieu cv est sainct, il se teut en suitte quelaue temp coe pour se
ramenteuoir de Pendroit ou il estoit demeur^ puis n prit amsy La parole.
Je ne taste du fruict de vie q/^ de cent ans en cent ans son Jus a
pour le goust quelque raport auec L Esprit de vin, ce fut ie crois oette
pomme quAdam auoit mangle qui fut cause que nos premiers peres
vesquirent si Ion temps — * pour ce qu'il estoit coul^ dans leur | semence p^> 33 r«
quelque chose de son Ener^e Jusques a ce qu'elle s'esteignit dans les
eaux du deluge.
L'arbre de Science^ est plante vis a uis, son fruict est couuert dVne v^e- 33^ >^.
Eflcorce qui produict L'ignorance dans quicon^ue en a goust^ et qui sous ^'
L'EspoiBseur de oette pelure conserve les spirituelles vertus de ce docte
* Zweites e von mesmea von späterer Hand.
* — nur um die Linie auaznfttUen.
^ Pag. 33 r» Z. 4 flLhrt fort wie Brun p. 369.
160 Üyrano de Bergertu;.
manger. Dieu autrefois apres auoir cbass^ Adam de cette terre bien-
heureuse de peur qu'il n'en retrouuast le chemin Luy frotta les Grendues
de cette EBCorce, iL fut depuifl ce temps la plus de quinze ans a radotter
et oublia tellement tonttes choses que luv nj ses descendans iusques a
Moyse ne se souuinrent seulement pas dela creation, mais les restes dela
pag. 33 T« vertu de cette pesante Escorce | acheuereut de se dissiper par la chaleur
et La clart^ du Genie de ce Grand prophete: Je m'adress^ par bonheur
a l'vne de ces pommes ^ue la maturite auoit despouill^e de sa peau et
ma saline a peine L'auoit mouill^ <jy7 la pbilosopbie vniuerselle m'ab-
sorba, 11 me sembla qu'un nombre infiny de petits yeuz se plon^erent
dans ma teste et ie S9eu8 le moyen de parier au Seigneur: quand depuis
J'ay faict refiexion sur cet Enleuement miraculeux ie me suis bien
yma^n^ que ie n'aurois pas peu vaincre par les vertus occultes d vn
simple Corps naturel LaVigilance du Seraphin que Dieu a ordonn^ pour
La Garde de ce paradis, mais par ce qu'il se piaist a se seruir de causes
pag. 34 Y» secondes ie creus qu'il m'auoit | inspir^ ce moyen pour y entrer cöe il
voulut se seruir des costes d'Adam pour luy faire vne femme quoy qu'il
peust Le former de terre aussy bien que luy.
Je demeur^ Lon temps dans ce Jardin a me promener sans compagnie
mais enfin cöe L'ange portier du lieu Estoit mon principal hoste il me
prit enuie de le saluer; vne heure de chemin termina mon voyage, car au
Dout de ce temps iarriu^ en vne contr^e ou mille esclairs se confondans
en vn formoient vn Jour aueugle qui ne seruoit qu'a rendre L'obscurit^
visible; ie n'Estois pas encore bien remis de cette auanture que iapper-
ceux deuant moy vn bei adolescent et Je suis me dit il L'archange que
pag. 34 v» tu I cherche, ie viens de Lire dans Dieu qu'il t'auoit sugeer^ les moyens
de venir icy et qu'il vouloit que tu attendisse sa volonte il m'Entretint
de plusieurs choses et me dit entre autres.
Que cette Lumiere dont J'auois paru effray^ n'Estoit rien de formi-
dable qu'elle s'alumoit presque tous les soirs quand 11 faisoit la ronde
par ce que pour euiter les surprises des sorciers qui Entrent partout sans
estre veus il estoit contrainet de iouer de L'Espadon auec son Esp^
flamboyante autour du paradis terrestre et que cette lueur estoient Les
Esclairs qu'Engendroit son acier ceux que vous apperceues de vre monde
adjou8ta-n sont produit par moy. Si quelques lois vous les remarqu^
pag. 35 To bien Loin c'est a cause | que les nuages d'vn climat esloign^ se trouuans
dispos^z a receuoir cette impression fönt rejaller jusques a vous ces legeres
Images de feu, ainsy qu'vne vapeur autrem^ situ^e se trouua propre a for-
mer L'arc en cid, ie ne vous instruiray pas daduantage aussy bien la
pomme de science n'est pas lon^ d'icy, aussi tost que vous en aur^s man^^
uous serais docte coe moy mais sur tout Gard^s vous d'vne mesprise, la
pluspart des fruicts qui pendent a ce vegetant sont enuironnez d^vne Es-
corce de laquelle si vous tast^s vous descendr^s au dessous de Ihöe au
lieu que le dedans vous fera monter aussy hault que L'ange.
Eiie en Estoit la des instructions que Luy auoit donn^ le Zeraphin
pag. 35 TO quand vn petit home nous vint Joindre ; c'est Icy cet Enoc | dont ie vous
ay parl^ (me dit tout bas mon conducteur) cöe il acheuoit ces mots, Enoc
nous presenta un panier piain de ie ne scay cjuels fruits semblables aux
Eommes de ^renades qu'il venoit de descouunr ce iour la mesme en vn
occage recul^ i'en serrois quelques vnes dans mes poches par le com-
mandement d'Elie Lorsqu'il luy demanda qui i'estois. C'est vne auanture
qui merite un plus long entretien repartit mon Guide, ce Soir quand nous
serons retir^s il nous content luy mesme les miraculeuses particularitez
de son voyage.
Nous arriuasmes en finissant ce cy sous vne Espece d'hermitage faict
de branches de palmier ingenieusement entrelass^es auec des mirthes et
pag. 36 I« des orangers : la | i'apperceus dans vn petit reduit des monceaux d'vne
Cyrano de Bergerac. 161
certaine filoselle si blanche et ai delide qu'elle Dounoit paaaer ponr lame
de la nege ie Tis anssy des anenoniUefl respanouee gtL A Ul, ie demand^
a mon conducteur a aaoy eues Beruoient, a filer me reapondit-il quand
ie boD Enoc veut se aebander de la meditation tantoet ü habille oette
filasse tantOBt il tisse de la toille qui sert a bailler des chemises aus onze
mille Yiergesy il n'est paa que n'ay^ qnelqne fois rencontr^ en yre monde
ie ne ecay quo! de blanc qui yoltiee en automne Enuiron la Saison des
semailles, lee paisans appellent cda cotton de nre Dame c'est la bouire
dont £noc purge | son Lin quand ü Ie carde. pag. 86 v«
Nons n^arrestiEunes guerea sans prendre conge d'EInoc dont cette cabane
Estoit la oellule et oe qui nous obligea de Ie quitter si tost fut que de
aix esi six heuies il fait oraison et qu'ü y auoit — * bien oela qu'ii auoit
acheu^ la demiere^
Je supj^li^ en chemin helie de nous acheuer L histoire des assompticHiB
qu'il m'auoit entamdes et luy dis qu'U en Estoit demeur^ oe me sembloit
a Celle de 8* Jean L Euangeliste.
Alore Puisque vous n'an^ pas me dit-il la patienoe d'attendre que la
pomme de S^anoir tous enseigne mieux que moy touttes ces choses ie
yeux bien vous lee apprendre scach^ donc que Dieu a ce mot ie ne scay
pas comme | Le diabie s'en mesla tant y a q^? ie ne pus pas m'empescher pag. 87 i«
de L'Interrompre pour railler.
Je m'en souuiens luy dis je Dieu fut yn Jour aduerty que L'ame de
cet Euangeliste estait si detach^ qu'U ne la restenoit plus qu'a force de
serrer les dents et cependant Lheure ou il auoit pieueu qu'U seroit enleud
oeans Estoit presque £zpir6 de isi^n que n'avant pas le temps de luy
preparer yne machine if fut contraint de ly faire estre vistement sans
auoir le Loisir de l'y faire idler.
(Elle pendant tout ce discours me regardoit auec des yeux capables
de me tuer si ieusse Est^ en Estat de mourir d'aure chose <]ue de faim:
abominable dit-U | en se reculant tu as L'impudenoe de raüler sur lee pag. 37 t«
choses sainctes au moins ne seroit-ce pas impunement si le tout sage ne
Youloit te laisser aux nations en exemple fameux de sa miserioorde, va
impie hors d'ic^, ya publier dans ce ^tit monde et dans L'autre oar tu
es predestin^ a y retoumer La haine irreconciliable que dieu porte aux
atheea,
A peine eut U acheu6 cette Imprecation qu'U m'empoigna et me con-
duisit rudementyers la porte: auana nous fusmes arriues proche vn grand
arbre dont les branches chargees de ftvdct se courboient presque a terre
Yoicy Larbre de scanoir me dit-U ou tu aurois puis^ des Liunieres in-
ooncenabl^ sans ton | irreligion. ^ ^ pag. 38 ro
n n'Eut pas acheu^ ce mot que fdgnant de Languir de foiblesse ie
me Laiss^ tomber contre vne brancme ou le derob^ adroittement vne pomme
U s'en faloit encore plusieurs ajamb4es que ie n'eusse lepied hors de ce
parc delicieux cependant La iBun me pressoit auec tant de violence qu'eUe
me fit oublier que i'estois entre les malus d'un prophette courrouce, cela
fit que ie tir6 yne de ces pommes dont i'auois Grossy ma poche ou ie
cachd mes dents mais au heu de prendre yne de Celles dont Enoc m'auoit
faict pfit, ma main tomba sur la pomme que iauois cueiUye a l'arbre de
sdenoe et dont par malheur ie nauois pas despouiU^ L'Escoroe.] | i'en pag. 38 v«
auois a peine Goust^ au'une Espaisse nuit tomba sur mon ame ie ne yis
plus ma pomme plus d'helie aupr^s de moy et mes yeux ne reconnurent
pas en toutte L'emisphere yne seule traoe du Paradis terrestre et auec tout
oela ie ne Laissois pas de me souuenir de tout ce qui m'y estoit arriu€.
1 — som AnaflUlen der Idnie.
Benu a DfibL
AtcUt t n. SpnetMO. GXY. 11
Kleinere MitteilnngeiL
Zur Quellenkunde und Textkritik der altengL Exodus.
Trotz der vielen Arbeiten und Auf satze, die bernts der altengL
Exodus gewidmet sind, ist sowohl die Frage nach der dgentlichen
Quelle der merkwürdigen Dichtung noch ungelöst^ wie auch manche
schwierige oder verderbte Stelle unerklärt Ohne etwas Abschlieisen-
des bieten zu können, möchte ich wenigstens einige Beiträge com
Verständnis des Gedichtes yeröffendicheny die vielldcht andere auf
den richtigen Weg führen.
a) Zur Quellenkunde.
V. 47. dnmm d&ofcHgyJd.
Vgl. dazu Bedas Pentateueh-Kommentar, Ezod. Kap. 12 (ICgne,
PatroL lat 91, Sp. 807): Eebrcbei autumnani, quod noefe iUa, qua
egreadua est populua Israel, ofnnia tampla Äegyptiomm destruda sunt,
sine terrae motu; und Petrus Gomestor, Hist schoL Ezod. Kap. XXVII
(Migne 198): In egressu eÜam eorum, terrae motu foöto, muUa iempla
Äegypti cum idoUs suis corruenmt. — Bright hat Mod. Lang. Notes
XVn, 424 ff. darauf hingewiesen, da(s die Bibelstelle Num. 38, 4 :
Nam et in düs eorum eacereuerai uUümem zu dieser Tradition Anlals
gegeben haben wird; Eusebius^ von Caesarea, Praep. evang. IX, 27,
berichtet nach Artapanus, dals fanaque tum plurima oorruisse.
V. 290 ff. erzählt der Dichter, daß auf die Aufforderung des
Moses hin der vierte Stamm, Juda» zuerst durchs Bote Meer gezogen
sei, wofür ihm auch die Herrschaft verliehen wurde. Ihm folgten
dann die Stämme Buben und Simeon. Vgl. hierzu Gomestor a. a. O.
Kap. 81 : Et advooans Moyses singulas tribus seeundum ordinem na-
timtaHs stMe hortabaiur eoe, ui ipsum praeeuniem sequerenHur. Oum-
que timudssent intrare Rüben, Simeon et Lein, Judas prwnus aggres-
sus est üer post eum, unde et ibi meruit regnvm. — Offenbar haben
der Dichter und Gomestor (f 1178) aus derselben Quelle geschöpft^
die mir leider trotz alles Suchens bisher nicht zu finden gelungen ist
In der Bibel steht davon kein Wort
V. 579 ff. wird berichtet^ wie sich die Israeliten die Schätze und
Waffen der im Boten Meere umgekommenen Ägypter aneigneten.
Ahnlich sagt Gomestor a. a. O. : et tulit Israel arma mortuorum. Dies
^ Idi zitiere nach der lat Übersetzung in der Ausgabe von Fr. Vi-
genis, 8. J., Goloniae 1688.
KUnore WfHiiflnngiM ' 16S
Bchdnt auf Joaepha^ Aufciq. jiuL H, 14» m hmhesi, wo es in Buf-
finfl ÜbersetKung^ hdSst: Post§a vero amme Je§i/ptionim per fluetua
ei viobniia tfentcrum oUaH» exervUui Eßbra$orum, Jüwm ei hoc curbfi-
iraiue Dei permiseione fadum, ui neque artnü egereni, haee eocM eol-
Kgena: EAraeoeque hie muniene dusvü wa per deeerhim ••• Auch
Eusebius a. a. O. Kap. 29 berichtet nach Demetriue: qiri flyeÜbue
(^nwU tum fuieeeni, illantm eeee annia indmeee,
b) Zur Textkritik
V. 78. bttloe oferbrndde bymeade hSofon»
hftlgan nette hUwendne lyft
Statt baha ist offeubar bcBlge *mt einem Balge^ ebem Überrag'
KU lesen, vgl V. 809 : eaneea = eangee. Auch V. 81 : eegle ofer-
tolden zeigte wie sich der Dichter die Sohutswolke denkte ygL Ps. lOi,
89: eoDpandü nubem in proieetionem eorum und 1. Kor. 10, 1: quo-
fUam patres nostri omnea eub nube fuenmt. Johnson übersetzt daher
im Jaum, of Oerm. PkiL Y, 44 C ganz richtig icslM mit ^oanqptf'.
V. 79 ff. drihta eedrymost Dtegscdaldee kleo
wand <ner wokmnm: n»fde witig god
sonnan sidfsst segle ofertoldeu.
Das unerklärte dageeeaUee Ueo yon V. 79b ist wohl in dag*
eweaHojtt» Meo ^Schutz gegen die Tageshitse' zu bessern; ewealoSy die
nebentonige Entwickelung von eweolod (vgl Bülbring, Ae. £lemb.
§ 482), bedeutet in dieser Zusammensetzung dasselbe wie farbryne
Y. 70a, hfmende hiofon 78b, kähoendne lyft 74b und ligfyr 77b;
nach der Vorstellung des IKohters hat Oott ein Sohutsdach zwischen
den Wolken und d^ oberen Hinunel, der Bahn der Bonne, ge*
schaffen, um die Israeliten gegen deren Strahlen lu achtUaen.
y. 161 fE ecgtnze ich:
hieopon herefiu^lss hildegtVftgt^
deaingiedere orar drihtnönm,
[herge on Ifiste; faiaofu Oppe göl,]
wonn wsalcessega. Wulfas aangon etc.
indem ich mit Kluge on hwai vor hreopon stretehe und mit Bright
hrafn tippe ^l nach Etem 52b eiginze. Zu herge on läeie ygL ebd.
80a: BUhtm on Bete.
KieL F. Holthausen.
Zum ae. ger^a.
Obgleich sich die erprobtesten Krfifte um die Aufhellung dieses
zuerst von Liebermann Jnglia Bd. IX gedruckten ae. Textes* be-
müht haben, ist doch noch manche Stelle der Aufklarung diingsnd
bedürftig geblieben. Ich wage im folgenden einige neoe Deotungs-
yersuche.
1 Mir Uer in einem alten Kölner Druck von 1538 zugfiagiich.
* Jetzt auch Geaeixe der AngaUaekeen I 458 iL
11*
164 Slemere Mitfeeilimgen.
1« byegan ix> bear in mind'.
*^e eal geteallan ne nusig, ^^at god scinnan b jcgan sceal'' (Cfe-
rifa § 12; liebennaim» Oes, der Ägs, I 454 = Kluge, Ägs. Leseb.^
S. 49, Z. 45). Die Bedeutung 'kaufen' ergibt für hycgan an unserer
Stelle keinen passenden Sinn; man erwartet ein Verb von der Be-
deutung 'bedeiÜLen, überlegen, bear in mind' (vgl § 18, Kluge Z. 72
'Hit is earfode eall to gesecganne, fusf se bedencan soeal, de scire
healt^ So hat denn Zupitza {Jnglia IX 262) bjgftn emendiert^ im
besonderen Hinblick auf § 8 (Kluge Z. 18) 'forgyme [he] da ding
to begänne 7 to bewitanne*, etc. Wenn Sweet im Sludenfs DieHoiP'
ary für byegan auch die Bedeutung 'get done, see after* angibt^ so
stützt er sich offenbar allein auf unsere Stelle.
Erlaubt uns etwa das booflie der Lindisfame Gk)spels, unser
byegan in behyegan au&ulösenf^
2. ippingirefk
''He sceal fela tola to tune tilian ... cimbiren, tigehoc, naofebor,
mattuc, ippingiren, scear", etc. (§ 15, Cfes. der Ägs. 455, Kluge
Z. 52). Was ist mit dem Worte ippingiren gemeint? Zumeist stdlt
man es zu yppan und übersetzt es mit 'Breoh-, Hebeeisen'. > Kluge
allerdings sdieint diese Deutung nicht anzuerkennen, da er das Wort
im Glossar zu seinem Äge. Leieb, einfach mit einem Fragezeichen
versieht
Ich möchte der Vermutung Ausdruck geben, dals im Original
des Oerefa gar nicht ippingiren, sondern eippingiren gestanden
hat: der (auch sonst nicht allzu sorgfaltige) Kopist hatte für das
mattuc eippingiren der Vorlage mattuc ippingiren geschrie-
ben, sich also einer Haplographie schuldig gemacht Wir gewönnen
damit einen zweiten Beleg für das Verb ae. eippian, das Etymon
von ne. ehip, das wir sonst nur aus dem von Lje angeführten Partizip
forcyppod 'praecisus' kennen. Die Bildung der Zusammensetzung
eippingiren wäre der von hunHfnJgspere, sereadungisen usw. zu yer-
«^«^^«°' 8. timpUan.
unter den in § 15 aufgeführten Webegeraten erscheint (Kluge
Z. 57) ein iimplean, zu dem Liebermann Änglia IX 257 bemerkt:
* Das Mnld. kemit den Lautüber»mg bek- > bin ausgedehntem BfaCse:
behaghel > baghelf behaghen > baghen,oehSnde > bende, behoef> boef, bekoren
> boren usw.
' Ae. yppan erscheint nur mit der übertragenen Bedeutung 'eröffnen,
offenbaren^ (vgL me. üppen 'discloee' und das Adj. yppe 'offenbar*); doch
hat an. yppa, worauf mich Pogatscher teundlicnst aufmerksam macht,
noch die ursprüngliche Bedeutung 'auf-, in die Höhe heben'. Im Hin-
blick darauf wäre übrigens (Zusammenhang von ippingiren mit yppan
vorausgesetzt) die Übersetzung 'Hebeeisen' oder 'Ziehnaken' der obenange-
führten vorzuziehen; das Wort würde ein ähnliches Werkzeug bezeichnen
wie das kurz vorher genannte tigekoe.
EleinerQ^ittaflnngen. 165
jDem Worte Hmpkan, das dem ZusammenliaDge nach einen rar
Weberei gehörenden Gegenstand bezeichnet, steht der Übersetzer rat-
los gegenüber/ Im Hinblick auf tum 'Wolle karden' bei Halliwell
(ygL Jnglia 1. c. 268) gibt er Oes, der Ägs. 455 die Übertragung
'Karden ..f Sweets Angabe {Siud. DieÜon.): HimpU once, o. tim-
plean /l an implement of weaving' hilft uns auch nidit weiter. Kluge
(Ags. Leseb.) verzichtet auf jede Erklärung: 'HmpUanV
Lielse sich unser tmplea/n nicht in Verbindung bringen mit me.
tempyll {CathoL Änglie.), ne. temple, frz. iemple (/*.), templu eto,
dtsch. Tempel, Tompel 'Bpermite, Spannstock, BreiÜiaJter'?^ Dem
Worte dürfte ein lat templa zugrunde liegen, das bei frühzeitiger
Übernahme ins Ae. zu iimpfejl (st F.) oder timpfejle (schw. F.) wer-
den muJbte (cf. gimm < gemma; ae. iempfeß < templum ist spater
endehnt worden, ygL Pogatscher QF 64 § 128).^ Allerdings macht
die überlieferte Form timplean Schwierigkeiten. Dürfen wir es in
iimpelan emendieren? Oder hatte die Vorlage etwa tingle amV*
4. aeeaSele.
unter den Webegeraten in § IS figuriert des weiteren ein soea-
äde (Kluge Z. 58). Uebermann übersetzt es Änglia EK 268 mit 'Schiff-
chen', fügt Oes. der Ags. 455 dieser Übersetzung jedoch ein Frage-
zeichen bei. Kluges Qlossar begnügt sich mit diesem letzteren. Auch
Sweets ^sea]^ (m.) weaving implement' fördert uns nicht Sollte das
Wort nicht zu an. akeü the slay or weaver^s rod' zu stellen und
das ea demgemab als lang anzusetzen sein {seeöM /•)?
Halle a. S. Otto Bitter.
Eine verlorene Handsehiiffc der Sprüche Hendings«
Eine verlorene oder wenigstens jetzt verschollene Handschrift
der Sprüche Hendings befand sich noch Ende des 14. Jahrhunderts
in der Bibliothek der Priorei St Martin zu Dover. Dies lehrt uns
der im Jahre 1889 vom Bruder John Whjtefeld zusammengestellte
Katalog dieses EHosters (jetzt MS. Bodlej 920 der Bodleiana zu Ox-
ford)» welcher kürzlich von B. James ^ veröffentlicht worden ist Dort
wird nämlich als No. 170 eine Handschrift aufgeführt, welche fol-
genden Inhalt hatte:
* Vgl Karmarsch, Orundrifs der meehamsehen leehndogief 1841, II
852; Lueger, Leoß. leekn, s. v. Weberei; PrechÜ, Teehnolog, Eneytiop, XX 314.
* Das 0 in me. tempyUj ne. temple deutet auf Neueutlehnung aus dem
Frz. hin.
' am 'weaver'B reed' kommt in der Aufzählung von Web^eräten
QerEfa § 15 nicht vor; das amh in genanntem Paragraphen ist nicht not-
wendig als am aufzufassen — die Vorlage könnte em [. ...o]a9n6 ent-
halten haben.
^ The Andent Libraries of Oanterbury and Dover, ed. by M. B. James,
Cambridge 1903, p. 407—495.
IM
Kmdmdb JuwBihnHnB*
libelliis de smire beati llioiiie Oan*
vQAXieiisis
Actos in ezilium beati Hiome Cant
Vita beati Thome CantaarienaB in
gallkaa
Fabnla de wlpe medid* in angL
Parabole Isom ared metrificate
La romonse de Ferumbras
Gesta Octoniani [sie/] imperatoriB
in ffallids
Btnltime mnndi piindpales in gal*
lidB
Becordado passionis in gallids
LibelluB de caritate in g^lüds
Qeita Earoli magni in gallids
Oato in eallida
Mx^mn \f] Ttilitas in gallicis
Frouerbia Hendnng [tief] in angL
10a Hoftor et gloria heati
20a Adm lotngt et aoun
84b HU bu^fid^ wkylmn
88b Adan&U eakte
Seygnoure ore eeouf
128a L$ deu gui en la erois
164b Qm md bim ne aai/t
166a Vn poy eaeutes
178a Oheaeun home den
178b Ore ewuH smgnourU
199b Sßignoun oy«»
20db Ore «o» pokim »umetrer
206a Jheau Ortet al ßye
Der angeführle Inhalt stimmt su keiner der drei mia bisher be-
kannten Handsohriften, in denen die SprQche Hendings Torkommen;
alao handelt es sich hier um eine vierte yerschollene Aufzdohnung
dieses Werkes. Den Anfangsworten nach zu urteilen, wie sie unser
Katalog anführt {Jheau Christ at pys), muls die Hending-Yersion des
DoTer-Hs. der Überlieferung in Digby 86 am nfichsten gestanden
haben; denn nur hier lautet der Anfang Jesu Orist cd fis worU/es
red (AngL IV, 191) gegenüber cd foUsM rede in der Cambridger und
Londoner Handsduift Auch sonst seheint die Dover-Handschrift
ein ähnliches €kprftge wie Digby 86 gehabt zu haben. Denn wie
letztere bietet sie nebeneinander französische, latdnische und eng-
lische Texte ' und unter letzteren sogar ebenfalls dne Fuchs-Fabd,
deren Verlusl wir um so mehr bedauern müss^ ab sie uns vermut-
lich ein interessantes Sdtenstück zu den spärlichen Vertretern mittel-
englischer Fabeldichtung, insonderheit zu The Vax and the Wolf von
Digby 86, geliefert haben würde.
Gegenüber dem nicht geringen Bestände an französischen*
Handschriften in Dover ist es auffallend, daß; der Katalog nur noch
^ 8oI vielldcht für medieo? (James).
* Die (im Oxford Dictionary fehlende) Pr&teritalform bifid ist mehr-
mals bele^ im jüngeren Layamon-Text (westL MitteUand) und in dem
ebenfalls mi westlicnen Mittellande (GlouceBtersbire) und noch im 13. Jh.
entstandenen südlichen Legendär. Wahrscheinlidi wird auch die obiffe
Dover-Handschrift, wie die drei anderen Hending-MBs., der ersten Hfiine
des 14. Jh. angeh(^ haben.
' VgL Codicem manu scriptum Digby 86 deBcripsit ... £. Stengel,
Halle 1871.
^ James zählt 8. 85 24 Handschriften mit französischen Texten auf.
Auch <Ue weltliche Literatur fVankreichB war dann nidit schlecht ver-
treten. Auiser den bereite oben angeführten Werken nenne ich nur:
Ko. 364 Le romonse du rov Charles la Ptayst voe; No. 865 Le romonse
de Athys (Gröber II, 1, a 588) la Qui eagii est; No. 866 Le romonse de
la Böse Sef^niys gern; No. 367 Polistoria Brnti et Britonum la Qu4 veut
Kldnere BBtte&migeii. 16V
eine zweite EbmdBchrift mit einem englieehen Text aufführt: es iirt;
dies die HandBohrift No« 856, welche unter allerhand lateiniechen
medizinischen Werken an fünfter Stelle endiielt:
Binonoma herbanun 25 b Äffa a pe keasur*
Offenbar ist damit ein ähnliches lateinisch-englisches medizinisches
Pflanzenglossar gemeint wie die Smonoma Bartholomei oder die Si-
nonyma des Petrus Paduensis, welche Mowat für die Aneedota Oxo-
nimsia 1882 bew. (in 'Mphita') 1887 yeroffentlicht hat
Würzburg. Max Förster.
Die Bibliothek des Dan Miohael von Northgate.
Die drei alten Bücherisataloge von Christ Ghuroh Priory und
8t Augustiners Abbey zu Canterbury und der Bt Martin's Priory zu
Doyer, weldie M. R. James unlängst veröffentlicht hat {The Äneient
Libraries of Oanterbury and Dover, Cambridge 1908), werfen nach
den verschiedensten Seiten hin interessante Btreifliohter auf die
Greisteskultur des englischen Mittelalters. Namentlich wird aber die
en^sohe Literaturkunde manchen Qewinn aus dieser Veröffentliohung
ziehen können, wofür heute hier auf ein Beispiel hingewiesen sei,
dessen Aussohöpfung ich künftiger Forschung überlasse.
Die Persönlichkeit des Dan Michael aus Northgate, welcher uns
bisher nur aus dem Epilog zu sdnem Äyenbiie oflniicyt (1840) als
Benediktinermönch von St Augustin zu Canterbury bekannt war,
gewinnt für uns einen neuen Zug durch die eben genannte Ver-
öffentlichung. Wir lernen ihn nämlich daraus als einen grolsen
Büdierfreund und Handsohriftensammler kennen, der, dem Umfange
seiner Bibliothdc nach zu urteilen, wohl über einige Mittel verfügt
haben rnuis. Der uns erhaltene Katalog des St Augustin -EHosters
(jetzt Ms. 860 des Trinity College zu Dublin), welcher kurz vor 1497
angelegt ist^ verzeichnet nandich nicht nur den Inhalt der einzelnen
Handschriften, sondern gibt auch in sehr vielen Fallen den Namen
der ehemaligen Besitzer bezw. Donatoren derselben an. Auf diese
Weise erfahren wir, dais noch Ende des 15. Jahrhunderts von den
1887 Handschriften des Klosters mindestens 25 aus der Bibliothek
des 'Michael de Northgate* herstammten;' darunter auch (als No.
aauoyr; No. 369 Historia Tarpmi arehiepiscopi (Gröber U, 1, 719): 8y eo-
menee ketorue; No. 37H Prophetia Merlini in salliciB 13a (^ eomenae aetme;
No. 390 über Oathonis la Caioun eetoü; No. 890 a Bestiarius in galliciB
166 a Qmi hyen eamgoe; No. 413 Lapidarius in ffallico 83a Born treuen^
^ Das a bedeutet vermutlich angliee, im übrigen ist mir die Glosse
unverständlich.
* Es sind dies die Handschriften No. 69. 647. 649. 767. 782. 788.
804. 841. 861. 876. 1068. 1077. 1155. 1156. 1170. 1267. 1275. 1586. 1548.
1595. 1596. 1597. 1604. 1654. Auiserdem wird in einem VerzeichniB aus-
geLiehener Bfloher (in Ms. FL 4. 40) ein IHurtuUe MiehaeUa de Norgate
^•mes S. 503) genannt.
168 Eldnere
1686) ein Liber in angUeo IßehaMa de Northgaie eum CG 2^ fo. ire
vor tUse, das eich auf Onind jener alten Signatur (CO) und der An-
fangsworte des zweiten Blattes {ire vor aise) sicher mit dem uns er-
haltenen Arundel-Ms. 57 des Äyenbite of Inwyt identifizieren lälst,
welohes höchstwahrscheinlich Michaels Autograph darstellt ^ Über-
schauen wir kurz den Inhalt der übrigen 24 Handschriften, der auf
ein recht bedeutendes Bildungsniveau unseres Mönches schliefsen
läist, so springt uns zunächst der starke Bestand an theologischen
Werken, Yor allem mystisch-asketischer Richtung, in die Augen, was
indes bei dem Verfasser des Äyenbite kaum zu verwundem ist Stau-
nend sehen wir aber, dals Dan Michael auch ein sehr starkes Inter-
esse für Medizin, Mathematik, Astronomie, Chemie und sonstige
Naturkunde besessen hat Von dieologischen Schriftsteilem, die sich
in seiner Bibliothek befanden, seien hier nur genannt Petras Co-
mestor, Bemhard v. Clairvauz,^ Hugo v. S.-Victor, Helinand v. Froid-
mont, Robert v. Flamesbuiy und Edmund v. Canterbury; von medi-
zinischen Gallen, Dioskurides, Bhasis, Gtober, Afflacius (f), Gilbert, '
Bemard Gordon, Henri de Mondeville, sowie das therapeutische Ge-
dicht Regimen saniUUie Sahmüanmn; von naturwissenschaftlichen
Aristoteles, Hermes,^ Albertus Magnus, Boger Baoon, Petrus de Ma-
hamcuria, Marbod, Kyi'annos, John Holywood, Giovanni Campano
und Richard Grosseteste. ^ Dais er, wie doch zu vermuten, ein Ibcem-
plar seiner Quelle, der Somrne des vieea et des vertue des Laurent du
Bois (Gröber 1027), besessen hat, ist aus dem Katalog nicht direkt
erweislich; doch mag sich dies Werk unter anonymen lateinischen
Titeln wie Summa de eonfessione (No. 649) u. a. verbeigen«
Aufser Arundel 57 sind noch drei weitere von den in Michaek
Besitz gewesenen Handschriften uns erhalten, nämlich die No. 1155,
1156 und 1170 des Katalogs als IL L 15 Ün. Idbr. Cambr^ Bod-
ley 464 und Corp. Cüiristi Ozf. 221. Autopsie würde wohl fest-
stellen können, ob diese von derselben Hand wie Arundel 57 ge-
schrieben isind, also auch vielleicht Autographen des Dan Michael
' Eine Seite in Faksimile veröffentlichte daraus die Pcdaograpkietd
Society, VoL lU, plate 197.
' Dessen Stimuku amoria, von dem Michael zwei Abschriften (No.
767 und 804) beeafis, maj^ auf die Titelfassung des englischen Werkes Ein-
flttfls gehabt haben, wemgstens sofern, wie ich annehmen möchte. Äyenbite
of Inwyt eher 'Stachel, Sporn, Antrieb des Gewissens' heilst fus änfach
'GewiseensbÜs'.
^., ' Die auffallende Namensform CfHbertyn, welche Ghauoer 0. T. Prol.
^34 (im Beime) hat, erklärt sich aus dem zu Oübertua gebildeten Adjek-
tiv, wie auch obiger Katalog S. 848 liest: Qübertina praetiea puerorum,
* Angesichts aar etwas kargen Angaben, die Skeat im Oxford Qiau-
cer V 432 zu Hermes (TrismcM^tus) macht, sei auf die reichen NachweiBe
bei Schürer, Oesehiehte des jüdtsehen VoUcea im ZeitaÜer Jesu Guristi (Leip-
rig 18983). Bd. III, S. 482 f., hiuRewiesen.
* Nfiheres über die mdsten der genannten Namen in Gröbers Über-
sicht über die kUeiniseke Literatur,
Kleinere lOttelhmgeD. 169
darstelleiL Auch wären sie bei einer ementen QueUenuntersachung
des Äymbite wohl zu berücksiohtigen.
Ln AnBchluffl hieran sei noch darauf hingewiesen, dafs, wie
James S. 510 zeigte eine Handschrift des Po&ma MorcUe, Digby 4,
sich identifizieren lalst mit einer Eintragung in dem alten Kataloge
des Ghrist-Cihurch-Klosters zu Canterbury (in Oalba R IV; angelegt
zwischen 1815 — 1881), wo das englische Gedicht als BUhmus AngÜee
(So, 954) bezeichnet ist Diese Tatsache, im Verein mit dem aus-
gesprochen kentischen Sprachcharakter der Digby- Version, macht es
wahrschdniich, dafs diese Abschrift des Pöema Marale auch in Christ
Cihurch entstanden ist
Würzburg. Max Förster.
Zu Lydgates Seoreta seoretorum«
Die beiden ehemaligen Ashbumham-Mss. No. 182 und 184,
welche Th. Prosiegel leider, weil damals in Privatbesitz befindlich,
bei seiner trefflichen Arbeit (1908) über die Handschriften von Lyd-
gates Secreta Secretorum niclit benutzen konnte, sind jetzt im Fitz-
william-Museum zu Cambridge allgemein zuganglich geworden, wo
sie nach freundlicher Mitteilung von Mr. M. R James die Bignaturen
McGean-Ms. No. 180 und 181 tragen werden«
Würzburg. Max Förster.
Die mittelengliaohe Version von Claudians
De oonsulata Stiliohonls.
Ein neues Beispiel für reimlosen Septenar.
In fldner «Englischen Metrik', Bd. 11 (1888), S. 455, hat J. Schip-
per die Ansicht ausgesprochen und im HG^rundrils für germanische
Philologie' noch in der 2. Auflage, Bd. II, 2 (1905), 8. 210, wieder-
hol^ dais der reimlose Septenar des OnniUum 'ganz ohne Nachfolge
geblieben' sei, und dafs erst im 16. Jahrhundert wieder unter dem
Einflufs der antiken Strophen Versuche mit reimlosen Versen ge-
macht seien. Dem gegenüber möchte ich darauf hinweisen, dais ein
reimloser Vers, und zwar ebenfalls dn Septenar, in einem Werke
aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts vorkommt, welches frei-
lich, sowdt ich sehe, bisher von der Anglistik nicht beachtet ist ^
Eb handelt sich um eine mittelenglische Bearbeitung eines Teiles^
des panegyrischen Gedichtes De eonstäatu Siüiehonis, welches von
dem spatrömischen Hofpoeten und kaiserlichen Geheimsekretar Clau-
dius Claudianus' im Jahre 400 abgefalst worden ist Die mittel-
englische Version ist uns zusammen mit dem lateinischen Original
* Inzwischen ist das Gedicht gedruckt von £. Flügel in Anglia
XXVm 255—297.
' Übersetzt sind nur über 11, V. 1—413.
' VgL über ihn: Th. Birt in seiner unten zu nennenden Ausgabe
(Berlin 1892); VoUmer|in Pauly's Beal-Enxyklopädü III (1899), 2652 ff.
170 KMun lattaaugea.
im Additaonal-Mf. 11814 des Britisdieii MuaeimiB überliefert Nadi
AuBweifl des KolophonB {transkU and wr$te ai (3am 1445) ist sie im
Jahre 1445 (oder kun TOifaer) entstanden und zwar auf dem Sohlosae
Cläre in Buffolk, das damals dem Herzog Bichaid Ton York gehArte^
der lobend in den Einleitimgsveraen genannt wird. Möglidienreiee
haben wir ee also mit dem Autograph des Übersetzen su tun, der
höchstwahrsoheinlieh in dem Hofkieise des Herzogs Ton York zu
suchen ist
Als Beispiel fOr den sehr freien Versbau sei hier der Anfang
des Gedichtes hergesetzt welchen ich dem Faksimile der PakBOgnip
phical Society (VoL 111, plate 200) entnehme^ imter Regelung der
Interpunktion und des Gebrauches Yon Kapitalen und EinfOhrung
eines schrägen Striches an Stelle des die Zäsur bezeichnenden um-
gekehrten Semikolons.^
Preface.
In Bnfiynes legende, whioh late was wiite, / Stilioo hath pr^yBiagM
armyd.
Our Muse now more mylde wüh losyd stryngiB / in songe ahal gyn
to teile,
5 With wbat manero snd wiäk what love / this dred prinoe mlyd tbe
worlde,
With whoe preyers he lyst be meyid to dothe him in bis roobjrs
And giaonüd oo yere toestate to take, / as consulen vsid before.
Benygnyte is descryed techyng Stilioo the prynce.
6 The keper of the worlde, Clemencia callyd, f which chase hir first place
In Inpitere girdil, that partith a-sundir / grete hetis from {m colde,
Which grettest u namya of hevenly duellen; / for Clemens first had
ruthe
9 Of the Tnshaply benmnyng worlde. / wha» al |>iog lackid dien forme,
And with her bri^t cneie put (mTkenes aside. / yivyng lijte to
erthys.^
ThiB goddesse the, Btilico, aa temple vsith / and aa offiyng at awtrys,
12 Where frankencens and swete odouiys / to hir wii^ fire is yove.
Her principal sees high in thy breet / she hath provided to be,
The techyng evir, that thou aholdist deme / and nevir as manhode holde
15 Oo man reioiae a-nothirs peyne, / or othirs deth desire;
That in thi peas thou Bhotdist so breke / cruel Martys decrees,
As by the to longe haterede / occasion noon were yove;
18 That to trespassoura thou aholdist pardon / frely askid graunte.
And Ire soone ^uldiat put awey; / addome thou ahuldist it meve;
Onmevafole thou owiat not endure, / whan benyf;ne preyen be][ofiTid;
21 To truthe distroye al adueraauntw; / and thinna to the submytted
Nevir aett in herte aa the lyon doothe, / whiä' ovirthrowith wilde
boolya
And amaler beeatuB lettyth renne beaide ; / not oonya ypon hem lokith.
•24 Thna by Glemena taught ia Stilioo, / aa childe enfonnyd by maatresae.
* Nur in wenigen Venen, wie z. & bei Z. 4, fehlt dasselbe.
' Am Bande hier folgende Bemerkung yon deraeib«! Hand: Oh-
meaoia duoeüüh in the nMob-firdü^ for §che ta (über d. Zeile) nai hoot müi
venünon» ne eoolde mih punüamtmie,
' Dahinter ist in der Hdaohr. ein gladly anarsdiert
EMmm Mftt«ihiiig«iL 171
Em Ytfgjeich mit dem lateiniioheii Original, das ich hier noch
der gloidieii Handadirift fblgwi laaM^ seigt; daA die eng^iache Yer-
tion eine ielur freie iat*
Prefatio.
HaGtenm armatae laudea. Nmtc qnalibna orbem
Morilnu et qnanto franet metuendoi amore,
8 Quo tandem fleziu trabeaa auctore togantee
Indnerit f aatiaqne Bunrn concesserit annnm,
liGtior indpiat fidibna iam Musa remiaaiB.
Glandiani de conaiilatQ Stilichonia über incipit.
6 Prindpio mondi cnstos dementia magni,
Qaae «ToYis incoluit zonam, qnae temperat aethram
iSrifforiB et flammae medio; qnae maxima nutu
9 Cadicolnm. Nam prima diaoe dementia lolyit
Cougerlem miserata mdem ynltnqtie sereno
DiBcnesit tenebraa, in lucem saecnla fndit.
12 Haec dea pro templia et tnre calentibns arb
Te fmitnr poenitqne snas in peotore eedea.
Haec dooeti nt poeoia bominnm vel aangoine paed
16 Turpe fenmMjae putee; ut ferrom Harte cruentnm*
Sic cnm pace premaa; nt non infensns alendis
Materiem praestee odiis; ut sontibuB nitro
18 IgnoTiiee ydia, deponae otins iras,
Quam moveas, predbus nnnquam implacabilis boetis,
Obvia prostemeB prostrataque more leonum
21 Despiciae, alacres audent qni franse tauroe,
Transilinnt praedas bumilea. Ac ute magiadra
Dat yeniam yictiB; hao ezortante calores . . .
Eine nähere Untersnohnng des VerBbaues^ wie der übrigen mit
dem Gedichte yerknttpften FrE^;en muis ich dem künftigen Heraus-
geber desMlben überlassen. Es sei nur hier schon darauf hingewiesen,
dals der Yorliegende Septenar in der Taktfüllung wdtTom Ormulum
absteht und in seinem ungemein freien Bau vielmehr an die alten
Volkaballaden erinnert Aus diesen wie aus anderen Qründen möchte
ich es denn andi, solange nicht neue Bindeglieder nachgewiesen
sind, dahingestellt sein lassen, ob unser Dichter wicklich an Orm an-
geknüpft hat Wahrscheinlu^er dünkt mir, dals er selbständig > auf
das Aufgeben des Reimes im Septenar gekommen ist^ sei es in Nach-
ahmung der seitgenössischen alliterierenden Dichtung oder in direkter
' dandians Werke sind jetit am besten herausgeii^ben yon Th. Birt
in Mtmumenta Oermaniae, auct aütiquiss. t. X (BotIui 1892). £b sden
daher die von unBerer Handschrift abweidienden Lesarten von Birts kri-
tifichem Text (8. 208 ff.) hier angeroben : 3 roganies, 6 magni . . . mundi,
8 meddam l| natu, 11 Disoussii tenäriSf 16 8%eeum p. premas, 18 iram, 19
hogüg] obttet, 20 prostenuu, 21 ardmU, 22 Hotc ipte, 28 Das, Diese Ab-
weichungen lehren, dafii unsere Handschrift in eine Klasse (x) mit Birts
V nnd P gehört (vgl. Birt 8. 103). Birt erwfihnt unsere Handschrift auf
S. 126, hat sie aber wegen ihres ttsdum corrupHssimum nicht weiter benutzt
' Eh bedarf wohl kaum des Hinweises, daCs auch sonst (Orm, G. Har-
Tey usw.) inhaltlich gering sn bewertende Dichter in formeller Bendiung
metriBche Neuerer gewesen sind.
172 Kleinere MüteUimgeii.
Anlehnung an den ihm Torliegenden antiken Hexameter. In letz-
terem Falle hätten wir in unBerem Gedichte den frühesten Vorläufer
der antikisierenden Richtung zu sehen, die erst in der Hochrenais-
sance in England zu voller Entfaltung gelangte.
Literargeschiohtlich dürfte das (Gedicht namentlich bemerkens-
wert sein als ein neuer Beweis für die Beliebtheit^ des Glaudianus
im Mittelalter, welche uns durch die zahlreichen Abschriften seiner
Werke aus dem 12. — 15. Jahrhundert^ sowie durch Ghaucers Be-
kanntschaft mit seinem Baptua IVaserpinae^ auch sonst hinreichend
bezeugt ist
Würzburg. Max F(5rster.
MisBellen aur englischen Wortkonde.
1. Ae. seeota 'Forelle'
wird von Bosworth-Toller, Sweet^ Schröer usw. mit langem Diph-
thong (e6, eo) angesetzt Weist die neuenglische Form des Wortes:
8hoie, shoai, shoi — nicht yielmehr auf ein ae. aceota hin?
2. Me. miliernisse < nUldhertnia
zweifelt Mätzner, S^aef^oben I 54, Anm., WörtefbuA TU 584, zu
Unrecht an: Formen mit ausgestofsenem i kommen bereits in ae. Zeit
vor, wie die Zusammenstellungen von Ellaeber, Modem Language
Notes XVni 244, lehren. Ich lasse dahingestellt» ob es sich einfach
um eine 'Ekthlipsis' des t zwischen r und n handele oder ob die
Verbindung in zunächst durch den 'faukalen Verschlulslauf -{* ^
ersetzt wurde, wofür dann stimmloses n -|- n, und schliefalich ein-
fach n eintrat'
8. Ne. ehafer, ehaffer
mit stimmlosem f gegenüber ae. eeafor wird durch frühen Anschluls
an ehaff zu erklären sein ; die lautgeisetzliche Entwickelung hätte zu
ne. *ehaoer geführt^
4. Ne. donkey,
*Am the original pronundation apparendy rimed with mankey . . .,'
suggestions haye been made that the word is a deriv. of dun adj. (isL
dunnoek hedge-sparrow), or, more probably, a familiär form of Dun-
can (cf. the other colloquial appellations, Dicky, Neddy)! schreibt das
New Englieh Dictionary, Zur Unterstützung der ersteren Ansicht
» 8. Th. Birt a. a. O. p. 78—158.
* Siehe die Nachweise in Skeats Oxford Ohaueer VI, 385 unter Clau-
dian.
* VgL die Entwickelung von anlautendem kn im Englischen.
^ VgL das diaL eheever (< eefett Erf. GL). — Ne. trifte 'zermalmen'
(ae. trmiian) dürfte durch trifte < afrz. trufte beeinflulst sein.
'' Die heute übliche Auseprache mit 6 ist eine 'spelling pronundation'.
Kleinere IfitfteQnnisen. 173
mochte ich kurz an dtech, Orauchen, OrätUing *Esd* erinnern. Übri-
gens hat dunnoek im Cant auch die Bedeutung 'cow* aufeuweisen (cf.
Groees DieÜonary of ihe Vulgär Ibngue),
5. Ne» flix, flick, fUek
the für of various quadrupeds' ^ ist nach dem N. E. D. KH unknown
origin: possibly connected with Fl 7 v.* Sollte flix nicht einfach
eine Variante zu flax sein ? Während ae. flecac zu me. ne. flax führte,
entwickelte sich die Nebenform flex zu flix weiter (ygL m& nekename
> nickname, reek > rick, seek > siek usw.). Diesem Auseinander-
gehen in lautlicher Beziehung entsprach eine Differenzierung der
Bedeutung; während flax seinen ursprünglichen Sinn beibehielt^ nahm
flex, flix äe Bedeutungen 'Flachshaar^ > 'Haar^ > 'Pelz' an.
Was das Verhältnis von flix zu fliek und fleek betrifit^ so sind
die bdden letzten Formen görade so aus flex, flix hergeleitet wie
diaL kick, keck aus kix. kex {cLKSi. 80, 881), diaL flock aus phiox,
Yulg. dioy aus ehaise, wie cherry, me. cheri aus cheris, pea aus pease
usw.: zu der fälschlich als Plural gefalsten -^Form {^ flicke) hat man
einen neuen Singular durch Abwerfen ebendieses -^ gebildet
6. Ne. jowl, jole.
'Jowl, jole, the jaw or cheek ... M. "Kjoüe; all die forms
are cormptions of M. E. chol, chatU, which is a contraction of M. R
ehauel {eh(wel), the jowL — A. S. ceafl, the jaw; pL ceaflas, the jaws,
ohaps' (Skea^ Conciee EtymoL DieHon. s. v.). Erklärt sich der stimm-
hafte konsonantische Anlaut von jowl vielleicht durch Anlehnung
an jene, me. jotoe (< ae. *eeotve -f- ^* joue)1 Oder ist die Form
mit j zunächst eingetreten in Verbindungen wie ehSek hy j6wl,* wo
sich das ursprüngliche ch von ehol vor dem Akzent (Vemersches
Gesetz I) in den entsprechenden stimmhaften Laut verwandelt hätte?
Dieselbe phonetische Erklärung hat Read, Mod. Lang. Notes XVI 254,
für (»jar (< a 4- char) vorgeschlagen; vgl auch Sweet H. E. S. § 928.
Das Englische kennt den Übergang von [ts] zu [di] bez. das
Nebeneinander der beiden Lautgruppen noch in verschiedenen an-
deren (überwiegend einsilbigen) Wörtern.^ Wie weit es sich auch da
im einzelnen Falle um Akzentvarianten handelt, wird kaum festzu-
stellen sein. Bei französischen Lehnwörtern ist überdies zu berück-
sichtigen, da(s sich im Französischen selbst gelegentlich ein Schwan-
ken zwischen ch und g beobachten läist Ich habe in die folgende
Liste^ die (zumal in ihrem zweiten Teile) keine Vollständigkeit be-
ansprucht^ auch einige Fälle zweifelhafter Natur mit aufgenommen.
' Die Bedeutung wird von Flügel, Mnret und Schröer nicht ganz zu-
treffend mit 'Flaum, Milchhaar' angegeben.
* Die Beleoe im N. E. D. Schemen darauf hinzudeuten.
* Übsr eaät, tMek, $ueh vgL Sweet a. a. O.
174 KMnen Ifitteaimg«!.
ja», jass < diooe (cf. N. E. D.);
jaeobutj foeklat < ehoeolaU (ei K R D. und D. D.);
jodMeJS f < *eheak tep (Langland);
jam 'drücken' neben eham[p]; jcmbh neben ehambh;
jar 'knarren' seit dem 16. Jahrb. neben ehamre, ehar[9] < ae.
eeamm; ähnlich jarg, jirk neben cAarÄe^ eMrfe < eBomUm;
jatttr, jadder diaL neben duxtter;
jaudie neben thawd/y (diaL);
JoMmoey (Name) < CSumneey (nach Bardelej, Didum. ofEngUsh
and WeUh Sumames);
janon < ehawn (cf. N. E. D.);
JMT «verspotten' f < thetr;
jereaok neben cherooek (diaL) ;
jergt<0 «untersuchen' f < ital. eereare;
jiee neben «Mm (diaL);
[/»^^ byjfnol (17. und 18. Jh.) < eheek b. j.; wohl Assimilation]
jiggin neben ehiggin (diaL) «a call to horses to go on' (of. cAiidk);
/Mb «Klangt klingen' neb«i chmk;
\joU-headfed/ neben vereinzeltem choU-^, choUer-^; cf. N. R D.]
joqp, juipe neben ehoop (diaL)^;
jowir neben chower to grumble' (diaL);
jowl, jole «die eztemal throat or neck when fat or prominenf etc.
< diawle, me. choüe, choü, ae. c6ofe (oeolor);
JQwt&r (sowohl sb. «pedlu:' wie vb. «to grumble') neben ehowier
(diaL);
jwk ndben Aftudb (falls nicht = j<mk < johier);
jtmk Pumpen' neben ehunk (diaL).
IL
bodgs neben boieh;
[crenge, ermgt neben otmcke^ erinteh berukt wohl auf ae. *erm-
gan neben *erenoain]
fidge neben fUeh (diaL);
gnidge < gnUeh (afrz. grouehier);
hodg&'podge < hotchpoi[eh] ;
hinge neben htneh (diaL) «to out unevenly';
me. nage neben fiacfc6(-bone) (afrz. naehe, nage);
ma nuthage neben nothaohe;
seorge (Ghesh.) < seorA;
wränge < eoranoh (diaL) «to scratoh';
«Mn^tf neben sUnoh (diaL);
eludge neben slutöh;
* Neben [tiap] erseheint auch die Lautform [S&p]; geht diese direkt
auf ae. h^pe < neope suruek (vgL me. «kö f < flgo^ f
Ekinen IfitteOcmgeB. 175
tmudge neben snmkh^
splodge neben spMek;
Irudge f zu frz. trueh&r,
HL
Challand (Name) ? < JaOand < Mian (so Bardsle^, Dietion. of
Ungliah iSumamea);
eharve (ShetL und Orkn.) *großf < an. djarfr; ist die Zwischen-
stufe *jairve in der Adverbialform jarvaUy 'actiyely' er-
halten?
ehee (-up) diaL = gee, interj.;
cheege (kent) < j^, frz. giguer;
Cham (Name) < Jbyoe;
C%i4M ^ame) < JuU, /o&; —
[frufeib < &t^e ist vielleicht nicht lautlich zu erklaren, vgl. das
N. E. D.]
fMh ^befiedem' ? < /fe^e;
fmmA, diaL macmcft, maiimgt^ < frz. manger.
7. Ne. raddle 'Hürde; Zaunstecken'.
Paddle Obs, eoic diaL Also 6 radel ...8 roddle, 9 ruddle
[a. AF. reidde (Wright Vooab. 168X OF. reddalle, ridelle, rudelle
(14th G. in Du Gange) a stout stick or pok, the rail of a cart (so
mod. F. rideüe\ of obscure origin]' N&w EngHsh DieHonary s. y. Am
einfachsten erklart sich das Wort^ dessen Hauptbedeutung <a watde
or hurdle made of rods' ist^^ und das erst im 16. Jahrh. aufzutauchen
scheint^ doch wohl aus einer Nebenform von hurcBe — herdd, har-
dd — y in der das r umgesprungen war; aus *hredel resp. *hradd
mu&te natürlich sofort redel, radel mit stimmhaftem Anlaut werden.^
Jedenfalls dürfte an urverwandtschaftlLchem Zusammenhang mit lat
eraies, gr. xd^raXog usw. nicht zu zweifeln sein. — Ob nicht auch
agfrz. reidde, afrz. reddaüe etc. mit me. hirdel, herdel (> *ridelj *redel)
in Verbindung zu bringen sind f '
8. Na diaL seither s 'Sch6re\
Das Wort sdssors erscheint in den engliscbm und irischen
Dialekten vielfach in der Qestalt scühers [si*dd(r)z], also mit dem
I^Ritobei^gang ]f\ < [d|. Dieser Wandel, den das D. D. unerortert
^ Die Bedeutmigen 'Zaunstecken, Querholz' möchte ich für sdnmd&r
halten.
^ Die Metathese des r könnte mit unter dem Emflnsse des sinnver-
wandten wreaihfe) eriolfft sein.
* Ich sdie nachtri^ch, dais der Grundgedanke der obigen Erklärung
schon von anderer Seite (Ogitvie, Oent Dict.) ausgesprochen worden ist,
und bin um so mehr erstaunty ihn im N. £• D. nläit erwfiluiit au finden.
176 Kleinere MitteilimgeD.
laifit^ dürfte kaum phonetisch zu erkläreu sein; vermutlich liegt An-
lehnung an das sinnverwandte hämische scyüie vor. ^
9. Ne. skedaddU 'ausreUsen'
möchte ich als ^Streckform' von diaL wsaddie 'to run off in a frighf
auffassen; ähnlich wird in dem viel umstrittenen bamboade eine
Btreckbildung zu booade zu erblicken sein. — Hoffentlich regt der
interessante Aufsatz H. Schroeders über 'Streckformen' im Deutschen
(P. B. B. 29) bald änen Anglisten dazu an, der fraglichen Erschei-
nung im Englischen nachzugehen. Namentlich aus den Dialekten
würde mancherlei beizubringen sein.
10. Ne. diaL yeild, yeld, yell 'unfruchtbar'.
Sdhröer stellt das Wort mit einem Fragezeichen zu diaL geld
(< an. geldr 'harren*). Aber kann ein Zweifel bestehen, dals yefijld
mit dem zweimal belegten ae. gelde 'effeta' (Wr. W. 226, 22, 894, 26;
lautUch = an. gddr) identisch ist?
Halle a.a Otto Bitter.
Byrons Gtodiohte To Mr. Murray
(Ausg. von Goleridge, VH 56, 76):
'Strahan, Tonsonj lintot of the times,
Patron and publisher of rhymes^
For thee the bard up Pindas climbs,
My Murray,' ete,;
'For Orford and for Waldograve
You give mnch more than me you gave;
Whicn is not fairly to behave,
My Murrayl' ete.
schlielsen sich in Strophen- und Befrainbildung mit harmloser Parodie
an Cowpers Gledicht To Mary an:
'The twentieth year is well-nigh past,
Since^first onr sky was oyercast;
Ah, would that this might be the last!
My MaryP ete.
Halle a. a Otto Bitter.
Eine Shakespearesohe Bedewendung bei Annette von Droste-
HülBhoff.
In Annettes Schilderungen : *Bei uns xu Lands auf dem Land^
(samtliche Werke herausgeg. von Ed. Arens; Leipzig, Max Hesse,
5. Bd., S. 77) lesen wir: 'Diese junge Bheinlanderin stiftet überhaupt
einen greulichen Brand im Schlosse an; die westfiUischen Herzen
seufzen ihretwegen wie Öfen.' Es scheint^ als ob der Heraus-
geber die auffallende Wendung^ zu der er nichts bemerkt^ für West-
Kleinere MHtdlungen. 177
falen eigentümlich gehalten hat Der Dichterin schi^ebte aber un-
zweifelhaft die Stelle ßhakeepeares As Tou Like It II, 7, 189 ff. yor:
All the world's a stage,
And all the men and women merely players:
Ther haye their exita and their entrancee;
Ana one man m his time plays many parte,
HiB acta being seyen agee. At first the infant,
Mewüng and puking in the nurse'B arma.
, And then the whining school-bo^, with his satchel
And ehining momine face, creeping like snail
Unwillingly to Bchool. And then the loyer,
Sighinff like fnrnace, with a woefol ballad
Made to ms mistrees' eyebrow.
To sigh, Beulen soll hier den langgezogenen Ton bezeichnen, den
grüne Scheiter im glühenden Ofen yon sidi geben. Dafür gebraucht
man aber im Deutschen 'singen'. Vgl. M. Heynes Artikel im Defä-
sehen Wörterbuch, Bd. 10, sp. 1084.
_ Northeim. B. Sprenger,
Eentisoh iUanne: Hirnhaut.
Aethelberhts G^etz 86 lautet in der einzigen Hs., dem Codex
Boffensis um 1120, und in allen Drucken: Oifsio lüerre hion ge-
brocen worä^, X scülingu/m gebeie; gif buiu sien, XX scUUngum g^
bete. Der gelehrte und geistvolle Price, der um 1880 das Beste an
der j^zt R Thorpe zugeschriebenen Ausgabe getan hat, vergleicht
dazu aus nordischem Bechte Stellen, in denen hinna, in ganz ähn-
lichem Zusammenhang der Gliederyerwundungen, gehülst wird. Un-
^ücklicherweise mischte er (hjinnod und eine Stelle Aelfreds über den
äuffieren und beide Schadelknochen mit hinein. Da nun J. Grimm ^
die Verwandtschaft mit dem nordischen Worte ablehnte, blieb sie
unbeachtet; als 'Kopfknochen' ward hion zweifelnd in den Wörter-
büchern erklärt, und ich wagte nur 'Hirn..' zu übersetzen, teilweise
auch veranlalst durch die Wahrscheinlichkeit, dafs diese Tafel der
Gliederbufsen, die mit dem Kopfhaar beginnt und bei den Fulszehen
endet, hinter den Ejiochen, wohl des Schädels, yom Hirn sprechen werde.
Mit der Annahme eines leichtesten Schreibfehlers kann geholfen
werden : man lese hion, die normale Abkürzung für hionne, wie denn
ßoh unzählige Male für ponne steht^ auch im Codex Boffensis.^ Jene
Abkürzung ward öfter von den Schreibern übersehen; daher steht
in einigen Hss. viermal pon,^ wo originalere Texte ponne zeigen.
Diesem Obersehen sind die zweimaligen hi statt hine im Codex Bof-
fensis Wihtrsed 27 zuzuschreiben.
« r Während im Westsächsischen das schwache fem. hinne lauten
würde, fällt dialektisch der a-Umlaut zu hionne nicht auf ; vgl ionna
innen, ionnad Eingeweide, geonad garrlt^ siondan sind.^
* Kleine Sehr. V, 81& * Wif 8. 7. ^ Mein WMerbuoh zu Geaetxen
d. Agea, « Bieym § 160, 3, S. 257, 14; Sweet (Mßti IkigL ieaaU p. 507 f.
AzcblT f. n. SpoMdiea. OXV. 12
178 Kleinere MitteanxigeD.
Sagen wir hente von der Haat^ sie werde zenJBsen oder ge-
BpalteHy 60 kennt Aelfred 70 den Fall gif sio hyd sie tobroeen; des
'Brechens' wegen braucht man also nicht an einen Knochen zu den-
ken. — Da Auge, Hand und FuIb nur 50 Schilling im Kenterrecht
kosten, erscheint jene Bu&e für heilbare Wunde» auch wenn diese
den Schädel spaltete, hoch genug, entspricht auch ungefähr ver^
wandten Bechten.
Die ^ulsere Hirnhaut* ist die dura maier; berührt die Wunde
beide Hirnhäute, so hat sie jene durchdrungen und trifit die pia maier.
Das friesische Becht nennt jene hann, diese helibrede,^ membrana,
qua cerebrum conüneti^r. Nordisch wird hmna:^ dura mater erklärt.
Die mittlere, Spinnwebenhaut des Hirns, scheint den Alten unbekannt
Berlin. F. Liebermann.
Bemerkungen aom Beowulf.
6 ff. eyddan arest toeard \ feaeeeaft ftmden; (or,) he ß(Bs frofre
gebud, \ weox under toolonum, \ tveordmyndum ßah usw. Der Gre-
danke ist sehr ähnlich dem im Eingang des Ludwigsliedes ausge-
sprochenen: kind uuartk her faterlds; des uuarth imo aar huox, \
holöda ifum tnihtm, magaczogo uuartk her sin; | gab er imo dugidi usw.
In der verwandten Beowulfstelle, Y. 16 f.: him pms liffrea, | wul-
dres fvaldend, tooroldare forgeaf fasse ich (im Gegensatz zu
Earle, Trautmann, Schücking) him gleichfalls als Singular: als Er-
satz dafür (Earle: 'in consideration Üiereof), d. h. für die schlimme,
herrscherlose Zeit verleiht Gk>tt dem Königssprofs Buhm (es folgt
eine Periode des Glanzes). Dem Dichter ist es ganz gewils nicht so-
wohl um das Volk der Dänen als lun das Herrsd^ergesclilecht zu tun.
120. Die Gründe gegen toihi unhceh und für tviht unfalo
brauchen nicht wiederholt zu werden. Doch sei die Frage gestattet»
ob nicht unhah schliefslich doch das richtige sein könne? Wäre es
nicht möglich, dals dieser (einzigartige) Ausdruck für den teuflischen
Unhold als Gregensatz zu einem ?uM)eam (Orisf 586, 754) geprägt
wurde?
188 ff. tva bidßcem de eceal | pUrh sHine nid eawle heecufan \
in fyres fcepm. Die Bedeutung des verschieden aufgefafsten purh
sliäne nid ist meines Erachtens verkannt worden. Allerdings könnte
man daran denken, es 'durch verderbliche Schlechtigkeit zu über-
setzen, aber ein solcher indirekter Vorwurf gegen die Dänen wäre
unangebradit, da dieselben eher wegen ihrer Unwissenheit bemitleidet
werden (V. 178 ff.). Ich verstehe nid als 'tribulatio, afflictatio' (Grein),
wie in V. 423, 2404 (heakmid), ^ und purh als Bezeichnung der Art
und Weise (oder der begleitenden Umstände), s. B.-T. s. v. purh,
A ni, 6, 7; vgl purh egsan 276, purh pearlie prea Jul. 678; J. Oerm,
PhiL 4. 104. Also: In furchtbar unheilvoller Weise'.
* Bichthofen, AUfriee. Wb. s. v. * Fritzner, Ordbog s. v.
* 8o vielleicht auch in Finnesbw 10: diene foleee md fremmtm.
Kleinere MitteünngeD, 179
484 t towie vma ßeos medoheal on morgmvbid | drifttefe dreoT'-
fahy forme dceg UxU, Es scheint mir nicht ganz richtig; wenn L. L.
Schücking in seiner grOndlichen Abhandlung über 'Die Ghrondzüge
der Satsrerknüpfung im Beowulf (1904) 8. 122 mdnf^ dals 'der
temporale Nebensatz die nähere Bestimmung zu dem Adverb [dönne]
gib^. Vielmehr wird fonne dag lixte als nähere Bestimmung
(ausführende Variation) enger zu on morgentid gehören; vgLEpist
Alex. 714: efo on morgne, mid fy hü dagode (u. Mod. Lang, Notes
18. 246). Ähnlich ist die Funktion der durch die Konjunktionen
fonne, pcer eingeleiteten Sätze z. B. in sum in madle mag modsnot-
tera ! fokrcsdenne fori gehyogan, \ par witena biß worn mtsomne
Gbeft 41; sum IM wiges heard ... par bord stunad ih,d9; sede
taoma fela ... guda gedigds ... fonne hnitan fedan Beow. 2542.
572 f. Wyrd oft nered | vnfcsgne eorl, fonne bis eilen deah.
Schückings Versuch (a. a. O. S. 121) einer neuen Erklärung von fonne
kis eilen deah: 'dann hält seine Kraft noch aus' ist entschieden ab-
zulehnen mit Rücksicht auf 1) die Bedeutung von dugan, 2) das
analoge gif kis eUen deag Rats. 73. 9 (schon von Schücking zitiert)
und Andr. 460, vgl. Rats. 62. 7, und besonders 3) die fast sprich*
wörtlich ausgeprägte Idee der Dualität von Geschick (Oott) und
eigener EJraft Vgl Beow. 670, 1056 1, 1270 ff., 1552 iL; Andr.
459 1: fest nafre forketed lifgende Ood | eorl on eordan, gif his eüm
deah (allein schon beweiskräftig); femer z. B. Laxdsda Saga, c. 15:
ok med füi ai menn vdru hra/ustir ok feim vard lengra lifs audU, fd
komask feir yfir dna ... — Weitere Parallelen, u. a. aus Ghaucer,
bei Cbok, Mod. Lang. Notes 8. 58; Gummere, Oermame Origins 236 f.
Ood helps those that help themsdves'. ^ VgL Grimm, D. M.^ TU 5.
982 ff. Die folgende Auffassung, welche die Emendationen von
Sievers, Bieger (Zupitza, Trautmann) berücksichtigt^ sei der Erwägung
empfohlen: sifdan c^lingas eorles crcefte \ ofer heanne hrof kand
seeawedon, | feondes fingras {foran aghufyle was | stidta nagla style
gelieosf), | hafenes hondsperu hüderinees | eghi, unheoru.
1319 1 fragn gif him. wäre \ after neodladu niht getase. Es
liegt nahe, neodladu nicht nur mit freondlafu 1192, sondern auch
mit uforldladu Orist* 664, Andr. 635 zusammenzustellen. Nach Ana-
logie der Bedeutung von wordladu 'sermocinatio, loquela' könnte man
vennuten, da(s freondlafu 'Freundlichkeif und neod^o^«^ 'Wunsch,
Verlangen' bezeichne (zur Etymologie von laJdu vgl. Meringer, Ind.
Forsch. 16. 111 ff.? ühlenbeck, P. u. B. Beür. 30. 298). Es wäre
jedenfalls ein Vorteil, wenn von der Bedeutung 'Einladung' abge-
* Auch no fmt yde byd \ to befteonne 1002 erweckt den Anschein einer
.— auf einen bestimmten Fall bezogenen — sprichwörtlichen Redensart:
'niemand kann dem Schicksal entrinnen.' VgL etwa Atlamil 48. 8: skg-
rn vipr manngi; Vatnsdsola Saga, ^assim; Volsunga Saga cap. 30, 36;
M. Aejer, Altgerm. Poesie 45ö. (Die vorgeschlaffene EinBchaltung von
deaä oder fiß Beow. 1008 wäre keine VerbesserungT)
12*
180 Kleinere MittdlungeD.
sehen werden könnte. (Bfkfr neadkUkim (Ettmüller, Wulker, Holtr
hausen, oder neodlade [Sweet]; neodlaSu nach Sievers § 258, & 2
[Wyatt] wäre bedenklich) 'nach seinem (Hrodgars) Wunsche' würde
vortrefflich passen. Cosijns nkMäälum {^ydiaSum) liegt etwas abseits.
1 837 ff. Der neuerlichen Erklärung dieser Stelle durch Schücking
(S. ö L\ wonach nu in Y. 1388 (als Konjunktion) mit nu in V. 1848
(als Adverb) korrespondierte und nu sßo hand liged, \ se ße eow wel-
hwylcra wüna dohte sich auf Beowulf bezöge, stehen erhebliche
Schwierigkeiten entgegen. 'Nun fehlte die Hand' ist eine mehr als
gewagte Übersetzung. Nicht nur ist das Präsens (im Hauptsatz) statt
des Präteritums bedenklich, sondern Ucgan = fehlen', d. h. 'nicht
dasein', mit Bezug auf einen konkreten Gegenstand, ist geradezu un-
glaublich; kann man auch z. B. in V. 1041 f. {ncBfre on ore Ubq \
tvidcufes wig) das Verbum mit 'f ail' übersetzen (Earle, Oamett^ Wyatt^
L. Hall, Gl. Hall, linker, Ghild), so doch nur im Sinne von 'sich
nicht bewähren'. Überdies, auf wen sollte sich eow beziehen? Auf
Beowulf s Mannen? Dann fehlte ein vernünftiger Zusammenhang
zwischen dem Relativsatz und seinem Hauptsatz. Oder auf die
Dänen (von denen einige sich in der Umgebung des Königs befunden
haben müssen)? Aber Hrodgars Anspradie ist unzweideutig an Beo-
wulf (und sein Gefolge) gerichtet Die ungezwungene Interpretation
ist: 'nun liegt die [freigebige] Hand darnieder, die euch früher Gaben
austeilte'^ (s. Grein s. v. dugan ad fin.!). JSschere, der hochange-
sehene Hof mann — dessen Tugenden nach seinem Tode in ein über-
trieben glänzendes Licht gestdlt werden — ^ mag in der Tat G^
schenke gespendet haben. Bezieht man sincgyfa auf Hrodgar, so
schafft man eine neue Schwierigkeit» wie man aus Trautmanns künst-
licher Deutung ersieht
1782 f. {gedeä him swa gewealdene worolde dcBlas, \ aide rioe,)
f(ßt he hia selfa ne nuBg \ \for] hia unsnyttrum ende geßencean be-
deutet schwerlich: 'dals er selbst ... seines Reiches Grenze nicht er-
denken kann' (Heyne, Socin, Simons, L. Hall, GL Hall, Child) oder
that he himself may not for his folly think of bis end' (Kemble,
Thorpe^ Grein, Arnold, Tinker), sondern 'dals er sich das [zeitliche]
Ende desselben [des Reiches, seiner Herrschaft] nicht vorstellen
kann' (so wahrscheinlich Gamett Wyatt Earle). Die erstgenannte
Übersetzung würde eine unvernünftige Übertreibung in sich schlie*
isen, die zweite würde nicht genau genug in den Zusammenhang
passen. Das grolse Reich wird dem Manne so vollständig in die
Hand gegeben, dab er nicht daran denkt da(s es jemals wieder aus
seinem Besitz in den seines Erben übergehen werde (vgL V. 1750 1,
1755 fehd Oper tö). Zu dem Gebrauch von g^eneecm läfst sich ge-
hycgcm stellen in GudL 17 1: fwfon ee tnon ne Pearf | to fisee u?(h
' Man wird an die sinnige Liegende von der freigebigen Hand Oswalds
erinnert ('im foreaidige peoa hond <»fr^ BecL 166. 10; H. E. lU a 6).
Kleinere Mittelinngen. 181
nUde wyrpe gehycgan. (Vgl. auch Heiland 261: endi ni cumid,
thes tmiden rikies ffvuuand,)
Trautmanns Konjektur se^ ist übrigens vielleicht nicht ganz
neu; schon bei Ettmüller (1840) heilst es: 'dafs er seiner Bälde sdber
nicht kann in seiner Unklugheit ein Ende denken'.
2289 L he to for^ gestop \ dyman erafte draoan heafde neah.
Die auf Heyne zurückgehende Übersetzung 'er war zu sehr vorwärts
geschritten' (so Socin, Wyatt^ Simons, L. HaU, Gl. Hall, Tinker,
Child ; freilich auch schon Thorkelin : nimis ultra perrexit) sollte nicht
immer von neuem wiederholt werden, to zeigt ohne Zweifel die Rich-
tung an, genau so wie z. B. in gwng sona to \ setlea neosan Beow.
1785; ßcU 86 [sc darod] to ford gewat \ furh done cßfela/n Mpelredes
fegen Maid. 150. Also mit Orein: 'der fort hinzu ging', oder ge-
nauer: 'er war vorwärts darauf zu gegangen'. Zur Nebeneinander-
stellung der zwei Adverbien vgl. z. B. auch Beow. 2864: fe him
foran ongean \ linde baron.
2458. forme se an hafad \ purh deadee nyd dceda gefondad. Die
handschriftliche Lesart scheint weniger bedenklich als die vorgeschla-
genen Verbesserungen, hafad ... dceda gefondad ist = 'hat die Be-
kanntschaft [schlimmer] Taten (vgl. Bugge, Tidsk. f. Phil. 8. 67) ge-
macht^, oder 'hat seh. T. ausgekostet' (nicht ganz genau: 'hath bj dint
of death leamed the lesson of his deeds' Child), und nyd palst nicht
übel zu dead, vgl. neidfaru, nydgedal.
2499 ff. ßenden pis aweordßolad, Ißcetmee ar ondsidoft geUßste, \
syddan ic for dugedum Dtegkrefne weard \ to handbonan, Huga cem-
pan. Wie früher — im Gegensatz zu den anderen Herausgebern —
Grein, Ettmüller und Arnold, so will jetzt Schücking (S. 119) einen
neuen Hauptsatz mit syddän anfangen. Die Folge dieser Inter-
punktion ist, dals die Dseghrefn-Episode, aus dem natürlichen Zu-
sammenhange gerissen, gänzlich in der Luft schwebt Was hindert
uns denn aber, anzunehmen, dals das Schwert in enger Beziehung
zu Beowulfs Kampf mit DsBghrefn stehe? Kann nicht Beowulf den
Hugen erst mit blofser Faust erschlagen und ihm dann sein Schwert
abgenommen haben? — Heynes Vermutung, dafs Hygelac von D»g-
hr^s Hand gefallen sei (V. 1 2 1 0 ff., 2503 f.), mag das richtige treffen.
2525 f. Man ergänzt fcMU) (Schubert, Bamouw, Trautmann)
oder besser feohie (Bugge, Holthausen, Socin'Q, was richtig sein kann.
Jedenfalls aber darf man dann weordän nicht als 'sich ereignen' auf-
fassen, sondern, wie aus dem folgenden swa unc tvyrd geieod zu ent-
nehmen ist, als 'ausschlagen', 'zu einem Besultat führen' (vgl. 2580 f.,
2585 f., auch 685 ff., 1490 f.), analog dem Gebrauch von tveordan in
V. 2071: to hwan eyddän weard | haivk-tss haleda. Nicht unmöglich
wäre übrigens fwrdor (wie in der bekannten Parallelstelle Maid. 247).
Finnesburg 8^: nu eoyned fes mono» !EDerzu bemerkt Beer
{Z.f.d.A 47. 148): 'ßes ist zu tilgen'. Auch Trautmann und Holt-
182 Kleiiiere Mtteiliuigeo.
haiuen yorwerfen fes (und schreiben: gcyneS fir mond). Aber fes
klingt echt und ist durchaus idiomatisch. VgL Seos lyft Bäts. 58. 1 ;
8. 4; Ezod. 430; dies eorä6 Met 20. 118; pes middangeard Käts.
67. 1, infeoane middangeard (= in mundum) Bed. 212. 19, ßas mieUm
gemeiu middangeardes <]!risf 826; on piosne toind (=r in uentum)
Bed. 440. 24; pes lyüa wyrm Rats. 41. 76; feo8 bearhte aunne Gren.
811; piss swearte dust (Par.) Ps. 77. 27 usw. 8. auch Änglia 27.
276 und die dort angeführte Literatur.
The üniyersity of Minnesota. Fr. Elaeber.
Das Mätmersohe Wörterbuch.
Nach dem im vorigen Jahre erfolgten Tode Hugo Bielings,
des langjährigen Mitarbeiters EduardMätzners und Fortsetzers
seines letzten grofsen Lebenswerkes, ist die Beendigung des im Ver-
lage der Weidmannschen Buchhandlung in BerUn erscheinenden
mittelenglischen Wörterbuches 'ÄUenglische Spraehproben nebst einem
Wörterbuch' vom Unterzeichneten übernommen worden.
Die erste Lieferung erschien im Jahre 1872, die letzte, bis 'mis-
bileven' reichend, 1900, der Druck steht bei 'meine', und Material ist
noch für den Best von M vorhanden, der 1906 als Abschluüs des
dritten Bandes erscheinen wird. Es gilt jetzt^ das Wörterbuch mit
Hilfe einer gröfseren Organisation und Arbeitsteilung zu einem raschen
Ende zu führen. Zu diesem Zwecke soll nicht mehr, wie bisher ge-
schehen, die me. Literatur zurzeit nur auf einen Buchstaben hin
durchgesehen und ausgezogen, es soll vielmehr das Material für N
bis Z auf einmal planmäisig gesammelt werden.
Es ergeht nun an die deutschen Anglisten, insbesondere an alle
diejenigen, die ein Werk der me. Literatur herausgegeben oder be-
arbeitet haben, der Buf, sich durch Übernahme eines oder mehrerer
Denkmäler an der Sammlung der Belege nach gewissen jetzt im Druck
vorliegenden Orundsätzen zu beteiligen oder einzelne das Wörterbuch
fördernde Beiträge zu liefern und mit dieser praktischen Betätigung
wissenschaftlichen Interesses eine Ehrenpflicht der anglistischen, ja
der deutschen Wissenschaft überhaupt Erfüllen zu helfen.
Freundliche Zusagen werden erbeten an den Herausgeber
Privatdozent Dr. Heinrich Spies, Berlin W. 57, Kur-
fürstenstrasse 4.
MtindartgrenBen.
In seinem Aufsatz *Qiht es Mundartgrenzen' hat Gauchat hier
1908 einen Überblick über die Fortschritte der Mundartengeographie
auf romanischem wie germanischem Oebiete gegeben, der mit seinen
eigenen Ergebnissen als Erforscher des französischen Sprachgebietes
der Schweiz abschliefst Es ist eine Grundfrage der Sprach- und Kul-
turgeschichte, deren wechselvolle Beantwortung im Laufe der letzten
zwei Jahrzehnte er uns darbietet. Die sprachliche Zerlegung eines
Eleinere MlttdlungeD. 188
Yolkflganzen in mehr oder weniger selbständige Teäe^ die bis aqr
Abzweigung neuen Volkstums vom alten gehen kann, ist identisch
mit dem Mundartenleben ; die Aufdeckung des Verhältnisses swischen
Spradie und Volkstum in ihrem Werden ist Sache der Mundarten-
geographie. Daneben kommt dieser noch eine besondere Bedeutung
für unsere sprachwissenschaftliche Erkenntnis zu. Mundartgzenzen
sind der raumliche Ausdruck innerer Vorgänge und Zustände; sie
stehen in gesetzmäisigem Zusammenhange mit letzteren und müssen
uns Aufschlüsse geben über deren Wesen und zwar solche, die wir auf
keinem anderen Wege erhalten können. Gerade hier hat Gauchat
meines Erachtens nicht die volle Summe des Erarbeiteten gezogen;
einige Ergänzungen mögen mir gestattet sein.
Aus Gauchats Darstellung ist zu ersehen, dafs das Wissen über
die Mundartgrenzen hüben wie drüben, bei Germanisten wie bei
Bomanisten, dieselbe Entwicklung durchlaufen hat, in der wir drei
Stufen unterscheiden können. Bei ihrer Durchmusterung empfiehlt
es sich, die tatsächlichen Feststellungen von den darauf gegründeten
Ansichten zu sondern. Die ursprünglichste, von jeher bekiumte Tat-
sache ist die^ dals es Lautgrenzen gibt; d. h. dais in zwei benach-
barten Orten nicht nur einzelne Wörter in verschiedener Lautgestalt
erscheinen können, sondern dais sämtliche oder die meisten Wörter,
die einen bestimmten Laut enthalten, im Nachbarort diesen Laut
durch einen anderen ersetzen. Die Spottnamen und Spottverse, die
zur Kennzeichnung sprachlicher Verschiedenheit unter dem Landvolk
üblich sind, beziehen sich fast durchweg auf Lautgrenzen. Solche
Lautgrenzen wurden denn auch von den ersten Grenzforschem fest-
gestellt^ einzeln und mit anderen zusammen, Punkte und Punktreihen,
d. h. Grenzen, die mehrere Orte von ihren Nachbarn trennen. Aber
das waren nur sehr vereinzelte, fast zufällige Funde; der weite dunkle
Raum blieb der Theorie offen. Das Nächstiiegende war, die Laut-
grenzen in Gedanken durch das ganze Sprachgebiet hindurchzuziehen
und zwar so, dafs es in gröisere Teile zerlegt wird, die sich scharf
voneinander abgrenzen. Die so erhaltenen Mundartgebiete entsprechen
dem Stamme, der sie bewohnt; es ist der Bereich der Stammesmund-
art, die der Ausfluis der leiblich -seelischen Sonderart sämtlicher
Sprachgenossen ist — Li dieser Ursacherklärung war ein Denkfehler.
Nach ihr muisten die sprachlichen Merkmale sich auf das Stammes-
gebiet beschränken, die Sprachgrenzen sich rings um dasselbe zu-
sammenschlieisen. Für scharf umgrenzte Gebiete, die durch sich
schneidende Sprachgrenzen entstehen, wie sie Ascoli aufstellen wollig
war kein Entstehungsgrund zu finden. Verhängnisvoller für sie war
aber die Betonung einer zweiten Tatsache, der, dafs allmähliche Über-
gange neben den schroffen vorhanden sind, dafs Laute von Ort zu
Ort sich allmählich wandeln, dais einzelne Wörter von Ort zu Ort
in |neuen Lauten erscheinen. Und wie man früher die schroffen
Übergänge fälschlich verallgemeinert hatte, so geschah es jetzt mit
184 Eldnere Mitteünngen.
den allmalilicheii. Die Wellentbeorie mufste die StammeBtheorie ab-
lösen, die völlige Leugnung von Mundartgebieten deren gesetzmälBige
Aufstellung. — Nun kam die Zeit der planmäfsigen Erhebungen.
Statt nach der Bestätigung vorgefafster Meinungen sich umzusehen
und einzelne Funde rasch zu verallgemeinem, unternahmen es Ger-
manisten, ein grölseres Sprachgebiet auf das Verhalten in bezug auf
eine möglichst grofse Beihe von Merkmalen hin zu prüfen. Fischers
Schwedischer Atlas erschien. Er brachte die Bestätigung der Wellen-
theorie. Aufserste Begellosigkeit der Grenzlinien; keine irgendwie
erkennbare Grundlage für dieselben. In dem Gewirr einige lockere
Anhäufungen, 'Bündel, Linien ungefähr gleicher Gesamttendenz'; doch
auch Lautgrenzenstücke, zum Teil mit anderen zusammenfallend. In
einzelnen werden physikalische, in Verbindung mit diesen auch poli-
tische und konfessionelle Grenzen erkannt, doch nur als äuiserste Aus-
nahmen. Der Verkehr entscheidet; seine Grenzen sind von den ver-
schiedenartigsten Umständen bedingt, die sich unserer Wahrnehmung
entziehen. — Mit diesem Ergebnis waren viele unzufrieden. Bohnen-
berger unternahm es, einzdne dieser Fischerschen Grenzen nachzu-
prüfen und ihr Verhalten zu politischen und physikalischen Schranken
zu untersuchen; doch entfernte er sich nicht weit genug vom Fischer-
schen Verfahren, um grundsätzlich Neues zu gewinnen. Ich selbst
schlug den Weg der eingehenden, mündlichen Durchforschung meiner
Heimatgegend ein, eines beschränkten Gebietes, 60 Quadratmeilen,
doch überreich an Mannigfaltigkeit der Sprache, der Natur und der
G^chichte; und mit seinen 200 Ortschaften an sich schon grofs
genug, um allgemeine Ergebnisse liefern zu können. Meine Baar-
mundartenkarte zeigte folgendes:
1) Lautgrenzen Regel, Einzelwortgrenzen Ausnahme.
2) Zerspalten von Lautgrenzen höherer Ordnung in solche nie-
derer Ordnung häufig.
d) Zerflielsen von Lautgrenzen (Ablösung von schroffen durch
unmerkliche Übergänge) selten.
4) Vereinigung der Lautgrenzen zu Bündeln (d. h. Zusammenfall,
nicht Annäherung) häufig. (Gauchat hat sich durch das Wort 'Bün-
del', das Fischer für vereinzelte, lockere Anhäufung braucht^ zu dem
Irrtum verleiten lassen, ihm die grundsätzliche Aufstellung von
Grenzbündeln zuzuschreiben.)
5) Zusammenfall der Sprachgrenzen (sei es Laut, Wortschatz,
Beugung oder Fügung) mit politischen Grenzen Regel, mit nur phy-
sikalischen Ausnahme.
6), Entschiedenes Vorherrschen der neupolitischen Schranken
(hier letzte drei Jahrhunderte).
Das geographische G^amtbild ist nicht mehr das der regellos
wirbelnden Wellen; es zeigt vielmehr eine täuschende Ähnlichkeit
mit durch Dürre zerrissenem Erdreich. Durch tiefe Furchen sind
manche Gebiete allseitig voneinander getrennt; wir haben fertige
Kleinere Mittelliiiigeii. 185
Sprachlandschaften, aber auch unfertige; solche, die nach einer Seite
hin allzu schwach abgegrenzt sind, um dem Nachbar gegenüber einen
geinssen Grad von Selbständigkeit zu behaupten. — Ebenso gründ-
lich hat sich das kulturgeschichtliche Bild verändert Die Sprache
führt kein Bonderleben mehr, frei von allem, oder allem feststellbaren,
Einflufs der Kulturumgebung; mr sehen sie vielmehr eng an die
politischen Verbände gefesselt und ihrem Wechsel unterworfen, dem
sie mehr oder weniger zögernd, aber sicher folgt
AlleEinzeluntersuchungen, die inzwischen über das geographische
und geechichüiche Verhalten von Mundartgrenzen ausgeführt wurden,
stimmen in ihrem sachlichen Ergebnis mit meinem Befund überein,
treten zum mindesten nicht in Gegensatz zu demselben, und bilden
damit die willkommene Bestätigung meiner politischen Theorie. So
die von Wrede, der sich ganz dazu bekennt; so Bohnenbergers h-eh-
Grenze, obwohl ihm selbst diese Tatsache entging; so auch, was
Gauchat uns in seinem Aufsatz mitteilt Es sind auch hier wieder
ausschlieislich jungpolitische Grenzen, solche, die in den letzten drei
bis vier Jahrhunderten bestanden, von denen in weitem Umfange der
Zuflammenfall mit Mundartgrenzen nachzuweisen ist Physikalische
sind wohl zu beobachten, altpolitische zu vermuten, aber nirgend
ohne die Begleitung jungpolitischer Grenzen. Aber auch Gauchat
zieht die naheliegende Folgerung nicht Der dunkle Begriff der
Stanmiverwandtschaft drängt sich in seine Erwägungen und trübt
sie. Auch Bremer hält ja noch an dem Worte 'Stamm' fest; doch
hat er es inzwischen aufs deutlichste als politischen Begriff gefafst
Und ich glaube auch einen Weg zu sehen, auf dem dieses Festhalten
an der Bedeutung mittelalterlicher Verbände mit der klar erwiesenen
Wirkung der neuzeitlichen sich vereinbaren läist Ich denke dabei
nicht an die sogenannten konstituierenden Faktoren, Druck, Dauer
und Ton, über deren geographische Grenzen man noch so gut wie
nichts weiis, und die man geneigt ist, für unverrückbarer zu halten
als Laute und Formen. Das Verhältnis von Nord- und Südschwä-
bisch 1^ mir die Vermutung nahe, dafs auch diese Seiten der
Sprache raschen Wandels fähig sind, nicht in ihrem ganzen Zu-
sammenspiel, so wenig wie der gesamte Lautschatz auf einmal, son-
dern in ihren ablösbaren Teilen. Die politischen Grenzverschiebungen,
die von so sicherer Wirkung auf (£e Sprachverbände sind, tragen
die Laute nicht allzu weit über ihre alten Grenzen hinaus. Leichte
politische Schranken sind fähig, sie festzuhalten. Dem raschen, aber
kurzen Sprung vorwärts folgt eine lange Ruhepause. Das ist wohl
die BegeL IMe Art der geschichtlichen Vorgäuge ist für die Weite
des Sprunges und die Dauer der Pausen freilich entscheidend. Wäre
unser Volk nach dem Verschwinden der Stammeaherzogtümer in
ebenso grolse, innerlich gleichartige Stücke zerlegt worden von völlig
neuer Umrahmung, dann hätten die heutigen Mundartgrenzen nichts
mehr zu tun mit den alten. 'So wie die Dinge liegen, dürften die gro-
186 Kl^nere Mltteilimgen.
fsen mittdalterlichen SprachverbaiLde gewisBennaiseii noch den Unter-
grund bilden für die heutigen: in den alten Grenzen nur da» wo diese
in neuen fortlebten, im übrigen aber in einem Gewirr yon neuen,
nicht allzu weit von den alten, die der Sturm zerzauste.
Zu dem geographischen Gesamtbilde der Mundartgrenzen, als
Rissen in dürrem Erdreich, wie ich es oben gezeichnet habe, ist noch
ein Zusatz zu machen. Die zerfiieCsenden Lautgrenzen sind nicht
darin ausgedrückt; nicht blofs ihrer geringeren Häufigkeit wegen,
wie die Einzelwortgrenzen, deren Spur im G^amtbilde Yersdiwindet^
sondern ihrer inneren Verschiedenheit wegen. Wir haben es eben mit
Grenzen für f est^i und solchen für flüsdgen Lautstoff zu tun, wenn
das Bild erlaubt ist Jene sind spaltbar, diese zerflieikbar. Jene
umgrenzen abgestorbenen Lautwandel, geschichtlich gebundene Laut-
herrschaft^ Massen fertiger Wortformen, diese lebendigen Lautwandel,
freie Lautherrschaft^ Teile des Lautsystems. Jene sind die erstarrten
Formen dieser. Jene spalten sich und verwittern durch Abbröcke-
lung von Einzelwörtem, diese entstehen durch Veränderungen im
Lautsystem. Diese Scheidung von lebendigen und toten Lautgrenzen,
von Lautwandel und Wortvtfdrängung ist ein weiteres ]&gebnis
meiner Baarmundartenkarte; es ist die notwendige Ergänzung zu dem
geographischen und geschichtlichen Bilde und stellt neben dieser die
dritte, innersprachlidbe Seite der neugewonnenen Anschauung dar.
Die Art der Verbreitung sprachlicher Neuerungen weist auf die
Entstehungsvorgänge zurück. In politischen Verbänden, straffen und
lockeren, vollzidit sich die Übertragung des Neuen von einem Men-
schen zum anderen; daher kann auch die Quelle nur der einzebie sein.
Was iMStimmt nun die Richtung, in der dieser tonangebende dnzelne
seine Sprache, vor allem seine Sprachlaute verändert? Leichte Year-
änderungsneigungen bestehen innerhalb der engsten Sprachgemein-
schaft jederzeit nach allen Richtungen hin ; sie werden nur durch den
ausgleichenden Zwang des Verbandes im Zaum gehalten. Die Frage
nach der Entstehungsursache im strengen Sinn ist unlösbar. Gleich-
wohl gibt es vorherrschende Veränderungsneigungen, deren Ursache
wir im Lautsystem suchen müssen. Die Diphthonfrienmir vokalischer
L&ngen, die »ich auf dem Gebiete der g^<u)i8ohen Sprachen mit
auffallender Ähnlichkeit an den entlegensten Orten, völlig unabhängig
voneinander, vollzieht, hat Wrede aus den gleichartigen Druckver-
hältnissen zu erklären versucht Dafs sie sich aber nicht überall
vollzieht^ obwohl den ähnlichen Systemen entsprechend auch überall
ähnliche Neigungen vorauszusetzen sind, zeigt deutlich genug, dafs
es sich hier um keinen gesetzmäfsigen Vorgang handelt Aus dem
System folgt keine Veränderung mit Notwendigkeit Folgerichtig
wirkende Grundneigungen mögen für den einzelnen, für die Quelle
gelten, für die G^emeinschaft nicht Das eine nimmt sie an, das an-
dere verwirft sie. Das zeigt deutlich die ungleiche Verbreitung der
Ergebnisse schlaffer Nasenlautgebung in Schwaben. Die einzelnen
Binnen Mitteüungen. 187
Teile des Systems sind frei yeränderlich; sie liegen sdbstBtäJidig
Debeneinander; sie können sich gegenseitig beeinflussen, aber müssen
es nicht
Für die Ursache der Veranderungsrichtang gibt es kein G^etz;
wohl aber für die mechanische Wirkung des veränderten Teiles im
Lautsystem, zunächst in der Bede des einzelnen. Es ist das, was
man Lautgesetz heifst innerhalb des fertigen Systems und Laut-
wandel im Hinblick auf die Veränderung desselben. Wo keine Ver-
änderung im System die Ursache yeränderter Bedeteile ist^ da liegt
nicht Lautwandel, sondern Wortverdrängung vor. — Neben dieses
mechanische Gesetz der gleichmäisigen Wirkung des Systems tritt
das politisdie Gesetz der völligen Sprachgleichheit unter den Gliedern
des engsten politischen Verbandes, der Ortsgemeinde. Die greise
Tatsache der einheitlichen Ortsmundart, mit der sich keine andere
Spracheinheit an Strenge vergleichen kann, zeigt die Ejraft der poli-
tischen Verbände am deutlidhsten. Die vom einzelnen ausgehende
Neuerung wird entweder auf die Gresamtheit übertragen oder ganz
abgelehnt, sei es am Ort der Entstehung oder am fremden. Der poli-
tische Zusammenhang, Nachwirkungen eingerechnet, bestimmt die
Bichtung, nach welcher die Neuerung sich verbreitet^ und den Weg,
den sie durchläuft^ doch ist die Frage, warum sie im einzelnen Fall
an dieser und nicht an jener Schranke Halt machte wohl ebenso un-
lösbar wie die nach der besonderen Entstehungsursache.
Die klare Scheidung von Entstehung und Übertragung in der
Geschichte der sprachlichen Neuerungen macht es auch möglich,
Wortformen zu verstehen, die aus keinerlei Lautwandel erklärt wer-
den können. Für die Gk^amtmasse der fertigen lautiichen Verände-
rungen ist als Begel zu setzen, dafs sie aus Lautwandel entsprangen,
als Lautwandel auf eine Beihe von Mundarten sich übertrugen, dann
aber auch als fertige Ergebnisse des Lautwandels in Einzelwörtern
(unter Bevorzi^ng von Lautgruppen: vgl. oben Zerspalten von Laut-
grenzen). Die Übertragung von Einzelwörtem brauchte sich aber
nicht auf diese Nachkommen des Lautwandels zu beschränken, ob-
wohl sie das Massenvorbild unterstützte. Bisweilen mulste es auch
geschehen, dafs der tonangebende einzelne statt eines neuen Lautes
ein lautlich verändertes Einzelwort ohne Lautsippe zur Geltung
brachte. Fast in jeder Mundart gibt es solche Wechselbälge, oft
ganze Beihen solcher, die jeder Bemühung spotten, sie rechtmäfsig
unterzubringen. Es sind die Brüder der Analogiebildungen.
Die Einheit der Ortsmundart erfährt vorübergehende Trübung
durch Neuerungen, die aus ihr selbst oder den Nachbarmundarten
stanunen, sich unmerklich, dem Sprechenden unbewulst, in ihrem
Schois durchsetzen und sie eine Zeitlang in die Sprache des älteren
und des jüngeren Geschlechts scheiden. Sie erfährt gewaltsame Stö-
rung durch Neuerungen,^ die von oben her aus der Verkehrssprache
auf sie eindringen, die bewufst übernommen werden, sie in verschie-
188 Eignere liGtteilimgeii.
dene Stufen der Anpassung zersplittern oder sie yollst&ndig besei-
tigen. Dort spielt der Lautwandel, hier der Lautzwang seine Rolle;
die Wortverdrängung zeigt nur Gradunterschiede. Der erstere Vor-
gang gehört dem natürlichen Leben der Mundarten an; der letztere
ist ihr Zusammenstofs mit der gesteigerten Kultur. Sie veilialten
sich gleichsam zueinander wie Schichtenbildung und Eruption; wage-
recht und senkrecht wirkende E[r&fte sind auch hier im Spiele^ wenn
wir die Wirkung von Mundart auf Mundart, die nebeneinander in
derselben Sprachschichte liegen, mit wagerecht^ die von Verkehn-
spräche auf Mundart, die in verschiedenen Schichten überdnander
liegen, mit senkrecht bezeichnen dürfen. Aus der Betrachtung der
natürlichen Lebensvorgange sind letztere soviel wie möglich aus-
zusondern.
Was Oauchat als der ganze sichere Gewinn der bisherigen
Mundartengeographie erscheint: der häufige Zusammenfall von Laut-
grenzen und die gelegentliche Wirkung politischer Schranken (ganz
unverstandlich ist mir, warum er sie auch noch geringen physi-
kalischen zuspricht^ obwohl sie nie und nirgends gezeigt worden ist),
ist nur ein bescheidener Teil dessen, was mir schon lange feststeht,
und was er schweigend übergeht Ich hoffe, gezeigt zu haben, dals
es sich bei diesem Best um Dinge handelt, die der Mitteilung wert
sind. Ich habe sie hier nur skizzenhaft, vielleicht auch nicht mit der
wünschenswerten ESarheit behandelt Sie finden sich ausführlich
vorgetragen und auf sachliche Erhebungen gegründet namentlich in
folgenden Arbeiten:
Die Mundarten des oberen Neckar- und Donaulandea. Ikvgramm.
1898.
Über die Notwendigkeit der kartographiBtihen Aufnahme der Ibmd-
arten (Württemberg. Korrespondenxblatt, 1899).
Sätxe über Spraehbewegung (Zeitsehrift für hochdeutsche Mundarten,
1900).
Über Mundartengeographie {Alemannia, 1901).
Verkehrs- und Schriftsprache auf dem Boden der örtlichen Mundart
{Die Neueren Sprachen, 1901).
Konsonantenlängen im Schwäbisehm {Die Neueren /Sprachen, 1908).
Gauchats Karte, so lehrreich sie ist, erfüllt einige wesentlicjie
Bedingungen noch nichts die erforderlich sind zur Gewinnung klaren
und vollen Aufschlusses über die Fragen, die uns hier bew^en.
Zunächst erfahren wir von ihm selbst^ dals nur ein Teil der Grenzen
eingetragen ist; das Hinzutreten der fehlenden wird die besonderen
Züge des Bildes verschärfen. Für das tatsächliche Bild der Zu-
sammenhänge sind femer aber folgende Dinge unerläblich: 1) die
Abstufung der Stärke der Lautgrenzen nach Zahl und Häufigkeit
der zugehörigen Wörter, der Ausdruck des numerischen Stärkegrades.
2) Die Berücksichtigung sämdicher Orte. Solange das nicht ge-
schieht, sind eine Menge Linien rein willkürlich und stören den Aus-
Kldnere Mitteiluiigeii. 189
druck des GesetzmäfBigen. 8) Die mathematifiGhe Behandlung der
Zeichnung; die Punkt 2 zur Voraussetzung hat. Wo ideale Herr-
schaftsgebiete zusammenstolsen, kann die geographische Grenze ver-
nünftigerweise nur durch eine gerade Linie zur Darstellung gebracht
werden und zwar in gleicher Entfernung von den Mittelpunkten.
Beliebig gekrümmte Linien durchschneiden sich blind und lassen
Flächenstücke zwischen sich, die sinnlos sind und das Bild fälschen.
Gesteigerte E[larheit ist auch hier der Lohn der Strenge. Wünschens-
wert ist femer noch die deutliche Unterscheidung der Grenzen für
lebendigen und für abgestorbenen Lautwandel; denn mit jenen er-
halten wir die Abgrenzung der in der Gegenwart herrschenden Laut-
systeme. Besondere Beachtung verdient auch das Zerflielsen der
organischen Lautgrenzen (Beispiel: Entnasalierung mit schroffen und
sanften Übergängen) und sein Gegenstück: das Zerbroseln der un-
organischen (Beispiel: Eindringen diphthongierter Formen in geringer
und in Überzahl); die verhältnismäisig seltenen Punkte, an denen in
der G^^enwart fast durchweg Bewegung herrscht.
Stuttgart C. Haag.
Die Sociätö des Textes franfais modernes,
von der hier CXTTT, 154 die Bede war, hat sich endgültig konsti-
tuiert (Mai 1905). Sie zahlt vorläufig gegen 150 Mitglieder. An
ihrer Spitze steht ein aus G. Lanson (als Vorsitzendem), F. Brunot,
K Courbet^ H. Chamard, E. Huguet (als Schriftführer) und M. Ro-
ques (als Schatzmeister) gebildeter Vorstand. Im Verwaltungsrat
sind auch Belgien und die Schweiz» sowie Deutschland, Amerika und
Dänemark vertreten. — Statuten und Greschäftsordnung können von
Ph>f. E. Huguet» 30 nie Guilbert» Caen (Calvados), bezogen werden.
In einer Einleitung dazu entwickelt Lanson in beredten Ausführun-
gen das Arbeitsprogramm der neuen Gtesellschaft Unter den Texten,
die zunächst für die geplanten kritischen Neuausgaben in Aus-
sicht genommen sind, befinden sich die Werke von Heroet, Bon-
sard, Du Bellaj, D'Aubign6, Pasquier, D'Urf6, Sorel,
Mairet, B. de 8t-Pierre, S6nancour, Stendhal. Vol-
taires Leiirea sur les Jnglaia werden von einem Bande begleitet
sein, der die polemische Tagesliteratur vereinigt, die sich mit den
LeUres beschäftigte. — Die Veröffentlichungen der neuen Gesellschaft
werden auch bei uns das grölste Interesse finden, und der niedrige
Jahresbdtrag (10 Frs.) wird ihr hoffendich zahlreiche Mitglieder
.H.M.
Benrteilimgen und kurze Anzeigen.
Erast Martin, Wolframs von Eschenbach Parzival und Titurel|
herauBff. und erklart Zweiter Teil : Kommentar (GermaniBtische Hand-
bibliothek, begründet von Julius Zacher, IK, 2), C, 680 8» 8.
Martin hat mit diesem zweiten Band seiner Ausgabe das unentbehr-
liche Hilfsbuch für Parzivallektüre und -Studium geschaffen. Lange ver-
müst und gewünscht, kommt uns der Parzivalkommentar sofort mit einem
Reichtum an Einzelheiten und in einer besonnenen Durcharbeitung, die
Lehr- und Lemzwecke aufs beste fördert. (>ewiis, wer beim ersten Lesen
z. B. zu Motvel l, 1 auf got tveitUy zu unfruot 5, 15 auf ^ot firads (*zvl
fr<UMan')f zu videlare, 19, 1 2 auf and. fidula usw. verwiesen sieht, wird aer-
§leichen zunächst für überflüssig halten; aber die praktische Verwendung
es Buches beim Unterricht le&t dann doch, dals dem Lernenden aucn
solche Elementaria willkommen sind, und es entdeckt sid^ auch der Nutzen
so mancher anderen Abschweifung. Den yollen Wert des Kommentars
wird überhaupt der praktische Gebrauch immer mehr ins Licht stdlen.
Die Woliramliteratur ist durchaus benutzt und an geeignetem Ort
auch im Kommentar zitiert. Es fehlt aber auch nicht die zusammen-
fassende Übersicht: Martin gibt sie in der sehr reichhaltigen Einleitung.
Sie ist keineswegs bares Referat über das bisher Gewonnene, Vermutete,
sondern bringt zur Geltung und begründet die persönliche Ansid^t des
Verfassers, dort, wo er fremde Ansichten zu berichtigen oder zu bekämpfen
Anlafs hat. Ganz besonders ist das in den zwei Kapiteln über Wolmms
Quellen und Über die 8age der Fall : Martin hält mit Recht an Kyot fest
(wozu ich noch bemerken möchte, dafs die 8. XXXIX genannten Unge-
nauigkeiten in Wolframs Angaben über Kyot unter der Voraussetzung
weg&ilen, dals Wolfram Motive, die er der Quelle entnahm, mit eigenen
Zutaten versehen habe), und dem Mosaik von Motiven, aus dem die Hypo-
these vom geistlich -lecendarischen Ursprung der Gralsage aufgebaut ist,
stellt er — mit verwanater Methode — seine eigene Anschauung von ihren
kdtisdi- volkstümlichen Ursprüngen entgegen. So durchaus erwünscht
diese einleitenden Übersichten, so bequem und nützlich die Aufnahme
und Erarbeitung des Wertvollen aus der Wolframliteratnr ist, so seben
dem Werk den besonderen und individuellen Wert die eigentlichen Binn-
erklarungen : sie sind ohne jene ^lehrten Voraussetzunrai nicht denkbar,
ebensowenig aber ohne das Hineinleben in Stil und G^ankenkreise Wolf-
rams, das bei aller philologischen Hingabe des Unterschiedes zwischen
Damals und Heute deutlicn sich bewuÜBt bleibt. Eine grolse AnKohl
schwieriger Stellen ist im Kommentar einleuchtend erklärt. Auch bei
den Sinnerklärungen hat Martin den Kreis der Benutzer wttt gedacht:
neben jenen höchst erwünschten stehen denn auch elementare.
Die folgenden Bemerkungen zu EinseUieiten wollen nic^t mehr Kritik
sein, sondern kleine Beiträge zur Erklärung, wie sie sich teils durch Mar-
tins Kommentar, teils gegen ihn beim seminaristischen Unterricht ergaben:
ich beschränke mich dalMi auf Textstücke und Stellen, die der Unterricht
gerade berührte.
BeorteQiuigeD und kune Aozdgen. 191
Zu ly 4 parrieren ist herrorsuheben, dals die Vorstellmig %mi9«r%aget
ntcamea muot sprachlich 1) das Ganze sein kann, das dnrch zwei in ihm
enthaltene G^ensätze sich parrieret, 2) einer der G^^;ensätze inneihalb
einee übergeordneten Ganzen, das dadurch 'bnnt' wird. Mir wird nicht
klar, welcfier der beiden MeinnngCD sich Martin anschlieCst, denn sein
Satz 'ein »wivdn ohne verxtMen' werde hier 'als buntfarbig' bezeichnet,
läist Undentlichkeiten Übrig. Und eine Folge dieser Undeutlidikeit schdnt
mir die Auslegung von l, 7 der 91b: 'der noch möMU^ — während doch
wahrscheinlich der gemeint ist, in dessen «UMTM^fem manitM mwii der
xcrtfW mit einem — guten — Gegensatz zu ihm yerbunden ist — 1, 25
alw6br\aX schwerlich umgesetztes attributives Adjektiv, sondern ma6M
kun^e freude ahoär wird bedeuten: 'verwirklicht (nur) kurze Freude'. ^
Bei 1, 26 — 30 gibt es noch andere Möglichkeit ab die von Martin heran-
gezofl;ene: die vwkiey geofsn. die Wolfram oeh ruft, muis doch auf jene
Uesdlen sich bezieheu, oie ihn an der Innenflache seiner Hand, wo kein
Haar wfichst, raufen. Martin versteht dieses Bild von falschen Freunden,
die sich in des anderen Vertrauen einschleichen — aber es kann doch
auch auf jene gdien, die seine vorangehenden Worte milsverstdien, in
einer Weise deuten, die einem Raufen an unbehaarter Handfläche ver*
fleichbar ist. Die vorhU und das von ihr ausgepreiste oeh sind dann
umoristische Steigerung. — 5, 15 unfruot ist G^e^nsatz zu vftee 5, 11 und
verurtdlt eben jene Erbsatzung, die Alter und Armut zusammenjocht.
Die sonst ja mögliche Bedeutung ^trübselig' spielt hier denn keine Bolle.
— 6, 15 mSrte ist wie an den anderen zwei von Martin zitierten Stellen
rein phraseologisch, nicht prägnant ('noch mehr zeigt'). — Zu 6, 19 kani»
ffemaÜe, dax man möhte seheny davon der herre nSieeejehen eins namen
und aiiner vriheU ist wohl die Art des Satzes dax man möhte sehen zu er-
örtern — Relativsatz? oder, wie ich deuten möchte, Konsekutivsatz: ...'ein
Eägen, so dafs man den Rechtstitel erkenne, auf Grund dessen er auf
Namen und Freihdt Ansprudi erhebe.' — 7, 4 empfiehlt es sich, das Ot-
fridische theist nicht auf thax ist, sondern the ist zurückzuführen. — 9, 23
iedoeh, nicht mit Martin 'auch so schon', sondern einfach 'aber', als Gegen-
satz zum Vorhergehenden und zu den Versuchen des Königs, ihn zu
halten. — 10, 24 mtns herxen kraft ist hier nicht 'Besinnung und Tat-
kraft' — das verhindert das parallele diu siiexe miner ougen — , sondern
(so wie dieses) eine Umschreibung für Ghmdin. — 14, 15 wird m/it gemden
siten als 'mit Ruhmbegier' aufgdFalst; aber es erhält seine besondere hie-
sige Bedeutung durch das Wappensymbol des Ankers, von weichem es
99, 15 der anf&er ist ein reeken %ü neust; dazu gehört femer 15, 2 der
herre muose fUrbax tragen disen wäperdiohen last in manegiu lant und 16, 1
Hn eilen strebte sunder toane (= fiirbax aem 556, 22): aues das weist auf
die Bedeutung 'als einer, dessen Sinn adn Wandern steht'. Mau mag zu-
gleich an den gemden valken denken. — 26, 26 mtn tcipheit was umewart
lafst sich bedeutungsvoller^ auffassen, als Martins Paraphrase tut; denn
23, 26 dax er entslo» ir;hene gar . . . dax heslöx davor tr v^heit gibt den
deutlichen Fingerzeig: 'Meine Weiblichkeit war unbehütet {— neigte sich
ihm zu), als er um mich warb. [Hier setze ich Punkt.] DaTs es nicht
zum Hoil ihm ausschlug, das betraure ich' usw. ; 27, 9 widerspricht nicht,
ebensowenig die scharfakzentuierte Pointe 28, 9 ich enwart nie utp decheines
man. — 114, 7 tr freude ist hier wohl nicJit 'das, was sie erfreut', son-
dern bedeutungsvoller 'die Freude, die sie schaffen'. — 114, 22 iMpheit
< 'wetbliches Gemüt' — dazu pafst aber 114, 23 nicht recht Ich über-
setze: '£s ist vielmdir ihre Eigenschaft als Frauen [um deren willen mir
ihre Verstimmung fegen mich wie mein Benehmen g^en sie leid tut], weil
ich ungebührüch üoer sie geredet und dahM' mir seü)er Schande gemacht
habe, und das soll auch nicht mehr geschehen' (das Ganze als Parenthese).
— 115, 8 fnl$n rM] nicht 'meinen Rechtsgrund', sondern 'meine Art'.
Id2 Benrteilimgen und kurze Anzeigen.
Fälle, dads der Kommentar an Schwierigkeiten oder Eigentümlichkeiten
Wolframs vorbeiging, fanden sich selten: so vermÜste ich 10, 27 und 12,
28 ein Wort über die Bedeutung des ein (und ist doch ein riJUare; da iai
Wüe ein ungeloube bi); 91, 8 bukd ob der werdeMt, 106, 20 die md. Form
die fOr der bleiben ohne Bemerkung. Machte die Note zu 11, 26 iuffende
ein bemde via den 'g. pL von bemde abhangig', so war ein Wort üh&c die
Art dieses Genitivobjekts (hier wie in dem ebenso gedeuteten idnee bemde
vart 128, 26) nötige
Zwischen die Anmerkungen zu 81, 2 und 91, 16 ist Widerspruch ge-
raten : zu 91, 16 sagt Martin, daCs die Beziehung der Verse 80, HO iL auf
Galoes und Annore mit Unrecht geschehe, und den Vers 81, 2 hatte er
selbst in diesem Sinne erklart. Joseph Seemüller.
Die Gedichte Oswalds von Wolkenstein^ herausgegeben von J. Schatz.
Zweite verbesserte Ausgabe. Göttingen, Vandenhoeck und Kuprecht 1904.
L812 S. 8«. 6 Mk.
Als man vor ein paar Jahren erfuhr, dais eine neue Ausgabe der
Gedichte Oswalds von Wolkenstein demnächst erscheinen würde, da freute
sich gewiÄ jeder, der an der Kultur- und Literaturgeschichte des ab-
sterbenden Mittelalters ein tiefer gehendes Interesse nahm. Die frisch-
lebendige, wiewohl im einzelnen nicht ganz zuverl&Tsige Studie Ladendorfs
(Neue Jahrbücher für das Mass. AUerium usw. 7 [1901] S. l:tö ff.), im Grunde
der erste Versuch einer wirklichen Charakteristik des Wolkensteiners, hatte
wohl bei manchem den Wunsch rege gemacht, die eigenartigsten Blüten
von Minnesangs Winter in einer dem üeuti^en Staude der Forschung an-
gemessenen Edition zu lesen und womöglicm auch zu besitzen. Denn die
alte Ausgabe Beda Webers, dessen Leutungen wir nicht unterschätzen
wollen, nachdem sie Wackemell in seinem lehrreichen und anziehenden
Buch über ihn (Innsbruck 1903) in die rechte Beleuchtung gerückt hat,
genügte doch langst nicht mehr den Ansprüchen der modernen Wissen-
schatt und war überdies nur noch für einen respektablen PhantaaiepreiB
im Buchhandel zu erstdien. Die neue Ausgabe erschien 1902 als 'Publi-
kation der Gesellschaft zur Herausgabe der Denkmäler der Tonkunst in
Österreich' (vgL Behaghel, LüeraturblaU für germ. und roman, Philologie 1903,
S. 367 ff.; Wustmann, Anzeiger für deutsches Altertum 29, S. 227 ff.). Sie
hatte einen groisen Vorzug: ihr war die Musik beigegeben. Oswald Koller
hatte diesen Teil bearbeitet. Wir wissen so wenig von der Musik der
Minnesinger und müssen immer dankbar sein, wenn uns ein Kundiger
über diese häkle Materie neuen Aufschluüa gibt. Jeder Philolog hat die
unabweisbare Pflicht, sich damit vertraut zu machen, sollte er sich zu-
nächst dabei auch etwas ungemütlich fühlen. Hier wie stets ist eine
Vogelstrauispolitik nicht am Platz. Den Text hatte Joseph Schatz auf
Grund der Handschrift A (Pergamenths. Nr. 2777 der Wiener Hofbiblio-
thek) hergestellt, die etwa 1425—1427 auf Oswalds Anregung hin zustande
gekommen ist; er hatte ferner die übrigen Handschriften genau beschrieben
und ihren kritischen Wert erörtert, die G^edichte völlig neu nach der mut-
maßlichen Zeitfolge geordnet und eine Anzahl Erläuterungen und Exkurse
beigefügt; dazu trat dann noch eine kurze, möglichst auf historisch be-
glaubigte Tatsachen gestützte Vita des Woikensteiners. Es war viel, was
wir da bekamen, viel, aber nicht genug. Wer an WackemeUs gehaltvolle
Einleitung zu seiner Ausgabe von Hugo von Montfort (Innsbruck 1881)
dachte, fand sich enttäuscht Die Sprache, die Metrik, die Poetik, die
literarhistorische Stellung des Wolkensteiners — all das blieb künftiger
Untersuchung vorbehalten. Und schlielslich: die Publikation war schön
ausgestattet, aber sie war nnhiuidlich und teuer.
Vor kurzem hat Schatz, 'vielfach geäulserten Wünschen entsprechend',
BeniieQnDgen und kurze Anzeigeii. 198
eine zweite, weit handlichere und billigere Aussabe der Gedichte Oswalds
von Wolkenstein in die Welt gesanot Sie bietet etwas mehr und er-
heblich woiiger als die erste VerOtf entlichung. Mehr, denn hier sind auch
die Lesarten aus der Handschrift C (Papierhs. des Innsbrucker Ferdinan-
deoms F 1950), die in der ersten Ausgabe nur geleraitiich notiert wurden,
durchweg aufgenommeo worden. Weniger, denn nier fehlen die Anmer-
kungen aer ersten Ausgabe und der gesamte musikalische TeiL Im übrigen
zei^ sie ungefähr das gleiche Bild. HerÜberffenommen ist der Lebens-
abnlB dee Wolkensteiners, die Beschreibung^ (ter Handschriften und im
weaentlichen auch der Text der GMichte. Leider hat Schatz, durch andere
Arbeiten gehindert, die schon in der ersten AnsgAbe angekündigte Dar-
stellung der Sprache des Wolkensteiners noch nicht liefern können; erst
wenn er es getan, wird sich meines Erachtens über die Art seiner Text-
behandlnng gewinnbringend reden lassen. Auch eine literarhistorische
Untersuchung verspricht er für die Zukunft; die in der ersten Ausgabe
veröffentlichten Anmerkungen sind für eine zusammenfassende Erklärung
der Gedichte zurückffestellt worden. Etwas viel Zukunftsmusik, aber wir
müssen immerhin zuirieden sein, dals wir nun Oswalds G^edichte in einer
jedenfalls besseren und wohlfeileren Ausgabe haben als zuvor.
Nur noch eine Bemerkung zur Biographie des Wolkensteiners. Sie
will Tatsfichüches bieten und weicht jeder Vermutung geflissentlich aus;
wo es irgend anfleht, werden urkundbche Zeugnisse Migebracht, hier und
da aber auch die G^chte selbst als Quellen heraufgezogen. Gewils mit
Recht; denn bei Oswald liegt die Frage nach dem biographischen Gehalt
seiner Lieder anders als etwa bei Beinmar und Walther. uleichwohl kann
man auch bei ihm in dieser Beziehung nicht vorsichtig genug sein. Es
ist doch sehr gewagt, zu behaupten, d& man 'seinen Angaben ... durch-
wegs Vertrauen entgegenbringen' dürfe (&, 5). wenn man noch auf der-
selben Seite sagen mius, da(s Oswalds Mitteilungen über seine Sprachen-
kenntnis (Schatz 64, 21 ff. =: Weber 1, 21 ff.) 'mit der nötigen Einschnnkung'
aufzunehmen seien.
Berlin. Hermann MicheL
Fr. Stahl, Wie sah Goethe aus? Berlin, G. Beimer, 1904.
Wenn wir uns einmal fragen, wie eigentlich einer von unseren besten
Bekannten aussieht, so treffen wir gewöhnlich in unserem BewuTstsein
nur ein verschwommenes Bild, weil die vielen £<inzeieindrücke sich gegen-
seitig beeintrSchtigen. Von nolsen M&nnem, die wir nie gesehen, naben
wir oft eine viel deutlichere Vorstellung, weil Ein bekanntes Bild sich uns
durch wiederholte Betrachtung fest eingeprägt hat. Wie Gtoethe, Napoleon,
Bismarck aussahen, glauben wir genau zu wissen. Aber ist das Porträt,
das Stieler oder Sduneller, David, Lenbach malten, zuverlässig?
Ikonoeraphische Studien haben z. B. für Wieland Weizsäcker, für
Friedrich den Groisen v. Tavsen, für Bismarck Graf Torck mit grofsem
Erfolg unternommen. Stanl sucht die Geschichte von Goethes aulserer
Erscheinung an der Hand der Dokumente zu schreiben; die literarischen,
obwohl gut ausgewählt, treten dabei neben den künstlerischen zu sehr
zurück, so daJs wir z. B. Über die charakteristischen Augen und ihre
Wirkunjg^ wenig hören. Auch sind zwei verschiedene Dinge nicht immer
sorgfältig gesondert: eben die wirkliche Erscheinung und der Eindruck,
den sie nervorrief . Es ist ja bekannt, daCs Goethe durch seine straffe
Haltung gröiser schien, als er war. Auch die Atmosphäre, die seine Gre-
stalt und sein Gesicht verbreiteten, gehört schlieTslich zu der Erscheinung
selbet. Die zunehmende Vergeistigun^, die Stahl gut beobachtet, gehört
sowohl dem Dichter, der immer tiefer im Groisen aufging, als den Künst-
lern» die ihn mit immer grö/seror Ehrfurcht beschauten.
AmUt t B. BpaelMB. GZY. 13
194 BeortcoIangeD und kane Anseigen.
Lehrreich sind die InteroretatioDeii, die Stahl einzelnen Bildern , wie
dem Tischbeinflehen in der Gampagna, dem der Gräfin Egloffstein, bei-
gaben hat G^egeo Eflgel^ ist er ungerecht; flcine Annaaennff hätte
nidit fehlen dürfen, wie wir denn den 25 Tafdn gern noch mümestenB
halb so viel beigefügt hätten. £. B. ein Uniformporträt und seihet Thackerays
Karikatur. Doch auch so ist das Kaleidoskop lehrreich geniu;. Wie sich
Goethe eine 'Maske' für die Gesellschaft bildet (8. 38) und sie wieder
fallen läist (8. 45), das ist recht ergötzlich ffeechildert
Es sollen ebensolche Bilderfol^ mit Kommentar zunächst für Bis-
marck. Rembrandt, Schiller folsen. Die letzte wird für den tischen
Prozeis des Idealisierens besonaers lehrreich sein. Aber auch hier (wie
bei BismarckI) sollte man das Gegengewicht der Zerrbilder nicht ganz
yemachlässigen.
Berlin. Bichard M. Meyer.
Ooeihe^ Iphigenie auf Tauris. £d. by K. BreuL Cambridge, at the
ÜDiyemty Press, 1904 (Pitt Press Series), 2 ed. LXXXIY, 254 8.
8 ah. 6 d.
An dieser yortrefflichen Ausgabe für englische 8tudenten wird den
deutschen Leser die Einleitung mteresaieren, die mit aulserordentlicher
Umsicht die Geschichte dieser 'Gelogenheitsdichtung' (8. XIV) schreibt
Die 'römische' Iphigenie wird von der 'deutschen' (8. XVIU) sorgfiUtig
abgehoben; ebenso fast zu reinlich untersdiieden, was in ihr griechisch
sei, was deutsch (8. XLIV). Der Charakter des Orest wird (8. XXIII)
Tidleicht zu entschieden als Hauptfaktor der Entstehung betrachtet und
Lessinn E^fluls auf das Metrum doch wohl (8. XXvI) unterschätzt.
BeBonaers dankenswert ist in dem Zusammenhang der literarischen Ein-
flü«e der HinwaU auf du Singspiel (ß. XXIH).
D, A. JzL. JXL.
Zur Sohillerliteratur des Jubiläumsjahres. L
1. L. Fulda, Schiller und die neue Generation. Stuttgart, Gotta,
44 8. 8.
2. Schillers SSnitiiche Werke. SSkular-Ausgabe. In 16 B&nden gr. a
In Verhindung mit Richard Fester, Gustav Eettner, Albert Köster,
Jakob Minor, Julius Petersen, Erich 8chmidt, Oskar Walzel, Richard
Weüjsenfels herausgegeben von Ekluard von der Hellen. Stuttgart,
Gotta, 1904 u. 1905. Preis des Bandes: ^. M. 1,20, in Leinw. geb.
M. 2, in Halbfranz geb. M. 3. Der heutigen Rezension liegen zu Grunde:
Band I (Gedichte, ed. von der Hellen), XXII, 360 8. Band IV (Don
Carlos, ed. Weüsenfels), XLIV, 332 8. Band VI (Maria Stuart und
Jungfrau von Orleans, ed. Petersen), XXX, 402 S. Band IX. rÜber-
Setzungen, ed. Eöster, 1. Teil: Macbeth, Turandot, Parasit, Nene als
Onkel), XXIV, 409 8. Band X (deren 2. Teil: Phfidra, Iphigenie in
Anlis, Phönizierinnen, Virgil), XX, 292 8.
3. Pantheon-Ausgabe. Berlin, 8. Fischer. Schillers Gedichte^ ed.
Weüsenfels. XL, 411 8. 16. Pzeis M. 3.
4. Marbacher Schillerbuch. Zur hundertsten Wiederkehr von Schülers
Todestag, herausgegeben vom Schwäbischen Schillerverein. Stutt-
gart, Cotta, 1905. X, 880 8. gr. 4.
6. O. Hamack, Schiller. (Aus Bettelheims Sammlung 'G^teshelden')*
Illustrierte Ausgabe. Berlin, £mst Hofmann u. Co. XIII, 476 8. 8.
Bearteilungon und kurze Antigen. 195
6. K. Berger, Schiller. Sem Leben und seine Werke. In 2 Banden.
I. Band, 1. u. ?. Auflage. "Mit PhotqgraTÜren nach Graff. München,
C. H. Beck, 1905. Vlft, 680 S. 8. Ads M. 6, geb. M. 8,50.
7. Julius Hartmann, Schillers Jugendfreunde. Mit zaUreicheD Ab-
bildungen. Stuttgart, Gotta, 1904. 368 S. 8.
8. Euno Fischer^ SchiDerschrifteD. 2. Auflage, Neu-Anagabe. Erste
Beihe. Schillers Jugend- und Wanderjahre in Selbstbekenntnissen.
Schiller als Komiker. 8. Geh. M. 6. fem Halbfranzband M. 8. Aus
der 'Ersten Beihe' sind einzeln zu naben: 1. Schillers Jugend- und
Wandeijahre in Selbstbekenntnissen. Zweite neubearb. und vermehrte
Aufl. 8. Geh. M. 4, Leinwandband M. 5. 2. Schiller als Komiker.
Zweite neubearbeitete und vermehrte Aufl. 8. Geh. M. 2. Schiller-
schiiften. Zweite Beihe. Schiller als Philosoph. (1. und 2. Buch.)
8. Geh. M. 6, fein Halblederband M. 8. Aus der 'Zweiten Beihe' sind
emzeln zu haben: 8. Erstes Buch: Die Jugendzeit 1779—1789. 8. Ge-
heftet M. 2,50. 4. Zweites Buch: Die akademische Zeit 1789— 179G. 8.
Geh. M. 3,50. Beide Teile fdn Leinwandband M. 7,50. Heidelberg,
Carl Winter.
9. (Pitt Press Series). Schiller, Geschichte des Dreifsigjährigen
Eji^es (Buch III), abridged and edited bj Karl Breul, Univeraity
Beader in Grermanic Cambridge, University Press. . 1904. XXXII,
194 8. kl. 8. 8 sh.
*Qoethe und Schiller — echtes und ewiges Dopnelgestini I Denn wenn
Goethe der Sonne bleicht, die den Tag erst zum Tage macht, so gleicht
Schiller dem Mono, den die Menschen als ihren puffen Freund, ihren
zuverlässigsten Führer verehren, so oft es Nacht wira.' Mit diesen Worten
schliefst Ludwig Fulda seinen gedankenreichen und formvollendeten
Vortrag, Worten, die wir vor allem unp gesagt sein lassen dürfen, die wir
uns taglich an 'die neue Generation' zu wenden haben. Und wenn Goethes
Mutter, mit ihrem feinen Gefühl die Zusammengehörigkeit der Weimarer
Dioskoren früher und tiefer erfassend als viele unter den Zeitgenossen,
ihrem Liebling im Hinblick auf den grolsen Freund zurief: 'Eure Werke
sind vor die Ewigkeit geschrieben,' so halten wir an diesem guten Worte
so fest wie an det ni<mt willkürlichen und äuDserlichen, sondern organi-
schen Verbindung Goethes und Schillers, trotz des Verdammungsurteils,
das Nietzsche gegen dies Wörtdien 'und' im allgemeinen und gegen den
'Moraltrompeter von 8&ckingen' im besonderen geschleudert hat. Für uns
sind Schiller und Gk>ethe keine ausschlielsenden GhrÖisen; auch das viel
gebrsudite Wort von der gegenseitigen Ergänzung beider hat nur in dem
seine innerste Berechtigung, was beide gemeinsam haben, nicht in dem,
was sie trennt; gerade das, was die beiden Grolsen eint, bedingt ihre Be-
deutung fnr die Ewigkeit Mit den landläufigen Gegensätzen, wie Rea-
lismus und Idealismus oder Individualismus und Universalismus usw., ist
hier wenig getan; ffewiüs geht Goethe von der handgreifUdien Wirklich-
keit aus; aber weder als Forscher noch als Dichter bleibt er bei ihr
stehen; er fordert vom Poeten nicht die photographische Beschreibung,
sondern die Epttomierung der Natur; diese aber kann nur so erfolgen,
dals der Dichter dasjenige, was ihm in dem Gewirr der realen Tatsachen
bedeutsam erscheint, hervorhebt, das Unbedeutende wegläüst, Ursache und
Wirkung genauer und fester verkettet usf., das alles aber doch nur auf
Grund einer eigenen, teils in bewulster G^ankenarbdt errungenen, teils
intintiv aufleaätenaen Anschanung von dem ewigen Verlauf der Dinge,
kurz auf Grund einer eigenen Wdtanschauung; das ist im Grunde ge-
18*
196 Beurteflimgen und knne Anzeigoi.
nommen doch wieder ein Idealismus *, und es verschlagt an sich nicht vieli
ob Schiller die beherrschenden Ideen starker betont oder Gk)ethe sie er-
raten Uüst; die Sache ist dieselbe, nur die Form eine andere; und der-
selbe Goethe, den man für einen rücksichtslosen Individualisten zu er-
klfiren liebt, hält doch so streng fest an der inneren Bestimmtheit mensch-
lichen Wollens und Handelns: 'Kach dem Gesetz, nach dem er angetreten'
muls der Goethische Mensch seines Daseins Kreise vollenden. Und wie
fem stdit Schiller anderseits im Leben und im Schaffen dem PöbeL der
erolsen Masse, wie fem steht er dem Schwann derer, die ihn als Schutz-
heiligen eines engherzigen Chauvinismus auf religiösem oder politischem
GKsbiete anrufen zu dürfen wähnen; und wie berühren sich die beiden
Groisen schließlich in ihren letzten Worten an ihr Volk, d. h. nicht an
die empirische Masse der Zeitgenossen, sondern an das Volk über und
hinter der gemeinen G^enwart, an das sich schlieislich jeder tiefere
Künstler wendet: wenn Schiller den trotzigen Individualisten Teil durch
eigene Erfahrung zum Vorkämpfer &net nationalen Bewegung reifen lälst,
so endet Faust, die gewaltigjste Individualität, die jemals über die Bretter
der Bühne geschritten ist, m der durch innere Erlebnisse und dur<^ die
Wahrnehmung der Folgen eigenen Handelns bewirkten freiwilligen Über-
windung alles Egoismus, in der bewuisten, erzieherischen Arbeit an seinen
Mitbürgern. Der eine führt sein Volk zum Befreiungskämpfe, der andere
zur emstesten Arbeit ... ein lässiges 'Glück' des Philisters, ein Leben
ohne Gefahren und Entbehrungen erschien keinem von beiden lebenswert,
weder dem groisen Dulder, aem die Parze vorzeitig den Lebens&ulen
durchschnitt, noch dem groisen Arbeiter im Staatsoienste, der bis ins
höchste Greisenalter hinein geschafft hat wie wenij^ seines Volkes, der
nie Zeit hatte, müde zu sein, der fast das ganze Wissen sdner Zeit sein
eigen nennen durfte, vor allem aber an sidi selber arbeitete, unentw^
fortschreitend auf dem ^tdeckuneswege nach Neuland, nach wissenschatt-
lichen, künstlerischen, sittlichen Errungenschaften.
Daram also gehören uns die beiden nach wie vor zusammen, inson-
derheit auch im Hinblick auf die deutsche Schule; denn wenn wir auch,
wie Fulda richtig betont, nicht mehr eine Schillerfeier begehen können
wie 1859, wo das ^wältige nationide Sehnen nach Einheit und Freiheit
in dem Namen Schüler gMchsam ein Symbol fand, an das es sich an-
klammem konnte, so sind wir doch heute weit davon entfernt, das er-
reicht zu haben, was Schiller erstrebte; und nicht blols im Hinblick auf
politische und soziale Umwälzungen einer nahen oder femen Zukunft,
woran Fulda denkt, 'wenn Wogen und Stürme das jetzt friedlich dahin-
gleitende Boot der herrschenden Klassen eines Taees wieder beunruhigen
und wenn das scheinbar Feste ins Wanken gerät , sondern auf bedeut-
samere und tiefere Wandlungen, die äulserlich nicht so ins Auge fallen,
um so mehr aber zum Bewußtsein erhoben und vor allem dem Gefühl nahe
Gebracht werden müssen, verlangen wir eine Schillerrenaissance, dne nicht
loiis vermehrte, sondern vertiene und aufs neue durcl^eistigte Beschäfti-
gung mit Schiller: im Hinblick auf die ästhetisch-sittliche f^iehung im-
seres Volkes. Der verhältnismälsiff geringe Ertrae, den unsere heutige
Übersicht auf dem Gebiete der philosophieren Scmllerforschung zu ver-
zeichnen hat, ist bedeutsam dafür, wie wenig man sich dsentlich mit dem
abgibt, worin die EwigkeitsbedeutunR Schiuers ruht. Gerade jene Zeit,
die hier und da ^ewüs in echter und wahrer Begeisterung, vielfach aber
sicherlich auch mit joiem faulen Enthusiasmus, von dem Gk)ethe als von
'eingepökelter Heringsware' redet, dem groisen Landsmanns zujubelte, ge-
1 VgL Schiller (Iber die Weltaiii&MSDiig des ernsten Reellsten, Sehriften
(Goedeke) X, 519 f.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 197
rade sie hat den einzigen, der mit Schulen künstleriBchen und volkB-
p&dacogiBchen Idealen Ernst zu machen suchte, hat Richard Wagner
mit Bpott und Undank ohnegleichen belohnt und ihm ein Martyrium
bereitet, das oft Zug für Zuf demjenigen des gefeierten Meisters zu ver-
gleichen ist Man versenke sich wieder in Schülers Weltanschauung, die
nur in ihrer spepellen Anwendung auf einzelne Fragen des gesellschaft-
lichen Lebens seiner Zdt veraltet, in ihrem Kern noch lange nicht ver-
arbeitet, geschweige denn überholt ist, und man wird finden, wie modern,
ja wie weit unserer Zeit vorausgeeilt dieser nroise, tapfere Mensch, dieser
tiefe und wahrheitsfreudige Denker ist. Da Kommt es denn nicht darauf
an, ob wir in politischer, kultureller und künstlerischer Hinsicht heute
anderer Meinung sind ab damab, was Fulda ganz richtig hervorhebt,
auch nicht auf die veränderte Stellung der Frau oder auf unseren Um-
flAngston, der dem Pathos so abgeneifft ist, dals er den Künstler und den
Kedner herabzerrt; auch nicht das Kann uns in seinem Guusse beein-
trächtigen, dafe wir heute entschieden naturalistischer geworden sind lüs
Schiller, dafs wir in der dichterischen, insbesondere aramatischen Dar-
stellung eine ganz erheblich breitere Heranziehung der konkreten Elemente
des Daseins &thetisch aufzunehmen und zu verarbeiten vermögen und
dementsprechend fordern als vor hundert Jahren; das alles wm wenig
sagen ; so gut wir uns in die Stube eines schlesischen Fuhrmanns oder in
die Höhlen russischer Finsternis hineinzuversetzen und, was Schiller zu
seiner Zeit noch nicht vermochte, auch im Lebenslauf der Ebiterbten das
'ffrolse, gigantische Schicksal' wiederzufinden vermöffen, können wir solche
Abetraktionsfähigkeit auch ganz gut einmal SchiOer j;^;enüber zur An-
wendung brinsen und uns zu dem Ton der C^eniepenooe, der Empfind-
samkeit, des Klassizismus zurücktasten ... es lohnt sich schon, einmal
mit Schiller ein Kind seiner Zeit zu werden, weil er uns dann ebenso wie
seine Zeitgenossen über die eigene und sdilielslich auch über unsere Zeit
hinauszufuhren vermag, bis dahin, wo das Zeitliche schwindet und das
Ewige, sowcdt es dem Menschen durch die Kunst zugänglich gemacht
werden kann, seinen Qlanz verbreitet.
Ist Schiller eines derjenigen Genies, die ihrer eigenen Zeit voraus-
geeilt sind, dann hat jede neue Generation die Pflicht, sich aufs neue mit
mm auseinanderzusetzen und zu zeigen, wie weit sie seinen Idealen ent-
gcMUffeffaneen ist ; sie hat femer mit den Hilfsmitteln, die sich die wissen-
schafuicne IfeÜiode inzwischen erobert hat, aufs neue an seine Werke
heranzutreten und zu versuchen, ob sie diese nun besser versteht als eine
frühere Zeit; sie hat endlich diese neuen Erkenntnisse für die Schule und
das grofte deutsche Publikum fruchtbar zu madien und dadurch Schillers
Gedanken zur erneuten Überführung ins Leben zu verhelfen; das ist
Arbeit genug, auch wenn die Schillmorscher nicht das Glück haben wie
ihre Genossen im Gk>ethearchiv, neue Entdeckungen im reichsten Ma&e
verwenden zu dürfen; in Wahrheit ist doch auch hier genug zu tun; wie-
viel neues Licht haben die beiden grolsen Biographien von Minor und
Weltrich über den Dichter und seine menschliche una kflnsüerische Jugend-
entwickelung zu verbreiten sewuist; diese Arbeiten sind nicht abgeschlossen,
es scheint, als sollten beide Werke Fragmente bleiben; da heiist es zu-
greifen, zum mindesten hier und da die einzelnen Punkte aufhellen; und
aa Goedekes groise 'historisch-kritische Ausgabe' weder dem Literarhisto-
riker noch dem Textkritiker heute völlig eenügen kann, so wäre eine
wahrhaft wissenschaftliche Schillerausgabe ooch ein dringendes Bedürfnis.
Leider ist aber bis heute von einer solchen nichts ans Tageslicht getreten.
Immerhin können wir unseren Lesern eine gninze Keihe von wert-
volloi Ausgaben^ biographischen und erklärenden »chriften vorlegen, die
zur kr&ftiffen Wiederbeleoung einer tätigen Versenkung in Schillers Werke
geognet nikd«
196 BenrtdliiDgai und kam Anseiges.
Die yomehmste unter allen literarischen Jubilänmsgaben ist jeden-
laUs die 'BfiknlarauBgabe' der 'Sämtlichen Werke' Schillers in 16 Bfinden,
die unter Leitung von der Hellensim Cottaischen Verlage erscheint,
ein würdiges Gegenstück zu der dortselbst veranstalteten Go^theausgabe.
Wir haben hier endlich eine klassische Edition fflr das deutsche Haus»
eine solche, die nicht nur durch relative Vollständigkeit und wilrdigste
Ausstattung, sondern auch durch kritische Gediegenheit und durch er-
klärende &igaben aus der Feder hervorraffender Fachleute sich vor
allen uns sonst bekannten auszdchnet. Freilioi muis betont werden, dafs
die Wissenschaft aus dieser Ausgabe zwar reichen Nutzen ziehen kann,
insbesondere aus den exegetischen Teilen, daXs es sich aber um eine spe-
zifisch wissenschaftliche Ausgabe, die etwa im akademischen Unterricht
odesT Einzeluntersuchungen zugrunde gelegt werden könnte, nicht han-
delt; der Text ist zwar nach kritischen Grundsätzen hergestellt, entbdirt
aber des kritischen Apparates; jene Vollständigkeit, wie sie Gödekes frei-
lich in Hinsicht auf die Text Gestaltung hier überholte Edition dar-
bietet, ist nicht angestrebt. Wir sind aber weit entfernt, dem verdienten
Verfasser aus seiner durch die Bestimmung der Ausgabe bedingten Zu-
rückhaltung einen Vorwurf zu machen ; seine selbständige, sorgfätige Ar-
beit darf nicht unterschätzt werden.
Bietet er uns doch gleich im ersten Bande etwas ganz Neues und
Eägenartigee in der Anordnung der Schillerschen Gedichte. Bekanntlich
rührt die Reihenfolge, an die wir von Jugend auf durch die landläufigen
Ausgaben ^ewühnt sind, mit ihrer Einteilim^ in 'drei Perioden' nicht von
Schiller selbst, sondern von Eömer her. Die Ausgabe der Gedichte von
1800 berücksichtigte die Jugendlyrik so wenig, daGs sie für einen späteren
Herausgeber, der minder hohe Ansprüche stellte als der gereifte Dichter
selbst, nicht bindend sein konnte. Die zweite Sammlung von 1803 nahm
zwar eine groise Anzahl der ältesten Arbeiten auf, aber ohne die von
Schiller beabsichtigte Umschmelzung. Aus bdden Bänden wollte dann
der Dichter für die von seinem Verleger Crusius vorbereitete Trachtaus-
ffabe' eine Auswahl in ganz neuer Anordnung treffen. Die Drucklegung
aieser im Plane fertiggestellten Ausgabe hinderte zunächst Eranlmeit,
dann der Tod Schulen und späterhin Mchäftliche Verhältnisse. So blieb
es denn in der Folgezeit meistens bei Kömers recht willkürlicher Anord-
nung, bis in neuerer Zeit einzelne Herausgeber, u. a. der verdiente Beller-
mann, eine chronologische Reihenfolge herzustellen versuchten. Schiller
hatte nicht an eine solche, sondern an eine Anordnung nach inhaltlichen
und ästhetischen Cresiditspunkten gedacht. Wie feinsinnig diese durch-
Sxfflhrt ist, zeigt der nun durch von der Hellen bewirkte Abdruck der
edichte nach seinen Intentionen in vier Büchern, deren erstes und zweites
die Lieder und Balladen, deren drittes und viertes die Gedankendichtungen
bringen. Im 'Anhang* führt von der Hellen alle diejenigen CMichte auf,
die m den Sammlungen von 1800 und 1808 stehen, aber in die Pracht-
ausgabe nicht mit üoergehen sollten, so u. a. die 'Phantasie' und 'Die
Entzückung an Laura', 'Graf Eberhard der Greiner von Württemberg,
'Die berühmte Frau' und die Rätsel, und endlich soll der uns noch nicnt
vorliegende zweite Band als 'Nachlese' bringen, was vojgi jenen beiden
Sammlungen ausgeschlossen wurde. Die Stüdce aus der Aneide sind mit
anderen Übersetzungen im zehnten Bande vereinigt Wie weit die 'Nach-
lese' reichen wird, läfst sich heute noch nicht sagen, doch hoffen wir im
Interesse des Publikums auf einen durch keine Prüderie verkürzten Ab-
druck der 'Anthologie'. Es ist hohe Zeit, dafs unsere gebildeten Zeit-
genossen endlich einmal den wahren Schiller auch in den Jahren seiner
Entwickelimg kennen lernen. ~ Minder als die Textgestaltung wird die
Eridärung des ersten Bandes alle Ansprüche befriedigen, was ja durch die
Natur der Sache gegeben ist. Von der Hellen beschränkt sieh im grofsen
Beurteflniigen und kurze Anzeigen. 199
ganzen anf die EntstehTingBffeecfaichte der G^edichte, in die er hier und da,
z. B. beim 'Lied an die !^ude', den Abdruck unterdrückter Strophen
einflicht. Dafs der Erklarer aich nicht in Einzelheiten verlieren wollte,
ist wohl TerBtändlich, aber ffir die 'Eünstier', für 'Das Ideal und das
lieben', auch für die 'Qlocke' und den 'SpazierKang* muiate entschieden
mehr geboten werden, als hier geschieht. Im uigemeinen sucht er den
Gehalt der bedeutenderen Nummern in ein kurzes Schlagwort zusammen-
zufassen, wobei er meistens, aber nicht immer glüc^ch ist. Ich sehe in
lieanders Tat nicht eine Versuchunff der Qötter wie von der Hdlen
S. 309 (zum 'Taucher'); l&ge eine soloie vor, so hätten nach Bchillers An*
schauunff die Himmlischen längst einschreiten müssen; an Hybris könnte
man höchstens bei den kühnen Worten der Hero denken; das Verhalten
des Jüngling aber möchten wir lieber mit dem des Bitters Toggenburg
auf eine Linie stellen, dessen unüberwindliche liebe unser £rkl&*er S. Sil
^ohl zu würdigen weifs.
Erwähnt sei hier gleich noch die vornehm ausgestattete Pantheon-
ausgabe der Gredichte, m der Weifsenfels eine im grolsen ganzen an
Xömer sich anschlielsende, doch mannigfach erweiterte und auch in der
Beihenfolije oft selbständige Auswahl mit sehr knappen Bemerkungen,
aber mit emer gehaltvollen, das allmähliche Ausreifen der Weltanschauung
des Dichten darstellenden Einleitung des Dichters veranstaltet hat. Eine
besonders wertvolle Beigabe bilden die fieproduktionen der SchillerporMts
von Graff, Doris Stock und Weitsch, femer Frau von Kalb von Tischbein
und Lotte von Simaaowitz, endlich Schillers Geburtshaus und eine Hand-
Schriftprobe.
Weifsenfels verdanken wir auch die Bearbeitung des 'Don Carlos'
in der Jubiläumsausgabe. Eine sehr ausführliche Einleitung erklärt das
Werk auf Grund seiner Quellen und der gerade hier besonders widitigen
Entsitehungsgeschiehte. Wir wüisten seiner, gründliche Beherrschung des
Materials ^weisenden knappen, doch vielsasenden Zusammenfassung^ wenig
hinzuzufügen; nur die Ent Wickelung, die Marquis Posa durchmaßt, die
dramatische Bedeutung des Widerspruchs zwischen seiner besonnenen Art
in den ersten und seiner Schwärmerei in den letzten Akten scheint uns
nicht ganz den Absichten des Dichters gemäiJ9 erfalst, und den 'Briefen
über Don Carlos' ist der Herausgeber hier noch nicht gerecht geworden.
Seinem Text 1^ Weifsenfels im jganzen die Fassung zugrunde, die der
Dichter sdbst im 'Theater' (1805 n.) letztwilli^ drucken üefs, geht aber
in Einzelheiten oft auf die älteren Drucke zurück, besonders wo es sidi
um willkürliche Schlimmbesserungen fremder Hand und um einzelne, von
Schiller selbst später nicht absiditlich, sondern unter dem Zwange des
von ihm zugrunde gelegten Abdrucks von 1801 fallen gelassene, ältere
metrische B^flerungen handelt Seinen reichen Anmerlrangen geht ein
Abdruck des Bauernacher Entwurfes und der ersten Szene in der Thalia-
fassung von 1785 voraus.
\^t kürzer als Weifsenfels fafst sich Petersen in den Einleitungen
zum sechsten Bande, der 'Maria Stuart' und die 'Jmigfrau von Orleans'
bringt, doch geben die Anmerkungen reichlichen Aufschlufs über das Ver-
hältnis der Dramen zu den historischen Quellen. Petersen sieht in der
'Junjgfrau' wie späterhin im 'Teil' eine Reaktion des Temperaments g^gen
die im 'Walleostein' und in der 'Maria' bewährte Objektivität gegenüber
dem Stoff. Ob wirklich Schiller die Geschichte der englischen Königin
blols mit der 'reinen Liebe des Künstlers' behandelt hat? Wir hoffen an
anderer Stelle nachzuweisen, dafs selbst Wallenstein gegenüber die Kühle,
mit der ächiller an seinen Stoff herantrat, allmählich doch einer wärmeren
Stimmung Platz machte; aber während hier der Gegenspieler, Octavio,
eine zwar kleinliche, aber doch im ganzen würdige Bolle spielt und dem
Helden gegenüber in unseren Augen steigt, sinkt Elisabeth, wie Petersen
200 BeurteUungen und knrae Anzeigen.
richtiff darstellt, yor uns Ton Stufe zu Stufe, so dals sie schlieiBlich wohl
äufsenich den Bieg davontri^ und sich rühmen darf, 'Eönion von Eng-
land' zu sein, in Wahrheit aber eine sehr empfindliche moraBsche Nieder-
lage erlitten hgL Diesen fiuDseren Erfolg bei innerem Zusammenbruch und
ff&nslichem Überwiegen des egoistisch-leidenBchaftlichen Elements, gcsen
aas im Anfimff nodi ein mensoiliches Gefühl ankämpfte, fanden wir schon
bei Eönijg Phmpp, und meisterhaft hat es snater Hebbd in seinem Hero-
des durchEuführen sewuist Auch das ist Tragik, dies allmähliche Hin-
sinken, gegen das der Träeer des Charakters sich vergeblich zu wehren
strebt. So wird audi Waüenstein allmählich zum yollendeten Egoisten.
Dem gegenüber steht die Figur Marias, die mit ihrer schrittwüsen Läute-
rung uns das Herz abgewinnt und entschieden auch dem Dichter ab-
gewonnen hatte. Zu ihr steht er anders ab zu Wallenstein; von diesem
wenden sich die Ctotreuesten und Edebten der Sdnen allmShlich ab,
Marias Ctotreue halten bis zuletzt bei ihr aus, ja in ihren Augen st^t
sie sdilie&lich wie eine Heilige da, sie rechtfertigen sie nicht olois, sie
beten sie fast an und lenken dadurt^ unser eigenes Herz, wie ihre Worte
das Sprachrohr der Gefühle des Dichters sind. Dem gegenüber kann auch
die bäcannte Brie&telle vom 19. Juni 1799 nicht yerfangen (Jonas VI 46) :
'Meine Maria wird keine weiche Stimmung erregen, es ist meine Absicht
nidit, ich will sie immer ids ein phyvisches Wesen halten, und das Pa-
thetische muis mehr eine allgememe tiefe Rührung als ein persönliches
und individuelles Mitgefühl sein. Sie empfindet und erregt Keine Zärt-
lichkeit, ihr Schicksal ist, nur heftige Passion zu erfahren und zu ent-
zünden. Blofis die Amme fühlt Zärtlichkeit für sie.' Das beweist nur,
dals Schiller während der ersten Phase seiner Ausarbeitung (das Stück
war erst ein Jahr später fertig!) sich mit der Absicht einer möglichst
objektiven Darstellung trug; der Schlub ist ihm augenscheinlich erst
spater aufgeg^angen, wie ja bekanntlich auch der Beschluis des Wallenstein
seine tieftragische Gestaltung erst in der letzten Periode der Tätigkeit am
Werk erhielt Aus ebendiesem Grunde möchte ich hinsichtlich der 'Jung-
frau von Orleans' das Böttigersche Zeugnis nicht so ohne weiteres ver-
werfen, wonach Schiller zun&hst im Anschlufs an die Geschichte Johannas
Feuertod in Ronen erwogen hätte. Freilich, 'Schillers Art war es nicht,
ohne entschiedenen Plan ins Blaue hinein zu arbeiten' (Petersen, S. 21),
wohl aber hatte er meist mehrere Pläne zur Verfügung, oie einanaer nicht
selten kreuzten. Hier handelte es sidi nur um den Eindruck auf den
Zuschauer, nicht zwar einen gemein theatralischen, sondern. um die 'In-
okulation' desgrofsen Schicksids, und dieser Zweck verlangte das Durch-
kämpfen der Imidin bis zur freiwilligen Anerkennung des Unumgänglichen,
bis zu der von Schiller geforderten 'moralischen Selbstentleibung', da die
Heidin mit freundlich dargebotenem Busen das Geschols vom sanften
Bogen der Notwendigkdt empfängt. Das konnte sie dem Holzstols gegen-
über so gut bewähren wie angesichts des Todes im Kampfe. Was den
Dichter dennoch abschreckte, war wohl ein anderes. Die Gerichte, denen
sich ein Karl Moor oder ein Präsident Walter überliefern, bleiben hinter
der Szene und dürfen, so erbärmlich uns die äufsere Weltordnung er-
scheinen mag, gegen die der Räuber und Ferdinand angekämpft haben,
doch immer am Respekt, auf innere Anerkennung bei uns rechnen, sie
sind die irdischen Vollstiecker des allmächtigen Sdiicksals, ^^gen das die
Helden in die Schranken getreten sind. Der englische GtondEtshof aber,
vor dem Johanna erscheinen sollte, mufste notwendig widerwärtig und
abstofsend wirken, und eine Unterwerfung unter seinen Spruch hätte dem
heroischen, erhebenden Abschluls Eintrag getan ; gerade die Ahnung eines
höheren Schicksals, mit dem sich die Heldin identifizieren sollte, wäre
doch durch eine derartige theatralische Anschauung unterbunden worden. —
Petersen legt der 'Maria Stuart' den ersten Druck (1801) zugrunde, be-
Benrteilungen nnd kune Anzeigen. 201
rückflichtigt aber auch die Siteren Bühnenmannskripte und die englische
Übersetzung Ton MeHish, leider auch diese ohne Kenntlichmachung der
betreffenden Abweichungen. Für die 'Jungfrau' konnte der Herausgeber
daa für die Neuausgabe im 'Theater' (1805) von 8chiller eigenhändig und
sdir stark durchkorrigierte Exemplar des ersten Druckes Mnutzen.
Für die Herausgabe der Schillerschen Übersetzunrai (Band IX und
X) war Albert Eöster, der Darsteller 'Schillers als Dramatur^n', der
bmifene Mann. Die Einleitungen geben im grolsen ganzen die Resultate
jenes gröiseren Werkes wieder. Audi heute noch steht Eteter auf dem
Standpunkte, dals Schiller, der in seiner Jugend Macbeth 'teuflisch' nannte
(Schlitten I, B-11), spfiterhin einen 'edlen Feldherm' in ihm sah, 'der nur
aer Versuchung der Hexen und seines Weibes erliegt'. Ein solcher Held
wäre in der sanzen Schillerschen Dramatik unerhört, und gerade die Frei-
heit, die sich Schiller in ethopoetischer Hinsicht allen seinen Vorlagen
g^enüber ninmit (trefflich hat das Köster selbst für die 'Turandot' n&ch>
^wiesen I), hätte am wenigsten hier eine heteronomische Beeinflussung
eines Mannes, der sich doch im Kampfe seiner Haut zu wehren weils, zu-
gestanden. Auch Ton Wallenstein hmlst es, zu schwer sd für sein schUmm
verwahrtes Herz die Versuchung gewesen, aber das schlimm verwahrte
Herz ist das erste und die Versudiung das zweite^ auch für Gestalten
wie Max Piocolomini kommt es zu einer Trübung ihrer seelischen Har-
monie, aber sie bleibt vorübei^ehend, und sie nnden, mögen sie auch
physisch zugrunde gehen oder des Lebens überdrüssig werden, doch
moralisch ihr Gleichgewicht wieder. Zu diesen Naturen eehört Wallen-
stein nicht, der sich selber sagt, dals er nicht ohne Wunsch durchs Leben
^lea könne, daia seine Natur ihn zur Erde hemiederziehe, unter deren
Oberfläche schlimm geartete Dämonen hausen. Gewifs y^olgt er edle
Zwecke, aber dazu bäarf er der Macht, und diese *Macht ist's, die sein
Herz yerführt'. Genau so steht es mit Macbeth. Die Versuchimg ist
eben nicht das Ausschlaggebende, der letzte Grund des Unheils liegt im
eigenen Charakter, und um das so klar und deutlich als möglich zu
machen, hat Schiller die Hexenszene am Eingang so bedeutsam erwdtert.
Hier wird dreimal ganz klar ausgesprochen, daCs es auf den Menschen
selbst, auf seine innerste Anlaj^ ankomme, wie er sich der Prophezeiung
s^ennber verhalten werde. Einen Banquo läist die Wahrsagung ziemlicn
kalt, Macbeth wird aufs tiefste von ihr betroffen, weil sie an sdnen Lebens-
nerv rührt. Schon lange hat er von Herrscherwürde geträumt, nun scheint
sich die Erfüllung darzubieten. Die I^a^k Uegt aber bei ihm wie bei
Wailenstein und der Königin Elisabeth dann, daß er, zum noindesten nach
Schillers Auffassung, keine Benaissancenatur im Sinne der Übermenschen
der italienischen Dynasten ist, dals ihm das robuste Gewissen fehlt, worüber
Richard III. verfügt. Was er um seiner Leidenschaft wegen tun muis,
das bereitet ihm aus sittlichen Gründen Sc^uder, und es bedarf eines
eewaltsamen Anlaufs, um über diese Bedenken hinwegzukommen. Dieser
Anlauf nun erfolgt auch hier auf ganz parallele Weise wie bei Wallen-
stein : der energische Abfall zum Egoismus und zur Sinnlichkeit, die Um-
wandlung zum krassen l^rannen fällt mit der EUngabe an den Aber-
glauben, an das bewulste Erforschenwollen des Unergründlichen zusammen ;
Sier sucht Macbeth selbst die Hexen auf, um bei ihnen Bats zu holen;
nnd j;etren dem Wink ihrer Meisterin, die schon böse darüber ist, daIJs
sie emem schwachen Menschen Unp^eures zugemutet haben, verblenden
sie ihn nun bis zur BewuistloBifl^eit und lassen ihn auf diese Weise in
sein Verderben rennen. Wie Wailenstein, ficht dieser Macbeth zuletzt
bloXs noch um sein äufseres nacktes Leben; sein Herrschertrieb ist zum
Selbsterhaltunsstrieb herabgesunken. 'Betrüglich' sind die Wahrsagungen
der Hexen ni&t, insofern sie sich nachher als falsch herausstellten, son-
dern insofern sie von dem abergläubischen und durch Leidenschaft ver-
202 Bearteilangen und kurze Anaeigeo.
blendeteii MenBchen aliB BeBtimmunff anfgefaist werdeo, die er mit IrdiBcheii
Mitteln zu rerwirklichen habe, mdcj^uo wartet ab, was das SchSdnai
bringt, und strebt der Eönigswürde für seine Nachkommen nicht nadi;
'mit dem G^eschick in hoher £2inigkeit' errdcht er ohne £inffriff in den
natürlichen Verlauf der Dinge das in Aussicht gestellte ZaeL. — Wenn
andersdts Röster mdnt, der Wortreichtum der Senillerschen Bearbeitung
MffenOber dem Original sei darin bc^rflndet, dais es Schiller 'häufig genug
Belbetzweck war, schöne Verse zu (Sehten, für die erstrebte neue Kunst
der Bühnendeklamation', so möchten wir auf den weiter unten zu Bartels'
Aufsatz herangezogenen Aussprudi des Dichters über die Notwendigkeit
einer aussiebigeren Diktion Terweisen.
Auf die treffliche Einleitung zu 'Turandot', die alles für das weitere
Publikum zur literarhistorischen Orientierung Unentbehrliche mit muster-
gültiger Knappheit bringt und GU>zzis dichterische Eigenart und Technik
schan beleucntet, sei nur mit dem Ausdruck des Dankes verwiesen. Was
die 'Phfidra' angeht, so h&tten wir gern eine Erklärung dafür gehört,
warum Schiller unter den französischen Klassikern allein Racine von der
sonst allgemeinen Verurteilung, ausnahm; die bei aller formellen Gebun-
denheit doch unverkennbar reaSstische Darstellung des emotionellen Lebens,
die diesen Dramatiker vor dem descartisch yernunftkühlen Comdlle aua-
zeichnet, modite wohl den Ausschlag geben. Das meint wohl Karoline
Wolzosen mit ihren auch bei Köster angeführten Worten: 'Diese mfte
Darstellung der Menschheit in ihrer Allgemeinheit und ewieen Natur-
wahrheit ergpff uns im tiefoten Inneren und entzückte uns.' Leider s^t
Köster, der m den Einleitungen zu den euripideischen Stücken die Über-
setzertechnik Schillers so eingdiend und klar eriSrtert, auf die AuflPaasung
der griechischen Figuren nicht ein. Die Anmerkungen zur 'Iphigenia' hat
er in sdnem reichen Kommentar mit v^arbettet, sie sollen auJseraem noch
einmal unter den 'Vermischten Schriften' im Zusammenhang gebracht
werden ; wie gern hätten wir aus der Feder des feinsinnigen Herausgebars
eine Auseinandersetzung über den Charakter des Agamemnon usw. ge-
lesen I
Leider reicht der hier zur Verfügung stehende Baum nicht zu, um
einem so inhaltreichen Werke wie dem marba^ier SokiÜerhuch, das den
Reigen der Forschungen billig eröffnet, in allen seinen Teilen eerecht zu
weraen. Für die pralshtroUe Ausstattung haben wir unseren Dank wohl
der Verlagsbuchhandlung abzustatten, die auch für dne im ganzen treff-
lich gelungene Wiedergabe einer sehr grofsen Anzahl von Porträts Schillers
und der Seinigen, von Abbildunggi seiner Wohnstätten usw. Sorge be-
tragen hat Hier nur ein kurzer Überblick über das Wichtigste des Ge-
botenen mit einzelnen, mehr gel^ntlichen Bemerkungen. Ericn Schmidt
teilt einen Brief Humboldts an Frau von Stael ÜMr Schillers Tod mit,
Alexander von Gl eichen -Rufs wurm berichtet über das 'SchillermusMim
zu Greifen stein', Baumeister v^sucht 'Schillers Ideen vor sdnem
Dichterberuf' zu entwickeln. Über das Thema eines der bedeutoidsten
Beitrl^: 'Frdheit und Notwendigkeit in Schillers Dramen' von Theo-
bald Ziegler, habe ich mich inzwischen in dnem eigenen Buche ge-
äulsert. Feinsinnig verfolgt Walzel die Andeutungen über bild^ide
Kunst in Schillers Werken. 'Nicht seine Begabung, nioit eine anreffungs-
reiche künstlerische Umgebung hat Schiller dem jäeiche der Plastik und
Malerei zugeführt. Und doch möchten wir nicht missen, was innerhalb
seines Schufens diesem Reiche angdiört Der Philosoph Schiller hat hier
Anschauungen gefunden für seine Lieblingsideen ; der Phantasie des Dich-
ters ist diese Anschauung eine Quelle ^worden, aus der sie gern schöpft.
Dem Dramatiker, der von einer musikalischen Stimmung ausging, er-
standen durch die bildende Kunst plastische Ruhepunkte lür die ifilodie
seiner tragischen Muse.' Mit besonderer Freude oegrüisen wir die 'Bd-
Benrtdlimgeii und kurze Aiiseigen. 20S
traee der amerikaniBcheii GtermaniBten. Da spricht M. Dexter Learned-
Phuadelphia über 'Schillers literarische SteHune in Amerika', F. Bichter-
St. Louii über den Schillerrereln in Amerika und Otto Schneid er-
Eyanston über * Schiller als Bannerträ^ des deutschen Gedankens in
Amerika'; ^anz kurz, aber bedeutsam smd die Ausführungen Franckes
über 'die innere Verwandtschaft von Naturalismus und Symbolismus'.
'Sowohl Naturalismus wie Symbolismus sind Ausflüsse einer intensiv ge-
steigerten Sul^ektivit&ty eines fieberhaft gespannten Interesses an dem
Innenleben.' Leichter wiegt P fisters Aiusatz über 'Sohiller als Erie^-
mann' oder ein Beitrag wie die 'Teilstudien' Auerbachs, die Bettelheim
aus dem Nachlals abdruckt. Biographische Ausführungen geben Eraufs,
'Friedrich Schiller in der Ludwigsburger Lateinschule', H. Fischer,
'Schiller und die Seini^en bei Hermann Kurz', Pfeiffer über 'Schiller
in der Earlsschule'; aucn Weizsäcker über 'Ohristophines Schillerbilder'
eehört dahin. Für uns bedeutsamer sind die literargeschichtlichen Aus-
führungen. Qeschickt führt Kilian ('Don Carlos aiu der Bühne') seine
ans der Beclamschen Bibliothek bekannte, ausRezeichnete Don Garlos-
Bearbeitung ein. Weniger spricht uns der Aufsatz von Westen holz
'Wallenstetn undMacbew' an, der bei weitem nicht so tief in das psycho-
logische Problem des 'Wallenstein' eindringt als die obenerwähnte Arbeit
von Zitier. L. Geigers Aufsatz 'Schiller und Diderot' ist wichtig durch
■eine Vergleichung zwischen der Erzählung 'Merkwürdiges Beispiel einer
weiblichen Bache' mit dem Original, weni^ durch den kurzen Hinweis
auf die verschiedene Gestaltung des gleichen Stoffes, des Motivs der
'Bürgschaft' bei beiden Dichtem. Adolf Frey weist die Beziehung zwischen
'Schiller und Matthisson', insbesondere im 'Spaziergang' nach, verfolgt
auch Spuren der Einwirkung des Lyrikers bis m den *TeJl' hinein, dessen
Hdd dem von jenem verherrlichten Berufe des Gemsjägers obliegt. Treff-
lidi wägt er in einer Analyse des Schweizerdramas aie durch die fest-
stehenden Motive bedingten Schwierigkeiten ab, die sich der dramatischen
Komposition in den Weg stellten und bei dem eiligen Abschlufs des Werkes
sich nur um so fühlbarer machten. Sehr wertvoll für den deutschen
Unterricht sind seine Ausführungen über Gefsler, minder zwingend er-
scheinen seine Bedenken gegen den Schlufs der Einffanesszene. Inter-
essante Studien über 'SchiUers Balladentechnik' bietet Bulthaupt, und
Litzmann erfafst 'Schillers Balladendichtun^' lüs Ganzes, um auf ihren
tiefen Gehalt und ihre formale Vollendung hinzuweisen. Mit Recht be-
tont er den hohen künstlerischen Wat dieser kleineren Werke des Dich-
ters und verwahrt sich gegen ihre handwerks- und cewohnheitsmälsiffe
Bdiandlung in der Schule. 'Die Folge ist, da(s die Junten alle Freude
und allen ftespekt vor dem Kunstwerk verlieren und mit Sdullerschen
Balladen den B^riff und die Vorstellung von unerträglicher, moralisieren-
der Pedanterie und höchstens von einer Beihe schön klinraider Verse
verbinden lernen. Wenn ?rir so fortfahren, so werden wir Schiller uns
und unseren Kindern bald völlig verleidet haben. Hier wäre ein War-
nongsmfy videant consules, am Platze. Denn es handdt sich um einen
gentigen Raubbau, der uns unerme£slichen Schaden tut' Diese Gefahr
können Aulsätze, wie die beiden zuletzt genannten, die sich teilweise mit-
dnander berühren, gar wohl vermindern, und darin beruht der Wert
solider Mahnrufe, dals die Meister der Wissenschaft selbst Hand anlegen,
um die Zustände zu bessern. Nur jrilt, was Litzmann von den Balladen
sagt, noch mehr von den Dramen. Was uns not tut, ist ein wissenschaft-
laäk exakt fundierter und von künstlerischem Nachempfinden getragner
groAer Gesamtkommentar zu Schillers Werken — eine Arbeit, um deren
Anbahnung und Förderung sich unsere Akademien im Jubiläumsjahre
verdient machen dürften!
Wertvoll durch die mutige Zerstörung altererbter Irrtümer ist auch
204 BeortoüimgeQ und knrae Anzeigen.
der AuisatK von Otto Harnack über 'Schiller und Herder*. Vielleicht
geht er etwas zu weit in der Behauptung, Weimar sei zur Elassikaxdt
überhaupt keine literarische Stadt gewesen, aber das kann man ihm ohne
weiteres zugeben: 'Was die grolsen Dichter anzog und festhieit, waren
die PersGnhchkeiten des Herzogs und seiner Mutter, die es yerstanden,
die yerschiedensten IndiTidualitäten zu fessehi; für sich aber lebte jede
dieser Indiyidualitaten isoliert, wohl fanden sie sich bisweilen für dne
Strecke Wegs mit einsr anderen zusammen, aber nur soweit es der Gang
des eigenen G^tes ihr wünschenswert machte. Selbst mit dem spat ee-
schlossenen Freundschaftsbund Schillers und Goethes steht es nicnt
anders.' Und ausgezeichnet ist die Auseinandersetzung über die schlieCs-
liche Trennung Herders von der Horengenossenschaft, der er nur schein-
bar eine ZeiÜimg angehört hatte; vielleicht hätte Harnack hier die Farbe
etwas kräfti^r auftra^;eii und auch der weiblichen Einflüsse gedenken
sollen, die hier im Spiele waren, immerhin war es gut, den Nachdruck
darauf zu l^n, dals bei dem grollenden Ausweichen Herders weniger
kleinliche Verbitterune als ein klares Bewufstsein davon entscheidend war,
dafs jede der preisen Naturen ihre eigenen Wege gins; das Ziel mochte
das gldche sem, die Weggenossen aber konnten ni(£t Schulter an Schulter
dahinsteuem. Dagegen mOchte ich nicht gleich für die erste Weimarer
Zeit und besonders nir die Jenaer Jahre das Verhältnis der beiden Männer
so kühl auffassen, wie Harnack tut Dieser übersieht augenscheinlich
manches wichtige Dokument, wie den Brief (Jonas Nr. 271) an Kömer
vom 15. Mai 1^8: 'Ich habe mich mit Herder über historische Schrift-
stellerei, Magnetismus und verborgene physische Kräfte unterhalten. Er
ist sehr für oie letzteren ... so sait er von sich, dais ihm das erste Zu-
sammenkommen mit einem fremden Menschen ein dunkles physisches
Gefühl erwecke, ob dieser Mensch für ihn tauge oder nicht, Herder neigt
sich äulserst zum Materialismus, wo er nicht schon von ganzem Herzen
daran hängt. Sein letzter Teil der Ideen wird, wie er mir sagt, nicht
herauskommen. Fertig ist er langst; warum er damit zurückhält, mochte
ich ihn nicht fragen, weil es wahrscheinlich seine verdrielsliche Ursache
hat. Vielleicht kann ich ihn im Manuskript von ihm erhal-
ten, und dann sollst Du auch dabei zu Gaste sdn. Ich bin willens,
Herdern diesen Sommer sozusagen zu verzehren.' Diese Stelle
zeigt, dafs von einer gMjenseitiffen Interesselosigkeit, wie sie Harnack
S. 75 konstatiert, keine Kode sdn kann; und dafs Schiller die 'Ideen'
nicht blos gelesen, sondern auch für seine eigenen historischen Arbeiten
benutzt habe, hoffe ich in Kürze an anderer Steile nachweisen zu können.
Auch kann man nicht Herder so ohne weiteres als Kultnrhistoriker,
Schiller als vorwiegend politisdien Gkechichtschreiber hinstellen, wie das
S. 76 geschieht Auch Schiller hat das allgemeine Kulturelement theo-
retisch und praktisch scharf betont Freilich hat Harnack sehr recht
damit, dafs Schiller immer wieder bei der Herausarbeitung der grolsen
Menschen anlangt, die eigentiich die Geschidite 'machen , und ebenso
klar legt unser ^richterstatter den Grundunterschied der Weltanschauung
dar, der Herder von den beiden großen Freunden trennte. Herder strebt
nadi Humanität an sich, Goethe und Schiller meinen, 'dafs jede Tätig^kdt
nur dadurch zu ihrer höchsten Stufe edanjge, dafs sie Selbstzweck wird';
wir werden sagen können: Herder fa£t die Humanität in realistischem,
die beiden Klassiker in nominalistischem Sinn auf; es seht ihnen mit
ihr wie Luther mit der ReU^on und dem Christentum, sie ist nicht eine
Sache für sich, sondern gleichsam eine Methode, andere Sachen anzu-
fassen; der Künstler, der Gdehrte, der Staatsmann, sie alle haben auf
ihrem besonderen Betätigungsfelde an der Herausarbeitung des allgemein
Menschlichen mitzuarbeiten; dabei läfst sich klar und scharf etwas den-
ken; Herders B^gritf der Humanität aber schwebt in der Luft und ist
Beaiteflimgen und kurze Anzdgen. 205
im Grande genommen von seiner eigenen Individnalitfit abliängig; je
enger mid kleiner diese allmShlich wnrae, nm so mehr mnlste er an Wirk-
samkeit ins Grofse einbüfsen.
Weniffer zufrieden sind wir mit dem Beitrage Adolf Bartels' über
'Schillers Theatraüsmus'; der Verfasser verwahrt sich g^gen den Vorwurf
der Sdullerfeindschaft; wir wollen diesen nicht aufs neue erheben, mag
Schiller befeinden, wer will und sich's zutraut. Wenn aber Bartels in
der Steile seiner Literatureeschichte, die er hier ausschreibt^ die Behaup-
tung aufstellt: 'Ich bin aUerdings der Ansicht, dafs das spezifisch Schiller-
sche (im Drama, wohlverstanden, besser noch in der oramatischen Qe-
staltun^ Überwunden werden muis, ia längst überwunden ist, da alle
Schillenaner von Auffenberg bis Wildenbruch in der Hauptsache ge-
sdieitert sind' ~ dann müssen wir doch sein Verständnis billig einiger-
m&ben anzweifeln; denn alle Formen der Schillerschen Dramatik fUelsen
aus dem Bestreben hervor, seine von Bartels höchlichst fl;eprieeene Welt-
anschauung an dem bestimmten dramatischen Problem, aas er bearbeitet,
zum Ausdruck zu bringen. Weil aber Schiller zwar überkommene For-
men verschi^ener Art zur Verfügung hatte, seine Weltanschauung aber
neu und einzig war, so sehen wir ihn in der Form bald hier, bald dort
tastende Versuche wagen, so dals von dnem 'spezifisch Schillerschen' in
der drunatischen Gestoltune eigentlich kaum die Bede sein kann. Bartels
wirft nun Sdiiller 'Theatnüismus' vor, d. h. den 'blolsen Schein an Stelle
des das Leben spiegelnden Scheins, im tiefisten Grunde natürlich das Un-
yermögen, das Lebä wahrhaft zu gestalten, dann natürlich auch das quasi
geedimlidLe fiaffinement, das die durch aas Theater mögliche Wirkung
fmau studiert hat und nun statt des wirklichen Gewitters das brillante
euerwerk abgibt' Natürlich stellt Schiller diese Unarten nicht in ihrer
äofBersten Form dar, und 'a priori verwerflich ist sie ja nicht, so wenig
wie die Rhetorik, es kommt auf den Gebrauch an.' Ich glaube aber, wenn
der TheatraJIismus wirklidi den bloisen Schdn statt des ästhetischen Scheins
yerwendet, dann ist er ein für allemal vom Übel und darum verwerflich.
Also entweder hat Schiller auf den bloisen Schein hin gearbeitet oder
nidit, das ist die Kernfrage. Wer seinen Briefwechsel aufmerksam durch-
gearbeitet hat, wer seine Prosaschriften, insbesondere die ästhetischen Briefe,
wirklich kennt,' wird anderer Meinung sein und hohe Achtung vor Schillers
künstlerischem Ernst davontragen; wer in seinen Dramen Wort für Wort
nachwägt, der wird jedenfalls kaum in die Lage kommen, irgeoidwo auch
nur die Ansätze zu einer blols sinnlichen oder Wirkung um ihrer selbst
willen nachzuwdsen, die nicht aus dem dramatischen Gefüge mit Not-
wendigkeit hervorginge. Freilich, aus dem dramatischen Geffige im Sinne
Schillers. Und ihm ist es ja vor allem dartun zu tun, in dem Einzel-
sdiicksal, das sidi da vor uns abspielt, das Ewige, Bleibende, Natur-
gemäise hervorzuheben; wer dies seinen Hörern zum BewuTstsein bringen
wiUy braucht mit Eücksicht auf das tiefe Verständnis, das unser Publikum
dem Gkhalt eines Dramas entg^enzubrinsen pfl^t, szenische und Aus-
dmcksmittel, die an und für sich betrachtet wohl den Eindruck reiner
Theatralik machen können. Aber Bartels glaubt, aus einem Briefe Schillers
das Geständnis seiner theatralischen Arbätsweise herauslesen zu können.
Ist das richtig, dann können wir nichts Besseres tun, als Schillers Dramen
sofort aus dem Lehrplan unserer Sdiulen herauszustreichen: Theatralik
bietet unser öffentliches Leben genug, wir brauchen uns nicht auch noch
in der Schule mit Phrasenschwindd herumzuschlagen und ihn gar als
* VgL aber den Soheinbegriff besonders den aechBiindzwanzigsten Brief, s. B. :
*Niir, soweit er aufrichtig ist (sich von allem Ansprach aof Realität ausdrflcklioh
lossagt), and nur, soweit er selbständig ist (allein Beistand der Bealitit entbehrt),
ist der %yhffH isthttHiitth.'
206 BeuiteÜungen und kurze Anzeigen.
Büdungsmittel zu yerwendcn. Nun lautet die Stelle, in der Schiller einen
Verffleich zwischen sich und Gk)ethe zieht, folgendermafsen (Jonas II, 288) :
'Er nat weit mehr Genie als ich und daher weit mehr Bei<mtum an Kennt-
niasen, eine sicherere Sinnlichkeit und vor allem diesem einen durch
Kunstkenntnis aller Art geläuterten und verfeinerten Kunstsinn; was mir
in einem Grade, der ganz und gar bis zur Unwissenheit eeht, mangelt.
Hätte ich nicht einiffe andere Talente, und hätte i<3i nicht soviel
Feinheit gehabt, diese TiJente und Ferti^dten in das GKebiet des Dramas
hinüberzuziehen, sowOrde ich in diesem Fache ffar nicht neben ihm siebt-
bar geworden sein. Aber ich habe mir eigentlicn ein eigenes Drama nach
meinen Talenten gebildet, welches mir eine geynsse Ex(älence darin gibt,
eben weil es mein eigen ist Will ich in das natürliche Drama ein-
lenken, so fühle ich die Superiorität, die er und viele andere Dichter aus
der vorigen Zeit über mich haben, sehr lebhaft' Es erhebt sich sofort
die Frage, welcher Art denn nun diese besonderen Talente Schillers sein
mdgen, und Bartels ist alsbald mit der Auskunft bereit, das sei 'doch nur
so zu deuten, dafs der Dichter sich der ihm aus seinem Tdent erwachsen-
den Notwenoiffkeit, im Drama bisweilen das theatralisdie Surrogat für
die wahrhaft dramatische Darstellung zu geben, selber bewuist war.' Das
heilst interpretieren! Nun geht aber alles rein Theatralisdie allemal aufis
Sinnliche, und gerade darin hatte doch Schiller einen Goethe als superior
anerkannt I Wenn nur Bartels die nächsten paar Zeilen hinzugezogen
hätte, so wäre er auf den Kern der Sache ^toTsen. 'Denn ohne ein
grofsee Talent von der einen Seite hätte ich einen so grolsen Mangel von
der anderen nicht so weit bringen können, als geschehen ist, und es über-
haupt nicht so weit bringen können, um auf Goethe zu wirken.' Und
darauf kam es ihm vor allem an. Wenn Richard Wagner einmal im Hin-
blick auf Beethoven sagt, der Deutsche wolle seine Musik nicht blols
fühlen, er wolle sie auch denken bezw. sich etwas dabei denken, so können
¥nr BeeÜioven in dieser Hinsicht unmittelbar neben Schiller stellen. Gk>ethe
ist ein so allgewaltiger Beherrscher der Sinnlichkeit, dals er durch die
blolse Anordnung des realen Lebens den Zuschauer mit fortreilst, wohin
er ihn haben wiU; Schiller man^lt eine Anschaulichkeit in diesem Grade,
er kuin den Hörer nicht unmittelbar emi)finden lassen, dafs da eine
Einzelhandlnng von symbolischem Wert^ sich abspielt, er braudit ein
Bindeglied zwischen Bühne und Znschauarraum, die volle Wirkung wird
durdi intellektuelle Hilfe vermittelt, Schiller will den Hörer auf eine
Höhe heben, von der aus er Handlung und Leiden des Helden ttmer,
unter dem Gesichtspunkte der Notwenmgkeit überschauen, mit der Frei-
heit der Vernunft aarüber urteilen kann. Darin 11^ seine Stärke, und
diese hat er mit gutem Rechte ausgebildet Darauf beziehen sidi alle
seine Studien, alle seine Ebcperimente. Den tieferen Gehalt des Dramas
möglichst klar herauszustellen, teils durch das mehr oder minder subjektiv
gefärbte Aussprechen der wirkenden Gesetze, teils durch eine scharf aus-
geprägte Form der Katastrophe, die ihre Wirkung auch anf den Durch-
schnittshörer nicht verfehlen kann. Denn darauf eben kommt es Schiller
an, diesen durch die ästhetische Anschauung 'das unvermeidliche Schick-
sal zu inokulieren, wodurch es seiner Bösartigkeit beraubt und der An-
griff desselben auf die starke Seite des Mensch«! abgelenkt wird.'' Dazu
ist die Möglichkeit völliger Substitution des Hörers unter die Gestalten
des Dramas nötig, und diese ist von der unbedingten Wahrhaftiriceit der
Darstellung abhän^g; diese aber verwechselt Bartels mit der Wirklich-
keit, mit dem Reahsmus, wenn er 'geradezu erschrickt', daüs in dem Auf-
satz 'Über die tragische Kunst' das 'unbedingt Wahre, das blols Mensch-
liche in mmschlichen Verhältnissen' als eigentlich tragisch ergiebig hin-
1 Schriften X, 888.
Benrtdlungen und kurze Anztigeb. 207
0e0tellt wird, weil die EnoBt *bei dieeem allein, ohne dämm anf die B&ke
des Eindmckfi Verzicht tun zu mfifisen, der Allffemeinheit deeselhen ver-
sichert ist.' Daraus will Bartdb nlmlkli eine jeae IndiTidualiaierung aua-
Bchlieißende VeraUgemeinerung der Figi|ren ableiten und b<rtoat Schiller
gegenüber als eigentliches Element des Asthetischeii das Spezi^chel Ich
glaube, in Wahrheit ist Schiller von dem. was Bartels fordert, in Theorie
und Praxis gar nicht so weit entfernt. Denn nicht von den Charakteren
viiHi der Motiyierung menschlicher Pläne und Handlun^^ im einzelnen
fordert Schiller, wenn wir genauer zusehen, jene Allgemeingfiltigkeit, son-
dern von den letzten Prinzipien des Hanaelns; in bezug auf diese soll
£inheit zwischen dem Publikum und dem Dichter walten, damit der Iftollen-
tausch zwischen dem Zuschauer und dem Helden auf der Bühne nicht
erst eine intellektuelle Zwischentatigkeit nötig habe. In die heldenmAtige
Aufopferung^ eines Leonidas werden wir uns alle hineinversetzen können,
nicht aber m den Bichterspruch des ersten Brutus, wie Sdüller meines
Erachtens mit vollem Rechte betont; wenn sich der Zuschauer erst davon
überzeugen muis, dals unter bestimmten Verhältnissen, wie sie die römische
Doktrin mit sich brachte, eine Tat wie die des Brutus nöti^ und begreif-
lich wurde, vor der er doch selber zurückschauert, so ist seine eigene Er-
hebung zur ästhetischen Anschauung des Schicksals, das sein eigenes
lieben durchwaltet, aber durch die empirische Wirklidikeit zumeist ver-
dunkdt wird, zum mindesten behindert ; und wenn wir ehrlidi sein wollen :
sucht denn ein modemer Dramatiker, sobald er ein Problem wie das vor-
liegende zu lösen hat, uns wirklich zeitweilig zu alten Römern zu machen?
Beruht nicht die ganze Gröfse der Shakespearlschen Römerdramen darauf,
d&ÜB sme Helden eben in psychologischer Beziehung so ^ nicht römisch
sind? Wird man nicht den Anschlag eines Ooriolan unmittelbar aus dem
allgemein Menschlichen bezw. den Renaissanceanschauungen, in denen
Shakespeare lebte, ableiten müssen, um ihn verständlich zu machen?
Anders handelt auch Sdiiller nicht, und wer die grofsartige Individualität
WaUensteins verkennt, die uns doch so gewaltig zu Herzen spricht, dem
ist nicht zu helfen. Zitiert man aber eine Schifiersche Abhanalunj^, dann
mala man sich mit Schillers GMankenganjg;en so genau als möghdi ver-
traut machen. Hier können wir nur so viel sagen, daXs Schiller seinem
eigenen Geständnis nadi in der angezogenen Schrift stark mit Eantischen
Gedanken arbeitet; wenn er das 'blols Menschliche' nennt, mit dessen
Hülfe er auf das wirken will, was allen Menschen aemein ist, so handelt
es sich da um gesetzmäfsiffe Verhältnisse wie das aOgemein gültige Moral-
prinzip des katarischen Imperativs; wie aber dieser für Kant nur ein
Formales ist, das bald diesen, bald jenen spezifischen Inhalt annehmen
kann, so bietet Schillers Theorie und Praxis für das Spezifische, Charak-
teristische den weitesten Ranm und verlangt nur die stete Beziehung auf
das allgemein Mensdüiche, ohne die eine unmittelbare, eine ästhetische
Anschauung durch den Zuhörer nicht möglich ist. Auf diese kann Schiller
nicht verziditen um des Zweckes willen, den er der tragischen Dichtung
überhaupt zuschreibt Man mag diesen Zweck verwerfen und damit die
ganze Dchillersche Kunst; wenn man aber Über sie urteilen will, mufs
man sie doch als Ganzes bis in ihre psychologischen Wurzeln hin ver-
folgen : 'Wollt ihr nach Regeln messen, was nicht nach eurer Regeln Lauf,
der eignen Kunst vergessen, sucht davon erst die R^gel aufl' Jedenfalls
irird niemand, der Sdüllers Kunsttheorie im Zusammenhang durchdenkt
und seine dramatische Praxis damit vergleicht, eine äufserliche, unmittel-
bure Wirkung einzelner Teile konstruieren können. Nur ein paar Bei-
spiele dafür. Jene wunderbare Einmischung Albas in die Schlulsszene
des 'Egmont', die Gtoethe so widerwärtig war, und die zum Glück nicht
in unsere Bühnenpruds eingedrungen ist, lälst nicht, wie Gk)eihe meinte,
auf besondere Grausamkeit Sddllere si^efisen, was Bartels auch ganz
208 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
richtig hervorhebt; es handelt sich aber auch nicht blois, wie er meint,
um ein 'rednerischee Unterstreichen', um die unorganieche Herausarbeitung
eines Akzents, sondern um die letzte Durchführung der dramati-
schen Entwickelung des Charakters; denn darin Sulsert sich das
sewaltige Schicksal in seinen Dramen, dals es die Natur herstellt, nicht
oloXs im ffrolsen WelÜauf, sondern in allen einzelnen Figuren; und die-
jenisen, die auf eine abnorme Einseitigkeit angelegt sind, erscheinen am
Schluls auf dem Gipfelpunkt dieser Entartung; ein Fiesko ist am Schlüsse
nur nodi der Despot, Wallenstein sinkt vor unseren Augen, König Philipp
droht, furchtbare Zeichen seiner Macht und Grausanokeit aufzuricht^;
und dieser finstere Alba, der den Unschuldigen zum Tode führen lälst,
sollte so einfach von der Bühne scheiden, wie wir ihn zuletzt sahen, gleich-
sam als Werkzeug höherer Befehle, während doch persönlicher Neid, Jdein-
liehe Eifersucht, wenigstens nach Schillers Auffassuiig, offenbar mit im
Spiele waren? Nein, er muft am Schluis als der S^sewicht dastdien,
mcht zum Schreckbild, sondern um der dramatischen Entwickelune an
sebem Teile ihre Bundun^ zu geben. Ein anderes Beispiel, das vief be-
rufen ist. Max und Thekla erscheinen nicht, um dem Verlaneen des
Pöbels nach der 'belle passion' nachzugeben; sie bildeo, wie uns Schillers
Briefwechsel zur Genüge zeigt, in ihrer idealen Lebenshaltung nidit nur
ein Gegengewicht ^egen die olols realistische Handlungsweise der Haupt-
fiffuren, sondern em Milfsmittel für den Zuschauer, um zu jener höheren
Warte zu gelangeiu Ton der aus der Untergang des Helden als eine ver-
nünftige Zweckmäßigkeit erscheinen muis. Endlidi und vor allem: die
Schillerschen Sentenzen sind keine Glanzstücke, sind nicht auf äu&erliche
Wirkung berechnet, im Gegenteil wollen sie eine möglichste Vertiefung
des Eindrucks beim Zuschauer üben, sie wollen ihn zur Auffassung der
Handlung von jenem höheren Gesichtspunkt anleiten, also nicht etwa
moralische Belehrung im einzelnen geben, sondern im Gagenteil zur ästheti-
schen Anschauung des Ghuizen verhelfen. 'Ich lasse', sagt der Dichter
selbst, 'meine Personen viel sprechen, sich mit einer gewissen Breite her-
auslassen; Sie haben mir darüber nichts gesagt und deinen es nidit zu
tadeln. Ja Ihr eigener Usus sowohl im Drama als im Epischen spricht
mir dafür. Es ist zuverlässig, man könnte mit wenigen Worten auskom-
men, um die tragische Handlung auf- und abzuwickeln, auch möchte es
der Natur handänder Charaktere semafser erscheinen. Aber das Beupiel
der Alten, welche es auch so g^alten haben und in den\jenigen, was
Aristoteles die G^esinnunp; und Meinung nennt,' gar nicht wortkars ge-
wesen sind, schdnt auf em höheres poetisches Gesete hinzudeuten, waches
eben hierin eine Abweichung von aer Wirklichkeit fordert. Sobald man
sich erinnert, dais alle poetischen Personen symbolische Wesen sind, daüs
sie als poetische Gestalten immer das Allgemeine der Menschheit aarzn-
stellen und auszusprechen haben, und sooald man femer daran denkt,
daGs der Dichter sowie der Künstler überhaupt auf eine öffentUdie una
ehrliche Art von der Wirklidikeit sich entfernen und daran erinnern soU,*
dafis er's tut. so ist ^egen diesen Gebrauch nichts zu saflen. Auiserdem
würde, deucnt mir, eme kürzere und lakonischere Behandlungsweise nicht
nur viel zu arm und trocken ausfallen, sie würde auch viel zu sehr
realistisdi, hart und in heftigen Situationen unausstehlich sdn, dahingegen
eine breitere und vollere Behandlungsweise immer eine gewisse Buhe und
Gemütlichkeit auch in den gewaltigsten Zuständen, die man schildert,
hervorbringt' (Jonas V, 418, an (Goethe). Goethe erkennt nur immanente
Gesetze als im Menschenleben wirksam an, er arbeitet mit dem Dämoni-
schen und erreicht den Eindruck des Lebenswahren durch seine grols-
' rjd'os Hctl dtavota.
' YgL die oben gestreift« Lehre vom Istlietischen Schein.
Beortalimgeii und kurze Anzeigen. 200
artige 'Sinnlichkät', die Schiller an ihm neidlos anerkennt, durch eine
wunderbare Fülle von EiDzelheiten; die durch ihre Zusammenstimmung
den Zuschauer zur y5liisen Aneignung des Darffestellten zwin^. Schiller
ist einerseits die Gkibe des 'Schauens^ in irdis<3ien Dingen nicht in dem
MaJGse verliehen wie Goethe, anderseits kommt es imn mehr auf die
transzendenten Gesetze an, zu denen er den Zuschauer hinleiten will;
darum stört ihn alles, was die Aufmerksamkeit von den Hauptsachen,
vom Bedeutsamen abzieht; wollte er sich nun in realistischen Formen
ausdrücken und dodi die Überfülle des Nebensächlichen, nicht streng Zu-
gehörigen. Indifferenten, wie sie das reale Leben bietet und eine natura-
stische Kunst mit verwerten muls, ausscheiden, so bliebe ein karger Rest
übrig, der eher illusionszerstörend wirken könnte; daher arbeitet Schiller
mit wenigen ESinzelmomenten, aber diese sucht er zu erschöpfen; er gdit
nicht in die Breite, sondern in die Tiefe, bis in Jene Tiefe, wo wir den
Elrscheinungen einigermaisen auf den Grund kommen. Wenn das theatra-
lisch ist, dann, slber auch nur dann, ist Schiller der gröiste Theatraliker
unter unseren Eiassikem.
Zum Schluis nur noch einen Beleg dafür, wie Schiller selbst über
das blols Theatralische dachte: 'Die Kunst muXs den Ckist ergötzen und
der Freiheit gefallen. — Aus diesem Grunde verstehen sich diejenigen
Künstler und Dichter sehr schlecht auf ihre Kunst, welche das JPatnos
durch die blolse sinnliche Kunst des Affekts und die höchstlebendigste
Schilderung des Leidens zu erreichen glauben. Sie vergessen, dafs das
Leiden selrat nie der letzte Zweck der Darstellung und nie die un-
mittelbare Quelle des Vergnügens sein kann, das wir am Tragischen
empfinden.'' —
Der Best des Bandes muls rasch erledigt werden. Wohlwill mustert,
ohne viel Neues, besonders an tatsfichlichem Material, beizubringen, die
Beziehungen zwischen 'Schubart und Schiller', R. Vi scher teilt aus seines
Vaters '^^rtrftgen über neuere deutsche Poesie den Abschnitt 'Friedrich
Hölderlin' mit Wertvolles neues Material dagegen bringt Seuffert:
sechs 'Wieland -Briefe' aus dem Marbacher Schillermuseum, die freilich
nicht vorzugsweise für die Schillerkunde in Betracht kommen. Wichtiger
für unser Thema sind die 'üngedruckten Briefe an Schiller', die uns
Hartmann mitteilt. Sie stammen zum gröisten Teil von Fr. von Hoven,
dann von Oonz, Haus und L. Schubart und illustrieren somit Uartmanns
Buch über Schulen Jugendfreunde. Wertvolle Urkunden imd Briefe 'Von
und an Schiller' teilt Güntter mit und beleuchtet damit bedeutsame
Wendepunkte in Schillers Leben, Jonas schildert die Schwiegermutter
des Dichters, Louise von Lengefeld, Ernst Müller macht Mittdlun^en
'aus dem Nachlafis von Karoline von Wolzogen', Petersen aus dem Bnef-
wechsel zwischen Schillers Witwe und Cotta.
Sehr willkommen zum Jubiläum ersdieint, in zweiter Auflage, Har-
nacka Schiller, diesmal im Fest^wande, d. h. mit reichem und treff-
lichem Bilderschmuck, leider in einer das Auge ermüdenden Druckaus-
stattung; unter den neute fertig vorliegenden Schillerbiographien immer
noch die gediegenste, obwohl der Verfasser auf kritische Auseinandersetzun-
gen über strittige Punkte grundsätzlich verzichtet und sich mit Bücksicht
auf sein Publikum mehr berichtend als diskutierend verhält Was die Aus-
einandersetzung des Vorworts mit den Kritikern der ersten Ausgabe be-
trifft, so billigen wir Hamacks Unterdrückung rein literatursescnichtlich
intereeeierender Abschnitte, wie z. B. der Nachgeschichte der Räuber,
zumal ja die literarischen Vorbedingungen der Werke im ganzen voll ge-
würdigt werden; ebenso danken wir ihm für seine Sparsamkeit hinsicht-
lich der Anekdoten aus der Kinderzeit, hätten aber das Milieu mit Leitz-
> Schriften X, 156.
AichiT L n. Spncihen. CXY. 14
210 BeurteiluDgen und kurze Anzeigen.
mann hier nnd da etwaa breiter ausgeführt Beben mögen. Wichtig und
entBcheidend für den Wert dee Buches ist Hamacks Auf&ssung Sdoiliers
als einer sich stetig entr^ckelnden Energie, die nirgends in den Zustand
der Ruhe und Stagnation übergeht. Auch für alle Einzelfragen, für
Schillers Ästhetik und Ethik, für seine fiuisere dramatische Technik wie
für die Gestaltung smer Charaktere muis der chronologische Standpunkt
entschieden durchgeführt werden; freilich wird dann überall das Bleibende
und Unabänderliche hervortreten, aber ebenso scharf werden sich die immer
wechselnden und sich immer vervollkommnenden Formen abheben, in
denen das Bleibende seinen Ausdruck findet Im übrigen schöpft Hamack
die Urkunden nach Mö^chkeit aus, wo es sich um wirkliche Aufhellung
des Seelenlebens seines Beiden handelt, vor allem in der viel umstrittenen
Frage nach Schillers Verhältnis zu Liebe und Ehe. Ich elaube Hamack
auch hier recht geben zu müssen: er war der Dichter und der Mann der
Freundschaft, nicht der Liebe, wenigstens nicht der sinnlichen liebe; er
beteachtete die Leidenschaft immer nur als einen vorübergehenden Zu-
stand, der durdi die vemünftiffe Natur des Menschen überwunden werden
müsse, und sah eben in der bleibenden Liebe nur eine Form der reinen
Freundschaft, wie sein nichts weniger als anstöisigee Doppelverhältnis zu
den Schwestern Lengefeld zur Qenü^ dartut. Hätte Scniller sein Ver-
hältnis zur Gattin nicht vorzugsweise als Freundschaft aufgefafst, wie
wäre es ihm dann möelich gewesen, in den 'Idealen' der Liebe mit den
anderen Traum- und Wahnvorstellungen den LaufpaCs zu geben und nur
'der Freundschaft leise, zarte Hand' und die 'Beschäftigung, die nie er-
mattet', zu feiern, ohne die Gattin aufs tie&te zu verletzen, was kein Ver-
nünftiger für seine Absicht halten wird ? SchiUer überwand die Anstürme
der Leidenschaft ohne Verbitterung, ohne Quälenden Schmerz. Gerade
darum möchte ich aber auch die 'ftoBignation^ nicht in so pessimistischem
Sinne erklären, wie Hamack S. 129 tut. Der Held des G^chtes ist nicht
ohne weiteres mit dem jungen Schiller zu identifizieren, der sich eben von
Frau von Kalb losgerissen hat, denn ihm schwebten ^nz sicherlich nicht
egoistische Erwägungen Über den Ausgleich im Jenseits vorl Dazu war
er zu edel, nnd darum bezieht sidi die strenge Abweisung, die er dem
Schicksal in den Mund legt, nicht auf ihn ^bst. Auch möchten wir
aus den Worten über 'Hoi^ung' und 'Genuls' nicht so sehr schneidenden
Hohn heraushören als eine sehr frühe dichterische Formulierung von
Schillers sittlicher Weltansdiauung. Was er hier 'Hoffnung' nennt, ist
ihm später die reine, ästhetische Anschauung, die Freude an der blofsen
Form; an ihr finden edlere Naturen ihr Glück, gemeine nur im sinn-
lichen Genuls. Zwischen beiden steht der unglückkche Halbmensch, den
das Gedicht schildert, der sich den G«nuls versagt, ohne sich doch über
die Begierde erheben zu können; er findet keinen Ersatz für das, was er
sich versagt; so erkennt Schiller keine Ausgleichsmoral mit lüsternen
Blicken am das Jenseits an, sondern nur eine prinzipielle Entsagune aus
Ekel vor der Leidenschaft; eine solche kann den Menschen zum Glück
führen; auch hier gibt es eine 'Hof&ung', denn die Vollkommenheit, die
der Mensch erstrebt, wird nicht mit einem Schritt erreicht, sondern in
unablässig^ treuem Streben, das sein Ziel niemals, weder in dieser noch
in jener Welt erreicht, das aber an sich schon Glücks fi;enug verleiht. —
Übrigens kommt Schillers Weltanschauung und insbesondere seine Ästhetik
in der zwdten Auflage des Buches besser fort als in der früheren. Hamacks
Ansichten über Schulers philosophisch.e Entwickelung sind ja aus seinem
sröiseren Werk über die klassische Ästhetik der Deutschen hinreichend
bekannt, er bleibt ihnen sach. hier getreu. Von den Beziehungen zu Fichte
erfahren wir wenig, nur die derbe Abfertigung in den Xenien wird her-
vorgehoben. Immerhin hätte eine ausreichende Darstellung der ge^n-
seitigen Durchdringung von Schillers Anschauungen mit denen seiner
BeTurteOungen and kurze Anzdgen. 211
Umeebung hn Hinblick aaf den Zweck des Buches entschieden zu weit
geffinrty und gerade die Beschränkung, die sich Hamack überall auferlegt,
xmgt den Meister, der den Stoff wahrhaft beherrscht, äulserlich und inner-
lich, wie er denn mit eigenem ürtml auch über seinen Helden nirgends
zturückhalt und weder in der Jugendgeschichte noch in der Darstellung
des Verhältnisses zu Gk)ethe irgendwelchen Beschönigungen und Ver-
tuschungen huldigt
Diese mutige Objektivität ist auch dem neuesten Biogranhen, Karl
Beiger, nachzurühmen, von dessen Biographie zur Weihnaoitszeit der
erste Band erschien; sie wird nicht Fraement bleiben, wie es die monu-
mentalen Arbeiten von Minor und W^trich bisher geblieben sind; sie
wird aber auch, wenn diese einst fertig yorlieeen, ihren Platz neben ihnen
zu behaupten wissen. Waltet über mr auch nicht jener volle, künst-
lerische Zauber, der Bielschowsky'B Qoethebiographie zu einem klassischen
Werke unserer wissenschaftlichen Literatur macht, so werden wir doch
immer dankbar zu der trefflichen, gediegenen und geschmackvollen Arbeit
zurückgreifen, um sie als rechtes Hausbuch zu empfehlen. Das sei denn
auch schon heute getan; eine ausführlichere Würdigung versparen wir
uns, bis wir das Werk als Ganzes überblicken können.
Eine wahrhaft köstliche Grabe hat uns Hartmann mit seinem Buche
über 'Schillers Jugendfreunde' dargeboten. Auf Grund sorgfältigster lite-
rarischer und archivalischer Studien entwirft er Lebens- und Cnarakter-
bildo* aller irmidwie bedeutenderen Persönlichkeiten jener an originellen
Geistern und Oharakterköpfen so fruchtbaren Zeit, in der sich auch der
jun^e Schiller emporringen muiste. Nach einer kurzen Einführung über
Schillers freundschaftliches Talent, wenn man so sagen darf, das allent-
halben rfickhalüos anerkannt wurde (eine Darstellunff der Freundschafts-
motive in den Jugendwerken wird leider nicht gegeben), setzt die Dar-
stellung eleich mit der Lorcher Zeit ein und gent von der ehrwürdigen
Gestalt &B Pfarrers Moser aus, dem der junge Dichter in den 'Bäubem'
nachher ein ehrendes Denkmal setzen sollte. Im übrigen ist Hartmann
leider der Frage nicht genügend nachgegangen, wie weit die einzelnen
dieser scharf umrissenen Persönlichkeiten, mit denen sein Buch ims be-
kuint macht, Schiller als Modelle für seine dichterischen Figuren eedient
haben mögen. Der von Schiller sehr ungünstig beurteilte E. Kempf
scheint mir bestimmt auf die Gestaltung Franz Moors hinübergewirkt zu
habd ; man sagte ihm unkameradschaftuches Verhalten und Neigung zur
Intriffe nadi;' was hier von dem G^egner gilt, daüs Schiller sein Bad in
der Phantasie abrundete, bis die Abnormität 'Franz' zum Vorschein kam,
das mag in höherem Grade noch von den Freunden gelten. Was diese
anlangt, so faCst Hartmann den Begriff im weitesten Sinna Auch die
Freunde unter den Lehrern, vor allem der treffliche Abel, 'der en^el-
gleiche Mann', einer der liebenswürdigsten unter den deutschen PopuTar-
philosophen, aessen Lebensbeschreibung niemand ohne innere Teilnahme
lesen kann, auch Drück und Nast werden behandelt. Den Löwenanteil
trägt, wie billig, der 'engere Freundeskreis' davon, Scharffenstein, Petersen,
Hang und Lempp, wozu noch Schubart, Dannecker und Zumsteeg kommen.
Hoven hat schon vorher, unter den Kameraden der Ludwigsbumr Zeit,
die gebührende Beachtune gefunden. Es folgen die Mediziner una endlich
der ganze weitere Freundes- und Bekanntenkreis, ein Andreas Streicher,
Hetsdi, Heideloff, Grammont usw., lauter dem Schillerforscher wohlver-
traute Namen, die uns nun zum Gliick keine blo&en Namen mehr bleiben ;
äulserlich und innerlich werden sie uns nähergebracht, denn den statt-
lichen Band schmückt eine groJbe Anzahl trefflich reproduzierter Silhouetten
und Porträts, auch Heiddom instruktiver Stich: 'Die Erhebung der Karls-
* Sehriften I, 16.
14*
212 Beurtdlimgen and kuixe Anzdgen.
akademie zur Hochschale 1782' ist beigaben. Rechtfertigt schon allein
dieser reiche Bilderschmuck eine einc&ineliche Empfehlung des Werkes
insbesondere für die BenutEune im deutschen Unterrichti so werden sich
für die Schule noch weit fruchtbarer die abgedruckten Mitteilungen der
Freunde über ihr Leben, insbesondere aber über ihren Verkehr mit BchlUer
erweisen. Hier tritt uns die Jugendzeit des Dichters in greifbarer Deut-
lichkeit vor Augen, und wie weit den einzelnen Verfassern zu trauen ist,
wieviel mehr wir dem grundehrlichen Conz folgen dürfen als dem Klatsche-
reien nicht ganz abffeneieten Petersen, ergibt sich aus der DarsteUune
selbst zur Genüge. Die Hauptsache ist, dais das biographische Material
für Schillers Jugendzeit hier mit einer Vollständigkeit ausgebreitet ist,
die bisher einfaäi unerreicht dasteht Kuhns 'Schüler, Zerstreutes als
Bausteine zu einem Denkmal' (1859) hatte manche der früher in Zeit-
schriften gedruckten Aufzeichnungen wiederholt, Kurz, Weltrich u. a.
hatten aulserdem für ihre künstlerischen und seiehrten Arbeiten die reichen
Schätze des Cottaischen Archivs einsehen und benutzen dürfen, aber das
Material war eben verzettelt und somit für die Schule im ganzen un-
benutzbar. Diesem Mangel ist nun abgeholfen, und auch der Forscher
wird für den abermaligen, übrigens hier und da, z. B. bei Petersen, ver-
mehrten und erweiterten Abdruck dankbar sein. Da£B Hartmann keine
unbedingte Vollstfindigkeit anstrebt, ist manchmal peinlich, z. B. von
Abel mS^ten wir meSr erfahren, als er mitteilt; dals er dagegen gerade
bei Petersen mit dessen hämischen Exzerpten aus Eberhards verständnis-
losen Mäkeleien Mais hält, ist nur zu loben. Im ganzen, eine höchst
dankenswerte Arbeit, die sich der Wissenschaft durch Zuführung reichen
biographischen und psychologischen Materials förderlidi erwdst.
Nur hingewiesen sei hier auf die zum Jubiläum erscheinende Neu-
aus^abe der Schillerschriften von Kuno Fischer, über die keine Lob-
snrüche mehr zu verlieren sind. Der schwer erkrankte Verfasser hat keine
Umarbeitunfl; vornehmen können, auch sind wohl seine Ansichten über
den Entwickelungsgang der Schillerschen Philosophie bis zuletzt sich
gleich geblieben. Wer diese Ansichten nicht teilt, wird sich doch an der
in ihrer Art vollendeten Darstellung erfreuen.
Erwähnt sei zum Schluß eine Neuauflage von Breuls englischer
Schulaus0&be des dritten Buches der 'G^chichte des DreÜsigjährigen Krie-
fes'; der Herausgeber hat den Text in den ersten Partien etwas gekürzt,
brigens auf alle Weise für das Verständnis gesorgt. Seine geschickte
Einleitung berichtet über die Entstehungsffeschidite, die Quellen, die Vor-
zug und Män^l des Schillerschen WeAeBf legt die Komposition des
dritten Buches im besonderen dar und gibt einen freilich unselbständigen
Abrils der G^chichte des ganzen Krieges, der durch eine Eiarte illustriert
wird. Im Anhang werden Szenen aus dem 'Wallenstein' und reichhaltige
bibliographische Ang^aben dargeboten. Das Hauptvcurdienst des Heraus-
febers ruht unstreitig in den sehr reichhaltigen sachlichen ^besonders
uiturgeschichtlichen) und sprachlichen, übiigens mehr lexikahschen als
syntanischen Anmerkungen, aus denen auch der deutsche Leser manches
lernen kann, wenngleich er nicht mit jeder Erklärung ohne weiteres ein-
verstanden sein mag. Hier und da dürften sich kleine Zusätze empfehlen.
Bei den Zusammoisetzungen mit = 'fürt' (11, 4) sollte, gerade im Hinblick
auf Oxford, das deutsche 'Ochsenfurt' nicht fehlen, 'Anstand' = 'appearence'
(12, 22) miüste aus dem Gebrauch der Klassiker, vor allem Goethes,
stärker belegt und svnonymisch erläutert werden, der 'Belt' (12, 27) ist
mit der 'Ostsee' im allgemeinen doch nicht ohne weiteres identisch, wenn-
gleich Schiller das Wort so ^braucht; zur Personifizierung des Namens
aber muJGste aulser der 'Huldigung der Künste' Wallensteins Gespräch mit
Wrangel als näherliegend herangezogen w^en (v. 230, Gk>eaeke); zu
'Wagehals' (14, 7) konnten andere Imperativische Eigennamen aus dem
Beurteilungen und kurze Anzdgen. 218
Deutschen und Englischen bdgebracht werden, der synonymische Artikel
'Schiersgewehr* (87, 8) sollte den Ausdruck ^Flinte' enthalten und er-
klären usw. Jedenfalls wird der Herausgeber bei späteren Neuauflagen,
die wir seiner trefOichen Arbeit im Interesse des Verständnisses unserer
Nachbarn für die deutsche Literatur herzlich wünschen, selber auf die
weitere Yenrollkommnunfir seiner Interpretationen bedadit sein.
Wir brechen unseren Bericht heute ab und werden nach dem Jubiläum
den Best der Ernte in die Scheuem zu bringen suchen.
Heidelberg. Bobert Petsch.
Franz Deibel, Dorothea Schlegel als Sohriftstellerin im Zusammen-
hang mit der romantischen Schule. (Palaestra, herausgegeben yon
A. Brandl, G. Boethe u. Erich Schmidt, XL.) Berlin, Mayer u. Müller,
1905. 188 S. M. 5,60.
Dorothea Schlegel ist als Persönlichkeit eigentlich gsr nicht so inter-
essant, wie man yon der mit Friedrich Schlegel yerneirateten Tochter
Moees Mendelssohns erwarten sollte. Sie war witzig, aber nicht geistreich
wie CaroUne; formgewandt, klug, leidenschaftlich — und schließlich hat
man doch überall oen Eindruck einer Natur zweiten tUnges.
YieUdcht hat dies Gefühl den Verf. bestimmt, die Schriftstellerin
Dorothea ausschHeislich yon der literarischen und gar nicht yon der
psychologischen Seite zu betrachten. Was er aber untenmnmt, hat er in
erschöpfender Weise geleistet und über sein Thema heraus auch die Zu-
sammenhänge des 'Florentin' mit Goethe beleuchtet. Nur kommt selbst
innerhalb des Literarischen das Menschliche etwas zu kurz: über d' Alton
mülste dodli mehr gesagt werden, zumal D. selbst (S. 47) mit yoUem Becht
bemerkt, dais der merkwürdige Mann Gegenstand romantisdier Legenden-
bildung wurde.
Am glücklichsten sind die Übersetzungen Dorotheas ausgenutzt, wie
D. denn auch allgemein scharfshinige Bemerkungen über das Wesen der
Übersetzunsskunst (S. 146) macht. In der Tat kommt die Eyolution der
Moral bei aem Schle^lschen Ehepaar in der yeränderten Stellung, die sie
yor und nach dem Sündenfall zu erotischen Problemen einnehmen, be-
sonders deutiich zur Anschauung.
Beigegeben sind auJGser einem wichtigen Brief an Tieck nach Fried-
richs T(äe (S. 179) Briefe an Brinckmann — klassische Denkmale des alten
Berlinisch m der Zeit, in der noch Schriftsteller wie Arnim, Tieck und
beeonders DoroÜiea selbst das Geheimnis des Datiys nicht zu erraten yer-
mögen. Audi inhaltlidi lassen sie in die engen Verhältnisse des Familien-
und Freundesklatsches hineinsehen ; in bezug auf die Überschätzung per-
sönlicher Buchungen zu Nebenpersonen hatte Dorothea bei dem üoer-
gang in die Bomantik nichts mehr zu lernen. Übrigens ist auch bei ro-
mantischen Liebhabereien, wie Anekdote und Witz (ß. 75 f.), an yerwandte
Erscheinungen des Naturalismus zu erinnern; Fr. Schlegel hat nicht um-
sonst für l^sing geschwärmt.
Berlin. Bichard M. Meyer.
Franz Zinkerni^, Die Grundl^n der Hebbelschen Tragödie.
Berlin, Georg Beimer, 1904. XXfiV, 188 S. Preis 3 Mk.
Zwei leitende Gredanken bewegen den Verf. Er will zeigen, 'wie das
gesamte Hc^belsdie Gedankensystem, yon einer alles befruchtenden Grund-
idee ausgehend, unabhängig yon fremden Einflüssen, sich organisch aus
sich selbst entwickelt, um schlieislich in einem neuen Dramentypus dem
Ganzen den krönenden Abschluls zu geben' (S. V.). Aber er wil^auch
'die tiefgehende Bedeutung *des Hebbebchen Lebenswerkes für die Asthe-
214 Beurteilungeii und kone Anseigen.
tik des Tragischen' nachweisen (B. 187). Jener Absicht dient der Haupt-
teil des Buches, die vier Eamtel, die sich mit Hebbels Persönlichkeit, Welt-
anschauung, dramatischer Theorie, dramatischer Produktion beschäftigen,
während in Einleitung und Schlulsbetrachtung Baum iregeben ist, 'die
kelungsgeschichüiche Stellung der Hebbelschen Tragödie' festm-
Der Grundrüs ist klar und sieht yielyersprechend aus. und das Ge-
bäude, das der Verf. mit redlichem Bemühen und nicht ohne schrift-
stdlerlsches Geschick darauf errichtet hat? Ich will gleich von yom-
herein gestehen, dals ich in einigen wesentlichen Punkten Widerspruch
erheben muls. Da die Schrift Z.b der Erstling des Verf. ist, so ist die-
sem Umstand allerdings manches zugute zu h^ten.
Zunächst ist festzustellen, dals im wesentlichen aus der gleichen Ab-
sicht, die Z. zu seiner Darstellung getrieben hat, auch das Buch yon
Scheunert, Der ParUragiamua usw., entstanden ist. Liest man nun die
Kritik, die Z. in seinem Vorwort yon der Scheunertschen Arbeit ffibt, und
die, stark yom GefOhl der Existenzberechtigung der eigenen Arbeit dik-
tiert, doch wohl absprechender und ausdrückliche Erklärungen Bcheunerts
miXiuuJitender ausgefallen ist, als billig sein dürfte, so darf man erwarten,
dals Z. seine Sache wesentlich besser macht Ich will zusehen, dals ein
Ansatz dazu yorhanden ist, sofern Z. nachdrücklicher und ausführhcher,
als es Scheunert auf den ersten Seiten seiner Arbeit tut, die Persön-
lichkeit Hebbels mit ihrem indiyiduellen Elrleben zum Ausganespunkt
der gedanklichen Entwickeluns macht. Nun fragt es sich nur, ob es Z.
gelungen ist, sich mit yoUem Verständnis in die Persönlichkeit des Dich-
ters emzuleben und einzufühlen.
Nach meiner Kenntnis mufs ich die Frage yemeinen. Das Bild Heb-
bels, das dem Verf. yorschwebt, ist durc^ persönliche Velleitäten getrübt,
yerzerrt, unyoUständig. Man wird yon niemandem yerlangen, dals er sich
selbst yerleugne, aber man darf yerlangen, daCs bei Wertungen, die man
yorzunehmen gedenkt, yor allen Dingen oie sich messenden Werte klar
herausgestellt werden. Das unterlälst 2., indem er yon seinem persönlichen
sittlichen Standpunkt, yon der Meinung aus, die er yon 'Sitthchkeit' hat,
über die 'Sittlicnkdt' Hebbels, über des Dichters 'sittliches' Bineen sich
abzusprechen erlaubt, ohne auch nur sich darüber klar zu sein, daCs hier
zwei grundsätzlich yerschiedene Anschauungen einander g^;enüberstehen.
Ja, man ist yersucht zu fragen, ob allererst dem Verf. die eigene Auffas-
sung denn auch klar und deutuch zu Bewuistsein gekommen ist. Jeden-
falls dbt Z. im ganzen Verlauf seiner Arbeit nirgend unzweideutig seinen
Standpunkt an.
Dafür redet er um so mehr yon dem Mangd an sittlichem Gefühl bei
Hebbel (S. 27, 136), dem die 'Sittlichkdt' nur ein Verstandesmoment ge-
wesen sei. 'Versehens suchen wir in seinen Tagebüchern Spuren wSk-
lieber Selbsterzienung, aufrichtiger Selbstprüfun^, wahrer sittlidier Arbeit'
(S. 28). Der Mangel an sittlichem Gefühl sei 'die Adüllesf erse der Hebbel-
schen Natur' (S. 37) gewesen. Z. gebraucht ^egentlich die Floskd yom
'harten Panzer seines HerzeDs' (S. 137), und jene berüchtigte Auffassung
der 'poetischen Gerechtigkeit' bhckt yerstohlen aus den Worten des Verf.
heryor, daCs 'ohne irgendwelche wirkliche sittliche Schuld' das Schicksal
der Hebbelschen Menschen, eemaüs den Intentionen des Dichters, sich er-
eignet (8. 177). Und yoUenas charakteristisch ist das abschlieüsende ür-
teu Z.8: 'Nicht seine Theorie an sich trägt die Schuld, wenn das Welt-
bild, das er (Hebbel) unseren Blicken entrollt, unserem innersten Bedürf-
nis nicht ffanz zu genügen yermaff. Der Grund liegt yielmehr im Wesen
sdner sittSchen Natur. Ihm fehlte die ffroise, der Menschheit sich hin-
gebende Liebe, die das in der Welt yerkörperte grofse Sittengesetz yoU
gläubigen Vertrauens umfafst und sich ihm nicht nur als der die Welt
BenrteflungeD and kurze Anzeigen. 215
behemcheDden Notwendigkeit voll bewundernder Resignation unterwirft
Aber vielleicht war HebbelB neues Eunstgesetz nur um diesen Preis mög-
lich, und es wird Aufgabe der Zukunft bleiben, Hebbels Schuldbeffriff
mit dem Glauben an dne weltbeglückende Sittlichkeit in eine höhere
Einheit aufzulösen' (8. 186 f.). Solche emphatische Behauptungen werden
auf ihr richtiges Mau zurückgeführt, wenn man zugibt, dals E^bbel kdne
beaueme Natur war, dafs er nicht die 'Läislidikeit' passiver Naturen hatte,
dais er als Mensch wie als Dichter an sich und andere Ansprüche stellte
und ihm allerdings nicht der bequeme und faltige 'Mantel der dirist-
lichen Nfichstenlieoe', in der populären Auffassung des Wortes, zur Ver-
fügung stand. Was für Heboel wahrhaft sittliche 'Liebe' war, das zeigt
ebenso ienes Gedicht aus seiner Frühzeit, das fQr ihn *im Sittlichen eine
Epoche'^ bildete (Tagebücher I, 576), wie jenes andere, 'in schweren Leiden'
geschriebene aus der Spätzeit 'Der Brahmine'.
Also, es man^lt z. an einer klaren Einsicht und Erkenntnis von
Hebbels sittlichem Standpunkt, und es fehlt ihm ein brauchbarer Malsstab,
um sich über diesen Standpunkt ein zureichendes Urteil bilden zu können.
Eb wäre einem künftigen Doktorand zu empfehlen, gerade einmal das
Werden der sittlichen Auffassung Hebbels, in dessen Theorie 'Sittlich-
keit und Notwendigkeit' eine so. bedeutende Bolle spielen, mit möelichster
G^auiffkdt zu untersuchen. Überhaupt möchte ich es für die künftige
Hebbelforschung am ersprielBlichsten nalten, nachdem die Bücher von
Scheunert und Zinkemagel vorliegen, in denen die unzulängliche Centonen-
methode den Bau leitet, vorerst von weiteren zusammenfassenden Dar-
stellungen Abstand zu nehmen und vor allem einmal dem geistigen Wer-
den, der seelischen Entwickelune Hebbels in seinen einzelnen Stadien die
Auftnerksamkeit zuzuwenden. Gewifs werden die Schriften der beiden
genannten Autoren dabei als Fermente nützliche Dienste leisten.
Aus dem bezeichneten Grundmangel bei Z. erklärt sich im übri^n
die Mischung von richtigen Einsiditen und schiefen Auffassungen, die ich
hier nicht im einzelnen entwirren will. — Beiläufig: EUse Lensing (geb.
18. Oktober 1804) war nicht zwei (S. 25), sondern fast neun Jahre 9ter
als HebbeL
Daffßgen habe ich noch ein entschiedenes Bedenken gegen die Ein-
leitung Z.s: 'Die Hauptentwickel unesphasen der vorhebbelschen Tragödie.'
Gleich der erste Satz macht den mundwilligen Leser stutzig: 'Die Tra-
gödie ist die Darstellung des Widerstreites zwischen Weltwillen und Ein-
zelwillen.' Eäne kühne Behauptung, deren historische Beglaubijmne man
erwartet Der Verf. nbt denn auch etwas, das so aussient Prüft man
indessen das Gewebe dieser Einleitunj^ genauer, so erkennt man, wie brü-
chig es ist Der Verf. macht sich nämlich die Arbeit ziemlich leicht, in-
dem er seine ganze Ausführung auf die Autorität Goethes stützt, dessen
geistreicher Aufsatz 'Shakespeare und kein Ende', vor allem die Auslas-
sungen darin über das 'SoUen' und 'Wollen' der antiken und neueren
Tragödie, allerdings auch Hebbel ausserordentlich plausibel vorkamen.
Aber so geistreich die Goetheschen Aner^us auch sem mö^en, es bleibt
die Frage, ob der heutige Stand der Altertumswissenschaft sie demn auch
rechtfertigt Die Antwort lautet: NeinI Anstatt jene Anschauunj^en ein-
fach als wissenschaftlich feststehend zu adoptieren, hätte der Verf. nur
einen Blick in die doch wohl leicht zugänglichen Einleitungen von U. von
Wüamowitz-MöUendorf zu den von mm übersetzten 'Griechischen Tra-
gödien' zu werfen brauchen. Er hätte dort, in der Einleitung zur äschy-
feischen 'Orestie' hinreichenden Aufschlufs gefunden (vgl. Griech. Trag."*
Bd. II, 14—29) : 'Wer den Ödipus und den Agamemnon verstanden hat, der
ist all das Gerede von dem bunden oder erhabenen Schicksal der Griechen
und ihrer Trafl;ödie los. Dafs dieser Wahn so weithin Geltung hat, ist
nur ein Beweis, wie fem der gräzisierende Klassizismus vor hundert
216 Beortdlimgen und kone AnMigen.
Jahren dem Yentindnis dee echt HelleniBchen gestanden hat, vornehmlich
weil er der Sohn dee Rationalismus der Anfklaning war' (ib. S. 26 f.). Ich
überlasse es Zinkemaffel, die Konsequenzen daraus zu ziehen.
In seinem ausgeaelmten Vorwort bespricht Z. die neueren Arbeiten
zur Hebbelforschung. Was er da u. a. über die von Poppe sagt, mufs
deren Verfasser, bei allem Dank g^gen die Anerkennung, im wesentlichen
als an sich vorbeigeredet bezeichnen.
Frankfurt a. M. Theodor Poppe.
Fritz Stahl, Wie sah Bismaick aus? Berlin, G. Beimer, 1905. Mit
28 Taf ehi. 8 M.
Das Ich, lehrt der bedeutende Wiener Philosoph Mach, ist unhaltbar:
es gibt nichts als sich folgende E^zelmomente ohne Einheit. Stahl sucht
an der fiulseren Erscheinung Bismarcks, wie früher Qoethes, diese Mei-
nung zu widerlegen: eine Rohe gpit gewählter Bilder zeigt in dem Grfinder
des Kelches duiä aUen Wechsd der Erscheinungen den bleibenden Pol.
Darin ruht das besondere Interesse des Büchleins. Sorgfältig verfolgt der
Verf. das Entstehen des eigentlichen ^historischen' Bismarckbildes; aber
er weils es schon in den prähistorischen Teilen des Schulknaben, des Stu-
denten, des Abordneten nachzuweisen. Vielleicht betont der feinsinnij^e
Kommentar freilich auch die Züge zu stark, die sich in der Physiognomie
am deutlichsten abspiegeln. Etwa der Humor, der so wichtig für das
weltgeschichtliche Bild des ersten Kanzlers ist, spielt bei ihm £ium eine
Bolle, weil Portrats, die ihn wiedergeben, in der Sammlung fehlen; oder
der Berserker, der so furchtbar losbredien konnte. Aber wie der eigent-
liche monumentale Bismarck aus sdnem Geist sich seinen Körper und
vor allem sein Haupt baute, das macht das hübsche Schriftchen mit Ge-
schick anschaulich.
Berlin. Richard M. Meyer.
Dr. Jan v. Bozwadowski^ Wortbildung und Wortbedeutung. Eine
Untersuchung ihrer Grundgesetze. Heidelberg, C. Winter, 1904. 109 S.
Nach dem Titel kann man sich nicht wohl eine Vorstellune machen
von dem, was das Buch enthalten mag. In Form und Inhalt oehandelt
es ein sprachphilosophisches Problem. Zunächst beschäftigt es sich mit
den Prmzipien der Wortbenennung. G^enstände werden nach einem
dominierenaen Merkmal benannt, das sich verändern, wechseln oder soear
schwinden kann. Jedenfalls ist die Tatsache, dals es vorhanden ist oder
war, von Wichtigkeit für die Bedeutungsentwickelung. Anschaulich wird
dies dargetan an dem Kompositum (Kc^nschirm — i:iShirm), das in seiner
Zweigliraeriekeit die Vorbedingung nicht nur des Bedeutungswandels, son-
dern auch der Neuschöpfung enthält. Denn das Kompositum kann Je
nach Art und Beschaffenheit ein Simplex werden, das in seiner einheit-
lichen Form die G^chichte seiner Entst^une und den Wandel der Gestalt
nicht mehr erkennen läüst. Wenn dieser Vorgane sich fortwährend vor
unseren Augen vollzieht, so sind wir berechtigt, denselben als ein Wort-
schöpfunssprinzip anzusehen, das auch in vornistorischer Zeit schon galt
und das Wurzelnomina geschaffen hat. Soweit es sich um Benennung
eines Gegenstandes handät und dieser nicht absolut neu ist, ist also ein
diesen bezeichnendes Simplex im Prinzip von dem Kompositum nicht ver-
schieden. Den Ausgangspunkt zu diesen Ausführungen gibt dem Verfasser
Wundt. g^en dessen sprachpsychologische Anschauungen er heftig polemi-
siert; die Form ist zuweilen recht unerquicklich. Er wirft ihm vor, dafs
er das Gesetz der Zweigliederiekeit als Prinzip des Bedeutungswandels
nicht erkannt habe. Dieses sieht der Verfasser auch in der Entstehung
der einzelnen Satzteile, nicht nur des Substantivs, sondern auch des Verbs
Benrteflungen und kune Anzeigen. 217
und Adjektivs. Substantiv und Sats sind im Prinzip dasselbe, verschieden
Bind sie nur in der Art der apperzeptiven Gliederung derselben Gesamt-
Vorstellung. Der Satz ist das Kesultat der Zerlegung dieser in ein identi-
fiziertes und in ein unterscheidendeB Glied. Das auf der Synthese der
Apperzeption beruhende Element ist das Substantiv. In diesem Zusam-
menhang behandelt der Verfasser auch die häufig aufgeworfene Frage, ob
es eingbederige S£tze gibt. Das Gesetz der zweigliederigen Apperzeption
sieht er sogar wirksam auf rein lautlichem Gebiet und erklärt mit seiner
Hilfe z. B. das Verhältnis der Formen: Gast — Gäste I Auch hier, meint
er, finde eine Gliederung dner GesamtvorsteUune stets statt, wenn man
sie in den Anfangsstadien auch nidit verfolgen rönne (S. 95). Dies ist
lediglich eine Theorie und weiter nichts als eine solche. Der Verfasser,
Vertreter der vergleichenden Sprachwissensdiaft an der Universität Krakau,
präsentiert sich hier als vollendeter Sprachphilosoph. Die Erfahrung hat
gelehrt, dais verläisliche Erkenntnis auf sprachvergleichendem Gebiet nur
erreichbar ist innerhalb der Grenzen und auf dem Boden des tatsächlich
ergebenen, die exakte Forschung muls erst viel weiter gediehen sein, ehe
man an eine fruchtbringende Vereinigung von Sprachgeschichte und Sprach-
psychologie, wie sie vereinzelt in Paul erfolgreich vertreten ist, in grölse-
rem Maistabe denken kann.
Tubingen. W. Franz.
Emil Sulger-Gebing^ Hugo v. Hof maiinsthaL Eine literarische Studie.
(Breslauer Beiträge zur Citeraturforsdiung, herausgegeben von M. Koch
und Gregor Sarrazin, III.) Leipzig, M. Hesse, 1905. M. 2,50, Sub-
skriptionspreis M. 2,15. 93 S. 8.
Die Schrift will (S. 81) nicht der Kritik, sondern der Einführung in
das Wirken des Wiener Dichters dienen. Sie tut es mit Takt und Liebe,
doch ohne die Vertiefung des literarhistorisdien Hintergrundes, die diese
merkwürdige Fi^ur erst ganz verständlich machen würde. Seine Be-
ziehungen zur deutsdien Komantik (S. 5 f., 29) und zur romanischen
Kunst (d'Annunzio S. 21, die Düse ». 22) darf das Wienerische seiner
Poesie nicht vergessen lassen; und wenn er auch das eherne Gesetz (S. 16)
sar wohl kennt, das Problem des Todes (S. 54) ernst anfalst — es ist
doeh kein Zufall, sondern ein Problem, weshalb er einen Prolog für
Sc^nitzler geschrieben hati Ebenso zeigt S.-G. fein des Dichters Stel-
lung zu den greisen Fragen: Natur (S. 4) imd bildende Kunst (ß, 19^,
Leben (S. 8) und Traum, Antike (S. 71) und Moderne; aber die Grund-
lage seiner philosophischen Stimmungen (S. 27) kann aus dem ^Heimweh
nach der Jugendlidikeit' (S. 18 — ein wunderschöner Ausdruck des Dich-
terei) allein nicht aufgeklärt werden. Was Ho^annsthal zur Benaissance
jdeht (S. 81 f.), was die beiden greisen Gruppen seiner Menschen (S. 25)
scheidet, das mülste doch aus seinem eigenen Wesen gedeutet werden;
der Verf. aber läist den Dichter (S. 21 f.) allzusehr hinter dem bunten
Teppich seiner Werke verschwinden.
Eingehende Studien über Sprache und Verskunst wird man hier nicht
erwarten, so sehr auch die Virtuosität zu ihnen locken mag; doch wird
Hofmannsthals Dichtung mit den Vorbildern bei Otway (S. 48) und
Enripides (S. 75) g^hickt verglidien. Unverständlich freilich bleibt mir
(8. 24) das Lob der Übersetzung von Benards *Fuchß'; diese eilige Wieder-
gabe, die etwa 'la demi^re des demi^res' (das verworfenste Weib unter
der Sonne) mit 'die Letzte der Letzten' verdeutscht, scheint mir in ihrer
Hast des sorgfältigen Künstlers geradezu unwürdig.
In dem Hervorzaubern von Stimmun^n sieht S.-G. (S. 18) mit Recht
Hofmannsihals gröfste Kraft. Durch die Reihe seiner nach Gattungen
übersichtlich geordneten Werke verfolgt er diese Kunst in sympathischer
Besprechung. In einer glänzend vollständigen Aufzählung der Schriften
\i
218 BearteUungen und kurze Anzogen.
macht sich der Verf. dann noch beeonderB um den Literarhistoriker ver-
dien t, der wohl weiiGs, dals so ziemlich nichts schwerer ist, als alle Ar-
beiten auch nur eines wenig produktiven Modernen zu sammeln.
Berlin. Bichard M. Meyer.
Dr. Bruno Busse, Wie studiert man neuere Sprachen? £in Bat-
geber für alle, die sich dem Studium des Deutschen, Englischen und
Französischen widmen. Stuttgart, Wilhelm Violet, 1904 (Violets Btudien-
ffihrer).
Dr. Busse rechtfertigt sein unterfangen, einen neuen Batffeber fflr
Neuphilolo^ zu schreiben, mit der Bemerkung, dals die yornandenen
fast alle die Germanistik mehr als stiefmütterlich behandelten, wfihrend
doch erfahrungsgem&Is Deutsch immer das beUebteste Kombinationsftu^
im Staatsexamen war. Sein Buch sollte also als beauemes Nachschlage-
buch ffir drei miteinander eng yerbundene und auoi durch die Praxis
aufeinander ansewiesene Fächer zuverlfissigen, wenn auch knappen Bat
geben. Nicht i3s ob Busse den gldchmfilsi^en Betrieb Ton Deutscn, Fran-
zösisch und Englisch zum Zweck der Erwerbung einer Fakultas für Ober-
klassen in allen drei Fächern empfehlen möchte; denn er hält trotz gegen-
teiliger Behauptungen an der*Mdnung erfahrener Dozenten und Schul-
männer fest, aals Sie Aufgabe, zwei moderne Sprachen zugleich zu be-
herrschen, die durchs<3mittliche Leistungsfähigkeit übersteige. Aber
die Sache liegt nun einmal so, daCs Französisch und Englisch fast immer
zu<«ammen genommen werden, und danach hat denn auch Busse sein Buch
eingerichtet. In ac^t aufeinander folgenden Kapiteln spricht er von der
Berufewahl und den deutschen Universitäten; vom Betriff und Umfang
der germanisdien und romanischen Philologie und den Anforderungen der
Praxis; von der praktischen Ausbildung; vom wissenschaftlichen Studium
im engeren Sinne; von StudienpUin, Promotion, Staatsexamen und von
der päiagoj^chen Vorbildung. Was er darüber zu sasen hat, deckt sich
naturgemäis vielfach mit den Ausführungen sdner Vorgänger; aber er
brinjrt es, in lebendiger Erinnerung an seine eigene, noch nicht lange zu-
rücuieffende Studienzeit, mit solchem Eifer una solcher Frische vor, da(s
er des Eindruckes auf seine Altersgenossen sicher sein kann. Zwar fdilt
es den Studenten auch nicht an Bkt und Belehrung von selten der Do-
zenten, die ja heute nicht mehr in unzugänglicher Hohe über ihnen thro-
nen und unbekümmert um die Bedürfnisse der Schule ihre Weisheit ver-
künden; idlein man läist sich doch einen Weg am liebsten von dem
weisen, der ihn selber eben erst g^angen ist
Besonders wohltuend berührt die Wärme, mit der Busse die Not-
wendigkeit einer streng wissenschaftlichen Vorbildung für den künftigen
Lehrer verteidigt, ohne darum die Erfordernisse der Praxis zu übersehen.
Denn Wissenscnaft und Praxis befehden sich keineswegs, und die Uni-
versität, die zwar vornehmlich die eine pflegt, sucht däer, in richtiver
Erkenntnis des Verhältnisses zwischen beiden, doch auch die praktisäe
Ausbildung der neuphilologischen Studenten nach Möglichkeit zu fördern.
Zur reinen Schule der Spr^hfertiskeit und zur ausscnliefslichen Verabrd-
chung dessen, was der künftige Lärer brühwarm seinen Jungen vorsetzen
will, wird sie aber hoffentlich der laute Ruf radikaler Reformer mit ihrer
allzu beschränkten Vorstellung von den Aufgaben eines 'brauchbaren
Schulmeisters' niemals herabdrücken. Es mag zugestanden werden, daXs
der praktischen Ausbildung der Studenten auf unseren Universitäten lan^e
Zeit nicht die gebührende Sorge zuteil wurde. Ihre Bedeutung ist gewüs
nie unterschätzt worden, aber die Verhältnisse U^n zu im^ünstig. So
klafften die Ldirer über Vernachlässigung dieser wichtigen Seite der Vor-
bildung für ihren künftigen Beruf, und die Dozenten hinwiederum be-
riefen sich darauf, dals die Kandidaten die praktische Grundlage fürs
BearteUungeQ und kurae Anzeigen. 219
wissenBchaftliche Stadium billieerweise Ton der Schule mitbringen müfsten.
Man bewegte üch da in einem oestfindigen Zirkel. Nun ist in dieser Hin-
eicht fiberall yieles besser geworden. Busse weist in einer Anmerkung
auf B. 61 auf die idealen Zust&ide bin, die in Berlin für das Eng^lische
zu bestehen scheinen. Auch wir in Greifswald haben, frdlich mit be-
scheideneren Mitteln, einen englischen EonTersationskurs eingerichtet,
nachdem schon lanee vorher auf Anr^ung des Lektors Ashby eine 'De-
batins Society' na<£ englischem Muster gegründet werden war, die meh-
rere Jahre bestand, aber aus mancherlei Ursachen ihren Zweck nicht voll-
kommen erfüllte. Es kann sein, dais man den praktischen Bedürfnissen
der neuphilologischen Studenten nicht an allen üniversit&ten so hilfreich
entgegenkommt wie in Berlin; allein ich möchte doch, im Gegensatz zu
Basse, glauben, daCs das Gebotene überall ausreichen würde, um den For-
derungen der Prüfungsordnung zu genügen, wenn nur die Gelegenheit,
zn lernen, insbesondere auch von den liektoren zu lernen, immer recht
fleüsiff benutzt würde. Gerade die kleineren üniversitfiten gewähren bei
der M^lichkeit eines eneeren persönlichen Verkehrs mit den Lektoren in
dieser Hinsicht manche vorteile. Immerhin bleibt auf dem wie auf allen
Gebieten der selbständigen Arbeit des einzelnen noch vieles überlassen.
Busse gibt verständige Kiatsehläge für die zweckmälsigste Ausnutzung der
Mittel, die dem Stuaierenden zur Erlernung der m^emen Sprache ge-
boten sind. — unter den Handbüchern der Phonetik wäre auch Otto
Jespersens Lekrbueh der Phonetik, autorisierte Übersetzung von Hermann
Davidsen, 1904, Leipzig und Berlin, Druck und Verlag von B. G. Teub-
ner, zu erwähnen. — Statt A. Westen muls es heilsen Western. — Bei-
läufig bemerkt: Was meint Busse mit dem 'Schwund des r', der als Lon-
dinismus nicht zu empfehlen sei? Er denkt dabei wohl an den Mangel
jener von Lloyd beschriebenen koronalen Artikulation der Vokale vor
dem r bei folgendem Konsonanten oder in pausa? Der ist aber nicht nur
in London, sondern Überhaupt im gebildeten Südenelisch heute alleemein ;
vgl. Storm 13, S. 450 und 463. — Was den wünsdienswerten Aufenthalt
im Auslande betrifft, so glaube ich auch, dafs die geeignetste Zeit dafür
unmittelbar nach dem AbschluLs der Studien sein würde. Jedenfalls muls
man, wenn er wirklich nutzbringend werden soll, möj^Uchst gut dafür
vorbereitet sein, sonst kehrt man mit all den Mängeln, die man mitgenom-
men hat, und noch dazu mit einem unsjerechnertigten Dünkel wieder
heim ; denn man darf ja nicht glauben, dios einem im fremden Lande die
Sprache und alles übrige, was man lernen will, von selbst angeflogen
kommt — Die 2iahl derer, die als 'B^p^titeurs ^trangers' nach Jmmkreich
l^en, scheint sich zu mehren. Busse rät vorläufig von der Übernahme
einer solchen Stelle noch ab, allein nach dem, was ich von Studenten
darüber erfahren habe (es sind gegenwärtig fünf von uns so beschäftigt),
darf man sie unter bestimmten Voraussetzungen vielleicht doch empfehlen.
Ein umfangreiches Kapitel widmet Busse dem wissenschaftlichen Stu-
dium im engten Sinne; aenn das ist es, 'was dem üniversitätsstudium
seinen eigentlichen Charakter verleiht' und den, der sich ihm mit Lust
and Liebe ergibt, über den Banausen erhebt, der 'stets ängstlich die Para-
graphen der Früfungsordnung zu Bäte zieJit, um ja nicht einmal zu viel
zu ton'.
In den einzehien Paragraphen handelt Busse von der allgemeinen und
der vergleichenden Sprachwissenschaft, vom Lateinischen, von der deut-
schen, englischen una französischen Plulologie, von der historischen Gram-
matik, von der Lektüre, der Literaturgeschichte und den Hilfsdisziplinen
(Schriftwesen, Metrik, Mythologie und Heldensaj^e, Geschichte), rrak-
tiache Hinweise auf die vorhandenen hauptsächlichsten Hilfsmittel, auf
passende Verteilung der einzelnen Teilgebiete auf die Zeit des Studiums
and ähnliches schlieist er an allgemeine Bemerkungen über die in Frage
kommenden Wissensgebiete an. Hier wäre nun insMsondere bei den Lite-
220 BeurteUniigen nnd kurze AnMigen.
raturangaben freilich Tides nachzutragen und manche Ungenauijgkeit zu
verbeesem. Das Englische namentlich ist nicht allzu gut weggekommen.
So heilst das bekannte Buch von Zupitza-Schipper (jetzt in 7. Auflage er-
sdiienen): *ÄU- und mittel englüehes (nicht altenglisches und neueng-
lisches) Ühungshueh'. — ''The Studenfa Chaueer^ ist doch nur von Skeat
allein, nicht von Skeat und Morris herausgegeben. — Für die nuttelenriische
Lektüre empfiehlt Busse unter anderem 'The Onnukim'f ed. B. M. White
(und B. Holst). Er wird doch hoffentlich nicht im Ernst yerlangen, dafii
einer das ganze langatmige und trockene Werk durchlesen soll, während
er für literarisdi ungleich bedeutsamere Denkmäler anscheinend nur auf
Auszüge in Chrestomathien angewiesen ist Bei der Gelegenheit möchte
ich übrigens nicht unterlassen, neben der Tauehniix 'OoUekicn of British
Author^ und neben den Bänden der *English Library* von Heinemann
und Balestier, die Busse als Textbüdier für neuenglische Lektüre erwähnt,
die Benutzung der vortrefflichen, von M. Förster besorgten Neuausgabe
Yon Herrigs 'CXassieal Äuthors' den Studenten recht warm ans Herz zu
legen. — Die Zahl der empfehlenswerten Literaturdarstellungen Heise sich
el^nfalls leidit vermehren. Im übrigen aber glaube ich, dais der Student
immer am besten tut, in betreff der Hilfemittel zum Selbststudium sich
an die Weisungen der Dozenten zu halten und auch die Bücher d^
Seminarbibliothek fleilsig zur Hand zu ndimen.
Die Zeit vom Beginn des Studiums bis zum Staatsexamen schlägt
Busse, entsprechend der jetzt üblichen Praxis, auf zehn Semester an und
stellt für die zweckmäisigste Ausnutzung derselben sehr umfassende Stu-
dieni>läne auf: 1) für Germanisten, 2) rar Anellsten, 8) für Romanisten,
wobei jedesmal die Verbindung von zwei spradilichen Hauptfächern mit
einem solchen Nebenfach vorausgesetzt wird. Da& die g^aue Befolgung
dieser Pläne kaum einmal möguch sein wird, gesteht Busse selbst zu.
Aufgefallen ist mir nur, da(s S. 124 'historische Grammatik' und 'Einfüh-
rung in das wissenschaftliche Verständnis der lebenden Sprache' als zwei
getrennte Vorlesun^gegenstände nebeneinander gesteUt werden. Ich habe
isher immer gemeint^ die Auf^be der historischen Grammatik bestehe
eben darin, dais sie m das 'wissenschaftliche Verständnis' der lebenden
Sprache einführe. 'Historiedi grammar tries to explain the phenomena of
a language by traeing them back to their earlier stages in that languags^
(Sweet). Vorausgesetzt werden mufs natürlich die Kenntnis der lebenden
Sprache und, was auch Busse S. 52 betont, phonetische Schulung — hier
berühren sich also Wissenschaft und Praxis — ; dazu aber auch eine
wenigstens elementare Kenntnis der Tatsachen der älteren Sprachperioden
(vgl. Busse S. 97), denn sonst wird einer von der Masse des ihm völlig
fremden Stoffes erdrückt und sdureibt sich im Kolleg nur einen roten
Kopf an. Das ist mir von Studenten oft genug bestätigt worden. Ich
halte es daher für sehr bedenklich, Studenten schon im zweiten Se-
mester den Besuch einer Vorlesung über historische Grammatik zu empfeh-
len, wie es die meisten der bisher aufgestellten Studienpläne zu tun pflegen.
Man braucht nur einmal einen BUck in das Kollegienheft eines solchen
Neulings zu werfen, um mit Schaudern den Greuel der Verwirrung zu
bemerken, den ein Dozent bei so Unvorbereiteten anrichten kann.
Zum Schlüsse noch ein Wort über die Promotion, worüber Busse im
6. Kapitel spricht Es handelt sich darum, ob die Promotion in jedem
Falle zu empfdblen sei, und ob sie vor oder nach dem Staatsexamen er-
folgen solle. Die erste Frage beantwortet Busse nach Erwägung der
Gründe für und wider mit ja. Ich möchte ihm nicht unbedinj^ recht
geben. Ein Student mit Durchschnittsbegabung und Fleifs kann em guter
Lehrer werden. Er kann so viel Wissenschaft in sich aufnehmen, als die
richtige Ausübung seines Berufes erfordert; aber die Befähigung, durch
selbständige Forschung die Wissenschaft zu fördern, braucht er darum
noch nicht zu besitzen. Nun meint zwar Busse S. 133, der_IE[andidat
Beurteilungen und kurze Anzdgen, 221
habe im wesentlichen nur den Nachweia zu liefern, dafii er ee gelernt habe,
wissenBchaftlich zu arbeiten . . . ; im übrigen verböte ja schon die enge Be-
grenzung des Themas samt der yerhältnismäXisigen Unerfahrenheit des Kandi-
daten, (an eine Dissertation) allzu groÜBe Ansprüche zu stellen. Aber das ist
es eben, was mich etwas bedenldidi macht: die Gefahr, daDs bei Massen-
produktionen die Ansprüche zu niedrig gestellt werden und die deutschen
Universitäten mit Recht den Vorwurf veraienen könnten, die 'Dissertation-
mongery' zu befördern. Wer freilich das Zeue dazu hat, 'an seinem Teile
an dem stolzen Bau der Wissenschaft mitzuarbeiten und aus eigener Kraft
eine wissenschaftliche Aufgabe zu lösen' — und Busse selbst hat es ja
rühmlich dargetan — , der mag sich immerhin ein Thema für eine Disser-
tation geben lassen, obwohl es mir wünschenswerter und audi für die
Wissenschaft keinesw^ nachteiliger schiene, wenn ehier im Verlauf seiner
Studien selber auf etwas stielse, was ihn zu eingehender Forschung und
Bearbeitung anreizte.
Die zwdte Frage, ob man vor oder nach dem Staatsexamen promo-
vieren soll, entscheidet Busse im ersten Sinne. Die Gründe, die er dafür
anführt, sind ja einleuchtend. Aber auch hier habe ich einige Bedenken.
Wer durch die Verhaltnisse darauf aufwiesen ist, sich vor allem mög-
lichst bald eine feste Grundlage für seme künftige Existenz zu schaffen,
dem rate ich unter allen Umstanden, seinen Blick zunächst auf das Staats-
examen zu richten und sdne ganze Kraft dafür einzusetzen; denn nie-
mand weib im voraus eenau, wie lange ihn eine Dissertation aufhalten
werde. Mancher hat sdaon mehr Semester damit verbracht, als er sich
vorgenommen, und hat während der Zeit auf verschiedenen Wissens-
gebieten Lücken offen lassen müssen, die dann beim Staatsexamen in un-
erfreulicher Weise zutage kamen. Auf jeden Fall sollte man, wie auch
Busse rät, erst in den späteren Semestern an die Wahl und Bearbeitung
eines Themas für eine Dissertation gehen. Einer der von Busse S. 184
erwähnten Vorteile der Promotion vor dem Staatsexamen erweist sich
übrigens für Anglisten und Romanisten als trügerisch: eüie englische oder
französische Dissertation darf, da sie in der Regel deutsch geschrieben
sein mula, in Preuüsen nicht als schriftliche Prüfungsarbeit angerechnet
werden.^ Für Dissertationen aus anderen Fächern beetdit kein solches
Verbot. So kann z. B. einem Germanisten, der promoviert hat und beim
Staatsexamen eine Lehrbefähigung im Deutschen und Englischen oder
Französischen für Oberklassen erwerben will, die Anfertigung dner schrift-
lichen Hausarbeit erlsAsen werden; der Examinator im Englischen oder
Französischen mnis sich dann, oder darf sich wenigstens, mit emer £[lausur-
arbeit des Kandidaten begnügen, die also in diesem Falle für die Bewer-
bung um eine Fakultas für cue erste Stufe allein schon als ansreidiend
erachtet wird. Aber zusammen mit einer Dissertation auf dem Gebiete
des Englischen oder Französischen reicht die Klausurarbeit für jenen
Zweck nicht mehr aus; es muls noch eine schriftliche Hausarbeit hinzu-
kommen^ und die einzige Vergünstigung, die dem Kandidaten eewährt
werden kann, ist die, das durdi eine Entscheidung des Vorsitzenden der
Prüfungskommission im Einvernehmen mit dem betreffenden Examinator
das Thema für die Hausarbeit dem Bereiche der Dissertation entnommen
werden darf. Man sieht, es wird den Neuphilologen nicht gerade leicht
gemacht, ihr Ziel zu erreichen. Busses Studienführer kann ihnen durch
seine Batschläge manchen Um- und Irrweg ersparen.
GreifBwald. M. Konrath.
* Nur eine TeUfibersetzuDg der Dias, in die Fremdsprache wird nachgefordert.
In lehn Jahren Berliner Tätigkeit sah ich noch nicht Einen inr Doktorsprflfung
gelangen, der die Staatsprflinng bereite gemacht hatte. Dal^ möglichst viele Nea-
sprachler den Doktor machen, empfiehlt sich sowolü behufs ihrer besseren Aus-
bildnng al» aar Hebung ihres Ansehens in Kollegenkreisen. A. B.
222 Befurteilimgen nnd kurze Anzdgen.
Ernst Otto, Typische Motive in dem weltlichen Epos der Angel-
sachsen« Berlin, Mayer & M&Uer, 1901. 91 8.
Der VerfaMcr dieser Abhandlung hat es unternommen, gewisse Ge-
danken, die Heinzel (Stü der aUgertn, Poesie) in den ümBissen festgelegt,
Richard M. Me^er {JHe aUgerm, Poesie nach ihren formelhaften Elanenten
besehr,) auf breitester Basis weiter ausgeführt und in historischen Zusam-
menhsng gebracht hatte, für einen Teil der ae. Dichtung, das weltliche
Epos, noch einmiü in ausführlicherer Weise zu belegen. Er schöpft sein
Material aus Beowulf, Finn, Widsid, Waldere, Byrhtnöd und den histo-
rischen GMichten der Sachsenchronik und legt es vor, in ein straffes
Schema gespannt, etwas zu sehr statistisch und darum beim Lesen oft
recht ungenielsbar. Er behandelt im ersten Teil Lebewesen (A. Mora-
lische Eigenschaften: Gk>tt, I(.önig, Gefolgsleute, Ungeheuer. B. Geistes-
kräfte. C. Stimmung. D. Aufsere Eigenschaften. E. Lebenslauf), im
zweiten Zustandliches (Waffen, Schatz, Szeneri^, im dritten Vor-
gänge (Kampf, Beden, dream, Begräbnis, Schif&hrt, Körperliche Übunj^en
und Spiele, Kunst und Wissenschaft), im vierten Urteile und Empfin-
dungen des Dichters. — Die Fülle dieses auf knappen Baum zu-
sammengedränfften Materials macht die Arbeit nützlich und brauchbar,
wenn auch vieks nicht neu und manches nicht typisch ist. Leider sind
die Zitate nur selten ausgedruckt, so dafs man des Nachsdilagens in den
Quellen nicht überhoben wird. Indem der Verfasser seine Ergebnisse mit
den über das geistliche Epos der Angelsachsen bekannten Tatsachen yer-
§ leicht, sowie Parallelen aus dem As., Ahd. und An. heranzieht, folgt er
er Methode seiner Vorgänger. Manciies bleibt dabei aber doch recht an
der Oberfläche. Wie in solchen Fällen eine Vertiefung zu errdchen ge-
wesen wäre, zeigt z. B. ein Vergleich zwischen dem, was der Verfasser
über die Frau in der weltlichen Dichtung sagt, im Vergleich zu Reeders
Darst^ung (FamiHe bei den Angelsachsen), die Otto nicht zu kennen
schemt»
Bremen. Heinrich Spies.
Leonhard Wroblewski, Über die altenglischen Gesetze des Königs
Knut Diss. Berlin, Mayer & Müller, 1901. 60 S.
Diese Untersuchung reiht sich anderen Arbeiten an, die in jenen
Jahren Über altenglische Gesetze erschienen sind. Die Einleitung (Knuts
Verhältnis zur altengUschen Sprache) schildert, um eine Voraussetzung
für die im GJesetzbucn zu erwartende Sprache zu j^ewinnen, kurz die Um-
gebung des Königs: Traditionen der Regierung, Knuts relidOse Stellung,
seine geistliche und weltliche Umgebung, die ausschlieislich aus Süa-
euffländem, insbesondere aus Westächsen, bestand. — Kap. II befafst
sich mit der Überlieferung und dem eeeenseitigen Verhältnis der Hand-
schriften der Gesetze sowie eines ebenndls zur l^tersuchune herangezoge-
nen Erlasses Knuts vom Jahre 1020. — Kap. III bildet den Hauptteil
der Arbeit: Die Spradie der Handschriften (Vokalismus und Konsonan-
tismus).
Der Verfasser, der gute Kenntnisse und gewissenhafte Arbeitsweise
verrät, geht yon den westgerm. Lauten aus und behandelt unter jedem
sämtliche ae. Entsprechungen, wobei er verwandte Arbeiten zum Vergleich
heranzieht Was zunächst die Quantitätslehre anlangt, so vermag ich hier
den Ausführungen des Verfassers grundsätzlich nicnt zuzustimmen. Er
erklärt, Länse des Vokals wird (u. a.) durch Akzente bezeichnet, und
zählt dann die Fälle auf, in denen sich auf Vokalen oder Diphthongen
Akzente finden. Diejenigen Fälle, die sich nicht lautgesetzlich erklären
lassen, werden durch Anidogie zu erÜären gesucht, wenngleich der Ver«
Beurteüungen und kune Anzdgen. 223
fasser auch so yoraichtig ist, eiii Fragezdchen hinzuEUBetasen (so heönan
nach hSOy 6ääe nach ob, ößer^ kwdns = ktcone nach kteOm etc.). Memes
EnchtCDs ist der Vertasser hier im Irrtom ; sein an und für sich löbliches
Bestreben, mÖgUchst zu erklfiren und nicht nur zu konstatieren, hat ihn
dazu verfQhrt, Erklärungen um jeden Preis zu geben. Solange nicht
zwingendere Qrnnde und sichere Belege aus anderen DenkmSlem beigebracht
werden, müssen wir in diesen Fftlien einziehe Schreibfehler sehen, zumal
das Me. in keinem dieser FfiUe Dehnung aufweist Dasselbe l&fst sich
in der QualitStslehre beobachten. Man yermilst ein festes Prinzip, nach
dem Schreibungen als Schreibfehler gebucht oder als Formen mit laut-
lichem Wert angesetzt werden. — Im Schluls der Arbdt sind die Resul-
tate zusammengestellt. Die in allen oder mehreren Handschriften vor-
kommenden Eigentümlichkeiten werden dem Original zugewiesen. Die
Eigenheiten einzelner Handschriften werden als spät oder dialektisch ge-
deutet und geschieden. — Der weniff übersichtliche Druck und der Mangel
einer fortlauenden Paragraphenzfihmng erschweren sehr die Orientierung
und das Zitieren.
Ein paar Einzelheiten (von vielen) seien hier noch angefügt: Warum
wird aeal (S. 28 § 5) als 'Partikel' bezdchnet? — S. 84 §1. 2 gehört
streng genommen nicht dahin. — S. 86 § 4, 2 -t^ in penig als 'Zusammen-
ziefaung von -tn^' zu bezeichnen, dürfte nicht ganz korräct sein. Es han-
delt sich um denselben Vorgang, der neuerdings in zahlreichen Fällen, als
G(^;enBtück zur Einschiebung von n anlaislich der Betrachtung von nigkan-
ga£, eingehend erörtert ist. — • S. 40, 8. Die Zusammensetzung der Pro-
zente (6^/s + 8OV2 + 7'/s) stimmt nicht — S. 48 § 1. Unter I) heilst es
to > u vor / z. B. aaule, unter 2) f > u e. B. lutea. Das ist zum min-
desten schief ausgedrückt — S. 51, 6 hellst es, 'igthum für lytlum könnte
Analoeiebildung nach dem svnonymen lythwön sein'. Hier liegt doch
zweifeUoe einfacher Schreibfehler vor.
Bremen. Heinrich Spies.
Oskar Boemer, Die Sprache Robert Mannings of BmnDe und
ihr Verhältnis zur neuenglischen Mundart (Studien zur englischen
Philologie, herausgaben von Lorenz Morsbach, XII). Halle, Max
Niemeyer, 1904. YU, 813 S. 8. M. 8.
ESne gründliche Untersuchung der Sprache Boberd Mannings muis
ans mehreren Gründen als ein seä wichtiger imd hochwillkommener Bei-
trag zur englischen Sprachgeschichte betrachtet werden. Denn wir haben
hier einen Dichter vor uns, der Werke von groisem ümfanee hinterlassen
hat, so dais wir mit einem besonders reichhaltigen Material arbeiten kön-
nen; besonders wichtig ist aber der Umstand, daDs wir über die Heimat
und die Leb^iszeit des Dichters recht genau unterrichtet sind. Dadurch
gewinnen wir zuverlSssige Anhaltspunkte für die Beurteilung anderer
Denkmaler aus benachbarten G^egenden. Bobert Manning, der ungefähr
1260 in Brunne (jetzt Boum) im Süden von LincolnshSe seboren war
und in den vierziger Jahren des 14. Jahrhunderts höchst wärscheinlich
in derselben GhB^end sein Leben beendiete, verlebte ohne Zweifel den weit-
aus erölseren Teil seines Lebens innerhäb der Grenzen seiner heimatlichen
Granchaft Es ist deshalb anzunehmen, da£B er an seinem heimatlichen
Dialekt festhielt; diese Annahme wird auch durch die Schlüsse, die sich
aus Bob^s PereÖnlichkeit und äulseren Lebensumstanden zidien lassen,
durchaus best&tifft Er muls entschieden, wie Boemer bemerkt, in einer
Sprache geschrieoen haben, die der Umgangssprache seiner Heimatsgegend
ziemlich nahekam. Infolge dieser Umstfinde wird seine Sprache lor die
imgiiMAlift Sprachkunde, besonders für die Lokalisierung und Datierung
dier me. Denkmller, um so wichtiger.
224 BeurteUungoi und kone Anjseigeii.
Trotzdem waren die bisherigen Untersuchungen fiber Boberds Sprache
recht dürftig jedenfalls vollkommen unzureichend. Die einzige Bpezial-
arbeit vor der hier zu besprechenden Arbeit üt die Göttinger Dissertation
von G. Hellmers. Über dte Sprache Bob. Manninge of Brunne und über
die Ätäoreehaft der ihm »ugeechriebenen MedHaiione an the Supper of our
Lord (1885), mit Fortsetzung erschienen zu Goslar in demseloen Jahre.
Die Lautlehre wird hier sehr knai>p abgefertigt Was in anderen Arbeiten
über Boberds Sprache zu finden ist, ist noch spärlicher.
Mit um so grölserer Freude ist eine Detailuntersuchung wie das uns
vorliegende Buch zu begrüisen. Der Hauptwert des Budies scheint mir
in dem imgemein ^Isen und mit rühmenswertem FleUs und ^Umsicht
geeanmielten Matenal zu li^en. Aus diesem Material hat der Verfasser
auch Schlüsse allgemeinerer und weittragenderer Natur gezogen, die er
an besonderen Stellen, namentlich am Ende der verschiedenen Abschnitte,
fein sauber zusammenstellt.
Diese Schlüsse sind selbstverständlich so gut wie ausschließlich gram-
matischer Natur. Einen Funkt will idi aber hier zuerst herausgreifen,
weil er auch für die Literaturgeschichte wichtig ist, nämlich die Fn^e
nach der Autorschaft der Boberd zugeschriebenen MedikUione on the Supper
of our Lord. In seiner obenerwähnten Arlmt hatte Hellmers darzutun
versucht, dais sie sehr wohl von Boberd verfaulst sein könnten, da die
Sprache in den Med. von derjenigen in den anderen von Boberd of Brunne
sicher verfaßten Werken nicht wesentlich abweicht Boerner aber glaubt
nun einen gröDseren Einschlaff südlicher Elemente konstatieren zu können.
Gegen die Verfasserschaft Boberds fallen nach der Ansicht Boemers auch
unterschiede hinsichtlich der Verskunst und der Beimtechnik ins Gewicht.
In dem Boemerschen Buche wird, wie schon angedeutet, eme unge-
meine Menge Detailfragen erörtert In ziemlich vielen Fällen kann ich dem
Verfasser nicht beipflichten ; über eiiiise von diesen lä&t sich wohl streiten,
aber in mehreren scheint mir jedoch die irrtümliche Auffassung des Ver-
fassers auf der Hand zu liegen. Einige üngenauigkeiten — zwar meistens
fferin^flgiger Art — wären auch leicht zu vermeiden gewesen. Auf alle
diese Funkte kann ich hier nicht eingehen. Einige werae idi am Schluls
dieser Anzeige beispielsweiBe erwähnen, will aber gleich hervorheben, dafs
sie den Wert der Arbeit nur in sehr geringem Ma£se beeinträchtigen, und
dals sie uns ihre Verdienste nicht vergessen lassen dürfen.
Nach einer kurzen Einleitung wird zuerst die Überlieferung der Werke
behandelt. Interessant ist dabei die Tatsache, dafs der Text der Gironik
einen ganz anderen und zwar nördlicheren Sprachcharakter aufweist lüs
der der Handlyng Symte. Die Verschiedenheiten rühren eJaer led^lich von
den Schreibern her; denn, wie Boerner (und vor ihm Hühners) hervor-
hebt, ist es nicht denkbar, dais Bobera zur Zeit der Abfassung der
Chronik einen mehr nördlich gefärbten Dialekt sprach als zur Zeit, wo
er die H. S. schrieb. Mit Becht werden in der ganzen folgenden Dar-
stellung die Erscheinungen in den drei Werken (Öfi^on., K 8., MedüaHons)
streng auseinander gehalten.
Danach folgt ein Abschnitt über die Verskunst und Beimtechnik des
Dichters, dem sich Abschnitte über das auslautende -n und das auslau-
tende -e anreihen. Das auslautende -n ist im allgemeinen wegge&Ilen,
nur in hochtoniger Silbe ist es lautoesetzlich erhalten geblieben. Daraus
zieht der Verfasser den Schluis, dals auch für den Eavdok kein -n mehr
anzunehmen seL Statt der reichen Materialsammlung oder wenigstens
neben ihr hätte ich etwa eine kurze Besprechung der FäUe. in denen -n er-
halten ist, erwartet, da uns ja die Ausnahmen weit mehr als die Hauptregel
interessieren. Aus der Untersuchung über das End-e ergibt sich, daSs aer
Prozefs des Verstummens des -e noch nicht abgeschlossen war, dals Bo-
berd ein Wort mit verstummtem -«.allemal da verwenden konnte, wo er
es im Beime nötig hatte.
Benrtdlimgen und kuTze Anzdgen. 225
Dar nnn folgende Abschnitt über die Lautlehre (8. 55 — ^209) nebst
einer Übersicht über dialektische Fonnen (&. 209—211) bildet entschieden
den Kern der Arbeit. Die Lautlehre amfaist nur den Vokalismus und
zwar nur den Vokalismus der Beim Wörter; sie zerf&Ut in zwei Abschnitte:
in dem ersten wird der eeormanische, in dem zweiten der aulBergermanische
Beptandtdl behandelt Wir haben es hier also mit einer Darstellung zu
tun, die sich yon den meisten derartigen Arbeiten dadurch Torteilhaft ab-
hebt, da(s sie die 6chreibun&;en nur ausnahmsweise berücksichtigt und
nur die Beime für bewdskriJtig hfilt Hier und dort geben die Bdm-
nntersuchungen auch zu Emendationen Anlais, von denen manche mir
sda i^elungen erscheinen. Die Darstellung ^ewfihrt gelegentlich audi
Sinbhcke in die Eonsonantenlehrei besonders m die Fr^ über die Ent*
wickeluns; von Vokal 4- w, j, ä, ht,
Diefolgenden Abscmnitte (S. 212— 271) behandeln nun: die Flexions-
lehre, Übersicht über die dialektischen Formen aus der Flexionslehre,
dialektische Abweichungen der MedäaiHoiM von der Hcmäiyng Syrme und
der Chronik, Listen der altnordischen und der französischen Lehnwörter
nach Wortklassen geordnet
Danach setzt (8. 271^ die Versleichunff von Boberds Sprache mit der
neuen^lischen Mundart em. Wir finden hier die folgenden Kapitel: Cha-
rakteristik der ne. Mundart, Vokalismus der ne. Ikmndart, Konsonantis-
mus im Me. und im Ne. und zuletzt einige Besultate und Schlulsbemer-
ktingen. Wenn man yon einigen literarirchen Entlehnungen bei Boberd
absieht, so steht es nadi der Darstellxmg Boemers fest, da& in der
Mundart seit Boberds 2ieit keine durchgreifenden Verschiebungen ein-
getreten sind.
Es würde uns zu weit führen, auf alle interessanten Details, die aus
dem Buche herauskommen, einzusehen. Statt dessen will ich, bevor ich
achliefise, mich mit einigen Spezial&agen beschäftigen, worin ich dem Ver^
fasser nicht beistimmen kann.^
8. 85 sagt Boemer (betreffe des auslautenden -n): 'wenn aber trotz
der allgemeinen B<^1 im part praet das -n zum Teil erhalten ist, so
mögen hier Ursachen gewirkt haben, die noch nicht ermittelt sind.' Als
'unermittelt* sind doch diese Ursachen kaum zu bezeichnen! 8. 42 be-
spricht Boemer ein paar Ortsnamen aus Lincolnshire. die auf frühen Ver-
lust von -n deuten sollen, und die er den von Bradley gesanunelten Bei-
spielen gei;enüber anführt, die das -n meist gewahrt haMn und demnach
südliche JPormen repräsentieren sollen. Die von Boemer angeführten Fälle
beweisen aber gar nidits, da sie beide altnordische Bildungen sind. IVisebi,
Fri9aiorp sind, wie Saamy, sicher von den Nordleuten in Lincolnshire ge-
bildet fursmrfinglich FVuaby, FrUaßorp, Saxb^), -by, -borp sind tTpiscne
nordiacne Ortsnamenkomponenten. ». 56. In me. pakky ne. dial. ihaek
'roof ist der ib-Laut vollkommen lautfi;esetzlich. In ae. pcdö gen. pteces etc.
na. pL p€iüu, gen. pl. ^o^ dat pl. paewn kann kein Ü entstehen. Wes-
halb man also, um die ib-Form in der Gegend Boberds zu erklären, an
eine Einwirkung des iWm.btdc denken könnte, ist mir unklar. 8. 58. Was
der Verfasser mit an. kläpdi (sicl so auch 8. 68) meint, verstehe ich nicht
8. 64. BetreffiB des Verhältnisses von altostn. grcßs zu altwestn. grca ver-
weise ich auf den Aufsatz von Ekwall in Nordiska Studiiery tülegnads Adolf
Noreen 8. 247 ff. 8. 70. Ohne mich auf die Fraee nach der ursprünglichen
Quantität des ne. orumb (ae. crüma oder erumar) einzulassen, muis ich es
sonderbar finden, dafii Boemer das 8b. als erüma ansetzt, aber das dazu
' Da in Oothenbnrg, wo ich äi^B^ schroibe, sehr wenige Hilftmittel für das
Stadinm von Bobsrd Haniiing (einstweUen nicht einmal eine einzige Ausgabe einer
lianningschen Arbeit) vorhanden sind, bin ich anl^erstande gewesen, Yielee, was ich
gern nachprüfen wollte, nfther in nntersnehen. Es gilt dies besondere für die Reim-
wörter, deren Bedentnngen aus Boernere Arbeit sich öfters nicht erschlielsen lassen.
Axebif f. n. Spnehen. CXV. 15
tiß Seurteiiungien und kurze AnMlgen.
gebildete Verb *erffmfnan (nicht eryntan) schreibt. Schon Orrm hat artem-
met, — Als verwandt zu agiyfte 'erschrocken' betrachte ich schwed. dial.
gluft *öünunf^f norw. diaL glyf8 'Ö£bnng^ me^gloonen 'be astonished, terri-
lied' usw. ; die ursprüngliche Bedeutung war 'offenstehen, gaffen'. 8. 71.
äfüe {K S, 7756) mit 'ae. f Yor mehrfacher Konsonanz' verstehe ich nicht;
ie Ausffabe von K S, steht mir aber nicht zur Verfügung. 8. 75. Dals
brim 'wud, wütend' aus einer ae. Grundform mit 'unfestem y* stammt,
wird wohl niemand glauben. — KiäU 'to cut' ist sicher nicht dem Kel-
tischen entlehnt; denn wie wfiren dann die entsprechenden skandinavischen
und niederländischen Formen zu erklären? Vgl. übrigens £kwall, Shakt"
apere* 8 Voeabulary S. 15 Anm. 4. 8. 79. Wie ae. enafa aus älterem ae. hnapa
entstanden sein Kann, ist mir unklar. 8. 82 Anm. 2 ist mir völlig unbe-
ereiflich und wohl verderbt. 8. 102 mom« 4 anm. 1. 'Anglia IX' und
%eowulf lOOr. Der Verfasser saft, da(a wend (Öhr. 1771) ein Versehen
für tpond ist, das 'in beiden Hanaschriften steht'. Von wem rührt dann
das Versehen her? 8. 106. Zu der 8direibung werd 'world' sind die Formen
des Wortes in den modernen nordischen Sprachen zu verglichen, wo / nicht
mehr gesprochen wird ; im Dänischen wird es nicht einmal mdüff geschrie-
ben. S. 112. Im Beim wonde 'fear, hesitate' : kusbonde ist wohl o in hue-
bände eher aus ö in ostn. böfajnde als aus ü in dem von Boemer angeführten
bOandi zu erklären. Die Überschrift ( : ^ 'reimt mit o an. Ursprungs')
paCst übrigens schlecht zu 'husbonde (&n.büandiy, 8. 121. Aschwed. l^a,
dän. lare stammt aus dem Deutschen und kann nicht das me. lere er-
klären. 8. 135. An. hedan hat kurzes el 8. 138. Sehr verwirrend für den
Leser ist, dafs hier nach dner Anmerkung in Petit Fälle in Mwöhnliohem
Druck gegeben werden, die nur die Fortsetzung der Anmerkung bilden.
Solche redaktionelle Fehler sind in ziemlicher A&nge vorhanden. Es ma^
kleinlich aussehen, auf solche Aussetzungen einzugehen; aber gerade bei
einer Arbeit, die ihren Wert hauptsächlich als Nachschlagebuch behaupten
wird, spielt doch die Übersichtlichkeit, ja sogar eine zweckmälsige Ver-
wendung der verschiedenen Schriftarten eine gewisse Bolle. 8. 145. y in
pryde ist nicht auf das Franz. zurüclauführen, sondern ist durch ana-
logischen (funktionellen) Umlaut von ü in dem aus dem Franz. entlehnten
pHld entstenden. 8. 154. Me. eöme sb. ist nicht eine Nachbildung zu
an. kväma, sondern entstammt solchen nordischen Formen, wo ö laut-
rtzlich ist 8. 155. Ein ae. ßewOn < an. ^än kann ich nicht bel^^.
jewan bedeutet 'wanting, diminished'. 8. 156. Ein Orrmsches lafo <
Ae^geleafa kann ich nicht sicher belegen: eine solche Lesart soll zwar V. 1587
vorkommen, scheint mir aber kaum korrekt. 8. 159. Die etymologische
Gleichstellung von an. röt und ae. wyrt ist unhaltbar. 8. 166. Me. map
enthält nicht ai < an. öe + j. 8. 192. Me. f^ 'a worthless person', womit
Boerner nichts anzufangen weifs, glaube ich in meinen Loan-toord» riditig
erklärt zu haben. Das f spricht entschieden gegen die Annahme, dafs
es eine Variante von vüe sei, erklärt sich aber ungezwungen aus an. -/^
'a worthless person'; vgl. an. mannfyla 'rascal' (a term of abuse).
Obwohl meine Bemerkungen noch bedeutend vermehrt weraen könn-
ten, mache ich hier Schluls, da sie alle zu speziell sind, als dafs ich mit
ihnen hier mehr Baum in Anspruch nehmen möchte. Auf die ziemlich
zahlreichen Druckfehler einzugenen, finde ich auch zwecklos.
Göteborg. Erik Björkman.
Graoe Fleming Swearingen^ Die engliBche Sohriftopraohe bei
Coverdale, mit einem Anhang über ihre weitere Entwicklung in den
Bibelübersetzungen bis zu der Authorized Version 1611. Berlin, Mayer
& MüUer, 1904. 52 8. 8.
Indem die Verfasserin Arbeiten von Sopp, Boemstedt, Hoelper,
Dibelius u. a. sich als Muster dienen läfst, versucht sie, die Stellung Cover-
BearteflangeD und knne Aneeigeo. 227
dales in der EntwidteliuigBgescIiichte der eogliedien Schrlftiqyradie eu
fxzieren. Ihre Darstellung und die daraue erhaltenen Ergebnisse besiehen
eich aber hauptsfichlich auf die Orthographie. Die Aussprache Ooverdales
ist t!brigens — das mofis zugestanden werden -— ftlr die von der Ver-
faseerin behandelten Fragen nemlich belanglos. Ooverdalei der ans Tork-
shire gebürtig war, schrieb die Londoner Schriftsprache mit Sorgfalt und
Begelmifsiekeit. Die Sprache (oder eher die Ortnomphie) in Goverdales
Bibtt (1585) wird mit der Chaucers und mit den Sprachformen Oaztons,
Tindales und Tottek yeirlichen. Auch die orthographischen Eigentüm-
lichkeiten der Drucker l^nkyn de Werde und PyDSon werden zum Ver-
ffldch herangezogen. Die Ek-gebnisse der Untersuchung faftt die Ver-
nwserin (S. 48—46) handlich zusammen. In der SchreiDung der Cover-
dalesdien Bibelübersetzung madit sich in mehreren Hinsichten eine uni^
formierende Tendenz geltend. So wird z. B. Vokallfinge vor einfachem
Konsonanten konsequent durch End-e bezeichnet. Für mehrere Wörter,
deren Orthographie oei Tlndale, Bale und Tottel schwankt, ist bei Cover*
dale eine bestimmte einheitliche Schreibung durchgeführt
In dem Anhange wird die Stellung einiger spateren Bibeldrucke (der
Craumerschen Bibel 1589^ der Geneva-Bibel 1557, der Rheims-Bibel 1582
und der Authorized Version 1611) zu der Coverdaleschen Bibel behandelt.
Wie Ooverdales Orthograi>hie im wesentlichen nur eine Uniformierung
von der Tindales ist, so z&^tn die sp&teren hier untersuchten Drucke eine
immer bestimmtere Einheithchkeit in der Orthographie, wobei Ooverdales
Stdlune als Zwischenglied sich deutlich erkennen läfst.
S. 36—42 wird auch eine kurze Darstellung der wichtigsten Eigen-
tümlichkeiten der Flexion bei Coverdale gegeben.
Mehrere Irrtümer und Ungenauigkeiten kommen vor. Sie sind aber
für die Zwecke der Arbeit belanglos, und ich finde mich nicht veranlafst,
darauf welter einzugehen. Ein Bc^^iel mÖgjB genügen: a in aec groM'
hopper soll nach der Ansicht der Y^asserin aus gnua 'durch Volks*
etymologie' genommoi sein.
Für denjenigen, der ein Oeeamtbild von dem Entvnckelungs^ange der
en^liachen Orthographie sich schaffen will, wird unser Büchlein gewifs
nidit ohne Bedeutung sein.
Qdteborg. ^ Erik Björkman.
John Erskiney The Elizabethan Ijnic. A study. Columbia University
Press, 1903. XVI, 344 S.
Die hohe Entwicklung der dramatischen Literatur in dem Euj^land
des 16. Jahrhunderts hat lange Zeit hindurch eine arge Vemachlässieung
und Verkennung der Bedeutung jener Epoche für die englische LvriK
hervorg!ebracht; erst die Einzelstudien der letzten Zeit auf den verscnie-
denen Zweieen der damaligen Lyrik haben ein gröfseres, allsemeineres
Interesse auf sie gelenkt. Der Verfasser des obieen Buches will nun eine
zusammenfassende Darstellung der gesamten Lyrik der Elisabeth -Zeit
geben. Er geht dazu aus von einer allgemeinen Besprechung über Form
und Inhalt der Ivrischen Dichtungen, die zwar von einer scharfen Be-
obachtungsgabe des Verfassers zeugt, die Grenzen dieser Dichtungsart
aber so eng zieht, dafs der grolsere Teil der Goetheschen, Heinisohen oder
Bumsschen Lyrik kaum vor den aufgestellten Anforderungen bestehen
könnte. Im zweiten Kapitel folgt eine kurze Übersicht über cue Geschichte
der I^k im Alt- und Mittelenglischen. Diese Einleitung hätte, um mit der
dem Verfasser gestellten Auf^be im Einklang ^u stehen, den Zweck haben
müssen, zu zdgen, wie die anzelnen Themen und Formen der englischen
Lyrik in der Literatur zuerst auftraten, wie sie sich weiter entwickelten
und welches ihr Bestand im Anfang des 16. Jahrhunderts war; so dafs
man erkennen konnte, was die zu behandelnde Epoche an heimatlichen
15*
22S Beurteilnngeii und kurze Anzdgeii'.
Beetandteilen übernehmen konnte und was von auisen dazutrat. Dieser
Aufgabe wird die Einleitung infolge ihres allzu starken bibliographischen
CSiarakters nicht im vollen Mause gerecht. Auch in dem Hauptteile tritt
dieser Chartü^ter des ßuches zum schaden des Ganzen zu stark hervor;
die Methode der chronologischen Aufzählung der einzelnen Erscheinungen
muiste ihre Mängel zeitigen. Zwar ist das vorhandene Material fldlsig
und g^chickt gesammelt, so dals das Ganze eine erschöpfende und ver-
läfsliche Zusammenstellung bietet, aber von dem Mangel einer durchgrei-
fenden Verarbeitung und klaren Anordnung des Stoffes ist die Arbeit,
vielleicht infolge der beobachteten Methode, nicht freizusprechen. Dafs
die Einteilung m Miscellany- und Sonnet-Periode etwas Verschwommenes
an sich hat, muiste Erskine selbst erkennen, wenn er z. B. den Passionaie
Pügrim, der doch sicher zu den Miscellanies gehört, nicht bei diesen, son-
dern bei den Sonetten behandelt, Englands Hdicon und Davisons Pöet,
Rhapsody bei den ersteren. Ein anderer Nachteil, den die rein chrono-
logische Anordnung mit sich bringt, besteht darin, dafs die dichterischen
Persönlichkeiten zu sehr in den Hintergrund treten und ein Gesamtbild
dersdben durch die wiederholten Einzeloesprechungen ihrer Werke nicht
möglich wird.
Bei der Bes|>rechung der Miscellany-Periode geht Erskine von den
Mss.-Misc der Zeit Heinrichs VIII. aus, zu denen er auch die Sammlung
Wynkyn de Wordes 1530 rechnet, die jedoch im Druck erhalten ist und
das erste in England gedruckte Liederbuch darstellt. Bei den gedruckten
Miscs. hätte eine allgemeine Charakteristik der Entwicklung ihres Gre-
dankeninhalts und ihrer äulseren Formen manches zu bieten vermocht.
So scheint mir, um nur eins hervorzuheben, nirgends die wachsende Vor-
liebe jener Zeit für den Stabreim, die unter dem Einfluls des wieder
populär gewordenen Piers Plowman und Norths G^pora-Übersetzung von
neuem auflebte, so zutage zu treten wie gerade in den Miscs. Den Höhe-
punkt erreichte sie woQ in der Gora. gaüery of gaÜarU tnventions, bei
Turberville und Churchjard; aber aucn in Spensers Schäferkalender macht
sie sich deutlich bemerkbar. Auch über die Persönlichkeiten in den Miscs.
hätte einiges gesagt werden müssen. Beim Paradise of d. deviees scheint
es mir nahe zu liegen, in dem Oxforder Musiker Kichard Edwards, dnem
der Hauptbeiträger, den Redakteur des Ganzen zu erblicken, nach dessen
Tode die Sammlune herausgegeben wurde. Einer Klafi;e von W. H. (William
Hunis) über fals^e Freunaschaften folgt von Eowards, gleichsam als
redaktionelle Anmerkung:
If tuohe falu thippu haunU Ikt ihort,
Strikt down the taue» and tnmi no more.
Ist der ebenfaUs unbekannte Herausgeber des Phoenix Nest 1593, B. S.,
vielleicht mit dem Bichard Smith identisch, der 1594 Ocmstdbles Diana
mit mehreren Sonetten anderer Dichter als Mise, herausgab? Turbervilles
Epüaphs etc. verlegt Erskine nach 1570; sie waren aber schon 1567 in
zweiter Auflage erschienen; die Nachahmungen aus dem Klassischen, von
denen eine erwähnt wird TS. 102), sind Übenetzungen aus der Antholoaia
Qraeea, die T. wahrscheinlich in lateinischer ÜberMtzung vorgelegen hat
(Eoenpel, Anglia XIII t>9).
Sowohl in der Mise- als auch in der Sonett-Periode hat Erskine den
E^flÜBsen der kontinentalen Literatur noch nidit bis zu dem notwendig^]
Grade nachgeforscht; die Lyrik der Elisabeth-Zeit kann nur im engsten
Anschluis imd stetem Vergleich mit der französischen und italieniraien
Literatur studiert werden. In vielen Fällen haben wir es nicht nur mit
Konventionellem und Nachempfundenem zu tun, sondern mit direkten
Entlehnungen. So sind sogar unter den Beispielen, die Erskine als Proben
aus den einzelnen Dichtem abdruckt, manche nur Übertra^unffen. Dem
S. 136 angeführten *Care-eharmer sieep' von Daniel liegt em ^nett von
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 229
Deeportee (Amours (FHippoiyte I xzv) zugrunde, wie auch dem 8. 187
abgedruckten *]^ thds be Tom* (Ämoura de Diane I xxix). Das Gedieht
fletchers *M tyme the akvng* (8. 146) entstammt der Aiiihoiogia Oraeea;
das Spensersche 'Faire i» my hve^ (8. 156) ist die Übersetzung eines So-
netts von Tasso 'Bella ^ la dotma mia'. Die Form von Frage und Ant-
wort, die nach £rskine Qrimauld eingeführt haben soll, hat mre Vorlage
in der Epistel '^ eimtUaerum Ocecuionie' der Anthologia Oraeea; Qn-
mauld, der unabhSnng von den Italienern schafft, ist überhaupt ^isdi
für den Einfluls der Klassiker. E^inen Einfluls Bonsards auf Loages Lyrik
stellt Erskine in Abrede; Sidnev Lee, MixabeUum Sonneta I xvin, führt
nicht weniger als fünf direkte Übersetzungen an. Selbst die Verwendung
religiöser Stoffe zu Sonetten stammt aus der französischen Literatur, in
der schon 1577 die Sonnets »pirUude des Abb^ Jacaues de Billy erschienen.
Ebenso stark tritt dieser kontinentale Einfluls in den Songbook» zu-
tage, wo es Erskine auch mit Recht hervorhebt. Als ergänzend möchte
ich noch ^führen, dals das S. 222 abgedruckte ^Broum is my hre* eine
wörtlidie Übersetzung des italienischen Madrigals 'Bruna sei tu ma bella*
von Ferabosco ist. Auch die IHumphe of Oxiana haben ein kontinentales
Vorbild in den IHomfi de Doriy von denen sie sogar den Refrain ent-
lehnten.
Auch in den Songhook» führt die Anordnung nach chronologischen
C^esichtspunkten Nachteile mit sich: es tritt der unterschied zwischen den
einzelnen Gkittungen der Madrigale, Ballet» und Air» nicht genügend her-
vor. Ungenau ist auch, wenn Erskine mit diesen zusammen die Oaiehe»
beepricht oder sie gar aus ihnen sich entwickeln lassen wül. Die Oatehe»
sind englisches Erbgut und gehören der Volks- und nicht der Salonmusik
an ; sdion ihre Verwendung in der zeitgenössischen dramatischen Literatur
(vffL Shakespeare, Ikcdflh night II 8 und Ihnpeet III 2) lafet darauf
scnlieben. dals sie den unteren Volksschichten angehörten. In den Ballet»
1595, zu aenen Morlej übri^ns durch die BaUetti Gaetoldis angeregt wurde,
verwechselt EIrskine das Lied *My bonny loa» »he »myleth' mit dem von
Lodge *My bonny ku» tkyne wt?\ beide haben aulser der Anrede an die
Greliebte nichts gemeinsam. Für Byrds erstes Liederbuch ist 1588 ange-
geben ; aus einer Eintr^ung in die Buchhandlerreröter vom 6. November
1587 (Collier, ISraneor, u 477) geht aber hervor, dals es schon 1587 er-
schienen war.
Das Kapitel über die Lvrik im Drama zeichnet sich durch seine Voll-
ständigkeit aus. Eine Tabelle aller Erscheinungen der betreffenden Epoche
auf dem Gebiete der Lyrik bildet den Schluls des Buches, das allerdings
eine abschüe&ende Gesdiichte der Elisabethanischen Lyrik noch ni(mt
liefert, infolge der Fülle und genauen Anführung des Materials aber als
ein guter Fortsciditt jenem Ziele entgegen zu b^üfsen ist
Berlin. Wilhelm Bolle.
E3mer Edgar Stell, John Webeter; the periods of his werk as
determined by his relations to the drama of his day. Cam-
bridge, Harvard Cooperative Society, 1905. 216 p.
Kleine T^pen, enser Druck, viel Belesenheit, ein Stil wie telegraphiert,
ernste Sachhcnkeit ohne Spur von Eitelkeit und dazu eine vorzügliche
literarhistorische Methodik, wie man sie selten findet: diesen Eindruck
macht StoUs Buch, das nicht blolk für die Erforschung Websters, sondern
der ganzen nach-Shakespearischen Dramatik einen bedeutenden Fortschritt
bildet.
Das erste Kapitel stellt die Chronologie der Websterschen Dramen
fest und sucht die noch viel schwierigeren Verfasserfragen aufzuhellen.
Von Stückeu, die man Webster vermutungsweise zuwies, werden 'Ihraeian
wmder^ und *The weakeat goeth to the wall' abgelehnt, während *Oure for
280 BenrteüungeB und bnnDe AiiJBiigeD.
a cuchokT sich als eis xiemlich sicheres Werk von Wobeier erweist. Den
Dramen, an denen er in seiner Frühzeit mitarbeitete, gilt das zweite Kar
Eitel. *Wyatfy* woran er wohl nur geringen Anteil hatte, beruht wesent-
dl auf Hollnsheds Chronik, mit etwas Einfluls von Shakespeares 'Hein-
rich VI' B. Es ist eine Historie volkstfimücher Art, nicht von jener Mar-
lowiechen Trank wie 'Ricluurd II' oder 'Richard III'. Etwas selbständiger
betätig[te sich Webster in der Induktion zu *The nuUeontent'. Aber auch
noch in den bfirgerlichen Komödien 'Westward ho* und 'Notikward ho*
ringt er sich nicht zu viel Originalität durch, sondern bleibt ein enger
Nachahmer Dekkers. Einzdnee kommt zugleich aus den *Merry trtres of
Windsor^ herüber. Das dritte Kajntel ist den Stücken eewidmet, in denen
sich Webster freier dbt und sein Charakteristisches schafft: * White deviP
und 'Duehess of MoSfV. Bei jenem führte die Ouellenuntersuchnng nicht
auf das Dokument, durch das die italienische Mordgeschichte zur Kennt-
nis Websters gelangte, obwohl Stell eigene Forschungen auf itaHenisdien
Bibliotheken oarübä anstellte. Dagegen konnte er bei 'Duchess of Maifi'
aufser Painters 28. Novelle noch Sidne^s 'Areadiia* als unmittelbares Vor-
bild erweisen. Die Abhängigkeit im Stoff hat aber StoU mit Recht als
sekundär betrachtet ffegenÜMr der Entwickelung des eanzen IVpus der
Rachetragödien, zu dem die genannten Stücke ^ide gäören. indem er
mit weitem und eindringendem Blick diese Gattung mustert, unterscheidet
er hauptsächlich zwei Klassen : die Tragödien des richtenden Rächers, mit
überwiegend sittlicher Auffassung, vid melodramatischem Beiwerk und
deutlichen Einflüssen Senecas; und die des machiaveUisUschen Rächers,
mit stärkerer Betonung d^nwilligen Temperaments und ohne übernatür-
liche Motive. Entere Art ist zuerst bei Kyd zu finden, letztere bei Mar-
lowe. Webster gehört zur ersteren; Zwischenglieder, die von Kvd zu ihm
überleiteten, waren Werke von Chapman und Tourneur; von Shakespeare
kamen nur eini^ Wahnsinns- und Knabenmotive mit herein. Das Schiafs-
kapitel beschäftigt sich mit *The devü's Jau^-eoM', *Appüt8' und *0ur9 for
a euehoUPf derberen Stücken, in denen Webster in die Nachahmung zu-
rückversank, besonders von Fletcher und Massinger, gelegentlich auch
von einer Volks- oder Advokatenszene Shakespeares. Das Ganze gipfelt
naturffemäCs in einem sorgsam abgewogenen Urteil Über Websters Erfin-
dunsskraft Zwtt Exkurse, über 'The atheiet's tragedy' und über Fletchers
Einiluls auf Chapman, sind als Anhang beigegeben.
Manches hat StoU sichergestellt, vieles wahrscheinlich eemacht Er
wei/s selbst, wie viele Schwierigkeiten durch die Ungenauigkeit der mei-
sten Neudrjyicke, die Unsicherheit der Verfassersdiait und Mitveriiaaser-
schaft, die Überfülle der möfflichen Stoff- und Stilquellen und den Verluet
zahlreicher Dramen für den Forscher entstehen. Aber wer wird auch von
einer Verarbeitung philologischen Materials ein Abschliefsen erwartea?
Anre{|^unff hat er reichlich gegeben, indem er es verstand, die richtigen
Entwickelunesfragen aufzuwerten, wie betreffs der Rachetragödie, der
Knabengestalten, der Volksaufläuro u. dgl. Dadurch hat er seiner Studie
ein weit über Webster hinausgehendes Interesse verliehen und sie für
jeden, der das ältere Stuartdrama wissenschaftlidi anfaist, unentbehrlich
gemacht.
Berlin. A. BrandL
Alexander Gills Logonomia Anglica. Nach der Ausgabe von 1621
diplomatisch herausgegeben von Otto L. Jiriczek (Quellen und For-
schungen, XC). Strafsburg, Kari J. Trübner, 1908. (Preis M. 7,60.)
Unsere Kenntnis der englischen Lautentwicklung vom 15. Jahrhundert
bis auf die Gegenwart ist vornehmlich aus den Angaben von Gnun-
matikem und Orthoepisten der vergangenen Jahrhunderte geschupft, und
Ellis gebührt das grolse Verdienst, durch Mitteilung reichlicher Auszüge
Beurteüungen und kurze Anzeigen. 231
dies Material zngän^ieh gemacht und die Ghrundlinien der Entwicklung
festgeetellt zu haben. Damit ist aber die Aufgabe, vor der unsere For-
schung steht, noch nicht röUiff gelöst. Geht man näher auf sie ein, so
merkt man bald, dals Ellis' AuBzflge nicht immer ausreichen, da£B wir
▼iele Zeugnisse erst in ihrem vollständigen Zusammenhang richtig deuten
können und daher die wichtigeren Gewährsmänner Neudrucke verdienen.
Darauf habe ich schon vor einem Jiüirzehnt hingewiesen, aber gewifs nur
dem Ausdruck gegeben, was anderen, die sich mit diesen Grammatikern
beechäftifft haben, ebenso lebhaft vor Augen getreten ist. Einer Anregung
Brandls folsend, hat es nun Jiriczek unternommen, eines der wichtigsten
dieser Qnellenwerke, von einem Mann, der als Alterssenosse Shakespeares
und Lehrer Miltons bescmderes Interesse beansprudien darf, in einem
Neudruck uns vorzulegen.
Die Aufgabe war gerade bei diesem Autor viel schwieriger als zu er-
warten war. Gills *I^f<miomia AngUea* ist eine englische Sprachlehre im
weitesten Sinne des Wortes — sie bietet aufser der eigentlichen Gram-
matik auch eine Stilistik und Metrik — und sucht namentlidi eine neue,
rationelle Orthographie einzubürgern, in weicher die zahlreichen Beispiele
und Sprachproben wiederfi;egeben sind. In der ersten Auflag von 1619
gine nun Gill sehr radikal vor und verwendete so viel neue &chen, dafe
er aamit schon beim Druck, man kann sagen, Schiffbruch litt: die oft
minuziösen Unterschiede zwischen den Lettern kamen so schlecht heraus,
dafs es nötig war, die ttnzelnen Exemplare handschriftlich durchzukorri-
S'eren. So berichtet er selbst in der zwdten Aufläse (vgl. 25, 10 des Neu-
rucks), und in der Tat zeigen alle bekannten Exemplare des ersten
Druckes fast auf jeder Seite solche Verbesserungen, nicht selten in recht
bedeutender Anzahl. Zwei Jahre später (1621) veranstaltete Gill eine
neue, inhaltlich fast gar nicht veränderte Auflage, in welcher er ein be-
deutend einfacheres orthographisches System zur Anwendung brachte, das
sidi beim Druck als durehfuhrbar erwies. Diese Ausgabe letzter Hand
muiste natürlich dem Neudruck zugrunde lieeen. Amx wenn sie auch
den bandschriftlichen Verbesserungen in den Exemplaren der ersten Auf-
lage in der R^el gerecht wird, so finden sich doch in einer Reihe von
Fallen Abweichungen, und es ergibt sich die Frage, ob etwa nur Druck-
fehler oder Versehen der zweiten Auflage vorliegen, oder ob Gill eine an-
dere Lautung lehren wollte als früher. Dazu kommt aber noch weiter,
dafii manche jener Besserungen nicht in allen Exemplaren stehen, somit
zu erwägen ist, ob sie wirklich von Gill gewollt oder vielleicht nur von
einem £^er irrtümlich einseffljgt sind Menn er selbst kann doch schwer-
lich alle Exemplare durchkomgiert haoen). Diese verwickelten Verhält-
niflse haben es sdir schwierig gemacht, einen Neudruck zu liefern, der
un« 6t» gesamte Material der Zeugnisse Gills in übersichtlicher Form zu-
gänglich macht, und es sehörte kein fferinses Mals von Entsagung und
Ausdauer dazu, diese unsäglich mühevolle Kleinarbeit durchzuführen.
Jiriczdbi Ausgabe bietet nun einen genauen Abdruck der zweiten Auf-
lage und eine Zusammenstellung solcher Abweichungen von den hand-
schriftlichen Besserungen der ersten, die ir^ndwie von^lang sein können.
Dieser Beschränkung wird man nur zustimmen können. Absolute Voll-
ständigkeit war bei der Sachlage überhaupt nicht zu erreichen — sie
würde eine genaue Vergleichung jedes einzelnen Exemplars der ersten Auf-
\m^ erheischt haben — , und sie wäre auch von geringem Nutzen gewesen.
Für den dnzigen wesentlichen Unterschied zwisdien den beiden Auflagen,
die Scheidung von ij und fjgt die in der zweiten eleichmäfsig durch ng
bezeichnet sind, hat JiriczÄ das gesamte Material besonders und sehr
lehneich zusammengestellt TS. XLII). Aulserdem enthält die Einleitung
alle Behelfe, um Gifls An^aoen und Schreibungen richtig zu deuten. Be-
sonders wertvoll ist das Glossar am Schluls, welches sämtliche Transkrip-
tionen verzeichnet und bei seinem beträchtlichen Umfange (ca. 2600 Stich-
282 BeurteUnngeD imd kurze ÄDzdgen.
Wörtern) uns erst dnen vollen Einblick in die Sprechweise GiUs gibt. In
Einzelheiten würde man vielleicht die E^inrichtun^ dee Buchee anders
wünschen. So fände ich es sehr nützlich, wenn im Qlossar durch ein
einfaches Zeichen bei den betreffenden Wörtern auf die in der Einleitung^
mitgeteilten abweichenden Lesungen der ersten Auflage hingewiesen wäre.
Diese selbst hätte man lieber am Fulse der Seite gesehen, eine Anordnung,
die doch wohl nicht so schwer durchführbar gewesen wäre. Aber im
ganzen verdient das Vorgehen Jiriczeks gewiJs illen Beifall.
Da ich im Besitz der ersten Auflag der Logonomia Anglioa bin
und nach dem Dugeleeten jedes einzelne Exemplar an handsdmftlichen
Besserungen zum l^il JNeues bietet, möchte ich zunächst zur Varianten-
liste, S. LV ff., einige Ergänzungen bringen, meist Fälle, in denen mdn
Exemplar die zu erwartenden Korrekturen im Gegensatz zu dem Ox-
forder aufweist, also bestätigt, was bereits zu vermuten war. Ich setze sie
gleich in die Orthographie der zweiten Auflage um.
Abroad: die aufialliffe Schreibung abräd (d = a in aU) ist in mei-
nem Exemplar ganz deutlich am Rande zu abröd (Ö = o in spokerij ge-
bessert (S. 54 Z. 4). Die Vermutung Jiriczeks, dais blols ein Vermen
vorliegt, nicht etwa schon ein Beleg für die Aufhellung zu dem heutigen
Laut, bestätigt sich also.
Alh dl m Kap. XV, 16, Z. 2 (= Neudruck 83, 21) ist zu 61 gebessert
Fault', faul ist zu fHOl gebessiert
HaaUi hast gebessert zu hast (d = a in tale),
Manure: bereits richtig moiwr gedruckt {v r= u ia duke),
Refuaei für das rtfu» der zweiten Auflage (Neudruck 136, 19), mit
einem Uy das entweder \jS\ wie in buil oder [ißj wie in soon anzeigt, wäh-
rend sonst refvx, erscheint (v ~ u m duhe\ bietet mein Exemplar das zu
erwartende refvxy und zwar schon gedruckt
Walk: wäkt auch bei mir nicht verbessert
Youth: die Bemerkung 'ergänze 27, 18' beruht auf einem Versehen.
An Stelle von 72, 18 ist 27, 18 zu setzen.
Bezüglich des na in offspring und noOimg S. XLV Anm. 2 stimmt
mein Exemplar mit aem Oxforder überein, im Gegensatz zum Londoner.
Von den geringfügigen textlichen Variantoi, die in der Einleitung
besprochen sind, ist dne an etwas versteckter Stelle erwähnt und daher
lei<mt zu übersehen. Im E[ap. V wird erklärt, daTs au (z. B. in lown^
pawn) wie ä klinge, d. h. wie der Laut in aü, der and^wärts dem deut-
schen langen a gleichgestellt wird. Dann fährt Gill fort: 'at vbi ver^
diphthongus est, o, deducitur in ä, vt du, axot Imperium, duger terebra.'
Was soll das heilsen? Diese Stelle enthält offenbar einen Fehler I In der
ersten Auflage hiefs es, wie Jiriczek allerdings S. LVII Anm., aber in
einem ganz anderen Zusammenhang, erwähnt: Hi dedudtur in tf ' («{ =
dem Laut in too). Dies ist verständlich: Gill glaubt ^ langes u als
zweite Komponente zu hören. Woher die seltsame Änderung in der
zweiten Auflage kommt, ist schwer zu ersdien. Da er eSu, duger transkri-
biert, könnte man vomuten, er habe schreiben wollen : *d deducitur in ü\
d. h. der Laut von aü sehe in ein fi als zweite Komponente über. An
dieser Stelle wäre es w<ml besonders angemessen gewesen, die Lesart der
ersten Auflage am Fufse der Seite zu säen.
Fragil wir uns nun, welche Förderung unserer Forschung aus die-
sem Neudruck erwächst, so müssen wir in erster Linie anführen, dafe wir
nun Gill in seiner Eigenart erkennen und daher seine Zeugnisse besser
beurteilen können. Er stellt zunächst ganz streng die Forderung nach
einer Lautschrift auf : wie der Maler bei der Wiedergabe des menscnlichen
Gesichts die lebendigen Züge nachbilde, so müsse man auch 'ä vivft voce
«verba describere' (14, 16). Aber in der Praxis gäbe es doch Bücksichten,
.die zu AbweichiiDgen führen. Es sei persona, nicht pennx, geschrieben,
..weil in den Ableitungen personal und personalüi das o noch nicht ge-
Beiirt«ilimgen und kurze Anzeigen. 283
schwnnden ist. Der GMehrte, der das Etymon vor Augen habe, solle
skolar, onor schreiben — Olli tut dies tatsächlich. Wenn aber der Ünge-
lehrte seinen Ohren folgend akdUrf oner schreibt, so mache er, Gill, sich
nichts daraus. Weiter sucht er Unterschiede der Bedeutung zum Aus-
" " tit'. Er hält /'ich',
sogar Grammatiker,
einer anderen Stelle
(80, 18) erklärt er, daCs in ei *Axige* und 'ei 'ja' 'sonus vocalis eziguum
distat ab illo qui auditur in äfn tuus & i^fn mens', und von j, d. i. H crassa',
sagt er 24, 17: 'fere est diphtihongus «i'. Er nat also klärlich in den
l^rtem, die wir heute 1, eye und aye schreiben, denselben Laut ge-
Bprochoi, wie auch alle drei auf me. f zurückgehen (vgl. Angl. 14, 272),
und ist^ nur durch die Verschiedenheit der Bäeutuns zu verschiedenen
Transkriptionen veranlalst worden. Noch wichtiger sind die Bemerkungen
über seine Rücksichtnahme auf die 'consuetudo (15, 10 ff.). Er bezeugt
unter anderem, daTs in foOc, fauU, haimy halft talk, walk das / häufig ('fre-
quentins') ausföUt; weil aber die 'eruditi' es nicht abwerfen, schrdbe er
teila mit Bücksicht auf diesen Brauch, teils im Hinblick auf die J^tymo-
logie (deutsch volk, halb) fölk, fiUt, bälm usw. Wir haben also hier ein
klares Zeugnis für das Bestehen yon Doppellautungen — einerseits volks-
tümlich-fortschrittlichen, anderseits gelehrt-konservativen — und erkennen
deutlich die Entstehung von speUing-pronundations, die später eine so
groise Bolle spielen.
Gills Angaben über die einzelnen Laute sowie seine Transkriptionen
aind allerdin^ zumeist schon von EUis eebucht. Aber auch abgesehen
davon, dals sie vielfach erst im Zusemmennimg ins richtige Licht rücken,
ist es doch von gro&er Wichtigkeit, dafs wir nun die ursprünglichen Um-
achiiften Gills vor uns haben und die ümdeutungen Ellis' kontrollieren
können, die in gewissen Fällen nicht den Wert eines Zeugnisses, sondern
einer Konjektur haben. Dies gilt namentlich von seiner Wiedergabe des
Gülschen na teils durch nj, teils durch njg, die jetzt durch die Mitteilungjen
Jiriczeks über die erste Auflage zum Teil berichtigt wird. Auch im ein-
seinen ergeben sich Berichtigungen. So hätte nach Ellis in 882 Gill in
dem Worte aye aufser der obenerwähnten noch eine andere Aussprache
gekannt, den a»-Diphthong, durdi den er sonst me. ai wie in day wieder-
gibt. Ihre Erklämnjg hat mir Änpl, 14, 273 einige Schwierigkeiten ge-
macht Nun stellt sich heraus, dais GiU deutlich zwischen aye 'ja' und
ay 'immer' scheidet^und den erwähnten a»-Diphthong nur dem letzteren
zuweist, in bester Übereinstimmung mit dem, was die Sprachgeschichte
erwarten läist. Weiter ist es bei schwankenden Umschriften nicht un-
wichtig, die Zahl der Belege für jeden Fall und besonders auch die An-
faben der ersten Auflage übersehen zu können, und endlich hat Ellis
och nicht alle bei GiU transkribierten Wörter in sein Glossar aufge-
nommen, so dafs seinen 2100 Stichwörtern bei Jiriczek 2600 gegenüber-
stehen.
Ist nun auch Gills Buch vor allem für die Lautgeschichte von Wert,
so dürfen wir seine Bedeutung in anderen Eichtungen keineswegs über-
sehen. Die phonetischen AusAhrungen des Verfassers nehmen keinen so
srofsen Baum ein, vielmehr wendet er der Grammatik, Stilistik und
Metrik sein Hauptaugenmerk zu. Wir können aus seiner Loganomia
ersdien, was für Ansiditen auf diesen Grebieten ein feingebildeter Ge-
lehrter und hervorragender Schulmann der Stuart-Zeit hatte, und das ist
für die Beurteilung mancher literarischer Erschdnuneen recht lehrreich.
(Vgl. Jiriczek in Kochs Studien xur vergleichenden Literahirgeeehiehte II
129 m
Wir sind somit dem verdienten Herausgeber für seine mühevolle Ar-
beit zu Dank verpflichtet und können nur wünschen, dals sein Bei-
spiel bald Nachahmung finde und auch die übrigen wichtigeren Gram-
234 Beurteilung^ und kunse jlnzeigen.
mfttdker des 16. und 17. Jahrhunderts uns in Neudrucken vorgelegt wer-
den. Brotaneks kürzlich ins Leben gerufene Serie tob 'Nmänuken früh'
neuenglüeber Qrammaiihm' eröffnet uns ja erfrenUoherweise die besten
Aussichten.
Qras. K. Lnick.
Martin Wolf, Walter Sootts Kenflworth. Eine Untersuchung über
sein Verhältnis zur Geschichte und au seinen QoeUen. Würzburger
Dissertation. Leipzig 1908. 77 8.
Es gewährt immer wieder einen besonderen Reiz, die Entstehung eines
dichterischen Kunstwerkes zu verfolgen, zu sehen, wie der Dichter sich
sdnen Stoff formt und die Elemente zu einem harmonischen Qanzen zu-
sammenfügt. Freilich wird es uns nidit immer so leicht g^acht wie in
dem vorliegenden Falle, wo es sich um wohlbekannte historische Erschei-
nungffli handelt und man bezüglich der Quellen schwerlich in die Irre
gehen kann ; )iftt doch Scott, der ja nach den Worten des Verfassers 'ein
«mzer Philologe (besser: 'Antiqiuur^ war, das Wesentliche schon ange-
deutet
Nachdem Scott in zwei Romanen die G^esdiichte der Maria Stuart
behandelt hatte, lockte es ihn, auch die Figur der Elisabeth in einem
seiner Werke zu verewigen. Schon früh hatte er sieh für Mickles Ballade
^Ournnor Hall* bj^eistert, in der die verlassene Gattin Leicesters ihr Leid
klagt Diese grin er jetzt wieder auf und machte das Verhältnis Lei-
cesters zur Königin wie zu Amv Robsart recht eigentlich zum Mittelpunkt
der Handlung. Als Hauptquelle benutzte er Euas Ashmoles ÄfUiqudÜea
of Berkshire, der seinerseits die Schmähschrift ^Leiceeter^s Oommanweaiih'
ausschreibt. Daneben kommen Nauntons Fragtnenia Eegaiia sowie die
Schilderungen der Feste zu Kenilworth (1575) von Laneham und Gae-
coiene in Betracht; die beiden erstgenannten Werke hatte Scott selbst
(1808 bezw. 1821) faerausgeeeben.
Dals der Dichter von der historischen Wahrheit hier stark abgewichen
ist, war schon längst bekannt Der geheimnisvolle Tod Amys hat nichts
mit den Festen auf Kenilworth zu tun, sondern erfolgte schon fünfzehn
Jahre vor diesen (S. 12). Das Motiv der Entführung Amys und die Ver-
heimlichung der Ehe vor Elisabeth ist mit Absicht von anderen Personen
herübergenommen und auf kmj übertragen. Die Enthflllung eines solchen
Verhältnisses war wahrschdnbch der Grund, dafs die Festlichkeiten so
schnell abgebrochen wurden (S. 14, 19). Vielleicht ist eine Vermischung
mit einem ähnlichen Ereignis denlcbar, das drei Jahre später zu Green-
wich eintrat. Am stärksten ist die Abweichung von der Geschichte bd
der Darstellung von Leicesters Charakter. Warum Scott hier geändert
hat, ist S. 34 ff. richtig auseinandergesetzt. Es ging eben nicht an, den
Liebling der Königin au den verworfenen Schurken zu kennzeichnen, wie
er in den (freilich etwas getrübten) Quellen uns entgegentritt
Nur in einem Punkte muüs ich dem Verfasser der Abhandlung, die
sonst alles Lob verdient, widersprechen. Es handelt sich um die Charak-
teristik VameTB, an der der V^asser Anstois nimmt, indem er den Aus-
ffihrungen von Warner (Ilhtstratüme of NoveU by the Äutkar of Waverleu
II, 349) zustimmt (S. 40). Warner nennt Vamey ein *nwral monster' und
findet, dafs durch die Schilderung seines Endes (er stirbt durch Selbst-
mord) die poetische Gerechtigkeit verletzt werde. Nun wird niemand Var-
neys Handlungsweise beschönigen, aber er handelt doch nicht aus bloiser
Ruchlosigkeit, sondern weil er seinem Herrn zu nützen glaubt, dem^ er
zu Dank verpflichtet ist, und mit dessen Hilfe er eine höhere soziale
Stellung zu erreichen hofft Die Haupttriebfeder bei ihm ist also sein
Ehrgeiz, an sich kein unedles Motiv. Auf welche Weise aber Varney
seinen Tod findet, das ist etwas, das dem modernen Leser gleichgültig
BeoftfOniigeii und knne AnccigeD. 285
bleibt. Wesentlicb i0t nar, dtJa er das Ziel seinee Ehrmzce so weni^ wie
aeiii Herr eireicht Gaoa verkehrt ist es endlich, wenn vvara«r den Dichter
tadelt, weil er si<^ die €tolegenheit ent£;ehen läist, ais dem EInde des
Sünders für den Leser eine moralische Lehre zn ziehen. Wie oft mull^
man es wiederholen, dais der Dichter in erster Beihe künstlerische und
nicht sittliche Tendenzen zu verfolgen hat!
Berlin. Qeorg Herzfeld.
Oscar Wilde, De profundis, herausgegeben und eingeleitet von Max
Meyerfeld. Berlin, & Fischer, 1905. VIII, 115 8.
In der grolsen Reihe von Autobiographien, die in England von Johann
von Salisburv bis zur Gegenwart geschrieben wurden, ist dies vielleicht
die merkwürdigste, ffewife die geistreichste. Für die Merkwürdigkeit sorgte
in erster Linie das Erlebnis des Autors; kein englischer Di^diterliat jemals,
wie er, wegea eines Bittenvergehens im Zuchthause gesessen, nachdem
er vorher der verwöhnte Liebling der feinen Welt gewesen. Aber noch
auffaUiger ist der starke Mut zum Leben, zum Schaf feu, ja zum Ruhme,
mit dem der Sträfling^, die Hände noch wund vom Säckenihen, hier vor
Mit- und Nachwelt tritt. Seine Schrift ist nicht so sehr eine Erzählung
als vielmehr eine Reihe Reflexionen zur Selbstanfrichtung, untermischt
mit brennenden Aueenblicksbildem aus seinem Vorleben, seiner zwei-
jährigen Haft und &t Oeriditsverhandlung, eingestreut aufs Geratewohl
und mit wenigen, tief subjektiven Worten ningeworlen. Man sieht, ohne
dais es ausdrücklich festgestellt wird, wie der ganze Sinn Wildes in der
äathetisdien Richtung der siebziger Jahre wurzelte; Paters 'Rena4s$anee*
hat den seltsamsten Einflnüi auf ihn gehabt (Sw 28); nur Künstler, nur
SchönheitskeBner wollte er um sich hiS^en; von der Frucht aller Bäume
im Garten der Welt ^lüstete ihn zu essen. In solch schrankenloser
Gtonuisfreude wuchs sem Individualgefühl nicht blola in die Höhe, son-
dern wild ins Kraut; die unmittelbare Folge davon hat er selbst in die
frappmten Worte gekleidet: 'Was mir das Paradoxe in der Sphäre des
Denkens war, wun& mir das Perverse im Bereich der Leidenschatt' (S. 14).
Er macht also kein Hehl aus der Verirrunff, in die er mit dem Sohn des
Marquis von Queensberrv verfallen war; doch nicht das Urteil der Phi-
lister, der gegen Schönndt Gleichgültigen, erkennt er an; diese Leute
deuten auf das Zuchthaus in Reading und sagen: 'Dahin führt einen
Menschen das Künstlerleben.' Einsichtiger und milder, meint er, würde
Jesu« über ihn gesprochen haben, denn seine Religion sei eine der Schön-
heity sein Wesen individuell wie das keiner anderen Persönlichkeit. Und
hiemit beginnt Wilde einen Hymnus auf das Neue Testament, das viel
seelischer sei als die Mytholo^e der Griedien mit ihrem grausamen Apoll.
Die geistreiche^ ja bizarre Seite des Büchleins ist hier am stärksten aus-
gepi&t; Wilde brinet es fertig, den Natursinn des Franz von Assisi in
sein System dnzureinen und selbst den Taciteischen' Ernst des Dante.
In einem der angehängten Briefe an seinen Freund und Testaments-
vollstrecker Robbi (Robert Rols) stellt er eine Liste der Bücher auf, mit
denen er, sobald in Freiheit g^tzt, ein neues Leben anheben möchte:
Flaubert, Stevenson, Baudelaire, Maeterlinck, Dumas p^re, Keats, Mar-
lowe, Chatterton, Coleridse, Anatole France, Gautier, Dante und die ganze
Literatur über ihn, Goeuie und die ganze Literatur Über ihn; dem letz-
teren zuliebe nimmt er sich vor, wiäer Deutsch zu lernen. Es ist ein
höchst bestechender und etwas verzweifelter Versuch, sich aus dem
Sumpfe auf die Planke des Übermenschen zu retten, mit bemerkenswerter
Neuerung gegenüber Bt Augustin, der sich durdi Selbstanklage und Zer-
knirschung auf den Überchristen hinausspielte. Die Schrift wird sich
wegen dieses kunstphilosophischen Hintergrundes unter den hervorragen-
den Autobiographien der weit dauernd einen Platz bewahren.
236 Beurteilungen und kune Anzeigen.
ün^wöbnllch ist auch die Art ihree Eracheinepfl. Sie kam zuerst
*mads n» Qermany* heraus , in der sorgfältigen Übersetzung des als
Essayisten bekannten Dr. Max Me^erfeld, der mit Gewissenhaftigkdt den
Inhalt und auch den Stil des Origmals zu bewahren trachtete. Vielleicht
könnte der Ausdruck manchmal schlagender und kühner sein. Wenn es
z. B. bei Wilde heifsty das englische Volk sage von einem Sträfling nicht,
er ist im Gefängnis, sondern ^n trottble', so habe ich das Genihl, es
müsse schlankw^ der Ausdruck 'im Unglfick' gebraucht werden; Meyer-
feld schwächt ab: 48t in ihrer Sprache eben einfach ins Unglflck
geraten' fS. 11). Wenn Wilde bemerkt, Byrons 'relaHons teere to the
paseüm of nis age . . . mine teere to something more noble\ so ist es zwar
vorsichtig zu fib^ersetzen: 'er hatte Buchungen zu der Leidenschaft seiner
Zeit' (S. 18); doch möchte idi eher wagen: 'er vertrat, er ppiegelte
die Leidenschaft sdner Zeit'. Aber welcner Übersetzer hat es noch
jedem recht gemacht? Danken wir ihm lieber für die kna{>p und ti^t-
voll orientierende Einleitung, sowie für die angehängten Briefe, die das
Ganze zu einer praktischen vita mtova ergänzen und abrunden. An-
ders ging der brave Robert Rols vor, der im Februar 1905, zwei Monate
nach der deutschen Ausgabe, die englische folgen lieft. Bofs hat vor
allem eine Menge unterdrückt. Gleich zu Anfane hat er neun Sätze ge-
tilgt, darunter desi charakteristischen Eingang: 'Zwischen Gilles de Retz
und dem Marquis de Sade sollte ich eingereiht werden.' Hier, bei der
Auslassung der Gterichtsszene (S. 91) und öfters hatte er gevnis mit dem
Anstandseif er der englischen Gesellschaft zu rechnen. Aber er schaffte auch
weff, was auf ihn selost Bezug hatte; sagen wir: aus Bescheidenheit; ob-
wohl es leichter ist, vor dem Gefäns;nistor auf den verfemten Kameraden
zu warten als sich vor aller Welt schwarz auf weiis zu ihm zu bekennen.
Das Milslichste jedoch sind die positiven Änderungen, die er, ohne es zu
vermerken, am Texte vornahm. So sagt Wilde bei Meyerfeld (8. 4), dais
seine Frau 'in jenen Tagen sehr gütig und liebenswert' war; bei RoOs
hingegen lesen wir: *my wife, aUoaue hmd andaenüe to me' (S. 14). Daraus
fol^t : rdemand darf das Denkmal benutzen, ohne bei jedem Satee Meyer-
felds Übersetzung nachzuschlagen. Zwei Drucke werden ausgeboten; der
eine vielfach untreu in bezug auf den Inhalt, der andere in fremder
Sprache. Wahrhaftig, die Venegenheit von R. Roia erinnert an die von
Tnomas Moore, als er die nacliygelassenen Tagebücher B^ns herausgeben
sollte. England hat kein Glück mit seinen autobiographierenden Dichtem,
diese hinwieder haben wenig Glück mit ihren Herausgebern. Gut ist es,
dafs Shakespeare seinen Lebensroman in Sonetten beschrieb, die sich In
poetisch umflorten Bildern bewegen und zur Not sogar allegorisch deuten
oder doch deuteln lassen ; und mit Gtenu^uung sehen wir einen deutschen
Schriftsteller als unbefangenen Verbreiter und Verfechter von Wildes
Kunst, 80 zwar, dalB seine Üb^'setzung von Wildes *DuekeM of Padua'y
deren Original nicht erscheinen darf, von den Engländern in einer Rück-
übersetzung aus dem Deutschen gelesen werden mulk.
Berlin. A. Brau dl.
W. Sattler, Deutsch-englisches Sachwörterbuch mit besonderer Be-
rücksichtiKung der Grammatik, Synonymik und der Realien. Mit Zi-
taten und einem alphabetischen Verzeichnis der englischen Wörter.
Leipzig, Rengersche Buchhdlg. (Gebhardt & Wilisch), 1^04.
Rascher als man vielleicht erwarten mochte — Bücher in Lieferungen
bringen selten gerade die angenehmsten Überraschun^n — , hat sich daa
stattliche Buch seinem Abschlufs geniert. Vor nioit langer Zeit kün-
digte ich das Erscheinen der zwei ersten Lieferungen an, und jetzt liegt
bereits die elfte Lieferung vor, mit der das Buch selbst voUstandig ist.
Zur bequemeren Benutzung desselben soll in diesem Jahre noch ein Ver-
BeurtefluDgen und kurze Anzdgen. 237
zeidmis der in ihm behandelten enelischen Worte erscheinen, das etwa
15000 Wörter umfassen wird. Mit mm wird dem Leser ein passe-partout
in die Hand gegeben, der lachten und allseitigen Zutritt zu den reichen
Schatzkammern des Werkes gestattet Eine Lebensarbeit ist hier nieder-
gele^, und sie bedeutet einen wesentlichen Fortschritt und eine stattliche
Bereidierung der Bibliothek der L^renden und Lernenden. Wer sidi von
dem Reichtum der hier zusammengetragenen Liformation aus den ver-
Bchiedensten Wissensgebieten überzeugen will, der schlage einmal das Stich-
wort Ländernamen auf. Er wird staunen, nicht allein ob der Menge des
(Gebotenen, sondern auch ob der Eigenart des Mitgeteilten. Auf S. 514
liest er z. B. Interessantes und Unterhaltendes über die Spitznamen des
Amerikaners: er erfährt die Geschichte und den Ursprung von Ckeie Sam
und Brother Jonathan, Der an sich oft insipide Stoff bekommt durch
derartige Zutaten die nötige Würze. Die Artikel, in denen es auf idio-
matischen Wortgebrauch, grammatische Untersdieidung und QUederung
ankommt, sind zum Teil geradezu Glanzleistunffen, die Zeugnis ablegen
von des Verfassers Beherrschung des Sprachs^Latzes und sicherem In-
stinkt. Qsnz besonders aufmerksam machen möchte ich auf Artikel wie
machen oder W4ri. Allerdincs war der Autor nidit überall so reich mit
Material ausgestattet, so glüo^lich in der Verarbeitung des Stoffes, so klar
und scharf im Urteil wie gerade hier. Die Arbeit ist zu ausgedelmt und für
den einzelnen zu ermüdend, um nicht Stellen aufzuweisen, die die Kritik
herausfordern. So hat z. B. der Artikel so (S. 787) nicht meinen Beifall,
weder in der Anordnung noch nach dem Inhalt Bei iroix sollte das stark
archaische maugrey das wahrscheinlich zu keiner Zeit in weiteren Kreisen
Yolkstümlich war, nicht an erster Stelle erwähnt sein und das ungelenke
notwÜhetanding nicht an zweiter. Die Rücksicht auf die Etymologie sollte
bei der Gruppierung ganz schwinden. Hiermit berühre ich einen Punkt,
der geradezu ein wunder Fleck ist Auf Etymologie hätte der Verfasser
entweder ganz verzichten sollen oder das reproduzieren, was Autoritäten
an gesicherter Erkenntnis bieten. Verben wie glorify, horrifu (S. 548) sind
do<£ entschieden keine Komposita von fioX Ich will auf aie Sache nicht
naher eingehen, denn hier wäre yiel zu bessern und richtigzustellen. Der
Autor war entschieden nicht gut beraten. Anstatt sich an einen Fremden
zu wenden, wie er es getan hat, hatte er lieber der eigenen Kraft ver-
trauen sollen. Bei eeU^ einee (8. 727) steht z. B. in Klammer: d. h. süh-
henee, seit da. Derartige Zutaten kommen wohl auch auf Rechnung des
von ihm engagierten Etymologen. Auch auf dem Gebiet der Realien, da
wo es sich um Lebens^wohnheiten, Lebensart und Sitten der Engländer
handelt, war ich zuweilen im Zweifel, ob ich dem Urteil eines Helfers
oder dem des Autors gegenüberstehe. Unter drunkennessy Trunkenheit
(8.812) liest man: 'früher auch in den besseren Ständen allgemein'. Was
soll ein derartig summarisches und unzutreffendes Urteil ?I — Manche
Seiten des enfflischen Sports haben den Verfasser sehr interessiert, so die
Fuchsjagd, über die er eine reiche Literatur gelesen. In ihrer Wider-
spiegeliing in der Sportliteratur, ebenso wie in ihrer praktischen Hand-
habung seitens der Jagdbediensteten ist sie fast zu einer Wissenschaft ge-
worden, die man am besten in der vornehmsten und umfangreichsten
Sportzeitschrift ^The FiekP studiert Sie bringt Sportnachrichten aus der
fffUDzen Welt, vor allem auch aus den englischen Kolonien. Über den
Kostenaufwand Angaben zu machen, den me Fuchsjagd, der vomdimste
und teuerste Sport von allen, für den einzelnen erfordert, ist sehr schwer,
da dieser sich nach den Mitteln, Lebensgewohnheiten und Neigungen des
Individuums richtet In dem ßeld ist man bei aller sonstigen gesell-
schaftlichen Abstufung und Exklusivität in England von dner weitgdien-
den Toleranz imd Liberalität. Die Gesellschaftsunterschiede sind für den
Jagdtag aufgehoben. Jeder, der mitreiten will, ist willkommen, erscheint
er auch auf einem Wagenpferd oder auf einem Esel. Von dem Nicht-
288 BeuiteilODgen tmd knne Axuwigeii,
bef^terten erwartet man weder eine Subskription noch einen indirekten
Beitrag. £8 gibt nicht wenige Meuten, deren Unterhalt auaschlidslich
Ton dem Moiier ofjhe EoundMy einem reidien, sportUebenden Herrn, ge-
deckt wird. 5000 Pfund Sterling pro Jahr betracntet man als die Summe,
die ausreicht ffir erstkiassiees Material an Pferdoi und Hunden, der hunU-
man bezieht allein ein G^lt von 300 Pf. St im Jahre. Die Fuchsjagd
ist auf d^n Lande in England der Sport par excellence. Auiser Fasanen-
und Kaninchenjagd treibt viele etnmbnfgenUemen übedbaupt nichts an-
deres. Es ist sehr anerkennenswert, dafs der Verfasser sich so eingehend
mit dem Gegenstände beechäftäet hat, der ffir die enghsche Nation eine
so tiefgehende Bedeutung hat. Das fiM ist die Bildungsstätte der vielen
Offiziere, die Englands Ansehen und Macht in den Kolonien haben grfln-
den und mehren helfen. Ein tüchtiger Fuchsjäger ist in den meisten
Fällen identisch mit einem leistungsnihigen und tapferen Ofßzier. Der
Kontinentalgermane hinter seiner grofsen Brille sieht in eraterem mit Vor-
liebe einen geistig nicht ganz normalen Herrn, der um ein Nichts den
Hals riskiert Der Hinterimdler in einer schlecht oelüfteten^ raucherföllten
Stube schaut ffem bei endlosen Schoppen mit s^bstgefälbger Überlegen-
heit auf den herab, der Tag ffir Tag in harten Strapazen um Gesund-
heit und eine wahrnaft vornehme Unterhaltung in der freien Natur be-
müht ist. Da(s der Sport der Engländer gleichbedeutend ist mit Ge-
sundheit, Männlichkeit in Denken und Handeln, dafs er Energie, Mut
und Ausdauer erfordert, ahnt er nicht, auch ahnt er nicht, dais hier ein
Stück des ungeheuren Erfolges der Nation liegt. Es ist Zeit, dafs wir
die Kraftquellen des Nachbarvolkes erkennen und richtig einschätzen l^nen.
Vorurteil auf unserer Seite muls fiberwunden werden, zumal es auf der
anderen Seite leider auch sdir mächtig ist Ich bin sicher, dals das
Satdersche Werk, das auf jeder Seite Anregung zum Studium der Sprache,
der Sitten und des Charakters des fremden Volkes bietet, das Seinige zur
Lösung dieser hohen und nationalen Aufgabe beitragen wird.
Tfibingen. W. Franz.
Festsohrifty Adolf Tobler zum siebzigsten Geburtetage daigebracfat
von der Berliner Gesellschaft ffir das Studium der neueren
Sprachen. Braunschwaig, George Westermann, 1905. VI, 477 8. 8<>.
M. 8 (ffir Mit^ieder der Gesellschaft M. 4).
Zum zweiten Male darf ich von einem Festgesdienke berichten, das
aus Anlafii einer ffir mein Leben bedeutun^voUen Tatsache mir von
Freundeshänden fiberreicht worden ist. Was ich mit Bezue auf die vor
zehn Jahren mir gewidmete Festschrift im Archiv Bd. XCv, S. 198 ein*
leitend gesagt habe, gilt in der Hauptsache auch von der mir jetzt vor-
liegenden, und meiner Dankbarkeit wfilste ich heute kdnen anderen Aus-
druck zu geben fds damals; man nehme die dort gebrauchten Worte als
jetzt von Merzoi wiederholt an. Eine gewisse Verschiedenheit der Um-
stände liegt allerdings insofern vor, als heute nicht von nah und fem
zusammengetretene ehemalige Schüler die freundlichen Spender sind, son-
dern ausschliefslich Mitgliäer einer Berliner wissenschaftlichen Vereini-
gung, von denen nur manche, bei weitem nicht alle, durch ihre Mitglied-
schiut eine Verbindung mit mir aufrechterhalten, in die sie vor Jahren
zuerst als meioe Schfitör getreten sind. Drei von den Beteiligten ^eh^k^n
zu der von mir seit Jahren gleiteten Gesellschaft allerdings nicht als
ordentliche Mitglieder, und die Freude, sie in unserer Mitte zu sehen,
wird uns kaum einmal zuteil; aber die Gesellschaft sieht es als wertvolle
Auszeichnung an, daüs sie bereit gewesen sind, als Ehren- oder als korre-
spondierende Mitglieder zu ibr in Beziehung zu treten, und ich habe allen
wund, mich ihrer Teilnahme an der mir erwiesenen Ehrung ganz beson-
BeuxteAnngen und kune Aaxdgen. 2d9
den sn freneii. Ihn Arbeiten ttehen an der Spitse der fünfundswanzig,
Ton denen ich hier in Kürze Rechenschaft zu geben habeJ
Gnst^ Gröber eröffnet den Band Bit einer in gereimten Versen
smbeaen Übertragung des Du dou vrai anid. Das altfranzOsische Ge-
oiät ist bekanntlich nichts weniffer als eine gewandte, riatte, lebendige,
daa Wesentliche geschickt herauäebende Erzählung, ona der Übersetzer
hat sich eehütet, anderes als eine getreue Wiedergabe des Originals vor-
zulegen, hat Termieden, es durch moderne Kfinsto heutigem Geschmack
naher zu bringen. An einigen Stellen scheint seine Auffassung des nicht
immer völlig klaren Textes von der meinigen etwas abzuweichen, was mir,
hätte idi das Glicht noch einmal herauszugeben, Anlals zu neuer Er-
wägung geben würde. In Z. 19 scheint maum mir 'Herr* (der über Ein-
aicEt verfügt), nicht 'Lehrer' zu bedeuten. Z. 136 tritt der Sinn des
compore 'bülse' nicht hervor. Die Verse 206 bis 209 habe ich als Fort-
setzung der Kede des zweiten Sohnes ansesehen und dies durch den Ge-
dankenstrich nach 209 angedeutet 311 Irann Gröbere Auffassung leicht
die richtige sein, wie auch Z. 356 gegen seine Gestaltung des Textes sich
kaum etwas einwenden lälst. Dagegen finde ich 890 bis 892 den Gedan-
koi des Dichtet s in der Übersetzung nicht wieder: 'den beiden älteren
Söhnen ist ihre Feindseiiskeit gegen den jünnten nicht zu verdenken,
da dessen eigene Glieder (die Christen) ihn im Buche lassen', und Z. 426
vermisse ich den Gedanken der Vorlage: 'man ist (ja schon) dem gefa&ik-
ten Nächsten Hilfe schuldig, wenn man sie ^währen kann; und hier
handelt es sich um unsere eigene Anflel^;enheit.'
Fnui Carolina Michaelis de vasconcellos verbreitet sich in
einer sehr gelehrten, aber auch höchst lehrreichen Einleitung über Fund-
stätten, wo portugiesische Sprichwörter zu treffen sind, und über die
mancherlei Namen, mit denen man in Portugal zu verschiedenen Zeiten
diese anziehenden Erzeugnisse des VolksgeiBtes belegt hat. Daran schliefst
sich die Vorführung von ihrer ungefähr tausend, <ue alle mit dem Buch-
staben a beginnen und alphabetisch aneinander gereiht sind. Man mag
daraus auf den Umfang des Schatzes schliefisen, der noch zu heben bleibt
Hie und da ist etwas auihenommen, das zwar durch volkstümliche Aus-
drucksweise anzidlit, als Sprichwort aber nicht gelten darf, wie z. B. A
bom tanto te enoomendatte; Ä etaouira porta, quB esta näb ae <ibre; Ä mim
näoy qua sou perro vdho; A ^wmtoe eo« a pttteoa? eai esU ano no dominffo.
Aach über die Zugehörigkeit von Sentenzen, wie A Deua näb m mmUf
kann man verschiedener Ansicht sein. Aber auch was vielleicht fehlen
dflrfte, möchte man nicht missen. Schlimmer ist, dafs, aus einem un-
bekannten Zusammenhang gelöst, sehr viele von den aufgeführten Sprüchen
ihren Smn nicht erkennen lassen, so da(s man ihnen gej^übersteht wie
einer Glosse, zu der das Glossierte fehlt Wenn es heilst A fax/6nda de
raüt farta, mos nah abasta, so ^führe man sem, an welche unentbehrliche
Zugabe zum Grundbesitze zu denken ist, od an Betriebskapital, an Ver-
ständnis für das Gewerbe, an Bewässerung; vielleicht aber will der Spruch
auch gar nicht mehr sagen, als er säet. Was mag der Sinn von 182, 190>
198, ^5, 223, 862 sein? Möge die gddirte Verfasserin, die in so dichtem
Rohr sitzt, recht oft derer gedenken, die sich so schöne Pfeifen nicht
schneiden können.
Karl Sachs gibt nach einer Einleitung, in der mir die wünschens-
werte Klarheit des Gedankens namentlich auch bd dem Versuch einer
Einteilung des Gesammelten nicht erreicht scheint, eine lange Reihe fran-
zöeischer Interjektionen oder solcher Dinae, die weniffstens er so nennt
(z. B. ä himMy auK armet, bü, ä ehewd, Aargex), Auf irgendwelche Son-
derunff von anderem C^iditspunkte als dem des Alphabetes aus, auf jede
Aufklimng über die Gebraucnsweise ist vernichtet Bisweilen wird genau
ange^ben, wo etwas gefunden ist; andere Male wird nur ein Auto^. als
Gew&rsmann genannt manchmal fehlt jede Angabe einer Quelle. Über
240 Beurteilimgen und kurze AnceigeD.
den mir nicht sicher scheinenden Sinn Ton bour bour hätte ich mir gern
durch Prüfung des Zusammenhanges Gewifsheit verschal; aber an der
zitierten Stelle habe ich nichts Hergehöliges gefunden.
Alois Brandl bezeugt bei einem Gönner seiner Ejiabenjahre, dem
Naturforscher, Arzt und Dichter Adolf Pij^er, eine wanne Verehrung
für Dante, die sich in zahlreichen direkten AuiseruneeDi aber auch durch
manche Anklänge in des Tiroler Sängers Gedichten bekundet
Nach dnem kurzen Blick auf die spanischen Romantiker der zweiten
Hälfte des vorigen Jahrhunderts kennzeichnet George Carel die drei
herrorragendsten spanischen Lyriker der letzten Jahrzehnte, Nufiez de
Arce, Oampoamor und B^uer, in ihren Hauptwerken und gibt eine An-
zahl Proben daraus in ebenso ^wandter wie getreuer Übersetzung.
Hermann Conrad, der m früheren AiSsätzen schon mehrmch auf
yerschiedenartige Unzulänglichkeiten des 'Schle^l-Tieckschen' Sbi^spere
hingewiesen hat, geht hier mit Baudissins Antonius und Kleopatra in ein
strenees Gericht. Man wird seinen Ausstellungen und der Art, wie er
das MÜBratene ersetzt, Beifall nicht versaeen können.
Max Cornicelius geht mit dem ort bekundeten feinen Sinn und
jener gründlichen und ausgebreiteten Kenntnis alles in Betracht kommen-
den Stoffes, ohne die er nie urteilt, romanischen Elinflüssen in Gk)ttfried
Kellers Dicntung nach. Spuren romanischer Einwirkung weifs er darin
reichlicher und sicherer nachzuweisen, als manch einer erwarten mag, der
in seinem Keller auch leidlich B^cheid zu wissen meint. Sollte man nicht
denken, der herrliche Has von Überlingen stammte von dem freilich kin-
derlos verstorbenen Don Quixote? Amt man weüs ja durch Baechtold
ganz genau, wo die köstliche flgur dem Schweizer Dichter vor Augen
getretä ist. Auf die Wiederkeihr eines Zuges aus Moü^res UAmour
mSdecin I, 1 im 'Fähnlein der sieben Aufr^ten' habe ich später im
Feuilleton der Neuen Zürcher Zeitung vom 23. August 1905, Beilage zu
Nr. 233, hingewiesen.
Otto Driesen hat in mündlichem Verkehr mit den in verschiedene
Gruppen sich sondernden Angehörigen des Standes, der Abfälle auf der
Straise sammelt und sie durch Verkauf verwertet, mit löblichster Vorsicht
und unter Kontrolle durch Fachautoritäten reiche lexikalische Ausbeute
zur Kenntnis der in diesem Berufe üblichen Sondersprache zusammen-
gebracht und das einzelne Gewonnene ausgiebig erklärt, wobei auch manche
sachliche Belehrunff abfällt. Man erfährt hier wiederum, wie wenig zu-
verlässig manchmal die Auskunft über mancherlei argoi ist, die man etwa
aus reaBstischer schöner Literatur oder aus Wörterbüchern des argot fe*
winnen zu können hofft, die aus jener schöpfen. Dem Echten misdit
sich da gar zu leicht Gemachtes, gelegentlich mdividuell Geschaffenes beL
Max Gold staub, den von ihm schon so vielfach K|^örderten Ph^-
siologusstudien treu und immer neues, mannigfaltigstes Material herbä-
ziehend, verfolgt diesmal die über das Brüten des Vogels Strauls ver-
breiteten wunderlichen Einzelheiten, das Legen zur Zeit dee Erscheinens
der Pleiaden, das Bergen der Euer im Sande, wo die Sonne sie zum Aus-
kriechen brinet, das Ausbrüten durch die Kraft des eigenen, starr darauf
gerichteten Blickes der einander ablösenden Alten, das Bergen der Eier
im Wasser u. dergl. Die W^ nachzuweisen, auf denen Kunden solcher
Art von Volk zu Volk, von Zeit zu Zeit sich verbreitet haben, ist in der
Begel kaum möglich; zu unsicher ist meist das Alter der auf uns ge-
kommenen Fassungen, zu zahlreich sind die Möfflichkdten der Konta-
mination, des Mifsverständnisses bei der Herübemanme. Aber von Wert
ist auch schon die Darlegung des kaum übersehbaren Bdchtums der Über-
lieferung.
Georg Herzfeld macht nach englischen Quellen mit der geschicht-
lichen Persönlichkeit des Alchimisten, Astrologen und Geisterbeschwörers
John Dee (1527 bis 1608) genauer bekannt, dessen zu seiner Zeit nicht
Beturteilongen und knne Anzeigen. 241
alleinsteheQdeB Treiben noch bis tief ins 17. Jahrhundert hinein in Eng-
land wohl bekannt war und nach Herzfeld vermutlich die Ursache dafür
wurde, daia der Graf Hamilton den in seiner Novelle UenchMUewr Faustus
erzählten Vorgfingen England zum Schauplatze gab. Diese Novelle selbst
ist Lange als eine der Quellen jneben Hans Sachs) für die siebente Szene
im ersten Akte des zwdten Teiles des Faust erkannt.
Adolf Kolsen gibt von der verheükenen Gesamtausgabe des Guiraut
(oder, wie jetzt verlaDfft wird, Giraut) de Bomelh eine neue Probe in einer
auf Grund aller Handschriften ausgeführten Bearbeitung der zwei Kreuz-
lieder (bei Bartsch Grdr. 242, 6 u. 41). Man vermÜBt da nichts von dem,
was bei solchem Anlafs zu verlangen ist, weder Einblick in die Verhält-
nisse der Handschriften und B^tferti^ung der Wahl der Grundlage,^
noch DarlcKung der formalen Besonderheiten jedes Stückes; weder Über-
sicht über den Gedankengang jedes Liedes noch genaue Übersetzung des
(naturlich von allen Variante^ begleiteten) Textes; und reichliche Anmer-
kungen rechtfertigen die dem Texte gjegebene Auslegung und klären über
grammatische oder lexikalische Schwierigkeiten auf. Der Dichter gehört
bekanntlich zu denen, die einem gewissenhaften Philologen besonders viel
zu 8cha£Een machen; und es wini kaum ausbleiben können, daüs dem
Herauseeber hier oder dort Zustimmung versagt werde. So möchte ich
I, 9 Qt?apodera oder Qu'empodera pechaix, 23 deu (im Sinne des Dativs)
schreiben, 26 dels hus feriix verstenen 'von den durch ihn Getroffenen',
80 die Auffassung von non so^n deslonfuUx als non sum inde remotus für
unzulässig halten wegen der Stellung des tonlosen Adverbium n und die
Lesart s'es für son vorziehen. Aber nier kann auf dergleichen kleine Be-
denken nicht eingegangen werden. Wir dürfen die von Kolsen mutvoll
unternommene Arbeit mit bester Hoffnung begleiten.
Gustav Krueger sucht die Frage zu beantworten, 'was ist alangy
beziehungsweise argot?* Er geht von unzulänglichen Definitionen und von
dem Schwanken im Gebrauch der Zeichen aus, deren sich verschiedene
Wörterbüdier, oft genuR audi ein und dasselbe Wörterbuch, bedienen, um
das Familiäre, das Niedrige, das Botwelsch und dergL als solches kennt-
lich zu machen. Er gibt Beispiele der vielen Arten von Ausdrücken, die,
neben der gemeinsamen Spracne der Gebildeten liegend, gel^^tlich mit
wechselnder Absicht und Wirkung in diese aufgenommen werden, und
handelt von den psychologischen Ursachen, die dazu führen.
Albert Ludwig betrachtet im Anschluls an früher schon mit gutem
EIrfolg von ihm in An^ff genommene Studien Lope de Vega diesmal im
Verhältnis zu Ariosto, indem er die Komödie Los Oeloa de Bodaimnte, das
lange Epos La Eermoaura de AngSlica, endlich die aus diesem hervor-
gegangene Komödie El Premio de la Bermosura kennen lehrt, eingehend
prüft und nach ihrem künstlerischen Wert imd ihrem Verhältnis zu Ariosto
(und zu Bojardo) kennzeichnet, was um so dankenswerter ist, als diese
Werke alle wenig bekannt sind, das bedeutendste davon auch in der neue-
sten Biographie des spanischen Dichters (der von Bennert, Glasgow 1904)
kaum besprochen wird.
Emil Mackel beschäftigt sich in zwei voneinander unabhängigen
Aufsätzen mit Beziehungen zwischen dep Niederdeutschen und dem Ro-
manischen, insbesondere dem Französischen, indem er in dem vorange-
stellten aus lautJic^en Erscheinungen der älteren Periode des Nieder-
deutschen auf den Stand der lautüchen Entwickelung des Bomanischen
in der Zeit schliefst, in welcher aus diesem Wörter in jenes übergingen,
und im zweiten sdu* einleuchtend dartut, dals die in greiser Zahl vor-
handenen französischen Fremdwörter im heutigen Niederdeutsch weder
zur Zeit der Hansa noch zu der des DreÜsisjährigen Krieges, noch auch
zu derjenigen der französischen Fremdherrschaft zu Anfang des 19. Jahr-
hunderts Aufnahme gefunden haben, sondern aus der hochdeutschen Sprache
der vornehmeren Kreise zur Zeit, wo diese am meisten mit dem in Mode
.AidiiT f. n. Binachon. GXV. 16
242 Benrteilniigeii und knrze Anzcagen.
fekommenen Franzödsch aufgeputzt war. auch in die mederdeutsche Sprache
er unteren Stande und des taglichen Lebens sich hineingedrängt nahen.
Man wird gleichartiffe Erscheinunffen, die auch in anderen deutschen Mund-
arten begegnen, nicht anders erklären dürfen.
Wilnelm Mangold ist bei der Fortsetzung seiner sorflsamen und
erfol^eichen Studien Über Pflege französischer Di(£tung durch Friedrich II.
und ihm nahestehende Franzosen abermals auf Inedita gestoisen, die er
hier bekannt macht und mit allen irsend wünschbaren Erläuterunffen
ausstattet, Dichtungen oder sa^ wir ueber Verse von Gresset an den
königlichen Gönner lür seinesgleichen, der ihn yergeblich zu sich zu ziehen
sudite, sich mit schriftlicher Lobhudelei begnügen muXste. Wer dergleichen
über sich ergehen zu lassen sich in die Lage orachte, der erlitt für seine
Müsachtung der gleichzeitisen Dichtung seines Volkes eine schwerere Strafe,
ids ihm zum Bewulstsein Kommen konnte.
Pedro de Mugica hat immer noch nicht, so lange er nun schon in
Deutschland lebt und so oft er neben Zeitungen seiner spanischen Heimat
mit seinen Aufsätzen auch gelehrte Zeitschrinen unseres Landes bedenkt,
eich in den Ton gefunden, der in diesen zu herrschen pflegt Wir ande-
ren, soweit wir Mhwimmen können oder es zu können meinen, steigen
Sleichmütig zu unserer Erfrischung und zur Übung der eigenen Kraft in
as vertraute Element hinab, streben mit ruhigen Stölsen irgendeiner
lockenden Klippe, einer freunalichen Bucht zu und kehren, wenn wir uns
dort nach Verlangen umgesehen haben, zufrieden und erquickt zu unserem
Ausgangspunkte zurück. Ihn zieht es weniger in die künle Weite hinaus ;
er bleibt m der Nähe des Landes und sieht kritischen Auges denen zu,
die sich zu Schwimmausflügen anBchidcen oder von müsglückten Unter-
ndtunungen zurückkommen. Und da er findet, dais bereits erlebter oder be-
vorstehender Mifserfolff zumeist aus unzulänglichem Können oder schwäch-
lichem Wollen sich erkläre, so sagt er ihnen, und zwar höchst unverhohlen,
wo seiner Meinung nadi es ihnen gebricht, taucht sie auch wohl einmal
zur Strafe auf ein paar Sekunden unversdiens unter oder spritzt ihnen
Wasser ins Gesicht, bis ihnen Hören und Sehen vergeht, und macht sie
zum G^pötte der Umstehenden. Besonders oft, und so geschieht es auch
in der vorliegenden, in die Form eines witzigen Gesprächs ^brachten
Kundgebung, richte sich seine Grausamkeiten gegen oie spanische Aka-
demie und insbesondere gegen die für deren Wörterbuch yerantwortlichen
Mitglieder ('acade-memoe° oder *club de los inütiles' u. dergl.). Manzoni
braucht einmal, freilich bei ganz anderem Anlals, den Ausdruck Segtw
tPimmensa invidia e di pietäprofimda. Ob die spanische Akademie ersteree
ist, weifs ich nicht; für unwahrscheinlich kann ich es nicht halten. Aber
es wäre zu begreifen, wenn sie letzteres für solche wGrde, die mit ansehen,
wie mit ihr urnffesprun^en wird, ohne daüs sie sich wehren kann oder
mag, vielleicht (mne dals sie es auch nur ahnt Werden solche Angriffe
etwas bessern? — In Frankreich haben der Lezikogra^e der Landes-
sprache die Arbeiten von Littng und die von Darmesteter, Hatzfeld, Thomas
mehr Förderung gebracht als alle Sarkasmen, die jemals über die Aka-
demie erganeen sind. !Qer Hinweis darauf sei mein Dank für mehrere
unverdient Seundliche Aufserungen, in denen der Verfasser seinem Wohl-
wollen für mich Ausdruck sAht,
Alfred Bisop behandelt in seinen Miszellen zur neufranzösischen
Sjmtaz, die auf wdt ausgedehnter, namentlich auch mittelfranzösischer
und mundartlicher, übrigens nebenher italienischer Lektüre ruhen, eine
grofse Zahl noch kaum zur Sprache gebrachter Erscheinung. Sie haben
^isenteils das miteinander gemein, dais neben Konstruktionsweisen, die
m Betracht der ersten Bedeutung gewisser Verba zunächst als deren allein
natürliche oder berechtigte gelten müssen, andere Konstruktionen auf-
treten und jene wohl soear verdrängen, die nur bei gewissen anderen, mit
jenen ersten sinnverwandten Verben ihr gutes Becht von vornherein haben.
Beurteflnngen und ktme ABsdg^n. S4S
Anhangsweise ist von solchen Fällen die Bede, wo gewisse Satzelemente,
die im zusammenhängenden Sprechen bis zu last völliger Unwahmehm-
barkeit einschwinden, ein zweites Mal, eigentlich überflüssigerweise, ver-
lautbart werden, damit der durch sie dargestellte Qedanken^ehalt beim
Hörer doch auch zu seinem Bechte komme (hierher gehört ja auch die
Wiederholung des Artikels in le lendemain u. dergU* Das der Tiefe zu-
strebende Verfahren des Verfassers, das überall die Denkvorgänee zu ent-
hüllen strebt, die in Bprachvor^nffen sich spiegeln, wird l^ aenkenden
Ghrammatikem auch diesmal Beifall finden.
Felix Bosenberg hebt aus der langen Beihe der dramatischen Be-
arbeitungen des Estherstoffes (zu den 1891 durch Emile Pioot im sechsten
Bande &b Mist^e du Viel Testament, S. VI—LXIII. aufgezählten sind
seither noch verschiedrae hinzugefunaen) eine Anzahl verständig ausge-
wählter hervor, an denen zu veranschaulichen ihm wohl geUngt, wie, sei
es verschiedenes Ma(s von künstlerischem Vermögen, seien es herrschende
reli^öse Bestrebungen, hier bestimmte, im Augenolick gehegte persönliche
Absichten, dort hinwieder die rein dichterische Gabe des Eindringens in
die Tiefen mensdilicher Empfindungsweise zur Entstehung so ungleich-
artiger und un^leichwerti^ Kunstwerke haben führen können. Dafs
anter den gestaltenden Geistern Badne, Lope, Grillparzer fauch €k>ethe)
erscheinen, erhöht das Interesse des geschickt behandelten Gegenstandes.
Siegbert Schayer unterzieht an einem ganz geringen Quantum ältest-
franzoeischen Textes der Untersudiung die Arten, wie Gedankmzusammen-
hang zwischen sdbständigen (Haupt-) Sätzen in sprachlichem Ausdruck
zur Erscheinung kommt. Konjunktionen (für deren Wesen übrigens eine
wohlerwogene Definition not tun würde) spielen dabei eine ganz untergeord-
nete Bolle, eine weit wichtigere die parsönlichoi und die demonstrativen
Pronomina, auch die blols in der Veroalflexion gegebenen Subjektsbezeich-
nangen, femer Einzelaussagen im Verhältnis zu vorangegangenen um-
fassenderen, Parallelismus der Satzgestaltung und anderes. Achtsame Fort-
setzung des hier B^onnenen wird gewils zu wertvollen Ergebnissen führen.
Giovanni Speranza knüpn an eine nur wenig auf einzelnes ein-
gehende Erwähnung der Liebe Michelangelos (den er immer Buonarotti
nennt) zu Vittoria Colonna, durch weldie Liebe erst er ein wahrhaft
grolser Künstler geworden sei, Betrachtungen, denen es meines Erachtens
zwar nicht an rhetorischem Pomp, wohl aber an Schärfe und Klarheit des
Gedankens fehlt, über Materialismus und Idealismus in der Kunst Um der
Vierzahl der ^nste willen, in denen Michelangelo Greises vollbracht hat,
nennt ihn die Überschrift nicht eben glücklich Ttsomo dalle auatiro anime.
Heinrich Spies beschSItifft sich eindringlich mit der Frage der
Elchtheit der Ghauoer von manchen zugeschriebenen, von manchen aber
auch abgesprochenen retraetcUio. Er fünrt die bisher abgegebenen Vota
vor, tritt dann aber in selbständige Prüfung der Sache ein und äufeert
sich schlieislich, ohne zu verhehlen, dals ein durchaus zwingender Beweis
sich nicht führen lasse, zugunsten der Ansicht, dafs die SteUe allerdings
von Ghaucer herrülyre, dafe sie ihrem Inhalte nach sich in Übereinstim-
naung befinde mit Au&emngen ähnlicher Art, die der Dichter anderwärts
Stan habe, und dafs er so, wie es geschehen, sich am ehesten in der Zeit
he aussprechen können, wo er mit der Durcharbeitung des für die spätere
nnonea Tale in Betracht kommenden relidöeen Stoffes fertig gewesen sei.
Willy Splettstöfser führt von Alneris Tragödien Ägamennone und
Oreste die Handlung vor, zeigt, wie sie gemafs dem Verlaufe des dar-
gestellten G^chehens auf den Zuschauer wirken müssen, und welche Trieb-
federn ihres Tuns die bei diesem Dichter bekanntlich immer nur in ganz
geringer Zahl auftretenden Personen in Taten und Worten zu erkennen
gsben. Gelegentliche Blicke auf die Behandlung, welche die nämlichen
toffe bei Aßen und bei Neueren gefunden habä, lassen Alfieris künst-
lerische Eigenart deutlicher erkennen. Des Dichten eigenem Urteil über
16*
244 BeniteilimgeD und kmze Anzeig«!!.
den Agamennone kann der Verfasser des Au&atzes nicht beiatimmaii der
das Werk bei weitem höher einsch&tzt.
Gustav Thurau yerhilft mir, und vermutlich wie mir so auch
mandien anderen, zu einer ersten Bekanntschaft mit Theodore Botrel,
einem 1870 in Dinan geborenen fruchtbaren Dichter volkstümlicher chan-
sons, die, fibrigens in gutem Französisch und in den bisher allgemein
üblich gewesenen Versmalsen abgefaist und selbstverständlich zum Vor-
trag im Gesang bestimmt, Eindrücke, Anschauungen, Gedanken, Stim-
mung^ zu ansprechendem Ausdruck bringen, wie sie in des Verfassers
bretonischer Hemiat wurzeln oder, soweit sie allgemein menschlich sind,
von dort ihre besondere Färbung empfangen m&ben. Wer der Volks-
kunde Teilnahme zuwendet, wird, wenn er von dieser Dichtung Kenntnis
nimmt, sar wohl auf seine Bechnung kommen, auch umgekehrt zu ihrem
rechten Verständnis bei der Volkskunde wirksame Unterstfitzimg finden.
Der Verfasser lehrt eine grolse Menge Literatur kennen, die zum G^n-
stande seiner Abhandlung in Bezug steht; er weist auch auf sachüche
Berührung hin zwischen seinem 'Barden' und Loti oder Mauptassant und
gewahrt willkommene Aufschlüsse über dessen Lebensverhältnisse.
Hans Willert gibt dne reiche Sammlung von neuenglischen Zu-
sammensetzungen aus reimenden Stammen oder Wörtern und von
Wortgruppen aus reimenden und durch Konjunktion verbundenen
Wörtern (nach Art der deutschen '£[limbim', 'holterpolter*; 'Sanf und
Klangt 'schlecht und recht', 'Ach und Krach'), die er nicht aus Wörter-
büchern zusammengeklaubt, sondern bei ausgedehnter Lektüre in zusam-
menhängender Bede selbst aufgetrieben hat und darum auch sämtlich zu
belegen vermag. Künftige Lexikographen und Grammatiker werden an
dieser Fundsrube nicht achtlos vorübergehen dürfen. Vermisse ich an
der verdienstlichen Arbeit etwas, so ist es ein Versuch, festzustellen, unter
welchen Umständen die Sprache solche Wese der Wortbildung einschlä^,
und wie es kommt, dafs aas gewählte Mittel dem empfundenen Bedürfnis
Genüge tut. Der Stellen^ wo von den nämlichen Erscheinungen schon
früher die Bede gewesen ist, hat der Verfasser, wie billig, geda^t.
Georg Ebeiing versucht, die 'syntaktische Etymologie', wie ich
dergleichen gern nenne, von tont saü peu und damit zugleich die der
gleichartigen Sätze der älteren Sprache zu geben, in weläien bei eben-
falls vorantretendem tant, bei Liversion des Tmeist pronominalen) Sub-
jektes und des Verbums im Konjunktiv, gleicnfalls der Sinn einer Ein-
räumung gegenüber negativem Hauptsatze vorließ. Er findet die Er-
klärung der gewüs nicht ohne weiteres durchsichtigen Ausdruckswdse in
einer Kontamination, infolge deren z. B. pcuser ne pot, tant ns fu forx
und passer ne pot, ja fast ü forx zu passer ne pot, tant fast ü forx zu-
sammengeflossen wären, von welchen drei, sämtlich üblich gewesenen Bede-
weisen wenigstens die letzten beiden in der Tat als fast gleichbedeutend
gelten dürfen. Die Annahme derartiger Entwickelung als überhaupt un-
zulässig zu bezeidmen, würde mir übel anstehen, luibe ich doch selbst
mehr iQs einmal in ähnlichem Zusammenfliefsen zweier im Grunde ver-
schiedenartigen Wendungen die Erklärung einer dritten gesucht. Das
hier Angenommene aber scheint mir schwer denkbar, weil die beiden zu
vereinigenden Ausdrucksweisen gar so verschieden sind, 1. nach dem
Verhältnis zum negativen Vordersatz (Kausalität dort, Einräumung hier),
2. nach dem Modus des Verbums (Indikativ dort, Konjunktiv hier), ^ nach
dem Wesen der Bede (negativ dort, positiv hier). Ich habe mir meiner-
seits das tant in dem vorliegenden Falle als ursprünglich mit einer
Gebärde gesprochen gedacht, die ebenso eine grofse Mengte, einen hohen
Grad angedeutet hätte wie im deutschen 'ich mache mir daraus nicht
soviel' eme andere Gebärde eine geringste Menge angedeutet hat oder
noch andeutet. Diese Verwendung von tant als einmu üblich gewesen
anzusehen, geben, wie mir scheint, solche Stellen ein Becht, wie ne puet
Benrteüimgen und kurze Anzeigen. 245
afo«r tre$hauie hotmouTt tont adi <^aw>ir, b'ü neseilei bons lumnorer, Oleom.
488; Quanije m' arote tont penS, Ne vos araie du anuit L'a^gpareü, RViol.
8. 276; n'en poroie avoir jote, Quant tant fn*en seraipeneu, Bern. LHs.
399, 1. Wer Ebelings andere Arbeiten kennt, dem braucht man nicht
erst zu sagen, dafs er sich immer mit groiker Sorgfalt ausdrückt, dalk
ihm für me verschiedenartigsten syntalraschen Erscheinungen überaus
reichliche, durch ihn selbst zusammengebrachte Paralleistellen zur Ver-
fügune stehen und — dafs er seine Leser mit solchen gern auch dann
übersimüttet, wenn es des Beweises der Gewöhnlichkeit eines lange be-
kannten Vorkommnisses kaum mehr bedarf. Meine oben g^ebene Auf-
fassung des tant hätte er übrigens auch bei Dubislav, Über Satzbeiord-
nung für Satzunterordnung im Altfranz5sischen, (in Berlin entstandene)
Dissertation aus Halle 1888, S. 18 ff. finden können, dem ich freilidi in
der Deutung eines grolsen Teiles seiner Belegstellen nicht beistimmen kann.
Damit wäre icm denn am Ende meiner Berichterstattung angelangt,
einer Berichterstattung, die freilich auch nicht jede bescheidene Andeutung
etwa abweichender Ansicht oder schüchterner Milsbilligung ausgeschlossen
hat. Die Gesellschaft, von der das inhaltreiche Buch ausgegangen ist,
hat denjenigen, den sie seit neun Jahren immer wieder an ihre Spitze
nötigt, dural die gutmütige Geduld verwöhnt, womit sie seine Bemer-
kungen üb^ die in ihrem Schoüse gehaltenen yorträg|e hinnimmt, und
durdi das Vertrauen, das sie unter allen Umständen in seine gute Ab-
sicht setzt. Wird er zu dem Buche oftmals dankbar und gern zurück-
kehren als zu einem Beweise anhänglicher Gesinnung und zu einem Denk-
mal erfreulichen und ffewüs nicht ^anz vergeblichen Zusammenarbeitens,
so mag es anderen scnon durch semen reicnen und mannigfaltigen In-
halt, abgesehen von der Entstehung, wert werden. Es wird auch nach
aiilsen zeigen, wie viele und wie tüchtige Kräfte die G^ellschaft in sich
verdni^ Und die, deren Namen oben zu lesen stehen, sind doch erst
ein kiemer Teil der gesamten Mitglieder; mit ihnen stehen in Beih' und
Glied zahlreiche andere Männer, die bei anderen Gelegenheiten nicht
minder glänzende Beweise ihres Vermögens gegeben haben. Zeuge eines
friedlichen und eisprieTslichen Zusammenwirkens der einen und der an-
deren und dnes viel versprechenden Nachwuchses noch ein Weilchen zu
bleiben, würde mir euie herzliche Freude sein.
Berlin. Adolf Tobler.
George N. Oleott, Thesaurus liDguae latinae epigraphicae. Band I,
Lieferung 1. A — ^AB. Bom, Loescher & Co. (Bretschneider & Begen-
berg), 1905. 24 S. 8.
Die Verzettelung und nachherige lexikoerai>hische Verarbeitung des
in den rund 200000 bisher veröffentlichten lateinischen Inschriften ent-
haltenen sprachlichen Materials durch einen einzelnen Gelehrten ist, wie
8i<^ der Verfasser in der Vorrede treffend ausdrückt, *the tpork of a pygmy
struggling agamst a giant*. Mögen die den Amerikanern eigene zähe Aus-
dauer und die treffliche epieraphische Schulung Oleotts, von der schon
1S96 seine Dissertation ^Staates in the tpord formation of the Laiin in-
ser^ioM' Zeugnis abgel^ hat, das grofsartige Unternehmen, dessen Be-
deutung spezieU für den Komanisten besonders zu betonen überflüssig sein
durfte, glücklich zum Ziele führen. Soweit der geringe Umfang des dem
Beferenten vorUeffenden Probeheftes Schlüsse zuläCst, ist in bezug auf Kor-
rektlieit und Vollständi^eit das Beste zu erwarten. Zugrunde gelegt sind
die von dem jeweiligen Herausgeber adoi>tierten Lesungen, auf deren kri-
tische Nachprüfung der Verfasser sich nicht einlassen zu können erklärt,
was m^ olme weiteres begreifen wird. Leider ergeben sich hieraus ge-
wisse Ubelstände, wie hier an einem Beismel gezeigt sein mag. CIL. xn
18C druckt Hirschfeld mit dem Codex Filonardianus SEX - IVL * GAE
246 Beniteflimgen und kurze Anzeigen.
ABXITECfrOB und löst auf in iSb^ Jul(iua) 0a^cüianu9l] arcktieet(u») ar,
indem er hinzufügt: scilicet ipsius arcus in quo titulus legel^^tur. Zufolge
dieser irrtümlichen Auflösung fehlt der hier zutage tretende, wohl älteste
Beleg für das mehrfach bezeugte Tulgärlateinische arckiteetor im Thesaurus
linguae latinae II 4(J4, und es steht zu befürchten , dafs auch der Thesaurus
Imguae UUinae epigraphieae Olcotts ihn nicht verzeichnen werde. Hoffen
wir, dals dergleichen Fälle nicht allzu zahlreich vorkommen.
Wir sehen der Fortsetzung des monumentalen Werkes mit lebhaftem
Interesse entgegen.
La Chaux-de-Fonds. Max Niedermann.
A. Walde^ Lateinisches etymologisches Wörterbuch. Lieferung 1.
Heidelberg, Carl Winters Universitätsbuchhdlg., 1905. 80 8. 8. (Das
Werk soll in etwa 10 Lieferungen von je 5 Bogen zum Subskriptions-
preise von M. 1,50 erscheinen.)
Nachdem die in den letzten Jahren von verschiedenen Seiten ge-
machten Anläufe, die Wissenschaft mit einem brauchbaren etymologischen
Wörterbuch des Lateinischen zu dotieren, insgesamt ohne Besultat ge-
blieben sind, hätten wir kaum zu hoffengewa^, dals das von A. Warne
in der unter der Leitune von Hermann mrt herausgegebenen Sammlung
indogermanischer Lehrbücher angekündigte in verhStnismälsig so kurzer
Frist den Fachgenossen zugänguch sein würde. Zwar li^ dem Befe-
renten zurzeit erst ein Spezimen von 80 Seiten vor, allein der Wintersche
Yerlaff verspricht den Best noch für dieses Jahr, und es liegt kein Qrund
vor, cue pünktliche Erfüllung dieses VersDrechens in Zweifel zu ziehen. *
Der Plan des Werkes und seine Durchfünrung verdienen ungeteilte An-
erkennung. Im allgemeinen ist das Prinzip der alphabetischen Anordnung
befolgt, doch wird am Schlufs eines jeden Artikels jewdls ausdrücklich
auf <fie anderswo eingerdhten Ableger der betreffenden Sippe hingewiesen,
also z. B. B. V. ago auf agito, amoiguus, ojfOso, mdä^o, prodigus, iMga,
ambageSf agma, examen u. s. f. Der Romanist konstatiert mit Vergnügen,
dafs auch der spezifisch vulgärlateinische Wortschatz mit einbezogen er-
scheint (aeSdia, aciarium, amiddola amandola, auea, baeca, bkUta 'Motte',
bruta u. dgl.). Dankenswert sind femer die zahlreichen Literaturangaben,
gegen deren Unterdrückung in sprachwissenschaftlidien Handbüchern der
Bderent schon zu wiederholten Malen hat protestieren müssen. In jedem
Falle den wirklichen Urheb^ einer Etymologie zu ermitteln, ist ja wohl
ein Ding der Unmöglichkeit ; jedenfalls aber darf Walde das Zeugnis nicht
vorenthalten werden, dals er sich aufs gewissenhafteste bemüht mit, jedem
das Seine zukommen zu lassen. Eigene Sammlungen würden uns ge-
statten, eine Anzahl von Nachträ{;en sowie auch die eine oder andere Se-
richtiffung beizusteuern; da wir indessen auf das Werk zurückzukommen
gedenken, sobald es einmal vollständig vorliegt, so wollen wir damit lieber
zuwarten. Wir schliefisen diese vorläufige Anzeige mit den besten Wün-
schen für den rüstigen Fortgang der Arbeit und dem aufrichtigsten Dank
für das bisher Gebotene.
La Chaux-de-Fonds. Max Niedermann.
Dr. Wilhelm Münch^ Geh. Begierungsrat, Professor, Didaktik und
Methodik des französischen Unterrichts (Sonderausgabe aus Bau-
mebters 'Handbuch der Erziehungs- und Unterrichtslehre für höhere
Schulen^). 2. umgearb. Aufl. München, C. H. Beck, 1902. IV, 179 S.
Mflnchs schönes Buch, das in der ersten Ausgabe (1895) vereint mit
Glaunings 'Didaktik und Methodik des englischen Unterrichts' erschien,
' Korrektiiniote vom 11. September 1905: Bis beute sind uns füof Liefe-
rangen zugegangen.
BeartcilnngeD und ku»e Anzeigen. 247
liegt jeUt Bolbet&ndig in umgearbeiteter und erweiterter Auflage vor, und
zwar so lange Bchon, dala, glaube ich, es keinen Lehrer des Ftansösischen
f'bt, dem es nicht schon geistiger Besitz geworden sei, dem es nicht schon
nregune und Förderung auch durdi das viele Neue, das es enthalt, ge-
geben habe.
Das Buch fiel bei seinem ersten Erscheinen in eine Zeit heÜsen
Kampfes, eine Zeit, wo manche der Beformer noch alles Alte mit Stumpf
und Stiel auszurotten und etwas gänzlich Neues an dessen Stelle zu setzen
sich vermalsen. Es verrichtete em Friedenswerk im schönsten Sinne des
Wortes; es vereinte, wie es der persönliche Einfluis des Verfassere so oft
auf den Phiiologentaeen eetan hat, ehrliche Gegner, die auf verschiedeneD
Wegen doch demselben nohen Ziele zustreben. Und ein Friedenswerk
bleibt dem Buche auch nach seinem neuen Erscheinen zu verrichten. Der
Kampf ist von neuem entfacht: der Königsberger Zeit- und Streitschrift
nach könnte man glauben, die einst Triumphierenden seien jetzt in vollem
Kfickzuffe begriffen, alle die Arbeit, die sie getan haben, sei nur von
schädlicner Wirkung^ gewesen, nur in einer Rückkehr zum alten Zustande
bestehe das wahre H31. Beaktion und Gegenreaktion. Ehrliche Gegner
werden sich wieder in Hinblick auf das gleidie hohe Ziel zusammenfinden.
Arbeit bleibt nie ohne Nutzen; so begästertes Streben kann fehlen und
über das Zid hinaustreffen, aber nicht verloren gehen.
Münchs Buch war ein grofses Ereiniis in der Geschichte der Bestre-
bungen um die Gestaltung nicht bloß des französischen, sondern des
ganzen neusprachlichen Unterrichtes. Wenice Schriften sind, glaube ich,
nach 1895 auf diesem Gebiete erschienen, die nicht von den hier fest-
geleeten Ergebnissen ausgehen, nicht zu den hier aufgeworfenen Fragen
Stellung nehmen. Hat das Buch einen Boden geechanen, auf dem recht
verschiäenartiee Ansichten zusammentreffen können, so ist dies doch nicht
durcdi schwäcluiche Kompromisse fl;eschehen, durch die kein dauernder
Friede zustande kommt Der Verfasser wirkt durch die guten Gründe,
mit denen er seine Ansichten zu stützen, die er abweichenden ent^^en-
zustellen weüs, durch das hohe Gerechtigkeitsgefühl, das ihn auszeiclmet,
durdi den vornehmen Ton, der sich ruhige Entgegnung erzwingt. Infolge
seines eigenen E^twickelungseanges steht Mün<£ mitten in der unterricht-
Gesamtorgani
'Oft war dasjenige in Wahrheit Streit um das Ziel, was als Streit um
die Metiiode angesehen und durchgeführt wurde' (S. 8). Wie bei jedem
Unterrichtsfache, so kommen beim französischen drei Momente mitdnander
zur Geltung: 'Der Wert der inhaltlichen Aneignung oder des stofflichen
Besitzes, die Ausnutzung zu formaler Schulung und die ideal anregende
Kraft' (S. 4). Die drd Bestandteile sind zu verschiedenen Zeiten ver-
schieden betont, oft ist eins dem anderen zuliebe vernachlässigt worden.
Ein Gleichgewicht, soweit es bei der Natur jedes einzelnen Faches mög-
lich ist, herzustellen, soll das Ideal des Lehrers sein, und bei der Lösung
dieser Aufgabe will ihm die reiche Erfahrung des Verfassers helfen.
Welches sind die älteren Unterrichtsweee gewesen, welche Erwägungen
haben zu den neueren Bestrebun^n gefünrt? ^Sicherheit des Könnens
und geistige Bildung' ist unser Ziel, sollte es sein. Wir haben das letz-
tere Ziel mit allen gemeinsam; wir legen auf das erstere mehr Gewicht,
als es nach gewissen Richtungen früher allgemein Brauch war. Knapper,
klarer, umsichtiger, vollständiger als (S. 15—19) die 'schwebenden JBin-
zelfragen' formiüiert sind, die auf den verschiedensten Gebieten unseres
Faches zur Erörterung stehen, scheint mir eine Gesamtdisposition des
Ganzen kaum gefi^eben werden zu können. Die Erörterung aUes Wesent-
lichen, auf das sidi die Fragen beziehen, bildet den Inhalt der folgenden
Kapitel. Jedermann, der die erste Auflage kennt, weüs, in wie ausfuhr-
248 Benitdliingeii und knne Anzeigen.
lieber nnd grfindlicher Weise die nach den EinseldiBziplinen (Anesprache,
Sprechen, AnBchauanfBunterricht, Grammatik, schrifthche Arbeiten, Lek-
türe, Wortschatz, NeBengebiete: Synonymik, Stilistik nsw.) geordneten
Abschnitte den G^eeamtstoff behanaeln. So ausgeprägt der Standpunkt
des Verfassers ist, Anhänger und (Gegner werden mit gleichem Nutzen
seinen Erörterungen folgen, und es wird kaum eine wichtige Frage geben,
in der man sich vergebens an den umsichtigoi Berater wendet. I^ grofse
Zug, der durch die einleitenden Betrachtungen ging, zeigt sich aucn bei
der Erörterung der Einzelfragen. Nie yerlieren wir den Zusammenhang
aus den Augen. Jeder einzelnen Betätigung des nach so vielen Seiten
hin sich erstreckenden sprachlichen Unterrichtes weifs der Verfasser, nach
sorgfältiger Abwägung seiner Bedeutung fflr das Endziel, den gebührenden
Platz anzuweisen, ^e möglichen Einwendungen kommen zur Sprache,
das Für und Wider, das sich aus Umfang des Stoffes, Stundenzahl, Vor-
bildung des Lehrers (s. bes. S. 46 ff.) wie des Schülers ergeben könnte,
wird sorgsam geprüft. So sehr die Erörterung bei jeder Disziplin ins
einzelne geht, verliert sie doch nie darum die grolsen Gesichtspunkte aus
den Au^n ; sie berücksichtigt auch, nachdem sie das Ideal ningestellt,
vorsichtig die oft grausame Wirklichkeit ; sie weist, ohne darum berech-
tigtes Streben zu entmutigen, Übertreibungen, die sich durch Übereifer
für neuerschlossene Gebiete (z. B. Phonetik) nach gewissen Seiten hin er-
geben haben, in die Schranken zurück.
Die 'Fragen', die in der ersten Auflage etwa anderthalb Sdten füllten
(8 und 9), nehmen trotz ihrer knappen Fassung in der neuen Auflage
fast fünf Seiten des grolsen Formates ein. Entsprechend grölseren Baum
braucht natürlich auch ihre Erörterung: das Buch hat jetzt im ganzen
179 Seiten statt der 107 der ersten Fassung. Eine Erweiterung, Berddie-
rung, eine Umformung, die die fortgesetzte Arbeit auf diesem Grebiete
zei^, haben fast alle Kapitel erfahren; der Literaturnachweis am Ende
beweist, wie aufmerksam der Verfasser auch in seinem sehr veränderten
Wirkung^Jcrdse neueren und neuesten Erörterungen zu folgen gewuist hat.
Die Änderungen, die die neue Auflage erfahren hat, schdnen mir im
letzten Grunde weniger grundsätzlicher Natur zu sein als solche — sei es
Ebrweiterungen, sei es Einschränkungen — , die fortgesetzte Überlegung
und mehr noch Er^EÜirungen der Praxis mit sich gebracht haben und
weiter mit sich bringen werden. Schon ein Vergleich der vorangeschickten
Fragen, die, wie ich schon sagte, den Plan des Buches geben, zeigt, wie-
viel Neues die sieben Jahre, die zwischen den beiden Ausgaben li^en,
angeregt haben, wieviel Erwägungen hinzugekommen sind, wie manäes
zum säieinbar definitivem AoscUufs, manches wieder zum Schwanken
gebracht worden ist. So ist, um nur ein paar Beispiele zu geben, im
Kapitel über die Aussprache neben vielen Einzelheiten (Dauer, ^ 27) und
Erweiterungen (Richtigkeit der Einzellaute, § 23), besonders die E^rte-
run^, ob 'familiär oder akademisch', ganz umgearbeitet und zu einer 'Ent-
scheidung* (8. 28) geführt worden. Die Bedenken, die Verf. schon früher
den durch Passy nervorgerufenen Übertreibungen entgegoisetzte, sind
(Eoschwitz wird zitiert) zu einer ausführUdien Zurückweisung des extre-
men Standpunktes geworden, wobei der verschiedenen Stilarten, der all-
gemeinen Fertigkeit, der EntwickelunK des Schülers in gleichem Ma&e
Kechnung getragen wird. Noch eröfiere Erweiterung hat das Kapitel
über die 'Sprechübungen' in dem Zusatz S. 45 — 50 und dem neuen Ab-
schnitt üb^ den 'Anschauungsunterridit' (S. 50 — 56) erfahren. Ja, der
Besitz der fremden Sprache, die Fertigkeit, sich ihrer zu bedioien, ist
und bleibt eins der Ziele, die uns der Verfasser vorschreibt. 'Wenn dieses
Können nicht am Wege auf^rafft, nicht auf zufällige und äufserliche Art
angeeignet worden, unter einer schulmäfsigen Zucht und Überwachung
und in planvollem Stufengang erworben woraen ist, dann ist es auch vom
erzieherischen Standpunkt aus etwas recht Schätzbares' (S. 40) ; und 'alles
BearteÜTiiigen und Hirae Anzefgen. 249
in allem kann ich überhaupt nicht nmhin, einen französischen Unterricht,
der dem Sprechen der fremden Sprache eine solche breite Bolle einräumt,
für den yollkommneren zu erklSren, für diejenige Form, welche eigentlich
verwirklicht werden müfste — wofern es die persönlichen Be-
dingungen ermöfrlichen und der nOtige Tiefgang des Unter-
richts gewahrt wird' (S. 47). Verf. warnt davor — mieten wir auch
diese seine Stimme hören — , Meinungsverschiedenheiten auf diesem Ge-
biete gleidi auf Böswilligkeit und Unfähigkeit zurückzuführen. Es sei
beiden Lagern zugerufen. Wie die Sprechübungen, unter nötiger Wahrung
des Tiefganges, nicht nur den Unterricht b^leiten, sondern ihn durdh-
ziehen können, wird in mustergültiger Weise an dem ganzen Gange, ins-
besondere für den Anschauungsunterricht mit seinen verschiedensten Hilfs-
mitteln gezeigt, wobei die 'Grenzen für Wert und Ziele' nicht übersehen
worden sind. Dafs überall der nötige Tiefgang zu wahren ist, lehren uns
die Kapitel über die Grammatik wie üb^ die Lektüre. Auch hier finde
ich wohl weitere Ausführungen, aber keine grundsätzlich veränderte Stel-
lungnahme. Dafs der Grammatik eine andere Rangstellung als vielfach
bisher angewiesen wird, verhindert ebensowenig die Schätzung ihres Wertes
und ihrer Wichtigkeit für den bildenden Unterricht, wie der Umstand,
dafs viele Vorschriften, die sich von Lehrbuch zu Lehrbuch fortschleppten,
ohne in der Sprache eine Daseinsberechtigung zu finden, jetzt über Bord ge-
worfen sind, was ja nebenbei auch in neueren griechischen und lateinischen
Grammatiken geschehen ist. Dafs die induktive Methode, wenn sie wirk-
lich ernst betrieben wird, und soweit sie bei der uns zur Verfügung ste-
henden Zeit möglich ist, nicht blols einen schöneren Weg' darstellt, son-
dern auch zu erfreulicheren Besultaten als der alte Grang, von der 'B^el'
zur Anwendung, führt, scheint mir keinem Zweifd zu unterliegen. Man
nehme nicht immer, wenn das Lob der 'alten grammatischen Methode'
gesungen wird, die Leistungen einzelner treäfflidier Lehrer, die an der
Hand jedes Lehrbuches den Gdst der Sprache erkennen, sagen wir be-
scheidener, das Wesen einer sprachlichen Erscheinung erkennen lassen
konnten. Nehmen wir die verbreitetsten Lehrbücher, Plötz etwa und
Gesenius in der älteren Gestalt, und fragen wir, was der Durchschnitts-
unterricht mit diesem Wirrwarr von fertig gegebenen 'Regeln', deren
eigentlich keine einzige sich mit der doch Leuten wie PlÖtz sicher ver-
trauten Erscheinung deckte, für eine wirkliche Greistesschulung anzufangen
wufste. Ich weifs wohl, dafs der grammatische Teil mandier als sehr
'praktisch' erkannter neuer Lehrbüdier, wenn auch nicht schlechter als
die alten Arbeiten, so doch sehr fem von einem Ideal ist, wdfs aber
auch, dafs für die meisten Fachlehrer, mögen sie noch so entschie-
dene 'Reformer' sein, mögen sie auch der Fertigkeit einen noch so gro-
fsen Wert beilegen, doch Tobler nicht vergebens gelehrt und Lücking
nicht umsonst seine 'Schulgrammatik' geschrieben hat. Mit der An-
ordnung des Stoffes in konzentrische Kreise bin ich voll einverstanden,
möchte sie z. B. auch auf die Formenlehre des Verbs, wo der An-
schauungsunterricht zuerst nur eine Erlernung der Präsensformen aller
gebräuchlichsten Verben erfordert, übertragen wissen, was meines Er-
achtens diesen schwierigen Ge^renstand bedeutend erleichtem würde. Auch
für die Art, wie der Unterridit vertieft, wie die Ergebnisse der Wissen-
schaft zur Aufhellung verwandt werden können, sind kostbare Winke ge-
geben. Und in der Erörterung über die Notwendigkeit, das Mafs, den
Nutzen der iinrammatischen Übungen zeigt sich wie überall die klare Be-
sonnenheit, die das einmal klar erkannte Ziel im Auge behält, ohne sich
von verführerischen Phrasen ('das Obersetzen ist eine Kunst, die die Schule
nichts angeht') täuschen zu lassen. 'Ein wirklich völliges Nebeneinander-
gehen der Muttersprache und der fremden im Bewufstsein kann demjenigen
nicht als das Wünschenswerte erscheinen, der an das Bedürfnis eines ein-
heitlichen|Bewulstseins, eines klaren|und geschlossenen Vorsttllungslebenß
250 Beorteiliiiigea and kmze AnMigea.
für die Schule denkt' (S. 69). Die als <iioeh offen' hingeBteUte Frage, ob
auch die Giammatik, wenigitene auf der Obostufe, in der fremden
Sprache zu behandeln sei, möchte ich des Schulen we^, wie die 'Lehr-
pläne', mit einem Nein beantworten. Das Mafii der geistig Arbeit, das
meines Erachtens bei einem guten grammatischen Untemchte yon dem
Aufnehmenden verlangt wird, scheint mir jede weitere Erschwerung durch
das fremde Idiom auszuschlieisen. Natürlich sind die neueren Bestim-
mungen für französische Schulen in bezug auf orthographische und gram-
matische Eligentümlichkeiten erwähnt weraen und wird ihre Berückmchti-
gung auch uns auferlegt
Dem Kapitel über die schriftlichen Arbaten ist ein besonderer Ab-
schnitt 'Briefe' und eine kurze Erörterung über den Bridwedbsel zwisdben
Schülern verschiedener Nationen hinzufügt worden. Sorefäitiges Ab-
wägen, bevor zu- oder abgesprochen wird, zdchnet audi oiese Erörte-
rungen aus, die in zweifelnaften Dingen der Eigenart der Schüler wie
der lichrer volle Freiheit zu lassen sich bemühen.
und dann kommen wir zu dem schwierigsten Kapitel des sprach-
lichen Unterrichts, der Lektüre. Noch gründlicher und ausführlicher
als bisher bemüht sich der Verfasser, sich mit den verschiedensten Grund-
sätzen, nach denen zunächst die Wahl der Lektüre getroffen wird, aus-
einanderzusetzen. Er erwägt den traditionellen Standpunkt, den idea-
listisch-moralischen, den humanistischen, wissenschaftlichen, literarhisto-
rischen, sprachlichen, ethnolonschen, wie in der alten Auflage, jedoch
ausführlicher und mit Hervorheoung dw Tatsache, dais die letz^enannten
sehr erstarkt sind und nun vor allem im Sinne des praktischen Bedürf-
nisses selten sollen. 'Solche Bücksicht mit derjenigen auf bildende Wir-
kung ^ies nur weniger in einem abstrakten Sinne genommen als früher
üblich) zu verbinden, muls möglich sein.' Wie wünschenswerter Freiheit
durch die Rücksicht auf Schule und Klasse, auf Lebensalter und Be-
fähigung ebensosehr wie durch allgemeine im Früheren entwickelte Ge-
Sichtspunkte Beschränkung auferlegt wird, zeigen nach den {grundsätz-
lichen Erörterungen auch die Einzelausführungen über die Stof£reise und
Einzelstoffe (S. 94<-104). Dais man hier am häufiraten Einwendungen
erheben und Zusätze machen möchte, ergibt sich aus der Natur der Sacne ;
jedoch wird man auch da die erstrebte Objektivität des Urteils anerkennen
und selbst bei seinen Lieblingsautoren sich gerechten Bedenken nicht ver-
schlieüsen können. Nur eine Absdiätzung scheint mir zu hart und ein-
seitig zu sein, die über die poetische Literatur der Franzosen: 'Die Poesie
der Franzosen ist nicht unsere Poesie, ihr Feuer macht uns nicht er-
glühen, ihr Pathos bew^ uns nicht im Innersten.' Ich glaube, hier ist
zu ausschliefslich die bei uns in Deutschland bevorzugte Schulpoesie ins
Auge gefafst worden, die epische Stoffe natur^mäls oevorzugt, und in
der das Pathetische einen zu grolsen Platz einnimmt. Ich glaube schon
bei den Romantikern, in den Naturstimmungen Lamartines, den klonen
liedem Mussets, den menschlich -einfachen Empfindungseedichten, die
auch in jeder Sammlung Y. Hugos zu finden sind, besonders dann aber
bei SuUy Prudhomme und den neueren Lvrikem, die allerdings zum Teil
germanisches Blut in den Adern haben, dicnterische Erzeugnisse zu finden,
ie sich den Perlen jeder anderen Literatur an die Seite zu stellen vermögen.
Bei der Behandlujig der L^türe ist jetzt eine grundsätzliche Er-
örterung der 'Frage ob Ül^rsetzen oder Nichtübcnetzen' hinzugekommen :
'die Deutung, Übersetzen oder Umsetzen?' Nachdem die Bedingungen des
Verzichts auf das Übersetzen — und ihrer sind nicht wenige, una sie zu
erfüllen, ist nicht leicht — entwickelt worden sind, wird eine Vermitte-
lung anzubahnen versucht, indem die beiden Wege^als nacheinander, dann
nebeneinander empfohlen werden: 'doch soll die Übung an und mit dem
fremden Text ^ schon auf dieser (Unter-)Stufe den breiteren Raum ein-
nehmen, die Übersetzung immer nur als Hilfe empfunden werden, nicht
BeurtahiDgen und kurze AnseigeD. 251
als Zweck und Ziel.' Man sieht deutlich den fartBchrittUchtti Standpunkt
des Verfassen ; dem Wunsche aber, dafii das, was bei grofser Kunst mög-
lich ist, in Zukunft einer weit grölseren Zahl von Leli^ni als jetzt mög-
lich werde, tritt doch der weise Bat zur 8eite (108), dais fOrs erste die
Mehrzahl am richtigsten es noch nicht wagen m5ge. Unrecht wäre es,
wenn 'das Lossagen bei unzulänglicher Kratt geschähe, dn Fliegenwollen
ohne rechte Flügel n09).'
Wie bei dem folgenden Kapitel fiber den 'Wortschatz' ein Abschnitt
'Erweiterung der Aufgabe' hinzuj^ekommen ist, der ein Inbeweffungsetzen
des Stoffes durch allerlei Gruppierungen behandelt, einen Blick auf die
Wortbildung, Wortgeschichte und die Bedeutungsentwickelung wirft, und
von ihrer Verwendbarkeit für den Unterricht spricht, so haben auch die
Erörterungjen über die Nebengebiete (Synonymik, Stilistik, Verslehre, Lite-
raturgeschichte, Sprachgeschichte) manche Bereicherung im einzelnen er-
fahren, sind auch um ein ganzes Kapitel 'Kulturgeschichte und Landes-
kunde' vermehrt worden.
In dem dritten Teil: 'Die Organisation des Unterrichts' ist (8. 149)
ein Abschnitt über die 'Höheren Mädchenschulen' hinzugekommen, der
der natürlichen Wesensanhu» der Mädchen in kurzen, aber treffenden Be-
merkung fferecht zu weraen versucht; ein Anhang (8. 158) behandelt
achlieishch 'Die Person des Lehrers'. Dals am Ende die Fachliteratur in
ihren wichtigsten E^rscheinungen, nach Gebieten geordnet, bis auf die
Gegenwart fortgeführt worden ist, erwähnte ich bereits.
Ich habe den reichen Inhalt des Buches nicht erschöpfen können,
brauche es auch nicht, denn jeder Fachmann kennt es. ich hätte die
beiden Auflagen Zeile fflr Zeile vergleichen müssen, um festzustellen, wie-
viel im einzemen hinzugekommen ist Ich habe nur die Hauptsachen er-
wähnt, die, die bei der Lektüre der zweiten Auflage jedem auffallen, der
die GManken der ersten sidi zu eigen gemacht hat Ich weiüai nicht, ob ich
fiberall die Unterschiede richtig geSroffen habe, denn auch so habe ich nicht
Seite für Seite vergleichen woUen, sondern mich auf das verlassen, was das
ans dem Buche Erarbeitete in mir geworden war. Auch die zweite Auf-
lage wird in jedes Fachmannes Hand und so die Nachprüfung leicht sein.
Man weiiB nicht, was man an dem Buche mehr bewundern soll, die
^wältige Arbeitsleistung oder die Bescheidenheit, mit der die Vorrede es
in die Welt schickt ü&chten wir aus beiden lernen. Ist es nötig, bei
jeder Kleinigkeit vom Sachlichen aufs Persönliche zu gehen? Da wird,
um nur ein Kürzliches Beispiel zu geben, an der einen Stelle mit den E^-
wendungen g^en die schon we|;en ihrer Seltenheit harmlosen Vorlesungen
durch nationale Rezitatoren eleich von den 'Stellungen gesprochen, welche
neuerdinffs anfangen, wackeOg zu werden' {Zeüamrifl für franxösischen
und engBsöhen Imterricht IV, 3, 193). Flugs tönt es von der anderen
Seite zurück, dais möglicherweise der Lehrer 4n den Augen der Schüler
bei einem Vereleidi mit dem Bezitator allzu ungünstig aoschneiden und
seine eigene Stellung womöglich erschüttert sehen' könne (Hartmann,
MiÜeüungen der deutschen ZofUrdUteUe für fremdspraehltehe ResUUUwneny
No. 19, S. 10). Man vergleiche einmal, mit welcher vornehmen Buhe
Münch ganz anders tiefgenende Meinungsverschiedenheit zur Sprache zu
bringen weiGs, und man wird endlich einmal aufhören, was den Gründen
an Durchschlagskraft fehlt, durch die Kraft der Ausdrücke zu ersetzen.
Die zweite Auflage der ^Methodik und Didaktik' Münchs möge uns
allen ein täglich gebrauchtes Handbuch werden.
Berlin. Theodor Engwer.
Arnold Schröer^ Prof. Dr., Die Fortbildung der neusprachlichen
Oberlehrer und das EngliBche und Französische Seminar an
der Handeb-Hochschule in Köln, (Sonderabdruck aus der Fest-
252 Beaitdlnngen und Yune Anzeigen.
Schrift znm XI. Deutschen Neuphilologentagei Pfingsten 1894, in Eöhi.)
Köln a. B., Panl Neubner, 1904.
Auch für den sich dem praktischen Lehrberuf an der Schule zuwen-
denden junfi^en Mann ist die üniversitfit nicht das Ende, sondern der
Anfang seiner wissenschaftlichen Arbeit, sie ist die Einführung in das,
was den Inhalt seines ganzen Manneslebens bildet
Aus den besonderen Aufgaben, die dem Lehrer einer lebenden fremden
Sprache zufallen, beantwortet sich die fVage nach den Bedingungen und
der Art seiner Fortbildung folgendermalsen : Sie muls eine Forteetzung
der wissenschaftlichen Sprachbcmbachtung sein, wie sie auf der Universität
angebahnt worden ist. Dazu ist nötig Gelegenheit zur Beobachtung, d. h.
Gelegenheit, geeignete Ausländer dauernd b^bachten und konsultieren zu
können. Dazu ist aber femer eine rdche Fachbibliothek erforderlich, die
die theoretische Erkenntnis jederzeit zu fördern her&t steht. Das Leben
des gerdften Mannes aber ist nicht Bezeption, sondern Produktion. Pro-
duktiv kann auch derjenige sdn, der nie eine Zeile zum Druck befördert;
auch der ist produktiv, der die überkommene Erkenntnis durch selbstfin-
diges Denken weitergestaltet und sich so zu einer fortschreitend wert-
volleren Lehrerindividualität entwickelt Wir brauchen kdne seichte prak-
tische Schul meisterei in der Schule und gelehrt scheinende Allüren aufser-
halb der Schule, sondern wissensdiafüiche Anregung aus der Schule und
wissenschaftliche Anregung für die Schule.
Die trefflichen Bemerkungen des Verfassers werden in einer Beihe
von Anmerkungen nach gewissen Bichtuneen hin weiter ausgeführt Nach
einem Blick auf die historische Entwickelung des Universitätsunterrichts
in unserem Fache wird die Bedeutung des wissenschaftlichen Studiums
für die Erkenntnis der lebenden Sprache, das Verhältnis von Wissenschaft
und Praxis beleuchtet und gezeigt, wieviel gerade für die wandelbare lebende
Sprache wissenschaftlich für den zu tun bleibt, der beständig Anregrnng
dazu durch die Bedürfnisse seines Unterrichts erhält Sehr treffend schdneo
mir die Bemerkungen über die Grenzen der Autorität des Ausländers, der
auch im besten Falle eben nur 'Beobachtungsobjekt' sein kann, und über das
Verhältnis des wissenschaftlichen Vertreters des Faches zu seinen Lektoren.
Dafs dieser so char^terisierten, notwendigen Weiterbildung des Leh-
rers neue Möglichkeiten zu den bisherieen, den im Amte befindlidieii
Männern nur selten erreichbaren, geschaffen werden, sollten alle meines
Erachtens mit Freuden begrüisen. Und wenn die Bedingungen dafür,
hervorragende Fachgelehrte, geeignete fremde Lektoren, reiche Bibliotheken,
dank der Opferwilliekeit städtisäier Eörpersdiaften zusammenkommen, so
scheint es mir natürlich im öffentlichen Interesse geradezu geboten, dafs
diese, wenn auch ursprünglich vielleicht zu Sonderzwecken vereinten
Kräfte nach den verschiedensten Seiten hin fruchtbar gemacht werden.
In voller Erkenntnis dessen hat sowohl SchrÖer der Handels-Hochschule
in Köln wie Morf der Sozial -Akademie zu Frankfurt a. M. Kurse anzu-
gliedern sich bestrebt, die Vereinigungspunkte für die neusprachlichen
Lehrer nicht nur der Stadt, sondern der Provinz geworden sind. Das
philologische Seminar in Köln, das sich bei Vorträgen und Diskussionen
in fremder Sprache auch weiteren Kreisen, MittelschuUehrem und Lehre-
rinnen öffnet, will in wissenscht^licher Weise der Praxis dienen, ähnlich
wie jetzt auch anderen gelehrten Berufen (den Medizinern z. B. die Aka-
demien für praktische Medizin) Fortbildungsanstalten nach der Universi-
tätszeit geschaffen werden. Das Frankfiurter Seminar hat, wie ich aun
dem 'Bericht des Bektors über die zwei ersten Studienjahre, W.-S. 1900 '02
bis S.-S. 1903' (Jena, Fischer, 1904) ersehe, eine englische Sektion. nur für
Lehrer, dag^en zwei Abteilungen in der romanisdien Sektion, die unter
der LeitnnG: Morf« stehen, 'eine^'ffir Lehrer, eine 'für 'Studierende der
neueren Sprachen.^ Der von der Unterrichts Verwaltung genehmigte Kursus
BeurteOimgeii und knize Anzögen. 258
für Studierende, der ein Öommer- und ein Wintersemefiter umfaist, ist im
April 1908 ins Leben getreten. Seither ist auch am englischen Seminar
der Akademie eine Abteilung für Studierende eingerichtet worden, und es
hat sich in ähnlicher Gliederung auch ein germanisches Seminar zum ro-
manischen und englischen gefügt.
Wir können den jungen Anstalten auch in dieser über ihre Ursprünge
liehe Bestimmung hinausgehenden gemeinnützigen Betätigung nur von
Herzen Glück wünschen; der Buf ihrer Leiter bürgt für das Gelingen der
Aulflnbe, die sie sich gestellt haben.
Berlin. Theodor Engwer.
Amftlift Cesano. Hans Sachs ed i suoi rapporti con la Lettera-
tura Italiana. Boma, Offidna poligrafica Italianai 1904. 108 S. gr. 8^.
Es freut mich immer, wenn Ausländer sich die deutsche Literatur
zum Arbdtsfelde wählen, vorausgesetzt natürlich, dsSa sie sich ihrer Auf-
gabe gewachsen zeigen und entweder die Forschung weiterführen oder
doch eine das Thema beherrsdiende geistvolle Zusammenfassung der bis-
herigen Forschungsergebnisse darbieten. Die vorliegende Arbeit ist zwar
löblich und anerkennenswert in der Absicht, aber leider in der Ausfüh-
rung nach beiden Seiten hin wenig glücklich.
Schon die beigegebene ^Bibliografia' lälst das erkennen. Sie ver-
zeichnet verschiedene brauchbare Werke, aber daneben auch teils recht
Teraltete, teils wertlose, teils durch moderne Leistungen langst überholte,
so z. B. 0. Haupt, Leben und diehterisehe Wirksamkeit des K Saehs, 1868 ;
Lützelberger, E, SachSf 1874; R. Gen^e, H, Sachs, 1888; Westermeyer,
H, SaehSf der Vorkämpfer der neuen Zeit, 1874, usw.; oder Werke, die mit
den einschlägigen Fragen weniff oder nichts zu tun haben, so z. B. Bla-
sis Della mta e delle opere di Pierre deÜe Vigne (1861); G<)eÜie8 Elegien;
L. Hirzel, Goethes Hai. Heise; Klein, Oescktehte des Dramas u. dgL mehr.
Dagegen fehlen die neueren und neuesten, geradezu unentbehrlichen Schriften
und Ausgaben: von der Ausgabe der Werke des H. Sachs in der Biblio-
thek des Literarischen Vereins sind nur die ersten von A. von Keller her-
ausgegebenen 12 Bände angeführt, die anderen (Bd. 18 — 25), von E. Goetze
besorgten, mit ihren wichtigen Nachträgen zu den früheren Bänden fehlen,
ebenso E. Goetzes Ausgaben der Fastnaichtspiele, der Fabeln und Schwanke
(Bd. 1 — 5), seine Monographie über H. Sachs in der 'Bayerischen Biblio-
thel^ usw. Der Name des Altmeisters E. Goetze kommt — unglaublich!
— nirgends in dem Buche vor. Man vermÜst ferner Oh. Schweitzers
Buch über H. Sachs, Dreschers Abhandlung K Saehs und Boeeacdo
(Festschrift zur Hans Sachs-Feier, hg. von Max Koch), des Referenten
Untersuchungen über Quellen der Fastnachtspiele, Fabeln, Märchen und
Schwanke des H. Sachs {Qermania, Bd. .^6 u. 37, Festschrift E, Saehs
Forsehiungeny hg. von A. L. Stiefel 1894, ZsoJu f. vgl. Literaturgeschichte,
Bd. 6, 8^ 10, Studien x. vgL Literaturgeschichte, Bd. II, 2 usw.), worin die ita-
lienischen Quellen einen breiten Baum einnehmen, und Goedekes Orund-
rifs, von anderen Werken oder Abhandlungen, sei es solchen, die zum
H. Öachs- Jubiläum 1894, sei es solchen, die später erschienen,' zu schweigen.
* Za den Abhandlungen, die noch speziell für das Thema in Betraeht kämen,
wären n. a. Mae Mechan, TU RekOion of B, Saeht to the Decameron (Halif. 1889),
und W, Abele, DU amtHoBU (Mkn de$ H, Sachi (Cannstadter Bealschulprogrammo
1897, 1899), zu sllhlen, die indes beide nach Form und Inhalt wenig empfehlens-
werte Leistongen sind, jener wegen seines pedantischen Schematismus, seiner Seich-
tigkeit und Unvollatftndigkeit, dieser durch seine schlechte Anordnung, seine trockene
geistlose Behandlung, die sich oft mit einer öden Au&&hlnng begnügt, und dann
fl«ia Heranziehen von Dichtungen, die mit dem Altertum nichts au tun haben
einerseits und seinen LAcken anderseits.
254 Beurtdlnngen und knnse Anidgen.
Unter solchen Umständen ist es erkärlich, dafe die Abhandlung den
wissenschaftlichen Anforderungen in keiner Weise entspricht. Cesano kennt
nur einen Bruchteil der in Betracht kommenden Werte des Dichters und
kennt nicht die über die Quellen des H. Sachs bereits erschienenen Ar-
beiten und was über seine Schaffen8wei8& über sein Verhalten den Quellen
gegenüber schon feststeht. Anstatt auf der früheren Forschung umsichtig
weiter zu bauen, sucht die Abhandlung mühsam aufs neue das MateriiS
zusanuneUy wobei viel wertloses Gestein und Schutt aufgehäuft, aber ge-
rade das naheliegendste beste Material vernachlässigt wird.
Die Arbdt zeugt noch von genügender Vertrautheit mit den groüsen
italienischen Dichtem der Frührenaissance, was aber über den Nürnberger
Meistersinger darin gesagt wird, ist nur eine auf zum Teil flüchtiger und
unkritischer Lektüre der angegebenen Literatur beruhende Zusammen-
stellung, in der Richtiges una Unrichtiges untereinander laufen. Sicher-
lich hat Verfasser au<£ einen Teil der besnrochenen Dichtungen des H.
Sachs gelesen, dafür sprechen schon die zahlreichen Zitate, ob aber immer
verstanden, das muis ich bezweifeln.
In der Anlage der Abhandlung ging Cesano (im L Kapitel) von dem
richtigen GManken aus, 'Cenni biognfici', d. h. Bemerkungen über den
Lebensgang des H. Sachs, über das Milieu, in dem seine Dichtungen ent-
standen, sein Verhalten zur Reformation, zum Meistergesang usw., dem
eisendichen Thema voranzustellen. Der Plan der Arbeit wäre soweit als
g^ungen zu bezeichnen; es bleibt aber zu bedauern, dafii Cesano im Haupt-
teil der Arbeit, im 2., 8. und 4. Kapitel, so verfälurt, als ob H. Sachs die
italienischen Autoren ohne Vermittefung von Übersetzunffen 'studiert' habe,
und erst im 5. Kapitel mit der Frage nachhinkt: 'Come Hans Sachs
conobbe le opere del Boccaccio.' Entschieden hatte diese Frage voran-
zugehen, una Verfasser durfte nicht sowohl die Originale als vielmehr
die Obersetzungen bei dar Vergleichung mit dem Nachahmer zugrunde
legen.
Wenn ich jetzt zu Einzelheiten übei|;ehe, so will ich mich bei der
Aufzählune der Unrichtigkeiten, soweit sie die Biographie des Diditers
und den Ji&stersesanff betreffen, nicht aufhalten; ich will auch nur neben-
her bemerken, dafii aie deutschen Zitate vielfach ganz entstdlt wieder-
gegeben sind, was nicht immer auf Rechnung des Setzers geschrieben
werden darf:* meine Bemerkungen sollen sich nur auf das dsentUche
Thema, auf die Beziehungen des H. Sachs zu der italieniedbien Literatur
beschränken. Als Quellen des H. Sachs sind in dem italienischen Buche
die Cknto naveüe afUieha, Petrarcas De rebus memorandis, De remeddü
iärnuque fortunae, Itrionfi und Le Epietole, Boccaccios De dairü muHeri-
hu8, De ecuilma virarum tüueiHuTn, De Oenealog, Deorum und Füoeolo be-
zeichnet Das ist einerseits zu viel, anderseits zu wenie. Es sind zu
streichen die Oento noveüe a$Uiehe, Petrarcas Itrionfi und Epütole und
Boccaccios De OenecUoata Deorum, welche H. Sachs nicht kannte. Dafür
wären als Vorlagen des Meisters anzuführen: Ph. Beroaldus,' Poggio*
Bracdolini, Enea Silvio Piecolomim,^ PöUdoro Virgilio,^ femer ist es sehr
wahrscheinlich, dafs Sachs noch einige italienisdie Schwank- und No-
^ So z. B. gewlA nicht SUbentrexmimgeii wie folgende: Spra-chge&ht (S. 18),
nttt-slichee (8. 27), Ba-aer (8. 77 bie), sit-Üiehes (ibid ), 6ehw-«nk (8. 100) usw.
* YgL meine Abhandlung Über die Queüen der H. Saehtechen Dramen ((?er-
fiurota 36, 8. 4 ff.)-
' Dem H. Sachs deatsch vorgelegen in Steinhöwels n. Brant-Adelphua' Etoptu»
^ Seine Eraahlong von Eorialae nnd Laeretia bearbeitete H. Sachs dareh Ver-
mittelung des K. Ton Wjle in emem Meistergesang.
' Mehiftoh von H. Sachs ist seine durch M. Tatins Alpinns 1687 verdentaehte
Schrift De rerum mventoribu» zu Meisterli^dem benvtst worden.
BenitdlongeD nnd kvrse AoMigen. 255
yelleDdichtungen, so z, B. die FaceÜe des Piovano Arlotto/ durch die
Vermittelang seines des Italienischen kundigen Freundes Niclas Braun
kennen lernte.*
Von dem ungeheuren Einflnis, den Boccaccio durch seine drei Werke
auf den Meistersfinger ausübte, hatte Cesano bei weitem nicht die richtige
Vorstellung. Auch das Über Petrarcas Einwirkung auf H. Sachs Gesa^
erschöpft in keiner Weise den Gegenstand.
Um mein Urteil zu belegeUi sdireite ich sogleich dazu, einzelne Stellen
aas der Arbeit anzuführen: S. 10 sagt Gesano, dafs nacn dem Erlöschen
der Linie der Hohenstaufen 'la letteratura italiana e la tedesca rimangono
estranee l'una all' altra fino a H. Sachs.' [Aber H. Vintler, Arigo, Stein-
bowel, A. y. Eyb^ H. Folz, Seb. Brant-Adelphus u.a.?] Femer :TH. Sachs
. . . senza aver vissuto in Italia . . . sente il fasdno d'una vita piü allegra,
d'una letteratura piü libera di quella del suo paese e la studia e innamo-
ratosene non se auontana piü.' Leere Phrasen l Die italienischen Autoren
in ihren meist sehr holperige Obersetzuneen waren für H. Sachs stoff-
liche Quellen nicht besser und nicht schlechter wie seine anderen. —
Falsch ist, dafs dem H. Sachs (S. 19) 'Plauto', femer Ambrosio, Isidoro
'erano famigliari'. — S. 22 heifst es: 'Erano gia apjparsi (von H. Sachs),
h yero dal 1517 al 1549, due o tre componimenti di questo genere
(Dramen) etc.' Das ist unrichtig. Bis 1549 hatte Sachs bereits 18 Fast-
nachtspiele und 20 Tragödien b^w. Komödien geschrieben. — S. 29 lesen
wir yon H. Sachs: 'attirayano pure la sua attenzione i primi nostri
Bcritti in yolgare . . . e lo accendeyano d'entusiasmo i grandi uma-
nisti italiani del secolo XIV. Gosi conobbe e in parte rese note al
sno popolo Le navelle antiche ... Le n. antiche lo attraeyano per la
STofonda psicologia e per la morale che racchiudono etc' Alle
ieee Dinge, yon denen die H. Sachs-Forschung nichts weiis, kann Gesano
nur auf übernatürlichem Wege, etwa durch ein nfichtliches Gesicht er-
fahren haben. — Eigentümlich ist folgende Motiyierung (S. 43): 'H. Sachs'
ammiro le opere del Petrarca, ma egli non pot^ e non yolle fermarsi a
Inngo sul mnde Aretino, sia forse perch^ dolente di non poterne
leggere il Ganzoniere, sia perch^ quanto alle idee reli^ose, si sentiya
troppo lontano dal poeta.' Ich nalte es nicht für nötiff, hier etwas hinzu-
ztirugen. — S. 45 zahlt Gesano die Spiele *Wte QoU der Herr Adam und
Skfa ihre Kinder segnet ed anche Die imaleichen Kinder Eva* (maü heüsen
Eye) unter die besten Dramen, 'che H. S. ha oomposto ispirandosi all
antico testamento.' Dafs der Dichter sich hier nicht aus der Bibel,
sondern aus anderen Quellen seine Inspiration geholt hat, ist langst be-
kannt (ygJL Oertnania, H. S. 83 — 35). — - *Frau Warheü will niemandt Her-
bergen — heifst es 6. 45 weiter — fu composta su di un capitolo delle
Beeiemmie e cose serie del Pauli. Baccontono il Pauli ed H. Sachs
come le quattro donzelle — Iniis Aqua Aer e Veritas stabiliBB.ero d'infor-
marsi k yicenda delle loro seai etc.' Hieran ist erstens die Übersetzung
begiemmie für Sehimpf (und Ernst) — also lautet bekanntlich der Titel
yon Paulis Schwankbuch — falsch und zeugt yon ungenügender Kenntnis
der deutschen Sprache des 16. Jahrhunderts. Gesano hätte soherxd oder
hurle schreiben müssen. Dann ist es nicht wahr, dafs in Sachsens Spiel
die 'quattro donzelle' yorkommen, Gesano hat offenbar das Stück nicht
gelesen. — S. SO wird Sadisens Schwank Der heeker mit den dreyen seit-
eamen etuet^cen auf die Oento navelle anziehe zurückgeführt, in der er sich
übrieens nur in der Ausgabe yon Giunti 1572 befindet. Sachs entnahm,
wie längst bekannt, die yielyerbrdtete Erzählung Pauli 423. — S. 63
stdit: 'rispirö (H. B.) alle noveüe antiche che erano yolte in tutte
* Vgl. meine H. Sachs- Fonehnngen, S. 78—83, 188—189; Studien f. vtrgl
UL Guck, H, 8. 161—165.
< Vgl. Zeüsckriß /. dmittehe Philologie, Bd. SS, S. 484.
1266 Benrtcilmigeii und knnse Aiuseigcn,
le lingue e del Petrarca lesse i libri Berum menwr., il trattato De re-
tnediis utrüuque fortunoß e le LetUre (in Latdn). Del Boccaccio conobbe
le opeie latine, leite probabilmente nelle traduzioni tedesche.' Hierzu
sei bonerkt: von Übmetznngeii der C. n. a. ist nichts bekannt Petrar-
cas beide ersten Werke las Öachs nur in den deutschen Übersetzungen
von Vigilius (1541) bezw. Stahl-Spalatins (1552), die keinem M.
Sachs -l^rscher fremd sind, und Boccaccios lateinische Werke nicht nur
wahrscheinlich, sondern sicher in den nicht minder bekannten Über-
setzunsen von BteinhÖwel und H. Ziegler. Wenn Cesano (S. 64) im
AnschluJGB an des letzteren Übersetzung der De eaailma virorum iUustrium
(1545) sagt: 'prima di lui Jacopo Micillo (Micyllus) aveva fatto il me-
aesimo Lavoro per il De Oenealogia Deorum,' so ist zu erinnern, dais dieser
Humanist zwar den lateinischen Text der Oenealogia 1532 'cum annota-
tionibus' (Basilea apud J. Heryacium), aber keine Verdeutschung yeröffent-
ücht hat. — Unrichtig ist auch, was Cesano S. 83 sagt: 'bisogna considerare
che H. Sachs, dopo ia Hroswitha, fu il primo scrittore drammatico etc'
EndUch ist noch zu erwähnen, dais Cesano in einer sonst rühmlichen
ispurate
gedie di JoeaHa e di (Xitemnestra possono annoverarsi fra i migliori
drammi del poeta.' — S. 86 : *La Lisabetta . . . si potrebbe giudicare un
perfetto lavoro drammatico se avesse uno sviluppo maggiore.' — S. 91
bis 92 : 'Questo meieterlied, (Die schererin mit der nasen) — betreffs dessen
'il poeta si h fondato senza dubbio suila novella VII, 8 (des Decamerone)'
— che per la yiyacitä e per Pumorismo potrebbe dirsi ... uno degii
Scherzi piu perfetti ed allegri, prova piutosto come il poeta gia nel 1538
. . • fosse tanto compenetrato dello spirito boccacceeco da ritrarlo in modo
meraviglioso, pur^allontanandosi daile concezioni del grande novellista.'
Das sind riesige Übertreibungen, zu denen Cesano teils das leicht zur Ein-
seitigkeit führende Spezialstudium, teils die mangelhafte Kenntnis des
Deutschen, teils — und dies zeigt besonders das letzte Zitat — die ganz
ungenügende Bekanntschaft mit den übrigen Queilea des H. Sachs und
mit seiner Schidfensweise verführte. Die schererin mit der naaen geht, wie
bereits Qoedeke, Dichtungen des K Sachs I, 108 — von C^esano noch
eigens zitiert — , angab, auf Das Buch der Beispiele der alten Weisen
HBidpai) und nicht auf Boccaccio zurück, und alle Vorzüge, die darin zu
nnden sind, gehören so ziemlich dem alten indischen Fabelbuch.
Nicht minder wie in der Beurteilung der Originalität und der künstle-
rischen Leistungen des Meistersingers verläist Cesano auch betreffs seiner
Moralität den festen Boden der Tatsachen. So lesen wir S. 43, dais
H. Sachs unter seinen Boccaccios De claris mtUieribtu entlehnten Gfe-
dichten 'non ripete le av venture della sciocca Paolina, n^ quelle della
greca Leena etc.' In Wahrheit hat S. von beiden Stoffen je einen Meister-
gesang (1537 bezw. 1544) gedichtet S. 7ü heilst es : 'Egli (H. S.) sceglie
. . . le novelle (Boccaccios) esenti da immoralitä, e quando tratta argomenti
che alquanto si allantanano dai suoi severi princim si afiretta a far cono-
scere le conseguenze del male.' Leider verdient H. Sachs dieses hohe Lob
nicht. Nicht nur hat er einige der bedenklichsten Novellen des Floren-
tiners (wie z. B. II, 7 und V, 4), sondern auch viele der widerlichsten
Zoten Poggios und anderer in MeisterHeder verwandelt, ohne jede MoraL
München. Arthur Ludwig StiefeL
Schädel; Bernhard; Mundartliches aus Mallorca. Halle a. S., B. Haupt,
1905. 43 S.
>^* Diese interessante Mitteilung über die lebenden Mundarten von Mal-
lorca, die der Verfasser in Erinnerung an gemeinsame Arbeit im roma-
Beurtdhmgen und kurze Anzeigen. 257
nischeo Seminar zu Zürich mir zu widmen den freundlichen €(edanken
hatte, setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Die ersten 29 Seiten geben
niit kurzen Einleitungen, die über die Sprachverhaltniase der Insel orien-
tieren, sechs Yolkstfimlidie Stücke in phonetischer Umschrift (nach Böh-
mer): zwd prosaische (Märchen) von Manacor (aus Jordi des Bec6,
ApUck de Bandayes MaUorquines, Oiutat de Mallorca 1896—1904) und vier
gereimte von Söller (aus J. BuUan, lAtercUura popuiar maüorquma,
Söller, 1900). Der Best enthält 'Bemerkungen zum Mailorkinischen'. Beide
Teile bieten eine Belehrung, wie sie nur der zu geben vermag, der im
lebendigen Verkehr mit Luid und Leuten auf Grund eingehender fach-
männischer Kenntnisse liebevoll beobachtet und gesammelt hat.
Im nördlichsten und im südlichsten Teile des katalanischen Sprach-
Sebietes, im Roussillon und in Valencia, ist das einheimische Idiom,
ort vor dem Hochfranzösischen und hier vor dem Kastiüschen, zum
blolsen Vulfärdialekt herabgesunken. Barcelona aber besals hinreichende
geistige Selbständigkeit, um der Muttersprache das Interesse der Gebil-
eten zu erhalten. Auf Barcelonesischer Basis hat sich, wie einst die alt-
katalanische Schriftsprache, so auch das literärkatalanisch der Benumiensa
des vorigen Jahrhunderts entwickelt Dieses Literärkatalanische ist auch
dem gebildeten Mallorkiner geläufig: es ist die interne Literatursprache
der Insel, neben der das Eastilische die Sprache des offiziellen Verkehrs
und eines auch für Spanien berechneten Schrifttums ist. AuDser diesen
beiden Schriftsprachen besteht der mallorkinische Dialekt als Um-
gangssprache auch der Gebildeten.
Aber auch innerhalb dieses mallorkinischen Idioms sind wachsende
zentripetale Kräfte wirksam: die Hauptstadt Palma beherrscht den Ver-
keliTy und vor der Palmesaner SprechweiBe schwindet die Sonderart der
Liokaldialekte zusehends. Der ländliche G^^nheitsdichter {ghsxadS; glu-
89d6 V, 5 scheint Druckfehler) verstummt. Wie Schule und Kirche sich
xa der Entwickelune der Dinge stellen, säet uns Schädel leider nicht
Zwei dieser Lokaldialekte gibt Schädd in seinen Märchen und Ge-
dichten lautüdi wieder: den der Stadt Manacor und den des abgelegenen
Talee Söller. Jener stdit dem Pidmesaner Idiom nahe; die Mundart der
SoUeriehs aber ist von ausgeprägter Eigenart — oder sie war es wenig-
stens, bis die Poststrafse das einsame Tal für Palma erschlols. Diese
£iffenart, welche die alten Leute und die Bewohner der Huerta noch be-
wiärt haben, stellt Schädel dar. Ein Vergleich seiner Transkriptionen
mit der traditionellen Graphie zeigt, wie wenig wir bisher von der wirk-
lichen Lautoestalt des Vulgärmal&rkinischen gewulst haben.
Ich be£ure, dafii Schädel die Texte nicht mit einer Übersetzung oder
weni^tens mit einem Glossar der schwierigeren Wörter versehen hat Er
sdireibt doch auch für solche, die aus dem Katalanischen kein Haupt-
fltndium gemacht haben, und denen einschlägige Hilfsmittel nicht zur
Verfügung stehen. Seine inhaltsreiche, so viel Neues bietende Studie ist
cdn Vorläufer weiterer, umfänglicherer Arbeiten:* das Interesse für diese
^ Sehadel ist — ich hoife nicht indiBkret m. sein ~ mit einer Darstellang
d«r katalanischen Mundarten anf breitester Basis beschäftigt. Das Unternehmen
erfreut sich der Mitarbeit anderer, auch einheimischer Sprachkundiger. Wir haben
alle Ursache, diesen neuen Qaben mundartlicher Forschung mit Spannung entgegen-
■osehen: hoffentlich wird sich unter ihnen auch ein Sprachatlas befinden. — Bei
diesem AnlaOi sei ein Wort ftber das TranskriptionssTstem gestattet. Schädel hat
Ar seine Zwecke Böhmers Zeichen nicht nur ergKnit (was ja unanfechtbar ist —
welchen Lantwert hat p S. 34 ? — ), sondern sie auch teUweise modifisiert. Er ItSAt
ftr palatales l das Zeichen hf bestehen, ersetit aber das tx (fttr palatales k bezw.
paL 0 durch h. Solche Modifikationen sind nicht nur deehalb unsweckmafsig,
weQ sie ans dem System (Notierung der Palatalisierung durch -y, •%) herausfallen,
AnhiT f. n. SpmdNn. CXY. 17
258 BeartedluDgen und Inirze Anzdgen.
zu wecken und Oberhaupt die romanische Mundartenforschung zu fördern,
ist das Bchöne Ziel seiner Bemühungen. Wer aber fördern und wirken
will, mula den anderen die Nachfolge möglichst Idcht machen.
In seinen 'Bemerkungen' gibt Sdiädel eine Bdhe äulserst interessanter
sprachlicher Beobachtungen, mit denen er auch manche überlieferte Mei-
nung richtigstellt.* Der Wandel von d ziu. 6 bereitet sich in Palma vor
und geht augenscheinlich von der Kombination txß aus.' Das Mallork.
kennt ein hc^toniges 9 aus lat. p (drgf\. Die Bandhierscheinungen der
Konsonanten sind sehr mannigfach; insoesondere bemerkenswert ist die
Wirkung von *: « + «><»; p + «>te, wonach die Artikelform eis von
Schädel sehr wohl auf ipse zurückgeführt werden darf (S. 42^. Er hat
überhaupt der wechselnden Laut^talt des Artikels eine eingenende und
sehr aufklärende Darstellung gewidmet : ipae ist gemeinmallorKinisch; nur
Pollensa scheint von alters ner iUe verwendet zu haben; wo sich sonst
(neben tpae) iUe findet, da ist es als vornehmere Form aus dem festländi-
schen Katalanisch eingeführt worden. — Zweifelhaft ist mir, ob S. 35 die
Filiation der Entspr^ungen des latein. gf*^ richtig ist. Fomalutx hat
nur y (vent, cf. altepan. ymte\ Söller hat duSni, aber nach Vokalen X9ni;
Palma nat tßCSnt und nach Vokalen eben&Us X^Snt, Die entscheidende
Indikation scheint mir, wie Schädel selbst, darin zu liefen, dafs auch die
nach Pausa stehenden Formen in Söller und in Palma den Verschlufs-
laut zeigen (dySrU, dX^Snf): danach ist der Verschlulslaut wohl überhaupt,
auch in Fornalutx, die ältere Lautstufe. Nach Vokal hat sich der
Verschluis gelöst, und der an dessen Stelle tretende Beibelaut hat sich in
Fomalutx verallgemeinert; in Söller und Palma hat sich seine ^alatale
Artikulation gegen die Alveolen zu verschoben. ^ und in Palma ist von
dieser Verschiebung auch der Verschlulslaut selbst (dy > dX) ererii^en wor-
den. Es ist dabei nicht auÜBer acht zu lassen, dals trotz ihrer Graphie die
dy^dX nicht mit d zusammengesetzte Laute, sondern einheitliche
^ilatale, resp. palatal-alveolare (stimmhafte) Explosivae sind. Daus ihre
Keduktion zu homorganen Reibelauten im Gremdnmallorkinischen nur nach
Vokalen eintritt, kann sehr wohl, wie Schädel meint, ein Fin^zeig für
die Entwickelung von dy, c^ zu y, X> in anderen romanischen Idiomen sein.
QewÜfl ist es Schädel gelungen, davon zu überzeugen, dais unser
Wissen von den katalanisch-mallorkinischen Idiomen viel lückoihafter ist,
als die Ausgaben entsprechender Texte uns vermuten lieben. Seine Mit-
teüungen haben aber auch davon Überzeugt, da& er der Mann ist, um
diese Lücke unserer Kenntnis auszufüllen. Die romanistische Forschung
darf auf diesem Wege von ihm reiche Förderung erwarten. H. M.
sondern aneh weil auf diese Weise jeder Forscher sich tatsächlich eine neae Um-
schrift schafft. Es empfiehlt sich ans praktischen Grflnden, bei einer der bisherigen
phonetischen Graphien zu bleiben. GkwiA sind iiy, fy, dy^ ix ^tc. sehr anglflck>
liehe Zeichen, aber sie haben den praktischen Vonng ererbter und weiter Ver-
breitung. — Übrigens wflrde ich aus ebensolchen praktischen Erwigungen cur
umf&nglichen Darstellung des Katalanischen das System Gilliiron wühlen, was
auch immer gegen einselne Zeichen eingewendet werden mag. Auch der AUaa
UngiMtique de la Svme romande tut dies. Wir würden dann Ar Sprachkarten, die
▼on Guemesey bis nach den Balearen, vom Yal d'Anniviers bis nach Bordeaux
reichen, eine einheitliche Graphie haben t
*■ Das palatale h (resp. t\ von dem 8. 35 die Bede ist, ist an-, in- und aus-
lautend ein weitrerbreiteter Laut romanischer, speziell auch galloromanischer Hund-
arten, so daA ich die Bemerkung des VerfiisserB nicht yerstehe.
* Es wäre sehr erwünscht, Aber den Umfang der Erscheinung Näheres zu
hören. Verh< sich hier betontes d und nebentoniges a gleich? Cf. SaWionia
Untersuchungen zum Lombardischen (Studi dißL romama YTO. 1 ff).
Verzeichnis
der vom 13. Juni bis zum 1. Oktober 1906 bei der Redaktion
eingdauf enen Druckschriften.
The American Journal of philology. XXVI, 2 [Beview: Boot's Clasei-
cal mytholo^ in ShakespeareJ.
ZeitBchmt für österrdchische Volkskunde. XI, 8, 4 [M. Haberlandt,
Über Baufwerkzeupe der Innviertler BauembuTBcnen. — J. Blau, Vom
Briseitabak und semer Bedeutung im Volksleben der Böhmerwaldgegend
um Neuem. — J. Franko, Eme ethnologische Expedition in das Sojken-
land. — Kleine Mitteilungen etc.].
Festschrift, Adolf Tobler zum siebzigsten Geburtstage dargebracht
▼on der Berliner GheseUschaft für das Studium der neueren Sprachen.
Braunschweig, Q. Westermann. VI, 477 8.
Meyer -Binteln, Wilhelm, Die ScUöpfung der Sprache. Leipzig,
Grunow, 1905. XVI, 256 S.
Gutro, Emil, Das Doppelwesen des Denkens und der Sprache. Ber-
lin u. Keuyork, Internationale physio-psYchische Gesellschaft XV, 279 8.
Dittrich, Ottmar, Die Grenzen der Sprachwissenschaft. Ein pro-
grammatischer Versuch [S.-A. aus Neue Jahrbücher f. d, Idasaisehe Atter-
tunh öesekiehte und deutsche Literaiurf XV]. Leipzig u. Berlin, Teubner,
1905. 20 8.
Breysig, Kuit, Die Entstehung des Gk>tteBgedankens und der Heil-
brinser. Beriin, Bondi, 1905. XI, 202 8.
Bkeat, W. W., A primer of classical and English philology. Oxford,
Clarendon Fiess, 1905. VIII, 101 8. 2 sh.
HoroYitz, Josef, 8puren griechischer Mimen im Orient. Mit einem
Anhang über das ägyptische Soiattenspiel von Friedrich Kern. Berlin,
Mayer A Müller, 1905. 104 8.
Wolf, Johuines, Geschidite der Mensural-Notation von 1250 — 1460.
Nach den theoretischen und praktischen Quellen bearbeitet. Teil I: Ge-
schichtliche Darstellung. X, 424 8. M. 14. Teil II: Musikalische S^ft-
pToben des 13. bis 15. Jahrnunderts. VIII, 150 8. M. 8. Teil III: Über-
tragungen. VIII, 202 8. M. 8. Leipzig, Breitkopf & Hfirtel, 1904.
Festschrift zur Feier des 50jfihrigen Bestehens der Liebig-Beal-
schule zu Frankfurt a. M. am 18. Juni 1905. Gestiftet von Freunden
der Schule. Ldpzig und Frankfurt, Kesselringsche Hofbuchhdlg., 1905.
VI, 157 8. [Dann: F. ßothe. Zur Geschichte der Anstalt 8. 1—46. —
F. Dörr, Vom Unterricht in den neueren Sprachen seit 1890. S. 68 — 78.]
Literaturblatt für germanische u. romanische Philologie. XXVI, 6 — 9
(Juni — September).
Modem language notes. XX, 6 [A. 8. Cook, Notes on Shelley. —
K. SiUs, Another word on Dante's Cato. — L. H. Holt, Notes on Ben
Jonson's Volpone. — G. L. Swiggett, Notes on the Finnsbury fragment
— Beviews, oorrespondsnce].
17*
260 Yerzdchnis der dngelaufeDon Dracksdiriften.
Die neueren Sprachen ... herausgegeben von W. Vietor. XIII, 8
\13., Büttner, Die schrif^chen Elassenarbeiten, ein Vorschlag zu ihrer
Beform. — K. Meyer, Ober Shakespeares Macbeth (Schlufs). — B. J.
Lloyd, Glides between consonants in English (V). — Besprechungen. —
Vermischtee].
Schweizerisches Archiv f. Volkskunde, hg. v. £. Hoffmann-Erayer
und J. Jeanjaquet. IX, 1 [£. A. Stückdberg, über Pergamentbiider.
— A. Bossat, Les Panicrs^jpo^me patois (suite^. — S. Mever, Volkstüm-
liches aus dem Frei- und E^eramt — Miszellen: A. Zindel-Kresüg, Die
Ejiabenschaften von Sargans. — E. Hoffmann-Krayer, Zum sog. E^ker-
lied. -— M. E. F., Ein Auswandererlied. — J. Jeanjaquet, Formulettes
enfantines de la Suisse romande acoompa^ant V^coigage du saule. —
A. Ithen, Über Tfinze im Eanton Zug. — Bucheranzeigen. — El. Chronik.
— Bibliomphiej.
NeupnilolosiBche Mitteilungen', hß, vom Neuphilolog. Verein in Hel-
singfors, 1905, N^. 3 [A. Wallensköld, La simplification de l'orthographe
fran9aise. — Besprechungen. — Die schrifthchen Maturitätsproben im
Frühjahr 1900. — Protokoll des Vereins. — Eingesandte Literatur. —
Mitteilungen].
Modem Jphilology. III, 1 [J. L. Lowes, The dry sea and the carre-
nare. — J. £. Matzke, Some examples of French as spoken by English-
men in Old French literature. — O. Heller, Ahasver m der Eunsraich-
tung. — Q. F. Beynolds, Some principies of Elizabethan Staging, part II.
— H. G. SiUs, Beferences to Dante in 17^^ Century Engl üterature. —
B. Holbrook, 'Midtre Pateiin' in the Gothic editions, by P. Levet and
G. Beneaut. — G. L. Swisgett, Schlegel's fragment 'Die Amazonen', a dis-
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Wvchgram, J., Stephan Waetzoldt [S.-A. aus 'Frauenbüdung',
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Im Selbstverlage des Verfassers. 22 S.
Ford, J. D. M., 'To bite the dust' and symbolical lay communion,
1905 rS.-A. aus den PubliecUions of the Mod, AssoeüUion of Ämerioa XX,
197 — ^230. Eine interessante, wohldokumentierte Untersuchung 1) über die
Bedensart, die der Titel gibt (franz.: mordre la pousMre; deutsch: die
JErde (ins Oras) beifsen; span.: morder la tierra etc.), und die wohl aus
dem antiken modere terram hervorgegangen ist, und 2) über die Not-
kommunion des sterbenden Eriegers: span. ooniulgar de la Herra, auch
italienisch; vgL deutsch: ein broeemen von der arden brechen; altfranz.
aoomenier de T herbe, deren Ursprung (heidnische Elemente) unbestimmt
gelassen wird].
Nagl, J. W., und Zeidler, J.. Deutsch -österreichische Literatur-
geschichte. 27. Lieferung, bez. 10. Lieferung des Schlufsbandes. Wien,
SVomme. S. 433—480. M. 1.
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1905. 34 S.
Weise, Oskar, Prof. Dr., Ästhetik der deutschen Sprache. ^. verb.
Auflage. Leipzig u. Berlin, Teubner, 1905. VIU, 328 S.
VerzeichniB der emgelaufenen Drucktchriften. 261
Wülfing, J. Ernst, Was mancher nicht weiis. Sprachliche Plaude-
rden. Jena. Hermann Costenoble, 1905. YIII, 192 8. Geb. M. 2,50.
Hen senke, Margarete, Deutsche Prosa. Ausgewählte Beden und
Essays. Zur Lektüre auf der obersten Stufe höherer Lehranstalten zu-
sammengestellt. Mit 4 Abbild, und 7 Tafehu 2. Aufl. Leipzig u. Berlin,
Th. Hoftnann, 1905. XVI, 423 S. Geb. M. 8,50.
Lessing, G. R, Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und
Poesie. Für den Schulsebrauch hg. von Dr. Martin Manlik. Mit einer
Abbildung. I.Auflage (Freytags Schulaus^ben und Hil&bücher für den
deutschen Unterricht). Leipzig, Freytag ; Wien, Tempsky, 1904. 128 S.
Geb. M. 0,60.
Goethe, W.y., Dichtung und Wahrheit In Auswahl. Mit E^lei-
tung und Anmerkun^^ versehen von Schulrat Dr. Leo Smolle (Graebers
Schulausgaben klassischer Werke). Leipzig, Teubner. XII, 83 S. M. GL50.
Bäumer^ Gertrud, Dr. phil., GK>euies Satyros. Eine Studie zur Ent-
Btehungs^chichte. Leipzig, Teubner, 1905. 125 S.
Scn liier, Friedrich v., Maria Stuart, ein Trauerspiel. Für den Schul-
gebrauch hg. von Edmund Aelschke. 1. Aufl. (Freytags Schulausgaben
und Hilfsbucher für den deutschen Unterricht). Leipzig, IVeytag; Wien,
Tempsky, 1904. 171 S. Geb. M. 0,80.
Schlegel, Friedrich, Fnugmente und Ideen. Hg. von Franz Deibel.
Mit dem Porträt Schlegels unadem Faksimile einer Briefseite QDie Frucht-
schale. Eine Sammlung, III). München u. Leipzig, Piper. XXVIII, 290 S.
Spiefs, Heinrich, Dr., Direktor am Gvmnasium in Bochiun, Die
Lyrik des 19. Jahrhunderts. Für den Schulgebrauch herausgegeben (Frey-
tags Schulausgaben und Hilfsbücher für den deutschen Unterricht). Leip-
zig, Freytog; Wien, Teinpsky, 1905. 232 S. Geb. M. 1,50.
Graf, Emma, Dr., Kahel Vamhagen und die Romantik (Literarhisto-
rische Forschungen, hg. von J. Schick und M. Frh. v. Waldberg, XXVIII).
Berlin, Felber, 1903. 106 S. M. 2,20.
Melchior, Felix, Heinrich Heines Verhältnis zu Lord Byron (Lite-
rarhistorische Forschungen, hg. von J. Schick und M. Frh. v. Waldberg,
XXVII). Berlin, Felber, 1903. X, 170 S. M. 3,50.
Platen, August Graf von, Tagebüdier. Im Auszug^e hg. von E^rich
Petzet. Mit Portrat, Abbildung des Grabmals und Faksimile der letzten
beiden Tagebuchseiten. (Die Fruchtschale. Eine Sammlung, II.) München
u. L^pzie, Piper. XX, 400 S.
IJi Heb Del, Friedrich, Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe
besorgt von lUchard Maria Werner. Dritte Abteilung. Briefe, 2. Band
1839—1848: Hamburg- Kopenhagen — Hamburg -Paris, Nr. 92—172. Ber-
lin, Behr, 1905. Vlfl, 870 S. M 3.
Vierordt, Heinrich, Ausgewählte Dichtungen. Mit einem Vorwort
von Ludwig Fulda. Heidelberg, Winter, 1906. VlII, 152 S. Kart. M. 1.
Lilien fein, Heinrich, Heinrich Vierordt, das Profil eines deutschen
Dichters. 1. und 2. Auflage. Heidelberg, Winter, 1905. IV, 70 S.
Kart M. L
Plawina, Oswald, Aus Zeit und Leben, Gedichte. Tuntschendorf,
Veith, 1905. 78 S. M. 1.
Menge, Karl, Dr., Dispositionen und Musterentwürfe zu deutschen
Anätzen. 2. verbesserte Auflage von Prot Dr. O. Weise. Leipzig u.
Berlin, Teubner, 1904. VIII, 127 S.
Vietor, Wilhelm, Prof., Deutsches Lesebuch in Lautschrift (zugleich
in der amtiichen Schreibung). Als Hilfsbuch zur Erwerbung einer muster-
gültigen Aussprache. E^ter Toll: Fibel und erstes Lesebuch. 2., durch-
gesehene Au£[^[e. Löpzig, Teubner; London, Nutt; Paris, Ellincksieck ;
Neuyork. Lemdce & Blicnner; Amsterdam, Sülpke; Kopenhagen, Ürsin,
1904. XU, 158 S.
262 Yensdehiiis der cmgdaiifeDeii DrackKhrifteD.
Methode Toueeaint-LaDgenecheidt. Briefiicher Spnch- und Sprecb-
unterricht f. d. Selbetstadinm der Bchwedischen Sprache tob EL Jona»,
£. Tuneid, G. G. Mor^n. Berlin, Luigeoscheidt »rief 27—30 sa IL 1.
Enfflieche Studien. XXXV, 2 [J. Laidler, A hietory of paetoral drmmi
in England until 1700. — J. 8. Starkey, Henry Reynolds, *The tale of
NarciBSue'. — W. J. Lawrence, A forgotten reetanration playhoiiBe. —
Besprechungen. Mietellen]^
BeiblaU zur Anglia. JCSTI, 6—9 (Juni — September).
Scottish histori^ reriew. 11, S [A. Laug, Hie houaehold of Mary
Queen of Scots in 1578. — R. C. MacLeod, Side liffhtB from the Dud-
▼e^an charter ehest. — Th. Duncan, The Queen's Ikuuries. — G. A. Sin-
cl&r, The Soots at Solwar Moss. — Arc£ihald Black Scott, Nynia in
northem Pictland. — J. C. Watt, Dunnottar and its barons. — W. R
Scot^ Scottish industrial undertakings before the union. — C. S. Tenr,
The battle of GlenshieL — £. Dupont, Le Ghftteau de &ix, en Nonnan-
die. — Review].
Bausteine, Zeitschrift ffir nenen^lische Wortforschung, unter Mitwir-
kung des neuphilologischen Vereins m Wien hg. von Leon Kellner und
Gustav Krüeer. Berlin, Langenscheidt, 1905. I, 1, 83 S. JShrlich
6 Hefte, M. IB [L. Kellner. Suggest, Suggestion, suggestive. — H. Bichto-,
Ghatterton's Rowlev-Sprache. — Kleine Notizen, 'ngen und Antworten,
BOcherschau, Plauderecke, Zitierschlfissel. A. Mussana fl.
Beowulf nebst dem Finnsburg-Bruchstück. Mit Einleitung, Glossar
und Anmerkungen herauseegeben von F. Holthausen. L Tw: Texte
und Namensverzeichnis (Alt- und mittelenglische Texte, hg. von L. Mos-
bach und F. Holthausen, III). Heiddberg, G.Winter; Neuyork, G. E.
Stechert, 1905. VII, 112 S. M. 2,20.
Bibliothek der angelsachsischen Prosa, begrflndet von Chiistian W. M.
Grein, fortgesetzt von Richard Paul Wfllker. 6. Band. Kldnere angel-
sächsische Denkmiler I: 1. Das Leeceboc 2. Die Lacnunga mit f^nm-
matischer Einleitung. 8. Der Lorica-Hymnus mit der angelsSchmechen
Glossierunff nebst emer Abhandlung Aber Text und Spracne des Denk-
mais. 4. Das Lorica-Gebet und die Lorica- Namen. Herausgegeben von
Gfinther Leonhardi Hamburg, Grand, 1905. 242 S. M. 10.
Derocqui^ny, Dr. Jules, A oontribution to the study of the French
dement in English. A thesis submitted to the faculty of letten, Üniver-
sity of Lyons. LiUe, Bisot, 1904. 176 S.
Schoenwerth, Rudolf, Die niederländischen und deutschen Bearbei-
tungen von Thomas Kyds Spanish Tragedy (Literarhistorische Forschungen,
hg. von J. Schick und M. Frh. v. Waldberg, XXVI). Berlin, Felber, 190S.
CXXVIII, 227 S. M. 8.
Koeppel, K, Studien über Shakespeares Wirkung auf zeitgendesiache
Dramatiker (Materiidien zur Kunde des älteren englischen Dramas, h|^ von
W. BanR, IX). Louvain, Üystpruyst; Leipzig, Harrassowitz; London, Nntt,
1905. AI, 108 S. M. 5,60.
Vershofen, Dr. Wilhelm, Charakterisierung durch Mithandelnde in
Shakespeares Dramen (Bonner Beitrage, XX). Bonn, Hanstein, 1905. 157 8.
Shakespeares ausgewählte Dramen. II: The merchant of Venioe» er-
klärt von H. Fritscne, 2. Aufl. bearb. von L. Proescholdt XXX,
104 S., Anm. 61 S. Geb. M. 1. — VII: Julius Caesar, erklärt von Alex-
ander Schmidt, neue Ausgabe von Hermann Conrad. 114 S., Anm.
113 S. Greb. M. 1. (Weidmannsche Sammlung.) Berlin 1905.
Lees Trauerspiel Theodosius or the force of love von Dr. Fritz Besä
(Literarhistorische Forschungen, hg. von J. Schick und M. Frh. v. Wald-
berg, XXX). Berlin u. Leipzig, Felber, 1904. 219 S. M 4,5a
Vendchnis der eingieUafcnen Druckscfariften. 268
Shaftesbur^y Untenuchung über die Tueeiid. Ins Deutsche Über-
tragen und mit einer Einleitiing Tersehen von Paul Ziertmann, Ober-
lehrer (PhOofiophiBche Biblioth^, 110). Leipzig, Dürr, 1905. XY, 122 S.
Derocaui^ny, Dr. Jules, Charles Lamb, sa vie et ses osuyree (Tra-
Taoz et memoires de l'universit^ de Lille. Nouvelie wgrie, I: Droit,
Lettres. Fascicule 8). Lille, au si^e de Tuniversit^, 1904. 415 S. 12 fr.
Dalrymple, Cochrane Maxton, Dr., Kipling^s Prosa (Marburger
Stadien zur englischen Philologie, IX). Marburg, £lwert, 1905. 104 S.
Collection of British authors. Tauchnitz edition. ä M. 1,60.
VoL 3814: Marie Corelli, Free opinions.
, 3815: F. F. Moore, The white causeway.
, 3816 — 7: M. Pemb ertön, Mid the sick arrows.
„ 3818: £. W. Hornung, Stingaree.
. 3819--20: 'Rita' Queer Lady Judas.
, 3821: H. G. Wells, A modern Utopia.
, 3822: Agnes and Egerton Castle, Kose of the world.
„ 3823—4: £. Bobins (C. £. Baimond), A dark lantem.
, 3825: Jerome E. Jerome, Idle ideas in 1905.
, 3826--7: M. £. Braddon, The rose of life.
, 3828: A. £. W. Mason, The watchers.
, 3829: B. M. Croker, The old cantonment with other stories of
India and dsewhere.
jf 3830: W. D. Howells, Miss Bellard's Inspiration.
, 3831: Helen Mathers, The ferryman.
, 8832—3: E. F. Benson, The Image in the sand.
„ 8834: A. Ch. Swinburne, Love's cross-currents.
, 3835: Fiona Macleod, The sunset of old tales.
^ 8836: Dorothea Gerard, The improbabie idyL
, 3837: Bobert Louis Stevenson, Tales and fantasies.
, 3838: Lady Broome, Colonial memories.
, 3889—40: Kichard Bagot, The passport.
Kruisinga, M. A., Ph. D., A grammar of the dialect of West Somer-
set, descriptive and historical (äonner Beitrage zur Anglistik von M. Traut-
mann, XVIII). Bonn, Haustein, 1905. VI, 182 S. M. 6.
Curme, Prof. G. 0., A grammar of the German Language designed
for a thorough and mctical study of the language as spoken and wiitten
tO'day. New York, The Macmillan Company ; London, Macmillan, 1905.
XX, 662 S. M. 3,50.
Damm holz, R, Prof. Dr^ Enjriisohes Lehr- und Lesebuch. Aus-
gabe B. IL Teil, Oberstufe. Band I: Grammatik. 2. AufL Hannover
u. Berlin, Carl Meyer, 1904. XIV, 255 S. Geb. M. 2,70.
DubislaT, Prof. Dr. G., und Boek, Prof. Paul, Methodischer Lehr-
0uig der englischen Sprache für höhere Lehranstalten unter besonderer
Serücksichtigung der Madchenschulen in zwei Teilen. Erster Teil: Lese-
und Eiementarbuch. Mit einer Karte Yon England, einem Plan von Lon-
don und einer Tafel der englischen Münzen. Zweite Auflage. Berlin, Weid-
mannsche Buchhdlg., 1905. XII, 208 S. Geb. M. 2,50.
Görlich. E., und Hinrichs, H., Kurzgefalstes Lehr- und Übungs-
buch der englischen Sprache für Realschulen, Realgymnasien, soTde für
Beformschulen und Gymnasien. Paderborn, Schöningn, 1905. XII, 348 S.
Mitcalfe, Constance, EngUsh made essy. Eine neue Methode, Eng-
lisch lesen, schreiben und s{)r6chen zu lernen. Besonders geeignet für
Privat- und Pensionats-Unterricht. Dresden, Folze, 1905. X, i45 S. Geb.
M. 2^0.
Plate, H., Lehrgupg der englischen Sprache. IL Mittelstufe. Me-
thodisches Lehr- und Übungsbuoi mit beigefüf^, auf das Lesebuch
Bezug ndimender Sprachlehre. 61., der Neub^beitung 8., Auflage, durch-
264 Yerzeiclmia der eliigelaufeDeD DrackBchriften.
reheii Ton Oberlehrer Dr. Karl Mfineter. Leipzig, Dreeden, Berlin,
Ehlermann; Friese & Laag, Wien I, BrännerstralBe d. VIII, 868 8.
Qeb. M. 2,90.
Beichel, Dr. E., mid Blflmel, Dr. Magnns, Lehrgang der engUschen
Sprache. Leee- und Übungsbuch. Mit einem Plane von London und
einer Karte des britidchen Weltveiches. Breslau, Trewendt & Granier,
1905. VIII, 254 8. M. 5.
Böttgers, Prof. Benno, Englische Schulmmmatik. Bielefeld und
Leipzig. Velhagen & Elasing, 1905. XU, 280 8.
ScnW|icker, A., Lehr- und Lesebudi der englischen Sprache nach
der direkten Methode. Mit mehreren Abbildungen und einem lieder-
anhange. 14. Auflage. Hamburg, Meiisner, 1905. VIII, 812 8. M. 1,20.
Sevin, Ludvdff, Elementarbuch der englischen Stäche nach der
analytischen Methoae bearbeitet. 2. Teil. 2. Auflage. Karlsruhe, Biele-
feld, 1905. Vin, 228 8. M. 2,80.
Selections from Enfflish poetry. Auswahl englischer Dichtungen Ton
Dr. Ph. Aronstein. Mit 14 Illustrationen (Velhagen & Klasines Samm-
lung französischer und englischer Schulausgaben. English autnors 104).
Bielefeld u. Leipzig, Velhagen & Klasing, 1905. XII, 816 8. M. 2.
Beer, Taco M. de, und Irying, EL Jane, The literary reader,
a handbook for the higher dassee in schools and for home teaching.
III. The nineteenth Century. Part 11. 4. ed. revised by Taco H. de Beer.
Halle, GeeeniuB, 1905. XU, 520 8.
Mason, Ch. M., The counÜes of England, ausgewählt und erklärt
Ton Dr. Otto Bndke, Prof. am Realgymnasium in Stralsund. Mit fünf
Abbildungen und einer Karte Ton J^gland. Berlin, Weidmann, 1904.
Vin, 190 S. Geb. M. 1,60.
Fulda, Ludwig, Unter Tier Augen, Lustspiel In l Aufzug. Zum
Übersetzen aus dem latschen in das Englische bearbeitet von Dr. Ph.
Hangen (EkiKlische Übungs-Bibliothek, 21). London, Nutt; Dresden,
Ehlermann; Glasgow, Bauermeister; Neuyork, Dyssen & Pfeiffer, 1905.
VIII, 88 8. Geb. M. 0,80.
Bomania, p. p. P. Meyer et A. Thomas. N° 184 rayril 1905)
[A. Thomas, Gloses proven^ales in^tes, tir4ee d'un ms. des DeriwUumea
d'Ugucio de Pise. — G. Huet, Sur qqs formes de la lösende du öhevalier
au eygne, — P. Meyer, Notice du ms. 305 de Qneen^s College, Oxford
Qi^gendier fran$ais). — B. Weeks, Etudes »vaAliscana (suite). — Mflanges:
r. Meyer, L'inscnption en yers de l'^p4e de Gauvain. — G. Raynaud,
Une nouyelle version du fabliau de La Nonnette. — A. Thomas, Ponthus
de La Tour-Landri; — Norm, eaieu 'moule'; — franc. tnüoum; — proy.
eolonhet et eolonhier 'fusain'. — A. Dauzat, Proy. bodosea, hedoeea. —
C. Nigra, trekawda (H'^-Sayoie), trehmcdS, trakudS rAoete) etc. — Gorrec-
tions: A. Mussafia, Per il IHstano di Beroul ed. Muret — Comptes ren-
dus. — P^riodiques. — Chroniques].
Beyue des langues romanea. XL VIII, 3 [P. Barbier, fils, Le mot
bar comme nom de poisson en fran^ais et en angtais. — A. Boque-Ferrier,
Jana de Mottrmeiraun, essai de reetitution d'un chant populidre Mont-
pelli^rain. — F. Castets, / Dodiei Oanti, compl6ments ä rintroduction. —
A. Vidal, Lee d^lib^rations du conseil communal d'Albi de 1372 ä 1388. —
Bibliographie].
Archivio glottologico italiano, fondato da G. J. Ascoli, continuato
sotto la direzione di C. Salvioni. Torino, Ermanno Loeecher, 1905.
Vol. XVI n° 3, Seite 395^658. Lire 12,50 [C. Salvioni, Appunti sull'an-
tico e modemo lucchese. — Cremon. aetUumaja = soprannome (yon eo-
atume). — Lomb. rierdi = pipistrello. — S. Santangelo, II vocalismo del
Yeneichnis der angelaufenen Drucdmchriften. 265
dialetto d'Aderno (Gatania). — 0. Salvloni, buglM), högno. — • Venez. m-
nkui SS porca, ajaola (von marugffia, terra fnaneggtata). — Friiü. puMe
= feoda (*pdnita). — P. E. Gnaraerio, II Sardo e il Gono in ona nnova
daaaificazione delie lingue romanze. G. yertritt die Meinung, daOi das
KorsiBche mit unrecht zum Sardischen gezogen werde, wie dies W. Merer-
liübke, Mnfiihruna 8. 16, tut; das Kornsche mvitiere zum feetländiBcnen
Italienisch, speziell zum Toskanischen. — 0. Salvioni, boukmger, weist das
Wort auch ui Lomb. nach. — G. Toppino, II dialetto di Gastellinaldo
(Piemontesisch). — C. Salvioni, Santhtä (=r Banta Agata). — Poesie in
dialetto di Cavergno (Yalmag^a). — Rass^a biblio^afica. — Indioe del
▼olnme, ein Yortrefflicher Inoex, der Aber 60 zwei- bis dreispaltige Seiten
fallt — Aggiunte e correzioni].
Studj romanzi, editi a cura di R Monaci (Sodetä filolonca romana).
Borna, deposito presso Erm. Loescher, 1904. Heft m, 155 8. Lire 7
[EL Monaci, Per la toponomastica italiana. — G. J. Ascoli, Bioordi oon-
oemento la toponomastica italiana. — E. G. Parodi, La data della eom-
posizione e le teorie politiche deU'ih/emo e del PurptUorio di Dante, ein
Hochinteressanter Aufsatz zur Entwickelungsgeschichte des Danteschen
Ghibellinismus; Inferno w&re demnach nicht später als 1806 abgeschlossen
and Puirpaiorio zwischen 1808 und 1818 geschrieben. — 8. Suitangelo, II
manoscritto provenzale U. — G. Marchesi, La prima traduzione in Yolgare
italioo della Fareaglia di Lucano e una nuova redazione di essa in ottava
lima. — G. Nigra, Note etimologiche e ieesicali. — G. J. Ascoli, Intomo
ai consinuatori cörsi del lat ip9u\ der Verf. nimmt willkommene Ver-
anlassung, Yon der Stellung des Korsischen unter den roman. Sprachen
zu. reden, und hebt, unter Berufung auf seinen berühmten Aufsatz im
VIIL Bande des ArMvioiß, 111), Zusammenhänge zwischen Korsisch und
Sardlnisch hervor, ohne Guamarios Ansicht abzulehnen. — G. Grodoni,
Lo studio sul dialetto marchigiano di A. Neumann-Spallart. — G. Bertoni,
Un nuoTo testo volsare del sec. XIII. — Un nuoTO accenno alla rotta di
BondsYalle. — No&ie].
Bomanische Forschungen. Organ für romanische Sprachen und Mittel-
latein, hg. von K. Voll mö Her. XVI, 8 [M. Huber, Visio Monachi de
ESynsham, zum erstenmal kritisch herausgegeben. — P. Marchot, Etymo-
logies. — L. Jordan, Peros von Neeles gereimte Inhaltsansabe zu emem
Siunmelkodex, mit Einleitung und Glossar zum erstenmal herausgegeben.
— J. Luzi, Die sutselvischen Dialekte (Lautlehre). — A. Beiff, Historische
Formenlehre des Dialekts von Boumois-Besan^on]. XVII. Band [G. De-
cortins, Rätoromanische GhrestomatJiie, VI. Band : Oberengadinisch, Unter-
engadinisch: Das siebzehnte Jahrhundert, XVL 656 8.]. XVIII. Band
[C. Decurtins, Rätoromanische Ghrestomathie, VII. Band : Oberengadinisch,
Unterengadinisch: Das achtzehnte Jahrhundert, VIII, 494 8.]. XIX, L
[G. Wenderoth, E. Pasquiers poetische Theorien und seine Tätigkeit als
literarhistoriker, vgl. Ärehiv GXII, 284. — R. Reis, Die Sprache im
Ltbvre du bon Jehan, due de Bretagne des Guiilaume de St-Andr^ (14. Jahr-
hundert). — P. G. Juret, Etüde grammaticale sur le latin de s. Filastrius].
2 [A. Sechehaye, L'imparfait du subj. et ses concurrents dans les hypo-
theti<iues normales en fran^s. — Fr. Fizet, Das altfranzösische Jeu-
PartL — E. Fehse, Sprichwort und Sentenz bei Eustache Deschamps
und Dichtem seiner Zeit — J. Ulrich, Drei romanische Fassungen der
beiden Jakobebrüder. ~ G. Biust, banee; bouleau; bride; buiron; eagot;
earaffa; con^le; eorma; guige; hote, hoeque, ho; piiton; royaume; toenard;
iriige}.
Bod^t^ amicale Gaston Paris. Bulletin 1905. 89 8. — La biblio-
th^ue Gaston Paris donn^ ä PEcoIe des Hautes Etudes par la Marquise
Arconati Visconti en memoire de son p^re Alphonse Peyrat Paris, Impr.
Nationale, 1905. 8 8.!
266 VenseichiiiB der eingeUafenen Dmc^Bchriften.
Aus romanischien Sprachen und Literaturen. Festschrift Heinrich
Morf zur Feier seiner 25jährigen Lehrtätigkeit von seinen Schülern dar-
gebracht. Halle a. S., M. Niemeyer, 1905. 427 S. M. 12.
Spinffarn, J. £.» La critica letteraria nel rinasdmento, saggio stille
origini dello s^iito daasico nella letteratura modema. Traduzione italiana
del Dr. Ant. Fusco, oon corredoni e amunte dell'autore e prefazione
di B. Croce. Bari, Laterza e figli, 1905. All, 858 S. Lire 4. (Bpingarns
Buch, das bekanntlich zuerst 1899 in englischer Spradie erschienen ist,
ist eine gut dokumentierte Gleschichte der Poetik der Benaissanoe (d. h.
in der Hauptsache des 16. Jahrhunderts) und behandelt in drei Teilen
erst Italien, dann Frankreich und endlicn England. Spanien fehlt In
der Vorrede nimmt B. Croce von neuem Stellung zu Saintsburys
JJwtory of orüieiame, der im kiirzlich erschienenen dntten Bande auf seine
und Spingaras KritUc geantwortet hat. — In der Darstellung der Ent-
wickelunesgeschichte der poetischen Theorien Frankreichs kann ich Spin-
garn nicht überall folgen, wofür ich auf meine Oeseh. der neueren fram^.
Lüeraiur, I, verweise. Spineams Darstellung der Einführung der ühiUa
de tempa ei de Ueu im 17. JiSirhundert gibt einfach die traditionellen Irr-
tümer wieder.]
Ebeling, G., Probleme der romanischen Syntax. Erster TeiL Halle
a. S., Niemeyer, 1905. 178 S. [1) non ... altro die .... — 2) Vom Con-
dicionaUs im Rumänischen. — i) ü a du veM/r = er muis gekommen sein.
— 4) Span. !que qfoe tan hermoeoe! = Welch schöne Aiu^en. — 5) tuUo
= lauter; cl zum gemeinrom. eono iuiii pagani das unflektierte totutn
gentee sunt der PeregrjntUio ad hea sancta, zitiert in W6lfflins Arehee lY,
270. — 6) non ehe mit folgendem Infinitiv. — 7) dispiaeere non mi dis-
piaeeie s= milsf allen tut Ilur mir nicht, wozu zu bemerken, dals nicht nur
im Engadin (S. 122), sondern auch am Bhein das Verbum finitum mit
eha, che eingeführt wird, z. B. tra eh'ei nuneen in gron teehaneun ('sie
g'ngen ein gutes Stück', im Volkslied vom Signur OomvIeH); daft das
areelüsche neben dir ye l dXes auch par dir ye l dXse Kennt (ci Oätt.
Naekriehtenf 1886, S. 90) ; zuerst ist die E^cheinung überhaupt wohl von
Qartner, Oredner Mundartf 1879, S. 75, erwähnt worden. — 8) non la tia
coei — das ist nicht der Fall. — 9) ehe hat paura = hast Du Furcht? —
10) irone tomoiier moi et voe, £^ ist ein sehr gehaltreiches Buch mit
einer reichen Fülle von Material und feinen Beobachtungen, das sich
Toblers Beiträge in Darstellung und Druck erfolgreich zum Muster ge-
nommen hat].
Zeitschrift für franzöe. Sprache und Literatur, hg. von D. Behrens.
XXVIII, 2 u. 4, der Beferate und Rezensionen erstes und zweites Heft
Bevue des Etudes Babelaisiennes. II, 1 [P. Toldo, Babdiais et Honor^
de Balzac. — J. Barat, L'inüuenoe de Tiraqueau snr B. — H. Clouzot,
Les amiti^ de R. en Orl^nais et la lettre au bailli du bailli des baillis.
— Mdlanges. — Comptes rendus. — Chronique. — Supplements: Statuts,
liste des membres. — R^impression de Vhle eonnanie, introduction].
Bulletin du Glossaire aee patois de la Suisse romande. IV, 1 et 2
tL. Gauchat, L'origine du nom de La Guiux-de^Fonde ; la ehaiux< etUmiSy
:elt. Wort, das unbebautes Land bezeichnet; de fonds bleibt rätselhaft
— J. Snrdez, Pronostics et dictons agricoles. Patois du Glos du Doubs,
Jura bemois. — A. Neveu, E^ d^ Tsaland^ (Weihnachtsspieie), patois
de Leysin. — R. Ghassot, KoUüjon la ehdrehyire (Gatillon la sord^),
Satois de Villargiroud, Fribourg. — E. Muret, Additions aux proverbee
e Lens. — Gompte rendu].
Gobineau, Gomte A. de, Amadis, potoe. GBuvre posthume. Por-
trait de Tauteur grav4 ä Teau-forte. Paris, Plön, 1887. XLIV, 556 6. —
Les religions et ks philosophies dans PAsie Gentriüe. Troisi^me ^tion.
Verawchni« der dogelaolencii DracksduiftoB. 267
PflUM, Leroiix, 1900. X, 548 S. — Traia ami en Ade (1855—58). Konv.
Mition. Paris, Leronx, 1905. VI, 500 8.
Gobinean, Oral, Nad^jgebHeiie Schriften, hg. Ton Ludwig Sehe-
maaiL Dichteriache Werke: L Alexandre le MaoMonian, tragMie en cmq
actea. 2. Aufl. Straiabnrg, Trfibner, 1902. IX, 101 8. M. 2. — Alezan-
der. Tragödie in fünf Auuügen. Peatach von Ludwig 8chemann. ^2. Auf-
lage. Strafeburg, Trübner, 19i;4. VIII, 107 S. — Die Benalssanoe. Hiato-
liuhe Szenen. Deutech Ton Ludwig Sdiemann. Neue durchgea. u. Terb.
Auflage. 8. und 4. Tausend. Straubuig, Trfibner, 1904. M. 5. — Asia-
tiflche Novellen. Deutsch von Ludwig ^äiemann. Mit einem Lebenabild
dea Autors. Leipzig, EeUam, lJniverB.-]BftbL N^ 8108—4.
Wahlund, C, ün acte in^it d'un op^ra de Voltaire, publik d'apr^
deuz andennea oopiee manuscrites de la BibL Eovale de Stockholm ; avec
dea facsimil^ UpsaU, Almqvist & Wiksells, 1905. 59 &.
Weidmannsche Sammlung franz. u. engl. Schriftsteller mit deutschem
Kommentar. Berlin, Weidmann, 1905:
Le Cid von P. Corneille, hg. und erklart von Fr. Strehlke. Zweite
völlig umgearb. Aufl. von Dr. Fr. Meder. 118 S. und 25 8. An-
merlnmgen. '
Auswahl aus Victor Hugo. Erklärt von Dr. O. Weifsenfeis.
V, 248 S. _
Cherbuliez, V., Die Kunst und die Natur, L Übersetat von
H. Weber. Ascona, C. v. Schmidtz, 1905. 125 8. M. 2,85.
Jordan, L., Die Sage von den vier Haimonskindem [Mfindiener
Habilitationsschrift]. Erlangen, Junge, 1905. X, 198 S.
Hamann, O., Die buriesken Elemente in Rabelais* Werk [Würz-
burger Dissert]. München, Dr. C. Wolf & Sohn, 1904. 68 S.
Knoblauch, K., Das Verhältnis der C^iramqiies admirabka zu den
Ckromquea inegtimables und zu Babelais [Würzburger Dissert.]. Jena,
A. Kämpfe, 1904. 76 8.
Kammel, Dr. W., Die Typen der Helden und Heldinnen in den
Dramen Victor Hugos [S.-A. aus dem 82. Jahresber. der k. k. deutschen
Staatsrealschule in Prag -Kleinseite]. Prag, Statthalterei-Buchdruckerei,
1905. 42 8.
Ball, Ed., A. de Musset, ein echter Bomantiker [Würzburger Dissert].
Aschaffenburg, Schippnersche Druckerei, 1905. VIII, 92 8.
Pelli ssier, G., Xe mouvement littdraiie contemporain, 8*°'® Mition.
Paris, Plön, 1902. VII, 802 8.
Fran9ois, A., La grammaire du Purisme et l'Acad4mie fran9aise
au XVIII^ si^e. Introducdon h l'^tude des Commentaires granunaticaux
d'au teure classiques. Paris, Soc nouv. de librairie et d'^ition, 1905. XV,
279 S. Fr. 5. [Dieses Budi behandelt einen sehr wichtigen Abschnitt
aus der Geschichte der sprachlichen Theorien Frankreichs und stellt ihn
auf Qrund eingehender Erforschung auch des handschriftlichen Materials
(Archiv der firanz. Akademie) vortrefflich dar. Das Archiv wird in einer
ausführlicheren Besprechung auf diese bedeutsame Leistung zurück-
kommen.]
Plattner, Ph., Ausführliche Grammatik der französischen Sprache.
Eine Darstellung des modernen französischen Sprachgebrauchs mit Be-
rücksichtigung oer Volkssprache. III. Teil: EIrffänzungen. Erstes Heft:
Das Nomen und der Gebrauch des Artikels. Karlsruhe, J. Bielefeld, 1905.
281 8. M. 8,60.
Metzger, Prof. Fr., und Ganzmann, O., Lehrbuch der franzö-
sischen Sprache auf Grundlage der Handlung und des Erlebnisses. Für
lateinlose und Beform- Schulen. Mit Zeichnungen von Hellmut Eichrodt.
I. Stufe. 2. voUst. umgearb. Aufl. Berlin, Keuther & Beichard, 1905.
X, 250 8. Geb. M. 2.
268 YerzeichniB der eingelaafenen Dmckschriften.
Mistral, Fr., Mir^o, proyenzalkche Dichtung. Deutsch von August
B er tu eh. Vierte Auflage. Mit Mistrals Bildnis. Stuttgart und Berlin,
Cotta, 1905. XXXIV, 259 S. [Mit Freuden b^irOist man den Erfolg
dieses Meisterwerkes deutscher Ubersetsungskunst, dem hier nach fflnt
Jahren wieder eine neue Auflage zuteil wird. Die Einleitung, die aus
persönlicher Kenntnis der Menschen und der Dinge des Felibriffe heraus
geschrieben ist, ist etwas erweitert und berichtet auch vom halbhnndert-
jährieen Jubiläum des Feliberbnndes im Mai 1904.1
Lewent, E., Das altprovenzalische Ereuzlied [Berliner Dissert]. Er-
langen, Junge, 1905. 128 S.
Lef ^yre, Ed., L'ann^ f^libr^nne (2* ann^, 1904), Deuzi^e sunpl^
ment du Catalogue f^libr^n et de ia bibliographie Mistralienne. Mar-
seille; Buat, 1905. 54 8. [Eine sehr willkommene und nOtzliche Chronik
und Bibliographie der Feliber-Bew^^ng, mit der Liebe gemacht, die auch
das £leine (z. B. die Ansichtskarten) nicht vergifstl
Schädel, B., Mundartliches ans Mallorca. Halle, R Haupt, 1905.
48 8.
Giomale storico della lett italiana, dir. e red. da F. Novati e
R. Benier. Fase. 184 — 5 [U. Ckwmo, Giuseppe Baretti e Jos^ Francisco
de Isla. — Varietä: V. Pirazzoli, Sopra due irammenti poetici dell'ArioBto.
— R Bergadani, Nota suUa questione delie Füippiehe. — Basse^na biblio-
grafica. — Bolletino bibliografico. — Annunzi analitici. — PuBblicazioni
nuziali. — Oommunicazioni ed appunti. — Cronacal — Supplemento N^ 8:
A. Farinelli, Apnunti su Dante lo Ispagna nell'Etä Media. — F. Cavicchi,
Intomo ai Tebaldeo. — Varietä: F. Fasini, Un plagio a danno di Vin-
cenzo Monti].
Bulletin Italien. V (1905), 2 [Paget Tovnbee, Dante and the legend
of St John the Evangelist (Potwl XXV, 100—2; 112—24). — P. Duhem,
Albert de Saxe et Leonard de Vinci, IL — L.-G. PeUissier, ün trait^ de
g^graphie politique de l'Italie ä la fin du 15® si^le. — M. Paoli, Lenau
et Leopardi. — M^langes et documents : L. Auvray, Inventaire de la col-
lection Custodi, VI. — Bibliograjphiel.
Dante Alighieri, La iJiyma Commedia, con postille e cenni intro-
duttivi del prof. Baff. Fomadari. Edizioue minuscola ad uso delle let-
ture pubblicne e delle scuole. Milano, Hoepli, 1904. XXII, 577 8. In 64».
Lire 3. [Fomadari hat seinem Text und Kommentar die Ausgaben T. Ca-
sini^, L. G. Passerini und G. A. Scartazzini^ zugrunde gelegt und sich
in Kommentar und in der Einleitung über Dant^ Leben und den Sinn
seines Gedichtes der gröfsten Kürze befleifsigt. Seine Ausgabe soll der
Schullektflre dienen und besonders ein Hilfsmittel für Hörer von Dante-
Vorlesungen sein. Die IGeinheit des Formats (7 X 1~ <^ und das ge-
ringe Gewicht des leichten Papiers (75 r) machen das Büchlein faSü-
menU ttueabile. Der Druck ist auDserordentlich scharf. Diese bequeme
Ausübe erscheint in hohem Mause preiswürdiff.]
Fucini, Benato (Neri Tanfucio). Le ve^e di Neri, paesi e figure
della campaffna toscana. Settima edizione, quarta illustrata da artisti
fiorentino. Milano, Hoepli, 1905. 251 S. 18 X 25 cm. Lire 5,50. [Die
unvergleichlichen Schilderungen des toskanischen Landvolkes, die Fucini
in seinen < Abenden von Neri' (1882) gegeben, liegen hier in einer ent-
zückend illustrierten Ausgabe vor.]
Scartazzini, A. G., Enciclopedia Dantesca, continuato dal prof.
A. Fiammazzo. Volume III : Vocabolario-concordanza delle opere latine
e italiane di Dante Alighieri, preceduto dalla biografia di G. A. Scartaz-
zini. Milano, Hoepli, 1905. LXXII, 667 S. llre 8. [Der erste Band
diesei umfangreidien Enoidopedia ist 1896 (8. 1—1169), der zwdte 1899
Verzdchnis der eingelaufenen Dmclcscluiften. 269
(S. 1170—- 2200) erschienen. Scartazzini selbfit plante einen Supplement-
band, der allerlei Lücken ergänzen und Nachträge bringen würde. Dar-
über iat der Qnermüdliche 18^ geetorben. Es war ein glucklicher Gtedanke
de» Herausgebers, an die beiden ersten Bände zunächst ein vollständig
Bepertorium des ganzen bei Dante Yorkommenden Bprachmaterials, eine
sogenannte Konkordanz, zu fügen, ehe in einem vierten Bande der ver-
sprochene Nachtrag erscheint. Eine solche Konkordanz, die alle Werke
Dantee, auch die lateinischen und apokryphen, umfalst, ist ein wirkliches
Bedürfnis. Für De ptdgari ela^uenHa ist der kritische Text der Sodetä
dantesca (Bajna), für alle übneen Werke die Ausgabe Moore {Cheforder
Dante, 1894), fiir einzelne Apokrypha Fraticelli zugrunde gelegt. Die
Ausffihrung dieser mühevollen Arbeit scheint sehr gewissenhaft zu sein.
Leider schreibt Fiammazzo einen gezierten Stil, der der Klarheit seiner
MnleUung erheblichen Eintrag tut.]
Passerini, G. L., e Mazzi, C, Un decennio di bibliografia Dan-
tesca (1891—1900). Milano, Hoepli, 1905. VII, 668 S. Lire 12. [Pass^
rini und Mazzi arbeiten an einer alle Zeiten und Länder umfassenden
Dante-Bibliographie. Möge es ihnen gelingen, ein solches Biesenunter-
nehmen zu uücklichem Ende zu führen 1 Welch wertvolles Arbeitsinstru-
ment ihre Bibliographie sein wird, das zeigt dieses Spezimen, das ein
Jahrzehnt der Dante-Forschimg inventarisiert: die fruchtbarste und wohl
kontroversenreichste Periode, welche diese Forschung kennt Dieser Band
bietet eine musterhafte Arbeit. An die Aufführung der Edwioni und
Traduxdani Danteecher Werke (226 Nummern) schiieÜBt sich das nach den
Verfiissemamen geordnete Verzeichnis der Seriäi intomo a Dante, N° 227
bis 4285, wozu noch hundert Nummern Nachträge kommen. Die einzelnen
Ausgaben imd Monographien sind mit Verweisen auf die bedeutenderen
Bezensionen versehen — wo am ehesten noch kleine Lücken zu ergänzen
wären. Nicht selten orientiert eine kurze Bemerkung über den Inhalt
oder Charakter der angeführten Schrift Drei Indices ermöglichen die
volle Ausbeutung des Buches: ein Personen- und ein Sachregister sowie
eine Liste der Textstellen aus Dantes Werken, mit denen die Forschung
dieses Jahrzehnts sich befaüst hat]
Poren a, M., Delle manifestazioni plastiche del sentimento nei per-
sonaggi deila Divina Commedia. Lavoro premiato con premio di nnmo
grado nella Gkira Dantesca fra i professori di scuole secondarie de! r anno
1900. Con due appendice. Milano, Hoepli, 1902. XI, 190 S. Lire 4.
5 Feine Bemerkungen eines künstlerisch empfindenden Menschen über die
Elastik der Danteschen Figuren. Unter den Personen des Purgatorio
fällt insbesondere Matelda durch ihre plastische Gestaltung auf. Dem
Bätsei ihrer symbolischen Bedeutung widmet Porena einen der beiden
ojfpendieijj^. 188 — 165): er erkennt in ihr die die irdische Glückseligkeit
bildende Vereinigung von tätigem (Lia) und beschaulichem (Bachele)
Leben.]
Sanvisenti, B., I primi influssi di Dante, del Petrarca e del Boc-
caccio sulla letteoratura spagnuola, con appendici di documenti Inediti.
Milano, Hoepli. 1902. XVl, 468 S. Lire 7,50. [Dieses Buch hat das
unbestreitbare Verdienst, zum erstenmal im Zusammenhang darzustellen,
in weichem MaCse die Werke der drei grolsen Florentiner die Literatur
Spaniens beeinflulAt haben. Dals Sanvisentis Liformation noch recht
lückenhaft ist und oft genug an der Oberfläche sich bewegt, haben seither
Farinellis Studien gezeigt. Es ist nicht das kleinste Verdienst dieses
Baches, dafii es augenscheinlich den Anstols dazu gab, daüs Farinelli mit
den Besultaten seiner ntlndlichen Forschungen hervorgetreten ist: La far-
tuna del Petrarea in upagrui, cL Archiv 0X1 V, 269; // Oorbaeoio nella
Spagna medievale in der Festgabe für Ad. Mussafia (1905); Boecaooio in
lipagna hier CXIV, 897 iL und nun auch:]
270 VeneiolmiB der eingdAufenen DrockschrifteD«
Farinelliy A., Appunti su Dante in Ispegna neU etft Media [S.-A.
aoB Oiom. üorico della Uü. Haliana, Sapplem. n^ 8]. Torino, Loeecfaery
1905. 105 8. [Dante heilet hier: die Oommedia, denn seine Opera mimon
waren im Spanien des 15. Jahrhunderts wenn^ nicht TöUig nnhekfumt,
80 doch litmrisch wirkunselos, wie Farinelli zeigt, der mit der sicheren
GMehrsamkeit, die man Dingst an ihm kennt, den Spuren des diomo
poema hei den Katalanen and den Eastiliem nachecht, viel Neaes anf-
weiiend, manches Alte berichtigend. (Dals der aUegorische 'dear* des
Villasandino (Oaneionero de Borna iiP 34. anno 1407) auf Dantes Canzone
Tre donne beruhe, hat mich freilich nicnt überzeugt) Auch den Portu-
cnesen, die von SantiUana und Juan de Mena lernen, widmet er einige
Seiten. Ob die Katalanen auch als 'dantistas' die Brücke zwischen Italien
und Spanien geschlagen haben, muis ungewüs bleiben. Aber hervorraffend
ist ihr Anteil auf alle Falle, und die Versflbersetzunff des Katalanen Febrer
ist der flüchtigen Prosawiedembe Enrique's de Villena überlegen. Ob-
sdion das 15. Jahrhundert in oer Fülle seiner all^orischen Dichtung eine
Dünstige Prädispoeition zur Elrfassunff der OommSUa besaCs, so ist doch
die NMhahmung rein fiufserlich geblieben, beim ersten, Imp^al, wie dann
auch bei den besten, Santillana und Mena, die für manche poeUe minores
die einzige — mittelbare — Quelle einiger Dante- Kenntnisse gebildet
haben. Es fehlte in Spanien wie in Frankreich der grolse J^nstler.
Daffir lockte den Nachempfindenden die leichtere Verstfindiichkeit des
Roman de la Boee oder die elegante, einförmige Glätte des Maeeiro JJen
C^arrotier, muy elaro poeta modemo. Wo sie das Feld beherrschen, da
ist der Weg zum wahren Dante versperrt — da dient Dante nur dazu,
den landläufigen Allesorien einige Ornamente zu liefern. Wie diese Orna-
mentik im einzelnen oeschaffen ist, das illustriert mit immer neuen fiei-
spiden und zeigt in immer neuer Beleuchtung diese schöne Arbeit Fari-
nellis.1
li ovati. Fr., II Petrarca ed i Visconti NuoYe ricerche su documend
ineditL 76 8. mit einer Tafel [S.-A. aus F. Petrarea e Ja Lombardia].
Milimo, Tipografia Ck>gliati, 1904. [Novati beleuchtet auf Grund Ton fünf
unedierten und einem bisher kaum beachteten Dokument Petrarcas Be-
ziehungen zu den Visconti, d. h. im wesentlichen des Dichters Aufenthalt
zu Mafland (1358—61). Neues Licht fällt auf den pmönlichen Freundes-
kreis Petrarcas: in dem £}rlebnis eines Freundes sieht Novati das ent-
scheidende Motiv, das Petrarca bewog, das gefährliche Mailand zu ver-
lassen.]
8 ubak, G.j NotereUe sarde. 27 S. [S.-A. aus dem Areheografo trieetino
Serie III, voL ID. Trieste, SUbilimento G. Oaprin, 1905. [Subak nbt
hier im wesentlichen Ergänzungen zu seinen Brteoieke sarde, Triest 1908,
und behandelt: 1) Uüa 2) osoa 3)^ maUesi 4) igü^ tgussu, iguddäe 5) La
terza persona del plurale nei verbi 6) nuraghe 7) dae =: lä dove 8) alioimu
0) Spigolature dall 'Altlogudoresisches' del Meyer-Lübke IG) dütt$s, ogiu,
bu^egaiu 11) inoghe 12) Appropoeito deUe nuova edizione della Oarta de
Logu^
Foerster,W., Sulla questione dell'autenticitä dd codid di Arborea.
£same paleografico. Gon una zinoografia nel testo e due tavole in foto-
tipia. 82 S. [S.-A. aus d. Jäemorie deüa R, Aceademia dsUe Seienxe di
Ibrino, serie 11, vol. 55]. Torino, Clausen, 1905. [In der Masse der ge-
fälschten 'Urkunden von Arborea' hat Förster zwei echte Stücke des
15. Jahrhunderts gefunden: eine Hafenordnung von Oastelsardo (log^do-
resisch) und ein unediertes latein.-katalanisches Notariatsm>tokoll. Zu
dieser interessanten Publikation vgl. Zs. f. rom, F%iL XXIX, 250 ff.]
Methode Toussaint-Langenscheidt Brieflicher Sprach- und
Sprechunterricht für dss Selbststudium der italienischen Sprache von
Ehr. H. Sabersky, unter Mitwirkung von Prot G. Sacerdote. Berlin,
YerzdcbuiB der dngelaufenen Dnicksclirifteii. 271
LangeDBchddt. Brief 27 — 80 zu M. 1. — Taschenwörterbuch der ita-
lienischen und deutschen Sprache. Mit Angabe der Aussprache nach dem
phonetischen System der Meth. Toussaint-Langenscheidt. zusammengestellt
von G. Sacerdote. Teil I: Italienisch -Deutsch. Berlin -Schönebarg,
Langenscheidt, 1905. XKXYL, 470 S. Qeb. M. 2.
Bulletin hispanique. VII, 2 FH. de la Vüle de Mirmont, Gio^ron et
les Espagnola. — J. carolhanayy Kemarques snr la oonjugaison catalane,
eine Uoersicht, die ursprünglich iür die zweite Auflage cfes Gröbencüben
Orundriasea bestimmt war. — 0. Michaelis de Vasconcellos, Algumas pa-
lavras a respecto de pücaros de Portugal, eine sehr interessante Erffänzunff
Ton Morels Artikel über span. eomer barro (Tonerde essen) in den Mi-
langes Wahhmd 1896 : pueoro, buearo (< poeulum) bezeichnet das poröse
Tongefäfs, das, aromatisch zubereitet, zur Parrümierung der Zimmer
diente — besonders sdt der Entdeckung Amerikas — , und dann auch die
aromatische Tonpastille, welche die spanischen und portugiesischen Schönen
im 17. Jahrhundert leidenschaftlich naschten. — R Mdrim^ D. Juan
Valera. — Vari^t^: A. Morel-Fatio, D. Nuno de Mendo^a. — Bibliogra-
phie. — Sommaire des Bevues consacr^ aux pap de langues castiUane,
catalane ou portugaise. — ChroniqueJ.
Beyista ae archivos, bibliotecas v museos. Numero extraordinario en
comemoraciön del Centenario dei Quifote, Mayo 1905 [M. Men^ndez 7
Pelayo, Gultura literaria de M. de C^antes j elaboraciön del Quijote,
Festreden gehalten in der Aula der Madrider Universität — Infantin Dofia
Paz de Borbön, Tomeo en el Palatinado en 1618: aus Anlafs der Hoch-
zeit des Kurfürsten Friedrich V. mit Isabella Stuart wurde bei den Hof-
festlichkeit im Heidelberger SchloCs auch ein Turnier abgehalten, zu wel-
diem 2>. Quifote de la ManchOf eahaÜero de la triste figura alle benach-
barten Bitter einlud. — P. Torres Lanzas publiziert zum erstenmal voll-
ständig den Text jener Eingabe, mit welcher Cervantes 1590 um ein Amt
in Westindien bittet. — A. M. de Barcia, Exposiciön conmemorativa de
la publicaciön del Quijote, — Em. Gotarelo, Biblio^fia de los principales
escritoe publicados con ocasiön del teroer centenano del Quijote].
R. Men^ndez Pidal, Sobre Aluacaxl y la elegia änibe de Valencia
[S.-A. aus dem Bomentm ä D. Franeiseo Ooaera en su jubilaeiön del pro-
fesorado, S. 898—409]. Zaragoza 1904. [Die spanische Köni^chronik ent-
iialt Transkription und Ubäsetzung einer arabischen Elegie, welche die
Not der vom Cid belagerten Stadt Valencia beklagt, und deren Dichter
AluaoBoi sich im Sinne einer Übergabe der Stadt ausspricht Men^ndez
Pidal restituiert mit Hilfe des Arabisten J. Bibera den Urtext in ara-
bisdier Graphie. bes^eitet ihn mit phonetischen Bemerkungen und erweist
die Bedeutung aer Elegie g^enüber den Zweifeln Dozys.]
Morel-Fatio, A., ün iauz autographe de Cervantes. Paris, Idbrairie
Henri Ledere, 1905. 15 S. [Das Mus^ Dobrde zu Nantes bewahrt einen
kurzen Brief des Cervantes auf, dessen Unechtheit Morel paläographisch
und sprachlich erweist]
valera, Juan, Discnrso aue por encargo de la B. Academia eepafiola
eacribiö Exemo. Sr. D. Juan Valera para conmemorar el tercer centenario
de la pubUcadön del Quijote. Madrid 1905. 37 S. [Die Bede ist leider
ein Fragment geblieben. Der Tod hat Valera verstummen lassen, nach-
dem er kaum t^onnen, von den allgemeinen Betrachtungen zum speziellen
Teil überzugehen.]
Farinelli, A., Cervantes. Zur 300jähri^n Feier des Don Qumte.
Festrede, gehalten in Zürich am 6. März 1905 im Auftrage des Lesezirxals
Hottingen [S.-A. aus dei Beilage zur AUgem, Zeitung K^ 118—115]]. Mün-
chen 1905. 89 S. [Eine sehr schöne Gedenkrede, deren Verf. mit vollen
272 Yeneichiiis der eingeUufenen DrudnchiiftaD.
Hfinden auB dem reicheQ Anenal der Tergleichenden Literatargeschichte
schöpft]
Oirot, G., Mariana historien. Bordeaux, F^ret et Fila, 190& XIV,
481 ß. Fr. 15.
Hans Ben, Fr., Sobre el metro dd poema de Femän Gonzilez. San-
tiago de Chile, Imprenta CervanteB, 1904. 29 8. fCf. Arckio CXIV,
24&— 50: Hanasen vertritt die Meinung, dafs der Veri. des Gedichts wie
auch z. B. L6pes de A]^ala aus nationiuer Gewöhnung die aus Franloreidi
importierte euadema via d MmIhu euntadas mit einheimischen Romanzen-
Versen durchsetzt habe.]
F^lix Jos^ de Augusta, Fray, Misionero Apost61ico Capuchino
de la provincia de Baviera, Gramitica Araucana. Valdivia, J. IjEunpert,
1908 (B. Herder, Freiburg i. B.). XVI, 408 8. M. 5.
Maerkel, Prof. Dr. Paul, Der Kulturwert des Russischen. Pro-
gramm des Askanischen Gymnasiums zu Berlin. Berlin, Weidmann, 19o5.
Progr. 55. 80 8. M. 1.
Kawraysky, Dr. Tli. v.. Deutsch-russische Handelskorrespondenz
(GOschens Kaufmännische Bibliothek, 6). Leipzig, Göschen ; 8t Petersburg,
Wolff, 1905. IX, 250 8. Geb. M. 8.
^ JAN 17]9r3
Znr Inti^^^pg 4^Värehens.
A' /
(Fortsetsiing.X
IV. Das indische Märchen.
In keinem anderen Lande ist der Reichtum an Märchen so
unübersehbar wie in Indien. Und auch in keinem anderen Lande
hat das Märchen eine dem indischen vergleichliche Geschichte
und Bedeutung. Schon vor den Zeiten des Kigveda^ mindestens
im dritten Jahrtausend vor Christus, sind Märchen für Lidien
bezeugt, und wir finden ihre Spuren in allen folgenden Jahr-
hunderten. Der Buddhismus hat um diese Märchen das Gewand
seiner Lehre gehängt, in den ersten Jahrhunderten unserer Zeit-
rechnung^ entstanden dann die ersten Märchensammlungen, die
spätere Zeiten beständig bereicherten und erweiterten, um das
12. Jahrhundert vollendet der bedeutendste unter den uns be-
kannten indischen Märchendichtem, Somadeva, seinen Kathäsa-
ritsdgara (Ozean des Stromes der Erzählungen), nicht viel später
wurden die anderen Märchensammlungen abgeschlossen: der
Siddhapati (entsprechend den 'sieben weisen Meistern^), die Cuka-
saptati (70 Erzählungen des Papageien), die Sinhäsanadvatrimcati
(32 Erzählungen des Thrones), die Yetaläpancavim9ati (25 Er-
zählungen des Geistes), das Pantschatantra ('FünfbuchO und der
Hitopade9a (QDie nützliche Anweisung').^ Diese Sammlungen leben,
in die neuindischen Dialekte übertragen, als Schul- und Unter-
haltungsbücher noch heute, und aufser diesen durch die Tradition
geheiligten Märchen leben noch viele andere, unendlich mehr,
als wir nach den vorhandenen Aufzeichnungen und Sammlungen
ahnen können.^
' VgL auch von der Leyen, Das indüche Märehen, Preufa. Jahrhüeher
99, 62 f. (1900).
' Natürlich enthalten nicht alle diese Sammlungen (Schichten, die
nur in ihnen und sonst nirgend erscheinen. Die buddhistischen Jätakas
z. B. kehren (meist freilich verändert^ im Pantschatantra, Somadeva etc.
wieder, die Cukasaptati und der Siddnapati haben eine Reihe Geschichten
gemeinsam (Bolte, Zeiiachr, des Vereins f. Volkskunde, 1905, 229), zwischen
Cukasaptati und Pantschatantra gibt es viele Berührungen usw. Sogar
innerhalb eines Werkes, innerhalb des Kathftsaritsägara von Somadeva
(übers, von Tawney, Bibliotheca Indiea, Calcutta 1881—87) z. B., wird
dieselbe Geschichte zwei- und dreifach erzählt. Ich nenne lolgende Mär-
chen der auch darin aufgenommenen Vetälapaiicavimyati (All, 75 f.):
AfchiT 1 n. SpxBchen. CXY. 18
274 Zur EDtotehung des Märchens.
Einer solchen Kootinuitat und einer solchen ehrwürdigen
literarischen Überlieferung können sich, um das zu wiederholen^
auf der ganzen Welt nur die indischen Märchen rühmen. In
anderen L&ndem, Arabien etwa ausgenonmien^ wird das Märchen
erzählt, aber selten aufgezeichnet, es gehört nicht zur Literatur,
dem Inder ^t das Märchen als Kunstpoesie, dem er alle Fein-
heiten und Künstlichkeiten verschwenderisch schenkte, durch die
er jene auszeichnete. Auch die tiefste Philosophie und Lebens-
weisheit hat man seit den Tagen des Buddhismus dem Märchen
fortdauernd anvertraut, so dals wir heute die Märchen oft weniger
um ihrer selbst als um der wundervollen überall in sie einge-
streuten Sprüche willen bewundem. Unseren deutschen Ro-
mantikern schwebte, nachdem sie den Roman als ein für ihre
Universalität zu enges Gefäfs verworfen, das Märchen als ihre
Kunst vor: darin fügten sich die Motive leicht und ohne Zwang,
anmutig und schillernd, aneinander wie Perlen an eine Schnur,
Lieder unterbrechen verlockend und sehnsüchtig die Erzählung,
weisheitschwere Sprüche, Gleichnisse und Sjnnbole führten in die
letzten Tiefen und zeigten dem ahnenden Blick den Urgrund
alles Seins und aller Kunst, das Kindlichste und Harmloseste
stand heiter und lieblich neben dem gereiftesten Ernst und den
letzten Erkenntnissen der Philosophie und Weisheit. Das Mär-
chen umschlofs als reichste, vielfältigste und himmlischste Kunst
das ganze Leben, während der Dichter ohne jeden Zwang, in
künstlerischer Willkür die buntesten Einfälle aneinander zu reihen
schien. Die Romantik hat ihr Ideal fast niemals, hier und da
nur in den Märchen des Novalis, erreicht, ihre Kunst war der
Fülle und dem Reichtum der Märchenmotive nicht gewachsen,
sie wurden von den Märchen beherrscht, aber sie herrschten nicht
über das Märchen, und sie gerieten auch zu gern in leere Spiele-
reien. Die Inder haben, in ihrer Art, eireicht, was die Roman-
tiker erreichen wollten: ihr Märchen hat die tiefste Weisheit auf-
genommen und zugleich das übermütigste Leben und die selt-
samsten Wunder, alles nicht nebeneinander, sondern eins wirkt
immer sonderbar und überraschend auf und gegen das andere,
und das Märchen hängt unlösbar eng mit Wundem und mit
Leben zusammen. Auch ist gerade der kunstvolle Aufbau, die
sichere Herrschaft über die Motive, die erstaunliche Gabe, alle
nur möglichen Wirkungen aus ihnen herauszuholen, beim indischen
Märchen bewundernswert Wollte jemand heute im Ernst jeden
ftahmen ^. VII, 38 (Tawney 1, 349); 1 = XII, 171 (Tawney II, 157) nnd
= I, 4(Nr. I + XV, Tawney 1, 44) ; 3»> = XVIII, 124 (Tawney II, 617);
4 = rX, 53 (Tawney I, 519); 6 und 12 = V, 25. 26 (Tawney 1, 194 f.);
vgl. auch XVIII, 120 (Tawney II, 569 1), 14 = XVI, 112 (Tawney 11,
493); 16 = ;V, 22 (Tawney I, 174); 17 » III, 15 (Tawney I, 104), vgL
auch VI, 83 (Tawney I, 294).
Zur Entstehung des Märchens. 275
Einflalis des indischen Märchens auf das anderer Völker ab-
leognen^ das müfste er zugeben: für kein anderes Land — auch für
Arabien nicht Tausendundeine Nacht — bedeutete das Märchen
das alles, was es für Indien bedeutet^ und als Abbild der indischen
Seele behält das indische Märchen immer einen unvergleichbaren
Wert für die Erkenntnis der ganzen menschlichen Kultur.
Wir mulsten ja wahrend unserer Betrachtungen wiederholt
auf das indische Märchen andeutend hinweisen. Diese Hinweise
nehmen wir, wie schon gesagt, wieder auf und erweitem sie zu
einem Vergleich des indischen Märchens und der indischen Mäi^
chenkunst mit den Märchenmotiven und Märchen der anderen
Völker. Dabei bitte ich schon im voraus, zu entschuldigen, wenn
ich schon Bemerktes wiederhole und etwas schulmeisterlich breit
auftrete; aber ohne das könnte ich die komplizierten Entwicke-
lungen nicht erklären.
I. Rahmenerzählungen. Unter den Sagenmotiven, die ein-
mal schreckhafte Träume waren, hatten wir {Ärehiv CXIII, 257)
auch das mannigfach variierende Motiv genannt: einem Menschen
wird eine Frage oder ein Rätsel vorgelegt, und wenn er die Ant-
wort darauf nicht findet, so wird er getötet. Dies Motiv er-
weitert sich — ganz analog einem ähnlichen, von dem Unge-
heuer, das jährlich ein Menschenopfer verlangt, bis ein Held
kommt und es besi^ — oft dahin, dals der Fragende, ein böser
Geist, eine Sphinx oder eine grausame Prinzessin, einen nach
dem anderen, der keine Antwort weifs, wirklich tötet, bis der
Held kommt, der sich nicht durch den Untergang aller früheren
schrecken läfst, die Frage richtig löst und den Geist dadurch
vernichtet. Aus dem einen Rätsel sind dann auch — man denke
an die Turandot-Fassungen unseres Motivs ' — mehrere Rätsel
geworden, und der Prinzessin, die selbst so grausame Rätsel
stellte, wurde von dem glücklichen Sieger auch ein Rätsel auf-
g^eben, damit sie selbst einmal die Qualen derer empfinde, die
sich umsonst um eine Lösune mühten.
In Indien gab es nun dies Märchen:^ Ein Bettler schenkt
einem König eine Frucht mit Juwelen, er verlangt dafür, dafs
dieser ihm einen Leichnam hole, in dem ein zauberkräftiger Geist,
ein sogenannter Vetala, sich aufhalte. Der König holt den Leich-
nam, erfährt aber von dem innewohnenden Geist, der an der
Furchtlosigkeit dieses Herrschers seine Freude hat, dafs der Bett-
ler ihn vernichten wolle, er tötet darum diesen und wird selbst
der Zauberkräfte mächtig, die der Geist verleihen kann.
' Zu Turandot: Liebrecht, Zur Volkskunde 153; Chauvin, Bibliografie
des Ouvroffes ... Arabes V, 191 f.
« Somadeya VII, 3ö (Tawney I, 349).
18*
276 Zur Entotehüng des MizoheiiB.
Als Zusatzmotiv wurde nun zu diesem Mfirchen das Motiv
erfunden: der König kann den Geist nur an seinen Platz brinffen,
wenn er schweigt Aber der Geist erzählt dem König Geschich-
ten, und diese enden alle so drastisch und unerwartet, dals dem
König gegen seinen Willen immer Ausrufe des Entsetzens, £r^
Staunens oder der Bewunderung entfahren. Bei jedem dieser
Ausrufe verschwindet der Greist, der König lauft hmter ihm hw
und holt ihn wieder ein, und das wiederholt sich vierundzwanzig-
mal, bis der König schweigt und seinen wirklidi sehr mühselig
verdienten Lohn empfangt^
So waren aus einem Märchen fünfundzwanzig Märchen ge-
worden und das alte Grundmärchen doch erhalten geblieben, als
eines mit vielen Einschachtelungen, mannigfaltiger und span-
nender. Diese Spannung hat man noch erhöht, indem man nicht
seltsame Pointen, sondern Fragen an das Ende der Greschichten
setzte: der Geist stellt sie dem König, um dessen Ansicht über
die Personen, Ereignisse und Probleme der mitgeteilten Ge-
schichten zu hören. Dabei bedroht er den König — und damit
sind wir wieder bei dem alten Alptraummotiv angelangt — mit
dem Tode, wenn er diese Fragen, die er absichtlich dumm und
unwissend stellt^ nicht richtig beantwortet Der König gibt die
verlangten Antworten, immer fein und geistreich, aber sowie er
zu Ende ist, verschwindet der Geist, bis er endlich selbst dieses
Hin- und Herlaufens müde wird und dem König eine Frage stellt^
die dieser trotz allen Nachdenkens nicht richtig lösen kann.^ Et
schweigt daher, erreicht sein Ziel, tötet den fiSschen Bettler und
wird &sin mit so viel Ruhm und Anerkennung überhäuft^ da(s
uns sogar seine Mühe gering scheint — Das ist der Bahmen
der inmschen Yetftlapancavim9ati. Die alte einfache und grau-
same Alternative in unserem Motiv haben also die Inder in ein
sehr künstUches Dilemma umgewandelt: wenn der König schweigt,
wird er getötet, wenn er redet, bringt er sich um den Lohn sei-
ner Kühnheit, um den Geist Er entschliefst sich, da er dem
Bettler sein Versprechen halten will, zum Beden, und das wieder-
holt sich vierundzwanzigmal, bis sich der Geist des Königs er-
barmt
Die Erweiterungen des alten Fragemotivs in den auiser-
indischen Fassungen wie in der Sage von Odipus, der Turandot
bestrebten sich, den Helden recht hervorzuheben, weil er vor
einem Wagnis nicht zurückschreckte, bei dem seine Vorgänger
* So in der mongoliBcheii Fassung der Vet&Iapaficavim^atiy vgl. von
der Lejen, Indische Märchen 122/25; Frmfa, Jahrbücher 99 (1900), 8. 65;
Jülg. Die Märchm des Siddhi-KUr, Leipzig 1866.
^ Vater und Sohn heiraten Mutter und Tochten aber der Vater die
Tochter und der Sohn die Mutter, beider Paare Kinder heiraten sich
wieder, wie sind nun alle miteinander verwandt?
Zur Entstehtug des MSrohens. 277
alle den Tod fanden. Nnr die Turandot-Dichtong, d. L eine
orientalische Dichtung^ steigerte auch die Bedeutung des Motivs^
indem sie die Ratsei vervielfältigte und an Sieger und Besiegte
verteilte. Im Indischen tritt der Held zurück^ den Inder ver-
lockt das Motiv selbst, er versucht, es zu dehnen, zu ver-
vielfältigen, zu verkünsteln und schliefslioh zu mildem. Dies ver-
künstelte Motiv bringt er in eine seiner alten Geschichten hinein,
und er weils die Spannung immer aufrecht zu erhalten, indem
der König jedesmal eine neue Gelegenheit findet, seinen Scharf-
sinn und seinen überlegenen Geist zu zeigen.
Es wird also im £idischen zweierlei erreicht: eine alte Ge-
schichte künstlich verlängert und ein auch anderen Völkern be-
kanntes Motiv in ein höchst abwechselungsreiches Frage- und
Antwortspiel verwandelt. Dabei zeigt siöh eine Vorliebe für das
Massenhme und ein Geschick in der Variation, das andere Völ-
ker nicht von weitem erreichen.
Die Vetälapancavim9ati kam nun als Ganzes nicht nach
£aropa. Unser erstes Beispiel gibt also nur eine Probe von der
indischen Erzählungskunst, wie sie sich bei einem einheimischen
und einem internationalen Motiv bewährte. Ganz ergebnislos für
die Frage nach dem Einflufs der indischen Märchen auf Europa
ist aber auch dies Beispiel nicht: wir dürfen im Anschlufs daran
behaupten, dafs die Technik der Bahmenerzählung, die uns hier
zum erstenmal b^egnet, und die auch abendländische Märchen-
sammlungen kennen, in Indien erfunden und ausgebildet wurde.
Ich will diese Behauptung durch einige Beispiele beweisen.
Throne, an denen die Kunst ganzer Völker ihr Bestes ver-
schwendete. Throne, die Macht und Herrlichkeit ihrer Besitzer
zur sinnenfälligsten Geltung brachten, schildern uns Dichtung
und Phantasie der Völker gern, vor allem die des Orients. Zu
diesen Thronen führen goldene Stufen empor, der Thronsessel
funkelt von Juwelen, Edelsteinen und den erlesensten Kostbar-
keiten, seltsame und ungeheuerliche Tiere halten daran Wacht:
und es wird sogar erzählt, dafs diese Tiere wie wirkliche Tiere
ihre Stimme erschallen liefsen, und dafs sie vermittels eines
künstlichen Mechanismus den König auf den Thronsessel hoben,
wenn er den Thron besti^.
Derart etwa wird in spätjüdischer Dichtung der Thron des
Salomo geschildert^ Von ihm wurde^ aufserdem gefabelt, dafs
die sämtlichen Tiere — ein wildes und ein zahmes standen sich
jeweils gegenüber — ein milstönendes Geschrei erhoben, sobald
jemand vor dem Thron eine Lüge aussprach, und dafs Nebu-
kadnezar den Thron besteigen wollte, die Tiere des Thrones aber
^ VgL Paulus Cassel, WissemehafUiehe BeriefUe der Erfurter Akademie
1 (1858), 56—188.
278 Zur EntstehuDg des MSrchens.
machten ihm diese Besteigmig unmöglich. Erst Eyras war des
Thrones wieder würdig.
Diesem letzten Motiv ist die folgende indische Geschichte
bei Somadeva ähnlich:^ Ein Konig kommt in eine menschenöde^
wunderbare Stadt^ er erblickt dort einen edelsteinprangenden
Thron und will sich daraufsetzen: ein Geist verbietet es ihm,
dieses Thrones seien nur Unsterbliche würdig. Aber als der
Eonig sich zu erkennen gibt als Boten des berühmten Vikramft-
ditya, darf er den Thron besteigen, und die Geister dienen ihm.
Dies Märchen wurde zu einem Rahmenmärchen ausgebildet:
der Thron, hiefs es, war nach dem Tode seines berühmten ersiten
Besitzers vergraben, und wer über dem Throngrabe lebte, dem
teilten sich besondere Gaben mit, sei es ungewöhnliche Klugheit,^
sei es ungewöhnliche Freigebigkeit.^ Durch diese Gaben wurde ein
kluger König aufmerksam, er liefs an der Stelle nachgraben und
fand einen prachtvollen Thron, rechts und links umgaben ihn im
Halbrund je sechzehn Figuren. Als er sich nun auf den Thron
niederlassen will, erhob sidi eine der Figuren und hielt ihn zurück;
du darfst nicht auf den Thron, sagt sie, es sei denn, du wärest
gerecht und khig wie Jener König, dem er gehörte. Und sie er-
zählt ihm eine Geschichte von der Weisheit jenes Herrschers.
Wie die erste, so die folgenden: bis der König alle zweiund-
dreifsig Geschichten hörte und nun, da er die gesamte Weisheit
jenes Thronbesitzers in sich aufnahm, auch auf dessen Thron
sitzen darf.
Hier hat sich also eine Geschichte zu zweiunddreilsig ver-
vielfacht, die Klugheit des ersten Thronbesitzers wird aufserdem
« XVIII, 124 (Tawney II, 614 1).
' 8o bei Jülg, MongoL Märchen, Innsbruck 1860, 197 f., und ursprüng-
lich auch in der persischen, einer indischen Rezension entstammenden
Fassung, Senguehasaen Battiat (deren Held Bekermadjiet), S. 45 f. Diese
persische Fassung, mir nur aus der sehr seltenen Übersetzung Lescalliers
{Le trotte enehanU, traduü du peraany New York, imprimerie de Desnoues,
1817) bekannt, hat für den Märchenforscher vielerlei Interesse. Einmal durch
merkwürdige Motive (Toter Voeel wird, wie er ergriffen werden soll, lebendig
und entfli^ immer seinem ^rf olger; Traummotiv? — König regiert nur
für einen Tag und wird nachts von einem bösen Geist aufgefressen, ebenso
alle seine Nachfolger, vgl. Frazer, Oolden Bough, Einleitung), dann durch ihre
merkwürdige Mittelstellung zwischen der mongolischen und der späteren
indischen, von Albrecht Weber herausgegebenen Form der Throngeschichte,
drittens durch ihre Beziehungen zum persischen und türkischen Papageien-
buch, viertens durch ihre Ännlichkeiten mit der indischen Vetälapanca-
vim9ati, von der sie offenbar eine Reihe Märchen übernahm: der Inhalt
beider Sammlungen, insofern sie von den Taten und Abenteuern eines
klugen und tapferen Königs erzählen, berührt sich ohnehin vielfach, frei-
lich kommt der König vom verzauberten Thron dem Ideal des buddhisti-
schen Herrschers näher.
' So im späteren Indischen, vgl. Albrecht Weber, Indische Studien XV
(1878), 217 1
Zur Entstehuog des MfirchenB. 279
nicht einfach behauptet^ sondern sie lebt in einer Fülle von Ge-
schichten immer von neuem auf^ der König wird so lange zurück-
gehalten, bis er die ganze Weisheit des Thrones hört, bnd dabei
ist das Motiv von höchst eigentümlicher Wirkung, dafs diese
toten Bildsäulen Leben erhalten, aber nur, damit sie das Ver-
mächtnis des früheren Herrschers der Nachwelt überliefern kön-
nen, dann sinken sie wieder in die alte Leblosigkeit zurück. Die
Inder haben hier ein altes Motiv nicht allein kompliziert, ver-
vielfacht, seinen Schluls hinausgeschoben, wie in der Vetdla-
pancavim9ati auch, sie haben es äuiserlich ins Märchenhafte und
zugleich innerlich ins Lebenstiefe gesteigert: und das ist auch
eine Kunst, deren nur sie fähig waren.
Auch die Cukasaptati^ entstand aius einem einfachen Mär-
chen: Ein Kaufmann verreist und läTst seine Frau unter dem
Schutz eines Papageienpaares zurück. ICaum ist er aus dem
Hause, so will die Frau das Ehebrechen anfangen, der jüngere
Papagei warnt sie, trotz Abraten des älteren, und wird von der
erbosten Herrin sofort umgebracht, der ältere Vogel schweigt^
erzählt aber dem zurückkehrenden Kaufmann alles, was er mit
ansah, und fliegt davon. ^ Solche Anekdoten von Frauen, die
unter dem Schutze kluger Vögel zurückgelassen werden, wenn
der Mann verreist, waren keine indische Spezialität, die alten
Griechen kannten und verbreiteten ähnliches auch.^ In den
Cukasaptati wird der unbequeme Warner, eine Krähe, gleichfalls
umgebracht; nun aber kommt die Erweiterung: der Papagei
schweigt nicht, er fordert die Frau sogar auf, zu ^ehen. und
ihre Jugend zu geniefsen, nur, fährt er fort, wenn du ertappt
wirst, sei so klug wie . . ., und nun erzählt er eine Geschichte,
meist vom Ehebruch. Im spannendsten Moment, wenn wir glau-
ben, nun wird die Schuldige ertappt, und wenn wir gar keine
Lösung mehr sehen, hält er ein und erzählt nicht weiter, bevor
ihm die Frau versprochen, sie werde heute nicht gehen. Das
wiederholt sich siebzigmal, bis der Kaufmann wiederkommt, seine
Frau ist ihm nun treu geblieben, der Papagei wird belohnt, und
das Märchen endet in eitel Glück und frieden.
' !P(eoUus) 8{implicior), übersetzt von B. Schmidt, Kiel 1894; Tiexttis)
o(maiior)f übers, von demselben, Stuttgart 1899.
' Vgl. Jaiaka, übers, von Cowell, Nr. 98 und 145. — Die Geschichte
ist auch dahin erweitert, deSa nur ein Papagei existiert, der schweigt,
dem zurückkehrenden Manne aber das Betrafen der Frau erzählt, und
diese tauscht nun, indem sie den Käfig verdunkelt und Lärm macht, dem
Vogel ein Grewitter vor. Als er am folgenden Morgen dem Kaufmann von
diesem Grewitter erzählt, hält dieser ihn für einen elenden Lügner und
glaubt der Frau. Dies Märchen kam durch den Siddhapati nach Europa,
vgl. Chauvin, Bibliographie Ärabe VIII, 36 f.
^ Vgl. Marx, Orteehische Märehen von dankbaren Tieren und Venoandtes
S. 54 Anm. 2. 77.
280 Zur Entstehung des Mftrchens.
Bei dieser Erweiteniog konzentriert sich die Spannung auf
den erzahlenden Papa^ei^ und es ist einfach erstaunlich/ wie der
Papagei seine Gescnicmten in Szene setzte und wie er sie immer
gerade so abbricht, dafs ein Ausweg unmöglich scheint und wir
uns doch immer besinnen, wie er wohl sein mochte. Freilich
wiederholt sich die gleiche Pointe in der Cukasaptati zu oft,
wir werden ihrer überdrüssig, und das Baffinement hebt sich
durch sich selbst auf. Das ist auch eine Eigentümlichkeit, eine
der Kehrseiten der indischen Erzahlungskunst.
Die Rahmenerzählung der Cukasaptati drang über die in-
dischen Grenzen hinaus zu den Persem und zu den Türken,^
kam also an die Schwelle des Abendlandes.
Die Bahmenerzählung des Siddhapati ist in Indien verloren,
läTst sich aber aus den aulserindischen Fassungen herstellen und
kam nach dem Abendlande. In ihr (d. h. in dem Teile, der uns
hier interessiert) sind zwei Greschichten verbunden und dann er-
weitert Einmal eine der vom Weib des Potiphar sehr ahnliche:
die Frau eines Königs will dessen Sohn verführen, er sträubt sich,
sie verklagt ihn beim König, er habe ihr nachgestellt; der König
glaubt ihr und will ihn zum Tode verurteilen. Zweitens die
durch eine Doppelgeschichte, eine von einem schlechten Mann
und eine von emer schlechten Frau gerade in Indien oft aus-
getragene Streitfrage: wer ist schlechter, die Männer oder die
Frauen?^ Beide Fabeln sind im Siddhapati derart ineinander
geschoben: der zum Tode verurteilte Pnnz mufs sieben Tage
schweigen infolge eines bestimmten Gelübdes und kann sich nidnt
verteidigen. Daher gibt der König den Befehl zur Hinrichtung,
aber in diesem Augenblicke tritt ein Minister vor und gebietet
Einhalt: der König möge der Frau nicht glauben, die Frauen
seien heimtückisch und schlecht; zum Beweis erzählt er eine
Geschichte. Der Köni^, überzeugt, zieht den Hinrichtungsbefehl
zurück. Da erhebt sich die Frau, um eine Geschichte von der
Niedertracht der Männer vorzutragen, mit dem Erfolge, dafs der
König den Hinrichtungsbefehl wiederholt. Ein zweiter Minister
erwioert mit einer Geschichte von der Niedrigkeit der Frauen,
und so geht es weiter, bis die sieben Tage mit Geschichte und
Gegengeschichte ausgefüllt sind, der Prinz sprechen darf und die
gerechte Strafe über die schuldige Frau kommt.
Man erkennt leicht die gleiche Technik wie in den früheren
Fällen: wie in der Vetdlapaucavim9ati entsteht die Rahmen-
geschichte aus zwei Fabeln: die Geschichten werden immer in
dem Augenblicke vorgetragen, in dem es sich um Tod oder Leben
* Tuti Nameh, übers, von Iken, Stuttgart 1822 ; Tuti Nameh^ das Papa-
geienbueh, üben, von Georg Rosen, Leipzig 1858.
' VgL z. B. Vetälapaftcavirnsati Nr. 3.
Zur Entstehung des MfirohenB. 281
handelt^ und sie können immer neue Aufmerksamkeit verlangen,
da es sich um eine unlösbare Frage handelt^ deren Lösung doch
immer von neuem versucht wird.
Dieser Siddhapati blieb uns in vielen abendländischen und
morgenländischen Rezensionen erhalten, er wanderte durch die
ganze mittelalterliche Welt und hinterüefs in ihrer Literatur über-
all tiefe Spuren, denn er war eins der verbreitetsten und gelesen-
sten Märchenbücher.*
Auch die Rahmenerzählungen des Pantschatantra — es sind
in den ersten vier Büchern einfache, in der buddhistischen Lite-
ratur erhaltene Fabeln, durch eine Fülle von Geschichten aus-
einandergerissen, die immer wieder eine in die andere geschoben
werden ^ — kamen von Indien nach anderen asiatischen Ländern
und nach Europa, wo man sie übersetzte, umarbeitete und er-
weiterte. ^
Da nun die vorgeführten Beispiele zeigen, dafs in Indien
die Technik der Rahmenerzählung besonders produktiv ist> da(s
sie dort fein ausgebildet und virtuos beherrscht wurde, da zwei
dieser indischen Rahmenerzählungen anfserdem nach Europa
kamen und die Vorliebe für Einsdiachtelungen eine orientalische
ist, darf man die Inder getrost die Erfinder der Rahmenerzäh-
lungen nennen. Wenn abendländische Erzähler, etwa Boccaccio
und seine Nachahmer, ihre Geschichten in einen Rahmen ein-
ordnen, so folgen sie bewuTst oder unbewufst dem indischen
Vorbilde.
Wir konnten auch die seltsame Vollendung der indischen
Erzählungskunst in verschiedenen Fällen verfolgen. Und wir be-
obachteten, dafs diese E^rzählungskunst von Geschichten und Mo-
tiven ausgeht, die gar nichts Besonderes oder Bemerkenswertes
haben, die auch andere Völker erfanden oder erfinden konnten.
Das ist eben der Schlüssel für die Beantwortung der Frage
< Bibliomphie jetzt bei Chauvin Bd. VIII (1904) Syntipas, bes. 83 f.
* Buch I = Jataka 349 ; Buch II = Jätaka 306 ; Buch III = Jätaka
270; Buch IV = Jätaka 208 (vgl. 57. 224. 842).
* Die Bahmenerzählung von Tansendundeiner Nacht ist wohl auch in
Indien entstanden. JedenfallB begegnet ihr Hauptmotiv schon frühzeitig
in der indischen Literatur, und die Auffassung der Frauen, die daraus
spricht, ist durchaus buddhistisch. Der Inhalt ist im Indischen etwa der:
Zwei Männer, empört Über die Untreue ihrer Frauen, ziehen in die Welt
und sehen abends einen Drachen, der aas seinem Innern eine Frau heraus-
holt, er ergötzt sich mit ihr und schläft dann ein. Sie bemerkt die Frem-
den, die sich versteckt hatten, verlockt sie zum Beischlaf und zeigt ihnen
an Bingen, die sie besitzt, dals sie den Drachen, der bei ihr, cue er in
sich aufbewahrte, jede Untreue ausgeschlossen wähnte, schon hundertmal
betrog. Jataka 436; Somadeva X, 63 (Tawney II, 79), X, 64 (Tawney
II, 93; dort seltsam mit der Geschichte vom Meisterdieb verbunden);
Chauvin V, 190. VIII, 59. — Man vergleiche auch Ariost, Basender Boland,
28. Geung.
282 Zar EntstehuDg des MSrdiens.
nach dem Einflufs der indischen Märchen: diese Märchen haben
genau die gleiche Herkunft wie die der anderen Völker auch,
nirgends aber sind diese Motive mit solchem Geschick erfafst,
nirgends alle nur möglichen Wirkungen so erkannt, nirgends sind
sie so märchenhaft gesteigert und vervielfältigt wie in Indien.
Dadurch wurden diese Märchen zu so einzigartigen Gebilden,
deren Zauber sich die ganze Welt nicht entziehen konnte.
Aber es bedarf noch mancher Beispiele, bis diese Behaup-
tung einleuchtend und überzeugend bewiesen ist.
U. Zauber- und Yerblendungsmärchen. Ich führe
nun einige Märchen mit Zauberei, Spi^elung und ähnlichen Mo-
tiven vor: die ersten zeigen, dafs die Inder aus allgemeinen und
auch sonst verwerteten Motiven Märchen schufen, die uns als
etwas ganz Neues überraschen, die späteren, dafs gerade die in
Indien emporgehobenen Märchen nach Europa wanderten.
Wir greifen zuerst wieder auf Bekanntes zurück. Viele Völker
kennen, wie wir erfahren, das Motiv vom Zauberschlaf (vgl. oben
Archiv CXIII, 253): die Inder erzählen es märchenhafter, zauber-
schöner und zugleich tiefer als alle anderen: nur der Leib eines
Mädchens weilt auf dieser Erde, ihre Seele schläft in einem
fremden, goldenen Wunderland, und sie darf nur dem gehören,
der in dies Wunderland eindringt. — und: die goldene Pracht
des Paradieses stellen auch die Märchen anderer Völker weh-
mütig und resigniert der dürftigen Armut dieser Erde gegenüber
— in keinem Märchen aber erscheint der Gegensatz so unmittel-
bar, so demütigend und so hoffnungslos wie im indischen: nach
langer Wanderung, nach kaum überwindlicher Mühsal erkämpft
sich der Märchenheld den Eingang zum Pai'adies, und in einem
Augenblick wird er vom Himmel auf die Erde herabgeschleudert ^
Schon primitive Völker und die alten Kulturvölker erst recht
hatten, wie wir bemerkten, an Zauberstückchen ihre Freude: ein
Zauberer täuscht etwa einem Mädchen einen reifsenden Strom
vor, sie hebt die Röcke ganz in die Höhe und sieht unter dem
Gelächter der Anwesenden zu ihrer Beschämung, dafs sie einen
kleinen Bach, der ihr kaum die Füfse netzte, für den ungeheuren
Strom gehalten.^
Die Jüdische Sage erzählt ein sehr ähnliches Motiv, aber
nicht als Zauberstück, sondern als Sinnestäuschung: König Salomo
hat in seinem Palast einen kristallenen Fufsboden; als die Köni-
gin von Saba kommt und diesen sieht, hebt sie die Röcke hoch
* Vgl. von der Leyen, Indische Märchen 187 f. ; Benfey, PantschatarUra
I, 152.
* Vgl. oben Archiv CXIII, 200, wo auch über die Herkunft des Mo-
tivs, aufserdem Voretzsch, I^nsehs Siadien 264; ^Liebrecht, Zur Volks-
ktmde 115.
Zur Entstehung des Märchens. 288
in die Hohe^ in der Meinung, es sei Wasser, und zeigt dabei
ihre Beine. Salomo hatte die Herrseherin absichtlich getauscht,
um zu erfahren, ob sie dämonischer Abkunft sei und tierische
Beine habeJ
Im Indischen erscheint das gleiche Motiv mehrfach variiert.
Die Cukasaptati (textus simplicior 60) berichtet vom klugen Hari-
datta, dem ein anderer Fürst seine Prunkhalle zeigte; als er die
von mannigfachen Eklelsteinen funkelnde Halle erblickte, konnte
er nicht unterscheiden, ob sie aus Wasser oder fester Masse be-
stehe, da warf er eine Betelnufs hin, erkannte, dafs es kein
Wasser war, und ging heim.
Im Indischen und Jüdischen ist die Sinnestäuschung das
Hauptmotiv, die Königin von Saba unterliegt ihr, der kluge in-
dische Minister beugt ihr vor.
Auch nach der entgegengesetzten Richtung haben die Inder
das gleiche Motiv gesteigert Im Mahäbhärata hat der König
Judhishthira einen kristallenen, mit lotosgleichen Edelsteinen be-
deckten Estrich, den hält Durjodhana für einen Wasserteich und
zieht seine Kleider in die Höhe, nachher hält er einen wirklichen
Teich für einen künstlichen und fällt hinein.
Die Inder verdoppeln hier die Sinnestäuschung und erhöhen
dadurch ihre Komik. Denn der Getäuschte, der zum Schlufs
wirklich ins Wasser fällt, gerade darum, weil er die erste Be-
schämung vermeiden will, wirkt viel komischer als der, der nur
einmal begreiflicherweise einen Kristallboden für Wasser gehalten
hat. Dieser Kristallboden scheint im Indischen einem Teich da-
durch noch ähnlicher, dafs ihn E^delsteine bedecken, die den
Lotosblumen im Teiche gleichen.
Da nun nur im Indischen und Jüdischen der Kristallboden
und die Sinnestäuschung statt der Verzauberung begegnen, liegt
die Annahme nahe, dafs die jüdischen und indischen Versionen
unmittelbar zusammenhängen. Wer der Gebende war, ob Juden
oder Inder, lälst sich kaum feststellen. Jedenfalls haben die
Inder dies Spiegelungsmotiv vielfältiger zur Geltung gebracht,
sie haben es «auch zu einer Beihe anderer, lustiger und tief-
sinniger Geschichten ausgesponnen. ^
* Wilhelm Hertz, RcUsel der Königin van Saba {Gesammelte Abhand-
lungen S. 421 f. 427 Anm. 2).
* Ich erwähne hier die folgenden: Ouka^aptati, textus omatior 50:
Eine Stiefmutter mUshandelt ihren Stiefsohn. Dieser, um sich zu rächen,
sagt dem Vater : ich habe einen zweiten Vater. Der glaubt der Verleum-
dung und mifshandelt nun die Frau ; sie ahnt die Bache ihres Stiefsohnes
und verspricht ihm feierlich die beste Behandlung, wenn er den Vater
versöhne; da zeigt der Sohn dem Vater dessen Bild im Spiegel: das ist
mein zweiter Vater, sagt er. Und nun leben alle drei im Frieden. — Zu
vereleichen wäre damit die Geschichte Oukasaptatu t, s, 28, U o, 87 (s. Lieb-
recht, Zur Volkskunde 185; Chauvin VIII, 98; : Eine Frau genieist ihren lieb-
284 Zar EntBiehuDg de8 Mfirchens.
ÜD8 allen ist ein Spiegelnngsmotiv ans einer wunderhübschen
griechischen Fabel bekannt: ein Hund tragt ein Stück Fleisch im
Maul, sieht, wie sich dasselbe Fleisch im Wasser spiegelt, hält
es für ein anderes, gröfseres, und schnappt danach, wobei ihm
sein Fleisch fortfällt^ so dafs er nun gar nichts hat.^
Die Inder erzählen eine ganz ähnhche Fabel so: ein Schakal-
weibchen mit einem Stück Fleisch im Maul kommt an einen
Flufs, an dessen Ufer ein grofser Fisch liegt. Es legt das Fleisch
fort und schnappt nach dem Fisch: aber ein Geier stürzt sich
aus der Luft herab und entführt das Fleisch, und der Fisch
taucht in das Wasser zurück.
Dem Inder war das eine Tier der griechischen Fabel nicht
genug, er verdreifachte die Tierzahl und führte Schakal, Fisch
und Geier in die Fabel ein: ein Tier des Landes, eins der Luft
und eins des Wassers. Das indische Schicksal bestraft den gie-
rigen Schakal mit ausgesuchter Bosheit: gerade die geringeren
Tiere, Geier und Fisch, überlisten ihn und er ist doppelt be-
trogen, durch zwei Ereimisse, die er gar nicht erwartet^ und die
blitzschnell gleichzeitig kommen. Aber dies Raffinement gehört
nicht in eine Geschichte, die gerade durch ihre E2infachheit so
eindringlich wirkt, und durch dies Raffinement verschwand gerade
das Wesentliche an ihr, dafs der Hund ein wirkliches fleisch
um eines gespiegelten willen fallen läTst Im Griechischen straft
sich vor allem die Dummheit, im Indischen die Gier des Tieres:
es ist hier keineswegs aus Zufall ein Weibchen, und im In-
dischen wird die Fabel noch weiter gebildet: die tierische Gier
wird mit der noch grofseren und verblendeteren menschlichen
haber unter einem Baum, als ihr Mann sie ertappt, lügt sie, der Baum sei
yerhext, wer unter ihm ü^e, erscheine doppelt, und zwar habe er als Mann
immer eine Frau und als Frau einen Mann neben sich liegen. Sie stei^
znr Probe sofort auf den Baum und entrüstet sich über den Mann, der m
den Armen einer anderen liege: er glaubt ihr und ist versöhnt. — Und
nun eine emsth^te Greschichte buddhistischer Färbung (Somadeya XII, 72 ;
Tawney II, 182): Ein Papagei kWt seinem gestorbenen Weibchen nach.
Buddha, auch lus Papagei, mahnt mn, die nutzlose Klage zu lassen: das
Weibchen sei als anderer Papagei wiedergeboren und habe ihn längst yer-
gessen. £r führt den törichten Vogel ans Wasser und zeigt ihm sein
Spiegelbild: das ist deine Frau. Der Papagei, entzückt, holt ihr die
schönste Frucht und lälst sie ins Wasser fallen, tieftraurig sagt er dem
Buddha: sie nahm sie nicht. Ja, antwortet er, du bist ihr eben gleich-
gültig. Und dann nimmt er den Vogel mit sich und schaut, zärtlicm sich
an ihn schmie^nd, mit ihm in ein anderes Wasser, und nun überzeugt sich
der Witwer wirklich, dafp sie ihn verffessen, bei einem anderen Trost ge-
funden, imd ist geheilt. — Ursprünglich war das gewifs eine lustige Fabel,
die die Dummheit des Papageien verspottete, durch den BuddhiBinus
wurde ein wunderlich weiser Betrug daraus, und die Anschauung klingt
deutlich hindurch: die ganze Welt ist solche trügerische Spiegdunfl;.
' Pani8chatanira IV, 8; Jälaka 874; Benfey I, 79. 179.348; Schiefiier
Ralston, Tibekm ialea 229.
Zur £<ntstehang des Mfirchens. 286
verglichen. Das ist ein echt buddhistischer Gedanke. Eine Frau
— erzählt das Pantschatantra — stahl ihrem Mann das Vermögen
und ging mit einem Schelm auf und davon. Sie kamen an einen
Hufs: da sagte der Schelm, er wolle erst das Geld und dann sie
hinübertragen, und damit sie noch leichter würde, solle sie ihm
auch ihre Kleider geben. Sie tat es, und er ging davon, so da(s
sie ohne Geld, ohne Kleider und ohne Mann sitzen blieb. In
diesem Zustande sah sie das Schakalweibchen, das sich um sein
Heisch brachte, und glaubte das Tier verhöhnen zu müssen, das
aber den Hohn treffender zurückgab: ihre, der Menschin, Tor-
heit sei noch viel grofser.
Wir haben hier ein Beispiel, da(s eine wunderhübsche, wirk-
same kleine Geschichte durch die indische Erzählungskunst ent-
stellt, in ihrem Wesen unkenntlich gemacht und in etwas ganz
anderes verwandelt wird: eben weil oie Inder von ihrem Bamne-
ment und die Buddhisten von ihrer Weltanschauung nicht lassen
können, bringen sie beides in Fabeln, die das gar nicht vertragen.
Die Entstellung zei^ somit, unwiderleglicher noch als die Steige-
rungen und Vertiefungen von Motiven, die wir kennen lernten,
wie eng indisches R^finement^ indische Erzählungskunst und
indische Weltanschauung zusammenhängen.
Benfej behauptete nun, da(s die meisten indischen Tierfabeln
aus Griechenland stammten, während die Märchen, mit der Ge-
schichte von den Ohren des Midas als einziger Ausnahme, von
Indien aus durch die übrige Welt gewandert seien. Diese Schei-
dung lä(st sich nicht aufrechterhalten. Auf die indischen Fabeln
kann ich hier nicht eingehen: mir scheint, dafs sie selbständiger
sind, als Benfey zugao, die Untersuchungen anderer müssen
zeigen, was an ihnen original war und was stark genug zum
Einfluls auf andere Volker. Die indischen Märchen aber sind
von denen anderer Volker nicht so unabhängig, wie Benfey
meinte, manche griechische Geschichte, wohl auch jüdische und
ägyptische, drangen in sie ein — wir werden noch manches derart
zu betrachten haben — und wurden weiterentwickelt; entwickelt
freilich durch eine Elrzählungskunst^ die aufserhalb Indiens* nicht
ihresdeichen hat. —
Ich komme nun noch einmal zu den Visionen. Dem durch
Haschisch Berauschten erscheint 'ein kleiner Stein als gewaltiger
Febblock, ein schmales Binnsal als breiter Strom' (vgl. oben ÄrMv
CXm, 266). In einem indischen Märchen ist von einem Prinzen
erzählt, den ein Geist (Rftkschasa) verfolgt Als dieser ihn packen
will, wirft er etwas Erde hinter sich, es entsteht ein Berg. Der
Rdkschasa übersteigt ihn und kommt dem Prinzen wieder nahe:
er wirft etwas Wasser hinter sich, es entsteht ein Strom, der
BAkschasa durchschwimmt ihn; er wirft Dornen hinter sich, es
entsteht ein Wald, der BAkschasa will ihn durchschreiten, da
286 Zur Entstehung des M&rchens.
wirft er Feuer hiDeiD^ und vor dem gewaltigen Brande kehrt
der Biese um.^
Diese Episode des indischen Märchens hat die Eigentümlich-
keiten der indischen Erzahlungskanst: das gleiche Motiv, vierfach
variiert und vierfach gesteigert, und es bleibt nicht ein Erzah-
lungsmotiv, es greift rettend und helfend in die Handlung ein:
im Moment, in dem wir den Verfolgten verloren glauben, wirft
er Erde, Wasser, Domen und Feuer hinter sich, und zu unserer
staunenden Überraschung vergröfsem sich und wachsen diese un-
scheinbaren Dinge ins unendliche, bis auch der Geist mit über-
irdischen Kräften vor ihnen umkehrt
Die gleiche Verfolgungs^eschichte — natürlich variieren die
zurückgeworfenen Gegenstände — erscheint auch als Episode in
vielen aulserindischen Märchen; freilich nii^ends so klar und an-
schaulich erzählt wie im indischen selbst. Da nun die Ekitwicke-
lung dieser Episode aus dem einfachen Motiv durchaus der Ent-
wickelung entspricht, die wir bei den auf Indien beschränkten Mär-
chen beobachteten, haben wir hier ein sehr augenfälliges Beispiel
von dem EinfluTs und der Wirksamkeit eines inaischen Märchens.^
Der Zauberer ist, wie ich vielleicht schon zu oft betoute,
bei allen Völkern charakterisiert durch seine unbegrenzte Ver-
wandelungsfähigkeit. Er kann jede Gestalt annehmen, die er an-
nehmen will, er kann etwa als Vogel und Fliege, als Fuchs und
als Stier, als Gerstenkorn und als Bing, auch als Mensch,^ er
kann zu ungeheurer Gröfse anschwellen und zu unbemerkbarer
Winzigkeit zusammenschrumpfen. Aus diesem Glauben haben
sich märchenhafte Geschichten früh entwickelt. Von Zeus er-
zählten die Griechen, er habe eine Zauberin Metis, die verschie-
dene Gestalten annehmen konnte, verschluckt, als sie in eine
Fliege sich verwandelte.* Dieser Geschichte steht sehr nahe die
uns durch den gestiefelten Kater bekannte: der gestiefelte Kater
bittet einen mächtigen Zauberer, er solle sich doch in eine Maus
verwandeln, der Zauberer erfüUt die Bitte, der Kater stürzt auf
die Maus zu und verschluckt sie.'
> Somadeva VII, 39; vgl. Hertel, Bunte Oeachiehten 101 ff.
« Vgl. Reinhold Köhler 1, 173. 175; Cosquin Nr. 32; Benfey, OötUnger
QdehrU Anzeigen, 1862, 1220 1
^ Man vergleiche die Geschichten, in denen ein Zauberer die G^talt
eines anderen, der verreist ist, annimmt, bis er schlieTslich entlarvt wird.
Die abwechselungsreichste und überraschendste dieser Geschichten entstand
auch in Indien und hat sich von dort aus verbreitet; siehe oben Archiv
CXIV, 1 Anm. 4 ; dazu Lescallier, Tr&ne enchanU 130 f. ; Chauvin VIII, 157.
* Vgl. Andrew Lang, Mvtk, Ritual and Religion I, 314. Bei Saaco
örammaticua kann die Zauoerin Harthgrepa alle Gestalten annehmen
(I, 21 ed. Holder S. 37).
^ Vgl. Reinhold Köhler : zu Laura Gonzenbach Nr. 65 {Zb» des Vereüu
für Volkskunde 6, 165j; Kleine Schriften l, 2ö. 371. 416. 558; Arckio für
Zur Entstehung des Mlrehens. 287
Die Inder kanDten solche Geschichten auch^ und am hüb-
schesten ist eine dieser Art und indischer Herkunft in Tausend-
undeiner Nacht erzählt: Ein Fischer fand einen in einer Flasche
verschlossenen Geist und befreite ihn aus seiner Haft Da ver-
wandelte sich der Geist sofort in ein fürchterliches ungeheuer
und rief dem Befreier zu, er müsse ihn nun morden. Doch jener
antwortete; er glaube nicht, dafs dies Ungeheuer, was der Geist
nun sei, vorher in der kleinen Flasche habe Platz finden können,
und bat ihn, er möge doch wieder zurückkriechen: der Geist,
stolz auf seine Kunst, erfüllte die Bitte, der Fischer verschlois
sofort die Flasche und warf den Geist ins Meer zurück.^
Dies indische Märchen unterscheidet sich von den euro-
päischen, insofern wir bei ihm erleben, wie der Geist zuerst ohn-
mächtig ist, dann überwältigend und toddrohend anschwillt und
zum Schluls infolge seiner törichten Eitelkeit sich wieder in seine
frühere Ohnmacht zurückbringt Auiserdem triumphiert im In-
dischen ein Mensch, kein Tier mit übernatürlichen Kräften und
kein Gott, über den Geist
Die Geschichte in Indien ist also sinnenfälliger, im Aufbau
symmetrischer, wir sehen den jähen Übergang von Ohnmacht
zur Übermacht und zur Ohnmacht zurück, und die Geschichte
ist im Inhalt freier, im menschlichen Sinne reicher als die euro-
päischen Parallelen. Darum hat sie sich auch in der ganzen
Welt durchgesetzt und lebt bei vielen Völkern, auch bei den
Deutschen, ab Volksmärchen. Sie gelangte namentlich durch
die Vermittelung der Araber nach dem Abendlande. —
Zauberer liebten es, ihre Künste im Wettkampfe zu erproben
und zu vergleichen, davon erzählten die Völker gern, denn solche
Wettkämpfe enthielten gleich mehrere Zauberstücke und -geschich-
ten auf einmal. Aus dem alten Ägypten sind uns Geschichten von
Zauberwettkämpfen erhalten, und an den mit diesen verwandten
Rätselwettkämpfen hatten die Dichter der Edda die gleiche Freude
wie die des Orients.^ Es wurden auch Verwandlungswettkämpfe
erzählt: alte Mythen, aus dem Veda und der Edda, melden als
kühne Tat eines Gottes, dals er, in einen Vogel verwandelt,
einen Trank raubte, und dafs der Besitzer des Trankes, auch als
Vogel, ihn verfolgte. ^
Die Inder haben ein Märchen, darin verfolgen sich zwei
Zauberer und messen sich gleichzeitig in einem Verwandlungs-
slaw. Philologie VII, 814 ; Oosquin I, xxxil ; ders., Les conies poptdaires et
leurongine, 1895, 8. 23; WÜDScbe, Sagenkreis vomgepreÜten Teufel, 1905, 97.
^ VßL oben Archiv OXIII, 267 und die dort angegebene Literatur.
Dazu Cnanvin VI, 25 Anm. 8.
* Vgl von der Leyen, Märchen in Edda 51 ; K Köhler III, 365 f.
' Kuhn, Harabkunft des Feuers^ 138; von der Leyen, Germanist, Ab-
handlungen für Paul 147 f.; üsener, Oötternamen (1895) 204 Anm. 1.
288 Zur Entrtelumg de8 Mfiidient.
wet&f, aber in einem Kampf aof Leben und Tod. Beide
verfolgen sich zuerst als Yöeel, der Verfolg wird zum Bing
an der Hand einer Königstochter^ der Verfolger, in einen Mann
verwandelt, kauft ihn der Königstochter ah, der Bing verwandelt
sich in Gerstenkörner, der Mann in einen Hahn, der die Gersten-
kömer auffrilst, das letzte Gerstenkorn in einen Fuchs, der den
Hahn totbeüst Schlag auf Schlag folgen sich die Verwand-
lungen, so dafs wir kaum Atem holen können; eine Verwand-
lung ist überraschender als die andere, und immer bleiben der
Verfol^nde und der Verfolgte zugleich in fortwährend wechseln-
der Lebensgefahr, wir wissen bis zum Sohlufs nicht, wer Si^er
bleibt, und endlich siegt gerade der Verfolgte, von dem wir
dachten, dafs er doch unteniegen würde.
Kein anderes Volk hat einen Verwandlungskampf so auf-
regend, mit dieser Fülle von Überraschungen und in diesem
überstürzenden Tempo erzahlt wie die Inder. Wir erkennen —
und damit beweist sich, dafs dies Märchen nur in Indien ent-
standen sein kann — auch sofort die Eigentümlichkeiten ihrer
Erzählungskunst: Vervielfältigung eines alten Motivs, dies Motiv,
der Verwandlungswettkampf, wird gesteigert zu einem Kampf
auf Leben und Tod, und die Spannung bleibt während des
ganzen Märchens die deiche. Dies Märchen ist nun wieder sieg-
reich durch die ganze Welt gezogen, in Einzelheiten abweichend,
im grofsen und ganzen das gleiche, kehrt es fast bei allen euro-
päischen Völkern wieder, von der Türkei bis zur Bretagne und
bis zum hohen Norwegen.^
Die echt indischen Eigentümlichkeiten des Märchens werden
recht anschaulich, wenn man es mit einem anderen verwandten
Inhalts vergleicht, das sich auch weit verbreitet hat, mit dem
Märchen vom Biesen ohne Seele. Dessen Seele ist meist Ein-
geschachtelt' — in einem Ei, dies in einem Vogel, der in einem
Widder. Der Held, der den Biesen besiegen soll, hat dies Ge-
heimnis erfahren, und mit Hilfe dankbarer Tiere bemächtig er
sich der Seele: ein Hund besiegt ihm den Widder, ein Habicht
die auffliegende Ente, ein Fisch holt das aus dieser herabfallende
Ei aus dem Wasser; er zerdrückt es und tötet dadurch den
Biesen. Das Märchen entsprang, wie schon dargelegt wurde (oben
Archiv CXV, 8 Anm. 2), aus uralten Vorstellungen von der Seele,
diese Vorstellungen wurden ineinander geschachtelt. Die Vor-
gänge entwickeln sich hier nun langsam, einer nach dem anderen,
man möchte fast sagen programmärsig, wir sind gar nicht im
Zweifel, dafs der Held die Seele des Biesen endlich packt, und
von dessen Qual und Angst hören wir gar nichts oder wenig,
^ Olouston, Populär Tales and Fietions 1, 413; Benfey I, 410; R Köhler
I, 138.
Zar Entstehung des MärcheDs. 289
je nach der wechselnden Begabung der Erzähler; denn weit von
dem Riesen wird seine Seele gefangen und vernichtet^ er selbst
ist eigentlich gar nicht dabei. Die ganze Lebendigkeit, die atem-
lose Spannung und die überschneUe Steigerung^ des indischen
Märchens femt hier.'
' Ein ShDÜchea überstürzend rasches Tempo hat die indische Qe-
schichte yon den Honigtropfen im Siddhapati, vgl. Chauvin VIII. 41 f.:
Tropfen von Honig, den ein Jäger gefunden, fallen bei einem Bäcker auf
die £rdey Mücken setzen sich auf den Honig, die Katze des Bäckers stürzt
sich auf die Mücken, der Hund des Jägers auf die Katze, tötet sie, der
Bäcker tötet den Hund, der Jäger entzweit sich mit dem Bäcker, die
Dörfer d^ beiden bekriegen sich.
' Dies Märchen bog^;net auch in modernen indischen Sammlungen,
und diese erhöhen die l^>annung sofort: die 8eele ist etwa in dnem Vogel,
dem langsam Federn, Flügel, Füfse ausgerissen werden, his er stirbt, und
der Riese yerliert zu gleicher Zeit unter gröfsten Qualen eins seiner Glieder
nach dem anderen (frazer* III, 353 f.). Von diesen modernen indischen
Märchen möchte ich bemerken, dals sich ja manchmal wertyoUes und
seltenes Erzählungsgut unter ihnen verbirgt — ich erinnere etwa an
Landes, Oontsa et Legendes Anamites, Paris et Saigon 1884 — 86, und an
Minayeff (Minaef), IndCiskia Skaski y Legendyy Petersburg 1877 — , sehr
yide aber — man lese nur die Sammlungen von Frere (Md Deeean Daye,
London 1868, und Steel and Temple, Wiae-auHike stories, Bombay 1884 —
enthalten Märchen europäischer Herkunft, die durch Missionare und Euro-
Eaer nach Indien getragen sind. Ihr ganzer Stil, ihre Breite, der kind-
che Ton der Erzählung ist von den alten indischen Märchen ^und-
verschieden. Wenn also frühere Forscher — ich nenne etwa Bemhold
Spiller, Programm der Thurgauüehen Kantonachule 1892/93, dazu Vogt,
Damrösehen-Thalia (Oermanüt, Abhandlungen XII, 195) — bei europäischen
Märchen, die nicht m alten indischen Sammlungen erschienen, dem Mär-
chen von Domröschen und Schneewittchen etwa, aus solchen modernen
indischen Märchenbüchern Parallelen aufbrachten, diese ohne weiteres für
die ältesten Formen der Märchen erklärten und aus ihnen die europäischen
herleiteten, so war dies sehr verkehrt: die indischen Formen sind nier die
abgeleiteten, die europäischen die ursprünglichen. — Der ausgezeichnetste
Kenner des modernen indischen Märchens, der darin zugleich höchst inter-
essante Varianten zu alten indischen Geschichten entdeckte, und dem
Sammlungen zugänglich wurden, die aufser ihm, soviel ich weiis, nie-
mandem zugänglich sind, ist Emanuel Cosquin. Man vergleiche auch
dessen Angaben über Märchensammlungen aus Asien und Afrika in Lee
eonUe popuiairea et leur angine, Paris 1895, 15 und 15 Anm. 1.
München. Friedrich von der Leyen.
(FortsetiUDg folgt.)
AxdOr L n. Bpnefaen. GXV. 19
Wielands 'Hetamorphose' in seiner eigenen Benrteilnng.
Eine Metamorphose nennt Wieland selbst mit kühner Er-
weiterung des Begriffes die geistige Wandlung, die ihn zum
Dichter des Don Sylvio' und der 'Comischen Erzählungen^ ge-
macht hat,^ und deutet damit an^ wie grofs auch in seinen
Augen die Veränderung ist^ die mit ihm vorgegangen : er ist ge-
wissermaTsen eine andere Person geworden. 'Non sum qualis eram'
ruft er mit Horaz aus,^ und wiederholt klingen briefliche Schilde-
rungen des Gegensatzes zwischen einst und jetzt in ein *Voüa
hien du changementf aus.^ Es ist ihm wohl bewufst, dafs auch
seine Leser denselben Eindruck haben müssen. Selbst sein da-
maliger Intimus Zimmermann gesteht in einem Schreiben an
Tschamer * : 'son Systeme prisent est le rebours de son Systeme passi.'
Auch die Vorwürfe und Anfeindungen, die ein so tiefgehen-
der Wechsel der ganzen Lebensanschauung zu erregen pflegt,
kommen Wieland nicht unerwartet, und im Hinblick auf sie wird
es ihm schwer, Farbe zu bekennen. Wenn Zimmermann in seinem
Buche 'Von der Erfahrung in der Arzneykunst^ (I> 211) schreibt:
'Einem Arzte . . . soll es ebenso wenig schwer fallen, der Welt zu
gestehen, dafs er im Irrthum war, als es izt einem Wieland schwer
nele, zu gestehen, dals er den Horaz dem Plato, den Chaulieu
dem Young . . . vorzieht,' so steht das in direktem Widerspruch
zu dem, was ihm der IVeund selbst kurz zuvor geklagt hatte:
'Je ne sens, que trop, combien il est difficüe et presque impossMe de
remJtrer de bonne grace dans ce bas-m^nde, apres avoir dibuiS par des
voyages dans l'autre,*^ Der 'Don Sylvio' geht ohne den Namen
des Verfassers in die Welt, und Ge&ner und Zimmermann gegen-
über begründet Wieland diese Vorsicht mit dem drohenden Spotte
des Publikums.^ Zimmermann mufs sich wegen seiner öffent-
lichen Anspielung den Vorwurf der 'Waschhaftigkeif gefallen
lassen. 'Sie haben nicht bedacht^ dafs der Schaden, den Sie mir
' Auagew. Briefe II, 195. ' Ebenda 194. ^ Ebenda I 270, II 195.
* Briefe von Zimmermannf Wieland tmd Bauer an Isehamer, 1881,
S. 52; YgL a. Auew. denkw, Briefe Wjb I Bl.
* Ausgew. Br. II 195 f. « Ebenda 223, Ausw. denho. Br. I 5.
'^elands 'Metamorphose' in seiaer eigenen Beartellang. 291
dnrch eine solche Etourderie zuziehen können, gröfser ist als der
nützliche Gebrauch, den Sie etwa in Ihrem Buche von dergleichen
Factis machen können' fügt Wieland etwas ^reizt hinzu J Er
straft den 'Schwätzer', indem er ihm den 'Endymion' vorenthält,
um weitere Indiskretionen zu vermeiden. Nichtsdestoweniger
lesen wir in einem kurz darauf geschriebenen Briefe an Gefsner:
^Idi hasse alle Gleisnerej, und sobald ich anders denke als ehe-
mals, so scheue ich mich auch nicht, es zu sagen/ ^
Zwar klagt Wieland bald nach Erscheinen des 'Don Silvio',
man solle doch endlich aufhören, ihn auf Grund seiner litera-
rischen Vergangenheit mit besonderem Mafsstabe zu messen,'
aber alle Angri^ hindern ihn nicht, die 'Comischen Erzählungen'
ans Licht treten zu lassen, auch nicht das Bewufstsein, Ol damit
ins Feuer zu giefsen.^ Die Kritik äufsert sich seiner Erwartung
^mäls anerkennend, aber doch befremdet und nicht frei von
iticheleien. Eine rühmliche Ausnahme macht Abbt, der in der
Allgemeinen deutsehen Bibliothek (I, 2, 227) die Erklärung der Me-
tamorphose der Nachwelt überläfst und schlicht und vornehm
sich begnügt, 'schön zu finden, was schön ist, es mag herkommen
von wem es will.'
Die geteilte Aufnahme, die 'Musarion' findet, veranlaTst Wie-
land schliefslich doch noch zu einem öffentlichen Bekenntnis,
das er in Form eines Schreibens an Weifse der zweiten Auflage
voranschickt. Er anerkennt die Philosophie der Grazien, die am
Schlüsse der Dichtung so genial erklärt wird, als seine eigenste
Lebensauffassung und betont, wie begreiflich ihm selbst die Ent-
rüstung der 'modernen Sophisten und Hierophanten' sei. Diese
verächtliche Bezeichnung wird in der Hamburgisehen neuen Zei-
tung von Gerstenberg zurückgewiesen, dem der Tadel der Ma-
jorität durchaus berechtigt erscheint.* Noch in den siebziger
Jahren des Jahrhunderts hält der Widerspruch an, zumal von
Seiten der Theologen. Aber auch da noch zeigt Wieland sich
frei von Einseitigkeit, wie ein Brief an F. H. Jacobi* beweist:
'Ich verdenke es diesen Herrn nicht, dafs sie so urteilen ; es war
eine Zeit, da ich ebenso dachte wie Sie.' Stets tröstet er sich
damit, dafs die * Vernünftigen', die 'Weisen'*^ verstehen werden,
dafs sein Abfall von den Idealen der Jugend erfolgt ist, 'sans
que ce qui constitue le vrai mSrite d*un homme de bien en ait souffert
la moindre altSration/^ und dafs nur den 'schwachen und guten
Seelen', den 'petitea ämes'^ — sei ihre Zahl auch noch so grofs —
' Ausgew. Br. II 22(3. 2 Ausw, denkw, Br. I 10. * Ausgew. Br.
II 244. * Ebenda 249 f.
"^ Liim-aturdenkmale des 18. u. 19. Jahrh. 128, S. 236.
• Neue Br, W,Sy hrsg. v. Hassencamp» 1894, S. 262.
' Ausgew. Br. I 365, 366. ^ Ebenda II 195.
^ Ebenda 250 u. 196.
19*
892 WielandB lüetainorphoBe' in seiner eigenen Beurteilung.
der ZnsammeDhaDg dunkel bleiben mufs^ der den Dienst der
Grazien mit der platonischen Schwärmerei von einst verbindet.
Denn^dals em solcher Zusammenhang besteht^ wurde nach
Wielands Überzeugung ^ eine chronologische Darstellung der Ent-
stehungsgeschichte semer Werke unwiderleglich dartun. Eine
kurze Slazzierun^ dieser Entwickelung in Heinses Briefen^ be-
ruht vielleicht auf eigenen Äufserungen Wielands, mit dem Heinse
damals in Erfurt verkehrte. — Zur Bekräftigung seiner Ansicht
weist Wieland darauf hin, welch starke Kontraste in Piatos
Werken zutage träten, ohne dafs man ihm je einen Vorwurf
daraus gemacht habe.
Damit stimmt es überein, wenn der Dichter daran festhält,
dafs der Prozels in seinem Innern ein allmählicher gewesen sei,
so plötzlich und unvermittelt er auch dem Publikum habe vor^
kommen müssen. ^Natürlich und gradatim' ist es damit zuge-
gangen, wie er später an Leonh. Meister schreibt,' oder, nach
einer Schilderung aus dem Ende der fünfziger Jahre, ^par des
degrSs presque imperceptibleaJ ^ Andeutungen, die eine genauere
Festlegung der Übergangszeit zu ermöglichen scheinen, b^egnen
in den Briefen des öfteren, aber sie harmonieren leider recht
wenig. Während es im März 1758 einmal heifst: *Je eommence
de plus en plus d me famüiariser aveo les gens de ce bas-monde/ '
wird im April des gleichen Jahres diese Bückkehr zum Irdischen
bereits als beendet dargestellt^ Vier Jahre später li^ sie weit
zurück.^ 1764 soll der 'Abfall von der platonischen Partei' Vor
einigen Jahren' erfolgt sein,^ währena eine andere, ziemlich
gleichzeitige Stelle um volle acht Jahre zurückweist.® Ein Brief
an Gefsner von 1766*® führt wieder an die Wende der Jahre
1757 und 1758. Diese Datierung der entscheidenden Wendung
ist also die wahrscheinlichste. Freilich, wenn Wieland den 'Cyrus'
und 'Araspes und Panthea' die ersten Früchte der Wiederher-
stellung semer Seele nennt,** so fügt er mit Recht hinzu: 'In-
dessen konnte es nicht anders sejn, als dafs damahls alles noch
sehr idealisch in meinem Kopfe war'; denn das erste Werk, in
dem er sich wirklich völlig losgerissen hat von den Traditionen
der Jugend, ist doch ohne Zweifel erst der 'Don S7lvio\
Der Übergang erstreckt sich also auf mehrere Jahre, und
demgemäis blickt der Priester der Grazien bereits in manchem
seraphischen Hymnus durch, ebenso wie später die Glut der
einstigen Schwärmerei noch ab und zu leise aufflackert — Schon
1757 pariert Uz die Angriffe unseres Dichters gewandt durch
den Hinweis darauf, dafs 'der heilige Wieland selbst zuweilen
» Ebenda 368. « Werke (Inselverlag) 9, 34 f. ' Äuegew, Br. III
885. * Ebenda I 270. ' Ebenda I 259. <^ Ebenda I 270. ^ Ebenda
1 194. " ÄU81C. denkw. JB^. I 9. * Ebenda 10. ^ Ebenda 47. " Ausgew.
Br. UI 385.
Wielands 'Metamorphose' in seiner eigenen Beurteilung. 298
schalkhaft schildere' und führt ein schlagendes Beispiel aus den
'Briefen von Verstorbenen' an,^ und die Kritik greift das begierig
auf.^ Wieland selbst nimmt an, dafs schärfer sehende Geister
lauge voraus wissen mufsten^ welchen Weg er einmal gehen würde.
'Pour VOU8 et vos semblables vous avez sans douie devinS et privu tout
cela de Umgue main, et vous en serex aussi peu surpris que moi'
schreibt er 1762 an Zimmermann ^ und ein andermal^ malt er
sich die Freude aus, die 'die Utze, die Lessinge und die Nicolai'
bei der Lektüre des Tarisurteils' über die Erfüllung ihrer Pro-
Shezeihungen haben würden. Bückschauend auf seine früheren
ünglingsjahre spricht er einmal von dem 'Kampf der sinn-
lichen Liebe mit dem überspanntesten Piatonismus .' Wie weit
zurück er die Grundlagen seiner späteren Denkart verlegt, geht
auch aus solchen Äufserungen hervor, in denen von einer 'Bück-
kehr' zu seinem ursprünglichen Wesen die Bede ist. Wir haben
schon von einer 'Wiederherstellung seiner Seele in ihre natürliche
Lage' gehört.^ Ganz ähnlich drückt ein Brief an Zimmermann
es aus mit den Worten 'ce rStablissement dans ma forme naturelle'
und 'je me trouve tout naturellement au point d'oü je suis parti il y
a dix ans.''' Scharf weist aber Wieland stets den naheliegenden
Verdacht zurück, dafs seine religiös- sittliche Begeisterung nur
Heuchelei gewesen sei. Interessant in dieser Hinsicht ist die
Gegenüberstellung des jungen und des gereiften Wieland in Mo-
sers Schrift 'Über die deutsche Sprache und Literatur* 1781 (Werke
9, 149). Er findet etwas Unwahres in den Erstlingswerken. Die
Sprache scheint ihm mehr Empfindung zum Ausdruck zu bringen,
als wirklich in dem Dichter wohnt, während sie später für die
Fülle der wahren Empfindung zu eng ist. — Wie ein Schleier
fällt, nach Wielands eigenen Worten,* der Pietismus von ihm
ab; seine wahre, ilrsprüngliche Gestalt kommt zum Vor-
schein. 'Die Natur tritt wieder in ihr Becht ein' urteilt Gersten-
berg, und ein anderer Kritiker findet, dafs der Dichter erst jetzt
in seinem eigentlichen Elemente sei.
Dem allmählichen Auftauchen der wahren Physiognomie
folgt ein wenn auch nicht ebenso langsames, so doch auch länger
zu verfolgendes Verschwinden der letzten unechten Züge. Diese
Zeit hat Goethe wohl im Auge, wenn er in 'Dichtung und Wahr-
heit' sagt: 'Er warf sich auf die Seite des Wirklichen und gefiel
sich und andern im Widerstreit beider Welten,'* und in aem-
^ Iq dem 'Sehreiben des Verf d. Lyr, Gedichte an einen Freund^,
« Biblioth. d, schönen Wissenschaft, I 2, 425. ^ Ausgew, Br. II 196.
4 Ebenda 249 f. * Böttiger, 'Lit. Zustände' I 218.
° Vgl. auch W,s Briefe an Sophie v, La Roche, hrag. v. Hom 1820,
S. 58 {'gtäH*\ und Teutscher Merkur 1774, I 312.
' Ausgew. Br, II 195, 194. » Ebenda I 865. » Werke (Weimarer
Aiug.) 27, 90.
294 Wielands 'Metamorpliose' in seiner eigenen Benrteilimg.
selben Sinne schreibt Heinse 1771 an Gleim:* Die Ideen vom
geprüften Abraham, den Briefen der Verstorbenen und der Hymne
aat die Erlösung liegen noch immer natürlicher Weise zugrunde
in dem Kopfe des gottlichsten Mannes/ Auch Gerstenberg glaubt
zeitweilige KückfäUe in die 'Enthusiastereien' der Jugend bei
Wieland bemerkt zu haben (a. a. O. 390). Mehr scherzhaft ge-
meint ist dagegen Wielands Geständnis : ^fSprouve que je me suis
fUäU trop tot d'ttre gueri de Venthotmasme* in einem undatierten
Briefe, der vermutlich ins Jahr 1765 gehört^ Immerhin haben
wir selbst aus seinen alten Tagen Beispiele von merkwürdigen
übertriebenen Gefühlsausbrüchen, die an die Exaltation des Jüng-
lings gemahnen.^ — In diesem Zusammenhang sei schliefslich
noch erwähnt, dafs Wieland bei jeder Gelegenheit hervorhebt,
seine Auffassung der Moral habe sich durchaus nicht wesentlich
geändert,^ eine Selbsttäuschung, die ebenfalls zu den letzten
opuren des inneren Kampfes gerechnet werden mufs.
Piatonismus ist das Schlagwort, mit dem Wieland am lieb-
sten den Zustand seiner Seele in den Jünglingsjahren bezeichnet
(bes. Äusgew, Br. I 261 f., 11 241, 242, Böttiger a. a. O., I 174).
Plato beherrscht ihn in dieser Zeit ganz. 'Je ne vais plus insiruire
les jeunes filles dans les mysteres de la philosophie de Piaton' heifst
es in einem Briefe aus der Übergangsperiode ' und wieder : 'Platofi
a fait place d JSorace.'^ Bald nennt er sich 'revenu des reveries de
Piaion/ ^ bald redet er von einem Verlassen der 'platonischen
Parthey' oder von der 'platonischen Schwärmerey' von einst.^
Im 'Anti-Cato' {Teutscher Merkur 1773, III HO f.) wird die Ent-
wickelung eines Menschen wiedergegeben, dessen Jugend 'im Arm
der Weisheit und der Tugend m edleren Übungen verfliefst'
Auch hier, wo offenbar eine Selbstschilderung vorliegt, ist Plato
der Lehrer des jungen Weisen. In GersCenbergs mehrfach zi-
tierter Analyse der dichterischen Persönlichkeit Wielands (a. a.
O. 389) wird ebenfalls betont, dafs die 'ansteckende schwärme-
rische Beredsamkeit' Piatos ihm verhängnisvoll geworden sei. —
Aber nicht nur sein Denken, auch sein Fühlen steht Jahre hin-
durch unter der Einwirkung des Griechen. Er gibt selbst zu,
ein typisches Beispiel eines platonischen Liebhabers gewesen zu
sein.^
Neben Plato hat der junge Wieland natürlich noch andere
Vorbilder und Führer. Am besten unterrichtet darüber die schon
erwähnte Stelle des 'Anti-Cato\ Einen Sokrates, .einen Epiktet,
> Werke (InselverL) 9, 34. * Br, an Sophie La Boche 58.
^ Böttiger a. a. O. I 197; Atisw. denkw. Br. IJ 109, vgl. a. 106 oben.
* Z. ß. Ausw. denkw, Br, I 7. Äusgew. Br, II 224, 241 u. 262 f.
* Ebenda I 270. «^ Ebenda II 194 f. ' Ebenda II 224. « Ausw.
denkw, Br. I 9, ygl. auch Äusgew. Br. II 262, III 385. ^ Ausw. denkw.
Br. 1 198.
Wielande 'Metamorphose' in seiner eigenen Beartdlnng. 295
Plntarch und Xenophon verehrt er als die Weisesten der Weisen,
Phocion, Timoleon, Diotima sind seine sittlichen Ideale. Von
Zeitgenossen und Vertretern der näheren Vergangenheit ist in
erster Linie der Mentor Bodmer zu nennen; bezeichnet sich doch
Wieland selbst als Bodm^rien!^ Auch als Anhänger Youngs
bekennt er sich häufig, und er preist gern die Dichtungen der
Elizabeth Rowe. Shaftesburj darf hier ebenfalls nicht feUen. —
Bald aber hören wir andere Namen erklingen. Young macht
Chaulien Platz, und der einst geschmähte Uz konmit zu Ehren.^
'Jt pense sur le Ckrisiianisme comme Montesquieu sur son lit de tnort;
sur la fausse sagesse des esprits sectaires et les fausses vertus des /n-
pons comme Luden: sur la morale spiculative comme Hßlvetius, sur
la mStaphysique — rien du tout; eile n*est pour moi qu'un ohjet de
plaisanterie,' So lautet ein Bekenntnis aus dem Jahre 1764.^
Bemerkenswert ist^ dafs auch Gerstenberg (a. a. O. S. 389) von
einem Übergang 'von Plato zum Bufibn oder Helvetius^ spricht.
Am liebsten bezeichnet Wieland diesen Übeigang als ein
'Herabsteigen' aus höheren Regionen in die irdische Wirklichkeit.^
Denselben Ausdruck adoptiert dann Zimmermann in einem Briefe
an Nicolai (bei Bodemann, 'Zimmermann' S. 293). Die Flüge in
ätherische Räume erscheinen dem reifer gewordenen Dichter als
Verirrungen und Abenteuer, die er durch seine Jugend und durch
Mangel an Erfahrung erklärt.' Er nennt sie 'puerile Extra-
vaganzen' und 'moralische Don Quixotterien', und mit den Worten
'Man kann nicht immer ein Knabe seyn' emanzipiert er sich von
dem Zwange einer ungesunden Moral.^ Das Vorleben der mensch-
lichen Seele, die seraphischeu Wesen und vieles andere sind ihm
Chimären geworden.*^ Nicht von ihm, sondern von einem acht-
zehnjährigen Schwärmer, von einem 'jungen Gelbschnabel' sei Uz
beleidigt worden, heilst es in Briefen an Riedel,^ und diese Aufse-
rung zeigt von neuem, warum Wieland bei anderer Gelegenheit
nach dem Worte 'Metamorphose' griff.
Seine Jugend werke verwirft der umgewandelte Dichter
ebenso rücksichtslos wie seine Jugend ideale. Er nennt sich
selbst einen 'strengen Vater gegen seine ersten Kinder'.* Bod-
mer und Schinz gegenüber ist er freilich sorglich bemüht, jeden
Verdacht, als ob er sich dieser Erstlinge schäme, zu entkränen.^®
Eün solcher Verdacht — der völlig berechtigt war, wie andere
* Ausgew, Br, I 365. * Ebenda II 250. Äusw. denkw. Br, 1 9.
' Äusgew. Br. II 241.
* Ausgetc, Br, I 868 (vgl. 315 u. 'Oyrus' S. VI), II 195, 250, HI 385,
auch I 270, II 227, I 259, II 195, letäscher Merkur 1773, m 111.
* Ausgew. Br, I 261, 815, 866, '/rfris' 6 f.
« Ausw, denkw, ^. I 9 u. 10, Ausgew, Br, II 244. ' Ebenda II 241.
« Ausw. denkw. Br, I 196, 211. » Ausgew, Br. I 368, vgl. auch III
315. ^ Ebenda II 92.
296 Wielands 'Metamorpliose' in seiner eigenen Beurtdlung.
AufeeruDgen Wielands beweisen^ — war besonders durch die
Vorrede zum ^Cyrus^ geweckt worden. Schinz soll sich nun sein
Urteil nicht nach dieser 'eilfertigen' Vorrede bilden, sondern die
Diskurse zu der Sammlung der ^Poetischen Schriften' abwarten.
Wie wenig diese geeignet waren, Schinzens Vermutung zu wider-
legen, mögen Wielands eigene Worte in der Einleitung zum
^dris' (S. 6 f.) zeigen: ^als ich dieser Gefahr (nämlich der
Selbstüberschätzung) glücklich entgangen sey, beweisen die Ur-
theile, die ich selbst über meine jugendlichen Poesien in der
neuen Auflage, so im Jahr 1762 zu Zürich davon gemacht wurde,
gefällt habe, und, wie ich hoffe, meine neuem Versuche/ — Die
Verdammung der Jugendschriften wechselt ab mit der schon er-
wähnten Betonung des historischen Zusammenhanges der ge-
samten Produktion,
Wieland gibt uns auch über die Hauptfaktoren selbst Aus-
kunft, die nach seiner Ansicht zusammengewirkt haben, um einen
neuen Menschen aus ihm zu machen. 'Or gut a le plus coniribui/
schreibt er 1762 an Zimmermann, 'd op&rer ou pUUoi [sie!] ä aehever
entierement cette mitamorphose . . . c^Stoit prinoipalemeni la suHe de
disastres, de peines, et de miseres qui fn*a poursuivi depuis man re-
tour dans ma pairieJ^ Derselbe Sinn liegt in den Worten: J'ai
appris par tme longue exphience de privations, de peines, de soueis et
de chagnns ce que vaut le plaisir,'^ Freilich, diese trüben Erfah-
rungen fallen bereits in die Biberacher Zeit und haben, wie Wie-
lana selbst zum Ausdruck bringt, das Werk nur zu Ende ge-
bracht Die Übersiedelung nach dem durch Eonfessionsstreitig-
keiten bewegten Biberach und die Übernahme eines öffentlichen
Amtes hatten selbst schon in der gleichen Richtung gewirkt.
Weist doch der Dichter eigens darauf hin, dals sich die Him-
^pinste seiner Jugend in seiner ^süfsen angenehmen Einsamkeit'
(m der Schweiz) besonders üppig hätten entwickeln können.^
^J'ai eti obligS ou de reformer mon Platonisme, ou d'aüer vivre dans
quelque dSsert du Jh^ol/ meint er ein andermal.' Die Gesellschaft,
in die er ei^ntlich erst in Biberach eintritt, zieht ihn von seinen
Schwärmereien ab und macht ihn zu einem 'angenehmen Gesell-
schafter'.^ Seine Absonderung von der Welt hatte ihn auch in
völliger Unkenntnis des Lebens gelassen.'^ So wird denn auch
der Jugendliche Träumer im 'Anti-Cato' als gänzlich unerfahren
gescnildert.^ Wie aus einem Briefe an Leonhard Meister von
1787 hervorgeht, sind es besonders Graf Stadion und La Roche
gewesen, die als Weltmänner 'unendlich viel zur Erweiterung
und Berichtigung der Welt- und Menschenkenntnis' Wielands
' ÄuatD, denkw, ^. I 9 u. 178, ygl. auch Gentenbergs 'Rezensionen^
S. 139. * Ausffeuf. Br. II 195. * Ebenda 223, ygl. 250. * Ebenda 195.
« Ebenda 241. ' Äusw. denkw. Br. I 200, vergL allerdings ebenda 87.
"" Ebenda 47. > leidseher Herkur 1773, III 111, 112.
Wielands 'Metamorphose' in seiner eigenen fieurteilung. 297
und dadurch zu der lievolution in seiner Seele' beigetragen
haben.^ — Noch ein anderes Moment darf nicht übersehen
werden: der Einflnis der Frauen. 'Durch das^ was man Erfah-
rung nennt; durch Begegnisse an Welt und Weibern' wurden
ihm die ätherischen Regionen verleidet, lesen wir in Dichtung
und Wahrheit'.^ Zwar hatte das weibliche Geschlecht auch vor-
her schon eine wichtige Holle in Wielands Entwickelung gespielt,
aber damals hatte sich diese Einwirkung nach einer ganz anaeren
Richtung geltend gemacht, nämlich gerade nach der Seite der
Weltflucht und PhantastereL^
Wenn auch ein Autor nicht immer ein einwandsfreier Be-
urteiler seiner selbst sein kann, so sollten doch seine Selbst-
beobaohtunsen stets die Grundlage der literarhistorischen For-
schung bilden; denn gar vieles mu(s er besser wissen, als es der
scharfsinnigste Kritiker und Psycholog zu erkennen imstande ist
< Amgew. Br. III 886. * Werke (Weimarer Ausg.) 27, 90. ^ Äuagew.
Br. 1 287, At49W. denkw, Br, I 198, Br. an Sophie La Roche 832.
Bonn. Julius Steinberger.
Die Bnrghsche Oato -Paraphrase.
Abgesehen von den Hauptwerken Langlands, Richard RoIIes,
Chaucers und Gowers hat kein anderes mittelenglisches Werk
eine solche Verbreitung gefunden wie des Magister Benedict
Burgh Bearbeitung der Disticha Catonis. Mag daher die dichte-
rische Bedeutung dieser nüchternen, langatmigen und unbehol-
fenen Reimerei noch so gering sein, die englische Literatur- und
Sprachgeschichte wird nicht umhin können, auch diesem Werke
ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden als dem typischsten Repräsen-
tanten des literarischen und sprachlichen Niveaus des 15. Jahr-
hunderts. Aus diesem Grunde will ich den Fachgenossen den
kritischen Text dieses Denkmales, den ich seit über neun Jahren
im Pulte ruhen habe, nicht länger vorenthalten, zumal ich die
wichtigsten damit verknüpften literarischen Fragen bereits 1898
in memem Aufsatze 'über Benedict Burghs Leben und Werke^
{Archiv Bd. CI, S. 29 — 64) besprochen habe. Auf diese Arbeit
mufs ich den Leser vorläufig für alle Einzelheiten verweisen. Es
sei hier daraus nur wiederholt, dafs die vorliegende Cato- Para-
phrase in siebenzeiligen Chaucer-Strophen wahrscheinlich zwischen
1433 und 1440 für seinen damaligen Schüler William Bourchier,
ältesten Sohn des ersten Grafen Essex, von Magister Benedict
Burgh verfafst ist, der, um 1413 geboren, seit 1433 als magister
grammaticae (?) in Oxford Sprachunterricht erteilte, dann durch
die Familie Bourchier nacheinander die Pfarrpfründen von Mal-
don (? ca. 1438-40), Sandon (6. Juli 1440 bis 24. Sept. 1444)
und Sible Hedingham (19. Okt. 1450 bis 1476) — sämtlich in
Essex — erhielt und schliefslich als Archidiakon von Colchester
(10. Febr. 1466 bis 1483), nachdem ihm auch noch eine könig-
liche Präbende zu Bridgnorth (11. April 1470), ein Eanonikat
an St PauFs zu London (23. Febr. 1472) sowie eine reiche Stifts-
stelle an St. Stephan in Westminster (8. Juni 1476) übertragen
waren, am 13. Juli 1483 gestorben ist
Die uns beschäftigende Cato -Version ist, soweit mir be-
kannt, ganz oder fragmentarisch in folgenden 25 Handschriften
und 4 alten Drucken auf uns gekommen:^
' Sämtliche Handschriften, P und Q ausgenommen, sowie der erste
Druck Caxtons und der Coplands li^en mir in Abschriften oder Kol-
lationen vor, aus denen ich gern Interessenten über etwaige Varianten
Mitteilungen machen werde. In meiner Gesamtausgabe der mittelenglischen
Cato -Versionen werde ich natürlich den ganzen Variantenapparat bringen.
V 71 J)
Die Barghflche Oato-Pantphrase. 999
a) Handschriften:^
London, Brit. Mus., Ms. Harleian 116, fol. 98*— 124*
. . . . 172,fol.52*-71^
. . . „ 271,fol.26*-44^
„ „ „ ^ ^ 2251,2fol.l69»— 178^>
„ r, „ V 4733, fol. 3*— 30»
^ „ 7333, fol. 25»- 30»
„ „ Arundel 1 68, fol. 7 » — 14 »
^ „ „ „Additional34193,fol.204'^— 223»
London, im Besitz des Herrn Alfred H. Huth, Huth Ms.
Nr. 7, fol. 113»— 134»
Oxford, Bodleian Library, Ms. Rawlinson C. 48, fol.
84»— 111^
^ „ Tj » Rawlinson F. 32,^ fol.
3»— 29»^
„ „ 17 w Rawlinson F. 35,* fol.
la_17b
Cambridge, üniversity Library, Ms. Ee. IV. 31, fol.
7a 24»
„ „ „ Ms. Ff. IV. 9, fol.
86^—106»
„ „ „ Ms. Hh. IV. 12, fol.
1»— 31»
Cambridge, Magdalen College, Pepys Ms. 2006,' pag.
211—224
Cambridge, Jesus College, Ms. 56 (früher Q. /'. 8),
fol. 78^ — 92^
Manchester, Chetham Library, Ms. 8009, fol. 49» — 75»
York, Hs. des Rev. Canon J. Raine (jetzt im Besitz
seiner Witwe), fol. 1»— 34»'
Durham, Bishop Cosinus Library, Ms. V. 2. 14,® fol.
69» — 92»
Glasgow, Hunterian Museum, Ms. U. IV. 17 (früher
Q. 4. 58), fol. 1»— 25»>
' Einzelne verspreogte Strophen werden sich vermutlich auch sonst
noch in Handschriiten vorfinden. So steht z. B. Str. CXI im Add. Ms.
29729 auf fol. 288*» (von Stowee Hand).
* Hd bietet den Cato nur bis V. 648, da die folgenden Lagen, nach
Ausweis der alten Paginierun^ fol. 184 — 208, verloren gegangen sind.
' Eine sor^ältige Abschrift von F verdanke ich der unvergleichlichen
Opferfreudigkeit von Prof. A. Napier.
* Da in B die erste Lage fehlt, beginnt die Handschrift erst mit
V. 427 des Cato.
* Pm enthält nur die Verse 1—367.
^ Eine sehr genaue Kollation von D hat mir in liebenswürdigster Weise
Bey. Canon W. Greenwell hergestellt
1) Ha
2) Hb
3) Ho
4) Hd
5) He
6) Hf
7)A
8) Ad
9) Ht
=
10) C
=
11) F
—
12) R
^
13) E
^=
14) Fe
—
15) H
16) Pm
=
17) Q
^=
18) M
19) Y
^
20) D
—
21) G
800 Die Burghsche Cato-Paraphnuie.
22) P = Peniarth (MerioDeth, Wales), im Besitz des Herrn
W. E. Wynne, Peniarth Ms. 38
23) Db = Dublin, Trinity College, Ms. E. I. 29, fol. 2»— 11*>
24) Fb =• Cambridge, University Library, Ms. Ff. L 6, » fol.
181»— 185»>
25) Po — London, Brit Mus., Regius 18.D.2,2 fol. 207*— 209».
b) Drucke:
26) Cx — Druck von William Caxton, erste Ausgabe,^ 4P, ohne
Jahr und Ort;
27) Cx.2 = V V V n zweite Ausgabe,* 4**, ohne
Jahr und Ort;
28) Cx3 = „ „ „ „ dritte Ausgabe, ' Folio,
ohne Jahr und Ort;
29) Cp = „ „ William Copland,* London 1557, in klein
Quart
* Fb enthält nur 40 herausgerisflene Strophen unfleres Cato und zwar
in folgender Anordnung : Strophe 89, 80, 18, 17, 13, 20, 21, 34, 88, 87, 42,
40, 53, 56, 57, 59, 79, 78, 80, 81, 77, 76, 88, 85, 166, 162, 164, 22, 25, 27,
31, 32, 91, 93, 94, 96, 100, 101, 102, 104.
* Pc enthält nur folgende 28 Strophen: 73, 76, 77, 11, 14, 17, 19, 23,
88, 56, 66, 70, 8u, 57, 61, 62, 44, 28, 74, 25, 79, 20, 21 (gedruckt in ArUi-
qitarian lUpository IV 182—187 und von E. Fiflgel in Änglta XIV 471—497 ;
vgl. Zupitza, Archiv XC 296 f.), mit denen laut Angabe der Handschrift
der kunstsinnige fünfte Graf Percy (147^—1527) die Wände eines Ge-
maches auf seinem, 1650 durch die Puritaner zerstörten Schlosse Wressle
am Humber hatte schmücken lassen. Vgl. auch E. Barrington de Fon-
blanque, ÄnnaU of ihe House of Percy, London 1887, Vol. I S. 328.
* C5x ist mit Type 2, also vor dem 2. Februar 1479, gedruckt. Da«
einzige erhaltene Exemplar befindet sich auf der Universitätsbibliothek zu
Cambridge (Signatur: AB. 8. 48. 2). Vgl. W. Blades, Ihe Biography and
Timograpvy ofW. Caxton (London 1861-03), Vol. II ö. 52—54 und Plate
^ Ebenfalls mit I^pe 2 gedruckt. Einziges Exemplar im Besitz des
Herzogs von Devonshire zu Chatsworth in Derbyshire. Blades II 85.
^ Vor 1481 gedruckt. Die drei bekannten Exemplare befinden sich
im Besitz des St. John 's College zu Oxford, des Earl Spencer zu Althorp
in Northamptonshire und des Herrn Maurice Johnson zu Spalding in
Lincolnshire. Blades II 80—82 und Plate XXIX.
* Der Titel des Coplandschen Druckes lautet: The Qodly aduertiaemerU
or good counsell of the famous oreUor hoeraUs, intitied Parcenesis to De-
7nonicu3: wherto ia annexed Cato in olde Englysh meter ,ANNO DO,
M.D,LVn, Mense Decemb.y das Kolophon: Imprinted ai London in Flete-
sireaie, at the eigne of the Rose Oartandy by William Goplande, Finished
ihe first dtw ofJanuary, Anno M,D,LVni. uss einzige mir bekannte voll-
ständige Exemplar befindet sich auf der Bodleiana zu Oxford (Signatur:
J. 18. Art. Seid.). Das Exemplar des Britischen Museums (Sien.: Gren-
ville 7792) ist unvollständig und enthält nur den Cato. Für aen Nach-
weis eventueller weiterer Exemplare wäre ich sehr dankbar. Das Buch
wurde zwischen 19. Juli 1557 und 19. Juli 1558 in das Register der Lon-
doner BuchhändlergUde eingetragen, wo wir im Beg. A fol. 24 ^ (= Aber'B
Die Burghsche Cato-Paraphraae.
801
Die Handschriften fallen fast sämtlich noch in das 15. Jahr*
hundert; nur Ht ist frühestens um 1500, Pc erst unter Hein-
rich VIIL (1509 — 47) geschrieben. Wenn man auf den freilich
trügerischen Eindruck der Altertümlichkeit der Schriftzeichen etwas
zu geben wagt, so könnte man C und F vielleicht noch in das
Jahnsehnt vor 1450 verlegen, Q H Hb Fb E wenig später, auch
Ha Db Hd He Hf Pm R D Y G M wohl noch in das dritte
Viertel des 15. Jahrhunderts.
Die Handschriften und Drucke lassen sich, wie ich später
eingehend zeigen werden, zu folgendem Stammbaum anoronen.
\
in welchem freilich die Nebenbeziehungen,^ die zwischen meh-
reren Handschriften und Gruppen bestehen, nicht angedeutet
werden konnten. Hb bietet einen stark überarbeiteten Text
und ist zweimal nach irgendeiner Handschrift der /^-Gruppe
durchkorrigiert worden. Ht und Cx enthalten einen Mischtext,
insofern als sie in den Versen 51 — 232 (d. i. Anfang des Cato
Maior) nicht dem im Schema angedeuteten Verhältnis folgen,
sondern mit der Gruppe a, speziell d oder noch richtiger der
Vorlage von Hb zusammengehen: dies erklärt sich am einfach-
Tranacript I 79) lesen: To William Coplande to prynie this hohe OaUed the
Iflocrates Paranensis [!] or admonysion to Demonious and for kis lycense
he geveth to the hoiise ... [keine Summe an^^eben; dals dies Buch aber
niemals gedruckt sei, wie H. B. Tedder im Dictionary of Not. Btogr. XII
174 annimmt) ist unrichtig]. Die Sprache Burghs ist in dem Copland-
schen Drucke leicht modernisiert.
^ Ich bemerke aber ausdrücklich, dafs ich für die Annahme solcher
Nebenbeziehnngen stärkere Beweise verlange als John Koch in seinem
Aufsatz über 'Das Handsdiriftenverhältnis in Chaucers Parlement of foules'
(Arekiv CXI 64 ff., 299 ff., OXII 46 ff.). Wer den mittelalterüchen Schrei-
bern so wenig Selbständigkeit uud Nachdenken zutraut wie John Koch,
wird wohl üoerall zu dem Resultate gelangen, dals nahezu sämtliche
HandBchriften irgendwie miteinander verwauat sind.
802 Die Borghache Cato-Paraphnue.
sten bei der Annahme, dafs ihre Vorlage x ^ ^^^ genannten
Versen nach einer zu d gehörigen Handschrift durchkorrigiert
war. A hat starke Beziehungen zu 9. Fb gehört^ soweit die
wenigen Strophen ein Urteil zulassen, in eine Gruppe mit R
Die Handschrift Pm gehört sicher zur Gruppe ß, dodi bat äe
so viele selbständige Lesarten, dafs ich auf Grund des frag-
mentarischen Inhaltes ihr einen näheren Platz nur versuchsweise
anzuweisen wage. Die Anordnung von Q ist nur eine voriia-
fige. P habe ich noch nicht gesenen, also auch noch nicht 1^
rücksichtigen können.
Es kann keinem Zweifel unterli^en, dafs der Originalwoit-
laut am besten repräsentiert wird durcn die Gruppe a und inner-
halb dieser wieder durch die Gruppe &. Die vier dazugehörigen
Handschriften C F H Q bieten indes sämtlich einen so guten
Text) dafs es schwer ist, zu entscheiden, welcher von ihnen der
Vorzug zu geben ist. Ich habe die Handschrift C zur Grund-
lage meines Textes gewählt, weil sie vermutlich die älteste ist
' und auch wohl die geringste Fehlerzahl aufweist. Dabei habe
ich die Textgestalt so konservativ wie möglich gehalten, so dafi
der unten folgende Text im wesentlichen eine Reproduktion voo
C ist, mit stillschweigender Einführung moderner Interpunktion,
Auflösung der Abkürzungen mit Kursivdruck, Regelung der gre-
isen Anfangsbuchstaben und Fortlassung der Cäsurpunkte. Nur
wo ein Vergleich der übrigen Handschriften lehrt, dafs C nicht
den Originalwortlaut bietet, habe ich diesen auf Grund des ge-
samten Variantenmaterials wiederherzustellen gesucht. In allen
solchen Fällen habe ich die Lesart von C sowie die Varianten
der übrigen Handschriften vollständig am Fufse der Seite ver-
zeichnet und im Text selbst durch ein vorgesetztes Sternchen
auf den Variantenapparat verwiesen. Es sind dies im ganzen
236 Fälle: eine gewifs kleine Zahl bei 1134 Versen (nach Abzog
des in C fehlenden Parvus Cato), wenn wir die notwendige Un-
sicherheit handschriftlicher Überlieferung, zumal beim Durchgang
durch mindestens drei Abschriften, in Betracht ziehen; aber doch
eine hohe Zahl, wenn wir bedenken, welch selten günstigen Fall
wir vor uns haben, wo die handschriftliche Überlieferung kaum
zehn Jahre nach der Entstehung des Originales einsetzt! Wcdd
schon nach zehn Jahren bei der vierten Abschrift in wenigstens
jedem fünften Verse sich ein Fehler eingeschlichen hat, wessen
sollen wir uns da bei Handschriften versehen, die eine hundert-
jährige Überlieferung durchlaufen haben?! Diese Erfahrung
mahnt gewils zur Vorsicht und Skepsis und ist ein Warnuogs-
zeichen für eine Wissenschaft, die so viel mit späten Kopien
und obendrein meist nur einer Handschrift zu arbeiten hat 2
j^ Die dem eigentlichen Cato vorausgehenden Brmes sMieniioA
j^oder, wie sie im Mittelalter heifsen, der Parvm Oato fehlt in
Die BurghBcbe Cato-Paraphrase. 303
der Gruppe a. Die Handschrift H bringt ihn zwar am Ende
des Ganzen; jedoch ist ihr Text des Kleinen Cato aagenschein-
lieh so nahe mit der'Grnppe x verwandt, dafs wir mit Bestimmt-
heit annehmen dürfen, dals H ihren Parvus Cato erst nachtrag-
lich aas X oder einer mit dieser verwandten Handsclnift hinzu-
gefügt hat. Es mufs daher die Frage aufgeworfen werden, ob
die Übersetzung des Parvus Cato überhaupt von Burgh her-
rührt. In der Holperigkeit des Verses, Nüchternheit des Aus-
drucks und Ode des Inhalts steht der Parvus Cato sicher noch
eine Stufe tiefer als der Burghsche Hauptteil, so dafs man ge-
neigt wäre, eine andere Hand darin zu senen. Indes könnte man
diesen Unterschied doch wohl daraus erklären, dafs die Breves
senterUiae, von denen 7 — 10 jedesmal zu einer Strophe zusammen-
gestellt werden mufsten, durch ihre Vielheit und Knappheit dem
ungewandten Übersetzer noch grölsere Schwierigkeiten bereiteten
als die Distichen, so dafs ich nicht mit Sicherheit den ^Kleinen
Cato' unserem Bui^h abzusprechen wage. In meinem unten fol-
genden Texte habe ich daher den Parvus Cato trotz der Un-
sicherheit über seine Echtheit mitabgedruckt und zwar auf Grund
der Handschrift H.
Das lateinische Original, das in den Handschriften meist
jeder Strophe vorausgeschickt ist, habe ich nicht mitabgedruckt.
Doch ist am linken Seitenrande jedesmal auf das entsprechende
lateinische Distichon verwiesen und zwar nach der Zählung der
Cato-Ausgabe bei Baehrens, Poetas kUini minores, Leipzig 1881,
Vol. m 214—235.
I. Hh. IV. 12, fol. 29^^
Whan I aduertyse in my remembraDce
And 866, how feeU folk erre greuously
8 In the way of vertuose gouernanoe,
I haf supposyd in my seif, that I
Aught to Support and consell prudently
6 Them to be fnll gloriose in lyuynge
And how they sluiU hem seif to honour brynge.
II.
Therfore, my *leef childe, I shall teche the,
9 Herkyn me well, the maner and the gyse
How thyn soule inward shall acqueynted be
l^WitÄ thewys good and vertue in all wyse.
12 Bede andiconceyue; for he is to dispise,
That redyth ajre and '^'wot not, what is ment.
Suche redyng is not elles but wynd dispent
III. |H, fol. 30'
15 Pray thy Gk>d and prayse hym wtt^ all thyn hert.
Fader and moder haf in reuerence;
S ie^t HHfS 13 »oiwoi HHf, nooi X
804 IMe BurghBche Cato-Paraplirafle.
Love them well. And be thow neuer to emert
18 To here mennys oounsell; bat kepe the thens,
Till thow be depyd. Be clene wtt/tout offence.
Salue gladly. To hvm, that is more digne
21 Than art thy-self, tnow shalt thy place resigne.
IV.
Drede thy maister. Thy *thynge8 loke thow kepe.
Take hede to thy household. Loue ave thy wyfe.
24 PleBEunt wordys out of thy mouthe shaU crepe.
Be nat irouse. Kepe thy behest as lyfe.
Be tempred wttA wyne and not to exoessiue.
27 Thy wyues word make non auctorite
In folye. 61epe no more than nedyth the.
V. H, fbl. dO^
In goodly bokys whilome shalt thow rede;
80 And that thow redyst, in thyn *mynd it shytt
Styre no wyght to wrath. Lye not, I the rede,
Do well to good, and *Üiat *toiÜ eft be quytt.
88 Be not wikkydy ne to the wykkyd knytt.
Stond in the place of pletynff excersise.
Deme the rygnt Be counaeld of the wyse.
VI.
86 Play wttA a toppe; the dyse loke thow eechewe.
Despise not women; kepe them thy behest
Skome neuer wreche; for than thow shalt it rewe.
89 Couette no mannys *good. Spek few at fest.
Loke [*] thy vengeance be *cUi€aj irtth the lest.
Who *ha^ done the good, *haf in remembrance.
42 Love euerj wyght, and thys shall the avaunce.
VII. Lenvoye. h, foi. si«-
Behold, my maister, thys lityll tretyse,
What it is füll of wytt and sapience,
46 Enforceth jow the mater to complise.
Thynk it is ^translate at jowr reuerence.
Enrolle it therfor in jowr aduertence.
48 ^Desvre *to know, what thys Catoun ment.
Whan je it rede, lat not jowr hert be thens.
Doth as thys saith with all jowr hoole entent.
Ebcplicit über parui Catonis
I. 1 VIII. Rawl. C. 48, fol. 84'
51 For why that Gk>d is inwardli the witte
Off man and yeueth hym vndirstondyng,
*Ä8 ditees seith, therfore shalt thou ynshitte
64 Thyn *hert6 to thyn souere^ lord and kyng.
Pryncipalli *a-boue alle othir thyng,
Yeuyng hym laude, honour and reuerence,
67 Whiche hathe endued the with excellence.
SS thyng HHaHc;i; 30 mynd] h0rt HHfE 32 tkai wäl] thow $haU H
39 goodts H ^0 lokt agt U \ ay B.m 41 Who to haj n Hf £ | haf üHvBA
46 iramslatgd HvAv 48 Dugrttk Hf/HfFe \ to] Jor H, Jor to Am 53 A»]
And T 64 kort C 66 a boum CHe
Die BurghBche Cato-Parapbra0e. 305
1.2 IX.
A-wake, my childe, and love no ^sloffardye;
In mudie sleep look thou neuer delite,
eo inff thou purpoee [*1 to worship for to stye.
Long sieep and Blouthe to vicee men exdte;
It makith dulle, it makith ynparfite;
68 It fostreth yp the filthes of the ueesch;
It palith eek and wastith bloodia freesch.
1. 8 X.
Trist weel also: tlie fiist of vertuys alle
ee Is to be stille and keep thi tonge in mewe.
Off tunge ynteied *muche härme may falle.
And, leve me weel, this is as ffospell trewe:
69 Who can delaviaunce of woora eschewe
And reete with reeoun, this is verray tezt,
To Qod a-boye that man is aidir-next.
I. 4 i XI. toi. 84^
72 Auyse the weel, that thou neu^r trausrse
Thi owne sentence; for theroff risethe shame.
Sey nat oon and eft the oontrary reherse.
76 Such repngnaunce wiUe make thy worship lame,
Wher stedefastnesse wil cause the good fame.
For he shal neuer acoorde with man on lyue,
78 That with hymsilfe wiU ay repugne and stiyye
L6 xn.
Yiff thou adusrtise and behold a-boute
The Uffe of men and ther maners also,
81 Both of thi silf and othir the withoute,
In myddüerthe thou shalt *nat fynden, who
That in summe parti ne is to vertu *fo,
84 Blame no man theriore, iff thou do a-riht;
Sith on erth laklee lyueth ther no wiht.
I. 6 XIII.
Tiff thou Buppoee thynges shall noye and greeue,
87 Thouh thei be der and of riht grete apprise.
Such as suffreth nat thi profette ifcheeue,
Yiff thou list be reulea as the wise,
90 Abflteyne the from suich thynges in all wise;
For it is more wisdom in sothfastnesse
/To proferr profette than such richesse.
I. 7 ^ XIV. toi. 86^
98 It is a good lessoun for the nonee
A *w«ht now to be tempred with cofietaunce
And to be glad and mery eft-soones,
96 Nat alwey sad ne liht of contenaunce.
A matmys cheer may hym ful oft avaunce;
For att eche tym^ as the thyng rec^uyrith,
99 So the wiseman yiseageth and cheenth.
58 tlogardnfe C vHd SO ike to r a, ye to q 67 muck C 82 no/ F A 9p] £ d.
übr. 83 ßt] 90 tE, fro v 94 vA< G
ArUt t B. BpnclMB. CXy. 20
^
806 Dia BnrghBche Oato-Panphraaa.
I. 8 ^. XV.
Yiff nat credenoe alwev to thy wiffe,
That for hir ire ana hir ynpacienoe
102 With ehaiper tong|e than is Bwerd or knyffe
FleynjÜi on tm *Mruauf»ty thouh non offence
Thott fynd in hym: leer wed thiB seatence.
106 The wiffe wille hate and cause for to smerte
Oflyn hym, tbat hir housbonde loueth in herte.
1.9 ' XVL
And iff thou * warne a wiht of hifi sarfette,
106 Althouh he gruchche with frownyng oontenaunce
And in his languaee manace the and urette,
Tit f orber nat for *al such displesaunce
111 To teche hym amende his gouemaufice.}
Ab thou began, correcte that is a-mysse;
For that is ay a freendli teche i-wisse.
I. 10 V XVIL fol. 85^
114 Ageyns the wordy folk ay fall of wynde
Stryue nat atte all; it may the nat pfiofite.
Such iayisflh folk been in conceitis blynde.
U7 The witles word auaileth nat a myte.
In woordis feie is wisdom oft füll Ute.
For to eaery wiht is youen speche;
120 And yit the wise füll ofte been to seeche.
1. 11 xvnL
Loye othir men and haue *hmm so cheer,
That to thy silfe thy loTe may moste eztende.
128 Looke that no persone be to the mor deer
Than thyn estat; for than shaltt thou off ende
And hurte thy silfe and othir folk amende.
126 But ay cherissh othir and love hem soo,
That to thi silffe thou be nat foufiden foo.
L 13 - XIX.
Bumours newe, that flyen as the wynde,
129 Eschew, my child, with al thi duligence.
Be neuer besy newe *tidui^es *for to fynde;
Such nouelte causeth *ofte offenoe.
183 It is no Witt, it is no sapience,
It hurtith nat a man to be m pes;
But it dothe härme to putt his tonge in pres.
I. 18 • AA. fol. B^
186 Make no promys of othir mennys beste.
Bemembre weel, that promys is ^ynsore;
And but thou keep it, thi name thou sleste.
188 To s^ue thi beheste do thou thy eure.
Trist nat the woord of euery creature.
Sum mannys feithe is esy for to breke:
141 For many folke thynke nat as thei speke.
108 servauntis d'v 107 wenu G 110 ai hummt C Tic 121 kern] mem C
ISO titktndM C I /br f. CQ^ 181 oftm & 136 Pture G
Die Burghgche Cato-Parapbrafle. 807
I. 14 V- XXI.
With woordis fair whan fauel fedith the,
£e thou nat blent for hia faLs *flaterie.
144 Latt ihjn owne reson alway thy iuge be.
And, in effecte, *tf thjn eBtate be hyhe,
Thouh fauell with bis craft wil bljud myn je,
147 In al thy *ly/e thou neuer geue o^ence
More *of thi silfe than to thy consdence.
I. Iß xxn.
Whan thou seeet a-nothir mannys defiert,
ifio As for bis good deedia comendable,
In euery place, preuy and aperte,
Such a wiht with thi ^ood woord enable.
168 And thouh thou haue oe riht *ayailable,
Yit of thi good deede make thou no bobbaunce,
And than othir men shall thy name enhaufice.
I. 16 XXin. fol. 86^
166 And thou lyve longe an olde man ehall thou bee.
Age Wille approche maugre alle that aey nay.
Than perceyue, oehold a-boute and see,
169 How agid "^folk been tretid euery day;
And so to purveye for thy silfe assay.
Into stoupyn^ aee whan thou art crepte,
162 Thyng may me helpe, that in youthe was kepte.
1. 17 XXIV.
Chai^ nat, al-thouh sume mene speke softeL
'Ne chaunge no cheer; for oft it is weel bett
165 In secrete wise to speke than crye on lofte.
A man shuld see alwey, wher he wer sette,
And aftir that so schiüd he speke or lette.
168 But to the suspeet of härme it seemeth
Men speke of hym; he noon othir demyth.
1. 18 ^ XXV.
Whan förtune hathe voue the felicite
171 And sette the on hihe, than war the of a falle;
Than sueth oft ful sharp aduersite.
Fals fortune turnethe as a balle;
174 In hir trost haue thou no sykimesse att all.
Her perüous play tumeth whilom to grame;
The eend is woo, of that began with game.
1. 19 XXVI. fol. 87^
177 Our bretil liff is beer *8o ful of doute,
That in verray surete *no wiht may stond.
So Bodenly creepe the soulis oute
180 AI a-boute this world in euery lond
Off yong and old; for euery wiht is bonde
To dethe. Therfor sett nat thyn affiaunce
188 In detii of hym, ♦tho* may survyue perchaunce.
143 ßairi r 145 if] of C Hb 147 lyve C M 148 of] 1o C 168 vaüabh
C H Pc 159 foUeu C, foVcy» Hb 173 hinter as ein doth übergeschrieben (v. ap. H.),
wie HR /9 lesen 177 w f. « 178 no] im C 183 ikiO] ihe CHfvA, h* F
20*
808 Die Burgheche Cato-Paraphrase.
i. 30 XX vn.
A litU yift Tonen with good entent
Off thi nend, that lith in pouerte,
186 With riht good cheer snch yifte take amd hent,
Supposyng ay, that aa good wille hath he
And more than many men, that richer be.
189 ^Peiae nat the yifte ne pondre nat the pris.
The entent is good» and *thai may the snffice.
1. 21 v<XXVTn.
Sith nature, that is the finte norice.
192 Hath brouht the hidr all nakid and *al bare,
Thouh thou nener can richeBse accomplice
But thou arte hold alway in pouartis snare,
195 Tit, no force, make neuer to muche care,
Take padentli pouerte for the beste.
Bichesse is nat of nature, but of ^conqueste.
L 22 XXES:. fol. 87^
196 Thouh deth be fyne of euery creatnre,
And no wiht on lyue shall from *ü eecape,
Tit dreede nat deth with ovar besy eure.
201 To lyye in erthe than is but a iape,
Iff thou shalt aftir dethe so alway gape.
Thynk weel to deye, but modifie thi thouht,
204 Or *eUw to lyue auaileüi the riht nouht
1.28
For thi desert if no freende thanke the,
I meen, whan thou haste don thi force and peyne
207 To othir folk ful freeodli for to bee,
Iff thei can nat to the grauntmercy seyne,
Withdrawe thyn band and so thi silfe restreyne.
210 Blame nat *thy God for theer vnfreendlynesse,
But for such men do aftirwude the lesse.
1.24 XXXI.
Sith no richer man ne liveth anj-wher,
218 Yiff he *consume his *goodw alle and waste,
But that pouert shall greue hym sore and dere,
Therfor, my child, such goodis as thou haste,
216 Latt nat to soone out of thyn handis be *ra/te.
*Last *tha/ thi good hereaftir wille the faill,
Hold, that thou naste; it may the eft availl.
I. 26 XXXII. foL 88^
219 Behote noman a thyng to leene hym twise
And falle hym; that is but a vilanve.
Yiff thou may leende, do it in ffreendly wise.
222 Such cheuysance wil freendlyneese bewrie.
Off thi good deed clamour nat ne crye.
Be nat to w3nQdy nor of *wordej breeme,
225 Yif a good mann the list appeer and seeme.
189 PrtUt ^HbCpxHcGDFcAd 190 (hat f. CFb 192 ol* f. CM*'
197 ooquMt G 199 icj Aim G Hb M Ho x 9» 204 tU C 210 Ihyn C. f. A 813
cofume G | good aAdFb 216 rtuU G 217 Lau Q, lue Hc, sonst Utt \ than
CM^^Fb;^ t X 224 woorde &
Die Bürghflche Cato-Paraphnuse. 809
1.26
And yiff thou f^de the *8one of dowbilneBBe,
The fals diBsimulour if thou eepie
228 With peyntid woord and hert ful of falsneese,
Thou malst m no wise better bleer bis ye
Than serue h^ with bis owne trecherie.
281 For *woordw fair and freendlyneBse no part
Teue thou the same and bo aart *begy\e with aart
I. 27 XXXIV.
Preeve nat a man bi * ouer-peyntid speche.
2S4 Undir fair woordis ya ofte couerid gyle. -^
The "^ woord is gay, but frenshif) is to seeche.
And as men sey, such craft is in this ile:
287 Summe thynken härm, whan thei hir tonges file.
The whistil^rne fouler maketh mery song, ^
And yit briddis begilethe he a-mong.
1. 28 XXXV. lol. 88^
240 Whan that God hathe youen the children feie
And no richesse, than do thou in this wise:
Teche thy children with *crafti8 for to dele,
243 That with tilieir aart thei may hemsilf cheuyse.
Yiff thou do thus, thou werkist as the wise.
Craft is ful ^ood, and craft is lucratyffe;
246 By craft thei may deffende the nedy liffe.
I. 29 XXXVI.
Haue this conceit; for it is often *Beai,
Thvnges deer shall ofte abate of prise,
249 And tuynges, that of litil valewe been,
In ^rme comyng maj to grete derthe a-rise.
Bemembre this and it *W0el adusrtise.
262 Thus shalt thou beste the name of chynchery fleme.
And othir men shall the no negard deeme.
i. 30 XXXVII.
A-yyse the weel, latte resoun be thy guyde,
266 Whan othir folk thou art a-boute to blame,
That suche defaute in the be nat aspied;
For if ther be, than *shaU thou haue the shame.
268 A manys honour such thynges will reclame.
It is ful foule, whan that a man will teche, j
Iff that '^'^is deede a-yens bis *woordt8 preche.
1.31 l XXXVIII. 101.89' i
261 Loke thi desir be groundid in a riht 1
And that it neuer trauers honeste;
For as oft-t3rmes, as any wiht
264 Desirith more than riht or equite,
Than may bis request repellia be.
And it is clepid nycete and grete folye
267 To asken oft thatt men will ay denye.
826 iones a {$oum€s Hb) 831 woord C 238 begyle] begyled AvxFcAd,
gyfyd G H 833 owr fair p, C 835 uH>rld a Fb 242 crafl r, soms crqfte Hb
247 «0yn CHbCpD 251 loUle GAd, wölk RbMEf, foü Fe 857 shall G 860
Atfi] it GDbFcAd || woord GM 861 a Ut fortradiert in G
810 Die Barghache Oato-Paraphraie.
L83 XXXTX.
Chaunge nat thi freende, that thow knoweet of old,
For any newe in troet, that thou shalt fynde
270 Bettir than he; bat in thyn handis hold
Hym, that hathe to the fireendly been and kynde.
Sudi eschauftges been ful *oitm blynde.
278 Thou weenest *to knowe *and jit knowist nat a deeL
To know a freend it ia a caaueL
I.S8 XL.
Sith manys liff is falle of miserie,
276 Whilom in ndrthe and aftir in myscheef,
Now in the vale, now in the mont on hihe;
Now man is poore and eft richeBse releffe;
279 The shyn^g morwe hath ofte a atormy eve —
To ^^his pohde take heed and entend:
Look thou haue lucre in thi laboun eende.
I. 34 XTJ. fol. ©'
282 Thouh thou may yenquyBsh and haue the yictory
Off thi freend and felawe, yit forbere.
Beffreyn thi silfe; be nat hawteyn ne to hihe.
286 IrouB hauntea ful oft men do dere,
Wher esv Boftneese '^'freendw may coraquere.
For bi good deedis, sett in iowlyneese,
286 Men be to-gidr« *knytt in freenalynesse.
1. 35 XLIL
The lymytour, that visiteth the wyuee,
Is wise i-nouh. Of hym a man may leer
291 To *yiuen *girdilm, pynnes and knyues.
This Graft is gooa; *thtt8 dothe the celi freere:
Yiueth thynges smaie for thvnges, that been deer.
294 Iff thou reoevue, gif av *Bumwhai ageyn;
And that wille *nort8sn *freende9 deer certeyn.
1. 86 XLIIL
Toil nat ne stryve with hym, that is thi freende.
297 Bewar of that: make nat thi freend thi foo.
A toilous man may frenship breke and sheende.
Thes baratours, that betn mysreulid soo,
300 Intrike *hemsilfe and *wrappe hem in much wo.
For ire of kynde engendrith nat but hate,
Wher-as acoorde ^nortsheth loue algate.
I. 37 XLIV. fol. »f
306 Whan thi saruant thou takist in diffaute,
Thouh he cannat hia necligence excuae,
Yit in thyn ire make nat to lers aaaaute,
. 306 But with thi maletalent a while take trewse;
Thow shalt fynde eee, this feet if thou vse:
Beule thi paasioun euer bi such mesure,
309 That thou save hem, that be vndir thi eure.
212 oft 0 27Aiof.T \ tmd]atO 2S0 thi»] ki$ CFb 2SB frtemd a (a JnmdE)
288 kmtft] Hü &, hrmigkt Hb 291 yiue girdü» C 292 (Kit CHbMHeAd, m» FbCp
294 jiMwne tkyng & 295 noruhe tT 1 fremd C, thi frmtd F H 300 lymufTe C,
themiä/e Q H Hb Cp | wappt C 302 northaih C, nonhä F
Die BnrgliBche Cato-Pantphnse. 811
I. 38 XLV.
'Snffraufice dothe ese*, was seid fall yore a-goo.
Suffre thou and haue al Üiyn entent
812 Thouh thou may ouercome, yit do nat soo.
Conquere thoruh snffraiince and be padent,
But to foul crueite neuer consent;
815 For it is depid in Tertu excellence
A wiht to lyue in humble padenoe.
T. 39 ^ XLVI.
Be nat to scant, be nat to prodigal.
318 Oonserue thy thyng goten wim labour.
It is f ul faire [*] to be said liberal,
Bot eschew waste and be no surfetour.
321 Consume nat al Üij tresour in an honr.
Whan of thi labour nseth noon avaiUey
Nedy pouerte must the ful soone assaüle.
1. 40 XLVTL foi. 90^
824 Be nat like Sceuola*; for he wold ete
WitA eueiT man and at his feest hym feede.
Bnt neu0r wiht myht tasten of his mete;
S27 'Soman to hym, but he to all men yeede.
Be fre of mete, but look that largesse leede
The no ferther then thou may weel atteyne.
830 Be thyn owne freend, thus seith Catoun certeyn.
XLVIII, LeQyoy&
Take heed, sire, how holsumly this clerk
Entretith men wttA vertuous doctrine,
333 His firste part of this compendious werk,
In worschip how thei shal ful deerly shyne,
Gydyng to renoun streiht as any lyne;
336 Whos preceptis obseruen if ye list
And to his good cownsel yowr herte *eficlyne,
Biht on your welthe füll weel *it shal be wist
XLIX.
339 The vertues fouxe, that men shoold foorth conveie
Loo in this liff, as bridill dothe a beest,
That man nat erre heer in this pereilous weye,
342 Stablisshyng hym, as dothe a stedfast reest,
As sikir guydes, that been worthiest
Mannys lyuyng to sette in gouemaunoe,
345 This sage Catoun ful wisely doth regest
*Preentith nis sawes in yowr remembraunce.
Exp/idt *par$ prima.
II, praef . 1—2 L.
Iff thou list, my child, setten thvn delite
848 Off erthe for to knowe the tilthe and the cultur,
319 for to tQ 394 seuoh Hd Xy mmia gi iFo Ad, mnlUi Pm, weutia D, ytuoia tcv
337 tclme C 338 9hal ü CHr 846 prttüih C | part prima Ha] f. C n. a.
^ Wohl J«ner T. Scaeaola', welcher nach MacrobiuB, Satnnial. III, 18, 11 (ed.
Eyiseohardt), an dem Schlemmerbankett des Pontifez Hajdmns Q. Hetellns Pius
tdfaiahm, welehM Maerobias ausdrücklich als ein Beispi«! von koBuria anführt.
812 Die Burghsche Cato-ParaphTafl&
And iff thou wilt be of knowlech perfit
Whi summe is arable and summe is pasturey
361 And whi summe is spreynt with floury pictur,
I oonseil the to musen for a while
In the Laureat poete greete Virgile.
n, pxaef. a-4 LI. fol. 91>^
SM And forthermor, my chyld, if that thou list
The yertues of nerbes for to discrive, —
It may nowher in erthe bettir be wist,
367 Wnich be consumyng and which be nutritiye,
Which hote, which cold, which oonfortatTte, —
Than reede Macere in his old ditee,
seo Which telUth hem in propre qualite.
n, pnef. 4—6 LII.
And iff thou haue desirous fressh corage
To heer of noble Bomayns worthTnease,
868 How that thei yenquesshea them of Cartage
And many othir thoruh manly prowesse,
Than reede Lucan; fful weel can he ezüresse,
866 Who bar hym best in toun and eek in feeld,
Ajid who (ude merueillis yndir Martis sheeld.
n, pnef. &-7 LUI.
But he. that list of louers for to reede
869 Ana in that wise hymsiluen so tauaunce,
As in that craft Naso can teche hjm speede.
Summe louyth song, sume harpe, lute and daunoe,
373 Summe othir dyydrs thynges of plesaunce;
Summe louyth couertly and list nat been espied;
Summe will be knowe; and *thti8 writith Ouyde.
n, praef. 8—9 LIV. fol. 91^
375 But yit, my leeff child, iff in auentur
Thyn hert be youe to nomanar of such thyng,
Or iff it be nat al to thyn plesure,
378 That Virgil, Macer, Lucan and Naso bryng,
Yit that thou may be wise in thy lyuyng,
Iff the list to yeue me audience,
881 I shal shewe the doctryne of sapienoe.
II, praef . 10 LV.
Therfore, my chyld, cum ynto me and leer,
*And I shal the shew the yerray *tresur
884 Off sapienoe, if that the list to heer,
And how thou shalt in good estate endur
And leede thi lyff aftir Goddis pleeure.
387 Therfore come neer and leer bi thys reedyng
To be a man yertuous in lyuyng.
n. 1 V LVI.
Ther is no wiht [*], that ferther may reporte,
890 Off thi good aeedis, than the straunger may.
87i Am CHb 888 iüid £ C | tr^aom- ^icYFe^ 889 wiAt o» ^ G
Die Bnrghsche Gato-Paiaphrase. 818
Make hym good cheer and shew hym thy disport,
And he ahall Tttir the, this is no nay;
393 For *^he ynknowe sumtyme to do assay.
Freendia inowe to have *i8 bettir thyng
Than is freendles a man to been a £yng.
n. 2 ^ LVII. fol. 92^ .
396 Off GoddiB' mist^rie and bis werkyn^
Make neuer, my child, to *f6iTe inquirance.
It is foli to mnse ypon such thyn^.
399 Dispute neu0r thi Gkxidis i>urueiaanoe.
All thyng mnst be vndir bis sonemannce.
Sith thou art man clad in mortuite,
402 Dispute thou tbyngee such as mortal be.
n. 3 LVni.
The dreede of deth that is inordinat, —
I meene, to dreed it ay and neu^r cees.
405 Bewar of that, I conceil the algate;
For this is as trewe as gos^ ^douteles.
Who dreed it so, is alway m^rthelesse.
406 Whan dreede of dethe a man so * a^greggithe,
It wastithe liff and bis tyme abreggime.
n. 4 UX.
For *tkyng, that is to the vnoerteyne.
411 Whan thou art wrothe, look neuer {)at |>ou stryve;
Thi passions esili witbdrawe and refreyn.
For ther is no persone in erth on lyre,
414 But that Tnresounles be is als blyue
As besy wrathe *haih ^kyncHed hym on fyre.
And than can he nat deeme the ^trouthe for ire.
n. 5 "^LX. fol. 92^^
417 As tyme reauerith, so make thyn expence.
Mesure uiyn band aftir thyn proprite
Off tbynge, of tyme, and aftir the presence.
420 See that thou spende nomor than neditb the.
And that to spende loke that thyn herte be fre.
A man shold do cost and make bis spendyng
423 Considryng tyme and rewardyng the Üiyng.
n. 6 LXI.
i To much is noubt of anv man«r thyng.
The meen is good and moste comendable.
426 That man stant surest beer in bis lyuyn?,
Witb meen estat that halt hym mable.
Plente and pouerte be nat suffraole.
429 For than is the ship in the see moste sur,
*Whai tyme [*] the flode excedithe nat mesur.
n. 7 LXII.
Iff thou knowe ouht, that may turne vnto shame,
432 Eeep it secre; for nothyng it *bewrye.
398 the] her, a man Hb 394 is] hU GDb A 397 tofore t 406 dovtUs & aT>
408 aggruggith G H Hb Cp A ;^ 410 thyng f. & ((hat F) 415 hath] had t, hadde Fb |>
hfnkd GDb, hmHd M 416 troihe C 430 Whan GGp | tyme (hat rRDh Y, f. GpPc
482 bewrege C ^ Ha A x G Ho D Fe
814 Die Bnrghsche Oato-PanplirMe.
Be nat to besy such thynses to pro-dame
And pablissh, aa thon Knoweet prynye.
435 Make nat all men [*] on it to gaur *emd crje.
Lest mo deprave, whan thow thi woord hast sowe,
That was before to othir folke vnknowe.
II. 8 LXIIL foi. ge*"
488 Iff thou espie and see a *8urfetour,
A theeff, a shrew of much myseouemaunoe,
Trist weel summe tyme that ther shal come an hour,
441 Whan for his deede he shal suffre penaunce.
Oursed deede askith wrech and vengaunce.
Thouh wikkydnesse for tyme be kept secre,
444 Yitt att the laste will it discurid be.
n. 9 LXIV.
Thouh that summe tyme natur hathe been vnkinde
And youe a man to be of smal stature,
447 Yit, my child, remembre and haue in mynde
That thou neu^r dispise that creature.
For God may sendde hym fortune and good vre,
4Ö0 Als oft thei be with good counseil allied,
To whom that nature hathe grete *stren^h denyed.
11.10 " LXV.
Whan the happithe trauers or [*] haue a-do
468 With oon thou knowist nat egal to thi myht,
Thyn vttrest powere shewe nat *9ueh vnto, * -
Lest that eft-soone he haue the in such pliht.
456 For it is seen in turment and in *fiht:
Fortune chauneethe ofte withynne an hour,
And he is sconfet, that erst was victowr.
II. 11 LXVL fol. 98^
459 Off brondis smale be maad thes fires grete^
WiUidrawe *the brond, the fier shal eek discrees.
A-gein the knowe, *tha^ herr, loke thou nat bete
462 With woordis feie; *for woord distrobleth pes.
The man is wise, that can of *woordts cees.
For this is sothe as God *jaf the thi liffe:
465 Off woordis small is bred ml muche striffe.
II. 12 ♦LXVIL
^Deele nat withe sorcerye ne with surquedrie.
In Groddis band is all thi sort and fate.
468 Be nat a-boute to calkle thy distanye,
Iff thou be *my8eT0\xs or ffortunate.
Lat God allone; in hym is all thy State.
471 And that hym list of the for to purpoee,
Withoute the can he fulweel dispose.
435 out on ii .'>Hb | ctnd] or C, f. F 488 «tffelocir G 461 $trmUk CAd^
452 or to G«/ 454 auch] a man a (pat man Hb) 456 nht G 460 O» CHb
461 Aat] tha GHb || Herr C, herre Hb, erre F, or H, here Fe, heir RHa, tyr Air,
ayr Db Cp, ayere H, tyre ü, kytr m (%A«r6 Ad), man h 462 woord for 0 463
teoord r 464 yeue r Hb E, ymuth H Str. LXVII mit TjXXXII YertaiiBcht in a
466 Dejfle t, dwel Db 469 yroM C S
Die BiiTghflche Gato-^ParaplinBe. 815
n. 13 LXVIII.
Bewar of envye with hir techches feil.
474 Withynne thyn herte looke that ehe nat raste.
For it is oon of the *peynt8 of helle.
Whan fihe Bolofiroeth in a mannys breete,
477 Than *brennithe Feniz withynne his owne neete.
And thoiih she may non othir man *mjBcheeiue,
'^Yit Ethna cesith nat hirsilfe to greue.
n. 14 V LXIX. foi. 94^
480 Enforce thyn herte with manly sufferannce,
Thouh wron^ iugement a-yens the proceede.
Be nat abassht in woord ne countenaunce;
483 For the processour may reule and leede
The lawe; bnt troet me weel wttAonten dreede,
Long to reioisBhen acheueth he nate,
486 Which bi menys vntrewe bis goodis gate.
u. 15 LXX.
Wraththe of olde, that shuld be oute of mynde,
Be nat aboute to make it eft on lyue,
489 But the enyious hathe that tech of Icynde.
Such malice, my childe. look thou nat revive;
For such ire of old maJdUie a new atryve.
492 And who that remembrithe old enmyte,
• > A wikkid man f orsothe, my childe, is he.
n. 16 LXXI.
• ^^ >
Thi silfe also looke that thou nat preise
496 Ne disprdse, but lette othir men allone.
Alway aftir prudence thi *woordi9 peise.
For thyn avaunt honour shalt thou gete none,
496 But haue a mokke as faste as thou arte eone.
A man to preise hymsilfe, as seithe the scoole,
Or dispreise moche is token of a foole.
n. 17 , LXXTL foi. 94'
601 Whan it is tyme of coste and grete expence,
Bewar of waste, and spend as bi mesure.
, Who that to keepe and spende no difference
504 Makith, bis goodis may nat longe endure.
The olde sawe seithe: Meeur is tresure.
For in short tyme the good may ^sfippe a-waye,
507 That was goten in many a sondry day.
n. 18 V LXXIII.
It is *no wisdam alway to be sage.
But sumtyme to seeme nyce and feyn folye,
510 Who that hathe this fet, shaL fynde avauntage.
What tyme and thyng recjuerithe, that espie;
And than dissimule» tiiat is good polide.
518 Summe trme to be vnwise in apparence
Among the wise ""is clepid ful hm prudence.
475 p€!fn$ C 477 hrtdUhe a 478 miaeheff C, myschewe F 479 And yü C
4«6 ward ^£ 506 »kippe 0 508 nat & 514 his C Ad
816 Die Burghscbe Cato-Paraphrafle.
n. 19 LXXIV.
The filüiy flessh, in meayng beetiall,
616 That fihtithe aj a-yens the soole withynne
Bi force of hir entisment sensaall,
Eschewe, my chvld, and keepe the from hir gynne.
619 That and grace been eette ful ferr atwynne.
And fle of auerice the wikkid fame:
Thes too it be, Üiat cauBen euyl name.
n. 20 ^ LXXV. foi. 95'
682 Beleve nat in every wihtia sawe;
For sume reporte thyngee al othir wise
Than it was don or any man it sawe.
625 And snme have it of cuBtum and of guyse
To feed folk withe flatrie and with lise.
Yif litil troBt therfor to suche spekyng;
628 For many folk spekith many a thyng.
n. 21 V LXXVI.
Yff thon Burfete in drynk for-yete nat that.
Ayyse the eft, thou come nat in that snare.
531 Withdlrawe thyn hand; feede nat tbv throte so fatte;
Drynk, that suffisith the, and *eU.e8 spare.
To much drynk makethe men of wit ful bare.
684 And Vit the wyne therof is nat to blame,
Bat tne drynkere makithe hymsilfe lame.
n. 22 LXXVII.
To thi trosty freend, that is ay secre,
6S7 Shew thi counseü; to hym thyn herte *bewry.
A trost^r freend is [*] ehest of pryuyte;
But it is hard such *freende8 to espie.
540 Trye oute oon a-mong a companye.
And of thy body betake thou the eure
To Buche a leche as is trosty and sure.
11.23 ' LXXVIIL fol. 96^
548 Withynne thy silfe a-greve the nat to sore.
Thouh thyng amys sume tyme the betiae;
Dismay the nat in besy wise therfore.
646 Thyn auenture thou muste needis a-bide;
Fortune may nat alwey be on thy side;
With harmes to greve in a-waite lith she
649 To reven men wdthe and prosperite.
II. 24 V LXXIX.
In thi silffe compasse a-boute before
Thyng to perceyue, that aftir schall befalle.
662 It noieth nat nor greueth half so sore,
That is forseyn, as othir thynges shall.
8odeyn chauncis disesithe moste of all.
666 It hurtithe IcBse, and is in better pliht,
Wheroff beffore a man can haue msight.
582 «a CCz, e2« FHf, eUe* ttbr. 637 bewreye GHbOUfDFc 538 tke ehett
xU^dx, the chee/Fh, a ch, l> 589 fretnd C (ct-Schleife Tom Korr. 1 ang»-
fttgt) Fb, a frmd F H B A 556 aman C
Die BurgbBche Cato-Paraphrase. dl7
n. 25 LXXX.
Whan dynen thyiigee trauen thyn entent,
668 And thow art wrappid in aduersite,
War for wanhope thou be nat lost and shent.
Latt nat dispeir thy witte bereuen the.
561 A-bide the l^e, tnat she shall bettar be.
Hope is she» *that shal make the a sethe;
Hope leueth nat a man, thouh man leue the brethe.
H. 26 LXXXI. fot 96r
664 Whan men profre, it is tyme to receTve.
Take thynges, whil thei be in seeon.
Thei frohe now, that eft will yiftis weyue.
667 Piente nowe will aftirward be j^esoun.
Take in tyme; for so comaundithe resoun.
The baUid hed, whilom füll of heris,
670 Now is bare withoute rasour or sheris.
IL27 LXXXII.
Prouyde thy süfe and haue delyiieraunce,
Be likly coniectur what may be-tide.
578 Aduartisey my chüde, in thi remembraunce
Affore and aftir, aboute in euerj^ side.
Follow Qod, and lat hym be thi guyde,
676 That hathe al thvng in hu gouerment,
Futur and passia and that, that is prwent.
n. 28 LXXXIII.
It is a tecche of a deuouryng hounde
679 To receyue superflue and don excesse,
Til his receit a-geyn from hym rebounde.
Contente thy nature and fiee gredynesse.
682 Foule lustis ay keepe yndir and represse.
Feed nat thi *lust with all, that she wil craue,
Yff that in helthe thou lust thi body save.
n. 29 LXXXIV. foi. 96^
685 Whan a multitude hathe youen a decre
Or concludith ouht a-yens thyn entent,
Trauers nat yit a-yens the comonte;
688 For iff thou do, thou shalt lihtly be shent.
Dispise nat alone the peples iugement.
In aue»ture thou plese of hem nat oon,
681 Whil thou wilt impugne hem euerychon.
n. 90 LXXXV.
Take good heed ynto thyn owne eetate
To reule thy body weel with good diete.
694 But look with iTTme thou be nat at debate,
Thouh thoruh thyn owne *mjür€tde and surffete
Seeknesse or sorwe hathe *jovien the an hete.
697 The tyme is good, and no dismale ther is,
But men it make, for that thei do amys.
562 that t CR \ aseth A He, seethe Hc, feük Hf 583 butes C 595 m^ste
T B Fb (in C rwiU rom Korr. 8 ergänzt) 596 youe r Hc, yeue B Db He Hd, yeum
HHa£, gyvm D, gyev M, you Fe, j€i Ad, t Y
818 Di6 BuigliBche Oato-Paraplmae.
n. si. LXXXVI.
Dreede no dremyB, *ao selthe Deatronomy,
eoo *ThouA thei be causid of complecdoun,
Or ellis of any nyoed fantasie,
Or *of tk Bupmlue replecioufK
606 For dremys De but f au illusionn.
Whan men be wakvng, thei desire or thyoke;
Vpon that thyng thei dreme, whan thei wynke.
LXXXVn. Lenyoye. foi. 97^
606 Miudthe a while, what all thes maten meen.
A-bidith, sire, and go no ferther yitt
To reden hem, *aua«ieth not a been,
e09 Bat iff a man the kemel wil *ynkn«tt.
Therfore your mynde and al your hert ^ynshttt
And *loke whatt lith yndir the DoiBtous rynde.
612 And I dar say, of wisdom and of witt
Plente and foisoun therin shaü ye fynde.
LXXXVIIL
ReffreBsheth you with this holfiom diete,
615 That foBtreth yertue and keepith on lyue.
To your persone me thynkith it ful meete
For to receyue such a nutrytiye,
618 Whidi your astate shal ay preserue on lyue
In ^te honour and keepe yow fro noysaunce,
Oute of daun^er and vicee infectyye,
621 Yiff ye will weräe aftir this ordynaunce.
LXXXIX.
And in especiall looke, that your deede
May bere trewe '^wittenes^e and teetifie
624 The mateer, that ye beholde and reede.
Looke with your herte as weel as with your eye.
Than, dar I say, Bumwhat shall ye espye,
627 That to this werk Bhall meyen *y<mr corage.
Wherfor your hert, your eje and all applye,
Your silf to reule aftir thes diteee sage.
ExpUdt seounda pars.
in, praef. 1—2 XC. fol. 97^
680 Behold, what wiht that listith for to reede
In this my ditee, somwhat shall *ke fynde,
Wherwith bis soule he ma^ fostre and feede
(133 WiÜi thewes good and it from yicee vnbynde.
Come neer, my child, therfore and haue m mynde
Suche doctryne to beer a-wey and leer,
686 *Aß to Üiy liff shall be füll leef and deer.
m. 1 XOI.
The soule resemblith a new pleyn table,
In which as yit apperith no picture,
689 The filisophre seithe withouten fable.
599 «o f. C 600 thou G 602 of f. G 608 valeth C (davor o- Tom Korr. 8),
vayleth Bhvx, waiUHu Ad 609 vnhneit Cx 610 vntheU Gx 611 lohkh r 683
wUttnety G 687 your m G eingefügt von Korr. 2 631 ^6 G ^ M 636 im] and r ^,
as thou Hf
Die Bnrghsche Oato-Puraphrue. 819
So is the soole bat a dedly figure,
TU the tyme ehe be recleymed with tbe Iure
642 Off doctryne and bo gete hir a good habite
To bene expert in connyng and * parüte.
m, pn«f. 8-4 XCIL
Inprente my techyng in thy soule stedfaste;
646 And ful profitabto thou shait it fynde.
Fonake it nat ne from thyne hert it caate;
For iff that thou exclude oute of Üiy mynde
648 This leeeoun, thow art füll bareyn and blynde
Fro vertu. And therof a-wite nat me,
Sith *ihe deffaute, my sone, is than in the.
m. 2 XCIII. foi. ger
661 Iff thou lyre iustly keepyng the vpriht,
Neuer declynyng for meed ne *for fauour,
Than Btondiat thou in a ful holsum pliht,
664 *ThouA men maligne with *woorde9 of *rygoure
Tff thou live thus thi good Uff is thi tour.
We may nat lette the peple to gawre *and crye.
667 But do we weel; if thei sey mys, thei lye.
m. 8 XCIV. f
Iff thou be clepid the sothe to testyfye,
Ay sau^g thy worship and honeste,
660 Thi neendiB treepace be *ntU a<-bout to wrie»
Wher as no shame may growe therof to the.
ThiB requirith ay freendlynesse porde.
668 In wele anä woo the trewe ^berayrolence
Bi-twix folke is frensship in existence.
m. 4 XCV.
Make besv wacchc; and keep thi soule algate,
666 Behold a-boute, aspie the couert treyne,
Whan that fals fauell knockethe atte gate,
He menythe guyle, * thow outewara fair he feyn.
669 He can enoynte softl;^ thyn erys tweyn
*Wi/h oUe of plesaunce in ful erete foysoun;
But vndir that keepe the from ms poiBoun.
ni. 6 XCVL foi. 98^
672 Slouthy Blogardy and dul idylnesse,
Laeches, that causeth to be neciigent,
Eschew, my chUd, with aU thi bisyneBse;
676 For ydul soule makith the body shent.
Ther is on erthe no ^retter argument
For to conclude the booy vnapte
678 Than that the soule in idilnesse be wrapte.
m. 6 XCVII.
Who that lacketh reste, may nat longe endure;
Therfor a-mong take thyne eee and disporte.
648 prcfite C mit Abkflnnngsflchleife für ro 649 a wyjt Hb, aiioyU HR,
aUwyiBV, away^Hc, wyte ACpK (toytt E) rg, moyU aHe 650 thi CHb 652 for
f. TBFbTCpy 654 ikou C | woord* tB \ rygourye C 656 or CHb | gaule R,
gawle Fb, gnart M, gare Gp, grare? Ha 660 not f. xSVbDhUX 663 banfolmee G,
^ vgoknee Hb 668 <Aov CHb 670 wkieh C
320 Die Bnrig^iBche Oato-Paraphnae.
681 Delite the neuer in besyneBse and eure,
But that whilom thou malst also reBorte
To nlaji recreactonn and conforte.
664 Thou Bnalt the bettlr labour at *^ longe,
Whan thou haste merthe Üii bisynesBe a-monge.
m. 7 xcvm.
It ifl füll hard to plese iche a wiht
687 Dispreise nomanys deedis nor hem lakke,
Ne *woorde9 nother. For even so riht
As thou deprauyst hvm, byhynde thy bakke
690 Biht so wol men male the a ^moA:^ and a knakke.
The oontrarye thouh [*] men had it swome,
The skomer shal be guerdoned ay with scome.
in. 8 XCIX. foi.ioo''
698 Whan thi laste sort, that som men depyn &ite,
Is good and plesaunte aftir thyn entente, —
Thns meen I, loo, whan thou arte fortunate, —
696 Beoeyue tiie good, that Qod hathe the sent.
Suffre it nat rechelessely to be spente.
For than of wastour thou shalt haue *the name,
699 For grete ryot will causen fehle fame.
m. 9 0.
Into grete age what ^me that thou art krepte
And thou hast richesse and grete habundaunoe,
702 Be liberall of good, that thou haste kepte.
Thynk thou hast inowh and suffisaunce.
Latt nat thi good of the haue *gou^maunce;
706 But *gou0m'it and porte it with thy freende.
Whan thou goste hens, it may nat with Üie weende.
m. 10 CI.
Grace is youen to men in sondrv wise:
708 Sum haue wisdom, and som naue elloquenoe.
Thes pore folk somtyme thei ben füll wise.
A s«ruaunt may oe of nrete sapience,
711 Thauh he be had in litel reuerence.
Beward *fdn wit, if it be worth the while.
Vertue is hid vndir an habite TÜe.
m. u CIL foi. 100^
714 This woorldis welthe, ebbynge and flowyng ay
At no certeyn, as is wantoun Aprile,
Thouh thou haue "^lost, thou shalt nat the dismay.
717 *Be content with that thou hast for the while.
Sume man ther is, that hathe nouthir cros *n« pile
Now in this world, and yit good auentur
720 Is hym ful nyh. No man can know his vre.
m. 12 CIIL
Wedde nat a wiffe for hir inheritaunce;
For she wol caste it * ful oft m thy berde.
eSithetrU ßSS tpoord &R 690 motoa CHbEGDFc, mc^« CpHeHd 691
tkouh that C B 698 (A« f. C 704 goueraujuce C 705 gauere» C 712 u C 716 hut C,
loueRFhBs^Axvi 717 Bam C 718 «or tM, mt A, fM%r H 782 wa/ C, f.Hb^
' Fol. 99 ist bei der Paginieruig ftbersprangen.
Die Borgliflche Cato-Paraphraae. 821
723 And *if she be noTBaunt, ful of greuaimce,
Oonitreyne hlr nat to biden in thi yerda
Off chastyment it is a curaide yerde
726 To keepen oon, that wol the ay atwyte.
He ia att eee, that of such on ia quyte.
in. 18 CTV. j
Off othir men thow shalt thy myrour make.
729 Conforme the to that moete men appreve.
What thou Bhalt do and *tehat thou ahalt fonake, «
A bettir fette maist thou nat ^oontrere
789 Than to othir *mennj% deede rdeeve.
In al, that perteynethe to thy techyng,
Make othir men a rewle f or thy lyyyng.
in. u OV. loi. 101'
786 Attempte no thyng, that Bourmountith thy myht
Ne that to ÖynyBsh thow *ma^te nat *acchere;
For than thou stondist foule in thyne owne liht.
788 Ouer his power what man lesto to meeve,
With shame his werke moste nedis take leve.
It ia foly a man auch thyngee to begynne,
741 Which to perfourme his wittia be *to thynne.
m. 15 CVI.
Law preaumeth, that what *man kepith atille
The cryme of oon, that hath don greto oÖenoe,
744 And diacurith it nat, he ia *al9 ille,
Aa ia the cryminoua for his ailence.
Wherfore, my aone, bryng it in audience,
747 That thou perceyueat nat weel don ia,
Leato for ailence men deeme of the a-mya.
m. 16 CVII.
Whan that the lawe ia atreit and rigeroua,
760 Entrete the iuge to *8hewef» the fauour,
Enclynyng hym for to be ^adoua.
*An e^ iuge may the 'parcaoae aocour,
768 And yit the lawe ahal be hia gouemoure,
Which he auethe aomtyme to modyfie,
In the caaa he may a poynt eapye.
m. 17 CVIII. loi. lon
756 What peyn [*] thou auffreat for thi deaerto,
Beoeyue it weel with gre in padena.
And thouh thi treapace m ^prauye and couerte,
769 Yitt, whan thou fediat in thyn aduertonce,
That thou arte blemaahed in thi conadence,
Withynne tbj aiife than make arbitrement,
762 Deemyng thy-ailfe in thyn owne jugement.
728 ^f. GHbD 780 wkat f. CHf 731 eontr^fve CHbMHcD, oofuA^yue Fe
732 mmmg8 CFe, meiu AAd 736 mutte C \ aochewe C, ewchewe Ho, aOeyne a
741 to]/«/ THb 742 «Mm f. C, a mo» B V 744 ais R, also Ad, o// CATFc,
iham Xf o» ttbr. 760 shew 0 752 And t B A HfHc, For an a \ pareauf C, pmr-
ekas T, com v (caute x) 756 ÜuU thou C He Fe Ad 758 pruuye C, pryw v, preue U,
pryvQTy Hb
ArehiT f. n. Spnehflo. GXV. 21
822 Die Burghsche Cato-ParaphrMe.
in. 18 CIX. ^
Mumende no tyme for slonthe or for laochesse,
out whilom reed in bookis olde and wise.
765 Beed and reporte with grete attentyfnesse.
6e reedyng to connyng men may arrise.
Than reed, my sone, and connyng accomplise.
768 Thes poetes writan thyngea of grete meni&Yie
And of smalle credence oftyn, thys is no mile.
m. 19» CX.
A-mong freendis sittyng at the feeet
771 Be curteis and demore of thy language.
Who spekitli moste, may nat oÖende leste.
Off flessh and boon natiire haüie made a cage
774 The tonge to keepe, that ehe be nat outrage.
*Than if thou wolt Den losed of *norture,
^ Befreyne thyn tonge with al thy besy eure.
m. 20 CXI. fol. 108r
777 Some wommen weepyne of pur femynyte,
Whan othir wise thei kan nat her entente
*Acchepe; but yit beware of nyoe pite
780 Thi manly resoun, that it be nat blent.
For suche wepyng thyne hert auhte nat relente.
Some wommen of kynde be eu0r-moor weepyng
788 And yndir that kan thei bothe prikke and stynge.
ni. 21 CXII.
That thou haste goten, to thin owne worship yse.
What auailethe richesse withoute honoure?
786 To spare good and worship to refuse
Tne nygard chynche with peyne and wttÄ labour
Is besy. But i reede the nat devour
789 Withouten resoun thy good ezoessiffly;
For than muste thou begge of othir ^hasttly.
m. 22 CXIII.
Enmnente, my childe, ay sadly in thy myndcL
That thou be nat of *deM to *«ore adradde,
That shal the from wrecchidnesse ynbynde,
Wher-in thi liff longe thou hast ladde,
795 TU of thy ^ Corps thy soule hathe ben ful sadde.
For riht as dethe is eend of ferfulnesse,
So is she eende of al thy wrecchydnesse.
ni. 28 CXTV. fol. 102^^
798 *Thi wifis woord suffre and take in gree,
Whan it ayaileth : for betide it ma^
Ful ofte, that *of riht grete pnidence is she
801 And muste ben a-lowed, this is no nay.
Suffre hir than and hir oonceit assay.
For it is hiurd. whan thou can nat be stille,
804 Ke hir to suffre thou kanst haue no wille.
792
775 Thauh C \ natere C BhaOpx» nurtur« R^DAd 779 aech«w CM Ha
HcFc, etchewe Db, ashue Hf 790 hattfy CR, hatfyly FHHbHaHc (-tfi), hoMUfy
xDaCpAD, hashifly GHe 792 d$d C l tofort C 796 corpm C, cort y 798
C 800 räb 0/ C
Die BurghBche Gato-Paraphrase. 328
m. ai CXV. n
Goodia, that be yonen the of nature,
Comethe eek of th^ progenjtoura.
807 Therfore, my child, with al thi foroe and eure
Love hem weel and cherissh at all hours.
Thei fostred the and kept in vouthe shours.
810 Thi moodir, my child, in especiaU,
Iff thou do wele, neu^r offende at all.
' J
CXVjl LenYoye.
Resortei resorte and hidirward releve.
818 My maister, now her is *an holsom ayr.
For your availe vnto this place retreve,
Wher-as of moralite floures fayre
816 And Bwete fnl plesaantly, lo, dothe repeir.
Gadrith therof ana makithe yow a ^ay
And restethe yow heer riht in this *herbe»re.
819 Behold and see, what thyng is to your pay.
CXVII. ibi. loer
Whane ye haue gadrid floures *to your liste,
Tastethe hem; for thei ben p-0seruatiffe.
822 Holdithe hem fast and bereUie m your ^ftste.
For the pestilence ayers infectyffe
I conseü yow, and *iuparte my liff,
826 That ye shall leede your liff in sikimesse
Thoruh yertue of tJiis conseruatiffe
And eeke atteyne to muche worthynesse.
OXVIII.
828 ThuB meve I you vndir proteoctoun
Off your good grace, what t^me ye reede
Or haue in tnis mateer inspecctoun,
831 As it biddith, that ye wol don in deede.
And than I dar afferme [*] withouten dreede,
Ye shall *acchere and be ful yertuous.
884 Heer shal ye Mide, that you may guyde and leede
Strdht to good inme and bryng yow til hir hons.
Expltcit tertia -pan.
813 vnhoUom G 818 h«rbere C}S.v}^{erbayre Ad) 820 to f. G, nito F, at Hb
822 fttU G, feyttya D 824 euparte G, iuparU F, m part R, jupard H, jubarU M,
jubard a, joberd A, yeopord HbGp D Fe, gewparde Fe, gibarde v, ubard» Ht, iepardi Gx
832 afferme it r 833 acekmoe C, eaekewe a, etckme v
Würzburg. Max Förster.
(SchlnfB folgt)
21
Znr eng^lisehen Wortg^esehiehle.
1. Ccurfax.
Carfax, Carfox 'a place where four roads or streets meet;
name of a place formed bj the interaection of two principal streets
in variouB towns, as at Oxford and Exeter' wird vom N. K D. ohne
Zweifel richtig auf afrz. *earrefore8 (carrefors) = lat quadrifurcus
'four-forked' zurückgeführt Die lautliche Entwickelung des eng-
lischen Wortes ist nicht ganz klar. Das N, E, D. bemerkt: 'The
total absence of the r in English is . . . notable» especially as fork
was a well-known word from OK times.' Qrolse Schwierigkeit kann
jedoch der Schwund des zweiten r nicht machen: wir haben hier
offenbar einen Fall von totaler Dissimilation. Umgekehrt
mag das a<o der zweiten Silbe auf Angleichung an den Vokal der
ersten Silbe beruhen, wenn es nicht eher aus Mundarten stammt, die
o lautgesetzlich zu ä wandeln (ox > aks, top > tap im Süden und
angrenzenden Mittelland).
Für totale Dissimilation mögen hier den Sammlungen von
Jespersen, E. St. ^^TTT 461, und Hempl, Lost of t in English
through dieHmilcUion, in : Dialect Notes (published hj the American
Dialect Society) I 279 ff., noch einige Beispiele zugefügt werden.
F&vere = Febnuxry, Cely Papers 1488 (S. 140—142), 1487
(S. 169 f.). Diese für die ältere Zeit vom N. E. D. nicht belegte
Form mit Dissimilation ist heute noch dialektisch: E. D. D.U dl^
verzeichnet Febiwerry und N. E, D, schott febewar, Henslowe schreibt
in seinem Tagebuch 1591—1609 fAery (S. 88).
Itbary für library kann man gelegentlich hören; L. Murray,
English SpeUing-Book (York 1804) stellt es unter die vtdgar errors
(Kap. 18).
Afrz. orfreis (awifrisium) erscheint im 15. Jahrh. als orpheis,
offreis, vgl. N. E. D. unter orphrey *gold embroidery*.
pimrose für primrose, vgl. Wright, Orammar of Windhill, § 262;
F. E. Taylor, Folkspeech of South Lanoashire, Manchester 1901;
Darlington, Folkspeech of South Gheshire, S. 20.
Für quarter verzeichnet N. E. D. qwaiteer 14. Jahrh., für quar-
terage quaterage 15. Jahrh.
Shrewshury (Soiropesherie) heifst in der örtlichen Aussprache
sroaxbri und soaxbri.
Zur englischeEi Wortgeschichte. 825
ircmaom 'Querbalken' (vgl fraumsum^ iransum, fransounes in
Records of a London Oity Ckwrch 1426—27, S. 65 U 1487—88,
8. 187; E, E. T. S,, Original Series No. 125) erklärt Skeat als 'a
comiption of lat. iranstrum^ vgl. jetzt auch seine Notes on English
Etymohgy, 8. 804. Das Etymon ist allem Anschein nach riditig,
nur ist das englische Wort keine eorruption, sondern lautgerechte
Entwickelung. Zunächst ist iranstrum zu transt(p)m (r — r zu r — 0,
totale Dissimilation) und dann ist stm ganz regelrecht zu «m ge-
worden wie in Chrisimas.
Wenn in altengl. owearten aus cweartem ^Gefängnis', beren aus
berem 'Bcheune', sceapheorden aus -em 'Schafstall' ein r geschwunden
ist^ so ist daran wohl nicht allein die 'schwachtonige Stellung* schuld
(Pogatscher, LübL XXII, 160); es ist wohl kein Zufall, dafs in der
vorhergehenden Silbe schon ein r stand.
l ist infolge totaler Dissimilation geschwimden in mundartlichem
eelak für lOae (Ellis, On Early English Pronunoiaiion V 448, 714)
und ehiblain für chUrhlain 'Frostbeule' (a. a. O. 287). Vgl. deutsch-
mundartliches üaehe = lilachen, Z. f. hd. Maa, I 27. Der Schwund
des k in speiad^s) = spectades (E. D. D,, Bardett, Äfnerioanisms,
S. 40, vgL deutscli- mundartliches Spüäkl = Spektakel) wird wohl
auch auf totaler Dissimilation beruhen.
2. foreign.
foreign hat in heutigen Mundarten die Entsprechung des u an
Stelle von o\ Wright, E. D, Z>., belegt fvaren für Dorset, funrin für
Nord-Yorkshire imd östliche Mundarten; auch West -Somerset hat
die Entsprechung des u und ebenso Oldham in Lancashire (nach
einer Mitteilung von Herrn Lektor E. 6. Schilling). Die Behaup-
tung von R Eruisinga, Qrammar of the DicUeet of West Somerset,
Bonn 1905, § 280, der vorausgehende Labial habe den Übergang
von o > u verschuldet, bedarf keiner Widerlegung, ebensowenig wie
andere 'sporadische' Lautwandlungen ähnlicher Art^ mit denen er
operiert
Der u-Laut in foreign war früh-neuenglisch auch in der Schrift-
sprache üblich: darauf deutet die Schreibung fwrroine, 17. Jahrb.
(M E. D.).
Englisches furam geht auf altfrz. fourain (fouran, fourin, vgl.
Oodefroy) zurück. Und diese altfrz. Form stellt die lautgesetzliche,
volkstümliche Entwickelung aus lat foräneus dar: 'vortoniges freies
g vor oralen Konsonanten wird über p zu u\ vgl. egrona > eurone,
fngrire>murir (Schwan-Behrens, ^/^/ranxösise/te Orammatik^, § 91).
Dagegen ist frz. forain Lehnwort, und darauf geht engl foreign mit
0 zurück.
8. leachf letch.
Ne. leaeh, leech, leteh mit der jetzt veralteten Bedeutung to
wster, wef , mit der noch bewahrten 'to cause (a liquid) to peroolate
826 Zur engliBchen Wortgeechichte.
through Bome material', *tx> subject to the action of per colating water'
wird von Bradley, K E. D., aus ae. IfiSxin 'wässern' abgeleitet Da-
mit ist deutsches lecken 'netzen, begielsen' (nach Ausweis z. B. der
hessischen Mundart mit Umlauts-«) identisch; vgL D. Wb. VI 481.
Die gemeinsame germanische Grundform ist *lakiany über dessen
Etymologie man K E. D,, Kluge, Etym. Wib.,^ 8. 241 {leek\ und
J. Franck, Etymologisch Woordenboek der Nederlandache Tool, 8. 559,
vergleiche.
Zur Lautform der englischen Wörter bemerkt Bradlej: 'The
form letch is normal; the form leaeh is phonologicallj obscure.'
8chröer (in der Neubearbeitung von Griebs ff^ibch.) verweist auf leak
aus altnord. leka. Die Nebenform leach könnte wohl wirklich eine
Kontamination aus lautgesetzlichem letch -}- fe<^ {^ 8mith 1568,
S. .48) sein, vgl N. E. D. leak, 5.
Das 8ubstantiv leach, letch, das in verschiedenen technischen
Verwendungen gebraucht wird {N. E, D.), ist aus dem Verbum ab-
geleitet
4. Dial. m/isU ^mist*.
Wright, E. D. D. IV 129, verzeichnet für die Mundarten von
Devon und Somerset misk 'a mist, fog*. Kruisinga, Qrammar of
the Dialect of West Somerset (Bonner Beitrage zur Anglistik XVIII),
meint 8. 178 (zu § 871): 'mdsk is probably connected with muxy'
(= schmutzig).
In Wirklichkeit ist misk aus mist entstanden. Die Entwicke-
lung ist folgendermalsen verlaufen. Zunächst wurde mist (besonders
vor folgendem konsonantisch anlautenden Wort) zu mis, eine Form,
die auch für West-Somerset bezeugt wird (vergl. fact > fak, cast >
kas usw.). Weiterhin ist eine schöne Beobachtung £lworthys aus
dem Dialekt von West-Somerset zu beachten, die freilich von Krui-
singa in seiner Grammatik ganz übergangen worden ist: 'We hardly
ever sound k after s, ezcept when foUowed by a vowel, and not
always then — as vlaas "flask", maas "mask^" (vergl. An Outline of
the Qrammar of the Dialect of West Somerset, E. D. 8. 1877, 8. 53).
k nach s ist vor konsonantisch anlautenden Wörtern geschwunden,
vor vokalisch anlautenden geblieben: flask zu vlaas -}- Kons. (vgl.
asked, askt > ast\ vlaask -f- Vok. Da neben vlaas auch vlaask, neben
maas auch maask steht, ist zu mis ein misk neugebildet worden.
mist
mis + Kons, mist + Vok.
■ s/
mis
misk + Vok. mis -|- Kons.
{floA + Vok. flas + Kons.)
Znr eDgliBchen WortgeBchichte. 827
5. rush 'Rasch'.
Der Tuchname engl, raah, dtsch. Easeh wird allgemein auf
frz. ras zurückgeführt, über dessen Herkunft man Körting, Laiein.'
rom, Wtb.^, No. 6682, Franck, Etymologisch Woordenboek der Neder-
landsche Tool, S. 778, vergleiche. Auffällig ist die Vertretung des
frz. s durch s im Englischen und Deutschen.
Zur Lautform des englischen Wortes bemerkt Craigie, N. E. D.
Vm 157 : *the origin of tibe -sh .,. is not clear.' Und wenn Heyne
im D, Wib. Vin 125 sagt, Bosch sei 'mit einer Verbreiterung des
Auslauts' aus {ar)ras entstanden, so ist damit nichts erklärt
Es liegt sehr nahe, anzunehmen, dals der französische (in Arras
gewebte?) Stoff durch niederländische Vermittelung nach
Deutschland und England gekommen ist Nun entspricht z. B. einem
niederländischen vis (geschrieben visch) im Englischen und im Deut-
schen die Form fis (fish, Msch). Englischem und deutschem -s steht
niederländisches -s gegenüber: altes -sk ist in mndl. Zeit lautgesetz-
lich zu 'S geworden; vergl. J. Franck, MndL Qrammatik, § HO, 2,
und W. van Helten, MndL Spraakkunst, S. 195. Nach dem Muster
von fis : fis u, dgl. wurde ndl. ras zu ras (rash, Rasch) umgebildet
Es liegt hier also 'analogische Lautsubstitution' vor, wie man sie oft
beobachten kann bei Entlehnungen aus einer Sprache in die andere,
aus einer Mundart in die andere, bei den Wechselbeziehungen zyni-
schen Schriftsprache und Mundart Vgl. z. B. Zs. f. frz, S^. XXII
61 ff., Archiv CVII 414.
Bosch ist auch in das Skandinavische übernommen worden und
zwar in der Form rask, sk für s ist Lautsubstitution. Skandina-
vische Grammatiker früherer Zeit setzen engl, sh dem skandinav. sk
gleich.
Ob esthnisches rask 'wollenes Fuistuch der Weiber' (F. Wiede-
mann, Esthniseh- deutsches Wörterbuch, S. 928) mit unserem ra^ch
identisch ist, kann ich nicht beurteilen. Zu ital. rascia, das Florio
als rash erklärt, vgl. Körting, Lat.-rom. Wtb., No. 6671.
Auf einen ähnlichen Fall von analogischer Lautsubstitution sei
noch hingewiesen.
Me. pertricfie (ne. partridge, afrz. pertris) erscheint im älteren
Schottisch und in heutigen Mundarten Nordenglands und Schott-
lands als pertrikf pa/rtrik, vgl E, D, D. und Jamieson, Etymologp-
cal Dictionary of the Scottish Language, New Edition, III 445, 450.
Für diese Form mit k gibt es nicht etwa eine unmittelbare altiranz.
Quelle, pertrik muTs aus pertriche entstanden sein.
Einem südhumbrischen ts (ch) entspricht im Nordhumbrischen k;
deshalb wurde in pertrich bei der Übernahme in das Nordhumbrische
is durch k ersetzt
Ist so auch feek für fetch zu erklären, das für Cieveland in
Yorkshire (vgL E. D. S,, Original Glossaries III, S. 2) bezeugt wird ?
828 Zur engliBcheii WortgOBchichte.
Auf Entlehnung aus dem BüdhumbriBchen deutet auch fü in Sdiott-
land : ts ist durch s ersetzt worden ; das ist Lautsubstitution, und
zwar lautmeohanische, nicht analogische.
6. Dial. wist "unlucky*.
Das jfi7. JD. D. VI 517 belegt wist neben wiahl 'unlucky' und
stellt es sehr einleuchtend zu wish ^verwünschen'. Unaufgeklärt
bleibt dagegen die Lautform: st neben sht. Das Wort ist den Out-
turaUaiUe, S. 19 f., gesammelten Beispielen von 8 ffir sh anzureihen.
In ae. toyset(e) wurde die ungelaufige Lautgruppe ski durch st ersetzt
(vergl. Gosijn, Beitr. Vm 571, und Bievers', § 405, Anm. 8); vergl.
asked, Mkt > äst, ahd. ipunscta > tuunsta (Notker).
Gielsen. W. Hörn.
Znr letzten Londoner Theaterseason.
London ist auch theatralisch das Zentrum Englands: es er-
hält und sichert die Tradition, es schafft und gebietet über die
Mode. Englisches Theaterwesen kann in der ^town' erschöpfend
studiert werden — freilich nicht in kurzer Zeit, wegen der Über-
fülle des Materials, aber für lange Zeit hinaus, weil der Lon-
doner nirgends konseryativer ist als in seinem Theater. Nach
sechs Jahren war es mir unlängst vergönnt, Londons stage-land
wieder abzustreifen, ich habe nichts Neues gesehen, nur anderes
als ehedem. Die Beobachtungen von damals und jetzt zeigen
mir dasselbe Bild, fuhren mich zum selben Urteil in den Grund-
zügen. In Einzelheiten bin ich freilich auf Neuheiten gestofsen.
Bezeichnend aber ist, dafs dies Neuartige nicht etwa dem Gan-
zen Richtung gibt, sondern blofs nebenher läuft. Es sind Re-
formen, die nicht durchgreifen, Schöpfungen, die nicht ein-
schlagen. Beiden fehlt es an Perspektive in die Zukunft, sie
bleiben im Moment ärmlich isoliert. Doch sind sie nicht minder
wertvoll. Sie werden das vom symptomatischen Standpunkt,
indem sie Mängel zeigen, die sie beheben wollen. Und sie
zeigen überall hin: auf die theatralische Organisation wie dra-
matische Produktion, auf die schauspielerische und szenische
Konvention.
Dafs es mit dem modernen englischen Theater schlecht be-
stellt ist, verhehlen sich auch die Engländer nicht. Nur wollen
sie den Hauptgrund prinzipiell nicht zugeben. Er liegt in der
Organisation. Es gibt nur Privattheater; die müssen aber zu
Geschäftstheatern werden und *en-suite' spielen. Auf jeder
Bühne wird nur ein Stück gespielt, ohne Abwechselung, so lange
es eben zieht, d. h. verdient. Bricht es jung zusammen nach
ein paar Dutzend Auffuhrungen, oder erlahmt es nach etlichen
hundert Vorstellungen an Altersschwäche, so wird es durch ein
anderesj ersetzt, das sich wiederum auszuleben hat. Dieses
System besitzt einen Vorteil: jedes Stück wird bestens vor-
bereitet, aber zwei Nachteile: für das Drama und für die Dar-
stellung. Autor wie Direktor unterwerfen sich dem Geschmack,
besser Ungeschmack des Publikums beim Ausarbeiten oder Aus-
wählen des Stückes. Die Schauspieler werden zu einseitigen
Routiniers, die talentlosen zu selbstsicheren Handwerkern, die
880 Zur letzten Londoner Theaterseason.
talentvollen zu selbstgefälligen Virtuosen. Sie bleiben unter der
Kunst zurück oder gehen über die Kunst hinaus, denn sie
schaffen nicht erfrischt von den stets wechselnden Forderungen
des Repertoires aus persönlicher Stimmung heraus, sondern ar-
beiten gewohnheitsstarr in endlos gleichem Betriebe.
Dieses En-suite - System steht fest, trotz schüchterner Re-
formversuche nach einem Repertoire - Theater hin. Antriebe
hierzu kommen von verschiedenen Seiten. Sogar vom inner-
circle des Metier. Da ist Tree, der hervorragende Schauspieler
und Direktor von *His Majesty's Theatre*. Zwei Seelen wohnen
in seiner Brust: als konkurrierender Bühnenleiter muTs er Ge-
schäftsmann sein und soll das jeweilig führende Stück en-suite
spielen; als Künstler möchte er ein Repertoire schaffen. So ge-
langt er zu dem Kompromifs, dafs er die Suite ab und zu mit ver-
schiedentlichen Shakespeare-Dramen unterbricht Dafs er darin
Paraderollen findet, begreift sich. Das Experiment gelang. Shake-
speare und Tree sind eben zwei Namen, die im theatralischen
London ziehen. An solchen 'literarischen Abenden^ wie man
bei uns sagen würde, ist das weitläufige Haus voll von society,
middle-class und mass. In Logen und stalls prangt Eleganz^
das pit zeigt Intelligenz, die gallery steuert Temperament bei.
Ein anderer Versuch war zwar auch geglückt, aber so zahm
angelegt, dafs er sich von vornherein als Episode gab. Ve-
drenne, der Impresario, und Barker, der Schauspieler, hatten
sich zusammengetan, um einen modernen Dramatiker, Bernhard
Shaw, zu lanzieren. Als Haus wurde das niedliche Royal Court
Theatre gewählt (im fernen Südwesten, um an Miete zu sparen),
als Zeit der Nachmittag (um die Mitwirkung von Schauspielern
verschiedener Bühnen des Westens zu ermöglichen). Die Stücke
waren 'Kaviar fürs Volk', das natürlich auch ausblieb. Dafür
erschienen die Theater - Gourmets der oberen und mittleren
Schichten. Nach den Vorstellungen gab's vor dem Hause ein
kleines Gedränge von carriages und auto's zwischen behäbigen
'busses', worauf jene ladies und gentlemen, die das auch noch
sind, nach dem Westen heimfuhren. So kam das Court Theatre
zu einem Repertoire, wenn auch nur von matinees — unter
dem Zeichen einer literarischen Mode.
Der dritte Versuch scheint mir mifslungen zu sein. Er war
ja auch rein literarisch und ganz prinzipiell geartet, wie schon
der Titel des Unternehmens verkündigte: The Mermaid Reper-
tory Theatre. Also gespielt wurde historisches Drama und zwar
im Great Queen Street Theatre. Dieses liegt bedenklich ver-
winkelt im W. C, wo der erlahmende Westen schon sehr von
der Schäbigkeit des erstarkenden Zentrums abfärbt. Der pom-
pöse Titel der Strafse soll wohl für ihre Enge, ihren Schmutz,
ihre Unbedeutendheit entschädigen. In sie hinein palst auch
Zur letzten Londoner Theatereefison. 831
das armselige Haus mit seinem unbequemen Saal. Die Schau-
spieler sind — mit wenigen Ausnahmen — zu jung oder zu alt,
die da glauben, schon oder noch spielen zu können. Das Pu-
blikum ist dünn gesät und in seiner äufseren Erscheinung von
der internationalen Halbschäbigkeit der Intellektuellen, nicht
dekorativ, doch voll ehrlicher Begeisterung, die Ton kritischem
Feingefühl gemeistert wird, kurzum geistige Auslese, keine Herde,
sondern eine Gemeinde unter dem Banner des gebildeten Ge-
schmacks. Das war auch nötig, denn das Repertoire basierte
auf Ben Jonson, Beaumont und Fletcher, Vanbrugh. Die Stücke
wechselten von Woche zu Woche, so dafs die Reform hier im
mechanischen Abkürzen des En-suite-Systems bestand.
Das waren die organisatorischen Neuerungen: Halbheiten
und Schwachheiten. Ja vielleicht darf nur Trees Versuch als
zweckbewufster Vorgang gelten, vielleicht ist das Repertoiresystem
in den beiden anderen Fällen blofs eine theatralische Begleit-
erscheinung wesentlich literarischer Experimente. Sieht man von
Shakespeare ab, so war die 'Literatur' auf der Londoner Bühne
blofs durch die Shaw-Matinees und das Mermaid Repertory ver-
treten, mithin unscheinbar, zufallsmäfsig, wirkungslos. Es herrscht
eben ausschliefslich mehr oder minder geschickte Theatralik,
Marktware des Tages. Auch das ist ein durchgehendes Cha-
rakteristikum des Londoner Repertoires (wenn man darunter die
Gesamtheit der aufgeführten Stücke versteht), dafs es durchaus
modern ist. Modem freilich nicht im stilistischen Sinne, son-
dern ganz äufserlich, es werden meist nur funkelnagelneue Stücke
aufgeführt Dieser Mangel an historischer Tiefe fällt dem Deut-
schen und Franzosen auf. Das nationale Repertoire des Wiener
Burgtheaters geht doch fast 150, das der Comedie frauQaise
weit über 200 Jahre zurück — ebenso weit wie das lebensfähige
deutsche oder französische Drama selbst. In London vertritt einzig
Shakespeare das ^historische' Drama. Warum? Wohl aus zwei
Gründen. Dem englischen Drama fehlte es seit Shakespeare an
den beiden Eigenschaften, die es vor der Vergefslichkeit des Tages
hätten retten können: an kulturellem Gehalt und an originärer
Form. Jedes lebensfähige Drama mufs seine Zeit spiegeln,
Kulturwerk sein und mufs als Kunstwerk dauernden Formreiz
besitzen. Es hat zugleich Interesse und Gefallen im Publikum
zu erwecken. Besitzt das Drama blofs seinen interessanten Ge-
halt oder blofs seine reizende Form, so wirkt es entweder auf
eine historisch oder auf eine ästhetisch interessierte Gemeinde;
für das naive Publikum, die unbewufst anspruchsvollere Masse,
stirbt es jedoch ab. Nur während der Renaissance war das
englische Theater Zeitspiegel für das Volk. Später verkümmerte
es im Dienste von Klassen und Cliquen. Es unterhielt während
der Restauration Hof und Adel, es erbaute in der Folge braves
8d2 Zur letzten Londoner Theateraeason.
Bürgertum, war bald frivol, bald ehrbar, wurde amüsant oder
sentünental. Oder es lebte noch ausländischen Moden zu Ge-
fallen kosmopolitischer Ästheten, oder es gab sich als Sprach-
rohr von Parteiproblemen und Gesellschaftsstimmungen. Nie
mehr aber gewann es die kraftspendende Bodenständigkeit in
Ganz-England, nie mehr die Bedeutung für die gesamte Nation.
Und so starb es von Periode zu Periode ab, denn diese Pe-
rioden waren keine inneren Entwickelungsphasen, wo die spätere
zur Erbin der früheren wird, sondern isolierte Abschnitte von
blofs chronologischer Folge. Darum versteht der Engländer
das Gestern nicht im Heute wie der Deutsche oder Franzose,
darum ist sein heutiges Theater auch nur von heute.
Freilich Shakespeare lebt. Er hat eben die humane Philo-
sophie, der für das Verständnis keine Ort- und Zeitgrenzeu gesetzt
sind, und er hat eine organische Form voq unverwelklichem Reiz,
weil sie den umschlossenen Kern symbolisiert. Überdies bietet er
seinen Landsleuten ein Engländertum, das sie als ihre innerste
Eigenart unmittelbar anempfinden, immer noch trotz mehrhundert-
jährigen Kulturwandels. Respekt und Intimität bilden die Grund-
lage von Sh.s dauernder Geltung in London. Das hat freilich
nicht gehindert, dafs mit seinen Werken sehr frei umgesprungen
wird. Sh. auf der heutigen Londoner Bühne — das ist weniger
für ihn als för sie charakteristisch. Direktor, Dramaturg, Re-
gisseur, Darsteller und Publikum gewinnen von Sh. aus Phy-
siognomie. Besonders auffallend ist die Verschiedenheit der
Auffuhrungen unter sich, nicht, etwa nach dem Grade, sondern
nach der Art der Kunstleistung. Man könnte letztlich sagen:
nach ihrem Zweck. Da gibt es einen Sh.-Direktor par excel-
lence. Es ist der nun auch nicht mehr junge Benson. Er reist
auf Sh. im ganzen Königreich herum, da er ja in London nicht
immer nur Sh. spielen kann. Und in der town richtet er sich
mit seiner Truppe meist in peripherischen Häusern ein, denn
er spielt nicht für die Mondänen des Westens und nicht mo-
dern, sondern für die brave middle-class in der Tradition der
Halbvergangenheit. Mittelgute Ausgeglichenheit ist die Signatur
seiner Truppe.
Ist Benson mit der Muse Sh.s solid verheiratet, so kommt
Tree mit ihr über einen scharmanten Flirt nicht hinaus. Sh.
soll seinem Theater den Anstrich einer literarischen Repertoire-
bühne geben im Westen und für den Westen. Da wird denn
auch modern gespielt nach dem Geschmack der eleganten Welt.,
d. h. von guten Schauspielern in blendender Inszenierung. Schön-
heit ist die Parole.
Nach anderen Zielen streben andere Direktoren. 'Inter-
essant' ist die Losung von Asche und Poel. Jener raffiniert Sh.
mit hypermodernen Milieukünsten für kulturhistorische Fein-
Zur letzten Londoner Theaterseason. 888
Bchmecker, dieser vereinfacht Sh. auf seiner archaistisch -elisa-
bethinischen Bühne für die literarhistorische Orthodoxie.
Endlich die Star- Vorstellungen I Da wird der Dichter vom
Schauspieler erdrückt. Das Drama ist zum Vorwand geworden,
und man kann Sh. nur mehr als Bomben-Rollen-Schreiber stu-
dieren und auch als solchen — bewundem.
Mit dem verschiedenen Zweck ändert sich die Art der Auf-
führungen, vor allem hinsichtlich des Textes. Um das persön-
lich auszudrücken, müfste man sagen : der Dramaturg spielt die
mannigfachsten Rollen; er ist streng konservativ und opfert
keine Zeile, oder er schont das Original nach Möglichkeit pietät-
voll, oder er operiert brutal mit seinem Blaustift Zwei Fak-
toren diktieren ihm sein Vorgehen, die Bühne und der Schau-
spieler. Nur auf der altlondoner Bühne kann der Text, d. h.
hier das szenische Gefüge, unverändert erhalten bleiben, und so
ist auch blofs der archaisierende Poel völlig texttreu. Unsere
moderne Bühne (und für London besteht sie seit dem Ausgang
des 17. Jahrhunderts) kann mehr und weniger als die alte: sie
ist für das szenische Einzelbild ausdrucksfähiger, aber gegen-
über der Szenengruppierung viel ungelenker. Auf ihr mufs die
Sh.sche SzenenfuUe zusammengedrängt werden. Unter diesem
Zwang steht jeder moderne Dramaturg. Aber nur die litera-
rischen bleiben da stehen, wo der Zwang aufhört, die meisten
schreiten unbekümmert weiter vor. Sie streichen an Szenen, oft
ganze Szenen, werfen mehrere, zeitlich und örtlich getrennte
Szenen in eine einzige zusammen, nur um Theaterarbeit zu
sparen. Sinn und Stil der Dichtung werden so der Bequemlich*
keit der Aufführung geopfert. Oder sie tun dasselbe, um ihren
Star glänzen zu lassen: dann werden die 'Szenen ohne Star'
zusammengestrichen oder überhaupt getilgt; die 'Szenen mit
Star' womöglich mit seinem Abgang abgebrochen, um seinen
Rolleneffekt nicht abflauen zu lassen. Um solche Handwerks-
sünden des Dramaturgen zu beleuchten, will ich auf etliche
Hamlet- und Romeo -Aufführungen — es waren ihrer sechs —
zurückgreifen. Den brutalsten Eingriff bedeutet die Streichung
ganzer Szenen. In Hamlet entfällt meist II 1 und IV 1, 2, 3, 4, 6.
Im zweiten Akt wird also auf eine Charakterisierungsszene ver-
zichtet, und der vierte Akt wird von Hamlet purifiziert, es gibt
hier eben keine Glanzstellen für den Star; dafür wird dieser
Akt zum ^Ophelienakt' par excellence. Einmal entfiel sogar
III 3 (des Königs Gebet) — Gott weifs warum. Auch aus Romeo
werden gewöhnlich 6 Szenen ausgeschieden: II 1, IH 2, 4, IV
2, 4, V 2, womit auf bessere Motivierung der Fabel oder auf
Stimmungskontraste verzichtet wird. Banal ist es, wenn zwei
(ursprünglich oder zufolge von Streichungen) aufeinander folgende
Szenen, die am selben Ort spielen oder etwa spielen könnten.
S34 Zur letzten Londoner Theaterseason.
in eine einzige zusammengezogen werden. So Hamlet III 1 und
2, IV 5 und 7 oder Romeo I 1 und 2, II 3 und 4, IV 3 und
5. Ist eine solche Operation vom Standpunkt des Ortes eben
noch möglich, so wird sie unsinnig in bezug auf die Zeit —
selbstverständlich auf die ideale Zeit. Der Dichter braucht Pau-
sen, die er durch Lokalwandel markiert oder durch Zwischen-
szenen fiillt. Solche Pausen tilgen heifst die Stimmungsskala
einer Szenengruppe völlig verkennen. Baffiniert sind die Ab-
striche am Szenenende. So schliefst in Hamlet UI 2 die Schau-
spielszene mit des Königs Flucht und Handets Triumph in for-
tissimo und die letzte Szene mit Hamlets Tod. Gleicherweise
in Romeo III 1 mit Romeos Flucht von der Leiche Tybalts und
die letzte Szene mit Juliens Tod. Überschaut man diese ^drama-
turgischen' Eingriffe, so stehen sie immer im Dienste derber
Wirkungen. Nur das Grobstoffliche der Fabel wird gewahrt,
aber feinere Motivierung wird geopfert; Rolleneffekte werden
gesucht auf Kosten eindringlicherer Charakterisierung.
Ist der Dramaturg für die Materie des Stückes verantwort-
lich, so der Regisseur für den Stil. Er hat vor allem zu in-
szenieren. Das geschieht dermalen für Shakespeare in verschieden-
artigster Weise. Dreierlei Tendenzen spürt man aus dem Chaos
heraus: die Inszenierung ist altmodisch, neumodisch oder über-
modern. Der brave Benson repräsentiert die altmodische im
Sinne einer ausgebleichten Tradition: die Dekorationen sind
mäfsig, die Kostüme reich, die Komparserie bleibt ledern, die
Solisten formen sich zu hübschen Gruppenbildern; das Ganze
wirkt typisch flau. Neumodisch wird bei Tree inszeniert: De-
korationen und Kostüme sind prächtig, die Statisten famos dres-
siert, die Solisten ausgezeichnete Mimiker; dazu kommen zwei
Stimmungsbehelfe für die Bühne, die virtuos behandelt und
reichlichst verwendet werden, Licht und Musik. Kurzum, alles
strebt nach faszinierender Schönheit im Opernstil. Tree melo-
dramatisiert Shakespeare (das Wort im kontinentalen Sinne ver-
standen). Er spielt ja auch für den verweichlichten Westen.
In anderer Art sucht Asche auf sein blasiertes Publikum zu
wirken — als scharfer Charakteristiker. Er betreibt Milieu-
künste als Kulturhistoriker, er sucht Zeitstimmung zu geben.
Sein Hamlet spielt in einem barbarischen Dänemark der Urfabel,
seine Zähmung der Widerspenstigen in einem echten Renaissance-
Italien. Ist dieses überflüssig, so wird jenes falsch. An Hamlet
ist jeder Zoll englische Renaissance, und dafs der uralte Stoff
dem genialen Künstler auch dazu tauglich wurde, beweist nur,
welch inferiore Rolle der Materie im Kunstwerk zugewiesen ist
Wenn Asche den Stoff über den Geist setzt, so treibt er geist-
lose Meiningerei. Zu diesen reinen Typen der Inszenierung
treten auch Zwittererscheinungen. Nur mit einem stillen Lächeln
Zar letzten Londoner Theaterseanon. 885
konnte ich die Ungleichmälbigkeit in der Ausstattung der Einzel-
szenen feststellen, als ich den Kaufinann von Venedig im Drury
Lane Theatre gesehen. Der alte Irving spielte den Shylock. Die
Inszenierung war schäbig, ausgenommen die Shylockszenen!
Mit der Inszenierung ist nun erst die eine Hälfte der Arbeit
des stilschaffenden Regisseurs geleistet» die Arbeit für den Rah-
men. Er hat auch für das Bild zu arbeiten, für den Stil der
Schauspieler. Dieses lebende Material ist seinem Bildner nicht
absolut gefugig, das Ergebnis ist hier wesentlich ein Eompromifs
zwischen Regietendenz und Schauspielertradition, und in der
Praxis erweist sich letztere wohl meist sogar als das stärkere
Element. Darum möchte ich den Stil der Darstellung lieber
unter dem Titel ^Shakespeare und seine heutigen Londoner
Schauspieler' behandeln.
Der Schauspieler ist — ob er nun will oder nicht, ob er
es bescheiden eingesteht oder hochmütig leugnet — schliefslich
doch nur der Diener des grofsen Dichters. So folgt er auch
stilistisch den Weisungen seines Herrn« Der Stil des Shake-
speareschen Dramas ist nun nicht einheitlich, es herrscht Stil-
mischung. Historisch besehen war dies aufgespeichertes Erbgut
— vom klassischen und vom volkstümlichen Drama her. Der
grofse Erbe Shakespeaie konnte damit zweierlei anfangen, ent-
weder die Stilelemente untereinander ausgleichen oder gegen-
einander ausspielen. Als universaler Geist entschied er sich für
letzteres. Er hat die Absicht auf die Mannigfaltigkeit im Aus-
druck, er strebt nach der Kontrastwirkung seiner Stilmittel. In
seinen Dramen wechseln plastische Deklamation, lyrische Emo-
tion, knappes Referat, preziöse Gewundenheit, derber Jargon
und kerniger Dialekt. Idealismus und Realismus und aUe
zwischenlagernden Schattierungen sind vertreten. Unter dem
Gesetz des Gegensatzes verschärfen sich die einzelnen Spielarten.
Der Schauspieler wird vom Dichter mitgerissen. Er wird Spe-
zialist, wenn die Figuren, die er seinem Rollenfach zufolge zu
spielen hat, stileinseitig sind, wie die komischen, oder er wird
stilistisch vielgestaltig, wenn er ein ernstes Fach vertritt, denn
hier wechselt der Stil innerhalb der Rolle nach der Situation.
Immer aber hat sein Spiel scharfe Prägung. Ist er EünsÜer,
so geht er bis an die Grenze des Erlaubten, ist er Handwerker,
so führt ihn die Übertreibung darüber hinaus. Sein Pathos
wird hohl, seine Rührung breiig, seine Gauserie geschwätzig,
sein Bericht trocken. Für die Gesamtwirkung bedeutet solche
Stilmischung Farbenpracht im guten. Buntscheckigkeit im üblen.
Stets ist das der Ausdruck von Kraft, sei es gezügelter oder
ungebändigter. So wird Shakespeare heute von seinen englischen
Schauspielern gespielt, und das ist wohl alte Tradition. iNuancen
hat der jeweilige Zei^eschmack in den verschiedenen Perioden
896 Zur letKten Londoner TheaterBeMon.
wohl geschaffen und wieder getilgt» die Grundzüge sind aber ge-
blieben — sie stimmen eben zur Dichtung.
Dieser autochthone Shakespeare-Stil £llt uns Deutschen auf
und wird uns in seinen Vorzügen und Nachteilen noch klarer,
wenn wir mit den Londoner unsere deutschen Shakespeare- Auf-
fuhrungen vergleichen. Diese streben nach einer beiläufigen
Ausgleichung der stilistischen Gegensätze, suchen nach einer Art
von EinheitstiL Das schädigt die koloristische Mannig<igkeit,
stumpft die Einzeltöne etwas ab, läfst das Detail zurücktreten.
Aber es bringt auch Vorteile : die Charakteristik von Figur wie
Situation verliert an Schärfe, gewinnt aber an Feinheit.
Der Engländer mufs infolge seiner Stilschablonen mehr
typisieren, während der Deutsche mehr individualisieren kann,
denn er ist stilistisch freier. So wirkt jener stärker, dieser tiefer.
In London beruht der mächtige Eindruck der Vorstellung auf
der grellwechselnden Leuchtkraft der Einzelheiten, bei uns auf
der einheitUchen Abtönung des Ganzen.
Woher der Unterschied? Der Engländer spielt seinen Shake-
speare in theatralischer Tradition vor dem ganzen Volk. Mit
seiner Bodenständigkeit ist er urwüchsiger, vor seinem gemischten
Publikum mufs er für dessen gröberen Bruchteil auch greller
wirken. Auf der deutschen Bühne ist Shakespeare fremdes
Lehngut, nicht eine volkstümliche, sondern literarische Erschei-
nung und wird für die Gebildeten gespielt EUer wird aus ihm
mehr das Form-Feine und Geistig-Tiefe herausgeholt.
Fragt man nach dem Wert der schauspielerischen Einzel-
leistungen, so ergibt sich für die verschiedenen Rollengruppen
die Antwort von selbst. Ausgezeichnet werden die Tiguren aus
dem Volke' — meist die Repräsentanten der vielgestaltigen
Komik — gespielt Sie sind ja bodenständig, haben Bühnen-
tradition und bieten Gelegenheit zu hartliniger Charakterisierung
in derb realistischer Manier. Weniger gut sind die geistig und
sozial hochstehenden Figuren. Nur die wenigen wirklich grofsen
Schauspieler halten sich von Deklamation und Geziertheit fem,
bleiben in der Schönheit noch wahr. Fast immer schlecht sind
die mittleren Figuren: statt diskreter Charakteristik herrscht
hier stumpfe Handwerkschablone.
Die interessanteste Shakespeare - AufführuDg dieser season
mufs ganz gesondert behandelt werden, denn sie stand nach
Zweck und Mittel und auch bezüglich des Publikums völlig
isoliert im Londoner Gesamtrepertoire. Der Theaterzettel spricht
deutlich genug: *At the request of the London Shakespeare
League. Romeo and Juliet given by the Elizabethan stage So-
ciety at the Royalty Theatre, London. Under the direction of
Mr. Wm. Peel. Last production of the society. God save the
king.^ Es handelt sich also um ein theatergeschichÜiches E3q[)Gri-
Zur letzten Londoner TheaterBeaBon. 88?
ment: auf der alten Bühne in der alten Weise sollte ein Shake-
spearewerk dargestellt werden. Berufene hatten das Unter-
nehmen unter ihren geistigen Schutz gestellt, einem Auserwählten
unter den Kennern des elisabethinischen Theaters war die Lei-
tung zuge&llen. Der äufsere Erfolg — um das vorwegzu-
nehmen — war schwach, nur eine winzige Gemeinde von Inter-
essierten war dem autoritären Kufe nach dem kleinen Theater^
chen gefolgt, der Saal blieh halb leer. Es war die letzte Ver-
anstaltung dieser Art, das grolse Publikum hat die Gesellschaft
völlig im Stich gelassen. Der Durchschnitts -Engländer schaut
eben in die Zukunft, nicht in die Vergangenheit.
Die Aufßihrung als solche war in jeder Beziehung lehrreich.
Vor allem in bezug auf die Bühne. Freilich, die richtige alte
Bühne war das nicht, denn sie war im Bühnenraum des mo-
dernen Theaters untergebracht. Das heust, sie war im Gegen-
satz zur alten vom Publikum distanziert, und das bedeutet, das
Spiel konnte för das Publikum nicht die einstige Intimität ge-
winnen, als die Bühne mit ihrer vorderen Hälfte mitten in die
Zuschauermenge hingerückt war. Hiervon abgesehen, konnte
sie allerdings technisch die alte Bühne darstellen. Über deren
Gestaltung gehen die Meinungen der Forscher bekanntlich ziem-
lich wdt auseinander. Wohl darum, weil t&r die alte Zeit mit
mehreren, wenn auch in den Grundizügeu verwandten Bühnen-
typen gerechnet werden mufs. Die Rekonstruktion von Poel
kiann also nicht den Anspruch erheben, die altenglische Bühne
darzustellen, darf aber getrost als Verkörperung einer der mög-
lichen gelten. Sie besteht aus einer Vorderbühne und Hinter-
bühne, dazwischen der Vorhang. Dazu kommt die Oberbühne:
sie liegt über dem rückwärtigen Teil der Hinterbühne und hat
ihren eigenen Vorhang, wird also durch den zugezogenen Haupt-
vorhang (zwischen Vorder- und Hinterbühne) gedeckt. Endlich
befindet sich an der Rückwand der Hinterbühne — wieder
durch einen Vorhang isolierbar — die kleine, hinterste Bühne.
Somit ergeben sich zwei Hauptbühnenfelder, die Vorder- und
Hinterbütuae, und zwei Nebenfelder, die Oberbühne und die hin-
terste Bühne. Dieser kompliziert scheinende Apparat arbeitet
sehr einÜEUsh. Die Schauspieler treten von rechts und links zu
Seiten der schmäleren Hinterbühne nach der breiten Vorder-
bühne vor, sie gelangen hierher auch von der Hinterbühne aus;
diese selbst ist zugänglich durch die drei Türen in ihrer Rück-
wand. Ober- und hinterste Bühne werden direkt aus dem un-
sichtbaren Hinterraum betreten. Die Oberbühne ermöglicht aus
perspektivischen Gründen blofs ein Vordergrundspiel (in un-
serem Fall einzig die Balkonszene). Dekorationen fehlen gänz-
lich, die Wände sind mit Teppichen behangen. Requisiten sind
spärlich vertreten: Bett — Sessel — Altar — Tischchen mit
ArofaiF t n. Sprachan, CXV. 22
888 Znr letzten Londoner Theateneason.
dem Kräuterkörbchen für den Mönch — Bahre für die schein-
tote JoUa. Die Belenchtung ist stationär, die Nacht wird durch
Fackelträger angedeutet; nur mitunter flammt 'bengalisches
Licht' auf. Der szenische Apparat ist also ungemein ärmlich»
aber sehr gelenkig für die Abfolge der Szenen. Jede Hinter-
bühnenszene kann in ihrem Verlaufe die Vorderbühne in An-
q)ruch nehmen und dann auf dieser allein weiterspielen, indem
der Hauptvorhang zusammenschlägt. So können mehrere (an-
fängliche) Hinterbühnenszenen unmittelbar aufeinander folgen.
Die Requisiten werden — wenn nötig — von Dienern^ vor den
Augen der Zuschauer auf die Vorderbühne , getragen und von
da wieder abgeräumt Es herrscht also grofse Freiheit auf
Kosten der Illusion und in notwendiger Folge weitestreichende
BiUmenkonrention.
Wie wird nun auf dieser Bühne inszeniert? Da die Szene
konventionell ist, kann es nicht auffallen, dafs auch die mise-
en-scene gleiches Gepräge trägt. 'Andeutung statt Ausführung'
wird auch hier zur Devise. Vor allem ist die Bühne klein. So
reicht sie zu für figurenarme Szenen, für monologische, für
Zwei- und Dreigespräche. Ensembleszenen sind aber in reali-
stischer Art nicht darstellbar. Die Bühne geht ferner mehr in
die Breite als in die Tiefe. Das hat zur Folge, dafe die Fi-
guren mehr in Stellung als in Bewegung vorgebracht werden.
Die Gruppierung vollzieht sich typisch: in der Mitte die Haupt-
figuren, an den Flügeln die Nebenfiguren. Oft versteift sich
dies bis zu starren 'lebenden Bildern^ wie in antiken Tempel-
giebeln. Oder es wird eine Massenszene pantomimisch ange-
deutet, z. B. die Bankettszene am Schlufs des ersten Aktes durch
eine Reihe von Dienern, die mit Töpfen und Schüsseln um die
Bühne einzeln herumhuschen. Im ganzen macht solche unbe-
holfene Konvention einen kindlichen Eindruck auf uns, die wir
auf diese Konvention nicht geeicht sind. Zu gleicher Zeit wird
einem erst klar, wieviel vom statuesken Klassizismus noch in
der romantischen Tragödie steckt, was unsere heutige, reali-
stische Inszenierung verdeckt.
Auffällig war diese Vorstellung auch in bezug auf die Ko-
stüme. Sie waren in alter Zeit bekanntlich prunkvoll. Damit
sollte wohl das Bühnenbild farbig belebt werden, das unter der
Einförmigkeit der Dekoration hieran argen Mangel litt Poel
ging hyperhistorisch zu Werke: er opferte der historischen
Kostümtreue die Schönheit, verfolgte das Charakteristische bis
ins Häfsliche hinein, wurde Kulturhistoriker, statt Theaterhisto-
riker zu werden.
Die stärkste Wirkung versprach ich mir vom ununterbroche-
nen Spiel, also von den Stimmungskontrasten zwischen den
Einzelszenen, die in geschlossene Gruppierung rücken. Meine
Zur letzten Londoner Theateneason. 3B9
Erwartung wurde entlÄuscht. Im wesentlichen stellte sich bei
mir Ermüdung ein, und ich war für eine unhistorische Zehn-
minutenpause hinter Akt III, Szene 1 aufrichtig dankbar. Ent-
weder sind wir Modernen zu schwach geworden für die kon-
stante Aufnahme von immer neuen Bühneneindrücken, oder es
waren diese Schauspieler zu schwach, um durch die Stärke der
Eindrücke auf die Dauer zu fesseln. Schauspielerisch war die
Vorstellung allerdings ziemlich minderwertig, wenn man die Dar^
steller des Romeo und besonders der Julia ausnimmt. Das
Heldenpaar wirkte zwar nicht durch feine oder starke Kunst,
sondern durch die persönliche Note ihrer Darsteller. Es waren
so junge Leute, dafs auch die Jugend ihrer Figuren glaubhaft
wurde, und dies Stück ist ja die Tragödie der Jugend.
Im ganzen erwies das Experiment, dafs die alte Bühne voU^
auf nur als Deklamationsbühne funktioniert, dafs sie als Aktions-
bühne mit konventionellen Notbehelfen wirtschaftet, die auf uns
keine Wirkung ausüben können. Die Vorstellung war lehrreich
vom historischen Standpunkt aus, aber nicht lebendig im Siqne
des Theaters. Hierzu fehlte freilich schon die erste Bedingung:
die volle Künstlerschaft der Spieler.
Scheidet man Shakespeare aus dem Londoner Oesamtreper-
toire aus, weil er sein Publikum in allen Schichten der Bevölke-
rung findet, so gliedert sich alles übrige im Hinblick auf das
Publikum in zwei ziemlich streng gesonderte Gruppen. Sehr
schwach vertreten ist das literarische, sehr stark das modische
Repertoire. Kunstfreude und Unterhaltungssucht sind eben in
London sehr ungleich verteilt
Das literarische Repertoire.
Shakespeare gehört nicht zum literarischen Repertoire Lon-
dons, er bedeutet da mehr als ein Stück Literatur. Der Eng-
länder wertet ihn nicht einseitig ästhetisch, sein Kult ist ihm
Herzenssache. Hingegen wirbt das literarische Repertoire um
das Interesse der Kunstverständigen. Dünn sind diese gesät,
ärmlich ist also jenes vertreten, ganz besonders hinsichtlich des
älteren Dramas. Das Mermaid Repertory Theatre wollte solches
vorführen. Der Gedanke war verdienstlich, die Tat aber schwäch-
lich. Leider mufste das so werden, und zwar schon aus einem
äufseren Grunde. Das ältere Drama braucht ausgezeichnete
Schauspieler. Weil sein szenischer Apparat unbeholfen war und
oft versagte, mufste der Dichter mit seinem Text, der Schau-
spieler mit seiner Person einspringen, um das Milieu zu ver-
deutlichen und zur notwendigen Wirkung zu bringen. Dieses
trat an den Zuschauer oft nur auf einem Umweg heran, über
den Eindruck auf die Spielfiguren. Die Szene als Bild konnte
keine Stimmung geben, vermochte blofs andeutungsweise zu in-
22*
840 Zur letzten Londoner Theaterseason.
formieren. Der Schauspieler war mithin dem Dramatiker nicht
blofs das wichtigste, sondern fast das einzige Mittel zur Ver-
lebendigung seines Werkes. Das Drama stand und fiel mit der
Darstellung. Gleiches galt auch jetzt für das Mermaid Keper-
tory Theatre. Es verwendete zwar die modei'ne Bühne, aber
zuiolge Geldmangels in primitivster Art, und aus dem gleichen
Grunde standen ihm meist nur ungenügende Schauspieler zu
Gebote. Daran scheiterte das Unternehmen im künstlerischen
Sinne.
Trotzdem blieben die Vorstellungen wertvoll. Sie waren ja
nicht schlecht, nur schwach, und deshalb in der Wirkung auf
das feinsinnige Publikum nur dem Grade nach geringer, als sie
es hätten sein können. So durfte man die Wirksamkeit der
alten Stücke auch hiemach einschätzen. Sie ist — wie bei
jedem Kunstwerk — eine zweifache: zeitlos und zeitlich-gebun-
den. Was heute noch wirkt, wirkt immer; was heute versagt,
hat auf die Zeiteenossen des Dichters gewirkt. Es handelt sich
hier eben um Meisterwerke ihrer Art.
Ich habe zwei Komödien aus der Renaissance- und eine
aus der Restaurationszeit g^ehen.
Ben Jonsons ^Silent Woman' ist im Kern eine Charakter-
komödie, im Stil ist sie possenhaft. Das mindert nicht den
Wert der Hauptfigur, sie bleibt wahr auch in dieser grellen Be-
leuchtung, die Übertreibung wirkt noch lebendig, weil der Dichter
von Lebensechtheit ausgeht Der Stil wandelt ja nicht den Stoff.
Der Grundstock des Stückes ist nun vielfach umrankt v-on mon-
dänem Beiwerk. Ben Jonson gefallt sich in aktueller Gesell-
schaftssatire, er hechelt das Gigerltum seines London ausgiebig
durch. Viel Platz wird hierfür aufgebracht und eine Fülle von
falschem Geist für die Geistreichelnden. Der Dichter fand sicht-
lich sein Behagen daran und sein Publikum mächtigen Spafs.
Doch vor uns brennt hier blofs nasses Feuerwerk ab, das elend
erlischt, bevor es noch richtig aufflammt. Nur Kultur hat
die Innerlichkeit, so dafs ihr Verständnis den Tag überdauert,
nicht aber Mode. Unbarmherzige Striche könnten uns das Stück
aus einer literarischen Kuriosität in eine lebendige Komödie
wandeln. Mir als Literarhistoriker war die Darbietung des Ori-
ginals selbstverständlich interessanter, doch verblichene Literatur
zu demonstrieren, ist nicht Sache einer lebendigen Bühne. Das
Publikum will geniefsen, nicht lernen, und es hat ein Recht auf
solche künstlerische Naivität. Theater und Museum sind zweierlei
nach Zweck und Nutzungsart.
Mit Sorge ging ich zum zweiten Stück, zu Beaumont-Flet-
chers ^The Knight with the burning pestle\ Das Drama
gibt sich ja durchaus 'historisch' als Parodie von damaligen
Theaterverhältnissen auf der Bühne und im Saal. Dennoch war
Zur letzten Londoner TheateraeivBOD. 841
die Wirkung auf das heutige Publikum stark und andauernd.
Dafs ein Lehrbub den Eitler spielt und als zweiter Don Qui-
chote auf Abenteuer ausgeht, und dies auf einer Bühne, um
welche ^Zuschauer^ sitzen, die in täppischer Art von Szene zu
Szene ihre drolligen Förderungen an Stück und Spiel geltend
machen — das alles als lebendigen Vorgang zu empfinden von
der realisierenden Bühne herab, ist wohl die stärkste Zumutung,
die einem modernen Publikum im Theatersaal gestellt werden
kann. Was erklärt den Erfolg? Wohl nur der Umstand, dafs
das Thema, das da abgehandelt und so sonderlich illustriert
wird, uns alle zu innerst trifft: Phantasie wuchert zu Phan-
tasterei auf. Das Grundmotiv ist echt menschlich und erringt
sich darum in jeder Einkleidung Verständnis und Mitgefühl.
An die begründete ToUheit dieser Haupthandlung schliefst sich
eine Nebenhandlung an voll grundloser Narretei. Aber auch
die wirkt, weil in der Verbindung. Lachen steckt an — das
wufste der schlaue Rechner Ben Jonson. Gegen den Schlufs
hin zerfasert sich ihm freilich das lose Gewebe der Handlungen
völlig. Die Maikönig-Szene versagt, müfste also für uns ge-
strichen werden. Um so stärker würde dann das eigentliche
Ende, das groteske ^Sterben des Helden^ einschlagen und ab-
schliefsen.
Schliefslich erhaschte ich noch Vanbrughs 'Confederacy'.
Es ist eine feine Arbeit nach besten Formmustem: die antike,
elisabethinische und französische Komödie haben Modell ge-
standen. Der Inhalt ist Eigenart im Sinne von zeitgenössisch
und bodenständig. Das merkt man an den Figuren: nach Cha-
rakter allzeit gültige Typen, nach Maximen und Manieren aber
Vanbrughsches London. Der Dichter tut so, als triebe er Ge-
sellschaftssatire, und zwar müssen die Bürgerlichen herhalten.
Doch seine Entrüstung weicht gar bald einem zynischen Be-
hagen. So können an den Figuren die Schwächen zu Lastern
werden und diese flir die lustigsten Situationen ausgebeutet
werden. Witzige Frechheit ist die Note. Die vielgestaltige
Handlung klarzuhalten, gelang der Kunst des Dichters; seine
feingeprägten Figuren völlig zu vermenschlichen, miMang den
schwächeren Schauspielern. Vielleicht ist überhaupt zu viel
Kunst im ganzen Stück und wurde dadurch die Wirkung ge-
schmälert. Obwohl das Werk moderner, wurde es vom Publikum
fremder empfunden, wie die kühle Aufnahme bezeugte. Oder
hat der heutige Engländer für Frivolität, soweit sie sich in Geist
und Grazie drapiert, nicht viel übrig?
Das war die *alte Literatur^ auf der Londoner Bühne —
für den Literaturhistoriker ein seltener und anregender Genufs,
für das grofse Publikum ein exotisches Experiment. Es war
eben archaistisches Theater. . Der geniale Dramaturg hat ge-
842 Zur leisten Londoner Theateneaaon.
fehlt» der den historischen Ballast hätte über Bord werfen sollen.
Ich war Egoist genug, um meinem Schicksal zu danken, dafs
dieser Dramaturg gefehlt hat, aber das Mermaid Repertory
Theatre hat schlechte Geschäfte gemacht.
•Besser ist es der 'neuen Literatur' ergangen mit
Bernard Shaw.
Es wurden vier Stücke von diesem sonderlichen Modernen
aufgeführt. Weil viel mehr zur Wahl standen, mufs die Aus-
wahl interessieren. Dabei kommt der Theaterdirektor nicht in
Betracht, denn Shaws Dramen sind alle gleich leicht oder schwer
aufführbar, und auch nicht der Schauspieler, denn begehrens-
werte Rollen finden sich in jedem seiner Dramen. Also ent-
schied die Rücksicht auf das Publikum. Was hat man diesem,
wie der Erfolg zeigte, mit Recht zugetraut? 'You never can
teil', 'Candida^ 'Man and Superman' und 'John Bulls other is-
land\
Sieht man diese Stücke auf ihren Stoffkreis hin an, so sind
sie zeitgenössisch und heimisch, spielen in der englisch-irischen
Gegenwart des Publikums. Enger gefafst, geben sich die ersten
drei als Familienstücke, nur das letzte weitet seine Sphäre zu
einem sozialpolitischen Drama. Familieninteresse schlägt mithin
vor, das ist echt englisch im Geschmack des Publikums. Was
ist aber hier die persönliche Note des Dichters? Shaw verweilt
stofflich im Bezirk der Familie, aber geistig greift er weit über
sie hinaus. Seine Probleme erwachsen nicht aus der Familie,
sie spielen nur in der Familie. Die treibenden Motiye liegen
nicht latent im Familienleben, sondern werden hineingetragen
von der Eigenart der Figuren. Es sind nicht typische, sondern
individuelle Familienkatastrophen. Das verleiht dem alten Genre
den Reiz der Neuheit Diese Familienstücke sind Ehedramen
im eigentlichsten Sinne. In 'Man and Superman' zeigt Shaw,
wie die Ehe wird, in 'Candida', wie sie ist, in 'You never can
teil', was aus ihr wird. Aber nicht etwa typisch. Im ersten
Stück wird der siegreiche Kampf des Weibes um den wider-
strebenden Mann geschildert. Der Mann wird geheiratet. Sein
Intellekt sträubt sich dagegen, es hilft ihm nichts, der Instinkt
des Weibes erweist sich sSb zäher und folgerichtiger, somit als
stärker und siegreich. Dieses zutiefst menschliche Problem,
das sich auf allen Lebensgebieten einstellt, wird hier speziell
am Fall der Eheschliefsung exemplifiziert Das Hauptthema
wird noch gewissermafsen glossiert durch eine Nebenhandlung,
wieder vom siegreichen Weibe: die geheim vermählte Frau er-
obert sich den widerspenstigen Schwiegervater. Im zweiten
Stück 'Candida* dreht sich die Fabel um den boy als Lieb-
haber der modernen Frau des unmodernen Mannes. Boy und
Zur letzten Londoner Theateneason. 348
man stehen typisch gegenüber als Unreife und Reife, individnell
als Genie und Talent Es spielt Geist gegen Geist, und die
Folge wäre verworrenes Unglück, träte nicht die in ihrem In-
stinkt selbstsichere Frau lösend und läuternd dazwischen. Das
Ganze ein halber Ehebruch — meinen die Banalen, aber der
Dichter schildert wieder den Kampf von Intellekt und Instinkt —
hier in der Ehe, zufälliger- aber nicht notwendigerweise. Über das
dritte Stück 'You never can teil' ist schwer zu sprechen, denn
es ist geistig genommen ein Fragment Nur die erste Hälfte
ist real gestaltet, in der zweiten ironisiert der Autor sich und
sein Werk. Dort zeigt er eine zerbrochene Ehe, die sich nicht
einrenken kann. Es ist nichts Besonderes Yorgefallen — meint
die Welt, nur passen die Leute, Gatten und Kinder nicht zu-
einander. Als ob es ein bedeutenderes Problem für das Zu-
sammenleben und -wirken gäbe als die Harmonisierung wider-
strebender Individualitäten. Ein allgemeines Thema hier in
spezieUer Durchführung, und zwar an einer Ehe. Das sind
Shaws Familienstücke' der letzten season.
Eigenartig nimmt sich daneben das soziale Drama 'John
Bulls other island' aus. Die irische Frage als Komödie drama-
tisiert oder, deutlicher gesprochen, der Kampf von Irländer-
und Engländertum. Ob das, was der Autor seinem Publikum
sagt, richtig ist, bleibe dahingestellt. Hier handelt es sich nur
darum, wie dem Autor das soziale Problem erscheint. Die
Fabel des Stückes ist einfach. Ein Engländer kommt nach Ir-
land und erobert sich den Kreis, in den er tritt: er gewinnt
die Braut des irischen Freundes zur Frau und die Stimmen der
Nachbarn für das Parlamentsmandat. Wieso? Irland ist im
Niedergang, es phantasiert an seinen Traditionen, es träumt.
Soweit es lebt, lebt es seinen Instinkten, aber die sind krank-
haft geworden. Da kommt der Engländer, die Verkörperung
von praktischem Verstand, ebenso klar wie banal, ganz Energie,
ohne jede Phantasie, modern nach der Formel: von heute und
für heute. Und der Intellekt siegt über den Instinkt, freilich
nur über den kranken und letzlich zum inneren Ruin der iri-
schen Nation. So kehrt auch hier das alte Motiv wieder, nur
dafs es der Dichter am weiteren Stoff darstellt imd — im Schein-
sieg des Gegenteils beleuchtet.
Gemeinsam ist allen diesen Dramen noch mehr als das
durchgehende Motiv. Es ist ihre Modernität im eigentlichen
Sinne. Überall stehen die neuen Menschen im Kampf mit den
alten. Diese repräsentieren die Alltagskultur, die anerzogene
Konvention, die Herdenmenschen; in den anderen pulsiert das
Leben kräftiger, sie sind Individualisten, Originale oder Quer-
köpfe, je nach ihrer geistigen Reife, immer Suchende, selten
Findende. Dazu fehlt es ihrem Schöpfer an Klarheit und sieges-
844 Zur letEten LoDdoner Theateraeaaon.
sicherem Optimismus. Aber auch schon die Ansätze zu solch
kultureller Modernität verleihen dem Drama Shaws etwas von
der inneren Frische wahrer Kunst. Er bleibt weit hinter Ibsens
geschlossener Weltauffassung und ungebrochenem Wahrheitstrieb
zurück, aber er hat wenigstens die Tendenz nach höherer so-
zialer Moral, und mit Ibsen teilt er die Eirkenntnis von der
Gemütskraft und Phantasiegewalt im Menschen.
Und der Künstler Shaw? Wie nach seiner geistigen Phy-
siognomie zu erwarten, besteht seine Kunst in einer Mischung
Yon blendenden Vorzügen und yerdriefslichen Unzulänglichkeiten.
Dieser Wirrwarr ist mit zwei Sätzen zu lösen: Shaw ist grofs
im Kleinen und klein im Grofsen. Er brilliert im Detail. Dazu
gehört Yor allem seine Meisterschaft in der Porträtierung. Er
hat das scharfe Auge, das an der Einzelfigur alles IndividueUe
sieht, innerlich und äufserlich, er hat auch die sichere Hand,
mit der er die erschauten Figuren klar zeichnet. Ebenso wird
er der Einzelsituation YöUig Herr, er arbeitet sie immer pla-
stisch heraus, der jeweilige Vorgang lebt auf der Bühne. Gewifs
nicht zum wenigsten wegen des ausgezeichneten Dialogs. Die
Figuren sprechen natürlich und persönlich aus sich heraus, hin-
sichtlich der Szene aber kernig und in wirksamer Gliederung.
Darum illustriert der Dialog durch Wortwahl und Sprechart
die Person und Situation. Das sind die Elemente der drama-
tischen Kunst, die Shaw absolut beherrscht In der grofszügigen
Komposition jedoch Yers^igt er. Es fehlt ihm an Einfachheit
und Einheit. Wohl aus zwei Ursachen. Sein beweglicher Geist
drängt ihm Problem auf Problem auf. So kann keines YÖllig
ausr^en. Die Uberfölle fuhrt >:ur Verkümmerung. Gleiches
gilt für die Gemütsseite. Die Giundstimmung hält ihm nicht
an. So Yerliert er die Naivität des Schaffens während der Ar-
beit, gewinnt ein neues Verhältnis zu seinem Werk: er stellt
sich darüber, er ironisiert und spielt den Kunst-Kronos, der
seine eigenen Kinder verschlingt. *You never can teU' ist das
deutlichste Beispiel. In den ersten zwei Akten feines Lustspiel,
wird das Stück mit der zweiten Hälfte zur Farce. Derartige
Entgleisungen fehlen auch sonst nicht, nur 'Candida' ist stilrein.
Dafs Shaw von der Bühne aus wirkt, begreift sich ebenso-
sehr, wie dafs er nicht durchgreift Die Ma^se verlangt mit
Recht vom Kunstwerk Klarheit im Inhalt und Reinheit im Aus-
druck. Sie läfst sich alles bieten, aber im Einzel&ll auch nur
eines. Ihr gesunder Sinn revoltiert gegen die oberste Stil-
losigkeit von Shaw, der als Künstler zwischen Naivität und
Ironie nicht nur hin und her pendelt, sondern auch in raffi-
nierter Absichtlichkeit die Grenzen zwischen beiden gar oft ver-
schwimmen läfst. Sein Publikum ist klein, aber trotz der Minder-
zahl in Grruppen gespalten. Die einen, die Literarischen, werden
Zur letsten Londoner TheateneaBon. 845
von seinem brüchigen Wesen gefesselt, sie interessieren sich für
den ganzen Mann wegen seiner Halbheiten; die anderen, die
Thea&ahschen, lassen sich von den entzückenden Details seiner
Bühnenkonst faszinieren ; die dritten erfreuen sich als Soziologen
an dem witzigen Satiriker der Gesellschaft. Alle nehmen ihn
ernst, niemand für voll; immer ist er interessant, nie imposant
Shaw mufs, um auch nur yerstanden zu werden, sehr gut
aufgeführt werden. Das geschah durchaus im Court -Theatre.
Dieses Lob beschränkt sich naturgemäfs auf die schauspielerische
Leistung. Für die Inszenierung bietet das ^moderne Konyer-
sationsstück' wenig Gelegenheit, die Szenenstimmung machen
hier die Schauspieler. Sie waren Yortre£Flich — wie immer in
London, wenn sie das Drama zu feiner Charakterisierung zwingt,
sie weder zu hohlem Pathos, noch zu derber Chargierung ver-
leitet Hier mufsten sie fein arbeiten, denn Shaws Figuren sind
Ladividuen, oder, wenn er sich mit Typen begnügt, sind sie dis-
kret Sein erster Interpret von der Bühne herab ist Barker.
Er hat Geist und Gemüt So kann er seine Gestalten scharf
profilieren und yerinnerlichen. Sie haben Tiefe wie bedeutende
Menschen im Leben, sie geben sich in voller Klarheit in der
jeweiligen Situation, aber man fühlt immer, dafs in ihnen noch
weit mehr steckt, als sie zeigen. Dieser unsichtbare Überschufs
bringt sie unserem Mitgefühl um so vieles näher. Barker er-
zielt das mit seinen Figuren. Es ist aber nicht die bewufste
Eunstleistung des Schauspielers, sondern eine ungewollte Zu-
gabe, der Ausflufs seiner starken Persönlichkeit als Mensch; es
wirkt innerlich so reizvoll, wie etwa äufsere Vorzüge äufSserlich
scharmieren, Schönheit der Gestalt oder Wohllaut der Stinmie.
Dieser individuelle Zauber des Künstlers, der im Moment von
Mensch zu Mensch wirkt, tritt in den Dienst der Kunst, weil
ein solcher Künstler sein Publikum sofort in Stimmung ver-
setzen kann.
Das modische Repertoire.
Das modische Publikum sucht im Theater ganz dieselben
Stimmungen wie das literarische, will sie alle durchkosten vom
düsteren Ernst bis zur toUen Lustigkeit. Der Unterschied liegt
im MitteL Die einen verlangen Kunst und mit ihr seelische
Wahrheit, den anderen genügt der gleifsende Schein der Kün-
stelei. Statt geistiger und gemütlicher Anregung wollen sie
Nervenkitzel; nicht Erhebung, sondern Zerstreuung ist ihr Ver-
langen. Lassen sich die Literarischen willig nach allen Zonen
und Zeiten fremdesten Menschenlebens entrücken, weil sie fein-
sinnig sich darin immer selber wiederfinden, so kleben die Mo-
dischen bei ihrem Stumpfsinn auch geistig an ihrer Scholle.
Nur Zerrbilder des eigenen Selbst dulden sie .auf ihrer Bühne.
346 Zur letzten Londoner TfaeaterBeason.
Deshalb ist das modische Repertoire im Stoff bodenständig und
modern, es zeigt ^Lebensbilder' vom Tage und aus der Nadibar-
schaft. Besieht man sich dieses Stoffgebiet auf seine wichtigsten
Provinzen, so sind es drei: Familie, Kaste und Gesellschaft.
DalB die Schicksale der engsten Lebensgemeinschaft das weiteste
Interesse erzielen, begreift sich: ist doch ein jeder der Familie
für Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft verbunden. Dafs
Lebenskonfiikte, soweit sie durch Kastenunterschiede entstehen,
auf Verständnis stofsen, fällt für England nicht auf: ist ja das
politisch freieste Volk sozial das konservativste. Dafs endlich
die 'upper ten' für ihr eigenes Salon- und Hintertreppengetriebe
Neugier aufbringen, liegt auf der Hand. Eigenartig verteilen
sich diese Stoffgruppen innerhalb der Stimmungskala der Stücke.
Das Familienthema wird nicht schwer genommen. Ehebruch ist
französisch, Versündigung von Eltern an Kindern oder von Kin-
dern an Eltern ist deutsch. Die englische Familie ist 'respect-
able\ an ihr haften nur läfsliche Sünden, und die liefern kein
Trauerspiel, kaum ein Schauspiel, aber süfse Lustspiele. Anders
steht es um die Kaste. Da versteht der Engländer keinen Spafs,
die Konflikte werden ernsthaft. Sie fuhren zwar nicht zu tra-
gischen Katastrophen — tragisch und modisch schliefst sich ja
aus — , aber sie streifen ans Unglück, vor dem im letzten
Augenblick gebremst wird. So entstehen aufregende Schau-
spiele. Die Gesellschaft hingegen ist ein variantenreiches Thema.
Sie wird ernst und heiter behandelt und liefert realistische Schau-
und Lustspiele, wenn sie illustriert wird; sie wird auch kriti-
siert und liefert satirische Possen oder parodistische Farcen
unter Preisgabe der realistischen Darstellung.
Hiermit ist das modische Repertoire noch nicht erschöpft;.
Den oberen Endpunkt der Stimmungsskala vertritt die unmodische
Tragödie. Auch für sie wird Ersatz geftinden und zwar im
düsteren exotischen Schauspiel. Exotismus liegt hier nicht im
Milieu, auch diese Stücke spielen ^unter uns', sondern in Figur
und Motiv, die pathologisch oder kriminell gestaltet werden.
* Jo h n C h i 1 c 0 1 e , M. P.' gehört mit seinem nervösen Helden
zur pathologischen Serie. Die Fabel ist sensationell im Sinne
eines Kolportageromans: der kranke Held aus der vornehmen
Welt hat einen gesunden Doppelgänger unter den armen Advo-
katen Londons und läfst ihn ab und zu seinen Platz einnehmen
in Gesellschaft und in seinem Heim; nicht einmal die eigene
Frau erkennt den Rollen tausch; das gibt kritische Situationen,
bis schliefslich der Kranke stirbt und der Gesunde definitiv an
dessen Platz tritt. Dieses kitzlige Thema schreit nach der
Farce. Doch Katharine Gecil Thurston hat einen dickleibigen,
emsthaftigen Roman daraus gemacht, und der wurde zum Er-
folg des Ja^es. E. Temple Thurston hat den Roman dramati-
Zur letzten Londoner TheateneaBon. 847
sieri> und George Alexander, der eleganteste Schauspieler, spielt
im noblen St Jamses' Theatre die Bombendoppelrolle. Bald ist
er gesund, bald krank, immer ernsthaft, sei es sentimental oder
tragisch. Dafs er zusamt dem Stück nicht ausgelacht oder aus-
gezischt wird, scheint unbegreiflich. Aber es wird so gut ge-
spielt, und das Stück ist in den Einzelszenen so gut gemacht,
dafs man, wenn schon nicht in künstlerische Illusion, doch in
eine nervöse Erregung kommt, in der man sich alles gefallen
läfst. Zum Schlufs schämt man sich seiner Eindrucksfähigkeit,
nimmt sich aber die brutale Erfahrung mit nach Hause, dafs
man im Theater so sehr dem Moment ausgeliefert ist, dafs das
schlechteste Ganze, sofern es sich aus guten Teilen zusammen-
setzt, mit diesen zu wirken vermag.
Kriminalistisch ist die Fabel von C. M. G. Mclellans ^Leah
Kleschna' gestaltet. Die Heldin ist unfreiwillige Verbrecherin,
vom Vater für sein Metier, den Einbruchsdiebstahl, abgerichtet
Sie wird vom Helden, den sie eben bestehlen will, gerettet: erst
weckt er mit seiner Grofsmut ihren schlummernden moralischen
Instinkt, dann erhebt er sie durch seine Liebe zu reinem Men-
schentum, endlich legitimiert er die Büfserin durch die Heirat
vor der Welt Die Fabel, ist spannend, die Gegensätze im Mi-
lieu sind interessant — schmutzige Diebeshöhle im plebejischen,
mondäne Villa im aristokratischen Paris, idyllische Landeinsam-
keit voUer Tugend. Dazu gesellt sich aber leider die 'moralische'
Entwickelung. Diese Legierung des Kriminaldramas mit dem
Charakterproblem bringt das Stück zu Falle. Die Fabel wendet
sich an unsere Phantasie, und die läfst sich für den Moment
allerlei vortäuschen. Doch die Psychologie weckt unsere Kritik,
und vor der hält sie nicht stand. Der Geist mufs in der Kunst
echt sein oder alles ist verloren.
Wer — um höflich zu sprechen — naiv genug ist, solche
Stücke ernst zu nehmen, der lernt hier das ^Gruseln^ und das
ist ja das Surrogat für die tragische Stimmung bei den Armen
im Geiste. Das sind aber für London die Reichen im Lande.
Nicht das Volk, sondern die Gesellschaft füllt dem Direktor die
Kassen und setzt ihn instand, die schlechtesten Stücke mit
den besten Schauspielern in schönster Inszenierung herauszu-
bringen.
Um eine Note leichter in Stimmung sind die Kastenstücke
und im Wesen um vieles weniger unwahr. Die Fabel wird eben
hier nicht um ein aprioristisch ausgeklügeltes Problem herum
^geschaffen', sondern es liegen reale Lebensverhältnisse zugrunde,
worin der jeweilige Konflikt latent vorhanden ist Das Was ist
realistisch gegeben, der 'Dichter' hat nur das Wie herauszu-
arbeiten. Schlimmstenfalls kann er den guten Stoff durch Ba-
nalität oder Raffinement schädigen.
848 Zur leteten Londoner TheatenoMon.
Hierher gehört das Schauspiel *B rother Officers* von
Leo TroYor. Es ist ein Militärstück : der Held, ein tapferer
Unteroffizier» der eben Offizier geworden ist, aber nicht 'gentle-
man' werden kann, ein kreuzbraver Plebejer, der sich in die
'Gesellschaft' nicht hineinzufinden yermag. Also eine prächtige
Lustspielfigur. Das hat auch ihr Dichter und noch mehr ihr
Darsteller bestens verwertet Aber der Dichter wollte mit ihr
'höher hinaus^ stellte sie in ernste Herzens- und Ehrenkonflikte
hinein. An sich müfste das nicht unwahr wirken, aber für diese
Figur in ihrer genremäfsig komischen Ausfuhrung ¥drkt es stil-
los. Zudem verkörpert die ernste Fabel ältestes Theater, wir
würden sagen: Kotzebue. So wirkt der falsche Ernst auf der
Basis echter Lustigkeit doppelt schlecht. Wertvoll am Stück
ist sein englisches Milieu — wahr und lebendig, doch das nützt
dem Ganzen nichts, denn gute Nebensachen können die schlechte
Hauptsache nicht bessern.
Ein anderes Stück derselben Gattung war modernst fran-
zösisches Lehngut: Mirbeaus 'Les affaires sont les affaires' unter
dem Titel ^Bussiness is bussiness'. Dieser Titel war so ziem-
lich das einzig gute, weil treue an der Übertragung, denn sie war
weniger Obersetzung als Überarbeitung. Mirbeau hat ein Easten-
stück geschrieben, durchaus französisch, doch so tief, dafs genug
allgemein Menschliches übrigbleibt, wenn man das Französische
abstreift. Das Stück konnte also in fremden Kulturboden ver-
pflanzt werden. Sydney Grundy hat das für England versucht,
doch erfolglos, weil er nur äufserlich anglisiert und innerlich
verdorben hat. Die Figuren des Originals scheiden sich in zwei
Gruppen, in die ordinären und vornehmen. Bei Mirbeau sind
jene scharf, diese zart gezeichnet; bei Grundy steht derb gegen
flach. Wenn die ordinären im Original stellenweise, das heifst
an richtiger Stelle, auch komisch erscheinen, so ist das ein or-
ganischer Beisatz zur Charakteristik. Grundy übertreibt das
komische Element, er sucht es zu äufserlicher Theaterwirkung,
er bringt es auf Kosten der Charakteristik. Die Individuen des
Franzosen werden beim Engländer zu Typen, zum Teil sogar zu
Popanzen. Die Gruppe der Vornehmen — sei das die äufsere
soziale oder innere seelische Vornehmheit — werden in der
Kopie ebenfalls typisiert und verblassen zu blutleeren Schemen.
Das war die Arbeit des englischen Nachdichters. Man möchte
sagen: des Nachrichters, denn er hat das Stück umgebracht
Die Schauspieler taten das ihrige, um diesen Wandel von Men-
schen zu Puppen noch zu verstärken. Freilich Tree war eine
glänzende Ausnahme, er schuf aus der Hauptrolle ein schau-
spielerisches Kabinettstück. Sein Izard war Typus und Indi-
viduum zugleich, denn er war — was er sein sollte — typisch im
Dämonischen als die Verkörperung seiner Leidenschaft, der macht-
Zar letzten Londoner Theaterseason. 349
suchenden Geldgier» individuell als reichgewordener Plebejer mit
einer Fülle charakteristischer Details Yoller Komik, die aber
nur ein ängstliches Lächeln auslöste. So blieb yom ganzen
Stück als Gutes nur die eine Hauptrolle, alles übrige ging in
Theaterei unter. Die mittleren Schauspieler erwiesen — für
London so bezeichnend — , dafs sie blofs die unwahren Extreme
darstellerisch beherrschen : sie idealisieren in den blauen Himmel
hinauf oder chargieren in den Strafsenschmutz hinab. Einzig
der grofse Schauspieler findet seine Rettung im Genre, das er
mit grandiosen Zügen zu vertiefen weifs.
Die Gattung des Schauspiels war stofflich noch durch das
Gesellschaitsstück vertreten. Erwähnenswert scheint mir nur
*Her own way' von Clyde Fitch. Import aus Amerika, zu-
gleich mit der amerikanischen Truppe. Die Heldin, vermögend
zu Beginn» verliert im Verlauf des Stückes ihr Geld durch ihren
leichtsinnig spekulierenden Bruder; sie liebt einen sympathischen
Offizier imd wird geliebt von einem unsympathischen Börseaner.
Dieser intrigiert jenen aus dem Hause hinaus bis nach Kuba
hinüber in den &ieg. Der Offizier fällt, der Börseaner siegt
— fast, denn die Schwester soll sich für den falliten Bruder
opfern. Da kommt der Held doch lebendig zurück Es war
eine falsche Todmeldung. Der Held heiratet die arme Heldin.
Alles in Ordnung. So am Schluijs des Stückes. Am Schlufs
der Vorstellung aber war Unordnung in meinem Kopf und Her-
zen. Ich wufste nämlich nicht, ob mich das Stück mehr durch
seine Banalität oder durch seine Brutalität beleidigt hatte, und
ob ich Mitleid oder Scham für die prächtige Darstellerin der
Heldin fühlen sollte.
Interessiert hat mich, zu sehen, was sich ein amerikanisches
(und leider auch englisches) Publikum bieten läfst im HinbUck
auf das französische. Der Vergleich zwischen Mirbeau und Fitch
drängt sich auf. Hier und dort dreht sich alles um Geld. Bei
Mirbeau ist es aber Symbol, bei Fitch Fetisch. Dort wird es
zum Prüfstein für die einzelnen Menschen, schafft Vorgänge,
worin sich das Geistige der Figuren spiegelt; hier ist es der
Wertmesser der Menschheit: negativ für Held und Heldin, po-
sitiv für alle anderen. Ich fragte mich nach dem amerikanischen
Stück: ist das alles nur schiechtes Theater oder auch gutes
Kulturbüd?
Wenn die Mondänen ernst werden, werden sie lächerlich.
Besser verstehen sie sich auf das Lachen im Theater. Weniger
unerfreulich als ihr Schauspiel ist ihre Komödie, ja mitunter
wird sie sogar erfreulich. Allerdings sind ihr enge Grenzen ge-
steckt: stofflich mit Familie und Gesellschaft, stimmungsmäfsig
mit den Varianten ungetrübter Heiterkeit. Das grimmige Lachen
der satirischen Komödie mit tiefernster Resonanz fehlt. Grat-
SSO Zur letzten Londoner Theaterseason.
tungsmäfsig ist das Lustspiel, die Posse und die Farce vertreten,
mithin das realistische Lebensbild, dessen gesteigerte Über-
treibung und ein groteskes Puppenspiel. Das liebenswürdige
Familienleben mit seinen kleinen Unarten — me es der Eng-
länder schaut — pafst natürlich nur für das Lustspiel. Davon
habe ich zwei herzige Dinger gesehen.
'Alice, sit-by-the-fire, a page from a daughters
diary' von J. M. Barrie war echt englisch. Eltern in Indien,
Kinder zur Erziehung in London, beide einander entfremdet.
Die Mutter altmodisch sentimental, das Mädel von altkluger
Reserve und Roman-verlesen. Der Vater starrer Militär, der
Bub gefühlsscheuer Trotzkopf. Die Alten voll Vertrauen, die
Jungen voll Skepsis an sich und der Welt, wie die Halbfertigen
überall und besonders in England, wo man vorzeitig gentleman
oder lady posiert. Kurz, ein köstliches Quartett aus der Hyper-
kultur von heute. Zu Beginn des Stückes erwarten die Jungen
die Alten. Die Herzlichkeit des Wiedersehens geht in die Brüche,
und dann kommen die komischsten Verkennungen, und immer
gröfser wird die Distanz zwischen den Nahgerückten. Doch am
Ende finden sie sich wieder zusammen, weil sie alle -<— im Kern
ihres Wesens gesund — zur klaren Natürlichkeit gesunden müssen.
Also endlich ein gutes Stück — ein Lustspiel voll Lebenswahr-
heit trotz dem originellen Thema, eine Komödie von Bedeut-
samkeit, weil sein lustiger Oberbau auf ernstem Grunde steht,
ein Drama mit innerer Entwickelung. Dem Inhalt entspricht
die Form: die Darstellung leicht, mehr andeutend als ausfüh-
rend, die Fabel konzentriert auf die natürliche Dauer eines
Tages, die Situationen flott hingeworfen, die Figuren intim ge-
zeichnet, der Dialog durchaus individuelle Causerie, das Ganze
fast ohne Bühnenkonvention und Theaterei. So wirkt dieses
Stück lustig auf die Oberflächlichen, bedeutsam auf die Scharf-
sichtigen, zart auf die Feinfühligen. Und diese Wirkung wurde
reizend verstärkt durch die Aufführung, besonders in den weib-
lichen Hauptrollen der Mutter und Tochter, von Ellen Terris
als schon ^komische Alte' und Irene Vanbrugh als noch *naive
Jugendliche' feinster Prägung. Ob das Stück den Weg zu uns
finden wird?
Das andere Familien- Lustspiel war französischer Import.
Pierre Wolfifs 'Le secret de Polichinelle* wurde zu 'Everybody's
secret^ unter den Händen von R. Marshall und L. N. Parker.
Dabei wurde selbstverständlich das moralische Niveau gehoben.
Während der Übersiedelung des jungen Paares von Paris nach
London wurde das Verhältnis zu einer geheimen Ehe. Das ent-
zieht zwar dem ernsten Problem den Boden, indem der Gegen-
satz zwischen legitimer und illegitimer Moral verwischt wird,
aber es trifft nicht den Kernpunkt des dramatischen Motivs,
Zur letzten Londoner Theateneafion. 851
wie nämlich das Enkelkind die Grofseltem mit den Eltern ver-
söhnty die Familie leimt. Das Stück iat eine reizende Spielerei,
verlangt also bestes Spiel. Das fand es im Heymarket-Theatre
und würde es in jedem guten Londoner Theater gefunden haben.
Modernes Genre von feiner Charakteristik ist ja das Gebiet, wo
der englische Schauspieler sich auszeichnet
Im Verfolg der Untersuchung käme nun jene Komödie in
Betracht, die dem Stoff nach Gesellschaftstück, der Art nach
Lustspiel wäre. Diese Spezies gedeiht nicht recht. Figuren
und Situationen sind hier greUer als im Familien-Lustspiel, und
das Yerführt zu Übertreibungen. Als Lustspiel angelegt, ent-
gleist so ein Stück gar oft nach der Posse hinüber. Die be-
liebteste Art ist die Posse selber. Am äufsersten Flügel steht
dann die Farce.
Lustspiel ist noch Pineros 'C abinet Minister' mit seiner
harmlosen Gesellschaftssatire. Freilich die Satire ist die Neben-
sache und die Lustigkeit die Hauptsache. Das . mindert den
Wert des Stückes vom Standpunkt des Problems. Und weil die
Lustigkeit besonders auf dem Gebiet der Charakteristik mitunter
auf Kosten der Natur mit Hilfe der Karikatur bestritten wird,
so verliert das Stück seine Stiireinheit. Es biegt oft nach der
Posse hin ab. Solche Stücke sind schwer zu spielen. Die Dar-
steller, die niit ihrer Wirkung auf den Moment gestellt sind,
greifen gern zu den drastischeren Ausdrucksmitteln. Steht eine
Figur zwischen Lustspiel- und Possenstil, so entscheiden sie sich
meist für die gröbere, aber eindrücklichere Karikatur gegen
das feinere und stillere Genre. So war es auch diesmal: es
wurde durchweg yorzüglich gespielt von den einzelnen, aber
es gab ein stilloses Ensemble durch Stilmischung. Die einen
lebten als herzgewinnende Personen, die anderen wirkten als
zwerchfellerschütternde Figuren.
Schlankweg Gesellschaftssatire betreibt 'Mr. Hopkinson'
von B. C. Curton. Freilich fällt diese tatsächhch doch nur als
Nebenfirucht ab, denn im wesentlichen wirkt diese Posse durch
die Komik ihrer Hauptfigur, des reich gewordenen Plebejers
unter den Aristokraten. James Welch spielt ihn genial Er ist
der richtige Possenspieler. Unerschöpflich in den lustigen De-
tails seiner Figur, ist er unwiderstehUcher Komiker; weil er nur
charakterisierende Züge hierbei verwertet, wird er zum richtigen
Schauspieler, d. h. Menschendarsteller; dafs er diese Vielheit in
eine organische Einheit zusanmienfliefsen läfst, in Einfachheit
verlebendigt, das stempelt ihn zum wahrhaften Künstler, der
grofszügig schafft. Freilich übertreibt er, aber er geht dabei vom
Leben aus und erhält so seiner Figur ein gut Stück Wahrheit
in ihrer Verzerrung. Diese Posse ist ein 'Schauspielerstück^
dais erst durch die Darstellung Leben gewinnt wie ein Opern-
352 Zur leüsten Londoner Theateneaaon.
libretto durch die Musik. Von der Bühne herab vermag sie
zu illusionieren, wenn auch die Vorgänge jenseit der Wahr-
scheinlichkeit und die Gestalten unter der Wirklichkeit liegen,
{freilich diese Wirkung der Posse» dafs wir uns an sie yerlieren»
ist auf die Zeit des Spiels beschränkt Man lebt ein Lustspiel
in der Erinnerung nach, aber man denkt an eine Posse zurück.
Ganz anders wirkt die Farce. Das ist ein Puppenspiel« das
wir uns kaltherzig vorspielen lassen. Figuren und Situationen
sind unmöglich» aber sie sind bedeutsam. Unser Verstand spinnt
die Fäden von diesen Verzerrungen des Lebens zur Wirklich-
keit zurück. Wir cenie&en rein kritisch. Es ist ein Spiel des
Geistes ohne Widernall im Gemüt. Die Farce kann selu: lustig
und geistreich sein» wenn sie Witz hat» ist aber bar jeden Hu-
mors» weil sich in ihr nichts an unser Mitgefühl wendet Ein
famoses Exemplar dieser Gattung war R. H. Davis 'Dictator'.
Amerikanischer Import in Stück und Truppe» dessen star W. Col-
lier ein Meister seines Genres ist» d. h. er hat als Sprecher und
Mimiker eine so präzise Technik» dafs man deren unpersönliche
Sicherheit nur mehr mit dem Wort maschinell bezeichnen kann»
ihn selber für eine ideale Puppe erklären muls. Das Stück hat
einen Schimmer von aristophanischer Ambition mit seiner po-
litisch-sozialen Satire : die zentralamerikanischen Republiken mit
ihren Revolutiönchen werden verhöhnt» die Spanier verspottet
von ihren starkrassigen Nachbarn im sächsischen Norden.
Vom literarischen Standpunkt aus ist das modische Reper-
toire nicht sonderlich fesselnd. Es zeigt im ganzen die inter-
nationalen Züge des Zerstreuungs- Theaters. Wenn ab und zu
ein Stück literarischen Wert besitzt» so hat es den sozusagen
hinterrücks der Gattung gewonnen. Doch nach der kuItureUen
Seite hin wirft es seine Streiflichter. Besonders autfälUg und
bedeutsam ist die Behandlung des Lehngutes. Die Engländer
importieren wie die Deutschen» nur dafs diese übersetzen» jene
bearbeiten» dafs diese bei ihrem Bildungstrieb das fremde Ori-
ginal rein halten und als solches schätzen» jene ihrem Ge-
schmack angleichen. Hierbei kommt — ästhetisch gewertet —
freilich meist schlechteres heraus» aber in dieser Praxis spiegelt
sich die stärkere Rasse. Als zähe Rasse geben sich die Fran-
zosen. Sie importieren prinzipiell nicht Das verengt ihnen
den Lihalt ihres Theaters» aber bewahrt die Reinheit der Form.
Noch mufs auf ein künstlerisches Verdienst des modischen
Repertoires verwiesen werden. Es betrifft die Darstellung. Das
hohe Drama hat in England die Schauspielkunst stUistisch nie
gefordert Das grofse romantische Drama wird von Stilmischung
beherrscht mit der Absicht auf Stilgegensatz. Der Schauspieler»
der alles gern unterstreicht» was der Dichter andeutet» weil er
sich im Moment zur Geltung bringen mufs» verschärft diesen
Zur letzten Londoner Theateraeason. 868
Gegensatz und übertreibt stüistisch. Das klassizistische Drama
übaixeibt als Kopie selber und mit ihm sein Schauspieler. Dis-
krete Aufgaben bietet dem Schauspieler nur das ^EonTersations-
stück'y um einen möglichst weiten Terminus anzuwenden. Hier
kann sich der Künstler als feiner Charakteristiker betätigen» im
guten Stück mit demselben, im schlechten über dasselbe hin-
aus. Das ist nun auch das Gebiet, wo englische Schauspielkunst
diesen Ehrennamen verdient
Eine Studie über das Londoner Gesamtrepertoire darf nicht
als abgeschlossen gelten, nachdem man Shakespeare, die paar
ganz tdten oder ganz neuen literarischen Dramen und die yielen
nach Stoff und Art modischen Theaterstücke hat Revue pas-
sieren lassen. Es wäre noch über das Schauspiel der unteren
Volksschichten, über das ^Melodrama' und über das ^Historien-
stück', das Melodrama der oberen Klassen, sowie über die all-
seits beliebte Operette zu sprechen. Mir erschienen aber diese
Gattungen seit meinem letzten Bericht (Band GIV, Heft 1/2,
pag. 162 ff.) durchaus unverändert, und ich hätte dem damals
Gesagten nichts beizufügen. Überhaupt sollten und konnten im
obigen nur etUche aunallige Elrscheinungen betrachtet, mehr
geschildert als beurteilt werden. Zur Kritik fehlt mir das Ge-
samtmaterial, ich habe ja doch nur 24 Theater besucht und
blofs 46 Stücke gesehen, und noch mehr die kulturelle An-
empfindung, die man als Tourist nicht gewinnen kann« Als
Fremder ist man zwar vor Über- wie Unterschätzungen nicht
gefeit; aber als Fremder hat man auch einen Vorteil: die
ScharMchtigkeit des Neulings, der nichts als selbstverständlich
hinnimmt und darum vielleicht manches sieht, was der Hei-
mische übersieht Das kann vielleicht mit seiner notgedrungenen
Einseitigkeit versöhnen.
Innsbruck. R. Fischer.
ArcfaiT f. n. Spnuiheii. CXV. 28
Studien zur fränkischen Sagengeschiehte.
n. Clothars Sachsenkrieg auf den Amalflng Ansigisel
übertragen.
Die Sachsenkriege der merowingischen und karlingiBchen Könijge
sind zu ihrer Zeit das Thema der fränkischen Nationaldichtung ge-
wesen, bis sie im 8. Jahrhundert von den Elampfen gegen die
Sarazenen erst in Südfrankreich und noch später in Spanien
abgelöst wurden. Nicht nur, dafs wir mit Hilfe von Sagenresten
und Chroniken eine ganze Reihe von Sagen und Liedern in ihren
Grundzügen wiederherstellen können, die unabhängig voneinander
einzelne heldenhafte Züge aus den Kriegen gegen Sachsen oder Thü-
ringer verherrlichten, es gibt auch eine weitere Reihe von Anspie-
lungen, die uns den Einblick in eine zyklisch geschlossene Gruppe von
Sachsenliedern gewährt^ von denen jedesmal das spätere ein früheres
voraussetzt^ und die im ganzen genommen nach dem ersten Konflikt
das Motiv der Blutrache weiterspinnen, genau wie in den Lothringern,
Einen Einblick in diese zweite, zyklische Phase der alten
Sachsendichtung gibt uns der Prolog des in später Redaktion er-
haltenen Saehsenkrieges Karls des Grofsen gegen Wittukind:
'Wenn man die Greschichte der Sachsen folgerichtig hören will,' hebt
der Dichter an, <so mufs das Lied mit den Altvorderen beginnen.'^
Einer der ältesten Merowinger hat nun die Unvorsichtigkeit ge-
habt^ dem Sachsen Brunamont seine Tochter Aaliz oder Helois zu
geben, die der Heide zur Frau begehrt Besser hätte er getan, sie
mit einem Stock zu töten, denn ihre Erben haben den Franken ge-
waltig zu schaffen gemacht Nacheinander traten die Sachsen Broier,
Justamont, Guiteclin auf und verlangten das Erbe ihrer Urahne, die
fränkische Ejrone, zugleich Blutrache fordernd für ihre getöteten Väter.
Broier oder Brehier ist derselbe, dessen epischer Name viel-
leicht von einem Thüringerfürsten Bertharius hergeleitet werden kann,
dessen Urbild aber der ähnlich benannte Sachse Bert oaldus ist^
den nach Liber Hütoriae (Kap. 41) der Franke Clothar an der
Weser erschlug. Eine Tat die vielleicht die volkstümlichste der
Sachsenkriege war, da wir sie im 12., 18. Jahrhundert auch von
Ogier dem Dänen erzählen hören. Und als dritter im Bunde tritt
' Tirade liX Qid dt Cettairt at 8aune$ vuti dir par raiaom,
De* ancSsmi derritrle] doU moooir la cktm^om.
Stadien zur fr&nkiBchen Sagengeschichte. 856
nun hier im SaehsenUede ein gewisser Ansei's auf, der gleichfalla
den Ruhm beansprucht^ der Brdiiertöter gewesen zu sein.^
Seine Tat wird in folgender, echt kärlingische Erfindung yer^
ratender Weise erzählt:
Nach der Unglückshochzeit der Aaliz mit Brunamont wehrten
sich die frankischen Könige mannhaft^ einer nach dem anderen, ffis
der letzte ohne Erbe verstarb. So wählten die Franken als Anwalt
ihrer Sache Gottfried von Paris und nach ihm Garin den Pikarden.
(Andere Hss.: CHrard le Pontier. Später wird er genannt: Oarins
de Baviere, de Laneele, de Sansuerre») Das war Anseis' Vater, der den
Ejiaben mit der Hirtentochter zeugte, den Knaben, der einst dem
Heiden Brehier an der Maas das Frankenland streitig machen sollte.
Damals hatten Sachsen und Franken beschlossen, die Zwistig-
keiten durch einen Zweikampf zur endlichen Entscheidung zu bringen.
Es war der Tag; an welchem sie Anseis zum Ritter schlugen. Darauf
setzte man beide Helden auf ein Eiland der Maas über, dort wurde
Brehier besiegt Wütend zogen die Sachsen ab, aber sie brachen
ihre Eide, die Treulosen, und lielsen nicht davon, die Franken zu
beunruhigen.
Ansdts aber krönten die Franken in St-Denis zu ihrem König.
Grerecht war er und edel und diente Gott Sein Sohn war Pipin,
der wackere Held, der den Sachsen Justamont erschlug. Wittukind
wollte ihn dann an Karl rächen, — so übernahmen die Söhne nach
ihren Vätern die Geschäfte, einer nach dem anderen.^
Nach dieser ziemlich trockenen aber übersichtlichen Analyse
bringt die Tirade XCVll eine weniger übersichtliche, mit ihrer ver-
worrenen G^ealogie ergötzliche Anspielung, die jedoch die Romantik
der Sage etwas stärker hervortreten läfst:
Tot war Karl der Kahle, der das Reich sich erobert hatte, tot
Karl Martell der Arglistige, kein Erbe blieb der Krone, nicht fünften
Grades, nicht sechsten. Zehen Jahre liefsen sie drum Gottfried von
Paris das Land und krönten dann Garin von .... zum König.
Seine Frau war schön und weise, doch ohne Leibesfrucht Garin
aber besab eine Hirtin, die ein gar freundliches Antlitz hatte; von
niedriger Geburt zwar, aber edlen Herzens. Darum wurde auch
ihr G^chlecht späterhin zu einem freien erhoben. Um ihrer Schön-
heit willen wurde Garin ihr zugetan und war eine Nacht lang ihr
Trauter. Li dieser Nacht wurde der starke König Anseis gezeugt,
der Brehier töten sollte, Anseis' Sohn aber war Pipin, Pipins Sohn
Karl der Größte.
Wenn man diese beiden Anspielungen miteinander vergleicht^
so muls man wohl zu der Überzeugung kommen : sie rühren nicht
' Rohnström hat diese Ehrzahlung erwähnt m seiner Dissertation:
Etüde sur Jehan Bodd, Upsala 1900, 8. 138.
23*
356 StudieD Enr MnkiBcheii Sagongescliidlite.
von denelben Hand her. Wenn auch die Orundsüge der Dichtung
durch beide in gleicher Weise festgelegt werden, so ist doch ein ge-
waltiger Unterschied in der Auffassung zu erkennen. In der einen
werden Dinge berichtet^ die in der anderen ausgelassen sind, im
Wortlaut sind sie durchaus unabhängig voneinander, die erste labt
die Romantik der Sage kaum zu Wort kommen, die zweite widmet
ihr zwar das Hauptinteresse, sucht aber das ihr darin mit der gesell-
schaftlichen Konvention unvereinbare auf ihre Weise zu interpretieren:
Ein niedrig; Ding, — aber das Herz war edel,
Ihr Geschlecht wurde drom von Abgaben befreit
In der ersten ist Anseis' Mutter Hirtentochter, fiUe au vachier,
in der zweiten hörige Kuhmagd seines Vaters.
In der ersten ist Gottfried von Paris nicht nur zeitweilig Statt-
halter. 'Nach ihm' erst wählen sie Garin zum König. In der zwei-
ten ist Gottfried Statthalter auf zehn Jahre. Die phantastische
Unterbringung von Karl dem Kahlen und Elarl Martell der zweiten
Anspielung kommt hinzu. —
unabhängig von Verknüpfungen mit früherer und späterer G^
schichte genommen, sind wir im Gebiet echt fränkischer,^ speziell
kärlingischer Sage: Anseis ist Bastard des im Ehebett kinderlosen
Königs von einer Hirtentochter. Er dient in untergeordneter Stellung
im Heere und wird in nicht näher bezeichneter Weise zum Better
auserkoren : wie Ansefs zum Sohne einer Kuhmagd, macht die spätere
Sage Hugo Capet zum Metzger. Aussetzen des Neugeborenen {Bueve
V. Hansione, Doon v. Mainz, Wolfdietriek\ einsame Walderziehung
mit Verspottung des naiven Helden bei Eintritt in die Welt ver-
bunden {Siegfried, ParxivcU, dem alten Frankreich war hierfür Aiol
das Muster), Verbannung des Jünglings gehören ebenfalls hierher.
Besonders häufig findet das 'Martyrium junger Heldenschaff in
Küche oder auch im Garten statt Es ist hierin der Hang märchen-
bildender Zentren zu sehen, den Helden aus dem Dunkel oder aus
der eigenen niederen Sphäre als Erlöser erscheinen zu lassen, eine
Anzahl typischer Züge immer wiederholend, was die Theorie hervor-
gerufen hat^ alle diese Heldenjugenden seien von einem Märchen-
typus abzuleiten.
Zu diesen internationalen Zügen unserer Anspielung auf Anseis
kommt seine Bastardschaft, die zwar aus gleichen volkstüm-
lichen Anschauungen entspringt^ aber speziell der älteren kärling-
schen Sage angehört Ihr Ursprung liegt in der bestrittenen Ehe
' Aus früher Merowin^erzedt erinnert man sich der romantischen Lieben
Chariberts: die erste zu emer Wollmacherstochter, die ihm die Gattin aus
dem Kopf bringen wolltei indem sie dem flatterhaften Ehemann den Woll-
macher oei der verachteten Handarbeit vorführte. Die zweite, wie hier, zu
einer Hirtentochter. (Gregor IV, 26) *HabuU et aliam pueUam opüianis,
id est pcutoris oviumf fUiam nomine TneudoffUdem, de qua ei füium fertur
habuisse,*
Btudien scur fränkischen Sagangeschichte. 357
Pipins des Mittleren mit der Nebengattin Alphaid, aus welcher Karl
Martell entsprois, der gegen die Söhne aus Pipins erster, rechtmälsi-
ger Ehe mit Plektrud den Platz behauptete. Diese an romantischen
Elementen reiche Grundlage hat sich die Sage natürlich zunutze
gemacht^ und wir haben ihr bereits ein Kapitel unserer Studien ge-
widmet In gröfserem umfang ist dieselbe in einer Übertragung auf
Karl den Greisen erhalten, der der Sage dadurch ebenfalls zum
Bastard wurde. Als älteste Form dieser Tradition bezeichnete Gaston
Paris seinerzeit diejenige der von ihm benannten Ckronigus Sawv-
tongeoiae {Hisioire Poiüque S. 224).^ Eine Alte schiebt Pipin ihre
Tochter statt der Prinzessin aus Ungarland, Bertha, unter. (Das ist
wohl aus der Sage von der untergeschobenen Braut) Die echte
Bertha soll im Waide ermordet werden, flüchtet aber zu einem
Kuhhirten Pipins {Li vachiers Pqdn), Später wird Pipin über
die falsche Bertha aufgeklärt» findet durch Zufall die richtige bei
seinem hörigen Hirten und zeugt, noch ohne sie zu kennen, in der
Nacht des Wiedersehens Karl den Groben. Lassen wir an dieser
Stelle der Chronik das Wort: 'Der König sah Bertha; und von dem
Augenblick ab konnte er die Augen nicht von ihr wenden und frug
die Frau des Hirten und den Hirten selber, wer sie sei, und der
erzählte, wie er sie gefunden habe. Und der König bat ihn, sie ihm
die Nacht in sein Lager zu geben; der EBrte sagte zu und machte
ihnen ihr Bett auf einem Karren, der vor der Türe stand und mit
Farnkräutern beladen war . . .'
Und nicht anders das franko -italische Gedicht von Berta de
li gran PU: Eine innere Regung läfist in Pipin eine heftige Neigung
zu der Hirtentochter entstehen. Der Hirt wdgert sie ihm, aber sie
ist bereit» ihm den Willen zu tun, weils sie doch, dafe sie seine recht-
mäfsige Gattin ist, wenn auch in ihrem Lager eine andere weilt
Zum Hohn deckte ihnen nun der empörte Hirt das Lager auf einem
Karren — aber dieses wohl ursprüngliche Motiv hat auch die Dich-
tung nicht rein bewahrt: der König befiehlt hier, das Lager in
der beschriebenen Weise zurechtzumachen, wegen der grolsen Hitze.
(V. 1180.)
late fuit in carro natiAS bemerkt eine Chronik von Karl dem
Grofsen, und der Prosaroman von Berthe as gnma pies führt gar von
ckar den Namen Charles her, während der flämische Lekenspiegel
Bertha zu einem Dienstwyf erniedrigt {Eist PoSt S. 227).
Da die Sage von Bertha als die unmittelbare Nachahmung
der historischen von Alphaid ihrerseits als älter anzusehen ist als
unsere Anseissage, so s^en wir in ihr das Vorbild der entsprechen-
den Züge im Änseis: wie sich Pipin zur vermeintlichen Findlings-
tochter s^es Kuhhirten herablälst so lälst sie Garin, Anseis' Vater,
die Nacht bei seiner ßUe au vaehier zubringen. Das 'Wie' ist uns
» ed. F. W. Bourdillon, London 1897.
858 Stadien zur fränkischen Sagengeiichiehte.
in der knappen Anspielung des Sachsenliedes nicht überliefert Aber
es ist wohl, bei der augenscheinlichen Abhängigkeit von der Bertha-
sage, kaum ein Zweifel, dafs auch hier der EQrt dem König das
Lager in der poetisch-symbolischen Weise unter freiem Himmel be-
reitete, wie Berthas Pflegevater dem Pipin. So gibt sich der erste
Teil der Enfances Anseis als ein Schöisling der Berthasage, aus der
Form entsprossen, welche sie in der Chronique Saintongeoise und
der franko-italienischen Dichtung besitzt^ und die Gaston Paris, wohl
nicht mit Unrecht^ für die primitivste hielt
Der zweite Teil der Enfances, die Entscheidung des Sachsen-
krieges durch einen Zweikampf, die Besiegung und Tötung Brehiers,
bieten der Quellenforschung kein schwierigeres Problem. Die Sage
ist uns in Verbindung mit historischen Vorgängen bereits im 7. Jahr-
hundert durch das Liber Historiae berichtet; freilich nicht von einem
Anseis, sondern von dem Merowinger Glothar IL (anno 622).
Dagobert steht an der Weser den Sachsen gegenüber. Im Kampfe
wird ihm eine Locke abgeschlagen, und er sieht^ dafs er der Gegner
allein nicht Herr werden kann. Da sendet er durch einen Boten die
Locke dem Vater Clothar 'zum Zeichen der Not'. Gewaltige Freude
herrscht im Frankenlager, als Glothar naht Der Sachse Bertoaldus
fragt über den Strom hinüber, warum diese Freudenausbrüche? Man
antwortet: Glothar sei da. Ungläubig ruft er: <Glothar ist ja längst
gestorben!' Da nimmt Glothar den Helm ab und zeigt sein langes,
graues Königshaar. Wütend beschimpft ihn Bertoaldus, Glothar aber
setzt mit dem Pferde über die Weser, besiegt und tötet den Sachsen
im Zweikampf und schlägt die Heiden in die Flucht
Von Historikern wie Sagenforschem ist längst erkannt, dafs
dieser Bericht eines realen Hintergrundes entbehrt: Weder Gregor
noch der sog. Fredegar wissen von einem solchen Erlebnis Glothars H.
Anders freilich bei Glothar L: Er ist es gewesen, der im Jahre
531 dem Bruder Theodorich beistehen mufste, die wortbrüchigen Thü-
ringer zu züchtigen. Da nun die Sage zwischen erstem und zweitem
des Namens nie unterscheidet^ ist wohl die Übertragung des Liber
Historiae von Glothar I. auf den zweiten lediglich ein Irrtum.
Historisch ist nun, dafs Glothar I. nach Besiegung der Thü-
ringer: Radegundis (die spätere Heilige),* eine Tochter des bereits
aus dem Wege geräumten Fürsten Bertharius, als Kriegsbeute
mitnahm und ehelichte. Und so ist wohl möglich, dafs dieser ver-
ewigte Schwiegervater wiederer weckt und zum Riesen Bertoaldus
wurde. Warum freilich der Name geändert ist^ wäre nicht leicht
* Nicht vergessen soll werden, dafs Kurth (8. 355 des gen. Werkes)
der Ansicht ist, dafs sich in der Geschichte der Burgunderin Chrotochildis
und ihrer Brüder die Schicksale der jüngeren RadegundiB und d^ Thü-
ringerfürsten widerspiegeln. Die chronologische Umdrehung scheint die
geistreiche Deutung unmöglich zu machen.
Stadien zur frinkischen ßagen geschieht«. 850
zu sagen. Suchier hat {ZeiUekr. f. rom. Pkii. AVJLU, B. 190) auf
einen lebeUischen Hausmeier Namens Bertoaldus aufmerksam ge-
machty von dem Fredegar (IV, 28) berichtet: er wurde durch Leutd
Clothars IL getötet, nachdem er den Führer vergeblich zum Zwei-
kampf herausgefordert Wir hatten also in Bertoaldus zwar den
Thüringerfürsten Bertharius zu sehen, allerdings durch Vermischung
mit einem rebellischen Hausmeier umgetauft
Aber das Liber Historias tragt vielleicht ausschliefslich die Schuld
dieser Neubenennung: denn die Tat^ die wir von Anseis hörten,
stimmt zu der von Clothar I. berichteten nicht nur in der Grundlage :
Kooperation, Besiegung im Zweikampf, sondern das bisher wahr-
scheinliche Urbild von Bertoaldus: Bertharius ergibt laut-
gesetzlich Brehier. Das hat schon Suchier bemerkt (a. a. O.,
vgl. auch Voretzsch, Epische Studien I, 8. 229), und es ist schwer
an dieser Tatsache vorüberzukommen. Da nun im 12. Jahrhundert
der typische Sachsenkämpe noch Brehier — Braier, Broier hiefs,
wie der historische Vater von Clothars Ejriegsgefangenem Bertha-
rius, so scheint umgekehrt der Name Bertoaldus im lAber Hiatoriae
lediglich auf Kosten dieser Version gesetzt werden zu müssen und
zwar als eine lokal beschrankte Übertragung oder ein Irrtum.
Denn solche Übertragungen finden wir ja auch hier: von einem
Anseis wird das erzahlt, was Clothar getan hat, und zur selben Zeit
wird dieselbe Tat, die Brehiertötung, in einer anderen Gegend von
Ogier erzahlt Alberich von Trois Fontaines schliefslich mufs
die Sage auch noch von ihrem Urbild gekannt haben, denn er spricht
von Ogier, der im Heldengedicht Lotharius Superbus genannt würde.
Nun, diese Dinge sind oft genug besprochen worden. Über
jeden einzelnen Punkt sind Zweifel geauisert worden, wir werden uns
nicht hier zu erneuter Polemik bequemen. Alle bisherigen Gegner
von Voretzschs Ausführung, dafs Ogiers Schluistat einem Sachsen-
krieg nachgeahmt sei — auch Settegast, der in diesem Kapitel ledig-
lich Hunnensage sehen wollte und Brehier aus einem Zabergan her-
holte — , werden einsehen, dafs die nun nachgewiesene Anseisversion,
die organisch zu den Sachsenkriegen gehört, Voretzschs
Ansicht unantastbar macht
Auch der zweite Teil der Geschichte von unserem Anseis zeigt
sich als eine Nachahmung von Clothars Sachsenkrieg. Wie dort,
tritt ein unerwarteter Retter auf (Kooperation), — wie dort findet die
Entscheidung an einem Flusse statt, diesmal an der Maas, — wie
dort besiegt der im Mittelpunkt stehende Held den Sachsenkönig im
Zweikampf, der hier Brehier, dort Bertoaldus heilst
Sind wir also über die beiden Sagenmotive der Enfancea rei
Jnaeis vollkommen im klaren» so überrascht nur eins. Warum ist
diese Tat^ die wir von Clothar L auf Clothar IL übertragen sehen,
960 Stadien zur frankiBcheii Sagengeschichte.
die wir yon dem auch eonst sagenberQhmten Ogier ereahlen hören
— wamm ist sie hier von einem ganz unbekannten Helden erzahlt?
Oaston Paris hielt die Persönlichkeit wohl fOr eine Fiktion Jean
Bodels, des Redaktors der Sadsnes {Eist. Poü. 8. 221)«: 'Oet Anseüs,
fils de Oarin le Poyer au le Pieard et d'une fiUe de vaeher, dSlivra la
France du Saxon Broier, qui prStendaU la possSder du chef de son
aieul Floavant. Les Francis recannaissants eauronnSrent Änaeia, qui
fiä lep^e de PSpin. TßUe est la singulare gSnMogie de Chcarhma^ne
d'apr^ Bodel; on y reconnatt des Souvenirs confus des ehangemenis
de dynastie qui eurent Ueu en Frcmoe ä deux reprises . . /
In der Tat^ vergebens suchen wir im Epos nach einem Anseis» der
als dn Vorbild unseres Helden gelten könnte, der uns den ^epischen
Namen' zu unserer Anspielung lieferte: Anseis fis Oirbert aus
den Lothringern, Anseis einer der zwölf Pers im ältesten Karlsepos
passen beide nicht, Anseis de Garthage ist Neffe Karls des Oro&en
und nicht Vorfahr und wohl erst spät überhaupt zu einem solchen
geworden.
Die Bolle unseres Anseis als König, als Vater Pipins, als
Vorfahr Karls des Grofsen ist zu bestimmt gefaist, um mit irgend-
einer Person identifiziert werden zu können, die nicht historisch an
dieser Stelle steht Und wenn es eine solche nicht gibt^ so hört die
Erfindung der Poeten oder Diaskeuasten nicht mit Jeoffroi de Paris
und Oarin le PoMer auf, wo sie ersichtlich ist^ sondern schliefst
Anseis noch mit ein, wie Gaston Paris vermutete.
Eines anderen belehren uns die Genealogien der Amulfinge.
Da finden wir zu unserer Überraschung, dals die Angaben des Ge-
dichtes nach unten hin richtig sind: Ansigisus, Ansigisilus
(> Anseis) ist eine historische Person. Er ist der älteste Sohn des
heiligen Arnulf, Erzbischofs von Metz, des Stammvaters der Kärlinge.
Er ist der Vater Pipins H., der hier als Vater Karls des Grofsen gut
— Aber erst Pipin HL ist ja Vater Karls des Grofsen? — Wenn
wir noch ein Zeugnis dafür brauchten, dafs unsere Sage und ihre
Chronologie volkstümlich von geschriebener Chronik unbeeinflufst
ist, so besitzen wir es an dieser Genealogie:
Arnulf
Ansigisil
Pipm n.
Karl [Martell]
Pipm m.
Karl [der Grofse],
' [Vgl. aber seine lAgendt de Pipin le Bref in den Mäanges J. Havet,
1895, 605 f.]
Stadien zur fränkischen Sagengeechichte. 861
Dae iet eine FQiatioiiBtabelle, welche nur die Chronik ausein-
ander halten kann: zwei Pipin, die beide Vater eines Karl sind«
konnte die Sage nicht auseinander halten, verschmolz die Paare und
kannte dann nur einen Pipin, nur einen Karl. Wie in Nord-
frankreich alle Taten Karl Martells auf Karl den Grolsen übertragen,
Pipin IL und IQ. zusjunmengeworfen wurden, das haben wir hier
bereits gestreift und ist so oft und so gründlich behandelt worden,
dafs wir uns mit dem Hinweis auf Pio Rajnas Garlo Magno e Carlo
MarteUo aus seinen Origini delP Epopea Franceae begnügen können.
Wenn Jean Bodel oder einer seiner Kollegen an unseren An-
spielungen etwas erfunden hat, so ist es die Unterbringung von Karl
Martell vor Anseis. Denn durch den eben geschilderten Verein-
fachungsmodus der Sage wurde ja Karl Martell herausgedrängt^ der
'gebildete' Interpolator aber, bestrebt, seine teuer erworbenen G^
Schichtskenntnisse an den Mann zu bringen, auf der anderen Seite
nicht imstande, das Fleckchen wiederzufinden, wo er historisch hin-
gehörte, machte ihn und Karl den Kahlen gar noch dazu — pro
pudorl — zum Ahnen seiner Ahnen.
Also Anseis ist keine Fiktion Jean Bodels, die Genealogie von
ihm bis zu Karl dem Grofsen keine Reminiszenz aus Chroniken —
echte, lebendige Sage ist es, die wir angetroffen haben, mit ihrem
angestammten Schipucke und ihren ureigenen Irrungen.
Wenn er auch an der Echtheit unserer Sage zweifelt^ so scheint
Pio Rajna die Tatsache an sich, dals unser Anseis der Amulfing
Ansigisel ist, erkannt zu haben. Aber aus mir unerfindlichen Grün-
den spielt er in seinem Hauptwerk auf diese Beziehung nur an,
ohne sie näher darzulegen (S. 246 op. cit): 'E a piü forte ragione (als
die Übertragung der JEhfanees P^n) rimetto ad aUro luogo ü parlare
dd padre di questo nostro Pipino, Änsegisüo o Änsehiso, eroe anch' esso
di canti, vivo ancora neUa tradizione poeiica del secolo XII, ma al
qttah Vonore di figurare neu* epopea potrebbe essere sUxto procacdato
posiumerUe daUa gloria del figlio e degli aUri diseendenti.
Wenn dem so wäre, wenn die Sage Ansegisus erst dann zum
Objekt gewählt hätte, als seine Enkel und Urenkel die grölsten der
Franken geworden waren, woher dann die Kenntnis seines Namens?
Epische Väter sind freilich jünger als ihre Söhne, diese Erkenntnis
ist ja schon zum Gemeinplatz geworden. Aber dann tragen sie
auch keine historischen Namen! 'Aus einer Chronik sei der
Name übernommen worden!' — Ich schreibe diese Entgegnung nicht
als einen Einwand Rajnas hin, der eine solche, seinem eigenen System
gegensätzliche nicht erheben würde. Ich schreibe sie nur, um daran
zu erinnern, dafs sie schon widerlegt ist^ ad absurdum geführt durch
die rein sagenhafte Genealogie, welche Anseis in unserer Anspielung
mit Karl dem Grofsen verbindet
Da nun der erste Teil der Enfanees rei Änseüs Motive aus der
Jugendsage der beiden Karl verwendet^ so ist die Form der Sage
/i
868 Studien zur fränkiBchen ßagengeschidite.
freilich jünger als diese Tradition; und da sie zudem als zweites
Element die berühmte Tat dothars auf ihn überträgf^ so gibt sie
vorab nichts von organisch zu Anseis gehörendem Sagengut wieder.
Es ist nur der 'epische Name' und seine Stellung, die echt sind. Ein
epischer Name Anseis in dieser Stellung aber setzt verlorene, orga-
nisch zu seinen Taten gehörende Dichtungen über ihn voraus.
Die Persönlichkeit des Ansigisus war den Amulfingen besonders
teuer aus einem Orunde, den man nicht belachen soll. Denn ein
solches Aufschauen zu einer älteren Kultur, ein solches Bestreben,
mit der höheren Kultur sich äulserlich zu verbinden, zeigt die Er-
kenntnis ihrer Superioritat und ist die Quelle innerer Assimilation:
die Ähnlichkeit des Namens Ansigisus mit Anchises, dem alten
Trojanervater, von dem die Römer sich herleiteten, begründete eine
phantastische Ableitung von den Trojanern. Oberall in den Taten
der Bischöfe von Metz (Pertz II, 8. 264), dem Epitaphium der Rothaid,
Pipins Tochter (ebda. S. 265), stofsen wir auf sie:
Aber Anchises, ihr wackerer Ahnherr, führt seinen Namen
Von dem greisen Vater des ältesten Römers her.^
Noch Alberich von Trois-Fontaines nennt ihn: Anaigistts
qui et Anchises (ad 644, 685). Mousket nennt ihn Angis (21 512),
ohne von einer Sage über ihn etwas zu wissen.
Es hatte wirklich etwas Bestechendes, in der Übertragung der
Tat von einem Merowing auf einen Amulfing, von Clothar auf
Anseis, eine familienpolitische Tat des jüngeren G^chlechtes zu sehen,
aber wieder steht uns die echt volkstümliche Art der Enfanees Ans^
entgegen: denn eine solche tendenziöse Dichtung würde sich enger
an die Chronik und Chronologie gehalten haben, würde ihn nicht
zum Bastard gemacht haben, sondern ihn nach Anschises etwa Angis
und nicht lautgesetzlich nach Ansigisus: Anseis genannt haben.
Nein! Eine tendenziöse Dichtung sind diese Enfanees nicht,
und die Tat^ die von dem reifen Manne berichtet wurde, die Rolle,
die König oder Held Anseis historisch und episch gespielt^ sie mufs
bestanden haben, um J^n/ance^-Dichtung und epischen Namen
entstehen lassen und überliefern zu können, und sie hat auch be-
standen, wenn es auch wiederum nur Chroniken sind, die ein Echo
von den ihm gewidmeten Sagen widerhallen. Anseis hat in dem
schon öfters besprochenen, epische Spuren deutlich verratenden Thü-
ringerkriege von 641 historisch eine Rolle gehabt Zwar nennt ihn
Fredegar (Buch IV, Kap. 87) in diesem Kriege Adalgyselus
(Algiselus), doch läTst Dahn keinen Zweifel an der Identität beider
Persönlichkeiten. Ja, er nennt ihn im Laufe seiner Urgeschichte der
germanischen und romanischen Völker mehrfach Adalgisil, im Re-
gister allerdings nur unter Ansigisel (S. 645, 6). Es 'begegnet
* Äsl abamia Antchise pot&ns^ qvi duaU ab iUo
TVüfamo AnchUa Umgo poit tempore nometi.
Studien zur frfinkiiicheii 6ageDgeBchichte. 868
Adal^ril auch nach Pipins Tode nicht wieder als major domus, viel-
mehr tritt Pipins Sohn Orimoald alsbald in dieses Amt Einen
Bruch mit Araulfs Bohn hat man aber um deswillen nicht anzuneh-
men: Adalgisil erscheint 640 als Heerführer in Sigiberts Feldzug
gegen die Thüringer neben Orimoald.'
Der gesprächige Fredegar berichtet aber (IV, 77): Radulfus der
Thüringerherzog war im Kampf gegen die Wenden Sieger geblieben,
und im Hochmut darüber versud^te er mehrmals dem Herzog Adal-
gyselus nachzustellen und wandte sich nach und nach auch gegen
Dagoberts Sohn Sigybertus. Wer den Streit sucht, der hat Kampf
im Sinn ... (TV, 87). Im achten Begierungsjahre des Sigybert (641)
brach er los. Sigybert berief stracks den Heerbann, setzte über den
Rhein, jagte des Thüringers Genossen Fara in die Flucht und drang
ins Thüringerland ein. Ein Schwur einte die Herzöge, Radulf nicht
länger leben zu lassen; aber es kam anders I Radulf baute sich
nämlich ein festes Kastell an der Unstrut und liels sich ruhig yom
Gegner umzingeln. Sigybert war jung und ungeduldig; und obgleich
die Herzöge Adalgisil und Grimoald ihn ohne Unterlafs bewachten,
befahl er ohne Beratung den Angriff. Radulfus aber hatte ein ge-
heimes Einverständnis mit gewissen fränkischen Herzögen, fiel aus
und brachte den Franken eine empfindliche Niederlage bei. Viele
Tausende von ihnen sollen getötet worden sein. Sigybertus aber, nach-
dem Radulf sich wieder in seine Burg zurückgezogen, safs auf dem
Boden und weinte bittere Tränen über die Verlorenen. Die Mainzer
sollen es gewesen sein, die in diesem Kampfe sich treulos erwiesen.
Kurth ist in seiner Histoire Poitique des MSrovingiena S. 466
den sagenhaften Zügen dieser Darstellung gerecht geworden. Frede-
gars Darstellung macht den Eindruck, als ob die Fülle der ihm ge-
fallenden Züge ihn überwältigte und er dadurch vollkommen aus
dem Zusammenhang geraten wäre. Er berichtet (wir haben die Dar-
stellung zu ordnen versucht) von dem planlosen Angriff, dann erst
von der Überwachung des königlichen Prinzen durch Adalgisel und
Grimoald. Er schlie&t seine Schilderung ab, dann erinnert er sich
der Untreue der Mainzer und bringt diese Bemerkung als Sohlufs
der Kämpfe vor den Verhandlungen, mit denen Sigybert den ge-
fährdeten Rückzug erkaufen muTste. Die Untreue der Mainzer bringt
er mit einer nicht oft von ihm geübten Vorsicht: Die Mainzer 'sollen'
sich in diesem Gefecht untreu erwiesen haben und tatsächlich sind
in der späteren epischen Tradition die Mainzer typische Verräter: der
Dichter des Doon de Maience mufs mehrfach im Laufe des Gedichtes
hervorheben, dafs sein Held nicht jener Doon von Mainz sei, der
gegen Karl den Grofsen zu Felde gezogen, und der Bueve de Han-
stone aus dem Lande gejagt Jenes 'Mainz' sei eine andere Stadt
jenseit des Meeres. Die weitgehendste Verwendung als Typus hat
dann das Haus Maffanxa, die Verrätersippe, in den BeaU di Francia
gefunden, jener italienisdien Kompilation aus dem Volksepos.
964 Stadien zur frinkisdieii SagengMchichte.
Wenn nun die Mainzer später als Yerrftter gelten, so muls woU
einmal in der Geschichte ein Anlajfs zu solcher Anschauung statt-
gefunden haben. Und warum sollte es nicht dieser sein. Nur Frede-
gars Ausdrucksweise könnte darauf deuten, dais er damals schon
typisch war und deshalb innerhalb des Ganzen Fredegars Argwohn
erweckte. Wenn diese Untreue nicht mit Sicherheit als bereits sagen-
hafter Zug nachzuweisen ist, so sind es die folgenden sicherlich: der
Eid der Herzöge, den Thüringer unter keinen Umstanden zu schonen,
der junge unerfahrene König, der weinend über Niederlage und Ver-
luste auf dem Boden sitzt wie ein Kind. Das stammt nicht aus
trockener Ghronikenüberlieferung, das gehört zum feinen und zier-
lichen Schmuckwerk, mit dem der Volksmund die Sage zu bekleiden
pflegt Aber die Sage von Sigyberts Tollkühnheit und Niederlage
hat ihren eigenen Beigeschmack : die Herzöge, die geschworen haben,
Radulf keinen Pardon zu gewähren, stehen ja am Ende beschämt
und eidbrüchig da, und auch der Übergang von jugendlichem Wage-
sinn zu kindischstem Ausdruck der Verzweiflung zeigt eine ungünstige
Gresinnung der Erzahlenden gegen den König. Sdhr einfach, denkt
man, die Austrasier, aus deren Mitte die Arnulfinge hervorgingen,
erniedrigten das absterbende Königshaus und erhöhten das künftige.
Jedoch ist von einer Erhöhung von Arnulfs Sohn, den die Metzer
Ännalen den erlauchtesten Fürsten nennen sollten, wenig zu spüren ;
nichts berechtigt uns, anzunehmen, dafs er den Eid der Herzöge
nicht mitgeleistet hat^ und nur die Überwachung des Königs mit
Grimoald vor dem Unglückskampf zeigt seine Überlegenheit — aller-
dings mifslingt ja audi sie!
Soll ich daran erinnern, dafs auch andere Sagen sich bei Frede-
gar vollkommen umgestaltet und zwar volkstümlich umgestaltet
zeigen, dais Teile der Chronik burgundischen Ursprungs sind,
dafs nur kurze Zeit darauf Burgund in der poetischen Darstellung
seiner Kriege gegen Nordfrankreich sein Heldenepos erhielt, dem-
entsprechend au(^ in der burgundischen Chronik bereits vielerlei
tendenziös gefärbt erscheint^ was die Franken anbetrifft? So werden
wir wohl kaum fehlgehen, in der Art der Darstellung von Sigyberts
Feldzug burgundis<^e Auffassung zu vermuten. Burgundische Dich-
tung wohl. Den Kern des Berichtes mögen sie von Austrasiem er-
halten haben, entwickelten ihn dann in ihrer Art weiter und ver-
schärften das für die Franken Skandalöse. Grund genug, denke ich,
dem Bericht Fredegars zu müstrauen und ihn aus den Greschichts-
büchem verschwinden zu lassen, etwa bis auf den Kern — eine
fränkische Niederlage an der Unstrut
Ich denke mir die Entstehung der Sage folgendermaßen: die
Niederlage Sigyberts an der Unstrut wurde von den Austrasiem in
einer Weise dargestellt^ welche den Merowingerprinzen demütigte und
Ansigisel, dessen Rat vorher zurückgestofsen wurde, als den schlieiB-
liehen Retter und Rächer auftreten Uefs, genau nach dem Muster
8tttd!eo sur fribikisdieD Sagengeacfaidite. M5
des Liedes Ton Dagobert und Glothar IL, in welchem der
junge König eine Niederlage erlitt, der ältere Fürst die
Scharte auswetzte. Dort erlegte Clothar den Sachsen Bertoal-
dus — im Sachaenlied tötet Anseis Brehier, dessen Identität mit
Bertoaldus wir schon öfters betont Also hier finden wir beide
Sagen tatsächlich vermengt Die burgundische Sage entlehnte
nur den satirischen ersten Teil, der ihr behagte, und in dem sie die
Schande der Austrasier sah. Sie schlols mit der Niederlage der
Franken, ohne Ans^s eingreifen zu lassen. So geht es aber, wenn
man das eigene Haus besdimutzt
Die Austrasier verloren umgekehrt mit Abnehmen des Wider-
wiUens gegen die schwachen, kindischen Epigonen der absterbenden
Rasse das Interesse an dem Sigybert niederdrückenden Anfang der
trotz allem eine fränkische Niederlage bedeutete, und behielten nur
den, Ansds erhebenden zweiten Teil, dem sie eine Vorgeschichte im
Stile der Bastardschaft Karl Martells, vulgo Karls des Oroisen vor-
aussetzten. Dies scheint mir die wahrscheinlichste Vermutung zu sein,
welche besonders dadurch sich empfiehlt, dais sie die beiden bisher
genannten Anspielungen auf Anseis auf eine Dichtung zurückführt,
die das Schema einer älteren Sachsendichtung, der Sage von Cloihar
und Dagobert, getreu kopiert Wie aber die Merowingersage mit wenigen
überkommenen Themen zu wuchern pflegt und diese immer wieder
erneuert, haben wir ja bereits öfters betont^ wobei die Kooperation
eines jungen und alten, tüchtigen und weniger tüchtigen Heerführers
auch bereits als immer wiederkehrend erkannt wurde.
Wir können also für die Figur des Anseis die aufgeworfenen
Fragen im wesentlichen als gelöst betrachten. Was nun die seinerzeit
so sagenberühmte Brehdertötung anbetrifft^ so hat ja die von uns
beigebrachte Version mancherlei Zweifel getilgt^ aber sie hat auch
neue Probleme mit sich gebracht: welcher Natur ist die Verwandt-
schaft der Versionen?
Nun brüstet sich im Ogier Brehier vor dem Kampfe (9874): 'Ich
will einmal Karls Heer einen Besuch abstatten; als treulosen Ver-
räter wiU ich ihn vor der Welt hinstellen: Braimont tötete er in
mörderischem Verrat, sein Vater Pipin brachte Justamont um.
Bei Mahomet^ ich werde sie rächen 1' Und Pipin schimpft er einen
schlechten, stinkigen Zwerg (9946).
Erinnern wir uns nun, was wir zu Anfang sagten: die Erwäh-
nung des Anseis im Sachsenliede gewährt uns den Einblick in eine
zyklische Sachsendichtung. Durch das Prinzip der Blutrache wurden
eine Anzahl Dichtungen miteinander verknüpft, die alle einen fränki-
schen Führer als Sieger über den Sachsenkönig darstellten: als ersten
den Floovent^ dann Clothar-Anseis, wie dieser schlug nach Mainet
{Bomcmia IV, S. 819) Pipin dem Justamont im Zweikampf den Kopf
ab, ebenso Karl der Grolse dem Wittekind im erhaltenen Sachaenlied.
806 Stadien cur Mokischen Si^ngeM^hiolite.
Nachahmungen dieser etwas stereotypen Schlüsse finden wir noch im
Zweikampf: Karl der Grofse-Braimant (vgL Brunamont
JUatneQ; Karl der Orofse-Baligant (Bolandy Und da der Ogier
innerhalb seiner Brehiertöiung sich mit den angeführten Worten
auf die zyklische Sachsendichtung beruft^ in dieser aber die Tat nach
Ausweb des Saehsenliedes von Anseis erzahlt wurde, so ist es wahr-
scheinlichy da(s dieselbe von Anseis auf Ogier direkt übertragen wurde
und nichts wie ich bisher mit Voretzsch annahm, von Lothar auf Ogier.
Des Alberich Anspielung behalt freilich ihren vollen Werl^ der
Loihariua Superbus des noch von ihm gekannten Heldenliedes ist
auf keine Weise auszuschalten.
Und so haben wir die interessante Sachlage, dais man im 1 S. Jahr-
hundert die Brehi ertötung zu gleicher Zeit von drei verschiedenen
Personen singen hören konnte: von Clothar in ursprünglicher Ver-
sion (Zeugnis Alberich, der ihn darum Ogier gleichsetzt), von
Anseis innerhalb einer zyklischen Nachdichtung, von Ogier in
einer Nachgeschichte, die auch Motive der Beliaarsage aufzuweisen hat
Wahrscheinlich waren diese Sagen geographisch geschieden: Clo-
thar mag in Alberichs Heimat^ in der Champagne (Wattenbach:
OeschiehUqueUen, 5. Aufl., S. 422) besungen worden sein, Ogier um
Meauz, wo sich nachweisbar eine Legende über ihn gebildet hat
Anseis aber gehört dem Osten an. Sein Vater war Erzbischof
von Metz, er selber inAustrasien Hausmeier und Herzog. In öst-
lichen Kriegen Heerführer. So nehme man es als Beleg dafür, dals
die Heimat seiner Sage Lothringen gewesen ist, dajfs wir an Stelle
der Unstrut ältester Sage, der Rune der Karlssage (= die Ruhr i),
hier die Maas als Schauplatz seiner Taten finden.
Dort sausen auch diejenigen, die von ihm sangen, und die den
Sohn des heiligen Arnulf trotz der starker leuchtenden, alle schwäche-
ren absorbierenden Gestirne Karl Martells, Karls des Groisen, der
Ludwige über fünf Jahrhunderte nicht vergafsen.
Anhang.
Der Text der Anspielung auf das Änse'islied.
Saünes T. IV, 1. Fran^ois se deffandirent com nobile guerrier.
Li uns rois apr^ Fautre panse de l'anforder,
Tant qu'en France morut li rois sanz heritier.
Ne sorent la corone cui doner ne bailiier;
6 De Jofroi de Paris firent lor justisier
* Bune = Rhein ist ein Irrtum Gaston Paris' (HisL Pok. S. 289),
der kritiklos gBuue weitergetragen worden ist. Seit dem Aufsatz von Jos.
Hansen in Sbradnungen xtir Deutschen Qesckiehtey 1886, S. 119 — 121, ist
wohl nicht mehr daran zu zweifebi, da(s die Ruhr gemeint ist: Rura > Rure
ereab durch Dissimilation Rune, — Jüng(^e Literatur zu diesem Punkte
siehe Roh n ström op. cit S. 175 ii. memach findet sich der Name
Rune in anderen Texten in Spanien. Deswegen für das Saeheenlied die
Etymologie Rune — Bura abzulehnen, scheint übertrieben.
Stadien zur Mnkiichen Sagengeschichta. 867
Por maintenir la gueire et por ax anforcier.
Api^ celai eslurent dant Gfarln le Pohyer;^
Ne sorent la oorone allon miaz amploier,
auar molt eetoit prodom, si aoct bien guerroier;
hß aiaz n'ot fil ne fille de sa franche moillier.
Gil con^t Ans^jB an la fille au yachier,
Qui pms derraifina France coro k cors k Brehier*
Au parlement sor Muese, oü ot maint haut princier,
Francois et Beene' furent ajöm^ por plaidier,
16 Por la destroite guerre finer et apaier.
Dont firent la bataüle sor • || • homes ju^er
Et d'ambes parz trez bien jurer et fiancier
Que ne feront jamaiB guerre reoommencier;
JÜhB dl en alt ronor cui Dez yodra aidier.
ao Cd jor firent Fran9oiB d'Ans^VB Chevalier,
Qar ancores servoit au role^ d'^escuier;
Bien 11 sistrent les armes, si s'an sot bien aidier.
Brehier refirent Saisne molt bien aparolUier,
Puis les firent andeus outre • | • autre^ nagier;
26 Se's ont andeufi laissiez as armes acointier.
Aus^^rs le conquist k l'esp^e d'acier:
Li Saisne s'an tornerent, n'i ot que correder;
M^s toz lor sairemanz fauserent de legier,
Qar onques ne laisserent nos Frans ä laidangier.
so Ans^ys ooronerent k Saint-Denis mostier;
Leax fu et prodom, Deu ama et ot chier.
Cil fu peres Pepin le yassal droiturier,
Qui pms refist a Saisnes maint mortel anconbrier
Et odst Justamont, yoirement sanz cuidier.
36 Guiteclins le cuida puis vers Earlon vangier;
Li fil aprte les peres repristrent le mestier.
Diese AjiBpidung ist in veränderter Qestalt wiederholt auf 8. 1 65
desselben L Bandes:
Tirade XOVII, 2. 'Morz fu Karies li Chaus qi l'ampire ot conqis ;
Apr^ Karies Martiaz qi tant fu mal pansis;
Ne remest oirs en France ne an qint ne an sis;
•X' ans laiBserent France k Joifroi de Paris.
6 Qant Garins de Baviere' fu do roiaume eshs,
Fame avoit beie et si^; mais ainz n'an fu oirs vis;
Gil ot une vachiere qi molt ot der le vis:
Basse choee ert assez ; m^ li cuens (1 : cuers = B) fu gentis.
Puis fu li Buens li^ages de chevage^ franchis.
10 Por la biaut^ de b fu Garins ses amis:
O li jut une nuit, si an fist ses delis;
De lui fu angenrez li forz rois Ans^ys,
Qui puis ocist Brehier,* dont ancor nos est pis.^
D'Ans^s fu Pernns, qi proz fu e gentis;
Iß Et de repin fu Maries, qi nos a anvais.'
' R: Girart le Pontier. — * lo A; L: Broier; R: oors k oon baUillier. ->
' L: OA France et Saisne ... — ^ A: en robe. — * A,R: isle. — ' B: G. de
Lancele, A: G. de Saosnerre. — ** L: chevaz; A, R: aervage; T: chevage (vgl.
Siepel, KrUitck« Beiträge m Jean BodeU Epos, Diu., Greiftwald 1899, Nr. 106). —
' L: Broier. — * Ein SaohM ist der Erzählende.
München. Leo Jordan.
Note snl Boeeaeeio in Ispagna nell^Etä Media.
(Fortwtnmg.)
II De daris Mulierihus ed il De Caatbus, benche diversi
nell'accozzamento del materiale erudito^ mostrano un aspetto
medesimo deiranimo del Boccaccio; si completano a vicenda.
£: un ricreare e sollazzare la mente, riempiendola di fatti egregi
e memorandi; un fortificare lo spirito fiacco con riflessioni morali
ed una filosofia sensatissima e cristianissima, ma tutta a fior di
pelle. Si infiilzano esempi, e si ragiona: Badate alle antiche storie
che son specchio della vita; incamminatevi alla virtü e fuggite
il peccato. Chi, fuor d'Italia, conosceva il De Casibus del
'famoso filosofo y grand poeta' Boccaccio,^ ignorava difficilmente
* Cosl chiamayalo un lettor assiduo del De Gm&tM, Fernan Mexia,
nel Libro wUüulado nobüiarto perfetamente eopylado y ordmado (Sevilla
1492, cap. I), che potei consultare ^uando era pk a stampa il capitolo
precedente. Quivi ü Boccaccio che, in mateiia di nobiltä e di virtü, pen-
saya come Dante, ^ tratto a conviüidare il pensier retrogrado di una no-
biltä basata sulla purezza del sangue e la discendenza, e doyrebbe prestar
armi per combattore il ^famoso doctor* Bartolo. (cap. I) '£n favor de
nuestro proposito el vocagio preeta o noB enbia tres flechas a^udas y
fuertes para mortalmente ferir al dicho doctor, eecudo de aqueUa tabla
terpera de su escudo, escripto en siu tendales, como fueron sacadas de
aquella epistola con la quäl fue presentado el libro suyo caydes de prin*
cipes . La aual eeta situada en el comen90 de dicho libro . Las letras
dizen aal . Maginardo onbre de onrrado linaje deßta ^bdad de floreyia, el
quäl es cavallero armado y el titulo de su linaje antiguo y muy famoso
es en esta gibdad y de buenas costunbres mucho doctado . Por yierto si
este famoso filosofo y grand poeta no sintiera como la anti^edad y claridad
del linaje no era la perfe9ion de la nobleza, no se metiera & dar loores
de nobleza de antiguedad del dicho maginardo. . . . Y lueffo lanyo la se-
gunda, sacada del goldre del dicho libro . cap. VII . cuyas letras material-
mente dizen asi . Vi al Brey minus que ante todas las cosas en su nasci-
mieto fae muy daro asi como aquel que era engendrado de aquel grand
Rrey de creta llamado astrio y de europa fija del Bey agenor; esto dixo
el gran poeta por que asteiio yeetia de la mas alta sangre y antigua y
noble del mundo. ... La tercera es aquella la quäl sacada del dicho goldre
puso en suB tendales aqueUas letras que se leen en el cap. XIII en el
comiengo que dizen ansi: De un linaje muy claro muy alta y linpia san^e
fue priamo . Aqui es de notar que alta sangre no quiere otra cosa dezir:
salvo antiguo . . . e esto quiso dezir el dicho poeta.' Di Dante non ragiona
il Mexia nel Nobüiario (e cosi sciolto un dubbio espresso nelle noto mie
su Dante in Lmagna, p. 19 dell'estr.); cita per6 i Trionfi del Petrarca
(Lib. I cap. LxXTin), licorda la Vision deUuUtble di Alfonso de la Torre
(Lib. II cap. XX), e piü yolte le glosse del Villena dXVBneide tradotta.
Note Bul Boccaccio in Ispagna nell'EtA Media. 809
il De dartM Mulieribus; ayveniva talvolta che i due trattati si
mettessero in im fascio e si confondessero. Alla yersione fran-
ceee del De daris MulieribuM, venuta in luce nel 1493, il V6rard
mandava innanzi ravvertimento: 'La fin et intention du dit auteur
est monstrer Tinstabilite et variacion de fortune, laquelle sou-
yentesfois» apres plusieurs grandes prosperit&y renverse Testat
des humains et parfond de miserable infelicite, et du contraire»
apres plusieurs adyersitesy eile restitue les mortels yiyans en
plus grande prosperite que deyant'*
L'arte, gia dal Boccaccio affogata entro le spire delFeru-
dizione e della morale, immiseriyasi necessariamente nelle tra-
slazioni ed imitazioni successive. II trattato sulle chiare donne
giungeya proyyidenziale a' dotti, nel feryore delle discussioni
sulle donne, in tanto affannarsi per sgombrare da' royi e dalle
spine la yia che conduce al cielo. Doyunque s'apron cammini,
penetra la donna. Hai le tentazioni di Sant' Antonio, accanto
alla yisione estatica di Maria Yergine; il diayolo che tira in giü
grayoso la came, e l'angelo che porta salute, e solleya lo spirito
alFeterna beatitudine. Attorno alla donna giran tutti gu or-
digni maggiori e minori della letteratura. AJla donna s'erigon
tempi e si preparano infemi. I femministi lottano co'misogini.
Hai trattati sui pregi e le yirtü delle chiare donne; hai inyet-
tiye mordenti e lurenti contro il sesso debole e peryerso, ed un
coro di garrule yoci che, dalle chiese e dai chiostri, impreca alle
figlie di £ya, e inneggia a Maria, sola £ra le donne purissima.
II Boccaccio, natura bonaria, solito a non macerare le cami
con digiuni e priyazioni, tardi pentito e rayveduto, messo, suo
malgrado, a salmodiare co'mistici e gli asceti, perdonava alle
donne tante fiacchezze per un amoroso sorriso; non coyaya per
esse odio profondo. Espertissimo della natura loro, delicata, lasci-
yetta e labile, tenera e caparbia, angelica e diayolesca ad un tempo,
quand'ebbe riyolta la mente a'pensier gravi, beato ancora di
poter scorrazzare a piacere nel mondo apertogli da'dottori an-
tichi, e di riempir le carte di nomi jllustri, motte insieme, attin-
gendo alle mitologiche fayole, alle loggende ed alla storia, in-
contentabile nel daxe l'ultimo assetto al lavoro suo, i suoi bravi
esempi di chiare donne. Lo sfogo de' suoi risentimenti, le amare
inyettiye contro le yedoye e le donne in genere, affidaya al
Corbaccio, spoherizzato qua e la di mistica doratura. Aveva
scritto pe'paiadini delle donne e per i loro denigratori, e pro-
nundato il suo: scegliete.
Vi furono Spagnuoli pronti a scegliere l'apologia, che, abil-
mente, sotto il cumulo di lodi, copre U biasimo alla frale natura
^ H. Hauyette, D$ LaurmUio de FHmofato, FtaJB 1903, p. 106.
ArchlT f. n. Spnehen. CXy. 24
870 Note 8ul Boccacdo in Ispagna nell'Etä Media.
femmimle»^ tenuta dal Chaucer, tra i Britanni, in gran pregio,
e fönte alla Legend of good Women; vi furono altri che» a
chiiis'occhi, accettaron la satira. Ma, in generale, per certo spi-
rito galante e cavalleresco ch'era ne'piü dotti» nella patria del
Don Quijote, ingentiliti dalla coltura umanistica» in tempi in cui
le favole e le ambagi di re Arturo, gli amori di Tristane e d'Isotta
scaldavan la fantasia e molcevano i cuori, e correvan le prime
storie di Amadigi, preferirono i piü schierarsi col De claris
Mtdieribus a sostenitori del valor femminile, che imprecare alla
malvagita della donna col Corbaccio.^
Le imitazioni del trattato latino precedettero verosimilmente
la traduzione castigliana, compiuta ^otto il regno di Juan U, da
un anonimo, che qua e la corresse il Boccaccio, e ne completö
le storie abbozzate, giovandosi di 'algunos famosos y mas ciertos
autores' (f. YU). Apparve l'opera stampata col ütolo: De las
mugeres illustres en romance, nel 1494, un anno prima delle
Caydas,^ I Warones ilustres' di Castiglia, quali ce li descrive
' Gerne anche nel D$ (hnealogits Deorum il Boccaccio amaase syelare
le fralesze femminili, moetra lo Schöningh, Die QöttergenecUogien des
BoeeaeeiOf Posen 1900, p. 89 sg.
* Grandi yantagd morali prometteya d'altronde 11 Boccaccio ai lettori
del suo trattato. Vmi la conclusione della yereione castiffliana del Libro ...
(20 Uu illustres mugeres, ch'io citerö piü innanzi (f. L) 'Ca los hombres
softoUentos j de poco leyendo muchas haza&as j empresas espantosas j
de tan sobrados esfuer^ de mugeres: sentiran graye aguijon para que
no sean de menos que ellas. £ las duefias honradas halüuran grandes
enxemplos j muy peiregrinos para conünnacion de su yirtud.'
' rensaya un tempo attribuirla ad Alonso de Cartagena, traduttore del-
l'ultima parte del De Oasibus, al quäle oomunemente si aggiudica un trattato
sulle donne illustri, Irreperibile, ma h con^ttura cotesta priya affatto di
fondamento. Non ayrä certo i^orato l'insigne e dottissimo yesooyo l'apo-
logia boocaocesca, ma negli scntti e trattati suoi tralascia di fame riconlo.
Neue chiose alla yersione del De IVovideniia di Seneca, ricorda il detto
di Salomone: 'la muger es mas amarea que la muerte', per subito aggiun-
gere, non doyersi muoyere ingiuria al&i donna, 'ca no yino medea a bnscar
a iasö, mas iasö lue a buscar a medea' (Vedi la stampa citata dd Oinoo
libros de Seneea). — L'edizione di Zarw>za del 1494 : Johan boea^ de eer-
taldo poeta floi retin d* las daras exeelktes y mas fa\ mosas y senaladas
damas: adrefodo a la muy illustre senora dana Andrea de aoehiarolis
ecndesa de cUia viUa, h di estrema rariUt, ed io non potei yederla. (La re-
eistrano: il Qallardo, Ens. II, 97; A. Hortis, ^SS^. s. oper, laJt. j^. 897;
P. B. Femdndez in La öiudad de Dios, 1902, marso ; 0. Haebler, Bihliogr,
ibSr. del siglo XV. La Haya, Leipzig 1904, p. 24.) Ai piü ^ solo acces-
sibile Pedizione di Seyilla, 1528: Libro de Juä Boeaeio que traeta de las
iüustres mugereSf tolta rapidamente in esame da L. Torretta in Oiom.
stör. d. leUer. ital. XL, 44 sg.: 'primeggia sulle altre per fedeltä, poich^
ipitolo
riprodotto interamente, yiene aggiunto un nuoyo brauo contenente ora
semplici considerazioni morali, come nei capitoli di Tisbe, di Niobe, delle
Note 8ul Boccaccio in Ispägna nell'Etil Media. 871
Hernaado del Pulgar, e prima di lui il D'Ayala, amayan le donne^
benehe austeri e gravi fossero; erano 'inclinados a mujeres';
unicamente di sogni puri e platonici non si pascevano. Attorno
alle dame di corte gironzano gli spasimanti cayalieri, e profon-
dono lodi e incenso. A paladino dell'oüor femminino giä s'era
eretto Enrique de Yillena, chiudendo l'allegorico trattato Los
trabajos de Hercules. La lirica provenzaleggia e petrarcheggia;
si crea i suoi idoli d'amore, e gioie, e tormenti. Cresce il prestigio
della bellezza; con baldanza si affissano gli occhi nel bei corpo
di dbnna, e non e da stupire, se Don Alvaro de Luna, incline alle
lettere e alle donne, come i piü grand' uomini del tempo, in
pieno fervore di umanistici studi, capitatigli tra' mani, negli ozi
concessigli dagli intricati negozi di stato, il De daris Mulieri-
bus del Boccaccio, tentasse emularlo con un trattato analoge:
il Libro de las virtuosas et ciaras mugeres, frutto di laboriosa
e paziente compilazione, di accurato spoglio degli scrittori an-
tichi, allora piü in voga, di Yalerio particolarmente, ponderato
in ogni parte, scritto con senno e chiarezza, in una prosa ni-
tida e fluida, la miglior prosa del tempo. Sfila innanzi a noi
il gran coi-teo delle donne illustri. Porzia, Claudia, Virginia,
Veturia, Lucrezia, Sulpizia, Ipermestra, Argia, Artemisia, Marzia,
Penelope, Cammilla, moltissime altre, che troviamo pur raggruppate
attorno alla Citd des dames di Christine de Pisan (suggerite dal-
l'esempio del Boccaccio), trionfanti nel Champion des dames di
Martin Le Franc, nella Clarissimarum feminarum laudatio di
Albert von Eyb,* ci insegnano la fermezza muliebre nel fuggir
le insidie, l'ozio, le mille tentazioni; celebrano il fior delle virtü
nella donna: la castita, incarnata in Sulpicia, dura ad ogni
assalto, ^amando con muy grande amor solamente & su marido.
mogli dei Menii ora qualche ulteriore notizia intomo alla protagonista,
oome in quelli di Leena e di Ippone, notizie che egli attinge per lo piü
ai fonti stessi di cui si ^ aervito u Boccaccio.' Ancor si dovrebbero studiare
i manoscritti sparsi di (^uesta versione, e determinare con esattezza le
lacune e le interpolaziom Del testo castigliano, Don tutte dovute certa-
mente all'arbitrio deUo stampatore.
' L. Torretta discorre con cognizioni scarse, Del citato articolo, della
fortuna del De claris MtUieribus, fuori d'Italia. Di Christine de Pisan
non fa parola; ignora il dotto studio di E. Drescher sulla traduzione dello
Steinhöwel, ristampata con ogni cura nella BibL d. litter, Vereins SttUtgarts
VoL CX/Vt TQbingen 1895. Lo Steinhöwel informa in una nota com' egli
liberamente traducesse : p. XXX : 'Ich gedenck ouch, daz ich nit entrinnen
müg mit myner arbeit, oie ich in guoter main uncz an dise fabel gebracht
hab, in ringem, verstentlichem tusch, on behaltne Ordnung der wort
ffegen wort, ouch nit gelyche sinn gegen sinnen, sonder offt mit zuoge-
leUen worten nach mynem bedunken darzuo dienenden, oder abgebrochen,
ouch nit on ursach beschenhen.' Sulla Glariss, fem, laudatio ved. M. Herc-
mann, Älb, v. Eyb und die FrÜhxeü des deutschen Humanismus, Berlin
1892, pp. 287 sgg., dove perö a torto si tace il Boccaccio tra le fonti.
24*
872 Note stQ Boocaodo in Lipagna ndl'EtA Media.
porque esta es la entera castidad'. Don Alyaro che al corteo
delle donne insigni aggiunge le Ebree e le Cristiaiie, celebrate dalle
Sante Scritture, e dal Boccaccio trascarate di proposito, perche
'descritte in piü di un volame da molti santi uomini, nelle sacre
lettere dottissimi e non poco onorati', moralizza, emette sen-
tenze^ s'inchina ai sapienti; da rialzo a' detti suoi con un 'segun
dicen algonos Doctores, especialmente Juan Boccacio en el su
libro de las nobles j ciaras Mujeres'. AI dottor Boccaccio pa-
recchio toglie per completare le narrazioni degli antichi; toglie
da Yalerio in special modo, il gran compilatore, da cui, in
Ispagna» ognun compila; ne si limita ai particolari, agli aned-
doti, ma trascrive yite intere di donne, quando opportuno gli
sembra.^
In yerita, maggior gratitudine meritaya il saggio precur-
sore che gli fu proyyido d'aiuto e di consiglio, e gli suggeri
persino il titolo all'opera: ^claras mugeres'. 61i esce detto, a
gran stento, che delle chiare donne: *Joan Boccacio algunas cosas
trata'9 ed ha il coraggio di appropriarsi anche il proemio del
trattato latino boccaccesco. Merayigliasi ancor lui, ^on poco',
^de tantos prudentes, e santos Autores, que de los fechos 6 yir-
tudes de los claros yarones hayan fecho eztendida 6 compUda
memoria', nessuna particolare descrizione lasciando de' yirtuosi,
egregi fatti delle donne; ancor lui menziona il Petrarca, *del
?ual mas es de marayillar, porque yido el olyido de los otros
fiie mas cercano & los nuestros tiempos.''
II libro, cosi composto, yergato da mano possente e temuta,
fece fortuna. Doyettero rubarselo, a yicenda, donne e donzelle,
le quah, con compiacimento infinite, yi ayranno yisto come un
riyerbero delle loro reali od immaginarie yirtü, buono per stuzzi-
care la yanita fenmiinile. *Por haber compuesto tan noble libro
en honrra d'ellas,' cioe delle 'ciaras mujeres del nuestro tiempo',
Juan de Mena, FOmero di Spagna, ringraziaya in un Prohemio
il *muy yirtuoso, 6 muy magnifico' contestabile. Offiiya poi
l'autore delle Treeientas in un suo syago in rima, accolto da'
'Canzioneros', col titolo: C^aro Escuro^, un elogio di yirtuose
donne, e celebraya Argia, Lucrezia, Ipermestra, Penelope, Arte-
' üna delle poche cose commendeyoli nel libro di B. Sanyifleiiti.
I vnmi infkuai ai Dante, del Petrarea e dd Boeeaedo .. ., Milano 1902, h il
düi^ente ed utile coDfroDto (non priyo perö di gODÜezze e di fronzoli)
fra il De elaris Muliertbus del Boccaccio e il Libro de las virtuosas y daras
mugeres di Alyaro de Luna (pp. 289 sgg.), stampato quest' ultimo per
cura de' Bibliof, Espan,, Madrid 1891.
' II Petrarca ayeya pa^to, d'altaronde, il suo tributo d'encomio alle
femmine egregie. in un'epistola ad Anna, sposa all'imperatore Carlo V,
e Bteso un suo orayo elenco di nomi di illustri donne, da Minerva fino
alla conteesa Matilde. Epist. fam. ed. Fracass. üb. XXI Cap. VIII (III, 70).
' Caneion. general I, 117.
Note 8ul Boccaccio in Ispagna neH'EUL Media. 878
misa ed altre illustri. * La ^buena Hypermestra*» la 'casta Lucre-
cia\ Artemisia» Penelope» Argia palesano la virtii loro nel primo
ordine delle sfere rotanti del poema maggiore. (Nel 2^ ordine di
Mercurio str. XC appare ^Enphyle'.) La Coranacion iucensa
pure le insigni e elette del 4inage feminine'. Tor no espantar
a las donas^ aggiunge il poeta, *m robarles aus Coronas | sus
martyrios no assigno/
I trattati, le biografie muliebri, le dispute suireccellenza,
la nobilta delle donne pullulano in quel secolo, cosi fertile di
dotte scritture; muovono gli intelletti e i cuori de' letteraü
piü eloquenti; occupano gli uomini di mondo, non meno degli
uomini di chiesa, che di tutti i secreti possedevan le chiaTi.
Fioccan cavilli, e sottili e lambiccate distinzioni, e paradossi;
si ponderano vizi e virtü, solla bilancia offerta dal Boccaccio;
si ribattono le accuse de' misogini sirontati, con spirito parti-
giano accesOy acciecato. La tranquilla meditazione, che sola
concede di penetrare negli abissi del cuore, ed illumina sulla
psiche complessa dell' animal muliebre, non e di nessuno di que'
paladini zelanti che, nelle terre del Ceryantes, celebravan le
Dulcince alla stregua delle donne antiche, e vedevano un'anima
ed una Tita esemplare in un nome illustre che la leggenda e il
mito tramandavauo. £ in pochi temperanza di giudizio. Im-
pegnatasi la lotta, conveniva riyelarsi: o risolutamente femministi,
0 risolutamente antifemministi. Forti delle erudite memorie an-
tiche, saliTasi in cattedra e predicavasi alle turbe. S'insegnavan
buone costumanze; s'indicavan quelle vie che conduceyan dritte
alla salute, guidati dal femminino eterno, o senza scorta di donna
alcuna, liberi da' demoni tentatori. £ se il Boccaccio, nel
De claris Mtdieribus, sdegnaya disserrar le chiaTi di Paradiso,
ora, per la salute delle genti ispane, il Paradiso si dischiude, e
all'alto si scorge, trionfante, esultante, il coro delle Vergini e
delle Martiri. Le fianunelle delle luci sante si comunicano
agli uomini Alla beata speme ci soUeya la Vergine. *Ved el
gran bien que tenemos | Por una Virgen doncella', griderä Juan
del Encina agli stolti ^que dicen mal de mugeres', *E pues fu6
muger, por ella | Todas las otras honremos.'
•^ Paii;ecipaTano alacremente Catalani e Valenziani alle di-
spute sui pregi e le magagne delle donne, prima che si com-
piessero trattati e trionfi in Castiglia. Nel settentrione di Spagna
erano piü stretti i vincoli che univano alla letteratura di Fran-
cia, piü naturale il riTerbero delle diatribe e glorificazioni al
' L'opera di Alyaro de Luna fiffurava tra i libri della regina Isabella
cattolica. V. Momor. d. L R. ÄeaeL i. l Hut. VI, 464 ; 'puede creerse', con-
Settura il Clemencin, 'que perteneciöiÄ flu autor el condestÄble D. Alvaro
e LuDa'.
874 Note 8ul Boccaccio in Ispagna nelPEtä Media.
bei sesso» ispirate in gran parte all' universale Roman de la
Rose. II yescoYO Francisco Eximeniz aveva composto lassti, in
fin del '300, con intendimento ascetico spiccato, e, con tutta
probabilita, indipendentemente dall'opera encomiastica latina, o
satirica in volgare, del Boccaccio, il Libre de lea dones,^ libro
fortunatissimo, divulgato e letto per piü di un secolo (Hodo de
mugeres' come awertiron poi i Gastigliani traducendolo), in cui,
saggiamente, col sostegno delle sacre scrittnre, si esponeva il
bene ed il male, ^bondades et vicios', e tempravasi il biasimo
alle rie femmine, che, spudorate e baldanzose, correvano per le
vie di Valencia, patria del yescovo, coUe lodi alle virtuose, di
x^ui, piü nelle dotte carte che nella vita, allor vissuta, era me-
moria. Alle carte latine e volgari, che Bernat Metge assiduamente
leggeva, a' tempi dell' Eximeniz, e attinta, in parte, la scienza e
l'esperienza muliebre sfoggiata nel Somni, II Talente secretario
de'prenci di Catalogna ha un bei trincerarsi dietro i grandi e
venerati uomini antichi del Lazio e della Grecia, e farsi forte
dell' autorita di Aristotile e di Piatone, di Omero e di Virgilio,
dissimulando la dottrina che agli ingegni dltalia attinge, tacendo
con ostinazion vera e in ogni scritto il nome del Certaldese;
irresistibilmente e pur condotto a' trattati de' sommi italiani che
saccheggia. j^ saputo come la grandinata d'ingiurie che l'indo-
vino Tiresia riversa sul capo del *maleyt linatge femeni', tutta
sia tolta al Corbaccio. II panegirico che segne alla diatriba, ^
l'obbligatoria glorificazione de' femminili ^actes virtuosos e de gran
valor', e suggerita dal De claris Mulieribus boccaccesco. Ben
e vero che, al corteggio delle chiare donne antiche s'aggiunge, nel
Somni, l'esigua scluera di donne virtuose, ch'eran decoro e luce
nel reame di Aragona: Pedraltes, Eleonora, Sibilla, Yiolante e
' Vedi le mle note sulla fortuna del Oorbaecio, Non so chi prima
fantaaticasse di uno studio fatto dail' Eximeniz delle opere del Boccaccio.
A. HortiSy ispiratosi ad A. de los Bios (Eist. VI, 265) scrive (Stud. s, op,
kU, d, Boce. p. 598) : Ter far Telogio (delle donne), e difenderle dalle accuse
del Boccaccio, Francesco Ximenez, cedendo alle preghiere della contessa di
Prades, dettö il lAbre de las Donas*» Ultimamente Tamico mio J. Fitz-
maurice-Kelly, nella sua pregevole Historia de la liier, espan. (trad. Bo-
nilla, Madrid 1901, p. 156) sosteneva essere il Carro de las Donas, non altro
che 'Version catalana del tratado De daris nudieribus de Boccaccio'; n^
coglieva nel segno Men6ndez j Pelayo rettiücando, nel proloffo alla tra-
duzione (p. XavIII) : 'Boccaccio esta utilizado como otros mucnos autores.'
La recentissima traduzione francese della bell'opera dell' ispanista inglese
(Paris li>04) tralascia, toccando dell' Eximeniz, raccenno al Boccaccio.
' 'Son ago paraules de home ab sana f>en8a?' cosl s'ode rinfacciare
Tiresia, prima oi lanciare le contumelie carpite al Boccaccio (Somni Lib.
III, p. 112), 'son a$o paraules convinents a la tua edat? son a^o paraules
de home qui am sdentia e hage legit tant com tu ? Lexa semblants coses
a homens otiosos, vans e illit^ats, car lo teu enginy nos deu distribuir
en amor'.
Note 8ul Boccaccio in Ispagna Dell'Etä Media. &75
Maria; si ricordano le donne insigni del Yecchio Testamento;
s'esalta la pazienza e l'amore di Griselda; ma dalle storie cömpi-
late dal Boccaccio si traggono tutte le aride enumerazioni, gli
esempi storici e leggendari dell'aurea antichita, e il Somni, che
non trascura le Amazzoni conquistatrici^ si iregia di nomi illustri,
vantati dal Certaldese : 'Semiramis', *Orithya', *Tamiris', 'Cenobia',
•Ysis', ^Saffo', Tobra' (Proba), ^Hipsicratea', Tortia', *Julia',
*Artemisia*, *Emilia', *Sulpitia', *Didone', 'Lucretia', *Hippo*,
'Cloelia', ^Cornelia*.
Alla satira de' costumi delle donne s'oppone, ^per semblant
forma') quella de' costumi maschili, satira grossolana e sempli-
ciotta alquanto, in cui non e nulla dell'ironia fine e dell'umore
bonario del Boccaccio, il quäle, pur vantando le yirtü femminili,
frustando gli uomini, che non rimancTano addietro alle donne
nelle foggie artificiate e impudiche, nel restringersi foUemente la
persona, nello specchiarsi, nell'azzimarsi ecc, ripeteva esser
l'uomo il piü nobile animale che tra'mortali fosse creato da
Dio, piü perfetto quindi, piü fermo e costante della donna. II
panegirista delle donne uel Somni chiama gli uomini bestie
senza piü: 'La maior part d ells es bestia de prat, e cascu cuyda
esser altre Salamo en sayiesa, et altre TuUi en eloquentia.' ^
Tutte le glorificazioni muliebri, sorte in terra di Spagna,
nel '400, si oppongono deliberatamente alle accuse vituperevoli
de' mald^centi. 'Rusticus est vere, qui turpia de muliere J dicit,
nam yere sumus omnes de muliere', ammoniva il Facetua (II, 12).
Gli avvocati difensori, ispirati talvolta alle arringhe de' difensori
di Francia e d'Italia, assestano colpi agli accusatori spietati,
e tessono, con lusso di erudite citazioni, il loro panegirico. Da
un lato addentano il Boccaccio, per le invettive acerbe contro
le yedoye, le pulzelle e le maritate, dall'altro attingono alla
dottrina del grand'uomo, profusa nel De claris Mulieribus, le
prove piü acconcie per la difesa. £ se il Boccaccio dedicava
il suo trattato a Madonna Andrea degli Acciaiuoli, sorella del
gran siniscalco Nicola, 'elegante nel conversare, generosa nel-
' Nel 1420 Mossen Bernat Blanes compiva il suo Libre dels Feffta
d armes de (kUalunya, e quivi, piü e piü volte, accenna ad una sua 'librena^
fornita di cronache e d'opere Btoriche d'ogni genere (ediz. della Bibl. eaUU,
deirAguilö, Barcelona IÖ80, pp. 41; 122; 167; 828). Ma che vi figuragse
un trattato del Boccaccio non dice il Blanes. Era natura opposta alfatto
al Metffe, ghiottissimo di memorie del tempo antico, e condannava le 'fa-
vole' (Sie solevano contaminare la atoria veridica; spregiava gli scrittori
che cereavano il plauso del volgo 'ab Iure mentides e fingiment8\ (p. 87)
'Verität sia dita com sen deu a historia, quen ha desser ver^e e molt
pura . . . car deurien esser molt greument punite tots aquells aui ab bado-
meriea e faules aue hi volen mesclar rompen la aua enterea. I cronisti
maggiori di CataTo;:na, il lüluntaner e il Desciot sdegnarono, ch'io sappia,
torre consiglio alle prose ed ai versi dei grandi trecentisti fiorentini.
976 Note sul Boccaccio in Ispagna neü'EUl Media.
Panimo, forte neiringegno^ specchio dei buoni oostumi e d'esimia
oneBta', s'egli chludeva l'opera poderosa col panegirico alla regina
Giovanna, iUuBtrissima donna, per origine, per potenza e oostumi;
i valentuomini di Gastiglia incensano, di comune aocordo, il fior
delle regine, Donna Maria, sposa al re Juan II, la piü virtuosa
delle mogli, la ^as digna y mas noble', ^la muy ensenada et
perfecta'; tessono ghirlande sul suo capo; inneggiano al bei sesso
nel suo nome; ed e probabile che la regina stessa soUecitasse, per
se e le gentildonne del suo seguito: Dona Leonor de Castilla,
Dona £lYira Portocarrero, Dona Beatrix de Ayellaneda, Doiia
Mencia Tellez de Toledo, e trionfi, e tempi, e santuari di illustri
donne, perche si desse piena sconfitta agli iniqui maldicenti, '^e-
gados por ygnorancia'J
Credo che, prima alquanto di Alvaro de Luna, dessero
mano alle loro difese, e componessero i loro trattati, forse ad
un tempo, Rodrlguez del Padrön e Messen Diego de Valera, e
si impartisse da entrambi la nota lezioncina morale all'autore
del Corbaccio, ricordata nelle storie letterarie piü in voga,*
Con argomenti filosofici e sottigliezze di ragionamenti, ^por nu-
mero de razones 6 non de mugeres famosas, como algunos,
errando en sus fablas proceden', Rodrfguez del Padrön yuoI
mettere in luce la gloria delle donne oscurata, mostrare la
preeminenza loro sugli uomini.^ AI labirinto de'yizi oppone
un trionfo di virtü. L'eccellenza, la perfezione fisica e morale
della donna, dimostra colle 'naturales razones', gia in parte
aUegate nel Somni del Metge, noto probabilmente al Padrön*
e non sdegnate ancora da Diego de San Pedro, nella Carcd
de nmor, dall'Agrippa, nella De nobüitate et praecdlenHa feminei
sexus declamatio (1529), dedicata a Margherita d'Austria.' E il
' 'ledo 7 gozoBo deeechara la murmuracion y assechancaa de los
tristes maldizientes: y aun pnestos por tierra los maliciosos | levara muy
adelante v pre^onara mucho mas el esciarecido nombre vuestro', oosl la
dedica alLa regma Giovanna, nella traduzione castiffliana del trattato boc-
caccesco. E ranoDima Defensione delle donne (Bologna 1876, p. 8): 'Vo-
lendo io pi^liarmi la fatioosa irnnresa della protezione delle donne contra'
loro maledici calunniatori . . . e aovendo scancellare 11 obbrobrii die falsa-
mente gli sono imposti, e predicare le loro laudi e virtudi'.
> Debbo io qm rimandare alle note critiche, bibliografiche e illustra-
tive sul Corhciccio in hpagna, che ristamperö piü tardi, ampliate e corrette.
y ijmca, ,
iura catalanOf Barcelona 1889, p. 31. Che Rodrlguez del Padrön cono-
scesse anche il Beggimento di donna di Francesco da Barberino non mi
pare probabile.
" Fu poi tradotta in francese: De la Noblesse et Preexellence du sexe
f&niinin, Paris 1578. Tra le PremUres (Euvres poitiques di Marie de
Romieu (1581) trovi un Diseours que Vexcellenoe des femmes surpasse eelle
de l'homme.
Note Bul Boccaccio in Ispagna nell'£tä Media. 377
Trionfo, cosi eretto, ha liete accoglienze in Francia, la patxia
del Champion des dames, e d'altre strenue e gloriose difese
dell'oDor lemminino: L'Avocat des dames, il Miroir des dames
ä Vhonneur des femmes, il Chevalier aux Dames, il Jardin de
plaisance, il Miroir des Dames et des Demoiselles,^ il Tri-
omphe ou le parement des dames,^ La Nef des dames vertueuses,
Les louenges, fleurs et deffensoir des dames^^ Le Palais des
nobles dames (Jean du Pre), La louenge de mariage et Recueü
des histoires des bonnes vertueuses et illustres femmes (P. de
Lesnaudiere), La louange du mulilh e et feminin sexe (H. Gour-
teault), Le grant Triumphe et honneur des dames de Paris et
de tout le royaume de France (ISSl), Le Fort inexpugnable de
Vhonneur du sexe fiminin (Frangois de Billon)* ecc*
* Poemetto recentemente pubblicato daW.Söderhjdm n^lleNeuphilolog,
MitteiLf hsg. v. neuphilolog. Verein in Helsingfons, 19ü4, pp. 78 sgff.
' Non sembra che Olivier de la Marche abbia cavato aottrinaaal De
Mulieribus daris del Boccaccio. Vedi l'edizione del THumphe des Dames
curata da J. Kalbfleisch, Rostock 1901, che poteva ricordare la traduzione,
fatta in fine del seicento (Triumpho das mtäheres), di D^ Juana Josef a de
Meneses, contessa di Ericeira, cit. da M. Serrano y Banz, Äpuntes para
una biblioUea de Escritoras espanolas, Madrid 1905, II, 59.
^ Offron notizia di questi trattati apologetici di Bymphorien Champier:
TAllut, Etüde bioaraokique ei bibliogr. sur 8, C, Lyon 1850, pp. 183 sg^.
e K. Maulde La Claviere, Les femmes de la Renaissanee, Paris 1898. Comlncia
La nef (es. d. Nazion. di Parigi B^s. Ye 856) co'versi: 'La nef des dames
vertueuse | Ou tonte vertu est enclose i Les gestes et le vasselaige i Des dames
CY abbat la raige De eil qui les dames accuse I Des dames par aulcune ruse |
Des mesdisans mord le langaige'. Ma il Champier aveva pur scritto un bug
acre, mordace e violentissimo 'Corbaccio' : La Malice des femmes. ('Oy com-
mence ung petit livre intitule la malice des femmes lequel a este recueilly
de matheolus et aultres qui ont prins plaisir a en mesdire par affection
desordonnee lequel est cy couche non pour mesdire: mais par doctrine
pour eviter aux inconvaiients que peuvent arriver par femmes. Par quoy
sil y a aulcuns mots qui soieut desplaisants et mordants soient, attribues
au bi^me Matheolus.O Gli editori dell'opere di Guillaume Alexis (A. Piaget,
£. Picot in Soe. d. ane. texies, Paris 1896, Le debai de Vomme et de la
femme 1, 125), ricordano un Diatogus apohgetique exeusant ou defendant le
devot sexe fementn, introduiet par deux pereonnaiges : Vun a nom Boiteke
Maldisanty Vauire Femme deffendant. Nouvellem. impr. ä Paris 1516.
* Alla letteratura iudicata nelle note sul OorbaeetOy s'aggiunga, per la
Francia: A. Campauz, La Querelle des femmes au XV si^e, Paris I8()5;
A. Mennung, Jean^Fran^ois Sarasin'e Leben u. Werkey Halle 1904, II, 1 22 sgg. ;
A. Lefranc, Le ttere livre de Pantagruel et la querelle des femmes in JKev.
d. Hudes rabelaisiennesy II, 78 sgg.
^ K saputo qnanta stima avesse il Brantdme per il *beau livre' del
Boccaccio suUe chiare donne. Nelle Vies des dames Hlustres de France
(ediz. di Leyde 1665, pp. 368 s^g.) offre un panegirico esaltatissimo della
regina Giovanna di Napoli, e, ricordato *ce qu'en dit Boccace en son livre
des Dames', soggiunge sembrar^li encomio non sufficente. Nessuno avrebbe
saputo dire di questa gran donna piü degnamente e compiutamente del
Boccaccio, 'il Peut s^eu mieux faire qu'homme du monde pour le grand
a^avoii qui eatoit en luy.'
378 Note sul Boccaccio in Ispagna neirEtä Media.
'Per ima che biasmar cantando ardisco, | lodarne cento in-
contro m'oflferisco; diceva rAriosto, sottil conoscitore della fem-
minil natura, piü di diavolo che di angelo. Mossen Diego de
Yalera risparmia 11 biasimo nel suo Tratado, e prodiga incenso
e lodi. Fa specie ch'egli, cosi pronto a citare le Caydas, non
menzioni che una sol volta, e di sfuggita, il Libro de las Muaeres
üuatres, nel quäle il Boccaccio ^la yida de muchas castas e vir-
gines con soberano loor descriviö', libro che leggera e spogliava
clandestinamente» n eil' originale latino, e fors'anche nella tradu-
zione castigUana. Offre il Yalera un seguito di storie di chiare,
antiche donne, e consiglia poi a coloro che amassero completarle,
0 saperle *por extenso', di leggere fp. 158) ^Tito Livio en la primera
e segunda Decada, e & Valerio Maximo en el su Gompendio, e
& Ovidio en el su Metamorfoseos, e & Lucano, e & la Biblia, e
ally lo fallar&n estendidamente.' ImmaginaTasi il Valera, com-
pilatore esperto di trattati di scienza e di morale, che uessuno
pensasse a rintracciare questi suoi esempi di castitä, e fedelta,
e verginita muliebri anche, nell' esemplar libro del Boccaccio,
a cui rinfacciava le corbaccesche 'fealdades'? Era anche in
Ispagna un profonder gli inchini ai magni uomini di Ellade e
di Roma^ ed un tacer prudente e ostinato de'men saggi gran-
d'uomini d'altri tempi, men gloriosi, eppur larghi com'essi di
consigli e d'ammaestramenti. Pareva stuonassero le voci de'
moderni nel coro augusto degli anüchi. Mossen Diego de Yalera,
a cui sovente cadon di bocca i nomi di Socrate, di Seneca, di
Piatone, toglie, e vero, da Yalerio Massimo esempi di yite di
▼irtuose donne; accoglie nel coro sacro le bibliche Ester e le
Debore, ma fa pure all'uopo i suoi brayi strappi alle yite nar-
rate, *con soberano loor', dal Boccaccio; registra le virtÄ e i
fatti egregi di ^Claudia vestal* (p. 149: *el nombre de su padre
no me rremiembro averlo leydo'), rimembrando e compendiando
la storia di Claudia dal De daris Mulieribus, che pur gli sugge-
risce le yirtü di 'Mynerba por otros llamada Palas' (*por esta
fue fallado el arteficio de la lana e ella busco arte para la Um-
piar, — esta el usso de las carretas fallö'),* di *Clodia romana',
di *Erifola Sebila' (p. 150: *aver seydo su nascimiento en Babi-
lonia notoria cosa es asaz dias ante de la total destroycion tro-
yana'),^ di 'Lucrecia' (*la quäl fue onrra de la generacion ro-
' '. . . dizen el artificio de la lana, nonca ante della conoddo, aver
sido Dor ella inventado. . . . Quieren otrosf algunoe aver ella inventado el
iiBo ae los carros de quatro miedas' {Libro de J. B. ,,. de las iüusires
Mugeres, Sevilla 1528. cap. VI, f. XI).
' Lesgo neirispiaa traduzione del Betussi, Libro deUe donne iUustri,
che orano tra mani (ediz. di Venezia 1558, f. 25), di Erithrea, ovrero
Eriphila: 'queeta cssere stata la piü celebrata dicono, et essere nata in
Note Bul Boccaccio in Ispagna Dell' Etil Media. 879
mana')» che, ferita a morte, esclamava: % que tomar quisiere
enxemplo de la culpa no dexe el enxemplo de la pena') ^ di
*Penelope'* di *Porcia', * Julia', *Antonia', 'Tamaris', 'Artemisia',
*Argia', *Suplicia', *Ipolita griega', *Hippon' (p. 154 'de quales
padres aya traydo su nascimieDto, los antiguos ystoriadores,
quier por peresa 6 por malicia de la fortuna no lo dexaron
& nos').*
Grandissima stima aveva Messen Diego de Yalera del *reve-
rendo doctor' Alonso de Cartagena di cui elogia un trattato, che
non e il Libro de las mugeres ilustres, scritto, si e detto e si
e tradizionalmente ripetuto, dal dotto yescoYO, dietro Tesempio
del Boccaccio, e per desiderio espresso della regina Maria. Non
era ancor composta I'apologia, smarrita ormai, quando il Yalera
scriTeva la sua ^Difesa'? Jl fantastica e gratuita affermazione
quella che Andres Delgadillo esprimeva, in un suo inedito e
ignoto Lihro de las Mugeres, aver egli tolto al Cartagena i
suoi esempi di yirtü muUebri? % foUia voler Teder chiaro in
tanta oscurita.
I trattati boccacceschi eran pur consultati dal gran Tostado,
Alonso de Madrigal, arca di dottrina, 'maestro en santa theo-
logia', capace, Tolendo, diceyasi, di cavarsi dal capo suo la
Bibbia intera, se mai fosse dalla terra scomparsa, scrittor fe-
condo, autore anche di un Breviloquio de amor, e di un tratta-
tello De como al omne es necesario amar. Leggendo il Boc-
caccio, e il Libro de las daras y vü tuosas mugeres del padron
suo colendissimo Don Alvaro de Lima, Fra Martin Alonso de
Gordova, che giä conosciamo come ammiratore del De Casibus,
mette insieme un suo Vergel de nobles doncdlas, che dedica
ad Elisabetta, sorella deU'infante Enrico IV, ^ e risolutamente
vi combatte % non sabia nin onesta osadia . de los que contra
Babilonia molto prima che fosse la ^erra Troiana'. E nella versioue casti-
gliana (cap. XiA, f. XXI) : 'esta dizen . . . que su naeimieto fue en babi-
K>nia poco ante de la guerra de tro;^a'.
' illustre esempio della pudicitia Bomana' (trad. Bet f. 55) — 's'io
m'assolvo del peccato non mi übero dalla pena'. 'Yo deeta manera me
absuelvo del pecado | mas no me libro de la pena' (trad. cast. f. XLIII).
'Yo BÖ quita de la culpa; mas non de la pena' (Qlosas d loa Prot, del
Santillana, Obras, 79). Anche le Caudas (Lib. III, cap. II, f. XXXVI)
offrivano al Valera il racconto della tragica fine di Lucrezia: 'de la
culpa 7 pecado yo me quiero absolver | mas de la pena no me quiero
escusar.
' 'dapoi che per la malignitä del tempo, et la sua patria, e i suoi
parenti e gli altri suoi nobili atti et opre si sono estinte' (trad. Bet. f. 54).
^as pues que por malicia de la antiguedad | el linaje IIa patria y las otras
hazaftas suyas noe han sido quitadas' (trad. cast. f. XLvIII).
' Stampato, se io non erro, solo nel 1542: Jardin de las nobles don-
eellas — A hör yaloria de nuestro Senor y de su bendita madre. (Ved.
A. de los Bios, HisU VI, 266.)
880 Note 8ul Boccaccio in IspagDa nell'Etft Media.
la generacion de las mugeres avian querido dezir 6 eBcribir,
queriendo amenguar aus ciaras virtudes.*
SuUe carte del trattato apologetico del Boccaccio piü Tolte
ebbe a chinare pensoso il capo il Marchese di Santillana. Le
Tirtü di Porzia, figiia di Catone, reroismo tragico di Lucrezia
si commendano neUe note ai Froverbios, dove esplicitamente si
rimanda alle lodi che della 'fortale^ de las mujeres' si fecero
nel Libro de las duenas, o De Fraeclaris mulieribus, Qual
giudizio facesse il marchese del Libro de las virtuosas et daras
mugeres dell'abborrito rivale Alvaro de Luna, non sappiamo, ma
Topera del Boccaccio, ch'ei possedeya tradotta, non poltriTa ne'
suoi scaffaliy e sicuramente era consultata co' Trionfi petrarcheschi
e le Caydas, quando, ad accrescer la gloria dell onnipossente
Fortuna, che Tolge e riyolge le umane cose, da lui descritta
nella Comedieta de Pon^a, occorrevagli un coro cospicuo di
doDne insigni. II Boccaccio gli suggeriya i nomi di Antonia, Rea
'muger de Tarquino', Marzia, Lucrezia, Paolina, Hipsicrata, Curia,
Porzia, Cornelia, Triaria, Faustina, Jocasta, Argia, Ainaltea, Ma
muy famosa Sibilla Erithea', Hippo, Veturia, Proba, Megulia. *
DoTette pur leggere il trattato boccacoesco, o consultarlo
almeno, il ^Condestavel' Don Pedro de Portugal, ligio assai al
^feminil linage', al quäle, diceva, 'yo tanto soy tenudo e loar devo'.
Nella Sdtira de fdice 6 infdice vida, piü volte accenna alle
virtü magnanime dell'inclite donne; rammenta ^Lucretia', 'Tpo',
'que en las marinas ondas fallö causa de loable muerte e perpetual
lama', ^Vecturia', ^cuyas mujeriles preces fueron m&s poderosas
que la muy poderosa caballeria romana', Tantasilea', e 'Sulpicia*,
e *Dido*.' DoYevasi comprendere il Boccaccio tra gli *actores'
ed encomiatori delle migUor donne, a'quali yagamente rimanda
Pedro de Escayias in alcune sue misere Coplas d una dama,
dove e gran sfoggio di gran nomi, non tutti yantati per5, e ram-
mentati nel De daris Mulieribus.^
Le difese delle donne nelle proyincie di Catalogna e di
Valencia erano men calorose che in Castiglia; ma qui pure, per
gran tempo, offre consiglio e storica materia il trattato del Boc-
' Non 80 dire, se di lui sieno le Alabanxaa d laVtrgimdad, attribuite
pure ad Alonso de Horozco, vissuto un secol piü tardi, e da Nicol. Ant.
(Bibl Vä. II, 306 e 665) regiBtrate fra le opere del frate agostiniano.
' A ouesto non pensano punto gli stndiosi, buoni, o cattivi, dell'ope-
retta del Bantillana, che unicamente peacan nomi ne' THonfi del Petrarca
e nella Oomtnedda di Dante.
> Opüseuios literarias de los siglos XIV d XVI {Soe, d, Bib. Esp,),
^ Un Oaneionero dd siglo XV, eon varias poesiaa inSdüaa ed. F. de
Uhagon in Rev, de Areh., Bibl, y Mus., 1900| p. 519 sg.
Note 8ul Boceacdo in Ispagna ndrEU Media. 881
caccio, neir originale latino e nella traduzione castigliana; qui
pure certamente era noto e diffueo il libro analogo di Don Alvaro
de Luna.^ A magnificare le yirtü di certe monachelle di Vall-
donzella, ritrosette» suppongo, alle tenere sue proposte d'amore,
il notaio Antoni Yallmanya^ motte insieme, nel maggio dal 1448,
una Serie di ^coblas unissonanz' alle doYOte vergini, che soUeva,
Bull'ali del canto, all'altezza delle Sofonisbe, delle Medee, Meduse,
Veturia» Tisbi, Layinie, Eritee, Deanire, e perche non aprissero
le monache tant' occhi a nomi si spettacolosi, ed a paragoni si poco
cristianij il poeta pontella il verso con una prosa illuJstratiTa,
doYO rimanda ai Ubri che gli sonmiinistraron tanta scienza:
VEneide di Yirgilio, V Inferno di Dante, i Trionfi del Petrarca,
un libro sulle fatiche d'Ercole, probabilmente la compilazione
del Yillena, la Storia troiana di Guido delle Golonne, e sopra-
tutto il gran libro delle elares dones de Johan BoehtMsü^
Quest' ultimo era al Vallmanya indubbiamente ancor presente,
quando di nomi illustri cosparge altre rime encomiastiche (*obra
de grat e ingrat'), alle dilette sue ^signore monache', e ricorda
Tisbe, Didone, 'Issifle' ed altre donne chiarissime. ^
' Sono oompletamente al bnio buUa natura e le yicissitudini di un
libro Bulle chiare donne: De las donae mes famaecu en ku kiatorüu, tra-
scritto, non so in quäl epoca, da Francisco Barata j Montana, canonico
di Barcellona, priore, per molt'anni, della real casa di Monserrate a Roma,
6 rimando a quanto Torres Amat oeserva in proposito neÜe Memoriat,
pp. 85 gg.: *Tenia copia de esta obra ya rara, mi oompa&ero D. Pedro
Jos^ Avellä, arcediano y can6nigo de la iglesia de Barcelona, pero se le
habia eztraviado y no pudo ensenarmela. . . . No puedo pues decir si el
manuscrito de Barata es obra original 6 copia de Alvaro de Luna.'
* I notai catalani di quell' epoca erano particolarmente invasi da furor
poetico. Öi pensi a Berenguer Cardona, Johan Moreno, Johan Verdanxa.
' Torres Amat, Memor. p. 640 sgg.; Milä y Fontanals, Obrae III, 198;
Sanyisenti, I primi mfluesi p. 360 sg.; 884.
^ Torres Amat, Mßmor, 687 sg.; 639 sg. Se a Jaume Böig fosse noto
il De elarü Mulierüms del Boccaccio non saprd affermare. All'autore
del Libre de lea donea ocoorrevano, piü degli encomi, le rustiche invettive.
Chiude perö la gran sequela di versetti, inneggiando alla Yergine, sola a
Borreggerci in questa vaQe di lacrime, ed ha un vago accenno alle donne
virtuose e famose (p. 182 dell'ediz. dtata nelle note al Oorbaceio): 'Si mes
t impliques | h^ fort repliques j de virtuoses | dones famoses | h^ venerades
qui Bon e^tades | vergeos, faorines, I monges, beguines, | poques casades,
canonizades | per papa santes [ Sybilles tantes ecc.' — Un ^' della scienza
muliebre, rivelata dal Boocacao, nell'opere latine e volgari, nassö sicura-
mente a Mossen Johanot Martorell, che mostra conoscere il Deeameron, il
FiiostrcUo, la Fiammetta, il De Oasilms, e sfoggia, nel TiratU lo Blaneh,
sentenze, a diritta ed a rovescio, moraUzzando coi 'gran philosof Aristotil',
con Salomone, Cicerone, Seneca, Virgilio, Ovidio, Tito livio, Catone,
Boezio, i Santi PadrL Nel cap. CCLXXXXIV (ed. Bibl. ecUal., Barcelona
1879, III, 310 sgg.) re Scandiano fa un predicozzo morale a Tirant sui
'casoe sinistres de fortuna qui algunes vegades hau acostumat de venir
als ergullosoe, e per lur superbia son mesos baix', e, memore delle letture
dei faiti ^gr^ cu 'mdtee virtuoses senyores qui en lo mon son Stades',
B82' Note sul Boccacdo in lepagna nelVEtSk Media.
NuoYB rime e nuove prose si sciorinarono ail'apparire del-
rinnocente maldecir del Torrella, ch'ebbe fama immeritata, in-
audita. Dairiofemo, dove certamente, con Matteolo, scontava i
fall! suoi, i yituperi lanciati alle valorose donne, Jean de Meun
pareva yenuto bu in sembianze novelle. Occörreya turar la bocca
sacrilega aUo scellerato maldicente. * Gran tempo si pogno a
parole» ed alla rissa, incmenta, parteciparono i Tersificatori a frotte.
^Conyiene que se castigue, | quien contra damas arguye | ... De
las notables y netas | may mas ciaras que vedrio | maldezir es
desyario', esclama Gomez Manrique, opponendo ad ogni strofa
accusatrice del Torrella la sua, di fiacca difesa. Mossen Pere
Torrella, yistosi scatenate sul capo le Furie, ministre della
giustizia di Dio e della yendetta delle donne, scriye una sua
placida ritrattazione, un Razonamiento en deffenaion de las
donas, per aatisfaccion de unaa coplas que de la condicion de
aquellas conpuso,^ doye non credo sia traccia del trattato apolo-
geitico del Boccaccio. Qualche suggerimento dal Gertaldese ayrä
ayuto inyece Diego de San Pedro, innestando nella sentimentale e
lacrimosa storia d'amore, che ha giä anticipato sapor di Werther,
la Carcd de amor. ^yeynte razones', certincanti gli obblighi che
gli uonuni contraggono per necessitä colle donne, e ponendo in
bocca a Leriano, mosso a difendere il bei sesso contro Teseo
esalta la donna del suo euere, comparandola a 'Uricia', 'Semiramis', 'Sino-
bia', Tantasilea', TamiUa', 'Minerya', 'Ysipo', 'Porcia', 'Julia', Artemisa',
'AdrianaS Tedra', 'SipiU'.
' Le note sul Corbaeoio m Ispagna riasBumono, con breyitä forse eo-
yerchia, la storia edificante del martirio inflitto al Torrella. Dimentioaya
äui di dtare, tra le punizioni inyocate ai maldicenti, quelle che ChriBtine
e Pisan augnraya neirEpistre au ddeu t^Amour {(Euvrea ed. £. Boy in
Sö6. cL anc teoßUt II, 25):
Pow ce concluB en difflnioion
Qae des maayais soit fait pmiicion,
Qai les blasment, diff&ment et accasent,
Et qui de fauls desloiaulz semblauB useot
Pour decepvoir ellei; si soient fiiit
De nostre Coart, chaciö, bani, destruit,
Et entredis et escommeniö,
Bt touB noz biens si lear soient ny^
C'est bien raison qu'on les escomenie,
Et commandons de fait — — — —
qae tons cealz maubaillis
Et villennez soient trha laidement,
Ii^uries, punis bonteosement,
PriB et lies, et jastic» en soit faitte,
Sans plus souffi'ir nnUe i^jnre si faitte,
Ne plus ne Boit soufiFert teile laidure.
' £ registrata, tra le Obres de Mossen Psre Torrodla, dal Morel-Fatio>
Oat(ü, d, mawusc. esp. IV, 623, fol. 98~-105, p. 239.
Note Bul Boccacdo in iBpagna nell'Etil Media. 388
'y todos los que dizen mal de mujeres^ esempi meinorandi di
virtü femmiBili. S'invoca quivi dal cielo giusto castigo a' vitti-
peratori mahagi» e giusto, tremendo castigo si ha il Torrella nella
disputa SU chi da piü occasione di peccare: Tuomo alla donna,
0 la donna all'uomo, che riempie la storia di Griael y Mira-
hella (ribattezzata Aurdio y habda)^ storia languida, eppure
divulgatissima, in cui occorron esempi di bontä e castita muliebre,
in opposizione alle ^perversas obras' degli uomini. S'augurava
Juan del Encina pioyessero le benedizioni sul capo di chi ser-
viva le donne» *y ensalzare su Corona' {Contra los que dizen
mal de mugeres), e al protagonista di una sua egloga, il dispe-
rato Fileno, buon conoscitore del Corbaccio, pria che, dispe-
rato, p^r crudel disdegno, si ferisca a morte, fa che innanzi gli
si schierino nomi asciutti di donne antiche, duare e yirtuose:
Marzia, Lucrezia, Penelope, Didone, Claudia, Yeturia, Porzia e
piü altre, che all'orecchio dell'innamorato pastore ben strani
doTevan suonareJ
Non e nella natura muUebre la costanza e la fermezza del-
l'uomo, pensava, col Boccaccio, il petrarchista Don Pedro Manuel
de Urrea. Or se la donna, per voler del cielo, realmente rivela
coteste rare virtü, chi non vorrä lodarla? Tues como dize Juan
Bocacio en el libro que compuso de claris mulieribus, las tales
cosas en los hombres serian muy alabadas, ^quanto m&s lo
deven ser en las mugeres, & quien la naturaleza negö las fiier^as
varoniles?'* E parecchie di tali fenici, degne del massimo en-
comio, e dal Boccaccio esaltate, volle egli pure rammentare.
Biasimi e lodi, le estreme ingiurie, i maggiori encomi si alter-
nano, si combinano^ si intrecciano, si combattono in altri componi-
menti, dell'estremo '400 e del '500, che e qui folUa voler descri-
vere, od analizzare. ^Malas hembras' e ^buenas mugeres', s'oppon-
gono, come *lodo' all'*oro', in 24 coplae di Fray Inigo de Men-
doza. Un Tractado e respuesta a gierta pregunta, e de algunas
reynaa e grandes senoras que non fueron buenas mugeres, et
de otras que fueron muy buenas, tiniendo honesta, casta e
vyrtuosa [vida] et de cosas famosas que vor sus maridos
fizieron, scrive, intomo al 1484, il compilatore del consultatissimo
Vaierio de las hystorias, Diego Rodriguez de Almella, canonico
di Cartagena, 'arcipreste de val de santivanes', cappellano della
regina Isabella de tüastiglia, e a Diego de CaraTajsd, 'corregidor'
della citta di Murcia lo dedica. ' Crebbe via via la discen-
' Bammentai l'egloga ddl' Encina ed altri versi e proae, in pro e contro
le donne, nelle note sul Corbaeeio.
* Prologo a Do~a Cathalina de Yxar y de Urrea, riprodotto nel Can-
donero pubbl. dalla DqnUae, prov, di Zaragoza, 1878, p. 4.
^ Le note mie sul Oorbaeoio ricordano la copia manoscritta conservata
al Britiah Museum, della quäle un breve estratto mi f u favorito dall' amico
384 Note snl Boccaodo in Igpagna nell'Etä MediA.
deuza del De daris Mulierilus boccaccesco^ detenninata in gran
parte dalla maggiore o minore violenza con cui le donne erano
aggredite, prolifica anche per il riTersarsi che facevano, sulle
yicine terre d'Italia, altri trattati sul valor femminile, come l'ano-
nima Defensione ddle donne,* il De plurimia, claris, sdec-
ti$que mtdieribus di Filippo Foresti da Bergamo^ ed alüi libri
analoghi, posteriori» del 500: Della Eccdlenza et Dignitä deUe
Donne (Roma 1525) di Flavio Galeazzo Capella, le Difeee ddle
donne (Firenze 1652) del Pistoiese Domenico Bruni, VApologia
pro MultertbuB (manoscr.) di Pompeo Colonna, La odla e
dotta difeea ddle donne in vereo e in prosa di Messer Luigi
Dardano (Yenezia 1554), curiosa anche per le reminiscenze
dantesche che vi si innestano, da nessuno ancora ayyertite,
diretta, pur essa, contro la ^malvagita d'alcuni uomini» i quali
senza alcuno rispetto dicono male del nobile sesso femminile',
6 ^merce dei loro strani et disordinati appetiti« yorrebbono non
solo oscurare il nome delle valorose donne, ma del tutto spe-
gneme il seme'.' S'ebbero, in Ispagna: ud trattato De las
ilustres mugeres di F. Juan Maldonado,^ un libro di Fran-
cisco de*Sosa De las ilustres Mugeres que en d mundo ha
havido (*recopilado de varios autores ), or perduto,* le Trecientas
Fitzmaurice -Kelly. Non dtano questo trattato Nicol. Ant in BibL Vet,
II, 325, A. de los Bios, Eist VII, 306 sgg. e quei pochi ch'ebbero a scri-
vere B\ül'autore del Vaierio,
* £ a stampa, per cura dello Zambrini, in Sedta di eurios, letter. V, 148.
Offre analogie BingolariBsime col 'Trattato' di Diego de Valera che talvolta
sembrerebbe tradnrre, ed h, pur eesa, diretta contro le 'calunnioee aecu-
sazionl di perfidi maldicenti\ II Boccaccio h qui taciuto, e il biasimo
maggiore a riversa eull'autore dell'^rs Amandi fatale. Trovi invece un
riniprovero al Boccaccio nel breve trattato di L. Domenichi, La nobütä
deile donne, Yenezia 1546, p. 46: 'Et in somma tutti coloro, che le bisfii-
mano, come Giovanni Boccaccio e simili, non debbono essere ascoltati:
perch^ dö hanno fatto per odio, e per lo non havere elleno voluto a loro
dishoneeti desiderij acconsentire'.
' Consultato piü volte dall'Acosta nel suo IVcUado en loor de las mu-
geres, Yenezia 1592, p. 92 Bg. Figurava nell' inventario de' libri di Isabella
d'Este (Gtom, stör. cL letter. ital, aLII, 75), ed h risBBunto nel De memora-
büibus et elaris mulieribus, aliquot diversorum scriptorum opera, Paris
1521 (Yedi Mhnoires de litter. de Sallengre, La Haye 1775, l, 165) che
non veggo citato da quanti ebbero recentemente a Bcrivere buI trattati in
onor delle donne.
' Ne trae profitto TAcosta nel Tratado ecc. p. 10, che vi trova 'buenas
ra9oneB y verdaderas hiBtorias'. L'AcoBta ricorda pure, a p. 107, l'apologia
di Svmpnorien Champier.
^ lio rammenta u GardoBO in Ägioloaio Lusüano. Yedi Niool. Ant.
Bibl, Nov. II, 730. Non h apologetico il Dialogo de mugeres enire dos
sabios del Castillejo.
^ Yedi NicoL Ant. Bibl, Nov. I, 479 e la diligentissima, preziosa opera
di M. Berrano y Banz, Apunies para una bildioteea de las eseritoras espafko-
las desde d ano 1401 al 1833, Vol. I, Madrid 1903, p. X.
Note Bul Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media. 88S
dd Triumpho de virtudes en defenaa de illuitres mugere^,
tuttora inedite ^composte intomo al 1582), del curato Luis Hur-
tadOy rimaneggiatore del Palmeirim de Inglaterra, una Vat^ia
hiatoria de sanctae e illustres mugeres en todo gener o de vir-
indes del 'bachiller' Juan Perez cfe Moya, noto poligrafo,^ il
OinaecepaenoSy o Dialogo en laude de las mugeres di Juan de
Espinosa,^ il Tratado eti loor de las mugeres, y de la Onesti-
dad, castidad, constaneia, silencio y justicia dellas di CristoTal
de Acosta, dedicato all'infanta Donna Gaterina d'Austria, apo-
logia diretta, come il prologo awerte, '4 un mordaz murmura-
der de las mugeres en respuesta de una carta que me escrivio',
e dipendente ancora dalla dottrina del sapientissimo Boccaccio. '
Nel 16099 stampavasi a Venezia l'opera del Yalenziano Pedro Paolo
de Ribera: Le glorie immortali di trionfi et heroiche imprese
d'ottocento quarantacinque donne illustri antiche e moderne.
Gonoscere le virtu delle donne yalorose poteva sembrare
agli uomini gravi del Medio Evo tutt'una cosa come un pro-
cacciarsi i suffragi del cielo all'ambita spirituale salute. £ grato
a Dio chi e grato alle donne, cosi pensaya auch« Yespasiano
da Bisticci in un suo Libro ddla lode e commendazione ddle
donne,* C'era adunque un posticino per il Boccaccio tra i Padri
Santiy gli Evangelisti, le autorita della Bibbia, che medicayano
le ferite del cuore, e, col balsamo delle sacre scritture, tenevan
lungi le perturbazioni e le passioni struggenti. Naturalmente^
a non offuscare la gloria del Boccaccio, occorreva ignorare la
diatriba contro le rie femmine, o far piena astrazione di essa.
L'ignorava, con tutta probabilitä, Donna Teresa de Cartagena,
* Niool. Ant. BibL Nov. I, 757 cita un'edizione dell'opera del Moya
di Madrid 1588. M. D. Berrueta, in alcuni appunti. nella 22^. d, Arch.,
BibL y Mus., 1899, p. 467 ne registra un'edizione di Madrid del 1538; sarä,
suppongo, errore di stainpa. — Ad un trattato solle chiare donne {ThetUro
de mt^etes iUusires) di Damian Froes Perim, e ad un altro di Francisco
de Guzmim, allude Berrano 7 Banz nell'opera sua, Vol. I, p. X; VoL II,
pgg. 6; 8ö; 162.
' Stampato a Milano nel 1580, e ristampato dallo Sbarbi nel II tomo
del suo Refranero espanoL E. Motta in una notiziuola: / libri di un
eastellano spagnuolo ad 1594, in Brieiole bibliogr,, Gomo 1893, p. 42, ricorda
il Mioraeanihos delP Espinosa, edito dope la morte dell'autore, a spesedel
Be di Spagna. D re sccordava alla vedova dell'Espinosa, ai 2 novembre
1601, 150 scudi per sussidiame la stampa fDaU^Arcn. di stato di Milano).
II Mieraeanthos e registrato dal Gallardo, Ens. II, 955.
' p. 20; p. 95; p. 107; p. 113 ecc. A p. 12(3 si rammentä la Oaida
de los mrineipes. SuU'Acosta Affricano Teat D. Gärda Peres, Catßogo
roMnaoo hiogrdfico y bibliogrdf, de las autores portugueses que esoribieron
en easteUanOf Mjidrid 1890, pp. 12 sgg.
^ Vedi £. Bertana, UAriosto e le donne, in MisoeUanea dd studi eräiei
edüa in onore di Arturo Oraf, Bergamo 1903, pp. 161 sgg.
Arehir f. n. Spnwhen. GXY. 20
386 Note 8111 Bocctcdo io Tspagna neirEtft MeduL
rdigioaa di non ai sa bene qnal ordine, amica di Gomez Man-
riqne, efttimatore grande della dottrina boccaccesca. Era donna
tatta acoesa d'amor divino, sempre intenta a dissipare % niebla
de tristeza temporal humana^ a tener lungi l'^espeso torvellmo
de angnstioaas pasiones', fuggendo la selva, od ^isola' del peccato,
*que se llama oprobium hominiun'» F'exiUyo e tenebroso destierro',
CoU'opere di pieta e gli scritti ascetici. Ad illuminarsi fra le
tenebre mettera anch'essa i suoi fari, o^ com'ella s'esprimeya:
popolava i deserti di ^arboledas de buenos consejos y espiri-
tttfdes consola^iones'. Compilaya anch'essa dalle dotte carte, pnr
deplorando il proprio, *flaco mugeril entendimiento'. Anch'essa
toglieva consiglio da' trattati inorali del Boccaccio. AreTa scritto,
per compiacere Donna Juana de Mendoza, moglie di Gomez
Manrique, una sua Admiraeion de las obras de Dios, dove
pur dttcute della preeminenza vantata dagli uomini solle donne,
e proTvedeva all'^entendiBiiento flaco mugeril, puesto entre tan-
tos e tan peligrosos lasos'. Da Elche mandava a Donna Leonor
de Ayala il Vencimiento dd mundo. Raccoglieya, come prima
di lei aveya fatto Fem&n Perez de Gozm&n, varie Sentencias
4e philosophos e sabios, ed af&daTa lo sfogo maggiore del*
Tamma ad un trattato ascetico morale, VArboleda de los en-
fermos, composto 'seyendo apasyonada de graves dolenfias',
''a loor de Dies e espiritnal consoladon suya e de todos aquellos
qae enfermedades padescen'. Coi confortatori e salmisti e dot*
iori della Chiesa, non ti meravigli di trovar citato, nell'opere
«ae, qtiale veneranda autoritä, Giovanni Boccaccio.* Ayveniyale
cod, merce le assidne lettore di Ubri 4os qnales de arboledas
salndables tienen en sy marayillosos enxertos', i conforti pro-
cacciatisi, ed i 'santos consejos', di conyertire *en compaiiia e
familiaridat de buenas costunbres'p 'la soledat penosa de las con-
yersaciones del siglo'.
Alle donne in pena, contristate e gementi, trayagliate da
iniqua fortuna, poteya, per un Capriccio della fantasia de' poeti,
apparire il Boccaccio, disceso dal cielo in terra, a terger le
lagrime, ad accogliere e reprimere i sospiri, a mitigare i dolori
e gli affanni crudi. Chi piü del Boccaccio esperto delle miserie
e delle sdagure di quaggiü, piü atto quindi a porger soUieyo e
conforto quando il cuore e in preda a cupa disperazione? Se lo fa
risorgere il Santillana neUa Öomedieta, a ristoro dell'anima delle
regine di *gran sangue e magnificencia', lettrici del De Casibus,
* If eil' Admiraeion de ku obras de Dios. Vedi A. de los Bios, Eist.
VII, 178, dove perö aasai snperfidalmente si discorre deWÄrholeda, dal-
linaigne storico lorse non mai letta, come ben dimoBtra Serrano y Sanz,
nel Dotevole articolo dedicato a Donna Teresa de Cartagena (opera dtata
aulle Bcritrid di Spagna I, 218 sgg.). Vedi gli estratti dell'opere, mano-
scritte all' Escorial, oueiti dal Semino.
Note Bul Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media. 887
molestate pur esse dalla ^regina, ch'infra li mortali | rege et
iudica'y la possente Fortuna. Gemiti e pianti inducono il Boc-
caccio a partir tosto ^dal loco ove e lo dilecto | etemo, la gloria
e somma potencia'; e, impietosito, il grand'uomo favella; o£Er6
al ^piacere' delle afi^tte: ^prose, rime e versi'. II Santillana
medesimo stupisce di questa risurrezione: *de como ya vive saj
marayellado'; scorge nel redivivo poeta un non so che del veno-
rando aspetto del Gatone dantesco. II Boccaccio appare 'cortesV
^en h&bito honesto, mas bien arreado'; ha cinta la fronte di
^verde laoro'. ^ Non per confortare le donne afflitte» ma per
farsi protettore dell' onor loro, calpestato da' malvagi, il Boc-
caccio risorgeva, e prestavasi ad una vivace difesa nel Froeia
d'honneur feminin di Martin Le Franc, preposto di Lausanne,
autore di quel Champion de$ damesy che gli Spagnuoli leggevano»
al pari del Trdsor e della CM des dames di Christine de Pisan.
II catalano Francesch Farrer, invece, in un Conort, ch'ebbe
' In qnesta immaginata risurrezione del Boccaccio {Oomeduta de Ptm^a;
Obras 100 BggA il marchese sowenivasi evidentemente dell'apparizione dd
Petrarca uSiDe Gasibw (Lib. VIII, cap. I, f. CI delle 0(wda8 cast.) : 'E yo
fablando comigo assi como hombre vencido del todo aice mi cabega su-
friendome sobre mis codos, y abazandola otra vez pusola sobre el cabe9ai
con mucho cansancio : y alie que me paresdo do bq de parte venia un
hombre muy fermoso de rostro y onrraao acatamiento muy plazible y gra-
cioso: en la cabe9a una corona de ramos de laurel . y el vulto de sü
onorable cuerpo cubierto de una vestidura real: al quäl como yo catasse
no me falle alguna cosa . }r yo abrl mis ojos apartaodo de mi todo suefio
y pereza con mayor diligencia lo tome a mirar por ver quien era » y estando
asi entre mi pensando oonosci que era francisco petrarca mi senor y amigo
y maestro: et quäl siempre me castigo y amonesto y enseno todas buenas
oostumbres y obras de scienda y ooctrina muy virtuosa.'
Tl II Boccaccio della Comedieta riappare, a sua volta, in sembianze dl
pelleffrino confortatore e dl veglio antico, de^o della maggior riverenza.
pur di verde alloro coronato, nella Tragedia de la ineigne Beyna lsabel del
'Condestaver Don Pedro de Portugal (Homen, d Men, y Pel. l, 700):
Bn esto estando ahe voi do vino
an ombre antigo d« grmnd eatatara,
que bien resemblava de honor may digno
segnnd denotava la mi eatadura.
^^^^ ^^^^ ^a^^m ^tm^m ^tm^m «^^^b ^^^mb «^^^b
— — me fiao ta grand fermoBara
dabdar sy humano era o dlvino,
Esplendida ropa e rica cobria,
bordada de ojoa que fueron obrados
por la gran Minenra con tal maestria,
que jamas deepiertoa serian fallados.
En la dieBtra mano tres pomos tenia,
por donde tree tiempoB eran demoBtrados;
muy pasBO a passo bub paBBOs movia,
segnnd fitier soelen los bien eosenados
de laureo Terde guirlanda traya.
25*
S88 Note 8ul Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media.
^naldie diffusione, ridona vita al Boccaccio, perche sostenga il
motteggiare sulle &alezze ed astuzie muliebri^ e scongiuri un
castigo solenne, arringaudo con successo, col collega Serveri de
6eronaJ Torna a riviTere ed a prodigar dottrina ^misser Joan
Boeäci de Certaldo^ ^honra to9cana\ di ^graciosa cara', solerte
raccoglitore di fiavole antiche» nelle esposizioni morali ed alle-
goriche che Francesch Alegre aggiunge ad una sua versione
delle Metamorfosi di Ovidio, e si presta a dirigere i discorsi
ed i ragionamenti di una schiera di dotti, fatti discendere dal
cielo^ dalla beatissima Vergine, in soccordo del debole intel-
letto dell'espositore.' Qaando il Santillana renne a morte, e
si die la stura alle lagrime e a^ panegirici, un secretario di
tanto ^lustre y maravilloso senor', Diego de Burgos erige, in
forma di visione dantesca, un iempio al defunto; chiama a rac-
colta i grandi uomini antichi e i grandi moderni, perche s'in-
chinino al suo signore, spirito fulgente di gloria e di luce, e sol-
levato SU tutti. I tre maggiori Fiorentini: Dante, Petrarca ed il
Boccaccio profondono lodi strabilianti anch'essi, e il Boccaccio,
memore dei casi di alta yirtü narrati, pronuncia in pochi versi
il suo panegirico: 'Por nueva manera, polida, graciosa, | com-
puso el Marques qualquier su tractado: | maestro del metro,
senor de la prosa, | de altas virtudes varon coronado'; non e
perö si folle e si audace da confessare, come qui Dante, doci-
lissima guida del secretario, faceva, goder egli fama, sol perche
il Marchese de^nö leggere le opere sue. '
^Ho tolto in esame il Oimori nelle note sul Oorbaeeio.
' n Uibre de lea trantfortmioiona dd poäa Ovidi ci occuperä piü in-
nanzi. •
^ Vedi le note mie bu Danie ed illPeirarea tn hpagna, Gome VAmoroaa
Ykione del Boccaccio soccorreese rimmaginazione di Diego de Bargos dir5
in seguito.
Gmunden. Arturo Farinelli.
(Fortsetzung folgti)
Xleinere Mitteilnngen.
Ag8* rihthamscyld: eohtes Hoftor.
Aethelberht von Kent beetinimt im 82. G^etz: ffif man rihi"
hamseyJd ßurhetinä, tmd loeorde forgdde. Da ags. Schreiber die
Komponenten eines Kompositum zu trennen pflegen, läfst sich die
erste 6ilbe als besonderes Adjektiv — so hier nadi Bosworth-ToUer
— überall da fassen, wo sie nicht laut Genus, Numerus und Kasus
des letzten Gliedes eine Flexionsendung haben, oder das Adjektiv
schwach lauten müTste. Dieser Zweifel braucht jedoch die Bedeutung
nicht zu beeinflussen«
Unter den Erklärem wollte 1640 de Laet^ rihi strichen, weil
es im Codex mit blasserer Tinte geschrieben sei; er liels für das
Wort in der Übersetzung eine Lücke. Er oder Hickes wollte harn-
scyld als 'Lederschild' verstehen oder durch handscyld 'Schild' emen-
dieren. Einen Bückschritt tat hier wie öfters Wilkins,' indem er
scyld als instr. auffafste und als abl. laneeä, sodann rihi kam als
dextrum femur miXsverstand, mit Berufung auf die Stellung des Ge-
setzes vor den GliederbuTsen. R. Schmid verwarf dies 1882' still-
schweigend, indem er das Wort unübersetzt liels. R Price^ (f 1888)
wagte keine Übersetzung und schwankte in der Erklärung zwischen
'Hautschutz, d. i. ein Kleidungsstück' und der Emendation fon un-J
rihi hav% foddej scyld: ^nrechtmäfsig Kleid oder Schild'. Thorpe'
wiederholte dies zwar, verwarf es aber mit Recht: nur [f] hama be-
deute ags. 'Kleid'. Er selbst erklärte: 'rechtes Schul terblatf ; harn
nämlich sei identisch mit got ams (lies amsa) — was J. Grimm ^
dann ablehnte — und shield dialekt Englisch für 'Blattknochen'
(hierzu vgl. Halliwell, Dieiion. of arcJuiie). Schmid in zweiter Aus-
gabe (1858)7 nahm mit Recht keine dieser Erklärungen an; er ver-
zeichnete, aber nur zweifelnd, als vielleicht mit hamscyld zusammen-
hängend, ?iama : uterus; cüdhama : matrix (Gebärmutter).
Lizwischen hatte H. Leo, den Schmid ohne Beifall nur zitiert^
1842 9 den richtigen Weg durch einen Vergleich mit dem friesischen
Brokmerbrief gewiesen und den Sinn der Stelle getrofien mit ^tuiela
sepii, der reckte Schutz des Oehöftea, meüeieht das Tor! Es heilst dort:
M tha deda, ther skiath oppa houwe inna hemme and binna skMe,
> Bei Hickes Dissert, eoist. p. 90, in Ling. vet. thes. II, 1708. * Leges
Anglo-Sax. (1721) p. ^. " Gesetze der Ägsa. S. 8. ^ Ängto-Saxon latos
p. 4 (nur bis p. 92 gedruckt, nicht yeröfTentlieht). ' Ane. lanoSy fol. 1840,
g. 5. « Kkins Sehr. V 818. ^ 8. 6. 60(>. > Bsetüudmes sing, person.
. 38, im Angelsäehs. Glossar (1877) fehlt hamseyld.
890 Elräefre Mitteiluogen.'
Herr Prof. Th. Siebs, den ich um den genauen Sinn dieser Stelle
fragte, hatte die dankenswerte Freundlichkeit, folgende Antwort zu
erteilen und deren Abdruck zu erlauben:
Afrs. kern entspricht einem ags. h^mm und ist ein germ.
Stamm *}iamjo-; ob Mask. oder Neutr. lälst sich nicht sagen. Die
Wurzel ist jene weitverzweigte, die auch in unserem 4iemmen' ent-
halten isl^ und zweifellos bedeutet afrs. hem (man vgl. auch ostfrs.-
plattd. kam 'eingefriedigtes Land', westfrs. die 'Hemmen' u. a. m.)
'Einfriedigung, Abgrenzung^.
Ganz unerklärt ist meines Wissens bisher afrs. skelde; aber auch
dieses ist mir nicht zweifelhaft Es hat weder mit 'Schuld* noch mit
'Schild' ' etwas zu tun, sondern ist eine der in den germ. Sprachen
ja reichlich auftretenden Nominalbildungen auf -tdö-, und zwar zu
dem sehr gebräuchlichen friesischen skiU 'Schutz, Deckung, Versteck';
man vgl. afrs. fugelskül 'Vogelherd', wangeröog. sxüi 'Deckung, ge-
schützter Platz für Schiffe, Windschutz', syltersch sk^l 'Schutz, Ver-
steck' in meinem Worterb. zu den 'Sylter Lustspielen', ostfrB.-plattd.
schul, ndl. sehuylen 'sich verstecken' u. a. m. AAb. skelde (ags. müfste
es *seyld lauten) aus *8MUä6- ist also 'Beschützung, Deckung'. Also:
'alle die Taten, die geschehen auf dem "Hofe" binnen Einfriedigung
und schützender Deäung, dreifach zu hülsen etc'
Da die einzige Hs. Aethelberhts dem 12. Jahrh. angehört^ und
ags. Schreiber weder die Vokale a und y verschiedener Herkunft^
noch auslautend m von mm unterscheiden, so mag fraglich bleiben,
ob komm (eingefriedigtes Stück Land, Wohnstatt) oder häm (Heim^
ob sciM (Schild), wie alle einschliefiilich Leo meinen, oder ein sonst
fehlendes *seyid (Dedning) in jenem Kompositum steckt (Gebildet
ist es wie ceasterhiid 'Stadttor'.
Sicher aber ist ein durchstechbarer, wohl vorzugsweise aus Holz
gefertigter Teil des Hofeingangs gemeint, dessen Verletzung vom
Rechte jener Friesen wie auch anderer Germanen mit einer Bulse
belegt ward, die gesondert neben der Ahndung der übrigen Missetat
stand. Dabei bedeutet rikt: 'ordentlich, wirklich, eigentlich, echt'
und festigt das ihm folgende Wort zum Bechtsbegriff. Die Gesetzes-
spräche braucht so^: rihUßw, -andaga, -dorn, -fasten, -fastendag,
'fastentid, -gesamhivxm, -gifu, -hamsom, -handdada, -hlafordhyldo,
-lagu, 4if, -regol, -scir, -soriftscir, -wer, -wif. Die Tür war unter den
Teilen des Hauses ausgezeichnet ^ und galt als hdlig;* wer bei den
Friesen ' Tür und Tor einstöis^ mufs den Schaden — wie hier mid
tueorde — ersetzen; das 'Hausstofsen' gilt als feindliche Heraus-
forderung; ein Durchbohren der Haustür durch Pfeil oder Speer
kennen andere Volksrechte der Germanen.<^
Auch die Anordnung Aethelberhts findet dort Beispiele. Dafs
^ Qeeen Bichthofen AUfries. Wb. 1022 nnd Leo a. a. O. [F. LJ.
« Meine Gesetu der Ägsa., II, 1 (Wörterbuch), & 178. ' Grimm, Rechts-
aUertümsr 175(1 241«). ^ WUda, Strafrecht üOb, * His, Strafr. d jPWesert
854. 857. « Wüda, 958 ff.; Bnmner, Dt. BsMsg. II 651 iL
Eleraere Mitteilttiigen. 801
^waltBame HeimBuchung den Bealinjurien yoraDgeht^ ist notöiUdL
Wenn sie hier hinter dem Beschlafen des Weibes eines Frden stdit^
so erscheint sie auch bei Franken und Juten neben Frauenranb.^
Berlin. F. Liebermann.
Zum 00. angelsftohaisohen B&tsel.
In Band CXI dieser Zeitschrift, Seite 59 ff., behandelt Edmund
Erlemann das 90. angelsachsische Batsei und gibt als dessen Lösung
'Oynewulf^ Er sagt dort:
'Ich löse auf ,00! ^ !f^^ • Lupus-vndf 5—8, ab agno-ewu
4—6, tenetur (gleichsam im Maule); darum mirwn fddekir mihi ...
Oheurrü agnus: dem die einzelnen Buchstaben verfolgenden Auge
des Dichters scheinen die drei: e, w, u ^=: 4 — 6, dem Wolf, wulf
= 5 — 8, entgegenzulaufen. Et eapU viaeera lupi: ähnlich wie vorher
tenetur, und nimmt die Eingeweide, d. i. das Innerste des -tüulf, näm-
lich die beiden Buchstaben w und u. Das anknüpfende dum starem
et mirarem zeigt deutlich, dals die Scharade weitergeht . , . '
Die Lösung dieser zwei ersten Zeilen leuchtet ohne weiteres ein.
Anders verhält es sich mit den beiden letzten Zeilen. Hierfür wuiste
Erlemann keine befriedigende Erklärung zu geben, und auch die
Lösung^ die Dr. Joseph Qotzen ebendaselbst vorschlagt (Seite 68),
klingt ziemlich unwahrscheinlich. lA glaube, dais sich auch die
zwei letzten Verse folgendermaüsen in befriedigender Weise werden
erklären lassen.
Mit Edmund Erlemann und Götzen fasse ich lupi als Qenetiv
und duo als Neutrum auf, und zwar letzteres mit hinweisender Be-
deutung; unter duo lupi sind also die zwei Budistaben des Wortes
eum (von dem zuletzt die Rede war) verstanden, die gleichzeitig auch
zu undf gehören, = um. Der noch übrigbleibende dritte Budistabe
ist e. Es bleiben also wu stehen (stcmtes), verdrängen aber das e
(tribtdaniee). So ertialten wir das aus sieben Buchstaben bestehende
Wort 'Oynwulf (cum septem oculis videbant). Unter quatuor pedes sind
die vier letzten Buchstaben dieses Wortes, also umlf, zu verstehen.
So ist das Oanze gewiss^rmaisen als eine Art Verwandlungs-
rätsel anzusehen, indem in dieser scherzhaften Weise der Name
'Oyneundf in 'Oynwulf' umgestaltet werden solL Dabei erinnere
man sich daran, dais beide Formen je zweimal in den sicher Cjn^
wulfschen Werken vorkommen : Oyneuntlf in der Juliana und d^
Elene, Oynunäf in den Faia apoetolonim und der Himmelfahrtsstella
Wenn man wegen der Formen stantes und trUnUatUea Bedenken
haben sollte, duo als Neutrum aufzufassen, so denke man nur daran
in welch freier Weise im Mittelalter die lateinische Sprache gehand-
* Wüda, 958. 242.
^^ Der Wortlaut des lateinisch abgefa&ten Bätsds lautet bekannüidit
Mirum videhsr mihi: lupue ah agno teneHir ; oheurrü agnue et eapU vieeera
hipL Dum starem et mirarem, vidi gloriam nmgnatn: duo Itfpi stantee et
tertium tribulfanies] IUI pedee habebant, cum e^ptem oeulie viatbonL
S92 Kleinere IfitteilnDgen.
Labt wurde. Daft auch unser Dichter nicht klaasiBcheB Latein schreibt,
das zeigt ja schon zur Genüge die Form mvrarem.
. WaSy abgesehen von der inneren Wahrscheinlichkeit^ für die
Richtigkeit dieser Losung spricht^ ist femer der Umstand, daüs gleich-
zeitig Herr Professor Dr. Victor zu derselben Ldsung der beiden
letzten Zeilen des Batsels kam.
Marburg. Fritz Erlemann.
Ein altengliflohes Prosa-Rätsel.
Bekanntlich sind die altenglischen Bätsei der Exeter-Handschrift
rein literarische Kunstdichtungen, die in Anlehnung an die lateinische
gelehrte Rätseldichtung eines Symphosius, Aldhelm, Eusebius und
Tatwine geschrieben sind. Es ist uns aber ein bisher unbeachteter
Rest der volkstümlichen Bätseidichtung der Angelsachsen erhalten:
ich meine das altenglische Prosa -Rätsel, welches auf Blatt 16^ der
bekannten glossierten Psalterhandschrift Vitellius E 18 (nach Wan-
ley im Jahre 1081 geschrieben) steht und bereits 1705 von Wanley
in seinem Kataloge 8. 228 gedruckt worden ist Da ich dies Rätsd
nicht zu lösen vermag, habe ich bereits vor einigen Jahren in dem
Fragekasten der Zeitschrift Literalure eine neuenglische Übersetzung
mitgeteilt und zur Losung aufgefordert Da diese Anfrage aber er-
folglos geblieben ist^ möchte ich mit den Lesern des Archivs einen
neuen Versuch wagen. Ich teile daher das Rätsel hier im Urtext nach
einer Kollation, die mir Kollege Vamhagen freundlichst besorgt hat^
mit und füge zur Sicherheit eine wörtliche deutsche Übersetzung bei.
Njs liks * frfgfn > syllkc |iknc to raedfnnf.^.
Du f>e fnrst on {^one^ weg, gret du minne brodor, minre mo-
dor ceor[^]' . |)one acende min agen wif . and ic wses mines bro-
dor dohtor . and ic eom ^ mines f seder modor geworden • and mine
beam syndon geworden mines 7 f»der modor.
Wenn du d[ies]en Weg gehst, grüise du meinen Bruder, mei-
ner Mutter [Ehe-]Mann, den mein eigen Weib gebar (oder, wenn
ßone = ßonne, 'dann gebar mein Weib'f). Und ich wai* meines
Bruders Tochter. Und ich bin meines Vaters Mutter geworden ;
und meine Kinder sind meines Vaters Mutter geworden.
Höchst wahrscheinlich gehört das Rätsel in die Gattung der
Verwandtschaftsrätsel, die wohl nur als uneigentliche Volksrätsel
anzusehen sind (s. K Petsch, Beiträge zur Kenntnis des Volksrätsels,
Berlin 1889, 8. 18 f., und Neue Phüol Rundschau VIII 171 f.).
^ Nys pk ist ganz undeutlich. ' Ae. fregen 'Frage' fehlt in unseren
Wörterbüchern; vgl Vf. Engl Stud. XXXVI 2. ' In Vexierechrift für:
Nys pis freien syllie pino to rcBdame, Vgl. A. Meister, Die Anßnge der
modernen dtplomaiiacMn Oeheimschrifl, Paderborn 1902, S. 5 ff. Bei Wanley
steht dieser Satz fälschlich hinter dem Rätsel (Varnhagen). ^ Wanley
fälschlich: done, ' l ist «m Zeilenrande infol^^e des Brandes abgebröckelt
(Vanihagen). ^' ie eom 'sehr undeutlich, weil verbrannt und überklebt'
(Vamhagen). "^ mi 'am Zeilenende und undeutlich' (Vamhagen).
Kldoere MiiteiliiDgen. 808
Man möchte auch geneigt sein, die obigen schwierigen Verwandt-
sehaftsverhütnisse mit Lots Familie in Verbindung zu bringen^ wo-
für es gerade im Englischen nicht an Beispielen fehlt (s. Petsoh
a. a. O.); indes irill mir dies im einzelnen nicht gelingen.
Wer kann uns also das Bätsei lösen I
Wflrzburg. Max Förster.
Das Englisch des städtisohen Bechts im 16. Jahrhundert
findet wertvolle Belege in Borough customs ed. for the Seiden soe, hy
M. Bateson {I, London 1904), grofsenteils aus unveröfienüichten
Archivalien von mehr als hundert Orten, auch der von Engländern
kolonisierten Nachbarländer. Vor 1400 lauten die Stücke zwar alle
lateinisch oder französisch, atmen aber ebenfalls rein englischen
Geist und bergen viele seltene englische Formeln und Termini, so
das nordische kyrrseta (in Frieden sitzen), die Alliteration deake hui
et hom (d. i. kül and holm, aus Exeter um 1280, in einem Para-
graphen über die Verfolgung schädigenden Viehes zu dessen Eigen-
tümer), femer den Beim nameles fremeles, der die Ungültigkeit der
Parteirede mit Irrtum in den Namen der Zeugen oder Gewährsleute
bestimmt, die Formel veche (fetch) and have p. 250. Auf den Kampf
der Sprachen wirft es Lichte daJGs viele Städte noch im 15. Jahrh.
ihr Becht französisch aufzeichnen und, laut einiger Zitate, in ihrem
Gericht französisch verhandeln lassen, dafs eine französische Über-
setzung des 14. Jahrh. von zwei lateinischen Büchern im 15. Jahrh.
ins Englische übertragen ward. Die Hrsgbin. bewahrt die Orthogra-
phie des Englischen genau; vgl axiü für ahaU p. 810.
Berlin. F. Liebermann.
Ein neuentdeoktes Manuskript Thomas Chattertons.
Die Chatterton-Beliquien der Bristoler Wills Art Gallery sind
durch die Grolsmut eines Grönners, Sir George White, um ein wert-
volles Manuskript vermehrt worden. Kein Biograph Chattertons hat es
bisher beachtet^ auch Diz nicht, trotzdem es die Aufschrift trägt: Auto-
graph of Thomas Chaiterion, presenied by John Dix to Dr, Mackenzde.
Das vier eng geschriebene Seiten umfassende Prosafragment
scheint der in modernem Englisch geschriebene Entwurf zu einer
später nicht ausgearbeiteten oder verloren gegangenen Bowley-Schrift
zu sein. Die Anfänge zu einer altertümlichen Schreibart sind bereits
gemacht^ und die Erwähnung Bacines, Shakespeares und Drydens
bildet dazu einen sonderbaren Widerspruch.
Der Anfang sieht einer Apostrophe an Canynge gleicL
Die äufsere Fassung — Personifikation der Natur, die den
Dichter auffordert^ ihr in ihren Palast zu folgen, und die ihm dort
die Werke der berühmtesten Maler zeigt — läfst die Vorbilder,
Chaucer und Lydgate, leicht erkennen.
Charakteristisch für den jungen literarischen Bahnbrecher ist die
Beobachtung, die er sich in der Bildergalerie der Natur zunutze
«^M Kleinere Mitteilangen.
macht: dais die groben Mäster die Dinge genau so malten, wie sie
ihnen in der Natur erschienen, dafs sie aber in kluger Auswahl nur
solche natürliche Vorgange darstellten, die an sich schön waren.
Wir lassen den Text hier nach einem Abdruck in The Bristol
Mercury vom 26. Juni 1905 folgen.
THE GALLEBY AND 8CH00L OP NATURR
A VISION.
A few Nights ago as I was sitting in my^ doset, & had not Im-
mediately fized on any book to Read, it came into my mind that I was
to prepare a discourBe for your Entertainment thiR Night. I migbfhave
lost some time dboosing a Subject to write upon if I had not considered
that there still remainä many important things to be said on the arga-
ment which had fnmished matter for the two discoarses which you had
before heard with a moat encouraging Candour.
Bdng therefore determined to lay before you some fnither observations
on the subject of TA8T, I began to collect & dispose such thougfats as
seemed proper to be added to what I had already written. But finding
it di^cult to Range every thing in order to my content, m;^ mind began
to be weary after a little application, & I feil insensibly into a Sound
Sleep; But Phancy, which nad begun to work before, nnding her seif
now at Liberty to draw what Bcenes f>he pleased, set her seil to paint
insensible Figures some what like the scheme that Reason had laid out
and in some measure pureued. My Dream was to this Purpose.
ME TH0U6HT I was sitting on the Bank of a laige River yt ran
through a Piain across which there was an open proRpect to a hilly coun-
trey that was well wooded & inclosed with agreable yariety. My ^es
were fixt on the Stream which flowed with Majestick Silence, & presently
brought to my mind the famous lines in Cooper's hill. Oh, mi^t I
flow etc. Ana I should have thouf^ht my seif somewhere on the Bank
of the Thames if the inexpressible Brightness of the Air, & the sight of
many Trees yt are not of our English growth had not convinced me I
was removed into some happier Climate. The remembrance of those yerses
soon tum'd y thoughts to the
GLORIOUS IMMORTALITY
which those great men secored to themselves who had ezoelled in Poetry,
History h Eloquence. And do I then sit here, thought I, in dishone^t
Idleness when yet I pretend to a passion for Immortality? as soon shall
this large & deep Stream run out, & leave the hollow cliannei to beoome
Pasture for the beasts which now it waters, as that man leave behind
him an honourable name who wasts the bright days of health, & ligour
in unactive sloth. With this thought I sprung up, h tuming abont be-
held at some distance from me a beautiful Woman : She was cloth'd with
a garment of changeable Silk that most enclined to Green, a Scarf of
light blue flowing behind her, ^ve a becoming shade to her complexion
& was sometimes swell'd sometimes pesled by the Sporting Winds; her
Hair was plaited with nice art & formed into a knot to which her scarf
was fastened by a Diamant Buckle. My eyes were fixed upon her, h it
was at once with a sense of pleasure & of awe that I perceived her coming
towards me. When she was come near I saw the freest & most perfect
Features, & finest Complexion that ever was Imagined by a Lover or a Poet.
The Sight was enough to have inspired an irresistable Passion if there
had not appeared in her Face an air of Authority & a sort of Matemal
Tendemess that commanded Reverence and Duty. When she was ad-
▼anoed within a few Paces of me, she hecken 'd me with such a gracious
Look a» gave me Courage to approach her. I could not forbear falling
down on my knees at the sight of so great Beauty & Majesty; & I ob-
serred with wonder (what Lovers often say in Figure of their Mistresses)
Kleinere IfItteOimgeiL 995
that Tarious beautifal Flowere Sprung up ander her feet as sbe raisM
them of the ^nnd, and mark'd with gay distinction the path she trod.
Bhe bid me nee, with a tum of her eym unwards cmsur'd my adoradon,
&, ihen spoke to this purpoee. Youth, saia ehe, let it not surprize thee
to understand tbat I niow the thoushte weh have just now paeeed in thv
mind; I applaud thj Thirst after Glory, & am willing to enoourage A
Btaat thee in the pursuit of it; I acknowledged mj obiigaticm b^ a low
bow, & followed ner according to her command. I eoon peroeiVd we
were going towards a noble Pfdaoe built in the midet of an Island that
was made by the Biyer from the Banks of which I came. As I walked
behind her I was amased at the new Brightness weh ye grass, the Trees,
the Flowers put on as my fair Guide passed by. This prepared me to
believe wt she presently told me that she was r^ ATUBE her seif. The
Palace, she adaed, which thou seest is mine; there I will show thee such
things as shall raise & etrengthen the noble Passion thou hast con-
ceiYM, & there also thou shalt meet with such help as shall enable thee
to deserre the Immortality to which thou aspirest. We had now passed
throBgh a small Growe, & were come to a fine Bridge of Btone that ]oyn'd
the Island to the Piain: The Bridge ended just against the middle of a
stately place indoeed by a Portico of a fourfold order of Marble Pillars.
When we had entered, I had a good view of the Large and Noble
Palace which before I had seen at a distance: It was built of white
Marble, a double order of Pilasters ran round the Fabrick & a Balustrade,
adom'd alteroately ¥rith Statues & arme, satisfyed the most curious eye.
As I enter'd with my Guide into the Palace she told me she would first
condnct me into 8 galleries, in which were pres^rved the works of the
most famous Painters that had erer appeared in the world; and that the
subject of thoee pieces were, for the most part, some Particulars of her
History, but that tho' she was generally the prindpal figure in them, yet
th^ were so contrived as to represent all the Arguments which have
employed the Pens of the most famous Poets, Historians, & Orators.
We then ascended a great stair case charged with a brazen Balus-
trade, which landed us just at the entranoe of the largest & finest of the
Ghilleries, in which were contained the best and most perfect Pieces that
had cTer been drawn by Mortal Hands. It stood almost, open on one
slde to the South, so that the Paintings which stood on the opposite side
between coupled Ion ick Pilasters of porphyry were seen to good Advantage.
THE GALLERY
(tho' yery long) was filled from one end to the other. The Pictures were
disposed according to the order of time in which the Several Masters
Dved, & under every one the name of the painter was written in letters
of Gold, with that of his Country & the year of the World when he
fionrished. The finest pieces in this Gallery were drawn by Moses, DsTid,
Solomon, Isaiah, Luke, & Paul.
When we had passed through this we enter'd into another GalLeij
of much greater lengüi, but inferiour both in breadth & hei^ht; this
was all of white Marble without any other mixture, & contamed the
works of the Greek and Born an Artists. Homer's Pieces held the first
rank, & were indeed admirably fine, tho' as my Guide told me he drew
all by the pure force of memory, never stirrinff out of his working Boom
to consult the Originale he was Painting. The nnest after his were drawn
by Plato, Xenophon, Sophocles, Herodotus, Demosthenes, Lucretius, Te-
renoe, CSccro, Vir^l, Horace.
An open Portico which answered in length to the first Gallery Joyn'd
this to the third, whidi in biffuess & all omaments exactly answered this.
Here were preserved the works of modern Painters. Among many others
I remember more Particularly the names of Petrarch, Tasso, Vega, Cer-
yantes. Malherbe, ComeiUe, Fontaine, Bacine, Boileau, Fletcher, Chaucer,
Spencer, Müton, Shakespear, Oowley, Dryden, &c I beheld these maater-
S96 Kleinere Ikfitteilungen.
piecee of Art with Infinite Satisfaction, & told my Guide, I coold gladly
Bpend all may days in Studying them. Tho' I gave but a transient view
to most of tbem, yet I made some obaervations which I thonght migbt
be of Service to me in my futnre labours. One Observation I made was,
that those great Masten especially tliose of Antiquity, appear'd plainly
to have made it their business to paint things just as they are in Nature;
& it was to their success in this I imputä the very great Satisfaction
which thev gave me. I observed farther that they discovered great judg-
ment in choosin^ such scenes of Nature, & such events as were in tiiem-
selves very beautiful, & did very much interest the Spectator. The bright-
ness of their colours surprized me, but what no less pleas'd me was Uiat
they so well understood the clear-obscure, & so happily avoided the fault
of making every Figure equally bright & conspicuous, which
MODERN PAINTEBS
are so etemally guilty of.
Having spent as much time in those Galleries as my Fair Ck>nductor
thought fit to allow me, I followed her to the entrance of the Palace
whi<m open'd to the Garden, & after passing a long Terras came to the
Schools, which stood at the end of it This buiiding was cast into an
exact Square which surrounded a large Court, in the midst whereof was
a brazen fountain adorned wiüi the Statues of Apollo & the Muses. The
4 sides were appropriated to the 4 parts of Üie world; & each aide was
laid out into oistiDct apartments, whidi were assign'd to the several polite
Nations in each of those Parts. The side that fiu^ the North belonged
to the Europeans; theAfricans lodged to the South; theAsiaticks to the
East; & the Americans to the West. We made our entrance on the West
side, & my Guide told me she design'd to make a short tour round the
8 last mentioned sides, but that we phould make some stay in the fourth.
I observed that all the Artists on the West side were Europeans exoept
some few Natives who had b€«n at first taught by them, followed their
manner; the far greater Number were Spainards. The South side was
likewise very thinljr inhabited; towards tne Eastem end of it I Raw a
large Apartment which I guessed belonged to tiie Egyptians, in which by
the bags of colours, boxes of Pencils, rolls of canvas, & all sorta of
Mathematical Instruments, I concluded Üiere had formerly lived some
famous Masters. A poor Greek yt saw me make a Uttle stop to observe
those things, came up to roe & told me that had once been the most
fiourishlng apartment in the whole College.
The Lodgings on the Eastem side were better filled, particularl^ the
Apartments of the Arabians & Persians. By the transient sight I had
of some of their Pieces, I observed that their Colours were
VERY BRIGHT AND FINELY LAID;
but they seem'd mightily to delight in emblematical or rather Hierogly-
phical works; & what was also very shocking they seemed to have no
notion of unitv of design nor of Perspective ; vet I thou^ht I could have
staid amon^ them with great pleasure. I signifved by mmd to my Guide,
but she bad me come away, for, said she, youMl infallibly spoil your Taet
if you spend any time there.
So we came on the Northern side, which was prodigiouslv füll of
Workmen. I found I was to pass the whole length of the Buifdingbe-
fore I came to my own couutrvmen, whose Apartmt was at the West
end. The first Apartment, which belonged to the Muscovites, was just
now filled up witn great Magnificence, & 1 met with some persons among
them who seem'd bom for great things. The Grecian apartmt was con-
siderable for nothing but the appearance that formerly it had been well
filled. An old fellow like a Monk would needs have shown me a Cata-
logue of about 7000 Pieces that had been wrought there, &, some very
few of which I had seen in the second Galleiy.
I had better satysfaction among the Itidians, Spainards, <& French;
Kleinere Mitteilungen. 807
these lätter came nearest to the noble Simplicity of the Antients. At
length 1 entered the English apartment; here I staid lon^t, & made
man^ remarks that I thought would be of Service to me in my future
Btudies and Labours. Twoaid be too lone to give; the Characters of all
the PainterB I saw there. Iparticularly distin^ished one yenerable old
man who had drawn some History Pieces, which I understood were to
be hang up in the Gallery of Modems. One of his Pictures which re-
presented a plague was unspeakably fine. I also observed two Illustnous
Vouths who wrought toeether; thev seem'd to work with a confidence of
Immortali ty. My dear Guide look'd with particular pleasure upon some
of her own sex who were likewise in pursuit of glory. I made seyeral
observations on the different mann er of Working that was pecuUar to
every one of them. Some I saw exceiled in Portraits, some in represent-
ing the Passions: Love and ambition employed the hands of most: but
there were some who laboured to express aneer, Enyy, Pride, Bashfulness,
& the like. Some young fellows who seemM to have a great ....
Wien. Helene Richter.
Za Archiy CXII, 190 ff. (Anzeige).
In der Beurteilung von Dr. Hoogvlief s * Lingua' (CXII, S. 1 90 ff.)
ist 8. 192 am Anfang des vorletzten Absatzes (Zeile 21 v. unten)
anstatt 'Satzbindewörter' zu lesen 'Satzteilwörter'. £tw:as höher lese
man lieber folgenderweise : '... gehe ich zu der Besprechung des spe-
ziellen sprachlichen Teiles, mit Beschrankung auf einen besonders
hervortretenden Abschnitt desselben : die Einteilung der Wörter, über.'
Haag. A. J. Barnouw.
Zu Arohiv GXI\r, 474 ßibliogr.).
Im Titel von Professor Curmes (xerman Orammar soll es nicht
'poetical', sondern *practical study of the language' helfsen.
E^ex oder lUex?
Das elex, das ich mit eingehender Begründung in der Akademie-
schrift 'Zur Kenntnis des AUlogudoresischen' und kürzer im Orundr.
/*. rom. PkiL I^ 464 als Grundlage für ital. eke, frz. yeuse aufgestellt
habe, sucht Niedermann oben Bd. CXTV S. 456* vom Standpunkte
des Lateinischen und der Überlieferung zu widerlegen und ersetzt
es wieder durch iüex. Er hat dabei die Betrachtung etwas verschoben
und ^dadurch die ganze Frage in falsche Beleuchtung gebracht
Meine Qedankenfolge ist die: wie lautet die romanische Grundform ?
Hat sie in der Überlieferung Stützen? Wie verhält sie sich zu der
schriftlateinischen Form? Ich will nun wieder so vorgehen und zu-
nächst den Entscheid zwischen iliex und elex fällen. Ich könnte mich
^ 'Seit Schuchardt Vok. Vulg. Lat II 77 operieren die Bomanisten
fortwährend mit einem altlateinischen eilex' heifst es S. 456. Soweit mir
die Akten bekiumt sind, ist Schuchardts Ansatz eüex von allen, auch von
mir, übersehen worden, bis ihn Seh. selber Za, f. rom, Phil, XX. VII 106
wieder in Erinnerung gebracht hat. Alle folgenden haben entweder tlex
oder wohl plex angesetzt, also sich für i ausgesprochen oder die Frage
unentschieden gelassen, D'Ovidio hat Orundr. f, rom. Phil, I ' 507 Slix
direkt als unwanrscheinlich abgelehnt Erst in der angeführten Akademie-
schrift habe ich eto gesidiert und zu erklären versucnt
998 Kldneie lüttefliingeD.
dafOr einfach auf die genannte Abhandlang btfofen, wQI aber zur
Bequemlichkeit des Lesers das Wichtigste hier anführen. Lat poUiee
gibt ital. poUice, lat pulice dagegen pulce, folglich kann elee nicht
auf ellice beruhen; im Neapolitanischen bleibt ü, im Bizilianischen
und Sardisdien wird es zu dd, Wir haben aber neap. ei^, siz. iUH,
log. elige. Nur im Provenzalischen kann euse auch auf iUice zurück-
gehen, es muls es aber nicht. Somit haben wir eine Form, die über
die Quantität des / keine Auskunft gibt, mehrere, die nur auf l zu-
rückweisen, und da die lateinisch überlieferte auch /, nicht U hat^
spricht alles gegen, nichts für iüex. Mit Bezug auf den Vokal ist
das Bardische entscheidend, da lat. % hier durch i, lat e durch e ver-
treten wird: ein lat *ilex müfste also sard. üige, ein *ekx dagegen
elige lauten, und da die letztere Form nun tatsachlich da ist und elce,
euse, yeuse nicht widersprechen, so erweist sich elex als die allein
allen romanischen Beflezen mitsprechende Grundlage, während bei
*ilex der sardische Vertreter nicht unterzubringen ist und *illex nur
für das Provenzalische pafst Ich denke, unter solchen Umständen
wird ilbct, das leider auch in Brugmanns Orundrifs der vergL Oram-
matik I^ 801 Aufnahme gefunden hat» endgültig verschwinden müssen.
Ist aber elex gesichert» so sucht man naturgemäft nach älteren
Belegen. Ich gebe nun zu, dafs die Glosse, die ich angeführt habe,
nicht streng beweisend ist Der Zusammenhang spricht sogar eher
für iXixtj, der Ausgang -is dagegen legt üex näher. Die Stelle aus
Gregor von Tours ist es dagegen unbedingt, da in den Handschriften
6 für i nur eintritt bei se für si 'wenn', was eine gesprochene Form
ist (it, afrz. se), und beim Austausch zwischen e- und f-Verben.
Das elignis bei Schuchardt habe ich absichtlich nicht wiederholt» da
es verschiedene Deutungen zulä&t Dafs auch die Stelle aus Marius
Victorinus nicht ganz sicher ist, ist klar, doch gilt g^n Nieder-
manns Änderung von siUcem in steuern dasselbe, was er gegen siU-
eem einwendet: das % von sieüis ist kurz (rum. seacere usw., vgl. Einr
fuhrung in die rom. Sprachw. 112).
Will man nun nicht nur elex konstatieren, sondern auch sein
Verhältnis zu ilex womöglich angeben, so wird man die von mir ver-
suchte Erklärung, die ja sachlich nicht uneben ist, mindestens geben
dürfen. Erwiesen oder widerlegt würde sie, sobald sich in denjenigen
Schwestersprachen, die i und ei scheiden. Verwandte finden. Leider
fehlen sie bis jetzt Freilich führt ja Hesych YXal^ als lateinisch und
mazedonisch an, aber wir wissen nicht» wie alt die Glosse ist, ob also
nicht das mazedonische Wort aus dem Lateinischen entlehnt ist» be-
weist ja dodi alb. ilk\ dafs lat Hex bei den Balkanromem üblich
war; wir wissen nicht» ob in der Zeil^ der die Glosse angehört» im
Mazedonischen nicht h zu i geworden war; wenn der Akut statt des
Zirkumflex auf Kürze des i schlielsen läfst» so könnte man unter der
Voraussetzung, dafs Ykal^ alt sei, dieses mit ilex am besten mit der
Annahme eines alten Ablautes SU : il^ verbinden, also darin sogar
die gesuchte auiseritalische Stütze von eilex sehen. Aber ich will gar
Eleinere Mitteilciiigen. &^
nicht ila^ für meine Zwecke verwenden, ich will nur zeigen, dafit die
Form vorläufig nicht verwertet werden kann. Nun sagt Niedeimann
freilich, eine Wurzelfonn eü könne es nie gegeben haben. Warum
nicht? Die Gruppe eü ist doch nicht etwa unindogeimanisch, und
selbst wenn sie es wäre, wer bürgt uns denn dafür, dafs eHex ein
indogermanisches^ nicht etwa ein etruskisches Wort sei? Solange es
so vollständig isoliert steht^ können wir darüber gar nichts aussagen.
Oder weist Niedermann eüex etwa darum ab, weil eine Wurzel eü
fehlt? Aber haben wir denn Wurzeln für Erle^ Föhre, Eiche, Buche,
da ja doch den Zusammenhang des vorletzten Baumnamens mit
skr. ej 'schütteln', des letzten mit q)ayety heute niemand mehr ernst
nehmen wird.
Schlielslich mag, da Suchier in der neuen Auflage des Orundr.
886 an yeuee == 'helieem im Sinne von üieem' festhält^ auch das noch
einmal gesagt werden, dafs nach Mistral npr. fuse 'Efeu' von ftise
'Steineiche' verschieden ist Man mülste danach annehmen -^—^ = ^,
wenn man Suchiers Auffassung beipflichten wollte.
Wien. W. Meyer-Lübke.
Notes BOT la prononoiation firan9aise du nom de Shakespeare.
Si le nom de Gk>ethe a du pendant longtemps s'accommoder
chez nous de prononciadons h^t^gtoes dont la versification et la
tjpographie nous ont transmis le t^moignage,^ le nom de Shake-
speare ne pouvait gu^ ^tre plus heureux. II j avait mdme l^ une
accumulation de difficult^ phon^tiques capables de d^router l'ing^-
niosit^ de ceux qui n'imaginaient point que voyelles, diphtongues et
Gonsonnes pussent avoir ailleurs une autre valeur qu'en fran9ais,^
Ety ici encore, il est permis d'inf6rer, de quelques indioes tjpogra-
phiquee et m^triques, certaines habitudes de prononoiation courante.
Les premi^res mentions faites» en frangais, du nom de Shake-
speare ne s'6cartaient pas de l'orthographe courante: c'^taient des
copies et des reports d'apr^ des originaux anglais, et ni le biblio-
th6caire royal Nicolas G16ment^ ni le rMaeteur de Vlnventaire ...des
livrea ... de Fouquet n'auraient eu de raisons de s'tearter de la gra^
phie qu'ils avaient sous les yeux. Ni Baillet ni Boyer, de leur cot4
ne fönt infraction 2l l'usage anglais moyen.^ A plus forte raison des
traductions de l'anglais ne foumissent-elles aucun t^moignage: le
* OL mes Note$ sur la pranonciation franpaiee du fwm de Goethe
(Euphorion £K, 2—3, 1902).
' La condusion d'un article de M. Gaston Deschamps sur la r^forme
de l'orthoflpraphe t^oigne assez de la p^rennitä de cette tendance. Dans
' le Tempe du 5 f^vrier 1905, apr^ avoir dt^ l'opinion d'un correspondant
qui demande que les Anglais mettent leur langae ^rite d'accord avec lear
Fans, 1896.
400 Kleinere Mitteilungen.
po^te anglais est mentionn^ une fois dans les (Euvres htelSes du Che-
valier Temple,^ plusieurs fois dans le Mentor moderne^ et dans le
Spectateur ou le Socrate moderne,^ sans qu'on puisse discern^ quels
phon^mes des lecteurs fran9ais devaient s'imaginer sous la forme
Shakespear, la plus commun^meat employ^e dans oes ouvrages.
II est probable que ce nom, qui, ä partir du premier quart du
XVin® si^cle, sera souvent lanc6 dans les controverses litt^raires,
offrait aux Fran9ais deuz difficult^s principales, et que des lecteurs
laiss^s ä leurs seules lumi^es ^taient tent^s: 1^ de prononoer le Sh
initial comme un simple S; 3^ de dissocier ea e -\- a la diphtongue
finale. Quant ä Ve de la deuxi^me syllabe, il ne devait offrir aucüne
difficult^ et ne manquait pas, sans doute, de recevoir sa part d'ac-
cent et de prononciation dans le motl Si Strange que paraisse la
graphie Shakees Fear, qui figure au Journal des Savants de 1710,^
U est possible qu'elle ne fasse que rendre un oompte exoessif de cette
valeur attribu6e ä Ve de la syllabe mediane.
De ces trois f agons d'errer — que vraisemblablement ne combat-
taient pas avec un succ^ süffisant les prönonciations plus conformes
de FraQ9ais qui avaient 6t6 en Angleterre, un Voltaire, un abb4
Pr^vost — il est facile de suivre la trace persistante.**^ L'habitude
erron^e 6tait-elle d^ä prise, on mena9ait-elle seulement^ quand furent
imprimdes — en 1725 — les Letireä sur ks Anglais et les Francis?
Muralt se contentait-il de reproduire Tortographe qu'il avait employ^
jadis, en manuscrit^ pour 6orire ce nom de Shakespeare d'une fa^on
plus conformer ä la prononciation qu'il entendait dans la bouche des
Anglais? En tout cas, il 6crit Schakspear,^ de m^me qu'il ^it
Schadvel; et, de la part d'un homme qui ^rit plusieurs fois Houmour
et qui donne d'ailleurs une liste d'errata fort soigneuse, il 7 a certes
12l autre chose qu'une faute d'impression.
J'en dirai autant de la persistance de la graphie ShcAespSar
dans les Lettres de Tabb^ Leblanc'^ (concurremment avec Shakespear
sans accent). Gomme on la rencontre aussi sous la plume d'un autre
auteur qui oonnaissait l'Angleterre pour 7 avoir s^journ^^ il est per-
mis d'7 voir une inyite ^ mettre sur cet 6 une Intonation qui rap-
proche la diphtongue ea de la prononciation eare .anglaisa En le-
» Utrecht, 1693.
' Je n'ai eu entre les mains que la deuxi^me Mition, La Ha7e, 1724.
' ijnst^am^ 172«j.
^ Cit^e par Jusseraud, ouv, eitS, p. 147.
* Je ne serais pas ^lolgn4 d'attribuer le cas bien connu de Bodmer,
^rivant Saspar et Sasper en 1740, Saksper en 1741, ä l^influence de quel-
qu'une de ces graphies erron^. Pour F^lision du Ar, voir l'exemple cit^
Slus loin de Saunn. II importe de noter que dans le Pour et le Omtre
e Tabb^ Pr^vost et dans le Journal Stranger, oü le nom de Shakespeare
est souvent cit^S, il ne präsente aucune de ces anomalies d'^criture; la
graphie Shakespear pr^domine dans Tun et l'autre.
» (Genfeve) 1725, p. 57.
^ Notamment pagee 80, 83, 84 du tome II.
' Qroflle7 dans son Londres (Lausanne, 1770), dt^ par Jusaerand, p. 249:
Kleinere Mitteflungen. ^1
vanohe^ le Shaketpehar du President H6nault|i' le 'Shake^pMrt de
PObserwUeim^ frcmgoia ä Londrea^ t^moignent d'une adbMon de Tau-
teur (ou dtrtjpographe^ tout au moinB) & la prononoiation commune:
1% de Fun ea s^panuit les deux vojfXLeB de la diphtongue» le i final
de l'autre en faisant de la syllabe ort l'analogue de mots eomnäe
pari, ort etc., invitent le leoteur & prononcer-^ -)*' ^^« ^
Choee curieuse^ Ferreur phon^tique qui fabait du Sh initial
r^quivalent d'un simple S (peut-4tre suivi d'une vague aspimtion!)
semble avoir 6t6 plus tenaoe que oelle qui disBociait ainri lee deux
lettres de la ayllabe diphtonguöe. On trouve en effet trte longtemps:
^.. ii la fa9on de Sakeipear, le Corneille des Anglais';^
'Nous invitons les admirateurs du tb^tre anglais & lixe lea ai^
ücLeB Sakespeare . . .' ^
'Quelques pens^es de Bakespeare'^
quand d6j& une grapbie pbon6tique d^montre que la prononoiation
correote de la dipbtongue n'est plus ignorte: '
Bien, sans Fhabit anglais, ne pouvoit r^ussir.
Au-dessuB de Comeille, fl mettait Sahupir.'^
ou enoore: Emule gönÄfeux du fameux Sakespor,
Tu TouGus, imitant cet auteur admirable,
A ses rares talens nons forcer d'applaudfr ...*
n va sans dire que les auteurs bien renseign6s ne se contentaient
pas toujours des moyens que nous avons vus (Seh ou piar) pour indi-
quer taut bien que mal ä leurs lecteurs quelle 6tait la prononciation
usit^e cbez les compatriotes du poite. Si une ElSgis 9ur la mort de
Ducia renferme enoore oe yers:
Sehakespear, tu deyais nattre et moürir deux fois*^
U 7 avait longtemps oependant que Saurin avait insM dans son
Änglofnane la r6plique suivante (oü la suppression du k serait sin-
guli^ si Damis n'6tait un Anglais par occasion et subterfuge): .
£ raste. Oelui de yoe auteurs qu'avant tout autre j'aime,
O'est Bhakeepdar.
Damis. Nous prononj^ns. C%a«ptr.
Er aste, öheapir seit: mais en tout j'aomire sa mani^re.*^
* Dans la Prifaoe (non pagin^) de Fran^oia IL
' Cit^ par Jusserand, p. 225, note 2.
' Notons que, par une touchante conformit^, le nom du Roi Lear
^tait soumis ä la m^me prononciation que celui de son auteur.
* Merewre de Franee, oct. 1747, p. LI 5. G'est l'ordinaire fa^n, dont
oe p^riodique toit le nom du po^te angLüs: cf. ses eomptes-rendus de La
Place en 1746. JJAnnSe lüUraire toit g^uänüement shakeepear.
^ Jounuü des Debaie, 26 janvier 1804. Vari^t^.
F * Bulletin de Lyon, 20 thermidor an XU, p. 868.
^ Boissy, la Frwolüe, com^ie en un acte du vers. Paris, 1758,
sc^ne rV, p. 28.
' M^« de Qaudin. A. M. Duds, sur sa trag^e du Boi Lear. AI-
manaeh da Mmee^ 17d4,_p. 13.
* Par M">« Victoire Babois. Almanack des Musee, 1819, p. 39.
y QeMnnfl'Anglomane, ou V Orpbdine Ugtt/6e, ^tion en un acte, PaxiSy
1772, sc^ne XTT.
AnliiT t a. SinBchen. QXV. 26
MB !E[leiDere ICtt^ungeD.
^ ' ' Vm U möme tempe, YAnnieKtUraire (1769, VI, p. 10) Teinärq[Ud
IUI Bujet de oe nom : 'D fl'toit Shakespear et se prononöe Chee^nrJ
•Au oonmienoement du XIX« si^e^ Stendhal terivaiit & sa so&ur a
isoln de faire suivre le nom du poite de oette paienth^e: 'prononoe
VhSquspire^,^ et AL Dayal, publiant en brochure son Shakespeare
amoureux ou ta Piiee d VMude, ne n^glige pas de mettre en note,
*eomrae im renvoi encore n^oessaire: 'On prononoe OhskspM^ Pr6-
;eaation d'autant plus utile que o'6tait la premi^ fois — soub les
tndts de Talma — que Pautenr SBatnM deyenait un peraonnage de
th^Atre. Notons que c^eet pr^ds^ment vois oette 6poque que S^ve-
linges, publjant une nouvelle traduction de Werihur, 6crit en note k
-la pvemi^ page de sa Pr6face: On prononoe Gueftte. D serait ä
soubaiter que toutes les fois que Ton imprime le nom d^un 6tranger
c61^bre^ on donnftt en mdme temps la mani^ de le prononcer.
'Faute de les avoir, on peut^ dans Tooeasion, se trouver expos^ ä ne
pas comprendre, ou ä n'^tre pas oompris.'^ Souci bien legitime!
Sans doute Teztraordinaire remuement de r^migration et des guerres
de la Revolution et de PEmpire a-t-il produit A^k, pour oes deux
'6trangers cä^bres'^ ce r^ultat de mettre quelques hommes de lettres
et joumalistes en mesure de garantir iL des compatriotes ignorants
une prononeiätion plus orthodoxe. Et d^sormais, si les po^tes h6si-
tent encore entre deux ou trois 6critures du nom de Shakespeare,
ils ne sont plus tent6s de lui ajouter une syllabe inutile dans la pro-
'nondation:
Mais eile avait Bhakspear pour ^largir son r^gne . . .
(A. Dumas, ChriiUme, acte I, sc. 2.)
O'est unsi qu'ft Straffort TAngleterre idolAtre
Cooronnait dans Shakspear le p^re du th^Atre ...
(Gas. Delayigna, Diacoura en i'hoDneur de Corneille«
Alm. d€i Muses, 1880, p. 260.)
II va Sans dire qu'enBuite, pour Müsset^ pour Banvüle, Shakespeare
fournit une rime feminine, quelle qu'en soit Torthographe:
L'autrSi comme Badne et le divin Bhakspeare,
Monte snr le th^tre, une lampe k la m«n ...-
(Hoflset, la Couf « Us Livres, Didicace.)
Toute cr^tion k laquelle on aspire,
Tout rdve, toute diose, ^manent de Sbakspere . . .
(Banville, Cariaüdes^ la VoU lactse.)
* Leürea intimest p. 29: lettre du 10 pluvidse an XI.
^ Pans, an Xll, p. 2. L'ann^e pr^cedente, dans le prologne de son
Ouülaume le ConqueratU, Duval avait fait figurer le nom de Shakespeare,
r^duit k deux syliabes sous oette forme: Ou Shak'spear ou Sdiiller vous
aervit de modMe.
' C. L. S^velinges, Werther, traduit de rallemand sur une nouvelle
Vitien. Paris, an XII, 1804, p. VllI, note 1.
Lyon. Fernand Baldensperger.
*»^^
Benrteilnngen nnd kurze Anseilen.
Andreas Heusler, Lied und Epos in germanischer Sagendiditung.
Dortmund, Fr. Wilh. BahfoB, 1905. 52 8.
Eine inhaltsvollere Schrift ist auf dem Gebiet der HeldeDsage aeit
lange kaom erschienen als dies schmale Heft6hen. Wohl kündigt H. als
seine Absicht nur an, W. P. Kers 'gedankenreiches Buch' Ukne and Bo-
manee (London 1897) nach seinem wesentlichen Inhalt zur all^^Bmeineren
Kenntnis zu bringen; und schon das wfire verdienstToU, denn das wich-
tige Werk des Englanders (dessen Bekanntschaft ich auch nur Heuslers
persönlichem Hinweis danke) sdieint bei uns kaum beachtet zu. sein.
Tatsächlich aber f fihrt H. nicht nur Kern (jManken — unter gelegentlieh
auch bessernder Kritik — yor, sondern jg;ibt selbstimdig eine knappe Dar-
stellung neuer Theorien zur NaiurgeBehtehie de$ JSIpos.
In dem einen Hauptpunkt zwar könnte seme Polemik gegen die
herrschende Theorie übemüssig scheinen. Gibt es wirklidi nochTorscher,
die sich ein Epos durch blofse 'Summierune' von Einzelliedem entstanden
denken? Lachmann und auch noch Müllenhof f durften glauben,
nach Ausscheiden der 'Interpolationen' die 'editen lieder* unmittelbar zu
erhalten; so ein&ch aber steUen sich doch wohl audi ihre Nachfolger die
Sache nicht mehr vor.
Aber es ist vollkommen richtig dais der stilistische Unterschied,
der zwischen 'lied' und 'Epos' besteht, den deutschen Forschem keines-
we^ klar genug zum Bewulstsein kommt, und dals ihre Kritik dem Unter-
schied des Tempos (S. 22), der zwischen dem knappen Lied und dem
breiten Epos waltet, daher nicht gerecht wird. In der Herausarbeitung
dieses Unterschiedes liegt das erölste Verdienst von H.s Werkchen. Wenn
man sieht, wie Wilamowitz^ geniale neueste Geschichte der h^enlschen
Literatur diese eigentlich nur als StUffeschichte behanddt, oder wenn man
neuere (und auch ältere) französische Monographien zur literatürgeechidite
vergleicht,, erkennt nfan nicht ohne Beschämung, wie weit wir trotz Sohe-
rer und seinen ersten Schülern hier zurück^lieben sind.
Aus dieser stilgeschichtlichen Erkenntnis zieht H. nun aber weiter-
gehende Schlüsse. Er leugnet jene Zwischenstufe zwischen Lied und
Epos, die wir als zyklisches Lied oder Ketteneedicht zu bezeidlmen pflegen.
Er glaubt an einen plötzlichen, radikalen Umschwung der Darstellungs-
weise (vgl. bes. S. 82), der um das Skelett des fertigen Liedes die ^Mast-
kur der epischen Breite' (S. 51) wuchern liefs.
Hier nun kann ich ihm nicht foljgen. Das reine 'Ereignislied' der
Edda (vgL S. 13 f.) scheint mir allerdings durch die eddische Philologe
selbst (H. Z. 02, 402) verbürgt, und Jönssons Widerspruch (Oldnorthik
Lü, Ht$t. I, 117 f.) hat mich nicht überzeugt Das karikierende Selbst-
bekenntnis des Dichters aber, das H. (S. 27) als imentbehrliche Voraus-
setzung der 'Sammeltheorie' auffafst, kann man von einem Rhapsoden
vScbt verlangen, der, statt die Werbungsfahrt aus der 'ganzen Geschichte
26 •
404 BeturteilungeD und kurze Anzeigen.
Ton Siegfried, Kriemhild und Brnnhild' herauszugreifen, die uralte Tra-
dition einfadi fortsetzte, für die die £rzählunff yon Autharis Brautfahrt
zeugt. Die Eddalieder wie B^. und F&L scSieinen mir andi nur ala
QUeder einer Kette yerBtandiich. AllerdingB lehnt H. ihr 2ieugniB ab,
weil sie schwer zu beurteilen seien; sündigt er aber da nicht, wie nach
seinem eigenen treffenden Urteil sonst die Germanisten, die (S. 52) ihren
Reichtum nicht zu nützen wissen?
H.S Hauptargument fliegen Lieder ii vnoXi^a<o9 ist (8. 18), dais jedes
Einzellied bis zum Sdüuu sehe, den Ausgangspunkt der Fabel mit ent-
halte. Allerdings g^bt er selbst Ausnahmen s^u, die aber motiviert seien.
Zun&chst nun sehe idi gerade in der üblichen Bcacugnahme auf den Schlufs
den Beweis der vnokfj\pig : an diesem bekanntesten, festen Teil werden die
Ldeder verankert, so dals ihre Zusammengehörigkeit markiert war. Dann
aber ist die Art dieser Bezugnahme doch zu verschieden, um gerade auf
sie weitere Folgerungen zu bauen. Qft ist es nur ^abbrechender Ak-
kord, wie die Berichte vom späteren Schicksal des Helden in den älteren
englischen Romanen, so etwa in der ifroea von H. Hj. II ; ein andermal
jiur ein lyrisches Echo, wie in Vkv. Und darf man die Gtötterlieder von
ausgesprochisner Einzelhandlung wie Skhrn. ganz von den Heldenliedern
absondern?
Zur Stütze seiner Theorie gibt H. aulser kurzen -^ nur zu kurzen <—
Bespiediungen des Beowulf (8. 86), des Waitharius usw. ein englisches
und ein dänisches Analoeon (Robin Hood 8. ä<> f., Mask Stie 8. 41 f.).
Ober diese selbst habe ich kein Urteil; die Beweiskraft der Analogien- aber
schlage ich nicht allzu hoch an: nicht, weil ich mit Nöldere jedem
Volksepos eine völlig isolierte Entwickelung zuschreiben mödite, sondern
weil nach H^s eiiijener ijiffiissung hier schon die 'Lieder' in die Epoche
epischer Breite lallen. Übrigens sind H.s Vergleiche seiner Ergebnisse
mit den Voraussetzungen der Sammeltheorie (8. 40, 45) sehr lehrreich —
nur dais er eben auch hier diese Theorie mechanischer nimmt als wohl
ihre meisten Anhänger.
Da(s zwischen dien 'liedem' und den 'Epen', die beide H. vortifefflich
charakterisiert, eine Zwischenstufe bestand, in der die einfachen 'Ereignis-
Ueder* sich dem epischen Stil annäherten und gleichzeitig (wie die breiter
entwickelte Novelle oder das voller gestaltete Märchen überall) dem Zyltlus
zustrebten — dies scheint mir der Verf. nicht widerlegt zu haben, und
dies scheint mir nach wie vor schon durch die Edda allein ausreichend
bewiesen. Aber auch wenn hierin die ältere Theorie bestehen sollte, gibt
Heuslers Stükritik ihr ein gan^ neues Ansehen.
Berlin. Richard M. Meyer.
Ludwig Qeiger^ Goethes Leben und Wei^e» Einzeldruck aus:
'Goethes samtliche Werke. Vollständige Ausgabe in 44 Bänden. Mit
Einleitung von L. Geiger. Mit zwei Bildnissen, Faksimile und Re-
^terband'. Leipzig, Max Hesses Verlag.
'Keine Biographie im gewöhnlichen Sinne' hat sich der Verfasser zur
Aufgabe gesetzt, *keine blois eingehende Darstellung der Lebenserdgnisse
Goethes, sondern eine Einführung in das Verständnis seiner Werke und
seines Wesens.' Dem 'grofsen Publikum', für das die Arbeit ausschliels-
lieh bestimmt ist, nur eine intime Kenntnis seiner Liebschaften und Privat-
. Verhältnisse Übermittln, wie es so häuüg geschehe, heüse den Zweck ver-
fehlen. Viel wichtiger als diese Einzelheiten, woin sie gleich nicht Übw-
.«ingen werden dümen, sei die Belehrung über des Meisters Stellung zur
Politik und Religion ; über seine Bedeutung als Lyriker, Dramatiker und
i^iker; eine Darlegung setner Kunstl^ren, seiner Anschauungen von €}e-
scniehtlidiem oud Gmchichte; eine Übersicht seiner eigenen goadttcht-
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 4M
]ioIien!At1)eiten ; endlich noch eine Würdigung der Art, wie er feine Briefe
schrieb und seine Tagebücher redisierte.
Von alledem wird denn auch inirz und bündig, wie es der knapp au-
bemeesene Baum verlangte, in neun Abschnitten Buf 200 Seiten gehanddt:
▼ollst&ndig und gediegen und gemeinyeratindliGh genug, yielleicht aber
doch ein wenig allzu b'terarhistorisch, mit allzu heroisdiem Verzicht auf per-
sönliche Ansicht und persönliche Darstellung. Wir wollen das grobe
Publikum immer noch zu gründlich, zu fachwissenschaftlich 'bilden , und
erziehen ihm so, gegen unseren Willen, ein ▼erstandesmlisiges Verhalten
zur Kunst an, statt zu wecken, zu entwickeln, was an aufnehmenden
künstlerischen Fähigkeiten untätig und rerschüchtert in ihm liegt. Wo
es gilt, Liebe zur Kunst und wahres Verständnis in weiteren und weite-
sten Kreisen zu fördern, sollten wir uns, meine ich^ inniger und bewuTster
an JJfred lichtwark und die Beinen anschlieCien, sollten diesen eifrigen
und erfolgreichen Nachbarn die rechte Volkserziehung ablernen, die ja
nach Wesen und Art dieselbe sein muA auf allen Kunstprebieten.
Freiburg i. B. fi. Woerner.
Max Batty The treatmeDt of nature in German literature from
Günther to the appearanoe of Goethes Werther. (Dise. Chicago.)
'The treatment of nature' ist ein lieblingsgegenstand amerikanischer
literaturforschung geworden. Aber mag die Aäg^be uraprünfliich nur
deshalb so allgemein bezeichnet worden sein, weil ein geläufiges wort für
Natur gefü hl mangelte: Tatsache ist, dab man sie nun auch so allge-
mein behandelt unter Bammelworten wie: Himmelsencheinungen, Jahres-
zeiten, CKsbirge, Gewässer usw. wird eine Anzahl von Btellen aufgereiht,
in denen der Dichter irgendwie auf das in der Überschrift Angeffebene
Bezug nimmt, ohne dals Ton Tomherein und grundsätzlich unterachieden
würde zwischen dem, was er neu ans eigener Anschauung und Empfindung
schöpft, und dem, was er aus der Überlieferung wiedernolt Diesem sta-
tistisdi-topograj^hischen Verfahren soll sein Nutzen nicht aberkannt werden
— besonaera nicht nach der kulturgeschichtlichen Beite hin. AUein es
haftet, scheint mir, in bedauerlidier Weise solchen Versuchen der Cha-
rakter des Halbgetanen, der blofsen Vorarbeit an, wo sich doch — mit
einer weni^ äuiserlichen Behandlungsart ^ sogleich Befriedigenderes se-
winnen, ja in vielen Fällen Endffültiges und Abs<mlief8endes erreichen liefse.
Was ich hiennit über die Sf ethode zu bedenken gebe, bedeute kdnes-
weffs eine Herabwürdigung der vorliegenden, in ilu'en Bchranken sehr
tüchtigen Dissertation! Auf Grund ausgebreiteter und sorgfältiger Btudien
bietet sie mancherlei neue Beobachtungen, besonders in den Abschnitten
Lettns und Travels. Auch die Schlufsbetrachtung zeugt von anerkennen»-
werter Beheirschung des gesamten Gebietes.
Freiburg LB. . B> Woerner.
IL PetBch^ Vorträge über Goethes Taust*. Gehalten im Ferienkurs
für Lehrer 1902. (Würzburger Hochschulvorträge B. I.) Würzburg,
Ballhom u. Cramer Nachf., 1908. 198 8.
Der Verfasser ist der schwierigen Aufgabe, ein gemeinverständliches
Modell unserer Risten Dichtung aufzubauen, für den ersten Teil besser
als für den zweiten gerecht geworden. Hier begegnen nicht blofii selt-
same Hypothesen (Homunkulus von Mephisto erschaffen! 8. 142), die als
sichere Tatsachen, vorgetragen werden, und allzu feine Ausdeutungen (über
den -Famulus Wagner S. 189, vgl. aber S. 149; über das innere Licht
^. 190 u. ö.), sondern vor idlem ^t hier über zu ausführlicher Deutung
von Kleinigkeiten (Einzdinterpretation des Mummenschanzes u. dgL) die
406 BenrteilniigeD und kirne AnzeigeD.
tüi>Miditi]che Führung yerloren. Veneihlicli finden wir es frdllch, dali
P. hier Schwierigkeiten leichter Hand eliminiert; denn vielleicht haben
die, die die Frage der Wette nicht so einfach abzutan yermöffen, nicht
fdicke Ohren' (ST 1S^2), aondem eher zu feine. Die Erkl&rung aes ersten
Teilii ist dafte^en im allgemeinen recht glücklidL WoU b^;egnen auch
hier Gesuchtneiten (zum 'Gesetz' S. 62) und kleine Lapsus, wie dafs La-
vater der Jesuiten-Biecher sein soll (S. 102; ebenso z. B. zum zweiten Teil:
Qoethe habe zwischen Neptunisten und Vulkanisten eine Mittelstellung
eingenommen, S. 150), und anfechtbare Deutuneen, wie über den Zweck
der Ostemachtszene (8. 48); aber dafür ents<£&dig6n glückliche Zitate
und Verwendungen ('Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang^
S. dO;}überf die Historie 6. 46) und vor allem eine herzenswarme und
doch yerstfindig-klare AuBeinandersetzung.
Berlin. Richard M. Meyer.
N. Lenau^ Po^te lyriqae. Par L. Beynaad. Paris, Sod^t^ nou-
velle de Librairie et d^Edition, 1905. XVII, 461 S.
Das Ziel sdnes Buches formuli«t der Verfasser in der Vorrede so:
'Nous nous sommes propos^ ici, en substance, de soumettre Porganisation
morale et la production Ivrique du po^te ä une analyse aussi ezacte et
auBsi oompl^te que possible, pour eesayer de d^terminer les rapports pro-
fonds qui les unissent' Er glaubt aber seine Au^be noch wettet fassen
zu müssen. Aus der Analyse von Leben und Kunst dieses einen IHch*
ters, der ihm einen best^mten T3rpus zu vertreten scheint, soll etwas für
die Wertmaisstäbe der Ästhetik Überhaupt gewonnen werden (8. IX). Er
fflaubt hier eine Art SchulfaU zu habooi für das sdner Memune nach
höchster Künstiergrölse Verde^Uche einer Organisation, in der Sinnen-
und Gefühlsleben ein yölliges Übergewicht über die logischen Fähigkeiten
und den bewufsten Willen erlangt haben. Der mangdnden Kran, sich
durch eine selbständige feste Weltanschauung über das Chaos seiner Emp-
findungen und Impulse denkend zu erheben, der unsicheren inkonsequenten
Lebensführung müsse der Gtehalt der Kunst entsprechen, vor allem aber
auch Mängel der artistischen Form. 'Le po^te a succomb^ lä m6me oü
lliomme avait sucoomb^, car les lois de la production artistique ne sont
qu'un» transposition des lois de Fexistence reeUe. Le rythme des pens^
et des mots n'est en demi^re instance que l'ezpression du r3rthme des
actes.' IL gelangt ans dieser Grundanschauung heraus zu einer Ver-
werfung aller Epochen, in denen die stärksten KunsÜeistungen von Na-
turen ausgingen, denen es nicht gelane, ihr Leben zu harmonisieren, mit
ihrem inneren Reichtum als gute Hauuialter zu yerfahren. Die Romantik
ist ihm besonders antipathisch. Eine gewisse Warnung vor der Über-
schätzung der Romantik mag heute, wo man in aller Freude an ihrem
wiederentdeckten Reichtum geneigt ist, ihre Grenzen zu Übersehen,, viel-
leicht am Platze sein. Doch ILs Art der Ablehnung, ¥rie sie sich auf
8. XV und öfter offenbart, ist in ihrer Einseitigkdt kaum haltbar. Seine
Abneigung ge^n moderne, sich mit romantischer Art b^ührende Kunst
scheint mir semer Betrachtung Lenaus von vornherein eine gewisse Rich-
tung gesehen zu haben, weil er in Lenau einen seelischen Typus erkennt,
dessen Steigerung jene 'verderblichen' Erscheinungen zeitigen kann. Diese
pädagogischen Aosichten trüben vielleicht hier und da die Objektivität
der Betrachtung, obwohl ich ein Verdienst des Buches darin sehe, dafs
es die Grenzen von Lraaus Kirnst nicht aus dem Auge verliert.
Gegen ILs idlgemeine Anschauungen läfst siph gemis manches eiii>
wenden. Eine so bündige Beantwortung der alle Ästhetik beschäftigenden
Frage nach dem Grundverhältnis von Leben und Kunst lieTse sich meines
l>«chtens immer nur auf Grund eines sehr grolsen, sorgfiltig dureh-
Bearteiliixigen und kurze Anadgen. 407
gearfoeketiBn psychoIogischeD Materials geben. Eine Betrachtttiiff der yer*
BcihiiBdenartigBteD KünsÜerperaönlichkeiten miter dieflem GeBichtepmikt
müTBte vorauf genrngen sein. Und auch dann bedarf es in der Anwenduu
des etwa GMuudenen gröister Vorsicht: eine seelische Organisation, die
dem Dramatiker verhängnisvoll werden mufs, braucht es nidit för den
Lyriker zu sein. Das, was man kflnstlerische Intelhgenr. nennt, kann ein
Lyriker im hohen Malse besitzen, der nie mit seinem Denken Herr des
liibenfi wurde. Bei dem Gedankm über die Erscheinungen auf künstle^
xisöhem Gebiet, die der Willensschwäche im Leben entsprechen, wire
sch&rfer zu scheiden zwisdien den lebenshungriffen Impulsmenschen, die
alle Kraft im Leben verschwenden, denen keine Mulse zur künstlerischen
Konzentration bleibt, und den willensmatten Naturen, die, sdieu vor dem
Leben, die Kunstübung als einzige Lebensbetätigung leidenschaftlich um-
klammem und die von der Kunst allmählich verzehrt werden. Hier wird
der gröfsten Willensschwäche im Leben eine sehr sichere Beheürschung
der Kunstform parallel sehen. Gerade die österreichische Literatur lädt
zur Beobachtung dieses Typs ein. Gehört Lenau nicht dem zweiten Typus
an, audi nach K.s eigener Darstellung?
Der Künstler würde allerdings immer da unterliegen, wo der Mensch
unterliegt, wenn er nur das ausdrückte, was er ist, nicht aud^ was ihm
mangelt; wenn alle Kunst nur aus dem verwirklichten Sein, nicht auch
aus der Sehnsucht eines Menschen entstünde. Wie weit freilich einer sol^
eben Natur die reife, künstlerische Gestaltung dessen möglich ist, was
ihrem eigenen Sein widerspricht, das wird von der Selbsterziäiunff bedins^
sein. Ator vor allem von der auf Kultur der Sinnlichkeit und Phantasie
gerichteten: von der wohl erziehbaren Fähigkeit, sich ansdiauend in frem-
des heben zu versenken — eine Gabe, die dodi wohl nidit direkt von
intellektueller und moralischer Kultur abhän^. Ein bekanntes Beispiel ist
0. F. Meyer, der die Benaissance gestaltet. Aber wie gesagt: mit Einzel-
beobachtungen kommt man diesem Problem nicht sehr nahe, hier bedarf
es einer breiten, empirischen Grundlegung.
Durch solche Einwände ist noch nichts darüber ausgesact, wie weit
in diesem einen Fall die These zutrifft, wie weit das Problem Lenau durdi
E. erwhöpft wird. Er betrachtet im ersten Teil des Buches: 'Les souroes
de Poßuvre lyrique: l'homme' das Seelen wesen Lenaus, wie es sich in sei-
nem Verhältnis zur Natur oifenbart, wie es in der Art, die Ümstibide, die
Menschen, namentlich die Frauen, auf sich wirken zu lassen, in den ün-
regelmäfsig^eiten seines Lebens, in seinen Beziehungen zur Philosophie
und Literatur zuta^ tritt Im zweiten Teil: 'L'oeuvre lyrique' sucht er
die Spiegelungen dieses Seelenwesens in der Lyrik, strebt, das Walten der
gleidien Haupttendenzen, die das Leben beherrschen, nachzuweisen.
In der Cnarakteristik, die er am Ende der ersten Partie gibt, wieder«-
holt er zum Teil das, was Boustan in seiner trefflichen Lenaubiographie
zusammenfassend Kesagt hatte. Er betont die nervöse EmpfindbchKeit,
das Vorherrschen der 'sensibilit^'» das jähen Impulsen sdiorchende Tem-
perament, den Mangel an 'energie r^^chie'. Viel menr Bedeutung als
Boustan oder Castle müst er dem Einfluis literarischer Moden auf Lenaus
Leben und Kunst bei. Erwägenswert sind die Betrachtungen über das,
was 'üteratur* in Lmaus Leben war, aber B. überschätzt d(^ woÜ diese
Einflüsse; namentlidi spielt der Byronismus, dessen Wichtigkeit andere
Betraditer ganz zurückgedrängt hatten, eine zu grolse Bolle. Boustan
bewertete Lenaus philosophisches Denken höher als B. es tut 'La seas^
faiUtä mobile et inqui^te, qui constitue le caract^ro.de Lenau comme eile
est la source de sa po^sie, n'est au'une face de cet 6tre compLue. A oM
de rinstinctif et de rimpulsif suDstituent un intellectuel et un analystäi'
BJ siriit viel mehr den Man^ an Konsequenz, Tiefe, Selbständigkeit in
Benken. Man kann ihm den Denker Lenan preisgeben: am Ge^
106 Benrteünngeii und knne Anseigen.
daidmunhalt der epischen Dichtimg nicht lioch einsch&lasen, aber es ist
nicht zn Terkennen, daft es dem Dichter gdang, durch dieses immer wieder
h«|;onneDe Bingen nm die Welt&nechAuuDg seiner Lyrik lief^g zu geben.
Hier zeifft sich eine Willenskonzentration des Künstlers, die sogar Grill-
parzers herbe Verse anerkennen, nnd die H. mir nicht genug zu beachten
scheint Sehr wünschenswert wäre es gewesen, dafs die Phantasie Le-
nans eine zusammenhängende Dmtellung erfahren hätte. Ansätze dazu
finden sich Öfters in Hb Budi, a^er der Anteil der Fantasie an Leben
und Kunst Lenaus wird viel weniger beachtet als der der Gtofühlssphäie,
der nervi^sen Empfindlichkeit Castle und Walzel hatten darauf hin-
gewiesen, dais yiel von Lenaus Eigenart aus der Psychologie des Oster-
rdchers überhaupt zu erkl&en ist Die Verfolgnnff meser ^ur läfst sich
K entgehen. Femer: er führt die Eintdnie^dt ui der Grundstimmung,
die Lenaus Kunst trotz aller Farbiekeit zeigt, wesentlich auf die Grenzen
seiner intellektuellen und moralischen Per&nlichkeit zurück* Aber hier
wäre eben zu fra^n, ob nicht vielmehr dne zu enge Ausbildung der
anschauenden Fähigkeit daran schuld ist Ob Lenau nicht — was ihm
durch Denken nicht oder nur spät ^lang — Ton den einseitiffen Forde-
rungen seines Gefühls sich hätte bis zu einem gewissen Grade befreien
können, wenn er es vermocht hätte, sich anschauend auch in die Er-
scheinunffen zu yersenken, die ieinem Gefühl nicht sofort antworteten.
Der 'Kult seiner Melancholie' verhinderte das. Aber ob nicht Lenau,
ganz abgesehen von einer Erziehung des praktischen Willens, durch eine
nicht nur intensive, virtuose, sondern auc^ extensive Entwickelung seiner
anschauenden Fähigkeit, nidit mittels ethischer, sondern ästhetiacher Kul-
tur zu einer Befreiung von diesem Kult, zur Aufweitung seiner Kunst
gelangt wäre? Vielleicht hätte eine Untersuchung in dieser Bichtung,
namentlich eine Betrachtung der Anläufe, die Lenau zuweUen nimmt, eine
Lebensform darzustellen, die der seinen entgegengesetzt ist, die Fonnel
etwas erweitert, mit der B. ihn zu erklären su<ät
B.S These bedurfte vor allem stärkerer Stützen durch den Nachweis,
dais dem Mangel an Lebensbeherrschung ein Versagen des künstlerischen
Ordnungsgeistes in Lmaus Dichtung entspricht Dieser Nachweis ist
nicht Yoihg erbracht Freilich, die mangelnafte Komposition der Epen
ist unbestieitbar. Aber diese Enge der fiegabung beim Lyriker braucht
wahrlich nicht auf einer solchen Seelenbeechaffenheit zu beruhen. Uhland,
der klare, wissenschaftlich geschulte Geist, der feste, sein Leben beherr-
schende Mann, war ebenso unfähig, ein Drama oder Epos zu komponieren,
wie der Impuls- und Stimmunssmensch Lenau; er war eben nur Lyriker.
Was nun aas eigentlich lyrisdie Gedicht und das lyrisch -epische Stim-
mungsbild betrifit, so stehen neben den unvollkommen komponierten Ge-
dichten, die B. auf S. 432 anführt und deren Zahl man übrigens leicht
um dne Beihe milslungener Beflezionspoesien erweitem könnte, genügend
andere, die strengste künstlerische Besonnenheit im Gesamtaufbau wie im
einzelnen verraten.
Die Analyse von Lenaus Lyrik im zweiten Teil des Buches enthält
auiserordentlich vld Feines. Besonders anregend ist im Kapitel 'V^tä et
.po^e' dargestellt wie Erlebnis, Phantasie und literarische Tradition die
Stilisierung des Themas der Berta- Lieder beeinflulsten. Die Behandlung
des LeaiauAshen Naturgefühls führt in einigen Punkten weit über das hin-
aus, was etwa Geskys mit hilflosen Beiwörtern an Lenaus Kunst herum-
tastende Studie geben konnte. B.b^ü^ sich nicht, zu klassifizieren, er
erkennt die Probleme. Er gibt im Kapitel 'L'art de Lenau' eine beson-
ders dankenswerte Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Lenaus
theoretischen Ansichten über Naturlyrik und der £^twickelung sdner
dcenen Naturpoesie. Die Ausdrucksmittel von Lenaus Kunst werden
Iwifühlig gewertet Manches ist zu modifizieren, die Beobaditungen über
BeurteÜungeD und kurze Anzeigen. 409
das SÜfistische sind hier und da zu erweitern ; im ganzen liegen hier- ^le
grOfiiten Vorzüge des Buches.
Im einzelnen liefse sich noch manches bemerken. Ein Vergleich mit
anderen Dichtem des Meeres, der Heide, des Hochgebirges wfire vielleicht
der genaueren Entscheidung der Frage zugute gekommen, wie weit es nur
auf Loiaus eigenstes Temperament zurückzuführen ist, dafs ihn wesentlich
eine Natur in grofsartiger Trostlosigkeit oder in leidenschaftlichem' Auf-
ruhr künstlerisch erregt, wie weit die Landschaften, in denen er haupt-
slchlich lebt, auch auf andere Künstlernaturen so zu wirken pflegten. Zu
solchen psychologisdien Vergleichen konnte Batzels trefflicher Aüfisatz
(Beilage zur Aügemeinen Zeüung 1908» Nr. 218 bis 220) anre{^, der lU
leider entganiren ist. In dem Kapitel '8on temp^rament physiqne et mo-»
rale' befremdet zuweilen die gleichwertige Behandlung der Zeugnisse;
mehr noch die Art, wie die Neigung und FlUiigkeit, sich durch musi-
kalische Erlebnisse im tiefsten ersdiüttem zu lassen, mit Lenaus Sehwiche
für physische Beazmittel, wie Kaffee und Tabak, in engstem Zusammen'^
hang behandelt werden. R. hat das ungünstigste Urteil über Sojihie
Löwenthal und ihren Einfluß auf Lenau. Er gibt die vorsichtig ab-
wiijgende Behandlung dieses Verhältnisses auf, die Minor mit Becht {An-
xeiger /l d, Ä, 1892) anwendet, betont auch nicht genuff Lenaus Kamjif
mit seiner Leidenschaft Vor allem abet kann ich dem Urteil nicht bei-
stimmen, dafs Sophie ebenso unheilvoll auf Lenaus Kunst einwirkte, wie
sie zweifellos auf sein Leben gewirkt hat. Mag man Rs Urteil über 'Sa-
vonarola', über die 'Liebesklfinge' unterschreibä — man darf die ebenfalls
an Sophie geriphteten Sonette 'Stimmen' (s. Mayer, Zßiitekrift für öst&rr,
Oymniuien 1898) nicht vergessen, die einen Höhepunkt in Lenaus Kunst
darstellen. Ebensowenig <kn Anteil, den die tine Erschütterung durch
diese Leidenschaft an dem neuen, durch die Philosophie nur befreiten
DaseinsgjefÜhl der 'Waldlieder' hat. Nur auf Grund einer '^fseo. trm^
cischen flrfahrun^ war diese Auffassung des Lebens zu gewmnen. Nie
hatte er ohne seine liebe zu Sophie den ^Don Juan' schreiben können.
Auf den inneren Anteil dieser Leidenschaft an der Entstehung des 'Don
Juan' hat Castle besonders hingewiesen. Hier nbt Lenau mehr als ein?
zelne Erschütterungen, Vibrationen der Seele. Er vermag hier das,, was
IL bei ihm vermilst: seine persönlichen Leiden in einem groTsen Zusammen-
hang als etwas typisch Bedeutsames zu erfassen. Denn lucht Bio sel^
Don Juans Seele als die Gewalt und das Schrecknis der sinnlichen Debe
überhaupt ist der Held dieser in ihren besten Partien Ivrischen Dichtung.
Wenn schon Boustans Darstellung der österreichischen Literatur-
zustände den Vorwurf erfahren hat, zu sehr grau in ^u zu malen, warn
anderseits Walzel einen Hauptvorzug von Castles Biographie darin sieht,
dais er in dem Elingangskapitel 'schürf umschreibt, weiche Fülle von An-
regungen literarischer und künstlerischer Art sich am Anfange des neun-
zehnten Jahrhunderts in Wien und in Österreich zusammenündet, Aii-
regun^, die der folgenden Blütezeit zur Begründung dienen', ao werden
die Seiten, die B. den Wiener Literaturverhaltnissen widmet, kaum der
Kritik der Spezialkenner entgehen. Man vermifst übrigens an dieser Stelle
im Literaturverzeichnis Minors Aufsatz ^Zur BitUographit und Qudleti^
kimde der österr. Lü^-Oeaek.': Zntsi^rift für österr. Gymnasien 188().
Die Art, wie Lenau philosonhischen Einflüssen unierliegt, betrachtet
£. eingehend und mit Sorgfalt. Der Gedanke, dafs audi der philosophische
Gehalt des 'Cain' für die Entwickelung der Weltansdutuung in BeträcbX
komme (S. 212), ist zu beachten. Nicht tief genug sdieint mir R zu
Sraben bn der Behandlung des Problems, wie gerade Hegels System, das
och den Bausch der logischen Fähigkeit darstellt, von Lenau, dem Im-
puls- und Stimmungsmenschen, den bisher alle intellektualistiBchen Philo-
sophien auf die- Daner abgesto&en hatten, «o. assimiliert werden' konnte,
410 Benrteilongen und kune Anzdgen.
ja, wie 68 ihm, als er sdiOD der Zerstörung zndlte, no^ eiiie Nächblfite
sdner Kunst schenkte. Das Zurflckdrfingen der 'freien Dichtungen' Le-
nans bei' der Analyse seiner Lyrik hat d<^ manche Bedenken. Es steckt
so Tiel Lyrik in diesen episch und dramatisch yerkleideten Dichtungen;
namentlicn ffir die lyrische Sprachknnst bieten sie sehr yiel. Ferner hätte
zn dem yon B. -ausführlich behandelten Thema 'V^rit6 et po^sie' doch
schliefslich auch die freie Umbildung des dem Dichter yorliegenden Stoffes
gehdrt, wenn auch das Resultat nur Material zur yergleichenden Ergänzung
der fvi^ das Verhalten des Lyrikers gefundenen f^ebnisse sein konnte.
Die Studien von Bolte, Proecht Castle haben hier yorgearbeitet Im Ka-
]piUl 'Par la Natnre ä Tabsola' bieten die ersten Seiten der Kritik man-
dien Angriffspunkt Die Definition, die R. hier yom Impressionismus
gibt, ist unzureichend. Schon der technischen Behandlung wegen scheint
es mir übrigens unmöglich, die hier angefCIhrten GMichte Lenaus im«
Sressionistiscm zu nennen. Auch ist es nicht richtig, den 'Postillon' unter
ie Oedidite zu rechnen, die Eindrücke flüchtig erhaschen, ohne da(s eine
Üefere Gefühlsauffassung die Wiedergabe der Eindrücke beseele. Er gibt
ein Urthema- Lenaus: cGe gehdmnisyolle Nähe yon Tod und Leben in
Natur und Menschendasein mit ^egisch gefühlyoUer Betonung. Die
Wechselbeziehung zwischen Natur und Seele durchklin^ das Gediät, nur
leiser, diskreter als anderwärts.' Dafs Lenau in dem Brief an Emiüe Rein-
beek yom 8. Juni 1832 technische Versuche des modernen lyrischen lin*
pressionismus Üieoretisdi yorausnimmt, hatte sdion R. M. Meyer bemerkt
{Du deuUekB LUereOur des 19. JK, 1900, S. 8 6). Es bleibt ein Verdienst
R.S, sich an dem Problem 'Lenau und der Impressionismus' yersucht zu
haben.
Zusammenfassend möchte ich sagen, dafs dieses Buch zwar infolge
einer gewissen Einseitigkeit des Kunstoeschmacks und zu scharfer An<-
spannung mancher an sich richtiger Gedanken Leuaus Wesen nicht er-
schöpft, da(s es aber doch in selff yielen Punkten, namentlich für des
Künstter Lenau äufschlulsreich ist, Vorzüge und Grenzen seiner Art
scharf umschreibt und, wenn auch oft zum Widerspruch, so doch jeden-
falls zum Nachdenken über die Lenauprobleme anregt
' Berlin. Helene Herrmann. .
Tb. Fontanes Briefe an seine Familie. XII, 816, 842 S. Berlin,
F. Fontane u. Co., 1905.
> Diese Auswahl aus den zahllosen FamiÜenbriefen des eifrigsten Brief -
Schreibers unter unseren neueren Sdiriftstdlem und des am mdsten lit»-
noischen unter unseren Briefschreibem ist yon den Verwandten mit an-
erkennenswertem Absehen yon posönlichen und famüienhaften Rücksichtetn
yeranstaitet Für das Verständnis Fontanes ist sie daher unschätzbar,
aber .auch für seine gesamte 'Umwelt' ; man könnte das Buch ruhig nach
dem Muster des Fontanischen über Scherenberg 'Theodor Fontane
und das literarische Berlin yon 1852—1898' benennen. Und
wenn seine Bücher zuweilen wie eine blofse Sammlung yon Briefen und
Gesprächen wirken, mutet umgekehrt diese Sammlung wie ein Boman an.
Mit der entschadenden Reise nach England beginnt sie, und dn geist-
reicher Zufall l&fet den Brief, den Fontane am Morgen seines l^es-
tages schrieb, mit den Worten beginnen: 'Dies sind nun also die letzten
Zälenl'
. Literarisch also sind die beiden Bände noch bedeutsamer als literar-
historisch: überquellend yon Witz und Weisheit, feiner Beobachtung und
tiefsinnig Verallgemeinerung. Etwas Roman steckt in jedem Briefe
F. stilisiert immer, und yor allem sind seine bitteren Klagen über Wdt
und Leben ein wemg im Sinne der Gtoethischen Verse zu nehmen: '
BenrteiltiiigeD und kürze AnceigeD. 411
Zart Oedlehti wie BegeDbogeD,
Wird Dor auf dunklem (}^mid gMogen ;
Dainm behagt dem Dichtergenie
Das Element der Melancholie.
Wir' wollen übrie^oB den Ernst seiner jahrzehntelangen Verstimmuiiff
nicht leugnen : bot doch die onffUubliche Verkennnng seiner Bedeu.tüng
Grund genug dazu, wfihrend er aulaere Bedrfingnia leichter und zuweilen
faMt IddbtBinnur trug« FQr die litenurischen Zustande in jenem halben Jahr*
hundert sind diese Klagen auch nur zu bezeichnend; zient man von seinen
Betrachtungen über Verleger, Publikum, Cliquen die stilistisdie Stdge^
rung und die persönliche Ye^;rOlserung ab, so bleibt genug übrig — um
unsere Zeit zu rechtfertigen!
Mit jenen beiden Eautelen sind auch die Uterarischen Urteile aulzu«-
nehmen, um derentwillen wir ein Namenverzeichnis besonders lebhaft yer^
missen. Besonders wichtig ist der Wechsel der Stimmungen über W» Scotl^
höchst charakteristisch die Stellung zu ^ola. Über P. H^se W\i mäncl^
bezeichnendes Wort; an Spielhagen und Hopfen müst F. sich, selbstj-rr
und sieht sich von anderen, an Brachyogel |;eme8senl Freudige Zust^-
mung zu einem yergessenen Buch von Farisius beweist, wie eng F. mii
dem Altberliner Boman überhaupt zusammenhängt
Erstaunlich ist die Sicherheit seiner Selbstkritik, besonders Auch über
seine Cledichte. Aber über sein fi;anzes Wesen findet man ürtdle von un^
beirrbarster Sachlichkeit; wir geben die Stellen nidit an, damit .das ganz^
Buch um so dfrigrer gpelesen werde. Dann werden den Leser aucE die
Überraschendsten historischen Momentbilder belohnen!
Berlin. Richard M. Meyer.
The nation^s need« Chapters ob education. Edited by Spenser Wit
kiDSOD. Westminster, Archibald Constable A Co^ Ltd. !^11 S. &f.
Der Herausgeber dieser Sammlung von Aufsätzen verschiedener Ver-
fasser zum Thema der öffentiichen Erzi^ung hat sich sonst auf einem
anderen Gebiete bew^^ das offenbar auch das ihm selbst vertraute ist:
er behandelte in einer Reihe von zum Teil umfangreichen Büchern die
Fragen der englischen Landesvertmdigung, die i^formbedflrfnisse der
Armee und Verwandtes. Auch hier betrifft sein eigener, die ganze Samm-
lung abschlieisender Beitnu^ die allgemeine und die berufstedinische Aus-
bildung der Offiziere des Laudheeres und darauf die der Marineoffiziere.
Aber er sucht die wahren nationalen Bedürfnisse nun in größerer Tiefe
und lllst zu diesem Zweck aUerlei Stimmen laut werden Über die ein-
zelnen Gebiete des Erziehnngswesens und das, was zurzeit innerhalb dem-
selben fehlt und was anzustreben wäre.. Die so gewonnenen, dem ein-
leitenden Aufsatz folgenden Abschnitte sind überschrieben: The Eäementa^
School, by F. S. Marwin; Local and Central Government, their Relation
in Education, bvGraham WaUas; Primary Education of Girls, by Gäthife-
rine J. Dodd; Hy^ene and Household Economics, by Alice RkvenhilF;
Higher Education m f^ance and Germany, by J. J« Findlay; The Secon^
daiy Day School, by J. J. Findlay; TheJ)ubiic Schools by J. CTarver;
The Teaching of modern Langunres, by K. Breul; Hiaher Education, by
H. J. Maokinder; The Natioirft Servants, by Spenser Wilkinson.
Natürlich enthalten die Aufsätze nicht wenl^ Interessantes für ikichV
englische Pädagogen, die hier zum Teil den Widerklang von wohlvevr
trauten Fryasa und Problemen finden, aber ebenso auch für jeden, d^
englisches Geistes- und Kulturleben kennen lernen will, und deshalb ist
des Budiee in. gegenwärtiger Zeitschrüt zu gedenken. Dafs ein Abschnitt
deka Lehren und Xeraen det neueren Spiüibchen ^;ewidinet ist, dürfte wohl
412 fiearteüungen imd: kune Anztigah.
auch mitsprecheD, zumal derselbe (rute OedanTten ebtbfilt; doch braucht
gerade aui dieses besondere Thema hier nicht eingeitangea zu werden, da
es unter uns so fiberreiehllch -erörtert' worden ist Nur eins sei aus dem
Aufsatz unseres Landsmannes Breul henrorg^oben, nSmlich die den Enj;-
ländem jetzt durchaus nidit rieichgültige Frage, ob der. Üntecri^^t m
lebenden Fremdsprachen für die Zukunft englischen Lehrern anzuvertrauen
sei oder Auslfindem. Zunfichst wird geantwortet: den BestbefiUiigten,
gleichviel von welcher Nation, dann aber zugestanden, dals den ünteiiicht
, I den Händen von wohlausgebildeten Engländern zu sehen doch das
natürliche Frommß der Zulninft büde.
Aus den fiprigen Abschnitten sei es gestatt^, etwas ungesondert eine
Anzahl Punkte herauszuheben, die unsere Auftnerksamkeit zu verdienen
scheinen. Dazu gehört die rückhaltlos an mehreren Stellen ausgesprochene
Klage über lan|^auemde und nodi nicht überwundene Bückstibdigkeit
des englischen Elementarschulunterridits. Es fehle hier durchaus an
grö&e^en Gesichtspunkten, an einer. bestimmten Theorie des Lehrplans, an
gemütbüdenden Elementen. Qut formuliert ist jedenfalls die Gegenüberr
Stellung von formal und tüal ieaehing und das urteil: /brma/ ieaekmg
duÜ8 fming and deadena intereat; vüal teaMng arouaes iniereaif atwokms
aympathy and framts th$ heart. Auf die planlose und unzulängliche Unter-,
nchtsorganisation wird, wie bekanntlich gegenwärtig in England vielfach,
so auch hier die Schuld für ean gewisses Zurückbleiben Englands im
intematienalen Wettbewerb geschoben. Spottend ?nrd der *narrow ideah'
gedacht, von denen man sidi beherrscht zeige, spottend z. R auch des
unverhaitnismälsigen Enthusiasmus, mit dem man seinerzeit so inferiore
methodische Erfindungen wie die von Bell und lAncaster begrfilst habe.
Natürlich schwdft der Blick der Verfasser unseres Buches zwischen-
durch immer ¥rieder hinüber nach Deutschland, nach den Vereinigten
StisateD und auch nach Frankrttch, nicht blois in denjenigen Beiträgeo\
die ausdrücklich depi Schulwesen dieser LAnder gewidmet sind. Dabei
tritt denn der bekannte (in England besonders häufig zu beobachtende)
Zug hervor, dais man, um die Landsleute aufzurütteln, die Verhältnisse
"des Auslandes im schönsten Lichte sieht und in das schönste Lacht setzt,
während eine objektive Beurteilung keinerlei solchen Wertkontraat ergeben
würde und in dttn anderen Lancß gleichzeitig Schmerzen genug gnfühlt
werden. • Richtig ist übrigens, dafs die ernste Pflege des ünterridits- und
Bildungswesens in Deutschland eingesetzt hat mit der Zeit nationaler E«r-
aiedrigung und materieller Kümmerlichkeit, und da(s es England immer
zu gut ge(;angen ist, als dais es sich in ähnlicher Weise hätte auf sidi
Sbst besmnen müssen. Ziemlich richtig mag auch sein, was von der
Verlegenheit französischer Lehrer an höheren Schulen Übisr englische in
Beziehung auf Bildung und Können angedeutet wird, wenigstens wenn
man an die Kunst schöner zusammenhängender Bede und feinsinniger
Analyse denkt Und nicht unrichtig ist die Q^enüberstellung des eng-
lischen SchulzÖglings und des deutschen, wo es vom ersteren heilst: The
Ehglüh hoydoea not lave hooka or lessona nor do hü parenia aet him ^e
ejoamph. The Engliah boy and young man ia the ouUoma cf d naHon m
«oftf eireumataneaa —^ he doean't wany! Hia parenta do not mind muoh
if he haa ah eaay time in hia boyhood — *lä kirn run wüd whüa he ia
young* Auch das kann man nach eigener Beobachtung unterschreiben:
ichen once the young Engliahman takea io hia Jife'a buaineaä eon amore, he
diaplaya a freahneaa and vigour whieh ia aeldom uiineaaed in the pioäding
young Oerman, Nur daüs dabei, wie fast immer bei solchen Geleg^heitrar,
die Zahmheit und der subalterne Gehorsam und die unentwegt willige
Büffelei des deutschen Gymnasiasten denn doch sdbr übertrieben wira.
Aber man mufs sich ebtfi immer irgendwie Idafür ^schadlos halten, wenn
man dem Ausland das Zugeständnis eines Vorzugs gemacht hat! und
BeorteilUngeD und kurze Anseigeii. 41B
im .Graüdb ist dagegen nicht einmal vfel einzuwendtai. 'Qveaz mit B^t
wird deur atich; an einer anderen Steile der Wert des Ideals, und' zvar
des verwirkUohten I^deals . gerahmt, daii in B^giiff und . Erscheinung des
(fffntieman ala Produkt englischer .£r£iehun|; yorliega:'. Aber sehr weise
•wird hinzugeffigty wie dieses Bildungsergebnur dodi an sich und fülr die
Zukunft keineswegs genflgeJ
Im. ganzen wSd wieder und- wieder als ein englischer Nationalmancd
die viel zu geringe Bchfitznng der: Bildung als solcho*, der fehlende» 'Glaube
an Bildung^, oder an ihren Wert beklag, wozu es denn z. B. auch gn^ört
und paTst, dais der zu geistigem Arbeiten sich nicht bequemende Knabe
und JunRÜng von der ^milie durchaus in Ruhe gelassen wird. Es wüd
iaber auch, auf dio.viel grölsere Zahl der wirklich gebildeten und dabei
einfach lebenden Familien ^ in. Deutschland miteiner gewissen Beschämung
hinflbergeblickt, wenigstens wird das lUrteil des trenüchen M. E. Badler
darüber mit Beifall zitiert; und diese Anerkennung dürfen wir uns getrost
gefallen lasset: msn.yergleichenur. in. einem deutschen und in einem eng-
Eschen Theater einerseits die Zahl der elegant Gekleideten und anderseits
die der in gebildeter Weise Teilnehmenden 1 Duds die yielf^erühmte. Frei-
heit des englischen ^^ zum Arbeiten oder Nichtaibeiten vielfach auch in
«ine Gleichgültigkeit der Manner gegenüber idealen ^ Interessen auslaufe^
dieses hier anzutreffende Urteil wird man noch nicht leicht gehört hid^eu';
ihm bdzustinutten oder es zu bezweifeln ist nidit unsere Sache; Ebenso
mag die hier wiederholt auftauchende Klage über einen starken Rückgang
wectvoUen Familienletois für uns zwar von Interesse sein, darf uns aber
nicht zu rasch zum Übernehmen und zu etwaigem Nachsprechen ver-
anlassen. .' . , •
Und auch an den votaehmeil Mittelschuleä, i^*^ l>erühmten und den
kaum berühmten püblie ^hooUy . wird ziemlich schwere Kritik unter mehr
als einem Gesichtspunkt eeübt, dabei auch Klagen geauisert, die mit den
'tarad^ auch bd uns Verbreiteten Anschauungen von dem. Leben- dieser
Schulen sar nicht . zusammenstimmen. Dais ihre^ -Kostspieligkeit und
namentlich auch die Kostspieligkeit der vorbereitenden Abteilungen ipr^
paratory aekoohy in welche diel^naben mit zehn Jahren eintreten) als ein
nationaler. Übelstand betrachtet wird, kann, zwar nicht sehr überraschen,
aber es wird auch über unnötig Entfernung und Entfremdung tom Fa-
milienleben gekli^p;t, und anderseits wiederum wird bedauert, dafs die Asffst
der zärtlichen Mütter vor dem bsuüying durch die Mitschüler und vor der
sonstig Rauheit des Schuilebens auf dessen Gestaltung gegenwärtig ver-
weichlichend einwirke. Man rühmte sonst immer das GegenteiL .
Und so sind es auch auf anderen Ctebieten VerhältniBse, die wir
Deutschen sonst als uns eigentümlich betrachteten^ und die hier aus-
drücklich auch für das England der Gegenwart festgreeteUt und aagefoditen
werden. So eine philologiBche Kleinmeisterei bäm muttersprachlichen
Unterricht, so eine verspätete Differenzierung der Studien in den höheren
Schulen (während fik den jungen Menschen von sechzehn Jahren auf-
wärts das Bedürfnis einer gewissen Wahl aüerkannt und berücksichtigt
werden mülste), so femer ein zu geringes Interesse der meisten Lehrer
für die Fragen der. Hygiene, weiter die za groise Ermüdung der Lehrer,
die mehr freie Zeit zu eif;enen Studien übrigbehalten mülsten, und end-
lich, auch die nidit wirklich ausreichenden BBsoldunsen.
Wie sehr die englitehen Universitäten sidi von aen deutschen uater-
scheiden, weüs jedermann; dais sie in wichtigen Punkten sich auch sehr
günstig von Omen untei^scheiden, leugnet wahrscheinlich nur der Un-
wissende. Aber wie auch für die Universitätsstudiex) die Zielsetzung, doch
ins Schwanken, gekommen ist oder vielmehr- ein Kampf um dieselbe im
Lande sich abspielt, kommt in unserem Buche zu deutlicher Darstellung.
Aa iäe .Hamen Kewman und Huxley knüpft, sich die Vorstellung der
414 , BcnrteilungQii und kurze Anseigen.
MgeQüb«Biteiiehden PrinzipieiL Ntch dem enteron soll wesentlichee Ziel
UBt DhWereit&tueil die Ohankterbildung bleiben, nach dem letzteren die
BelSJiigang f flr wieaenschaltliche Arbeit (iks power of wUmmg new knotP'
iadbM). DfSk die Verbindung beider Ziele das WünBchenswerteBte sei, Ter-
fltent'sidk iur den Verfaaaer von selbst und ebensowohl für Tentfndige
Leser — nur dafis, wenn man von Verbindung oder Vermitteinnff ent-
Mgenstehender Aufgaben spricht, die MJajorit&t alsbald über Halbheit,
Unklailieit oder gar Charakterschw&che m schreien pflegt
Im Vermitteln zwischen den U^ensatsen mQssen übrigens gegen-
:wirtig, wie es scheint, alle englischen JächriftsteUer über das nationue Et-
siefaungswesen sich versuchen, wenn sie die Frage berühren, ob lüeht eine
iaentrale Autorität auch in England sich unentMhrlicfa erweise. Becht su
;^ahen wagt es bu jetzt niemand, um nicht den individualistischen Nei-
gungen seiner Landsleute vor den Kopl zu stofsen und darüber selbst
.niedeigetrampelt zu werden. Zentralisation, bestimmende Vollmacht für
-Begierungsbenürden — das sind dort im Lande höchst anstößige Begriffe;
Abu* man seufzt doch und leidet unter der Zerfiüirenheit, Willkür oder
Ziellosigkeit auf diesem Gebiete, wie neben so manchem anderen auch das
fsgenwärtige Buch wieder beweist. Ja, wenn wir doch alles gute £n^-
fijKh» und alles gute Deutsche mit einander vemfihlen könnten und in
idiesem Sinne 'das Böse überwinden durch das Gutel' Aber dergleichen
ikum nur Qedanke der Denkenden sein, es wird niemals der Wule und
«lie Leistung der Gesamtheit werden.
< Berlin. W. Münoh.
The makiog of EnglisL Bj Henr^ Bradlev; Hon. M. A. Oxon., Hon.
' Ph. 0. Heidelberg, sometime President of the Philological Society.
London, Macmillan and Co., 1904. VIII, 245 S. 4 s. 6 d.
Schon lange nicht ist mir ein Buch in die Hfinde gekommen, das ich
wit sodchem Vergnügen gelesen habe wie dieBCB. Es sucht die Gmndzflge
der englischen Spraehentwickiung fflr die weiteren Kleine der Gebildeten
darzustellen. Vom Altenglischen ausgehend, von dessen Sprachbau Brad-
lej durdi Verweise auf das Neuhochdeutsche eine ungefähre Vorstellung
gibt, führt er den Verfall der alten Flexionssjsteme, das Aufkommen
Bepier Hilfsmittel zum Ausdruck grammatischer Beziehunsen, die Verfinde-
rungen des Wortschatzes durch Entlehnung und Neubildung, die Arten
<les BedeutunsBwandels und schlieislioh im Anhang einige 'makers of
English' dem Leser vor. Das sind fast alles Gegenstande, die sc^on viri-
lach behandelt worden sind, auch für weitere Kreise. Der besondere Beiz,
der dieser Darstellung ei^en ist, rührt einmal daher, dals Bradlenr aus
«rundlichster Sachkenntnis schöpft, sorgfältig und verständnisvoll aus
•dem groü^en StofiE das Treffendste und Anschaulichste auszuwählen weüs
und alles, was er sagt» anziehend zu sagen versteht. Er ist nicht blois
ein bedeutender Gelehrter, sondern auch ein vorzügli^er Stilist, dessen
klare, ebenmäCsige und dabei belebte Darstellung auch dem scnon Be-
kannten, ja oft Gesaeten ein neues» gefälliges Kleid verleiht Femer aber
will Bradley nicht blois über Tatsachen berichten, nicht blois die Ver-
änderungen der Sprache und deren Ursachen darl«;en, sondern auch ab-
schätzen, wie weit diese Veränderuneen der englischen Sprache als Werk-
zeug des Gedanken- und Gtofühlsausaruckes zum Vorteil <Kler zum Schaden
gereicht haben (S. 14). Dabei nun tritt ein feines Empfinden für sprach-
lidie WirkunjB|en sutage und eine Objektivität, die sehr wohltuend von
'^ier vielfach üblichen, einseitigen Verherrlichung des Englischen absticht
Dies zeigt sich gleich bei Besprechung eines der cluirakteristischsten
Züge der englischen Sprachentwicklung, der Beseitigung der Flexions-
endungen» Bradley sieht darin mttürUoh niehty wie die ältere ^rach-
Beurteilungen und kurze Anseigen. 415
lonchiing TO kin geneigt war, einen Verfäll der Spräche' tlberhsupt, uoit-
dem weui9 die Vorteile des aniüvtkcfaen Spradibaues sehr woU zu wür-
digen. £r ^^Attt dafür einige glückliche Wendungen, die Terdienen, be-
sonders anffefimrt zu werden. Die Grammatik des Keuenglischen, aaet
er S. n, 'does not, as it does in purely inflezional Janguages, obtrude
itsetf on the attention where it is not wanted'. Die Sprache habe den
eigenartigen Vorteil einer 'noiseless grammatical machinery' (eh.). - Aber
auf der ande(;,en Seite übersieht er nicht- die Kachteile dieser Ektwicklung
und macht AuXserungen, die ein Auslftnder nicht wagen dürfte, ohne
von den meisten Engländern echaife Zurückweisung zu erfahren, die
allerdings auch eine so intime Sprachkenntnis voraussetzen, dals sie nur
im Munde eines Engländers als yollwertig erscheinen, dürften. Bradley
-gesteht, da& der englisch Schreibende oft oesondere Sorgfalt daxauf Tor^
wenden mufs, um nicht in Zweideutigkeiten zu /verfallen, weil vielfadi
Nomen undVerbum und bei diesem wieder der Infinitiv und die meisten
Präsensformen äufserlich nicht geschieden sind. Häufig müsse der. Un-
Seübte einen Satz, der seinen Gedanken genau wiedergibt, ändern, um
ieser Gefahr zu entgehen. Diese wachse bei der Verwendung von In^
Versionen, die, geechkskt verwendet, die £[raft und Schönheit des Aus-
druckes so sehr steigem: dann könne leicht Subjekt und - Objekt ver-
wechselt werden. Besonders bemerkenswert ist aber das Gtostänonis, dals
auch für die Engländer vieles in ihrer Poesie beim ersten Lesen dunkel
iat^ weil die Dichter durch den Bau ihrer Sprache gezwungen waren, ent-
weder auf Durchsichtigkeit oder auf Nachdruck und Schönheit zu ver-
achten. Viele derartige Stellen würden aber vollkommen deutUoh, weäli
man sie wörtlich ins Lateinisdie oder Deutsche Ü^bersetze (S. 75). Solche
freimütige Äuüsernngen sind au sich erfreulieh und wissenschaitlich von
hohem Wert, weil sie eine Charakteristik des tatsächlichen Spradizustandes
enthalten. Sie zeigen ganz schlagend, dals Jespersen, obwohl von einem
sehr riditigen GrundgSiäBken ausgeheild, in seiner Verherrlichung des
ftnaly tischen Sprachbaues doch etwas zu weit gegangen ist (^Progress in
Language', London 1894).
Audi den ungeheuren Wortschatz xies Englischen weils Bradley jruhig
und unbehingen zu würdigen. Er hebt seinen Umfang gebührend hervor,
«her er behält dabei im Auge, dals nicht ein Viertel der Wörter, die in
den Wörterbüchern stehen, der grofsen Masse gebildeter Leser wirklleh
geläufig smd ('reallj famitiar*, S. 105).
Dafs alles, was Bradley sa^, wissenschaftlich gut fundiert ist, ver-,
steht sich von selbst Nur einigen allgemetnen Ausführungen muls ich
die lebhaftesten Zweifel entgegensetzen. Wir finden hier die seit Grimm
öfter ausgesprochene Ansicht wieder, dals die rasche Vereinfachung der
ursprünglidien Flexion mit der in England eingetretenen Bassenmisdnmg
• Busammenhänge: Bradley will :in ihr wenigstens eine Ursache sehen und
bildet freilidi diese L^e etwas feiner aus (S. 25 ff.). Er wdst darauf
hin, dals für den praktischen Sprachgebrauch im Alltaffsleben vielfach die
Wortstämme genügen, wie etwa Ennänder in Deutschland leben und g^t
durchkommen, ohne sich viel um die Endungen ..der Adjektiv- und Süb-
stantivflexion und des Artikels zu kümmern. Ähnlich ungefähr hätten
sich die Stämme, welche in England nach den Angelsachsen eindrangen,
namenüich die Dänen, den Einheimischen gegenüber veshalten; diese hätten
zunächst im Gespräch mit ihnen den Gebrauch jener Endrm^,: die den
Fremdlingen schwer fielen, vermieden, und schhelslich sei dieser Brauch
verallgemeinert worden. An einen solchen Vorgang vermag ich nicht zu
glauben, solange nicht* aus der G^egenwart sichere Parallelen beigeblacht
werden. In Österreich gibt es viele Gegenden, wo Deutsche und^ Slawen
nebendnander wohneti und letztere das Deutsch nur radebrechen: von
einem Einfiufs dieser Bedeweise auf die Formenlehre dec> betreffenden
416 Beurteiluog;«! und kurze AnzeigeD.
dvtttschen Dialekte ist aber nichtB bekannt. Auch an dae Pidgin-Engiiadi
^arf man nicht etwa denken: bei ihm handelt es sich um liuitliohe Ver-
änderungen und Wiedergabe einer fremden inneren Sprachlorm durch eng-
liachee Wortmaterial, kerne Vereinfachung der Formenlehre in dem Sinne,
wie hie sich im 11. und 12. Jahrhundert vollzieht. Eher scheinen sich ja
bei Rassenmiflchung lautliche Tendenzen zu übertragen und eine neue
Fftrbunff der Lautgebung herrorzurufen, wie man abämals beim Zusam-
mentrenen Ton Deutschen und Slawen beobachten kann.
Dazu kommt nodi eine Erwägung. Es ist eine bekannte Tatsache,
dais die Kinder von Eingewanderten immer der ortsüblichen Sprechweiae
zustreben, keinesweffs der ihrer Eltern, und sich jene in der Kegel yoU-
kommen andgnen» In Wien leben viele zugewanderte Tschechen, die mit
der deutschen Formenlehre und Sjntax auf dem gespanntesten Fulse
atehen; ihre Kinder dage§^ sprechen, wenn sie nicht etwa künstlich von
der Berührung mit Eimietmiscnen femgehalten werden, den rdnsten Wie-
ner Dialekt. Auch die in England seborenen Nachkommen der eingewan-
derten Dänen werden, sobald sie üb Kinder überhaupt Englisch lernten,
sich dieselbe Sprechweiae wie die einheimischen Kinder angeeunet und
keineswegs ihre radebrechenden Eitern nachseahmt haben. Allerdings
tagen die Verhältnisse in Elngland insofern an&rs, ds die Dänen vielfadi
die herrschenden Kreise bildeten und manche Aneelsachsen, wie uns aus-
drücklich bezeugt ist, sie in Sitten und Qebräucnen nachahmten. Dies
mag sich sehr wohl auf die Sprechweise ausgedehnt liaben, so daCs rä-
celne An^^achsen in der Tat das Badebrechen der Dänoi übernahmen.
iQb aber ihre Anzahl und ihre Bedeutung grofs ffenus war, um die Masse
der Einheimischen in ihror Sprechweise dauema zu beeinflussen, scheint
-mir doch sehr zweifelhaft und wenn Bradley darauf hinweist, daXs gerade
in den von Dänen besiedelten Gebieten die Formenabschleif ung am rasche-
sten sich vollzieht, so ist zu erwidern, dals schon vor der Zeit der Dänen-
niederlassungen die anglischen Dialekte eine stärkere Auflösung der alten
Formensysteme aufweisen als das Westsächsische und Kentische und da-
durch die mittelenglischen Verhältnisse hinreichend erklärt sind.
Auf der anderen Seite ist auch zu erwäg^i, dals das Niederdeutsche,
speziell das Friensche, in bezug auf Formenabschldfung dem Englischen
sehr nahe kommt, während die Träger dieser Dialekte am allerwenigsten
Bassenmiachung durchgemacht haben. Wir haben also gar keinen AnlaCs,
diesen Erklärnngsgrund fürs Englische heranzuziehen. Schlielislich sei
noch auf die diese Frage berührenden Darlegungen Hempls * und Jesper-
sens' verwiesen, welche ebenfalls nicht zugunsten Bradleys sprechen.
Wi6 zwei Spracheu aufeinander wiricen, denkt er sidi ferner aber
auch das Verhältnis zwischen zwei verschiedenen Dialekten derselben
Sprache, die in der Flexion nicht übereinstimmen. Im Verkehr mit einem
Vertreter des anderen Dialektes sei beim Sprechendai ein gewisses Zögern,
eine Unsicherheit bezüglich der Endungen entstanden, und das habe zu
undeutlicher Aussprache und schlieTsBch zum völügen Abfall geführt
(S 28). Hier gelten dieselben Einwände wie früher in noch höherem
Malse. Ein sofoher Voigang setzt übrigens eine OberlM;ung oder doch
eine Feinfühligkeit und Bücksichtnahme auf selten des Sprechenden vor-
aus, die nur einzelnen eigen, und die im Verkehr mit Landsleuten am
seltensten sein wird. Wieder möchte man Beispiele aus der Gegenwart
sehen: ich daube, es werden sich keine finden.
Von Emzelheiten sei erwähnt, dafs Bradley öfter die 'leichtere' Aus-
sprache als Erklärungsffrund für das Siegen oder Beharren gewisser For-
men heranzieht (S. 51 n.). Leicht ist aber dem Sprechenden immer das
' TrantacHont ofthe Ameriean FhOologieal Ataociation XXIX (1898) 81 ff.
* JEngU SUuUm XXXV (1905) 12 ff.
Benrteilungen und kurze Anzeigeo. 417
Gewolinte, schwer das Uuffewolmte (Sievers, I^um,'^ § 726). Dagegen wird
in den von Bradley angeführten Fällen die Kürze das Ausschlaggebende
Siwesen sein. Vermilst habe ich einiee Worte über das Aufkonunen der
ativumschreibnng mit to, nachdem die Gtonetivbildung mit of behandelt
worden ist (8. 59). Bei der Besprechung des attributiven Gebrauches des
Substantivs hatte der 'level stress' mit Nutzen herangezogen werden kön-
nen (8. 64). Ahim (8. 81) gdiört, wenigstens nach dem Material des
NJED» und unserer anderen Behelfe, nicht zu den Lehnwörtern, die die
Angelsachsen schon vom Kontinent mitbrachten. Hat etwa Bradley noch
nicht bekannte Belegje für das Gejgenteil?
Das Buch ist sicherlich geeignet, al^emein Gebildete für die Ge-
schichte des Englisdien zu interessieren. Aber audi der Fachmann wird
daraus mancher^ Anregung schöpfen, insbesondere aber der Studierende
eine vorzügliche Übersicht über die Grundtatsachen der englischen Sprach-
entwicklung und viele ihrer Probleme gewinnen. Für uns Nichteneländer
werden namentlich auch die vielen feinsinnigen Bemerkungen im Kapitel
über Bedeutungswandel förderlich sein. Fernes Sprach^Sühl und um-
fassende Sprachkenntnis äufsert sich femer in den BemeAungen über die
Lieistungen der einzelnen Autoren für die Sprachentwicklung (S. 215 ff.)
oder auch in denjenigen üb^ ihr Verhalten gegenüber Kompositionen
(8. 126 fL). Wir können uns freuen, ein so ausgezdchnetes Büchlein zu
besitzen.
Graz. K. Luiok»
Moritz Trautmana, Das Beowulflied, als Anhang das Finn- Bruch-
^ück und die Waldhere- Bruchstücke, bearbeiteter Text und deutsche
Übersetzung (Bonner Beitrage zur Anglistik, Heft XVI). Bonn 1904.
Diese Beowulfausgabe verdankt ihre Entstehung der Überzeu^unff des
Verfassers (Vorw. 8. V), da(s 'die Handschrift von groben Schreibfehlern
wimmelt und sich schon dadurch als unzuverlässig erweist. Doch,' heifst
es weiter, 'auch an sehr vielen Stellen, an denen die Fehler nicht sofort
in die Augen springen, ist der Text ohne Zweifel verderbt Der Beowulf
ist ein klassisches Werk, ein Gipfel der Kunst seiner Art; daher sind wir,
wo wir auf schiefen Ausdruck, Unklarheit des Gedankens, Widersprüche,
stilwidrige Wendungen, unbeleebare Satzfügungen stolsen, berechtigt und
▼erpflichtet, fehlerhäte Überlieferung zu vermuten und auf Besserung zu
denken.'
Man kann über die Prämisse dieser Thesen yerschiedener Ansicht sein,
'Gipfel der Kunst seiner Art' ist auf alle Fälle ein vergleichender
Ausdruck. Und wo sind die verglichenen Objekte? — 'Ein klassisches
Werk?' Soll das heUJsen: ein in sich vollendetes Werk? Dann dürfen
wir das Wort auf den kompositionell so schwachen Beowulf ^wils nicht
anwenden. Aber dem sei, wie ihm wolle. 'Widersprüche, stilwidrige Wen-
dungen' etc. dürfen wir gemis verbessern. Es müssen nur Widersprüche
und stilwidrig Wendungen sein. Denn dafür gilt das Wort ten Brinks:
'£s kommt nicht darauf an, auf die bequemste Art und Weise einen les-
baren Text herzustellen, sondern vor allem darauf, der Überlieferung einen
Sinn abzugewinnen und in den Prozeüs ihrer Entstehung eiozudringen.'
Dais Trautmann das nicht für nötiff hält, darüber hat Sieyers, Beür, '^29,
8. 307 ff., schon ein Urteil gefällt, aas der Sache nach wohl nirgends auf
Widerspruch stolsen wird. Dafür bietet nun auch diese neue Ausgabe
Beispiele über Beispiele. Warum 'hiefse es den Dichter beleidigen, wenn
man annehmen woUte, dals so törichte Einschiebsel wie eeg w<b9 iren von
ihm selber herrührten'? Strotzt nicht z. B. auch das Nibelungenlied von
Parenthesen, wo man es aufschlägt, wie V. 621, 782» 1437, 1501, 1508,
1625, 1878, von denen manche nicht geistreicher sind als die obige? Von
AidiiT U flu Spnehen. GXV. 27
418 Bearteflungeii und kune Anzagen.
anderen mhd. Gedichten gar nicht zu reden, wie E5nig Bother (vergL
J. Wiegand) Stüütisehe Unterstushungm xum Bßmg Bother, Marburg 1904,
8. 4 ff.). Zu welch areer Mi&handlung des Textes Trantmanns Ver*
nichtungskampf gegen die Parenthesen fOhrt^ dafür gewährt V. 1509 {ke
paa* modig teaa) ein gutes Beispiel. Hier wird verändert in: Swa ke
ne mihie no, hs, pcem munle weesy 'er, dem Verlangen war*. Eine
solche Eonstraktion, Wiederaufnahme des Subjekts durdi das Pronomen
zwecks Anhängung eines Belatiysatzes, ist für den Beowulf gsnz unerhört
Cvgl meme 'Saixverknüpfung im Beowulf' § 24—28), und idi zweifle, ob
Tniutmann in den noch versprochenen Erläuterungen dazu wird Parallelen
beibringen können. Ebenso geht es mit der Ersetzung einzelner Worte
durch andere. Warum wird v. 275 dad^uUa durch dead-aoctda ersetzt?
Wir haben dced-bäa, dad-bana, dcadseua, und das Wort gibt vortrefflichen
Sinn. Warum ist V. 276 purh egsa/n verbessert in afsiut Man könnte
auf den Qedanken kommen, Trautmann übersähe, dafs ^wrh auch zum
Ausdruck der 'aecompanving eircumstanees of an action* (Boeworth-Toller
S. 1078) dient, wie Seefahrer 88 u. Ö. Oder warum wird wcspmim ge-
umrdad :i31 in bewadaä umgeändert? Exod. 580 gab ja die schönste Pa-
rallele an die Hand ! Warum wird das Wort dol-aeeaäün V. 479 entfernt ?
Ist es etwa nicht fi;enügend belegt? (vergl. B.-T. 206, 2i)7). Ebenso li^
anf der Welt kein Grand vor, simdoT'-nytte V. 667 zu entfernen, wir habäi
ja entsprechendes sundor-geeundy sundar-gifu, aundar^umndor. V. 711 wird
uns von Orendel gesagt: goaes yrre hcsr. Das ist ohne weiteres v^tänd-
lieh und wäre es auch, wenn wir die Parallelen Genes. 695 und Phon. 408
ji{cht hätten. Denn Grendel wird immer unter dem Bilde des Teufeis
angeschaut, weswegen auch Trautmann V. 101 on hdU nicht in on heaUe
zu verändern braucht, godes ondsaea heifst er V. 1682. Also 11^ nicht
die leiseste Veranlassung vor, godes yrre in gud-^grre zu ändern. Das-
selbe gilt von deofla 756 (Tr. deop). Wozu wird V. 828 furdum in
fttrdur verändert, wenn es V. 2009 stehen bleibt? Y^ auch ein ge<
leg^itliches Ic furdum ongan — I firet began im Guolac. Warum on-
brced ßa V. 728 in onbreäde verändert wird, ist nicht einzusehen, vgl.
V. 1664. Aber es ist eine undankbare Arbeit, alle diese Fälle aufzufüh-
ren. Auffallend sind auch gelegentlich die Inkonsequenzen des Heraus-
gebers. V. 126U wird hinter Ofmdles modor statt se ße die Form seo ße
eingesetzt, aber V. 1892 und 1394 steht sanz munter wieder he. ün-
bej^^iflich ist auch die Nichtachtung der übrigen Beowulf-Literatur durch
den Herausgeber. Dalis zu V. 31 Eocks Auffassung (Anglia 27, S. 222) nicht
angegeben, liegt wohl an dem ungefähr gleichzeitigen Erscheinen.* Aber
man xann nicht mehr gut V. 68 £ einsehen, wenn man Pogatschers Auf-
satz, Anglia 23, 261 ff., gelesen hat. Wie man noch an dem ponne V. 70
Anstols nehmen kann, wenn man die Beispiele in Ck>sijns Äai/Ue^ceningen
für diesen Gebrauch gesehen hat, begreife ich ebensowenig. Ist Traut-
mann femer die Bedeutuuff von ba = 'weil' unseläuflg, dals er 201 pa
in be ändert? Nach Necxels 'altgermanischen Kelativsätzen' wird man
auch V. 1000 kaum mehr für be das Wort ßa einsetzen und das pcer
y. 286 nicht mit 'wo er* wiedergeben. Nach dem eben angeführten Aunatz
von Poeatscher wird man audi gut tun, 1291 pa kine wiederherzustellen
und nioit be {hine) lesen. Das, was Trautmann selbst BBxA. II, S. 169
über pcU V. 22 bemerkt hatte und was von Eock in den Englieh Rd,
I^an,, Land 1897, in einen grölseren Zusammenhang eingestellt war —
^ Ptun MS Ar pat erklärt sich aas irrtamlicher Vorwegnähme des folgenden wt,
* Das von mir {*SaiMMrbHäp/umg' § STA Anm. 1) geltend gemachte metrische
Bedenken sei hiermit ala ein Versehen beim eiligen BinBetaen der Korrektnmote
berichtigt
Benrteilungen und kurze Anzeigen 419
T^L auch 'Satxverhnilpfimg' S. 182 — hat er nun mittlerweile glücklich
wieder umgestofBen. v. 649 odde in ond pa zu verwandeln , hdOst der Be-
deutung Yon oääe, wie sie Bugse feetgeetelit Jiat, einfach nicht ^recht
werden (yergl. *Sai%verknüpfw^ § 48). Die Änderung von pcer m bcet
Y. 852 rechnet nicht damit, dau pcer auch = 'als' sein kann. (Ebenoort
S. 55.) V. 1247 ist Trautmann wohl die Bedeutung von oft = <u a rtde
nicht gegenwärtig (yel. Kock a. a. O., schon Heyne-Sodn zu oft V. 1248
und 188S). Ebenso das yon Oosijn erschlossene 'denn' fflr ae V. 1576.
Die Änderung in *Moa' ist hier gänzlich unnötig. V. 617 yerändert Traut-
mann hliäne m blidsan, aber ausgelassenes trMon finden wir häufig (vgL
V. 2661, 1858, 1785, 2363). ^ Das sind nur ganz wenige von den vielen
Fällen. Im ganzen kann man sagen, dais die neueren Emendationen bei
Trautmann ganz unberücksichtigt geblieben sind. Schlimmer schon sind
nun die Fälle, in denen die 'Besserung* Fehler enthält Wenn in para
pe das bara V. 98 gestrichen wird, so ist das ein Verstols gegen den
Beowul^brauch, in dem auf gehwjle immer para pe folgt (vj^. *Safy[^
verknüpftmg* § 27, einmal swa). Durch die Besserung V. 62 wird ein ein-
gegUederter o^-Satz herausgebracht. Eingegliederte od-patSeitze kommen
sonst im Beowulf nicht vor, einfache o^- Sätze gleichfalls nicht (S.-V.
§ 7). Das broe statt bot V. 281 ist wohl in bröe zu ändern. Ich be-
zweifle auch die Möglichkeit des Ersatzes der alten Grundtwigschen
Fassung: for were — fyhtum pu ,., Beowulf . . . tme eohteai durch das
Trautmannsche : Fbr gewyrhtum . . ., gewyrht ist ein spMSzifisch christliches
Wort, mit dem auch fast immer der B^riff des Präteritalen verknüpft ist,
e» wird fast stets von den (guten) 'Werken' gebraucht Sicher ist die
Änderung hleodor V. 497 für hador falsch. Trautmann übersetzt: 'Ein
S|>ielmann sang zuweilen ein Lied in Heorot'. Aber hleodor heifst nicht
'Lied'. In Trautmanns eigenen BBx^A, IV gibt Padelford dafür: melody,
tnusie, tone {voiee, eound, noüe). Auf sonüus weisen auch die germanischen
Verwandten des Wortes. Am nächsten kommt Wukiä 105 der Bedeu-
tung 'Lied', aber die anderen Fälle zeigen auch hier die eigentliche Bedeu-
tung ganz klar. Dem gegenüber ist hador ganz ohne £}inwand (v^l. Elene
748 u. ö.). ah 587 kommt sonst im Beowulf nicht vor. Für die Wort-
stellung <B/ier gum-eynnum gyfheo gyt lyfaä V. 944 würde Trautmann gut-
tun, eini^ Parallelen beizubringen. Der Vorschlag *ond statt aoV V. 1448
erledigt sich durch das S.-V. S. 92, Z. 8 v. u. bemerkte. V. 1587 ist statt
eaade Riegers Änderung feaxe aufgenommen. Aber jemanden an den Haaren
achwin^n, dafs er zu Boden fäflt? Da eignet sich doch wohl die Achsel
zum Ringen besser. — Manchmal schläft freilich auch der gute Homer,
aber die Sentooz V. 2029 Deah seldan war mfter leod-hryre 'ein Friede-
vertrag taugt selten nach Menschenfall' ist doch wohl zu albern, als dafe
wir sie dem Beowulf zutrauen könnten. Qibt es auch in iener Zeit einen
Friedensvertrag ohne 'Menschenfall'? Zu dem Vorschlag eeo pebone
gotnelan V. 2421 ist zu bemerken, dafs im Beowulf niemals eine Form
von se ^ mit einer Form von se unmittelbar zusammentritt, diese Wort-
folge vielmehr offenbar eemieden wird (einmal tritt eepe und pea zu-
sammen in V. 2252, ßarc^ pis lif ofgeaf). Ich glaube, den Euphuismus
feoht'leas gefeoht 'kampfloser Kampf trauen wir dem Angelsachsen besser
nicht zu, V. 2441. Die Besserung V. x777 biü after geetread wird schon
durch die Erzählung selbst als unrichtig dargetan. V. 2800 ist nuna
eine sonst dem Beowulf unbekannte Form. Zu dem Vorschlag ^nu statt
ae^ V. 2850 ist zu beachten, dafs nu im Beowulf noch ausscnliefslich
in der Bede erschdnt im direkten Bezug auf die Gegenwart (vgl. S.-V.
§ 2). Warum die Lesart ymb toean apreean V. 8172 (statt ymb wer apre*-
ean) nidit richtig sein kann, dafür hoffe ich die Gründe in einem in Vor-
bereitung befindlichen Aufsatz über das angelsächsische Totenklaeelied
daizutim. Ebendort hoffe ich das ^ridend »wefad' von V. 2457 zu erklären,
27»
420 BeurteUüngen und kurze Ansdgon.
für das Trantmann rtdmd/& swefeä dnsetzt. Bei V. 2215 ist freilich der
Text arg zerstört, aber darin Btimmen doch alle Berichte über die Ha.
überein, dala man noch ein d sehen kann (yerffl. Heyne-Sodn,^ 8. 107).
Trantmanns E^endation der Stdle kümmert 8i(»i nicht darum.
Mit der Aufführung dieser Tatsachen, die nur ein kleiner Bruchtdl,
vielleicht kaum ein Zehntel der Fälle sind, die angeführt werden könnten,
mnls ich befürchten, von Trautmann in die IClasse derer eingereiht zu
werden, die 'mit gänzlicher, textkritischer Unfruchtbarkeit geschlagen'
sind, wobei ich midi denn wenigstens in «inz guter Gesellschaft befinde.
Auch der Hinweis auf önige von mir in der *SoUx/tferkn4ipfung' versuchte
Besserunesvorschläge würde mir da wohl wenig helfen. Nun ist es ja
aber freiuch nicht zu leugnen, daft im Beowulf eine ganze ßdhe Stellen
anders zu lesen oder zu ü^rsetzen sind. Das wM unhalo bei 8ocin V. 120
ist z. B. offenbar falsch mit *Dämon des Verderbens' als Subjekt des
folgenden Satzes gefalst Aber für Trautmanns Fassung: Wiht onhale
scheint mir noch weniger zu sprechen (= der unheimliche Wicht). Wthi
wird Überhaupt von Qrendel nie gebraucht. Man hat offenbar das Gkmze
als Variation zu sorge zu ziehen, = irgendein Unheil'. So Uest,
wie ich nachtri^lich sehe, schon Bosworth- Toller 1118 und gibt eine
giille Beispiele rar wiht mit Genit Der nach Sievers 'allein möglichen
bersetzung' von hü myne 169 scheint mir doch die von Bosworth-
Toller: hü purpase vorzuziehen. Kaum diskutabel dünkt mich aber
V. 518 wehtan statt ßehtan. Das letztere ist anschaulicher, das erstere
scheint mir dem ags. Sprachgebrauch zu widersprechen, der weeean =
aaüare, movere nur gebraucht, wo das Bild wirklich am Platze ist, von
Regenschauer, Sturm, Wind usw. Trautmanns Auffassimg von V. 668
eoton Ufeard abad ist vielleicht die einfachste Losung der Schwierigkeit.
Seine Besserung des vielbesprochenen here^^üoemun 677 in here-WiBpnum
ist dagegen nur möglich, wenn wir 'nicht schwächer' als sehr kühne
Litotes = 'stärker* auffassen. Die Wiederherstellung der alten Greinschen
Fassung ecyn-aoada V. 707 findet auch Edward Schröders Beifall (vgl.
Z. f, d, Ä, 43, 361 ff.). Durchaus diskutabel erscheint mir auch Traut-
manns Auffassung von aoäe gebunden V. 871, vor das er einen Punkt
setzt. Die bisherige Auffassung davon: 'in guten alliterierenden Versen'
(S, 144 bei Heyne -Socin) ist etwas fantastisch. V. 723 hätte bemerkt
werden müssen, dais die £rgänzunjB; schon von Zupitza herrührt. Die
Änderung icigtim Seyldinga statt trtnum Scyldinga V. 1418 ist wohl eine
wirkliche Verbesserung (vgl. die anderen Fälle von wine mit Gen. PL).
V. 2252 bin ic^ mit der Sodnschen Auffassung, die auf den himmlischen
Saaliubel gdit, auch nicht einverstanden. Aber ^nutmann ändert zu
radixal geaawon in (ge)»eega um. Ob wir an eine Übernahme des nega-
tiven Begriffes aus dem vorhergehenden Satz zu denken haben? Feh-
lende NMration im Beowulf ist öfters auffällig, so V. 649. V. 2336
heilst: J»m bae guä-wmng, Wedera ptoden^ tcrace leomode^ Trautmann
setzt dafür leanode: 'lohnte mit Strafe'. Er knfipft dabei aq, die Be-
deutung von lean = Vergeltung an. Aber mir kommt diese Änderung
unnötig vor. Freilich, die bisherige Auffassung: 'der Eampfkönig ersann
sich dafür Rache' (Socin S. 220) erscheint mir gleichfalls unrichtig. Die
Sache liegt vielmehr so : die Begriffe 'lernen' und 'lehren' unterliegen seit
alter Zeit einer Verwechselung, die durch die enge Verwandtschaft beider
hervoi^rufen wird. Das Dänische, Schwedische. HoUändische, Nieder-
deutsche kennen ja überhaupt nur 'lehren' für beide B^riffe. Für die
deutsche Sprache wird die Verwechselung 'lernen' für 'lebten' als 'schon
seit alters' bestehend angegeben (OrimmeStea W'drterb, Sp. 768). Und wenn
leomian in der Bedeutung Ho teaeh* erst me. auftaucht, wie im Oureor
Mundi 19028, Orm. 19613, so ist das nur ein neuer interessanter Beweis
dafür, wie wenig eigentlich volkstümliches Sprachgut aus ae. Zeit uns
BeurteUungQQ und kurze Anzeigen. 421
überliefert ist. An dieser Stelle, Beowulf 2386, aber haben wir ee offenbar
mit kamian = 'lehren' zn tun. 'Er lehrte ihn Bache', wie ne. yul^ Ho
harn hkn a le99on\ nhd. in bösem Sinne: 'jemand etwas beibnnf[en'.
Anderseits ist Sodns 'ersann sich daffir Bache' mit l&ofniian = iODOogüare
völlig ohne Parallelen. Ebenso natürlich Greins Auffassung von Mm = m.
leomian im gewöhnlichen Sinne heiTst nur 'to leam, to study, to retÜP,
Mit Trautmann bin ich femer der Meinung, daCs wir in V. 2667 bat naron
eaMrgeunfrkt ursprünglich eine andere Fassung anzunehmen haoen. eaiA-
amcyrkt kommt sonst einmal von Adams Taten vor (Er. 100), es peAt
hier schwerlich. Vielleicht haben wir an der Stelle ein ursprünglich heid-
nische Begriffe widerspi^elndes Wort eald'Wyrda anzunenmen (fata =
wfrdeJui&t es in den Qlbssen).
Ober die deutsche Übersetzung Trautmanns läfst sich nicht viel Bflh-
'Hall
'ungesündigtes Verbrechen', 'des Eampfffirsten Handarbeit',
alles das ist cein Deutsch. Das after symte V. 1008 gibt Trautmann
durch: 'nach der Lust' wieder. Audi Socin fafst es merkwürdigerweise
so auf (S. 266). Es ist aber offenbar sowohl aynUe als afler Adverbium,
und die Stelle heilst: 'beständig nachher' wie aymble eoe Ps. 110, 2 und
a synUe Hy. 4, 114. 2077 lag heiist nicht lag', sondern 'fiel'. Sind Apfel-
schimmel 'apfelgelb'? (V. 2165). Noch vieles derart lielse sic^ anführen.
Und schlieTslich könnte man die Frage erörtern, ob eine Übersetzung
neben dem Text zweckdienlich ist Für den Angelsächsisch lernenden und
lesenden Studenten doch wohl sicher nicht. Denn lernen kann man eine
tote Sprache nur durch Nachschlaffen der Worte im Lexikon. Die neben-
stehende Übersetzung wird immer dazu verleiten, ein solches Nachschlaffen
zu unterlassen. Ahet auch all der anderen angeführten Mänffd halber
ist diese Beowulfausgabe für den Gebrauch des Studenten m. jS. wenig
zu empfehlen.
Göttingen. Levin Ludwig Schücking.
Levin Lndwig Sohücking, Beowulf s Bückkehr, eine kritische Studie
(Studien zur englischen Philologie, herausgeg. von Lorenz Morsbaoh,
XXI). Halle, ^emeyer, 1905. 74 S.
Schücking packt das vielumstrittene Problem der Beowulf-Entstehung
an einem Zipfel, der in der Mitte herausguckt: an der Doppelerzählunff
des Grendelxampfes. Die zweite Fassung, wie sie Beowulf selbst nach
der Heimkehr dem König Hyselac vorträgt, ist ihm 'laoffweiliff' und von
vornherein verdächtig als ein siSüechter Kitt, mit dem die Grendelgeschichte
und die Drachengeschichte von einem dritten aneinandergesetzt wurden
(S. 11). Sie sei 'erstaunlich', besonders weil sie erst von einer Handtasche
des Grendel berichtet, um überwältigte Männer hineinzustecken, wägend
der Dichter selbst in der ersten fitssung davon nichts verriet Über-
haupt sei eine Ausmalung von Beowulfs Heimkehr unerwartet, weil seine
Heimat früher nur flüchtig berührt wurde; 'namentlich knüpft nichts an
ein vorher gegebenes Momept an; die einzige auf ein Geschehnis vor der
Abreise Beowulfs gdiende Aulserung, die des Hygelac, dafs er dem Beo-
wulf stets abgeraten habe, verträgt sich . . . soffar mit dem vorher{;ehen-
den schlecht (V. 204)'. Auf Grund dieser Linalts- und Eompositions-
Verhältnisse schied Schücking V. 1888—2200, d. h. alles, was zwischen
dem Abschied Beowulfs von Hrothgar und dem Anfange der Drachen-
geschichte lio^, aus und suchte dann nach syntaktischen, metrischen,
stilistisdien i^gimtümlichkeiten dieser Partie, um sie als 'späteren Zusatz^
zu erweisen, wobei er mit rfihmlichem Fleiüs und nicht ohne Vorsicht zu
428 BearteilimgQQ und kurze Anzeigen.
Werke ging. Dann aber wagte er noch dnige kfihne Schritte, unter
Hinweis darauf, dab die Formel niääan arest = 'sobald ab' nnr in
B(eowulfB) B(i]ckkehr) und in der Einleitung V. 6 erscheint, schliebt er
auf Beziehungen zwischen den beiden Partien, und, da sie beide 'kompo-
sitionell höchst bedenklich' seien, auf gleiche Verfasserschaft (8. 72). Da
femer in BB zwei Ausnahmen im Tempus- und Modussebrauch (g^en die
oonsecutio temporum 1928 und die Vorachrift des Opt. nach cer 2019)
vorkommen und in einem historischen Exkurs der Dracnengeschichte 2496
eine dritte (gegen die consec. temp.), so wird auch letzt^es Stück dem
oben erschlossenen Nachdichter zugewiesen, zumal es einen der seltenen
Fälle von 'ßa an zweiter Stelle des Satzes' mit BR teilt (S. 78). Einige
andere historische Abweichungen gehen mit in den Handel. Es wird also
für die unprüufflich separaten Epen von Beowulf-Grendel und Beowulf-
Drache ein E^nleiter, Verbinder und Interpolator aufgestellt, ohne An-
spruch auf vollstfindige Heraussch&lung seines Anteils.
Zu dieser nicht wesentlich neuen, aber neuartig formulierten Hypo-
these ist Schücking offenbar gelangt, wdl er anläfshch seiner Studie über
die Satzverknüpfunff in Beowulf, Halle 1904, mancherlei üngleichmSTsig-
keit im Gebrauch der Konjunktionen bemerkt hatte. Die Sprachbeobach-
tnng ging voran; sie lieferte bisher ungebrauchte Argumente; mit ihr hat
daher auch die Kritik einzusetzen.
Was Schücking als Spradiabsonderlichkdten in BR bezeichnet, zer-
fällt in zwei Klassen: in 'Waisen', d. h. ganz vereinzelt auftretende For-
meln und Fügungen, und in Häufigkeitsstufen. Bei den Waisen kann
der Zufall eine grolse Rolle spielen; Schücking gibt dies selbst zu imd
belegt es durch interessante Zusammenstellungen (S. 55); ich möchte daher
auf dies Ejiterium nicht zu viel geben, besonders solanee die ae. Svntaz
der erschöpfenden Durchforschung und Sichtung no^ sehr entbehrt.
Schücking, der sie gewüs gut kennt, stöfst sich z. B. an ein paar Ver-
letzungen der consec. temp., obwohl es deren auch sonst in ae. Autoren
manche dbt; ein Fall ist aus dem poetischen Guthlac bekannt {fusmg
was . . . }{98 geom, bai he bibugan möge 837, vgL M. Furkert, 1889, S. 14) ;
ein anderer aus den Blickling-Homilien (L. Kellner, Engl sunt,, 1892, S. 231),
mehrere ans Alfred (htm sealdeai gemht hutstes . . . beah hi his de ne dan-
den, Wülfing I^ 150 u. ö.). Er verzeichnet es als eine 'Verletzung der
für das Got. Ahd. Mhd. As. geltenden Regel', dab unterordnendes esr ein-
mal mit Indikativ erscheint, und doch belegt es Wülfing II* 116 f. aus
Sachsenchronik, Wulfstan und mehrfach aus Alfred. Wir haben es da
wohl eher mit stilistischen Nuancen als mit s^taktischen Abnormitäten
zu tun. Schückinff selbst wollte sicherlich semem im allgemeinen recht
gewandten Nachdicnter nicht geradezu Sprachschnitzer vorwerfen. — um
femer seine Behandlung der Häufigkeitsstufen bei gewöhnlichen Wörtern
nachzuprüfen, gehe ich auf das ein, was er S. 57 f. über ond als Eänfüh-
rungskonjunktion für ein neues Subjekt sagt. Nach seiner 'Satzverk.
im B.' S. 82 erscheint solches ond nur an folgenden Stellen: 280, 393,
690, 808, 924?, 1090, 1108, 1154, 1193, 1194, 1287, 1564, 1591, 1850, 1868,
2066, 2100, 2105, 2139, 2208, 2388, 2449, Dab vier von diesen Stellen
in BB fallen, findet Schücking sehr hoch. Obige Liste zei^ aber, dafs
sie überhaupt gern gruppenweise auftreten. Gleicnes ergibt sich aus einem
Verzeichnis derselben ond-Fälle im Andreas: 283 (346 gleiches Subjekt
wiederholt), 371, 399, 896 (1187 Subj. wiederh.), 1193, 1208, 1224, 1280
(1414 Subj. wiederh.), 1635, 1644, 1719, Die kursiv gedruckten Zahlen be-
ziehen sich auf Reden; in erregter Rede oder Be^hreibung oder beim
Übergang von Erzählung zu dirdcter Rede steht solches ond am liebsten;
ich möchte es daher als ein ßtilmittel ansehen, das an lebhafterer Stim-
QLune hängt, nicht als ein Autorenkriterium, das an einer Person haftet.
AhnSches gilt von der Häufigkeit der Gegensatzpartikein ; Schücking'
BeuTteHiiogeD und Inirae Anzeigen. 428
findet sie wieder in BB beachtenswert (8. 5S); die £rUfinmff traf er selbst:
der grölste Teil von BB ist Bede, nnd wenn der Held selbet seine Aben-
teuer Torträet, ist der Stil natürlich wfirmer, als wenn sie blols der Epiker
erzählt. — Anderes ScheidungBmaterial sprachlicher nnd auch metrischer
Art hat bereits Schfickine nachgeprüft und als schwach dargetan; es be-
hält Wert, obwohl in anderer, stiiffeschichtlicher Bichtuns.
Die sachlichen Argumente Schückings gründen minder tief. Ob es
Zuhörern des 7. — 8. Jahrhunderts wirklich langwdlig wurde, den Qrendel-
kämpf zweimal zu hören, namentlich wenn neue Züge bei der zweiten
Fassung hinzukamen, kann man bezweifeln ; die Versuchungen des hL Guth-
lac wiederholen sich kaum weniger, und in der afrz. Epik ist bekanntlich
die Wiederholungsstrophe ein beliebter Schmuck. Dals wir auf die Hd-
mat des Helden von BK fast nicht yorbereitet seien, möchte ich angesichts
der mannigfachen Erwähnungen Hygelacs im Grendelteil nicht unter-
schreiben; mehr darüber zu sagen, bevor sie zum Schauplatz wurde, hätte
kaum der altepischen Kompositions weise entsprochen. Die Abgrenzung
von BB, wie sie Schücking vornimmt (1880 — 2200), ist bedenklich, insofern
schon vorher der Besuch bei Hygelac ausdrücklich angekündigt wird (im
fundiaä Hiaelae seean 1820 f.), und insofern kurz darauf an Uygelac er-
innert wird (ayädan Hugeiae lag 2202); doch fordert die Gerechtigkeit,
beizufügen, dals Schücking seine Grenzlinie wenigstens nicht als absolut
sidier hinstellt. Warum der Verfasser von BB amser dem Grendelkampf
auch schon den Drachenkampf vor Augen gehabt haben soll, ist bei
Schückine, sowdt ich sehe, gar nicht begründet; war BB eine Nachdich-
tung, so brauchte sie lediglich zur Abrundunff des Grendelteils zu dienen.
Hätte endlich gerade dieser Nachdichter me Einleitung zum Ganzen
vorangestellt, so wäre er darin wohl eher auf den ihm vertrauten Hygelac
zu sprechen gekommen als auf die Dänen. Im sachlichen Teil hat es
sich Schücking entschieden leichter gemacht.
Es war das Unglück des Büchleins, dafis Schücking bei der Darstel-
lung von der etwas raschen Deutung einer sachlichen Besonderheit aus-
gng, um sie durch formelle Besonderheiten zu stützen. Wäre er auf dem
Wege geblieben, den er beim Forschen befolgte, so hätte er eine voll-
ständigere und geordnetere Sammlung der syntaktischen Schwankung««!
im Beowulf bekommen und sich dann vor der Frage gefunden, wie sie
zu erklären seien: ob durch Verschiedenheit des Stoffes oder oer Stim-
mung odo' des Autors? Unbefangenes Urteil wäre schwerlich auf die
letztere Deutung geraten.
Berlin. A. BrandL
Theodor Eichhoff, Die beiden ältesten Ansgaben von Bomeo and
Juliet. Eine vergleichende Prüfung ihres Inhalts. (Unser Shake-
speare, IV.) Halle a. S., Max Niemeyer, 1904. 278 6. M. 7.
Die Shakspere- Forschung hat bisher ganz falsche Bahnen eingeschla-
gen; die Wege, die sie ging, konnten nicht zu sicheren, positiven Er^b-
nissen führen, und so stehen wir noch heute, nach 300 Jahren, vor einer
Fülle ungelöster Shakspere-BätseL Das ist die neue Entdeckung. Doch
nur Mut! Der ödipus, der diese Sphinx nun endgültig stürzen wird, ist
erschienen: er heilst Theodor E^chhoff und hat soeben den vierten Band
seiner Publikation *Un9er Shakespeare' herausgebracht
Das Ziel des Verfassers ist, zu beweisen, dafs nicht die zweite, mit
der Folio wesentlich übereinstimmende Quarto von *Bomeo and JtUtef
(1599) den echten Shakespereschen Text darstelle, dals dieser vielmehr in
der ersten Quarto (1597) vorliege, welche Ausgabe bisher entweder als ein
früherer Entwurf des Dichters oder als eine buchhändlerische Baubausgabe
angesehen, in jedem Falle der Quarto von 1599 nachgestellt wurde. iQch-
42i Bearteilungen und kurze
hoff dagegen behauptet, dafe Qj eine Ton einem nnfShigen iSorrektor vor-
Commene BallhonuBiemng des echten 'Eomeo' sei, der nne in Q, tot-
_e. 'Nur die älteste Ausgabe ist gut, nur die äteste ist ein Kunst-
werk'. Das Stück sollte daher, das ist E^ichhoffs Fordenu^g, nur in dieser
Ausübe Miossen werden, sowohl im Theater wie bei der Lektüre.
Es gibt zwei Wege von sehr verschiedener Art, um deraiüge Aufgaben
zu lOsen. 1) Unter weitester Heranziehung aller Werke ShiJnperes, auch
der Poems, des Dichters ästhetisches und sittliches Empfinden kennen zu
lernen und dann, auf Grund des erlangten Wissens, an die Beantwortung
der Frage zu gehen, ob die Abweichungen in der späteren Fassung von
dem Diäter herrühren können, oder od sie als unvereinbar abzuweisen
sind. Das beste Hilfsmittel zum Verständnis dnes Kunstwerkes sind eben
die anderen Werke des Künstlers. Der Weg führt oft zu schönen Besul-
taten, wie Loenings prächtiges Buch über *3amief beweist — 2) Der an-
dere Weg ist billiger. Man nimmt das betreffende Kunstwerk, verzeichnet
die nicht zusagenden Stellen und zieht eegen sie los mit Schärfe, Sdinei-
digkeit, vor allem mit Sicherheit; je lauter man donnert, desto mehr
Gläubige findet man. Bei Kontroversen, Disputationen bekam nur zu oft
derjenige Recht, der 'am lautesten schrie'.
Den ersten Weg geht Eichhoff nicht; das ist ja die antiquierte, zu
ganz unsicheren BMuItaten führende Heerstrafse, von der schleunigste
Umkehr geboten ist. Wir sollen endlich aufhören, zu fragen, was dgent-
lieh von Shakspere stamme, sondern gleich daran gdien, den Schönheits-
gehalt der Werke Shaksperes ^sicl) zu imtersuchoa. 'Wir können viel
wissenschaftlicher sein, wenn wir die Schönheit, als wenn wir die Richtig-
keit der Texte erforschen,' denn 'Wissenschaft ist Begründung'.
Und wie bemindet Eichhoff? Nun gar nicht; er zieht gegen die
ihm mifsliebigen Stellen zu Felde, wobei er sich die Rolle eines ästheti-
schen Papstes gibt, und in dem stolzen G^hl der Unfehlbarkeit fällt er
sein Urteil. Ausdrücke wie 'abgeschmackt, possenhafte Parodie, lächer-
lich, unglaubliche Albernheit', ironische Seitenbemerkungen ('der Korrektor
ist immer korrekt') nehmen einen bevorzugten Platz in Eichhoffs Vokabd-
schatz ein. Wenn im allgemeinen Bücher unter dner soldien Sprache
leiden, so ist bei dem vorliegenden Buche das Gegen tcdl d» FaU; die
Harmonie zwischen dem Inhalt und der Form kann einem Werke nur
von Nutzen sein.
Es fällt mir nicht ein, gegen die Eichhoffsche Methode zu Felde zu
ziehen; eine Methode, die solche Blüten zeitigt, richtet sich von selbst.
Ob sie, grob aber deutlich, als Unfug abgewiesen oder, ein wenig milder,
unter die krankhaften Auswüchse gerechnet wird, die jede Wissensdiaft
b^leiten und also auch der Shaks]>ere-Forschung nic^t ^len, bleibt sich
schlielBlich gleich. Dagegen kann ich mich der Verpflichtung nicht ganz
entziehen, Eicbhoff mit seinen eigenen Waffen anzusehen. Es ist merk-
würdig, zu sehen, wie dieser Preoiger des schrankenlosen SubjektivismuB
alle Augenblicke ge^en sein eigenes System anrennt. Wenn er (Bd. I,
S. 11) die Herausgeber der Olooe-Edüum scharf tadelt, da& 'sie in emer
so unerhörten Weise die Freiheit ihrer Mitmenschen vergewaltigen, indem
sie dieselben einfach zwingen, die Bürgschaft, die ihnen genügend war,
gleichfalls als hinreichend anzuerkennen', so möchte idi doch den Ver-
tesser fragen, ob er es mit seinen Mitmenschen anders macht? Weil ihm
die Bürgschaft seines ästhetischen Urteils genügt, Q., zu verdammen, so
mutet er uns zu, *Bomeo* künftig in der Fassung von Qi zu geniefsen!
Die Olobe-Editors werden wegen einer gleichen, nur besser fundierten Zu-
mutung verurteilt Ist dem Autor sodann nicht ein einziges Mid zum
Bewuistsein gekommen, mit welch ungeheurer Anmafsung er zu G^dit
sitzt, zwar nicht über Shakspere (denn er hat sich ja einen Korrektor als
-Zielscheibe konstruiert), wohl aber über das Schönheitsempfinden dreier
Benrteilimgeii nn^i kurze Anzeigen. 425
Jabrhnnderto, die sich an *Bom$o and Mid' begeistert haben und zwar
in der von Eichhoff als kein Kunstwerk geschmähten Fassung? Sollte
das urteil dieser drei Jahrhunderte nicht das eines einzelnen in Frage
stellen? Wollte sich Mchhoff aber nicht ffi^, so blieb es ihm unbe-
nommen, sich in Shakspere hineinzulesen, wie es ihm pafste, sich 'das
Fremde zu amalgamieren\ Das war sein gutes Becht; unser eutes Recht
aber wahren wir uns, indem wir t^^fpa. die Zumutuns protestieren, dieses
Eichhoffische Amalgam als neue Ofrenbarung anzunehmen.
£s ist müslich, Proben aus einem Wence zu geben, das auf jeder
Seite zur sdiäiisten Kritik herausfordert. Wüsbegiäri^n sei hier wenig-
stens der Glanzpunkt verraten (8. 15 ff.): es ist die Betrachtung des
Monologes der Juliet vor ihrer Hochzeitsnacht (III, 2), jenes herrhchen,
trotz der fflutvollen Sprache so keuschen Epithalamiums. Was sich ^ der
Verfasser nier leistet, ist bodenlos ; die Sprache, deren er sich bedient,
derart, dals ich kdne Parallele für sie in der Bhaksnere-Literatur kenne
— aufser in den Eichhoffschen Büchern (y^l. S. 28, 78 u. a.).
Der Verfasser hat in zwei Jahren vier Bände seiner Publikation
herausgebradit, eine quantitativ ganz tüchtige Leistung. Um so mehr
kann er es jetzt des grausamen Spiels genug sein lassen. Nicht nur die
Shakspere-Forschung, sondern jeder geistig gesunde Leser lehnt sein Werk
durchaus ab. Sollte Eicbhoff gleichwohl seine Tätigkeit in der be^n-
nenen Weise fortsetzen, so möge er wenigstens den Qesamttitel seiner
Publikation ändern; 'unser Skakspere' ist das nicht
UiBerlin. Ernst Kr5ger.
George Masons Qrammaire An^oise naoh den Drucken von 1622
und 1633 heransgeffeben von Rudolf Brotanek. Halle, Nie-
meyer, 1905 (Neudrudre frühneuenglischer Grammatiken, herausgeg.
von B. Brotanek, Heft I). LU, 118 S.
Vorliegendes Heft eröffnet eine Serie von Neudrucken englisch^ Or-
tho^isten, die mit zu den grölsten Desideraten unserer heutigen Wissen^
schalt gjehören, und verdient schon deshalb groÜBe Anerkennung. Es gibt
einen bis auf sämtliche Druckfehler des Textes und der Paginierung ^
treuen Abdruck des Originals, die Varianten der zweiten Auflage una eme
wertvolle Einleitung, die den Verfasser zu charakterisieren und seine Laut-
werte zu ermitteln sucht Stellenweise ist dies nur möglich durch ein-
gehende Untersuchungen der gleichzeitigen französischen Aussprache und
vermittelst Hypothesen, die trotz alles eindringenden Scharfsinnes des
Herausgebers nicht immer Überzeugend sind •— auch kaum überzeugen
können, wdl seinem Autor die nötige Sicherheit und Konsequenz in der
Aussprachebezeichnung fehlt Mason bedient sich eines Längezdchens,
aber ohne Foleerichtiekeit, den aus me. % entstandenen Diphthongen tran-
skribiert er tols durch ei, teils behält er die überlieferte Schreibung bei,
und wo er für denselben verschiedene Aussprachen Kibt, ist es meist un-
m(k;lich, einen inneren Grund für die Abgrenzung oeider Lautunsen zu
finaen ; er wird daher stets zu den unterordneten Quellen für d|e Sprache
des 17. Jahrhunderts gehören. Immerhin ist er bemerkenswert als einer
der fortschrittlichen Grammatiker, der ohne gelehrten Konservatismus das
Gehörte wiederzugeben strebt; unter seinen Ansätzen fällt z. B. auf die
Gleichung enffl. au = frz. o, die der Herausgeber mit Becht dahin inter-
pretiert, dals m Wörtern wie draWf Laurence ein o-artim Mittellaut zwi-
schen me. und ne. Lautstande zu hören war (S. XV). Auch die Annahme
einer Monophthoneierung von ^ zu ö wird schon für diese Zeit dadurch
gesichert, aa& Mason dem Vokal in blow, soul, show den Wert des
m. au [öl zuspricht (S. XXXVII). Unter diesen Umständen wiU es mir
wenig einleuchten, diils Mason für daa me. ü noch einen Monophthong,
426 BenrteÜimgeii und kürze Anzdgen.
böchBtens mit ^weigipifliffer Aussprache, gehört haben soll. Seine Tran-
skription [haou] fflr ne. now sucht Brotanek allerdings auch fflr ü [vgl.
frz. aoust, raotuer] in Anspruch zu nehmen. Aber es wäre doch sehr auf-
f&Uig, dais ein sonst so fortschrittlicher Grammatiker hier eine Aussprache
Ignoriert haben sollte, die schon für Tyndal [haii?e < ae. hü, nawe < nü,
SofpR Marburger Diss. 1889, 8. 29], ja sogar für die Paston Letters ge-
sicnert ist [un&aught, ahaught für -'ß^-; vgl. ^fi^Ztiei XXIII 363]. Ob nicht
Mason eine der verschiedenen Zwischenstufen zwischen dem me. und dem
ne. Laut [Sweet, HEß § 826] gehört haben dürfte, den er nicht genauer
wiederzugeben in der Lage war, für den er dann meist die Übliche Ortho-
graphie beibehielt und nur einmal zu einem — für die damalige Zeit wohl
au<m noch nicht ganz zutreffenden — a + ou entgleiste? Dafs er nicht
immer imstande war, zu beschreiben, was er hörte, geht z. B. deutlich
hervor aus seiner summarisch einfachen Angabe für den Anlaut in knaue,
knüy knaty hnuekle: 'devant n ü [k] est un peu plus diffieäef*
Nicht pmz klar, aber bemerkenswert sind seine Angaben über ü
(S. XXXYIII), die bereits auf eine starke Modifikation dea me. Lautes deu-
ten, und schwierig ist ebenfalls die Beschreibung des me. f (geschrieben ea\
hinter der Brotanek wohl mit Becht die Luicksche 'Abstumpfung' jenes
Lautes vermutet (S. XXI) — nur dürfte Mason seine Ausspradiereffel
wohl nach einieen, auch sonst mit Abstumpfung belegten wenigen Dialekt-
wörtem gebiloet und sie dann in übeitriebener Weise verall^meinert
haben. Interessant sind feiner seine Transkriptionen für ne. str, ffirdU,
firsif sMri, in denen die ne. r-Modifikation [99] bereits deutlich erscheint
(8. XXVI). Nur ist der Herauseeber im Irrtum, wenn er darin den
frühesten Beleg für diesen Vokalwandel sieht, und wenn er meint, er
müsse sich bei % früher entwickelt haben als bei den anderen Lauten. Eine
Modifikation des me. u legen nahe die Schreibun^n der Paston Letters
herte und rdemed (Änglia XXIII B60) ; die gleiche Erscheinuntr zeigen für
me. f ebd. sur, urke (Neumann, Marburger J^udien VII 8. 6Q, 68), mög-
licherweise deuten auch die Schreibungen mit ee für me. ^ + ** aQ^ eine
quantitative Verfinderung des e (ebd. 8. 88, § 102), die mit dem quali-
tativen Lautwandel e>99 Hand in Hand gegangen sein wird. Auch sonst
h&tten sich die Schreibungen des 15. Juumunderts für die Chronologie
der von den Orthoepisten aufgedeckten Lautvorgfin^ verwerten lassen.
Das au<.a + ü, welches erst seit Tindal (Brotanek jCVI) auftreten soll,
ist schon vierzig Jahre früher bezeugt (Änglia XXIII 184); noch viel
früher erscheint f < x b^^ enough], das Brotanek 8. XLVÜI erst seit
1568 belegt, es ist im 15. Jahrhundert häufig, vielleicht schon für das
FrÜh-Me. anzunehmen (ebd. 8. 467).
Masons Ansatz für cough mit einem ß im Auslaut, den Brotanek für
eine akustische Täusdiung nfilt, ist wohl möglich; wenigstens zögen ne.
Dialekte k^b == cough {Änglia XXIII 467); auch ne. dial. fleib «Flöhe'
aus ae. *fl&ma (Wright, Engl. Dial. Or. § 359) wird hierher zu stellen sein.
-^ Posen. Wilhelm Dibelius.
Engelskt uttal af C. J. M. Fant, Lektor vid Väster&s högre allmfinna
läroverk. Stockholm, P. A. Norstedt & Söners Förlag, l90Ji. 87 8.
Preis 60 öre.
Zweck des vorliegenden Schriftchens ist, nicht nur vorgeschritteneren
Schülern an den Gymnasien und anderen damit zu vergleichenden Lehr-
anstalten, sondern auch Universitätsstudenten und Gymnasiallehrern eine
übersichtliche Darstellung wichtiger Fragen der englischen Lautlehre in
populärer Form zu geben. Besonders hervorgehoben werden die lokalen
Verschiedenheiten der Aussprache (namentlich diejenigen zwischen Northern
und Southern Engliah). Diesen Auseinandersetzungen schUeist sich öfter
Bearteiliingen und kurze Anceigen. 427
eine Disknaeion der bei dem Unterricht vorznziefaenden Anstpniche an.
Der Verfasser bekfimpft die wenigstens in Schweden nicht seltene Neigung
der Lehrer,^ Eigentfimlichkeiten der englischen Aussprache zn ilbertreiDen ;
dies gilt seiner Meinung nach besonders für die diphthongische Aussprache
von & und o«, der er entadiieden eine monophthongische Aussprache yor-
ziehen will. Er beruft sich dabei auf eine Au&erung von 6weet, der in
seinen Vorlesungoi (üniversity Extension Meeting, Oxford 1897) — denen
auch Referent beiwohnte — dnmal Ausländer vor der diphthongischen
AusBprache warnte, da foreigners exaggerate', und dne monophthongische
Aussprache höchstens als eine schottische Eigentümlichkeit aufgefafst
werden wflrde, während eine mifslungene Diphthongierung entscnieden
den Ausländer gleich verraten würde. Hiermit yergleicht er eine Stelle
in dem Websterschen Wörterbuche: 'The vanish comes out more dearly
in some syllables than in others. It is not used in the Scottish diidect;
and it is not apt to be given hj people of foreign birth and trainin«^.'
Auch anderswo hält es der Verfasser für empfehlenswert, von zwei o^
mehreren Aussprachen, die als gut englisch betrachtet werden können,
diejenige vorzuziehen, die den Schülern am besten mundgerecht wird.
Daraus folgt also, dafs man der gebildeten Aussprache eines gewissen Ge-
bietes^ nicht in aUen Details zu folgen braucht, sondern diSs man aus
praktischen und anderen Rücksichten sehr gut sich auch Eigentümlich-
kdten anderer Gebiete — wenn sie nur als gut englisch anerkannt sind —
aneicmen darf. Ich will nicht auf die Frage eingenen, ob nun eine solche
eklektische Anschauungsweise mit allen ihren Konsequenzen wirklich in
abstracto zu billigen ist Die konkreten Falle, die vom Verfasser ange-
führt werden, sind aber kaum ernsthaft zu beanstanden. Meiner Ansidit
nach mufs jedoch jeder tüchtige Lehrer zuerst wenigstens versuchen, sdnen
Schülern die beste englische Aussprache ('that which gives the fewest
signs of localitv') beizubringen.
Auf Einzelheiten der Arbeit kann ich nicht eingehen. Nur mufs idi
es als auffallend bezeichnen, dafs Verfasser die Aussprache der Gebildeten
in einem gewissen Gebiete 'den Dialekt dieses Gebietes' öfters nennt (so
z. B. S. 7).
Die phonetische Literatur der letzten Zeit, auch die in zahlreichen
Zeitschriften zerstreuten Einzeldarstellungen, hat der Verfasser sich mit
grofsem Fleilse zunutze gemacht.
Das in schwedischer Sprache geschriebene Büchlein wird wohl auiser-
halb der skandinavischen Länder kaum einen Leserkreis finden. Es madit
keinen Anspruch darauf, neues Material zu liefern; aber wertvoll wird
das Buch besonders durch die Zusammenstellungen einiger der letzten
Resultate der englischen Phonetik. Somit wird die Arbeit für. die Kreise,
für welche sie bMtimmt ist, hoffentlich doch von Nutzen sein.
HeUebsek (Dänemark). Erik BjÖrkman. '
Lehrbuch der englischen Sprache für Realschulen von Wilhelm
Swoboddy Prof. an der Landes-Oberrealschule in Graz. l. Teil: Ele-
mentarbuch der englischen Sprache für Realschulen; geb. 2 K ?0 h
(M. 1,85). — 2. T^l: English Reader (Lehr- und Lesebuch für die
6. Klasse); geb. R K 60 h (M. 8). -> '^. Teil: Literary Reader (Lehr-
und Lesebuch für die 7. Klasse); geb. 3 K 60 h (M. 8). — 4. Teil:
Schulgrammatik der modernen englischen Sprache; geb. 3 K 40 h
M. 2,^). — Wien und Leipzig, Franz Deuticke, 1005.
Der 1. Teil dieses Werkes, der die Elemente der englischen Gram-
matik enthält, schliefst sich in seinem Lehrgange der Art und Weise an,
die ein Lehrer befolg, dem nichts anderes als Ijesedtücke zur Verfügung
stehen. Der kann nidit immer ein bestimmtes System streng innehfutea.
428 Beurteilnngeii und ktme Anzeigen.
Er mafs manchee berficl»iditiffen, das nicht in sein Hauptkapitel gehört,
die Themata durchkreuzen sichi statt aufeinander zu folgen, und die Dar-
stellung zeigt eine j^wisse Unordnung. Aber nur äu£ierlich; denn Ord-
nung und Svstem hegen in dem Lehrenden fest begründet Er kann sie
jeden Augenblick auch nach aulsen hin kenntlich machen. Darum schadet
die Abs(£.weifunff vom Systematischen kaum. — Anders nimmt sich dies
Verfahren in gedruckter Grammatik aus. Die gestörte Ordnung ist hier
nicht so leicht wie dort zu retablieren, da auch in ihr Methode liegt, d»
der Lehrer folgen muls, wenn er rom Leichten zum Wenigerleichtä und
Schweren Schritt für Schritt weitergehen will. Die Basis des 1. Teües
dieser Grammatik ist ein pUe-fnUe, das besonders störend dem Schüler
werden mui». (Man yergldche § 8: Persönliche Fürwörter, § 9: Geschlecht
des Substantivs, § 10 — 12 handeln vom Verb, $ Vi: Possessivpronomen,
§ 14 : Adjektiv; dann folgen wieder Verb, Pronomen, und in diesem Durch-
einander {;eht es fort.) Allerdings findet sich die hier fehlende höhere
Ordnung im 4. Teil des Werkes ; aber den bekommt der Elementar- Anglist
nicht in die Hand, und er versteht ihn auch noch nicht So bleibt ein
Best zu tragen peinlich. Wer sich aber einmal mit dieser sehr natür-
lichen Darstellungsweise abgefunden hat, wird sich auch weiter mit dem
Buche befreunden.
Einer allgemeinen Forderung dürfte diese Schulgrammatik mehr als
andere cerecht werden. Sie wählt die Stoffe ihrer Übungsstücke aus dem
alltfifflicäien englischen Leben, wobei sie vom Schulleben ausgebt und den
Schüler in ein Milieu versetzt, an das er gewöhnt ist Das Bild eines
doM-^room trägt zur Orientierung bei, wenn auch nicht alles darauf ist,
was, nach Aussage des Lesestvckes, darauf zu sehen wäre. Zugleich wird
der Schüler genötigt, sich möglichst bald der endischen Spradie zu be-
dienen. 'Ex muls das Datum emsetzen; am Schluls der Lesestficke erfolgen
kurze Fragen und Anmerkungen in englischer Sprache, im Anschluß an
die grammatische Begel stehen englische Sätze, in die er das Wesentliche
selbst einzufügen hat, die Zahl der Anmerkungen wird stetig geringer, so
dals er das Wörterbuch (S. 140 ff.) zu Bäte ziäen muls, Aufzählung von
Synonymen mit ihren Unterschieden fördern das Eindrinsen in den Gkist
der Sprache. Bei so konsequentem Festhalten am Mflieu lassen sich
familiäre Wörter und Aussprache nicht immer vermeiden ; mit anstelligen
Schülern wird man darauf einüben können, anderenfalls muTs man sich
mit dem Notwendigsten bescheiden. Die Bügeln genügen in kurzer Fas-
sung durchaus dem Verständnis. ^THb D^^Mp/nütve-Oonstruetion in
QuuHona' (I, § 2S) ist allerdings weni^ übersichthch behandelt. Die Aus-
sprachelehre geht praktisch von enghschen Wörtern aus, die audti dem
Deutschen* gmäufig sind (apteetif sträe, eUnon, . . .). Hier muls der Lehrer
das Beste tun. Dem Nachschlagebedürfnis der Schüler genügt sie. Löb-
lich ist der Hinweis auf die einzelnen Lautarten imd das Bestreben, den
Schüler an ihre Unterscheidung zu eewöhnen.
Diese elementar gehaltenen Be^^ des 1. Teils finden ihre Ergänzung
im 4. Teil, der mit Kenntnis una Sorgfalt zusammengestellt ist Ein-
gehender aJs in Schulgrammatiken üblich, wird die Stellung der Adverbien
berücksichtigt (S. Hl — 87), woran sich die ausführliche Darlegung der
Mittel knüpft, durch die ein Satzteil im Englischen hervorgehooen wird.
Bei der Ausführlichkeit dieser Grammatik, me sonir die Interpunktions-
Mire eing^ehend bespricht (§ 406 — 409) und dem Komma ein oesonderes
Übungsstück widmet (S. 202]), hat es mich gewundeit, daCs nicht auch ein
Abrifs der englischen Metrik seine Stelle gefunden hat ^- Druckfehler
habe ich bemerkt in IV, S. 28, Z. 6 v. o.: 'Stellung und die der Wörter'
statt: und die Stellung der Wörter, in I, S. 105, Z. 7 v. u.: ^taee' statt: tfe».
Wenn der 1. Teil im wesentlichen in englisches Schulleben einzuführen
•ucht| so wollen der Z, und der 3. Teil eine Vorstellung von dem ge-
Beuiteflungen und kurze AnceigeD. 429
samten Eultor- und CMstesleben Englands sehen. Auf die Geographie
der Britisdien Inseln folfft die der ^optstadt angeschlossen an *Ä irip
an the Thamea^ die Beschreibung ihrer Sehenswürdigkeiten und Verkehrs-
mittel, von Spielen, Beisen in Engluid und seinen Kolonien etc., unter-
mischt mit passenden Gedichten, erlfiutert durch Anmerkungen. Wörter-
buch, Illustrationen, eine Karte von Grolsbritannien und I/>naon, kurz
dne so reidie Stoffülle, daüs Lehrer und Schüler, wohin sie auch ereifen
mögen, sicher sind, ein volles, interessantes Völkerleben zu packen. Dieser
Tm enthalt auch deutsche Stücke zur Übertragung ins Englische.
Teil 3 ist eine enj;lische Chrestomathie, die, Ton der Neuzeit aus-
gehend, den Schüler bis in die Zeit des Beowulf zurückführt und ihm an
der Hand ihrer Hauptvertreter eine Vorstellung des jeweiligen Standes
der englischen Sprache und Literatur zu verschufen sucht Die Epochen
Chaucers, König Alfreds und des Beowulfdichters sind wenigstens in Cha-
rakteristiken Vertreten. Eine *Hütary of the Englüh Language' schlieCst
den Teil ab. Jedem Bruchstück dnes gröfseren Literatnrwerkes gehen
Bemerkungen voran, welche die Exposition enthalten. Auch hier tragen
Bilder, Kurte, Noten in englischer Sprache — wie im 2. Teil — und
Wörterbuch zum Verständnis der Dientungen bei. Diese Chrestomathie
bildet einen organischen Teil des {^amten 'Lehrbuches', das ohne sie un-
vollständig wäre. Von diesem G^ichtspunkt aus betrachtet darf sie auch
vor dem ausgesprochenen €[egner der Chrestomathien unangefochten pas-
sieren. — Alles in allem ist diese englische Grammatik em Werk, das
ebensoviel fachmännische Kenntnis wie liebevolle Hinffabe an den G^en-
stimd bcJcundet, und das ich für würdig halte, einem Schüler in die Hand
zu geben. Ein Bedenken habe ich: der für ein Schulbuch sehr hohe Preis
— der G^esamtprels beläuft sich auf mehr als 10 Mark — dürfte sdne
Einführung oft erschweren, wenn nicht unmöglich machen.
Willi Splettstöfser.
R. Hall, Lehrbach der englifichen Sprache. Für Mädchenschulen
bearbeitet in zwei Teüen. frankfurt a. M., Carl Jüg»b Verlag (Moritz
Abendroth). L Teil, 2. Aufl. 1904; IL Teil, 1. AufL 1905.
Diese Grammatik läfst im Anfang dem Lehrer ausgedehnten Spiel-
räum. Mit ihrer Vorschrift, die ersten zwanzig" Stunden bei geschlossenen
Büchern zu unterrichten, weist sie ihn auf sich selbst und gibt ihm nur
die Anleitung. Teil I führt die woukN)e Englüh girla an der Hand von
Sprichwörtern, Lebensregeln, kleinen Ctedichten, Rätseln, Gesprächen spie-
lend in die Sprache ein und ist für den Anfang nicht übet) wenn auch
das englische Milieu nicht stark hervortritt Auf denselben kindlichen
Ton ist aber auch der IL Teil sestimmt, der in höheren Klassen zur Ver-
wendung kommen soll. BuUiks, Proverhsy Trieka (II, S. 122), Oamut:
Making wards (II, S. 144), Making littk toorda from long anes (II, S. 145) etc.
nehmen auch nier einen breiten Baum ein. Da das Buch für Mädchen
bestimmt ist, sind Stücke wie die folgenden wohl am Platze: II, § 69:
ßhopa, § 70: Shopping for Otristmaa (Ai the linen^raper's), § 79: Three
Cooheiry ReeeipU (1. Piain 8weet omeleUe^ 2. MaearoonSf 8. Apple Pie). Neben
ihnen aber und anderen von aligemeinem Interesse (Woods, AntmaU, PUmUf
Death of Soorates etc.) kommen Stücke von typisch enfflischem Gehalt nur
wenig zur Geltung. Englischer G^st spricht mcht aus diesem Werk. Es ist
klar und sorgfiUtig durdigearbeitet, und so mag es seinen Zweck erfüllen.
Willi Splettstöfser.
W. Sattler^ Deutsoh-EngÜBches Saohwörterbach« Leipzig, Rengersche
Buchhandlung (Gebhardt & Wilisch), 1905.
Nachdem ich die Vollendung des stattlichen Werkes von Sattler vor
kurzem berichtet, kamn ich jetzt bereits das Erscheinen des von dem Autor
430 BearteUangen und kurze Annigen.
daknals in Aussicht gestellten Verzeichnisses der englisches Wör-
ter melden (Lieferung 12). Letzteres bedeutet eine wertvolle Beigabe, die
auch unter der angeUächsischen Lehrerweit gesdifitzt werden wird. Das
Verzeichnis umfaCst 89 Baten von Je vier Kolumnen. Seine sorgfältigen
Verweise werden dem Lehrer des Englischen wesentliche Dienste leisten.
Sattler hat Wort gehalten, und auch hierdurch hat er Anspruch auf un-
sere DankbarJceit. Sein Werk sei der Fachwelt bestens empfohlen.
Tübingen. W. Franz.
Aus romanischen Sprachen und Literaturen. Festschrift Heinrich
Morf zur Feier seiner fünfundzwanzigj&hrigen Lehrtätigkeit von seinen
Schalem dargebracht Halle a. S., M. Niemeyer, 1906. 427 S.
Wie sehr dieser Band, den freundliches Gedenken mir widmet, mich
mit Freude und Stolz erfüllt, das habe ich in dem Kreise, aus dem er
hervorgegangen ist, diesen Sommer mündlich auszuspredien unvergefsliche
Oel^^nheit gehabt. Meine damaligen Worte des Dankes glaube ich nicht
besser bestätigen zu können als daidurch, dafs ich als aufmerksamer Leser
hier über den Inhalt des Buches selbst referiere und damit dem Beispiel
folge, das zuerst, wenn ich nicht irre, Gaston Paris gegeben, und für
weiches ich an dieser Stelle mich besonders auf Adolf Tobler berufen
kann (vergl. Arehw XOV, 198; CXV, 238). Ich möchte von den 14 Bei-
trägen, die der Band umschlie&t, hier sagen, worin sie nach meiner Mä-
nung unsere Erkenntnis fördern. Es ist keiner darunter, dem ich nicht
für viele Anregung und Belehrung dankbar zu sein hätte. Dafis diese
Anerkennung gelegentlichen Zweifel und Widerspruch nicht aussdüielst»
ist natürlich, und ebenso natürlich muls es den Freunden, die sich hier
zu einer gemeinsamen Gabe zusammengetan haben, erscheinen, dals ich
diese Zweifel äulsere und diesem Widerspruch Ausdruck gebe, wo er mir
fruchtbar zu sein scheint — denn sie wissen wohl, dafs es sich dabei
nicht darum handelt, dals der Referent recht behält, sondern daXs aus
Bede und Gegenrede gesicherte neue Erkenntnis erwachse.
Die Beiträge umfassen ältere und neuere französische Literatur (7),
sie verfolgen laut- und formengeschichtliche Probleme innerhalb einzelner
lebender Mundarten oder über das ganze romanische Sprachgebiet dahin
(5), sie handeln von romanischer Syntax (1) und bringen Neues zur Ge-
schichte des fremdsprachlichen Unterrichts (l). Sie sind aber nicht stoff-
lich, sondern nach den Verfassernamen alphabetisch geordnet. In dieser
Folge gehe ich ümen nach.
Den Anfang macht R Bovets La pr^face de Chapelain ä
l'Adonis.
Als der 'chevalier Marin' ums Jahr 1620 mit dem Plane umging, die
40ÜÜO Verse seines Idylls Adoiie in Paris drucken zu lassen, da suchte
er einen französischen Literaten, der eine programmatische Vorrede dazu
sdiriebe. Man wies ihn an den jungen Cnapelain, der dafür bekannt
war, dafs er mit der literarischen Tradition Italiens vertraut sei.* Denn
es galt, diese neue Art des idyllischen Epos (diese ^nouveautff) von yom*
herein gegen die Kritik zu schützen, die seitens der italienischen
Akademien zu erwarten war. Diese Akademien würden nach den über-
lieferten Eunstregeln urteilen, so dais also der Vorrede hauptsächlich die
* CluipelaiDB Kenntnis der apanischen Literatur war doch wohl nieht
so bedeutend, wie gewöhnlich angenommen wird, sonst h&tte er 1630 nieht aclireiben
kOnnen, dajb aoTser dem timeur Lqpe de Vtga alle Spanier ihre Dramen in Prosa
üdar reinlossB Versen sdhreÜMn.
Beurteilungen und karae Anzeigen. 4$1
Aufgabe' zufiel, zu zeigen, dafs Adone, obwohl neuartig, doch 'ecmduti et
tissu sehn les rkgle» genircUes de f^popie' seL
Chai)elain versenkte sich in das Studium der italienischen Theoretiker
von Trissino bis zur Qegenwart, * Bcaliger eiueeschlossen, imd schrieb mit
ihrer Hilfe die Vorrede 1(520. Qedruckt wurde sie Ib^.
Diese Vorrede ist viel genannt und — wenig gelesen, wie Bovet hu-
morvoll zeigt. Er druckt sie in extenso ab (p. 30—52) und begleitet
diesen Abdruck mit einem sehr interessanten Kommentar.
Chapelains Vorrede ist keine leichte Lektüre. Form und Inhalt sind
in gleicher Weise schwierig: Chapelains Satzbau ist schwerfällig, und die
Begeltheorien der Zeit sind oft ^nug abstrus. Zu alledem gesellt sich
nodi der Umstand, dafs Ohapelain, wie Bovet zeigt, mit Hintergedanken
Bchrdbt und seine wahre Memung oft zwischen den Zeilen gesucht werden
muiä. Er denkt in Wirklichkeit vom Adane nicht so gut, sSb er höflicher-
weise in seiner Verteidigungsrede sagt.
Diese Verhaltnisse erschweren eine Wiedergabe seiner GManken. Doch
hat sich Bovet der Aufgabe, die Vorrede zu analysieren, in treiflidier,
feiner Weise entledigt.
Er hat sich auch der dankenswerten Mühe unterzogen, Chapelains
italienischen Quellen nachzugehen. Das Resultat, dafs Castelvetros PoeUea
4fÄn8toHle mUgarixiuUa e apoata (1570) die Hauptquelle bildet, wird keinem
«msten Widerspruch begegnen können. '
So hat Chapelain seine Theorie des Ejpos aus Italien bezogen. Nichts
laÜBt erkennen, dals er die französischen Theoretiker des l<j. Jahrhunderts,
Bonsard, D'Aigadiers, Vauquelin, beachtet habe, oder dafs er auf Aristo-
teles direkt zurückgegangen sei.'
Eine Theorie des Epos läfst sich nicht entwickeln, ohne daik die
übrigen Gattungen der Dichtkunst, Lyrik und Drama, in Mitleidenschaft
gezogen werden, und ohne dafs die frage nach Wesen und Aufgabe der
Foeeie überhaupt berührt wird. Chapelain hat die Lvrik völlig beiseite
eelassen, die Dramatik nur gelegentlich zum Vergidch herangezogen.
Von Wesen und Aufgabe der Poesie handelt er indessen ausgiebig: die
Poesie stellt nicht nackte Tatsächlichkeit {vMtS particulüre) dar, sondern
sie kombiniert sich gemäls dem Geiste der justice und der raieon eine all-
gemeingültige vorbildliche Wahrscheinlichkeit (praiesemblaneejy die sie in
den Dienst der sittlichen Läuterung der Menschheit stellt {purgaHon ou
amendement ^ mceurs des hommes qui est h btU de la poSsiej?
Diese rationalistische Lehre ist eben die der Italiener: Chapelain hat
* Ob er Tassos Diaeorn dtlTarU poeüea < d»l poema eroico (1687 — 94) gekannt
hat? Eine Spar ihrer Verwertong kann ich in der Priface nicht finden.
* Der umstand, da& Chapelain der Handlang des £!pos nar die Dauer eines
Jahres einrtamt, w&hrend Arietotele« eine solche BesohrAnkang nicht kennt, spricht
nieht dafür, daTs er sich stark nach Aristoteles selbst umgesehen, dessen Meinung
Überhaupt für ihn nicht entscheidend war. — Auch über Homer und Vergil seist
sich Chapelain dabei hinweg, während die Uteren Th^retiker (auch Biadius, trotz
Bovet p. 88 n.) die seitliche Freiheit des Epos gerade mit Odyssee und Äueis
begrOnden. Bei Chapelain ist das Bedürfnis, eine Begel aufzustellen, gröfaer als
sein Respekt Tor dem Altertum: On denmt poHt, sagt er in der Vorrede sur
zweiten Hälfte der Aicelb, par Fdtude du regle». — ÜbereifHge Moderne wie
Saint-Amant haben schliefblich die epische Handlung in die 24 Stunden-EiiAeit
gezwungen {MdUt tmeoe^ 1653). — Chapelain selbst gibt später (1680) auch wieder
zu, daft das Epos eine Handlang von mehreren Jahren umfassen dflife.
' Das ist denn doch nicht so neu in Frankreich. Cf. Bonsard in der Vor-
rede sor /VofiCMKb (1678) : ü (le poite) a pour maanm« tri$ lUoeeanire de ton ort
de «e $uwr« jamtw pat ä pttt la 9Mt4, nu»i$ ia vrmtemNattce €t le potuUe etc. .
482 BearteiloDgen und kurze Anzeigen.
sie, Dftch Boyets ürtol, klarer nnd bestimmter formuliert Man kann das
zugeben und doch finden, dafs Bovet den Chapelain zn nahe an Boiieau
rückt. Qewils ist beiden die rationalistische Poetik, die ja die Basis des
Ellaasizismus bildet, gemein — aber neben dieser Qemdnsamkeit möchte
ich die tiefe Gegensätzlichkeit mehr betonen : Ghapelain ist ein *modeme\
Der gelehrte Mann hat ffir die Antike wohl Worte der Bewonderunff,
aber er lehnt ihre Vorbildlichkeit ab. Er ist der Überzeugung, daft die
moderne Literatur der antiken nicht bedürfe und sie übertoeffe. Er stellt
eine Tragödie Grazianis Ober alles, was die Alten geleistet Homer und
Vergil, sagt er, sind meine Gottheiten — nuUa ils <mt bien de la peme ä
Üre mes ]Sür(m8. Er tadelt an Bonsard, dals er ihr ieolter ^wesen sei.
Er übt im Dialoff über die Bomanlektüre* (1647) an Homer jene Ejitik,
die für die ^oasmea' charakteristisch ist. Nicht die antiken Dichter,
nicht Aristoteles, sondern 'die Idee der Kunst' sei sein Leitstern (cf. LeUrts
ed. Tamizey de Laroque I, 18 f., 631 f.; II, 744 etc.). Das ist Subiekti-
yismus, dn revolutionäres Prinzip, und läuft Boileaus AltertumsreUflion
und klassischer Kunstlehre direkt zuwider. Chapelain hat keinen Re-
spekt vor dem Altertum, so wenig wie Malherbe, Boisrobert, Sorel, Sa-
rasin, Scud^rjr, Descartes, Pascal — die ganze erste Hälfte des 17. Jahr-
hunderts. Die Arbeit aller dieser Männer ist gegen die literarische
Heffemonie des Altertums {gerichtet Sie vertreten die Gedanken, die
in Italien Tassonis Pensieri dtveni (1620) ausgesprochen haben: das
Altertum gilt für überwunden.
In diese ikonoklastische Welt hat der grimme Boiieau dann die Stand-
bilder der literarischen Ahnen der Renaissance wieder hineinffestellt Er
hat ihren Kultus restauriert und den Klassizismus strenger ODsenranz im
Gegensatz zu der altertumsfeindlichen Haltung der ChapeUdns und Ot^
nossen begründet
Seinem Grundsatz ^mäls, dals die Idee der Kunst sein Leitstern sei,
«rweist Chapelain in seiner literarischen Kritik dem Aristoteles nir^ds
besondere Reverenz: ii^!^^ Vorrede zum Adone nennt er ihn nur einmal
und ganz nebenbei. Oberali böiift er sich darauf, dais seine eijgenen
Überlegungen, dals die Forderungen der poetischen vraisaembhnee iSn. zu
den B^eln gäührt haben, die er aufstelle. Dabei hebt er es gern hervor,
wenn die Praxis der antiken und der italienischen Dichter zu seinen
Forderungen stimmt. Aber was die alten und neuen Theoretiker
sagen, das kümmert ihn nicht sehr: als ihn ein Freund um Auskunft
über eine Kunstregel bittet, antwortet er ihm: *Ich entsinne mich nicht,
ob Aristoteles oder einer seiner Erklärer die Sache behandelt hat; ich
will einfach versuchen, Ihn^ meine eigene B^;ründung zu geben."
Nun sucht Bovet die Überlieferung zu stützen, welche lehrt, dals
ChapeLun im 17. Jahrhundert die Resel der drei Einheiten für das
Drama wieder eingeführt habe. So scnarfsinnijr seine Argumentation ist,
so kann ich ihr doch nicht zustimmen. Ich t^e die Meinung Ottos (in
der Einleitung zu seiner Ausgabe von Mairet s Sihanire, Bamberg 1890)
und Dannheifsers (Behrens' Za, XIV, 1—76). Mancherlei Besonderes
lielse sich freilich dazu iMgen. Hier beschränke ich mich auf folgendes:
^ FeUIet hielt diesen Dialog mit Unrecht fllr ungedruckt, als er ihn 1870
edierte. Er ist schon 1728 Ton Desmolets und Goiget im 6. Band der CötUi-
muUkm des memoire» de HtUrature ei ^kUlcire de SaUmgre herausgegeben worden.
' Es ist das eine kapitale Stelle seines Briefes an Godeau vom 89. Not.
1680, abgedruckt von Ch. Arnand, Lf* thdoriet dromati^uee au XV 11* aieele^
Paris, 1888, p. 836 ff. Und die Kunstregel, aus deren AnlaTs er hier Aristoteles
nnd seinen Stab als qwmdU nigtigeabU eliminiert, ist — die 114 Stnnden-BinheU
des Dramas 1 loh werde anf die Stelle snrflekkommen.
Benrteilnngen und kirne AnEdgen. 488
Man Hüft Q«&hr, einem Anachronismus zn Yerfallen, wenn man fllr
die Jahre 1620— lb30 yoq der Bigls des troU tmtWv spricht Diese Trini-
tftt ist Bp&teren Datums.*
Das Wort uniU findet sich zunächst nur in dem Ausdruck tmiU
d^ actum: die Handluneseinheit ist die älteste, in der Kunst selbst be-
gründete Forderung. Sie ist aus Aristoteles in die Benaissancepoetik (Iber-
gegangen. Auch (jhapelain erhebt sie in der Vorrede zum Adone nicht
als ein spezifisch dramatisches, sondern allgemeines, insbesondere episches
Requisit {uniU de Vaettan, Bovet p. 42).
Ebentalls auf Aristoteles und der herrschenden Praxis der antiken
Dramatik beruht die Forderung, dais die Handlung des Dramas die Dauer
eines Tages nicht Überschreite. Chapelain erwähnt die Forderung in der
Vorrede ganz beiläufig mit den Worten: Das Epos soll nicht mehr als
ein Jahr umspannen, gerade wie das Drama nicht mehr als einen jaur
fUMturel.*
Neben dieser ganz beiläufiffen Erwähnung der rigle de» 24 heuree oder
des ordre du temps — das sina die eigentlichen Termini technid ~ fehlt
in der Vorrede jeder Hinweis auf eine soffenannte 'Ortseinheit'.
Tatsache ist also, dats Chapelain in <& Vorrede von 162ü nicht von
den 'drei dramatischen Einheiten' spricht, sondern dals er die unüS d^ae-
tion als eine allgemdne und spez. epische Forderung erwähnt, dais er die
r^le des 24 hemw im Vorbeigehen für das Drama konstatiert und Ton
einer 'Ortseinheit' überhaui>t nichts sagt.
Das macht durchaus nicht den Eindruck, als ob er den dramatlsohea
Kunstiegeln besondere Beachtung schenkte.
Dais in Frankrdch die vom Drama des Altertums sich herschreiben*
den Kunstregeln auch im Anfang des 17. Jahrhunderts ohnedies nicht
gänzlich vergessen und unbekannt waren, zeigt z. B. Lariveys Vorrede
zu La Ooneianee (lall). Und ehe Chapelain in der Vorrede zum Adans
nebenbei die 24-Stttnaen-Begel erwähnt, liefs Th^ophile die zum ro-
mantischen Schauspiel geratene Tragödie F^amus und Tkiebi (1617) auf-
führen, deren einfache Handlung nur weni{;e Stunden nmfatst und in einer
verhältnismäfsig einfachen eehie ä eompariunente 'Landschaftseinheit' zeigt
^ Die gedmiigeDe Fomraliemng Jeans de la Taille (1572): ü faut toufoun
rtprintUer h jeu ea tm m^me jour (Handlnngaeinheit), an im mAiM ttmp$ (Zeitein-
heit), en %m mhne Utu (Ortaeinheit) bleibt gani ieoUert Chapelain kannte sie
nicht (rar AnflEhasnng der Stelle yergl. Rurnt» ^huL UtL ds la /Vonce XII, p. 2).
Meiret filbrt noch 1681 als die drei Hanptregeln der QmddU an: freie Er-
findong der Febel, Einheit der Handlang und */a troitiime €i la pha rigcumt$€ etf
Vcrdte du Ump^ (Otto, l, c, p. 16 f.)* — Zum ersten Male finde ich im 17. Jahr-
hundert die drei Forderungen im Ansdmok yereinigt in Isnards Vorrede su Pi-
ehons La PQu de Sdre Yom nSmlichen Jahre 1681: ... preterirt ls$ rkgU$ de
Vuniii dii Im» (= Landschaftseinheit, cf. unten p. 8), de Veedm et du 24 hemru
du temps (ef. Otto, {. c. p. CXII) und dann in der endgfUtigen, uns gel&nflgen For-
molierong in Dur y als Ikvitd (A. Gasti, La quertUe du (Xd, 1899, p. 274): VuuÜd
d^aedoH, de iemp» et de Ueu, Dieser Traüd ist von 1687 (trota B. Rlgal, Le tlMtre
frweqm», 1901, p. 889; cf. Archm CVn, 443>
* Ans dem Umstand, da(k Chapelain hier und später dieeen Aosdmck (Jontr
naturtt) braucht, darf geschloMen werden, da(^ er von der Kontroverse wuAte, die
sich an Aristoteles' filav nepioSov ^ktov geknüpft hatte: ob damit nSmlich der
die» aaturaUe von 24 Stunden oder der diee art^daU» der Tageshelle gemeint fei.
Chapelain entscheidet anders als i. B. Bobortello {die» artffiatdi») und Castelvetro
(dodid ore). Kannte er Segnis Poeiiea dAri»totik (1649)? Übrigens betrachtet er
1680 die 24 Stunden als ein Maximum und erscheint ihm die Hllfte dieser Zeit
als das Normale (Arraud, /. e. p. 848).
Aichtr 1 B. SpnebsB. GXV. 28
4S4 Beurtetlungen und kune Anzeigen.
3o iBt d«nn Ghapelain 1620 keineewegs ein Entdecker, sanz abgesehen
¥0& der bdl&ufigen nnd fragmentarischen Form seiner Au&enineen.
Das Nächste, was wir nun in Frankreich von der 24-Stanaen-B^gid
iiSi«n, dadert ¥on 1628. Am 28. Septemb^ dieses Jahres schreibt Balzac
aus Paris an M™® Desloges über den Typus einer femme saoante, die unter
anderem auch literarische Ejitik treibe und nicht imstande sei, de souffrir
uns conUdde qui n'est paa dcms la Ud des 24 h&ures, qu'eUe n'en va faire
publier par ioute la Fram/oe}
Balzac weist damit deutlich auf die Salons der hauptstädtischen So-
0ii6U polte als den Ausgang8i>unkt der praktischen Forderung der
^Zeitroffel' hin: die Salonkritik fordert sie; sie fordert sie als eine neu-
modis<äie Eleganz, als eine nouveUe mvention? wie Godeau noch 1630 zur
Verwunderung Chapelains sagt, der ihm antwortet, die Geschichte sei ja
uralt, schon das antike Theater habe diese Be^ beobachtet — ob Aristo-
teles selbst von ihr handle, entsinne er sich nidit^
' und deutlich können wir erkennen, wie die SooiStS polte um 1628 zu
ihrer Forderung kam. Das Vehikel bildete die Pastorale.
Die Pastorale war das Stück, in dem die Salonwelt mit ihrem ga-
lanten Treiben sich spiegelte. Seit Jahren stand sie unt^ dem Einflufs
der Askr6e, Die Derbneiten Hardys treten zurück. Künstlerisches Streben
macht sich geltend (viel mehr als in der verwilderten TroffieomSdie), Zu
den htflienischen Vorbildern Tasso und Guarini gesellen sich andere,
besonders G. Bonarelli mit der Fiüidi Sciro (1607). Die französischen
«nd italienischen Elemente mischen sich bei den einzelnen Dichtem in
verschiedenen Dosen. Da die französische Pastorale die r^le des 24 heures
nidit beobachtet, so gestattet sie eine reichere Entfaltung der Bühnen-
lumdlung.'
Gegen 1619 stellt Bacan in Les Berfferies (gedruckt 1625) 'die Tor-
heiten seiner Jugendjahre' dar. Das Stück ist zugleich Huldigung uud
Radte seiner unerwiderten liebe. Die Bchleppende Handlung ist aus
Hardvschen, D'ürf^chen und italienischen Elementen zusammengesetzt
und folgt in ihrer Komplizierthät hauptsächlich dem Pastor fido.
Einen reicheren, bewegteren Inhalt, mehr wirkliches Liebesleben, leider
auch mehr Pointen nbt Mairet in seiner, wie es scheint, frei erfundenen
Sürie (1626), die sicn der Welt der Tragieomidie nähert. Er nennt sie
denn auch troffieomSdie pastoraie, worin andere ihm folsen werden.
Diesen unregelmäfsigen französischen Pastoralen eeffenüber er-
echien der Salon^sellschaft die strenge, zeitliche Begelhaltigkeit der
italienischen Pastorale, die sich dafür auf das Altertum berief, als das
Vornehmere. Und als ob sie nie zuvor in Frankreich erhoben worden
' Man tthlt, wie Baliae diese Uji ftiom va fairt pubUtr par Unat la fhmet
1628 nicht eben sehr ernst nimmt, sondern eher fllr eine modische Sehralle hUt
* AU F. Oomellle 1628—1629 za Ronen sein erstes Stflek sehrieb, M^Uie, da
lieft er die dnmatisohe Handlang sich Aber Wochen aasdehnen, weil er, wie er
später selbst sagt, damals — in Ronen — von der Ezistens der Zeitregel noch
nichts woftte. In seinem sweiten Stttck, CHiandre (1632), unterwirft er sich ihr.
* Vgl. oben S. 5 Anm. 2. Der Ton dieser Stelle labt nicht annehmen, daA Chit-
priain wahrend der Jahre 1628—1680, da der Kampf am die rigle des 24 heures
schon heftig tobte, sich intensiv nut der Sache beschäftigt habe. Man begegnet
flberhaapt in dem ganzen Kampf dieser and der nächsten Jahre (bis 16 3 6), an
welchem Ogier, Mairet, Isnard, Soadöry, Gombaad, Rajssigoter, Corneille teil-
nehmen, keiner Spar von Ghapelain. Aach in seinen 13riefen spricht Chapelain
von der Zeitregel erst ans Anlaft der Querelle du 6M (1637).
^ Es ist beseiohnend, daA z. B. Rajssigaier in seinem Ammie du TeuH
(1682) Vorgänge, die Tasso nar erzählen läAt, in Handlang umselBt.
Beurteilangeii und kurse Anseigen. 'itt
wätOi wird Dtm 1628 die Forderung der 24 -Stunden -Einheit aus der
italienischen Pastorale neu importiert'
Sofort erhebt sich auch der Widersprueh. In der bekannten Vorrede
zu dem romantischoi Schauspiel (tragtoomidie) Tyr et Sidon* bekämpft
1628 der Pariser Geistliche Ogier die Zeitregel, weil sie den Dichter zu
ünwahrscheinlichkeiten und zur Ersetzunjr der Handlung durch rheto-
risdie Berichte dränge. Die griechische Bmine habe diese Regel keines-
wegs streng befolgt, und überdies seien die Franzoeen keine Qrieohen.
Er verweist auch auf das Beispiel der Freiheit, welches das spanische
Theater gebe. Von einer Ortsemheit ist nireends die Bede.
Mairet aber liels sich von der SalonkritiOc belehren.' 1629 brachte er
auf einer Salonbühne eine neue tragteomSdie paatorale zur AuffÜlurung:
Süvanir6f zu der D'Urf^ gleichnamiges Stück (um 1627) ihn anaeregt
hatte. Er zwänete die schleppende, chorbegleitete Handlung in 24 Stun-
den ein und schuf so die regelhafte italiauisierende Pastorale. In einer
der Prachtausgabe des Stückes (1681) vorausgeschickten Abhandlung ver-
tddigte er unter Berufung auf die Wahrscheinlichkeit, auf die italienisdie
Pastorale und die Alten die E^inheit der Handlung und den ordre du
temps für ernste und h/eitere Bühnenstücke^ Von einer Ortseinheit ist
noch keine Bede. Doch bemerkt Müret, daia die Reduktion der Zeitdauer
der Handlung auch eine Vereinfachung der 'ambulatorischen'* Szene
bringen werde. Der Ortswechsel wird sicn eben nun auf einen Baum be-
schränken, der in 24 Stunden durchmessen werden kann, z. B. auf eine
Provinz oder eine Ortschaft Man kann also zunächst bloÜB von einer
Landschafts- oder Ortschaftseinheit (uniti de Heu en ginirtUy'me
Gomeilie sagt) reden, die in Süvanire denn auch mit recht verwickeltem
Ortswechsel verbunden ist*^
Nichts in dieser Vorrede verrät Kenntnis noch Einfluls Ohapelainscher
Gedanken: was Mairets und Chapelains literarischer Kritik gemein ist,
stammt aus den j;emein8amen Quellen ; was für Chapelain charakteristisoh
ist, fehlt bei Mairet
* Die Zeit tod 1628 und 1629 macht In der Geiehiehte der Pariser BOhae
flberhaapt Epoche: der Streit nm die Zeitregel entsteht; Mondory grttndet ein
nenee Schauspielhane; nachdem Hairet Torangegangen, debütieren non Botroo,
Gombaad, Bajesigoieff Da Ryer, Scud^, Cknrneille nnd andere als Theaterdichter.
Et stellt ein IKscher kräftiger Zng eich ein.
* In seinem Abdmck dieser Tragikomödie von 1628 (Ane. Aiätrt ßrm§ak,
1856, VIII, p. 7) sagt VioUet Le Dac, daTs dies die zweite vermehrte Anflage
einer Ansgabe des Stflckee Ton 1608 sei, die er nicht selbst gesehen. Die Sache
verlohnt eine nähere Untersachnng, anf die ich anrflckkommen werde. Das Stack
von 1608 ist ein wesentlich anderes: 7^ ti Sidon, tragddiet euU$ fimutrai amoUri
de Bdcar ei MeKeme etc., in 5 Akten, mit Chftren nnd erheblich weniger Personen.
Die Umwandhmg dieser antikisierenden Tragödie von 1608 in eine Tragikomödie
von 1628 ist eine sehr interessante lUnstration snr Theatergesohichte der Zelt
Hardys, welche die Benaissancetragödle ins romantische Schanspiel flberflihrt. Die
SoeieU dea TexUe fircnqaie modtmee könnte das König Jakob I. von England ge-
widmete Bändchen von 1608 mit Nntawn neu drucken.
' Nach seiner eigenen Angabe (Otto, 1. c p. 9) bewog Ihn das Zureden das
Grafsn Garmail nnd des Kardinals Valette de compoeer mm paetonde avee toutee lea
rigmeure que ke ItaHeiu omt aecoükimd de praäquer em eet agrdabh gmure ^icrire.
^ Der Ausdruck $eme ambviatakre für die bunte HardTSche Inssenierong stammt
von Sara sin, VOTrede zu Scndirys JßHour tgrammque,
^ In der Vorrede su seiner Pastorale Amanmthe billigt Oombaud im näm-
liehen Jahre (1681) die Beschränkung der Zeitdauer anf swölf Stunden, du mmdie
am mÜT ctt du emr am ntadm. Die Landschaftseinheit werde sich auf dne Insel oder
dne ProTlns beschränken.
28*
.486 Bearteilungen und kurze Anmgen.
Die in den Salons mit Beifall ÜbenchAttete Süvanüne wurde im H6tel
de Bourgogne (1680) ohne Beifall gespielte Die Zeitregel, sa^ nachher
Mairet selMt, est de trie diffieüe obwrvation ä cause de la sÜrättS des beaux
effeU qtii rarement sepeuptnt reneonirer dans un st petü espaee de tempe.^
uest la raison de Vudtd de Bourgogne que mettent en aivani ^ueiauesHms
de nospo^tes qui ne s*y veiäent pas assmfetttr. Und Baysaiguier bemerkt
1632 (Otto, L c. p. OaIII): La plus grande pari de ceux qui portmU le
testen ä VBStel de Bourgogne veulent que Von eontente leurs yeua wur la
diversiU et ehangement de la faee du thkUre et que le grand nombre des
aeeidmts et aventures extraordinaires leur Stent & eonnaissance du stifet:
ainsi eeux qui tfeulent faire le profit et Vawmtage des messieurs qui reettent
leurs vers sont obliaSs cPSerire sans observer aueune r^le.
Die Schauspieler und die für sie schreibeDden Dichter lehnen also die
Feseel der neuen Zeitregel ab. So wurde der Streit um die B^pel zu
einem Ejtmpf zwischen Salon&sthetikern und Bfihne, zwischen den
*doetes' und den *ianor€ints\ zwischen Theorie und Praxis.
Zu Mairets italienischer Theorie bekannte sich G o m b a u d. Auf selten
dieser Salonkritik steht natürlich auch Richelieu, der eben damals
daran ginff, sich ein Salon theater zu erbauen. Auch Ghapelain, der
schon in oer Vorrede zum Ädone zu erkennen gegeben hatte, dals ihm
der jour naiurel für das Drama als eine Forderung der vraissemblanee er-
scheine. Als der verwunderte Gtodeau ihn 1680 nach der neuen Begel-
erfindune fragt, gibt er die schon oben zitierte briefliche Antwort (cf. oben
8. 5 und 7), die, wie ffesagt, in keiner Weise verrät, dais er sich mit
deih nun schon zwei Juire dauernden Begelstreit näher beechäftigt habe.
Jetzt erwähnt auch Ghapelain, daCs die Beobachtung der ZeitregeT natur-
fl[emä(8 eine Vereinfachung des Handlungsortes zur Folge haben werde.
£r spricht durchaus noch nic^t von einer unitS de lieu, sondern er drückt
sich allgemeiner, eanz im Sinne der Landschaftseinheit aus, wie da-
mals auch die anderen taten.'
Dafs der theaterfreundliche Richelieu erst durch Chapelain, der kaum
vor 1684 zu ihm in Beziehungen trat, von einem dramaturdschen Strdt
unterrichtet worden sei, wel(£er seit 1628 Theater und SiQons erfüllte,
hält vor streng chronologischer Betrachtung nicht stand.
Die Rücksicht auf den Bühnenerfolg bestimmt Mairet, in seinem
nächsten Stücke wieder von den alten Ireiheiten Qebrauch zu machen
(1682: Les galanteries du due d'Ossone), Die iragieomSdie Virginie (1633)
aber mit ihrer komplizierten Szenerie unterwirft er von neuem der Zeit-
r^eL
Inzwischen griffen andere auf die Tragödien Senecas zurück und be-
arbdteten, unbekümmert um diese Zeitregel, seinen Thyestes oder seinen
'sterbenden Herkules' (Botrou 1684).
Von dieser Seneca-Renaissance angeregt, schrieb auch Mairet
eine Tragödie, Sophonisbe, und liefs sie (Dezember 1684) im Maraistheater
au&ühren, das der Salonkritik mehr entg^enkam. Die Handlung verläuft
^ Die antiken Tragödien und Komödien erscheinen ihm denn anch handiongs-
ann und en qutlque fagon mnuymtset (Otto, I. c. p. 19).
* Im Febroar 1685 eendet Chapelain an Boierobert die Abschrift einer kleinen
dramatai;gi8chen Arbeit (la oopU de oet rigle» de la eomSdie). Es ist damit wobl
eine Skime gemeint, wie eie bei Amauld p. 847 eich abgedruckt findet. Es ist
leicht mlSglich, dafli diese kompendiöee Zusammenfassung für die seit 1684 be-
stehende Genossenschaft der emq auteurs bestimmt war. Hier braucht Chapelain
Eum ersten Male den Ausdruck vnitS du Heu, aber der Zusammenhang leigt deut-
lich, dafif er immer noch die Provinz- oder Landschaftseinheit meint und
nicht die vmüd de Um im späteren strengen Sinne.
BeurteUangen und kurze Anzeiget!. 497
innerhalb 24 Standen. Die Bühne zeigt das Innere eines Königspalaates
mit dessen Umgebung; mitten im fünften Akt wird durch Ennemung
eines Vorhanges ein weiterer Baum ^eöfinet, in dem die tote. Königin
liegt So zei^ die rhetorische Sophontsbe wirklich Einheit des Ortes.
Diese Sophonübe schwellte den Strom der Tra^diendichtung, der seit
anderthalb Jahrzehnten versiegt war. Fast jeder l)ichter schrieb 1(535|36
sein regelrechtes Trauerspiel: La Calpren^de einen Hükridatea, Cor-
neille eine Medea, Desmarets eine ÄBpanct^ Tristan eine Mariamney
Benserade eine Qeopairti, Sogar Sender 7 'genügte den G^^ehrten'
durch einen öcuary um dann durch die Buntheit einer Dido (1687) wieder
'das Volk zu befriedigen'. Mairet selbst, der Führer der ganzen Be-
weffun^, gab noch einen MareuB Antonius und einen SaUman, Botrou
hidt sich fem.
Alle diese 'regelrechten' Tragödien zdgen noch kombinierte Inszenie-
rung. Das Beste unter ihnen» Tnstans Mariamney bedarf fünf versdiiede-
ner, aber benachbarter örtlichkeiten {eompartiments) : Thronsaal, zwei Oe-
mficher, Gefängnis und offene Halle.*
So ist mit dem Jahre 1635 der Sieg der 24-Stunden-Begel gesichert
In der Vorrede zu PanthSe (Anfang 1689) erklart denn auch Durval,
dafs die ^rigtdtera' nun seit reichlich drei Jahren die Bühne beherrschen.
Es ersdieint als ^anz natürlich, daXs — wie schon das Beispiel von
Mairets Sophonübe zeigt — auch der Handlungsort des zeitlich verein-
fachten Dramas sich immer mehr vereinfacht, und daXs die Tlieoretiker
hier nachzuhelfen sich bestreben, um die Landschafts- und Ort-
schaftseinheit der kombinierten Szene' zur strenseren unkombinierten
Ortseinheit zu führen. Noch 1685 kennt auch Cnapelain nur cUese
Landschaftseinheit (vgl. S. 9 Anm. 2). Aber schon im bommer 1686 zei^
Durvals Argument zu Agarite, dais die Kritik angefangen hat, die Einheit
des Ortes zu fordern, und bekanntlidi verlangt dann im Dezember 1657
die junge Akademie in ihren SenÜmentg sur Je Cid diese strenge Orts-
einheit als Eonsequenz der Taeeseinheit
Aber diese Forderung blieo zunfichst wesentlich Theorie. Im Jahre
1639 tadelt Sarasin, dius die Dichter noch einige Beste der alten Hardy-
schen Inszenierung bewahrt hfitten : leur sehne est hien en une seul evule
mais non pas en un seul lieu (Otto, 1. c p. CXVI).
La Mesnardi^re stellt in seiner Poetique den Stand der 'göttlichen'
Regeln für 1640 dar. Auch er bezeugt noch die Ortschaftsemheit mit
kombinierter Inszenierung. Der Abb^ d'Aubignac aber fordert 1657
in seiner I^atique du ihmtre die strenge Ortseinheit, die nun, wie er sag[t,
auch herrschend zu werden b^nne, nachdem die Zeiteinheit sdt zwanzig
Jahren zur Regel geworden. Und der Erste, der schlielslich dazu kommt,
die umU de lieu im allerstrengsten Sinne als 'Zimmereinheit' zu formu-
lieren, ist Corneille, der 1661 einen Ausweg aus seinen Inszenierungs-
nöten in der Fiktion jenes Vestibüls, wo alle rersonen in gleicher Wase
zu Hause sind, findet {(Eki/vresy ed. Marty-Laveaux I, 121).
Ich bitte meinen Freund Bovet um Entschuldigung dafür, dafs ich
alle diese Dinge hier aufzähle, die er ebensogut kennt wie idi. Doch,
wollte ich seinen scharfsinnigcoi Ausführungen mit Aussicht auf Erfolg
widersprechen, so war es unerlfilslich, das Wesentliche aus den zeit-
^ Mit dieser Inuenienmg wurde Mariamne im Februar 1897 im Odion auf-
gefflbrt
' Zur kombinierten Ssene gesellte sich bereits anoh der Ssenenwecheel mit
Hilfe von Yorhftngen und Knlissen (vgl. Archiu CVII, 448 £), den besonders Sou-
d4ry braucht. Bine ntttzliche Zusammenstellnng sdner schwankenden Ortsbehand-
Inng gibt A. Batereau, G. de SctMry alt Dramatiker, Ldpsig, 1902; & 170 iL
4B8 Beurteilongeii und ktine Anzeigen.
gendsBischen^ZengniMen hier zuBammenzufagen. Denn nicht die iso-
erande Betrachtangsweize, sondern blofs solche Zasammenffignng setzt
die Entwickelungsvor^ge in deutliches licht Das Detail gewinnt erst
hier seine Kraft: Vumon faü la foree gilt auch davon.
In der Lateiatnreeschichte — wie in der Geschichte überhaupt —
werden entscheidende Bewegungen gern auf bewufstes Eingreifen besUmm-
ter Persönlichkeiten zurückgeführt und so eine anekdotische Erklärung
bedeutsamer geschichtlicher Vorgfinge geschaffen. Der Mensch neigt dazu,
alles Denkwürdige auf einen bestimmten Namen abgestempelt zu sehen.
Dioer Neigung zur Le^nideDbiidung sind audi die sogenannten 'drei Ein^
heiten' zum Opfer gefallen^ und zwei G^ewIUirsmänner des achtzehnten
Jahrhunderts, die Seoraistana und D' Oliv et, erkl&ren denn die 'Ein-
führung; der drei Einheiten' als die Tat Chapelains."
Keiu Zeitgenosse weüs etwas davon, und was uns die Zeugnisse der
Zeitgenossen — - Ghapelain inb^riffen — über dramaturgische Dinge dir
Jahre 1628—16.36 lehren, das widerspricht direkt jener nachtra^chen
Überlieferung.
Es han£lt sich nicht um die Emführung der 'drei Einheiten'. Die
unäS faetion ist jederzeit eine unbestrittene Forderung ^wesen. Es han-
delt sich zunächst auch nicht um die uniU de Ueu; diese tritt erst im
Laufe der Jahre im Gefol^ der Zeiteinheit auf, braucht Jahre, um for-
muliert zu werden, und Jahrzehnte, um durchzudringen.' Es handelt
sich nur um die rigle des 24 heures. Diese wird dur<£ das Beispiel der
italienischen Pastoralen um 1628 in die Salons der Pariser SomiU pdie
getragen, und der Einfluls dieser mächtigen Kreise bew^ den Pastoralen-
dichter Mairet 1629, trotz des Widerspruches der Praktiker seine Süvor-
min der Forderung der Salonkritik zu unterwerfen.
Die Zeitregel kommt mit der Pastorale aus Italien.
Das Traffödienjahr 1635, im Gefolge von Mairets Sophemsbe, be^
negelt dann ihren Triumph.
Unter den Namen der literarischen Persönlichkeiten, die in diesem
siebenjährigen Kriege hervortreten, feblt der Ghapelains. —
K Brugger, der seit Jahren mit tief eindringender Arbeit das Ge-
biet der bretonischen Sacen und ihrer franzMschen Überlieferung durch-
forscht, bringt einen 'Beitrat zur Arthurischen Namenforschung'
und handelt über Hain de Oomeret.
* ZweifelloB wird bei dieser Legende ChapeUin flberhanpt eine persönliche
Bedentnng sogesehrieben, die der junge Mann gegen 1630 noch gar nicht hatte.
In der Erinnening der Nachwelt lebte eben der spHtere Nephelegeretes Chapelain
weiter, der dann besondere unter Masarin das literarische Wetter machte, bis das
Boileaa-Qewitter ihn wegfegte.
* Die Geschichte der umU de Heu ist ein Kapitel flir sich. Es ist immer
noch nicht geschrieben trots aller Abhandlungen tnr Geschiehte der drei Ein-
heiten. Wer sie schreiben will, mnOi besondere aaf swei Dinge achten. Erstens
mnSk er in der DarStellong der Theoretiker wohl scheiden zwischen der alteren
Rordarung einer bloften VereinfaohanK der HandlnngsOrtlichkeiten (of. Madias,
1550} Seal ige r, 1561; Mairet, 1631, LandschÄseinheit) und der späteren
Forderung einer eigentlichen Ortseinheit (CasteWetro, 1570; Jean de la
Taille, 1572; Carlos B07I, 1616: dentro tma com; Aoadimie fran^aise,
1637). Zweitens muft er die seitgenössiBche Bühnenprazis der mUt «» «odn«
(kombinierte Insaenierung mid Kulissenwechsel) genau verfolgen. Was eben die
Ortsdnheit von den beiden anderen Einheiten trennt, das ist, dafli sie einen tiefen
Eingriff in die ttberlieferte Bühnenprazis bedentet Dieser Umstand hielt Ihren
Tciaaph hltatan.
BettrieUangen und tnirae AnMigen. 49$
Alain de Gwneret klingt auch dem, der im Cjyeto ftrtftof» emigematon
belesen igt, fremd. Und wirklich findet aich der Name m dicMr Form
nirgends in der Arthur-Epik. Brugser aber hat seme Spur doch übendl
gefunden — als Namen von Perceyais Vater.
De Qomerei begegnet als bretonische Heimatsbezeichnung^ bei
mehreren Namen:
Ban de Oimerei (z. B. im Ereo und Perewal Chr^tiens; im Btau D^
eannu); Elinan, EUan dt Oomeret (in den Ph)ph. de Maiin); Marin
le jalou» de Oamerety Qomoret, Oomarä (im Perhevaue),
Es findet sich ein Alain (le groe) als Vater Percevals in den meisten
französischen Perceval-Bomanen.
Als Personenname ersdieint Oomeret (Oaumerei) mit dem biB«>
tonischen Attribut mor (— der Qroise) im Atre pSrüleuK und, wenn Bruder
cegen Hertz und Heinzel recht hat, bei Wol£ram. Wolfram nennt aen
Vater Perceyais Oakmuret (von Anjou). Dieser Qakmwret^ mit dessen
G^eschichte Wolfram die beiden ersten Bflcher seines Pürxival füllt, wfirde
einem Oomerety Oaumerei des verlorenen Quietschen Pereewü entsprechen,
und in diesem hätte der Verfasser des Ajtre pSräleu» den Namen gefunden.
In die Vielheit dieser Namen bringt Bruggers Schar&inn Einheit:
ihr gemdnsamer Ursprung ist in Alain de Oomeret zu suchen.
Oomeret ist die auf graphischem Mi&yerständnis beruhende Namens-
form, mit der die französischen Bomane die altbretonische Landschaft
Quenei (=» franz. Vannee) bezeichnen (der Name kann dann* wohl auch
die Bretagne flberiiaupt bedeuten).
Alain mor \de Oomerä] hiefs ein historischer Graf von Vaanes (f 908]),
der schlieislich Herrscher fiber die ganze Bretagne ffeworden war. Die
Überlieferung der Lais und Romane hätte also den Namen dieses Alain
mor [de Oomerei] merkwürdig ^trennt in: einerseits Alain, dessen Beiname
mor dem Attribut le gros wich, das von einem späteren bretonischen
Grafen Conain le ^ros (f 1148), dem Sohne Alain Fergants, her-
käme (cf. den Lai Ikdorel); anderseits Oomeret, was mibyerstuidlich zum
Personennamen gemacht wurden
Da diese Überlieferung im Französischen wesentlich schriftlich w«r,
so waren die fremden Eigennamen argen VerstQmmelunsen und Ver-
wechselungen ausgesetzt, und damit ist denn auch bei dieser Namen-
forschung der Hypothese ein weites Feld eröfinet Falsche Schreibung
oder Lesung, Kleckse, welche einen Teil des Wortes entstellen, Vertau-
schung Yon Buchstaben und Buchstabengruppen, Abfall ganzer Silben
sind mehr oder weniger authen tische Vor^nnge, die zwischen scheinbar
unverwandten Namensformen willkommene Brücken zu schlagen geetattoi.
Dem Lindsten schwindelt bei diesen Kombinationen — docn hat er hier
wenig mitzureden, da es sich nicht um lautliche, sondern um graphische
Vorgänge handelt. Man wird Brug^r, der sich auf diesem glatten Boden
mit groTser Sicherheit, aber auch mit grofser Vorsicht bewegt — wie oft
sagt er 'vielleicht', 'wohl', 'es dürfte' — , bei seinen einzelnen Schritten
meist gern folgen und doch am Ziele auf die durchlaufene Bahn mit
einem Gefühl der Unsicherheit zurückblicken. Aber lehrreich ist der Weg,
und Dank schulden wir dem, der ihn 80 scharfsinnig gewiesen hat-
So verfolgt Brugger die Hietoire poSHque des Alain mor [de Oomeret]
des 9. Jahrhunderts durch das Wirrsal der bretonisch-französischen Über-
lieferungen und ihrer fremden (griechischen) Einschläge. Von ihr aus
fallen fesselnde Streiflichter auf Entstehung und Churuter des französi-
sdien Oyde breCon. Z. B. auf die Stammsage der Bretonenfürsten {Lai
Tidorel)^ und des Hauses Bouillon (Sdiwaniittersage) und ihre Verknflplong
^ In der Deutung des Details dieses merkwflrdigen Lai vemag loh freBloh
Br. nieht flberall sa folgen.
440 Bearteilimgen und kurze Anzeigen.
mit dem Pwflral^Bomaii, auf den griechiechen ünprune des yerlorenen
ßagremor-BomajiB etc. Das Vorkommen von Mohrenlana und Barazeoen
m den Bpäteren Arthur-Romanen wird beeprochen; ee werden Spuren der
Überlieferung von den Kämpfen der Bretonen gegen Goten una Franken
«ifpialisiert ; das Verhältnis von Pgreeval und Laneeloi (gemeinsame Quelle)
wird cestreift — Brugjg;er verweist hier, wie nicht selten, auf Untersuchungeu,
mit denen er noch nicht ans Licht getreten ist, und deren Veröffentlichung
man mit Spannuu^ entgegensidit. Das gilt besonders aucK für seine Be-
merkungen zur Kiot-Fnige. BrugwBr, der uns länsst eine Ausgabe der
Werke Guiots von Provins versprodien hat, wird in dieser Ausgabe seiner-
seits den Nachweis yersuchen, dals Ouiot in angevinisdiem Interesse einen
«ngevinis^en iVoaiHi/ mit Beigabe sekundärer kymrischer Züge ge-
Mlirieben, der Wolfram als Must^ sedient Dieser angevinische Tendenz-
roman sei dann mit dem Sinken &t Macht des Hauses Anjou der Ver-
gessenheit aafadmgefallen und der Nachwelt verloren jg^egsmgen. Diese
Auffassung zu besprechen wird erst dann an der Zeit son, wenn Brugger
ihre ausfimrliche Begründung gegeben haben wird.
Bein ganzer Aunatz ist ein neuer Beitrag zur Lehre von der breto-
aiachen Herkunft der französischen Arthur-^ik. In der einst so leiden-
schaftlich geführten Diskussion dieser Frage ist man jetzt ruhiger ge-
worden, und Brugger selbst hat seinen Ton zum Nutzen der 8adie ge-
mäfsigt. Ich gehöre zu denen, die der von ihm vertretenen Auffassung
im wesentlichen recht geben, ohne einen frühen kräftigen britisch-an^^o-
normannischen Einschl^ in dem bunten Gewebe der französischen Arthur-
Epik zu leugnen. —
Das Patois von Orimmu^ betitelte sich eine Inauguraldissertation von
1896, die im Druck indessen nur die Darstellung des Vokalismus bot.
Ihr Verfasser, W. Degen, träft hier aus sdnem Material Die Konju-
gation im Patois von Cremines nach. Leider verschwindet dabei
ein Teil der Lautlehre, die Darstellung des Konsonantismus, in der Ver-
senkung, und der Leeer steht nun manchem Problem der Verbalformen
zu wenig ausgerüstet gegenüber. Hoffentlich schenkt uns Degen nach-
träglich auch diese Konsonantenlehre noch.
Das Verbum von Or^mines ist reich an Problemen, gemeinwest-
schweizerischen und eigenen.' Die Mundart ist am Absterben und zeift
in der Konjugation Erscheinungen, die man als Zeichen des Verfalls, d. n.
des schwindenden Sprachgefühb ansprechen möchte.
Das lautliche Zusammenfallen von Infinitiv und Part perf. in den
Verbeo auf -ore und -vre (auch anderer Verba, wie z. B. füoä = cadBre
und *eadectu) führt dazu, dais oyü und marii als Infinitive in Gebrauch
gekommen sind.' Wie das Partizip den Infinitiv erneuert, zeigen auch
* Crtoiines li«gt im Jnra an der Sprachgrense, die dort sogleich bemisch-
Bolothamisehe KantonsgreDie ist
* DaA hahvibm dem Verb ^ sein Put. perf. liefert: % iö äyü (= fm iti),
darf freilich nicht als eine Crteiines eigentümliche Erscheinnng angesprochen wer-
den (§ 30). Sie ist nicht nur gemeinweatschwehteriseh (cf. S. 192, 298), sondern
weit ttber romanisches Gkbiet verbreitet, und seit Ganchat 1900 in der Festschrift
fttr K Monaci über sie gehandelt hat, ist sie aach von Salvloni {AreK gloäoL
XVI, 208) besprochen worden. Einen Hinweis bringt aach dies Arekh CIX, 197 n.
' Wie anf der Basis des i^losen Infinitivs eine Verwechaelnng mit dem Part
psif. eintreten kann, seigt das snrselviBche • (gehen; mit der Nebenform ira aus
in '{- ad, wie Gärtner, Mtorom, Grammatik, p. 186, richtig erklärt). Das Part,
perf. von I heifBt im Sing. w$^ im Plnr. i. EU em i (sie sind gegangen) wird nun
n eis mm tra, was trotz Ascolis Bedenken {Areh. gloU. VII, 511) nicht als Prisens,
Beuiteiluiigeii und kunEe Anceigen. 441
die Verba, die das r des Infinitivs noch erhalten haben. 80 ist röire <
rumpere nicht schwer zu denten (§ 9), sondern ans dem Part ^rummUt
entstanden wie trentinisches rotter aus ruptu, Bonire fand Nigra in V al
Soana {Areh. glott. HI, 88, wo er auch auf die weitere Verbreitung der
Form hinweist), und seither hat sie Salvioni auch im Pavesischen nach-
gewiesen (ib. XV, 86 f.). So sind denn auch ffewüs die merkwflrdigen
Infinitive äpü^r (appuyer), didt^r {Jouer) etc. Neubildungen auf Grund der
Part äpü' etc.
Dais die endungsbetonten (Plural-)Fonnen des Konjunktiv praes. teil-
weise mit den Imperfektformen zusammenfallen, ist ja gemeiniranzOsisch
('ions, -M»). Eine Beihe westschweizerischer und ostfranzösischer Mund-
arten haben diese Betonung auch auf die 8. Pers. Plur. aussedehnt, so
dats der ganze Plural von mperf. und Eonj. praes. zusammenfällt Viele
Mundarten des franko -provenzalischen Gebietes haben bekanntlich auch
im Singular des Eonj. praes. endungsbetonte Formen entwickelt und da-
mit diesen Eonj. lautlich dem Imperf. noch mehr genähert Aber bis
jetzt ist nur in Cr^mines der völlige Zusammenfall der Endungen von
Konj. praes. und Imperf. indic beobachtet worden. Man wird durchaus
geneigt sein, diesen Zusammenfall lautiich — und nicht analogisch --- zu
erklären, doch fehlt ffir eine fruchtbare Diskussion noch die phonetische
Grundlage.'
De^ns Darstellung ist sehr knapp; ein reiches morpholo^chee Ma-
terial ist auf wenigen Seiten zusammengediimgt und übersichtlich ge-
ordnet Die Probleme treten scharf hervor; doch hat der Verfasser mit
Becht auf billige Gelegenheitserklärungen verzichtet und auf die groisen
Zusammenhänge hingewiesen.' —
Aus seinem umfangreichen Werke über Dante inIVaneia gibt A. Fari-
nelli hier einen weiteren Vorläufer: das Kapitel Dante nelTopere di
Christine de Pisan.
Fast zu gleicher Ztit zogen von Italien nach Westen und nach Nor-
den die beiden ersten literarischen Verkfindieer Dantes aus: der Genese
Francisco Imperial nach Spanien und die Venezianerin Christine nach
Frankreich. Wie Imperial sich auf der Spur Dantes abmüht, zeigt Faii-
nelli in seiner Arbeit Dante inLmaana neu* Etä Media (v^L Archiv CXV,
270). Christine ist eine ungleich oedeutendere Persönhchkeit als jener
Genuese. Streben, Gesinnung und Wissensdurst brachten Dante ihrem
Denken und Empfinden inhaltiich nahe. Augenscheinlich erbaute sie sich
an ihm, wenn sie auch aus seiner G^edankenwelt wenig direkt sich zu eigen
zu machen vermochte. Die Macht des Poeten mag sie geffihlt haben, aber
künstlerisch bldbt Dante auch ihr nicht nur unerreichbar — der Eünstler
bleibt auch ihrem Schaffen ^md. Christine hat keine Gestaltungskraft,
und eine persönliche Note ist in ihren Werken eigentlich nur da erkenn-
bar, wo sie von ihrem Unglück spricht oder ein Liebeslied singt.
Bondem als historisches Perfekt anfinifMsen iet, wie der Zosammenhang der Texte
zeigt VergL s. B. Chm mh «t ira in den Prmäat tursehamai in Böhmen Rom,
Sludim n, 188, 8.
* Warum sollte a. B. räü (teuf) nicht re$(ejeart sein (§ 12)? Cf. Jetst
OiUiöron et Mongin, * Seier dornt la QauU remam du tud ei de Vut, Paris 1905. —
Ist nicht dbrü'r (aeakr) ^ franz. hroyer (§ 18)?
* Der Ansdmck: 'es wird ein y eingeschoben snm Zwecke, einen dnreh den
Fall eines Konsonanten entstandenen Hiatos an beseitigen' ist sehr anfechtbar.
Solche Zwecke darf man dem Laatwandel nicht setaen. Die Sprache scheut keinen
Hiatus; wohl aber entwickeln eich swiechen Vokalen leicht hörbare Übergangs-
laate. Vergl* das« Gknras Abhandlmig (AimM dijik rem. VI, 466 ff.).
442 Beartttlungeii und kurze
Es ist Ihr VerdieDst» mm ersten Male in franzöeifloher ßpracfae von
DmU de FTormee, dem vaiüantf dem sage poele gesprochen zu haben. Sie
stellt das Buöh ou'on appeüe le Dant en lanaue fiorerUme eouperamemeni
düte* als eme Quelle höherer Belehrnng und edlerer Art dem yerabschenten
Bosenraman gegenüber. Von der Überzeugung erfüllt, dals wisseBBchaft-
lidie Bildung die Blüte des Daseins ist» wählt sie das Itmgo ahtdio, mit
weldiem Dante sich bei Vergil legitimiert (Inferno I, SS), zur Lebensiittf-
gbe. Sie schreibt das Buch vom Chemin de long Hude (1402), indem sie
mtes Wort _. ,. . _ . ^ .. „ .
Ckn m*a fatto eerear lo iuo wiume
ZU ihrer Derisei zu ihrem Stoisgebet macht:
Kat27t mojf lang ^ttude
Qui m'a faU cerckier Ut wthoMt,
Am Anfang ihres endlosen allegorischen CSlemm zeigt sie dnige Dante-
sche Beminiszenzen (an den Limbo mit seinen Gelehrten und Dichtem,
an das Paradiso terreetre) — auch in den zunfichst folgenden Werken
(Mitkteion de fortune, Vietons, Livre de F^rudenee) verweist sie noch auf
Dante und entlehnt ihm dort eine Inyektiye, hier einen Hinweis auf lee
jgg/w (fenfer oder den Spruch von der viriti ^i face a de men^onge (B%f.
JLVl, 124). Dann aber entschwindet der Dichter ihrem Gesichtskreis;
Italien und seine Sprache werden CSbristine fremder in der Not ihrer fnm-
zösischen Existenz. Seit 1407 scheint sie Dante nicht mehr zu nennen,
und sichere Spuren der Oommedia yermag auch das scharfe Auge Fari-
nellis bei ihr nicht weiter zu finden.
So ist Dante in ihr nicht sehr lebendig geworden. Sie sieht aus engen
Schranken zu ihm auf. Sie kennt von seinen Werken nur die Oommedia,
Diese ist für sie ein opus doctHntüe. Der so persönlich geprägten Ge-
dankenwelt dieser Oommedia vermag die unermüdliche Kompilatorin eigent-
lich nur das Unpersönliche zu entnehmen, das, was sich schon in den
Quellen Dantes, in der Bibel, bei Boethius etc., fand: Gemeinplätze der
mittelalterlichen Wissenschaft.
Das zeigt uns FarineUi mit reichem Kommentar, und er gibt uns zu-
gleich ein sympathisches Bild der strebenden Frau, die sich selbst treffend
eine anoilla seientiae genannt hat. Er schöpft dabei auch aus ihren un-
Sedruckten Werken. Wieder erfüllt der Umfang seiner Belesenheit und
ie Fülle seines Gedächtnisses mit Bewunderung, und zum Geffihle der
Sicherheit, mit dem der Leser sich diesem Führer überläfst, gesellt sidi
die Freude an der kunstvoUen Darstdlung, die das Wort Dantes mit der
Bede Christinens in den fesselnden Text verwebt. —
A. Fluri erzählt nach den Akten des bemischen Staatsarchivs 'Die
Anfänge des Französischunterrichts in Bern*, die in die zweite
Hälfte des 17. Jahrhunderts zurückgehen. Es sind sehr bescheidene An-
fänge. Sie bezeugen ebensowohl die Ängstlichkeit des Bats in Sachen
der Niederlassung von Fremden als das alte Elend des Sprachmeister-
tums. Was den Bat bewegt, die Einrichtung französischen Unterrichts
seit 1H75 ernstlich in Erwägung zu ziehen, ist der Umstand, dals es be-
reits damals in der Bürgerschaft Sitte geworden war, die Kinder zur Er-
lernung der Sprache ins 'Welschland' zu senden, wodurch 'ohngleüblich
vil gelt auls aem land und hingegen vil böse Sachen eingebracht werden.'
Aber das Jahrhundert ging zu Ende, ohne dafs die amtlichen Schreibereien
zu einer Tat führten. Eine Eglise fran^ise war schon 1624 errichtet und
eine Ecole firan^aise für die Refugiis, die nach der Aufhebung des Ediktes
von Nantes in Bern Zuflucht gesucht hatten, 1689 gegründet worden.
Aber für die Bemburger^ die 'welsch' lernen wollten, gcMshah von Amts
Beurteilangen und kurze Anzeigen. 44S
w^en noch lange Jahrzehnte nichts^ obwohl der Schubat 1726 erklärt,
dab 'die frantzösische Sprach heüt zu Dag fast in der gantzen Welt üb-
lich und zum Commercio höchst ndhtig iat.' Erst 1769 wurde ein — un-
glücklidier — Verauefa gemacht, Französisch in den Unterricht der Latein-
schule aufzunehmen, und erat zehn Jahre später enchdnt diese Sprache
nun endgiiltig im Stundenplan einer städtischen Lehranstalt: der neuge-
gründeten sogen. Kunstschule, wo sie 'anstatt der todten Sprachen, von
denen man im gemeinen Leben selten einen Gebraudi zu machen weife,'
gelehrt wird.
Fluris interessante Mitteilungen zeigen aufs neue, da(s Bern yon alters
her bei allem französischen Firnis eine deutsche Stadt gewesen und ge-
blieben ist Die siegreichen Burgunderkriege, die Reformation, die Er-
oberung der Waadt hatten ohnemes peit Ende des 15. Jahrhunderts das
deutsche Empfinden gestärkt: Französisdi war die Sprache der besiegton
Savojer und Bur^nder und der unterworfenen Waadtländer. Der^at
der Stadt Bern hielt jederzeit am Deutschen als seiner Amtssprache fest.
Um die Mitto des 16. Jahriiunderts weigerte er sidi sogar, Mitteilungen
fremder Gesandten in französischer Spradie ent^egenzundimen. Die Verr
hältnisse zwangen ihn hier natürlich bald zu Konzessionen. Die stete
Beriihrung mit welschen Untertanen machte den regierenden Familien das
Französische vertraut: französisdie Bede wurde gldchsam zum Zeichen
der Begimentefähigkeit, und mit dem 18. Jahrhundert kam die Zeit, da
das vornehme Bern verwelscht war wie — das vornehme Berlin. Doch
blieb Deutsch die Amtssprache, und der Bürger fuhr fort, sein biDscheft
Französisch mühsam durch Privatunterricht <äer ein hinsehen Schule und
etwas 'Welschland' zu lernen — wie heute.
Zum eretenmal wird die Frage der Einheitlichkeit des Lautatandes
einer Mundart zum G^^nstand systematischen Studiums gemacht von
L. Gauchat: L'unite phon^tique dans le patois d'une com-
mune. Der reiche Inhalt dieser Arbeit über den Dialekt der fraiburgi-
schen Gemeinde Charmey' (Gruy^e) muTs ebensowohl den Mundarten-
foracher wie den Sprachphilosophen fesseln; der Beobachter sprachlichen
Kleinlebens findet m ihr den Mibrokosmus des Details, una wer wate
Ausblicke liebt, vor dem rollt Grauchat die grolsen Fra^gen des Lebens
aller Sprechtätigkeit auf.
Die Erfahrung einer langjähri^n und unermüdlichen Patoisforschung
diktierte ihm die ereten Seiten; sie bilden ein Vademekum für den Lin-
guisten, mag er selbst Dial^taufnahmen machen oder die Aufnahmen
anderer benutzen. Sie orientieren mit Hilfe präziser Angaben über die
Kautelen, die zu beachten sind, über das Mala de« Zweifäs, das berech-
tigt, über das Mais des Vertrauens, das unanfechtbar ist
Gauchat hat sdt 1898 wiederholte umfangreiche Unterauchungen in
Charmey vorgenommen, und seine Aufnahmen eistredren sich üto die
ganze, weit ausgedehnte Gemeinde sowie über die Nachbanchaft, über alle
Alter und Berufe. Er ^haschte noch einige Laute von einer fast hundert-
jährigen Greisin : la banne vieiUe venaü de mettre de eSti pour tatffours eoH
raueiy et, lisant la Bibie auprie du eereueil qu'elle avaü faü faire cPavanee,
eile n'itaü d^ plus de ee numde, — Seine sukzessiven Aufnahmen von
etwa fünfzig Individualsprachen kontrollieren sich gegenseitig. Sie sind
ohne Hilfe eines Apparats von einem ungewöhnlich scmirfen und geübten
Ohre gemacht
^ Chanroy liegt, 900 Meter hoch, in der (Vstlichen Gruyire, hart an der
deatschen Spraob- und Kantonsgrenze. Es ist ein groftes Dorf (1250 Einwohner).
Fast identisch ist die Mundart des benachbarten, eine kleine Stande entfernten
Otmist
444 BeaiteUuDgeA and kurze Aiuseigen.
Oauchats ünterrachiing gilt, wie der Titel seigt, vor allem den
SchwankuDgen, die der Lautstand der Mnndart von einem Individnnm
mm anderen zeigt; seine Arbeit ist ein aus dem lebendigen Leben pe-
echöpfter Beitrag zur Kenntnis der Natur des Lautwandels.
Er beginnt mit einigen orientierenden Ausführungen über den — ver-
schwindenden — Einflufs anderer Mundarten, über den Einflais des Hoch-
französischen* (der nicht phonetisch ist und sidi besonders im Wort- und
Phrasenschatz äuisert). Dann kommt er (8. 191) zu der Sprachbewegung,
die innerhalb des Patois selbst entsteht (moupemeni spontani). Der Be-
wegung der Formen und des Wortschatzes* widmet er nur wenige Worte,
' Die alte mnndartlieh« Konstniktion (8. 190 et p. 291) j va & ww^ (= At
^nmt Uur guSrir) seigt mit ihrem /» eis betontem Obliqaae des Plarele (frans, ma)
STntaktisehe ZngehOrigkeit snm ProTensaliBchen.
* Fflr die Bewegnnf^ Im Worteobats sorgt des Leben. Die neaen Dinge und
die neuen Besiehungen, die sein FloA encb ins abgelegene Alptsl wirft, modÜIxieren
den Wortsdbati. Neben dem Neuen stirbt Altes ab: Wttrter, die einst haufifc
waren, weU die Ton ihnen beseichneten Dinge und Besiebungen alltiglieh waren,
treten mit diesen sorflek und yersehwinden. Diese Bewegung des Wort-
schatses sieht auch den Lantetand in Mitleidenschaft, insofern durch
das Zu- und Abkommen Ton Wörtern und Plirasen (d. b. Lantreihen) in der rela-
tiyen H&nügkeit der Laute und Lantverbindungen, d. h. in der gansen Ökonomie
des Laatgebaades der Mundart, kleine Yersohiebungen erfolgen — kleine mikro-
skopisehe VerseliiebuDgen. Abw Lautwandel entwickelt sich bekanntlieh aus nn-
seheinbarsten Anllbigen. Hinter dem makroskopiechen Lautwandel, den
wir hftren, liegt ein mikroskopiseher, der jenen Torbereitet und dessen Bewegung
wir nicht yemehmen.
Ich sehe in der steten Verlndemng des Wortschatses, Iftr welche das Leben
sorgt, eins Quelle des Lautwandels, d. h. der unserem Ohr und unseren Apparaten
erkennbaren Veränderung des Lantstandes ^er Sprache. Vergessen wir nicht,
daA die Spracblaute aufterordentlich komplisierte Gebilde sind (auch die, die wir
nach ihrem akustiscben Eindruck als einheitlich beseichnen, cf. 8. 219 f.), und
daft diese Gebilde Scbwankungen und Veränderungen ausgesetst sind, die au messen
Ohr ^und Apparat nicht ausreichen. Ans diesen feinen und feinsten Sohwankuugen
und Veränderungen, die jenseit unserer Beobachtung liegen, quillt der sogenannte
Lautwandel, d. h. der phonetische Wandel, der sinnfällig genu^r ist, daft wir
ihn SU registrieren yermögen. Eine spätere Zeit wird ohne Zweifel Instrumente
konstruieren, mit denen wir diesen Lautwandel noch weit hinter die Grensen seiner
heutigen Sinnfälligkeit aurflok verfolgen können ; auch hier wird sich die unendlich
groAe Welt des unendlich Kleinen Tor uns öflhen. Diese spätere Zeit wird mit-
leidig auf unsere heutigen Registrierapparate herabsehen; sie wird mit ihren *Laut-
femröhren' und 'Lantmikroskopen* ein Leben und Weben der Laute erkennen, das
wir heute nur ahnen können — bis ans Ende wird fireillch auch sie nicht sehen.
Also: das Aufkommen neuer Wörter, das Häufigwerden bisher seltener, das
Seltenwerden und der Schwund bisher gebräuchlicher Wörter unterhält in der
Ökonomie des Lautg^bäudes einer Mundart eine stete mikroskopische Bewegung,
die sich summieren und sum Ausgangspunkt makroskopischen Lautwandels werden
kann. Denn es ist augenscheinlich — und ich weUii mich hier mit Freund
Gauchat völlig einig — , dab der Umstand, ob ein Laut resp. eine Lautreihe häufig
(flberhäufig) oder selten ist, ftlr die lautUche Entwickelung einer Mundart von
fnndamentaJer Bedeutung ist: eine ttberhänflge Lautung kann sich, sosusagen durch
das Gewicht ihrer Frequenz, ausbreiten (lautliche Analogie). Bin namhafter
Wortsntritt oder Wortschwund kann aber eben ÜberhäufigkeJt einer Lautung
schaffen resp. hemmen helfen.
So ist das Leben (d. b. unsere Kultur) eine Quelle des sogenannten Laut-
wandels — und swsr eine nie versiegende Quelle, sin wahres perpetuum mobQe.
BearteiliingeD und knne Anzeigen« 44€
um nueh zu seinem eigentlichen G^egenstand, der Bewegonff der Laute,
den phcmetiBchen Variationen^ zu kommen, die er in zwcd gxoiaen Ab»
schnitten behandelt:
A. VmriiU phonUique provenani du rhifthme de la pkraae,
B. Varim pMonäi^ue mivarU rage.'
Eine Fülle linguiatischer Belehrung tritt uns da entgegen. Gauchats
Blick schweift von den eone ehartne^sans zu den Lauten der anderen pa-
tau romanda. Wir er&diren. dais nicht alle dieser Patois in ihrem Laut-
stand beweglich sind, und aais auch innerhalb eines Patois totta lea eone
ne mareheni pas en mime iempe. Die neuen burger Mundarten z. B. zeigen
keine makroesopische Lautbewesung; in Charme^ sind es hauptsftchhch
die Vokale, die in Bewegung Gegriffen sind (sich diphthongieren resp.
monophthongieren) :
A I ^* bewegt sich über fy zu i (mey d^u> mi d^u ~ maie d^aotU).
vortoniges \ ^ ^^^ «ch über twp zu w (t pxow ph > i pxu pä = ü
\ ne pieut pas).
-D I a9 bewegt sich nach a {laf^ > ja a hup).
tontea 1 ^ bewegt sich nach ^ (^ > <^ = <ot^).
l <f bew^ sich nach ao {fave >fnfne = fhtee\
Zu A. Diese vayeUes mobüee ey > i und cu > u sind also nur vor-
tonig, d. h. sie finden sich nur im Innern des Sprechtaktes und auch
hier nur in gelaufigen Wortverbindungen {formte Uiee sagt Gauchat), ey
> i sind die beweglichen Pendants zu betontem ^ (m^ = motSf krf ss
eroioc, v^ = voü) ; (w > u die beweglichen Pendants zu betontem a (• pxa
= ü pleutf ka » ecBur). Dieses betonte ^ und a bleibt auch im Innern
des Sprechtaktes bestehen,^wenn nicht eigentliche Proklise eintritt, also:
la erotx blanche = la kre iidtee, aber le mai» (foHU = b mfy d^u — l9 mpy
^u — h mi ifu.* Welche von diesen vortonigen Formen, die alle —
samt Obergangsformen — der lebenden Mundut zur Verfügung stehen,
im einzelnen ^dl zur Verwendung kommt, hangt von verschiedenen Fak-
toren ab: ^
a) vom Akzent (Bhythmus),* z. B. v v begünstigt t (mi d^u); v v v v
begünstigt fy^m^ de fevrO;
b) vomKedetempo.
Doch ist von einer strens regelhaften Verwendung dieser eone
mobiles nach Rhythmus und i^etempo nicht die Bede. Die Vielheit
strebt zur Einheit: i und u werden herrschend, wenigstens bei den Jün-
geren. Denn bei der Verteilung der Formen spricht
c) auch das Alter mit. Die älteren Leute sind vielfach bei ^, ow
* Diese Binteilimg ist nicht gana soharf. Anch die von Aksent und Bsde-
tempo bedingten Lantiehwanknngen (A) erfolgen zam Teil nmMMt fdgt, vgl. unten.
' leh kann nicht recht Terstehen^ wmmm Q. die komplisierte Reihe omt —
rir — mudr — aistt — oop — aoey aneetst (8. 198). Weder der Umweg Aber
scheint mir fllr Charmey wahrscheinlich, noch sehe ich ein, warum die vor-
tonige Form ao^ ihren Weg Aber das betonte av^ genommen haben soll. Aue
altem ttni^ ist proklitisch oMy, betont m^ entstanden.
> Im benachbarten BnUe gibt es ehi Wirtihaaa La Oroim blomekt (8. 801). In
Balle ist infolgedeesen der Nesnis eroiat blameke so geUoilg geworden, daA eroiv
In eigentliche Proklise trat und eine *ßtrmB Kde* entstand; daher das Wirtshaas
fa kn blaue heiftt
^ Bs handelt sich am den Tom expiratorischen Akient geschaflenen Bhjthmos.
Oewift kommt auch dem mosikallschen Akxent (der Sprachmelodie) EinflaAi im
Lautwandel ni; doch bestehen Aber diese sabtUen lÄige noch keine U&tersaohangen.
446 Benrteilangeii und kunse Anzdgen.
gebüdben, 80 daft z. B. ihr Sowtä (saui^) neben Suta, ihr r^y foix9 {radi»
fwtge) neben ri roch» nooh besteht
Aber auch die Alten sagen bereite regelmaiisiff <iu pä (du pain), di
färe (des ßvea), vftd'o (veuohiu), vid-o (vois-tu) una nicht mehr dato, cfey,
vauf, peyt d. h. der Lautwandel dieser uberhäufigen Verbindungen ist
auch in ihrer Kede weiter vorreschritten. Nicht in einer Front mar-
schieren die Wörter unter dem befehl des Lautwandeb, sondern die Be-
wegung hat ihre Vorposten und ihre Nachhut. Jene finden aich bcd jung
und alt, diese nur bei den Alten.
Die aus der Tiefe der Sprache aufsteigende Lauttendens ergreift zu-
erst die uberhäufigen Verbindungen.
Zu B. Die Mehrzahl der Tonvokale des Charmeysan ist nicht in Be-
wegung, aber die drei beweglichen a^ > ä> f > ^y und ä "> ao sind weit-
aus die häufigsten; am häufigsten ist a > oo, der den franz. Endungen
er, exj 6, ie entspricht
Auch im Wandel des betonten Vokalismus spielt die. Häufigkeit des
\ Vokals eine Rolle.
Die Bewegung a*' > d ist heute abgeschlossen. Sie hat in' Pausa und
zwar im Wortanslaut begonnen: n) dui^ {un loup)\ dann ist der Wort-
inlaut gefolfft: p) ära (wure); darauf ist auch das a^ des Satzinnem er-
griffen worden: y) h lä te predrf {le hup te prendra). Nur die erste Ge-
neration' braucht in ß und/ noch a" und auch sie nur mit Schwankungen :
fler nämlidie Qreis sagt pa^dsco (poüiee), aber kädo {Gubüu)»
Die Bew^ung ^ > ^^ scheint einen entstehenden Diphthong zu zeigen ,
doch bleibt hier manches im Ungewissen.'
' C*€tt Vaceau fid m ut coum, fügt 0. hinsa, ohne freilich zu ▼erkennen, wie
weni^ dsmit erklärt Ist Der n&mliche FinaUs-Akient, unter dem a^ sn ä mo-
nophthongiert wird, begleitet in a die Dipfathongiemng sa oo. Wenn aber der
Akzent sowohl Monophthongierung ala Diphthongierung mit sich bringt, so ist er
offenbar nicht die eigentliche Ursache, Bondem er acbaift nur die Qelegenheit,
hei welcher tiefer Hegende Ursachen wirlEsam werden.
So sucht der eine Sprachforscher den Ursprung gewisser Diphthongierungen
|m Affekt (Schneegans); der andere Ulfst sie in *den Lento-Formen' entstehen
(Hersog). Beide haben darin recht, daf« sie für einselne Sprachgebiete konst&tieren,
dafs dort das rasche affektische Sprechen und hier das langsame affektarme
Beden den nftmlichen Lautwandel (Diphthongierung) begleite. Aber solche Kon-
siatierungen sind keine Erkl&rungen der Diphthongierung, und als Erklärung
wflrde die eine der anderen nicht ttbei widersprechen. Dafs dort der Affekt und
hier dessen Mangel mit Diphthongierung begleitet ist, liegt nicht am Affekt, son-
dern liegt an der Verschiedenheit des ganzen subtilen Lautgebändes der betreffen-
den Idiome, an der ganz verschiedenen Lagerung ihrer mikoroskopisch verschiedenen
Laute — d. h. die Ursache liegt in einer Tiefe verborgen, aus der noch kein
Klang an unser Ohr dringt Wir können einlach makroskopische Entspre-
chungen konstatieren.
■^ Ganchat unterscheidet drei Generationen: I (60 bis 90 Jahre), II (SO bis
60 Jahre), UI (bis 30 Jahre).
* Sicher ist, da(^ der Laut in Bewegung (bald f bald f») ist; ob sie wirk-
lich von f zu ^v geht und nicht etwa ^v als das Ältere gelten mufo, davon hat
mich Gauchats Darlegung der schwierigen Verhältnisse nicht flberaeugt Wenn
ff ein schwindender Diphthong ist, so erklärt sich sowohl das ablehnende
Verhalten von -f aus -fr als auch die Bpreohg^ewohnheit einiger Alten (S. 114,
bes. auch Anm. 8). Auch das fv der konservativen (cf. 8. Sil) patUhm isfariis
{id'fVla =r etoile) spricht fllr älteres fv. Es scheint ein Kampf zwischen «ns-
lautendem ^ (aus ^) und -fv vorzuliegen, in welchem augenblicklich ^ der
mächtigere Partner ist und auch die Jungen fUr sieh hat, während die alte uad
die mittlere Oeneratioa sshwankt.
BearteiluDgen udd kunee Aiueeigeb. 447
Ffir die Bewegung S > ao — eie 20^ Yon allen züerat Gancliste AxÜ-
merkBamkeit auf aie sons mobiles — notiert er ObergangsfoimGii wie äf^,
c^ bis zu auf > aw. Die Jugend steht heute allgemein bei oo; unter den
Altesten sind welche mit intaktem äy andere zei^n einige «^ ohne alle
Begelmäfsigkeit Gauohat nennt Ehepaare, m deren Verkehr durch-
aus keine Ausgleichung stattgefunden hat: der Mann ist. in der Haupt-
sache beim älteren ä geblieben, wahrend die Frau zu ao fortgeschritten ist.
Neben diese vayeiiea mobüea * gesellen sich nun auch einige Konso-
nantenbewegungen (yergl. S. 221;, deren zwei von Gauehat besonders ein-
gehend erörtert werden:
Mouilliertes l (t)* wird von Generation I und II noch gesprochen;
III spricht y, d. h. bildet den palatalen Yerschluis nicht mehr.
Bei interdentalem & ist eine ähuliche Bew^^g im Gange: auch hier
wird die Artlkulationsbewesung der Zunge nicht mehr TöUig ausgeführt,
so dais an Stelle der interoentalen Reibung ein indüBTerentes A entsteht '
' Ganobat yerselchnet im Vorbeigehen anch noch andere Vokalbewegiingen,
z. B. S. 821. So seigt die Jugend von Gharmey (p. 188) die Neigang, die Ifssal-
Tokale sn dekomponieren, d. h. a als a*, 0 als o** su sprechen. Ich denke, die
Bewegung ging von dem Falle aus, wo a, o vor einem Dental stand. St z. B.
enthalt Bteti nnd gua natfirlich den Gleitlaut 1»: «"r, nnd wenn t$<Ua (cktaUar)
■n UamtOf pjiflta (pltmit) sn pxatUa wird, so ist eben dieser Gleitlaut gewachsen
nnd gleichsam aelbst&ndig geworden. Die lautliche Analogie' hat diese Bntwicke.-
lung dann weitergetragen, so daA auch man (moii»), byan (blanc) etc. entstand. —
Ihren Anfang aber hat die weithin verbreitete Lautbewegung a > ofi, o "> on viel-
leiflht im Gefolge der Aksentvenchiebung genommen, die ttata su isäta führt.
* Ich muljs an meiner Anffiusung festhalten, dafs der Laut, den Gkinchat mit
x7 beseichnet, ein 'einheitlicher', und zwar eine stimmlose / vumUie ist: \, Das
X, daa einen vermeintlichen fiest von ib beseichnen soll, ist nichts anderes als dfer
bei palatalen VerschluiSilanten sich leicht einstellende, dem Verschlufs un<
mittelbar vorangehende Engelaut: ein Gleitlaut (vergl. das y, das leioht vor nnd
nach dem mouillierten • gehört wird: '«v, aber im ttbrigen dnrohaus nicht su den
wesentlichen Komponenten des Ijantes gehört, sondern nur seine Gleitlautumgebung
bildet). Wird nun bei / mouiUee der Verschlnfs am Palatnm nicht mehr völlig
hergestellt, so entsteht der homorgane Engelaut: statt I ein y und statt/ ein x-
Dieses x ^^ sber vor Vokalen gans natttrlich vom tönenden Übergangslaot y be-
glsitetj x"* Dieser Gleitlaut y ist auch keine neue Bntwiokelung: er hat schon
beim 1 (s= Gauchats ^ bestanden.
Steckt nicht in dem monillierten / der Formen le < iOt m< und la < iäe
kabei^ der Gmyire das y des lateinischen s5J, d. h. ist nicht f s == frans, il y est
und 7a = tf y af Die Erscheinung, dafli das Adverb in dieser Varbindmig fest
wird und semantisch untergeht, ist ja wohl bekannt; ef. das nordital. ya='Aa6e<.
Das Gegensttick daan bietet altfr. rre (ert) < iraU Dieses betonte er«, das
mit s aus lat. d reimt, ist nicht aus einer tonlosen nndiphthongierten)Form (irtt)
entstanden, die den Vokal e nicht erklAren könnte, sondern ist erwachsen ans dem
Nexus ä i iere, d. h. der Lautreihe ilierey die in ü t er« serlegt wurde.
* Bei diesem AnlaTs streift G. die Frage der Bequemheit des Lautwandels
(vergl. auch S. 880). VITenn der Sprechende von einer alten su einer neuen Lant-
Ibrm fibergleitet, so dokumentiert er dadurch doch sweifellos, daA ihm die neue
Lautform bequemer ist als die alte. Die Grftnde für diese .Bequemheit sind selbst-
verst&ndlich psyehisch und liegen nicht nur in der phonetischen, sondern auch
in der begriflfliehen Natur der betr. Lautung. Die Frage ist eben nicht die, 6h
uns fremden Beobachtern die Lautverbindung bequem erscheint oder nicht- fiis
kann unserer Zunge recht unbequem sein — illgt sich aber doch bequem ins
Lautgebättde des fremden Idioms ein ;. sie ist bequem, weil sie idiomatisch Ist,
sie ist subjektiv bequem: De earnmodkatibM mem ei^ Mk^u^tmümiü -Ül r b»-
448 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Gkuchat zeigt an den drei Generationen vortrefflich die allmähliche Eni-
Wickelung des Wandels: ein wahres Schulbüd für die Art, wie eine Laut-
tendenz sich nach und nach durchsetzt.
Zuerst wurde das DemonstratiYum Qfgriffen und zwar d'ow {eece iäo-
rum) früher als d'a {eece iÜaa): auch die Altesten — mit einer Ausnahme
— rorechen bereits haw, hu, ha,* Die erste Etappe ist also eine über-
h&ufiee Form.
Dann ergriff die Bewegung auch intervokales & und zwar in Verbin-
dungen wie vois'tu : vid'o > viho; veuxc-tu : vu&o > vuho. Die Gene-
ration II zeigt die Anfänge dieser Ausdehnung: auch in dieser zweiten
Etappe sind die Trager überhäufige Formen.
Ebenso beim jungten Schritt von ^ zu A, in den Frageformen der
dritten Person, wie ou esM = yg e&9 > yg ek9?
In den Wörtern wie festa > fid'a, testa > ttf^a ist & zu Charmey noch
ganz intakt. Der Lautwandel i^* > h tritt adso zunächst inno-halb
morphologischer Grenzen auf,* die, wohigemerkt, zugleich Häufigkeits-
grenzen sind. Diese Form Wörter Au, ha {hu ba = ces oeufs; ha vat9e =
ceUe naehe), -ho? -ha? sind ihrer Natur nach fiberhäufig und bedeutungs-
schwach.' Sie haben in bestimmten, stets wiederkehrenden Verbindun-
gen, in welche die lebende, von Gesten begleitete Bede sie setzt, ihren
festen Platz : der Sprechende kann sich begnfieen, sie gleichsam blols an-
zudeuten. Überhäufigkeit und Bedeutungsscäwachheit der Formwörter
1^ d-a, -1^0, '&9 ermöglichen und fördern eine reduzierte Artikulation &
> A. Diese reduzierte Artikulation h übt sich nun so ein und erstarkt
quem? Jai sagt, wer es cu spreelieii gewohnt ist; nein! sagt, wer mit R aof-
gewaehsen ist.
Dialektantenachangen wie die Oanehats aeigen aaoh, daOi die historische
Chrammatik in ihren entwickelongsgeschichtlichen Lantkonstmktionen nicht leicht-
hin mit dem Begriff der Unaassprechbarkeit von Lantverbindangen operieren
■oll. Schwer aassprechbar oder unaussprechbar sind gans subjektive
(idiomatische) Begriffe, für die dem Grammatiker kein objektiver MafäStab snr
Verfligung steht Lat obgciaru wird ritisch 'txfr, ja in Oberhaibstein und Bngadin
iixfbr: das ist dem Bäten leicht aussprechbar und bequem, dafür ist rfttiseh aueh
weder toskaniseh noch s&ohsiseh.
Das natfirliohe Bequemlichkeitsstreben des Sprechenden findet an der Hem-
mnngsvorrichtung dea sogen. Dentlichkeitstriebs (cf. Arckh GXIU, 154) seine
natürliche Sohranke. Wenn ich von meinem Jungen Theodor in der FSmUie
als von The spreehe (aus Bequemliehkeitsgrflnden), so werde ich vor Fremden
daftir en UmUt Uitret: mein Sohn Theodor sagen; aueh dies aus Bequem-
lichkeit, denn ich wiU eben verstanden werden.
' Eine orientierende Bemerkung Aber s&mtliche Quellen des Lautes i^ und
Aber sein gesamtes Vorkommen, d. h. seine Stellung im LantgebAude der Mund-
art, w&re ftr den Leser lehrreich gewesen.
* Doch erscheint er in Charmej im Begriff, diese Sohranke sn fiberschreiten:
i&r9 (efre) wird tjkr»; ^mdra > f^nikra,
* Die ÜberhAufigkdt eines Wortes bedingt stets eine gewisse Kachdrucks-
losigkeit: Qedanke und Artikulation des Sprechenden gleitet achtloser Aber ein
solches Wort, das immer wiederkehrt und vom Hörenden ohne MAhe immer wieder
erkannt wird. Der Grammatiklelirer, sagt Gauchat sehr gut, wird leicht in seinem
Milieu pmifeip zu sagen geneigt sein; aber deswegen wird er nicht ohne weiteres
AfU oder PrMpot statt Alibi, Prinaipat sprechen. Die überh&uflgkeit schaflft lAr
ein Wort besondere Lebensbedingungen und seitigt Sondererscheinungen. Zu den
Aberhinilgen WOrtem bestimmter Milieuz gehören s. B. die Bezeichnungen des
Handwerksseuges, weshalb gerade diese AusdrAcke der etymologischen Ilentung
so groAe Schwierigkeiten ms<ihen.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 449
so. daß sie anch weiterhin auf dem Wege lautlicher Analogie sieh aus-
dennt und auch bedeutungsstarke Wörter wie fi^a, H^ (Gruy^res: fiha,
ttha) ergreifen kann.
Diese Untersuchungen Gauchats zeieen, dafs der Lautwandel sich in
Tat und Wahrheit in anderer Weise voluieht, als die Theorie sich's aus-
gedacht hat. Diese Theorie behauptet, dafs, wenn ein Laut in Be-
wegung j;erat, z. B. d m^ea e hin oder *r geeen d > S iiin, diese Be-
wegung in winzi^n S<mntten eldchmäisig ai3 der eanzen Linie bei allen
d und ^C sich einstelle und aSe ä und V zu gleiäer Zeit bei 0 resp. S
anlangen. Und 'die Theorie fürt hinzu, dafs das so sein müsse, weil der
Lautwandel ausnahmslos verlaufe. Die Tatsachen einer lebenden Mund-
art aber zeigen, dafs die Lautbewegiing nicht in dieser Qldchmälsigkeit
und Allgemeinheit verlauft, sondern daCs sie an einer einzelnen, ganz be-
stimmten (bedingten) Stelle einsetzt und hier sich entwickelnd und erstarkend
über diese ursprüngliche Bedingtheit hierhin und dorthin hinausgreift und
— hier zögernd, dort stürmiscuier — das Entwickelungsresultat (d. h.
den. fertigen neuen Laut) auf andere, nicht identische, sondern nur ähn-
liche FäQe überträgt. Gewils zeigt das Ergebnis jlieser Obertragunff
schliefslich eine grolse Regelmäßigkeit — aber da- Übertragungsprozefi
selbst (d. h. der Wandel) vollzieht sich in der Individualsprache sprangt
haft und ohne Konsequenz.
Und in diesen Prozefs hinein führt uns Gauchats feine Beobach*
tungsgabe und kluger 8inn.
Der Wandel von ^ > ^ nimmt mit einem einzigen fiberhäufigen Wort
(^otr), welches das ^ in besonderer Stellung — anlautend vor 0 — zeigt,
seinen Anfang. Anlautendes ^ vor a im überhäufigen d'a derselben demon-
strativen Function folgt & vor a ist nämlich gar nicht der gleiche Laut
wie d" vor 0 — ganz abgesehen von der manoskopischen Tatsache, dafs
^ vor o 'gerundet' ist: jede Lautverbindung modifiziert durch feinere oder
gröbere Assimilationsvorffänge (Sandhi) den dnzdnen Laut, und für ein
so feines Ding, wie der Lautwandel ist, fallen auch die kleinsten, feinsten
Differenzen der Laute in Betracht.'
Nun greift h statt ff' über die demonstrative Funktion, die den Prozels
zunächst begrifflich bedingt hatte, hinaus auf: vtho^ auf: yq eh», immer
noch innerhalb überhäufiger bedeutungsschwacher Nexus stehen bleibend.
Ohne alle Regelmäfsi^keit sprechen die Sprachgenossen d'a neben Ao, vid'o
neben viho, w ed^ neben ffg eh».
Niemand sagt zu Charmey statt fi^a ein fiha (wie sie im Hauptort
Gruj^res sprechen). Das & in fi&a ist eben tatsächUch ein etwas anderer
Laut als das ^ in vido — seine psychischen Bedingungen (Überhäufig-
keit, Funktion) sind ganz andere — , und im Si>rachempnnden des Ghar-
meysan sjegt vorläufig diese akzidentdle Verschiedenheit über die funda^
mentale Amilichkeit und verhindert die Ersetzung durch h. Aber — ü
tempo i galaniuomo auch in Dingen des lautlichen Empfindens, und Ohar-
mey wird wohl elxmfalls dahin gelangen, wo Gruy^res oereits angekommen
ist: zu fiha,
Heiüst es dnmal mha, fiha, iiha, dann liegen die Dinge so, dais am
grünen Tisch der papierenen Linguistik ein sogen, 'ausnahmsloses Laut-
gesetz' beschlossen worden kann, das vorschreibt: in Charmey muls inter-
vokales 1^ zu A werden I Wie's aber mit fiha wirklich zugegangen ist,
das lädst dieses 'Gesetz' nicht ahnen: dn solches 'Gesetz' schlagt das
Leben totl
> Schon langst habe ich (z. B. Arekw XCIV, 348 n.) dagegen protestiert, daft
unsere historische Lautlehre über diese Differenien so leicht hinweggeht O. Paris
habe ich freilich nicht fibervengt (et Romamia XXXI, 40 1>
ArehlT t n. Spcachen, CXV. 29
45(1 Benrteiliuigen und kurze Anzeigen.
Nun konstatiert Gauchat die kapitale Tatsache, dafs den Bewoh-
nern Yon Charmey die gescnilderten starken, zum T«il
sprunghaften Lautdifferenzen nicht bewufst sind. Die einen
sprechen &, die anderen h, die einen sagen: ifxowp<^^y ^ anderen: ipx!»
poy die: & n& {un fie»), jene: & nao — aber sie hören diese Verschieaen-
nat nicht Die Alten sagen: h me te da° (fo miel est douaS)^ die Jungen:
le me* le da ^ aber wenn sie aut solche Differenz aufmerksam gemacht
werden, so wollen sie nichts davon wissen und weisen den Beoba(£ter mit
der ErklArun^ zuredit: Nous parlona taus la mime ekop! (8. 20*2). Le
M^W qud viemde prononeer vuno proteete qu*il ne e*eaDpr%me jamais amai
(8. 231).
Der Lautwandel der gesprochenen 8prache vollzieht sich, ohne daCs
die Sprachgemeinschaft ctor durch ihn geschaffenen individuellen Ver-
schiedenheiten bewufst wird. Das ist eine sehr bedeutsame Tatsache.
Unser Ohr ist bekanntlich den Klängen der Muttersprache gegenüber
sehr empfindlich. Die geringste Veränderung ihrer Laute, die «in f^rem-
der sich zuschulden kommen läist, kommt uns scharf und deutlich zum
Bewulstsein. Dals dieses scharfe Ohr in Charme^ Lautdifferenzen wie & — hj
ow^u etc. nicht hört, 11^ daran, dafs es sie nicht iüs etwas Fremdes
empfindet Diese Differenzen beruhen auf Lauttendenzen, die tief im
8prachgebäude begriindet, die aus dessen besonderer Harmonie geboren
sind. Sie reichoi mit ihren Wurzeln tief in das mikroskopbche Leben
und Weben der Laute hinab, und auch das Individuum, das den Laut-
Wandel noch nicht sinnfällig aufweist, träft ihn doch latent in seiner
Sprache, trägt die schlummernde Neieuuf dazu.
£2in Fremder verletzt unser Ohr dura Laute, die zu unserem ranzen
Lautsystem in keinem harmonischen Verhältnis stehen; die neuen Laute,
die der eingeborene Lautwandel schafft, empfinden wir als harmonische
Teile dieses Systems,' das uns mit unseren Sprachgenossen ge-
meinsam ist
Jenes komplizierte psychische Gebilde, das wir Sprache nennen, ist
fewiXs bei jedem Indiviauum individuell gestaltet. Die auf die Sprache
ezfiglichen Vorstellungen (Klang-, Bewegungs- und B^iffsbilder) sind
bei Jedem etwas anders K^agert, besonders die Begriffsbiider. Die Asso-
ziationsreihen aber, in denen die den Sprach lauten geltenden Klang-
und Bewe^ungsbilder geborgen sind, sind bei allen Sprrachgenossen wesent-
lich identisch ; sie sind interindividuell. Auf der Basis dieses ^meinsamen
Lautempfindens erwächst der Lautwandel; in diesen Assoziationsreihen
vo-läuf t er.
So hat der Lautwandel wesentlich unpersönlichen Charakter. J*ai
itudii, sagt Gauchat, environ 50 languea individuelles et je n*y ai rien
tromi iPindividueL* —
' Man pflegt die Besnltante aller Artikulationen eines Idioms Artikulations-
basis sa nennen und könnte also in einer gewissen anfserlichen Weise sagen,
daft die durch den Lautwandel geschaffenen Laute eben der Artiknlationsbasis
konform sind. — Man darf aber nicht vergesgen, dafb 'Artikulationsbasis' die Be-
leicbnung eines physiologischen Verhältnisses ist, während der Lautwandel
ein psychischer Vorgang ist. Indessen könnte man von einer psychischen
Artiknlationsbasis sprechen und darunter das Ganze der psychischen Lautbilder
verstehen, die der Artikulation vorstehen.
* Dafür gibt er zum Schlul^ noch einen fiberraschenden Beleg, der sugleich
die bewunderungswtlrdige Sch&rfe und Umsicht seiner Arbeitsweise illustriert. In
dem jenseit des Javros liegenden, von Charmey etwa dreiviertel Stunden entfernten
Dorfe Cemiat, das mit Charmey sehr wenig Verbindung hat, leigen sich die n&m-
liehen Lanterscheinungsn wie in Charmey. Dieselben Laute sind in der nimlieheii
i«i
Bearteilüngen und kurze Anzeigen. 451
Wenn diese Anschauungen richtig sind, so ist es auch einleuchtend,
dals die Häufigkeit eines Lautes seinen Wandel fördert Ich wiU nicht
sagen, dais die Häufigkeit den Wandel geradezu hervorruft — aber: ein
Laut, der in Bewegung geraten ist, wird rascher zum sinnfälligen Laut-
wandel gelangen, wenn er sehr häufig gebraucht wird.
Qauchat hat nachgewiesen, wie uBerhäufigkeit die Lautbewegung för«
dert: die mobilen a<>, e^, ä sind zugleich die häufigsten Vokale, und & be-
ginnt seinen Verschluls zu yerlieren in gewissen Lautverbindungen häufig-
sten Crebrauchs.
Und noch auf eine andere 'Häufigkeitserscheinung' weist Qauchat
wiederholt und nachdrücklich hin. Er nat beobachtet, dais die flauen
den Männ^m im Lautwandel durchschnittlich voraus sind (in ty> l, 8. 205;
If > Ä, S. 209; a» > a, 8. 211; h > aoy 8. 218 f.; vergL 8. 224). Das
hänfft zweifellos damit zusammen, dafs die Frau mehr spricht und also
auch die in Bewegung befindlichen Laute mehr braucht und so die in
ihnen wirkende Lauttondenz fördert A la etwipagne, heilst es bei Gau-
chat (8. 218), le phre quüte la tnatson de bonne neure pour vaqvßr d mb
tratmix, au müieu desquels an le voüy taeiiume et souvent isoli, toute la
joumSe. Tel phv parle plus, en iti, ä ses bUea qu'ä see enfarUe. La mire
qui passe beaueoup plus de temps ä la maison, en sociiti, ä cuistner, ä
tavery parle beaueoup plus, S'ü faut dvre 10000 fois päla pour arriver ä
dire paola, ü est Svident que la nouveÜe fapon de prononeer apparattra
plus vite dans le langage de la femme que dans le parier plus rare et phts
leni de Vhomme,
Daraus geht nun auch hervor, dais das £[ind von der Mutter einen
vorgerückteren Lautstand lernt: ^La demüre ginSration, c'est ä dire Ums
les enfants, se ränge du edtS des mhres ... on ne parle pas sans raison du
toU paternely mais de la langue matemelle.
Das ist im Lautwandel die Bolle des E^indes : Übernahme und Weiter-
bildung einer vorgeschritteneren Lauttendenz. Diese Tendenz wird nicht
durch eine angebhch unvollkommene Lautnachahmung seitens des Kindes
geschaffen.' Nicht beim Kinde tritt eine Lauttendenz zuerst in Er-
scheinung, sondern, wie Gktuchat mit guten Gründen meint, beim £r-
wadisenen im kräftigsten Alter, bei der Generation II. Diese Generation
hat den reichsten 8prachbesitz, und in dieser gröfsten Fülle des Sprach-
lebens treten die verborgenen Lauttendenzen an die Oberfläche im Laut-
wandel.
Aber warum wandelt sich denn der 8prachlaut überhaupt? Keine
der bisherigen Erklärungen befriedigt, insbesondere auch die nicht, die
den 8prachwandel auf einen ganz imaginären Wandel der artikulierenden
Organe gründet.
Indem sich die Linguistik ausschliefslich an den sinnfällig gewordenen,
makroskopischen Lautwandel hält, hat sie zu der Vorstellung gelangen
Bewegnng, obwohl ein persönlicher Einfluib von Dorf zu Dorf nicht besteht. Bin
QrtlB zu Charmey spricht wie ein Alter aas Cemiat — auch die Jagend der
beiden Dörfer ist laatlich gleich weit Toigeschritten, so daA innerhalb der n&m-
lichen Gemeinde zwischen einem 70jährigen and einem 20jährigen Charmeysan die
Lautififferensen gröfser sind, als zwischen zwei jangen Barscheu, von denen der
eine ans Gerniat, der andere aus Charmey stammt.
* Diese unhaltbare Lehre ('Einttbungstheorie') wird von Oauchat wiederholt
abgelehnt (S. 212, 228 fif.). — Statt auf die angebliche Ungenaulgkeit, mit der
das Kind die Bede der Motter nachahme, eine sprachliche Entwickelungstheorie
zu gründen, fufiie man lieber auf der augenscheinlichen (Genauigkeit dieser Nach-
ahmung and der Virtuosität, mit der das Kind sich nach den ersten Tastversuchen
seinem lautlichen Milieu anbequemt. Am Kinde ist doch gerade die Fähigkeit
der AflsimiUerung das Charakteristische und nicht die . Selbständigkeit»
29*
452 Beurteilnngen und kurze Anzeigeii.
können, es sd der Lautwandel ein rein artikalatoriBcher Yoreang. Sie
kat auf diese Weise auch auf den Einfall kommen können, den Laut-
wandel aus Veränderungen der Artikulationsorgane zu erklären, und hat
ihn ab 'physiologisch' den 'psychischen' Bprachvorgängen gegenübergeBtellt.
Es ist aber der Lautwandel selbst em psychisches Pnänomen; er be-
§innt mit jenen all^einsten Veränderungen der psychischen Lautbilder,
ie der Akzent veranlafst.
Dals die Lautgestalt eines Wortes mit dem Akzent aufs innigste Zu-
sammenhang und die Tonsilbe andere Lautschicksale hat als die Neben-
tonsilbe, weils man; ebenso, dafs eine Veränderung des Akzentes von
Lautwandel begleitet ist.
Die romanische Sprache, deren Lautwandel sie am weitesten vom
Lateia entfernt hat, das Französische, weist auch die stärkste Akzent-
änderung auf. Das Französische ist binnen einem Jahrtausend vom über-
mächtigen expiratorischen Akzent, der die Nebentonsilben einschrumpfen
liefe {earriedits > tiardXiets), zum schwebenden Akzent gekommen, der
trotz grundsätzlicher Oxytonierung fast alle Silben gleidi hervortreten
lä&t: das Französische ist vom Extrem des gewalttätigen Iktus zum
Extrem des schwächsten Nachdrucks gekommen, und gegenwärtig sieht
es so aus, als ob neue Formen der Akzentuirung sich Yorbereiteten : im
Affekt stellt sich ein kräftiger expiratorischer Akzent ein, und oft sehen
wir ihn die altgewohnte Tonstelle verlassen (absolument; e'eat dSgoütant etc.).
Wohin das fflnren mag, braucht uns hier nicht zu beschäftigen ; ich wollte
nur auf den Parallelismus zwischen Akzentwandel und Lautwandel hin-
weisen: Akzentwandel wird zum Anlafs von Lautwandel.
Der Akzent aber wandelt sich aus Gründen des Affekts. Der Akzent
Oier expiratorische und der musikalische) hat den Zweck, gewisse TeUe
der Lautreihe hervorzuheben und so die Aufmerksamkeit oes Hörenden
auf bestimmte Teile der Bede zu lenken. Im Akzent Viegf> das persön-
lidiste Element der Sprache; er ist seiner Natur nach individuelL Indem
nun die Sprache auch den Akzent in Rhythmus und Melodie der Laut-
reihe für alle festlegt, legt sie dem Individuum eine Fessel auf, die es in
gewöhnlicher Bede willig trägt, die es aber in der Errang, im Affekt
torziert und sprengt. Das Bedürfnis des Affekts rehabilitiert den indi-
viduellen Akzent.
So lie^ im Akzent der Sprache ein Widerspruch, der nie zur Buhe
kommen wird, so lange Menschen sprechen: der Widerspruch zwischen
Individuum und Gemeinschaft. In dem Ma&e, in welchem eine *Hervor-
hebungsweise' (Akzentuirung) allgemein (interindividuell) wird, in dem
nämlicnen Malse verliert sie an Hervorhebungs kraft, d. h. wird sie selbst
entwertet, und instinktiv strebt das Individuum nach eigener, abweichen-
der, seinen Affekt befriedigender Hervorhebungsweise, die dann wieder
allgemein werden kann. Aus diesem Kreislauf entsteht eine stete Be-
wegung der Laute, und aus ihr vermag im Laufe der Zdt makroskopischer
Lautwandel zu erfolgen.
Eine andere Quelle des Lautwandels habe ich oben S. 17 Anm. 2 f^-
nannt: den Kulturwechsel, der den Wortschatz umgestaltet Das ist eme
Bewegung, die von aulsen an den sprechenden Menschen herantritt Jene
innere Quelle, die in seinem Affekt liegt, ist aber viel mächtiger: sie ist
die Quelle des Lautwandels.
So ist der ununterbrochene Anstols zum Lautwandel individuell, der
Wandel selbst aber eine Gemeinschaftsform.
Vollzieht sich dieser Wandel nach Gesetzen? Gibt es Lautgesetze?
Das ist in letzte Linie eine Fräse der Weltanschauung.
Wer überzeugt ist, dafs auch das psychische Gesehenen Gesetzen
unterließt, der wird auch 'Lautgesetze' anerkennen.
Gemnden aber hat noch niemand ein solches Gesetz. Was die lin«-
BeurteUungen und kurze Anzeigen. 45S
Kuifitik gefunden hat, nnd was sie milsbrfiuchlich Lautgesetze nennt, sind
Seine Gesetze, sondern sind Beteln, d. h. Formeln rar makroskopische
historische Lautentsprechungen. Es sind gute wackere Regeln, die gerade
so lanffe gelten, als keine Ausnahme kommt — denn auch von ihnen gilt:
keine itc^ ohne Ausnahme.'
Wir sollten wirklich aufhören, unsere Udnen Entdeckungen als Ge-
setze zu erklären und demgemäis zu ver^ren und Über diesem Götzen-
dienstchen die wahre Natur des sprachUdien Lebens zu yergessen.*
Es ist mit der Sprache wie mit dem Wetter.
Gewifs ist der Witterungswandel von Gesetzen bedingt, und wenn mi
diese Gesetze kennten, so könnten wir mit Sicherheit das Wetter voraus-
sagen. Aber so eifrig unsere Meteorologen forschen, so sind sie doch zu
einer unfehlbaren Wetterprognose noch nicht gekommen: sie haben in
den Entsprechungen der Wetterkarten gewisse Wetterregeln ^funden,
verfeinerte und erweiterte Bauernregeln, auf Grund deren sie die zu-
künftige Witterung erraten — stets der Ausnahme gewärtig.
Nun: audi der Lautwandel ist von (Hetzen bäinet, und wenn wir
sie kennten, könnten wir die zukünftige Gc«talt eines Idioms, das Sprach-
wetter, voraussagen. Aber wir haben noch keine Lautgesetze gefunden,
sondern nur Be^ln. Was wir kennen, das sind die Bauernregeln des
Bprachwetters.
Gauchat, der tiefer als irgendeiner vor ihm in den Prozels des Laut-
wandels eingedrungen ist, bestätigt eben diese Lehre, öne Lehre der Be-
acheidenheit. —
Die Zehnerzahlen in den romanischen Sprachen behandelt
J. Jud. Seine Untersuchung gUt in erster Linie vipinti und trigitUa,
Er geht von der hochlateuischen Betonung t^^tnh, if^fUa aus und
lehnt es mit fiecht ab, der vereinzelten Angabe des Galliers Consentius
(tfigmla) eemeinromanische Bedeutung zuzumessen.' Auch in der weite-
ren Ausfiuirung, durch die er die romanischen vingi, vmUit veinie etc.;
' Gauohat schlieftt seine Studie mit einigen echOnen Worten an die Adreue
derer qui onAmt meof ä rinfidUSbüiU du Mt phomiHqttu^ die er durch seine For-
schnngsresoltate noch einmal des Irrtums flberwiesen hat Aber auch er braucht
noch den Ausdruck ^Lautgesetz' statt Lautregel. GewÜb haben alte termini tech-
nici ein gutes historisches Becht; aber gerade der terminus 'Lautgesets' ist ge-
fthrlieh, weil er fortwährend sn den Mifsverstandnissen verleitet, die niemand
nachdracklicher bekämpft als Qauchat.
* Und doch hat schon vor dreilbig Jahren Ludwig Tobler "Ohtr da« Amomtdimg
des Btgrißea wm Gsutaem auf dU Sprache geschrieben ( VierUfjeJnreMsehrifi für wüm,
PkilotopkU m, 80—62),
* Zu der in extenso mitgeteilten Stelle aus Consentius wäre noch man-
cherlei nachsntragen. Es wttrde schon forderlich sein, sie übersichtlicher su
drucken, als dies der Verfksser (S. 2i7 — 849) vornimmt, der hier weniger tut als
Förster im Allfrmut. Ühtmgthuek, und der in der Zusammenstellung der gerügten
Barbarismen (S. 8i9) einiges versieht (es soll heiAen: 10. tocngm pro «ocertHn;
15. oNorem pro Aonoresi).
Jud wUl Beigen, wie wenige der von Consentius angeführten Barbarismen
'eine Spur in den romanischen Sprachen lurückgelassen haben.' Da müssen aber
snniehst die Fälle überhaupt ausgeschieden werden, die offenbar bloAe Versehen
flüchtiger oder unwissender Schreiber sind (TVocm, Trachia statt Tkraeia) oder die
sich auf Qnantitätsfehler seitgenOssischer Reimkünstler beziehen {öraUiri piper).
Diese Fälle beseugen ja natürlich nicht unmittelbar entsprechende Lautwerte : daft
ein Dichter p^cr mafs, beweist nicht die wirkliche Elxistenx einer Form mit i,
Bondem leigt nur, daik Ihm die hoohlatein. Quantität des Wortes piper neben
454 Beurteilangen und kurze Anzeigen.
treniBf^ trmta, treMa etc. auf dem Wege lautgerechter und analogiBcher
Entwickelung zu gewinnen sucht, stimme ich ihm im allgemeinen bei Im
einzelnen kann man sehr schwanken, denn jedes d^ beiden Zahlwörter
ist lautlich sui generis.'
Die spätere lateinische Überlieferung zdgt folgende Graphien:
für viginti: rigenti, veienti (ßatetni), vieniif vitUi;
ffir triginta: trigenta, irientOf trmUh trinta {trpginta ist eine
spSte vereinzelte Schreibung).
Diese Graphien bedfirfeu der Interpretation ; sie geben eben nicht dn-
fach die späteren vulgärlateinischen Laute wieder, sondern stellen, wie
Üblich, Kompromisse zwischen vulgärer Lautform und SchreibtraditioD
dar. Ich interpretiere sie so:
Trfgtnta lautete zunächst trtdyMOf triyenia; vfgtntl aber vtduinHt vi-
yinÜ (Umlaut -4). Aus trwenta, trienta entstand ireniet,* indem der kom-
plizierte Anlaut tr die Beduktion des Diphthongs begfinstigte. Aus vi-
yifUi entstand *vtwUiy vinti.
Das ist die lautgerechte Entwickelung. Stets aber haben die beiden
Wörter sich auch analogisch beeinflufst: nach vinii ward trintOy^ nach
seinem vulgaren pebere fremd geworden war. — Die flbrigbleibenden Fälle aber
haben im Bomanitehen denn doch in weiterem Umfange Sparen inrückgelassen,
als Jnd angeben will. Wenn man 1. coperit statt op^rit brauchte, läfst ans das
erkennen, dalh die Entwickelung opmit < aptrü bereits begonnen hat. Bei 8.
miU and 9. mla kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob das ein
oft gerügter Fehler sei, sondern daraaf, dafs die Erscheinung romanisch ist: ü^ l
ist Ja nordgalUsche Entwickelung (Priscians l plmum [nicht pUntu !] hat hier nichts
SU tun). Zu 16. hobi» pro vchit ist nicht das Wort 'Betaxismus' von Bedeutung,
sondern der Nachweis Parodis, Romama XXVII, 185 ff., da(^ darin ein noch ro-
manisch wirksamer Lautwandel sich sa erkennen gibt. 17. ptru pro pedet: das
r kann sehr wohl eine ungeschickte Notierung fDr die Tatsache sein, dalb der
Verschluß des d sich su lOsen be^^ont {9). 18. tUiim pro siaHm deutet auf Um-
laut hin, dessen serstreute lateinische Zeugnisse einmal systematisch gesammelt
werden sollten (vgL Gröbers Zeifschr, XXV, 783). 19. iari^rum pro tarlarum ist
gemeinromanischer Lautwandel, denn auf den Laut kommt es hier an, nicht auf
das Wort, etc.
Übrigens fügt Gonsentius su dem Barbarismus trigmta hinsu : q» et per immu-
(atumem ßeri videiur. Wie versteht er diese immMUatiOy die sonst in seinem System
die dritte Kategorie der Barbarismen veranla/bt? Er meint wohl einfach, dafs
man trigmta auch sur dritten Kategorie stellen könnte, wo er als Beispiel der
*Aksentvertauschung' öraiorem anfllhrt Durch die Nachbarschaft dieses hybriden
öratorem^gewinnt trigvUa nicht an Beweiskraft. Ich teile gans die Meinung Jads,
der dieses triginta als Sprachzeugnis unerheblich findet. Zur Zeit des Consentius
kannte die lebende Sprache kaum mehr dreisilbige triginia neben trmtOj tremta.
^ In (rigtnta steht z. B der Ton vokal unter dem möglichen Einflufs eines
vorangehenden Palatals; in viginti ist der Tonvokal t palatal doppelt bedroht
durch g und 1* Ich bestreite also durchans, dafls triginta das gleiche Resultat er-
geben mufste wie viginti^ (S. 240). Auch ist die Verschiedenheit des Anlauts (tri-
gegen vi-) Ar die weitere Entwickelung nicht bedeutungslos.
* Jud ^behandelt trenta als analogisoh, doch nicht ohne Schwankungen. S. 250
nennt er trenta laatgerecht; vergl. 8. 2il n.
Einer, solchen Schwankung begegne ich auch in der Beurteilung des Einflusses
von i m viginü (Umlant). Nachdem er S. 237 die Möglichkeit solchen Einflnsses
erwogen* und sugegeben (wie S. 241 n.), erklArt er ihn S. 242 and 259 n. als
unwahrseheinlich.
^ TWis'a^kann regional auch laatgerecht sein ; wenigstens Ist es dies im Ro-
manischen da, wo lat t* nicht p, sondern i ergab, wie SisiUen und Sardinien
BeurteUmigeii und kurze AnzdgeD. 455
triuef^ trienia ward piyenii (veienii)y vienH^ ^bildet (es ist bezeichnend,
dau Verg. Maro, der irimia hat, auch vienH bietet). Die vulg^latein.
Formen sind also:
vtjfmti analogiflch iriffen(a
nilfiiH I
I trienta
vülnH I
vmH analogiach trmUa
Mnia
VirUi und trenta sind die romanischen Erben: sie sind die beiden
dominierenden Formen der Ostromania (Rätien, Italien, Gallien).
Wo sich ventfi) findet, da liegt Angleichunjg an die Endung -euvtfa)
da* übrigen Zehnenzahlen vor, so im florent ventt neben toskan. (senesisch)
vxntif im locam. vent neben gemeinlomb. vint}
Vulgarlat. vinU und trenta sind die Grundlagen der ostromanischen
Entwickelung. Die Formen, auf denen die westfomanische (span.-
portug.) Entwickelung beruht, führen auf einen älteren Lautstand zurück*,
span. fmnte, trSmta; portug. vvniey trinia. Die mundartlichen Formen sind
uns noch fast unbekannt
Die älteren spaDischeo und portugiesischen Texte zeigen nach Juds
Sammlungen: veyente, viente, veyntey veinte, vente, vünte^ vmU\ treyenta,
treerUa, treyinta, treynta, trewUOy trimtOy trinta.
Es leuchtet ohne weiteres ein, dais Jud recht hat, 1. dreisilbige Foi^
(lognd.). In CMlura freilich ist irmUa regelhaft. Jnds Bemerkimgen dasa (8. S58)
sind mir nicht klar.
* Daft vtmü im Bomanliohen Sporen snrflckgelaasen habe, wage ich nicht au
sagen. Es kann aeinerseits noch mngelaatet worden nnd so za mmtf, vmti geftthrt
worden sein. DaA vimü m vtnii geführt habe, glaube ich nicht Jedenfalls tangen
Parallelen wie qmeim > guttut, tapiebam > $ap«bam nicht zur Erhirtnng (S. 238).
Daft die Analogieform vend Tnlgärlateinisch nicht belegt ist, halte loh fllr ZaIUU.
* DaA 11)ei ital. pmU einielsprachlioh kein Umlaut anEonehmen ist* (S. 255),
mnfs ich grnndsätslich bestreiten, auch wenn ich im Einzelfalle Jnds Auf-
fassung des senes. g^enues. vuUi und des tosk. vmü teüe.
Wenn einzelne Mundarten keinen Umlaut aufweisen, so ist damit nicht ge-
sagt, daA nicht doch ihre Zahlwörter, die so häufig singulttren Lautwandel
zeigen, jener mächtigen Palatalisiemng erlegen seien, die wir Umlaut nennen.
Insbesondere kann ich nicht zugeben, daA das Genuesische aus *v9nti heute nicht
vmti, Bondem *veind (*Attnküon des i^) hätte ergeben müssen. Diese sogen.
'Attraktion' ist selbst nichts anderes als 'Umlaut*. Wenn *oain sn
cojn wird, so ist nicht das % 'attrahiert' worden, sondern es hat sich aus *caNi
durch Vorwegnahme der Zungenstellung fUr -i (progressive Assimilation) zwischen
ä und f» ein Gleitlaut » (ccnni) entwickelt. Damit ist das ä palatal umgelau-
tet, ob es bei m* bleibt oder sehlielUich e (kern) entsteht. Der Umlaut a > e
kann eben entweder durch direkte 'Steigerung' oder auf dem Umweg ttber Di-
phthongierung o« > ot > « > e entstehen. Die Diphthongierung ('Epenthese',
'AttralLtion' sind sehr unglflckliche Bezeichnungen des Vorganges) ist hier nur eine
Form des Umlauts — eine Erkenntnis, die besonders für die Phonetik der sfld-
italienischen Mundarten grundlegend ist.
Genues. *mmiA* wäre also Toa vimH nicht grundsätzlich, sondern nur graduell
yerschleden. Vmä kann ein monophthongisiertes *vemti sein.
In den rätisehen Formen von vigmii (S. 253) sollte Jud das e Gärtners in
seiner Transkription alt p wiedergeben; zu rät p aus lat. i c£ Gärtners Rätisehe
Qrmmm,, § 48 £
466 BeurteUnngen und kurze Anzeigen.
man zugrunde zu le^n und 2. ausgiebige Analogiewirkungen * anzundunen.
Im einzelnen aber ist es sehr schwer, ohne die Hilfe der lebenden Mund-
arten in diese Graphien lautliche Ordnung zu bringen. Doch ist der Aus-
gangspunkt ganz Klar: *veyinti, das aus viyinti dur(^ jene Dissimilation
entstanden ist» die ja interromanisoh und deshalb sehr alt ist. Von diesem
*veyinte ist dann treyenta (statt triyenia), treyinia bednflu£sty und nach
ireyenta ist wieder v^ente gebildet So entstand veinie (altspan. v^Snie)y
darnach treinta; irenia und darnach vmUe (dialektisch).
Aber auch viyinie — viinte — vinte ist auf weitem iberischem Gebiet
geblieben (z. B. portugiesisch) und hat trinia nach sidi gezogen.
Der ganze Unterschied zwischen den west- und den ostromanischen
Formen reduziert sich also in seinem Ursprung auf vemnti statt vüfintif
d. h. auf die verschiedene Behandlung von vifftnii, die <»nn das Bdiicksal
von triginta analogisch beeinflulst hat
Das obige Bdiema ist also wie folgt zu ergänzen:
piyinH triyenia; regional: triyinta
vwUi, veywUe analo^ch:| trienia
(analogisch: westroman. | treytnta \
ifenÜ) u. portug. veinte | irmta i
tpan. tnmki, (analogisch: trinta,
Span. irmki) sie. sard.
Auch in der Behandlung der lat Endung -ogMa (g^uadragkUa) zeigt
•das Span, einen filteren Lautstand. Gemeinromanisch ist '^ufUtta über
'Ointa früh zu -anta geworden, z. B. ital. quaratUa (cf. magüirum > tna-
stro). Während dies atiaranta schon in Vulgärlatein. Schreibung erscheint,
zeigt Spanien nach den lehrreichen Zusammenstellungen von Jud noch
im späteren Mittelalter -aenta, '•emta, die in der lebenden Sprache -ento
ergeben haben, ähnlich wie altspan. ouaraesma heute euaresma lautet
Wir haben also, wie Jud konstatiert, für die ganze Serie der Zcdiner-
zahlen von 20 bis 90 diese nämliche Erscheinung: die ganze Bomania
aulser der iberischen Halbinsel führt auf bereits monophthongierte Formen
(vinti, irenia, -anta) zurück; Spanien aber weist emen Lautstand auf, der
weit über diese Monophthongierung zurückdeutet in eine Zeit, wo nodi
veyinie, tnyerUa, -^nyenia erklang. —
ün dooument in^dit du fran^ais dialectal de Fribourg
au XV® si^cle behandelt J. Jeanjaquet
Die Suisse romande, die uns mit ihren heutigen Patois so reiche Aus-
kunft über das Leben der Sprache ffibt, bietet nur sehr kärgliches Material
zur Erforschung ihrer alten Mundarten. Diese haben kein Schrifttum
hervorgebracht, und die Amtssprache blieb lateinisch. So sind die älteren
Urkunden alle lateinisch, und wenn mit dem 14. Jahrhundert die Vnlgb-
sprache in die amtlichen Aufzeichnungen eindringt, so ist diese Vulgär-
sprache eben nicht rein dialektisch. Es bemüht sich z. B. die Kanzlei
der Stadt Freiburg augenscheinlich, Französisch zu schreiben — wenig-
stens jenes Französisch, das im amtlichen VerkeJir des benachbarten Ost-
frankriaich üblich war: eine regionale ostfranzösische Eanzlei-
* Jad braucht daf&r anch den Ausdruck AssimilatioD, was mir uidht
glftcklich erMheint Und yoUends von progressiver resp. regressiver Assi-
milation an sprechen, um die Analogiewirkung von viginii auf trigimta resp. um-
gekehrt sn beaeichnen, ist ein MiAigriff. Diese Termini eignen der Lautlehre:
wenn in flei das ; sn t umlautet {hiee), so ist eben .dieser Umlaut progressive
Asrimilatlon des 6 an {.
Beartdlangeii und knne Anzeigen. 457
4.P räche. In diese Eanzld8j>nche miechen dann die freiburgiscben
Amter je nach der PenÖnlichkeit der Schreiber Formen des lokalen Dia^
lekts, so dafs ein hybrides AmtsfranzdBisch entstand — kein fran^ade
fSdirtU, aber ein firanfois eammunal — , ähnlich dem hybriden Deutsch,
das zur nämlichen Zeit in den Eanzlden der Zentral- und Ostschweiz.im
Schwange war. Aus dieser labilen Schriftsprache gilt es, die dialektischen
Indizien zu gewinnen, die uns Über das parier /oeoZ der alten Zeit Auf-
schluls zu geben geeignet sind.
Was an Dokmnenten des freiburgischen fran^ü diaketal erhalten ist,
ist zumeist in den acht Bänden des Beeueü d^phrneUigtie du eanion de
IVibowrg und in den Oomptes de d6penees de la eonsirtuivm du etoeber de
St'Niediaa veröffentlicht; cf. auch Romama XXI, 89 ff. Nach den sum-
marischen Bemerkungen von P. Meyer L c, hat dann J. Girardin in GrÖ»
bers Zeüsehrift XXlV, 199 ff. den altfreiburgischen Vokalismus (Ende
des 15. Jahrhunderts) auf Grund der Oomptee darzustellen unternommen.
Jeanjaquet hat sich die Aufsähe gestellt, die hybride Kanzleisprache
selbst in ihren Sdiwankungen darzustellen. Er 1^ dabei aufser dem
ältesten Dokument von 1819 eine bisher unveröffentlichte Verordnung
▼on 1414 zugrunde, dehnt aber seine Beobachtungen auf das ganze ge-
druckte Material aus. Er zeifft in der Graphic die Mischung hochfranzö-
sischer, ostfranzösischer und lokaler Lautung auf; weist in Biegung und
Satzffigung lokale Gewohnheiten und gel^entliche Germanismen nach
und ffigt audi ein Glossar hinzu.'
So gibt Jeanjaquet zum erstenmal ein Bild der alten Amtssprache
der französischen Schweiz, speziell Freiburgs. Er stellt mit dieser ge-
drängten, scharfen und sicheren Orientierung zugleich fest, in welchem
Mafse diese alten Dokumente als Quellen unserer Dialektkenntnis gelten
dfirfen, und er hat auf Grund seiner reichen Erfahrung Veranlassung, kur
Vorsicht zu mahnen (S. 288 u.). —
Unter dem Titel Zur italienischen S^rntax behandelt E. Keller
einiffe Fragen der Parataxe mit reicher Beispielsammlunff.
I. Gh^' Dieses ehS (= denn), das lautlich mit ms (= dafs, weil)
zusammenfällt und infolgedessen auch graphisch (ek^ ehi) nicht konse-
quent — und in der älteren Schrift gar nicht — von jenem unterschieden
wird, ist eigentlich Fragepronomen (quid% E^ Non piangere, ehe la
fnamma d 4n paradiso ist schon durch den Indikativ dahin charakterisiert,
dafs nicht das gewöhnliche Objektsverhältnis (ehe la mamma »ia in para-
diso) vorliegt, sondern: Non ptangere, ehi la mamma i in paradieo d. h.
öffentlich = Non tnangeref eh£? la mamma d in paradiso (cf. A. Tobler,
T%rm, Beitr. II, 79 frz. ear = ^uare?).*
II. Die relativische Verknüpfung selbständig^ Gedanken ist latei-
nische Stilgewohnheit. II quäl padre Orietoforo, wie Manzoni das ffinfte
' Das Lehnwort der Kirchenverwaltaog marguäUer < malricidariuM weist im
Bomanisohen sahllose Varianten anf, von denen viele anf Verschr&nknng mit rv-
giäa : matricuta > ^matr^gulaf ^matrcgtdarku hinweisen, so gewiS^ anch freibur-
gisches mamgUi vnd walliser manäty. Die lehnwortliche Behandlung von rrgula
selbst ist vidgestaltig, and es wäre snnäehst diese flir die Westsehweis festzustellen,
um mamglm etc. m erkliren.
* Der Verlksser sehreibt mit den neueren cM, pmreki; warum dann aber
poiehiy fitorekif meehit
' Hierher gehört anch das von KeUer S. 810 f. behandelte p§reh4 r=. denn.
Z. B.: Pwr famma di Lautmä 1k fueOo vm giomo di tdU, Pereki dovete tajtere
ehe . • .' a* Ptrckif DootU mptrt ehe .,.
Iflt ünreeht sfaid aaoh die Bdspiele 'kontinaativer' Relativsfttie der S. 317 f.
getrennt von den 8. 808 f. angefllhrtea.
458 Bemteilangen und harte Anzeigen.
Ka]rftel seinee Romans beginnt, ist nicht lingaa parlata.' — Bezieht sich
das Relatiynm auf den ganzen Inhalt des vorangehenden Satzes, so lautet
es zumeist il ehe, doch auch ehe allein und entsprechend in präpositionaler
Verbindung, z. B.: del ehe non devi atupkU oder di ehe non aepi shunrii
(S. 307); per il ehe dieevano . . . oder per ehe dieevano* (Vockeradt, Lehr-
imeh der ttal. Spraehey Berlin 1878, § 458, 2).
In «nem dritten Abschnitt werden noch andere FSlle besprochen,
wo die Verbindung selbständiger Sätze mit Mitteln der HypotaxeTor-
senommen wird: paiehS = nämlich (vgl. das franz. puieque hier XCJVlII,
383); eenonehS = nur; fuorehS = nur; steehi = so; (e) tanto ehe =
(und) schlielslich; cruando = da; oUreehS = zudem. Und mit Becht
weist Eello' darauf hin, wie schwankend die Grenzen der ErscbeinungeQ
sind, welche die GrammatQc durch ihre überUeferten technischen Aus-
druoce hübsch voneinander geschieden zu haben wähnt. —
Henri Blazes Übertragung des zweiten Teilfl von Goethes
Faust. Der erste Franzose, der das Wagnis einer Übersetzung des
zweiten Teils des Faust unternommen hat, ist Blaze de Bury. Pro-
ben dieser Übertragung gab er zunächst in der Hernie des deux mondee
(1889). Im Jahre darauf erschien dann sein Faust de Cfoethe, traduetion
eomplÜe, Sie wird noch heute aufgelegt — H. Blaze hat nur die durch
ihren x>oetischen Charakter hervorragenden Stellen in gebundener Bede
wiedergegeben; das meiste ist in Prosa fiberün^n, una in den späteren
Auflagen hat er die metrischen Stellen noch weiter reduziert
M. Lanekavel hat diese Übertrarnne einer eingehenden Verglei-
ehung mit der Urschrift unterworfen. Woid zeigt sie, wie der Zwang
des Verses und die Fessel der toaditionellen Di(£ters^rache den Über-
setzer hemmt, seinen Ausdruck dekoloriert und ihm Füllsel und For-
meln in die Feder flielsen (z. B. das Epitheton bhnd); wie gelegentlich
ein sprachliches Mifsverständnis mit unterläuft, obschon Blaze Lo^ve-
Veimara zu Rate zieht Doch kommt sie auf Grund ihrer UntersuchuDg
dazu, en eonnaissanee de eause das günstige Urteil, das bisher über Blazes
Leistung bestand, zu bestätigen, indem sie es begründet und ergänzt —
Aus ihrer Beschäftiffunff mit Houdar de la Motte heraus spoidet M. J.
Minckwitz: Ein Scherflein zur Geschichte der französischen
Akademie von 1710—31, d.h. in den zwanzig Jahren, während deren
la Motte Mitglied und Directeur war. Es sind die letzten Jahre Lud-
wigs XIV., die B^;entschaft (1715—28) und die erste Zeit Ludwigs'XV. mit
seinem Minister Kardinal Fleury (sdt 1726). Diese zwd Jahrzehnte haben,
wie die Verfasserin selbst sagt, eine besondere Bedeutung in der Geschichte
der Akademie nicht Die Akademie ist, wie vorher und wie nac^er, dne
höfische Institution. Die V^. hat denn auch vorzüglich von höfischen
Obliegenheiten und Gunstbezeueungen zu reden und l^richtet da manches
charakteristische Detail aus oem Kleinleben dieser Reistlich geldteten
Körperschaft, deren dekorative Huldigungen der schlaue Remit dem
Königsknaben zukommen liefs, wie der Erwachsene einem unbequemen
Kinde glänzendes Spielzeug zuschiebt Gegenüber diesen höfischoi Ob-
liegenheiten, zu denen ja auch die Wahlen und Coneours gehörten, gegen-
über Fragen der Sitzungsräume und der Sitzunpfauteuils, stand auä da-
mals die eigentliche Aufgabe der Akademie im Hintergrunde. Sdir
* Wie ManionI sich in den Tertchiedenen Redaktionen der iVoMcm 8pod m
dieser Konstraktion verhielt, sagt D'Ovidio, Le eorteehm ai Prom. £^./ Nspoli,
1895, p. 77.
* Da dieses /mt eh» ein der Sprache auch sonst «ehr gelänüger Kens ist, so
tritt daM^U des Satsrelativnins bisweÜen vor per: ü ptrM dieevamo (8. S07).J
Beurteünngen und kurze Anzeigen. 459
bezeichnend iBt, was Verf. von der Arbeit am Dietwnnaire zu berichten
weÜB: der Antrag, die einzelnen Wörter mit hiBtorischen Beleffstellen zu
versehen, wurde 1727 ablehnt. Neunzig Jahre zuvor hatte inn bereits
der einsichtsvolle Chapelam umsonst gestält. Die Akademie heharrte von
Anfang an darauf, die Musterbeispiele, die sie ihren Wortd^initionen bei-
fügte, selbst zu elenden, und sicnerte sich so die Freiheit sprachmeister-
licner Eieenwilligkeit Dem Secr^taire perp^tuel ab^ ward gestattet, bei
der Korrektur da* Druckbogen geeignete lOielegstellen aus guten Autoren
von sich aus einzufügen. Doch war ihm streng verwehrt, dabei an die
Definitionen und Musterbeispiele der Akademie zu rühren, dL h. der histo-
rische Beleg mulste diesen aprioristischen Sdiranken sich füeen. So hat
die Akademie das, was die induktive und lezikologische Wissenschaft
einer späteren Zeit als Grundlage betrachtet» jederzeit als das Sekund&re
behandelt und gerine gesch&tzt.
Zwei akademische Vorkommnisse dieser Zeit erklfirt VerL als beson-
ders bedeutsam: die Ausstolsun^ St-Pierres (1718)' und die Aufnahme
MontesquieuB (1724 — 28). Jene wird eingebend erzählt, diese nur eeetreift
Ich bin überzeug, dais Brunei (S. 847) recht hat, wenn er glaubt, dals
der Begent Bt-Pierre nicht gram war. Er war sicherlich an den geistlich-
akademischen Verfolgungen, denen St-Pierre erlae, unbeteiligt und brachte
ee deutlich zum Ausdruck, dafs ihm das akademische G«zänk zuwider
war. Die Polytynodie war für den, der mit Ministerkonseils regierte, keine
revolutionäre Schrift,' und sich für das Andenken Ludwigs XIV. be-
sonders ins Zeug zu legen, hatte der, der dessen Testament gebrochen,
keine Veranlassung. Dafs, nach Brunei, der Schwärmer St-rierre als
ein Vorläufer Montesquieus beseichnet wird, halte ich für unrichtig.
St-Pierre ist, wie freilich der treffliche Hettner besser und deutlicher zeigt
als Brunei, ein universeller Reformer, Montesquieu ist ein konservativer
Antireformer (cf. Archiv CXIII, 391). Auch dafs mit der Wahl Montes-
quieus an Stelle de Sacys (1728) für die Folgezeit ein ^ungemein bedeut-
samer Ersatz' gewonnen worden sei, muis ich bestreiten. Montesquieu
ist für die Akäemie vielmehr völlig bedeutungslos gewesen. Der,
der in den Leüres persanes so unbarmherzig über das 'ewige (Gewäsch* der
Akademiker gespottet hatte, hat nach seinem Diaeours ae rieepHon die
Sitzungen ÜMrhaupt nur noch wenige Male besucht und keinerlei Eln-
fluis weder auszuüoen erstrebt noch tatsächlich ausgeübt. Wer die un-
erfreulichen Vorgänge, die Montesquieus Kandidatur und Wahl beglei-
teten (vgl. Sonntagsäak des Bund, Bern 1884, n^ 18 ff.), näher untersucht,
der findet dies auch erklärlich. Diese Vorgänge sind für die Akademie
ebenso charakteristisch wie für Montesauieu. Sie zeigen, wie der aka-
demische Ehrgeiz zur verhängnisvollen Klippe ward, an der auch Montes-
quieus (yharakter nicht ohne Havarie vorüWkam. —
Der junee Voltaire und der junge Goethe ist der Titel des
interessanten £ssay, den E. Schirmacner oeigetragen hat. Den jungen
Voltaire vomehmuch nach seinen Briefen zu charakterisieren, habe auch
ich vor langen Jahren einst unternommen' und dabei aus seinen Jugend-
briefen ähnliches herausgelesen wie K. Schirmacher; aber der Gedanke,
1 Es empfiehlt sich, in den mit Samt gebildet«ii fransösisehen Eigen-
namen die fransösiBche and nicht die deutsche Form der Abkftming %a gebraaehen :
ßt' nnd nicht 8t, (a Sankt), also Si^Pierre, SU-Beuve und nicht 8L Pierre, 8u,
Beme sn schreiben.
* Ans welchen Grflnden vielleicht der Regent trota der Lobsprttohe, die
Saint-Pierre"]' seiner Person und seinem Regiemngs^stem widmet, sich verletst
ffthlen konnte, leigt Bonsseaa in seinem JugemetU nr la Pofy$jfuodU.
* Is» SoimtogMaU des ßmd (Bern) 1888, n® 80^»,
460 Beurtellnngen nnd kurze Anzeigen.
ihn mit dem jungen Goethe zu vergleichen, der hödisten Kultur die
tiefste Natur gegen tiberzustellen, ist mir nicht gekommen. Unbestreit-
bar ist dieser Oäanke ein sehr glücklicher. Für beide besteht aus-
kömmliches Material in Briefen an Freunde, Gönner und geliebte Mäd-
chen: reicher freilich ist dies Material für den rdcheren Goethe. Die
Verfasserin hat, was es birgt, in helles Licht sesetzt und die Gestalten
dieser beiden Grolsen, von denen der dne 'typisdi französisch, da- andere
unnachahmlich deutsch' war, in scharfen Umrissen ans ihren Jugend-
briefen erstehen lassen. Und es erfreut insbesondere, zu sehen, wie gerecht
sie Voltaire beurteilt, gegen den der Deutsche so leicht unbillig wird. —
E.Tappolet handelt Über die Bedeutune der Sprachgeogra-
phie mit besonderer Berücksichtigung französischer Mund-
arten. Dabei steht die Frage der Dialek^renzen im Zentrum seiner Er-
örterungen. Er 1^ Gilli^rons ÄUas Unguiatigue de la Franee zugrunde
und g^t auch vom zukünftigen Atlas Unguistique de la Suieae romande
aus, aus dessen Werkstätte L. Gauchat hier (CXI, 865 ü.) so fesselnde
Mitteilungen gemacht hat. Auch verfügt Tappolet als einer der drei Re-
daktoren des Vlassaire de la Suisee romande floer eigene reiche dialektische
Beobachtungen und methodische Erfahrungen.
Tappolet verffihrt nach der nämlichen graphischen Methode, die Gau-
chat zu so schönen Erkenntnissen geführt hat: er bestätigt diese Erkennt-
nisse und bereichert sie.
Er hat, vorzüglich aus dem ersten Faszikel des Aiku (HUiUrony etwa
drei Dutzend Erscheinungen, hauptsäc^ch phonetische und lezikologische,
aufii Geratewohl ausgewählt, die Grenzlinien dieser Dialektmerkmale fest-
gestellt und diese Grenzlinien alle auf das nämliche Kartenblatt einge-
tragen. Aus dem Wirrsal dieser Merkmdgrenzen * ergibt sich zunächst
für Frankreich, was die Karte hier CXI, 892 für die Schweiz lehrt: die
dialektischen Merkmale sind nicht in gleidimäfsig allmählichen Übergängen
über das ganze Land verteilt (wie eine aprioristische Sprachlehre behauptet
hat), sondern in dem einen Landesteile näufen sie sich mit scheinbar will-
kürlichen Kreuzungen, in anderen Gegenden sind sie selten. . Es dbt
grenzenreiche, d.n. dialektisch heterogene, und gibt grenzen arme, d.h.
dialektisch homogene, Gebiete — immerhin bleibt abzuwarten, inwiefern
die Eintragung weiterer Merkmal^enzen im einzelnen das vorläufige
Kartenbild, das uns Tappolet weist, modifizieren würde. Er erkennt
zwei groise relativ homogene Gebiete: das südöstliche Tiefland, Provence-
Languedoc, und das sogenannte Pariserbecken im Nordwesten. Zwischen
diesen beiden ^enzenarmen 'Kemlandschaften' zieht sich in südwest-
nordöstlicher Richtung eine Zone heterogenen Spradigebietes über das
Zentralplateau.* Ihre Breite variiert von 50 — ^200 Kilometer.
^ Man kann die Linie, welche die Grensorte der nämlichen Ltuterscheiniuig
verbindet, als Isophouen beieichnen und darnach aneh von Isomorphen,
Isolezen sprechen: Qrenilinien fbr flezivische und lezikologische Ersehenrangen.
* Tappolet konstatiert das eigentllmliche Zasammentreffen, daA *da, wo Frank-
reich ans Meer grenzt, sich meist homogenes Dialektfcebiet findet; dalk hingegen
da, wo frans. Mundarten mit dentschen, italienischen, katalanischen
oder baskischen snsammenstoften, sich erster« in der Regel recht stark düTe-
rendert haben.' Daft die vom Meer begrensten Landesteile, wo jeder sprachliche
OegenstoAi fehlt, yerhftltnismlibig einheitlich bleiben, ist erklärlich. Da ein dia-
lektischer GegenatoA auch von fremden Idiomen, wie deutsch, kaum ausgeht, so ist
die Dtfferenziening der frans. Mundarten an der deutschen Spraobgreme auffallend. —
Italienisch nnd Katalanisch durften in diesem Zusammenhang nicht ohne weiteres
mitj genannt werden: hier linden Obergänge und GegenstöAe] statt, und es ist ja
das Katalanische nur sine verhältnismäftig junge Verlängerung des ProveaialJschen.
Beurteilungen und knrze Anzeigen. 461
So ergibt sich. eine sprachliche Dreiteilung für das heutige Land; Bie
entspricht Frankrdchs topographischer Gliederung und erinnert auch an
Caesars Chdlia est omnis (uvisa in partes tres. Die mittlere heterogene
Zone sieht aus wie die sprachlichen Trfimmer der Qallia lugdu-
nensis. In welchem Umninge dieser Dreiteilung aber wirklich alte gallo-
romanische Sprachzustände zugrunde liegen — dies zu eruieren w&re eine
reizvolle Aufgabe der historischen LauUehre, deren Lösung durch sorg-
faltige Eintragung der ältesten erreichbaren Isophon en zu suchen wäre.
Dafs die erdrückende Mehrzahl der Tappoletschen Merkmalgrenzen ~
und insbesondere die Isophonen, welche alten salloromanischen Lautwandel
darstellen — west-östlich verlaufen, ist eine Erscheinung, die für die Er-
klärung des Bomanisierungsprozesses in Gallien von der höchsten Bedeu-
tung ist. —
Bisweilen fallen von den im allgemeinen wirr vo'laufenden Merkmal-
grenzen einige auf kürzere oder längere Strecken völlig zusammen. Es
zeigen sich so kürzere oder längere, schwächere oder stärkere Linienbündel,
zum Zeichen, dals auf der betreffenden Strecke mehrere Sprachmerkmide
erlöschen. Jedes dieser Linienbündel ist als tieferer sprachlicher Ein-
schnitt interessant und ffibt der Sprachgeschichte ein kleines Problem auf.
Aim interessantesten sind unzweiielhaft jene starken und langen Linien-
bündel» wie sie Gauchat hier CXI, 892 n. für die Suisse romande nach-
gewiesen und besprochen hat, und wie sich nun Tappolet vorläufig deren
zwei für Frankreich ergeben haben, beide im Südwesten: I. Von der Mfin-
dungder Gironde bis nördlich von Bordeaux fallen auf eine Strecke von
100 Kilometern dreizehn Merkmaigrenzen zusammen, d. h. die breite
Gironde, die eine natürliche Verkehr8fl;renze ist, bedeutet auch einen tiefen
sprachlichen Einschnitt' zwischen Saintonge und Medoc. II. Sechs
Merkmalsrenzen fallen auf eine 300 Kilometer lange Strecke zusammen,
die sich bogenförmig vom Bassin d'Arcachon geffen die Garonnequellen
hinzieht, das Flulsgebiet des Adour umschlieCBena. Das ist die alte Gas-
oogne, die also heute noch durch eine Dialekt grenze vom übrigen süd-
französischen Mundartengebiet scharf geschieden ist. Man wird 'ßippolete
Vermutung, dals diese (uuerhafte und energische Dialektscheide auf eth-
nischer (iberischer) Grundlage beruhe, berechtig finden. Die endgültige
Auftlärung Über Entstehung und Erhaltung dieser Diaiektgrenze mufs
uns die Provinzial- und I^kalgesohichte ^ben. Sie mufs über die staat-
Udie, kirchliche, wirtschaftliche Zugehöngkeit resp. Autonomie des um-
grenzten Gebietes im Laufe der Jahrhunderte Aufschlufs geben. Von ihr
ist die Antwort auf die Frage zu erwarten, welches waren im Lauf der
Jahrhunderte die politischen und kirchlichen Grenzen und das wirtschaft-
liche Leben dieser Südwestecke Frankreichs, d. h. wohin gravitierte der
ganze politisch, kirchlich und wirtschaftlich beding Verkehr ihrer Be-
wohner — mit anderen Worten: welches waren einst ihre Verkehrs-
grenzent Denn, was emsige Arbeit bis jetzt auf dem Ctobiete der deut-
schen und französischen Mundartenforschung zutage gefördert hat, hat
die sprachliche Allgewalt des Verkehrs erwiesen : die bis jetzt gefundenen
Dialektorenzen sind Verkehrsgrenzen, uralte oder jüngere, mit oder
ohne erkennbare Verschiedenheit des ethnischen Substrats.
Dafs diese Verkehrssrenzen, welche mundartliche Einschnitte schaffen,
oft genug von Terrains^wierigkeiten bedingt sind, ist einleuchtend (z. B.
die Gironde) — wie oft aber Überwindet politische, kirchliche, wirtsohaft-
lii^e Zusammengehörigkeit die gröfsten Terrainschwierigkeiten und schafft
mit der Verkehneinheit auch Sprach einheit. Zwar ist der Gotthard
eine Sprachscheide — aber dafiu: haben die höchsten Gipfel der Alpen,
' Doeh bUden die untere Loire, Seine and Bhdne keine ipraehlichen Ein-
fch^itU.
462 Benrteilungeii und kurze Anzeigen.
der Montblanc und der Monterosa, nicht verkehrshemmend und also nicht
sprachtrennend gewirkt: die Alpwirtschaft verbindet das Aostatal mit
Savoven und Macugnaga mit Sans.
Die Verhältnisse der Schweiz sind hier insbesondere lehrreich, und
Tappolet widmet ihnen die letzten Seiten seines schönen Aufsatzes. Schon
Qauchat hatte gezeiet, dafs die ausgeprägteste Dialektgrenze der Sulsse
romande nicht im Hochgebirge, sondern auf flachem Grund und Boden,
auf einer Hochebene des bernischen und neuenburgischen Juras liegt und
da die beiden Dörfer Les Bois und La Ferri^e trennt: das bäuerliche
und katholische Les Bois vom industriellen und protestan^
tischen La Fernere. Indem Tappolet den mundartlichen fjscheinungeii
längs der französisch -schweizerischen Landesgrenze (waadtländer, neuen-
burgor und bemer Jura) nachgeht, zei^ er den sprachtrennenden Einfluls
der Konfessionen. Auf der waadüändischen Strecke ist die Landesgrenze
zugleich Diiüektgrenze, trotzdem nach Frankreich hinflber keine natür-
lichen Verkehrshemmnisse bestehen: die Waadt ist protestantisch; auf der
berner Strecke vermag sogar das tief eingeschnittene Grenztal des Doubs
keine scharfe Mundartscheide zu bilden: der bemer Jura ist katholisch.
Wie sehr kirchliche Zugehörigkeit die Verkehrgruppen und damit die
Sprach^uppen besonders ländUcher Kreise bis heute o^stimmt, das zeigt
Graubünden, in dessen Oberland geradezu eine katholische und dne refor-
mierte Varietät des Bomontsch unterschieden wird. — Im Sprachbild des
Mittelalters haben unzweifelhaft die Diözeeangrenzen eine hervorragende
Bolle gespielt: sie schieden die Bezirke des gro&en fwrta auch mundart-
lich voneinander.
Empirische Feststellungen wie die Tappolets zeigen, dals es zwar Dia-
lekte im landläufigen Sinne, in die sich die Sprachmasse eines Landes
wissenschaftlich einteilen lie&e, nicht gibt; da£s aber anderseits diese
Sprachmasse sich auch nicht gleichmäfsi^ in einzelne Merkmaizonen auf-
löst, die, wie die Binge eines Harnisch, meinander li^en, und von denen
keine sich ganz mit der anderen deckte. Die Wahmeit liegt vielmehr
sozusagen in der Mitte: es gibt zwar keine scharf umgrenzten Dialekte
— aber es eibt scharfe Dia&ktgrenz strecken. Sie smd geschichtlich
bedingt als Verkehrsgrenzen, die ihrerseits politisch, kirchlich und wirt-
schaftlich bedingt sind.
In diesen Forschungen beleuchten sich Linguistik und Geschichte
ffegenseitig. Wo der Linguist eine Mundartgrenze — d. h. das Zusammen-
tuen von Isophonen — nachweist, da muls der Historiker — wenn die
Gegenwart keme entsprechende Verkehrsgrenze mehr aufweist — nach
einem alten Limes graben. Und umgekehrt müssen alte Verkehrsgrenzen,
z. B. die DiÖzesangrenzen, auch wenn ihre sprachlichen Spuren in der
heutigen Mundart nicht mehr erkennbar sind, von der Sprachgeschichte
in Btt^ung gesetzt werden.
Man darf wohl sagen, dals die Erforschung der lebenden Mundarten,
in Verbindung mit der Phonetik, die Sprachwissenschaft der letzten zwan-
zig Jahre völlig umgestaltet hat. Man hat einsehen lernen, dafs die Ge-
setze des Sprachlebäs vor allem am Leben selbst zu studieren sind,
und dals jene linguistischen Theorien, die auf papierenem Boden ^wachsen
sind, eine gründuche Bevision und Säuberung durch die Empirie, welche
das wunderbare Leben der Mundarten so freigebig gewährt, erfahren
müssen. Die Linguistik hat sich lange am Phantom geübt; nun ist sie
zum Studium des lebendigen Leibes übergegangen. Sie hat sich lange
auf Paläontologie beschränkt, hat Enochenreste gedeutet und Eoprolithe
bestimmt, nun ist auch sie zur Biologie gekommen und muls jetzt ihre
paläontologischen Theorien revidieren. Und weil ich an mir selbst er-
fahren habe, welche Erfrischung das bedeutet, habe ich längst dafür plä-
diert, die Arbeit am lebenden Patois in den akademischen Untemch,!
Beurteilnngen nnd kurze Aneeigeo. 46S
au&unehmen.' Diese Arbeit ist wie keine andere eine Schule linguistischen
Denkens. Die schweizerischen Universitäten sind durch ihre Lage für
Patoisforschung besonders günstig gestellt. Solche Gunst schafft Ver-
pflichtungen, und dafs sie ihrer bewuist sind, zeigt die tiefgehende Studie
Gauchats, die feine Skizze Jeanjaquets und diese orientierende Antritts-
Yorlesung Tappolets. —
Zu den Stimmen der Lebenden gesellt sich am Schluls die Stimme
eines teuren Toten. L. P. Betz hat zu dem Bande einen Au&atz über
den Zürcher Heinrich Meister, den 'Pariser Meister', beisteuern wollen.
]^ war dazu vortrefflich gerüstet. Dieser treue Freund Grimms und
Diderots, der von 1773 an während vierzig Jahren deren Oorrespondance
lüUraire in Paris, in London und Zürich fortgeführt hat, dieser schweize-
rische Vermittler deutschen imd französischen Geistes, war einer von Betz'
Lieblingen. Wie oft bildete er den Gegenstand unserer Unterhaltung;
wie oft hatte Betz neues über ihn mitzuteilen I Es sollte ihm nicht ver-
gönnt sdn, die ordnende Hand an sein reiches Material zu legen. Ein
grausames Schicksal entrils den Vortrefflichen in der Blüte der Jahre
seiner weitausblickenden Tätigkeit als Forscher und akademischer Lehrer,
seiner Familie und seinen Freunden (vergl. Ooethe- Jahrbuch 1904). Von
setner Arbeit über Meister war nur die Bibliographie der Werke
Jakob Heinrich Meisters bereit. Die Sorge gemeinsamer Freunde
hat sich dieses Bruchstücks angenommen, und auch Frau Betz, der treuen
Mitarbeiterin ihres Gkttten, saee ich dabei herzlichen Dank dafür, dais sie
ihre Einwilligung dazu gegeben hat, dalis der Torso dem Lehrer und
Freunde dargebracht werde. Wie eine gebrochene Säule steht er am
Schlüsse des Bandes über einem Grab, das viele schöne Hoffnungen deckt.
Das Buch, von dem ich hier so lange gesprochen, hat in mir die leb-
hafteste Erinnerung an die nur zu rasch entschwundenen Zeiten geweckt,
die uns zu gemeinsamer Arbeit in den romanischen Seminaren zu Bern
und zu Zürich vereinigte. Daus auch ich in Dankbarkeit und treuer An-
hänglichkeit an diese gemeinsame Arbeit zurückdenke — das den Ver-
fassern dieses Bandes zu zeigen
Vagäa nu ü hmgo studio e ü grande amor«
Che m*a fatto cercar U hr pobarne, n- «|
Dr. Otto E[nörk et Oabrid Puy-Fourcat, Le fraD9ai8 pratique
pour la jeunesse ooinmer9aDte et industrielle, l^'® partie. Berlin,
Mittler & Sohn, 11^05. 128 S. 8 mit Vocabulaire (getrennt) 28 S.
Ein neues Glied in der Reihe der Lehrgänge für den französischen
Anfannunterricht an Handels- und Fortbildungsschulen, das von den be-
treffenden Lehrern mit Freude begrülst werden wird. Es will diesen
Herren, wie die Prifaee hervorhebt, die Möglichkeit bieten, den Unterricht
gleich in französischer Sprache zu erteilen. Deshalb ist es ganz in dieser
Sprache geschrieben, abgesehen vom Oours prSUminaire, der auf S. XI
bis 'yTY Lautlehre und Bindung bespricht und Ausspracheübungen bringt
Deutsche Sätze zum Übersetzen fehlen abo, entsprechend dem Beform-
grundsatze: 'Das Übersetzen ist dne Kunst, welche die Schule nichts an-
geht.' Mit Becht, denn durch Übersetzen ist noch kein Schüler direkt
zum Aufsatz und zum freien Gebrauch der Sprache geführt worden. Jede
der 80 Ldctionen enthält Leeture, Questwns, Orammatre und Exereiee.
Die Leeiure fängt mit Anschauungsunterricht und dem Nächstliegenden
' Die Untertuehumg Übender Mimdarten wtd ihre Bedeutung für den ahademieehen
Unterricht, 'm Behrens' Zäteehrifi 1888; cf. W. Vieton Phoneüeehe Stndien lU, 71.
'
t84 .Beurteilnngen und kurze Anceigen.
an: La taUe da elasae, Le eorpa humain, Lea vUemmU, L'mgeignement
ücmmercüU et industrid, iMrty Ckuie pastale etc., und bringt yon der
19. Lektion an die G^chichte zweier janjKen Kaufleute, die Stellangeo in
Paris finden und dorthin reisen. Ein vorzue des Bnches ist also, da(s
es interessant ist; ein zweiter, dals es praktiscn und kurz ist. Denn die
Orammaire, welche vielfach noch nicht eine Seite, dazu in sehr übersicht-
licher Form und in zum Teil fettem Druck, einnimmt, behandelt in der
Vorliegenden 2^« partie die Ranze Formenlehre und Teile der Syntax: des
3iubfonetif, f^aee de ratjjfecHf, infinüif, Ist es nidit ganz natürlich, bd
aUer, venir, eourir gleich den inßnüif eane priposMmf bei rietmdre etc.
gleich den infiniHf avee la prepoeüion ä zu behandeln, namentlich wenn
es in so kurzer Form wie hier geschieht? Etwas bedenklich A^fi&ßiea er-
scheint es, wenn nun gleich in derselben Lektion mit dem InfmitiY die
Konstruktion von ne pae datUer mit dem Subjonktiv durchgenommen wird.
Überhaupt dürfte der Lehrer bei Zugrundelegung des Buches mit man-
chem deutschen Anfänger an der Handelsschnte, wo die Schüler jung und
noch anderweitig stark belastet sind, schwere Arbeit haben; indessen muls
es sehr interessant sein, Schüler nach diesem Buche ganz in französischer
Sprache zu fördern. Bedingungslos zu empfehlen ist das Buch für Fort-
budun^chulen, wo die Schüler älter sind und meist nichts weiter glddi-
zeitig in ihrer Mulse treiben. Zum SchiuIiB sei noch ein Vorzug vor vielen
anderen Lehrbüchern hervorgehoben: es ist in gutem und einfachem Fran-
zösisch ffeschrieben.
Berfin. Eeesebiter.
L Giorgi ed E. Sicardi, Abbozzi di rime edite ed inedite di Fmn-
oesoo Petrarca. Perugia, Unione Tipografica Cooperativa MDCCOGV.
20 pp. 8.
Ein glücklicher Zufall mehrt ans die Zahl der bekannten Dichtungen
Petrarcas um dn paar interessante kleine Stücke. Als der Kodex 924 der
casanatensischen Bibliothek, dessen Wichtigkeit für die Petrarcaphilologie
sich bei des Beferenten Prüfung herausees teilt hatte, kürzlich einen neuen
Einband erhielt, fand man, dais die aiu dem alten Umschlaff festgeklebten
zwei Pergamentblätter eine Fortsetzung der Kollation enthalten, welche
ein^Petrarchist des 16. Jahrhunderts nach eigenhändigen Niederschriften
des' Dichters auf den Text dieser Handschrift eingetragen hatte. Jene
Niederschriften sind uns im Ck)d. Vatic. 3196 erhalten, almr nur zum Teil.
Beccadelli und Daniello haben mehr von ihnen gekannt, als jetzt vor-
handen ist (s. die Qeschichte dieser Blätter in des Ref. 2Sur Bmwiekdung
ital. Dichtungen PHrarcae S. 2 ff.), und ebenso der Kollationator des
Casanatensis. Nachdem uns seine Arbeit schon eine grolse Zahl neuer
Lesarten des Dichters für die Triumphe kennen gelehrt hatte, fügt es
jetzt der Zufall, dals die neu losgelösten Blätter wiraer einige der im Ori-
ginal verloren ^gangenen Stücke ans Licht bringen.
Der KoUaüonator trug, wie gesagt, die Varianten jener Autographe
auf einen an sich wertlosen, im 15. Jahrhundert geschriebenen Text des
Kanzoniere und der Triumphe ein. Die Blätter enthielten aber auch Gre-
dichte, welche Petrarca nicht in die Sammlung seiner rerum vuUfoHum
fragmenta aufnahm, weil sie ihm dessen nicht wert erschienen, o^ weil
sie in unvollendetem Zustande geblieben oder auch weil sie ihm nicht zu
futer Stunde wieder unter die Augen gekommen waren. Solche Stücke
onnte der Kollationator also nicht im Zusammenhanse des Kanzoniere
mitteilen, und er schrieb sie auf den jetzt wieder zum Vorschein gekom-
menen Seiten nieder. Sechs Sonette, drei Ballaten und ein Fragment
einer Ballata werden uns so überliefert Von ihnen besitzen wir eine
Ballata (Amor, ehe'n eielo e'n fentü eore albergki) und drei Sonette {Sa
Phebo dl primo amor nom ^ buguurdo, Quando uäar da guuta ira eommoeao.
Beurteilungen und Inirze Anzeigen. 465
Pm voUe'ü du m% fo vermigUo e fosoo) noch jetzt im Yat. 8196; die Ballat«
No9a heüexoM in habiio qentiU ist schon unter den estravagantl der Aus-
sähe Oiunti 1522, Morelli 1799 (und in manchen anderen Ausgaben, die
Giorgi und Sicarai nicht nennen) gedruckt Die anderen Baflaten und
drei Sonette sind neu. Es fehlen dagegen die in den yatikanischen Blfit-
tem stehenden, in den Eanzoniere nidit aufgenommenen Sonette QueUa
eh» gli ammali dd mondo atterra, QuMi ^7 sftovendl meo eore avinse und
Tal earcUier tuUa una sehiera atterra und einige Fragmente, so dais wir
annehmen dürfen, dal's auch jetzt uns ebensowenig für den Kanzoniere
wie für die Triumphe die yollstandiffe Arbeit des Kollationators vorliegt.
Die Abschrift der im Original emaltenen Stücke ist uns willkommen,
weil wir an ihr von neuem die Sorgfalt des alten Petrarchisten prüfen
können. Sie l&lst wenig zu wünschen übrig für die Sonette Se l^hebo,
Quando talora und Piü poUe, die auf den petrarkischen Blattern, sauber
geschrieben, leicht lesbar sind: In Se Pheoo ist y. 3 giamai mit zwei m
geschrieben. In Quando talora hat der Kopist für ^t«^ zuerst gionge
gesetzt, dann gne hinzugefügt, ohne nge zu tilgen. Die Überschrift zu
JHü VQÜe hat am Ende von parüf das ' übersehen. Die Notiz 4 nouSbr
1336 rtfieepi hoe (oder hie) seribere scheint nach dem Druck der beiden
Herausgeber zum Sonett Quando talora zu gehören. Der Eollationator
hat sie, ganz dem Original entsprechend, am Kande des Blattes oberhalb
des Sonettes Piü vciUe emgetrasen. * V . 6 des Sonetts steht Hauea statt Auea.
Nicht so gut überschrieoen ist die im Ori^nal schwerer zu lesende
Ballata Amor ohe'n eielo, V. 2 hat freilich nur der Druck ispiri; die
Photographie zeigt das inapiri Petrarkas. Aber v. 8 steht mei statt mieiy
Y. 5 &tal graue penser taUor statt Utta ü gr, peneier talor, y. 7 fehlt die
Lesart nodo, die retr, für peso eingeführt hat, y. 9 steht st^oi) statt tuoi,
y. 11 fehlt die letzte Lesart pur spero, y. 12 steht perfetta statt perfecta.
Merkwürdigerweise fehlen im Casan. die lateinischen Notizen, welche
der Dichter dieser Ballata beigegeben ha^te (s. Zur Entwichelung S. lüO),
während wir hier wieder eine Notiz finden, welche das Blatt der Vatikana
nicht zeigt. Diese Notiz lautet nach der Lesuu]^ der Herausgeber:
h* f ordine retroßrado ad Iram^ n fallor ut h%e süt dictaui äno istq pro
eonfortiuo et unü aUud postea quod nö curaui pfieere ex hie atä elegit . . . ^
ipae uUimü quod hie est primü seripsi hoe ne daheret in totü pie magna . . .
' Wo diese Notiz gestanden hat, bleibt unklar. Das Origmalblatt zeifft
keine Spur einer Be^hädigung, die sie hätte yerloren gehen lassen. Es
ist dort vielmehr Baum xenu^ frei, auf dem sie hatte stehen können.
Hierzu kommt, dais der ETollationator sie mit einer anderen Feder, offen-
bar erst später, der Abschrift der Ballata hinzugefügt hat, so dafs er sie
wohl irgend anderswoher nahm. Es erscheint also durchaus zweifelhaft,
ob sie zu dieser Ballata eehört, wobei aber doch wieder zu bemerken ist,
dafis dieselbe Seite des Originals, welche die Ballata enthält, auch, wie
diese Notiz, einer Abschrift pro Confortino gedenkt.
Diese Notiz hat nun leider beim Druck der neugefundenen Stücke
ffroises Unheil angerichtet Die Worte in ordine retrogrado, die sich offen-
bar auf die (bucfistäbliche *ad litteram') Überschreibung mehrerer Stücke
yon einer Niederschrift zu einer anderen 'in umgekehrter Reihenfolge' be-
ziehen, haben die Herausgeber dahin verstanden, dafs Petrarca die Folge
der einzelnen Verse geändert habe, per rendere piü diffieile a quanti gli
* Ich benutse die photographische Wiedergabe der beiden Bl&tter, welche die
Herausgeber mir frenndlieh sageaandt haben, und die im 3. Bande des Arehivio
Paleogrqßeo Italtano auf tav. 5$ enthalten sein soll.
* Der Anfang scheint mir unsicher. Es liegt nahe, 2V. su lesen, wie bei so
vielen Stttoken des Yat. steht: Tr, in ordine»
' Ober Jram ein Strich als Zeichen der Abkflrsung.
^ Das Ende der sweiten Zeile ist unsicher.
ArehlT L n. Si>»cliea. CXY. 30
466 BenrteilungeD und knrze AnceigeaD.
mpümwno m eaaa öon rintmwitme di ekiedergli o wUnurgU dtf vtni, o
quaUiati aUro MriUo {FamiL Y, 16), ü kfff&n neeialmmnU qtMä 9m rume
ehe erano in uno stato di primm etaboroMone. Bo dmcken sie denn, D«di
einem diploiiuitiBchen Text auf 8. 6 f., die neagefond^en Stficke S. 16—18
ab *neWordm» m eui 1% aivnmmo trovaU neüa membrana A (dem ersten
der loegeUtotOQ BlStter), m egU ve li apetm voiuH duporre nd modo ordi^
naHo, oome skumo a^pmUo neüa mombrana B (dem swdten Blatt, auf
welchem die Heraasgeber die schlichte Reihenfolge der Vene anerkenneii].
Von ihrem Irrtum hätte sie schon der umstand abhalten sollen, dau
gerade die Ballata, zu welcher die lat Notis scheinbar gehört» auf dem
neuen Blatt hi fast derselben Art geschrieben steht wie im Vat 8196.
FVeilich geht das nicht ans ihrem Abdruck 8. 6 f. hervor, wohl aber ans
der photographischen Reproduktion. Auch dais die Form der 8onette, die
bei der Neuordnung der Verse herauskommt, eine bei Petnica beiraiel-
lose ist (a b b a b a a b in den Quatemarieu, vgl. Aber die Sonettenrorm
bei Petrarca des Referenten B&rlmer Handoehrifkin der Rm» fMronou
8. 68 Anm.)) zeigt sogleich, daCs diese Ordnung der Verse nicht die richtige
sein kann. Die Stficke sind vielmehr in derselben einfaohfin Art zu lesen
wie aUe Niederschriften Petrarcas, und es ergeben sich sodann die folgen-
den Texte ffir die bisher noch nicht bekannten GMichte:*
L
ove onesti, ligiadrette e tole:
Un ipirto elletto in oaor grave e supemo
Begon madonna, ed ella k il mio governo
Ch'al mondo oon b«gli ocohi il fosoo tole.
5 Fsrebbe a megia notte arder il sole
E primarera qoando k maggior verwo;
ICa oon piA sna beltate e'l mio amor femo,
Pift sna onideaia ml trapesa e dole.
Amor, (gtteito) gUt mia conBiensa non acerba
10 ICa ben l'hivita, ei vero mi constrigne
Che tanto . . i Uoe Fesser meno acerba
Qnanto fortuna in alto pi& la spigne.
Qiorgi und 8icardi nehmen die Reihenfolge 2, 4, 1, 8, 6, 5, 8. 7; 9, 16,
11, 12 als die riditige an und fassen die Verse 1—^, 9 — 12 als Fragmeote
zweier verschiedener Dichtungoi auf. Da sie in der Niederschrift als zu-
sammengehdrig erscheinen, sehe ich in ihnen ein uoToUeudetes oder un-
vollständig überliefertes Sonett, dessen Temarien die Reihenfolfle c d c d c d
hatten (w& 118 von den 317 Sonetten des Eanzontere). Ob die fehlenden
zwei Verse am Ende oder vor v. 9 oder etwa vor 10 hinzuzufügen sind, bleibt
ungewils. — V. 1 ist im Beginn nnlesbar. O. und 8. er^^Sncen Ok pmove,
und besseres weils ich auch nicht vorzuschlagen. One^ ist zu oneiU zu
korrigieren. — V. 2 1. un statt tnf — V. 7 dan man statt femo wohl eeemo
lesen und eon als eom' (s. 209, 8; 269, 18) verstehen. — Auch Ire^psaa v. 8
wird nicht bleiben dflrfen; man kann in verschiedener Art indem.
n.
In olelo, in arla, in terra, in ftiooo e in mare
Amor peronoto, e vola senza manto.
Contra suo' stnli orati non k inoanto;
Ha se col piombo vnol, pu6 risanare. ^
f 5 A megia State fa Thaomo tremare
Et arder a gran remo, e piü chh qnanto
.... forza di oanpar e nfiiir di pianto,
In pift vünpi e lacrime fa Intrare.
' Ich behalte die Orthographie des Casanatonsis bei.
BeurteiluDgen und kune AncdgeD. 467
Lft baiU, le mie fitfse « 1a mia ehium
10 O biaitemato mOto iate e gU iiml
Onde io son viro e gosto «ur«o martire.
IPal fta V{pm^8Q) o»do loglimr qneste ftua
O dar rineggio a mie* gniTwi aAmid,
Se tempo »petto oon famnil nifrire.
Reihenfolge der Vewe bei GS: 2, 1, 4, 8, 5—8, 10, 9. 11—14. V. 7.
Den nnlesbai^n Anfang des Vene« ergfinzen QS. zwcAfellos mit Bedit:
se Sforza; L useir wie v. 9 /omm^ y. 12 seioglier, — V. 12: Hi» <d fin.
UL
I/oro e le peile e i bei ftorettl e Ferba
Oe per natura adnopre pift ebe leta,
Le blanche mano e l'angelice deta
Che a nobü nopre a pnnto se rleerba,
6 Quegli occhi ch'al voltar sno diaacerba
Ogni cmdezza, ei yIbo ehe dirieta
Turbarei Taria, e qaella laia lieta
Che hamil Ikrebe ogni fera saperba,
UirategU, per Dio, signor gentUe!
10 UirategU, se mal bramasti in terra
Yeder an dolce e proprio paradleo.
Vedrete eose d'aqaetar humile
Volcano e Jore alhor ehe piil diaaerra
Per folminar qni giü laoco preoiso^
Verafolge bei GS: 5—8, 2, 1, 4, 2, 9—14. — 2. L Om. 3. 1. mani.
10. L bratnaste.
Diese Sonette werden zum Lorbeer Petraroaa kein neues Blatt hinzu-
fügen. Der Dichter hat sie wohl weiterer Überarbeitung für unwert ge-
halten. Weniffstens das letzte, vielleicht aber auch die beiden vorher-
fehenden, sind auch kaum eigenem Antrieb entsprungen, sondern sind
Lisposte, vielleicht mit mehr oder weniger denselben Beimwörtem, auf
Sonette, die man ihm Antwort heischend zugesandt hatte. Daher denn
auch Formen, die wir sonst nicht bei ihm finden, wie deta, und s^wungene
Ausdrücke und Konstruktionen, die zu korrigieren unter diesen Umständen
ein mülÄiges Beginnen wäre. Freilich bleibt auch immer noch der Zweifel,
inwiefern die Überlieferung des Casanatensis in jedem Punkte genau ist.
Besser als mit den Sonetten steht es mit den beiden Ballaten. Sie ent-
behren nicht der Anmut. Die ente von ihnen, die schon in den genannten
Ausgaben st^t, lautet nunmehr, mit geringen Abweichungen von jenen
Drucken (M):
Nova bellessa in habito gentÜe
Volae U mio core al' amoroaa achiera
Ore^l mal si aoetene el ben ai apera.
Oir mi eonrene e atar com' altri vole,
5 Pol ch'al vago penaer (n poato un freno
Di dolei adegni e di pietoel agnardi.
El chiaro nome ei anon de le parole
De la mia donna el bei viao aereno
Son le faviDe, Amor, di che'l oor m'ardi.
10 Tpnr apero merci, qaanto che tardi,
Gh'avenga (oder: Ch& ben) ella ai moatre acerba e fera,
Humile amante vince donna altera.
Verafolge bei GS: 1—3, 5, 4, 7, 6, 9; — 8, 10—12 (als zwei Frag-
mente gedruckt). V. 8 mal fehlt 0. 9 a, per efU ü e, M. 10. sp, quanr
Utnque che sia t. HL. 11. eh^ ben fehlt M.
80*
468 BearteUungen und kurze Anzeigen.
V.
L'amorose &yi]l6 e'l dolee Inme
De' be' vostri ocohi, onde U mente ho piena,
Fmnno la Tita mia (troppo) sempre serena.
DowoB^ l'alto Tiaggio ond'io m'ing«gno
6 Iferitar Tostra gratia hvmilemente,
Cbn soa daressa m'averia gik stanoho,
Sa non eh' Amor dal bei yieo lucente
Si ^ mia scorta et infallibil segno,
Hoatrandose nel bei nero et nel bion^;
10 Onde soepira il dldoao flanco
B riprende yalor, ohe'n alto U mena,
Fiineendo ogni contrario che Talfreiia.
V. 4, 6, Sy 10, 12 die ersten BachBtaben unleeerlich, V. 9 die letzten
Budistafa^n abgeschnitten (vgl. ffir diesen Vers 29, 28; 72, 50). 08. haben
die ersten drei Verse als besoDderes Fragment von den folgenden getrennt.
Diese Ballata, die wie das in mancher Beziehung fihnlicne Madrigal Per
ch'al viao d'Amor poriava insegna dantischen JSnnnerungen entsprungen
scheint, hätte der Dichter wohl mit geringen Änderungen in den Kanzo-
niere aufgenommen, wäre es ihm zu rediter Zeit begegnet. Die letzten
ffinf Verse, welche uns die neugefundenen Blätter kennen lehren, gehören
auch wohl einer Ballata und vielleicht auch einer fast yollenaeten an;
aber es sind nur ihre ersten und letzten Verse, während die dazwischen-
li^;enden uns verloren gegangen sind, wenn nicht ein glücklicher Zufall
sie uns wiederfinden lälst:
VI.
Amor, che'n pace il tuo regno governi,
Pon üne a l'aspra gaerra ch' i' aoategno,
S^ eh' i' non pera per Borerohlo adegno
eto. et in ßne:
A voi servir, a voi placer m'ingegno,
E qael poeo ch' i' son, da voi ml tegno.
Die Verse sind auf dem zweiten Blatt mit anderer Feder dem Sonett
Pia voUe il di nachgesetzt.
Breslau. C. AppeL
O. Heoker^ Neues deutsch-italienisches Wörterbuch aus der lebenden
Sprache mit besonderer Berücksiditi^ng des täglichen Verkehrs zu-
sammengestellt und mit Aussprachehilfen versehen. Teil II: Deutsch-
Italienisch. Braunschweig, G. Weetermann, 1905. VIII, 648 S. kL &
M. 4.
Die greisen Vorzüge, welche dieses italienische Wörterbuch vor den
übrigen auszeichnen, hat kein geringerer als Tobler in dieser Zeitschrift
Bd. CV S. 216 — 218 schon hervorgehoben. Die kleinen Unebenhdten,
welche sich in dem ersten Bande noch hier und dort finden, sdieinen mir
hier ganz verschwunden zu sein. Auf die Anordnung der dnzelnen Ar-
tikel nach der Bedeutungsentwickelung und die Verdeutschung ist wo-
möglich noch mehr Sorgfalt verwendet worden. Dazu bietet dieser zweite
Teil des Wörterbuches eine bei seinem Umfange geradezu Überraschende
Fülle von Stoff, besonders Bedensarten aus dem tauchen Leben, und bä
jedem mehrdeutigen Ausdruck ist durch geeignete Zusätze für schnelle
und sichere Unterscheidungsmö^lichkeit gesorgt. Um ein Beispiel exl
geben: 'oB'fd^lagett, t 1. portar via con un colpo | (^ot)f) tagliare | (92üf[e)
-abbacchiare | bte ®c^ne))pe ^ Don 6boccare | fein Gaffer ^ lare un pö' a'acqua.
2; (^iflarbbanbe) rfendere. 3. (fig^ rifiutare, negare | fd^lagen (Sic cÄ mir nldft
ab! non mi dica di n6I; (Eingriff, Qkfuc^) respingere. ^, i, Bon&r la ritirata.'
Beurteilungen und karze Anzeigen. 469
Kein grolser Schade ist es, dafs, jedenfalls der Banmenparnis halber, hier
bei den italienischen ZdtwÖrtem der Akzent im Präsens und die Qualität
der $ und o unter dem Tone nicht angegeben sind ; da hilft mit leichter
Mflhe der erste Teil ans.
Bei den yielen Stichproben, die ich an der Hand mdner eigenen reich*
haltigen Sammlungen von italienischen Redensarten, Bedeutungsentwicke-
lungen usw. angestellt habe, ist mir kaum etwas zu bessern aufffestoÄen.
Denn, wenn man hier und dort Zusätze wünschte und dafür Heber an-
deres aufzugeben seneigt wäre, so beruht das natürlich einem so sorgfältig
durchdacht^ We»e gegenüber auf persönlichem Empfinden. Zunädist
also in bunter Beihentolffe ganz wenige Bedenken. Zurückzahlen rtm-
bortare. Daraus ist nicht ersichtlich, dais es heifst rimborsare uno deüe
speae. Pech an den Hosen haben ist mit aver la düdetta addddw
übersetzt. Das heilst aber nur Pech haben. Ich kenne wenigstens
Pech an den Hosen haben nur in der Bedeutung 'nicht aus der
Kneipe, einer Gesellschaft usw. nach Hause finden können'. Beschot-
tern ist mit aeciottolare übersetzt. Dies heilst doch aber 'mit Kieselsteinen
pflastern', wie aeeiottolato ein Kieselsteinpflaster ist. Ich hätte es
mit imhreeeiare wieder{;efl;eben, wie das Hauptwort Beschotterung^,
das H. nicht hat, mit tmoreeoiaia. Bei Notnagel steht nur ^iüima n-
sorso, eine Bedeutung, in der ich das Wort überhaupt nicht kenne, und
die jedenfalls weit häufigere 'Notnagel am Finger' fehlt. An Zusätzen
hätte ich etwa gewünscht: befingern (H. hat das seltenere fingern);
in die Falle locken (aeeaiappütre); netter Kerl! iron. bU eeato; bei
Olim hätte ich al thn]^ ddla Regtna Bhia angeführt (an dieser Stelle
habe ich übrigens den einzigen Druckfehler gefunden : von iUia ist das s
abgesprungen); eine lose Zunge haben (H. hat nur loses Maul);
verfahren als adj. (etwa sptulato); aufgeschmissen; Furchen-
kamm; mit vollen Backen kauen (mangiare a due palment%)\ kei-
nen Ton reden {ncn an^r pardle faüe); ersaufen (in Schuhen) {äbtgon-
etare); Hauptmahlzeit; platt sein; Strohblume, Immortelle;
reiterlos (sedsao): Winkelmafs; lichtbraun (jsagffinah); prangen
von der Landschaft (il paeaaggio eitiUfi).
Eine ausgezeichnete, ja unentbehrliche Zugabe ist das Eigennamen«*
Verzeichnis, in der Aussprache des Deutschen schwankt übrigens der
Akzent in einer ganzen Anzahl der aufgeführten Worte; H. gibt da immer
nur eine Betonung an, meist die richtigere oder gebräuchlichere. Sehr
viele Deutsche sagen z. B. Bee'thoven und nicht Beetho'ven; A'gathon,
nicht Agathon'; Ali'riman, nicht Ahri'man; Beresi'na, nicht Bere'sina;
Damo'kles, nicht Da'mokles; Eu'gen, nicht Ehi^sn' u. a.; wohl die meisten
betonen E'mil und nicht Emil, um Ge'org ui^ JoHiann gar nicht zu er-
wfiimen, die nach norddeutscher Ansicht verkehrte, aber weitverbreitete
Betonung. Bei Worten wie sha'kespearisch u. a. wäre vielleicht in
Bücksicht auf die Italiener eine Umschrift der Aussprache angebracht ge-
wesen. Für diese ist endlich auch noch der Anhang der starken und un-
regelmäisieen Verbformen in streng alphabetischer Anordnung und das
Verzeichnis der üblichsten Abkürzungen von grOIster Wichtigkeit
Alles in aJlem ist das Büchlein inhaltlicn und typographisch eine
Musterleistung, zu welcher wir dem Verfasser und der Verlagsbuchhand-
lung nur Glück wünschen können. Uns selber aber, sowom den deut-
schen Freunden Italiens und seiner Literatur, als auch den italienischen
Freunden des deutschen Geisteslebens, wünschen wir, dafs wahr sein möge,
was man munkelt, daJs nämlich Hecser an einem erolsen, allumfassen^n
Wörterbuch der italienisehen Sprache arbeitet, und dals er die Kraft und
die Mulse findet, es samt seinen Boccacciostudien unter Dach und Fach
zu bringen.
Halle a. S. Berthoid Wiese.
Yerseiehnis
der vom 2. Oktober bis zum 28. November 1905 bei der Bedaktion
eingelauf enen DracksobrifteQ.
Vcislery K,, Sprache als Schöpfung und Entwickelonff. ESne theo-
Tetuche Untennchnng mit praktischen BeiBpielen. Heidelbergs Winter,
1905. VII, 154 S.
Panser, Fr., Mfirchen^ Sase und Dichtune. Manchen^ O. Beck, 1905.
56 S. [Eine reisrolle Arbeit, gleich schön in der Form wie reich im In-
halt Märchen, Sage nnd Dichtunff sind drei Stnfen der Epik, die P. in
ffrolsen Zfigen und doch mit lebenoiffem und belebendem Detail entwicke-
lungseesohiditlich darstellt und yerbindet P. teilt die Auffassung, daCs
das Märchen, 'ein Nachklang der ürpoesie des Menschengesciuechts'y
aus den Eriebnissen des Traumes entstanden ist: 9u pida m mmo. Der
Alltagsnot des Lebens setzt der primitive Mensch im Märchen eine Wunder-
welt entgegen, wo einem Sonntagskind alles in wunderbarer Weise zu
Diensten ist und alles zum Quten gerät Ihre namenlosen Helden und
Örtlichkeiten entsprechen einer namen- und heimatlosen Menschheit Kein
lyrisdies frdinöses) Element mischt sich in die Erzählung des Abenteuers ;
das Märcnen nat auch nie Liedform. Wohl aber kann sich die Volks-
saffe zu dieser Form erheben. Die Volkssage ist die Epik einer höhoen
Etüturstufe, einer Menschheit, die eine feste Heimat hat, deren bestimmte
Umwelt DeutuuR und deren Schicksale Bericht und Erklärung verlangen.
In den Dienst oieser Erklärung tritt auch die primitive Metaphysik, d. i.
der Mythus. Die Stimmung der Volkssage ist reifer, d. h. ernster ids die
des Märchens ; mit dem Qefunle der Abhängigkeit (rü^io), dessen anthropo-
morphisierender Ausdruck der Mythus is^ stellen sich lyrische, religiöse
Elemente cdn. Diese werden zum Ferment künstlerischer Gestaltung;, und
diese künstlerische Gestaltung wird insbesondere der geschichtlichen
Sage zuteil und erhebt sie in den kriegerisch*aristokratischen Kreisen zu
dem, was wir Heldensage nennen. Die Heldensage ist nicht aus dem
Stofife der — prosaförmigen — Volkssage später erwachsen, sondern sie
ist aus dem Ereignis durch die Dichtung geschaffen und auiE^büdet Die
Heldensage ist das historische Lied in jener reichen Entfaltung, welche
dieses Lied in der unmittelbaren heroistischen Umgebung der hervor-
ragenden Persönlichkeiten fand, die im Mittelpunkt der heldenhaften Er-
eignisse standen. Die poetische Ausgestaltung dieser Heldensage hat sidi
dabei im Laufe der Jahrhunderte auch auüwrgeschichtliche epische Ele-
mente (Märchen-, Novellen-, Schwankstoffe) dienstbar gemacht P. wird
wohl auch zugeben, dals sie dabei gelegentlich auch zu Stoffen der pro-
saischen, epis<xkenhaften Volkssage gegrinen hat — Nur in dieser poetischen
Form hat sich zusammenhängende geschichtliche Überlieferung mündlich
dauernd erhalten. Dauerndes JLeben in der Erinnerung der Mensdien hat
auch hier nur die künstlerische Auslese nnd Gestaßung der einstigen
Wirklichkeit verliehen. — Mit dem Fortschritt von Erkenntnis nnd Kunst
ist dann in der Folgezeit das Verhältnis des Menschen zur G^eschichte
(zum hervorragenden heroistischen Geschehnis) ein anderes geworden. Sie
nat aufgehört, die vornehmste Hüterin seiner Aspirationen, der stärkste
Antrieb seiner Dichtung zu sein. Kritischere Zeiten schaffen keine Helden-
sage mehr. In ihren epischen Dichtungen tritt überhaupt das Abenteuer
VecsdchniB der eingelaiifeneii Drackschrifteii. 471
snracky wird die Geichiöhte zn einem bloHseii antiquarischen Bahmen, der
dazu meiflt unvollkommen ist. An die Stelle des üeroe iritt der Menaeh;
unsere Epik hat sich erdenwarU gewandt, wie unaeie ganae Lebenaarbelt
und Weltanschauung, und baut in die Tiefe. Das führt P. aum Schluls
in ffeistvoUer Weise aus. — Man sieht, dafii der Verfasser von BädB-
Quarun in dieser akademischen Antrittsrede einen kunstvollen Bahmen
2U jenem M&rchenbuche geschaffen hat Ich bedaure, dafs er dabei nicht
Veranlassung genommen, im Vorbeigdien auch ein Wort über Entstehung
des Mythus und des Tierm&rchens' zu sagen : wir hätten sicherlich einige
feine Bemerkungoi zu hören bcü^ommen. Doch fürchte ich, dals so der
dankbare Leser, der hier spricht, schlielslidi noch gar unbefriedigt er-
scheint — aber: an leckerer Tafel Vappetü nieni en mumgean^.
Bieveking, F., Die Hamburger Uniyersit&t Ein Wort der An-
regung. Hamburg, Meilsner, 1905. 89 8. M. 0,50.
Tne American Journal oz jphilology. XXVI, 8 (whole nr. 103).
Bös 1er, Margarete, Die Fassungen der Alezius-Leffende, mit beson-
derer Berücksichtigungder mittelenguchen Versionen (msner Beitrfige zur
engl. Philol., XX I). Wien, Braumüller, 1905. X, 197 S. M. 6.
Sjvuchwörterbuch, Sammlung deutscher und fremder Sinnsprüche,
Wahlsprüche, Inschriften, Orabsprüdie, Sprichwörter, Aphorismen, Epi-
gramme, von BibelsteUen, Liederanfangen, von Zitaten, von Schnader-
nflpfln, Wetter- und Bauernregeln. Bedensarten etc., nach den LeitworteD,
sowie ffeschichtlich geordnet una unter Mitwirkung deutscher OeLahrto:
und S<miiftsteller hg. von Franz Freiherm von Lipperheide. In numat-
licfaen lieferunffen, je 8 Bog^ fassend, zu M. 0,60. Qesamtpreis M. 12.
1. lielerung, 48 S. Berlin (W. 86, Potsdamerstr. 88) 1906.
Literaturblatt für germanische u. romanische Philologie. XXVI, 10
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teztual Interpretation of 'Beowulf . — W. A. Nitze, A new souioe of the
'Yvain'].
472 VerzeichiiiB der eingeiaTifenen Druckschrifton.
Nenphilologisdie MitteiluncoD, hg. vom NeaphiloL Verein in Helsing-
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langues modernes (II). — Besprechungen. — Zeitschriften-Rundschau. —
Eingesandte Literatur. — Mitteilungen]. 1905. Nr. 6 [A. Längfors, Une
Paraphrase anonyme de VAve Maria en ancien francais. — H. Palander,
Volksetymologische Umbildung im Ehidischen. — Besprechungen. — Be-
richt und Protokolle. — Eingesandte Literatur. — MitteUungenl.
Modem language teaching. I, 6, Oct. [N. L. Ftazer, § 6 oi the new
regulations. — P. o. Jeffrey, Normal English. — Mrs. R Miall, French
in the elementary stages. — A modern lang, teacher's reference library. —
Discussion column, correspondence etc.]. — 7, Nov. TB. J. Lloyd, On
thinking in a foreign tongue. — Discussion column, Mod. Lang. Asso-
ciation, Esperante congress, Ezaminations etc.].
The modern lanfi^uage review. I, 1. A qnarterly devoted to the study
of medieval and modern literature and ptiilology edited by J. G. Robin-
son. Advisory board: H. Bradley, L. M. Brandiu, £. G. Brauoholtz,
K. Breul, £. Dowden, H. Q. Fiedler, J. Fitzmauricc-Eelly, W. W. Gr^,
G. H. Herford, W. P. Ker, Kuno Meyer, W. R. Moxfill, A. 8. Napier,
R. Priebsch, W. W. Skeat, Paget Toynoee. Cambridge, University Press.
86 p. To appear four times a year; annual üubsciiption : 8 sh. net. [G. G.
Smith, Some notes on the comparative study of literature. — P. Toynbee,
English translations of Dante m the 18^^ cent — A. 0. Bradley, Notes
on passages in Shelley. — W. W. Greg, The authership of the songs in Lyly's
plays. — G .0. Moore Smith, Shakespeareana. — J. Grosland, A G^ennan
Version of the thief -legend. — Reviews. Minor notices. New publications].
Schweizerisches Archiv für Volkskunde, hg. von E. Hoffmann-
Erayer uud J. Jeanjaquet IX, 2 [H. Zahler, Rätsel aus München-
buchsee (Bern). ~ A. Rossat, Les Paniers, po^me patois (suite). — S. Meier,
Volkstümliches aus dem Frei- und Kelleramt. — Miszellen. — Bücher-
anzeigen. — Berichte]. IX, 8 [Chr. Luchsinger, Das Molkerdgerät in den
Alpendialekten der romanischen Schweiz. — H. Zahler, Rätsel aus München-
buchsee (SchluTs). — 8. Meier, Volkstümliches aus dem Frei- und Keller-
amt (Forts.). — A. Rossat, Les Paniers, po^me patois (suite). — Bücher-
anzeisen].
Breymann } H., Nensprachliche Reform-Literatur (Drittes Heft). Eine
bibliographisch-kritische Übersicht, bearbeitet von Prof. Dr. Steinmüller.
Leipziff, Deichert (G. Böhme), 1905. IV, 152 8. M. 4. [Die übersicht-
liche Anlage des trefflichen Breymannschen Werkes ist in diesem dritten
Hefte bewahrt worden. Die ersten Seiten enthalten Nachtrag zu den
früher erschienenen Teilen; 8. 10 — 102 bieten das neue Matmal, haupt-
sächlich für die Jahre 1899 — 1904, und daran schlielst sich der zusammen-
fassende Rückblick, der über die methodologische Diskussion dieser fünf
Jahre im Sinne der 'vermittelnden Reformmethode' orientiert.]
Münch, W., Das akademische Privatstudium der Neuphilologen
[S.-A. aus Lekrproben und Lehrgänge der Gymnasien und EealsehtSen,
4, Heft]. 1905. 20 8. [Von dem Gedanken ausgehend, daüs der Student
der neueren Sprachen allzuleicht sich damit begnügt, sich nur mit dem
zu beschäftigen, was der Turnus der Vorlesung und Seminarübungen
ihm zufällig zuführt, weist hier M. nachdrücküch auf die Notwendigkeit
eines planmäiBigen Privatstudiums hin, das neben der gleichsam offiziellen
Beschäftigune herzugehen hat Er spricht von den Au^ben dieses Privat-
studiums una seiner Organisation in warmen Worten der Erfahrung, die
jeder Student sich zu Herzen nehmen sollte.]
Lüderitz, A., Die Liebestheorie der Provenzalen bei den Minne-
singern der Stauferzdt (Literarhistorische Forschungen, hg. von S^ck
und V. Waldberg, XXIX. Heft). Berlin u. Leipzig, Felber, 1904. 136 S.
M. 3, Subskriptionspreis M. 2,60.
VeneichiiiB der eingekufenen Drudrschrifteo. '478
The Journal of English and Germanic philology. Y, 4, October 1905
[E. D. Hanscone» The fmling for natore in 0. E. poetry. — O. B. Schlutter,
On the O. R glosaes printed in Kluge's Ags. Lesebuch. — C. H. Hatha-
way jr., Ghaucer's rerse taes as a part of his narrative machinery. —
A. 8. CJook, Browning, Abt Vogler, 99 ff. — G. H. Nettleton, The books
of Lydia Languiph's circulating library. — £. Björkman, Etymological
notes. — G. M. Priest, Zu Eberhard von Erfurt. — C. Osthaas, Strong
fonns of Ein before nouns. — F. L. Wells, Experimental phonetics and
Vemer's law. *— F. M. Padelford, Note on Brasirs Address to young men.
— E. Elaeber, An O. R proverb. — W. 8. Johnson, A note on Eing
Lear. — G. T. Flom, The Norw^an dialect and Folklore Society. —
Beyiews].
Jantzen , Hermann, Gotische Sprachdenkmäler mit Grammatik, Über-
setzung und Erläuterungen. 8. Aufi. (Sammlung Göschen Nr. 79). Leip-
zig, Göschen, 1905. 153 8. M. 0,80.
Golther, Wolfgang, Nordische Literaturgeschichte. L Teil: Die is-
ländische und norw^sdie Literatur des Mittelalters (Sammlung Göschen
Nr. 254). Ldipzig, Gesehen, 1905. 123 S. M. 0,80.
Skandinavisk m&Dadsrevy. I, 4, Not. [E. Wrangel, Schiller und
Schweden. — The E[ipling reader, Jungle animals in India. — English
guides to leaming. — Misoellanea etc.].
Methode Toussaint-Langenscheidt. Brieflicher Sprach- und Sprech-
untenricht f. d. Selbststudium der schwedischen Sprache von £. Jonas,
E. Tuneid, 0. G. Mor^n. Berlin, Langenscheidt Brief 81-^5 zu M. 1.
Sahr, Julius, Das deutsche Volkslied, ausgewählt und erläutert 2. Auf-
lage (Sammlung Göschen Nr. 25). Leipziff, Göschen, 1905. 189 8. M. o,80.
Zscharnack, Leopold, Lessing und 8emler. E^ Beitrag zur Ent-
stehunssgeechichte des Rationalismus und der kritischen Theologie. Gie-
fsen, Töpelmann, 1905. 888 8. M. 10.
Homers Ilias und Odyssee in verkflrzter Form nach Joh. H. Vofs
bearbeitet Ton Dr. Edmund Weifsenborn, Prof. am Gymn. zu Mflhl-
hausen i. Th. I. Bändchen: Ilias. 8. Auflage. Leipzig, Teubner, 1905.
IV, 164 S. -© r e
Goethe's Faust, translated by Anna Swanwick, LL. D. with an in-
troduction and bibliography by Karl Breul, York Library. London,
BeU, 1905. LXX, 437 8. 2 s.
Goethes Iphigenie auf Tauris, edited with introduction and notes by
Max Winkler, Ph. D. Neuyork. Holt, 1905. CV, 211 8.
Drescher, Max, Die Quellen zu Hauffs 'Lichtenstein' (Probefahrten,
Erstlingsarbeiten aus dem Deutschen Seminar in Leipzig, VIII). Leipzig,
Voigtländer, 1905. 146 8.
Paszkowski, Wilhelm, Lesebuch zur Einführunfir in die Kenntnis
Deutschlands und seines geistigen Lebens. Ffir ausländische Studierende
und für die oberste Stufe höherer Lehranstalten des In- und Auslandes.
V.Auflage. Berlin. Weidmann, 1905. VIII, 240 S. M. 8,20.
Langer, 0., Deutsche Diktierstoffe in Aufsatzform, vermehrt durch
Einzelsätze für den Unterricht in der Rechtschreibung. Zum Grebrauch
an höheren Lehranstalten sowie Bürgerschulen und ffir den Privatunter-
richt. 4. Auflage. Wien, Tempsky, 1906. 162 8. M. 2.
Beiblatt zur Anglia. XVI, 4, 5 (April, Mai 1905).
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B. M. Holden, The fürst Highland regiment — w. G. B. Murdock, Charles
the Second, his connection with_i^.. and letters. — A. F. Stewart, The
474 VeneidmiB der dngelaiileDeii Dmckichnften.
Boottiflh Nation' «t the imiTenity of PadfUL -^ A. H. Miliar, Eillicnnkie
deBCxibed by an eye-witneBS. — W. B. Soott, Soottuh indastnal nnder-
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and replies].
Swaen, A. E. H., A short hiatory of Engliah literature. Beoond
edition. Groningen, Noordhoff, 1906. 60 8. M. 0.80.
Bchmidt, Friedrich, Obcrldhrer, Short Engliah proaody for tue in
aehoola. Leipzig, Itenger, 1904. 14 8. M. 0,80.
Beownlf nebat dem Finnsborfl^-Bruchatüek mit Einleitang, Gloeaar und
Anmerkungen hg. yon F. Holthausen. I. Teil: Tttcte und Kamenver-
zeicfania (Alt- u. mittekngLTexte, hg. ¥on Morabach n. Holthanaen, III).
Heidelberg, Winter, 1905. YII, 112 8. M. 2,40.
Derocqaigny, Jnlefi, A oontribution to the atudy of the French
element in Engfish. Lille, Le Bigot Bros., 1904. 176 8.
Lncht, Faul, Lautldire der älteren Layamonhandachrift (Palaeatray
XLIX). Berlin, Mayer & MüUer, 1905. 182 8.
French, John C, Hie pvoblem of the two prolognes to Ohanoer'a
Legend of good women. Baltimore, J. H. Fürst Company, 1905. 100 8.
Benndorf, Cornelia, Die englische Pädagogik im 16. Jahrhundert,
wie ue dargeatellt wird im Wirken und in den Werken von Blyot, Aacham
und Mulcaster (Wiener Beiträge zur engl. Philologie, XXII). Wien, Brau-
mdUer, 1905. XI, 84 8. M. 8.
Shakespeare, William, Hamlet Erklärt von H. Fritsche, neu hg.
Ton Hermann Conrad (Shakespeares ausgewählte Dichtungen, V). Ber-
lin, Weidmann, 1905. LXXXlf, 158 8. M. 2.
Shakespeare, Juliua Caesar edited by Frederic W. Moor man (Teub-
ner's School Texte, I). Leipzig, Teubner, 1905. 91 8. (Dazu Notes, 66 8.)
Minor poete of the Carohne period, vol. I cont-aining Chamberlayne's
Pharonnida and EIngland's jubüee, Benlowes' Theophila and the poems
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bury, M. A. Oxford, Clarendon Press, 1905. XVIII, 726 8. 10 s. 6 d.
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Erueger, Gustav, Englisches Unterrichtswerk für höhere Schulen,
m. Teil: Lesebuch mit 8 uurbigen Karten und Tafeln. Wien, Tempsky,
1906. 400 8. M. 3,60 = 4 K 30 h.
Böttgers, Benno, EngUsches Lesebuch für höhere Lehranstaltm.
Mit 85 Illustrationen und 8 farbigen Karten. Bielefeld und Leipzig, Vd-
hagen A Klasing, 1906. X, 352 8. M. 3.50.
Hamilton, Louis, The practical Englishman. Lehrbuch für öffent-
liche Lehranstalten und für den Privatunterricht Berlin, Weidmann,
1905. 163 8.
Wingerath, Hubert H., New English readin^^-book for the use of
middle forms in German high-schools. Second edition, revised and en-
larged, with a map of Great Britein and Ireland. Cologne, Dumont-
Sc&auberpr, 1905. XII, 867 S. M. 3,50.
English histories in biographies, with a Synopsis of the history of
England from the Norman conguest to the time oi George I. Zusammen-
gestellt und erklärt von Karl Köhler (8chulbibliotiiek nanzOa. und engl.
Proeaschriften, II, 44). Beriin, Weidmann, 1905. VI, 144 & M. 1,40.
Bider Haggar d, H., Mr. Meeson's wilL Annotated by Grond-
houd and Boorda. Library of contemporary authors I. Second edition.
Groningen, Noordhoff, 1906. VIII, 271 8. f. 1,50.
YeneichiiiB der emgelattleneD Drucikschriftai. 475
Bomania p. p. P. Meyer et A. Thomas. No. 185 (juillet 1905)
[A. Thomas, Le nominatif pluriel asym^triqne des substaDtiis maecalins
en anden proyen9al. — H. Omont, l^'otice sur des feaillets retrouy^i du
ms. 525 de Dijon. — A. Plaget, 1a Bdle Dame sans fmroi et ses imitations
(snite). — P. Meyer, Fragments de mannscrits fran^ais. — Mdlanges:
J. Derocquigiiy, Anc fr. oemiehier (= s'ocouper iL des riens). — A. Ao-
mas^ Fr. üanguer, äangueur; fr. dialektal fmerotet; fr. remeune; anc. fx,
remformer, fr. möd. renformir. — Gomptes rendiis. — PModiqnes. —
Chroniqne].
Bevne des langnes romanes XLVIII, 4 [V. Chicbmarev, Contenanoes
de table en vers provencaiiz. — F. Oastets, üne Variante allemande de
'Ap!rte la bataille . — F. Devolny, Disconrs proimonncia au festenau de
Santo-Estello Ion 12 de jun 1905 en Arie. — P. Ulrich, L'Apocalypee en
haut-engadinois (fin). — H. Gut, La Chronique francaise de Maltre
G. Or^tin (snite). — Bibliographie]. XLYIII, 5 [L.-E. Kästner, Les ver-
sions fr. in^ites de la descente de saint Paul en enfer. — F. Castets,
I dodid canti (snite). — J. Bonjat, Sur la langne de Fonr^. — A. Yidal,
Les d^lib^rations du conseil communal d'Albi de 1872 ä 1388 (fm). —
Bibliographie. — Chroniqne].
Bomanische Forschnngen. Organ für roman. Sprachen und Mittel-
latein, hg. y. K Vollmöller. XX, 1. Heft [L. Jordan, Die Sage yon
den yier Haimonskindern. — G. Hartmann, Zur Geschichte der itaUe-
nischen Orthomphie. — F. B. Luquiens, The Boman de la Böse and
medieyal Gastman literatnre].
Biblotheca Bomanica, Straisburg, Heiis xu Mündel (1905). Das
Bändchen, ca. 5 Druckbogeil, M. 0,40.
1. Moli^re, Le Misanthrope.
2. Moli^re, Les Femmes sayantea.
8. Corneille, Le Cid.
4. Descartes, Disconrs de la m^thöde.
5. n. 6. Dante, Diy. Commedia: Inferno.
7. Boccaccio, Decameron, Prima giomata.
8. Calderon, La yida es suef&o.
9. Bestif de la Bretonne, L'an 2000.
10. Camöes, Los Lusiadas, Canto I und IL [Diese neue Sammlung will
den Gelehrten, Studierenden, Lehrern, Schülern und den Gebildeten über-
haupt zuyerlassige Ausgaben romanischer Literaturwerke zu billigem Preise
und in guter Ausstattung bieten. Das üntemdimen, das in der be-
wahrten Hand yon G. Gröber liegt, wird jedem willkommen sein und ist
insbesondere im Interesse des Studierenden und des akademischen Unter-
richts zu beffrfiisen. Dieser Unterricht leidet yielfäch unter dem Um-
stände, dals dem Studenten die Literaturwerke nicht erreichbar sind und
der Umfang seiner fremdsprachlichen Lektüre, seine direkte Quellenkenntnis
unzureichend ist Hier wu^i ihm eine reiche Auswahl romanischer Werke
geboten, die seiner Börse zugänglich sind. Die weiteren Bändchen sollen
zunächst auch Voltaire, Bousseau, Diderot, Beaumarchais, Balzac, Tillier,
Musset; Petrarca, Ariost, Cellini, Tasso, Metastasio, Goldoni, AHieri, Leo-
pardi; LopjB, Ceryantes, Gil Vicente etc. bringen. Jedes Bändchen ist
mit einer Einldtuns yersehen, die eine literatur^chichtliche Würdigung
des Werkes mit bibuographisdien Angaben yerbmdet und in der Sprache
des romanischen Autors yerfatst ist. Der Druck ist kldn, aber scharf.
Die Ortiiographie der älteren französisdien Texte ist in yemtknftiger Weise
modemidert Im aUgemdnen sollen diesen Neudrucken die Ausgaben letzter
Hand zugrunde gd^ werden. So beruht z. B. der Oid auf der Edition
yon 1082; doch sind die Abweichungen, die der ursprüngliche Text yon
1637 zeigt, angeführt Moli^res Stücuce sind auf die Editiones mincipes
gegründet (mit Annibe der Varianten yon 1682). Der Wittesche Text der
Oomrneüa ist mit den Lesarten der yerbrdtetstto neaexen Ausgaben und
476 VerzachniB der dngdanfenen DrackBchriften.
der Boccäcdo-Handsduift yenehen, und die Auflebe der LimadaB (von
Carolina Michaelis de Vaaconcelloa) bietet mit einer Ifingeren Einleitung
einen kritischen Text.]
Societä filologica romana:
I Documenti d'Amore di Francesco da Barberino seoondo i manoscritti
oiiginali a cura di F. Egidi, fasc. IV, Borna 1905. B. 209— 288.
Bnlletino della Soc. fil. rom. Num. YII. Borna 1905. 90 8.
Nieder mann, M., Contributions iL la critique et ä l'ezplication des
Glosee latines [Acad^mie de Neuchatel. Becueil de travaux p. p. la Fa-
cnlt^ des Lettres sous les auspioes de la Bod^t^ acad^miqne. Frem. fa-
sdcnle]. Nench&tel, Attin|;er, 1905. IX, 49 8. Fr. 8.
Weise, O., Charaktenstik der lateinischen Sprache. Dritte Auflage.
Ldpdff, Teuber 1905. VI, 190 8. [Diese dritte Auflage des bekannten
Werkdiens zeigt mancherlei Elrs&nzungen und Nachtritge, so z. B. einen
kurzen Schlufsabschnitt über 'Die römische Kultur im Spiegel des la-
teinischen Wortschatzes'].
GrundrÜB der romanischen Philologie, hg. von G. Gröber. I. Band,
4. Lieferung (Bogen 49—68; SchluTs des Bandes). Mit 13 Karten. Zweite
yerb. und verm. Auflage. 8tra&burg[, K. J. Trübner, 1906. M. 5,50. [Auf
die drei Yoraus^ehenden Lieferungen ist hier, GXIII, 244; 490; CXIV, 268,
bereits hingewiesen worden. Mit der yorliegenden vierten (Schlul8-)Liefe-
rung ist dieser erste Band nun auf rund 1100 Seiten angewachsen:
er na,t ge^^enüber der ersten Auflage eine Vermehrung von 15 Bogen er-
fahren. Diese Schlufslieferung führt Suchiers Darstellung 'Die franzö-
sische und proTenzalische Sprache und ihre Mundarten' zu Ende, brin^
Morel-Fatios Darstellung des Katalanischen in teilwdser Neubearbei-
tung durch Saroihand}[, fiaists 'Spanische Sprache', Gornus 'Portu-
riesische Sprache' ^mit einem Anhang 'Neugalizische Formenlehre*) und
UMe lateinischen Elemente im Albaneeischen' in neuer Bedaktion durch
W. Mejrer-Lflbke. — Vergleicht man den Band in seiner neuen Ge-
stalt mit der ursprünglichen Form von 1888, so findet man, panz abge-
sehen von fortlaufenden Zusätzen, welche die Bibliographie ä jour halten
und sonstige im Laufe der Jahre entstandene Lücken ergänzen, fast in
jedem Paragraphen Änderungen zum Teil tiefgreifender Art, wie sie durch
die Fortscmritte der Forschung bedingt worden sind (vgl z. B. § 96 in
Suchiers Abschnitt). Die Karten sina woU ganz unyer&idert geblieben;
zu kleineren Betuschen wäre auc^ hier gelegentlich Veranlassung gewesen.
Z. B. ^ört (Karte I) das linksloirische Montbrieon nach Phuipon, Bo-
maniaXKll, 1 ff., zu den Orten, die ä nach Palatalen bewahren (finales
PaL H- a aber wird t), und diesen Forschung«} Philipons, Devaux' und
Gauchats zufolge hätte auf der allgemeinen Übersichtskarte des roma-
nischen Sprachgebietes auch die Grenze des 'Frankoproyenzalischen' ver-
ändert w^en müssen: das frankoprovenzalische Gebiet dehnt sich west-
lich von Lyon bis zur Loire, ja (mit auslaut -a > -t) noch etwas jenseits
dieses Flusses aus, während es anderseits sich etwas weniger weit nadi
Süden und ganz erheblich weniger weit nach Norden erstreckt, als die
gelbe Grenze andbt. Es wäre übrigens erwünscht, dafs Herausgeber und
Verleger diese Übersichtskarte in gröfserem Mafsstab, als Wandkarte, her-
stellen lieTsen. Sie würde die Anschauungsmittel unserer Seminarien in
willkommener Weise vermehren. — Der Snmdrifs ist aUen, die sich mit
romanischer Philologie beschäftigen, den Lernenden und den Lehrenden,
längst ein unentbehriiches Hilfsmittel geworden. Die Bolle, die er in der
Forschungsarbeit der letzten zwei Jahrzehnte als Inventar und Wegweiser
gespielt hat, wird noch gewichtiger werden durch diese so rasch und
glücklich georderte Neubearbeitung von 1904—6.]
Boques, M., M^thodes ^t^mologiques (Extrait du Journal des Sa-
vants, aoüt). P^ris 1905. 15 S. [Von A. Thomas' Nouveaux Essais d»
jpkikiogie firan^adse, vergL hier GXIII, 498, ausgehend, gdangt Boqnea su
Veneichnis der eiDgeianfeDen DrackschrifteD. 477
einer yerig^leichenden WQrdirimff der Wortforschmigamethodeny die durch
Thomas emerseüs, durch Sändiardt anderseite vertreten w^en. Aach
er kommt, wie Tappolet in seinem hier erschienenen Aufsatz über 'Pho-
netik und Semantik in der etym. Forschunr', CXV, 121, zu dem Resultat,
dals die Differenz, welche die beiden Forsdier trennt, durch die Polemik
srOiser erscheint, als sie wirklich ist Man wiid das gelten lassen und
doch mit Boqnes der Meinung sein, dafs ein tiefer prinzipieller Unter-
schied sich in beider Methode verbirgt. Nicht darin liegt er freilich, dals
Schuchardt die semasiologische Seite der Wortgeschichte mehr betont als
Thomas, sondern er liegt in der Auffassung der sog. Lautgesetze (cf. hier
p. 454 f.), und hier ist er unfiberbrückbar. Schuchardt glaubt nicht an die
von uns formulierten Lautgesetze; er spricht diesen empirischen For-
meln die ausnahmslose Gültigkeit ab. So findet er eben da keinen festen
Boden, wo Thomas seinerseits xanz sicher zu stehen und zu sehen ver-
meint. Aus dieser Sicherheit Thomas' flielst seine Selbstbescnr&nkung:
er arbeitet mit Vorliebe am einzelnen Wort, bldbt fern innerhalb eines
Dialekts und meist innerhalb des FranzMschen oder doch des Gallo-
romanischen und begnüg sich mit der Herausarbeitung des limitierten
phonetischea Problems, für welches sein Auge eine aufserordentliche Schfirfe
oeaitzt Und weil Schuchardt in den sog. Lautgesetzen einen sicheren
Halt nicht erkeimen kann, sieht er sich nach anderen Hilfsmitteln um,
befw^ er mit unermüdlicher Wiisbej;ier die Bedeutungsgeschidite, d. h.
die ^Itureeschichte, dringt er vom einzelnen Wort zur ganzen Sippe vor,
geht vom Begriff zur Sache und ist ihm der Kreis der romanischen Kul-
turen und Sprachen zu eng geworden. Gewils hat ßoques recht: 'leurs
mitkodds se reneoniraü ei «e eonfimd&nt aouoenty* und auch diejenigen, die
¥rnndsätzlich auf Schuchardts Seite stehen, können sich der Msiütate
homas' freuen.]
Bevue de philologie fran9aiBe p. p. L. 01^ dat. XIX, 2 et d.
[L. Vignon, Les patois de la r^on lyonnaise : le pronom r^me de la
3* personne: le regime direct neutre. — P. Meyer, La simplification ortho-
§raphi<^ue (fin). — J.-Henri Beinhold, Quelques remarques sur les sources
e 'Floire et Blanceflor'. — Em. Gasse et £ug. Ghaumiade, Vieüles chan-
sons patoises du P^rigord. — M^anees: L. G14dat, L'usage orthogr. du
XVIil® siMe. — Ph. Fabia, Malgoiree, une Etymologie toponymique. —
L. Gl^at, Le verbe faUoir — faiüir. — J. Bastin, FaiUim et dSfaüU, —
Gomptes rendus. — Chroniqne].
Zeitschrift für französ. Sprache und Literatur, hg. v. D. Behrens.
XXVIII, 2 und 4 [Der Referate und Rezensionen erstes u. zweites Heft].
XXVUl, 5 und 6 [H. Droysen, Unvorffreifliche Bemerkungen zu dem
Briefwechsel zwischen Friedrich d. G. und Voltaire. — W. Mangold, Noch
eimge Aktenstücke zu Voltaires Frankfurter Haft — W. Küchler, Ste-
Beuve Studien, I: Ste-B. und die deutsche Literatur. — W. Martini,
y. Hueos dramat Tedinik nach ihrer histor. und psychoL Entwickelung
(Schluis). — G. Biesland, Französische Sprichwörter-Biblionaphie. — L.
£. Slastner, A neglected french poetic form. — D. Behrens, Wortgeschicht-
liche MiszeUen]. XXVIII, 6 und 7 [Der Referate und Rezensionen drittes
und viertes Heft — Miszellen : L. Thomas, Supplement ä la bibliographie
des toits de Ste-Beuve; Notes bibliographiques sur Ste-Beuve. — £. IJnle-
mann. Syntaktisches].
Revue des Etudes Rabelaisiennes. III, 8 [A. Lefranc, Picrochole et
Gaucher de Ste-Martiie. — J. Barat, L'influence de Tiraqueau sur Rabe-
lais. — Mölanges. — Gompte rendu. — Ghronique].
Saure, H., Auswahl französischer GMichte für Schule und Haus.
Dritte Auflage. Berlin, Herbig, 1905. VIII, 143 S. Brosch. M. 1,60, ge-
bunden M. £
478 YcneichiiiB der eingelantoen Dnu^schrifteD.
Weidmaniuche Baiwilwng franzdnsdiflr nod «g^ttcher Sduiftotolto
mit deutidbeii Anmcrkungtii. BerÜD, WeidniAiin, 1M6:
Molite, L» PrteieaMt ridicnlM, 6rkL von H. Frittchtw 2. Auf-
Iftge, dnrchffeBdhen von Dr. J. Henffesbach. 73 8.
SchulbioL fraaz. n. eiiel. ProMflcmiftn aiu der neuenn Z«t. hg. tod
Bahlsen o. Hengesbach, AbleiL L Berlin, Weidmanniche Baehhalg. 1905:
N» 37, Hutoire de la B^Tolation fimii9ai8e, hg. n. eridärt Ton Ftot
Dr. F. J. Wershoyen. Iifit 6 Abbildungen and einem Plan ?on Parie.
Zweite yerb. Auflage. VI, 160 S. Geb. M. 1,50.
N^ 40, Gonteure oontemporains, nenn Enfthlungen too Thennet,
Franoe, Loti, Sardou, Zola, bearb. und erklart t. Dr. J. Hengeebach.
Mit dnem Plen. Zweite aorgf. duichceB. Auflage. XIV, 186 8. li. 1^.
N^ 54, L' Empire 1813—15. L'Alleniagne anti-napotöonne. Ana der
Hiat. Generale von LaiTiaae ond Bamband, Dearbeit. n. mit ÄnvL hg. ?on
Dr. Th. Haaa. Mit einer Karte and awei PlAnen. VII, 168 8. Bf 1,80;
Proaateura Modemea. Wolfenbattel, Zwifaler, 1905:
Band XX : L'Hiatoire de France depuia 1328 jnsm'en 1871, ffir den
Schulgebraaoh bearbeitet ▼• H. Bretacnneider. Mit ^ute and Plan
Ton Paria. VI, 69 8. M. 0,75.
Goanaon. A., Petit manuel et morceanx o^brea de la litttaiture
fraa9aiae. Halle a. 8., BachhandlaDr dea Waiaenhanaea, 1905. 27tt 8.
M. 3,40. [Daa Bach widmet dem Mitteudter and der Renaiaaance die eiaten
awei Dutaend Seiten, dient im übrigen der literariachen Oiientienuig über
daa 17., 18. und 19. Jahrhundert und ist ffir hdheie Schulen aowie ffir
die Übunnkurae dea Univerntitalektora beatimmt]
Lea Paniera. Potee en patoia biaontin, traduit en patoii joffaaaieD
p. F. Baapieler, car4 de Courroaz. Etüde critiqae dea cuveraea veniona
p. A. Boaaat (8. A. aus d. Sekumx. Arehiv f. Volkskunds Vlil u. IX).
Zürich 1905. 94 8. [Vgl Arehw CXIV, 266; Boaaat gibt hier den Text
der einen Baapieleracnen Handschrift (Ma. A) mit phonetiacher Umschrift,
reichem phiiologiachem Kommentar und nenfrana. Obersetaung.]
L^aeth, EL, Le Tristan et le PalamMe des manuacrita Srancaia du
British Muaeom. Etüde critiqae (Ana Videnakaba - 8elakabeta ncrifter.
II. Hiat-FUoe. Klaase 1905, N^ 4). Chriatiania, J. Dybwad 1905. 88 8.
IDie Manuakripte sind acht an der Zahl; aechs davon enthalten den 2fH-
tian. An ihnen hat der Verfaaaer die ebenso verdienstliche wie mühevolle
Arbeit fcnrtffeaetat, die er bereits für die Fariaer Haa. geliefert hat (Le
rormm de 'Br, en pro», ie roman de Pal, et la eomptiaiiim de Ruttiden de
Piee, 1890). Die Untersuchung ist leider nicht sehr ergebniareich, ond
insbeaondere hat sie nichts zutace gefördert, um die Frage end^tif zu
entscheiden, ob die franz. QuelTe des italieniachen J^tano Btecarmiano
alter iat ala die una bekannten franz. Versionen. Immerhin weila L. gute
Gründe gegen die Annahme aolcher Priorität — die Parodi yertretan hat
— geltend zo machenj
Neumann, E., Der Söldner (eottdoyer) im Mittelalter nach den frz.
und proTenzal. Heldenepen (Marburger Diaaertation). Marburg, Schön-
hoven, 1905. 102 8.
Zenker, B., Boere Amlethoa. Das altfranz. Epoa von Boeve de
Hamtone und der Uraprung der Hamletaage (Literarhlatorisehe Forachnn-
gen. hg. y. Schick und Waldberg, XXXII. Heft). Berlin und Leipsig,
Felber, 1905. XX, 418 8. Ladenpreia M. 9. Subskriptionapreia M. &
Voretzsch, G., Einführung in das Studium der altxraazöaiachen
Literatur, im Anadiluls an die Einführung in das Studium der altfran-
aösiachen Sprache (Sammlung kurzer Lehrbücher der romaniachen Qfn^
chen und Literaturen, II). Halle, M. Niemeyer, 1905. XVII, 573 8.
M. 10. [Dieeea Werk, aar welchea daa Ärekiv in eingehenderem Beferat
zurückkommea wird, iat nun freilich kein 'kurzea Lehrbuch' mehr, aondera
eine recht eingehende Daratellung der mittelalterlichen Literatnr FVank-
Vcadcluiifl der eingdanlmen DruclsdiTiften* 479
iMtm. Doch war es wohl nicht anders ra madun, woUie der VerfaMer,
was er in seinar Vorrede verspsieht: 'eine Übersldit über die hivtorisdhe
Entstehung und Entwiokelang der altfraax. literatur im gansen und ihrer
Haupteattungen bieten, die wichtigsten Werke besprechen oder weniffstens
henrorheben und von allem, eine möglichst konkrete Vorstellung
Sehen.' Da das Buch p&dagogischen Zwecken dienen soll, so muiate
lese Aufgabe, dem Suchenden loonkrete, scharfe und sichere Vorstellungen
XU bieten, die nichstlitt^de selb. Sie erscheint mir auch in iMihem Maoe
erfüllt, sowohl durch oie Gliederuiu; des Gänsen und die Ökonomie der
einaefanen Paragraphen, als durch dto Anschauung, welche die Tertproboi
Setwa iwei Dntaend) gewahren; durch die kritische Bibliographie und
lorch die Übersichteo, die von den Ursprungsfrajgen handem, an deren
AufiieUung Voreinch selbst ja hervorragend tätig ist (Heldenepos, Boman
d$ B&nard). Ein Glossar stellt das Buch auch in seinen Tez^roben auf
eigene Fülse. Voretssch' EmfUkmng wird nicht nur dem ^ucUerenden
des Faches während und nach der (JniTevsitfitszeit eine sehr ntltEliche
Wegleitung sein, sondern sicherlich auch 'den Angehörigen der Nachbar-
fiichsr cur Orientierung über dieses oder jenes Qefiet der altfranaflsischen
Literatur dienen'.]
Lefrane, A., Les naviflations de PantagrueL Etüde sur la g^o-
mphie rabelaisieone. Paris, Henri Ledere, 19u5. 388 8. Mit 7 Ta&hi,
FT. 12. [Das Buch über Pantagrueb Seefahrten, das wir naeh den Mit-
teüungen der Bmm» de$ Etudm Rab, Ton Abel LeCranc erwarten durften
(cf. ArtUm GXIV, 2t>5], liegt vor: ein nracfatvoll ausgjBstatteter Band, des-
sen reidier Druck nna schöne Taf^ aas Auge in gleicher Weise erfreuen.
Mit Spannung folgt der Leser diesem Exploratenr Lefrane, der hier die
Beise durch unecfonehte Linder sur DMne Bouteäk erneut und yerjfingt
und der unterwegs yon Babdais und seiner Zeit so viel Neues xu SM;en
weils. — Von drei Beisen ^nes Helden weUs B. zu berichten, nach<fam
er sie erst in dem heimatiidiea 'Asnom^ pajß$ de Jkmram^ fest yeraakert
hat, in dessen Topographie erst gep;en Ende des zweiten Buches durch das
Hereiaspielen des Limdes Utopien em phantastisches Element Kobracht wird.
Die drei Beisen sind indessen von B. sehr ungleich behanddt Die erste
— la rouie ovtUnawß des Partuguahys — fQhrt von Frankreich ums Kap
der guten Ho&ung nach Utopien (d. h. nach Nordchina = Oboindien):
sie ist mit wenigen Worten erwähnt (II, cap. 24). Die zweite ist nur
geplant: sie solT Ober den atlantischen Ozean, zwischen Nord- und Süd-
amerika, die man sich 15<$2 noch getrennt dachte, liindurch nach Indien
ffihren (II, cap. 84). Nachdem dum die Fortschritte der Gtographie die
Unmöglichkeit dieser Durchfahrt gezeigt, änderte B. 1546 mit Buch III
den Beiseplan und lie(s Pantagmel auf dem Wege der nordwestlichoi
Dvrchfahrt nach 'OberiniUen' gelangen: diese dritte Beise (Saint-Malo—
Neafnndland— Ostasien) füllt bekanntlich die bdden letzten Bficher. Le-
frane zeigt, wie R. dkse MeerMirt mit den Personen und den Tatsachen
des zeitsenössiBofaen nationalen See&hrertums aufs engste yerbunden hat,
wie er cue Beise an der Hand der neuesten Beisewerke und Beerten macht
und wie er rieh dabei im Geiste von Jacques Cartier, dem Entdecker Ka-
nadas, und yon Jean Alfonse, dem Kosmomphen, bereiten läist. Bebe-
Jaia' Beiseschilderung beruht« trete aller Phantastik, auf ernsten Studien;
der ganze Wissoisdunt der Benaissance erfüllt und tragt rie, der GMaube
an <fie Zukunft der Wissenschaft spricht aus ihr. Das zeigt in der an-
liflhendslen' Weise Lefrsnc, dessen seiner Sinn auch in dem scheinbar be-
deutungsloeen Detail Beriehungen erkennt und Leben aufweist So fesselt
denn säne Darstellung von Anfimg bis zu Ende; sie fesselt dorcJi all die
neuen Lfieunaen grolsw und kidner Probleme und dadurch, dais de selbst
wieder neue ProUeme aufdeckt und neue Wege wdst. Zw&lf Appendioes
fOllen die letzten 60 Sdten, und besonders der yorietzte [Les iUmetUa fiele
"" ies itoii premiere Uvree de R.} zeigt, trotz sdner skizzenhaften Form,
480 Veneidniui der eingelaufeneD Druckachiiften.
in welchem Umfang Lefrance nnermfidliche Foncherarbeit unsere .Kennt-
nis Babelais' und seines Werkes zu erneuern im Begriffe steht]
Both, Dr. Th., Der Einfbils von Arioets Orliuido Furioso auf das
französische Theater (Münchener Beitris» zur roman. u. eogL Philologie,
hg. 7. Breymann u; Schick. XXXIV. Meft). Ldpzig, Beichert (Nachfl.
Böhme), 1905. XXII, 263 S. M. ö^O.
Schmid, K. F., John Barclays Ärffenia. Eine literarhistorische
Untersuchung (Literarhist. Forschungen, hg. ▼. Schick und Wald b er g,
XXXI. Heft). Berlin und Leipzig, £. Felber, 19U4. IX, 183 8. M. 4.
[Dieser orste Teil eines neuen Buches über Barclays posthumen Boman
(1621) trägt den Untertitel: Ätuaaben der A., ihrer FMekxungen und Über-
setzungen und ist wesentlich Bibliographie — doch eine kritische Biblio-
graphie, deren Angaben über ein weitverstreutes Material, zudem auf
Autopsie beruhen. Der Verfasser unterrichtet uns über charakteristische
Verumst&ndungen bei der Entstehung der einzelnen Drucke, er gibt dne
Würdigung der Treue uod Kunst der Übersetzer und eine Inhaltsangabe
der Fortsetzung, die Mouchemberg (1()25— 2t)) drucken liefs und durch
die er Barclays Erfindungen in die Phantastik der galanten Bomane über-
führte. Er schlielst mit ei Der Charakteristik der Arbeiten seiner Vor-
^nger, d. h. derer, die der Argenia nicht nur gelegentlidie Bemerkungen,
sondern eine ganze Schrift ^widmet haben.)
Finsler, G., Die Oowfeoturee aeadSmiquei des Abb^ d'Aubignac iß.
A. a. d. Neuen JakHriiehem /. cL klaee. Altertum, ed. ilborg und Qerth,
L Abteiluxiff, XV, 7. Heft. S. 495—509). Leipzig, Teubner, 1905 [Der
Verf. der fi^atique du Thiätre steht in der Frage des Epos, d. h, Homers,
Aristoteles freier gegenüber als in der Dramaturgie. Er hatte Tassoni
gelesen, als er um lt>64 seine Oomeeturea aeademiquea ou duaertaHon sur
Tlltade schrieb. Aber zu den Modernes im Streit um Homer darf er des-
halb nicht gerechnet werden, obwohl ihn Perrault dafür in Anspruch
nimmt. D'Aubienac hat sich eine erfreuliche, in glückliche und würdige
Worte gefafste Unabhängigkeit des Urteils gewahrt: er zweiEdt an der
Existenz des einen Homer und sucht ge^über den Verkleinerem der
Ilias den Nachweis zu führen, dals, 'was m einem durch einen einzigen
Dichter planm&lAig angelegten Epos unverständlich und uuertraglich wSre,
bei Annahme verschiäener Dioiter vollkommen erklärlich sei und dals
man auf diese Weise manches als wirkliche Schönheit genielsen könne,
was in einem langen Epos zum Fehler würde.' Die Ilias ist nach ihm
ein Korpus von anonymen Einzelliedem, die - wie Plutarch überliefert
— Lykurgos, der sie in lonien fand, schriftlich zusammenfügte und so
nach Gri^enland brachte, wo sie später Peisistratos aus neuer Zerstreu*
ung endgültig rettete. Das Korpus wurde *die Bhapsodie des Blinden'
(Homer = o fiij o^tov) genannt und das Wort Homer dann als Eigenname
müs verstanden. — Diese Schrift, in welcher D'Aubignac die äulseren und
inneren Gründe für seine Liedertheorie scharfsinnig auseinandersetzt» ist
von ihm nicht völlig druckfertig redi{;iert worden. Perrault kannte 1(J88
ihren Gredankengang; als Buch erschienen die Oonjectures aber erst 1715,
anonym. F. A. Wolf hat sie mit so ungerechter (Geringschätzung behan-
delt, dafs der Verdacht entsteht, *er habe den unbequemen Vorsänger ab-
schütteln wollen.' So ist Wolfs Theorie vielleicht von Franireich aus
angeregt worden; jedentalis stellt Finslers interessante Darl^^ng das
vergessene Werk D^Aubignacs nachdrücklich an die Spitze der neueren
Homerkritik. — Die fraozösischen Komödien, auf welche D'Aubignac
nach S. 499 anspielt, sind die GonUdie de chansons 1640 und der Orutmr
francaü 1629.]
Becker, Ph. A., Moli^res Subjektivismus, H. Schne^ans zur Eacr
widerung (S. A. aus Zßüsehr. /*. vergl. LUeraturgesehtehie, hg. v. Wetz und
ColUn, ö. 198—221). Berlin, Felber, 1905. [VergL hier OXIV, 266, Ich
sehe das Wesentlidie dieses interessanten Aobatzes in der Kritik der
Yerzeiclmis der emgelaufenen DruckschrifteiL 481
anonymen FiuneuM OomecUerme (1688) und Qrimarwta Vie de M, d» Mo-
Iure (1705). Scharfsinnig deckt Becker einen wirklich frappanten Paral-
lelismus der beiden Schriften auf. £r erklart ihn so, daSa ninter beiden
Schriften» sowohl hinter den Verleumdungen ienes Pamphlets als hinter
der Apologie dieser Biographie, der Schauspieler Baron, der Feind der
M^^® de Moli^e, stehe, der hier und dort aus yerschiedenen Stimmungen
heraus berichte. Die Hypothese hat etwas sehr Verführerisches; doch
zögere ich, ihr ohne eine erneute Lektüre der beiden Quellen, die mir
augenblicklich nicht möglich ist, zuzustimmen. Jedenfalls spricht aus
Grimareet nicht allein Baron, und sicher scheint mir Beckers Bchluls-
folgerung übertrieben: 'so verliert natürlich die eine Quelle so gut wie
die andere ihren ganzen Wert.' Den ganzen Wert sicherlich nicht — doch
wir werden Orimareet nach wie vor sehr kritisch benützen müssen. Ge-
wIJGb aber reicht seine Glaubwürdigkeit hin, um uns zu zeigen, daCi Mo-
L^res Ehe unter dem Altersunterschied der Gatten und ihrer ineompati-
hüite d'humeure gelitten hat und unglücklich war. — Im weiteren sucht
Becker darzutun, dais Moli^re nicht sowohl durch persönliche Erlebnisse, als
vielmehr durch seinen intellektuellen Habitus und seine geistige Entwickch
lung zu den Thematen der Eeoke und des Misanthrone ^etührt worden sei.
Gewils bringt der Verf. viel Beachtenswertes vor und rückt die Zeitfragen,
denen Moli^re sich g^enüber sah, in helles Licht; doch empfinde ich hier
bei der temperamentvollen Darstellung Beckers mehr das, was mich von
ihm trennt, als das, was mich mit ihm verbindet. Mich verbindet z. B.
mit ihm die Ablehnung, an Armandes^ skandalöse Lebensführung zu
glauben: gewÜB sind die Spöttereien über Moli^res Hahnreischaft (seit.
16üÖ, vengeanee des Marquis) nur schlechte 'Betourkutschen' — schlagend
zeigt dies der Umstand, dais Scarron schon 1660 — also pränumerando
— d Molüre le eoeuage vermacht! Es ist Moli^re eben ergangen, wie er
selbst es durch Chrysialde dem Amolphe prophezeien liefs: ee schallte aus
dem Walde zurück, wie er Mudugerufen. Was mich von Becker scheidet,
kann ich am kürzesten an zwei Punkten zeigen. 1) Ostern 1661 verlangt
Moli^re als Soci^taire deux parte *für sich und für seine Frau, falls er
heirate.' Innerhalb des Theater jähr es, im Februar 1662, heiratet
er Armande. Da denke ich denn dodi, dais Moli^re zu Ostern eben an
die Heirat dachte, die er zehn Monate später schlols. Becker aber hält
ee für 'ungewib, ob er Ostern 1661 bereits an die Ehe mit Armande
dachte.' Da kann ich freilich nicht mehr mit; das ist für mich Hyper-
kritik und nihil frobat qui nimiwn probat, 2) Moli^res Freunde sagen
(1682): il e*y est jouS le premier en ptusieurs endroits sur des affaires
de sa famille et qui regardaient öe qui se passait dans son do-
rn est ique. Becker will das jenen Freunden, die in Moli^res Intimität
^ebt haben {ses plus pariieulim-s amis), zugeben 'für Szenen, wie die
JSntlassung der Martine oder die Ausforschung der Louisen'. Also die
Entlassung der Martine = etwas qui passait dans son domestique, wie
seine intimsten Freunde haben beobachten können; und die Ausforschung
der Louisen = eine affaire de sa famiüel Doch 'auch noch für wich-
tigere Dinge' will es B. zugeben — er sagt aber nicht für welche. Und
in diesen wichtigeren Diogen, die hier unter den Tisch fallen, und nicht
in Martine und Louisen, muls die raison d'dtre jener kapitalen Bemerkung
von 1682 liegen; in ihnen liegt, was mich von Becker trennt — oder mit
' Ich gehöre übrigens noeh sa denen, die in der ICenoa des Jahres 1658
Armande erkennen möchten ; aber auch zn denen, die Bernardins Vermntnng Aber
Armandes Ursprung, so sinnreich sie ist, nicht beizastinuneu vermögen (Bemardin,
ßommes €t maun au XVW dieU, 1900). Im flhrigen rege ich mich Aber die
Frage, ob Armande die Tochter oder die Schwester Madeleines gewesen soi, nieht
maif halte aber das letztere fttr wahrsoheinlioher.
AkMt L tu SpaudMn. CXV. 81
482 Verzeichnis der eingeKaufenen DruckBchriften.
ihm yerbindet So hat mich Becker an der AufEaseung, der ich hier
CXIIIy 459 Ausdruck eegeben habe, nicht irre zu machen yermocht, und
die Konstruktion, aus der er z. B. p. 197 die Eooie des tnaris hervorgehen
lalst, erscheint mir viel künstlicher und aprioristischer als die, zu der
mich die Tatsachen des Lebens drangen — des Ldbens Moliferes, des Le-
bens Oberhaupt. *£in Dichter, der mit dem Tod im Herzen noch den
Maladß imoffinaire schaflft, besitzt im allerhöchsten Mause die Fähigkdt,
sich über sich selbst zu erheben', schrieb K. Vofsler hier CVIII, 4t>4.
Dieselbe Fähigkeit hat Moli^re bewiesen, indem er als vierzigjährig
Bräutigam una Oatte einer Zwanzigjährigen die humorvollen Poesenspiele
vom vierzifljähriffen Sganarelle undAmolphe schrieb, die beide ihre jun-
ein Isabelle und Agnes nicht zu bewahren wissen. Vom 'Ausdruck be-
ommener Ansst- und Schmerzgefühle' sehe ich allerdings keine Spurl
Alles ist eitel Lachen und Heiterkeit. Keine Sentimentalität, kein Pathos
— er objektiviert mit kühler, erfrischender G^escheidtheit. So bleibe ich
denn bei meiner Auffassung, der zufolge z. B. auch die Fnntnea satoante»
aus persönlichem Erlebnis geboren sind: sie sind eine persönliche Satire,
die er kunstvoll in eine Sittenkomödie hinein yerwoben hat. Das Thona
selbst stammt aus 1Ö63. — Für die Entstehung der Themata Moli^res ist
überhaupt dieses Jahr 1663 bedeutsam. Dieses stürmische Jahr ist ein
Brennpunkt seiner Entwickelung. Die Ehrfahrungen dieses Jahres sug^
rieren ihm die Idee einer 'Schauspielerkomödie', die er indessen — im
Impromytu — nur skizziert, einer Autorenkomödie {JFemmMB sanantea), einer
Komödie der Kirchlichkeit {Tartuffe) und einer Komödie der gesellschaft-
lichen Heuchelei (Miaanikrape), Doch davon im Zusammenhang ein
andermaL]
Boques, M., La composition de la fable de Lafontaine 'Le vidllard
et les trois jeunes hommes^ (S. A. aus Bevue d^hist, liU. XII). Paris 1905.
6 S. [B. macht wahrscheinlich, daft die Todesbetrachtungen dieser Fabel
ans Senecas Briefen an Lucilius stammen.]
Baldensperger, F., Les aspects successifs de Schiller dans le ro-
mantisme francais (S. A. aus Eupkorianf h^. v. A. Sauer. XII, 681 — 9).
Leipzig und Wien, C. Fromme, 1905. — Schiller et Oamille Jordan (8.-A.
aus d. Bevue gennanique I, 555—68). Paris, Alcan, Sept. 1905. — Paul
de Krüdener en Lorraine et en Alsace (1812—13) d'apres des documents
in^dits (S. A. aus d. Bulletin de la SoeiÜS pkilamatique vosgienne), St-Diö,
O. Guny, 1905. 28 S.
Burkhardt, Dr. C. A. H., Goethes Unterhaltungen mit Friedrich
Sorot. Nach dem französischen Texte als eine bedeut^d vermehrte und
verbesserte Ausgabe des dritten Teils der Eckermannschen Gespräche her-
ausgeg. Weimar, H. Böhlaus Nachf., 1905. XVII, 158 S. M. 4. [Ecker-
mann ist Soret gegenüber, der ihm um 1839 seine Oonversatuma de Ooethe
zur Verfügung gestellt hatte (73 Nummern), nicht dankbar verfahren: er
hat ihn weder genau benutzt, noch gerecht gewürdigt. Da im grofsherz.
Hausarchiv zu Weimar ohnedies ein Exemplar der Oonvereatione vorhanden
ist, das noch gegen 100 Ergänzungen zu jenen 73 Nummern bietet, so ist
ein vollständiger Abdruck dieser öanversaUone hochwillkommen. Der
Ausgabe des franz. Textes wird hier eine deutsche Übersetzung voraus-
geschickt, in welcher alles Neue sorgsam kenntlich semacht ist. Eine
biographische Notiz über den Qenier F.-J. Soret leitet die 'Unterhaltungen'
ein; ein ausführliches Register schliefst sie.]
Boques, M., Manuscrit et ^itions du *P^ Ocriof, 20 S. ohne Ort
noch Datum. [Nur die ersten hundert Seiten des Balzacschen Bomans,
die für 1905 auf dem Programm der agrigatum de grammadre stehen, bil-
den den Gegenstand dieser Broschüre. Boques dbt unter Zugrundelegung
des Textes der Nouv. (ML Miehel lAvy (zu L franc) die Varia keHo des
Ori^nalmanuskripts, des ersten Druckes in der Bevue de Paria (1884),
zweier Buchausgaben — Werdet — von 1833, der Mition Charpentier voa
Verzeichnis der eingelanfenen DracIcBcbrifteii. 488
18B9 und der Edition Farne von 1848, yon der ein Exemplar Balzacs letzte
handschr. Verbesserungen enthält. Balzac hat im lAnie der zehn JfJire
viel ge&ndert; doch konstatiert R., dafs diese Änderungen eilig, oberfläch-
lich und wenig von künstlerischen £r^^|gungen getra^n sind, so dafs die
oft kleinliche Verbesseningsarbeit dem Werke fast keinen Vorteil gebracht
hat. Am meisten Interesse erweckt eine Namensänderung, d. h. cae nach-
trägliche Überführung einer neuen Figur (Masaiae) in eine alte (Rastignae),
durch welche Änderung hindurch R. scharfsinnig den ursprünglich ein-
heitlicheren Plan des Pire Ooriot erkennen will.]
Grojean, O., Sainte-Beuve k Li^ge. Lettres et documents in^its.
Bruxelles, Misch et Thron; Paris, Fontemoing, 1905. 6(S 8. [Ste-B. ist
zwdmal, im Mai 1881 und im Sept 1848, zum Professor der franz. Lite-
ratur an der Universität zu Lüttich ernannt worden. Das erste Mal trat
er sein Amt gar nicht an: die WechselfäUe seiner Liebe zu Frau Hugo
hinderten ihn, Paris zu verlassen. Die näheren Umstände klärt Grojean
mit zum Teil unediertem Material auf, und in ebenso interessanter Weise
verbreitet er Licht über das Jahr, das 8te-B. 1848 im Gefolge der Juli-
revolution zu Lüttich verbrachte. 6te-B. war unglücklich; die Presse
empfing ihn als einen Stranger sans titres aMeux, der kein Examen ge-
macht und dessen Moralität anfechtbar sei ; er lebte einsam und verdrossen,
seine Briefe aus der Zeit sind ein langes Klagelied — wie schön war's in
Lausanne I Am Schlufs des Sommersemeeters nahm er seine Entlassung
und verlieis das ungastliche Belgien, wo sein Chateaubriand et san groupe
littSraire enstanden war.]
Wiske, Fr., Über Greorges Gourdons Gedichtsammlung 'Chansons
de Geste' und ihre Quellen. (Berliner Dissert.) Erlangen, Fr. Junge [19051.
155 8.
T o b 1 e r , A., Vermischte Beiträge zur französischen Grammatik. Ber-
lin 1905, 17 8. [Sitzungsber. der kgl. preuis. Akademie der Wissenschaften,
phil.-histor. Klasse 824—40. Umfiät die Beiträge 8— 11 ; cf. Archiv GXIV,
482. 8) Die Vemeinimg in der rketorisehen Frage. Die Wendung que ne
me reete^t-H (pomt) ä faire! ist eine rhetorische Frage, die den Graanken:
'alles bleibt mir noch zu tun übrle' umschreibt, gleichwie 'wer weifs das
nicht?' den Sinn von 'jeder weils das' hat. Der nämliche Gedanke kann
auch positiv ausgedrückt werden. In diesem Fall verwendet aber die heu-
tige Sprache die Form der indirekten Frage: ee gt^il me reete ä faire/ als ob
etwa ein ß vous demande um peu . . . den Ausdruck des Gedankens leitete. —
9) *n*itait ..., wenn ... nicht tcäre^. Die Verwendung des Indikativs in
Bedingun^nebensätzen wie: N'etait lanigligenee du sttflef Vouvrage eera/it
fort wn ist eine Folge des Eintretens dieses Modus im irrealen Bedin-
gungssatz überhaupt (nach et) und somit dem Altfranzösischen fremd,
das dafür ne fuet sagt. Wie aber für die Vergangenheit neben e^il awxit
HS noch heute altes e'il eüt iU gebräuchlich ist, so findet sich auch noch
n'eüt Sti neben n*Hait (n'eOt m le eottei qui pesait lourdement eur eon
prSeent, ü ee fiU eetimi heureuocy 8. 7). Das herrschende n*Stait ist übrigens
geradezu zeitlos geworden und verbindet sich mit einem präsentiscäen,
imperfektischen oder plusquamperfektischen Hauptsatz (n'ita/tent ees raison^
il mirite notre reepeetf — ü meriterait notre reepeetf — il aurait nUriU
noire reepeet). — 10) Das Ausbleiben des unbestimmten und des ^Ibilunae*^
Artikels wird durch zahlreiche Beispiele aus der lebenden Sprache belegt
und als eine archaische Erscheinung geschichtlich erörtert. — 11) La pre^
mikre vue fun de Vautre. Der Abs(£nitt handelt von der Konstruktion
des franz. l'un . . . Pautre ('dnander', 'gegensdtig'). Er zeigt, wie bereits
in der Verbindung dieses Vun . . . l'au^e mit dem Verbum eine gewisse
Freiheit der Beziehung Platz greift (nous devons parier des ouvrages lee
uns des autres avee üaueoup de eireonspeetion^ 8. 15) und die 8prache
dann zu ganz attributiver Verwendung des Nexus fortschreitet: 'die
gegenseitige liebe der Bürger* = Vamour des cüoyene le» um» pour le»
81»
484 YenBeichnfs der eingeUnfenen DrackBchriften.
märe$; 'das wechselseitige Übergreifen der GMaDken' = les en^nHe-
mmUs du pensies lea unes mr les autres; 'das gegenseitige erste Er-
blicken' ^ Ja premd^ vue Vun de Vautre etc., wobei ganz wie bei der ver-
balen Rektion {eües empüsUnt les unea mr les auires) hier die nominale
(amour pour; emf)ütement sur, vue de) nm zweiten Komponenten des
N^ezus bezeichnet wird. Ja auch anfserhalb des Reziprozitätsyerh<nisses :
la perie de ses poseesswna lee unee aprie lea auires = <der sukzessive
Verlust seiner Besitzungen'. — Der Verf. weifs, wie begierig alle nach
diesen seinen Oaben greifen, und wie dankbar wir fOr diese aus dem Vol-
len geschöpften Aufklärungen und Anregungen sind.]
(rillieron, J., et Mongin, J., Etüde de g^graphie linguistique.
Soier dans la Gaule romane du sud et de Pest [Mit 5 tarbigen Karten.]
Paris, Champion, 1905. 80 ß. 40. 5 fr.
Pünjer, J., Lehr- und Lembuch der franz&sichen Sprache. Zwei
Teüe. I. Teil. 7. Auflage. Hannover u. Berlin, Meyer (Prior), 1905.
V, 170 8. Geb. M. 2.
Boerneru. Werr, Lehrbuch der französischen Sprache. Insbeson-
dere ffir bayr. Beal- und Handelsschulen. III. Teil (Obentufe). Mit dnem
Hölzdschen Vollbild : 'La Ville' und 8 Ansichten von Paris, sowie 2 Bd-
bflchem: Hauptregeln und Wörterbuch in Taschen. Leipzig u. Berlin,
Teubner, 1905. VIII, 172 S.
Boern er- Stefan, Lehr- und Lesebuch der französischen Sprache
Für österreichische Bealschulen und verwandte Lehranstalten. Wien,
K. Graeser u. Co., 1904—5. L Teil, 128 B. Geb. 1 K. 80 h.; IL Teil,
mit drei Vollbildern und einer Miinztafel, 195 8. Geb. 2 K. 80 h.
Ploetz-Kares, Kurzer Lehrgang der franz. Sprache. Übungsbuch,
verf. von Dr. G. Ploetz. Ausgabe F. Neue Ausgabe f. Bealgvmnaaien.
Berlin, F. A. Herbig, 1906. Vlll, 823 B. Ungeb. M. 2.50.
Weitzenböck, G., Lehrbuch der franzönschen Sprache. II. Teil.
B. Sprachlehre. Fünfte durchges. Auflage. Leipzig, Fre^g, 1906. 89 S.
Geb. M. 1.50.
Haupt, O., Neue franz. Handelskorrespondenz mit grammat. und
Stilist. E^rläuterungen, zum Gebrauche an Handelsschulen, kaufm. und ge-
werbl. Fortbildungsschulen, sowie für den geschäftlichen Verkehr und
zum Selbstunterridit. Stuttoart, P. Neff, 1905. XV, 288 S. Geb. M. 3.
Bechtle-Morgenthaler, Französische Bprachschule, Mittel- und
Oberstufe. Stuttgart, Bonz u. Co., 1905. XII, 868 S.
Böddeker, K., Das Verbum im französischen Unterricht. Ein
Hilfsbuch, neben jeder Grammatik zu gebrauchen. Leipzig, Bengersche
Buchhandlung, 1905. X, 88 S.
Böddeker, K., Die wichtigsten Erscheinungen der französischen
Grammatik. Ein Lehrbuch für die Oberklassen nöherer Lehranstalten.
Mit«^^8pielen und Belegstellen, zum gröfsten Teil neueren Autoren ent-
nommen. -Zweite Auflage. Leipzig, Bengcrsche Buchhandlung, 1905.
XIV, 176 S.
Stier, G., Übungsbuch zum Obersetzen aus dem Deutschen ine
Französische. Cöthoi, Schulze, 1905. 216 S. Geb. M. 2.10.
Ballv, Gh., Pr6as de stylistique. Esquisse d'une m^thode fond^
sur r^tuae du fran^s moderne. Gen^ve, Eggimann [1905]. 1^ 8.
[Das Buch ist aus den Erfahrungen hervorgegangen, die der Verf. in den
Übungen des Genfer Shninatre de franpats moderne und der Ferienkurse
gemacht hat. Es skizziert eine Methode, die Ausdrucksformen der fran-
zösischen Sprache zu studieren, und illustriert sie an einer reichen Bunm-
lung 'eindrucksvoller Beispiele und mit feinen Bemerkungen. Man mag
gegen einzelne Ausführungen, besonders vom linguistischen Standpunkt
aus, seine Vorbehalte machen und doch finden, &iB dem Studenten und
dem Lehrer der franz. Sprache in diesem Buche ein guter und anregender
Fühler geboten wird.]
VeReicImiB der eingelaufenen DnicIraclirifteD. 485
Mohrbntter, Dr. A., Hilfebnch für den französischen Anisatz.
Leipzig, Rengersche Bnchhandlnng, 1905. VIII, 152 8. Brosch/ M. 2.
Geb. mit Schreibpapier darchschossen M. 2.80.'
Lambert, L., Chants et Chansons populaires dn Langpedoc, re-
oneillis et publik avec 1a musique not^ et la tradnction fran^aise. 2 yolL
Paris u. Ldpoig, Welter, 1906. VIII, H85; 845 8. [Vor nunmehr dreilsig
Jahren erschien, zunftchst in der Revue des lanpiee romanes and einige
Zeit daranf in besonderem Bande, der erste Teil einer grofs angelegten
Sammlung Ton Volksliedern Sfldfrankreichs (Ohtmts pop, du Langueaoe,
Parisi Maisonnenve, 1880). Die 600 Seiten dieses Bandes waren aus-
sdiliefslich Wiegenliedern gewidmet, denen die beiden Autoren A. Montel
und L. Lambert einen ausführlichen sachlichen und philologischen Kom-
mentar beigegeben hatten. Dieser erste Band liefs eine liäersammlung
erwarten, wie sie wohl kein anderes Land aufzuweisen hatte: mit dieser
Fülle Ton Material sollte der ganze Leben^gang des Menschen 'von der
Wiege bis zum Grabe' im Liede dargestellt werden: Kinderspiel und -tanz;
Uebe, Ehe, Beruf etc. Da starb Montel, und der Überlebende fand den
Mut nicht, das so grofs angelegte Werk fortzusetzen. Er sammelte weiter,
um vor dem Untergang zu retten, was zu retten war, aber er liefs keinen
zweiten Band folgen. Jetzt hat das Zureden der Freunde und Sprach-
genossen ihn zu äler Freude bewogen, seine Schatze doch herauszu^ben.
Und so Ififst er denn hier zunichst einen Nachtrag zu den Wiegenbedem
und dann Hunderte von Kinderreimen folgen, an welche die Rondee, die
Danaee ruettauee, Ftfihlinffs- und Liel)eslieder (hier II, 150 ff., das Vorbild
zu Mistrals Magali) und Sie Ehelieder sich anschlielsen. Im ganzen sind
es wohl tausencl Nummern, und ein weiteres halbes Tausend dürfen wir
von dem unermüdlichen Sammler noch erwarten (S. III). Dafs er diesmal
die Lieder ohne jenen Kommentar gibt, der die Sammlung von 1880
schmückte, wird man bedauern. Aber wie dankbar müssen wir trotzdem
für diese Gabe sein, die uns Wort und Weise des Volksliedes des Lan-
fnedoc in so reicher Fülle und mit so mancher wertvollen Orientierung
ietet. Sachkenntnis und Liebe zur liederreichen 8üdfranzosis<dien Heimat
haben sich hier verbunden, um jahrzehntelanges Bemühen zu reichem Er-
trag zu führen.]
Thomas, A., Le nominatif pluriel asym^trique des substantifs mas-
eulins en ancienprovencal. (S.-A. aus Bomania XXXIV.) Paris, Bouillon,
1905. 13 S. [Es hanaelt sich um die Deklination: Sing. nom. donxels
acc. donxel; Plur. nom. danxelk acc. donxdst d. h. um die Spur des
latein. -f in der Plnralform des Substantivs. Thomas stellt' die Bei-
spiele zusammen, die sich im Altprov. für diese Palataüsierungserscheinung
der Substantivdeklination finden, und die, so sporadisch sie auftreten, doch
viel zfüilreicher sind, als man bisher annahm. Er erwähnt im Vorüber-
gehen natürlich auch die analoge Erscheinung in der Flexion des Pro-
nomens und Adiektivs (Partizip) und schliefst mit Recht mit dem Hin-
weis, dafs das Phänomen dieses flexivischen Umlauts — Umlaut des
Vokals oder des Konsonanten oder beider, oder auch Erhaltung des -f —
Im Zusammenhang der galloromanischen Idiome, ja am besten auf dem
ganzen roman. Sprachgebiet 'untersucht werden müsse. — Soweit man
die Erscheinung bis jetzt übersehen kann, ist die Erhaltung einer beson-
deren, auf -f-mrkung beruhenden Nominativform des Plurals im Altprov.
dreifach konditioniert: 1. Ist sie gebunden an überhäufiffe pronomi-
nale Formen wie eilf tuig, die der analogischen Ausgleichung infolge ihrer
Überhäufigkeit widerstanden haben ; 2. erscheint sie als ein Produkt" des
prädikativen Verhältnisses {que statx visti d'els, JRomania, XYIIJ, 425;
Bevue des ü. rr. XLII, 267), wie im rätischen 'Prädikatskasus' (Areh. glott,
Vn,^426 fL); 3. ist sie eine Eigentümlichkeit von Substantiven, die
486 VerzeicbniB der efngelatifeDcbi DhicksdhiifteD.
lebende Wesen, besonders Personen, bezeichnen, nnd eibt sich
damit als eine Vokativform zu erkennen: enfanh! taxehf donxdkf Der
Vokativ, der auch im Singular • 'asymetriscbe' Nominativformen hat er-
halten helfen (enfasf), hat im Plural eine ähnliche Wirkung ausgeübt:
enfanh! Während die unter 1. erenannten Fälle in allen Dialekten ziem-
lich ffleichmäfsig vertreten sind, haben die Fälle unter 2. und 8. sehr wedi-
sdvolle Schicksale gehabt. Sie sind einerseits von analogischer Ausglei-
chung gefährdet. Andersdts ist es ihnen aber auch nicht selten gelungen,
sich auszudehnen: 2. ist über den 'Prädikatskasus' hinaus ins attributive
Verhältnis eingedrungen; 3. hat sich auch auf Substantiva ansgeddint,
die unbelebte Wesen oezdchnen.]
Giomale storico della lett. italiana, dir. e red. da F. Novati e
E. Rem i er. Fase. 136—7. [Ilda Morosini, Lettres in ^dites de lA^^ de
Stael ä V. Monti (1804 — 16). — B. Sabbadini, Bridole umanistiche. —
Varietä: G. Lega, Una ballata politica del sec XIII. — G. Tntversari,
Per l'antenticitft delF epistola del Boccaccio a Fr. Nelli. — G. Malagoli,
Per un verso delF Ariosto e per una particolare forma sintattica italiana.
— P. Toldo, Uno scenario inedito della Ck>mmedia dell'arte. — Basse^a
bibliografica. — Bolletino biblio^afico. — Annunzi analitici. — Publica-
zioni nuziali. — Communicazioni ed apunti. — Cronaca].
Bulletin Italien. V (1905) 3 [A. Jennroy, Quelques r6flexions sur le
'Quattrocento\ — ■ P. Duhem, Leona^ de Vinci et Villalpand. — Ch.
Dejob, Lee descriptions de batailles dans P 'Orlando furioso' et dans la
'Gerusalemme Uberata'. — P. Toldo, Les morts qui man gen t. — Biblio-
graphie].
Pasini, F., Un'amicizia ^ovenile di Nicool5 Tommaseo. 54 6.
[8. A. aus d. Archeografo triestino, serie III. vol. II]. Trieste, 1905.
Anzalone, E., Su la poesia satirica in Francia e in Italia nel secolo
XVI. Appunti. Catania, G. Musumed, 1905. 189 8.
Flamini, Fr., Varia, pagine di critica e d'arte. Livomo, R Giusti,
1905. X, 850 6. 3 Lire. [Fr. Flamini, dem wir so viele und so sdiüne
Arbdten zur italienischen und zur vergleichenden Literaturgeschichte (be-
sonders über die Zeit des Rinascimento) verdanken, stellt hier fünfzäm
Beden und Aufsätze zusammen, die von Dante bis zur Gegenwart führen.
Sie sind für ein weiteres Publikum berechnet, doch liegt ihnen gewissen-
hafteste fachmännische Forschung zugrunde. Sie geben, ohne gelehrten
Apparat sichtbar zur Schau zu tragen, aber auch ohne Wortschwall, dne
Synthese, die auch den Fachmann selbst zu fesseln und zu belehren ver-
miß. Solche gute und populärwissenschaftliche Arbeiten werden in Italien
zurzeit noch weniger gepflegt als bei uns oder in Frankreich. Flamini
gibt mit diesen gammelten Varia ein sehr gutes Beispiel ernster und
zugleich künstlenscher Darstellung, und sein Buch wird sich auch bei
uns Freunde erwerben und besonders auch denen willkommen sein, die
gute, bildende italienische Lektüre suchen. Für den Zweck von üniversi-
tätsübungen ist es wie geschaffen. Die einzelnen Titel lauten : Dante e ü
'dolee st'M? — 11 trionfo di Beairice — / signifieati e il fine dd *poema
aacro* — Nd delo di Venere — La gloria du Pärarea — Poesia di popolo
del btum tempo antieo — Un viriuoso del QuaUroeento (Serafino) — Le
lettere Haliane in Francia nei seeoli del Rinascimento — Oiae, Leopardi
poeta — (hmmemorando Nie. Tommaseo — L'opera di Oiua, Veräi —
Art, Oraf e i Suoi 'Poemetti drammatiei' — Pd re buono — In me-
moria d'un filologo (F, Onesotto) — L* insegnamento seientifieo della let^
ratura naxionale, schöner romsnischer Inhalt in schöner romanischer
Form.]
Heim, S.. Kleines Lehrbuch der italienischen Sprache. 4. Auflage.
Zürich, SdnütbesB u. Co., 19u5. VUI, 185 8. M. 1.80.
VerzeichniB der eingelaufenen Druckschriften. 487
Methode Toussaint- Langen scheidt. Brieflicher Sprach- und
Sprechunterricht für das Selbststudium der italienischen Sprache von
Dr. H. Sabersky^ unter Mitwirkung Ton Prol G. Sacerdota Berlin,
Lanffeoscheidt. Bnef 31 — 35 xu M. 1.
Bartoli, M. G., Un po di Sardo [S. A. aus d. Areheografo Tnesüno^
Serie III, vol. I. S. 129-^156]. Trieste, Stabilimento G. Caprin, 1908.
[Ist eine Besprechuns^ von G. Subaks Briceiche linguütiehe L908« der dann
darauf in seinen Notereüe erwidert hat, cf. Archiv OXV, 270. Bartoli l&Ist
es sich angelegen sein, das Sardische auch in seiner interromaDischen
Stellung a^gemeiu zu charakterisieren: er stellt seine lautlichen, morpho-
logischen und syntaktischen Sonderzüge zusammen, weist ihm zwischen
Ost- und Westromania die mittlere Stdiun^ an und scheidet das Gkdlu-
reeische (mit dem Korsischen) vom eigentlichen Sardo della Sardegna
(Logudor. und Campidan.). Der gröfsere Teil der interessanten Arbeit gilt
einzelnen Problemen der sardischen Lautentwidcelung.]
Vidossich, G., Etimologie triestine e istriane — Basse^a degli
studi etnografici, dialettali e toponomastici 1902 — giug^o 1905 fS. A. aus
d. Aröheogr. Triestino, serie III, vol. II. S. 143— 4t>, 149—64]. Trieste,
1905. [Der erbte Au&atz bietet ein Dutzend Etymologien ; der zweite gibt
eine sehr lehrreiche kritische Übersicht über die neueste Literatur, die die
interessante ratisch-Tenedisch-dalmatisch-rumänische Sprachecke behandelt.
Bulletin hispanique VII (1905) 3 [0. Jullian, Questions ibdriques UI.
Oyarzun. — A. Morel-Fatio, Vida de D. Luis de Bequesens y Zdüiga
(suite;. — £. Pifieyro, Jos^ Joaquln de Oimedo. — F.'Sauvaire-Jourdan,
La crise du change en Espagna — Vari^t^: G. Daumet, Semonce du
pape ßenolt XII ä Pierre I V d' Aragon. — C. Pitoliet, 'La Bodc^' de
V. Biasco Ibaftez. — Biblio^aphie. — Revues. — Oluronique]. VlI, 4
[P. Paris, Ornement de miroir en bronze au Mus^e archdologique de Ma-
drid. — H de la Ville de Mirmont, Cioeron et les Espagnols. — A. Morel-
Fatio, La duchesse d'Albe, D* Maria Enrlquez et Catherine de Mddici.
— S. Griswold Morley, The use of the verse-forms (strophes) by Tirso de
Molina. Der Autor untersucht das numerische Verhältnis der redondüias,
quintiUas, deeimas, romancea etc. in den Tintoschen Dramen, um Material
zur Lösung des Problems der Autorschatt des Burlador und des Oonde-
nado zu gewinnen. In bezug auf den Burlador gelingt ihm das nicht,
doch führt er einen anderen gewichtigen Grund (Behandlung der Bauern-
Bzenen) gesen diese Autorschut ins Feld. Der Strophen bau des Condenado
por deaconpado weist eine Strophentechnik auf, die Tirso fremd war. —
Vari^t^: G. Cirot, Les portraits de Juan de Mariana. — H. M^im^,
Sur la biograpbie du chanoine Francisco de Tärrega. — Bibliographia —
Ohroiiiques. — Tables. — 4 Planches].
Walbefg, £., Juan de la Cueva et son Mcemplar poetieo [Lunds
Universitets Arsskrift, Band 89. Afdein 1 N^ 2], Lund, Imprimerie Hakan
Ohlsson. 117 S. h^ 3:75. [Die Ära poetioa des alten Sevillaner Drama-
tikers (1606), dieses Seitenstücii: zu Lop!» JürU nueva (et Arckiv OIX, 458),
ist bisher sehr schwer zugänglich gewesen« Hunder tdreüsig Jahre sind
verflossen, seit Sedaoo sie in seinem ParnasQ Uapanol zum erstenmal ge-
druckt. Walberg bietet uns also eine sehr willkommene Gabe, indem er
das geschichtlich recht wichtige Stuck (1300 Verse) nach jenem Manu-
skript wiedergibt, welches die Golombina aufbewahrt und. das das Hand-
exemplar des Autors gewesen zu sein scheint .Die Varianten zweier an-
derer von Cueva selbst gefertigter Kopien werden beigefügt. Doppelt will-
kommen wird Walbergs sorgfältiger Neudruck durch Einleitung und
Noten: Cuevas Stellimg in der dramatischen Literatur, Tendenz, Quellen
und Sprache seiner Poetik werden erörtert und in den Anmerkungen ein.
fortiaiuender Kommentar gegeben.]
48& VendchuiB der eingeUiiif enen DrackBchriftcn.
Der einnreiche Junker Don Quijote von der Mancha Ton Miguel de
Cervantes Saavedra. Übersetzt, eingeleitet und mit £rlaatenmgen
▼ersehen von Ludwig Braunfels» Neue revidierte Jubilaumsansgabe;
Stra&burg, K. J. Trübner, 1905. 4 B&nde, XLI, 818; 406; 3»7; 874 S.
Preis des Bandes geh, AL 2.50., geb. M. 8.50. [Braunfels' Übertragung des
D. Q. .ist eine sehr sorgfältige und kundige und auch eine sehr kunst-
volle Arbeit Er steht als D. Q.- Übersetzer weit über allen deutschen
Vorgängern in seiner Verbindung von kenntnisreicher Sorgfalt und künst-
lerischem Nachempfinden. Er allein hat uns eine in Wortsinn und Ton
treue Umschrift geliefert. 8ie verdiente es wohl, im Jubiläumsjahre des
Originals zu neuem Leben erweckt zu werden, nachdem sie zwei Jahr-
zehnte in den Bändchen der ^Coilection Spemann' (1888) geschlummert
hat. Die Fulsnoten jener ersten Ausgabe sind im Neudruck revidiert,
reduziert und an den 8chluis der einzelnen Bände verwiesen worden.
Über die Grundsätze, die im übrigen den Herausgeber geldltet haben,
gibt die Vorrede Auskunft Diese Neuausgabe ist von vornehmer Aus-
stattung, bestimmt und geeignet, ein Buch der Erholung und des Ge-
nusses zu sein. Der Preis der vier Bände (geh. M. 10, geb. M. 14) ist
auÜBerordentlich niedrig.]
Men^ndez Pidal, R., Manuel elemental de mm&tica histörica
espaüola. Segunda edicion. Madrid, Su&rez, l9o5. VII, '^TliS. Pes. 6,50.
FDer ersten Auflage dieses trefflichen Handbuches, cf. Arehiv CXIII, 289,
folgt binnen Jahresfrist die zweite. Der Autor hat es sich angelegen sdn
lassen, den Wünschen der fachmännischen Kritik Bechnung zu tragen,
und wenn die Zahl der Paragraphen seines Buches sich nicht vermehrt
hat, so ist doch vielfach deren Inhalt erneut und erweitert, so dats das
Buch erheblich an Umfang gewonnen hat Die typographische Ausstat«
tung ist ebenfalls reicher geworden.]
El Ck)merciante. Spanisches Lehrbuch für Kaufleute, kaufm. Fort-
bildungsschulen, Handelsschulen und verwandte Anstalten, sowie zum
Selbstunterricht von 0. Dem eh 1. Unter Mitwirkung Hamburger Kauf-
leute und der spanischen Lehrer E. Solana und Ol. Herreros. Mit
einer Konjugationstabelle, drei Münztafeln und einer mehrfarbigen Karte
von Spanien. Leipzig und Berlin, Teubner. XII, 27y S.
Stuppaun, Qebhard, Las desch eteds. Publicaziun da Jacob
Jud. Coira, H. Fiebig, 1905. 113 S. [Qegeo. lööu schrieb der Prediger
G. Stuppaun zu Ardez im Unterengadin das dramatische (Sprach der
'Zehn Alter', das Gärtner vor zwanzig Jahren in Böhmers Born, Studien
VI, 289 ft herausgegeben und für das Gärtner auch die deutsche Quelle,
Gtenzenbachs 'Zehn Alter' (15;^), nachgewiesen hat Jud druckt hier —
es ist ein S.-A. aus den ÄnnaUu äella Sodetad Baeto-Bomanseha — den
Text nach einer älteren und vollständigeren Handschrift neu und gibt
die Sinn Varianten des Gartn ersehen und zweier anderer fragmentarischer
Manuskripte. Diese Handschrift führt ihn zu der ansprechenden Ver-
mutung, dals hinter den erhaltenen oberengadinischen Kopien sich eine
unter engadinische Urschrift verbirgt ^n rätisch-deutsches Glossar, das
sorgfältig gearbeitet zu sein scheint, ist beigegeben. Ist furberta (cf. fui-
baria, Var. zu t>99) nicht ein Fehler des Kopisten statt furberiat Die
Wörter der Varia lectio sind nicht ins Glossar aufgenommen.]
Michael, J., Der Dialekt des Posdiiavo-TiQs (Poschiavo - Brusio-
Campocologno). Zürcher Dissert Halle, £. Karras, 1905. 99 8.
ARCHIV
fOb das
STUDIUM DER NEUEREN SPRACHEN
UND LITERATUREN
BEGRONDET von LUDWIG HERRIG
HEBADSOBaSBEN
VON
ALOIS BRANDL UND HEINRICH MORP
LX. JAHRGANG, CXVL BAND
DEB NEUEN SERIE XVI. BAND
▼^w9^
BRAUNSCHWEIG
DRUCK UND VERLAG VON GEORGE WESTERMANN
1906
Inhalts -Verzeiclinis des GXVL Bandes,
der neuen Serie XYI. Bandes.
Abhandlungen. g^.^
Zar Entotohnng des Mftrchens. Von Friedrieh Ton der Leyen. V. (Forts.) 1
Heimat und Alter der eddiBchen Gedichte. Das isländische Sondergat. Von
Andreas Hensler 249
Zar Entstehung des Mftrchens. Von Friedrioh von der Leyen. VI.
(SchloDi) 282
Die Barghsche Cato-Paraphrase. Von Max Förster. 11. (Schlafs) ... 25
Zar Herkonft von ne. dang. Von O. Bitter 41
Altenglische Predigtqaellen. I. Von Max Förster 301
Stadien sor fr&nkischen Sagengeschiohte. III. Von LeoJordan. . . . 50
Note sol Boccaccio in Ispagna nell' Et^ Media. Di Artaro Farinelli. m.
(Fortsetzang) 67
Zar Geschichte der Französischen Akademie. Von M. J. Minckwiti . . 315
Sar 'les Contemplations' de Victor Hago. Par Eugene Bigal .... 327
Cervantes et le troisi^me Centenaire da *Don Quichotte*. Par Alfred
Morel-Fatio 340
Kleinere Mitteilungen.
Die Bedeutung der Wörter Himmel und Himmelreich. (Frans Branky) 362
Zu 'N. Praun und P. CoUenuccio', Arch. GXV 22 ff. (Adolf Hauffen) . 367
Kleinigkeiten zur englischen Wortforschung. (EilertEkwall) . . . . 97
Zu John Heywoods 'Wetterspiel'. (F. Holthausen) 108
Ne. r<y>€ und ridmg 'Bezirk'. (Erik Björkman) 105
Die Lösung des ae. Prosarätsels. (Max Förster) 367
Die Aussprache des ne. tno. (F. Holthausen) 371
Etymologien. (F. Holthausen) 371
Beiträge zur Quellenkunde der me. geistlichen Lyrik. I. (F. Holthausen) 373
Ein englisches Kinderlied. (L. Kellner) 374
Das Liederbuch MS. Rawlinson Poet. 185. (A. E. H. Swaen) .... 374
IV
Nachträge sn dem Aafsfttz *Qaellen und Komposition von EuBtache le Hoine',
diesen Roman und hauptsächlich den 'Tmhert' betreffend. ^Leo Jordan) 375
Der Infinitiv als Toranstehendes Sabjekt. (H. Engel) 382
Sitnmgen der Berliner Gesellschaft Ar das Stndiiun der neueren Sprachen 108
Yeiseichnis der Mitglieder der Berliner Gesellschaft ftlr das Stadium der
neueren Sprachen. Januar 1906 126
Beurteilungen und kurze Anseigen.
Oertrud Bäumer, Goethes Satyros. (Richard H. Meyer) 137
M. Beheim-Schwarzbach, Deutsche Volksreime. (Robert Petsch) . . 155
Johannes Bethmann, Untersuchungen über die mhd. Dichtung Tom Grafen
Rudolf. (Viktor DoUmayr) 135
Bibliothek deutscher Schriftsteller ans Böhmen, Bd. XI— XIV. (Robert Petsch) 152
J. F. D. Bl5te, Das Aufkommen der Sage ron Brabon Silvias, dem bar-
barischen Schwanritter. (Robert Petsch) . 7> v . .* .-r^-^r^^T .... 149
G. Blumschein, Aus dem Wortschatse der Kölner Mundart (Robert Petsch) 155
R. Dijkstra, Holländisch. Phonetik, Grammatik, Texte. (Hj, Psüander) 184
Max Drescher, Die Quellen lu Hauffs Lichtenstein. (Richard M. Meyer) 389
Aloya Dreyer, Frans ▼. KobelL (Robert Petsch) 151
A. W. Fischer, Über die Tolkstflmliohen Elemente in den Gedichten Heines.
(Robert Petsoh) 154
Jonas Fränkel, Zacharias Werners Weihe der Kraft. (Richard M. Meyer) 1S9
Briefwechsel des jungen Börne und der Henriette Hen. Hg. Ton L. Geiger.
(Richard M. Meyer) 142
Grassl, G^chichte der deutsch-böhmischen Ansiedelungen im Banat (Robert
Petsch) 144
A. Rud. Jenewein, Das Höttinger Peterlspiel. — Ders., Alt-Innsbrucker
Hanswurstspiele. (Robert Petsch) 147
O. Knoop, Volkstttmliches aus der Tierwelt (Robert Petsch) 146
Lebende Worte und Werke. (Robert Petsch) 145
O. E. Lessing, Grillparzer und das Neue Drama. (H. Löschhom) . . . 140
Spruch Wörterbuch, hg. von Frans Freiherm von Lipperheide. Lieferung
1 bis 4. (Robert Petsch) 384
Richard Löwe, Germanische Spraeh Wissenschaft. (Heinrich Spies) . . . 133
W. Meyer-Rinteln, Die Schöpfting der Sprache. (Richard M. Meyer) . 384
Cl. Brentano, Romanien vom Rosenkrans. Hg. von Max Morris. (R. Woemer) 138
Waldemar Oehlke, Bettina von Arnims Briefromane. (Richard M. Meyer) 388
Colm. Schumann, Lflbeckisches Spiel- und Rätselbuch. (Robert Petsch) 146
Friedrich Blatz, Neuhochdeutsche Schulgrammatik f&r höhere Lehranstalten.
7. Auflage, neubearbeitet von Dr. Eugen Stuls. (Viktor DoUmayr) 891
E. Sutro, Das Doppelwesen des Denkens und der Sprache. (Richard M. Meyer) 391
Alfr. Tob 1er, Das Volkslied im Appenzeller Lande. (Robert Petsch) . . 146
Otto Weddigen, Die Ruhestätten und Denkmäler unserer deutschen Dichter.
(lUchard M. Meyer) 143
V
Seite
Karl Weinhold, Kleine mittelhoehdentBche Grammatik. S.Auflage. (Viktor
DoUmayr) 387
O. Weise, Unsere Muttersprache, ihr Werden nnd ihr Wesen. 6. verb. Aufl.
(Robert Petsoh) 154
Friedrich Hebbel, Briefe. Hg. von B. M. Werner. (Richard M. Meyer) S90
J. Ernst Wfllfing, Was mancher nicht weiA. (Richard M. Meyer) . . . 391
Emil Bode, Die Learsage ror Shakespeare. (Ernst Kroger) 178
Rudolf Dammhols, Englisches Lehr- und Lesebuch. Ausgabe B. 1. Teil.
2. renn. Aufl. (Willi Splettstafser) 4SI
Shakspere's vocabulary. Its etymological elements. I. By Eilert Ekwall.
(Otto L. Jiriciek) 403
Theodor Erbe, Die Locrinesage und die Quellen des pseudo-shakespearischen
Locrine. (Ernst KrOger) 171
Ew. Goerlieh, The British empire: its geography, history and literature.
(F. Sefton Delmer) 423
J. C. G. Gras 6, Idiom and grammar. (Fritz Strohmeyer) 186
A. Harnisch und John G. Robertson, Methodische englische Sprech-
schule. 1. Teil. (WiUi SplettstOAer) 423
Casimir C. Heck, Zur Geschichte der nicht-germanischen Lehnwörter im
Englischen. (Erik BjOrkman) 168
Thomas Hughes, Tom Brown's school days by an old boy. In gekflrzter
Fassung für den Schulgebrauch hg. von Hans Heim. (G. Krueger) . 178
Johnson, Samuel, Lires of the English poets, ed. by George Birkbeck Hill.
(A. Brandl) 409
John Koch, Elementarbuch der englischen Sprache. 30. Auflage. Ausg. B.
(Frita Strohmeyer) 181
John Koch, Schulgrammatik der englischen Sprache. 2. verb. u. yerm. Aufl.
(WilU Splettstöfter) 422
E. Koeppel, Studien ttber Shakespeares Wirkung auf seitgenössische Dra-
matiker. (Eduard Eckhardt) 406
£. Kruisinga, A grammar of the dialect of West Somerset. (Carl Scriba) 413
F. Langer, Zur Sprache des Abingdon Chartulars. (Erik Björkman) . . 168
Felix Melchior, Heinrich Heines Verhältnis zu Lord Byron. (F. Sefton
Delmer) 410
E. Nader, English grammar. (Frits Strohmeyer) 181
Franz J. Ortmann, Formen und Syntax des Verbs bei Wycliffe und Pnrvey.
(H. Füchsel) 397
Wilfirid Perrett, The story of King Lear from GeofPrey of Monmouth to
Shakespeare. (Ernst Kroger) 174
H. Poutsma, A grammar of Late Modem English. Part I. (Fritz Stroh-
•meyer) 189
O. Robertson, s. A. Harnisch.
Der altenglische Regius-Psalter, hg. von Fritz Roeder. (Karl Wildha^en) 157
Fritz Roeder, Der altenglische Regius-Psalter. (Erik Björkman) .... 167
Margarete Rösler, Die Fassungen der Alexius-Legende. (A. Brandl) . . 398
VI
Seit«
Julius Zupitsa, Alt- und mittelengluehes Übnngilmeb. 7. verb. Aufl., beari>.
von J. Schipper. (Erik BjOrkman) 151^
Rudolf Sohoeuwerth, IMe niedarlindifchen und deat8oh«n BeArbehougen
Ton ThonuiB KydB Spanish tragedy. (Otto Michael) r 401
Haz Schflnemann, Die Hilfsaeitwörter in den englischen Bibelftbersetmngen
der Hexapla (1388—1611). (R Ftlobsel) 397
The battle of Maldon and short poems from the Sazon ehronide edited by
W. J. Sedgefield. (Eduard Eckhardt) 156
Ernst Siep er , Lydgate's Reson and Sensnalljte. Vol. II. Stndies and Notes. (P.) 169
Karl Sarsbier, Sprache der Cely-Papers. (8. Blaeh) 899
Wilhelm Swoboda» Elementarbnch der engl. Sprache. (Frits Strohmeyer) 183
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W. Ricken, Einige Perlen französischer Poesie von Corneille bis Coppöe.
(Theodor Engwer) 448
Th. Both, Der Einflnfli ron Ariosts Orlando Furioso auf das französische
Theater. (George Carel) 469
Am. Salmon, s. J. Bonnard.
P. Savj-Lopez, Storie Tebane in Italia. (Berthold Wiese) 462
Herm. Schmidt, s. Ol. Klöpper.
Gustave Simon, L'enfiuice de Victor Hugo.- (Willibald Kammel) .... 43 2
L. Herrig et G. F. Buiguy, La France litt^raire, remaniöe par F. Tenderin g.
47« Edition. (Theodor Engwer) 449
Der HUGE SCHEPPEL der Griiln Elisabeth von Nassau-Saarbrflcken, nach
der Hs. der Hamburger Stadtbibliothek, mit einer Einleitung von Her-
mann Urtel. (Leo Jordan) 426
Max Walter, Der Gebrauch der Fremdsprache bei der Lektlire in den Ober-
klassen. (J. Block) 210
Verzeichnis der vom 29. November 1905 bis zum 8. März 1906 bei der Re-
daktion eingelaufenen Druckschriften (mit kurzen Anzeigen von : E. Oswald,
The legend of Cur Helen as told hj Homer, Gk>ethe and others. —
M. Potel, Trois ans de m6thode directe. — Hölzeis Wandbilder: Wien. —
J. S. Clark, A study of English prose-writers. — J. C. French, The problem
of the two prolognes to Chauoer's Legend of good women. — W. E.
Leonard, Byron and Byronism in America. — M. Roger, L'enseignement
des lettres dasslques d'Ausone k Alcnin. — £. Moret, Glaucus, — Chr.
lAchsinger, Das Molkereigerftt in den roman. Alpendialekten der Schweiz.
— Kr. Nyrop, Po^sies fran^ises, 1850—1900. — P. Fink, Volkstttm-
liches aus Sftdbnrgund. — G. Paris, La litt4rature fran9aise au moyen
Age. — A. Plaget, La Belle daine sans Merci et ses imitations. —
M. Gerhardt, Der Aberglaube in der französ. Novelle des 16. Jahrb. —
S. Rigal, La mise en Bchnt dans les tragidies du 16®si^cle. — H. Heitä,
Studien Aber die burleske Modedichtnng Frankreichs im 17. Jahrh. —
Th. Pletscber, Die Mirchen Charles Perraults. — M. v. Waldberg, Der
empfindsame Roman in Frankreich. — E. Fueter, Voltaire als Historiker.
— K. G. Lenz, Über Rousseaus Verbindung mit Weibern. — Annales
de la SoelM J.-J. Rousseau. — J. Gftrtner, Das Journai Elraager. —
vra
Seit«
Le comte de Gobinean, Deux todea sur U Qriee moderne: Capodistrias;
le rojanme des Helltoes. — A. Tobler, Hilanges de grammaire fraa^aiie.
Trad. fran^. de la 8^°^« id. p. M. Kuttner. — E. Burghardt, Über den
Einflurs des Engl, auf das Angionorm, in syntakt. Besiebong. — L. Bisard,
Toponymie communale de Farrond. de Mamers. — F. Bmnot, La ri-
forme de Torthographe. — E. Faguet, SimpUflcation simple de i'ortbo-
grapbe. — O. Sehaltx-Oora, Altpror. Elementarbnch. — Armana Pron-
ven^u pir Ion bil an de Diin 1906. — Fr. Flamin!, Avriamento allo
studio della Dir. Comm. — G. A. Scartaxiini, Dantologia. — £. Ansa-
lone, Sn la poesia satirica in Francia e in Italia nel secolo XVI. —
Fr. B. Laqniens, Tbe Romam dt la Rose and medieval Gastilian lite-
rature. — F. Haussen, De los adverbios mueho, muy y mticA) . . . S25
Veraeicbnis der vom 9. IfArs bis snm 81. Mai 1906 bei der Redaktion ein*
gelaufenen Druckschriften (mit kurzen Anseigen von: Mimoires de la Soc
niophil. k Helsingfors. IV [O. J. Tallgreen, Las s 7 f del antigno casteliano
iniciales de silaba, estndiadas en la inidita Gojfa de Stgoma, Torsten
Söderl\ielm, Die Sprache in dem altfr. Martinsleben des Pian Gatineau
aus Tours. H. Pipping, Zur Theorie der Analogiebildung]. <- Fr. Paoser,
Der romanische Bilderfries am sttdl. Choreingsng des Freiburger Münsters
und seine Deutung. -^ A. Gappelli, Cronologia e Oalendario perpetuo. —
M. M. Arnold SchrÖer, Grundzüge und Haupttypen der engt Literatur-
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de Condi ed il gallo del campanile nella poesia medierale. — J. Ulrich,
Proben der fransösischen Novellistik des 16. Jahrhunderts. — Jacques
Amyot, Les Vies des hommes illustres grecs et romains. PirioUs et
Fabius Mazimus. — Jules Marsan, La Sylvie du Sieur Mairet. — Die
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und 9 [Nicolas Chamfort, Aphorismen und Anekdoten, mit Essay von
H. Efdwein]. — H. Taine, Sa Tie et sa oorrespondance. Tome HI. —
A. Monod, Hlstoire de France. — F. Le Bourgeois, Manuel des ehemlns
de fer. — C. JuUian, Verkingetoriz. — A. Farinelli, Voltaire et Dante.
— H. Schoop, Eine Studentenkomödie Friedrichs des Grofiien. —
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Comment Emile Zola composait ses romans. — Gh. de Roche, Les noms
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Deuziime sirie. -^ S. Puscariu, EtymologiBches Wörterbuch der runUU
nischen Sprache) 478
/A i-^t^-cJC/L-^sy A
yU^
Zur Entstehimg des Märchens.
(Fortaetiiing.)
in. BelebuDgsmärcheD. Nach dem Glauben des Mär-
chens können Grötter und Zauberer auch gestorbene Tiere und Men-
schen beleben. Weit verbreitet hat sich dieser Glaube besonders
in dieser Form: wenn man die Knochen eines getöteten oder ver-
zehrten Tieres in der gehörigen Ordnung zusammenlegt und sie
weiht, so steht es wieder auf und lebt sein früheres Leben. ^
Ein buddhistisches Märchen (Jätaka 150) erzählt uns von einem
Schüler, den Buddha die Kunst lehrte, Tote zu beleben, und der
sich, von Stolz geschwellt, dieser Kunst vor seinen Mitschülern
rühmte, als er einen toten Tiger sah. Sie warnten ihn, und als
es nichts half, brachten sie sich vorher in Sicherheit. Der Tiger
empfing nun sein Leben, stürzte sich brüllend auf den gelehrten
Toren, verschlang ihn und fiel dann selbst wieder tot zu Boden.
Der Inder schildert wieder nicht die Belebung überhaupt,
sondern den besonderen Fall, in dem sie dem Belebenden selbst
zum Verderben wird. Er schildert ferner die Kunst des Mei-
sters im Kontrast mit der angelernten und sofort ganz verkehrt
angewandten des Schülers und auch den Kontrast zwischen toter
Gelehrsamkeit und natürlicher Klugheit Und alles das erscheint
vor uns nicht als lehrhafte Unterweisung, sondern als mächtige,
eindrucksvolle Geschichte; die Erinnerung an den Tiger, der
plötzlich brüllend über den stürzt, der ihm das Leben gab, und
dann wieder tot zusammenfällt, vergifst sich so leicht nicht. Die
Verwandtschaft dieser Entwicklung des Tigers mit der des
Geistes aus der Flasche und der der Thronfiguren, die plötzlich
aufleben und nach vollbrachter Aufgabe wieder erstarren, fallt
auch sofort in die Augen.
Von den genannten Kontrasten erscheint im abendländischen
Märchen nur einer, der zwischen Meister und Schüler, dieser
allerdings weiter und anschaulicher ausgeführt als im indischen:
einmal m Belebungsmärchen, ^ worin der Schüler glaubt, er habe
dem Meister die Kunst abgesehen, sich darin versucht, ohne
jeden Erfolg: und als er in äuTserster Bestürzung, in sicherer
jElrwartung des nahen Unterganges dasteht, erscheint der Meister
> Beinhold Köhler I, 296.
' Vgl. etwa Grimm, KSM 81 , Bruder Lustig.
Arehif t n. SpnMheu. CXVI. 1
2 Zur Entstehung dos Märchens.
und erlöst ihn. Dann auch^ und so schon in der Literatur der
Alten, in Märchen vom Typus des 'Zauberlehrlings'^: da(s der
Meister die Zauberformel kennt, die ihm Gewalt über die Dinge
gibt, dafs der Lehrling sie in dem Moment vergiTst^ in dem er
die helfenden Geister in unscheinbare Dinge zurückverwandeln
oder in ihrer Tätigkeit Einhalt gebieten soll, und dicht vor der
Katastrophe erscheint der Meister und gebietet dem Verderben
Einhalt.2
Dies indische Belebungsmärchen wurde in Indien nun noch
mannigfaltiger und reicher, der eben besprochene Kontrast zwi-
schen Meister und Schüler fiel dabei ganz aus ihm heraus. Ich
nenne von den späteren Gestaltungen zwei. Einmal die des
Pantschatantra (Y, 4). Drei Brahmanen haben alle Wissenschaften
gelernt, der vierte besitzt nur Einsicht. Sie sehen die Gebeine
eines toten Löwen, der eine fügt sie zusammen, der zweite ver-
bindet sie durch Fleisch und Blut, der dritte will sie gerade be-
leben, da hält ihn der vierte zurück: es wird ja ein Löwe, und
er wird uns alle verschlingen. Der dritte lacht ihn wegen seiner
Unwissenheit aus, doch der Einsichtige erklettert rasch einen
Baum und sieht von dort zu, wie sich seine Prophezeiung erfüllt.
In dieser Darstellung ist aus dem einmaligen Bdebungs-
prozefs ein allmählicher, aus dem einen Beieber sind drei ge-
' Vgl. etwa Viehoff; Goethes Oediehte 261 f., Grimm, KHM 103, auch
Obrik, Danmarks gamle HeUedigtnina (1903), 29(5 f.
* Dem erzählten Märchen vergleiche ich noch das folgende indische
(Vet&lapaftc. 6), wir kennen es durch Gtoethes Legende. Ein Mann hat die
Frau erhalten, nach der er sich sehnte (in einigen Versionen hat er der
Göttin das Leben yersprochen, wenn sie ihn mit der Geliebten zusammen*
führe). Als er nun auf einer Reise mit der Geliebten den Tempel der Göttin
Durga betritt, opfert er sich ihr aus Dank : er schläft sich das Haupt ab.
Sein Freund (oder der Bruder der Frau) geht ihm nach, sieht es und opfert
sich in seiner Verzweiflung auch. Die frau, verwundert, dafs die Männer
nicht wiederkommen, betntt nun den Temjsel; als sie beide tot sieht, will
sie ihnen in den Tod folgen, doch die Göttin will nicht so viel Opfer und
ruft der Armen gnädig zu, sie solle die Köpfe der beiden Männer wieder
auf den Rumpf setzen, dann erhielten sie das frühere Leben. Doch sie
ist so verwirrt und freudig erregt zugleich, dafs sie die Köpfe falsch auf-
setzt, den des Mannes auf den Rumpf des Bruders und umgekehrt. Die
beiden Wiedererstandenen streiten nun heftig um den Besitz der Frau. 8ie
wird dem zugesprochen, der den Kopf hat (Oesterley, Baital Paeehüt 6. —
Babington, Vedäta Gadai [MiseeUaneaus Translations from Oriental Languages,
Vol. I, 1831]: Wer beim ersten Anblick die Frau als Gattin behandelt, ist
ihr Mann. — Iken, Tuti Nameh [1822] 102. — Rosen, Tuii Nameh [1858]
II, 169. - Zachariae, Zs. d. V, f, Volkskunde 11 [1901], 186; vgl. ebd. 262).
Die Grundidee des Märchens ist wieder: was der Gott vermag, dazu ist
der Mensch zu schwach, sogar das Gnaden|;eschenk des Gk)ttes erzeugt in
seinen Händen Verwirrung und Zank. Diese Idee scheint wieder oud-
dhistisch; die Geschichte, durch die sie zur Geltung kommt, ist für un-
seren Geschmack freilich zu ausgeklügelt und unwahrscheinlich. Aber
diese Verbindung von Tiefsinn und Spitzfindigkeit ist ja durchaus indisch.
Zur Entstehung des Mfirchens. 3
worden. Der Löwe wächst und wird langsam vor unseren Augen^
wir erfahren nicht sofort, sondern erst während der Erzählung,
dafs das Tier ein Löwe ist, und dadurch erhöht sich unsere
Spannung. Der wirkungsvolle Schlufs des buddhistischen wurde
leider vergessen; der Kontrast zwischen natürlicher Einsicht und
Bücherweisheit erscheint in anderem Zahlenverhältnis : die Bücher-
weisheit, die gelehrten Toren, sind, wie im Leben immer, in der
Überzahl und verhöhnen den einzig Klugen.
In der yetälapancavim9ati (Nr. 23, die schönste Darstellung
wieder bei Somadeva) blieb auch dieser Kontrast fort, dafür ist
der Belebungsprozefs noch weiter in seine Einzelheiten aufgelöst
und an vier Brüder verteilt, die einen mächtigen Löwen beleben,
indem der eine zu einem gefundenen EInochen das Fleisch, der
zweite z\i diesem Haut und Haar, der dritte die anderen dazu-
gehörigen Glieder und der vierte das Leben 8cha£Bk. Diese Brü-
der, die der I^we natürlich verzehrt, erscheinen nicht mehr als
Toren, sondern als arme Narren, denen die einzige Kunst, die
sie lernten, zum Verderben wird.^
Dies Belebungsmärchen blieb, soviel ich weils, in Indien,
und wir beobachteten daran die uns nun vertrauten Besonder-
heiten der indischen Erzählungskunst^ die Steigerung eines ein-
fachen Motivs, in dem nämlich nur die Belebung erzählt ist,
die dem Belebenden gefährlich wird, und die zugleich natürliche
Klugheit, nicht allein erlerntes Wissen erfordert; die Verviel-
fältigung dieses einen Motivs, in dem die Belebung an ver-
schiedene sich verteilt und allmählich geschieht. Die einzelnen
Motive bleiben nicht alle beisammen, bald wird dies, bald jenes
auf Kosten des anderen hervorgehoben. Aber die Kunst, aus
den Motiven die kritischen Wirkungen herauszuholen, sie ein-
drucksvoll anzuordnen und gegenüberzustellen, alles im Rahmen
einer ganz kurzen Geschichte, verblüfil auch hier, besonders wenn
man sie in ihren Einzelheiten betrachtet.
Eine Entwickelung, die der eben vorgeführten in manchem
gleicht und die auch von einem sehr ähnlichen Motiv ausgeht,
war einem Menschenbelebungsmärchen beschieden: diese Ent-
wickelung ist reicher und hat in abendländischen alten Sagen
merkwürdigere Parallelen. Ich meine das Märchen von der höl-
zernen Jungfrau, das in Indien am kunstreichsten erzählt ist und
über die Grenzen von Indien weit hinaus bis nach Böhmen drang.^
Zugrunde liegt der Glaube, den wir aus der Anschauung
primitiver Völker ableiteten, ^ dais die Menschen aus Bäumen
entstanden oder geschaffen seien.
* Vgl. auch y. der Leyen, Preufa, Jahrbüeher 99, 69 f.
' Benfey, Päntsehatantra I, 491.
' S. oben Archiv CXIV, 14 Anm, 1.
4 Zur Entstehung des Märchens.
In einem wahrscheinlich sehr alten * Bericht der Edda wird
diese Schöpfung des Menschen auf verschiedene Götter verteilt:
Mann und Frau liegen als leblose Baumstümpfe da, Odin, Loki
und Hoenir finden sie, Odin gibt Atem, Hoenir Seele, Loki
Gesicht und Farben und Glieaer.^ Den nordischen Erzähler
interessiert also nicht, wie allmählich aus dem unbehauenen Baum-
stumpf ein äufserlich menschengleiches Gebilde wird und dies
Lieben erhält, dafür erscheint ihm der Vorgang der Belebung
selbst so bedeutsam, da(s drei Götter ihre Kräfte hergeben
müssen, um ihn zu vollenden.
Der Inder schildert umgekehrt das äufserliche Werden des
Menschen und verteilt dies, wie bei der Belebung des Raub-
tieres, an verschiedene. Ein Mann schnitzt aus einem Baum-
stumpf ein Mädchen, der zweite schmückt sie, der dritte gibt
ihr aie charakteristischen Zeichen, der vierte haucht ihr Leben
ein.3 Und nun, als das Mädchen schön und verlockend vor ihnen
steht, erhebt sich der Streit: wem gehört sie? Und um dieser
schwer lösbaren, Scharfsinn erfordernden Streitfrage willen scheint
das ganze Märchen überhaupt wiedergegeben.
Bis zur Vollendung des Mädchens gleicht die Entwicklung
der Geschichte insofern durchaus der vorigen, als ein altes Motiv
vervierfacht wird, der Belebungsvorgang: allmählich ist und sich
auf vier verteilt. Nun würde das Märchen bei anderen Völkern
schliefsen, bei dem Inder fängt es jetzt eigentlich erst an : denn
da verschiedene das Mädchen schufen, so haben auch verschiedene
auf sie ein Kecht
Und diese Rechtsansprüche waren so schwer zu entscheiden,
dais der Inder das Märchen ihnen zuliebe immer noch weiter
komplizierte. Ich hebe zwei Fortbildungen hervor, die beide auf
indischen Vorbildern beruhen, die im Mongolischen und die im
Türkischen.
Im Türkischen setzt sich der Streit fort: ein Derwisch, ein
Polizeimeister und ein Eadi werden um die Entscheidung ge-
beten ; alle sind von dem Mädchen so betört, dafs sie es für sich
wollen und deswegen Lüge auf Lüge häufen, das Mädchen sei
ihnen verwandt, ihnen geraubt und ähnliches. Schliefslich wird
ein Gottesurteil angerufen, da tut sich ein Baum auf, an dem
das Mädchen lehnt, und nimmt es wieder zu sich. Sie kehrt
^ Loki erscheint darin als hilfreicher Gott; die Namen der Baum-
menschen Askr und Embla entsprechen ungefähr den Namen Assi UDd
Ambri in einer alten longobardi sehen Sage, Grimm, D. S, 388.
* Vgl. V. der I^eyen, Märchen in Ecßa, S. 11; Kretschmer, Deutsehe
Lüeraturxeitung 1899, 1278 f.
' Jülg, Monqolische MärcheUf Innsbruck 1868, S. 285. Rosen, HU*
Nameh I, 151. Iken, S. 87. Im Türkischen sind die Beieber ein Zimmer-
mann, ein Goldschmied, ein Schneider und ein Mönch.
Zur Entsteh uDg des Mfirchens. 5
dorthin zurück^ von wo sie kam: deDn ee ist nicht gut, wenn
der Mensch sich Werke anmafst, die nur dem Gotte gebühren.
Streit und Lüge entstehen daraus und können nur aufhören, wenn
das Geschaffene selbst verschwindet.
Das Mongolische fü^ unser Märchen in ein anderes: eine
Prinzessin soll zum Reuen gebracht werden. Ihr erzählt ein
König unser Märchen, sie schweigt. Da hebt einer von den Be-
gleitern des Königs, die er vorher in Altar, Lampe und Rosen-
kranz verwandelt, zu sprechen an, gibt selbst zu, dafs er von
Weihrauch betört sei und als lebloser Gegenstand kein Recht
zur Rede habe, und sagt absichtlich eine verkehrte Entscheidung.
Darüber — über die dumme Antwort und über das Reden dessen,
dem es nicht zukommt — ist die Prinzessin so entrüstet, dafs sie
die rechte Antwort gibt: der sie schuf, ist ihr Vater, der sie
schmückte, ihre Mutter, der sie bildete, ihr Lehrer, der sie be-
seelte, ihr Mann.^ In dieser Fortsetzung erklimmt der indische
Scharfsinn vor unseren Augen schwindelnde Höhen: es ist ein-
fach erstaunlich, mit welchem Geschick die geistreiche Antwort
am Schlufs vorbereitet, hinausgeschoben, durch Kontrastierung
mit der verkehrten zur Geltung gebracht und zugleich der wider-
willigen, klugen und doch betörten, Prinzessin entlockt wird.
Vergleichbar dieser Entscheidung ist eine Sage bei Hygin.
* Älmlich im Trdne enehante, Lescallier 177 f. Dort ist unsere Ge-
schichte eingeleitet durch den Rahmen der Vetälapafic (König und Bettler,
vgl. oben Archiv CXV, 275 Anm. 2), die den König begleitenden Geister
verwandeln sich in Lampe, Gürtel, Giefskanne und Bettmfs der Prinzessin
und verlocken den König zu vier Geschichten: 1) f Lampe) die von den
Bewerbern mit wunderbaren Eigenschaften (= Vetälapaüc 5 und unten
S. 121); 2) (Gürtel) die von den vertauschten Köpfen (Vetälapaüc 6 und
oben 8. 2 Anm. 2); H) (Giefskanne) die belebte Braut (Vetälapaüc 2, in
der Fassung des Civaidäsa, von der Leyen, Bid, Märehm 27 und 130);
4) (Bettfuü^ die hölzerne Jun^rau. Die Beieber sind Holzbildhauer,
Juwelier, Weber, Mönch. Die Entscheidung der Prinzessin, das Mädchen
solle dem Mönch gehören, ist nicht fein motiviert. Der oben Archiv CXV,
278 Anm. 2 betonte Zusammenhang zwischen Vetälapaüc und verzauber-
tem Hiron wird durch diese Geschienten noch deutlicher — nicht weniger
als vier sind der Vetälapaüc entlehnt, und der Kunstgriff, der die Prin-
zessin zum Beden bringt, der Arger über die voreiligen und dummen
Antworten der vermeintlich leblosen Gegenstände ist nur eine Steigerung
des Kunstgriffes der Vetälapaüc, in der der Vetäla manchmal dem König
durch seine falschen Entscheidungen die richtigen abnötigt — Eine Ab-
schwächung der alten indischen Form gibt ein modernes singhalesisches
Märdien bei Hteele, An eastem love Story etc., London 1871 ; vgl. Benfey,
Kleinere Schriften 111, 288. Zimmermann, Maler, Kaufmann, Juwelier
sind hier die Beieber; d. h. der Kaufmann kleidet das Mädchen, der Ju-
welier schmückt und belebt sie. Eine Prinzessin soll durch die Frage,
wem gehört sie, zum Sprechen gebracht werden ; der Prinz, der es ihr er-
zählt, hat einen B^leiter in eine Lampe verwandelt, die törichte Ant-
worten gibt, und die Prinzessin gibt die richtige: sie gehört dem Wirt,
aus dessen Holzblock sie gemacht wurde.
6 Zur Entstehung de« Märchens.
Die Sorge überschreitet einen Flufs und schaffi. aus kreidigem
Schlamm einen Menschen. Jupiter kommt hinzu und gibt dem
Gebilde auf Bitten der Sorge Leben (spiritum). Dann streiten
beide^ wer dem Menschen den Namen geben dürfe, und während
des Streites erhebt sich auch die Erde: da der Mensch von ihr
genommen sei, müsse er auch von ihr den Namen erhalten. Sa-
turn, als Schiedsrichter angerufen, entscheidet: die Sorge habe
den Menschen zuerst geschaffen, ihr solle er sein ganzes Leben
hindurch gehören, dem Jupiter gebühre der Körper, denn er habe
dem Menschen den Geist eingehaucht, und der Name des Men-
schen solle homo lauten, da er aus der Erde {ex kumo) ge-
schaffen seL
Diese Sage verteilt wie die indische die Belebung an ver-
schiedene, nur weifs sie die Vorgange weder anschaulich zu
schildern, noch zu steigern; der Streit ist nur ein Streit um den
Namen des Menschen, nicht um ihn selbst, die Entscheidung ist
für Jupiter unverstandig, für die Erde eine leere etymologische
Spielerei, tief ist sie nur für die Sorge — und dies Motiv war
wohl auch der eigentliche Inhalt der Sage, an das sich das an-
dere ansetzte. Gerade diese römische Sage offenbart aber die
eminente Überlegenheit der Inder in Aufbau, Steigerung und
Darstellungskunst ihrer Märchen.
IV. Märchen von Empfindlichkeit und Scharf-
sinn. Ich habe schon angedeutet, dafs Märchen, Schwanke und
Novellen gern die Gaben Empfindlicher und Scharfsinniger, Dum-
mer und Fauler übertreiben, bewundem oder verspotten.
Timaeus * berichtet uns ganz ernsthaft von einem Sjbariten,
der auf dem Acker ALrbeiter hacken sah. Er bekam vom Zu-
sehen einen Bruch, und als er einem anderen sein Leid klagte,
erwiderte dieser, er habe vom blolsen Anhören Seitenstechen be-
kommen.
Das Indische hat einen sehr ähnlichen Schwank^: einer
Königin fällt ein Ijotos in den Schofs, sie wird verwundet und
ohnmächtig, einer zweiten brennen die Mondstrahlen Geschwüre
auf den Leib, und die dritte hört einen Mörser und bekommt
davon Beulen. Wer ist nun die Empfindlichste? heifst es am
Schlufs, und den Preis erhält die letzte, weil ihre Empfindlich-
keit durch das Gehör, die beider anderen erst durch die Be-
rührung sich zeigte.
Möglich, dafs dieser Schwank von Griechenland nach Indien
kam — ebenso möglich erscheint mir freilich, dafs beide Völker
ihn unabhängig voneinander ersannen. Das bleibt auf jeden
* Müller, fr. 59. E. Rohde, Der griechische Roman- 588.
' VetalupaAcavim9ati 11, Oesterlej, Baital Pacchisi 92. 199.
Zur Entstehung des Märchens. 7
Fall (und gerade das betonte Erwin Rohde nicht) dem indischen
Schwank ds Vorrecht, dafs er gleich drei Fälle von Empfindlich-
keit aufzählt, sie steigert und den Schwank noch zu einem letzten
Höhepunkte, der Schlufsfrage, führt. Durch sie wird der Hörer
veranlafst, sich die drei lustigen Empfindlichkeiten noch einmal
zu vergegenwärtigen und miteinander zu vergleichen. Sogar dies
kleine Geschichtchen zeigt also die Überlegenheit der indischen
Erzählungskunst über die griechische im Märchen.
Von einem anderen Uenüfsling erzählten die Griechen, er
sei voller Schwielen aufgestanden, nachdem er auf einem Lager
voller Bosenblüten geschlafen.* Der Inder übertreibt dies Motiv
sofort ins ganz Lächerliche: sein Empfindlicher kann die ganze
Nacht kein Auge zutun, weil unter aer siebenten Matratze ein
Haar liegt, und dies drückt sich deutlich auf seinem Körper ab.
Und diesen vergleicht er wieder mit zwei anderen, zwei Brüdern :
der eine schmeckt in einem Reis einen Leichengeschmack: und
wirklich ist dieser Reis in der Nähe eines Kirchhofs gewachsen;
der andere entdeckt an einem wunderschönen Mädchen einen
Bocksgeruch: und wirklich, dieses Mädchen wurde in ihrer Jugend
einmal mit Zi^enmilch genährt Die Schlufsfrage — sie wird da-
durch vorbereitet, dafs sich die Brüder um den Vorrang ihrer
Gaben zuerst zanken — heifst natürlich: wer war der Empfind-
lichste?
Von diesem Märchen haben wir nun eine Fülle von aufser-
indischen Fassungen, und wir können sogar den Wegen folgen,
auf denen es nach Europa eindrang: über Arabien und Byzanz
hier, über das sibirische Asien nach Nord- und Osteuropa dort.
Im 12. Jahrhundert fügte es der dänische Geschichtschreiber
Saxo Grammaticus in seine Darstellung der Hamletsage: also
schon vor dem 12. Jahrhundert sind die indischen Märchen nach
Euro^ gewandert.
Die verschiedenen Zusammensetzungen und Wandlungen
unseres Märchens sind schon oft geschildert:^ seltsamerweise
bleiben die einzelnen Scharfsinns- und Empfindlichkeitsproben fast
immer unverändert. Das Märchen kann, gemäfs seiner nur in
Indien denkbaren, dort aber durch viele Parallelen bezeugten
Eigenheiten, nur in Indien entstanden sein: da es so frühzeitig
und so weit wanderte und von so vielen Völkern so begierig
auf^^riffen wurde, erkennen wir, dafs gerade die etwas aus-
geklügelten und übertriebenen Scharfsinnsproben als märchenhaft
empfunden wurden und das Wohlgefallen aufserindischer, oft ganz
barbarischer Völker erregten.
' £. Bohde, 589, Anm. 3. Aelian, Variae Historiae IX, 24.
« Vgl. Bolte, Reise der Söhne Oiaffera, Bibl. des lit. Vereins, Stuttgart
(1896), 208, 198; v. der Leyen, Märeken in Edda 71 f.; Chauvin VII, 158.
8 Zur Entstehung des Märchens.
Erweitert wurden diese ScharfsinnsprobeD bei deD Arabern
und sonst noch durch eine andere^ gleichfalls indischer Herkunft.
Die Brüder beobachten zuerst die Spuren eines Kamels und
sa^en aus: es war halb mit Zuckerwerk und halb mit Getreide
beladen (denn nur auf der einen Seite des Weges schwärmten
die zuckerliebenden Fli^en), es war auf dem einen Äuge blind
(denn nur auf der einen Seite des Weges waren die Krauter ab-
gefressen)^ und es hatte keinen Schwanz (denn der Kamelkot^ den
aas Kamel sonst durch das Wedeln seines Schwanzes zerstreut,
lag auf einem Haufen^). Wie diese Episode entstand, ist leicht
zu erraten; alle primitiven Völker — wir wissen es noch ans
den Indianergeschichten unserer Jugend — haben eine merk-
würdige, oft bestaunte Fähigkeit, Fufsspuren zu entdecken, aus
den Eindrücken festzustellen, wann der Yorbeig^angene die
Spuren hinterliefs, auf seine Fufsbekleidung, auf das Tempo
seines Ganges etc. zu schliefsen. Diese Fähigheit steigert das
indische Märchen zu systematischer Raffiniertheit der Beobach-
tung — die Brüder erkennen nicht nur die Spuren, sie erkennen
die bezeichnenden Eigenheiten im Aussehen des E^amels und so-
gar die Art seiner Ladung. Andere Völker, die für solche Er-
findung nicht die Gabe hatten, erzählten das einfach wieder.
Auf einige andere Scharfsinnsproben und -märchen will ich
ganz kurz hinweisen. Das Urteil Salomonis wird in Indien, wie
wir wissen,^ oft erzählt und erscheint bei den Juden vereinzelt,
bei den Indern inmitten einer Fülle gleichartiger Entscheidungen.
Wir haben ähnliches schon beobachtet und werden es noch be-
obachten: ich möchte mich auch hier so entscheiden, dafs die
Inder diese Geschichte, etwa wie die von dem Thron Salomos,
der Königin von Saba und der Sprache der Tiere, von den Juden
übernahmen und ihren Reichtum damit vergröfserten. Eine an-
dere Entscheidung, die im Indischen auch gern erzählt wird:^
eine Kurtisane hat ihren Liebhaber im Traum genossen und
empfängt als Lohn den Schatten oder das Spiegelbild des aus-
bedungenen Lohnes, erzählten auch die Griechen, und die Inder
haben sie wohl von ihnen. — Im Indischen unterscheidet ein
kluger Minister eine Stute und ein Fohlen, die im Aussehen
nicht unterschieden werden können, und ermittelt bei einem mit
Edelsteinen besetzten Stabe, welches die Wurzel und welches die
Spitze sei.^ Diese Proben, durch die er seine Klugheit beweist,
verhelfen ihm bei seinem König zu neuer Gnade; er war näm-
* Vgl. Bolte und v. der Leyen a. a. O. und Chauvin VIII, 106.
* Vgl. oben Archiv CXIV, 22 Anm. 3 und Benfey, Kleinere Schriften
III, 171. 233.
' VgL oben Archiv CXIV, 22, Anm. 8 und Benfey, PafUschaUtntra I,
127. Ralston, Tibetan lales 163.
* ^ukasaptati t 8, 48. 49; t o. 58.
Zur Entstehung des Märchens. 9
lieh verleumdet und gefangen^ das wuCsiten die Nachbarstamme
und setzten den König durch diese Fragen in Verlegenheit: er
wuTste keine Auskunft und rief nach dem treuen Minister. Wir
erkennen: die Rahmenerzahlung von Verleumdung und Begnadi-
gung des Ministers ist dieselbe wie die von Josef und wie die
vom weisen Heykar, auf die auch das Buch Tobias anspielt und
die spater selbständig weiterlebte und -wanderte.^ Diese Kahmen-
erzahlung erfand sich überall von selbst, aus dem Leben, auch
aufserhalo Indiens. Die Inder füllten nach ihrer Art diesen
Rahmen mit zwei Scharfsinnsproben aus, von denen die eine
wieder, wie ich schon sagte (vgl. oben Archiv CXV, 15), an eine
Geschichte des Königs Salomo erinnert An diesen Scharfsinns-
proben fanden die Inder selbst^ und auch andere Völker grolses
Wohlgefallen, sie wiederholten sie oft im Rahmen der Heykar-
geschichte. ^
In einem durch ganz Europa und weiter verbreiteten Märchen
von der klugen Dirne — auTser der deutschen zählt Reinhold
Köhler^ russische, litauische, wendische, italienische, französische,
englische, finnische, nordische und auch tatarische Fassungen her,
die älteste abendländische hat wieder das Altnordische, die Rag-
nar Lodbröksaga — erscheint die Forderung, ein Mädchen solle
kommen: nicht gekleidet und nicht nackt, nicht geritten, nicht
gefahren, nicht im Weg und nicht aufser dem Weg (Grimm,
KHM 94) (weder bekleidet, noch unbekleidet, weder gespeist,
noch nüchtern, nicht allein, und doch soll kein Mensch sie be-
gleiten, Ragnar Lodbröksaga). In den verschiedenen Versionen
fehlt bald die eine, bald die andere Forderung, es treten auch
an Stelle der fortgefallenen neue, aber die Entstellungen und Zu-
sätze sind unwesentlich. Die Forderung klingt uns so seltsam
ersonnen und ausgeklügelt, dafs wir auf Indien als auf ihre Hei-
mat raten, und sie findet sich dort auch in einer Geschichte
buddhistischen Ursprungs.'^ Ein König will Reis, nicht zerstofsen
mit einem Stöiisel, aber nicht unzerstofsen, gekocht nicht im
Hause und nicht aufser dem Hause, nicht mit Feuer und nicht
ohne Feuer, er soll geschickt werden nicht im Weg und nicht
aufser dem Weg, nicht am Tag, aber auch nicht im
Dunkeln,® nicht von einer Frau, aber auch nicht von einem
' Vgl. oben Arekiv CXV, 13. Chauvin VI, 36 f.; 41 f.
' Benfey, Kleinere Schriften III, 172 f. (Dsanglun, cap. 23). — Ral-
ston, Tibetan Take 110 f.
' Benfey, a. a. O. 181, nennt u. a. eine walachische und eine un-
garische Fassung.
« KJMnere Schriften I, 445 f.; III, 514. Wossidlo, Mecklenburg, Volks-
Überlieferungen I, 328.
^ Kaiston, libetan Tales 138.
^' So auch in verschiedenen deutschen und wendischen Fassungen,
Köhler 448.
10 Zur Entstehung des Märchens.
Mann, der nicht beritten^ aber der auch nicht geht
Die Kerne des Reises werden nun mit Nägeln soi^am heraus-
geschälty auf der Schwelle des Hauses und in der Sonne gekocht,
der Menschy der ihn tragt, geht mit emem Fufs auf, mit dem
anderen an der Seite des Weges, der Topf, in dem der Reis ist,
wird mit einem dünnen Tuen bedeckt, so dafs ihn die Sonne
nicht bescheint, der Träger hat einen Fufs beschuht und einen
unbeschuht und ist ein Hermaphrodit^
Dafs die europäischen Märchen aus diesem oder einem ähn-
lichen indischen Märchen schöpften, dürfen wir um so unbedenk-
licher annehmen, weil auch andere Motive aus der klugen Dirne
im Buddhistischen erscheinen. U. a. wird dort von einem Mann
verlangt, er solle Butter von Ochsen bringen. Als Antwort
schickt er einen Mann^ der sich in Schmerzen windet, weil er
die Wehen habe, und als der Eöni^ bei dessen Anblick ausruft:
'Das ist unmöglich r wird ihm erwidert: 'Es ist ebenso unmöglich
wie dals Ochsen Butter geben/ Eine andere Zumutung ist:
Stricke, aus Sand gedreht Und die Antwort: man wolle eine
Probe dieses Stoffes sehen^ dann würde man hundert Ellen lange
Stricke daraus herstellen.' Dem entspricht im Abendländischen:
ein König spricht ein Füllen nicht dem Eagentümer, sondern dem
Eigentümer zweier Ochsen zu, zwischen die es sich gelegt Der
ISgentümer des Füllens fischt nun auf dem trockenen Land und
sagt: Ebenso sut wie ich im Trockenen fischen, ebenso gut kann
ein Ochse Füllen werfen. Und: aus zwei Bündel Leinen sollen
S^el und Taue und alles Nötige für ein Schiff hergestellt werden.
Als Antwort schickt man ein Stückchen Holz^ daraus solle man
Rocken, Spindel, Webstuhl schnitzen. Wenn im abendländischen
Märchen die Tochter die Kluge ist^ die dem ratlosen Vater die
Lösungen sagt^ so hat das auch seine Analogie in manchem in-
dischen Märchen.^
Der Zauberer in seiner Ekstase schickt seine Seele in den
Himmel. Dabei geben ihm die Stammesgenossen Fragen mit,
die ihm der Gott im Himmel beantworten soll. Das war, wie
wir erfuhren (oben Archiv CXIV, 2), Brauch bei primitiven Völ-
^ Benfev erinnert (214) an die Sage von Indra und Vrtra: der sollte
setötet werden nicht durch Trockenes und nicht durch Feuchtes, nicht
durch Steine und nicht durch Holz, nicht durch Geschofs und nicht durch
Messer, und nicht bei Tag und nicht bei Nacht: Indra bringt ihn in der
Dämmerung durch Schlamm um. — Und B. erinnert auch (216) an das
folgende griechische Rätsel {Anthologia PalcUina Appendix 107): Es gibt
ein Rätsel, dafs ein Mann, der nicht ein Mann (Eunuch), der sah und
nicht sah (er schielte) einen Vogel, der nicht Vogel (Fledermaus), der auf
einem Holz sais, das kein Holz (Dolde), mit einem Stein, der kein Stein
(Bimstein), warf und doch nicht warf (er traf vorbei).
•^ Chauvin VI, 40 Anm. 2.
^ Z. B. Oukaaaptati, t, s, 5 f., t, o. 5 f.
Zur Entstehung des MSrchens. 11
kern, und dieser Brauch lebte zudeich als Märchen fort Dem
Inder war dies Märchen auch bekannt, bei seiner Vorliebe für
Scharfsinnsproben verwandelte er aber die Reise in den Himmel
in eine Reise zu einem weisen König oder Richter, und zugleich
häufte er nach seiner Art die dem Reisenden mitgegebenen
Fragen. Äufserdem kontaminierte er das Märchen mit einem
anderen : ein vom Unglück Verfolgter hat auf einer Reise Unheil
angerichtet, ohne dafs er Schuld auf sich lud. Er wird von
denen verklagt, die er schädigte, und der weise König, der
schon auf jc^e Frage die Antwort wufste, pariert nun noch
jede Anklage durch eine Entscheidung, die durchaus gerecht
scheint, die aber, in die Tat umgesetzt, die Ankläger noch viel
stärker schädigen würde, als sie ohnehin geschädigt sind, so dafs
sie sich lieber bei ihrem ersten Verlust beruhigen. Durch diese
Entscheidung zeigt der König dann auch, dafs der Mensch nicht
das Schicksal und den unseligen Zufall anklagen soll, wenn er sich
nicht in die unseligsten Widerwärtigkeiten verfangen will. Dies
kontaminierte Märchen, in dem nunmehr die Klugheit des Königs
ins Überirdische wächst, erzählten sich schon die Buddhisten,^
aufserhalb Indiens lebten die klugen Entscheidungen des
Richters als eigenes Märchen fort. Ich nenne von diesen indischen
Entscheidungen zwei: ein Armer hat von Reichen Ochsen entliehen,
er bringt sie zurück, findet die Besitzer aber beim Nachtmahl
und wUl sie nicht durch seine Meldung stören. Untemachts
laufen die Ochsen davon. Die Entscheidung lautet: der Ent-
leiher soll Bufse zahlen, dem Besitzer aber die Augen ausgestochen
werden, weil er nicht besser aufpafste. Unterwegs will der Be-
klagte essen, die Frau des Hauses, in das er eintritt, holt ihm
etwas, fällt auf der Treppe hin und erleidet eine Frühgeburt.
Die Entscheidung: der Übeltäter soll der Frau ein neues Kind
machen. Und so geht es fort, teils in guter Steigerung, indem
der Verzweifelte sich einen Abhang herunterstürzt, dabei aber
auf jemand anders fällt, diesen tötet, selbst aber leben bleibt.
Diese Entscheidungen nun haben sich in den vielen aufser-
indischen Varianten '^ sehr wenig geändert. — Das andere Märchen
aber von den Fragen blieb im Abendländischen eine Himmels-
oder Höllenreise und nahm auch deren bezeichnende Motive zu
sich: dafs ein neidischer König den Helden verderben will, den
er in die Hölle schickt, dafs der Held aber wundersam behütet
wird und der König in die Schlingen fällt, die er anderen legte. ^
In diesen abendländischen Rahmen aber kam nun ein Bild in-
discher Herkunft. Der Hauptinhalt dieses Reisemärchens näm-
* Jataka 257. Benfey, PanUehatantra l, 394 f. Ralston , Tibetan
Tales 29.
» Aufgezählt bei Benfey a. a. 0. R. Köhler I, 578 ; II, 580.
3 Vgl. oben Archiv CXV, 5 Anm. 2.
12 Zur Ent8tehuDg des Marchene.
lichy die Fragen, wurde im Äbendl&ndischen aus dem Indischen
herubergenommen, denn dort waren sie so märchenhaft und selt-
sam, dals durch ihre Einfügung das alte Märchen einen neuen
anziehenden Reiz erhielt^
Die Fragen sind unter anderen etwa im Indischen: ein
Wasser war früher klar und jetzt trübe. Warum? Antwort:
Schlangen streiten sich darin. Bei Grimm: ein Marktbrunnen,
aus dem früher Wein quoll, ist versiegt, und es will nicht einmal
Wasser daraus quellen. Antwort: eine Kröte (Schlange) sitzt
unter einem Stein im Brunnen. Und: die Früchte in einem
Garten waren früher süfs, jetzt sind sie bitter. Antwort: weil
die Geistlichen im Garten sich g^en ihre Pflichten vergehen
(die Antwort ist offenbar nicht ursprünglich, sondern buddhistisch).
Bei Grimm: ein Obstbaum hat sonst goldene Äpfel getragen
und will jetzt nicht einmal Laub treiben. Woher? Antwort:
an der Wurzel nagt eine Maus usw.^
Gewifs war diese Herzahlung schwerfallig und langwierig.
Sie hat aber unsere Erkenntnis bereichert Wir sahen, daTs die
Inder hier und da ein Motiv anderen Völkern entlehnten und
zu ihrem Reichtum legten. Wir sahen auch, dafs der Rdchtum
der Inder an Geschichten dieser Art — wir teilten ja nur die
Proben mit, die aufserindisch ihre Parallelen haben, und das sind
sehr wenige — den anderer Völker weit übertrifil, diese nahmen
nur wenige Münzen aus dem grolsen indischen Goldschatz.
Gerade die indischen Entscheidungen, Forderungen, Einfälle waren
die anziehendsten, in ihrem Scharfsinn unüberbietbar: daher ihre
Ijcbens- und Verbreitungskraft. Dabei läfst sich hier und da
beobachten — ich erinnere nur an das Eontaminationsmärchen
und auch an die Proben aus der klugen Dirne — , dafs die Inder
an diesen Scharfsinnsproben allzu lebhafte Freude hatten. Sie
häuften sie nämlich hier und da nur um des Haufens willen und
vernachlässigten dabei Aufbau und Komposition der Geschichten,
in dem sie doch sonst Meister blieben.
V. Menschen mit wunderbaren Eigenschaften
und Verwandtes. Von einem Ungeheuer, einem Riesen oder
Drachen, der eine Jungfrau raubt oder bewacht, melden uns viele
Sagen und Märchen. Sehr oft schildern sie bei diesen und bei
verwandten Anlässen die Sehnsucht, die halbgöttliche Wesen nach
den Töchtern der Menschen verspüren, die sie dann mit List
oder Gewalt in ihren Besitz bringen wollen.
Dies Motiv wurde in Indien nach zwei Seiten, durch eine
* Genaueres über Verbreitung und Varianten des MärchenB bei Ernst
Kuhn, Byxantin. Zeitschrift IV, 241. Dazu Chauvin VIII, 146; Oosquin,
Revue des questions histortques 73, 5 ff. ; 74, 207 ff.
^ Vgl. auch Ton der Leyen, Märchen in Edda 15 ff.
Zur Entstehung des Märchens. 18
Vor- und durch eine Nachgeschichte^ erweitert. Eine Jungfrau
soll verheiratet werden: Mutter^ Bruder und Vater suchen ihr
jeder einen Freier^ und jeder beg^net einem^ der eine ungewöhn-
liche Kunstfertigkeit oder einen Gegenstand mit wunderbaren
Eigenschaften besitzt Jeder verspricht ihm das Mädchen, und
als die drei Freier erscheinen, an einem Tage, ist die Entschei-
dung kaum zu treffen. Da befreit der Drache die Menschen aus
ihrer Unschlnssigkeit: er raubt die Jungfrau. Nun können die
Freier ihre Kunstfertigkeiten wirklich beweisen: der erste, der
alles weifs, ermittelt den Ort, an dem der Drache die Jungfrau
verbirgt, der zweite, der einen Wagen hat, der durch die Lüfte
fährt, bringt sie alle an diesen Ort, der dritte, der ein treffliches
Schwert besitzt, erschlägt den Drachen. Sie drei bringen die
Jungfrau zurück, und der Streit um sie beginnt von neuem.*
Das Hauptmotiv, die Entführung durch den Drachen, ist bei
diesem Märchen äufserlich in der Mitte geblieben — man möchte
aber sagen, es ist eine Art Puffermotiv geworden und wird durch
indisches Raffinement von beiden Seiten ganz zerdrückt. Die
Jungfrau hat nicht einen, sie hat drei Bewerber; jeder dieser
Bewerber hat die gleichen Ansprüche, sie streiten sich um ihren
Besitz, und der Streit wird verdoppelt: gerade in dem Moment,
in dem er ausbricht, entführt der Drache die Jungfrau. So er-
höht sich die Spannung, und die zweite Entscheidung erschwert
sich noch dadurch, dais die Bewerber ihrer Fertigkeiten und Be-
sitztümer sich nicht nur rühmen, dal's sie deren Wert vielmehr
bewiesen. Ahnlich wie bei der 'hölzernen Jungfrau' hört das
Märchen nicht auf, wie die Jungfrau gerettet ist: im Gegenteil,
dann gerade kommt der Konflikt auf seinen Höhepunkt.
Dies Märchen kennt nun wieder die ganze Welt.^ Sein
erster Teil, die erste Werbung um die Jungfrau, wurde in den
aufserindischen Fassungen vergessen. Das Folgende: die ver-
schiedenen Gaben der Bewerber, ihre Reise zum Drachen, der Streit
um die Jungfrau, prägte sich dem Gedächtnis um so tiefer ein. Die
Zahl der Bewerber und die Art der Begabung wechselte vielfach.
Während die aufserindischen Völker sonst die Motive selbst
oder ihre Komplikationen behielten, die indischen Pointen ver-
gafsen, blieb dies Märchen eigentlich nur wegen seiner Schlufs-
frage am Leben. Diese interessierte die Völker immer von
neuem, sie suchten nach immer neuen Lösungen und konnten
sich in der Schilderung des Streites nicht genug tun. Das Mär-
chen erscheint in der Mongolei, in Rufsland, in rolen, im jüdisch
Deutschen, in Böhmen, in Frankreich, Italien, Deutschland, Däne-
* Vetälapafic 5. Vgl. v. der Leyen, Ind, Märchen 49, 142.
« Vgl. Benfey, Kleinere Schriften III, 94 f. — ß. Köhler I, 298. 488.
— Oben Archiv CXIV, 17, Anm. 3. — Chauvin VII, 124; VIII, 76. —
Die Gaben der Bewerber geraten oft ins Groteske, vgl. Grimm, KHM 71.
14 Zur Entstehung des Märchens.
mark usw. £^ ist ein beredtes Zeugnis, dafs ein Gebildei wie es
sich nur die Inder ersinnen konnten, auf der ganzen Welt die
Erzähler anzog und zu immer neuer Wiedergabe reizte.
Bei dieser Gelegenheit komme ich noch einmal auf ein Mär-
chen zurück; das auch verwegene Geschicklichkeit rühmt, auf das
Märchen vom Meisterdieb, d. h. auf seine indische Fassung. Am
ausführlichsten und hübschesten erzählt sie eine Märchensammlung
aus Tibet.^ Die Diebe sind darin nicht Vater und Sohn, son-
dern Meister und Lehrling. Der Lehrling entschliefst sich zum
Stehlen erst, als er sieht, aals sein Meister, ein Weber, zu seinem
Wohlstand nicht durch sein Handwerk, sondern durch die Die-
berei kommt. Der Lehrling zeigt durch zwei Proben sofort seine
Überlegenheit über den Meister im Stehlen. Dann werden beide,
als sie in einem Hause durch das Loch, das sie dareingeschlagen,
kräftig Diebereien üben, entdeckt; der Lehrling haut dem Mei-
ster den Kopf ab und zieht damit fort, den Rumpf läTst er zurück.
Er weifs aber, dafs er dem verstorbenen Meister und Onkel nodi
die religiösen Pflichten zu erfüllen hat So gebärdet er sich als
Verrückter und umarmt den kopflosen ausgestellten Leichnam,
er erscheint dann als Fuhrmann, schirrt die Ochsen seines Wagens
ab, steckt dessen Holzladung an und verbrennt die Leiche; ver-
kleidet sich als Brahmane, bittet um milde Gaben und bringt
Opferkuchen auf den Begräbnisplatz, verkleidet sich nochmals in
einen Siwaverehrer, sammelt Knochen und Asche und trägt sie
in den Ganges. Allen Vorschriften der Religion ist so genügt:
immer vor den Soldaten, die am Platze Wache halten, die ganzen
Vorgänge mit ansehen und sich jedesmal zu spät darauf besin-
nen, wer der Fromme eigentlich war, und jedesmal dem König
ihre verspätete Entdeckung viel zu spät melden.
Nun will der König den verwegenen Schlaukopf fangen und
bringt seine Tochter in einen Garten, der an einer Bucht des
Ganges liegt. Sowie sie berührt werde, solle sie schreien. Der
Dieb verkleidet sich nun als Wasserträger, läfst sich mit grofser
Geduld von der Verdacht schöpfenden Wache den Krug drei-
mal zerschlagen und kommt immer von neuem : als man ihn nun
wirklich für einen Wasserträger hält, schwimmt er rasch über
den Strom, bedroht die Königstochter mit dem Tode, wenn sie
einen Laut von sich gebe, beschläft sie und verläfst sie.
Dem König hilft alles Zürnen nichts. Nach neun Monaten
bekommt seine Tochter ein Kind. Der Dieb, als Höfling ver-
kleidet, schleicht sich kurz nachher in des Königs Palast, und
bei seiner Rückkehr befiehlt er, das Kaufmanns viertel zu plün-
dern, der König habe das gewollt. "Es gibt einen grofsen Auf-
* Vgl. auch Somadeva X, 64. — Ralston, IHbetan Talea 87, dazu
Schiefner 37. 44. Ralston, p. XLVII. Chauvin VIII, 186.
Zur Entstehung des Märchens. 15
rühr. Nun läfst der König alle Untertanen kommen^ sich in
einen grofsen Kreis aufstellen^ und das Kind, mit einer Girlande,
geht auf den Dieb zu und nennt ihn den Vater. Er erhält die
Königstochter und die Hälfte des Reiches.
Diese indische Geschichte beruht offenbar auf dem alten
ägyptischen Märchen. Das Verhältnis der Diebe ist anders: der
zweite wird erst Dieb und übertrifil dann gleich den ersten; auch
die Erbauung des Schatzhauses ist vergessen, und die Listen des
Diebes sind geändert. Durch die Änderung der Einzelheiten er-
hielt das Märchen ein echt indisches Kolorit, aufserdem zeigt diese
Änderung alle uns wohlbekannten Eigenheiten der indischen Er-
zählungskunst. Die Listen des Diebes sind gehäuft und steigern
sich langsam und systematisch; dadurch, dafs die Soldaten die
List jedesmal zu spät merken und melden, und der König, der
klüger sein will, noch ärger als sie betrogen wird, kommt eine
hübsche Ironie in das Märchen. Die Entscheidung schiebt der
Erzähler hinaus. Der Köni^ gibt dem Dieb die Tochter nicht
freiwillig, sondern weil er ihr die Ehre wiedergeben mufs. Ein
Kind findet den Dieb heraus, den alle Klugheit der f^rwachsenen
nicht entdecken konnte. Und die Listen des Diebes zerfallen in
zwei gleichwertige Gruppen: die einen hängen mit dem Leich-
nam, die anderen mit der Tochter des Königs zusammen. Uns
freilich scheint, als sei das alte Märchen einfacher, hübscher und
lustiger und das indische gar zu indisch.
Ohne Einflufs auf den Okzident blieb aber diese indische
Form nicht: das Motiv von der Lehrlingszeit des Diebes,^ das
Wiedererkennen des Diebes durch das Kind'^ und des Aufruhrs
im Kaufmannsviertel,^ letztere beide unverstanden und entstellt,
erscheinen auch im Abendländischen.
Die Inder schwelgten ja in Geschichten, in denen ein Schlau-
kopf oder eine schuldige frau allen Gefahren und Verlegenheiten
entrannen. Wie ein amüsanter Kontrast zu solchen Abenteuern
mutet uns das Märehen vom 'Doktor Allwissend' an. Sehr
hübsch erzählt es wieder Somadeva.^ Harisarman, ein armer
und dummer Tropf, wird von einem Brahmanen vernachlässigt,
zu einem Fest nicht eingeladen, auf das er eingeladen sein wollte.
Damit er doch seinen Trost habe, befiehlt er seiner Frau, ihn
als Schlaukopf zu preisen, und stiehlt dann das Pferd jenes
Brahmanen. Als der danach sucht, verrät er ihm, wo es ist: er
wisse das durch seine höhere Einsicht. Nun werden des Königs
Juwelen gestohlen, und da er ja 'alles weifs^ soll er den Dieb
* B. Köhler I, 210.
' Gälißch und französisch a. a. 0. 199. 201/2. Vgl. auch Prym Socin,
Syrische Märehm Nr. LXII, S. 170.
' GäUBch a. a. O. 199.
* VI, 30, Tawney I, 272.
16 Zur Entstehung des Märchens.
nennen. In seiner Verzweiflung ruft er 'Zunge' und beschuldigt
diese elende Schwätzerin^ dafs sie ihn zu solch sinnloser Prahlerei
verführt. Aber die Ma^, die die Juwelen stahl, hdfst wirkli<di
'Zunge^ sie lauscht, erschrickt, als sie genannt wird, und beichteL
Nun wird die Allwissenheit des Glückpinsek weiter geprüft: er
soll noch sagen, was in einem Krug verwahrt ist^ weiis es Da-
turlich wieder nicht und ruft in seiner Verzweiflung Trosch', so
schalt ihn nämlich sein Vater. Tatsächlich aber war in jenem
Eruge ein Frosch verborgen.
Dieser Tölpel bringt sich mutwillig in den Ruf eines All-
wissenden, und als der Ruf erprobt wird, sagt er in seiner ko-
mischen Ratlosigkeit und Verzweiflung gleich zweimal hinterein-
ander das Richtige. Das ist eine ganz reizende Idee und ist
erzählt, wie es nur die Inder erzählen können: dafs wir uns an
der tödlichen Verlegenheit dieses Prahlers schadenfroh weiden
und zum Schlufs doch die Düpierten sind, weil seine Dummheit
recht behält In Indien, wo betrügerische Wahrsagekunst, Eur-
Cfuscherei, gefälschte Oottesurteile ^ in echt indischer Massen-
aftigkeit verfertigt und wiedergegeben wurden, hatte man an
diesem Schwank gewifs seine besondere Freude.^
Den Reiz der Geschichte empfanden aufserdem sehr viele
Völker, die sie einander immer von neuem erzählten. Der
' Man denke an das berühmteste, das in Tristan und Isolde erzählte,
das auch von Indien kam; Wilhelm Hertz, Tristan tmd Isolde^ 546 f. —
Oldenberg, Die Literatur des alten Indien 121.
^ Verwandt im Wesen mit dem 'Doktor Allwissend' ist das 'tapfere
Schneiderlein', Grimm KHM 20. Die Motive darin, daüs es vor einem
Biesen prahlt und diesem dummen Biesen seine Stärke glauben macht,
besieg und überlistet, sind in Kormanischen Landern seit langen Z^ten
heimisch; vgl. von der Leven, Märchen in Edda 40 f., 46 f. Die Motive
aber, dafs das Menschlein Heldentaten verrichten soll, voll tödlicher Angst
auf seine Fahrten auszieht und infolge seltsamer Zufälle wirklich Biesen
und Ungeheuer tötet, sehen indisch aus und finden sich auch in indischen
Märchen Sammlungen. Im Jätaka 186 klettert ein Mensch auf einen Baum,
wirft einem Eber Zweiglein auf den Kopf, so dafs der erwacht, und als
er merkt, daüs der Mensch auf dem Baum ihn aufserdem bestohlen und
nun noch auslacht, rennt er voll Wut gegen den Baum und stöfst sich tot
(ganz ähnlich tötet sich das Einhorn in dem Märchen Grimms). Bd Jülg,
Mongolische Märchen 28, ^eht ein Pferd mit solchem Tapferen durch, er
hält sich an einem Baum fest, der fällt um und erschlag viele Feinde, die
anderen fliehen. Derselbe soll einen Fuchs töten, er nat seinen Bogen
dagelassen, den durchnagte der Fuchs und wurde dabei getötet: der Bogen
schnellte nach durchbissener Sehne zurück und erschlug ihn. Drittens
8oli er Dämonen besiegen; er lälst ihnen sieben weifse Brote zurück, die
man ihm mitgab, während er von sieben schwarzen eins verzehrte: er
wird betäubt. Die Dämonen fallen über die weifsen her und veigiften
sich. — Literatur etwa bei Clous ton. Populär Tales and FicHons 1, 133.
— R. Köhler zu Qonzenbach 41. Z. des V. f, Volksk. 6, 76. B. Köhler
I, 5Ü5 (zu Schiefners Awarischen Texten 11, die Erzählung ist der mon-
golischen recht ähnlich). Cosquin I, 96 f. (mit modernen indischen Pa-
rallelen).
Zur Entstehung deg Mfirchens. 17
^Doktor Allwisseod' ist fast in jeder MarcheDsammluDg enthalten.
Dabei überrascht uns, wie treu die Erinnerimg an das indische
Original blieb: der Zuruf des Unglücklichen zu sich; ^osch'
oder (Krebs' etc.; blieb in allen Versionen.^
VI. Zeichensprache und Tiersprache. Bei primi-
tiven Völkern ersetzen oft sinnbildliche Mitteilungen und Bot-
schaften höchst anschaulich und wirkungsvoll die Sprache. Ein
N^er erhielt von einem anderen als Botschaft einen Stein, ein
Stück Kohle, eine Pfefferbüchse, ein gedörrtes Getreidekora und
Lumpen, in Bündeln zusammengebunden. Das bedeutete: ich
bin stark und fest wie ein Stein, meine Aussicht in die Zukunft
ist schwarz wie eine Kohle, ich bin so voll Angst, dals meine
Haut wie Pfeffer brennt und Korn auf ihr gedörrt werden könnte,
meine Kleidung ist ein Lumpen.^ — Ein Maiskolben, eine Hühner-
feder und ein Pfeil an einem Baumast am Wege, den der Feind
kommen mufs, aufgehängt, bedeuten die KÄgserklärung der
Niam Niam. Diese Symbole erklären sich f olgendermaTsen : lafst
ihr euch^s einfallen, auch nur einen Maiskolben zu knicken und
ein Huhn zu greifen, so werdet ihr durch diesen Pfeil sterben.^
Mit diesen Mitteilungen vergleiche man die von Herodot
(IV, 131. 32) erzählte Botschaft der Skj^en an Darius. Sie
sandten dem Perserkönig einen Herold mit Vogel, Maus, Frosch
und fünf Pfeilen. Sie sollten das selber deuten. Darius inter-
pretierte: die Skythen unterwerfen sich selbst (denn die Pfeile,
ihre wehrhafte Stärke, das sind sie), sie unterwerfen ihre Pferde
(der Vogel bedeute die Pferde), ihr Land (die Maus bedeute das
Land), ihr Wasser (der Frosch bedeute das Wasser). Die Sky-
then aber wollten sagen: Wenn Ihr auch gleich den Vö^ln in
die Lüfte fliegt, wie die Mäuse in die E^e Euch verkriecht,
wie die Frösche in den Sümpfen verschwindet, unseren Pfeilen
entgeht Ihr nicht. Die Botschaft ist denen der Naturvölker über-
rasdiend ähnlich, mit der einen Steigerung, dals sie nicht einmal,
sondern doppelt, zuerst falsch, dann zutreffend geschildert wird.^
Verwandt mit dieser Zeichensprache ist die Oebärdensprache
> Benfey, Orient und Okxddeni III, 184. R. Köhler, Kleinere Schriften
l, 39 f. Cosauin 11, 187 f.; mit einer kamaonischen Fassung, die in
manchem nocn ursprOnglicher als die bei Somadeva. Zachariae, Zeiteehr.
des Vereins f, Volkshinde 15 (1905), 873, mit sehr wichtig Bemerkungen
zur Geschiente und Verbreitung dieses Märchens und seiner Motive.
' Waitz, Anthropologie der Nttturvölker II, 247 : zitiert bei Burdach,
Zs, f. d. A. 27, 351.
' Andröe I, 191.
^ Ganz ähnliche Botschaften mit doppelter Deutung im Alexander-
roman, ygl. R. Köhler 11,^492, und im mdischen Epos Harivamsa; vgl.
femer Ottmann in seiner Ülxursetzung Lampreehts Aiexander (Halle 1898),
zu 1438 f.
Aichiy t n. Spmchen. CXVI. 2
18 Zur EntBtehnng des MftrchenB.
durch Finger, auf ihr beruht ein besonders im Mittelalter gern
vorgetragener Schwank, der aulserdem die Spitzfindigkeit ond
die gewaltsamen Deutungen der gelehrten Theologen verspotten
sollte. Die einzelnen Motive in dem Schwank variieren,' zwei
davon kehren eigentlich immer wieder, und aus ihnen entsprang
denn wohl auch das Ganze. Zwei (spater ein Laie und ein Theo-
loge) disputieren miteinander, der eine steckt einen Finger vor,
der andere zwei; der erste streckt seme flache Hand hin und
der zweite seine Faust. Die natürliche Deutung ist: der zweite
meinte, der andere wolle ihm ein Auge ausatmen, er drohte,
ihm zwei auszustechen, dann meinte er mit einer Ohrfeige be-
droht zu werden und drohte mit einem Faustsohlag. Die künst-
liche Deutung aber war: der eine Finger sollte b^agen, es gibt
nur einen Gott, die beiden: Gott ist ein doppelter, Gott Vater
und Gott Sohn. Die flache Hand : die Welt li^ vor Gott offen
wie eine flache Hand; die Faust: er hält diese Welt fest um-
schlossen. Man hat geglaubt, diesen Schwank aus Indien her-
leiten zu sollen,^ das ist kaum nötig: es gehörte keine unge-
wöhnliche Kunst dazu, ihn aus den beiden Motiven der Finger-
sprache zu entwickeb.
In Indien hatten die gleichen Motive überdies eine ganz
andere, viel künstlichere Entwickelune. Eine Prinzessin spricht
dort mit einem Minister durch die Fingersprache : sie streckt
den Finger einer Hand in die Höhe und fährt mit der anderen
im Kreise herum, ballt die Hand und nimmt sie wieder ausem-
ander, sie legt zwei Finger zusammen und deutet nach ihrem
Hause. Der Minister versteht nichts, seine Frau klärt ihn auf:
der eine Finger bedeutet^ bei meinem Palast ist ein Baum, der
Kreis um den Finger ist eine Mauer um den Baum ; die geballte
und auseinandergenommene Hand heifst: komm in den Blumen-
garten; die zusammengelegten Finger: bei dir möchte ich li^n.
Im Indischen versteht der eine gar nichts und der andere
alles richtig, und die Zeichensprache verwandelt sich in ein ge-
heimes Liebesabenteuer. Dies wurde dann weiter ausgebildet
und verkünstelt, in der yetalapaucavim9ati: da sehen ein Kö-
nigssohn und sein Freund, der Ministersohn, eine Kaufmanns-
tochter. Sie legt einen Lotos ans Ohr, das soll heifsen: ich
wohne in Kamotpala ('kama' das Ohr, 'utpala' der Lotos) usw.,
ebenso deutet sie ihren Namen, auch den Stand ihres Vaters an.
Der Ministersohn versteht alles, führt den Freund in ihre Nähe,
lälst sie das durch eine Alte wissen, und mit der spricht Padma-
vati wieder durch Zeichensprache (sie ohrfeigt sie mit zehn Fin-
» AusführUches bei R. Köhler a. a. 0. 479 f.
■ R. Köhler a. a. O. 489, aber die Parallele aus Somadeva ist wenig
genau.
Zur Entstehang des Märchens. 19
gero; die sie sich vorher mit Kampfer bestrichen, d. h. komme
nicht in den zehn hellen Nächten; sie ohrfeigt sie dann mit drei
blutigen Fingern, er solle noch drei Tage warten, sie sei mi-
wohl; dann schickt sie die Alte auf einem bestimmten Weg
zurück, den geht dann der Eönigssohn).
Hier entdeckt uns die Zeichensprache einen ganzen Roman,
die Schicksale eines Liebespaares von dem ersten Zusammen-
treffen bis zur glücklichen Vereinigung, mit allen Listen und allem
Gedulden, die dazugehören. Dies höchst kunstvolle Märchen, in
dem die ursprünglicnen Motive der Zeichensprache fast ganz ver-
schwanden, drang teilweise zu den Persem, Arabern und auch
nach EuropaJ
Im Abendlande entstand also aus der Zeichensprache ein
hübscher Schwank, in Indien ein kunstvoll aufgebauter Roman.
In Märchen und Sa^e verstehen einzelne Begünstigte die
Sprache der Tiere.^ Auch Salomo verstand sie. Einst zog er,
nach der spätjüdischen Sage, mit dem ganzen Heer in das Tal
der Ameisen, und eine von diesen rief: Zieht Euch zurück, sonst
zertreten Euch Salomo und sein Heer. Salomo aber lachte, als
er dies gehört.^
Beide Züge: ein König versteht die Sprache der Ameisen
und lacht darüber, vermitteln uns auch indische Legenden. Hinzu-
gefü^ ist die glückliche Erfindung, dafs die Iran des Königs
ihn &agt» warum er lachte. Er wul es nicht verraten; sie sagt,
wenn ich es nicht erfahre, so sterbe ich. Aber auf Anraten
dessen, der ihm die Gabe verliehen, bleibt er fest, und als sie
das merkt, läfst sie auch das Fragen.^
Das Märchen hatte nun, ganz unvermerkt, einen hübschen
menschlichen Inhalt gewonnen: es schilderte Art und Neugier
der Frauen. Freilich blieb es noch immer etwas unbeholfen, ihm
fehlten noch das rechte Märchenhafte und die Pointen und die
Kontraste. Alles das erhielt es durch die spätere Kunst, aber
noch vor dem Buddhismus.
* Vgl. y. der Leyen, Ind. Märeken 125 f. Jülg, Mongol, Märehen 111 f.
Cloustoii, Book of Sindibad, 1884, 65. 166. 248. 303. Eiiling, Qennanütüeke
Abhandlungen XVIII (Studieo über HeiDrich Kaufringer, 1900), 71 f.
Chauvin VI, 178 f.; VIII, 75, wo noch zitiert sind: Bwue de trad. pop,
14, 405; Baseet, Gontes d'Äfrique 237; Journal Asiatiquey 1903, I, 348.
* liebrecht, Zur Volkekunde 158. Marx, Märehen v. dankb. Tieren HO.
^ Targum Scheni zu Esther, Eisenmenger, Entdeektes Judentum II, 441.
Qorän, 27, 16--19, zitiert Dach Benfey, Orient und Okxddmt II, 133 f. —
Vgl. aufserdem ders., Kl, Schriften III, 234. B. Köhler II, 610, Amn. 2
(Bolte). — Jataka 386. — Kuhn, Mark, Märchen 268.
^ So ungefähr im Bämäyana. Legendenhafter und langweiliger noch
im Harivamla; da sagt die Frau, sie habe den Gemahl nur prüfen wollen.
Benfey a. a. O. 148. — Dies die ältesten Formen, die seltsamerweise die
späten Epen Überliefern ; das äulkerlich viel ältere buddhistische Jätaka 386
gibt eine viel kompliziertere Form mit verschiedenen Motiv Verdoppelungen.
20 Zur Ehitstehung des MftrchenB.
Es wurde nämlich erzählt; woher der König seine Grabe, das
Verstehen der Tiersprache, erhalten : weil er eine Schlange ge-
rettet ^ oder weil er eine Schlange von der Untreue ihres W eib-
chens überzeugte.^ Aufserdem empfing der Könis die Gabe nur
unter der Beoingung, dafs er keinem davon erzSilen darf. Als
sein Weib daher erklärt^ sie wolle sterben, wenn sie nichts er-
fahre, steht er vor dem Konflikt: entweder ich schweige und
dann stirbt sie, oder ich rede, dann sterbe icL Drittens aber
wurde das Anhören der Tiersprache verdoppelt Als der König
in seiner Verzweiflung dasitzt, hört er, wie ein Bock zu einem
weiblichen Schaf sagt, das Gräser verlangt, die am Rande eines
Brunnens stehen und die der Bock nur mit Lebensgefahr holen
kann: Wenn du um dieses nichtigen Gelüstes willen mein Leben
aufs Spiel setzest, so liebst du mich nicht; ich hole dir die Gra-
ser nicht Damit ist der König geheilt^ er sagt seiner Frau das
Entsprechende.^ Das letzte Motiv brachten cRe Araber in Tau-
send und Eiiner Nacht noch drastischer. Hahn und Hund unter-
halten sich und der Hahn sagt: dieser König macht mir wenig
Eindruck, ich werde mit hundert Frauen fertig, ich verprügele
sie. Und das Verprügeln besorgt dann auch der König.^
Nun war in dem Märchen, wie wir sahen, der indische Kon-
flikt und auch der indische Kontrast: zuerst verlacht der König
die Tiere, und dann verlachen sie ihn. Auch das Menschliche in
der Geschichte war erweitert zu einem, wie wir noch sehen werden,
echt indischen Rezept, wie man Frauen zu behandeln hat In
dieser Vollendung fand das Märchen Freunde bei vielen Völkern;
alle Änderungen, die hineinkamen, treffen nichts Wesentliches.'
Hier wira also, wie in manchen anderen Fällen, ein einfaches
Motiv zu einer lebenswahren Geschichte, indem der Inder es mit
dem Verhältnis von Mann und Frau verflicht, zugleich weibliche
Neugier und männliche Langmut schildert und das Ganze dann
kunstvoll verdoppelt, seine beiden Teile aber in hübschen Kon-
trast gegeneinander stellt^
* So im Jätaka u. im Serbischen, Wak Stepbanowitsch Karadachitach,
Volksmärehen der Serben, Berlin 1854, Nr. 3.
* Auch im Jätaka; hier also die erste Motivverdoppelung. Femer in
der Jainaform (Munipaticaritram) und im Türkischen (bei Rosen, Ikäi
Nameh II, 286).
' So im Jatakoy im Tamuüschen (Babin^n, Mise. Translaiions I, 56)
und TOrkischen, Benfe^ a. a. O. — Auch m der Jaina - Erzählune; der
Bock sagt dort: Ich bm durch Geburt ein Bock (d. i. Schaf), der König
ist es durch sein Benehmen. Benfey, Kl. Sehriftm a. a. O.
* So Tattsend und Eine Nacht und die serbische Form.
^ In Ibiisend und Einer Nacht unterhalten sich nicht Ameisen, sondern
Ochse und Esel, die einander raten, wie sie mit dem Herrn umgehen
sollen. Chauvin V, 179.
^ Eine andere Form des Tiersprachenmotivs ist es, da(s jemand die
Unterhaltung von Tieren oder Geistern belauscht, die Gefahren hört, die
Zur Entstehung des Mfirchens. 21
Vn. Die dankbaren Tiere. Tiere bewahren dem^ der
ihnen wohl will oder wohltut, eine besondere Anhänglichkeit und
Treue. Das zeigt die Beobachtung des taglichen Lebens, und
Geschichten, die, vielleicht auf wahren Erlebnissen beruhend,
ähnliches berichten, reichen gewifs in sehr alte Zeiten. Das
Griechische kennt sehr viele. ^ Uns sind diese Geschichten seit
unserer Jugend lieb; ich erinnere nur an die berühmteste, an die
von Androklos und dem Löwen.
Der Inder kontrastiert sofort die Dankbarkeit der Tiere mit
der Undankbarkeit der Menschen. Ein Affe und ein Mensch
sind auf einem Baum, ein Tiger belauert sie. Der Mensch schlaft
ein, der Affe beschützt ihn und wirft ihn dem Tiger trotz dessen
Bitten nicht hinunter; als der Affe eingeschlafen ist und der
Tiger seine Bitten wiederholt, will der Mensch ihm den Affen
zuwerfen.*
Neben dieser einfachen Fabel bestanden seit alter Zeit kom-
pliziertere, die auch in buddhistischen Elreisen weitergetragen
wurden.^ Statt eines Tieres erscheinen drei und bezeugen ihre
Dankbarkeit verschieden, dadurch wird der Verlauf des Märchens
mannigfaltiger und der Kontrast zur Undankbarkeit des Men-
schen noch starker. Die Vorgange folgen etwa so: drei Tiere
und ein Mensch werden von einem Menschen aus einer Grube
gezogen und gerettet. Die Tiere erweisen sich dankbar. Der
Affe speist den Menschen mit einer kostlichen Frucht; der Tiger
schenkt ihm eine Kette, die er einem Konigssohn abnahm. Als
einem Freunde drohen, und sie abwendet, wobei er sich selbst fast ums
Leben bringt. So z. B. im Märchen vom Typus des Amun Johannes,
dessen Hauptmotive, die Abwendung der Gefahren und das Lebensopfer
des Königs für den Diener, doch wonl aufs Indische zurückgehen. Denn
die Steigerung der Gefahren ist echt indisch (Somadeya : er soll ein Hals-
band finden, das soll ihn erwürben, wenn er es anlegt; er soll einen
Fruchtbaum sehen, wenn er eine Frucht davon ifst, soll er sterben ; wenn
er das Haus des Schwiegervaters betritt, soll es über ihn einstürzen ; und
in der Brautkammer soQ er hundertmal niesen, wenn jemand nicht hun-
dertmal Gesundheit ruft, so soll er sterben), und das Opfer (im Indischen
in einer besonderen Geschichte, die vom treuen Viravara erzählt) wird
gerade im Indischen rücksichtslos verlangt. Vgl. Cosquin I, XXXVIII.
— Beinhold Köhler, ÄufacUxe und Sehrtften 1894, S. 24 f. — Von der
Leven, Ind. Märehen 142 f. — Auch das Märchen von dem, der Geister
belauschte, ein Wnnschding nahm, das sie zurficklielsen (oder von wunder-
baren Kuren vernahm, die er verrichten könne), das einem anderen er-
zählte, der auch zu den Geistern kam und von ihnen empfindlich mifs-
handelt oder bestraft wurde, erscheint zuerst im Indischen : Jülg, Mongol.
Märchen S. 8 f. Chauvin V, 150 f. B. Köhler I, 510. 281 (bes. 286 mit
Nachträgen Boltes). Cosquin I, bes. 90 f. (zu Nr. 7).
^ Marx a. a. O.
* Vgl Weber, Äd. I^udien 15, 808 f.
' Jataka 178. — Cosquin, Lea eantes pojndaires et leur origine. Der-
nier Hai de la gueetion {Compie rendu au troisüme eongrh dee Catholiqttes,
5— Ä Sept, 94), Paris 1895, 8. 19 f. — Benfey, Pantaehaiantra 1, 193 f.
22 Zur Entstehung des Märchens.
er nuD mit dieser Kette in eine Stadt kam, beschuldigt ihn der
gerettete Mensch, er habe sie gestohlen. Man warf den Un-
Slucklichen ins Gefängnis. Da erschien ihm die Schlange, stadi
ie Tochter des Königs: nur der Gefangene konnte sie heilen.
Er wurde befreit und erzahlte seine Gesdiichte. Nun erhielt der
Schuldige, der so treulos handelte, wo doch sogar Tiger und
Schlange ihr Versprechen hielten, seine verdiente Strafe. — Am
vollendetsten und tiefsinnigsten erzahlt die Geschichte die Ber-
liner Handschrift des Pantschatantra (Benfej ü, 128), ihren
Wanderungen und Wandlungen ging Benfey nach. Sie war im
abendländischen Mittelalter sehr berühmt; ihre Einzelheiten wur-
den wohl entstellt, ihr Wesen aber: die Rettung, die märchen-
haften und wunderbaren Gaben, die Dankbarkeit der Tiere und
die Undankbarkeit des Menschen blieben. In Schwaben und
Sizilien lebt die Geschichte als Volksmärchen. Auch die N^er
der Sklavenküste ^ kennen sie, wahrscheinlich durch einen üus-
sionar. Statt der Schlange wird eine Ratte gerettet, diese stiehlt
einen Stein aus dem Schatzhause des Königs und bereitet da-
durch dem Retter Ungelegenheiten. Die Moral ist: 'Man solle
sich das merken und nichts aus dem Hause des Königs stehlen.'
Diese Moral scheint freilich, wie Cosquin meint, eigens dazu er-
funden, um zu beweisen, dafs die Neger nicht einmal eine Ge-
schichte auffassen, geschweige denn sie erzählen können, und
sie wird dadurch zu einer indirekten glänzenden Bestätigung für
die Ansicht, dafs diese Geschichte in Indien entstanden sein mufe,
was ja auch ihre märchenhafte Verwickelung sofort direkt zeigt.
Das Motiv von der Dankbarkeit der Tiere entfaltete sich
noch anders: die Tiere zeigten aufser ihrer Dankbarkeit ihre
Klugheit und verhalfen dem Menschen zu wertvollen Besitz-
tümern, z. B. zu einem kostbaren Talisman.
Solche Wunschdinge : Tische, die nie leer werden, Tiere, die
Gold speien, Kappen, die unsichtbar machen, Schwerter, die keinen
Fehlhieb tun, u. ähnl. ersinnen sich, wie wir wissen, alle Völker.
Die Inder erfinden Wunschdinge, die nicht allgemeine, sondern
bestimmte Wünsche gewähren und Fähigkeiten besitzen, wie wir
schon aus dem Märchen von den kunstreichen Brüdern erfahren
(ein Wagen, der durch die Lüfte fährt; ein Schwert, das jeden
erschlägt); sie verengerten ihr Wirkungsgebiet und konnten sie
deshalb häufen und steigern. Der Inder zeigte aber auch, wie
wenig der Mensch die Wunschdinge verdient; gerade um ihret-
willen entsteht der ärgste Betrug, einer listet sie dem anderen
ab, und oft wissen die Menschen nicht, was mit ihnen beginnen,
sie fürchten von ihnen Unheil und suchen sich ihrer zu belreien.^
' Ccsquin, 22, Journal asicUique 1, 208.
* Ich gebe einige Beispiele. Das Märchen erzählt hier und da von
einer Laute, nach der alles tanzen muß (Köhler I, 55. 61. 89; Ccsquin 1,30;
Zar Entstehung dee Märchens. 28
Zu diesen Wanechdingen gehört auch eb Talisman mit der
Gabe, einen kostbaren Palast zu erbauen, sowie der Stein schwin-
dety so schwindet auch der Palast. Diesen Stein verschaffen
Grimm, KHM & 56. 110). Im Indischen (Ralston. TibeUm Takt 229 f.)
darf man nur die oberste Seite dieser Laute nicnt berfihren. Als das
Verbot doch übertreten wird, fangen Bäume und Sträucher an, sich zu
drehen; beim zweiten Male stellt ein Haus sich auf den Kopf, und das
Gkfichirr geht in tausend Scherben ; beim dritten Male kentert das Schiff,
auf dem die Laute gespielt wird, und alle ertrinken. Man erkennt als
Indisch die Ausmalung ms einzelne und die tragikomische Steigerung. —
Wir kennen aus dem Märchen den Goldyogel: wer sein Herz und seine
Leber iTst, findet täglich ein Goldstück (z. B. Grimm, KHM 60 ; Ralston,
Schiefner 129, XLV; Oosquin I, 78; Köhler I, 409). Im Buddhistischen,
Jätaka 286, erscheinen zwei Vögel, die sich zanken. Der untere si^,
wer mein Fleisch brät und ilst, findet jeden Tag hundert Gk)ldstücke; der
obere, wer mein Fleisch iTst, wird König, wer meine Haut, Hauptköninn,
wenn es eine Frau, Feldherr, wenn es ein Mann, wer das Fleisch an den
Knochen, königlicher Schatzmeister, wenn er ein Hausyater, des König«
Vertrauter, wenn er ein Heiliger. Diese Fülle der Gaben, deren sie sidi
Ao unklug rühmen, wird den unbedachten Vögeln zum Verderben. Ein
Reisigsammler hört sie und packt sie, um sie zu verzehren. Aher auch
er wird in seiner Hoffnung betrogen; eine Welle trägt ihr Fleisch zu an-
deren, die es essen, ohne seine Sgenschaften zu kennen (y^l. auch Steel
und Temple, p. 188). Die Anhäufung, Verteilung und Differenzierung
der Gaben, dals die Vögel sich durch sie den Tod anschwätzen, dafs das
Geschick sie dem Wissenden nicht gönnt und dem Unwissenden dbt, das
sind alles echt indische Züge. Die ganze Kompliziertheit dieses Märchens
hat sich aulserhalb Indiens nicht erhalten; aber dals gerade dem Wissen-
den das Begehrte nicht zuteil wird, dafs die verschiedenen Körperteile des
Vogels venchiedene Gaben gewähren, erzählen, offenbar in &innerung
soldier indischen Geschichten, auch europäische Märchen. — Es mag im
Leben oft geschehen sein, dafs einer dem anderen etwas Hübsches schenkte,
dieser das Geschenk weiter^b, der zweite Empfänger es auch nicht be-
hielt, und dafs schUeÜBlich die Gabe zum ersten Geber zurückkehrte (Oester-
lej, Baüai Pacehiai, p. 177/8). Auch in Indien hat sich derlei gewils oft
ereignet. Das indische Märchen (Einleitung zu dem Zyklus vom ver-
zauberten Thron, vgl. oben Archiv CXV, 278 nnd Lescallier, Le tröne
enchanU 21 f.) machte nun aus der Gabe eine Frucht der Unsterblich-
keit oder ein besonders kostbares G^chenk. Ein König erhielt es und
Kab es seiner Frau, diese ihrem Günstling, ^em Minister, der aus Ehr-
furcht und Zuneigung wieder, dem König. Aufserlich blieb also die Gre-
Rchichte unscheinbar und natürlich, aber sie enthüllte jetzt verborgene
Zuneigungen; gerade durch gute Eigenschaften, Liebe und Anhänglich-
keit, wurden verbotene Verhältnisse offenbar, und die Menschen zeigten
ihre Furcht vor kostbaren Gaben. Verschiedene indische Märchensamm-
lungen kannten diese wandernde Frucht. Da dieselbe Geschichte bei
byzantinischen Chronisten, die zudem Nachrichten aus Indien benutzten,
Rieh wiederfindet (Chroniken Paschale, ed. Dindorf, Bonn 1882, 584; Theo-
phanes, ed. Clafsen, Bonn 1839, I, 158; Malalas, ed. Dindorf, p. 356; Jo-
nannes Antiochenus, ed. C. Müller, fragm. hist, Öraecae 4,535; Kedrenas,
ed. Bekker, I, 591), dürfen wir mit Sicherheit annehmen, dafs sie von
Indien über Byzanz nach dem Abendlande kam. Albrecht Weber, Ind.
Studien 15, 212, der an den Einilufs von Indien nicht glaubte, übersah
die Hauptsache, die unzweifelhaft indischen Charakteristika der Geschichte.
— In emem buddhistischen Märchen {Jätaka 186) erhält einer eine Axt,
24 Zur Entstehung den Märchens.
einem Brahmanen ein Affe, den er gerettet, die anderen ihm
dankbaren Tiere sind eine Maus und ein B5r.^ Kaufleute be-
rauben den Brahmanen des Wundersträis: die Maus weils die
schlafenden Eaufleute, indem sie über sie läuft, in eine SteDung
zu bringen, die die Wiedergewinnung des Wundersteins erm^-
licht; mit vieler Muhe und List wird er aus dem Zimmer heraus-
gebracht Auf dem W^ zum Besitzer fällt er ins Wasser, und
die Maus bewegt die Wassertiere, dals sie ihn suchen und ans
Land bringen. Diese Listen der Tiere, die immer von neuem
verzweifeln, den Stein zu erobern, und es doch immer von neuem
versuchen, bis es endlich glückt, sind im Indischen viel hübscher
und anschaulicher erzählt, als ich es nacherzählen kann. Das
Märchen preist die unverdrossene Dankbarkeit und die immer
neu sich bewährende Erfindungsgabe der Tiere. Die anderen
Völker haben ihr Verständnis für dies Märchen dadurdi gezeigt»
dafs sie es besonders hübsch wiedererzählten. Uns ist es dunäi
Brentanos Gockel, Hinkel und Gackeleia in der anmutigsten Er-
innerung.^
die Feuer macht, ein zweiter eine Trommel, die die Feinde in die Flucht
jagt und ihn mit einem Heere umgibt, ein dritter eine Kugel, die zum
Strom wird und ihm ein Königreich erobert Em vierter hat sich in
Besitz von Juwelen ^bracht (vgl. oben i:^. 16 Anm. 2). die Fingkraft ver-
leihen; er tauscht sie mit der Axt des ersten und iälst durdi die Axt
deren früheren Besitzer erschlagen, ebenso bemächtigt er sich der Trom-
mel und der Kugel und erobert sich mit Hilfe der Wunschdinge ein
mächtiges Königreich. Das für dies Märchen Bezeichnende ist das Ab-
listen der wunderbaren Dinge, und das erzählen denn auch dem indisidien
sehr ähnlich andere Märchen. Am ähnlichsten ist Grimm, KHM 54; da
sind die Wunschdinse ein Banzen, aus dem Soldaten, ein Hfitlein, aus
dem Artillerie und Kanonen hervorkommen, und ein Hömlein, bei dessen
G^ebläse alles umfällt. Alle drei werden mit Hilfe eines Tischlein deck
dich abgelistet; Cosquin I, 128 f.; Chauvin V, 259 (der Eingang von
KHM 54, der eine Bruder fiindet einen Silberbere, der andere einen Gold-
berg, der dritte ^eht weiter, hat sein Vorbild aucn im Indischen : PanUeh.
y, 8). Die Märchen bei Grimm, der Krautesel, Tischlein deck dich, sind
in der Grundidee verwandt (vgl. Somadeva X, 57, Zukunft vom 23. Dez.
1899, Beinhold Köhler I, 186 und Baiston, Tibetan Tales 221). Zu den
Wunschdineen im allgemeinen: Chauvin V, 229 f.
* Cosqmn 20 u. Anm. 2. B. Köhler I, 63. Jülg, Mongal. Märeken 60.
Benfey, Pantsehatantra I, 211. Panzer, Hüde Gudrun 168. Prym Sodn,
Syr, Märchen 402.
* Dals die unlösbaren Aufgaben im Märchen (vgL oben Arekiv CXI II,
256 Anm. 4) durch Hilfe dankbarer Tiere gelöst werden, die der Held
schonte, mag auf indische Motive zurQckeehen (vgl. Benfey, PantsehaUmlra
I, 217). Von diesen Märchen oder ähnlichen aus gelangten die dank-
baren Tiere wohl auch in das Märchen von der eingescmichteiten Seele
des Biesen (vgl. oben Archiv CXV, S. 8 Anm. 3 und S. 288).
München. Friedrich von der Leyen.
(Schlufs folf^t.)
Die Bnrghsehe Gato-Faraphrase.
(Sohlnft.)
IV, pnwL GXIX.
What wiht that Hat to leede in BÜdrnesBe
837 His lif and keepe hia soule from acoombraunce
Of vioes, which a-yens *food thewee expresae
Beth at stryff, com yiff ^ood attendaunce.
840 Thes i>receptiB keepe wel in remembrance.
Enrollyne hem and pryntyng in vour mynde.
How to lyre wel, the mene shal *ye fynde.
IV. 1 CXX. fol. 103^
843 The foule talent of richesse, my child, eschewe.
Beeemble nat the gredy Tantalus
Whos etike in hungre ia alway newe
846 Among the fair applis delidous;
Ne watir swete auenchythe his ^thuret riht thns.
To the violente swoiwe of oouetise
849 So al this World nat can ne may suffise.
IV. 2 CXXI.
Natur can be with litil thvng oontente,
As in diete a man Bhuld neuer Charge
863 HymBÜf with mete; for many men be snente,
For their receitis ben to grete and large.
Men *8e0n al day: the litell boot and oarge
866 Woi drench a-non, whan it iB ou^r-freiht.
CheriBsh nature, but hurt *hir nat *fcfth weiht.
IV. 3 CXXII.
Iff *thin thyng thou happe to '^myBgou^me
868 Withoute reBon or any prouydence,
Than, myn owne child, of me thiB lesBOun lerne:
Sey naty it was thi fortune such expence
861 To make, but wyte it thin owne necligence.
For fortune may neuar compellen the
Thi good to spende but at thi Uberte.
IV. 4 CXXni. fol.104'
864 Loue the peny as for cheuysaunce,
Nat for the coyn to hoord it *rp on heepe.
838 good f. G«/ 842 he C, he Uiv, the He, ßu HoDFc 847 thrüt CM,
tkirtt aAd, tkruMt HEFc;^, portt Ho 854 seyn C, satjne F, «ey Hb 856 nat Mr & \\
wkk f. & 857 tkyng thin CR, tkmg of thyn Hb | w/tgouere C 866 m G tv Z •«,
t^? m Hb, ofi BCpwDFc
26 Die Burghsche Cato- Paraphrase.
For of the prynte was maad an ordinaunce
867 Nat for it ahuld *in eoffres lye and ÜBepty
But for ü shuld among the pepie leepe
In ther eschaunge. Who kepitn it inne
870 As for the founne, is söget vnto synne.
IV. 5 CXXIV.
Whan thou hast plente and art pecuniall,
I meene, whan thou hast erete suffisaufice,
873 Off mony foisoun and of heltne but smalle,
Than spende thi monay and thi seife avaunce.
Eeepe neuer thy coyn and lyve in grevaunce.
876 The seek hathe siluer in fui grete excesse,
But of hymsilfe hathe he no sikimesse.
IV. 6 CXXV.
Thouh somtyme thou suffre the srete sharpnesse
879 Off betyng, yit thi maistres cnastisment
Take weel in sree withe lowly ^humblenesse,
Sith it is 000 al in good entente
882 To cause the lore and wisdom for to hente.
And thouh his woordis * sownen ful of ire,
Yit suffre thou the talent of that sire.
IV. 7 CXXVI. fol. 104"
886 Also, my child, thou shalt the occupje
To werche thynges, that ben profitable.
But look thy vnttis thou neuer applie
888 To thyng that may nat ben aauavlable.
To caste a thyng, that is nat profetable,
By wit or stren^he, it is but grete errour:
891 Dispeired hope is ende of suche labour.
IV. 8 CXXVII.
WJian thou shalt yive, than yive in freendly wise.
Frely content a prayere o) requeste;
894 For thyn^ yoven be tyme is yoven twise.
Sith gladsom cbeer makith *yift%8 ncheste,
Who yiveth gladly and soone yeveth beste.
897 Lo, no thyng may bettir freende conquere
Than man to ^leene, that he may weel forber.
IV. 9 CXXVIII.
Whan in a thyng thou haste a coniecturey
900 Ab in thi conceyt holdyng it suspecte,
To discusse that thyng a-non do thi eure.
For at the first whan such thyng is reiecte,
908 The reste is aftir esy to correcte;
*And thyng, that at the firste is nat sett by,
Is *oftyn seyn to greven fynally.
867^ und 868 '^ f. nt, dafür neu nach 868 in a: Bui oonly tktr lyvyng ikertritk
to reepe (but f. Hb, for to gtete [st. re^e] Hb) 880 kumbletse ^RHf, humiffy-
netM He 883 6« sowen rS^ towen Ha Fe, sowne CpAo^, sowne is v, 9oumdem x,
sotmd H, SMu Hc 895 yißu f. & 898 oder 1mm? (b. Ozf. Diot. unter Lend ▼',8, a-b),
he» aCpHfCz, lend« RHc, Iwe Hb Ad 904 A CHbao; 905 oftyntyme CUb, o/ie
tffWM A, o/ren tyme» u)
Die Burg^che Cato-Paraphnwe. 27
IV. 10 OXXIX. fol. 106'
S06 And whan thou arte disposid iDwardli
To Venus actis, than represse corage.
Fostre nat thi fleessh to lustilj.
909 For [*] grete diete makethe the flessh outrage,
Where-as mesare myht cause it asswage.
And glotenye is clepid cheeff *promotrice,
912 Leedyng the fldssh to wantounnesse and vice.
IV. 11 CXXX.
The ranpaund leoun and the tigre feile,
The irous boor, the hound ral of envve
916 And bestis moo than nedithe heer to teile
Men dreede ful sore (md fer herr tyrannye;
And wel thei do. But yit oon best I espye,
918 That is to feryn most in espedal:
*Mann ja * the beste, that tnou moste dreeden shall.
IV. 12 OXXXI.
The vertu, that is clepid fortitude,
921 Stondith nat alle m strengtiiis bodyiy,
As to be virouB, myhti, strong and rüde;
But in the souie it must wsa sikirly.
924 Than, if thou wilt thi-selfe fortifie
Thi soule withynne acqueynte with sapience;
And than shalt thow be strong in existence.
IV. 18 CXXXII. fol. 106»
927 "^Wha/ thjrng in erthe thou shalt take on *honde,
And thi Supporte shal be in freendlynesse.
No Strang wint on lyue so nyh wol the stonde
930 As thi knowen ffrende, mv child, this is expresse;
Off the straungier haste mou no sikimesse.
For whan all othir ben ful ferr to seche,
933 The feitheful knowe freende kan beste be thi leche.
IV, 14 CXXXIII.
The deethe of bestis, that beth vuresounable,
As bi custom *and riht of sacrifice
936 To purgyn the, is no seth greable.
Trust nat as so to gete thy reprise;
For thei, that trust so, ben ful vnwise.
939 Bi dethe of bestis Gknl wil nat queemyd be.
And man a-bide in his iniquite.
IV. 16 OXXXIV.
Whan thou wolt chese a freende for trustynesse,
942 Than of his fortune make noon inquiraunoe;
For fortune is moodir of changeabilnesse.
Aske of his liffe and of his gouemaufice;
945 For that is preeff of grettir suffisaunce
909 /!W a C 911 prwnotict Cd 919 momijy« CHb | /A« f. rnvk¥c 982
p«rottf] vroctf v (eurou$ x) 987 whan r | kande CftYAd 935 and und of ntn«
gestellt in a 936 no seihe] nothyng H, not Db, no feith Hf, no tuche Hc Ad
28 Die Borghsche Cato-Paraplirase.
ThAn Tie or fortane, that is caanell.
For liff of maD his fortnne dothe exoell.
iv. 16 i;ajla.v. fei. 106*-
948 Vte weel the richeBse. that thoa hast ^of qaeste.
Off avariae the wikkid name eechewe.
Lat nat thi good *be stoppid in a ehest
961 Eeepe nat Üiy stoff ay cloeid stille in mewe.
Sucne old treBoor wol make thi shame fnl oewe.
What pnofitethe plente of grete ^tresnr
964 And in ponerte a wreoche alway endure.
IV. 17 GXXXYL
Iff thou deeir to reioisen thi fame
In honeste, whil thou lyvest heere,
967 Eechiew *the thinges, that mav cause shame.
LikerooB lustis mast be leid on beer
And thinges feie, that fol ioYous appeer.
960 This worldis ^toye is ay fal denectyfe:
Be war of ioye, that horteth thi good liffe.
IV. 18 cxxxvn.
And ay, my child, conoeyve and adaartise,
968 That neuer thou skome feeble stoupyng age.
Thi *elderis, my child, for nothvng *ihou despise,
"^ThouA in ther wittis *thef oe natt so sage
966 As in ther *youth, sith age is outrage.
Whan age oometh, this is sothe certeyn,
A man Segynneth to ben a chyld a-geyn
IV. 19 CXXXVIII. fol. 106^
969 Enforoe thi wittes somwhat for to lere;
Acqueynte the withe connyng. For that is sure,
Iff fortune chaunge and than ]x>uert appeer,
973 *Who that haue konnyng, is likly to recure.
Konnyng and crafte *remayne and endure;
And bi them a man may *him-silfe releve,
975 Whan fortune hathe caste hym in to myscheeffe.
IV. 30 CXXXIX.
Be stille in silens with apvisenesse.
Taiv, my child, til othir men hau seid;
978 So shalt thou lerne somwhat in sothfastneese.
Latt nat thy tonge sodenly be vnteid;
For that myht the of hastynesse abreld.
961 Bi manys woord his maner *w«l be schewed.
Bi woord is knowen the wise man from |>0 lewid.
948 0» CHb, ;^ CpHeD 950 /y C^YHf£ 953 CreMMr rAHfS, trt-
«oore Ho 957 thei C, ihoo ^ Cp O He, f. (> E ^ 960 yay C, phmr^ Hb 964
aU^ru C, eidere FRv \ thou f. CH^u kDFc 965 Oou G, thow Hb | O« C H.
f. Hf 966 iJumht a, thowtk Hc, yonghe A, yomgith Hf 97S whai r 973 rcMay
neike ^ Hb Cp Hf He i^ D, remaynen M 974 tkm tiffe C 980 abrtUl] lyftrcMb
xD, vbtreyde He, breyde Hc, umbrayde Ä 981 tootd G, wol RHfTHeO
Die Barghflche Oato-Paraphrasa 29
IV. 21 CXL.
Thouli in konnyng thou have ful grete conceit,
961 Enforce *<Ae ay yit to lerne more.
The sonle it ia, tbat must be the reeeit;
Beplenissh hir with that treeoiir and stör.
967 Vse makithe maistrie; vse konnynff therfore.
Vse helpethe art, and eure helpithe the witte;
Than vse and *eure to konnyng moste be *kn«tte.
IV. 22 CXLI. fol. 1(X7»
990 Bodv from souie mnat haue disseueraufice.
Dethe is ende comoun to euery wiht.
Charge nat to muche therfore of dethis *chau»ce;
996 The tribut of dethe must thou pay of riht.
Bat ^rit bi dethe shalt thou eette more liht,
Iff bi this liff thou sett no thvng expresse;
996 It 18 so fol of woo and wreccni&esBe.
IV. 26 CXLII.
*Lere of the wise and teche the vnkunnyng.
For it is vertu and *ful commendable
999 Tencrese doctryne thoruh such oomonnyng.
It is alway a deede charitable
To lere and teche; it is ful greable
1002 To Qod. Doctryne kepithe vertu on lyve.
Whiche ne were» doctryne soone from man shuld slyve.
IV. 24 CXLIII.
Drynk nat to muche, no mor than ^\x maiste bere.
1006 Bewle thy-silfe bi the bridil of mesure.
To muche drynke wol the annoy and dere.
Surfette is euermore of helthe vnsure;
1006 And mesur makethe men in helthe endure.
Whatt man is rewlid aftir lostys vile,
In good astate ne may a-bide no while.
IV. 25 OXLIV. toi. 107*^
imi And iff hit happe the in audience
An thyng to preyse, be war, that thou ne blame
It eft affeyn riht in the aame presence.
1014 Iff tnou dispreise, comende nat eek the same;
Off suche trauers must needis risen shame.
To preisen now and eft to blame douteles
1017 It is a thynge of grete vnstabilnesse.
IV. 26 CXLV.
Whan thou lyuest beer riht at thyn owne ese
In al thy ioye, rest and prosperite,
1020 Thynk the per-case adiursite may sese;
For *weithe stondithe nat in sykirte.
And also soone, whan any aduarsite
984 f. C, (At F, tJd Ulf Ue D 96» f. C Hb B AMette C 992 ehatmge 0 Ad
997 Tere G, ferne HbACpxO^ 996 f. ^RFc, aito Hb, at ai lywu to 1003
»leyw H, »lyffe h Hc, »Iryvt D, achyvt Fe, ßtut Cp 1021 welAe C E, tomrih Ad
80 Die Barghsche Gato-Paraphnuie.
1028 Aflsautethe the, yit fall nat Id dispeire;
ThjDke in thi-silfe: good fortune may repdre.
IV. 27 CXLVI.
It is ful fair, my chiid, [*] to be prudent
loac And wys; looke thoa lere ther-fore.
To lerne ay, mr sone, do thyn entent.
Bi diligent Dysynesse wisdom is more.
1029 Wisdom is she, that mav nat be forbore.
The rare pradence, that foUces nyce refuse,
Can nat ben had bat bi procesee and Tse.
IV. 28 CXLVII. fol. lOtSf
1082 Beware alway, that thou neuer enhaunoe
In thi lawde or preisyng a wiht to hihe;
For thou mayste haue cause eft to [*] dissavaufice
1035 The same. But av thy preysyng modifie.
For att oon day tnou shalt */W wele espye,
*Whe<Aer he be freende, that freendly seemythe;
1088 For all be nat freendis, that men demethe.
IV. 29 CXLVIIL
Be nat asshamed, my child, also to "^lere,
*TßuU thou canst nat; for it is bot a tecche
1041 Off foly nat to desire^ doctryne heere.
Ful wel is he, that to konnyng may strecche,
Sithe konnyngles a man is but a wreoche.
1044 To könne moche is riht oomendable
And nouht to könne is ay reproveable.
IV, 31« CXLIX.
The soleyn stille oft meenethe [*] fraude and güe;
1047 Off such a man eechewe the oompanye.
For the stille man oompassethe otiiir wule
Withynne his herte oisceit and trecherye.
1050 In floodis stille is watir deep and hihe.
In stremys softe seemyng to thy plesaunce
Ofte betidithe ful vnhappy chaunoe.
IV. 32 CL. fol. lOb»
1068 With thi fortune whan thou art discontent
And kanst nat take in gree thin *adua»iture,
Behold and feele in thin aduisement,
loöG How thei, that whilom wer as thou as sur
And more likly in welthe for to endure
Bothe fore bounte and eek for noblesse,
1069 And yit haue * falle doun *ifUo wrecchidnesse.
IV. 33 CLL
Attempte the thyng, so as thou maist suffise.
Passe nat thi myht Bere nat to hihe thi saile;
1025 for to T 1034 to do C 1086 fui f. C 1037 whedir CHUfUeAU.
wkert Fe 1039 lmm€ t Hb 1040 if 9' K 1046 of fraude » 1064 adti^tktrt C,
apfnture v 1059 dou» faüe r | imio] doua C, tu F H
* IV. 30 folgt als Strophe OLIV.
Die Borghsche Cato-Paraphrase. 31
1062 Ther is pereil, if that the storme a-rise.
Serteyn, mj child, this is wlUiouten faile:
The yessel smalle is at ful grete a-vaile,
1066 Whan with his ore to londe he may a-reche,
Where*aB the sailes hihe ful oft go to wrecche.
IV. 34 CLII.
A-^eyD8 the trewe iuste man brawle nat ne stryTe;
1068 For to Grod a-boue that is displesaunce.
Trust this trewl^: heer is no man on lyve,
That to the luste man dothe dere or greuaunce,
1071 fiut at the laste God wol take yengeaunce.
And heerof it *is good heed [*] to take:
The riht-wiseman of Grod is nat forsake.
IV. 36 CUII. fol. 109'
1074 Iff extorsioun or mysauenture
Haue plukked at the and maad the threedbare
Off richesse, yit do thou thi force tmd eure.
1077 To be mery and eschewe thouht and care.
For fretyng thouht is a ful cursid snare;
Cum nat ther-in. Fortune is vnstable.
1060 Aftir pouerte richesse is prdgnable.
IV. 30 CLIV. ^
Venus is reedi to all hir actis vile,
Whan he, Bachus, hathe set hir in largesse
loes The tresour of his hoote and feruent yle.
Therfore, my child, Üiin appetite represse.
In wynes hoote doo nat to grete excesse.
1086 Drynk, that for thi soule is expedient.
Esäiewe stryffe. Withe mesure be content, j
IV. 36 CLV.
It is an härme the *gCK>des to forgoo,
1089 That ben on hande, bi force and violence.
But yit| my child, *Üiou most considre, who
And wliat he is, that dothe the such offense.
1092 Bi-twix freend and fco haue ay a difference;
For in som case thou most a freend forbere
And suffre hym, thouh he *annoy and deere.
IV. 87 CLVI. fol. 109^
1095 Be nat to sure, that thou shalt lyue heer lonu;.
A wyht shal deye, idle be he lothe or leefie;
And as the old so deye the yonge a-monge.
1098 Dethe stelithe on, as dothe a pryvy theefe.
Loo, a-yens dethe men fynde no räeeffe.
She is a-boute to make a devorse
1101 And folwethe ay the shadwe of the *cor8e.
IV. 38 CLVII.
Seme ay thi God withe lowly obseruaunce,
Withe herte entier, withe swete smellyng encense;
1072 » f. CHb [ forto C 1088 good CHHc 1090 tho C, <Ac Ha He 1094
anmtif C, «oy fHciv 1101 corpn i^R, eour$e Hf
82 Die BarghBche Oato-Paraphnae.
iioi Such Bacrifice is moost to bis pleBaunce.
Off calues amale, that neuer dede offenoe,
Thooh thou hem sie, the blood may nat diBpeoce.
With the lat ^hem growe and awynke in {>» plonhe.
Thin herte to Qod is suffieant *i-nouh.
1X07
IV. 99 CLVIII.
Yiff place to hym, that exoedith thv myht:
uio Thouh thou be hurt, it may prorette parchaufice.
And aeeld availethe a man for to fiht
Affeyns such on, as passith his pusaunce.
1118 Thouh he greve *not0, yit "^efte ne may ayaunce.
Ful oftyn is seyn aftir the grete duresse
The myhty man wol "kithe his gentilnesse
IV. 4^) CLIX. tfA. IKK
1U6 Aftir thy^ surffet and thi grete offence
Chastice thi-silfe, correcte, that is a-mys,
Correcte tili gilte, amende thi necligenoe.
1119 Sorwe for synne a verray medycyne is.
Bepent the *sore; than art thou saufe iwis.
For fisik seithe, my child, I *ihe ensure:
1122 A bittir drynk the *sharpe sekenesse may eure.
IV. 41 CLX.
Yff thou haue founde longe frenship in a wyht
Ful ]^ore ago, thouh he begynne to chaufu»,
1125 ^Dispretse hym nat; men bide nat in oon pliht
*Somtyme was an abbey, Üier is now a graufige >.
This worldis ooura is ful queynte and stränge.
1128 But thouh the man as now be wax vnkynde,
His olde frenship remembr in thi mynde.
IV. 42 OLXI.
Iff it vre the in office to be sette,
118J Than be thou gradous to othir men.
Thei may report: a goodly man is mette
With sucn office; and so good fame shal renne
1184 • A-boute of the. But */ ensure the, whenne
Thofficer is vnkynde, than seithe the pres:
Now wold God this man *were offic^es.
IV. 48 CLXII. fei. uo»
1187 Be nat suspect; that is a wückid teoche.
The suspect wiht with cowarde ielousnesse
In his lyv^ng is but a verray wrecche.
1140 Mucn IS a-mys, and all wold he redresse.
Hee deemythe fals and failethe hertyneese.
1105 dede CHerc;, deden D, dide ttbr. 1107 kym CDbAd, Jkim R, tUm MCp,
tkaym £ 1108 l mouht C 1113 nat CHRUe*» | ofU i9-Cp, f. v 1115 kitken r,
kythi/fh H 1180 wriM r, tortfuUy D, f&r y Fe 1121 the f. t 1188 ekarper OD
1125 displeu CHb, ditpraue Q, disprtire Yx 1186 aometywus C, some A 1184
/f. Cv 1136 w C
' Vi^l. Skeltoo, Colin Cloute : (Jf am ubbayt yt make a gratmge.
Die BurghBche Cato-Paraphrase. 33
His fals conceyt, set in malencolye,
1U8 Slethe hjm a-noon; *deih endithe hia folye.
IV. 44 CLXIIl.
Iff thou haue men withouten liberte,
Such as be clepid the men of bondage,
1146 Thouh thei ben yndir thi captyuyte,
Yit oner such men be neuer outrage,
Iff thei be holden Tndir thy fseruage.
1149 Thouh thei be bonde, yit verray men thei be.
That *thef be men, than ay remembre the
IV. 46 CLXIV.
Thi first fortune receyve withe reedynesse;
1162 BefuBe it nat, thouh it be scant and smalle.
It is wele bettir in gree to take the leese,
Than refuse it and aftir faile of alle.
1166 Tiftis of fortune take them as thei falle.
Forsake hem nowe, and efte thou shalt *hai4e neede.
• Tyme is to take, whan men profere and beede.
IV. 46 CLXV. fol. 111'
1168 Reioyse thou neuar, my childi in al thi lyve
Tue sodeyn dethe of a cursid man and wrecche.
Whan he is deede, the soule may nat revive;
1161 Fro peyne to iove that spirit may nat strecche;
The leendis holdyn so sore, that thei may kecche.
Who lyuethe wele, ful wele edi:e deyethe he;
1164 That soule is sykir of grete felicite.
IV. 47 CLXVI. ^
Iff t^ ju haue a wiffe in assurauttce,
Than trust hir weele and Iove hir inwardlye
1167 Withe herte and thouht and al thvn affiauitce.
Be nat infecte with suspecte ielousye.
lü no deffaute in hir thou kanst espye
1170 And if thi freend teile the, suche is the *f&me,
He is a freend and she nothyng to blame.
IV. 48 CLXVII.
Whan thoruh stody and lonse ezcersyce
1178 Thou knowest mochil and hast grete konnyng,
Yit do thy diligence in besy wyse
More to könne; it is an hobom thyng.
1176 To grete honour konnyne may the bryng.
And ay eschewe nat for to be tawhte.
Withoute techyng science wol nat be kawhte.
IV. 48 OLXVIII. fol. iw
»' ^ 1179 And if thou ouht maruayle and lest to muse,
] In nakid *woordM, why my verse I write,
114S f. GHRFb, this F, thu» Hb, thu» d€th A lo 1160 tke C 1166 kern
CHb, them Cp, f. M B 1170 tam€ CR 1179 kat CHc, kut «^ B Ad, lyitene Hb,
Hgt oder lifsis flbr. 1180 woord rR
ArchiT f. n. Sprachen. CXVI. 3
84 Die BuTghsche Cato-Paraphrase.
In no wise I may me bettir excuse,
1182 Than sey: my witt so dal and vnporfite
Artith me thua rudely for tendite.
Bi too and too mv metre for to knytte
1186 Nat cauaeihe me but sympiineBse oi witte.
Explicit aeeundum Magiatxum Benedich«m cr»do PJ De. b. [oder y oder s]
Koiophon: ExpUcü Cato x, ExpUeä kie Oato dam castigamma nato FAY (in F
folgt noch : Iste Cafo erat umu »vy\ prudendum Rome.^ dato et Plato et ceter» . Deiur
pro peitna »eripiori pulcra pu [i. e. putUa]. T. B. J. P,), ExpUeU Über QUomt "EL Hb
Ha Ml (in Ha dahinter noch Iran^osiiut in AngKcum; in Hc: Explicet ISbtr Cai/mys
compositum per Magjxirxim Benedyclum Beruh, vicarius de ÄfeUdcun m Euex; in Hf
dahinter noch: compotituB per MagtMtram Benedictunk Burgkf vicarwm de MeUdoua
et cetera; in M noch: quod scripci [sie!] da michi qmdmeruL G.U.P.), Thme emdük
Catoim pat Moftfo and worthi cferke, as here ii shewUh bif ki* cotnmendable werke G,
Pars quarta et vUima Cp, fehlt übr.
Lexikaliflch verdienen folgende Wörter unseres Textes Beachtung, die
zumeist frühere Belege bieten als das Oxford Dictionary (OD). Die we-
nigen dort, d. h. in den bisher yeröffentlichten Teilen, noch nicht ver-
zeichneten Wörter, Formvarianten oder Bedeutungen sind mit einem Kreuz
versehend
Accombrcumee 837 fVar. : encombraunee SMv, incumbraunce Xt combe-
raunce AxHcD) 'Bescnwerung, Belästigung'; im OD zweimal seit 1489
(Caxton) belegt.
avaüable 153 ( Var. : vailable H C Fe, vaüeabU F A Fb), aduaylable 888,
an letzterer Stelle synonym mit profiiable gebraucht, also ^nützlich' be-
deutend; in diesem Sinne seit 1474 (Caxton).
aggregge 408 (Var. : <iggruggtth C H Hb A Cp ;k ; engreggüh Q Hf He D ;
eneroehitk M, engrocekeih a, ingrogit Fe, engreehith YHcj, trans. f'iil^^''
drücken' {whan dreede of dethe a man so aggreggithe). Diese Bedeutung
fehlt in O D ; doch ist die daraus abgeleitete intransitive Bedeutung 'to
be heavy, to be weighed down' aus Gower daselbst belegt. — Die Va-
riante aggruage gehört zu ne. aggrudge 'to grumble' {O D seit 1470)| mufs
aber hier faxtitive Bedeutung haben, etwa t*to annoy, dissatisfy', wie sie
auch das im Promptorium rarvulorum (O D) bele^ Partz. aggrogg^
^aggravatus' verlangt. — Die zu ne. enerotieh zu ziehende Variante 0»-
groccheih ist als frimester Beleg zu notieren, da O D diese Form erst aus
dem 16. Jahrh. kennt. Die beiden anderen Kontaminationsformen, mgroge
und engreehe, fehlen O D.
agffrugge s. Mgregge,
arable 350 (Var. : areable Cp, erable Db;t) 'beackerbar* (O D seit 1577
Tusser).
a-setke 562 (Var.: feith Hf, seetke Hc; aseth HeA, a seihe übr.) in
Eope . . . shal make tke a seihe 'dir Genüge tun, Vergeltung schaffen'.
Wenngleich auch sonst öfter das Präfix a- getrennt geschrieben wird, po
scheint doch das Übereinstimmen fast aller Handschriften (nur He und
A schreiben aseih zusammen) darauf hinzudeuten, dals in diesem Falle a
' Die hier gemachten Zasammenstellongen haben in erster Linie den Zweck,
Ergänzungen zu diesem nicht genug su bewundernden Kiesenwerke zu geben und
dadurch dem jedenfalls einst notwendig werdenden Supplemente vorzuarbeiten. Da,
wo dae Oxford Dictionary nicht zum Vergleich vorlag, habe ich solche Wörter
notiert, die ich im Mittelengliaohen sonst nicht oder nur einmal nachweisen konnte,
mochten »ie im Neuenglischen auch noch so bekannt sein.
Die Burghsche Cato-Farapiirase. 35
als unbeetimmter Artikel und sethe als die Form des Substantivs empfun-
den wurde. Geradezu beweisend für diese Auffassung ist das Voncom-
men yon no seihe 936 (Var. : fio feith Hf, notkyng H, not Db) in w no
sethe greabU, im Sinne einer starken Ne^tion etwa 'keineswegs'. (OD
belegt unter ctssuth ein schott na syth 'kemeswegs' um 1600.) No sethe ist
zu a sethe offenbar nach Analogie von no del : a del usw. gebildet. Im
Lichte dieser Tatsache ist nun wohl auch das in der Handschrift Hc und
in den Paston Letters (OD) erscheinende seethe anders zu beurteilen, bei
dem man sonst einfach Apharäse des o- anzunehmen geneigt sein könnte.
(Utentyfhesse 765 'Aufmerksamkeit' (Var. : ententyfhes K A Hc) ; O D
bele^ das Substantiv erst seit 1549, das Adverb attentifly aber schon aus
Wyclif. Die Variante -f ententyfhes entspricht dem ne. mtenttveness 'clo-
seness of attention', welches OD seit 1561 nachweist.
Schul
ACprxg; — a tffayt Hc). £^n Verbum atoite 'tadeln' fehlt OD, dage^i
steht es bei Mätzner. Allerdings ist von Mätzners zwei Belegen der eine
abzulehnen; denn die Shoreham- Stelle (ed. Eonrath S. 94, V. 248) ver-
langt die Bedeutung 'rächen, vergelten', so dafs hier sicher mit Kölbing
das überlieferte atcyte in aetoyte zu ändern ist. Der zweite dort angeführte
Beleg stammt aus Stans ptier ad mensam V. 28, wo das Jesus -Ms. 56
(Bei. Ant. I 157) atoüe hat, andere Handschrift^ aber aUwite (Hazlitt
B. Pop. Poet. III 25) oder edtoüe (Fumivall, Babeee Book, S. 29) lesen.
Der letzteren Lesarten wegen hat 0 D die Form des Jesus-Ms. offenbar
als Schreibfehler angesehen und darum awüe nicht aufgenommen. Nach-
dem aber an unserer Cato-Stelle sechs zu verschiedenen Gruppen gehörige
Handschriften ein awüe bezeugen, wird an der Existenz einer solchen
Nebenform kaum mehr zu zweifeln sein. Natürlich handelt es sich um
Präfix -Vertauschung oder -Reduktion zu me. ahoite, ae. cettvitan: zeigt
doch das Spätmittekngllsche eine starke Neigung, a- nicht nur für on-,
of-, and-, ge- eintreten zu lassen, sondern auch für up- {abraid 980), en-
(aeeombranee 837) u. del. m. Vergl. übrigens auch ne. ado und aiioors
(V. 726 lesen alle Handschriften cUwyte, nur h educyte).
Beer 958 'Bs^re' : fio be leid on beer 'zu Grabe getragen werden', dann
hier fifl-. von bösen Lüsten 'aufgegeben werden'; vgl. Ol) io bring on bier
seit 1480.
berde 722 'Bart': feaste in ihy berde 'dir ins Gesicht schleudern'.
Casuel 274: ü is a easuel 'es ist ein Zufall'; frühester Beleg für die
Substantivierung des Adjektivs (Einenkel, Streif züge, S. 30), die O D seit
1566 bezeugt.
ehynehe 787 'geizen': ihe nygard ehincheth in HbDb (in den übrleen
Handschriften ist ehynehe 'Geiuials' Substantiv). Das Verbum ist bisner
(O D) nur aus dem Prompt. Parv. und einer Handschrift des Piers Plow-
man bekannt. Die Variante ehwige G ist bisher ungebucht; vgl. dazu
O. Ritter im Archiv CXV 174.
eondude 611 'folgern' mit prädikativem Adjektiv : to eondude ihe bodu
vnapte. In dieser Konstruktion bisher erst seit 1628 nachgewiesen, doch
mit prädikativem Substantiv schon seit 1512.
eonsumyng 357 'zehrend' (von Kräutern) im Gegensatz zu nutritive.
In diesem medizinischen Sinne ist sowohl das Verbaladjektiv wie das Ver-
bum bisher erst aus dem 17. Jahrh. belebt.
eros ne pile 718: Sum man . . . that hathe nouthir cros ne pile 'weder
Vorderseite noch Rückseite einer Münze', d. h. 'gar kein Geld'. Diese
Form kennt O D erst seit 1584, jedoch ptU ne crouehe schon aus Gower.
eryminous 745 'eines Verbrechens schuldig', so von Personen seit
1585 (O D).
Deffeetyfe 960 'unvollkommen'; frühester Beleg bisher 1472.
86 Die BurghBche Cato-Paraphrase.
-f delaviaunce 69 (Var.: ddeoyancB Hf, ddauans M; — daUaunce ACp
r Hc E Fe if>). Die zuletzt genannte Variante, welche dem ne. daüianee
'Tändelei' entflpricht, pa&t metrisch und inhaltlich nicht recht in den Zu-
sammenhanj^, da das delaviaunee of woord eaehewe parallel mit to he sttUe
and keep tht Umge in mewe steht und ein lateinisches eampeseere linguam
und taeere Dist. 1 8 wiedergibt. Dag^n ist metrisdi nichts dnzuwenden
eegen das durch 18 Handschriften gesicherte delaviaunee. Ein solches Wort
tehlt nun zwar bisher in unseren Wörterbflchem, ist aber leicht als Ab-
leitung zu dem me. ne. delapy 'überströmend' > 'unmftfsiff' zu erlcläreo.
Obendrein findet sich ein zu demselben Worte gehöriges Substantiv ddavi-
ness 'Unmäfsigkeit', das ebenso in Bezug auf das Sprechen gebraucht wird
(z. B. bei Wyclif : dilavynease of hinge) wie unser delaviaunee. Letzteres
wird daher die gleiche Bedeutung haben, nämlich *MalslosiRkeit'.
delyueraunee 571 ^Var.: delil^aunee «Cxi. Das me. ddivertumce 'Be-
freiung^ pafst mit keiner der im O D angeführten Bedeutungen in den
Zusammenhang unserer Stelle, die ein lateinisches Quod sequitur speeta
quodque imminet ante videto (Dist. II 27) wiedergibt Dag^n würde sehr
gut pass^ die Bedeutung, die sonst ne. deliberatian (lat. aeliberatio) hat,
nämlich 'Überlegung, Erwägung'. Dals wir tatsächlich ein me. deliveraunee
mit der Bedeutung 'Erwägung' erwarten dürfen, wird uns klar, wenn wir
sehen, dafs es im Mittelenglischen auch ein Verbum deliver mit der Be-
deutung 'erwägen' «ib (6 Belege in O D). Für dieses galt ursprünfflidi
die Form däiber. Es gingen aber offenbar ne. deliber 'erwägen^ und de-
liver 'befreien' im 15. und 16. Jahrh. durcheinander; und wie man delirer
in der Bedeutung 'erwägen' gebrauchte, fa&te man auch d^iperaunce fds
Ableitung davon als 'Erwägung'. Caxton und der Schreiber von v fühlten
die Zugehörigkeit zu deliber und schrieben dafür deliberaunee mit 6.
distanye C 468 (Var.: deatany DE, deatenye SaHiHe Ad,- deetynye
übr.) ist fus neue Formvariante zu deatinff zu buchen.
do 893: die Phrase to do for 'to act in behalf of ist bisher erst seit
1528 belegt
Bgallb2 'unparteiisch'; diese Bedeutung belegt O D zuerst aus Shak-
spere; equal erscneint dort etwas früher so (1585).
eil oder, wenn man dem oft und ganz willkürlich verwendeten Strich
durch Ü eine Bedeutung beimessen will, eile Liest die Handschrift C deut-
lich an zwei Stellen ^204 und 532), aufserdem an der zweiten Stelle auch
der Caxtonsche Drucic. Die übrigen Handschriften haben eUes, elliSy eUys
oder eis. Die Form ohne -< ist auch sonst noch zweimal üb^llefert, näm-
lich einmal el in einer Handschrift (Harl. 201) von Bk>bert of Gloucester,
V. 9258 (Var. elles), und bei John Maundeville (O D). Das Oxf. Dict.
versieht nun zwar beide Formen mit Fragezeichen und scheint also ge-
neigt, sie als Schreibfehler aufzufassen. Angesichts der drei neuen Belege
(oben) müssen wir ihr aber wohl Existenzberechtigung zuerkennen. Auch
ist eine solche Nebenform keineswegs auffallend, wenn man bedenkt, wie
stark im Mittelenglischen die Neigung herrscht, bei allen Adverbien Doppel-
formen mit oder ohne -es zu gebrauchen ; nur dafs, während sonst -s ana-
lo^sch an^efüet wird, hier nach Analogie der «-losen Formen dasselbe
irng unterdrückt ist.
enable 152 absol. 'bestärken', in diesem Sinne bisher seit 1584 belegt.
engreehe siehe aggregge.
engrocke siehe aggregge.
enroüe 841 'einprägen', in dieser fig. Bedeutung bisher zuerst bei Palu-
grave (1580) nachgewiesen.
enteniyfneas siehe atteniyfnees.
entrete 750 'to beseech, implore' mit dem Akk. der Person; so seit
1502 beleg^
exceaeifly 789 Adv. 'verschwenderisch' (OD seit 1552).
Die Burghsche Cato- Paraphrase. 37
Ferfulfiesse 796 : dethe is eend of ferfutneaae - lat. fmis malorum, Dist.
III 2*2, also objektiv 'dreadfulnesB, der Schrecken\ OD belegt diese
Qrundbedeutung seit Coverdale 1635.
fretndlynesae 928 (O D seit Caxton 1490).
Oare siehe gatore,
gawre 656 (Var. : gaure F Hb D Hc Ht, gare Cp ; ~ gauie R. gawle
Fb ; — gnare M) : tae may nai leite the peple io gatore and erye = lat. ar-
hürii non est nostriy quidquisque loquaUir, Dist. III 2. Da von dem Übeln
Gterede der Leute die Kede ist, paust die ursprüngliche Bedeutung *to stare,
to gape' (OD) hier nicht; es wird vielmebr) parallel zu oryey die abge-
leitete 'to shout or crv' hier vorliegen, die das OD zuerst aus Palsgrave
(1530) nachweist. — £in Synonymon dazu ist offenbar das durch zwei
Handschriften vertretene gatäe, ganole — hier absolut und intransitiv ge-
braucht, während es in dem dnzigen Belege^ des OD aus Greene (1592)
transitiv erscheint. TDie dort mit Fragezeichen gegebene Bedeutung 'to bawl
out' wird also durcn unsere Stelle bestätigt). — Die dritte Variante gnare
(M) hat einen etwas abweichenden Sinn : 'knurren, brummen'. Sie ist als
frühester Bel^ (O D seit 1496) besonders zu vermerken. — Das gare end-
lich des Oopluiaschen Druckes (1557) ist eine (wohl phonetische) Schrei-
bung für gawre, welche O D auch aus Phaer (1558) und Twyne (1579)
belegt. — Das gleiche gilt für V. 435 : Mähe nat cul men on ii to gaur and
erye (Var.: gawe B, gnare M, gare Op), nur dafs hier noch zwei weitere
Varianten hinzukommen : gavne G una glauere Ad. Letzteres ist natürlich
das bekannte me. ne. glaver 'schwatzen'. Oavne wird wohl für gaune stehen
und dem im OD einmal aus Googe (1563) bel^^n ne.aaiume entsprechen,
das ich als Nebenform zu ne. ycoon 'den Mund aufmachen, gaffen^ ziehen
möchte. Mit der letzteren B^eutung würden wir sehr wohl an unserer
zweiten Cato- Stelle auskommen, da es sich hier um den Gegensatz von
'Verschweigen' und 'Bekanntmachen' handelt. Doch sei darauf hingewie-
sen, dafs ne. dial. yaum neben 'gaffen' auch die Bedeutung 'schreien'
(Wright) hat, die wir also auch für unser obiges gavne annehmen können.
gatole siehe gawre,
gavne siehe gawre.
gnare fdehegaufre.
gauerment CHAx 576 (Var.: gouemament FHc, gotiemaunce M, re-
gement D, gouemement übr.) ist eine Nebenform zu govemmenty die O D
erst aus dem 16. Jahrh. kennt. Das Wort hat hier seine Grundbedeutung
'control, rule', die OD zuerst aus Alday (c. 1566) nachweist. Übrigens
bildet unsere Gato-Stelle das bisher früheste Beispiel für das Vorkommen
des Wortes überhaupt.
Hastyfty GHe 790 (Var.: haeÜyGB,, haatyly oder haately übr.) kommt
als dritter zu den bisherigen zwei Belegen (14. Jahrh.) hinzu.
herbeire 818 »Blumengarten' (Var.: herbere CM »'S, erhayre Ad). Die
hier durch den Reim auf ayr^ fayr, repeir gesicherte Nebenform auf -eire
(kerbeire und erbayre) wäre in OD unter arbour hinzuzufügen.
hertynesse 1141 (Var.: hartynesee Hb Ha, hertlyneese x) 'Herzlichkeit'.
Die Form hertynees ist bisher erst seit Palsgrave (1530) belegt.
Ingroge siäe aggregge.
inheniaunce 721 'das Erbe' als Gegenstand (so O D seit 1473).
-^Jayisah 116 C Cp {Wwc'.jayeehe Ho E D, iayes Pm, iaühe H, jayeche
Hefjaeche Ad, icnscy F; — jangleyng a; — rasshe Ato; — ragtsake Fe).
£in Adjektiv jayiah findet sich in keinem Wörterbuche aufgeführt. An
unserer Stelle nimmt ein auch jayiaak folk ein vorausgehendes wordy folk
(= lat. verboaoa, Dist 1 10) wieder auf, mufs also mit ihm annähernd sy-
* Hftuflger belegt ist das damit identische me. gouien (s. O D unter gowl ;
Björkroan, Scandinavian Loanwords I 69).
88 Die Burghsche Cato-Paraphrase.
Donym sein. Daraus ergibt sich die Bedeutung 'ffeschwätzigi plappernd'.
Zu dieser können wir auch auf etymologischem Wege gelangen, wenn wir
das Adjektiv als Ableitung zu ne. jay (l) 'Häher, £lster', (2) 'an imperti-
nent chatterer' (O D) ziehen, natürlich an die zweite Bedeutung anknüp-
fend. Diese letztere Bedeutung ist nun zwar bisher erst seit Skelton (15^)
nachgewiesen; doch dafs die Geschwätzigkeit der Elster schon damals in
England sprichwörtlich war, zeigen sowohl die beiden Erzählungen, die
Wright, Homes of Other Days, London 1871, S. 253 ff., aus dem 'Cheva-
lier de la Tour-Landry' und den 'Seven Safes' anführt, wie zahlreiche
Stellen bei Schriftstellern, wie z. B. : thou Jangtest aa a joy^ Chaucer C. T.
B. 774; ihey mowe wel ehüeren, as doon these jageSt Chaucer C. T. G. 1397;
elappe and iangle foorth, as dooth a iay, Uoccfeve Bai. to Henry V. 87;
the iay tangUd ihem amonge, Squyr of Lowe Degre V. 51 (OD); lihe a
jay jangdyng m his cage, Lydgate, Minor Poems, S. 165; thei eheteryn
and ^atervn, as they jays teere, Coventry Myst. S. 382; to jangle as a
jaiUf La Belle Dame sans merd (ed. Skeat) V. 744 ; he jangUth as a jay.
Pfowmans Tale V. 792; as jangelynge as a jay, Russells Boke of Nurture
V. 36 (Babees Book p. 119) usw. Alles dies spricht dafür, dals wir ein
neues Adjektiv /aytsA 'eescnwätzig' für das Wörterbuch notieren dürfen.
In der Variante tayes ^m] haben wir die nördliche Form des Suffixes
"ish vorliegen. Die Neoentormen iaishe, javscke sind zu vergleichen mit
dem prayng des Catholicon Anglicum, S. z89: Kontraktion oder Haplo-
graphie. Das eleiche gilt wohl von jasehe (mit schott. Schreibung?), das
wohl schwerlich mit Douglas' iasche 'a noise' (O D) und schottischem jass
(Wright) zusammenhängt. Schwieriger ist das iaiscy (oder iaiaeu?) der
sonst sehr sorgfältigen Handschrift F zu deuten, wenn es aucn wohl
sicher ebenfalls zu iay gehört. Sollte hier vielleicht ein falsch abgetrenntes
Suffix 'Cy I -sy vorliegen (vgl. ne. icy, fleaey, spiey, juiey, sluio^, sauey),
wofür ich freilich sonst kein Beispiel weifs? Oder soUte man, wie bei ne.
dial. jawsy 'talkative' (Wright) zu jaws 'Kinnbacken*, vom Plural jays aus-
fehen müssen? — Die Variante iangjeung 'sdiwatzend' ist ein wohlbe-
anntes Synonymen. — Einen abweicnenden Sinn aber hat rash 'vor-
schnell, voreilig, unbesonnen', das in A und o> erscheint Die Variante
ist um so interessanter, als das Wort überhaupt nur zweimal (OD) in
me. Zeit belegt ist und speziell in dem hier erforderlichen modernen Sinne
erst seit 1558. — Das sonst unbezeugte ragisshe von Fe erklärt sich wohl
am ehesten entweder als direkte Ableitung zu rage 'Wut' oder als Um-
gestaltung (SuffixvertauBchung) von ragicus 'wütend, rasend*.
iupa^ 824 trans. 'to stake, to bet* (so O D seit 1470). Var.: iupard,
jubarte, jubard, joberd, gewparde, jeopard, gibarde, iebarde, ieparde.
Knack 69<J: For even so riht as thou deprauvst hym, hyhynde thy
ftakke | Riht so wol men make the a mokke a/nd a knaidcB = lat. eaxmplo
simüi ne te derideat alter, Dist. III 7. Mithin ist make the a mokke and
a kncMe annähernd synonym gebraucht mit deprave 'schlecht macheu';
und wer solches tut, heÜBt gleich darauf ein skomer 'ein Spötter, Ver-
ächter*. Daraus ergibt sich, dals sowohl mokke wie knakke so etwas wie
'Gegenstand des Spottes* heiÜBen mufs, entsprechend dem latein. derideat.
Das O D führt nun ein Wort kncik mit der Bedeutung 'a taunt, gibe* auf,
freilich nur mit Belegen aus schottischen Texten des 16. Jahrhunderts;
ich zweifele aber nicht, dafs dasselbe Wort mit derselben Bedeutung hier
an unserer Cato-Stelle vorliefi:t. — Statt mokke lesen C Hb £ Q D Fe mowe
und CpHeHd moppe. Beide Wörter bedeuten 'Grimasse, Fratze*. Diese
Kopisten müssen auch knakke in einer anderen Bedeutung gefalst haben,
jedenfalls der gewöhnlichen von 'Posse, Streich*.
Leve 789: to take leve 'Lebewohl sagen* > 'fortgehen, schwinden* (von
der menschlichen Kraft gesagt) ; so im ng. Sinne bisner seit Dunbar (1500)
belegt.
Die Burghsche Cato-Paraphrase. 39
lofte 165 : to erye an lofle, im Gegenaatz zu speke soft, kann nur helGsen
'laut Bchrden', eine Bedeutung, die unter aloft im O D fehlt, aber \ unter
ioft mit zwei Belegen aus 'Aunters of Arthur' und 'Golagros' nachgeholt
wird. Ob die Steile aus Purchas' Pilgrimage (1618) Sp&ake aloft and
prowUey, wo O D die sonst nicht nachweisbare Bedeutung 'in a lofty tone,
loftily' annimmt, nicht auch hierher zu ziehen ist?
long 684: fatthe longe 'schlie&lich, d. h. auf die Dauer, auf die Länge;
nichts genau Entsprechendes in O D.
M%8 657 : if tnei sey mys, ihei lye, parallel zu maligne; mithin io aey
mys 'ubelreden, verleumden', was für me. misseggen mehrfach belegt.
Weitere Beispiele für diese Abtrennung der Verbalpartikel stellt Mätzner
unter mis zusammen. Dazu Sidney-Cato V. 468 (Engl. Stud. 36, 40) : If
ßau . . . misse pe goueme.
modifie 1035 'mäfsigen'.
myserous 469 'unglQcklich'.
mokke, moppe, mawe siehe knakke»
Noysaunee 619 'Übel, Schaden'; auch Partenay V. 401 (Btr.-Br.).
noysaunt 723, parallel mit ftd of greuanee, gehört offennar zu dem-
selben Stamme und wird 'schädlich, lästig' heusen; vergl. me. noyous
'troublesome'.
mUrytive 617 subst. 'Nahrung, Nährmittel'.
nyeä 601 (Var.: nysed MEx Y, nyee F(>S; — icanton Hb) in any
nyced fantasie muXs 'närrisch geworden' heÜAcn und wohl als Partz. zu
me. ntsen 'to become foolish' (Gawain 1206 Str.-B.) gezogen werden.
Offieeless 1186 'ohne Amt', hier 'aus dem Amt'; in D O nur aus Cath.
Angl. 1488 und Fräsers Mae. 1884 bel^.
ouerfreiht 855 (•fraughtuh, -frehi F) 'fiberladen' (vom Boot gesagt);
bisher frühester Beleg aus Palsffrave (1580).
ouer^eyntid 288 'übermalt', hier fig. (von der Bede = lat. hlando ser-
mone, Dist. I 27) 'geschmückt, geschminkt, schönfärberisch, schmeichle-
risch'; so in fig. Smne bisher erst seit c. 1750 nach^wiesen, das Wort
gelbst seit 1611. Vgl. me. to paint 'to feign, to fawn" (Beispiele in OD,
dazu Bur^s Cato 228, wüh peyntid woord).
Pari2&\: fno pari 'keineswegs', fehlt OD; doch some part 'to some
extant, somewhat'.
peeuniall 871: whan ihou hast plente and ort peouniall; das Wort
mufs also hier f 'reich' bedeuten, wie sonst me. peounious, obschon 0 D nur
die Bedeutungöi 1) 'consisting of money', 2) 'pertaining to money' kennt.
mreignabU 1080 : Aftir pcmerte riehesse is preignaUe heUst es, wo vom
Wecnsel des Schicksals die Bede ist; somit würde hier gut passen die
Bedeutung 'wieder erhältlich, erlangbar'. (Für ne. pregnable oieten die
Wörterbücher nur die Bedeutung 'mit Gewalt einnehmbar'.)
preseruaiiffe 821 'konservierend, erhaltend'.
proeessour 488 'der Prozefsführer, Kläger'?
progenytours 806 (Var : prymogenitours HbHc) 'die Eltern'.
Rasshe siehe jayisshe,
ragish aehe tayisohe.
regest 845 'emschreiben' > 'aufzeichnen' (O D erst seit 1520).
reieete 902 'zurückweisen'.
releeve 732: to othir mennys deede releeve, und 812 resorte and hidir-
ward rdeve, beide Male also intransitiv; daher etwa 'seine Zuflucht neh-
men* bedeutend.
retreve 814: vnto this place retreve, intransitiv 'sich wieder einfinden,
wieder hingehen'.
Seonfet 458 (Var. : scomfUe H Ha A x He D, seumfU M, seomfUed v v,
sehoumfUe Ad, seonfyeted He, diseomfet Cp) 'besiegt'.
sethe siehe a-seth.
40 Die Burghsche Cato-Paraphraae.
alyve 1008 (Var.: slyffe k Hc, sleyue H; — stryve D; — sehyve Fe;
— fUue Gp) : Dociryne hepiths vertu on lyve, Wkiehe ne imt«, doctryne soone
from man shuld alyve, ]Nach dem Zusammenhang maus ea sich bier um
ein Verbum der Bewegung oder des Sich-Trennens handeln. Der enteren
Bedingung entspricht das ne. dlaL to sHve 'gleiten, schleichen' (Wright),
das JMenfalls identisch ist mit Palsrnves *I üyve downe^ I mU doume
sodaynlyt Je coule' (1580). Daha: düiten wir wohl ffir unsere Gato-Stdle
ein me. slyve 'entschlüpfen' ansetzen. Dasselbe Wort kommt dialektisch
auch als Faktitiyum vor in der Bedeutung 'to put on an j article of dress
hastil^r <uid untidilj' (Wright). (Zur Bedeutungsentwickäun^ vergleidie
ne. sHp 1) 'schlupfen, gleiten', 2) 'schlupfen machen' > 'hurtis anziehen'
und mndd. slippen 1) 'eldten', 2) 'gleiten lassen' > 'den Mantd über den
Kopf han^n'.) Ich naite es daher für sehr wahrscheinlich, dafs das Wort
identisch ist mit dem ae. sl^fan 'dn Kleidungsstück überwerfen, über-
streifen', das einmal belegt ist in dem Prosatöben des h. Guthlac (ed.
Goodwin, London 1848, 8. 68) : Quäkte hine sylfhe ungyrede, <md ßat finff
ße he genehiiee on htm hiBfde, he hine [lies hü] alefde on hone forespreeenan
man. Lautlich und begrifflich würde sich dies ae. Veroum, ws. *8lf€fan,
*„slyfanf angL slsfan zu vläm. ndl. slöven in xijne nwmoen slooven 'die
Ärmel aufstreifen' (s. Franck) steUen und mit diesem zusammen auf ein
ur^. ^slaußän- oder *8lawijdn- zurückweisen. Ableitungen dazu mit
gleichem Vokalismus sind ae. slyfe, slefe 'Ärmel', ne. eleepe [= mndl. slöpe
(ohne i-Umlaut): nfries. saterl. «/^, Sylt sltwn, Siebs im Grdr. 8. 1350
u. 1887, beide ein afrs. *8lSve voraussetzend] sowie ae. slebeeeoh 'soccus'
imd slpfleae 'ärmellos', auch das sltfer 'lubricns' der Brüsseler Glossen,
falls hier nicht ein Schreibfehler für sltpor vorliegt, was wc^n des ne.
diaL sUverly 'slinking, crafty' (Wright) nicht eben wahrscheinuch; weiter-
hin mit Ablaut C^luf-t slt^-) me. sloveyn, ne. sloven : ndl. slof 'nachlässig'
mit Genossen (s. Franck). — Von den Varianten ist etryve 'streben' durch-
sichtig. — Die Form sehyve wird dem bei Langland und Wydif belegten
me. sehiven, ne. dial. to shtve (Wright) 'schieben (aus ae. * seyfan oder an.
skyfa) entsprechen, jedoch hier die intransitive Bedeutung 'sich abschieben,
fortbewegen' haben, welche sowohl bei ne. to shove wie Mi ne. dial. to ahdve
off 'to go away' (s. Wrig^ht, der unnötig hierfür ein neues Verbum annimmt)
vorkommt — Fliue bei Copland ist wohl nur Druckfehler für sliue.
sehyve siehe slyve,
streeehe 1042 mit to 'sich strecken nach, trachten nach' (to konnyng);
vgl. ne. to streich for 'sich anstreneen, um etwas zu erlangen'.
super flue 579 'Überflüssiges' fAdj. oder Subst?).
surfetour 320, 488 'Schwelger', ne. surfeiter.
Toüous 298 'eeschfiftig, fleiisig'.
Virous 922 (Var. : vrous v, eurous x)- Die Variante der schlechtesten
Handschriften - Gruppe, vrous, eurous 'glücklich', ist leicht verständlich,
pa&t aber nicht recnt in den Zusammenhang. Die ganze Strophe handelt
über die Stärke (fortitude = lat. praevaltdae in corpore vires ,,, vir fortis,
Dist. IV 12). Der Satzteil, in aem das Wort erscheint, as to he virousj
myhti, strong and rüde, ist nichts weiter als eine nähere Ausführung des
vorherigen strengthis hodyly; mithin muls virous so etwas wie 'kraftig,
männlich' oder dgL bedeuten, obgleich ich das Wort sonst nicht nachzu-
weisen vermag. Da im Neuenglischen ein deichbedeutendes Adjektiv vi-
rüe erscheint, werden wir unser virous wohl mit diesem zusammensteilen
dürfen, sei es nun, dais wir Suffixvertauschung annehmen oder eine ge-
lehrte Neubildung zu lat. vir darin sehen.
Würzburg. Max Förster.
Znr Herkunft von ne. slaziff.
Mit einem Anhang über das 'bewegliche s' im Englischen.
Von Wedgwood, Skeat und anderen wird das Wort slang 'vulgär
language' aus dem Nordischen hergeleitet: norw. sleng *& slinging,
a device, a bürden of a song', shngja 'to sling', slengja kjeften 'to
slang, abuse' (lit 'to sling the jaw') usw. In seinem grofsen Etymo-
logischen Wörterbuch bemerkt Skeat dazu: 'I see no objection to this
explanation; which is far preferable to the wholly improbable and
unauthorized connection of slang with £. lingo and F. langue, without
an attempt to explain the initial s, which has been put forward by
some, but only as a guess.' Schröer läfst die Frage nach der Her-
kunft des Wortes offen ; an den nordischen Ursprung scheint er nicht
zu glauben — er begnügt sich mit einem [?].
Auch mir will die Ableitung von na slan^ aus nordischer Quelle
nicht einleuchten. Das Wort ist^ soweit ich sehe, zuerst in Fieldings
JofuUhan Wild (1748) belegt;* der erste Lexikograph, der es buchte
ist Grose {Classical Dictionary of the Vulgär Tongue, 1785): 'Slang,
Cant language.' Allem Anschein nach ist es kein altes Wort, das
unserem Blick nur durch die Ungunst der Überlieferung entzogen
würde; es ist offenbar erst im 17. (oder gar im früh-18.?) Jahrhun-
dert aufgekommen. Eine so späte Entlehnung aus dem Nordischen
anzunehmen, hat aber zweifellos etwas Bedenkliches. Zudem bietet
die Lautform des Wortes Schwierigkeiten. Ich sehe nicht, wie man
von sleng aus zu slang gelangen sollte; viel eher wäre eine Entwicke-
lung in entgegengesetzter Richtung, zu ^ sling hin, zu erwarten (cf.
sling < sWngva, string, udng usw.).^ Endlich ist auch das semasio-
logische Verhältnis von engl, slang zu der nordischen Wortgruppe
nicht ganz durchsichtig. Das englische Wort hat meines Bedünkens
von Haus aus die Bedeutung 'besondere Sprache einer Ge-
sellschaftsklasse, ZunftspracheV wie sich diese aber aus den
' [Nachtrag. Nach gütiger Auskunft von Dr. Henry Bradley enthält
auch das Material des N,E,D. keinen älteren Beleg.]
* Ans Lautungen wie slani (me. slenten) und skU (? zu an. aletta) darf
kein Einwand dagegen herleitet werden, da für das a dieser Wörter
kdnesfalls das anlautende sl- verantwortlich zu machen ist.
' Die Bedeutung 'schelten, Scheit-' halte ich für abgeleitet, falls nicht
überhaupt dieses slang von dem anderen ganz zu trennen ist.
42 Zur Herkunft tod ne. slang.
Bedeutungen 'slinging, devioe, abuse' habe entwickeln können, ist
Bcbwer zu verstehen.
Ich möchte eine neue Deutung der Herkunft von e. slang wagen.
Meines Erachtens zerfällt das Wort etymologisch in die beiden
Bestandteile s -)- ^^- Ich stelle die Besprechung des zwaten voran.
Wie H. Reed richtig bemerkt hat^ ist slang 'a word belonging
to the very vocabulary it denotes'. Bekanntlich ist nun im Slang
die Neigung stark ausgeprägt^ mehrsilbige Wörter abzukürzen; es
heilst (oder hieis) im Slang eab für oabriolet, mob für mobile (vtdgus),
phiz für physiognomy, rep für repuUüion usw. So, meine ich, hat
man auch das Wort language im Slang des 17. Jahrhunderts zu
lang verkürzt; vielleicht^ dafs das französische langue dabei von Ein-
fluls gewesen war. ^
Wie aber wäre das anlautende s- zu erklären ?
Ich führe es auf einen Attraktions^ Vorgang zurück. Man ver-
wendete, so möchte ich vermuten, das eben ersdilossene lang beson-
ders in Verbindungen wie beggara* lang, gipsie»' lang, huniera' lang,
pedlars' lang, sailora' lang, ihievea' lang, Hnkera* lang usw.; imd
von hier aus konnte man sehr leicht zu slang gelangen, indem man
das 'S zum Anlaut des folgenden Wortes zog.
Ein genaues Analogen zu dem hier für die Erklärung von ne.
sUmg angenommenen Verschmelzungsprozefs vermag ich aus dem
Dialekte des westlichen Comwall anzuführen. ''In West Cornwall
the possessive s from such words as 'pig's crow', 'calf s crow', etc. has
largely attached itself to the latter word, and <a scrow' is as common
(probably commoner) as <a crow*," (The English Dialect Dictionary
8. V. scrow *a hut, hovel« shed'). 3
Die Erscheinung der 'Lautattraktion' ist ja im übrigen etwas
der englischen Sprache ganz Geläufiges;^ ich brauche nur an die
bekannten Typen zu erinnern:
ch-am < ich am ;
l-one < cU one;
M-aodesfield <be, to fam A-, Eedesfield;
n^ewt < an ewi;
n-once < for then ones;
* Das N. E, D. verzeichnet ein (heute Teraltetes) langue, lang(e} < frz.
langue. Ob der Beleg aus Carpentere Pragm, Jesutt c. 1665 'If yoar lang
be flcanty, Th'Italian Tongue welcoma you tuttie quanti' nicht vielleieht
für unser *lang < language in Anspruch zu nehmen ist?
* Ich bediene mich dieses Ausdrucks lediglich in Ermangelung eines
besseren .
^ Ist das Verhältnis von dial. swask 'pigs' wash' zu wash ebenso zu
beurteilen ?
* Vgl. die eingehende Abhandlung von Charles P. G. Scott in den
Tramaetions of the American Phiiologieal Association 1892, XXIII 179 ff.;
1898, XXIV 89 ff. ; 1894, XXV 82 ff.
Zur Herkunft von ne. slatig. 48
n-uncle < mine unde;
n-under (dial.) < an, on -|- under;
Pugh < Ap (wal. map *Sohn'; ir., gael. Mac) Hugh;
Beüy Bee (Flufsname) < be there ee;^
t-awdry < Saint Ä%uiry\
t'Other < [the]i oiker.
Von prosthetischen «-Bildungen dieser Art verzeichne ich:
's-arternoon (West Somerset) < ihis aftemoon;
'seure (irisch) < devü's cure;^
s'lay, sley (Somers.) < so lay <as lief;
sHke, slrnk (Yks., Grlouoestersh., Somers.) 'probably; of course, cer-
tainly' < ii is like;
smacle (Bozb.; veralt) 'as much' < as miekle; ähnlich stite (Nhb.,
Dur., Yks.) 'as soon* < as Ute und xmo (Som.) < as I know;
smiver (Yks.) 'howeyer* < howsomever]
'snaw (Wilts, Dors.) 'used as a meaningless expleüve' < dost [thou]
know;
Swithold < Samt WithoUL »
Ob auch das Wort sneck-up, snick-up (Inteij. ?*2um Henker!*)
hierhergehört, ist zweifelhaft; die Herleitung aus his neck up will mir
wenigstens nicht recht zusagen. Eine Gruppe für sich bilden die Aus-
rufe, in denen der Genitiv Ood's (oder auch das Pronomen his) euphe-
mistisch zu 's verkürzt ist: 'sblood [sblad, zblad], scurse (dial.), 'sdeath
[sdef>, zdef>], 'sfoot, 'slid, *slife, 'slight, 'snaüs,^ struth (dial.), xounds
(< Qod's wounds). Um eine blofse Aphärese handelt es sich in
Fällen wie seuse, 'scuse < excuse, sdain < disdain, smay (dial.) <
me. esmaien, splay < display, sport < disport, stain < distain usw.;
aus vorliterarischer Zeit wäre (mit Blluge) *spraidjan < us-hraidjan
(ae. sprddan, ahd. spreiten) hierherzustellen. —
Es sei mir erlaubt, diese Gelegenheit zu einem Exkurs über das
sog. 'bewegliche s* im Englischen zu benutzen.^ Die fragliche
* Hempl in der Fumivall-Festschrift S. 154. Ahnliches im Deutschen
und anderwärts: lokal Mich < im Eichickt (Schwarzburg.-R.) ; Ra < in
der Aue (Sachsen-Mein.) ; Troppau (slaw. Opawa) < an der Oppa; holstein.
Sehreifen' < [de]8 grevm- (Schröder, PBB 29, 482); ital. SUmko, türk.
Jstanköi 'Kos' < h rar Km; mittelalt. Saihines 'Athen* < eis li&rjvas;
Stiva 'Theben' usw. [Stambid ist wohl aus (Konjstantinopel verkürzt].
* Wenn neben lob^s course ein verkürztes scouse auftritt, so darf nicht
vergessen werden, dafs lob's course erst aus lobscouse entstellt ist
' Der Kuriosität halber erwähnt sei die famose Herleitung von eleeve
'a favour, a love-token' aus dtsch. aus Liebe (zitiert bei Skeat, PrEE II
448), die sich der Deutung von Stuttgart aus [s] Totengarten würdig an
die Seite stellt.
* *ßy goddes precious herte, and hj his natfles' (Chaucer, Pa/rd, Tale),
^ DaCs bd dem Worte slang an dieses s nicht zu denken ist, hab^
die obigen Darlegungen gezeigt.
44 Zur Herkunft von ne. 8lang,
Erscheinung ist namentlich in den Dialekten sehr stark ausgepFägt;
meine Beispiele habe ich daher groisenteils dem English Dialeei
Diciionary entnehmen können. Das Bild, das sich dem Betrachter
bietet, ist von verwirrender Buntheit Zuweilen steht dner schrift-
sprachlichen Form ohne s eine dialektische mit s gegenüber, oder
umgekehrt; häufig sind die Wörter in beiderlei Gestalt der Schrift-
sprache fremd; gelegentlich aber finden sich auch Formen mit und
ohne 8 im Schriftenglischen nebeneinander. Einige Wörter sind über
ein gröfseres, andere über ein kleineres Sprachgebiet verbreitet; diese
Form ist im Norden zu Hause, jene etwa im Südwesten heimisch;
ja es kommt wohl auch vor, dafs eine Form gleichzeitig in zwei weit
voneinander entfernten Gegenden auftritt^ Chronologisch wären
verschiedene Schichten zu unterscheiden, deren Entstehung zum Teil
durch Jahrhunderte getrennt ist.' Was die Bedeutung des s- an-
langt, so mag ihm zuweilen eine verstärkende Kraft innewohnen
(ich denke vor allem an onomatopoetische Bildungen wie sereak,
scrunch, splash usw.);^ in anderen Fällen wird davon freilich kaum
die Rede sein können, so dals dort das s blols ein 'redundant initial'
(Elworthy, EDS 50, S. 688) ist Nur ausnahmsweise dürfte falsche
Abtrennung eines vorhergehenden -s (Flexions-5; -s von his, this,
these, ihose usw.), also 'Attraktion' (s. o.), für das Bestehen von Doppel-
formen verantwortlich zu machen sein. Bei Wörtern französischen Ur-
sprungs spiegelt die Doppelgestalt häufig einen in der Quellsprache
vorliegenden Wechsel von Formen mit und ohne Präfix fejs- < ex-
wieder. — Das bekannte lautliche Kriterium, demzufolge anlautendes
[sk] in Wörtern germanischen Ursprungs auf nordische Herkunft
deutet,^ ist für die Wörter mit beweglichem 8 nur ausnahmsweise
anwendbar (so vielleicht bei 8erab < schwed. dial. 8kral>ba); das [sk]
dieser Wörter ist ähnlich wie das in (uk, dtuk^ tu8k zu beurteilen.^
— Ich bemerke noch, dafs ich in der folgenden Zusammenstellung
nur die spezifisch englischen Fälle von beweglichem 8 berück-
sichtigt habe.
* 8o wird das vb. seaffle im Dial. Diet. für Nord-Lincobishire und
Cornwall bezeugt AUerdings: wie weit machen die Angabcm des Z>. /).
in diesem Punkte auf Vollständigkeit Anspruch ? Da hierüber ein Zweifel
berechtigt erscheint, habe ich von einer genauen Begistriening der ein-
zelnen Verbreitungsgebiete absehen zu dunen geglaubt
* Sehr alte Dubletten sind z. B. spink : findi, spunk : funkf strum :
thrum; ganz jung erscheinen dag^en Bildungen, wie sie namentlich in
einigen sudlichen Dialekten (Wilts, Hants) anzutreffen sind : spieter 'picture',
spith, spyxon 'poison' usw.
^ Wie weit hierbei das s- < afrz. es- von Einflufs gewesen sein mag,
bleibe dahingestellt
* Eine Ausnahme bilden holländische Lehn worte wie landacape, skatey
skellum, shipper usw.
^ Die vereinzelt aus ae. scr- (regelrecht) entwickelten «^-Formen habe
ich beiseite gelassen.
Zur Herkunft von ne. slang. 45
sa-: saunier 'adventure; idle tale' (frz.).
BJca-: scaffle *U> equivocate, to change one's mind'; scagmagly
'worthless' neben cag-mag sb. 'anything worthless'; scammisk 'awk-
ward' zu chammish; scant *to canf; scantle (frz.); scatcher (Lin.) 'oyßter-
eatcher^; s ccUftJer-comer 'diagonally'; scause (Nhb.) *to cause'.
8 Ol-: sclash; sclasp; sctaUii 'Schmutz'; sclaw; sdem ^ steal
slyly' zu skeUum 'Schelm' (D. D.)? oder etwa zu clem, dam 'klem-
men'?; sclitnb; scluchien 'flat-lying ridge'; sdyte 'to fall heavily*.
8 0O-: seoanse 'pavement'; s^eocker 'rift in a tree'; ?seog 'to boast'
zu cog 'to cheaf ? scoggers (auch hogger) 'leggings'; fcoüopfsj 'Fleisch-
schnitte' < seoüopfs) < frz. escahpes; ^scopious 'ample' (Halliwell) zu
capious; scorkle, score 'care of an apple or pear'; ?scottle 'to cut
badiy zu eui; scouch 'to stoop' (afn. escouäiier); sco(u)rse 'aus-
tauschen' (vgl. hierzu das K E. D. und Scott 1. c XXIV 138 ff.);
seowther 'to drive'.
8ora-:' scrab (Clydesd. scribe) 'cro^apple'; scradge 'to dress
and trim a fen-bank'; scraffish 'crawfish, crayfish' (frz.); s\crag;
s'cram; scramble; scranch; s\craps (schon me. scrappe); Scratch;
s cratch^cradie zu me. crecche, afrz. creche; scratcking 'refuse of lard';
scraw; scrawl; scraxe 'to graxe' {^sgr- > scr-; zugleich Anlehnung
an Scratch f),
BJore-: screak; screase; screech; screuwtatic (War. Nrf.) 'rheu-
matics' ist offenbar (ursprünglich scherzhaft?) an screw angelehnt.
8|ori-: scriggle 'to wriggle about' zu 'struggle' oder zu 'wriggle'?;
scrim 'Ejrume; quetschen'; scrimp; scringe; scrinkle; Iscrinkle to
shrivel' zu wrinkle; scrip 'Beutel'; Scrips (Name; 'the son of Cris-
jMn*) neben Orips, Orisp (cf. Bardsley, Dictum, of English and Welsh
Sumames, 1901, S. 678); scrisum (Derby sh.) 'fogey' zu chrisom;
scritchy scruch (Cornw.) 'crutch*; *iscriihe 'to rvrithe* (*sr- > scr-; vgl.
scriggle).
soro-: scroffle 'to hobble abouf; scrome 'zusammenkratzen';
tscrooch 'to stoop down' zu crouch\ scroodU 'to crouch'; scroot sb.
<weak child', vb. 'to sprout'.
8oru-: tscruce, scruse (e. Angl.) Hruce' (*«/r- > scr-); scrudge;
serump 'to crunch; to shrivel'; scrumple; scrunch; scrush.
seu-: scuffsh. 'nape or "scruff" of the neck', vb. *to strike';
s nulch 'rubbish'; scullion 'rogue' (frz.); sautch (cf. squitchr) 'couch-grass'.
8 6-: seUems the bars of a gate'.
8h r-: skrags (veralt) 'rags' (*sr- > sr-; Einflufs von shred'f);
shrail (East Anglia) 'light rail'; shrub (Wilts) 'to rub along somehow'
("A sibilated form of rub" E. D. S, 69, p. 148).
ska-: skag 'stump of a branch'; 2? skate (Scotl. Yks.) 'paper kite\
' Für die mit sor- beginnenden Wörter wurde der wertvolle Auf-
aau von H. Schroeder über das bewegliche s (PBB 29, 479 ff.) ver-
glichen.
46 Zur Herkiuift von ne. slang.
8 ke- : s kecUock 'charlock'; skeeangie neben oaingy 'cro88>tempered'
(frz.); 8 kelcher 'heavy fall of rain'; 8 heiter 'order, arrangemenf; sker
{skar, cor) 'left-handed'.
8|ki- : skippet <an osier buehel baskef zu kipe 'large basket* (ae.
cyp^\ skirpin 'göre, or strip of thin doth, in the hinder part of
breeches' zu eurpin 'back, backbone' (frz.); skirfr) 'the wkirr made
by certain birdB in taking flight*; skist 'ehest*; skUterways neben
cnter^unse 'diagonally' (vgl. s catter-coTner).
8 kl-: aklammer (ScoÜ.) <to damber about'; sklaich neben clatch
'mesB, slop' etc.
8ko-: skonk (Som.) 'collection of people'.
8 ku- : skud neben ciid *Üie undigested pellets of hair, bonee, etc.
thrown up by owls'; sküil-hrüü (Shetl. I.) neben goilbrul 'laut
brüllen' (nord. gaula -\- hrkslai)\ shächinecU 'a dial. form of oochineal^
{D, D.).
8la-: Slam 'to beat soundly* (an. lemja; doch vgl. auch norw.
slemma usw.); ? slanger 'to Unger*; s langet 'long strip of ground';
slank; slash.
8 le- : sleach, sleech 'eintauchen' zu cleach 'to lade out in a skim-
ming way'; 8 leer 'to sneer'; « leer-rib 'the spare-rib of pork'.
8lo-: stock 'to Iure, entice' zu ae. loccian; sloonge 'heavy blow
with the open palm' zu lunge to strike heavily'; stoppet 'to slouch';
s tauch (?< afrz. feajlochier); slounge to tounge*.
B\XL'i stump,
8 ma-: smash; smatter 'a dial. form of matter' {D, D.).
8 me- : s meagre; s melt, müt 'the spieen' (ae. m%Ue)\ s mergh 'mar-
row' (ae. merg); smeuse 'gap or hole through a fence used by haree
and other small animals to pass through' (frz. miiase).
8 mi- : smite 'a mit^.
8 mo-: smoozed 'smoked' zu mose 'to smoulder* (norw. diaL mosa;
Anlehnung an smoke, smotdder?); smoskert 'smothered' zu masker
'to choke'.
smu-: tmuggled 'cheap and trashy' <5niu^^M; s mulfered {m^)
'overdone with heat'; smttsh 'to mash'.
8 na-: snab 'steep place' zu knab'y snag (auch gtMg) 'to quarrel
peevishly'; snaggle neben gnaggle to snap'; snaister to snap; to scold',
snaisty 'peevish' zu naist to tease; to worry*; snam 'to snap greedily
at anything'; ? (kjnap, gnap 'to snap with the teeth' (cf. knapsack,
hnip-knap \ snapsack, sfiip-snap); ?snape 'to seize by the nape of the
neck' (EinfluTs von snap, snatchf); ?snape, snaple 'to nip'; sruipsen
'aspen' (< « + (a)n aspen; vgl. snivett, snope); veralt gnare 'to snare*;
gnarl 'snarV (sb. und vb.); snarl ^gnarl or knot in the wood', snarly
'gnarled'; snash neben (g)nash 'to abuse ; to sneer'; snast neben knast,
gnaste (an. gneisti) 'burning wick or snuff of a candle'; snawp sb.,
vb. 'thump'; ? Snazle, Snaxelfl) (Name) zu Kneesall, Onadeshaü,
Knateshall; cf. Bardsley 1. c.
Zur Herkunft von ne. sUmg, AI
Bue-: sneg 'to neigh'; sneexe, ma anesen neben na dial. neexe,
me, nesen (< *hneo8an) und ma fnesen < /heo^an.^
8 ni-: «ntcÄ; neben niek *to cut* (cf. an. anikka); snicker *U> laugh
sneeringly'; sniff ^emeiV; sniffle (? vgl. frz. nifler); snip *to m]p'; sni-
veU < 8 -\- fajn evet *a newf .
B no-: «noeA; neben knoek; snook 'to lie hidden' zu nook 'oomer'
[aa 8noc? <nook' Earle, Land'Quxrters]; snooxe 'a noox^; snooxle zu
yeralt nooxU 'to nuzzle'; ^nope 'bullfinch' neben alp\ nor (ShetJ. I.)
'anore^'; snonis vorus (Gloua Wilts) 'vehemenüy' < noUna volena (vgl.
dial. vorua-norus ^rough, bluBtering'); anoteh sb.; ae. Snotingahäm >
ne. Nottingham; anowl 'head' (aa hnol).^
BJpa-: «poee *paee; to meaBure by paeea'; a paddle 'small spade';
?5pan^ 'pang'; ?apang 'Sprung; heftiger Stolii' (gewöhnlich zu apank
geBtellt) zu bang (*«6- > ap-); ^apat *aL pai, to pat sharply*; apatch
(Sood. Yks.) 'a pateh or plaster; to patch\
Bpe-: 't apeengierToae (Scotl.) 'thej^ecm^; apeg (Lothian) 'wooden
ptg or pin'; apeUer \ pewter (frz. [< germ.]).
B pi-: Spiehfai (Name) neben Pichfait (cf. Bardsley 1. c); Picker-
nell (Name) neben Sp^^ < Spigumell) ?apicketty 'speckied' < hz,picoi4;
spicter (Wilts) 'pidure'; apUchard (Devonsh.) *pilchard'; PUflJahury <
Spüabury (cf. Bardsley); a\pink ^finch'; apiae neben peaae 'to ooze out';
spith (Hants) 'pith*; a pit-aparrow,
B;pla-: a plaiee (bätz. plaia); aplaah; a pkU, aploi ^plot or piece
of ground' <&e.a'plott; a plateh Bh., vh, 'splash'; s platter 'plantschen';
s platter- faced 'having a f lat face'.
B;plo-: aplodge 'to wade through dirt'; a plaiier, plout(er) 'to
splash'; faplotek *blotch' {apU < *ablr); a ploy *a frolic' (< employ).
splu-: aplunge.
spo-: apoach; fapotatxar (Yks.) zu potaherd.
Bpra-: faprag (Shetl. I.) to brag' (apr- < *«6r-); taprap (8hr.)
'to prop up'.
Bpri-: aprioe (Ghesh.) < paradiae 'parvis'; aprize (Chesh.) 'to
prixe or force anything open with a lever*.
Bppo-: a^prong; aproae, proaa 'to boast*;^ ?atroweaa in Hollands
Auun. Marcel. 1609 'possibly a misprint tor proweaa* (Nares).
B|pm- : apruce zu afrz. Pruce 'Preufsen'; a prue 'inferior cuttings
of asparagus'.
BJpu-: apuddle; schott ir. apung 'purse' zu ae. pung; ?punger
'to aponge upon'; apunk 'Funke' zu me. funke (ne. funk 'rauchiger
' *Sneexe is j^robabiy Dothing more than a variant of the older fneexe,
due to Bubstitutmg the common combination an for the rare ana diffi-
cult/n; whilst neexe reeulted from dropping /"' Skeat, PrEE I 881 (?).
* Scott a. a. O. XXIV 149 deutet anowl (kaum zutreffend) aus hiajnowL
^ *Sprouxe, This stränge verb is equivalent to stir or rouse up, or
uprouae the fira This may, probably, be its origin, with an accideutal
sfbillant prefixed. Moor'a Suff, MS: (HalliweU).
48 Zur Herkunft von ne. tlaing.
Geruch'); spurblind (z. B. bei Lily, Sapho and Phcum 11 2) < pur--
blind; Spurda(u)nce (Name) neben Purdafujnce (cf. Bardsley); s pwrge
(frz. espurger); Spurre, pirre 'die Schwalbe'.
s'py- : spyxan (Wilts) < paison.
aqua-: squab 'noch nicht flügge' {ygl, squobhy *äM)y und me.
quappen 'to throb'); squab < scrab (s. o.); squaeket to qtMck ss a duck';
s quackle 'to Buffocate'; squaddy 'short of stature'; squaich 'loud
scream'; squahn\ squash (frz.); s\quai 'pimple'; squat, quod 'hocken'
(frz. es quatir); s quatch 'to betraj, teil a secref; f squatting-piUs 'opiate
er quieting pills' (Wright^ iVov. Dict.); squaver (Irel.) to throw the
arms about' zu quaver 'to brandiah, to dench the fists, to make a
feint of Btriking*; s qiuiw{'hole) 'broad, shallow pond'.
aqua-: squeasy; squeech (Suff.) 'small grove' zu queach 'amall
plantation of trees or bushes'; squeechy, squ>eachy 'boggy'; sgueeier
'to work in a weak manner*; squeexe zu me. queisen (?ae. merc. ^cwe-
san)\ squelch; squelstring neben qudfsjtring ^sipeüerinf; s^queU, quilt,
tioilt, weU sb. resp. vb. 'blow'; squench; squexzen 'to suffocate'.
B qui- : squiet; squiggle < *quiggle zu loiggle (Cent Dict); squüky
(Cornw.) 'frog* zu quiUdn, unlkin (altkorn. ctoUcen); squüt 'pimple';
s quin, queen 'small scallop'; squinacy, squinsy, veralt squinfanjcy,
sioensie 'quinsy' (afrz. quinancie, 16. Jahrb. squinancfije); squinch,
squince 'quince'; squink neben udnk; ?me. squippen, sunppen to move
swiftly' zu ivippen 'to jig*; squirfr) < *quir zu whirr; squirrly-unrly
'an ornamental appendage' zu eurly-umrly; squOch, switch, twUcfi
'couch-grass'; squitch, switch, quitchy 'to twitch'; squitcheü, hoiteheü
'narrow passage between housee' {hüi- > *qui'' > squir); squix to
examine criticallj'; squixxle 'to choke' (cf. squexzen).
ß p- : ^ srake (Yks.) 'to rake\
Bta- : 8 tank 'pool' (< afrz. estang, bez. port tanque; It stagnum).
Bte-: ^?stemples 'cross piecee put into a frame of woodwork to
Btrengthen a shaft' zu lat templum 'small timber'; s tem 'Seeschwalbe'
(ae. steam, dän. teme).
Bti-: stickte, -^ back; ^sticky neben dial. (Wilts) tucky.
s'to-: stodge 'any thick food'; stotter.
Bjtra-: ? Strom (Somers. Devonsh. Cornw.) 'a lie' zu oram (Zwi-
schenstufe *scram); strampflej; stransport (Lanc.) 'transporf.
stre-, Btre*: ?streel (Irel.) 'nachschleppen' zu trau; ^streid
(Derbysh.) sb. und vb. Hread'; tstrent (Dors. Somers. Cornw.) sb. und
pz. 'renf {^sr- > str-l); strespass,
8 tri- : striddling (Wilts) 'the right to "lease" apples after the
gathering in of the crop' zu griggling (^sgr- > *9cr'- > str-); me.
strikelen 'tröpfeln';^ me. striken neben seltenem triken,
Btro-, 8t ro: fstroam 'to wander about idly and vacantly' <
* S. auch unter s eri-^ shr- und st rfe-, o-),
' 'The Io88 of 8 arose in the phr. terea striiden = tears trickle' (Skeat).
Zur HerkuDft yoq ne. slang, 49
s-roam; s troll (vgl. strolhp [Yks. Lanc. Flint] 'a troüqp, a slovenly,
untidy woman or giri'); ^stroü (Dev.) *0f hay: a long roW; veralt
strossers *trousers') me. strother 'rudder'.
Btru-: ?8truggle, me. strugden zu mnl. iruggelen; sirum zu
tkrum.
BJtu- : Sturgis (Name) neben Turgis (cf. Bardsley).
sjwa-: fsuHXck zu whack 'schlagen' (ebenso stvacker zu whacker
usw.); swaddU\ sumse to Swing the arms' zu whaxe; ?? dial. swale
Agende rising in the ground with a corresponding declivity' < s-wale
oder S'VcUe {*sv-> sw-); sitüaUopmg *talV; ? me. swdUer {Morte Ärtkwre
3924) zu waUer 'weiter^; swang 'üst, grassy land liable to be flooded';
swath 'apparition of a person at the moment of his death', vgl. waff
(der Wechsel von \p] und [f], [ä] und [y] ist in den englischen Dia-
lekten nichtB seltenes); s^wauve 'to lean over*; sioave (Cumb.) 'to ufove*
(oder < nord. dial. sveiva'i),
8jWi-: ^sunne^pe 'Weindrossel' < w(h)inerpipe\ swirl neben
whirl (an. hvirfla, norw. dial. svirlc^\ stviie 'to cut, hack' zu *while <
ihiüüe? vgl. auch stvütle 'whiitle'; ??dial. sunver 'to quiver*; stoiz 'to
tvhix^.
sjwo-: tswotchel (Ozf. LW.) 'to roU in Walking' zu toaddle (vg^.
deutsch watsehelny
Halle a. 8. O. Bitter.
Areliiv f. n. S|Knch«ii. CXVl.
Studien zur fränkischen Sagengesehiehte.
in. Zu den Yerbanmingeii Childerichs und Floovents.
Verbannungssagen kennen alle Völker und alle Zeiten. Nicht
dafs der Wechsd der Jahresseiten oder des Tages und der Nacht
hierzu den ursprünglichen Anlafs gegeben hätte, daft die Sage aus
mythologischen Quellen geflossen wäre. Denn das zu behaupten,
hielBe ja der Abstraktion, der Allegorie vor dem einfach Konkreten
den Vorzug geben. Es wird aber unschwer aus geschichtlichen Perio-
den zu beweisen sein, dals es immer ein realer Vorgang ist, der dem
Volke zur Quelle seiner Dichtung wird, und dafs Strömungen, die
aus Abstraktionen schöpfen, stets einer Entartung gleichzuseteen
sind — übrigens Strömungen, welche man nur in abgeschlossenen
Schichten der Gresellschaft findet, die sich von der Welt abgewandt
haben, um eine Treibhauskultur entstehen zu lassen: Priestertum
oder höfische Gresellschaft
Auch die Merowinger- und Kärlingersage kennt solche Verban-
nungen, besonders zahlreich werden sie von Vasallen erzählt^ die
irgendein Verbrechen begangen haben: wir fanden das Urbild Herzog
Ernsts in der jüngeren Karlingerzeit; wir behandeln in einer unserer
Studien eine Reihe von Banditenieben (= Banniiusf) in den Ardennen,
unter denen der uralte Tierrid'Ardane, 'der Tausende ums Leben
gebracht hat', den Beigen eröffnet Aber auch die Herrscher werden
von der Sage herangezogen. Karl der Grolse in Vertretung von Karl
Martell mufs als Kjaabe die gewohnten sieben Jahre in Spanien ver-
bringen (Mainet), Später muTs der Merowing Chilperich mit seinem
Majordomus Raginfted vor Karl Martell zum Herzog von Aqui-
tanien flüchten, eine historische Begebenheit» welche die Sage von
den Haimonshindem mit Ersetzung der historisch Verbannten durch
vier geschichtlich nicht nachweisbare Brüder in sehr alter Zeit zum
Urbild hat
Eines lehren uns diese vier genannten Überlief erungen alle:
die Verbannungssagen der historischen Zeit gehen stets auf einen
realen Vorgang zurück. Bei Herzog Ernst und den Haimonskmdem
entspricht die Verbannungssage auch einer wirklichen Verbannung;
im Mainet und im Tierri d'Ärdjane vertritt sie andere Strafen: Karl
Martell wurde von der rechtmäfsigen Gattin seines Vaters, Plektrud,
Studien zar fränkischen Sagengeschichte. 51
eine Zeitlang festgesetzt, entschwand also den Augen des Volkes.
Tierri d'Ardane entspricht vielleicht einem Bruder oder Satel-
liten der Mutter Karl Martells, Dodo, der nach einer anderen Sage
zweimal Widersacher seiner Schwester ermordete und schliefslich
selber dabei ums Leben kam. Auch hier verschwand wahrscheinlich
eine dem Volke sympathische Figur aus dessen Gesichtskreis, und es
erfand in Verbindung mit dem Doppelmorde eine Verbannung in die
Ardennen, 'wo er haust, uralt, und Tausende ermordet hat^. Wie
man Kaiser Friedrich in den Kjffhauser verschwunden dachte.
In dieser Beobachtung, dafe eine das Volk interessierende Per-
sönlichkeit im Falle einer Verbannung oder Festsetzung, ja heimlicher
Bestrafung mit dem Tode aus dem Gresichtskreis des Eirzählenden
verschwindet^ li^ bereits der Charakter der Darstellung: mit dem
Entschwundensein hört das reale historische Element auf, und die
Erzähler sind genötigt zu erfinden oder berühmten Mustern nachzu-
ahmen. Und so finden wir denn in allen vier als Muster genommenen
Verbannungssagen nur eine, die sich in etwas an die historische und
geographische Grundlage hält: die Sage von den Haimonskindern.
Wogegen Mainet und Tierri d'Ardcme geographisch wie historisch frei
verfahren, Herzog Ernst sogar der Verbannung ein Märchen aus
Tausendundeine Nacht unterschob. Wir haben uns bei Behandlung
dieser letzten Verbannung gefragt: kann von vornherein der Sprung
aus echtem Epos ins Märchenland gemacht worden sein ? Wir fanden
eine Frage, die sich a priori nicht entscheiden liefs, fanden aber
doch besser anzunehmen, dafs ursprünglich eine realer gehaltene Ver-
bannung durch die belustigende Sindbadreise ersetzt worden sei. Ein
Beispiel für eine solche Ersetzung werden wir im Laufe dieser Studie
antreffen, in welcher die Verbannung derselben Person, die nach der
Sage des G.Jahrhunderts nach Thüringerland führte, im T.Jahr-
hundert nach der burgundischen Sage in Konstantinopel lokali-
siert ist
Die Verbannungssage hat eben wie jede Sage ihre Mode: die
kärlingsche führt ihren Verbannten nach dem Westen, dem Lande
ihrer Elämpfe, Spanien; die Sage des 11. und 12. Jahiiiunderts, der
Ej*euzzug6periode, nadi dem Orient {Herzog Ernst, Buon, Bueve
de Eansione),
Die ältere nordfranzösische Merowingersage begleitet ihre Helden
stets zu dem Schauplatz ihrer nationalen Kämpfe, zu den Thürin-
gern od^r Sachsen. Dort verweilen ihre des Vaterlandes verwiese-
nen Fürsten die üblichen sieben Jahre, dort holen sie sich Ruhm
und Gattin, um als Better aus Not und Erniedrigung zu den Ihren
zurückzukehren.
Die älteste Figur, von deren Verbannung auf Grund sagenhafter
Quellen die Merowlngerchroniken berichten, ist Ghilderich, der
Sohn des Meroveus, der Vater Clodwigs (zirka 450). Der ehrwürdige
52 Studien sor frfinkischen Sagengeschichte.
Gregor von Toure (zirka 580 — 590), unser ältester Gewährsmann
für Greschichte und Sage dieser Zeit, der noch selber zwischen den
beiden Zwillingsgeschwistem wenig Unterschied macht und nur hier
und da ein Mifstrauen andeutet, wenn er in seinem Berichte aus-
schliefslich auf mündliche Quellen angewiesen ist, beginnt die Bdhe
(Buch II, Kap. XU): In frevelhaftem Übermut vergriff sich Childe-
rich, der König der Franken, an den Töchtern seines Landes. Die
Franken aber setzten ihn in ihrer Empörung hierüber ab,' und als
Ghilderich erfuhr, dafs sie ihm auch nach dem Leben trachteten,
verliefs er das Land und flüchtete zu den Thüringern.
In der Heimat aber lieis er einen Freund zurück, nachdem er
eine Goldmünze mit ihm geteilt hatta Sollten die Zeiten für Ghilde-
rich wieder günstig werden, so würde ihm der Freund seine Hälfte
als ein Zeichen dafür senden.
Unterdessen erheben die Franken den Römer Egidius zu ihrem
König, als aber nach acht Jahren die Gemüter sich wieder beruhigt
haben, sendet der Freund dem Verbannten das verabredete Zeichen.
Dieser verlälst den Hof des Thüringerkönigs Bysinus und seiner
Gattin Basina» bei denen er Zuflucht gefunden hatte, kehrt zurück
und erlangt seinen Thron wieder. Basina aber, die den Wert des
fränkischen Helden erkannt und ihn liebgewonnen hatte, verlälst
Heimat und Gatten, um Childerichs Frau und Frankenkönigin zu
werden.
Hundertdreiisig Jahre später finden wir die Erzählung in dem
sogenannten Lt&er Historiae, das vielleicht in Ronen im Jahre 727
entstanden ist, wieder. Manches zeigt im Wortlaut die Bekanntschaft
mit Gregors Darstellung, manches aber, was über Gregors Bericht
hinausgeht oder gar ihm widerspricht, zeigt» dais der Verfasser eine
Quelle hatte, aus dem er Gregors Lücken ergänzen konnte. Die
Chronik erzählt (Kap. 6,7):
Wie Childerich wegen verbrecherischen Umganges mit den Töch-
tern seines Landes dieses verlassen soll, berät er sich erst mit seinem
Getreuen Viomadus, wie er den Sinn der ergrimmten Franken sich
wieder zuneigen könne . . . Viomadus aber erreicht dies, während der
König bei den Thüringern Zuflucht gefunden hat, durch folgende
List: er schmeichelt sich bei dem zum Könige gewählten Römer
Egidius ein, so dafs ihn dieser zum Ratgeber wäilt Der falsche
Ratgeber aber verleitet den dummen Römer, eine Anzahl Franken
heimlich zu töten, bis das römische Regiment den Franken unerträg-
lich wird und sie Childerichs Rückkehr erwünschen. Dieser ist —
entsprechend der Ursache seiner Verbannung — bereits in Thüringen
* lUtqtte ob hoc indignantesj de regnum eum eiedunt, Ist reonum kon-
kret oder abstrakt? Ich verstehe es abstrakt, da sonst das folgende mir
sinnlos zu sein scheint: Conperio autem^ qttod eum etiam interfieere veUmU,
Thonngiam petiit.
Studien zur frfinkipcben Sagen geschichte. 53
zu der Frau seiner Oastfreundes in Beziehung gebracht: Nam dum
in Toringa fmt cum Basina regina . . . adulierium commisit. 80 dafs
nicht, wie bei Gregor, Baeina auf eigene Faust dem Zurückkehrenden
folgt, sondern nach vorhergehendem Einverständnis.
Chronologisch mitten zwischen diesen beiden nordfranzösischen
Berichten, sachlich über beide hinausgehend, steht die Version des
Burgunders Fredegar. Sie zeigt entsprechend der älteren romani-
schen Kultur der Burgunder eine starke Differenzierung von der
nordfranzösischen Sage, deren Schauplatz sie nach Konstantinopel
verlegt Deswegen hat ein Bearbeiter aus der Mitte des 7. Jahrhun-
derts durch Interpolationen, die er wörtlich Gregor entlehnt^ eine
Versöhnung mit der nordfranzösischen Überliefenmg versucht. Wie
die Ausgaben der Manumenta Oermanias, Script, rer. merov. II, 95,
machen wir diese Interpolationen durch kleineren Druck als solche
kenntlich und setzen sie aufserdem in eckige Klammern. Fredegar
aber berichtet (III, 11, 12):
Wie Childerich, der Verführer fränkischer Mädchen, das Land
verlassen muTs, gibt ihm sein Getreuer Wiomadus, der ihn einst nebst
der Mutter aus hunnischer Gefangenschaft befreit^ den Rat^ nach
Thüringen zu fliehen, er wolle unterdes die Franken beruhigen.
Hätte er aber dies vollbracht» so wolle er ihm zum Zeichen einen
halben Aureus ^ senden. [Childerich flieht nach Thüringen zu Bjsinua.]
Wiomadus aber wird vom Frankenkönig Eieio (oder Eiegio, Egegio)
zum Unterkönig (subreguhis) ernannt und beginnt seine Rolle zu
spielen : erst verführt er den König, die Franken, die freien Franken,
mit einer Kopfsteuer von einem Aureus zu belasten — die Franken
murren nicht Er bringt den König dazu, die Kopfsteuer auf drei
Aurei zu erhöhen — sie zahlen lieber die drei Goldstücke, als sich
von Childerich bedrücken zu lassen. Da bestimmt er Egidius, hundert
von ihnen umzubringen, angeblich, weil sie sich mit rebellischen Ge-
danken trügen — endlich geht den Bedrückten die Geduld aus, und
sie verlangen nach dem Regiment Childerichs zurück. Wiomadus aber
versichert mit infernalischer Ironie dem dummen Römer: nun endlich
habe er die Franken gebändigt. Lassen wir für die folgende nicht be-
queme Stelle Fredegar selber das Wort: 'Und er gab ebenfalls noch
den Rat, dem Kaiser Mauritius Gesandte zuzusenden; [die ihm melden
sollten:] man könne die Nachbarvölker heranziehen {adtrahi Passiv)
[und], dafs etwa 50000 Solidi vom Kaiser geschickt würden, damit
die Völkerschaften, nachdem sie dies Geschenk empfangen, besser
sich der Herrschaft (imperiö) unterwürfen. Hinzufügend sagte er
* Medium aureum, d. h. einen halbierten, denn es wurde kein halber
Aureus geprägt, sondern nur ein Drittel, der sog. Triens. Halbierung zum
Zweck der ZsQüung war allerdings üblich.
54 Studien zur fränkischen Sagengescbiehte.
jen^m: *Aliqtumifäum solides htae instantiae loeum aecipiens müüavi;
parum servus iuus argentum kaheo. Vellebam cum iuis legcUis puemm
dirigere^ ut melius Ckmstaniinopole mihi argenium merearet,*' — Dieser
Vorwand, den Rajna der Übersichtlichkeit halber fortläikt (er nennt
ihn 8. 58 einen futile pretesto), ist kulturhistorisch vielleicht das inter-
essanteste an der ganzen burgundischen Version der Sage:* sindem
ich auf dein Drangen die Stelle (eines Beraters?) empfing, habe ich
mir einigermaisen Gold verdient {militavif). Zuwenig aber habe ich,
dein Sklave, Silber. Ich wollte [wohl] mit deinen Boten einen Knaben
schicken, dafs er mir in Konstantinopel mehr Silber einhandle.«'
Tatsächlich war in der mittleren Merowingerzeit das Silber
selten geworden. Man hatte an dem Vorrate römischer Kaisermünzen
aller Zeiten ursprünglich genug gehabt und sich auf die Goldprägung
beschrankt Erst in der letzten Merowingerzeit zeigt eine starke
Ausprägung von kleinen rohen, aus der Silberplatte wie ausgerissenen
dicken Denaren das entstandene Bedürfnis nach Silbermünzen, das
unsere Stelle hier unmittelbar verrät Soll aber ein solch kultur-
historisches Moment als Motiv in die Dichtung aufgenommen werden,
so muls es herrschend sein.
Als Dichtungsmotiv ist es berufen, die Übersendung des hal-
bierten Aureus an Ghilderich, der, 'wie Wiomad befunden, in
Konstantinopel war', zu verdecken. Wiomad aber gibt dem
Knaben nicht etwa die fünfzig Goldstücke mit, welche ihm Ei^us
geschenkt hatte, sondern einen Sack voll Blei und unter diesem den
halben Aureus, das verabredete Zeichen. Der Knabe eilt dem Ge-
sandten voraus, verständigt Ghilderich, dals Eiegius Tribut; den er
aus staatlichen Mitteln (Kurth interpretiert: dem Kaiser) zahlen soll,
dem Kaiser auferlegen wolle; Ghilderich meldet dies dem Kaiser,
der, erzürnt über solche Frechheit, die Gesandten in den Kerker
werfen läfst und das Angebot seines Schützlings annimmt^ ihn an
den Franken zu rächen. Reich beschenkt kehrt Ghilderich zu Schiff
nach Gallien zurück, Wiomad kommt ihm nach Bar entgegen, et a
Barrmtibus receptus est. So wird er wieder König und siegt in zahl-
reichen Gefechten über Eiegius und die Römer. [Basina kommt von
Thüringen zu ihm, um seine Gattin zu werden.] —
Wir haben also ein und dieselbe Sage in drei Versionen, welche
über hundertdreifsig Jahre sich erstrecken und zwei verschiedene
Gestaltungen ergeben: die eine im einfachen, ungeschmückten Ge-
wände, kurz und bündig, mit kraftvoller Steigerung. — Die andere,
unsere letzte, bunt ausgestattet mit verschiedenerlei Federn, in der
Fülle des Schmuckes und Beiwerkes selbst in der Inhaltsangabe
schwelgend.
Bleiben wir bei ihrer einfachen Gestalt, welche uns Gregor und
das Liber Hisioriae überliefern.
^ Vgl. E u r t h , op. ei^. S. 1 89 '^, der aber auch die Stelle uminterpretiert iaTst
Stndieo zur frfiDkischen Sagengeschichte. 55
Pio Baj n a hat alle drei epischen Auszüge in Origini deffEpopea
frcmcese in glänzender Weise erklärt: bezüglich der zwei ersten hält
er die Version des Liber Hisioriae für eine etwas ausfürlichere Inhalts-
angabe als die Gregors: 'Le Oesta Regum Franeorum ... tftxg-
giungon cose taeiute cold\ Wenn man aber bedenkt^ da& diese Chronik
über hundertdreüsig Jahre n ach Gregor geschrieben wurde, so erscheint
es wahrscheinlicher, in dem Berichte des Lü)er eine entwickeltere
Form der Sage anzunehmen: bei Gregor lastet das ganze Gewicht
auf Childerichy dem Helden. Er ist der einzig Handelnde, er läfst
den Freund mit einem bestimmten Auftrag zurück, der aber kaum
über eine passive Beobachtung der Dinge hinausgeht» sonderlich
ihn nicht in Beziehung zu den Bömem bringen läfst Und dies ist
nicht so ungewöhnlich wie man denken könnte: denn die ältere
Sage wird sich naturgemäfs auf ein Theater (Thüringen) beschränkt
haben, sie wäre sonst auch die einzige Verbannungssage, welche nicht
bei dem Verbannten bliebe. Erst am Schlüsse der Abenteuer wird
sie auf ihr Ausgangstheater mit wenigen Worten zurückgekommen
sein. Hundertdreifsig Jahre später finden wir die Sage ausgereift
wieder. Wiomad ist nicht mehr Zuschauer, er ist Akteur. Ghilderich
berät sich mit ihm. Er ist es, der die Schuld an dem unvernünftigen
Regiment des Egidius trägt, das die Sehnsucht nach Chil^erich wieder-
erwecken soll. Rajna meint, dals dieser^ Zug der ältesten Sage an-
gehören müsse, da er der einzige ist, der die Wahl eines Römers zum
fränkischen König motiviert Ein Franke hätte sich nicht so plump
täuschen lassen. Und er erinnert an die Worte der Kasseler Glossen:
StuUi sunt Romani, sapienti sunt — Fronet f Ich mufs bekennen,
das Argument ist bestechend. Aber diese Rolle des Wiomad bei
Egidius fehlt nun einmal bei Gregor, im Gegenteil ist sie hier als
bei den Franken stattfindend festgelegt Er solle die Franken mit
Worten besänftigen; ihn nennt er: fiominem sibi carum, qui virorum
furentium animus verbis linibus mollire possit.
Es lälst sich hier hinein die Intrige des Liber Historiae nur
einschmuggeln, indem man einen Irrtum oder eine aus irgendwel-
chen kritischen Gründen von Gregor ausgeführte Änderung an-
nimmt Aber wozu eine Änderung annehmen, wenn doch feststeht»
dals das 6. Jahrhundert noch unter dem Eindruck der Siege Glod-
wige über die Römer stand, wie ja auch Gregor den Siagrius JRoma^
norum Bex nennt (U, 27). Rajna wendet hiergegen ein, es handle
sich nicht nur um Erklärung der Titel, sondern dessen, dafs die
Franken imanimiter einen Römer zum König wählen. Gut^ es ist
eben die historische Sachlage des Jahrhunderts in poetischer Weise
auf die Spitze getrieben und mit der Childerichsage verknüpft
Denn: die Ersetzung des Fürsten durch Neuwahl und seine
Verbannung war durch die Childerichsage bedingt; ein Römer
als König und Bedrücker der Franken diurch Sagen über Aötius
und Syagrius. Solch innige Verschmelzungen zweier Sagen, von
56 Studien zur fränkischen Sagengeechicfate.
denen jede ihren Teil der Motive bestimmt, ist ja nichts Unge-
wöhnlidies.
Rajna wie Kurth haben sich beide an die Königschaft dieses
Egidius gestofsen, ohne im übrigen sich mit seiner Person eingehen-
der zu beschäftigen. An der Königschaft ist aber nicht das geringste
Auffällige: den Germanen wurden die römischen Statthalter selbst-
verständlich zu Königen, Sjagrius war in der Tat so unabhängig
wie ein solcher und wurde von den Barbaren aucb König
genannt^ Syagrius war Clodwigs Gregner. Agidius, des Syagrius
Vater, wurde ganz natürlich zum Gegner von Clodwigs Vater, Qiilde-
rieh. Als Vater eines Königs wurde er, wie der ältere Aetius, eben-
falls zum König. Man vergleiche dazu eine Stammtafel des 10. Jahr-
hunderts, die G. Kurth in dem genannten Werke aus einer Pariser
Handschrift) der Lex Salia, entnahm:
Egetius genuit Egegium
EgegiuB genuit Siagrinm per quem Bomani
regnum perdiderunt.
Wer ist Egetius, wer ist Egegium? Seit Heinsei in den
Sitzungsberichten der Wiener Akademie (phü hisL Gl. CXTV, 1887,
417 — 514) für Aetius die Namenformen beigebracht hat: Äieeius,
Agetifis, Egecius, Agatius, sollte es allgemeiner bekannt sein, dals
der grofse Besieger Attilas durch eine ganz offenbar romanische
Verstümmelung seines Namens (> Ajejo) mit dem Vater des Syagrius,
eben unserem Ägidius (> Ejejo, so Fredegar!) verwechselt und
verschmolzen wurde. Ein Beispiel für die vollkommene Verquickung
der Persönlichkeiten gab schon Grimm in der Heldensage aus einer
Chronik des 10. Jahrhunderts: Attüa omnem pene Oaüiam dewistavü,
^uo usque Deo annuente per Aegidium (d. l also sicher Aetius)
pcUriiitim ... fugcUus est (Leibnitz, Script rer. brunsv. IE, 278).
Settegast hat in dankenswerter Weise diese von den ein-
schlägigen Arbeiten übersehenen Dinge in Erinnerung gebracht
{Queüensitidien S. 88), und es ergibt sich nun für uns unzweideutig,
wie die Bolle des römischen Königs entstanden ist^ und wie sie sich
weiterentwickelt hat
Den Zeitgenossen Gregors war Aetius und Ägidius bereits
eine Person. Und zwar eine typische und beliebte Figur,
denn der Sieg über Attila hing an ihrem Namen. Deshalb wurde
er dem verbrecherischen Franken Childerich von den eigenen Leuten
vorgezogen. Und deshalb ist die tölpelhafte Bolle, die Ägidius in
den späteren Berichten hat, bei Gregor nicht ausgelassen, sondern
existierte damals in der Sage überhaupt noch nicht
Erst als die Hochachtung vor Aetius-Ägidius geschwunden
war, jene Hochachtung, die ihn eben zum (Gegenstück in bonam
* Hierüber ist Dahn, Oerm, und Born, Völker, 2, 3, 8. 45, zu vergleichen.
Studien zur fränkischen Sagengeschichte. 57
parUm des Frauenschänders Childerich hatte wählen lassen — ent-
wickelte er sich unter dem EinfluTs neuer Ideen über die immer
mehr niedergehenden Romanen zu einem Gegenstück in malam par-
tem, das seinen Vorgänger an Schlechtigkeit und Dummheit noch
übertraf. Das konnte natürlich erst geschehen, als seine Taten
in Vergessenheit gerieten, durch die Taten Clodwigs und seiner
Söhne verwischt waren und seine Person demzufolge das Typische
verlor.
Dafs auch in den Beziehungen des Flüchtlings zu Basina zwi-
schen Gregor und dem lAber Historiae Unterschiede zu finden sind,
habe ich bereits im Laufe der Darstellung angedeutet: die ältere
Darstellung scheute sich offenbar, den Flüchtling als Verbrecher
am Gastrecht darzustellen, die jüngere Sage war weniger skrupulös
und brachte durch den Ehebruch am Hofe des Bysinus ein gut Stück
Einheit mehr in Handlung und Charakter des Helden, der ja wegen
ähnlicher Verbrechen des Landes verwiesen worden war.
In den hundertdreifsig Jahren also, die zwischen Gregor und
dem Lü)er Historiae liegen, ist quantitativ wenig hinzugekommen;
aber jede Zufügung war ein Fortschritt in der Komposition der Sage:
sowohl die Verknüpfung Wiomads mit Egidius, wie die zwischen
Basina und Childerich.
Ganz anders Frede gar s Version. Dort MtUtum, hier MuUa:
die Beziehungen Childerichs zu Wiomad geben den Stoff zu einer
Vorgeschichte, in der der Getreue Mutter und Sohn aus hunnischer
Gefangenschaft befreite. Eine Hunnenfluchisage, wie wohl zahlreiche
bestanden, und die unleugbare Beziehungen zum Walthari zeigt, dessen
Heimat sie meiner Ansicht nach teilt (Kurth, S. 161 ff.). Dem-
entsprechend ist die Rolle des Wiomad im Vergleich zur fränkischen
Version gewachsen ; er ist einer jener uralten, unfehlbaren Ratgeber
geworden, wie sie das Epos gern neben die Fürsten stellt Er rät
zur Flucht, schlägt das Symbol des halben Aureus als Zeichen der
Rückkehr vor. — Diese Art der Zeichnung Wiomads ist insofern ein
technischer Fortschritt^ als nun ein Grund vorhanden ist^ warum
Egidius den bewährten Ratgeber in gleicher Stellung heranzieht Die
Axt» wie er diesen, den dummen Römer, blindlings ins Verderben
treibt, zeigt eine schöne, mit ihren drei Stufen echt poetische Steige-
rung: die Franken müssen Abgaben zahlen, erst ein Goldstück, dann
drei. Es ist nicht nur der Verlust des Geldes, der moralisch auf
diesen lastet» sondern die Schmach, durch die Abgabe deklassiert
zu sein, nicht mehr Franci zu sein, denn Francus ist der Abgaben-
freie. Die Ermordung von hundert ihrer Häupter bildet den Gipfel :
'Modo est gens Francorum tuae disciplinae perdomitaJ Und wir sehen
ein ironisches Lächeln um die Lippen des Sprechers spielen, der sich
zu weiteren Listen anschickt
Es handelt sich nun nicht nur darum, Childerich zurückzurufen,
sondern er soll auch zugleich, wie es einem Fürsten geziemt^ mit
53 Studien zur franlciAchen Sagen gemhichte.
Heereemacht und (befolge zarQdkkommen, um den Bömem entgegen-
treten zu können: diee wird durch eine Oesandtschaft des i^dioe
an den Kaiser von Konstantinopel, Mauritius, erreicht^ die l^dius
harmlos scheint, durch Childeridi aber dem Kaiser interpretiert^ die-
sen zu höchstem Zorn aufreizt In Verbindung damit erscheint uns
die Übersendung eines E[naben, der zum Geldwechseln ausgeeandt
ist, zu schwerfällig und zu kompliziert, den damaligen Zuhörern aber
als ein Triumph der Findigkeit» durch den ein römischer König und
ein römischer Kaiser zugleich ins Qam gelockt wurden und Egidius
zudem noch mit einem Qeschenk von fünfzig Goldstücken die Kosten
des Verfahrens zahlte. Ausdrucklich wird erwähnt, dais der schlaue
Wiomad in dem Beutel mit dem halben Aureus Blei schickte, also
das Geschenk zurückbehielt
Die burgundische Entwickelung bedeutet demnach in der Haupt-
sache ein Voranstellen des noXvfiiJTig Wiomadus und ein Abnehmen
des Interesses am Frankenkönig. Seine Beziehungen zu Basina sind
vergessen und nur in Gregor ausschreibenden Interpolationen bei
seiner Rückkehr aus Konstantinopel nachgefügt
Bajna glaubte, wegen dieser Nachfügungen es mit einer Sagen-
kontamination zu tun zu haben (8. 60): La sovrapposizione (die
Interpolation) st manifesta anche neüa complieazione ehe il doppio
rifugio di Ghüderio, prima in Turmgia, poi in Constantmopoli, pro-
duce neila stnUtura, e nel raüentamento del vineoh tra la ventäa dt
Basina s i easi aniecedenti. Ähnlich betrachtete Kurth {Op, dL)
diese Version als die Vereinigung zweier selbständiger Sagen 'impar-
faitement soudies*.
Die philologischen Untersuchungen haben nun ergeben, daüs
beide Stellen, sowohl der erste Aufenthalt in Thüringen, wie Basinas
Kommen, jüngere Zufügungen sind, welche den Bericht Gregors in
dessen Wortlaut ausbeuten, um die Version Fredegars in etwa mit
derjenigen des Erzbischofs von Tours in Einklang zu bringen. Das
einzige, was nach der Ausgabe der Monumenta Oermaniae Anüquae
vom ursprünglichen Schauplatz der Verbannung übrigbliebe, wäre
der Rat Wiomads: 'Fliehe nach Thüringen'. Woher weüs dann
aber Wiomad später, dafs Childerich in Konstantinopel ist? Freilich
fügt die Chronik hinzu, er habe dies unterdessen erfahren. So zeigt J
sie, dals sie sich bewufst ist» hier etwas Unwahrscheinliches gebracht
zu haben, und so halte ich es für natürlich, dafs ursprünglich diese
Bemerkung über die Kenntnis von Childerichs Aufenthalt fehlte,
und dafs Wiomad von vornherein den Rat gab, Konstantinopel
aufzusuchen. Das heilist wir haben hier eine Ersetzung der ur-
sprünglichen Verbannung diurch eine andere und nicht Konta-
mination zweier Verbannungen. Auch nach allgemeinen Prinzipien
ist eine Ersetzung das Näherliegende und findet sich auch wohl in
anderen Verbannungssagen wie in Herzog E}mst und Ihion von
Bordeaux mit einem * üremst und * ürhuon verglichen.
Studien znr fränkiechen Sagengeschichte. 59
Es kommt die schone ErkläruDg Rajnas für die Ursache die-
ser Ersetzung hinzu (S. 65): 582—3 war der Prätendent Gun-
dovald, von Konstantinopel, wohin er sich geflüchtet^ kommend,
in Marseille gelandet^ von den Aquitanem auf den Schild er-
hoben, von Quntchramn, dem Konig von Burgund, aber besiegt wor-
den. Die Sympathie des Südens für den Prätendenten,
die Parteinahme gegen den eigenen Merowingerkönig
Ountchramn ist echt burgundisch und spiegelt sich in
Übertragung auf eine andere, ältere Figur, auf Childe-
rieh, wider, wo sie eine ursprüngliche Verbannung nach
Thüringen ersetzte.
Interessant ist auch der Name des byzantinischen Kaisers Mau-
ritius (582 — 602), der also als typisch galt^ da er weder zu dem
150 Jahre älteren Childerich noch wohl zu Gundovald historisch in
Beziehungen stand, wenn auch Fredegar ihn ebenfalls hier nennt
Wir wissen aber aus dieser Zeit von einer Vorliebe für Konstanti-
nopel und oströmisches Wesen am fränkisch -burgundischen Hofe
(vgl. Rajna, &. 67).
Mit Gundovald und Mauritius ist das Jahr 600 als ungefährer
Zeitpunkt der Grestaltung unserer burgundischen Sage gegeben, eine
chronologische Bestimmung, mit der Rajna (S. 67, 68) abschlofs, und
der wir eine Heimatsbestimmung haben anfügen wollen.
Man könnte uns wegen letzterer Absicht vorwerfen, eins unbe-
sprochen gelassen zu haben: nach der Landung wird doch Childerich
in Bar von Wiomad empfangen, die Barenser treten auf seine Seite
und erhalten deswegen von ihm Freiheiten. Auch Rajna hat eine
Untersuchung hierüber abgelehnt^ da ihm dieser Zug nicht zur Dich-
tung zu gehören schien. Selbst aber, wenn dies der Fall wäre,
könnten wir mit dem Orte nichts anfangen: denn wir wissen nicht,
wo er liegt Der Sachlage nach zwischen Marseille und Dijon oder
Mäcon. Rajna entschied sich für Bar-sur-Aube, Kurth mit Ent-
schiedenheit für Bar-le-Duc, weil es die erste Station in Neustrien
sei. Auch die Anmerkung der Monumenta Oermaniae ist zu konsul-
tieren, die ebenfalls am ehesten an Bar-le-Duc denkt und der
Ansidit widerspricht, dafs zu dieser Zeit die Stadt noch nicht be-
standen habe. Ich halte die Frage für unlösbar und mache darauf
aufmerksam, dafs es sich um ein Castro Barro handelt
Von den drei Versionen der Childerichsage, die wir besitzen,
zeigen also die nordfranzösischen aus den Jahren 580 und 727 gleiche
Form und gleichen Inhalt, während die.burgundische von 624 ganz
andere Wege eingeschlagen hat
Vom allgemeinen Gesichtspunkt aus betrachtet, geben beide
Sagen ein prächtiges Bild von den so verschiedenen Kulturen der
Franken und Burgunder ab. Dort noch alles einfach und ur-
sprünglich; hier reife Fülle, buntfarbige Phantasie, überquellende
Erfindung. Dort sicherlich noch germanisch-fränkische Form, hier
60 Studien zur fraDkischen Sagengeschichte.
ebenso sicher romanische, wie denn der Name Eieiö, Egegio,
Eiegio Fredegars die romanische, lautlich gerechte Entwickelung
von Egldius zeigt und, wenn es für Aetius steht, auch für diesen
Namen eine mögliche romanische Form bietet, eine Entwickelung,
die keinesfalls aus der Chronik stammt, welche Egidius faöchsteiiB
zu Egedius umgestaltet, den bekannten AStius aber bewahrt
haben würde. '
So zeigt sich an den Oestaltungen des CküderichrLUdßs unzwei-
deutig, dafs ich in Beurteilung des Gegensatzes zwischen burgun-
discher und fränkischer Kultur und Sage, bei welcher ich die
erstere für die ältere, reifere und romanische aus kulturhistorischen
Gründen erklärte, recht gehabt habe. Zugleich zeigt sich aber» daifl
der Übergang vom fränkischen zum französischen Epos nichts wie
ich ebenfalls vermutete, durch das burgundische Epos hindurch-
gegangen ist, wenigstens in unserem Falle nicht: denn eine fran-
zösische Merowingerverbannungssage, die uns erhalten
ist, die Flooventsage, ist nicht nach der Art von Fredegars
Darstellung, sondern nach der Gregors oder des Liber
Hisioriae gestaltet
Ihr wenden wir uns nun zu, vom halb geschichtlichen, halb
sagenhaften lateinischen Bericht zum altfranzösisehen Spielmannstezt
2. Die Verbannung Floovents,^
Ich will nur in aller Kürze versuchen, die mit Recht berühmte
Darstellung Rajnas in Erinnerung zu bringen, ehe ich meine Nach-
träge bringe.
Sachlich zeigt sich die Flooventsage als eine Fortentwickelung
der bisher besprochenen Cküderichsage. Sie führt den Helden nach
Sachsen, läTst ihn eine sächsische Königstochter heimführen und von
einem treuen Freunde Richier in allem unterstützt werden.
Der epische Name Floovent ist ein Patronymicum. EUnter
ihm versteckt sich Clödwigs Bastard Theodorich, dessen Namen-
gleichheit mit dem Goten Theodorich in einem Falle wahrschein-
lich zu Verwechselungen, in anderen Fällen zu Unterscheidungs-
namen führte: Hugo-Theodoricus, Hugdietrich (Hugo heilst:
'Franke'), Wolfdietrich (vgl. Voretzsch, Ep. Stud, S. 278 ff.).
Das schwierige Kapitel der Flooventsage ist: das Motiv der
Verbannung. An die Stelle der Schändungen von Frauen
durch Childerich ist die Schändung eines Lehrers mittels Bart-
* Vgl. oben S. 56 die für Aetius beigebrachten Vulgarformen Aiedusj
Egetius etc., welche einem romajniischen *Eiedxo entsprechen. Wenn also
Egidius und Aetius romanisch Ahnliches ergeben, so sind sie eben da-
durch verwechßelt worden. Dann ist aber der Name unter allen
Umständen durch romanische Sage erhalten worden.
^ Bröckstedt, floovantstudden (Diss. Kiel 1904) blieb mir bis jetzt
unzugänglich.
Studien zur fränkischen Sagen geschichte. 61
abschneidens getreten. Ist das die Milderung obszöner Szenen, die
wir so oft antreffen, und die der Einspruch eines rein denkenden
Volkes ganz natürlich mit sich bringt? — Die Oesta Dagoberti
(Rajna S. 146) belehren uns eines anderen: Prinz Dagobert rächte
sich an dem Minister seines Vaters Sadregisel, der ihn schnöde
behandelt hatte und nach der Krone trachtete, indem er ihm den
Bart schor. Der Wut des Königs entging er an geweihter Statte, an
der er spater zur Erinnerung die Abtei St-Denis gebaut haben soll.
Die kirchliche Konsequenz der episch anhebenden Erzählung werden
wir mit O. Paris und Rajna (147, 148) dahin verweisen, wohin sie ge-
hört, in die K i r c h e. Wir vermuten, dafs die 8 a g e , ähnlich ihren Ver-
wandten, Dagobert für die Schändung in eine Verbannung führte.
So hätten wir im 7. Jahrhundert nebeneinander:
1) Eine südfranzösische Verbannung Childerichs nach Kon-
stantinopel (Motiv: Schändung der Frankenfrauen).
2) Eine nordfranzösische Verbannung Childerichs zu den Thü-
ringern (i2ouen?) (Motiv: Schändung der Frankenfrauen).
3) Eine {pstfrcmxösische 7) Verbannung Theodorichs (= Floovent)
zu den Sachsen (Motiv?).
4) Die kirchlich entstellte, zur Verherrlichung von Saint-Denis
gefertigte (also zentralfranzösische I) Exposition einer gleichen
Sage über Dagobert (Motiv: Schändung des Ministers).
Die Sagen über Ghilderich verwehten, die Sagen über Floo-
vent und Dagobert flössen zusammen und mischten sich auf das
innigste: der epische Name Floovent siegte über Dagobert
Seinerseits erhielt sich das Motiv von des letzteren Verbannung. Den
Namen von Dagoberts Widersacher Sadregisel erkennt man wieder
in dem entstellten Salardo der italienischen Version dier Beali, dem
Sa] vaerd der niederländischen Version. Jy^r Floovent nopnt ihn nur
Senechal: 1444 Senechatd de Dijofi, also wohl Ersetzung eines
mlTsverstandenen Namens. Die Schändung eines Mannes (hier des
Lehrers) hat über die Schändung der Frauen aus der älteren Mero-
wingersage gesiegt.
Ab^ sagen wir hier nicht zu viel? Kennen wir denn über-
haupt die Ursache, derentwegen Floovent vor seiner Verschmelzung
mit Dagobert wandern muiste? In der Tat, wir kennen sie nich^
und nichts berechtigt uns vorderhand, anzunehmen, dafs diese nach
dem Muster von Ghilderich gemacht worden sei. Im Gegenteil kann
ja die Lehrerschändung auch ihm gehören.
Wir besitzen noch eine zu Anfang erwähnte Anspielung auf
Floovent, welche ganz andere Berichte über ihn vermuten läfst,
aus der man aber bisher nichts hat machen können. — Nehmen
wir sie im Wortlaut vor: Saianes Tir. III, 4:
1 (Que) dl qui tint de France premiers la region
Ot a non Clodois, que de fi le set on;
Peres fu Floovant, qui fist la mesprison
62 Studien zur fränkischen Sagengeschichte.
De sa fille la bele, qui Aali£ (Helois, Helois) ot non.
5 Tant fu sage et cortoiee et de bele fa^on
Que novelee en vindrent au Saisne Brunamont,
Qui justiBoit Sessoigne et la terre an yiron.
Sarrazins ert li Saisnes, si [creoit an] Mahon;
De la franche pucele fist requerre le don,
10 Et li roiz li dona par male (A: fole) antandon:
Miax li yenist avoir tu4e d'un baston . . .
Car (B, A) li oir k'en issirent fiurent fier et fel<m.
Gaston Paris schreibt über die Stelle (Hut. PoU, &. 221):
'Ge Floovant, ... eui k tort de marier sa fille Äalix, Helois ou
Heluiz au Saaon Brunamont, dont les descendants rielamereni
plus tard la cauranne de FranceJ
Und auch Rajna versteht die Stelle in dieser Weise {Origini
S. 188): 'Deüe noxxe di una figUuola dt Floavent, per nome Aaliz
0 Helois, con un re aassone, tum abbiamo adesso nessuna espo-
sixione diffusa.'
Der altfranzösische Text ist nun doppeldeutig, je nachdem man
das Possessivpronomen in Zeile 4 und li rois in Zeile 10 bezieht
Paris und Rajna beziehen beides auf Floovent, indem sie anneh-
men, dais mit Vers 8 von Clodwig abgesprungen wird. Wo aber
ist gesagt worden, dafs Floovent nun König sei?
Nicht anders die Anspielung Alberichs von Trois-Fon-
taines ad. 658: Quedam hystoria de rege Floovenz, Clodovei filio.
Huius filia Helvidis data lustamundo regi Saxonum peperü Bruno-
mtmdum et heredes Withecindi.
Die Anspielung ist unabhängig von der im Saehsenlied, denn
sie macht die Helvidis ^ zur Mutter, nicht zur Qattin Brunamunds.
Wie jene ist sie zweideutig. Huius kann grammatisch auf Floovent
wie auf Clodwig bezogen werden.
Man kann also Paris und Rajna entgegenhalten: in der An-
spielung der Saisnes ist nicht gesagl^ dals Floovent König is^ mit
U rois in Zeile 10 ist darum eher Clodwig gemeint. Damit erhielte
man aber einen ganz anderen Sinn.
Es kommt aber noch etwas hinzu: beide haben Vers 8 mesprison
modern französisch verstanden: m^prise 'Fehlgriff . Der Begriff 'fehl-
greifen' dient aber auch häufig zur beschönigenden Bezeichnung von
'unrecht tun'. Vgl. 'sich vergreifen an jemandem'. Und diese Be-
deutung hat mesprison auch altfranzösisch. Ja im Floovent ist
es gerade dieses Wort, das (neben mesfaü 19, 89) für die
Schändung des Seneschals angeführt wird:
1442 'Je suis fiz Cloovis, le roi de Monloüm,
Qui me cha9ai de France por une mesprison
Que je fis vers mon maitre, Senechaul ae D[ijon],
Cui je copai la barbe enz apr^ lou grenon.'
* Über Aaliz, Helois, Helvidis siehe O. Schultz, 'Hik^Ue^ in
Toblerabhandlungen S. 180. Sein Etymon ist: Hnlundis (S. 184). Über
die 'obligaten Namenvertauschongen' s. S. 185.
Stndien rar frSnkischeii Bagengeschichte. 63
Eb wild nun vor allen Dingen klar ^qui fiat la mesprison — de
aa fiüß ../ heifst nicht: 'der den Fehlgriff mit seiner Tochter machte',
ein Ausdruck, der dann erst Vers 10 seine Erklärung finden würde,
da(s er sie einem Sachsen verheiratet hätte, sondern es hei&t: Floo-
vent, der sich an seiner oder Clodwigs Tochter (das wäre dann
seine Stie&ch wester) vergriff. Sachlich ist diese Deutung zu gut
gestützt^ als dab man an ihr zweifeln könnte: das Vergreifen an
Mädchen durch die etwas ältere Sage Childerichs, deren langes
Bestehen Ihre Beliebtheit bezeugt^ und wie sie Vorbild für Verban-
nungssagen überhaupt wurde, auch das Motiv der Verbannung be-
einflussen mulste, bis ein modaneres es verwischte. Das Unrecht
und die Verbannung als Kern der Sage Floovents durch
den ertialtenen Floovent, der noch die Bezeichnung mesprison braucht»
wenn auch das Unrecht in anderer Form auftritt
Dals sich Floovent an Schwester oder Tochter statt an den
Töchtern seiner Untertanen, wie in der Ghüderichsage, vergriffen
habe, ist eher eine Stütze für, als dafs es gegen uns sprächa Die
nordische Sage setzt Elarl den Qrofsen zu einer Schwester in ge-
schlechtliche Beziehung (ihr sei Roland entsprossen) und zeigt, dafe
die Franken die altgermanische Sage von der Liebe xwischen Bruder
und Schwester kannten, der man einen mythologischen Ursprung
beimilst Aber auch der seiner Tochter nachstellende Vater bildet
(wenn unsere Deutung von der Beziehung Floovents zu Aaliz nicht
genehm ist) ein beliebtes Thema, das wir in der Manekine, in der
Gamtesse d'Anjou als Kern, in Orimms Aüerleiratih in ursprünglicher
Form, in der Huon-Fortsetxtmg: Ide et Olive, als Episode in Oriatal
und Doon (8. 99 ein Riese exkommuniziert, weil er ein Kind von
seiner Tochter hat) wiederfinden. Kurz: die volkstümliche Dichtung
perhorresziert das Thema 'Blutschande' nicht nur nicht, sondern
sucht es auf. Übrigens braucht die mesprison Floovents nicht in
Schändung bestanden zu haben, er kann ja auch ihr die Haare ab-
geschnitten oder sonst einen Schabernack gespielt haben. Über den
Inhalt des Wortes aber kann ein Zweifel wohl kaum mehr bestehen.
Nun wollen wir uns ernstlich zu der Frage: Schwester oder
Tochter? wenden. Zu ihrer Erledigung eine Vorbemerkung: Aaliz,
Helois ist beleidigt, geschändet, dem Sachsenkönig gegeben worden.
Dafs die Sage sie hieraufhin als Intrigantin gegen die Franken ver-
wandt hat, ist selbstverständlich, wie sie die Burgunderin Crotechildis
als Qattin Clodwigs gegen ihre burgundischen Verwandten stellte.
Ja, man könnte annehmen, dafs diese Sage jener von Aaliz zum
Vorbild gedient habe. Dafs übrigens die Anspielung der Saisnes in
Aaliz die Intrigantin sieht, können wir aus dem scharfen Vers er-
sehen: 11 Miax li venist avoir tuie d'un baston,
Ihre Schuld war nicht nur indirekt, Qebärerin der Gegner ihrer
Sippe gewesen zu sein, sondern eine direkte, für die sie verdiente,
wie ein Hund totgeschlagen zu werden.
64 Studien zur frankischen Sagen geBchichte.
Diese Intrigantin am sächslBchen Hofe entspricht nun der be-
rühmten Intrigantin am thüringischen Hofe, der Gotin Amala-
berga, die ihrem Gatten Irminfrid den Tisch nur halb deckte, da
er sich mit einem halben Königreich begnügte. Sie war Nichte des
Goten Theodorichs. Floovent ist aber der Franke Theo-
dor ich. Hat man beide verwechselt? Man hat dies offenbar« denn
nach dem sagenhaften Bericht Wittekinds über sie ist Amala-
berga Tochter Clodwigs und Stiefschwester Dietrichs
(= Floovent). (Pertz III, 420, vgl. Origini S. 97 ff.)
Als nämlich Huga (d. i. Clodwig), der König der Franken, stirbt»
wählt das Volk seinen Bastard Theodorich (die Bastardschaft ist
historisch) zu seinem Nachfolger. Man überging dabei Hugas recht-
mäfsige Tochter Amalberga, die Gattin des Thüringers Irminfrid ge-
worden war und bereits ihren Ehrgeiz und ihre Lust an der Intrige
gezeigt hatte.
Theodorich sucht nun die Bestätigung seiner Wahl durch die
Thüringer zu erhalten. Er sendet eine Botschaft an Irminfrid, durch
welche der Frieden zwischen beiden Völkern befestigt werden soll.
Amalberga aber sucht dies Bestreben ihres Stiefbruders zu hinter-
treiben. Sie steckt sich hinter den Berater Iring und macht ihm
klar, dafs ein Bündnis ihres Mannes mit dem Bastard Theodorich,
ihrem Sklaven, unmöglich sei: indecens fore proprio servo umquom
manus dare. Und Iring bringt es fertig, Irminfrid eine gleiche
Antwort in den Mund zu legen, wonach der fränkische Gesandte
kündet: Eine solche Beleidigung könne nur mit Blut abgewaschen
werden.
Zu diesem Zwecke sehen wir Theodorich gegen die Thüringer
ziehen, die ihn bei Bunibergun an der Unstrut erwarten. Er
schlägt sie in dreitägiger Schlacht und setzt die Unternehmungen
gegen sie auch dann noch fort. 'Denn,' sagt sein Berater, als die
Franken nicht übel Lust zeigen, heimzukehren nach dem ersten
Siege: 'in ehrenhaften Dingen halte ich die Ausdauer für die größte
Tugend: so hielten es unsere Vorfahren, die selten oder nie, wenn
sie eine Pflicht übernommen, dieselbe nicht zu ihrem Ende führten.'
Die weiteren Kämpfe interessieren uns wenig, zumal sie von
den Sachsen tendenziös entstellt sind. Hier ist die Thüringerkönigin
Amalberga Schwester Dietrich -Floovents, Kronprätendentin,
es erklärt sich die Anspielung des Sachsenliedes in aUen ihren Teilen,
die Rolle des Brautvaters hat tatsächlich Clodwig, diese Verhei-
ratung und die mesprison decken sich tatsächlich nicht, die Intri-
gantenrolle der Prinzessin, die uns Vers 11 vermuten lieis, ist ge-
sichert
Dais die ältere (verlorene) Sage von Thüringern spricht^ die
jüngere von Sachsen, ist nicht auffallend. Die Sage hat die Thü-
ringer vollkommen vergessen, und ich glaube sie nur noch in einer
sarazenischen Völkerschaft Tirant, Irant, Torant, die durch Zu-
Stadien zur frfinkischen Sagengeschichte. 65
sammen werfen von *Torenc (Thoringus) mit Tirant (Tyrannus)
entstanden sein könnte, wiederzuerkennen:
1) Auberi-' Bruchstück ed. Bekker, Fierabras S. LXVI, Heiden-
könig: Et avec aus Torant le combatant
2) Fierabras 4918 Aufricans (Eigenname) li tirans.
3) Ogier 796 Ne Beduins, n'Achopart ne Irant, und öfters.
Rajna hat die Ähnlichkeit der Bolle der Aaliz mit Amalberga
wohl erkannt^ aber nicht genug gewürdigt, wohl hauptsächlich weil er
die Doppeldeutigkeit der Anspielung der Saisnes nicht bemerkt hat
(S. 168): 0 sarehhero mai queate nozxe (di Aalix) da idenüficare eon
quelle di Ennenfrido com Amalberga, che conosciamo da un pezzo?
Abbiamo in ambedue i casi un^unione, ehe da pretesto ai barbari
deüa Oermania di meitere avanii pretensioni aU'ereditä dd trono from-
cese, La sosiituxione dei Sassoni ai Turingi, . . . sarebbe quanio mai
regolare, Oid posto, siccome Amalberga si fa soreUa, non figlittola
di Teodorieo, ne verrebbe ehe Flooveni, padre di Aalix, fosse aneor egli
Clodoveo,
Wir brauchen die Künstelei nicht und stellen die Gleichung
auf: Aaliz ist gleich Amalberga der Sage:
1) Beide sind nach der Sage Töchter Glodwigs.
2) Beide von ihm an den Sachsenkönig verheiratet
8) Beide Intrigantinnen der Sage, Pratendentinnen des Thrones,
Widersacherinnen gegen den Stiefbruder Theodorich-Floovent,
der als Bastard geringeren Anspruch auf die Krone hatte.
Der durch die Anspielung der Saisnes gesicherte * Urfioovent,
in dem sich der Held an der Schwester vergreift, ist also eine Vor-
geschichte {Enfcmces) zu jener Konkurrenz beider. Sie fundiert die
Feindschaft der Stiefgeschwister, indem sie den Helden der Schwester
nachstellen und ihn wahrscheinlich daraufhin verbannen läfst^ mit
offenbarer Nachahmung von Ghüderiehs Verbannung und Speziali-
sierung ihrer Ursache.
Nun zu dem epischen Namen der Heldin: Amalberga ergab
französisch Amauberge und später wohl Mauberge, wie Mau-
gis aus Amaugis. Hiervon dürften sich im Floovent als Varianten
erhalten haben die sächsischen Oeschwister Maudarant und Mau-
doire und ihre Schwester Maugalie, die Floovent heimführt
Später tritt Willkür in der Namengebung ein, indem die Hs. der
Saisnes sie Aaliz, Helois, Alberich sie Helvidis nennt
Dafs aber in späteren Jahrhunderten die mesprison an Amala-
berga noch bekannt war, dafür scheint mir zu sprechen, dafs eine
solche in die Legende der heil. Amalberga übergegangen
ist, welcher Karl der Grofse, den wir hier an Stelle seines
Vorgängers finden, in brutaler Weise nachstellte, ob-
gleich sie sich dem Kloster gewidmet hatte: Einst, als sie
sich vor den Altar geflüchtet, wollte er sie fortziehen, um sie zu sei-
Archlv t n. Spmchen. CXVI. 5
66 Studien zur fränkiBchen Sagengeschichte.
nem Willen zu zwingen, und brach ihr in seinem Ungestüm den Arm ^
(8. GaBton Paris, Bist. PoSt. 8. 382; Rajna, Orig. 287*).
Es ist kein Wunder, dafs dieser oder ein ahnlicher Konflikt aus
dem Floovent verschwand, und dafs die Motivierung der Verbannung
aus Dagoberts Sage dafür eintrat Nur die Kirche hielt sie länger
noch als das Volk, und so kam die heilige Amalberga zu einem
Roman mit Karl dem Gro&en.
' Hier, in der jüngeren Form der Sage von Amalberga, hatten wir
also die Beziehung zur Idanekinesiigey die wir als Pendant zur 'Blutschande'
brachten, offcoikundig. Das Brechen oder Abschneiden von Arm und Hand
ist dort zum Märchen gdiörig.
Nachschrift Die seither erschienene Table des Noms Propres
dans les Chansons de Oeste von E. Langlois (Paris 1904) weist eine
Erwähnung des Königs Ans eis auch im Foueon de Oandie nach.
König Ludwig wird dort genannt (8. 160): 'bon roy du lignage An-
sSis\ Auch die Redensart aus Doon M.: dds le temps AnsSi, könnte
auf ihn zielen (ÖOSO, vgl. 5860: Ansehier). — Auch zu Torant finden
wir andere Belegstellen.
München. Leo Jordan.
Note sul Boccaccio in Ispag^a nelPEt^ Media,
(FortBeUung.)
Assai minor fortuna del De Caaibus e del De daris
Mvlieribus godettero in Ispagna gli altri trattati del Boccaccio.
Ma si del De genealogüs deorum gentilium, come del De
montibtM, ailvis, fontibus, lacubua, fluminibus. stagnis et palu-
dibua et de nominibus maria si ayeyano, nel '400, traduzioni
ed imitazioni. La Oenealogia de loa Dioaea gentilea, 'en castel-
lano', era tra i libri del marchese di Santillana, ed e, verosimil-
mente, opera del dottor Pero Diaz de Toledo, uomo di vasto
sapere, Yolgarizzatore di Piatone. Nelle chiose ai Proverbioa,
dove e memoria di 'Damnes, fija de Peneo' (Obraa, 79), la Oenea-
logia e citata. Nel tempio della scienza del Marchese figuraya
pure il Libro de Johan Bocagio florentino, poeta laureado,
d quäl ae intitula de loa montea e rioa e advaa, e sarä, o
non sarä, yersione anonima, fatta per istanza del gentiluomo
spagnuolo Nuno de Guzman, intelligente mediatore fra la lettera-
tura umanistica d'Italia e qaella di Spagna, che 'infiniti Yolumi',
al dire di Vespasiano da Bisticci, f e trascriyere, e perduraya assorto
ne'pensier grayi persino a tavola, doye ^s'astraeva in modo che
lasciaya il mangiare ed ogni cosa'. L'unico suo biografo ci assi-
cura ayere il Guzman raccolta ^una degnissima libraria, la quäle,
preyenuto lui dalla morte in Siyiglia, capitö male'.^
Tra i libri di Don Alyar Garcia de Santa Maria, zio di
Alonso de Gartagena, troyi aeia cuadernoa de genealogia Deorum,
acquistati prima che si desse mano alla yersione castigliana, con-
temporaneamente forse ai libri del De Genealogia di proprieta
di Enrique de Villena. * Alla compilazione boccaccesca, vera
* Bimando all'accuratisBima inda^e di Mario Schiff suUa blblioteca
del Santillana, che potei consultare ndile bozze. ün'appendice tratta della
yita e degli scritti di Nufio de GuzmaD. Vedi anche A. Morel-Fatio, No-
tice 8ur trois manuaer. de la bibl, d* Oauna in Roman. XIV, 94 sff. — Due
manoscritti del De öeneal. castigliano sono alla Nazionale di Madrid, un
altro (N. 458 del fondo spagnuolo) alla Nazionale di Parigi, coUa traduzione
del De moniibus, athis ecc, La Oenealogia de los Dioaea de loa gentilea, 'en
eaatellano^ 'falto del principio' h registrata nel noto Catdlogo del Rocamora
p. 12, N. 30.
* Vedi gli inyentari del Villena e di Alvar Garcia, citati altroye. Nel
Catdlogo dela Libreria del Cabildo Toledano, recentemente compilato (Eev,
5*
68 Note Bul Boccaccio in IspagDa nell'Etä Media.
enciclopedia della mitologica scienza» frequentemente consoltata
e studiata, in Italia e fuori, compendiata da parecchi, in breve
volger di tempo, toglieva il Yillena, giä prima del SantillaDa,
favole» notizie mitologiche, candidamente esposte come vere etorie,
e tutte, quäl piü, quäl meno, di forte sapor terreno; toglieya
nomi di Divinita, dichiarazioni polisense e caotiche de' miti an-
tichi^ 'reliquie degli dei pagani, spcrse in quasi infiniti volumi'.
Traccie di un'assidua lettura del De Oenealogiis trovi nelle
chiose SilYEneide tradotta, ingombre di vite e di miracoli, desunti
dalla mitologia antica; pur le scopri ne'trattati: Los Trabajot de
HercuIeSy la Consolatoria d Ferndndez de Valera (che associa
il Boccaccio ad altri dotti: Petrarca, Isidoro, Yalerio), dove, a
conforto dell'amico afflitto, si narrano esempi di sciagure, patite
dagli Dei. Nel Prohemio al Condestable de Portugal, il mar-
chese di Santillana ricorda gli studi della ^gra^iosa s^ien^ia'
poetica, compiuti dal re 'Johan (I) de Chipri', e dal Boccaccio
espressamente vantati nell'^entrada prohemial de su libro de la
Genealogia 6 Linage de los dioses gentiles, fablando con el
senor de Parma (I), mensajero ö embaxador suyo'; ed e certo
anche un po' dietro Tesempio della memoranda difesa e magni-
ficazione boccaccesca della poesia, negli ultimi libri della mito-
gica compilazione,* che il marchese, nell'esordio deH'epistola,
combatte Terror di quelli che 'penssar quieren.ö dedr', non
tendere le poetiche favole che a 'cosas vanas e lascivas', ed identi-
fica la poesia, cosa tutta Celeste (^un (elo (eleste, una affection
divina, ... de arriba infusa'),' colla scienza piü sublime, ^mas
prestante, mas noble, o mas dina del hombre'. La definizione
stessa della poesia, o ^gaya s^ien^ia', quäl ^fingimiento de cosas
ütiles, cubiertas 6 veladas con muy fermosa cobertura, com-
puestas, distinguidas e scandidas por (ierto cuento, pesso e
de Äreh,f Bibl, y Mus. 1903; aggiunta al fasc di Luglio, p. 57), figorano:
Los 13 primeros libros de la geneaiogia de los dioses traducuios al castdlano.
Mb. di 269 f., forse giä registrato nel vecchio catalogo del 1455.
' Vedi lo studio, alquanto superficiale, di £. Woodbrige, Boeoaecio's
Defense of Poetry in PiwUecU. of the Mod, Assoe, of Ameriea, NuoTa Ser.
Vol. VI, 3, pp. 333--49; O. Hecker, Boceaeeio-Funde, Braunschweig 1902,
pp. 190 seg., dove ^ un opportuno accenno alla difesa della poesia, ten-
tata nel De CasibuSf nelFepistole a Jacopo Pizzinghe, e nel conunento di
Dante, e si ricordano le note epistole di Coluocio Salutati a Giovanni da
Samminiato. Come Albertino Mussato, in alcune sue ripetute difese della
poesia, da si servisse degli argomenti addotti dal Boccaccio, ricorda il
Novati, indagini e postiüe dantescke (Bibl. stör. orit. d. küer. dani. IX. X),
Bologna 1899, p. 102. Vedi inoltre la ristampa del libri XIV e XV del
De Ueneal, nelropera del compianto Oddone Zenatti, Dante e Firenxe —
Prose afUichej con note iUustraiive^ Firenze 1903.
' 'Nunca esta poesia ^ gaya sciencia se fallaron si non en los änimos
gentiles, 6 elevados espiritus' (Obras 2 sg.). Femän P^rez de GuzmÄD
(Oane. de Baena p. 615): 'La gaja 9ien9ia que asy como rrosa | Nasciö
en el yergel de la poetria.'
Note sul Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media. 69
medida', e tolta, in massima parte, da quella data dal Boccaccio
nel penultimo libro del De Oenealogiis.^ Chi apre, continua
poi il marchese, 'las escuridades e (erramientos dellas . . . quien
las escIaresQe, quien las demuestra e fa^e patentes sinon la
cloqiiengia dul^ e fermosa fabla, sea metro, sea prosa'?' E chi
piii degno, nel concetto del Santillana, di svelare ogni poetico
mistero, del Boccaccio medesimo, *orador insine', eminente
scienziato, autor di prose 'de grand eloqüencia'?
* Potera awertirlo il Croce nella sua bella JSstetieOf Napoli 1902, p. 181.
' Non ho modo di consultare ora, n^ l'originale latino del trattato del
Boccaccio, n^ il manoscritto della versione castigliaDa, e mi ^ forza gio-
varmi della versione Betussiana, BbiaditiBsima. Cito quei brani che piü con-
cordano col Prohemio del marcheee (DeUa Oenealogia degli Dei, L%b, XIV,
f. 232): *.., dicono la PoeBia in tutto eeser niente, e una vana facultä,
cultä non vana, ma piena di succo a quelli, che vogliono con l'in^egno
premer fuori i sensi aalle fittioni. ... La Poesia ^ un certo fervore di scri-
vere, 6 dire astrattamente, e stranieramente quello, che haverä trovato, il
quäle derivando dal seno d'Iddio, a poche menti ... ^ conoeduto. Gli
effetti di questo fervore sono sublimi, come sarebbe . . . le imaginate (in-
venzioni) con certo ordine distendere, omar le composte con una certa
inusitata testura di parole, e sentenze, e sotto velame di favole appropriato,
nascondere la veritä . . .' (f. 284). 'ho detto questa seien za dal seno (Plddio
essere infusa nelle anime anco tenere . . . il poeta . . . quasi esser enfiato
da un certo spirito divino . . . Assai si pu6 vedere . . . la Poesia . . . haver
origine dal grembo d'Iddio. ... £ gli ^ pura Poesia tutto quello, che sotto
velame componiamo, e stranieramente si ricerca, e narra ... affine, che
per la troppa brevitft non levasse la dilettatione, n^ con la soverchia lun-
ghezza porgesse rincrescimento, con certe r^ole di misura, e tra diffinito
numero di piedi, e sillabe il (verso) costrinsero . . .' (f. 286). *La favola h
una locutione eesemplare, overo dimostrativa sotto fittione, da cui levata
la corteccia, ^ maniiesta la intentione del favoleggiante.' Nella traduzione
del De Gastbua il marchese poteva leffgere (p. XL V) : '£ bien assi como la
sancta scritura declaro primero por los profetas los secretos que eran por
venir de la divinal voluntad so un encubierto callado y honesto : bien assi
esta sciecia de poetria sus ymaginaciones en si concebidas son una cobertura
de enfingimientos muy publica manifesta'. II Santillana possedeva, come h
noto, la Vüa di Dante ded Boccaccio, e non avrä mancato certamente di
leggervi quanto, nelPesordio (§ 10), h detto sulla sacra missione de' poeti,
i quali: 'quando con finzioni di varii Iddii, quando con trasmutazioni di
uomini in varie forme, (][uando con leg^adre persuasioni ne dimostrano
le ragioni delle cose e gli effetti delle virtü e oei vizi'. — Nelle note su
Dante in Ispagna osservava, incidentalmente, come l'accenno a' 'refranes que
dicen las viejas tras el fuego' ci ricordi il cenno alla popolaritä delle
poetiche favole, 'narrate ai oambini dalle vecchierelle accanto al fuoco'
{De Oeneal. Cap. X). Bileva nel Oonde Lueanor (4) Pespressione : 'una
palabra que dicen las viejas en Castiella^ C. Michaelis de Vasconcellos,
Tausend portugiesische Sprichwörter, in Festschrift Ä. Tobler, Braunschweig
1905, p. 28. — L'immagine del legnetto sbattuto dall'onde, e raccoman-
dato a stento con äncore al fondo (De Oeneal, üb. XV) difficilmente si
garä sovrapposta alla notissima immagine del Purgatorio dantesco nella
mente del poeta che rimava : 'La flaca barquilla de mis pensamientos' ecc.
70 Note 8ul Boccaccio in Ispagna nelPEtä Media.
Gli encomi prodigati dal marchese a' massimi Italiani del
^300 erano raecomandazioni valide perche si leggessero e medi-
tassero le opere loro. Non oserei affermare, tuttavia, che il
Prohemio, incensatore del Boccaccio, bastasse perche si desse
bando alle compilazioni mitologiche antiche di CiceroDe, Oyidio,
Apollonio Rodio, Macrobio, Fulgenzio, e si consultasse unicameDte
il volume del Certaldese. Don Pedro de Portugal, p. es., a cui
il Prohemio era indirizzato, interroga ancora, nella Sdtira de
fdice e infdice vida, il De natura Deorum di Cicerone (fönte
alle Genealogie del Boccaccio), quando gli occorre un'interpre-
tazione della natura di Cupido, e non si da pensiero della mito-
logica dottrina accumulata dall^eloquente Boccaccio J II gran
Tostado, fenice de' teologi e dei dottori, si rivela invece lettore
attento del De genealogiis boccaccesco, nella Breve obra de los
fechos de Medea, e nel Tratado de los dioses de los gentües.^
Tardi mi sorresse fortuna nelle ricerche assidue e costanti
ch'io feci del Liibre de les transformacions del poeta Ovidi,
scritto, in fine del '400, da Francesch Alegre, dedicato, *ab humil
affeccio^ a Giovanna la pazza, figlia di Fernando d'Aragona, e
stampato a Barcellona, nell'ultimo decennio del '400.^ Da un ampio
estratto pervenutomi, per condiscendenza somnia di un mio gio-
vane amico di Catalogna,^ so di quäl natura sieno e donde sieno
cavate, le riflessioni allegorico-morali, che il Catalano, forte di
studi umanistici, traduttore della 'Prima guerra punica' di Lco>
nardo Bruni d'Arezzo (1472), compilando 'entre la ocupacio de
molts negocis', aggiunge di suo alle *trasformazioni' tradotte,
' Qpuseol. liier, cit. p. 68. L'autore della caTallereaca novella Ourtal
y Ouelfa (ed. Bubiö 7 LIach, Barcelona 1901) si compiace assai di defini-
zioni mitologiche (vedi partioolarmente il cap. 18 det libro III), ma non
ricorda il Boccaccio, e si fa forte delPautoritä di Macrobio.
' 'Tuvo sin duda en uno y otro presente el celebrado libro de Boc-
caccio: Oenealogia deorum\ cosl A. de los Rios, Eist VI, 269, che pro-
babilmente indovinava, senza le^r ben addentro le opere del Toataao e
del Boccaccio. Lessi alla Palatma di Vienna: Las ehesc quesHones vul-
gares puestas al Tostado y la respuesta y däerminacum tPellas sobre los
dioses de los gentiUs y las edades y virtudesy nella rara edizione di Sala-
manca, 1507. II De Oenealogiis D^rum del Boccaccio vi h espressamente
citato al f. XXX per la 'octava Question': 'Si por Diana se entiende la
luna'. Nicolas Antonio, Bibl. Vet. Lib. X, cap. VII, p. 260 registra: Ob-
torxe qttestiones del Tostado, invece dl dieci, e ricorda, a p. 887, un trattato
De Minerva, che io, pur troppo, non lessi e non vidi mal.
^ Äcaben los qutnxe libres d^ frans fonnations del poeia Ovidi: e los
quinxe libres de aüegories e tnorals exposieions sobre dls estampats en Barce-
lona per Pere Miguel . Bonaventuradament en espanya e en los reynes
dArago regnant los invictisims Don Ferrando e Dona Isabel any
MCGCGLJÖCXXIUI a XXIIU d Abrü, cosl la portata finale dell'esemplare,
rarissimo, conservato nella Bibl. Prov. Univ. di Barcellona. Un' altra copia
^ alla Nazionale di Madrid (1—1277}.
* II sig^ Don J. Pijoan, discepolo attivo e intelligente di A. Rubiö j
Lluch, a cui rendo qui pubbliche grazie.
Note 8ul Boccaccio io Ispagna nell'Etä Media. 71
'fets', osservava un anonimo nella Renaixenaa, ^en forma de diä-
lech sostingut per vint doctors antichs, que la Yerge Maria
atenent k sa deprecaciö li tramet, guiats per Micer Joan Bocaci
y ahont (unich judici que la llegida superficial d'alguns trossos
'us pennet fer) al costat de hipötesis las mes xocantas que fan
recordar las sutilesas dels antichs escoliastas, y d'un violent y
no interromput exercici de gimnusüca intelectual, . . . que li
obliga a fer sa mania de desentranyar l'origin de totas las
faulas, s'hi veu una asombrosa erudiciö/' Attingeva l'Alegre
allegramente dal De Genealogiis Deorum del Boccaccio, ch'e
giä^ per se stesso, un'illustrazione continua, ragionata, e poco
vagliata, delle favole Ovidiane, fönte, non esausta mai, di mito*-
logiche notizie e fizioni. Vero e che il Boccaccio godeva in
Ispagna 'nominanza', piü o meno 'onrata', come volgarizzatore
del breviario Ovidiano degli amanti nell'Eta media, *nel quäle
il sommo poeta mostra come i santi fuochi di Venere si deano
ne' freddi cuori con soUecitudine nutricare' {Filocolo\^ ed i due
gran nomi, Ovidio e Boccaccio, solevano associarsi con frequenza,
come quelli de' piü autorevoli maestri di amore.^
* Las Metamörfosis fTOvidi {traduceiö de Franceseh Aleare) RenaioDensa,
Barcelona 1871, I, 189. Qui non s'offre che un estratto breve e insigni-
ficante dell'esposizione alle^orico - morale della metamorfosi di Daine,
tratto dall'efiemplare della biblioteca di San Joan di Barcellona. ün'altra
copia deve trovarsi all' episcopale di Vieh. Dal Orundr. 11/11, 121 rilevo
come altri capitoli delle Transformaeions si riproducano nella Benaiocensa
III, 816, che io non potei consultare. 'Algo de Alegre, tambien de las
Mäam6rfosis\ scriyevami tempo fa l'amico carissimo A. Rnbi6 y Lluch,
'publicö mi padre (J. Bubi6 y Ors) en una de las Poesias del Bector
de Vallfoeona, creo que de 1840' (cap. IV del Lib. V e cap. II del üb. IX).
' NelTe Metamorfosi di Ovidio ^ rintracciata dallo Zingarelli (Roman.
XIV) la fönte della i^questione d'amore AtüFUocoh, Vedi ora 11 Rajna^
Roman, XXXI. L'Hortis, nell' Operone suo, sempre merayi^lioeo, il Cre-
scini, l'Hecker, altri dotti scrissero, con senno, delle imitazioni di Ovidio
nell'opere del Boccaccio.
^ Col nome del Boccaccio era battezzato in Ispagna, non so bene se
anche in Italia, un commento ad un volgarizzamento in versi dell'jär«
Amandi di Ovidio, giä registrato tra i libri del Quzmän, colla Gadda de
Prmeipes, Fiametta y PanfUo en easteÜano: * Ovidio. De Arte Amandi
con comentario de f. Boectcio — en ioscano* (Gallardo, JSns. IV, 1486),
e pure sepolto tra i manoscritti dell' Eecorial. Antonio da Borna avrebbe
aggiunte e frammischiate le proprie chiose a quelle del Boccaccio. La
misoellanea, ignota a' dotti d'Italia, meriterebbe una descrizione ed un'ana-
lisi ben piü minuta di quella, necessariamente superficiale e fueacissima,
offerta dal Knust. La re^strava TEbert {Jahrb. f. rom, engl. lAter. IV,
50): Arte de amar de Ovutio explieach por Juan Boehatio. 'f^cripto de
muy buena letra por Antonio ae Borna 1388' (Man. Escor. P— Il — 10).
Knust, Ein Beitrag xur Gesch. der EscoriaUnbl. (Jahrb. f. rom. engl. Liter.
IX, 801) ricorda il manoscritto: 'Expliciunt glosule vulgares Nasonis Ovidii
de arte amandi, translate et vul^ansate a glosulis licterali sermones ed.
a diio Johe Boehatio de Florentia, quem ego Antonius de Roma scripsi
et complevi sub annis 1388', per soggiunger poi: 'Welcher Theil der An-
72 Kote 6ul Boccaccio in Ispagna nelVEtä Media.
Le ^esposizioni' dell'Alegre si aggiungono, come opera nuova
ed apparenteroente originaley in nne della versione del testo
di OvidioJ Volevasi qui investigare la verita, ascosa sotto il
velo della favola» e TAlegre, fresco della lettura del De Genea-
logiis, che accoglieva, negli ultimi libri, le e£Fasioni dell'aniino
del grande novellatore, appare lui pure irato contro gli stolti, gli
ignoranti, 'qui sol mirant la escor^a indican los poetes per ho-
menB mentirosos; e reprovant les faules los tanquen les Grelles'.
La yalorosa boccaccesca difesa della poesia gli e fitta in mente,
e in parte la riproduce colle parole stesse del Certaldese. Cre-
don moltiy soggiunge, esser derivata la poesia da 'poyo grech',
altro non significare, poeta che 'fengir', ed hanno quindi in di-
sistima la nobil scienza; ora il vocabolo greco, che pur si ri-
specchia nel latino^ vuol dire *crear\ e chi crea, deve necessaria-
mente avere dottrina e sottile intendimento. ^ Segue la nota
definizione del Boccaccio, giä dal Santillana, con leggere variauti,
ripetuta: Toesia es una fervor d exquisitament trobar guian
la fantesia en ornadament scriure lo que havra trobat, proceint
del si de Deu apochs entenimets atorgada en la creacio. Daon
ve que pochs son ves poetes perque atart se dexen veure
los grans efectes de aquesta divina fervor. Aquesta constrenj
nostre enteniment a desitg de ben dir; a pensar noves e in-
hoides invencions, compon les ab cert orde inusitats vocables
te per familiars: y les grans veritats de antiga historia ab gentil
vel de fictio aporta cubertes y molt sovint les doctrines morals.' ^
merkun^n von Boccaccio selbet herrührt, iat nicht zu bestimmen.' — Non
credo sia tntt'una cosa col commento contenuto nel codice laorenziano
XLI, 36, deecritto da £. Bellorini, Note ntUe traduxioni Oaliane deWArs
Amatoria e dei Bemedia Ämoria dPOvidio anteriori al Rinaseimento, Ber-
gamo 1902, pp. 16 8gg., dove non ^ questione, n^ del Boccaccio, n^ di
Antonio da Koma. £ noto come ü Boccaccio porgesse ainto e consiglio
alla traduzione delle Eraidi oyidiane, attribuite ad un ipotetico Carlo
Figiovanni, bu di cui vedi £. Bellorini in Mieeell, di shta. crit, d&L ad
Ä. D'Äneana, Firenze 1902, pp. 13 sgg. 0. Hecker, BoeeaeeiO'F\mdey
Braunschwdg 1902, p. 33, repstra an codice (489) dell'^a Anumdi di
Ovidio, con scritture marsinah del Boccaccio.
* fol. CXXXVI: Proleeh de Franeeeeh Alegre en les alegories: e marals
eocposions dels libres d^ träne formaeums dei poeta Ovidi defmmt poesia
fatda e aUegoria: 'Arribat a la fi de tant treball e per orde posaaes en
ma lengua vulgär les faules de Ovidi : no oblidat de la obligacio . . . giri
lo meu entendre en cerca de la Verität: que sots ellas se cobra'.
' DeUa Oeneal. d. Dei (trad. Betussi) Lib. XIV, p. 234: 'Della cui
Poesia il nome non h indi nato, onde molti poco avertentemente istimano,
cio^ da P070 Pop, che suona Pistesso, che fingo fingis, anzi ^ derivato
da Poetes, antichissimo vocabolo de' Greci, che Latinamente suona esquisita
locutione.
' Boccaccio, De Oen. trad. Betussi Lib. XIV f. 233 *La Poesia . . .
^ un certo fervore di scrivere, o dire astrattamente . . . il quäle derivando
dal seno d'Iddio, a poche menti (come penso) nella creatione h conoeduto.
Ia onde, perch^ ^ mirabile, Bempre i poeti furono rarissimi. Gli elfetti
Note sol Boccaodo in Ispagna nell'Etä Media. 73
Sempre sulla falsariga del Boccaccio, citasi poi Torazione di Cice*
rone 'pro Archita' J Distinte qnattro speci di allegorie, vagamente
sowenendosi dei reconditi sensi, immaginati dal Boccaccio, nel
corpo delle favole (Lib. I), passa alle dichiarazioni ed esposizioni,
non senza ascoltare il consiglio del Certaldese: convenire ai poeti
la solitudine, per degnamente considerare le cose sublimi. Fugge
la citta; si rifugia alle falde di un monte, e quiyi innalza le sue
preci alla Vergine, perche aiuto gli somministri a svelar gli ar-
cani delle favole di Ovidio. La Vergine, impietosita, accorda al
suo devoto Pinyocato soccorso. Muovesi Taria dolcemente; ap-
paiono venti gravi uomini biancovestiti, scortati da un duce, che,
dairabito, dalla leggiadria del volto, rivela essere il Boccaccio,
onore di Toscana. E il Boccaccio favella; addita i grandi che gli
fan corteggio; De e meraviglia di trovare con lui quei medesimi
che furono al compilatore delle Genealogie piü larghi di dot-
trina e di consiglio:^ 'entre ells vais 70 perque ensemps havem
gercat la natura dells antichs deus'. Vedi con Lattanzio, Eusebio,
Cicerone, Macrobio, Plinio, Pomponio Mela, Sant' Agostino, Sant'
Isidoro, anche 'Teodosi', il Teodonzio del Boccaccio, vedi Rabano
Mauro e Pronapide ('Pronopides') l'autore del Protocosmo, e, col
'nostre catala tan estimat Orosi', anche Barlaam il calabrese, e
Paolo Perugino. Fra cotanto senno, nelPassemblea degli illustri,
che, 'ab continuades vigilies', accumularono 'profondos tresors de
seiendes', 1' Alegre si fa cuore, e i 'reverents insignes laureats'
prendon seggio attorno a lui. 'Micer Joan Bocacio', 'tenint loch
de promoyedor', arringa: 'Desliberat es per aquests senyors ans
de res dir Teure que tu duptes, perque dexades largues rations
digues que vols entendre de Ovidi e serat satisfet.' La disputa
ha cosi solenne principio. L' Alegre espone i suoi dubbi, e li
sciolgono, ne' discorsi loro, i gravi dottori, diretti dal Boccaccio,
perche % agudesalde son alevat e especulativ entendre digna-
ment tal carrech li procura'. La materia delle dispute e tutta
tolta dalle boccaccesche Genealogie, Gominciasi a discutere sul
caos, sull'origine del mondo e dei venti, e prendon successiva-
di gne8to fervore Bono sublimi, come sarebbe oondurre la mente nel desi-
deno del dire, imaeinarsi rare et non piü udite inventioni, le imaginate
con certo orcUne outendere, ornar lejcomposte con una certa inuaitata
teetura di parole, e sentenze, e sotto jyelame di favole appropriato, na-
Bcondere la veritä.'
' Citata ancora dal Boccaccio in fine del^lib. XIV, p. 252 della trad.
BetuBsi.
* Bugli autori consultati dal Boccaccio nel suo mitologico trattato,
vedi, oltre il magistrale capitolo delPHortiB, SHidi pp. 363 s^g. e gli Bparsi
accenni in O. Hecker, Boeeaceio-Funde, an breve studio, nmasto incom-
pleto, se io non erro, di D. Schöningh, Die OöttergenealMten des Boccaecio,
Mn Beitrag xur Oeachichte der unssenech. Forsch, im XIV, Jahrh., Posen
1900/1901.
74 Note sul Boccaccio in Isptigna nelFEtä Media.
mente la parola quegli illustri e venerandi che il Boccaccio, nelle
spiegazioni sue, allegava come autorita principali. D Boccaccio
chiude yolta a volta il discorso, dichiarando 'per lo seny aliego-
rieh lo que ells senyalen'. Sotto il velo tenue della favola» sempre
si cela, s'intende, una storia. Torna p. es. Lattanzio a narrar
la fiaba della generazione dei venti (Aleqoria dels fäls de Auster
en los quatre vents principals, f. CGLXIIII sgg.), e Pronapide
dimostra altra ragione, quella che ognun puö vedere, sfogliando
le carte del Boccaccio. E il Boccaccio, senza piü torturarsi il
cervello, stillando nuove, cavillose dottrine, sentenzia, traducendo
per TA legre, dal suo latiao, nella volgar lingua catalaua: 'Si da-
questas faules fictes vols trobar lo que es Verität nota primer:
auster pare dels vents esser lo cel estelat perque segons lo
creure meu lo moviment del cel e dels planetes son causa dels
vents no propinqua mes remota; son dits mes avant esser fills
de aurora qui es aquella estela que en la matina da guia al
cami del sol perque acostant se tal hora los vents comunament
se acostumen moure; lo que ha dit Lectanci que fören per Juno
incitats contra Jupiter se enten que los vents son empesos (!)
segons lo creure de alguns per la terra la quäl es dita Juno ecc.' '
Aggiunge pol Isidoro il ragionamento suo e le sue etimologie,
come le aggiungeva il Boccaccio nel trattato. Di simil natura^
derivate dalle medesime scaturigini, sono le altre questioni poste
e le rispettive soluzioni.^ Ai maldicenti che osavano affermare
* Converrebbe sapere se alP Alegre era nota la versione castigliana del
De Oenealogiü. Or aui cito dalla solita versione Betussiana (Lib. IV, f. 75)
'Di qneste üttioni aaunqne, se vogliamo trarne il oostrutto, prima d'ogni
altra cosa h bisogno, che crediamo queeto Astreo loro padre essere il Oielo
stellato, in (^uesto modo nondimeno, che tutto un Cielo sia ci6 che si
contiene tra il concavo della Luna, e il congiunto all'ottava sfera. Per-
cioch<^ istimo esser causato dal movimento del Gieio, e dai Pianed, si
come alauanto solamente da piü rimota cagione. . . . Sono poi detti figli-
noli dell Aurora: perch^ per lo piü nello spuntar delFalba i Venti sono
soliti nascere: il che approva rautoritä, e Pusanza de' nocchieri : i quali
dicono che in quell' hora si Icvano; e perci6 le piü voite aquel tempp in-
cominciano i loro viaggi, onde sono cniamati figliuoli dell' Aurora, i, poi
stato finto, che quelE fossero armati da Giunone contra Qiove: perch^
sono tenuti uscire dalla terra, la quäle h Giunone, eoc.'.
« Cap. IV p. CLXXI Bocc. De Oeneal, Lib. IX, trad.
traetant dttee cUlegorias so es de Juno Betussi f. 148 sgg. Oiunone oUava
y de Ttresias, figltuola dt Saiumo.
Bocaey. Juno es dita et soror et GHanone . . . fa figlinola di Satnmo
ooniunx del deu Jnpiter ... fos ftUa de , . . h sorella e moglie di Giove . . .
Saturno e germana de Jupiter y ab . . . di lei molte altre eose ai riferi-
aqnell caaada, segons molts altres noms scono. Cerca le coee predette, che sono
no impropriament es dita e muller e molte, molti diversamente hanno esposto
germana de aqaell e per^o esta atent varte dicbiarationi . . .
a les rations de Varro, maerobi, servi,
rabano, e leonsi, perque ab aquelles
Note 8ul Boccaccio in Ispagna nelPEtll Media.
75
non aver lui inteso i libri di Ovidio, l'Alegre turava la bocca
con coteste morali ed allegoriche esposizioni, farate tutte clan-»
seotiras moltes comb de Juno e 70
apres dire alguna cosa del fengit de
aqaella.
Vatro* Segons a scrit eonio en la
sua hiatoria de la fllla de Satumo 7 de
opis, nasque Juno enaemps dun part ab
Jupiter e fon nodrida en las 78la de
samo aon crescuda fon casada ab Jupiter
e per^o en aamo era lo mes amich e
noble temple de quants eran a Juno con-
aegrata, en lo quäl temple era la 7matge
de Juno en habit de donzella novia e
loe seua annale celebraven com^a festa
de noeses.
Maeroby. Juno la qui es dita deeaaa
de les dones parint per on es per aquelles
cridada nomenät la Juno e luoina no
68 la fllla de Satumo ans por ella es
entesa la luna, de qui es propi destendre
e lexar los porös, e obrir los meats per
Ecu7tar lo part e segons !aquest acte
ultra los dits noms es dita artemia:
quot latine sonat aerem secäs e axi
quant prene a Juno per la luna es dita
no solamet deessa en los parts mes en
los matrimonis per que solen les muUers
en les nits esser portades a casa dels
marits en la quäl part del dia pre-
domina la luna, altres voltes es presa
Juno per lo a7re e Jupiter per lo cel
e azi considerat com vehi esta laun
del altre no impropriament lo es dita
germana 7 mnller.
Servy» • • • Jupiter algunas yegades
es pres per foeh e per lo cel 7 algunas
vegades per lo foch solament e iuno
sovint es pressa per la terra e per la7-
gua: o com es dit per la7re e per^o
degudament es lo un casat ab laltre:
com laete sla propi del foch 7 del a7re
e la passio de la terra e de 1 a7gua e
axi totes coses per obra lur nazen entre
nosaltres.
Babcmo. Juno a ianua es dita quasi
obrint les portes en lo naxer 7 enlo
entrar de les noves esposes en casa dels
marits : e tal interpretar li es propi com
per ella es enteea la luna.
Leomy, E 70 segulnt aquells qui
a la terra yolen nomenar Tuno he dit
Nella Sacra historia s! legge, Giunone
essere stata generata da Cliove Re . . .
e di Opi moglie di Satumo in un parto
istesso con Giove, ma pria di lui esser
nata, et secondo Varrone moglie, fu
nodrita nell' Isola di Samo . . . dove
essende cresciuta, fu maritata in Giove,
e per cib a Samo vi fü ediflcato un
nobilissimo e antichisaimo Tempio, dove
era Timagine di Giunone figurata in
habito d'nna donsella, che si mariti,
alla quäle ogni anno si celebravano i
saoriflci nuttiali.
Dice Fulgwtzio (l'Alegre lo confonde
qui con Macrobio), che h chiamata
Dea di quelle, che partoriscono, per-
ch& le ricchesse, ne* quali ella i Re-
gina, sempre ne partoriscono dell* altre;
11 che semplicemente non & vero di
tutte, . . . perch^ la Luna, tenuta una
cosa insieme con Giunone, fu solita da
quelle che partorivano, essere sotto il
nome di Lucina invocata, e secondo
Maerobio, dicevano che in potere di
Giunone era il far tosto allargare i
meati, e le vene de i corpi delle donne
nel tempo del parto ... et allora
in Greco yiene detta Artemia, latina-
mente come sarebbe seccante Taere.
. . . Vogliono, che- fosse Dea di matri-
moni. . . . credettero Giunone essere la
Luna . . . hanno tenuto Giunone per la
strada guidare le spose, che partono
dalle case dei padri, e vanno a quelle'
di mariti . . . e affermano Giove essere
il cielo e Giunone Taere.
Servio dice poi, che alle volte Giovej
si toglie per lo fuoco e Taere, e talora
per lo fuoco solo; cosi Giunone si pi-
glia per la terra, e l'acqua, e tal yolta
per I'aere solo : e perö . . . meritamente
sono detti marito e moglie, hayendo il
fuoco e Taere possa di oprare, e la terra
e l'acqua di patire; e cosi oprando i
superiori oon gli inferiori . . . appresso
noi si genera il tutto.
Ma Eabano chiama Giunone quasi
Gianone, cio^ Janua, rispetto alle pro-
prieti delle donne, perciocehi ella yenga
ad aprire le porte delle madri ai figli-
uoli . . . e delle spose ai mariti.
Tuttayia Leontio dice, che Giunone
in Greeo si chiama nen (fl^rj). 11 quäle
76 Note 8ul Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media.
destinamente al Boccaccio. S'accommiata poi dalla brigata il-
lustre; scioglie una prece a Dio, all' 'infinit deu pare', e chiade
Topera strana e strafalaria, che nes^uno piü legge.
Giä era spuntata l'alba del nuovo secolo, e scemato d'assai
in Ispagna il favore accordato alle opere latine del Boccaccio e
del Petrarca, quando Lodovico Vives, fustigatore del GentonoTelle
del Boccaccio, degli Amadigi e dei Lancillotti, nel De institutione
feminae christianae (saccheggiato da Lodovico Dolce nel dia-
logo Ddla instituzion ddle donne\ ^ ayeva ancora, nel 3^ libro
del De dißciplinis tradendis, memore di quanto Erasmo ayeTa
scritto sul Boccaccio, nell' analoge trattato,^ una parola d'elogio
per il compendio boccaccesco deUe favole mitologiche : 'Ad poeta-
rum fabularumque Cognitionen! et si plurima ex Ovidio, atque iis
autoribus, quos recensui, desumpserit, habet tarnen Joannem Bo-
catium, qui deorum genealogias in corpus unum redegit, felicius
quam illo erat seculo sperandum: tametsi in interpretandis fabulis
saepe est nimius et fingidus.'^ II favoleggiare suUe divinita ed
i miti antichissimi fu, in Ispagna, mania difficile da sradicare e
combattere. I trattati mitologici affluivano, ed il Boccaccio,
qa« Yuno es dito en greebs nen qui viene da ena che h la terra, e si fa la
ve de era qnod est terra e feta matacio mutatione di e in n, alla qnale can-
de la e en n es feta nea, e mndada la giando Va in n si fa nea (tjpa) che h
a in n es la nen per on propriament la terra. Onde Giunone propriamente e
es juno intesa per la terra. la terra. /
Boeacy. A aqaesta son aplicats molts — — — — — — — —
altres noms segös diversos actes dela — — — — — — — —
luna, del ayre y de la terra segons
de oaaenns en aon loch deelarant lo
scrit per Ovidi te fare m€oio: a ella
Bon assignades quatorze ninfes segons Et acciocch^ la Reina degli Dei non
qne din Virgili: Sunt mihi bis Septem vadi sola, le aggiungono per serventi
prestäti corpore nimphe. Les armes quattordici ninie, si come in persona di
y lo carro de qae parla Virgili . . . li lei Virgilio mostra, dicendo: Dae volte
assignaven per denotar lo carro la oir- sette ninfe a miei servlgi | beUissime
cnicio continna del ayre, entorn de la di corpo stanno pronte. . . . Le fa attri-
terra, e les armes tant per mostrar que buita la Carretta, per dlnotare il con-
lo ayre ab ploges y grops qae so les tinuo giro deiraere d'intomo la terra,
saes armes exercita ses forces, qnät per Le furono aggiante Tarmi, perdocb^ a
esaer germana e muller de Jupiter per guerreggianti . . . pare cbe ella gli le
on era dita deessa dels reynes y de les conceda. . . . Giunone la quäle k sorella
riqneses per qui sovint son mogudes les e moglie di Giove. . . . Dea di Regni
guerres e delle riccbeize . . .
* Vedi BoDgi, AnnaU di Oabrül Otoliio de' Ferrari 1, 100 ggg.
' De raiione inetntendi pueros, Parigi 1511: 'Eküscenda et deorum goiea-
logia, quibuB undique refertae sunt fabulae, eam post Hesiodum felicius
quam pro suo seculo tradidit Bocatius.'
^ J. Ludovici Vivis Valeutini, De Disdplinis, Libri XX, Ck>lonia 1532,
p. 301. II passo citato non era sfuggito ad A. de los Rios, Biet VI, 41
nota 1, che perö non ricorda7a Erasmo. Ora sul trattato del ViTes h da
vedersi la dotta monoKrafia del Bonilla, Luis Vive» y la Filosofia del
Renadmiento, Madrid 1903, pp. 223 sgg.
Kote sul Boccaccio in Ispagna nell*Etä Media. 77
dalle sileDziose regioni in cui posava» poteva gioire della di-
scendenza de'suoi libri magni. II poligrafo e canonico di Gra-
nada, Juan Perez de Moya manda alle stampe, nel 1585, lo
zibaldone: Filosofia secreta, donde de baxo de historias fahu-
loßas se contiene mucha doctrina provechosa a todos estudios.
Con el origen de los Idolos 6 Dioses de la Oentilidad.^ Un
decennio depo (1594), Juan de Azpilcueta Navarro, professore
all'universita di Zaragoza, mette insieme dieci Dialogos de las
imagines de los dioses antiguos, togliendo assai dalla scienza
del Boccaccio e da altri autori, che coscienziosamente cita,^ ^sin
negar a cada uno lo que es suyo'y e 'sin cansar con prolixas
alegorias de que son tan amigos los Italianos j ni hazer largos
discursos con moralizar sub figuras'.^ Un Teatro de los Dioses
de la gentilidad (ben noto al Calderon), in due volumi, gravidi
di scienza, racimolata, per chi non sapeva di latino, dagli an-
tichi e dal Boccaccio, si fabbrica, in pieno '600, il frate minorita
Baltasar de Vitoria, luminare di sapere, a' suoi dL^
* BiBtampavam ancora a Madrid nel 1673. ^Es matmia muy neeessaria
para eniender Poetas, y Historiadore»'. AI trattato del Boccaccio si allude
a p. 67 {De Juno), a {>. 229 (De Luna\ e altrove.
* Vidi ed esaminai alla Nazionale di Parigi un manoscritto di queeti
'Dialoghi': Eep. 73 (ignoro se mai sieno stati stampati, n^ mi soccorre lo
studio di M. Arijita 7 Lasa, El doetor navarro D. Martin de Axpüeueta
y sus obras, Pamplona 1895). Oltre il Boccaccio e gli antichi, ^ di grande
autoritä all'Azpilcueta, Lilio Gr^gorio Giraldi. La farraginoea operetta
s'introduce con un inchino a D. Antonio Augustin. Iseo: 'Si Don A. A.
hubiera querido alargar la pluma i, mas de lo q sub medallas se estendian,
con mas satisfac^ion pudiera Cesarea entender las Imagenes de los Dioses
que quiere que yo'le declare, pues fue quien con mas verdad supo las
cosas tocantos £ sus religiosas nguras'. . . . Fabio: *Ni he de espantar como
Juan Boccacio a los muy animosos con la horrible magestad del suzissimo
y feo Dios Demogorgo, metido en tan escuras tinieblas, que con teuer
Giraldo en estas cosas ojos de Lynze no alcan96 i, conocerlo . AI 1^, al 2®,
al 6*^, 8® e 9^ dialogo, il Boc(»ACcio ha somministrato dottrina. Oitasi, col
Petrarca (De rerum), l'Ariosto, il Pontano, FAlciato, anche Dante (f. 6 b):
'T assi Virgilio disculpando la incredulidad de Dante, cuando finge alla
en SU Comraia que le guiava por los circulos infernales, diso d un arbol
de donde hayia cortado Dante una rama que se quexava de la offensa
q le perdonasse^ que por no haver querido creer lo que ^l savia, ecc.'
' Con ^uant'amore e passione si discutesse delie favole mitologiche
e delle origmi de^ii Dei nella cerchia degli umani^ti di Spagna, in fine
del '500, e come si porgesse orecchio a tutto quanto fantasticavasi in pro-
posito in Italia, puo vedere ognuno nelle lettere riprodotte dal Donnes,
J^rogresos de la histaria en el reyno de Äragonj Zaragoza 1680, pp. 392;
398 sgg. (Nella ristampa della Bibl, de Eserit. Aragon. Zaragoza 1870,
pp. 452 s^.) Curiose e dotte le lettere deinilerden, che accennano ad
un suo nbro De natura Deorum (foggiato sul De Diis gentüium del Gi-
raldi?), a me ignoto ancora, per syentura.
^ Ho avuto sott'occhi l'edizione di Medina del Campo, 1657, e non so in
che dif ferisca dalle edizioni antecedenti di Salamanca, 1620 e 1623. Copiosis-
simi sono qui i rinTÜ al Petrarca, a Dante e al Boccaccio. V'^ pur sfog^o di
dottrina attinta al Pontano, al Sannazzaro, al Landino, aU'Aldato, all' Anosto.
78 Note sul Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media.
Dalla compilazione geografica del Boccaccio gli Spagnaoli
non trassero grande profitto; pur fu da alcuni consultata, nel-
Toriginale e nella traduzione, come si consultavano, in tanta
febbre e novita di erudizione, tutte Topere enciclopediche, i
dizionari storici, i trattati scentifici dell'epoca. 'Mitto ad te
übellum De fluminibus et montibus Hispaniaram quem ipse
edidi', scriveva da Roma, nel 1475, airamico *Teseo', Terudito
ellenista catalano Jeronimo Pau, yissuto a lungo in Italia, e
discepolo del Panormita. ^ Sullo stampo del trattato boccaccesco,
adottando pur lui l'ordine al&ibetico, comodissimo, aveya
foggiato il Pau, giovane d'anni ancora e d'esperienza, con gran
lusso di richiami agli autori antichi (il Boccaccio noD e qui pero
citato con Omero, Pomponio Mela, Lucano, Marziale, Silvio
Italico e Topere degli umanisti) un suo trattato, non yoluminoso,
e di poca pretesa, nudo elenco, che solo ai mari ed ai fiumi di
Spagna si restringe.
Meno diffuse e meno consultate erano nella Spagna del
'400 le opere volgari del Boccaccio dell'opere latine maggiori,
gravide di scienza, non originali, non vive e non durature.
Quanto piacesse il Corhaccio, e come libero corresse ad illumi-
nare le genti acciecate da lussuria e da sfrenato amore alle fem-
mine, come giovasse a riporre suUa dritta via i traviati, s'e
' Opüsculoa inidüas del cromsta eataioH Pedro Miguel Garbonei in
Colece, de doeum, inSd. del arck. gener, de la Oor. de Aragon, XXVIII, 381.
11 trattatello De fluminibue et montibus Hispaniae {ad reverendies, D. Rode-
rieum episc, portuensem card, valentinum vteeeaneMtrium) h a staniDa in
A. Scott, Hisp. illustj Franoof. 1608, 11, 834 sgg. Una trascrizione a'esso
'original de letra de Jeronimo Biancas' h aila Nazionale di Madrid (G. 178),
come rileva J. Massö Torrents, Manueerite ecUalane de la BibL Nacion. de
Madrid, Barcelona 1896, p.^ 192. ('Spero dabuntur tuo nomini aliquando
maiora: Nunc autem aliquid Cosmographiam et sUBcitationem Antiauitatts
pertinens, per vacationem a studio iuris coUectum', cosl il Pau nella dediea.)
JPrima alquanto del Pau, e probabilmente senza attingere alla scienza
geografica del Boccaccio, Alfonso Femandez de Palenda scriveva im suo
trattato De los nombres ya olvidados e mudados de lasjprovincias y rios
de Espaha. (Vedi il suo Tratado de la perfeceion del Iriunfo müiiar in
Libros de Aniano, Madrid 187Ö, V, 102.) Un'operetta di Francisco Tarafa»
canonico di Barcellona: Dels Pobles, Rius v Monianyes de Espanya, a me
ignota, h ricordata da N. Antonio {Bibl. Nov,) che n'ebbe notizia daUa
Öoroniea universal del jmndpat de GathaUtnya di Hieron vm Pujades (1609).
Vedi G. Cirot, Les htstoires ghUrales d'Espagne entre Alphonse X e< T^t-
lippe II, Paris 1905, p. 170. — La traduzione castigliana del trattato geo-
grafico del Boccaccio ^ piü volte citata, con altri trattati boccaoc^chi
{De las mugeres illustres, De hombres illustres, Del origen de los Dioses)^
e col De Viris ed il De Herum del Petrarca, nello zibaldone erudito, di un
discendente del marcheee di Santillana: Memorial de eosas notables, com-
puesto por Don Tnigo Lopez de Mendoxa, Duque quarto del Infamlado,
Guadalajara 1564, pp. 47; 166; 215; 343.
Note sul Boccaccio in IspagDa ndrEtä Media. 79
detto in uno studio mio paxticoläre. ^ Alquanto minor fortuna
s'ebbe la Fiammetta, sprovyista della sacra unzione mistica,
gridata poi corruttrice dai santi inquisitori. Pure, dopo il Cor-
baccio, la Fiammetta del ^famoso Juan Vocacio', che *por sotil
y elegante estilo', 'da & entender rnuj particularizadamente los
efectos que haze el amor en los animos ocupados de pasiones
enamoradas' (cosi il frontespizio dell'edizione castigliana di Lis-
bona 1541) fu in Ispagna di gran lunga il libro del Boccaccio
in Yolgare piü letto e piü schiettamente gustato. Spesse fiate
accenuano ad esso scrittori e poeti. Le pene ed angustie d'amore
della donna abbandonata, la passione che pugnava nel suo
povero e travagliatissimo cuore» passione furente e possente, che
nessun limite conosce, a nessuna leg^e umana e divina soggiace,
e la natura stessa yince; le ansie^ i sospiri, i gemiti^ gli alti
lai, lo sperare ed il disperare, l'interna storia, analizzata a fondo
e sapientemente^ con finezza psicologica che invidierebbero i mo-
demiy dal grande coDOscitore ed esperimentatore del cuor di
donna, non lasciava inseusibili gli ingegni di Spagna, awiati
appena, e con scarsa esperienza, aUa composizione di novelle
psicologiche. II quadro esteriore, quel mettere in bocca al-
l'amante la storia delle proprie sventure, facile a proluDgarsi,
ad abbreviarsiy e variabile a piacere, era di agevolissima appli-
cazione. In mezzo allo strazio dell'anima erano gittati ancora
i ricordi eruditi. Tornavasi a far pompa della sapienza antica.
Non disdiceva quindi la Fiammetta dall altre opere boccaccesche
latine. La tradussero i Catalani ed i Castigliani, non sappiam
bene quando, forse giä ne' primi decenni del '400, e cosi vol-
tata,^ presto passö alle biblioteche de' gran signori; trovo dif-
* Note stdla forbuna da ^Gorbaecio' ndla Spagna Medievale (Miscellanea
Mussafia) Halle 1905.
' 1 aue manoscritti della versione castigliana, che l'EBCorial conserva
(P-I-22; e-III-9, vedi Ebert, Jahrb, f. roman, u, engl Liter. IV, bö e il
Yolume di M. Schiff sulla biblioteca del Santillana), non discordano gran
fatto dalle prime stampe: El libro llamado Fiometa, Sudamanca, 1497;
Sevilla, 1528 (Lt'&ro llamado Fiameta \ porque traia de loa amores d'una
notable duena napoliiana üamada Fiameta. M qtud libro conpuso el famoso
Juan Vocacio poeta florentino, edizione posseduta da F. Colon) ; n^ si dovrä
confondere, come fecero il Salyd, il Gayan^s ed il Qallarao, e come fa
tuttodl PHaebler (BibL Ib6r. p. *iS5, N^ 55) il primo traduttore anonimo
col cinquecentista Pedro Bocna, valenziano, buon conoscitore dell'Aretino,
a cui accenno nelle note sul Oorbaecio, — La Fiammeita catalana, bat-
tezzata anche Fiameta romana, manoscritta tuttora, e da San Cugat del
Vall^ passata all'Archiyio della Corona di Aragon, fu da mold ricordata:
dal Tastu, da Torres Amat, MiM y Fontanafe, A. Pag^g, Morel -Fatio,
Bubi6 y Lluch, Massö y Torrents ecc. Ultimamente B. Sanvisenti allungava
ed allar^ava i suoi idropici Primi influssi, riproduoendo (pp. 395 sgg.)
r*inte8tazione di tutti i capitoli del oodice. Sarebbe opportuno lavoro un
utile confronto del testo catalano coir originale itidiano e colla vensione
di Castiglia.
80 Note sul Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media.
fiisione nelle classi colte, e f e sospirare de' suoi sospiri, pian-
gere del suo pianto, gli afQitti e torturati d'amore. Fiamraetta e
Pamfilo furono, con Piramo e Tisbe, Tristano e Isotta, Lancillotto
e Ginevra» Paride e Yienna, ^ tra le coppie famose d'amanti che
a memorando esempio ed ammaestramento solevansi citare.
Di Fiammetta soyviensi Donna Leonor nella Comedieta de
Ponga del Santillana,^ una delle tristi» gemebonde regine, con-
fortate dal Boccaccio risorto. II dolor che le preme il cuore
la muove a rimembrare il dolor deU'amante infelice, i cui casi,
la 'mano' del Boccaccio ^registra e aprueva'. La fatal lettera
'del lucto sellada', che le rivela la sua maggior sciagura, e le
inonda di lacrime il yiso, le rammenta 4a triste nueva' che a
Fiammetta 'del pelegrino le fue reportada' (Obras 120). II gran
dolore della 'noble Flameta' muove al pianto, stringe il petto
('sobres dolor la pensa ma constreta') di Fra Rocaberti, che,
nel suo immaginato ^iardino d'amore, scorge, sospirante, ge-
mente^ con altre coppie d'amanti, la sventurata eroina del Boc-
caccio. I martiri di Francesca, che tristo e pio fecer Dante, e
a lacrimar lo mossero, hanno suggerito, come altrove ayrertii,
questa povera e scialba visione. Pamfilo, che abbandona Fiam-
metta in yita, non l'abbandona in morte, e se ne sta; 'ab cara
desdenyosa, | desconaxent', lagrimando, muto come Paolo: 'trist
abatut, ab la cara plorosa', e Fiammetta piange, e, riyolta a
chi ha pieta del suo mal perverso, favella del suo amore'. De-
genere sorella di Francesca, lungi dall'inneggiare aU'indomabil
passione, che della morte e dell' Inferno trionfa, e che Dio ri-
spetta, moralizza banalmente e goffamente, con compunzione.
Alle genti, dice, 'qui mos dictats ligien', gioverä il lamento 'de
ma fortuna', 'blasmen tots cells quin amen mes de una'. Assi-
cura ancora dolersi, offendersi, dic'ella, con parola tolta a Fran-
cesca,' della fama ch'e rimasta nel mondo del dolor suo. £ il
poeta, che si ingiuria Tarte sovrana di Dante, provasi a conso-
lare questa misera Fiammetta. — II ricordo di Fiammetta e in
altri Catalani e Valenziani di quel tempo, in Messen Ruiz de
Cerella p. es. {Tragedia de Caldesa). Alla Fiammetta ed al
Corvafgi accenna fuggevolmente Ferrant Valentf, di Mallorca,
nel prologo premesso alla traduzione de' Paradoxa di Cice-
rone. Trascrive il Jardinet d'orats, alquanto catalanizzata, una
* Der aUfranxösisehe Roman Paris et Vienne, Mit einer Einleitung,
dem katalanischen, dem spantsehen Text und dem Inhalt der italieniachm
Umarfjeiiung, neu herausg. v. R. Kaltenbacher, Erlangen 1904.
' II marchese posBedeva anche l'originale italiano d(ill*Elegia di ma-
donna Fiammetta (ora alla Nazionale di Madrid 6*— 11).
^ Bipetuta la memoranda sentenza che strazia il caore di Francesca,
Tautore del IHrant lo Blaneh soggiunge, pur con palese reminiacenza dan-
tesca (Rahonament que fa Tirant a la Viuda, Cap. CXCVII. Vol. III, 11):
*la mia pensa sena comparacio esta ofesa per ma senyora'.
Note lul Boccaccio in Ispagna neU'EUl Media. 81
meschina stanza: Fhiameta ä Orimcdte, delle molte che adornan
una novella di Juan de Flores, foggiata sulla sentimental no-
vella del Boccaccio:
8i los gozos desseados Puea damaa eDamoradas,
Durassen siempie en un esser, Mirando byen lo qae diso,
Aqueiloa coando cobradoi, Cuando maa maa adoraoas,
Como paasion y cuydados Con temores de olYidadaa,
NoB matarian de plazer. Contraatad al enemigo.
Maa enfriase el amor Porque sua actoa gradoeoe
Del oorazon^amador, De la beldad,
Engendido, Son tiros todoe danyosos
Y queda solo el dolor Con que pierde eua repoaot
Con [loBJI BuapiioB del honor La bondad. '
Ya perdido.
Fiammetta dovoTa pur ardere in uno de' tanti inferni
d'amore, che i versificatori di quell' eta, sf poco incline alla yera
poesia» si creavano per trastuUo. Spasimante tra gli spiriti
*mal fadados'^ 'llagados' da Gupido, la scorge, con allere illustri
amanti lo Stuniga: *Yi & Fiometa inflamada | con nn florentin
ingrato.' •
Nella fantasia de' letterati e poeti s'eran yenuti man mano
mescolando i casi di Fiammetta e gli struggimenti suoi per
Pamfilo^ coi casi, le ayyenture e gli struggimenti d'amore degli
eroi e delle eroine de' romanzi brettoni, de' romanzi cayalle-
reschi, delle fayole di Amadigi, da piü tempo partorite, in voga,
come oguun sa, in tutto il '400. Attomo al cuor di donna
giraya il mondo de'galanti e degli erranti cayalieri. Viyeyasi
de' suoi palpiti^ pasceyasi de' suoi sospiri. II sentimento presto
si stempera in sentimentalita. Si gonnano di lagrime gli occhi«
e di parole e di esclamazioni le carte, destinate a raccoglier le
storie de'teneri, appassionati e fedeli amanti. L'innamoramento
e l'abbandono di Fiammetta ricordaya per giunta, agli Spa-
gnuoliy la disperata, leggendaria passione di Macias. Rodrfguez
del Padrön andö a cercare nelle noyelle di Francia parte delle
fayole, degli amori e delle galanterie, che riempion la storia
pietosa, sentimentale: El siervo libre de amor, tutta inyolta in
un fitto yelo allegorico, mosso a descriyere, con intendimento
figurato, e con allusioni insistenti ai tre stati immaginari del-
' Debbo alla cortena dell'amico Pijoan una copia fedele della 'cobla',
accolta nel Jardinet dParaU (f. 126 r. del oodice Barcellonese, indicata
giä d'altronde dal MiÜL VI, 420), trascritta in linguaggio soyente irrioono-
fidbile, e da me qui corretta.
' Oaneümero de Lope de Stümga, ed. Madrid 1872, p. 76. — Sft de
Miranda ricorderit poi, a sua yolta, in yerai castigliani, la Fiammetta boc-
cacoesca: 'Otra yida a Beatriz ha dado el Dante, j A Laura hizo el Pe-
trarca tan famoaa | Que suena d'eate mar al de leyante, | Bocado alz6
Fiameta en yerso i prosa' {Poeeiae de Franoiaeo de Sd de Miranda^ ed.
G. Michaelis de Vasooncellos, Halle 1885, p. 460).
AichiT f. B. HjinMiliwi, GZyi. 6
82 Note 8ul Boccaccio in Ispagna neU'Etft Media.
Fanima, le sofferenze e torture d'amore» i dubbi e Tansie, il
logorarsi e il rodersi del euere, lacrimevol martirio che solo
cessa coUa vittoria dell'intelletto e del *libero arbitrio*. La
Fiammetta del Boccaccio doveva prestare il pianto e l'elegiaco
lamento all'eroe che soffire le torture di un Werther antidpato.
Esala costui in lettere» i pianti e i lai del cuore, ed esce poi di
servaggio, passando 'de la trabajosa vida & la perpetua gloria
que poseen los leales amadores'.
Quello che piü colpisce in questa tragica storia, alla quäle
male assai si sovrappone l'allegoria fredda e stentata, Tinutile
appai'ato mitologico, astronomico, erudito* h lo stile, invohito,
afifettato, ridondante, boccaccesco, pieno di violente e inusitate
t^asposizioni, e inversioni. Decisamente l'elegiaca favella di Fiam-
metta, che si contorce e gonfia^ secondando le ambasce del cuore,
^ Puö anch'esso esser derivato, in parte, come nel THunfo e in altri
sditti di Bodriguez de Padrön, dalla Fiammetta del Boccaccio, in parte
anche dal Filoeoh. — (Fiammeita, Opere VI, 22) : 'Quantunc(ue Febo Boi^nte
co'chiari raggi di Gange insino alVora che nell'onde di Elsperia si taftä,
colli lassi carri, alle sue f atiche dare requie, vede nel chiaro giomo . . .' (Tri-
unfo de las Donaa. O&nu p. 8): *Feria Apollo al occidentai orizonte goq
el carro de la luz, llegado al punto que ya bub cavallos, cansadoe del
celesticd a^in,. bafiaban en las marinas ondas.' L'appreBsarei della sera ^
cobI espresso nel Füoeolo: 'I disiosi cayalli del Sole caldi per lo diumo
affanno si bagnavano nelle marine acque d'occidente.' (Nelle note mie
Bul Petrarca in üpagna, p. 51 deli'estr., supponevo forse a torto, un'imi-
tazione del sonetto: 'Quando '1 sol bagna l'aurato carro'). {Fiamm. VI, 51):
'quali le marine onde da' venti e dalla pioggia 80Bpinte\ (Oarta d. Kod.
d. Padr. p. 175): 'trayendo consi^ las marinas ondas eoc.'. (Fiamm, p. 28):
^uesti con dorate piume leggenssimo in un momento yolando per ü suoi
regni tutti gU visita, e il forte arco reggendo, sovra il tirato nervo addatta
lesue saette^... (p. 129): ^Egli era giä un'altra volta il sole tomato nella
parte del cielo che si cosse allora che male i suoi carri guido il presun-
Fiammetta): 'xa los corredores d'Apolo robavan | Del nuestro hori9onte
las escuridades, | E las sua fermosas batallas llegaban | Por los altos montes
d las sumidades'. (Condest. Satira 59): ^mis ojos i la oriental parte le-
yant4 . . . no porque el fermoso mancebo Febo ä Clicie ya no ficiese re-
volver los oios contra Oriente . . . ya sus menudos 6 lumbrosos rayos
ferlan los altos montes . . / {Fiamm. Opere, VI, lö6): *E giä quel Toro
che trasportö Europa teneva Febo colla sua luce, e i giorni alle notti
togliendo luogo, di brevissimi grandissimi divenieno; e il fiorifero zeffiro
sopravTenuto, col suo leno e pacifico soffiamento avea l'impetuose guerre
di borea poste in pace, e cacciati dal frigido aere i caliginosi tempi, e deU
l'altezza de' monti le candide nevi, e i guazzosi prati rasciutti delle can^
dide piove.' {Füoeolo. Opere VII, 315): 'Zeffiro non era stato da Eolo
richiuso nella cavata pietra, anzi Roffiando correa sopra le salate onde
coUe 8ue forze.' (VIII, 31): *Era giä Apollo col carro della luce salito
al meridiano cerchio, e quasi con diritto occhio riguardaya la rivestita
terra' ecc. Pj stile da Ämadigiy e gli Bpagnuoli lo imitavano bravamente
jriä nel primo '400.
Note 8ul Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media. 83
piaceva e s'imponeva a Rodriguez del Padröo, che pur ammi-
rava, e pur imitava la prosa fiorita de' novellatori di Francia. '
La Fiammetta offriva a'compagni di sventura i suoi lan-
guori e lamenti, le disperazioni ed imprecazioni, gli ohime ripetuti,
infiuiti. Malediva rinfelice Tacerbo destino; malediva l'amoFe,
la passione fatale e struggente che steiler non poteva dal cuore.
'Maladetto sia 11 giorno che io prima ti yidi, e Tora e il punto
nel quäle tu mi piacesti. . . . Ahi maladetta sia la mia pieta'
(cap. VII). Invocava la morte come termine a' suoi mali, e pre-
meva dall' angoscioso petto il: Non fossi nata mal. ^0 maladetto
quel giorno, a me piü abominevol che alcuii altro, nel quäle
io nacqui. Oh quanto piü felice sarebbe stato, se nata non
fossiy o se dal tristo parto alla sepoltura fossi stata portata'.
Non gerne altrimenti l'eroe di Rodriguez del Padrön: ^0 regurosa
y mal comedida muerte, deseosa de mil £ ya que en plazer
te viene el trabajado fyn de mis dias 0 bien aventurada
muerte que tornas en propia yidal Alegre y suave pena que
tomas y vienes a mi en folgangal Otorgas que muera' (p. 52;
61). Piaceva similmente Telegiaco lamento di Fiammetta al *Con-
destabel' Don Pedro de Portugal che, ispirato al Siervo libre
de amo r, offriva, tutta pasciuta di gemiti e di sospiri, involuta
e boccaccesca nella forma, la Sdtira de felice e infelice vida
(*gemir, sospirar e planir le de por respuesta' p. 57). *0 infor-
tunado!' esclama, *Conosce ser 4 ti la fortuna adversal 0 des-
esperadol Conosce tu desesperacion! 0 ciego hombrel ... Que
te puedo decir, salvo el mäs mal aventurado de los nascidos,
pues tu pena quieres, e tu pena seguiendo deseas? (55) . . .
0 fados crueles, nunca contentos de la aumentacion de mis in-
ünitos males . . Maldito sea el dia en que primero am6, la noche
que velando sin recelar la temedera muerte puse el firme selk>
k mi infinito querer e iure mi servidumbre ser fasta el fin de
mis dias I' (89). Questa affinitä di sciagure e lamenti non isfug-
giva a' contemporanei, ed una chiosa alla Sdtira, che nel Can-
cioneiro geral di Resende corre col nome di Duarte de Brito,
autore ben noto di un sentimentale infemo d'amore, che dal-
Tinfemo del cuor di Fiammetta alquanto ritrae, contrappone,
non a caso, alla coppia d'amanti: Ardanlier e Liesse, i ^namo-
rados Pamphilo con Fyometa'.*
' Vedi particolarmente le Nouveües fran^aises en prose du XTU^' süele
ed. L. Moland et C. d'H^ricault. Paris 185Ö.
* Cane.ger. III, 415. — C. MichaeUe de Vasconoelloe (Ortmdr, II/II, 261)
riaccosta saggiameDte la Sdtira alla novella di Rodriguez del Padrön, ma
non ha presente la Fiammetta e il Filoeolo quando scrive, toccando dello Stile
del 'condestavel': *Die konstante Voran Stellung der durch adverbieUe Bestim-
mungen noch erweiterten Adjektive giebt dieser Schreibart ein germaniich
anmutendes Qepräge'. — Ancbe nella Comedia del Bocaberti ^ subito me-
moria di Fiammetta e Pamfilo, dopo il.ricordo degli amanti sventurati
6*
84 Note 8ul Boccaccio in Ispogna neirEtü Media.
AI Planto que fiqo Panta$äea, *la mas triste apassionada , de
quantas sahen amar , che il Santillana raccoglie in aicune sue rime,
si mescola il pianto di Fiammetta. Dolor disperato e nel cuore
di Pentesilea, e le labbra mormorano rimpreeazione al destino
(Obra$ 414): .q maldita eea la fada
Guytada» que me fadöl
ßmadre deaTenturada,
que tal fija pari6I
Amaoona, reyna triste,
Del aioB d'ijnor maltractada,
En fuerte ponto naa^iste.
0 en algnn ora menguada,
tO triste . . . mejor me fuera
Que nunca fuera nas^ida.
Maldito sea aquel dia,
Archilles, en que nas^tel
Alla Fiammetta similmente ei riconducono le smanie e gli
struggimenti nella Tragedia di Don Pedro de Portugal, che
ayviano il misero alla soglia della pazzia (Homenaje p. 698):
6 Inego mis ropas romper fuj membrado;
feriendo mi rostro inhnmanamente,
comienyo mi planto tan desesperado,
que yo me quisiera matar ^reetamente.
mas fuj de tal caso por Dios resenraao.
So mndo dlengio mis ojos manavan
asy ookno una manante fontana,
por los mis cabelloB mis manos tirayan.'
della novella di Bodrfguez del Padrön (p. 35 delPedisione scellerata di
0. Del Balzo) : ' Ardolies veut Liessa finida | Volch ser umil, ans que pendre
Tonianca.'
* Anche U Füostraio era presente alla memoria di Bodriguez del
Padrön, del marchese di Santillana e del 'oondestayel'. G^emeya Griseida
al separarsi da Tioilo {Füo9t. Opere XIII, Parte III, 14 1):
Tal pianger fb, che mal non si fö tale.
Erasi la dolente io sul suo letto
Gittata stesa, piaagendo si forte,
Che dir non si poria; e il biaooo petto
Speeso batteasi, ehiamando la morte
Cäie raecidesse, poichi 4 suo dUetto
Lasciar le convenia per dura Sorte;
E i biondi crin tirandosi rompea,
E mille Tolte ognor morte ehiedea.
Ella diceTa: laasa STentnrata»
Misera me dolente, ove vo io?
O trista me, che 'n mal pnnto fa' nata,
DoTS ti lascio dolce Tamor mio?
Oeh or ftiss 'io nel nascere affogata,
O non t'avessl, dolce mio disio,
Vedato mai . . .
Note Bul Boccaccio in Ispagna neü'Etä Media. 85
Dal sentimentalismo della Fiammetta derivano le sentimen-
talita delle novelle galanti, che molcevano il cuore degli Spa-
gnuoli, prima che il '400 si chiudesse. II Breve Tractado de
Grimalte y Gradissa di Juan de Flores, composto, cred'io,
nella seconda meta del '400, offire luminosissima prova della
diffusione della Fiammetta. ^Entre las gentes', dice qui Gri-
malte a PamfilOy *no hay otro razonar sino de vos . . . pues
tanto por el mundo buela vuestro desconocimiento'. Rarissimo
oggidiy noto in un solo esemplare,* l'amoroso e sentimental
'Trattato' era pure ayidamente letto in Ispagna e nella Franda
stessa.^ Lg conosceva indubbiamente l'autore del Tirant lo
Blanch; lo conosceya il Cervantes.'
' Ora alla Nazionale di Madrid, proyeniente dalla biblioteca di Serafin
Est^banez Calderon, riprodotto in fototipia a Madrid, nel 1883 (^ l'esemplare
di cai io mi valgo), coll'aggiunta di an prologo insignificante, e pressoch^
inntile, di Pascnal de GktyangOB. Discorrerä ampiamente di queeta ncyella
(edita pure a Sevilla, nel 1524 e 1529, ed a Toledo, nel 1526), Men^dez
y Pelinro nello studio promesso sui novellatori anteriori al Cervantes.
* La deplovrable fin de flamete, elegante invention de Jehan de Fhree
eepaignol, tradu^e en langtte franeoyee (da Maurice Sc^ve), Lyon, 15<{5,
e Paris, 1586. £ a Ohantiily. (Le Öabmet dee livres imprimee au müteu
du XVP süele, Paris 1905, p. 155). Non dovrä confondersi coUa versione
francese della Fiammetta boccaccesca, fatta su quella castigliana (citata
anche dall'Hortis, Sttidi a. op. lat. d. Boee, p. 69e5): Complainte dee trietee
amoure de Flamette ä eon amy Pampküe, Lyon, 1532. — Orimaite eon
Qradieea figuran pure, eon Pamfilo e Rammetta, tra le coppie amorose,
nella chiosa alla Sdiira del ^condestaveP Don Pedro, di Duarte de Brito
{Gane. ger, de Reeende III, 415). Giä si ricordarono i versi di Fiammetta
a Grimalte nel Jardtnet de orats.
' Bicorda ognuno l'espiazione bizzarra del cavaliere della Mancha
nella Sierra Morena, e il vasar suo, per selvaggi luoghi, in tracda del
disperato e folle Cardenio. 'He acordado', dice Grimsdte, 'que las silvas
7 108 capoB y lugares y envegeddos desiertos son cöformee a los mny
desesperados cora9one8\ Occulta tra selve, Grimalte ritrova Fiammetta.
'Propase de apartarme de lo poblado, y por los^ mötes y desabitadas
Silvas hazer las diligencias a la Dusca convenibles siguiendo aqella via de
los salvatges . Y en una spessa montanya donde diversos caminos se
ayuntavan . . . passe muchos dias*. S'imbatte finalmente in 'una dama
en aparado pomposa y honestos antoios'. Similmente, h tra boschi sel-
Taggi, e cupe solitudini, che Grimalte trova Pamfilo 'de vestidos desnudo',
dandosi 'tales consuelos quales los desesperados cora^ones suelen recebir
de soledad'. 'Allegado en la muy desesperadasilva: andando algunos dias
sin poder hallar al^na persona, en la mayor spessura de aqueUa mötäya
o quasi en las haldas de aquella vi star unos paatores en una roqua o
quasi asi como una casiqua ... a los quales pregunte si por Ventura a
!ramphilo conocian, y ellos me respondieron que muchas vezes un höbre
haviä yisto haziedo salvaje vida en aquella silva ... asi yo anduve muchos
dias perdido en la texidura de los arooles: recibiendo grandes affruentos
de muy spantables animales que me persiguian . v qndo algunos hallava:
eon piadosas vozes llamava el nombre de pamphilo'. Lo riU'Ova, soccorso
da' cani ins^uitori. 'Y despues que Päphilo fue de la cueva saUido,
quando le vi : de tä desfigurada faciö stava . . . mudado en salvaje pa-
re9er, porq no solamete los cabellos y barvas tenia mucho mas q su sta-
86 Note 8u1 Boccaccio in Ispagna nelPEUt Media.*
I ragionamenti sull' efficacia ed il poter d'amore, ^que* todo
veace', le querele, i disperati gemiti, le torture e le ambasce
insanabili del cuore, si ripeton quivi, dietro l'esempio della boc-
caccesca novella. Si esalano i lamenti in lettere, che regolar-
mente si chiudono, con inverosimiglianza, semplicita e candor
mirabili) in candidi Yersi, di meschina fattura, * ^porque lo metri-
ficado mas dulcemente atrahe a los sentidos a recebir la me-
moria'. Rinnovasi il martirio di Fiammetta, ma le parti sono
ora inyerüte. j^ l'uomo che patisce I'abbandono e la rigidezza
della donna amata. Gradissa veste i panni di Pamfilo, mossa
in parte dalla lettura della 'famosa* e ^mny graciosa scriptura'
del Boccaccio; e perdura insensibile alle riclueste ed agli struggi-
menti dell'infelice Grimalte; Me passion de fiometa queria tomar
la yenganga de su pamphilo eu mi, assi que por las ialtas agenas
azia yo la penitencia'. La storia di Fiammetta e messa a base
di questa novella storia d'amore e di dolore; anzi, Tinvenzione
stessa del Boccaccio, compendiata nell'esordio, a pro' di coloro
che ne ignorassero la trama, ^ e qui proseguita. Torna a gemer
tura creddas : mas assi mismo era muy vieio por la continuaciö de andar
desnudo, 7 los cabellos de la cabe9a 7 barva le davan cauteloeo vestir . . .
la habla de si despedido havia, que per infiDitas pregutas que 70 le
hize : a ninflpLiDa me respondio.'
* A giudicare dall' aggiunta finale al Trcustado: ^La sepultura de Fio-
meta con las coplas 7 canciones quantas son en este tractado hizo Alonso
de Cordova', queste 'coplas' non sembrano opera di Juan de Flores, ma
di un amico e contemporaneo suo, oscurissimo. Son versi stentati, osciti
da' lambicchi della mente ragionatrice, freddi bisticci, come ne divulgavano,
con abbondanza soverchia, i 'Oancioneros' di quelPetä prosaica. Fiam-
metta geme e sospira : 'Assi que biviendo muero | Tal morir | Que ein vida
desespero | Mi beyir'; e Pamiilo esorta alPoblio: Olvida olvida olvidada
Olvida no te des nada | Tras un virote perdido | Que quieres do no t^
quieren | . . . Olvida pues 70 te olvido.' Trovi qui pure un ricordo alla
memoranda sentenza di Francesca da Rimini (vedi le note mie su Dante
in Ispcigna, Estr. d. Oiom, stör, d, Utter, üal., 1905, Supp, N" 8, p. 58).
— In versi, similmente, si aggiungeranno in Oastiglia i sommari alle Treee
Questionea del Füoeolo, tradotte.
* 'Comien^a vn breve tractado cöpuesto por Johan de flores : el <Jl
por la sieuiete obra mudo su nombre en grimalte . La invecion del qu»I
es sobre la fiometa . porque algunos de los que esto le7eren : por Ventura
no habra visto su famosa scriptura : me parecera bie decWar la en
Ruma . Pucs assi es que eeta sen7ora f ue una d' las que en beldat 7 valer
a las otras e9ed7a . 7 seyedo al matrimonio l7gada con compan7a a ella
mu7 b7en conven7ble : una de las mas bienaventuradas en su t7empo ^e
presumia . Mas como seä com una cosa los mudam7etos de la fortüna :
aesden7ada la verguenga 7 pospuesta la honra mu7 mudado el querer del
valeroso marido con hü strä70 hombre lamado paphilo fue damor presa.
7 en esto algn t7empo viv7endo con plazenteroe deportes passaron S7n con-
trario impeaim7cnto de sus amores . Y eil co necessidat huvo de partir
adonde era natural . el ql dada su fe auctorizada con infinidas iura^<«
dentro de quatro meses le prometio la tornada . la quäl päphiio no man-
tuvo . De que le scguio que ella mirado la gran affeccion q le havia y
la gradeza ue bouores q por eil perdido iiavia : 7 a la fin tal paga, le
Note sul Boccaccio in Ispagna nelVEtä Media. 87
Fiammetta ed a sospirare l'assenza deH'amante infedele; raddopi»a
i pianti; gronda sangue il cuor piagato, finche dalla delusioa
cruda Tinfelice donna e condotta al dolore estremo ed alla morte.
Gradissa sa dei casi di Fiammetta, e ingiunge a Grimalte
di porgere airafflitta amante assistenza e conforto. 'Es razon
que algun vuestro senyalado seryicio . . . me combide. £1 quäl
es bueno que seha de disponer vuestra persona en favor de
fiomQta, y que muestren yuestras obras con ella los desseos
que para mi registrar mostrastes . Y si con aquella voluntad
haveys seguydo a mi que deziys con ella trebays en su servicio, ;
soy cierta que pamphilo de ser suyo no se defienda . . . Assi
que . . . Yos pido . . . do quiere que ella sea se busque . y
quando con nometa seays, sepa ser vuestra yenyda en favor
suyo y ruego mio : y por mis males alevianar algun tanto por
la compassion suya con que ella quexa sus danyos a las enamo-
radas duenyas : paregqua que alguna huYO que con piadad toco
sus oreias.' Parta adunque, raggiunga Fiammetta nella soli«-
tudine sua, e le esperienze avute esponga poi in lettere a lei,
Gradissa, 'assi que ella (Fiammetta) me sera un speio de doc-
trina : con que vea lo que con vos me cumple hazer*. K Gri*
malte, docile all'inyito della donna sua, si muove, peregrina
per monti e selve disabitate, triste ricovero di amanti delusi;
trova Fiammetta 'en una spessa montanya', disposta a giovar&ä
deir assistenza del suo compagno di sventura. 'Yo vos offrezcp',
dice ella, generosa, a Grimalte: 'todo de aqui lo que por vos
pudiere disponer mas a vuestro querer que al mio, reservando
aquello que a vos gradissa rehuea.' Rinasce la speme, sopita
nel cuore. Pamfilo e cercato e trovato nella sua natia Firenze.
Corron lettere: di Fiammetta a Pamfilo, di Pamfilo a Fiam-
metta, di Grimalte a Pamfilo, di Pamfilo a Grimalte. Si succedon
le suppliche, le repulse. Torni l'amante, dimentico della fede
data, alla misera Fiammetta, ed usi ancor pieta uccidendola:
*si la fin de mi vida te satisfaze : o quan dulce me sera por
tu mano recebirla en respecto de aquella que yo muchas veces
contra mi he buscado.' Ricordi Fiammetta, risponde Pamfilo,
l'ingiuria fatta al marito, Toner perduto, l'onta comune gridata
nel mondo; e Grimalte, *con infinitas razones', s'affanna a ricon-
durre Pamfilo alla donna derelitta: 'No se con quales palabras
comienge a recontar vuestras culpas ... Porque una senyorä
mia no toviendo iusta causa para se defender de mis ruegos y
dava : tomo por remedio manifeetar sus males a las damas enamora^as . .
porque en ello tomando enzemplo : cötra la maldad de los höbres se
apercebyesse . v asi mysmo porque en quexar sus fatiguas mas senzilla^
las sentiesse . Por la quäl causa venida su muy graciosa scriptura a la
Doticia duna seyora mia Uamada gradissa : las s^enas tristesas tanto la
apassionarö : que ella no raenos llagada que aquella otra se sentia.'
88 Note 8ul Boccaccio in Ispagoa neirEtil Media.
recebidos servicioB : ya con vos j vuestros yerros ha fallado
scusas mir. Un convegno degli amanti e ottenuto con gran
stenti; ma quando Fiammetta sta per libare dal calice del pia-
cere, e scoccano i piimi baci,^ rinfemo le e nuoyamente gettato
nel cuore. Pamfilo si stacca, determinato a non piü concedere
favore alcuno all^amante, e Fiammetta si strugge, ed ha la vita
in orrore. Raddoppia gli antichi lai: *0 malaventorada de ti Fio-
meta, de castas mujeres infamia, derribamieDto de nobles &mas,
ensuziamiento de limpios corazones» embargo de los castos lechos',
finche, disperata, 'dando mil bueltas a unas partes j otras con
spantables senyales en la desfigurada cara dio fin a su yida'.
Ne mai morte fa piü della sua lacrimata, *ni las bijas de
priamo | lloraron tanto por hector | ni desolacion de troya . . .
ni mucho menos eccuba se mostro tan dolorida quando el cruel
fuego de grecia abrazava sus palacios . Pues si en tal tiempo
legara la reyna pantalizea : tomada muy piadosa : otra muerte
no llorara sino aquella'. Grimalte stesso n'e si scosso, da esplodere
in fieri lamenti^.e, come termine a' suoi mali, invoca la morte:
^Ven por mi no tardes nada'. Frattanto, con pietoso sentit
mento che i romantici gli avrebbero invidiato^ preludendo, alla
distanza di secoli, alle tumulazioni immaginate dal Pr^yost e
dallo Chateaubriand, s'appresta a dar degna sepoltura a tanta
donna, vittima sciagurata d'amore. La tomba ^de piedra de
gran firmeza y negro color', eretta in luogo eccelso, porta alla
sommitä l'effigie della defunta, 'porque su gran gentileza desper-
tasse la memoria desta senyora . . . pusse alli sus seoyales : que
faessen entero conocimento con entera relacion del despendido
y mal gastado beyir', e a' quattro lati e adorna di simboliche
ngurazioniy illustrate da leggende in yersi.^ Udita la fatal no-
* Grimalte asslBte alla scena del ritroyo: 'no creo doe enamoradoe ia
mas mayoree hoyiesse . ni cod tan lindos modos meior entenderse . . . me
parecia que el mismo dioa de amores le ensepyaya . para los qoides dent
mil secretos tenia reseryados . . . Y despaes q ya gran pie^a los apartados
labios de Fiometa hoyjerö yenganga del passado tiempo : creyendo en
aqll mometo cobrar enteros plazeres . y peleando la yieia cögoza con la
nueya alegria ... de tal forma combatiero quel sobrado gozo derribo a ella
en el suelo quasi muerta . . . Y quando yo conoci q antes el ün del müde
q el fin de tan honrosa baballa feneci^ra me paredo ser bien poner les
treguas.' I yersi che seguono, ammoniscono : 'mas enfriase el amor | Del
corazon matador | E^^endido | Y queda solo el dolor'.
* Questa immaginata tumulazione di Fiammetta h poyera cosa, ma
Pautor suo attribuiya ad essa, eyidentemente, yalore grandissimo. Alcuni
yersi si possono ricordare : 'Estos arboles y f lores 1 Que yedes aqui guarri-
das I 8on los deleytes de amores | Cogidos para dolores | De las muertef*
doloridas'. — 'Buscad a cö la mayor diligencia ä pude la tuba muy mas alta
d aqllos arrededores do seyalasse su descäso^, prosegue Grimalte, 'y alli
con grädes y altas höras trahida : los Infi ni tos lloros de muchas götee
diyersas q para mi cöpäyia en el caso se legarö parecia cö sus yozes q
los muertos recordaya de su siglo . y tanto qnto cö los oios la Uoraya
tanto con sus bocas a päphilo maldeziä.
Note 8ul Boccaccio in IspagDa nell'Etll Media. 89
vella, Pamfilo e stretto da imprornsi rimorsi; smarrisce la ra-
gione, e, rifiutata la sfida di Grimalte, perche vana, determinato
a scegliere lui medesimo piü duro e convenevol castigo, fugge
lungi dagli uomini, in Asia nientemeno» *al fin de las tierras
todas', dove, depo ventisette anni di viaggio e di faticosissime
indagini, in cupa, orrida selva, lo raggiunge Grimalte» che in-
vidia a lui la selvaggia vita d'espiazione: 'Dexa por dios a mi
el premio de tal bevir', e s'accinge lui pure alla penitenza piü
rigida. 'Fuyme a lo mas spesso de aquell boscaie adonde mis
vestidos me despoie . y comen^e a tomar possessio de aquell
tä triste be^ir j morada, y las manos puestas por el suelo en
la manera que aquell andaya siguiendo sus pizadas tomandolo
por maestro de mi nuevo officio/ Sopraggiunge la notte» nemica
di chi ha nelFanimo il pianto, ed ai due infelici il martirio e
cresciuto da un'orribil yisione, quella leggendaria, serbata agli
sdegnosi amanti, di cui il Lai d'lgnauris ofire una forma primi-
tiva, narrata dall' Helinand, da Vincent de Beauvais (Speculum
htstoriale)^ divulgata dal Passavanti nel suo Specchio, scritto
tra il 1354 e il 1355, assai noto e letto in Ispagna, dal Boc-
caccio in una novella famosa, da altri parecchi. ^ Fiammetta ap-
pare, sfigurata, scarna, immagine direbbesi della Morte, stnt-
ziata, con atrocissimi, inauditi tormenti, dalle genti d'inferno
che l'inseguono. Fiamme le escon dal volto, che di fosca luce
coloran la notte. Posta nuda su di un carro, che due cavalli
trascinano» Pamfilo pu6 contemplarla a piacere, misurare il gran
distacco dalla beilezza vagheggiata; e la visione fatale tre volte
in settimana si ripete.
'Ya adunque . H tuo corso non puote esser molto ordi-
nato'; cosi congediava il Boccaccio Toperetta sua. '£t se alcuni
troverai che leggendo te, i suoi occhi asciugati non tenga; ma
dolente e pietosa de' nostri mali con le sue lagrime moltiplichi
le tue macchie; quelle in te, siccome santissime, con le mie
raccogli . . . chiunque ella sia, priego . . . che ella mai a tali
miserie non pervenga, e che sempre le siano gli Dii placabili
e benigni.' La pietosa elegia, 4a gracia con que fiometa quexa
sus males'y piü che non distogliesse da ogni passione cieca e
fiirente, dava nuoya esca all'amore e al pianto, pascolo ai
sospiri dell'anima; porgeva a' troppo rigidi amanti occasione di
riparare i falli commessi, alle afflitte e deluse il conforto della
miseria altrui. Serviva anche un po', come giä un tempo VAr$
amandi di Ovidio, e la storia de' peccaminosi amori di Lancillotto
e Ginevra, come libro Galeotto. Moralizzava tuttavia la Fiam-
metta nella novella del Flores: 'Y algun tanto me plaze de
hayer publicado mis males . pues por el gran numero dellos
' Yedi lo studio, non molto completo e approfondito, di W. A. Neilson,
Thü Purgatary of oruel beandies, nella Bomanta XXIX, 85 sgg.
90 Note Bul Boccaccio in Ispagna Dell'Etä Media.
sera causa que muchos tomando «n mi exenmplo : seaü sams
contra los engaiiyos de los hombres'.
Si rinnovano i gemiti di Fiammetta in altra pietosa, divul-
gatissima storia di Juan de Flores: Tractado donde se con-
tiene el triste fin de los amores de Grisel y Mirabella (*Porque
la tierra no se me abre'; ^Ay fortuna que mayor tormento me
podias tu dar jamas' ecc). I languori si stemperano tra prolissi
ragionamenti, e tediose ed aride disquisizioni teoretiche. A sazieta
ripetevasi come ^todo hombre que bien ama es desdichado y
todas venturas contrarias le empecen'. Gli afflitti d'amore noB
dovrebbero sdegnare il sacrificio della vita, perocche *los que
verdaderamente mueren amando, el padescer dello por vida
llevau y por galardon . . . y por trabajos disfavores y males se
conosce quanto basta la fuerga de su yirtud'. Piacque siffatta*
mente il sentimental pasticcio, da guadagnarsi i cuori di mol-
tissimi lettori e lettrici di Spagna. Dal 1497 in poi le stampe
si moltiplicarono. * I Francesi tradussero prestissimo la novella:
Le jugement d'amour auquel est racomptde Vhistoire de Isahd
ßle du rot/ d^Escoce; gli Italiani, all'esordire del '500, piü non
riconoscendo la lontana patemita del Boccaccio in siß'atto genere
di storie e lamentevoli e£fusioni, s'ebbero una yersione anch'essi,
battezzata dall'autor suo, Lelio Manfredi, gran rimestatore di
roba spagnuola, col titolo piü soave di Aurelio e Isabella, gu*
stata e ricercata quanto la Carcel de amor, a cui il Ferrarese,
per diletto e svago delle gentildonne del tempo, ayeya pur dato
yeste italiana; si ritradusse infine nella lingua originale casti-
gliana, e si acconciö sollecitamente a tutte le lingue.^
Crebbe, declinando il secolo, la smania per i deliqui amo-
rosi dellc coppie sventurate. Si moltiplicarono i pietosi ayveni-
menti, le peripezie dolorose e funeste, le separazioni struggenti.
Piangeyasi, querelayasi, inyocayasi giä allora il chiaror del-
l'amica luna, col pateticume elegiaco de*romantici di piü tardi
secoli. CoUa Fiammetta, correya pur tradotta la Historia muy
verdadera de los dos amantes Eurialo franco y Lucrecia
senesa di Enea Silyio;' ne fii penuria di sfoghi d'amore in let-
tere, e declamazioni, e dichiarazioni, e confessioni, alla Richardson
e alla Rousseau, di cui un lontanissimo esempio e giä nelle
' & comunemente ricordata (da Nicol. Ant. Bibl. Nov. I, 690, dal
Gayangos, Libros de Caball. nella BibL de Aut, JEsp, Vol. XL, p. LXXIY
dal Oallardo^ Ens. ecc.) col titolo apposto all'edizione di Seyilla 1524: Ixi
Historia de Grisel y Mirabella con la disptäa de Tbrreüas y Braxaida, la
quai compuso Juan de Flores d su amiga.
* Un'edizione castigliana, col testo francese a fronte, data da Anverea
1556. Si ristampo ancora la novella in yeste italiana, con deganza in-
Bolita, a Firenze, nel 1864. Vedi P. Kajna, Le fonti deWOrl Fur^ Fi-
renze-^ 1900, p. 156.
' Per qualche leggera affinitä della noyella col Filostrato yedi P. Savj-
I^opez in Roman, XXVII, 469. I Tedeschi la conobbero nella traduzione
Note sul Boccaccio in Ispagna nell'Etil Media. M
Eroidi Ovidiaüe» prowida fönte alle lettere boccaccesche.
PioYYero le 'cartas de amores escritas de dos en dos', le ^cartas
y razonamientos', le ^cartas y coplas para requerir de aroores',
i 'processOB de cartas de amores'. La fantasia, sbalestrata lungi
dal reale, amoreggiava col tetro e col lugubre. Le nozze obbligate;
i finali congiungimenti ed accoppiamenti delle comedias famose^
sarebbero sembrate allora un espediente volgare e prosaico, fuori
dei domini delFarte. Quando un matrimonio era minacciato,
come a certo punto della Carcd de ainor, subito si creavan
guai e sciagure funeste, per scongiurarlo e tenerlo ben lungi.
Fiumi di lacrime si versavano. Si finiva coUa tragedia, non col
tripudio. L'amore doveva consumare fino allo strazio, fino ad
invocar la morte ed a procacciarselay coUa disperazione in cuore
di un Werther.
Cosi, dalla prima diffusione dell'intimo roroanzo di Fiam-
metta, dal Siervo libre de amor di Rodriguez del Padröu, s'eran
venute generando via via, sul suol di Spagna, le storie d'amore
e di morte, di cui si compiacquero le fantasie accese, nell' ul-
timo scorcio del ^400 e nel secolo appresso. Pamfilo e Fiam-
metta traggon seco altre turbe d'amanti, che incedon per calli
di rovi e di spine, e portano, col pianto dell'anima e l'infemo
in cuore, la croce d'amore: Ardanlier e Liesse, Grimalte e Gra-
dissa, Leriano e Laureola, Arnalte e Lucenda, ' Peregrino e
Ginebra, Curial e Guelfa, Tirant e Carmesina, ^ Lucindoro e
di Niclas von Wyle, rimaneg^ata pol, a modo suo, da Hans Sachs. Fu
versificata in francese [Eistovre de Eurialus et Luerece vraya amoureua,
Paris 1498) da Octavien de Saint Gelais 'pour la charge expresse | d'une
Dame qai ce me commenda' (Goujet, BibL franc. X, 231), e messa in prosa
da un cappellano de'duchi di Borgogna (Picot, Njrop, Nouv, reeueil de jarces
p. LH). JLa prima edizione castigliana ^eWEurudo y lAiereeia, Historia de
aos amantes usci nel 1496 a Salamanca, e fu acquistata da Fernan Colon,
a Medina del Campo, per 17 'maravedies' (Gallardo, Bns, II, 535); altre
ristampe si fecero a Sevilla 1512; 1524; 1530. — La biblioteca di Fernan
Ck)16n poBsedeva, pur tradotti dal Piccolomini: i Bemedtos contra et amor
deshonestOf il Trataido de la vida y eostumbresy i Proverbios, La Historia de Bo-
hemia (tradotta da Hernan Nufiez de Toledo. Gallardo, Ens, II, 533). Altre
opere del PApa umanista ebber veste spagnuola: El compendio de los diehos
y heehos ael Key D, Alonso de Napoles (trad. da Anton Bodriguez Dävalos),
M tratado de la miseria de los eortesanos (Diego Lopez de Gortegana), La
Vision deleetable de la ewa de Fortuna (Juan Gömez, Valencia 1513). Vedi
nna nota del Clemencin nelle Mem, d. la R. Acad, de la Eist. VI, 4SI.
* Jj Historia de Arnalte y Lucenda, attribuita a Diego de San Pedro
(ediz. di Burgos, 1522) era tra i libri di Fernan Colon (Gallardo II, 547,
N. 4055). Era giä uscita un' edizione anteriore, nel 1491; fu tradotta in
francese, da Nie. Herberay des Essars; in italiano, da Bartolomeo Mar-
ratti Fiorentino, Piedol TraUato di Arnalte e di Lucenda intitokUo Uamante
ntaUrattaio dalla sua amorosa, Lyon 1555; su quest' ultima h basata la
versione inglese: The pretie and unttie Historie of Arnalte and Lucenda,
London 1575.
* Della novella Ourial y Ouelfa avr5 modo di discorrere ampiameqte
altrove. Nel Tirant del Mflxtorell (compinto da Mossen Johan de Galbaj
92 Note 8u1 Boccaccio in Isptgna ndl'EUl Mediiu
Medusina, Clareo e Florisea.^ Un rimasuglio di cotesto senti-
mentale sdilinquire e ancora nel CSerrantes; e leggi nel romanzo
immortale, i pietosi casi e gli amori di Lucinda e Gardenie, di
Grisostomo e Marcela. Colla lunga storia de' triboli e delle am-
basce d'amore di Persiles e Sigismnnda, il genial uomo^chiu-
deva il novellar suo e la vita.
Nella Carcd de atnor che genero a sua volta nnovi amo-
rosi deliqui* ('Qne dulce para sabor | Qu6 salsa para pecar'
i pianti e i gemiti, sugeeriti in parte da' pianli e ffemiti di Fiammetta,
non han fine. Danno la stora alle laffrime ed ai oisperati lamoiti ona
oontCBsa e on re (ediz. della BibL eataL 1, 15; 25; 64): 'O trista de mi
que tota la mia speran^a veig perdnda: ving» la mort, puiz res nom pot
yaler ... yingaa la mort sobre mi que es lo darrerjreme]^ de tots loe nuds
. . . O dolorosee laffrimes, qui la destmocio e miseria mia repreeenten . . .
O sino consistis ab gemecüB, triston e sotpirs e sanglots esser hoydes . . .
£ no fora millor yo fos morta ans que yeore tanta dolor davant lo«
mens alls'. Geme Tirant (II, 70): 'O dia excdlent qni daras lepos a la
mia fatigada pcaisa, amagua la tna lum pcroo <]ue breument sia complit
lo que tinch deUbenit . "& sabia 70 que azi navien a finir los meus tnsts
e adolorits darrers dies'. Stephania (II, 888): 'Danme remey, daume la
mort, e soterrau los meus membree bayats ab les lagrimes mies en mig
del cami . . . lo sanch f uig de mi, e la natural calor desempara lo meu
cor e lo cors ... De res nom penit encara que los cruels fats me perse-
guixen . . . altre be en mi no resta sino que ame los somnis e les ymagi-
nacions que de nit me aparexen'. La reg^na di Tunis! (III, 348): 'atri-
bulada de mi I que desige ni puch desijar smo la mort, qui dona fi a tots
loe mals, e repos a les penes e treballs de aquest miserable de mon e ple
de miseries . . . Com yols perdi de yista fon aquell asenyalat dia de dolor:
com ja no pogues cndar ni planyer, lamentant la mia fort desayentura ...
O piadosos hoynts, contemplau en yostres penses los meus cabells calats
en 10 coli y en les spatles scampats . . . e axi tremolaya lo meu cors com
fa la aresta del blat com la toca lo yent'. Plaerdemayida (IV, 118):
'O incomparable desayentura que los meus trists e miserables fats han
Bubjugat la mia persona ab plors, gemechs e dolorosos pensamentsi £ ja
aquell cruel e impiados Pluto, deu de les i>eipetual8 e norribles tenebres,
e Jlegera e Proserpina, ab les altres furies intemals no hagueren suposat
la mia anima a tan cruels e incomportables penes e turments com fa a
mi la desconexent fortona . . . O mort, jatsia la memoria tua aterra les
penses humanes, prech te nom sies ara piadosa: tu quest fi de tots lo«
mals de la trista e miserable yida, dona terme a la mia incomportable
dolor e intollerable agonia'. Sul cadayere di Tirant l'infelice Cannesina
(IV, 361): *rompe los seus cabells, les yestidures ensemps ab lo cuyro
dels pits y de la cara, la triste sobre totes les altres adolorida'. — Altre
esclamazioni sul poter infinite ed uniyersale d'amore sono tolte di peso
dalla Fiammetta,
* Vedi VHistoria de los amores de Clareo y Florisea di Alonso Nnfiec
de Reinoso, Venezia 1552, fönte ai Tre^K^'os de Persües y Stattmunda del
Oeryantes, come doyeya ayvertire K. Lareen nell'articolo;: drvantes' Vor-
stellung vom Norden, in Studien x. vergL Literaturgeseh, V, 273 sgK«
' Sulla traduzione catalana della Oared de amor, doyuta a En Ber-
nadi Vallmanya. vedi T. Banpere i Miquel in Rev, de bibL eatal. II, 1902,
N. 4, pp. 46 sgg. Ancor non vidi la ristampa dell'edizione castigliana
di Sevilta 1492, nella Bibliotheea Hispaniea, Vol. XIV, Barcelona 1904.
Note snl Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media. 93
diceya della Carcd rautor suo Diego de San Pedro, nel Desprecio
de la foi iuna)y ^ trovi pure utilizzata la descrizione boccaccesca
delle questioni d'amore del Füocolo, giä note, come io ferma-
mente ritengo, a Rodriguez del Padrön, e messe a profitto nel
Triunfo de las donas, alle cui sottili distinzioni risalgono in
gran parte le dispute siüla donna» e le ragioni della sua maggiore
o minore eccellenza, nella contesa fira Leriano e Teseo. Sieche,
anche Famorosa casistica che occupö i cervelli oziosi de'gentil-
uomini e delle gentildonne di Spagna, all^usdr dal carcere del
Medio £yo, frutto delle medievali *corti d'amore', di consuetudini
antiehissime, non ancor bene inyestigate, deye in parte la sua
voga al rinnoyamento delle questioni d'amore» offerto nel Füocolo
boccaccesco, che gia, in forma embrionale, contiene il quadro, la
comice piuttosto, del ^Decameron',^ Troyi un Füocolo tra i libri
del Santillana, indizio sicuro che, giä nella prima meta del '400,
l'opera, bench^ non onorata di una traduzione, come presto lo fu
in Germania, in Francia e in Inghilterra, era letta e discussa ne'
crocchi de' piü yalenti e dotti uomini di Spagna. T'imbatti in
un Füocolo, congiunto al nome di Blancafior, nel registo degli
amanti della Gloria de amor del Bocaberti, e pare che la mente
poco chiara del Catalano confondesse insieme la storia leggendaria
poetica, intimissima, dei due amanti e la romanzesca narrazione
del Boccaccio. I casi ayventurosi di Fiorio e Biancofiore, fami-
gliari assai per tempo, in Ispagna, come altrove, narrati in un
Ubretto popolare, che ha stretti yincoli di parentela col cantare
italiano, ^ piü e piü yolte ricordati nel yerso e nella prosa,
a significare la costanza nell'ayyersa e nella prospera fortuna, e
il poter magico d'amore, * yenivan cosi, col volger del tempo,
* Oaneion. gener. cL GastiUo I, 461: Come Jean de Meun, nel Testa-
ment (2^ Str. : * J'ai fait en ma jonesce maint diz par vanit^, | Ou maintes
gens se sontlpluseurs fois d^lite; | Or me doint Diex nng faire par yraie
Charit^ | Pour amender les autres qui peu m'ont profit^';, come l'autore
del Deeameron, Diego de San Pedro, pentiva l'opera sua, e tendeva al-
Falto le bracda, implorando perdono e pietä: 'Mas tu Sefior eternal | me
sey consejo y abrigo, 1 con tu perdon general, | que sin gracia divinal | no
sabr^ lo que me digo .
* Vedi Bajna in Roman, XXXI, 34.
» Vedi V. Creacmi in Qiom, d. fUoL rom, IV, 159 sgg. e U I Vol.
dell'ottimo e compiutissimo studio: // cantare di Fiorio e Staneifiore edito
ed iUustrato in Smta di ourioa. letter,, Bologna 1889 (Le fonti del romanxo
spagnuolo pp. 473—486).
^ *0s Randes dossos amores | Que mi e yos sempr' ouvemos | Nunca
Ihi cima uusemos | Coma-Brancafrol e Floree' {Il öanxon. portogh, della
Bib. Vaiieana, ed. Monaci, Halle a. 8. 1875, p. 358). 'Ca nunca fue tan
leal blanca flor^a frores, | nin es agora tristan con todos sus amadores
(Arch. de Hita, Libro de bum amoTf ed. Ducamin. y. 1703). L'Imperial
nel Decir eU naaeimiento de el Bey Don Juan {Oane. de Baena p. 204):
*Todos los amores qae oTieron Arehiles,
Ptris i Troyolos de las ans senoreSy
$4 Note sul Boccaccio in tspagna nell'Etä Media.
ad assumere un colorito estraneo alquanto alla tradizione del
Tolgo, e particolare al racconto giovanile del Boccaccio.^
Le innocenti dispute d'amore, proposte e risolte uel FUo-
eolo, derivate, come ognun sa, dai partimens di Provenza e di
Francia, riprese e coltivate nelle societa colte e galanti d'Italia,
gia nel XIII secolo,^ descritte poi nel Cortegiano, e piü a lüngo
ne' Trattenimenti famosi di Scipione Bargagli, entrano pure Delle
conBuetudini dell'eletta societa di Spagna nella seconda metä
del '400. I Cancioneroa accolgono le preguntas e respueitas,
i procesos e le reqüestas,^ le dialetticne lambiccature e diva-
gazioni de' cervelli de' poeti. Dovevan risolyersi p. es. gli inna-
mofati neir alternativa di parlare, senza speranza di vederla
giammai, a ^dania muy virtuosa, | en e3d;remidad fermosa', per
la quale il cuor si strugge, oppure 'verla sin la poder | en . . «
vida fablar'; di scegliere, stretti dal dovere, fra donna *fea, gra-
ciosa, indiscreta en muy gran cstremidad', e donna ^mal gra-
ciosa, indiscreta, en'ferniosura perfeta, | complida de necedad'.^
A sciogliere la prima di coteste *questioni', Ludovico Scriv4, che
visse a lungo in Italia, e gia trovavasi nel 1497 a Roma, am-
basciatore alla Santa Sede, immagina una sua corte d'amore, e,
TrlBton, Lan^arote, de laa muy gentile«
SuB enamoradas 6 muy de valorea;
£1 6 BU muger ayau mayores
Que los de Paris i los de Vyana,
E de Amadis 6 los de Oryana,
E qae los de Blaneaflor i flores*;
RammeDio, infine, la Codolada del Torrella (MiU y Fontanals, Obras III,
365) che allude agii amori costanti:
*De Ploris e de Blancheflors,
D'Isolda la blonda e (de) Tristauy
Que per amor s'emeroD tau ;
De Titas e de Ptramus' ecc.
Giä A. de Maruelh ha an ricordo a Biancofiore (Mahn, Werke d. 7h>ub,
I, 154): *e Bodocesta ni Biblis Blaucaflors ni SemiramiB Tibes ni Leyda
ni Elena' ecc.
* Vedi La hisioria de los dos enamoradas Flores y Biancaflor rey y
reyna de Espana y emperadores de RomOy Alcal& 1512, parecchie volte
riß tarn pata (Gayangos, Libros de CabalL in Bib. de Autor. Esp. Vol. XL,
p. LXXIX).
* Vedi R. Renier nel Oiom. stör, d. letter. ital, XIII, 882. — Ai jeux-
partts noti, altri quattro ne mette in luce lo 2Schultz-Gora nella MiseeUanea
in onore di A. Mussafia (sciaguratamente denominata Bausteine), Halle
1905, pp. 90 sgg. Vedi ora lo studio di F. Fiset, D<is altfranxöstsehe Jeu-
Parti, in Boman. Forsch, XIX, 2, 1905.
-' Sulle preguntas spagnuole e portoghesi promette uno studio H. R.
l^ng, Cancion. gallcgo-caslelhano I, New York, London 1902, p. 213.
* Scelgo sp^itanicnte gli esempi offerti dall'amico Men^ndez y Pelayo
nella suu Antologia (Vol. Vi, pp. LXXVIII sgg.)» il quale pur ricoraa
Talternarai delle questioni fra 'Gomez Manrique, Francisco Bocanegra, Juan
de Mazuela, Die^o de Benavides, FranciBco de Mlranda, Diego de Saldafia,
Pero Guilleu de SSegovia, Pedro de Mendoza, Guevara, Alvarez Gato, el
Clavero, D. Garci LOpez de Padilla'. Vedi anche F. Wolf, Studien, p. 202.
Note sul Boccaccio in Ispagna nell'Etä Media. 95
ispirato in parte al Filocolo del Boccaccio, riempie di sotti-^
gUezze e lambicchi un suo Veneris Tribunal, devotamente
öflferto al duca d'Urbino. *
Che i versificatori del tempo, Castigliani, Catalani e Valen-
ziani, amoreggiassero co'distilli in rima de'fratelli d*oltre Pire-
nei, ed a' dibattiti d'amore potessero essere stimolati dalle tro-
badoriche tenzoni e dai j6ux partia, e innegabile, ma non e
follia ritenere che, pur conservando Pordine di rime del tipo
provenzale, alquanto amassero ripetere anche i distilli e i ca-
villi, i *dubii de amore',* de' fratelli d'Italia, e qualche eccita-
mento traessero dalle questioni esemplari, poste dal Boccaccio
nel Filocolo,^ messe giä in terza rima, verso la metä del '400,
nel Libro di definizioni del Senese Jacomo di Giovanni di Ser
Minonio.
Alle questioni famose, svolgenti 'materias sotiles de amoi\
limitasi, fatto significantissimo invero, la traduzione parziale.e
frammentaria del Filocolo, tentata, nei primi decenni del '500,
da un cänonico, ♦ Diego Lopez de Ayala, ^persona muy cobdiciosa
^ L'iBpanista americano Huntington diede, or non ^ molto, una nitida
ristampa dell'edizione napoletana del 15B7 dd Venerü Tribunal, Giä b'^
diecorso delie questioni che allargano ed infaatidiscono la Eistoria de Örisd
y MirabeUa di Juan de FloreB.
' Stampano A. Luzio e B. Benier negli studi La coUura e le reiaxioni
letterarie dt Isabeüa d'Eate Oonxaga, raccolti dal Qiom, stör,, Torino 1903,
p. 114 una curiosa lettera di Giangiacomo Calandra, in cui ^ detto di una
awentura d'amore risolver ^quasi un dubio de amore che Bi suole pro-
ponere, quäle ami piü fervidamente, o quello de dui gioveni, che non ha
mal ancora accolto li frutti del suo amore, o quello che ha goduto de la
persona amäta'.
' II prof. GiuBeppe'Zonta, per conBiglio del maestro suo Crescini,
attende ad uno studio suUe Questioni d*amore> Or, siccome a me pure
fn moBsa domanda sulla voga che tali dibattiti ebbero in Ispa^a, dir5
qui, per incidenza, sembrarmi inopportune affatto ricercare rorigine de'
partimens provenzali e francesi, e delle cosl denominate corti d' amore
nelle consuetudini arabe, passate a traverso la Spa^na, consuetudini che a
noi, per investigar che si faccia, rimarranno occulte, in ogni tempo. Di
nessun impulso furono, a parer mio, le questfoni d'amore dibattutesi in
Ispagna, in questo o in quest'altro secolo, sulle ouestioni rigogliosamente
üorenti in Italia nel primo '500, quando appunto le genti ispane mag;^ior-
mente ammiravano in terra italiana i diporti, i trattenimenti, i giuocni di
societä, la coltura, il lusso e lo splendore delle corti, le galanterie e vir-
tuodtä, i sottili, meUiflui e lambiccati discorsi de' cortigiani. La Francia
stessa fa buon yiso, in pieno '500, alle questioni d'amore, poste e risolte
nel Filocolo, Quell' originale di Brant^me, che libaya da ogni calice Fern-
dizione sua, e rivdayasi, in ogni tempo, amantisaimo delle invenzioni spa-
gnuole, offre ancora nelle Vies des Dames galantes (ed. di Amsterdam 1690,
pp. 4 sge.) un lungo dibattito sulP efficacia d'amore nelle donzelle inesperte
e nelle donne vedove, e traduce e commenta la nona questione del 'PhHo-
eoppe* del *venerable et docte Bocace*.
* Singolare quesfinsistenza delle pietose genti di chiesa nell'occuparsi
del Boccaccio, e nel tradurre comecnessia le opere sue. Ad un curato
(Heinrich Leubing?) attribuisce il Drescher la versione tedesca del De-
eameron, che va sotto il nome di Ärigo (C. Drescher, Ärigo, der Ueber-
i
96 Note iul Boccaccio in Ispagna nell'Etft Media.
de servir . . ä un su amigo', che dalla lingaa originale toscana,
Yolge in lingua di Gastiglia le Treze que$tiones muy graeiosas
dd PhäociUo, e lascia poi occulta e sepolta l'opera sua. La
toglie una prima volta dall'oblio an ignoto» e la divulga '& hur-
tadas' in una stampa ormai irreperibile^ credo del 1641, col
titolo Laberinto de amor que hizo en toseano d famoso Juan
Boceacto.^ Toma a ripescarla, poco dopo, iin ex-capitano, che
fini eremita, Diego de Salazar, amico e ammiratore entusiasta
del traduttore, allettato dal meraviglioso stile boccaccesco ('en-
comenzaronseme a encender las orejas de calor con la dulzora
de SU estilo'). Vaggiunge costui di suo, in strofe di undici ottonari,
i sommari delle singole questioni, ed altrettanti sommari delle
soluzioni, o ^respuestas' (di dieci ottonari quest'ultimi).^ L'Ulloa
poneya poi l'opera 'del famoso poeta j orador Juan Boccaccio'»
tradotta e giä divulgata per le stampe, in calce, quäl coroUario,
alla divulgatissima Ouegtion de amor.
seUer dea Deeamerone und des Fiore di FtrA^ in QueUen und Fbrseh. s.
Sprache und Euliurgeeeh,, Stralsbarg 1900); finta inyece un frate nel tra-
duttore, 11 dotto recensente, G. Bae^ke, neH* Anzeiger f. deutseh, AUerth,
XXXIV, 255.
* Vidi 6 Icflsi, anni or sono, qnesta tradudone Laberinto de amor . . .
apora nuevamente traduxtdo en nuestra Ungua eastellana (Laberinto en
titolo in Yoga, dopo le Treeientas di Juan deMena, anche fnori di Spagna.
Labyrinthe de Fortune intitola un'operetta sua Jean Bouchet). I miei ap-
punti ml rimandano ad un'edizione del Laberinto di Sevilla 1541 (?), ma non
ao ora piü bene donde 11 abbia cavati. II Gallardo, Ensayo I, 890, non
rep;istra che Pedizione di Sevilla 1546, contemporanea alle Trexs QueMmes,
e in cui h riassunto brevemente 11 contenuto novellesco dd FHoeoio,
^ Treoe questiones muy graeiosas saeadas del Philoeulo dd famoso Juan
Boeaeio, traaueidas de kngua toscana en nuestra romanee eastellano eon mueha
eteganoia y primor, Sevilla 1546. Quando veramente uscisse la prima edi-
done di qneet' opuscolo, che, per qualche tempo, giaceva dimenticato, come
si rileva dairavvertimento del Garay, non so dire. II GaUardo, Ens, II,
K. 27*24, r^stra Tedizione di Toledo 1546; il P^rez Pastor, La Lnprenta
en Toledo, Madrid 1887, p. 98, quella successiva del 1549 (un'altra ne ap-
jMirve nel 1553^. Vedi sulla versione, P. Bajna, L'episodio ddle Questioni
aofmore nel Filoeolo del Boccaccio in Roman, XXXI, 28 8gfi^, dove pure
h un cenno alle Treixe elegantes demandes damours, e alle Thirteen most
pleasant and deleetable Questions entiiuled Ä disport, non indipendenti,
forse, dalla versione castigliana. 'Sembra ben verosimile', scrive u Bajna,
p. 31, 'che Pimpresa minore delle 'Treze Questiones' preoedesse e servisse
come di eccitamento aUa maegiore dell'Arcadia'. Non ha nulla a che
fare colle Questiones de amor ooccaccesche, 11 eoloquio pastorÜ: Diseordia
y question de amor di Lope de Bueda, riprodotto dall'Uhagon in Bee,
a. Areh.y Bibl. y Mus,, 1902, pp. 340 sgg. (trae una comedia de amores
llamada question de amor \ entre amor y unos pastores).
Gmunden. Arturo Farinelli.
(Schlaf folgt.)
Kleinere Mitteilnngen.
Kleinigkeiten zur englischen Wortforschung.
1. Mittelengl. b%ke 'BienenneBt*.
Me. bike ^est für wilde Bienen etc.; Bienenschwarm' führt
Bjdrkman, Sccmdincman Locmivords, 6. 202 ffl, unter den Wörtern
auf, *the Seandinavian ariffin of whieh is tolerably certainJ Die
Quelle des Wortes ist nach ihm ein nur in neuschwed. hyke 'Haufe
gemeinen Volks, Gesindel' bewahrtes skand. Wort, das ursprünglich
'Bienenschwarm' bedeutet haben und eine Ableitung von aschw. hy
'Biene' sein soll. Diese Erklärung ist zwar auf den ersten Blid^
recht ansprechend, um so mehr als auch dem engl hike die Bedeutung
Kjresindel' zukommt Sie hat auch von verschiedenen Seiten Zustim-
mung gefunden, vgl. Binz, Z. f, d. Ph, 36, S. 508, Flom, Journal of
Engl, and Germ. Phil. V, S. 428. Gewichtige Gründe sprechen je-
doch gegen Björkmans Erklärung, und meines Erachtens kann sie
nicht richtig sein.
Erstens ist das schwed. byke sehr spät belegt, meines Wissens
erst nach der Mitte des 18. Jahrhunderts (Ihre, DiaUct-Lexicon, 1766).
Es scheint in den schwed. Mundarten nicht gerade viel verbreitet zu
sein, wenigstens nach Rietz' Wörterbuch zu urteilen, und dem älte-
ren Nordisch wie den übrigen skand. Mundarten ist es gänzlich
fremd. Das beweist gewifs nicht, dais das Wort jungen Ursprungs
ist, aber es erregt doch schon Bedenken.
Zweitens ist es mir sehr zweifelhaft, ob wir überhaupt berech-
tigt sind, ein mittels eines -k- (oder besser -A^)Suffize8 von aschw.
hy abgeleitetes aschw. (adän.) "^hyke 'Bienenschwarm' anzusetzen.
Björkman teilt keine Fälle ähnlidier Bildung mit; er spricht nur
ganz allgemein von einem A^Suffix, das kollektive Bedeutung gebe
oder etwas dem Stammworte Zugehöriges bezeichne. Soviel ich weüs,
gibt es keine analogen Fälle. Die von Kluge, Nom. Stammbildtmgs'
lehre, § 68, und Wilmanns Deutsehe OrammaHk 11, § 284, aufge-
führten westgerm. Wörter (ahd. fedarah u. dgl.) und die vereinzelten
nordischen Bildungen (wie altn. smalke, smeüce m., neuschwed. amolk
u. dgl.), die man bei Hellquist, Den nord. Nominalbüdungen, § 4,
findet, enthalten vielleicht teilweise ein kollektives /c- Suffix, aber
keine von diesen Bildungen zeigt dazu noch ein io-Suffix. Unter
solchen Umständen ist Björkmans Hjrpothese doch mindestens sehr
AxchiT f. n. sprühen. CXVI. 7
98 Kleinere Mitteilungen.
kühn. Meines Erachtena kann neuschw. byke unmöglich mit aschw.
by in Verbindung gesetzt werden.
Mir ist es demnach nicht zweifelhaft» daCs engl, bike und neu-
schwed. byke ganz auseinander zu halten und voneinander unab-
hängig zu erklären sind. Von dem schwed. Worte hat Tamm eine
durchaus befriedigende Erklärung gegeben, die das späte Auftreten
des Wortes berücksichtigt Das einzige, was gegen sie einzuwenden
wäre, ist der Umstand, dals sie Zusammenhang mit engL bike aus-
schliefst
Auf den rechten Weg zur Erklärung des engL bike hat meines
Erachtens schon Jamieson gewiesen, wenn er auf mndl. bieboek, bie-
buyck 'apiarium' verweist Im MndL findet sich auch das Simplex
buuc in der Bedeutung 'Bienenkorb'. Ich glaube, bike ist eine Ab-
leitung von altengl. büo 'Bauch, Eimer*. Es entspricht einer altengl.
Form mit i-Umlaut» z. B. *b^ee, n. oder *byc, f. In den nordlichen
Mundarten, wo das Wort allein vorkommt» konnte eine derartige Form
me. bike ergeben.
Näher die Greschichte des Wortes festzustellen, dürfte wegen des
Mangels an altengl. Belegen kaum möglich sein. Man kommt nicht
über Möglichkeiten hinaus, und der Möglichkeiten gibt es ja viele.
Die folgende Entwickelungsgeschichte scheint mir eine gewisse Wahr-
scheinlichkeit zu haben.
Als altengl. Grundform kann man ein neutrales *byce^ etwa
mit der Grundbedeutung 'bauchiger (runder) Gegenstand' ansetzen.
Aus dieser entwickelt sich die Bedeutung 'Bienennesf ; vgL schwed.
(mundartl. und veraltet) biüa 'Nest für kleine Tiere', gietingebiUa
'Homisnesf, die sich zu aschwed. eterbiüa 'Eitergeschwür', mndl.
mndd. biüe 'Arschbelle' stellen (s. Tamm, Nordiska Studier, S. 32 f.).
Die weitere Bedeutungsgeschichte wäre ja ganz durchsichtig. Be-
treffs der Wortbildung kann auf Fälle wie neuschw. (mundartl.) ?iyve
'Lug* zu huf 'gewölbter Raum', altengl byre 'Kuhstall' zu bür 'Kam-
mer' u. dgl. verwiesen werden.
Noch eine andere Möglichkeit will ich hier erwähnen. Im vor-
angehenden bin ich stillschweigend davon ausgegangen, dals die
Bedeutung des mengl. bike 'Nest für wilde Bienen' war. Nun kommt
im neuengl. bike auch in der Bedeutung 'a buHding for ihe stanng
of grain\ nach dem Beispiele zu urteilen 'ein bienenkorbformiger
Stack', vor; vgl. N. E. D,, E. D, D. Das scheint auf ein bike 'Bie-
nenkorb' zu deuten, und diese Bedeutung ist in den beiden mittel-
engl. Belegen sehr gut möglich. Ist 'Bienenkorb' die ältere Bedeutung
von engl, bike, so könnte sich das Wort zu mndl. b^i^^e verhalten un-
gefähr wie altengl. hyf 'Bienenkorb' zu ndL huif, was wohl auf alt-
* Zwischen dieBem *byce und norweg. byk^e n., das neben buk in der
Bedeutung 'Krebsschale' vorkommt, braucht kein unmittelbarer Zusammen-
hang vorzuliegen.
Kldnere Mitteiltmgeii. 99
engl. *bye f. (< ^hükiö-) führen würde. Denn h^f ist wohl eher wie
id- als wie i-Stamm aufzufassen. Zwar scheint der Plural hyfi in
Corp. gl. auf i-Stamm zu deuten, aber in diesem Text wird kaum
streng zwischen -t und -e in Endsilben geschieden.
Bleibt somit in der Geschichte unseres Wortes vieles dunkel^ so
glaube ich jedoch gezeigt zu haben, dafs es mit neuschwed. hyke
nicht zusammengestellt werden kann, sondern vielmehr zu altengl.
huß zu führen ist
Ist meine Erklärung richtig, so könnte doch schliefslich engl.
bike mit schwed. hyke verwandt sein. Denn das Verbum hyka <bau-
chen', von dem hyke eine Ableitung ist» stellt sich vielleicht zu dem-
selben germ. *büka-, von dem engl, bike abgeleitet ist
2. EngL litmue 'Lackmus\
Dies Wort wird wohl allgemein für ein ndL Lehnwort gehalten
und zwar für eine Entstellung von ndl. lakmoes. Vgl. z. B. die ety-
mologischen Wörterbücher von Müller und Skeat, das Cmtury Die-
tionary, das New Englieh Dictionary (wo jedoch als nächste Quelle
mndl. leeemoe, lycmoee angegeben wird). Nur Fr. Koch, Jahrbuch
für Eoman. und Engl Literatur VIII, 8. 328, hat meines Wissens
diese Erklärung abgewiesen und lit- von altn. lita oder litr hergeleitet
Über das letzte Glied des Wortes spricht sich Koch nicht aus.
Die landläufige Etymologie ist sicher unrichtig ; litmtte ist skandi-
navisches Lehnwort, und die Quelle ist altn. litmoee 'Flechten, aus
denen ein gewisser Farbenstoff bereitet wurde, z. B. leeanora tartarea'.
Als erster Beleg wird in dem N. E, D. einer von 1502 gegeben.
Tatsächlich findet sich jedoch das Wort im Englischen viel früher.
Alexander Bugge, Studier over de norske byers selvetyre og Handel ftr
HansecUemes tid, Kristiania 1899, teilt 8. 200 ff. einen Auszug aus
den Custom Rolls der 8tadt Lynn für die Jahre 1808—1807 mit
Hier wird unter den aus Norwegen importierten Waren mehrmalB
litmoee genannt Dafs dies das altn. Htmose ist^ kann ja nicht be-
zweifelt werden und wird auch von Bugge angenommen. Aber es
ist ja ebenso augenscheinlich, dais wir hier die Quelle des engl, l/itmus
haben. Noch im 18. Jahrhundert kommen von diesem die Formen
litmoee, litmoe vor. EngL litmue ist eins von den skandinavischen
Wörtern, die durch den Handelsverkehr ins Englische gedrungen sind.
Der Wechsel von u und o in der letzten 8ilbe erklärt sich ein-
fach daraus, dafs infolge der schwachen Betonung o zu 9 überge-
gangen war, und diesen Vokal konnte man ja ebensogut mit u als
mit o bezeichnen ; vgL etirrup aus me. etirop. Auch die Form Utmae
kommt vor. Wenn die Form litmue durchgedrungen ist^ so kann
das teilweise Einfluls von deutsch, lackmue oder ndl. lakmoee (gespr.
-müs) zugeschrieben werden. Solcher EinfluTs erklärt sich gut dar-
aus, dafs es namentlich Holland ist» wo der Farbenstoff hergestellt
wird.
100 Eleiiiere Mitteüimgen.
S. MittelengL meth 'met'.
Neben gewöhnlichem mede (< ae. medu) kommt im Mitteleng-
lischen nicht selten eine Form mefejth {fnepe) vor, die z. B. bei Chaucer
C. T. Ä. 8261 durch den Beim als wirklich gesprochene Form ge-
sichert wird. Aus ae. medu kann sich dies meeth kaum, wie Di-
belius, Anglia XXIH, 8. 450, zu glauben scheint^ entwickelt haben.
Vielmehr ist es eine dem skand. (aisL miopr) entlehnte Form und
Björkman, Loantvorda, 8. 164, nadizutragen.
4. Engl, squint 'scheelen'.
Die Etymologie dieses Wortes ist noch nicht gefunden worden.
Murray {K E, D. s. v. asquint) vergleicht zögernd (siehe auch Trans,
PhiL Soe. 1882—1884, 8. 510 f.) squint in asquint mit ndL schuinie
'8chiefheit^ Schräge'; ' aber dieser Gleichung stehen lautliche Schwie-
rigkeiten im Wege. Das ui in ndl. schuin, sehuinte dürfte auf älteres
ü zurückgehen ; entlehntes schuin dürfte im me. askoyne vorliegen.
Skeat, Conoise Et. Didion,, bezeichnet die Herkunft von squini als
dunkel.
Das anlautende squ- deutet auf Entlehnung. Ich glaube, squirU
ist skandinavischer Herkunft
Zum Ausgangspunkt für meinen Erklärungsversuch wähle ich
neuengL sqmnt *to squirf (auch subst mit der Bedeutung *a squirf),
das im E. D. D, als Dialektwort aus Nottinghamshire mitgeteilt wird.
Diesem entspricht an Form und Bedeutung durchaus ein vielver-
breitetes skand. Wort, z. B. norweg. (mundard.) skvetta st v. 'spritzen'
(intr.), das wahrscheinlich auf älteres *skwinta zurückgeht» vgl. Noreen,
Aisl. Oramfn,\ § 106, 1. In den älteren skand. Sprachen ist das
Wort nicht belegt Aisl. skuetta 'verschüttet werden', das von Noreen
a. a. O. aufgeführt wird, findet sich bei Fritzner nicht und dürfte
Vigfussons Wörterbuch entstammen, wo skvetta als neuisl. Wort ge-
geben wird. Dennoch kann es kaum zweifelhaft sein, dals das Wort
alt und echt nordisch ist, da es in mehreren lebenden Sprachen vor-
kommt
Ich glaube nicht, dafs die auffällige Übereinstimmung des engl.
squint mit skand. shfetta auf Zufall beruht Vielmehr ist neuengl.
squint 'to squirf ein skand. Lehnwort» das in älteren Denkmälern
zufällig nicht belegt ist
Es fragt sich nun, ob auch engl, squint 'scheelen' mit squint
'spritzen' und skand. *skwinta in Verbindung gesetzt werden kann.
Ich glaube, das ist möglich, zwar nicht unmittelbar, da das Verbum
squint eine späte Rückbildung von asquint zu sein scheint (vgl. K
E. D. s. V. asquint), aber wohl mittelbar durch dies letztere Wort^
das schon um 1230 belegt ist
Ein starkes Verb *skwinta oder Ableitungen davon kommen in
mehreren skand. Sprachen und Mundarten vor, und zwar in mehre-
ren Bedeutungen. Norweg. skvetta st v. ist intrans. und bedeutet
Elmnere Mitteilungen. 101
u. a. 'spritzen, sprudeln ; auffliegen, auffahren, plötzlich die Flucht er-
greifen (von Tieren gesagt); vor Schrecken zittern; auffahren, zu-
sammenfahren' (Aasen, Norsk Ordbog). Das entsprechende schwache
skvetta ist transitiv; es bedeutet 'ausschütten, spritzen' u. dgL Neu-
isl. skvetta wird nur intransitiv in der Bedeutung 'spritzen' gebraucht
In schwed. Mundarten finden sich das nur intransitive skvitta und
skwätta, das sowohl intransitiv wie transitiv, stark wie schwach ge-
braucht wird. Augenscheinlich sind hier das starke intransitive und
das schwache transitive skwäita zusammengeworfen worden. Die
Bedeutungen von skwätta sind u. a. 'spritzen, tropfen; regnen; vor
Schrecken zusammenfahren oder auffahren, schnell zur Seite weichen'
(vergl. Rietz* Dialekt- Wörterbuch), Dan. skvait (skvatte) bedeutet
'spritzen; verschütten (z. B. Geld); ohnmächtig werden'. Die ältesten
Belege der Wortgruppe finde ich im Dänischen, wo skvatte um 1 622,
skvaim0lle 'kleine Mühle' um 1648 bezeugt sind; vgl. Kaikar, Ordbog
til det (sldre danske Sprog.
Die Bedeutung 'spritzen' kommt dem Worte in allen Sprachen,
wo es überhaupt belegt ist, zu und ist ja die einzige des neuisländ.
skvetta. Demnach kann es nicht zweifelhaft sein, dafs diese Bedeu-
tung ein hohes Alter beanspruchen kann. Bedeutungen wie 'auf-
fliegen, vor Schrecken auffahren, zusammenfahren, zur Seite weichen',
die in schwed. und norweg. Mundarten vorkommen, dürften auf eine
gemeinsame Bedeutung, wie etwa 'eine plötzliche Bewegung machen',
zurückgehen, und der dän. Bedeutung 'ohnmächtig werden', die sich
mit der von 'zusammenfahren' nahe berührt^ liegt wohl dieselbe Be-
deutung zugrunde. Die Bedeutung 'eine plötzliche Bewegung machen'
läist sich also, wie es scheint, in drei verschiedenen Sprachen nach-
weisen und dürfte demnach alt sein, wenigstens alt genug, um für
die Erklärung des engl, asquint in Anspruch genommen zu werden.
Ich glaube aber, wir können noch einen Schritt weiter machen und
diese Bedeutung für iu*sprünglicher als die von 'spritzen' halten.
An sich scheint es mir wahrscheinlicher zu sein, dafs die all-
gemeinere Bedeutung die ältere ist Weiter legt ein anderes skand.
Wort von ähnlicher Bedeutung, dessen Geschichte wir verfolgen kön-
nen, diese Auffassung nahe. Aisl. st^kkva st v. ist intransitiv und
bedeutet u. a. 'durch eine plötzliche Bewegung aus der Lage kommen
(Fritzner gibt es auch mit skvatte wieder) ; prallen ; fliehen ; spritzen'
(auch hier übersetzt Fritzner mit skv€Btie). Das trans. st^kkva schw.
V. bedeutet 'vertreiben; spritzen'. Dieselben Bedeutungen wie das
starke sUkkva hat das entsprechende aschw. stiunka (stionka) st v. ;
das schwache stc&nkia bedeutet 'ausschütten ; spritzen' u. dgl. In der
neuschwed. Schriftsprache ist nur das letztere bewahrt; siänka be-
deutet nur 'spritzen', transitiv und intransitiv. In dieser Wortgruppe
hat sich die Bedeutung 'spritzen' sicher aus der Bedeutung 'durch
eine plötzliche Bewegung aus der Lage kommen' oder dgl. entwickelt
— Noreen stellt skuetia zu griech. ömvötiv. Ob diese Zusammen-
^02 IQemere MitteiluDgen.
BteUung sich mit der von mir angenommenen älteren Bedeutung des
Wortes vereinigen läfst^ kann ich nicht entscheiden. Wenn nidit,
möchte ich lieber Zusammenhang mit dem griech. Worte als die von
mir aufgestellte ursprünglichere Bedeutung aufgeben. — Die Be-
deutungen der beiden Verba aisl. aUkkva, aschw. stiunka und norweg.
skvetta etc. zeigen so viele Berührungspunkte, dals man fast versucht
sein könnte, zwischen ihnen einen näheren Zusammenhang anzu-
nehmen und zwar derart, dafs ^akunnta (> skvetta) aus ^stinkipa
(> 8i0khva) durch eine Art Metathese entstanden wäre; vgl. Kluge,
Orundrß I, S. 884. ^ Doch darauf lege ich keinerlei Gewicht Übri-
gens ist die Etymologie des skand. * akunnta für unseren Zweck von
sekundärer Bedeutung. Kehren wir zum engl, aaquint zurück.
Wie Murray bemerkt, in Trans. Phil, Soc. 1882 - 1884, S. 512 f.,
dürfte die Grundbedeutung dieses Wortes etwa 'off ai an angle' sein.
Es ist eine Bildung ganz derselben Art wie engl, aalant 'schief oder
aairay 'irre', d. h. wie sich aalant (me. auch aaleni) zu dem Verbum
*alanien, alenten 'gleiten' u. dgL, aairay zu me. atraien 'irre gehen'
stellt, setzt me. aagumt ein unbelegtes me. Verbum *aquinten voraus.
Und wie aalant durch 'alarUingly, in a alanting manner {direcOon)',
aairay durch Hn a atraying manneir^ wiedergegeben werden kann, so
wäre aaquint mit 'in a ''aqumting" mannw^ wiederzugeben. Die
Bildungsweise der Wörter ist freilich nicht klar. Man erwartet in
aalant, aairay Zusammensetzungen von Präp. on (a) und Subst oder
möglicherweise Adv. *alant, *airaiy; solche sind im Mittelenglischen
nicht belegt
In dem vorauszusetzenden me. Verbum *aquinten erblicke ich
eine Entlehnung von skand. *akunnta, und diesem Verbum kam also
die Grundbedeutung 'eine plötzliche Bewegung machen' zu. Daraus
entwickelten sich leicht Bedeutungen wie 'eine Bewegung seitwärts
machen' (vgl. schwed. akwätta 'zur Seite weichen'), 'eine abweichende
Richtung nehmen', 'prallen' (vgL die Bedeutungen von skand. aU/^kkva^
atifmka), to go off at an angle' u. dgl. Zu me. *aquinien in einer
derartigen Bedeutung stellt sich, wie ich glaube, diu Adv. aaquini.
Die Einzelheiten der Geschichte des Wortes können natürlich
nicht mit Sicherheit festgestellt werden. An meiner Erklärung mag
vieles zu ändern sein ; im wesentlichen glaube ich aber das Richtige
getroffen zu haben.
Etwas auf&llig mag vielleicht erscheinen, dafs me. aaquint zu-
erst in einem südlichen Denkmal (Ancren Riwle) belegt ist Das
spricht jedoch nicht gegen nordische Herkunft, da dies Denkmal
mehrere skand. Wörter enthält
' rKorrektumote : Dieser Gedanke ist wohl aufzugeben. Falk-Torp,
Etymologisk Ordbog, s. y. shreäef stellen dies Wort zu ai. akdndaü 'schnelle,
springe, spritze', air. scendim dass.; nach dieser Etymologie wären beide
Hauptbedeutungen von *8kufinta matt]
Kleinere Mitteilungen. 108
Somit wäre für die alten skand. Sprachen ein starkes Verbum
*8kwmia mit den Bedeutungen 'eine plötzliche Bewegung machen'
XL dgl. und 'spritzen' aufzustellen. Das Englische nahm das Wort
mit beiden Bedeutungen auf und hat sie bis auf den heutigen Tag
bewahrt, die eine zwar nur im Adv. asquint mit der daraus ent-
wickelten Wortgruppe^ die andere in einer einzigen Mundart
Lünd. Eilert Ekwall.
Zu John Heywoods ^Wetterspiel*.
Da eine direkte Vorlage zu diesem Zwischenspiel * bisher meines
Wissens nicht bekannt geworden ist^ dürfte es nicht überflüssig sein,
darauf hinzuweisen, dafs sich in Lukians Dialog Ikaromenippos^
Züge finden, die direkt oder indirekt dem englischen Dichter einige
Motive geliefert haben könnten.
Bekanntlich tragen im Wetterspiel Vertreter verschiedener Stande
dem Jupiter ihre einander widersprechenden Wünsche in bezug auf
die Witterung vor. Ebenso hört Zeus in Kap. 25 des Lukianschen
Dialogs, wie einige Schiffer um Nordwind, andere um Südwind bitten,
wie ein Bauer um Regen fleht» ein Walker oder Tuchscherer {xvacpevg)
um Sonnenschein. Heywood lafst V. 868 ff. den Kaufmann um gün-
stigen, jeweils nach Bedarf wechselnden Fahrwind beten, vgl. be-
sonders V. 871 :
Eut, tpeat, North, and South, aa besU may be ui.
Um Regen dagegen bittet bei ihm der Watennyüer V. 448 ff., um
Sonnenschein die Wäscherin {Unmder) V. 894 ff. Lukians Zeus hört
alle Bitten an und untersucht jede sorgfältig, um dann einzelne zu ge-
währen, andere abzuschlagen. Einmal, als zwei Männer gleichzeitig
um ganz entgegengesetzte Dinge gebeten hatten, ist er unschlüssig,
erwägt die Sache lange hin und her und bleibt schliefslich die Ent-
scheidung schuldig. Am Ende der Audienz — die allerdings nur
durch Offnungen im Himmelsboden vor sich geht» durch die er die
Gebete hören kann — erhalten Wetter und Winde seine Befehle
(Kap. 26): 'Heute soll es bei den Skythen regnen, bei den Libyern
blitzen, bei den Hellenen schneien; du, Boreas, blase in Lydien, du,
Notos, halte Ruhe; der Zephyros soll die Adria aufwühlen, und an
Hagel sollen gegen tausend Scheffel über Kappadokien ausgeschüttet
werden r Entsprechend bestimmt Jupiter bei Heywood V. 1156 ff.,
dafsj^das Wetter wie bisher veränderlich bleiben soll, damit die
Wünsche der verschiedenen Literessenten nacheinander erfüllt wer-
den können.
Das andere Motiv, worin der englische Dichter mit dem Spötter
* HerauBg. von Brandl, Q. F. LXXX, S. 211 ff. Vgl. dazu £inl.
S. XL VII ff. und Young, Mod. PhiL II, 97 ff.
* Edüio prineoM: Florenz 1496. Neue Ausgabe von Sommerbrodt,
Berlin 1896, Vol. II, P. 2, pag. 142 ff.
104 Kleinere Mitteilnngen.
von Samosata übereinBtimmt» ist die Figur dee Mery Report (als Fioe).
Wie er keck bei dem HimmelBgotte eindringt^ so kommt Monippos,
der Held des Lukianschen Diidoges, gleich Ikaros mit Flügeln in
den Olymp (Kap. 22) und wird sogleich von Zeus mit d^ homeri-
schen Frage empfangen (Kap. 28):
VgL dazu Wetterspiel V. 101 :
Why, ichai arte thau that approdiyei so ny*t
Als M&ry Report seinen Auftrag ausgerichtet hat und wieder im
Himmel erscheint^ erzahlt er ruhmradig, welche Orte er alle besucht
habe (V. 195 ff.). In derselben Weise berichtet im griechischen Dia-
loge Menippos seinem Genossen, wie er von der l^e zum Monde,
von da zur Sonne, und schliefslich zur Burg des Zeus geflogen sei.
Man vergleiche den Anfang (Kap. 1): 'Also SOOO Stadien waren es
von der Erde bis zum Monde . . . von da hinauf zur Sonne gegen
500 Parasangen' usw. mit Heywood V. 195 1:
How be ftf yf jfe aaoyd, I amlde not well tdl,
But euer I tkynhe a tkoueande myle from hdl.
lifit der Aufzahlung der zahlreichen von ihm besuchten Städte
und Länder (V. 199 ff.) lafst sich bei Lukian, Kap. 11, die Nen-
nung verschiedener Gebirge und Gegenden vergleichen, die Menippos
bei seinen Flugübungen berührt und vom Monde aus gesehen hat
— Die Art femer, wie der OentyUnan von Mary Report empfangen
und vor den Thron Jupiters geführt wird (V. 217 ff.), ist der Szene
bei Lukian, Kap. 22, nicht unähnlich, in der Hermes dem Ankömm-
ling die Himmelstür öffnet und ihn bei Zeus meldet
Die Götterversammlung endlich, worin am Ende des Dialoges
Zeus eine donnernde Strafrede gegen die unnützen Philosophen hält^
könnte vielleicht die Veranlassung zu der Eröffnungsrede Jupiters
im Wetterspiele gegeben haben: da erzählt nämlich der Gott selbst
als Prolokutor von dem Streite der Wettergottheiten, die vor seinen
Thron geladen sich gegenseitig anklagten.
Wenn die beiden Dichtungen im übrigen, was Plan und Durch-
führung der Idee^ betrifil, auch stark voneinander abweichen, so
dürften doch die genannten Übereinstimmungen kaum als Zufall be-
trachtet werden können. Sei es nun, dafs Heywood unmittelbar aus
Lukian geschöpft hat» sei es, dafe ihm dessen Dialog schon in fran-
zösischer oder lateinischer Bearbeitung vorlag: ein Zusammenhang
des Wetterspieles mit dem Ikaromenippos wird sich schwerlich in
Abrede stellen lassen. Auch hier zeigt sich wieder deutlich, wieviel
die spätere Zeit trotz aller Neuerungen dem Altertum verdankt!
EjeL F. Holthausen.
' VgL die Inhaltsangaben des Hevwoodschen Stückes bei Swoboda,
Wiener Bei tr. III, 38 ff. und bei Brandl a. a. 0. Lf.
Kleinere Mitteflnngen. 105
Ute. rape und riding *Beslrk'.
Diese Wörter werden allgemein für nordische Entlehnungen ge-
halten. Am ausführlichsten wird eine solche Auffassung von Steen-
strup, Normanneme IV, 8. 75 und 93, begründet Er leitet rape
aus dem altn. hreppr OSezirk' (oder aber aus der von ihm angegebe-
nen Nebenform hrappr), riding aus altn. fridjungr 'Drittel', auch 'Be-
zirk', altdän. Arithing, her. Diese Etymologien haben allgemeinen
Beifall gefunden. Sie werden z. B. vom Century Dictionary, Skeat,
Et. Dictionary, Jespersen, Growih and Strueture of the Englieh Iamv-
giboge 1905, 8. 78, und anderen als richtig anerkannt Meines Wis-
sens hat aber noch niemand sich die grolsen lautlichen Schwierig-
keiten, die mit dieser Auffassung verbunden sind, klargemacht
Man hat die Etymologien in allen anderen Beziehungen so einleuch-
tend gefunden, dafs man über die lautliche Seite der Frage ganz
hinweggesehen hat Nur über einen Punkt ist man ins klare ge-
kommen:^ in *thriding ist in den Verbindungen North-thriding, Eaet-
thriding und Weet-thriding lautgesetzlich geschwunden. Aber an-
dere Schwierigkeiten sind noch zu überwinden. Aus altn. hreppr
kann nur engl. *repy aus hrappr nur *rap und aus pridjungr, thrithing
nur {thyriihing mit • in der Stammsilbe werden. Diese Schwierig-
keiten lösen sich aber ohne weiteres, wenn wir normannische Ver-
mittelung annehmen. Die altenglischen Bezeichnungen *hr^ {*hrap)
und *prifing, die durch die Nordleute seinerzeit eingeführt waren,
wurden also von den Normannen in die offizielle Terminologie auf-
genommen* und sind von da aus wieder in die englische Volks-
sprache eingedrungen.
1) rape 'a division of the county of Sussex, intermediate between
a hundred and the shire' {Geni, Dict,\ nach Wright, Engl. Dial. Dict,,
*SL division of the county comprising several hundreds'. Hier gilt es
zuerst die Eonsonantenquantitat zu erklären. Wie bekannt^ deckten
sich die altfrz. Quantitäten, namentlich die der Vokale, nicht völlig
mit den englischen in entsprechender Stellung; das Altfrz. kennt
auTserdem in der Regel wahrscheinlich nur einfachen Konsonanten. ^
Bei der Aufnahme des Wortes ins Anglonormannische ist also die
Quantität des p wahrscheinlich beträchtlich gekürzt worden. Es ist
aber nicht notwendig, die anglonorm. Form als rape anzusetzen.
Auch eine anglonorm. Form mit pp — das Anglonormannische kennt
nämlich im Gegensatz zu den anderen französischen Dialekten viel-
fach doppelten Konsonanten, ja einfacher intervokalischer Konsonant
wird nach kurzem Tonvokal im Anglonormannischen sogar vielfach
gedehnt — würde aber bei Rückentlehnung ins Englische rape er-
* Steenstrup führt treding aus dem Domesday Book an.
' Vergl. MoTsbach, Die angebliche Originalitäi dee frühmiüeUn^lisehm
King Eom, Halle 1902, S. 82 (-:= Beiträge zur rem. u. engl. Philologie,
Festschrift für Wendelin Förster, S. 328).
I
106 KleiDere Mitteilungen.
geben können. Es genüge^ auf die analogen F&lle bei Morsbach
a. a. O. hinzuweisen ; so entspricht z. B. dem altfirz. passer me. päeen
und passen (ne.j9ac0 und pass). Ein anglofrz. *rappe würde also selbst-
verständlich me. *rape ergeben können. Vgl. altfrz. grape, grappe
> ne. grape. — Aber auch der Vokallaut macht Schwierigkeiten,
denn ein altn. ^krappr 'a district', das vielfach als die Quelle des
englischen Wortes angeführt wird, scheint nicht zu existieren. Der
von Cleasby-Vigfüsson angeführte Eigenname Brappr, der eine Neben-
form zu hreppr sein soll, kann doch kaum ernsthaft mit in Betracht
genommen werden. Es wäre entschieden vorzuziehen, wenn wir von
der einzigen sicheren altn. Form hreppr ausgehen könnten. Dies ist
meines Erachtens auch tatsächlich der Fall. Und zwar sind hier
zwei verschiedene Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen. Es ist
wohl möglich, dals hier altn. bezw. altengl. e durch anglonorm. a
wiedergegeben worden ist Solche Fälle sind auch sonst vorhanden.
So findet sich im Domesday Book für Essex neben seltenem -dena
sehr häufig -^anct,^ Auch möge auf solche Doppelformen innerhalb
des Französischen selbst als aretter und aratter, woraus me. ctraten,
ne. rate 'to chide, reprimand' — wo freilich die Verhältnisse etwas
anders liegen — hingewiesen werden. Eine zweite Möglichkeit er-
gibt sich in der Lautentwickelung innerhalb des Dialekts von SufiblL
Bei dem Fehlen von frühen Belegen und bei der unsicheren Lage
dieser Frage kann ich aber auf diese letzte Möglichkeit nicht näher
eingehen.
Es erübrigt nun, über das nordisdie Substrat ein paar Bemer-
kungen zu machen. Das Wort hreppr ist nur im Westnordisdien
belegt^' rape würde also auf eine norwegische Ansiedelung in Suffolk
hinweisen. Nach Falk u. Torp, EtymoL Ordbog s. v. rimpe, soll das
Wort aus einem älteren *hrimp- entstanden und mit ne. rimple,
mhd. rimpJien 'in Falten, Runzeln zusammenziehen, krümmen, rümp-
fen' verwandt sein. So besonders einleuchtend finde ich diese Zu-
sammenstellung nicht Vor allen Dingen macht hier die semasio-
logische Frage Schwierigkeiten. AuTserdem würden wir in dem
Worte das einzige Beispiel unter den nord. Lehnwörtern von der
nord. Assimilation mp > pp zu. erblicken haben ; das wäre an und
für sich nichts unmögliches, aber da wir sonst kein einziges ganz
sicheres Beispiel von den Assimilationen mp > pp, nt > tt, nk > kk
in den nordischen Lehnwörtern besitzen (vgL Björkman, Scand.
Loanwords, S. 169), so hätten wir doch eher hier eine Form ohne
Assimilation zu erwarten, wenn pp in altn. hreppr aus mp entstan-
den wäre.
' VrL Stolze, Zur Lautlehre der aUmgL Ortanamim im Domesday Book.
Berlin 1902, S. 16. Auch mare und Stade ebenda sind in Betracht zu
ziehen.
' Schwed. diaL r^ 'mindre trakt af en socken' in dem Norwegen be-
nachbarten Daisland darf nicht für ostnordisch gelten.
Kleinere Mitteilungen. 107
2) riding 'one of Üie Üiree divisions of the county of York\ In
den nordischen Lehnwörtern im Englischen wird nord. d in der Regel
als Reibelaut beibehalten. Die Normannen konnten aber den Laut
zur Zeit der Entlehnung nicht aussprechen, sondern lielsen ihn ent-
weder ausfallen oder ersetzten ihn durch den stimmhaften Reibe-
laut j * oder durch den stimmhaften Verschluislaut d.^ dm riding
deutet also unverkennbar auf anglonormannische Vermittelung hin.
In derselben Weise erklärt sich meines Erachtens das me. %, das von
der ne. Form vorausgesetzt wird. Das i in der anglonormannischen
Aussprache fiel hinsichtlich seiner Quantität weder mit engl, t noch
mit engl, i zusammen, mufste aber mit einem von den beiden wieder-
gegeben werden. Dazu mögen nun frdlich andere Momente, z. B.
Assoziation mit dem Verbum riden^ hinzugekommen sein, riding
könnte ja von dem Volke etwa als ein Bezirk, der von den inspizie-
renden Beamten in einer gewissen Zeit beritten werden kann, auf-
gefalst worden sein.
Göteborg. Erik Björkman.
* VffL Morsbach a. a. O. 8. 9 (805). Die Schrdbong irihmg (Steen-
strup, S. 75) dbt vielleicht eine Aussprache mit weggefallenem d wieder.
^ Vgl. Luhmann, Die ÜberUef&nmg von Lajamons Brut, Halle 1905,
S. 38. Stolze a. a. O. 8. 41.
Sitsnngen der Berliner Oesellsehaft;
für das Btudinm der neaeren Sprachen.
Sitzung vom 13, DexmAer 1904.
Herr Risop erörtert die Formen, anter denen sich nach Aoffafisnng
der mittelalterhchen Christenheit die Beförderung der Seelen der soebeo
aus dem Leben G^chiedenen in die Hölle vollzog, und zwar im Anschlag
an die Verhaltungsmafsregeln, deren Innehaltung das sogenannte ando-
normannische Adamsspiel (12. Jahrhundert) bei solcher Gel^enheit den
Darstellem zur Pflicht macht Er hebt aus ihnen insbesondere den Akt
der Fesselung heraus und verfolgt die sehr seltenen Spuren dieser Vor-
stellung, soweit man ihrer innerhalb der Kunst und Literatur des Abend-
landes ansichtig wird, und zeigt, dals erst bei der Massenbeförderung der
Seelen, wie sie uns die Darstellungen des jüngsten Gerichts anf den
Bogenfeldern der Westportale französischer und deutscher Kathedralen
romanischen oder gotischen Baustils, dann aber auch der Bahmen d»
Dürerschen Allerheiligenbildes zeigen, dieses Motiv haufi^r verwendet
wurde. Ungeachtet der starken Analogien, die sich aus den in der Savitri-
episode des Mahabharata erzählten Ereignissen entnehmen lassen, glaubt
der Vortragende nicht, dafs ein Zusammenhang zwischen dem altindischen
und dem christlichen Ideengebiet anzunehmen sei; sonst anzutreffende
christliche Darstellungen von den letzten Dingen l^n vielmehr die Ver-
mutung nahe, dafs die Vorstellung rein christuchen Ursprungs sei, zumal
die bei der Fesselune und Abffihrune üblichen Einzelheiten, soweit sich
aus der mittelalterlichen Literatur und Ikonographie ergibt, mit den For-
men, die den der weltlichen G^chtsbarkeit Veitallenen gegenüber beob-
achtet wurden, auffallend übereinstimmen. Der Vortragende schliefst mit
einem Blick auf die Attribute des Amor camalt8y wie ilm Giotto auf seiner
Allegorie der Keuschheit in der Unterkirche zu Assisi und nadi Boccaccio
fleicnzeitig mit ihm auch Francesco da Barbarino, doch ohne den Boeen-
ranz, in uns unbekannten Gedichten geschildert hat Der Vortragende
zeigt, dafs die Vogelklauen des, wie bei den alten Christen so audi hier,
als Dämon gedachten Amors schon in vorgiottoscher Zeit an den Teufeln
fewöhnlichen Schlages zu bemerken seien, und Amor bereits in frisieren
yzantinischen Mal^eien wie auch auf spateren französischen Holzschnit-
ten mit der Augenbinde erscheine; neu sei nur der um den Oberkörper
geschlungene Strick mit den daran befestigten Herzen, ein Motiv, dessen
Beziehungen zu der oben geschilderten Fesselung der Seelen offen zutage
liegen, ohne daüs sich festHtellen lasse, von wel<3iem der beiden Künstler
diese eigenartige Neugestaltung der Idee ausgegangen sei.
Herr Kuttner erinnert an die Ketten, die Marlevs Geist in Dickens
Ghristmaa Oarol mit sich schleppe, und Herr Münch an ähnliche Vor-
stellungen im Volksglauben.
Herr Münch macht auf eine neue Übertragung von Garducd und
die Bevue aermanique aufmerksam und berichtet sodann über Eindrücke
pädagogischer Art von einer Keise nach England. In London bestehen
Sitzungen der Berliner GreseUBchaft etc. 109
vier deutsche Schulen; dne seit HO Jahren in St. Mary; eine zweite seit
100 Jahren ist die St Gkorgsschule; eine dritte ist m Islington, und
eine vierte ist die katholische Bonifaciusschule in Whitechapel. Die deut-
schen Väter der Schüler sind meist Handwerker und Arbeiter, die ihre
Kinder aus praktischen Gründen auf die deutsche Schule schicken ; da die
Mütter meist Engländerinnen sind, haben es die Lehrer nicht leicht, ihren
Schülern das Deutschtum zu erhalten, und es gelingt ihnen das auch nur
teilweise. Die Schulen sind recht rückständig in bezug auf ihre Lage
und ihre Ausstattung. Überdem hat namentlich die katholische Schule
Schwierigkeiten mit den polnischen und litauischen Elementen unter ihren
Schülern. Jedenfalls yeraienen die an diesen Schulen wirkenden Ldir-
kräfte unsere volle Sympathie. — In den höheren Schulen, wo der fremde
Besucher jetzt freundlicher aufgenommen wird als früher, fällt die weit-
gehende Spezialisierung auf, die man den Schülern bei ihren Studien ge-
stattet So hatten an einer Schule 8 Schüler ihre AbschluTsprüfung für
Mathematik bestanden und widmeten sich nur noch dem Studium des
Lateinischen und Griechischen. Der neusprachliche Unterricht ist fast
durchweg in guten Händen; aber wenn auch die Lehrer die fremden
Sprachen beherrschen, die Schüler treten nach englischer Art wenig aus
sich heraus, und ihre Lebendigkeit und Teilnahme am Unterricht ist ge-
ringer als bei uns. Das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern er-
scheint sehr anffenehm, ebenso das zwischen Direktoren und Lehrern.
Aber selbst in den besseren Schulen sind die Subsellien «mz elend, sogar
vielfach ohne Bückenldme. Auch zertiert wurde noch. Das Züchtigunn-
recht existiert, aber es wird — aulser von den Monitoren — kaum mär
ausgeübt. An einer Schule allerdings bedeutete die Aufsteckung einer
Rute den Beginn des Unterrichts. Das Andenken an berühmt gewordene
frühere Schüler wird sehr gepflegt; so z. B. zeigt man in Harrow, wo
man noch viele Byron- Andenken besitzt, den Briä, worin Bjrons Mutter
sein Nichtkommen damit entschuldigt, dafs er so verliebt sei. — Was da»
Universitätsleben betrifft, so ist es in einigen Colleges feierlicher und steifer
als in anderen. Die Studenten erhalten zwei Gtänge zum dinner, die Bache-
lors drei, die Professoren vier; die beiden ersten Gruppen haben auch
noch Bänke ohne Rückenlehne. Die wissenschaftliche Höhe der Vorträge
ist leidlich, wenn auch nicht immer das, was wir gewöhnt sind. Die Haine
der Zuhörer sind Studentinnen, die von ihren männlichen Kommilitonen
getrennt sitzen. In moralischer Beziehung ist manches gesunder als bei
uns ; vormittags wird studiert, der Nachmittag gehört allgemein dem Spiel
und Sport; gekneipt wird nur im Freundeskreise.
Herr Dr. Thurau wird in die Gtosellschaft aufgenommen.
Süxung vom 10. Januar 1905.
Herr A. Tob 1er besprach drei Erscheinungen des neufranzösischen
Sprachgebrauchs, die nach seiner Meinung in den ihm bekannten Gram-
matiken und Wörterbüchern des In- und des Auslandes unzulänglich be-
handelt oder auch ganz mit Stillschweigen Übergangen sind. 1. Die Mög-
lichkeit und die Art und Weise der Verwendung des Gerundiums solcher
Verba, welche, als Verba finito gebraucht, ein tl als 'grammatisches Sub-
jekt' vor sich haben würden. Hier sollten die Grammatiken die Fälle
reiner Subjektslosigkeit von denen scheiden, wo ein Subjekt in Form eines
Infinitivs oder eines Subjektsatzes folgt Warum in dem einen wie in den
anderen Fällen ein pronominales Subjekt beim Gerundium nicht stehen
kann, ist leicht zu erkennen. Es ist desw^en nicht möglich, weil es nur
ein betontes sein dürfte, das neutral eebraudite il aber eine betonte Form
nicht neben sich hat; es ist aber auch gar nicht nötig. Dafs das Gerun-
dium wirklich subjektloser Verba nicht gebraucht werde, mufs bestritten
t
110 Sitzungen der Berliner G^esellflchaft
werd«i. y ayant, en Stant de mime begegnen bis auf den heotigen
Tag sehr hfiufig, während freilich ein ^pieuvant encore, *fallant
croire u. dergl., deren italienische oder spanische wörtliche Wiedergabeo
tadellos sein wQrden, schwerlich jemals vorkommen.
2. aussi hien im Sinne desjenigen blolsen aussi zu gebrauchen,
welches als 'Satzadverbium' den Ausdruck eines Sachverhaltes an den vor-
angegangenen eines anderen Sachverhaltes nnht und andeutet, dafs der
zweite dem ersten entspreche, sei es als natdrUche Folce, sei es als erklä-
rende Ursache, soll nach Descnauel eine diformation de Ja langue sein. Dais
dem so nicht sei, wurde an zahlreichen Stellen aus Autoren ohne Tadel
dar^tan und zugleich gezei^, dals Herkunft und Bedeutung jedes der
zwei Wörter sie durchaus geeignet mach«!, zusammentretend aie gekenn-
zeichnete Funktion zu übenielmien. d. Weit eher liefse sich die Bezeich-
nung ^Verunstaltung der Sprache' darauf anwenden, dafs die Franzosen
zwar du beau, du vrai sagen, dagegen rien qua de heau, de vrat, wo doch
jeder grammatischen oder logisäen Analyse der sogenannte Teilnngs-
artikei durchaus und einzig; anguneesen scheinen muls. Dem allgemeinai
Gebrauche gegenüber — denn ein rien que de l'inidü erscheint als auf-
fällige Ausnamae — schweigt natürlich jeder Tadel und hat man sich auf
die Fraee nach der Ursache der seltsamen Abweichung vom Naturgemäfsen
zu beschränken. Sie liegt aller Wahrscheinlichkeit nach in der Einwirkung
der nicht minder häufigen und ihrerseits unanfeditbaren Verbindung rien
de vraif de beau. Das heute übliche rieft que de vrai scheint sich früher als
aus dem 16. Jahrhundert nicht nachweisen zu lassen. Und das wird nicht
überraschen, da bis zu dieser Zeit rien noch seinen ursprünelichen Charakter
bestimmter bewahrt hat, ein zuerst weibliches, dann männliches Substantiv
geblieboi ist, das ein Adjektivum (ohne de) einfach als Attribut zu sich
nahm, wie das in einigen weni^n, aus alter Zeit stammenden Verbindungen
rien tel, rien autre, noch immer statthat (vgl. Archiv CXIV, 482).
Herr Penner spricht über Jonas, 2Ö QedieMe in fran^öeieeher Spfneke^
und über Dickmann-Heuschen, Leeebueh,
Süxung vom 24, Januar 1905,
Herr Penn er sprach über einige neuere Lehrmittel für den Unter-
richt im Französischen. Zunächst wurden die Bücher von Eurth (Lissa),
von Lagarde und Dr. Müller, von Harnisch und von Eron erörtert, welche
zu Sprechübunsen anleiten soUen und welche jedes in seiner Wdse und
für bestimmte Gattungen von Schulen zu emprehlen sind. Besonders die
Bücher von Harnisch und Eron verdienen warme Anerkennung. — Sodann
ging der Vortragende im Anschlufs an die Besprechung der Kühn-Diehl-
schen Lehrbücher, die im Archiv erschienen ist, zur Erörterung der Fra^
über, wie die Lehre vom französischen Infinitiv am zweckmäßigsten in
der Schule zu behandeln sei. Es empfiehlt sich, nach einleitenden Bemer-
kungen über Substantivierung des Infinitivs (le devoir usw.) und übet die
Präpositionen, die ihn regieren, zunächst den Infinitiv mit ä zu behandeln,
weil in ihm ein klarer Grundsatz durchweg zur Geltung kommt; dieser
Infinitiv antwortet nur auf die Fragen: wem? wozu? woran? wohin?
wobei? Doch mufs der Schüler auf die abwdchende Bedeutuns von
chercher ä (sich Mühe geben bei), reussir ä (Glück haben in), aimer 3 (Ge-
fallen finden an)« apprendre ä (sich heranmachen an) usw. aufmerksam ge-
macht werden. Der Infinitiv mit de folgt zunächst demselben Gedanken,
indem er auf die Fn^en wessen? wovon? antwortet. Dann aber —
und das allein ist die Schwierigkeit für den Schüler — steht der Infinitiv
mit de meist als Antwort auf die Fragen wer? oder was? und wen? oder
was? wo die Logik den reinen Infinitiv zu verlangen scheint und de tSi^
nur als ein Wort darstellt, das gevrisse nebeneinander stehende und von-
ffir das Stadium der neueren Sprachen. 111
einander abhfin^ge Satzteile yerknfipft Die Konstruktion des reinen In-
finitivs findet Bicm wohl, aber nur als Ausnahme. Besonders zu Üben sind
die verschiedenen lehrreichen Konstruktionen von Verben wie offrir de
und B* offrir ä, refuser de und se refuser d, risoudre de und se
resoudre äf jurer ^^- promettre und = assurer, dire = assurer
und — ordonner, — Auch die zweckmäfsigste Darstellung des Kapitels
von den relativen und fragenden Fürwörtern wurde erörtert.
Herr Dr. Wespy hat sich zum Eintritt in die Gesellschaft gemeldet.
Sitzung vom 14. Februar 1905,
Herr Spies sprach über das Thema 'Ekiglische Wörterbucharbeit und
Vorführung des Gowerschen Wortschatzes'. Der Vortragende ging von
den bisherigen Leistungen auf dem Qebiet der englischen Lexikographie
aus, deren augenblicklioier Stand kurz charakterisiert wurde, und erörterte
dann im ersten Teil die für die mittelenglische Wörterbucharbeit, ins-
besondere für die Fortführung des Mätzner- Bielingschen Werkes aufzu-
stellenden Fordernneen im Anschluis an die in verwandten Disziplinen
(besonders der lateinischen und germanistischen) gemachten Vorschläge und
Erfahrungen und legte zugleich die Grundsätze dar, die für die weiteren
Sammluuffen zu den Buchstaben N — Z den Mitarbeitern vorgezeichnet
werden sollen. — Im zweiten Teil führte der Vortragende den von ihm
seit 1899 angelegten Zettelapparat vor, der den Wortschatz von John
Gowers Oonfeeeio Amantie mit Angabe sämtlicher Bele^tellen enthalt.
Entstehung, Anlage und Zweck wurden eingehend geschildert und zum
SchluTs darauf hingewiesen, dais eine derartige Katalogisierung des Wort-
schatzes zurzeit für Chaucer und für die gesamte altenglische Literatur
möglich und höchst wünschenswert sei. Der erste Teil des Vortrags wird
durch den Druck der Grundsätze jedem Interessenten zugänglich gemacht,
der zweite gel^entlich in ausführlicher Form veröffentlicht werden.
Herr AdoS Tob 1er wies auf eine Reihe von Schwierigkeiten hin,
welche sich der Abfassung eines wissenschaftlichen Wörterbuches entgegen-
stellen, wenn es nicht ins Biesenhafte wachsen soll; soll man z. B. alle
Wörter aufnehmen, die mit Vorsilben zusammengesetzt sind, welche sich
in der betreffenden Sprache vor jedes Zeitwort setzen lassen, wie im Altfrz.
re- und s^enire-l Er habe in seinen Sammlungen mundartliche Formen
im Stichwort in die Mundart der Isle de France umgesetzt; dazu müsse
man aber die Ableitung des umzusetzenden Wortes kennen. Godefrov
habe eine empfindliche Xücke gelassen, insofern er in sein Wörterbuch
alle die Wörter, welche nodi im Neufranzösischen fortleben, nicht aufge-
nommen habe.
Herr Adolf Müller berichtet im Namen der Revisionskommission;
es wird hierauf den Herren Kassenführem vom Herrn Vorsitzenden Ent-
lastung erteilt.
Herr Dr. Wespy wird als Mitglied aufgenommen. — Zur Aufnahme
gemeldet hat sich Herr Dr. Wilhelm Greif, Oberlehrer am Andreas-Real-
gymnasium.
Sitxung vom 28. Februar 1905.
Herr Herzfeld sprach in Anknüpfung an eine Schrift von H. Ley
(Erlangen 1904) über das Leben und die Werke der Lady Craven, der
letzten Markgräfin von Ansbach-Bayreuth (1750—1828). Sie stammt aus
der Familie fierkelev; noch sehr jung heiratete sie Lord Craven, von dem
sie nach dreizehnjähriger E^e e^chieden wurde. Nach längeren Reisen
auf dem Kontinent fol^e sie der Einladung des Markgrafen Karl Alezander
nach Ansbach, wo sie erst seine Maitresse, im Jahre 1791 aber seine Gattin
wurde. Ihr Leben und Treiben bietet manche Parallele zu Schillers
112 Sizungen der Berliner G^eilschaft
'Kabale und Liebe'. Ihrem Einflols nachgebend trat der Markgraf seine
Länder an Preufsen ab und siedelte mit ihr nach England Aber, wo er
1806 starb. Sie überlebte ihn noch 22 Jahre. — Von ihren Werken wor-
den zunädut die dramatischen kurz vorgeführt. Sie hat Lustspiele und
Opern in engl, und französ. Spradie verfaCst, die durchweg Ton geiingem
Werte sind. Nicht höher stenen ihre Erzählungen und Gedichte. Am
interessantesten ist für uns ihre Bearbeitung yon Schillers 'Bäubem', die
freilich in den letzten beidoi Akten eine arge Verballhomnng des Origi-
nals darstellt Am wichtigsten sind (neben ihren Reisebrieran) die Me-
moiren, die sie hinterlassen hat. In vielen Dingen oberflächlich und nicht
immer der Wahrheit getreu, enthalten sie doch manches CharakteristiBcfae
und Wissenswerte. Im ganzen stellt sich uns die Markgräfin als Typus
der aristokratischen Dilettantin dar.
Herr Carel berichtet über den am 23. September 1904 zu Berlin ver-
storbenen Privatgelehrten Herrn Julius Speier, der sich etwa seit 1875 bis
zu seinem Tode mit nspr. Literatur beschäftiffte, viel gelesen und über-
setzt hat und eine vortrefflich zusammengestellte Bibliothek der Mdster-
werke deutscher, französischer, spanischer und portugiesischer Literatur
in den besten Ausgaben hinterlieis. Von den etwa 10000 Bänden kommen
auf das Spanische ungefähr 700 Bände, deren Benutzung Speier neben
anderen Freunden auch dem Referenten mit freundlichster Bereitwilligkdt
anheimgab. Von Speiers Druckschriften bespricht Herr C: 1. *Fem im
Südf* eine Novellensammlung aus Pedro A. de Alarc6n, O. Munilla, Fran-
cesco Fl. Garcia und Gustavo A. B^cquer. Berlin 1885. 2. Die ^FainUiis
Literarias' des Don Tomas de Iriarte. Berlin 1885. 3. und 4. ^Unverßng"
liehe Qesehiehten* mit aus^wählten Beiträgen aus der komischen Literatur
von Gömez de Am puero, Manuel Cubas, l^ardso Campillo; erschienen in
Ecksteins Beisebibliothek. Die sämtlichen Bände enthalten gute, zum Teil
treffliche Verdeutschungen. Auch im Prosadrama hat sich der Übersetzer
versucht; mit gleichem Glück, wie z. B. ^Cor^raeidn de Veneeia* (1810)
des Martlnez de la Rosa erweist, die jedoch un gedruckt blieb. — Sdir
umfangreiche Manuskripte liegen vor von spanischen Lyrikern, besonders
17. — 19. Jahrhunderts, in denen Speier eine aufserordentliche Beleeenheit
besafs und an deren formvollendeter Wiedergabe er lange arbeitete. Leider
hat er das begonnene Werk nicht zu Ende führen können, das vielleicht
zu einer kritischen Geschichte der span. Lyrik schäl^nswertes Material
geboten hätte. In der gegenwärtigen Form sind die Übersetzungen zum
gro&en Teil noch nicht druckreif. Zweimal, nämlich am 8. Februar 1898
und am 8. Mai 1900, hat Herr Speier in der Gesellschaft Gedichte von
Manuel M. Flores, Aeufia, Manuel de Vill^as und Jorge Manrique in
seiner Übersetzung vor^tragen. Referent gibt dann als Probe aus den
hinterlassenen Manusknpten den sehr gescMtzten ^Himno o/ Sol' des Es-
pronceda in Speiers Verdeutschung.
Herr Oberlehrer Dr. Greif wird in die Gesellschaft aufgenommen.
SitxMig vom 14, März 1905,
Der Vorsitzende macht Mitteilung von dem Ableben zweier Mitglieder,
der Oberlehrer Dr. Job. Böhm-Berhn und Dr. Reich -Gr. Lichterfelde.
Die Versammlung ehrt ihr Andenken durch Erheboi von den Sitzen.
Herr Müncn spricht über die ^AngeUUda' des Erasmo di Valvasono,
den er als einen Vorgänger Miltons bezeichnet, womit aber nicht ange-
deutet sein solle, dafs M. diesem (ebensowenig wie einem der sonstigen,
ziemlich zahlreichen Vorgänger in der Behandlung des Stoffes von Poro-
diae Lost bezw. bestimmter Seiten dieses Stoffes) etwas ffir den Wert
seiner eigenen Dichtung Wesentliches entlehnt habe. Diese im 18. Jahr-
hundert aufgetauchte Ansicht hat längst bestimmt zurückgewiesen werden
für daa Studium der neueren Sprachen. 113
müssen. Als interessant darf hier aber immerhin die Vergleichun^ zwi-
schen den beiden Vertretern zweier verschiedenen Jahrhunderte, Nationen,
Religionen wohl gelten. Erasmo di Valvasone hat 1528—1593 in Friaul,
meist in Zurüc^gezogenheit auf seinem Schlosse, gelebt; 1825 ist in einer
Sammlung von Werken einheimischer (Friauler) Dichter, die in Udine er-
schien, seine Angeleida an erster Stelle neu veröffentlicht worden, mit
einer etwas überschwänglichen Verherrlichung seines poetischen Schaffens
(das übrigens n. a. auch ein schwungvolles Lehrgedicht *La Caeoia' um-
fafst). In diesem Elogio wird eine Bekanntschaft Miltons mit der 1590
erschienenen Aneelei'da als wahrscheinlich hingestellt, werden auch einige
Mängel und Widersprüche hervorgehoben, die sich Erasmo im Unterschied
von Milton nicht habe zuschulden kommen lassen. Der Vortragende gibt
nun eine eingehende Analyse des (in ottave rime abgefafsten) itäienischen
Epos, dessen Schwächen dabei von selbst hervortreten, während ander-
seits der Wohlklang der Verse, auch die gelungene Ausführung mancher
einzelnen Partien Anerkennung verdient. Die Verquickung der streng
kirchlich -dogmatischen Anschauungen mit antikisierenden Elementen ist
für die Zeit überhaupt charakteristisch; dabei erinnert die gestaltende
Phantasie Erasmos allerdin^ mehr an eine ältere Periode der italienischen
Malerei. An Geschmacklosigkeit bietet er für unser G^ühl nicht wenig.
Die seelischen Vorgänge entbehren aller Originalit^ät und Vertiefung.
Weiterhin wird dann ausgeführt, wie sdir Milton — bei gewissen, sehr
erklärbaren Koinzidenzen — durch Gestaltungskraft, persönlichen Auf-
schwung, Weite des Gesichtskreises, auch sprachliche Originalität über
seinem italienischen Vorgänger stehe, wie er es auch erreicht habe, für
das kaum Abzubildende doch mitunter treffliche Bilder zu finden, und
vor allem wie weit er mit der Seelenschilderung des Fürsten der gefallenen
Engel die früheren Bearbeiter unter sich lasse. So führt die Betrachtung
der (übrigens in Italien selbst wenig mehr gekannten) Dichtung des E. di
Valvasone zu einer um so begründeteren Würdigung des grolsen englischen
Sängers.
Herr Gade spricht über einige Erscheinungen aus der französischen
Marineliteratur. Unter den Historikern der französischen Marine verdienen
Beachtung C. Ohabaud-Amault, der eine Gesamtdarstellung der Geschichte
der Kriegsmarinen {Hisioire des flottes militaires) geschrieben hat, femer
E. Jurien de la Graviore, dessen Werk Les öuerres maritimes sous la
Bhniblique et r Empire zu dem Besten gehört, was auf diesem Gebiet ge-
schrieben ist; endkch Maurice Loir, dessen jüngstes Buch ^udes d'histoire
maritime über manches, wie z. B. die Seeschlacht bei Aboukir, Napoleon I.
und die Marine, Neues und Interessantes bringt.
Von Gravii^res obengenaantem Werk ist eine Bearbeitung für die
Schule bei Weidmann erschienen.
Sitzimg vom 28. März 1905.
Herr Förster sprach über Carducci und seine deutschen Über-
setzer. Er gab zunächst einen Abrifs des bedeutendsten italienischen Lieder-
dichters unserer Zeit, einen Abrifs, der zugleich dessen dichterische Eigen-
art begründete und seine Werke nach Form und Inhalt beleuchtete. Zu-
gleich wies er auf C. als Gelehrten hin ; der Dichter hat als solcher einen
Lehrstuhl für italienisches Schrifttum in Bologna inne. Die Hymne auf
Satanas ist voller Schwung der Sprache und packenden Gedankengehaites ;
zeigen
Abnahme seiner dichterischen Kraft, wenn sie auch von Sonnenuntergangs-
wehmut erfüllt sind ; wir mögen aber noch auf manches schöne Werk ofes
ArchtT f. n. Sprachen. CXVI. 8
114 Sitzungen der Berliner (Gesellschaft
Dichters hoffen. Carducd wird von seinem Volk nicht verstanden wer-
den, kaum von allen Gebildeten; er geht selbstherrlich, abseits vom Volks -
tone, seinen einsamen Weg, wie ein Dante. Immerhin eeht aber dodi
manches schöne Stimmungsbild alle an und leicht bei allen ein. Leider
hat er auch Schule gemacht; doch ist er selbst frei von jenem natura-
listischen 'Verismus', gesund - natürlich und dichterisch -natürlich, soweit
als seine Gedichte nidit mit ^schichtJichem und gelehrtem Stoffe belastet
sind. Carduccis ^Heidentum' ist nichts nur Verneinendes; es ist die Ver-
ehrung der schönen, festen, alten klassischen Form, die 'Liebe zur edlen
Natur, von der die dnsame semitische Abstraktion so lange und mit so
wilder Feindschaft den Geist des Menschen abgewandt hatte*. Und es ist
die Auflehnung des plastischen, antiken 'Klassizismus' geeen die unklare
'Romantik', die Gegenwirkung gegen die verbummelte, nachlässige Dicht-
weise seiner Zeit. Aus dieser flüchtet er sich ins Trecento und noch weiter
zurück in die Welt der Römer und Griechen bis hinauf zum ewi^ jungen
Homer. Dabei ist er immer ein echtes Maremmenkind und ein Sohn
seiner Zeit geblieben. In Ergänzung des Lebensbildes wies der Vortra-
gende die Eigenart des Dichters an einer Reihe von Stellen nach. Er kam
zum Sdblusse auf die Übersetzer zu sprechen, die Frage vorausschickend,
ob — vom SchauspicJ abgesehen — Übersetzungen übernaupt ratlich seien.
Dies zugegeben, mögen sie sinn-, nicht wortgetreu sein; auch das Vers-
getreu sei nicht notwendig. Es solle nicht an einer Einführung, an einer
Wertung des Dichters, an erläuternden Anmerkungen fehlen. Am besten
auch werde d^ Urtext neben die deutsche Fassung gedruckt Von C.
liegen vor die Übersetzungen von B. Jacobson mit einer vortrefflichen
Einleitung von Hillebrand, von P. Heyse, von Mommsen und
Wilamowitz-Möllendorff (deutsch und italienisch), im Buchhandel
nicht erschienen; von Händler. Diese letzte ist die reichhaltigste, und
sie ist in der Hauptsache wohlgelungen. Vereinzelte Versuche haben
Jul. Schanz und Herm. Grimm gemacht.
Herr A. Tob 1er fügte einiges hinzu über die gelehrte Tätigkeit Car-
duccis, sowie über die £[ti wie dieser in seinen Odi barbare antike Vers-
bUdung zu neuem Leben zu erwecken versucht hat.
Herr Direktor Dr. Werth in Potsdam hat sich zur Aufnahme ge-
meldet.
Sitxwng vom IL Äprü 1905.
Herr B ran dl sprach über eine neue Art, Shakespeare zu spielen.
Die heutige Bühnenkunst verwendet mit dem grö&ten Erfolg ihre Mittel,
um die iflusion bei der Darstellung der Shakespeareschen Dramen zu er-
höhen. Die Volksszenen im Julius Cäsar nach Art der Meininger, die Wald-
szenen im Sommemachtstraum, wie sie im Neuen Theater Berlins vorge-
führt werden, sind ein Beweis dafür.
Doch hatte auch die alte Bühne Shakespeares Vorzüge, die freilich seit
dem 17. Jahrhundert in Vergessenheit geraten sind, obschon der Dichter
gerade jenen Einrichtungen seine Dramen angepafst hatte.
Der Fulsboden der Bühne sprang nämlidi bis in die Mitte des Par-
terres vor, so beim Globus-Theater und bei dem 1599 erbauten Fortuna-
Theater. Das war günstig z. B. für den Sprecher eines Monologs. Auf
der hinteren Hälfte der Bühne stand nicht nur ein Balkon, sonaern auf
Säulen ein mit Fenstern versehenes oberes Stockwerk, das bald Mauer-
zinnen, bald Privatgemächer, bald eine Galerie für Geister darstellen konnte.
So nahm am Abend oben Julia Gift, während man unten das Hochzeits-
mahl bereitete. Am Morgen oben Entsetzen, als die Dienerin Julias Tod
verkündete, während unten der Bräutigam mit Musikanten aufzog. Heute
hilft man sich hier mit Streichungen und läfst sogar den Bräutigam mit
Musikanten in das Schlafzimmer der Braut eintreten.
fflr das Studium der neueren Sprachen. 115
Leicht zu vermeiden sind auch heute die Pausen, die Sh. ear nicht
kannte. In der Folio (1623) sind noch viele Stücke ohne Akt- und Szenen-
pausen gedruckt. Heinrich VIII. dauerte ohne Pause nur zwei Stunden.
War Dekorationswechsel nötig, so wurden ein oder zwei Szenen vor dem
Vorhang gespielt, der die Bflhne in der Mitte teilte, also vor dem Doppel-
stockwerk hing. Vor dem Vorhang war eine offene Strafse, Schlachtfeld,
Wald u. ä«, aber nie Dekoration. Hinter dem Vorhang war immer eine
bestimmte Statte zwischen vier Wänden mit vielerlei Dekorationen. Diese
hintere Illusionsbühne brauchte keine Verwandlungspausen wie bei uns,
man spielte inzwischen auf der illusionslosen Vorderbühne weiter.
Das griechische Trauerspiel freilich hatte Pausen, in die es den Chor
verlegte, und die Oper des 17. Jahrhunderts füllte die Pausen mit Musik
aus und verschob nach der Rückkehr der Stuarts den Vorhang von der
Mitte an den Vorderrand der Bühne. Hiemach wurden dann unsere Dra-
men, z. B. Teil, eingerichtet. Die abgeschaffte Zwischenaktsmusik war
durdiaus an ihrem Platze. Wollte Sh. sehr grolse Zeitabstande markieren,
so liels esr wie im Heinrich V. und im Wintermärchen einen Prologredner
auftreten. Bei Stücken loserer Fügung (Hamlet, Lear, Eönigsdrama^ zer-
legen die modernen Pausen die Stücke leider in eine Bolie Tableaus.
Hamlet, in zwei Stunden gespielt, würde nachhaltiger wirken als in der
jetzt üblichen Vorführung.
Am 29. April 1905 wird nun in Weimar eine pausenlose Aufführung
Bichards IL gewagt werden. Die Darsteller sina durchaus dafür, weil
häufige Pausen sie oft aus der Stimmung bringen. Da eine Drehbühne
in Weimar nicht vorhanden ist, wird man die Pausen durch einen Mittel-
vorhang beseitigen.
Im ersten Akt sitzt der König bereits auf dem Thron und ladet
Bolingbroke und Mowbray nach Coventry. Vorhang fällt Vor demselben
spricht Gaunt mit einer Herzogin über eine Untat des Königs und geht
dann vor unseren Augen ab. Inzwischen ist hinter dem Vorhang die
Coventryszene vorbereitet Der Vorhang geht hoch. Der König zieht ein,
Turnier und Verbannung folgen. Vomang fällt Vom bleibt der ver-
bannte Bolingbroke mit seinem Vater zurück.
So wirkt der erste Akt konzentrischer, die Hauptszenen treten mehr
ins Licht, die Sympathieszenen in den Schatten.
Im zweiten Akt vom Grespräch des Königs mit seinen Günstlingen.
Sie treten ab. Vorhang geht hoch. Bichard IL, der auf den Besitz des
sterbenden Gaunt Hand legt.
Vorhang fällt: Gaunts Freunde planen den Aufstand. Vorhang hebt
sich: Die Königin redet mit den Günstlingen. Vorhang fällt: Lagerszene,
die Königlichen auf der einen Seite, Bolingbrokes Leute auf der anderen.
Vorhang weg: Der König in Schlofs Flint, steigt hinab zu den Aufruh-
rern, wird abgeführt.
Vorhang fäUt: Königin und Gärtner. Hinten wird die Westminster-
halle vorbereitet, in der die Abdankung (vierter Akt) erfolgt.
Der Schlufsakt braucht drei Szenen mit Dekoration, daher vor jeder
Hauptszene (Bolingbroke als König — Richard im Kerker — Bolingbroke
auf dem Thron) einige Aktionen vor dem Vorhang.
In England hat man seit einigen Jahren zwar Versuche gemacht, die
Pausen auszuschalten, aber die \^rhang8gesetze nicht beobachtet; daher
kam kein Vorteil heraus.
Auch Drehbühnen haben nicht leisten können, was Sh. verlangte. In
neuester Zeit beschäftigen sich die amerikanischen Universitäten gleichfalls
mit dem Problem der Shakespeareauf fühmngen. —
Herr Cornicelius spracn über George Sands soziale Romane.
Die Scheidung der Romane George Sands m vier Gruppen, neuerdinss in
der literarhistorischen Betrachtung fast allgemein angenommen, wird mit
8*
^
116 SiteuDgen der Berliner Gesellflchaft
Unrecht hier und da (so von Kar^nine, von Leblond, Bevue de Paris,
1. Jnli 19u4) angriffen; sie ist im wesentlichen wohlbegründet Die
sozial-humanitäre Gruppe^ hauptsächlich vertreten durch I^ Compagnon
du tour de France, Le Meunier a'Angibault, Le P^ch^ de Monsieur Antoine,
steht bei den Franzosen nicht in besonders sutem ästhetischem Ruf. Si^t
man diese Romane vor allem auf den chanäteristischen Teil ihres Inhalts
an, so ist am wichtigsten der zuletzt (1847) erschienene: Le P^ch^ de Mon-
sieur Antoine. Der von dem gut gezeichneten industriellen Unternehmer
Cardonnet vertretenen praktisch materiellen, rationdl ^oisüschen Lebens-
auffassung stellen sich in dessen Sohn Emile, dem Marquis von Boisguil-
baut und dem Grafen Antoine von Chäteaubrun u^d seiner Umgebung
Idealisten verschiedener Schattierung g^enüber. Emile Cardonnet, der
seinem Vater vergeblich den, wie er ül>n'zeugt ist, sicheren praktischen
und ideellen Erfolg eines kommunistisch betriebenen Fabrikuntemehmens
ausmalt, findet ganz unverhofft in dem letzten Abkömmling eines alt-
adligen Geschlechts einen ausschweifenden theoretischen Kommunisten, der
ihn als soziRlpolitischen Sohn und Erben adcmtiert und ihm Grundbesitz
und reiche Geldmittel zu dem praktischen Versuch einer landwirtachaft-
lichen Kommunegründung hinterläist. — Dieselben kommunistischen Ideen,
die hier breiter vorgetragen sind, künden sich in dem zwei Jahre älteren
Roman: Le Meunier d'^gibault (1845), schon an, und auch dem Helden
in Le Compagnon du tour de France (1840) schwebt dnmal eipe gemein-
nützige Verwendung ihm zugedachten Reichtums im Sinne Emile Car-
donnets vor. Sonst aber handeln beide Romane hauptsächlich von der
sozialen Verwerflichkeit des Reichtums. In Le Compagnon du tour de
France ißt die Schilderung der französischen Gesellenoünde jener Z&t
kulturgeschichtlich von Wert. Der Titel bezeichnet ein Mitglied eines
Gesellenbundes, das Frankreich durchwandert hat Le tour ds France
scheint aber auch die (resamtheit der in der Wanderbewegung beniffenen
verschieden inkorporierten Handwerksgesellen zu bedeuten (vgL 6d. I 79.
92). — George Sand hat auch in der Journalistik für ihre sozialoi Ideen
ei^g gearbeitet, bis zu den Junitagen 1848. Dann schied sie aus der
kämpfenden Opposition, ohne wesenuich ihre Gesinnung zu ändern. Ihre
guten Beziehungen zu Napoleon benutzte sie, um das Schicksal politisch
Verfolgter, soviel sie vermochte, zu mildem.
Sitzung vom 25. April 1905.
Herr Splettstöfser spricht über Ada Negri. Der Vortragende
schildert die norditaiienischen Industrie- und Arbeiterv^hältnisse, das
Milieu, in dem Ada Negri geboren und aufgewachsen ist Ihr Lebenslauf
offenbart ihre Abhängigkeit von dieser Umgebung, ihr Ringen und Stre-
ben darüber hinaus. Aus diesen Faktoren erwächst ihre Dichtung, deren
Grundthema der Gegensatz zwischen Individuum und Gresellschaft ist Wie
der Russe Gorki, weiht sie den unteren Volksklassen ihr Mitleid und ihre
Hoffnung. Die Propaganda für ihre Erhebung gründet sie auf die Mutter-
schaft, die allen Menschen heilig ist. In ihrem Zeichen sind alle Menschen
gleich ; vor ihr verschwinden die trennenden G^ensätze, und es wird mög-
lich die Rückkehr zur Natur, die Rückkehr zur Einfachheit und Menschen-
liebe, wie sie einst das Evangelium gepredij^ hat. — Der Vortrag dniger
(tedichte in Hedwig Jahns Übersetzung erläuterte das Gesagte.
Herr A. Tobler setzte die früher (in den Sitzungen vom 21. April
und 19. Mai 1903) gegebenen Mitteilungen aus den in seinem Besitze oe-
findlichen Briefen Gaston Paris' an Friedrich Diez fort und begldtete sie
mit den zu völligem Verständnis nöti^ scheinenden Erläut^ungm. Das
Ganze soll demnächst im Archiv verönentlicht werden.
Herr Oberlehrer Düvel wird in die Gresellschaft aufgenommen.
für das Studium der neueren Sprachen. 117
Sitzung vom 16. Mai 1905,
Der Vorsitzende macht Mitteilung von dem Tode des Mitgliedes der
(resellschaft, Oberlehrers Karl Falck. Die Anwesenden ehren sein An-
denken durch Erheben von den Sitzen.
Herr Lamprecht spricht über Hanotauz, Histoire de la France eon-
temporatne, Band 2. Er enthält in Kap. 1 — 9 die Politik vom 24. Mai 187B,
die moralische Ordnung, die monarchischen Bestrebungen, die Zusammen-
kunft der Grafen v. Chambord und des Abgesandten Chesnelong in Salz-
burg am H. Oktober, den Brief des Grafen vom 27. Oktober, die Fest-
legung des Septennats für den Pr^identen, das zweite Ministerium Broglie,
in dem der Herzog Decazes das Äufsere, jener das Innere hatte, den be-
waffneten Frieden und den Kulturkampf und den Sturz von BrogUe am
16. Mai 1874.
Über Quellensammlung, Auffassung und Darstellung ist dasselbe zu
sagen wie über den ersten Band (siehe Archiv OXIV, 173). Von bisher
ungedruckten Quellen sind zu nennen die Memoiren von Mac Mahon,
Auory und dem Grafen von Paris, die Erinnerungen von dem Vicomte
d'Harcourt, dem Grafen de Vaussey, die Briefe des Herzog Decazes und
des Generals le F16, der Briefwechsel von Taine u. a. Emffehende, zum
guten Teil auf persönlicher Bekanntschaft beruhende und deshalb treffende
Charakteristiken finden sich von Mac Mahon, Herzog de Broglie, Gam-
betta, Herzog von Audiffret-Pasquier, Laboulaye und dem Herzog Decazes.
Die Kapitel 10 — 13 bdiandeln die Wiederaufrichtung Frankreichs und
das Emporkommen der republikanischen Staatsform, den Stand der Lite-
ratur, der Künste und Wissenschaften, die sittliche Krisis in jener Zeit.
Wenn die ersten neun Kapitel den Geschichtsforscher interessieren, so
fesselt das zehnte besonders von der volkswirtschaftlichen und der gesell-
schaftlichen Seite. Das elfte ist für die Lehrer des Französischen das
wichtigste, denn darin wird behandelt der nachwirkende Einflufs von
V. Hugo, Michelet, Balzac und G. Sand, der Einflufs des Krieges auf
Philosophie und Geschichtsforschung, auf das Theater, den Boman, die
Literatur über die Neuordnung des Staates, die eelehrte und Gelegenheits-
literatur in Büchern und Zeitschriften, sowie endlich die Presse. Im zwölf-
ten findet sich Baukunst, Bildhauerkunst und Malerei, sowie Musik ; unter
den Wissenschaften besonders die recht eigentlich modernen, nämlich
Physik, Chemie, Elektrizität und Anthropologie. Das letzte, am schwer-
sten zu verstehende wird besonders den Geschichtsphilosophen anziehen.
Wie der erste Band, so verdient auch dieser für die Bibliotheken der Real-
gymnasien und Oberrealschulen die allerwärmste Empfehlung.
Sitzung vom 26, September 1905,
Der Vorsitzende, Herr Adolf Tob 1er, dankt in dieser ersten Sitzung
nach den Ferien der Gesellschaft für die Ehrungen zu seinem 70. Greburts-
tage, besonders für die literarische Festgabe, die recht verdienstliche und
wertvolle Arbeiten enthalte.
Sodann macht er Mitteilung von dem Ableben des Ehrenmitgliedes
der Gesellschaft, Hofrats Mnssafia in Wien, der erst im Februar dieses
.Tahres seinen 70. Geburtstag gefeiert und nach Aufgabe seiner Lehrtätig-
keit sich nach Florenz zurückgezogen habe. In Spalato als Sohn eines
Kabbiners geboren, studierte er zuerst Medizin und trat dann zum Katho-
lizismus über, um eine öffentliche Stellung einnehmen zu können. Wie
Yr\, Elise Richter in den zu seinem letzten Geburtstage herausgegebenen
'Bausteinen zur romanischen Philologie' nachgewiesen habe, seien von ihm
nicht weniger als 386 Arbeiten erschienen, die nicht nur von grofser Ge-
wissenhaftigkeit und Feinheit in der Form, sondern auch von erstaunlicher
118 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
Vielseitigkeit zeugten; mit Ausnahme vielleicht des Rhätoromanischen
habe er alle romanischen Dialekte in gleich eingehender Weise behandelt.
Seine Hauptarbeiten sind die über die Legenden vom Kreuzesholz und
von den Wundem der Jungfrau Maria. Eine Sammlung altfranzösischer
Lcagenden in Prosa, die er ^gönnen hat herauszugeben, wird wahrschein-
lich nicht vollendet werden. Am meisten Verbreitung fand seine Italie-
nische Grammatik; aber sie hat am wenigsten Wert.
Auch ein ordentliches Mitglied der Gesellschaft ist gestorben: der
Buchhändler Albert Cohn, der das 77. Lebensjahr erreicht hat. 22 Jahre
war er Besitzer der Firma Asher, beschäftigte sich sber seit 1874 mit dem
Antiquariat und lebte in den letzten Jahren ausschlielslich wissenschaft-
licher Tätigkeit. Namentlich seine bibliographischen Studien Qber Shake-
8i>eare uncT sein Buch 'Shakespeare in Germimy' sind sehr geschätzt —
Die GeseUschaft ehrt das Andenken beider HÜerren durch Erheben von
den Sitzen.
Herr Münch sp^richt über *D%e Oestalt des Aufidius in Shakespeares
Ooriolantis*, Im 'Coriolanus' spiegelt sich der Charakter des Helden auf
mannigfache Weise in den umgebenden oder gegenüberstehenden Gestal-
ten. Dabei ist aber die Auffassung dieser Gestalten und dessen, was sie
dem Helden gegenüber bedeuten sollen, bei den Beurteilern vielfach un-
gleich. Dies kann schon für Menenius gelten oder für Volumnia, gilt aber
am meisten für Tullus Aufidius. Vorwiegend handelt es sich uro die
Frage: Ist A. wesentlich als hal^ose oder als tückische Natur aufzufassen?
Das letztere ist namentlich die Überzeugung von Oechelhäuser. Zugleich
hat Bulthaupt an der Zeichnung der G«talt durch den Dichter viel aus-
zusetzen. Unter anderem wird die nötige Vollständigkeit des Bildes ver-
mifst und in der zum SchluDs geäufserten 'rapiden und wohlfeilen' Beue
ein technisch - psychologischer Mangel gefunden. Oechelhäuser anderseits
sucht zu beweisen, dals der bei der Aufnahme des verbannten Coriolan
an den Tag gelegte Edelmut des Aufidius als durchaus erheuchelt aufge-
fafst werden müsse. Der Vortragende findet, dafs Shakespeare in allem
Wesentlichtn dnfach der Charakterschilderung seiner Queue, des North-
sehen Plutarch, gefolgt sei und diese Schilderung nur ausgeführt und ver-
tieft habe, dais das Charakterbild des A. durchaus vollständig und deut-
lich genug sei, und er charakterisiert diese Gestalt schliefslich durch eine
Zusammenstellung mit derjeni^n von König Richard IL Entgeffeneesetzte
Stimmungen streben auch bei jenem rasch zu maislosem AusdrucK, eine
überleicht erregte Phantasie übt eine starke Herrschaft über das F^ühlen
und Wollen, starker Stimmungsumschlag liegt niemals fem, und das
empfindlichste Selbstgefühl wird zugleich zur Qual und zur Versuchung.
Des Aufidius Wesen und dasjenige Coriolans treten auseinander wie starre
Stetigkeit und lockere Unstetigkeii, wie anspruchsvoller Stolz und empfind-
licher P^rgeiz, wie Übermenschen tum und Grolsmannssucht.
Herr Rudolf Tob 1er erstattete einen Bericht über den Ferienkursus,
der im August 1905 in Edinburg stattgefunden hat. Der Leiter des Kursus
war der im englischen rnterricht wohlerfahrene Professor Kirkpatrick, die
Universität hatte die Räume, auch ihre Bibliothek nebst Lesesaal dazu
hergegeben. Unter den englischen Vorlesungen war besonders zu rühmen
die des Herrn Jack ( Tennyson and Browning) und die von Herrn Professor
Kirkpatrick [English Langttage and Orammar), letztere für Ausländer be-
sonders wichtig durch die Anführung und Erklärung zahlreicher idioma-
tischer Ausdrücke. In englischer i^prache waren ferner Vorlesungen über
Phonetik (Prof. Sweet), iwer Unterrichtsmethode (Mifs Bob^on, Direktor
Walter), zwei Vorlesungen geschichtlichen Inhalts, zwei astronomische Vor-
träge, ein Vortrag über Alt -Edinburg und einer über die letzte englisdie
Südpolffthrt. Neben den englischen Vorlesungen, die im ganzen 47 Stun-
den füllten, waren praktische Kurse zu je 15 Stunden eingerichtet in
für das Studium der neueren Sprachen. 119
Grum)en von 10—12 Mitgliedern, wo Aussprache sowie mündlicher und
schriftlicher Ausdruck geübt wurde; hier machte sich die Ungldchheit der
Vorbildung sehr unangenehm fühlbar. Neben den Vorlesungen gingen
einher Kezitationsabende, gesellige Abende mit Deklamationen und Aus-
flüge. Da die Kurse hauptsächlich für £ndänder und Schotten bestimmt
waren, fand sich auch bei den letzteren viel Gelegenheit, Englisch zu hören.
Auf den französischen und den deutschen Kursus, der neben dem eng-
lischen stattfand, geht der Vortragende nur kurz ein. Er rühmt zum
Schlufs die reiche Anregung, die aie verschiedenen Vorlesungen gegeben
haben und bedauert nur die Häufung der phonetischen Vorlesungen und
die unzweckmäfsi^ Anordnung der pjraktischen Übungen.
Herr Borbein meint, es wäre ihm interessant gewesen, aligemeine
Bemerkungen über die Beziehungen zwischen den einzelnen Studenten zu
hören. Er selber habe vor einigen Jahren längere Zeit in Edinburg ver-
bracht, in einer Art studentischer Gemeinschaft, habe sich zwar körper-
lich und wirtschaftlich durchaus wohl gefühlt, es sei ihm aber nicht ge-
lungen, in Beziehungen zu den englischen Studenten zu treten. Man h^be
ihn zwar nicht belästigt, aber auch nicht gefördert. — Herr B. Tobler
sowie Herr Hahn und Herr Mangold stellen nach ihren Erfahrungen
in Edinburg und Cambridge fest, dals sie stets das liebenswürdigste &t'
gegenkommen und den denkbar besten Ajischlufjs gefunden hätten.
Sitzung vom 10. Oktober 1905,
Der Vorsitzende, Herr Adolf Tobler, macht Mitteilung von dem
Tode des Mitgliedes Herrn Sohier. Die Gesellschaft ehrt das Andenken
des Dahingeschiedenen durch Erheben von den Sitzen.
Herr Cornicelius sprach über Cormenin. C. ist, wie P. L. Cou-
rier für die Zeit der Restauration, für die Julimonarchie der charakte-
ristische Pamphletist; charakteristisch Courier gegenüber auch darin, dafs
er, wie überhaupt grofsenteils die französische Literatur jener zwei Jahr-
zehnte nach der Julirevolution, viel nachlässiger, unkünstlerischer in der
Form ist, mit viel gröberen Mitteln nur auf den nächsten Effekt hin
arbeitet. So hat ihn Bainte-Beuve schon 1848 (Partraiis eontemporains III
406 ff.) literarisch neben und unter P. L. Courier gestellt. — 1788 in Paris
geboren, diente C. Napoleon und dann den beiden Bourbonenkönigen der
Ilestauration im Staatsrat und gelangte als Jurist zu verdientem Ansehen
durch sein Werk über das französische Verwaltun^recht (1822j. Lud-
wig XVIII. machte ihn zum Baron, Karl X. zum Vicomte und Majorats-
herm. In die Deputiertenkammer trat er 1828, aber erst seit 1830 mischte
er sich anhaltend und gleich mit lautem Lärm in die politischen Tages-
kämpfe. Zu a11g;emeiner Überraschung vertritt er jetzt, auf dem Grunde
der Voiksouveränität und der anderen Hauptlehren des Contrat social, die
extremsten Forderungen der radikalen Demokratie: vor allem ein unbe-
sdiränktes allgemeines gleiches Wahlrecht und unbeschränkte Prefsfreiheit.
Aufs heftigste, ohne irgendwelche Rücksicht greift er dann die für König
Louis Philipp geforderten Staatsauf Wendungen an, später (1837 und 1840;
die Apanage- und Dotationsforderungen für den Herzog von Nemours;
mit offenbarem Erfolg in den beiden letzten Fällen, nicht nur bei der mit
Schmeichelei von ihm überhäuften Masse des Volkes. Wie er damals auch
literarische Schule gemacht hat, läfst sich in den Pamphleten Claude Til-
liers nachweisen. — Unter Cormenins übrigen Schriften am wichtigsten
und von französischen Historikern noch benutzt sind die zumeist witzig
boshaften Charakteristiken franz. Parlamentsredner besonders der Julimon-
archie, denen er in den späteren Ausgaben den anspruchsvollen Titel
Ltvre des orateurs gab; hier hat er an dem Deutschen Eudolf Haym (^Beden
und Bedner des ersten preufsischen Vereinigten Landtages') einen Nach-
120 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
ahmer. Viel geringer an Wert sind die Entretums de vülagc, welche die
mannigfaltigsten I^formen der Zustande auf dem französischen Lande
vorschlagen. — Als gläubiger Katholik und scharfer Verteidiger der An-
Sprüche des ultramontanen franz. Klerus verlor C. gegen Ende der Juli-
monarchio eine Zeitlang die Volksgunst, spielte aber in den ersten Monaten
nach der Februarrevolution wieder unter den radikalen Bepublikanem
eine wichtige Rolle. Mit dem zweiten Kaiserreich, unter dem er wieder
in den IS30 von ihm verlassenen Staatsrat trat, söhnte er sich trotz der
mangelnden Freiheiten aus, da er es durch das Plebiszit auf das Prinzip
der volkssouveränitat gestellt fand. 18(58 ist er gestorben. Historisch
bleibt er von Bedeutung als der wirksamste unter den Publizisten, die nach
1830 das monarchische Gefühl in den breiten Schichten des franz. Volkes
von Grund aus zu vernichten begannen.
Herr Adolf Tobler hebt hervor, wie Hervorragendes die Franzosen
in der politischen Beredsamkeit, der Journalistik und Pamphletistik ge-
leistet haben; P. L. Courier ist der glänzendste Vertreter dieser Gattung;
es würde sich wohl lohnen, auch manches davon im Unterricht zu ver-
werten.
Herr Ludwig spricht im Anschlufs an Bennert, The Life of IjOpc
de Vega, über die Jugend des spanischen Dichters. Der Vortragende zeigt,
wie die bisherigen biographischen Quellen durch die kürzlich veröffent-
lichten Akten des Beleidigungsprozesses eines Theaterdirektors ^egen Lope
berichtigt werden, und gibt dann eine Darstellung des Verhältnisses I^opes
zu Elena Osorio (der Doroiea und Filis seiner Werke] und zu Isabel de
Alderete (Beiisa), seiner späteren Gattin. Es wird dargelegt, wie diese
Liebeswirren in der Eomanzcndichtuug I^pes ihre poetische Wiaerspiegelunfr
finden, und der Versuch wird gemacht, Lopes Verhalten aus seinem Cha-
rakter heraus zu verstellen. — Der Vortrag wird in der Sonntagsbeilage
der Vossischen Zeitung erscheinen.
Herr Werner sprach über: Besson, SeJtüler et la liüerature frcui^aise.
Nach einigen einleitenden Bemerkungen über die Rolle, die Schiller in
Frankreich gespielt hat und spielt, wandte sicli der Vortragende den Unter-
suchungen Bessons zu. Der französische Literarhistoriker will zeigen, wie
die franz. Literatur auf Schiller gewirkt, was er von ihr gehalten, was er
ihr verdankt hat. An zahlreichen Beispielen wurde dies im einzelnen dar-
getan. Der Verfasser kennt Schiller semr gut; er tritt ihm im allgemeinen
durchaus unparteiisch entgegen, und so können wir Deutschen ihm für
seine kleine Jubiläumsgabe (die Schrift ist die Erweiterung einer Confe-
rence, die Besson am y. Mai d. J. an der Universität G renoble gehalten
hat) nur dankbar sein.
Herr Dr. Kurt Mohnert hat sich zur Aufnahme in die Gesellschaft
gemeldet.
Sitxung vom 24, Okiober 1905,
Herr Mangold spricht über einige Shakesperestellen und ihre Vor-
lagen im Anschlufs an den Aufsatz von E. A. Sonnenschein (Unirer-
sity Review, May 1905): Shakcsjycre atid Sioicismy in welchem cler Ver-
fasser nachweist, dafs tiic berühmte Stelle über die Gnade im Merchant of
Vcnicc: The quality of mercy is not straitied durch Senecas De cletncntia
bceinflufst ist, insbesondere: // is itcice blessed etc, durch I, 9 contendamus
utrum etc.; 'Tis mighticst etc. durch I, 19. 1 ; U becomes etc. durch I, 8. ^
und I, 19. 1; Btä vicrey is abore etc. durch I, 7. 2; And earlkly potcer etc.
durch Non proxinuun eis etc. I, 19. 9; Consider (his etc. durch (Jogitato etc.
I, ü. 1. Auch in anderen Dramen zeigen sich Spuren desselben Traktates
von Seueca. Da die ernte englische Übersetzung von De dementia 1614
crscliien, kann Sh. nur aus dem lateinischen Original geschöpft haben. —
Ferner >Yrist {Sonnenschein nach, dafs die Stolle des J. C^acsar V, 1 :
J
für daa Studium der neueren Sprachen. 121
£yeo by the rule of tfaat pbilosophy
By whicb I did blame Cato for the deatb
Wbicb he did give himself . . .
auf einem Fehler in Norths Plutarchiibersetzung beruht. Die Stelle Iv
tpdoaofpiq Xoyov äfijxn ueynv heifst bei Amyot: je (eis tm dtscours de Philo-
sophie, und dies gibt North fälschlich wieder mit: I irust a certain rtde
of phHosophy, by the which I did greatly blame Cato. Während also bei
Piutarch Brutus als Jüngling gegen den Selbstmord spricht und später
sich für ihn erklärt, hat der Fehler von North Shakespere Teranlafst,
Brutus in dem Drama selbst hin- und herschwanken zu lassen.
In der sich daranschlielsenden Erörterung sprechen die Herren Pen-
ner und Tanger Zweifel an dem direkten Zusammenhang mehrerer Stellen
mit der Vorlage aus. Herr Mackel zweifelt überhaupt an der Über-
einstimmung des Dichters mit Seneca und Horaz; die klassischen Philo-
logen hätten die Tendenz, den neueren Dichtern keine selbständigen Ge-
danken zu lassen. Herr Brandl führt aus, dals Collins' Versuch, Shake-
speres Abhängigkeit von griechischen Autoren nachzuweisen, zwar
zurückzuweisen, dafs aber seine Übereinstimmung mit den zu seiner Zeit
so viel gelesenen lateinischen Schulautoren wie Seneca und Horaz nicht
zu leugnen sei. Bei allen Schriftstellern der Elisabethischen Zeit sind
auTserordentlich viele Stellen vorhanden, die alle auf lateinische Vorlagen
zurückgehen; nicht immer direkt, aber sie waren eben durch die Schul-
lektüre verbreitet. Die Abhängigkeit Shakesperes von Horaz ist übrigens
sicher gröfser als man daubt; eine nähere Untersuchung würde das er-
weisen (vgl. Archiv CXV, 483).
Herr Adolf Tob! er bespricht einige Erscheinun^n in der neufran-
zösischen Grammatik : Die Verneinung in rhetorischer Frage, wo pas oder
point nicht steht, und die Wendung: n'iiait ... (n'itaient), wenn nicht ge-
wesen wäre . . . für n'eüt ite, synonym mit sans. Im Altfranzösischen
steht das imparfait du subjonctif : ne fiiat . . . Der Vortrag wird im Druck
erscheinen (in den Sitzungsberichten der KÖnigl. Akademie der Wissen-
schaften).
Herr Direktor Dr. Prollius- Jüterbog hat sich zur Aufnahme gemeldet.
Sitzung vom 14. November 1905.
Herr Boedieer sprach über den Plan einer Hamburger Univer-
sität. Er sdiiloerte das Anwachsen der reichentwickelten Vorlesungen
in Hamburg, die 1. öffentliche und jedermann zugängliche sind, 2. Fort-
bildungskurse, 8. Übungen und Praktika. Sie in einer Universität zu-
sammenzufassen, ist ein alter Wunsch, für den eine jüngst erschienene
Broschüre von Dr. F. Sievekin^ (Die Hamburger Universität Ein Wort
der Anregung) von neuem eintritt. Sie besteht im wesentlichen aus einem
Gutachten des Herrn Dr. Hugo Münsterberg, Professors der Philo-
sophie an der Harvarduniversität. Er geht von der gänzlich irrigen An-
sicht aus, dafs der Studierte auf den Kaufmann geringschätzig hinab-
schaue, dafs dieser, der Kaufmann, um in der allgemeinen Schätzung ge-
halten zu werden, auch studiert haben müsse, und zwar an einer Univer-
sität Sie soll aber auch denen offen stehen, die nur das Einjährigenzeugnis
erworben haben, und in einen Unter- und Oberkurs zerfallen. Nach Ab-
solvierung des ersten wird man auf eine Prüfung hin Meister — der Kauf-
mann Kaufmeister, der Landmann Landmeister; zu dem sich anschlieijsen-
den Oberkurs werden nur Studierende mit dem,. Abiturientenzeugnis zu-
gelassen, die den Doktortitel erwerben können. Über jede Vorlesung wird
am Schlufs des Semesters ein schriftliches Examen abgelegt. Aufserdem
empfiehlt Herr Münsterberg Einteilung des Studienjahres in vier Viertel-
jahre, wovon eins nach freier Wahl Ferienzeit, Konvikte usw., möchte auch
^
122 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
seine Universität um die technischen Wissenschaften yermdiren, während
er auf die theologische Fakultät verzichten wilL Dais die alten Univer-
sitäten sich nach diesem Muster umbilden werden, hofft er. Der Vortra-
gende nicht. Er kann in der Schöpfung einer neuen Klasse studierter
Kaufleute neben den un studierten keine Ausgleichung der Standesunter-
schiede erblicken, verwirft die ungeheure Steigerung des Ezamenwesens
mit ihrer Bevormundung der Studenten, und weist auf den Zeitverlast
hin, den die Zulassung des Sekundaners zu den Vorlesungen für den Abi-
turienten bringen muis, da sie doch für das Verständnis des ersteren ein-
zurichten sind. Man vermische nicht die verschiedenen Bildungsanstalten,
sondern trenne sie nach Vorbildung und Zielen der Besucher, was für die
älteren eine Fort- und Umbildung nach den Ansprüchen der Gegenwart
und der Praxis nicht ausschliefst. Für Hamburg würde selbst die mo-
derne Münsterbergsche Anstalt kaum alles das bieten können, waa man
dort nach Ausweis der Vorlesungsverzeichnisse wünscht und braucht.
Herr Carel berichtet über Gasnar Nuflez de Arce. Da der Vor-
tragende an anderer Stelle ausführlicner über den Dichter gesprochen hat,
beschränkt er sich auf eine kurze Darstellung der beiden Hauptepochen
seines Lebens. Nämlich der am 4. Juni 1903 zu Madrid verstorbene Ver-
fasser der *Orito8 del combate' ist nicht blois dichterisch tätig eewesen,
er hat sich auch seit seinem 31. Lebensjahre (1865) lebhaft an der poli-
tischen Entwickelung Spaniens beteiligt, ist auch bis zu Ende der von
ihm gegründeten Fortschrittspartei treu ^blieben. Seitdem er ein Mandat
für Valiadolid angenommen (18()5), beginnt die unruhige Zeit politischer
Kämpfe, in denen er die Prinzipien des partub progresiata mit Ehren ver-
focht und zu hohen Staatsämtern gelang. Präsidentschaftssekretär der
radikalen Besierung nach dem Staatsstreich von 1874, nahm er 1883 unter
Sagasta das Mini8ter|)ortefeuille der überseeischen Kolonien an. Doch kam
er nicht zur Ruhe, bib er auf die ideale Verwirklichung seines Parteipro-
gramms verzichtete, etwa 1885. Was der Politiker aufsah, gewann der
Dichter. Dieser zweiten Epoche fi;ehören seine besten und reiroten dichte-
rischen Leistungen an, die ihn ois zu seinem Tode beschäftigen. Seine
Dichtungen sind auiserordentlich verbreitet.
Der Vortragende gibt eine kurze Übersicht der Werke, die den Didi-
ter vornehmlich als Lvriker kennzeichnen. Denn abgesehen von den Ko-
mödien vor 1865, in denen er sich Ayala und Tamayo anzuschlielsen
scheint, ist nur das Drama *El Hax de lena* zu nennen, das Men^ndez
^y Pelayo günstig beurteilt. Berühmt und allgemein geschätzt wurde der
Dichter mit einem Schlage durch die zuerst Madrid 1875 erschienenen und
seitdem oft wiederholten ^Qriios del combate\ Von späteren Ivrischen und
epischen Gedichten sind zu nennen: die sehr geschätzte und oft wieder-
holte La uUima lamentacion de Lord Byron; La Vtst6n de Fray MarHn;
Maruja; j Sursum corda! La Pesca; Un Idüio y tma Elegia; endlich La
Selva oacura. Besonders schätzenswert sind die Poemaa cortos, aus denen
der Vortragende den Sonettenkranz *El priniero beso de amor^ in dgener
Übertragung vorlegt. Der Zyklus, interessant als ein Stück Lebens-
geschichte aus der Feder des Dichters selbst, erinnert durch die Innigkeit
des Gefühls und die feine psychologische Zeichnung an die edelsten Töne
von Geibel und Rückert.
Herr Mackel bespricht in eingehender Weise die in diesem Jahre
rrschienene Französische Stilistik für Deutsche von Clemens Klöpper
und Hermann Schmidt und weist nach, dafs sie weder nach Einteilung,
Anordnung und Stoffauswahl, noch nach der Ausführung im einzelnen
den Anforderungen entspricht, die an eine Französische Stilistik zu stel-
len sind.
Herr Adolf Tob 1er betont, dais immer wieder die Frage erörtert
werden inüsi^c: Was ist Stil? aber nicht in dem Sinne, den Bnffon dem
für das Studium der neueren Sprachen. 123
Worte gibt. Die Verfasser der modernen Bücher über Stilistik, wie Franke
und Klöpper, besprechen zu viel Dinge, die ins Wörterbudi gehören, wäh-
rend in Wirklichkeit bei dem Stil nur zu erörtern sind: 1. das Tempo,
2. die Linie, 3. die Sphäre der Gedankenbewegung.
Herr Gade bemerkt, dafs auch er das Klöppersche Buch mit Ent-
täuschung fiesen habe. Uns fehle vor allem ein Buch, das eine Methodik
des französischen Aufsatzes liefere und dem Lehrer für die Besprechung
und Vorbereitung der Aufsätze und frden Arbeiten zur Verfügung stehe.
Das wertvollste in dieser Beziehung sei noch immer Ulbrichs Stilistik, so
kurz sie auch sei. Es empfehle sich derartiges als Thema für eine wissen-
schaftliche Beilage zu einem Jahresbericht, wie es z. B. von Reum in sei-
nen Stilübungen, einer Beilage zum Bericht des Vitztumschen Gymnasiums
in Dresden, geschehen sei.
Der Vorstand der Gesellschaft für 1906 wird neugewählt. Da Herr
Adolf Tobler endgültig auf eine Wiederwahl verzichtet, wird Herr Man-
gold zum ersten, Herr Risop zum zweiten Vorsitzenden gewählt; erster
Schriftführer bleibt Herr P enn er , zweiter wird Herr Hahn; erster Sdiatz-
meister bleibt Herr Pari seile, zweiter wird Herr Werner.
Herr Direktor Prollius- Jüterbog wird in die Gesellschaft aufge-
nommen.
Herr Lektor Sefton Delmer und Herr Oberlehrer Dr. Piatow-
Zehlendorf haben sich zur Aufnahme gemeldet.
Sitzung vom 28. November 1905,
Herr Risop spricht über Folkloristisches. Er vergleicht den aus den
altfranzösischen Epen bekannten sarrazenischen Braudi, behufs Bekräfti-
gung eines Versprechens oder eines Eides an den Zahn zu pochen, mit
einer in den unteren Schichten des französischen Volkes heutzutage bei
ähnlicher Gelegenheit anzutreffenden Sitte, den Nagel des Daumens mit
den Zähnen derartig in Berührung zu bringen, dafs sich eine Art schnal-
zenden Geräusches ergibt (faire ciaquer Pongle de son ponce sur ses dents).
Der Vortragende hält die Annahme für erlaubt, daüs in beiden Fällen der
Beteuernde andeuten wolle, dafs seine Zuverlässigkeit ebensowenig zu be-
zweifeln sei wie die Festigkeit und die Widerstandskraft der bei der Ge-
bärde doch wohl zunächst in Betracht kommenden vorderen Schneidezähne.
Sprichwörtliche Wendungen gleichen Sinnes seien äufserst selten, um so
häufiger finde man aber solche, die in bildlicher Weise die Unzuverlässig-
keit und Aussichtslosigkeit eines Verhaltens oder Tuns zu veranschaulichen
versuchen.
Herr Risop bespricht alsdann unter Vorlegung der vom Kunstwart
in der Reihe seiner Meisterbilder veröffentlichten Wieoergabe Hans Burgk-
mairs Helldunkelblatt 2>^ Tod als Würger, und kommt zu dem Schlüsse,
dafs hier ein ganz anderer Vorgang künstlerische Gestalt angenommen
habe, als man, wohl mit Hinblick auf die freilich nicht auf die Dauer
irreführende Benennung des Bildes, bisher allgemein zu dauben scheine.
Das alle technischen Merkmale des Einflusses der italienischen Renaissance
an sich tragende Blatt bewege sich auch inhaltlich durchaus auf dem
fioden der romanischen Gedankenwelt. Das zeige nicht nur die sich auf
den scheinbar vorhandenen etymologischen Zusammenhang von mors und
mordere gründende Tatsache, dafs der Tod sich bei der Ausübung seiner
mörderisdien Tätigkeit der Zähne bedient, sondern werde auch nahegelegt
durch die Manipulation, die er mit dem bereits niedergestreckten Krieger
Yorzunefajnen im Begriff ist. Eine eingehende Prüfung der Körperhaltung
und der Bewegungen der Todesgestalt läfst erkennen, dafs hier von einem
Würgen nicht die Rede sein kann; alles deute vielmehr darauf hin, dafs
der Tod seinem Opfer die Seele aus dem Leibe ziehe, weil sie nicht frei-
124 Sitzungen der Berliner Gesellschaft
willig aus ihrer körperlichen Hülle zu scheiden gesonnen sei, und gerade
dieser Vorgang, der mit dem von dem Tode in manchoi romanischen
Totentänzen angedrohten gewaltsamen Verfahren in Einklang stehe, lasse
sich, wenn auch recht selten, in en^ verwandter Form innerhalb der fran-
zösischen und italienischen Visionsbteratur nachwdsen.
Eine Äulserung des der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts ange-
hörigen altfranzösischen Dichters Aimon de Varennes über die Nachtigall,
dahingehend, dafs sie mit ihrem Singen nidit nur erfreuen wolle, sondern
den ^l ebenzweck verfolg, ihr Nest zu schützen, gibt dem Vortragenden
Anlals, den volkstümhchen Überlieferungen nachzugehen, die ein Ver-
ständnis für diese seltsame Vorstellung zu vermitteln geeignet sind. Er
berührt zunächst die Versuche mancher Vögel, ihre l^inde durch List
aus der Nähe ihres Nestes zu entfernen, oder dasselbe so anzulegen, dals
es den Blicken der Verfolger verborgen bleibt, und bespricht die Ursachen,
die nach volkstümlichen vorstellun^n den Vogel zu solchem Verfahren
bewein. Näher verwandt mit der bei Aimon wiederklingenden Anschauung
erweise ßich die schon in allen französischen Sammlun^n auftauchende
Fabel von der Nachtigall und dem Habicht (bei Lafontame 'Le Rossignol
et le Milan' überschrieben), und noch näher stehe die dem Vortragenden
schon aus dem 15. Jahrhundert bekannt gewordene Sage von den lümken,
die die schlafende Nachtigall zu umschlingen trachten, oder die von der
Blindschleiche, die aus Bache für erlittene Unbill die schlafende Nachti^l
bedroht und nach einer deutschen Fassung dauernd die Absicht he^, sich
an ihrer Brut zu vergreifen. In diesen letzteren Fällen sucht sich die
Nachtigall den Nachstellungen ihrer Feinde dadurch zu entziehen, dai^
sie, um nicht einzuschlafen, die ^anze Nacht hindurch singt; und dieser
Sorge gibt denn auch der verschiedenartige Wortlaut Ausdruck, den das
Volk in verschiedenen Gegenden Frankreichs ihrem Gesänge als Text
unterzulegen pflegt. Der Vortragende schliefst mit einem kurzen Blick
auf verscniedene Eigenheiten, die das Volk im Widerspruch zu der der
Nachtigall sonst all^mein entgegengebrachten Wertschätzung bei ver-
schiedenen Grelegenheiten an ihrem sittlichen Verhalten auszusetzen findet
Herr Kuttner meint, im modernen Französisch bedeute die Geste
des Hervorschnellens des Fingernagels von den VorderztUinen her, wobei
die Worte pas pa gebraucht werden, nur 'nicht das Greringste^ 'nicht so
viel'. Das wird von Herrn Mangold bestätigt, der aus seinen Erinne-
rungen aus dem Kriegsjahre anführt, da(s 'nous n'avons rien du tout, du
tout, du tout' bei den Landleuten immer von einer solchen Greste b^leitet
sei. Herr B ran dl stellt fest, dafs das Motiv von den Stützen der Nach-
ti^ll gegen einen Dorn in der Lyrik der Shakesi)earezeit sich häufig finde.
Die Nachtigall wird hier als traurig und musikalisch geschildert, aber
nicht als boshaft Der Edelstein im Kopfe der Kröte, wovon bei Euphues
die Eede ist, wird schon bei Plinius erwähnt Herr Kuttner erinnert
sich, von dem Vogel, der durch verstellte Flucht den Feind vom Neste
ablenken will, schon bei Buffon bei der fauvctte gelesen zu haben. Herr
Adolf Tob 1er fügt hinzu, dafs auch der Kranich gern dafür sorge, dafs
er nicht einschla^, und zwar dadurch, dafs er sich auf dn Bein stelle,
noch sicherer auf kleinere Steine, damit er recht wackle. In bezug auf
die Erklärung des Biirgkinairschen Bildes gebe er dem Vortragenden recht
Herr Tan c er fragt, seit wann wohl das Wort folklore gebraucht werde,
und ob nicht 'Volkskunde' besser sei. Herr Penner sagt, es sei 184Ü
im Athenäum zuerst gebraucht worden. Herr B ran dl erwidert, 'Volks-
kunde* sei passiv, das Wissen vom Volk, 'folklore* sei aktiv, das Wissen
des Volkes. Dazu käme» nach der Bedeutung des altenglischen Wortes
Mar' (Segensspruch der heidnischen Priester) das Geheimnisvolle. Auch
Herr Adolf Tob 1er ist der Meinung, dafs 'Volkskunde' einen ungeheuer
weitrn Sinn habe; auch die Kunde von den Volkstrachten gehöre dazu;
für das Stadium der neueren Sprachen. 125
'folklore' sei eine Art xoologte populatre, wie sie der Franzose Rolian ge-
nannt habe. Er erzählt eine Deutung, die ihm einst ein bäuerlicher Imf er
gegeben habe, weshalb die Bienen nicht in den roten Klee gehen : Es stehe
m der 'Schrift\ d. h. in der Literatur, daXs die Bienen am siebenten
Schöpf ungs tage gearbeitet hätten und dafür durch Entziehung des roten
Klees gestraft seien. In Wirklichkeit sei ihr Bussel nicht lang genug für
die Blüten des roten Klees; für die Blüten des weifsen Klees genüse er.
Herr Söhring spricht über die Verwendung des Monologs in Shake-
speares Tragödien. Nach einer kurzen Würdigung des Buches von Düsel
{Der dramaiisehe Monolog in der Poetik des 17, und 18. Jahrhunderts und
in den Dramen Lessings, Hamburg und Leipzig 1897) und des Delius-
sehen Vortrages über den Monolog bei Shakespeare vom Jahre 1881 (Shake-
speare-Jahrbuch Bd. XVI) vergleicht er das Verfahren des Dichters mit
Bezug auf Zahl und Masse der Monologe (Selbstgespräche) in den grolsen
Tragödien von Titus Andronikus bis zu Antonius und Kleopatra. Er
kommt zu dem Ergebnis, dafs B. Fischers Angabe,' das Sdbstgespräch
nehme mit dem zunehmenden Alter des Dichters an Zahl wie besonders
an Masse ab, nicht zutreffend sd. Die darangeknüpften Folgerungen,
der Dichter habe bewuist mehr und mehr auf diesen 'konventionelien Not-
behelf verzichtet, seien somit hinfälUg. Von Entwickelung oder gar be-
wufster Entwickdung könne in dieser Hinsicht bei Sh. keine Bede sein.
Der Vortragende betrachtet dann die Verwendung des monolo-
gischen Elements innerhalb der dramatischen Komposition. Dabei zeigt
sich, dafs Sh. zu allen Zeiten die Hauptmasse der Monologe in die Mitte
der Akte gestellt, und dafs auch in der Szene die zentrale Stellung
bei weitem überwiegt; anders verfahren nur die Jugenddramen, so dalS
hier ein Fortschritt des Dichters in dramaturgischer Hinsicht vorzuliegen
scheint Im Stücke stehen die meisten Monologe in der Begel in den
ersten drei Akten, doch machen Bomeo und Julia und Othelß eine be-
merkenswerte Ausnahme.
Bei der Betrachtung der inneren Verknüpfung des Selbstgesprächs
mit Handlung und Personen sondern sich zunächst von den übrigen die-
jenigen, die einer solchen inneren Verbindung entbehren und dem rein
technisch-szenischen Zwecke der Verknüpfung zweier Auftritte dienen.
Diese Klammermonologe sind in den Tragödien selten; sie finden
sich nur im Titus und im Romeo; im Othello scheinen auch Beispiele
dafür vorzuliegen, die aber bei genauerem Zusehen auch innerlich be-
rechtigt sind. — Die innerlich motivierten Selbstgespräche werden zer-
legt in Stimmungs- und Tatmonologe; erstere gliedern sich wieder
in Beflexions- und Affektmonologe, letztere in Offenbarungs-
und Entschlufsmonologe.
[Von diesen vier Klassen finden sich blofse Beflexionsmonologe selten ;
nur Lear und Macbeth weisen sie häufiger auf.]
Der Vortragende bricht wegen der Vorgerückten Zeit ab und bittet,
den Kest seiner Studie in der nächsten Sitzung vorlegen zu dürfen.
Herr Lektor Sefton De Im er und Herr Oberlehrer Dr. Platow-
Zelilendorf werden in die Gesellschaft aufgenommen.
Herr Oberlehrer Dr. Budolf Berger von der 5. Bealschule in Berlin
hat sich zur Aufnahme gemeldet.
^ In Beinern Buche : Zur Ktnuientwickelung der englüehen Tragödie, Strafsborg 1893.
i
Verzeichnis der Mitglieder
der
Berliner GeseUschaft für das Studium der neueren Spradien.
Jaxi-uar 1Q06.
Vorstand.
Ehrenvorsitzender: Adolf Tobler.
Vorsitzender: Herr W. Mangold.
Stellvertretender Vorsitzender: „ A. Risop.
Schriftführer: „ E. Penn er.
Stellvertretender Schriftführer: „ O. Hahn.
Erster Kassenführer: „ E. Pariselle.
Zweiter Kassenführer: ^ R. Werner.
A, Ehrenmitglieder.
Herr Dr. Purnivall, Frederick J., 8 St. George's Square, Frim-
rose Hill, London NW.
„ Dr. Gröber, Gustav, o. ö. Professor an der Universität
Strafsburg, Universitätsplatz 8.
Frau Vasconcellos, Carolina Michaelis de, Dr. phil. Porto,
Cedofeita.
B, Ordentliche Mitglieder.
Herr Dr. Berger, Rudolf, Oberlehrer an der V. stadtischen Real-
schule zu Berlin. Schöneberg, Klixstrafse 41.
„ Dr. Block, John, Oberlehrer am Reform -Realgymnasium.
Deutsch -Wilmersdorf, Preufsische Stra&e 7.
„ Boek, Paul, Professor, Oberlehrer am Königstädtischen Real-
gymnasium. Grofs-Lichterfelde, Marthastrafse 2.
„ Dr. Borbein, Johannes, Professor, schultechnischer Mitarbeiter
im Kgl. Provinzial - Schul kollegium zu Berlin. Friedenau,
Beckerstrafse SIL
„ Dr. Born, Max. Berlin NW. 52, Thomasiusstra&e 26.
Mitglieder- Verzeichnis der Berliner Gesellschaft etc. 127
Herr Dr. Brandl, Alois, ord. Professor an der Universität, Mit-
glied der Akademie der Wissenschaften. Berlin W. 10,
Kaiserin- Augusta-Strafse 73UL
„ Dr. C a r e 1 , George, Professor, Oberlehrer an der Sophienschule,
Charlottenburg, Schlofsstrafse 25.
„ Dr. Churchill, George B., Professor am Amherst College.
Amherst, Massachusetts, U.S.A.
„ Dr. Cohn, Georg. Berlin W., Linkstrafse 29111.
„ Dr. Conrad, Herrn., Professor an der Haupt-Kadettenanstalt.
Gr.-Lichterfelde, Berliner StraTse 19.
„ Dr. Cornicelius, Max. Berlin W., Luitpoldstrafse 4.
^ De Im er, Frederic Befton, Lektor der englischen Sprache
an der Universität. Haiensee bei Berlin, Bornimer-
stralse 19.
^ Dr. Dibelius, W., Professor an der Kgl. Akademie. Posen,
NoUendorfstraTse 23.
„ Dr. Dieter, Perd., Oberlehrer an der IV. städtischen Real-
schule. Berlin O., Frankfurter Allee 80.
„ Dr. Driesen, Otto. Werder a. H., Zemsee 15, Villa Reisner.
„ Dr. Düvel, Wilhelm, Oberlehrer am Mommsen-Gymnasium.
Charlottenburg, KantstraTse 25.
„ Dr. Ebeling, Georg, Privatdozent an der Universität. Char-
lottenburg, LeonhardstraTse 19.
^ Engel, Hermann, Oberlehrer. Charlottenburg, Kantstrafse 40.
„ Dr. Engelmann, Hermann, Professor, Oberlehrer an der
Friedrichs- Werderschen Oberrealschule. Berlin C, Nieder-
wallstrafse 12.
„ Dr. Eng wer, Theodor, Oberlehrer an dem Kgl. Lehrerinnen-
seminar und der Augustaschule. Berlin SW. 47, Hageis-
berger StraTse 44.
„ Dr. Förster, Paul, Professor, Oberlehrer am Kaiser- Wilhelm-
Realgymnasium. Berlin SW. 12, Kochstrafse 66.
„ Dr. Fuchs, Max, Oberlehrer an der VL städtischen Real-
schule. Friedenau, Stubenrauchstraise 5.
^ Dr. Gade, Heinrich, Oberlehrer am Andreas-Realgymnasium.
Berlin NO. 43, Am Friedrichshain 7nib.
,, Dr. Goldstaub, Max. Berlin W. 30, Pallasstrafse 1.
„ Dr. Greif, Wilhelm, Oberlehrer am Andreas-Realgymnasium.
Berlin SO. 16, Köpenickerstrafse 142 H.
„ Dr. Gropp, Ernst, Professor, Direktor der städtischen Ober-
realschule. Charlottenburg, Schloisstrafse 27.
„ Grosset, Ernest, Lehrer an der Kgl. Kriegsakademie. Ber-
lin SW.48, Wilhelmstrafse 146IV.
„ H a a s , J., Oberleutnant a. D. Berlin C, An der Schleuse 5 a.
„ Dr. Hahn, 0., Professor, Oberlehrer an der Viktoriaschule.
Berlin S. 59, Urbanstrafse 31 H.
128 Mitglieder- Verzeichnis der Berliner Geeellschaft
HeiT Harsley, Fred, M. A., Lektor der englischen Sprache an der
Universität Berlin W. 30, GleditschstraTse 48.
„ Dr. Hausknecht, Emil, Professor, Direktor der Oberreal-
schule. Kiel, Knooper Weg 74.
„ Dr. Hecker, Oscar, Professor, Lektor der italienischen Spracht-
an der Universität Berlin W. 80, Traunsteiner SlraJse 10.
^ Dr. Heinze, Alfred, Oberlehrer am Kaiser- Wilhelm-Realgym-
nasium. Charlottenburg, Weimarerstrafse 27.
„ Dr. Hellgrewe, Wilh., Oberlehrer an der städtischen Ober-
realschule. Charlottenburg, Berlinerstrafse 40.
„ Dr. Hendreich, Otto, Professor, Oberlehrer an der Luisen-
städtischen Oberrealschule. Berlin W 50, Nürnberger-
strafse 70 L
^ Dr. Herrmann, Albert» Oberlehrer an der XU. städtischen
Realschule. Berlin NO. 18, Elbingerstrafse 98 L
^ Dr. Herzfeld, Georg. Berlin W. 10, Kaiserin- Augustastrafs«^
77 part
„ Dr. Hosch, Siegfried, Professor, Oberlehrer an der Luisen-
städtischen Oberrealschule. Berlin S., Oranienstrafse
144n.
„ J a e g e 1 , Emil, Oberlehrer am Kgl. Prinz-Heinrich-Gymnasium.
Berlin W 80, Gleditschstrafse 49.
„ Dr. Johannesson, Fritz, Leiter der XIV. städtischen Real-
schule. Berlin N. 65, SeestraTse 61 U.
^ Kabisch, Otto, Professor, Oberlehrer am Luisenstädtiscben
Gymnasium. Johannistal, Waldstrafse 6.
^ Dr. Kastan, Albert Berlin W. 64, Behrenstrafse 9.
„ Dr. Keesebiter, Oscar, Oberlehrer an der IV. städtischen
Realschule. Grunewald, Gillstraise 5.
„ Keil, Georg, Oberlehrer an der Elisabethschule. Berlin SW. 48,
Friedrichs trafse 32 III.
„ Dr. Keller, Wolf gang, aufserord. Professor an der Universi-
tät Jena, Inselplatz 7.
^ Dr. Kolsen, Adolf, Dozent an der KgL Technischen Hoch-
schule. Aachen, Theresienstrafse 14.
„ Dr. Krueger, Gustav, Oberlehrer am Kaiser- Wilhelm-Real-
gymnasium, Lehrer an der Kgl. Ejriegsakademie. Berlin,
W. 1 0, Bendlerstrafse 1 7.
„ Dr. K u 1 1 n e r , Max, Oberlehrer an der Dorotheenschule. Ber-
lin W. 50, Neue AnsbacherstraTse 1 1 IV.
„ Lach, Handelsschuldirektor. Berlin SO. 16, Dresdener
Strafse 90 L
„ Dr. L am p recht, F., Professor, Oberlehrer am Gymnasium
zum Grauen KJoster. Berlin C. 2, Klosterstralse 73 IL
^ Langenscheidt, C, Verlagsbuchhändler. Schöneberg-Berh'n,
Bahnstrafse 29—30.
für das Studium der neueren Sprachen. 129
Herr Dr. Li n du er, Karl, Oberlehrer am Luisenstadtischen Beal-
gymnasium. Berlin 80., SchäferstrafBe 9.
jj Dr. Löschhorn, Hans, Professor, Oberlehrer am Kgl. Liehre-
rinnenseminar und der Augustaschule. Berlin W. 35,
Genthiner Strafse 41IU.
„ Dr. Lücking, Gustav, Professor, Direktor der UI. stadtischen
Realschule. Berlin W., Steglitzer Strafse 8 a.
^ Dr. Ludwig, Albert^ Oberlehrer an der HohenzoUernschüle.
Schöneberg, Grunewaldstrafse 98 a.
„ Luft, F., Oberlehrer an der IX. stadtischen Realschule. Ber-
lin N. 58, Gneiststrafte 19n.
^ Dr. Lummert, August, ordentlicher Lehrer an der Viktoria-
schule. Berlin S. 59, Camphausenstrafse 8.
y, Dr. M a c k e 1 , £mil, Oberlehrer am Prinz-Heinrich-Gymn asium.
Friedenau, Dürerplatz 8.
jj Dr. Mangold, Wilhelm, Professor, Oberlehrer am Aska-
nischen Gymnasium. Berlin 8W. 47, Gro&beeren-
strafse 71.
^ Dr. Mann, Paul, Oberlehrer am Luisenstadtischen Realgym-
nasium. Berlin SW., NeuenburgerstraTse 28.
„ V. Mannt z, A., Oberstleutnant a. D. Charlottenburg, Knese-
beckstralse 2.
„ Dr. Mehnert, Kurt» Probekandidat am Joachims thalschen
Gymnasium. Berlin W. 50, Nürnbergerstrafse 27 HI.
^ Dr. Mertens, Paul, Oberlehrer am Berlinischen Gymnasium
zum Grauen Kloster. Berlin W., Lutherstraise 44.
„ Michael, Wilhelm, Oberlehrer an der Oberrealschule. Char-
lottenburg, Kaiser-Friedrich-Strafse 92.
^ Dr. M i c h a § 1 i s , C. Th., StadtrSchulrat Berlin W., Kurf ürsten-
stralse 149.
„ Mugica, Pedro de, Lizentiat» Lehrer der spanischen Sprache
am Orientalischen Seminar. Berlin NW. 21, Wilsnacker
Strafse 8.
„ Dr. Müller, Adolf, Professor, Oberlehrer an der Elisabeth-
schule. Berlin W., GeisbergstraTse 15.
„ Dr. Müller, August» Oberlehrer an der Kgl. Elisabethschule.
Berlin SW., Grofsbeerenstra&e 55part
jj Dr. Münch, Wilhelm, Geh. Regierungsrat, ord. Honorar- Pro-
fessor an der Universität Berlin W. 80, Luitpold-
stralse 22 H.
^ Dr. Münster, Karl, Oberlehrer an der VH. stadtischen Real-
schule in Berlin. Köpenick, Kurfürstenallee 1.
^ Dr. Naetebus, Gotthold, Bibliothekar an der Universitats-
Bibliothek. Grols-Lichterfelde, Moltkestrafse 22 a.
„ Dr. Noack, Fritz, Oberlehrer am Gymnasium. Grofs-Lichter-
felde, Lorenzstrafse 62.
Archiv f. n. SfinMilifla. GXYI. 9
130 Mitglieder -Verzeichnis der Berliner OetseHschaft
Herr Dr. Nobiling» Franz» Oberlehrer an der Reakchule zu Pan-
kow. Berlin N. 54, LothringerstrafBe 82.
^ Dr. Nuck, Richard, Oberlehrer an der LuisenstadtiBchen Ober-
realschule. Berlin SW., GneisenaustralBe 88.
„ O p i t z , 6., Professor, Oberlehrer am Dorotheenstäddschen Real-
gymnasium. Charlottenburg, Goethes tra&e 81 III.
^ Dr. Palm, Rudolf, Professor, Oberlehrer an der L stadti-
schen Realschule. Berlin 8W., Yorkstrafse 76 IL
„ Dr. Pariselle, Eugene, Professor, Lektor der franzosischen
Sprache an der Universität» Lehrer an der Kgh Kriegs-
akademie. Berlin W. 30, Landshuterstralse 86 IL
^ Dr. Penn er, Emil, Professor, Direktor der XTTL stadtischeii
Realschule. Berlin NW. 23, Schleswiger Ufer U.
^ Dr. Philipp, Carl, Oberlehrer am Askanischen Gymnasium.
Berlin SW. 46, Eleinbeerenstra(se 20.
^ Dr. Platow, Hans, Oberlehrer an der mit dem Gymnasium
verbundenen Realschula Zehlendorf bei Berlin, Alsen-
strafse 45.
„ Dr. Prollius, Max, Direktor des Realprogymnasiums mit
Realschule. Jüterbog.
^ Dr. Risop, Alfred, Professor, Oberlehrer an der YL stadtischeii
ReaJschule. Berlin SW. 47, Grofsbeerenstralse 61 HE.
^ Dr. Ritter, O., Professor, Direktor der Luisenschule. Berlin
N.24, ZiegelstraTse 12.
^ Dr. Roediger, Max, aulserord. Professor an der Universität
Berlin SW. 47, Gro&beerenstraise 70 1.
^ Roettgers, Benno, Professor, Oberlehrer an der Dorotheen-
schule. Haiensee, RingbahnstraTse 121.
^ Dr. Rosenberg, Oberlehrer am Eöllnischen Gymnasium.
Charlottenburg, Enesebeckstralse 75.
„ Rossi, Giuseppe, KgL italienischer Vizekonsul, Lehrer an der
Militär -Technischen Akademie. Berlin NW. 40, In den
Zelten 5 a.
^ Dr. Rust, Ernst, Oberlehrer an der Vill. städtischen Real-
schule. Berlin N., Dunckerstralse 51.
^ Dr. Sabersky, Heinrich. Berlin W. 85, Genthiner Strafse 28L
^ Dr. Sachrow, Karl, Kandidat des höheren Lehramtes. Ber-
lin SW. 61, Teltowerstrafse 16, 8. Aufg. Hr.
„ Dr. Schayer, Siegbert, Oberlehrer an der IV. städtischen Real-
schule. Berlin NO. 43, Greorgenkirchplatz 11 11 1.
„ Dr. Schleich, Gustav, Professor, Direktor des Friedrich-
Realgymnasiums. Berlin NW., Albrechtstralse 26 L
„ Dr. Schienner, R, Oberlehrer an der Luisenstädtischen Ober-
realschule. Berlin 8., Urbanstrafse 29.
^ Dr. Schmidt, August, Oberlehrer an der Oberrealschule.
Steglitz, Düppelstralse 22.
fOr das Studium der neueren Sprachen. 131
Herr Dr. Schmidt, Karl, Oberlehrer am Kaiser- Wilhelm-Realgym-
nasium. Berlin 8W., Yorkstraifle 68.
^ Dr. Schmidt, Max, Professor, Oberlehrer am Prinz-Heinrich-
Ojmnasium. Berlin W., Bankestraise 29111.
„ Schreiber, Wilhelm, Oberlehrer, Leiter der höheren Knaben-
schule zu Tegel. Tegel, Hauptstra&e 83 a.
„ Dr. Schulze, Greorg, Direktor des Königlichen Französischen
Gymnasiums. Charlottenburg, Marchstralse 11.
„ Dr. Schulze-Veltrup, Wilhelm, Oberlehrer am Falk-Beal-
gymnasium. Berlin NW. 28, Lessingstrafise 80.
„ Seibt, Robert» Oberlehrer an der VIL stadiischen Realschule
zu Berlin. Bchöneberg, Siegfriedstraise 7.
„ Dr. Seifert, Adolf, Oberlehrer an der stadtischen Oberreal-
schule. Gharlottenburg, Eosauderstraise 80.
„ Dr. Söhring, Otto, Oberlehrer an der Hohenzollernschule in
Schöneberg. Friedenau, Albestralse 26.
„ Dr. Spatz, Willy, Oberlehrer an der Hohenzollernschule.
Schöneberg, Hauptstrafse 146.
„ Dr. S per an za, Giovanni. BerlinW., 62, Bayreutherstr. 17IL
„ Dr. Spiefs, Heinrich, Privatdozent an der Universität. Berlin,
W. 57, Kurfürstenstralse 164U 1.
„ Dr. Splettstöfser, Willy, Oberlehrer an der XIH. städti-
schen Realschule. B^lin NW., Oldenburgerstr. 5Bni.
„ Dr. Strohmeyer, Fritz, Oberiehrer am Dorotheenstädti-
sehen Realgymnasium zu Berlin. Haiensee, Karlsruher-
strafse 15.
^ Stumpff, Emil, Oberlehrer an der Hohenzollernschule zu
Schöneberg. Friedenau, SponholzstraTse 26.
„ Dr. Tanger, Gustav, Professor, Direktor der IV. städtischen
Realschule. Berlin NO. 18, Distelmeyerstrafse.
^ Dr. Th um, Otto, Lehrer an der Berliner Handelsschule. Char-
lottenburg, Rönnestraise 250.
„ Dr. T h u r a u , Gustav, Privatdozent an der Universität Königs-
berg i. P., Königstra&e 5.
■ ^ Dr. Tobler, Adolf, ord. Professor an der Universität, Mitglied
der Akademie der Wissenschaften. Berlin W. 15, Kur-
fürstendamm 25.
^ Dr. Tobler, Rudolf, Oberlehrer am Joachimsthalschen Gym-
nasium. Berlin W. 15, Kaiserallee 1.
^ Truelsen, Heinrich, Professor, Oberlehrer am Real-Progym-
nasium in Luckenwalde.
„ Dr. U 1 b r i c h , O., Professor, Direktor des Dorotheenstädtischen
Realgymnasiums. Berlin NW. 7, Georgenstrafse 80/81.
jj Dr. Vollmer, Erich, Oberlehrer am Bismarck- Gymnasium.
Deutsch- Wilmersdorf, Pfalzburgerstraise 67.
„ Weisstein, Gotthilf, Schriftsteller. Berlin W., Lenn^trafse 4.
182 Mitglieder -Verzdclmis der BerÜDer Gesellschaft etc.
Herr Dr. Werner, R, Professor, Oberlehrer am LuisenstadtiBchen
RealgymnasiuiD. Tempelhof, Albrechtstrafse 12.
„ Dr. Werth, Direktor der Btädtischen höheren Mädchenschule
und des städtischen Lehrerinnen- Seminars. Potsdam,
Waisenstralse 29.
^ Dr. Wespy, Oberlehrer an der HohenzoUemschule in Schöne-
berg. Berlin W. 30, Eisenacherstralse 65.
^ Wilke, Felix, Oberlehrer am Reformgymnasium. Charlotten-
burg, Carmerstrafise 7.
„ Dr. Will er t, H., Oberlehrer an der VIL städtischen Real-
schule. Berlin W. 85, Steglitzerstrafse 88.
^ Dr. Wolter, Eugen, Professor, Direktor der XIL städtischen
Realschule. Berlin 0. 34, Rigaerstra&e 8.
„ Dr. Wychgram, Jakob, Professor, Direktor des KgL Lehre-
rinnenseminars und der Augustaschule. Berlin SW. 46,
Eleinbeerenstralse 16 L
^ Zack, Julius, Oberlehrer an der XIIL Realschule. Berlin
SW. 46, Lucken walderstralse 10.
C. Korrespondierende Mitglieder.^
Herr Dr. Begemann, W., Direktor einer höheren Privat-Töchter-
schule. Charlottenburg, Wilmersdorf erstralse 14.
^ Dr. Claufs, Professor. Stettin.
^ Dr. Jarnik, Joh. Urban, Professor an der tschechischen Uni-
versität Prag.
„ Dr. Kelle, Professor an der deutschen Universität Prag.
„ Dr. Erefsner, Adolf, Professor. Kassel.
^ Dr. Meifsner, Professor. Belfast (Lrland).
„ Dr. Neubauer, Professor. Halle a. S.
„ Dr. Sachs, C, Professor. Brandenburg.
Dr. Scheffler, W., Professor am Polytechnikum. Dresden.
Dr. W i 1 m a n n 8 , Professor an der Universität Bonn.
* Berichtigungen und Ergänzungen dieser Liste erbittet der Vorntzende.
n
Benrteilang^en nnd knrze Anzeigen.
Richard Lowe, Germanische Sprachwissenschaft (Sammlung Göschen
Nr. 2-'^8). 148 8. Leipzig, G. J. GGscheDSche VerlagshandluniF, 1905.
Lwbd. 80 Pf.
Diese dem gegenwärtigen Stande onserer Forschungen enstprechende
knapp gefafste Darstellunj^ wird sich dem Anfänger in der Germanistik
und Anglistik sehr nützlich erweisen, aber auch dem der germanischen
Sprachwissenschaft Femerstehenden einen guten B^riff von den Grund-
tatsachen und Hauptproblemen vermitteln. Dafs der Verfasser in manchen
Dingen seine persönliche Auffassung zur Geltung gebracht hat, ist selbst-
verständlich und sein gutes Recht. Das Büchlein enthalt in der Einleitung
I. Begriff und Aufgabe der germ. Sprachwissenschaft. II. Die idg. Spra-
chen und die serm. Dialekte. III. Die Sprachveränderungen und ihre
Ursachen. IV. Das Germanische im Kreise der idg. Sprachen. V. Gliede-
rung des Germanischen. Hierauf folgen die Lautlehre (Betonung, Voka-
lismus, Konsonantismus, Auslautgesetze) und die Formenlehre (Nomen,
Verbum).
Da Bücher wie das vorliegende erfahrungsgemäts viel gekauft werden,
erlaube ich mir im folgenden einige Verbesserungen und v erbesserungs-
vorschläge, hauptsächlich mit Rücksicht auf das iSiglische, für eine zweite
Auflage hier anzufügen.
S. 11, Z. 4 heiJBt es: 'Das Englische, seit etwa 600 n. Chr. bekannt.
Es heilst bis etwa 1150 Angelsächsisch oder Altengliscdi .. .'; 'bekannt' soll
doch wohl heÜsen 'überliefert'; danach ist 6*00 in 700 zu ändern. Auch
würde für 1150 besser 1100 gesetzt. — S. 18, Z. 16 könnte bei der Er-
wähnung des as. Oberganges von ist in st auch auf den gleichen Fall im
me. (latost > kUfeJat > last) hingewiesen werden. — S. '^7 oben sollte der
Begriff 'südhum Drisch' = Kentisch, sächsich, mercisch, so?rie ein Hinweis
auf die westsächsische xöinj aufgenommen werden. — Beim Vokalismus
würde wie beim Konsonantismus eine übersichtliche Tabelle, die ja nicht
viel Platz beansprucht, dem Anfänger die Einzelheiten sehr schön zu ßinem
G^amtbilde vereinen. — Das Altenglische wird nicht immer berücksich-
tigt, so S. 41 unter :^ S. 51 unter 2, wo folgerichtig auch die ae. Stimm-
haftwerdung der Spiranten unter gewissen Bedingungen im Inlaut anzu-
führen wäre. — D. 42 mflfsten meines Erachtens die beiden i-ümlaute
noch stärker geschieden werden, da sie meinen Erfahrungen nach von den
Studierenden sehr leicht durcheinander geworfen werden. — S. 44 beim
Ablaut wäre vielleicht eine genauere Erklärung ganz nützlich. — S. 58,
Z. 2 steht an einer der wichtigsten Stellen im Buche, bei der Erklärung
des grammatischen Wechsels, ein böser Druckfehler: lies 'stimmhaften'
statt 'stimmlosen'. — S. 61, Z. Ü fehlt ae. lippa. — Bei der Formenldire
vermisse ich mancherlei, so beim Pronomen die dritte Person des Person-
lichen u. a. Auch würde ich es für sehr nützlich halten, wenn eine Tabelle
der idg. und germ. Endungen bei den einzelnen Gruppen vorangestellt
würde, wodurch die Entwickelung stärker hervorträte.
134 Beurteilungen und kane Anseigen.
Bei einer mit Rücksicht auf den Zweck und den Preis kurz gefafsten
Darstellung, wird man immer leicht Nachli^ee brinsen können. Dadurch
wird das grofse Verdienst des Verfassers nioit gescnm&lert
Berlin. Heinrich Spies.
Holländisch. Phonetik, Grammatik, Texte. Von R. Dijkstra, Lehrer
der niederländischen und deutschen Sprache in Amsterdam. Skizzen
lebender Sprachen, herausg^eben von Wilhelm Vietor. t^. Leipzig,
B. O. Teubner, 1908.
Es hat lange an einem den Anforderunffen des heutigen Sprachunter-
richts entsprechenden Hilfsmittel zur EinfimrunK in das moderne Nieder-
ländisch gefehlt Praktisch angele{|^, zum Ten weitläufige Lehrbücher
mit Übungen sab es schon längst nicht wenise, wie z. B. das französiRche
von Valette oder die deutschen von Oambs- Schräm, Traut -Van der Jaft
und was noch mehrere vorhanden waren, bis auf die vor einigen Jah-
ren erschienene Niederländüeke Sprachlehrt für Deutsche von J. Leopold
(Breda 1898). Wer nach dem Studium solcher Hilfsbücher noch eine
systematische Einsicht über Grammatik und Sprachrichtigkeit verlange,
konnte sich an der Hand niederländisch abgetafster Sprachlehren orien-
tieren und hatte vor allem in Oosijns NedS^landeehe Spraakkunst, einer
vorzüglichen Grammatik im Sinne einer Grammaire raisonn^e des lite-
rarischen Niederländisch, eine sichere Führerin. Aber abgesehen von solch«)
Lehrmitteln praktischen oder gelehrten Zweckes gab es nichts; es fehlte
ein erstes Büchlein über Holländisch, das dem Lernenden von vornherein
ein ^naue«) Bild des gesprochenen sowohl als des geschriebenen Nieder-
ländisch vermittelte, uenn alle Darstellungen stimmten darin überein, dafs
sie die wirklich gesprochene Sprache in oen Niederlanden, die nicht nur
nach der lautlichen Seite von der Schriftsprache und der Sprache der ge-
hobenen Rede so sehr verschieden ist, entweder zu wenig oder überhaupt
^ nicht berücksichtigten. Es entsprach dieser Mang^el der Nichtbeachtung,
in der sich die Umgangssprache als Gegenstand wissenschaftlicher Beob-
achtung in Holland selbst oefand — bis in die allerletzte Zeit hindn, wo
ihr in Fachzeitschriften, wie namentlich Tool en Letteren, eine nicht eeringe
Aufmerksamkeit zuteil geworden ist Am fühlbarsten aber war das Fehlen
eines Anfängerbuches, das dem Lernenden eine exakte Belehrung fib«r die
niederländische Aussprache in der durch die neueren phonetisch-pädagogi-
schen Prinzipien ermöglichten Anschaulichkeit darbot. Eine musterhane,
aber in seiner Gedrängtheit nicht leicht anzueignende Darstellung der
holländischen Laute fand sich in Sweets Handl^k of Phonettes, ausge-
zeichnete Einzelbeobachtungen vor allem in Storms EngUsehe Phüoiogie^
sonst mit Ausnahme einiger Notizen oder Ausspracheproben in Passys
Mattre Phonitique nichts, was dem Fremden leicht und allgemein zugäng-
lich wäre.
Bei einem solchen Mangel an geeigneten Lehrmitteln zur ersten Ein-
führung in eine Sprache von grofser Wichtigkeit für die Germanistik und
als Schlüssel zu einer Bildung von eigenartiger Bedeutung in der Geschichte
von hohem, allgemeinem Interesse mufs ein Büchlein wie das vorliegende,
sei es auch, seinem nächsten Zweck entsprechend, ein Anfängerbüchlein
von geringem Umfange, mit besonderer Freude bewillkommnet werden.
Dijkstraa nolländtsch, die dritte Nummer in Vietors bekannten Skizzen
lebender Sprachen^ bietet, wie schon au8 dem Titel zu ersehen ist, eine pho-
netische und grammatische Beschreibung des heutigen Niederländisch, be-
gleitet von einer Anzahl Textproben. Die Lautschrift ist, wie in den
sonstigen Nummern der Sammlung, diejenige der Association phon4tiqne
internationale; die Grammatik träfft den Formen der geschriebenen und
der gesprochenen Sprache in gleicher Weise Rechnung. Die Textprobeo,
Beartdlnngen nnd kurze Anzeigen. 185
in herkömmlicher Orthographie und phonetischer Umschrift aufgestellt,
schreiten von Stücken der feierlichen Kede, wie Bibeltexte und Predigten,
zu der leichteren und flüssigeren Sprache eines modernen Eonversations-
stückes fort. Sie bilden in dieser ihrer zweckgemäfsen Anordnung ein
vorzügliches Mittel zu dem Studium des schwierigen Kapitels über hol-
ländische Satzphonetik.
Kritik una Meinungsyerschiedenheiten, die einer zweiten Auflage zu-
gute kommen können, sind schon in den bereits erschienenen Anzeigen
Seäulsert worden. Eine gewisse Unklarheit haftet an der Beschreibung
er V' und t^-Laute, §. 20 ff. Bei einem so eigenartigen und schwierigen
Sprachlaut wie das niederländische v geht es nicht an, von diesem Laut als
dem bekannten auszugehen und dann auseinanderzusetzen, worin dastr, das
wenigstens so wie tß im Deutschen gesprochen werden kann, davon ver-
schieden ist. Der naturliche Weg wäre eher der umgekehrte. Eine wissen-
schaftliche Beschreibung^ der v- und fi7-Laute findet man nunmehr in Van
Hamels Artikel *V et W Hollandais' in La Parole, Jahrg. 1903, S. 217 ff.
(auch in Album-Kern, Leiden 1908, S. 368 ff.).
Upeala. Hj. Psilander.
Johannes Bethmann^ Untersuchungen über die mhd. Dichtung
vom Grafen Rudolf. (Palaestra XXX,) Berlin, Mayer & Müller, 1904.
W. Grimm hat in der gründlichen Einleitung seiner trefflichen Aus-
gabe des Gredichtes vom ^Grafen Eudolf 1844 die Sprache der Handschrift
und des Dichters, soweit sie sich ihm aus den Heimen ergab, die Metrik
und die mutmafslichen Quellen eingehend untersucht und ist hier vielfach
zu abschliefsenden Ergebnissen gelangt Eine Neuaufnahme dieser Unter-
suchungen in ihrem ganzen Um£n^ war trotzdem seit laneem erwünscht
und ersdiien seit den Arbeiten Singers (Zs. 80, 382) und Holz' (P. B.
Beitr. 18, 565), die eine spezielle Frage für dieses Denkmal wirksam för-
derten, um so dringender.
Dieser Auf^be hat sich Bethmann unterzogen. Er bespricht der
Beihe nach die Heimat des Dichters, die Sprache der Hs., Metrik, Quel-
len und historische Grundlage der Dichtung, endlich den Stil des Ge-
dichtes und die Persönlichkeit des Dichters in einzelnen Kapiteln. Am
nötigsten und fruchtbarsten war diese Bevision der Grimmschen Dar-
legungen für das erste Kai)itel, seit Boethe in den *Reimvorreden des Saeh-
seruptegels' ganz neue Gesichtspunkte für die Sprachmischung in mittel-
und niederdeutschen Gedichten gebracht und Zwierzina durch seine 'Mhd.
J^udien^ unsere Kenntnis des hoch- und mitteldeutschen Dialektes dieser
Z&t wesentlich vermehrt und bestimmte Laut- und Stilerscheinungen
genauer abgegrenzt hatte. Von diesen neu^wonnenen Gesichtspunkten
aus legt Bethmann das Beimmaterial noch einmal vor.
Dafs die Reime des Gr. B. auf einen md., wahrscheinlich thüringischen
Dialekt weisen, ist von Bartsch (Bert. y. HoUe XXXVI) zuerst ausgespro-
chen und seitdem oft wiederholt worden. In neuerer Zeit hat nur Edw.
Schröder sich für niederdeutschen Ursprung entschieden. Bethmann sucht
zu einer genaueren Umschliefsung des möglichen Enstehungsgebietes zu
felaneen, indem er die moderne Entsprechung der im Gr. B. auftretenden
>iale£tmerkmale in einzelnen md. Mundarten aufsucht, so in der Salzuneer,
Herzfelder, Blankenheimer und Naunheimer, und mit jeder Spracherscnei-
nung des Gedichtes auch ihr heutiges Geltungsgebiet nach dem Sprach-
atlas vergleicht. So sorgsam und umsichtig Bethmann hier auch vorgeht,
zn ganz sicheren Besultaten gelangt er nicht.
Am stärksten tritt der md. Charakter der Beimbindungen in den
«-Keimen zutage. Denn hier stehen im Beime gebunden gew^rte : generte
H 9, vräveU : ^bene I 52, herte : suerte F^ 52, imre : ivetkere H^ 1, mare :
186 Benrteiluiigeii und knne AoEdgai.
sire H* 27, ^ren : burg€ere F^ 16 usw. Eb mmt also ?: ^ vor f^ a:^ «^ : «
wie in der ^Erlösung' oder der ^Elisabeth' und anderen md. Gredichtec.
Eine nähere Bc^enzung des md. Gebietes auf das östliche Hessen ergab
8ich aus dem Mangel von Keimen o : uo und e-.ie. Im Gebiete des Kod-
sonantismus ist der AbJ^U des ¥» in Flexionssilben, insbesondere im Inf.,
eine charakteristische Erscheinung. Die Untersuchungen BethmamiB über
die Natur der Medien h und g im In- und Auslaut führen zu keinem
Ziele. Oder sollen wirklich die sieben Keime h:v und die sechs ch : g den
spirantischen Charakter erweisen für einen Dichter, der nicht nur dienen .
hebe a 16, habe : cktge n 20, lag : trat a^ 14, grab ilag ß 24 reimt, sondern auch
Rudolf \ holt ß^ 5, gduU : orücs B 25, rede : hebe B^ 9, gnadin : greue B^ 18 usw.
unbeaenklich bindet? Eine zeitliche Scheidung gegenüber den Mittel*
deutsclien der Blütezeit bietet die reinliche Trennung von u : uo und i : f>.
Bestimmte nd. Charakteristika fehlen. Zwar dafs keine Keime i :^ eh.l.
t:d, ei:i, kein steü, deit, geit, kein tp$ren (erant) und dergleichen zu finder
sind, w§re auch bei der Annahme dnes hochdeutsch dichtenden Nieda^-
deutschen selbstverständlich. Aber auch ein vereinzeltes Über^leiten ib
den gewohnten heimischen Dialekt, das sich sonst bei jedem Niederdeut-
schen nachweisen läfst, ist nirgends zu erkennen. Für nd. könnte man
nur behalt : goU A^ 10, mohte : vireuchie H^ 48, greven^ : aäben G** 7 und die öfte
belegte Bindung a : x ansprechen. Doch läfst sicm — hierin stimme ich
Bethmann vollkommen bei — wenigstens für die ersten drei Reime ziem-
lich sicher md. Ursprung glaubhaft machen. Auffcdlend ist das Fehlen
der Bindung ei : ege, age, das sonst mfr. Eigenart ist. An nd. Einflufs darf
man aber auch hierbei nicht denken, da solche Keime z. B. bei Berth.
V. Holle wiederholt zu finden sind. Im Gesamtbilde sprechen die Beime
sicher für einen md. Dichter. Einem nd. Verfasser des Gr. K. mfi&ten
wir jedenfalls eine erstaunlich sichere Kenntnis hessischer ma. zuschreibeD.
In der Anordnung der einzeLgH^n Blätter folgt Bethmann den von
Singer und Holz vorgeschlagenen Änderungen. In dem edelen nutn aus
Flandern, dem A7 das aeaemidele angewiesen wird, sieht Bethmann nicht
einen G^olgsmann Kudolfs, sondern den Grafen selbst. Diese Auffassung
hat manches für sich: erstlich ist von einem Vasallen wdterhin in den
uns erhaltenen Bruchstücken keine Kede mehr, sodann hat auch in der
franz. Quelle bei dem vom Helden veranstalteten eroüsen Feste dieser
selbst den Ehrenplatz. Die einzig Schwierigkeit oleibt nur, dals wir
damit die unwahrscheinliche Koniektur Grimms [der hming^ toUeie dax
gegensidde anerkennen, die zur Annahme eines vierhebigen klingenden
Verses zwingt oder doch einen schweren dreisilbigen Auftakt verlangt
Beides kommt zwai im Gedichte vor, die wenigen Fälle jedoch durch eine
Konjektur zu vermehren, ist immerhin milslich. Oder könnte auch das
einfach aufnehmende '4r, das Singer einsetzt und auf den Grafen bezieht,
den Konig meinen? Die anaphorische Verwendung des geschlechtigtoi
Pronomens hat — insbesondere in mhd. Frühzeit — einen ausgedehnten
Gebrauch als heute. Vergl. in Gr. K. selbst B^^ AI oder D^ 14 usw. Von
den vielen Versionen der Beute de J9att«<onne-8age, die Heinzel zuerst alf
Quelle des deutschen Gedichtes erwiesen hat, vergleicht Bethmann nicht
die Faf^sung des Wiener cod., den Singer zum Vergleiche heranzog, son-
dern die anglonormannische Fassung. Ein besonderer Vorteil ergibt dch
daraus nicht, da zwar einige Einzelheiten hier dem deutschen Gedichte
verwandter erscheinen, andere Übereinstimmungen aber wieder, auf die
Singer hatte hinweisen können, fehlen. Überhaupt brinfft die ziemlich
umständlich durchgeführte Untersuchung über die Quelle und die ge-
schichtliche Grundlage des Gr. K. weni^ neue Kenntnis von einiger Sicher-
heit. Interessanter und fruchtbarer ist der letzte Abschnitt von Betb-
nianns Arbeit, die Stiluntersuchung. Sie gibt ein gutes Bild der Technik
dieser Zeit und zugleich auch der Persönlichkeit des Dichters selbst, trotz-
BeurteiluDgen und kurze Anzeigen. 137
dem keine syetematische DarBtellung gelben wird, sondern mehr einzelne
BtilistiBche Besonderheiten herausgegrinen und untersudit sind, so die
ü&schreibung der Begriffsverba durch kommen, bleiben, beginnen, pfle-
gen usw., die Stellung des adj. Attributs zu seinem Beziehungsworte, die
Wiederaufnahme oder Vorwegnahme eines Satzes mit dax, Kongruenz im
Numerus zwischen Subjekt und Prädikat, Parataxe und Hypotaxe, ano
xotrov, Schachtelung von Sätzen, Übersan^ der direkten Bede in die
indirekte usw. Der Nachweis von Paralle!st€&en aus anderen Dichtungen
beschliefst diese Untersuchung. Ob der Dichter des Gr. E. den Tristan des
Eilhart kannte und benützte, bleibt mir zweifelhaft. Dafs z. B. bei der
Obergabe eines Kindes an seinen Erzieher in beiden Gedichten zum Teil
gleiche Ausdrücke sich gegenüberstehen, ist bei der konventionellen Auf-
fassung von Tugend und dem engumgrenzten Lebensideal der vornehmen
Gresellschaft jener Zeit keineswegs auffallend. Auch die Liebesszenen
werden immer wieder mit den gleichen Worten ausgemalt oder angedeutet.
Dies gilt für die Frühzeit so gut wie für die eigentliche Blütezeit. Und
was sollen vollends Stellen beweisen wie dax laut üf die truwe befelhen
Eilhart 2255 und Gr. R. y 20 oder und fragete in wäre er teere Eilhart 1177
und Gr. R. D 6?
Im ganzen bleibt Bethmanns äufserst sorgsame und genaue Arbeit
eine schöne Leistung, die nicht nur an und für sich unsere Kenntnis der
mhd. Frühzeit mehrt, sondern auch weiterhin anregend und fördernd wirken
wird, da alle ähnlichen Untersuchungen zu ihr Stellung nehmen müssen.
Znaim. Viktor Dollmayr.
Gertrud Bäumer, Goethes Satyros. Eine Studie zur Entstehungs-
geschichte. Teubner, Leipzig 1905. 126 S.
Nach dem 'Ewigen Juden' ist der 'Satvros' vielleicht Goethes erstaun-
lichste Genialitätsprobe; und er teilt mit ihm jene groi^artige Verbindung
an ausgelassenstem Humor und tiefster Poesie, die Morris (Goethestudien,
2. AufL, I, 248) bei der Annäherung von Trometheus und Hanswurst'
entzückt zusammenschaudern lieis. Ich vergesse die tiefe Wirkung nicht,
die eine Aufführung im 'Berliner Theater' hinterliefs. Was den Roman-
tikern bei ihrer Vergötterung der 'Ironie' vorschwebte, lehrt dies wunder-
same Werklein besser als all ihre eigenen *Teufelein' verstehen.
Es ist daher mit besonderer Freude zu begrüfsen, dafs eine literar-
historische Bearbeitung dieses ebenso dankbaren als schwierigen Themas
mit ungewönlich reifem Verständnis und sicherer Hand unternommen
worden ist Wenn die Verfasserin, etwas weit ausholend, die Vorgeschichte
der Satyrfigur in unserer Dichtung gibt und dabei die Verwandtschaft mit
dem Kyklopen (S. 57) und mit Herkules (S. 74, 1) feinsinnig ins Licht stellt,
oder wenn sie, viel summarischer, über die Sprachbdiandlung (S. 94 f.)
und Metrik (S. 106, 113 f.) spricht, so würde man so weit nur erst die
fleifsige Schülerin von Brich Schmidt und Max Herrmann zu erkennen
haben. Aber schon die klugen Hinweise auf den Einflufs Hans Sachsens
auf die Technik (S. HO) beweisen ein seltenes Talent eigener Beobachtung.
Das beste aber ist die höchst erfreuliche Sicherheit, mit der sie die eigent-
liche Kernfrage anfalst: das Problem der dichterischen Entfaltung des
Stoffes, das hier besonders ein Problem der Modellbenutzung (vgL bes.
8. 70) ist. Dafs Herder ein Hauptmodell, ja das Hauptmodell des Satyros
war (S. 47 f., 69, 71», 12n, bes. 81), steht ihr fest, wie jetzt wohl für jeden
sachverständigen Beurteiler (vgl. z. B. Morris a. a. O. II, 269); aber sie
leitet die Herstellung seines Bildes 'nicht von einem philologischen Stu-
dium seiner Werke, sondern von einem groisen lebendigen Gesamteindruck
seiner Persönlichkeit ab.' Deshalb widerstrebt sie dem Aufsuchen von
Elinzelbeziehungen, wie es z. B. Matthias vorgenommen hat, und geht
If^ Benrteilaiigen und karae AoMigen.
hierin vielleicht sogar zu weit, denn Goethe hat stets die Portriltihnlich-
keit lirern durch smche kleioen Zfige (2. B. das Wort 'Getratsch' in Carlos-
Mercks Munde) aufgehöht. Die Verf. weils die autonome Elntwickeluiifr
einer poetischen Gestalt viel unbefangener zu würdigen, als es gemeiniglich
unsere ^ableitenden' Untersuchungen tun, und widerspricht deshalb auch
(S. 57 Anm., 87) mit guten Gründen Tilles Überschatzunff von Anklän-
gen an Wieland, ohne sie etwa ganz zu leugnen (vgl. S. 26, 40, 75).
Aus diesem eindringenden Erfassen der dichterischen Involution heraus
erkennt sie auch einen Bruch in der Entwickelune des Dramas (8. 85, 89),
d& sich den bisherigen Beobachtern entzog, nun aber kaum noch bestritten
werden wird.
Durchaus sympathisieren wir auch damit, daSä die Verfasserin die 'jms-
quinische Seite (8. 53) zurücktreten lalst neben der positiven, der Ver-
kündigung eines neuen Lebensgefühls ^8. 42, 117 f.), die vor allem in der
unvergleioilichen 'Bousseaupredigt' una dem SatjTlied ^«71, 78, bes. 88)
Ausdruck findet. Sie wird aeehaiD auch dem satirischen Zu^e nicht immar
gerecht; so, wenn sie es auffallend findet, dais Satyroe nidit bei der Tö-
tung des Einsiedlers zugegon sdn will (8. 84). Tartuffe (der am Sdiluls
ja ohne Zweifel mitspielt) braucht man dazu kaum heranzuziehen; es ist
die typische Scheinheili^keit des 'Bonzen', der angesichts des für seine
Opfer errichteten 6cJieiterhaufens sein 'ecclesia abhorret sanguinem'
hersagt.
In der Geschichte der Satyrosforschung liegt ein charakteristisches
Stück Geschichte der Gk)ethephiIologie, und kein schlechtes. Die Verfasse-
rin stellt sich würdig in eine gute Gesellschaft. Hoffentlich bleibt sie ihr
treu; es liegen noch Probleme gjenu^ um die Hütte des Waldteufels.
So das der Nachwirkung; reicht sie nicht vielleicht bis zu Hebbels ge-
waltigem 'Mol och'- Fragment?
Berlin. Richard M. Meyer.
ClemeDS Brentano, Romanzen vom Rosenkranz« Herausgegeben von
Max Morris. Berlin, C. Skopnik, 1908. LXXIX u. 402 8. 5 Mk.
Da die Urschrift Brentanos'sowie Böhmers Abschrift (oder Abschriften)
sich bis heute nicht gefunden haben, wurde diesem Neudruck zunSchst
der erste Druck in den OeaammeUen Schriften III zugrunde gelegt und
das offenbar Fehlerhafte nach einer Handschrift verbessert, die aus dem
Nachlafs von Görres in den Handel gekommen war. Als nun aber derart
zwei J)rittel des Werkes gedruckt vorlagen, drängte sidi dem Herausgeber
die Überzeugung auf, das gerade diese Handschrift den ursprünglidien
echten Wortlaut enthalte, während der Wortlaut in der Gesamtausgabe
von Böhmer ~ zum Teil recht geschickt — überarbeitet sei. So war für
den Best des Druckes die Handschrift aUein mafssebend.
Praktisch ist der Milsstand insofern nicht erheblich, als] es sich nur
um eine beschränkte Z^l von Abweichungen handelt und für wissen-
Rchaftliche Zwecke die Überlieferung aus den Lesarten zu ersehen ist.
Dennoch gereicht e^ begreiflicherweise dem Herausgeber zur Genugtuung,
dafs ihm eine in M. Hesses Verlag erscheinende Auswahl aus Brentanos
Werken instand setzen wird, statt des 'halbschürigen' Textes einen seiner
Überzeugung genau entsprechenden zu bieten.
In der umfangreichen Einleitung und in den Anmerkungen (8. 386 — 402)
ftind die Erpfcbnisse ebenso mühsamer wie sorgfältiger Forschungen nieder-
gelegt. Der erste Abschnitt der Einleitung ^bt die äufsere Gesdiichte
von Brentanos unvollendetem 'Hauptwerk' in einer Reihe brieflicher Zeug-
niRse, denen zufolge die Arbeit an den Romanzen mindestens bis ins Jahr
1804 zurückreicht. Der zweite erläutert das einführende Gcdidit in Ter-
zinen, soweit es vorliegt, und nach seinem geplanten weiteren Verlaufe.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 139
Im dritten wird auf Grand der Entwürfe eine zusammenhängende Darstellung
der Fabel und im vierten der Nachweis versucht, wie 'dieser seltsame und
in den unausgeführten Teilen auch wohl öfter unerfreuliche Plan in der
Seele des Dichters erwachsen' sei. Ein f Qnfter — allerdings nicht besonders
bezeichneter — Abschnitt erörtert noch bis ins einzelne die verzwickten
Vers- und Reimkünste, die Assonanzenschemata, metrischen Bravour-
stücke usw., mit deren Hilfe 'alle musikalischen Mittel der Sprache zu
einer äufsersten Leistung angestrengt' werden sollten.
Die Anmerkungen zum ausgefimrten Gedichte und zu den Paralipo-
mena bringen lehrreiche Wort- und Sacherklärungen und besonders auch
reichliche, wenn schon vielleicht noch nicht erschöpfende Quellennachweise
zu dem Wust geschichtlichen und sagenhaften Stoffes, den 'der unersätt-
liche Dichter' da zu verwerten unternahm.
Mag einzelnes der Verbesserung fähig sein — wie z. B. seither von
Walzel der Name 'Moles' (im Gegensatz zu S. LVII) zweifellos richtig
auf ScheUings 'Materie' zurückgeführt worden ist — , die ganze Arbeit
bildet einen sehr wertvollen Beitrag zu den täglich sich mehrenden For-
schungsergebnissen auf dem Gebiete der Romantik. Sie dürfte auch in
weiteren Kreisen Anklang finden, denn es fehlt heute gewifs nicht an
Liebhabern, die — wenn man mit dem Herausgeber Goethische Worte
über Calderon auf Brentano übertragen will — solchen 'abgezogenen,
höchst rektifizierten Weingeist, mit manchen Spezereien geschärft, mit
Sülsiekeit gemildert', gern und gierig 'als schmacuiaftes, köstliches Reiz-
mittel einnehmen'.
Freiburg L B. R Wo er n er.
Jonas Fränkel, Zacharias Weniers Weihe der Kraft. Eine Studie
zur Technik des Dramas. Hamburg u. Leipzig, L. Voss, 1904. (Beitr.
zur Ästhetik, herausg. von Th. Lippe u. R. M. Werner, IX.) Xu. 141 8.
Grillparzers Wort, nur Zacharias Werner sei bestimmt gewesen, als
der dritte neben unsem gröfsten Dichtem zu stehen, hat mich viel be-
schäftigt, ohne dafs ich es je begriffen hätte. Der Enthusiasmus, mit dem
des Amerikaners Coar selbständig gedachte Sttidiea in Qerman Liter ature
sidi für Werner einlegen, wird durch die begleitenden Ausf ührun^n nicht
genügend unterstützt. Selbst Poppenber^s vortreffliche Arbeit, gewifs
eine wesentliche Förderung unserer Kenntnis dieser seltsamen Persönlich-
keit, zeigt in ihm mehr die typisch-romantischen Seiten auf als die indivi-
duellen. Fränkels eindringende Arbeit aber zeigt sachlich und sicher,
worin Werners Bedeutung für das Drama bestand, in welchem Sinne er
sich (8. 101) von Schiller emanzipierte und eigene Bahnen einschlug —
freilich auch, wie wenig er damit trotz mannigfacher Bewunderung gerade
auch von den ihm Wichtigsten gewürdigt wurde: von seinem 'Helios'
Goethe (8. 120) und den älteren Romantikern (S. 128).
Schritt für Schritt analvsiert Fränkel Werners merkwürdigen Versuch,
'die romantischen Ideen aul die Bühne zu bringen' (8. 5), gibt die mysti-
sche Nebenhandlung (S. 18) mit ihrer geradezu komischen Wirkung (S. 79)
preis, legt aber die Kunst in der Entwickelung der Haupthandlung klar
dar. Kunstvoll überlegte Mittel, wie das symmetrische Gleichgewicht der
Auftritte (S. 31), die schwierigen, aber gut geführten 'übereinander grei-
fenden Szenen', die auch Grillparzer lieot (S. 8'^), Parallel- und Wieder-
holungeszenen (S. 38 — 34), Kontraste (S. 35), finden sich unauffällig ver-
wandt. In den Szenenanfängen (S. 30) zeigt sich ein — fast modemer —
Sinn für die J?timmung. Die Vorgänge aufserhalb der Buhne (S. 38) werden
dem Fortschritt der ELandhin^, die Massen und Schauszenen freilich (S. 48)
nicht mit Schillerscher GrÖlsc ihrer Anschaulichkeit dienstbar gemacht.
Sehr stark stehen die Monologe (8. 50) unter dem Einflufs unseres mäch-
140 Beurtdiungen und kurze Anzogen.
tigsten Dramatikers; doch fehlen charakteriBtische Formen dei Sdiiller-
8(äeD SelbstgeBprächs.
Bei dem Vergleich des Dramas (S. 52) mit dem Mschichtlichen Ver-
lauf (8. 53 f.] hätte ein Hinweis auf die damals noch herrschende grölsere
Freiheit in aar GrCBdiichtsdarstellung nicht fehlen sollen. Joh. t. Müller
(8. 180) war von Werners Luther entzückt — Leopold Ranke Tertmg
nicht einmal Walther Scotts Ludwig XI. I Warum übrigens kann die
Dalber^-Szene (8. 44 Anm.) nicht trotz ihrer historischen Grundlage als
Kompkment für den Fürst-Primas ^meint sein?
Fränkels Talent, auf das Wichtigste loszugehen, zeigt sich wieder bea.
den Beobachtungen über den Stil (o. 89 f.). Er geht von dem 'Klima'
der Dichtung aus und macht die nübsche Bemerkung, der 'pr^dilection
d'artiste' sei die Darstellung des Glaubras besser gelungen, als es der
eifernden Gläubigkeit h&tte gelingen können. Als romantisch hebt. er be-
sonders die Bergmannsszenen (8. §0) und die Gleichnisse aus der bildenden
Kunst (8. 92) nervor. All das trug gewifs dazu bd, die literarischen
Kämpfe in Berlin lebhaft zu machen ; milich war der voranlaufende Zei-
tungsstreit (8. 105) heftiger als später die Kritik. Sollte aber wirklich da-
mals schon 'am gleichen Abend' (8. 116) ein Theaterbericht erschienen sein?
Und endlich überbietet der Dichter die heifseste Kritik durch seinen
Widerruf (8. 134), die grausamste 'Autocharakteristik' >- um ein Wort
Fränkels, das sich hoffentlich nicht einbürgert, einmal zu verwenden — ,
von der wir wissen I Die'Wdhe der Kraft' ward dem nach seiner Bekeh-
rung erloschenen Dichter zur Weihe der eigenen Unkraft. Nun hat endlich,
nach einem Jahrhundert, diese sorgsame Arbeit aus Walzels c[uter Schale
das Werk, das sein Meister nicht mehr loben wollte, seinen Meister loben
lassen I
Berlin. Richard M. Meyer.
O. E. Lessin^, Grillparzer und das Neue Drama. Eine Studie. Mün-
chen u. Leipzig, R. Piper u. Co. VIII, 1/4 8.
Als Alte und Neue Tragödie stellt im Anschlufs an Hebbel O. E. Les-
sing zwei völlig verschiedene Arten dramatischer Kunstwerke einander
entgegen: die Alte Tragödie zeigt den Einzelmenschen in seiner Entwick-
lung und lälst ihn im Kampfe mit der Weltordnung, mit dem Sittengesetz
unterliegen; sie macht ihn zu einem Brennpunkt, in dem sich die Strahlen
der Idee treffen; sie ist individualistisdi und — da die Entwicklung des
Helden zum Untergang führt — pessimistisch. In der Neuen Trfl^;ödie
weicht das Individuum der Gattung; 'auf den Trümmern einer unter-
gehenden Welt baut sich eine neue, nöhere auf; die Idee entwickelt sich
zum Pol, dem das Individuum zustrebt; die Neue Tragödie spiegelt die
Ei)twicklung der ganzen Menschheit und ist daher kollektivistisch, ihrer
Endstimmung nach optimistisch. In dem kollektivistischen Ideendrama
offenbart sich ein Stück Menschheitsgeschichte, es kann daher als das
kosmische Drama, als das Neue Drama schlechmin bezeichnet werden.
Hebbel selbst hat das Ideal dieses Neuen Dramas nur in Agnes Ber-
nauer, Gyges, Moloch ganz verwirklicht, andere Dramen sind nur Voraus-
setzungen zu jenem Ideal, d. h. sie haben den Bruch mit der alten Auf-
fassung von einer tragischen Schuld bereits glücklich vollzogen : Mariamne,
Rhodope, Genoveva, sie gehen zugrunde, weil sie ganz sie selbst sind, weil
die Tragik schon mit ihrem Dasein gegeben ist.
Grillparzer — das ist des Verfassers These — hat dieselbe Entwicklung
durchgemacht wie Hebbel; auch sein Weg führt von der tragischen Schuld
über die dem Individuum immanente Tragik zum Neuen Drama, und diese
Entwicklung verfolgt, liebevoll forschend und deutend, Lessing in seinem
anregenden Buche.
Beartdlungen und kurze Anzeigen. 141
Trotz unleugbar poetischer Reize enthalten Ahnfrau und Ein Traum,
ein Leben noch nichts, was eine hehre Zukunft verkündet; darum setzt
die Untersuchung erst mit Sappho ein, des Dichters erstem Versuche,
einem tragischen rroblem wirklich auf den Grund zu gehen. In ausführ-
licher, lehrreicher Analyse führt Lessing den Nachweis, dafs Sappho nichts
als eine Talentprobe und ohne selbständigen Wert für die Weltliteratur
ist, epochemachend allein für deu Dichter. Höher steht das Goldene Vlieis,
besonders wegen der sicheren Durchführung der Grundidee, doch erst
König Ottokare Glück und Ende kann als ein Meisterwerk bezeichnet wer-
den. Hier steht GriUparzer völlig auf eigenen Füfsen, äufsere und innere
Form deken sich ganz und gar; eine gereifte Weltanschauung tritt zutage,
eine neue, bessere Welt erhebt sich aus den Tfömmem einer zerfallenden.
Ottokars Unterging ist die Grundbedingung für das Gedeihen des Kaiser-
tums, die Tragik des Individuums für das Wachstum der Menschheit. Für
diesen Aufschwung macht der Verfasser die Lösung Grillparzers von seiner
Mutter und die italienische Heise verantwortlich : eine neue Lebensperiode
beginne mit dieser Reise und mit der von ihr ausgehenden Anregung.
Und doch verharrt der Dichter nicht auf der einmal erklommenen
Höhe: in Ein treuer Diener seines Herrn ist der 'kollektivistische Opti-
mismus des Ottokar zum individualistischen Pessimismus' zurückgesunken
— nichtsdestoweniger gehört dieses Drama mit Hero künstlerisch zu dem
vollendetsten, was Grillparzer geschaffen hat. Gründlich gebrochen ist
hier mit der traditionellen Auffassung von der tragischen Schuld; daher
sind beide Dramen Durchgangsstadien, und erst hinter ihnen tagt das 'Ziel'.
Bevor Grillparzer zur Tragödie der Zukunft reifte, mulste eine neue
Welt sich ihm auftun : das Studium Lopes, historische und philosophische
Anregungen. Durch sie überwand er die individualistische Weltanschau-
ung, sah er sich der kollektivistischen zugeführt, durch die sich ihm die
Bahn *zum Drama grolken Stils' erst öffnete. Verfasser geht nun ausführlich
auf Grillparzers Verhältnis zur Hegeischen Philosophie ein und konstatiert,
dafs Hegel drei Jahrzehnte lang einen erheblichen Teil von des Dichters
geistiger Kraft in Anspruch genommen, und dafs der Kollektivismus Hegels
und das Prinzip seiner Dialektik dem dramatischen Schaffen Grillparzers
seit der Mitte der dreirBifi;er Jahre eine neue Richtung gegeben hat. Li-
bussa und Jüdin von Toledo bleiben unverständlich, wenn man nicht die
Hegeische Dialektik als treibende Kraft darin anerkennt; sie sind poetische
Verkörperungen der Entwicklungsidee im kollektivistischen Sinne. In
Esther vertritt Mardochai dem ursprünglich individualistischen Standpunkt
Esthers ff^enüber das abstrakt kollektivistische Prinzip; der Bruderzwist
ist ein wieUdrama, in dessen Charakteren sich das Aufsteigen einer neuen
Epoche, das Werden und Fliefsen der Zeit spieeeln. Aber erst mit Libussa
setzt das Neue Drama ein: es ist ein Kulturdrama, das die Erfahrung^
und die Weisheit eines ganzen Lebens umfa&t. Hier, wo die Heldin die
Skala Gefühl — Verstand >- Rückkehr zum (Mühl durchläuft, hat Hegels
Dialektik poetisdie Gestalt angenommen, die Dialektik ist in die Idee
selbst hineingetragen. Libussa ist das höchste Muster der Tragödie der
Zukunft, des Neuen Dramas, das einst Hebbel im Sinne hatte; neben
Libussa steht die Jüdin.
Lessings Buch schliefst mit einem 'Ausblick' (S. 145—174). In Goethes
Faust und in den Wahlverwandtschaften erblickte Hebbel die Grundlage
eines Neuen Dramas; der Verfasser spürt Anfänge desselben in Lessin^
Philotas und im Egmont auf ('aus dem Kampfe der willkürlichen |T| Frei-
heit mit der willkürlichen Tyrannei mufste notwendig die wahre Freiheit
hervorgehen'); Schiller nähme im Fiesko, im Karlos, m der Jungfrau ge-
waltige Ansätze zu einer synthetischen Entwicklung; auch Grabbe nähere
sich m seinen letzten Arbeiten der Höhe, aber das Werk Grillparzers und
Hebbels habe bis jetzt kein deutscher Dichter würdig fortgesetzt. Unter
142 Beurteilimgen und kurze Anzeigen.
den Schwierigkeiten, auf diesem Wege yorwfirts zu kommen, stehe obenan
die Schöpfung neuer Ausdrucksformen für die feinen Nuanderunffen des
modernen Kulturlebens, und die Werkzeuge dazu habe Arno E^lz ge-
schaffen: er verlangte 'absolute StUeinheit, Übereinstimmung innerer und
äufserer Form, wie sie in gleicher Vollendung mit den unzulandjchen
Hilfsmitteln der älteren Tec^ik nie erzielt werden konnte', in Hanns
von Gumppenberg ahnt Lessing einen Dichter, der zum kollektivistischen
Drama vorzudringen vermag; von den Neuromantikern und anderen mo-
dernen Schulen erwartet er nichts. Aber 'kommen wird das moderne Neue
Drama. Das ist keine müfsige Prophezeiung. Die ganze Entwicklung der
Dramatik, nicht nur DeutscElands, strebt auf jene Gattung hin.'
Wir haben absichtlich möglichst mit des Verfassers eigenen Worten den
Inhalt der Schrift kurz skizziert, die von Anfans; an des Lesers Interesse
fesselt und spannt. Ihren Kern bildet der Nachweis des Einflusses, den
die Philosophie, insonderheit Hegel, auf den Dichter ausübte, und von
dem die Gnllparzerliteratur bisher wenig anzuführen wnfste. Grillparzer
wird dadurch mitten in den vollen Strom des geistigen Lebens seiner Zeit
ferückt und zu einem Bahnbrecher philosophischer wie künstlerischer
deen, zum wirksam kräftigen Förderer einer neuen dramatischen Kunst
erhoben, von dem Gegenwart und Zukunft zu lernen haben. Ein weiterer
Wert des Buches liegt in den Analysen einiger Dramen, durch die der
Verfasser seine Urteile begründet, der Leser in seinem Verständnis GriU-
parzerscher Kunst gefördert wird.
Berlin. H. Löschhorn.
Briefwechsel des junffen Börne und der Henriette Herz. Herausg.
von L. Geiger. OldenDurg u. Leipzig, o. J. 201 8. Geh. 8 Mk., geb. 4 Mk.
Die Veröffentlichung dieses Briefwechsels wird damit motiviert, dafs
die Briefe an Henriette Herz noch ungedruckt, die Börnes an sie ver-
erlffen sind. Freilich ist es die Fra^e, ob nach ihnen grolse Nachfrage
Herrscht. Der reife Börne ist eine interessante Persönlichkeit, der ids
Kritiker, Journalist, Stilist noch keineswegs wissenschaftlich gewürdi^ ist;
der unreife Schreiber dieser Briefe erhebt sich trotz mancher geistreichen
Wendung weni^ über das Niveau des begabten ^krassen Fuchses'. Die
Liebe zu Henriette Herz trägt den typischen Charakter spät erwachter
PubertätsgefQhle, die bei soidien Naturen durch das ^stige Interesse
lange zurückgehalten wurden, und es fehlt auch nicht die literarische An-
färbun^, auf die der Verfasser mit Recht hinweist; nur dafs dieser Brief-
wechsel allerdings hinter dem Werthers so weit au Poesie zurückbleibt
wie die an den Apotheker gerichtete Bitte um Kattengift hinter dem Ent-
leihen der Pistole (S. 58, 60 vgl. 18). Eigene Züge sind nur etwa die
Beobachtung" dafs aie schöne Frau in bestimmten Stellungen und gewisser
Kleidung aui sein verliebtes Herz stärker wirkt als in andern (S. 65, 69);
denn die Sprachfehler, aus denen er sich herauszubilden hat ('von die La
Roche', S. 64, 'die Rede kam auf Ihnen', S. 93^, sind weder bei Heinrich
V. Kleist, noch bei Dorothea Schlegel selten, ja nicht einmal bei dem iungen
Tieck. Henriette schreibt auch (S. HO), dais sie 'ins Englisch untemditet.'
Börnes Urteile über die bedeutenden Persönlichkeiten, in deren Nähe
ihn ein gunstiges Schicksal führt, Beil (S. 121), Schleiermacher (8. 127
vgl. 159), Steffens (S. 164), sind höchstens für den Briefschreiber bezeidi*
nend, lustig dagegen die auf seine Humoresken vorbereitenden Schilde-
rungen des Klatschnestes Halle (S. 112, 120, 171) und der Familie Reil,
besonders der Frau (S. 87). Schriftstellerische Gewandtheit fehlt aadi
»onst nicht, auch nicht Blitze des 'Originalgeniee' (S. lOU): die Kritik der
Sprache wünle Fritz Mauthner erfreuen: 'Gott ist nur da, wo keine Sprache
ist' (8. 127; über das 'Blumauerische' Alte Testament S. 144).
BeurteUungen und kune Anzeigen. 148
Henriette weiBt Börne (S. 59 1) enernsch zurück; seine Liebe empfand
sie nur als Zudringlichkeit, und ihr Schlufsurteii ist die harte Kritik einer
in sittlichen FT9«en unbeugsamen Frau Über einen zwischen Moral (Ab-
richeu vor der Unsittlichkeit in Halle, S. 135) und — Geniemoral noch
hin und her schwankenden Jüngling (S. 190). Es bildet den ßchlufs des
Buchee und kann den unerfreulichen Eindruck des psychologisch und
kulturhistorisch nicht allzu ergiebigen Briefwechsels nur steigern.
Berlin. Richard l£ Meyer.
Otto Weddigeoi Die Ruhestätten and Denkmäler unserer deut-
schen Dichter. Mit 4 Photogravüren und 69 Abbildungen im Text.
Halle 1904. Gesenius. XII u. 209 S.
Der MadonnenkultuB der katholischen Kirche brachte einen 'Mariani-
schen Atlas' hervor; es war kein schlechter Gedanke, in ähnlicher Weise
den Spuren des modernen Heroenkultus nachzugehen, und eine geogra-
phische Übersicht etwa der Schiller- und Goethedenkmäler in ihrer Ver-
teilung könnte zu allerlei Schlüssen anregen, die freilich unsicher genug
bleiben würden. Schon eine Statistik dieser metallenen oder steinernen
Niederschläge unserer Dichterliebe wäre zu verwerten: freilich kann die
oberflächliche Zählung in Weddigens Einldtung nur als unbrauchbar be-
zeichnet werden. Und eine ernste Berechnung müslte vor allem mit dem
Unterschied der Zeiten rechnen, die einst langsam und widerstrebend zu
einem Goethedenkmal in Frankfurt schritten und heut auf das kaum
zugeschüttete Grab des unbedeutenden Gottfried Schwab in Darmstadt ein
Monument pflanzen.
Weddigen begnügt sich mit einer Aufzählung und Beschreibung der
Grab- und Erinnerungsdenkmäler, die eewifs nicht vollständig sein wird
— so macht mich Prof. Brandl auf aas Fehlen des Steubdenkmals in
Brizlegg (Tirol) aufmerksam — , doch aber wenigstens für Stand und Ent-
wicklung unseres Monumentalitätsbegriffes und für die Geschichte des äulse-
ren DicnterideaLs fruchtbar gemacht werden kann. Leider nimmt er den
Begriff des Denkmab zu wörtlich: für Schneckenburger etwa ist doch die
Aiuschrift der * Wacht am Rhein' auf dem Postament des Niederwald-
denkmals wichtiger als das Monument in Tuttlingen!
Die Denkmäler, die der Verfasser selbst in kurzen Charakteristiken den
Poeten stiftet, geben leider an Trivialität den modernsten Denkmalsschöp-
fungen nichts nach: .*Anzengruber ist ein tüchtiger Dramatiker und ein
grolser Volksdichter Österreichs' (S. 2), oder 'Fischart ist der geistvollste
und beste Schriftsteller zu Ausgang des 16. Jahrhunderts' (S. 20). In der
Regel heilst es nur: 'X schrieb Gedichte', und so auch bei Schiller: ^Schil-
lers Werke enthalten . . .' (S. 151). Dies dürfte bekannt sein.
So wandert man auch durch diese Siegesallee nur mit gemischten
Gefühlen, freut sich aber doch schliefslich in dem Gedanken, dals wohl
kein Volk so vieler Dichter liebend gedenkt wie das unsrige; freilich
leider oft erst beim Grabdenkmail
Berlin. Richard M. Meyer.
Neue Literatur sur Volkskunde.
1) Grassl^ Geschichte der deuteefa-böhmischen AnsiedeluDgen im
Banat (Beiträge zur deutsch -böhmischen Volkskunde, geleitet von
Hauffen. Band V, Heft 2). Mit 8 Lichtdrucktafeln. Prag, Calve (Koch),
1904. VI, 128 S. 8.
2) Lebende Worte und Werke. Eine Sammlung von Auswahlbänden.
Je M. 1,80 geh., M. 3 geb. Düsseldorf u. Leipzig, K. R Langewiesche
144 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Bis jetzt liegen die Bände vor: Garlyle, Luther, £. M. Arndt, Buskini
Deutsche Volkslieder.
3) Alfr. Tobler^ Das Volkslied im AppenzeUer Lande. Nach
mündlicher Überlieferung gesammelt (Schritten der Schweizer Gesell-
schaft far Volkskunde, lil). Zürich, Juchli & Beck, 190a III,
147 S. M. 2,80.
4) C!oIin. SchamaDD, Lübeckisches Spiel- und Ratseibuch. Lübeck,
Gebr. Borchers, 1905. XXII, 208 S. 8.
5) O. Knoop^ Volkstumliches aus der Tierwelt (Beiträge zur
Volkskunde der Provinz Posen, 1. Bandchen). Aogasen, Selbstverlag
des Herausgebers, 1905. IV, 68 S. 8.
6) A. Bud. Jenewein^ Das Höttioger Peterlspiel. Ein Beitrag
zur Charakteristik des Volkstums in lirol. Innsbruck, Wagner, 1903.
DenUy Alt-Innsbrucker Hanswurstspiele. Nachträge zum <Höt-
tinger Peterlspiel'. Ebenda. 201 S. 8.
7) J. F. D. Blöte, Das Aufkommen der Sage von Brabon Sil-
viuS; dem barbarischen Schwanritter (Verhandlingen der Koning-
lijke Akademie van Wetenschappen te Amsterdam, Afdeeling Letterkunde;
Nieuwe Reeks, V. 4). Amsterdam, J. Müller, 1904. VI, 127 S. gr. 8.
8) Aloys Dreyer, Franz v. Kobell (Oberbayrisches Archiv für yater-
ländische Geschichte. Band LH, Heft l). München, Verlag des histori-
schen Vereins für Oberbayern, 1904. X, 132 S. 8.
9) Bibliothek deutscher Schriftsteller aus Böhmen. Herausgegeben
im Auftrage der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft,
Kunst und Literatur in Böhmen. Band XI--XIV. (XI: A. Stifters
sämtliche Werke, 1. Band: Studien, herausseg. von August Sauer.
Mit dem Bildnis des Dichters und 2 Lichtdruck tafeln. — XII: Das-
selbe, 14. Band: Vermischte Schriften, 1. Abteilung, herausgeg. von
A. Horcicka. Mit 18 Lichtdrucktafeln. LXXXV, 402 S. —XIII:
Ausgewählte Werke des Grafen Kaspar von Stern berg, 1. Band: Brief-
wechsel zwischen Goethe und Sternberg (1820 — 1832), herausgeg. von
August Sauer. Mit 3 Bildnissen Stemberffs. LI, 434 S. — XlV:
J. Mathesius, Ausgewählte Werke, 4. Band: Mandsteine. Herausgeg.
von Lösche. Mit 2 Lichtdrucktafeln. 704 S. Prag, Calve (J.Koch),
L904. 8.
10) A. W. Fischer, Über die volkstümlichen Elemente in den
Gedichten Heines (Berliner Beiträge zur germanischen und romaui-
sehen Philologie, germanische Abteilung 15). Berlin, A. Ehering, 1905.
147 S. 8.
11) O. Weise, Unsere Muttersprache, ihr Werden und ihr Wesen.
5. verb. Aufl. Leipzig u. Berlin, B. G. Teubner, 1904. VIII, 2Ü4 S. 8-
12) M. Beheim- Schwarzbach, Deutsche Volksreime. Posen, Joio-
wicz. 42 S. 8.
13) G. Blumschein, Aus dem Wortschatze der Kölner Mundart
(Aus der Festschrift zum XI. deutschen Neuphilologentage.) Köln,
Neubner. 32 S. 8.
Seit unserem letzten Bericht (Band CXIII, 159 ff.) sind uns gröfsere
Arbeiten enzyklopädischer oder methodischer Art zur Volkskunde nicht
zugegangen, und das in den Zeitschriften aufgespeicherte Material mufs
bis zum nächsten Referat zurückgestellt werden ; auch von Monographien
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 145
über einzelne Gebiete haben wir nicht viel zu melden; immerhin bringt
die Arbeit von Orassl über die deutsch-böhmische Ansiedelung im Banat,
trotz ihres vorzu^weise kulturgeschichtlichen Inhalts, manches voiEskundlich
Interessante. 'Sie erzählt von deutschen Landsleuten des Böhmerwaldes, die
aus Not und Armut 1827 und 1828 in srofser Zahl ihre Heimat verlassen
haben und dem Rufe in die damalige Milit&rgrenze gefolgt sind, wo sie in
den unwirtlichsten Bergwäldern, damals an der Grenze der Türkei, fem jeder
Kultur, neue Ansiedelungen begründeten und unter jahrzehntelangen, har-
ten Mühen und Bedrängnissen aller Art sich endlidi zu menschenwürdi-
gen, ja behaglichen Verhältnissen emporringen sollten.' Der Verfasser,
dessen Eltern selbst an der Auswanderung teilgenommen haben, richtet
natürlich vor allem seinen Blick auf die Entwickelung der wirtschaftlichen
und politischen Verhältnissa Immerhin werden im 5. Abschnitt: *Die
Jahreszeiten mit ihren Arbeiten und Festen', Sitten und Bräuche reichlich
und anschaulich beschrieben, während Volksdichtung und Mundart er-
heblich schlechter wegkommen. Dabei stellt der Verrasser fest, dals von
den vier wichtigsten, bei der ursprünglichen Ansiedelung hervortreten-
den mundartlichen Schattierungen das Niederbayrische, die Sprache des
vorzugsweise Ackerbau treibenden Teiles der jungen Bevölkerung, den
Sieg an sich gerissen hat. Wir würden nun gern hören, ob sich hinsicht-
lich der Gebräuche dasselbe beobachten läfst, doch verfährt der Verfasser
hier meist deskriptiv und begnügt sich mit einem farblosen ,hier und da',
wo wir rdn liehe Scheidung erwarteten.* Die noch wichtigere Frage, wie
weit sich etwa in den Texten der Volkslieder und ähnlicher, besonders
durch den Reim gebundener Erzeugnisse der Volkspoesie das Überwiegen
eines oder des anderen Teiles der Bevölkerung nachweisen lasse, liegt G.
fern. Vielleicht regt aber seine schöne Arbeit andere Forscher an, zu-
nächst einmal das Material zu sammeln, das ja dann im Vergleich mit
den reichen Sammlungen der deutsch - böhmischen Gesellschaft bei der
nötigen Vorsicht manchen interessanten Schlufs ziehen lassen dürfte.
GrÖlsere Sammlungen von Märchen, Sagen und Liedern nach dem
Volksmunde sind in der Berichtszeit nicht erschienen, doch können wir
mit Befriedigung auf eine zu literarischen Zwecken veranstaltete Samm-
lung volkskundlichen Materials verweisen, die weiter Verbreitung würdig ist.
Die verständig geleitete und vornehm ausgestattete Sammlung Lebende
Worte und Werke, die sich, einem Zuge der Zeit folgend, um die Bergung
des 'eisernen Bestandes' in den Werken älterer Autoren bemüht, brinfl^
auch in einem dieser Bände Von rosen ein krenxelem, d. h. eine Auswahl
von etwa hundertfünfzig Volksliedern, die Stierling aus älteren und neue-
ren Sammlungen treu und geschickt zusammengestellt hat. Das mund-
artliche Element spielt dabei eine grofse Rolle, auch Auiserdeutsches bleibt
nicht ganz fem. Mit welchem Recht freilich der Herausgeber behauptet:
'Das nur im Dänischen erhaltene Lied von Herm Olof kann mit gleichem
Recht für Deutschland in Anspruch genommen werden' (8.227), sehe ich
nicht ein. Auch scheint uns seine Anordnung bisweilen etwas willkürlich
und reifst uns ans einer Stimmung in die andere. Im ganzen aber sei
das Buch, das solche Perlen, wie den 'Herrn von Falkenstein', den 'linden-
* Wenig ist uns natSrlich auch mit so vagen Bemerkungen gedient; wie 8. 121
unten: ^Noch mufs bemerkt werden, dafs die Hochseitsgebriuche in den vier
deutsch-böhmiichen Ansiedelungen hier und da von den beschriebenen unwesent-
lich abweichen, ja, in ein und demselben Orte nicht mehr die gleichen sind und
auch die gleichen nicht bleiben, was aber su bedauern ist, weil der nationale
Charakter dabei mehr und nlehr verwischt wird.' Hier muftten die Differenzen
mindestens an Stichproben aufgezeigt und dabei auch zwischen den Qenerationen
geschieden bezw. die Überlieferungen der n&ohsten Umgebung vergleichend heran-
gezogen werden.
AfdüT t n. Bpnchen. GXVL 10
146 BeniteilüDgen und kurze Anzeigeo.
Schmidt' usw., der Q^genwart wieder näherbrinrty bestens empfohlen, wo
es nicht eine Unterlage für wissenschaftliche Untersuchungen, sondern
ein Hilfsmittel zur ersten Orientierung über das Wesen des deutschen
Volksliedes gilt
Mehr den Sammlungen von Volksreimen und dergleichen nähert sich
die schöne, wertvolle Arbeit A. Toblers über Dtu vMalied im Äppen-
xdler Lande, die Texte und Weisen in die Darstellung selbst verwebt
Im ganzen ergibt sich doch auch hier wieder ein ähnliches Resultat wie
bei so manchen anderen Sammlungen in den Bergländem: unsere alten
Balladen und der gröfste Teil unserer Liebeslieder sind dort so gut wie
unbekannt; lustige Tanz- und Necklieder bilden den Grundstock und be-
rühren sich noch am ehesten mit dem binnendeutschen Gut; dazu kommt
dann eine grolse Anzahl spezifisch sdiweizerischer und appenzellischer
Texte, auch manches in den Volksmund übergegan^ne Kunstlied und
die Erzeugnisse religiöser Lyrik. Es mglste eine reizvolle, freilich auch
schwierige Aufgabe nir einen geborenen Alpler sein, den Tendenzen nach-
zugehen, die für die Auswahl, Übernahme und Beibehaltung der önzelnen
Nummern im Schweizer Volksmunde bedeutsam geworden sind. Lobend
anzuerkennen ist noch, dals Tobler auch ältere Quellen nach Kräften
auflgeschöpft, vor allem sein Buch auch nicht den Vierzeilem und Schna-
derhüpfeln, Jodlern und Kuhreihen, Nachtwächter- und Sennsprüchen ver-
schlossen hat — Reime und Rätsel vom anderen Ende der deutschen
Welt bringt uns Schumann, als erfolgreicher Sammler volkskundlichen
Materials wohlbekannt Den Hauptbestandteil sdnee Buches bilden die
lübischen Spiele und Spielrein^ie, die er treu nach dem Volksmunde auf-
zeichnet, teils in der Mundart, teils in der neuerdinss eingetauschten oder,
*me besonders bei den Reimen und Gesellschi^ftsspiden, aus Mitteldeutsch-
land mitgebrachten' hochdeutschen Form. Dals Schumann in seinem
Herzen noch immer der m3nthologiBchen Erklärungsmethode anhängt und
aus diesem Glauben auch öffentlich kein Hehl macht, ist betrüblich, kann
uns aber in der Freude nicht beurren, mit der wir seine von eelehrten
Schrullen allem Anschein nach unberührten Materialsammlungen luis solche
begrülsen. Die Parallelen sind so spärlich, daJb sie eigentlich besser ganz
w^geblieben wären. Von Wert sind sie eieentUch nur da, wo man sich
auieine mit dem vollen, heute erreichbaren Variantenmaterial ausgestattete
Sammlung beziehen kann, wie für die Rätsel auf die ausgezeichnete Arbdt
Wossidlos. Ganz neues Material wird wenig zutage gefördert, dagegen
ist von den schönen, idten, vierzeiligen, gereimten &tseln mandies Stück
im lübischen Volksmunde erhalten und wird hier in interessanter Version
mitgeteilt Natürlich stellen auch hier die Scherzfragen einen sehr be-
träcntlichen Bestandteil des Rätselschatzes dar, und mre Zahl hätte sich
wohl noch bedeutend vermehren lassen. Indessen wäre hier überhaupt
kaum eigentlich neues Material beizubringen; auch ist der Wert dieser
Dinge für die stammheitliche Volkskunde gering, und das Material für
die psychologische Durchiorschung der betreffenden Denkformen ist reich-
lich ^anmielt und harrt nur der wissenschaftlichen Bearbeitung. — An
WoBBidlos treffliche Arbeiten erinnert auch die kleine, wertvolle Samm-
lung; O. Knoops, der seine Darlegungen mit dem betrübenden Bekenntnis
beginnen muls: 'Seit dem Erscheinen meines Posener Sagenbuches (Posen
189<i), das trotz seines Umfanges und reichen Inhaltes doch nur ein
Bruchstück ist, ist von deutscher Seite für die Volkskunde des Posener
Landes fast nichts geschehen, und die reichen Schätze an Volkssaja^en und
Aberglauben, an Sitten und Gebräuehen, die noch vorhanden smd und
auf die ich schon vor Jahren hingewiesen habe, blieben bisher ungehoben.'
Ja, eine gröisere kujavische Sagensammlung, die der Lehrer Szulczewski
zusammengebracht hat, harrt noch eines mutigen Verlegers. Diese Ver-
hältnisse smd innig zu beklagen. Kolonisationsgebiete sind das ergiebigste
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 147
Arbeitsfeld für alle Untersuchungen über die eigentümlichen Wandlungen
volkstümlicher Überlieferungen, die sich aus dem Zusammenstols heteror
gener Stamme ergeben. Hier waren nicht blois rein inhaltliche oder
stilistische Änderungen einzelner Lieder, Märchen usw. zu verfolgen, son-
dern vor allem festzustellen, was der eine Stamm aus dem Erinnerungs-
schatze des anderen sich aneignet, was er abstöfst, was er nach seinem
Greschmack ummodelt, wie weit er sich in der Ausdrucksweise von den
anderen beeinflussen laust usw. Hier könnte sich die Posener Akademie
auch um unsere Wissenschaft ein wahres Verdienst erwerben und einer
verständigen, auf wissenschaftliche Erkenntnisse begründeten Propaganda
des Deutschtums wertvolle Fingerzeige vermittein. Zunächst müssen wir
so tüchtigen und geschulten Sammlern wie Knoop für ihre Mühe dankbar
sein. Er führt hier in alphabetischer Beihenfolffe die Tiere auf, an die
sich irgendwie volkstümliche Anschauungen anschlielsen. Deutsches und
Polnisches wird durcheinandergebracht, die örtliche Herkunft des Beleges
jeweils ange^ben. Die Mehrzahl der beigebrachten Überlieferungen gehört
ins Gebiet des Aberglaubens, doch fehlen auch Volksrätsel, Tierstimmen-
deutungen, Sprichwörter und dergleichen nicht. Augenscheinlich sind die
gereimten Produkte hier weit weniger zahlreich, als z. B. in Mecklenburg.
Wertvoll und von jeanz besonderem Interesse für die Leser unserer
Zdtschrift ist die neue Veröffentlichung von Jene wein, der sich bereits
früher durch den Abdruck des HoUinger Peterlspiels um die Erforschung
der tirolischen Volksbühne verdient gemacht hat. Die hier vereinigten,
^öfseren Stücke, in denen allen Hanswurst eine sehr wichtige, bisweilen
Fast das Interesse ganz auf sich konzentrierende Bolle spielt, sind uns
zum Teil nicht mehr unbekannt. Schon 1897 konnte Erich Schmidt
auf Vermittlung von Brandl an dieser Stelle, Band XCVIII, 1 ff., zwei
Volksschauspiele: Don Juan und Faust, veröffentlichen. Sie erscheinen
auch hier wieder, doch zum Teil in abweichender Form. Leider hat der
Herausgeber, der weniger mit dem Interesse des wissenschaftlichen For-
schers als des Dilettanten an seine Aufgabe herantrat, nicht blols die
oft sehr mangelhaften Bezeichnungen der Sprache in den handschriftlichen
Texten vereinheitlicht und die für den L^er unentbehrlichen szenischen
Bemerkungen eingefügt, sondern er 'hielt sich für berechtigt, hier und da
etwas zu restaurieren, zu verbinden, ja sogar noch etwas unterzuschieben'.
Das ist um so schlimmer, als es ihn 'gelockt hat, einige von Schmidt im
Anhange zum Faust separat gebrachte Hanswurstszenen dem Ganzen noch
anzugliedern, welche Einbeziehungs- und Verbindungsarbeit natürlich nicht
ohne einige Willkürlichkeiten geschah.' Das ist im höchsten Grade be-
dauerlich, und wir möchten den geschätzten Herausgeber, dem wir ja für
seine Mitteilungen im übrigen zu aufrichtigem Dank verpflichtet sind,
dringend darum bitten, sämtliche von ihm vorgenommenen Ab-
weichungen zum mindesten in einer volks- oder landes-
kundlichen Zeitschrift, etwa in den Veröffentlichungen des
F'erdinandeums, nachträglich zur Kenntnis der an seiner
Ausgabe philologisch interessierten Kreise bringen. Glück-
licherweise nat er auf der anderen Seite von jeder 'Eeini^ung' der Texte
unter engherzigen pädagogischen Gesichtspunkten f;änzlich abgesehen,
während seine Individualität bisweilen in rein persönlichen Anmerkungen
etwas zu deutlich in den Vordergnind tritt. Was geht es uns an, wenn
Herr Jenewein die alten Jungfern schon bei Lebzeiten ins Moos wünscht
(169), oder wenn er S. 189 bedauert, dafs der Teufel noch einmal erscheint,
um Kasperle zu vexieren? AuTser dem Don Juan- und Faustspiel, wel-
ches letztere gegenüber der von Erich Schmidt mitgeteilten, ziemlich kor-
rumpierten Form immerhin einige Verbesserungen erfährt, ist der wich-
tigste der mitgeteilten Texte derjenige der Innsbrucker G^noveva, der, so-
weit ich die bisherigen Aufzeichnungen überblicken kann, eine wertvolle
10*
148 Beurteilungen und kurze Anzeig;en.
Bereicherung unseres Materials darstellt Da Prof. Am m an n in Erummau,
der verdienstvolle Herausgeber (leider bisher eben nur Herausgeber) der
VoUcssehausjnele des Böhmertoaldes, seine Hand auf die Geschichte der von
ihm mitgeteilten Spiele gelegt, sein Wort freilich bis heute nicht eingelöst
hat, so will ich von einer eingehenderen Behandlung des neuen Textes
zuvörderst absehen, obwohl die Vergleidiune mit den übrigen Versionen
verlockend genug wäre. Zu bemerken ist, dafs das ^anze Stück in vier-
hebigen, hinsichtlich der Senkungen sehr unregelmäfsigen Versen abgefa&t
ist; der Don Juan zeigt vorwiegend dreihebige Beihen, der Faust meist
Alexandriner, die folgenden Soierzspide mengen drei- und vierhebige
Zeilen mit trochSischen durcheinander. Unser Text ist so verderbt, diäs
der treue Diener, den Golo sträflichen Umgangs mit der Pfalzeräfin be-
zichtigt, gar nicht mehr auftritt, noch auch erwähnt wiid. Ob hier päda-
gogiscne Bedenken vorlagen ? Jedenfalls zei^ das Ganze eeistlichoi Ein-
nufs. Der Engel, der im Volksbuch und m der Mehrauil der übrigeo
Texte (soweit icn sie im Augenblick zur Hand habe) erst der verzweifdo-
den Genoveva in ihrer Waldeseinsamkeit erscheint, muTs hier schon früher
eingreifen, um die Ermordung der Genoveva durch die Henkersknechte zu
vereiteln, wozu übrigens Hanswurst nicht gehört, wie etwa in Engels Text
Vielmehr ist dieser au^nscheinlich der gute Geist im Spiel, der dem
Golo von vornherein feindlich gesinnt ist. Wohl möglich, dafs, wie die
eigentlichen Verleumdungen und die Hexenszenen ausgefallen sind, so
auch eine früher vorhandene Aufklärung des Pfalzgrafen durch Hanswurst
geschwunden ist. Ohne diesen kommt natürlich auch der Schluls nicht
aus, und sein rechter Widerpart im Puppenspiel, der Teufel, ist dabei, um
den Golo zu holen. Kaspar und Teufel sind die beliebtesten Figuren in
unseren Spielen, und den Ansprüchen des Bösen auf 'dnen Teil seines
Leibes' weils der lustige Diener in dem letzten Spiel Die BratUwerbung
auf sehr derbe Art zu erfüllen, wie er sidi anderseits den Geistern der
alten Jungfern im Sterxmger Moos schlau entwindet, indem er sie in
Elif ersucht aufeinanderhetzt, so dafs sie schliefslich der Zwietrachtsteufel
holt. Von dieser letzten Nummer vor allem mögen die Worte gelten, die
der über seine Sammlung nicht allzu optimistisch denkende Herausgeber
in der Einleitung ausspricht: 'Zu welcner Zeit die vorliegenden Stücke
entstanden sind, läfst sich leider nicht mit Bestimmtheit angeben. Jedoch
steht zu vermuten, dafs sie insgesamt nicht über die Befreiun^kri^e
zurückreichen. Nach meiner Schätzung dürften sie alle so um die Mitte
des vorigen Jahrhunderts entstanden sein und alle somit noch mehr der
Individualpoesie als der eigentlichen Volkspoesie anffehören. Irgend ein
witziger Kopf hatte sie für einen bestimmten Kreis damals ersonnen und
zum besten gee;eben, dabei sie aber wohl auch selbst niederf^eschriebeii,
80 dafs jene Verschmelzung mit dem Volksgeiste, welche eine längere
mündliche Überlieferung bei solchen Dingen bewirkt, und welche aus
der Individualpoesie ja auch erst die Volkspoesie macht, hier noch nicht
Platz greifen Konnte.' Wenn wir bedenken, dafis J. K. v. Pauersbach,
Sekretär am N.-Ö. Landrecht in Wien, für das Marionettentheater des Für-
sten Esterhazy ein Genovevaspiel schrieb (Golz, Pfakaräfin Oenoveva in
der deutschen Dichtung, Leipzig 1897, S. 159), so werden wir gerade bei
dem sentenziösen, fast pikanten, mit bewufster Nachahmung der Hexen-
szene des ^Macbeth' arbeitenden Altjungfemspiel am ehesten an solche lite-
rarische Entst^ung jglauben. Den volkstümlichen Kreisen näher stand
wohl der Verfasser der derben Szene vom 'kranken Wirt', dem der ^
prellte Handelsjude den Bauch aufschwellen macht, bis ein 'zufällig im
Theater anwesender' wohlbekannter Kurpfuscher (er starb um I87u) auf
eine sehr drastische Weise die Heilung bringt, um dann wieder auf seinen
Platz zurückzukehren, weil ihm das Spiel so gut gefällt. Diese Durch-
brechung der Illusion und dies unmittelbare 'Anulken' lebender Mitglieder
BearteiluDgen und kurze Auzeigen. 149
der GemeiDde dürfte gauz modern sein und könnte allerdings das Puppen-
spiel zu einer gefährlichen Waffe in der Hand irgendeiner dörflichen Par-
tei machen und ihm damit zu einer Neubelebung verhelfen, von der sich
die alten Pup^nspieler mit ihrer künstlerischen Objektivität nichts träu-
men lieisen. übrigens sind doch auch diese nicht ausgestorben, wenn-
fleich ihre Texte mehr und mehr korrumpiert werden, fdi selbst konnte
ürzlich in der Zeiisekrift des Vereins für Volkshunde (1905, Heft 3) ein
fränkisches Faustspiel veröffentlichen, und der Puppenspieler Schmidt, von
dessen Bühne jene Version stammt, spielt unter anderem noch 'Genoveva',
das 'verwunschene Schlofs' usw. Es gilt auch hier aufzupassen und das
noch Erreichbare treu und behutsam zu bergen.
Die Probleme der Sagenbildung berührt die Arbeit von Blöte. Der
Verfasser trachtete noch vor einem Jahrzehnt (Zeüsehrift für deutsches
Altertum XXXVIII, S. 272), die mythischen Elemente der Schwanritter-
sage festzule^n, wies dabei auf die in den Überachwemmungsgebieten
des Niederrheins und der Scheide früher noch als Lenzboten regelmäßig
auftretenden wilden Singschwäne hin, die von der keltischen Bevölkerung
mit ihrem Lichtgotte Lueus, später aber von den germanischen Batavern
mit ihrem Gotte Tius in Verbindung gebracht wurden, und deutete somit
das Ganze auf einen Frühlin^mythus (mit dem Sommer verschwinden die
Schwäne, zieht der lichte (^tt von dannen). War hier die mythologi-
sierende Phantasie des Verfassers vielleicht ein bifschen üppig ins Kraut
geschossen, so verhält er sich jetzt um so skeptischer, sieht in dem Schwan -
nachenmotiv sowie im Frageverbot mehr untergeordnete Bestandteile der
Sage und sucht das Zustandekommen des ganzen Komplexes mehr mit
den Hilfsmitteln historischer Kritik zu begründen, wobei er der Selbstän-
digkeit fürstlich-genealorächer Legenden praxis augenscheinlich zu viel, der
Zäigkeit rein volkstümlicher Überlieferungen zu wenig Bedeutung ein-
räumt. Natürlich ist die stimmungsvolle Sage vielfach für dynastische
Zwecke verwandt worden, vor allem in den Häusern Boulogne-BouUlon,
Brabant und Cleve. Für das letztere Fürstengeschlecht hat nun Bl. (Zeit-
sekrift für deutsches Altertum XLII, S. 1 ff.) zur Evidenz nachgewiesen,
wie von selten der Chronisten in der ersten Halte des VX Jahrhunderts
die um 1200 schon bekannte, aber noch nicht historisch verwertete Sage
geflissentlich mit der Genealogie des schlesischen Hauses verknüpft wira,
um dann im 15. Jahrhundert, wo Cleve zum Herzogtum erhoben wurde,
ihre eigentliche Blüte zu erleben. Schwieriger ist die Frage nadi der Ver-
bindung des Fürstenhauses von Brabant mit der Schwanrittersage zu lösen,
eine Fr^e, die für uns um so interessanter ist, als ja Wolfram von Eschen-
bach und nach ihm Konrad von Würzburg, der jüngere 'litiurel und der
'Lohengrin' die Herzöge von Brabant Bick zur Abstammung von dem
Schwanritter bekennen lassen. In französischen Dichtungen wird den
Brabantern diese Herkunft nirgends zugesprochen, und bei aen Deutschen
scheint Gottfried von Bouillon erst dann mit den Brabantern verbunden
zu sein, als an Stelle des 'Herzogs von Niederlothringen' sich immer mehr
die Bezeichnung 'Herzog von Brabant' einbürgerte. Man kann verstehen,
dafs bei solcher Namensübertragung auch das Sagenmotiv selbst auf das
andere Geschlecht mit vererbt wurde, doch hat Bl. wohl recht mit der
Ansicht, dafs zu der schnellen und gründlichen Verknüpfung der Saee
mit den Brabantern der Wille der letzteren mitgewirkt nahe. Er sucht
demnach die Zeit zu bestimmen, zu welcher die Herreu von Brabant die
Schwanenstammsage gleichsam rezipiert haben. Wenn freilich die Tat-
sache, dafs die mit den Grafen von Loewenstamm verwandten Hennegauer
sich keiner Herkunft vom Schwanritter rühmen, zur Bestimmung des ter-
minus post quem verwendet werden soll (die Sage könnte unter diesen
Umständen erst im 12. Jahrhundert, nach Abtrennung des hennegauischen
Zweiges, von den Brabantern angenommen sein), so uegt hier unseres Er-
150 Beurtdlungen und kurze Auzeigen.
achtens ein methodisches Bedenken yor: ganz aus freier Lnft greift ^n
Fürstenhaus derartig 8a^n doch nicht, zum mindesten werden sie dann
nicht so voikstümbch wie gerade die Schwanenherkunft der Brabanter;
hier muTs das Volk schon selber mitgewirkt haben, und es ist zum min-
desten sehr wahrschein lieh j dafs eine volkstümliche Tradition, die von oben
her sicherlich begünstigt wurde, den Glauben an die geheimnisvolle Her-
kunft des Fürstenhauses trug und nährte, lange ehe er offiziell kanonisiert
wurde. Den termintis ad quem bietet Maerlants tadelnde Bemerkung über
den Stammeshochmut der Brabanter, von denen er nunmehr Gottfrieds
Stamm zu sondern trachtet. Alir macht seine Haltung fast den Eindruck,
als habe er die offizielle Anerkennung der Sage durch die Herzöge als
eine vor gar nicht so langer Frist erst erfolgte Tatsache in noch frischer,
anmutiger Erinnerung. «Jedenfalls ^dit aus seinen Worten auch hervor,
da£« die Schwaneage in enger Yerbmdung stand mit der genealogischen
Verknüpfung des Brabanterhauses mit Gottfried von Bouillon, und da die
Häuser von Boulogne und Brabant noch im 12. Jahrhundert streng ge-
schieden sind, so mufs nach der Ansicht Blötes eine fürstliche Hdrat die
enee Verbindung beider Linien und damit auch ihrer Stammsagen im
VolksbewulBtsein vermittelt haben. Wie weit diesem Argument Tragweite
beigemessen werden kann, weiüs ich. nicht zu sagen. Systematische Beob-
achtungen über Einwirkungen, welche äuTserliche Verhältnisse, wie fürst-
liche Hochzeiten, die freilich zu jener Zeit tiefer ins Volksbewufstsein ein-
schneiden mochten ab heute, auf die Überlieferungen der Völker aus-
übten, sind meines Wissens noch nicht angestellt worden. Jedenfalls
kommt Bl. zu folgendem Ergebnis: Heinrich I., der Krieger, der vierte
Herzog von Brabant (1190—1235), heiratet 1179 Mathilde von Boulosne
(t 1211). Durch diese Verhältnisse ist Heinrich auch eine Zeitlang (bis
1191) Graf von Boulo^e. Die Kinder seiner Ehe heiJGsen mit Fug S^ach-
kommen des Schwanritters, und zwar infolge der Herkunft der Mutter.
Und hier glaubt Bl. allerdings dem Volksmunde die erste Verbindung
der immer mehr in ein ideales Licht rückenden C^talt Gottfrieds von
Bouillon mit der alten Schwansage zutrauen zu dürfen. Durch welche
psychologische 'Hilfe' freilich diese Verbindung zustande kam, versucht
er nicht zu bestimmen, obwohl ihm bei seiner eindringenden Kenntnis
aller einschlägigen Faktoren diese Bestimmung noch am ehesten möglich
sein dürfte. Der Hinweis auf die negativen Faktoren, die einer streng
historischen Auffassung entgegenwirkten (S. 18), genügt natürlich nicht
Für die Fortpflanzung der Sage speziell im Brabanter Hause aber wurde
dann die obenerwähnte Identinzierung von Brabant und Niederlothringen
wichtig, denn der letzteren Linie gehörte das Stammschiols Bouillon. Das
alles konnte natürlich wieder nur für die regierenden Kreise gelten und
sagt uns noch nichts über die Ummodelung der Sage im Volksmunde.
Übrigens können die Anschauungen Wolframs ganz wohl durch höfische
Vorstellungen beeinfluiät sein, anderseits ist freilich ein stetes Hin und
Her zwischen rein populären und dynastischen Anschauungen gerade für
jene Zeit nicht ohne weiteres auszuschlieüsen. BL macht es wahrschein-
lich, dafs die Form der im Brabanter Hause gepflegten Schwanrittersage
diejenige der Chansotu du Chevalier au cygne war, wonach der Stammherr
selost als Schwan gedacht wurde. Dann scheinen im 14. Jahrhundert die
mythischen Züge zugunsten einer rationalistischen Umdeutune abgestreift
zu sein. In der Chronik des Hennen von Merchtenen (Anfang des 15. Jahr-
hunderts) wird die Herkunft der Brabanter auf Nachkommen des Priamus
zurückgeführt; ein junger Fürst aus dieser Linie, die zu Nimwegen re-
giert, verliebt sich als Gast des griechischen Kaisers in dessen Tochter
Swane, die mit ihm flieht, Mutter Julius Cäsars wird und nach seinem
Tode das Land zwischen Scheide und Rhein regiert. Inzwischen hat sich
ihr Bruder Oktavian aufgemacht, um die Verschwundene zu suchen. Wäh-
Beurtdlnng«! und kurae Anzeigen. 151
rend er zu Cambrai lagert, reitet einer seinOT Bitter, Breboen, einem wun-
derschönen Schwan nach, der ihn Bchliefslich zu Bwane führt, wo er
freundlich aufgenommen und ihm ein Erkennungszeichen für Oktavian
eingehändigt wird. So vermittelt er die Zusammenkunft der getrennten
Geschwister und wird zum Lohn für manche bestandene Heldentat mit
Swanes gleichnamig Tochter vermählt und das Land nach ihm Brabant
getauft. Gerade die historischen Widerspruche, die hier vorliegen und
von Bl. scharf betont werden, lassen doch wohl darauf schlie&en, dafs es
sich um keine künstliche Mache handelt, nicht um eine von dem höfischen
Historiographen mühselig zusammengeklaubte Fixierung, sondern um die
zunächst wohl mündlich vollzogene Verschmelzung verschiedener Sagen-
kreise mit der alten Schwanensage und um nachträgliche Versuche,
diesem Sagenkomplex eine geschichtliche Sanktionierung zu geben. Aber
auf diese eigentliche Kernfrage im Sinne der Sagenkunde gät Bl. nicht
ein, und demjenigen, der niäit wie er die gesamte Literatur zu über-
schauen vermag, wäre ein Nacharbeiten auf diesem Gebiete wohl ein Ding
der Unmöglichkeit. Immerhin beginnt mit der Bearbeitung durch Hennen
eine mehr literarische Periode im Fortleben der Sage, aas von nun ab
mehr historisches als volkskundliches Interesse hat. Handelt es sich doch
im allgemeinen um die Ausfüllung der genealonschen Lücken, einmal
zwischen Brabon und Earleman, anderseito von Noah über Troja bis auf
Brabon Sylvius. In diesen späteren Versionen, ja schon bei Hennen sind
diejenigen Züge der alten Sage, die für uns besonders charakteristisch sind,
die geneimnisvoUe Fahrt aus dem Wunderlande im Nachen, der vom
Schwan gezogen wird, und das Verbot der Fräse nach der Herkunft spur-
los verschwunden, der Kern zugunsten der Säale eeopfert. Wenn also
auch BL's Buch uns wenig über die ei^ntliche volkstümliche £nt-
wickelung des Motivs oder gar über seme Entstehung sagt, so bietet er
doch dem Volksforscher ein mit tiefer Sachkenntnis und, was das eigent-
lich Geschichtliche anlangt, mit kritischem Geiste durchgeführtes Beispiel
jener Schicksale, denen Volkstraditionen auf ihrem mehr Bterarischen Ent-
wickelungsgan^e ausgesetzt sind.
Im Anschfufs an die Volkspoesie gedenken wir der Kunstdichtung im
Volkston. Dem bekannten ob^bayrischen und pfälzischen Dialektdiditer
Franz von Kobell widmet Dreyer eine fleifsiffe, aber weder mit echter
biographischer Kunst in die Ticae der Persönlicmkeit eindringende und die
einzelnen Lebensäu&erungen zu einheitlichem Bilde rundende, noch auch
eigentlich literarhistorische Darstellung. Er schildert daa an grolsen Er-
echütterungen arme Leben des Gelehrten und Dichters, sucht durch ein-
zelne Stichproben seine über den Durchschnitt des gebildeten Mannes
nicht eben erhabene 'Weltanschauung' zu skizzieren, schildert seine litera-
rischen Beziehungen und gibt dann unter dem etwas irreführenden Titel:
'Überblick über Kobells literarische Bedeutung* (S. 69 ff.) eine deskriptive
Charakteristik seiner Dialc^tdichtun^, wobei er die mehr städtischen und
reflektierenden Pfälzergedichte geschickt gegen die mehr ländlichen, naiven,
aber doch in Anschauungs- und Ausdrucksweise nicht immer echt volks-
tümlichen, altbayrischen sich abheben läfst Aber ich weiia nicht, wie weit
der Nutzen solcher atomistischen Darstellun^weise reicht; Kobell ist doch
schliesslich als Dialektdiditer kdne Persönhckeit von geradezu typischer
Bedeutung; er kommt doch nur als ein Glied in einer ^oiaen Entwicke-
lungskette in Betracht und mufste als solches charaktensiert werden ; was
nützen die paar Notizen über den unmittelbaren Zusammenhang mit seinen
Vorbildern, z. B. auch mit dem Volksliede, über die 'Einwirkungen', die
er empfangen, und die 'Anregungen^ die er ausgestreut hat Es mufste
seine ganze Technik mit denen seiner Vordermänner und Nebenleute ver-
suchen werden, damit klar hervortrat, worin die Eigentümlichkeiten des
Richters bestäien, und damit aus der Arbeit der G^chichte der Dialekt-
152 Beurteilungen und kurae Anzdgen.
dichtung überhaupt ein Vorteil erwuchs. Bisweilen hätte doch ein Ver-
gleidi etwa mit Anzenffruber bo nahegelegen, z. B. hinsichtlich jener No-
vellen, die auf die Heuung von töricnter Gespensterfurcht hinauslaufen;
auch Kobells seltsames Ungeschick, sich in hochdeutscher Sprache poetisch
auszudrücken, fordert doch zur Parallele mit Anzengrubei^ und mit Bai-
mund, sowie zur Kontrastierung mit Stieler heraus. Übrigens erhält
Dreyers Büchlein einen besonderen Wert durch eine umfänglidie Biblio-
graphie, deren Vollständigkeit ich freilich nicht nachprüfen kann, durch
ein dironoloeisches Verzeichnis der in den Sammelbänden erschienenen
Gedichte Kobells (leider ist aber auf dieser Grundlage keine eigentliche
Entwickelungsgeschichte seiner Anschauungen und seiner Technik ver-
sucht worden), femer durch die Mitteilung einiger ungedruckten Gedichte
und Briefe des Dichters.
Eine stärkere dichterische Persönlichkeit als Kobell, doch ihm nahe
verwandt in der durch eifrige, wissenschaftliche Forschung genährten innigen
Vertrautheit mit der Natur, ist Adalb. Stifter. *Sein Ruhm ist im Auf-
steigen begriffen, immer reiner und klarer erstrahlt sein Bild. Nicht nur
als Naturschilderer und Kleinmaler wird er anerkannt, der kräftige Realis-
mus, auf dem seine ganze Dichtung ruht, verleiht seinen bodenständigen
Schöpfungen eine eiserne Gesundheit. In einer Zeit, die die Heimatskunst
über alles hochschätzt, wird der Wert dieses echten Heimatskünstlers
immer stärker empfunden. — Festwurzelnd in seiner geschlossenen Lebens-
und Weltanschauung, errang er sich auch die Achtung derjenigen, die
diese Überzeugung nicht teuen können. ... Ein um sein angestammtes
Volkstum muti^ ringendes Geschlecht sidiit in ihm dn weithin ragendes
Wahrzeichen seines teuren heimatlichen Landes.' Um so dankbarer be-
grüfsen wir die grofse, mit wissenschaftlicher Kritik gearbeitete Ausgabe
seiner Werke, die uns die Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissen-
schidt usw. in Böhmen jetzt besdiert und deren Vorwort wir die eben
angeführten Worte entnehmen. Der sie schrieb, August Sauer, wandelt
nicht in ausgefahreuen Geleisen. Er sucht mit kräftiger Hand den 'förm-
lichen Rattenkönig von weitverbreiteten L^enden' zu zerstören, der sich
an Stifters Person angeschlossen hat, als sei dieser tapfere Selbstbezwinger
und Lebenskämpfer nur ein leidenschaftsloser Fanatiker der Ruhe gewesen ;
auch die literarische Stellung des Dichters wird schärfer bestimmt als
bisher. 'Aus innerer Verwandtschaft und äufserer Anregung zum selb-
ständigen und bewulsten Schuler Tiecks, Jean Pauls und £. T. A. Hoff-
manns geworden und als Fortsetzer und Erneuerer aller gesunden Elemente
der Romantik in die Literatur eingetreten,' rückt er in unmittelbare Nähe
zu Mörike; beide sind feinfühlige, zum Träumen geneigte Naturen, beide
sind 'tiefe Seelen forscher und doch schlechte Menschenkenner', aber 'Mörike
ist der weitaus gröfsere Künstler, Stifter gelang es, mit seinen verwandten
Schöpfungen viel stärker auf die Zeitgenossen zu wirken.' Der bd aller
warmen Liebe ruhige und von jedem ranegyrismus freie Ton der Einlei-
tung Sauers berührt uns besonders wohltuend und wird für die Einbürge-
rung Stifters auch in aufserböhmischen Kreisen mehr tun, als verhimmelnde
Festreden und derdeichen. Stifter bezeichnet den Höhepunkt einer Nach-
blüte der Romantik, wie sie eben in den Tagen des 'jungen Deutschlands'
in Österreich und wohl nur in Österreich in dieser Weise sich entfalten
konnte. Diesen romantischen Elementen ist Sauer mit feinem Sinne nach-
gegangen, Stifters Praxis gegen die Manifeste etwa eines Th. Mundt kon-
trastierend. Wir können auf die vielversprechende Ausgabe, die nicht blofs
die Werke im engeren Sinne, sondern auch alle bibliographisch wichtige-
ren Dokumente in sich vereinigen soll, hier nicht ausmhrlicher eingehen,
wünschen aber, dafs die unter Sauers Leitung augenschaniich recht eifrig
und mit gutem Erfolge betriebenen Studien über den deutsch-böhmischen
Dichter auch den eigentlich volkstümlichen Elementen in seiner Darstellung
Beorteilangen nnd kurze AnzeigeD. 153
und in sdnem Stile nachgehen machten. Freilich wird mit dem AbschlufB
solcher Studien bis zur Vollendnnf? der Ausgabe zu warten sein. Der von
Horcicka bearbeitete 14. Band läfst uns für die Folgezeit die reichsten
Aufschlüsse über die ästhetischen Anschauungen des Maler-Dichters er-
hoffen, ausgiebige Register sollen endlich den ganzen Reichtum in bequemer
Weise erschliefsen. — Noch reichere Ausbeute an volkstümlichen Anschau-
ungen, vor allem was Volksaberglauben und sprichwörtliche Weisheit an-
langt, versprechen des Mathesius' Predigten, insbesondere über das
Bergmannsleben, mit deren Auswahl Lösche seine wertvolle Ausgabe der
Schriften des ersten Lutherbiographen würdig abschliefst. Vor allem
die Sarepta, die Sammlung von Predigten und Traktaten, die ausdrück-
lich auf bergmännisches Publikum berechnet sind, liefert nach mancher
Hinsicht wertvolle Ausbeute. Unaufhörlich sprudeln sprichwörtliche
Redensarten hervor, teils mit Zitaten aus den klassischen Sprachen ver-
bunden, teils für sich und oft mit einer gewissen Lust gehäuft. Aus der
zweiten Predigt allein, *Von ankunfft der bergwerck*, die ich für diese
Besprechung eingehender durchgearbeitet habe, und in der Vorrede zum
ganzen Werke, insgesamt auf etwa hundert Druckseiten, läTst sich reiche
Ernte halten: 'Die armen Heiden hatten wohl läuten hören, aber nicht
nachschlagen' S. 8884, <der Apfel fällt nicht weit vom Baum, und das
Kalb gerät gewöhniglich nach der Kuh' S. 89 n, '£ulen hecken nicht
Sperber aus' S. 95 2o, «Arn Vater kennt man gemeiniglich die Kinder und
am Herrn das Gesind, und wie die Alten sungen, so zwitschern die Jun-
gen, a bove maiori discit arare minor' S. 97 30, 'Neu Geld, neu Plag, grofs
Geld, grofse Sorg und Gefahr' S. 112 8, «Arm macht reich wers Glück
hat' S. 1173, »Untreu trifft seinen eigenen Herrn und Unrecht Gut faselt
(wudelt S. 1363^) nicht' S. 187^, 'Es ist nichts so klein gespunnen, es
wird alles wieder an die Sonne kommen' S. 137 27, 'Wer ehe kommt, der
malt ehe' S. 188 ^7, <Ein Jeder für sich selber, Gott unser Aller Richter'
S. 141 <> usw. usw. Mit Vorliebe flicht der Verfasser auch Fabeln und
Sagen, auch volkstümliche Anekdoten, besonders religiösen Beigeschmacks,
miib ein. Er erzählt, mit Beziehung auf Petrus, das Märchen von den drei
verhängnisvollen Wünschen S. HO, oder die Fabel von der fleifsigen Ameise
und der faulenzenden und im Winter hungernden Heuschrecke S. 153 f.
Vor allem aber zeigt er seine eigene, ganz im Sinne des Volkes unerschöpflich
wirkende Phantasie bei der näheren Ausführung dieses Gleichnisses, und
dabei tritt seine Liebe zur Natur, eine inniee Versenkung in das Leben
und Treiben der Ameise wohltuend zutage, die diese Abschnitte zu einem
wahren Musterstück unserer älteren Prosa macht, das gar wohl der Auf-
nahme in unsere Lesebücher wert wäre. Nebenbei werden natürlich allerlei
Bergwerkssagen erwähnt, wie von der Auffindung des Goslarer Werkes
durch ein Pferd (S. 121), das Verschwinden von Kindern im Berge auf
das Locken eines Gespenstes, also eine Erzählung aus dem Sa^jenkreise
des Rattenfängers von Hameln ^ebenda); geistlichen Ursprungs ist wohl
die kleine Geschichte von der Anfertigung des Teufels durch einen Berg-
mann (S. 122), wozu andere erbauliche Berichte (S. 125 f.) zu vergleichen
wären. Brauch und Glauben werden nicht verschmäht: Mathesius ^eht
den Fastnachtsbräuchen nach (S. 111) und erwähnt dabei manches Trmk-
wort und Trinksitten: 'Wenn man flu^ süffe', meinen die Bergleute, 'so
wüchse das Erz' (S. 109):* er freilich ist anderer Meinung und liest den
Trinkern ebenso wie den Modenarren eine derbe Epistel, die dem deutschen
Lexikographen reiche Ausbeute verspricht (S. 89 ff.), wie anderseits die
Auseinandersetzungen über das Bergrecht (S. 138 ff.) für die Rechts-
geschichte in Betracht kommen. Vor allem aber dürfen natürlich die
* Vgl-Mie Erw&hnuDg der Scherzfragen S. 81 12, (VolkBmedizin S. 71 30 und die
wertvollen 'MitteUoDgeu fiber die Volkskunde seiner Heimat Rochlitz S. 71 — 72.
154 Beurteilimgen nnd knrz« Anzeigoi.
Speziallexika der technologischen Ausdrücke reichen Zuwachs erwarten,
und wir bedauern in diesem Sinne nur, daTs sich die Gesellschaft nicht
zur Drucklegung der ganzen Sarepta entschlossen hat; da der Anhang
zeigt, wie trefflich sich der Herausgeber in die oft recht dunkle und
schwierige Bergmannssprache, in die Anschauungen und Bräuche des^ Be-
rufs einzuleben wufste, hatte man doch von ihm gern eine kommentierte
Ausgabe des Ganzen erwartet. Immerhin ist das dargebotene Material
höchst dankenswert und eröffnet reiche Fundgruben fflr die Sprache der
Bergleute und Glasbläser. Freilich hat Lösche diese Gruben nicht ans-
^esdiöpft, denn sein ^Verzeichnis der häufiger vorkommenden Worte', das
im allgemeinen auch ohne Belege bleibt, kann für die bezeichneten Zwecke
nicht genügen. Aber den ganzen Sdiatz von bergmännischen Fach-
ausdrücken, den Mathesius' Sarepta birgt, hat inzwischen £. Göpfert im
Beiheft zum 3. Bande der Zeitschrift für deutsehe Wortforschung gehoben.
Minder wertvoll für das Sondergebiet der Volkskunde möchte auf den
ersten Blick die von der böhmischen Gesellschaft in Angriff genommene
Auswahl der Schriften des Grafen Kaspar von Sternberg erscheinen,
als deren erster Band der Briefwechsel erscheint, den dieser 'Schöpfer der
neueren geisti^n Kultur Böhmens' mit Goethe geführt hat; die rein natur-
wissenschaftlichen Schriften bleiben ausgeschlossen, dagegen sollen noch
seine Selbstbiographie, seine Tagebücher und Beisebeschrabungen und
seine kleineren, allgemeinverständlichen Aufsätze und Beden zum Abdruck
kommen. Ist auch der Hauptinhalt des vorliegenden Buches durch die
wissenschaftlichen Interessen bedingt, die der grolse Dichter mit seinem
Freunde teilte, so fällt doch für den Volksforscher manches ab, was der
scharfe Beobachter seiner Umgebung abgelauscht hatte, und worüber das
ausgezeichnete Sachregister unter 'Sagen, Volkslieder, Volkspoesie, Volks-
gesang' erwünschte Auskunft gibt
Auch die kleine Schrift von Fischer gilt den Beziehungen zwischen
Kunst- und Volkspoesie. Der Verfasser hat das in Heines Gedichten
(warum nur in diesen ?) verwertete volkskundliche Material fleifsig gesam-
melt und umsichtig nach formalen und stofflichen Bestandteilen ^*uppiert
und uns insofern über das hinausgeführt, was Greinz (Beinrieh Beine und
das deutsehe Volkslied 1894) und Götze {Heines Buch der Lieder und sein
Verhältnis xum deutschen Volkslied, Hallische Dissertation 1895) bisher ge-
leistet hatten. Aber abschliefsend ist seine Arbeit leider bei weitem noch
nicht; über die Wandlungen des Verhältnisses Heines zur Volkspoesie
erfahren wir wenig, über diejenigen Elemente seines eigenen Innenlebens,
<lie den Anschauungen und Ausdrucksformen des Volkes entgegenkamen,
so gut wie nichts, die Verschmekung von volkstümlichen und kimst-
mäfsigen Elementen wird nicht ^bührend ins Licht gestellt Wie ver-
lockend hätte es für einen so tüchtigen Kenner des Volksliedes sein müssen,
Heines Balladen, vor allem auch seine Tannhäuserdichtung in dieser Hin-
sicht eingehender zu analysieren! Der neue Bearbeiter, der das leisten
will, wird sich aber weder auf Heines Lyrik, nodi anderseits vorzugsw^se
auf die lyrische Volksdichtung beschränken dürfen, sondern auch Märchen,
Sagen und Bätsei zum Vergleich heranziehen und Heines gesamte Schrift-
stellerei durchforschen müssen. Vor allem aber wären doda Heines eigene
Äufserungen über das Volkslied, etwa in der Schrift über die 'romantische
Schule', zur Grundlage der ganzen Arbeit zu machen gewesen, auf die
sich das folgende immer wieder hätte zurückbeziehen können.
Noch ein paar Worte über einiges zur volkstümlichen Sprache. Weises
Büchlein freilich, das inzwischen in 5. verbesserter Auflage erschien, bietet
uns nicht, was wir suchen; dankbar werden wir die Bemerkungen über
(las Stamniheitliche im Wortschatz begriÜjsen (S. 44 ff.), wie auch die Aus-
führungen über die Mundart (S. 68 ft), obwohl sie wenig Neues nnd das
Alte bisweilen im Gewände der Phrase bieten. Wichtiger und dankens-
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 155
werter, freilich auch schwieriger als die gegenseitige Abgrenzung yon
Schriftsprache und Mundart wären Beobachtungen über das VerhältniB
von Buch-, Amts- und Umgangssprache, bei letzterer wieder mit sorg-
fältiger Scheidung zwischen verschiedenen Schichten der Bevölkerung,
gewesen; denn die wenij^en Sätzchen S. 126 — 128 können natürlich für
diese Zwecke nicht genügen. Die Hauptfrage wäre doch diese: lassen
sich bei zwanglosem Gesprach unter 'Gebildeten' und unter 'Ungebildeten',
um der Bequemlichkeit halber die abgetakelten Begriffe zu gebrauchen,
verschiedene 'Denkbahnen', verschiedene Artäi der Assoziation der Vor-
stellungen bezw. der Auswahl unter den aufsteigenden feststellen? Sind
die ganz offenbar auftretenden Unterschiede rein individuell, oder sind sie
sexuell, kulturell, sozial, national bedingt usw. usw.? Hier bleibt auch
nach den trefflichen Arbeiten von Wunderlich noch genug zu tun. — Nicht
mehr als eine hübsche Spielerei, die manchen unserer 'Gebildeten' die
Augen für den Reichtum unserer Sprache an Stab-, Assonanz- und End-
reimen eröffnen mag, ist das Büchlein von Beheim. Mit Recht zieht er
auch jene 'Wortverbindungen hinein, die sich zwar nicht durch die an-
mutende Weihe des Reimes legitimieren können, die aber trotzdem durch
Gebrauch und Anerkennung von dem deutschen Volke zu unlöslichem
Bunde zusammengesprochen sind, eine Gruppe, die wir Genossen der Volks-
reime oder uneigentliche Volksreime nennen wollen'; er meint Verbindun-
gen wie 'Hab und Gut, Berg und Tal, Hieb und Stofs'. Ich möchte hier
lieber von 'Begriffsreimen' r€»en und zu bedenken geben, wie weit bei ihrer
Prä(i:ung wieder verschiedene Kutturepochen, ja starke Individualitäten
in Betracht kommen; soviel ich weifs, hat auch jeder Stand, jeder Beruf,
vielleicht jede Landschaft bei uns derartige Begnffspaare, die nicht über
die jeweiligen Grenzen hinaus dringen, bis sie etwa durch dichterische
Verwendung zum Allgemeingut gemacht werden; Begriffereime wie 'Soll
und Haben', 'Hammer und Ambos', 'Psalter und Harfe' haben ihre Ge-
schichte; auch Namen treten zu solchen festen Verbindungen zusammen,
wie 'Schiller und Goethe', 'Lachmann und Haupt'; äufsere 'Hilfen' treten
sofort zutage bei Verbindungen wie 'Paul und Braune' usw. Man sieht,
dafs da entweder in bestimmten Kreisen oft gebrauchte oder dem natür-
lichen Menschen mit elementarer Wu^t sich aufdrängende Assoziationen
'fest' geworden sind; wie weit hier Ahnlichkeits- und Berührungsgesetze
in Betracht kommen, wie weit auch das Prinzip der Polarität zur An-
wendung kommt ('Alt und Jung', 'von Kopf bis zu Fufs' u. dgl.) wäre
noch weiterhin zu untersuchen. — Der Vortrag von Blumechein geht
über eine blofse Wortsammlung hinaus, ja er gibt mehr als die sorgfältig
durchgeführte, hier übrigens nicht näher zu prüfende Etymologie Kölni-
scher Dialektworte; er bringt auch eine knappe Übersicht über die all-
mähliche geschichtliche Entwicklung der syntaktischen Gefüge, die in
unserer Mundartenforschung doch immer noch als Stiefkinder behandelt
werden ; freilich ist da bei den alten Dokumenten sorgfältig auf die Unter-
schiede zwischen gesprochenem und Aktendeutsch Rücksicht zu nehmen;
aber die mundartliehen Verhältnisse müssen doch schliefslich das Beste
für die genetische Erklärung der neuhochdeutschen Svntax abgeben.
Heidelberg. Robert Petsch.
Alt- und mittelenglisches Übungsbuch zum Gebrauche bei Uni-
versitatsvorlesungen und Serainarübungen mit einem Wörter-
buche von Julius Zupitza. Siebente verbesserte Auflage, bearb. von
J. Schipper. Wien und Leipzig, Wilhelm Braumüller, 1904. XTI,
338 S. 8. Kr. 8 - M. 6,80.
Kaum mehr als zwei Jahre nach dem Erscheinen der 6. Auflage des
Zupitza- Schi pperschen Übungsbuches ist wieder eine neue Auflage nötig
156 Beurteilangen und kunse Anzeigeii.
fewordeD. Gewifs ein unverkennbarer Beweis ffir die groTse Brauchbar-
eit und Beliebtheit des BudiesI
In der uns yorl]€|[enden Auflage sind alle Stficke der vorbergdienden
wiederholt worden. Neu hinzugekommen ist nur ein kurzes poetischeB
Stuck, das von Holthausen im Archiv CVI 8. 846 in metrischer Form
sedruckte Schlulsgedicht zur ae. Oura pastoralis. Durch diese Zurück-
naltuns; wurde erzielt, die sechste Aurlagp noch neben der siebenten
brauchoar zu erhalten, mit welcher sie hinsichtlich der Zahl und des In-
halts der Seiten wesentlich dbereinstimmt Niditsdestoweniger unter-
scheidet sich die neue Auflage nicht unerheblich von der voransegangenen,
indem viele Textbesserungen Aufnahme gefunden haben und das Wörter-
buch eine grQndliche Revision erfahren hat. Die von verschiedenen Re-
zensenten vorgeschlagenen Emendationen sind mit sorgfältigem Urteile
ausgenutzt worden.
Zu meiner Anzeige der sechsten Auflage im Archiv CX S. 164 — 167
habe ich wenig hinzuzufügen. S. 3: Im ersten Verse vom Kreuze von
Ruthwell ist nach Yietor, Die northumbriichen Bunensteine 8. 7, dnmal
sicher, einmal möglicherweise ^ (g') statt X (g) zu lesen (almeehttig
'Spuren der Henkel, rechts als deutlicher Punkt', modig 'Henkel undeut-
licn, vielleicht a'), was Schipper unerwähnt läfst Im zweiten Verse des-
selben Denkmals, Rune 89, ist nach Victor nicht a (f)^ sondern o i/f) zu
lesen. Rune 50 in Vers 2: kein Aufstrich mehr (?) sichtbar (Vietor).
S. 5, V. 4, Rune 11 glaubt Vietor ^ (g') zu lesen. 8. 6, V. 2, Zeile 3:
dorstcB ist zwar (nach Vietor) richtig, stimmt aber nicht zu Schippers
Wiedergabe der Runen (S. 8); ebenso das richtige bismarcBdu (V. 2, Z. 4),
wozu in Schippers Runen wiedergäbe biammradu steht. 8. 231 : Hat ae.
dro8 wirklich kurzes o ? Vgl. Walde, Kuhns ZeiUchrifl XXXIV & 153,
N. E, D, s. V. dross»
Göteborg. Erik Björkman.
The battle of Maldon and short poema from the Sazon chronicle
edited with introduction, notes and glossary by W. J. Sedgefield
[= The Belles-Lettree Series. Section I. English literature from its
beginning to the year 11001. Boston and London, D. C. Heath & Co.
XXIV, 96 8. 8.
Sedgefield, der 1899 König Alfreds Boethius herausgjegeben hat, bietet
uns im vorlieg^enden Büchlein eine trefflidie kommentierte Ausgabe der
historischen epischen Lieder der Angelsachsen.
The batile of Maldon^ das bedeutendste Denkmal dieser Gattung; in
der angelsächsischen Literatur, das Hohelied von germanischem uäes-
mutigem Heldentum und Mannentreue, nimmt bei 8. naturgemfifs den
ersten und wichtigsten Platz ein. Besondere teztkritische Schwierigkeiten
ergeben sich für den Herausgeber hier nicht Die einzige Handschrift,
die uns dies Denkmal überlieferte, ist 1731 verbrannt; die Herausgeber
sind daher allein auf die 1726 erschienene Ausgabe des Gedichts von Tho-
mas Hearne angewiesen, die in dessen History of Olastonbury enthalten ist.
Das Gedicht ist nach der an vielen Stellen verbesserungsbedüritigen Ausübe
von Hearne noch oft herausgegeben worden. Es st^nd 8. also eine reiche
Auswahl von Textverbesserungen zu Gebote; er hat von dieser Auswahl
einen umsichtigen Gebrauch eemacht und hier und da, wenn auch mit
lobenswerter Vorsicht, eigene kleine Verbesserungen am Text vorgenommen.
Sein Kommentar erklärt in knapper Form alles, was einer Erklärung
bedurfte. Nur zwei Stellen dieses Kommentars erscheinen mir bedenklich.
V. 186 ff. heifst es: fi
P^r tpurdon Oddan heam d^est on fleame,
• Godne fram güpt —
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 157
8. hält ee für wahrBcheinlich, dalk tpurdon hier ein Fehler für tvtirde sei;
er faTst beam als Bing, auf und bezieht es auf Oodrfe allein. V. 191 ü,
heifst es aber:
and bis brömru mid him
Godwine and öodung, güße ne gymdon,
ac w&ndon ßram ßäm wige.
Somit flohen nicht nur Godric, sondern auch seine Brüder Qodwine und
Godwig aus dem Kampf. Es besteht also nicht der geringste Anlafs,
vmrdon als Entstellung von t€urde und beam als Sing, anzusehen. — Nach
S. ist in V. 300: Wlgdtnes beam Wigeltnea wahrscheinlich ein Fehler für
Wig{k)dine8, Auch diese Annahme ist grundlos. Wfgdfn ist Koseform zu
den mit Wtg beginnenden Personennamen (Wfgbeald, Wighelm, usw.); es
gibt im A^. eine Beihe von Kosenamen auf -Im: aulser Wigelin noch
MUgelfn, TuUiUy Beslfn, Ceawlin (vgl. meinen Aufsatz über 'Angelsächsische
Deminutivbildungen in Engl, Stu£ 32, 348).
Unter den nach 'The battle of Maldon' abgedruckten Liedern aus der
Sachsencfaronik steht The battle of Brunnanburh' obenan. In der Aus-
fabe dieses Gedichts stimmt S., abgesehen von zwei Fällen, mit Wülkers
'ext {Bibl. der ags. Poesie I) wörtlich überein.* Diese Übereinstimmung
erklart sich dadurch, dais beide Herausgeber ihrem Text die gleiche Hb.
Cotton Tib. A. VI fdie *Canterbury-Chronik') zugrunde legen.
Einige dunkle Stellen des Gedichts deutet S. in neuer Weise. In
V. 12: /e^ dennade schlägt er statt des bisher unerklärten, nur hier be-
legten dennade die Lesart aänode 'wurde nafs' vor, ein Vorschlag, der be-
aditenswert ist. Zu V. 54 : Dynges mere stellt S. es als möglich hin, dafs
Dynges mere mit dem heutigen Dungeneea zusammenhänge. Diese Etvmo-
lo^ie würde nach ihm eine Stütze für die Annahme sein, dafs die Schlacht
bei Brunnanburh an der Humbermündung stattgefunden habe (?). In der
Einleitung, S. XVI, gibt aber S. selbst zu, dals die Teilnehmer an der
Schlacht, Dänen von Dublin und Schotten, mit den Angelsachsen am
ehesten an der englischen Westküste zusammenstoisen mufsten, was wieder
gegen seine eben vorgeführte Deutung von Dynges mere sprechen würde.
V. 20 liest 8.: teerig icigges s^ (säd = Saat). Einleuchtender ist
hier Kluges Lesart sced = (des Kampfes) satt (Ags. Lesebuch^ S. 131).
Die übrigen fünf Denkmäler aus der Sachsenchronik stimmen in der
Aussähe von S. auch fast durchweg mit dem Text bei Wülker überein.
Meine kleinen Ausstellungen hindern mich nicht, Sedgefields sorgfäl-
tige saubere Ausgabe für Seminarübungen und sonstige akademische Lehr-
zwecke warm zu empfehlen.
Freiburg i. 6r. Eduard Eckhardt.
Der AlteDglische Regius-Psalter^ eine Interlinearversion in Hs. Royal
2 B 5 des Brit. Mus. Zum erstenmal vollständig herausgegeben von
Dr. Fritz Boeder. (Studien zur englischen Philologie, herausgeg. von
Lorenz Morsbach, XVIII.) Halle, Niemeyer, 1904. 305 S.
Die Begius-Glosse verdient, abgesehen von ihrer lautlichen Form, unter
den uns erhaltenen 11 ae. Psalterglossen eine besondere Beachtung inso-
fern, als sie, selbst zwar dem lat. Texte des 'Psalterium Bomanum' (rs R) *
* In V. 37: #« firöde (Wülker: fröda) ist fröde offenbar nur Druckfehler.
V. 56 liest Wülker: atptse möde, S.: cSwiacmöde, V. 59 Ändert S. dos kremige
der Handschrift (ebenso Wülker) ans metrischen Gründen in hremge.
* Diesem folgen im ganzen fünf Glossen (ich behalte die Bezeichnungen Cooks
in Bihl Q»oL m OE. Pr. Wriiers, London 1898, p. XXVII, bei): A = Ms. Cot-
158 BearteilungeD und kurze Aozogen.
folgend, nach Lindelöf {Shidien xu ae, PsaUergL = Bonner Beür, x. AngL
13, Bonn 1904, p. 102 ff. 122 f.) als Kern einer Reihe von Glossen (HKF,
z. T. auch G J) * zu betrachten ist, die sich auf dem Text des 'Psalterium
Gallicanum' (r 8 G) aufbauen. Gegenwärtige Ausgabe bietet somit der For-
schung eine Kdhe von neuen Gesichtspunkten, die besonders auf das gegen-
seitige Verhältnis der einzelnen Glossen neues Licht werfen, erschlielst ihr
aber zugleich in sprachlicher Hinsicht eine Fülle von interessantem Material
und muls daher von der Fachwelt, besonders aber von dem engeren Kreise,
welcher sich seit Jahren dem Studium dieser Glossen voll Eifer hingegeben
hat, mit Freuden begrülst werden, um so mehr, als der Name des Her-
ausgebers volle Gewähr für ihre Güte zu bieten vermae. Boeder hat sich
bereits durch seine kulturgeschichtliche Studie über 'DieTamilie der Angel-
sachsen' vorteilhaft in die englische Philologie angeführt. Auch in diesem
neuen Werke bekundet er tüchtige methodische Schulung und gründliche
Vertrautheit mit der ags. Sprache, sowie allen mit dieser verwandten Sprach-
zweigen und arbeitet mit beachtenswertem Fleifs und geradezu muster-
hafter Sorgfalt und Akkuratesse.
Die Glosse (D) und der lat. Text (DL) sind, wie wir in der ausführ-
lich über Handschrift und deren Schreiber, sowie über die textkritische
Tätigkeit des Herausgebers orientierenden Einleitung erfahren, von einem
Mann aus der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts geschrieben. Der ae.
Text ist fast unangetastet, nur hier und da am Bande mit Glossen von
Händen 10. und 11. Jahrhunderts versehen, während der lat Text mannig-
fache Korrekturen und Basuren von mindestens drei verschiedenen Hän-
den des ausgehenden 12. und beginnenden 13. Jahrhunderts erfahren hat.
Von dem ae. Text gibt B. einen genauen Abdruck und sucht uns
zugleich durch erklärende Anmerkungen unter dem Text in das Verständ-
nis desselben einzuführen. In diesen trifft man einübende Auseinander-
setzungen über Fehler (im Text durch * gekennzeichnet), Unebenheiten
und Ungenauigkeiten in der Glossierung, sinnvolle, oft scharfsinnige Deu-
tungen schwieriger und zweifelhafter Stellen, sowie wohl befriedigende —
wenn auch oft erst unter Leitung kundi^ter Führer wie Morsbach, Bul-
bringi Pogatscher gefundene — Etymologien dunkler, bei Sweet und Toll«-
nicht belegter Wörter. Letztere sind am Schlüsse des Buches nochmals
in einer Liste zusammengestellt, aus der ich nur einige besonders inter-
essante wie cBiDicnes (alte Bildung neben ecnes), CLseyhhan 'verscheuchen',
tocwaseednes quassatio, vnderwengel adversarius hervorhebe. — Für seine
kritische Tätigkeit zieht K dem Stande der Forschune gemäfs sämtliche
ae. Psalterglossen zum Vergleich heran, besonders die Gruppe HKFG J,
sowie auch E und gibt in den Anmerkungen zur Aufklärung der bestdien-
den Schwierigkeiten und zur Beleuchtung des Abhängigkeitsverhältnisses
der Glossen voneinander stets ein genaues Verzeichnis der Varianten aller
in Frage kommenden Hss. Für letztere, soweit noch nicht ediert, hatte
ihm Lindelöf seinen Varianten apparat zur Verfügung gestellt, wie wir in
der Einleitung erfahren, für G, H und J hatte B. selbst Auszuge semacht.
Im einzelnen gibt die korrekte und gewissenhafte Arbeitsweise des Her-
ausgebers kaum zu Bemerkungen Anlafs. Nur wenige Punkte, wo ich
ton Vesp. A 1 Brit Mus. B = Juuius 27 Bibl. Bodl. C = Ff I 83 üniv. Libr.
Cambr. I) = Royal S B ö Brit Mas. E = Trinity Coli. Gambr.; dem Psalt Oall.
die ttbr. 6: /' = Stowe 2 Brit. Mas. G = Cotton Vitel. E 18 ebd. H = Cot.
Tiber. C 6 ebd. / = Lambeth 427. J =r Arandel 60 Brit. Mus. K z=z Salia-
bury 150 Cath. Libr. Über B vgl. U. Lindelöf in Mimoiru cb /a SoeiiU neophSL
(I Uelsimgfori 111, 1 ff. 1901; über E mein Der P9aUer dei £adiome (Stud. c migT.
Phil XIU), Halle 1905 (Ead Ps).
* Auf D's Verhältnis za £ komme ich unten ausfllhrlicli surfick«
BeurteUungen und kurze Anzeigen. 159
anderer Meinung bin oder etwas hinzuzufügen habe, seien hervorgehoben :
Die S. XXII von E. abgedruckten Resultate von Ldndelöfs Arbeit dürften
wohl in bezug auf £ nach meiner Arbeit Ober diese Glosse zu berichtigen
sein. E stammt, was seine '^Urform betrifft, ^nz sicher von einem Glos-
sator und steht in keinerlei Abhängigkeitsverhältnis zu D, noch zu irgend-
einer anderen der uns erhaltenen Glossen, da sie diese alle bei weitem an
Alter überragt. Dagegen haben nun der Korrektor der Eadwine-Hs. und
die Schreiber einiger kleiner Partien (Pss. 4U, 5— 10; 84, 18 — 14; Hy. 4,
4 — 4, 9. 9 — 12), hier und da auch die Hauptschreiber A und B, aber nicht
die des II. Tales (0 D £ F) die Glosse D oder einen mit dieser verwand-
ten l^pus benutzt und zum Teil abgeschrieben. Teil II zeigt aufserdem
in dem Teile 90, 15 — 95, 2 eine Kopie des bekannten Pariser Psalters, nicht
wie Lindelöf und mit ihm B. (p. 175 ff. Anm.) meint: eine eigene 'poetische
Fassung'. Wo £ II. Teil trotzdem Übereinstimmungen mit emer der
übrigen Glossen, z. B. D, aufweist, bleiben uns meines Erachtens nur zwei
Wege der £rklärifng: entweder hat der D-Glossator *E ^ benutzt (vgl. S. 162)
oder die betreffenden Lesarten beider Glossen gehen unabhängig auf eine
Semeinsame lat. Quelle zurück. — Ps. 17, 29 swareunga tenebras gehört,
a bei Sweet und Toller nicht belegt, in die liste am Schlufs. — 18, 7
gencyris zusammengezogen aus ^enc^r [Ä]w. — 82, 8; 14 ymbhuryrt [Druck-
fehler?] orbem iür ymbhwyrft. — 42, 5 über andwlttanmin(jgn\); ure(gnl)
47, 9; gast witn(ac() 141, 4; megene Jnne{dt\) 67, 29 vgl. u. S. 1(32. —
46, 9 -am in hcugam wird unter Einflufs der Endung des zugehörigen lat.
Wortes sanctam stehen, ebenso mannum hominum 106, 21. — 54, 18 ofer
tna mielu super me magna scheint mir verschr. f. ofer me m. (der Vor-
lage?). — 59, 6 7 wird auf urspr. et der lat. Vorlage zurückzuführen sein,
desgleichen in 77, 18; die frühen Psalterien schwanken oft zwischen ut
und et, beachte 106, 22. 118, 88 (ut custodiam, wo Ps B et c). — üO, 5
eardunge velamento ist lediglich nachlässige Wiederholung des kurz vor-
hergehenden earckmge tabernaculo, vgl. feldas locum 108, 8 ; genihäsumnesse
abundantes 143, 13; andstoara respondebit Hy 2, 15. — 75, 4 Anm. Z. 5
lies Ps G, ebenso 97, 2 Anm. Z. 2 und 118, 18 Z. 1. — 106, 20 wyrde
interitu wohl verschr. f. fortoyrde, denn vgl. 108, 18. — Für Hy 4, 7. 9,
53 ; 55 hätte erwähnt werden müssen, dafs E lediglich eine Abschrift von
D oder von einem D nahe verwandten Typus ist.
Von dem lat. Text (DL) der Handschrift, der, wie ich bereits oben
hervorhob, durch Korrekturen und Rasuren stark entstellt ist, bietet B.
keine genaue Wiedergabe, sondern versucht, auf Grund eingehender Prü-
fung und Vergleichung mit dem Ps B und Ps G den ursprünglichen,
d. h. von dem Schreiber der Hs. beabsichtigten Text wieder herzustellen,
im gguzen kann man sagen mit Glück. Dagegen sind nun viele Ab-
sonaerlichkeiten und Abweichungen des ursprünglichen Textes oder der
Glosse von dem Normaltext des Ps B bei Migne, Patrologia XXIX, mit
denen sich B. hier und da in den Anmerkungen oder in der Einleitung
abzufinden sucht, meines Erachtens nicht richtig gedeutet worden. Und
zwar li^t dies besonders daran, dafs die Eigenart dieses Textes (DL) von
B. nicht erkannt worden ist. Zwar lesen wir S. XVI, dafs DL 'manche
Abweichungen von der bei Migne abgedruckten Fassung' des Ps B auf-
weise, aber woher diese stammen, erfahren wir nicht. In Kürze sei hier
auf das Wichtigste aufmerksam gemacht' Wie AL und EL (vielleicht
auch BL und CL^) stellt auch DL keinen reinen Typus des Ps B, sondern
' So bezeichne ich die Vorlage von E.
' Nicht berflcksichtigt habe ich im folgenden die Hymnen der drei Texte,
denen ich in einiger Zeit eine besondere Betrachtong widmen werde.
' Die vhm. Bestandteile in GL hebt bereits Wescott (in Smith, Dictionarg of
the Bible IV, p. 3451 ff.) hervor.
160 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
einen sog. Mischtezt vor. Alle drei Texte — und, wie ich vermute, auch
die beiden anderen — gehen höchstwahrscheinlich auf einen Grundtext
Lz zurfick, der mit zanlreichen vhm. Rudimenten' und sonst nirgends
nachweisbaren Sonderlesarten* untermischt und in Bibellatein (oder Vul-
^rlatein) niedereeschrieben war. Mit der Zeit hat man diese fremden
Bestandteile durdi Angleichung an das Ps R auszumerzen versucht, so dafs
also die überlieferten Texte AL, DL und EL in wesentlich umgearbeiteter,
modernisierter Form vorliegen. Immerhin aber ist in ihnen die Beschaffen-
heit des Grundtextes noch deutlich zu ersehen, denn alle drei haben, und
zwar wohl unabhängig (doch vgl. 8. 162) voneinander, noch unverkenn-
bare Reste der obenerwähnten EigentQmuchkeiten bewahrt.^ Und was in
ihnen durch Korrekturen späterer Zeit verloren gegangen ist, das haben
uns zum Teil die Glossen gerettet: auch sie lassen — jede in ihrer Art
und die älteste E, vielleicht noch nach Lx selbst abgefalist, naturlich am
meisten — in häufigen Fehlern und Uneenauigkeiten den Charakter von
Lx noch hinreichend erkennen.* — Überdl da also, wo pL zu berichtigen,
wiederherzustellen oder, da von Ps R abweichend zu erklären war, hätte
R. vor allen anderen die vhm. Version um Rat fräsen müssen — Ps G,
mit dem DL und auch AL, EL, soviel ich gefunden habe, gar kdne oder
* Fflr die yhm, Version lege ich «nch hier dieselben Texte zogninde 'vtie in
meinem Ead A (p. 213). Ps S == Psalterinm Sangermanense; Ps Mos = Psal-
terium Mozarabicnm; Ps V = Psalterinm Veronenae.
' Vgl. n. Anm. 8.
' Von diesen ist in grOfiierem Umfang nur die Fehlerhaftigkeit in DL Ton R.
bemerkt, doch ihre Ursache nicht erkannt worden. Einige der wichtigsten — «ach
von R. nicht erwähnten »- Fälle seien hier smsunmengestellt (vgl. auch mein
Ead Ps p. 228): irrig stehen a flir o: velamenta 62, 8; ae f. e: aequos 75, 7;
fr f. u: salvafrit 97, 2; d f. t: obdurantis 67, 6; 6 f. ae: gravate 87, 5; a f. i: con-
sammatione (auch AL) 118, 96; elege (geceos!) 83, 11: flmbreis 44, 14; fodeatnr
98, 13; generations 94, 10; intercedentis 28, 7; mara 71, 8; vana (on idell) 61, 10;
f f. e: adoliscentior 118, 141; discendant 108, 8; fiunim 58, 15; morti 78, 11;
patns (fbderes!) 67, 6; u f. a: ezultavit 109, 7; v f. b: exaceroaverant 77, 40; 41;
56. 104, 28 (anchAL); iudicarit (ctnnie!), implerit (gefyldel) eic. 109, 7; revelant
28, 9 u. a.; u f. f: protMinaverint 88, 82. 85; uf. o: laqueus (grin) 10, 7; pmmp-
tnaria (auch AL) 148, 18. A-Schwund: [A]abitationibu8 108, 10; ft-Hinxafllgiui|(:
Aostinm 140, 3; perAibnnt 145, 4. t-Schwnnd: castodiar[t]um 78, 1; demon[ijii
105, 37; de8olator[t]is 119, 4. m-Schwund: dilecta[m] 28, 5; ante con8pectn[»]
28, 5. m-Hinzufilgttng: sab üngaam meam (ßmder iungan mme). «-Schwund: effo[«|sa
79, 17; vaMsis 70, 22; eo[«] 77, 45. «-Schwnnd: fract[u]um (auch ALEL) 127, 2;
man[ii]am 91, 5. 140, 2. — Über die vhm. Lesarten s. S. 161, Anm. 4; die Sonder-
lesarten stimmen fast genan mit denen in EL (AL) flberein, vgl. daher mein Ead fV,
p. 219 ff.
* Die Sparen dieser Eigentümlichkeiten sind in den ans erhaltenen Texten,
lat sowohl wie ae., natfirlich sehr verschiedenartig verteilt: bald begegnen sie in
zwei Glossen und dem lat. Text der dritten (79, 17 agottm AE = effosa [aber
effusa =: Ps S u. BL]), bald in zwei Glossen und dem lat. Text einer von dieaen
(108, 31 ßearfancB K, pearfana D ^ panpernm DL; 109, 7 dnmc ... Mpakof A,
dranc . . . upahof D = bibit . . . ezaltayit DL), bald in nur zwei Glossen (95, 8
ditra [über ostia] ED, aber oiuegdniue A; 98, 5 wyntttudoBp B, iq>akMad i ge-
fCBgniad D [über exultate]; 113, 6 wtordiaä A, gebiddaß E [ttbw adorabont] aber
gestoacead D), bald Jn nur einer Glosse und dem lat Text einer anderen (119, 4
nüd colum ioltsendts A = cum carbonibus desolatoris [f. ^riis] DL; 146, 4 taünm.
his noman E :=: omnibus eius nomina DL), bald in nur einer Glosse und deren lat.
Text (83, 11 geceos D = elcge DL), bald in nur einer Glosse (144, 1 tc geftegmie
[über exultabo], aber exaltabo: Ps R u. G) usw. Die Beispiele lassen sieh leicht
vermebren.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 161
nur wenig Berührungspunkte gemein haben, konnte nur für die späteren
Korrekturen, soweit sie aus ihm stammen/ in Betracht kommen — , zumal
da ihm in vielen Fällen sämtliche übrigen Texte keine befriedigende Les-
art bieten konnten. Einer der vielen von Sabatier (Bibliorum aaer. Lai,
versionea . . . Remis 1748 — 49, Bd. 2) herangezogenen älteren Texte würde
ihm in jedem einzelnen Fall Klarheit verschafft haben. Ich erwähne nur
einige Beispiele: 2, 18 in eum — Ps 8; in 8, 7 wird DL mit Ps 8 urspr.
circumdantifi gelesen haben, wie auch aus ymbseUendrm in E hervorgent,
ebenso in 31, A dum confringitur mihi spina ; 84, 8 in laqueo = Ps Moz,
ebenso 49, 28 salutare meum; u. a., vgl. 4, 8. 9, 30. 17, 18. 28, 6; 9. 42, 8.
45, 10. 49, 6. 73, 19. 143, 11. — In Fällen, wo die von PsR abweichende
Lesart in DL oder in D mit Vhm und mit Ps G übereinstimmt (vgl. z. B.
:J8, 4 exardescet DL = Ps V u. Ambrosius, auch = Ps G; 110, 6 virtu-
tum DL, aber mögen D = Ps 8, audi =: Ps G; 121, 4 illic DL, aber
Lider D = Ps 8, auch t^ Ps G) werden wir also nach meinen obigen Aus-
lührungen für DL nicht mit B. das Ps. G.,' sondern unbedin^ Vhm
als Quelle ansehen müssen (vgl. meine Ead Pa, p. 218). Für meine An-
nahme spricht einmal die strenge Scheidung, die besonaers bis zum 9. 10.
Jahrhundert zwischen den Texten des Ps K und Ps G stattgefunden hat,
sodann aber vor allem die Tatsache, dafe, wie ich schon o&en bemerkte,
weder DL — natürlich abgc^hen von den späteren Korrekturen — noch
D irgendwelche speziellen^ Übereinstimmungen mit Ps G aufweist, dafs
dagegen solche mit der vhm. Version^ in ihnen — in DL in einigen Fäl-
len auch da, wo sie in AL EL nicht mehr be^gnen, z. B. 81, 4. 49, 23.
67, 6^ — überaus häufig sind. Von den nur m D auftretenden sind mir
folgende aufgefallen: 9, 30 attrahit (= Ps B u. G) Ae fram aiykä (= ab-
strahlt --- Ps 8, auch AL BL GL); 28, 9 dicent (= Ps R u. G) ewed (~
dicit Ps V u. Augustin) ; 42, 8 in tabemaculo tuo (= AL EL) on eardtmge
ßine (= in tabernaculum tuum Ps Moz) ; 45, 10 scuta (== Ps R u. G) seyld
(= seutum Ps Moz) ; 57, 5 aspidis . . . obdurantis ( — Ps R u. G) nadran
. . . fordyecende (= aspides . . . obturantes = Ps 8, auch AL); 70, 15 pro-
nuntiabit (= PsR u. G) eypde (— pronuntiavit Vhm); 71, 14 liberabit
(= Ps R) he alyede (— liberavit - Ps 8); 84, 14 ambuUbit (= Ps R u. G)
eode (= ambuiavit Ps 8);' hierher gehören auch die oben bereits behan-
delten Fälle in 110, H u. 121, 4. — Für einen Teil der letzteren Fälle findet
R. natürlich leicht eine andere Erklärung. Wo die Lesarten in D näm-
lich zufällig mit irgendeinem lat. Text der übrigen Hss. überdnstimmen —
die übrigen Fälle erklärt er nicht — , wie z. B. in 9, 80, sieht er einfach diese
als Quelle für D au. Dies braucht nach obiger Darlegung der Verhält-
* Die Korrektnreo späterer Zeit sind nicht immer nach Ps G gemacht worden
— s. B. in 78, 19 ist nrspr. animas conHtentes = Ps B u. G korrigiert su animS
confltente = Yhm ALEL, a. a. vgl 49, 6. 58, 10. 128, 7) — , hätten daher von
R. stets mit möglichster Ansillhrlichkeit in den Anmerkungen angegeben werden
mllBsen, da sie immerhin hier und da Ar das Verständnis der Glosse von Wert
sein können.
* So muA man wenigstens aus seinen Anmerkungen verstehen.
* Als solche können natürlich nur Lesarten gelten, die sich von denen der
übrigen Texte deutlich unterscheiden.
* Vgl. hierüber meine Zusammenstellung vhm. Lesarten ftlr EL (mein Ead Pt,
p. 813 ff.), mit der DL mit wenigen Ausnahmen übereinstimmt. Von den nur in
E erhaltenen sahireichen vhm. Spuren lassen sich jedoch in D, die Ja unserer
obigen Ausführung gemäfs naoh einem bereits modernisierten lat. Text angefer-
tigt sein mu(^, fast keine mehr (in A auch nur wenige) erkennen.
* Dasu kommen noch einige auf blofser Fehlerhaftigkeit beruhende: 31, 6
(oravit). 34, 9 (exultavit). 48, 16 (liberavit).
^ Letstere drei sind wobl nur Fehler.
Aichiv f. n. Sprühen. GXYI. 11
162 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
nisBe (vgl. o. S. 160 und Anm. 6) nicht der Fall zu sdn. Viel wahrscbeio-
licher dünkt mir, dafs diese Abweichungen der Glosse D von DL auf eine
ältere Fassung des letzteren/ die höchstwahrscheinlich dessen direkte Vor-
lage *DL noch gehabt hat, zuröckgehen. Der geschulte und meist ge-
wissenhafte Schreiber des Ke^us- Psalters aber wird diese altertümliche,
zum Teil fehlerhafte Form seiner Vorlage beim Abschreiben — vielieicht
durch Vergleichung mit anderen Texten des Ps R, die aber, wie es sdieint,
ebenso unrein waren wie * DL — nach Möglichkeit zu beseitigen versucht
haben. Zweifelhaft ist mir nur, ob diese Vorlage *DL selbständig neben
den übrieen Texten AL, BL, CL, * EL auf den — jvrohl allen gememsameD
— Grunatext Lx zurüc)cgeht. Aus der ^rofsen Ähnlidikeit, die speziell
zwischen DL und EL existiert, ist man eher auf eine engere Zusammen-
gehörigkeit dieser beiden Texte zu schliefsen geneigt Vermutlich stelit
ersterer lediglich eine Kopie der Vorstufe *EL dar, welche einst der etwa
um 930, also kurz vor* der Niederschrift von D(L), ins Wests, übe^t^ag^
nen Urform von E als leitender Grundtext diente. Von diesem Gesichts-
punkte aus würden sich dann auch einige Üoereinstimmungen bdder
Glossen auf das beste erklären. In D und in £. auch im zweiten Teile,
finden sich nämlich mdireremal an gleicher Stelle diescdben fehlerhaften
Glossierungen, die in ihrer Art in D sonst nirgends belegt sind, in Eaber
häufig wiederkehren, ja man kann saeen zu den speziellen Eigentümlich-
keiten des Glossators von E gehören (vgl. mdn Ead Ps, p. 238 ff.) : 42, 5
vultus md ~ D andiclttan i»m(I), E ondwlitcm min: 41, 9 (dei)no8tri =
DE ure([), — godea ure;^ 6j, 17 clamavi et exaltavi = D tic ekopode 7 ie upa-
hebbe{\), E ie elepode (aus urspr. clipie v. Korr.) 7 ic upahebbe (a. a. 0.
p. 241^), 67, 29 virtuti tuae - D megene pine{\), E megne ßine; 98, 1 mo-
veatur = D biä(l) astyred, E hiä onstyred (a. a. 0. ebd.); 101, 15 terrae
eins = D eorde{}) his, E eorpe his (a. a. 0. p. 238) ; 123, 8 adiutoriam =
D io(\) fvüume, E to fuUome, desgl. noch in E 88, 24. HS, 114 (a. a. 0.
S. 282); 131, 16 exultatione exultabunt = D gefcegenunga gefagemtngm^
\ hihte kihte (a. a. 0. p. 245); 141, 4 spiritum meum = D gast mtn{!,
E gcBsi min,* In diesen Fällen* wird wso der Schreiber von D(L) die
Glosse *E, welche er im allgemeinen wegen ihrer vielen Fehler behutsam
umfangen haben wird, einfach abgeschrieben," bezw. (in 131, 16) nach-
geahmt haben ; wenigstens scheint mir dies die einzig annehmbare Deutung.
Obgleich uns B. in dem Vorwort seiner Ausgabe eine Arbeit Ober das
Abhängigkeitsverhältnis D's von den übrigen Glossen in Aussicht stellt,
* Man könnte geneigt tein, die Qloase inhaltlich gHuilich von dem lat. Text
zu trennen. Dies ist aber sicher unmöglich, da erstere oft aonst nirgends nachweis-
bare, zum Teil auf Verderbtheit beruhende Lesarten (10, 7 laqueus grm; 47, 14
in virtutea on moegenu] 106, 22 laudls eins lofes hit] vgl. femer S. 160 Aom. '^]
des letzteren deutlich widerspiegelt
' Dies ist iweifellos, und leicht nachzuweisen.
' ure nostri 91, 14, das ebenso au erklären sein wird, entsieht sich leider
unserer Beurteilung, da *£ von 90, 15—95, 2 nicht erhalten ist.
* Auch das fehlerhafte mic^ttm (usuris) 71, 14, das dem Glossator von D kaom
zuzutrauen ist, findet durch eine Übernahme aus *E, wo derartige Glosaiemngeii,
wie aus E II. Teil noch deutlich hervorgeht (vgl. mein Ead Ps, p. 232), fiberaiu
b&ufig gewesen sein werden, eine befriedigende Erklärung.
^ Auch die Fälle von S. 160 Anm. 4, wo D mit £ fibereinstimmt, konnten
hiernach in noch einfacherer Weise gedeutet werden.
* Dftfs der Schreiber im allgemeinen ae. Vorlagen benutzt hat, erhellt einmal
aus kleinen ^'ersehen, die zum Teil auch von R. hervorgehoben werden, wie ^'
cr/rit für gencyr his 18, 7; he wies mämtten is comparatus est 48, 21 ; o» ongweorct
in factura 91, 4: dm ic eom ic tuus sum ego 118, 94 etc., sodann aber vor allein
aus dem äufserst variierenden, heterogenen Wortschatz.
Bearteilungen und kurze ÄDzeigen. 163
habe ich es doch für nötig gehalten, auf das Verhältnis yon D zu E hier
mit einigen Worten einzugehen, da mir dieses, wie auch das ihrer beiden
lat. Texte, von E. nicht Klar durchschaut zu sein scheint. Inwieweit
diese meine Ausführungen bezw. Vermutungen den Verhältnissen genau
entsprechen, kann natürlich nur durch eine gründliche Untersudiung
über diese Fragen, die uns von R. hoffentlich oald vorgelegt wird, ent-
sdiiieden werden. Das eine aber steht, glaube ich, schon jetzt fest und
mufs auch von R., dessen Arbeit als Ganzes genommen übrigens durch
obige, leider oft viel Raum erfordernde Anmerkungen und Nachträge in
ihrem Wert keineswegs herabgesetzt werden soll, ohne Bedingung zuge-
feben werden: dafs für die richtige Interpretation dieser Glossen, die zum
'eil auf recht alten lat. Texten basieren, und für die Bestimmung ihres
gegenseitigen Verhältnisses eine durchaus gründliche, bis in alle Einzel-
eiten gehende Kenntnis der zugehörigen lat. Texte vonnöten ist. Wird R.
dieser Tatsache in den versprochenen Arbeiten in vollem Maise Rechnung
tragen, dann wird er uns zweifelsohne noch Bedeutsames über diesen
Gegenstand zu sagen haben.
Charlottenburg. Karl Wildhagen.
Karl WildhageD; Der Psalter des Eladwine von Canterbury. Die
Sprache der altenglischen Glosse; ein frühchristliches Psalterium die
Grundlage. Mit 2 Abbildungen. 1905. XV, 261 8. 8. M. 0. (Studien
zur engl. Philologie, herausgeg. von Lorenz Morsbach, XIII.)
Dr. Fritz Roeder^ Oberlehrer an der Kaiser Wilhelm IL-Oberrealschule
(J. £.) in Göttingen. Der altenglische Redus-Psalter. Eine Inter-
linearversion in Hs. Royal 2 B. 5 des Brit. Mus. Zum erstenmal voll-
ständig herausgegeben. 1904. XXII, 305 S. 8. M. 10. (Studien zur
engl. Philologie, nerausgeg. von Lorenz Morsbach, XVI II.)
Mit diesen beiden Arbeiten, die mit kurzer Zwischenzeit in den Mors-
bachseben Studien erschienen sind, hat die Anglistik wieder sehr wichtige
und wertvolle Beiträge zur Kenntnis der altenglischen Interlinearglossen
zum Psalter gewonnen. Auf diesem Gebiete waren ganz kurz vorher zwei
Aufsätze von Lindelöf erschienen: eine Einzeluntersuchung der Glosse in
der Hs. Junius 27 (Mimoires de la SociitS Nio-phüologique d- Helsingfors
III S. 1 ff., 1901) und seine Studien zu altenelischen Psalterglossen {Bonner
Beiir, xur Anglistik XIII, 1904). Noch früher wurden die Psalterglossen
von Cook in der Einleitung zu seinen BibliecU Quoiaiions 1898 behandelt.
Gewifs in wenigen Jahren ein vielversprechender Anfang, dem es hoffent-
lich nicht an Nachfolge fehlen wird!
Von den elf ae. Interlinearglossen zum Psalter, die wir kennen, bilden
fünf insofern eine besondere Gruppe, als ihr Latein dem Typus des Psal-
terium Romanum folgt; die anderen sechs vertreten den Tjrpus des Psal-
terium Oallicanum. Die uns vorliegenden Arbeiten befassen sich beide
mit Interlinear Versionen, deren lateinischer Text zur ersten Gruppe ge-
hört. An Gesamtausgaben einzelner Hss. der Gruppe I lagen vorher vor:
Hs. Cotton Vespasianus A. 1, herausgeg. von Sweet (Oldest English Texte
S. 183 ff.), Hs. Trinity CoUege, Cambridge, von Harsley E, E, T, S. 1899
(— Eadwine's Canterbury Psalterj; aus der Hs. Junius 27 hat Lindelöf
in der obenerwähnten Arbeit zanlreiche Auszüge mitgeteilt. Es liegen
also fast alle fünf Glossen, die zur ersten Gruppe gehören, in Sonder-
untersuchungen vor. Mit der Gruppe II — deren Latein dem Typus des
Psalterium Romanum folgt — Stent es aber schlechter, indem nur eine
Handschrift und zwar in sehr unzuverlässiger Weise heraus^geben worden
ist: der sogen. Spelman Psalter (1040). Dazu kommen die Auszüge bei
Lindelöf in den Bonner Beiträgen XIII und die Lesarten, die Roeder in
seiner uns hier vorliegenden Ausgabe des Regius-Psalters aufnimmt.
II*
164 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Wildhagen dbt uns zuerst in der £}inleitung (8. l— 10) einige Notizen
über die HandBcnrift, ihren künstlerischen Schmuck, ihre Entstehungszeit
und über den Schreiber Eadwine. Wildhagen möchte die Vollendung der
Handschrift in die Jahre 1115 — II 20 setzen. Die Interlinearglossen sind
erst nach der Fertigstellung des lateinischen Textes und des künstlerischen
Schmuckes nachgetragen worden.
Die eigen tlidie Abhandlung zerfällt in drei Abschnitte: I. Die Einheit
des Psalters; IL Untersuchung über Dialekt und Zeit; III. Zeit- und
Dialektbestimmung. Aus der interessanten Untersuchung über die ver-
wickelten Schreiberverhältnisse der Glosse (wir haben es mit sechR yer-
schiedenen Schreibern zu tun) geht, wie mir scheint, mit Evidenz hervor,
dafs die eanze Glosse zwar aus einem und demselben verlorenen Ganzen
stammt, oaTs aber der erste Teil der Glosse durdi die zwei Schreiber, die
daran gearbeitet haben, und durch Korrektoren starke Umarbeitungen,
Verbesserungen und Zusätze erfahren haben. ^ Der zweite Tdl (die Arbeit
der vier anderen Schreiber) scheint aber der Vorlage viel näher zu stehen.
Es empfahl sich deshalb, wie es Wildhagen getan hat, der Untersuchung
über Dialekt und Zeit den zweiten Teil zugrunde zu legen und den erstoi
Teil nur zum Vergleich heranzuziehen.
Diese Untersuchung über Dialekt und Zeit bildet den weitaus gröDsten
Teil der Arbeit (S. S5 — 190). Es genüge, zu konstatieren, dafin sie mit grolser
Umsicht und Gewissenhaftigkeit vorgenommen ist und von dem gesunden
Urteil des Verfassers auch in rein sprachlichen Dingen Zeugnis ablegt. Die
Hauptresultate lassen sich folgenaerweise kurz zusammenfassen: aus der
Lautlehre ereibt sich für die Vorlage ein durchaus westsächsischer Lautstand.
Die fremddiuektischen Elemente, die sich erkennen lassen, sind nicht einem
bestimmten Dialekt mit Sicherheit zuzuweisen. Die Flexionslehre führt
uns in diesem Punkt etwas weiter, indem alles nicht Westsächsische in der
Flexion sidi als aneUsch (nicht kentisch) erweist Da nun aufserdem im
Wortachatz grofse Übereinstimmungen mit dem Anglischen sich erkennen
lassen, indem das Denkmal eine nicht geringe Anzahl von Wörtern, die
fast nur in anglischen, einige sogar, die nur in poetischen (d. h. anglischen)
Denkmälern belegt sind, aulweist, so beruhen sämtliche Übereinstimmungen
mit dem Anglischen aller Wiüirscheinlichkeit nach nicht auf späteren Lm-
flüssen anglischer Schreiber, sondern sie sind Beste eines ursprünglichen
Zustandes. Der Eadwine-Psalter ist also ein anglisches Original werk, das
nur in westsächsischer Übertragung erhalten ist, die in unserer Hand-
schrift kopiert ist.
Diese anglische Urform sucht nun der Verfasser in dem dritten
Abschnitt (S. 191— 2u 8) auf Zeit und Dialekt hin näher zu bestimmen.
Was nun die Zeit der Abfassung der westsächsischen Überarbeitung
betrifft, so erhalten wir einen Hinweis in der Behandlung von ws. «s, U:
der lange ie-Laut ist zum grolsen Teil gewahrt, der kurze Laut dag^n
schon zum gröfsten Teil in %, y monophthongiert Solche Verhältnisse
sprechen entschieden, für das 10. Jahrhundert Wildhagen setzt als Zeit
der westsächsischen Überarbeitung das zweite Viertel des 10. Jahrhunderts
an.* Damit hat sich für die Urform selbst eine Grenze nach oben er-
* Der erste Abschnittf worin diese Untersachnng, auf die wir sonst nicht
weiter eingehen können, unternommen wird (S. 11—84), zerfiUlt in die folgenden
Unterabteilungen: Die Schreiber der Glosse, Wortschatz, Übersetzungsfehler, Kor-
rekturen im ersten Teil nach anderen Psalterglossen, Modemisierangen der Schrei«
her, Graphische Merkmale der Glosse.
' Nebenbei sei bemerkt, daOi laje in <m Dtone iajt etc., das Wildhagsn in
diesem Zusammenbange bespricht, kaum identisch mit dem Worte /aju 'Gesetz'
sein kann. Ich verweise auf den Aufsatz 'Danelaw' von H. Logeman in ScamdiOy
Ti^chriß tfoar scandinavische Taal e% LttUrtny 1904, S. 90 ff.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 165
§eben. An Hand allerlei sprachlicher Tatsachen will der Verfasser aber
ie Urform der Eadwine-GIosse viel früher, 'spätestens etwa Regen das
Ende des 8. Jahrhunderts' ansetzen. Seine Gründe für eine so frühe Da-
tierung will ich hier kurz berühren. Auf die beiden Formen jedes, wtdtihx
(2. Präs. Sg. Ind. von jedön, toi^teon), wo die Endung -5 für sehr hohes
Alter spredien sollte, scheint mir wirklich nicht viel zu geben zu sein.
*D]e Erhaltung von -s in diesen beiden Beispielen berechtigt daher zu dem
Schlüsse, dafs im Präsens auch aller Verben diese alte Endung noch vor-
geherrscht haben wird.' Könnte man aber nicht in diesen beiden Fällen
ebensogut von 'Weglassung von -t* wie von 'Erhaltung von -s' sprechen?
Solche Fehler könnten ja einem sonst ganz gewissenhaften Schreiber mit
unterlaufen!* Übrigens ist zu bemerken, dafs die Handschrift [je]desi
hat, wozu Harsley *t add. by Corr.?' bemerkt,' und dafs eine Weguussung
von t nach der Buchstabengruppe hx sich ganz leicht psychologisch er-
klären lielse. Aufserdem ist in Erwägung zu ziehen, ob nicht sogar recht
späte Schreiber» die aus dem anglischen oder gar ken tischen Gebiete ge-
bürtig waren, sich von anderen Verbalformen inres Heimatsdialektes mit
-(e)8 nätten beeinflussen lassen können. Den zweiten Beweis (die Prä-
teritalbildung der schwachen Verba) muXs ich hier beiseite lassen, da ich
bekennen mufs, daüs ich dem Gedankengang des Verfassers nicht folgen
kann. Der Verfasser hat sich hier augenscneinlich in seine eigenen Ge-
danken so vertieft, dals er vergessen hat, dafs der Leser sie noch nicht
alle erfahren hat. Ebensowenig vermag ich dem e der Formen necdecte,
jedyrstlecte usw. irgendeine Beweiskraft für ein besonders hohes Alter oei-
zumessen. Solche Formen können ja auch jung sein und lehnen sich ja
ungesucht an den Infinitiv an. Die Formen aes Verbums preagan mit
'Cuo- (cBw) sind gewils sehr interessant, aber dürften kaum an und für sich
für ausschlaggebend gelten. Die Flexion von swigian ohne Mittelvokal
im Präteritum ist zwar sonst nur im Nordhumbrischen (noch in den
Lind. Gosp.) belegt, würde aber bei der Spärlichkeit der Belege sich auch
in anderen Dialekten (z. B. im Nordmercischen) in ziemlich später Zeit
denken lassen. Dagegen mufs ich zugeben, dafs die zahlreichen b für die
Spirans recht auffaUend sind und für ein ziemlich hohes Alter zu sprechen
scheinen. So sind wohl auch die zahlreichen d für ä zu erklären, obwohl
man hier an anglonormannischen Einflufs denken könnte (vgl. die häufigen
ie für ?, 8c für c). Sehr wichtig ist aber der Nachweis, dafs die Glosse nach
einem lateinischen Psaltertexte ohne Worttrennung gemacht worden ist.
Handschriften mit Worttrennung beginnen um das ^. Jahrhundert häu-
figer zu werden. Die Glossierung ist wahrscheinlich vor 850 entstanden.
Das scheint mir auch einleuchtend. Aber die Annahme, dafs sie schon
aus dem 8. Jahrhundert stammt, scheint mir unbegründet. Was wir von
den anglischen Schreiberschulen dieser Jahrhunderte wissen, ist ja sehr
spärlich. Hier und dort könnte ja das b für die stimmhafte Spirans noch
im 9. Jahrhundert fortleben. Ausschlaggebend sind wohl auch nicht die
Schlüsse, die der Verfasser aus dem u/ä-Umlaut der Vokale e und i zu
ziehen versucht; ich brauche aber nicht darauf einzugehen, da der Ver-
fasser die Unsicherheit seiner Theorie selbst einräumt: 'Folgende Be-
obachtung gestattet uns vielleicht, die Zeitgrenzen noch enger zu ziehen.'
Alles in allem: eine gewisse Wahrscheinlioikeit für eine so frühe Datie-
rung als das 8. Jahrhundert hat der Verfasser zwar beigebracht, und ich
kann seine Annahme nicht direkt in Abrede stellen. Beweisen läijst sich
aber nur, dafs die Urform kaum später als 850 entstanden sein kann.
' Vgl. die Schreibfehler pauktet, souhtes, muhtes in dem Mortonschen Text der
Ancren Riwle (Vogel, Zur FUxion des engluchen Verbumty 1903, S. 24).
' Hat sich der Verfasser durch Autopsie davon überzeugt, dafs t wirklich vom
Korrektor stammt?
lOÜ Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Danach untersucht der Verfaißser den Dialekt der so herausgeschalten
Refite der Urform und kommt zu dem Resultat, daTs wir diese Urform
wahrscheinlich im nördlichen Mercien nahe der Grenze nach Nordhumbrieo
(Entstanden zu denken haben. Auffallend sind gewiDs die unverkennbaren
Anklänge an das Nordhumbrische; aber lassen sie sich wirklich nicht
andererweise als durch die Annahme, dafs die Urform aus dnem Grenz-
gebiete stammt, erklären? Bei der Beurteilung mittelenglischer Denk-
mäler hat man gar zu oft Dialektmischungen in der Weise erklärt, dafp
man für jeden neugefundenen fremden Dialektzue das Denkmal so und
so viele Kilometer näher dem fremden Dialektgeoiete lokalisiert. Eine
solche Verfahrungsweise hat sich aber in der letzten Zeit als ziemlicli
unmethodisch erwiesen. Würde dasselbe nicht auch für altenglische
Sprachverhältnisse gelten? Könnte man nicht an eine rein mercischc
(oder rein nordhumbrische) Urform denken?
^, Im Anhang (S. 212— 2-19) bespricht der Verfasser teils den zur Glosse
fehörigen lateinischen Text und seinen Grundtext, teils die Glosse in in-
altlicher Beziehung. Die Ergebnisse seiner überaus interessanten und
fördernden Untersuchungen über den lateinischen Text fafst er S. 22l>
kurz zusammen: Dieser Text geht auf einen stark mit vorhieronymiani-
Kchen Lesarten und zahlreichen Sonderlesarten durchsetzten Text des
Psalierium Romanum zurück, dessen Spuren noch ins G. Jahrhundert
hinaufreichen. Dieser Lateintext mufs unserem Glossator in einer sehr
ursprünglichen Form vorsele^en haben, die noch keine Worttrennnng auf-
wies und zahlreiche Fehler m sich bar^. Die uns überlieferten I^tein-
texte des Eadwine-Psalters und des mercischen Psalters haben durch häu-
fige Glättun^en und Anpassungen an das Psalterium Romanum an Ur-
sprünglichkeit stark eingebüfst, doch lassen sich an beiden, besonders an
dem unseres Psalters, die alten Verhältnisse noch ziemlich deutlich er-
kennen. — Zuletzt bespricht der Verfasser die zahlreichen fehlerhaften
Übersetzungen im zweiten Teil der Glosse, die wirklich sehr interessant
sind. Sie zerfallen in zwei Hauptgruppen : solche Fälle, wo der lateinische
Text die eigentliche Ursache des Irrtums war, und solche, die lediglieb
der Unkenntnis, Laune und Unachtsamkeit des Glossators zur Last fallen.
Zu beiden Gruppen gibt der Verfasser zahlreiche und belehrende Beispiele.
Zu der ersten Gruppe gehören Fehler, die durch die Nichtabtrennung der
Wörter, und solche, die durch Buchstaben verschreibungen verursacht sind.
Ich will ungern mit Tadel von diesem Buche scheiden, dessen grolle
Verdienste ich nur loben kann, und dessen Lektüre mir eine Quelle reicher
Belehrung gewesen ist. Ich kann aber nicht umhin, einen besonderen
Punkt hervorzuheben, der mir als vollkommen verfehlt erscheint. Ich
meine die weitläufigen Auseinandersetzungen über das Wort slfde S. 2-JO'
bis 248. Nach der Ansicht des Verfassers sollten dieses Wort und seine
Ableitungen noch 'an altheidnische Vorstellungen anknüpfen und einen
schönen Beleg dafür liefern, wie das Christentum bezw. die Kirche den
altheidnischen Wortschatz sich zu eigen zu machen verstand'. Wildhagen
beruft sich auf einen völlig veralteten Aufsatz von Dietrich aus den fünf-
ziger Jahren des 19. Jahrhunderts, wonach die Bedeutung des 'Grausieen,
Grauenhaften, Furchtbaren', weiche das Wort in sämtlichen germanischen
Sprachen hat, sich aus der heidnischen Welt in die christhche hinüber-
gerettet habe. Die Hauptstütze für alle diese Ausführungen soll nun der
mythologische Name Slidr in der älteren Edda liefern. Dafs das Wort
slidr 'schlimm, gefährlich' substantiviert worden ist, um einen Höllenflnfe
zu bezeichnen, darf meines Erachten» nicht befremden. Nach Wildhagen
und seinen Autoritäten sollte der Name aber das Primäre sein! Da koeret
auch geloube xuof Mit Wildbagen glaube ich zwar, dafs Toller im Un-
recht ist, wenn er ein neues sltbe mit der Bedeutung ^farmed, mouldedj
ficttiSf graten {imagey annimmt, aber ich vermag nicht aus den von Wild-
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 167
hagen angeführten Fallen dieselben Schlüsse zu ziehen, wonach daa Worti
'das ursprünglich den Namen für den unterweltlichen Höllenflufs abgab,
in die cbristliche Vorstellungswelt herübergenommen allgemein zur Be-
zeichnung von "Teufel, Götzenbild" verwandt wurde'. Wollen wir uns
zuerst die Fälle ein wenie näher ansehen! Sin jescinde eaUe ha äe je-
biddaä pa $lidan 'confundantur omnes aui adorant sculptilia' (96, 7), and
tcorhton acecelf an ehoreb and jebedon ocb slideleecen 'at fecerunt vitulum
in ehoreb et adoraverunt sculptile' (105, 19), and ßiowdon sliänesae hirm
'et servierunt sculptilibus eorum' (105, 86), becenuB da» onsedon dce sltädcen
'filiarum quas sacrificaverunt sculptilibus' (105, 88); ähnliche Beispiele führt
Toller aus dem Spelman-Psalter an. Was bedeutet nun pa slidan, slidness
usw.? Gewifs nicht 'graven Images, a graven image'. Einige Beispiele
aus der deutschen Bit^lausgabe, die ich augenblicklich zur Hand habe,
werden, glaube ich, die Frage zur Genüee bäntworten. Es. 64, 19 st^t:
(Jeh) sollte das Übrige xum Greuel maenen; die entsprechende Stelle der
öfter
Man
abominationum
Buarum' und Jer. VII, 80: Denn die Kinder Jtida tnun Übel vor meinen
Alicen, spricht der Herr, sie setzen ihre Greuel in das Haus, das nach
meinem Namen genannt ist Der Vulgata-Text hat hier 'offendicula'.
Greuel und Götzenbild waren auch in Altengland synonyme Wörter: pa
slfdan bedeutet also 'die Greulichen, die Greuel', und slidness bedeutet
'Greuel'. Die Nennune dieser Schreckgestalten bei ihrem richtifl;en Namen
muls bei den Engländern dieser Zeiten als eine Art Tabu gegolten haben.
Die Wörter sl^de 'formed, moulded' und slidness 'a graven Image' sind
also endgültig aus der altenglischen Lexikographie auszumerzen, und die
obigen Belege können für mythologische Schlüsse keine Stütze gewähren.
Auch Eadw.-Ps. 106, 34 (jeseite eordcen westmerende on dcsm slipendum
'posuit terram fructiferam in salsilaginem') wird ähnlichen Zwecken nicht
mehr dienen können.
Über die Boedersche Ausgabe vom Be^ius-Psalter kann ich mich kurz
fassen. Es ist in manchen Beziehungen eine sehr interessante Glosse, die
hier zum erstenmal veröffentlicht ist. Sie ist mit groiser Sorgfalt aus-
S^arbeitet; sowohl Text als Glosse sind auiserdem sehr sauber gjeschrieben.
azu kommt, dals der Text auch in sprachlicher Hinsicht vieles Inter-
essante bietet, und dals sie unter den altenglischen Psalter-Glossen eine
selbständige Stellung einnimmt, indem sie von keiner anderen Glossen-
hADdschrift abhängig zu sein scheint, sondern vielmehr den Kern einer
grofsen Glossengruqpe zu bilden scheint. In der Einlei tun|[ teilt der Her-
ausgeber eine Beschreibung der Handschrift mit und untemchtet uns über
die Trinzipien der Texteestaltung. Boeder bestrebt sich darum, den latei-
nischen Text in der Form zu geben, wie der Schreiber^ ihn selbst be-
absichtigt und niedergeschrieben hat. Die zahlreichen Änderungen der
Korrektoren, die teils darin bestehen, dafs der Versuch gemacht wird, die
lateinische Fassung des PsaUerium Romanum der des Psalterium Galli-
canum anzugleichen, teils offenbare Versdien korrigieren, teils nur ortho-
graphischer Natur sind, werden gröfstenteils unberücksichtigt gelassen,
namentlich wo der ursprüngliche Text ganz deutlich zu erkennen ist.
Von dem altenglischen Texte wird ein genauer Abdruck g^eben. Fehler-
hafte Glossen werden in den Fällen mit einem Stern versehen und in den
Anmerkungen besprochen und womöglich emendiert, wenn die Versehen
dem Schreiber wiaer seinen Willen unterlaufen sind. Die Ausübe ist
ein höchst willkommener Beitrag zur Kenntnis der altenglischen rsalter-
glossen; sie ist mit eroisem Fleifs und Sorgfalt ausgearbeitet. Zu noch
gröfserem Dank werden wir dem Herausge^r verpflichtet sein, wenn er
168 Beurteilangen und kurze Anzeigeii.
einmal Bein Venprechen, dne Abhandlung über die Sprache der Redus-
Glosse und ihr VerhäliniB zu den übrigen Handschriften in nicht idlzu-
langer Zeit vorzulegen, erfüllt hat.
Als Anhang folgt eine kurze Liste der von Bosworth- Toller und
Sweet nicht belegten Wörter.
Göteborg. Erik Björkman.
Dr. F. Langer, Zur Sprache des Abingdon Chartular& Berlin,
Mayer & Müller, 1904. 75 S. 8.
Von den in den beiden Handschriften des Britischen Museums Cotton
Claudius C IX (C) und Cotton Claudius B VI (B) enthaltenen Urkunden
sind diejenigen zum Gegenstand einer sprachlichen Untersuchung gemacht
worden, welche aus der altenglischen Zeit (vor 1066) stammen. Das
Chartular ist nämlich in beiden Handschriften in zwei Bucher geteilt, von
denen das erste bis zum Jahre 1006 reicht und also ungesucht zu einer
Sonderun tersuchung Anlafs gibt. Nach der eigentlichen Untersuchung
(S. 2i~71), die sich nur auf die Lautlehre bezieht, folgt eine Zusammen-
fassung der Resultate. Der Lautstand stimmt im allgemeinen mit dem
der spätaltenfflischen Schriftsprache überein. Einige Zuge, die von dieser
spätaltenglischen Schriftsprache abweichen und zugleidi beiden Hand-
schriften gemeinsam sind, werden vom Verfasser für Abingdon angehörig
gehalten. Einige von diesen sind sonst für das Anglische diarakteristisch
und sprechen dafür, dafs eine — übrigens ganz b^reifliche — anglische
Beimischung vorliegt Was die dialektisdien Eigentümlichkeiten der
Schreiber betrifft, ist kaum mehr anzuführen, als oaCs einer unverkmm-
baren kentischen Einschlag zeist. Zum Schlufs werden die vereinzelten
fieste alter Lautformen besprochen.
Dieser sprachlichen Untersuchung, die an und für sich nicht beson-
ders interessante Ergebnisse oder Einzelheiten bietet, geht eine Einleitung
(S. 2—23) voran, die in folgende Abschnitte zerfällt: Die Überlieferung
des Abingdon Chartulars, &haltstabelle über die Urkunden im ersten
Buche des Abingdon Chartulars, Das gegenseitige Verhältnis der Fassun-
gen, Das zu erwartende Sprachmaterial, Die Scnreiber und ihre VerläTs-
uchkeit, Die Verlafslichkeit der Herausgeber. Ich kann nicht umhin, in
dieser Einleitung den weitaus wichtigsten Teil der Arbeit zu erbUcken.
Besonders beacntenswert sind die Ausführungen über das gegenseitige
Verhältnis der Fassungen. Langer erweist zuerst die Unrichtigkeit der
Ansicht Stevensons, weicher C für eine unvollkommene erste Ausgabe,
B für eine später mit Hilfe der Originalurkunden bewirkte Revision ehies
gemeinsamen Originals hält. Statt dessen greift B auf äne bedeutend
altere Fassung als die von C zurück, und C selbst repräsentiert in meh-
reren Hinsichten eine stärkere Entfernung von der gemeinsamen Urquelle.
B benützt aber gleichzeitig eine jüngere Fassung, der er im ganzen zw«ten
Buche folgt. Die Frage nach dem gegenseitigen Verhältnis der Fassungen
wird nun noch weiter beleuchtet und zuletzt durch ein Schema ver-
anschaulicht. Auch die Ausführungen über die Schreiber und ihre Ver-
lafslichkeit sind beachtenswert
Göteborg. Erik Björkman.
Casimir C. Heck, Zur Geschichte der nicht-germanischen Lehn-
wörter im Englischen. A. Die Quantitäten der Accentvokale in
ne. offenen Silben. (Im Auszug.) Berliner Inauguraldissertation. Offen-
bach a. M., Druckerei Wilh. Wagner, 1904. 72 S. 8. M. 2.
Vorliegende Dissertation enthält nur einen Auszug aus einem Teil
einer geplanten grOfseren Arbeit über die nicht-germanischen Lehnwörter
Beurtdlungen und kurze Anzeigen. 169
im Englischen; sie befalst sich hauptsächlich mit den Fragen nach den
Quantitätsentwickelungen ia den betreffenden Lehnwörtern. Es gilt vor
allen Dln^n, die schwankenden Quantitäten der heutigen Akzentvokale
in verschiedenen Wortformen bei gleichem Stamm zu erklären, z. B.
severe : seperity, crime : eriminal, nation : national^ femcUe : feminine.
Der Verfasser bewegt sich also auf einem Grebiete, das früher von Luick
in seinem bekannten Aufsatz 'Die Quantitatsveränderungen im Laufe der
englischen Sprachentwickelung' (Änglia XX H35 ff.) eingehend behandelt
worden ist. Er verwirft die Luickschen Theorien, wonach drei Quantitäts-
stufen für die Akzentsilben (je nach der Siibenzahl des Wortes) anzusetzen
seien; statt dessen stellt er folgendes Hauptgesetz auf: in Entlehnungen
aus fremden Sprachen werden die ursprünglichen Quantitäten der Akzent-
vokale in offenen Silben mehrsilbiger Lehnwörter mit übernommen und
beibelialten. Französische Lehnwörter alter und neuerer Zeit haben dem-
nach nur Kürzen, mit Ausnahme des u < frz. ü, das aus bekannten
Gründen zu fu wird. Für die Vokale in einsilbigen Wörtern ergab das-
selbe Gesetz Länge, weil diese Vokale im Afrz. lang auBges})rochen wur-
den: hieraus erklären sich nun Unterschiede wie crime : eriminal. Für
die lat. Lehnwörter wird je nach ihrer ursprünglichen Quantitierung Länge
und Kürze unterschieden. Dieses Beobachten der lat. Quantitäten ist
definitiv erst durch die Humanisten, teilweise vielleicht durch die Re-
naissance eingeführt worden. In lat. Lehnwörtern vor dieser Zeit sind
wahrsdieinlich nur Kürzen anzusetzen (Ausnahme u = frz. ü). Alle Aus-
nahmen von diesem Gesetz sind Analogien. Ne. nature, navy, ncUion sind
deshalb keine r^elmäfsigen Entwickelungen von me. na'türe, na'vie, na'tion,
sondern verdanken ihren langen Vokal dem Einflufs lateinischer Vorbilder,
in denen die Humanisten den Vokal lang aussprachen. Es ist nicht
möglich, über dieses Resultat ein definitives Urteil zu fällen, da der Ver-
fasser aus seiner Beweisführung das allerwichtigste Moment, die Material-
sammlung, ausgeschlossen hat. Auch in anderen Beziehungen ist die
Darstellung sehr lückenhaft. Geradezu enttäuscht wird man, wenn der
Verfasser dies oder jenes interessante Thema berührt und dann plötz-
lich seine Darstellung mit der Bemerkung abbricht, dafs das weitere
in seinem Manuskript sich befindet oder in der geplanten Arbeit folgt.
Ab und zu haben wir es demgemäß mehr mit un Degründeten Behaup-
tungen, die an akademische Thesen erinnern, zu tun als mit einer wirlc-
lich wissenschaftlichen Darstellung. Trotzdem enthält das Büchlein nicht
wenige richtige oder beachtensw^te Beobachtungen; und es ist wohl
mögflchy dafs man dem Verfasser, wenn die Arbeit einmal in dem ge-
planten Umfange vorliegt, in vielen Punkten wird recht geben müssen.
Einstweilen muTs ich midi aus den schon angedeuteten Gründen mit einem
'non liquet' begnügen.*
Göteborg. Erik Björkman.
Ernst Sieper, Lydgate's Reson and Sensuallyte. Vol. IL Studies
and Notes. London 1P03. IX u. 132 8. 8. (EETS.ES, LXXXIX.).
Das Buch bringt natürlich die Summe der Ergebnisse, zu denen Sieper
bei der Bearbeitung des kritischen Textes von Keson and Sensuallyte ge-
kommen ist. Die Veröffentlichung des schönsten Lydgateschen Gedichtes,
wenn man will des einzigen, das heute noch aufserhalb der philologischen
Welt auf Leser rechnen darf, hatte der Literaturfreund freudig begrüfst.
Die Lydgate- Philologen mochten im vorigen Jahre das neue Bändchen,
die Studies und Notes, gleich erwartungsvoll entgegennehmen.
^ Bei der Korrektur bemerke ich, da(^ Heck eine ausfülirlichere Darstelluii^
der Frage iieuerdings ia der Änglia XXIX S. 55 — 119 veröfifentlieht hat.
170 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Die Stadies, sechs grölsere Kapitel, füllen etwas mAt als die Hälfte
des Bandes. Zur Untersuchung der Frage nach Autor und Datum schafft
sich Sieper mit glücklichem Gedanken eine Basis dadurch, dafs er die
charackteristischen Eigentümlichkeiten des Gedichtes auf Grund derer im
Troy-Book und im Pilgrimage nachprüft und sie als identisch mit ihneo
erkennt Die von Schick gegebene Zahl der Entstehung 'zwischen 1406
und 1408' modifiziert er in 'vor 1412' (p. 8). Als Resultat der Unter-
suchungen im zweiten Kapitel ergibt sicn, dafs das Prinzip der Schick-
schen Typen im gleichen für Lydgates Viertakter zutrifft, nacn der Häufig-
keit geordnet Typus A, dann Typus D (nahezu 30% 1), dann Typus C.
Für Typus B findet 8. in den 7C00 VV. nur drei, für Typus E nur sieben
Beispiele. Ob diese Typus E -Verse nicht verirrte Fünf takter sind? Am
liebsten möchte ich ihnen den von S. unter ^Vpos B aufgeführt«! V. 1471
(p. 13 ob.) beizählen oder abändern in (En) Clynyng by fleshly ap-
petyte. Bemerkenswert ist zum Scblufs noch, dafs sich mehrere Fälle
von amalgamierten Typen, drei für (D + C) und sieben für (D-|- B) finden
(p. 13); einige Beispiele für das Fehlen der Auftakte im ersten und zugleich
im zweiten Hemistich fanden sich ja schon in den Fünftaktem des Secr.
Secr. B. hat es für gut erachtet, vom 'Standpunkt des Agnostikers' ans
bei diesen Untersuchungen mit äufserster Vorsicht vorzugehen. Nach
meinem Empfinden hätte die ganze Beweisführung lapidarer geschehen
können. Dals die VV. Viertakter sind in Nachahmung der französischen
Achtsilber der Quelle (p. 14), war die Voraussetzung so sicher wie ein
mathematisches Datum; dafs unter den von den Schickschen Typen her
bekannten Eigentümlichkeiten die VV. — mit drei Ausnahmen (p. 14) •—
tadellos laufen, kein Beispiel einer harten Verschleif ung etc. (pp. 10, 11)
und kein Verstofs gegen Wort- und Satzakzent (pp. 15, 16) aufzuweisen
ist, war die Thesis. Der Beweis konnte nicht anders als glücken. Die
beiden nächsten Kapitel (Flexion und Beim) führen in den Zentralpunkt
der Lydgate- Forschung, zur Frage des End-e. Am stärksten ersdieint der
Abfall oes End-e wieder beim Verb, besonders häufig bei den kurzstäm-
migen Infinitiven der starken Konjugation (p. 34), so zwar, dais alltägliche
Verba wie give und come 'beinah ausschlielslich monosyllab' sind. Be-
achtenswert ist, dafs nach den p. 43 aufgefühiten Beispielen die End-e-
Formen reimender französischer Adjektive, gleichviel ob masc oder fem.,
die Regel zu sein scheinen. Hierher heranzuziehen sind noch zwei von
S. an früherer Stelle (pp. 14 und 11) gemachte Konstatierungen: einmd,
das End-e adjektivischer ja-Stämme ist immer silbisch und Formen wie
loühotUe, fortüne (mit stummem End-e) etc. sind ihm nie sicher be-
fegnet; zum andern fällt ein End-e, das zwischen zwei Dentale zu stehen
ommt, ab. Die weitere Entwicklung der Lydgate- Studien wird zeigen,
inwieweit S.s Behauptungen richtig smd. Hat S. somit manni^ach posi-
tive Anregungen georacht, die zum mindesten dankbar entgegenzuneh-
men sind, so bietet er im fünften Kapitel über den Stil Untersuchun-
gen, wie sie vorher nie gemacht waren. 'Beduplication' des Ausdruckes
möchte man die Hauptnote in Lydgates Technik heifsen; man könnte
geneigt sein, ein Kunstprinzip in dem Parallelismus zu finden, mit dem
Lydgate seine Perioden 'baut' (vgl. die pp. 48 und 49 gegebenen Bei-
spiele) ; aber man weifs, bis zu welcher Monomanie der alte Lydgate z. B.
in den VV. 500—1000 des Secr. Secr. in 'Wiederholungen* geradezu ver-
bohrt und verloren ist. Klerikerblut und Priesterbrauch und das schnl-
meisterliche Bedürfnis, sich gemeinverständlich und klar zu machen,
haben dem armen Benediktiner wohl hauptsächlich zu der 'IvdgateBchen
Manier' verhol fen. Es widerfährt dem 'guten Mönche* (p. 48) sicherlidi
übergenug Ehre, wenn S. sich bemüht, die verschiedenen Kunstetückcben
zu ordnen in 'reduplication, straining after epithets etc., intensifying'ad-
verbs, downright tautology' usw., und wenn er gar die fossilen Wendungen
Beurteilungen und kurze Anzeigipn. 171
der Btop-^ps auseinander klauben will. Das sechste und letzte Kapitel
erledigt die Quellenfrage und bringt wesentliche Ergänzungen zu S.s frühe-
ren Studien über die Echtes amoureux. Guido de Colonnas De regimine
prindpum hat sich nunmehr als Hauptquelle für den zweiten längeren
Teil der Ech. am, erwiesen. Lydgatc hat also mehr als ein Menschenalter
den Plan mit sich herumgetragen, einen der Secr. Secr. -Texte versifizieren
zu wollen. Zum Schlnf«i iührt »S. die Pariser Handschriften vollständig
an, in denen das allegorische Gedicht der Eck. am, kommentiert ist, und
zeigt an einem Beispiel (MS. des 16^) den Gedanken und Zweck dieser
Kommentare.
Viel Material ist dann in den Notes zusammengetragen, und Lexiko-
graph wie Literaturforscher finden doit Stoff genug zur Ausbeute.
Das Bändcheu atmet Elastizität und I^ebonslun; es sind nicht biofs
reine philologische 'facts'; es ist, als ob ein Stück vom Verfasser mit-
ginge, und als ob sich etwas durch die ganzen Untersuchun^n hindurch-
zieht, das in all die Darlegungen Leben bringen und sie pulsieren machen
möchte. Der deutsche I^er aber hat eines anzumerken. Das Buch ist
von dem deutschen Gelehrten selbstredend englisch geschrieben. Die Kor-
rekturbogen wurden mit scharfem, wachsamem Auge gelesen. Es berührt
aber eigentümlich, zu sehen, dafs in der p. 15 zitierten Stelle aus dem
Buche eines deutschen Forschers innerhalb weniger Zeilen mehrere Druck-
fehler stehen bleiben durften. P.
Theodor Erbe, Die LocriDesage und die Quellen des pseudo-
shakespearischen Locrine. Studien zur englischen Philologie, her-
ausgegeben von Lorenz Morsbach. XVI. Halle a. S., Max Niemeyer,
1904. 72 S. M. '2.
Wilfrid Perrett, The story of King Lear from Geoffrey of Mon-
mouih to Shakespeare. Palaestra, Untersuchungen und Texte aus
der deutschen und englischen Philologie, herausgegeben von A. Brandl,
G. Roethe und E. Schmidt. XXXV. Berlin, Mayer u. Müller, 1904.
308 S. M. 9.
Emil Bode, Die Learsage vor Shakespeare, mit Ausschlufs des älte-
ren Dramas und der Ballade. Studien zur englischen Philologie, her-
ausgegeben von Lorenz Morsbach. XVII. Halle a. S., Max Niemeyer,
1004. 105 S. M. 4.
Arbeiten wie die vorlie^nden sind gegenwärtig en vogue in der Shak-
spereforschung, seit Churchill mit seinem Buche mekara the Tkird vp to
Shakespeare anfing, die Evolution einer Shakspereschen Gestalt von ihrer
historischen Basis aufwärts zu zeigen. Untersuchungen über ältere Be-
arbeitungen Shaksperescher Stoffe fehlen auch, vorher nicht: Max Moltke,
Shakespeare* 8 Hamietquellen (1881), Israel Gtollaiicz, Hamlet in Iceland (1898)
u. a.; neu war aber das von Churchill in den Vordergrund gesteljte Mo-
ment, den Werdegang des Stoffes als solchen herauszuarbeiten. Ahnlich
versuchte Evans Bonner Düs. 1902), die präshakspereschen Hamletbear-
beitungen chronologisch und genealogisch zu ordnen; ähnlich versuchte
auch ich in meiner Kürzlich erschienenen Schrift über 'Macbeth' (vgl. An-
zeige von Münch im Archiv CXIII, 428 ff.} dem Geiste nachzugehen, der
hier still und geschäftig Jahrhunderte hindurch Shakspere vorgearbeitet hat.
Nunmehr haben der pseudoshakspereschc Locrine und der Lear Bearbeiter
gefunden. Für den Falstaff und für Margarete von Anjou sind entspre-
chende Arbeiten meines Wissens in Vorbereitung, und die Inangriffnahme
dieser Charaktere ist höchst verdienstlich. * Zwei von den krausesten und
* Baeske, FalsUtf {Paiataira L), ist erschienen.
172 Beurteilimgen und kurze Anzeigen.
kompliziertesten Gemischen Shaksperescher Charakterknnst — denn in
welcne Schubfächer ihres noch so reichen Katalog wollen unsere Bühnen-
leiter und Dramaturgen diese beiden Gestalten einordnen? — dürften eine
interessante Aufklärung erfahren. Abschliefsende Arbeiten über den Romeo
and Juliet-Stoff, das Shy lock- Motiv u. a. sind Desiderata.
Worin liegt der Nutzen derartiger Arbeiten? höre ich fragen, ein Ein-
wand, dem auch Münch in der Anzeige meines Baches kurz entgegen-
li^etreten ist. Von wie geringem Interesse ist es, die älteren, oft so un-
künstierischen Fassungen kennen zu lernen, die dem Dichter, um dessen
Werk es sich handelt, ganz unbekannt waren, und die darum keinen
Einflufs auf sein Schaffen geübt haben I Die Kenntnis der Quellen ist
gewifs ein ^lises Hilfsmittel zum Verständnis der Dichtung, ah&c das
hat doch mit all jenen, oft um Jahrhunderte zurückliegenden Vorstufen
nichts zu tun.
Der Einwand trifft nicht den Kern der Sache. Die so sprechen, über-
sehen zunächst, dals doch erst die Vergleichung der Dichtung mit den
älteren Fassungen uns Aufschlufs gibt über die Quellen, dals wir über-
haupt nicht sagen können, welche Versionen Shakspere gekannt und benutzt
hat, bevor wir nicht alle gelesen haben. QuellenEunde und Kenntnis der
gesamten Vorgeschichte ist mithin eins. Sodann aber vergessen jene Ein-
wendenden ganz, dafs die Quellen eines dichterischen Stoffes oder Cha-
rakters auch hinter und jenseits der dem Dichter bekannten Vorlagen liefen.
Quelle ist nichts anderes als literarische Evolution. Die Stoffe der grofsen
Shakspereschen Dramen haben sämtlich sich wie Lebewesen entwickelt,
sie haben eine Kindhdt gehabt und sind stufenweise zu voller, schöner
Männlichkeit herangereift Wie wir aber die Wesensheit eines Menschen
nie vollkommener begreifen als auf Grund vollständiger Bekanntschaft mit
seinem Werdegang und seiner Entwicklung, so auch bei der literarischen
Produktion. Das Verständnis für Hamlet wird uns nie voller aufgehen,
als wenn wir diese Gestalt im entwickelnden und ausgestaltenden Schofse
der Jahrhunderte haben heranreifen sehen. Aber man sehe ganz ab von
Shaksperes Titanengestalten, sehe auch ab von so gewaltigen Konze{>tionen
wie Faust und Don Juan, man nehme bescheidenere G^talten wie den
unausbleiblichen Pfarrer der englischen Romane des 17. und 18. Jhs.,
oder den Byronschen Helden, jenes so krause Gemisch heterogner Eigen-
schaften, und man wird die Richtigkeit meiner Behauptung nicht minder
klar erkennen. Es ist gewifs sehr Billig, zu sagen, dals Goidsmith in sei-
nem Vicar dem Vater ein Denkmal ^etzt, dals Byron in seinen (Stalten
sich fortwährend selbst photographiert habe, und es soll hier auch nicht
bestritten werden, dafs der wahre Dichter jeder seiner Schöpfungen ein
Teil seines Charakters mit auf den Weg gibt, aber das Verständnis der
dichterischen Gestalten wird damit nicht erschöpft. Das erschliefst uns
erst voll die Kenntnis der Evolution. Sie zeii^ uns beispielsweise die
verschiedenen Ingredienzen des Bvronschen Heldentypus und ihr Zusam-
menfliefsen; sie zeigt uns, wie schon Shakspere hier die Grundlinien der
Figur schuf mit seinem EMmund Gloster (der Verbrecher und Liebling
der Frauen ist), Grundlinien, die Schiller mit seinem Karl Moor vertiefte,
während Goethe mit seinem Wer(her, Chateaubriand mit seinem Ren^,
Benjamin Constant mit Adolphe, Etienne S^nancour mit Obermann usw.
die auf die Tränendrüsen der Leser spekulierende Melancholie hinzufügten;
und über all das gol's nun Byron den Zauber der blendenden äufseren
ErscheinunL', und sein Held, die Krankheit des beginnenden 19. Jhs.,
war fertig. So allein entstehen solche Charaktergebilde; das gleiche Schau-
spiel, nur um vieles grofsartiger und gewaltiger, zeigt sich bei Shakspere.
Bald ist es der einzelne Charakter (welch weiter Weg vom Miles Gioriosus
der Romer bis zu Falstaff"!), bald die Fabel (von Geoffrey of Monmouth geht
der Weg des Königs Lear bis zu Shakspere, und weiter hinaus zu Bauacs
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 178
'P^re Gk>riot' und zu Turgeniews 'Lear der Steppe'); hier ist ein ewiger
FIuJGs, und die Tradition bricht nicht ab. Wir sehen also schon, der Ge-
winn derartiger, die literarische Tradition eines Stoffes untersuchenden Ar-
beiten kann sehr hoch sein: nicht nur vertiefen sie das Verständnis des
Kunstwerkes, nein, sie seben uns auch einen Einblick in das Schaffen
der Eünstlerseele, und aas ist das Höchste und Letzte jeder Literatur-
forschung.
Ich begrüTse daher das Erscheinen der eingangs erwähnten Arbeiten
mit grolfier Freude und möchte gern ihre Verdienste anerkannt sehen.
Erbe hat sich mit dem Locrinedrama beschäftigt; dies gehört bekannt-
lich zu den sogenannten pseudoshakspereschen Stücken, und zwar meines
Erachtens zu denen, die am wenigsten Anspruch darauf machen können, in
Zusammenhang mit Shakspere gebracht zu werden. Unter den Stücken,
die Unkenntnis oder buchhändlerische Berechnung später unter Shaksperes
Namen hat erscheinen lassen, befinden sich immerhin einiee, die des
groDsen Dichters nicht unwürdig sind und ihrem Werte nach von ihm
herrühren können: dies gilt aufser von 'Perikles' (wo Shaksperes Mit-
arbeiterschaft ziemlich sicher ist) von *£dward III.' und The two noble
ktnsmen'. Die Frage der Autorscnaft der pseudoshakspereschen Stücke ge-
hört ja unzweifelhaft zu den schwieri^ten der ganzen Sbaksperekritik, auch
zu den bisher am wenigsten in Angriff genommenen. Ohne neues Material
wird sich kaum hier Sicheres saeen lassen; wohl aber steht zu hoffen,
dafs, wenn die reichen Schätze in den Archiven der englischen Adelshäuser
zugänglicher gemacht werden, uns eine Fülle neuer Kenntnis für Shakspere
und seine Zeit zuteil wird. Bis dahin wird die Frage nach der Autor-
schaft der pseudoshakspereschen Dramen eine offene bleiben müssen.
Gleichwohl bin ich geneigt, einiges negative schon jetzt zu entscheiden ;
ich möchte behaupten, dals der *Locrine ganz aus der Beihe der täg-
lichen Stücke ausscheidet. Weder der Abdruck in der ;s. Folio von l(>ö;5,
noch der Druck von 1595 mit den Initialen W. S. als Autor, fallen meines
Erachtens irgendwie ins Gewicht ge^nüber dem äuüaerst geringen poeti-
s<dien Wert des Stückes (Erbe gibt leider nur eine Analyse des Stückes,
keine ästhetische Würdigung, vor allem keine psycholodsche Sezierung
der Charaktere). Tieck plädiert zwar für die Echtheit (er hat es in seinem
AÜenglischen Theater übersetzt) ; aber man weils, dafs Tieck ein weni^ vor-
eilig war in der Annahme der Autorschaft Shaksperes für zweifelhafte
Stücke. Der 'Locrine' ist ein geistloses Machwerk, ein Beispiel, wie ein
wundervoller Stoff von einem unfähigen Dichter verdorben werden kann;
die Sprache ist bombastisch, erinnert an Marlowe; die komischen Szenen
sind höchst unglücklich, ganz episodenhaft, sie wachsen ^ar nicht in die
Haupthandlung hinein, und wie wundervoll ist gerade dies letztere bei
Shakspere I
Der Stoff des *Locrine' ist freilich prächtig; mit Recht betont Erbe
die poetische Kraft der Locrinesage, und mit !E^ht bedauert er, dafs der
Ston noch nicht den genialen Dramatiker gefunden, der aus ihm ein blei-
bendes Bühnenwerk geschaffen hätte; das Zeug zu einem solchen trägt
der Stoff in sich. Es sind alte, ewige Akkorde, die hier erklingen: von
der sinnlichen Gier des Mannes, der, durch die Politik an ein ungeliebtes
Weib gekettet, in wilder Leidenschaft zu einem anderen Weibe entbrennt,
von der in brunhildehafter Eachgier auflodernden verschmähten Gattin,
von dem Tode des treulosen Gatten oder der glücklicheren Nebenbuhlerin.
£b sind dieselben Akkorde, die Bacine in der Andromaque, Körner in der
Kosamunde Glifford, Grillparzer in der 'Jüdin von Toledo' angeschlagen
hat; auchPonsard hat in seiner 'Agnes de M^ranie' einen ähnlichen Stoff
mit Glück behandelt. Vielleicht findet auch der 'Locrine' noch seinen
Ketter; unsere heutigen Dramatiker scheinen ihre Aufmerksamkeit dem
altenglischen Drama zuwenden zu wollen ; nun, der 'Locrine' verdient eine
174 Beuiteilangen und kurze Anzeigen.
Neubelebung nicht minder als Massingers 'Fatal Dowry' und Otways
'Venice Preserved*.
Erbe untersucht in seiner Schrift den Werdegang der Locrinesage vor
und nach dem Drama, wodurch sich die beiden Uauptteile seiner Arbeit
ergeben. Fflr den ersten Teil kommen so ziemlich dieselben Werke in
Betracht wie für Lear (s. u.); Geoffrey ist der Ausg»uinpunkt, meiocs
Erachtens auch der Erfinder (an die echte, volkstümlidie Sage glaube ich
bei Locrine so wenig wie bei Macbeth und Lear) Von Geonrev ^eht der
Stofi' durch zahlreiche Zwischenstufen (darunter die Brutbearbeitungen :
Münchener Brut, Wace, Layamon, wohl die künstlerischsten Versionen)
bis zu den Chronisten des iU. Jhs.: Hardyng, Fabian, Graf ton, Mirror
for Magistrates, Stow, Holinshed; auch Spenser, Lodge, Hanrey kennen
die Sage.
Interessanter ist die Weitereeschichte des Stoffes nach dem Drama.
Schon das ist ein Zeichen für den geringen Wert des Dramas, dafs die
literarische Tradition nicht nach ihm verstummt wie bei den grolken Tra>
K&dien Shaksperes. So gewaltig die Vorgeschichte zu Hamlet, Lear,
Macbeth, Othello, Romeo and Juliet ist, so wenig dbt es einen Weiter-
gang dieser Stoffe nach Shakspere, er sprach eben hier das letzte Wort;
gewaltig ist nur das Nachleben seiner Dramen, so gewaltig, so dominie-
rend, dafs es keinem gelang, das gleiche Motiv in noch so abweichender
Umgebung zu behandeln, ohne fortwährend an Shakspere anzuklin^o
(Gottfried Keller, Balzac, Turgenjew). Der Locrinestoff dagegen wird weiter
behandelt, eben weil das Drama so wenig als letzte Darstellung gelten
konnte: wir haben eine Ballade *Duke of Cornwairs Daughter' von sehr
unsicherer Datierung (gedr. 1784), sodann die Hineinziehune der Sage in
Miltons 'Comus' (Sabrina, die Nymphe des Sevem), vor allem aber das
fünfffesängige Epos von Morgan, Kavanagh ; es stammt aus 1839 und ist
Soutney gewidmet. Die Behandlung des Gegenstandes ist sehr frei; Erbe
nennt es die würdigste und poesievollste Bearbdtung der Sase. Die letzte
Version ist das Drama Swinbumes (1887), ein 'Buchdrama, fflr die Bühne
ungeei«^et\
Erbe vergleicht sodann, nach der Übersicht und kurzen Skizzierung
sämtlicher Versionen, die alten Sagenbearbeitungen auf ihren Inhalt hin,
indem er Geoffrey zugrunde legt und wichtigere Abweichungen in den
späteren Autoren parallel druckt; auf Grund der durch diese Vcrgleichung
erlangten Resultate sucht er sodann die Frage nach den Quellen des
Dramas zu beantworten. In eingehender, überzeu^nder Weise legt der
Verfasser dar, dafs Geofirey die Hauptauelle des Dramas ist, und dafs
neben ihm noch Caxton und Holinshed oenutzt worden sind. Ganz aus-
geschaltet hat Erbe leider die ästhetische Betrachtung, darin liegt mdnes
Erachtens ein Mangel. Fragen nach dem tragischen Gehalt des Dramas,
der psychologischen Ausgestaltung der Charaktere, der künstlerischen
Motivierung der Vorgänge nätten wohl mehr Baum finden können. Davon
abgesehen, ist Erbes Buch eine sehr annehmbare Leistung von wiasen-
Bchaftlichem Werte.
Perretts Buch über 'King Lear from Geoffrey to Shakespeare' ist ganz
trefflich. Alles, was man von einem \Verke, das auf Wissenschaftlichkeit
Anspruch erhebt, zu fordern berechtigt ist, mufs hier nachgerühmt werden:
vollständige Beherrschung der einscnlägigen Literatur, ruhige Sicherheit
des Urteils, neue positive Resultate und eine vornehme, elegante Sprache.
Das Buch liest sich gut; Pcrrett versteht die seltene Kunst, zugleich
wissenschaftlich und interessant zu schreiben, mit welcher Banerkung ich
sein Werk hoffentlich nicht bei denen diskreditiere, die beides immer noch
für unvereinbare Gegensätze halten.
Im ersten Kapitel *Geoffrey of Monmouth' (S. 1 — 28) untersucht der
Verfasser die Herkunft des btoffeö. Er räumt zunächst mit den pr&gal-
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 175
fredischen Theorien auf; es ist nichts, weder mit der fauU de mieux auf-
gestellten Hypothese von einem keltischen Ursprung des Learstoffes, noch
mit der Entdeckung De Gubematis' von einem indischen 'Ur-Lear'. Es
hat ja viel Verführerisches an sich, in Indien, der Heimat so vieler wan-
dernden Sagen, auch nach dem Quell des Lear zu suchen; aber die Pa-
rallele aus dem MahäbhArata, welche De Gubematis als 'King Lear in
embryo' bezeichnet, genügt denn doch nicht den bescheidensten Anforde-
rungen an Parallelismus. Die Liebesprobe, welcher der Vater seine Töchter
unterwirft, der Kern des Learstoffes, fehlt im Indischen, und ohne diesen
Kern kann von einer Verwandtschaft nicht gesprochen werden. Sehr scharf-
sinnig sind des Verfassers Ausführun^n über einen keltischen Ursprung
des Stoffes: weder in einer keltischen Volkssage noch in einem einfachen
Naturmythus (so nahm Alfred Nutt an) haben wir nach Perrett die Basis
der Leargeschichte zu suchen.
Vielmehr ist der Lear, als Ganzes, nicht auf seine Teile hin betrachtet,
durchaus GeofiTreys Erfindung; das ist das gesicherte Ergebnis der Unter-
suchung Perretts. Ich glaube noch weniger als Perrett an das *librum
vetustissimum britannici sermonis', das Geoffrey benutzt haben will; das
ist ein literarischer Kunstgriff, der in mittelalterlichen Chroniken zu häufig
begegnet, um nicht mit äuTserstem Milstrauen aufgenommen zu werden.
Geoffrey, in seinem Bestreben, seinem Volke eine sagenhafte Vorgeschichte
zu bieten, füllte die Lücken in Nennius (79(5) mit einer Schar satter,
lebensvoller Gestalten aus; dals er in dem, was er von diesen erzählt,
nicht immer original war, tut der Originalität der Gestalten keinen Ab-
bruch. Nicht die Aneimung fremder Stoffe macht den Plagiator (dann
wären Shakspere und Möllere die gröfsten Plagiatoren), sondern das Wie,
die Aufnahme und Wiedergabe, unterscheidet den originalen Dichter und
den bloisen Nachtreter; und Geoffrey war ein Original.
Geoffrey machte Lear zum Gründer von Ijcicester; der Chronist hat
eine fast verdächtige Vorliebe für solche Erklärungen von Ortsnamen
(Perrett S. 5 f.). Leicester ist vielmehr L^recastra, nach dem Flusse Legra
(oder Loar). Für die Geschichte von König Lear und seinen Töchtern
verwendete Geoffrey nun 2wei uralte Märchenmotive, die Liebesprobe und
die kindliche Undankbarkeit. Die Liebesprobe, der Lear seine drei Töchter
unterwirft, geht zurück auf das 'Salzmotiv': die eine Tochter antwortet
dem Vater auf die Frage nach der Höhe ihrer Liebe, 'sie liebe ihn wie
das Salz'.
Perrett bringt hierfür 26 bezw. *25 Varianten; gut ist seine Bemer-
kung, dafs diese internationale Fabel eine tendenziöse Erfindung sei, den
anscheinend geringen, tatsächlich so hohen Wert des Salzes einander gegen-
überzustellen. Das zweite Motiv von der kindlichen Undankbarkeit (der
älteren Töchter) gegen den allzu gütigen Vater ist zwar oft, wie in den
Learbearbeitungen und in den meisten 'Salzgeschichten', mit dem ersteren
Motiv verbunden ; nötig ist dieses keineswegs. Ursprünglich ist das zweite
Motiv durchaus unabhängig, ja, es ist sogar das umfassendere von beiden.
Nach A. Toblers Einteilung zerfallen die Erzählungen von dem allzu
vertrauensseligen Vater (der allen Geschichten gemeinsam ist) in drei
Gruppen: 1) die bevorzugten Kinder sind undankbar, und die zurück-
setzten und verkannten sind dankbar; dahin würden der Learstoff und
die meisten 'Salzgeschichten' gehören; 2) der undankbare Sohn wird durch
das Beispiel seines eigenen Sohnes zur Erkenntnis seiner Schlechtigkeit
und zur Umkcdir gebracht; dahin gehören unter anderem das altfranzö-
sische Fablel *La Houce partie', die mittelhochdeutsche Erzählung 'Der
Kotze', in weiterem Sinne auch das von Stanislas Julien mitgeteilte chine-
sische Volksmärchen aus den Avadänas (Paris 1859); 8) der Vater bringt
die undankbaren Kinder durch die Täuschung, er habe noch Schätze zurück-
behalten, dahin, ihn wieder mit Liebe zu oehandeln. Grundform dieser
176 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Gruppe ist die auch von Perrett angeführte G^chichte vom 'Schier in
Paulis 'Schimpf und Ernst', deren zahllose Varianten sich so ziemlich bei
allen indoeuropäischen Völkern finden. Durchaus treffend ist die schon
von Simrock gemachte und von Perrett wiederholte Bemerkung, da& in
jener Erzählung ein Best alten Heidentums stecke, eine Erinnerung ao
den barbarischen Gebrauch vieler Völker, die untauglichen Greise durch
ihre eigenen Söhne (oder nächste Verwandte) mit einer Keule oder einem
Hammer erschlagen zu lassen (vgl. dazu Erwin Bohde, Der grieehiseke
Romano 1900; S. 247, oder Massingers Stück 'The Old Law'). Es ist eme
Lieblingsansicht von mir, derartige internationale Fabelmotive als Beste
alter Bechtssitten und Volksbräucne aufzufassen, und nur ungern habe
ich seinerzeit Simrocks Erklärung des wandelnden Waldes abgewiesen.
Hier stimmt die Sache nicht; wohl aber wird kein Zweifel daran sein,
dafs in dem oft beeeKuenden Motiv des Kampfes zwischen Vater und
Sohn (Hildebrand-Haaubrand, Bosthem-Suhrab) eine Erinnerung vor-
liegt an den uralten Bechtsbrauch mancher Naturvölker, wonach der
Vater, der Herr des Hauses, sowie Zweifei an seiner Tüchtigkdt und
Fähigkeit berechtigt werden, sein Anrecht, das Haupt des Hauses zu sein,
durch einen Kampf mit dem Sohne von neuem erweisen mulste. Ebenso
sicher ist es, dals die 'Shylock-Fabel' ihre Entstehung verdankt dem Stre-
ben milderer Zeiten, alte barbarische, aber noch in Kraft bestehende
Gesetze, deren Wortlaut man nicht gern anfechten wollte, durch besonders
scharfsinnige, fein ausgetüftelte Deutung zu umgehen.
Geoffrey verband also für seinen L^ar die beiden obigen Motive von
der Liebesprobe und der kindlichen Undankbarkeit; vielleicht auch hat
er sie schon irgendwo verbunden gefunden; das wird sich schwer entschei-
den lassen. Das Salz freilich schaltete er aus, wohl aus äulseren Gründen;
bei ihm gibt Cordelia die nur 'mit attischem Salz gewürzte' Antwort:
'Quantum habe«, tantum vales, tantumque te diligo*. Aus Eigenem hinzu-
gefügt hat Geoffrey den tragischen Ausgang (der freilich später als bei
Shakspere eintritt), denn in den verwandten volkstümlichen Greschichten
endet die Sache fröhlich. Diese Wandlung ist nach Perrett ein keltischer
Einschlag (S. 25 ff.); nach ihm haben die keltischen Stofife alle eine Nei-
gung zu tragischem Ausgang: die Bösen siegen zumeist, und die Guten
gehen unter.
Ich habe bei der Betrachtung des ersten Kapitels länger verweilt,
einmal weil es wegen des vielen Neuen am meisten Interesse hat, sodann
weil es mich besonders anzog wegen der Parallele zu 'Macbeth'. Die Ähn-
lichkeit ist frappant; in beiden Fallen haben wir das bleiche kunstmälsige,
wohlüberlegte Schaden (das freilich auch mit volkstümlichen Stoften
arbeitet) ; nur, dafs es sich in dem einen Fall um eine frei erfundene (Lear),
in dem anderen um eine geschichtliche Persönlichkeit (Macbeth) handelt.
Durch Hineinziehung des Yolkselementes nun wandeln Geoffrey das Mär-
chen, Wyntoun die Geschichte zur Sage, aber wohlgemerkt: zur Kunstsage,
nicht Volkssage!
Im zweiten Teil seines Buches (S. 29 — 142) schildert Perrett die Evo-
lution des Stoffes von Geoffrey zu Shakspere durch 57 Zwischenstufen,
deren genealogischen Zusammenhang eine am Eingänge des Buches ab-
gedruckte übersichtliche Tabelle veranschaulicht. Aus der Fülle der Zwi-
schenstufen, deren Stellung und Wert der Verfasser eing^end würdigt,
hebe ich als besonders wichtig hervor: die wallisischen Übersetzun-
gen (S. 7), bei deren Betrachtung Perrett nachweist, dafs der Brut Tisylio
nicht, wie früher (z. B. von Simrock, Ward) angenommen, Geoffreys Vor-
lage war, vielmehr umgekehrt auf diesem beruht, den Layatnon (8. 8),
die Leargeschichten in den Oesta Romanorum (S. 23— *25), wo der Ver-
fasser wieder zu dem entgegengesetzten Ereebnis wie Simrock gelangt, der
die Geschichte vom Kaiser Theodosius und seinen drei Töchtern für die
Beurteilnngen und kurze Anzeigen. 177
Quelle zu Geofheys Lear hielt, den Mirror for Magistraten (8. 48),
Spen»er*8 Fairie Queene (8. 51): Prinz Artur liest im Hause der
Temperance eine alte Chronik seiner Vorfahren, darin auch die Geschichte
Lears (Buch II, Ges. 10), The Old Play (8. 53): das alte 8tück beruht
auf dem Mirror for Magistrates, der Fairie Queene und Warner's Albion ;
über den Verfasser des rrä-Lear wagt Perrett nichts zu entscheiden, die
alten Hypothesen (man dachte auDser an Shakspere an Eyd, Marlowe,
Lodge, Jreele, Greene, auch an eine Kollaboration mehrerer Autoren) sind
sehr unsicher fundiert; Bchlielislich The Bailad (8. 57): hier steht die
Frage im Vordergrunde, ob die Ballade älter oder jünger sei als 8hak-
speree Lear; Perrett spricht sich für die letztere Annahme aus, nach
ihm hat der Balladendichter Shakspere gekannt und benutzt, daneben
Hollnshed.
Der dritte sehr umfangreiche Teil (8. 143 — 289) ist 8hakspere ge-
widmet; hier ist der Verfasser mir bisweilen zu scharfsinnig: er sieht
Schwierigkeiten, Probleme, wo keine sind. Gleich seine lange Kontro-
verse, OD eingangs equalitiea (so Qi) oder qualities (F,) zu lesen ist,
erscheint mir, wenn auch nicht überflüssig, so doch in gar keinem Ver-
hältnis zu der Bedeutung dieser Variante. Ich sehe wMer ein, wo die
Schwierigkeiten bei der I^art equalities lic^n, noch begreife ich, wie die
vermeintlichen Schwierigkeiten (die viele Kritiker, auch Perrett, hier finden)
durch das von Perrett bevorzugt« qualities beseitigt werden. Selbstver-
ständlich sprechen Gloster und Kent in der ersten Szene nur von den
Anteilen Gonerils und Regans, und die können so mathematisch gleich
(equalities) sein, wie sie wollen, darum kann Cordelias Anteil doch gröiser
sein. Wenn Lear bei der Ausstattung Begans nachher von this ample
third, no less in spaee, validity and pleasure, than that conferred on Ooneril
spricht, so ist natürlich nicht an ein mathematisches Drittel zu denken
(oann mülsten alle Töchter exakt gleiche Teile bekommen), wie das un-
mathematische a third more opulent than your sisters zu Cordelia beweist.
Auch die Lesart qualities vertragt sich doch nur (wie Perrett 8. 151 zu-
geben muis) mit einer weiteren Deutune des third; wo liegt hier also die
Schwierigkeit, die Perrett sieht (One diffieuUy is renuwed)!
Abgesehen von diesen Subtiiitäten, denen oft bei ihrer allzu feinen
Zuspitzung die Spitze abbricht, enthält der dritte Teil nicht minder feine,
vortrefflich beobachtete Einzelheiten wie die beiden vorhergehenden ; so die
Bemerkungen über die Bolle des Narren (Appendix II, S. 300). Perrett
sieht in dem Narren weniger eine Person von Fleisch und Blut als eine
symbolische Deutung auf C^rdelia ; er ist der Vertreter ihrer Wahrhaftigkeit
nach ihrem Wegeang von der Bühne (sowie er anderseits verschwindet,
als sie wieder auftritt); 'in this respect ihe two charaeters are one'. Das
ist richtig, der Narr hat keine Individualität, wie er auch keine Geschichte
hat; gleichwohl möchte ich nicht soweit gehen wie Perrett, der verlang,
Cordelia und der Narr sollen von einer Künstlerin dargestellt werden (wie
wahrscheinlich zu Shaksperes Zeiten) ! Der Narr ist doch nicht die in Wams
und Hosen verkappt zurückgebliebene Cordelia; es besteht zwischen ihnen
eine Obereinstimmung nach der Innenseite ihres Wesens, wie sie beispiels-
weise bei Viola und Sebastian für die äufsere Erscheinung besteht; ebenso-
wenig wie ich hier das Tun mancher Bühnenleiter billigen kann, beide
Rollen derselben Künstlerin anzuvertrauen, kann ich es lur Cordelia und
den Narren wünschen; auch der Gewinn für die Darstellung scheint mir
zweifelhaft.
Der Lösung der Quellenfrage für Shaksperes Lear (nach Perrett be-
nutzte Shakspere lür sein Drama Geoffrey, Spenser, Holinshed, Camden,
den Mirror, aas alte Drama) wird man unbedenkllich zustimmen können.
Ich kann jedem Shaksperefrennde die Lektüre des Perrettschen Buchee
nur auf das wärmste anraten.
Anhxf L a. Sprachen. CXVI. 12
178 Beurtetlungen und kurze Anzeigen.
Bode, der zweite Bearbeiter des Learstoffes, hat in sdnem Buche die
Grenzen der ünterBuchnng erheblich enger gezogen als Perrett, was an
»ich kdn Vorwurf sein soll. Er geht zunächst in seinen Forschungen
nicht über Geoffrey hinaus, sondern glaubt noch an die alte, von Perrett
nunmehr als unhaltbar nachgewiesene Ansicht von einer keltischen Safe.
Sodann berücksichtigt Bode nur die 'nichtdramatischen B^andlungen des
Stoffes vor Shakspere', schaltet also aus das präshakspereeche Drama und
ferner die Ballade; doch TerheiÜBt uns der Verfasser eine Fortsetzung sei-
ner Arbeit, die sich gerade mit diesen beiden Versionen, und zwar unter
steter Bezugnahme auf Shakspere, beschäftigen solL Für die Behandlung
des somit übrigbleibenden Teils hat der Autor dne Form gewählt, die
gerade durch ihre völlige Abwdchung von Perretts Darstellung interessant
ist. Während letzterer jede Version besonders untersucht, gibt Bode zu-
nächst eine Aufzählung aller Bearbeitungen mit den nötigen Mitteilungen
über Alter, Zahl der Handschriften bezw. Drucke, wobei möglichste Voll-
ständigkeit erstrebt ist, sodann (8. 37 ff.) den Inhalt der Quellen in der
Weise, dafs Geoffrey und Caxton parallel, die anderen Texte kurz skizziert
unter dem Strich gedruckt werden. Auf Grund dieser Verj^leichung unter-
sucht der Verfasser im dritten Kapitel das Abhängi^keitsyerhältnis der
einzelnen Versionen (S. 97—108), wobei er in der Placierung unbedeuten-
derer Denkmäler bisweilen zu abweichenden Resultaten von Perrett gelangt.
Im vierten Kapitel wird die Sache selbst betrachtet (S. 109 — 185), und
zwar in der Weise, dafs Bode die G^chichte vom König Lear erzählt,
ihrem bekannten Verlaufe nach, und jedesmal die einzelnen Darsteller in
ihren gröfseren oder geringeren Abweichungen erwähnt, eine Form, für
und ^egen die sich manches sagen läfst. Nicht zu ihrem Becht kommt
bei dieser Methode die Persönlichkeit des jedesmaligen Autors, der g^z
und gar verschwindet, wogegen die Fabel mit all ihren feinen Einzelheiten
und Abweichungen in der F^rzählung der verschiedenen Momente um so
mehr zur Geltung kommt.
Wenn Bode in seiner Schlufsbetrachtung dem Lear die 'grofszüp;ige
Entwicklung* abspricht und den Grund hierfür in dem anfänglich fertigen
Charakter der Sage sieht, so ist dies richtig bis auf die Bemerkung, daf^
Geoffrey die Sage fertig vorfand, die dahin zu verbessern ist, daüs et sie
aus verschiedeneu volkstümlichen Elementen, die er um die frei erfundene
Gestalt Lears rankte, schuf. Die Evolution betrifft eben bisweilen grofse,
einschneidende Veränderungen (das Beispiel hierfür ist der 'Macbeth^, bis-
weilen feine Polierungen des Details.
Der Bodeschen Arbeit ist Vollständigkeit des Materials und gutes
Urteil über die einzelnen Learbearbeitungen nachzurühmen; es ist eine
sorgfältige, anerkennenswerte Leistung. Ein endgültiges Urteil möchte ich
mir noch vorbehalten, bis der zweite Teil, der naturgemäfse Abschlufs
des bisher erschienenen, vorliegt, der hoffentlich nicht (wie Idder so oft)
ad calendas grsecas vertagt wira.
Berlin. Ernst KrÖger.
Thomas Hughes, Tom Brownes school days by an old boy. In
gekürzter Fassung für den Schulgebrauch herausg^eben von Pro-
fessor Dr. HaDS Heim, Darmstadt. Mit 13 Abbildungen und Plänen.
(Frevtags Sammlung französischer und englischer Schriftsteller.) Leipzig
und 'Wien, 1904. 162 S. 8. Geb. M. 1,80. Wörterbuch M. 0,60.
Von früheren Schulausgaben sind mir die von C. Thiem, Berlin,
Simion, 1884, J. Schmidt, Taudinitz, Students' Series, 2 Bände, 0. Beichel,
Gotha, Perthes, 1903, bekannt. Am schwächsten ist die erste, am besten
die zweite; doch auch die letztgenannte ist fleüsig gearbeitet Die hier
gebotene ist sehr selbständig; sie zeichnet sich aus durch äulserst zuver-
Beurteilangeii und kurze Anzeigen. 179
lässig Erklärung der Dinge und Angaben der Auseprache. Ein jedes
Schriftwerk, das sich mit dem täglichen Leben eines Volkes in irgendeinem
Ausschnitt befafet, verlangt zu seinem Verständnis eine genaue Kenntnis
dieses Volkes wie seiner Sprache. Diese scheinbar sdbstverständiiche
Tatsache kommt doch nicht jedem zum Bewufstseini sonst worden sich
nicht so viele Unberufene an die Erklärung fremder Schriftwerke machen ;
sie glauben das mit ein paar ^druckten Hilfsmitteln schaffen zu können.
Nein, wer hier etwas leisten will, mufs Volk und Sprache aus eigener An-
schauung kennen. Eine gute Ausgabe mit Anmerkungen ist, abgesehen
von ihren anderen Leistungen, immer ein Bealienbuch, und dies gilt von
Heims vorli^ender in allen Stücken. Es gibt jetzt bei uns eine 'Kanon'-
bewegung. wenn diese je dahin gehen wollte, den neusprachlichen Leh-
rern Bääer als verbindlichen Lesestoff aufzudrängen, so müTste jeder,
der gern seine eigene Vernunft gebraucht, sich mit Händen und Ffiisen
fegen solches Papsttum sträuben. Will sich aber die sogenannte Kanon -
ommission damit begnügen, Listen von Büchern aufzustellen, welche ihres
Inhalts wegen und weil nach dem Urteil der zustehenden Kritiker gute
Ausgaben davon vorhanden sind, Empfehlung verdienen, so soll sie will-
kommen sein. Beide Erfordernisse treffen bei Tom Browns School Days
und Heims Bearbeitung davon zu. Es ist darin kein Obermals von &-
klärungen, wie das leider vielfach Mode geworden ist, aber das der Er-
klärung Bedürftige ist ausreichend und vor allem treffend erklärt; und
eine Anzahl Bilder kommt der Anschauung zu Hilfe. Über Rugby School
wird erschöpfende Auskunft eeboten; sie geht wie das übrige auf selb-
ständige Forschung an den Quellen zurück. Auf den 31 Seiten Bemer-
kungen sind kaum zwei oder drei, an denen ich etwas zu ändern hätte.
iquare-headed möchte ich mit tue earrie, womit die Franzosen die Deut-
schen schimpfen, vergleichen; snak^headed ist richtig übersetzt mit *mit
biegsamem, elastischem Hals'. H. wird einem englischem Boxen einmal
beigewohnt haben; da wird ihm das eigentümliche Vorschiefsen und Zu-
rücKziehen des Kopfes beim Stofs und der Parade aufgefallen sein. Ein
Kuter Boxer mufs m der Tat einen Schlangenhals haben, muüioned Win-
dows: 'Pfeilerfenster, breite, senkrecht geteilte Fenster*, 'breite' würde ich
streichen. ocUeh me/ 'das lafs ich bleiben'. Es könnte noch hinzugefügt
werden: die vollere Form lautet oateh me doing that oder mit ähnlichem
Grerundium oder Partizip.
eraft wurde meines Wissens von jedem Handwerk und jeder Kunst
gebraucht. Eine Erklärung von as mad as a hatter, die mir völlig ein-
feuchtete, findet sich in Notes and Queries, 8^^ series, XII, 2l:H. Bei like
a young bear braucht man, glaube ich, nur an die bekannte Physiologus-
mär, dafs die Bärenmutter ihre Junten licks into shape, zu denken. In
sorgfältiger Aussprache hört man einen Unterschied zwischen Francis,
das kurzes i hat, und Frances, dessen letzter Vokal zwischen e und i
liegt.
Le Juge, Das Englische Beer 1896, gibt das indische Heer auf
281500 Mann, wovon 77500 Mann Engländer, an. — Die Ausgabe ist
eine Musterleistung. Möge der Verfasser uns Tom Brown at Oxford
ebenso bearbeiten.
Berlin. G. Krueger.
1) H. Plate, Lehrgang der englischen Sprache. Erster Teil: Unter-
stufe. 7y. Aufl., bearb. von Ör, Gustav Tanger. Leipzig-Dresden-
Bö-lin, L. Ehlermann, 1903. 271 S. M. 1,80, geb. M. 2,40.
2) John Kochy Elementarbuch der endischen Sprache^ neu bearbeitet
30. Aufl. Ausgabe B. Hamburg, Henri Grand, 1904. 218 8. Geb.
M. 2,10.
12»
180 ßeurteilungeii und kurze Anzeigen.
3) £. Nader, English grammar with exercises (II. Teil des Lehrbuches
der engliechen Sprache für Mädchen-Lyzeen und verwandte Anstalten).
Wien, Alfred Holder, 1903. 224 S. Geb. M. 2,80.
4) Wilhelm Swoboda, Elementarbach der englischen Sprache für
Itealschulen. Wien und Leipzig, Franz Deuticke, 1904. 167 8. Geb.
M. 2.
5) J. C. G. Gras^ Idiom and grammar for higher forms on an in-
ductive plan. Gronineen, J. B. Wolters, 1904. 112 u. 80 8. (Condse
Grammar) u. 15 8. (äercises). fL 1,90.
6) H. Poutsma, A grammar of Laie Modem Enelish, for the use
of Continental, especially Dutch, students. Part I. The sentence.
Section I. The elements of the sentence. Groningen, P. Noordhoff,
1904. 348 8. M. 4,50.
WoUte man die verschiedenen Lehrbücher der neueren Sprachen ^ach
ihren Methoden einteilen, so mülste man, um einigermalsen einen Über-
blick zu erhalten, zunächst zwei grolse Hauptklassen unterscheiden: die
der alten oder grammatischen Methode, die den Schwerpunkt auf die
Grammatik und das Übersetzen legt, und die der Beformmethode, deren
Ziel der freie Gebrauch der Sprache ist Dazwischen aber saht es die
unzähligsten Nuancen von der ältesten rein grammatischen Methode der
^schrieoenen Sprache an, hinweg über die 'Anpassungen' dieser älteren
Methode an 'zeitgemälse' Forderungen in bezug auf R^ien und Sprech-
übungen, hinweg über die ersten in fremder Sprache geschriebenen Lehr-
bücher, über die ersten Versuche, den freien Georauch der Sprache in den
Vordergrund zu drängen, bis zu den allerschärfsten Reformern, denen die
Grammatik und selbst häufig die Lektüre nur ein Mittel ist, zum frden
Denken in der fremden Sprache zu erziehen.
Die hier zu besprechenden Schulbücher des Englischen sollen in der
Reihenfolge erörtert werden, in der sie sich etwa jener Entwickelungsreihe
einordnen liefsen.
Das Buch von Plate und das von Koch, die beide in neuer, etwas
veränderter Auflage erschienen sind und, wie die 79. des einen und die
30. des anderen beweisen, sich als Lehrbücher längst bewährt haben, ge-
hören noch der älteren grammatischen Methode an, die sich mehr und
mehr den neueren Forderungen anzupassen sucht. Das Lehrbuch von
Plate ist bekanntlich schon im Jahre 1899 von Tanger einer sehr
gründlichen Durchsicht und zeitgemäfsen Neubearbeitung unterzogen wor-
den, wobei namentlich das 'Buchenglisch' durch 'idiomatisches' Englisch
ersetzt wurde. Da die Einführung der neuen Orthosraphie nunmehr einen
Neusatz des Buches notwendig machte, so bot sich Gelegenheit zu einer
nochmaligen eingehenden und die heutigen Forderungen noch mely: be-
rücksichtigenden Revision. Man mufs anerkennen, dus sämtliche Ände-
rungen einen Fortschritt bedeuten. Auiker Umstellungen einiger Kapitel
aus praktischen Gründen sind die wichtigsten Änderungen die, dals die
Regeln, soweit es nötig war, vervoUstänchgt und in ihrer Fassung ver-
bessert sind, freilich mit strenger Berücksichtigung, das Zuviel zu ver-
meiden, und dai's die Lautlehre bedeutend vereinfacht und gekürzt ist.
Namentlich das letztere muis man mit Freude begrüfsen. Denn, so not-
wendig und den Sprachunterricht erleichternd auch ein einleitender Lautier-
kursus ist, so leicnt kann er durch allzu grolse Ausführlichkeit ermüdend
und daher hemmend wirken. Die letzten Feinheiten der Lautlehre gehören
genau so wenig in die Schule wie die der Formenlehre und Sjntax. Auch
die Aussprachebezeichnungen sind vereinfacht worden. Im übrigen sind
die einzelnen Lektionen und das Lesebuch so unverändert ^blieben, dala
ein Benutzen der früheren Auflagen neben der neuen möglich bleibt.
Benrtefltingen nnd kurze Anzeigen. 181
Denen, die das Elementarbuch Ton Koch mit seinen im alTgemefnen
Idchten und dem Interesse und Verständnis der Schüler an^pafeten
kleinen Leseetückchen im Unterricht gern gebraucht haben, wird diese
neue Auflage eine willkommene Gabe sein. D(e neue Auflage ist wohl
hauptsachlich für das Eealgymnasium bestimmt. Ihr Hauptvorzug be-
steht darin, dafs sie um ein Obertertiapensum vermehrt worden ist, das
in etwa zwölf Kapiteln neue kleine englische Lesestücke und Übungssätze
in der Art des Untertertiapensums und die Syntax des Verbums nebst
einem Verzeichnis der gebräuchlichsten Präpositionen und Konjunktionen
bringt. Das neue grammatische Pensum ist auf ein Minimum beschränkt.
Da es ab^ alles absolut unentbehrliche enthält, kann man nur zufrieden
sein, für die Obertertia ein Buch zu erhalten, nach dem man das vor-
geschriebene erammatische Pensum bei den armseligen drei wöchentlichen
Stunden erledigen und doch dabei noch Zeit finden kann, zum freieren
Gebrauch der Sprache vorzubereiten. Die in der alten Auflage neben der
'I. Reihe' einherlaufenden Lese- und Übungsstücke der IL Reihe sind be-
rechtigterweise fortgelassen worden, da bei der beschränkten Zahl der
Unterrichtsstunden doch kein Lehrer mehr als die Erledi^ng der einen
Reihe leisten kann. Einige Stücke der IL Reihe sind für dra neuen Teil
des Buches mitbenutzt worden. Der alte Teil ist im groisen und ganzen
geblieben wie er war, so dais die früheren Auflagen noch daneben benutzt
werden können. Hier und da sind zu einigen Kegeln Zusätze gemacht.
Das lange Kapitel über die unregelmäfsigen Verben ist, auf allgemeinen
Wunsch, in zwei Kapitel geteilt worden ; noch vorteilhafter wäre es ja ge-
wesen, die Verben hätten in viel kleineren Abschnitten eine Verteilung
Auf das ^anze Buch gefunden. Die Anordnung in zwei Kapitel ist aber
weiter kern grofser Fehler, da es ja jedem Lehrer freisteht, die in den vor-
hergjehenden Kapiteln schon reichlich vorkommenden Verben von vorn-
herein in dem Verzeichnis anstreichen und lernen zu lassen, so dafs bei
der Erledigung dieser Kapitel schon fast alle bekannt sein werden. Von
einer geplanten Verteilung der als Anhang gegebenen 'Stoffe zu Sprech-
übungeir ist leider Abstand genommen worden. Sie hätten innerhalb der
einzemen Kapitel viel mehr die erforderliche und fördernde Benutzung ge-
funden. Als schwacher Ersatz dafür wird wenigstens am Ende jder Ka-
pitel auf die danach am passendsten zu verwendenoen Stücl^^ dieser Übungen
verwiesen. In der Lautschrift sind einige praktische Änderungen vor-
fenommen; die wichtinte davon ist die Wahl der Zeichen ?* und^" statt
er alten H und cHh die oft die Schüler zu falscher Aussprache verlei-
teten. Neu hinzugekommen sind elf Seiten zusammenhängende deutsche
Übungsstücke zum Übersetzen ins Englische. Es sind teils Umformun^n,
teils Erweiterungen der englischen Lesestücke, teils Stücke verwandten
Inhalts.
Die in Österreich erschienene Bnglish Orammar von Nader gehört
zu den Büchern der gemäfsigteu Reformer. Bei den Übungen wie^n bei
weitem die freien Übungen vor, die Reeeln sind in deutscher und m eng-
lischer Sprache abgefafst. Diese Doppeisprachigkeit bildet, abgesehen von
den Übungen, das Originellste des Buches. Der Verfasser ^t auf dem
oberen Teil der Seiten die Regeln in deutscher Sprache mit den dazu-
gehörigen Beispielen, unten anmerkungsweise eine knappe Übertragung der
Kegeln ins Englische. Diese ist richtigerweise keine sklavische Übersetzung,
sondern eine n-eiere Wiedergabe des Wesentlichen, so dafs auch dieser Teil
des Buches, wie der Verfasser selbst sagt, mithelfen soll, den Schüler zu
einer freieren Ausdnicks weise zu bringen, deren schlimmster Feind das
wortgetreue Übersetzen ist. Diese Einrichtung ist entschieden vorteilhaft.
Für die obersten Klassen österreichischer Mädchenschulen ist durch die
Lehrpläne die englische Sprache als Unterrichtssprache vorgeschrieben.
182 Beiirteilnngen und knnse Anzeigen.
Dieser Forderune wird das Buch gerecht, nnd es beseitigt zngleidi die
beiden Schwierigleiten, die zu entstehen pflegen, wenn einerseits Schaler,
die nur eine deutsch geschriebene Grammatik in Händen habeo, eich im
Unterricht englisch über grammatische Din^e ausdrücken sollen, oder
wenn anderseits weniger begabte Schüler Begdn, deren Verstäadnis ihnen
ohnehin Mühe macht, nur m der fremden Sprache vorfinden. Aber audi
für den Lehrer, der im Gebrauch der englischen Sprache für grammatische
Pinge noch nicht sehr geübt ist, dürfte diese Anordnung des Baches mit
der Möglichkeit der schnellen Auffindung des passenden Ausdruckes
höchst willkommen sein. Schade, dafs hm und wieder die englische
Wiedergabe allzu knapp ist, so dafs eerade wichtiee Ausdrücke zuweilen
nicht, oder wenigstens nicht an der betreffenden Stelle, zu finden sind.
So fehlt § 127 eine enelische Bezeichnung für 'OrtsadTerbien', § 183 eine
solche (ür 'Stoffnamen^, 'Sammelnamen' und 'Gattungsnamen' and die
ffanze Übertragung des § l;J7, wo von 'Verwandtachafi', 'Stand', 'Rang*
die Rede ist, Au8(&ücke, die sich durchaus nicht von selbst verstefa^i.
Eine Laut- und Beton ungslehre bringt das Buch absichtlich nicht,
da das Nötigste davon in einem zu diesem Untorrichtswerke gierigen
Elementarbuch enthalten ist. Trotzdem wäre es wohl ausbracht gewesen,
nach dem Muster anderer Schulgrammatiken bei schwiengen Wörtern wie
preterit, preterUo-preserUs usw. die Betonung anzugeben, damit die Schüler
nicht erst etwas Falsches sich einprägen.
Das Buch eröffnet dne in englischer Sprache geschriebene hiatorische
und sprachgeschichtliche EMnleitnuff. Formenlehre und Syntax, die folgen,
ziehen oft in lehrreidier und anziäender Weise Etymologie und Si»«ch-
vergleichung mit heran (z. B. § 48 bei den Präteritopräsentien tna^ nnd
catij § 280 zur Erklärung des / in eouid, i) 286 Vergleich der Auadmck»-
weise leotddhave ctdded mit der entsprechenden mittelhochdeutschen usw.*.
Femer sei noch erwähnt, dafs Anglizismen überall reichlich berücksichtigt
werden. Im Übrigen halten sich Formenlehre und Syntax an die alt-
hergebrachte Darstellun^art. Beide sind, ebenfalls nach althergebrachter
Art, für Schulbücher reichlich ausführlich und bringen manches, was ins
licxikon gehört Man vergleiche z. B., dals unter den Wörtern, die nur
im Plural vorkommen, sogar measles 'Masern', und unter denen, die nur
im Singular vorkommen, smcUl-pox 'Pocken' zu finden ist
Der Lautldire schliefst sich eine das Deutsche, Lateinische, besondere
aber das Französische vergleichende Wortbildungslehre an (neun Seiten),
bei der man nur nicht recht einsieht, warum der erste Teil, die Ableitongs-
lehre, ganz englisch, der zweite, die Lehre von der Zusammensetzung, ganz
deutsch abgefafst ist.
Die Syntax brinet im allgemeinen eine reiche Anzahl englischer Bei-
spiele zur Ableitung der darauf folgenden Regel, und der Vernisser betont
im Beiwort ganz besonders, dals diese Beispiele erst Eigentum der Schuler
sein müssen, ^e die Resel selbst durchzunehmen ist. Hier und da hätten
sie freilich noch reichlicher sein können ; so fehlen i; 20t> vollständig Bei-
spiele für to be mit <o gleich deutschem 'es'. Knapp und klar g^alten
sind die Regeln über die Tempora, die Stellung der Adverbien; sehr aus-
führlich dagegen, ihrer Wichtigkeit entsprechend, auf allein 20 Seiten, sind
die Präpositionen behandelt. Es wird nicht zur Vertiefung des gram-
matischen Verständnisses beitragen, wenn der Schüler (§ 189) lernt, dafs
von 'konkreten' Substantiven, die keinen Artikel habmi, unter anderen
ohurch, Bchool, prison usw. zu merken sind, 'wenn ihre Verwendung ge-
meint ist'. Diese Wörter sind dann eben Abstrakta. Die Übersetzung
von to make tchat diseoveriea I eauld 'etwaige Entdeckungen' (§ 235) ist
wohl nicht zutreffend, da 'etwaige' so viel bedeutet wie 'etwa möglicfae',
während der Sinn ist 'alle Entdeckungen, die ich machen konnte . Der
Unterschied zwischen thus und so wird aus {$ SiS nicht goiügend klar.
Benrteilungen und kurze An sagen. 188
Seltsamerweise sucht man vergeblich in der Syntax nach 7 have to do
'ich muXs tun'.
Auf die Syntax folgt ein kurzer Abschnitt Aber Interpunktion, die
grofsen AnfangsbuchBtaben und die Silbenabteilung, unter oen Beispielen
ffir die letztere fehlen solche mit abgetrennter Flexionsendung, wie
defeal-ed usw. Daran schliefsen sich eine kurze, deutsch abgefalste Syno-
nymik, Some Remarka on Letter- Writing nebst Musterbriefen, eine Versi-
ficatwn und eine englische Beschreibung der Hölzelschen 'Jahreszeiten'.
Die Übungen enthalten eine grofse Anzahl ( 11 Seiten) freie Aufgaben :
Beantwortung grammatischer Fragen, Sätze in anderen Zeiten, in der
Aktiv- oder JPassivkonstruktion, im aca cum inf. oder der Partizipial-
konstruktion wiederzugeben, Sätze in Fragen aufzulösen, fehlende Wörter
einzusetzen, direkte in indirekte Eede zu verwandeln, Substantiva durch
Pronotnina zu ersetzen, Sätze durchzukonjugieren und schlielslich eine
Menge Aufsatzthemata, die vom Leichtesten zum Schweren allmählich
fortschreiten. Sie beginnen mit der Zerlegung des Themas in Fn^n, die
einfach zu beantworten sind, dann folgen Umformungen von Stücken,
Auszüge und Nacherzählungen, BeechreiDunffen, Vergleiche, Dispositionen
nach em paar gegebenen Mustern, Verwandlunevon Qedichten in Prosa,
wozu gleichfalls ein Muster gegeben ist, und Themata zu Briefen. Die
Aufga&n selbst sind sämtlich in englischer Sprache abgefalst.
Den Schluis des Buches endlich bilden 25 Seiten deutsdie Sätze zur
Rückübersetzung} die sich an die Kapitel der Grammatik anschÜefsen.
Er ist nicht yi^a; aber derartiges Material zu beschränken, ist ja nie ein
Fehler. Die Übungen zu den Präpositionen, auf die ein besonderes Ge-
wicht gelegt wird, nehmen allein 4Vs Seiten davon ein.
Im Raster fehlt unter be ein Hinweis auf to be to § 812.
Dem gleichfalls in Österreich erschienenen Elementarbuch von Swo-
boda^ merkt man es auf Schritt und Tritt an, dals es das Ergebnis einer
viele Jahre langen Erfahrung ist. Dafs es sich dabei noch etwas schärfer
auf die Seite der Reformer wendet als das vorher besprochene Buch, ist
eine um so erfreulichere Tatsache, als hier und da Stimmen laut zu werden
binnen, welche meinen, gründlichere Erfahrung führe von dem Sturm
und Drang der jungen Reformer wieder mehr imd mehr zur alten gram-
matischen Methode zurück. Auf gründlicheren Erfahrungen als das vor-
liegende Buch dürften wenige Elementarbücher beruhen.
Das Buch beginnt mit einer 'Vorschule der Aussprache', einigen pho-
netischen Belehrungen elementarer Art, die mit deutschen Fremdwörtern
aus der englischen Sprache ihren Anfang machen und gleich von vorn-
herein kleine Aufgaben enthalten. Das Charakteristische des Buches ist,
dafs dieser einleitende Lautierkursas, der sehr knapp gehalten ist, um
nicht ermüdend zu werden, durch das K&nze Buch ninaurch in kleinen
Abschnitten über Schrift und Aussprache {^SpeUing and Promineiatüm)
seine eingebende Erweiterung erhält. So fmdet man, um nur einiges
herauszugreifen, auf S. 15 etwas über die stummen Konsonanten, S. 24
über die Aussprache von r, S. '^5 über Konsonanten Verdoppelung, 8. 71
über th, S. 87 über ä vor n und m usw. zusammengestellt. Das nat den
grofsen Vorteil, dafs die Besprechung und Gruppierung lautlicher Erschei-
nungen ausführlicher werden kann, als wenn alles in dem einleitenden
Kursus abgemacht werden sollte, und dafs sich bei diesen eingestreuten
Besprechungen allmählich immer mehr schon bekannte Wörter von selbst
bieten.
Auf die 'Vorschule' folgen 45 englische Lesestücke, denen sich jedes-
mal einige grammatische Regeln, von vornherein mit möglichster Benutzung
* Über eine andere Aoagtabe des Buches vgl. Arehw CXV, 487 ff.
184 Beurtdlangen und knrze Anceigen.
eo^lischer Termini, und in englischer Sprache abgefafste Aufgaben, aber
keine deutschen Übunnsatze anschlieÜBen.
Die Auswahl der Leseetücke kann in vieler Beziehung geradezu als
eine Musterleistunff für ein Elementarbuch hinbestellt werden. Kdn ein-
ziges ist banal an^dotenhaft, kein einziges trocken belehrend, ein frischer,
zum Teil humoristischer Ton geht durch alle; alle enthalten sie gutes, se-
sprochenes Englisch, und dabei sind sie so streng systematisch ausgewählt
und angeordnet, dafs sie vom ganz Leichten allmählich zum etwas Schwe-
reren fortschreiten, sich dem grammatischen Plan des Buches anpaBsen
und, was man in so ausgedehnter Eigjenart selten irgendwo anders nndet,
fast ßtändig eine Wiedemolung der m den vorhergehenden Stucken ge-
lernten Vokabeln und Wendungen, ja stellenweise ^radezu Wiederholungen
ganzer früherer Stücke bieten. Aber auch inhaltlich sind die Stoffe nicht
aufs Geratewohl gewählt Sie gehen, nach den Forderunsen einer weisen
Pädagogik, vom Naheliegenden, vom Bereiche des Schülers aus. Die ersten
22 L^estücke bringen fast nur Bilder aus dem Schulleben: Beschreibung
des Klassenzimmers, eine englische Unterrichtsstunde, das englische Lese-
buch, eine praktische Lesestunde, eine französische Stunde, Szenen aus
der Klasse, ein Stück How to read, in dem der Schüler auf die geschick-
teste Weise durch die blofse Art der Wendungen zum sinngemSsen Be-
tonen gezwungen wird (ein höchst wertvolles Muster für die Lektüre der
anderen Stücke, wie es wohl wenige andere Lehrbücher aufzuweisen haben),
eine Erzählung von dem Marienkäfer, der Spinne und dem Wind, die in
folgenden Stücken zu Diktaten und anderen Übungen Verwendung findet,
eine Schreibstunde, eine Diktatstunde in Gesprächsform, ein Stück über
Unsorgfältigkeit und Unordnung im Schulleben, eins über das Verbessern
von Fehlem, das Zuspätkommen, den Stundenplan, die Bechenstunde und
eine Szene beim Papierhändler. Irotz der Fülle idl dieses aus ein und
demselben Gebiet entnommenen Lesestoffes wird er nicht ein einziges Mal
lauRweilig oder eintönig, eben weil die Darstellun^wdse eine so frische
und die Kinzelart der Stücke höchst mannigfaltig ist. Dafür aber bietet
er den ganz aulserordentlichen Vorteil, dafs er fast alle Schulausdrücke,
die für einen in englischer Sprache abgehaltenen Unterricht unumgäng-
lich notwendig sind, auf leicnteste una gefällige Weise zum Eigentum
des Schülers macht. Die Österreichischen 'Instruktionen' verlangen ebenso
wie unsere 'Lehrpläne' von vomherdn Sprechübungen in der fremden
Sprache. Nichts erleichtert das aber mehr, als wenn die Schulausdrücke
dem Schüler bekannt sind. Von den übrieen Stücken handeln 17 über
englische Sitten und ähnliches (englische Mahlzeiten, Tisdigespräche, ein
Boarding ' House i Weihnachten, englische Spiele, Brief und Post^te,
Boarding ' School und Beschäftigungen englischer Schüler aufserhalb der
Schule), die übrigen haben Dinge aus der Natur, wie EUmmelsrichtun|en,
Wald, Sonnenschein und Regen, zum Thema, zwei bringen je ein Gedieht
der ersten Stufe. Alles ist, wie gesagt, sehr anziehend schrieben (von
sehr verschiedenen englischen Autoren herrührend) und, was man bei
einem Elementarbuch einer fremden Sprache nicht dringend genug fordern
kann, sprachlich sehr einfach und leicht. Erwähnt sei nocn, dafs mehr-
fach ^Aavertiwments' zwischen die einzelnen Paragraphen eingestreut sind.
Die Grammatik, die bruchstückweise zwischen die Lesestücke verteilt
ist, sucht von vornherein auf das 'gesprochene' Englisch hinzuarbeiten.
So weist schon No. 5 auf die Abschwächung des Tones bei Wörtern wie
arey am, ahaü, you, your, der Präposition to usw. hin und bringt Zusam-
menziehungen (in der Aussprache) wie / am -- aim, ths boy w = dkg
bvix, the Iwya are = dh9 hvix9 usw. Die Regeln selbst sind knapp und
klar gehalten und sehr praktisch verteilt. Nach manchen Lesestücken ist
das grammatische Pensum minimal, oder es fehlt ein solches ganz, nie ist
es senr grofs. Um eine Vorstellung von der Art der Verteilung zu geben,
Beurieilangen und kurze Anzeigen. 185
seien die mmmatischen Pensen der ersten Stücke angeführt : No. 1 : Best.
Artikel. No.2: Einige örti. Präpositionen, Deklin. der Substantiva, refelm.
Wortstellung. No. 8 : das a der 8. Person Präs. No. 4 : Unbest. Artikel. No. 5 :
PersÜnl. Fürwörter, Greschlecht der Subst., Präsens. No. 6: Imperativ. No. 7 :
Pron. po88. und Adjekt No. 8 : Futurum und jetzt schon das Allerwichtigste
über ean, may, musi, need, die alle schon vorher vorgekommen sind. Sehr
praktisch ist dabei die kurze Zusammenstellung, die man leider nicht in
allen Grammatiken findet: 'Die negative Form von may ("kann, ist mög-
lich") ist cannot, von may ("darf") must not ("darf nicht"), von miut
("mufs") need not ("muijs nicht, braucht nicht")' (S. 15). Von den fol-
genden Paragraphen sei nur einiges erwähnt Schon in No. 10 findet sich
to he to 'sollen', schon in No. \l io kave to 'müssen'. No. 12 bringt die
ersten zehn bisher vorgekommenen unregelmäfsigen Verben zusammen-
gestellt, die nächste Zusammenstellung in No. 19 usw. Die Konstruktion
mit to do in Fra^re- und Verneinungssätzen findet sich erst in No. 13
und 14. Das ist vielleicht etwas spät. Dafür wird sie aber sehr ausführ-
lich behandelt, da der Verfasser gerade auf dieses Kapitel, g^n das er
erfahrungseemäis die meisten und schlimmsten Schülerfehler beobachtet
hat, besonderen Nachdruck leet. Daher sind, die zahlreichen, in fast jeder
Nummer wiederkehrenden Übungen dazu auch ausgezeichnet; zahllose
Fragen solcher Art, wie *Where did the spider swing himself?* sind mit
Hervorhebung der richtigen Verbform zu beantworten ; in positive Sätze
ähnlicher Natur ist not einzusetzen usw. No. 19 bebandelt sehr genau
die verschiedenen Stellungen des Objekts. Anderer Meinung kann man
sein, wenn der Verfasser ebenda (S. 44) sagt: Mn dem Satze Minnie had
put tke ehek on'y den er als einen Ausnahmefall r^lmäTsi^en Stellungen
wie The teaeker pute off hie coat gegenüberstellt, 'sdiliefse sich das on wie
eine Nachsilbe an eloek an'. Der Grund ist wohl eher der, dafs auf on
der Ton liegt. Man vergleiche die sehr gründliche Untersuchung über
solche Stellungen in dem als letztes hier besprochenen Buche von Poutsma
S. 274—276. Erst No. 20 bringt die Zahlwörter; das ist spät; doch kom-
men einige als Vokabeln schon früher vor. Erst No. 31 sagt etwas über
die^ Pluralia ealves usw.; das ist jedoch weiter kein Schaden, da diese
meist so emsig auswendig gelernten Wörter mehr ins Lexikon gehören.
Erwähnt sei aber doch nocn, dafs eine viel wichtigere Sache schon in
diesem ersten Elementarbuche (No. 35) zu finden ist, das englische Per-
fektum statt des deutschen Präsens imd das Imperfektum statt des Per-
fektums. Verstreut ziehen sich auch schon durch das Elementarbuch
Synonjrma.
Die gleichfalls überall zwischen die Lesestücke eingereihten Übun^n
sjnd in englischer Sprache abRefafst und enthalten grundsätzlich keine
Übersetzungssätze. £^ sind, aulser den schon bei to do erwähnten Fragen
nach dem Inhalt der Stücke, grammatische Fragen, Ausspracheübungen,
Vervollständigung unvollständiger Sätze, Umwanaeln von Sätzen in allerlei
andere Konstruktionen, Heraussuchen von Beispielen für eine Regel,
Rechenaufgaben, kleine Nacherzählungen, Umwandlungen, B^chreibungen
(mit Hilfe von e^benem Skelett) usw. usw. Auch diese Übungen ver-
raten den vieleitahrenen Schulmann.
An das Buch schliefsen sich Wörterverzeichnisse, deren Anordnung
in fortlaufenden Zeilen mir zum Erlernen unpraktisch erscheint. 18 deut-
sche zusammenhängende Stücke zum Übersetzen, die nach den 'Instruk-
tionen' 'zugelassen sind, aber nicht zur Einübung bestimmter Regeln
dienen können und dürfen', und ein alphabetisches englisches Wörter-
verzeichnis.
Dem Elementarbuche sollen in kurzer Zeit ein Englieh Reader, ein
lAterary Header und eine Sdiulgrammatik folgen.
An Druckfehlem sind mir nur aufgefallen: S. 3, Z. 3: stimmhaften
186 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
8t. stimmhafte, 8. 53, No. 24, Z. 4 : kejd st kep und 8. 105, Z. 18 y. u.:
entweder the floor st. /Zoor oder 'FulBboden' st 'der Fulsboden'.
Das in Holland erschienene Buch von Gras^ bildet den dritten Teil
eines Unterrichtswerkes, dessen beide ersten Teile: ^Oefeningen tn de Engd-
sehe Tool' I und II 1903 und 1904 erschienen sind. Ein Blick in das
Buch sagt auch dem, der die beiden ersten Teile nicht kennt, da(s es sich
um das Werk eines weitgehenden Reformers handelt. Es enthält den
Lehrstoff fdr den zweiten oder zweiten bis dritten Jahreskursus im Eng-
lischen. Auf den linken Sdten bringt es LesestOcke, auf den rechten die
dazugehörigen grammatischen Regeln.
^er Leisestoff eines Buches, das den Schüler in das Verständnis dee
gesprochenen und geschriebenen heutigen Englisch einführen soll, mufa,
nacn des Verfassers Meinung, aus den modernsten Autoren genommen
sein. Aufserdem soll er aber auch in def> Schfilers GMankenbereich liegen,
die anderen Unterrichtsgegenstande ergänzen helfen, recht interessant sein
und möglichst reale Dinge behandeln. In bezug auf den letzteren Punkt
mufs man dem Verfasser insofern recht geben, als Lesestücke, die sich
mit Realien befassen, sich zu Sprechübungen viel anregender und weiter
ausgestalten lassen als z. B. historische Stücke oder Erzählungen. Die
hier gewählten Texte sind so eigenartig, dafs etwas ausführlicher davon
gesprochen werden muis. Das erste, SSidnds and Symbols (2 8.) b^andelt
Artikulationserscheinungen und dient damit zugleich als Einleitung. Das
zweite, Kenfs Gavern and the Äneient Cave-men (8 8.) gibt an ein^n der
geologisch merkwürdigsten Beispiele der Erde eine für den reiferen Schüler
durchaus verständliche und senr interessant geschriebene Einführung in
das Studium der Geologie und in die Frage nach dem bisher nachweis-
baren Alter des Menschen. Das dritte Stück enthält eine ebenfalls sehr
interessante Stoty of our Alphabet (8 S.). Das vierte, A Tiff in Stdmrbia
(2 S.), bringt eine etwas banal gehaltene Ehezwistszene ; abgesdien von
ein paar schönen stilistischen Wendungen, die sich darin finden, könnte
man dieses Stück, freilich als einziges des Buches, gern missen. Dafür
entschädigt das fiinfte wieder durch dne sehr lesenswerte Beschreibung
des grofsen Ozeandampfers The BaUie (4 8.). Das sechste, Oreat-Brüain
(6 So, gibt eine sehr ^te und äufserst Inhaltreiche Schilderung Groia-
britanniens, nicht nur m bezug auf politische, geographische und klima-
tische Verhältnisse, sondern auch auf Handel und auf Entwickelung, Aus-
breitung und Eigenart der englischen Sprache usw. Das siebente, Whai
our Boay is maäe of (4 8.), und das achte, Air and Food (6 8.), b^andeln,
ebenfalls in sehr anregender Form, chemische Fragen, die das täglidie
Leben berühren und von allgemeinem Nutzen sind. Das neunte, A Trick
(8 S.), ist eine Darstellung dreier 'Kniffe': wie die alten ägyptisdien Prie-
ster dem gläubigen Volke weiszumachen wuIsten, dals sich die Tür des
Gottes Apis von selbst Öffnete und schlofs; die Einrichtung des ersten
in einem ägyptischen Grabe gefundenen Automaten und die Ausführung
eines Zautoicunststückes. Das zehnte Stück bringt eine Schilderung
Deutschlands (4 S.) und das letzte eine Erklärung des Auedo^Spiels (4 8.).
Wir können dem Lehrbuch einer Sprache nur dankbar sein, wenn es auch
zur Bereicherung anderer Wissenszweige als der mit der Sprache not-
wendig zusammenhängenden beiträgt und, wie die Belehrung über die
Lebensmittel, vor allem aber der Abschnitt aus der für die Grundlage
einer späteren Weltanschauung so hochwichtigen und auf der Schule ort
so arg vernachlässigten Geologie, mithilft, den Gesichtskreis des Schülers
nach allen möglichen Richtungen hin zu erweitem. Zwischen die Stücke
sind eine Menge Rätsel eingestreut, die zum Teil für Schüler ziemlich
schwer verstänolich und, indem sie das Schicksal der meisten Rätsel teilen,
wenig geistreich sind; Wert können sie lediglich dadurch haben, dafs ee
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 187
fast sSmtlich Spiele mJt mehr oder minder wirklichen Homonjnnen sind.
Zur Charakterisierung der Rätsel sei ein Beispiel angeführt: IVhat ü ihe
difference bettceen the Kaüer and a ragged, shoeUsa heggar? — One issttea
ki8 manifestoes; the other manifeats hü ioea withoiä hü shoes (S. 94). Zwi-
schen all diesen Texten, die sprachlich nicht gerade leicht sind, befinden
sich Hl dazugehörige Abbildungen der verschiedensten Art, wie die Teile
des Mundes, alte geologische und prähistorische Funde, Hieroglyphen,
Durchschnitt durch einen Dampfer, Lebenemitteltabellen usw., 'Oeeattse
ihings seen are mightür than ihingg heard*, wie der Verfasser mit Tenny-
son saft.
Die grammatischen Dinge sind, wie überhaupt das ganze Buch, durch-
gängig in englischer Spraclie abgefalst, da der Verfasser, der schon im
ersten Jahreskursus fast alles nur englisch bebandelt haben will, für diese
vorgeschrittenere Stufe natürlich erst recht die Vermeidung der Mutter-
sprache verlangen mufs. £r will sich aber darum nicht, wie er selbst in
der Einleitung sa^, zum Sklaven der Begel machen, indem er j^liches
Verwenden der Muttersprache als ein Übel ansieht: ^Many ways lead to
the common aoal.* Ee ist jedoch selbstverständlich Sache des Lehrers und
nicht des Lehrbuches, wo und wann man einmal praktisch vom Gebrauch
der Fremdsprache abweichen mufs, wie ja überhaupt jedes Lehrbuch, und
sei es noch so gut, erst dann anfängt, von wahrem Nutzen zu sein, wenn
der Lehrer anmort, von ihm abzuhängen. Die Sprache, die das Buch
lehren will, ist, wie die Einleitung sagt, nicht die Literatursnrache, son-
dern die gesprochene und geschriebene Sprache des täglicnen Lebens.
Nicht Übersetzungsgymnastik, sondern die Kunst des freieren mündlichen
wie schriftlichen Ausdrucks soll ceübt werden; die Grammatik selbst ist
daher aufs notwendigste zu beschränken; Übersetzungen aus dem Eng-
lischen in die Muttersprache (das Holländische) haben nur gelegentlich,
aus der Muttersprache ins Englische nur selten stattzufinden. Da das
Buch für Fortgeschrittenere l)e8timmt ist, so bleiben die allerelemen-
tarsten Dinge unberührt. Auch ist es, nach des Verfassers Meinung,
zwecklos, sich mit solchen Dingen aufzuhalten, wie dafs news früher Plural
war — jetzt ist es eben Singular ! — , oder gar mit solch gesuchten Unter-
schiedoi wie zwischen peas und peaae. Dagegen ist der Wortbildun^s-
lehre mit 'lebenden' Präfixen und Suffixen ein eingehenderer Abschnitt
gewidmet.
Natürlich sind auch in diesem Buche, wie es schon die Anordnung
mit den neben dem Lesestoff stehenden Regeln mit sich bringt, diese
nicht in planmäfsigem Zusammenhange behandell. So wird, um nur ein
Beispiel aus dem Anfang herauszugreifen, jetzt etwas über die Pronomina
relativa und die Interpunktion, dann über die Pronomina demonstrativa,
dann wieder über ean und may und den Acc. cum inf. gelehrt. Sämt-
liche Beispiele zu den Regeln sind aus den Lesestücken oder dem gram-
matischen Teile selbst entnommen. Der Verfasser zitiert z. B. auf S. 25
als Beispiel für die Wortstellung einen auf 8. 15 als Regel gegebenen
Satz: *Mttat* ü hardlg wer uaed in the Paat Tenae, Ein derartiges Ver-
fahren ebnet den Weg dazu, auch in den in der Fremdsprache gegebenen
Abhandlungen über grammatische Dinge neuen Lese- und Übungsstoff
selbst zu sehen, und wenn wir uns erst daran gewöhnt haben, so dürften
wir hoffen, dafs die Zeit, wo wir allgemein auch die grammatischen Regeln
in der Fremdsprache behandeln, nicht mehr in allzu ferner Zukunft li^t.
Wenn auch der Verfasser, der Natur seines Buches entsprechend, sich
nicht in gelehrte Auseinandersetzungen über früher übliche oder seltene
Erscheinungen einläfst, so verschmäht er es doch nicht, an passender
Stelle die französische, deutsche und holländische Si)rache zum Vergleich
heranzuziehen. Einen solchen Vergleich vermisse ich, nach deutschem
Empfinden, auf S. 27, wo er über das Paat und Preaent Perfed handelt
188 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Ein Beispiel wie ü toaa the toooUy speewnens (hat tived fAerv bedürfte eineF
Hinweises auf das deutsche 'Die wolligen Arten haben dort gelebt' genaa
so gut, wie bei / have been waüing for you so lang auf das aentsche und
französische Präsens in solchen Sätzen hingewiesen wird.
£ine sehr praktische Einrichtung des Buches ist, dafs schwieriger zu
betonende Wörter sowohl in den Lesestücken als auch in dem gram-
matischen Teile stets mit Betonungsangaben versehen sind, und zwar, um
unenglische Akzente zu yermeiden, auf die sehr einfache Weise, dafs der
betoute Vokal, wenn er lang ist, allein, wenn er kurz ist, mit dem fol-
genden Konsonanten fett geruckt ist.
Im einzelnen sei auf folgende besonders vorteilhafte Fassungen von
Regeln hingewiesen: 8. 8 die Unterscheidung der Aussprache von th am
Ende eines Wortes + s bei vorhergehendem langem oder kurzem Vokal,
8. 88 die besondere Hervorhebung der in der 8pr£3he des täglichen Lebens
fast ausschliefslich gebrauchten Pronomina relativa who und thai, S. 4-^
die Erklärung des snall in shcUl you eome? als hindeutend auf die Ant-
wort 1 shall camSf ebenda die Vergleichun^ des Präsens I forget ('ich habe
vergessen') mit / do not remember, 8. 55 die mannigfaltigen Verwendungen
von to have mit Infinitiv und Partizipium usw.
Von kleinen Versehen sind mir auf ^fallen: auf 8. 5 fehlt bei der
Kegel über die Verwandlung von y in t em Hinweis auf die Komparation,
fflr die auch ein Beispiel eegeben wird (wohl ein Druckfehler). Must
(S. 15) als Ausdruck eines Befehls (commomQ anzugeben, ist nicht zu-
treffend. In dem den Passivkon struktionen gewidmeten Abschnitt (8. 37 — 39)
ist einiges nicht ganz klar. Es wird die Kegel über die doppelte Passiv -
konstruKtion bei Verben mit Dativ- und Akkusativobjekt eegeben, es
fehlen aber Beispiele dazu. Allerdings finden sich in den Oefmingen IT,
8. 121 Beispiele dafflr, doch wären nier, des Zusammenhang wegen,
wohl auch einige am Platze gewesen, zumal der Verfasser eine Menge
Beispiele fflr die Aktivkonstruktion und mehrere fflr die Ausnahme ffibt,
wo im Passiv nur eine Konstruktion möglich ist. Wenn er femer oabei
sagt: *Though most CLCtive sentenees, containing a "direct objeef' and an
^*indireet" or a **prepo8iitonal olp'eet", aüow of two ptusive construetions^
onlv one is po8a%ble : b. 'HcUh the direet obfeet" for subfeety tchen the
vero aovems ttoo aeeusatives*, und dazu vorher unter b als Beispiel ^bt
'William lU was croumed King of EnglancV und *He had been prodatmed
Pharaoh\ so liegt darin ein mderspruch, da man doch King und Pharack
kein 'indirektes' oder 'präpositionales Objekt' nennen kann. Ein Versehen
ist es femer, wenn der Verfasser als Beispiel für 'Adjectitfes used as Nouns*
(8. 89) das Beispiel gibt: Ttoo elasses ofroeks: the stratified and the tm-
stratified, wo docn stratified und unstratified zweifellos Adjektive geblieben
sind, wie er ja auch selbst auf 8. 81 zugibt, wo er dasselbe Beispiel fflr
die R^^l anfahrt, dafs zwei 'Adjektive', hinter denen ein Substantiv zu
ergänzen ist, kein one bekommen, wenn sie Gegensätze ausdrücken. Nicht
ganz zutreffend gefafst ist endlich die Begel über das Pronomen inter-
rogativum tchcU (S. 49): 'Whaf, used adjectivehfi inquires after the 'Hnd
of person or thing, *What^, used suhstaniwdyy inquires in a 'generaV way\
auch das adjektivische whai kann doch ganz 'allgemein' («n a general way,
fragen, und der Verfasser gibt gleich darauf als Gegensatz zu dem aU-
gemein fragenden what die zutrenende Regel für which: ^Whieh', substan-
tively and adjeetively asks for an individtuU out of a group of persons or
thinga,
Dero Buche ist angefügt ein Voeabulary^ d. h. ein alphabetisch ^-
ordnetes Verzeichnis einiger seltenerer, im Text begegnender und daselbst
durch einen Punkt hervorgehobener Wörter, die jedoch nicht in die Mutter-
sprache übersetzt, sondern durch eine englische Erklärung umschrieben
werden. Es soll das, wie die £}inleitung sagt, der Versuch zu dnem
BeurteilangeD und kurze AnzeigeD. 189
EngKshrEnglüh dictionary for sliahtly advaneed pupüa sein. Daus so etwas
sehr nützlich sein kann, wird keiner bestreiten, und jeder Lelirer der
neueren Sprachen wird schon mehr oder minder hfiufig Vokabeln in dieser
Weise abgefragt haben. Ob man aber, wie der Verfasser sich das denkt,
bei so ToEabelreichen Lesestücken ein ausführliches, in die Muttersorache
übersetzendes Wörterverzeichnis ganz wird entbenren können, od der
Unterricht in der Klasse, bei nocn so genauer Durchnahme der Stücke,
imstande ist, all diese Wöner mit ihrer Aussprache auch dem unb^ab-
teren Sdiüler sicher einzuprägen, das ist doch noch die Frage. Wieviel
Schulen haben derartig b^abte Schüler? (Jnd wir möchten doch nicht,
dafs die Fortschritte und Errungenschaften moderner Methodik nur dem
begabten Schüler zugute kommen; im Gegenteil, dem unbegabteren wären
sie noch nötiger, da der begabte Schüler auch neben der grammatischen
Methode meist noch Zeit ^nug für allerlei Sprechübungen übrigbehalten
wird. In dem Wörterverzeichnis fehlt die Erklärung des Wortes SyUabiut,
das auf S. 74 mit einem auf das Wörterverzeichnis hinweisenden Stern-
chen versehen ist. Endlich sind dem Buche als Anhang noch zwei Heft-
chen mitgegeben : eine conctse grammoTy eine kurze systematische Zusam-
menstellung aller vorgekommenen Regeln ohne Beispiele, worin die rechten
Seiten stets freigelassen sind zum Nachtragen und Vervollständigen (4ü S.
Text), und ein Heftchen (15 S.) ÜSsereises. Den kleinsten Teil aieser
Übungen, etwa ein Viertel, nehmen holländische Sätze zum Übersetzen
ins Englische ein; sonst sind es Aufgaben, englische Sätze mit fehlenden
Wörtern zu vervollständigen, aneegeMne Wörter an die richtige Stelle zu
setzen, grammatische Fragen zu b^intworten. Regeln an Beispielen zu er-
klären, Aktiv in Passiv zu verwandeln und umgekehrt, einen angep;ebenen
Infinitiv im richtigeo Tempus einzusetzen, Sätze mit ihaA in die Kon-
struktion des acc. cum inf. umzugestalten, Sätze mit angegebenen Wör-
tern zu bilden, oder es sind freiere Aufgaben, wie Rechenexempel, mathe-
matische Aufgaben, Briefe und kleine Aufsätze, zu denen meist einige
Wendungen eeffeben werd^.
An DrucK&hlem sind mir aufgefallen: S. XIII, Z. 5: IS st 18, 15;
S. 9, Z. 27: noun-^laiuse st fiotm, eUmBe\ S. 24, Z. 28: m st. o«; S. 25,
Z. 1: Word-ordar st Word9-ordeT\ S. 36, Z. 12: Punkt vor owwg weg;
S. 88, Z. 27: if st of\ S. 48, Z. 8: promenade st pramanade; S. 51, Z. 2d:
form st from; S. 62, Z. 18: and st anda; S. 84, Z. 7: a st o/ und Komma
w^; S. 92, Z, 2S: out st our.
Das Lehrbuch von Poutsma, das gleichfalls in Holland erschienen
ist, kann nicht gut in die angegebene Remenfolge eingeordnet werden, da
es kein Schulbuch, sondern eine wissenschaftliche Grammatik ist. Man
mülBte es denn insofern als der neueren Richtung angehörig betrachten,
als es ganz und gar in englischer Sprache abgefalst ist
Der Titel sa^, dafs wir es mit einem Buche zu tun haben, das die
Erscheinungen des modernsten Englisch festzudtellen sucht Der Verfasser
versteht darunter das Englisch ungefähr der letzten 200 Jahre. Aus den
Autoren dieser Zeit oder der Zeit kurz vorher sind die Beispiele genom-
men. Da es aber natürlich bei einer wissenschaftlichen Grammatik nicht
sanz ohne Vergleiche, ohne Hinweisuogen auf die historische Entwicke-
lung abgehen kann, so sind oft, wo es nötig war, auch Beispiele aus dem
JEarly moderte English, aus Shakeäpeare und manchmal auch aus dem
Mittel- und Alten^lischen herangezogen.
Von vornherein gleich sei bemerkt, dals es sich hier um ein hervor-
ragendes, hochinteressantes Werk handelt, das Resultat einer über viele
Jahre ausgedehnten emsigen Forschung, eine Arbeit voller Feinheiten und
Eigenheiten hinsichtlich der einzelnen Aufftussung sowie der Zusammen-
stdlung und Anordnung des Ganzen.
190 Beurtdlmigen und kurze Auzeigen.
Die EiDteiluDg wacht tou der üblichen betrSchtlich ab. Znnichst
hat der Verfasser Ableitunn- und Wortbildungslehre sowie Fhooedk ans
seinem Programm ausgeschlossen. Formenldire und Syntax ^trennt m
behandeln, nätte zu dem Charakter und Plan des Buches oicnt gepafst.
Der Verfasser hat daher eine andere Einteilung gewählt. Das groia ange-
legte Werk soll aus zwei Hauptteilen bestehen, von denen der erste ober
den '8atz', der zweite über die 'Bedeteile* handeln soll. Der erste Teil
wieder setzt sich aus zwei Unterabteilungen zusammen: 1) Die Blemente
des Satzes, 2) Der zusammengesetzte Satz. Der Torliegende, 348 Seiten
starke Band ziemlich grolsen Formates enthält diese erste ünterabteilnng:
'Die Elemente des Satzes'. Die zweite Unterabteilung soll im Anfang des
Jahres l'J05 erscheinen. Der Verfasser hat einige neue grammatische Ter-
mini eingeführt, die zum Teil schon Ton anderen yorgeschlaf;en, zum Teil
ranz neu gebildet, alle durchaus einfach und verständlich sind und sich
daher sicher praktisch bewähren werden. So faist er Nomen und Adjek-
tivum als nominal, alle näheren Bestimmungen eines solchen nominal als
adnominal adjunets und die Begriffe des Compound sentenee und eofnplex
sentence unter eompotüe sentenee zusammen. Ferner führt er für das un-
bestimmte 'if als Subjekt und Objekt die B^dchnung sham-eubfeet und
skam-object ein.
Es ist selbstverständlich, dafs das Buch alles Wichtige, was im eigenen
Lande oder in anderen Ländern über englische Grammatik geechneben
worden ist, berücksichtigt und überall, wo es nötig ist, darauf verweist
Seine Hauptvorzüge aber bestehen in seinem Beichtum an idiomatisdieD
Wendungen, in der Unmenge der mit rastlosem Fleifs zusammengetrage-
nen, aufs sorgfältigste ausgewählten und stets mit der Quellenangabe Ter-
sehenen Beispiele und in der streng zeitlichen Anordnung wechselnder
Ausdruckfiweisen (man vergleiche z. B. hinsichtlich des letzten Punktes
den § 70 über die Umschreibung mit ^to do*)» Das Buch ist, wie schon
gesagt, vollständig in englischer Sprache abgefafst; wo es nötig war, ist
aber natürlich die entsprechende holländische Ausdrucksweise, hier und
da, wo sie nicht mit der holländischen übereinstimmt, auch die deutsche
mit der englischcii verglichen worden.
Das I. Kapitel des Werkes handelt über das Prädikat. Über die Be-
zeichnung 'Prädikat' und 'Prädikatsnomen' (das hier nominal pari of Üie
predicaie genannt wird) läfst sich bekanntlich streiten, insofern man unter
Prädikat oald nach der alten Weise das Verbum oder eine sc^nannte
'Kopula' mit 'Prädikatsnomen' versteht, bald nur das reine Verbum, wobei
man dann das sogenannte 'Prädikatsnomen' als eine Ergänzung im Nomi-
nativ ansieht, oder aber mit 'Prädikat' alles das bezeichnet, was von dem
Gte^benen, dem Bekannten als neu und wissenswert ausgesagt wodeo
soll, wobei jede beliebige Wortart 'Prädikat' sein kann. Die alte Beseich-
nung, die auch unser Autor beibehalten hat, indem er zwei Arten eines
Prädikates, das verbal predicaie und das nominal predieaU (d. h. eoptda -f
nominal or a wordgroup doing dtäy as a nominal) unterscheidet, hat ihre
Schwierigkeiten, für die auch dieses gerade in seiner Eintdlunff und An-
ordnung mit peinlichster Sorgfalt ausgearbeitete Buch noch Belege genug
dbt Warum sollten z. B. die Sätze my bed i$ done io the waü und fWf
oed Stands close to the waü (S. 2) in ihrer Natur so verschieden sein, da&
man im ersten is als 'Kooula' und daher is dose io the wall als Prädikat
ansieht, in dem zweiten ais Prädikat nur das selbständige Verbum Stands
betrachtet? Die Verben to seem und to appear befinden sich nicht unter
den 'Kopulas', da ein Satz wie he seems happy nach des VerÜEUss^is Deu-
tung eine Abkürzung für den Satz he seems to be happy und dieser wieder
eine solche für it seems that he is happy ist, was er durch Vergleiche be-
weist. Da über das verbal predieate nichts weittf zu sagen ist, handele
die ersten 17 Seiten nur von den 'Kopulas'. Der Verfasser unterscheidet
Beurteiluiigen und kurze Anzeigen. 191
drei Arten: solche, die ein Sein, solche, die ein Bleiben, und solche, die
ein Werden ausdrücken. Der interessanteste und mit zahUosen Beispielen
belegte Teil ist der, in dem er die Verben zusammenstellt, deren Bedeu-
tung allmählich so zusammengeschrumpft ist, dafs sie zur 'Kopula' herab-
fesunken sind. Er belegt nicht weniger als für die erste Art 14 (wie
8tand lisUmished at my own moderatiofh S. 7), fOr die zweite Art 10 fwie
The weather hdd phenomenaüy siUnt, 6. 10), für die dritte Art 11 Veroen
(wie Ai last he waxed täterly mad, 8. 16). Bei vielen dieser Verben geht er
auch der mutmafslichen Entstehungsgeschichte dieser 'Kopulas' nach. Ab-
gesehen v<Hi dem aufserordentlichen Wert einer so gründlichen Zusammen-
stellung Ton Verben, die ohne jeden Zweifel zusammengehören, bei denen
man nur über die Benennung verschiedener Meinung sein könnte, drängen
sich auch hier wieder die Schwierigkeiten hinsichtlich des Begriffes 'Ko-
pula' auf. Warum soll z. B. io look in Why looks your grace so pale, wo-
neben es eine Ausdrucks weise mit io he gibt, wie in Young Pen looked to
be a lad of mueh more eonaequenee, 'Kopula' sdn, während to seem in he
seema happy wegen eines daneben bestenenden he seems to be happy das-
selbe abgestritten wurde?
D^ zweite, besonders interessante und gleichfalls ausführlich beleste
Teil dieses Kapitels betitelt sich Complex PredieaUe, Der Verfasser be-
handelt darin auf nicht weniger als 74 Seiten die 'Hilfszeitwörter'. Er
teilt sie in sechs Gruppen: 1) solche, die ausdrücken, thai a stalement ü
coruidered maiter of eertainiy or uneertainty (to be, ean, may, must, ahaU,
ftnü), 2) thcU a eubsianee is aeted upon by a certain power (to be, to have,
must, med, ought, ^haü, unU)^ 'S) thai an action or etaie ü habüual or re-
eurrent (can, to uae, will), 4) that it ia poaaible for a peraon to da a certain
aetion, or to be, remain or get infto) a eertain atate (can, mau, muat), 5) to
dare, ö) to do. Diese Einteilung ist höchst glücklich gewählt und trotz
des grolsen Keichtums sehr übersichtlidi. Von feinen Beobachtungen, die
sich darin finden, sei nur hervorgehoben die Erklärung eines amll, das
schon Gegenstand manches Streites gewesen ist und zu den verschieden-
sten Deutungen Anlafs gegeben hat, in Sätzen wie There ia not a girl in
toton but let her have her tctll in going to a maak, and ehe 'ahalT dreas like
a ahepherdeaa (S. 47). Der Verfasser weist auf Grund einer Reihe von
Beispielen nach, dafs wir es hier einfach mit dem ahall zu tun haben, das
nach Ausdrücken des 'Vers^prechens' gebraucht wird, wobei, ebenso wie
bei dem holländischen beUwen, das to promiae häufig den Sinn von to
asaure annimmt. Höchst ansprechend ist es auch, wie der Verfasser die
beiden Begriffe der 'Fähigkeit und 'Möglichkeit', die so oft, namentlich
in Schulgrammatiken fast als gegensätzlich hingestellt werden, gemeinsam
unter der vierten Gruppe behandelt, wie er an einer Unzahl von Beispielen
zeigt, dals die beiden verwandten Begriffe häufig unentzifferbar ineinander
übergehen und miteinander verwecnselt werden, und wie er dann die
Bchwer zu findende Grenze zwisdien beiden wenigstens einigermaCsen fest-
zulegen sucht Auf eine kleine Ungenauigkeit in der Ausarucksweise sei
aufmencsam gemacht. Der Verfasser sagt auf S. 79: Nor ia cüher of the
auünliariea *to hare' or ^to be' ever ua^ unth Ho do\ während er S. 87
uatürlich das bekannte don't be afraid etc. nicht vergessen hat.
Das II. Kapitel handelt über das Subjekt. Hier erfahren wir zu-
nächst etwas über das aftam-aubfect, d. h. über die sogenannten ^unpersön-
lichen Verben', dann etwas über das anticipatory aulneei, d. h. aas auf
etwas Folgendes hinweisende subjektive it, sowie die Fälle, wo es fehlt,
dann finden wir in einem Abschnitt, der sich besonders viel mit der histo-
rischen Entwickelung der heutigen Ausdrucksweise beschäftigt, eine sehr
interessante und eingehend belegte Zusammenstellung der Verben, die
neben ihrer eigentümlichen Konstruktion sich eine solche herausgebildet
haben, wo Objekt und Subjekt mitdnander vertauscht worden sind, wie
192 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
ft grieves me und / arieve ai (he thougkt ([8. 109), ü seemed to hdm und he
seemed (S. 121), una endlich erhalten wir im AnschlulB daran eine sehr
einsehende Erklärung und EntstehuDgsgeechichte der Ausdrücke / had
ratner, sooner, liefer, liever, better, best uaw.
Das III. Kapitel hat das Objekt zum Thema. Wenn der Ver&sser
hier zwischen direet or *pa8sive' obfeet und indireet dbjeet unterscheidet, so
scheint mir der Ausdruck ^paeeM gerade fürs Englische nicht passend
gewählt, weil auch das indirekte Objekt im Englischen Subjekt des Pas-
sivums werden kann. Der Abschnitt über das 'prfipositionslose Objekt'
belehrt uns über das redundant obfeet, d. h. das, was man auch sonst
'Dativ US ethicus' nennt, wie: Äa I was emohing a musty room, oomee me
the prince and Claudio, hand in kand, in aad eonferenee (S. 131, aus Shake-
speare), über die Konstruktion der im Holländischen mit präpositionslosem
Objekt verbundenen Adverbien und Adjektiva enough, auffieient, eaey,
difficult, possible, impossible und verwandte und s^bt uns eine sehr int«'-
essante, eingehend Delegte Zusammenstellung der Konstruktionen von
worth, tcortMf, proof, bysy, like, unlike, alongside, astride, inside, outaide^
near und opposite. Darauf foifft ein Abschnitt über das aham-objeBt, d. h.
das unübersetzbare objektivische it in Ausdrücken wie to lord it. Hier
wäre eine Begründung angebracht gewesen, warum der Verfasser in Sätzen
wie One day, aa ill-luek wotUd have it, thegame becafne more exciting thixn
uaual und ne unü have it that all virtuea and aeconipliahmenia met in hie
hero und ähnlichen (S. 148) das t^ als indefinite, not anticipating, also
ebenso wie in give it kirn with the left (S. 148) aufgefaist haben will. Über
das zweite Beispiel sagt er nur: M theae quotationa there ia an eüipaia of
an anteeedent *ao\ and the elauae introdueed by ^that' ia, iherefore, adverbial.
Es könnte doch aber auch naheliegen, in dem it einfach einen Hinweis
auf die Sätze the game became . . . und that all virtuea ... zu sehen, wie
doch auch in dem deutschen 4ch will es haben, dals du das tust' das
*es' auf den folgenden dals-Satz hinweist, genau so gut wie in 'Ich habe
es versprochen, morgen zu kommen'. Der nächste Abschnitt behandelt
das anticipatory objeet it, der folgende the indireet objeet. Hier erhalten
wir eine 'vollständige' Liste der Verben (1^9 an der Zahl), die einen prä-
positionslosen Dativ neben einem Akkusativ haben können, und eine Liste
von 7o Verben, die stets einen Dativ mit to haben müssen, sämtlich mit
Beispielen belegt.
Kapitel I v bespricht die attributive adnominal adjunota, und zwar zu-
nächst die 'Apposition'. Der Verfasser sucht den etwas unklaren und
sehr allgemeinen Begriff 'Apposition' näher und schärfer zu begrenzen;
er erkennt nur drei Arten von Appositionen an: 1) solche, die nur dne
andere Benennung des Beziehun^wortes enthalten, wie Joan of Are, the
Maid of Orleana, 2) solche, die zu einem Quantitätsbegriff den Geg^-
stand angeben, wie a doxen ahirta, 8) solche, die einen Gattungsbegriff
spezialisieren, wie the river Rhine. Dagegen spielt nach seiner Meinung
in king Alfred das hing nur die Bolle eines Adjektivs und ist in Edward Vu,
hing of England das king of England als unvollständiger Satz anzusehen.
Sobald aber in der letzten Art das zweite Nomen derart eng bestimmt
ist, dafs es mit dem ersten fast gleichbedeutend ist, wie in Edupard VII,
the preaent king of England, dann, meint der Verfasser, könnte man es
ebensogut als Apposition betrachten. Von dem vielen, das auf den
15 Seiten über die drei Arten der Apposition zu finden ist, sei nur, als
ein Beispiel, wie fein und vorsichtig alles bedacht ist, auf die Erklärung
solcher Ausdrücke wie 10000 foot (S. 199) hingewiesen. Der Verfasser
möchte sie, ebenso wie 10 000 infantry, cavalry, Sorae, rank and file, rem^
lar troopa etc., am liebsten durch die Ellipse eines men erklären, zu dem
dann infantry usw. eine Apposition oder eine Art unvollständigen Satzes
wäre. Freilich läfst er noch andere Erklärungen als möglich erscheinen,
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 198
weist aber die rein äuliserliche, in foot und horae einen unveränderten
Plural zu sehen, entschieden ab. Jedenfalls werden durch seine Erlclärung
auch solche Ausdrücke wie 200 wounded, 200 siek sofort klar.
Das V. Kapitel, das über die adverbial adjunets handelt, bringt zu-
nächst Beispiele für alte adverbiale Genitive, wie ^o thy toays, noto-a-days
usw., und im Anschluis daran eine sehr ausführliche und eineehcod be-
legte Zusammenstellung der Konstruktionsarten englischer Zeitbestim-
mungen im allgemeinen. Es sei nur ein Beispiel angeführt, das wiederum
eine Eigenart dieses Buches bel^t. Überall ist der Verfasser, ohne es be-
sonders zu sagen, bemüht, die Lebendigkeit und damit die Schwierigkeit
der en^Uschen Sprache möglichst deutlich hervortreten zu lassen, zu zei-
fen, wie so sehr oft für denselben Qedanken die verschiedensten Aus-
rucksweisen möglich sind, die Ausdrücke ineinander fibergehen und die
noch lebensfrische Sprache jeder scharfen Regel spottet und übermütig
darüber hinweghüpft. Er tut das besonders durch Anführen solcher Bei-
spiele, wo du und derselbe Autor in ein und demselben Satze genau das-
selbe auf zwei verschiedene Weisen ausdrückt, Beispiele, die der Verfasser
mit grofser Sorgfalt überall zusammengesucht hat. So zitiert er hier aus
David Copperfield: There are two parhurs: ihe parlour in tohioh we sit
*of an epentng'y my moiker and I and Peggotiy, amd the be8t parlour tohere
toe sit *on a Sunaay^»
Kapitel VI handelt über die predieative adnominal (tdiunets, worunter
er prädikative Bestimmungen zu anderen Verben als den sogenannten
'Kopulas' versteht.
Kapitel VII gibt eine all^meine Einteilung der Sätze.
Kapitel VIII bespricht die Wortstellung, und zwar zunächst die Stel-
lung des Subjekts. Nicht weniger als 36 Beispiele gibt der Verfasser für
die Inversion (oder Nichtinversion) nach negativen Adverbien oder Kon-
junktionen wie hardly^ lHUe, never usw. ^sZh einigen Beispielen anderer
Fälle, wo ein Adverbium im Anfang eines Satzes Inversion des Subjekts
bewirkt, berichtet der Abschnitt Inversion eaused by front-position of the
objeet hauptsächlich über die Inversion oder Nichtinversion in Sätzen, die
in eine direkte Bede eingeschoben sind, wobei nach der Art des Subjekts,
des Verbums und der Erweiterungen sehr klar verschiedene Fälle einge-
teilt werden. Ebenso klar werden die Fälle der Inversion nach vorauf-
gehendem 'Prädikatsnomen' dadurch gemacht, dafs genau nach der Be-
tonung des Verbums unterschieden wird, wie z. B. Blessed are the poor
in sptrit (S. V60) und The more virtuous a man is, the happier he is
(S. 262). Nach allerlei anderen interessanten Dingen handelt der nädiste
gröisere Abschnitt von den Satzteilen, die zwischen Subjekt und Prädikat,
und ein folgender von denen, die zwischen den Teilen eines zusammen-
gesetzten Prädikats stehen. Sehr lehrreich ist femer der Abschnitt über
die Stellung des Objekts, wo aus der Anordnung und Besprechung der
zahlreichen Beispiele deutlich hervorgeht, dafs die Stellung des Objekts
sich nicht streng nach der in manchen Schulgrammatiken sogar als un-
umstöislichen ^gel: *Verbum — Objekt — andere Satzteile* richtet, son-
dern nach zwei ganz anderen Gesichtspunkten, erstens der mehr oder
minder engen Zugehörigkeit eines Satzteiles zum Verbum, die den betref-
fenden Satzteil dem Verbum näherbringt, und zweitens der Stärke der
Betonune, die ihn möglichst vom Verbum trennt. Auch bei der Stellung
des Objekts im Anfang des Satzes begnügt sich der Verfasser nicht mit
der herkömmlichen und falschen Erklärung, das Objekt stehe im Anfang
des Satzes, wenn es besonders betont ist, sondern er unterscheidet zwei
Fälle: solche, wo das vorangestellte Objekt die Person oder die Sache be-
zeichnet, an die der Sprechende vor allem anderen denkt, wie in silver and
gold have I ncne (wo das 'Betonte' natürlich gerade none ist), und solche,
wo die Voranstellung einen bequemen Anscnlufs an Vorhergehendes b^
AxtMi i. D. Sprachen. CXYI. 13
194 Beurteiiungen und kurze Aozeigeu.
werkstelligt, wie Hü pasMums and prefudtees had led kirn Mo a greai
error, Thai error ns determined tc reeani (S. 278). Aub dem laageQ
AbscliDitt über die Stellung der adverbialen Bestimmungen sei nur noch
auf die ausführliche und reich belegte Liste der Stellungen der Adverbien
90j thuSt Uioughj elsCf besides, hotoever usw. hingewiesen. Dann folgen Ab-
schnitte über die Stellung des Attributs, besonders des Adjektivs, des
Possessivpronomens, des Zahlwortes (hier finden wir, um noch ein Bei-
spiel von der Fülle der Belege zu eeben, allein fflr boih in seinen ver-
schiedenen SteUungen nicht weniger als 42 Zitate), des Infinitivs, des Parti-
zips und anderes mehr.
Hoffentlich erscheint, wenn die verdienstvolle Arbeit beendet ist, ein
alphabetisches Inhaltsverzeichnis dazu, damit sie zu der Fteude, die sie
jedem Leser bereiten wird, auch noch den Nutzen eines praktischen Nach-
schlagewerkes bringt Wegen der eigenartigen Einteilung des Buches
müiJste dann allerdings dieses Inhaltsverzeichnis sehr eingehend sein, selbst
z. B. solche Wendungen wie to look one in ihe face und io look in one^s
face (8. 144) enthalten, da sonst mancher eine reiche Schatzgrube besäüse,
ohne zu wissen, wo er die Schätze im Augenblick sudien soLL
Fritz Strohmeyer.
E. Herzog; Streitfragen der romanisehen Philologie. Erstes Bänd-
chen: Die Lautgesetzfrage. Zur französischen Lautgeschichte.
Halle, Niemeyer, 1904. 122 S.
Es geht ein frischer, ori^neller Zug durch das Büchlein von Herzog,
das viel mehr enthält, als sein Umfang erraten läfst. Die ersten 80 Seiten
bringen eine Abhandlung über die Lautgesetzfrage in neuer Beleuchtung.
Der Verfasser stellt als einheitliches Prinzip des Lautwandels die Ge-
schlechterablösung auf. Dieser in den Paragraphen 40 ff. ausge-
sprochene Gedanke ist der Kern der Arbeit In den vorhergehenden Ab-
schnitten werden die früheren Lösungen des Problems kritisiert und ab-
gelehnt, um dem neuen Vorschlag Platz zu machen. Dabei hat der Ver-
fasser Gelegenheit, die Lautgesetzfrage nach allen Seiten zu drehen, mit
Beispielen zu belegen, die keck aus Sültn romanischen und aus vielen an-
deren Sprachen gezogen sind, und so entwirft er ein glänzendes, geist-
volles Plaidoyer, welchem man trotz der Gedrängtheit der Erklärungen
mit Spannung fol^t Der philosophische Zug, der durch alle Wissen-
schaften ^eht, scheint auch unseren Prinzipienfragen zugute kommen zu
wollen: in letzter Zeit mehren sich allgemeine Abhandlungen. Die
Rousselotsche Schulung hat die jüngeren l%ilologen daran gewöhnt, mit
den kleinsten Unterschieden der Lautartikulation zu rechnen. Die Dia-
lektologie hat zur besseren Erfassung sprachlicher Vorgänge durch ihr
reiches, kontrollierbares Material besonders viel beigetragen. Herzogs An-
sichten sind aus dem gegenwärtigen Stande der Forschung hervorseganffen.
Wenn trotzdem seine Hauptthese nicht annehmbar erscheint, so lieft dies
weniger am Autor als an der Undurchdringlichkeit der Sache. Unsere
Erfahrung ist noch zu sehr theoretisch. Wir verfolgen ffewissermafsen
den Lauf der Dinge von Stunde zu Stunde, aber noch nicht von Minute
zu Minute oder von Sekunde zu Sekunde.
Sehen wir uns gleich das Ablösun^sprinzip näher an. Nach
Herzog verändert sich der Laut, den wir in der Jugend erlernt haben,
infolge des Wachstums unserer Organe. Diese wachsen 'schwerlich alle in
genauer Proportion zu einander, so dafs zu der GrÖfsen Veränderung noch
Veränderung der gegenseitigen Lage kommt, die Knochen werden härter,
die Stimme mutiert, etc.' (p. 50). So hören die Kinder von erwachsenen
Menschen nicht ganz denselben Laut, den die ältere Generation in ihrer
Jugenil gesprochen bat; mit dem Älterwerden der zweiten G^eneration
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 195
wiederholt sich das Spiel, und so kommt ein kontinuierlicher Wandel zu-
stande. Herzog verhehlt sich nicht, dafs die Menschen sich nicht alle
dreilsig Jahre, sondern beständig ablösen, so dafs in Wirklichkeit eine
ganz uoregelmäfsige Geschlechterfolge eintritt; die Spracherlernung erfolgt
nicht immer von den Eltern zu den Kindern u. s. f. Aber das scheint
mir ffir Annahme seiner Theorie kein grofser Übelstand zu sein, denn tat-
sachlich tun sich die Leute naph Generationen zusammen, und man kann
die Zwischenglieder auf die Älteren oder Jüngeren verteilen. Aber das
Ablösungsprinzip hat andere Schwächen. Herzog will z. B. den Schwund
des -d' über -S- dadurch erklären, dafs die Zunge des Erwachsenen 'bei
der Vergröfserun^ des Organs nicht mehr hinreicht, einen vollständigen
Abschlul's zu bilden'. Nun ist aber a priori durchaus nicht gesagt, oaTs
die Zun^e nicht im gleichen Mafsstabe wächst wie die Entfernung vom
Halszäpfchen zur oberen Zahnreihe. Die Behauptung, dafs die Zunse
zurückbleibe, ist auf nichts fi;egründet. Auch könnte die proportionefle
Verkürzung der Zunge durcm die vermehrte Energie des Erwachsenen,
die von Herzog nicht in Anschlag gd;>racht wird, kompensiert werden.
Eine solche Erklärung würde ich im gegebenen Falle nur auf Grund wirk-
licher Messungen an einer Reihe von Individuen annehmen. Und wir
haben a priori nicht das Becht, vorauszusetzen, dafs die Yerändeniue der
Oreane bei jedem Individuum in gleicher Bichtung erfolge, so dals die
einneitliche Tendenz mehrerer Geschlechter: -d- = 0 rätselhaft wäre.
Den Einwand, dafs nach seiner Theorie in jeder Sprache -d- verstummen
müfste, während im Germanischen umgekehrt eine Stimmlose daraus ent-
stehe,' sucht Herzog dadurch zu entkräften, dafs er verschiedene Abarten
von d annimmt, z. B. ein schmal- und ein breitflächiges, wobei
schmal und breit die Dimensionen von vom nadi hinten oezeichuen.
Die erste Abart soll dem Französischen zugrunde liegen, wo -cf- schwin-
det, das provenzalische -x^ aus -d- soll sich aus einem breitflächieen -d-
entwickelt haben. Aber wie soll aus einem ursprünglich schmalfläcnigen d
im Provenzalischen ein breitflächiges entstanden sein, wenn nach der
obigen Erklärung die Zungenaktion mit dem Reifwerden des Individuums
an Intensität verliert? Und mir scheint der Übergang einer Gruppe wie
ada zu a8a auf einem Vorgang zu beruhen, bei welchem es weniger auf
die Beteiligun^breite der Zunge, als auf die Lage der Zungenspitze an-
kommt. Eis wird zwischen den beiden a mit der Hebung derselben ge-
spart, und so kommt statt eines festen ein loser, an den Schneidezähnen
gebildeter Verschlufs zustande, der leicht in eine Spirans überseht. Liefse
sich beweisen, dafs das provenzalische x über S entstanden ist, so fiele
Herzogs Annahme eines breitflächigen d für einen Teil des französischen
8üdens dahin. Es scheint mir also der Versuch, das neue Prinzip durch einen
prägnanten Fall zu illustrieren, in mehrfacher Hinsicht gescheitert zu sein.
Die bessere Kenntnis der Lautphysiologie ist nicht nur von grofsem
Nutzen, sondern durchaus notwendig gewesen; sie hat aber ein neues Feld
der Kasuistik eröffnet, auf welchem jeder Schritt mit der gröfsten Behut-
samkeit ausgeführt werden mufs.' Gar leicht wird eine Aussprache theo-
' Im § 49 versacht Herzog auch die deutschen Laatverschiebungen mit dem
AblÖBUngspriusip za vereinbaren. Ich überlasse gern die Knlik dieses Punktes
den Germauisten.
' Ich möchte aber nicht unterlassen, zu betonen, dafs Hersog in dieser Schrift
selten für alte Sprachznstände ganz bestimmte Sprechweisen stipuliert, sondern
meist von heutigen Erfahrungen und Experimenten ausgeht. Aber hie und da
kann ich seine phonetischen Aufstellungen nicht billigen, so p. 32 Anm.| wo er
behauptet, dafs bei p die Oberzähne auf der Innenfläche der Unterlippe ruhen.
Unverstindüch ist mir der Ausspruch (p. 61 Anm.), dafs lat. a im Altfrz. zu e
geworden sei, ohne ^ zu berühren, und anderes mehr.
18*
196 Beurteilungeo wad kurze Anzeigen.
retisch angenommen, um im nächsten Augenblick von selten eines erfinde-
rischen Kopfes wieder umgestoisen zu werden. Und bis die langsame
Kritik ihr Wort gesprochen hat, kann es passieren, daJb der Urheber einer
Theorie sie län^t wieder aufgegeben hat. Es wird sich daher immer
empfehlen« die Bache, wenn möglich, auf praktischen Boden zu stellen.
Wenn in der Nähe provenzalisdier Mundarten, die -d- zu -x- wanddn,
heute breitflächige d oder ein Laut, der nachweislich daraus hervorging,
zu hören sind, darf man annehmen, dals die -;&-Mundarten einst dieselM
Vorlage besafsen. Fast jeder &anzösische Lautübergang läfst sich in
irgendeinem modernen Winkel der Komania studieren. Genaue Beobach-
tungen wirklicher Verhältnisse werden uns rascher Torwarts bringen als
theoretische Spekulationen.
Der Verfasser selber sagt mit aller Offenheit und Deutlichkdt, dals
die Ablösungstheorie zuerst, bevor sie auf Gültigkeit ein Bedit be-
anspruchen kann, *die Feuerprobe der Erfahrung' bestehen mufs (cf. § 47,
48, 41)). Einstweilen ist sie eine geistreiche Hypothese. Ich bin nun weit
entfernt, den Wert der Theorie verkennen zu wollen. Jede neue Art der
Fragestellung ist anregend und unter Umständen fruchtbar. Und auch
die Praxis hat ihre Schattenseiten. Wenn die Theorie durch Verallgemeine-
rung sündigt, so versandet oft die Beobachtung im einzelnen Experiment.
Ich begreife, dafs Mever-Lübke die neue Schrift Panconcellis über die ita-
lienischen Nasalvokaie mit einem Seufzer aus der Hand legte; mir selber
war die Pkonettqtie italienne von Freeman-Jocelyn eine grofse jSnttäuschung.
Nur oft wiederholte und auf breiter Basis angestellte Versuche hab^
fenerellen Wert. Und in Ermangelung des Beweismaterials mufs die
heorie das Feld behaupten.
Obschon ich Herzogs Formulierung des Ablösungsprinzips für unbe-
wiesen halte,* glaube icn, dafs der Geschlechterwechsel in verschiedener
Art am Lautwandel beteiligt ist. Herzog hat sehr ridhtig hervorgehoben,
dals die Lautgesetze viel öfter, als man es gemeinhin annimmt, auf Assi-
milationserscheinungen beruhen, also auf einer Art Beibung der Wort-
elemente. Diese Reibung scheint mir am stärksten zu sein bei der kräf-
tigen, mittleren Generation, innerhalb welcher am ehesten neue Lautgesetze
entstehen können. Ein beginnendes Gesetz bringt eine grofse Unoranung
mit sich, indem ein Wort, ein Individuum williger ist als das andere.
Diese Ungleichheit hört meist bei der nachwachsenden Generation auf,
die das Gesetz konsequenter durchführt. Oder es wird eine nachlässig
Artikulation der Alten, z. B. ein 8, von den Jungen übertrieben, was zum
gänzlichen Schwunde des Lautes führt. Hierbei scheint eine Art Ver-
erbung mitzuspielen. Auch das Gehör ist am Lautwandel beteiligt: ein
unbetonter Diphthong, dessen Elemente nahe beieinander li^n, z. B. et^
kann als 7 wiedergegeben werden. Vielleicht sind noch aUerlei andere
Ü bertraff ungsmöglichkeiten vorhanden Ich würde nicht, wie der Ver-
fasser, darauf dringen, allen Lautwandel auf eine Ursadie zurückzufüh-
ren. Genau betrachtet, gibt er selbst verschiedene Wege zu. So nimmt
er § 2A (ungenaue Wortwiedergabe) Gehörfehler an; die Prothese
von e vor 8 tmpurum führt er auf den Fall la 'staie ^ esiate zurück, der
auf la Stella ^ esteüa analogisch eingewirkt hätte; er 1^ grolises Gewicht
auf den Ausgleich der AUegro- und der Lento-Formen usw. Trotzdem
ich theoretisch die Forderung einer Erklärung für allen Lautwandel an-
erkenne, wird es mir einstweilen nicht leicht, mich für irgendeine der vor-
geschlagenen Einheitstheorien zu erklären. Es wird mir schon schwer
genug, z. B. lautliche Analogie {buona nach buonUf dieses mit Diphthong
' Sollte nicht aucli, wenn der Bau der Organe eine so grotM Bolle spielt,
flberall leicht eine besondere Frauen spräche entstehen?
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 197
wegen des auslautenden u) und eigentlichen Lautwandel * als Aufserungen
desselben Prinzi}» zu betrachten.
So weit bin ich mit dem Autor einv^erstanden, dafs mit jeder neuen
Generation die Sprache einen Kuck vorwärts tut, und dais die Verantwort-
lidikeit für entstehenden Lautwandel der mittleren, sprechstarken Gene-
ration zugeschrieben werden muDs. Ich halte es daher für eine Inkon-
sequenz, wenn p. 7'2 das rasche Vorauseilen des An^onormannischen
gegenüber dem kontinentalen Französisch durch den Tod vieler reifer
Männer im Kampf erklärt wird, wodurch der 'retardierende und kontrol-
lierende Rlnflufs, den die ältere Generation auszuüben pfle^', eingeschränkt
wurde. Übrigens bezieht sich diese Xontrolle nur auf die groben Sprech-
fehler der Kinder, nicht auf keimende Lautgesetze, die unbemerkt bleiben,
auch wenn ohrfällige Vertauschungen stattfinden, wie sy z= S, Zungen-
spitzen-r = Halszäpfchen-r etc.
Mit der Tendenz, das Ablösungsprinzip zu vollem Rechte kommen
zu lassen, hängt die hier und da zu eilige Beseitigung von Spezialfällen
zusammen, die bisher angenommen wurden und den Wert der neuen
Theorie schmälern könnten. Herzog möchte beweisen, dafs Fernassimi-
lation, springender Lautwandel, Metathesen auf ein Prinzip zurückzufüh-
ren sind = Täumliche und zeitliche Verschiebungen von artikulatorischen
Bewegungen'. Er nimmt z. B. an, dafs in cherchier für eerchier die
für ^ nötige Zungen Wölbung sukzessive über die ganze erste Silbe aus-
griff,' bis der Anfangskonsonant erfafst wurde (§ 33). Nun ist zunächst
unrichtig, dafs durch die antizipierte Organstellung des S das e und r
'dem Klange nach vollständig oder nahezu unberührt bleiben'; ferner wird
die Erklärung unmöglich für die Dialekte, welche die Fem assimilierung
zu einer Zeit durchfiihren, wo der zweite Laut ein Explosivlaut ist: ther-
titer. Ebenso ungläubig verhalte ich mich gegenüber den Argumenten,
die gegen den sog. spnngenden Lautwandel vorgebracht werden. Dafs
die Zitterbewegung des alveolaren r durch die Zungenhaut auf das Zäpf-
chen übertragen worden sei und so ein Ersatz von r durch R entstand,
leuchtet mir nicht ein. Ich habe zwar eine Person gekannt, die einen der-
artigen Übergangslaut sprach, der besonders im Worte sennteur auffiel,
aber ich sah es für eine Kontamination von r und R an; der Betreffende
fehörte einer verdeutschten, ursprünglich französischen Familie an. Da
aa R besonders in städtischen Zentren um sich greift, glaube ich viel eher
an modische Lautsubstitution. Die Landluft enthält weniger a- Bazillen.
In Italien, wo die /e- Infektion noch wenig verbreitet ist, liefsen sich
darüber Beobachtungen anstellen. Ob Deutschland sein R aus Paris be-
zogen hat, ist schwer zu sagen, da uns für die vergangenen drei Jahr-
hunderte jede Statistik darül^r fehlt.
Eine Metathese, wie formatieu — fromage, soll über ffmage ent-
standen sein. Theoretisch ist die Bildung von r mit verschiedenen Vokal-
klängen, überhaupt die gegenseitige Durchdringung der Laute nicht au-
zufecnt^. Aber es scheint mir, in einer Gegend, wo gerade formatieu
mit fromaticu leicht wechselt, wie in der französischen Schweiz, sollte
ein ff doch häufig anzutreffen sein, und ich erinnere mich blols, es im Wallis
gehört zu haben. Das Aufgehen des Neutralvokals in r : ^mer habe ich oft
f^troffen, selten aber f oder r etc. Eine Gesetzmäfsigkeit ist in solchen
allen nicht vorhanden. Es wird difemier zu d^fremeTf aber nicht yemir,
verdir, vermine zu vre,,, oder gar servir zu «re.... In fromage wird zu
* Herzog verwirft mit Recht die Bezeichnang spontaner Lautwandel. Jedes
I^antiresets ist arsprttnglich bedingt.
* Solche F&lle wären für die Experimentalphonetiker ein interessantes Objekt.
198 Beurteilungen und kurze Anzeigeit*
einer Zeit, da man vergessen hatte, daTs der Käse nur, wenn er in der
Presse geformt* wird, so zu betiteln ist, wo also der Zusammenhang mit
forme gelöst war, die Häufigkeit der Gruppe fr in Wörtern wie fro-
ment etc. gewirkt haben. Um die Metathese zu einer zeitlichen Arti-
kulationsverschiebung zu machen, nimmt Herzog kunstliche Zwischen-
formen an, die mir wenig Realit&t zu besitzen scheinen. Dafür noch ein
anderes Beispiel : den Wandel von afrz. stut zu suü, den er richtig ^Ersatz
eines unusuellen Phonems' nennt, möchte er auch mit Hilfe einer Durch-
ü
ffanssform sit der schnellen Bedeweise erklären. Treibt er hier nicht
Mifsbrauch mit der Annahme von Allegroformen ? D^ man z. B. eine
ü
Alle^oform frit = fruit annehmen? Kommt überhaupt dieses Wort so
häufig ab Schnellsprechform vor, dals man von da aus eine analogiache
Bewegung: frit : fruit =r sit : suit erwarten darf? Das entbehrt alles der
Stfltze durch Erfahrungstatsachen.
In einem Punkte weichen meine Anschauungen stark von denen Her-
zogs ab, nämlich in den Vorstellungen über die eeographiscbe Ausbreitung
des Lautwandels. Die Mode wird als Faktor des Sprach wandeis viel zu
leichthin abgeldint. Zugegeben sei, dafs die Schlagwörter von der Wellen-
theorie und vom Ölfleck nicht ganz das richtige treffen, wie Herzog be-
merkt. Nach der Wellenbewegung tritt beim Wasser alles in die frühere
Buhe zurück, nach einer Lautwelle ist ein veränderter Sprachzustand ge-
schaffen ; der Ölfleck versinnbildlicht schlecht die Ausdehnung eines Wan-
dels über sehr grofse Gebiete, wie et = iS oder it. Wenn aber die bis-
herigen Bezeichnungen unzutreffende oder irreführende waren, so spielt
die Sache doch eine viel gröfsere Bolle, als man glaubt» Herzog meint,
Aussprachemoden hätten in Alpendörfem weniger Chancen als in städti-
schen Zentren. Das wäre richtig, wenn es sich um affektierte Wohlreden-
heit handelte. Aber unbewufste Anpassung findet überall statt In jedem
dialektischen Milieu kann man jederzeit generalisierende Aussprache-
tendenzen konstatieren. _Z. B. breitet sich im Kanton Bern die Aussprache
w für/ aus: gäw iüi giä (gelt), miwx für rnüx (Milch) etc. Sie dringt
sogar gegenwärtig vom Lande her in die Hauptstadt. Da darf man nicht
sagen: in Bern verwandelt sich ^genwärtig / oder besser gesagt i (ve-
lares /) in w, sondern es breitet sich durch Ansteckung eine Aussprache-
mode aus. Nichts ist schwieriger, als zwischen wirklichem Lautwandel
und eindringenden Lautnuancen zu unterscheiden. Es kann ja auch gleich-
mäfsige Bewegungstendenz vorliegen I Haben wir in diesem einen Falle
die Stadt unter der Domination der ländlichen Umgebung gesehen,' so
spielt sich ein anderes Beispiel, das ich zitieren möchte, ganz unter Alpen-
dörfern ab. Im Val de bagne (Wallis) hört man das Wort *cinque
xle aussprechen. Es ist nun ganz ausgeschlossen, dafs aus lat. e*^* ein ;/
entsteht, obschon irgendein findiger Theoretiker vielleicht Übergangsstadien
herausklügeln könnte, sondern ich erkläre mir den Vorgang auf folgende
komplizierte Weise. Ein Wort wie elave wird im Wallis je nach den
Dialekten zu ;t/a oder &ä. Kommt nun die Aussprache x^ ins Wan-
jdern, so kann in einem Tale, das ursprünglich &a und ^e = einque
sagte, welche zufällig im Anfangslaut übereinstimmten, das 9" in beiden
Ausdrücken durch ;c» ersetzt werden (Überentäufserung). So wird es im
Val de Bagne geschehen sein. Man könnte dieses Vorfahren Dialekt-
lagerung nennen. Wieviel von der Sprach Veränderung auf allmählichen
' Cf. Lachsinger, Das Molkereigträl in den romamichen AlpentUaUkt^m dtr
Sehweü, p. 9. (Vgl. hier S. 236.)
' Wobei starker Zasag vom Lande, Demokratiaiemiig der Schale etc. mit-
•pielen.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 199
Eigenwandel, wieviel auf Lagerung, d. h. Mode, zurückgebt, ist einet-
w^en gar nicht abzusehen, viele soeenannte Ausnahmen erklären sich
dadurch, dafs das Gesetz im neuen Milieu entweder hinter den ursprüng-
lichen Grenzen zurückblieb oder darüber hinausging.
Im Satz, dafs die Erzeu^un^ der Artikulationen rein mechanisch
geschieht Tp. 12) und die Autwirkuns von Bewufstsein und Willen sich
auf die Zeit der Spracheriemung ' Deschränkt, scheint mir der Autor
die jMychische Seite des Lautwandels zu verkennen. Ist denn die Auf-
lösung einer sprachlichen Analode ohne Mitwirkung des Gehirns denk-
bar? Bewufstsein und Wille stdien wohl überhaupt nicht auf derselben
ätufe. Wenn ich ein ä spreche, so mufs ich den rfasalkanal öffnen, das
geschieht nicht automatisch, sondern es bedarf dazu eines kleinen Willens-
aktes, der mir aber nicht bewufst wird. Wird aus apto <. attOf so ist
möglicherweise darin ein rein mechanischer Assimilationsprozeis zu sehen,
besonders wenn aHo seitens des Hörenden als cio verstanden und wieder-
gegeben wird. Wenn aber in planta das Gaumensegel etwas zu früh her-
untergelassen wird und das a sich nasal färbt, so kann man darin ein psy-
chisches Vorgreifen der späteren Artikulation erblicken. Oder wenn Herzog
p. ^9 sa^t, dafs in lat. tietnus das erste i weniger sorgfältig geschlossen
wurde (t relächi) und daraus z. B. span. veeino diulurch entstäit, dafs man
den Unterschied übertrieben wiedergibt, so ist daran die Psyche
beteiligt. Herzog selber sagt, dafs infolge eines psychologischen Ge-
setzes 'Differenzen zwischen zwei ähnlichen Reizen gröfser empfunden
werden, als sie sind'. Unleugbar psychisch sind viele Metathesen, Konta-
minationen von ähnlich klingenden oder bedeutungsähnlichen Wörtern;
auf das Gehirn, das überhaupt jedes menschliche Tun regiert, gc^en
Affekt, Tempo, Stil, Betonung usw. zurück.
So ist mir Herzogs Aufbau seiner These zu schematisch, und daher
befinde ich mich oft mit ihm in Widerspruch bei seinem raschen Gan^
durch alle Möglichkeiten der Lautdifferenzierung; aber wie oft freue ich
mich darüber, dafe er, von anderen Voraussetzungen ausübend, zu den-
selben Resultaten gelangt; wie oft eröffneter neue Ausblicke, löst er spie-
lend schwierige Probleme. Mein Referat, das mehr an die mir negativ
scheinenden Seiten seines Systems anknüpft, darf nicht den Verdacht auf-
kommen lassen, es sei in Herzogs Schrift nur Problematisches und rein
Hypothetisches. Wo er gegen den individuellen Anteil am Sprachwandel
Front macht, gegen das Ausgehen von der Kindersprache zur Erklärung
der allgemeinen sprachlichen Bewegung; wo er die Gründe der Gegner
des Lautgesetzes abfertigt, das Bequemlichkeitsprinzip verwirft; wo er
nachweist, dafs der Umlaut nic]it etwas vom Lautgesetz Verschiedenes ist,
sondern nur eine bestimmte Aufserungsform desselben; wenn er einen
prinzipiellen Unterschied zwischen Umlaut und Epenthese leugnet; über-
naupt wo er sich g^en die rein äufserliche Einteilung der Sprachgesetze
von Wechssler* richtet, da sind seine Worte knapp und klar und voll-
ständig überzeugend.
Ab Beispiel für seine ebenso überraschenden als instruktiven Deu-
tungen romanischer Vorgänge möchte ich seine Erklärung von span.
fuente ^ hijo erwähnen. Er sagt (p. 24 ff.): 'Auch im Deutschen bildet
man f verschieden nach den folgenaen Vokalen. So bestanden auch beim
apan. f verschiedene Mundstellungen, mit gröfserer Enge, wenn lippen-
engere Vokale darauf folgten, losere, wenn lippenweite danach zu sprechen
waren. Von einem bestimmten Zeitpunkt an wurde noch weiter an den
folgenden Vokal 'assimiliert'; der Spalt wurde so weit, dais das Reibungs-
' Ob wirklieh die Kinder mit grOCberezn Bewvfttsein sprechen?
* Qi^ «f LmUg99elubf (Festgabe Snehier).
200 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
geräusch bei den Lippen ganz yerschwand und nur noch der blolse Hauch
hörbar war; so blieb nur die engste Varietät des f^ dasjenige, das vor dem
lippeneugsten Vokal, dem u, gesprochen wurde {fueeo\ ferner dasjenige^ auf
das überhaupt kein Vokaf folgte {frondä) etc.* Von der Richtigkeit dieser
Ansicht kann sich jeder leicht mit einem Spiegel überzeugen. E^ könnt«
also die Bewegung in ihren Anfängen auf f vor % limitiert gewesen sein
und progressiv einen Fall nach dem anderen erfafst haben. Im Sranischen
wurde die Bewegung, nachdem o zu ue geworden war, sistiert. Im Gasoogni-
schen wirkte die Gewöhnung an lässige /'•Aussprache weiter, bis alle Falle
betroffen waren. Immerhin zeigen die fast 100 Karten des Gilli^ronschen
AtlcLs mit Anlaut-^; dafs in der Position fl und fr das Gesetz weniger
konsequent durchgeführt, also modemer ist. Nichts hindert uns a&o,
das Lautgesetz f = k auf eine Reihe von Jahrhunderten auszudehnen
und den ersten AnstoÜs dazu doch im Iberischen zu suchen. Der starke
Einwand von Meyer-Lübke (Mnf. p. 188), dafs der iberische Einflufs sich
unmöglich erst geltend macnen konnte, nachdem g zu ue geworden war,
fällt, sobald wir die Möglichkeit einer Verteilung des Vorganges auf sehr
lange Zeit erhalten. Das würde auch Herzog zugeben, der aliotüngs
glaubt, dafs ethnische Einflüsse auf den Sprachwandel durch Nachschub
aus der Metropole nach und nach paralysiert werden, aber doch so, dafs
kleine Differenzen, 'wie sie auch sonst innerhalb der Sprache einer Sprach-
gemeinschaft vorkommen' (p. 77), stehen bleiben können. Ich glaube über-
aupt, dafs er auch in diesem Punkte zu weit geht. Wir dürfen uns in
dieser Frage nicht zu sehr durch moderne Erfahrungen bednfluBsen
lassen. Im Kanton Waadt hat man vom 18. bis zur Mitte des 19. Jahr-
hunderts ein stark idiomatisch gefärbtes Französisch gesprochen. Erst die
neueren veränderten Kulturverhältnisse (Eisenbahn, Phonetik, bessere
Schulung etc.) haben auf einmal auffallende Besserung gebracht In der
Vergangenheit waren die Bedingungen von Land zu Ls^d und von Zeit
zu Zeit verschieden, es kam auf frimere oder spätere Loslösung von Rom,
auf den Grad der Völkermischung, auf die Art der Verbreitung der frem-
den Sprache an. und so können die vorromanischen Spracnen in der
verschiedensten Weise nachgewirkt haben.
Im zweiten Teile seiner Schrift unt^wirft Herzog einige schwierigere
Punkte der französischen Lautgeschichte scharfer Kritik. Zunächst das
von Horning verfochtene Gesetz, dafs die Gruppe ti intervokal vortonig
= ix, nachtonig = ta, z. B. pruter ^ puix. Gegen "diese Ansicht werden
einige prinzipielle Bedenken geltend gemacht, z. B. dafs sonst im Fran-
zösischen eine solche verschiedene Behandlung je nach der Akzentlage
nicht vorkommt, dafs das Wort pris der aufgestellten Regel widerspricht,
dafs die Beispiele, welche Horning zur Stütze seiner These zitiert, anders
erklärt werden können oder unsicherer Herkunft sind usw. In der Tat
fängt man sogar nach den neueren Arbeiten von Pieri und Clark {Rom.
1905) an, daran zu zweifeln, dafs die Behandlung der Konsonanten im
Italienischen von der Betonung abhängig sei. Zwar lälst sich aus den
genannten Arbeiten noch kein klarer Überolick über die italienischen Ver-
hältnisse gewinnen; aber das Meyer-Lübkesche Gesetz muis revidiert wer-
den, und das wird auch für den genannten altfranzösischen Fall von
Wichtigkeit sein. Herzog hat wohl recht mit seiner Behauptung, dafs
pris = pretium einen 'lautgerechten Wandel darstellt und eine ana-
logische Bewegung wohl von pris zu priaier, aber nicht umgekehrt vom
abstrakten, vernältnismäfsig wenig gebrauchten Infinitiv zum Substantivum
supponiert werden darf. Auch Suchier betont in der zweiten Auflage des
Qrvmdrisses (p. 737 Anm.), dafs Horning sich methodisch verfehle, wenn
er das Unsichere gegen das Sichere ausspielt. In der Beiirteilung der ab-
weichenden Formen freilich wird man nicht immer die Auffassung Her-
zogs billigen wollen. Dafs das Wort puteum durch den Mund der Ge-
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 201
bildeten hindurchgegangen sei, ist wenig walirscheinlicli. Ebenso dafs
das sdir lebenskräftige* und vom Stammwort caput früh losgerissene
eapitium anderswoher entlehnt oder sein / durch eaput länger gehalten
worden sei. Suchier hat auch beide Fälle anders, aber noch nicht über-
zeugend, erklärt. So weit möchte ich einstweilen Herzog recht geben,
daJb 'ti' so früh zu einem einheitlichen Palatallaut wurde, dafs es noch
die Sonorisierung mitmachte, während -et- zurückblieb und länger als
Kompositlaut gefühlt wurde. Der Weg Ton e zu i ist auch länger als
von t zu f, wie die entsprechenden Gaumenbilder deutlich beweisen. Mit
dem -ef- fällt die späte, gelehrte Behandlung des -ti- zusammen, welche
künstlich das i autrechterhielt. Von den drei Itesultaten von -itia
sieht Herzog -iise als den regelrechten Fortsetzer an, obschon es im
Französischen so selten vorkommt. Die Bemerkung Herzogs, dafs pi-
gritia > ^pareüe unter Einflufs des Lateins durch ^lehrtes parece er-
setzt wurde, während richetse, proeüe sich deswegen hielten, weil die Ge-
lehrtensprache keine stammgleichen Entsprechungen besafs, ist sehr zu
beachten. Die Mundarten sind hierin dem Ursprung treuer geblieben.
So hat das Greyerzer Patois die schöne Form pareise (im Wörterbuch
von L. Bomet, gesprochen par§^) erhalten. Die vielen Formen auf -w,
worunter allerdings viele vorkommen, neben welchen ein Verbum auf -tr
steht,' möchte er durch Einflufs des Partizips auf -itus erklären. Die
ganze Sache ist noch nicht spruchreif, und vieles ist trotz aller neueren
Arbeiten noch ganz dunkel. Warum ergibt z. B. vieinu > vetsin und
voeem nicht, wie man erwarten sollte, *voüe > *voi8^ Warum vortonig
plaisir = raison, aber nachtonig feix ^ palaist Die mundartlichen For-
men sind wenig dienstbar und fügen neue Bätsei hinzu, cfr. für puteu
im Berner Jura die Form pusj für voce in der Montagne neuchateloise
tnoSs^ etc.
Weiter bespricht der Verfasser die Entsprechungen von hordeum,
oleum. Der häufige Genitiv hordei, olei, ohne Palatallaut, hätte das
d und l auch in den anderen Kasus bewahrt. Das Dictionnaire gSnSral
sieht hier, wie so oft, keine Schwierigkeit und gibt einfach an: diu —
oüu etc., als ob nicht foliu > fueil daneben stände.
Endlich macht Herzog glaublich, dafs gedeckter Zwischentonvokal
altfranzösisch immer zu e wird, daher ehalengier, eraventer, nuiiemel,
volentiers etc.
Damit glaube ich bewiesen zu haben, welch vollgerüttelt Mafs von
Problemen und Lösungsversuchen das angezeigte Bücnlein enthält und
wieviele Anregungen davon ausgehen.
Bern. ^ L. Gauchat.
Paul Bastier (Lecteur ä TUniversit^ de Koenigsberg), F^nelon oritique
d'art. Paris, librairie £mile Larose, 1908. Fr. 1.
F6nelon hat sein Leben lang ein offenes Auge, ein groises Interesse,
ein feineres Verständnis als die meisten seiner Zeitgenossen für alle Aufse-
rungen der bildenden Kunst gehabt. Mehr noch als in den Dialogues,
die ausdrücklich künstlerische Dinge behandeln (Z>. entre Parrhasius et
Pouesin, D. entre Poussin et Leonard de Vinci, D, de Chromis et Mnasile^
wozu noch der Jugement sur differents tabUaux in den Opuscules kommt),
findet sich diese Behauptung durch die vielen gelegentlichen Bemerkungen,
' Cfr. altfrs. ckevecif cheveqaiüe, ckevecei, cheoecerie, ckwecier, ohivecine etc.
' franchise, garaiUUt, reereanttse etc.
' Diese Mundarten lassen bekanntlich regelmäfsig die Endkonsonanten (auAer r
gelegentlich) abfiülen.
202 Beurteilungen und kurze Anseigen.
Urteile, AbBchätzüngen bestSti^t, die fdch in allen seinen Werken finden;
Reine eigenen Beschreibungen, ja seine Spracfaei Ausdrücke wie ganze bild-
liche Wendungen zeigen Spuren dieser vorherrschenden Neigung, der er
gewiis in seinem so beschäftigten Leben nicht nach Tollem BelieMn nach-
gehen konnte.
Der Verfasser hat durch sehr fieifsige Benützung dieser verschiedenen
Quellen uns zunächst eine sehr willkommene Ergänzung des Charakter-
bildes F^nelons geffeben ; vrir würdi^n ihn erst ganz, wenn wir den schön-
heitsbegeisterten Mann auch in semen Beziehungen zur Kunst kennen.
Wir werden danach aber auch aufhören mfissen, z. B. mit Bruneti^re zu
behaupten, dafe die Kunstkritik in Frankreich erst mit Diderot beginne.
Gewifs, F^nelon war mehr das, was man einfach amateur (Tart nennen
könnte, als Kunstkritiker im heutigen Sinne des Wortes. Sdne An-
schauungen, sdne Urteile gehen auf die verschiedensten Quellen zurück,
Altertum und ei^ne Zeit, heidnische und christliche Kunst, Literatur
und Moral; sie sind von Widersprüchen nicht frei, wenigstens hat Verf.
diese Widersprüche nicht immer zu lösen gesucht. Doch aber haben wir
in der Gesamtheit der an den verschiedensten Orten zerstreuten Urteile,
die oft bis ins einzelne gehen und selbst vor technischen Fragen nicht
zurückschrecken, eine recht genaue Darstellung der künstlerischen Auf-
fassung des 17. Jahrhunderts. Seiner Zeit, wie in manchen Dingen, auch
auf diesem Gebiete vorauseilend, hat F^nelon auf die Kunst des 18. Jahr-
hunderts einen bedeutenden Einflufs ausgeübt Er ist dazu einer der
ersten gewesen, der von dem Einflüsse künstlerischer Bildung auf die ge-
samte Lebensiührung gesprochen hat, der die Kunst in der Erziehung
des Kindes, der Kleidung der Frau u. a. eine Bolle spielen lassen will:
*Le beau ne perdroit rien de son prix, quand il seroit eommun ä taut le
genre humain* Positiv ausgedrückt kehrt dieser Gedanke erst in neuester
Zeit, bei Ruskin etwa, wieder.
Wenn F^nelon die Kunst liebte, so vergalt es ihm diese in reichem
Mafse. Eine — sicher nicht vollständige — Liste, die die Seiten 51 — 57
füllt, zeigt, wie viele Künstler, von den berühmtesten bis zu den gering-
sten, von Coyzevox, Anfang des IS. Jahrhunderts, bis zu Meissonnier, Mitte
des 19., sich Vorwürfe aus dem TiUmaquB geholt haben.
Berlin. Theodor Engwer.
J. Bonnard et Am. Salmon^ Grammaire sommaire de l'ancien
fraD9ai8y avec un essai sur la prononciation du IX^ au XIV* si^le.
Paris und Leipzig, H. Welter, 1904. 70 S. gr. 8. Fr. 3,50.
Die Herren J. Bonnard, Professor an der Universität Lausanne, und
Am. Salmon, Professor am University Ck)llege zu Reading, haben aus
Godef roys Dictionnaire de Vaneienne langue fran^ise vor einiger Zeit einen
Auszug veröffentlicht. Ihr Leocique de Vaneien fran^ist * immer noch ein
stattlicher Band, soll dem Romanisten, den die Kostspieligkeit des grofsen
Werkes von der Anschaffung abschreckt, einen gewissen Ersatz nieten.
Es führt ihm nämlich die dort enthaltenen Wörter sämtlich vor, zwar
ohne Belege, aber mit einer Übersetzung, erteilt ihm also, soweit Godefroy
sie nicht selbst ver^a^n würde, für die Lektüre eine rasche, kurze Aus-
kunft, die er später m einer öffentlichen Bibliothek nachprüfen und er-
gänzen mag.
Zu dem in seiner Art nützlichen Werke tritt nun eine Grammatik
des Altfranzösischen hinzu. Offenbar ist sie für Anfänger bestimmt, doch
* Fridhio Oodtfroy, Lfcdqu$ de randm fran^, ptMU par /e« «o6w ifa l/J/.
J. Bomard et Am. Stdmtm. Paris and Leiprig, H. Welter, 1900.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 208
kann sie auch Fortgescbrittenen zur Wiederholung oder zum Überblick
dienen. Neue ErgebnisBe bringt sie selten, beansprucht sie auch nach
ihrer Anlage nidit gerade zu bringen, aber ihre Ausführungen sind im
all^meinen zuverlässig ihre Erklärungen fehen etwa die DurchFchnitts-
meinung in streitigen Tällen. Zum Lobe einer grammaire sommaire darf
man ferner sagen, dafs sie übersichtlich angeordnet, knapp und einfach
gehalten, verständlich geschrieben ist.
In der Absicht der Verfasser hat es leider nicht gelegen, das ganze
Buch systematisch mit Literaturangaben auszustatten. Für die Einleitung,
die Lautlehre und noch für die Formenlehre des Nomeus haben sie ziem-
lich viele gespendet und plötzlich vom Pronomen ab ohne ersichtlichen
Grund damit aufgehört. Ein festes Prinzip ist auch bei der Auswahl
schwer zu erkennen, eine gewisse Willkür hat anscheinend gewaltet. Hier
und da haben Bonnard und Salmon sich den begreiflichen Wunsch nicht
versagt, den Rundigeren mit einem interessanten Nachweis zu erfreuen
oder seine Bedenken zu beruhigen ; indessen mit der steten Bücksicht auf
die Bedürfnisse des Lernenden verträgt sich dergleichen schlecht. Was
jener nicht mehr braucht, eine vollständige Aufzählung und Beurteilung
der hauptsächlichsten Hilfsmittel, wäre diesem z. B. nützlicher gewesen
als die Anführung mancher gelehrten Werke, Abhandlungen undf selbst
Rezensionen, zu denen er erst später — wenn überhaupt jemals — den
Weg findet. Ich sehe nicht, dafs Eüenne oder der auch ins Französische
übersetzte Schwan -Behrens an irgendeiner Stelle genannt würden.
Der erste Abschnitt, Histonquey handelt von Ausbreitung und Ge-
schichte der Sprache. Hierbei scheint mir die Bereicherung des Wort-
schatzes durch die germanischen Eroberer einigermafsen unterschätzt, be-
sonders vom altfranzösischen Standpunkt ({^ '2 und 10). Auch würde ich
die Aufnahme der bekannten Suffixe' und der Laute h und tv nicht als
petiis eas de phorUtique abtun (§ 2, A. 5). Da das Neufranzösische au&er-
halb Europas (^ 4) erwähnt ist, ro hätte ich von dem Altfranzösischen
im Orient gern ein Wort gehört. Die Erklärung des Unterschiedes zwi-
schen moU populatres, tnots d'emprunt und mots savants mag man trotz
einer gewissen Subtilität gelten lassen. Für die Eonstanz der Lautgesetze
ist aber (::^ 9) kein glückliches Beispiel gewählt mit betontem e in offener
Silbe; denn abgesehen von der Beeinflussung durch Toraneehendes e, er-
kennt der Ijeser bei einigem Nachdenken die fatale Verschiedenheit der
Schicksale des aus ihm entstandenen oi, dessen wichtigste Stufe oe hier
nicht einmal genannt wird.
Die Lautlehre beginnt mit einem Kapitel MSeanüme gSnh-al de la
iranaformation du UUxn vulgaire, das ganz den Akzentverhältnissen {ge-
widmet ist. Mit der Fassung von § 18 I a {Proparoxytons riels) bin ich
nicht einverstanden: ich glaube, dafs auch in angcy imagey orgue (aus
anaeley imageney orgutne) nicht der Vokal der lateinischen Pänultima er-
halten ist, gehe aber auf die viel erörterte Frajge hier nicht weiter ein.
Dann folgen, originell gruppiert, allgemeine Bemerkungen über die
Entwicklung des Vokalismus. Ich vermisse darunter eine Andeutung
des Vorkommens von q statt p vor Labial; sonst bleiben eohtevre {^ 16),
juetme (18) ein Rätsel. Ebenso hätten die wichtigen Fälle, in denen lat. E
oder X durch Schuld von auslautendem i im Französischen als % erscheint,
irgendwo besprochen werden müssen, spätestens in der Formenlehre bei
ciaty ü oder bei prw, feeis etc. Der § 27 über die Kombination von j mit
Vokalen und Diphthongen ist ohne Beispiele unverständlich. Von ü^ ü
heifst es § 28: Cette Svomion ghUrale est un des caraethres qui disünguent
' Halb und halb mflfste man lu ihnen jetst auch 'Ori rechnen, wenn es den
von A. Thomas, Nomtaua Euais de philofrgie fi^anqaise, Paris 1904, S. 119 ff., be-
haupteten EinflnA auf die Eotwickelung von -arku > -ier wirklich gehabt hat.
204 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
nettement le francais, du Midi eomme du Nord, des atäres langues romana.
Auch wer die Tneorie über die Dialekte von P. Meyer und G. Pftiis ver-
tritt, die den Höhepunkt der Anerkennung schon überBchritten hat, sollte
das Provenzalische nicht als fran^is du Midi bezeichnen. Die anderen
Fundorte für ü auf romanischem Boden sind in Anm. 4 nicht voUstandig
aufgezählt: merkwürdigerweise fehlen gerade die in Betracht kommenden
oberitalienischen Mundarten. Die Enklisis ist ziemlich gut dargestellt;
nur ersinne ich vergebens einen Fall, wo nach §86,2 das Pronomen le
sich mit de, a zu del, al verbinden könnte. Nach den vorangegangenen
Auseinandersetzungen durften die einzelnen Erscheinungen des Vokalis-
mus kurz behandelt werden; immerhin war es ein Kunststück, sie auf
1^'4 Seite zusammenzudrängen, und dabei haben sich point, fontaine u. a.
unter o libre verirrt (Jj 44).
Beim Konsonantismus treten die grölseren Gesichtspunkte hinter der
Zusammenstellung der Tatsachen zurück. Die Auffassung, das heute in
h, hilas, oura etc. hörbare s habe sich aus alter Zeit erhalten, teile ich durch-
aus nicht (§ 62). Das Zusammentreffen von mouilliertem / und auslau-
tendem 8 wird unter L in § 67 geschildert: devant Vs de flexion T se
vocalise: *veelo8 (daas, vetulos) > viels, vieus. Das ergibt em fal-
sches Bild; denn die Reihe ist bekanntlich *veela8 > vieVs > vieix >
rieux > rieusy und vielx lälst sich ebensowenig verleugnen wie trtttah,
genolx § 124.
Den B^chlufs der Lautlehre machen einige Paragraphen über Stö-
rungen der Entwickelung. Das f von soif erklären aucn die Verfasser
durch die an den Haaren herbeigezogene Analoj^e von hoif in der Bedens-
art hoif 8% [besser se] tu as soif ({^ 73). Über die mancherlei Wörter, wo f
sporadisch für altes d im Auslaut eintrat (noch nfrz. bief, fief), haben sie
sich leider nicht ausgesprochen (vf l. Nyrops Erklärung, Orammairs histo-
riqus de la langue franQaise I^ § SOS^ 1 A.).
In der Formenlehre verdient die Deklination besonderes Lob. Doch
würde ich den § 984 2 und 96 eine etwas andere Fassung wünschen:
irgendwie wird man den Anfänger auf die Angleichung des Nom. Sing,
an den Obl. aufmerksam machen bei hues, monxy leons u. a., vrie es bei
den Partizipien auf -anx in § li)6 geschehen ist. Bei ^fesy äbes § 106
hätte ich die Betonung angegeben. § 121 steht soris, empereris statt sorixj
empererix und i^ 122 jors statt jorx (vgl. § 62). Die Bezeichnung des
Nom. Sing. Fem. granx, forx als etymologische Form (^ 134) entspricht
nicht den Ausführungen von § 117 ÜMr fins, reisons. Wenn bei den Pro-
nomina neben den gewöhnlichen Formen auch weniger übliche, örtlich
und zeitlich in ihrer Anwendung beschränkte, genannt werden, so erwartet
man meistens eine orientierende Bemerkung. Sie fehlt z. B. in bezug auf
das Verhalten von mi zu mei moi (§ 156), von lei, lii zu li (157), von
mitte zu meie moie (161), von no zu nostre (162). Dals meon (§ 161), meos
(162) in den Eiden und nur in den Eiden sich finden, weÜB auch nicht
jeder von Haus aus.
Von der Konjugation handelt zunächst ein allgemeiner Abschnitt,
und darauf folgt eine Tabelle der sogenannten rerbes de la eonfugaison
morte. Ich habe gegen jenen wenig einzuwenden; denn 3. Sg. Präs. Ind.
fenit statt fenist (§ 187) halte ich nur für einen Druckfehler, obschon für
eiuen störenden, auret der Eulalia anrei zu schreiben, sehe ich kaue Ver-
anlassung (§ 175). je voi und ähnliche Formen begegnen in der Dichtung
nicht blols bis zum 18. Jahrhundert (§ 188, A. 4). Der § 232 ist gar zu
kategorisch: cabaUicent gibt allerdings ehevalchent ehevauehent wie eabai'
licanfy aber oaballicet ist als ehevalxt erhalten, während eaballietU zu ehe-
valehet chevaucke wurde, überhaupt hätten die merkwürdi^n Formen
der 3. und der 2. Sg. Präs. Konj. mancher Verben der I. Konjugation
mehr Beachtung verdient Endlich hätte ich unter den vorbes inriffuUtn
BeurteiloDgen und kurze Anzeigen. 205
de la premüre eof^ugaison auch dotier, trover etc. ein bescheidenes Plätz-
chen neben alerf ester gegönnt (§ 267).
Die ladge Tabelle (§ 2()8) betrachte ich dag^en mit gemischten Gre-
fühlen. Ihre Grundsatze für die Auswahl der Formen teilen B. und S.
selbst S. 41 A. 5 mit: Nous en dormons les formes compltte$, teUes qu'elles
se priaenterU dans lea iexiea, anUrieura au XVr süele, rectmllü Jans le
Dtetionnaire de l'ancienne langue fran^aise de Oodefroy, ou
dans lea deux recueils de Bartseh: Chrestomathie de Vancien fran-
pais et La langue et la littiraiure franpaises depuis le IX* stiele
jusqu'au XIV' stiele, E^ ergielst sich infolgedessen eine Fülle des
Segens über den Le<^er, ohne dals natürlich eine absolute Vollständigkeit
Sewährleistet oder erstrebt würde. Der Fortgeschrittene wird zwar hier-
urcb in die La^e gesetzt, die Menge der Erscheinungen einigermalsen zu
überblicken, yieileicht auch ihm unbekannte Formen rasch unterzubrin-
gen. Den Anfänger aber mufs die grolse Mannigfaltigkeit und scheinbare
Kegellosigkeit verwirren: 17 verschiäene Formen oder {Schreibweisen allein
von dem Part. Pass. von eonaistre, ohne ein Wort der Erklärung an-
einandergereiht, schrecken den Eifrigsten ab. Und doch könnte die müh-
same Zusammenstellung in Verbindung mit dem allgemeinen Abschnitt
leichter benutzbar werden und bessere Dienste leisten, wenn das Wichtige,
und zwar alles Wichtige, gegenüber dem Nebensächlichen durch Sperr-
druck hervorgehoben und in der Anordnung ein klar erkennbares Pnnzip
durchgeführt wäre. Man vergleiche nun aber das Präs. Ind. von erotre:
l'''a. erei, ereid, oroi, croy, orois, ero; 2^ s, crots, croix; 3' s, creü, eroü;
i*"' pl. creons; 2* pL crees; 3* pl, ereient, eroient, craient. Wer soll sich
danach ein Bild von den Tatsachen und von ihrem Zusammenhange
machen ?
Während ich also diese Tabelle im Rahmen einer grammaire som"
tnaire nicht loben kann, freue ich mich um so mehr, dafs die Verfasser
auch eine Syntax aufgenommen haben, die mit reichlichen, selbstgewählten
Beispielen über die wichtigsten Abweichungen von der Syntax des Neu-
französischen unterrichtet.
Der letzte Abschnitt, Pronondation betitelt, ist eigenartig und an-
regend. Er beginnt mit einer Übersicht über das Lautsystem des 9. bis
10. Jahrhunderts. Natürlich enthält diese manche problematische Auf-
stellungen : dals damals uou in fuou, i^ in jieu, lieu vorhanden war, wird
sich kaum beweisen lassen, solange uns die Denkmäler nur im Versinnern
die Vertreter von foeum und Utcum zeigen (§ 840 und H41). Die Ge-
schichte der einzelnen Laute bis zum Ende der altfranzösisdien Epoche
wird dann ausführlich vorgetragen.
Den längsten Paragraphen widmen B. und S. der Demonstration des
Satzes: L'ü conserve la valeur laiine ou jusque vers la fin du XI* sücle,
ä la tonique comme ä VcUone (828). Gegen diese Annahme hat inzwischen
schon Suchier in der zweiten Auflage vom I. Band des Orundriss^ (S. 729)
gewichtige Bedenken geäufsert: er ist sogar überzeugt, dafs der Übergang
von ü in ü nicht später eingetreten ist als im 4. Jahrhundert n. Chr.
Wie immer auch die Frage beantwortet werden mag, so ist von den (sonst
beachtenswerten) Gründen der Verfasser einer na(£ meinem Dafürhalten
hinfällig. Les mots empruntes par Vaneien haut aüemand au gallo-roman
pendant les IX* — X' sücles ont un ü: mulhtra {lat, mulctra), mül
(tat. mulum). Au contraire les mots empruntes par VaUemand dans le
XU' süclsy ont ü: mütxe < almuce, aumusse, Sie berücksichtigen
dabei nicht, dalä das Althochdeutsche selbst ein langes ü — gewöhnfich
tu geschrieben — frühestens seit dem 10. Jahrhundert kennt (s. Braune,
Ahoi Orammatiky 2. Aufl., Halle 1891, § 42 und 49). Bis dahin konnte
es französisches ii nicht anders wiedergeben ab durch ü, wie z. B. die
Italiener heute noch tun.
206 Beartdlungeii und kune Anzeigen.
Die Qualität von ei ist in dem Lautschema (§ 818) nicht bezdchnet
La diphUmgue H ^eivre, veine, feire, etc.), liest man § 331, a ä peu
prka leson de ey' aans veille d^ le XI* süele; eUepasse ä öi du XII' au
Xni* eüeky excepU devani une nasale ou une l mauiUSe: plein, eanseil.
Zunächst gehören veine und plein gar nicht hierher, da sie den nasalen
Diphthongen ei aufweisen, also naoi § 345 zu beurteilen sind. Sodaoo
ist es höchst bedenklich, für das 11. JaJirhundert die Aussprache fi 'w
beivre, feire {feria) usw. anzusetzen, also von der bewährten Annahme
eines ei abzugehen. Wir wfirden nämlich zu dem völlig unwahrschcin-
iichen Schiufs kommen, daTs im Roland zwei ^i vorlägen, die nicht mit-
einander assonieren und auch nachher nicht zusammenfallen (aufser im
Normannischen und in den südwestlichen Dialekten): jenes angebliche fi
aus betontem e in offener Silbe oder mit angezogenem t — : spater ot —
und das tatsächlich nachweisbare ^ aus ai — später f — . Auch in bezug
auf eu billige ich die ähnlichen Ausführungen der Verfasser nidit (§ 334),
die nur eu m der ganzen Zeit des Altfranzösischen kennen.
Breslau. Alfred Pillet.
Walter Bokemann, Französischer Euphemismus. Berlin 1904. VIII,
174 S.
Das Oebiet des Euphemismus, der gemilderten oder verhüllten Bede-
weise, scheint noch wenig durchforscht zu sein. Der Verfasser der vor*
liegenden, sehr fleifisigen und gründlichen Arbmt, einer erweiterten Ber-
liner Dissertation, hat zwar mannigfaltige Definitionen des Euphemismus
vorgefunden, die er zu prüfen und zu berichtigen nicht unterlälst; aber
nirgends bezieht er sich auf eine umfassendere Vorarbeit, abgesehen von
der einer besonderen Gattung von Euphemismen crewidmeten Sammlung,
die unter dem Titel 'Verblümter Ausdruck und Wortspiel in altfrauzo*
sischer Bede' als Anhang zur zweiten Beihe der Vermischien Beiträge %ur
französischen Orammattk von A. Tobler g^eben ist, sowie der dasclbet
S. 192 zitierten Sammlungen von van Hamel und Nyrop, die ebenfaUs
nur spezielle Arten des Euphemismus in Betracht ziehen.
Der grofsen Schwierigkeit, die die reinliche Abgrenzung des Grebiete?
des Euphemismus von verwandten Spracherscheinungen bietet, ist sich
der Verfasser wohl bewufst gewesen. An mehr als einer Stelle drückt er
seinen Zweifel darüber aus, od gewisse Ausdrucksweisen noch irgendwie als
Euphemismus bezeichnet werden können, sei es hinsichtlich des Zustande-
kommens derselben oder der erzielten Wirkung. Wir wollen darauf, die Er-
wägungen Bökemanns ergänzend und weiterführend, etwas näher eingdieo.
Der Begriff des Euphemismus setzt den einer normalen, direkten,
un verhüllten Ausdrucksweise voraus. Aber von normalem Ausdruck zu
deutlichem Euphemismus gibt es feine Übergänge. Jedes Wort hat neben
seinem logischen Wert einen eigentümlichen Gefühlswert, durch den es
euphemistischer Wirkung angenähert oder abgerückt wird. Sind nicht schon
saton, conderge, magaxdn, bonne, gouvemante in ihrer iregenwärtigen Be-
deutung Euphemismen — Bökemann zieht sie nicht in Betracht, trotzdem
er dem Begriff des Euphemismus die äuiserste Dehnbarkeit gibt — , die
über die Eigenschaften des Winzigen, Unscheinbaren, Mißachteten bei
den bezeichneten Personen und Sachen hinwegtäuschen sollen ? Ist ander-
seits im Deutschen die Bezeichnung ^Kammerjäger' für ^en berufs-
mälsigen Vertiiger lästiger Lebewesen noch als Euphemismus anzuseben,
wenn sie amtlich und von den diesen Beruf Ausübenden selber angewendet
wird? Ist die Benennung eines Lumpensammlers als 'Naturforscher', eines
ständigen Zuhörers bei strafgerichUichen Verhandlungen als 'Krimioal-
stndent' Euphemismus oder nur humorvolles Spiel mit Wörtern und Be-
griffen? Es wird für die Entscheidung in solchen Fällen, wie es auch
fieurteilungeii und kurze Anzeigen. 207
Bökemann aus Anlafs ähnlicher Fälle auBSpricht, oft auf die individuelle
Empfindung oder die Auffassung seitens einer Sprachgemeinschaft an-
kommen.
Wo sich für einen den Euphemismus begünstigenden Begriff wie z. B.
^sterben' sehr viele Verhüllungen und Umschreibungen finden, wird man
nach dem Grade der erreichten Milderung oder Verhüllung eine Art Skala
aufstellen können, zwischen deren Qliedern eine relative Euphemie statt-
lindet. 'Entschlafen' und Verscheiden' sind beides Euphemismen ; ersteres
für unser Gefühl der stärkere; 'zur ewigen Freude eingehen' ist noch
stärker. Wie steht es aber nun mit dem hiemeben so ganz anders wir-
kenden 4nB Gras beilsen', französisch *fnordre la paussi^e' ? Ist dies auch,
wie Bökemann will, ein Euphemismus? Oder müfste man hier nicht
wenigstens hinsichtlich des Gefühlswertes von etwas Entgegengesetztem,
von Dysphemie, reden? Der Phantasie läfst diese Bedensart^ da Men-
schen nie anders als in Todesqual das Bezeichnete tun, keinen Spielraum,
keine Wahl; vielmehr veranschaulicht sie durch eine Art pars pro toto
das Sterben in abschreckender Weise. Immerhin wird auch hier die Ab-
sicht der Verhüllung, wenigstens ursprünglich, bestanden haben, wenn
diese Verhüllung audi nicht mildernd zu wirken vermag. Noch eine an-
dere Beispielgruppe möge zeigen, wie sich verhüllte Ausdrucksweise nach
zwei entgegengesetzten Dichtungen von der Wirkung direkter Sprediweise
zu entfernen vermag. 'Sie kommt gewlTs, die Stunde, die uns nach der
Zypresse ruft' ist Verhüllung mit erzielter Milderung. Moltkes am 14. Juli
187u gesprochene Worte: 'Wenn ich unser Heer in diesem Kriege führen
kann, so mag der Teufel dieses Gerippe holen' sind trotz der verhüllenden
Form für den Gedanken des Sterbens von einer Wirkung, die der der
Euphemismen wenigstens nach einer Seite hin entgegengesetzt ist. Man
würde freilich in dieser Bedeweise auch eine aus bescheidener Gesinnung
fliefsende Selbstherabsetzung sehen können, aus der eine, von Bökemann
nioht übersehene, Gruppe von Euphemismen herstammt.
Dal's die Unterbrechung einer begonnenen Bede, die Aposiopesis, in
vielen Fällen euphemistisch gedacht ist und auch so wirkt, ist nicht zu
bestreiten; vielleicht aber, ob das immer der Fall ist. Bökemann setzt
seinen Beispielen das klassische mws ego! voran. Es fragt sich, ob hier
und in manchen anderen Fällen das Verschweigen der den Ungehorsamen
zugedachten Strafe, da es alle, auch die schlimmsten Möglichkeiten offen
läifet, nicht eine Wirkung hervorbringt, die der Bezeichnung dieses Mittels
als Euphemismus widerstrebt; wenn auch zugegeben werden mufs, dafs,
wie Bökemann es ausdrückt, 'den Bedenden nicht die Schuld trifft, wenn
in der Vorstellung des anderen ein unerwünschtes Bild erwächst'. — Ähn-
lich ist es mit dem Ausdruck des Gedankens durch eine Gebärde, ein
Verfahren, das Bökemann auch als Euphemismus hinstellt. Ein Berühren
der Stirn kann viel stärker und verletzender wirken als ein noch so bar-
sches 'du bist verrückt'. Der die Greste statt der Bede Wählende hat aber
den leidigen Trost, eine Dysphemie vermieden zu haben.
Wo, wie in diesen beiden Fällen, die Absicht des Bedenden erkenn-
bar ist, sich selbst durch die Form der Gedankenäuiserung in Vorteil zu
setzen, sich vor möglicher Anschuldigung zu bewahren, da wird man
immerhin noch von Euphemismus reden dürfen. An die äuüserste Grenze
dieses Gebietes wird man diejenigen hierhergezogenen Bedeweisen setzen
mössen, die übertreiben, ohne zu mildem. So, wenn für 'schielen' gesagt
wird: aoovr um oedl ä Paris, l'atUre ä Pontoise, Doch auch hier kann
man noch insofern vop Euphemie reden, als das Gefühl, das durch direkte
Benennung des Häfslichen verletzt werden könnte, dadurch geschont wird,
dafs die Pnantasie des Hörers in ablenkender, wenn auch grotesker Weise,
in Bewegung gesetzt wird, und die Vorstellung der gemeinten Sache erst
auf Umwegen, durch einen Akt der Intelligenz, gewonnen wird.
208 Beurteilungen und kurze Anzeigen«
Die yoretehenden Erwigunjgen deuten nach verschiedenen Richtungen
hin die Schwierigkeiten an, wekhe einer SammLunff und Gruppierung der
Euphemismen einer Sprache anhaften, Schwierigkeiten, die in der vor-
liegendeu Arbeit durch eine sehr geschickte Gliederung des Stoffes grOIsten-
teils überwunden sind. Wir gel^n nunmehr, unter gelegentlichen Ergän-
zungen, einen Überblick fiber die Quellen, den Plan und den Inhalt des
Buches, dessen Nutzen durch ein genaues Eegister noch hätte erhöht
werden können.
Erstaunlich ffrofs ist die Zahl und die Mannigfaltigkeit der Euphe-
mismen, die der Verfasser aus der französischen Sprache von Rabelais ab
vorführt. Als Quellen haben ihm, aufser Wörterbüchern, namentlich
Rabelais, Moli^re und 26 moderne Romane gedient Einige Ausbeute hatte
auch Grüners Dietionnaire de ia eauaerie fran^ise, sowie der Anhang zu
Boissi^res Dietionnaire analogique geliefert, das von Sachs nicht benutzt
worden ist. E^ liegt in der Natur der Sache, dals ein grofser Teil der
gesammelten Euphemismen sich auf unerfreuliche oder, euphemistisch ge-
sprochen, natürhche Dinge und Vorgang bezieht. Die Einleitung, weldie
versucht, die Entwicklung des französischen Euphemismus in ä&ziehung
zu setzen zu der Kultur- und Geistesgeschichte, namentlich im 17. Jahr-
hundert, ist der am wenigsten gelungene Teil des Buches. Der Verfasser
zeigt sich hier völlig aufserstande, seinen Gedanken einen verstandlichen
Ausdruck zu geben: die acht Seiten der Einleitung sind für den Leser
eine Tortur. Weniger mifslungen ist die kurze Auseinandersetzung über
das Wesen des Eu^emismus, obgleich auch hier der Verfasser nidit im-
stande ist, den deutlichen Ausdruck dafür zu finden, dals er zum Eio-
teilunffsgrund für seine Sammlung von Euphemismen das verschiedene
Verfahren wählt, durch welches der Redende die euphemistische Wirkung
erzielt.
In Kap. I hören wir von der Änderung der Laut^talt solcher Wörter,
die man, namentlich aus religiöser Scheu, zu vermeiden wünscht. Dahin
gehören die zahllosen, von Bökemann sehr sorgfältig untersuchten und
gruppierten Entstellungen von Dieu, eaerement, Notre-Dame, diable und
Verwandtes. Ea folgen Änderungen anstöfsiger Wörter in Rede und
Schrift. Zu der Umschreibung *lee cinq lettresy wobei an das englische
*man of three letters* erinnert wird, wäre noch zu stellen das französische
'sot en trois lettres' (doch jedenfalls zur Unterscheidung von den gleich-
klingenden eceau und eeau); auch das Deutsche hat Euphemismen dieser
Art. Kap. II handelt von Beschränkung und Unterbrechung oder Ab-
Bchwächung des Ausdrucks. Dies geschieht erstens durch Aposiopesis,
wozu der Verfasser auch den Ersatz der Rede durch eine Geste stellt
(das Beispiel S. 13 aus P. M^rim^e stammt übrigens nicht aus Cohmbtt,
sondern aus La prise de la redotUe); zweitens durch Verneinung von
etwas Besserem, Harmloserem als das, was man im Sinne hat Beispiele:
1) Buvex^, au je vous ...; 2) Qu'allex^vaue devenir tous les deuac, quemd je
ne serai plus lä? Kap. III ist dem Anagramm und Wortspiel gewidmet.
Ersteres kann freilich nur sehr uneigentlich als Euphemismus bezeichnet
werden. Dagegen liefert das Wortspiel und die verblümte Rede, für deren
Behandlung Bökemann Toblers obenerwähnte Arbeit für das Altfranz6-
sische benutzen konnte, ein bedeutendes Kontingent an Euphemismen.
Dem Ausdruck Saint-Jean le Rond (S. 54) liegen zwei ^anz verschiedene
Anschauungen zugrunde: die Wendung Ure de la paratsae de St'Jean4»-
Rond = * betrunken sein' hat schwerlich etwas mit der Verwendung von
St-Jean-k'Rond - cul zu tun; sie beruht vielmehr auf dem Euphemis-
mus rond 'betrunken', den Bökemann nicht erträhnt (cf. Gopp^, Le
Naufragl: le capiiaitie elaii toujours rond eomme un ceuf). In Kap. IV,
Euphemistische Ausdrucksart durch einen Betriff von weiterem Umfange,
kommt die gebräuchlichste Art des französischen Euphemismus zur Dar-
BenrtdlungeD und kurze Anedgen. 209
stelluDg. Der Verfasser gliedert das Material in BezeichnuDgen von Per-
sonen und solche von Sachen. Eine Person, deren Nennung man zu ver-
meiden wünscht, wird oft durch on bezeichnet. Zu solchem on läfst sich
ein Prädikativum nicht nur im Femininum setzen, was Bökemann aus
Meliere belegt, sondern auch im Plural. So V. Hujgo, Souvenir de la nuü
du 4, V. 22: On est done des brigands? — Die euphemistische Anwendung
von ü geht noch weiter, als es in den von Bökemann gesammelten Stellen
geschieht (wo es sich überall um bekannte Personen handelt), in folj^nder
Stelle aus R. Tospffer, La Peur: J'etais sous la voüte du oidy qu% seule,
durant ia nuüy ninspire point de frayeur. J'avais autour de moi de Ves-
p€use et quelqtte elarU. S'ü vient, pensais-je, je le verrat venir, — ^ü vieni!
AUendiex-vous quelqu'un? — Sans aueun dauie. — M qui? — Cduiqu'on
aitend quand on a peur. Et vous, n'eütes-vous jamais peur 9 Le soir,
autour de Vigltse, ä l'ieho de ros pas: la nuity au planeher qui eraque; en
vous eouehant, lorsqu'un genou sur le lit vous n'osiex retvrer Vautre pied,
crainte que, de dessous une main, . . . Prenex, la lumihre, regardex bien :
rien, personne, Posex la lumi^re, ne regardex plus: ü y est de nouveau.
Cest de eelui-lä que je parle. -— Zu den Fällen, wo Bökemann den Ge-
brauch von il und lui zwecks Vermeidung des Namens Napoleon belegt,
ist noch zu stellen das Gedicht V. Hugos in den Orientales, das unter
der Überschrift *Lui' den Genannten in vielen Strophen verherrlicht, ohne
seinen Namen jemals auszusprechen. — Der Verfasser bespricht dann
rautrsy qudqu'un, certain, komme, monsieur, fille, femme, cdui qui (das,
wie es scheint, sich nicht mit unvollständigem Relativsatz findet, wie etwa
deutsches 'das ist derjenige, welcher!'). E» folgt die verhüllende An-
wendung von en und y, von le, oa, ehose, quelque ehose, allein und mit
andeutenden Zusätzen, autre ehose, part, ce que vous savex und ähnliches,
bei dem das zu Verhüllende sehr verschiedener Art sein kann. Aus
Gründen der Übersichtlichkeit stellt Bökemann von hier ab den Be^ff
desjenigen voran, was gemildert werden soll, und führt dann die versdiie-
denen Euphemismen für jeden solchen Begriff auf. — Kap. V handelt von
euphemistischer Ausdrucksart vermöge eines Vergleiches durch einen Be-
griff, der einem sanz anderen Gedankenkreise als das zu Bezeichnende
angehört. Auch das reiche Material dieses Kapitels ordnet der Verfasser
nach den Dingen an, die ^mildert oder verhüllt werden sollen: eheliche
Untreue, natürliche Funktionen, sittlidie Verirrungen, Krankheiten, un-
sittliche Berufe, geistige und körperliche Mängel, Obdachlosigkeit u. s. f.
Erstaunlich reich ist das Französische an Euphemismen für Sterben (ich
vermisse: toumer l'ceil, z. B. A. de Vigny, Servitude p. 55: lorsque je vien-
drais ä iaumer VobU, eamme on dit poliment), verhältnismäfoig arm an sol-
chen für Trinken und Betrunkensein. Für die euphemistische Verwen-
dung von Sprichwörtern, die eine so grolse Bolle im Niederdeutschen
spielt, führt Bökemann nur wenige Beispiele auf. Mit Recht bildet er
eine besondere Gruppe aus den Benennungen, welche in humoristischer
Weise trivialen Dingen volltönende, prahlerische Namen geben. Dahin
würde auch meurtrir romopkUe ä quelqu'un zu stellen sein, wo der Euphe-
mismus durch Anwendung eines gelehrt klingenden Wortes zustande
kommt. Interessant wäre eme Zusammenstellungder Eu|)hemiBm6n nach
den Lebensgebieten, denen sie entnommen sind, wie bezeichnend für den
redelustigen Franzosen ist doch der Ausdruck avoir une discussion avec
le pavi für 'hinfallen'. — Kap. VI behandelt unter dem Titel 'Indirekter
Euphemismus' solche Ausdrucksweisen, bei denen der Hörer erst durch
Nachdenken, durch geistiges Nacharbeiten das Gemeinte erkennen kann.
Es ist schwer zu begreifen, weshalb der Ausdruck lame de Saint- OrSpin
für 'Schusterahle' in das V. Kapitel, dagegen eambats de Vinus in das Vi.
gehören soll. Uns scheint auch in sehr vielen der in früheren Kapiteln
aufgezählten Euphemismen das Gemeinte nur durch mehr oder weniger
ArehiY f. n. Sprachen. CXYI. 14
210 BeiirteilnngeD und kurxe Anzeigen.
intensive Beflexion erfaist werden zu können. Die erste Unterabteilung
von Kap. VI bringt 'Euphemismen mittels Anlehnune an Eigennamen
aus antiker Mythologie, alter Sage und Geschichte, antiker Dichtung, aus
der Geographie (z. B. eandidat pour Gharenton), Wir vermissen hier den
bekannten Euphemismus: le qfiart d'heure de Rabeiata zur Bezeichnung
einer unangenehmen Situation, durch die man hindurchmuis; femer die
Agnä8 aus Möllere für ein beschränktes Mädchen. — Kap. VII ist den
verschiedenen Arten der *Umnennung' im engeren Sinne gewidmet. Voran-
ffestellt ist die Benennung durch das Gegenteil (z. B. lat. Pontus Euxinus).
Bökemann sagt hier S. 159: sacrS vor dem Substantiv bedeute 'verdammt,
verflucht'. Dies trifft für das 17. Jahrhundert noch nicht zu, sonst hätte
Corneille nicht den Don Diego zu Don Gormas sagen lassen: Joignoru
d'un saere noBud ma maison ä ia vdtre. — Eine zweite Art der Um-
nennung ist die mittels geräuschnachahmender und Refrain-Silben, sowie
der Silbeneinschiebung in der Gaunersprache. Drittens werden unheim-
lichen Wesen ziemlich willkürliche Eigennamen gegeben (vgL Freund Hein,
frz. le vieux OuiUaume; der Henker heilst Mattre Jean-wiiUaume), Eine
vierte Gruppe bildet Bökemann aus den Höflichkeitseuphemismen (Dieu
vou» assiste = ich kann nichts geben). Hierher stellt er auch die Milde-
rung eines gebrauchten Wortes durcn abschwächende Zusätze wie rere-
rence parier, e'il votu plM. An dieser Steile hätte auch der Euphemis-
mus Platz finden können, der in der Verwendung aller der Redensarten
liegt, mit denen jemand «eine Rede als lediglich subjektive Meinung hin-
stellt {ä mon avü, pour ainsi dire), wie sie Goethe einmal für das Deutsche
zusammengestellt hat (Ausg. von Gödeke VI, 411). — Besonders mannig-
faltig und interessant sind die Umnenn uugen vom Standpunkt der AvJ-
fassung des Sprechenden. Bökemann führt unter seinen Beispielen mit
Recht die berühmte Stelle aus Lukrez an, die Mohäre seinem Mieantkrape
(II, 'D einverleibt hat Er erwähnt aber nicht, dafs ganze Gedichte ihren
Schwerpunkt in solchen Umnennungen haben können. So, um deutsche
Dichtungen dieser Art unerwähnt zu lassen, das Gedicht UainuMe voleur
von G. Nadaud, wo der Räuber einem Reisenden seine Uhr mit den Worten
abnimmt: Si, par hasartl, au eoin d'un boie, II me tombait entre les doigUf
Un chrcnomkre de reneontre . . ., freilich aber diesem Euphemismus Nach-
druck gibt durch den Zusatz: D'aiüeure, fai lä deux pieUdets!
Der Gegenstand, dem Bökemanns Arbeit gewidmet ist, ist seiner Natur
nach unerschöpflich. Wir tragen zum Schlufs noch, wie es der Verfasser
auch getan hat, einige uns kürzlich aufgestofsene Euphemismen, die wir
uns nicht erinnern können bei Bökemann gefunden zu haben, in bunter
Reihenfolge nach. Sehr beleibte Personen heiOsen ka marlyre de la grai89e\
eine gewisse Art von Ausflü^n: partir en partie fine; tüchtig beim Essen
zulangen : etre une banne cuüier. Don Rodrigue in dem CHd von Comeiile
kleidet seine Herausforderung an den Grafen Gormaz in die euphemistische
Wendung: A quaire paa d'iei je ie le faia aavoir, 'Flatterhaft sein' wird
ausgedrückt durch voler le papüUm,
Kiel. F. Kalepky.
Max Walter^ Der Gebrauch der Fremdsprache bei der Lektüre
in den Oberklassen. Vortrag, gehalten auf dem XL Deutschen Neu-
philologen tage zu Köln a. Rh. am 27. Mai ll'U4. Mit Ergänzungen
und Anmerkungen. Marburg, Elwert, 1905. M. 0,70.
Der auf dem XI. Neuphilologen tage zu Köln am 27. Mai 1904 gehaltene
und mit grolsem Beilfall aufgenommene Vortrag des Herrn Direktor Walter
liegt nun, mit einigen Ergänzungen versehen, gedruckt vor. Viel war be-
reits in den letzten Jahrzehnten über die Anwendung der Beformmethode
im fremdsprachlichen Unterricht in den unteren und mittleren Klassen der
BenrteiliiDgen und kurze Anzeigen. 211
höheren Schulen gesprochen und geschrieben, und zahlreiche Erfahrungen
waren auf diesem Gebiete schon gesammelt worden, so da(s man von einet
bestimmten, auf ziemlich allgemein anerkannten Grundsätzen geerflndeten
Unterrichtsmetliode sprechen konnte, in die sich jeder Lehrer ohne allzu
grofse Schwierigkeiten einzuarbeiten imstande war. Spärlicher waren da-
gegen die Erfahrungen mit der neuen Methode in den oberen Klassen,
weiter gingen hier die Meinungen auseinander, es fehlte noch eine feste
Richtschnur, und es schien die Gefahr zu drohen, dafs das auf der Unter-
und Mittelstufe mühsam Erarbeitete und Errungene auf der Oberstufe
der alten Methode geopfert werden müfste und so gänzlich verlorengehen
könnte. Ein Licht in dieses, Dunkel warf dann endlich Klinghardts Buch
und ferner Walters Schrift Über den englischen ünterrteht nach dem Frank-
furter Lehrplan (Marburg, Elwert, 1900), welche durch die vorliegende Bro-
schüre eine wertvolle Ergänzung findet.
Der Verfasser stellt die beiden Fragen: 1) Wie hat der Lehrer den
Text in der Klasse zu behandeln? und 2) Wie bereiten die Schüler den
Text zu Hause vor? Die Beantwortung beider Fragen zeigt wesentliche
und durchgreifende Unterschiede von der bisher allgemein üblichen Be-
handlung der Lektüre in den oberen Klassen.
Für die Verarbeitung des Textes in der Klasse stellt Walter sehr hohe
Anforderungen an den Lehrer, denn dieser soll einen gröliseren Abschnitt
entweder frei aus dem Gedächtnis vortragen, was Walter für das Idealste
hält, oder wenigstens doch, wenn ihm aas nicht möglich ist, das Lese-
stück den Schülern kunstvoll vorlesen. Ist der Text schwierig, so ist es
geboten, denselben Satz für Satz an die Tafel schreiben zu lassen, also
im Klassendiktat vorzunehmen. Die Schüler stellen dann fest, was ihnen
unbekannt ist, worauf der Lehrer ihnen die neuen Ausdrücke möglichst
in der fremden Sprache erklärt und durch Verarbeitung im Satzzusammen-
hang befestigt. Mit Recht legt Walter grofsen Wert darauf, dafs jedes
neue Wort dem Schüler immer in der Verknüpfung mit schon Bekanntem
geboten werde. Ist so die Aufgabe, welche an den Lehrer gestellt wird,
nicht gering, so ist sie nicht minder schwierig für den Schüler, welcher
nun, ^i einem leidiiteren Text, diesen sofort wiedererzählen und an die
Tafel schreiben soll, denn mündliche und schriftliche Darstellung müssen
stets Hand in Hand gehen. Der Schüler soll befähigt sein, das, was er
sprechen kann, auch sofort niederzuschreiben, er soll also nichts schrei-
ben, was er nicht sprechen kann. Die mündliche Wiedergabe durch die
Schüler geschieht in der Art, dafs einzelne Schüler das Gehörte frei vor
der Klasse vortragen, damit sie sich an freies Sprechen gewöhnen. Die
anderen Schüler machen sich Notizen über die Verstöfse des Vortragenden
Segen Aussprache, Grammatik, Ausdruck und Inhalt und geben am Schlufs
es Vortrages eine Kritik. 'Man mulis die Schüler zum Sprechen ermutigen,
auf die Gefahr hin, dals sie Fehler machen; besser falsch sprechen, als
überhaupt nicht sprechen.' Darauf wird nach den eben angegebenen Ge-
sichtspunkten das Schriftbild an der Tafel von der Klasse verbessert,
womit Übungen im Ersatz des Ausdrucks durch gleichbedeutende Aus-
drücke verbunden sind, damit der Schüler sich immer freier und selb-
ständiger in der fremden Sprache bewegen lernt. Auch Sprachgeschicht-
liches und Etymologisches wird festgestellt, Ableitungen werden gebildet,
das Grundwort wird gesucht, und rein grammatische Untersuchungen
und Vergleiche mit anaeren Sprachen werden angestellt. Für dieses Ver-
fahren ist es notwendig, dafs in der Klasse mehrere Tafeln vorhanden
sind, damit mehrere Schüler zu gleicher Zeit an der Tafel beschäftigt
werden können. Der Lehrer ist verpflichtet, in jeder Stunde und
möglichst viel schreiben zu lassen, damit diese Übung nicht vernach-
lässigt wird. Walter bemerkt ausdrücklich, dafs diese verschiedenen
Übungen nicht alle in derselben Stunde vorgenommen werden sollen,
14»
212 BeurteilungeD und kurze Anzeigen.
sondern dafs der Lehrer beliebig , 1e nach den ümBtändoi, abwechsle,
denn der Verfasser erblickt ^aoe darin einen grolsen Vorzug der neuen
Methode, dals der Lehrer mit möglichst groDser Bew^ungsfreiheit einmal
die eine, ein andermal eine andere Übung vornehmen kann, so daCs das
langweilige Unterrichten nach einer einzigen bestimmten Schablone ver-
hinaert wird. So weit die Durdmahme des Textes in fremder Sprache
in der Klasse.
In ihrer häuslichen Vorbereitung benutzen die Schäler in Frankfurt
einsprachige Wörterbücher, und zwar für das Französische den kleinen
Larousse und für das Englische Annandale, The Ckmeiae English Dietio-
nary (London, Blackie and Son). [AuTser diesen empfiehlt Walter auch noch
Peitt Larive et Fleury (Paris, Delan-aye) und Gazier (Paris, Colin) für das
Französische, sowie Chambers' Twentieih Oentury Dietionary ofthe English
Langttage (London, Chambers) für das EngUsche.] Ist die Erklärung eines
Wortes in der fremden Sprache zu umständlich, so können die Schüler
auch das deutsche Wort in ihr Präparationsheft eintragen; sonst aber
müssen sie die fremdsprachliche Erklärung einschreiben und auch stets
die neuen Ausdrücke im Satzzusammenhang angeben können. Sind
die Schüler imstande, die fremdsprachliche Worterklarung ohne Nieder-
schrift zu behalten, so kann man ihnen die Arbeit des Aufschreibens er-
sparen, und der Lehrer erspart sich dann die Mühe, die Vokabelhefte der
Schüler immer wieder durchsehen zu müssen. Mit besonderem FleÜs
haben die Schüler den neuen Text zu lesen, um ihn, vor der Klasse
stehend, ihren Mitschülern eut und sinngemäls vorlesen zu können; diese
notieren sich die Fehler, welche ihr Kamerad bei dem Lesen macht, worauf
dann die Kritik folet. Besonders ist den Schülern einzuschärfen, dals sie
bei der häuslichen Vorbereitung immer den Text laut lesen. Sie haben
sich aber ferner auch den Inhalt des neuen Stückes so einzuprägen, dafe
sie imstande sind, in der Klasse auf Fräsen des Lehrers oder der Mit-
schüler zu antworten oder das Ganze vor der Klasse vorzutragen oder an
die Tafel zu schreiben. Nach einiger Zeit werden grölsere Abschnitte
noch einmal zusammengefaist, es werden Dispositionsübungen angestellt
und Themata zum freien Vortrag gestelit. Stets aber müssen die Schüler
gerüstet sein, den gelesenen Text auch in der Muttersprache wieder-
zugeben, uua es werden gelegentlich Musterübersetzungen charakte-
ristischer Stellen in das Deutsche angefertigt. Was also nach der alten
Methode dauernd ^schieht. geschieht nach der neuen gelegentljch,
aber dann gründlich, una es wird Wert darauf gelegt, da(s die Über-
setzung auä wirklich ein reines, musterhaftes Deutsch biete.
Nach des Verfassers Ansicht liegt in der steten Nötigung, welche bei
dem überwiegenden Gebrauch der Fremdsprache dem Schüler aufgelegt
wird, sofort den Inhalt des Gelesenen oder Gehörten zu erfassen und
umgekehrt einen Gedanken sogleich in das fremde Gewand zu kleiden,
eine grofse geistige Schulung, die schliefslich auch dem Deut-
schen zugute kommt, da durch diese Methode eine ^Öfsere Schlagfertig-
keit in der Auffassung und eine gröisere Gewandtheit in der Form des
sprachlichen Ausdrucks erzielt wird. Es wird anderseits die Gefahr ver-
mieden, welche bgi der alten Methode leicht eintritt, dals nämlich der
Schüler bei dem Übersetzen und dem ewigen Hin- und Herpendeln zwi-
schen zwei Sprachen gar nicht dazu kommt, den Inhalt des Gelesen^i
richtig zu erfassen.
Eine möglichst groüse Beschränkung im Gebrauch der Muttonprache
ist aber auch unerlälslich, wenn wir ohne Stundenvermehrune eine mög-
lichst hohe Steigerung der Leistungen in den neueren Sprachen erzielen
wollen. Es muls das Verstehen mit dem Lesen zusammenfallen,
damit die Schüler dazu angeregt werden, auch später noch ^em Franzö-
sisch und Englisch weiterzutreiben. Das soll das höchste Ziel sein, wel-
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 218
ches der Unterricfat erreichen mufs: die Erweckung dieses starken Inter-
esses, um dieses im Schüler zu erhöhen, ist es wünschenswert} dafs die
Klassenbibliotheken neben deutschen Büchern auch geeignete fremd-
sprachliche enthalten, welche den Schülern zur PnvatTektüre in die
Hand gegeben werden, und über die sie gelegentlich in der Klasse be-
richten müssen; an diese Berichte schliefst sich dann eine ^Besprechung
in Form von Bede und Gegenrede. Freilich darf der Ldirer bei der mo-
rsen Belastung unserer Schüler ihnen hierin nicht zu viel zumuten, aber
eine Anregung zu einer solchen Privatlektüre wird ffewifs manchmal auf
guten Boaen fallen. Um den Schüler an ein schnelles Erfassen des In-
halts zu gewöhnen, gibt es noch ein Mittel, nämlich die statarische Lek-
türe ^egentlich durch die kursorische zu ersetzen, welche den Schüler
auf die ^öfseren Auf^ben, die ihm das Leben stellen wird, vorbereitet.
Schliei'slich kann der Lehrer dem Schüler dadurch persönlich nähertreten,
dafs er wichtige Tagesfragen in die fremdsprachliche Unterhaltung
hineinzieht und die letztere durch Vorführung von Bildern aus Büchern
und Zeitschriften noch mehr belebt. Es wächst so der Einflufs des Ldi-
rers auf die Schüler, welche ihn immer mehr als Berater und Freund
schätzen lernen. —
Die Gedanken, welche Herr Direktor Walter in dem besprochenen Vor-
trag, den ich auf dem Kölner Neuphilologen tage mit Verenüg^en gehört habe,
entwickelte, und von deren praktischer Ausmhrung icn mich im vorigen
Herbst persönlich in Frankfurt, wo ich verschiedenen Stunden in der Muster-
schule beiwohnte, überzeugen konnte, stellen gewifs an Lehrer und Schüler
die höchsten Anforderungen und sind ein beredtes Zeugnis für die ideale
Gesinnung, mit der Direktor Walter das Studium und den Unterricht
der neueren Sprachen erfafst. Ob diese Gedanken aber, gerade weil sie
aus einer so hohen Auffassung entsprungen sind, überall und ganz durch-
führbar sind, erscheint vielleicht zunächst manchem Leser der Walterschen
Broschüre fraglich. Manch einer wird fürchten, daüs die Schüler bei dem
blolsen Lesen des fremden Textes und der fremdsprachlidien E}rklärung
desselben sich leicht eine gewisse Oberflächlichkeit bei ihrem Arbeiten an-
fewöhnen und nicht immer so tief in das Verständnis des Inhalts ein-
ringen, als wenn der Text wörtlich und ^enau in die Muttersprache über-
tragen wird, ohne dals dieses dabei eine Kunstvolle Musterübersetzung zu
sdn braucht Auch der Gebrauch der einsprachigen Wörterbücher und
die Einführung der Beformausgaben mit Erläuterungen in der fremden
Sprache wird manchem bedenklich erscheinen, denn was soll der Schüler
z. B. anfangen, wenn er im Larive et Fleury für ehameau die Erklärung
findet: Oenre de grands mammifires ruminants ayant sur le dos une ou
detix bosses volumineuses, oder in den Erläuterungen zu Alges Ausgabe
von Daudets Le Petit Owee in der Rolsbergschen Beformbibliothek für
*fnSmoire8* : reloHon ecrite par ceux qui ont pris part ä des Svenements
(S. 45), oder für *rttban' : les dames et les jeunes fUles portent des rubans
sur leurs chapeaux, dans les cheveux fS. 39)? Der Schüler hat hier eine
doppelte Arbeit, denn er mufs, nachdem er wahrscheinlich über diese
französischen Erklärungen nachgedacht hat, ohne ihren Sinn zu ergrün-
den, doch zu Sachs oder einem anderen französisch-deutschen Wörter-
buche ^reifen, in welchem er dann durch ein einziges deutsches Wort
plötzliche Klarheit erhält. Aber selbst wenn ein geschickter und kun-
diger Lehrer imstande ist, leichtere Texte in der fremden Sprache zu er-
läutern, so dürfte es deren doch nicht allzuviele geben, die dasselbe bei
einer schweren Lektüre, etwa gar bei einem poetischen Werke, und dann
no<di in französischer und englischer Sprache auszuführen vermöchten.
Es liegt die Gefahr nahe, dafs man sich mit einfacheren Schriftstellern
b^nfigt, um die fremde Sprache ohne ^rofse Mühe gebrauchen zu kön-
nen, wobei dann leicht das geistige Niveau der Klasse zu tief herab-
214 Beurteiltuigen und kurze Anzeigen.
gedrückt werden kann, oder daüs die fremdsprachlichen Erklärungen
Bchwierigerer Texte die Reinheit des sprachlichen Ausdrucks yermiBsen
iassen und danu unklar bleiben.
Das alles Bind Bedenken, die sich vieloi aufdrangen werden, und die
sicherlich nicht von der Hand zu weisen sind, wenn man in Erwägune
zieht, dafs eine grolse Zahl von Schülern nur mittehnälsig begabt ist, und
dafs viele Lelu'er, namentlich wenn sie mit vielen UnterrichtsstuDden und
anderen Arbeiten fiberlastet sind, nicht imstande sind, ein schwiaigeres
Lesestück in zwei fremden Bprachen, Französisch und Englisch, zu er-
klären. Trotzdem möchte ich doch die Waltersche Methode, auch in diese
ihrer Anwendung für die oberen Klassen, für die beste erklärai, die zu
versuchen und auszubauen unser aller hödistes Ziel sein mfiüite. Zwei
Gründe scheinen mir für sie zu sprechen. Einmal ist sie die wirklich
natürliche Methode, wenn man nämlich Französisch und Englisch in
dem Sinne treibt, dals die Schüler in diesen Stunden eben möglichst viel
Französisch und Englisch lernen, und wenn man nicht die früher noch
häufig verbreitete Ansicht teilt, dafs die Erlernung der fremden Sprachen
vor allem zu einem besseren Verständnis der Mutterspradie dienen soll.
Ist aber das Können in der Fremdsprache das Hauptziel, so wird man
zugeben müssen, dafs dieses um so besser erreicht wird, je mehr die
Fremdsprache gebraucht wird und je weniger die Muttersprache störend
dazwiscnentritt. Zweitens spricht aber für die Waltersche Methode auch
ein praktischer Grund, nämlich die Berücksichtigung der geringen
Stundenzahl, die dem Französischen und Englischen auf den Gymnasien
und dem Französischen auf den Beform- Realgymnasien gewährt ist Man
muls hier eben mit der Zeit geizen ; jeder Augenblick ist kostbar und für
die Fremdsprache auszunützen, wenn das hochgesteckte Ziel erreicht werden
BoU. Bei gutem Willen läfst sich hier auch sicherlich viel errdch^i, und
ein Versucn wird zeigen, dafs die allerdings grofse Mühe reichen Lohn
bringt. Ich selbst habe anf anrieh, als ich Walters Methode nur als
Theoretiker beurteilen konnte, an der Möglichkeit ihrer Ausführung etwas
fi;ezweifelt, aber jetzt, nach praktischen Versuchen in der Obersekuncb eines
Reform -Realgymnasiums, sehe ich ein, wie sehr ein Unterricht in dieser
Art die Schüler anregt, und wieviel Förderung er auch dem Lehrer ge-
währt. Die Arbeit wird leichter werden, wenn Mündis Wünsche für eine
bessere Ausbildung der Neuphilologen und für eine Einschränkung ihrer
Arbeitsleistung (s. Walter S. 18—19) sowie Borbeins Vorschlag dner Ar-
beitsteilung der Neuphilologen (Walter S. 21) erfüllt sein werden, und
noch mehr, wenn vielleicht die Schüler der oberen Klassen durch das Zu-
geständnis von wahlfreien Fächern entlastet weiden (Walter S. 'S^)). Wei-
tere Versuche und mehr Erfahrungen in den oberen Klassen werden, so
hoffe ich, zu einer vielseitigen und individuellen Ausgestaltung der Unter-
richtsmethode führen, denn hier muls ein jeder möglichst selbständig und
frei werden und sich nicht mit einer blofaen Schablone begnügen. Es ist
doch in der Unterrichtskunst wie in den schönen Künsten, wo die Nach-
ahmung häufig zur blolsen Manier wird.
Wilmersdorf -Berlin. J. Block.
ClemeoB Klöpper und HermaDii Schmidt, Französische Stilistik
für Deutsche. Dresden u. Leipzig, C. A. Koch, 1905. VII, 382 S. 8.
M. 8.
Ich glaube, dafs jeder Neusprachler, der ein Verzeichnis eben erschie-
nener Bücher überfliegt, sofort aufmerksam innehalten wird, wenn er als
Buchtitel liest: Französische Stilistik. Er wird into'essiert nach dem
Namen des Verfassers sehen, der eine so ungeheure Aufgabe übernommen
hat Eine Stilistik soll doch noch etwas Höheres als eine eigeotliche
BeurteiluDgen und kurze Anzeigen. 215
Grammatik nein; sie iftt doch zum mindesten der zusammenfassende In-
begriff, der Gipfel und die Krönung der Grammatik ; und wer nicht einen
klaren Überblick über die gesamten Ausdrucksmittel der Schriftsprache
und der Umgangssprache hat, wird sich nicht unterfangen, eine Stilistik
zu schreiben. — Er wird aber vor allem ein gesteigertes Interesse dem
Werke selbst entgegenbringen. Er weifs ja aus vielfacher Erfahrung, daüs
ein Satz unter Beobachtung aller grammatischen Be^ln ganz korrät ge-
baut sein, aber doch durcn Härte und Seh werf äUigkeit des Ausdrucks
und der Wortfügung das Ohr des Eingeborenen verletzen kann. Ein
Buch also, das geeignet wäre, ihm selbst den letzten Schliff zu geben,
feeignet zugleich, ihm die Wege zu weisen, auf denen er andere anldten
Önnte, zum Guten den Glanz und den Schimmer, zur äufseren Richtig-
keit die Eleganz zu fügen, ein solches Buch müDste hochwillkommen sein.
Wer nun mit so hochgespannten Erwartungen die Stilistik von
Klöpper und Schmidt in die Hand nimmt, wird sidierlich enttäuscht, so
sehr er seine Freude an einzelnen Abschnitten mit ihren fleifsigen Zu-
sammenstellungen haben mag. Nun sagen die Verfasser zwar bescheiden
im Vorworte, sie mafsten sich nicht an, etwas durchaus Neues auf dem
Gebiete der Sprachvergleichung gebracht zu haben. Aber man durfte doch
auf alle Fälle erwarten, dafs das Gebrachte über das hinausrage, das schon
andere geboten hatten. Das ist nun aber eigentlich nicht der Fall. Viel-
mehr sind all die Unzulänglichkeiten, die A. Tobler in seiner mustergül-
tigen Besprechung Archiv CHI, S. 244 ff. für die Franxösiaehe Stilistik
von E. Franke (das einzige Werk, das in Betracht kommt) aufgezeigt
hat, Zug um Zug auch in der neuen Stilistik von Klöpper und Schmidt
zu finden, einige sogar in noch stärkerem Mafsa
Vor allem nätten die Verfasser sich doch klar sein müssen über den
Inhalt und den Umfang ihrer Auf^be. Eine grundsätzliche Auseinander-
setzung über die sicherlich schwierige, aber wichtige Grundfrage, was in
die eigentliche Grammatik, was in die Stilistik gehört, findet sich nir^nds ;
die gelegentlichen Bemerkungen zu dieser Frage wirken eher verwirrend
als klärend. Man vergleiche folgende Gegenüberstellun^n : (Vorwort S. III)
Jede Sprache hat ihre besonderen Mittel, Gedanken m Worte zu kleiden,
im einzelnen sowohl wie hinsichtlich des gesamten Stils;
(S. Ü) In den Fällen nun, wo das deutsche Substantiv nicht durch ein
ifranzösisches Substantiv wiedergegeben werden kann ..., oder wo
es aus stilistischen Gründen nicht angebracht ist; (S. 101) In
frammatisch-stilistischer und rein stilistischer Hinsicht be-
andeln wir nun das deutsche Verb im Verhältnis zum französischen nach
folgenden Kategorien; (8. 119) Die Behandlung sämtlicher franzö-
sischer Verben dieser Art überschreitet die Aufgabe der Stilistik und
gehört mehr in das Gebiet der Lexikographie. £^ kann sich daher
1er nur um eine Zusammenstellung der wichtigsten dieser Verben han-
deln; (am Schlufs des folgenden, korrespondierenden Kapitels, S. 180) Die
Zahl der deutschen Verben, die durch verschiedenartige französische ge-
geben werden, lieüse sich noch bedeutend vermehren ; doch wir brechen
ab, da wir sonst auf das Gebiet der Synonymik geraten würden. Im
allgemeinen scheint es, als ob die Verfasser alles das zur Stilistik rechnen,
was vom Deutschen abweicht, vgl. z. B. S. U7 oben; in manchen Ab-
schnitten aber, vor allem in dem, der die Überschrift trägt: 'Harmonie
des Ausdrucks und die Belebung der Bede durch Tropen und Figuren'
(S. iib2 — 292), werden allgemeine, für alle Sprachen gleichmäfsig gültige
Gesetze des Stils behau dät.
Bei solcher Unklarheit der Scheidung ist es nicht zu verwundem,
dafs viele sprachliche Erscheinungen behandelt sind, die in die Grammatik
oder das Wörterbuch gehören. Nun ist ja sicher, dafs es die Stilistik
mit demselben sprachlichen IStoff zu tun hat wie die Grammatik. Über
216 Beurteilangen und kurze Anzagen.
diese Frage haben doch wohl Biee' Ausführungen in seinen Buche: Wa^
ist SufUax? (Marburg 1894) 6. 121 ff. volle Klarheit geschaffen. Ver-
schieden siDd nur die Gesichtspunkte, aus denen sie diesen 8toff behan-
deln. 'Die Stilistik wählt aus der vollstfindigen Grammatik das ffir Ihre
Zwecke Passende aus, gruppiert es neu unt«r ihrem Gesichtspunkt, dem
der stilistischen Wirkung, und vereinigt es zu einem neuen selbständigen
Ganzen' (Ries S. 127). Solche stilistischen Gesichtspunkte ergeben sich
aus dem Hinblick auf die Eigenart, auf das Charakteristische einer Sprache ;
auf die Aufstellung solcher Gesichtspunkte (s. Ries 8. 180; Lyon, Kurz-
gefaßte deutsehe ^ilistik S. 2 und 4), auf die Herausarbeitimg solcher
neuen, selbständigen Ganzen kommt es an. Dafs der Verfasser einer eng-
lischen Stilistik z. B. alle Fälle der für die englische Sprache so charak-
teristischen persönlichen Konstruktionen im Passiv zusammenfassend be-
sprechen miifste, wird niemand bestreiten. Ebenso müfsten die für die
französische Sprache so charakteristischen verschiedenen Infinitivkonstruk-
tionen zusammenfassend gruppiert werden. Klöpper und Schmidt be-
gnügen sich, an mehreren Stellen die Vorliebe des Franzosen für In^i-
tive und Infinitivkonstruktionen hervorzuheben; sie verabsäumen es aber,
darzutun, welchen Einflufs und welche Wirkung die Neigung für den In-
finitiv auf den französischen Satzbau hat, und wie sie den Deutschen, der
französisch sprechen und schreiben will, zwingt, seine CManken^änge in
besondere Zucht zu nehmen, ihn vor allem anhalten, nicht unnötigerweise
mit dem Subjekt zu wechseln. Die Verfasser haben unzweifelhm recht,
wenn sie die Infinitivkonstruktionen unter den allgemeinen Gesichtspunkt
des Strebens nach Klarheit und Deutlichkeit der Bede stellen (S. 311),
und wenn sie unter demselben G^ichtspunkte die Herausstellung des
Subjekts behandeln in Sätzen wie Poniatowski, quoiqu'il n'eüt poini
de eommandement dans VamUe, raüia ... (S. 307). Aber unter denselben
Gesichtspunkt fallen meines E^rachtens auch der Vorantritt des Subjekts
jm französischen direkten Fragesatz, die Herausstellung des Objekts in
Sätzen wie on imagine les raisons qu'ü pouvaü leur donner (deutsch:
man kann sich denken, welche Grün de . . ., y^L Archiv CV, 55 ff.) u. a. m.
pie Stilistik von Kl. u. Seh. bestätigt, was mir schon durdi die Franke-
sche klar geworden war: die für die eigentliche Grammatik übliche Ein-
teilung des Sprachstoffes nach Wortarten und Satz bau läfst sich nicht
ohne weiteres auf die Stilistik übertragen; vor allem deshalb nicht, wdl
durch diese Einteilung der Zerreifsung zusammengehöriger f^cheinunpen
einerseits und Wiederholungen anderseits Tür und I^r geöffnet wird.
Machen wir uns das an einem einfachen Beis{>iele klar. Die deutsche
Sprache ist an altüberlieferten formelhaften Verbindungen sinnverwandter
Wörter (wie Mann und Maus) sehr reich, und 'da durch sie ein Bc^ff
in lebendiger Weise veranschaulicht und dem Gemüte näher gebracht wird
(Lyon a. a. O. S. 14), so muls von ihnen in einer Stilistik gesprochen
werden. Sie fehlen nun auch im Französischen nicht, und es wäre sehr
anr^end, zu erfahren, in welchem Umfange sie hier existieren, woher sie
stammen und welchen Begriffssphären sie angehören. Kl. u. Seh. sprechen
von dieser Erscheinung nur kurz beim Substantiv, indem sie ein Bei-
spiel anführen, wo ein deutsches Substantiv durch zwei französisdie, und
zwei Beispiele, wo zwei deutsche Substantive durch ein französisches
wiedergegeben werden (/« territoire = Grund und Boden, trowoer
moyen ~~ Mittel und Wege finden. Ich füge noch hinzu sur place =
an Ort und Stelle, de eette maniire - auf diese Art und Weise,
sans foi = ohne Treu und Glauben, son avoir = sein Hab und
Gut, ä hon droit = mit Fug und Recht). Fälle aber wie nul = null
und nichtig, tout entier = ganz und gar, earesser mit Sach-
objekt -^ hegen und pflegen nätten die Verfasser an anderer Stelle
benandeln müssen. Dafs sie zusammengehören, dals sogar im selben Ka-
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 217
pitel Fälle wie 41 faul hien = man mufs wohl oder übel hätten zur
Sprache kommen müssen, ist mir nicht zweifelhaft.
Nun ist noch ein anderer Umstand vorhanden, der der Willkür in
der Anordnung, der Zerreiisung des Zusammengehörigen, den Wieder-
holungen den allergTÖlBten Vorschub leistet: die Verfasser gehen meistens
nicht vom Französischen, sondern vom Deutschen aus, und das zum
Teil von dem Deutschen, das sie erst, oft mit unnötiger Freiheit und
sonst ungenau, aus den französischen Stellen, die angefüml werden sollen,
gewonnen haben. So kommt es z. B., dafs die bekannten Verbindungen
8e faire connaitre, se faire aimery die doch sicherlich verbaler Natur sind,
einmal beim Hauptwort (S. 82) und einmal beim Eigenschaftswort
(8. 54) behandelt werden, und das blofs, weil sie das eine Mal wieder-
gegeben werden durch 'sich einen Namen machen, sich Liebe erwerben',
das andere Mal durch 'sich bekannt, sich beliebt machen'. CHait
pitie de wir reihen die Verfasser S. 45 unter die stilistischen Eigentüm-
lichkeiten des Adjektivs, weil sie es übersetzen mit 'es ist schreck-
lich'. Ja, wenn man es nun übersetzte mit 'es ist ein Jammer' und
dabei noch meinte, man habe den Gefühlswert des französischen Aus-
drucks auf diese Weise besser getroffen? Ist 'er wird bei weitem nicht
einwilligen' (S. 88), 'alles würde gut gehen ohne das Abtragen der
Kleider' (= totU irait bien ... eans üs kabüs qui s'usenf) (8. 84), 'die
Soldaten von Friand vor Semenowska aufgestellt, schlagen ...' (S. 296)
gutes Deutsch? Ist das ein Deutsch, das über die Einordnung in be-
stimmte Kapitel entscheiden kann ? Natürlich mufs in einer französischen
Stilistik für Deutsche das Deutsche zur Vergleichung herangezogen wer-
den; jede Stilistik beruht ja im letzten Grunde auf Vergleichung. Aber
die Hauptsache bleibt doch, Sinn und Wesen der französischen Aus-
drucksmittel und Darstellungflweise zu verstehen. Man kann nicht genug
die Warnung Toblers (a. a. 0. S. 246) beherzigen, 'die zahllosen Beispiele
von Divergenz des Ausdrucks nach der Art des Ersatzes zu sondern, den
bestimmte Arten der Wortverbindung in der anderen Sprache finden
können', nicht genug seine Mahnung S. 247, 'im allgemeinen von der
Vergleichung mit dem Deutschen abzusehen, Wörter, Formen, Funktionen,
Wortgruppierungen blols daraufhin anzusehen, wss sie für den Franzosen
sind'. Ja, auch die einzelnen Wörter I Welchen Gewinn kann es bringen,
wenn S. 95 aufgezählt wird, auf wievielerlei Art 'als' wiedergegeben wird,
und dabei so verschiedenartige Dinge wie eti, comme; itant, (hvenu; en tont
gue; plue de zusammengewürfelt werden? Und ist es mehr als eine rein
mechanische Sprach behandlung, wenn in dem Abschnitte, der von den
Präpositionen handelt, mechanisch aufgezählt wird, auf wie mannigfache
Art an, auf, bei u. s. f. französisch übersetzt werden können; wenn
dann weiterhin (S. 206 — 240) nach willkürlicher Auswahl in alphabetischer
Reihenfolge 1) deutsche Verben, 2) deutsche Eigenschaftswörter, 3) deutsche
Hauptwörter 'in Verbindung mit Präpositionen' aufgezählt werden? Wenn
ir^ndwo, so muffte hier das rein Grammatische und Lexikalische vom
Stilistischen geschieden und 'neue Ganze' stilistischer Geltung geschaffen,
z. B. alle Fäile abweichender Raum- und Zeitanschauung zusammengefalst
w^den. Sollten aber die einzelnen Präpositionen systematisch behandelt
werden, so mufste von den französischen Präpositionen ausgegangen
und aus der Grundbedeutung die einzelnen Verwendungsgebiete abgeleitet
werden.
Ebenso wie die Einteilung und Anordnung des Stoffes, so ^bt auch
die Ausführung im einzelnen zu mancherlei Ausstellungen Anlals. Ich
will nicht allzuviel Gewicht auf die Lücken legen. Da wird leicht der
eine dies, der andere das vermissen. Die stilistische Kraft des nicht ge-
trennten e'est qtte ist von den Verfassern nicht gewürdigt worden (vgl.
Sätze wie : // est heureux que monsieur Beniard ne soit plita de ee monde, —
218 BearteiluQgeo und kune Aszdgen."
M pourquoi? — C'eat ju't2 seraü pour man fih tm rwal äafngwtuob peui-
etrey W^^ de la Seigli^re 1, 5; ee qui est BÜr, e'eat gue ...; ai lea nobla
8*hahüUni en bmtrgeots^ e'est qu'iU sota eua^mhnea devenus de» bowrgeois,
Taine, Origines de la Fronet eontemparaine). Die Btilistuch wichtige Frage
nach den manni^rfachen Fällen, in denen der Franzose eine komparaÜTlsdie
Wendung für einen deutschen PoMtiv oder einen KomparatiTsatz der Un>
gleichheit für einen im Deutschen üblichen der Gleichheit gebraucht, ist nur
eben angerührt (S. 58). Pourvu que (= utinam), putsque an der Spitze Ton
Hauptsätzen (vgl. A. Schulze, Arehiv XCVIII, 6. 863 ff.), charakteristische
Partizipialkonstruktionen wie die mit une fots und ähnliches hätten Er-
wähnung verdient, ebenso die abweichende Gestaltung des Satzes im Hin-
blick auf die N^ration und den Ausdruck der Allgemeinheit (vgl. Sätze
wie Que pareüle ehose arrire eneort! = dafs mir das nicht noch ^mal
geschieht!; iout ee quireluii n'eet paa or\ le maUre de poste dont preeque
iou8 lea ehevaux avaient iU mia en riquiaitüm wir ncire eawderie ==
. . . dessen Pferde fast alle . . .); das Kapitel von der Ellipse wird man-
cher sehr mager finden und ungern eigenartige Wendungen wie et dire
und et penaer, hiatoire de rire^ rien qu'ä le rotr, le tempa de dÜeler u. a. m.
vermissen. Recht lückenhaft ist auch das Kapitel vom Gebrauch der Zeiten
(S. 147 ff.) geraten. Der stilistische Unterschied zwischen Pass^ d^ßni
(Schriftsprache) und Pass^ ind^fini (Umgangssprache) auf der einen Seite
und Imparfait auf der anderen ist nicht hinreichend beleuchtet (vgL be-
sonders Kalepky, Der Unteraehied xtciaehen Imparfait und Paaai difinif
Progr. des Falk- Realgymnasiums, Berlin 1004). Sollten nun einmal die
Funktionen der einzelnen Zeiten aufgezählt werden, so durfte das Futurum
nicht fehlen, das Seeger das 'prophetische' genannt hat (vgl. Tobler, F. B.
II, 124 ff.), und das deutsch am besten mit sollte wiedergegeben wird
(vgl. folgende Sätze aus Taine a. a. O.: Äuaai l'exaltation qui eommenee
ne aera guere qu'une ibuUition de la eervdle, et Vidyüe preaque entihrt
se jouera dana Ua aalona. 11 n^y eut jamaia rien tPigal en hiaUnre; pour
la premihre foia, on va voir dea brutea devenuea foUea trtMPaiUer en grand . . .).
// a pu, du pleurer 'er mag, muls geweint haben' wird nidit er-
wähnt, u. 8. f. Ich möchte, wie gesagt, auf solche Lücken kein groises
Gewicht legen, vielmehr gern anerkennen, dals die Verfasser eine reiche
Fülle von Erscheinungen zur Sprache bringen. Doch kann über die Art,
wie sie besprochen werden, leider nicht so milde hinweggegangen werden.
Es fehlt fast durchweg an der erforderlichen Schärfe und Riätigkeit im
Ausdruck und in der logischen oder psychologischen Analyse. Es ist
charakteristisch, dals ein Werk wie Toblers Venniaehte Beiträge überhaupt
nicht genannt wird. Auch Meders Erläuterungen xur franxöaiaehen Syntax
(Leipzig 1899) hätten öfter zu einer vertief teren Auffassung der franzö-
sischen Sprachverhältnisse führen können. Es sträubt sich förmlidi das
grammatische Gefühl, wenn wir S. 112 lesen: Es gibt manche deutsche
reflexive Verba, die im Französischen ae unbeschadet ihrer Be-
deutung ablegen; oder S. 259: Mit Vorliebe verwendet die französische
Sprache den partitiven Genitiv dazu, den Superlativ hervorzuheben,
wo es gilt, den Ausdruck *e*eat un ouvrage dea plua intireaaanta' zu
charakteiisieren. Es ist auch eine recht unsorgsame Redeweise, wenn es
S. 155) heifst: Das deutsche Possessivpronomen sein, ihr wird im Fran-
zösischen durch en wiedergegeben 1. als Attribut eines voran-
gegangenen Subjekts (gemeint sind Sätze wie: diese Angelegenheit
ist kitzlich, ihr Erfolg ist zweifelhaft); oder S. 160: tei dient zuweilen
zur Wiedergabe des neutralen das (besser S. 259); oder S. 258: Die Be-
tonung des durch erst und nur eingeschränkten Wortes geschidit im
Französischen durch ee n'eat que . . . que oder durch il n'y a que . . . qui
oder qtie. S. 151 wird der Satz il a*Sveilla de banne heure, et a'etant
habilU tranquiüement, il aartit aeul folgendermaiaen analysiert: 'StUistiach
BeorteilangeD und kurve ÄDzeigen. 219
wichtig ist noch, dafs im FranzöBischen in der erzählenden Prosa gern
das Partizip oder der Infinitiv ein^efüet wird/ Dafs hier nicht
etani für sich genommen werden darf, vielmenr der Geeamtsatz Gegen-
stand der Analyse sein muIiB, dals also der Satz nicht in den Abschpitt
gehört, der von den Wortarten, sondern in den, der von den Satzarten
handelt, wird ohne weiteres einleuchten. Als Satzart war auch die schon
oben angeführte Ausdrucksweise zu behandeln: sachons le projet Qu'ü
medüe (deutsch: ... welchen Plan ...). Die Verfasser bringen sie beim
Interrogativum zur Sprache und erläutern recht oberflächlich (S. 173):
'Zuweilen wird das deutsche Interrogativum durch eine relativische Wen-
dung ersetzt.'
£jS ist wohl überflGssig, noch weitere Beispiele anzuführen; zur Ver-
fügung stehen noch viele.
Meines Erachtens hat die Stilistik am wenigsten mit dem Teile des
Sprachgutes zu schaffen, das der einzelne nicht nach freier Wahl gestalten
kann; oder hat es doch nur insofern damit zu tun, als dieser Teil des
Sprachgutes sich mit einer charakteristischen Eigenart der Sprache oder
der Nation verknüpfen läfst, wie die im Anfang berührten lormelhaften
Wendungen, wie die feststehenden Sprachmetaphem. Am meisten nun
der individuellen Sprachgestaltung anheimgegeben ist der Satzbau, und
die Form und der Anbau des Satzes wird die Hauptdomäne der Stilistik
sein. Ich würde die Wortarten und Redeteile nebst der Wortbildung
auch als Teile der Stilistik des einfachen Satzes behandeln. Kl. u. Seh.
haben dem Satzbau auch mehr Aufmerksamkeit zugewandt als Franke.
Aber was sie briogen, reicht bei weitem nicht aus und bleibt zu sehr an
der Oberfläche. Ganz ihre Sdiuld ist das nicht; ich meine, es ist über-
haupt verfrüht, eine französische Stilistik zu Hchreiben. Dazu müTsten
die tvpisdien Satzformen des Französischen in der Schriftsprache und in
der ifmgangssprache erst genauer durch Einzel Untersuchungen durch-
forscht werden. Hier läge ein schier unerschöpfliches Feld für angehende
Doktoren.
Ich will zum Schlufs noch auf eine solcher Satzformen hinweisen.
In Elsafs-Lothringen, z. B. in Metz, werden Schuler oder Schülerinuen
französischer Nationalität stets geneigt sein, eine Aussage so anzufangen :
Der Kaiser, als er dies gesagt hatte, gab . . ., eine Aussage, der Schüler
deutscher Nationalität derselben Klasse ohne weiteres diese Form gegeben
hätten : Als der Kaiser dies gesagt hatte, gab er .... Wenn O. Brahm
in seiner Kirnst- Biogravhie (j^rlin, Fontane & Ko.) 8. 170 (und ähnlich
öfter) sagt: Adam, während er Hals über Kopf Toilette macht, spricht
etwas von ..., so wird man darin französischen Einfiuis erkennen, be-
Honders wenn sich noch andere Gallizismen bei diesem Schriftsteller finden.
Für die normale deutsche Ausdrucksweise ist hierbei charakteristisch, dafs
der Nebensatz an zwei Stellen stehen kann, einmal als Vordersatz zu An-
fang des ganzen Gefüges (Während Adam Hals über Kopf Toilette macht,
spricht er etwas von . . .) oder aber gleich nach dem Verbum finituni
(Adam spricht, während er Hals über Kopf Toilette macht, etwas von . . .).
Kl. u. Seh. sprechen von dieser Satzform (S. 304), und zwar in dem Ka-
pitel, das von der 'Einheit und Klarheit der Periode' handelt. Es heilst
dort: Ungleich dem Deutschen wird das Subjekt des Hauptsatzes, wenn
es zugleich Subjekt des Nebensatzes ist, an den Anfang der
Periode gestellt; dann folgt ein Nebensatz, in dem das Subjekt durcn ein
Pronomen wieder aufgenommen ist, oder eine Partizipialkonstruk-
tion, und dann erst das Prädikat. Als Beispiele werden u. a. angeführt:
ThSmistoeie, arrive ä LacSdenioney ne voultU point . . . ; l'armee d'Annibal,
hrsqu'elle enira en lUUie, Siait beaucoup inferieure en nombre .... Rqgel
wie Beispiele erwecken den Eindruck, als wenn die Partizipialkonstruktiou
unter allen Unaständen einem deutschen Nebensatz entspräche. Das ist
220 Beurteilungen und kurze Anzeige)].
keineswegs der Fall. Auch wir haben ^rade hier die Möglichkeit, änen
Partizipialsatz anzuwenden: ein appoeitiver Partizipialsatz Tor dem Sub-
jekt ist durchaus im Geiste der deutschen Sprache; es ist dn gutes Deutsch,
wen^ wir sagen: Von den Russen geschlaffen, beschliefet Gustav III. ...;
In Sparta angekommen, wollte Themistokles .... Französisch heilst das
dann am besten : Gustave III battu par ks Ruues^ rUout ... u. s. f . Noch
ein weiteres aber haben lEH. u. Seh. nicht beachtet. Dieselbe Aussage-
form hat statt, wenn an Stelle eines Nebensatzes, eines appositiven Parti-
zipialsatzes nur eine adverbiale Bestimmung vorhanden ist. Oder sollten
Satze wie le NU, aprhs aon inondation, laisse un limon ferHle; Bona-
parte^ dans un mouvement d'impatienee^ prononfa le mot de de-
miasion; Bonaparte, apris la batatlle des Pyratnides, s'äaü trouve
mattre de VEgypte nicht ganz dieselbe sprachliclie Erscheinung darbieten?
Man beachte auch, dafs wir im Deutschen wieder die Mö^chkeit ^er
vorhin gekennzeichneten doppelten Stellung hab^i: Nach seiner Über-
schwemmung läfst der Nil ..., oder unmittelbar nach dem Verbum
finitum: Der Nil läfst nach seiner Überschwemmung .... Franzö-
sisch ist es, wenn Brahm a. a. O. S. 274 sagt: Kleist mit seinem ein-
zigen Bardenchore läfst die Erinnerung an Klopstock und seine Nach-
ahmer weit zurück. Und wir alle haben eine französische Stileigentüm-
lichkeit angenommen, wenn wir, wie wir jetzt so sehr geneigt sind, sagen :
A. Darmesteter, in seinem Buche La Vie des Mots, bdiauptet .... Die
Frage ist durchaus noch nicht erschöpft, aber was ich hier dartun wollte,
ist wohl jetzt schon klar: Kl. und Seh. haben die Frage ganz einseitig
behandelt; sie kann erschöpfend nur behandelt werden, wenn vom Fnin-
zösischen ausgegangen wird.
Die Franxösisme Stüisiik von Kl. und Seh. wird sich nichtsdesto-
weni^r in mancher Beziehung als ein nützliches und lehrreiches Budi
erwei8cn. Es wird sich als solches erweisen vor allem durch die mit Um-
sicht und Fleifs gesammelten Beispiele und durch die Reichhaltigkeit man-
cher Sammlungen.
Friedenau. E. Mackel.
Etndes sur l^istoriographie espagnole: Geoi^ges Cirot, Mariana
HistorieD. Bordeaux 1905. XV, 481 S. Frs. 15. (Biblioth^ue de
la Fondation Thiers. VIII.)
Das Schicksal, das Juan de Mariana, der gelehrte spanische Jesuit,
bei der Nachwelt hatte, ist merkwürdig genug: der Ruhm, den sein histo-
risches Werk erwarb, liefs vergessen, dais er auf manchem anderen Felde
des Wissens Hervorragendes und Eigenartiges gleistet hatte; wer von
Mariana sprach, dachte an den Verfasser der Htstorta general de B^pana.
Als nun in späterer Zeit von solchen, die sich der Erforschung und Schil-
derung spanischer Geschichte widmeten, immer häufiger der Vorwurf ^-
hoben wurde^ dafs der berühmte Vorgänger doch zu leichtgläubig seinen
Quellen alle möglichen Fabeln nacherzähle und ihnen den Schein unantast-
barer Wahrheit verleihe, da wurde der, den man so gern den spanischen
Tacitus genannt hatte, in Bausch und Bogen verdammt. Kaum daCs man
ihm noch den Ruhm lieis, das von seinen Vorgängern aufgehäufte Matmal
zwar unkritisch, aber doch in gutem Stil bearbeitet zu haboi. Dab«
blieb es denn auch, als Pi y Margall im j£^re 1854 den Denker
Mariana förmlich neu entdeckte ; dem Historiker machte der gelehrte Her-
ausgeber der Werke in der Biblioteca de autores espanoles wahrlich kein
Kompliment, wenn er (S. XLVI) den Wert der Htstorta darin fand, dafs
sie, wenn nicht die Entwickelung, doch die Beispielsanunlung für das
philosophische System ihres Verfassers sei.
Nun hat auch der Historiker Mariana in Gl rot seinen Verteidigar
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 221
gefunden. Nicht als ob er den fruchtloeen Versuch gemacht hätte^ das
Werk seinee Helden als modernen AnsprQchen noch genügende Darstel-
lung der spanischen Oeschichte zu empfehlen, aber den Vorwurf der
Kritiklosigkeit und wissenschaftlichen Unzuverlässigkeit will er von ihm
nehmen. Und dazu hat er sich mit gutem Rüstzeug versehen: zunächst
ist ihm die gedruckte historische Literatur des Mittelalters und der Ke-
naissance, soweit sie für seine Studien irgend in Frage kommt, vertraut
(zu gleicher Zeit mit dem Marianabuch erschien von ihm ein Werk über
die Hütoires ginSreUes d'Espctpne, ein anderes über die Vorgänger Marianas
wird angekündigt), sodann ist aber auch sehr umfangreiches und wert-
volles uneedrucktes Material (vor allem Marianas Manuskripte im British
Museum) neransezogen und durc^ Abdruck in den Beilagen allgemein zu-
ganglich ^macnt; erst hierdurch werden Marianas Leben und Charakter,
seine Beziehungen zu Zeitgenossen und die Entstehungszeit seiner Werke,
endlich sein ProzeTs, alles Din^e, von denen man bis jetzt nur sehr un-
vollkommen unterrichtet war, emigermaisen klar. Denn dafür haben wir
dem Verfasser noch besonders zu danken, dafs er seine Aufgabe nicht
bloXs vom fachwissenschaftlichen Standpunkt angriff, sondern, um den
Historiker Mariana verteidigen zu können, den ganzen Menschen zu ver-
stehen suchte. Dabei bleibt stets der oberste Qesichtspunkt, den der Titel
angibt, gewahrt; wenn sich die Darstellung auch manchmal in behaglicher
Breite ergeht, wird man ihr Überflüssiges kaum nachweisen können.
Der Stoff gliedert sich in drei grofse Abschnitte : dafs nach seinem
Lebensgan^ und nach seinen nichthistorischen Werken Mariana Neigung
und FäiffEeit zu wissenschaftlicher Kritik hatte, den Sinn für die Wahr-
heit, mocnte sie auch geistlichen Vorgesetzten und weltlicher Obrigkeit
wenig erfreulich sein, ist das Thema probandum des ersten Abschnittes,
und es sei gleich hinzugefügt, dafs der Beweis zweifellos erbracht ist.
Nachdem der Verfasser sic^ so seinen Boden bereitet hat, soll der Fort-
gang des Buches zeigen, dafs Mariana als Historiker sidi nicht untreu
geworden ist: der zweite Abschnitt, Historiqtte de l'Histoire d^Espagne, er-
zählt von der Entstehung des grofsen Geschichtswerkes in seiner latei-
nischen und seiner spanischen Form, der Aufiiahme bei Gelehrten und
Laien, den verschiedenen Ausgaben und ihrem Werte, endlich von dem
Urteil der Nachwelt und seinen Wandlungen ; der dritte Abschnitt, Valeur
de VHistoire etc. betitelt, behandelt Marianas historische Methode, seine
Quellen, seine Geschichtsauffassung, schliefslich auch in drei besonders
anziehenden Kapiteln seine Sprache und seinen Stil. Das Ziel dieser Ab-
schnitte ist vor allem, den Standpunkt festzustellen, von dem Mariana aus
beurteilt werden mufs, und das ist nicht der der absoluten Eichtigkeit
des von ihm Gebotenen. Der Jesuit, der in der Theologie, der Moral-
philosophie, auch in der wissenschaftlichen Erforschung antiquarischer
Fragen seinen Mann stellte, sah sich in der Geschichte selbst nicht als
Forscher an; sein Ziel war erreicht, wenn er den Inhalt guter Quellen
in angemessener Form wiedergab. Freilich, wer so Geschichte eraählen
will, braucht Vorarbeiten, und die waren nicht für jede Periode der spa-
nischen Geschichte vorhanden; hat nun Mariana in solchen Fällen dem
ersten besten Gewährsmann leichtgläubig nacherzählt, oder hat er die G^
legenheit benutzt, historische Kritik zu üben, die sich ihm trotz seines
bächeiden gesteckten Zieles förmlich aufdrang? Die Beispiele, durch die
Cirot im Laufe seiner Untersuchungen Marianas Art zu arbeiten beleuch-
tet, genügen vollständig, um ihn gegen den so oft erhobenen Vorwurf
schnellferti^er Vertrauensseligkeit zu schützen. Cirot geht noch weiter
und faist aas Ergebnis seiner Untersuchungen in die Worte \Mariana) ne
pemait eomposer qu'tme oßuvre de vulgairisation ... il a su faire de ceUe
Histoire, jusqu'ä im certain poini, une ceuvre de criiique et de eeience,'
Hierzu seien einige Bemerkungen gestattet.
222 Beurteiiang«» und kurze Anseigen.
Liest mau Cirots Kapitel III, 4: L'informaHon de Mairiana, so mag
man freilich erstaunen über die Menge Quellenschriftstelier, die Mariana,
obwohl er nur Kompilator sein wollte, heranzog; abnr die Zahl der be-
nutzten Quellen tut es nicht allein, es kommt doch sehr auf das Wie an.
Danach hätte Cirot mehr fragen können. So scheint mir das Beispiel auf
S. ;V20 f. wenig geeignet, den Kuhm des Historikers Mariana zu vermehren ;
wenn er bei seinem Bericht über römische G^andtschaften an Hannibal
mehr als eine Quelle (neben Livius auch Polybius) heranzog, so nahm er
dabei auch eine Quellen kontamination vor, die wohl auch vom Stand-
punkte der Historiographie des 17. Jahrhunderts nicht zu billigen ist. Aber
wichtiger deucht mich doch noch ein anderes. Cirots Liste der für die
Hisiona benutzten Quellen scheint vor allem auf ein^n im Nachlafs
Marianas gefundenen Notizblatte (pag. 447), den Angaben im Index der
lateinischen Ausgabe und am Rande der spanischen Ausgaben zu beruhen;
eine Nachprüfung dieser Angaben hat wohl nicht immer stattgefunden.
Und doch wäre aas sehr nötig ^wesen, wäre auch wohl geschehen, wenn
dem belesenen Verfasser nicht eine sehr interessante Kritik des Historikers
Mariana fremd geblieben wäre: dieienige, die ihm Ranke in Zur Krüik
neuerer OeeehiefUsehreiber^ 60 ff. widmete. Da stellt der berühmte Histo-
riker fest, dals (in den Büchern 20 — 3ü) Mariana zwar 'des Anton tod
Lebrixa, des Peter Martyr, des Carajaval, des Alvar Qomez gedenkt', in
Wirklichkeit aber 'alle wichtigen Nachrichten Marianas aus Zurita (Anales
de la Corona de Aragon) genommen sind'. 'Ich habe sie beide (Mariana
und Zurita) durchaus exzerpiert und kann beinahe nichts finden, wo
Mariana eigentümlichen Berichten gefolgt wäre.' So scheint denn die
Frage, in welchem Umfange Mariana übär die direkte Vorlage hinaus 'zu
den Quellen stie^', der Nachprüfung noch sehr bedürftig; leider hat Cirot
diese nun nicht leicht gemacht Niemand wird tadeln, dals er die Tatsache
mehr oder minder häufiger Quellen benutzung zunächst an ihm geeignet
erscheinenden Einzelbeispielen beweist; aber anstatt darauf einfach die
Quellen ohne Andeutungen über ihre Wichtigkeit zusammenzustellen, hätte
er doch wohl besser getan, nach einer etwas übersichtlicheren Anordnung
zu streben. Wäre es nicht möglich gewesen, die Quellen um die Haupt-
vorlagen zu gruppieren? Also anzuheben, wem in den einzelnoi Perioden
der spanischen Geschichte Mariana den Lauf der Begebenheiten im wesent-
lichen nacherzählt, und dann hinzuzufügen, wo Cirot die Benutzung eigent-
licher Quellenschriftsteller konstatiert oder sie auch nur vermutet hat?
So würde der Leser nicht nur die Überzeugung davontragen, dafs Mariana
mehr oder minder häufig wirkliche wissenschaftliche Arbeit geliefert hat,
er würde audi ein genaueres Bild von dem Anteil erhalten, den der Histo-
riker an dem Werke des Kompilators hat. Wie die Sache liegt, wird man
sich auch für die letzten Bücher leicht diesen Anteil viel gröAer vor-
stellen, als er nach Ranke sein kann.
Wenn so Zweifel erlaubt sind, ob der Orad, bis zu dem Marianas
Werk Hme muvre de critique et de seienee' ist, schon endgültig präzisiert
ist, so soll damit der These an sich nichts abgemarktet werden ; als blofsen
xurddor de frases wird niemand mehr Mariana behandeln dürfen, davor
scheint er mir durch die grofse Fülle von Einzeluntersuchnng»!, in der
LMrot seinen Helden gegen alle und neue Tadler in Schutz nimmt, dn
für allemal geborgen zu sein. Auch wenn der Verfasser dabei selegent-
lich im Eifer für Mariana oder gegen seine Gegner zu weit gäity wird
man im einzelnen wohl widersprecnen, im ganzen ihm doch recht geben
müssen.
Unter diesem Gesichtspunkte mögen folgende Einzelheiten aufgefaist
werden, die ich mir bei der Lektüre des Werkes als zweifelhaft oder doch
näherer Aufklärung noch bedürftig angemerkt habe. Da ist zunächst die
Frage nach dem Wert der einzelnen Ausgaben der spaniscken Hiatoria,
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 228
von denen drei zu Lebzeiten Marianas erschienen. Schon Herausgeber
des lü, Jahrhunderts hielten die beiden jüngeren Ausgaben (yon lüli und
it>25) nicht für authentisch, Girot ist nur die Ausgab von 1628 verdäch-
tig, weil in ihr sich einige Stellen finden, die er für Interpolationen hält :
Entlehnungen aus apokryphen Quellen, deren Wertlosigkeit Mariana wohl
bekannt war. Nun beweist Oirot die Tatsache der Interpolation — und
um die handelt es sich zunächst — so einleuchtend, wie derartiges eben
bewiesen werden kann ; aber damit scheint mir die Frage nach dem Werte
der Ausgabe durchaus nicht erledigt. Ein Gesuch Marianas an Philipp IV.
um Qeldbeihilfe zum Druck (254) behauptet von dieser Ausgabe ausdrück-
lich, sie sei vermehrt und verbessert. Das schlielst nun die Möglichkeit
von Interpolationen nicht aus — Mariana war alt geworden und hat
vielleicht nicht selbst den Druck durch alle seine Stadien überwacht —
aber es muls doch gefragt werden, ob sich nicht Zusätze oder Verände-
rungen finden, die keine Interpolationen sind, der Ausgabe sogar ihren
eigenen Wert geben. Darum genügt es wohl für Cirots nächsten Zweck,
wenn er nur bei den aus irgendwelchem Grunde besprochenen Stellen den
Text der verschiedenen Ausgaben vergleicht; für die Entscheidung über
den Wert der einzelnen Drucke muls eine umfassende Kollation als not-
wendig erscheinen. — Wer ist der Interpolator der Ausgabe von lt)2b?
Ich glaube, dafs Cirot da Tamayo de Vargas zu schnell freispricht. Aller-
dings ist der Gedanke nicht sehr erfreulich, dai's derselbe Tamayo, der eine
Verteidigungsschritt für Mariana gegen seinen Kritiker Pedro Mantuano
verfafste, zum Fälscher am Werke des Meisters wurde. Aber die Ver-
dachtsgründe gegen ihn (25<> ff.) sind recht gravierend, und was Cirot für
ihn vorbringt, ist wenig stichhaltig: eine der Änderungen widerspricht
Tamayos sonst dargelegter Ansicht. Traut man aber dem Interpolator
die Schlauheit zu, sich gerade stofflich ziemlich unwichtige Einzelheiten
für seine Fälschungen herauszusuchen, um unliebsames augenblickliches
Aufsehen zu vermeiden (2bü)y so wird man ihm auch nicht zu viel Ehre
antun, wenn man annimmt, dal's er gerade in solchem Widerspruch ein
Mittel sah, sich selbst vor jedem Verdacht zu schützen. Damit bleibt
also Tamayo der Meistbelastete; was Cirot gegen andere vorbringt, bleibt
doch reine Konjektur. — Dagegen scheint mir jener Mantuano, der Ver-
fasser der Aävertencüia d la Bisioria de Juan de Mariana (it>ll und lolä),
zu schlecht wegzukommen. Dai's der Kritiker nicht *UnUe la bonne foi
iUsirabW zu seinem Unternehmen mitgebracht habe, halte ich nicht für
erwiesen. Es wird ihm vorgeworfen, er habe sich mehrfach einseitig an
den späteren spanischen Text gehalten, während ein Vergleich mit der
älteren lateinischen Fassung ihm seinen Tadel als unbegründet oder doch
nur die Güte der Übersetzung treffend hätte zeigen müssen. Dieser Argu-
mentation vermag ich nicht zu folgen. Wenn (210 Anm.) die lateinische
Fassung über den Todesort Konradins nichts berichtet, die spanische aber
fälschlich Messina nennt, so hatte Mantuano vollkommen recht, das zu
rügen ; wenn die lateinische Ausgabe hat Hannonem nunciarunt ... in
Piceno agro cum copiis omnibus oppreaaum fuieae, die spanische aber sagt
/ue ... tencido, desbaratado, y muerto, so scheint mir das kein Übersetzungs-
fehler zu sein, sondern ein Zusatz, den, wenn er falsch ist, das Lateinische
nicht rechtiertigen kann. Ähnliches gilt doch auch von den anderen Bei-
spielen; nur beim zweiten (Cäsars Tod, den die erste Fassung richtig auf
die Iden des März legt, findet im spanischen Text am 7. März statt; han-
delt es sich augenscheinlich um ein blolses Versehen, das allerdings nicht
als historischer Fehler hätte aufgemutzt werden sollen. Bei den anderen
Vorwürfen wird man wenigstens leicht Milderungsgründe für Mantuanos
Verfahren finden können : dafs er Quellennachweise Marianas weglieis,
lä£st sich (bei dem Beispiel S. 212 Anm. 4 II Ö liegt es auf der Hand)
daraus erklären, dafs Mariana die Meinung der Quelle ja zu seiner eigenen
224 Beurteilnngen und knne Anzeigen.
zu machen schien; bedenklicher ist, dafs Mantuano in den Äetverteneias
Stellen früherer Ausgaben monierte, die inzwischen im Druck von iüu8
verbessert worden waren, und zwar, wieCirot 179 f. wahrscheinlich macht,
auf Grund eines ersten ( verlorenen j Druckes von Mantuanos eigener Kritik.
Doch auch hier erscheint das Verhalten des Kritikers wenigstens in mil-
derem Lichte, wenn man die Ausführun^n auf 8. 176 berücksichtigt.
Auf eine höfliche Übersendung seiner Kritik, der durch dne JBemerkung
in der Vorrede jeder verletzende Stachel wenigstens genommen werden
sollte, erhielt Mantuano von dem bärbeiisigen Mariana — man glaubt das
treffliche, dem Buch beigesebene Portrat sprechen zu hören — eine der-
artig grobe und verächtliche Antwort, d als er wohl zunächst nicht auf
den Gedanken kommen konnte, seine Besserungsvorschläge könnten irgend-
wie berücksichtig werden. Jedenfalls ist denkbar, dals von nun an seine
Kritik nicht mdbr dem Werke, sondern dem Verfasser galt, und dafs er
sich berechtigt glaubte, zur Charakteristik des Feindes auch inzwischen
verbesserte Schnitzer blofszustellen. So wird sein Verhalten, wenn nicht
entschuldbar, doch erklärlich. Cirot hätte vielleicht besser getan, mit Bei-
seiteschiebung des Persönlichen seines Helden Sache dadurch zu führen,
dafs er die Kleinlichkdt dieser in Einzelheiten steckenbleibenden Kritik in
den Vordergrund stellte: den glücklich gefundenen Splitter machte Man-
tuano zum Balken, für das Grofse der ganzen Leistung ging ihm und
den meisten seiner Zdt, auch Tamavo, dem Verteidiger Marianas, der
Blick ab. Die nächsten Jahrhunderte haben Mariana ja zunächst reicjilich
für die philisterhafte Beurteilung seiner Zeit entschädigt. Cirots Vber-
blick (2ü0ff.) ist in dieser Beziehung recht interessant; ergänzend sd hier
darauf hingewiesen, dais der Spanier auch in Deutschland seine Verehrer
fand: nachdem der auch sonst als Vermittler spanischen und deutscheo
Geisteslebens bekannte Publizist Friedrich Buchholz (1768—1843) in Wolt-
manns Zeitschrift Oesehtehte und Politik I 2ö5 ff. (Berlin 1801) einen Ar-
tikel 'Über Mariana und einige seiner Werke' — nämlid^ die Historia und
das Buch De rege — hatte erscheinen lassen, veröffentlichte er drei Jahre
später noch eine Art historisch-philosophischen Boman : Juan de Mariana,
die Bnttpicklungsgeeekichte eines Jesuiten (BerUn 1804), der als Zeitdoku-
ment der Aufklärungsperiode einiges Interesse hat.
Zum Schluis mö^e noch ein Wunsch ausgesprochen werden. Cirot
betrachtet seine drei Bücher über die spanische Historiographie nur als
Materialiensammlungen *il8 ne vaudront pcu ä eux taue un livre eauri et
condensi sur ee beau et^ef — das zu schreiben er aber anderen fiberlassen
will. Das ist bedauerUch: niemand wäre dieser sdiönen Aufgabe besser
gewachsen als Cirot, nicht nur sachlich — wer wäre ihm an Kenntnissen
auf diesem Spezialgebiet gewachsen I — sondern auch formell ; wer einen
an sich trockenen Stoff, wie der des vorliegenden Buches immerhin ist,
so anziehend zu behandeln weifs, der braucht keinen anderen zu suchen
*pour prieenter lea ehoaea d^une iacon plus agriabU\
Säiöneberg. ^^ A. Ludwig.
yerzeie|hnis
der vom 29. November 1905 bis zum 8. März 1906
bei der Redaktion eingelaufenen Druckschriften«
The AmericaD Journal of phüoloc^. XXVII, 4, whole no. 104.
Zeitschrift ffir österreichiscne VolKskunde. XI, 5—6 [F. Lentner, Über
Volkstracht im Gebirge. — G. Polivka, Eine alte Schulanekdote und ahn-
liehe Volksgescbichten. — A. John, Volkstümliches Ina * Freischütz*. —
Kleine Mitteilungen. — Ethnographische Chronik aus Österreich. — Be-
sprechungen. — . Mitteilungen aus dem Verein und dem Museum für österr.
Volkskunde].
Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, hs. von
Max Dessoir. I, l [Th. Lipps, Zur *ästh€ tischen Mechanik'.- — K. Lange,
Die ästhetische Illusion im 18. Jahrh. — H. Riemann, Die Ausdrucks-
kraft musikalischer Motive. — G. Simmel, Über die dritte Dimension in
der Kunst. — H. Spitzer, Apollinische und dionysische Kunst. — Th. Poppe,
Von Form und Formung iu der Dichtkunst — fiesprechungen. — Schriften-
verzeichnis für I9u51.
Philosophische Wochenschrift und Literatur-Zeitung. 1, 1 [H. Renner,
Über Philosophie und ihre Popularität. — R. Eucken, Die Philosophie
und das deutsche Publikum. — F. Berolzheimer, J. Kohler als Recnts-
philos'jph. — B. Bauch, Zum Begriff der Erfahrung. — Selbstanzeigen. —
Besprechungen. — Zeitschriftenschau].
Dilthey, W., Das Erlebnis und die Dichtung: Lessing, Goethe,
Novalis, Hölderlin. 4 Aufeätze. Leipzig, Teubner, 1906. 405 S. M. 4,80.
Oswald, Ehigene, The legend of fair Helen as told by Homer, Goethe
and others, a study. London, Murray, 1905. XII, 2ll p. [In wohl-
femeinter Begeisterung für die Goethesche Lichtgostalt, die im zweiten
*eil des Faust die Schönheit des Altertums vertritt, als Persönlichkeit,
nicht als Allegorie, hat Oswald, der renommierte Förderer der Goethe-
Society, zu schildern unternommen, wie viele Sagenbildungen von ihr vor-
handen sind. Die Poesie der verschiedensten Völker von Homer bis zur
Gegenwart, die Musik und die Künste hat er ausgebeutet, von den alten
Ägyptern ging er bis zu Lewis Morris, vom ernsten Dante zu Offenbach,
um das soiier unerschöpfliche Wachstum der Helenensage aufzudecken.
Wenig ist nachzutri^en. Die Anrede von Marlowes Faust an die Helena
*Wa8 this the face that launehed a ihotisand ahips* fand mehrfaches Echo
bei Shakespeare, am deutlichsten in AIV8 well I, 8, 74 : Was thü fair face
the eauee why the Orecians sacked Troy? Etwas fem er abstehend, doch
immerhin noch nennenswert ist Riehard II IV, 1, 288: Was this the face
that, like the sun, did mdke beholders mnk? Was this the face that faced
so many foUies? Femer scheint Oswald eine Jugenddichtung von William
Morris entgangen zu sein (bei Mackail, Life ofw'. M. I, 283), in der es
Bich um ihre Rückgewinnung durch Menelaus und ihre halb freiwillige
Mithilfe bei der Erscnlagung ihres dritten Gatten Deiphobus handelt : ein
Fragment von barocker iSaft. Ein schönes Bild von D. G. Rossetti,
Helene ein Halsjuwel sich ansteckend, schmückt das Buch.]
ArrhiT f. n. Sprachen. CXVI. 15
226 Verzeichnis der eingelaufenen DruckachTiften.
Finck, Frans Nikolaus, Die Aufgabe und Gliederung der Sprach-
Wissenschaft. Halle, Rudolf Haupt, 1905. 55 8.
Taylor, Dr. Clifton O., Über das Verstehen von Worten und Sfitzen.
S.-A. aus der Zeitsekrift für Psychologie und Physiologie dar Sinneeorgane,
hg. von EbbinghauB & Naeel, 1905, 8. 225—51.
Taubner, Kurt, Sprachwurzel-BUdungsgesetz und harmonische Welt-
anschauung. Berlin, W. H. Kühl, 1905. Sb 8.
Lipperheide, Franz Freiherr von, 8pruchwÖrterbuch, Sammlung
deutscher und fremder Sinnsprüche, Wahlsprüche, Inschriften an Haus
und Gerat, Grabeprüche, Sprichwörter, Aphorismen, Epigramme, von Bibel-
steilen, von Zitaten, von Schnaderhüpfln, Wetter- und Bauernregeln,
Bedenftarten uaw., nach den Leitworten, sowie geschichtlich geordnet und
unter Mitwirkung deutscher Gelehrter und Schriftsteller herausgegeben.
In 20 monatlichen Lieferungen, je 3 Bogen fassend. 5. Lieferung. Berlin
(W.35, Potsdamerstr. 88) 1906. S. 193—240.
Schroeder, Otto, Vom papiemen StiL 6. durchgesehene Auflage
Leipzig u. Berlin, Teubner, 1906. VIII, 102 8. M. 2,80.
Zur Kunst. Ausgewählte Stücke modemer Prosa zur Kunstbetrach-
tung und zum Kunstgenufs, hg. von Dr. M. Spanier. Mit Einleitung,
Anmerkungen und Bilderanhang. (Aus deutscher Wissenschaft u. Kunst)
Leipzig u. Berlin, Teubner, 1905. X, 148 8. M. 1,20.
Koltan, J., Für die akademische Freiheit I [S.-A. des Nachwortes
aus den Naturphilosophüehen Strömungen: £. HacKds monistische Welt-
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Literaturblatt für germanische und romanische Philologie. XXVI,
11, 12; XXVII, 1, 2 (Nov. 1905— Febr. 1906).
Modem language notes. XX, 7 [B. Holbrook, The printed text of
four fabliaux in the 'Becueil j;^n^ral et complet des fabliauz' compared
with the readings in the Harleian ms. 2253. — M. W. Smith, The num-
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tury translation of Ariosto. — D. Klein, A contribution to a bibliographj
of the medieval drama. — W. M. Beiden, Heine's Sonnenuntergang and
an American moon-myth. — £. £. btoll, On the dates of some of Ghap-
man's plays. — J. D. Brauer, Parallel situations in Hemani and Filippo.
— K. Campbell, A neglected ms. of *The pnck of conscience'. — J. R.
Effinger, Lemercier's M^l^agre. — G. F. swearingen, English orthogra-
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Cook, Shakespeare, Hamlet 3. 4. 56. — Reviews. — Correspondenoe].
8 [F. A. Wood, The origin of color-names. — RH. Wilkins, Notes on
the inflection of Spanish verbs. — B. C. Holbrook, Heg! Hayl Hay
avanti and other Cid French locutions used for driving beasts. — C. 8.
Northup, A bibliography of comparative Uterature. — C. J. Kullner,
A passage in 'Hermann und Dorothea'. — W. O. Sypherd, Chaucer's
eight vears' sickness. — G. Norton, The use made W Montaigne of some
special words. — Reviews. — Correspondenoe]. XaI, 1 [J. Adams, The
sources of Ben Jonson's 'News from the new world discovered in the
moon'. — M. A. Buchanan, Partinupl^ de Bles. — A. 8. Cook, Cynewulf.
Christ 1320. — J. P.W. Crawford, Some notes on 'La constante Amarilis^
of Christoval Suarez de Figueroa. — L. M. Harris, Macbeth's 'unmaniierly
breech'd with göre'. — C. S. Northup, A bibiioffraphy of comparative
literature. — L. Pound, Arnold's sources for 'Sonrab and Rustum*. —
P. M. Bück, Note on Milton's Comus. — E. N. 8. Thompson, The 'Ladus
Coventriae'. — E. E. Stoll, The influenoe of Jonson on Dekker. — Browne,
i
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viuva na poesia populär portugueea. — O. M. Johneton, Sources of the
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Cnamberlain, Preterite fonns, etc. in the language of English-speaking
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The proloffue of *Sir Orfeo'. — A. 8. Cook, »Tempest* 2. 2. 28. — J. Walz,
An Enfflish parallel to Elopstock's 'HermannsBchlacht'. — Reviews etc.].
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of prose-rhythm. — A. E. Jack, Thomas Eyd and the Ur-Hamlet. — J. L.
Lowes, The prologue of Üie 'Legend of good women' considered in its
chronological relations. — Appendix etc.l.
Die neueren Bprachen ... hg. Ton W. Vietor. XIII, 8 [A. Schröer,
Zu Spenser im Wandel der Zeiten. — B. J. Lloyd, Olides between Con-
sonants in English (VIII). — H. ßomecque, Biomans francais ä lire. —
Berichte. — Besprechunmi. — Vermischtes]. XIII, 9 [O. Jespersen, Zur
G«8chi(dite der Phonetik (Schlufs). — G. Huth, Bestands ÖuranOf eine
Bereicherung der französischen dramatischen Lektüre. — Berichte. — Be-
sprechungen. — Vermischtes].
Schweizerisches Archiv für Volkskunde, hg. von E. Hoffmann-
Erayer und J. Jeanjaquet. IX, 4 [£. Bandi, Volkstümliche Hand-
werkerkunst und b&urische Zierformen. — Chr. Luchsinger, Das Molkerei-
gerat in den Alpendialekten der roman. Schweiz (Schluls). — A. Bossat,
Les Paniers (suite). — 8. Meier, Volkstümliches ans dem Frei- und Keller-
amt. — Miszelien. — Bücheranzeigen. — Vereinschronik. — Begister].
Neuphilologische Mitteilungen, hg. vom Neuphilol. Verein in Helsing-
fors. Nr. 7/8, 1905 [J. Uschakoff, Die Einteilung der neuhochdeutschen
starken Verben. — A. Wallensköld, Oontribution ä Tenseignement des
verbes irr^uliers en francais, — Besprechungen. — Zeitschriften-Bund-
schau. — Protokolle. — Eingesandte Literatur. — Mitteilungen].
Modem philology. III, 8 [E. E. StoU, Shakespeare, Marston, and
the malcontent type. — E. J. Dubedont, Shakespeare et Voltaire; ^OÜiello'
et 'Zaire'. — J. Q. Adams, Greene's Menaphon and *The Thracian wonder'.
— L. Ck)op6r, The Abyssinian paradise in Ooleridge and Milton. — F. M.
Josselyn, An obscure passaee in Dante's Turgatory\ — A. D. Schoch,
The differenoe in the middle English 'Bomaunt of the rose' and their
bearing upon CSiaucer's authorship. — J. M. Manly, The lost leaf of
'Piers the Plowman'. — J. 8. P. Tatlock, Chaucer and Dante. — J. J.
Jusserand, Spenser's 'Twelve private morale vertues as Aristotle hath de-
vised'. — D. B. Shumway, Indo-European I and E in Qermanic].
Modem language teaching. I, 7 [B. J. Lloyd, On thinking in a
foreign tongue. — Discussion column : The use and abuse of conversation
in modern language instmction. — The Esperanto congress at Boulo^e.
— University of London: Holiday course for foreigners. — The vacation
courses in modern languages in Edinburgh. — Examinations. — From
here and there. — Editorial note]. 8 [Direktor Walter on the direct me-
thod. — Discussion column: The use and abuse of conversation in mo-
dern language Instruction. — E. Miall, My little French claas. — Suggestions
for a modern French curriculum. — B. J. Lloyd, A summary of tne gram>
mar of the Esperanto language. — From here and there etc.]. II, I [An-
Doal meeting of the Modem Language Association. — H. G. Atkins, On
the comparison of opposite extremes. — D. L. Savory, The form-master
System m public schools in relation to modern language teaching. — B. J.
Uovd, The usee and abuses of the Eepetanto language. — Correspondence.
— heviews. — From here and there. — Good articles]. 2 JTH. W. Atkin-
son, On thinking in a foreign languaee. — B. H. Allpress, On translation.
— V. Partington, On the teaching of French phonetics. — V. E. Kästner,
16 ♦
228 Verzeichnis der eingelaufenen Drackschiiften.
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and abuses of the EBperanto lan^age.. — DiscusBion colnmn etc.].
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— G. RaphaeU L'enseigneinent des langues Vivantes en rranoe. — Mi»-
cellanea. — H. Hun^erland, Liliencron als Erzieher. — Dänisd^e Lehrbücher
der deutschen Spracne. — Engiish books for schools etc.]. Ü [H. Kunger-
land, Das historische Studium der deutschen Sprache. — The EZipmig
reader. — Miscellanea. — R^solutions de TAcad^mie Franpaise relatives a
la simplification de Torthographe. — Comptea rendues etc.].
The modern language review. I. 2 (Jan. 1906) [F. W. Moorman, Tne
pre-Shakespearian ghost. — H. A. Rennert, Notes on some comedias of
Ix>pe de Vega. — W. Bang, Memorandums of the immortal Ben. — W. W.
Jackson, On the Interpretation of 'pareelio' in Dante. — A. £. Bwaen,
G. 0. Moore Smith, A. B. McKerrow, Notes on 'The devil's Charter* by
Bamabe Barnes].
Brinkmann, Friedrich, Syntax des Französischen und Englischen
in vergleichender Darstellung. 2. unveränderte Ausgabe des 1884 erschie-
nenen Werkes. Braunschweig, Yieweg, 190(5. Bd. I : XVII, 628 S. Bd. II:
920 S.
Hoffmann, P., L'expansion ^conomique et la qnestion des langes
Vivantes dans l'enseignement moyen et sup6rieur. Rapport präsente au
Congr^ international d'expansion ^con. mondiale, Mons 19U5, Section I. —
Enseignement. 34 S.
Potel, M., Trois ans de m^thode directe in: 'Bulletin mensuel de U
Soci^t^ des professeurs de langues vivantes^ D^cembre 1905. [Der Redner
der Generalversammlung der jSoe. des prof, de langues Vivantes konstatiert,
dais die Unterrichtsreform von 1902 dem neusprachlichen Unterricht in
Frankreich ^olsen Gewinn gebracht habe. Die Stellung der langues
Vivantes sei im Mittelschulunterricht und in der Reifeprüfung eine viel
bedeutendere und würdigere geworden. Die dabei vorffeschrieMne Unter-
richtsmethode habe sich bewährt. Qui done a^fourd'nui panni nous —
je vaus le demande — voudrait rayer la mithode direete de son enseigne-
ment? Die heifsen Kämpfe seien vorüber, die Gegner haben sich, auf
Grund der Erfahrun»3n, verständigt. Auf ^ die rein praktische Sprach-
erlernung der ersten Jahre folge ein Unterricht, der höhere wissenschaft-
liche Ansprüche stelle, einen neuen, lebensvolleren Betrieb der Grammatik
darstelle (la mithode direete ... a rinovi les itudes grammatieales), der vor*
läufig auch noch mit der Herübersetzung als Kontrollmittel arbeite, und
in welchem man spreche nicht blofs um Sprechübungen zu machen, son-
dern pour dire miM^fueehose et ee quelMieehose, e*est le pays iirangery la vie
du peuple qui Vhabtte et sa UttäreSureT]
Steinhausen, Georg, Germanische Kultur in der Urzeit. (Aus Natur
und Geisteswelt, 75. Bändchen.) Leipzig, Teubner, 1905. 156 8. M. 1,25.
Streitberg, Wilhelm, Gotisches Elementar buch. Zweite verbesserte
und vermehrte Auflage (Sammlung germanischer Elementar- und Hand-
bücher. I. Reihe: Grammatiken, Nr. 2). Heidelberg, Winter, 1906. XV,
351 S. M. 4,80.
Berg, Rüben Gison, Nägra anteckninear om n&ffra fall af attraktion I:
Nkgra Svenska arbeten [S.-A. aus Nyfuologiska SäUskapets i Stockholm
Publikationl Stockholm 1905. S. 127—154.
Östergren, Olof, Stiliska studier I: Tömeros^ spr&k (Upsala uni-
versitets ärsskrift 1905). Upsala, Lundström, 1905. iX, 150 S.
VerzeicbiiiB der eingelaufenen Druckschriften. 229
Zeitschrift für deutsche Mundarten. I, l [O. Weise, Das prädikative
Eigenschaftswort. Einige sprichwörtliche Redensarten. Küchenlatein. -—
G. Binz, Eine Probe der basellandschaftlichen Mundart aus dem 17. Jahr-
hundert. — L. Hertel, Erzählung in Suhler Mundart. — O. Heilig, Alte
Flurbenennungen aus Baden. — W. Unseld, Schwäbische Sprichwörter
und Redensarten. — L. Sfitterlin, Sprache und Stil in Rosegeers <Wald-
Schulmeister'. -— W. Schoof, Beiträge zur Kenntnis der Schwälmer Mund-
art — Y. Hintner, Mundartliches aus Tirol. — Bücherbesprechungen. —
Biicherschau].
Piquet, F., L'originalit^ de Gottfried de Strasbourg dans son po^me
de Tristan et holde, Etüde de litt^rature compar^ [Travaux et m^moires
de rUniversit^ de Lille. Nouvelle S^rie. I. Droit - Lettres. — Fase. 5],
Lille, Si^ge de l'universit^, 1905. 3ȟ S.
4; Anz, Heinrich, Die lateinischen Manerspiele. Untersuchun^n und
Texte zur Vorgeschichte des deutschen Weihnachtspiels. Leipzig, Hin-
richs, 1905. VIII, 163 S. M. 4,50.
Kaulfufs-Diesch, Carl Hermann, Die Inszenierung des deutschen
Dramas an der Wende des 16. und 17. Jahrhunderts. Ein Bdtr^ zur
älteren deutschen Bühnengeschichte (Probefahrten VII). Leipzig, voigt-
länder, 1905. VIII, 236 S. M. 6.
Euling, Karl, Das Priamel bis Hans Rosenplüt. Studien zur Volks-
poesie (Germanistische Abhandlungen, begrQndet von Karl Weinhold,
hg. von Friedr. Voigt, 25. Heft). Breslau, Marcus, 1905. VIIL 583 S.
M. 12.
Sahr, Julius, Deutsche Literaturdenkmäler des 16. Jahrhunderts,
III: Von Braut bis Rollenhagen: Braut, Hütten, Fischart sowie Tiere^s
und Fabel, ausgewählt und erläutert (Sammlung Göschen Nr. 36). Leip-
zig, Göschen, 1905. 155 S. M. 0,80.
Gedichte von Otto Heinrich Grafen von Loeben. Ausgewählt und
herausgeg. von Raimund Pissin (Deutsche Literaturdenkmale des 18. u.
19. Jahrb.). Berlin, Behr, 1905. XVII, 171 S. M. 3.
Briefe von und an G. E. Lessing. In ftinf Bänden. Hg. von Franz
Muncker. Vierter Band: Briefe an Lessing aus den Jahren 1771 — 1773.
Leipzig, Göschen, 1905. VI, 296 S. M. 5.
Br^ant, Frank Egbert, On the limits of descriptive ^riting apropos
of Lessing's Laocoon (Contributions to rhetorical theory, ed. by Pred
Newton Scott, VI). Ann Arbor (Mich.) 1906. 4S S.
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tribution to the study of the literary relations of England and Germany
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New York, Columbia Press, 1905. 198 S. % I.
Braun, Wilhelm Alfred, Types of Weltschmerz in Grerman poetry
(Columbia üniversity G^ermanic studies, II, n). New York, Columbia
Univ. Press, 1905. 91 S. $ 1.
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Andler, Xavier L6on, E. Spenlö, F. Baldenspercer, J. Dresch,
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berger, A. Levy (Bibliothfeque de philologie et de litt^rature modernes).
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XLVII, 718, Juli— Aug. 1905). S. 401—405.
Soergel, Albert, Ahasyer-Dichtungen seit Goethe (Probefahrten VI).
Leipziff, Voigtländer, 1905. VIII, 172 S. M. 4,80.
Ploch, Arthur, Qrabbes Stellung in der deutschen Literatur. Leip-
zig, Scheffler, 1905. 224 8. M. 2.
Dresch, J., Une correspondance in^dite de Karl Gutzkow, de Ma-
dame d'Agoult (comtesse de Chamao^) et d'Alexandre Weill [8.-A. aus
der Revue germanique II, 1, 64 — 95]. Paris, Alcan, 1906.
Lyrische Andachten. Natur- und Liebesstimmungen deutscher Dichter,
S sammelt von Ferdinand GregorL Budischmuck von Fidus. Leipzig,
esse Lo. J.]. XXXII, 367 S.
Deutsche Lyrik seit liliencron. Hg. von Hans Bethge. Mit 8 Bild-
nissen. Leipzig, Hesse Fo. J.]. XXXn, 297 S.
Eoltan , J., E. Häckels monistische Weltansicht. (Naturphiloaophische
Strömungen der Gegenwart in kritischen Darstellungen. Ente Folge.)
Zürich, Speidel, 1905. 88 8. M. 1,50.
Deutsdie Schulausgaben, hg. von Dr. Julius Ziehen. Dresden, Ehler-
mann [o. JJ.
Nr. 84. Quellenbuch zur deutschen Geschichte Ton 1815 bis zur Gegen-
wart Hg. von Dr. J. Ziehen. 187 S. M. 1,45.
3Nr. 85. Goethes Gedankenlyrik. Hg. von Dr. Paul Loren tz. 162 8.
M. 1,40.
Nr. 36. Kömers Zriny. Hg. von Dr. H. Seh lad eb ach. 104 S. M.0,80.
Nr. 37. Hebbeibuch. Auswahl von Gedichten und Prosa. Hg. yon
Dr. Paul Lorentz. 160 8. M. 1,2<).
Zur Erdkunde. Proben erdlnindlicher Darstellung für Schule und
Hflus, ausgewählt und erläutert von Dr. Felix Lampe [A. v. Humboldt,
Über die Wasserfälle des Orinoco. — K. Bitter, Aus der Einleitung zur
^Erdkunde'. — O. Peschel, Der Zeitraum der groiaen Ekitdeckxmgen. —
H. Barth, Beise in Adamana. — Bichthofen, Aus China. — K ▼. Dry-
galski, Die deutsche Südpolarezpedition. — A. Sarchhoif, Das Meer im
Leben der Völker. — F. Batzel, Deutschlands Lage und Baum. — J. Partsch,
Das niederrheinische Gebirge. — E. v. d. Steinen, Die Indianer am Schingu].
Leipzig u. Berlin, Teubner, 1905. 151 S. M. 1,20.
Zur Geschichte der deutschen Literatur. Proben literariiistorischer
Darstellung für Schule und Haus, ausgewählt und erläutert tou Dr. Ru-
dolf Wessely. Leipzig u. Berlin, Teubner, 1905. 169 S.
Tumlirz, Karl, Deutsche Sprachlehre für Mittelschulen. Wien,
Tempsky, 1906. 145 8. 1 K 50 h.
HÖlzelB Wandbilder für den Anschauuna»- und Sprachunterricht
Serie III, Blatt 11: Wien, aufgenommen von Fr. Beck. Mit einem Be-
gleitwort von Prof. Dr. F. Umlauft. Grölse des Bildes 142 : 92 cm.
Wien, Hölzel, 1006. Auf Ldnwand g^pannt M. 8,50. [Die frühere Auf-
nahme von Wien in Hölzeis Städtebiidem, die einen Blick auf die Mil-
lionenstadt nur aus der Ferne, vom Abhänge des Kahlengebirges aus,
wiedergab, ist vergriffen und jetzt durch eine ^anz neue Aufnahme ersetzt,
wobei der Beschauer vor der Oper gedacht ist, natürlich in Vogeihöb&
Das Strafsennetz der inneren Stadt, der Deutlichkeit halber etwas vit-
einfacht, bildet das Zentrum; das dunkle Gestein des Stephanstarmes
überragt das ganze Gewirr mit beherrschender Wucht. Dahinter stiebt
zuerst das schmale Silberband des Donaukanals hervor, noch weiter rück-
wärte das brdtere des Donaustromes. Nach Unks zu erheben sich Kahlen-
berg und Leopoldsberg. Warum die Stadt gerade hier entetand, wo die
Donau aus den letzten Ausläufern der Alpen hervorbricht, welche Stel-
lung sie gegenüber den drohenden Magyaren im Osten einnahm, und wie
das Gelände beschaffen war, auf dem sich Iö83 die entscheidende Türken*
I
Verzeiehnis dc^ eingekrafenen DruckBchriftest. 281
Bchlacht abspielte, wird hier auf groisartige Weise sichtbar. Es ist ein
schöDes und lehrreiches Bild, das nicht blofs österreichischen Schfllem
zum Vorteil gereichen wird. — In dem Begieitwort des Prof. Umlauft
sind die wichtigsten Ereignisse aus der Stadtgeschichte knapp erwähnt,
mit besonderem Akzent auf der Schaffung von Orols-Wien.]
Englische Studim. XXXV, 3 [J. Wei^htman, Vowel-levelling in
Early Kentish, and the use of the symbol e in OK Charters. — P. Len-
deertz jr., Die Quellen der ältesten mitteiengl. Version der Assumptio
Mariae. — Fr. Brie, Zum Fortleben der Havelocksage. — H. Willert, Vom
Gerundium]. XXX VI, 1 [M. Förster, Eine nordengl. Cato -Version. -—
Ch.W. Wallace, New Shakespeare documents. — A. Greeff, Byron's Lucifer.
— A. Western, Some remarira on the use of English adverbs. — P. Fijn
van Draat, After].
Anglia. XXVlII, 4 [H. Gnskar, Fletchers Monsieur Thomas und
seine Quellen. — E. Flügel, fSne mittelenglische Claudian- Übersetzung
(1445). — Fr. Klaeber, Notizen zur Texterklärung des Beowulf. - Fr. Klae-
ber, Zum Beowulf. — H. A. Evans, A Shakespearian controyersy of the
eighteenth Century. — W. Hom, Zur engl. Grammatik. — E. Einenkel,
Zum engl. Indefinitum. — E. Einenkel, A friend of mine].
Beiblatt zur Anglia. X, 10—12. XVII, 1, 2.
Bonner Beiträge. XVII [Brüters, Otto, Über einige Beziehungen zwi-
schen altsächsischer und altenglischer Dichtung. — Bülbring, Karl Daniel,
Die Schreibung des eo im Ormulum. — Heuser, Wilhelm, Das frühmittel-
englische Josephslied. — Thtutmann, Moritz, Nachträgliches zu Finn und
HiTdebrand. Der Heliand eine Übersetzung aus dem Altenglischen. Auch
zum Beowulf (ein Grufs an Herrn Eduara Sieyers). Die Auflösung des
11. (9.) Bätsels. Die neueste Beowulf- Ausgabe und die altenglische Vers-
lehre]. 191 S. M. 6. — XIX [Ostermann, Hermann, Lautlehre des germ.
Wortschatzes in der von Morton herausgegebenen Handschrift der Ancren
riwle. — Williams, Irene, A grammatical investigation of the Old Kentish
Glosses. — Trautmann, Moiite, Alte und neue Antworten auf altenglische
Rätsel; Hasu]. 218 S. M. 7. — XXI I Wilkes, J., Lautlehre zu ^ifrics
Heptateuch und Buch Hiob]. 176 S. M. 1,60.
Scottish historical review. III, 10 [A. Lang, Portraits and jewels of
Mary Stuart. — H. Brown, The Scottisn nobility and their part in the
national history. — T. F. Henderson, 'Charlie he's my darling , and other
Bums' Originals. — J. Ekiwards, Greyfriars in Glasgow. — J. H. Round,
The Ruthven of Freeland barony. — H. Bineham, The early history of
the Scots Danen Company. — Sir Herbert Maxwell, The *8calacronica'
of Sir Thomas Gray. — Reviews. — Queries. — Notes etc.].
Bausteine, Zeitschrift fflr neuen^lische Wortforschung. I, 2 [L. Kell-
ner, Beiträge zur neuenglischen Lexikographie. — H. Richter, Ohattertons
Rowley-Sprache (Schluls). — G. Krüger, bhakespeareana. — J. EUinger,
Der doppelte Akkusativ oder Nominativ im heutigen Englisch. — H. Ull-
rich, Nachträge zu Murets Wörterbuch. — J. Hatschek, Der parlamen-
tarische Ausdruck ^Session'. — Kleine Notizen. — Fragen und Antworten.
— Bficherschau. ~ Plauderecke]. 3 [R Dyboski, Die Sprache Tennysous.
— G. Reiniger, Ergänzungen zu E. W. Eitzens (Jommercial Dictionary. —
R. Brotanek, Übersicht ^er Erscheinungen auf dem Gebiete der eng-
lischen Lexikographie im Jahre 19<»B. — R. Dyboski, Zur Wortbildung
in Tennysons Jugendgedichten, etc.].
Ren ton, William, Outlines of English literature, with diagramms.
London, Murray, 1905. XI, 248 S.
Clark, J. Scott, A study of English prose-writers, a laboratory me-
thod. New York, Scribener, 1904. Xv, 879 S. [Mit eigenartigem Streben
232 Verzeichois der eiogelaufenen Drackfichrifteii.
nach Unbefangenheit und Vollständigkeit sind hier 21 englische uod
T) amerikanische Schriftsteller von Irancis Baeon bis herab zu John
Ruskin auf ihren Stil hin beschrieben. Jener dieser Autoren ist för sich
behandelt: zuerst erhalten wir eine kurze Lebens beschreibunff, dann dn
Verzeichnis der Schriften, die Gber seinen Stil irgendwelche Urteile ent-
halten, dann partieular eharaeteristies, und zwar sind letztere aus den
vorgenannten stilistischen Urteilen abstrahiert. Jede Eigenschaft, die den
meisten Beurteilem und am meisten auffiel, ist vorangestellt; also bei
Bacon concüeness, bei Milton fnapnifieeneef bei Bunyan terseness, bei Addi-
son elegance, bei Steele eoüoquuU eaae, bei Defoe mintUeneaa, bei Swift
cauatic satire, impaiience of absurdüyy bei Goldsmith oracefid easte, bei
Johnson latinised dictum^ bei Burke impatient elooumce, bei Lamb quaint-
nesSf bei Walter Scott vivtd perwnal portraüure, bei De Quincey excessirf
qualifieation and suapense^ bei Macaulay fondnesi for eontragt, baianee,
ooint and epigramm^ bei lluickerav haired of shatns, bei Kewman fimsk,
oei Matthew Arnold lüerary inside, bei Carlyle fr» coinage and verbal
ejcenirietties, bei Georee Eliot psychologieal analysis of characteTf bei
Dickens earieaiure, bei Kuskin descriptive power, üidem Clark die Wert-
urteile anderer summierte, hat er nach möglichst vielseitiger und objektiver
Charakteristik gestrebt; sicherlich nicht ohne Erfolg. Auf die Haupt-
eigenschaft folgen mehr oder minder viele Nebeneigen ly^haften, illustriert
durch einige bezeichnende Sätze aus dem Autor selbst. Wir erhalten
hiermit eine Art von arithmetischer Proeaästhetik, die dem Lehrer der
englischen Literatur treffende Ausdrücke an die Hand gibt und auch dem
literarhistorischen Forscher zu denken gibt]
Jespersen, Otto, Growth and structure of the Ekiglish language.
Leipzig, Teubner, 1905. IV, 260 6. M. 3.
Schön, Eduard, Die Bildung des Adjektivs im Altenglischen (E^ieler
Studien zur engl. Philologie, hg. von F. Holthausen, Neue Folge» Heft 2).
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Schuld t, Claus, Die Bildung der schwachen Verba im Altenglischen
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G ein erster Entwurf war, wie Skeat sofort behauptete, oder «ne spatere
Umformung, wie teu Brink wollte. Sinn, Satzbau und Metrik ^sind für
VerzeidmiB der emgelaufenen Druckfichriften. 233
French deutliche Zeugen der erstereo Auffassung. Nach ihm wurde G
Tom Dichter später umgeformt, um die Königin Anna als daisy und Al-
cestis zu preisen, wahrscheinlich nicht viel später. Sollten ten Brink,
Koeppel u. a. dies auf der Oberfläche liegende Argument wirklich fiber-
sehen haben ? Den unfertigen Zustand von G leugnet niemand ; die Frage
ist nur/ ob G die Grundlage des ersten oder des zweiten Entwuiies war.
Die Ansicht von French ist natürlicher, die von ten Brink deshalb noch
nicht unmöglich. Der Stil ist eben in dironologischen Dingen, wie bei
Echtheitsfragen, ein sehr unsicherer Führer, während er, wenn die chrono-
logische Reihenfolge feststeht, für die Entwickelung des Autors der Kron-
zeuge ist.l
Vocabularium latino-anglicum saeculo quinto decimo compositum e
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dies. Boston 1905. VI, 126 p. [Sub4iterary nennt Leonard mit einem
bezdchnenden Wort den Einflufs auf die amerikanische Literatur, denn
eine Menge unbedeutender Zdtschriften, Dichter und Kritiker, haben ihn
Termittelt, während von namhaften Autoren niu: Poe ein eigentliches Ver-
hältnis zu ihm hatte. Der puritanische Grdst Amerikas war dem Autor
des 'Don Juan' im innersten Wesen abgekehrt. Das zdgte sich z. B. in
einer Anzeige dieses Epos im Portfoh'o 1823: es sd a terrtble poem far
potUhfid remers — tke toork of a titled profltgaie — sneera ai that charaeter
an which in the female sex tke happiness of life depends, a virtuous and
Tnodest tpoman (p. 24). Daneben gao es jenseits des Ozeans zwar viele Re-
flexe der Bewunderung, die Byron in Europa genofs, aber sie gingen alle
nicht tiefer. Die Studie ist ein Zeugnis dafür, wie in den Vereinigten
Staaten, kaum dafs sie ein Jahrhundert nennenswerter Literatur gehabt,
schon deren Geschichte einsetzt]
Longfdlows Evangeline. Kritische Ausgabe mit Einldtung, Unter-
suchungen über die Geschichte des englischen Hexameters und Anmer-
kungen von Ernst Sie per (Engl. Textbibliothek, hg. von Hoops, Nr. 11).
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, 3852: Agnes and Egerton Castle, French Nan.
„ 3858: Lloyd Osbourne, Baby Ballet
, 3854 — 55: F. Marion Crawford, 8oprano.
, 8856: W. W. Jacobs, Captains alL
y, 8857—58: H. G. Wells, Kipp«.
« 3859: Arnold Ben nett, Sacrod and profane love.
„ 3860: "Q" (AT. Qniller-Conch), Shakespeare's Christmaa and
otner stories.
: „ 3861: John Buskin, Sesame and Itliee.
„ 3862: Kate Douglas Wiggin, Böse o' the riyer.
. 3863: Oeorge Moore, The lake.
y, 8864—65: Maurice Hewlett, The fool errant
, 8866: Yemon Lee, Pope Ja<^th, etc. -
y, 8867—68: Horace Annesley vachell, Brothers.
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Introduction k Phistoire des ^oles carolingiennes. Paris, Picard, 1905.
XVIII, 457 S. Fr. 10. [Von Ausonius bis zur Benaissance, d. h. wäh-
rend mehr als eines Jahrtausends, sind die klassischen Studien nie völlig
verschwunden, doch haben sie schwere Krisen durchgemacht. Das Buch
Kogers untersucht die schwerste und älteste dieser Krisen, die ein halbes
Jahrtausend füllt, vom 4. — 8. Jahrhundert. Gallien steht im Zentrum
dieser Untersuchung; doch ist weder Cassiodor oder Gregor der Grofse
noch Isidor von Sevilla übergangen, und fast die Hälfte des Bandes ist
Britannien und Irland gewidmet. ~ E^ ist kein unerforschtes Land, durch
waches B. uns geleitet. B. hat sich denn auch fortwährend mit denen
ausMnanderzusetzen, die vor ihm des Weges gegangen sind, der von Auso-
nins über Sidonius Apollinaris, Fortunat, Gregor von Tours, den Gram-
matiker Virgilius zu den keltischen und angelsäcbsischen Mönchen und
von diesen, mit Alcuin, wieder nach dem Lande der Franken fährt. Diese
Auseinandersetzungen sind ebenso besonnen wie kundig. B. ^winnt in
hohem Mafse das Vertrauen des Lesers durch die strenge Sachlichkeit der
Kritik, die er an den Theorien übt, von denen Ozanam oder Fustel de
Ooulanges sich in nu^orwn Eeeleaiae oder Oalliae gloriam haben leiten
236 Verzeichnis der eiDgelaufenen Druckschrifteii..
laBseo. Beeondere lehrreich ist hier sein ürtdl über den Gnumnatiker
VirgiliuB, in dessen Epftomas und Epistolae er ein wertvolles, wenn anch
mit äufserster Vorsicht za benntzendee Denkmal sieht, und den er ein-
gehend (8. 110 — 26) behandelt. — Diese Pariser Doktordissertation ist
eine hervorragende Leistung.]
Muret, E., OlauettBy etude d'^tymologie romane. Extrait des 'M^
langes Nicole' 8. 879->8P. Gen^ve, imprim. Kdndig, 1905. [In gdstmcher
Welse führt Mnret span. Joeo^ port laueo etc. auf den Eigennamen Olau-
cutt, spez. den Namen des lykischen Führers bei Homer, zurück.]
Luchsinger, Chr., Das MolkereigerSt in den romanischen Alpen-
dialekten der Schweiz. Zürcher Inauguraldissertation [8.-A. aus dem
ScktDeix, Archiv für Volkskunde, IX]. Zürich, Juchli & Beck, 1905. 51 8.
und 9 Tafeln mit H8 Illustrationen. [Zweimal bat der Verf. dieser an
Gienoux, La terminologie du vtgneron dans les paiois de la Suiste romande,
1902, erinnernden Arbeit das romanische Alpengebiet der Schweiz (Gruy^re,
Alpes vaudoises et valaisannes; Tessin; Graubünden) durchwandert und
dabei die Ausdrücke für die Sennhütte mit ihren Gerfitscljaften,
für die Milchprodukte und ihre Herstellung und für die Alpler-
familie gesammelt. Wir werden also, nachdem er sich hier auf dieMit-
tdlung des Materials für die Gerätschaften beschränkt hat, noch dn meh-
reres von ihm erwarten dürfen. — Diese Gerätenamen zeigen eine auf-
fallende, auch die germanischen Schweizeralpen umfassende Einheitlich-
keit. Manche sind mit den Greraten über die Sprachgrenze hin und
her gewandert, und gerade diese sind auch zumeist etymologisch dunkel,
zum kleinsten Teil römischen Stammes, sondern Zeugen uralter, vorroma-
nischer Eulturschichten. Das gesamte Namenmaterial (195 Wörter) ver-
teilt sich auf etwa 150 verschiedene Wortstämme, von denen mehr als die
Hälfte (67 Proz.) sich als römisch erweisen: so ist auch auf diesem
Kulturgebiet der Grundstock lateinisch. Das Germanische tritt (mit
11 Proz.) stark zurück. Von den 80 Molkereigeräten, die L. behandelt
und illustriert — das Bild war hier unentbäirlich — , sind nur drei
der Milchwirtschaft eigentümlich: die Rahmkelle und das Butterfafs; die
Käseformen. Ihnen gelten insbesondere die kulturhistorischen Vorboner-
kungrn des Verfassers: die Butterbereitung kommt von den Germanen zu
den Bomanen; das Käsen ist den umgekehrten Weg gegangen und auf
schweizerischem Boden wohl zuerst im romanisierten Wallis heimisch oder
doch vervollkommnet worden. Den Hauptteil der Arbeit bildet das syste-
matische Verzeichnis der 195 Termini technid mit etymologischer Dis-
kussion. — Diese sehr verdienstvolle Studie Luchsingers gehört zu jenen
Arbeiten, die in der Atmosphäre des Olossaire des paiois de la Stdsse ro-
mande grofs geworden sind und als willkommene Vorboten zeigen, was
wir von diesem Werke erwarten dürfen.]
Revue de philologie francaise p. p. L. Cl^dat XIX, 4 [E. Philipon.
Oompte en dialecte lyonnais au XlV*^ si^le. — E. Gasse et E. Chaminade,
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liches: battSe; beeqtiemotdx; lyon. bhyi; wall, bongej davai; oeur. eodai;
daghet; freneau] gaupe; blais. gSgneux; afz. hoc; tnoine = Kreisel; ostfr.
möx^; pet; tamisaille; tin; blais. tou; vendöm. trios; ostfr. trous, — G. C.
Keidel, The foliation Systems of french incunabula]. XXIX, 2 and 3 [der
Referate und Rezensionen erstes und zweites Heft].
Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften. 287
Beyue des Etudes Rabeiaisiennes. III, 4 [£. Picot, Babelais ä Tentre-
Yue d'Ai^uesmortes nuület 1638). — A. Lefranc, Les antographes de K.
mit Faksimiles. — U. Cioüzot, Le v^ritabie nom du Beigneur de Saint-
Ayl. — M^ianges. — Comptes*rendus. — Chronic^ue].
Bulletin du Qlossaire des Patois de la Suisse romande. 4^ ann^,
N<> a et 4. Lausanne, Bridel & C'% 1905 [J. Jeanjaquet, Le fi^u et ses
parties dans la Luisse romande. — F. Isabel, Les diminutifs dans le patois
des Alpes vaudoises. — J. Öurdez, Pronostics et dictons agricoles. Patois
du Clos du Doubs, Jura bernois (suite). — G. Christin, La moiason d'autre-
fois, dialogue en patois d'Aire-la-ViUe (Qen^ve)].
Qlossaire des Patois de la Suisse romande. iSepti^me rapport annuel
de la rädaction. 1905. Neuch&tel, Attinger, 190t). it» 8.
Freytags Sammlung französischer und englischer Schriftsteller. Leip-
zig) Freytag, 1905:
J. Sandeau, Madeleine, für den Schulgebrauch hg. von G. Gurke.
106 S. Geb. M. 1,20. Hierzu ein Wörterbuch, 18 S., M. 0,30.
L. Gautier, £pop^ franyaises, für den Schulgebrauch hg. von Dr. F.
Strohmeyer. 122 S. Geb. M. 1,20. Hierzu Wörterbuch, 39 S.,
M. 0,40.
Le Commerce de France, für die Oberklassen von Handelsschulen hg.
von Prof. H. Fr. Haastert. 14ö S. Geb. M. 1,50. Hierzu Wörter-
buch, 84 S., M. 0,40.
J. Sandeau, La Itoche aux Mouettes. Für den Schulgebrauch hg. von
H. Glinzer. 77 S. Mit Wörterbuch. Geb. M. 1.
Französische Parlamentsreden aus der Zeit von 1789 — 1814; für den
Schulgebrauch hg. von Dr. £. Schulenburg. 152 S. Geb. M. 1,50.
Bibliothlque Iranyaise. Dresden, G. Kühtmann, 1905:
N<> 80. La maison roulante par M°^® de Stolz. Mit Anmerkungen,
Fragen und Wörterbuch nach der 9. Auflage des Originals für den
Schulgebrauch bearb. von Oberl. Dr. Bahn. 94, 34, ö5 S. M. 1,20.
Le Bourgeois, F., Manuel des chemins defer. Karlsruhe, J. Biele-
feld, 190t). XI, 162 S. Geb. M. 2,80.
Gk>rmond et Isembart. R^production photocollographique du manu-
Bcrit unique avec une transcription littärale par A. Bayot. Bruxelles,
Misch & Thron, 1906. XX III S. u. 8 Tafeln. Publications de la Bwue
des BiblioMques et Ärehivea de Belgiquey N° 2.
Gerhards französische Schulausgaben, N^ 20: Extraits de journaux.
Tableaux de la vie moderne en France par £. Dannheii'ser. Mit Er-
laubnis der Kedaktionen. I. Teil: Einleitung und Text. VIII, 160 S.
G^eb. M. 1,80. II. Teil: Französische Anmerkungen und Wörterbuch. 48 S.
M. 0,85. Leipzig, K. Gerhard, 1906.
Nyrop, Kr., Podsies frangaises, 1850—1900, publik et annot^.
Gopenhague, Schubothe, 1905. II, löH S. [Fünfzehn Poeten, von Leconte
de Lisle über Baudelaire, Bichepin, Mallarm^, R^gnier, Samain bis zu
Bruant und Xanrof in origineller Auswahl, sorgfältigem Text mit knappen
Erklärungen, für Universitätsübungen bestimmt und sehr brauchbar.]
Fink, P., Volkstümliches auä Südburgund, mit besonderer Berück-
sichtigung des Trinklieder. Gen^ve, Impr. du 'Journal de Gen^ve', 1905.
28 S. [Der gemeinverständliche Vortrag bringt eine Zusammenstellung
von Bräuchen, Redensarten, Liedern, die zum Teil der Bresse, dem
Bu^y etc. eigentümlich, meist aber weit verbreitet sind. — Sarraain, p. 5,
heilJBt einfach: heidnüeh, ungetauft, wie in der alten epischen Überliefe-
rungj
Paris, G., La litt^ature franyaise au moyen äge (XI<^— XIV® si^e).
Troisi^me ^tion, revue, corrig^, augment^ et aocompagnde d'un tableau
chronologique. Paris, Hachette, 19o5. XVI, 844 S. Fr. 3,50. [Diese
dritte Ausgabe des nun klassisch gewordenen Handbuches ist mit Hilfe
288 Veraeichiiis der fiingrfaqfaace DniolachrlffeeB.
der Tom Verf. hinterlawenen handschrifUichen Verbeaaerungeu und Aach-
trä^Q von P. Meyer und J. B^er beeoret worden. Eme erhebliche £r-
weiterune hat der Text bei den zahlrei(£eii Detailändeningen nicht er-
fahren. Auch in das Tableau ehronoiogique hat Q. P. mit aober Sorgfalt
die kleinen fieaultate der Fonchung eingetragen. Vom häieren Alter dee
Partenopeu (gegen 1155) scheint er sich nicht überzeugt zu haben; tär
Gautiers lUe ei Oaleran nahm er *ver» 1168' an ; der altere Eraeie ist» wohl
durch ein Versehen, aus der Tabelle verschwunden. Ivam beliels er trotz sei-
ner Bemerkung, Romama XXVIII, I(>0 f., h^ert 1172', Wie mannigfach ond
sorgfältig im einzelnen, auch im Text, kleine JSrganzungen, StreichoDgeo,
Umstellungen etc. von G. P. vorgenommen worden sind, zeigt z. B. § 55
über die Lais, i^ine letzte Meinuns über den apokryphen TVitSan Ghrötiens
kommt {^ 5t> f. nicht zum Ausdruck. Die Notes btbiiographiques sind am
durchgreifendsten umgestaltet und vermehrt worden. Ob es ratsam war,
von dem durch G. P. befolgten System der Verweisungen absuwdcbeo,
mag dahingestellt bleiben. Dankenswert ist eine so mühevoUe Arbeit, wie
die Fortiührung der Bibliographie eines anderen, auf alle Fälle. Da£s
bei dem System Wechsel manches unter den Tisch fallen mu&te, ist er-
klärlich. Ich hebe nur ein Beispiel hervor. G. P. hat die Daistellang
des Sponaua geändert und vom Weihnachtszyklus (§ lti5) zum Osterdrmma
(§ löti)^ verschoben : zur bibliographischen Orientienm^ über diese erheb-
liche Änderung genügte der Hinweis auf die sogep. jüngste Ausgabe des
Sponaus in Romama 189. i — die aufserdem nicht die jüngste ist — nicht,
sondern es mufste auf Zeitsehrift für roman, Phüoloffie 1898 p. 385 oder
wenigstens auf Romania 1698 p. (525 verwiesen werden — nach dem Syatem
G. Paris'. Auch anderswo kommt die ausländische Mitarbeiterschaft auf
diese Weise nicht zu ihrem bibliographischen Recht Doch soll d^^eicheo
nicht zu schwer ins Gewicht faUen, da wir nun doch die Freude haben,
das unschätzbare Buch, das seit zwanzig Jahren so viele geführt hat, in
neuer Fonn zu besitzen.]
Cloetta, W., Jean Bodels l^ikolausspieL S.-A. aus der öskrreicki-
sehen Rundschau Band V, Heft 57, S. 200—208. Wien, Eonegen [1^05].
Piaget, A., La Belle Dame sans Merci et ses imitations. Paris,
Bouillon, 1905. 224 S. [Die gelehrten und lehrreichen Aufsätze, die Piaget
seit 1901 über das Gedicht des Alain Chartier in der Ronumia hat er-
scheinen lassen, finden sich hier vereinigt]
Gerhardt, M., Der Aberglaube in der französischen Novelle des
10. Jahrhunderts. Rostocker Inauguraldissertation. Schdneberg, Langen-
scheidtsche Druckerei, 1900. XII, 158 S. [Nachdem Kömer I9u3 den
Aberglauben in den Dramen des 10. Jahrhunderts in Frankreich behan-
delt Hat, wird hier mit ganz zweckloser Ausführlichkeit der Aberglaube
in der Novelle in langen Beispielreihen, weitläufigen Zitaten and au
petit bonheur zusammengerafften Parallelen und Beredungen aufgerollt
Hoffentlich kommt nicht einer mit dem 'Aberglauben bei dtti Lyrikern
des 10. Jahrh.' oder mit dem 'Aberglauben in der Novelle des 17. Jahih.'
nachl — Der Nutzen und das wahrhaft Wissenschaftliche einer Arbeit
wie der vorliegenden würde darin bestehen, daft das neue und ffir Epik
und Epiker besonders bezeichnende Material aus dem groisen Wust heraus-
gearbeitet und nadi der spracbgeschichtlichen, künstlerischen und folk-
lorietischen Seite scharf charakterisiert würde.]
Eigal, £., La mise en sc^ne dans les trag^ies du 16® ai^e (Elztraits
de la Revue d'HxsU HU. de la France^ de Janvier-Mais et d'Avrfl-Juin
1905). Paiis, Colin 1905. 74 S. [Die Entwickelung der Benaisaance-
dramatik in Frankreich ist in der letzten Zeit Gegenstand erneuter Unter-
Huchung geworden. Lanson hat 190'i in der Remis d^hist. UU, der Frage
Commeni s'est operee la Substitution de la iraa6die omk Jifystires et Moramis
biuen längeren Aufsatz gewidmet, der eine Zusammenstellung aller Nach-
VenEeidmis der eingelanfeDen Druckschriften. 299
richten über Aufführungen von 1552 — 1628 enthält. Eigentlich Neues
ergibt sich daraus nicht viel;* aber lehrreich ist die scharf umrissene Über-
SLcnt über das ganze Material, die uns gestattet, festeren FuDb zu fassen.
Kurz darauf resümierte J. Haraszti in der nfimlichen Eevua XI, 680 ff.
einen Aufsatz, in welchem er sich bemühte, nachzuweisen, daÜB die Tra-
gödie des Iti. Jahrh. wirklich buhnenmäfsige Darstellung ^funden habe.
Vor Kenntnis dieses Artikels hatte Kigal schon die im Titel aneeführte
Studie abgeschlossen und der Remte eingereicht: er behandelt auf Grund
neuer Lektüre der Stücke von Jodelle, Grevin, Jean de la Taille, Garnier
und Montchr^tien ein Detail der ganzen Frage: die Inszenierung. Wie hat
sich der Dichter die Bühne gedacht? £r zeigt ausführlich und über-
zeueend, daüs auch die Autoren, die ihre Trauerspiele ausgesprochener-
malsen für die Aufführung schrieben, wie Jodelle, Jean de la Taille, Mont-
chr^tien, sich in vagen Szenenvorstellungen bewegten, und insbesondere
von Garnier bestätigt Bigai, dals 'er den Bchauolatz mit augenscheinlidier
Nachlässigkeit behandelt.' Wie naiv entlehnt and kombiniert z. B. Gar-
nier nach Bigais interessanten Beobachtungen die szenischen Angaben
seiner Quellen I Es gelingt nicht, die Sorglosigkeiten dieser Behandlung
des Ortes mit Hilfe der Annahme kombinierter mittelalterlicher Inszenie-
rung zu überwinden,' wie Petit de Julleville gemeint hat — sie finden
ihre Erklärung nur darin, dals diese Tragöden überhaupt nicht eine dra-
matische Aufführung in unserem Sinne im Auge hatten, sondern eine
dialofi;ische Bezitation. Diese Trauerspiele wurden nicht sowohl gespielt
als deklamiert Es sind Stücke rnetorischer Kunst und' rhetorischer
Übung — Buchdramen. Ihre eig^entliche Heimstätte ist die Kollegien-
bühne, die den Zweck hatte de faire parvenir Us enfanta en iloquence,]
Heifs, H., Studien über die burleske Modedichtung Frankreichs im
XVII. Jahrhundert. S.-A. aus Prof. Dr. K. Vollmöllers Boman. For^
sehunaen, Band XXI, S. 449— (>97. Erlangen, Junge & Sohn, 1905. [Eine
mit Liebe, euter Sachkenntnis und bemerkenswertem Darstellun^talent
ausgeführte Charakteristik der travestierenden Dichtung um die Mitte
des 17. Jahrhunderts, speziell Scarrons, Dassoucys und Perraults. Denn
den Ausdruck 'burlesk' definiert der Verf. im Sinne der modernen Poetik,
speziell im Sinne Schneegans', und diese Definition — die ihr gutes Becht
hat — beschränkt literatureeschichtiich die Burleske wesentlich auf die
Travestie (und Parodie) aer Antike. Das 17. Jahrh. hat aber, wie auch
H. kundig ausführt, le burleaque in viel weiterem Sinn als literarischen
Jux aufgefaCst, und wer von 'burlesker Modedichtun^ Frankreichs im
17. Jahrh.' spricht, hat eigentlich kein Becht, diese poiate burlesquß anders
und enger zu fassen, als es jene Zeit tat. H. hat also zunächst den Titel
seiner Studie entschieden nicht zu Becht formuliert. Er hat auch meines
Erachtens sich stofflich überhaupt zu sehr beschränkt, indem er aus der
reichen poUie burleaque nur die Travestien herausgriff und sie in grölserer
* An meiner flreilich knappen Darstellung (Geschichte der neum'en frana. Litt,
I, §§ 27 ff.) hatte ich nichts ErhebUehes xo ändern, und die Tatsache, dafii der
erste Versuch einer Emenerang der dramatischen Literatar von den Protestanten
ausgeht, habe ich gebührend hervorgehoben. Ich glaubte sogar, eine besondere
Strömung protestantischer Dramaturgie konstatieren au können (§§ 88, 82). lian
wird aber snkünftig, nach Lanson, hervorheben mUssen, daOi 1560 — 1600 in der
franaösischen Provinz Renaissancetragödien — vorzflglich auf der Kollegien-
bfllme — sur Vorfflbmng kamen, denen die hauptstädtische Bflbne der Paasions-
brfider yerschlossen war.
' Cf. jetrt Bigais Nachtrag in Rtv. h'sL UtL XII, 508, wo er Montchr^Üens
Scphamebe in ihren drei Bedaktio&en (1696, 1601, 1604) auch daraufhin unter-
sucht
240 Verzeichnis der eingelaufeDen Drackscbriften.
Auaf ührlichkeit behandelte, als die künstlerische und geschichtliche Bedeu-
tung dieses Stoffes erwarten ÜeTs. Er war der Mann, auf den 250 Seiten
dieses Buches die poisie hurlesque jener Zeit in ihrem vollen Umfange dar-
zusteilen, so wie sie sich aus den Übertreibungen der Preziositat ent-
wickelt hat und dann durch italienische fBemi, Lduca, Mauro etc.) und
spanische Vorbilder beeinflulst und gestärkt worden ist, so dafs sie mit
ihrem archaischen, vulgären, ja obszönen Ausdruck das Gregenstück zu
Purismus, Prüderie, Feierlichkeit und Re^lzwang ward. Wie dieses bur-
ieaque aus den Übertreibungen der Preziositat spontan entstanden ist, zeigt
Balzacs Beispiel. Seine Hyperbel, seine Art, für alltagliche Dinge eine
feierliche Form zu wählen, streift ans Burleske (Parodie;. Er fühlte auch
dessen bedrohliche Nähe und suchte sie abzuwehren. Von all dem spricht
auch H. gelegentlich, aber immer nur, um davon die 'eigentliche Burleske',
d. h. die Travestie, loszuschälen. Hoffentlich kommt er darauf in einer
neuen Arbeit über die ganze poisie burlesqae, zu der er wohl berufen ist, .
zurück.]
Pletscher, Th., Die Märchen Charles Perraults. Eine literarhisto-
rische und literatur vergleichende Studie. Berlin, Mayer & Müller, 19oü.
Vi, 75 S. [Die Studie erscheint, trotzdem sie vielfach flüchtig gearbeitet
ist^ und zumeist nur Forschungen anderer kurz resümiert, als bequem
und nützlich, da sie zerstreutes Material vereinigt. Der Verf. steht, was
die Ursprungsfragen anbelangt, auf dem Standpunkt B^diers (Polygenesie).
Er hebt die literaturgeschichtliche und folkloristische Bedeutung cler Contes
Perraults zutreffend hervor. Die Bibliographie hätte übersichtlidier dar-
gestellt werden können.* Die Argumentation gegen die alte und zuletzt
von Marty-Laveaux vertretene Annahme, dals der junge Perrault der
eigentliche Verfasser sei, ist entschieden mifslungen. — Mit Recht lehnt
PL die phantasievollen Deutungen des Namens Contes de tna tnire Voie
ab: der Name bezeichnet ursprünglich einen bestimmten, nicht mehr er-
kennbaren Tiermärchenzyklus aus der Zeit, da, wie Rabelais sagt,
les betes parlaient, — Zu den acht (resp. neun) Märciien Perraults werden
BchlieCslich eine Reihe sehr ungleich gearbeiteter Notizen gefügt, Leee-
fruchte, in deren Mitteilung, wie in der ganzen Arbeit, ein fester Plan,
eine Scheidung des Wesentlichen und Neuen vom Unwesen tlidien und
Bekannten zu sehr vermü'st wird.]
Waldberg, M. von. Der empfindsame Roman in Frankreich. Erster
Teil : Die Anfänge bis zum Beginne des XVIII. Jahrhunderts. Straisburg
u. Beriin, K. J. Trübner, 190i). XIII, 489 S. M. 6. [Aus Vorbereitungen
zu einer Geschichte des deutschen Romans ist diese Arbeit über den fran-
zösischen roman senttmenkU hervorffewachsen, deren zweiter Teil von
F^nelon bis zu Rousseau führen soll. Was hier vorliegt, ist eine sehr
verdienstvolle Leistung. Das Gebiet des französischen Romans der zweiten
Hälfte des 17. Jahrhunderts ist wenig durchforscht: das traditionelle Ur-
teil über ihn ^ht auf einige wohlbekannte Spezimina zurück, zwischen
denen tote Penoden von ganzen Jahrzehnten liegen. W. füllt diese Lücken
auf Grund einer umfassenden Lektüre und einer eindrinKenden Quellen-
forschung aus und erneut mit dieser Aufdeckung des Unbekannten auch
* Schon die einleitenden Bemerkungen über die Brflder Perrault bedeuten
keine zutrauenerweckende Einführung. Jean Perrault ist 1669, also keineswegs
^jung* gestorben. Den Hauptanteil an den Travestien der Troj»-Epik h«t Claude,
und ihm allein gehört das nun längst gedruckte 8. Buch der Mun d§ TVoyt samt
Vorwort (Revue d'hist. tiU. VII, 451; VIII, 110) u. ä.
' Die Bibliographie der Originalausgaben der Gri§eUdi»^ Peau cfdae etc ftiidet
sich bei Jules le Petit, Bibliogr, de» prineip, iäiHom arigmaUs ^dcrwmmi ßrmm^aü
du XV* au XVIW nicU, Paru 1888.
Veneichnis der fingelanfenen Druelrechriftai. 241
das urteil über die bekannten Din^e. Er hat mit ausgesprochen ent-
wickelungtgeschichtlicbein Intereeae em ebenso lehrreiches wie lebensvolles
Buch {;eBc]uieben. Bisweilen freilich scheint er mir durch die Neigung
za pointierter Darstellung der Entwickeiung etwas Gewalt auzutun —
fldchsam zu fein hören zu wollen, wie denn unzweifelhaft die Darstellung
urch Vereinfachung gewonnen hätte. ' Einige Bedenken gegen die Chrono- ^
logie wehrt die Vorrede (p. VII) ab; andere bleiben schon deswegen be- *
stehen, weil der Verf. die genaue Datierung, sei es aus Veraehen (3er aus
künstlerischer Abeicht, gel^entlich vernachlässigt, so, um nur gleich den
ersten Fall zu nennen, o. 2, wo Le tambeau des rotnans — an welchem
übriffens 8orel selbst sicherlich grofsen Anteil hatte, cf. E. Roy, Charles
Sorä, 1891 — vor dem Berger eadravagani und dieser vor Cyranos Brief
Sur un kipoeondre hirdlque de roman zu nennen war. — Chronologische
Übersichtstabellen des reichen Materials, das hier zum erstenmal syste-
matisch dargestellt wird, bringt uns wohl der zweite Band.]
Fueter, £., Voltaire als Historiker [8.-A. aus der Beilage wur Äü-
aemmnm Zeitung N<» 210 und 211 vom 12. und 18. September 1905]. 6 8.
[Der Verfasser stellt Voltaire als Profanhistoriker dar und hebt im Rah-
men dieses kurzen Aufsatzes die Bedeutung der von Voltaire zum ersten-
mal geübten überlieferunffskritischen Geschichtschreibung, die Neuheit
seines wirtschaftlichen, an tnropolo^sch- vergleichenden Standpunktes treff-
Uch und mit ttat gewählten Beispielen hervor. Aber auch die Schatten-
seiten von Voltaires utilitaristischer Betrachtungsweise, die Mängel seiner
Systemlosigkeit und das Unzureichende seiner Methode werden von F.
deutlich und eerecht dargestellt]
Mangold, Dr. Wilhelm, Prof. am Askanisehen Gymnasium zu Berlin,
Voltaires Rechtsstrdt mit dem Königlichen Schutzjuden Hirschel 1751.
Mit einem Anhang ungedruckter Voltaire-Briefe aus der Bibliothek des
Verlegers und mit drei Faksimiles. Kleine Ausgabe ohne die Akten.
Berlin, Ernst Frensdorff, 1905. 48 S. M. 1.
Lenz, K. G., Übo' Rousseaus Verbindung mit Weibern. Zwei Teile
in einem Bande. Unverkürzte Neuausgabe des Originals von 179?. Mit
12 Porträts und Illustrationen nebst 1» nenaufgefundenen, bisher unver-
öffentlichten Briefen Rousseaus an die Gräfin Houdelot. BerUn, Bars-
dorf, 1906. VII, 376 S. M. 4. [Eine sehr flberflüssige anonyme Neu-
ausMibe des dnst ebenfalls nnonjm erschienenen Buches über Rousseaus
Liebesieben nach seinen 'Confessions', das heute die Kenntnis Rousseaus
in keiner Weise fördert Die Lettres tnSdües aber wird der Lernbegierige
liei)er bei Buffenoir, La Oomtesse d^Eoudetot, im Original nachlesen.]
Annales de la Soci^t^ Jean- Jacques Rousseau. Tome premier. Ge-
n^ve, JuUien, 1905. XVI, 327 S. [Die Gesellschaft, von deren Gründung
und deren Zielen hier CXII, 394 die Rede war, versendet soeben diesen
ersten echönen Band an ihre Mitglieder (Jahresbeitrag 12 francs), deren
Zahl jetzt 300 ist Das Archiv wira in einem ausführbcheren Referat auf
die Publikation zurückkommen. Hier sei nur kurz auf den Inhalt hin-
gewiesen: H. Tronchin behandelt die Beziehungen des vom Verfol^ngs-
wahn geplafcten Rousseau zu dem berühmten Docteur Tronchin naäi un-
edierten Bnefen ; Ph. Godet teilt ein Kapitel aus seinem Buch über die
Neuenburgerin Madame de Charri^re mit, die sich des Andenkens Rousseaus
so warm annahm; G. Lanson gibt ungedruckte Aktenstücke zur Ver-
urteilung des Emüe und der Lettres de la M<mtagne\ E. Istel behandelt
die Originalpartitur des I^gmcUion; Th. Dufour unterrichtet über die
nachgelassenen Bduriften iMUsseaus, die man seit 1825 veröffentlicht hat.
' CMMhiaobe Zitate dttrften in einem solchen Baobe Aglieh in Übersetsnng
gegeben werden; dadarch würden anch Drackfehler vermieden (S. XIll).
AreUT f. n. Sprachen. CXVI. 16
242 Verzcnchuls der eingelanfenei) Druckschriften.
und fügt zehn neae Inedita hinzu, Torzüglich aus Rousseaus Bildungszeit
in Ohamb^ry. £8 foleen kleinere Mitteilungen, z. B. unsedruckte Bemer-
kungen Voltaires zur Frofession de foi du vieaire savoyarS (mit Faksimile):
Ikonographisches über M'"® de Warens. Eine Bibliogravkie und eine Chro-
nique scnliefsen das Buch, das in Papier, Druck una Einband vornehm
und j^eschmackvoU ist und an der Spitze dne vortreffliche Reproduktion
des Housseau peint par Ramsay (1766) tragtl.
Qärtner, J., Das Journal Etranger una seine Bedeutung für die Ver-
breitung deutscher Literatur in Frankreich. Heidelberger Inauguraldisser-
tation. Mainz, Falk & Söhne, 1905. VIII, 95 8. TEs wäre sehr erwünscht,
von den älteren literarischen Zeitschriften, besonaers von den kosmopoli-
tischen, monographische Dar8tellunfl[en zu haben. Schon darum ist diese
Studie über das Journal Etranger (1754 — 6'i) sehr willkommen, obwohl der
erste Teil, die äufsere Qeschidite des Unternehmens unter Grimm, Pr^
vost,* Froren, Arnaud, Su^ etc., nur eine Skizze bleiben konnte, da
dem fleifsigen Verf. die Schätze der französischen Bibliotheken nicht er-
reichbar waren. Im doppelt so umfangreichen zweiten Teile stellt er dann
systematisch zusammen, was das JounuU während eines Jahrzehnts seinen
Ijesem an sympathisch-klugen und aufklärenden Urteilen Aber deutsches
Geistesleben (über Sprache, Schulwesen, epische, lyrische, dramatische
Dichtung und literarische Kritik) mitgeteilt hat. Gdlert und sdn Werk
steht im Zentrum des Interesses; aber alle bedeutenderen Namen der deut-
schen Literatur seit Hagedorn und Gottsdied finden ihre Erwähnung, und
mit Lessing, Klopstock und Winkelmann leuchtet auch der neue denteche
Tag noch über dem Journal Etranger.]
Gobineau, Le comte de, Deux etudes sur la Gr^oe moderne: Capo-
distrias; le royaume des Hell^nes. Paris, Plön, 1905. IV, 825 S. [Dieser
Band verdnigt zwei zeitlich weit auseinanderii^nde (1841 und 1878), in-
haltlich eng verbundene Arbeiten Gobineaus, die beide jenem PhilhellaiiB-
mus Ausdruck feben, den ihr Autor trotz aller Schwankungen seinea Ur-
teils sich bewahrt hat, und der ihn in beredten Ausführungen Über die
Kulturmission des modernen Griechenland sprechen läfst. L. Schemann
hat dem Band ein kurzes Begleitwort vorausgeschicktl
Tob 1er, A., M^langes de grammaire fran9aise. Traduction irao^aise
de la deuxi^me Vitien p. M. Kuttner avec la collaboration de L. S udre.
Paris, Picard, 1905. XXI, 372 S. [Den Reichtum der Toblerschen Ver-
mischten Beiträge auch denen leicht zugänsÜch zu machen, für welche die
— hier besonders schwierige — deutsche ^rm ein Hindernis bildete, war
ein ebenso verlockendes wie heikles Unternehmen. Die Übersetzer, dosen
die Sympathie G. Paris' und der werktätige Rat A. Toblers zur Seite
stand, haben die Schwierigkeit glücklich überwunden, und der Verleger
hat das Buch sehr schön ausgestattet Hoffentlich folgen Band II, ill
— und IV der Beiträge diesem ersten bald nach.]
Burghardt, E., Über den Einflufs des Englischen auf das An^lo-
normannische in syntaktischer Beziehung. Göttinger Inauguraldissotation.
Halle a. S., Karras, 1905. VIII, 81 S. [Eine s^r fleifsiee und nützliche
Arbeit, die zum erstenmal systematisch dem syntaktischen Einflula des
* Privoats Zeitschrift heifst nicht Le Pour et le Contre^ sondern Le Pour et
CotUrey was er selbst Band V p. 21 humorvoll begrfindet — Über den Bemer
Vinzenz von TBcharner vgl. hier XCVII, 448. — Die chronologische Oenanigkeit
läfät da nnd dort za wünschen übrig, und eine schlimme Nachlässigkeit liegt dem
Urteil zugrunde, dafs Gersner deshalb in Joum. £lir. so wenig Beachtung finde,
weil seine Werke bereits früher Übersetzt worden seien. Qefsner wurde erst seit
Ende 1759 in Frankreich übertragen, und da der Übersetzer, M. Huber, ein Mit-
arbeiter des Joum. Etr, war, so ist die Zurückhaltung der Zeitschrift um so weniger
erklärlich.
Verzeichnis der emgelaufenen Druckschriften. 243
Englischen auf das Inselfranzösische nachgeht. Er deckt z. B. eine un-
^esänte Verbreitung des 'faire mit dem Infinitiv zur Umschreibung des
Verbum finitum' (Tobler, Verm, Beür, I2 20 ff.) oder der ans englische
iciU erinnernden Verwendung von voloir auf (wozu auf die Berliner Dissert.
von E. Weber, Über den Oärauch von ^devoir* etc., 1879, p. 27 fi, zu ver-
weisen war) und gibt zu den mehr gelegentlich von anderen, z. B. von Stim>
ming und Suchier, angemerkten Erschemungen Belege, die einen wirklichen
Sprachgebrauch erweisen. Freilich überschätzt er nicnt selten den gesuchten
englischen Einflufs, da seine Kenntnis der gemeinfranzosischen Syn-
tax Lücken aufweist. 80 liegt z. B. in: Sn mer lea esttiet periüer, oder
in: pu%8 lui prent st ffraunde püee, S. 77, keine Verwechselung von Dativ
und Akkusativ, sondern eine herrschende Konstruktion vor. Prendre a =>
'beginnen zu' ist völlig gemeinfranzösisch. Die Häufigkeitsverhältnisse,
die der Verf. für anglonorm. son « 'sein' und aa = 'ihr' berechnet (S. 10 ff.),
sind irrtümlich, weil son conU, sun eonqueat, mvn herite ausscheiden:
conti und eonqueat sind Maskulina; mun heriti aber verhält sich zu älterem
m'kertte wie mon amie zu m'amie und ist zur Zeit Fantosmes auch auf
dem Kontinent zu finden. In solchen'; Versehen verrät sich der Eifer des
Anfängers.]
Bezard, L., Toponvmie communale de l'arrondissement de Mamers
(Sarthe). Strasbourg, Heitz, 1905. 91 S. [Das nördlich von Le Mans
gelegene Arrondissement Mamera, kommt hier zu sehr sorgfältiger topo-
nymischer Darstellung, für welche Lognons Dietionnaire topographique de
la Mamey 1891, das Vorbild geliefert hat. Bezard klassifiziert und behan-
delt ungefähr 150 Ortsnamen. Das historische Material ist augenschein-
lich sehr sorgfältig gesammelt und macht die Arbeit sehr wertvoll. Die
Phonetik ist etwas eklektisch. Auch bei Ortsnamen ist in erster Linie
vom Laut auszugehen. B. aber ^bt nur selten die örtliche Lautung des
Namens an, und auch dann nur m einer un phonetischen Notierung.]
Scharfen ort, Hauptmann a. D. von. Übungsstücke kriegsgeschicht-
lichen Inhalts zum Übersetzen aus dem Deutschen ins Französische, zum
Selbstunterricht mit Anmerkun^n und Lösungen behu& Vorbereitung
für die Aufnahmeprüfung zur Kriegsakademie. Teil 1: Text. 64 S. Teil II:
Anmerkungen und Lösung. 83 S. Berlin, Barth, 1905. M. 2,25. —
225 deutscne Aufgaben für die Dolmetscherprüfung in Fremdsprachen.
162 8. Berlin, Barth, 1906. — Petit dietionnaire des difficult^s gram-
maticales. Zum Oebrauch bei französischen Arbeiten zusammengestellt.
Berlin, Barth, 1904. 173 S. Geb. M. 3,60.
Brunot, F., La rdforme de l'orthographe. Lettre ouverte ä M. le
Ministre de l'Instruction publique. Paris, Colin, 1905. 72 S. Fr. 1. [Ein
sehr beredter Appell an den Unterrichtsminister, in der Sache, in der die
sämtlichen pädagogischen Körperschaften des Landes, dann die ÄUianee
fran^tse, die lEaaion laique fran^iae, die Philolo^n und so viele her-
vorragende Literaten gegen die reaktionäre ÄeadSmte stehen, entschlossen
zu handeln. Br. spricnt zuerst von den dringenden Wünschen der Volks-
schule, deren Geifsel die Orthographie sei, und für deren Bedürfnisse die
Akademie in ihrem Gutachten nicht einmal ein Wort habe. ^L'Seole com-
munale, oü vont se former lea miüiona de cüoyena de demain, Vieole de la
dSmoeraiie n'est paa nommee/ Dann spricht er vom guten Recht und von
der Pf Ucht der Staatsregierung, die ortno^aphische frage zu entscheiden :
vne orthographe nationale, a dit Q, PortSy est une dea formea de la vie
publique. Er skizziert die geschichtliche Bolle der Äcademie, die hier
Keineswegs zu legiferieren berufen sei, und der gegenüber der Minister
nicht mcär als eine Form zu erfüllen habe : il lui doü une politeaae, aprha
eda ü eat lihre, Schliefslich geht er auf die einzelnen Gründe ein, welche
das famose Gutachten der Äcademie ^egen die Vorschläge der Beform-
kommission geltend macht, und übt eme scharfe Kritik an diesem Dilet-
16»
244 VerzeichniB der eiDgeLaufenen DruckschriftaD.
tantitmiu. ^ Der offene Brief ist eine erfrischende Lektüre und bringt
auch dem, dem die ganze 8tr«tfrage vertraut ist, mandiee Neue.]
Faguet, £., Simplification simple de l'orthographe. Paris, Soc. frang.
d'imprimerie & de librairie, 1905. 40 6. Fr. 0,bO. [Fagnet ist der Mei>
nuog, dafs man der Orthographiereform überhaupt viel zu grofse Bedeu-
tung beimesse. Auch die gröfste Vereinfachung werde den Schulunter-
richt nicht stark erleichtem und dem Schfller hÖ<mstens vier Wochen Leni-
zeit ersparen. Zwischen den Vorschlägen der Reform kommission und der
reaktionären Akademie nimmt er eine yermittelnde Stellung ein, oppor-
tunistisch jede grundsätzliche Regelung der brennenden Frage ablehnend.
Er schlägst vor, dafs der Schule gestattet werde, die Französiening des
Schriftkleides griechischer Wörter (rtime) und die Vernachlässigung der
Doppelbuchstaben (fkUerj home) zu tolerieren.]
Haberlands Unterrichtsbriefe für das Selbststudium lebender Fremd-
sprachen mit der Aussprachebezeichnung des Weltlautschriftvereins (Assoc.
mion^tique internationale). Ein zuverlässiger Führer zur vollstandimi
Beherrschung der Sprachen im mündlichen und schriftlichen freien Ge-
brauche. — Französisch. Im AnschluCi an ein franz. Lustspid und unter
Zugrundelegung der Sprechform hg. von Rektor H. Michaelis in Bieb-
rieh a. Rh. und Prof. Dr. P. Passy in Bourg-la-Reine. Leipzig, £. EEaber-
land. Brief 1. 40 S.
Keller, W., Das Sirventes 'Fadet Joglar' des Guiraut von Calanso.
Versuch dnes kritischen Textes mit Einleitung, Anmerkung, Glossar und
Indices. Zürcher Inauguraldissertation. Erlangen, Junge, 1905. 142 S.
[Auf diese mit grofser Sorgfalt, Umsicht und Sachkenntnis ausgeführte
Ausf;abe des ebenso wichtigen wie schwierigen Stückes wird das Asrekiv
in emgehenderer Besprechung zurückkommen.]
Schultz-Gora, O., Altprovenzalisches Elementarbuch (Sammlung
romanischer Elementarbücher, ng. von W. Meyer-Lübke, L Reihe: Gram-
matiken, 8). Heidelberg, C. Winter, 1906. X, 187 S. M. 3,00. [Ein sol-
ches Elonentarbuch zu schreiben, erfordert viel Abn^ation: eineraats
mufs der Verf. darauf verzichten, interessanten Detailproblemen nach-
zugehen, und anderseits mufe er doch recht viel Eigenes in die sum-
marische Darstellung einfUefsen lassen. Es sind ihm die Ausführungen
verwehrt, mit denen er eigene Forschungsresultate kenntlich machen und
begründen könnte, denn das Interesse des Anfän^rs, für den er eme '£än-
fünrung' schreibt, soll allein ihn leiten. Das ist in diesem aprov. Ele-
mentarbuch geschehen : es ist knapp und klar; seine Ausführungen stehen
auf der Höhe der Forschung: in ihrer elementaren Form entbehren sie
nicht persönlicher Art. Die dreilsig Seiten leichterer Text (mit Glossar)
Roheinen f^ehr umsichtig gewählt und in den grammatischen Teil wohl-
verarbeitet zu sein. Das ist ein treffliches Hilfsmittel für den akademisdien
Unterricht und das Selbststudium.]
Armana Prouven gau p^r lou b^ an de Di^u 1906, adouba e publica
de la man di feiibre. Porto joio, soulas e passo ttois en tont lou pople
döu Büejour. An cinquanto - dousen döu Felibrige. Avignoun, Rouma-
nille, 1906. 1118. (Unter den 60—70 poetischen und prosaischen Stücken
befinden sich auch diesmal wieder einige Beiträge Mistrals, der nicht müde
wird, als Lehrer und Führer seines Volkes — poMure popU dt IVouehKo
nennt er es — dessen Sprache, dessen Lieder, dessen GeMsfaichte gegen
offizielle Bedrängung und Fälschung zu verteidigen und es zum einüi^iMn,
genügsamen heimatlichen Leben zu ermahnen:
Fo»€ Ü coMlounf refoul
Parfo JUr tmm promenqaul
Qjenirt mar^ Ihtrhkip e Rote
Fai hon vUftrty DUu hm «Mp/
Verzeichnis der eingelaufeaeo Druckschriften. 245
Die meieten Beiträge, und von den friachesteni entetammen der Feder des
Bedaktore, dessen Name nirgends ausdrficklich genannt wird: Jules
Bonjat's.]
Giomale storico deUa letteratnra italiana, dir. e red. da Fr. Novati
e R. Benier. Faec^ 138 [A. Pompeati, Le dottrine politiche dl Paolo
Paruta. — F. Pellegrini, Intomo a nuovi abbozsi poetici di Fr. Petrarca;
cf. hier CXV, 464. -— A. Segre, La vera data di an lamento storico del
sec. XV. — G. Bertoni, Giammaria Barbieri e Lud. Castelvetro. ^ Ras-
segna bibliografica. — BoUettino bibliografioo. — Annunzi analitici. —
PnbbL nuziali. — Comrounicazioni ed appunti. — Cronaoa].
Bulletin Italien. Y (1905), 4 [F. Strowski, Une soorce itaiienne des
Eisaü de Mootaiene: V Examen vanitatis doctrina gentium de Francois
Pic de la Mirandole. — P. Dnhem, If^nardo da Vinci et Bemaroiiio
Baldi. — M^lanees et documents: L. Auvrav, Inventaire de la coUeetion
Costodi, 1^^ et demier article. — Bibliograpnie. —- Chronique].
Flamini, Fr., Avviamento allo studio della Divina Gommedia (in:
Biblioteca degli studenti, riassunti per tutte le materie d'esame nei Licei,.
Ginnasi, Istituti technid ecc. VoL 1.34—36). livomo, Giusti, 1906. X, 122 S.
Lire 1. [Obwohl dieser 'FCihrer durch die Dir. Oommedia* für Schüler ge-
schrieben ist, so ist er doch eine selbständige wissenschaftliche Leistung.
Wie in seinem grölseren Werke // sigmficati reeondiU della Oommedia di
Dante) sucht Fl. das Licht, das aie yerschiungenen Pfade des Danteschen
Gedankens erhellen soll, bei Thomas von Aquino. Dessen Summe ist la
fcmte vera del peneiero morale dell'Äligkieri. Man wird das — bei allen
Vorbehalten im einzelnen — besonders ffir den späteren Dante zugeben
mi&ssen und ^ern anerkennen, dafis Fl. hier einen sehr nützlichen und
aufklärungsreichen Leitfaden geschrieben hat, dessen einzelne Tdk treff-
lich ineinander gearbeitet sind. Ein Ka]>itel über die Entstehung der Oom-
media steht am Anfang; zwei Abschnitte über ihre späteren Schicksale
und über die Hilfsmittel zum Studium stehen am Scnlnüs des Tortreff-
liehen, seine Ausführungen durch Skizzen erläuternden Büchleins. — Von
den Vorbehalten möchte ich vor allem den j^eltend machen, dafs mir Fi.
das thomistische Moralsystem zu sjrstematisch der ganzen Ckmwtedia
aufzwängt. Die Commedia ist nicmt ein Werk ans dnem Guis, sondern
eine Sc&pfung langer Jahre. Ihre Gedanken wdt stand nicht von An-
fang; an fest, in thomistischen Formen erstarrt. Auch sie war im Flufs,
und der Schöpfer der Commedia lernte und entwickelte sich während der
Arbdt. Als Dante den Anfang sdner Vision erzählte, da stand Tor sei-
nem inneren Auire vieles noch nicht so scharf gegliedert da wie später.
Das gibt auch I^amini z. B. für den düeUoeo monte zu:
Ch'e principio e cagion di tuUa gioia (Inf, I. 77),
d. h. den Berg, der das irdische Paradies trägt, zu dessen beaütudo der
Terirrte Dante umsonst emporstrebt: auch Flamini scheint ihn für einen
ersten noch vagen Entwurf des Purgatoriumsber^es (p. 29) zu halten.
Dieser erste Entwurf mit sdnen vagen Umrissen stimmt nicht mehr ganz
zum späteren, genau lokalisierten und scharf umrissenen Paradiesesbery:
der zweiten Cantica, und doch hat der Künstler Dante ihn am Eingang
des GMichtes stehen lassen. Gerade so, meine ich, erscheinen am Ein-
gang des Gredichtes die drei Ti^re als Repräsentanten der Wollust {hnxa),
des Stolzes (leane) und der Habgier (lupa) — so wie sie die alten Kom-
mentatoren auffajsten, die Dantes Geistesgenossen gewesen sind ---, ob-
wohl diese Sündenübersicht nicht System atisch-thomistisch ist und sich
nicht mit dem später von Dante entwickelten Sündensystem deckt. Diese
Bestien thomistisoh zu deuten als malixia (Imwa), nuüiX'ia besHale (leone)
und malixia eecondo paesione Ifupa), wie dies Flamini tut, ersdidnt mir
246 VerzeichniB der ciDgelaufenen DruckBchrifteo.
fcewaltBam und entbeiirt für mich jeder überzeugimgskraft. Für mich hat
Dante in den drei Bestien einfach seine eigenen Hauptfichwfichen personi-
fiziert, wie sie aach die Vüio Älberiei gibt. Es ist rein persönliche
Poesie, deren tiefbewegter Urheber an gar keine Systematisienuig dabei
gedacht hat. Und rein persönlich sind auch die drei donne beneaeUe ge-
bildet: die Gnadenmutter, die sich seiner erbannt und seine Patronin
Santa Lucia, deren fedeU Dante war, aufbietet, welche ihrerseits ihm
zur Bettung die teure Beatrice — che Vamd tanto — sendet Ich vermag
hier durdiaus keine System atisierung des Gnadenweges zu erkennen,
und weder die gratia iUuminana noch irgendwelche anaere theologische
Konstruktion erklärt mir hier etwas — ja nicht einmal an eägentliche
Personifikation glaube ich. Ich verstehe und genie&e hier naiv und sehe
in dem Ü tuo fäde (II, 08) den Hinweis auf uns verborgene enge persön-
liche Beziehungen des Dichters zur heiligen Lucia, die offenbar seine
Schutzpatronin war. Dante hat im Himmel drei Helferinnen: die Him-
melskönigin, zu der alle Sünder mit ora pro nobis flehen; eine Heilige,
die seine und anderer Schutzpatronin ist: Lucia, und die Geliebte seiner
Jugend: Beatrice. In dieser Reihenfolge läfst er sie in Aktion treten,
und die Beatrice, die um seinetwillen zur Holle niedersteigt, ist zunächst
weder fede, noch sapienxa noch teologia — sie ist einfacn das liebende
Weib: die Liebe neigt sich zu ihm. Das ist poetisch und einfach —
sollte es deswegen vor der Dantologie des 20. Jahrhunderte nicht bestehen
können? Schon das allein rechtfertigt das stolze Wort, mit dem Dante
die Vüa Nova schliefst: spero di dirt di lei quello ehe mai non fu deüo
d^cdeuna. Und wenn später vom irdischen Paradies aus dieselbe Beatrioe
ihn hinanzieht, so ist es wieder die Liebe, die, beseligend, ihm Gottes
Himmel aufschliefst, wo sie selbst heimisch ist, so das sich ihm alles
offenbart imd sein Glaube zum Wissen wird — ohne dafs ich mir darüber
den Kopf zerbreche, ob diese Liebe, diese Beatrice, nun das Symbol des
Glaubens oder das des Wissens oder das der Offenbarung oder das der
Theologie sei. Sie ist schliefslich das alles — weil sie keines davon ist.
Sie ist die in den Himmel entrückte Jugendliebe, die, ein Pharus im
Meere des Lebens, die Blicke des Sünders aufwärts führt und seine Seele
hinanzieht, wo auch er schauen kann.* — Lassen wir den Künstler
Dante über dem moralisierenden Systematiker nicht zu kurz kommen.
Diese Gefahr aber besteht, nicht nur bei der systematischen Anwendung
des Thomismus auf die Oommedia, sondern bei der ganzai herrschenden
Dantologie, die mir zu sehr zu vergessen scheint, dafs Dante nicht den
Aristoteles seiner Prosaschriften, sondern den Vergll zum Lebensführer
seines Gedichts erhoben hat. Den Aristoteles überschüttet er in seiner
Prosa mit bewundernden Titeln vrie maestro e duca della gente umotio,
maestro deÜa umana ragione, maestro della noatra vita^ magiater sapienHum
und prcBceptor morum — in der Oommedia verneigt er sich nur im Vorbei-
gehen vor ihm und wählt statt dieses Gepriesenen als dueeh signore e
maestro den alttssimo poeta^ glorta de' Laiint und stellt so das Kunstwerk
in den Schutz des Künstlers.]
Scartazzini, G. A., Dantologia. Vita ed opere di Dante Alicen,
terza edizione con ritocchi e ginnte di N. Scarano. Milano, Hoepli
[Manuali Hoepli N" 42 e 48J, 1906. XVI, 417 S. Lire 8. [Dieses be-
queme, zur Einführung in das Studium Dantes bestimmte Handbuch, das
zum erstenmal 1888 und in zweiter Auflage 1894 erschienen ist, hat die
Vorzüge und Mängel Scartazzinischer Dante- Arbeit : es beruht auf ein-
g^endster, liebevoflster Beschäftigung mit Dante, ist geschickt und prak-
* Sie ist seine Fahrerin aaf dem Wege sn den Yirtutes theologieas: FideiD,
Spem, Garitatem (J/ofiardUe III, 16, et Purg, VU, S4).
Yerzeichnls der eiD gelaufenen DruckflChriften. 247
tisch angelegt; aber man yermifst die ruhige und sichere Führung des
Forschers. Daran hat der Bedaktor dieser dritten Ausgabe nichts ändern
können, sollte das Buch nicht überhaupt neu geschrieben werden. Er liefs
Scartazzinis Argumentation bestehen, yerzeichnete wohl in Fufsnoten einige
Einwände, änderte da und dort einige Seltsamkeiten, korrigierte augen-
scheinliche Irrtümer, besserte am Stil — denn: lo Scartazzini era un
tedesco — und ergänzte die Bibliographie (die freilich auch um manche
ältere Arbeit hätte verkürzt werden dürfen). In dieser Form verdiente
das Buch wohl neu aufgelegt zu werden. Es darf als Orientierung über
Dantes Leben und Werke und über die wissenschaftliche Arbeit, die die-
sem Leben und diesen Werken gilt, dem empfohlen werden, der zu eigener
Beschäftigung mit Dante übergehen will.]
Caraucci, 6., Bede auf Petrarca, bearbeitet von Fr. Sandvofs
(Xanthippus). Weimar, Böhlaus Nachf., 1905. 25 8. M. 0,80.
Hauvette, H., Les bailades du D^cameron. Extrait du Journal des
Savants. Paris, Impr. nationale, 1905. 12 S. .
Anzalone, E., Su la poesia satirica in Franda e in Italia nel
secolo XVI. Appunti. Catania, Musumeci, 1905. 189 S. [Man weiüs,
wie die vergleichende Literaturgeschichte, besonders unter Vianeys Füh-
rung, immer deutlicher die Aluiängigkeit der französischen Renaissance-
poesie vom italienischen Quattrocento und Cinquecento aufdeckt. Auch
die gröfsten, wie Bonsard und Dubellay, sind Plagiatoren der Italiener,
imitatores imitatorum, wenn auch originelle Nachahmer. Der sehr kun-
dige Verfasser dieser Schrift stellt die Abhängigkeit Frankreichs auf dem
Gebiete der natirischen Dichtung dar (über Weib und Liebe, Poet und
Dichtung, Hof und ewige Stadt). Er resümiert nicht nur geschickt die
bisherige Forschung, er weist auch auf bisher übersehene Beziehungen
hin (z. B. zwischen Ariosts Satira quinta und Du Bellays Reffrets, Sm.
XV und XIX) und schreibt ein angenehmes und nützliches Buch.]
Vofsler, K., Tassos Äminta und die Hirtendichtung. S.-A. aus den
Sttidien xur vergl, Literaiurgeschiehte^ hg. von M. Koch, VI, S. 26—40.
1906. [Der schöne Vortrag, mit dem die Äminta- Auffijhiung der Heidel-
berger Studenten eingeleitet wurde.]
Luquiens, Fr. Bliss. The Roman de la Böse and medieval Casti-
lian literature [S.-A. aus Rom, Forschungen XX, S. 284—320^]. [Der
Bosenroman hat auf die spanische Literatur nur einen auffallend geringen
und beschränkten Einflufs ausgeübt: die Klischees seiner Naturschilderungen
finden sich in den Cancioneros wieder; der Rest des grolsen G^ichtes
lälat keine besondere Wirkung bei den Spaniern erkennen.]
Mariezcurrena, Dr. A. N., Deutsch -spanische Handelskorrespon-
denz. Nach der Methode von Prof. Th. de Beaux bearbeitet [Qöflcnens
Kaufmännische Bibliothek, Band 8]. Leipzig, Göschen, 1905. 274 S. Geb.
M. 3.
Haussen, F., De los adverbios mucho, muy j mueh [S.-A. aus den
Anales de la üniversidad de Chile de enero y febrero de 1905]. Santiago
de Chile, Impr. Cervantes, 1905. 37 S. [Adverbiales muUum > mu/Uo
ergab an betonter Stelle span. mueho; an tonschwacher Stelle: a) vor
Vokalen muit > mueh (muehaynä)^ ß) vor Kons. mui(t) > muy. Jenes
mueh ist schon im älteren Spanisch selten; schliefslich ist es neben muy
ganz geschwunden. Es handelt sich also im wesentlichen nur um mueho
und muy. Die Sprache scheidet ihren Gebrauch nach dem Satzton: mueho
era mos blaneo (Al&mndre 387; diese Konstruktion ist gemeinromanisch,
cf. Böhmers R&man. Studien III 287 und Meyer-Lübke, Gram. III § 494);
mueho amaba, mueho mos grande — aber muy blaneo, muy mos, muy
mayar. Doch liegt natürlich in dieser Regulierung der Formen mueho —
^8 .Verzeichnifl der emgelAofeiien DruckBchrHten.
muy durch die Saubetonuog ein stark ftubjektives Element, das einer r^el-
haften starren Scheidung des Gebrauchs Idndenid in den Weg trat, vu
sprechende Individuum war eeneigt, in der £mphase mueho aach da su
gebrauchen, wo in der alfeEtarmen Rede muy herrschend war (mueko
grande), und eine bequeme Brücke für diese Ül!erefinge werden die Paiti-
zipien bilden, denen als Verfoalformen nrnchöy als Nominaiformen mmv su-
steht: muoho amadOf muy amado, Hanssens Arbelt zeigt die CIrnndzOge
solchen Gebrauchs in den älteren spanischen Texten in fleifsigen Zusam-
menstellung, wie er sie uns schon fQr eine ganze Anzahl von Fragen
der altspanischen Sprache und Metrik geliefert £at Man mufs ihm dafQr
sdbr dankbar sein. — Seine zusammenfassende Besprechung der hier vor-
gelegten F&lle h&tte mit Nutzen die gemeinromanischen Gesiehtspunkte
mehr ins Licht setzen kOnoeo.]
Tiktin, H., Rumänisches Elementarbuch. Sammlung roman. £le-
mentarbflcher, hg. voo W. Meyer-LObke. I. Reihe: Grammatiken. Heidel-
berg, C. Winter, 1905. VIII, 228 S. M. 4,80.
Vetter, Th., über russische Volkslieder. LXIX. Neujahrsblatt zum
Beeten des Waisenhauses in Zürich für 1906. Zürich, Fftsi & Beer, 1906.
31 S.
Kawraysky, Dr. Th. v., Russisch -Deutsche Handelskorrespondenz
(GOschens E&ufminnische Bibliothek, Band 7). ^Leipzig, GOacben, 1905.
VII, 259 8. M. 3.
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AKcmv
FÜE DAS
STUDIUM DER NEUEREN SPIIACHEN
UND LITERATUREN
BEGROWDET von LUDWIG HERRIG
HEKAUSGEaEBEN
VON
ALOIS BRANDL UND HEINRICH MORF
CXVI. BAND, DER NEUEN SERIE XVI. BAND
3. u. 4. HEFT
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BRAÜNSCHWEIG
BRBITK9TRA88K S
DRÜCK UND YERLAO VOK GEORGE WE8TERMANN
1906
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Heimat und ßSSail^^^^jBSBat^^ Gediehte.
Das isländische Sondergat
Alles, was wir an eddischer Dichtung im weitesten Sinne
besitzen, geht auf engeren Raum zusammen als der Minnesang
der Manessischen Handschrift oder als die dänischen Folkeviser
in einer der grofsen Sammlungen des sechzehnten Jahrhunderts.
Aber in weit höherem Grade erhalten wir von der Eddapoesie den
Eindruck: diese wenig umfängüche Dichtmasse ist nicht der Er-
trag einer ^Schule^ sie entspringt nicht einer kurzen Eunst-
blüte in einem begrenzten Kreise. Innerlich ganz verschiedene
Gebilde sind hier zusammengetreten; mehrere Kulturschichten
lagern übereinander, zeitlich und vielleicht auch räumlich ent-
legenes.
Wenn dies in den Literaturgeschichten nicht klar hervor-
tritt, liegt es daran, dafs man den Gegensatz der Gattungen
nicht genügend herauszuarbeiten pflegt. Die stoffliche Grup-
pierung, wie sie einem isländischen Sanmiler des Mittelalters
naheliegen mufste, übt immer noch ihre Macht. Wir sind ge-
wohnt, Frymskvida und Alvlssmäl als Nachbaren zu sehen: zwei
Lieder von dem Gotte Thor, aber zwei Lieder von so grofsem
geistigem Abstände, wie er in der ganzen reichen Folkeviserdich-
tung nicht auszumessen ist.
G. Yigfiisson, der eine höchst selbständige, gedankenreiche
Gliederung und Aufteilung unserer Dichtwerke unternahm, wurde
durch seine Lieblingsidee von der britannischen Heimat zu einer
starken Verkennung des isländischen Anteils geführt. Jessen
seinerseits hatte das Späte, Meistersingerische, Isländische an der
Eddadichtung vortrefflich empfunden, und sein Fehler lag wohl
nur darin, dafs er den doch nicht so geringen Bruchteu, den
jene Beiwörter nicht treffen, unterschätzt hat.
Ich beschränke mich hier auf die eine Fragestellung: wie
weit äufsert sich in den Eddagedichten die besondere literarische
Kultur Islands? Dabei gehe ich von diesen Erwägungen aus.
Island hat in der Überlieferung der Eddapoesie nicht blofse
Schreiber- und Sammlerdienste versehen. Was man im dreizehnten
Jahrhundert aufzeichnete, hatte der Hauptmasse nach vorher im
Munde isländischer Männer gelebt, und ein Teil dieser Poesie
▲ichi? f. n. Spnuduoi. CXVl. 17
250 Heinutt und Alt» der eddischen Gedichte^
ist sicher auf Island und nirgendwo sonst gedichtet worden:
darin sind alle einig, so yerschieden sie sonst über die Herkunft
der Lieder denken. Ob man nun den isländischen Ursprung
auf die jüngeren oder jüngsten Gedichte beschränkt und diese
als uneigentUche Eddalieder bezeichnet, gleichviel, man erkennt
an, dafs Island zu einer Zeit seine besonderen literarischen Be-
dingungen hatte, und dafs diese ihren Beitrag lieferten zu der
eddischen Familie. Ebenso wird das Folgende einleuchten. Die
Isländer hatten anfangs die gleiche Dichtkunst wie das Mutter-
land Norwegen und wie die übrigen Siedelungen mit norröner
Gesellschaft. Es gab einen Zeitraum der gemeinwestnordischen
Dichtgattungen: die einzelnen Länder hatten sich literarisch noch
nicht zur Sonderart entwickelt. Wie lange dieser Zeitraum auf
Island dauerte, kann man nicht aus unmittelbaren Zeugnissen
bestimmen. Am besten denkt man sich die Grenze um das
Ende der Sagazeit, als die noch im Heidentum herangewachsene
Generation, der Gode Snorri und die anderen Helden der Bauem-
romane, ins Grab gesunken waren. Auch für Norwegen bildet
diese Zeit einen wichtigen Einschnitt. Also bis ungefähr 1030,
nehmen wir an, dichtete man auf Island in annähernd denselben
Gattungen wie in Norwegen und den anderen norrönen Ländern.
Um bei den Eddagedichten, die mutmalslich in diesen älteren
Zeitraum fallen, zu unterscheiden zwischen norwegischer, islän-
discher, britannischer Heimat, kann man nicht die durchgreifen-
den Züge der poetischen Gattung befragen: nur von Einzelheiten
in Inhalt und Form kann man Aufschlufs erhoffen. Aber die
bisherigen Ergebnisse, die unbefangener Prüfung Stich halten,
sind gleich nufi. Diese traditiongebundene, gegenwartfeme Dich-
tung erlaubt so selten den Schlufs: dieses Bild, diese Sitte hat
der Dichter im eigenen Lande gesehen. Und den dichterischen
Sprachgebrauch des neunten und zehnten Jahrhunderts kann
man nicht nach der Jahrhunderte jüngeren Prosa Norwegens
lyid Islands beurteilen. Es wird sich wenig von dem Satze ab-
ziehen lassen: die Eddalieder der älteren Schicht können alle
aus Island stammen, aber keines braucht aus Island zu stam-
men. Es haben sich eben noch keine nur-isländischen Merk-
male herausgebildet
In dem jüngeren Zeitraum wird dies anders. Während die
eddische Dichtkunst im Mutterlande ausstirbt, bleibt sie auf
Island am Leben, und zu den alten Gattungen, die weiter ge-
pflegt werden, treten neue: die nur-isländischen Gattungen.
Dafs auch norröne Vikingreiche auf britannischem Boden
ihre besonderen Spielarten der Eddakunst entwickelt haben, ist
recht wohl möglich; es mag — als Gegenstück zu den nur-
isländischen — nur-orkadische, nur-irische, nur-manzische Gat-
Heimat und Alter der eddischen (Gedichte. 251
tiiDgen gegeben haben. Die Kulturmischungen in diesen Reichen
mögen im zehnten und elften Jahrhundert sehr eigenartig ge-
wesen sein. Dafs jedoch ein Teil der uns überlieferten Edda-
poesie diese nur - britannische Gesittung spiegle, dies ist nicht
glaubhaft gemacht worden. Die Heimatsfrage bei den Edda-
gedichten kann so gestellt werden: gemeinwestnordisch
oder nur-isländisch? das ist nach dem Gesagten gleich-
bedeutend mit: eine ältere Schicht, bis ungefähr 1080, wo noch
die alten gemeinsamen Gattungen gepflegt wurden und nur selten
ein Anhalt für die engere Heimat sich bietet — und eine jüngere
Schicht, nach 1030, wo das isländische Sondereigentum erkenn-
bar wird.
Von Grönland, dem Ableger Islands, sehe ich hier ab. Mit
Symons, Lieder der Edda, S. CCXCV ff,, bin ich der Meinung,
dafs die grönländischen Atlamäl mit ihrem ganz für sich stehen-
den spradilichen Stile eher dagegen als dafür sprechen, dafs
noch andere Lieder die gleiche Heimat haben. Die Benennung
des älteren EtzeUiedes, der Atlakvida, als groenlenzk braucht
nicht mehr auszusagen, als dafs dem Sammler das Gedicht durch
einen Grönländer zukam (Ranisch, Eddalieder, S. 14): was aus
Grönland kam, war 'grönländisch'; den Entstehungsort zu er-
mitteln, waren weder der Sammler noch sein Gewährsmann in
der Lage.
■
Als die alten, gemeinwestnordischen Eddagat-
tungen darf man betrachten: das unmittelbar erzählende Lied
(Ereignislied) mit Inhalt aus der Götter- und Heldensage, und
zwar sowohl in der doppelseitigen Darstellungsform wie in der
reinen Redeform. Ferner die Mehrzahl der spruchhaften Gat-
tungen: einzelne Spruchstrophe, ethisches Lehrgedicht, runatal,
rituale Verse u. a. Fraglich scheint mir, ob ebenfalls zu dem
gemeinsamen Grundstock zu rechnen sind: die monologischen
VisionsUeder; die Scheltszenen in sagenhaftem Gewände;^ die
Novelletten mit gnomischer Spitze (wie die Odinsbeispiele).
Dafs diese gemeinnorrönen Gattungen zum Teil gemeinger-
manisch sind, und dafs ostnordischer, ja selbst südgermanischer
Ursprung eines Eddaliedes in den Bereich des Möglichen fällt,
sei nur im Vorbeigehen angemerkt. Der Satz, auf den man
sich geeinigt hat: 'unsere Eddagedichte sind westnordisch und
nicht älter als etwa 830' erleidet ja die bekannte Einschränkung:
'die Eddagedichte in der vorliegenden Gestalt,' und diese Ein-
» Holger Pedersen {B\istshrift tu Usnng, Kbh. 1900, 8. 185 ff.) führt
den Männervergleich, tnannig/midry auf irische Anreeune zurück. Dies
würde nicht auMchlieiBen, dafs schon im neunten una zehnten Jahrhun-
dert sagenhaft eingekleidete Mannervergleiche als gemeinnorröne Dichtart
vorkamen.
17»
252 Heimat und AHcr der eddischcai Qedidite.
BchränkiiBg kann einer Aufhebung recht nahe kommen — man
denke an dänische Balladen in isländischer Gestalt und ähnlidies.
Ein Gedicht ist nicht nur eine Kette von Wörtern, sondern auch
ein Aufbau yon Szenen, Charakteren usf., und für diese geistigen
Werte haben die Zeitgrenze 830 und die Sprachgrenze westnor-
disch keine unbedingte Geltung. Damit soll das Gewicht der
tiefer liegenden Merkmale, wie der Landschaflsbilder, nicht ver-
ringert werden.
Jene alten Gattungen haben auf Island auch in dem jün-
geren Zeiträume schöpferische Pflege gefunden. Daher bleibt
bei jedem einzelnen Gedichte zunächst die Frage offen, ob es
der ersten, norrönen, oder der zweiten, isländischen Periode zu-
falle. Die Zugehörigkeit zur alten Gattung gibt nur die Mög-
lichkeit alten Ursprungs, Einzelmerkmale müssen hier ergän-
zend eingreifen. Die Hymiskyida und das Innsteinslied nenne
ich als zwei Vertreter des alten Ereignisliedes (doppelseitig und
einseitig), die für die jüngere, isländische Schicht in Anspruch
zu nehmen sind.
Als die isländischen Neubildungen, die nur-islän-
dischen Gattungen, sehe ich folgende an:
I. Die heroische Elegie, das mehr oder weniger lyrische
Situationsbild oder Rückblicksgedicht (seltener Traum- und Weis-
sagungslied); die folgerichtigste Form der rein monologische
Ichbericht
Die Gattung ist ohne Zweifel etwas Jüngeres und bringt in
die germanische Heldendichtung neue Gebilde herein. In Deutsch-
land fehlt jede Spur derartiger Versuche; von den englischen
stabreimenden Elegien lassen sich überhaupt nur Deors Klage
und das erste sogenannte Rätsel vergleichen, aber der Unter-
schied ist viel gröfser als die Verwandtschaft Erst die Ballade
bringt dann wieder ähnliche Rückblickslyrik. Die Annahme,
dafs diese eddische Kunstweise erst in der christlichen Zeit, nach
dem rauhen heroischen Sagaalter, aufkam, hat gewüs innere
Wahrscheinlichkeit Wenn wir sie Norwegen absprechen, so be-
ruht das auf der Erwägung, dafs in Norwegen seit der christ-
lichen Zeit die eddische Kunstpflege allmählich erlosch, so wie
die alte Sagendichtung in England und Teilen von Deutschland
früh dem Untergang verfiel. Es ist im Zweifelsfelle nicht an-
zunehmen, dafs diese niedergehende norwegische Kunstübung
noch den neuen Schofs der lyrisch-seelenmalenden Gedichte ge-
trieben habe. Diese Elegien stehen zwar den alten Heldenstoffen
innerlich ferner (die Dichter blicken aus Abstand auf die grofsen
Schicksale, sie fühlen sich nicht mehr naiv mitten drin); aber
zugleich setzen sie bei Verfasser und Hörer eine sehr lebendige
Sagenkunde voraus: die leisesten Anspielungen rechnen auf Ver-
ständnis und Mitgefühl. Man vergegenwärtige sich die andeu-
Heimat nnd Alter der eddiBchen Qedichte. 258
tenden Bückblicke in der Gudrüiiarhy9t oder im Oddrdnargr&tl
Der Boden, der diese Gedichte trug, mufs von der alten Sagen-
poesie voll bestrahlt gewesen sein. Das trifft für diesen späteren
Zeitraum doch wohl am besten auf Island zu.
Doch sei nicht verschwiegen, dafs Axel Olrik hierüber
anders denkt Er hält z. B. Starkads Sterbelied (Saxo S. 397)
für norwegisch; Arkiv 10, 278.
Die Blüte dieser Elegien möchte wohl noch ins elfte Jahr-
hundert fallen: die Gudrun-, Oddrun-, Brynhildrückblicke der
alten Sammlung. Wenn man die zweite Gudrunarkvida früher
ansetzt als die Verwandten, so geschieht es unter dem Druck
der Bezeichnung en forna. Das Lied selbst könnte nicht auf
den Gedanken fuhren, dafs wir hier auf einer altertümlicheren
Stufe stehen, *auf der Grenze älterer und jüngerer Kunstübung*
(Symons a. a. 0. S. CCLXXV). Stilgeschichthch ist der Monolog
ohne Rahmen gewifs das spätere gegenüber der Form von
Gudrünarhv9t usw., wo man noch an die unmittelbare Erzäh-
lung alten Schlages anknüpft. Die männlichen Elegien, aus-
genommen vielleicht die des Starkad, fallen nicht früher als das
zwölfte Jahrhundert, desgleichen aus dem Liederbuche das
'Traumlied', umschrieben in der V9lßungasaga c. 25.
IL Die zweite isländische Neubildung sind die Sagaein-
lagen.
Auf Island erwuchs der prosaische Heldenroman (Fomaldar-
saga). In seine Prosa konnte man Strophenreihen einlegen,
episch-lyrischer, eristischer, spruchhafter Art. Zuweilen nahm
man diesen Schmuck von älteren, selbständigen Gedichten: un-
zweideutige Beispiele in der Y9lsunga8aga und mancherorts bei
Saxo. In diesem Falle sind Alter und Heimat der Strophen
unabhängig von Zeit und Ort der Saga, öfter aber sind die
Verseinlagen von Anfang an für die (mündliche) Saga gedichtet
worden: auch wo sie vollständig vorliegen, sind sie nach um-
fang, Gehalt oder Abrundung nicht befähigt, für sich allein
vorgetragen zu werden. Sie können wohl jünger, nicht aber
älter als ihre Saga sein. Ihre Heimat bestimmt sich nach der
der Saga.
Die Gattung Fomaldarsaga hat ihre Voraussetzung in der
geschichtlichen Saga der Isländer, in den IslendingasQgur und
KonungasQgur. Danach müssen wir den Heldenroman samt sei-
nen (untrennbaren, unselbständigen) Verseinlagen zu den nur-
isländischen Gattungen rechnen. Die besonders von Olrik ver-
tretene Auffassung, dafs Saxos Fornaldars9gur mit ihren Strophen
norwegische Schöpfungen seien, müfste das gesamte Bild der
altnordischen Prosa- und Dichtkunst umgestalten; im Zusammen-
hange der ganzen Literaturentwickelung ist diese Auffassung
noch nicht begründet worden.^
254 Heimat und Alter der eddiecbeD Gedichte.
Saxo gibt uns den sicheren terminus ad quem: im zwölften
Jahrhundert hat der mündliche isländische Heldenroman mit
Sagaeinlagen mannigfacher Art in voller Blüte gestanden. Die
Mehrzahl der Stücke in den Eddica minora darf man dem
zwölften Jahrhundert zuschreiben. Einiges ist später; diese an
die Prosa angelehnte Kleinkunst enthält die letzten Ausläufer
der eddischen Familie und reicht noch über das Jahr 1300 herab.
Das älteste Zeugnis für die Forualdarsaga mit Yerseinlagen,
SturL If 19 f., gilt dem Jahre 1119. Sehr viel älter wird der
Heldenroman nicht gewesen sein.
Unmittelbarer irischer Einflufs auf unsere Gattung ist schwer-
lich anzuhehmen, doch mittelbarer, indem die Vorgängerin^ die
geschichtliche isländische Saga, vermutlich einen Anstofs von
den iris^en Prosaerzählern empfangen hat
Man darf, wie mir scheint, die Frage aufwerfen, ob nicht
auch einzelne Teile des eddischen Liederbuches als Sagaeinlagen
entstanden sind. Ein Lied wie die Helreid Brynhildar könnte
man sich gut als Schmuck einer älteren mündlichen ^Sigurdar-
saga' gedichtet denken. Auch bei etlichen Strophengruppen in
den Komplexen Helg. Hi9rv. und Helg. Hund. II kann sich der
Z^^eifel regen, ob sie denn notwendig aus geschlossenen Lied-
kompositionen losgesprengt sind (die Zahl der Helgilieder wäre
unheimlich grofs); ob sie nicht eher den losen Schmuck einer
Saga bildeten. Bei den fünf Weissagestrophen der Vögel in
den Fafnismäl 40 ff. entgehen wir manchen Schwierigkeiten durch
die Annahme, dafs diese Verse, die als Abschlufs eines Fafhis-
liedes ebenso unmöglich sind wie als Einleitung eines Sigurds-
UeJes (geschweige eines Sigrdrifaliedes) — dafs sie von Hause
aus lose Strophen waren, dazu bestimmt, in einer zusammen-
hängenden 'Sigurdarsaga' von der Drachengeschichte zu der
Brynhildsage überzuleiten.* Dann braucht nichts von der Stro-
phengruppe verloren zu sein, wie ich in der Festschrift für Paul
S. 29 angenommen hatte. Chronologische Bedenken treten diesen
Vermutungen nicht entgegen: die hier in Frage stehenden Dich-
tungen müssen nicht älter sein als die Frühzeit der Fomaldar-
S9^ur, das beginnende zwölfte Jahrhundert. Und dafs der be-
liebteste aller Helden, Sigurd, seine mündliche Saga bekommen
hatte lan^e vor unserer Vplsungasaga, das hat man auch von
anderen Elrwägungen aus vermutet
* Auf die Strophen folgte Sigurds Ritt zu Gjuki, die Verm&hluns und
weiter die gemeinsame Werbungsfahrt zu Brvnhild, kurz der Inhalt der
Brynhildsage: dies entspricht der klaren Beikenfolge in den Weisaafl
atrophen, gegen deren Verrückun^ Symons mit Recht eingetreten ist (^
f,d, Phü, 24 f 20). Indem der Lieoersammler die sogenannten Sigrdilfumä
einschob, durchbrach er den von den fünf Strophen skizzierten Ghmg der
Begebenheiten.
Heimat und Alter der eddischen Gedichte. 255
III. Das Beiwort 'nur-isländisch' gebührt am allermeisten einer
dritten Gruppe, die freilich recht verschiedenartige Stücke beher-
bergt. Es ist die antiquarische Gelehrsamkeitsdichtung, die islän-
dische Meistersingerei, die philologisch angehauchte Eddapoesie.
Das entlegene kleine Volk, dessen höherer Lebensluxus fast
ganz in den Werken seiner Sprache bestand und das nachgerade
auf einen reichen Schatz von Überlieferungen aus drei Jahr-
hunderten zurückschaute, schuf eine heimische Altertumskunde,
Poetik und Sprachlehre. Das Ziel war, zu sammeln und ord-
nen, zu erklären, zu ergänzen und nachzuahmen.
Ihren Gipfel gewann diese einzigartige Kulturbewegung in
dem Zeitalter und dem Werke Snorri Sturlusons. Seine Edda
fällt in die zwölfhundertzwanziger Jahre. Nicht lange danach
entstand das eddische Liederbuch, um 1250 die Grammatik des
Olaf hvitaskild.
Die Anfänge liegen vier Menschenalter früher, bei Ari und
Ssemund, den ersten isländischen Schriftsteltem und Historikern.
(Den Beginn der Schreibezeit setzt man 1117/8.) Die kleine
Notiz in Aris Libellus Islandorum, Anhang II: •Yngve Tyrkia
conungr. Ni9rl)r Svia conungr^ wirft einen dünnen hellen Licht-
strahl auf die Tatsache, dafs die Väter der isländischen Gelehr-
samkeit nicht nur exakte Historie trieben, sondern auch über
die alte Göttersage sich ihre Gedanken machten und die euhe-
meristische Theorie ausheckten, die uns dann bei Snorri und in
Andeutungen bei Saxo begegnet. Und derselbe Anhang des
Libellus zeigt uns, dafs man schon die zeitlose Heroendichtung
durch lange Stammbäume mit den isländischen Grofsbauern ver-
knüpft hatte.
' In denselben anderthalb Jahrhunderten, als auf Island diese
heimische Philologie blühte, hatte Norwegen an vaterländischen
Traditionen so gut wie nichts in die Scheunen zu bringen, die
Rechtsdenkmäler ausgenommen. Als sich endlich unter Hakon IV.
ein weltliches Schrifttum einbürgerte, da war es eine ganz der
Gegenwart zugekehrte Ritterprosa. Auf den norwegischen Königs-
spiegel wirft kein Götter- und Heldenaltertum — es sei denn
das der Bibel — seine Schatten.
Snorris Edda ist halb ein gelehrtes Buch, halb ein Kunst-
werk. Es gilt von dieser isländischen Scholastik im allgemeinen:
Wissenschaft und Dichterei, Forschung und Spiel, Sammeln und
Schaffen gehen wunderbar durcheinander. Ein Teil der islän-
dischen Gelehrsamkeit ist in eddischen Dichtformen niedergelegt
und bildet den Ausschnitt der Eddafamilie, dessen Umfang wir
hier überschauen wollen. Diese Dichtungen geben sich zum Teil
un verhüllt lehrhaft; öfter aber ist es die Art der Unterhaltungs-
poesie, und manche dieser Stücke mögen sich über die lesekun-
digen Kreise hinaus verbreitet haben und volkstümlich geworden
256 Heimat und Alter der eddiBchen Gedichte.
sein wie die alten naiyen Erzählungen in Vers und Prosa. Eine
gewisse Altertumstracht bewahren sie alle. Aber mit Unter-
schied: die einen gehen mehr auf täuschende Nachahmung aus,^
die anderen scheuen sich nicht, in Inhalt oder Aufbau Ton den
älteren Liedern Tühlbarer abzuweichen.^
Diese isländische Gelehrsamkeit, in ungebundener und ge-
bundener Form, hat den Geist des germanischen Altertums weit
hinter sich gelassen, auch wo ihr Gegenstand altgermanische
Götter und Helden sind. Die Denkarbeit, die hinter diesen
Schöpfungen steht, hat oft etwas erstaunlich Modernes und —
man möchte sagen — spielerisch Freies. Die Einwirkungen der
Fremde gehen tiefer: schon jener *Tyrkia conungr* ist ja nicht
in isländischem Garten gewachsen! Gleichwohl zeigt sich die
Selbständigkeit der Isländer nirgends so greifbar wie auf diesem
antiquarischen Felde. Was aus der Eddadichtung hierher fällt,
das sind fast lauter Unika — man darf vielleicht sagen: in der
Weltliteratur. Was keinen Preis des künstlerischen Wei'tes be-
deuten solL Hier ist nun die Geisteskultur der Insel von der
gemeinnorrönen Vikinggesittung weit, weit weg gerückt.
In diese gelehrte Gruppe und damit ins zwölfte und drei-
zehnte Jahrhundert gehört unbestritten die Hauptmasse der
Pulur, d. i, der in Verse gebrachten Namen- und Vokabel-
reihen. Vier Handschriften der Snorra Edda überliefern bei-
läufig 170 Strophen mit 2600 Vokabeln, von verschiedenen Vers-
machern herrührend; vgl. F. Jönsson, Lit, 2, 171 ff.; auch Bugge,
Arkiv 16, 31 hat sich für isländischen Ursprung dieser Namen-
haufen erklärt. Auch die umfänglichen I^ulabestandteile im ed-
dischen Liederbuche, als Einschiebsel zumal in der Vsp. und
den Grimn., sowie die beiden Pulur in den Skäldskaparmäl
brauchen nicht älter zu sein als das zwölfte Jahrhundert. Doch
ist kein Zweifel, dafs die Pulaform in anspruchsloser Verwen-
dung ein uraltes Mittel der gedächtnismäfsigen Überlieferung ist
{EM. S. LXXXIX). Auch die Liste der norwegischen Sv9ldr-
kämpfer mit 43 Namen (dazu noch Orts- und Vaternamen), also
schon recht stattlichem Umfange,' mag inmierhin bald nach dem
geschichtlichen Ereignis (a. 1000; in Verse gebracht worden sein,
am ehesten doch wohl von einem isländischen Sagamann: um
die Namen, die ein historischer Vorfall gleich schon vereinigt
an die Hand gab, zu ein paar Memorialstrophen zu ordnen,
brauchte es keine sammelnde Gelehrtentätigkeit, keine besondere
literarische Kultur.
* Vsp. ßk., H^ndL, ßvipd.
* Alv., RlRsf)., auch Grip. (die neben den alteren Sigurdsgedichten als
etwas entschieideD Neues gewirkt haben muls), die f)ulur.
» Oddr, Ol. Tr, 1Ö53, 8. 55 f. 64 f., 1895 ß. 104; Wer. 1, 425 f.; vgl.
übrik, Arkiv lü, 267 ff.
Hdmat und Alter der eddischen Gedichte. 257
Dagegen als ein bezeiclinendes Werk der isländischen Meister-
singerei betrachten wir die grofse Bräyalla|)ula^ d. i. die Liste
der Krieger, die unter den Sagenkönigen Harald HilditQnn and
Hring die Völkerschlacht auf den Brävellir mitmachten. Wir
kennen sie aus Saxo S. 376 fif. und einem isländischen Saga-
bruchstück (S9gubrot) Fas. 1, 379 ff. Verschiedene Forscher,
am einläfslichsten Olrik, Arkiv 10, 223 ff., haben die Herstel-
lung der zu Grunde liegenden Verse unternommen.
Es ist eine ansehnliche Namenmasse: im SQgubrot zählt
man an die 100, bei Saxo an die 170 Namen, die Vatemamen
mitgerechnet; dazu noch viele Beinamen und Ortsnamen. Die
l^ula verteilt diese Kriegerscharen auf die Ostseeländer, Nor-
wegen und Island. Um überlieferte Gestalten der HilditQnnsage
handelt es sich hier nur zum allerkleinsten Teile: der Verse-
schmied mufste die Nunmiem seiner Liste selbst erst schaffen.
Wir haben hier keine lexikalische, keine Sammell)ula; man kann
es eine Phantasiepula nennen.
Aber der Dichter hielt sich, um die Menge von Namen
guten Klanges zusammenzubringen, an die Überlieferungen aus
Sage und Geschichte. Sein Gedächtnis umfafst einen erstaun-
lich weiten Stoffkreis. Aus Heldensage und Heldenroman sind
ihm bekannt: der Kreis der älteren Skiöldunge: Biarki Str. 14,
vielleicht Skale Scanicus Str. 2 (vgl. Saxo S. 92); der Kreis der
Ynglinge: Yngvi .,. Älfr ... Alreks synir Str. 23, Adils ofläti
frä Upps9lum Str. 24, Ali Str. 23 (Müllenhoff, DÄk. 5, 354),
Saxi flettir Str. 13; aus Hildit9nns Jugendtaten holt er das
Paar Dalr eun digri, Dükr vindverski Str. 5 (= Duc et Dal,
duces Sclavorum, Saxo S. 366), während der Übbi enn frfski
Str. 5 (= Ubbo Fresicae gentis athleta, Saxo S. 366) seinen
älteren Standort in der Brävallaschlacht haben mag; die Arn-
grimssöhne bieten einen Büi Brämason Str. 5, vielleicht auch
Barri ok Töki Str. 4; aus der Hildesage stammt Hedinn miövi
Str. 9, von dem Hundingstöter Helgi: H9dbroddr Str. 10, aus
der Hunnenschlacht Humbli Str. 8; die Starkadsagen liefern ihm
Beigadr und Haki Str. 4, Visna Str. 7, Hama Str. 8 (25), die
synir Beimuna Str. 10; aus der Hälfsdichtung bezieht er Styrr
enn sterki und Steinn Str. 13, Hrökr svarti Str. 14 (sind auch
die dicht hintereinander stehenden Hreidarr-Hrolfr kvennsami-
Hringr Str. 15 ein Nachklang der Gruppe Hreidarr - Hi9rleifr
kvennsami-Hringia in der Hälfssaga?); Ragnarr lodbrök stellt
Amr und Ella Str. 1; Qrvar-Oddr erscheint als Oddr vidf9rli
Str. 20, vielleicht Eirfkr mälspaki (Ericus disertus) als S9gu-
Eirfkr Str. 19.
Dann die Entlehnungen aus der Geschichte, den Konunga-
89gur: Haki aus Hadaland Str. 10: Haki Hada-berserkr Hkr, 1,
91; die Thelemärker Haddr ennjhardi, Hröaldr tä Str. 17:
258 Heimat und Alter der eddiBchen Gedichte.
Hröaldr hrjrggr ok Haddr enn hardi, broedr iTeir af Pelam9rk
Hkr. ly 123; i^örir moerski Str. 18: Pörir, R9gnTaldB son Mce-
raiarls Hkr. 1, 131; Töki af lömi Str. 7: Pdlna-Töki (Bugge
yermutet Str. 2 Aki af Fiöni: Bruder und Sohn Pdlna-Tökis
Fms. II9 43. 55); vier Namen bezw. Beinamen aus der ST9ldr-
liste (s. 0.) Str. 19. 20; Erlingr sn&kr Str. 20: Erlingr Skialgs-
son -Y Eyyindr sn&kr bei Sv9l£; Sigvaldi mit elf Schiffen Str. 26:
iarl Sigvaldi mit elf Schiffen bei Sy9ldr Hkr. 1, 434; Holti und
R9gnvaldr ryzki Str. 25 : Namen der russischen Dynastie, s. Olnk,
S. 255; (Gardr) Stangbüi Str. 2: (Haquinus) e yilla Stangby
a. 1026, Saxo S. 517; Lsesir Str. 25: der pohlische Stamm Lcesir
in einer Strophe Piödolfs Hkr. 3, 76.
Um die zwei Strophen (Nr. 3 und 21) mit isländischen
Kriegern und Skalden zu füllen, sammelt der Verfasser Namen
aus isländischen Familien: Brandr, Blceingr, Torfi, Teitr, Tyr-
fingr, Hialti, vgl. das Register der Landn&mabök, und er lügt
die isländischen Buchten Midfi9rdr und Skagafi9r^ bei. Er er-
innert sich des isländischen Skalden Glümr (Geirason) aus dem
zehnten Jahrhundert, und die zwei Hoidichter Haralds des Ge-
strengen, Grani und Illugi Bryndcelask&ld, verschmelzen ihm zu
einem Grani bryndoelski. Das Paar Bragi - Hrafnkell Str. 21
scheint auf den alten Skalden und den von ihm angeredeten
Hrafnketill zu deuten. Aber auch unter die norwegische Kriegs-
mannschaft stellt der Autor ein paar Namen, die man aus der
isländischen Besiedelungsgesohichte kannte: Alfr enn egdski
Str. 20, Sigurdr svfnh9mi Str. 19, vielleicht auch Hafr-Biarni
Str. 18 (Hafr-Bi9rn Ldn.), Grettir Str. 17, Hi9rtr Str. 4.*
Es fällt dem Dichter nicht ein, seine Statisten persönUch
gleichzusetzen ihren aus Sage und Geschichte bekannten Namens-
vettern. Er weifs recht wohl, dafs der alte Biarki, der Hr61£s-
held, oder der Jarl Sigvaldi, Olaf Tryggvasons Vermter, nicht
auf den Br&vellir gekämpft haben. Die Absicht war, durch die
überlieferten Namen einen allgemeinen Schimmer von Vorzeit
auszubreiten; im einzelnen nachrechnen durfte man der Blüten-
lese des Verfassers nicht Darum mischt er auch sorglos Namen
und Beinamen und nimmt sich Freiheiten in der Heimatsangabe:
Amr und Ella sind bei ihm Süddänen, die Häliskrieger Styrr
enn sterki und Steinn erscheinen als Westgauten, Bragi und
Hrafnkell stehen unter den Isländern u. dgl. m. Daneben sorgt
er doch dafür, dafs die verschiedenen Volksstämme gewisse kcDU-
zeichnende Namenklänge erhalten: Sveinn, Hröi, Tümi sind Dänen,
Gautr und Guti sind Gauten, Gnizli und Grenzli sind Wenden.
* Für die obige ZusammenBtellang benutzte ich aulser Olrik und den
^ ' ' *• "•' ift von S. Bugge: Noräk ^ ' ' "'"
lag mir bis & 160 vor.
dort genannten Arbeiten die Schrift von S. Bugge: Narsk SagafortcBlling^
Kristiania IDOl ff., S. 78 ff. Sie las mir bis & 160
Heimat und Alter der eddiBchen Gedichte. 259
Poesie wird man diese absonderliche Schöpfung nicht wohl
nennen. Aber es ist eine Art von Gelehrsamkeit und kunst-
reichem Spiel, die nicht immer und überall im Mittelalter gedieh,
sondern ihre sehr mannigfachen und eigenartigen Voraussetzungen
hat Dieses Stolzstück der I^uladichtung gehört in das Land
der I^ulur, das Land der Fomaldars9gur und Konungas9gur, Is-
land, und sehr lange vor Saxos Gesta Danorum wird es das
Licht des Tages nicht erblickt haben.
Diese Heimat- und Altersbestimmung steht in Widerspruch
mit den Ergebnissen Olriks und S. Bugges. Die beiden Forscher
sind einig darin, dafs die grofse I^ula zusammengehört mit der
epischen Schilderung der %r&yallaschlacht; die beiden Stücke
bilden zusammen eine Dichtung, das Brävallalied, dessen Spie-
gelbild wir in den Prosen Saxos und des Sogubrot besitzen.
(So weit stimmt auch G. Storms und MüUenhoffs Ansicht^ Die-
ses umfassende Br&vallalied stamme aus Harald hardräais Zeit
(t 1066). Olrik erschliefst einen norwegischen Dichter aus Thele-
marken und legt die Abfassung um 1050. Bugge denkt an einen
Norweger oder Isländer (a. a. 0. S. 110), entscheidet sich dann
aber für den Thelemärker (S. 128); dieser habe im Spätsommer
1066, auf König Haralds Fahrt nach England, unser Br&yalla-
lied verfafst unter Benutzung einer älteren, personenärmeren
Br&yalladichtung.
Die Beurteilung der Frage verschiebt sich zunächst da-
durch, dafs wir in dem epischen Schlachtberichte bei Saxo und
im S9gubrot keine Wiedergabe eines Liedes, sondern eine saga-
mäfsige Stoffgestaltung erblicken. Dabei lege ich kein Gewicht
darauf, dafs Saxos Ausdrücke (Danico digessit eloquio; cuius
seriem pro more patrio vulgariter editam digestamque; belli
huius seriem sermone patrio edidit) entschieden gegen ein ^Car-
men' sprechen. Denn das entscheidende ist nicht, dafs Saxo
keine Verse zu Ohren bekam, sondern dals die Erzählung inner-
lich nicht liedhaft beschaffen ist.
Nehmen wir die Züge, die beiden Quellen gemein sind oder
nach innerer Wahrscheinlichkeit der gemeinsamen Vorlage ge-
hört haben, und sehen wir ab von verdächtigen Zutaten wie
den Adhortationes der zwei Heerführer bei Saxo. Dann finden
wir eine Darstellung mit grofsem strategischem Apparat, mit viel
Zahlen und Namen, mit einer Reihe individualisierter Kämpen-
taten in der Schlacht: Ubbis Waffengänge — StarkaA — die
Thelemärker Hadd und Hröald — die Schildmaid Vebi9rg —
Starkad überwindet acht bis zehn mit Namen Genannte. Und
als Kehrseite: sehr wenig direkte Rede oder Anlafs zu solcher;
die Haupthandlung, das Schicksal des alten Hildit9nn, durch
das Massen- und Kämpenbeiwerk an den Anfang und Schlufs
gedrängt
60 Heimat nnd Alter der eddischen Gedichte.
Den Ma&stab dafSr, wie nordische Heldenlieder eine gröfsere
Schlacht zur Darstellung brachten, müssen wir entnehmen dem
Gedichte von der Hunnenschlacht und der Helg. Hund. I, in
zweiter Linie den Biarkamäl und dem Vfkarsb&lk (Str. 7 — 15\
Der Abstand unseres Schlachtberichtes ist so grofs, dafis eine
von Grund aus sagamäfsige Formung anzunehmen ist. Die sehr
nahen Berührungen zwischen Saxo und dem S9gubrot erklären
sich dann hier ebenso wie z. B. in der Hrölf Krakigeschichte:
eine isländische Sagaprosa hat sich erst kurz vor der beidsei-
tigen schriftlichen Fixierung genabelt zu der dänischen ^Über-
lieferung einerseits, der isländisdien anderseits.
Dafs HilditQnns Ende in der gewaltigen Volksschlacht ein
alter Liedinhalt war, darf man gewifs annehmen. Es ist einer
der feierlich grofsen Heroenstoffe, die sich in der guten alten
Zeit des nordischen Heldensanges geballt haben. Seinen Inhalt
wird man nicht abstrakt politisch fassen dürfen wie MüUenhoff,
DAk. 5, 348—50: er war menschlich und dramatisch, es war
das Schicksal des Odinshelden, der nach einem Leben voUer
Siege von seinem göttlichen Schützer heimgeholt wird mit einem
Valhallgefolge ohne gleichen. Über Heimat und Zeit dieser
Dichtung — sie kann in mehr als einem Liedtezte gelebt haben,
wie die Sigurds-, die Atlilieder — will ich keine Vermutung
äufsem, auch darüber nicht, wieviel sie schon von den einzelnen
Gestalten und Zügen unserer sagahaften Darstellung enthielt.
Klar sind die zwei Dinge: diese Dichtung kann kein Rückblick
des Starkad gewesen sein, kein Ichbericht; denn faUs Starkad
auftrat, war er eine nebensächliche Figur, und weiter: die Form
mufs die des doppelseitigen Ereignisliedes gewesen sein, wie in
Hunn. und HHu. I; denn der Stoff bot nicht entfernt genug
Redemöglichkeit für die rein dialogische Anlage.
Als Bestandteil eines solchen erzählenden Heldenliedes aber
ist eine Riesenl>ula mit 200 Namen undenkbar. Man stelle sich
in irgendeinem unserer doppelseitigen Eddagedichte einen solchen
Apparat vor, und man sieht sogleich die Unmöglichkeit. Die
Pula ist eiue späte Zutat der isländischen Meistersingerei. Aus
Abstand vergleichen sich die ebenfalls I>ulahaften Zutaten zu
den Biarkamäl und zu Hiä^lmars Sterbelied; die Neigung zu
Statistennamen zeigt sich femer in den isländischen Gedichten
Vfkarsbälk, Hrökslied, Sterbelied des Asbi9rn pnidi; vgl. Cph,
1, 353 ff. die 'heroic muster-roUs'. Aber in unserem Falle kam
freilich eine Namenliste von ganz anderem Reichtum und weit
höheren Ansprüchen heraus, und die Aufforderung zu einer so
ausgreifenden Arbeit lag in dem besonderen Sagenstoffe. Die
alte Hildit9nndichtung schlug den Ton an: alle nordischen Lande
mit ihren Untertanstaaten stellen Krieger zu der grofsen Schlacht,
zu dem grofsen Gefolge, das den Odinsschützling in die Yalhall
Heimat und Alter der eddischen Gedichte. 261
begleitet. Diesen Dichtergedanken setzte der Isländer in zwei-
hundert Namen um.
Fraglich bleibt, ob Starkad als Sprecher der Pula fingiert
wurde. Möglich, dafs er als Dichter — nicht als Sprecher —
des epischen Liedes galt. Dies braucht den poetischen Bericht
selber nicht berührt zu haben. Die Stellen, die den Starkad
als Gewährsmann für einzelne Begebenheiten nennen (S9gubrot
S. 383 u. ok pöttist varla . . ., S. 384; Saxo S. 388), kamen erst
mit der sagamäfsigen Verbreiterung herein. Und zwar sieht es
so aus, als ob sie einem wirkUchen Starkaägedichte, d. h. einem
RückblicksUede, entsammten. Dann möchte die Angabe, Starkad
habe unsere Brävallaerzählung verfafst, überhaupt erst eine
Folgerung Saxos sein.
Wahrscheinhch wurde die grofse Pula verfertigt, als das
epische Lied noch im Wortlaute bestand. Ob die Vortragenden
den Mut hatten, die kurze heroische Dichtung durch Einschal-
tung der 25 Namenstrophen aus den Fugen zu treiben? Viel-
leicht war man schonend genug, den gelehrten Katalog getrennt
neben dem Liede hergehen zu lassen.
Bald aber setzte der Prozefs der Sagabildung ein. Man
schmelzte dieses Lied, wie so manches andere, in ausführliche
Prosa um, und dabei verwertete man den Namenschatz der Pula.
Der epische Teil bringt, aufser den drei Hauptgestalten Harald,
Bruni, Hring, zwei Dutzend Namen, die im wesenthchen aus der
Pula stammen werden; ein paar bedeutendere Figuren können
schon dem Liede angehört haben (Starkad, Ubbi, die Schild-
maide). Alle hundert und einige Krieger der Fula in der Schlacht
anzubringen, das ging über die Kraft des Sagamannes und über
die Geduld der Hörer. Anderseits hegt es nur an Mängeln der
Überlieferung, wenn zwei oder drei Namen des epischen Teiles
in der Pula fehlen: die prosaische Ausformung geschah in Ab-
hängigkeit von der grofsen Namenreihe.
In die Saga wurde dann die l^ula im Wortlaute oder wohl
eher in leichter Prosaauflösung eingeschaltet. Für das S9gu-
brot nimmt Olrik S. 246 eine aufgelöste Form als Vorstufe an,
und auch Saxo spricht, wie wir sahen, nicht von Versen.
Wenn Olrik und S. Bugge die Brävallapula als norwegisch
patriotische Dichtung feiern, so wirft die Poesie des epischen
Stoffes ihren Glanz auf das gelehrte Anhängsel. Ein 'vocabu-
larium, secundum leges metricas digestum' ist kein sehr brauch-
bares Gefäfs für vaterländische Begeisterung — so wenig man
etwa in den Goldkenningstropen der Biarkamäl einen glühenden
Ausdruck der Mannentreue erbücken wird. Ob die uns vor-
liegende sagamäfsige Gesamtdarstellung der Brävallaschlacht als
politisch angehauchte Tendenzdichtung wirkt, darüber kann man
wohl verschieden denken. Auch die rühmliche Rolle, die den
262 Heimat nnd Alter der eddiscfaeo Gedichte.
thelemärkischeii Kämpen zufällt, wird yieUeicht als rein dichte-
rische Zierde yerständlich. In einem Schrifttum, zu dessen be-
herrschenden Zügen die Abwesenheit des Nationalismus gehört,
wird man nur zögernd das Vaterlandsgefuhl als treibende Kraft
eines einzelnen Werkes anerkennen.
Was der I^uladichter an Namen aus Harald hardrädis Re-
gierungszeit hergeholt hat, ist nicht so viel und so gewichtig,
dafs man auf einen Zei^enossen Haralds schliefsen müfste.
Und die vielen versteckten, verkleideten Anspielungen auf Harald,
die Bugge scharfsinnig herausliest, erklären sich ungezwungener
ohne diese überaus raffinierte politische Allegorie, aus der Auf-
gabe des Dichters, die dänische und die schwedisdie Streitmacht
aus recht vielen Völkern und Landschaften zu rekrutieren.
Gegen den von Bugge vermuteten Zeitpunkt der Abfassung spricht
nadidrücklich das auffallige Verschweigen der britischen Lande:
Haralds Heer hatte soeben den grofsen Zuzug von den Orkaden
erhalten (Hkr. 3, 196), und der Dichter, der unter dem Sagen-
namen Hring eigentlich Haralds Kriegerlaufbahn verherrlichte,
hätte diesen starken Gegenwartseindruck übergangen und sich
auf (vermeintliche) entlegene Anspielungen beschränkt, die ohne
Kommentar nicht zu würdigen waren.
In welche Umwelt pafst denn ein geistiges Erzeugnis wie
dieser Namenhaufe? Man kann sich ihn nicht vorgetragen den-
ken vor einem norwegischen Kriegsheere, das zur Eroberung
Englands hinübersegelte. Diese Kiiegsmannen hätten nicht das
redete Verständnis gehabt für solche Verse. Anreizung zum
Kampfe, Befeuerung der Königstreue und des Todesmutes, das
mufste ihnen in anderen Formen entgegengebracht werden. 'Er-
wacht und aber erwacht, ihr Freundesseelen . . .1', die Klänge
der Biarkamäl, das war ein Lied für Kriegsleute. Welche
geistigen Umwege mufste man nehmen, um in der Kette
von zweihundert Namen vaterländische Begeisterung durchzu-
fühlen!
Den Hörerkreis unserer I^ula denke ich mir ganz anders
beschaffen. Isländische Altertumskundige, wohlbewandert in
Prosa und Versen; Namenfanatiker. Ich sehe sie vor mir, wie
sie das neue Prunkstück ihres Kollegen bedächtig kritisch auf-
nahmen; wie sie verstehend lächelten, wenn ein Gnizli und ein
Grenzli die Wenden kennzeichnete, und bestärkend kopfnickten,
wenn die vielen berühmten Namen aus Sage und Geschichte in
dieser neuen Beleuchtung antraten. Saj^o, der brachte seine
eigenen Vorbedingungen mit für eine warme Aufnahme dieser
isländischen Scholastik. Für ihn war es urkundliche Historie
und war es Erzählung des bewunderten Helden Starkad, vater-
ländische Erzählung! Wie sollte da nicht der Landeshistorio-
graph und der Patriot in Feuer geraten!
Heimat und Alter der eddischen Gedichte. 268
Die Einwirkungen der irischen Clontarfschlacht auf unsere
Schlachtschilderung halte ich nicht für erwiesen. Doch liefse
sich dieser Teil von S. Bugges Gedankengang leicht yereinigen
mit isländischer Heimat, da die Überlieferungen Yon Clontarf
auf Island lebendig waren.
Die Pula bei Saxo bringt zwei Abteilungen isländischer
Krieger, Str. 3 und 21, die eine in HilditQnns, die andere in
Hrings Lager. Das S9gubrot hat die zweite Gruppe mit ihren
deutlichen isländischen Ortsnamen gestrichen, bei der ersten
Gruppe unterdrückt es die isländische Heimat
Li dem chronologischen Yerstofse, dafs Isländer an der vor-
geschichtlichen Schlacht teilnehmen, sieht Olnk einen Beweis,
dafs der Dichter kein Isländer war (a. a. 0. S. 260. 262).
MüUenhoff {DAk. 5, 346) und Bugge (a. a. 0. S. 118) beurteilen
es als bewufste dichterische Freiheit; denn der Verfasser, sagt
Bugge, yerrät zu viel Kenntnis von Island und den Isländern,
als dafs ihm die späte Besiedelung der Insel unbekannt sein
konnte.
£s handelt sich um eine Frage des poetischen Kostüms,
und unser Fall ist zusammenzuhalten mit den zwei anderen
Fällen, wo Isländer in Geschichten der fom 9ld auftreten. Es
sind Revo und Bero bei Saxo S. 433 £ und Thorkillus bei
Saxo S. 420 ff. Vgl OWk, Sakse 2, 136, Ranisch, Qautreks-
saga S. LVI f. Zu beachten ist, dafs das isländische Gegen-
stück jenes Revo, der Refr der Gautrekssaga, als Norweger er-
scheint. Unsere auf Island überlieferten Fornaldarsogur ziehen
niemals einen Isländer in die Begebenheiten der Heldenromane
herein. Ich möchte den Widerspruch Saxos mit unseren islän-
dischen Texten so erklären. Die isländischen Erzähler des
zwölften Jahrhunderts waren in dieser Kostümfrage weniger
streng: sie brachten gelegentlich auch einen Landsmann in die
fom 9ld, sie und ihre Hörer machten sich weiter keine Gedan-
ken über diese Lizenz. Saxo gibt in den drei Fällen diese
Stufe wieder. Später, im dreizehnten Jahrhundert, kam die
strengere Forderung auf (unter dem Einflufs der Landnämabök
und der Konungas9gur?): man hielt jetzt darauf, dafs die wohl-
bekannte Zeitgrenze von Islands Besiedelung auch in den sagen-
haften Erzählungen respektiert werde; eine Art von historischem
Purismus. Daher wurde Refr zum Norweger, und die Thylenses
der Brävallaschlacht mufsten zur Hälfte verschwinden, zur Hälfte
unter HilditQnns Dänen untertauchen.
Wer von Olriks oder Bugges wohldurchdachten, glieder-
reichen Beweisketten überzeugt war, wird meine Bemerkungen
hier nicht als Gegenbeweis ansehen. Ich möchte nur zu der
erneuten Prüfung angeregt haben: müssen wir die Brävallal>ula
losreifsen von dem Lande und der Zeit der anderen grolsen
264 Heimat und Alter der eddisdieD Gedidite.
Pulur? Soüten wir nicht neben den mancherlei geschichtliehen,
örtlichen, sprachlichen Einzelheiten den so bestimmt ausgepräg-
ten literarischen Gesamthabitns dieses Denkmals in erster Linie
zu Rate ziehen?
Einigkeit herrscht darin, dafs die V9luspä en skamma
und die Uripisspä isländische Erzeugnisse der Schreibezeit sind.
Jene eine Studie im Stile der älteren V9lu8pä, doch mit dem
Nachdruck auf den genealogischen Angaben; die Gripisspä ein
Auszug und Programm zu einer geschriebenen kleinen Samm-
lung von Heldenhedem.
Auch bei den HyndluliöS haben sich Jessen und neuer-
dings Mogk und Symons für jungen isländischen Ursprung aus-
Sesprochen; vgl. auch Ranisch, Oautr,, S. XLII ff. Die Namen
es Heldenkataloges gehören zum kleineren Teile der Heroen-
dichtung an (Str. 23/4. 25, 5 — 28), zum gröiseren Teile dem
Heldenromane (Eomaldarsaga). Für eine späte Zeit sprechen
insbesondere der Kreis des völlig romanhaften Hrölf Gautreksson
(Str. 22. 25, 1 — 4) und der söhnereiche Heldenvater Halfdan
(Str. 14 — 16), über den die Snorra Edda S. 139 f. genauer be-
lehrt: augenscheinlich eine Kombination der gelelai;en islän-
dischen Sagengenealogen und Etymologen. Da der 'Halfdan,
hsestr SkiQldunga' Str. 14 dem Scvlding ^heah Healfdene' des
Beow. 57 gleichgesetzt werden muis, hat unser Dichter diesen
berühmten Dänenkönig zusammengeworfen mit dem fiktiven
Stammvater Halfdan gamli, der nach Fas. 2, 8 in Norwegen
gedacht wurde. Auch sonst scheint er zu den Gestalten der
Heroendichtung kein näheres Verhältnis zu haben. Man be-
achte noch, dafs das Wort 'hird^ (25, 3) sonst in eddischen
Versen nicht begegnet aufser in der jungen Zusatzstrophe Biark.
4, 2; die älteren Ausdrücke sind *drött^ und 'verdun^.
In den Alvissm&l erblicken die meisten Forscher einen
sprechenden Vertreter der isländischen gelehrten Poetik; vgl.
schon Weinhold, Altn, Leben, S. 78, ferner Ljungstedt, Eddan,
5. 25; Mogk, PGrdr? 2, 598; Golther, Nord. Lit. (Lpz. 1905),
S. 24; Symons, Edda, S. CCLXVm. Die Datierung F. Jöns-
sons — um 950, norwegisch — möchte sich aus der Greistes-
kultur jener Zeit schwer rechtfertigen lassen. Da der junge Ur-
sprung bei den Alv. als gesichert gelten darf, lernen wir aus
dem Gedichte, dafs auch ein Spätling der Schreibezeit eine voll-
endete Herrschaft über die gnomisch - dialogische Versform er-
langen konnte; für das epische Mafs bedarf es eines einzelnen
Beleges nicht.
Hätte Schütte recht mit der Annahme (Idg. Forsch. 17,
451 ff.), dafs der Dichter südgermanische Wörter wie *fold,
sunna, funi, niöl, barr, biörr* geflissentlich den Göttern zuteilt.
Heimat nnd Alter der eddischen Gedichte. 265
weil ihm die god = Goa(|)i6a) = (Süd-)6ennaiien gelten, dann
läge darin ein neuer Beweis för den späten und gelehrten Ur-
sprung. Denn die Gleichsetzung von God(][>iöd), aus älterem
Gotpiöd, mit dem appellatiyum god ^GötteP entsprang gewifs
der isländischen Philologie. Aber die Rechnung stimmt nicht
so genau wie es bei Sdiütte aussieht: das gemeingerm. Wort
^manr' steht nicht bei den Göttern, sondern bei den Zwergen
(24, 6); und die ebenfalls südgerm. Wörter *vÄgr, veig, sumb?
(mit stärker abweichender Bedeutung *vegar, mi^ctr, ▼9xtr') sind
nicht den Göttern, sondern den Vanen, Helbewohnem oder
Riesen zugeschrieben.
Man pflegt den Hauptteil der Alvissmäl als Sammlung
vorhandener Synonyma zu bezeichnen. Das trifft nur sehr be-
dingt zu. Von den 65 unprosaischen Ausdrücken finden wir
nicht mehr wie ein Dutzend als poetische Sjrnonyma überliefert;^
wobei man absehen mufs von den Pulur der Sn£., die unser
Gedicht exzerpiert haben. Mehr als vier Fünftel der Menge
sind Neubildung des Dichters, entweder so, dafs er einem Prosa-
worte einen neuen Sinn beilegt: *8kin' für Mond, *V9ndr' für
Wald, *gröandi' für Erde us£; oder so, dafe er dichterische Ab-
leitungen, Komposita und Wortverbindungen mit neuer Bedeu-
tung gebraucht: *skyndir' für Mond, *alsKir' für Sonne, *fagra
rsßfr' für Himmel usf.; oder endlich so, dafs er lexikalisch neue
Wörter schafft (Ableitungen und namentlich Komposita), richtige
hapax legomena: ^gneggiudr, eyglöa, vindflot, sve&gaman' usf.
Das Zahlenverhältnis zwischen den überlieferten und den erfun-
denen Ausdrücken könnte sich etwas verschieben, wenn wir die
Dichtung jener Zeit lückenlos kennten. Aber die grofse Mehr-
zahl der Worte bliebe doch — begrifflich oder formal — Neu-
schöpfung des Dichters. Dieser hat also kein heitatal schaffen
wollen in der Art der SnE.-Listen, kein sammelndes Hilfsmittel
für junge Skalden, wie es die Skäldskaparmäl sind. Es ist ein
phantasievolles und sprachschöpferisches Spiel mit der Form
der Synonymenliste. Zu einem richtigen heitatal verhält es sich
etwa so wie vorhin die Br&vallal>ula zu einer blofs sammelnden
Pula von Heldennamen.
Die Neubildungen treten auch in ihrem Stile aus dem skal-
dischen heiti- imd kenning - Geschmacke fühlbar heraus. Man
nehme beispielsweise die fiinf Ausdrücke für * Wolke' Str. 18:
*skurv4n' Schauerhoffnung, *vindflot' Windfahrzeug (?), *ürvÄn'
Feuchtigkeitshofihung, 'vedrmegin' Wettergewalt, *hiälmr huliz'
Tarnkappe. Das ist frischer, erlebter als die durchschnittliche
skaldische Umschreibung. Es fehlen auch bezeichnenderweise
' fold Str. 10, hlfmir 12, sunna 16, vägr 24, funi 26, grfma 30, ni^ 30,
barr 32, bi6rr 34, veig 34, sumbl 34, wohl auch mylinn 14.
AjKbh t n. SpmdMn. CXVL 18
Wi Eeimat und Alter der eddisdien GedicIiteL
alle Anspielnogen auf Mythus ttnd Sage, attsgenomm«! 16, 3
'DraliiiB leika\ In den wallisischen 'Tmden^ die Walter, Da«
alte Wales, S, 520 f. mitteilt, erinnert einiges an den Umschrei-
bungsstil der Alvfssmäl; z. B.:
'Die drei venchönemden Namen der Sonne: Fackel der Welten, Auge
des Tages und Glanzpunkt der EKmmel.
Die drei verschönemden Namen des Mondes: Sonne der Nacht, der
Liebliche und Sonne der Feen.
Die drei verschönernden Namen des Windes: Held der Welt, Werk-
meister des schlechten Wetters und Bestürmer der HügeL'
Auch die stehende Anordnung zu dreien liefse sich den
Sechsergruppen des isländischen (xedichtes vergleichen. Die
Triade als beliebte kymrische Dichtform ist seit dem zwölften
Jahrhundert nachzuweisen; vgl. Loth, Lee Mabinogion (Pahs
1889) 1, 22 ff.; 2, 201 ff. Ob etwa auch für die unerklärte Zu-
weisung der Synonyma an verschiedene mythische Geschlechter
die welsche Literatur den Schlüssel bietet, weifs ich nicht zn
sagen. Mit der isländischen Entstehung der Alv. um 1200 liefse
sich kymrische Einwirkung gut vereinigen, siehe Falk (und
S. Bugge), Arkiv 9, 331 f.
Falk scheint mir in der zu wenig beachteten Abhandlung
im Arkiv, Band 9 und 10, den Nachweis erbracht zu haben,
dafs auch das Doppelgedicht 'Svipdagsmäl' (Grögaldr -{- Fi9i-
svinnsmäl) nur als Gewächs der isländischen Schreibezeit zu ver-
stehen ist
Eine Brautfahrtnovelle mit märchenartigen Motiven, einem
Texte in den wallisischen Mabinogion besonders nahestehend,
bildet die epische Grundlage. Der Isländer hat aber die Ge-
schichte nicht fortlaufend durcherzählt, sondern zwei getrennte
Auftritte herausgehoben und zu zwei eddaähnlichen Gedichten
geformt Den ersten Auftritt stilisierte er als Totenerweckung
und in seinem Hauptteile als Zauberspruchliste (liödatal). Vor-
bilder waren einerseits HervQrUed, Baldrs draumar, Hyndluliöä,
anderseits das liödatal der Sammlung Hävamäl. Auf den zweiten
Auftritt haben die Skimism&l stark eingewirkt, sein Hauptstüd
aber wurde nach dem Vorbilde der Viäpnidnismäl und Alviss-
mäl zu einer Kette von Wissensfragen und Antworten. Beide
Gedichte haben ihren Schwerpunkt aufserhalb des epischen
Ganges: die Zaubersprüche der Mutter kommen nicht zur V^-
wendung, und die Wissensfragen führen den Helden nicht zum
Ziele: dde Nennung seines Namens ist es, was die Hemmnisse
besiegt; Fi9lsv. Str. 41 könnte unbeschadet der epischen Hand-
lung gleich an Str. 8 anschliefsen mit Überspringung des ganzen
Hauptteiles. Die beiden Formeln stehen sich gegenseitig im
Wege: 'der Held muTs wundersame Hindernisse überwinden und
Aufgaben lösen' und 'der Held muis sich als den Rechten, den
Heimat tiod Alter der eddiBchen Gedichte. 267
Erwarteten zu erkennen geben, seinen Namen nennend Von
der ersten Formel ist nur die Ankündigung der Hindemisse bei-
behalten; damit eben hat der Dichter die Kette der Wissens-
fragen gefüllt.
Das ganze Verfahren ist alles andere eher als naives Fabu-
lieren. Aber auch das Hauptmotiv der Greschichte — dafs die
böse Stiefmutter den Helden behext, so dafs er nach einer ver-
wunschenen Jungfrau ausziehen mufs — zeugt schon entschei-
dend gegen altnordische Dichtung des zehnten Jahrhunderts.
^Stiüpmoeara sQgur' kennen wir aus der heidnischen Heldensage
der Germanen nicht — und (da man die Svipd. auch schon
unter die Götterlieder gestellt hat) aus der Göttersage ebenso-
wenig! Aber noch manches andere spricht gegen heidnische
Entstehungszeit.
FiQlsv. 38 — 40 werden neun sonst unbekannte Göttinnen
mit Namen genannt, denen man an altargeweihter Stätte (ä stall-
helgum stad) opfere. Lebte der Dichter im Heidentum, so
müfste dieses Verzeichnis ernst gemeint sein, und die an Kult-
göttinnen arme germanische Religion erhielte hier einen Zuflufs,
der durch seine Reichlichkeit Bedenken wecken mufs. Anders,
wenn die Liste mit ihren durchsichtig appellativen oder durch-
sichtig entlehnten Namen {Ark. 10, 72) die altertümelnde Ein-
kleidung eines Novellenzuges ist.
Die Warnung vor der toten Christin (Grog. 13) wäre als
ernsthafte Polemik eines heidnischen Dichters ein einzigartiger,
unschätzbarer Rest in der Eddapoesie: sonst wurde ja mit der-
gleichen gründlich aufgeräumt. Aber die ganze Strophe sieht
aus wie eine unklare Variation über das Thema Sigrdr. 26,
*wenn dich die Nacht ereilt, so meide die Herberge bei der
Zauberin,' und die christliche Grabbewohnerin an Stelle der
lebenden Malefica ist ein Anlauf zu christenfeindlichem und da-
durch altertümlichem Kolorit.
Das neue hödatal im Grog, hat einige gut getroffene Stro-
phen, daneben aber solche, die aus dem Gedankenkreise alt-
heidnischer Zauberdichtung herausfallen und den Epigonen ver-
raten. Man vergleiche das Gegenstück in den Hävamäl mit
seinen bestimmt gezeichneten Lebenslagen (aufser der auch for-
mal verdächtigen Str. 146). Grog. Str. 6 und 7 nennen eine
ungreifbare, verblasene Situation; zu dem Inhalte 'dafs du hinter
dich werfest, was dir verderblich dünkt; du selber leite dich
selbst' kann man sich schwer eine magische Formel, einen wirk-
lichen galdr vorstellen. Und dafs auflauernde Feinde durch ein
ZauberUed zur Versöhnung gestimmt werden sollen (Str. 9),
atmet nicht eben den Geist der Vikingzeit. Ein Gedicht von
der Art dieser beiden liöäat9l fordert notwendig zu der Frage
heraus: hat der Dichter die authentischen Formeln, deren AnlaCs
18*
268 Heimat nnd Alter der eddiecfaen Qedidite.
und Wirkung er beschreibt, auch wirklich gekannt, so dafs er
den Anspruch erheben konnte, selber diesen Zauber in seiner
Gewalt zu haben? Diese Frage wird man bei dem älteren
liödatal wohl bejahen dürfen, und damit hat es den Bang yon
echter Spruchdichtung im Dienste des praktischen Aberglaubens.
Bei der Nachahmung im 6r6g. muls man jene Frage verneinen;
es ist nur noch ein Spielen mit der Schale, der zauberkräftige
Kern steckt nicht mehr darin.
Ähnliches ist von den Wissensfragen der Fi9lsy. zu sagen.
Sie enthalten ^mythologische Gelehrsamkeit' (Mogk, a. a. 0. S. 607);
aber ein sammelndes und ordnendes Memorialgedicht wie die
Vafl>nidni8m&l oder Grfnmismäl sind sie nicht: sie woUen nicht
überlieferten Mythenstoff übersichtUch yorfuhren. Die Züge,
von denen die ^Fragen ausgehen, sind die der modernen Novelle:
das Gattertor der verwunschenen Burg, die hütenden Hunde,
der wundersame Baum auf dem Burgplatz usf. Diese Märchen-
züge hat der Dichter teilweise mit altmythischen oder mythisch
klingenden Namen und Motiven behängt: die Märchenlinde gleicht
er der Weltesche an mit Entlehnung aus Odins Runenlied
(Str. 20); als Verfertiger der wunderbaren Waffe zieht er Loki
herbei (Str. 26, aus einer Fassung der Baldrfabel?); zu den
Hindernissen um die Burg gehört eine Waberlohe, zaghaft aus
den Skimismäl geholt (Str. 31); einer der bewachenden Hunde
heifst Geri wie Odins Wolf (Str. 14); über die Vergöttlichung
der Dienerinnen der Heldin (Str. 38 ff.) s. o. Der Hauptteil
der Fi9lsv. hat somit die Allüren der Memorialdichtung, die alte
Form mit neuem Inhalt Zu den Vaff^r. oder Grimn. verhält er
sich ähnlich wie die Alvissmäl zu einem richtigen heitatal.
Nach Falks Darlegungen darf man die Svipdagsm&l be-
zeichnen als 'Studien im eddischen Stile'. Der Name hinechte
Eddapoesie', den man oft unzutreffend auf die harmlos archai-
sierenden Sagaeinlagen angewandt hat, trifft bei den Svipd. am
ehesten zu: sie geben sich fiir etwas anderes aus, als sie sind.
Ein frisch aus der Fremde gekommener romantischer Novellen-
stoff soll auf den Hörer wirken nicht als kindisches 'Stieffnutter-
märchen, wie sich's die Hirtenjungen erzählen^ (Oddr OL Tr.
prol.)» auch nicht als modische Rittergeschichte, wie man sie
am zeitgenössischen Norwegerhofe hören konnte, sondern als
ehrwürdiges ^fomt kvsedi' mit altheimischem Zauberdunkel und
Mythengehalt. Diese Wirkung hat der Dichter auch erreicht,
ob bei seinen Zeitgenossen, ist fraglich, jedenfalls aber bei
manchen Lesern des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts:
Urformen der Baldr- und der Brynhildsage hat man aus einem
Gedichte herausgeholt, das mit seinen losen Mosaiksteinchen
aus eddischer Sagendichtung nur fragwürdige Beiträge zu unserer
Kenntnis germanischer Sage liefern kann. Wohl ist die zu
Heimat und Alter der eddiichen Gedichte. 269
Grunde liegende Brautfahrtnoyelle eine entfernte Verwandte des
Domröschentypns, aber das berechtigt noch lange nicht» die
nordischen Quellen für Sigurds Erweckungssage aus den Svip-
dagsmül zu ergänzen.
Bei drei Gedichten sehe ich keinen festen Anhalt» den
Kulturherd, dem sie entsprungen sind, und damit das Alter zu
bestimmen. Ich meine die Baldrs draumar, die Vafpriid-
nismäl und die GrimnismÄl.
Das erstgenannte Gedicht, das Jessen, S. 76, für einen ^is-
ländischen literarischen Versuch des dreizehnten Jahrhunderts'
hält, hat keine ausgeprägten Züge der Gelehrsamkeitsdichtung.
Für ein Memorialstück ist es zu namenarm; die Ausgestaltung
einer dichterischen Szene, das episch-dialogische Leben, scheint
dem Verfasser die Hauptsache gewesen zu sein. Sofern das Lied
eine anscheinend neu erfundene Handlung, Odins Heiritt, an den
alten Stamm der Sage anlehnt, läfst es sich vergleichen mit
einigen der Heldenlieder der isländischen Nachblüte (Gudr. HI,
Oddr.). Das prophetische Vorwegnehmen der Sage, als Haupt-
inhalt eines Gedichtes, gemahnt an noch jüngere Werke, das
Traumlied (Vols. s. c. 25), die Gripisspä. Die Ähnhchkeiten mit
der Prymskvioa würde ich nur aus Nachahmung, nicht aus Ein-
heit der Dichter erklären (vgl Cph. 1, 181; F. Jönsson, Lit. 1,
148); denn die Anlage der beiden Lieder im Grofsen, ihre ge-
samte Stellung zum Stoffe ist aUzu verschieden. Schuck, Stu-
dier 2, 27 sieht in den Bdr. 'tydligen en ganska ung dikt'
Viel wichtiger wäre es, über die Vaf. und Grimn., diese
zwei Hauptquellen der Götterlehre, ins Klare zu kommen. Bei
ihnen ist nun der Charakter der lehrhaften, katalogischen Dich-
tung sehr ausgeprägt. Man würde daher zunächst an das zwölfte
Jahrhundert, erste Hälfte, denken. Aber schon die Sprache
weckt eher die Vorstellung einer älteren Zeit, und vor allem
könnte man sich schwer denken, daüis vier Menschenalter nach
der Bekehrung ein so reicher mythologischer Stoff aufzutreiben
war. In welcher Gestalt wäre er so lange überliefert worden?
Doch nicht in zahllosen epischen Gedichten! Diese kosmogoni-
schen Dinge haben gewifs zum kleinsten Teil in erzählerischen
Zusammenhängen gestanden; mau erinnere sich an Olriks Aus-
fuhrungen über den Ragnarökstoff, Aarhöger 1902, bes. S. 284.
Auch aus einer Unzahl von Einzelstrophen oder aus blofsen
Umschreibungen der Dichtersprache hätte die Schreibezeit diese
mythologische Weisheit nicht wohl gewinnen können. Und wenn
wir ältere Lehrgedichte von ähnlicher Art als Quellen annähmen,
schüfen wir nur Doppelgänger zu Vaf. und Grlmn.
Symons, der die didaktische, katechetische Haltung der zwei
Gedichte betont, glaubt, das isländische Heidentum zwischen 930
270 Heimat und Alter der eddiechMi Gedichte.
und 980 biete den geeigneten Hintergrund (a. a. 0. S. CCLXIV.
CCXCIII). Gewifs ist von Leidenschaft in Glaubenssachen, ja
Yon dem mindesten Seitenblick auf die neue Religion in Yaf.
und Grimn. nichts zu bemerken, aber diese Sachlichkeit vertrüge
sich ebensogut mit der Zeit um 1030 oder 1050, und damals
kann die Mythenkenntnis noch nicht wesentlich yerkümmert sein,
da ja das fortdauernde Interesse daran verbürgt wird schon
durdi die Weitergabe der heidnischen Gedichte. Dafs aber eine
Dichtweise wie die in Yaf. und Grfmn. eines der Mittel war,
wodurch 'man die heimische Sitte zu hüten, den alten Glauben
wenigstens äufserlich zu schirmen suchte', das klingt nicht recht
überzeugend. Legte denn das germanische — oder das islän-
dische — Heidentum diesen Nachdruck auf mythologische Einzel-
kenntnisse, war seine Rechtgläubigkeit von so abstrakter und
theoretischer Art? Von 'Sitte' und 'Glauben' (im religiösen
Sinne) steckt ja eben so blutwenig in diesen zwei Dichtungen.
Dafs die ältere isländische Sagazeit, die Zeit Egils und Kormäks,
den Zug auf 'lehrhafte, sammelnde Betrachtung' entwickelt habe,
dafür sehe ich mich in den Quellen vergeblich nach einem Stütz-
punkt um. Aber auch für die Zeit um 1030 oder 1050 kann
man solche Bestrebungen nicht nachweisen, sie zeigen sich erst
in der ritöld. Und darin liegt die Schwierigkeit für die Datie-
rung der Vaf{>rüdnismäl und Grimnismäl.
Weit festere Handhaben für die Einordnung gewährt die
Rig8f>ula.
In der Bestimmung von Heimat und Alter hat man freilich
bei keinem zweiten Eddagedichte so verschieden geraten. Nor-
wegen oder Dänemark oder die Insel Man oder die Orkaden
oder endlich Island zog man als Entstehungsort in Betracht
Und die Entstehungszeit dachten sich die einen um das Jahr 900,
so dafs die Rp. in der allerältesten Gruppe stehen würde, Seite
an Seite mit der Prymskvida und dem Wielandsliede (F. Jöns-
son, AI. Bugge), die anderen um zwei, drei Menschenalter später
(Bj. M. Olsen, Mogk); Karl Lehmann neigte zum elften Jahr-
hundert, E. H. Meyer dachte an Einar Skiilason um 1150, und
Eirikur Magnussen fand, dafs nichts in dem Liede einen früheren
Zeitraum verlange als das dreizehnte Jahrhundert.^
Über den verlorenen Schlufs des Gedichtes erhalten wir
Aufklärung aus zwei Prosastellen, die nach Olriks Nachweise
* F. JÖDBBon, IM. 1, 65. 186 ff., B6kmmta9aga (Kph. 1904) 1, 89;
AI. Bugge, Vü^ingeme (Kbh.-Eri. 1904), S. 94. 278 ff., Vesterlandenes Lid-
fjydeUe j& Nordboeme (Kri. 1905), 8. 111. 163. 212 u. ö.; Bj. M. Olsen,
IHmarit 15, 66 ff.; Mogk. POrdr.'^ 2, 602; K. Lehmann, Festschrift für
Julius V. Arnsberg (Bostock 1904). S. 1 ff. ; £. H. Meyer, Volu»pa, 8. 284 f.;
Eirikur Magnüason, Saga-book of the Viking Club 1896.
Heimat und Alter der eddischoi Gedichte. 271
aus der isländischen Ski9ldangasaga stammen (Anfang des drei-
zehnten Jahrhunderts). Die Saga und das Lied, gleichviel wie
ihr Abhängigkeitsverhältnis sich stelle (s. u.), vertreten in dem
Hauptpunkte die nämliche Auffassung:
Erstmals hat es in den Ländern nordischer Zunge keine
^konungar^ gegeben. Da war aber einmal in Dänemark ein
Machthaber — Rigr nach der Skipid., Rigr-Konr ungr nach der
Rf>. — , der wurde so mächtig, dafs er sich den Königsnamen
beilegte, die höchste Herrscherwürde begründete; dies war der
erste 'konungr' in nordischen Landen.
Dieses Königtum, dessen Begründung die Rt>. der Stiftung
der drei Geburtsstände folgen Uefs, gehört einer sagenhaften
Frühzeit an. Rigr ist viel älter als die dichtunggefeierten Herr-
scher der Hälfdan- und der Adilsgruppe und mufs es sein; denn
Hälfdan, Adils samt ihren Verwandten und Gegnern sind ja doch
^konungar', sie haben also später gelebt als jener erste König
der Nordlande. Die Namen Danr und Danpr, die unsere letzte
Strophe des Gedichtes nennt, weckten in jedem verständnisvollen
Hörer die Vorstellung einer grauen Urzeit
Die Fragestellung: ^Welchen zeitgenössischen Fürsten hat
der Dichter mit seinem Rigr-Konr ungr gemeint?' entbehrt von
vornherein jeder Berechtigung. Er hat den sagenhaften ^ersten
König* gemeint, weiter nichts; gerade so wie er mit dem PrsBll
den ersten Knecht, mit dem Karl den ersten Bauer meinte.
Weder Harald Schönhaar noch einen Dynasten der Insel Man
konnte der Dichter mit seinem Rigr-Konr ungr verherrlichen;
denn unmöglich konnte er es so hinstellen, als ob diese Fürsten
des neunten und zehnten Jahrhunderts als erste den Namen
^konungr* getragen hätten; das wäre, mit Snorri zu reden, kein
Lob, sondern Hohn gewesen. Wufste doch jeder, dafs Haralds
Vorfahren seit alters 'konungar' gewesen waren, und dafs die
vielen Kleinfürsten, die er sich unterwarf, gleichermafsen •konun-
gar' hiefsen. Auch die übrigen Voraussetzungen des Gedichtes
widerstreben der Anknüpfung an ein norwegisches oder ein bri-
tannisches Königshaus. Rigr-Konr ungr ist zweifellos als ein
dänischer Machthaber gedacht, ebenso wie Danr und Danpr,
mit denen er sich verschwägert. Vgl. die treffenden Ausfuh-
rungen von Bj. M. Olsen a. a. 0. S. 70 ff., denen ich nur von
dem Punkte an widersprechen mufs, wo sie geheimnisvolle An-
spielungen auf die Politik des ausgehenden zehnten Jahrhun-
derts zu entdecken glauben.
Ähnlich wie hier Bj. M. Olsen suchte Mogk a. a. St nach
einer Beziehung zu einem zeitgenössischen Fürsten. Die Rf). sei
verfafst als Lobgedicht auf dänische Könige, etwa Gorm den
Alten oder Harald Blauzahn; diese würden nicht dem ersten
König Rigr gleichgesetzt, aber in diesem ihrem Ahn verherr-
272 Heimat und Alter der eddiBcheo Gedichte.
licht Hierg^en spricht folgendes. Die Dänenherrscher wufsten
nichts von einem Stammvater Rlgr, sie leiteten sich auf Ski9ldr
oder Danr zurück. Sie hätten es auch schwerlich als rreis
empfunden, dafs man ihnen den selben Urvater gab wie den
veiuchteten Sklayen. Mogk beruft sich auf das Sküdatal, die
häufigen Aufenthalte isländischer Dichter am Dänenhofe; aber
das Skäldatal kennt keinen Dichter unter den Königen Gorm
und Harald Blauzahn (SnE. 3, 258. 267). Dals die Rf). als
Ganzes auf ein anderes Zeitalter und eine andere Umwelt weist,
yersucht das Folgende zu zeigen.
Die ganze Annaimie, dafs die Rf). eine aktuelle Spitze habe,
ein 'lofkysedi', ein Fürstengedicht sei, gründet sich aiii den Teil,
den wir nicht haben. Eine auf solcher Grundlage aufgebaute
Vermutung heischt das 'Nicht sehen und doch glauben^ und
läfst keine Widerlegung zu. Aber das eine darf man yerlangen:
wir wollen über dem yerlorenen Teile den erhaltenen nicht yer-
gessen. Und der erhaltene ist yor allen Dingen eines: gelehrte
Poesie. Hier haben wir kein naiyes Göttermärlein und keine
spannende Heldengeschichte und keine Ausprägung yolkstüm-
lieber Sitten Weisheit; hier haben mi ein Stück Kulturgeschichte
und Poetik.
Das Gedicht spekuliert über einen urzeitlichen Vorgang,
die Anfänge der menschlichen Stände; es ist in der Tat ein
'mythus philosophicus' (P. E. Müller, Saxo 2, 39).
Das Gedicht bringt keine Ereignisse im Sinne der altger-
manischen Erzählpoesie, sondern setzt sich zusammen aus Schilde-
rungen des ruhenden, ereignislosen Alltagslebens, aus realistisch-
genrehaften Bildern der materiellen Gesittung und der Rasse.
Das Gedicht häuft appellativa, überlieferte und neugebildete,
68 an der Zahl, und giot sie als Eigennamen der yorzeitlichen
Knechte, Bauern, Edeln und ihrer Eltempaare aus. Diese
Vokabelhaufen — heitat9l wie in Snorris Edda, nur gewisser-
mafsen historisch drapiert — haben dem Liede seinen Namen
eingetragen; denn 'Rigsl)ula' heifst nicht *Königslied' (Edzardi,
Beiträge 8, 367), sondern ^das an Rigr geknüpfte Versvokabular'.
Und an einen dieser Scheinnamen knüpft sich eine scharfsin-
nige Etymologie: Rfgr-iTonr ungr wird, nachdem er die höchst«
Herrscherwürde begründet hat, zum Rigr konungr, d. h. sein
(zweiter) Eigenname wird zur Bezeichnung der von ihm ge-
schaffenen Würde — sowie man (nämlich die Isländer) das Wort
*gramr' von einem König namens Gramr, das Wort 'snotr* von
einer Göttin namens Snotra herleitete usf. (bes. SnE., S, 35 f.
139), nur dafs der Fall bei Konr ungr kunstreicher liegt, indem
man hier das Appellativum in zwei sinnvollo Bestandteile (*Für-
stensprofs — jung^ zerlegte: nicht nur die äufsere Herkunft,
auch die lautliche Etymologie des Wortes will man erklären.
Heimat mid Alter der eddischen Gedichte. 278
Diese Eigenschaften der Bf), weisen gebieterisch auf das
Vaterland und Zeitalter Snorri Sturlusons. Elinem nordischen
Kopf ans Harald Schönhaars Zeit — mit oder ohne fremden
Einflnfs — dürfen wir Gedankengänge dieser Art nicht zutrauen.
Damit unterschätzen wir die geistige Raffiniertheit in dem Liede,
die den Unterbau der isländischen Altertumskunde und Poetik,
die Gedankenarbeit literarischer Generationen zur Voraussetzung
hat Die Bf), ist das isländischste aller Eddalieder; wir haben
kein Recht» die verwickelten Entstehungsbedingungen eines sol-
chen Werkes in irgendeinem anderen Lande zu suchen.
Verschiedene Einzelheiten deuten in derselben Richtung.
Als dänische Kleinfiirsten erscheinen Danr und Danpr. Der
Name Danpr stammt aus der gotischen Sage von der Hunnen-
Schlacht» vielleicht war er dort schon gepaart mit dem Namen
Danr (Don und Dnjepr, vgl. Heinzel, Hervararsaaa, S. 61 ff.).
Anderseits gab es den dänischen heros eponymos Danr. Dieser
zog das gotisch-südrussische Paar Danr-Danpr an sich, so dafs
nun auch Danpr zu einem dänischen Sageniürsten wurde: eine
Kombination» die mehr nach isländischer Gelehrsamkeit des
zwölften Jahrhunderts als nach Volkssage des neunten Jahr-
hunderts aussieht
Dann der Name Rfgr. Die einfache Vorstellung: ^Einst gab
es im Norden noch keine ^^konungar"» bis ein dänischer Herr
diesen Titel aufbrachte/ könnte alte volkstümliche Sage gewesen
sein. Sie könnte auch einen geschichtlichen Eem enthalten;
denn das nordische Wort ^konungr' mit seiner merkwürdigen
Lautabweichung von dem westgermanischen 'kuning^ wird wohl
einmal, etwa in der späteren Völkerwanderungszeit» als Lehn-
wort von den SüdgermancQ (Franken?) herübergekommen sein
und zuerst bei den Dänen Fufs gefafst haben: so dafs in der
Tat der *er8te König' nordischer Zunge ein Däne war.^
Nun ging man aber weiter. Dieser *erste König' hiefs Rigr.
rig (Nom. sg. ri) ist das irische Wort für *König'. Hinter der
* Etwas anders AI. Bagge, Vesterl, S. 86 f. Auch Saxo S. 21 bringt
die Vorstellung, dals den ältesten Danenherrschem das regium nomen
fehlte. P. E. Müller not. üb, 8. 45 denkt an geistUch gelehrten Ursprung
der Hypothese. — A. a. St.' vermutet AI. Bngge, 'konunCT' habe ursprüng-
lich den Eönigssohn, im besonderen den "i^&Gnfolffer bezeichnet, und er
fü^ bei: 'denselben Übergang von der ursprünglichen Bedeutung des
Wortes konungr zu der späteren finden wir in der B{)., wo larls Sohn
Konr uner deutlich als Vertreter der Königs würde aufgefaist ist; gldch-
wohl heiM er von Geburt an Konr ungr (= konungr).' Diese Auslegung
scheint mir irrig. Der Gedanke der Bp. ist dieser (s. o. S. 272) : von Ge-
burt an heilst der Betreffende Konr ungr, 'der junge Fürstensprols', und
später, nachdem er die regia potestas geschaffen hat, wird das angebliche
nomen proprium zum AmtotiteL £in reales Gregenstück zu dieser Fiktion
ist der Name Caesar. Über die Bedeutungsent Wickelung des Wortes
'konungr' erfahren wir aus der B^. nichts.
274 Heimat nod Alter der edducben GMidite.
Namenvahl steckt also BerechnuDg; es maÜB wohl diese sein:
jener 'erste König' war seinem Namen nach schon König, ehe
er den Titel 'konungr' aufbrachte; indem er sich dann ^konungr'
nannte, übersetzte er gleichsam seinen Namen ins Nordische.
(Dafs er aus keltischen Landen gebürtig war, kann nach dem
ganzen Zusammenhange nicht die Meinung sein.) Es ist ein
sprachliches Gedankenspiel, das wiederum nach isländischer
Philologie riecht. Die dänischen Chronisten kennen keinen Rig,
auch Saxo scheint ihn bei seinen Thylenses nicht gefunden zu
haben, er hätte sich ihn schwerlich entgehen lassen. Mag sein,
dafs der Verfasser der SkiQldungasaga, bekanntlich ein 9ehr kon-
struktiver Kopf, diesen Gedanken aufstellte.^ Den Rigr brachte er
allerdings nicht mehr in die überlieferte HaupÜinie der Skiold-
unge hinein, er mufste ihn seitlich ankleben. Das wäre sicher
anders, wenn der 'erste Dänenkönig Rigr' eine alte Sagenfigur
wäre!
Den von der SkiQld. vertretenen Gedanken übernahm der
Dichter der RJ)., und er formte ihn reicher aus: seine eigene
Fassung erklärt sich als Weiterbildung der SkiQld.-Formel, nicht
umgekehrt. Er verband nämUch mit dem 'Rigr fyrstr konungr'
Qeine etymologische Hypothese (s. o.) 'Konr ungr > konungr^.
Daraus ergab sich die aufiallige DoppelbenennuDg des jüngsten
Jarlssohnes, Rigr-Konr ungr: Rigr mufs er heifsen, weil die
Skiold. lehrt, dafs der erste König Rigr war; Konr ungr mufs
er heifsen, weil der neue Herrschertitel aus seinem Namen
fliefsen soll.
Dafs der Dichter schon dem Vater und Großvater den
Namen Rigr verleiht, weifs ich nicht zu erklären: hier ragt das
mythologische Rätsel herein. Aber so viel darf man aus diesem
Umstände wohl entnehmen: die irische Bedeutung des Wortes
rig war dem Dichter nicht mehr gegenwärtig. Wufste er, dafs
der Name soviel wie 'rex' bedeutet, so hätte er sich die eigene
Pointe verdorben, wonach erst der Jarlsspröfsling Würde und
Namen des Königs als etwas Neues aufbringt. In der älteren,
einfacheren Fassung, der der SkiQldungasaga, war dies logisch:
da gibt es einen Rigr = *rex' = fyrstr konungr.
Trifft das Gesagte zu, so gewinnen wir die zwei Schlüsse:
die RJ). fufst auf einer gelehrten sprachlich -historischen Idee,
die zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts in der isländischen
Ski9ldungasaga niedergelegt wurde; und: Dichter und Publikum
der R{>. haben nicht in der Nähe von keltischer Sprachgemein-
schaft gelebt
* Die der Skioldungasaga naheetehende Ynelin^iasaffa bringt auch
zwei iriBche Wörter/ die sich nicht als Lehngut in der islSndiAchen Sprache
eingebürgert hatten: dlar^S. 11, 5, biaoak 8. 11,^12.
Heimat und Alter der edduchen Gedichte. 275
Für die KoUe des ständegründenden Gottes hat man das
fremde Vorbild meines Wissens noch nicht gefunden. Denn die
Anknüpfung an Noah und seine drei Söhne bei E. H. Meyer,
Vsp., & 15 ff. hat wohl wenige überzeugt. Naher liegt der
Gedanke an die Ungleichen Kinder Evae, wenn auch in anderem
Sinne als bei J. Grimm, Kl. Schm. 7, 106 ff., MythoL 1, 194.
In das, was wir von nordischen Göttern und germanischem
Standesgefühl wissen, fiigt sich dieser göttliche Erzeuger auch
des häfslichen Urknechtes so wenig ein, dafs man ohne auslän-
dische Quelle nicht auskommt, und solange diese unbekannt ist,
fühlt man sich allerdings in der BeurteUung der RJ). sehr ge-
bunden. Doch werden die vorgebrachten Gründe für späten
isländischen Ursprung unabhängig von der Quellenfrage be-
stehen. Auch der Wortschatz und die Kulturschilderungen des
Gedichtes sind dem dreizehnten Jahrhundert nicht feindlich
gesinnt.
Setzte man die RI>. um das Jahr 900, so nahm ihr Wort-
schatz eine merkwürdige Stellung ein. Dafs sie für eine Menge
Wörter die älteste Fundstelle wurde, ist nicht anders zu erwar-
ten; denn viel nordische Dichtung yor 900 besitzen wir ja leider
nicht. Aber yerwundem mufste die Tatsache, dafs die Bf), etwa
zehn Kulturwörter enthält, die in dem Sprachschätze der ge-
samten älteren Poesie, der eddischen wie der skaldischen, fehlen
und erst in der Prosa oder in Strophen des zwölften bis vier-
zehnten Jahrhunderts auftreten. Es sind folgende Wörter:
Drei altheimische, die wenig zu bedeuten haben: ardr Tflug',
hlaäa ^Scheune', rokkr ^Rocken': diese nur in Prosa belegt.
Sieben Lehnwörter: bolli *Topl', nur pros.; frakka *Speer', in
den tulur der SnE. 1, 570 (aus der RI).?), in Prosa das Komp.
rydfirakka Hävard. S. 22; ' kanna *Kanne', nur pros.; kartr * Wagen',
nur pros.; kinga 'Brakteat', in Prosa und bei Einarr Gilsson (vier-
zjehntes Jahrhundert), BS. 2, 29; kölfr ^Bolzen^ in Prosa und in
Asb}9m prüdis Strophen (wohl dreizehntes Jahrhundert) Fiat. 1,
528; kyrtill (in geitakyrtia 23, 3) 'Rock', in Poesie noch EM.
Laus F. 2 skinnkyrtill (zwölftes oder dreizehntes Jahrhundert).
Dazu kann man noch nehmen : skokkr 'Truhe', nisL (BjHalld.),
sonst in Bed. 'Schifisrumpf od. ähnL; dükr 'Tischtuch', so nur
in Prosa, in anderer Bedeutung auch in älterer Poesie.
Für AI. Bugge, der die RJ). um 900 datiert, sind diese
Wörter ein Beweis, dafs das Gedicht in Britannien entstanden
isty 'in Irland oder am ehesten in Schottland,' Vesterl. S. 212.
In seiner vortrefinichen Darstellung der vikingischen Kultur
' Der von AL Bugge. VeaterL, S. 212 anffeführte Bel^ aus Hallfreds
Hfikonardrdpa (f^iE. STM, Str. 82) beruht auf Konjektur Böderbergs, eiehe
Wi8^, CN, 1, 135.
276 Heimat und Alter der edduchen Gedidite.
taucht immer wieder die Rf>. auf als ältestes Dokument für die
Entlehnung eines fremden Wortes und einer fremden Sache.
Das Gedicht bekommt geradezu einen prometheischen Zug, es
trägt die Feuerfunken der südlichen Gesittung in die nordische
Dichtung herein. Stellt man die Rf». ins dreizehnte Jahrhundert,
so finden diese Wörter Anschlufs an die gleichzeitige i8l.-norw.
Prosa; die meisten sind geläufige Wörter der Alltagssprache, —
aufser den genannten auch z. B. die in der Dichtung spärlich
Torkommenden skutill 'Schüssel', sloeda 'Schleppkleid', pl6gr
'Pflug', tafl 'Spielbrett'. Mir scheint, diese Beleuchtung der Sache
ist an und für sich die glaubhaftere. Es bleiben die zwei hapax
legomena, das aus dem Englischen entlehnte smokkr 'Brusttuch'
und das dunkle m9smar 'Kleinode' (?) Str. 38, 5; auf diese zwei
Wörter wird man keine Vermutung über Heimat und Alter be-
gründen wollen.
In diesem Zusammenhang sei noch erwähnt, dafs S. Bugge,
Skaldedigtning, S. 30, yermutete, das Wort 'fli6d' (Str. 25, 5)
sei durch unseren Dichter selbst aus dem ae. Namenghede '-fled'
gebildet worden. Das Wort kommt schon in Eddaliedern der
älteren Schicht vor und bei Guttorm sindri Hkr. 1, 179. Der
Überblick über die Scheinnamen der Rf>. spricht für die An-
nahme, dafs ein Ausdruck wie fliöd — ohne malende Bedeutung,
ohne den Charakter des Spitznamens — vom Dichter nicht neu
gebildet, sondern aus der Überlieferung geholt wurde. Es steht
aber auch nichts im Wege, dafs 'tQtrughypia, Haderlump' zuerst
in der Scheltrede HHu. I 43, 7 gestanden hat und von hier
unter die Spitznamen RI>. 13 gelangte. Die Wendungen älm of
bendi 28, 3, älm at beygia 35, 5, hiQrvi brä 37, 8 eignen sich nicht
zur Bestimmung von Abhängigkeitsverhältnissen (vgl. S. Bugge,
Home of the eddic poems, S. 389 f.). Individuell ist dagegen
der Kurzvers nidrbiügt er nef 10, 5, gleichlautend in der gut
beglaubigten Strophe des Ste&ir, Anfang des elften Jahrhunderts
(Kristnisaga ed. Kahle S. 44, 8): hier kann füglich kein Zweifel
sein, dafs der Zusanmienhang bei Stefhir der ursprünglichere ist
Hätte man den Dichter der Rf). gefragt, welches Zeitalter
er schildere, so hätte er geantwortet: die uralte Zeit, als es noch
keine Könige gab. Dies war die Absicht des Dichters. Er
war ein mittelalterlicher Mensch und wollte nicht wie ein mo-
derner Naturalist seinen Hörern umständlich vormalen, was sie
in ihrem gemeinen Alltagsleben um sich hatten.
Eine andere Frage ist, was er in Wirklichkeit geschildert
hat. Da er keine Quellen aus Dans und Danps Tagen benutzen
konnte, standen ihm für seine Beschreibungen zu Gebote: die
poetischen und prosaischen Überlieferungen, die bis ins neunte
Jahrhundert zurückgingen, und die Beobachtung der eigenen
Umwelt. Gar vieles aus seiner Gegenwart mochte er unbedenk-
Heimat und Alter der eddischen Qedichte. 277
lieh in die Urzeit znräcktragen, weil er sieb gar nicht vorstellen
konnte, daXs man es damit jemals anders gehalten habe. In
anderen Fällen aber wurde er auf die Unterschiede von einst
und jetzt aufmerksam, und dann hat er archaisiert. Es yer-
stand sich von selbst, dafs er den larl und seine Söhne nicht
zum Turnier reiten liefs, und dafs er statt der christlichen
Taufe das heidnische Begiefsen mit Wasser brachte; es lag nahe
genug, die geistige Überlegenheit des Konr, statt durch stil-
widrige Sprachenkunde und Bücherweisheit, durch stilvolle
Runenkunst zu markieren.
Man hat die Rp. immer betrachtet als ein getreues Licht-
bild, das ein Dichter von seiner eigenen Umgebung aufgenom-
men habe. Die Kultur der Yikingzeit, realistisch und ohne
Hintergedanken abgebildet von einem Zeitgenossen: dies fand
man in unserem Gedichte. Statt dessen müfste man an die Rp.
die Frage stellen: wie weit flielst dem Dichter das Bild der
eigenen Zeit ein, des dreizehnten Jahrhunderts, wie weit hat er
aus literarischer Überlieferung altertümhche Züge verwertet, und
zu welchen Zeiten stimmen diese Züge? Allerdings würde sich
dann wohl herausstellen, dafs der gröfsere Teil neutral ist,
ebensogut zum dreizehnten wie zum zehnten Jahrhundert pafst.
Die Gesittung hatte sich nicht so durchgreifend gewandelt.
Als Dinge, die sich besser mit dem dreizehnten als dem
zehnten Jahrhundert vertragen, fallen diese auf.
Der grofse Abstand zwischen dem mittleren und dem dritten
Paare nebst ihren Nachkommen. Nach den sonstigen Zeugnissen
würde man die Lebenshaltung der boendr und h9läar auf der
einen, der hersar und iarlar auf der anderen Seite für die heid-
nische Zeit nicht so verschieden veranschlagen.^ Die Vornehmen
sind in der Rf). ganz aus dem bäuerhchen Leben herausgewach-
sen. Schon die Schilderung der Mödir, Str. 28 f., liefse den
Unbe&ngenen schwerlich am das zehnte Jahrhundert raten, und
wenn dann Möäir das Mahl aufträgt, versilberte Schüsseln auf
ein gemustertes leinenes Tischtuch stellt, Wein aus der Kanne
in Kelche schenkt, so fühlt man sich mehr bei einem Vornehmen
H&kons IV. als Haralds des Schönhaarigen zu Gaste. AI. Bugge
erklärt freilich alle diese Züge aus dem Leben der vornehmen
Engländer {VesterL S. 174 ff.), und dies mufs man ja zugeben:
wäre die Schilderung um 900 entstanden, so müfste man aller-
dings nach aufsemordischen Vorbildern ausschauen.
Dafs der Dichter das Torfstechen in seiner isländischen
Heimat zur Genüge beobachten konnte, sei nur erwähnt, weil
man diesen Zug so oft unverdientermafsen für die Heimatbestim-
* Vgl. z. B. Hertzberg, Det norske ofristokraHs historü, 8. 6 f. Adam
y. Bremen IV 31.
278 Hdmat und Alter dar eddiKhcn GMidite.
mung bemüht hat (noch AI. Bugge» Vesterl., S. 256; treffend
Lehmann, a. a. 0. S. 22 fX
£ir. Magndsson und Ldimann haben darauf hingewiesen,
dafs die Knechte einfach als niedrigere Landarbeiter, auf eige-
nem Boden, gezeichnet werden, nicht als besitzlose Sklayen.
Das würde zum dreizehnten Jahrhundert passen, wo die Un-
freiheit auf Island erloschen war. Aber bei dem eigentümlichen
Verfahren des Dichters, wonach es Knechte gibt, ehe die Herren
da sind, konnte der niedrigste Stand gar nicht in persönlicher
Abhängigkeit erscheinen.
Dies führt auf einen letzten Punkt: wie ist die ständische
Dreiteilung und ihre Benennung ^I>r8Bll — karl — iarl- bei einem
Dichter des dreizehnten Jahrhunderts zu erklären? Od^, um
es zu yerein&chen: die Zweiteiluna der Freien in ^karl — iarl'.
In seiner fördernden Abhandlung hat K. Lehmann betont, dafs
es damit gar nicht so selbstversibändlich liegt, auch wenn man
das zehnte oder elfte Jahrhundert im Auge hat
Dafs ein Isländer, der die Gesellschaft der nordischen Ur-
zeit schildern wollte, nicht die Verhältnisse seiner Insel kopierte,
sondern den Blick zunächst nach Norwegen und zwar nach dem
norwegischen Altertum schweifen liefs, darüber braucht es keine
Worte. Einen anderen Einwand könnte man yielleicht g^en
unsere Fragestellung erheben, nämlich: Der Dichter meint mit
seinem 'iarl gar keinen Geburtsstand, sondern nur den minderen
Fürstenrang, der seiner Ansicht nach dem höheren, dem des
Königs, vorausging. Darauf wäre u. a. zu erwidern: So wie der
Dichter den Iarl zeichnet, schwebt ihm kein Herrscheramt yor,
weder ein souveränes noch gar ein lehensmäfsiges. Wir be-
kommen das Bild eines reichen, kriegerischen Gutsherrn: red
bann ätiän büum, ^er gebot über aditzehn Höfe, bäuerliche
Wirtschaften' (Str. 38), das ist weder ein Gau (herad^ noch eine
Völkerschaft (fylki), sondern ein privater Grofsgrundoesitz. Der
'iarF der RJ). vertritt einen wirklichen Stand, nicht die politische
Institution des Kleinfürsten, des princeps«
Das der Erklärung Bedürftige liegt in folgenden Umstän-
den. Weder 'karl' noch ^iarl' erscheinen zu irgendeiner Zeit als
technische Benennungen von Ständen. Und eine einfache Zwei-
teilung der Freien — vom König abgesehen — läfst sich schon
seit dem Beginn der geschichtlichen Zeit nicht mehr erkennen.
In Norwegen um 900 gab es die Stufen: Ixendr — h9ldar
— hersar — iarlar. Eine gemeinsame technische Bezeichnung
für die hersar -f~ i&rlAr, also mit dem Sinne von 'Adel, nobili*
tas', kennen wir nicht. Dafs der Standesunterschied zwischen
dem iarl als 'tiginn madr' (fürstenbürtigen) und dem hersir ge-
legentlich stark empfunden wurde, zeigen Fälle aus dem zehnten
und elften Jahrhundert (Hkr. 1, 367; 3, 142).
Heimat und Alter der eddiscben Gedichte. 279
In Norwegen mn 1200 gab es über dem I»r»ll die Stufen:
1. leysingi, 2. leysingia snnr, 3. rekspegn, 4. böande, 5. hQlär,
6. lendr maSr + stsJlari, 7. äboti -f- abbadis, 8. iaxl -f by®"
kup, 9. erkibyskup + bertugi, 10. konungr. Davon werden die
Stufen 1. 4. 5. 6. 8. 10 im Prinzip überall vorausgesetzt Alle
zehn Stufen werden unterschieden Frost XIII 15 {NgL. 1, 244).
Aber die Sprache der Dichtung hatte immer vereinfacht
Da wird der 'h9ldr' gesetzt für den Freien schlechthin. Und
das über dem Freien Stehende wird zusammengeSafst, indem viele
kenningar und heiti dem hersir, iarl und konungr gemeinsam
sind; vgl. Snorris Bemerkung in seiner Edda S. 123 f. In der
eddischen Dichtung hat ^iarV den sehr allgemeinen Sinn ^edler
Krieger, Vornehmer in der Umgebung des Fürsten', wovon sich
deutlich abhebt das siebenmalige ^iarl' in der Prosa der Helg.
Hi^rv. mit der Bedeutung ^Unterfürst, Statthalter eines Königs',
dem jüngeren, offizieUen Spraehgebrauche folgend.^
£in mit der alten Dichtung vertrauter Isländer konnte auch
von den norwegischen Verhältnissen des dreizehnten Jahrhun-
derts aus wohl zu dem Schlüsse gelangen: diesen vielen Fächern
ordnet sich eine Zweiteilung über; einst, im Altertum, gab es
nur die zwei Arten der Freien, die besseren und die geringeren.
Aber einfacher erklärt man sich seinen Gedankengang so. Der
Dichter kannte die vorharaldische Zeit aus ungefähr denselben
Quellen wie wir, d. h., von der Dichtung abgesehen, aus den
Konunga- und Fornaldars9gur. Er fand da neben den ^konungar'
die 'is^lar' und die 'hersar' genannt als solche, die über die
Menge der Bauern und Krieger hinausragten. Gemäls seiner
Theorie betrachtete er die 'konungar^ als spätere Entwickelung.
Blieben also die ^iarlar' und 'hersar' als vornehmer Stand.
Und nun galt es, die Benennungen zu wählen. Der Dichter
macht zwischen ^iarV und ^hersir' keinen Standesunterschied;
denn wenn Iarl die Tochter des Hersir heiratet (Str. 39 f.), so
ist das nicht als Miisehe gedacht Dafs nun von den beiden
zur Wahl stehenden Ausdrücken, ^arl' und 'hersir', der erste
für den Vertreter des Standes genommen wurde, mag diese
Gründe gehabt haben. 'larl^ hatte die vollere poetische Reso-
nanz, es klang mehr nach Altertum: in den Geschichten aus
der fom 9ld begegnen weit öfter ^arlar' als ^hersar'. 'Iarl' klang
auch nicht so spezifisch norwegisch wie 'hersir': in allen frem-
den Ländern liefsen isländische Erzähler 4arlar' auftreten. Ferner
pauste das einsilbige 'iarl' zu den einsilbigen 'praell, t>ir, . karl,
* Der Sinn 'Fürst, Herrscher' ist wohl Häv. 97, 4 anzunehmen (iuris
yndi . . .)• Die von Gering, VoUstä/nd. Wb.y Sp. 535 angesetzte Bedeutung
'Mann im allg.' würde ich nur bei Ghv. 21, I erwägen, und auch da läist
sich die Obenetzung 'Edle' rechtfertigen: der Dichter bleibt im Kostüm,
seine Hörer b^andelt er als hochgeborene Leute.
280 Hdmat und Alter der eddinchen Gedidite.
sn^r, ern, konr': alle diese HauptspröfBÜnge und ihre Frauen
fuhren einsilbige Namen, wie die Eltempaare ^ü-edda' usw.
zweisilbige.
Nun der Name für den Vertreter der geringeren Freien.
Man würde am ehesten *h9ldr' erwarten in dem fdlgemeineren,
untechnischen Sinne, den die Dichtung bewahrt hat (s. o.). Auch
^pegn' hätte sich gut geeignet, vgl. das stabende Paar ^egn ok
t>r8eU, Freier und ICnecht'; vielleicht stand im Wege die häufige
Bedeutung ^Untertan', die zu dem Sohne von Afi und Amma
nicht gepafst hätte. So kam l>egn', gleich wie 'h9ldr', nur in
die Schar der Söhne (Str. 24, 4). Der Stammhalter selbst bekam
den Namen 'karl', und daran bleibt etwas Befremdliches. Wenn
die Wahl auf dieses Wort fiel, so werden dem Dichter formel-
hafte Stellen im Ohre geklungen haben wie die bei Sighvat
{Hkr. 3, 31, Z. 11): *A;ar2folk ok svä iarla\ auch Wendungen
wie ^karld hus' opp. ^konungs gardr', ^konun^i ok karlC (Leh-
mann S. 28).' Dazu die Klanj^nlichkeit mit ^iarl'. Man ver-
gesse nicht, dafs unser Dichter keine aktenmäfsige Historie
schreibt, sondern zwischen Wahrheit und Dichtung, zwischen
Ernst und Spiel wandert.
Nach dem hier Ausgeführten meine ich, die Ständeeinteilung
und -benennung der RI>. wird begreitlich aus dem Materiale
unserer Quellen heraus, ohne dafs man dem Dichter einen uns
verschlossenen Nahblick auf vorgeschichtliche Zustände zu-
schriebe. Das Lied folgt den freieren Unterscheidungen der
Poesie, nicht den straffen und vielgliedrigen Sonderungen des
Rechtes. Dafs es jemals bei den Nordgermanen einen Geburts-
stand unter dem Namen ^Jarle' gegeben habe, entsprechend dem
südgermanischen Stande der nobiles, adalingi, edelen, eorlas,
dies darf man aus unserem Liede — im Widerspruch mit den
Geschichts- und Rechtsquellen — nicht herauslesen.
Hierbei habe ich der Möglichkeit, dafs der Dichter die
Dreizahl in seiner zu vermutenden fremden Quelle vor&nd, nicht
Rechnung getragen. Die Frage, ob die altenglische Formel
^eorlas and ceorlas' eingewirkt habe, hat schon Lehmann be-
rührt und, >vie mir scheint mit Recht, verneint (S. 29). Auch
AI. Bugge, VesterL, S, 43, scheint sie nicht zu bejahen.
— Die R{>. ist eines der wenigen Eddaffedichte, die in der
altisländischen Literatur selber zitiert werden: ^heiti fiir die
* In der Edda allerdings steht 'karl' mit der ständischen Bedentang
'freier Bauer' nur in der lE^. Die übrigen Stellen bei (Gering, Wb,, b. v.
'karP sind so zu ordnen: 1. maa opp. femina: Br. 20 pr. 11, Hlr. 14,
Am. 62, Häv. 90, Am. 69; 2. Bauer (mit verächtlichem Beiklang), Kerl,
Alter, diese Bedeutungen nicht scharf zu sondern: alle Übrigen SteUen,
auch HHu, II 2 <era bat karls »tt, das stammt nicht von Bauempack',
verächtlich, nicht stanoiach-technisch.
Heimat und Alter der eddiftchen Gedichte. 281
Knechte stehen in der Rigs{>ula,' heifst es SnE. 2, 496. Diese
Anführung reiht das Gedicht ein in den Zusammenhang, der
ihm gebührt: in die gelehrte isländische Poetik, die in Snorris
Skaldenlehrbuch ihr Meisterwerk hervorbrachte. Die BJf. ist in
ihren Namenstrophen ein dichterisches, leichtgeschürztes Gegen-
stück zu den planmäfsig-umfassenden Skäldskapann41. Aber sie
ist noch manches andere. In keinem zweiten Gedichte kommen
die Bestrebungen der isländischen Altertumskunde so vielseitig
zu Worte. Und dabei hat der Dichter auch das Erzählen ge-
lernt; ein Erzählen freilich, grundverschieden von dem der alten
epischen Lieder; denn es f^lt ihm das, worin die Stärke der
alten Sagendichter lag, die Rede.
Seit dreifsig Jahren hat man oft betont: die eddische Dich-
tung atmet das Geistesleben der Vikingzeit.
Der Satz bedarf starker Einschränkung.
Sehr vieles in der Eddadichtung ist — seinem Geiste, seiner
Gesittung nach — vorvikingisch. Eine ganze Reihe von alten
Götter- und Heldenliedern trägt in keinem Zuge den Stempel
des bestimmten Zeitalters, das mit dem Jahre 793 anbrach. Die
grofsen Dichtergedanken der Heroensage sind, tatsächUch oder
der Art nach, älter als das Vikingwesen: wie eine richtig
vikingische Erfindung aussieht, mufs man bei Ragnar Lodbrök
und Qrvar-Odd erfiragen.
Aber nicht weniges in der Eddafamilie ist nachvikingisch.
In der Lyrik der heroischen Elegien ahnt man schon die Nähe
des Spätmittelalters mit seiner Balladenblüte. Und das gelehrte
und geistreiche Spiel der Brävallaliste, der Svipdagsmäl und der
Rigs{>ula führt aus der Luft der sagenfrohen Seekrieger in die
Kreise grübelnder und formgewandter Literaten.
Die gemeingermanisch -heroische Stufe, die norrön-vikin-
gische, die isländisch-nachvikingische, zum Teil literarische: alle
drei liegen in der Eddadichtung vor. Wir werden jeder ihr
Recht geben, wenn wir sie klarer auseinanderhalten.
Berlin. Andreas Heusler.
Aichir f. n. Spnehen. CXVI. 19
Zur Entstehung des Härchens.
(BeUvft.)
VULL Rückblicke and Ergebnisse. Iigendwie voll-
ständig sollen die von mir senannt^ Beismele nun nidit sein:
es gibt noch manche andere Märchen^ die mre Heimat in Indien
haben. Da aber eine Reihe sehr instruktiver^ in ihrer Gesdiichte
und Zusammensetzung erkennbarer und für Indien bezeichnender
Märdien aufgezählt wurde und die Fülle der hier gestreiften
oder ausführhch erzählten Mfirchen auch manchem schon be-
ängstigend und verwirrend scheinen mag, darf ich anhalten und
auf den langen W^ zurückblicken.
Voreingenommenheit für das indische Märchen^ die Sacht,
anderen VöUcem die Elrfindune^be abzuspredien und sie den
Indem dafür zuzuschieben, wird diesen Betrachtungen niemand
angemerkt haben. Es ist hio: > im Gr^enteil nicht allein zu-
gegeben — was niemals hätte bestritten werden sollen — , da(s
Märchenmotive auch aulserhalb Indiens bestanden, vielmehr noch,
daTs die Inder den Griechen^ und Juden ^ manches entlehnt haben.
Die Bausteine zum Märchen, die dnzehien Motive, auch hier und
da einfachere Märdien selber hatten andere Volker ebensogut
wie die Inder, deren Grofse und eigentliche Begabung es war^
die Motive zur Geltung zu bringen und zusammenzusetzen.
Die Inder bauten die Märchen, die in ihrem eigenen Lande
blieben, senau wie die anderen, die in die Fremde kamen. Sie
häuften die Motive an und steigerten sie, oder sie erzählten sie
Schlag auf Schlag, in überstürzendem Tempo, oder sie zeigten sie
nicht auf einmal und nicht als Summe, sondern allmählich und
zerlegt in ihre einzelnen Teile, sie fügen diese TeUe aneinander,
indem sie geschickt immer zum Bedeutsameren fortschreiten, den
Schlufs der Geschichte gern hinausschieben und die Spannung zu-
gleich erhohen. Sie zeigen diese Motive nicht als Motive üb^-
haupt, sondern sie kontrastieren sie miteinander, sie kehren sie
plötzlich um, sie stellen sie immer in den Dienst einer Handlung,
sie bringen sie vor allem in engsten Zusammenhang mit diesem
Leben. Uns erscheinen dadurch die Märchen oft zu ernsthaft, als
da(s sie Märchen, und zu märchenhaft, als da(s sie Smst sein sollten.
« VgL z. B. oben Ärehip CXV, 284; CXVI, 13.
* Vgl. z. B. oben Archiv CXV, 277. 282 f.; CXVI, 8. 18.
Zur EntstehuDg dee MftrchMiB. 288
Man kann imen also ähnlicbee vorwerfen, wie man dem in In-
dien erfundenen^ auch so änfserBt vennckelten und differenzierten
Schachspiel vorgeworfen hat, daTs es nämlich zu ernst für ein
Spiel und wieder zu sehr Spiel sei, als dais man es ernst nehmen
dürfe. — Die Inder schildern im Märchen, wie die Wunderdinge
auf die Menschen einwirken, zeigen die Menschen im Kampf mit
den wunderbaren Gaben, die ihnen verliehen werden, wie diese
Graben nur die Begehrlidikeit reizen, wie sie zu schwach für die
Gaben sind, wie sie auch die gnädigsten Geschenke nur entstellen,
wie sie sich um Wunderdinge betrügen, wobei sie im Grunde selbst
die Betrogenen bleiben, und wie sie durch ihre Künste und wun-
derbaren Eigenschaften sich vernichten. Zum Schlufs hören wir
dann oft die Fräse: welche von den wunderbaren Gaben war die
wunderbarste? Und das ganze Märchen scheint dann dem Inder
nur ein Anlafs, uns seinen Scharfsinn und seine Begabung fürs
Märchenhafte vorzuzeigen, denn er lebt in seinem eigentlichsten
Element, sowie er scharfsinnige Urteile, Entscheidungen, Beweise
von Klugheit und Spürsinn mitteilen und anhäufen kann, er er-
findet dabei die sonderbarsten und spaTshaftesten Geschichten
und vergleicht auch hier die einzelnen Klugheiten, weil er sich
doch selbst auch in seinem Scharfsinn überbieten muGs.
Die indische Erzählungskunst, der Aufbau und die Kom-
position ihrer Geschichten sind, wie wir an vielen Beispielen
zeigten, von keinem Volk erreicht worden, und was wir von der
Eraählungskunst anderer Völker, etwa der Griechen und Juden,
zum Vergleich heranzogen, erschien dagegen kunstlos und un-
beholfen. Der Märchenreichtum des einen Landes Indien über-
trifft noch immer den Märchenreichtum aller anderen Völker, die
g^en Indien sehr wenig originale Märchen besitzen. Ihr Keich-
tum wurde den Indem wiener zum Unsegen: sie häuften ihre
Geschichten zu oft ins Massenhafte, konnten sich auch nicht
genug tun, eine immer wieder in die andere zu schachteln, ebenso
waren ihnen ihre Erfindungen und Motive nie künstlich, nie span-
nend und nie raffiniert genu^, ihnen fehlte der Sinn für das Ein-
fache, Anspruchslose und Kmdliche des Märchens, und wie wir
das auch erfahren haben, sie entstellten und verdarben darum
hübsche und feine Geschichten, indem sie ein Raffinement in
sie hineinbrachten, das nicht in sie gehörte.^
* Es wnrde hier versucht, die Erzählungskunst der indischen Märchen
zu analysieren und durch Betrachtung dieser Kunst die Kriterien zu ge-
winnen, die über die indische Herkunft eines Märchens entscheiden. Andere
Forscher, namentlich E. Gosquin, Contes poptdaires I, XXVI f. unternahmen,
in abendländischen Märchen Züge nachzuweisen, die nicht aus abendlän-
dischen, sondern aus indischen religiösen Anschauungen und Idealen, so-
zialen Zuständen und Gebräuchen zu erklären seien. £än solcher Nachweis
kann nur in seltenen Fällen gelingen, denn Märchen sind internationale,
keine nationalen Gebilde, und was an indischen Märchen in knlturgetchicht-
19 ♦
284 Zur Enlstehnng des MiicheiiB.
Die Inder^ wie sie uds zuletzt HenDann Oldenbei^^ schil-
derte, sind ein Volk des geschmeidigsten und gelenk^ten K^^
lichem Sinne indisch ist, mufste sich auf der Wanderung durch die Welt
meist abstreifen. Man hat z. B. vermutet, die böse Stiefmutter in abendlän-
dischen Märchen y die ihre Stieftochter beim Eönie verleumde, sei eigentlich
die Haui>tkÖnigin, die die junge rivalisierende Nebenkdni^ verdächtige
und beiseite schaffen wolle. Das trifft aber nicht zu : die indischen Märchen
erzählen vom Streite der Frauen untereinander nie, dazu sind ihnen die
Frauen an sich viel zu unwichtig, nicht die Frau interessiert sie, sondern
der Umgang von Frau und Mann. Ich kenne im Indischen nur ganz
wenig unbedeutende Märchen, die von schlechten Stiefmfittem (etwa Cukas,
t, 0. 50) und von rivaüsierenden Nebenfrauen (etwa Somadeva VI, 82, Taw-
ney I, 286) berichten (die von Oosquin I, XXX mitgeteilte Geschichte von
der lUkschasi, die sich als achte Frau heiraten läfst und die anderen sieben
verdächtigt, ist modern indisch). Die b6se Stiefmutter im deutschen
Märchen hat anderen Ursprung : zum Teil sind die verhafsten Stiefmütter
Hexen, und der Hbü ge^ die Hexen ist auf die Stiefmütter übertrafleD,
wenn sie teuflischer Künste verdächtig scheinen, Kinder vertauschen,
Quellen verzaubern, Menschen verwandein u. ähnL (vgl. Grimm, KHM 3.
11. 81 etc. und Liebrecht, Zur Volkskunde 17 f. — auch oben Arekiv CXIV,
S. 5 Anm. 1). — Aulserdem erzählt das Märchen, wie wir wissen, seit sehr
alten Zeiten von treulosen und neidischen Brüdern, Schwestern und Ge-
fährten, die eerade den guten und unschuldigen nachstellen und ihn zu-
letzt doch nidit vernichten können, sie werden dafür das Opfer der agenen
Bosheit. Die Eigenschaften dieser Treulosen ^gen auf die Stie&nutter
fast unverändert über; es ist auch keineswegs Zurall, dais neben der treu-
losen Stiefmutter fast immer die neidische und haisliche Schwester er-
scheint, v^l. z. B. Grimm KHM 21. 24. 1H5 usw. — Einige weitverbreitete
Märchen &eilich haben ihre indische Grundanschauung nicht einbüf»^
können, diese schimmert durch alle europäischen Zutaten und Überdeckungen
hindurdi. Man erinnere sich etwa an das Märchen vom undankbaren Men-
schen und dankbaren Tierer : dessen Erzählungskunst und dessen Grund-
anschauung sind indisch, ^nauer buddhistisch, alle Wesen sind ^t, doch
ein Gefäfis uler Schlechtigkeit ist der Mensch (vgl. auch Ck)squin I, XXVI f.).
Noch buddhistischer fast ist das Märchen von der undankbaren Gattin,
die starb, und die der Mann zum Leben erweckte, indem er ihr die Hälfte
seines Lebens abtrat, die zum Dank diesen edelsten mit einem Erüppel
betrog, einen Abhane hinunterstürzte und ihn dann, als er lebend bheb
und sie endlich wiedersah, noch verklagte. Diese Geschichte wird sich
wohl ein weiberhassender, weitabgewandter Buddhist ersonnen haben, und
sie enthält trotz aller Erklügeltheiten Szenen von grandioser Tiefe und
Menschenkenntnis. Sie verbreitete sich schon vor Jahrhunderten, ihre
Verästelungen und Verzweigun^n hat Gaston Paris in einer seiner letzten
Abhandlungen gezeigt (Zeüaehrift des Vereifu für Volkskunde XIV [1908],
1—24. 129—50). Als Volksmärchen (Ck>squin II, 842. — Grimm, KHM 16)
lebt sie noch heute und, wie sehr auch viele ihrer ursprünglichen Motive
verblafstenp wie viele Züge anderer Märchen in sie hinein gerieten, die
Grundidee, die bodenlose Untreue und der schmähliche Unduik der Frau
gegen ihren Mann und Lebensretter, «ib ein Erzähler immer dem anderen
weiter, und sie geht noch wie eine s(3iwere Ankla^ durch unser Märchen.
— Beiläufig sei bemerkt, dafs Artur Bonus {Preufsuche Jahrbücher Februar
1905) dieses Märchen mit dem ägyptischen Brüaermärchen vergleicht, als
führe es darauf zurück: wie er zu dieser Verirrung kommt, ist mir un-
begreiflich, da Gedanken, Motive, Inhalt beider Märchen von Grund aus
verschieden sind. Die unbesonnene Voreingenommenheit gegen das in-
dische Märchen führt manchmal zu seltsamen Entgleisungen. — Em Motiv
Zur EntetehuDg des Mftrchens. 285
perbanes^ bedfirfnifilos^ weil sie in einem Land von versdiwende-
rischer Fruchtbarkeit lebten und mit geringer Nahrung ihr Leben
fristen konnten. In immaterieUen Genüssen trieb das gleiche
Volk einen sonst nicht gekannten Luxus^ es berauschte sich an
Düften und E^enzen. Sein Körper ermüdete nicht im Kampf
um den täglichen Unterhalt^ und aie Kräfte für den Geist blieben
frei. Der bewegte sich mit virtuoser Gewandtheit in den ver-
wickeltsten Gedankengängen^ leicht und anmutige ironisch über-
legen, zu schillernder Erfindung, zu phantastisch verworrenen und
sdtsam tiefen Träumereien gern geneigt Die Inder wurden in
ihrem Lande bald ein zahllos grofses Volk, die einzelne Existenz
galt wenig oder nichts, das Leben breitete sich in unübersehbarer
Mannigfaltigkeit um den einzelnen, unendliche Menschenmassen
in einer unendlich reichen Natur, und wer sich behaupten wollte,
bedurfte jeden Tag und jede Stunde indischer Schmiegsamkeit
und Klugheit, zumal dort, wo sich das höchste Leben abspielte,
am Hofe der launischen und grausamen Despoten, die Hofmänner,
nicht Staatsmänner um sich wollten. Hofmänner, die jeder Laune
biegsam entgegenkamen, die sich mit immer neuen Känken und
Schlichen in ihrer Stellung erhalten mufsten und schliefslich doch
skrupellos verstofsen wurden. Das indische Leben hat eine be-
ängstigende Fülle, eine beängstigende Schönheit, es ist grenzenlos
unsicher, und jeder Tag scheint ungeahnte Katastrophen bringen
zu können: weil die Schönheit und der Genufs so unerhört waren,
reizte es die Inder immer von neuem, ihn ins Unerhörtere zu stei-
gern; ebenso sehr aber wuchsen die Qualen. Dies Leben erschien
dann wie ein böser, nie endenwollender Traum, immer neue Leiden
erzeugend, und die Inder erhöhten sich diese Qualen, indem sie
den Glauben an die Seelenwanderung, an die ewige Wiederkehr
der Menschen und Lebewesen schufen, ganz und gar ins End-
lose. Es ist dieser Glaube eine merkwürdige raffinierte und echt
indisch grausame Selbstpeinigung; Oldenberg hat ihn mit einer
Wanderung durch die Wüste im hei&esten Sonnenbrand ver-
glichen, bei der der Wanderer schliefslich in ein Becken mit
glühenden Kohlen stürzt Es ist auch nur zu natürlich, dafs
gerade Indien das Land der Entsagung und Lebensüberwindung
wurde, in dem man alles, was gerade dieses unerschöpflich reiche
Land bieten konnte, seine Schätze und Drohungen alle, ach so
aas dem Märchen von der undankbaren Gattin, die Errettung der Frau
ans Lebensgefahr, ihr Ehebruch mit dem Räuber und die Hinterlist gegen
den Erretter fand aufserdem, was noch nicht bemerkt wurde, in ein ganz
anderes Märchen Eingang: in das von der treulosen Mutter oder treulosen
Schwester, vgl. vor älem Balston Schiefner, Tibetan Tales 291 f. mit Les-
kien Brugmann 401, Waldau, Böhmisches Märehenbueh 469, femer R Köh-
ler I, 804.
' Die LUeratm- des aUen Indim 15 f. 65 f.
286 Zur Entstehang des Märchens.
gern, von sich warf und, ohne jedes irdische Bedürfnis, nur in
die Geheimnisse eines unergründeten göttlichen Seins sich ver-
senkte.
Verblendender Glans, sinnbetörende Lockung, unerhörter Ge-
nufs, furchtbare, endlose Qualen: all das rann dem Inder in-
einander, so traumhaft, dafs sich alle Grenzen der Wirklichkeit
verloren und verwirrten. Darum ist auch das indische Mär-
chen ein so seltsames Hin und Her zwischen Wirklichkeit und
Wunder, die Welt selbst erschien dem Inder oft märchenhafter
als das sonderbarste Märchen und traumhafter als der ertraum-
teste Traum. Märchen, Novelle, Boman und Leben unterschei-
den sich in Indien kaum, und das indische Märchen spiegelt
uns das ganze indische wirkliche Wesen. Wir haben auch etwas
davon gespürt — wir haben freilich nur wenige indische Mär-
chen betrachtet — : die Endlosigkeit, das Massenhafte und Unüber-
sehbare, die Freude an scharfsinnigen, komplizierten, unerhörten
Erfindungen und Entscheidungen, aas Schwelgen in wunderbaren
und seltsamen Gaben, die tiefe Erkenntnis von der Nichtigkeit
des Irdischen und der erbärmlichen Schwäche des Menschen, das
fortwährende uns immer neu frappierende, dem Inder ganz ge-
wohnte Ineinandergreifen von Wirküchkeit und Märchen, als hätte
die Welt des Wunders und die des Märchens genau die gleiche
Existenz und sei die eine nur da, um die Schwäche der anderen
zu offenbaren — alle diese Eigenschaften stellen sich uns nun
dar als Eigenschaften des indischen Märchens und zugleich des
indischen Wesens. Wir sahen diese Eigenschaften eine nach der
anderen vor uns auftauchen und eine nach der anderen sich
wiederholen und als indisch bestätigen, und wir dürfen zuversidit-
lich und getrost noch einmal aussprechen, was uns vorher jedes
Beispiel zeigte, dafs die Märchen, die ynr aus so einfadien Mo-
tiven so überraschend sich bilden sahen, und die alle Märchen
der anderen Völker weit überflügelten: dafs diese Märchen nur
in Indien entstehen konnten, denn ihre Entwicklung stimmt mit
den Eigenheiten keines anderen Volkes, dafür aber bis ins ein-
zelnste mit den Eigenheiten des indischen Wesens.
Die Vermutungen Benfeys^ über Geschichte und Ausbrei-
tung des indischen Märchens erhielten eine Überfülle von Be-
stätigungen. Benfey suchte zu beweisen, dafs die meisten der
indischen Märchen auf buddhistische zurückgingen, und als dann
die reichen buddhistischen Märchenschätze bekannt wurden, recht-
fertigte fast jedes Stück diese Meinung und war als Variante oder
als ^tere Form der späteren indischen Märchen leicht zu erkennen.
Auch der Einfluis und die Bedeutung der indischen Märchen
' Vgl. etwa PantchatofUra 1, XXII f. Orient und Okxidmt I, 133 f.
Kleinere Schriften III, 67. 160. 224.
Zar Entotehnng des MSrchens. 287
für die Märchen der Welt stellte sich als ein vid imposanterer
und beherrschenderer dar^ als sogar Benfey geträumt hatte, die
mongolischen, die awarischen, die türkischen, die tibetischen, die
syrischen, die afrikanischen Märchen,^ die in den Jahrzehnten nach
dem Pantschatantra bekannt wurden, zeigten auf Schritt und Tritt
Spuren der indischen Einflüsse, ja das Wertvollste und Interessan-
teste an ihnen war indisches Lehngut Mit dem Buddhismus
hatte eben auch das buddhistische Märchen die asiatische Welt
si^reich durchschritten. Wenn nun bei halbbarbarischen rohen
und zurückgebliebenen Völkern die indischen Märchen solche
Eindrücke hinterliefsen, wie sehr mufsten dann erst die Völker
des Abendlandes unter ihren Bann geraten I Es ist kein Wunder,
dafs manche Forscher meinten, es gäbe kein Märchen, das nicht
in Indien seine Heimat habe, auch die Märchen seien indisch,
deren indische Vorbilder man bisher nicht auffand, dafs manche
auch, schlechten Beispielen von Benfey folgend, in abendlän-
dischen Märchen nach einzelnen Motiven suchten, die indischen
ähnlich waren, diese Motive dann für die ursprünglichsten und
die Herkunft der ganzen Märchen für indisch erklärten.^
Durch diese Übertreibungen wurde nun das Vertrauen zu
Benfeys Theorie recht erschüttert. Wir können es wieder be-
festigen, indem wir zugeben, dafs Benfeys Ansichten teils sehr
wesentlicher Ergänzungen, teUs sehr wesentlicher Einschränkungen
bedürfen.
Der Ergänzung insofern, als die Geschichte des Märchens
weit über den Buddhismus hinaufreicht. Gewifs, die in Indien
erzählten Märchen beruhen sehr oft auf dem Buddhismus, aber
die buddhistischen Märchen zeigen uns selbst, dafs ihnen ältere
Geschichten zugrunde liegen,^ und, um das noch einmal zu sagen,
die Märchenmotive, aus denen sich diese und noch ältere Ge-
schichten zusammensetzen, gehören, zusammen mit den primitiven
religiösen Vorstellungen, den Anfängen der Sage und des Mythus
jedem Volk und der Urzeit des Menschen. Manche haben sich
im Abendlande die Jahrtausende hindurch unverändert erhalten
* VgL etwa Jülg, Kdlmüekisehe Märchen 1866; Jfllg, Mongolisehe MStt-
ehen 1868; Schiefner, Ätporisehe Texte 1873; Baiston Schiefner, Tibekm
Tales 1882; Eadloff, Proben der VolkalüeraHtr der türkisehen Stämme Süd-
sibiriens 1BQ6 — 72; Prym und Socin, Der neuctramäisehe Dialekt des *Tär^
'Äbdin 1881; Stumme, Timisiseke Märehen und Gedichte 1893.
* VgL oben Archiv CXV, 289 Anm. 2.
' VgL z. B. Serge d'Oldenbourg, Journal of the Royal Asiaiie Society j
N. S. 25 (1893) 301 f. — Man erkennt jetzt ^anz klar, da£s die Buddhisten
dieJie Geschichten vorfanden und in sie die buddhistische Weltanschauung
hineinbrachten, vgl. Oldenberg, Litertxtur des alten Jkdien 108 f. — Einzelne
Jätakas sind kontaminierte, entstellte, in Motiven gehäufte Märchen, vgl.
etwa die Kümmern 41, 77, 120, 114, 284, 432, 186, 257, 357. — 48, 193 (spate
Auswüchse).
288 Zur Entstehung des Märchens.
und sich mit neueren Gebilden, audi Qebilden indischen Ur-
Sprungs, verbunden.
Der Einschränkung insofern, als lange nicht alle abendlan-
dischen Märdien indischen Ursprungs sind. Die Märchen von
Domröschen und Schneewittchen etwa, die von Goldener und
Ällerleirauh, die vom Wasser des Lebens und den Hollenreisen,'
die vom Bauer Elinochs, der seine Dorfgenossen inuner betrc^
und immer auflebte, wenn sie ihn tot glaubten,^ die Schild-
bürger- und Narrenstreiche, der Meisteraieb: diese Märchen,
um nur einige Beispiele herauszugreifen, gehören zum TeO seit
langen Jahrtausenden dem Abendlande an, sie haben sich aus den
deichen Motiven, nur kunstloser, entwickelt, wie die indischen
Märchen auch: sie sind diesen in Aufbau, Steigerung, Kompo-
sition weit unterl^en, aber gerade in ihrer Einfachheit, weil sie
die alten VorsteDuneen so treu bewahren oder so kindlich und
barmlos oder so derb und drastisch erzählen, gerade darin liegt
ihr Zauber und ihre Lebenskraft Ihre Heimat aufzufinden durfte
schwer oder unmöglich sein, und Entdeckungsreisen danadi kann
man kaum empfehlen; die Hauptsache bleibt, daTs man diese
Märchen unbefangen betrachtet und sich ihrer freut, ohne daTs
man durch die Frage, sind sie indisch oder nicht indisch, gequält
und gewaltsam festgehalten wird.
Das darf man aber behaupten: erkennt man in einem euro-
päischen Märchen eine kunstvolle Art der Erzählung, wie wir
' Die Opfer, die bei einer Höllenfahrt zu entrichten, die Gefahren und
Mühseligkeiten, die zu überwinden sind, schildert das Indische wieder in
seiner Weise, angnehäuft und sich steigernd. Odysseus (0dy99ee XI, 28 f.)
ffräbt, bevor er die Schatten der Toten beschwört, eine Grube, gieikt für
die Toten einen Weiheufs hinein : Honig, Milch, Wein und zuletzt Waaaer,
das bestreut er mit Mehl und gelobt, zu Hause ein Bind, dem TLresuis
einen fehllosen Widder zu opfern. Bei Jülg, Mongol. Märchen S. 96, muis
ein Held, der eine Unterweltsreise macht, einem eisernen Alten, der ge-
schmolzenes Blei getrunken, Reisbranntwein geben, zwei aufeinander-
stofsende Widder durch Hefekuchen bes&nfti^n, einer Schar von Gepan-
zerten Fleisch und Kuchen verabreichen, zwei blutigen behaarten Dienern
des Höllenrichters ein Blutopfer entrichten usw. und die Gefahr und
Mühsal schildert ein Märchen aus Tibet so (Ralston, Schiehier S. 62) : drei
und nochmals drei Berge und dann den Gebirgsstock des Himavant über-
schreiten, über einen trägt em Vogel; Zaubergeechöpfe, ähnlich Bock und
Widder, einen greulichen Zaubergeist zu übconnden, eine Schlimro, die
wie ein wütender Strom zischt, erschlagen, zwei Widdern, die mit Efömem
aneinanderstolsen, Homer abbrechen, von zwei eisernen Mäimem mit
Waffen einen erschlagen, einem Geist mit Eisenlippen einen Schleuder an
die Stirn schleudern, über einen grofsen gärenden Teich, der sechzig Faden
tief, schreiten, Geister bezwingen etc. etc. (die Worte hier sehr dunkel,
Ralston 64 Anm.). Mit dieser Überfülle von Gefahren vergleidie man die
der Psyche bei Apuiejus drohenden — oben Archiv CXV, 19 — wie wenig
weidMi ^s I
' R. Köhler I, 91. 230 f. Cosquin I, 114 f. (indische Formen, modern)
226 f.
Zur EntstehuDg dee MärcheDs. 289
sie durch unsere Beispiele anschaulich machten^ so ist seine Heimat
bestimmt Indien. Man wolle dabei nicht vergessen, daTs nur
wenige der indischen Märchen nach dem Abendlande kamen, ge-
rade das Echteste und Feinste, das durchaus Indische am m-
dischen Märchen war zu fein und kompliziert für andere Völker.
Vergleicht man die abendländische Form eines indischen Mär-
chens mit der indischen, so erscheint jene als verblafst und ab-
Seschwächt. Oft kamen nicht die ganzen indischen Märchen
erüber, sondern nur Episoden und Bruchteile,^ die sich in Mär-
chen anderer Herkunft einfugten, oft auch nur besonders feine
und wirkungsstarke Motive, die sich gleichfalls an andere Märchen
ansetzten und neue Verbindungen eingingen. Das wurde auch
aus unseren Beispielen klar, wenn es auch aufserhalb unserer
Au%abe lag, den Wanderungen und Wandlungen im einzelnen
nachzugehen, der kaleidoskopischen immer neuen Zusammensetzung
und den geographischen Wegen zu folgen.^ Auch bleibt es anderen
vorbehalten, die Märchenkunst europäischer Völker zu charakte-
risieren durch Veigleichung des Indischen und Nichtindischen in
ihren Märchenschätzen und durch Betrachtung der Art, in der
sie die indischen Motive aufnahmen und verwandelten.'
Die Zahl der Märchen indischer Herkunft innerhalb der
abendländischen Märchensammlungen bleibt aber noch immer eine
stattliche. Was die Benfeysche Hypothese einbüfste: dafs sie
manches abendländische Märchen verlor, auf das sie früher zählte,
> Vgl oben Arekw CXV, 286; CXVI, 9. 11. 15 Anm. 5. 20 Anm. 2.
22 Anm. 1.
* Doch sind die literarischen Hinweise, die ich gab, immer so ein-
gerichtet, diese Forschoneen zu ermöglichen.
^ Über das deutsche Märchen, seine Geschichte, seine deutschen und
nichtdeutschen Bestandteile, hoffe ich demnächst etwas ausführlicher zu
sprechen. — Schon hier aber möchte ich auf die Verse im deutschen Mär-
cnen hinweisen, die dann als Beweise für hohes Alter und deutschen Ur-
sprung der Märchen gelten dürfen, wenn sie die Eigentümlichkeiten des
alten deutschen volkstümlichen Verses sich bewah^n; Assonanz statt
Reim, Fehlen klingender Beime, schweren Auftakt, bald mehrsilbige
Senkung, bald Synkope der Senkung, dipodischen Charakter. Vgl. z. B.
Grimm, KHM:
12 RapünzM, Rapunzel | Lifa Dein H4ar herunter. —
15 Entchin, Entch^n | Da steht uns GrMM und EGiinsM |
Kein St^g and keine Brücke | Nimm uns auf deinen weiÄen Bücken >\.
89 W^h Weh Windchin Nimm Kurtchto sein Hiitch^n.
Wenn das Deine Mutter yrtCsth
Das H^rs thftt ihr zerspring^D.
141 Der K6ch der w^tzt das Möss&r
will mir das Hirs durohstöchto. Usw.
Zur Vortra^weise der Märchen im aUgemeinen sei auch hier an €k>ethes
Werther erinnert: 'so daCs ich mich jetzt übe, sie (die Märchen) unver-
änderlich in einem sinsenden Silbenfall an einem Schnürchen weg zu reci-
tieren' (Hempel 14, 58).
290 Znr Entstdumg dw MfircheDS.
hat sie für das aaTserindische Asien reichlich ein^bracht, hier
hat sie sich ^x>fsartiger und vielfältiger bewahrt, als irgend jemand
voraussah. Einige Aufsen werke hat die Hypothese v^oren; aber
durch die Verluste wurde, was ihr bUeb, nur fester und unüber-
windlicher; bei den Märchen, die sie behalten, läfst sidi die Her-
kunft aus Indien Punkt für Punkt nachweisen.
Die Forscher, die g^en Benf ey kämpften, haben alle, mit
einziger Ausnahme von Erwin Rohde, das indisdie Märdien nicht
so gekannt^ wie sie es hätten kennen müssen, wenn ihre Polemik
wirklich den Kern der Meinung Benfejs treffen woUte.' Aller
* Wilamowitz, Euripides HippolytaSy Berlin 1891, S. 36 f. sagt: 'Seit
den letzten Jahrhunderten des Mittdalters besitzt die europaische Literatur
einen groDsen Schatz von solchen Novellen; in unübersenbarer Fülle, in
tausend Bearbeitungen, immer verändert und immer dasselbe Uegen ne
vor uns. Es ist unzweifelhaft, dafs Europa sie aus dem Ori^it erhalten
hat, und dafs die greisen indischen Sammlunj^en an Alter und ürsprünj^-
lichkeit hervorragen. Aber die fast all^mem geltende Ansicht, die in
Indien die Heimat dieser Geschichten siät, ist schon dadurch widerlefft,
dafs einzelne Stücke mehr als ein Jahrtausend frfiher in mediischen oder
lateinischen FasBun^en erhalten sind, und dafs die Tierfiibel des Mittel-
alters in Ost und West griechischer Herkunft ist Ja, ein paar Schwanke
von betrogenen Ehemännern, die man den Griechen am wenigsten zutrauen
würde, werden ganz zufällig bei Aristophanes owahnt Der Philologe,
der wirklich die nellenische Unterhaltungsliteratur kennt, der an der Ss^
gelernt hat, den Umfang und die Bedeutung der ungeschriebenen Literatur
zu schätzen, kann überhaupt gar nicht erst darütwr debattieren, dafs es
mit den milesischen, lydischen, ionischen, sybaritischen Geschichten, mit
den Sieben Weisen und der Fanrt in das Wunderland im Verhältnjis zu
der orientalischen Novellistik genau so steht wie mit Alexander und Asop.
Der Orient hat in dem Novellenschatze das Erbe des Hellenismus ge-
rettet, das Erbe vieler Jahrhunderte, wo in seinen weiten Reichen üb»
allen Völkern die einigende und vermittelnde Macht der heUenischen Kul-
tur und Sprache stand. Diese Macht ist durch die niedergedrückten Völker
zerstört worden, durch Skythen und Parther und Araber und Türken;
aber wie die Blüte des Orients die hellenische Herrschaft war, so zdirt
seine Phantasie an dem Vermächtnis des Hellenismus, und dies hat er
dem barbarischen Europa wiedergegeben. Es versteht sich von selbst, dala
die Geschichten, indem sie in die fremden Zungen und Gegenden und
Sitten übergingen, Eigentum der anderen Völker geworden sind, denen
nichts an ihrem individuellen Verdienst gekränkt werden soll. Es ver-
steht sich auch von selbst, dafs die hellenische Novelle genau die Voraus-
setzungen hat wie der Hdlenismus, und dafs darin das Hellenische nicht
der einzige Faktor ist Ja die jonische Novelle schon, die man um 500
auf den Alärkten von Milet und Samos erzählte, verarbeitete keinesw^s
rein hellenischen Stoff, sondern die gemischte Kultur der kldnasiatischen
Küste und die Erkundungen eines an allen Küsten verkehrenden Kauf-
mannsvolkes sind ihre Voraussetzungen. Die Kultur der Völker um das
östliche Mittelmeer ist ja Jahrtausende älter. Aber den Hellenen hatten
die Götter nun einmal beides gegeben, sowohl die Phantasie wie die Form,
hatten ihnen die Aufgabe gesteUt, die Summe aus der Kultur der Jahr-
tausende zu ziehen, indem sie, dieses von sich heraus, den freien Staat,
das freie Denken, die freie Wissenschaft hinzubrachten; damit waren sie
auch befähigt, den Schatz von Kultur und Menscheaerfahnuic^ von Laiine
Zur Entstehung des MSrcheoB. 291
Einschränkung und Ergänzung ungeachtet, gab es in der Wissen-
schaft selten eine Theorie, die so viel glänzende und unerwartete
Bestätigungen erhielt, so viel Dauer, innere Wahrheit und Lebens-
kraft besitzt und der Elrkenntnis literarischer Zusammenhänge so
fruchtbar wurde wie die Benfeys. Es wird nunmehr überhaupt
gut sein, das törichte allgemeine Ankämpfen g^en die Priorität
der indischen Märchen aufzugeben; ob em abendländisches Mär-
chen auf ein indisches zurückgeht, mufs in den Fällen, die wir
nicht berührten, jedesmal durch eine Einzeluntersuchung nach Art
der hier geführten festgestellt werden. Dais die Ansichten der
englischen Forscher: die Märchen seien überall und voneinander
und Humor, Schwänken und Fabeln zu sammeln, auszumünzen und unter
die Leute zu bringen, der dann so und so oft uberprägt oder auch um-
^eschmoizen Jahrtausende lang kursiert hat und nocn kursiert. Sie haben
freilich keinen Homer oder Asop für die Novelle gehabt : aber wer Vater
Herodotos recht kennt, der weils dennoch, wo die Väter der Novelle zu
Hause sind und wie sie etwa ausgesehen haben.'
Von diesen Behauptungen trifft zu, dals die Griechen Märchen, No-
vellen und Schwanke Kannten und erzahlten, und dafs von diesen Ge-
schichten auch manche in den Orient drangen, manche in den Erzählungs-
schätzen des Mittelalters wieder auftauchen und sich dort in der Naä-
barschaft von Geschichten anderer Herkunft aufhalten. Ein andere Völker
durchweg ausschlieiaendes Monopol auf die Erfindung von Geschichten
besaisen eben die Inder nicht. — Das war aber alles unnötie zu sagen,
denn man wuTste es vor Wilamowitz schon längst; schon 1876 hatte das
Eririn Rohde (Der grieohtsehe Romain* 578 f. Über ariechisehe Noveüen-
diehUma und ihren Zusammenhana mit dem Orient) besonnen und über-
zeugena ausgesprochen, und derselbe hatte in seinem griechischen Roman
überall auf Spuren des griechischen Märchens, von Homer an, verwiesen.
Allerdings betonte auch Rohde nicht den sehr bemerkenswerten Unter-
schied zwischen den von ihm genannten, einander sehr ähnlichen indischen
und griechischen Schwänken und gab eine recht wunderliche und verkeiirte
CharsuLteristik des indischen Märchens (598). Die uns ernaltenen Reste
griechischer Märchen, Schwanke und Novellen sind aber dürftig und stehen
auf keinem sehr hohen kOnstlerischen Standpunkt: es sind Motive, Anek-
doten und kurze Geschichten wie sie sich andere Völker auch erfinden
konnten und erfanden (vffl. die Anekdoten über die Todesarten griechischer
Dichter und Denker bei Wilhelm Hertz, OesammeUe Abhandlungen 312 f.).
Wir müssen darum annehmen, dafs diese Erzeugnisse, im Gegensatz zur
Fabel und zur Kunstdichtung, sich mündlich überlieferten una nic^t von
Eünstlerhänden geformt wurden. Da nun andererseits die Geschichten
indischer Herkunft, die wir vorführten, und auch die Novellen, die wir
noch vorführen wollen, durchaus das Gepräge indischen Geistes und in-
discher Kunst zeigen und nur aus diesem verständlich werden, oft auch
in Zeiten hinaufreichen, die vor allen griechischen Einflüssen liegen, bleibt
von der Annahme von Wilamowitz, die Inder hätten mit ihren Erzäh-
lungen das Erbe des Hellenismus der Welt überliefert, nichts als ihre bare
Willkür, zumal da, wieder im Gegensatz zur Fabel, die Erzähler dieser
Novellen niemand nennt und kennt und die Erzählungen selbst sich auch
fast spurlos verlormi. — Ich habe zu den Behauptungen von W. nur Stel-
lung genommen, weil sie Eindruck machten; Vj^ Kögel, Oesehiehte der
deutschen Literaiur, Stra&burg 1807, I, 2, 248 f. Wie W. dazu kommt, das
Europa zur Zeit der Kreuzzüge 'barbarisch' zu nennen, weiTs ich auch nicht.
292 Znr Entstdinng des Mirchens.
unabhängig entstanden, fast nur für die Märdienmotive gilt und
für Zeiten, die weit vor dem Buddhismus liegen, bis zu dem
Benfey doch nur vordrang, dürfte nun auch jedem einleuchten ;
Benfeys Theorie wird dadurch gar nicht getroffen. Wir gewan-
nen aber durch diese Forscher und durch Benfey die Möglidi-
keit^ das Werden des Märchens in den Urzeiten ahnend zu er-
kennen, seine Geschichte, seinen Zusammenhang mit Diditun^
und Kultur durch die Jahrtausende hindurch, bei primitiven and
bei gebildeten Völkern zu begleiten, das Wesen der Volker auch
durch ihre Märchen zu bestimmen, und zugleich den ungeheure],
über Orient und Okzident sich ausbreitenden, tausendrach ver-
zweigten Einflufs des indischen Märchens zu untersuchen: alles
Aufgaben und Ziele, die zu den weltumspannenden and zu den
verlockendsten gehören, die literarische Forschung erreichen kann
und die zugleich die tiefsten Einblicke in die Völker und ihre
Dichtung verheilst.
V. (Anhang.)
Btfdiers Fabliaux. Die indischen Novellen.
In einem Anhang möchte ich noch zu einem Werke Stellmig ndimen,
das vielen Foinchem ihre stärksten, noch heute' wirksamen Zweuel an der
Theorie Benfeys eingab : B^diers Fabliaux. Es war ja zuerst die Begdste-
rung über dieses Buch eine allgemeine. Dann wurden dem Verfasser durch
Cloetta und Euling* eine inmmelnde Fülle von falschen Angaben, FlOch-
^^tigkeiten und Irrtümern nach^väeseni und zwar alles so augenfällig,
da(s man sie gar nicht we^treiten konnte. Wäre über einen deutschec
Gelehrten ein ähnlicher kntischer Schauer niedergegangen, so wäre wohl
der Glaube an Treu und Bedlichkeit für immer zerstört gewesen, den
N^ Franzosen eab man noch nicht prds. Die Methode, hiefs es, die scdiarf-
sinnige und geistreiche Methode des Verfassers mache die Benfevsche
Theorie doch zu nichte, und wenn auch noch so viele Tatsachen nüsch
wären, die Methode bleibe unwiderl^lich. Das klinet ungefähr so, als
wenn man sagt, die Soldaten alle sind gefallen, der Feidhorr alldn hat
durch seine eeniale Strategie das feindliche Land erobert, und es ist auch
ebenso glaubhaft Wir wollen uns nun einmal diese vielgerühmte Methode
näher betrachten und wenden uns dem Werk von B4dier auch darum für
längere Zeit zu, weil es uns bestätigen soll, dafs für die Novellen indischer
Hencunft genau das gleiche gilt wie für die Märchen.
B6dier faüst seine Ersebnisse 8. XVIII, XIX, XX der Vorrede in
diesen Sätzen zusammen : L*immense majorit^ des contes populaires (pres-
Que tous les fabliaux, jpresque toutes les fahles, presque tons les contes
ae f^) ^chappent par leur nature ä toute limitation.
Les ^l^ments qui les constituent rMlement reposent, soit, dans k
plupart des fabliaux et des fahles, sur des donnöee morales si g^n^rales
qu'elles peuveut ^^ement 6tre admises de tout homme en un temps ^uel-
conque, soit dans la plupart des contes de f4ee sur un merveflleux si pen
caract^ris4 qu'il ne choque aucune croyance et peut-^tre indiff^remment ac-
' Vgl. z. B. Hermann Reich, Deutsche Lüeratuntitung vom 8. Jnli 1905.
> Cloetta, Archiv XCIH, 206 f. — Enling, Ana. f. deuUch. Alt&rk XXni, 265 t
(1897) — vgl. auch die Beaprechangen von Josef Jacobs, FoJk Latt VII, 61, Des
üranges, Romama XXIV, 135.
Znr Entstehnng des MarcheiiB. 298
oept^, ft titre de simple fantaisie amnaante, par ud bouddhiste, un chr^-
tieD, un musnlmaD, un f^tichiste.
De lä leur double don d'ubiquit^ et de p^rennit^. De ]k par con-
s^qiience im mediale rimpossibillt^ de rien savoir de leur origine, m de leur
mode de propaeation. iIb n'ont rien d'ethni(][ue: comment lee attribuer
ä tel penple createur? IIa ne sont caract^ristiques d'aucune civilisation :
comment les localiaer? D'aucun temps: comment les dater?
U faut donc conciure ft la pol^^gen^sie des oontes.
Man wird das Einleuchtende in diesem Bäsonnement gern zugeben
und zugleich den methodischen Fehler darin leicht sehen. B4dier unter-
scheidet nämlich nicht zwischen Märchenmotiv und Märchen. Ffir die
Märchenmotive trifft, wie wir sehr oft erfuhren, allerdings zu, was B. sagt,
dais sie jederzeit und bei jedem Volke entstdien. Ein Märchen aber setzt
sich aus verschiedenen Märchenmotiyen zusammen, und die Art dieser Zu-
sammensetzung, ebenso die Verwertung und Ausbildimg der Märchen-
motive kann, ganz allgemein gesprochen, sehr wohl für bestimmte Völker
charakteristis<£ sein. Wie oft hat sich uns das bei Betrachtung der in-
dischen Märchen gezeigt! So vergüst B. bei seinen Erörterungen gerade
das, was für den Märdienforscher doch die Hauptsache ist Soviel über
seine Methode im allgemeinen.
Was sind nun seine methodischen Elinwände im einzelnen gegen die
Herkunft vieler fabliauz aus orientalischen Vorlagen? B. behauptet zu-
erst (1) 115 f. 8) 130 f.), da(s nur zu elf von 147 fabliaux Parallelen in älteren
oder jüngeren orientalischen Sammlungen nachzuweisen wären. Dieses
quantitative Argument, das auf viele Forscher den ^ölsten Eindruck machte,
wurde von Cloetta (a. a. 0. 215) und Pillet* zerrissen. Pillet zeif;te näm-
lich, dafs unter den elf fabliaux nur die wichtigsten Vertreter, nicht aber
sämtUche Varianten eines Stoffes von B. aufgezählt werden, daÜB aber
umgekehrt die verbleibenden 130 fabliaux nicht etwa nach den wichtigsten
Vertretern, sondern nach jeder einzelnen Variante gezählt sind. Femer
wurden von B. auch manche orientalische Erzählungen übersehen. — Was
sind nun die qualitativen Einwände? Und die Einwände gegen die ein-
zelnen fabhaux, die man bisher aus orientalischen Erzählungen herleitete?
B. sagt (S. 155): En un mot on peut reduire une version quelcon^ue
d'un conte ä une forme irr^uctible: ce substrat demier devra ndcessaire-
ment passer dans toutes les versions existantes ou m6me imaginables du
r^it, u est hors du pouvoir de l'^prit humain d'en supprimer un jota.
On redirait le conte dans dix-mille ans que cette forme essentielle se main-
tiendrait, immuable.
Cela pos^ (nous apelerons ca cet ensemble de traits organiques) . . .
n s'ensuit que nous ne pouvons ne rien savoir du rapport des deux ver-
sions qui ne possMent que ces seuls traits en commun.
Mais 11 est Evident que Jamals un conte ne s'est transmis sous cette
forme sommaire, abstraite et comme symbolique: le jour m6me oü il a 6t^
invent^ ces personnages vivaient d^jä d'une vie ^lus concr^te, plus oom-
plexe. Chacun des incidents n^cessaires de Fintngue 6tait exphqu^, mo-
tiv^: c'dtait ici un detail de mceurs, lä un mot plaisant, lä un trait de
caract^re. Si on nous permet d'employer ces formules le conte ne s'ex-
primait point par lo, mais par <<; -|- a, b, c, d etc. Chacun de ces traits
acoessoires a, d, c, d . . . est par nature transitoire et mobile. Ils sont
les acddents du conte dont a? est la substance. Ils sont par d^finition,
arbitraires, et peuvent varier d'un conteur ä Fautre.
8i donc on retrouve Fun d'entre eux dans deux versions — et dans
ce cas seulement — ces deux versions sont idissolublement unies. De
möme qu'une famille de manuscrit est constitn^ par l'existence d'une
* Dtufableau vom den (rois Bouu» MmutrtU, Htlle 1901, p. 32, a. 1.
2H Zar Entstoliiing 6m MbtlbmM,
mtoe faute dans divers manntcrits, de mßme pliudenTB ▼enions dhm
coote peuTCDt 6tre rang^ en nne m^me familie, fd cep yerrionB pr^sen-
tent les m^es traits acoeetoires en oommnn ... La tantaiaie cr^thoe
6tant iin acte de Tesprit auesi indlviduel que Terreur.
Diese letzte Behauptung schränkt B. sofort sehr stark ein in der An-
merkung: II reste ici oomme dans les claasißcations de maouscrit un
ä^ment de critique subjective: de mteae qu'nne faute identique peut avoir
^t^ sugg^r^ ft deux copistes ind^pendants de mftme un m^me trait aooes-
Boire peut ea certain cas avoir M/& imagin^ par deux conteurs ind^pendants.
Chaaue cas doit 6tre ^tndi^ ä part.
Mit Hilfe dieser Methode untersucht nun B. ffinf fabliaux, am denen die
Parallelen in orientalischen Erzählungen nachgewiesen sind. In zwei von
diesen fünf ereignet es sich nun, dals orientalisdie und okzidentalische Ver-
sion dieselben traits aooeesoires haben. Erstens in den trois boesua mdne-
Btrels: die Geschichte von der Frau, die an einen häCslichen Buckligen
yerheiratet ist Sie läist sich zu ihrem Verniilgen tou drei anderen Buck-
ligen vorsingen, trotzdem ihr eifersüchtiger Mann ihr das verboten. Mitten
in das Vergnügen kommt er zurück, sie versteckt die Bucklisen in Eisten,
der Mann ^eht beruhu^t wieder fort, die Bucldigen aber sina unterdessen
erstickt. Die Frau ruft einen Träger, der ihr den ersten forttragt und ins
Wasser wirft ; als er seinen Lohn will, weist sie entrüstet auf den zwdten,
warum er ihr den Toten zurückgebracht habe. Der Träser trägt zornig
auch den zweiten fort. Das eleiche 8piei wiederholt sicn beim dritten,
und als der Träger in voller Wut unter furchtbaren Drohungen auch den
dritten versenkt hat und zurückkehrt, sieht er wieder einen Buckligen
hinter sidi — es ist natürlich der Mann, stürzt sich auf ihn, erdroesielt
ihn und wirft ihn ins Wasser. Darauf gibt ihm die Frau voller Entzücken
seinen Lohn und ist von ihrem Qatten b^Ereit. Die erzählte Form da*
Greschichte begegnet nur in der hebräischen Version des Sindabadkreisee
(im Mischle-Sandabar), d. h. in den berühmten Erzähluneen der sieben
weisen Meister, die uns persisch, arabisch, hebräisch, syrisch und in vielen
abendländischen Übersetzungen erhalten blieb, und für die Benfey ein in-
disches Oriflinal wahrscheinEch buddhistischer Herkunft, den Siddhapati
erschlols. Es ist nun die Annahme sehr natürUch, daCs der Hebräer aus
einer orientalischen Quelle schöpfte, besonders da die trois bossus ein
durdbaus orientalisches Gepräge nahen, da namentlich in indischen Mär-
chen Bucklige und Krüppel sehr oft auttreten, die Frauen gmde in in-
dischen Schwänken — ich erinnere an die Cukasaptati — mit ihren Lieb-
habern und Gatten genau ebenso rücksichtslos und verwe|ren umgehen,
und da ein Ansatz zu unserer Geschichte im arabischen BtQi&r i Danüsh
entdeckt wurde. Auch das verdreifachte Forttragen des Buckligen und
die Pointe, dafs die Frau zum Lohn für ihre Frechhdt noch vom Mann
befreit wird, mutet uns, die wir das indische Märchen kennen, als echt
indische Erändung an. B. meint aber, da die Erzählung in keiner anderen
Rezension des Sinaabad wiederkehre, so brauche sie abi^lut nicht aus dem
Orient zu stammen, sondern könne ebensogut irgendwo anders erfunden
sein. Irgendwelche oestimmte Beweise für cueBe E^hauptung beizubringen,
hält B. der Mühe nicht für wert. Es ist nun zum Glück unwiderl^^cfa
durch PiUet in seiner genannten Abhandlung erwiesen worden, dals £ im
Unrecht war; der Ston der trois bossus ist orientalischer Herkunft und
orientalischen Charakters.*
^ Eine dem fabliau sehr ähnliche Greschichte wurde Jetst aseh in einw sehr
wertvollen modernen indischen HftrcheDaammlnng geAinden : Ltsudes, CtmiM ti LM/mdet
mamitsf, Saigon 1886, p. 190. Vgl. Gaston Paria, iUmama XXX (1903), IM f.
(und 140, a. 1), wo auch sehr fibeneugend Aber die Tevschiedenen Formen noseree
Schwankes gesprochen wird.
Zur EntartelinDg des MXrdienB. 296
Das wire das erste ünglflck. Nun die qnatre sonhaits 8t Martin.
£s ist, wie B. säet, 'une plairaite et obsc^e ezag^ration' eines bekannten
Schwankes von den Wfinschen, die Menschen erfüllt werden, und deren
Erfüllung die Wünschenden zur Verzweiflung oder in die lächerlichsten
Situationen bringt, so dals sie erleichtert aufatmen, wenn durch den letz-
ten Wunsch der frühere gewöhnliche Zustand wiederhergestellt wird. Dies
fabliau findet sich in aUen orientalischen Versionen der Sindabadgruppe
und nur in diesen. Daraus schlieist doch jeder Unbefangene, dals cne
Sindabaderzfihlung die Vorlage für das fabliau war. Um so eher, als wir
die Idee des Schwankes : die Menschen sind nicht einmal fähig, aich einen
Siten Wunsdi auszudenken und bringen sich, wenn ihnen eine besondere
nade zuteil wird, durch ihre dumme Gier in die albernsten Situationen
— als wir diese Idee als eine durchaus indische wiedererkennen. Anders
B., er sagt: qu'un fabliau et un recueil oriental se groupent dans une
m^e sous-funille, c'est un fait qui ne prendrait de signification que s'il
^tait oonstant. mais il est tr^s rare. Das ist doch nichts als eine küm-
merliche Ausflucht, die sich aufserdem mit den oben zitierten Exklama-
tionen nicht in Einklang bringen läfst. Ferner behauptet B., das fran-
zösische fabliau könne ebensogut Vorlage der sämtlichen orientalischen
Versionen sein wie umgekdirt. Was er sich bei dieser Bdiauptung denkt,
weils ich nicht; wenn es ihm Ernst damit wäre, so müfste er annehmen,
dais unsere französische Erzählung im yierten Jahrhundert vor Christus
nach Indien wanderte und dort in die buddhistischen Märchensammlungen
aufgenommen wurde. Herr B. hat also keinen anderen Grund gegen den
orientalischen Ursprung unseres fabliaus als den, dafs die Tatsache dieses
Ursprungs nicht zu der eigenen vorgefafsten Meinung pafst, und um
dieser Meinung willen scheut er vor leeren Ausflüchten und vor unmög-
lichen Behauptungen nicht zurück.
Die Art, wie Herr B. die traits accessoires in seiner Methode behan-
delt, kann also kaum ein günstiges Vorurteil für die Methode selbst wecken,
und diese ist der Methode nachgeahmt, die man bei der Klassifikation
der verschiedenen Handschriften eines Textes anzuwenden pflegt. Es be-
steht zwischen beiden Methoden nur ein sehr wesentlicher Unterschied, und
durch diesen wird die des Herrn B. meines Erachtens wertlos: bei Hand-
schriften sucht man den Archetypus, wie er einmal existiert haben mufs,
und wie er existieren würde, w&e er ims erhalten geblieben, während
BMiers oi in Wirklichkeit niemals existiert haben kann. Somit mag Bädiers
Methode sehr nützlich sein, so lange es gilt, eine grolse Gruppe von Ver-
sionen einer Erzählung übersichtlich anzuordnen ; damit erschöpft sich aber
ihre Bedeutung. Soll sie benutzt werden zur Ehrkenntnis der wirklichen
literarischen Zusammenhänge, so kann sie uns nur trügerische Ergebnisse
vorspiegeln. Eben weil das w des Herrn B. eine imaginäre und keine
wirkliche Grö&e ist, darf man es der tatsächlichen Entwickelung
nie zugrunde legen; eben weil es eine gelehrte Erfindung bleibt, kann es
uns zur Erkenntnis eines lebenden Organismus nicht verhelfen.
Bei der Untersudiung des dritten der fünf fabliaux, des 'Lai d'äpervier'
führt uns B. wieder durch seine Methode in die Irre. Die Cukasaptati
(t. s. 2t>-— t o. 85) erzählt: Eine Frau hat zwei Liebhaber, und diese sind
Vater und Sohn. Als der Sohn gerade bei ihr ist, kommt der Vater. Sie
versteckt jenen, da kommt auch der Mann. Der Vater, von ihr verstän-
digt, entfernt sich drohend ; als der Mann sie fragt, was denn das bedeute,
antwortet sie: der Sohn habe sich, von jenem Manne verfolgt, hierher ge-
flüchtet, und sie habe ihn dem Wütenden nicht ausliefern wollen.
Diese Geschichte stimmt in ihrer raffiniert^ Durchtriebenheit durch-
aus zur indischen Eksählungskunst. Der Mann ist zugleich der Betrogene
und Bbunierte. Drei Männer dienen der Frau für ilm Lust, und indem
sie diese drei in einem Moment betrügt, triumphiert sie dreifach, indem sie
296 Zur Entstdmng dee Mirohens.
gleichzeitig fortwährend fürchten muls, entdeckt zu werden. Das ist alles
echt indisch. Der Inhalt dieser Geschichte ist im wesentlichen zugldch der
des 'Lai d' l'^pervier',* der also auch auf eine indische Quelle sich zurück-
führen läfst. Der Schwank wurde auch sonst vielfach enahlt» naturgem&fs
mit mancherlei Varianten, die sich aber zwanglos als Milderunmi der
indischen Form erklären lassen und von Gaston Paris (Romanta\lI, 1)
auch sehr hübsdi so erklärt worden sind. Namoitlicn erschien Tiden
Erzählern das Verhältnis der Liebhaber, Vater und Sohn, zu frivol. Sie
machten daraus schon im Morgenland Herr und Knecht, im Abendland
Bitter und Knappe, Armer und Reicher etc.
B. stellt sein ot her: une femme a deux amants. ün jour qu'en l'ab-
sence de son mari eile a re^u Tun d'eux, l'autre survient. Le premier
amant se dissimule devant le nouvel arrivant. Tandis qu'elle s'entretient
avec oelui-ci, le mari revient Elle s'en aper^it ä temps. EUle fait jouer
ä l'amant qui lui tient compagnie une scene de col^re: il prend un air tr^
irrit6, passe devant le mari en prof^rant des menaoes terribles et s'en va alnsi.
Le mari fort intrigu^ demande des ezplications ä sa femme qui lui
r^j^nd tr^ simplement, L'homme qui sort d'ici empoursuivait un autre
qui s'est r^fugi^ chez nous. Je n'ai pas voulu le trahir, 11 aurait ^t^ tu^
Je lui ai donn^ asile, le voici. Elle präsente alors le premier amant ä son
mari. Voilä le bonhomme rassur^.
Dieses a> ist ein rechtes Unding. Ektrakt und beinahe länger als die
Geschidite selbst, und dazu lälst es die nächstli^enden Fragen unbeant-
wortet, wie B. selbst zuResteht Z. B. warum denn überhaupt der erste
Liebhaber sich zurückzieht, warum beide zur selben Stunde im Hause des
Mannes sind etc.?
Dann safft B. weiter: die Entwickelnng braucht nicht vor sich ge-
gangen zu sem, wie Gaston Paris sie uns schildert. Die verschiedenen
Varianten konnten auch unabhängig von einander erfunden werden. ^ Ich
habe das €o nämlich verschiedenen Herren vorsel^, die die Geschichte
nicht kannten. Ich habe sie ^beten, sie mö<£ten sich nun die nähere
Motivierung überlegen, das Veäältnis der Liebenden sich ausdenken etc.
Und sidie da, sie erfanden, jeder unabhängig vom anderen, sämtliche uns
überkommenen Variationen. — Das ist gewils möglich. Ich erinnere nur
daran, dafs das (o B^ers in Wirklichkeit gar nicht existierte
und also auch keinem der mittelalterlichen Erzähler vorlag;
vielmehr hatten diese immer eine ganz bestimmte Formulierung der Ge-
schichte vor sich. Und somit ist Herrn B^ers Beweis, den er 4^time'
nennt, blofse Spieeeifechterei und durchaus wertlos, er beruht auf einer
Grundlage, die er künstlich schuf. Nebenbei hatte aas sanze Eraerinient
einen amüsanten Zwisdienfall. Als nämlich ein Erzähler für die Lieb-
haber das Verhältnis Vater und Sohn herausgefunden hatte (also das in-
dische I) wurde das Herrn B. triumphierend a£s die beste Lösung gemeldet.
Die Inder besalsen also doch eine gewisse Begabung, G^eschichten zu er-
finden I
Nun das fabb'au 'des tresses'. Die Geschichte des Pantschatantra, die
bisher als sdne letzte Quelle galt, verläuft so (I, 4): Ein Trunkenbold er-
tappt seine Frau, wie sie sich zu einem Stelldichein schleichen wilL Er
bindet sie an einen Pfosten und schläft ein. Währenddem kommt dne
Freundin der Frau, bindet sie los und sich fest, damit jene dodi zu ihrem
Liebhaber könne. Kurz danach erwacht der Mann, sein Zorn ist ver-
raucht, er spricht ihr begütigoid zu; doch aus Furcht, sich durch ihre
Stimme zu verraten, antwortet sie nicht Da erbost er sich wieder and
schneidet ihre Nase ab. Nach dieser Heldentat sdiläft er nochmals ein.
Nun erscheint die Frau, ihren alten Posten einzunehm«n. Sie eifiLhrt, was
> Vgl Mich W. H«rts, Spi9lmmmtbuok2 t68. 4tS.
Zur EntBtdiiing dee Mfirchens. 297
sich zngetrageo, and als nun der Mann, zum zweitenmal erwachend, wieder
poltert, schwört sie, so wahr si^ keusch sei, würden auch die Qötter ihre
Nase wieder heil machen. Der Mann sieht sie unverletzt und bittet tief
beschämt um Verzeihung.
Das fabliau hat folgenden Inhalt: Eine Frau verlangt von ihrem
Liebhaber, dals er sich nachts in das Zimmer schleiche, in dem sie mit
dem Gemahl schläft £r dringt ein, tastet sich nach dem Bett lud be-
rührt dort unglücklicherweise den Mann, der noch wach ist. Der hält
ihn für einen Dieb, ringt mit ihm und stölst ihn ins Nebenzimmer, in
dem sein Lieblingspferd und ein Maulesel stehen. Dort stellt er ihn in
einen groÜBen Zuber und schreit, seine Frau solle ihm Licht bringen. Aber
sie gibt vor, sie werde in der Dunkelheit niemals die Küchentflr finden,
sie wolle den Dieb bewachen, und er mÖe;e unterdes das Licht holen. Der
Mann geht darauf ein; sie laist sehnen den 'Dieb' entwischen, und als
der Gemahl mit dem Licht in der einen, dem Degen in der anderen Hand
wieder erscheint, hält sie im Zuber den Kopf des Maulesels mit dem
ernstesten Glicht der Wdt Da ahnt jener denn doch den Betrug
und wirft sie hinaus. Sie geht ins Nachbarhaus, in dem der Geliebte
ihrer wartet, und weiüs ^e Freundin zu bewegen, zu ihrem Mann zu
gellen und diesen zu besänftigen. Das wird dem zu arg, im Glauben, es
sei seine Frau, prügelt er die Arme und schneidet ihr schließlich zwei
Flechten ab. Dann befördert er sie vor die Tür. Sie erzählt der Frau
ihr Mifs^eschick, die tröstet so gut sie kann, schleicht sich ins Ehebett
zurück, m dem der Mann nun endlich entschlief, nimmt die Flechten, die
de unter seinem Kopflnssen gefunden, fort, legt statt ihrer einen Pferde-
schwanz hin und schläft friedlich bis zum Morgen. Und nun das Erwachen!
Der Mann, der die Frau unverletzt findet, mufs natürlich glauben, er habe
geträumt, und damit er in Zukunft weniger lebhafte Träume habe, muis
er sich auf Zureden der Frau zu einer langen Pilgerfahrt entschlielsen.
B^ier — seine Rekonstruktion des (o können wir diesmal füglich
übergehen — sagt nun : das Pantschatantra hat die schlechtere Form. Bei
ihm gelingt der Scherz und die eij^ntliche Pointe der G^chichte nicht.
Die abgeschnitt«ne Nase: das wird im Dorf einen schönen Skandal geben I
und wenn nun der Ehemann davon erfährt, der sich doch erinnert, eine
Nase abgeschnitten zu haben, was dann? Dann wird er seinen Irrtum
einsehen, und die List der Frau wird sich gegen sie selbst kehren. Darüber
schweige das Pantschatantra wohlweislich.
Wurde B. das indische Märchen etwas besser kennen, so würde er
wissen, dals dort in Indien es auf eine Nase mehr oder weniger nicht so
sehr ankommt: eine abgeschnittene Nase ist dort ebenso auffällig oder
unauffällig wie in Frankreich abgeschnittenes Haar. Der Scherz des
Pantschatantra ist also ebensowohl gelungen wie der des fabliau, und ein
Skandal braucht daraus nicht zu entstehen.
Femer sagt B.: im Pantschatantra lenke der Zufall die Ereignisse, im
fabliau die Frau, sie beherrsche die Situation mit bewundernswertem Ge-
schick und Verschlagenheit, sie sei eine rus^. Unsere Erzählung gehöre
aber in die Gruppe der ruses feminines und darum sei die Version des
Pantschatantra aie entstellte, die des fabliau die primitive.
Mir scheint das Umgekehrte zutreffend. In der indischen Version
handelt die Frau -— wie m indischen Geschichten dieser Art so oft — in
der Not und Eingebuns; des Augenblicks. Und das ist das Ursprüngliche.
Das Handeln nach wohlerwogenem Plan, die Beherrschung der Situation
setzt ein reicheres Erzählungsmaterial und eine durchbildetere Technik der
Darstellung voraus. Das Pantschatantra gibt das Primitive, das fabliau
mildert und hebt die Geschichte in eine künstlerische Höhe.'
' So auch Dee Grangos, Romama XXIV, 185.
AivhiT f. n. Spivchen. CXVI. 20
2d8 • Zur Entetehimg dw ICfircheiiB.
Aulkerdexn aber bat die Frau im PantBcbatantra gar keine Möglich-
kdt, ihre Schläue zu entfalten; diese Möglichkeit orhalt eie «st dadurch,
daOi der Geschichte vom abgeschnittenen Haar dne andere Yoranffeschickt
wird, sei es durch den französischen Erzähler, sei es durch seine Vorlage.
Diese andere, B. nennt sie *\a, mule^ bestand früher für sich. In der Form,
wie sie im fabliau auftritt, ist sie nicht — das bemerkt B. — vollkom-
men; dafs der Mann einen Menschen mit einem Esel verwechsle, sei zu
unmöglich. Die primäre Form der Geschichte, zugleich die, in der sie der
französische Erzähler oder sein Yoreänger vorfana, sei in der Cukasaptati
erhalten und diese Form habe der rVanzose abgeschwächt'
B. gibt also hier zu, dafs der Franzose seme Vorlage milderte. Da-
durch inrd unsere Auffassung, dafs er sie bei der abgeschnittenen Nase
auch milderte, nur wahrscheinlicher. Zweitens gibt Herr B. zu: die ur-
sprüngliche Version unseres fabliau hat die indische Cukasaptati und
in dieser Form fand sie der französische Erzähler vor. Das
ist doch einmal ein schönes Eingeständnis. Aber, si^t B. wdter (161, A. 2),
wenn Indien auch hi«r die primäre Form habe, darum brauche die Cre-
schichte noch nicht dort entstanden zu sein. — Wo denn sonst?
B. verschweigt uns nun die primäre Forn^ dieser Geschichte. Das ist
begreiflich ; ich hätte sie auch lieber verschwiegen. Der Wissenschaft wegen
mujb ich sie trotzdem erzählen (OukaaaptcUi t. s, 21, t. o. 36). Eine Frau
genieist ihren Liebhaber, während ihr Mann neboi ihr schläft Dieser
wacht auf und faist den Liebhaber bei seinem Glied. 'Haiti' ruft er voller
Angst zu seiner Frau. 'Ich habe einen Dieb, mach' Licht, dais wir ihn
halten.' Die Frau gibt vor, sie habe Angst, es sei so dunkel, der Mann
solle nach dem Licht suchen, sie werde unterdes den Dieb bewachen. Also
geht der Mann in die Küche, sie läist unterdes den Schuldigen entwischen
und greift nach der Zunge eines nahebeistehenden Kalbes. 'Sieh!' sagt
sie dem Zurückkehrenden, 'das war der Dieb. Aus Hunger hat er Speichel
zurückgelassen.' Tief beschämt wegen seiner Angst kriecht der Muin ins
Bett zurück. — Also: der Ehebruch vollzieht sich neben dem fäemann im
Ehebett, und die Frau spielt die Überreste des auTserehelichen Ooitus gegen
den Mann aus und bescnämt ihn noch damit — eine solche Situation so
erfinden und sie mit solchem Raffinement und solcher Un-
verschämtheit ausbeuten konnten nur die Inder. Das fabliau
'des tresses' entstand demnach — das ist nun so gut wie sicher — so:
eine indische Geschichte, die von der Nase, wurde mit einer anderen in-
dischen Geschichte, nennen wir sie 'La mule', verbunden und beide im
Abendlande gemildert. Wo die Verbindung sich vollzog, ob im Orient oder
im Okzident, läfst sich nicht sagen. Aber durch die Verbindung gewann
der französische Erzähler die Möglichkeit, die List der Frau zu entwickeln
und die Frau ids Leiterin der ganzen Situation darzustellen — das geschah
dann mit einer Grazie und einer überlegenen Kunst, die die des Originals
weit übertraf.
Das fünfte der von B4dier geprüften fabliaux ist der Lai d'Aristote.'
Alezander er^bt sich gar zu sehr der Liebe zu der reizenden Phyllis. Der
gestrenge Meister Aristoteles macht ihm deshalb die ernstesten Vorwürfe
und Alexander glaubt es seinem Herrscherberuf schuldig zu sein, dafs er
nun auf Phyilis verzichtet. Er geht dann doch wieder zu ihr, und als
sie erfährt, warum er sie vernachlässigt, will sie den Meister betören: sie
zeigt sich ihm in der Morgenfrühe, nur mit einem Hemd bekladet, schreitet
durch das betaute Gras des Gartens, summt Liebesliedchen vor sich hin
und macht den gelehrten Meister, der alle ihre Beize sieht, so närrisch.
* Um l'ont rsDdne pliu diente et moiiis ciairs, B. «. 161.
* VgL Wilhelm Hertz, Spidnuuumbuck^ i21. Borgeld, AruMtles m Pkfäk,
Qroningen 1902, bes. p. 86 f.
Zur Entstehnng des Mfirchcns. 299
dafk er sich Ton ihr ~ weil er anden ihre Gunst nicht erlangen könne
— ab Pferd reiten läfet. Der König, von Phylüa an einen Beohadbtnngs-
poeten gestellt, hat alles gesehen und lacht nun laut auf, wie der Meister
auf allen vieren, die Schöne auf ihn reitend, mfihsam dahiniriecht; jener
aber erwidert, wenn ihn, den Alten, dies Mädchen schon so weit bringe,
wie sehr mflsse sich erst der junge König tot dieser Tnxi hüten, üna
Meister und Schfiler Tersöhnen sich.
Diese Geschichte war im Mittelalter, vor allem in Frankreich, flberaus
beliebt, der gerittene Aristoteles wurde auch in der büdendeu Kunst dar-
gestellt, und man konnte ihn auf Chorstühlen und Kirchenfenstem be-
trachten. Keiner hat die Geschichte aber so geistrdch, yerlockend und
anmutig erzählt wie Henri d'Andeli, der Dichter des Lai d'Aristote.
Man könnte nun zuerst mit B^ier glauben, die Geschichte habe ein
französischer Kleriker sich zum Spafs ersonnen, und sie sei aus irgendeiner
übermütigen Laune entstanden. Aber dazu ist das Motiv vom gerittenen
Aristoteles zu erklügelt und die Pointe auch, dafs er von demselben Mäd-
chen viel ärger gedemütigt wird, vor dem er seinen königlichen Herrn
warnte, zu sorgfStig erwogen.
Das Pantwdiatantra' erzählt nun eine Geschichte: ein Minister hat
sich mit seiner Frau verzümt. Sie wird nur dadurch versöhnt, daCs er
ihr zu Füfsen föllt und duldet, dafs man ihm das Haupt zur Unzeit schert.
Der König, der zu diesem Minister gehört, ist in derselben Lage. Er ver-
söhnt seine Frau, indem er sich von ihr wie ein Pferd herrichten, be-
steigen und antreiben lälst und dabei wiehert er sogar. Der König be-
lustigt sich nun über den zur Unzeit geschorenen Minister, und der sagt :
er wisse von jemand, der wieherte una doch kon Pferd war.
Die G^cnichte ist buddhistischer Herkunft' und lebte in Indien
weiter. Li Tibet wird sie in der Form erzählt, dals zuerst der König —
als Beitpferd — gedemütigt wird, und dafs dieser aus Bache den Minister
mit Hilfe von dessen Frau demütigt, durch das Haarscheren.'
In einer arabischen Form der indischen Geschichte aus dem 9. Jahr-
hundert n. Chr. ärgert sich die Königin über dnen Wesir, der den
König vor den Frauen warnt, und schickt dem Wesir eine Sklavin, die
ihn durch ihre Schönheit vollkommen betört; damit sie ihm ganz zu Willen
ist, lälst er sich von ihr reiten; das sehen König und Königin und ver-
lachen ihn, worauf er aber antwortet: 'Das meinte ich ja eben, wenn ich
dich vorher warnte, den Weibern den Willen zu tun.^
Und in einer zweiten arabischen Geschichte ist es eine von den Frauen,
die der Sultan auf den Bat des Wesirs verschmäht, die den Wesir in der
geschilderten Weise demütigt, und der Wesir verteidigt sich wie in der
anderen arabischen Version?
Wenn wir nun an Stelle der einen der verschmähten Frauen die G^e-
liebte des Königs setzen, so haben wir die Geschichte, wie sie Henri d'An-
deli erzählt
Wir überblicken die folgende Entwickelung: im Pantschatantra werden
Minister und König, jeder durch dne besondere Demütigung, erniedrigt.
Im Tibetischen zuerst der König, dann auf seinen Bat der Minister; un
Arabischen fällt die Demütigung des Köni^ fort und die des Ministers
wird nicht auf den Bat des Königs durch eine Frau, sondern aus eigener
> IV, 6, Borgeld 86/7.
* Jätäka 191 erzählt auch von einem Kann, den seine Frau wie ein Pferd reitet.
' Schiefiier, Mahdkätifttyana und König Tnanda Ptadfota. Memoires de TAcademie
imperiale des Sciences de St. Petenbonrg, Vlle Serie, Tome XXII, Nr. 7 (1876).
Borgeld, S. 98.
^ Schieüier, p. 66. Borgeld, p. 97.
* Gordonne, Melangea de la Uäeraiurt anenkUe I, 16, Paris 1870. Borgeld, p. 98.
20*
800 Zur EDtstdiimg des Mlrchens.
Inittattve der Frau ausgeffihrt; zuerst durch eine Bklavin der Frau, diso
durch die Frau selbst. — Im 8t off ist also die indische Geechichte die
reichste, und sie kontrastiert nach indisdier Art zwei Demütigungen mit-
einander. In der Erzählungskunst stdit der französische Dichter, der
nicht erfand, sondern den ganzen Stoff Torfand, am höchsten. Wenn B.
glaubt, die französische Geschichte sei nach dem Orient gekommen, so
wird das aus chronologischen Gründen — die arabische Form stammt,
um es zu wiederholen, aus dem 9. Jahrhundert — immöglich, und eben-
sowenig darf man sagen, die Geschichte des Pantschatantra entstand für
sich und hat mit der französischen keinen Zusammenhang. Das wäre
möglich, existierten nur die arabischen Formen nicht, die eich deutlich
als yermittelnde zu erkennen geben.
Die Inder und die Buddmsten erzählen sehr oft und sehr gern, wie
weise Manner, namentlich Asketen, durch Frauen ^edemütigt werden.
Griechenland und das Abendland hingegen wissen m früher Zeit von
Liebschaften des Aristoteles so gut wie gar nichts. Dafür aber übertrug
das Mittelalter auf Aristoteles und Alexander eine Reihe von G^eechichten,
die ihnen ursprünglich nicht zukamen; besonders nah liegt der Verweb
auf die Sage vom Qiftmädchen, das so berückend schön war und vor dem
Aristoteles den Alexander mit Erfolg zurückhielt* Die Folgerung ereibt
sich also für uns von selbst, dafs auch hier eine orientaliscme 8&g^ dem
Aristotelee angedichtet ist.
8o kann man bei dem letzten fabliau die Angriffe B^diers ebenfalls
siegreich abschlagen ; und alle fünf haben die Heimat, aus der er sie ver-
treiben wollte, Indien. Die indischen Novellen zeieen uns auch eine dem
indischen Märchen durchaus entsprechende Erzählungskunst, die Freude
an verwegenen, höchst kunstreich erdachten Situationen, die Freude an
den verwegensten, unerwartetsten Ausflüchten, überall ein echt indische^,
sonst nie erreichtes Baffinement und eine Art Wehmut, dafs die Männer
ffar so töricht, und die Menschen überhaupt gar so verblendet sind, klingt
doch hinein.'
Herrn B^diers Methode aber löst sich bei näherer Betrachtung in er-
folgloses Räsonnement und in Spiegelfechterei auf, Benfeys Theorie bleibt
durch sie ganz unberührt. Man Könnte sich höchstens erstaun^i, dafs öne
solche Methode fortgesetzt von ernsthaften Forschem revolutionär geoannt
wurde, wüIste man nicht, daiß auch in der Wissenschaft der von vorn-
herein der Sympathie sewiTs ist, der verbreitete und allgemein g^laubte
Theorien angreift. Und wer aulBerdem seine Behauptungen mit dieser
Bestimmtheit ausspricht, als sei der dn Narr, der zu widersprechen wa^,
wer sich dazu noch den Anschein der Wissenschaftlichkeit und der tief
eindringenden Methode so geschickt gibt, dem wird besonders gern ge-
glaubt; denn man wagt nicht leicht, zu prüfen. Ich aber hoffe, ich habe
auch den Glauben an B^ers Methode gründlich ersdifittert
' Wilhelm Herta, Gtaammelit AbkamUmgem, 8. 166 f. Die Abhandlmig Aristo-
teles in den Alexanderdichtangen des Mittelalters (S. 1 f.) gibt noch viele Beiapiel'*
solcher Übertragungen. — VgL anefa Boigeld, 104 t
* Über buddhistiache ZOge im abendllndiachen Märchen spricht B. aaeh (118 f.).
Ich brauche nicht darauf einsugehen und kann auf daa oben S. 283 Anm. 1 Be-
merkte yerweiaen.
Mfincfaoii. Friedrich v. der Leyen.
Altenglische Fredigtqnellen. L
1. Psendo-Angnstin und die 7. Blickling Homily.
Die siebente Blickling Homily, ^ vod der ich Archiv Xd 182
nur ein kleines Stück auf das Nicodemus-Evangelium zurück-
führen konnte, ist in ihrem ersten Teile (ed. Morris 83 — 93^^)
eine mehr oder weniger wörtliche Übersetzung einer Pseudo-
Augustinschen Predigt, Sermo CLX bei Migne Patr. lat. XXXIX
2059 ff. Freilich hat der bei Migne gedruckte Text dieser Pre-
digt die eingefügte Version von Christi Höllenfahrt gegen Ende
stark verkürzt und verstümmelt; derselbe wird aber ergänzt durch
das leider auch ohne Schlufs überlieferte Fragment des Descensus
Christi ad inferos in dem s. g. Gebetbuche des Bischofs JE|)el-
weald [von Lichfield?], welches letzthin A. B. Kuypers, The Prayer
Book of Äedeluald the Bishop, commonly called ihe Book of Gerne,
Cambridge 1902, 8. 196—198 veröffentlicht hat Ich hoffe auf
dieses Quellenverhältnis noch einmal zurückzukommen und dann
auch die Frage zu behandeln, wie sich diese neue, am voUstän-
digsten also in unserer englischen Homilie erhaltene Höllenfahrt-
Version zum Nicodemus-Evangelium und zu der supponierten
gnostischen Urversion des Descensus Christi ad inferos verhalt.
Einstweilen vergleiche^ man:
Morris 83«>:
üuton DU gehyran & gel>encan,
hwset he dyde & mid hwy he us
freo gedyde. Nses he mid nseDigum
nede gebseded, ac he mid his sylfes
willan to eor^an astag & her ma-
nige setunga & searwa adreag aet
ludeum set f)£em unlsedum bocerum;
& f)a ffit nehstan he let his lichoman
on rode mid nsBglam gefsestnian;
Migne XXXTX 2059:
(1) Audite, quid fecerit. Nulla
necessitate, sed propria Toluntate in
ligno se suspendi permisit, clavis
corpus suum perforari non renuit,
animam ponendo mortem suBtinuit,
carnem in sepulcro repoBuit et comi-
tante secum anima ad mfema deecen-
dit, tenebrarum et mortis prineipem
colligavity legiones ilüns pertubavit;
^ Über sonstige Quellen der Blickling Homilies haben gehandelt: ich
selbst Arehiv XCI 179—206 und ClU 149 und H. G. Fiedler, The Modem
LangiKige QucUerly VI (1904) 122 — 124, woselbst die erste Blickling Homily
als Übersetzung einer Pseudo- Augustinschen Weihnachtspredigt (Migne,
Patr. lat. XXXIX 1984 ff.) nachgeinesen ist
' Die bei Migne in Klammem eingeschlossenen Interpolationen fehlen
stete in dem altenglischen Texte.
302
Altenglische Predigtquellen.
& deaf) he gebrowode for us, for-
f)Oii-^ he wolae ub ^<Bt ece lif for-
gifan . & he ]>a onsende his {x>ne
wuidorfsBBtan gast to helle -gründe
& {>8er tx)De eaidor ealra {leostra &
bses ecean dea{)e6 geband & gehynde,
& ealne bis eeferscipe 8wy][>e ffe-
dre£de; & heUe-geatu & hire pa
iBrenan scyttelas he ealle tobrtec;
& ealle bis ba gecorenan he t>onon
alffidde, & para deofla {>eostro he
oforgeat mid bis |>nm scinendan
leohte.
Hie {ml swi]>e forhte A abreRde
f>us cwsedon : 'Hwonon is t>^ pus
Strang & f>u9 beorht & |>U8 eges-
fall? 8e middangeard, be ur wsss
lange 8Br underbeoded & us deab
[lies deat)e oder aeat)es] mycel gafol
geald, — ne eelomp hit na ser, fx»/
US swylc deap geendod [lies dead
gesenaed] wsere, ne us n»fre swylc
ege ne wear}) aer to heile eeende-
byrded . £ala nu, hwset is pes, [>e
bus unforht gssip on ore semeero?
& nis no ]^ an, hat he nim ure
witu ondrsede, ac he wile eac of>re
of urum bendum alesan.
portarum infemi vectes ferreos con-
mgit; omnes iustos, qui originali
peccato astricti tenebantur, abeoMt,
captivos in libertatem pristinain re-
Yocavit, jpeccatorum tenebris obcae^
catos splendida luce perfudit. . • .
(2) ... Territae ac trementes inqui-
rere coepenint : (3) 'Unde est ist« tarn
splendiausy tarn fortis, tarn praecla-
rus tam^ne terribilis? Munaus ille,
qui nobis subditus fuit semperque
[semper usque nunc, qui Evang, Nteo-
demt S. 379] nostiis usibus mortis
tributa peraolyit^ nunquam nobis
talem [talem mortuum hominem Ep,
Nieod,] misit, nunquam talia inferis
munera destinavit. Quis ergo iste
est, qui sie intrepidus nostroe fines
inffreditur; et non solum nostra sup-
Shda non veretur, insuper et alioe
e vinculis nostris absolvit?
Noch wörtlicber ist die folgende Stelle, wo auch die Des-
census- Version des Book of Gerne (C) einsetzt, dessen Varianten
unter dem Text mitverzeichnet sind:
Morris 87 »:
I^a sona instsepes seo unarimedlice
menigo haligra saula, be ser gehseft-
nede wseron, to f)8ßm Hselende on-
luton & mid wependre halsunga hine
bffidon &t>U8 cwsedon: 'l^u come to
US, middangeardes alysend ; l>u come
to US, heofonwara hyht & eor]>wara
& eac ure hyht; for|x>n us geara
flBr witgan t>e toweardne saegdon, &
we to I>inum hidercyme nopodan
& hyhtan. Pu sealdeet on eorban
mannum synna forgifness« [Es, for-
gifnessal; ales us nu of deofles on-
walde i. of helle haeftnede. [Nu]
Migne
2061:
(4) ... £cce subito innumerabiles
sanctorum populi, qui tenebantur in
morte captivi, 8alvatoris sui geni-
bus obvoluti, lacrimabili enm ob-
secratione deposcunt, dicentes : * 'Ad-
venisti, redemptor mundi ; advenisti,
quem desiderantes quotidÜe speraba-
mus; ad venisti, quem nobis futurum
lex nuntiayerat et prophetae. Ad-
yenisti, donans in carne viris indul-
sentiam peccatoribus mundi; solve
defunctos et' captivos infemi.' Des-
cendisti pro nobis ad inferos; noli
nobis deesse, cum fueris reversurus
' Dafür in C: ßoc €§t omtio mmsmerabiti» sanetcrum popmU, qui temdKtntur in
infemo eaptwüaU. Lacrimabili voct et obtecraüone sahatorem d^)oseunt^ Idicente*
qiuutdo ad tnfero» disctndiL
' et fehlt in C.
' Die hierauf bei Migne folgende, in Klammem eingeschloasene Interpolation
fteht weder in C noch im altengliechen Texte.
AltengliBche Predigtqnellen.
803
J!>u for QB astige on helle-grund ; ne
briset bu üb nu on witum wunian,
|x>nne pu to f>inam nplican rice
cyrre. Bu asetteet ^ines wuldres
myrecels on worlde; Bete nu ]>in
wnldree tacn in helle?
Nses |)a nsenig ylding to {)on J)a *
f>eoB ben wses gehyred ; f>a sona seo
unarimede menigo haligra saula mid
Drihtnes hseae wseron of ])8ßm c?nc-
Busle ahafene [Es. ahafenal : & he
gefylde |>one ealdan feond &. on
nelle-grund gebundenne awearp.**
I^a halgan sawla f>a mid unasecggend-
licum gefeftn cleopodan to iTrihtne
& j^UB cwserfon [Es, cwfie{>on] : * Astig
nu, Drihten Hselend Crist, up, nu
bu hafast helle bereafod & ^eea
aea|)e8 aldor on f)y88um witum j?e-
bundenne [Es. gebundenden ne]. Ge-.
cyf> nu middangearde blissei pcet on
f)inum upstige geblissian & gehyh-
ton ealle f)ine gecorenan.'
ad Buperos. Posuisti titulum glo-
riae in saeculo;' pone Signum vic-
toriae in infernoJ
(5) Nee mora; postauam audita
est postulatio atque altercatio in-
numerabilium captivorum, statim a
Domini iussu omnes antiqui iusti
iura potestatifi accipiunt atque in
Buos tortores ipsi protinus tormenta
con vertu ntybumili supplicatione cum
ineffabili gaudio clamantes Domino
atque dicenteB:' 'Ascende, Domine
lesu, spoliato infemo et auctore
mortis vinculis irretito; redde iam
laetitiam mundo. lucundentur in
asceuBU tuo fideles tui, aspicientes
cicatrices corporis tui.'^^
Hier bricht die Mignesche Gestalt der Homilie mit der
Höllenfahrt- Version ab; dagegen fährt das Book of Gerne in völ-
liger Übereinstimmung mit dem Altenglischen folgendermafsen fort:
Morris 8725:
Adam t)agft & £ua nseron on-
lysde, ah on bendum hie wseron
hsefde. Adam f>a wependre Btefne
& earmlicre cegde to Drihtne &
cw8ef>: 'Miltsa me, Drihten, miltsa
me for f)inre mycclan mildheort-
nesse; & adilega mine unrihtwis-
nes86 [Es. -nessi^. Forf>on l>e &num
ic ^esyngade & mycel yfel beforan
{)e IC gedyde. Ic gedwolede, swa-swa
Kuypers 197 1«:
(6) Adam autem et Eva adbuc
non sunt desoluti de vinculis. Tunc
Adam lugubri ac miserabili voce
damabat ad dominum dicens: *Mi-
serere mei, deus, miaerere mei in
ma^a misericordia tua; et in multi-
tudine miserationum tuarum dele
iniquitatem meam [Pis. 50, 3], Quia
tibi 8oli peccavi et maium coram
te feci [Ps. 50, 6\, Erravi sicut ovis,
* Vgl. Beda I c. 16 (ed. Schipper 48 ^^7): jVe uhes da ylding to ßan pcat ki
heapnuelum coman (vgl. Wfllfing II § 949); das Fragezeichen hinter to ßon pa 'nntil*
in Morris* Olossar darf also gestrichen werden.
** Morris druckt im Text hier awearp; doch bexeichnet er selbst dies im
Glossar S. 274 als Druckfehler für awearp,
' m »aeettla G; Miffjie bemerkt zur Stelle: 'Mss. fere omnes m caelo'; die ae.
Version setzt aber das in »aecuio des Textes voraus.
' Hierauf folgen in C eine Reibe von Psalmenversen: Ps. 32, 22; 85, 10;
84, 8; 73, 2; 78, 8—9.
' Dafür in C: fnnufnerabUium eapUvorum postquam aiUem audita ett poHulaiio et
obgecratiOy 9taHm ivbente. domino omnes antiqvi iusti an« aüqua mora ad imperium do-
mim sakfoloris resofutis vineuHs domim tahatoris gmibua ^wohtd humiü u^Uoaiiont
cum ineßabiii gaudio clamamie».
* Statt der gansen Rede in C nur zwei Psalmenstellen : Ps. 115, 16 — 17;
102, 10.
804
AltengÜBche Predigtqnelleii.
>£b/ Boeap, '^at forwearb.* See nn
Mnne f)eow, Drillten, forf>on-|>e bine
landa me eeworhtan & ^eheowodao.
Ne forlset pu mine saule mid hell-
warom; ac do od me t>me mild-
heomesse' & alsed me üt of {)7B8um
bendum & of 'pyses carceraee huse
& of deaf)e6 scuan.'
Drihten Haolend t>a wses miltsi-
gende Adame; & ra|)e bis bendas
weron onlysde. &, befealden to
Hselendes cneowumi becwseb: *Mln
eaul bletsaf)' Dribten, & ealle mine
{>a inneran hie fx)ne balgan na-
man. Pn-^ Arfsest eart geworden
ealium mmum ünribtwisneiiBum ;
bu-f)e ^ebseldeet mtne adla; & min
lif of psere ecean forwyrde bu on-
iysdeet; mine geomesse mid gode
{)U gefyldest.'
Eua ]>ag^ on bendum & on w6pe
[Bs.owtpe] ^urhwunode. Heo cwsep:
'So{>fee8t eart t>u, Dribten, & ribte
gyndon {>ine domas, for|K)n-be mid
gewyrbtum ic bäs ^rowige. Ic waes
mid weor{)mende on neorxna-wange
& ic ^<Bt ne ongeat; ic wee wi{)£-
mede & ünwisum netenum gelic ge-
worden. Ac })u, Dribten, ecylaa
[Hb. Bcyld] minre iugo{>e & mines
unwisdomes [H8. min onunwiBdomesl
ne wes f)u gemyndig. Ne ne abwyrt
{>u {>ine onsyne ne bine mildbeort-
neese from me, ne pu ne gecyr on
erre from {>inre {>eow6ne.'
qoae perierat [Pi. 118, 176], BeBolve
Yincnia mea, auia manus tnae face-
mnt me et plaBmaverunt me [Pb.
118f 73], Ne dereiinquas in Inferno
animam meam [Ps, 15, 10] ; sed fac
mecum misericordiam [Pb. 118, 124]
et educ vinctum de domo caFceris
et ombrae mortiB* [vgl. Pb. 141, 8;
106, 14].
(1) liinc domino miaerante Adam
e vinculiB resolutus domini leau
CbriBti genibuB provolutuB. Tunc
domino lesu CbriBti provolutus:
'Benedic, anima mea, dominum, et
omnia interiora mea nomen Banctum
eiuB [Pb. 102, 1]. Qui propitiuB fac-
tuB est iniquitatibuB meiß ; qui Banat
omnee bmguoreB meoe; qui redimet
de interitu vitam meam; qui satiat
in boniB desiderium meum' [Pa. 102,
3—5].
(8) Adbuc Eya persistit in fletu,
diceuB: 'lustus ee, domine, et rec-
tum iudicium tuum [Pb. 118, 137\,
quia merito haec patior [Oen.42, 2/).
Nam e^o, cum in honore eRsem, non
intellexi; conparatuB Bum iumentis
inBipientibuB, et nunc BimiÜB factus
Bum illiB [P^. 48, 13]. Sed tu, do-
mine, delicta iuv^tutiB et insipien-
tiae meae ne memineriB [i^. 24, 7].
Ne avertas faciem misericordiae tuae
a me, et ne declines in ira ab an-
ciila tua' [Ä. 26, 9].
Hier bricht das Book of Gerne ab^ weil die letzte Lage der
Handschrift (üniversity Library, Cambridge, LI. 1. 10, aus der
ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts) verloren gegangen ist^ Es
läfst sich aber leicht zeigen, daTs das in der altenglischen Homilie
Folgende, die weiteren Worte Evas sowie die Abrahams, min-
destens bis mid pinum tocyme (Morris 89^) in der neuen latei-
nischen Höllenfahrt-Version gestanden haben mufs. Mit den
Worten Mid pon-ße Drihten setzt wieder die Homilie in der Migne-
sehen Gestalt ein:
* Ae. forweorPttH heifst nar 'lugmnde gehen'; mithin hat der Überaetaer du
lat. periertU falsch verstanden, das hier 'verloren gehen' bedeatet.
' Weitere Beispiele ftlr /-Schwand fahren an Klaebor, Modtm Language Notes
XVlll 244, und O. Ritter, Archiv CXV 17 a.
' Der Angelsachse las wohl nicht den Imperativ ÖM^dic, sondern den Indikativ
benedicit in seiner Vorlage.
AltengliBche Predigtquellen.
d05
Morris 89®:
Mid bon-be Drihten |>a t>a here-
hy|)e [Mb, -liyh{) {)el on helle ge-
Dumen hffifde, ra{>e ne lifgende ut-
eode of hie bmenne, mid bis agenre
mibte aweht, & eft mid bis unwem-
mum licboman hine gegyrede.
bis (Morris 91 ^^)
Uton we ealle wyosumiaD on
Dribten, — we be bis seriste mser-
8iat> — , for^n-pe be bis Kodcund-
nesse nan wibt ne ^ewanoae, {)a be
I>one menniBcan licboman onfeng
& U8 of deofles anwalde alesde.
Migne XXXfK 2061 § 5:
Facta praeda in infemo, Yi^ns
exiit de sepulcro; ipse se eua po-
tentia Buscitavit et iterum se Imma-
culata came vestivit.
bis
Omnis per totum mnndum catbo-
lica gratuletur ecclesia, quia Cbristua
Dominne et de sua divinitate nibil
minuit et bominem, quem fecerat,
liberavit.
In dem Vorstehenden habe ich, aufser der bereits Archiv
XCI 183 begründeten, einige Teztbesserungen angebracht, die
der Rechtfertigung bedürfen:
1) In dem Satze Nu pii for us astige on heUs-gnmd (s. oben
S. 303 ^= Morris 87 ^^ habe ich das subordinierende nu gestrichen
und damit den Satzteil zu einem koordinierten Hauptsatze ge-
macht. Dies verlangt sowohl die Fassung der lateinischen Vor-
lage {Descendisii pro nobis ad inferos) als auch die Analogie des
vorhergehenden und des folgenden Satzes im Altenglischen {Pu
sealdest , Du asettest .....).
2) In ic wtBs unpennede & ununsum netervwm gelic geworden
(oben S. 304 = Morris 89 ^) würde ae. unpennede, das sonst
^widerwärtig' (objektiv gefafst) oder 'halsstarrig' (subjektiv) heifst,
nur dann in den Zusammenhang passen, wenn man, wie Morris
es tut^ hier eine besondere, venJlgemeinerte Bedeutung 'perverse,
schlecht^ annimmt, für die ich, abgesehen von der vorhegenden
Stelle, keinen einigermafsen sicheren Anhaltspunkt wüfste. Weiter
mufs uns stutzig machen, dafs auf jeden Fall dies Wort nicht
zu dem lat. comparatus der Vorlage stimmt. Wenn wir endlich
noch beachten, dafs der ganze Satz, sogar mit Beibehaltung des
für Eva nicht passenden Geschlechtes, aus Psalm 48, 13 {compa-
ratus est iumentis insipientibus et similis factus est iüis) stammt
und dort mit undmeten he is netenum ununsum <& gelic geworden
he is him (R^us-Ps.) oder loidmeten is nietenum. u/nwisum vel un-
snytrumi & gäie getoorden is him (Trinity-Ps.) oder undmeten is
n/Oenu on ununsum (lies nitenum ununsum) dt gelic geworden is him
(Stowe) übersetzt ist, so werden wir es für höchst wahrscheinlich
halten, dafs obiges tvipermede der Homilie aus unpmeten verderbt
ist. Der gemeinsame Dativ ununsum netenum wäre dann wohl um-
zustellen: entweder vor unpmeten oder ganz ans Ende des Satzes.
3) Morris 89 i^ {=^ oben a 304) liest Ac pu Drihten scyld
minre iugope & min, onununsdomes ne ufes pu gemyndig und über-
d06 AlteDglisdbie PredigtqnflUen.
setzt 'Lord, shield of my youth and of me, be not mindfid of my
folhf. Die Vorlage (Sed tu, DomiDe, ddicta luventotis et ,m-
sipientiae meae ne memineris) zeigt hier klar, dals scyld dem
lateinischen ddicta entsprechen mufs, dals es also nicht zu ae. scüd
'Schild^, sondern zu ae. scyld 'Schuld' zu ziehen und von gemyndig
abhängig zu machen^ d. h. in den Genetiv scylda umzuändern ist.
Ebenso entspricht min onunwisdomea genau dem lat inHpienHae
meae, so dals statt min eine adjektivische Genetivform, zu un-
toisdomes passend, zu erwarten ist Wenn wir weiter beachten,
dals das oubstantivum onunwiadom eine sonst unbelegte und an
sich auffällige ^ Zusammensetzung darstellt, so werden wir geneigt
sein, on von unwisdom abzutrennen und zu min zu zidien, dann
aber als Korruptel aus dem zu min gehörigen Genetivsuffix -es
aufzufassen. Etwas Analoees wäre der FiS Blickling Homilies
203, 18, wo das handschriftliche ßone aptdite in fa NecgnUite zu
ändern ist {Archiv Xd 198).
4) Die oben nicht abgedruckte, aber Archiv XCI 183 be-
handelte Stelle Ac hwcet wüt pu his nu don ? <t hwcst mihi pu his
onwendan? (Morris 85^) = Quid est, quod egisti? Quid est, quod
facere voluisti? (Migne XXXIX 2060 § 3) ist mir auch durch
die nun gefundene Quelle noch nicht ganz klar geworden. Ich
glaube aber, dafs das auffällige onwendan für voluisti sich daraus
erklärt, dafs der Übersetzer ein handschriftliches uoluisti fälsch-
lich als volvisH auffafste und zu lat volvere zog. Wir haben hier
hier also ein neues Beispiel für die auch sonst zu beobachtende
Unvollkommenheit der Übersetzungstechnik in den Blickling
Homilies.
Es sei hier noch darauf hingewiesen, dafe der unserer Ho-
milie zugrunde liegende Descensus Christi ad inferos auch die
Quelle ist für die Hollenfahrt-Stellen in 'Christ and Satan' 437 ff.,
in 'Christi Höllenfahrt' 84 ff. und im mercischen Martyrologium
(ed. Herzfeld S. 50), wie sc^ar wörtliche Anklänge lehren in dem
Teile, wo der lateinische Text nicht mehr erhalten ist:
* Zwar führt Bosworth-ToUer auch noch ein Adjektivum onunwis und
ein Sabatantiyum ominsped (beide mit Fra^eichen) an. Doch finden
sich beide nur je einmal in der sehr nachlässig geschriebenen [s. lindelöf,
Bonner Beiträge XIII 93] Psalterglosse des Stowe-Ms. 2 (ed. SpeUnan 1640),
und zwar an Stellen, wo alle anderen mir zuffänelichen Fsalterfflosaen
das on nicht haben: Ps. 43, 24 oferßitest unapeSe (Keg., Irin.; vmei/nisse
Yesp.) und Ps. 48. 21 neaiwm ununsum (Yesp., Beg.; unsnytrtun Trin.].
Überaies kann das on- an beiden Stellen dadurch entstanden sein, dau
der Glossator zunächst nur die erste Silbe des zu fflossierendein Wortes
(inopiae und insipientibua) ins Auge falate, wie ein solches Versehen auch
im Vespasianischen Psalter Anglia Beibl, XII 856 von mir nachgewiesen
ist. Auch sei daran erinnert, daüs spatere Kopisten Öfter on- und un-
yerwechseln. Ich meine also, die drei Wörter ommaped, ommwis, ommwis-
dom seien in unf»eren I^xizis zu tilgen.
Altenglische Predigtquellen.
807
Christ und Satan 430:
I>u fram mmre dohtor, drihteD, on-
woce.
Martyrologiam ,8. 50:
£ua hine halsode for BonctA Ma-
riaii megsibbe, Juet he hire milt-
Bade. Heo cwsed to him : 'Gremyne,
min drihten, |k0^ seo wsbb ban of
minum banum ond Übbsc of mmum
flffiBce; help min fordon.'
Morris 89»:
bu waat, 'pcst {>n of minre dehter,
drihten, onwoce.
Morris 8917:
'Ic {>e hakige nu, drihten, for f)inre
{>eowene,. aanctsL Marian, Pu
waat, t^ ... & ^^ hire flseec is
of minum flsesce & hire ban of
minum banum . . . Miltsa me & ge-
nere me.'
2. Pseudo-Angnstin und Mltric.
In der interessanten Bittwochenpredigt seiner dritten Postille
(Lives of SairUs, ed. Skeat, Nr. X VlI) hat Mlfnc ^ sich gegen
eine Reihe von abergläubischen Volksbranchen ausgesprochen
und dabei den 'weisen Bischof Augustin' (Z. 67) zitiert (remeint
ist damit jedenfalls eine Homilie De Augtmis (Nr. 278 bei Migne^
Patr. lat. aXXTX 2269 ff.)> welche schon dem grofsen Bonifaz
als Augustinisch galt, aber von der Forschung als unecht nach-
gewiesen ist. ^Imc hat jedoch seiner Gewohnheit gemäTs keines-
wegs die ganze Homilie übersetzt, sondern er hat nur — falls
ihm nicht eine von der Migneschen stark abweichende Text-
S estalt vergelten hat — , einige wenige Stellen daraus genommen,
lehr oder weniger frei übersetzt sind nur die folgenden fünf
Stellen: Z. 67—99 = Pseudo-Augustin § 1; Z. 108 f. = § 3;
Z. 174—176 und 190— 202 == § 4; Z. 216—221 = § 5. Alles
andere dürfen wir, solange nicht eine zweite Quelle oder eine
interpolierte Form der Fseudo-Augustinschen Predigt nach-
gewiesen ist, als ^Ifrics eigene Zutat ansehen. Dies Ergebnis
ist nicht unwichtig für die altenglische Volkskunde. Denn, wenn
wir sehen, dafs ^Ifric viele der bei Augustin genannten Volks-
brauche ausläfst und dafür andere anführt, so dürfen wir nun-
mehr wohl folgern, dafs ^Ifric die letzteren aus zeitgenössischem
Volksglauben geschöpft hat, dafs jene Brauche also lun 1000
noch lebendig gewesen sind. Als solche Zusätze ^Ifrics ergeben
sich z. B. die Zeilen 84—87; 90; 100-104; 110-173 u. a. m.
Zum Beweise der Richtigkeit meines Quellennachweises möge
die Gegenüberstellung des oeiderseitigen Anfanges folgen, zu-
gleich sus ein Beispiel von ^Slfrics freier QuellenbehancUung:
' Über sonetise Quellen JBifricecher Predigten haben jgehandelt: H. Ott,
Über die Quellen aer Heiligenleben in JElfrics lAves of Savnta 7, Halle 1892 ;
M. Förster, Über die Quälen von JElfries Bomiliae OcUholieae, L Legendenj
Berlin 1892, und Über die Quellen von ^Ifries eooegetisehen Homüiae CcUho-
Ueae in Anglia XVI 1—61. Nachtrag in Engl Stud. XXVIIl 423 Anm.;
A. Stephan, Bme weüere Quelle wm Mlfriee Oregorhomilie in Ängl, Beibl.
XIV 315—820.
808
AHengliache Predigtqu€!IlniL
iEafrio Z. 67:
Agustiniu 06 snotera bisceop BSBde
eac on sumere bec: 'Mine geDrodra
{)a leofestaD, edome ic eow war-
node and mid nederlicre carfulnjsse
ic eow cudlice manode, ^at ge and-
ssetan wiglunge, be nnwise men
healdad, mid ealle forlffitan ewa-swa
geleaffuUe men; fordan, butan ic
eow wamige and bone wol eow for-
beode, ic sceal agyldan gescead I)am
BodÜBstan deman minre gymeieaate
and mid eow beon foidemed. Nu
alyse ic me svlfne wid God and mid
lufe eow forbeode, {m8< eower nan
ne axie {>arh seninie wicce-crseft be
aenigum dinge odde be eanigre un-
trumnysse, ne galdras ne sece to
gremiKenne hin scyppend; fordan
se-de pjB ded, se foriysd bis cristen-
dom and bid bam hsedenum gelic,
Se hleotad be tum s^lfum mid dass
eoflee ersefte, t>e bi forded on ec-
nysBe; and butan be selmyssan and
mvcele dsedbote bis scyppende ge-
omige, flßfre he bid forloren [84 — 87
ist ^Ifries Zusaix]. Eall-swa gelice,
B6-de gelyfd wiglungum odae be
fugelum odde be fnonim odde be
horsum odde be hundum, ne bid
be na cristen ; ac bid for-cud wider-
saca. Ne sgcaI nan man cepan be
daffum, on bwilcum daege ne fare
odae on bwylcum be eecyrre; for-
dan-{>e Qod gesceop eaUe da seofan
dagas, {>e ymad on bsere wucan od
bysre wonilde ^eendnnge. Ac sede
hwider faran wille, singe bis pater-
noster and credan, pi be cunne, and
clypige to bis drynten and bletsiee
hine syUne, and sidige orsorh burn
Godee geBcj^ldnyese butan asera
sceoocena wiglunga.'
Migne XXXrX 2269:
Bene noetia, frmtreB (wriwiiini, me
▼obiB fre(}uentiu8 supplicaflae et pa-
terna aolbcitudine commonuiBse, pa-
riter et contestatnm eese, ut illaa
saoilegaa pa^anorum consuetudinet
obseryare minime deberetis
Quia ei vobis ego non dixero, et
pro me et pro vobis malam sum
redditurufl rationem in die iudicii
et Yobiscum mihi erit necesse aetema
suppUcia sustinere, ego me apud
Deum absolvo, dum iterum atque
iterum admoneo, pariter et contestor,
ut nuUus ex yobis caragoSi vel di-
yinos vel sortilegoe, requirat, nee
de qualibet eos aut causa aut in-
firmitate interroget. NuUus sibi
praecantatores adnibeat; quia qui-
cum^ue fecerit hoc malum, statim
peribit baptismi sacramentum et
continuo sacrileguB et paganus effi-
citur; et nisi grandi eleemosyna,
dura et prolixa poenitentia sub-
venerit, statim in aeternum peribit.
Similiter et auj^ria observare no-
lite, nee in itinere positi aliquaa
aviculas cantantee attendite, nee ex
illarum cantu diabolicas divinatio-
nes annuntiare praeeumite. Nullus
ex vobis observet, qua die de domo
exeat, qua die itmim revertatur;
quia omnes diee Dens fecit, sicut
Bcriptura dicit : Et factus est primus
dies et secundus dies et tertius,
similiter et quartuB et quintuB et
sextuB et sabbatum. . . . Illas yero
non Bolum sacrilegas, sed etiam ridi-
culosas stemuationes considerare et
observare nolite. Sed quoties vobis
in quacumque parte fuerit neceesi-
tas properandi, signate vos in no-
mine Jesu Christi et symbolum vel
orationem Dominicam fideliter di-
centea securi de Dei adlutorio iter
agite.
3. Adso nnd Wnlfetan*
Die zweiundvierzieste Homilie der Wulfstanschen Samm-
luDg^ (ed. Napier, Berlin 1883^ S. 191 ff.) ist eine meist ziem-
' Die Quellen von vier Homilien dieser Sammlung, nämlich Nr. XLIII,
XLIV, XLV und LVII, hat R. Priebsch in den CHia Marseiana I 129
(Liverpool 1809) behandelt. Napier wies 8. VIII seiner AuBgabe darauf
AltmgliBche Predigtquellen.
809
lieh wörtliche ^ Übersetzung des Libeütis de Antichristo, welches
zwischen 949 und 954 von dem franzosischen Abte Adso^ (f 992)
von Montier-en-Der verfafst ist, in den Handschriften aber auch
dem Alcuin und Babanus Maurus zugeschrieben wird. Dasselbe
ist uns in verschiedenen^ stark abweichenden Textrezensionen
überliefert, von denen eine kürzere bei Migne, PcUr. lat, XL 1131
und nach einer Metzer Handschrift des beginnenden 11. Jahr-
hunderts von Floss in der Z, f. d. Ä, X 265 veröffentlicht ist,
eine längere, wohl interpolierte, bei Migne, Pair, lat CI 1291.
Der altenglische Te^ stimmt im alleemeinen am besten zu der
kürzeren Fassung der Metzer Handschrift, gelegentlich aber auch
zu den Lesarten der längeren Version. Anderseits enthält der
altenglische Text Stellen, wie 193 ^^^ 195 »-i^, 198 23 — 199 7^
199 ^ — 201 ^, die sich in keiner der bis jetzt gedruckten latei-
nischen Fassungen finden^; auch sind Anfang (19126 — 192^)
und Schluls (202 6 — 205 8) neu.
Man vergleiche folgende Stelle über die Geburt des Teufels:
Napier 193 8:
Sodlice, {>oiine he geetryned bid,
{)oni]e fserd se deofol ford mid into
his moder innode, and {)8er he hine
healt and weardad inne; and sefre
fram {>am timan, be he geetryned
bid, a he bid mid him and hine
nsdfre ne foriffit. And ealswa ee
halga ffast com to sca Marian ures
hsB^ndes Cristes moder and hy mid
his mihte ofersceadewade and mid
Z.f.d.AX 266:
In ipso autem conceptionis suae
initio diabolus simul introibit [<d,
intrabit] in uterum matris eins; et
ex virtute diaboii confovebitur et
contutabitur [al. contnrbabiturj in
yentre matris ; et virtus diaboii sem-
per cum ilio erit. Et sicut in ma-
trem Domini nostri lesu Christi
Spiritus sanctus yenit et eam sua
yirtute obumbrayit et diyinitate re-
hin, dais fast die Hälfte der 29. Homilie (136 36 — 140 s) aus dem ae. Ge-
dichte Be domes dcege (V. 92—269) stammt. Und ich selbst habe in meiner
Arbeit 'Über die Quellen von JElfriea Rom, Gath. L Legenden' (Berlin 1892)
S. 18 Anm.3 yermerkt, dafe ein Abschnitt der 16. Homilie (98H--10019)
eine freie Nacherzählung der Passio Petri et Pauli (ed. B. Lipsius, Acta
apostolarum apoeryphay Ceipzig 1891) I 120 ist. Einzelne Reden sind aber
wörtlicher wiedergegeben, wie z. B. die folgende:
'Ic halsige eow, deofles gastas, |>e *Adiaro vos, angeli Satanae, qai eum
|)»ne deofles mann gynd |)a Ijft feriad in aera fertis ad decipiendam hominam
and durh |>Bt menn bepsecad, |>et ge
|>arh Qodes elmihtiges bebod hine nu
da forlstan.' Napier 100 18-1«.
infldelinxn cordaf per Deam creatorem
. .f at eum ex hac hora iam
omumm
non feratis, sed dimittatis illum/
Passio § 66.
* Die grölseren Abweichungen mögen sich daraus erklären, daüs die
lai. Textgestalt, welche dem Angelsachsen yorgelegen hat, uns yorläufig
nicht zugänelidi ist.
' ÜMr Adso ist zu yergleichen A. Ebert, Allg. QeschiehU d, Literatur
d. MütOaÜers im Abendlande III 474-482; W. Meyer, Der Ludm de Anti-
ehristo m den Süsc-Ber. d. bayer. Akad. d. Wüs, 1882 I 3 ff . Über Adsos
Nadiwirken siehe Meyer a. a. 0. und Gröber im Orundrifs f. rom. Phil.
n 1, 8. 426, 691, 865.
810
Altenglitche PredigtqaeUen.
godcDndnyBM fgetyldet ewa fmt heo
Boeolde geeacnian of {>am halgaQ
gaste and, bsBt heo acende, wsere
cimd and halig, Bwa se deofol
Id into Antecriates moder in-
noae and hy eall ymbutan ymb-
trymd mid deotlicre mihte, and swa
him sylfum he hi geahnad, {»et
deofle samod wyrcendum * heo burh
man ^eeacnod on mnode; and, pcet-
|)e bia of hire acenned, eall hit bid
unrihtwiB and eall yfel and eal for-
loren. Danan is se deofles man
gehaten 'forwyrdee bearn', fordan
swa mycel, swa he meest mseg, he
forspila manncynnes; and he sylf
SBt endenyhstan mid ealle forwyrd.
Nu ge gehyrdon, hu he bid ge-
boren ; hlystad nu, and ic eow secge
{>8Bre stowe naman. |)e he bid on
geboren. Swa-swa Dnhten ure aly-
send foresceawode him {>8Bt castel
ba cynelican Bethleem, to dan {>8Bt
ne wolde |>8Br on t>ffire byrig men-
niscnesse underfon and U8w.
plerit, ut de spiritu aancto oodo
peret et, quod nasceretar, divinum
esset et sanctum, ita quoque dia-
bolus in matrem Anticbristi des-
cendet et totam eam replebit, totam
drcumdabit, totam tenebit» totam
interius et exterius poscidebit, ut
diabolo per hominem oooperante
condpiat et, quod natum fuerit, to-
tum Sit iniquum, totum malam, to-
tum perditum. ünde et ille homo
'filiuB perditionis' [2, Theas, 2y 3] ap-
peliatur, quia, in quantum potent,
genus humanum perdet et ipee in
novissimo perdetur.
Ecce audistis, qualiter nasoetur;
audite etiam locum, ubi nasci de-
beat. Nam sicut Dominus ac re-
demptor noster Bethlehem sibi praa-
yidit, ut ibi pro nobis humanitatem
assumere et uaw.
W^en ihrer mythologischen Wichtigkeit vergleiche
auch noch die Stelle:
man
Napier 19716:
And he ahefd hine sylfne ofer
ealle, |>a-de hsedene men cwsedon,
^set godas beon sceoldan on hsedene
wisan, swylc swa wses Erculus se
ent and Apollinis', {>e hi mseme
eod leton, I*or [torr F] eac and
Owden [Oben F\ |)e hsedene men
heriad swiae.
ZLf.d.Ä. X 269:
'Et extoUitur', id est, in superbia
[o/. Buperbiam] erigitur, 'supra omne,
c[uod dicitur Dens' \2, TfuM. 2, 4],
id est, super omnes deos gentium,
[Herculem videlicet Migne Öl 1295],
Apoilinem, lovem, Mercuiium, quoe
quos pagani deos \al, •)- esse] existi-
mant.
4. Anselm von Canterbnry.
Der spataltendische Sermo in festis S, Mariae Virginis des
Ms. Yespas. D. XlV foL 151** — 158% welchen zuerst Kluge in
seinem AngeUächsischm Lesebuchs 1888 S. 71—74 [:^ 3 98—102]
veröffentlicht hat^ ist eine meist ganz wörtliche, aber nicht immer
gewandte und fehlerfreie Ubersetzune der Homilia IX des Erz-
bischofes Anselm von Cimterbuiy (Migne^ PatroL tat. CLVllI
644 ff.). Da Anselm 1093 nach Ejnghmd gekommen und 1109
' Also eine genaae Naehbildnag des Ist AbL abs.; wsitero Beispiele Arekm
XCl 185 Anm.
* Man beachte den falschen Vominatiyy den der ObenetMr la dem Akk.
.ApoUmmn gebildet.
Altenglische Predigtquellen. 311
starbt bestätigt dieser Quellenfund auf das treffliebste die späte
Datierung des eDglischen Textes durch Kluge und Vauce.^ jSxxt
würde ich^ da die Handschrift wohl schon um 1125 geschrieben
sein mag^ die Entstehung' unserer altenglischen Version lieber
um die Jahre 1100 — 1120 statt 1150 (Vanoe) ansetzen. Was
Vance 8. 15 über die Bedeutung von ccestel in unserer Predigt
sagt^ ist nicht ganz stichhaltig. Der Übersetzer fafste castel offen-
bar überall schon im Sinne von ^urg', ebenso wie auch der aus
der Normandie kommende Anselm bei dem casteUum der Peri-
kope (Luk. X 38: Inircmt Jesus in quoddam casteüum) nach Aus-
weis seiner Erklärung (ccbsteU/u/m enim dicitur quaelibet turris ei
nmrus in drcuitu eins = for ecBstel is gedypod sum heh stepel, ße
hyi mid weaUe betrymed) an eine normannische Burg gedacht hat.
Für die Wörtlichkeit der Übersetzung vergleiche man^ wobei
ich den englischen Text nach der lateinischen Vorlage neu inter-
pungiere^
EHuge, Zeile 51 — 61: Anselm 1. c. 646:
Sume nsBmned |>one caeatel Mag- Sunt qui casteüum hoc Magdalum
dalam, {)e Maria wses of Ma/rda- fuisse arbitra[ii]tur, a quo Maria
lenisc geclypod; and {>et becumd Magdalena cognominatur; qnod si
wel to {)788ere trahtnunge. For verum est, praedictae interpretationi
Magdalus is 'stepeP geclypod, and famulatur. Ma^alus enim 'turris'
betacned eadmodnysse. JElere he nis dicitur et humihtati coaptatur. Hie
beo name gecyded , ac is gesaed yero non nominatur, sed tantum
'snm' csestel; and bset nis na on idel 'quoddam* dicitur; quod indiscus-
gedon. For 'sunr csestel, I)8et is sum praeterire non debemus. 'Quod-
'sunderlic' esestei, bset wses t>8et mse- dam', id est 'singulare' castellum
den Maria. For peh manege odre fult yirgo Maria. Quamvis enim et
habben msdgedhades weall and ead- muFtae aliae murum vir^itatis ha-
modnvssen stepel, swa bset heo mse- beant et turrim humilitatis, — id
dene oeon and eac eadmode, beh- est, et virgines sint et humiles — ,
hwedere ne mu^en heo gehealdene tamen salva virginitate matres esse
msBgedhade modres beon ne bearn non possunt neque fiiios generare;
geberen, swa ^eos s^nderlice dyde. quod ista sola fecit. Ed ideo castel-
And for|)an heo is nhtlice geclypod lum hoc merito 'auoddam', — id
<sum' csestel, — {)set is 'syndenic' est 'singulare' — , aicitur, quia ista
csestel — , for heo wass synderlice singulanter et virgo et mater fuit;
moder and mseden, swa nan oder quod nuUa alia esse potuit yel esse
ne mihte ne nsefre ma ne mseig. poterit
Es soll dem Übersetzer nicht vergessen werden^ dafs er
einiges von dem sinnigen Detail bei dem reizenden Mutteridyll
selbst erfunden hat:
Kluge, Zeile 107—109: Ansehnus 1. c. 648:
On his cildlicen unf emysse heo Infirmum per infantiam iacentem
hine badede and beddede [Es, be- non solum yisitayit, sed balneando,
dede] and smerede and bser and foyendo, leniendo, gestände frequen-
' Vance, Der spätangMkhsuehe Sermo in fesHs Sanctae Mariae Vir'
gim», Jenaer DisMrt, Dannstadt 1894, S. 81.
812 Altengliflche PndigtqneUen.
frefrede and Bwadede and roc- tavit, nt merito de ea dicatnr:
Code, 8wa {)set man mseig rihtlice * Maria f/tes Martha] auton sataeeUt
beo hire aecgen: 'Martha wses bisig circa nrequens ministeriuiii' [Lue,
and cearig emb |>a I)enange'. X 40],
6* Honorios' Elucidarinni.
Wanley S. 205 führt bei der Inhaltsangabe von VesMsian
D. XIV unter Nr. XLVH (bei Wanley verdruckt als XLU)
einen theologiscben Traktat an, den er 'De Peecato, Hbero Arbi-
irio ete/ überschreibt. Es ist dies [= fol. 159» — 163*>] eine wört-
liche Übersetzung aus des Honorius' Mucidarium lib. U cap. 1 — 6
(Mime, PtUroL Uü. CLXXII 1133 ff.). Man vergleiche den
Annmg:
Sum mann Bseigd, {kb^ ajnne nie Ditoipuku: Dicitur malam nihil
nan |>ing; otMi gyi fk9< sod u, fxmne esse; et si nihil est, valde mimm
is hit wunder, hoU GUkI fordernd ^a videtur, cur Deua homines vel an-
msonn for {>a ^inge, t>e naht nia. gelos damnet, cum nihil faciant Si
And ^yf aynne is senig hing, |)onne autem aliquid est, yidetur a Deo
gewornte God hit; for he geworhte esse, cum omnia sint ex ipeo; et
ealle l)ing. And gyf ^ai sod is» secjuitur, quod Dens sit auctor maJi,
bonne foniemd he elt mid unrihte et miuste eoe, qui hoc fadont, dam-
pa mffiun, f)e dod hcei-^cBt he avlf nari. — Magister: A Deo nempe
Kcacop. — Of Gode synden ealle sunt omnia, et omnia fedt valde
ping; cmd ealle he geworhte heo bona; et ideo malum probatur nihil
E*e; and for l)an we understanded, per substantiam esse. [Ein Saix aus-
synne nis nan {>ing on antimbre. aekusen.] Omnia vero aubatantiA
' 8dlc antimber is god; ac yfel bona est; aed malum non habet
nsefd nan antimber, and for pan aubatantiam: ergo malum nihil est
hit nia naht.
Das in der Handschrift folgende, von anderer Hand geschrie-
bene Stück, Wanleys Nr. XLYIH Quaesiianes et responsiones de Christi
reaurrectione et ascensione [= fol. 163** — 165*], ist, wie ich in *An
English Misceüany presented to Dr. FumivaU' (Oxford 1901) S. 89 ff.
gezeigt, eine ebenso wörtliche Übersetzung von lib. I cap. 23 — 25
(nicht 21 — 22). Ich halte es für möglich, dals die beiden Eiuci-
darium- Abschnitte in unserer englischen Handschrift als Predigten
rächt sind. Jedenfalls ist die ganze Handschrift Vespasianus
XIV ein homiletisches Hilfsbuch zum praktischen Gebrauch
für den niederen Pfarrklerus und für Mönche, die ja damals in
grolsem Umfange r^elmäfsige pastorale Tätigkeit in den um-
Uzenden Pfarren ausübten und nicht nur für Laiengemeinden,
sondern auch für die grofse Zahl von Laienbrüdem und unge-
bildeten Mönchen in der Volkssprache predigen mulsten. * Uber-
* B. Cruel, Oeschiehte der deutsehen Predigt, Detmold 1879, S. 129;
J. Linffard, Histarv and Antiquities of the Anglo-Saxon Qiureh, London
1845, 1 167. — Der Abschnitt über 'Die angelsSchaiache Predigt' bei
H. Hering, Die Lehre von der Predigt, Berlin 1905, 8. 07 1, geht woiiger
auf die Intereaaen dea Kultur- und litararhiatorikm ein.
Altenglische Predigtquellen. 818
dies ist die dialogische Predigt' als eine besondere Predigtart
wenigstens für Deutschland nachgewiesen J
Da des Honorius schriftstellerische Tätigkeit in die erste
Hälfte des 12. Jahrhunderts zu verlern ist und unsere englische
Handschrift wohl um 1125 entstanden sein wird, müssen also
obige Übersetzungen aus seinem Jugendwerke verhaltnismäfsig
bald nach der Entstehung des Ori^ales hergestellt sein. DaTs
das Werk eines in Südoeutschlana lebenden Autors damals so
schnell nach England verbreitet worden ist, darf uns nicht wunder-
nehmen, zumal da Honorius auch sonst direkte Beziehungen zu
England gehabt hat. Wir wissen nämlich, daTs Honorius seine
Predigtsammlung Speculum ecdesiae (Migne, Pcär, lat, CLXXH
813 n.) den fratres Ckmtuariensis eccUaiae^ gewidmet hat^ worunter
meiner Ansicht nach die Christ Church Priory' zu Canterbuiy
^meint ist, und dais er sich vorher eine Zeitlang in ihrem
Kloster {in nostro conventu) aufgehalten und gepredigt hat; auch
hat Prof. Endres neuerdings auf seine starke Abhängigkeit von
Anselmschen Ideen hingewiesen. Und vollends wird uns alles
dies verständlich^ wenn wir uns die interessante Aufstellung des
Prof. Endres in 'Eisiorisch^olüisehe Bläüer' CXXX (1902) 8. 160
zu eigen machen dürfen, wonach Honorius mit dem Schotten-
kloster 8. Jakob zu Begensburg in Verbindung gestanden hat
und sonach die Möglichkeit vorhanden wäre, dafs Honorius von
Geburt ein Angelsachse* oder Inselkelte gewesen ist'
* R. Cruel a. a. O. S. 605 — d07; A. Linsenmayer, Oesehiehte der IVe-
digt in DeuUMand, München 1886, 8. 189, 869, 447.
' J. Kelle, TJniersuehungen über das SpeeuUvm eeciesiae des Honorius
und die Libri deflorationum des Äbtes Werner in den Wiener Sitxmtgs-
berichten CXLV (1902) 8. 41 f.
' J. Kelle a. a. O. meint, dafs unter den frcUres Oaniuariensis ecdesiae
die Kanoniker an der Kathedrale von Canterbury zu verstehen seien. Es
scheint mir aber einfacher imd natürlicher, an den alten, durch seine
Bücherschätze und Bildungshöhe bekannten Conventus Eedesicte Christi
Cantuariensis zu denken, d. h. Christ Church Priory zu Canterbury, zu
der auch Anselm nachweislich Beziehungen gehabt hat. Da nach mittel-
alterlichem Sprachgebrauch das Kloster meist einfach mit Eeclesia öhristi
Cantuariensis bezeichnet wird, ist z. B. der offizielle Titel seines Vor-
standes Prior Ecdesiae Christi Cantuariensis, wofür auch weniger förm-
lich Prior Ecdesiae Cantuariensis gesetzt werden kann (s. The hSter Books
of the Monastery of Christ Church, Canterbury, ed. Sheppard, Rolls Series,
1887 — 89, passim). Und das eleiche gilt von den MÖncnen.
* Für deutsche Abkunft des Honorius pflegt man ins Feld zu führen,
dafs er viermal deutsche Wörter in seinen Werken anführt, nämlich
asierum 'Ostern', platta *Tonsur', kyrica 'Kirche' und soean 'aufsuchen'
(Cruel 8^ 131). Aber man scheint noch nicht beachtet zu haben, dafs,
abgesehen von dem sowohl niederdeutschen wie oberdeutschen östarün,
diese Wörter niederdeutsche Lautgestalt aufweisen, was schlecht zu der
angenommenen süddeutschen Heimat des Honorius passen würde. Sind
nun diese Formen durch niederdeutsche Abschreiber in die Texte ge-
Archiv f. n. Spnicb«ii. CXYI. 21
814 Altengliflche ^«diftquetlcn. ]
lidir darfiber in Bilde in meiiicni *AheDffimhmk Cbto', wo
im Anhane simtüche ODgedmckteD Texte ooBerar HMäeefanft
veröffentücmt werden sollen.
Die nnter 4 und 5 genannten engliadioi ÜberaetEungeD
scheinen mir ans zwei Gründen von besonderer Wichtigkeit:
a) einmal weil sie wohl die einzigsten eneliscben Texte sind, dexeo
Abfassungszeit (nicht blolse Niraerschrin) mit ziemlicher Sicher-
heit in die ersten Dezennien des 12. Jahriiunderts zu versetzen
ist, und b) weil sie bis jetzt die frühesten Texte in englisdier
Sprache sind, in denen gegenüber dem rein patristischen Cha-
rakter der sonstigen theologischen Literatur des Altenglischen ein
Einschlag der dialektisch-pmlosophischen Bew^ung der Scholastik
zu verspüren ist, und zwar vom Standpunkte jener Richtung
aus, weiche die Realität der Gattungsbegriffe behauptete und in
Ansdm von Canterbuiy ihren Hauptvertreter fand.
kommen >- es handelt sich um die zwei Werke Oemma ammae nnd 8a4sra^
meniarium — , oder standen im Original etwa die altengüschen Formen
etutron, eyriee und seeanJ Ein ae. *plati oder *plat(t)e 'Tonsur' (vgl. ahd.
blaUa, alrs. mndd. platte 'Tonsur'; mhd. blatSy vlaie 'Platte ; Tonsur', mndd.
plaU, an. plaia 'Platte') ist nicht belegt, falls es nicht etwa in der an-
sicheren Glosse pkUum obrixum (Leo 518, 45; Napier I 3584) stecken sollte
oder identisch ist mit ae. platt 'ßchlae* (yd. mndl. plat 1. 'flach' 2. 'Schlag"
und nnld. iemand plat sUuxn 'einen aurcnprügeln'). Doch mag es leicht
existiert haben, da ja ein Partizip äplatoa und das Subet pkSung ^Icgt
sind (s. auch Franck s. v. plaat, Falk-Torp s. v. pUMde, piaty pletj. Über-
dies ist das Wort platta ranein- mittellateinisch (s. Du Can^, Körting,
EHuge, Ordr, I* 84b) und oraucht hier gar nicht als germanisches Wort
gemeint zu sein.
^ Die neaerdings yon J. Kelle und Hauck vorgebrachten Ansichten
über das Mueidarium werden teilweise schon durch die Existenz unserer
alten^li sehen Übersetzung widerl^. — Die mittelenglische Version des
ISucuiariumf welche unter Fortiassung alles Gelehrten nur Üb. I cap. 1 — 31
und lib. II cap. 1 — 8 übersetzt hat, ist aus den bdden Handschriften
St. John 's College, Cambridge, G. 25, foL 1—16, und üniversity Library,
Cambridge, li. 6. 2ü^ p. 158 — 208 (beide des 15. Jahrhunderts) von Herrn
Reallehrer Fr. Schmitt in Bamberg abgeschrieben, der sie hoffentlich bald
den Fachgenoflsen vorlegen wird.
Nachtrag. Die Stelle über Jamnes und Mambres (Livesof S. XVII
118), für welche ich Archiv CVIII 27 keine Quelle wn&te, kann ^Ifric
aus der Pcusio Petri et Pauli § 84 {sieut Aegyptii magi Jamnes et MatnbreSf
^i Pharaonem et eaoereitum eiue ntieerunt in errorem, quoutque demergerenUir
in mari) geschöpft haben, die er nachweislich für die Homiliae Oatholicae
fs. meine Dies. S. 18) benutzt hat. — Die Paseio b. Margaretae (vel. Areküf
CX 427) nennt die beiden Magier zwar nicht in Pipers Text (Naehtrtige
nm älteren deutsehen Lüeraiur S. 834), wohl aber in der bei A fsmann,
Ags, Homüien S. 2()8 veröffentlichten Version § 16 (In kbris tarnen lamne
et Mambre invenies genms nostntm),
Würzburg. Max F 6 rat er.
Zur Geschichte der Französischen Akademie.
(Zur Kenntnis der 'DIbcoutb dei^ception' von Antoine-Vincent Arnaiilt,
Eugene Scribe, Octave Feuillet, Pierre LotL)
Hätte die Feder A. Daudete im Immortü einem selbstlosen
Motive gedient, so würde dieser vielgelesene Roman als läuternde
Kraft auf bedenkliche Zustande gewirkt haben. Doch hat die
fesselnde Erzählung eigentlich nur die vorhandenen Schatten nutz-
los vertieft und schlecht orientierte Pessimisten des Auslandes
mafslos in ihrer abfälligen Kritik der Bedeutung der franzosischen
Akademie bestärkt Solche oft ganz unmotivierte Geringschätzung
spiegelt sich von Zeit zu Zeit in den spottischen Randglossen,
mit welchen vielverbreitete deutsche Ti^esblätter die Discours
de riception neugewählter Mitglieder der minzösischen Akademie
b^leiten. Und gleichzeitig stehen wir doch im Zeitalter der
vertieft psychologischen, überaus sensitiven Erforschung der Lite-
raturgeschichte. Weshalb zieht man deshalb nur in Ausnahme-
fällen in Betracht, dafs auch die@e Aufnahmereden trotz offen-
kundiger Mängel und Einseitigkeiten beachtenswertes Zeugnis
ablegen? Um so mehr, da sie unwillkürlich viele spontane Aufe-
rungen enthalten und in ihrem Gefolge nach sich ziehen? Über-
dies offenbaren die Discours de ricepiion in den verschiedenen
Jahrhunderten, auf welche die franzosische Akademie seit ihrer
Gründung zurückblicken kann, die sich innerhalb der französi-
schen Nation vollziehende Wandlung höchster geistiger Inter-
essen. Wenn das 17. Jahrhundert im Schofse der Akademie
auch noch stark eingeengt erscheint durch den lange nachwirken-
den rigorosen Absolutismus Richelieus, so streut das 18. doch
bald echt revolutionäre Aufklärungsfunken unter anscheinend
harmlose literarische Theorien, und dem 19. Jahrhundert verdankt
die Akademie manchen von EHoIg gekrönten rhetorischen Ver-
such, allen Geistesrichtungen Frankreichs, ja der gesamten zivili-
sierten Welt^ klassische Formprägung abzugewinnen. Ein sorg-
samer Leser wird die Discours de ricepiion als unentbehrliche
Quellen für die unparteiische Beurteilung der französischen Lite-
raturgeschichte bezeichnen müssen, und zwar in positiver wie in
negativer Hinsicht Diese zeitraubende Lektüre erteilt überdies
eine ernste, zur Bescheidenheit mahnende Lehre: Wer sich ge-
legentlich zutraut, auf Grund jahrelanger Forschung gründlidie
21*
816 Zur Oeechichte der fnmzösischen Akademie.
Kenntnis bestimmter literaturabschnitte erworben zu haben^ wird
sich häufig die Frage vorigen müssen, was bedeutet diese oder
lene Anspielung^ was trägt Schuld, dais dieser oder jener einst
hochgefeierte Schriftsteller klang- und sanglos der Veigessenhdt
anheimgefallen ist; ist wohl die Literaturgeschichte gJeicfa der
Weltgeschichte das unfehlbare Weltgericht über dauerhafte und
unvergängliche Leistungsfähigkeit?
Man pfl^ die sogenannten hancdiUs des rSeepHans acadSrniques
des 17. Jahrhunderts bis auf wenige sclmnmemde Fäden achtlos
als unentwirrbaren Knäuel zur Seite zu schieben. Im Jahre
1897 ^ hat der treffliche secr^taire perp^tuel der Akademie,
M. Gaston Boissier, wenigstens die al^emeine Aufmerksamkeit
auf die Aufnahmesitzung gelenkt, in der La Bruy^ (1693) be-
strebt war, seinem Discours mit der plastischen Kraft lebens-
voller portraits litUraires dauernden Wert zu verleihen. Vielleicht
war auch La Bruy^re der erste, dem dieser ernstgemeinte Ver-
such wirklich glückte. Der g^n die angestammte Königstreue
der französischen Akademie so energisch protestierende Abb^
de Saint-Pierre (1658 bis 1743) liefert den Beweis, dals im enge-
ren Kreise der Akademiker selbst lange Zeit widersprechende
Ansichten über die Bedeutung der Akademiereden herrschten.
Der jedem formellen Zwange abholde Abb^ wollte sich selbst
von seinem treuen Freunde Fontenelle^ nicht von der Notwen-
digkeit überzeugen lassen, dafs sein für den 3. März 1695 be-
stimmter Discours de rScepiion dringend der Feile bedürfe. Ces
sories de DiscourSy rSpondit-il, ne mSriteni pas, pour l'utilitS dont ils
sont ä rEtat, plus de deux heures de temps; fy en ai mis quatre, ei
cela est fort honnete,^ Auch der Brauch, zwei. Ja mehr Mitglieder
in einer einzigen^ Sitzung zugleich aufzunehmen, hat bis ins
19. Jahrhundert dazu beigetragen, den Verfassern wie den Hörern
von Akademiereden den Eifer zu dämpfen.
Nach der französischen Revolution folgte überdies ein kur-
zer Zeitraum, währenddem Neugewählte der Verpflichtung ent-
hoben waren, eine feierliche Antrittsrede zu halten.^ Auch die
am 21. März 1816 durch bourboniscfae Gewaltmafsr^el einge-
* Gf. UÄeadSmie Franpaise au XVIP sÜkHe. {Revue des deux Mondes,
15 juln 1897, p. 25 88.)
* Fontenelle war bekanntlich der einzige, der gegen die Aasstolkung
Saint-Pierres aus der Akademie stimmte.
' Of. D'Alembert, Htstoire des Membres de VAeadhnie fran^aise, t. I.
p. 95 SS.
* So z. B., als 1672 Racine aufgenommen wurde; 1807, als der Ver-
fasser von Paul et Virginie drei neue Mitglieder (Laujuni RaTnouard und
Picard) zugleich begriilden mufs u. a. m.
^ Gf. Paul Mesnard, Hiatoire de l'AeadSmie Fran^ise, depuis sa fon-
dation juequ'en 1830, Paris 1857, p. 234 — 235 ... La premüre harang%ie
de reception ftU celle de Pamy, admts le 6 nivdse an XII. (27 d^cembre 1803.)
Zur Geschichte der franzöeiechen Akademie. 317
setzten Akademiker wurden ohne Einzelfeierlichkeiten eingereiht^
Es fehlen somit unter Napoleon I. wie unter Ludwig XYIEL
Zeugnisse akademischer Beredsamkeit, die der Literarhistoriker
gern verwerten würde. Unter den 1803 klanglos eingetretenen
Akademikern befindet sich auch der lebenslängliche Schützling
Napoleons, Antoine-Vincent Arnault (1766 bis 1834), der
zu den elf Exilierten des Jahres 1816 gehört. Am 24. Januar
1829 gleichzeitig mit Etienne zurückberufen, hielt er eine feier-
liche Gedächtnisrede auf seinen Vorgänger Louis-Benoit
Picard (1769 bis 1828). Bereits am 28. Januar 1836 wurde
Augustin-Eug^ne Scribe (1791 bis 1861) Amaults Nach-
folger. Am 26. März 1863 trat Octave Feuillet (1821 bis
1891) an die Stelle des gefeierten Modelustspieldichters. Seit
dem 7. April 1892 ist der 1850 geborene Romancier Pierre
Loti Lihaber des gleichen Fauteuils. Der Klang der Namen:
Arnault, Scribe, Feuillet, Loti ist in vielen Beziehungen
lehrreich, besonders für die wetterwendischen Launen des Zeit-
geschmacks. Überdies fallen die Aufnahmereden dieser Schrift-
steller in historisch wichtige Zeitabschnitte: unter Karl X., Louis-
Philippe, das zweite Kaiserreich, die dritte Bepublik.
V on Arnault melden unsere Literaturgeschichten nur weniges.
Heute rühmt man seine Fabeln, vielleicht von Hörensagen, be-
zeichnet ihn wohl als Tragödiendichter streng klassischer Rich-
tung und somit als Gegner der Romantiker. Ist seine Antritts-
rede vom Jahre 1829 geeignet, neues Interesse für ihn zu wecken?
Wohl schwerlich, insofern er kein direktes künstlerisches Kredo
ablegt. Aber seine kritische Musterung der Verdienste Picards
weckt Teilnahme. Denn abgesehen von einer rapiden aber sorg-
samen Analyse der meisten Bühnenprodukte Picards gestattet er
sich Quellenangaben, lehrreiche vergleichende Ausblicke, auch
generalisierende Betrachtungen über die der Prosa wie dem Verse
gebührende Rolle im französischen Drama. Auch legt er als
Zeitgenosse Zeugnis ab von der historisch treuen Sittenschil-
derung, die Picards Bühnenstücken zwar nicht ewige Zugkraft,
aber das dauernde Interesse der Soziologen sichern wird: Picard
a peint les ohjeis, qu'ü voyait, et les seuls qu'il lux füt pennis de
peindre, II Va fait avec une singuliere fidSHtS qui donne ä son ihiätre
une physionomie particuliSre, et le fera rechercher indSpendamment
de tout autre mSrite, par quiconque voudra connattre les moeurs fran-
Qaises pendant la pSriode qui s'est ecouUe entre le renversement de la
sociStS en France et son ritahlissement Rien ne prouve mieux que ce
thSätre la jtistesse de cette opinion d'tdn de nos oonfrires * qtte Vhistoire
' Man giD^ auf dieee Weise einer grolBen Verlegenheit aus dem We^e,
denn die fbdlierten konnten doch unmöglich von ihren Nachfolgern m
Gedächtnisreden wie Tote gefeiert werden,
' Etienne.
318 Zur GeBchichte der franzöflischen Akademie.
des mwurs d'un peuple se retraoe dans les modificatians qu'a SprouvSes
son thiätre comique, Amault benutzt diese Gelegenheit, sich für
einen ausgesprochenen G^ner der Prosakomodie zu erklärend
Ceat Svidemment par les nrnnes, par les bouffona de place, qui ne se
donnaierä pas la peine de versifier les improviscUions dant üs divertis-
saient la pcpulaee, que l'ttsage de la prost s'esi introduü dans le dia-
logue eamiqtte. En le transporta/ni des iriteaux sur le ÜUaire, les
auteurs d'un ordre sup4r%eur n'oni agi que dans l'interet de hur paresse.
Est-ce agir dans l'interet d'un art, que d'en rendre la pratiqus plus
faeile en le d^ouiUant d^une difficuUi d'ou nalt son plus hei ome-
tnent, et que de mettre ä la portSe de Vartisan ce qui n'itaü qu^ä la
portSe de Vartiste? Picard habe wie Moli^re nur aus Zeitmangel,
als Autor^ Schauspieler und zugleich Theaterdirektor die Vers-
komödie vernachlässigt Wenn Amault einen Vergleich mit
Regnard, Dancourt, Destouches, ja Beaumarchais riskiert, so be-
weist dies einerseits die zeitgenössische Beliebtheit seines akademi-
schen Vorgängers, anderseits die Möglichkeit, dals Picards Ver-
dienste in den Augen der Nachwelt durch erneute Lektüre viel-
leicht zu steigen vermöchten. Amault formuliert wenigstens bei
aller Vorsicht sein Gesamturteil überraschend günstig: Äu>ssi morcä
mais plus comique que Destouches, phis vrai, plus riservi ei presque
aussi original que Regnard, Picard n'a-t-il pas droit de prendre place
sur le meme rang qu'eux, ou ne doit pas se irouver Dancourt, qui ne
met pas toujours dans l'action la v6rit6 qu'on trouve toujours dans son
dialogvs, et qui s'applique moins d venger la morale qu'd peindre des
moBurs dissolues, dans des seines oü illes montre sous Vaspect ridicule
moins que sous l'aspect plaisant? Auch der Stil Picards nötigt
Amault rückhaltlose Bewunderang ab: Le style de Picard n'est ni
moins naturel ni moins comique que celui de Dancourt et de Lesage,
ei peut-etre est'41 habituellemsnt plus vif. R doit cette vivacitS ä rusage
de certaines ellipses qui jettent dans son dialogue un mouvemeni qu'on
ne trouvait gu^e avant lui que dans le dialogue de Beaumarchais. Les
rSparties, chez Picard, ne sont pas d la v4riti aussi scintiüantes d'esprit
et de jeux de mots que chez l'auteur du Barbier, mais elles sont plus
vraies; et Picard, si spirituel d'ailleurs, ne diffSre guire de Beaumar-
chais qu'en ce qu'il n'a pas use de l'esprit jusqu'd Valms,
Rein persönliche Ansichten Amaults treten bei seiner Wieder-
aufnahme in die Akademie nur verschleiert zutage. Scribes
Gedächtnisrede auf den bald verstorbenen secr^taire perp^tuel-
* In völlig entgegengesetztem Sinne äufserte sich vor einigen Jahren
Georges Ohnet im Figaro: Le vers est une admirable bSquille. II soutient
les piices tmU faites. La prose les laisse trU Inen tomber, Le vers est donc
avantageux.
' Ste-ßeuve beklagt in den Notweanon Lundis (t. XII, l'ÄeadSfnie
franpaise) die rasche Aufeinanderfolge von drei secr^tairee perp^tuele:
Auger stirbt 1829, ihm folgt Andrieux, der schon am 10. Mai 1838 stirbt,
Amault ersetzt ihn nur bis zum Id. September 1884.
Zur Geschichte der franzönschen Akademie. 819
bringt einen zwar verepäteten aber nodi kraftigen Nachhall des
Unwillens^ den Arnaults Verbannung durch den Gönner seiner
Jugend^ Ludwig XVIII., in Frankreich erregt hatte. SinfftdiSre
destinSe que la siennef Ce protecteur qu'ü s^Stait donnS,^ prince alors
et plus tard devenu roi, ohUge deux fais M, Amault d sortir de France:
en 92 par son d&pcurt, en 1815 par son retour. Äufserst humoristisch
beleuchtete Scribe die Mitarbeiterschaft Napoleons am fünften
Akte von Arnaults Tragödie les VSnitiens. Der ursprüngliche
Schluls des Dramas forderte die Milsbilligung eines Membre de
l^nstitut heraus, des Generals Bonaparte, qui avait en littirature
des (dies aussi arretSes qu'en politique. II dStestait Voltaire, ü avait
le maiheur de ne pas amier beaucoup Bacine, mais ü aurait faii Cor-
neae Premier minisire, II Üait pour les dSnou^emens Snergiques, et
voulait que rmine au thiätre toutes les difficultSs fussent enlevöes d la
bdionnette. Der junge Dichter fügte sich tatsächlich dem kategori-
schen Befehle: // faut que le Mros meure! II faui le tuer . . . tuez-
le. Es bedarf kaum der Erwähnung, dals dem Publikum der
neue Tragödienschlufs behagte, und dafs Napoleon huldvoll die
Widmung annahm.
Die vergleichend vertiefte ^ Anerkennung des Fabeldichters
Amault durch Scribe ist allem Anschein nach in viele Literatur-
geschichten übergegangen.
Einen beträchtlichen Teil des Umfangs seiner Aufnahme-
rede benutzte Scribe zu einem anderen Zwecke, d. h. zur Ver-
teidigung eines Paradoxon, das ihm sehr am Herzen zu liegen
schien. Zwar fühlte sich der b^rüisende Directeur Villemain
zu der berechtigten sarkastischen Aufserung veranlafst: une question
que vous avez diddie avec plus d'esprit et de succes que de veritö,
aber Scribes harmlose, pikante Auseinandersetzung spiegelt seine
liebenswürdige Persönlichkeit in all ihren Schwächen und Vor^
zügen. Er gefällt sich in der unwahrscheinlichen Annahme, dafs
durch irgendeine Katastrophe sämtliche historische Dokumente
von der Erdoberfläche verschwinden könnten. E^ sei behauptet
worden, dafs in diesem Falle die Com^ies einen Ersatz bieten
würden. Scribe ist anderer Meinung: viel unersetzlicher dünkt
ihn der etwaige Verlust der virelais, noels, pont-neufs et vaud&iniles
' Amault hatte dem Comte de Provence, dem späteren Ludwig XVIII.,
seine Tragödie Marius gewidmet.
' ... ses fahles, son plus beau titre litter airty sehn moi; ear il a eriS
un nouveau genre qui restera eomme modMty par eela meme qu'ü n*a eher ehe
ä imiter ni La Fontaine, ni Florian; ee n'est point la naive bonhomie du
Premier, ni la sensUnlite elegante et gradeuse du seeond: e'est de l'ipigramme,
c'est de la satire, e'est JuväuU qui s'est fait fabuliste/ eomme lui peut^re!
Paussant jusqu'ä Vexe^ sa mordante kyperhole, AL Ä. ort-ü fait la soeiite
trop vieieuse et les hommes trop mMumts? On a reproehi avee raison ä
Fwrian (Tavoir mis dans ses bergeries trop de moutons: peut-Stre dans les
fables de M. Ä. y c^t-il un peu trop ... de loups.
S20 Zur Geecbichte der franzÖeischeD Akademie.
satiriques imprimis jasqu'ä nos jours . . . Voyons si pctr kasard et
avec ces seuls documents il seraii tout d fait impossible de rStabUr les
principaux faits de notre histoire. Die an diese küluie Behaup-
tung geknüpfte Darlegung der historischen Bedeutsamkeit der
'chansons^ ist so geistvoll und witzsprühend^ dais der Leser (wie
schon einst der Zuhörer) sich über die Fülle eingetauschter Trug-
schlüsse gar nicht recht klar wird. Scribe gestattet manchen
originellen Ausblick. Wie oft hat das buntscheckige Ued im
Laufe der Jahrhunderte keck sein Gewand gewechselt: seit den
Zeiten Rolands^ der trouv^res und m^nestrels, der Kreuzzüee,
unter Karl VII. und Agnes Sorel, Franz L, der liga und der
Fronde: Ättaquant les rois, renversant les ministres, changeant ks
parlemens. Denn in Frankreich war unter den Konigen lange
2ieit die chanson la seide Opposition possible. On definissaii le gou-
vemement d'cdors tme monarchie absolue tempirie par des chansons.
La liberti de la chanson ging der Prefsfreiheit voraus. Sous Ma-
xarin le peuple payait, il est vrai, mais ü chantait, (fest d dire il pro-
testait. Dieser Protest half die Revolutionsideen vorbereiten. La
chanson empeche Richelieu de dormir et Mazarin de dtner. Auch
Ludwigs XTV. geheiligte Majestät dient unausgesetzt ihren spöt-
tischen Angriffen zur Zielscheibe. Hohn ergielst sich über seine
Liebesverhältnisse^ seine Feldzüge und nicht zuletzt seine finan-
zielle Mifswirtechaft. Scribe liefert einige köstliche Vers-Dlustra-
tionsproben, u. a. die folgende:
Dans ses eoffres pas un daublonf
n est si pauvre en son minage,
Qu* an dtt que la veuve Scarron
Ä fait un mauvais mariage!
Das Herannahen der Revolution ^staltet die Chansons zu
einer gefürchteten Macht: sie trotzt den lettres de cachet; sie
schreibt ihr flammendes Menetekel an die Mauern der Bastille;
sie enthüllt schonungslos die Zustande im Serail von Versailles,
gibt unterschiedslos den Monarchen, Minister und Favoritinnen
dem bittersten Spotte preis. Auch von dem Welteroberer Napo-
leon entwirft sie Zerrbilder — solange sein Glücksstern strahlt
Ihre Bedeutung erlischt erst mit der gewährten Pressfreiheit.
Jedenfalls besafsen diese so gefällig vorgetragenen Ansichten
Scribes im Jahre 1836 den Reiz der Neuheit; man beobachtet
ihn mit Vergnügen, solange er sich auf dem Terrain dieser lebens-
frischen Dichtungsgattung bewegt Er fragt allerdings nicht
danach, ob die pikanten Anspielungen der Chansons ohne histori-
schen Kommentar jedermann verständlich bleiben würden; er
greift — leider — auch zu negativen Einwänden g^en die Be-
deutung der Bühnenstücke für zeitgeschichtliche und sittliche
Belehrung. Die Literaturgeschichte hat Scribe augenscheinlich
nur wie ein recht oberflächlicher Dilettant beurteilt Am grellsten
Zur Geschichte der französischen Akademie. 321
offenbart sich sein Mangel sensitiven Verständnisses in einigen
Aufserungen über Moli^re:^ La comSdie de Molüre rums instruii-
elle des grands SvSnemens du siMe de Louis XIV? Nous dit-eüe un
moi des erreurs, des faihlesses ou des fauies du grand roi? Nous
parle-t-eUe de la rivocation de Vedit de Nantes? Unter Ludwig XV.
beschäftige sich die Bühne ebensowenig mit dem Pa/rc aux Cerfs
und der Teilung Polens, ebensowenig unter Napoleon mit der
manie des conquetes. Was die zeitgeschichtliche Sittenschilderung
anbelangt, so räumt Scribe ein que la comSdie est plus pris de la
vSriti des mcßurs que de la vSriti historique, aber zugleich ist er
der Ansicht, dafs nur seltene Ausnahmen, wie Turcarei, als chefs
d'ceuvre de fidSliU gelten können : // se trouve, par une faialiti assez
bizarre, que presque toujours le ihidtre et la soeiSti ont St4 en oontra-
dietion direcie. Eine geschickt zusammengetragene Fülle von An-
gaben scheint Scribe recht zu geben. Er fthrt z. B. an, dafs
1793, unbekümmert um den Königsprozefs, La helle Fermiire,
comidie agricole et sentimentale in Paris über die Bretter ging.
Immer nur von einem einzigen Gesichtspunkt ausgehend, führt
Scribe seine negative Argumentation bis zur Neuzeit und krönt
sie mit dem energischen Protest: Le ihSätre est donc hien rarement
Vexpression de la sodStS — souvent Veapression inverse; et (fest dans
ce qu'il ne dit pas qu'il faut chercher ce qui existait.
Mit dieser pikanten Streitfrage hat sich der bekannteste
Bühnendichter der Julimonarchie nicht widerspruchslos in die
Akademie eingeführt. Villemains Entgegnung fiel vornehm über-
legen aus; der treffliche Literarhistoriker war im Jahre 1836
bereits recht vertraut mit einer psychologisch vertieften Erfor-
schung der grofsen französischen Dichter. Würdevoll wies der
noch jugendlich begeisterte Gelehrte den verständnislosen An-
griff auf Moli^re ab: Connattriez-^vous parfaitement le siede de
Louis XIV sans Moliere? Sauriez-vous aussi hien ce qu'itaient la
cour, la ville, et Tartuffe surtout ? II n'est aucune piece de Moliire,
jtisqu'au drame fantastiqtte de Don Juan, qui ne rums montre quelque
cöt6 curieux de Vesprit humain dans le 17^ siick, qui ne vous fasse
sentir le mouvement des mcßurs, et deviner le travail meme des opinions,
sous le calme apparent de cette grande et majestueuse ipoque. Selbst
schwache Dramen sind in mancher Beziehung wertvolle Doku-
mente. Scribe habe wenigstens Turcaret der Erwähnung wert
befunden, et le mariage de Figaro, p, ex,, est un renseignement incom-
parable pour Vhistoire et la fin ^une monarchie,
* Als 1829 Etienne an Stelle Augers seinen Sitz in der Akademie
zurückgewann, war er im Gegensatz zu dem ihn begrüfsenden Directeur
Droz der Ansicht, dala Augers Commentaire de MoliSre von hohem Werte
sei: Ces qualites quHl reelamait comme indispensable dans Vhomme appele
a mesvrer toute la hauteur de Moli^re^ M, Auger les avait en lui-meme.
IScribe bekundet viel weniger Verständnis für Moliere.
822 Zur QeBchichte der französischen Akademie.
Auf Scribe wie YiUemain wirft die geschilderte Akademie-
Sitzung wertvolle Streiflichter. SiebenunazwaDzig Jahre später
erhalten wir ein neues eigenartiges Bild, als der kaiserliche Günst-
ling, Octave Feuillet> den durch Scrib^ Tod erledigten Sitz ein-
nimmt und von Vitet begrnist wird. Diesmal weht Hofstim-
mung und schnürt klerikfder Einflnls jeden freieren Meinungs-
austausch ein. Feuillete Eede ist si<meriich auch aus diesem
Grunde weniger charakteristisch als diejenige Sandeaus vom Jahre
1859, mit der dem Eingeweihten der Vergleich sehr nahe liegt.
Sandeau sprach bei dieser Gelegenheit kühn von den grofsen
Bomanschnftstellem Lesage, Pr^vost, Balzac, deren Ruhm der
Akademie gefehlt habe. Feuillet äuJbert sich über das ^ddie
Thema (die Bedeutung des Romans für die Literatur) viel be-
hutsamer, im Grunde genommen entsprediend der hofisch-aristo-
kratisch abgeglätteten Tonart seiner einst so vielgelesenen Romane.
Als chronologisch wichtig für die ablehnend abwartende Haltung
der Akademie gegenüber den RomanschriftsteUem ist die ein-
leitende Aufserung Feuillets hervorzuheben, dafs die Akademie
zum zweitenmal innerhalb weniger Jahre einen simple auteur de
romans in ihre Mitte berufen habe. Auch bezeidinet er im Laufe
seiner Auseinandersetzung den Roman bescheiden als gmre seoonr-
daire, dessen Entwickelung er bb zum 14. Jahrhundert zurück-
verfolgt und als ursprünglich tändelndes Unterhaltungsspiel der
höheren Gesellsdiaftskreise definiert Er streift die Schäfer-
romane, die preziösen Machwerke des klassischen Jahrhunderts,
spricht von emer MatanU exeepHon^ dieser fad behandelten Un-
terhaltungsstoffe, erwähnt dann in ziemlich knapp gehaltoier Auf-
zählung OH Blas, La nouveüe HeUnse, Paul ei Virginüf BenS und
Corinne und gleitet schliefslich mit ziemlich vagen Aufserungen,
ohne auch nur einen einzigen Namen oder Titel zu nennen, über
alle gefeierten Romanschriftsteller seines 2ieitalter8 hinweg. La
fiction, la description pütoresque, Vitiude des caracUres et des passions,
les domaines atUrefois rSservSs et distincts de la poisie, du ihiätre,
de la phüosophie meme et de Vkistoire, — le roman envahissaü totU,
et quelquefois tisufpaU totä. Les imaginations les plus riches, les
esprits les plus phUtrants, les plumes les plus heureuses, rivaUsaient
en oe genre, d'invention sSduisante, d'observaüon forte et d'Üoquenee
passionnSe. Le roman, par ses mSrites et aussi par ses eocees, par la
compliciti ardente du goüt public dans ioutes les dasses de la nationy
par son actum manifeste sur les idSes et sur les mours du siSde, ii-
mmgnait d'une vitaliti vSritable, II avait prouvS, dans Vordre liitSraire,
qu'il pouvait servir ä la gloire du pays, dans Vordre moral, qu'ü poun
vait faire le bien et le mal. Moral lautete in der Tat die an die-
sem merkwürdigeD Tage ausgegebene Parole der Akademie. Der
* Jedenfalls ist Madame de La Fayette gemeint.
Zur Gkflchichte der franzöeiBchen Akademie. 328
Feuillet begrülflende Directeur (Yitet) war sichtlich bemüht, diese
anBcheinend sittlich gedämpfte Atmosphäre noch durch einen ge-
wagten Vergleich zwischen Musset und Feuillet druckender zu
gestalten. Allerdings nur in einer ganz begrenzten Richtung.
Feuillet hat bekanntlich zu Mussets Speetade dans un Fauteuil
anmutige Fortsetzungen geliefert. Yitet ist zwar ehrlich genug,
den höheren dichterischen Gehalt der Mussetschen Produkte ge-
bührend hervorzuheben und gegen Feuillet einzuwenden: La touche
moins fenne, le trait moins assurS, et Vexpreasion hien qua svelte et
piqtumte *ne faisait pas jaiüir aussi aouvent cea idairs de pensie, ces
notes incomparahles oü se irahissait le poete*; mads en revanohe quel
parfum plus sahibre, quelle atmoaphire nouveüe, quel caXme et quelle
sSrSnüS. Plus de froide ironie, plus de mots dessMuints, plus d'images
suspeetes: le lieencieux ei le seeptique avaient ä la fois disparu , . .
Tout en vous inspircmt des gräees de votre modele, toui en lui dirobani
ses secrets, vous premez hardimerU le cotärepied de ses doctrines.
Wahrlich, die klerikale Partei am Hofe Napoleons HL konnte
am 26. März 1863 mit der Akademie zufrieden sein. Die sittlich-
strenge Tendenz der Werke Feuillets trug — wohl zum ersten
und einzigai Male in seinem Leben — einen offiziell verkündeten
Sieg über ein Genie wie Musset davon. Wird ihm diese klerikal
beeinflufste Anerkennung wirklich Freude bereitet haben? Eine
noch seltsamere posthume Ehrung stand ihm allerdings im Jahre
1892 durch seinen akademischen Nachfolger Pierre Loti bevor.
Loti hat sich mit der ihm eigenen lässigen, halb naiven,
halb manierierten rhetorischen Grazie in die Akademie eingeführt.
Seine Bede ist bekanntlich im franzosischen wie im ausländischen
kritischen Blätterwalde mit teilweise mifsfälligem Bauschen be-
grüfst worden, unterzog man sich doch sogar der Mühe einer
Berechnung, wie oft er das liebe Wörtlein 'ich' in den Mund
genommen habe. Und das war eigentlich nicht verwunderlich:
Loti bot doch nur einen spontanen Ausflufs seiner künstlerischen
Eigenart, des stark persönlichen Gepräges seiner Werke. Als
unverschleiert subjektives Bekenntnis des Verfassers der Peeheurs
d'Islande ist die Bede wertvoll, wenn sie auch als Wildling dem
Mafsstab des Literarhistorikers und methodischen Kritikers wider-
strebt. Haarscharf analysiert, spiegelt sie zwei widerspruchsvolle
Anschauungen Lotis: einerseits sein Verlegenheitslob einer Boman-
gattung, die als echtes Salonprodukt von der Herrscherlaune der
Mode abhängig ist, überdies eine Kluft bildet zwischen veralteter
und moderner Künstlertechnik, die sich bei dem gellen Kon-
trast Feuillet-Loti nicht durch pietätvoll vermittelnde Sentimen-
talität überbrücken läTst. Anderseits das sich leise r^ende Mifs-
fallen des angehenden Vierzigers, der sich hochmodernen lite-
rarischen Strömungen gegenüber bereits zur Defensive rüstet.
Wer wagt nach seiner Ansicht, Feuillet für veraltet zu erklären?
824 Zur Oescbichte der franKÖsischen Akademie.
Ceriaines petits jeu/nes gens, qui se eroient des auteurs pour avoir
publiS deux ou irois saugrenuiUa inintelligibles dans ces feuiües ^hS-
mSres eonsacries aux dMqueacenees e^ibrcUes du jour. Der klare
Denker Loti, dem ein knstallheller Stil zu Gebote steht, konnte
für die stark garende Bichtung der ^Symbolistes^^ freilieh nicht
viel Verständnis übrig haben. Er vergafs sogar momentan, dafs
diese von ihm so scharf bekrittelte Dichtergruppe eine wirkungs-
volle Gegenströmung gegen den von ihm am gleichen Tage
schroff bekämpften Realismus und Naturalismus verhiels. Seine
Polemik kam - insofern wir sie nicht als offiziellen Protest der
franzosischen Akademie auffassen wollen — zu spät, da die er-
sehnte Reaktion gegen 2iolas Schule^ bereits eingetreten war,
jedoch beansprucht sie historisches Interesse, da auch sie geeignet
ist, Wandlungen der Literaturinteressen zu veranschaulidien, die
als stetig sich weitende Wellenringe schliefslich unmerklich im
weiten Ozean des Volkergeschmackes verlaufen. Lotis Änfse-
rungen offenbaren den freimütigen Blick des Seemanns, der eher
über den Koterien steht: Le rülisme et le naturalisme qui en est
reaceis, je suis hin de cantester leurs droits: mais comme de grands
fe/ux de paiüe impure qui s^cdlument, Hs ont jetS une ipaisse fumie
par trop envahissante, La oondamnation du naturalisme est, dPaiUeurs,
en ced, &est qu'ü prend ses sujets uniquement dans oette lie du peupU
des grandes vüles, ou ses auieurs se complaisent. N'ayani jamais
regardi que cette flaque de boue, qui est tres spMale et tres restreinte,
ils gSnSralisent, sans mesure, les ohservations qu'ils ont faites-et, alors,
ils se trompent outrageusemtnt, Ces gens du monde qu'ils essayent de
nous peindre, ou bien ces paysans, ces laboureurs, pareils tous d des
gens que Von prendrait dans des bals de BeüeviUe, sont faux. Cette
grossiireti absolue, ce cynisme qui raiUe tout, sont des phinomines
morbides, particuliers aux barrieres parisiennes, j' en ai la certitude,
moi qui arrive du grand air du dehors. Et voHd pourquoi le
naturalisme, tel qu'on Ventend aujourd'hui, est destinS — meUgrS le
monstrueux talent de quelques icrivains de cette Scole, ä passer, qtumd
la euriositi nuüsa/ine qui le soutient se sera lassSe . . . Der be-
grüfsende Directeur de M^ziferes protestierte mit vollem Rechte
gegen Lotis Bemühung, seine eigene Künstleranschauung mit
derjenigen Feuillets zu identifizieren : ^ n'est-ce point Id une tl/tmon
ou un artifice de piStS aeadSmiqus? Denn Loti hatte es wahrlich
* Cf. A. G. yan Hamels treffliche kleine Studie: F^^ansehe Symbo-
listen (Overdruk uit de Gids), 1902.
' Man datiert bekanntlich den Abfall einer Anzahl Jünger Zolas von
dem Erscheinen seineB Romans La Terre.
^ Beachtenswert bleibt Lotis nachdrückliche Erklfirun^: IJh eommun
degaüi nous unissait d'aiüeurs eontre tout oe qui est grosster ou seulement
vulgatre, et peut-etre aussi, ü faut l'avouer, un comfMm iloignefnent trop
dedaigneiucj pa^ assex tolerant, ä peine ßistifiable, pour oe qui tient le milieu
de Vecltdle humaine, pour les demi-^duoations et les banalttSs bourgeoiaes.
Zur GeBchichte der französischen Akademie. 825
nicht nötige sich hinter dem bröckebideD Gemäuer des veralteten
Schlofsbaues eines Feuillet wie hinter einem Schutzwall zu ver-
schanzeui um Angriffe auf neuere und neueste Pamal'sströmun-
gen Frankreichs zu unternehmen. Aber in einer wichtigen Be-
ziehung stiefs Loti bei M^zi^res auf völliges Verkennen seiner
künstlerischen Eigenart. Quoiqiie vaus restiez un idSaliste convaincu,
votts ne reculexpas devant la reproduoiion laplics hardie de la riaUU . . .
Aucun romcm naturaUste ne dSpasse en harreur et en räcUiti la peinture
que votts nous faites des demieres annSes, des demiers jours d'un
vietix marin. Uicole nouveüe, meme la vötre, ne connatt.pas les scrur
ptäes littSraires qui tourmentaieni hvie et qui tronblaient la consdence
d'Oeta/ve Feuillet, Pou/rvu qu'eüe secoue nos nerfs, qu'elle fasse jpasser
dans nos veines un frisson de piti6 ou de terreur, les moyens lux sont
indiffirents, S&ntiments et sensaiions, angoisses moraUs et souffranees
physiques, tout vous est hon, Monsieur, pour nous arracher des larmes.
Personne de notre temps n'en fait plus verser que vous. Unbestreit-
bar arbeitet Loti mit viel intensiveren Farben wie Feuillet^ seine
Kunst wirkt modern-sensitiv^ aber war er nicht durchaus be-
rechtigt, die zarte Feinheit seiner Darstellungsgabe von den
brüsken Mitteln der Hauptvertreter des modernen Realismus,
insbesondere eines Zola, abzusondern? Ihm widerstrebt die
dumpfe, drückende Atmosphäre der widrig lasterhaften Grofs-
städte. Dem frischen Auge des Weltums^lers hat der strah-
lende Abglanz einer lichteren Sonne reinere Linien, edlere mate-
rielle und geistige Konturen eingeprägt Glücklicherweise besann
sich de M^zi^res auf die peiniure plus discrete de la dovdeur in
den Pecheurs d^Iskmde, Aus den Schlufsworten seiner BegrüTsungs-
rede klingt die warme Anerkennung des praktischen Nutzens,
den der Romancier Loti durch seine plastisch emreifende Schil-
derung des Fischerelends seiner bretonischen Heimat gestiftet
hat. Die gerügte literarische Skrupellosigkeit der modernen Kunst
hat in diesem Falle ungeahnt segensreiche Wirkungen zu ver-
zeichnen, weil sie der oberflächlichen Lebensflüchtigkeit moder-
ner Generationen werktätige Teilnahme an ergrei&ndem Men-
schenelend zu entlocken vermocht hat. Das Meisterwerk Pecheurs
d'Islande verzeichnet somit von der Leserschar ungeahnte Nütz-
lichkeitserfolge, deren hochpoetische Kristallisation der rührenden
Heitnatsliebe des Seemanns ihre Entstehung verdankt!
In malerischem Kontraste zu der mehr nüchternen Utilitäts-
frage steht die fesselnde Eingangsschilderung der Rede Lotis.
Hier ist der Dichter, in einem glücklichen Momente, zum Worte
^kommen. Wie originell wirkt diese Situationsbeschreibung!
fiemals ist wohl die Kunde eines Wahlerfolges auf bizarrerem
Wege zu den Ohren eines in fernen Landen weilenden zukünfti-
gen Akademikers gedrungen. Das Stimmungsbild, das er ent-
wirft, gleicht der feinsten Mosaik bunt wechselnder Dichter-
SM Zur QeBchichte der franzOflischen Akademie.
empfindoDfieD, insbeeoDdei« in der dem Seemaim cfavakteristi-
0cheD Misdrang vod Lebensfreiide mit Wehmut: Toui en gUsmmi
mr Feau tranquüle, je dichiirai um d un, les papiers bbas, KmmU de
pr^, a/ux demiSres kieurs rouges du jour, dane le beau er^puscUh
eommen^ant, ees ßUeitaiions qui fn'arrwaient de ioutes parte, et au
lee mote: jaie, honheur, revenaient toujours d c6U du mot gMre.
Dans oe ealme du jaur de prwUempe qui fmiesaii, cei instant me eem-
blait aolennel, eomme chaque foie qu'un grand pas vient cTitre francki
dane la vie; je eeniaie meme une sarte d^angoisse Orange, comme si
un manteau trop magnifique — mais en mime temps trop lourd, trcp
immobüisant — edt 4tS taut d coup jetS eur mes Spaules. M puis, je
songeais d celui dont le dipart m^awiit ouvert oes portes, et qui prS-
cisMnent avait 6tS, dane le monde des lettres, le premier dSdarS de
tous mes amis inieüeetuels ; il me semblait qu'en prenant sa plaee, je
le plongeais plus avant dans la grande nuit oü naus aUons tous. —
Ist die GeBohicbte des Fauteuil 'Loti' im 19. Jahrhundert
nicht überaus lehrreich? Dringt nicht aus den Discours de re-
ception eines Arnault, Scribe^ Feuillet, Loti ein lebens-
voller Hauch beachtenswerter individueller B^abung? Für die
Kenntnis der Geschichte des französischen Theaters wie des
französischen Romans im 19. Jahrhundert sind aus der Lektüre
dieeer Aufnahme- und Begrfl&ungsreden wertvoUe Rnger«ige
und Berichtigungen einzusammeln. Und zwar rechtzeitig. Denn
in seinen origindlen SensaHions d'Italie ^ erteilt Bourget den Lite-
rarhistorikern eine beachtenswerte Lehre ,., Un Iwre, par eocemple,
n*esi plus tout d fait le meme d cent ans de distance, Les mois n'en
ont pas bougS, mais gardent-^ls exaetement le mime sens? Quel
lecteur hdbituS aux sensations inteÜeetuelles ne eomprend que, pour
un komme du diac-septiime siede, les vers de Racine n'itaimi pas ee
qu'ils sont devenus pour nous 9 ,., U semble qu'en effet nous ajou-
tions d VcBuvre en VinterprStant d'une certame manidre et dans le sens
de nos besoins personnels d'esprü, En rialM, ce que noi^ paraissons
lui ajouter, eile nous le suggere, Elle portait en eüe la possibiliti.
La preuve en est que certaines criaiions seulement des temps passSs
ont gardis cette puissance, d'autres non Die Disoours de ricq>iion
sind mehr oder weniger ^Stimmungsbilder^ die verblassen\ Tra-
gen wir rechtzeitig oorge^ die Quellen zu würdigen, denen sie
ihre Entstehung verdanken. Auch im Schofse der französischen
Akademie pulsiert literarischer Lebensstrom; seine Frische und
Originalität unbefangen zu genielken und fruchtbringend aua«.-
nutzen ist eine Pflicht, die bis jetzt nur in vereinzelten FaUen
getreue Erfüllung gefunden hat,
> Seneatiofu cPBalie, p. 130.
München. M. J. Minckwitz.
Snr 4es Gontemplations^ de Yietor Bugo.
L'un des plus fidles amis de Victor Hugo, son ex^cuteur testa-
mentaire, le po^te M. Paul Meurice, a entrepris de publier une nou-
velle Mition des oBuvres compl^tes de Victor Hugo, qui formera qua-
rante volumes, ' et qui deviendra bien vite indispeiiBable aux biblio-
philes comme aux lettr^s. Les bibliophiles j trouveront une Im-
pression d'une beaut6 grave, due ä rimprimerie Nationale de Paris,
des facsimil^ des manuscrits, et des gravures emprunt6e8 aux ^ditions
ant6rieures, ä la Maison de Victor Hugo, aux archives de la ComMie
Fran9aise, etc. — Les lettr^s y trouveront mieux encore: Thistoire
des Oeuvres publikes, des notioes bibliographiques et iconographiques,
des variantes, des textes nouveaux, des traces multiples et pr^ieuses
des recherches pr^paratoires et du travail de composition auxquels
se livrait le f^cond 6crivain. Trois volumes ont paru d6jä ^ et^ pour
Noir^Dame de Paris, nous avons des canevas curieux, qui nous per-
mettent de survre les tätonnements du romancier; pour Marie Tudor
et pour les Burgraves, deux prologues inconnus, dont le second ne
compte pas moins de six cents vers. Les Coniemplations ne sont pas
accompagn^ de documents de ce genre; mais M. Paul Meurice, sans
faire une Edition vraiment critique, en a multipli^ les variantes, et
surtout il nous a donn6, sur les diverses pikses qui composent ce re-
cueil, des indications chronologiques compl^tes, qui sont d'une capi-
tale importance. Cest sur la Chronologie nouvelle des CorUempkUions
que je voudrais appeler l'attention de mes lecteurs.
Les Chätiments datent de 1858; les Coniemplations ont 6t^ pu-
bli^s ^ Paris le 24 avril 1856, mais d'apr^ une Impression beige
qui 6tait achev6e ^ la fin de 1855. Deux ann^ seulement s^parent
donc les deux ouvrages, et ces deux ann^es ont 6t6 consacr^es ä
beaucoup d'oeuvres, outre les Coniemplations. Sans parier des dis-
cours, lettres et actes politiques de toute sorte que Ton trouve dans
Actes et paroles, Victor Hugo composait alors un grand nombre de
pi^es de la future LSgende des siecks; en 1854 il 6crivait la plus
grande partie de la Mn de Satan et, en 1855, amen6, par les Con-
*■ Grand in-S*' k 10 francs le voiume. Paris, librairie Ollendorff.
' Bomain: Notre Dame de Paris; — ThOUre, tome III; — PoMes: les
ConiempkUions,
S28 Sur 'les Contemplations' de Victor Hugo.
templaiions m^mee, ä sonder les probl^es m^taphysiques, 11 toivail
Dieu, termin^ au mois d'avril. D'autres po^ies datent aussi de cette
Periode, qui ont 6t6 ins^r^es dans des recueils post^rieurs: les Chan-
sons des ities et des bois (1865), les Quatre venis de Vesprü (1881),
Toute Ja lyre et les Ännies funestes (recueils posthumes). Sans qu'une
liste de ees demi^s pi^ces soit utile, on voit combien Tactivit^ du
po^te 4tait prodigieuse au temps oü il 6criyait les Cantemplations,
n est yrai que les Contemplations n'ont pas le caract^ des re-
cueils lyriques ant^eurs. Eux ne nous donnaient de renseignemente
sur FAme et l'art de Victor Hugo qu'ä un moment pr^is et court;
les Gontemplations sont une autobiographie morale et po^dque allant
del880äl855 — 1856 m^me, si Ton consulte les dates de certaines
po^sies — et formte de documents qui s'^chelonnent le long de ce
Kjrraude mortalis aevi spatium'. Du moins le po^te nous le dit et,
malgr6 quelques restrictions peu importantes, les critiques le r§p%tenL
Victor Hugo 6crit dans sa prtface:
<Si un auteur pouvait avoir quelque droit d'influer sur la dis-
position d'esprit des lecteurs qui ouvrent son livre, l'auteur des Gon-
templations se bomerait ä dire ceci: ce livre doit ^tre lu comme on
lirait le livre d'un mort
'Vingt-cinq ann^ sont dans ces deux volumes. Qrande mor-
tcUis aevi spatium, L'auteur a laissä» pour ainsi dire, ce livre se faire
en lui. La vie, en filtrant goutte ä goutte ä travers les ^v^nements
et les souffrances, l'a d6pos4 dans son cceur. Ceux qui s'j penche-
ront retrouveront leur propre Image dans cette eau profonde et triste,
qui s'est lentement amass^e Ik, au fond d'une Arne.
<Qu'est-ce que les Coniemplaiions? Cest ce qu'on pourrait ap-
peler, si le mot n'avait quelque pr^tention, les Mimovres d*une äme.
*Ge sont^ en effety toutes les impressions, tous les Souvenirs,
toutes les r^alit^s, tous les fantömes vagues, riants ou fun^bres, que
peut contenir une conscience, revenus et rappel^s rajon ä rayon,
soupir ^ soupir, et m^l6s dans la m^me nu6e sombre. Cest Texis-
tence humaine sortant de l'^nigme du beroeau et aboutissant h
l'enigme du cercueil; c'est un esprit qui marche de lueur en lueur,
en laissant derriäre lui la jeunesse, Tamour, Tillusion, le combat^ le
d^sespoir, et qui s'arrdte 6perdu *'au bord de Tinfini". Cela com-
mence par un sourire, continue par un sanglot^ et finit par un bruit
du clairon de l'abime.
'Une destin^e est 6crite lä jour ä jour.'
L'ouvrage lui-m6me est divis6 en deux parties, subdivis^ chacune
en trois livres: I. AtUrefois: 1830^1843 (Aurore, VAme en fleur, les
Luites ei les reves); H. Aujourd'hui: 1843 — 1855 {Patusa meae, en
Marche, au Bord de Vinfini), La plupart des pi^ces sont dat^es, et,
si nous classons ces dates, voici ä quel tableau nous arrivons:
Au/rore a une pi^ qui remonte ä 1820; deux qui sont datßes
d'une fa9on vague; seize qui vont de 1830 ä 1840; sept qui vont
Sar 'les CoDtemplationfi' de Victor Huga 329
de 1840 ü 1848. üne — la pi^ Vm — est de 1854, mais parce
qu'elle est une suite (c'est du reste le titre) de la pi^ VII, dat6e
de 1884 et intitul^ RSponse d un acte d'accusation. Cette pi^ 6tant
exceptio, ce liyre est pour la plus grande partie ant6rieur ä Bayona
et ombres, en partie peu post^rieur.
UÄme en fleiwr oommence moins töt^ comme il est naturel, mais
ne nouB fait pas descendre plus bas. Ce livre contient une pi^ de
1889 et vingt-sept non dat^ee; oe sont des pi^ces d'amour qui rap-
pellent les po^es d'amour, non dat^ aussi, des Ghants du cr^ptts-
cule ou des Voix vnUiri&wres, et qui doivent dtre sans doute du mdme
temps.
Nous ne commen9onB ^ descendre qu'avec les Luttes et les
rives: cinq pi^oes ant^rieures ä 1840; trois de 1840; une de 1841;
quatre de 1842; seize de 1848; une de 1846.
Le livre Patica meae, form6 par les po^sies inspir^ par la mort
de L^poldine, ouvre nettement une p^riode nouvelle de la vie de
Hugo: 'Nous venons de le dire, c'est une &me qui se raconte dans
ces deux volumes: Autrefois, At0ourd'hui. Un abime les s^pare, le
tombeau.' II est dono naturel que ce livre conunence par une sorte
de prologue, dat^ de 1848 et ant^rieur au manage de L^poldine,
Bur la noble destin^e qu'on pouvait pr6dire ^ cette jeune fille; qu'il
continue par une pi^ sur le mariage m^me (15 f6vrier 1848); qu'il
nous Signale par une simple ligne de points la catastrophe du 4 sep-
tembre 1848, et qu'il nous pr^ente ensuite, de 1844 ä 1854, les
lamentations du p^re-po^te.
Le livre V, En marehe, a une pi^ce sans millMme; le reste est
de 1846 (une pi^ce, avec post-scriptum de 1855), de 1852 (deux
pi^ces), de 1854 (huit pi^ces) et de 1855 (quinze pi^oes).
Le livre VI, Au hord de Vinßm, remonte ^1846 pour l'fl^gie
de Ciaire, mais se place ensuite tout entier pendant l'exil: 1852 (une
pi^); 1858 (quatre), 1854 (sept), 1855 (onze), 1856 (deux).
L'ensemble du recueil est encadr^ par un pr^lude de 1889 et
la belle pi^ d'envoi ä sa fille morte, A ceUe qui est restSe en
Frame, 1855.
A vrai dire, quelques -unes de ces dates ont 4t6 discut^es.
M. Bir6^ a ing6nieusement montr6 que la Biponse d u/a acte d'accu-
scUion ne pouvait pas ^tre de 1884, parce qu'en 1884 le po^te
n'aurait pas employ^ les mots doubles, les mots centaures, comme
on les a appel^, qui abondent dans ce po^me: le bagne leoßique, la
home Aristote, Vastre Instittä, la lettre aristocrate, la Umteme e^mt,
la bakmce hSmistiche, la cage cSsure, Le m^me critique a affirm^ que
la pi^ce Ecrit en 1846 6tait certainement antidat^e;^ et M. Rochette ^
> Victor Hugo apr^ 1852, page 95—97. * Victor Bugo aprU 1830,
Ch. V. ' VAlexomdrin ehcx. Victor Bugo, p. 40.
Archiv t n. SpiMhen. CXVI. 22
^30 8ur 'les OontempUtionB' de Victor Hugo.
a oontest6 auwi la dato de 1M5 aHnbn^e anz piteee J JBiraoe et
Dans lear ensemble oependant^ lee indicationB, en quelque sovte
officielleB, des Mition« ont ^ aooqptßes, et on en a tir§ dee oon-
clusions litt^airefl fort importanteB. M. Fernand Gregh 6crit dans
ses 6tudes gur Victor Hugo ^ : 'Le prenuer ouvrage qu'il donna au
monde fut l'cBuvre de sa col^re, lea Chätimenis. Mais il continuait
lä (ä Jersey]^ dans oette solitude laboiieuse, une <Buvre oommeno6e,
mürie d^k dans la retraito oü il s'^tait enferm^ aprte la mort de aa
fille, les CkmiempkUians. Hugo, en ef fet^ s'^tait miB k leB toire im-
m^diatement apr^ les Rayons et les ombres (quelques piöoes, peut-
^tre antidat^ sont ukkae marqu^ee conune 6tant de 183...)» et la
plupart des piiees du premier i?olu$ne, Autrefois, soni aniirtei^ires d
1843,* En cons^quence, M. Gr^^h, qui veut faire dee oeuvree de
Victor Hugo une revue atrictement chronologique, Studie les Ckmiem-
plations (et mdme le second volume, qu'il 6tait diffimlft de Sparer
du premier) ayant les Ghätimenis. Ainsi ne fait pae M. Brunietiäre
dans le coun fameux oü il Studie l'^volution de la po^ie lyrique
au XIX® si^e. Voulant Studier oonform^ment k la Chronologie la
secande maniire de Victor Hugo, il laiase les CSiätiments avaiit les
Cowtemplations; mais il a bien soin d'ajouter:
'Voufi me permettrez de ne rien dire du premier volume des
Gontemplations. Les pi^oes qu'il contient sont toutes dat6e8 de 1830
ä 1848 et, — Sans ezaminer ä ce propos les raisons que le po^te
avait eues de ne pas les ins^rer dans ses pr6o6dentB reeueils [en
note: "J*si t&ch^ d'indiquer plus loin quelques-unes de oes raisons"],
— toujours est-il que la facture n'en diff^re pas sensiblemoit de
Celle des Ghanis du eripuscuLe, ou des Voix ifUSrieures. M^me Ob-
servation ä faire du premier livre du second volume: c'est celui qu'il
a oonsacr^ ä la memoire de sa fille, sous le titre de Pa/uoa Meae.
VouB 7 trouverex d'ailleurs quelques-uns de ses chefs-d'oBuvre: Thns
ans apris; Veni, vidi, vixi; A ViüequMr. ...
'Mais tout en 6tant plus ^mues, plus sinc^res, plus humainee
peut-^tre, moins m^l^es de rh^torique que la PrUre pour tous ou la
Tristesse d* Olympia, je ne trouve pas, Messieurs, que rien d'essentiel
les en distingue, — si ce n'est un degr6 de maitrise ou de perfection
de plus.
<I1 n'en est qu'une qui fasse exception; c'est la douzitoe de ce
premier livre: Ä quoi songeaient les deux eavaUers dans la forü; et
auBsi est-elle dat6e de 1858.
La nuit 6tait fort noire et la for^t tr^ sombce,
Hennann ä mes o6t^ me paraiMsit une ombre,
Nos chevaux galopaient . . .
*Ce n'est pas qu'elle ne soit extr^mement romantique, presque alle-
mande, — et, si je ne me trompe, visiblement inspir^ de la lAnore
' Bevue de Buie, 15 mars 1902, p. 838.
BiiT ^es ContempUtioiis' de Victor Hugo. 331
de Buiger, — mais, en P^tnidiaDt de plus pi^ je ne eroifl paa Bie
tromper non plus quand j'j vois l'mdioation au moinB d'an ohange-
meiit de manitee ...^'
De oee positioiiB la entique eat en gnuade partie däog^e par oe
qui est mamtenant oonnu du manuecrit autographe des Ckmümfria-
tions, D6jä M. Victor Qladiant, dans une ^tulde oritique publik
par la Bevue unwersüaire^, avait dornig pour certaines pitees lee
datofl du manuscrit et avait fait remarquer qu'eUes u'^taifiDt pas
Celles des ^ditdons; mais ces indioations de M. Glaohant 6taient peu
nombreuses. M. Paul Meurice, dans la belle Mition des cdUTras de
Victor Hugo qu'il fait imprimer par rimprimerie nationale, est alU
beaucoup plus loin: avec une tr^ interessante bistoire des Cbnism-
plations, des notes sur oertaines pi^oee et une longue s6rie de variantes,
il a donn^ la liste compl^te des dates du manuscrit compar6es auz
dates que Victor Hugo avait assign^s ä ses po^sies dans les Mütions.
Pour un petit nombre de pi^ces senlement la date manque dans k
manuBcrit^ mais M. Paul Meorice a pu la su{^16er en oonsid6rant k
papi«* employ^ par le po^te, k caraet^re de son toiture et d'autres
indices encore. Maintenant enfin, nous avons une base s^rieuse pour
Studier la composition du recueiL
Lorsque, en 1854, Victor Hugo a con^u le projet de revenir ^
la po^sie lyrique et de faire succ^der aux Chätiments les (JofUempla^
tions, il se proposait d'abord de ne publier qu'un seul volume; une
note, ^rite sur la feuille de titre, porte: 'Trier encore, Dans le vo-
lume aotuel ne mettre que Dieu, la nature et Didine (L^poldine).'
Puis, rid6e d'^crire les Mimoires d'uns äme a s4duit le po^te, et il
s'est arr^t6 quelque temps ä ce premier plan:
Tome L Atubrefide. — 1883—1842.
Li vre premier: lea Jcies
Livre deuzi^me: les MSves (?)
Tomell. At0ourd^hu4. — 1842—1854.
Livre troisi^e: Au herd du tombeau (ou le Tomheau)
Livre quatri^me: Au bord de la tner (ou PEkJdfy
II Bongeait aussi ä d'autres titres: Vivre* — HSver. — Plewrer. —
Jtfourir* Et il dMiait son livre ä la Franoe, pour laquelk il ^cri-
vait r^pigrapbe qui est ensuite pass^e en t^ de la LS^ende des
siides.
Peu ä peu, le plan s'est modifi^; les quatre livres ont fait place
aux six livres actuels; Tensemble de Foeuvre a 6t6 d6di6 d celle qui
Statt restie en France, dans le cimeti^e de Villequier; mais, plus que
Jamals, Victor Hugo s'attachait & lld^ de faire son bistoire po6tique,
' Bruneti^e, U6vi>Mion de la poMe lyrique en fVwnee au JLUL* siMe,
1894, t. II, p. 87—88.
* Avril 1898, p. 362 aqq.
22*
382 Bur 'le« CootemplatioDfi' de Victor Hugo.
de donner auz lecteurs un cycle de potooes qui caract^risAt lee di-
venefl phasee de sa yie — et aussi de la leur, puisque 'nul de ooos
n'a llionneur d'avoir une vie qui seit & lui. Ma yie est la y6tre,
votre vie est la mienne, vous vivez ce que je vis; la destin^e est une'^
Victor Hugo voulait pouvoir dire au public: 'Vingt-cinq ann^es sont
dans ces deux volumes. . . . L'auteur a laiss^ pour ainsi dire, ce livre
se faire en lui. La vie, en filtrant goutte ä goutte )i travers lee
6v6nemeiitB et les souffrances, l'a d^pos^ dans son cobut^.'
Or, les po^es de llieure pr^ente, Victor Hugo n'avait qu'ä les
^rire; les ä^gies et les m^ditations que lui avait inspirto la mort
de sa fille, il les avait conserv^, ^ooiouvantes et sublimes; mais,
pour les p^riodes ant^rieures, les recueils d^ä publi6s avaient presque
tout pris et il n'y avait que peu de cbose dans les portefeuUles du
po^te. II fallait donc ou renoncer ä son programme ou fabriquer
apr^ coup de 'vieilles chansons du jeune temps'; et c'est ä quoi Hugo
se d^ida. Les pi^ces ^crites, il les datait d'apr^ les Souvenirs
qu'elles 6voquaient ou, si je puis dire, d'apr^ Tage des sentiments
qu'elles exprimaient Dans cette sorte de reconstitution, le goüt seul
devait guider le po^te; les dates 6taient & lui comme les vers mdmes;
il pouvait les inventer pour les pi^ces nouvelles, il pouvait mdme
les changer pour les pi^ces anciennes; et^ de fait^ il les a chang^es
souvent
En agissant ainsi, avouons-le, il avait quelquefois d'autres rai-
sons que des raisons de gott, et les adversaires de Victor Hugo
n'avaient pas tout ä fait tort de le soup9onner. 8i la Biponse d un
ade d'ancusaiion a 4t6 dat6e de 1834 (au lieu de 1854, oü eile a 6t6
compos^e en m^me temps que la pi^ Suite), c'est bien parce que le
po^te trouvait flatteur pour lui d'avoir eu d^ 1834 la pleine con-
science de son r61e r^volutionnaire en po^ie. Mais il ne songeait
pas ä tromper longtemps le public, puisqu'il laissait la date exacte,
* Pr^face.
' üne foia 6clair6 sur l'histoire vraie des OorUemplaiiaru, on remarque
ais^inent que la pr^face ne dit pas ce qu'elle semblait dire autrefois. Dans
le passage que nous venons de citer, comme dans ceiui qui le suit imm^-
diatement, pas ud mot n'affirme que les ^tats d'&rae successifs du po^te
sont repr^sent^s dans son livre par des pi^ces <jui en sont contemporaines ;
au contraire, les ezpressions employ^es nous mvitent k admettre que le
po^te a 6voqu6 du lond de son &me les Souvenirs, qui j darmaientf du
pass^ (cf. le dernier vers de la JHstesse d' Olympia:
C'est toi qui dors dans Tombre, ö Bacr6 sonvenir).
Je cite encore une fois, en soulignant les termes les plus expressifs:
'L'au^ur a laiss^, pour ainsi dire, ce livre se faire en tui, La vie, en
filtrant ffoutte k goutte k travers les ^v^nements et les souffrances, l'a
d^pos^ £ins son cceur. Ceux qui s'y pencheront retrouveront leur propre
imaffe dans cette eau profonde et triste, qui s'est lentemeni amassie lä, au
fona d'une äme . . . Oe sont, eu effet, toutes les impressions, tous les Souve-
nirs, toutes les rialiUs, Ums les fantomes vagues, riants ou fun^bres, que peut
conienir une conscience, rerefius et rappelis rayon k rayon, soupir k soupir,
et m^^ dans la mtoe nu^ sombre .
Bor 'les ContemplationB' de Victor Hugo. 338
toutes les dates exactes sur son manuscril^ qu^il deetinaity ayec les
autres manuscrits de ses oeuvres, ä la BiblioÜi^ue Nationale, üne
seule fois peut-^tre il est permis de le prendre en flagrant däit de
supercherie compl^te. Une pi^ce qui est^ au point de Tue politique,
le pendant de ce qu'est, au point de yue litt^raire, la Eiponse d u/n
acte tPaccusation, et qui, comme eile, a un post-scriptum dat6 de
1855, porte pour titre: ilcrU en 1846, M. Paul Meurice lui-m^me
doute que Victor Hugo ait pu avoir en 1846 les id6es qu'il affiche
dans ce po^me; et cependant, au lieu de le dater dans son manuscrit
de 1854, Victor Hugo a ^crit: 'Recopi^ le 12 novembre 1854'; et ä
cAt^ de ces deux vers:
Mais, Longwood et Goritz m'en sont t^moins tous deux,
Jamais je n'outrageai la proscription sainte,
il a ajout6 cette note: 'On n'a rien chang6 ä ces vers 6crits en 1846:
aujöurd'hui Tauteur eüt ajout4 Claremont/
Mais il est arriv6 aussi que les soup9ons portassent — au moins
en partie — ä faux. La piSce A propos d'Horace, dat6e de 1835,
a bien 6t6 achev6e ä Jersey en 1855; seulement eile avait 6t^ com-
menc^ k Paris, ä une dato que le manuscrit ne pr^cise pas. Et ce
qui est arriv6 surtout, c'est que le po^te ait chang6 ses dates sans
dessein int^ress^, qu'il les ait chang^es m^me par habitude d'en dis-
poser librement, et sans but nettement visible.
Quoi qu'il en soit, on voit que d'assertions ruineuses ont 6t6
fond^es sur les dates des ^ditions, et avec quel soin il faudra d^sor-
mais examiner les dates reelles.
II ne peut plus 6tre question, par exemple, pour faire Thistoire
des vill^giatures de Victor Hugo, de s'appuyer sur les pi^ces des
Contemplaiions qui pr6tendent avoir 6t6 ^(ürites ä GranviUe ou aux
Roches K Les Roches, propri6t6 des Bertin, et la vall^ de la Bi^vre oü
cette propri6t6 4tait situ6e, ont tenu une grande place dans la vie du
po^te. JA ont et^ Berits ou inspir^, entre autres po^mes, BiSvre des
Feuilles d'automne (6 juillet 1831) et la Tristesse d'Olympio (31 oc-
tobre 1837); de lä peut-4tre vient la pi^ce Le poete s'en va dans les
champs des Coniemplations, dat^e de juin 1831 et qui est en r^älit^
du 31 octobre 1843; mais A Andri ChSnier n'est plus n6 aux Roches
en juin 1830, ni Oui, je suis le reveur en aodt 1835: les deux CBUvres
sont n^ ä Jersey, et en 1854.
' * Cependant M. H. Dupin ^crit dans son ^!hide sur la ehronohpe des
ContemplationSf MSlanges dliist. litt, p. 106, n. 1 (yoir la note addittonnelle
ci-apr^s): 'II convient de constater ici avec quel souci d'exactitude et de
pr^cision Victor Hu^o antidate ses pi^ces. Partout oü la y^rification est
possible, on s'aper^oit aue le po^te se trouvait r^llement aux eodroits
qu'il iudigne daus son edition, le jour ou dans le mois dont il date sa
pi^ce. On peut v^rilier, ä l'aide de la C!orrespondance et des r^tB de
voyage, qu*u ^tait bien: Aux Roches, en juin l831 (pifece I, 1,2) etc '
— Mais aucune y^rification n'a 6i6 possible pour les deux po^mes que
je cite ä la fin de cet alin^: A AndrS (Mnier et Oui^ je suis le riveur.
334 Sor 'le* CoBtcnplaftiooB' de Victor Hugo.
De mtoe on ne poum plus dire, oonime je Tsi fait moirintee
daas mon Vieior Hugo poHe ipiqus (p. 19^ qu« ki fin de BaMt m
ffMurehant präudait ä la poMe 6pique de la LSgends d^ 1837, puisque
Halte en marckarä est, ea rMitl^ de 1855.
Mais il Importe aus« qu'use rßaction aveugle contre lea aadene
direa ae fasse pas Biaintenant m^onnailre tout oe qui, dana la pie-
mi^ Periode de la canri^re de Hugo, a pr^par^ et rendu posiible
la seeonde. Tont ce qui constitue la profonde et ^blouiflsante poMe
de l'ezil ^it en genne dane l'oeuTre ant^rieure, et U y a dana la
premi^ partie des Ckmkfnphiiang des pi^oee caraet^ristiqiieB qni
Bont anciennes. 8i Halte en marckant est de 1855, fe Rouei d^Omr
phcUe, que je dtais au m^me endroit de mon livre, est de 1843; de
1840 est la Fete che» Thiriee; la Vie aux ehampe et la Saurce sont
de 1846; Mdancholia a 6t6 compos^ en plusieurs fois de 1833 en-
viron k 1838.
Fassons en revue les six livres des Oontemplations, et, apr^ en
avoir indiqu6 la Chronologie conyentionnelle, indiquons-en maintenant
la Chronologie r^lle.
La production du livre I, Af4rore, ne part plus de 1 820, puisque
la courte pi^ intitul^: Vers 1820 est de 1854; eile ne part plus
m^me de 1886, puisque la pi^ intitul^: Ä Oranviüe, en 1836 est» eile
aussi, de 1854; nous y trouvons une po^ie de 1839 (N^ I), deux de
1840 (N<» X et XXII; encore le N«" X a-t-il 4t6 remani6 en 1855),
une de 1841 (XVII), deux de 1842 (III et XX), trois de 1843 (H,
XI et XXV), deux de 1846 (VI et XXIV), une de 1847 (XXVIII).
Sauf quelques vers au d^but de la pi^ XIII, Ä Horaee, tout le
reste est de 1854 (onze pi^ces) et de 1855 (cinq pikses).
Le livre 11, l'Ame en fleur, est en grande partie ant^eur aa
livre 1^, ce qui paralt d'abord assez Strange, et ce qui s'explique
pourtant fort ais^ent £n effet^ M. Gregh se trompe quand il 6crit
que 'quelques pi^ces, peut-^tre antidat^es, sont marqu^ comme 6tant
de 183../. Lies pi^ces auxquelles il senge sont en r6alit6 marqu6es
comme 6tant de 18..., et, par lä, comme par le sujet et par le ton,
elles ressemblent^ nous l'avons dit^ k force pi^ces des Ghants du ere-
puscule ou des Voix intirieures. Apr^ la repr^entation de Lucrece
Borgia, apr^ sa liaison avec Juliette Drouet^ Victor Hugo avait
^crit pour cette demi^re tant de po^ies, qu'il n'avait pas os^ les
ins^rer toutes dans ses recueils de 1885, de 1837 et de 1840; et il
n'avait pas oess^ d'toire des pi^ces d'amour apr^ les Rayons et ks
ombres: ü lui en restait donc un certain nombre avec lesqndles il
pouvait peindre l'Ame en Fleur, Ce livre contient une po^ie de
1H38 (V), deux de 1834 (X et XVI), une de 1838 (XX), une de
1839 (VI), une de 1841 (II), une de 1842 (XXIV), deux de 1843
(in et XXH), une de 1845 (VH), six de 1846. H est compl6t§ par
trois pi^ces de 1854 et neuf de 1855.
Le livie 111, les Lüttes et les reves, oontient un plus grand
Snr 1e« ContempIatioiiB* deTietor Hugo. ^S&
nombre de pi^ces r^centee: deaz de 1858, htut de 1B54, huit de
1855. MekmekoUa (II), compl6t6e seulement en 1855, a 6tö oam-
menc^e ven 1883 et compoe^ surtout en 1888; Magniiudo parvi
(XXX), aehev^ en 1855, data en partie de 1836; les autres pi^ces
sont de 1889 (III et XXI), 1841 (XVIII), 1843 (V, XV, XXIV et
XXV), 1846 (VI, XI et XIV) et 1847 (TV).
De Tadmirable livre IV, Päuea meas (d'abord intittil^: Lärmes),
M. Faguet^ a dit: 'H 7 a Ih le po^e complet de la douleur vraie,
toutes les pbases successives du grand deuil profond'; et sa critique
p^n^trante a montr^ ayec quelle logique douloureuBe ces phaees se
suec^atent dans les vers du p^re-po^te. Malbeureusement, Tordre
od se pr^sentaient ces vers n'6tait pas Pordre qu'impliquaient les
dates des 6ditions, et M. Perrollaz^, s'appuyant sur ces dates, a essay^
de aubstituer ä Texplication de M. Faguet une autre Evolution de la
douleur. Comme si la marche normale de la souffrance n'^tait pas
sans oesse travers6e par des ^lans impr^vus et g^n^e par d'in^vitables
retoursl En r^alit^ M. Faguet 6tait d'accord ayec la conception
g^n^rale du po^te, teUe qu'il en avait eu eonscience apr^ coup, et ni
M. Faguet, ni M. PerroUaz n'^taient d'accord avec les dates exactes
de la composition.
Le prologue de 1843 n'a 6t6 fait qu'en 1855; de 1854 datent
les pi^ces Vlll, XVI et XVII; et, au contraire, la pi^e Xu, la
seule que M. Bruneti^re attribue ä la p6riode de Texil (A quoi son-
geaient les detuc cavaliers dans la forü) n'a m^me pas 6t6 corapos^e
k propos de L^opoldine et date du 11 octobre 1841. Ajoutons qu'une
pi^ du livre VI, la 7^ que les ^ditions datent de 1855, est en r6a-
lit6 du 4 septembre 1846, jour anniversaire de la catastrophe de
Villequier, et se rattaebe donc intimement aux Pa/uca msae. Et ajou-
tons aussi, en passant, que Fimpression produite sur le po^te par
cette catastrophe a 6t6 plus profonde encore qu'on ne le supposait
Sauf la petite pi^: Le poete s'en va dans les champs qui, sauf erreur
de r^dition nouvelle, est du 81 octobre 1848 ^ le p^re accabl^ n'a
pu torire, de septembre 1848 ä l'ann^ 1846, que Timmortel po^me
Ä Viüequier (4 septembre 1844 et 24 octobre 1846>
n est inutile d'insister sur le livre V, Sn marche^ et sur le
livre VI, Au bord de rinfini, qui, de par leurs titres m^mes et leur
objet, devaient comprendre uniquement des po^mes r^emment Berits.
Quelques oeuvres ant^rieures s'y sont gliss^ cependant Au poete
qui m'envoie tme plume d'aigle (V, XIX), qui^ 6tait de 1841; Au(c
FbmUaniines (V, X); ßcouiex, je suis Jean (VI, IV) et Oroire, mais
' Dix-neuviime siide, JBtudes litUraireSy p. 178.
' Louis PerroUaz, Victor Hugo pleurofU la mort de sa fiüe, Etüde küto-
rique et psychologique sur les Pauea Meae, Be8an9on, 1902, 8^.
^ M. H. Dupin (voir la note odditionneBe) dit qu'elle n'a pas 6!t6 dat^
par le po^te et la date lui-m6me de 1843, sans indication plus pr^dse. —
£n revanche, 11 place au 20 octobre 1844 la petite pi^ce VHvrondeÜe au
prvniemps . . . (I> 2, 16).
336 8ur 'les Ck>nteinplatioDi' de Victor Hugo.
p<is en nous (VI, VH), qui 6taient de 1846; et une paitie de Pteun
dans la Nuü (VI, VI) qui datait d'avant Fexil; mais tout le reste esi
bien de 1852 (V, n), de 1854 et de 1855.
De 1855 auBsi, et tout k fait de la fin de rann^, data la belle
pi^ d'envoi d CelU qui est resUe en France.
Tek 0ont les principaux renseignementB qu'il m'a pani utile
d'extraire de la publication de H. Meurice. Les critiques seront
peut-^tre un peu f Ach^ de voir teile ou teile de leurs aseeitions in-
finn^e par la Chronologie nouyelle des Gontemplations ; les moralistes
gronderout contre la d^involture avec laquelle le grand po^te faus-
sait r^tat civil de ses oeuvres; mais les artistes n'en admir^-ont que
davantage la souplesse et la prestigieuse habilet^ d'un g^ie qui
savait raviver tous ses Souvenirs, retrouver en les compl^tant toutes
ses inspirations et nous peindre, en m^me temps que les feux de son
Aurore, ce qu'il entrevoyait au bord sombre de Vinfini. Tous enfin
remercieront M. Paul Meurice d'avoir, en publiant son beau volume^
rendu un signal6 servioe aux historiens qui, avant tout^ se pr^occu-
pent de la v^rit^
Montpellier (d^cembre 1905). Eugene Rigal.
Note additionnelle.
Depuis que Tarticle ci-dessus a 6t6 6crit et livr6 ^ I'impression,
M. Paul Meurice est mort^ — et un travail interessant, fait sur le
manuscrit m^me de Victor Hugo et pour lequel M. Meurice aviüt
fourni des renseignements utiles, a ^t^ publik par M. H. Dupin sous
ce titre: ßtude sur la Chronologie des Contemplations.
La mort regrettable de M. Meurice va sans doute retarder Vidi-
tion nouvelle de Victor Hugo et peut-^tre en changer quelque peu
le caract^e; du moins ne Tarr^tera-t-elle pas K
Quant au travail de M. H. Dupin, il a pour objet essentiel de
montrer que les dates du manuscrit nous renseignent exactement
sur la composition des po^mes que contiennent les Gontemplations;
il traite une question que, pour mon compte, j'avais suppos^e r^solue,
mais que Ton con^oit aussi qui soit ezamin^ dans tous ses d^tails:
ne se pourrait-il pas, en effet, que les dates inscrites par le po^te
sur le manuscrit fussent, dans bien deä cas, les dates oü les pi^ces
ont 6t6 recopi^es, tandis que la date vraie de la composition ou au
moins d'un premier jet serait donn^ par les 4ditions ? Pour montrer
qu'il n'en est rien, M. Dupin examine les arguments qui peuvent
* Pendant que s'imprimait cet article. la continuation de PMition a i\i
confi^e Ä Tauteur, exceilemment informe, de VEnfance de Victor Hugo et
du Roman de /Sainie-BeuvCj M. Gustave Simon, et un nouveau volume a
paru, contenant le Bhin,
Sur les OontemplationB' de Victor Hugo. 837
^tre avanc^s en faveur des deiix explications possibles; et surtout il
Studie k divers points de vue les oeuvres de Victor Hugo dont la
Chronologie ne peut ^tre contest^, pour leur comparer celles qui fönt
Tobjet propre de ses recherches. D examine ainsi T^volution du
sentiment de l'amour chez Victor Hugo de 1820 k 1865, des Ödes
aux Chansons des rues ei des bois, — ce qui lui pennet de condure
ä Tanciennet^ ou ä la nouveaut^ des poäies amoureuses des Can-
templations, H examine, en ce qui conceme les coupes et les enjambe-
ments, la versification de Victor Hugo de 1882 II 1854; il fait de
m^me pour le style. Form6 aux m^thodes rigoureuses de l'^rudition
par M. G. Lanson, dont il est — ou dont il a 6t^ — Tä^ve ä la
Facult6 des Lettres de Paris, il multiplie les statistiques, les tableaux,
les index; il nous donne, chemin faisant^ nombre d'indications qui
ont leur yaleur.
Enfin, M. Dupin Studie en particulier quelques pi^ces, dont la
date est exceptionnellement importante: R^onse d tm acte d'accur
sation, Quelques mois d v/n autre, ikrü en 1846.
Comme son memoire peut ^tre souvent consult^, il ne sera pas
inutile de faire ici quelques remarques de detail.
Je ne comprends pas tr^s bien ce que dit M. Dupin, p. 52, de
la pi^ Ä Vüleqtder: 'Le manuscrit porte les deux dates de 4 sep-
tembre 1844 et 26 octobre 1846. L'^dition porte la date du 4 sep-
tembre 1847. La vraie date doit 6tre la date terne de 26 octobre
1846. [S'il faut cboisir, Findication est judicieuse, mais pourquoi le
po^me n'aurait-il pas 6t6 compos^ en deux fois7] Victor Hugo a
mis d'abord la date de l'6v6nement [oü cela?], puis la date du pre-
mier anniversaire. Enfin, comme il parlait de douleur apais^ il a
report6 la pi^ jusqu'en 1847. [Cette fois, l'explication est juste.]'
II est malais^ de y^rifier les statistiques sur la versification;
mais, dans leur ensemble, elles sont ^videmment exactes et instruc-
tives. De m^me, on doit accepter les conclusions g6n6rales sur le
style; mais on pourrait contester tel ou tel jugement; pourquoi Timage
de la page 72:
Qui Yous dit
Que la bulle d'azur que mon souffle agrandit
est-elle d^Iar^ singttHire? pourquoi l'image de la page 89:
L'ftme de deuils en deuils, Thomme de rive en rive,
Roule h P^temit^
est-elle d6clar6e banale^ Elle ne parait pas, du moins, banale dans
sa forme, puisque ces deux vers disent sous une forme tr^s elliptique
que Yäme roule d Vetemiti de deuils en deuils, comme Vhomme de rive
en rive arrive au port. — P. 78, on pourrait ajouter k Phistoire des
substantifs accoupl^s et signaler, par exemple, le g6ant Paris dans
les Fhuilles (^automne, le gSant Europe dans les Voix intSrieures. —
Dans les po^ies qui s'6tagent de 1880 ä 1840, il y a plus d'images
qui sont des sensations, de choses animSes et personnifiäes, — de
338 ^r 'leg Göntemplfttion«' de Yfctor Hugo.
nUte^hores ou idSes-^moffes, — et m^me de symboleg^mdiaphores que
ne le croit M. Dupin.
Panni les tableaux qui nous sont offerts, qnatiie sonf parti-
culi^rement eommodes: celui des pi^eee ponr lesqueUes la date du
manuscrit et celle des Mitions concordent (p. 41—42); — orini des
dates du mannserit compar^s h oelles des 6di(ions ponr le« pidces
oü il n'y a pas concordance (p. 48 — 46); — la liste de« a&avres non
dat^es^ ayec la date que M. Dupin leur attrilme (p. 46 — 47); — et
Pordre chrouologique de toutes les pi^oes (p. 99 — 102). En ^todiant
ces documents, je suis amen6 ä faire les remarques suiyantea:
M. Dupiu est en d^sacscord avec M. Meuriee quand il enr^istre
les dates assign^ par le manuscrit k certaines pi^ces. On vil, on
parle ... (11, 4, 11) est dat6 par M. Dupin du II juillet 1846 et
par M. Meurice de 1846 seuleraent — Ge que du la bauche tfornbre
(n, 6, 26) est des 1—18 octobre 1854 pour M. Dupin, des 1—13
octobre 1855 pour M. Meurice. — Pure irmoeenee, vertu sainief
(U, 4, 1) et la fin de Melanc?ioHa (I, 8, 2) sont de 1855 pour Tun,
du 22 janvier et du 1<^ f^vrier 1855 pour Tautre. Je passe sur
d'autres divergences mdns importantes (pi^ces II, 4, 8; II, 6, 22;
n, 5, 14; I, 2, 27; I, 1, 18).
M. Dupin et M. Meurice ne s'entendent pae pour d^arer ä
telles pi^es sont dat^ ou non. D'apr^ M. Dupin, le Poete t^en va
dans les champs (I, 1, 2), Veni, vidi, viooi (11, 4, 18) et la Souret
(I, 8, 6) ne sont pas dat^es: M. Meurice trouve pour cee pi^ces dans
le manuscrit les dates: 81 octobre 1848, 11 avril 1848 et 4 oetol»«
1846. Inversement» M. Dupin date du 20 octobre 1844 et du 12 oc-
tobre 1846 les pi^ces: l'BirondeUe au printemps (I, 2, 16) et 0 souve-
nirs, priniemps, aurore (II, 4, 9) que M. Meurice d6clare non dat4te.
Pour VEvrondeüe au priniemps, M. Meurice adopte l'ann^ 1884, et
il semble bien avoir tort (voir Dupin, p. 71 et 89).
Quand il s'agit d'assigner une date ^ des pi^oes ou ä des par-
ties de pi^ces incontestablement non dat^, on comprend mieuz que
les divergences soient grandes. Le d^but de Ä propos d^Horaei
(I, 1, 18) est de 1846 pour M. Dupin et n'a pas de date preise
pour M. Meurice. — Le d^but de Mdancholia (I, 3, 2) est de 1846
pour Tun et de 1 888 pour Tautre. ^— Le d4but de Magnitudo parvi
(I, 8, 80), que M. Dupin place en 1846, a 6t^, d'apr^ M. Meurice,
toit en deux fois: en 1886 et deuz ou trois ans apr^ — Le re-
merciement Au poite qui m'envoie une plume cPaigle a 6t6, pour
M. Dupin qui, du reste, n'6tudie gu^ cette pi^ce, ^rit en 1852
(yoir p. 100; 1825, par erreur, k la p. 45): il est de 1841 pour
M. Meurice. — Je ne signale pas un certain nombre de pi^oes, pour
lesquelles M. Dupin h^ite entre 1854 et 1855, alors que M. Meurice
choisit Tune ou Tautre de ces dates.
'^,Pour deuz pi^ces, M. Dupin est en contradiction avec lui-m^me:
^ la p. 42, il place au 15 f6vrier 1848 la pi^ qui porte oette date
1
Sur 'Im Contemplationfi' de Victor Hugo. 839
pour titre (11, 4, 3); mais k la p. 89, il veut qu'elle Boit de 1846. —
Uenfani, voyant, VdwuU ... (I, 3, 25) est du 25 aoüt 1843 ^ la p. 41,
mais du 25 aoüt 1854 ou 1855 aux p. 45, 47 et 100.
Eufin le maniement du Tableau chronologique de M. Dupin
est rendu moins commode qu'il ne devrait T^tre par une inadvertance
et par des oublis:
Quelques pi^s, qui portent un titre, sont rappelt, non par
ce titre, mais par leur premier vers: Juin 1842: Dana le frais dair-
obscur; lire: Mes detia fiUea (1, 1, 3); — 26 juin 1846, Eüe me dit un
soir en souriant; lire: Un soir que je regardais le ciel (I, 2, 28); —
20 aoüt 1854, 0 femme, pensie aimantel; lire: N'envions rien (I, 2,
19); — 30 octobre 1854, On conieste, on dispute ...; lire: Voyage
de nuii (U, 6, 19); — 18 janvier 1855, Je ne songeais pas ä Rose;
lire: Vieiüe chanson dujeune temps (I, 1, 19).
Cinq pi^s ont 6t6 omises; 30 avril 1839, Saiume (I, 3, 3; la
date de cette pi^ a 6t6 attribu6e par erreur k la pik^ suivante:
Lettre, I, 2, 6, qui est du 15 mai 1839); — 15 juin 1839, ühjour,
je vis debout ... (prologue); — 15 f^vrier 1843, 15 Fivrier 1843 (11,
4, 3; cf. p. 42); — 12 juillet 1846, Chanson (I, 2, 4); — 11 avril
1848 d'aprfes M. Meurice (voir ci-dessus): Veni, vidi, vixi (II, 4, 13).^
Le memoire de M. Dupin, avec deux autres du mSme genre:
les Sources grecques des TVois cents (dans la Legende des siicles) par
M. E. Fr^minet, et JStude sur les manuscrüs de Lamartine eonservSs
d la Bibliothique nationale par M. J. des Cognets, forme des MSlanges
d'histoire littiraire (21<^ fascicule de la Bibliothiqus de la FacuUe des
Letires de Paris, Alcan 6diteur, 1906, 8»).
M. Fr6minet prouve que V. Hugo s'est servi de la traduction
d'H6rodote autrefois 6crite par du Byer; il donne une Edition
soigneusement annot^ des Trois cents et, grftoe aux r6v61ations du
manuscrit, il 6claire les proc6d^ de composition du po^te. M. des
Cognets, de son c6t4 Studie la fa9on de composer de Lamartine et
nous donne les variantee d'un certain nombre des pi^ces des Midi-
tations et des Harmonies.
> J*ai d^jä reley^ quelques fautes d'impreBsion ; en voici d'autres.
P. 55, ä la demi^re ligne des notes: Soudain ftion dme s'iveiUera doit se
lire en deuz vers {Baytms et ombres, 27) :1
Soudain mon ftme
S'iveillera.
' ^* » ^^^' Le dÖmon dans ccs boia reposej
Non le grand vieax Sabin fonrchu . . .
P. 58, n. 1, Elle itait diehauasee ne doit pas Stre ^crit comme une citation,
mais comme un titre, faisant suite ä la VieiUe (et non Vielle) chanson du
jeune temps. — P. 58, n. 3, lire: I, 1, 14 et non I, 1, 12.
(Janvier 1906.) E. R.
Cervantes
et
le troi8i^me Centenaire du ^Don Q1licllotte^
La f^te litt^raire cA6hr4e en Espagne au mois de mai 1905,
en Fhonneur du Don Quichotte, dont la premi^re partie, comnie
chacun sait, parut ä Madrid en 1605, a ^t^ roccasion ou le pr^
texte de nombreuses publications portaut seit sur la vie, soit sur
les Oeuvres de Cervantes. Ces publications se r^partissent ais^
ment en deux groupes: Celles qu'on pourrait nommer de circoDs-
tance, qui sont dues uniquement k la t^te, qui n'existeraient pas
si eile n'avait pas eu lieu; et puis Celles qui avaient 6t4 pr^
par^s auparavant, que leurs auteurs tenaient pour ainsi dire eo
r^erve et dont la föte a seulement hftt^ ou o^id^ rimpression.
Je ne dirai que quelques mots des premi^res.
Beaucoup d'^crivains ont voulu s'associer k cette solennit^
par des discours, des articles, des essais, des aper9us. Ces ^rits
valent naturellement ce oue valent leurs auteurs: il en est de
spirituels, d^ing^nieux, d'^toquents; il en est aussi de simplement
curieuxy de paradoxaux et d'insignifiants. A coup sür, il ne sau-
rait 6tre indifferent de connattre ce que tel critique, ou tel
^rudit en renom aujourd^hui, pense de l^uteur du Don Quichotte^
de la valeur litt^raire et morale du cä^bre roman et des autres
ceuvres de Cervantes. Ainsi, on lira certainement avec plaisir
etprofit le beau discours prononc^ par D. Marcelino Men^ndez
y relajo le 8 mai dernier dans le grand amphith^ätre de FDni-
versite de Madrid, ^ et, parmi les contributions de r^tranger ä la
c^iebration de la f^te, celui qu'a demand^ k M. Arturo FariDelli
le cercle de lecture Hottingen de Zürich.^ Ces deux discours
repr^entent des points de vue assez diff^rents. Le premier est
d^un Espagnol pur sang, d^fenseur ardent des anciennes gloires
' Dücurso aeerea de Cervantes y d 'Quifate*, leido en la ühiversidad
Öentraif en 8 de mayo de 1905, por D, Marcelino MenSndex y Peiayo, de la
Real Academia Espanola, Maarid) 1905, 31 pagee in 8^ (Eztrait de la
Revieta de Ärehivos, Biblioteeas y Museoe),
' Cervantes, Zur 300jährigen Feier des *Don Quijote'. Festrede gehalten
in Zürich am 6. Marx 1905, im Auftrage des Lesezirkels HoUingen, von
Arturo Farineüi, München, 1905, 39 pagee in »<> (Extrait de la Beilage
lur Allgemeinen Zeitung des 16, 17 et 18 mai 1905).
Cerrantes et le troifti^me CeDteoaire du 'Don Quichotte'. 841
de 8on pays pour lesquelles il combat saDs cesse, et quelquefois
un peu ä la fagon du bon cbevalier de la Manche, mais avec
tant de sinc^rit^ de conviction et de talent qu'il gagne la sym-
Sathie de ceux m^me qui sentent ce que certaines de ses reven-
icatioDS ont d'exag^r^. Je dois dire qu'id cette exag^ration
n'apparalt pas; M. Men^ndez y Pelayo se montre au oontruFe tr^
mesur^ et f ait voir, avec beauooup de tact et de nuances, que
Foeuvre de Cervantes ne forme pas un bloc intangible, oomme
le voudraient quelques fanatiques, mais un assemblage de parties,
les unes tout k fait sup^rieures oü se marque Tempreinte d'un
grand maitre d'invention et de style, les autres plus faibles oü
Fauteur sacrifie au goüt du jour, imite et ne s^l^ve pas plus
haut que la moyenne des ^rivains de son temps. L'autre dis-
cours est d'un homme de culture plus cosmopolite qui, gräce k
son Erudition tr^ ^tendue, a toujoiu» pr&ent ä Tespnt le tableau
compar^ de nos litt^ratures modernes, qui cherche ä d^finir et ä
appr^ier le g^nie de Cervantes, non pas seulement en T^tudiant
dans son mineu mais par rapport aus grandes oeuvres d^imagi-
nation des autres pays; ses jugements ont d'autant plus d'am-
pleur et de port^ qu% ne sont pas influenc^ par Pamour propre
national
Le discours acad^mique de D. Juan Yalera ^ ne donne pas la
vraie mesure du talent si d^licat de ce charmant esprit dont les
lettres espagnoles pleurent la mort r^cente. Si Pon veut oon-
nattre toute la pens^e du c^l^bre romancier sur son grand an*
c^tre, car ils appartiennent bien tous deux ä la mdme famille, mieux
vaut recourir k un morceau ddjä ancien, qui date de 1864, mais
2ui n'a rien perdu de sa valeur.^ — Bestreint aux rapports de
iervantes avec la ville de Valence et ses habitants, le discours
de Texcellent ^rudit valencien D. Jos^ E. Serrano y Morales
m^rite qu'on s'y arröte.' L'auteur y parle avec comp^tence et
exactitude de la participation de certams commer9ant8 de Va-
lence au rachat de Cervantes, des s^jours que fit dans la belle
ville m^diterran^enne Fauteur du Don Quichotte, des Souvenirs
qu^il garda de la localit^ et des Yalenciens, enfin de la propa-
gation de son roman due aux presses de Fimprimeur Mey. Con-
* Juan Valera, JHseurso eserüo por eneargo de la Becd Academia
Espanola para conmemorar el iercer eerUenarto de la puhlicaci6n de *El in-
genioso htdalgo D. Quijote de la Mancha\ Madrid, 1905, 46 pages in 8^
' Sohre ä Quijote y eobre lae diferentee maneras de eomeniarle yjux-
garle, dans Düertaeiones y jutcios lüerarioe par D. Juau Valera. (Siblio-
ieea Perqjo\ Madrid, 187^, in 8^; ou bien dans les Discureoe academicos,
du m^me, t. I {Ohras eompletas), Madrid, 1905.
^ Valencia^ Cervantes y el Quijote, Diseurso leido por el Excmo, Sr.
D. JosS Serrano Moralea en el aeto de la eoheaMn de La prvmera piedra
para la construßeiön de la Eseuela gradtuida * Cervantes*, Valencia, 1905,
24 pages pet. in 4^
l
342 OarranteB et le troisi^me Centenaire du <Doo Quchotte'.
trairemeDt k oe ou'a prdteDdu Pedro Stlv^ suivi pur D. Qe-
mente CortgöO; M. Serrano pense qn^fl existe ime et non dem
4ditioD8 valenoiennes du Don QuichoUe soos k data de 1605, et
oe lee diff^rencee que Fon ooDstate entre lea exemplaires sortis
e l^primerie de Pedro Patrioio Mey tieimeiit k des change-
ments pratiqu^ pendant le tirage et n^impUauent pas one nou-
velie impreaeion: FopiDion du savant auteor du Dimonario de las
imprmtas en Valencia a naturellemeDt un grand poids.
Quelqne m^rite que poBB^dent oes morceaux et d^autres quil
serait facue de citer, il est dair que le geure du disooars oo
de la Conference ne pennet gu^ de s'^tendre, d^entrer dans
Fezamen minutieux de questions compliqu^ et de diie du dou-
veau. Le discoureur ooit tenir compte de aon public auqud
suffisent dee vues ^^i^ralee et des aper^ua aommaires, et que
des details ttop pr^cis ou des nouveautiSe impr^vues ^tonoerai^t
et ^gareraient. J'en viens donc aux pubHcations du seoond sroupe.
n s^a^t de travaux de longue haleine et präpar^ de plus
longue mau3, dont la puUication seule a coincide avec la föte
parce que leurs auteurs ont jug^ ie moment propioe pour metbre
en lumi^ le fruit de leurs veilles. H s^agit anssi de disaer-
tadons ^rudites de moindre volume; mais r^ultant souveat d'el-
forts prolong^ et r^p^t^, qui ont coüt^ du temps et de la peine
et of^ent parfois autant <rinter^ que de gros livres. Comme,
bien entendu, je ne puis parier de tout> je renvoie ceux qui von-
draient se renseigner plus comptetement k la bibliographie da
Centenaire de D. Emuio CotaraloJ On peut ^alement ood-
sulter, surtout pour les prix des ouvrageSy un catidogoe de la
librairie de la viuda de Rico k Madrid.' J^examinerai sucoes-
sivement les puUications relatives ä la vie de Cervantes et eelles
qui portent sur ses oeuvres et sa carri^re litt^raire.
Une bioeraphie dooument^ munie de tout Fappareil d'un
travail d'^nidition, n^^tait plus k faire; eile existait d^ la veille
du Centenaire sous la forme d^un respectaUe volume in-folio,
intitule Cervantes y su ipooa et que son auteur, D. Bamiki Ledn
M£nez, destinait k servir d'introduction k une nouveUe Edition
du Don Quiehotte, laquelle n^a pas encore paru.' N'ayant pas
' Biblioarafta de los prineipales escrüos publioados eon oeasi^ dd tereer
eetUenario ael Qu^'ote (Nom^ro de mai 1905 de la Bofieta de Artkkfos,
Bibliotecas y Museos). M. Cotarelo n'a pas recens^ lee artäcleB des joumaux
ou ceux des revues qui n'ont pas pabli^ un oum^o spMal il propos du
Oentenaire.
* Tereer centenario del *Quifoie', OaUUogo de una coleooiÖH de libros
cerpanHnos que se venden en la libreria de la Viuda de Rico. Madrid, 1905,
95 pagOB in 8^.
' iVtfiMra edioi&n del Quiifate en Jerwt, OervaniBs y sm fP^^^ P^
D. Ramön Leon Mäinex^ tomo I. Jeres de la Fontera, 1901, XXLV, 572
et XXII pages in-fol. La oouverture porte la date 1901—1903.
OrwiteB et le trasi^me GeDteDaire du 'Don Quidiotte'. 848
^tadi^ de pr^ tontee lee paitieB de oet important oovrage; je
m^abstiesdrai de {»roDoncer un jugement d^eosemble; je puia dire
oepeiMknt que lee passa^es que j'eo ai lus m'cMit paru aasez satifi-
faisante. Le r^it se fonde fiur ies iravauz des anciens bio-
graphes^ tels que Pellicer et Navarrete^ comme sur Ies recherches
r^oentes et Ies belles d^oouvertes documentaires que D. Cristdbal
P^res Pastor a pr^ent^ au public daos ses deux volumes de
Dooumemios cervantmos (Madrid, 1897 et 1902), saus parier d'autres
trouvailles dues ä d^autres oervantistes, au nombre desquels il
f aut surtout mentioDQer le tr^ intellieent ^rudit s^villan, D. Fran-
cisco Eodr%ue2 Marin. La biographie de M. Maines est dono
e^n^ralement au oouiant des demi^res investigations et nous en
donne le räsum^; eile t^oigne au surplus d'un esprit judioieuz
et prudent. De proportions un peu dämesuräes et d'une forme
litt^rake trop provinciale, qui manque de sobri^t^ et de l^^ret^,
eile effraiera peut-^tre certains lecteurs qui eussent präf^r^
quelque chose de moins massif. N^immoins cet in-folio s'im-
pose, non seulement par son volume, mais par des qualit^ b6-
rieuses et m^toires. Bon gr^, mal gr^ quiconque se propose
d'aoqu^rir nne oonnaissance un peu oompl^te du sujet devra s'en
nouirir.
Ce que le Centenaire aorait du nous apporter, puisque le
travail savant nWait pas attendu la f6te pour se proauire, c^est
un petit livre semblaUe ä oes primers an^lais si bien compris
et comme il en existe, par exemple, pour Shakespeare, ou enoore
semblable ä la Dantoloffia de Scsurtazzini dans Ies ManuaU Hoepli;
j'entends un r^sum^ succinct des principaux ^pisodes de la vie
de Cervantes et un aper9u sommaire de son oeuvre aocompagoäs
d'une bibliographie tr^ soign^e et comptete, de r^f ^ences oopieuses
et tr^ exactes. Un tel petit livre nous manque et nous en sen-
tons le besoin: heoreux celui qui le fera, car il pourra oompter
sur la reconnaissance de tous, des ignorants comme de ceux qui
croient savoir.
En revancbe, le Centenaire nous a valu une nouvelle vie
de Cervantes, un ouvrage de plus de six cents pages et qui a
obtenu un grand succte, quoiqu'il ne s'adresse ^videmment qu'ä
une partie assez restreinte du public, ä des lecteurs assez lettre.
H porte le titre spirituel: El mgenioso kidalgo Mügusl de Gervantes
Saavedraj sucesos de su vida contadoe por Francisco Ncwarro y Le^
desnui, 1 Dans Ies 'deux mots^ au lecteur qui lui servent de pr^
face, M. Navarro y Ledesma nous expose son pn^ramme: 'Le
po^me de la vie de Cervantes demanderait ä 6tre chant^ par un
grand poäte et non par un humble joumaliste comme moi. Verüi
ei poSste, voilä le üixe qui c<Nivi»Kirait k oette narration, si ä la
> Madrid, 1905, 618 pagoB in &>.
844 CeiTanteB et le trowitoe Centenaire du 'Don Quichotte'.
v^rit^ d^oouverte par tant de patients inveBtigateurs, qui dans
oes derniers temps ont ^tudi^ la vie de Cervantes, je r^usaissais
ä joindre la po^eie qui jaillit des documents.' H s'agit donc d'un
livre saus pr^tentions ^nidites, mais non sans pr^tentions litt^
raires. Appliquer ä son r^it le titre des m^oires de Goethe,
se donner la mission d'extraire la po^ie dont est impr^^^ la
vie de Cervantes est le fait de quelqu^un qui entend sortir de
Torni^re oommune et tenter quelque chose ae non tent^ encore.
A certains ^gards, rien de mieux. Nous avions d^jä, depnis
Pellicer et Navarrete jusqu'ä M. Mäinez, plusieurs types de bio-
graphies tr^ document^es, tr^ alourdies de notes et de disser-
tations; on pouvait d^irer autre chose: un livre bien inforni^
mais agr^blement ^rit et qui ne trainerait pas apr^ lui une
encombrante bcUumba de commentaires et d^appendices destin^
aus seuls ^rudits. Reste ä savoir si Tinnovation de M. Navarro
7 Ledesma, si oe mäange de v^rit^ et de po^ie qu'il nous pr^
sente oomme la caract<^ristique de son livre m^ritent Fappro-
bation. Certes, on voudrait n'avoir qu^ä louer ce jeune publi*
eiste et professeur mort il y a quelques mois, laissant k tous
oeux qui Font oonnu et ont appr^i^ ses 4crits de trte vifs re-
grets. Mais nVt-on pas dit qu'on ne doit aus morts que la
v^rit6? Les eritiques d'ailleurs qu^on peut adresser ä oette nou-
velle biographie atteignent beaucoup moins Tauteur lui-m^me que
le genre de litt^rature qu'il pr^conise. Tous les genres sont per-
mis, hors le genre ennuyeuz; d'acoord, mais parmi les genres
permis il s'en trouve qui offrent certains inoonv^nients et mtoie
certains dangers, surtout dans un pays comme TEspagne oü la
critique ne court pas pr^is^ment les rues. Or, ce que nous
expose M. Navarro y Ledesma est tantöt une biographie fond^
sur les informations les plus süres, tantöt un roman historique
oü Pauteur, tr^s imaginaüf de sa nature, donne libre cours k sa
fantaisie. Si enoore il nous avertissait lorsqu^il ohange de ma-
ni^re, quitte le terrain historique pour Fhypoth^se et la divination,
le mal serait moindre; mais il ne le fait pas. Y^rit^ et po4sie
s'enchev^trent et se confondent ohez lui au point que les lecteors
non familiaris^ avec la documentation de la vie de Cervantes
— et ce sont naturellement les plus nombreux — ne r^ussisaent
pas k faire le d^part de ce qui, dans ce r^cit, est historique ou
lictif. Un exemple fera toucher du doigt le proc^4. Chaeun
connait P^pttre en vers adress^ vers la fin de 1577 par Cer-
vantes, captif dans les bagnes d^Alger, au secr^taire de Phi-
lippe U Mateo Y^quez, qui jouissait alors de la faveur ab-
solue de son maitre, qu'on tenait m^me pour bien plus influent
que les ministres. La faveur de oe YäiKquec remontait d4)k
k quelques ann^es auparavant; oe fut en efiet k partir de 1572
que Philippe 11 commen9a k se servir de lui et k lui donner
Cervantes et le troifii^e Centenaire du 'Don Quichotte'. 845
des missions de confianoe. CervanteSy oomme tous ses oon-
temporaiiiSy oonnaissait l'ä^vation de Väzquez et son or^t en
croissanoe; il en fut oertainement infonn^ en Italic et avant
sa captivit^ Lora donc que ViA4e loi vint de rimer sa supplique^
d^implorer dans une ^pitre en vers sa d^vrance des bagnes^ en
rappielant ses honorables Services et ses souffranoes, il n'est pas
^tonnant qu^ ait adress^ ce document ä quelqu'un qui toncnait
de si pr^ la personne du roi, qui passait pour le prmcipal ex^
cttteur et m^e pour Pinspirateur de sa volonte. N^osant pas
^crire ä Philippe II^ il ^rivit ä son secr^taire le plus influent.
Inutile de supposer des relations ant^rieures entre Yäzquez et
Cervantes; d'auleurs la teneur m^me de T^pitre^ qui n'a peut-
6tre jamais atteint le destinataire^ n'incite pas ä les supposer.
Cervantes y enguirlande son oorrespondant de flatteries assez
grosses pour se le rendre favorable^ mais pas un vers du mor-
ceau ne trahit un lien d^amiti^, une rencontre^ une relation quel-
conque entre les deux hommes. Ajoutons que dans aucun autre
4crit de Cervantes on ne voit apparaitre le nom de Mateo Ydz-
quez. Or, que fait M. Navarro y Ledesma? II s^empare de ce
Väzquez^ qui parait Favoir s^uit ä cause de ses origines obscures
et myst^rieuses, il en fait un camarade d^enfance de Cervantes;
il les met sur les bancs de la m^me ^cole ä S^ville, il sait leurs
conversations et les vers qu'ils se r^citaient Fun ä Fautre. Plus
tard^ les deux amis se rencontrent ä Madrid, peu apr^ la mort
d^Elisabeth de Yalois, ä la memoire de laquelle Cervantes rima
des vers ^l^aques, ses premiers essais poltiques. Mateo Yäz-
quez, ddjä en passe de devenir un personnage, prot^ge son ancien
camarade, lui parle de la reine, hntroduit dans le monde ... et
ue sais-je encore? Le lecteur, qui ignorait ces belles choses, se
it: voilä du nouveau, sans doute M. Navarro y Ledesma a mis
la main sur une correspondance in^ite entre ces deux amis;
c'est tr^ curieux. Oui, c^est tr^ curieux, mais c'est surtout du
Sur roman: M. Navarro n'a puis^ tout ce qu'il nous conte que
ans son Imagination, il a tout tir^ de sa fantaisie. ^ Est-ce trop
dire apr^s c^a que ce genre est faux et condamnable? Je ne
le crois pas. Libre ä ceux qui le veulent et le peuvent d'^rire
des romans historiques — et Cervantes est un sujet de roman
historique comme un autre et m6me meilleur qu^un autre, vu le
caract^re romanesque de beaucoup d^^pisodes de sa vie — mais
en ce cas il faut mtituler son livre roman et ne pas nous laisser
croire ä un r^it historique. Ces r^erves faites, je dirai que le
3
* Dans ces passages concemant Väzquez, M. Navarro y Ledesma s'in-
spire tr^s yisiblement de la biographie de Mäinez (p. 167 et suiy.); seule-
ment ce qui chez ce dernier n'est qu'une hvpoth^se, ä mon ayis injustifi^e,
prend chez l'autre l'apparence d'un fait demontr^ et certain.
Axchi? f. n. Sfundun. CXVI. 28
346 GervaDt€fl et le troiai^e Centenaire du 1>od Quichotte*.
livre de M. Navarro y Ledesma m^rite d'^tre In, ä cause de a
reelle valeur litt^raire, de la dialeur de TexpoeitioDy du joli eDtnio
qui j r^ne, de la passion m^ine qni y perce ä propoB de cer-
taiDes qaestiODs d^attues/ enfin ä cause de bod style, un pea
trop travaill^ pour mou goüt et d'une recherche verbale exag^r^
mais en sornme lut^ressant. Ud autre m^rite de Fauteiir est
celui-ci: il cherche ä nous donner uue vision nette des milieuz
oü a v^u Cervantes, il s'efforce de d^rire les localit^ et les
personnageSy de ressusciter IHSspagne du XYI^ si^le et de nous
lamiliariser avec les gens que Cervantes a trouv^ snr sa route,
qu'il a aim^ ou hus, oenx qui Tont aid^ ä conjurer Finfortnne
et ceux qui ont jalous^ son talent et vouln le desservir, ses pro-
tecteurs, ses 4mules, ses rivaux. Dire que l'auteur a toujours
r^ussi dans oette restitution du pass^ qu^ a toujours trouv^ la
note juste et que iamais il n'outrepasse les limites prescrites ä
lliistorien, je ne 1 oserais pas. Son Information ne semble pas
partout de premi^re main et il est facile de s^aperoevoir qu'il Pa
amass^ un peu hfttivement; eile n'est pas le r^ultat d'une
longne intimit^ avec les livres et les autres Souvenirs de r^poque
mais une acquisition r^cente, parfois insuffisamment dig^r^. E
n'importe: Tintention ^tait bonne et la tentative vaut qu'on la
loue, car dans nne biographie le h^ros, quelque grand qu^ soit,
ne peut pas toujours absorber ^attention; il a autour de lui
d^autres ^tres qui lui fönt cort^, et c'est cet entourage qu'il
faut expliquer, peindre et animer, ou bien il n'aura pour nous
aucune signification et nous n^ pr^terons auoun int^rftt On lira
donc M. Navarro y Ledesma, mais de pr^f^renoe apr^ avoir lu
une biographie exc^jusivement historique, afin d'6tre ann4 contre
certains d^Dordements d'imagination qui risqueraient de tromper
un lecteur non pr^venu.
II reste ä signaler quelques publications plus modestes qui
ont trait ä la vie de Cervantes et dont chacune a son utilit^.
D'abord un petit volume du m^me M. Cotarelo auquel nous
devons la bibliographie du Centenaire, volume intitul^ EfemMdes
eervantinas, 6 sea resümen cronolöffico de la vida de Miguel de Cer-
vantes Saavedra, ^ M. Cotarelo a eu Vid6e ing^nieuse de cataloguer
chronologiquement les faits importants de la vie de Cervantes
* M. Navarro se pose en fervent admirateur du talent po^tique de
Cervante», qu'il d^fend contre les attaques de certains critiqueB, parti-
culi^rement de Quintana. Le 'bon monsieur Quintana' et son ode ä la
Vaccine passent un mauvais quart d'heure. Cr, la queetion n'est pas de
eavoir si les vers de Quintana valent plus ou moins que ceux de Cer-
vantes, mais si Quintana a vu juste, comme critique, en signalant les
faibleeaes de beaucoup de vers de Cervantes: il mon sena, il a ea par-
faitement raison.
' Madrid, 1905, 315 pagee in-12.
Cervantes et le troin^roe Centenaire du 'Don Quichotte'. 847
depuis la naissaiice de F^orivain msqu'ä sa mort, en les accom-
pagDant d'indications bibliographiques pr^ses et qui mW paru
g^n^ralement exactes et oompl^tes. Cet aide-m^moire facilite beau-
ooup les recherches et ren^ de bons Services.
Un oollaborateur, qni ne s^est pas nomm^^ de la Bevista
penüeneiaria de Madrid dous a offert une description de la pri-
80D de S^ville ^ oü Ton admet mamtenant que Cervantes a ooncu
8on grand roman^ leque]^ selon ses propres paroles, ^fut engendr^
en une prison^ II se trouve que I on poss^e une relation par
UD contemporain de Faffreux repaire de mis^res et de vices
qu^^tait la prison de S^ville vers la fin du XVI* si^e, ä P^poque
pr^is^ment oü Cervantes fut condamn^ k j s^joumer quelques
mois ä cause de certaines irr^gularit^ reconnues dans sa compta-
bilit^ d^agent du fisc.^ Cette relation a servi k Pauteur de Tar-
ticle pour nous d^peindre P^tat mat^riel et Fadministration de la
Jrison^ son personnel^ les occupations et les moeurs des d^tenus.
[ 7 a Joint une 6tude sur la criminalit^^ les lois pönales, la po-
lice, etc.
Un autre sp^ialiste — cette fois un g^c^raphe — a trait^
de la Manche au temps de Cervantes. ^ Cette province que Fau-
teur du Don Quichotte connaissait bien^ qu^il a parcourue, oü il a
s^joum^y quoique plus personne ne croie ä la Inende de son
emprisonnement ä Argamasilla de Alba, cette province aui joue
un si grand röle dans son roman, oü nous marchons et aormons
sous le soleil et la pluie en oompagnie du bon hidalgo et de son
^uyer^ il Importe ä coup sür que nous apprenions d^un homme
comp^tent ce qu'elle repr^entait g^grapniquement, administra-
tivement et socialement. D. Antonio Bläzquez satisfait notre
Intime curiosit^ d'une fa^on sobre et explicite. Sur la condition
des habitants de la province^ qui nous Interesse particuli^re-
ment, il a tir^ quelques pr^cieux renseignements de la grande
entreprise de statistique prescrite par Philippe 11^ les fameuses
Belaciones iqpogrdficas, qm malheureusement ne furent pas con-
duites ä bonne fin.
La marine de guerre espagnole a voulu aussi apporter son
tribut ä la solennit^; eile s'est souvenue du plus gloneux Episode
* Omtenario del Quijote, Homena^e de la Revista pemteneiaria. Betrato
de Oervanies. La Gareel de Sevilla en 1597 donde ee engendrö el Quifate, etc.
Madrid, 1905 (Extrait du num^ro de mal 1905 de la Revista),
* Ce contemporain, avocat de l'Audience de S6ville, se nommait
Cristöbal de Chaves ; sa relation a 6t6 publice par D. Aureliano Femindez
Guerra dans VEnsayo de Gallardo, t. 1, col. 1841 et suiv.
' La Maneha en tiempo de Cervantes. Conferenda IMa el dfa 3 de
mayo de 1906 en la velada que la Beal Soeiedad geoffrdfiea dedieö ä ean-
memorar la publieaciön del Quijote de la Maneha por ihn Antonio Eldxr-
quex. Madrid, 1905, 31 pages in 8<^.
23*
848 Cervantes et le troisi^e Oentenaire du 'Don Quichotte'.
de la carri^re navale de CervaDtes^ la bataiDe de L^ante. Dane
OD Dum^ro spMal de la Beviata general de mahna, * xm noini»-
matifite tr^ comp^tent, D. Adolfo Herrera, dous a donn^ la dea-
criptioD avec planches ä Fappoi des m^ailles oomm^moratives
de la grande victoire chr^tienne; apr^ quoi, le savant historien
de la marine eapagDole, D. Ces^breo Fernändez Duro, a disseit^
6ur les ^tendards de la Sainte Ligue remis par le pape Pie V
k Don Juan d'Autricbe et qui sont encore oonserv^ dans le tr^
sor de la cath^rale de Tofede.
Un autre recneil de mäanges doit aussi ötre cit^; il porte
le titre de Cervantes y el Quijote^ et contient une s^rie d'articles
de cervantistes anoiens et modernes, relatifs les uns k la vie de
CervanteS; les autres k son roman. Le recueil vaut surtout par
ses illustrations tr^ nombreuses, qui mettent sous nos yeuz, en
m^me temps que beaucoup de localit^ interessantes, depuis AI-
calä de Henares jusqu'ä la Cueva de Montesinos, les portraits
de divers oontemporains c^tebres de Cervantes et oeux de ses
commentateurs les plus appr^i^s.
A D. Francisco Rodr^uez Marin, si connu par son admirable
recueil de chants populaires espagnols et tant d'autres travaux sur
Fhistoire litt^raire andalouse, nous devons la seconde ^tion d^un
opuscule qui en 1901 avait vivement piqu^ la curiosit^;' il y d6-
montrait p^remptoirement, et d^ontre mieux encore aujoura'hui,
que les parents de Miguel habit^rent S^ville en 1564 et 1565, il
nous d^uvrait la proiession du p^re, medico zurujano, retrouvait
ä Osuna et k Cordoue les traces au grand-p^re Juan, rendait aussi
possible la fr^uentation par Miguel d'un coU^ de la Compagnie
de J&us k S^ville qui expliquerait les äoges sentis qu'il d^cema
plus tard k Fenseignement des P^res dans son Gotoquio de los
perros, M. Bodriguez Marin met beaucoup de bonne grdce k ex-
poser les r^sultats de ses trouvailles et sait rendre attrayant tout
ce qu^il 4crit
U^pltre en vers de Cervantes k Mateo Yäzquez est essen-
tiellement un document autobiographique; c'est pourquoi je parle-
rai ici de la nouvelle Edition qu'en a donn^ D. Emilio Cot^relo.^
D. Leopolde Eius^ nous dit que ce morceau, d^couvert en 1863
* Bevista general de marina. Homenme d Oervantes en el Uaroer eenU-
nario de la publieaeiön dd Quijote. Mam'id, 1905, 56 pa^ee in 4^*, avec
planches et reproductioDB en couleur des ^tendards de la Ligue.
* OervatUes y el 'Qw^oie', Madrid, 1905, 171 pagee in 4».
3 Cervantee eetudiö en Sevilla (1564-^1565). Segtmda edieiän. Sevilla,
1905, ttti paffes pet. in 4^', et une planche de facsimil^.
^ Epietola a Mateo Växqtfex dirigida en 1577 desde Argd por Miguel
de Cervantes Saaredra, eon introdueciön y algtmas notas. Madrid, 1905,
2*2 pages in 16. L'introduction est sign^e dee initiales £. G.
^ Bibliograßa crüica de las obras de Miguel de Cervantes Saavedra,
Madrid, 1895, U I, p. 184.
Ceryaotee et le troiBi^me Centenaire du 'Don Quichotte'. 849
dans les archives du comte d^Altamira^ fat public pour la pre-
mi^re fois dans le num^ro du 3 mai de cette aun^ de M Museo
Universal; il ajoute que le manuscrit qui servit ä Fimprimeur
^tait d^une 'mam du temps de CervaDte6^ L'^dition que Signale
Rius D^est peut-^tre pas la premi^re: en tout cas^ j^ai sous les
yeux le num^ro du 1^*" mai 1863 du Boletin bibliogräfico espanol
de Hidalgo oü le morceau se trouve aussi^ et Ik F^iteur dit
3u^aus8itöt la d^couverte connue et ^bruit^e par les journaux
iverses personnes demand^rent des copies de F^pitre pour les
livrer k Fimpression. Quel a ^t^ le sort du manuscrit, lequel
d^ailleurs n^^tait qu'une copie et non ^original autographe que
personne n'a vu? A-t-il ^t^ compris dans quelque lot des ar-
chives d'Altamira vendues de droite et de gaucne?' Comment
les cervantistes n'ont-ils pas veill^ sur cette pr^ieuse religue?
En attendant qu^on la retrouve, il faut se contenter des ^ditions.
Celle de M. Cotarelo ne reproduit pas Forthographe du manuscrit,
Ju'avait respect^ Hartzenbusch, dans le tome iV du Don Quijote
^Argamasilia,^ ainsi que F^diteur du Boletin bibliogräfico; eile con-
tient quelques f autes, ^ mais M. Cotarelo a Joint au texte des notes
utiles. Lui aussi penche h admettre des relations ant^rieures
entre Väzquez et Cervantes, ä cause de ce premier tercet:
Si el bajo Bon de la zampofia mia,
Sefior, ä vuestro oido no ha ilegado,
En tiempo que aonar mejor debia.
Mais Cervantes veut simplement dire que sa musette aurait
rendu un m Uleur son s^il en avait jou^ avant d^avoir perdu sa
libert^. Ces vers indiqueraient tout au plus que le captif avait
eu d^autres occasions d^adresser une requSte au secr^taire, et quant
aux autres passages qui 'corroboreraient la pr^somption^, je les
cherche en vain.
Ce Qui convient le mieux comme introduction ä F^tude des
Oeuvres aun auteur est la bibliographie de ces oeuvres. En ce
qui concerne Cervantes, le travail avait ^t^ fait d'une fa9on tr^s
recommandable par D. Leopoldo Rius dans sa Bibliografia critica
de las obras de Miguel de Cervantes Saavedra (Madrid et Barcelone,
1895 — 1899), deux volumes grand in 8^, qui ont ^t^ augment^
d'un troisi^me en 1905: il n^y avait pas k y revenir. Rius
donne Fessentiel et m^me beaucoup d^inutilit^, ayant accueilli
* II n'y a pas tr^ longtempe, i'un de cee lots fut propo«^ au duc
d 'Au male pour la biblioth^que de Chantill]^.
^ M. Cotarelo ne cite ni cette ^ition ni celle de Guardia dans sa tra-
duction du Viaje del Pamaso (Paris, 18t)4).
' Dans le troisi^me tercet de la pa^e 17, il faut supprimer la virgule
apr^ esearmünio et lire pudo au lieu de pudeJl
850 CervanteB et le troisi^me Centeoaire du 'Dod Quichotte'.
dans Bon r^pertoire oertains enfaDtUlages qu'Q eüt peut-^tre mieux
valu omettre, et perdu beauooup de place ä analyser longuanoit
de tr^ pauvres äucubrations. Les bibliographes d^sireux de
cä^brer ä leur fa90D le Centenaire n^avaient donc plus ä reoenser
les Eltons innombrables du Don Quiehoiie, les traductions qui
en ont 6i6 faites en toutes langues et les travaiuc de ses iriter-
pr^tes; mais plusieurs ont pens^ que le meilleur moyen d^t^
resser le public k lliistoire au roman consistait k mettre sous ses
yeuz des facsimil^ des premi^res impressionSy des reproductioiis
d'estampes ou de gravures des ^itions illustr^ et oe certames
Oeuvres d'art inspir^ par les ^pisodes les plus connus de IVn-
genioso hidalgo, Ceux qui n'ont pas pu visiter FexpositioD biblio
graphique et artistique du Centenaire instali^ dans trois salles
de la Biblioth^ue nationale de Madrid examineront avec uo
r^l plaisir le catalogue qui en a ^t^ dress^ ' et qui comprend:
la description de ce que poss^e ce grand d^pöt en fait d'^itioos
du Don Quichotte (avec facsimil^ pour les premi^res); des repro-
ductions de dessins, de tableaux et de tapis, et en demier lieu
un essai bibliographique, intitul^ 'La biblioth^ue de D. Quijote^,
oü ont ^t^ d^critS; d^apr^ les exemplaires du d^p6t, les ouvrages
qui composaient la collection de Thiaalgo si brutalenient expuiig^
par ses amis^ c^est-ä-dire surtout des livres de chevaleries. Le
volume n'aura pas Fexistence ^ph^m^re de beaucoup de catalogues
d'exposition; on le gardera, car il rend un excellent t^moignage
de 1 intelligence des biblioth^caires de la Nationale de Madrid et
de leurs conuaissances professionnelles.
D^rire des ^itions est chose utile, en faire si Ton peut de
bonnes vaut mieux encore. Divers imprimeurs d'£spagney pour
r^pondre aux besoins du jour, ont rapidement reproduit le texte
du roman en entier ou en Fabr^eant. De oes ^ditions je ne
parlerai pas, mais je signalerai avec ^loge Pinitiative d'un 6di-
teur de Barcelone qui nous a donn^ pour le prix extr^mement
modique de 4 pesetas F^dition en facsimil^ des deux parties du
Don Quichotte (Madrid, 1605 et 1615).* Cette reproduction un
peu pftle, mais tr^s suffisamment lisible, remplacera pour beau-
coup d'amateurs la phototypie fort coüteuse ex^ut^ ä Barcelone
de 1871 ä 1873 par D. Francisco Lopez Fabra.
Quelle cat^gorie de lecteurs vise la soi-disant 'primera edi-
ciön crftica' de El ingenioso hidalgo, pompeusement mise au jour
par D. demente Cortejön, directeur et professeur de ITustitut
' Gaiöiogo de la eocponcion celebrada en la Biblioteea naeional en d
tereer eenienario de la publicaciön del Quijotet Madrid, 1905| 100 et LT
pages, et 40 planche», in 4".
' Miguel de Gervantee. El ingenioao hidalgo Don Quixote de la Maneka,
Edieiön faesimUe, etc. Barcelona, 1905, 2 vol. in 12 (Eneielopedia liieraria.
t. Vll et VIU).
Ceryantefi et le troisi^me CeDtenaire du 'Don Quichotte'. 351
g^n^ral et technique de Barcelone?^ Od se le demande, oar 11
est ä craindre que la m^thode ici suivie ne Batisfasse ni les ^ru-
ditS; qui la jugeront tout k fait d^fectueuse^ ni les simples curieuz
auzquels le fatras de variantes^ de citations et de commentaires
ainsi que le verbiage ampoul^ et fleuri de F^iteur donneront
litt^ralement la naus^e. Sans doute^ on 4prouve quelque gdne ä
condamner si cat^goriquement les bonnes intentions de ce tr^
digne ecd^siastique, ongiuaire de Meco, pr^s Alcalä de Henares^
ce qui le rend presque 'pays^ du grand Miguel et d'autant plus
sympatbique. Mais aussi qu^allait-il faire dans cette gal^re?
M. Cortej<5n me parait s^^tre tromp^ aussi bien sur ^Etablissement
du texte que dans le commentaire extraordinairement diffus et
g^n^ralement inutile qu^il y a Joint. En Fabsence de tout manu-
scrit autoeraphe ou non du Don Quichotte, les sources uniques
du texte du roman sont les Editions publikes du vivant de Cer-
vantes et auxquelles on peut supposer qu^il a eu une part quel-
conque^ c^est-ä-dire, dans Tesp^e^ pour la premi^re partie^ les
deux Editions de Juan de la Cuesta de 1605, celle du m^me im-
Srimeur de 1 608, et, pour la seconde partie, P^dition, toujours de
uan de la Cuesta, de 1615. II est en effet tr^s invraisemblable
qu'il ait corrigE ou fait corriger les ^itions publik ailleurs qu'ä
Madrid, par exemple eelles de Valence, Milan, BruxeUes, oü ron
note des le9ons nouvelles. Ces le9ons ont la valeur, non de va-
riantes, mais de corrections dues aux imprimeurs ou aux protes,
corrections qu^il faut traiter exactement oomme Celles des ^iteurs
modernes. Or, M. Cortejön confond tout, variantes des Editions
originales et corrections, et il nous donne de ces variae lectiones,
de cat^ories distinctes, des sp^imens en tableaux qui, d^pli^,
couvriraient une table. A quoi sert cet Etalage? A rien, si ce
n'est peut-^tre k amuser les badauds. D^ailleurs, d'nne fa9on
gEnErale, toutes les discussions qui remplissent les premieres pages
de ce livre sont oiseuses, puisque la gEnEalogie aes Editions du
Don Quichotte a 4t6 Etablie dEjä et se trouve tr^s suffisamment
indiquEe par Rius ou Fitzmaurice-Kelly. Apr^ un pareil dE-
ploiement de pseudo-Erudition, on pouvait s'attendre au moins ä
voir FEditeur conserver scrupuleusement Porthographe ancienne
des Editions primitives. Point; il transcrit le texte dans Fortho-
graphe acadEmique, et le comble est que cette orthographe a EtE
m^me introduite dans les variantes citEes au bas des pages, et
tirEes des Juan de la Cuesta et autres! DEjä M. Fitzmaurice-
Kelly avait diminuE la valeur de son Edition de Londres (David
^ Ei ingenioao Hidalgo Don Quijote de la Maneha compuesto por Miguel
de Cervantes Saavedra. Primera eaieiön oritica por D, Clemente Cort^&n,
direetor y eatedrdtieo de hiatoria de la literatura en d BtetittUo aeneral y
tSmico de Barcelona. Primera parte. Tomo I. Madrid^ 1905, CtXVI et
300 pages in 1.
852 Cervantes et le troiBÄme Centenaire du *Don Quichotte'.
Nutt, 1898) en adoptant Forthographe acad^mique sou8 pr^texte
Que les 'extravagances^ de Robles ou de Cuesta ne m^ritaient pas
a^tre reBpect^s; maie ces extravagances Cervantes en commet-
tait d^analogues, et elles ressemblent en tout cas davantage ä
ce qu'il ^rivait que Fespagnol du XX^ si^ele. Au surpluB, il y
avait un travail intelligent ä essayer dont M. Cortejdn aurait
pu s^octroyer le m^rite et la gloire. Nous poss^dons de Cer-
vantes bien plus d'^crits autographes qu'il n'en faut poor fixer
les prineipaux traits de son orthographe usuelle^ et de ces Berits
il serait parfaitement legitime de se servir pöur reetifier 9a et lä
Juan de la Cuesta. Mais passons au commentaire. H Buffit de
le parcourir pour se convaincre que la partie historiaue r^p^te
en les däayant les notes de Clemencln et y ajoute des digressions
dont le moins qu'on puisse dire est qu'elles ne contribuent en
rien ä F^laircissement du texte de Cervantes. Au reste, M. Corte-
j<5n ne semble pas fort vers^ dans la connaissance des moeurs et
des institutions de FE^pagne au XVI® et au XVII® si^e, sa
note sur duelos y quebrantos le montre surabondamment ; il se
donne surtout pour un grammairien et un connaisseur de h
langue castillane. Quand U tient un idiotisme^ il ne le lache pas
avant d'avoir vid^ son sac. Ainsi le solas y semras tr^s iuste-
ment introduit par Pellioer au chap. XI de la premi^re parüe, au
Heu de solas y senoras, qui ne donne aucun sens^ nous vaut sii
pages de commentaire Sur cette locution toute faite, prot^g^ en
outre par une allit^ration^ comme modos y maneras, si M. CortejÖD
avait voulu nous communiquer quelque chose de topique, il aurait
U; par exemple, signaler un passage de la nouvelle de Lope de
ega, Las foriunas de Diana, oü nous voyons 'una mujer sola y
senera, que caminaba . . . por la aspereza de los montes'^ et faire
remarquer que Tödition pnnceps porte sola y senora, ce qui prouve
que la faute ^tait de Celles que les compositeurs de F^poque
commettaient volontiers, et que par cons^uent la correction de
Pellicer a gagn^ droit de cit^ dans le texte du Don Quichotte,
En r^um^, et sans rien vouloir dire de d^sobligeant au trte
m^ritant professeur^ j^estime peu d^sirable que F^norme labeor
qu'il a entrepris arrive ä son terme, d'autant moins que la m^
tnode de travail quMl a adopt^, et qui consiste ä se faire aider
f)ar des jeunes gens qui^ assis autour de sa table, lui dictent les
e9ons du texte, n^inspire qu'une m^diocre eonfiance, mdme pour
ce qui touche au relev^ des variantes et des corrections. Quant
au commentaire, et d^une fa9on g^n^rale qui ne s^applique pas
seulement ä M. Cortejön, il me semble qu^au proc^^ des notes
de longueur dämesur^e, oui encadrent le texte et l'^touffent, mieui
vaudrait substituer un dictionnaire dans le genre du Dictionary
of proper names and notable maiters in the Works of Dante de
M. Paget Toynbee, oü figureraient, avec tous les noms de per-
^"
CeiTaDteB et le troisi^me CeDtenaire dn 'Don Quichotte'. 358
sonne et de lieu des oeuvres de Cervantes^ ]es curiosit^s^ les
traits de moeurs et de costume^ en un mot tous les faits et
toutes les choses qui Filament une explication historique. La
langne foumirait la mati^re d^un autre lexique, et sur ce point
je reviendrai tout ä Fheure. Mais avant d^en finir avec cet essai
malheureuz d^une '^ition critique', je me permets d^exprimer le
voeu qu^on reproduise bientöt en phototypie toutes les ^itions
originales de toutes les ceuvres de Cervantes. Pour le Bon Qui-
chotte, il ne reste plus ä reproduire que le second Juan de la
Cuesta de 1605;' pour les autres oeuvres, l'op^ration s'accom-
plirait sans difficult^, et certainement celui qui s^en chargerait
pourrait compter sur une r^mun^ration tr^s süffisante, car tous
les amis de Cervantes voudraient poss^er oes facsimil^s qui
nous d^livreraient des '^itions critiques^ faites ou projet^es, cha-
cun ayant ainsi sous la main Instrument n^cessaire pour ^tablir
un texte ä sa guise.
La langue de Cervantes ou, pour parier plus exactement, celle
du Don Quichotte a 6U Fobjet d'un travail important par D. Julio
Cejador y Frauca, dont la premi^re partie consacr^ k la gram-
maire a seule paru.^ Comme les Espagnols d^antan, M. Cejador
a soumis son livre ä Fapprobation d un censeur, qui n^est autre
que F^minent linguiste D. Rufino Josö Cuervo, le maitre uni-
versellement reconnu et admir^ des ^tudes de langue espagnole.
L'assurance, donn^ par ce demier, qu'il se sent plus souvent
d'accord qu^en contradiction avec Fauteur rassurera tout le monde,
et c'est pourquoi, sans toucher au fond du livre et k sa doctrine,
me bornerai-je k quelques remarques sur sa composition. A quoi
r^pondent la phon^tique et la morphologie g^n^rales qui rem-
plissent les deux cents premi^res pages? On ne le voit pas
clairement, car dans cet expos^, oü Fauteur r^^te surtout des
choses assez connues, il est fort peu question de Cervantes. Ce
qu'il y a ä dire d^int^ressant sur la phon^tique et la morpho-
logie de cet auteur tiendrait tr^s ais^ment en dix pages: k quoi
bon s'^carter ainsi du sujet? Avec la syntaxe, qui occupe les
trois Cents derni^res pages du volume, M. Cejador y revient,
seulement ce qu'il nous donne n^est que la syntaxe du Don Qui-
chotte et non celle de tout Cervantes. Le lexique, qui formera
le second volume de Fouvrage, ne contiendra aussi que le voca-
bulaire du roman. Cette restriction se comprend puisque le pro-
* La premi^re Edition de 1605 et celle de la seconde partie de 1615
oot ^t^ reprodiiites deux fois, comme il a 6i6 dit. Celle de 1608, l'a ^t^
en 1897 par les ^iteurs Montaner y Simon de Barcelone, qui ont aussi
r^p^t^ la seconde partie.
' La len^jua de Oervanies. Oramätica y diceionario de la lengua casie"
llana en El ingenioso hidtUgo Don Quijote de la Maneha. Tomo 1. Oramäß>
tica, Madrid, 1905, XII et 571 pages in 8^.
354 Ceryantes et le troisi^me Oentenaire du 'Don Quichotte'.
gramme du concours de FAteneo de Madrid portait OTamäÜea
y vocabulario dd Quijote et que M. Cejador devait s^y oonfonoDer,
mais ce d^coupage d'un auteur n'eii offre pas moins de graves
inoonv^nieDts. Jue Don Quichotte a beau oocuper la place pr^
pond^rante dans Toeuvre de Cervantes^ nous ne connaitrons
vraiment la langue du grand ^rivain que lorsqae tous ses ^rite
auront ^t^ analys^ par le lexioograpbe. Rien qu'au poist de voe
du vocabulaire^ les NouveUes foumissent autant si non plua que
le Don Quichotte, et quant ä la syntaxe, la OaUUea et le Persües,
qui repr^sentent les deuz extremes de la vie litt^raire de Cer-
vantes, le pomt de d^part et le terme final, Filament Pezamen
au m^me titre que Foeuvre principale qui occupe le milieu de la
carri^re. On souhaite donc que M. Cejador ^tende son ^tude
et, puisqu'il a si bien commene^, entreprenne un travail d'en-
Bemole qui formerait un pendant au Shakespeare-Lexicon d'AIex-
andre Scnmidt, incomparable modele dont le lexicographe espagnol
fera bien de s^inspirer. H est vrai que ce lexique g^n^ral sup-
Eose la publication pr^able des facsimil^ dont je parlais plus
aut, car il Importe que les renvois, oomme M. (Jejador Fa bien
reconnu pour le Don Quichotte, s'appliquent aux ^itions origi-
nales, lesquelles doivent ^tre rendues toutes facilement accessibles
afin de perraettre au lecteur de se reporter au texte et de v^ri-
fier les citations.
Une question concemant l^istoire du Don Quichotte, et noD
r^solue encore, est celle de Fauteur du faux Don Quichotte, de ce
Segtmdo tomo del Ingenioso Hidalgo public en 1614 k Tarragone
sous le nom du licenci^ Alonso Fem^dez de Avellaneda. La
rechercbe du personnage r^el qui s^est cach^ sous oe Pseudo-
nyme, car le nom d^ Avellaneda semble fictif, a fait couler beau-
coup dienere, en g^n^ral de mauvaise euere. Avant de discuter,
il convient d'avoir sous les yeux le corps du d^lit; aussi devons-
nous des remerciments k M.Men4ndez y Pelayo pour avoir provoqu^
une rämpression fid^le de T^ition de Tarragone. ^ U y a Joint
une dissertation instructive oü il examine les th^ses anciennes
poiu" les d^truire, d^fend sans beaucoup de conviction, me semble-
t-il, un nouveau candidat, et pol^mise contre M. Groussac, auteur
de Fidentification d^ Avellaneda avec un Juan Marti qui passe
pour avoir 6crit le faux Ouxman de Alfarache, hypoth^ insou-
tenable pour bien des raisons et qui n'a obtenu aucun succ^^
* M ingenioso kidaigo Don Quiooote de la Maneha eompuesto por ä
lieeneiado Alonso Femdndex de Avelkmeda, natural de Tbrd^illas, Nueva
edieiön eotefada eon la original^ publicada en Tarragona en 1614, anotada
V preeedida de una tntrodueeiön por Don Mareelino MenSndex^ y Pdayo,
.Barcelooa [1905], LXIV, 380 pagea et 10 feuillets.
' Voy. BulUtin hispanique, t. V (1908), p. 859, et surtout Farticle cod-
cluaut de D. Jos^ E. Öerrano y Morales, M lieeneiado Aloneo FemdndM
Geryantes et le troiBi^me Centenaire du 'Don Quichotte'. 355
Le mieux serait maintenant de ne plus rien ^rire k ce propos
tant au'on n'aura pas d^arguments di^sifs k produire en laveur
de teile od teile solutioD; surtout Fon pourndt souhaiter ne pas
voir reprendre de vieilles suppositions depuis longtemps an^anties,
comme il est arriv^ k Fauteur d^une brochure, bien k tort cou-
ronn^ par les Jeux floraux de Saragosse en 1904, qui soutient
encore la candidature du P5re Aliaga!*
U^pith^te d'ingenioso appliqu^e par Cervantes au h^ros de
soD roman a donn^ du fil k retordre k certains commentateurs :
ClemenclD, entre autres^ la trouve obscure et peu heureuse. Le
criminaliste bien connu D. Rafael Salillas en cnerche Fexplioation
dans le c^l^bre livre du D' Juan Huarte, Examen de ingeniös,
auquel il attribue une grande influenae sur Cervantes^ allant
jusqu'ä nommer Huarte 4e grand inspirateur du romaneier^.^ Sans
aucun doute Cervantes avait lu YEzamen, oet ouvrage si amü-
sant et si remarquablement ^rit, mais qu^il y ait pris Fid^ du
genre de folie de son chevalier et d^autres choses encore, c'est
ce qui me parait fort improbable. En ce qui conceme F^pith^te
d'ingenioso, il va de soi que Cervantes devait accompagner le
mot hidalgo d'un qualificatif favorable: el hidoUgo Don Quijote
aurait eu un sens presque p^joratif, ^tant donn^ que la condition
du gentillätre campagnard pr^tait alors d^jä au ridicule et que
le nom de Quiiote ^tait en soi burlesque. II fallait donc en
quelque sorte relever Fexpression, la corriger par un adjectif ex-
primant Fid^e que Cervantes voulait qu^on se fit de son h^ros:
un homme bon, noble, judicieux et avis^ toutes les fois que sa
manie ne lui trouble pas la cervelle; un homme n^ayant rien
de commun avec VkidcUgo grotesque du th^ätre populaire; car,
comme Fa si bien dit Samuel Johnson dans sa Vie de Butler:
'Cervantes had so much kindness for Don Quixote that, how-
ever he embarrasses him with absurd distresses, he gives him
so much sense and virtue as may preserve our esteem: wher-
ever he is, or whatever he does, he is made by matchless dex-
terity commonly ridiculous, btU never contemptibleJ La thterie
des diferencicts de ingenio propos^e par Huarte n^a rien k voir
lä dedans.
Conune il ^tait ä pr^voir, les dramatistes espagnols, toujours
en qu^te de sujets, ne manqu^rent pas de mettre k pront la
fable du Don Quichotte, dont la publication comcida avec F^pa-
de AveUaneda fiU Juan Marti ly publik en 1904 dans la JRevista de Ar-
chivos, Bibliotecaa y Museos et reproduit par M. Men^ndez y Pelayo k la
Buite de sa dissertation.
^ Ckrvantee y el autor del fdlso Quifote por Don Josi Nieto. Madrid,
1905, 175 pagCB in 8».
^ Un gran inspinrador de Oervantes, M doctor Juan Huarte y su Exa-
men de ingeniös. Madrid, 1905, Itt*2 pages in 8^.
856 Ceryantes et le troisi^me CentenaiTe du 'Don Quichotte'.
Douissement de la comedict. Nous poBS^dons de Fun des pluf
cä^bres auteurs dramatiques de r^poque, Guill^n de Castro, aeux
pi^es iDtitiil^s, Fune Don Quixoie de la Maneka, Fautre El curioso
impertinente, ceUe-ci tir^ de la nouvelle intercal^ par Cervantes
dans 60D roman: ni Fune ni l'autre ne oomptent parmi les
meilleures de Vingenio valencien. Chez lui, oomme dans toutes
les autres pi^es de th^ätre^ le personnage de Don Quichotte
n'apparalt que oomme une caricature du h^ros du livre. Castro
certes avait FAme assez haute et le tact assez fin pour d^mäer
dans Phidalgo de Cervantes, ä c6t^ des extravagances ridicules,
des signes r^v^lateurs de la plus noble des natures, mais sll
avait mis sur la sc^ne un Don Quichotte s^rieux, les bcmeos n'au-
raient pas compris et les mosqueieros auraient siffl^: Fadmirable
compl^xit^ du caract^re de lliidalgo d^passait Fintelligenoe un
peu fruste du vtdgo amateur de th^tre, eile n'a 4!t6 bien saisie
que de nos jours. Quoiqu^il en soit, le Don Quixoie de Castro
est une pi^e assez curieuse que la soci^td valencienne du Bat-
Penat a eu raison, apr^s Favoir fait jouer, de r^imprimer d^aprte
Fddition fort rare de 1621J La petite faroe de Francisco de
Avila, Los invencibles hechos de Don Quijote de la Mancha, qui vieDt
d'^tre r^imprim^e, transporte le Chevalier dans le milieu picaresque
des cabaretierSy des muletiers et des Maritomes; nous sommes
ici dans la parodie burlesque, assez ctossc mais amüsante. La
pi^ce du reste peut passer, comme le dit son ^iteur qoi en
a ^lucid^ les passages difficiles, pour une 'curiosit^ bibliogra-
phique^ ^
Et puisque je viens de toucher au th^&tre, je signalerai ici
une brochure relative ä Cervantes auteur dramatique et qni
pourra servir de euide ä ceux qui se proposent d^aborder T^tude
de ses drames, de ses com^dies et de ses farces.^ Cet essai
m^ritoire sera remplac^ bientöt par un ouvrage beaucoup plus
d^velopp^, FAcad^mie Espagnole de la Langue ayant choisi comme
sujet du premier concours de la fondation Institut par le duc
d^Albe, comte de Lemos, en memoire de son inoubliable m^
et pour r^compenser des auteurs de travaux litt^raires, histo-
' 'D. Quixote de la Mancha*, eomedia en tres jomales y en vere per
D, OuiUem de Castro y Bellvis. Representada de veU-nou en lo Teabro
Principal de Valencia, en la nü del VUI dia de Maig de MDCCCOV. Va-
lencia, 1905, VI et 119 pazes in 8^.
* Ourioaidad bibliogrdfiea, Los inveneibles keehos de Don Qtnfote de la
Mancha, entremis famoso eompuesto por Francisco de Ävila, naiwrU de
Madrid. Madrid [1905], 35 pages in 8^ L'ayant-propos est sign^ des
initiales F. P. G.
' Äpuntes escinicos cervanUnos 6 sea un estudio histörieo, hMiogrdfieo
y biogrdfico de las comedias y erUremeses escritos por Miguel de Oervanies
Saatedra, etc. por Nareiso Diax de Eseovar, Madrid, 1905, 79 pages pet.
in 80.
Cervantes et le troisi^me Centenaire du 'Don Quichotte'. 857
riques et scientifiques, P'^tude critique du th^tre de Miguel de
Cervantes^ '
Le s^jour de Don Quichotte en Aragon chez un duc et une
duchesse, qui h^bergent le Chevalier et son ^uyer et s'en amu-
aent^ sera toujours tenu pour un des plus d^licieux ^pisodes du
^rand livre: rhumour de Cervantes atteint id son maximum.
Ces chapitres accusent aussi les intentions satiriques de F^cri-
vain qm^ avec une habilet^ consomm^e, y a d^peint les vices du
r^me seigneurial en Espagne au XVII^ si^le. Depuis Pellicer,
qui a identifi^ la villa oü est accueiUi Don Quichotte avec le
bourg de Pedrola et l^le Barataria avec Aloaldi de Ebro, une tra-
dition s^est accr^it^ suivant laquelle le duc qui rdalise le r^ve
de Sancho aurait ^t^ le chef d'une des plus grandes maisons de
la noblesse aragonaise, le duc de Villahermosa. Profitant de cette
tradition, les Aragonais d'aujourd'hui l'ont c^l^br^e par une masca-
rade et des f^tes dont une a eu lieu ä Pedrola, sous les auspices
de la duchesse de Villahermosa, Dona Marfa del Carmen Aragon
Azlor, grande dame aussi patnote que lettre et que la mort
häas! est venue surprendre il y a quelques mois avant la publi-
cation du beau volume consacr^ au souvenir de cette comm^-
moration. ^
Je terminerai cette revue par quelques mots sur la parti-
cipation des ^trangers ä la c^l^bration du Centenaire. UAngle-
teire, oü Fhumour de Cervantes a toujours eu de fervents ad-
mirateurs et m^me inspir^ de grands ^rivains — que ne doit
pas Fielding k son anc^tre espagnol? — FAngleterre poss^de
aujourd'hui un cervantiste fort distingu^, ^teur, biographe et
traducteur, dans la personne de M. James Fitzmaurice -Kelly.
Sa contribution k la f^te a oonsist^ en une lecture qu^il a faite
devant la British Academy, de fondation r^cente, sur Cervantes
en Angleterre.^ — UAllemagne a rafralchi en la r^imprimant
une traduction renomm^, celle de Tieck,* et nous a offert
* UentremSa de Cervantes intitul6 El vixeaino fmgido yient d'Stre r^-
imprim6 avec un commentaire assez estimable mais beaucoup trop yer-
beux (Estudio orüico aeerea del entremis *El vixcaino fmgido de Miguel
de Cervantes Saavedra por Manuel Joai Qarefa, Madria, 1905, 184 pagee
in 8^.)
' AUmm cervanHno aragonis de los trabc^os literarios y artisticos eon
que se ha cetdtrado en Zaragoza v Pedrola el III eentenario de la edidön
principe del *Quiiote\ Publicalo la Excma, Sra» Duquesa de ViUahermosa,
Madrid, 1905, XV, 224 pagee et 26 planchea in-folio.
' The Brüish Äeademy, TereentefMry of *Don Qtnxote*. Cervantes in
England. London, 1905, 19 pases in ^.
* Leben und fixten des scharfsinnigen Edlen Don Quiaote von la Mancha
von Miguel de Cervantes Saavedra, Übersetxt von Ludwig Heck. Jubiläums-
Ausgabe in vier Bänden mit einem Titelbild, Mit einer biographisch -kri-
tischen Einleitung und erklärenden Anmerkungen herausgegeben von Dr. Wolf-
gang von WwrxbatA. Leipzig [1905], 2 vol. in-12. La biographie de Cer-
358 Ceirantes et le troisi^me Centenaire du *Don Qaicllotte^
une Douvelle ^ition d'une autre version trte appr^i^ aussi,
odle de Ludwig Braunfels J II y aurait un chapitre et presque
un livre ä ^rire sur les tiaducteurs du Don Quiehotte et lenr
m^thode. A mon avis, pour un roman de ce genre, que savoure
le monde entiery aucun genre de traduction n'est ä exclure, tous
ont leur raison d'^tre, depuis la 'belle infid^le^ jusqu'H la tra-
duction la plus exacte et la plus savante. Ce qui captive la
plupart des lecteurs est la fable avec ses incidents^ surtoat les
inimitables dialogues de lliidalgo et de son ^uyer, et oela peut
6tre rendu intelligible dans une forme agr^ble et facile en abr^
geant le texte, en äaguant de ci de lä certaines superf^tations et
des passages qui sentent trop le terroir pour pouvoir ^tre ais^
ment transpos^ en une langue ^trang^re. Mais le Don Quichotte
s^adresse aussi ä un autre public qui s^int^resse ä la langue, au
style, aux particularit^ de la vie espagnole, qui voit dans ce
livre le grand roman social de FElspagne des rhilippe. E^ un
mot, le Don Quichotte n'est pas un livre simple oomme l'autre
roman mondial, Bahinson Crusoi, qui n^a ni style ni m^me de
date, puisQu'il ne s^y trouve pour ainsi dire aucune allusioD^
aucune couieur historique. Le Don Quichotte lui est en quelque
Sorte ä deux faces, il se r^v^le altemativement sous deux aspects
distincts. Aux deux cat^ories de lecteurs, il faut donc des tra-
ductions appropri^. CeUe de Tieck me semble conserver sa
valeur comme livre de lecture courante, malgr^ les contresens et
les inexactitudes qu^on y pourrait noter; mais je con9oi8 que le
lecteur allemand d^ireux de p^^trer plus profond^ment dans
Foeuvre de Cervantes, d^en assmuler, autant que faire se peut
Sans savoir la langue originale, el sabor de la tierruca, comme dirait
Pereda, ait d^ir^ une version plus fid^le, serrant de plus pr^
le texte espagnoL A ce lecteur la traduction de Braunfels don-
nera enti^re satisfaction. Sous sa premi^re forme, dans la Ool-
lection Spemann, eile contenait des notes assez nombreuses que
les r^viseurs de la nouvelle Vitien, MM. H. Morf et S. Grafen-
berg, ont en partie omises. Je le regrette un peu pour ma part^
quoique je comprenne les raisons ^itoriales qui ont motiv^ cette
suppression. Quoiqu'il en soit, en renouvelant dans cette Jubi-
läumsausgabe, aussi correcte qu'^l6gante, la meilleure peut-^tre
des traductions du Don Quiehotte, M. Karl J. Trubner rend un
vrai Service ä ses oompatriotes et ä tous les amis de Cer-
vantes et r^tude de ses oeuvres uar M. von Wurzbach, qui renaeignera le
public allemand sur tout ce qu'il a besoin de savoir, donne un piiz parlä-
culier ä cette r^impression.
' Der »ifmreiene Junker Don Quifote von d&r Maneha von Miguel de
Oervantea Saavedra, Übereetxt, eingeleitet und mit Erläuterungen vereehen
von Ludwig Braunfels. Neue, revidierte Jubüäumaimsgabe, Strassburg, 1905,
4 voL in 0".
Cervantefi et le troisi^me Centenaire du 'Don Quichotte'. 859
vantesJ — La France, ot depuis le AVIL« si^le Cervantes
a joui d'une si grande popularit^ et oü d^^minents critiqües ont
appr^i^ son g^nie avec tant de finesse, la France cette fois
s^est abstenue, car j^ose ä peine mentionner un opuscule de
quelques pages oü celui qui ^rit ces lignes a d^nonc^ un faux
autographe de Cervantes, lequel s'^tait gliss^ dans une de nos
coUections publiques.^
Ce court r^um^, et qui ne vise nuUement h ^tre complet,
des publications du Centenaire laissera, je Fesp^re, une assez
bonne impression. Si surtout Fon compare cette comm^moration
ä Celle du deuzi^me centenaire de la mort de Calderon c4l4br4e
il 7 a tantöt vingt-cinq ans, on estimera que les Espagnols ont
cette ann^ bien mieux r^ussi qu^en 1881. A la v^rit^, le h^ros
de la f^te de 1905 avait beaucoup plus d'ampleur, son nom
parle ä la nation enti^re. Calderon, au contraire, ne repr^ente
que certains traits du g^nie espagnol qui ne r^pondent plus
ä nos id^es d^aujourd^hui et que beaucoup d'Espagnols jugent
m^me antipathiques et nuisibles. Entre le dramaturge-th^logien
du XVn® si^le et FEspagne moderne le contact s'est perdu;
pour le renouer il faut des efforts multiples et un ^tat d^äme
f)articulier. Cest pourquoi le centenaire de Calderon fut surtout
'oeuvre de quelques lettre aui provoquferent un enthousiasme
de commande, tout ä fait factice, que ne partf^ea point la masse
du public. Cervantes lui r^unit tous les suffrages, il peut
compter sur la Sympathie universelle. Ceux m^me qui ne Font
point lu savent en gros ce qu^il fit et ce qu^il ^rivit; ils savent
' J'en ai examin^ les premiers chapitres avec assez d'attention. Dans
le Prologue, htjo del erUendimiento doit ^tre rendu, non par Söhnt mais
par Kind aui se trouve chez Tieck. — Plus loin, dans le m^me Prologue,
il me semole que oficiales amigos sont plut6t des 'amis empress^' que
des 'compa^ons de mutier amis'. Tieck lait aussi de oficiales un adjeetdf
qu'il traduit mal par vertraute, Eeste ä savoir si Cervantes emploie
ailleurs adjectivement ofioial ayec le sens du frangais 'officieux\ —
Chap. I^'. Salpicön n'est pas un p&t^ {Fleiechkuehen) mais une salade de
viande froide, comme l'explique longuement ä Oudin son rival Ambrosio
de Salazar. — Chap. IV. £n traduisant infante par Prinx, Braunfels a
pens^ qu'il respectait un idiotisme espagnol, mais infante avait aussi le
sens d'^enfant' qui convient seul au passage (cf. une note interessante de
D. Bamön Menendez Pidal, La leyenda de los infantes de Larch p* 442).
Tieck a bien mis ^uibe. — Chap. 18. *Sin salir del Camino real, que per
all! iba muv seguido' n'est pas 'ohne von der Landstrasse abzuweichen,
die dort vielbegangen war', mais 'sans sortir de la route royale qui en
ce lieu s'avangait en ligne droite'. Seguido a le sens qu'on trouve plus
loin (chap. 20) dans Padverbe seguidamente: *Dilo seguidamente', c'est ä
dire: 'd'une traite, saus t'6carter du sujet'. Oudin avait d^jä commis la
faute. — Comme on le voit par ces quelques remarques, 11 ne s'agit que
de v^tilles.
' Un faiuao cnäographe de OervafUes, Paris, 1905, 15 pages in 8^ (Ex-
trait du Bulletin du Bibliophile).
360 Ceryantes et le troisi^e Ontenaire dn 'Don Qnicfaotte*.
qu'il personnifie oe qu'il y a de plus sain et de plus fin dao^
le temp^rament eepagnol: le courage et la gait^ l^ironie epiri-
tuelle et le d^int^ressement. Aussi, malgr^ quelques voix dis-
cordantes, quelques r^serves de certaiDB durecteurs de FopinioD,^
les Espagnols ont-ils le droit de croire et de dire que leur f^te
fnt beDe et vraiment digne du h^roa, le plus grand k tous ^ank
de leurs grands ^rivains.
PariSy janvier 1906. Alfred Morel-Fatia
P. S. Depuis qu^ont ^t^ Pontes les ligiies qui pr^skleDt,
quelques nouveaux travaux sont venus grossir la litt^rature d^jä
ooDsid^rable du Centenaire. Je citerai notamment une disser-
tation de D. Julio Puyol y Alonso, qu^a oouronn^ FAcad^e
des Sciences morales et poutiques de Madrid^ et qui roule sur
F^tat de la soci^t^ espagnole tel qu^il apparatt dans le Don Qui-
chotte:^ le suiet avait 6tA trait^ d^jä et M. Puyol ne Pa pas
reuouvel^, mais sod expos^ conduit avec assez de m^thode m^te
une mentioD honorable. Une autre publicatioD beauooup plus
importante est le Rinconete y^ GortadiUo de D. Francisco Rocmguez
Marin J U^tablissement du texte de cette nouvelle offre des
difficult^s particuli^res^ car il faut tenir compte ici d^une version
manuscrite assez diff^rente du texte imprim^ en 1613 et 1614
M. Rodriguez Marin nous fait connaitre les deux ikUs du cä^bre
conte picaresoue dont le seul rapprochement est fort instmctif
et dissipe quelques obscurit^ des ^itions courantes, mais je De
pardonne pas k T^rudit ^diteur son amour pour 1 orthographe
acad^mique. Comment un homme de goüt comme lui et si vers^
dans la connaissance de Pancienne langue ne sent-il pas que
^ J'entends id parier de Tarticle un peu chagrin et mausaade de
M. GUSmez de Ba<^uero intitul^ 'El centenario del Quijote. Lo que ha
sido 7 lo que debiö de 8er\ dans La Espana modema du 1®' juin 1905.
Dans UD autre num^ro de la möme reyue (l^'^ d^cembre 1905]), D. Miguel
de Unamuno, recteur de TUniversitä de Salamanque, qualine le Cente-
naire de 'ridicule'. Cette boutade ne tire pas k cons^quence, M. Unamuno
se tenant et se donnant pour un grand humouriste, Beulement son humour
n'a rien de commun avec celui de Cervantes. — Pour finir, j'avertis
charitablement que le livre du Fhre Juan Mir y Noguera, M eerUenario
quijotesco (Madrid, 1905, 245 pages in 8®) n'est (ju'un manuel du purisme
et des r^formes que l'auteur voudrait introduire dans respagnol d'aa*
jourd'hui en le remodelant sur 6elui qu'dcrivaient les auteurs de son choix
au XVI« et au XVII« siöcle.
> Estado social que reflga 'El Qu/igM, Madrid, 1905, 108 pagee gr.
in 8«.
' Rinconete y Oortadillot notfela de Miguel de Oervantes SaavedrOy edir
ci6n critiea por Frandseo Bodriguez Marin, Sevilla, 1905, 485 pages, pet.
in 4^.
Cervantes et le troisi^me Centenaire du 'Don Quichotte'. 361
transcrire un ouvrage du XVII® si^de en Venture de trois eitles
post^rieure donne au lecteur quelque peu raffin^ rimpression de
ces cath^rales romanes ou gothiques 9ur lesquelles on a plaqu^
un portaQ i^suite ou un clocher en fönte? Qu'on fasse des ^i-
tions populaires des auteurs cä^bres en dcriture moderne, cela
se con90it et cela doit Stre, mais, pour Dieu! que Celles qui ne
s^adressent qu'aux ^rudits et aux curieux respectent le costume
et le style du temps; sans compter au^en alt^rant la forme des
vieux livres, T^iteur se prive du meilleur moyen de rendre plau-
sibles les corrections qu il juge. ä propos d^introduire dans son
texte. Ceci dit, je me bäte de donner au travail de M. Kodrlguez
Marfn tous les ^loges auxquels il a droit: le commentaire k la
fois linguistique et nistorique dont il a entour^ la petite nouvelle
s^villane est d'une richesse, d'une pr^ision vraiment admirables;
et ce tr^sor de renseignemeuts puis^ aux meilleurs sources et
si agr^ablement pr^sent^s aux lecteurs justifie ce qu^il dit de ces
^diteurs qui pensent avoir fait quelque chose en copiant un texte
et en le ponctuant: 'Es mucho mäs filcil copiar un texto que
entenderlo, depurarlo y fijarlo. Hasta Pero GniUo conocfa y
pregonaba esta verdad/ L Acad^mie Espagnole a eu bien raison
ae r^ompenser ä nouveau son ancien laur^t et de se charger
des frais d^impression de cet excellent ouvrage.
Avril 1906. A. M..F.
Axchir f. n. Sprühen. CXVI. 24
Kleinere Mitteilungen.
Die Bedeutung der Wörter Himmel und HimmelreiclL
Himmel und Himmelreich als Aufenthaltsort der Seligen --
Himmel als Himmelsgewölbe sind die ursprünglichen VorsteUungeo,
die mit beiden Wörtern verbunden werden.
Hinter beiden Namen stecken aber noch viele andere Bedeu-
tungen. Das Wort Himmel bezeichnet häufig Gegenden von rei-
zender Lage mit entzückendem Um- und Ausblick. In Vorarlberg
im Gamperdonertal liegt der berühmte Nenziger Himmel. Rings
von dunklen Wäldern und saftgrünen Mähdem lunrahmty nimmt
sich dieser umfangreiche Weideplatz zu beiden Seiten des Mäog-
baches ganz prächtig aus. Zahllose Alpenhütten, teils in Reihen ge-
stellt, teils in Gruppen, sind rings auf der grünen Fläche zerstreut
In der Mitte steht das stille 8t Bochuskirchlein (Ludw. v. HörmaDD,
Wanderungen von Vorarlberg S. 185).
Himmel bedeutet audb ein einzelnes Haus, wie z.B. in meinem
Heimatlande nahe der Grenze des Gerichtsbezirkes Kirchbach an
der Pielach. Pamphilus Gengenbach besafs in Basel seit 1508 9
seine eigene Offizin: 'daneben hat er auch einen laden im hause
zum roten kleinen löwen in der freien straise (Nr. 31) neben dem
zunfthaus zum himmel' {Zeitschr, f. d, Phil. 37, S. 48).
Am Himmel ist eine herrliche Anlage mit Park, Schlofs und
einer Meierei, die heute nach Einbeziehung der Vororte zu Wien im
Stadtgebiete unweit von Sievering liegt Diesem Himmel eilen Ein-
heimische und Fremde gern zu, denn man geniefst von hier einen
bezaubernden Ausblick auf das Häusermeer der grofsen Stadt und
auf die vielen Hügel und Berge, die sie umsäumen.
Eine andere Landschaft, die 'Am Himmel' zubenannt ist^
breitet sich um den 836 Meter hohen Himmelberg aus und greift in
die Lehenrotte, Ortsgemeinde Tümitz, über. Unweit davon steht das
Haus, welches Himmelbauer heifst Andere einzelne Häuser fuh-
ren die Namen Himinelfeld, Himmelreich^ Himmelreichs-
wies, Vorder- und Hinterhimmelsberg {lbpograpkiev.N,-Ösir.
IV, 264).
In Elling bei Ingolstadt in Oberbayem ist ein in Felsen aus-
gehauener unterirdischer Gang. Von anderen vielleicht mit
diesem zusammenhängenden imterirdischen Gängen sind Spuren yo^
banden. Auf dem betreffenden Steuerblatte sind folgende Orts-
Kleinere MitteÜungen. 368
namen angezeigt: Höllriegel, Himmelreich, Osterbnmngewänder,
Osteräcker, Osterwiesen (Frd. Panzer, Bayr. Sag. u, Oeb. I, 62).
In Mittelfranken liegt der anderthalb Wegstunden lange und
dreiviertel Wegstunden breite Haselberg. Da finden sich Orte mit
den Namen: Schlöfslesbuck, das Drutental, die Osterwiese, der Han-
genstein, die Schwarzefichte und das Himmelreich. Daran
knüpft sich die Sage: Vom Schlöfslesbuck nach dem Heslasberg
zieht ein unterirdischer Gang. Auf dem Bchlöslesbuck wohnten drei
Jungfrauen, man nannte sie die Schlölslesbuckjungferle; sie waren
klein und gingen nicht weiter als in das Himmelreich und in das
Drutental. Zwei waren ganz weiis, die dritte weifs bis zum Gürtel,
abwärts schwarz (Panzer, a. a. O. 186).
Himmelreich, Heigraben, Gründlein sind Benennungen ein-
zelner Plätze eines schönen bei Vestenberg, zweieinhalb Stunden von
Ansbach gelegenen Eichwaldes (a. a. O. 11, 254).
Sollten die würdigen Augen eines Abstinenten von striktester
Observanz auf diesen Absatz etwa fallen, so ist er freundlich ge-
beten, die paar Zeilen zu überspringen, denn das Graacher Him-
melreich würde sein Gemüt betrüben oder ihn gar aufser Rand
und Band bringen; von diesem Himmelreich erzählt nämlich unser
launiger Julius Wolf im Landsknecht von Coch&m S. 41, dafs dort
einer wächst, der zur besten Sorte gehört
Himmelreich ist ein häufig vorkommender Ortsname. In Ru-
dolfs Ortslexikon erscheint er zweiunddreifsigmal (A. Heintze, Deut-
sche Familiennamen 161).
Aussee ist das steirische Himmelreich (Kolm. Kaiser, Da
franxel in da Fremd S. 10).
Jeder Besucher Gmundens kennt die aussichtsreiche Himmel-
reichswiese, die sich über dem Nordostende des Traunsees auf dem
Wege zum Franzi im Holz und zum Laudachsee erhebt
Welchen Zauber das Himmelreich einer Darstellung zu ver-
leihen vermag, das zeigen die 'Kinder von Finkenrode* von Wilhelm
Raabe, S. 62, wo die Frage auftaucht: 'Kennen Sie auch das roman-
tische Jägerhaus unter dem Wartemberg, das Haus im Himmel-
reich'? — Hier ist das Himmelreich ein idyllisches Jägerhaus.
Gasthöfe, Herbergen führen mitunter auch poetische Kenn-
zeichen. Die Bezeichnung zum ewigen Leben kommt im Stadt-
gebiet von Wien öfters vor; wie die Tageschronik meldet, mufs es
irgendwo auch einen Gasthof zum Himmelreich geben : 'Ein zwanzig-
jähriger Student und eine siebzehnjährige Hausbesorgerstochter ent-
flohen miteinander. Die zwei losen Vögel wurden in einem Gast-
hofe, der den wohlangebrachten Namen zum Himmelreich führte
ertappt und den Familien übergeben' {Neue Freie Presse vom
11. März 1904).
In Köln heifst nach der Zeitschrift f. d. deutsehen Unterricht XV,
772 eine ganze Strafse das Himmelreich, und irgendwo, bemerkt
24*
864 Elebere MitteilangeQ.
0. Weise {Ästh, d. d, Sprache 152), bezeichnet Himmelreich da^
Stadtviertel, wo die Ärmsten wohnen.
So benennt man auch Wohnnngsbestandteile, die nach obenn
liegen: 'Vorwärts, Antonio! halt dich nicht auf!' rief Lieoii& Vor-
wärts treppauf ins Himmelreich' (W. Raabe, Die schwarze Gakm
S. 42).
Das Antlitz gilt auch als Himmel: 'In ein Gewitter oder in ein
stürmendes Meer sehe ich herzhafter als in das kleine Gesicht; in
einen heitern Himmel von drei Nasenlängen' (J.Paul, Hesperus 23.
Hundsposttag).
Das Himmelreich ist Kennzeichen der Bildung. Abraham a
Sancta Clara scherzt in Auf auf ihr Christen : 'Man kann ganz richtig
wissen, was ihr für Landsleut seid, ob ihr aus dem Himmelreich
oder Lümmelreich'.
Himmel nennt man in katholischen Ländern den an vier Stan-
gen befestigten Traghimmel, d. L Tragbaldachin, unter dem bei der
Auferstehungs- und Fronleichnamsprozession der Priester das hoch-
würdigste Out trägt Auf die metaphorische Bezeichnung von Him-
mel in Thronhimmel, Betthimmel und Himmelbett hat
Dr. A. Waag in seinem hübschen Buche über die Bedeutungsent-
toiekelung unseres Wortschatzes (Nr. 248) aufmerksam gemacht
Um eine gewisse, relativ bedeutende Höhe zu bezeichnen, ver-
wendet der aus dem Jahre 1558 stanunende Tiroler Landreim das
Wort im Sinne von First» wie in der Anmerkung ang^eben ist Die
Stelle lautet:
Da wirt des suessea Wassers vil
In die werckh gfüertj wie mans hab'n wiL
Bus es den Himel thuet anriem
Doch nit den | daran stet das Gtotim.
(V. 241—244.)
Von der Taubstumm -Blinden Laura Bridgman ist ein Gedicht
überliefert^ in dem der Himmel als heiliges Heim gilt: Heaven is
holy home (Prof. Dr. W. Jerusalem, Laura Bridgman S. 63).
Mögen uns Menschen, Gewalt- und Machthaber verkennen, ver-
unglimpfen, kränken und zurücksetzen, ein Hinunelsausschnitt weils
uns zu versöhnen: es ist der vaterländische Himmel.
An den Wörtern Himmel und Himmelreich ist der Bedeutungs-
wandel des Wortes gut zu beobachten. Von der Bedeutung des
Himmelsgewölbes gehen die Namen über zur Bedeutung der maleri-
schen, romantischen Lage einer Gegend, von der Gregend zu dem
einzelnstehenden Haus, vom Haus zu dessen Bewohner, wie das so
manche Familiennamen deutlich zeigen: Friedrich Heinrich
Himmel danken wir u. a. sinnige Liederkompositionen und die
Oper ,Franchon', die seinerzeit viel Aufsehen erregte. Wilma
Himmelreich ruft Mitleid hervor, denn sie, die achtundzwanzig-
j ährige Meisterstocbter, wurde, wie die betrübende Nachricht aus
Kleinere Mitteilungen. 866
Esseg vom 9. September 1 904 meldete, von dem um zehn Jahre jün-
geren Gesellen ihres Vaters, weil der von einem Liebesverhältnis der
beiden wegen ihres Altersunterschiedes nichts wissen wollte, durch
vier Revolverschüsse getötet
Zuchthäuser, Grefängnisse u. dergl. führten in früheren Tagen
mitunter sehr drollige Namen, wie z. B. Das Schellen werk in Bern,^
das berüchtigte Loch des Nürnberger Rathauses,^ das alte Loch,'
das Hundeloch,^ den Narrenkotter und das Narrenhäusel,<^ das Hain-
burger Jungfrau Kötterl,^ die Harfe der Stadt Meiningen,*^ die Keuche
der ehemaligen Benediktiner Universität in Salzburg,^ die Scherg-
stube zu Neuhaus in Böhmen,^ die Bärenhaut, besser Bemhut^^^^ ein
Gefängnis für Hurer und Ehebrecher, den schwarzen Sack, den
Diebskeller 11 — ja, man bekäme bald ein ganzes Büchlein solcher
bodenständiger Bezeichnungen zusammen, wollte man planmäfsig
von Stadt zu Stadt derartige Überlieferungen verfolgen; doch die
anmutigste darunter dürfte doch der alte Gefängnisname der landes-
fürstlichen niederösterreichischen Stadt Hainburg an der Donau blei-
ben: das Himmelreich.
Josef Maurer erwähnt in seiner Geschichte dieser Stadt einige-
mal diesen sicheren Aufenthaltsort, wobei aus verwichenen Tagen
auf das Leben und Treiben in diesem Städtchen ein wertvolles Streif-
licht fällt S. 870: Die fremden Schuhmacher wurden ausgewiesen,
ihre Rädelsführer kamen in das Himmelreich. — S. 877: Der
Müllermeister Michael Hintermüller bezahlte wegen schlechten Brotes
fünf Reichstaler Strafe, Michael Fasser aus der gleichen Ursache
drei Gulden und Jos. Georg Zeininger wegen schlechtem Mehlmals
einen Reichstaler. Am 1. August 1698 sank ohnehin das Gewicht
der Ereuzersemmel auf 10 Lot, das des Sechskreuzerlaibes auf
4 1/3 Pfund, das des Groschenlaibes auf 2 y^ Pfund. Michael Fasser
redete respektwidrig gegen den Rat wegen seiner Strafe und kam
dafür einen Tag ins Himmelreich.
S. 428: Die Bürger hielten aufs neue um Entschädigung für
die durch die Baireuthschen Dragoner im Jahre 1704 erlittenen
* E. L. Bochholz, SekweixerBogen (ma dem Aargau I, 219.
' Gutzkow, BohemckwafMou V, 33H.
^ Wilhelm Raabe, Das Hom von Wanxa S. 166.
^ Dr. H. Wimmer, Oesokiehie der Pfarre St. Agathe xm Hausleäen bis
zur Diöxesanregtdierung im Jahre 1783, Wien.
^ Puntschert, Denkwürdigkeiten der Stadt Retx 8. 136, 141.
^ Ratschlulfl vom 12. September 1710.
^ Balthasar Spiels, Idiotikon 93.
^ Beiträge der österreichischen Erxiehungs- und Schulgeschichte, V. Heft,
S. 32, 86.
^ Führer durch Neuhaus 8. 36. Bei A. Landfras in Neuhaus.
» Alemannia 15, 8. 192.
" Dr. Georg von Below, Das ältere deutsche Städtewesen und Bürger-
tum 8. 50.
866 Kleinere Mittel luDgen.
Einquartierungslasten an. Dabei ging es wieder nicht ohne Läns
ab. Als mit dem Handelnnanne Johann Engler abgerechnet wurde,
war dieser nicht zufrieden und 'gofs villfaltige Scheltwort höchst
straffmälsig aus', so dafs er ins Himmelreich gesperrt werder
mufste, bis er seinen schuldigen Täz bezahlt und nachgewiesen hatte,
dafs er 1704 wirklich 24 Klafter hartes Holz für die Soldaten her-
gegeben.
S. 456: Der Hofmeister des Pfarrers Mathias Wolf war mit
den Fuhrleuten des Kardinals von Sachsen -Zeitz so grob, dafs er
für acht Tage ins Himmelreich gesperrt wurde.
8. 466 : Hanns Andreas Schettin, Schuhmacher in Berg; lästerte
im Hause seines Vaters in Hainburg Gott, schmähte über die zehn
Gebote Gottes, die Heilige Schrift und den Stadtrat Er wurde am
15. Januar 1716 vormittags ins Himmelreich gesperrt» dann
durfte er sich eine Stunde im Gerichtszimmer wärmen, worauf er von
zwölf bis zwei Uhr wieder eingesperrt wurde.
Respektwidriges Benehmen, Fluchen und Schelten^ Grobheit»
Gotteslästerung, Schmähung der Heiligen Schrift und auch dee löb-
lichen Stadtrates, ausgielsen von Injurien bei der Einquartierung
von Soldaten, ausgiefsen von Calumnien, erwiesener Ungehorsam,
wie der Ratschluis der Stadt vom 19. Juli 1710* zeigt, das alles
führte in das Hinunelreich von Hainburg.
Himmel und Himmelreich zeigen so deutlich, welch mannig-
fache Bedeutungen die Wörter unserer Sprache anzunehmen ver-
mögen. Das eine wie das andere Wort leistet gute Hilfsdienst^ die-
ses oder jenes zu benennen, wobei meistens die ünterströme dee Be-
wufstseins auch in Flufs geraten und das menschlidie Gemüt in Be-
wegung setzen. Der Glückseligkeit der Menschen helfen die beiden
Wörter schlicht und einfach zum Ausdruck. Da jeder Mensch in
etwas anderem sein Glück und seine Glückseligkeit findet, so ist ^
begreiflich, wie viele verschiedene Bedeutungsnuancen in Himmel
und Himmelreich verborgen sind. Aber das Erhabene, das Er-
quickende, das Beglückende im Erkennen, Fühlen, Wollen, alles,
was dem Menschen als heilig gilt, dann beseligende Zufriedenheit,
fernab zu sein vom grofsen Strome der Welt in einem stillen Winkel
des Glücks, die Zauber der Romantik mit allem, was angenehm ist
oder wenigstens so vorgestellt wird, schimmert bei den beiden Namen
immer durch. Daher kommen auch bei der Namengebimg Orte in
Betracht, wo die Sage ihre zarten Fäden spinnt Aus den Namen
Kanzelried, Himmelsbühl, Sonnenbrunnen und Heiligematten,
wie einige Wiesgründe und Zeigen in der Schweiz benannt werden,
schliefsen die dortigen Leute sogar auf einen Tempel, der da ge-
• Für die Freundlichkeit, dafs mir der Herr Gemeindesekretär Frani
Hölzl in die Katsprotokolle der Stadt Hainburg Einsicht gewährte, sei an
dieser iStelie der ihm gebührende Dank abgestattet
Kleinere Mitteilungen. S67
standen haben soll (E. L. Bochholz, Schweixersagen TL, 299). Schliels-
lich lehnt sich alles Grofse, das sittlich Hohe, ausgiebige mathemati-
sche Höhe, das Wunderbare und alles, was in der Seele des Menschen
Staunen hervorruft, mehr oder minder an diese Himmel- und Himmel-
reichbenennungen an.
Wien. Franz Branky.
Zu *N. Fraiin und P. Collenaocio^ Aroh. OXV 22 ff.
Bei Abfassung des obgenannten Artikels habe ich leider eine
Studie von Prof. L. A. Stiefel 'Eine Quelle Niklas Prauns' über-
sehen, die Zs. f. d. PhüoL XXXH 478 — 484 erschienen war. Ich
stelle fest, dafs bereits Prof. Stiefel durch einen genauen Vergleich
von Cynthios Libro della origine delli volgari proyerbii (Kap. 34
Contrasto), CoUenuccios Philotimo und Praun erwiesen hat^ dafs nicht
Cynthio, sondern Collenuccio allein die Quelle Prauns ist
Adolf Hauffen.
Die Lösung des ae. Frosarätsels.
Zu dem Archiv CXV 892 gedruckten Prosaratsel macht mich
Kollege Schick darauf aufmerksam, dafs dasselbe bereits gelöst ist:
der treffliche Dietrich hat es am Schlüsse seines bekannten ersten
Ratsei -Aufsatzes in der Z. /*. d, A. XI 489 f. behandelt Dietrich
meint, das Rätsel habe 'zwei anscheinend verschiedene Teile', da die
'sprechenden Gegenstände' verschieden seien: der Ausdruck min agen
toif weise auf einen Mann, während ie wcbs mines brodör dohtor eine
Frau verlange. Eigentlich zwei Rätsel lägen also vor, deren erstes
mit 'Tag* gelöst werden könne; bei dem zweiten sei offenbar Eva
gemeint Doch fügt Dietrich hinzu: 'Eva könnte auch im ersten
Teile sprechen, wenn man die Begriffe "Vater" für "meiner Mutter
Mann" und "Sohn" für "den mein eigen Weib gebar" einsetzt und
die Verallgemeinerung der Vorstellung des ersten Manns zu Mann
überhaupt annehmen will.'
Ich glaube nun mit Schick, dessen Briefe ich im folgenden mehr-
fach glückliche Formulierungen entnehme, dafs wir nur ein Rätsel
anzunehmen haben, und dafs das Ganze mit 'Eva' zu lösen ist Eva
ist sowohl die Tochter Gottes als auch Adams ^ ( — da aus seiner
Rippe geschaffen — ) und der Erde.^ Adam ist aber zugleich ebenso
Solm Gottes und der Erde; er ist also in zwiefacher Weise auch
* In einem lateinischen Rätsel bei Mone, Anxeiger für Kunde der teut-
aehen Vorxeü VII 49, wird von Evas nuiter maseula (d. i. Adam) ge-
sprochen.
' Man beachte, dafs hierin eine biblische und eine uralte Volks-
anschauung (A. Dietench, MiUter Erde, Leipzig U)05, und G. Schütte, Die
Sehöpfungsaage in Deutschland und im Norden -- Indog. Forsch, XVII
444 ff.) zusammengeflossen sind.
868 Kleinere MitteiluogeD.
Evas Bruder. Weiter ist Eva durch die Jungfrau Maria die Mutter
Christi, d. h. Gottes, geworden.*
Danach dürfte das Rätsel der Hauptsache nach klar sein.
Orel du minne brodor [grülse du meinen Bruder, d. i. Adam], tninre
modor ceorl [?], ßone aeende min ctgen mf [?]. Änd ic 'uxbs mines
brodor dohior [d. h. Adams Tochter]. And ic eom mines f€Bdar modor
geworden [d. h. die Mutter Christi, d. i. Grottes, meines Vaters]. And
mine beam [meine Nachkommen bis auf Maria] syndon geworden
mines fceder modor [d. h. Christi Mutter]. Der letzte Satz liefse sich
mit Schick auch f olgendermafsen deuten : mine beam, d. h. die Men-
schen überhaupt, sind mines fceder modor, nämlich Adams Mutter,
d. h. Erde, Staub geworden; doch möchte ich die erstere, theologische
Deutung mit Rücksicht auf die unten Anm. 1 ausgehobenen Stellen
und namentlich wegen des präteritalen syndon geworden vorziehen.
Zwei Punkte machen noch Schwierigkeiten:
1) Was heifst minre modor ceorl f Da der Ausdruck in Appo-
sition zu Adam steht, kann sich modor wohl nur auf die £rde als
Evas Mutter beziehen. Das Wort ceorl hat im Altenglischen, von
der Grundbedeutung *Mann' ausgehend, sich in zwei Bedeutungß-
Sphären ^ gespalten : a) eine geschlechtliche, im Verhältnis zum Weibe
entweder 'männliches Wesen'' schlechthin oder 'Ehemann' ^ bedeu-
tend, und b) eine rechtlich - ständische, ^ ursprünglich den *Gemein-
freien' schlechthin bezeichnend. Als aber, wie überall, so auch in
England der Stand der Gemeinfreien sich nach der Art und Weise
des Besitzes^ spaltete, wurde ceorl auf die niedrigste Stufe derselben
beschränkt, zu welcher die kleineren Grundeigentümer, namentlich
' Blickling Homilies 89 i^ sagt Eva zu Christus: ßu wasty ߀Bi ßu of
minre dekUr, DrihUn, onwoce, und 'Christ & Satan' 437 heilst es: pu fram
minre dohltor, Drihten, onwoee; auch Mones Anzeiger 1838 Sp. 286 leh ...
ward in meinem weeen an aelayd, das mein sun mein vater foardt,
' Die Bedeutungsscheidungen bei Bosworth-ToUer sind hier, wie so
oft, völlig unbrauchbar. Freilich ist die Bedeutunffslehre überhaupt der
schwächste Teil unserer altengUschen Philologie. In einer von mir ge-
planten Serie von 'Beiträgen zur englisdien Wortlehre' hoffe ich gerade
diesem Punkte erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken.
' Beweisende Belege im Alteuglischen sind selten: mas ceorl Wr.-W.
449 9; dazu ae. ceorl-strang Wr.-W. 108 17, in mittelengliedier Zeit jedoch
taucht diese Bedeutung mehrfach wieder auf.
* Corp. Gl. 2175 uxorius ceorl \ Napier I 5160 maritum ceorl \ Denkspr.
Ezeter 9/ biä his cSol eumen and kyre eeorl to hämy ägen ^tgeofa; Joh.
IV 18 (ed. Bright, Boston 1904) pu n^fdest flf ceorlas, and se-de äu nu
hiffstf nis din ceorl; Joh. IV Iti elypa ßinne ceorl; Cura Past. 405 " gif
hwelc wif forUH hiere ceorl ; 99 12 HabSe . . . alc wif hiere eiorl. [Dazu
Liebermann II 88.] Vgl. auch ae. eeorlian ^einen Mann nehmen, heiratoi'
und eeorUes 'ffattenlos'.
' Belege oei Bosworth-ToUer, Schmidt und demnächst vor allem bei
Liebermann [soeben erschienen].
^ Amira in Pauls Qrtmdrifs III 2 184.
Eleiiiere Mitteilungen. 869
die Hintersassen eines Landherm, ^ sagen wir also etwa die 'Bauern', ^
gehörten.
Welche der beiden Grundbedeutungen ^ paTst nun an unserer
Rätselstelle? Kaum die erstere; denn ich wüfste nicht, wie Adam
der Ehemann von Evas Mutter genannt werden kann. Und minre
modor ceorl mit Dietrich als Kenningar für 'Vater* anzunehmen, will
mir hier wenig passend dünken. Es bliebe also nur die zweite Be-
deutung übrig. Aber mit dem rein ständischen Begriffe 'Gemein-
freier' oder 'Bauer* werden wir hier immer noch nicht auskommen
können: nur wenn sich die ständische Bedeutung auch zu einer Be-
rufsbezeichnung 'Bauer* = 'Landbebauer, Landmann, Ackersmann'
weiterentwickelt hat, wüfste ich an unserer Stelle mit ceorl etwas an-
zufangen. Und tatsächlich ist auch diese Sinn-Nuance nachzuweisen.
Ich finde sie nämlich einmal in den Metren des Boethius XII 27
(wo, ebenso wie in unserem Rätsel, ein Genitiv mit ceorl verbunden
ist): sujorswa hndes ceorl of his cecere lycd yfel weod 'ebenso wie ein
Landmann [so richtig Krämer, Bonner Beiir. VUI 108] schlimmes
Unkraut auszieht', und anderseits in dem Kompositum cecer-ceorl
'agricola', das uns zwar nur durch Somner überliefert» aber kaum
von diesem erfunden ist Ich übersetze also mit Schick minre modor
ceorl 'den Bebauer meiner Mutter, d. i. der Erde'.
2) Schwieriger ist die Deutung des nun folgenden ßone acende
min agen wif. Im allgemeinen ist wieder klar, dafs gemeint sein
mufs: Adams Mutter, d. i. die Erde. Aber wie kann die Erde Evas
(igen loif genannt werden? Für sich betrachtet könnte der Ausdruck
mm agen wif wohl dreierlei bedeuten:
a) 'mein eigen Weib', d. i. 'meine Ehefrau' — sei es, dafs man
ägen als ein das Possessiv verstärkendes Adjektiv^ nimmt, wie in
min agen beam usw., oder dafs man ägen-wif als Kompositum fafst,
wie an. eiginkona, eiginkvän, eiginhüsfrü 'Ehefrau', eigenböndi 'Ehe-
mann'.
* Amira a. a. O. III 2 138.
^ Mit dieeem Heruntersinken als Standesbegriff erhielt das Wort auch
einen pejorativen Nebensinn, der sich namentlich in Ableitungen wie
ceorlise ^bäuerlich > bäuerisch' (z. B. eeorlisc fole 'vulgus uel plebs' Wr.- W.
17U37) und ceorlfolc 'vulgus' (iElfrics Gramm. 300 i») fühlbar macht und
im Neuenglischen ausschlaggebend geworden ist. Die Bedeutung 'Unfreier',
die Grein im Sprachseh, und Kluge im D, etym. Wtb. unter Kerl schon
fürs Altenglische annehmen, erhidt das Wort aber erst, als durch die nor-
mannische Eroberung der sächsische Bauer ziun luifreien Knecht herab-
gedrückt war.
^ Mindestens folgende fünf Bedeutungen wären also für ae. ceorl an-
zusetzen: 1} 'Mann, männliches Wesen', "2) 'Ehemann', 8) 'Gemeinfreier',
4) 'freier Bauer', 5) 'Landmann'.
* Weitere Beispiele (ebenfalls stark flektiert) siehe bei Bosworth-Toller
unter agen sowie bei L. Kellner, Eist, OuÜines of English Syntax, London
1892, § 310.
870 Kleinere IffitteQimgen.
b) Zweitens könnte man ein Kompoeitum aqmwif annehmen,
das mit dem in den Gesetzen belegten ae. ägenfrea 'Eigentümer* < zu-
sammenzuhalten wäre und dann die Bedeutung 'Eigentümerin* haben
müfste. Aber mit dieser Bedeutung, selbst in dem verallgemeinern-
den ^ Sinne von 'Herrin', wülste ich in unserem Zusammenbange
wenig anzufangen, da die Erde doch wohl kaum Evas Besitzerin
oder Herrin genannt werden kann.
o) Eine letzte Möglichkeit wäre endlich, min ägen unf oder, ab
Kompositum aufgefafst» min ägenwif, als 'höriges, leibeigenes Weib,
Sklavin' zu deuten und unsere Stelle mit Schick zu übersetzen 'meine
Dienerin', d. \l 'die mir untertane Erde'. Mein Hauptbedenken hier-
gegen ist nur, dafs wir nicht die geringste Spur habeü, dals das
Adj. agen auf englischem Boden je die Bedeutung 'leibeigen' ent-
wickelt hat^ welche ja für as. egan (nur Genesis 169: ihm egan skalkl
mndd. egen, mndl. eighen, afrs. ein und ahd. eigan (Otfried) freilich
gesichert ist und auch in den Kompositis an. eignarmailtr (nur Karla-
magnussaga: eignarmenn konungs\ mndL eighmman, mhd. eigenman
'Knecht^ Dienstmann' und mhd. eigemotp, eigendiu 'Hörige' zutage
tritt Sachlich würde diese Bedeutung aber sehr wohl passen; denn
von der Erde als 'Dienerin Evas' könnte man insofern sprechen, ah
Jehovah Grenesis I 28 dem ersten Menschenpaare die Weisung gab:
repleie terram ei eubjiciUe eam, ^
Nach allem möchte ich mich für diese letzte Erklärung ent-
scheiden und den ersten Satz also folgendermafsen übersetzen : 'Grüise
du, 0 Wanderer, meinen Bruder, meiner Mutter Bebauer, den meine
Dienerin gebar*.
* Belege: s. B. II Onut 24, 1 und Ine 58, wo drei Ebs. ag&ndfno
mit d lesen. Man möchte deswegen versucht sein, die Form oqm^r^a auf
das auch sonst sicher belegte und gleichbedeutende agendfrta 'Eigentümer',
eine Ziisammensetzung von ae. ägend 'Eigentums' Hh /^^ 'Herr' zurück-
zuführen und lautlich also Verstummen des mittelsten von drei Konso-
nanten (Bfllbrin^ |;> 58H) anzunehmen. Anderseits könnte man aber auch
an Parallelen wie mhd. eigtnherr 'Eigentömer' (Lexer), bayer. aigenhary
aigmfräu 'Be8itzer(in)' (Schmeller I^^ 48| erinnern und von einem jetzt
bei Liebermann II 9 c belegten Subetantivum ägen 'Eigentum' ausgehen,
das einem gt. aiginy an. eiqn^ afrs. ein, as. ^an^ mndd. ^gtn^ ahd. eigon
entspricht Wesen des Nebeneinander von agmfreii und aamdfrea würde
im letzteren Falle auf an. eigumcidr (zu an. eiga 'Eigentum') neben eigan-
diamaär zu verweisen sein.
' Vgl. ae. ögend 'Eigentümer', im weiteren Sinne auch 'Herr'; so z. B.
von Gott gebraucht Elzod. 295 und Beow. 3075.
' Ähnlich die Anschauungen der Kirchenlehrer, z. B. Hilarius (Migne
IX 420): üi ereatis aut uterSur atU dominaretur homo est dectus) Hugo
de 8. Victor (Migne CLXXV 87): Dominari delmü homo omm&t», sed per
peeeatum amisii dominium; Petrus Abaelardus (Migne GLXXVIII 4<0:
Non kominem homini praeponit Deusy sed insensihiHbua tanium vel trratvh
nalibus creaiurisy tä eas ecüieet m poiesUäem aeeipitU; Emaldus (Migne
CLXXXIX \h^4): Dominatio omnium, quae tr> terra est et guae in aquis
euntf homini data est.
Kleinere Mittdlimgen. 371
Nach dieser Losung kann natürlich von Volkstümlichkeit auch
bei diesem Rätsel nicht mehr die Bede sein.
Der Vollständigkeit wegen sei noch erwähnt, dafs das ae. Prosa-
rätsel sowohl von H. F. MaTsmann in Mones Anzeiger für Kunde
des teutschen Mittelalters (1838) Sp. 238 als auch von Orein im
Appendix zur Bibliotfiek der ags. Poesie (1858) Bd. U 8. 410 aus
Wanley abgedruckt worden ist
Würzburg. Max Förster.
Die Aussprache des ne. aw*
Einen neuen Beleg für die Gleichsetzung des ne. au, aw mit
kontinentalem ä, worüber in der letzten Zeit öfters gehandelt ist, ^
finde ich in Alex. Popes (f 1744) Gedichtchen *Phryne* (Olohe Edition
p. 183 unten), wo es V. 7 ff. von der englischen Dirne heifst:
Her leamin^and good breedins such,
Whether thutallan or the Dutdi,
Spaniards or French came to her:
10 To all obligiDg she'd appear:
Twas Si StpnioTj 'twas Yaw Mynheer,
Twas i^tl raus piaist, Monsieur,
Yaw in V. 11 soll offenbar das holländ. ja wiedergeben ; interessant
ist auch der Reim Mynheer : appear, woraus für das letztere Wort
die ältere Aussprache c^)er folgt
Kiel. F. Holthausen.
Etymologien.
1. Ne. reak, reek — aisl. rek.
Ne. reak, reek, schott reüi 'Streich, Possen', nach dem N. E. D.
1575 zuerst belegt jetzt veraltet und meist im Plural gebraucht
scheint mir das aisl. rek n. {<*vrek) 'Unternehmung, Bestrebung* —
auch in af-^ek 'ausgezeichnete Tat*, far-rek *Verdrufs, Verlegenheit',
tor-rek 'Verlust' — zu sein. Das Subst gehört zum Verbum fv)reka
= got uorikan, ae. ujrecan 'treiben' und bedeutet also eigentlich 'Be-
trieb'. Bemerkenswert ist noch die Bedeutung 'aufziehen, hänseln', die
aisl. reka u. a. aufweist weil sie so gut zu der des engl. Subst pafst
Da anlautendes v vor r geschwunden ist, müTste das engl. Wort aus
dem Westnord, entlehnt sein, vgl. BjÖrkman, Zur dialekt, Provenienz
der nord. Lehnwörter im Englischen {Spräkvetenskapl. sällsk. ßrhandl.
1898—1901) S. 22 f. Die Länge des Vokals stammt natürlich aus
den Gas. obl.
2. Ne. to jaunt, jaunee — gr. xäfinr ok
Ne. to jaunt hat nach dem Oxf. Dict, folgende Bedeutungen:
"1) To make (ahorse) prance up and down; to exercise or tire a horse
by riding him up and down. Obs. 2) To prance. Obs. rare. 8) To
^ Zuletzt von W. Hörn, ünterss. xmt ne. Lautgeseh. (Q. F. 98) S. 21 If.
372 Kleinere Mitteilnngen.
carry up and down on a prancing horse; to 'cart abouf in a vehide.
Obs. rare. 4) Of a person: To trot or trudge about (with the Dotion
of ezertion or fatigue); to run to and fro. Obs. or areh, 5) To make
a Bhort journey, trip, or ezcursion; to take a jaunt» now, esp^ for
pleasure." Im lebendigen Grebrauch sind also nur noch die beiden
letzten Bedeutungen. — Dazu gehört das Subst jauni: "1) A fati-
guing or troublesome joumej. 2) An ezcursion, a trip, or joamey,
eap. one taken for pleasure." Das Verbum weist auf ein afrz. *janier
hin, meines Wissens bisher unbelegt^ aber leicht aus gr. xäfinritr
'beugen, biegen, krümmen, einlenken, umlenken, wenden, umkehren*
abzuleiten. Das Lautliche macht keine Schwierigkeiten, da gr. x im
lat Anlaut gern als g erscheint (Schwan-Behrens § 27, 1) und -mpt-
> -n(- wird, vgL coräer < eompfujtare.
Ein aus vulgarlat *garUäre weitergebildetes *gantiäre steckt non
offenbar in dem selteneren jaunee to make (a horse) prance up and
down'; 'to prance as a horse', das bei Palsgrave und Cotgrave als
frz. jancer 'ein Pferd kraftig im Stalle bewegen' bezeugt ist^ woneben
Palsgrave ein auf pikard. norm. *gancer ^ zurückweisendes engl Yer-
bum gaunce (in der Bedeutung von jaunee) anführt^ vgl das Oxf.
Biet. s. V.
8. Ne. rein, frz. rtne.
Afrz. resne, aglnorm. redne, nfrz. r^ne 'Zügel' kann nicht auf
lat reiina beruhen (wie ital. redvna, span. rienda, port redea), sondern
setzt ein vulgarlat *restina voraus, vgL pastinaea > afrz. pasnaüf
cBstimare > afrz. esmer. Dies mag auf verschied)Bne Weise entstanden
sein, da man sowohl an Einflufs von restis 'Seil, Strick' wie von
*adrestcire > afrz. arester 'festhalten' oder von *restinere 'zurückhalten'
(nach aba-'Ünere) denken konnte. — Die afrz. Nebenformen regne,
raigne, rainne, prov. kat regna, auf denen ne. rein beruht^ lassen
sich nur durch Umbildung nach regnum, regnare erklaren. >
KieL F. Holthausen«
* [Pic norm, würde die Form *ganMer lauten.]
' [Für das allerdings rätselhafte * reiina ein *re8Una anzusetzen, ist
wegen afrz. reene, anglon. redne (d. h. reSne) doch nicht nötig: <, 9 sind
die schwankenden Bezeichnungen des postdent. tönenden B;eiMauteB, der
in reSena zur Zeit der Synkope erklang, und der dem völligen Schwand des
Lautes vorangeht d und s alternieren dabei, cf. adne^ ehaidne. In engl
meddle ist der französische Laut (medler) als d festgehalten worden ; in engl.
male ist er geschwunden (afrz. maelej modle). — Regne ist keine Umbil-
dung durch regnare, das bekanntlich im Afrz. trotz gn kein mouilliertes f»
aufweist, und dessen Lautgeschichte selbst unaufedElart ist. Es könnte
sich nur um Angleichung der Schreibung handeln. Visine vermutete
vielmehr Einflufs von *retinare auf regnare schon Z. f. rom. Fyiü. VI, 37y,
und der ist im höchsten Mafse wahrscheinlich, oder besser: afrz. retter,
reni gehören zu rene < * retina, und regnare tritt nur nachträglich als
Lehnwort in die Entwickelung ein. — Die Oraphie gn in Konkurrenz mit
en, dn ist keineswegs regne eigentümlich, cf. wnel etc., und stellt ein all-
gemeineres Lautproolem dar (d. Bomama XV, 618 1). H. M.]
Kleinere Mittttlungen. 373
Beiträge zur Qaellenkunde der me. geistlichen Lyrik.
I.
In Bd. ClXy S. 69 des Archivs hat B. Fehr aus der Hs. Sloane
2593 unter Nr. LXXT ein in kurzen vierzeiligen Strophen geschrie-
benes religiöses Lied mit dem Anfang: Enmy^ Herowde, pu wekkyd
kyng veröffentlicht, das sich schon durch den beigesetzten, allerdings
gra&lich entstellten, lateinischen Urtext als eine Obersetzung zu er-
kennen gibt Der Quelle, damit auch der Erklärung und Verbesse-
rung der geradezu grotesken lat Beilage^ ist F. nicht weiter nach-
gegangen, obwohl sie mit Hilfe der vorzüglichen Register in Dreves'
Ändkcta hymnica nicht eben schwer zu finden war. Es ist der sehr
bekannte und beliebte Hymnus II des Dichters Caelius Sedulius,
und zwar entsprechen die Verse 1 — 16, d.h. die vier ersten Strophen
der me. Übersetzung, den Versen 29 — 36, 41 — 44 und 49->ö2 der
lat Dichtung, die ebenfalls in Vierzeilen verfaist ist, und worin jede
Strophe der Reihe nach mit einem Buchstaben des Alphabetes be-
ginnt Wie aus dem hier unten beigefügten Abdruck zu ersehen ist,
wiurden nur die mit H, I, L und N beginnenden Strophen wieder-
gegeben — vorausgesetzt, daTs wir es mit einer vollständigen Kopie
zu tun haben.
Das Original lautet nach der Ausgabe von Huemer {Oarp. script
eccles, kUin. X) p. 163:
Hostis Herodes imj^ie,
so Christum venire quid times?
Non eripit mortafia
Qui regna dat caelestia.
Ibant magi qua venorant,
Stellam sequentes praeviam;
3ß Lumen requirunt lumine,
Daum fatentur munere.
41 Lavacra puri gurgitis
Caelestis a^us attigit
Peccata qm mundi tulit
Nos abluendo sustulit
*
Noviim genus potentiae:
60 A^uae rubescunt hydriae,
Vmumque iussa fundere
Mutavit unda originem.
Die letzte Strophe {Oloria tibi, domine etc.) ist offenbar eine spätere
Zutat; Huemer gibt sie in den Fufsnoten S. 168 in etwas anderer
Fassung nach mehreren Handschriften, deren Mitteilung nicht lohnt,
weil die engL Übersetzung auf dem beigedruckten lat Texte beruht
Statt (sj com ist natürlich bei Fehr saneto zu lesen!
EieL F. Holthausen.
So hat offenbar die Hs. an Stelle von Eumy,
374 Kleinere liGtteiliiDgeii.
Ein englisches Kinderlied.
In OsterreichiscIi-SchleBien entscheiden die Kinder beim Blinde-
kuhspiel und 'Haschen', wer zuerst die unangenehme Bolle des Blin-
den, bezw. des 'Häschers' zu übernehmen habe, indem das älteste
Kind folgende Worte spricht und bei jedem Wort eines der im Kreise
aufgestellten Mitspielenden berührt; das beim letzten Wort berührte
Kind ist das Opfer. Enze, Denze, Diche, Dache,
Bohne, Enache,
Im, Schim,
Pär, Lein, Paff. Du gehst raus!
In England wird, wie ich aus Mrs. Hope Merricks Einakter Jimmy's
Mother sehe, das gleiche Verfahren beobachtet — mit etwas anderen
Worten: Ena Dena Dma Dust
Bettle o' Wena Wina Wust
Each, Peach, Pear, Plum,
Black Ink, Old Tom. Out goes one.
Czemowitz. L. Kellner.
Das Iiiederbuoh MS. Bawlinson Poet. 185.^
In a note to the second song of the Bawlinson MS. songbook
Herr Bolle says : ^ber diese Melodie (i. e. The Tune of Legonmto)
ist weiter nichts bekannt', and immediately before: 'der Tune of Lego-
ranto ist natürlich mit dem Lacoranto (Nr. XV) identisch.' [Archiv
CXIV, 856.] I belieye I can prove to satisfaction that the tune is
a wellknown one.
One of the favourite dances of the 17^ and 18^ centuries was
the courante {corani, eurrant, corrarU, eouratmt) or coranio {couranio,
choranio, corranto, caranto, caronto, carranto, carranla, curranto), The
name was used both for the step and for the music to which it was
danced, a tune in triple time. There were some varieties of the cou-
rante, such as couranie diminuSe, courante madame, courante roy€de,
(v. Fl. V. Duyse, Het tenstemmig Fransch en Nederlandsch Lied 823,
293, 292.) For the music and further particulars I refer the reader
to ChappelPs Old English Populär Music, Grove's Dictionary of
Music, Land's Luitboek van Thysius, i. v. courante. Also to the New
English Dictionary for numerous examples of the different forms of
the Word. — Another populär dance was the volia which had been
inti'oduced from Italy. Instead of calling it 'the volta', it was invari-
ably named 'the layolta', the Italian article la having been mistaken
for a part of the word. The name took vanous forms in the mouths
of the people: lavalto, la/voUo, lavolt, lovaUo, levcUto, levolio. {Y.N.E.D.
i. V. lavoUa.) The form letxdto occurs in the Badmrgh Baüads (Hind-
ley) II, 170, where A Pleasant BaUad of King Henry the Second is
set to the tune of The French Levalto. In The Knigkt of the Buming
« Archiv CXIV, 326—357,
Kleinere Mitteünngen. 875
I^esiU in, 5, Merrythought ssys: 'Plaj me a light kwoUa'. The name
of the dance was even made into a verb: to lavolia, levali, lavoU.
Perhaps Labcmdala ahoi given as the tune of a song in Robin-
Bon's Ä HandftU of Pleasant Delights, p. 57, is another case in point,
but there can be no doubt that in De Nieuwe LaborS given as tune
to Starter's song beginning Stü, stU een reys (p. 42 of Van Vloten's
edition), labert is corrupted out of la borä {baurS, hourrie, Yalerius
147 La Boree\ a well-known dance, called in England horee, hory;
V. N.E.D. i. y. horee, and Land, Luüboek van Thysvus p. 880, 896;
OudrHoüand I, 109.
There can be little doubt that lacoranto, legorarUo is a corruption
of la eourante influenced by the form coranio, and is on a par with
lavolta and labcri. Cp. lavolta and lavolto.
It is a pity that Dr. Bolle does not teil us whether the text in
the Archiv is a verbatim reprint: we do not know whether such a
form as Iron foseU for Iron to seü (I, 41), sUnking nettle for stinging
neiile (XIV, 70), storkinge for stochinge (XV, 10), waad&n for wooden
(? XV, 58), sheeps for sheepe (ib. 49), lones for Uyues (ib. 104), dmks for
climhe (ib. 122), hanen (ib. 57), carres for iarres (XVII, 2) are printer's
errors, errors of the writer of the songbook, or errors of the transcriber.
Is höre (I, 22) in the MS.? As some of these poems contain very
interesting words it is important to know how far Üie text is reliable.
Medley seems also to have been applied to a danoe consisting
of Steps f^om various dances; N^ 447 of Het ItUtboek van Thysius
(Veertiende Afdeeling: Danswyzen) is Le Medly. There are good
examples of this sort of song in Meirry Drollery, pp. 182 and 888,
each consisting of a number of stanzas written to various tunes, not
merely of 'opening lines^ *refrains', 'proverbs' etc. (Archiv 357.)
For Lord Wüloughhy's March (N» XVI The Garman's Whistle)
I refer to Lord Willoughby^s Welcome home, and for 0 neighbour Ro-
bert to Soet Robb&rtgen in Het Luitboek van Thysius p. 87; to Prins
Bobberts Mars, a tune in Gysbert Japicx, RymUvrye, p. 18, and es-
pecially to Fl. v. Duyse, Het Oude Nederlandsche Lied, pp. 1149 — 54.
Groningen. A. K H. Swaen.
Nachträge zu dem Aufsatz ^Quellen und Komposition
von Eustaohe le Moine', diesen Boman und hauptsächlioh den
*Trubert' betreffend.
(Vgl. Archiv CXIH, S. 66—100.)
1. Eustache le Moine.
Zum Eustache haben wir nur eine kurze Bemerkung nachzu-
tragen : Der verschlagene Held versteckt sich einmal auf einem Baume
und pfeift^ als ob er eine Nachtigall wäre: ,Ochi, ochi/* Der Graf aber
antwortet: *Je l'ocirai par saint Eichier!* (V. 1148). — Dais Eustache
als Vogel dem Grafen entgeht^ ist wohl ein Märchenmotiv. In Grimm s
Märchen findet auf der Flucht Verwandlung in eine Ente slaU
S76 Kleinere Mitteilungen.
(Nr. 51, 56), der Zauberlehrling (Nr. 68) verwandelt sich, wenn er
entkommen will, in einen Vogel.
Das Motiv: Ein Tor hält Tierstimmen oder Naturlaate für
Worte, ist stehend und versagt wohl auch nie seine burleske Wir>
kung. Die Katze macht: 'Miau, Miau', der Edelknabe versteht: 'Durch-
aus, durchaus nicht' (Grimms Märchen Nr. 70). Der ins Wasser
Fallende macht 'Plump', die anderen verstehen 'Kommt!' und fal-
len auch hinein (Nr. 61). Weitere Auslegung von Tierstimmen fin-
den wir in den Märchen 21, 24, 27, 47, 105, 171 u. a. m.
Ein weiteres Motiv der Robin Hood-Baüaden und des Eustaeke,
die Heiligkeit der Mahlesgemeinschaft^ vor der sogar der OutJaw sich
beugt^ findet eine hübsche Parallele in der orientalischen. Literatar,
die ich, obgleich nur Verwandschaft der Anschauungen vorliegt, den-
noch dem Leser nicht vorenthalten möchte.
In der Bibliographie arabe Chauvins ist eine Erzählung ana-
lysiert» die sich in 1001 Nacht beHndet und die von einem Diebe
folgendes erzählt (Bd. VI, S. 195):
'ün mancßuvre, poussi par la misire, se Joint d des voleurs ei
pSnetre avee eux dans le irSsor du rot. Ayant tottchS de la langtie un
moreeau de sei qu^il voit briUer eomme un joyau, il se considere comfne
rhote du sfdtan et obtieni de ses complices qu'ils laisseni iout IcL'
Ahnlich erzählt Lafcadio Hearn in jSro^o(1905) aus Japan:
'£^ gibt eine Geschichte, die von dem berühmten Räuber Ishikawa
Goemon erzählt» dieser sei bei dem nächtlichen Einbruch in einem
Hause vor dem Lächeln eines Kindes, das ihm sein Händchen ent-
gegenstreckte, so bezaubert gewesen, daCs er sein verbrecherisches
Vorhaben völlig vergab.' —
Dem Stande entsprechend, dem die Erzähler* und Zuhörerkreise
orientalischer Märchen angehören, nämlich dem Kaufmannsstande,
haben diese Märchen naturgemäis ganz andere Vorstellungen, wie
solche der Landbewohner. So finden wir auch hier, im Gegensatz
zu Eustache und Robin Hood, den Stadtdieb, den Einbrecher, eine
Figur, die im orientalischen Märchen nicht weniger beliebt ist^ als
der Strauchdieb im germanischen. Davon zeugt Chauvins Samm-
lung in der Bibliographie arabe Band VII, S. 184 Les voleurs mit
84 Nummern und dem Verweis auf 45 andere zerstreute Erzählungen.
Von den kulturellen Unterschieden zwischen Räubern und
Dieben abgesehen, finden wir, den angeführten Erzählungen nach,
dieselbe Anschauung von der Heiligkeit der Mahlesgemeinschaft in
Orient wie Okzident
2. Die Quelle des THibert.
Fast gleichzeitig mit unseren Ausführungen über Eustache und
Trubert erschien eine Neuausgabe dieses von Jakob UlricL^ Es
* Truberty afrz. Schelmenroman des Douin de Lavesne, GeseUsch. f.
roman. Lit., Bd. 4. 1904.
Kleinere Mittelungen. 377
ist dem Herausgeber gelungen, ein Märchen in mehreren modernen
Versionen beizubringen, von dem der Verfasser des Trubert, Douin
de Lavesne, Kenntnis gehabt und das er in seiner Wdse verwandt
hat, ein Zusammenhang, den bereits R. Köhler vermutete {Ztschr. f.
Rom. Phil. VI, 483). Dieses Märchen hat ungefähr folgenden Inhalt:
Ein Bauernbursche (Sohn einer Waschfrau u. dergl.) wird bei Ver-
kauf eines Huhns (Schweins etc.) von einem Räuber betrogen. Um
sich zu rächen, verkleidet er sich als Mädchen, erweckt die Begierde
des Räubers, veranlafst diesen, den Gebrauch eines Galgens zu de-
monstrieren und bindet ihn daran fest Dann prügelt das vermeint-
liche Mädchen den Räuber, sagt^ wer er sei und wofür die Prügel
seien, und macht sich aus dem Staube.
Hierauf verkleidet er sich als Arzt, wird zu dem von den Prü-
geln kranken Räuber geschickt^ und die Kur endet abermals mit
Prügel und Offenbarung.
Während nun statt eines dritten Auszuges die von Ulrich er-
zählte französische Version (S. XVI ff.) den Rachsüchtigen mit einer
Geldsumme befriedigen läfst^ übernimmt in der sizilianischen Version
(S. XI ff.) der Peiniger als Strafsenkehrer verkleidet den Transport
des schwerkranken geprügelten Räubers ins Hospital (I ?), nimmt ihm
unterwegs alles Geld ab, worauf neue Prügel und Offenbarung. Beide
Märchen scheinen mir in diesem letzten Zuge unursprünglich zu sein.
Ulrich nimmt nun im zweiten Abschnitt seiner Einleitung dieses
Märchen, wie es da ist^ als Quelle des Trvhert und bespricht die Ab-
weichungen des letzteren:
Dafs im Gegensatz zum Märchen Trubert einem Herzog gegen-
übergestellt wird, erscheint Ulrich nicht symptomatisch: 'Wie man
sich in den Fabliaux so oft über Bauern, Bürger und F^faffen lustig
macht, muis hier zur Abwechslung einmal — in Anlehnung an Mär-
chenmotive — eine Familie aus der ritterlichen Gesellschaft her-
halten.' — Ich glaube wohl, dafs die Verteilung der Rollen im Tnj^
hert, der Waldbewohner als unerbittlicher Verfolger des Fürsten, wie
ich in meinem Aufsatz S. 86 und 90 angegeben, einem Ouilawtomsji
nachgebildet ist
Für den seltsamen Handel mit dem Herzog, von dem Trubert
als Gegengabe für seine bemalte Ziege vier Haare von einem gewis-
sen Körperteile verlangte, ihn aber, statt diese auszureifsen, tief in
das Fleisch stach, wufste ich seinerzeit keine Analoga zu nennen.
Ulrich bringt als treffende Parallele ein modernes Märchen aus der
Basse-Bretagne bei, in welcher ein Bursche seine silberne Pfeife um
Hrois cotips d^aiine que je votis dormerai dans le derriire' zu verkaufen
bereit ist (S. XX). Im Tnibert ist das Motiv aber dadurch kompli-
ziert, dafs sich der Schelm vier Haare ausbedingt. Dieses Aus-
reilsen von Haaren aus Bart oder Haupthaar oder von Zähnen ist
ebenfalls ein Märchenmotiv. Wir beobachteten es im Oaufrey und
warfen auch einen Blick auf Huon im Archiv CXI, S. 332 ff. Und
ArcliiT t. n. Sprachen. CXVl. 25
S78 Eleinei« Mittoilungen.
ftuch hier war die Zahl vier eine typische, durch die Sanune «ner
«railen Abgabe bedingt^ so dafe die Quelle dieser vier Haare fest-
steht Dafs die Haare Tom Hinterteile genommen werden,
ist ein weiteres typisches Beispiel für die absichtliche
Trayestierung ernsthafter Motive, die den Trubert aus-
zeichnet
Ebenso ist aufsuf assen, wenn Trubert als Trophäen von seinem
angeblichen Kriegszug gewisse Teile eines Frauenzimmers mitbringt
Ulrich bringt hierzu (8. XXITT u.) eine, wie er selbst gesteht, nicht
ganz passende Parallele. Es ist aber nur dieselbe Art der Travestie-
rung wie vorhin. Der Märchenheld bringt als Trophäen stereotyp
die Zunge des Drachen oder den Kopf des Riesen mit Trub^
mh& den angeblichen Mund und Schnurrbart des Königs, die aber
in Wirklichkeit ganz etwas anderes sind.
Dieser Auszug Truberts nebst seinen vermeintlichen Helden-
taten, dem im Märchen nichts entspricht» fand eine Parallele in
Ber^ngier au long cul (mein Aufsatz 6. 89), während Ulrich eine tref-
fende Parallele aus Hindu- und mongolischen Märchen beibringt
(a xxni).
Truberts Beziehungen zur Herzogin sind wohl aus der Fabliaux-
Uteratur (Dreilager; mein Aufsatz S. 88) besser erklärt als wie Ulrich
es tut» mit Heranziehung italienischer Novelle und eines Zigeuner-
märehens.
Für die weiteren Züge vergleiche man folgende Angaben:
1. Trubert tauscht mit dem Neffen des Herzogs Klei-
der, der dann statt seiner gehängt wird (S. 88, Hinweis auf
Outlawromsjie); Ulrich 8. XXIV, Das siebenbürgische Märchen
vom dummen Hans.
2. Trubert verführt, als Mädchen verkleidet, die Her-
zogstochter (S. 89; S. XX Vn. Ulrich hat seither den Zusammen-
hang mit Fabliaux ebenfalls erkannt: Born, Forschungen XIX, 682).
8. Die Tochter ist vom heiligen Geist schwanger (S. 89;
8. XXVIH).
4. Die Travestierung des Märchens von der unterge-
schobenen Braut (8. 90; 8. XXIX).
Ulrich ist es hier gelungen, eine genau entsprechende Parallele
aus den 8treichen des ^rumänischen Eulenspiegels' Bacala oder Pacala
beizubringen: Grenau so wie im Drubert läist sich der Rumäne einen
Faden ans Bein binden und macht sich drau6en los. Es scheint
mir zweifelhaft, ob man auf Grund des einen rumänischen Märchens
dieses, d. h. eine Version desselben, als Quelle Truberts ansehen darf
und ob die Titivestierung nicht eben Trvbeirt zukommt Freilich
müfsten wir dann annehmen, dais aus unserem Gedichte die Schwank-
litemtur geschöpft hat und diese Episode bis nach Rumänien drang,
und das ist durchaus nicht immöglich. Die einzelnen Elemente der
Szene finden sich übrigens auch sonst: Derselbe Verwand, unter dem
Eignere BfltteilimgeQ. 879
sich Trubert entfernt (2877), findet sich in einer Version dieses
Märchens, in dem franko-italienischen Gedichte von Berta le li gran
Pü (BomatUa, Bd. UI):
854 'A le matin quant el avera soner,
E eo me levarö si oomo a ori[D]er;
Enlora por^ en le Idto entrer.'
Wie dieses Mittel Trubert ermöglicht, ein wirkliches Mädchen
ins Bett zu schmuggeln, so gibt es der richtigen Berta Gelegenheit,
die Umarmung des Königs noch hinauszuschieben, indem sie an ihrer
Stelle eine Magd ins Bett läiat, die aber dann als die falsche Berta
diesen Platz behält
Zu dem Motiv, dafs der brünstige Ehemann die vermeintliche
Gattin an einen Faden bindet, damit sie sich nicht entfernen könne,
schrieb ich damals (8. 90): 'Auch das Anbinden am Strick ist nicht
ohne Vorbilder.' Seitha: habe ich ein älteres Beispiel dafür wieder-
gefunden: Es steht in einer Erzählung aus 1001 Nacht» Der Kadi
und die Kaufmannatochter, in der sich ein Mädchen vor dem Vezir
auf gleiche Weise rettet V. Chauvin erzählt in seiner uns so wert-
vollen Bibliographie arabe, die uns sogleich noch beschäftigen wird,
die Szene folgendermafsen (Bd. VI, S. 159):
Le vixir veut la säduire, et dans ce but, tue suocessivement les
troie enfants; menacde eUe-fneme de mort, eile feint de consentir
et obtient de sortir un instant, une eorde attachSe d la
main: eile la dSnoue, la lie d un arbre et s'enfuit,*
Man sieht im Trubert abermals, wie ein ganz ernsthaftes Moüv,
burlesk gefafst» also travestiert wurde.
Es hat von selten Ulrichs keine Besprechung erfahren: Das
Mittel, mit dem der Schelm, als Frau verkleidet, den Räuber (Metz-
ger) veranlaTst, seinen Kopf durch die Schlinge zu stecken, eine Epi-
sode, die dem Märchen ureigen ist» da sie durch okzidentale und
orientalische Version (s. unten) gebunden ist Ahnlich lälst in Han-
sel und Oretel sich das Mädchen von der Hexe vormachen, wie man
den Kopf in den Backofen steckt» und schiebt sie dann hinein (Grimm
Nr. 15). Ähnlich lälst im Trubert der Held als Baumeister den
Herzog einen Baum ausmessen, bindet ihn daran fest, worauf, wie
stets, Prügel und Offenbarung folgen.
Gleich drei solcher ^Mittel, um jemand zu binden', bringt das
Märchen vom tuunderlichen Spielmann (Grimm Nr. 8). Der Wolf will
fiedeln lernen. Daraufhin fordert ihn der Spielmann auf, seine eine
Pfote in einen hohlen Baum zu legen, und keilt diese mit einem Stein
dort fest Dem Fuchs ergeht es nicht besser. Er muis sich mit bei-
den Pfoten an heruntergebogene Haselnufsbäume binden lassen und
wird in die Höhe gesdbnellt - Der Hase (der wohl ein gefähr-
licheres Tier erst sekundär vertritt) wird an den Baum gebunden
25 ♦
380 Kleinesre Mitteilungen.
und muls zwanzigmal herumrennen, dalk er sich nicht mehr rühren
kann.
So ist zu vermuten, dafs der Volkserzahlung noch eine ganze
Reihe solcher ingeniösen Mittel zur Verfügung stehen.
Von dem Märchen, das Ulrich als Quelle Truberis beibrachte,
befindet sich eine weitere, von den bekannten unserem Gedicht am
nächsten stehende Version in 1001 Nacht
Ich fand dieses für uns wichtige Märchen wiederum durch Ver-
mittelung von Chauvins wertvoller Bibliographie. Dort finden wir
im VU. Bande unter den Rauher- und Diebserzählungen auch die
folgende: 430^ __ Histoire du premier filou,'
Un jeune orphelin veut vendre un veau; mais les quarante bouchers
de la Corporation s'entendent pour lui dire qua c'est une ch^vre et lui en
donner un prix d^isoire. II Pacoepte cepenaant pourvu qu'on lui remette
aussi la queue du veau.
B^BOiu ä 8« venger, il en fait un fouet V^tu en femme, il va trou-
ver le chef de la corporatioii, chez qui les bouchers festoyaieot en man-
feant le yeau ; 11 lui plalt et, rest^ Beul avec lui, il Tam^ne ä se suspendre
la corde oü il pend lea animauz et le bat sana piti^; puls il part, lui
enlevant de i'argent et des objets pr^ieux.
Les bouchers m^nent leur chef au bain pour le gu^rir; le filou ^e
couvie de sang, se fait aussi admettre au bain, bat de nouveau le boucber
et fuit par une autre issue.
On conduit le boucher k la campagne; un b^ouin, aux gages du filon,
vient crier que c'est lui qui Pa battu et attire ä sa poursuite les bouchers
qui veillent sur lui: le fflou bat de nouveau son ennemi et le d^pouille.
Le boucher demande alors qu'on feigne de l'enterrer pour que son per-
s^cuteur, le croyant mort, le laisse en paix. Pendant qu'on le porte, le
filou lui donne un cou^ qui le ressuscite.
Puis le filou se retire dane la cayerne oü le sultan vient le trouTer.
Le sultan le gracie.
In der Anlage haben wir also eine gleiche Erzählung wie 7Vu-
bert: Ein Bursche hat gegen eine Person einen besonderen Hals,
zieht zu verschiedenen Malen verkleidet aus, und es gelingt ihm jedes-
mal, den Gehafsten gehörig zu verprügeln.
Dafs es sich um eine weitere Version des von Ulrich beige-
brachten Schelmenmärchens handelt» ist sofort ersichtlich. Der erste
Auszug als Mädchen stimmt Zug um Zug zu den okzidentalen Re-
daktionen. Der zweite Auszug ist in 1001 Nacht offenbar verderbt,
hier ist die Rolle des Arztes durch okzidentale Versionen und Tru-
hert gesichert Das Prügeln des blindlings Verfolgenden hat in un-
seren Versionen keine Parallele, die Wiedererweckung des angeblich
Toten ebenfalls nicht, ist aber zweifellos der beste und volkstüm-
lichste Schluls von allen. Das Zusammenhalten einer Zunft zwecks
Betrügen eines anderen hat im Eulenspiegel Parallelen. Was für
uns besonders wichtig ist, wäre: Im orientalischen Märchen verkauft
* Hennings Ausgabe in Beelams Universalbibliotkek, XXIII, 213.
Kleinere lißtteilimgen. 381
der Schelm ein Kalb um den Preis einer Ziege ... im Trubert
ein Kalb, um dessen Erlös er eine Ziege einhandelt Diese
Ziege bemalt der Schalk und kommt mit derselben zum Herzog, der
von nun ab das Objekt der Rache wird, obgleich nach allen Ver-
sionen hierzu deijenige dienen sollte, welcher das Tier unter dem
Preis oder umsonst gekauft, d. h. der macecrier (84) des Herzogs.
Diese Auseinanderzerrung ist dafür beweisend, dafs die Quelle
des Trubert denselben Eingang hatte wie das orientalische Märchen:
Der Held verkauft ein Kalb (= 1001 Nacht, Trubert\ der Metzger
(= 1001 Nacht, Trubert 84) macht ihm weife, es sei eine Ziege (=: 1001
Nacht; vgl. Trubert 46 fl) und kauft das Tier unter dem Preis (1001
Nacht^ Trubert 41). Gegen diesen betrügerischen Käufer wendet sich
von nun ab des Schelmen Rache (1001 Nacht; okzidentale Märchen).
Der Dichter des Trubert kannte also eine einfache Erzählung
im Stile derer, die wir aus 1001 Nacht beibrachten und von der
noch moderne Versionen umlaufen (Ulrich). Er entwickelte dieselbe
in freier Weise, indem er die Gestalt des Helden nach den Vorbil-
dern der Outlaws seiner Heimat umgestaltete, ihn in den Wald
versetzte und einem Fürsten gegenüberstellte. Hierdurch wurde der
ursprünglich einfache Anfang unklar. Das als Ziege verkaufte Kalb
wurde zu einer Ziege, die für den zu geringen Erlös eines Kalbes
eingehandelt worden war. Der ursprüngliche Grund des Hasses, der
Betrug des Käufers, blieb stehen, aber ohne Zweck, während es dem
Verfasser nicht gelang, einen neuen Grund des Hasses gegen den
Herzog zu erfinden (vgl. S. 86 meines Aufsatzes u., wo, ohne die
Quelle zu kennen, das Auffallende hiervon gezeigt wurde, ohne da(s
der richtige Grund angegeben werden konnte).
Von hier ab hielt sich der Dichter des Trubert nur in etwas an
seine Quelle, entwickelte die 'Verprügelung des festgebundenen' und
'diejenige des kranken Gegners' in eigener Weise, unter steter Be-
nutzung von Motiven aus der Fabliauxliteratur und interessanter
Travestierung von Märchenzügen. Erfand Truberts Rolle als Krie-
ger (4. Auszug) und entwickelte aus der auch schon in der Vorlage
enthaltenen 'Verkleidung des Filou als Frau' die lange, besonders
ergötzliche Travestierung des Märchens 'von der untergeschobenen
Braut', verquickt mit dem Märchen *von dem Freier in Weiber-
kleidern', in deren Mitte die Schilderung leider abbricht
Wir können also unsere Studien über Trubert nun als vollends
beendigt betrachten. Die Entdeckung der Quelle seitens Ulrichs und
Interpretierung der letzten noch nicht erläuterten Züge hat uns in
den Stand gesetzt, das Verfahren seines Dichters hell zu beleuchten
und das Wesen des ganzen für seine Zeit hochbedeutsamen Gedicht-
chens klar zu erkennen.
München. Leo Jordan.
982 Kleinere Mitteilungen.
Der Infinitiv als yoranstehendes Subjekt.
Die Orammatiken weisen fOr daB Neufranzösische bisher nur
Beispiele auf für den nachgestellten Infinitiv mit de, Dais die Prä-
position de be^nnt, sich sogar dem voranstehenden Subjektsinfinitiv
aufzudrängen, und dafs nach ü lui fui pSnible de mentir ein de meniir
lui fut pSnible sich einzubürgern anfangt, dafür mögen die folgenden,
aus einer gröfseren Zahl ausgewählten Bel^e einen Beweis liefern:
Aus Bourgets Le Divorce:
De reeommeneer ä fnenür lui fut si pSnible qu'ü pranon^ eette phra»e
avee um impaiimU brusquene (p. 237).
I>e raeofUer ä qui que ee fOi eette douUmreuee histoire Im a M frtyp
pimble (p. 884).
JDeTapprmdrB Vaipoü rempli tPune eoHre tronsformie en indignation
(p. 280).
De dSeouvrir pte eetie äme de femtne n'itaü plus tout efUüre ä lui . . .
le eeeouaü d^un fnsson de rivoUe et de douleur (p. 255).
De ee reeoir apr^ e*Ure quiUie eur un muliame ei eharg€ de pauea
aeive ehex eux Vangoieee de seneibüiU (n. 263).
D'avoir aeeisie aute demiere jours ae eon phre, d^Üre alU ensuiie dam
ee eoin de provinee d*aü sortait leur lignSe, d'avoir vSeu eeUe eemaine entiht
atee dee pareiUe et parmi lee eaueenire du morty avaii eueeüi ehez le jeune
komme des peneSee et dee eetUiments bien diffSrmte de eeux et de eeux qu'ü
aeait eus autrefoiSf et de eeux meme dofU Vidat avait rempli eette piiee (p. 329).
Aus Bourgets L'Eau Profonde:
Le dieeaurs intSrieur enveloppait un de eee redoutoblee eeerete eomme la
pie SUganie en ea6ke tont eaut eee riiee frivehe. De ee le prononeer avaü
mie du rose aux joues (Fordinaire trop^ pdies de la jeune femme (p. 13).
De constater, ä de ir^ petits inaices, eomme eeux-läy que son aventwr
avec ie mari de sa eausine aaü soupponnSe^ Firritait Un^ours (p. 44).
De sctsoir que lee deux eompUees n'avaient pas ea%ei eette opporttmüe
d'une rentrie l'un aeee l'autre suspendait, pour quelques instante, la erite
de douleur morale qu'elle subissait depuis la veille (p. 94).
D^Svoquer seulement la Silhouette SlSaante de sa femme dans un pareü
dieor lui parut une teile absurdiU qu*ü haussa les fyaules.
Aus Bourgets Le Fantöme:
Et d'y entrer me fait si mal que je n'y vais jms six fois Fan! (p. 102^.
Si AfUoinette pouvait reeeeoir encore quelque joie dans ee pays de tStemel
oubli oü eile est entrie, de sentir eombien eile me reste rieante ne hn serait-
il pas une doueeur? (p. 121).
Je sais eela, et de le sopoir est pour moi eomme un jugement en effet^
eomme une eondamnation (p. 220).
Aus Bourgets CEJuvres eompUies, Romans I:
Si eüe aeait oublU sa bourse? Non, eile aeait 40 franes en petites
pi^s de 10 franes. Tant pis, eile en donnerait une ä V komme, ear d^at-
tendre de la monnaie sur le trottoir, eile ne le pourrait posVp, 182).
De e^itre lee^ si tot Vavait d^ SpuisSe pour tout le jour (Vojageuses 1,
CosmopoliB 1896, p. 407).
Aus Bourgets (Euvres compleiee, Bomans U:
Mais pourquoi, de roir ee vieux beau parier familih'emenl ä Suzanne,
ä demi retourrUe et qui s'^ventaitt fit-il du mal ä Reni, tant de mal quü
se reiüra brusquement du eoulour? (p. 215).
Kleinere Mitteilungen. 388
Hilcisf d'avoir causS avee Morainea lui avait suffi pour le jeter de
nouveau dans l^pire aHme du doute (p. 226).
II avait 8(n*ffert, et ü savaü que de erier sa souffranee ^oulage (p. 242).
Mais de aire au jeune komme ce qu'elle avadt fait, eUe le remettaü
d'heure en heure, ineapcile maintenant de braver sa eoUre (p. 267).
Ib. Romans HE:
EUe sentit que de laisser ainsi tomber la phrase ttmoeente du petit
garpcn me ferait mal (p. 186).
Ib. Romans IV:
II lui avait semblS que de se retirer ainsi eonsiiiuait um honteux aveu,
une lache disertion et eile äaü resti (p. 150).
Aus Doumic, J^Grivains d^aujourd'kui:
De savoir qu'il y a des gens qui sauffrent, eela doit sufßre pour que
nous formions le projet de n*Ure jamais oastse de cette souffranee t^ux autrui,
mais de la soulager partout oü nous la reneontrerons (p. 20).
D'ilre dSsenehante, e'est lä encore une supirioriti morcUe: e'est siane
qu*on s'itait fait de la vie une eoneeption releiSe et qu'on avait un ideal ^
(p. 29).
Herr Prof. Morf stellt mir aus Bruneti^re (Art Lafontaine in
der Orande EncyeU>p6die) das Beispiel zur Verfügung:
De dire qu'il l'est par le den de Veaopression pittoresque, oe n'en serait
rien dire que Ton ne saehe ....
und ebenso aus N. Faret^ Uhonmte komme, Paris 1687, p. 5:
Mais de s' aller figurer que mes avis le puissent mettre au dessus de la
roue de Fortune .... e'est une proposition irop ridicule pour tomber en un
sens raisonnabk.
Wie alt übrigens die Neigung des Infinitivs ist^ ein de vor sich
zu nehmen, das zeigt und erklärt Tobler in seinen VermisMen Bei-
trägen I, 11 u. 217.
* Ganz anders geartet, aber interessant durch die Stellung des adver-
bialen Infinitivs sind folgende Beispiele aus A.natole France, CrainquebiUe :
De la vair acketer des choux au petit Martin, un aale coco, %vn pae grand*
ehoae, il en avait requ un coup dans Vestomae.
Et il se vit lui-meme assis sur un sthge SlevS, comme si de parattre devant
des Magistrats Vaecusi lui-meme en recevaU un funeste honneur (p. 6).
Oharlottenburg. H. Engel.
Beiurteilimgpen nnd knrze Anzeigren.
W. Meyer-Rinteln, Die SchopfuDg der Sprache. Leipzig, GruDow,
1906. XIV, 256 S.
Wieder eine jener unglückseligen 'Entdeckungen', bei denen mils-
brauchter FleiTs und verirrter Scharfsinn jeder methodischen Schulung
sorgfältig ausweichen. Von den b58en Orts- und besonders FlufSsnamen
ffeht das ünglOck aus, wie so oft; sie haben von V. Jacobis traurig-
berühmten binden Hessen an bis zu Th. Lohmevers Eauptaeseixen der
germanischen Flufsnamengesetxgebung gar zu häune die wildesten Ety-
mologien ermutigt. *Alles ist im Flusse': dieselbe Wurzel erscheint nicht
nur als gel, aer^ gem^ gen, sondern auch als geo (8. 97) ; und da stellt sich
denn auch der selige Doppelsinn der ürworte C. Abels ein: v{y.r; ist ganz
eins mit vlci (8. 98). Der Strom erweitert sich dann furder noch zu gephy
?^eehj geth (8. 124) — kdn Wunder, wenn dieselbe Wurzel in mhd. tra/,
at. Lemures und lat. rnorior (ebd.) auftreten darf. 'In jeder Wurzel kön-
nen alle Konsonanten spirantischer Natur beliebig miteinander wechseln'
(S. 146). Lat. nortare ist in umgelagerter Form got. draaan (S. 161), rigoTf
gelu, aigor sind (S. 160) ungefähr dasselbe. Alles kann alles oedeuten (ygl.
z. B. 8. 212 über 'Wurzeln mit dem generellen Bedeutungsinhalt ''flierseo"^),
und so haben wir denn (S. 221) Alster, Ulster, Inster, Amstel, Vispel,
Mulde, Moldau, Fulda, Brigach, Precel, Warte, Trave 'fast mit mathe-
matischer Sicherheit bestimmen können , obgleich nicht recht zu erklären ist,
weshalb jede dieser 'zahllosen Möglichkeiten' (S. 228) gewählt wurde. Die
unerklärliche Verteilung der Formen (8. 201) ermächtigt uns, von jeder
Systematisierung im Sinne der bisherigen Etymologie abzusehen ; und dieser
Rückfall in die wildeste Zeit des Wurzelratens bedingt (S. 251) eine 'Be-
volution der Denkart', wie Kant und Galilei sie herbeiführten.
Berlin. Bichard M. Meyer.
Spruchwörterbuch, herausgegeben von Franz Freiherm von Lipperheide.
Berlin W. 35, Expedition des Spruchwörterbuches. Lieferung 1 bis 4;
erscheint in 20 monatlichen Lieferungen, je drei Bogen umfassend, zu
M. 0,60, G^amtpreis M. 12.
Der auf dem Gebiete der Kostümkunde als Sammler und Forscher
hochverdiente Verfasser hat in langjähriger Arbeit und Fürsorge ein eigen-
artiges Werk zustande gebracht, das ihn auf einem ganz anderen, noch
nicht genügend bestellten, aber reichen Ertrag verheiisenden Ackerlande
als rüstigen Vorarbeiter zeigt. Wir hatten bisher internationale, nationale
und stammliche Sprich wörterlexika, und daneben mehr oder minder reich-
haltige Zitatensammlungen, wie das Büchmannsche Werk Geflügelte Worte,
die nebenher auch das Volkstümliche berücksichtigen. Aber die bisherigen
Sammler waren doch nicht von der auf den ersten Blick befremdeDoeo,
und dennoch, wie sich zeigen wird, auf einem ganz richtigen Gefühl
BeurtdluDgen und kurze Anzeigen. 885
beruhenden Abeicht ausgeffangen, volkstümliche und rein individuelle
Sprichwörter, 'Sprüche' und Aussprüche in einer lexikalischen Sammlung
zu vereinigen, d. h. möglichst alles, was 'einen selbständigen Gedanken
trägt, der möglichst knapp und sinnvoll, gebunden oder ungebunden, all-
gemeine Wahrheiten irgendwelcher Art aus den verschiedensten Gebieten
menschlicher Lebensweisheit verkündet' Das Riesenwerk, dessen Anfang
vorliegt und das im ganzen etwa 30000 Stellen bringen wird, beruht auf
der gemeinsamen Arbeit einer kleinen Schar von treu - fleiisi^n Gehilfen.
Der Herausgeber nennt als Sammler der deutschen und ^echischen Zitate
W. Queckenstedt, der lateinischen H. Grau, der italienischen C. Pozzoni,
der französischen £. Zimmermann, der englischen J. Drabig. Die aus-
ländischen Beiträge umfassen insgesamt nur ein Sechstel des ganzen Wer-
kes, weil es dem Verfasser nicht sosehr darauf ankam, ein ethnologisches,
als ein nationales Werk zu schaffen und er darum vor allem dasjenige
berücksichtigen wollte, was aus fremden Sprachen Hausrecht bei uns er-
langt hat. Das ist nun ein relativer Begriff, und solange uns nicht zahlen-
mäfsig nachgewiesen werden kann, wo und wie oft ein Wort zitiert wird,
läfst sich das 'Hausrecht' nicht bescheinigen; eben deshalb wird man die
Fülle des Gebotenen um so dankbarer begrüfsen, zumal damit ein reiches
Vergleichsmaterial dargeboten wird. Dafs dabei das Mafs des Aufgenom-
menen durchaus von dem subjektiven Ermessen des jeweils verantwort-
lichen Mitarbeiters abhängt, liegt auf der Hand und läfst sich nicht
ändern. Die direkten und Hauptquellen sind, soweit sich das bis jetzt
übersehen läfst, sorgfältig ausgeschöpft, und wer wollte die indirekten alle
übersehen, die oft für ganz bestimmte Kreise sehr bedeutsam werden?
Z. B. hat der verdienstvolle Be^ünder des deutschen Gymnasiums zu
Madrid, der verstorbene Fritz Fliedner, in seinen zahllosen, von echter
Popularität getragenen und mit reichem Humor durch würzten Schriften
und Predigten manches spanische Sprichwort in orinneller Verdeutschung
zu wahrhaft geflügelten Worten umgeprägt, die sich weithin eingebürgert
haben. Z. B.: 'Wenn deine Frau dir sagt: du springst vom Dache, so
bitte Gott nur, dafs er's niedrig mache.' Auf solche Quellen aber wird
mancher besser achten lernen, der ein Werk wie dieses ausgiebig benutzt
und dadurch sein Ohr für die epigrammatische, satirische usw. Prägung
der Gedanken geschärft hat
Die Zitate selbst sind möglichst genau nach den Quellen, die aus-
ländischen zum gröfseren Teile deutsch und in der Ursprache wieder-
gegeben. Die Quellen selbst werden genannt und zeitlich fixiert, soweit
das irgend möglich ist. Innerhalb der einzelnen Artikel sind die Belege
chronologisch geordnet; am Schlufs werden die anonymen Produkte zu-
sammengestellt. Nun ist aber zwischen Sprichwort und individuellem
Spruch nicht immer leicht zu scheiden, so wenig wie zwischen Volksliedern
und volkstümlichen Kunstliedern, und eerade in Sprichwörtern wird recht
viel 'fabriziert'; obwohl wir nun den Bearbeitern des Werkes nach den
vorliegenden Proben gern zutrauen wollen und dürfen, dafs sie ihre Quellen
nicht olois mit Fleifs, sondern auch mit Kritik benutzt und ausgeschöpft
haben, müssen wir doch gestehen, dafs uns als Philologen die blofse Be-
zeichnung 'Spridiwort' nicht immer genügt, und die vieldeutige Angabe
'Alter Spruen' noch weniger helfen kann. P^s dürfte gut sein, ein ge-
naueres Verzeichnis der benutzten Lexika, Sammlungen usw. zu veröffent-
lichen und für die Sprüche die jeweils älteste, von den Mitarbeitern er-
mittelte Belegstelle zu notieren. Erst dann würde das Werk im vollen
Umfange der Wissenschaft dienstbar gemacht werden können.
Denn daran hat der Herausgeber doch wohl vor allem gedacht, der
Forschung ein möglichst reiches Kapital an die Hand zu ^ebcn, mit dem
sie wuchern kann, und dieser Erfolg dürfte nicht ausbleiben. Ist doch
gerade in diesen letzten Jahren die '^hlagwortforschung' zu einem eigenen
t)86 BearteQangen und kune AnMigvi.
Spcrialfach geworden, in deasea DienBt sich u. a. £[lHgOB ZeiiUekrifi für
ditä8ch€ WcSrtfarsehunff mit Fug und Becht gestellt hat In dem neaeo
Spruehiüörterbuch liegt nun eine stattliche Grundlage vor, auf der sich
weiterbauen lalst.
Aber auch da wird es dann doch mit der blolMi Sammlnng nicht
getan sein; die geistig Durchdringung des MateriaU ist die Hauptsache;
es handelt sich um seine psychologische Verarbdtung, wodurch die Sprache
und vor allem die Literaturwissenschaft rdche und wertvolle Befruchtung
erfahren werden. Hier können freilich nur ein paar Gesichtspunkte er-
öffnet werden.
Alle hier in reichster Fülle vereinig^ten Aussagen, also, um den Tltd
zu kopieren: 'Deutsche und fremde Sinnsprüche, Wahlspruche, Inschrif-
ten an Haus und Gerät, Grabsprüche, Sprichwörter, Aphorismen, Epi-
gramme, Bibelstellen, Liederanfänge, Zitate aus älteren und neueren £3as-
sikem sowie aus den Werken moderner Schriftsteller, Schnadahüpfln, Wetter-
und Bauernregeln, Redensarten' usw. haben doch das gemeinsam, dafe sie
eine auf allgemeine Anerkennung rechnende Wahrheit auf eine eindring-
liche, durch ihre inhaltliche, logische oder formale Eigenart frappiereooe
Weise aussprechen — eine Ausdrucksweise, die zweifellos einen ästnetiBchen
Beiz ausüben soll und ausübt ; so können wir die ganze Gattung vielleioht
auf eine bestimmte Form der ästhetischen Api)erzeption der Aulsenwelt
zuriickführen, für die ich den Namen der 'gnomischen Apperzeption'
vorschlagen möchte.
Aus der Menge der Einzelformen, die eine senaue Durchforschung
auf Grund des Spruehtcärterbuehea verdienen, heben wir nur folgendes
heraus:
Die allgemeine Wahrheit kann zunächst schlichtweg als Gesetz for-
muliert werden, und ihr ästhetischer Beiz beruht dann einfach darauf,
dafs sie etwas unmittelbar Gegebenes und von allen Gefühltes durch Aus-
sprache in das Bewufstsein erhebt. Aber mit dem blolaen Lehrvortng
ist es nicht getan; auch ein Zitat, wie das Lessingsche: 'Man wird des
Guten und auch des Besten, wenn es alltäglich zu werden b^nnt, so-
bald satt' (S. 10) erhält doch erst durch den mitschwingenden Gegensatz
von 'gut' und 'satt', also durch das Angrenzen an das Paradoxe seinen
Reiz. Oder die Wahrheit wird zwar allgemein gefühlt, li€^ aber nicht
auf der Oberfläche, wird in der Praxis gern umgangen und bedarf einer
P>hebung über das Alltägliche zu ihrer Anerkennung; dahin gehört etwa
das englische Tßie noblesi moiim ta the public good (S. 10).
In der Spruchweisheit des Volkes viel häufiger ist eine andere Vor-
tragsform, die eng mit der symbolischen, das Einzelne für die Gesamt-
heit, den Teil für das Ganze, den Namen für die Sache nehmenden Auf-
fassungsweise zusammenhängt, wie sie im Sympathiezauber so bedeutsam
hervortritt. E^n Einzelfall wird zur Illustration der allgemein gültigen
Wahrheit verwendet: 'Wenn das Wenn und das Aber nicht wäre, so wäre
der Bauer ein Edelmann.' Dabei braucht nun die Wahrheit nicht immer
dem Allgemeinsten zu gelten: gewöhnlich streift der Mann aus dem Volke
doch nur in das Menscmenleben hinein; aber was er über dies zu sagen
hat, verdeutlicht er gern an parallelen Züeen mit dem Naturleben, wie
ja denn Jesu Gleichnis vom bösen Baum, der keine ffuten Früchte brin-
gen kann, in diese Reihe gehört Dabei ist nun zu beachten, dais dodi
wieder in volkstümlicher Rede die Natur (vielleicht entsprechend dem
engen Verhältnis des Bauern zu ihr) viel stärker anthropomorphisiert
wird: 'Alte Kuh gar leicht vergilst, daJs sie ein Kalb sewesen ist' (S. 12);
oder noch auffallender: 'Ein gut Ampt vematuret offt dais Schaaff in
einen Wolff (S. 18), was nun freilich nicht aus dem Volksmund, sondern
aus Lehmanns Politischem Blumengarten (1662) stammt. Auch hier wirkt
die Freude an der Antithese mit.
Beurteilungeii und kurze Anzogoi. 387
Diese führt nun zu einer ganz besonders beliebten weiteren Unter-
abteilung, die wir die epigrammatische oder paradoxe nennen könnten.
'Alter sdifitzt vor Toriieit nidit.' Dabei kann eine Paradoxie durch die
andere erklärt werden; schon in allgemein gefühlten Wahrheiten werden
Naturparallelen als Beweisstützen gern beigefügt (^'n ollen Mann un 'n
cid Piärd sinn nix mehr wähd\ münsteriscn, 8. 12), oder denken wir an
Schillers Ideal und Leben:
Knr dem Ernst, den keine Mtthe bleichet,
Rauscht der Wahrheit tief versteckter Born,
Nur des Melfsels schwerem Schlag erweichet
Sich des Marmors sprOdes Korn.
Vielmehr nun bedarf es solcher Hilfen unter individuellen Verhält-
nissen, wie in Arndts Blücherlied:
So frisch blfiht sein Alter, wie g^isender Wein.
In anderen Fällen freilich wird die Paradoxie, die Abweichung der
eigenen Meinung von der allgemeinen Ansicht einfach zugestanden; so
sagt Goethe im Vorspiel zum 'Faust':
Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht,
Es findet nns nur noch als wahre Kinder.
Hier spricht der Dichter eine eigenste Erfahrung aus, immerhin auf
Zustimmung rechnend und nicht gesonnen, erst einen Beweis anzutreten;
gewisse Anknüpfungspunkte beim Hörer aber setzt jede Aufserung vor-
aus, die Anspruch auf allgemeine Geltune, auf die Rezeption als 'Spruch'
erhebt. Häufig gibt das reUgiöse Leben den durch die Praxis verhüllten,
nun aber aufgedeckten Untergrund her: 'Almosengeben armet nicht, Kir-
chengehen säumet nicht' (S. 11).
Damit genug. Wir wollten an einigen Stichproben zeigen, was sich
alles in dem Buche beobachten und lernen läfst, und die Wissenschaft
kann dem verdienten Sammler für das beigebrachte Biesenmaterial keinen
besseren Dank abstatten, als den der Tat: Möge sie es denn an der Ver-
arbeitung nicht fdüen lassen, für die wir einige Anregung geben wollten.
Heiaeiberg. Robert Petsch.
Karl Weinhold^ Kleine mittelhochdeutsche Grammatik. 3. Auflage,
neubearbeitet von Gustav Ehrismann. Wien und Leipzig 1905.
Die von Ehrismann besorg 3. Auflage von Weinholds Kleiner mittel-
hochdeutscher Grammatik bnngt uns das Büchlein in einer fast ganz
neuen Gestalt, wenn auch natürlich der ursprüngliche Zweck, mit ihm
eine knappe Einführung in die Lektüre mittelhochdeutscher Texte zu
bieten, sowie Anlage und Plan im grofsen beibehalten blieb. Der Her-
ausgeber hatte eben nicht nur die Forschungsergebnisse der letzten 16 Jahre
auf diesem Gebiete zu berücksichtigen, er mu&te auch in der Anordnung
selbst vielfach ändern. Weinholds eigenartige Arbeitsweise, welche die
Menge gemachter Einzelbeobachtungen nur selten in ein übersichtliches
System zu vereinigen verstand, vermochte hier so wenig wie in sejnen
übrigen grammatischen Arbeiten Laut- und Flexionslehre ohne Restbestände
in Darstellung aufzulösen. Diese aber waren nicht immer glücklich un-
tergebracht.
Hier war also viel zusammenzufassen und umzustellen, insbesondere
aber viel auszuscheiden. Rezensenten scheint hierin die Neuauflage nicht
imm» weit genue gegangen zu sein. Schreibeewohnheiten und graphische
Eigenheiten einzelner Schulen, wie die Umstellung de« r aller-alre, keUer-
kärey unerkant-unrekant, verdienen in diesem AorilB ebensowenig einen
388 Beniteilaiigen nnd kurze Anseigen.
Platz wie so vielee andere^ was von Ehrismann mit Recht aua^paKhiedes
wurde. Weit eher hätte z. 6. hier der Schwand des r id rltesen il a.
erwähnt werden können. Dafs die übersichtUche, khire Entwickelnng der
Lautwandlungen Einzelerscheinungen oft absichtlich übersehen mofe unl
die bestimmte, normative Sprache eines lichrbuches die tatsachlichen Ver-
hältnisse bisweilen etwas verschiebt und zurechtrückt, ist nie ganz zu
yermeiden. Immerhin wünscht man z. B. eine Korrektur, woin es ^ 27
heilst: 'Die mittelhochdeutschen Dichter vermeiden Beime zwischen dem
e und dem älteren Umlauts-^ binden aber e mit dem jüngeren Umlaats-o",
da die grolse Gruppe der österreichischen Dichter auch e und ä im Beime
trennt. Ebenso § y6 : 'Die Verschiebung des westgermanischen d zu t bt
nur oberdeutsch eingetreten, während im Mitteldeutschen d geblieben ist'
Auch hier möchte man gern den letzten Teil des Satzes einschränken und
ein Wort über die Bewegung des d zu. t ia bestimmten Stelinngen hä
einzelnen mitteldeutschen Mundarten im Laufe des 13. — 15. Jahrhunderte
hören. Zur Unklaifieit führte Kürze des Ausdrucks § 68: 'Neben ß^
und jdmer gehen Formen ohne j, ener und ämer, welche aber gar nicht
miteinander stammverwandt sind' — was wohl nur sa^en will, dafe euer
nicht durch Abfall des j in alt- oder mittelhochdeutsäier Zeit zustande
kam. Denn in letzter Linie bleiben f^ier und 'Sner doch stammverwandt,
da fiSner auf ener oder eine damit ablautende Form (ags. jeonne) zurück-
J^eht, die sich mit dem to-Pronomen verband (vgL Brugmann, Abhamd-
ungen der phü^-hiaL Klasse der kämglieh säefunschen GesäUckaft der Wis-
sensehaften, Bd. XXII Nr. 6).
Im ganzen bleibt die sorgsame Umarbeitung, die auch nicht eine ZeQe
der alten Auflage unbesehen nerübemahm und die in allem nicht nur den
wohlunterrichteten Fachmann, sondern den im gleichen Arbeitsfelde tätiges
Forscher verrät, eine schöne Leistung, für welche wir dem Bearbeiter Duik
wissen müssen.
Znaim. Viktor Dollmayr.
Waldemar Oeblke, Bettina von Arnims Briefromane. Berlin IdO-S.
Mayer u. Müller (Palästra X 41). 865 S.
Es ist wohl noch selten an ein ähnliches Thema aus der neuest
deutschen Literaturgeschichte so viel gründlicher Fleiis, so viel scharfsinnige
Beobachtung und unablässige Aufmerksamkeit gesetzt word^i; und der
eigentliche Oegenstand: Bettinens Verhältnis zu ihren 'Quellen', ksDD
gewiis im wesentlichen als damit erledigt gelten. Freilich doch nur, soweit
unter diesen Quellen wirkliche OriginalbridFe von Frau Rat Groethe, Cle-
mens und der Günderode zu verstehen sind — auf den Briefroman mit
Philipp V. Nathusius erstreckt sich die Arbeit nicht — , die entweder un-
mitteloar benutzt, oder als Vorbild für einigermafsen analoge Fiktionen
gebraucht sind. Versteht man unter 'Quellen' Bettinens ihre lebendige
Anschauung der Persönlichkeiten, so fehlt fast das Beste: es wäre dann
noch erst zu studieren, wie sich tatsächlich jene Gestalten in ihrem Auge
malten. Denn wohl ist in eewissem Sinne alles, was Bettine schreibt, 'nar
Selbstporträt' (S. 358), docn schon die Posen, die sie sidii gibt, sind von
ihrer^ Auffassung des Gegenübers abhängig.
Überhaupt merkt man dem Buche em gewisses Haften am literari-
schen an, wie es neuerdings Walzel mit Kecht an vielen Studien zur
Bomantik getadelt hat — der Mensch 'kommt nicht heraus'. Der Verfasser
weifs nicht nur vortreffliche Stilbeobachtungen zu machen — wie schade^
dafs ein Wortverzeichnis zu seinen guten Bemerkungen über die Wort-
wahl fehlt — , sondern er erhebt sich auch zu geistreichen Bemerkungen
über den Stil im ganzen, etwa (8. 858) über Beftinas Interpunktion, oSer
(8. 326 f.) über ilu'en und Caroline Günderodes StiL Aber dem Psycho-
Beurteilungen und kurze Anzeigen. $89
logischen bleibt er so fremd, dals er (S. 341) jenen wüsten Brief Brentanos,
von dem Zeit 1er {Deutsche Liebesbriefe aus neun Jakrkunderteny 8. 429)
treffend urteilt, es dampfe aus ihm eine Mischung aus Satyriasis una
VampirismuB, als 'urspriin glich' bezeichnet, wenn auch daneben als 'toll'.
und der sorgsame 8tilkritiker versteigt sich (S. 339) zu dem mehr als
wunderlichen Satz: 'Grolse dichterische Geister haben nidit eigentlich
ein^ 8til, denn sie schaffen an dessen Fundament für andere'. Also wäre
Stil eigentlich das Kennzeichen untergeordneter Geister!
Indes — dafs die Untersuchung noch tiefer gehen könnte, macht ja
die literarische Prüfung nicht weniger wertvoll. f%r sie hat der Verfasser
alles ausgenutzt, mit grolsem Geschick sogar (für die Datierungen) die
Temperaturtabeilen Bansas (8. 78, 84, 119, 185, 253, 276). Von der Lite-
ratur scheint ihm aufser meinem Aufsätzchen über Goethes Sonette —
das sich freilich in der Chronik des Wiener Ooethevereins versteckt hat —
nichts entgangen zu sein. Für die Vergleichung bringt er aber neben
den Kenntnissen auch Objektivität mit, die er z. B. in der schwierigen
Untersuchung über Bettinens Verhältnis zu Bartholdy (8. 104 f.) bewährt.
Besonders interessant ist natürlich das Ergebnis betreffs der Dichtun-
gen : der Sonette Goethes (S. ÜÜ f., 69, 74, 82, 86, 100) oder des Gedichtes
* Wiederfinden' (8. 145), vgl. 157, der Dichtungen Tians (8. 224 und be-
sonders 8. 219; auch hier vermiist man ein Kegister der Stellen). Wie
Bettine nichts unverändert läfst (8. 144), wie sie einmal eine Stelle in allen
drei Briefromanen verwendet (8. 77), wie sie Berufungen erfindet (8. 2*27)
und überhaupt aus ihrer eigenen Brief technik (8. 355) heraus umformt
(S. 6, 302, 311) — das alles oereichert unsere Anschauung von Bettinens
Art und Kunst auf das verdienstlichste.
Durfte nun diese Arbeit von bleibendem Wert nicht auch einer besse-
ren Form wertgehalten werden ? Die wirren (S. 06) oder unklaren (8. 227)
Sätze passen so wenig zu der Art der Arbeit; die hastig hingeworfenen
Ausdrücke ('Schreiblässigkeit' 8. 81, 'für Unechtheit prädestiniert' 8. 127,
'Zusammenhäufuns' 8. 805), oder die barbarische Verkoppelung von Ge-
dankenstrichen und — Gottvertrauen (8. 305) ärgern; die lieblose Anein-
anderreihung meint man dem Verfasser um seiner selbst willen verdenken
zu müssen. Wollen wir wieder in die ungekämmte Manier verfallen, die
unseren früheren Literarhistorikern so sehr geschadet hat? Bei einer un-
bedeutenden Arbeit liegt nicht so viel daran; Oehike aber durfte mit dem
schönen Wort schliefsen, mit dem er Bettina charakterisiert: als einen
'Protest gegen das Unbedeutende!'
Berlm. Richard M. Meyer.
Max Drescher, Die Quellen zu Hauffs Lichtenstein. Leipzig, Voigt-
länder, 1905. (Probefahrten. Erstlingsarbeiten aus dem Deutschen
Seminar in Leipzig. Herausgegeben von Alb. Köster. Bd. VIII.) VII,
146 8.
Die aufmerksame Arbeit bietet mehr als sie ankündigt: sie behandelt
Hauffs Technik im 'Lichtenstein' überhaupt. Insofern freilich, als bei
der starken Abhändgkeit unserer Erzähler am Anfang des 19. Jahrhunderts
die literargeschichüichen Vorbilder (8. 51 f.) unmittelbar auf die Auf-
fassung von Ereignissen (8. 8 f.) und Personen (8. 25 f.) oder Sagen
(8. 32 f.) einwirken, kann man ja auch diese Vorbilder zu den 'Quellen'
rechnen.
Drescher vergleicht Hauffs Technik (8. 77 f.) und Art mit der von
Gramer, Spiefs, Fouquö und Van der Velde, sowie des mir bisher
uobekannten Hildebrand (8. 52); die Vergleichung zeigt Van der Velde
den vier anderen bedeutend überlegen. Aber immer wieder hat der Ver-
fasser (der überhaupt recht monoton schreibt und, besonders 8. 61, pe-
390 Bearteil UDgen und kurze ADselgea.
dantiflch eintdlt) zu betonen, dafs Hanff vid stärk«* von Scott bedingt
ist als von allen deutschen Vorbildern. Natürlich wirkt dabei (S. 145
Anm.) der schottische Zauberer mit seiner GesamtlMstnng, nicht etwa (wie
Eastman meinte) blols mit 'Iyanlioe\
Die Untersuchung enthält sich sdi&dlicber Parteilichkeit, und wenn
Drescher auch nicht eigentlich zu charakterisieren versteht, gibt er doch
etwa aus Cramers und Fou<ju^s Sprache (8. 75) oder ana den typi-
schen Kerkerszenen (S. 140) geeignete Beispiele. E^in Versuch, Anreron-
gen festzustellen, die nicht von historischen Bomanen der Zeit auseuieD,
bldbt aulser dem Hinblick auf Sprichwörter (8. 119 f.) und ältere Lieder
(S. 120 f.) aus. E)rgieb]g aber wird Hauffs StU besonders auch in bezug
auf die Varianten des Ausdrucks (8. 116) untersucht.
Im ganzen: die etwas mühsame Arbeit des fleifsigen Schülers eines
tüchtigen Lehrers.
Berlin. Richard li. Meyer.
Friedrich Hebbel, Briefe. I 1829-39 (Nr. 1—91), 414 S. — II 18:^9
bis 1843 (Nr. 92—172), VIII, 370 S. — m 1844—46 (Nr. 178— 228>,
VI, 3Ö5 8. — IV 1847—62 (Nr. 229—894), X, 425 S. — (Friedrich
Hebbel, Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe, herausgegeben
von E. M. Werner. 3. Abt.). Berlin 1904—1906, je M. 8, geb. M. 4.
Hebbels Briefe stehen zwischen seinen Tagebüchern und seineii Dich-
tungen : mit jenen teilen sie den monologischen Charakter, das Momentane
und Improvisatorische, mit diesen die für den Dichter so bezeichnende
Tendenz, sich selbst aufzuklären, indem er sich in fremde Seelen vcarsetzt
Im ganzen sind sie doch naturgemäfs den privaten Aufzeidmungen noch
näher verwandt und, wie diese, eine unmchdpf liehe Schatzkammer für
den Literarhistoriker, den Ästhetiker, den Psvcnologen.
Die nicht genug zu rühmende Hingabe R. M. Werners mulste selbst-
verständlich dies corpus epistulamm der grofsen Gesamtausgabe anfügen,
wodurch der Herausgeber und auch der Verlier mit tapferer Selbstver-
leugnung die eigene 'Nachlese' überflüssig gemacht haben. In schlichter
SacnlichKeit le^ Werner die Briefe in ihrer chronologischen Folge vor.
Unzugänglich blieben wenige Originale, wie Nr. 208 (3, 260), im Besitz
der Familie Gurlitt; verschollene wurden, wie Nr. 138 (2, 132), aus Knhs
Biographie ergänzt. In den Anmerkungen hielt der Herausgebt' s^ich
zurück, fügte nur etwa dem berühmten 'Memorial' (Nr. 113; 2, ."59) eine
Übersicht von Hebbels Beziehungen zu seinem weiblichen Sindbad Amalie
Schopi>e bei, oder tut in chronologischen Feststellungen (zu Nr. 99; 2.
19) philologische Arbeit Auf die Briefe der Korrespondenten wird fast
zu selten Bezug ^nommen (so zu Nr. 372 ; 8, 349). Gelegentlich (wie zu
Nr. 184; 2, 68) sind Nachweise zu Hebbels Anspieluneoi auf eigene Dich-
tungen gegeben. Eine Riesenarbeit haben wir noch von Werners be-
währtem FleiTs zu erwarten: das Register.
Mit dieser Ausgabe ist Hebbel auch offiziell in die Reihe unserer
grand^ Scrivains eingetreten; und wenn in Briefpublikationen für Anzen-
^ruber oder MÖriKC vielleicht des guten schon zu viel geschehen ist,
dürfte bei dem Genie der ästhetischen Beichte freilich auch kein Zettel
fehlen. Die Briefe an Hedde, ein seltsames Gemisch von Aktenwesen und
Dichterspielen, geben den Prolog zu dieser ungeheuren Lebensarbeit des
Kirchspielschreibers, der wie der Methodist Whiteficld auf seinen Grab-
stein hätte schreiben dürfen : 'Die Welt ist mein Kirchspiel'. Und ist in
dieser leidenschaftlichen Aufmerksamkeit, die jeden Einfall und jede Be-
obachtung ins Repositorium legt, ist in der Art, wie Hebbel soidie Auf-
zeichnungen in semen Dichtungen nutzt, nicht jederzeit etwas von dem
Aktenschreiber lebendig geblieben? Waltet in der pathetischen Anrede
BeuTteilangen und kurze ÄDzeigen. 891
des Poeten Hebbel ans Wesselburen vom 30. März 1881 nicht schon etwas
von jenem Geist der Selbststilisierung, der ihn auf solche Höhen geführt hat?
Dann wandern wir durch die verhängnisvollen Erlebnisse mit Elise
Lensing und Amalie Schoppe: es ist die Zeit seiner breitesten Brief-
schreibung, fast die einzige, in der er korrespondiert, um zu berichten und
Berichte zu empfangen. Der literarisch - geschäftliche Briefwechsel mit
Gutzkow, Tieck, Kühne, Menzel, Oehlenschiäger entwickelt sich. Mit dem
dritten Bande tritt Bamberg auf, und der Briefwechsel fän^t an, vernehm-
lich 'zum Fenster herauszusprechen'. Die Wiener Zeit zeigt den Dichter
dann bereits als beherrschenaen Mittelpunkt eines grofsen, geistig regsamen
Kreises, aber zugleich auch einer ihn mit Liebe umgebenden und enüUen-
den Familie. Die Kämpfe mit den Dramaturgen und den Kritikern ge-
winnen eine dramatische Lebhaftigkeit. Ein niät geringes Mafs von Diplo-
matie, von klug berechneten Andeutungen besonders beim Urteil Ober
andere Autoren, ist reizvoll zu beobachten. Mit dem Münchener Sieg der
'Agnes Bernauerin' schliefst wirksam der zweite Band, und 'Nux' unter-
schreibt sich, wie der Amtsschreiber in dem Briefwechsel mit Freund
Hedde sich hatte unterschreiben können: 'Fröhlich, aber geplagt'. So
wird auch der Herausgeber sich unterschreiben können, wenn er auf seine
Arbeit zurückschaut: 'Greplagt, aber fröhlich I'
Berlin. Bichard M. Meyer.
£. Satro^ Das Doppel wesen des Deokens and der Sprache.
Herausgegeben unter dem Protektorat der Internat, physio-psych. Ge-
sellschaft. Berlin 1905. XIV, 279 S.
Auch in diesen auf die Entstehung der Stimme und der Sprache ge-
richteten Untersuchungen finden wir nur voreilige 'Gesetze' auf schmälster
empirischer Basis. *Wenn man genau zuhört, wird man finden, dafs in
der Sprache der Ausdruck für das Abstrakte einen ^rölseren Wohlklang
in sich birgt als der für das Konkrete' (S. 121). Bei zusammengesetzten
Wörtern geht die Bewegung bei dem ersten, dem ideellen Wort, vom
Zwerchfell aufwärts, beim zweiten, dem reellen, vom Zwerchfell abwärts
vor sich (S. 146). Und so entsteht (S. 232) 'eine neue Wissenschaft'.
Berlin. Bichard M. Meyer.
J. Ernst Wülfing, Was mancher nicht weifs. Sprachliche Plaude-
reien. Jena, Costenoble, 1905. VIII, 192 S.
Wieder eins der seit Hildebraud, Schroeder, Schrader Mode
gewordenen Spracherziehun^bücher, das (wie die meisten) seine Aufgabe
spielend zu lösen sucht, bchla^worte, Zitate, Fremdworte, Redensarten
werden besprochen, etymologisch beleuchtet, kritisch gewürdigt ; ^erstklassig'
wird (S. 139) glücklicherweise verworfen. — Die Anordnung ermüdet durdi
ihre Willkür, wird aber durch ein Wortverzeichnis einigermaisen ausge-
glichen. Der Umkreis der besprochenen Worte und Wendungen ist ziem-
lich weit; sogar der funkelnagelneue 'Concern' fehlt nicht (S. 155). Natür-
lich steht auch recht viel dann, was mancher schon weiüs; aber als Zei-
chen des neuen Interesses an det Sprache begrülsen wir auch dies Büchlein.
Berlin. Bichard M. Meyer.
Friedrich Blatz^ Neuhochdeutsche Schulgrammatik für höhere Lehr-
anstalten. 7. Auflage, neubearbeitet von Dr. Eugen iStulz, Professor
am Grofsherzoglichen Lehrerseminar in Ettlingen. Karlsruhe, J. Längs
Buchhandlung, 1905. 272 S.
Die BlatzBche Schulgrammatik hat durch diese Neubearbeitung eine
-wesentliche Umgestaltung erfahren. Hinzugetreten ist zu dem alten Stoffe
392 Beurteilungen und kurze Anzdgen.
vor allem ein Abrii« der Phonetik mit erläuternden Abbildungen auf
Techmers Phonetik und ein Überblick über die geschichtliche Entwicke-
ln nf der deutschen Sprache, in dem die drei Sprachstufen, Alt-, Mittei-
und Neuhochdeutsch, im allgemeinen charakterisiert werden, der zeitliche
Bedeutungswandel der Wörter durch Beispiele anschaulich gemacht und
die Differenzierung der Sprache in Mundarten sowie deren G^tungsg^iet
besprochen wird. Dafs es dem Bearbeiter insbesondere darum zu tun ist
dem Schüler deutlich zu machen, dals die Sprache etwas geschichtlich
Gewordenes, in steter Entwickelung und Veränderung Begrinenes, etwas
Lebendiges ist, zeigt sich nicht nur hier. Dahin zielen auch Tielfaich Be-
merkungen in der Flexions- und Satzlehre. Und darum findet sich auch
nirgends jene schulmeisternde Engherzigkeit und Unduldsamkeit, die nur
eine Oebrauchsform als richtig anerkennt, wo die tatsächlichen Verhält-
nisse oft schwanken und Doppdf ormen vorliegen, wie im Prät. von &agira,
fragte — frug, oder, um eins für vieles zu erwähnen, in der Konstruktion
von lehren mit Akk. -und Dat. der Person, welch letzteren die Latein -
schulen meist schon des Parallelismus mit docere wegen perhorreszieren.
Und doch ist hier die Dat. -Konstruktion — auch in aktiven Wendungen
(vgl. dagegen Blatz-Stulz § 150 4, Anm. 1) — in der Umgangssprache
wie in der Kunstprosa (z. B. Goethes) oft zu bellen und darum erlaubt.
Der Stoff der früheren Auflagen ist starfc gekürzt, insbesondere in
den Beispielsammlungen, aber audi in der Darstellung, welche freilich
darum stellenweise eine Kürze und Prägnanz zeigt, die nur bei ausgiebiger
mündlicher Erörterung von Seite des Lehrers fruchtbar werden dürtte
Dafs der Bearbeiter trotz mancher tiefgreifender Umformung im wesent-
lichen die alte Einteilung nicht änderte und an der alten Abgrenzung der
Syntax festhielt, ist nur zu billigen. Die von John Ries aufgerollte rrin-
zipienfrage {Was ist Syntax, 18U4) ist an und für sich noch nicht zum
Austrage gebracht, und auch in rein wissenschaftlichen Darstellungen von
vielen Syntaktikern mit gutem Grunde in konservativem Sinne beant-
wortet worden. Um so weniger darf eine Schulgrammatik diese neuen,
unsicheren Wege beschreiten. In dieser Überzeueung hat Bezens^ten
Sütterlins interessanter Versuch (Die deutsche Sprache £r Oegenwart, 1900)
^er bestärkt als erschüttert.
In Einzelheiten der Anordnung hätte Stulz allerdings noch bessern
Rollen. So sind auch in der neuen Auflag die deutscnen Betonungs-
gesetze nicht im Zusammenhange, sondern in drei Abschnitten zerstreut
besprochen. Am meisten Bedenken erregt im Anhangteile die Darstellung
der Lautverschiebung. Dafs die idg. Media Aspirata im Germ, nicht zu
'weichen Verschlufslauten (MediäV wurden, wufste Stulz gewils selbst, aber
auch der Vereinfachung halber durfte er diesen Satz nicht schreibe», da
er ja doch im folgenden den Terminus 'tönende Spiranten' gebraucht.
Znaim. Viktor Dollmavr.
Arthur Ritter von Vincenti^ Die altenglischen Dialoge von Salo-
mon und Saturn. Mit historischer Einleitung, Kommentar und
Glossar. Erster Teil. Leipzig, A. Deichertsche Verlassbuchhdlg. Nachf.
(Georg Böhme), 19U-I. XXI, 1-^5 S. 8. M. 3,t)0. (Münchener Beitrto
zur roman. u. engl. Philologie, hg. von H. Breymann und G. Schier,
XXXI. Heft.)
Der erste Teil der noch nicht vollständig erschienenen Arbeit über
das altenglische Gedicht Salomon und Saturn bildet gewissermaCsen eine
literaturgeschichtliche Einleitung zu dem noch abzuwartenden zweiten
Teil, der eine Lautlehre und einen unter nochmaliger Vergleichung der
Handschriften hergestellten kritischen Text mit beigefügtem Kommentar
und Glossar bringen wird. Bisweilen beruft sich der Venaaser auf BeBul-
BeurteiluDgen und kurze Anzeigen. ^98
täte, die der zweite Teil bringen wird; in solchen Fällen ist es natfirlich
nicht möglich, sich über die Richtigkeit seiner Darstellung eine Ansicht
zu bilden.
Die eigentliche Einleitung (S. 1 — 25) behandelt die allgemeine Ge-
schichte der Sagen von i:^alomo. Zuerst wird natürlich über die Berichte
über Salomo in der Bibel, dem Talmud und den kabbalistischen und tal-
mudischen Schriften gehandelt. Es war natürlich nicht die Absicht des
Verfassers, in dieser und der folgenden Darstellung der Geschichte der
Sa^en von Salomo Neues zu bringen. Es kam natürlich nur darauf an,
mehr oder weniger bekannte und feststehende Tatsachen kurz und hand-
lich zusammenzufassen. Der Verfasser zitiert hier wie sonst sehr fleifsig
die einschlägige Literatur ; in dieser Hinsicht scheint sogar Vollständigkeit
angestrebt zu werden. Der elfte Band der grofsen ^toish Eneydopedia
(herausgegeben von Singer), wo die semitischen Sagen von Salomo aus-
führlich behandelt werden, erschien nach der uns vorliegenden Arbeit und
konnte also vom Verfasser nicht benutzt werden.
Von den Juden wanderte die Sage zuerst zu den Arabern, wo sie
mehrfach umgestaltet wurde. Aus dem Orient wanderte sie nach dem
Abendlande, wo sie einen riesigen Erfolg erzielte und in fast alle Vulgär-
snrachen übersetzt und aufserdem fast überall poetisch behanddt wurde.
Der Verfasser erwähnt kurz ihre Entwickelung in Byzanz, in den sla-
wischen, germanischen und romanischen Ländern.*
Von den germanischen Bearbeitungen ist die altenglische Sage von
Salomo und Saturn sicher die älteste. Sie unterscheidet sich von den
Fassungen der Sage in anderen Ländern dadurch, dafs sie von der be-
kannten Entführungsgeschichte keine Spur enthält; eine Frau des Salomo
wird nicht einmal erwähnt, und ebensowenig kommt ein Ring oder ein
Hörn zur Sprache.
Die altenglische Fassung gehört nun zu jener Gestaltung der Sase,
in welcher zwei Persönlichkeiten sich in einem Redekampf messen. In
drei Gesprächen tritt Salomo als König der Christenheit dem heidnischen
Saturn gegenjiber. In dem ersten poetischen Dialog erklärt Salomo dem
Saturn die Überlegenheit des Paternoster über die Teufel, und dies in
ganz orientalischer Weise. Hierin erblickt v. Vincentl eine Anlehnung
an die Dämonensagen, wie sio bei den Juden, Arabern und im Testament
des Salomo vorliegen. Der darauf folgende prosaische Dialog mit der
riesenhaften Beschreibung de» Paternoster erinnert an die Beschreibungen
des Aschmedai (Asmodeus), die wir in talmudischen Schriften finden. In
einer von diesen schleudert Aschmedai den Köni^ Salomo 400 Meilen weit
hinwe^y in einer anderen wächst er, als Salomo ihm seineu Ring gegeben
hat, nesig empor; ein Flügel reicht bis in den Himmel, der andere stützt
sich auf die Erde. Er verschluckt den König und speit ihn 400 Para-
sangen weg von sich. In dem dritten, poetischen Dialog belehrt Salomo
den Saturn über allgemeine Dinge theologischen, naturwissenschaftlichen
oder rein menschlichen Interesses. Mit denjenigen Dialogen in latei-
nischer, französischer und deutscher Sprache, die zu einer Vergieichung
herangezogen werden können, hat dieser ae. Dialog so gut wie gar nichts
gemeinsam. Einige Berührungspunkte zwischen der englischen Sage im
allgemeinen und den anderen Salomo- Marko Iphsagen lassen sich jedoch
erkennen, worauf wir aber hier nicht näher einzugehen brauchen (v. Vin-
centi S. 24 f.).
Danach behandelt der Verfasser die altenglische Sage selbst, zuerst
«ihre Überlieferung und dann ihre Komposition (S. 20 — 125). Im ersten
' Der schwedische Marcolphus (s. 3chttck, Svemk Ulerciturhisiona, Stockholm
1890, S. 361 f.) ist dem Verfasser nnbekannt geblieben.
ArchiT f. n. Sprachen. CXYI. 26
894 BeurteiluDgen und kurze Anzeigen.
Abschnitt (S. 26—44) wird über die Ausgaben, Textverbessenuigeii nnd
Besprechungen der flJtenelischen Bearbeitungen der Sage berichtet. Von
der Gestaltung der Sage, die im Cotion VitdUtu A XV überliefert ist, wird
mit Recht ganz abgesehen, da sie mit den anderen Fassungen gar nichts
zu tun hat und in ein ganz anderes Gebiet gehört. In diesem Abschnitt
wird auch über die vom Verfasser in Aussicht gestellte Ausgabe gehan-
delt Er will versuchen, 'einen den philosophischen Anforderungen ent>
sprechenden Text mit vollkommenem Varianten Verzeichnis zu liefern';
ebenso hat er sich bemüht, durch einen ausführlicheren Kommentar das
Verständnis der schwierigeren Stellen zu erleichtem und durch das bei-
gefügte vollständige Glossar einem sämtlichen Ausgaben anhaftenden
Mangel abzuhelfen. Hier gibt der Verfasser auch die verschiedenen, oft
weit auseinander gehenden Ansichten der Gelehrten über diese Dialoge
wieder. S. 44 — 51 enthalten eine Beschreibung der Handschriften mit
Auseinandersetzungen über ihr Verhältnis zueinander und ein Verzeichnis
der handschriftlichen Längezeichen.
Der Best des Heftes (S. 52 — 125) handelt über die Komposition der
Dialoge und zerfällt in aie folgenden Abschnitte: 1) Wesen und Erklä-
rung der altengjischen Fassungen, 2) Die Persönlichkeiten des Salomo
und Saturn, 8) Über die Gottheit Satums bei den Germanen, 4) Quellen-
frage.
Die drei Zwiegespräche, woraus der altenglische Salomo und Saturn
besteht, sind voneinander vollständig unabhängig; die zwei poetischen
Stücke rühren von zwei verschiedenen anslischen Dichtem her, das Prosa-
stück ist von einem Westsachsen verfaßt. Der vollständige Beweis für
diese Behauptungen wird erst in der noch ausstehenden Xiautlehre er-
bracht. Die eingehende Analvse der Dialoge, die der Verfasser schon in
dem uns vorliegenden Teile bringt, soll seine Behauptungen in diesem
Punkte noch weiter erhärten. Durch sie wurde es auch möglich, den
Kern der Dichtung und das Wesen des rätselhaften Saturn zu ergründen.
Wie schon bemerkt, ist die altenglische Überlieferung in drei geson-
derte, unabhängige Stücke %u zerspalten. Die beiden Gedichte sind sicher
nur wegen der äufserlichen Ähnlichkeit, dafs in beiden Salomo und Saturn
auftreten, in eine Handschrift vereinigt worden; die Prosa wurde nur
wegen des verwandten Inhalts, den sie mit dem ersten Gedichte hat, ein-
geschoben; denn in ihrer Auffassung des Paternoster ist sie mit dem
ersten Gedichte gänzlich unverwandt
Über das Wesen und den Inhalt der altenglischen Fassungen berichtet
uns nun der Verfasser sehr ausführlich, woSd einige Beiträge zu ihrer
Erklärung geliefert werden. Natürlich muXis ich auf ein eingehendes
Referat dieses Abschnittes verzichten. Nur einige Punkte werde ich hier
herausgreifen. Saturn ist ein Chaldäer; er ist ferner ein Heide, der über
das psumenbezweigte Paternoster, über den Cantic und über das Wesen
des Christentums aufgeklärt sein will. Über diese Gegenstände entspinnt
sich nun das Zwiegespräch zwischen ihm und Salomo; hierbei handelt es
sich aber hauptsächlidi um die Gewalt des Paternoster und der neunzehn
Buchstaben desselben. Zugmnde gelegt ist das Paternoster nach Matthäus
VI 9 — 18 (nach der Vulgata). Eine lateinische Vorlage ist sicher dafür
anzunehmen. Nach der Ansicht des Verfassers wollte der Dichter mit
seiner Schilderung des Paternoster vor allem den Zweck verfolgen, die
Überlegenheit des Christentums über die heidnisch-germanische Keli^on
zum Ausdruck zu bringen. Noch deutlicher tritt uns dieselbe Tendenz
in dem auf das erste Glicht folgenden prosaischen Dialoge entgegen, des
nun vom Verfasser analysiert wird.
Nach dem Prosabruchstück ist ein Blatt herausgeschnitten word^i.
Der Verfasser ist nun der Meinung, dafs dieses Blatt nicht die Fortsetzung
der Prosa enthielt; diese Fortsetzung mufs man sich nämlich viel aus-
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 895
fuhrlicher YoretelleD, als dafs ein einziges Oktavblatt dafür ausgereicht
hätte. Vielmehr mufs man annehmen, dafs sich auf dem fehlenden Blatte
die Fortsetzung des zweiten Gedichtes (also nach V. 501 = V. 504 bei
Grein- Wulker) befand, an die sich dann der Schlufs des zweiten Gedichtes
in den Versen 169—177 (= V. 170—178 bei Grein-Wülker) anschlofs. Die
letztgenannten Verse gehören nämlich, wie der Verfasser in der Laut-
lehre zu zeigen verspricht, der Sprache nach zum zweiten Gedicht und
bilden also nicht den Schlufs des ersten Gedichtes. Dafs auf dem feh-
lenden Blatte die Fortsetzung des zweiten Gedichtes gestanden hat, will
der Verfasser auch aus anderen Umstanden erschliefsen : zwischen V. 501
(504) und V. 169 (170) haben wir nämlich höchstwahrscheinlich eine Aus-
einandersetzung Salomos über das Jüngste Gericht und die Verurteilung
des bösen Menschen sowie die letzte Frage Saturns nach dem Jüngsten
Gericht zu erwarten. Dieses kann höchstens zwei Seiten in der Hand-
schrift ausgefüllt haben und mufs den Versen 169—177 (170—178) vorher-
gegangen sein.
Wie schon angedeutet, weicht das Prosastück von dem ersten Gedicht
inhaltlich ab. Das Paternoster erscheint in der Prosa nicht als ein Palm-
baum, sondern als ein Riese von unermefslicher Gröfse : seine Augen sind
12000 mal glänzender als die ganze Erde, seine Arme 12000 mal langer
als die Erde, sein Gedanke ist schneller als 12000 heiliee Geister usw.
Noch mehr sticht der Verfasser des Prosastückes gegen den des zweiten
Gedidites ab, das nun vom Verfasser analysiert wird. Auf diese Analyse
will ich auch nicht weiter eingehen. In Bezug auf die Überlieferung
möge erwähnt werden, dafs der Verfasser annimmt, dafs vor S. 23 ein
Blatt fehlt, und dafs dieses eine lange Betrachtung Saturns über das
Wasser ^wahrscheinlich über die Taufe) enthielt Schipper und Wülker
nehmen hier keine Lücke an. — In dem zweiten Gedient unterscheidet
der Verfasser acht verschiedene Hauptpunkte; hier finden wir orientalisch-
rabbinische, christliche und germanisch-heidnische Elemente vereinigt. Wir
haben hier sehr ernste, ja recht objektive Auseinandersetzungen in JEtätsd-
form.
In allen drei Fassungen lafst sich eine Gegenüberstellung von Christen-
tum und Heidentum erkennen. Der Verfasser ist deshalb der Ansicht,
dals sie in einer Zeit entstanden sind, in der das Christentum das ger-
manische Heidentum noch nicht end^ltig besiegt hatte.
Das zweite Gedicht ist nach v. Vmcenti von einem Nordhumbrer ver-
fafst. Um es zu datieren, müssen die kirchlichen Verhältnisse Nordhum-
briens, wo die Kultur im 9. Jahrhundert von den Dänen zerstört wurde,
mit in Betracht genommen werden. Als terminus ad quem könnte das
Jahr 1000 betrachtet werden.
Der Abschnitt schliefst mit einigen Vergleichen von den altenglischen
Dialogen mit anderen Denkmälern, mit welchen sie a priori nähere oder
entferntere Verwandtschaft vermuten liefsen. Ein Vergleich mit anderen
englischen Denkmälern führt aber nur zu einem negativen Resultat. Da-
gegen erinnern die Dialoge in hohem Grade an die Wortkämpfe, die wir
in der altskandinavischen Literatur finden. Hier kommt vor allem das
altnordische Vaf|)rüdnismäl in Betracht. Dagegen hat das Hdrbarbsliöd
mit unseren Dialogen nichts gemeinsam. Andere Eddagedichte bieten
jedoch einige Ähnlichkeiten. Auch in der altfranzösischen Literatur lassen
sich hier und dort einige Berührungspunkte mit unseren Dialogen er-
kennen.
Danach bespricht der Verfasser (S. 86 — 107) die Persönlichkeiten des
Salomo imd Saturn. Über Salomo ist dabei nicht viel zu sa^en; dals er
zugleich als Herrscher Israels und als König der Christenheit erscheint
und den Saturn über das Paternoster, das Jüngste Grericht usw. aufklärt,
ist nicht so besonders auffallend und steht mit der Auffassung dieser
26*
896 Beurteilungen und kune Anzdgen.
Zeiten völlig im Einklang. Von einer Frau SalomoB wird kein einzigee
Wort gesagt
Um 80 mehr intereasiert uns aber die Persönlichkeit ßatums. Er
ist in allen Hinsichten eine echt orientalische Figur; mit dem römischen
Gott hat er nur den Namen gemeinsam. Dafs ihm dabei auch heidnisch-
germanische Weisheitssprüche in den Mund gelegt werden, lälst sich ja
Mcht erklären ; sogar der Philisterfürst führt ja den germanischen Namen
'Wandernder Wolf . In seiner Auffassung von der Persönlichkeit Satoms
weicht der Verfasser von den Ansichten Vogts {Salman u. Morolf, Halle
1880, 8. Lin ff.) mehrfach ab. So z. B. weist v. Vincenti die Ansicht
Vogts, wonach Saturn als der Bruder Salomos aufzufassen sei, mit Recht
zurück.
Qanz besonders interessiert uns die Frage, wie die altenglischen
Verfasser resp. deren Quellen dazu kamen, den Chaldäerfürsten Saturn
dem Salomon ee^enüber zu stellen. Der Verfasser beruft sich hier auf
Schenkels BibeUeSikon, wonach der echt italische Saturn ziemlich früh mit
dem alten Kronos identifiziert wurde; bei einer späteren Identifizierung
hellenischer und phönizischer Götter stach bei Kronos der Zug in die
Ausen, dafs er die Kinder verschlunffen hatte, und dies führte nun dahin,
da£ man ihn mit dem kinderverscnlingenden Moloch zusammenstellte.
Auch die astrologische Bedeutung, die Saturn erhielt, mufs man mit in
Betracht nehmen. 'Den babylonisch £1 genannten Planeten finden wir
durch die Vermittelung des Kronos latinisiert als Saturn wieder, und so
wird dieser, resp. der ihm entsprechende Moloch, in das astrologische
System gebracht, so dafs der Planet El-Moloch oder Kronos-Saturn zum
wichtigsten Schicksals bestimmer wird, dem unter den Wochentagen der
Samstag gewidmet wurde.' Es ist deshalb wahrscheinb'ch, dafs der dem
Salomo gegenübergestellte Saturn eine Erinnerung an den chaldäischen
Sternenkultus und Wi^sagedienst widerspiegelt. Natürlich ist in dem
Falle die Vermittelung antiker oder anderer Quellen anzunehmen. 'Der
gemeinsame Zug des Kinderfressens wird doch wohl der Grund zu der
Vermischung von Moloch und Saturn gewesen sein. Für die Verbindung
des SaJomo mit Moloch und die Ausgestaltung zur Sage mag vielleicht
der Bericht aus 3. Könige Kap. 11, 5 und 6: 'und Salomo verehrte den
Moloch, den Götzen der Am moniter' einen Einflufs gehabt haben.
Der Name Moloch, der König bedeutet, gehört nur der LXX an; im
Hebräischen heilst er Molech, Milcom, MaJcom, Malcol, und so müssen
wir wohl mit ten Brink annehmen, dafs durch die Verwechselung von
Malcol mit Marcol Saturn als Salomos Dialogist in die Reihe gekom-
men ist'
In dem folgenden Abschnitt (S. 107 — 122) bespricht v. Vincenti die
von früheren Gelehrten ausgesprochene Ansicht, daüs wir auch einen Sa-
turn als germanischen Gott ansehen dürfen. Diese schon a priori durch-
aus unwsuirscheinliche Behauptung wird nun einleuchtend widerlegt und
dürfte wohl jetzt endgültig aus der Welt gebracht sein.
Zuletzt berührt der Verfasser k&dz kurz die Quellenfrage (S. 122—125).
Die Vorlage, die unsere altenglischen Verfasser benutzten, ist noch nicht
gefunden. Die Ansicht früherer Forscher, dafs wir sie In der verlorenen,
m einem Dekret erwähnten Contradietio Sahmonü zu erblicken hätten,
weist der Verfasser als höchst unwahrscheinlich zurück. Es ist aber ziem-
lich sicher, da(s die Verfasser nach einer lateinischen Vorlage arbeiteten.
Ich habe mich in meinem Referat absichtlich jeder Kritik enthalten.
Eine solche überlasse ich berufeneren Kräften. Besonders viel Neues ent-
hält das Buch ja nicht. Aber es bildet eine sehr nützliche und dankens-
werte Einleitung zu dem Studium dieser überaus interessanten altenglischen
Denkmäler.
Göteborg. Erik Björkman.
BeurtdluDgen und kurze Anzeigen. 897
Max SchünemaDD, Die Hilfszeitwörter in den englischen Bibel-
übersetzungen der Hexapla (1388—1611). Berlin, Mayer & Müller,
1902. 59 S.
Franz J. Ortmann, Formen und Syntax des Verbs bei Wycliffe
und Purvey. Ein Beitrag zur mittelengliBchen Qrammatik nebst
einem Anhang. Berlin, Mayer & Müller, 1902. VII, 95 S.
Die Sprache der englischen Bibelübersetzungen hat hier zwei gleich-
zeitig erscnienenen verbaLByDtaktischen Untersuchungen das Matenal ge-
liefert, das in glücklicher Arbeitsteilung von den Verfassern für die For-
sdiung nutzbar gemacht worden ist. Scnünemann unternimmt es, in stoff-
licher Begrenzung des Gegenstandes der Entwickelung nachzugehen, die
die bedeutsame Kategorie der Hilfsverben in einem ^i träum von etwas
mehr als zwei Jahrhunderten durch^macht hat.
Die in dem Neudruck The Engltsh Hexapla, London 1841, vereinigten
sechs Übersetzungen des Neuen Testaments umfassen die Zeit von 13S8
(Wyclif-Purvey) bis 1611 (Authorised Version); beinahe 150 Jahre liegen
zwischen dem Text von Wydif und seinem unmittelbaren Nachfolger,
dem Tyndaleschen in der revidierten Fassung vom Jahre 1534, nur fünf
Jahre dagegen trennen diesen von der dritten Version der Hexapla, der
Cranmersdien, die drei übrigen Fassungen verteilen sich auf die nächsten
siebzig Jahre. Schünemann beschränkt sich in seinen Untersuchunj^en
auf die Evan^ien des Matthäus und Markus und betrachtet jedes Verb
nach seiner Verwendung als Begrifteeitwort und eigentliches Hilfs-
zeitwort.
Auf Einzelheiten näher einzugehen, fehlt es mir leider bei meiner
gegenwärtigen beruflichen Stellung an Zeit und Möglichkeit der Nach-
prüfung. Bemerkenswert scheint mir, dafs Wyclif das emphatische do
überhaupt nicht gebraucht, was Verfasser mit seinem engen Anschluls an
das Original wohl richtig erklärt ; zur Bildung der Negation wird do nur
in den beiden letzten Versionen, aber auch hier in zwanglosem Wechsel
mit der einfachen Negation verwandt Aus dem Abschnitt über sculan
möchte ich hervorheben, dafs Wyclif zur Futurbildung immer shaü ver-
wendet — die zwei Ausnahmen gehören kaum hierher — , die übrigen
Versionen in der 1. Person überwiegend tviü, in der 2. und 3. shall ge-
brauchen. Naturgemäfs ist überall die sprachliche Entwickelung am spür-
barsten bei Gegenüberstellung der Texte von Wyclif und Tyndale, zwi-
schen denen anderthalb Jahrhunderte liegen. Die Veränderungen im
Sprachgebrauch der übrigen Versionen sind verhältnismäfsig geringfügig,
bestimmte Schlufsfolgerungen lassen sich aus ihnen um so wemger ziehen,
als Verschiedenheit der Vorlage — hier Urtext, dort Vulgata — und Ab-
hängigkeit einzelner Fassungen von einander die Einsicht in den Zusam-
menhang trüben. So sidit sich, was genaue zeitliche Bej^renzung von Neu-
bildungen angeht, der Verfasser genötigt, seine Ausführungen mit einem
Fragezeichen abzuschlielsen.
Gegenüber diesem interessanten Versuch einer Aufstellung von Ent-
wickelungsreihen für eine b<Mtimmte Verbengruppe behandelt Ortmann in
seiner Arbeit mit Ausschlufs der Hilfszeitwörter die gesamte Verbalsyntax
eines einzelnen Denkmals und schöpft sein Material aus der Wyclifschen
Übersetzung allein, natürlich mit steter Heranziehung der Purveyschen
Überarbeitung. Vorausgeschickt ist eine kurze Übersicht über den For-
menstand des Verbums, der auch bei Schünemann tabellarisch verzeichnet
ist Wie zu erwarten, herrscht hier regelloses Nebeneinander alter histori-
scher Formen und analogischer Neubildungen, doch möchte ich darauf
aufmerksam machen, da(f im Ind. Praea, cße nördlichen Endungsformen
898 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
der 2. Person sing, und des Plurals gar nicht yorkommen, eboiso findet
sich der flektierte Infinitiv auf -enne nicht mehr, sondern es erscheint
stets die Endung -yng(e). Im syntaktischen Teil verzichtet Verfasser an-
erkennenswerterweise darauf, das ganze Material innerhalb des herkömm-
lichen Schemas vorzuführen, er ONeschränkt sich auf die Abweichung^
vom gewöhnlichen Sprachgebrauch des Me. Er hätte vielleicht in dies^er
Beschrankung noch weiter gehen können, so in den Abschnitten über
Tempora und Modi, Dagegen ist die eingehende Behandlung des Id-
flniüvB und der Formen auf -ynge rühmend hervorzuheben. Der Kon-
struktion des Akkusativs mit dem Infinitiv ist ein besonderer Anhang ge-
widmet, der den Einf lufs der lateinischen Syntax auf diese Bildung recht gut
erkennen läfst, so gibt Wyclif so^r das lateinische se bei Subjektsgleich-
heit des regierenden und abhängigen Satzes durch das Pronomen wieder.
Am Schlufs seiner Untersucnunffen wirft der Verfasser noch die
Frage nach dem Anteil Wyclifs an der unter seinem Namen gehenden
Bibelübersetzung sowie nach deren Bedeutung für die Geschichte der
englischen Sprache auf. Er glaubt, Wyclif mit Bestimmtheit die Über-
setzung der vier Evan^ien zusprechen zu können; die Antwort auf den
zweiten Punkt befriedigt nicht recht, denn was da über die nahe Ver-
wandtschaft der Bibelsprache mit dem modernen Englisch vorgebracht
wird, gilt, wie der Veirasser selbst zu^bt, fast ausschlielislich von der
Purveyschen Revision. Übrigens hätte ich gewünscht, dafis der Verfasser
zur weiteren Klärung dieser wichtigen Frage im Verlauf seiner Ausfäh-
rungen den neuenglSchen Sprachgebrauch öfter zur Vergleichung heran-
gezogen hätte.
Danzig-Langfuhr. H. FüchseL
Margarete Rosler, Die Fassungen der Alexius-Leg^de mit beson-
derer Berücksichtigung der me. Versionen (Wiener Seiträge zur engl
Phüolopie XXI). Wien, Braumüller, 1905. X, 197 S.
Schipper lälst die Quellen vergleichung zu seinen me. Alexius-Au?-
|aben duix^ eine fleifsige Schülerin nachtnigen, die zunächst vier Grund-
fassungen unterscheidet, in griechischer oder lateinischer Sprache, und
dann die mittelalterlichen Texte in den Volkssprachen einreiht. Die sechs
me. Versversionen gehen auf zwei verschiedene Typen zurück : der Vemon-
Text, der nördliche Ashmole-Gg-Text und Barber beruhen auf jenem Gnmd-
typ, der besonders durch die Acta sanctorum Boll. und die Legenda aurea
vertreten ist; die drei übrigen auf einer Grundform, die nicht so deutlich
zu bezeichnen ist, aber gerade von Dichtern gern bearbeitet wurde, auch
in Frankreich, Deutschland und Spanien. Jetzt sieht man des weiteren,
dafs alle sechs me. Dichter unabhängig voneinander gearbeitet haben; dafs
keiner eine nennenswerte Originalität entfaltete, war von vornherein jedem
Leser klar. Gerade deshalb wäre jetzt an ihren Produkten gut zu er-
örtern, wie dieselben Dinge in verschiedenen Dialekten mit verschiedenen
Wörtern und Phrasen ausgedrückt wurden; es wäre vielleicht der beste
Nutzen, den die englische Philologie aus ihrer Unmasse geistloser Lösen-
den ziehen kann ; die Autoren pflegten eben nicht die Auffassung, sondern
nur das Sprachgewand zu wechseln. — Im Anhang bietet Bösler noch
eine Eeihe bisher ungedruckter Texte: zwei griechische aus der Pariser
Nationalbibliothek, einen in englischer Prosa des früh 15. Jahrhunderts
(Hs. Harl. 4775, nach Vignt^ Übersetzung der Leg. aur.), einen lat. des
11. Jahrhunderts (Hs. Reg. Bruxell. Lat. II 992) und einen enger damit
verwandten franz. des 13. Jahrhunderts (Hs. Francais 412), enahch drei
italienische in Strophen aus neuerer Zeit. Die ganze Ueschlchte der Alexius-
Legende ist hiemit in helleres Licht gerückt.
Berlin» A. Brand 1.
Beurteiltingen und kurze Anzeigen. 399
Dr. Karl Süfsbier, Sprache der Cely-Papers^ einer Sammlung von
englischen Eaufmannsbriefen aus den Jahren 1475 — 1488. Berlin,
E. Ehering, 1905.
Dafs Caxton und die folgenden Drucker den weitaus bedeutendsten An-
teil an der Konsolidierung der neuenglischen Schriftsprache hatten, scheint
jetjst allgemein angenommen zu sein. Der Umfang von Caxtons Tätigkeit
wird uns um so klarer, je deutlicher der Hintergrund wird, von dem sich
seine Arbeit abhebt. Emen nicht unwichtigen Beitrat zur Illustrierung
dieses Hintergrundes bieten uns die Cely-Papers : die Celys waren Londoner
Kaufleute mit vielen auswärtigen Handeisbeziehungen, und ihre Briefe
stammen aus derselben Zeit, in der Caxton in London zu drucken b^ann.
Dieselben Faktoren, die die Sprache der Celys bedingen, sind auch bei
Caxton wirksam. Nur kommt bei ihm noch zweierlei hinzu: er ist ge-
bildet, d. h. in sprachlicher Beziehung: er steht stärker unter dem Ein-
druck überlieferter literarischer Formen; und er ist Drucker, daher schon
durch den Kontakt mit der Maschine zu mehr Gleichmäfsigkeit genötigt.
Die Celys aber zeigen eine starke Vorliebe für phonetische Schreibung
und zugleich eine wdtgdiende Unsicherheit in der Bezeichnung yon un-
betonten Vokalen, von Gleitelauten, von Kürzung vor gewissen Konso-
nanten und von Konsonanten Übergängen, namentlich bei den ^Lauten.
Für die betonten Vokale sind bei ihnen folgende wichtige Schreibungen
zu verzeichnen: e für a in offener Silbe, o mr a neben Labialis, y + r
für « + r, u -\- r für y -\' r, y für ^ ey für I, ou für 66^ ou, mo für
anglonorm. au vor Nasalis, endÜch seh -{- on für -eyon; femer wechseln
a und o vor nd, sowie e und a vor ^edeöktem r; nach dunklem Vokal
vor gedecktem / wird u eingeschoben m auUy hawlfe u. dgl. Für gewisse
häufig vorkommende Wörter haben sie eine bestimmtere Schreibung, so
für andy hand, anstcere; auch tühen, das frdlich überhaupt für Londoner
Schreiber — nicht aber für Drucker — im letzten Viertel aes Jahrhunderts
als fest zu betrachten ist; beim Schreiber WC glaubt man sogar Caxtons
Scheidung von than -- quam, then = tum zu bemerken. Ausgesproche-
ner Dialekt wird von BüTsbier bei zwei Gruppen von Korrespondenten
konstatiert: die eine, zu der der alte Richard Ceiy gehört, neigt zu süd-
lichem Dialekt; die andere, zu der der jüngere Richard Cely und ein
entfernterer Verwandter, William C, zählen, hat viele nördliche Eigentüm-
lichkeiten, die ja sich überhaupt in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts
in London bemerkbar machten. — Auf Grund der Celyschen Schreibweise
glaubt S. zwei Erscheinungen genauer als bisher datieren zu können:
die Verdumpfung des a neben i^^ und die r- Modifikation er > ur, die
bisher beide auf Grund der Untersuchungen über die Literatursprache
später angesetzt wurden. Es zeigt sich eben auch hier, dals die volks-
tümliche Aussprache fortschrittliäer ist, wie ja heute die Sprache un-
gebildeter Londoner schon die Weiterentwicklung des e* zu ai und des
ai zu an hören läist; mindestens aber ist deutlich, dalk Ungebildete
sich weniger scheuten, den Lautwandel auch schriftlich zum Ausdruck
zu bringen.
SüjSbiers Arbeit stellt diese sprachlichen Verhältnisse klar und deut-
lich dar nach dem Schema der bekannten Göttinger Arbeit von Römstedt
über Caxton.
Die einschlägige Literatur wird reichlich zitiert, namentlich Luicks
bedeutsame und weitausschauende Arbeiten {Änglia XIV, XVI, Unter-
suchungen 1896, Studien 1908).
Es ist nur schade, dafs die so interessante Arbeit durch zahlreiche
Druckfehler und auch durch das Fehlen der letzten sprachlichen Feile
entstellt wird.
Halberstadt S. Blach.
400 BeurteUungen und kurze Anzeigen.
Specimens of the Elizabethan drama from Lyly to Shirley A. D.
1580— A. D. 1642. With introduction and notes by W. H. Williams,
M. A. Oxford, Clarendon Prees, 1905. VIII u. 576 S. 7 8. 6 d.
Die Ziele, die sich der Herausgeber der vorliegenden Auswahl gesteckt
hat, sind praktischer Natur. Er will denen, die nicht in der La^ sind,
sich eingenend mit dem Drama der Elisabethzeit zu beschäftigen, ^ne gut«
Chrestomathie in die Hand geben, um sie mit dem Stil und dem G^ist
jener einzig dastehenden Blütezeit des englischen Theaters bekannt zn
machen. Wissenschaftliche Ziele verfolgt der Herausgeber also nicht; bei
dem grolsen Mangel an praktischen Chrestomathien aus dieser Periode —
wir Sitzen nur Lambs Spedmens of Engliak dramaÜc poets, das als
nennenswerte Ausnahme erwähnt werden muls — ist seine bescheidene
Gabe sehr willkommen, und sie wird gewifs auf englischen Schulen und
auf deutschen Universitätsseminaren dankenswerte Aufnahme finden. Der
Herausgeber bietet mit Übergehung Shaksperes, den er sich ganz in den
Händen seiner Leser denkt, eine Auswahl von 24 Autoren : L<yly, Kyd,
Marlowe, Peele, Greene, Lodee, Nashe, Chettle, Munday, Jonson, Chap-
man, Dekker, Marston, Miodleton, Bowley, Heywood, Day, Beaumont-
Fletcher, Massinger, Field, Webster, Toumeur, Ford, Shirley, die mit ins-
gesamt 89 Stücken zu Worten kommen. Die Bechtschreibung der Elisabeth-
zeit ist durch die neuenglische ersetzt, ein Verfahren, das ich bei dem
praktischen Charakter des Buches ganz am Platze finde. Eine Verglei-
chung des Buches mit Lamb liegt nahe. Lamb hat &ne rdchere Auswahl
(insgesamt 1 78 Stücke) ; er setzt bedeutend früher ein, bei dem Gorboduc,
und geht hinunter bis zu den letzten Stuarts (d'Ui^ey). Auch gibt er
einige pseudoshaksperesche Stücke, was mir ein Vorzug zu sein scheint.
Ich haoe das Fehlen solcher Stücke bei Williams ungern bemerkt. Ein
Vorzug des Williamsschen Buches vor Lamb sind dagegen die biographi-
schen Einleitungen, die jedem Autor vorausgeschickt sind. Sie sind bis-
weilen allzu ausgedehnt, doch sonst wohlgeraten. Bei Kyd hätte ich eine
Erwähnung des Ur-Hamlet gewünscht.
Gregen die Auswahl, wdche der Herausgeber getroffen hat, irgend-
welche Ausstellungen zu machen, unterlasse ich; Tadel über mesen
Punkt sind bei Chrestomathien und Anthologien bekanntlich sehr wohl-
feil. Der Hauptmangel des Buches liegt an anderer Steile, nämlich in
dem Fehlen einer historischen Übersicht der Entwickelungsgeschichte
des englischen Dramas bis auf EHisabeth. Gerade bei dem %weck, den
der Herausgeber verfolgt, wäre es gut gewesen, die älteren Perioden, die
nicht mit Erzeugnissen zu Wort gekommen sind, kurz in einer Ein-
leitung zu skizzieren. Eine solche Übersicht hätte nicht allzuviel Platz
beansprucht, sondern sich aiif ungefähr 30 Seiten wohl geben lassen.
Vielleicht holt d^ Herausgeber das Unterlassene in einer späteren Auf-
lage nach.
Ist mir der Herausgeber hier zu karg gewesen, so hat er an anderer
Stelle zu viel gegeben, nämlich in den Anmerkungen, die fast ein Viertel
des Buches einnehmen. Dafs bei einem Buche, welches sich an den ge-
bildeten Laien und nicht an den Forscher wendet, veraltete oder schwie-
rige Wörter und Redensarten reichlich mitgeteilt und erklärt werden, ist
selbstverständlich; Teztvarianten zu verzeichnen ist höchst überflüssig.
Die benutzt erfahrungsgemäfs nur der Forscher; dem aber ist mit dem
vorliegenden Text nicht gedient. Er kann nur die kritischen Ausgaben
brauchen.
Alles in allem ist der Herausgeber seinen Zielen gerecht ^worden,
und sein Buch erscheint mir vollauf geeignet, eine bestäende Lücke aus-
zufüllen.
Berlin. Ernst Kroger.
Beurteilungen und kurze Anzdgen. 401
Rudolf Schoenwerth, Die niederländischen und deutschen Bearbei-
tungen von Thomas Kyds Spanish Tragedy (Literarhist. Forschungen,
hg. von Schick und v. Waldberg, 26). Berün, Falber, 1903. CXXVII, 227 S.
In diesem Buche liegt das Werk Tor, das Schick bereits 1898 in der
Temple Edition der Spanish Tragedy ankündigte. Zu den dort kurz auf-
geführten holländischen Aus«iben, von denen Schoenwerth ein volles Drittel
entdeckt hatte, ist in dem abgesdilossenen Werke noch eine neue aus dem
Jahre 1678 hinzugetreten, so dals mit EinschluÜB eines verloren gegangenen
Druckes von 1674 das Dutzend voll ^worden ist. Es mag sein, dais das
düstere, mit dem Untergang des spanischen Königshauses endieende Stück
in Holland Erinnerungen an die schweren Tage der spaniß(£en Fremd-
herrschaft wachrief und dafs man gerade dort das ausschweifende Bache-
gefühl Jeronimos besonders nachempfinden konnte. Es ist wohl nicht
zufällig, dafs in der Bearbeitung von 1638 der Figur der Bache besondere
Worte der Verwünschung gegen Spanien in den Mund gelegt werden.
Jedenfalls ist es interessant, an der Hand der Untersuchungen Schoenwerths
zu v^olgen, wie die mit dem Hamletstoffe so eng verwandte Spanish Tra-
fedy die Holländer immer wieder zu Neuausgaben anreizt bis m das erste
>rittel des 18. Jahrhunderts hinein. Diese zum grüDsten Teil allerdings
unbewulste Wertschätzung der Muse Kyds auf fremdem Boden bildet für
diesen gewissermafsen sein 'Century of praise', und als das vorüber ist,
setzt bereits im Heimatlande, wo Kyd längst vergessen worden war, mit
der ersten Ausgabe von Dodsleys Old Englüh plays, 1744, die literar-
historische Betrachtung Kyds ein.
Zur allgemeinen Charakteristik der sämtlichen fünf von Schoenw. vor-
geführten Bearbeitungen sei vorw^ bemerkt, dalB sie in der sprachlichen
wie technischen Behandlung des Stoffes weit hinter dem Original zurück-
bleiben und, was darin zum Teil schon eingeschlossen lie^, sich auch
ziemlich weit von ihm entfernen; wörtliche Herübemahme ist jedenfalls
sehr selten. Dies erklärt sich wohl daraus, dafs das eigentliche Bindeglied
zwischen dem Original und fast allen Bearbeitungen, nämlich die Fassung,
welche den englischen Komödianten für ihre Aunührungen als Qrundlage
diente, leider verloren gegangen ist
Schoenw.s Arbeit gliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil erhalten
wir neben dankenswerten Mitteilun^n über das Leben und die literarische
Tätigkeit der holländischen Bearbeiter eine äuiBerst einsehende und sorg-
fältig durchgeführte Parallele zwischen jedweder Bearbeitung und dem
Ori^al; der zweite Teil, der, wie mit dem Verfasser zu wünschen ist,
hoffentlich das Interesse holländischer Vertreter der Wissenschaft auf sich
ziehen wird, bringt den Neudruck der drei holländischen Bearbeitungen.
Aus den Untersuchungen des ersten Teils ist folgendes hervorzuheben:
Den Beigen der holländischen Bearbeiter eröffnet ein Epiker, Everaert
Siceram, der bereits 1615 in seine Übersetzung von Ariosts 'Basendem
Boland' den hauptsächlich in den ersten drei Akten der Spanish Tragedy
vorgeführten Stoff einrückte als Ersatz für gewisse Streichungen, die er
sich an Seiner italienischen Vorlage erlaubt hatte. Schon Worp (Shake-
spearer-Jahrbueh 1894, 183 ff.) hat auf Grund einer Lesart gezeigt, dafs
Siceram, übrigens der erste Holländer, der aus einem englischen Drama
wörtb'ch entlehnt, auf einer Ausübe vor der von 1599 fuTst, also einen
der ältesten Texte benutzt. Es ist bezeichnend, dafs Siceram, der seine
Auswahl ziemlich geschickt zu treffen weifs, den längsten der langatmigen
Schlachtenberichte, welche den Anfang der Spanish Tragedy so schwer-
fällig machen, übergeht, während er sich sonst im allgemeinen en^ an
seine Vorlage anschlielst. Die beiden anderen niederländischen Bearbeitun-
gen beruhen auf einem jüngeren Text, denn sie kennen bereits die Addi-
tions. Die eine, von Schoenw. mit A bezeichnet, ein vieraktiges Drama in
402 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Alexandrinern y hat A. van den Bergh zum Verfasser, von dem auch eic
'Polidoor' und ein *Titu6 Andronikus' herrühren, und stammt aus dem
Jahre 1621. Hiemach ist die Angabe von Lee im Diei. of Not. Biogr.
XXXI, 850 zu berichtigen, der lt>08 als Entstehungsjahr angibt und in
einer Ausgabe von 1688 irrtiunlich eine Neuausgab« von A sieht. Bald
darauf folgte die dritte Bearbeitung (B), ein anonymes Drama, welches A.
obwohl in demselben Versmafse geschrieben und auch sonst in Tielen
Punkten von ihm abhängig, in formaler Hinsicht übertrifft und überhaupt
an Gewandtheit des Ausdrucks und der Komposition dem Ori^nal von
sämtlichen Bearbeitungen am nächsten kommt. Schoenw. vergleicht beide
untereinander und mit der Spanish Tragedy in denkbar genauester Wei^
und gibt von Szene zu Szene, zum Teil in Paralleldruck, so ausführliche
Inhaltsangaben, dafs dadurch der Abdruck des Textes im zweiten Teil
fast überflüssig gemacht wird. Vielleicht war eine solche von gröfster
Geduld zeugende JBIleinarbdt in diesem Falle, wo teztkritische Erörterun-
gen nicht in Frage standen und die zeitliche Aufeinanderfolge der Be-
arbeitungen bekannt war, doch nicht angebradit. Sowohl in A wie in B
fehlt es nicht an auffälligen Abweichungen von der Spanish Tragedy. So
wird in beiden Fassungen aus dem Loren zo ein Don redro, dem bei Kyd
nur vier Worte g^ben werden, und aus Balthasar statt dessen in B
Lorenzo, was wonl aus einer Verwechselung oder einer Schauspiel^-
laune zu erklären ist. Inwieweit vielleicht Einflüsse aus anderen Stucken
zu Abweichungen Anlais gegeben haben könnten, erörtert Schoenw. nicht.
Gewisse Stellen scheinen an das Jeronimovorspiel anzuklingen. So sind
die Worte Belimperias, als sie in Ohnmacht fällt, I. B 2. 79: Ick swijnty
ick sijghy ick sterf zu vergleichen mit Jeron. II. 4. US: I awound, I die^
In B stürmt Lorenzo auf Don Pedro ein, weil er ihn für seinen Neben-
buhler Oratio hält, wie in Jeron. Lazarotto dem fälschlich für Andrea ge-
haltenen Alcario sogar den Garaus macht. In einem Schlufsmonolog des
Don Pedro (B I. 4. 57) erinnern die Worte: Ick sie het soo iny dai myn
susier sal Verliesen Haer Minnaer, hy sieh selfs an die entsprechende Mo-
nologstelle Jeron. I 1. 121 : So she a kusband, he shaU lose a teife. Doch
diese und ähnliche Anklänge mögen zufällig sein. Eher konnten aus dem
Hamlet, den die englischen Schauspieler, die seit dem Ende des 16. Jahr-
hunderts häufig nach den Niederlanden kamen (vgl. Cohn, Shakespeare in
Oermany, LXXV ff.), wohl ebenfalls herübergebracht haben werden, und
dessen nahe Stoffverwandtschaft mit der Spanish Tragedy ja kaum ent-
gehen konnte, konkrete Einflüsse kommen. Schon in A ist der Geist de»
Andrea durch den des Oratio ersetzt worden. Wie also im Hamlet der
Geist des Vaters dem Sohne mahnend gegenübertritt, so nun hier der
Sohn dem Vater, und zwar ist dieser Gtoist — zum Unterschiede von dem
Andreas in der Spanish Tragedy, der in die Handlung ja gar nicht ein-
greift — in die Szene Spanish Tragedy III. 2 hineingebracht worden, die
der Szene Hamlet I. 5 insofern entspricht, als auch hier der Hdd die
erste Nachricht über den zu rächenden Mord erhält. Dem Verfasser von
B ist der Brief, den Belimperia zu Jeronimos Aufklärung schreibt, offen-
bar nicht ^enug. Der Geist des Oratio mufs ihr diesen Brief entreifsen
und ihn mit eindringlicher Mahnung zur Bache seinem Vater überbringen.
Es scheint also gleichsam nach dem Grundsatze: 'Doppelt hält besser'
eine Herübemahme der Geistererscheinung aus dem Hamlet stattgefunden
zu haben. Dal's Oratio sich dabei seiner Braut mit den Worten vorstellt
(B II. 5. 92) : Ick ben Oraty Oheest . . . Van uwen Broeder moort in d armen
van sijn Bruyt, ihr also die Mordtat erzählt, von der sie doch 2^uge ge-
wesen und auf deren Sühnung^ sie schon bedacht ist, ist in B ganz un-
motiviert und mag auf den Hamlet zurückgehen, wo eine solche Beieh-
rung seitens des Geistes für Hamlet notwendig ist. B als die interessanteste
Bearbeitung wurde mit geringfügigen Abweichungen immer wieder heraus-
BeurteünngeD und kurze Anzeigen. 403
gegeben. Die letzte Ausgabe stammt aus dem Jahre 1729. An eine dieser
Ausgaben knüpft auch Caspar Stielers Bellemperie (C) aus dem Jahre 1680
an, die bei Schoenw. so gut wie zum erstenmal im Rahmen der wissen-
schaftlichen Forschung erscheint. Zu bedauern ist, dafs nicht auch diese
Fassung zum Abdrucs gelangte, zumal davon nur ein einziges von Bolte
entdecnes Exemplar in Kopenhagen bekannt ist und die Abweichungen
von B sehr bedeutend sind. C ist fast ganz in Prosa geschrieben und setzt,
die Handlung auf einen Zeitraum von etwa 24 Stunden zusammendrängend,
erst mit der bei ß erwähnten Erscheinung Horatios ein. Charakteristisch
für C ist, dafs die komischen Szenen, die schon in A und B reichlich ver-
treten sind, die Haupthandlung fast zu überwuchern drohen. Die überall
herumspukenden Geister sinken auf die Stufe von neckischen Kobolden
herab, die ebenso wie ein Totentanz der Erschlagenen mehr Heiterkeit als
Entsetzen erregen. Auf EinfluTs italienisch-französischer Komödien deutet
hin, dals dem Liebesverhältnis zwischen Horatio und Bellemperie ein solches
zwischen Skaramutza (« Pedringano) und Gillette, einer Kammerzofe der
Bellemperie, g^enübergestellt wird, wie überhaupt den Dienern ein gröfserer
Anteil an der Handlung eingeräumt ist. Schon erfu^en ist nur eine
Szene, II. l, wo Bellemperie, vor dem Bilde Horatios ninffekniet, Rache
schwört Bell, ist überhaupt viel mehr als in der Spanish 'fi'agedy bei der
Rache die treibende Kraft; sie gibt hier dem Hieronymo ein von ihr ver-
fafstes Stück, das der Ausführung der Rache dient. An letzter Stelle ge-
langt bei Schoenw. die bekannte Telimperia' von Ayrer (D) zur Besprechung,
die ihrer Entstehungszeit nach — zwischen 1598 und 1605 — an den An-
fang der ganzen Reihe gehört Weit ab hält sich das sechsaktige Stück
von den anderen Bearbeitungen dadurch, dafs es den Schauplatz nach
Konstantinopel verlebt und durch die völlig abweichende Gestaltung des
einwiegten Schauspiels. Welche Vorlaee Ayrer benutzte, hat auch Schoenw.
nicht endgültig entscheiden können. I)er Umstand, dafs D alles in allem
17 Personen weniger hat als die Spanish Tragedy, könnte zu der Annahme
führen, dafs er aus dem Manusknpt oder aus Aufführungen einer Schau-
spielertruppe schöpfte, während anderseits die zwischen D und Spanish
Tragedy sclion von Tittmann festgestellte wörtliche Übereinstimmung sowie
die von Schoenw. vermerkte Gleichheit 'im Aufbau der Handlung und in
der Folge der Gedanken' und eine gewisse Anlehnung an die Fassung A
doch noch eine andere Quelle zur Voraussetzung zu haben scheinen. Mit
den niederländischen Bearbeitungen bestdit, wie mir scheint, audi insofern
Ähnlichkeit, als Don Pedro und Balthasar in D wie in B Reue über ihre
Untaten empfinden, was Kyds Helden ^anz fremd ist. — Bis auf A schlie-
fsen die dramatischen Bearbeitungen im Gegensatz zu Kyd mit einem
kleinen fabula docet
Den Beschlufs von Schoenwerths Buch machen Anmerkungen, die
sachliche Erläuterungen und Übersetzungshilfen für den deutschen Leser
bringen, und ein kurzer Nachtrag mit der graphischen Darstellung des
Abhängigkeitsverhältnisses der Bearbeitungen, das Ergebnis der mühsamen
und äufserst gewissenhaft angefertigten Untersuchungen. Da nach Schoen-
werths eigenen Angaben (S. aYIII u. L) Siceram und B, was kaum zu-
fällig sein dürfte, in gleicher Weise etwas aus der Szene Spanish Tragedy
IV. 2 in die Szene if. 5 übertragen, so konnte wohl auch Siceram mit B
durch eine Abhängigkeitslinie verbunden werden.
Berlin. Otto Michael.
Shakspere^s vocabulary. Its etymological elements. I. By Eilert Ekwall
(Upsala Universitets ärsskrift 1903). XIX, 99.
Berechnungen und Betrachtungen über das prozentuale Verhältnis der
verschiedenen Sprachanteile am englischen Wortschatz gehören schon lange
404 BeurteiluDgen und kurze Auzeigen.
zu den beliebtesten Fragen der englischen Sprachgeschichte, an denen
selbst ninz elementare Lehrbücher seüen yorbeizugehen pflegen, da sie
allgemeinen Interesses sicher sind. Zur wissenschaftlichen Lösung und
exakten Beantwortung dieser Fragen lie^ jedoch weniK brauchbares Ma-
terial vor. Die älteren Auszählungen leiden an drei Grundmän^eln : sie
gehen entweder von einer zu kleinen oder aber von einer zu grolaen, uo-
übersehbar zerflielsenden Stoffbasis aus; sie individualisieren die Zahl-
meUioden nicht hinreichend; sie sind endlich auf unzureichenden etymo-
logischen Erkenntnissen aufgebaut; wie viele feinere Fragen der Etymologie,
z. B. der Einfluls der skandinavischen Sprachen, sind erst in den letztes
Jahren ihrer Lösung näher geführt worden I Die exakte Forschung hat
hier so ziemlich neu aufzubauen, und es werden sich viele Hände rühren
müssen, ehe du mare magnum des englischen Wortschatzes in aUen seinen
Strömungen und Mischungen uns wie auf einem fein detaillierten Karten-
bilde in ninreichender Individualisierunjg entg^entreten kann. Denn es
sind hier vielerlei Quer- und Längsschnitte zu ziehen, verschiedene Zähl-
methoden zu verfolgen und individudle Gruppen zu umschrdben, soll au«
der Statistik Einsicht in ein organisches Gebilde hervorgehen.
Was in älterer Zeit in erster Linie des Interesses stand, die Zusam-
mensetzung des ganzen englischen Lexikons, wird vermutlich das letzte
Forschungsobjekt bilden, die Dachkrönung eines Gebäudes von vielen
Stockwerken mit zahlreichen Räumen, das erst zu errichten ist. Kein
ernsthafter Philologe wird selbstverständlich eine lexikalische Auszählung
des englischen Wortschatzes vornehmen vor Vollendung des New ßnglisA
Dieticnary; aber auch wenn der CTOüse Augenblick einmal gekommen ist,
wo der glückliche Anglist seine Hand auf den Turm von Folianten legen
und sa^n kann: hie est liber — auch dann wird das Auszählresultat,
höchst interessant an sich und unentbehrlich, nicht die Lösung der Frage
schleditiiin für ihn bedeuten, weil das Thema eben nicht eine Frage, son-
dern ein ganzes Bündel von Fragen ist, die von verschiedenen Gesichts-
punkten erforscht werden wollen, während der lexikalische Stoff nur eine
Art von Querschnitt ermöglicht.
Schon die Analyse der allgemeinen Prinzipien einer Wortstatistik
zeigt, dafs vier Zerle^ngsmethoden nebeneinander notwendig sind, nm
ein volles Bild zu gewinnen. Der Hauptsache nach kommen in Betracht:
1. das Zählprinzip, 2. die Abgrenzung der Materialbasis.
1. Das Zählprinzip kann lexikalisch oder statistisch sein, d. h. man
zählt das Wort als lexikalische Einhdt ohne Bücksicht auf die Häufigkeit
seines Vorkommens nur einmid, oder man zählt jedes Wort des Textes als
separate Nummer. Die Prozentberechnun^ ergibt natürlich sehr abweichende
Resultate: der Prozentsatz heimischer Wörter im Wortschatze Shaksperes
beträgt nach Marsh bei lexikalischer Zählung 60 Prozent, bei statistischer
aber 91—88 Prozent. Beide Zählmethoden müssen geübt wollen, da sie
verschiedenen Erkenntnis wert haben : die lexikalische zeigt die Zusammen-
setzung, die statistische die Gebrauchshäufigkeit.
2. Die Basis. Die Zählung kann sich erstrecken a) auf kürzere und
längere Abschnitte eines Wortes, die dann nur annähernde typische Re-
sultate ergeben; fi) auf die ganze Produktion eines Autors; y) auf den
Sprachschatz der einzelnen Janrhunderte oder auf den Gesamtsprachschatz.
Bei /) kommt aus naheli^enden Gründen nur die zweite Alternative in
Betracht, da Speziallexika für die einzelnen Jahrhunderte nicht existieren ;
von den Zählmethoden ist aber nur eine, die lexikalische, anwendbar, und
das durch sie Erreichbare ist daher nur eine einseitige Eirkenntnis. Selbst
diese ist zu wenig individualisierbar; denn jedes neuenglische Lexikon um-
fafet den Sprachschatz mehrerer Jahrhunderte; wieviel davon ist nur kurz-
lebig gewesen, wieviel sogar nur ein-, zweimal von einem Einzelnen ge-
braucht und ad hoc geprägt worden I Das Ergebnis der Auszählung eines
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 405
neuenglischen Lexikons zeigt daher nur, über welche etymologischen Be-
standteile die Sprache in ihrem ganzen Verlaufe verfügt nat; gewifs eben-
falls ein wissenswertes Besultat^ aber für alle feineren Fragen versagend.
Am leichtesten wäre ein historisch einheitlicher lexikalischer Quersoinitt
bei Beschränkung auf die lebende Sprache zu ermitteln; aber die Schei-
dung zwischen gesprochenem oder auch literarisch wirklich lebendem und
totem Sprachgut stöfst im einzelnen auf grofse Schwierigkeiten. Es ist
daher notwendig, sowohl Längsschnitte — die Entwickemn^ durch die
«Tahrhunderte umfassend — als Querschnitte, den gleichzeitigen Sprach-
gebrauch zei^nd, zu ziehen. Wieviel bleibt da nodi zu tun übrig, von
der Detaillisierun^ der Schnittlinien in Unterabteilungen zu schweigen I
Von allcQ Seiten her werden wir zu der Erkenntnis gedrängt, dais
zurzeit am notwendigsten und am fruchtbarsten die Eitorschung des
Wortschatzes einzelner Autoren ist. Ekwall hat Shakspere herausgegriffen
und darf des Dankes für diese Wahl sicher sein; ein Buch, das den
Sprachschatz Shaksperes nach etymoloeischen Gesichtspunkten untersucht,
dient nicht nur den allgemeineren spracästatistischen Forschungen, sondern
ist auch zugleich ein Beitrag zur Stilerkenntnis des Dichters, soweit die
Sphäre lexikalischer Kriterien eben reicht. Diese Arbeit ist umsichtig an-
gelegt und mit ernstem Fleifse ausgeführt; wir haben es nicht mit einer
oberflächlichen Summarisierung ni^ einem bequemen Schema und auf
Grund etymologischen Gemeingutes aus dritter oder vierter Hand zu tun ;
Ekwall ist bestrebt, die etymologischen Forschungen direkt zu verwerten
und übt in den zweifelhaften Fällen selbständig Kritik. Dafs hierbei
nicht immer Abschlieisendes oder Erschöpfendes geboten werden konnte,
liegt in der Schwierigkeit der Sache. Ein Eingehen auf Einzelheiten mufs
ich den Etymologen vom Fach überlaasen. Der vorliegende erste Teil
enthält eine interessante Einleitung über die älteren sprachstatistischen
Studien, von Hickes, 1705, bis auf unsere Tage, sowie über Methode und
Ziele solcher Forschungen, und die von lehrreichen Fulsnoten begleiteten
Listen der heimischen, skandinavischen und kontinental - germanischen
Wörter (76 — 13 — 4 Seiten). Der zweite Teil wird die romanischen,
keltischen und sonstigen Elemente behandeln und die Schlüsse aus dem
gesamten Material zienen. Hierbei soll, sehr richtig und notwendig, nicht
nur der lexikalische Prozentsatz, sondern auch der Gebrauchswert berück-
sichtigt werden, letzterer jedoch nicht auf Grund einer Gesamtauszählun^,
sondern durch Analysen ausgewählter Partien. Man hat kein Recht, die
enorme Arbeit der Auszählung von dem Verfasser zu Verlanen und mufs
ihm beistimmen, wenn er die dabei zu erreichenden Ergebnisse als hardiy
tporth tohiU bezeichnet; es gibt Grenzen selbst statistischer Forschungen,
über die hinaus kein Erkenntniswert von wirklich wissenschaftlichem Be-
lang zu erwarten ist. Dabei fällt besonders ins Gewicht der (von Ekwall
geltend gemachte) Gesichtspunkt, dafs in den verschiedenen Worten Shak-
Bperes verschiedene Prozentverhältnisse herrschen können. Man möchte
in der Tat von vornherein annehmen, dais die Benaissanceei)en und die
Sonette sich von den Dramen auch in diesem Punkte unterscheiden. Damit
hängen weitere Fragen zusammen: zeigt die Sprache der verschiedenen
sozialen Schichten in den Dramen abweichende etymologische Prozentver-
hältnisse, übt das Thema des Dialogs einen Einflufs darauf aus? Hier
ist die Linie, wo wortstatistische Forschungen in Stüuntersuchungen ohne
scharfe Grenze überfliefsen. Für alle diese Fragen würde eine allgemeine
Gebrauchsstatistik versagen; Partienanalyse wird viel lehrreicher sein.
Immerhin wäre zu bedenken, ob nicht schon auf Grund der Konkordanzen
und des Schmidtschen Lexikons sich wenigstens scheiden lielse zwischen
hapex eiremena, ganz seltenen und allgemeiner üblichen Wörtern, und ob
eine Sondertabelle darüber nicht Typisch- Wertvolles ergäbe. Denn es ist
ein wesentlicher Unterschied, ob wir wissen, dafs Shakspere eounsd und
406 BeurteilungcD und kurze ÄDzeigen.
rede bat, oder ersehen, dafs er rede nur eiDmal, 'Hamlet' 1, 3, 51, g^>raucbt:
and recke not hie own rede, sicher in Zusammenhang mit der alliterieren den
Bindung und beeinflufst von dem Charakter der Stelle, wo tod den.
Sittenprediger die Rede ist, angepa&t dem archaisierenden PredigertoD.
den Ophelia schelmisch nachahmt. Und ähnliches lieüse sich noch mehr
anführen, was auf die Notwendigkeit einer synonymischen Crebranchsbe-
trachtung hinleitet. Solche Individualisierung ist von einem Werke lexi-
kalisdier Art nicht zu erwarten ; sie kann nur in stilistischen Arbeiten zu
Rechte kommen; wieviel hier zu gewinnen und noch zu holen ist, haben
die sehr anregenden und lehrreidien Stilstudien Sarrazins gezeigt. Wie
weit die stilistischen Gesichtspunkte bei der Analyse von Partien in EkwalJ^
Buch zu Worte kommen werden, bleibt abzuwarten, da der Verfasser kein
Programm aufgestellt hat (/ eannot enter more fuüy upan ihis part of my
pUm, OS many (hinge may oecur to me in the eouree of my work, of fchieh
I am not aware now) ; da(s ihm die Notwendigkeit freier Differenzierung
der Methode in der Verwertung der Ergebnisse gegenwärtig ist, zei^ die
Bemerkung, dafs auch nach der Art der Redeteile Queriinien zn zidien
sein werden, wobei von Form Worten abzusehen ist; Adiektiva, Substantivs,
Verba dürften verschiedene Prozentsätze aufweisen. So drängt auch hier
alles nach, einer Stilistik Shaksperes hin, deren wir dringend bedürfen
(vgl. die Aufserungen H. Conrads in dieser Zeitschrift CXIV, 443); sie
von Ekwalls Buch erwarten, hiefse den Zweck und das Arbeitsgebiet seiner
Studie verkennen ; aber es verspricht, willkommene Beiträge dazu zu bieten,
und die Ergebnisse von Ekwalls mühevoller und nützlicher lexikalisch-
statistischer Arbeit worden auch der Stilästhetik zu gute kommen; 'denn
wer in den Schönheitsschatz eines Dichters die Eimer ganz tief hinabsenkt,
wird der Grammatik als den Elementen des Ausdrucksvermögens nicht
entrinnen^ (Brandl). Dem Abschlufs der Arbdt darf man mit Interesse
entgegensehen.
Münster i. W. Otto L. Jiriczek.
R Koeppely Studien über Shakespeares Wirkung auf zeitgenossi-
sche Dramatiker. Louvain 1905 (« Materialien zur Kunde des älte-
ren englischen Dramas^ hrsg. von W. Bang. Bd. 9).
Die vorlie^nde Schrift ist ein Seitenstück zu zwei früheren allge-
meineren Arbeiten Koeppels, Quellenstudien xu den Dramen Ben Jansens,
MarstonSy und Beaumonts und FUtchers (1895), und Quellenstudien %u den
Dramen Chapmans, Massingers und Fords (1897). Die in den baden
'Quellenstudien' untersuchten Dramatiker kommen natürlich für die sie
ergänzenden neuesten 'Studien' nicht in Betracht, da etwaige Einwirkun-
gen Shakespeares auf ihre Dramen schon in jenen behandelt worden waren.
Es scheint aber Koeppels Absicht gewesen zu sein, die übrigen Dramatiker
jener Zeit, die in neueren Ausgaben vorliegen, in annähernder Vollstän-
digkeit auf ihr Abhängigkeitsverhältnis von Shakespeare zu untersuchen.
Wenigstens vermisse ich unter den vom Verfasser herangezogenen jünge-
ren Dramatikern der Renaissance nur Day, Nabbes und Samuel Rowley;
Toumeur war von Koeppel schon anhangsweise in seinen 'Quellenstudien'
behandelt worden.
Um die 'Ausstrahlungen eines Herrschergeistes' wie Shakespeare in
den Werken seiner jüngeren Zeitgenossen verfolgen zu können, dazu be-
darf es vor allem einer umfassenden Belesenheit, einer allseitigen Vertraut-
heit mit den Werken des Meisters, die nicht häufig anzutreffen ist. Koeppel
besitzt diese Eigenschaften in hohem Grade. Allerdings wurde seine Arroit
durch das trefUiche Shakespeare-Lexikon von Alexander Schmidt beträcht-
lich erleichtert. Dies Hilfsmittel versagt aber, wo es sich nicht um die
Entlehnung einzelner Biedewendungen SShakespeares handelt, sond^n eine
Beurteilungen und kurze Anzdgen. 407
allgemeine Situation, ein einzelnes Motiv oder ein Charakter aus einem
seiner Stucke von einem anderen Dramatiker nachgeahmt worden ist. Auch
in solchen Fällen bewährt sich durchaus die hervorragende Shakespeare-
kenntnis des Verfassers.
Eine Quellenuntersuchung, die den Einflufs eines einzelnen Dichters
auf die Literatur seiner eigenen oder einer späteren Zeit erforschen will,
kann auf zwei Arten angestellt werden : entweder indem man von dem als
Quelle gegebenen Dichter ausgeht, den Stoff nach dessen einzelnen Wer-
ken gliedert und innerhalb eines jeden Abschnittes alle bei anderen Schrift-
stellern vorkommenden Anklänge an das betreffende Werk vorführt, oder
indem man die Werke der Nacnahmer einzeln durchgeht und bei jedem
dieser Werke alle Fälle solcher Nachahmung zusammenstellt. Durch
erstere Art wird deutlich, in welchem Umfange und Grade die einzelnen
Werke des als Quelle dienenden Dichters nachgeahmt worden sind ; letztere
Art lälst die Eigenart des Nachahmers eher hervortreten. Eoeppel hat
recht daran getan, diese Art zu wählen; um sich aber auch die Vorteile
der ersteren Art nicht entgehen zu lassen, bietet er S. 97 ff. ein nach
den Stöcken Shakespeares geordnetes Verzeichnis derartiger Fälle von
Nachahmung.
EoeppeS Arbeit hat zunächst grosses geschichtliches Interesse. Es
ist natürhch von hohem unmittelbarem Wert für die literaturgesdiicht-
liche Forschung, den tatsächlichen Einflufs der Werke Shakespeares auf
die Dramen seiner jüngeren Zeitgenossen im einzelnen festzustellen. Erst
nach einem Mosaik bilde solcher Einzelheiten können wir uns ein Urteil
über das allgemeine literarische Abhängigkeitsverhältnis des betreffenden
Dichters von Shakespeare bilden. Als mittelbarer Grewinn von Koeppels
Buch ergibt sich auiserdem gelegentlich die Möglichkeit, ein Stück Shake-
speares genauer zu datieren. In dem vorhin erwähnten Register (Eoeppel
8. 97 ff.) hat der Verfasser die für die Chronologie der Dramen Shake-
speares wichtigen Stellen durch fetten Druck hervorgehoben. In einem
Falle gewinnt er aus seiner Untersuchimg auch ein I&iterium gegen die
Echtheit eines zweifelhaften Stückes. Es erweist sich nämlich, daijs bei
Thomas Heywood Spuren von Bekanntschaft mit Shakespeares Dramen
nur selten anzutreffen sind. Um so auffälliger sind die zahlreichen Shake-
speareanspielungen in dem bisher Heywood zugeschriebenen Lustspiel
'The Fair Maid of the Exchan^e^ Eoeppel schliefst sich daher der Mei-
nung Fleays an, der aus dem eoen genannten Grunde das Stück Heywood
abspricht. Heywoods Verfasserschaft wird danach in der Tat redit un-
wahrscheinlich.
Anzuerkennen ist es, dafs Eoeppel nicht nur die Dramen, sondern
auch die bisher zu wenig beachteten epischen Dichtungen Shakespeares
in den Ereis seiner Betrachtung gezogen hat. Die verhältnismälsige
Häufigkeit von Anklängen an diese Epen bei den Dramatikern jener
Zeit TOweist uns, wie beUebt »Shakespeares epische Dichtungen bei seinen
Zeitgenossen waren.
Die Besprechung wenigstens der gröfseren Dramatiker, Dekkers, T. Hey-
woods, Middletons, Richard Bromes, Randolphs, James Shirleys und
Glapthomes gibt dem Verfasser Gelegenheit, einige feinsinnige Bemer-
kungen zur aSgemeinen Charakteristik ihrer dichterischen Persönlichkeiten
einzuflechten.
Auch Eoeppel selbst ist sich, wie sein Vorwort zeigt, dessen wohl
bewuTst gewesen, dafs bei der von ihm angewandten Art der vergleichen-
den Betrachtung eine gewisse Subjektivität des Urteils zuweilen unver-
meidlich ist, und dais eine solche Betrachtung schwerlich jemals vöUig
erschöpfend sein kann. Der aufmerksame Leser der von Eoeppel behan-
delten Dramatiker wird daher leicht zwischen diesen und Shakespeare
neue Ähnlichkeiten entdecken, die dem Verfasser entgangen sind. Zu der
408 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Zeit, als ich mit EoeppelB Buch bekannt wurde, beechaftigte ich mich
gerade mit den Dramen von James öhirlej. In diesen Dramen ist mir
eine Reihe von Shakespeareanklängen aufgestolsen, die ich als Nachtraf
zu Koeppels Arbeit hier anführe. Für einige dieser Anklänge muis ich
freilich dasselbe Recht der Subjektivität für mich in Anspruch Dehrooi.
das Eoeppel für sich selbst geltend gemacht hat.
Im Lustspiel *The Changes, or, Love in a Maze' sagt Sir Gerva.«e
Simple: thy ehin is haich'd toüh ailver, nach 'Troilus und Cressida' (I :3,
Ö5), wo Ulysses den Nestor Vener<Me Nestor, hateh^d in süver nennt.
Die spottlustige und spröde Männerfeindin Carol im Lustspiel *Hyde
Park^ bei der die Spottlust im Grunde nur ein Panzer ist, hinter dem
sich ihre Liebe zu Fairfield verbirgt, gleidbt der Beatrice in 'Much Add
about Nothing'. Sie äufsert an einer Stelle (Shirley, Dram, Works wit'h
Notes by OiffSrd <md Dyes II, S. 502): — ne'er tcas simple eamomtle so
trod on, Yei still J groto in love,
Yf\. Falstaff in «Henry IV', Part I, II 4, ^41 ff.: the camomUe, ihe
more tt is trodden on ihe faster it ffrows, Koeppel (S. 70) zitiert eine andere
camom»i^-Stelle in Wilkins 'Miseries of Enforced Marriage' und betont mit
Recht, dafs die Vergleiche mit der Kamille wegen ihrer Häufigkeit bei
den alten Dramatikern zur Feststellung eines Shakespeareeinflusses nicht
genügen. Shirley konnte hier auch unmittelbar aus Lylys *Euphues' ge-
schöpft haben, der auch Shakespeares Quelle für die angeführte Stelle ge-
wesen war. Aber gleich darauf b^egnet in Shirleys Stück eine andere
Steile, die es meines Erachten» wiuirscheinlich macht, dafs Shirley hier
doch den ersten Teil von Shakespeares 'Henry IV.' als Muster vor sich
gehabt hat. Carol sagt (S. 508):
Oh ffive me, lend me btU the tilken tie
About your leg, tphich aome do call a garter.
Diese humoristische Umschreibung eines Alltagsbegriffs erinnert, wie
mir scheint, an eine andere bekannte Stelle in derselben Rede Falstaffs
au den Prinzen (II 4, 453 ff.): There is a thing, Harry, which thou hast
often keard of, and it is known to many in our land by the natne of püeh.
Ein anderes Mal erkennen wir in Oarols Worten an Fairfield:
you have
A medley in your face af many nations, usw.
eine Nachahmung des wenig ^schmack vollen Scherzes in 'The Comedy
of Errors', wo Dromio die einzelnen Körperteile seiner Geliebten, der
Küchenfee Neil, mit verschiedenen Ländern vergleicht (vgl. auch Koeppel
S. S-i),
In 'The Gamester' begebet das aus Shakespeares 'All's well that
ends well' und 'Measure for Measure' bekannte Vertauschun^motiv : Der
lüsterne Wilding schlaf seiner Nichte Penelope einen nächtlichen Besuch
vor; diese aber will seine eigene Frau an ihre Stelle treten lassen. Dss
Motiv wird dadurch variiert, dafs Wilding nicht selbst zum vermeintlichen
Stelldichein mit Penelope geht, sondern statt seiner den Spieler Hazani
hinschickt, dem er zu Dank verpflichtet ist, und dafs, wie am Schlafs
herauskommt, Hazard von Wildings Anerbieten keinen Grebraach ge-
macht hat.
In der Tragikomödie *The Doubtful Heir' verwendet Shirley ein durch
Shakespeares '1 weif th-night' aufgebrachtes Motiv: Rosania folgt, als Page
verkleiaet, dem Geliebten ihres Herzens, Ferdinand, dem Köni^ von
Murcia, und wird am Schiulis mit ihm vermählt Zum Unterschied vom
Herzog Orsino bei Shakespeare weils aber Ferdinand von vornherein, wer
der ihm folgende Page ist.
Auiserdem ist noch zu erwähnen, da(s zu den zahlreichen Nachahmern
Bearteilungen und kurze Anzeigen. 40^
der Gestalten der Polizdrüpel in Shakespeares *Much Ado about Nothing'
auch Samuel Rowley gehört. Die Nachahmung erkennen wir in den
Wortverdrehungen und dem Schlafbedürfnis des ersten Wachmannes in
dem einzigen erhaltenen StGck dieses Dramatikers, When you see me, you
know me, or, The Fcmious Ckroniele History of King Henry VIU, (hrsg. von
Elze, Dessau und London, 1874).
Schliefslich sei noch die Bemerkung Koeppels (S. 79) berichtigt,
'The Cit^-Nightcap' sei das einzige uns erhaltene Stück von Davenport.
Dieser Dichter ist auch der Verfasser von zwei anderen Dramen, die aller-
dings nur in Originaldrucken des 17. Jahrhunderts überliefert sind:* eines
Lustspiels 'A New Trick to cheat the Devil', und eines Trauerspiels 'King
John and Matilda'. Ich habe im Herbst vorieen Jahres beide Stücke in
der Bodleiana in Oxford in Händen gehabt. Das zuerst genannte Lust-
spiel ist dadurch merkwürdig, dals Davenport den bekannten, auch von
Andersen in seinem Märchen vDer kleine una der grofse Klaus' verwerteten,
ursprünglich altfranzösischen Schwank 'Der arme Schüler' (vgl. Hertz,
Sptelmannsbiieh) hinein verarbeitet hat.
Diese Zusätze mögen mein grofses Interesse an Koeppels Buch be-
weisen, das ich als eine wertvolle Bereicherung der Literatur über Shake-
speare und seine Nachfolger willkommen heÜse.
Freiburg L Br. Eduard Eckhardt.
Johnson^ Samuel, Lives of the English poets, ed. by George Birk-
beok Hill, D. C. L. Oxford, Clarendon Press, 1 905. Vol. I : XXVII,
487 S. Vol. II: 440 S. Vol. III: 568 S. 86 «li. net.
Auf die bekannten Ausgaben von Johnsons 'Leiters' und 'Life', die
Birkbeck Hill vor wenigen JfOiren im grolsen Oxforder Verlage erscheinen
liefs, ist jetzt ein Neuaruck von Johnsons Dicbterbiographien mit einem
Kommentar gefolgt, der alle 52 Lebensbilder, wie sie der literarische Dik-
tator der Goldsmith-Zeit entwarf, in neues Licht rückt. Mit anerkennens-
wertem Fleifse und Gedächtnis hat der Herausgeber jeden Satz nach-
geprüft, jede vorkommende Persönlichkeit erläutert, die Zitate nachgeschla-
gen, Parallelen aus den Werken Johnsons und seiner Zeitgenossen auge-
führt und seine Quellen Schritt für Schritt festgestellt. Ich glaube nient,
dals ein modemer Biograph bisher einen so gründlichen Interpreten ge-
funden hat. Das Werk ist für den Forscher in der Literatur des 18. Jahr-
hunderts eine Fundgrube.
Die Methode mlls kann man als eine antiquarische und zugleich
vergleichend-kritische bezeichnen. Er will uns sagjen : wer die Leute waren
unof was sie taten; ferner: wieweit Johnsons Urteile mit denen seiner Zeit
übereinstimmten, und ob sie dem englischen Geschmack entsprachen.
Diese beiden Ziele erreicht er durch ausgiebige Stellenvergleichung. Als
Kommentator haftet er naturgemäfs am vorliegenden Satz. Die Entwicke-
lung von Ideen und Formen in freierer Weise zu verfolgen wäre über
seine Grenze hinausgegangen — das ist Sache des Literarhistorikers, der
deshalb immer noch einiges beizufügen vermöchte. Wenn Johnson z. B.
im Artikel über Milton (1779) — dem Hauptstück der ganzen Samm-
lung — erklärt: 'The kigheat praise of genius ts original invention' (I 194),
so uegt es nahe, an Thomas Youngs Essay 'On original composiiion' (1759)
zu denken und an die ganze Ausbildung der Genielehre seit Dryden, als
an die Vorbedingung jener lapidaren Sentenz. Bei Johnsons Einschätzung
* Wie ich Dachträglich bemerke, gibt es aach eine Nenausgabe der Werke
DavenportB (von Ballen, London 1890), die allerdings nach englischer Unsitte in
sehr kleiner Aoflage gedruckt worden ist.
ArduT f. n. Sprachen. CXVI. 27
410 Bearteiliixig«n und kurze Anzeigen.
dee £p06 idfl der erhabeneten Poeucffattuns erinnert man sich gern an
das Herauswachsen dieser Lehre nicht blo£ aus Le Bossu, Dryden und
Addison, die Hill I 171 anführt, sondern ans Longinus, in dessen ^fls^i
vy/oti* sie wurzelt Johnsons Wort über ^Allegro' und 'Penseroeo' (*Ecay-
man tkat reads them reads tkem tcüh pleasure' I 165) lielse sich duräi
zahlreiche Nachahmungen dieser Gedichte bei den englischen Landschafts-
dichtem des 18. Jahrhunderts erhärten, u. dgl. Nicht als Ausstellung sei
dies erwähnt, sondern um die Leistungslinie Hills zu markieren und der
banalen, niemals zutreffenden Meinung Torzu beugen, die Forschung sei
jetzt auf einem Gebiete abgeschlossen. Im Gegenteil, jetzt drängen sich
erst die Fragen auf, wodurch sich Johnson von früheren Lebensbescfarei-
bem untersdieidet, nach welchen ästhetisdien Prinzipien er urteilte, woher
er sie hatte, und inwiefern er sie förderte? Die Dichterbiographie setzte
in England mit Sidney passiv ein (Life of Sidneu von seinem Freunde
Fulke Greville f 1628, gedr. 1652), die Dichterkritik mit demselben Manne
in aktivem Sinne (Defe$tee of poetry); auf beiden Gebieten fand Johnson
schon eine bedeutende Erbschaft vor; was er aus eigener Kraft beifugte,
ist jetzt mit Hills Hilfe leicht ins Klare zu stellen.
Vielleicht hätte es der Herausgeber selbst in einem Prol^omenon
getan, wenn ihm das Leben geblieben wäre. Aber er starb 1908, und so
steht vor seinem nosthumen opus magnum seine eigene Lebensskizze, ver-
fafst von seinem Neffen H. S. Scott, wir erfahren daraus, wie eine Menge
Faktoren zusammenwirken mufsten, um diesen eingehenden Kommentar
möglich zu machen. Hill war geboren (1835) und aufgewachsen im Schul-
haus Bruce Castle, Tottenham, Middlesex, das mit Heinrich VIII. und
Elisabeth in Beziehung stand. Sein Vater war ein Schüler Priestleys ge-
wesen und übertrug dessen rationalistischen Geist ab innerliche Nadi-
wirkung der Johnson-Zeit auf seinen Sohn, so dafs dieser in der Juceiid
nicht anders zu denken verstand als utilaristisch und in der Art der äiin-
burffh Reviewers. Doch prägte er sich bereits damals achtzehn Stücke von
Shakespeare ins Gedächtnis, so dafs er sie noch als hoch Siebziger jeder-
zeit hersagen konnte. Persönliche Bekanntschaft mit Dichtern gewann er
zu Oxford im Kreise der Prärafaeliten. Im Jahre 1878 vertiefte er sich
in Johnson mit einer Studie über dessen Freunde und Kritiker, blieb ihm
fortan mit geringen Unterbrechungen treu und begann schon 1892 zu den
vorlie^nden Bänden 'lAves* da« Material zu sammeln. Das erklärt die
Treffhchkeit seiner Leistung.
Berlin. A. Brand 1.
Heinrich Heines Verhältnis ssu Lord Byron, von Felix Melchior.
Berlin, Emil Felber, 1903 (Literarhistorische Forschungen, Heft XXVII).
170 8.
In Germany, Heine has long since been crowned and definitely ac-
cepted as the country's ereatest lyric poet of Roman ticism, despite the
fact that officially bis (£aracter as a 'geistreicher Schalk' (Treitschke)
still prevents him from attaining the highest pinnacle of recognition. In
England, on the contrary, the place of Byron in English Uterature is still
under debate. It is one of the strandest phenomena of literary history
that thiA should be so, and that, while the whole Continent enthusiasti-
cally hails him as the hero of the Bomantic movement, England still per-
sists in considerin^ his case as 'non-proven' and his position in the gallery
of Fame as still dfisputable. It is ahsurd, however, thus late in the day,
to do as Melchior does in this otherwise most interesting comparative
study of his, and rail at the Enclish for not acoepting Byron as un-
questioninKly and as absolutely as ne himself has been taught to do. 'Die
Engherzigkeit und Heuchelei des Krämervolkes, welches elf Jahre vorher
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 411
Beinen gröfsten Dichter aus dem Lande getrieben hatte, lernte auch Heine
jetzt kennen' says Melchior, with noble rage making Byron's poetic woes
his own. But isn't all thie talk about 'Kramervolk' and 'Heuchelei'
rather silly and out of place in a scientific essay ? Sudi expressions must
be put down, I suppoee, to the ill-informed enthusianm of adolescent
wisdom ; but theee and similar Statements will, it is to be hoped, be Struck
out in the second edition which the book well deservee.
It was an attractive and remunerative theme to trace the influence
of the great Mediterranean Bomanticist upon his acolyte of the Northern
Piain. Born eight years alter Byron, the poet Heine grew to maturity
in an atmosphere of glorified B^ron worship. A Mr. Jacobsen, apparently
of Young Hdne's circle, even mvited Byron, much to the poet's amuse-
ment, from Venice to Holstein, with ttuk 'of the wild roses growing in
the Holstein sununer'; 'why, then/ asks Byron demurely' 'did the Oimbri
emigrate?'
The wild roses growing in the Holstein summer', by the way, is
quite in the mood of romantic hyperbole which Byron in his earlier poetry
often indulged in, and which comes in for Thackeray's realistic wrathl
(Thack., Works V, G25).
The influence of Frau y. Hohenhausen's hero-worship and of A. W.
Schlegel's aesthetic praise, together with other details traced by Melchior,
seem to have aroused in Heine's breast the 'ambition to become a German
Byron, and he even begins, somewhat to M.'s disgust, to refer to himself
as Byron's "Vetter". The development of the Düsseldorf bard certainly
shows many stränge examples of Byronic attitudinizing and literary 'mi-
micry' (I believe that is the name naturalists give to the phenomenon)
and there is talk about Byron having 'discovered new worlds m his acony'.
L«ater on the literary parallelism between the two poets is also remarkable.
It is just this 'Weltschmerz' Byron that his compatriots will not hear of ;
This side of Byron was made much of in England up to about 1850
(a fact which Melchior does not seem to know) but with the rise of the
realistic and anti-sentimental novel in England, Byronlsm of this sort re-
ceiyed a great set-back, and gradually Byron has come to be most prized
for that splendid work in oUava rima which is one of the highest glories
of En^lish poetry. — In Don Juan Byron throws 'Weltschmerz' and all
its attitudes to thedogs.. The real Byron be^ins when the poet discoyered
his Comic power, and from that time, as Swinburne, the kindred poet of
reyolt at the end of the nineteenth Century, has said, Byron rose at once
beyond sight or shot of any riyal. No one, none of the Italians eyen,
knew the wonderful capabilities of the oüava rima before Byron wrote
his Don Juan. Heine and Gildermeister, as M. points out, haye both tried
to translate this masterpiece, and Goethe with admirable critical insi^ht
characterized it as proying 'dafs die englische Poesie schon eine gebildete
komische Sprache hat, welche wir Deutschen ganz ermangejn', at the samc
time recommending it as a 'treffliches Übungsobjekt für Übersetzer'. The
maryellous elastid^ of the oüava rima rhjthm in Byron's hands renders
possible one particular deyice of style which Heine, whether he imitated
it or not, uses in many poems with an altogether fatal result. This
parallelism M. as far as I remember does not mention. I mean the habit
of suddenly dropping from a iyric or heroic strain to one of comic or
satiric jest This takes place with perfect propriety and without offending
US at all in a hundred places in Don Juan. One example at random :
The ship was evidently settling now
Fast by the head; and, all distinetion gone,
Some went to prayers again, and made a tow
Of Candles to their sainfei, — bat there were none
27*
412 BeurteUungen und kurae Anzeigen.
To pajr them with; and some looked o'er the bow
Some hoisted out the boats; and there waa one
That begged Pedrillo for an abaolntion
Who told him to be damn'd — in hia eonfiision.
When Heine in hie lyrics drope as he notoriously so often does froE
the lyric to the satiric and leering vein, the effect is qaite different aud
^uite indefensible althongh the method ib the same aa byron's; why thts
Ib the same thing rig^ht when Byron does it in Don Juan and wroDg
when Heine does it in his lyrics? The fact is, it seems to me, thä:
Byron here antidpated that reaction against the lachrymoae, the maudür
and sentimental in En^lish literature which was a little more than half
a Century later to be pilloried and bnuded with psychological contemp:
by Geo. Meredith.
In Kudyard Eipling's Tales we find an absolutely analogons deviee
for presenting the reader with the fall pathos of a Situation and at tbe
same time keeping him from succumbing to this pathoa. Byron wbh $.
pioneer of this method and no better example can be found of it thao
the Shipwreck in Don Juan. What the spiritual genesis and motive of
this aesthetic device is in Byron, Heine, Meredith and Kipling respecdrely,
is of course another matter.
The comparison between the metrical and linguistic devicea of Heioe
and Byron is just as interesting, and Melchior marshals his facta with
considerable skill and betrays much finesse and insight into word 'yalnes'
both in En^lish and Oerman. It seems ungenerous where there is so
much that 18 good, to dwell upon a fault, but a point in M.'s readJDg
's *Good Night^ seems to me to challenge
of Childe Harold's 'Good Night'^ seems to me to challenge criticisnu 'Die
englische Betonung **8tauneh yeomdn" ist altem Gebrauch zufolge', he
says (p. 63) 'im Ton des Volksuedes wohl eher statUiaft, als die im Deut-
schen nachgeahmte Betonung "Schlöfsdienstmänn", die etwas schwerer ins
Ohr fällt.' I have not the slightest doubt that Byron pronounced 'yeo-
man' 'jo^'man' with the same accent as 'foeman'. The words 'staunch' and
'French' before 'yeoman' and 'foeman' respectively are then pronounced
with Bomewhat of a drawl so that they become equal to aissyllable».
This is certainly only a way out of the metrical difiiculty; but to read
Compounds of '-man' with'a füll 'se' would now*a-days be ludicrous.
M. should remember that Byron with all his brilliance is not an infallible
metrist. 'Even at its best' says Swinburne in the middle of a fervent
eulogy of him, 'the serious poetry of Byron is often so roueh and loose,
so weak in the screws and joints which hold together the numework of
verse that it is not easy to praise it enough without seeming to condone
or exten uate such faulta as should not be overlooked or forffiven.' This
verdict could certainly not apply to Heine, and it is a venuct which in
the case of Byron is probably still beyond the ken of many of his conti-
uental admirers.
Another instance of Melchior's naive Byronic prejudice is to be found
in his disparaging remarks about Heine's 'Lebewohl' contrasted with the
original, the notorious 'Fare thee well'. Melchior actually accuses the
Germau poet of a too rhetorical style in his rendering. As if 'rhetoric*
were not the crying fault of the English poeml M. here as in other places
falls to distinguish Byron's bad verses from his good ones, a lack of dis-
crimination in which he does not stand alone. It is interesting to re-
member Thackeray's criticism of this poem, — a poem which Thackeray
gives as an example of litcrary snobbism. I take the liberty of quoting
jet another passage of Thackeray as bearing witness to Byron's vogoe
in England in 1 845, as well as for the interest of the passage as a motest
of the new realism which had ousted Sir Walter Scott and the Gothic
Beurteilungen und kurze Ansdgen. 418
romance. The passage points to facta which Melchior in his bias has
quite loBt sight of.
'No' says Thackeraj speaking of maids to love, 'give me a frefih, dewy,
healthy rose out of Somersetahire, not one of those süperb, tawdry, un-
wholesome exotics (of Greece); Lord Byron wrote more cant of this eort
than any poet I know of. Think of ''the peasant girls with dark blue
eyes" of tne Bhine — the brown-faced, flat-nosed, thick-lipped. dirty
wenchesl Think of "filiing high a cup of Samian wine''; small beer ib
nectar compared with it, and Byron himself always drank gin. That man
never wrote from the heart He got up rapture and enthusiasm with an
eye to the public. The Great rublic admires Greece and Byron: the
public knowB best. ... Welll woe be to the man who denies the public
gods.' (Thack., Works V, 624.)
The last chapter of M.'8 book is a philosophic consideration of the
causes of the ^Weltschmerz' in the two poets and in their age, and con-
tains much that is stimulating and mucn that is debatable.
I would, in conclusion, tain recommend this study of Byron's and
Heine's literary relationship to all English students, as Hkdy to prove
valuable to them both in matter and in suggestiveness. Such studies as
this, — the attempt to establish causal historical and ps^chological con-
nections between the German and the English protaeonists of a poetic
attitude — illustrate the German conception of the lunction of literary
history and of its benehmen. Literary history has become a ^sdence'
with a philosophical 'method' of its own. Its goal is still far off, and
its aim is to ezplore and describe the imaginative processes of the creative
writer and to rdate him to the history of mairs mind; it traces and
investigates (I quote Dilthey's words) 'die Phantasie des Dichters, ihr Ver-
hältnis zu dem Stoff der erlebten Wirklichkeit, und ihr Verhältnis zu dem
Stoff der üeberlieferung.'
This purely scientinc and well defined aim the writer of this book
on Byron and Heine seems to have held before him, in the present study,
in the modest consciousness, however, that he was not an architect work-
ing at the final edifice but merely a mason helping to prepare tbe foun-
dations of a great work to come. And it is one of the fine things
about this theory of literary history that it invites, acknowledges and
welcomes multitudes of such humble labourers and renders them proud
of their co-operation in a great task.
I only noticed two misprints in the yolume: ausgesprochen, page 11.
1. 1. Ä 2500 (not '2500 £') p. 32.
Haiensee. F. Sefton Delmer.
E. Kruisinga^ A grammar of the dialect of West Somerset,
descriptive and historicaL Bonn, P. Hanstein, 1905 (Bonner Beiträge
zur Anglistik, hg. yon Prof. Dr. M. Trautmann, Heft XVIII).
Wer die spärlichen Fortschritte auf dem Grebiete der wissenschaft-
lichen englischen Dialektforschung yerfolgt, wird begreiflich finden, dafs
jede Neuerscheinung auf diesem karg angebauten Felde der Anglistik yon
voraherein freudiger Bewillkommnung sicher sein darf. Die letzten drei
Jahre haben uns nun, seit Wrights erster auf wissenBchaftlicher Grund-
lage aufgebauter Orammatik (ks WindhiU Dialect (189*2), mehrere Be-
reicheruDgen der Dialektliteratur rasch hintereinander beschert: Kjeder-
qvists Dialect of Pewsey, 'Wiltshire* l!>03, Hargreaves' Dialect of Ädlington,
(Lancashire) 1901, denen sich nun als vierte Dialektgrammatik <iie hier
angezeigte yon Kruisinga (1905) anreiht. Sie ist der Mundart yon West
Somerset gewidmet, die lange Jahre hindurch allen Dialektforschem durch
die oft gerühmten und unentbehrlichen Arbeiten yon Elworthy (The Dia-
414 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Isct of West Somersd 1875, An Ouätne of ike Orammar 0/' ike Dialeei of
West Somerset 1877, West Samereet Word Book (1886, mit Nachtrigeo
Aihenaeum 1898, 282) yon allen heutigen Mundarten am leichtesten zu-
gänglich und verhältnismäßig am bekannteeten war. K. hat sich nun
zur Auieabe gemacht, mit Elworthys Material eine dcskriptiTe and hiau>-
rieche Grammatik dee Dialekts aufzustellen. Für die Formenlehre b^«!
ihm bereits Elworthys zweites Werk ausfQbrliche systematische VorarbeiteB
mit verstreuten Beiträgen zur syntaktischen Betrachtung. Daie^en mufsteo
hauptsächlidi die Wortlisten der ersten Veröffentlichnnf Eaworthya, U
deren Aufstellung sich dieser mehrfach der Beihilfe EUia' und MurrsT«
bediente, und in denen die Lautlehre des Dialekts niedergelegt ist, zu
einer systematischen, deskriptiven und historischen LauÜehre verarbeitet
werden. K. ist nicht der erste, der die Durchführung dieser sehr lockeD«!
erscheinenden Aufgabe unternommen hat, an die er auf Anregung voc
ProL Bül bring herangetreten ist Dais er nun als der erste mit den Re-
sultaten seiner Forschungen in einem stattlichen Bande vor die Öffent-
lichkeit trat, ist, trotz aller Bedenken, die im folgend^i geaulsert werdiD
müssen, schon deswegen zu begrülsen, da jetzt, nach seiner PublikatioD,
ein in engeren Kreisen schon länger feststehendes urteil über den Wert
der Eiworthyschen Dialektwerke mit Sicherheit begründet nnd offen aus-
gesprochen werden kann. Bei näherer Beschäftigung mit d^n Material
von Elworthy nämlich stellte sich den bisherigen ßarbeitem, die des-
wegen auch die Resultate ihrer Untersuchungen noch zurückgehalten habcE,
immer klarer heraus, dals die unbedenkliäe Wertschätzung, deren sich
die Eiworthyschen Arbeiten in der englischen Dialektforschung zu erfreuen
haben, grulsen Zweifeln unterworfen werden muls. Wie hoä Elworthjs
Bemühungen um seinen Heimatdialekt im einzelnen stets geschätzt werden
dürfen, so kann doch nicht län^ unausgesprochen bleiben, dafa die vid-
fach sich ergebenden Ungenauigkdten und Widersprüche seiner Aufstd-
lunsen, die keinem Bearbeiter auf die Länge verborgen bleiben, und zwir
nicht nur in den zeitlich aufeinanderfolgenden Veröffentlichungen, sod-
dern innerhalb ein und desselben Werkes, auf tieferliegende Ursachen za-
rückzuführen sind, als gemeinhin, und auch von dem Verfasser der vor-
liegenden Grammatik, angenommen worden ist. Die Annahme unvoll-
kommener Erfassung und Präzisierung des phonetischen Lautwertes, dk
Heranziehung des sdiriftsprachlichen Einflusses oder ähnliche Erklärung»-
mittel, wie sie auch K. in schwierigen Fällen, teilweise xewifs mit ^^[san
iScharfsinn und manchmal mit Gluck, verwendet hat, nelfen allein übet
die Unsumme von Schwierigkeiten, die Elworthys Materialien dem Be-
arbeiter auf Schritt und Tritt bieten, nicht hinweg. Mit grolW Wahr-
scheinlichkeit scheint jetzt, nach dem Eindruck der systematischen Be-
arbeitung des Materials im ganzen durch K., festzustäien, dafs es sich
bei Elworthy nicht um eine wirklich geschlossene Dialekteinheit bandelt,
sondern dafs, worauf schon die weit gezogene Umgrenzung 'West Somerset'
deutet, in seinen Aufstellun^n, besonders auf lautlichem Gebiete, neboi-
einander herlaufende und sich durchkreuzende Entwickelungen im ein-
zelnen unterschiedener Unterdialekte zu erblicken sind. Auch Elworthv
selbst ist, wie es scheint, an einigen Stdien seiner Bücher darauf auf-
merksam geworden, ohne aber der Entwirrung der Probleme, die seine
ganzen Untersuchungen hätten um^talten müssen, weiter nachzuffefaeD.
Gelegentlich statuiert er nämlich einen Unterschied zwischen ^vals- und
'^»//'-Distrikt (vgl. z. ß. bei K. Anm. zu S. 25), ohne aber Ortsbezeich-
nungen hinzuzufügen, die überhaupt bei ihm fenlen, oder nähere Angaben
über die Ausdehnung der betr. Erscheinung zu machen. Eb soll dqd
nicht verkannt werden, dafs K. der Schwierigkdt seines Unternehme»
bis zu einem gewissen Grade sich stets bewufst bleibt und im einzelnen
mit scharfsinnigem Eindringen und grofsem Fieifse an die deskriptive und
Beurtdlungen und ktirze Anzeigen. 415
historische Behandlung der Mundart herangetreten ist. Um so bedauer-
licher ist es daher, dafs ihn seine gewifs über längere Zeit sich erstrecken-
den Bemühungen um den Dialekt nicht zur letzten Konsequenz geführt
haben, das ganze Material mit der Dosis Skepsis zu betrachten, die ihn
unbedin^ veranlafst hätte, gleich einem früheren Bearbeiter der Elworthy-
schen Listen, an Ort und »teile die Nachprüfung der Aufstellungen zu
betreiben. Wahrscheinlich wäre dann auf gesichertem Material die Dar-
stellung eines lokal scharf umgrenzten Dialektgebietee in West Bomerset
zustanae gekommen, wie Wrignt für Windhill und seine neueren Nach-
folger für andere Orte sie versucht haben, und die für den Fortschritt
der Kenntnis der heutigen Dialekte noch in gröfserer Anzahl dringend
erwünscht sind. Da sidi nun K. hierzu nicht Terstanden hat, so sind
ihm bei aller Anerkennung der gründlichen Durchforschung und scharf
methodischen Zergliederung, die er dem Material gewidmet hat, die besten
Früchte seiner schwierigen und langwierigen Stuaien, die Zuverlässigkeit
und Unantastbarkeit der erlangten Kesnltate, über der Unsicherheit des
schwankenden Untergrundes verloren gegangen. Das volle Mals der An-
forderungen, die seitens der Phonetik, der historisch-vergldchenden Sprach-
forschung und der Prinzipien Wissenschaft an eine Dialektgrammatik gestellt
werden müssen (vgl. darüber z. B. Holthausen, Soester Ma, Vorrede), ist
also in K.s Werk nicht zur Verwirklichung gelangt.
Über die methodischen Grundsätze, die ihn bei der Bearbeitung von
Eiworthys Materialien geleitet haben, gibt der Verfasser in der Vorrede
Aufschlufs. Er macht vor allem von dem von Luick aufgestellten Satz
Gebrauch, dafs bei Doppelheit der Belege, und auch sonst, jede mit der
Schriftsprache übereinstimmende Lautung an und für sich den Verdacht
der Entlehnung aus dieser unterliegt, und nur das, was von ihr abweicht,
als echt dialektisch anzusehen ist. Mehrfach begegnet die Annahme einer
*diaiedal adaptation of the Standard prommeiaiion*, also einer Anpassung,
nicht Übereinstimmung der dialektischen Lautung mit der schrirtsprach-
lichen, z. B. i; 214, 207, Anm. zu S. 117 u. ö. Mit der 'Übersetzung aus
dem Lautsystem der Schriftsprache in das der Mundart' (Luick, Archiv
CHI, 05) ist zweifellos zu rechnen, nur ist meines Erachtens vor billiger
Verallgemeinerung dieses Erklärungsgrundes zu warnen, dessen Berech-
tigung nur dann über jeden Zweifel erhaben ist, wenn alle sonstigen Er-
klärungen im betreffenden Falle versagen. Die Nachbardialekte sind mehr
zum Vergleich als zur Erklärung und Aufhellung einzelner Erscheinungen
herangezogen worden. Bei unserer derzeitigen mangelhaften Kenntnis
dieser, die sich nur auf wenige Einzel Untersuchungen, in der Haupt-
sache aber noch auf EUis' Listen stützt, hat dies sicher seine Berech-
tigung. Über den Wert der letzteren urtdlt übrigens K. sehr treffend
(Vorrede S. 3).
Bevor ich auf einzelne Punkte von K.s Untersuchungen näher ein-
gehe, seien noch einige Bemerkungen mehr äufserer Natur gestattet. Der
Verfasser hat Eiworthys 'Glossic "fi-ansscription* in Ellis* 'Piüaeotype' um-
gewandelt, das er, weil in Ellis' OEEP. angewandt, für bekannter annimmt.
Es ist fraglich, ob er nicht der Mehrzahl seiner Leser mit der Anwendung
des handlicheren und angenehmer lesbaren Bell-Sweetschen Systems, wie
es z. B. Wright in seiner Orammatik benutzt hat, einen gröfseren Dienst
feieistet hätte. Auch das von dem Verfasser gewählte Verfahren, alle
)ialektwörter io der Standard-Orthographie zu geben und ein für allemal
auf das Glossar, das die phonetische Umschrift enthält, zu verweisen,
empfiehlt sich meines Eracntens nicht zur Nachahmung. Es erschwert
dem, der fremd an den Dialekt herantritt, aufserordentlich das Einlesen
und verursacht, selbst bei genügender Vertrautheit mit der Mundart, Zeit-
verlust durch fortwährendes Nachschlagen und die Nötigung zur bestän-
digen Umsetzung des Wortbildes. Endlich hätte K. dem nachprüfenden
416 BeurteilungeD und kurze Anzeigen.
Leeer seiner Grammatik die Übersicht bedentend erleichtert, weon eac die
Belegliste seiner Dialektwörter in den einzelnen Paragraphen alphabetisch
angeordnet und bei der phonetischen Beschreibung der Laute die jedes-
malige Nummer der betreffenden liste bei Elwoiäy mit berückBichtigt
hätte.
Die Untersuchung setzt im ersten Kapitel mit dner Beschreibnng der
mundartlichen Laute ein. 8ie wird mit ^fser Gründlichkeit und, wenn
man die hier gerade sich häufenden Schwierigkeiten in Elworthys Material
berücksichtigt, mit viel Glück geführt. Stellenweise frdlich bieten sich
Beispiele höchst künstlicher, wenn auch, was gern zugegeben sein mag,
scharfsinniger Interpretation, die man eh^ zur Eruierung von Schreiber-
gewohnheiten in alten Texten guiheifsen mag, als wo es sich um die Be-
schreibung^ lebender, in der Gegenwart zugänglicher Laute handelt. Man
lese zum Beweise dessen die Deutung von Elworthys willkürUchem Ver-
fahren bei der Setzung des Länge bezeichnenden Punktes nach auslau-
tendem Vokal (§ 2. 8). Die Übersicht über dieses wichtige Kapitel wäre
übrigens durchweine Tabelle aller in der Mundart vorkommenden Laute
wesentlich erleichtert worden.
Das folgende IL Kapitel eeht der Herkunft der heutigen betonten
Vokale und Diphthonge der Mundart bis zum Me. nach. Es sind hier,
soweit sich nachprüfen läfst, alle bei Elworthy vorkommenden Wörter
übersichtlich und sorgfältig behandelt. Im einzelnen läfst sich hier und
da, gegenüber K.8 Anordnung und Unterbringung dnes Wortes, eine ab-
weicnende Meinung befunden. So konnte z. B. nu»S (marsh) 151, 1 me.
mershy ae. merse^ mertsc zu 2 <» = me. e, taySy said mit <9 zu 3 « ~
spätme. ^ gestellt werden. Bei a (158) mrdjäp (sf^lp) vermifst, das unta-
2 'me. a, varying tcüh t' zu bringen ist Von den 154, 1 angegebenen
Beispielen gelten ^hini' und *beiunxt' mit e besser als Fortsetzungen von
me. e, elot (ebenda unter 6) kann auf me. o^te, ae. *eliat zwmckgetien,
del (duU) neben entlehntem dol (unter 7) ae. *dyU fortsetzen, vgl. Napier,
Äead. 4t, 447. Sm (shine) 156, 6 konnte nach Luick, Ärehiv CIU, 275,
unter 5 (= me. %) aufgeführt und durch sekundäre Dehnung vor n (wie
eine Überwiegend grolM Anzahl der Bel^ in 5) erklärt werden. Eben-
dort fehlt %8 ^es) : me. yü, vgl. Sweet, HES. 89B. 157 ist unter 1 oder 4
hrip (reap) hmzuzufügen, zu 158, 5 wör (wäre) : ae. (jejunar, während
schriftsprachliches Hcar^ auf die ae. flektierten Formen zurückweist, vgl
Koeppel, Archiv CIV, 62. 63. Natä (nesh) 175, 3 laCst sich besser aus me. o,
ae. hfuesce erklären als durch me. 6, das die schriftsprachliche Form fort-
setzt. 17() fehlt eine Aufklärung über Hvaip% das von Elworthy dem ne.
tcisp gleichgesetzt vrird, wahrschdniich geht es auf ae. teipian (verb.) zu-
rück. 180 bleibt shovel unerwähnt, dessen Diphthong auf schon me. shoül
zurückgeht. In mehreren Fällen wäre besser schon in der allgemednen
Übersidit der Vokale auf den für die Mundart so wichtigen Einflufs be-
nachbarter Konsonanten einzugehen gewesen, so bei a rür a (151, 1) in
der Nachbarschaft von n und fj (vor Dentalen nur in drei Fällen), bei ta
für me. e (lti>2, 1) vor / und r, bei «9 für me. ä (182, 5) nach $, k, g.
Die historische Betrachtung der mundartlichen Laute umfafst das
das III. Kapitel, mit dem sich das IV., die Erörterung einiger schwie-
riger Probleme der Lautlehre, sehr eng berührt. Ein Abschnitt über die
Quantitätsverhältnisse bildet die Einleitung. Es zeigt sich im allgemeinen,
da(s der Dialekt an den quantitativen und qualitativen Vokalwandlungen,
die die Schriftsprache betroffen haben, teilgenommen hat. Abweichungen
im einzelnen ergeben sich für die Lautfolge -end, für die %n* {end)t neben
schriftsprachlich beeinflufstem end, und '(in' me. tend, die sich neben
Orms ^ende, wendenn* stellen, Länge erweisen. Bd -Id zeigt die Mundart
den Stand der Schriftsprache, giä (gold)^ für das K. (195) me^ gdld an-
setzt, weist nach den Lautverhältnissen aes Dialektes auf frühne. ^ < ou
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 417
< ol, vgl. auch Kluge, ördr.» 1, 1043. Bei fiam {fem) 195 c war auf frühne. ?
in diesem Worte zu verweisen, vgl. Luick, AngL B. VIII, 1;J1. Die Be-
lege für -8t erweisen Dehnung vor a, «, o, u. Ottenbar ist, worauf K.
sdor richtig hinweist, der Bestand an Ddinungsprodukten durch die Ein-
wirkung der Schriftsprache stark reduziert worden. Die Klarstellung der
in den Dialekten herrschenden Dehnungs- und Verkürzungsgesetze wird
zweifellos die Forschung in Zukunft noch mehr beschaftigei), wenn erst
eine gröfsere Keihe von Dialekten der verschiedensten Gegenden in zu-
verlässigen Darstellungen vorliegen.
Was nun über die Gesdiicnte der me. Vokale und Diphthonge in
diesem und den Exkursen des nächsten Kapitels niedergelegt ist, bildet
den Kernpunkt des Buches. Da es sich hier um dialektische Beflexe
wichtiger, in ihren Einzelheiten umstrittener Probleme der englischen Laut-
lehre handelt, sei es gestattet, etwas ausführlicher auf sie einzugehen. Im
allgemeinen kann betont werden, dafs wir die Lautgeschichte der Mund-
art in K.s Darstellung eut überblicken. Dafs jedoch in einzelnen Punkten
seine Deutung des Sachverhalts der Er&^änzung und Berichtigung bedarf
oder manchmal Widerspruch hervorruft, ist oei der Schwieri^eit der
Untersuchung und der Eigenart des Objekts, das der Analyse unzählige
Hindernisse m den Weg &^, nicht verwunderlich. Es wird sich daher
im folgenden Öfters Gelegenheit bieten, zu dieser und jener Frage, teil-
weise in einer von K. abweichenden Weise, Stellung zu nehmen.
Bei der Betrachtung der dialektischen Entwickelung von me. a ( 1 97—209)
wird die Vertretung durch äy neben der durchgehenden ä, nicht besonders
erwähnt. Indes scheint die Kürze, die in einer Reihe von Beispielen bei
Elworthy vorliegt, doch die ursprüngliche Lautung gewesen zu sein, aus
der sich als Quantitätsänderung vor gewissen Konsonanten, hauptsäch-
lich Gruppen oder Doppelkonsonanz, der lanee Vokal herausbildete. Die
heutige Länge des Dialekts vor 9 -\- Kons., p und f kann also auf ein-
facherem Wege als in der Schrift<«prache erreicht worden sein. In der
Entwickelung der Gruppen a 4~ ' + Kons. (205) nimmt der Verfasser als
reguläres Ergebnis dialekt. o (= schriftsprachl. ö) an, weifs aber das da-
neben sehr gut bezeugte ä nicht aus dem Wege zu schaffen. Wenn in
dieser Dop^heit nicht lokid verschiedene Lautentwickelungen zu er-
blicken sind, die in Elworthys ungenügender Fixierung zusammengeworfen
sind, läfst sich die Lautung ä lus Fortsetzung des frühne. au > &, das
im 18. Jahrhundert in der Schriftsprache zum heutigen 5 wurde, auf-
fassen, die aber allmählich dem EinfluOs des letzteren zum Opfer fällt,
vgl. Elworthy, Word Book S. 856 oÄ = au'U aa'l (rarely). — Auch bei
me. e (210 — 217) scheint mir der dem me. Laut nächstliegende Entmcke-
lung ^ zu wenig Platz eingeräumt zu sein. Aus ihr hat sich einerseits
die für den Dialekt charakteristische Halblänge, besonders vor m und n,
ergeben, anderseits die Öffnung > a. — Für me. i wurden in 218 Mur-
rays Feststellungen (bei Elworthy, Dial, S;.114) über den Wechsel zwi-
schen i und 9 ('natural voweP) benutzt. — Ober die schon öfters auffällig
bemerkte Vertretung des me. -iht durch et und des f in ^ pig with' (22:^,
224) weils auch K. Iceiilen Aufschluis zu ^ben, dagegen sind in 226 spät
(sptt), släi (me. slitten) und ät (kit) richtig durch Neubildung aus dem
Präterit. erklärt. Für die starke Flexion des letzteren konnte noch auf
Wright, WnuOi. Dial. 373, verwiesen werden. — Zu me. o (228—233) wäre
eine zusammenfassende Behandlung der Lautgruppen o -\- l, o -^ r sehr
erwünscht gewesen. Soweit ich s^e, begnügt sich K. mit der Feststel-
lung, dafs *yolk' und *folk' mit der Vertretung von me. g gehen, nimmt
aber für beide Einwirkung des schriftsprachlichen Lautes an. Für *yolk'
soll dies durch die 'echt dialektische' ]N ebenform Helk' bewiesen sein; wie
sich die danebenstehende, im Glossar als schriftsprachlich beeinflufste
Form ^k* verhalten soll, bleibt unklar. An Beispielen war noch J9k iyoke\
418 BearteiliingeD und kane Anzeigen.
daneben jökj zu erwähnen, das sich zn Orms jcHdt stellt In 281 ist knal
statt knod zu lesen, ebenda fehlt das in drei Varianten auftretende *€lot.
— Der Vertretung des me. u durch dial. t. (235, u. Anm.) ist anschdnend
von K. nur die Bedeutung einer 'dialectai pronundation of the literaiy
sound' beigelegt. Es fragt sich aber, ob nicht in den hierhergehörigen
Wörtern {rust, hm, auch u. a., eine vollständige Liste derselben vennis^
ich bei E.) eine jüngere Entwickelung aus o vorliegt Sie findet sich be-
sonders vor Dentalen und palat S. — In 288 ist die Vorgeschichte der
Wörter Hcood, fnUl, bush, eaukP nicht zu klarem Ausdruck ^langt. E^^
handelt sich hier (auiser bei eouldy über dessen frühne. ü v^l. 1/uick, Angi.
XVI, 471) um jene ü in ceschlossener Sübe, die sich auch m der Schrift-
spräche seit ae. Zeit infoLie Nachbarschaft labialer Konsonanten erhalten
haben. Sie sind in dem Dialekt mit den ü aus me. ö zusammeDgefalien
und mit diesen zu Ö weitergegangen. Auffällig bleibt dabei, dals die
kurzen u ganz entsprechend den lanjgen (bei K. 288) behandelt worden
sind. Die Erklärung scheint mir dann zu suchen zu sein, dais bei der
schon für jene Zeit anzunehmenden Neigung des Dialekts zur Halblange
vor gewissen Konsonanten der quantitative Unterschied zwischen Lange
und ursprünglicher Kürze sehr gering war.
Die Ausführungen über die langen Vokale und die Diphthonge der
Mundart machen den Rest dieses und den größten Teil des nacbstoi Ka-
pitels aus. Hier berührt es auffällig, dafs es der Verfasser durchweg ver-
mieden hat, sich mit Luicks Ergebnissen, die im ersten Bande seiner
*ünterMiehungeu* niedergelegt sind, auseinanderzusetzen. Mag man mit E.
(Vorwort 8. 2) zugeben, dafs Luicks ^nanntem Werke g^isere Bedeu-
tung durch die Anregung neuer Forschungsweisen als durch die Sicher-
heit der Resultate zukommt, so durften doch die letzteren nicht stllJ-
schweigend übergangen werden. So sucht man z B. in dem der Di-
phthongierung des me. ä gewidmeten Exkurs, 491 ff., vergebens einen
Hinweis auf Luicks Ausführ un^n a. a. 0. 248 ff. Es wird dort der Ver-
such unternommen, den Zeitpunct der nach Luick an offene Vokaloualität
gebundenen 'Abstumpfung' des ä> e9 (auch dieser glücklich gewählte Ter-
minus ist nirgends bei K. erwähnt) durch Ansetzung einer oberen (Wallis
1650) und einer unteren Grenze (Gill 1621) als das zweite Viertel des
17. Jahrhunderts wahrscheinlich zu machen. Den Übergang des » > «»
in der Nachbarschaft von S, kjg erweist K. (492) richtig von der Stufe e».
— Auch bei der Erörterung der schwierigen Fra^n, die sich an die Ent-
wickelung von me. f und e m der Mundart knüpren (258 — 273 ; 49 \ — 497),
läfst sich mehrfach der Eindruck nicht abweisen, daJs die Probleme klarer
hervorgetreten wfiren, wenn der Verfasser die fraglichen Abschnitte in
Luicks * Unter suekungen* herangezo^n hätte. Auch wer der Lehre d^
symmetrischen Entsprechungen (Luick a. a. O. 229 ff.) nur den Wert einer
Hypothese zuspricht, wird sicher nicht leugnen, dafs mit ihr manche Zu-
sammenhänge recht glücklich beleuchtet sind. Hierher ist vor allem die
dort angedeutete innere Parallele zwischen dem Beharren des me. f auf
der .^-Stufe, der auffälligen Bewahrung des me. ai, ei und der Abstumpfung
des & > 09 zu rechnen, auf die, soweit ich sehe, bei K. nicht eingegangen
ist, obwohl sie mir für den Zusammenhang der Lauterscheinungen wichtig
§enug erscheint, um eine zustimmende oder ablehnende AuCserung zu v^-
ienen. Die auffällige Vertretung des me. f durdi f und i» (neben ge-
wöhnl. s) gibt zu einer gründlich geführten Untersuchung der hierher-
gehörigen Wörter Anlafs. «9 in ^dean, sleep, beat, bead* (494), alle vier da-
neben mit f belegt, erledigen sich offenbar durch schriftsprachlichen Ein-
fluls, was mir zweifelfreier erscheint als K.s Versuch, aie Lautung als
'different appreciation of t aufzufassen. Schwieriger ist das VerhaltniB
des heutigen f- (bezw. r-)Laute8 in deaff ahred, inatead, beam, heap (406),
hinzuzufügen ist noch aheaih, K. sucht, gestützt auf Grammatikerzeug-
BearteOimgai und kune Anzeigen. 419
niese, für die meieteo der fra^ichen Wörter Vorstufen mit B zu kon-
struieren. Sein Hinweis, dafs eine genauere Kenntnis der modernen Dia-
lekte in abeehbarer Zeit eine Revision dar heute geltenden R^In über
die lokale Verbr^tung der Entsprechungen von westg. ai -f- • und weetg. ä
im Me. herbeiführen werden, ist beachtenswert. Auf jeiden Fall ist er
mit seiner Erklärung über Kluges Versuch, s für f durch i-Umlaut zu
rechtfertigen, hinausgekommen, ebenso über Curtis' unzureichende Erklä-
rung AnaL XVI, 428, d^ die 'keltische Nachbarschaft' verantwortlich
maoit. Wer sich allerdings das über den allgemeinen Charakter des Ma-
terials Gesagte vergegenwärtigt, wird vorläufig nicht zu einer uneinge-
schränkten Anerkennung von K.s Hypothese gelangen. Die Annahme
unzulänglicher Aufzeichnung durch Elworthv einerseits oder das unerkannt
gebliebene Ergebnis von Dialektmischung, besonders mit einer Mundart,
ie andere Verkürzungsgesetze als die Schriftsprache kennt, ist nicht
durchaus von der Hand zu weisen. — Die Vertretung^ eines me. e durch
dialekt § an Stelle des r^ulären f, 2^5, die der Dialekt mit mehreren
Distrikten des Südens una Ostens teilt (Belege bei Curtis, AngL XVI,
42;i), ist von K., nach Luicks Vorgane als 'Rückbildung aus dem Vokal-
extrem' beurteilt worden, wonach 'frunne. i wieder zu ? ^enkt' worden
wäre (Lnick a. a. O. 156). Unerklärt bleibt aber bei dieser Annahme,
warum gerade diese me. e von der Rückbildung ergriffen wurden, andere
aber nicht Dieses unregelmäfsige B hat seine Parallele in dem viel er-
örterten ö des Dialektes für me. ö, für welches sich der Beweis der Rück-
bildung sicher erbringen lä&t. — Auch die interessante Frage des Fort-
lebens einer speziell südwestlichen Ei^ntümlichkeit in ae. und frühme.
Zeit, p < te, Umlaut von e&, eo wird in 2b7 bei Besprechung von ^beeUe*
und *hear^ berührt. Ob die diphthongische Lautnne (9f) dieser Wörter
mit Recht nur als Entlehnung aus einem Nachbardiuekt, südöstlich von
West Somerset, hingestellt werden darf, wie K. es tut, oder ob nicht doch
letzte schwache Spuren der alten Lautung voriieffen, bleibe dahingestellt.
In letzterem Falle wäre Elworthys Angabe, dals der Diphthong nur selten
^ört werde, nach Ellis V S. 49, Nr. 314 (Christian Malford, Wilts.) zu
interpretieren, wo für 'Aearef der Diphthong mit dem Zusatz 'older people'
angaben wird.
Das me. f lebt im Dialekt neben der regulären diphtbcnigischen Ent-
wickelung als ^ Y und E fort (498 — 503). Die schon früher öfters be-
sproche'nen Fälle der Erhaltung des f werden von K., wie schon vorher
von Luick, teils auf verkürztes i zurückgeführt, teils durch Analogie er-
klärt. Über die auffällige Vertretung von ae. eoÄ, eah, ieh -^^ i durch ^
in *fighi^ etc. spricht sich K., auüser der Konstatierung der Tatsache in
228, nicht weiter aus. Ellis, bei Elworthy, DUü. S. 40, Vorbem. zu Liste 12,
scheint dilese me. % das Schicksal derjenigen teilen zu lassen, die zu e
und 9 weitergingen, wie pig > peg, Luick, Artkiv CHI, 274, deutet eine
andere Auffassung an, nach der eine Bewahrung der ersten Stufe der
Diphthongierung anzunehmen sei. Die dialektischen Produkte von me. 6 :
öf ö, 09, U9, werden von K., wie aus 274 ^. hervorgeht, als phonetiscne
Varianten ein und desselben Lautes, des regulären ö, der phonetisch näch-
sten Stufe des me. Lautes, aneesehen. Die ungenaue, ja teilweise sich
widersprechende phonetische Amzeichnung durch Elwortbv und besonders
das häufige Vorkommen ein und desselbpn Wortes in beiden Gestalten
des oben genannten Diphthongen lassen allerdings, wie durchaus nicht
bestritten sein mag, diese radikale Auffassung des Sachverhaltes zu. Wie
sich aber damit einige von anderen bereits festgestellte Erscheinungen in
der Lautlehre der südwestlichen Dialekte vereinigen lassen, ist eine andere
Frage. Schon Luick (Unternteh, 61 ff.) sah in dem Nebeneinander der
heuti^n Entwickeluns; das Produkt lautlicher Verenge und suchte die
schwierige Vorgeschichte dieser zu rekonstruieren. Besonders war es ihm
420 BeurteiluDgeD und kurze Anzeigen.
um die Aufklärung des Verhältnisses der beiden 'Abfltumpfungsdiphthonge'
o9 und U9 zu tun, denen, wie wir sahen, bei K. kdnerfei Bedeutung zu-
gelegt wird. Ist ihr Nebeneinander eine Folge von Dialdctmischung, oder
ist U9 aus 09 hervorgegangen, wie Luick (a. a. O. 60 ff.) für einige G^endeo
von Lincolnshire wahrscheinlich macht? Da&, soweit ich überblicke, die
U9 vor gewissen Konsonanten, hauptsächlich Dentalen, seltener Labialen,
stehen, läist vielleicht auf einen stufenweisen Übergang von o9> t» schlie-
fsen. Auch das merkwürdige gü (go) 285, dessen ü, wenn es, wie K. an-
nimmt, auf me. ö zurückweist, nach den Lautverhältnissen des Dialekt«
ohne Zusammenhang bleibt, kann bei Annahme einer Monophthon^erung
im Auslaut < U9 in anderer Beleuchtung erscheinen. Die Wörter in 278,
die für me. g im Anlaut den steigenden Diphthongen U9 aufweisen, er-
gsben sich als besondere Weiterentwickelung der 'Abstumpfung* U9. Die
ntwickelun^ des me. p zu heutigem o wird von K. in 275 als 'Kürzung*
bezeichnet. Luick {Untersuch, 88 ff.) hatte diese Erscheinung unt^ der
sehr gut gewählten Bezeichnung der 'Aufhellung' ausführlich oesprochen.
Das Verhältnis dieser zur 'Abstumpfung* und die etwaige jnnere Beziehung
zur Erhaltung der ot-Diphthonge ist ebendort erörtert. Über die letztere,
die durch Grammatikerzeugnisse für das 16. und 17. Jahrhundert bezeugt
wird, ist in 289 ff. gehandelt. Die zahlreidien e9 vor r, / und ^ an Steue
der diphthongischen Lautung, in einer Reihe häufig gebrauchter Wörter
(daneben meist auch die lautgesetzliche Form) werden durch schriftsprach-
lichen Einflufs Reutet, ggtin {again) (25t}), das, wie Luick gezeigt hat,
sich in den Dialekten teils mit ä, tdls mit f berührt, deutet unzweifelhaft
auf me. ä. Über die schwierigen Doppelformen vd^ und eäer in ^eäher-
ways* sucht der Verfasser durcn doppelte me. Grundlagen oitder und either
wegzukommen; eine Vereinigung der beiden ist na(3i den Lautverhält-
nissen des Dialekts schlechterdings ausgeschlossen. — Die Entwickelung
des me. au (802 ff.) zeigt das Nebäeinanaer von 9 und ä, das auch bei me.
a '\- l -\- Kons, zu konstatieren war und seine wahrscheinliche Erklärung
in dem dort Bemerkten findet. Uiaughter*, bei dem im Glossar auf 8:^1
verwiesen sein müfste, erscheint als därter mit der Entsprechung von
me. au. Für den r-Einschub in diesem Worte, der im Konsonantismus,
3dl behandelt ist, finden sich weitere Beispiele in der Brieforthographie
des 16. Jahrhunderts, vel. Schröer, E. St. XXVII, 127. — Für me. ou
scheint K. erst nachtr^fich (s. Nachtrag zu 312) die Vertretung durch 9
als lautgesetzlich zuzulassen. Sie entspricht der 'Aufhellung, die auch
me. Q traf, mit dem der Diphthong, wie in der Schriftsprache, parallele
Entwickelung zeigt.
Auf die historische Behandlung des Konsonantismus und der Flexionen
in den weiteren Abschnitten dieses Kapitels soll hier nicht mehr einee-
rangen werden. Sie ermöglichte eine weit abgerundetere und übersi<£t-
ßchere Darstellung der Vorgeschichte, da sich die Entwickelung einerseite
in klareren Züeen vollzieht und anderseits, besonders für die Flexionslehre
das Material bei Eiworthy schon ziemlich gesichtet vorlag. Das V. Ka-
pitel bringt einige willkommene Beigaben ül>er das Verhältnis des Dialekts
zu den benachbarten, bei Ellis unter Dialect 4. 10. 11 behandelten, seine
Stellung zur Schriftsprache und den im Südwesten datierten Denkmälern
des Me. Viele Leser hätten zweifellos dem Verfasser für einige Dialekt-
Sroben, wie sie bei Elworthy geboten sind. Dank gewufst. Den Schlufs
es Buches bildet ein Glossar aller bei Elworthy vorkommenden Wörter,
dem, wie mir zahlreiche Stichproben bewiesen, ffanz besonders die Eigen-
schaften ^rofser Zuveilässigkeit und GründlicbKeit nachgerühmt werden
können, die überhaupt, trotz aller Einwände im allgememen und beson-
deren, K.S Werk zu einem rühmlichen 'specimen eruaitionis' machen. Ist
zwar für diesmal noch seine Arbeit dem Idealbild einer englischen Dialekt-
grammatik, wie sie dem Mundartenforscher zur Förderung seiner Disziplin
Beurteilungen und kurze Anzogen. 421
vorschwebt, in wesentlichen Zögen fem geblieben, so darf man den wei-
teren Veröffentlichungen des V^assers nach dieser Probe mit Interesse
entgegensehen.
Kernen. Carl Bcriba.
Englisches Lehr- und Lesebuch für höhere Mfidchenschulen und Mit-
telschulen von Prof. Dr. Rudolf Dammholz. Ausgabe B. 1. Teil: Erstes
Unterrichtsjahr. 2. Term. Aufl. Hannover u. Berfin, Carl Mejer (Gustav
Prior), 1900. M. 2.50. — 2. Teil: Oberstufe, Band IIa: Lesebuch für
KUsse 2. Daselbst 1899.
Schulgrammatik der eDglischen Sprache nebst einer Synonymik und
Übun^stücken, bearb. von Prof. Dr. John Koch. 2. verb. u. verm. Aufl.
(4. Teil des Lehrbuches der englischen Sprache von Foelsing-Koch).
Hamburg, Henri Grand, 1905.
Methodische englische Sprechschule. Englische Texte, Systematisches
Wörterverzeichnis, Phraseologie von Direktor Dr. A. Harnisch und Pro-
fessor Dr. John G. Robertson. 1. Teil mit einem Plan von London.
Leipzig, O. B. Beisland, 1904. Preis geb. M. 1.80, Ausg. ohne Plan M. 1.40.
Das Lehrbuch der englischen Sprache von Prof. Dammholz ist ein
Werk, das sich zur Einführung sehr gut eignen dürfte. Es zerfällt in zwei
Teile: English Örammar und BnglishIieadSr. Seine Absicht ist, den Schüler
möglichst schnell zum Sprechen zu führen. Darum geht es von Lesestücken
aus, die, anfänglich leicht, allmählich schwieriger werden. Daran wird
Aussprache una Grammatik gelehrt, die an folgenden Summaries und
Exercises befestigt werden. Die Ausnutzung der Lesestücke ist sehr ge-
schickt. Manches, das später seine systematische Behandlung findet, wie
die Zahlen, wird an den Kapitelüberschriften vokabelmälsig vorweggelernt.
Die Aussprachelehre fulst auf dem so oft überganjgenen Grundgesetz vom
Lautwert in offener und geschlossener Silbe. Die 'Wiederholungstafeln'
und 'Grammatische Übersicht' (S. 00 — 108) stellen noch einmal zusammen,
was im Orammar auf die einzelnen Kapitel verteilt war. Der English
Reader fängt an mit Gegenständen des taglichen Lebens, der Schule, des
Hauses, um dann zu Themata allgemeinen Inhalts und Gedichten überzu-
gehen. Ein endisch-deutsches und deutsch-englisches Wörterverzeichnis
beschUelst den Band, den ich, trotz des naiven Inhalts seiner Lesestücke,
seiner praktischen Anlage wegen unbedenklich auch für Knabenschulen
empfehlen würde, wenn nicht inzwischen die Grammatik von Wilhelm
Swoboda erschienen wäre.
Eine Fortsetzung des English Reader ist das Lesebuch für Klasse 2.
Die Proben sind in fünf Gruppen eingeteilt: 1) Usefid Knowledge; 2) Tales
and Sketches from British Hisiory; 3) Taies and Sketches from British Oeo-
graphy; 4) Tales and Sketches on British Life and Oustoms; 5) Letters.
Dazu kommt eine Auswahl Gedichte. Die Zusammenstellung dieses Buches
ist weniger fflficklich als die der Grammatik. Der erste und letzte Teil
hätten Kirtbleiben sollen, um breiteren Raum für den Rest zu lassen.
Stücke wie: Ood, our Creator, How a house is buiU (in drei Abschnitten),
Speaking waren als langweilig in jedem Fall auszuscheiden. Ein guter
Gedanke war es dagegen, einen tüchtigen Satz aus Defoes Robinson Örusoe
aufzunehmen (den Schiffbruch und Freitags Rettung). Die übrigen Teile
eeben keine rechte Übersicht über englisdie Geographie, Geschichte und
Sitten. Der Abschnitt aus dem Vicar of Wakefield (S. 189) scheint nur der
Stelle wegen abgedruckt zu sein : They kept up the Christmas carol, sent
true love-knots on Valentine moming, ate pancakes on Shrovetide, showed
their unt on the first of April, and religiously eracked nuts on Michaelsmas
eve, und The Children ofBlentam Ohyll (S. 141) erzählt einen Unfall, der
422 BeurteOuBgen und kurze Anzeigen.
Sewilk nicht nur für die Westmorelflnd-Berge ^pisch ist. Auch die Auewafal
er Gedichte iet unzulänglich, «o umfangreich sie ist Th. Moore ist mit
drei kleinen Gedichten vertreten, wovon Little things ganz fehlen konnte
und für den Abdruck von The evenin^ beUs nur der Zwang der Traditioo
bestand. Für die alltäglichen Poesien der Eliza Cook, Mary Howitt.
M. A. Stodart und anderer hätte ich etwas Bedeutendes von Öyron und
Shelley eingesetzt, die gänzlich fehlen.
Die Sekulgrammalik der englüehen Sprache von J. Koch ist für obere
Klassen bestimmt und darum ausführlich gehalten, so ausführlich, da£«
man zuweilen an I. Schmidt erinnert wird. Meine Meinung ist, dafs sie
als Schulbuch, als das sie gedacht ist, bei eini^ Beschränkung gewonnen
hätte. Der Hinweis auf veraltete Konstruktionen durfte zu allermeist
fehlen. Es hat unter der Ausführlichkeit die Übersichtlichkeit gelitten,
und der Lehrer wird häufig streichen und umstellen lassen müssen, um
den Überblick zu erleichtem. Allerdings, und das ist ihr Vorzug, wird
diese Grammatik den Schüler, besonders den künftigen Anglisten, über
die Schule hinaus b^leiten können und ihn noch unterweisen, wenn er
imstande ist, ihre Mangel selbst zu erkennen und zu korrigieren. Im
Hinblick auf diese Zeit hat der Verfasser seinem Werke eine Übersicht
über den Ursprung und die Entwicklung der englischen Sprache voraus-
eeschickt uno «ne Synonymik beigegeMn, die, nach Titem: Natur und
Welt, Handel und Verkehr, Geist und geistige Tätigkeit, Eigenschaften usw.
gesondert, viel dankenswerten Fleifs enthüllt Übungssätze und Übungs-
stücke bilden den Schlufs. — Für eine Neuauflage empfdile ich folgende
Stellen zur Revision.
S. 29, § 2, Anm. 1 ist die Rej^el zu eng sefafet. Der Artikel fdilt
ganz allgemein bei Subst. -f- Ad]., wenn diu Adjektiv nidits Neues zum
Substantivoegriff hinzuträgt: bold Bobin Hood; Merry (M Engiand; An-
defU Oreeee (wonach Modem Oreeoe gebildet ist). Dagegen: The OH World
is nearly double the sixe ofthe New (8. 38, § 16). — J&^em Afrika, Western
Afrika etc. sind zu Formeln erstarrte Eigennamen.
S. 85, § 9a: moet das meiste ^nicht: die meisten).
S. 37, § 14: Nicht wird in einer Reihenfolge von Substantiv^i die
Auslassung des Artikels beim zweiten, dritten u. s. f. durch den Umstand
reruliert, aafs alle 'in demselben Satzverhältnis' stehen, sondern dadurch,
dus sie zusammen nur einen einzigen Begriff ergeben : TTie bear, foolf, wüd
boar, and wild ox (=1 wild beaels) peopled the foreete. — The face and hands
(:= the body ofman od. man) should he washed three or four time» a day. —
Philip eolkeied an immense fleet and army /== oower).
S. 87, § 15 fehlt bei Aufzählung der Graapartikeln as, so, too etc.:
hoicever,
S. 36, § 12. Es ist un^nau, zu sagen: Der unbestimmte Artikel steht,
'wenn Zahl-, Mafs- und Zeitan^ben zu einer Maisdnheit etc. in Bezidiiung
gesetzt werden'. Es sollte mindestens heilsen: in distributive Bezie-
hung. Man soll doch nicht an Beispiele wie das folgende denken : 365 days
are oalled a year.
Ungenau ist z. T. auch S. 50, § 26 c ^alst: To steht vor dem Dati?,
'wenn er von Substantiven, ... abhängig ist: A merry C^irislmas io ^ou!
— Woe to the hand that shed this eostly bloodf Diese Sätze sind elliptisch,
und der Dativ hängt von dem fehlenden Verb ab. Bei dem von einem
Substantiv abhängigen Dativ könnte an den Genitiversatz gedacht werden:
Jessieoj daughter to Shyloek (§ 24, Anm. 2), wenngleich auch diese Auf-
fassung nicht einwandfrei ist
S. 76, § 52, 4 : *This in Verbindung mit Zeitangaben bedeutet oft heute;
tritt noch eine Zahlbestimmung hinzu, so bedeutet these, zuweilen auch
this: schon seit etc.' — So etwas sollte man in einer Grammatik nicht
BeurteilaDgen und kurze Anzdgen. 423
sagen. ÜbrigeoB gehört diese Erscheinung in die Tempuslehre, wo ihre
Deutung sicherlich mehr im Geist der englischen Sprache ausgefallen wäre.
8. 101, § 77, 2e: to (2o steht 'öfters als Füllwort im Verse: Bote skall
I know that I do ehoose the rigkt? — Then did the liUly maid reply.* Im
ersten Beispiel ist do des Nachdrucks halber ab notwendig hinzugeeetzt,
im zweiten steht es wegen der Inversion. Wollte man to do &a dieser Stelle
iür ein Füllwort, d. h. für etwas Überflüssiges halten, dann mfliste man
die^e Auffassung auf jede Fragekonstruktion mit to do ausd^nen, was
jedenfalls nicht englischer Ansdiauung entspräche.
S. 104, § 79, 3, Anm.: 'Mitunter erscheint auch wiU in der ersten Per-
son, wo deutsch "wollen" und "werden" wechseln könnte.' Darin spricht
sich kein Unterschied aus; denn diese Yertauschung ist immer möglich,
wie das Englische mit seiner Wahl von will zur Wiedergabe des Futurums
beweist Will gebraucht man, wenn nicht die futurische Handlung, son-
dern der Wille dazu betont werden solL
Zum Schlufs ein paar Druckfehler:
S. 37, § 14: The face aud hands (st. and)) S. 38, Z. 1 v. o.: auüer
ather (st. quile, raiher); S. 51, § 27, Anm.: yonrsdf {st yourself); S. 78,
1. Z. V. u.: dertermincUiv,
Die Methodische englische SprechsehuU von Harnisch-Robertson ist ein
Seitenstück zu der 19U8 erschienenen Methodischen französischen Sprech-
schtde von Harnisch-Duchesne. Die Titel sind schief, ßber die Bücher
selbst sind gut. Das englische Werk zerfällt in dreizehn Teile: 1) 7ß^ human
body; 2) The famüy; 3) Time; A) Dress; 5) !7%6 house; 6) Meals; 7) Seasans,
toeatheTj sickness; 8) The toten; 9) Professions and occupations; 10) Travel;
11) Oorrespondenee; 12) London; 13j Society, Dem französischen Teil ent-
gegen habe ich die Abschnitte vermifst, die sich auf das Schulleben be-
ziehen {Notre classcy Les le^ons). Bei diesem Kapitel sind Schüler und
Lehrer wegen der Redensarten besonders häufig m Verlegenheit, und es
wäre zu wünschen, dafs bei einer Neuauflage das Fehlende hinzukäme.
Die englische Diction ist einfach, klar und die Darstellung zum gröf^ten
Teil interessant. Den trockenen Ton, der Aufzählungen ihrer Art gewöhn-
lich anhaftet, haben die Verfasser zumeist glücklich vermieden. Das Werk
dürfte eine geeignete Grundlage für Klassenvorträge sein. — Aufgefallen
sind mir Druckfehler : S. 5 : banns (st. bans) und bridesmaids (st. bride^s-maids).
Von dem Buche ist ein zweiter Teil in Aussicht gestellt.
Berlin. Willi Splettstöfser.
The British empire: ite geography, histoiy and literatare. Ein
Hilfsbuch für den englischen Unterricht in den oberen Klassen von
Dr. Ew. Goerlich, Oberlehrer am Realgymnasium zu Dortmund.
Paderborn, F. Schöningh, 1901. 157 S.
This book is a reprint of the second part of the author's 'Englisches
Lesebuch', and is intended to afford to students in the higher classes of
Bchools suitabie material for home reading and school conversation. In
such classes the students of English must, according to the directions of
the Prussian Minister of Education, be made acquainted with the Life,
Manners and CXistoms, Geography, History and Actualities of the British
Isles and their dependencies.
Now that so many CJerman teachers have adopted the new method
of using English as the medium of instruction in the higher classes, it
is only to be expected that the number of school text-books of various
kinds written in English by Oermans will conatanüy increase. No one
can deny the many advantages attaching to such books. Bat the dangers
and difüculties of writing in a foreign tongue •* even when mere com-
424 BearteilttngeQ und kurze Anzeigen.
pilation of other men's sentenoee is in question -— shoold neyer for a mo-
ment be forgotten. It should, I think, be Lud down as a general rule
Üiat no English book should be published by a Qerman author nnlees
it has first been carefully and thoroughly read and corrected by some
competent Englishmen. Such proof-reading of non-indieenous literatnit
is no doubt apt to be a trying teet of the proof-readers judgment and
patience. It is sometimea ten timea eaaier to re-write than to patch seo-
tencea where the syntax Ib of snch a hybrid nature. The advantage of
such books, howeyer, lies in the fact that, when properly done, they give the
Gkrman pupil exactly that infonnation which the German teaciier alone
knowB the *little clergeon' wants and in the form moBt capable of easy
digestion. The great shortcoming, on the other band, of German writteo
English books is that thev always lack style; for style includes a thousand
national peculiarities and more or less unconscious niceties of diction and
rhythm that can hardly be attained by the most highly trained foreign
reader.
In the present volume the lack of an English revising band is verj
visible. The author seems to have relied too much on his own industry.
The conftequence is that this otherwise very useful compilation la marred
by various major and minor errors which, until they are remedied, cod-
siderably discount its value as a school reading-book. One finds in it for
ezample such slips as writing the '£' sign after the numeral — ^frcm
5 Ito 10 V (p. 64) instead of irom £5 to £ Iff — '4000000 L' written
without commas as in German, — the superfluous use of hyphens (io
accordance with German ussgel) in such phrases as 'herring- and cod-
fisheries* (p. 8); — ^grand heywid deseripUons* (p. 16): ^beyond de$criptioni
if it meant anything would mean beyond actual descriptions which hare
already been made; of oourse ^beyond description' is meant. 'The outburst
of a plant into flower^ (p. 104) is a still straneer slip; etc. etc. Bat
on many pages more serious errors occur, chiefly sins against English
syntactical usaee. One or two examples will suffice to show what I mean:
On the Farne Klee, (siej on the aame eoast, lived örace Darling, the young
woman that ao hravely ea/oed the lives of people who wert once shipwreektd
there (1888). (The mass of contradictory syntactical forma may here be
avoided simply by writing *ltve$ of the people shipwreeked there in 183'^.)
*It WOB ealled the uhxt of the Spinish sueeession, whieh Uuted from 1702 io
1713.' Of oourse a continuative relative is here out of place and 'which'
should be replaced by 'and it\ 'It (the Elixabethan eraj mag be plaeed by
the sidee tviih the apee of Perielesy Äugustus e. e,' (p. 104). Of course it
should be *by the side of ; etc. etc.
But these and similar faults can all be corrected in a careful revision
for a new edition. The book will then be of solid value as a reading
book, for it contains, in a Condensed and very lucid form, very good short
Bummariee of the essential facts of British geography, history and lite-
rature put in a manner likely to interest pupils and to form a good basi»
for conversational ezercises.
Halensee. F. Sefton Delmer.
Gormood et Isembart. Beproduction photocoUographique du manu-
scrit unique, II 181, de la Biblioth^ue royale de Belgique avec une
transcription litt^rale par Alphonse Bajot (Nr. 2 der Publieatüms
de la Revue des Bibliotk^ques et Arehivee de Belgique), Bruxelles, Misch
& Thron, 1905. 4«.
Diese Veröffentlichung setzt sich aus drei Teilen zusammen: Be-
Bchreibune der Handschrift, deren Geschichte und Biblio^phie; Um-
schrift; Pnototypieu der acht Seiten des Fragmentes. In einem Vorwort
BeurteiluDgen und kurze AnzdgeD. 425
weist Verf. mit Recht darauf hin, dafs die bisherigen Ausgaben des Epos-
bruchstflckes, dem er mit G. Paris den Titel Le rot Louis gibt, ^ der nch-
tigen Grundlage, nämlich einer richtigen Lesung, entbehren. Wir kennen
es in der Tat mit Freude be^üfsen, da(s die bisherige Lücke nun in
bester Weise dank des untrüglichen Mittels der Photographie ausgefüllt
ist. Auch Rezensent ist durchaus der Ansicht, dafs es auf die moindres
partictdariies ankommt, dafs von der Lesung als Grundlage eines Textes
sehr viel abhängt. Wie flüchtig, um keinen schlimmeren Ausdruck zu
gebrauchen, war der sogenannte 'wortgetreue' Abdruck Schelers. Wie er-
wünscht wären uns photographische Wiedergaben sämtlicher alten afrz.
Sprachdenkmäler. Ist nicht die kürzlich erschienene Kollation der Rd-
chenauer Glossen (Za. f. rom, Phil, XXX 49 — 52) ein schlagendes Beispiel?
Zu der ausführlichen Beschreibung der Handschrift — eine solche
fehlte bisher — scheint mir folgendes nachzutragen: der Rücken des
Kniffe, den Blatt 2 und 3 oben aufweisen, befindet sich auf der äufseren
Seite, also auf fol. 2'*' und 8^; dort auch die Papierspuren. Ob aber
darin, dalB die Blätter als Doppelblätter an- bezw. eingeklebt waren, die
Ursache für den Unterschied mrer Färbung zu sehen ist, oder ob wir es
nicht vielmehr mit Pergamentblättem zu tun haben, welche den Unter-
schied zwischen Fleisch- und Haarseite deutlich hervortreten lassen, wie
sich solche meist im Süden, aber auch in Frankreich finden, mö^e dahin-
gestellt bleiben. — Die oberen Innenecken von Blatt 2 und 3 sind rund-
lich beedmitten; die Rundung b^nnt jedoch erst ein Stück über dem
Kniff. — Nicht erwähnt sind die Heftlöcher, einmal die eigentlichen, am
Rücken der zusammengeklappten Blätter an je vier Stellen befindlichen,
und dann einige auf der Knifiiinie, die sich beim Zusammenklappen nicht
decken. — Bezüglich der Initialen ist eine Unregelmäisigkeit zu erwähnen :
V. 87 folgt ein grünes L auf ein Q (V. 83) von gleicher Farbe. — Die
Federproben gehören durchaus nicht dem 16. Jahrhundert an, sondern
dem LS. — 14.; auch ist MareseaUua zu lesen. — Was das Alter der Hand-
schrift betrifft, so setzte sie Reiffenberg ins 12. Jahrhundert, Scheler ans
Ende des 12. oder Anfang des 13., Foerstcr 'ungefähr Mitte' des 13.,
G. Paris sowie Verf. allgemeiner ins 13., sie wird dem 12. jedenfalls nicht
und eher schon dem zweiten als dem ersten Viertel des 13. zuzuweisen sein.
Der möglichst getreu, d. h. mit allen Fehlern wiedergegebene Text
gibt Rez. zu folgenc&n Anmerkungen Anlaüs:
V. 4 ist Garrant zu bessern; vgl. Oris 446.
V. 28. el camp,* Bezüglich der Worttrennune mufote Verf. etwas
subjektiv verfahren. Rez. würde entsprechend vorziehen : enfist 55, desafre
124 (vgL defescamp 143), eis 165 (e gehört ja zur Vorkolumne, und diese
ist bei der Umschrift nicht berücksichtigt), enmpainnes 612; umgekehrt
getrennt ß Im 202 (vd. cd hon 226).
V. 36. UrsprüngSch findet sich die Sieben, das Abkürzun^zeichen
für et, geschrieben, doch mit verblafster Schrift ; das kräftige v gäit deut-
lich darüber hinweg.
V. 98. dinot^ nat Rez. eele^ntlich einer Kollation der Hs. auch ge-
lesen. Das 0 ist etwas dickflüssig geraten; vgl. a. 296.
V. 122. In der Vorkolumne nndet man sonst nur das breite s. Hier
hatte der Schreiber zunächst ein j geschrieben (also den folgenden Buch-
staben — j --- i am Zeilenanfang) und daraus ein langes s zurechtgestutzt.
V. 139. Eher del als dol; vgl. z. B. seirU 146, reis 431.
^ Bez. hält den Titel Isembart oder Itembart e Oormund f&r angemessener.
' Dieses Wort nennt Heiligbrodt (Rom. Stud. III 537) zn Unrecht '
' Heil, trennt encUn at, was nun schon durch die richtige Lesang unnötig
erscheint.
AivhiT f. n. Sprachen. CXVI. 28
426 Beurtdlungen und kurze Anzdgen.
V. 154. Beide Punkte gehören zu dem (?; desgl. 341.*
V. 180. Sen^ mit breitem rundem «. Ebenso hätte Saienas 507, Sarra-
Mn(s) 592, 595, 636 gedruckt weiden sollen. Desgl. Pntx 218, Se 557,
i? 614, wo der Initialen wegen eroise Buchstaben stehen (vgL Pvü 255,
Qvaire 514, 2^' 87, 112, 599); wohl auch dementsprechend Ariere 6, 62, 84,
134, 161. Eoenso gehören in die Vorkoiumne eigentlich durchgängig
grofse Buchstaben; wenn Verf. jene auch nicht beibehalten hat, so hätte
er doch auf dieses hinweisen sollen. Ist doch die unterschiedliche Ver-
wendung von t und j in der Hs. kaum eine andere als etwa die von q
und QJ
V. 228. Die Hs. zeigt deutlich geua, an sich ebensowenig berechügt
wie ehenaus 161.
y. 253 ist mixeelB zu lesen.
y. 371 wird idunc zu Recht bestehen können. Vgl. eomeneent 4S2.
y. 467. Schon das yorhandensein zwder i-Striche scheint die Lesung
i uiree zu verlangen. Dals der zweite etwas näher dem dritten als dem
vierten Balken der Gruppe uu steht, ist nicht grofs von Belang. Das
uuree des Verf. ist eb^isowenig berechtigt wie das Schelersche virree.
y. 529. Der Buchstabe der yorkolumne ist ein n.
y. 536. Es läTst sich der Abstrich eines p und die untere Hälfte
eines 9 (= cun) erk^inen.
y. 629. Die Hs. hat quarefor» Der letzte Buchstabe sieht einem s
zwar recht ähnlich, unterscheidet sich jedoch von einem solchen durch
den runden Duktus: es liegt r nach o vor. Als ebenso triigerisch wäre
etwa or 102 zu nennen.
Gegenüber dem beiläufig gegen 50 Fehler aufweisenden Schelerschen
Abdruck sei noch auf einige Formen hingedeutet : ambe$dou9 2b<, astdes 52,
nuist 143, Jon 350 (= w + cn, vel. jan 281), frei 410, jorx 413, le 506,
c(must 576, lex 630 und schlieislidi deueret 633. Erwähnt sei auch, daüs
die von Heiligbrodt a. a. O. 8. 537 der Hs. beigelegte Schrdbung ou nicht
vorhanden ist.'
Die Phototypien sind, abgesehen von dem unvermeidlichen Durch*
scheinen der korrespondierenden Seiten, gut geraten. Desgleichen ist der
fehlerfreie Druck zu loben.
Hoffentlich werden in Bälde mehr und mehr Schätze der noch so
manche Überra8chunfl;en bergenden Brüsseler Bibliothek ans Tageslicht ge-
fördert, nicht nur durch den der Vollendung entgegengehenden neuen
Katalog, sondern auch in der Fassung, wie sie Kronjuwelen zukommt.
Berlin. Walter Benary.
VeröffeDtlichuDgeD aus der Hamburger Stadtbibliothek 1. Der
HÜGE SCHEPPEL der Gräfin Elisabeth von Nassau-Saar-
brücken^ nach der Handschrift der Hamburger Stadtbibliothek, mit
einer Einleitung von Hermann Urtel. Hamburg 1905. Grolsfolio.
Diese typographisch wie sachlich gleich interessante yeröffentlichung
ist der germanistischen und der romanistischen Sektion der 48. Versamm-
lung deutscher Philologen und Schulmänner zu Hamburg dargebracht
* Dieae Abkarzung fttr Gormmd noch 49, 247 und 464.
* Mit AuAnahme von Aerr/ 47 findet sich j nur am Zeilenanfiing (da stet«)
und am Zeilenende (vorwiegend). — r statt u aeigt sich, auf«er am Zeilenanfaug,
in t; == ubi 200, la v 507, 527, 554, lä v 628; v = an« 36, 428, t' 639 ; ferner
in ße» 375, rimev 434, kvtü 444. Man beachte fibrigens den hier als diakritisches
Zeichen geltenden »-Strich, woiu noch d d 547, • ä 595, etpee 53 su veigleiehen
wären
^ dous 28, 317, 337, qaiou 41, 65, tmout 174, fous 190 kommen nicht in Betracht.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 427
Wir erfahren vorab, dafa zwei Schweeterhandschriften der Hamburg
Stadtbibliothek, die eine den Roman Loher und Maller (Nr. lim 9criino)y
die andere den Huge Seheppel nebet dem Roman von der Königin Sütüle
enthalten (Nr. 12): das büeh von konnig karl von franekrich Vnd finer
huffrouwen Sibillen die vmb eins gettrerch \ tcÜlen verjaget wart, und von
letzterer Geschichte erfahren wir, daXs Herr Dr. Burg eine Ausgabe vor-
bereitet
Die Handschriften sind, wie aus den sie schmückenden Wappen her-
vorgeht, für den Grafen Johann III. von Nassau-Sa^brücken angefertigt,
und zwar wahrscheinlich zwischen 1455 und 1472. Übersetzerin aus dem
Französischen aller dieser Texte und dazu des Herxog JBbrpin war die
obengenannte Gräfin Elisabeth von Nassau-Saarbrücken (geb. etwa 1399,
t 17. Januar 1456) (S. 3—4).
Die Handschrift des Huge Seheppel weist mehrfach Lücken auf, die,
wie so oft, wahrscheinlich von einem Miniaturendieb herrühren. Sie ist
die einzige erhaltene Handschrift des Romans (S. 7), der als Volks-
buch grofse Triumphe gefeiert hat, und von welchem Urtel zehn Drucke
hat amfinden können. Das Verhältnis der Drucke ist nach seiner Unter-
suchung (S. 11):
1500
I
1508
1604 " 1537
1794 1616 1556
I I
1652 1571
1664.
Für uns Romanisten ist natürlich der Vergleich der Übersetzung mit
dem afrz. Spätling hauptsächlich von Interesse. Denn während jene in
ihrem ersten Teile das m der Sammlung der Aneiens Pontes de la France
veröffentlichte Gedicht getreu wiedergibt, ist die zweite Hälfte nach Oapets
Krönung, nämlich der Verrat des Färi und Asselin, wohl nach einer an-
deren, uns unbekannten Version dargestellt, die freilich in den Haupt-
zügen mit der unserigen übereinstimmt
Hier und da scheint nun die Übersetzung einzelne Züge in authen-
tischerer Version zu bieten als das altftranzösische Gedicht. Es landen
beispielsweise die Venezianer hierin in dem Seinehafen Harfleur, was un-
gereimt scheint, in jener der ^eo^aphischen Sachlage entsprechendj^r in
Aiguesmortes, doch ist dies miüch erst aus der etwas kühnen Über-
setzung XU dem spiixen dode zu erschliefsen. Weitere Punkte, in denen die
Übersetzung ihre Quelle emendiert, sind S. 16 aufgezählt
Das Verhältnis des zweiten Teiles veranschaulicht eine Tabelle (S. 19),
nach der einige Worte eine Perspektive über die Vorgeschichte der Htum-
Gapet-Tyiohixmg beleuchten, an die Benutzung des Vomx du Paon (nach
1312) erinnern und Verwandtschaftsmomente berühren, die ihn mit Bau-
douin de Sebovro und dem Bur^^unden Äuberi verbinden. Hoffentlich
findet Urtel einmal Zeit, die hier aufgeworfenen Probleme und Ver-
mutungen eingehender zu untersuchen, was er beabsichtigt.
Wertvoll ist, dals man zu den im Texte veröffentliditen Miniaturen
auch Robert Schmidt als Kunsthistoriker zu Worte hat kommen lassen.
Danach sind diese Miniaturen, die Schmidt ausführlich beschreibt, nicht
deutsche Originale, sondern Kopien von französischen. In Loker und
Miller kommt nun die Stadt Amiens vor. Hier ist eine Miniatur ange-
bracht, die 'einen grünen Plan vor den Toren der Stadt' darstellt, 'der von
28*
428 Beurtälungen und kurze AiizeigeD.
W^;eD, die sich mehrfach kreuzen und den Eindruck eineB achtstrahligeD
Stemee machen, durchzogen ist. Darin bteht das Wort •oeU>fy»\ ^ne
solche Promenade ist n^di heute vor Amiens zu finden, und als ihr
Name hat sich dies Oetovie, wenn auch rerstümmelt, erhalten, nämlich
FVomenade de la Hotoie, — 'Die Bilder der Huge-Scheppei- Handschrift sind
von einem mittebheinischen Illustrator zweiten Ranges um 1460 — 70 an-
gefertigt, und zwar als indirekte, mehr oder wenieer freie Kopien nach
Miniaturen, die etwa um 1420 — äO von mehreren Händen einer franko-
fiandrischen Werkstatt gearbeitet worden waren.'
Nun folgt der Text mit allen Miniaturen nach photographischen Re-
produktionen, dann ein Namenverzeichnis und zum Schluls die farbige,
ganzseitige Wiederj^abe von drei Miniaturen in Orieinalgröfse, die ver-
kleinerte farbige Wiedergabe einer Seite der Handschrift und einige Schrift-
proben.
Dem Jugendfreunde Hermann Urtel meine Glückwünsche zu der mit
allem Erfolge durchgeführten ehrenden Au^be, zugleich mit dem Wunsche,
dals der ersten Veröffentlichung aus der Hamburger Stadtbibliothek bald
eine zweite, ebenbflrtige folgen möge und der Koman von Loher und
Mauer nicht zuletzt an die Kieihe komme.
München. Leo Jordan.
Otto Lan^eim^ De Vis^^ sein Leben und seine Dramen. (In-
augural-Dissertation, Marburg.) Wolfenbüttel, Robert Angermann, 1908.
110 S. gr. 8». M. 3.
Als Widersacher Moli^res in dem Streit um die FVauensehuUy als
Herausgeber des Mercure Galant^ und Mitarbeiter von Th. Corneille und
wegen seiner vielseitigen dramatischen Tätigkeit verdiente der rührige
Donneau de Vis^ der Gegenstand einer ein^henderen Untersuchung zu
werden. Der Verfasser der vorliegenden Arbeit hat sich im wesentlichen
darauf beschränkt, was wir von der Biographie de Vis^ wissen, zusam-
menzustellen, und die dramatischen Werke nach ihrem Inhalt und den
Eiinzelheiteu der Aufführungen eingehend zu besprechen. Er behandelt
zunächst die polemischen Werke de Vis^, Zeltndey Vengeanoe des Marquis,
die er, wie jetzt wohl ziemlich allgemein angenommen wird, mit der Lettre
sur les affaires du thiätre und den Nouveües nauveües de Vis^ zuschreibt,
ohne Mitarbeit de VilUers'. Es folgen dann die übrigen Werke de Vis^,
nach ihrem Inhalt in einzelne Gruppen geteilt Quinaults und de Visa
Komödien 'La M^re coquette' werden eingehend verglichen, die zeitliche
Priorität von de Vis^ Stück wahrscheimich gemacht und die Vorzüge
der Quinaultschen Bearbeitung gebührend hervorgehoben. Wir erfahren
nur allgemein, dals beide Dicnter eine spanische Quelle benutzt haben,
da(s einzelne Züge in dem Stücke de Vis^ Sorels Berger Extravagant
und La Calpren^ee Gassandre* entnommen sein sollen. Auf eine ein-
gehendere Quellen Untersuchung hat der Verfasser an dieser und ande-
ren^ Stellen verzichtet Überhaupt beschränkt er sich zu sehr auf Inhalts-
' De Vis6 ist nicht 'der eigentliche Begrflnder des franiftBiBchen Journalismus'.
Lange vor ihm hatte der erfinderische Th^ophraste Renaudot seine Gasette de Fnmee
(1631; gegr findet
* Der Geliebte Roxanes wird Orondate statt Oroondate genannt. Auch
sonst sind besonders in den Zitaten Druckfehler h&ufig. S. 85 Anm. 2 1. Othon,
Agisilas statt Othon, Alexandre.
' 'La Venve & la Mode' (1667) wird auf La Fontaines Fabel 'La jeune venve',
die jedoch mit dem ersten Buch der Fabeln erst 1668 bekannt wurde, und in>
direkt auf dad Fabliau 'La Veuve* snrttckgefllhrt. Ein nftherer Zossmmenhang
Beurtellimgeii und kurze Anzogen. 429
angaben und die trockene Aufzählung von Tatsachen. In eine vollBtandiffe
Würdigung de Vis^s hätte eine Charakteristik seiner Stellung innerhalb
der dramatischen Literatur der Zeit und Moli^re gegenüber gehört. Das
aktuelle Interesse, die detaillierte Milieuschilderung, die Selbstzweck wird
fegenüb^ der stets auf die Darstellung allgemein menschlicher Typen
inzielenden Komik der Moli^reschen Possen, das sind Züge, die de Vis^
mit den 'Bealisten' und einer Gruppe zeitgenössischer und nachmoli^rischer
Komödien- und Possendichter teilt.
Heidelberg. F. Ed. Schneegans.
Voltaires Rechtsstreit mit dem KoniglicheD Schutzjuden Hirschel,
1751. Prozeßakten des Königlich Preulsischen Hausarchivs. Mit-
geteilt von Dr. Wilhelm Mangold^ Professor am Askanischen Gym-
nasium zu Berlin. Mit einem Anhang ungedruckter Voltairebriefe aus
der BibUothek des Verlegers und mit 8 Faksimiles. Berlin, E. Frens-
dorff, 1905. IV, XXXVII; 138 S.
Wenn man beim grolsen Publikum eine Enquete veranstalten könnte
mit der Frage: Was wissen Sie von Voltaire? so wäre gewiis die Aus-
kunft, die am häufigsten wiederkehren würde, bei vielen die einzige viel-
leicht, die sie ^eben könnten: Er hat in Berlin einen Juden geprellt und
beim Prozefs die Eichter hinters Licht geführt; so wie etwa bei Jßousseau
die Tatsache am bekanntesten sein mag, dafs er ein Buch über Kinder-
erziehung geschrieben und die eigenen Kinder ins Findelhaus geschickt
hat. Nun ist aber Tatsache, da£ Voltaires Berliner Judenaffaire, trotz
allem, was bisher darüber geschrieben wurde, noch keineswegs geklärt
war. Die unzureichenden Daten, die bisher vorlagen, und der ämserst ver-
wickelte Charakter der Angelegenheit brachten es mit sich, daüs das letzte
Wort der Voltairebiographen und der letzte Eindruck ihrer Leser eben
doch durch die Pointe des bekannten Lessin^chen Epigramms und durch
Friedridis unmutige Äufserungen über Voltaires Gaunerei bestimmt wurde.
So ist es ein äuCserst dankenswertes Unternehmen, wenn einmal akten-
mäfsig festgestellt wird, was in der Sache wirklich über und g^en Vol-
taire vorliegt, und wenn durch Veröffentlichung aller noch vorhandenen
Aktenstücke jedem Gelegenheit gegeben wird, sich ein eigeneb Urteil zu
bilden.
Ich versuche, die wesentlichen Punkte an der Hand der Akten und
mit HÜfe von Mangolds einleitendem Kommentar herauszustellen. Am
80. Dezember 1750 reidit Voltaire eine Klarschrift beim Grofskanzler
Samuel von Cocceji ein ge^en den königlichen Schutzjuden Abraham
Hirschel, der ihn 'durch allernand seiner Nation gewöhnlicne complaisances
und Kunstgriffe dergestalt zu faszinieren gewmst, dala er sich in ver-
schiedene negotia mit ihm eingelassen.' Er klagt auf Herausgabe eines
auf Paris ausgestellten Wechsels von 40000 Frs., den er, Voltaire, habe
protestieren müssen, und den Hirschel ihm bis dato noch nicht 'retradiert'
nabe, sowie auf Taxierung von Pretiosen, die Hirschel ihm angeboten zur
Abzahlung eines Darlehens von 8000 Btlrn., das Hirschel am 17. De-
zember bei ihm, Voltaire, aufgenommen und auf Barzahlung der Summe,
die nach Abzug der sachverstandig taxierten Diamanten an den von Hir-
schel geschuldeten 3000 Btlrn. noch, fehlt. Im Verhör der beiden Parteien
macht Hirschel Enthüllungen über die Geschichte des Wechsels von
40000 Frs. Er will ihn von Voltaire laut einer 'Konvention' haben, kraft
Iftfiit sich nicht erkennen, und der Verfasser begnügt sich mit der flüchtigen An-
deatang. Auf die Lettre sur des affaires du ihiätre glaubte der Verfasser leider nicht
nfther eingehen su müaeen.
430 Beurteilaogen und kurze Anzdgen.
deren ihm Voltaire ('aus Begierde, reich zu werden') den Auftrag zum
Aufkauf von B&chaischen Steuerscheinen in Dresden gegeben habe (nach
dem 10. Artikel des Dresdener Friedens von 1743 mu&ten diese im Wert
stark gesunkenen Scheine aus den Händen preulsischer Untertanen zum
vollen Wert angenommen werden. Die Spekulation damit war durch
Friedrichs Verordnung schon 1748 verboten worden, p. V). Voltaire leugnet
im ganzen Prozefs die fjcistenz dieser Konvention ab, zuletzt noch in
dem vom Gericht ihm zugeschobenen Eide, den Mansold erstmals ver-
öffentlicht. In diesem Eid spricht er nun allerdings nicht blois von einer,
sondern sogar von drei Konventionen mit Hirsche!, von denen die eine,
vom 23. !m>vember, Hirscheis propositiones der Steuerscheine enthalten
habe, aber nicht unterschrieben worden sei, eine andere, 'keine Stener-
Bcheine zu nehmen', am 24. November von Hirschel unterschrieben wor-
den sei, eine dritte, 'Zobelpelze und Diamanten betreffend', am 24. No-
vember von beiden, Voltaire und Hirschel, unterschrieben worden sei.
Denn so erklärt nun Voltaire die Geschichte des Wechsels: das Steuer-
scheinnegotium sei ein 'unverschämtes mendacium' des Beklagten; 'da.«
negotium, weshalb Kläger dem Beklagten die Wechsel geeebä, hat in
einer versprochenen Lieferung von Diamanten und Pdzwerk bestanden.'
Die Dokumente, die Hirschel zum Beweise seiner Behauptung vorbringt,
reichen juristisch zur Konklusion nicht aus. Mangold schließt sich oer
Ansicht eines der Richter, des Geheimrats Löper an, der in einer von Man-
gold im Geheimen Staatsarchiv gefundenen und von ihm erstmals ver-
öffentlichten Relation in der Sache urteilt: 'Ich habe nach allen Regeln
der Wahrscheinlichkeit nicht den geringsten Zweifel, dals Kläger die
Wechsel dem Bekla^n in der Absicht gegeben, Steuerscheine d£für zu
erhandeln, und das vorgeben, Diamanten und Pelzwerk dafür zu kaufen,
ist ... lächerlich.' Der moralische Wahrscheinlichkeitsbeweis, den Man-
?;o1d fflr die Richtigkeit der hierauf sich beziehenden Angaben Hirschels
Uhren zu können glaubt, ist wohl als gelungen zu betra<äiten. In ihrem
Erkenntnis wollen die Richter auf die Fra^e, ob Steuerschein- oder Pelz-
und Diamantenhandel vorgelegen habe, nicht eingehen, da es 'darauf nicht
ankomme'. Damit stflnde nun fest, einmal, dus Voltaire sich auf eine
in Preufsen unerlaubte Spekulation eingelassen und dann — nach Ansicht
des Herausgebers — , dafs er in dem Reinigungseide falsch geschworen hat.
Ohne die starken Wahrscheiulichkeitsgründe, die für diese Meinung spre-
chen, zu verkennen, möchte ich doch die Einschränkung, die Mangold
selbst hinzufügt, dals der Falscheid juristisch nicht genügend bewiesen
werden könne, noch starker unterstreichen. Die Mö^ichkeit ist meines
Erachtens nicht ausgeschlossen, dafs der Eid seinem Wortlaut nach der
Wahrheit entspricht. In einem Billett Voltaires, das Hirschel vorbringt
und das Voltaire am stärksten belastet, ist von Diamanten die Rede, wo
Steuerscheine gemeint sein müssen, wenn Löper und Mangold recht haben.
Möglich wäre nun immerhin, dafs auch die Konventionen, die wir nun
einmal im Original nicht mehr haben, von dem vorsichtigen Voltaire in
entsprechender Weise in verschleiernder Form formuliert worden wären.
In dem angeblichen baren Darlehen von 8000 Rtlm. sieht Mangold
eine Schwindelei Voltaires, da er, wie schon Löper in seiner Relation ner-
vorgehoben, dieses Darlehen mit nichts beweisen könne; er befindet sich
hier im Gegensatz zum richterlichen Erkenntnis, nach dem 'Kläger hin-
länglich bewiesen, dafs Bekla^er ihm nach dem 16. Dezember 3000 Rtlr.
Hchuldig gewesen'. Mangold ist geneigt, Hirschel zu glauben, der nach
AuHstelTuDg einer gegenseitigen Generalquittung vom lö. Dezember von
Voltaire nichts, insbesondere kein bares Geld erhalten haben will. Die
mit den Juwelen gedeckte Schuld rührt nach Hirschels Angabe vielmehr
von einem Rchon im September 1750 von A. Hinchel, dem Vater, bei
Voltaire juifgenommenen Darlehen von 4430 Talern her, worüber dieser
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 481
einen Wechsel ausstellte. Nun war dieser Wechsel Hirschel am 24. No-
vemher (zum Gebrauch beim Steuergeschäft) eingehändigt worden. Da
das Steuergeechäft sich zerschlagen hatte, mufste Hirschel den Wechsel
von 4430 Talern einlösen, eine Verbindlichkeit, der er sich teils durch
Barzahlung» teils mit den obengenannten Juwelen entiedist habe. Dem-
ffe^nüber Deruft sich Voltaire für seine behauptete Barzanlung auf zwei
S<£eine, einen vom 19. und einen vom 24. Dezember, in denen Hirschel
eine Schuld von 8000 Rtlm. anerkennt (der erste beginnt mit den Wor-
ten : Pour payement de 3000 R par moy du8, fay tfmdu etc. ; der zweite
enthält die Worte : en payement de trois mil Sctis quü me devaü), Hirsdiel
leugnet während des Prozesses lange seine Unterschrift unter dem ersten
Schein, mufs aber doch schliefslich seine Hand anerkennen. Er erklärt
ihn dann als einen Scheinschein, den ihm Voltaire durch seine Bitten ab-
gedrungen, ^um das vorgehabte Steuerschein - Negotium desto besser zu
verbergen; womit bei Sr. Königl. Majestät er sich damit le^timieren und
zeigen könne, dafs die unter uns vorgewesenen negotia emen Juwelen-
handel betroffen.' Hirschel bezichtigt Voltaire weiter der Fälschung dieses
Scheins durch nachträgliche Zusätze und Radierungen. Die Richter schie-
ben Voltaire den Eid zu, der am Schluls des Prozesses schwört, dais der
Schein 'gänzlich in des Juden Gegenwart so geschrieben wurde, als er
jetzt beschaffen, ohne dafe nachher ein einzig Komma daran verändert.'
Mangold ist geneigt, diesem Schwur ffir richtig zu halten, obwohl er Vol-
taire an sich eine solche Änderung von Urkunden zutraut, wie er denn
in der Tat an einer anderen Stelle der Akten eine Radierung und Kor-
rektur von Voltaires Hand gefunden hat und mitteilt zur Charakterisie-
rung Voltaires, 'um seinen Mangel an Respekt vor Aktenstücken zu zei-
gen. Mangold urteilt mit bezeichnender und berechtigter Vorsicht: Die
Fälschung des Scheins ist nicht nur nicht erwiesen, sondern sogar un-
wahrscheinlich (denn er enthält an sich nichts, was auf eine soläe hin-
deutet), wenn auch nicht über jeden Zweifel erhaben. Bei der ganzen
Frage ist mifslich, dafs das Original des Scheines nicht mehr b^i den
Akten li^t. Wir haben nur noch ein Faksimile davon aus der im Jahre
1790 gedruckten Nachrieht von dem Rechtsstreit des berühmten Voltaire
wider den Juden Abraham Hirsch, und dieses zdgt natürlich die behauptete
Radierung nicht. Die Aussage der vereidigten Schreibmeister ist gleich-
falls nicht mehr vorhanden. Man fragt sich, von wem diese schwer-
wi^enden Aktenstücke entfernt worden sind und cui bono? Mangold
enthält sich darüber jeder Vermutung. Einen Dolus Voltaires nimmt er
bei dem fraglichen Schein insofern an, als dieser zur Stütze der falschen
Behauptung iener Barzahlung benutzt wurde. Wenn die Richter Voltaire
f tauben, weil sie zwischen der im Schein genannten runden Summe und
er von Hirschel durch die Juwelen angeblich gedeckten Teilsumme jenes
ersten Darlehens vom September eine von Hirschel nicht erklärte Diffe-
renz finden, so erscheint Mangold diese Erwägung nicht beweiskräftig
ffegen Hirscheis Ge^en vorbringen. Er glaubt, die Differenz anderweitig
durch Beiziehung emes anderen Aktenstückes und Mitberechnung der
Kursdifferenz erklären zu können. Wobei dann freilich psychologisch
nicht ganz klargelegt ist, warum Hirschel nicht selbst diese Aufklärung
gegeben hat, und warum er zunächst die doch auf die Dauer unhaltbare
Ableugnung seiner Unterschrift vorgezogen und dann in seiner zweiten
Verteiuigungsposition die Stelle mit den 3000 Talern als gefälschten Zu-
satz bezeichnet hat, statt sie nach Mangolds Hvpothef>e zu erklären. Zu
einem völlig freisprechenden Urteil kommt Maneold in der Frage des
zweiten Scheines (vom 24. Dezember),* den HirscheT ebenfalls für häb ge-
fälscht erklärte, und dessen Richtigkeit Voltaire daher gleichfalls beschwören
mufste. Auch von diesem Schein ist das Original nicht mehr bei den
Akten. Auch für eine weitere Anschwärzung Hirscheis, Voltaire habe
482 BearteiluDgen und kurze Anzeigen.
seine Juwelen durch minderwertige yertauscht, konnte kein Beweis erbracht
werden.
Dies ungefähr sind die Punkte, die für die moralische und juristische
Beurteiiunff des Falles wesentlich sind; die interessanten und heiteren
Momente, die der Prozels auf Schritt und Tritt darbietet, sind danait weit
nicht erschöpft; aber dazu wäre es nöti^, den ganzen ausgezeichneten
Kommentar Mangolds auszuschreiben. Mir scheint das wichtigste Ergeb-
nis der Aktenpublikation zu sein, dais die Dinge juridice günstiger für
Voltaire liegen, als die communis opinio bisher wollte. Doch müssen wir
Philologen uns hier bescheiden und das Urteil der juristischen Fachkritik
abwarten, die sich ja wohl auch Yemehmen lassen wird. Der Mensch
Voltaire enthüllt sich in diesem seinem 'Handel mit dem Alten Testament'
wieder in seiner ganzen naiyen Gewissenlosigkeit und zeigt sich in jener
uns wohl an ihm bekannten Verständnislosigkeit für die Werte der per-
sönlichen Würde, der Ehre, des Charakters, die bei ihm so sehr Natur
ist, dafs der Eindruck des Komischen immer wieder vorschlägt yot dem
Eindruck des Verächtlichen.
Dem Herausgeber schuldet die Voltaireforschung warmen Dank für
seine neue Qabe. Es steckt ein respektables Stück mühsamster Arbeit
und umfassender Nachforschungen in seinen erläuternden Fufsnoten und
in dem lichtvollen fjcpos^ seiner Einleitung, mit dem er dem Leser einen
geradezu unentbehrlicmen Leitfaden durch ein Aktenlabyrinth gegeben
at, in dem der juristische und finanztechnische Laie sich ohne solche
Hilfe unmöglich zurechtfinden könnte. Mangold hat den Briefwechsel
durch ein s^r interessantes NoYum bereichert: Fünf Briefe Voltaires an
Cocceji, in denen man Voltaires Künste in der captatio benevolentiae seines
Richters studieren kann ; er hat einen wichtisen Abschnitt der 0>rTespon-
dance g^n^raie in der Molandschen Ausgabe chronologisch vollständig
neu geordnet. Und so darf wohl unter den gerade in den letzten Jahren
wieder reichlicher flieCsenden neu erschlossenen Quellen für die Voltaire-
biographie Mangolds Beitrag als der bedeutsamste bezeichnet werden.
Stuttgart. P. Sakmann.
Gustave Simon^ Uenfance de Victor Hugo avec une analyse com-
pl^te et des fragments d'^Irtam^ne' et de ses premi^res po^ies in^itee.
Paris, Hachette, 1904, in 8«, VIII et 282 p.
Der Verfasser hat für diese Untersuchung Vorarbeiten veröffentlicht:
Vietar Hugo ieolier (Rep. de Paris X, 5. Sept— Oct. 1903, 445), Vieior
Hugo auUur dramattque ä quaiorxe cms {Rev. aHist, liU, de la IVanee 1904,
XI, 1). — Der Gang der Arbeit Simons stützt sich auf Vieior Hugo ra-
eonU par un Umoin de aa vie. An Wert ^winnt dieses Buch durch
mehrere, bisher noch nicht veröffentlichte Briefe (S. 7, 49, 92, 219, 222,
264). Der Verfasser ist bestrebt, das Wesen von Hugos Kunst, die Anti-
these, zu erklären. Er betrachtet diese als eine dem Dichter eigene Art
des Sehens, das nur Licht und Schatten an den Gegenstanden wahrnimmt:
eine Ansicht, die schon L. Mabilleau {Rev. d. d, mondes LX* an.y 3** ph.
8:i4) ausgesprochen hat, und die auch E. Bertaux (Victor Hugo ariiste, in
der Qaxette des Beaux-Arts, 1903) beibehält. Nun ist zwar wahr, dsis bei
Victor Hugo die Inhalte der Vorstellungen des Gesichtssinnes bei weitem
die der anderen an Stärke übertreffen; doch muls betont w^en, und
darauf macht auch W. Martini (Victor Hugos dramatische Technik nach
ihrer historischen und psychologischen Enttotcklung, Zs, f. frz, Sp, u. Lit.
27 y ÄbhcU. 6 u. 7, 346) aufmerksam, dals der Gefühlswert der Empfin-
dungen bei Victor Hu^o so stark ist, dafs sich das Wesen so vieler Ter-
Honen in den Dramen m den stärksten Geeensätzen entwickelt: mafisloeee
Überheben und Demut, Edelsinn und glmiender Hals lösen nur zu oft
BeurteiluDgen und kurze Anzeigen. 4ti3
einander in der Seele eines Helden ab (Cromwell, Triboulet, Ruy Blas
u. a.). Man vel. meine Untersuchung: Die Typen der Bdden und Hel-
dinnen in den Dramen Victor Hugos (Prg. d. 2, deutschen Eealsehule, Prag
1905, 19).
G. Simon zählt in dem Abschnitt Fi^vre depoesie (S. 99 ff.) die in einem
Hefte vereinieten Poesies diverses des Dichters auf; er bespricht ziemlich
ausführlich trtambne, Hugos erstes Drama (S. 111—127); Äthelie tut er
mit 11 Seiten ab, er kommt kaum über die Inhaltsangabe des Stückes
hinaus, um Inex de Castro überhaupt nur zu erwähnen. Gerade dieses
vollständige Drama hatte eingehender betrachtet werden können, spinnen
sich doch von ihm aus Fäden in die spätere dramatische Tätigkeit Hugos.
Wenn auch der Verfasser sich entschuldigt, dafs nicht alle diese Jugend -
dramen in seiner Untersuchung besprochen werden konnten, so empfinden
wir doch diesen Muneel umsomehr, wenn wir auf 3 Seiten (157 ff.) aus-
fuhrlich erfahren, auf welche Weise der junge Dichter eine Abhandlung
(Le honheur que procure VStude dans toutes les situations de la vis) bei der
Acadimie franpatse einreichen wollte. Vieles, schon lange Bekanntes, in
Victor Hugo rae. Abgedrucktes hätte in kürzerer Form dargeboten werden
können; ein wenig Malshalten mit dem Heranziehen von Victor Hugo rae.
wäre geboten gewesen; dieses Werk kann als Quelle in literarischen Fra-
gen doch nur mit der gröfsten Vorsicht benutzt werden.
Der Verfasser führt die Lebensgeschichte Hugos bis zum Erscheinen
der ödes et Poisies diverses (1822); in dem Schlulsworte seines Buches
weist Simon mit Becht darauf hin, dafs weniger die Schule und das Stu-
dium Victor Hugo bildeten, als vielmehr des Dichters Mutter, die Natur
und die Menschen.
Eine wertvolle Bereicherung erfährt die zahlreiche Literatur der Jugend-
dichtungen Hugos durch Simons Arbeit nicht.*
Prag. Willibald Kammel.
Ernest Dupuy, La Jeunesse des Bomantiques: Victor Hugo —
Alfred de Vigny. Soci^t^ franyaise d'imprimerie et de librairie,
1905, in-18 jösus.
En 1902, M. Ernest Dupuy — qui d^jä avait publik sur Victor Hugo,
l'homme et le poHe un ouvrage Eloquent, plein de vues ing^nieuses, auquel
on ne pouvait reprocher qu'un plan un peu factice et un enthousiasme
peut-^tre trop constant — avait voulu celäbrer, ^ur sa part, le cente-
naire du grand po^te en publiant une savante et impartiale ^tude sur la
Jeunesse & Victor Hugo.
Apr^ avoir pratiqu^ des fouilles heureuses dans les archives de l'Aca-
d^mie Fran9aise, apr^s s'^tre entour^ de documents peu connus ou in^its,
apr^ avoir Stabil avec soin la Chronologie des premi^res oeuvres de Hugo
et des oeuvres contemporaines, M. Dupuy avait suivi le po^te depuis son
prämier concours acaoemique en 1817 jusqu'ä son triompne d'Ifernam en
1830, et il avait signal^ nettement les influences qu'il a subiee, les ^v^ne-
ments qui ont d^termin^ la direction de sa pens^e, les amis et les disciples
qu'il a group^B autour de lui, les changements et les progr^s qui se sont
marqu^ dans ses productions. Chemin faisant, ii avait rectifie des dires
de M. Bir^, sem6 des remarques interessantes, cit^ des articles curieuz du
Oonservateur litiSraire et de la Muse frangaise.
Ce travail ayant ^t^ bien accueilli, l'id^e est venue ä M. Dupuy d'6tendre
* Gustave Simon, Victor ffugo^ Awii€8 denfanct (BibKotheque dts ecoles et des
famiUes), Paris, Hachettc, 1904, in 8", VIII et 188 p. — Von unbedeutenden Ver-
änderungen abgesehen, sind die Annees ctenfance nichts anderes als der Abdruck des
obigen Baches.
484 Beurteilungen und kune Anzeigen.
see inTestigationB ä la jeunesse et ä la formation intellectuelle de tous les
romantiquee notables. 8ur oe sujet excdlent 11 publiera une B6ne de
volumes que nou8 attendons avec confiance : le premier, que nous annon^oo»
aujourd'hui, est, comme il fallait s'y attendre, un tr^ bon livre.
II se compose de cinq chapitres: La jeunesse de Victor Hugo; — Viäor
Hugo et eon pere; — La jeunesse d Alfred de Vijfny; — L'amitie d'Äl/rtd
de Vigny et de Victor Hugo; — Les origtnes littSratres d' Alfred de Vigmf^
A une petite addition et ä une petite suppression pr^, le chapitre sur
la jeunesse de Victor Hugo n'eat que la r^ition de la brochure de 190*2.
Le chapitre sur Victor Hugo et son ph^ se divise en deux parues :
La premi^re est une ^tude minutieuse et attachante ä la fois sur leg
relations du po^te avec son p^re Lipoid Sigisbert Hugo. Jusqn'en 18iC,
ces relations sont fort peu ae chose: la femme du sän^ral avait obtenn
en 1818 un jugement de Separation de corpe, et son ms, qu'elle avait ^lev^,
avait pour eile une affection tout ezclusive; lorsque Victor, &noe d'AdMe
Foucher, dut s'adresser iL son p^re pour lui demander son consentement
au mariage qu'il d^irait, il se reprocnait am^rement oette conduite: *J'aimr
et je re^pecte la memoire de ma m^re, et je Poublie, cette m^e, en 6cri-
vant ä mon p^rel' Mais, une fois rapproch^ de son p^re, Victor Hugo
sent naitre et s'accrottre en lui pour le glorieux soldat une affection tendre
et pieuse; son bonapartisme naissant le rend fier de l'ancien mar^cfaai de
camp du roi Joseph, du vaillant d^enseur de ThionTille; et, ä son tour.
son admiration fiuale pour Tun des collaborateurs de Napol^n en fait le
chantre de plus en plus convaincu de T^pop^ imperiale. Lee dissentimeoU,
in^vitables, entre AdMe Hugo et la seconae femme du g^n^ral — disseoti-
ments momentanes, d'ailleurs — n'enl^vent rien ä la ooraialite des relations
entre le p^re et le fils: le 28 janvier 1828, (^uand le g^n^ral meurt snbite-
ment, il avait quitte Blois, son ancienne r^sidence, et habitait & Paris tout
pr^ de son fils; Victor venait mßme de passer gaiement tonte la soir^
avec lui.
Cette histoire, en grande partie oont^e au moyen de documents non-
veauz, de lettres in^dites, de rectifications apport^es au r^cit du Victor
Hugo racontS, cette histoire ne fait pas seulement ressortir une fois de plus
la noblesse de certains l^entiments de Victor Hugo et son devouement ä
tous les siens. Elle ^claire une portion de l'oeuvre du po^te, et c'est ce
que montre M. Dupuy dans une seconde partie od, de l'ode ä Mon phre a
la petite ^pop^e la f^atemite, il parcourt rapidement les po^mes que la fiert^
et la piete hliales ont inspir^s au fils respectueux de 'Joseph -Leopold •
Sigisbert Comte Hugo, lieu^tenant g^neral aes armdes du roi, non inscrit
sur l'arc de triomphe de TEtoile'.*
I^ troisi^me chapitre, sur la Jeunesse d^ Alfred de Vigny, s'appuie aussi
sur des documents in^dits : on y trouve des extraits de Memoires du po^te
et des pi^ces officielles empruntees ä la Biblioth^que nationale, aux Arcnives
ou au Minist^re de la j^uerre. GrAce ä ces documents et surtout gr&ce l
une m^thode critioue ngoureuse, M. Dupuy nous retrace l'histoire exacte
des Vigny et des Baraudin, c'est ä dire des aieux paternels et matemels
du fier auteur de V Esprit pur; il r^duit ä leur juste mesure ses pretentions
nobiliaires et ses revendications de gloire guerri^re ,* surtout, il nous montre,
mieux qu'on ne l'avait encore fait, dans les regrets aristocratiques et dans
' Ce« chapitres ont paro s^par^ment dans des Revuea, et on s'en apei^oit par
eodroits. Ainai, en rapprochant, p. 346 — 347, la ftn de Crnq-Mmn du d4bnt de
OromweUf M. Dapuy parat t oublier qu*il a dijk fait la mime remarqae iDt^asante
k la page 260.
' Ainai s'ezprime, on le sait, ponr reparer un injuste oubli, la dMicace des
Voix iniMewrts. — P. 89, n. 2, Kre 'apria le d^te de sa prämiere femme' — et
non 'de aa aeconde'; p. 114, 1. 6, lire 'retenue'.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 435
r^ucation morose de oe gentilhomme une des causes de son pessimisme.
Maintenant, est-il juste d'aiouter (p. 163) que Vieny a ^t^ 'de bonne heure
tr^g Bceptique en mati^re de religion et, juBqu'ä l'heure de la mort, atb^e,
non pas peut-^tre ''avec d^iices'^ comme Andr^ Ch^nier, mais tr^ r^80-
lument et par haine du dieu biblique, ä la Voltaire, ä la Byron'? Le
d^8accord aes critiques sur les croyances religieuses ou irr^ligieuses de
Vigny montre qu'elles ne Bont pas ais^ k connaitre, et je n'esBaierai
donc pas de les d^terminer en quelques lignes; mais, lorsaue Vigny perd
sa m^re, cette m^re qui autrefois l'avait conjur^ de s'attacner avant tout
ä l'existence de Dieu et ä Pimmortalit^ de r&me, le Journal d'un poHe le
montre bien s'inclinant devant la divinit^; et si, en dehors de cette p^riode,
Vigny ^prouve le plus souvent pour Dieu une sorte de haine, cette haine
parait bien s'adresser ä un Dieu r^el et personnellement maliaisant, non
pas seulement ä Vidie d'un Dieu.
L'amiti^ de Vigny et de Victor Hugo a une histoire aui est ^troite-
ment li^ ä Thistoire mdme de T^cole romantique; eile a, ae plus, connu
des yiciesitudes dont les causes appellent toute l'attention aes psycho-
logues. Elle m^ritait d'^tre 6tudi^ avec soin et avec finesse. M. Dupuy
a donc consacr^ ä cette amiti^ son chapitre quatre, oü sont produites pour
la premi^re fois d'int^ressantes lettres des deux po^tes. Comment a coni-
menc^ la liaison, sans doute par Pinterm^diaire a'Emile Deschamps; com-
ment eile a 6t^ d'abord resserr^e par les douleurs et les joies, et quels
mutuels Services les deux fr^res d'armes se sont rendus ; comment, ensuite,
le mariage de Vigny, les perfidies de 8ainte-Beuve, les rivalit^ litt^raires
et les divergeuces politiques ont reläch^ des liens si doux; comment enfin
Tamiti^ a reparu, mais pour sombrer d^finitivement dans la catastrophe
politique qui a fait de Victor Hugo un exil^ et de Pancien l^gitimiste
Vigny un ami mod^r^ du Gouvernement de Napoleon, on le verra dans
l'^tude si pleine de choses de M. Dupuv.
Mais la partie la plus importante du volume, c'est sans doute le der-
nier chapitre, sur les origines litt^raires d' Alfred de Vigny. Sans vouloir
contester — et bien s'en faut — : l'originalit^ fonci^re du po^te philosophe,
M. Dupuy montre qu'il s'est inspir^ soit pour la formation m^me de son
Instrument po^tiaue et de sa philosophie, soit pour la composition de teile
ou teile Oeuvre, ae quelques po^tes franyais ou ^trangers qu'il connaissait
bien.
Andr6 Ch^nier lui a ^t^ fort utile pour ses premiers po^mes, et il
n'est pas besoin pour Fadmettre de rejeter, comme l'a fait Sainte-Beuve,
les dates assign^es ä ces po^mes par leur auteur.
Delille, aujourd'hui trop d^aign^, n'a pas ^t^ sans influence sur les
descriptions de Vigny, pas plus que sur Celles de Lamartine ou de Victor
Hugo.
On savait que la Neige devait son sujet ä Emma et Eginhard de
Millevoye; mais Vigny s'est aussi servi des Regrets d^une infUüle et de
SymUhe pour Doloriäoy et les po^mes bibliques, comme les po^mes antiques,
de Millevoye lui oni sugg^r^ quelques beaux vers.
L'influence de N^pomuc^ne Lemercier est moins nette, et peut-^tre
M. Dupuy ne la signale-t-il que pour avoir une occasion de noter d'in-
t^ressants emprunts faits par Victor Hugo ä l'auteur, dont il a occup^ le
fauteuil k l'Acad^mie, de la Panhypocrisiade,
Pour Klopstock, M. Dupuy n'a pas de peine ä montrer que Vigny
s'en est beaucoup moins inspiri^ qu'on ne Ta cru.
Le erand inspirateur frangaifi de Vigny, c'est, comme il est naturel,
'le grand sachem de la po^sie romantique', Chateaubriand. Les Mariyrs
ont ^tä 'pour les jeunes po^tes roy allstes de la Kestauration une sorte de
ThesoMrua poeiieus fran9ais ou, si l'on veut, une Mer des imaffes'. Vignv
y a puis^ bien des vers de son HilSna, l'id6e d'une so^e de 7a Oaime de
436 BeurteiluDgeD und knrze Anzeigen.
Jone et jusqu'au Symbole g^^teur de la Maiton du Berger, comme il a
pris dans Aiaia le passage d.*Eloa oü est trop ^l^gamment d^crit le oolibri.
C'eBt peut-^tre Chateaubriand qui a oonduit Vigny ä Milton et, ce
faisant, il lui a rendu un Eminent Service, car Moa doit beaucoup an
Parodie perdu, Mais est-il Trai, comme parait le dire M. Dupuy (p. o4It
que la öolhre de Sameon doit beaucoup aussi au Sameon agoniatee et qae
Viffny, en ^crivant le sombre po^me oü est d^pdnte la kitte Oemelle qoi
ee litfre en tout tempe, en ioiä heu
Entre la bont£ d'Homme et U rase de Femme,
a eu pour objet de *iutter d'orifiinalit^ et de vigueur avec un homme de
g^nie dans un sujet oü il avait laiss^ des traces ineffa^ables ?' Lee diff^-
rences m^mes que, loyalement, M. Dupuy laisse yoir entre lee deax ceavres
rendent ces assertions difficiles ä acceptisr. Le Sameon agonistee met en
sc^ne Samson aveugle et sa mort: le Samson de Vigny n'est aveugl^
qu'aux dernieis versT — La Dalila de Milton vient ionniement parier, pour
Tavilir encore, ä celui qu'elle a perdu: la Daliia de Vi^y tremble ae ee
sentir dans le m^me temple que lui et ne se rassure qiren disant: *Ii ne
me verra pas V — Le Samson de Milton s'accuse de sa d^gradation, caus^
par la concupiscence: le Samson de Vigny n'accuse que la femme et U
naturel — Le Samson de Milton demande pardon ä Dieu: le Samson de
Vigny fait remonter ä Dieu la responsabilite du mal:
Qnand le combat qne Dieu fit poar la or^tore
Et contre son semblable et contre la nature
Force rhomme k chercher an sein oü repoaer!
Si Vigny a connu le po^me de Milton (ce qui est possible, car il
^rivait la ÖoUre de Sameon en Angleterre, ä Shavington; mais ce qoi
n'est pas oertain, car il a pu tirer son sujet du chapitre 16 des Juges), il
Ta donc compl^tement transform6, et dans quel sens? dans un sens iri^Ii-
gieux et pessimiste, on vient de le voir; mais il faut ajouter: dans an
sens personnel.
reu favorable — et je l'en loue hautement — aux critiques litt^raires
qui se d^lectent au r^it des scandales qu'ils trouvent dans la vie de lenr»
auteurs; agac6, si j'ose dire, par tant de rev^lations retentissantes, M. Dupuy
n'a pas 4^ fäch^ d'expulser de la OoUre de Sameon le souvenir de li
Dalila du po^te, de la com^dienne M™® Dorval. Mais que de vers — et
quels versi — du po^te r^istent k oette violence:
Elle rit et triomphe; en sa froideur savante
An miliea de ses soeon eile attend et se yante
De ne rien ^prouver des atteintes da feu.
A sa plas belle amle eile en a fait Tavea:
Elle se fait aimer sans aimer elle-mSme;
Un maitre lui £ut pear. Cest le plaisir qa'elle aime;
L'Homme est rüde et le prend sans savoir le donner.
Un sacriflce illostre et fait pour 6tonner
Rehausse mieux qae Tor, aux yeux de ses pareille^,
La beaote qui prodoit tant d'^tranges merveilles . . .
Toojours mettre sa force & garder sa coltee
Dans son ooeur offens^, comme en an sanctuaire
D'oü le fea s'^chappant irait toat dövorer;
Interdire & ses yeoz de voir on de plearer,
CVst trop!
Certes, Vi^y a pr^tendu faire de la CoUre de Sameon une peinture
^pique, symbobque et d'un int^r^t universel. Mais cette Dalila, mystdrieuse
dans sa perversit^, peut-elle vraiment repr^enter la femme? Le symbole,
ä force a'^tre excessif, ne perd-il pas tonte valeur? Vigny n'est-ii pas id
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 437
un esprit aigri qui obde ä son amertume et g^^raÜBe indüment son ex-
p^rience? Le Souvenir cuisant de M^^ Dorval a fait pour Vigny de la
Femme une Dalila en 1839; apais^, le po^te fera de la Femme une Eva
en 1842, dans la Maison du Arger.
Si je crois devoir contester ici l'assertion, ou plut6t l'insinuation, de
M. Dupuy>, en revanche je trouve tout ä fait ingenieuse et plausible son
hypothese au sujet de Tarticle que Victor Hugo a consacr^ ä iHoa dauB
la Muse fran^aise de 1824 et ^u'il a reproduit en 1834 dans LüUrature
et Philosophie tnelees, en Pappliquant c€tte fois au Paradis perdu, Les
termes de cet article caractärisent beaucoup mieux le po^me anglais que
l'oeuvre fran9aise. '. .. L'6chelle enti^re de la cr^ation parcourue depuis
d6mon', toutes ces expressions ne font-elles pas supposer que Victor Hugo
avait d'abord ^crit une ^tude k T^loge du Parodie perdu; qu'il Ta d^tourn^
de sa deetination en 1824 pour c6librer plus vite Tapparition d*i!loa; et
qu'il lui a rendu en 1834 sa pbysionomie primitive? Qu'une pareille m^-
tamorphose en 1824 ait 6t6 ä la rigueur possible, voilä qui est d^jä suffi-
samment k l'^loge de Vigny.
Plus que Cmiteaubriand, plus que Milton, un po^te a agi fortement
Bur Vi^y, et non seulement sur le po^te, mais sur le penseur, dont il a
en partie fonn^ le pesslmisme. C'est Byron, dont M. Dupuy cite de nom-
breux passages en les rapprochant de passages analogues de Vigny. Seule-
ment, le pessimisme de Vigny est plus e^n^ral, plus sombre, plus d^sesp^r^
que celui de Bvron; 'Si le nihilisme de Vigny contient le pessimisme de
Byron, il le depasse,' dit avec raison (p. 360) M. Dupuy. A-t-il raison
aussi d'ajouter ce qui suit? 'Jusqu'ä quel point (il le d^passe) un trait
suffit ä le montrer. Childe Harold, qui ne nait point Fhomme, s'extasie
devant la nature. Manfred, qui a Tbomme presque en horreur, se r^fugie
encore en eile; il repose ses yeux sur le glader couvert de neige vierge,
et le torrent, dont 'la nappe d'argent' brilie au soleil 'ä Pheure de midi'
suffit pour lui verser rencnantement. La nature laisse Vigny indifferent
k sa beaut6; il reste devant eile hostile, accusateur, autant que devant
Dieu lui-m6me:
Vous ne recevrez pas un mot d'amoar de moi.'
La Philosophie de Vi^y est moins coh^rente qu'on ne la fait souvent et
que ne la tait ici M. Dupuy. Le po^te refuse ftprement son amour k la
nature dans la Maieon du Berger, mais, dans la mSme Maison du Berger,
ii in vite Eva ä se reposer avec lui dans la nature:
La Nature t'attend dans un ailence aust^re ....
Le cr6pu8cule ofni a'endort dans la vallöe ....
Et Uk, parmi les fleurs, nous trouverons dans l'ombre
Pour nos cheveuz unis un lit silencieuz.
On pourrait ajouter aux rapprochements que fait M. Dupuy, et il le
dit lui-mßme. Quelques-uns de ces rapprochements i>ourraient aussi 6tre
contest^, et dans toute ^tude de sources un tel accident est in^vitable.
Pourquoi serait-il vrai, par exemple (p. 829), que '/a FHU de JephtSy 6crite
en 1820, n'a pas d'autre origine que cette belle comparaison qui sert, dans
les Martyrs, a exprimer T^tat de la soci^tä chr^tienne ä la veilie de la
pers^ution: 'L^EeliBG se pr^parait ä souffrir avec simplicit^: comme la
fille de Jepht^, elk ne demandait ä son p^re qu'un moment pour pleurer
son sacnfice sur la montagne?' Pourquoi Vigny, qui Hsait assidüment la
' Pröcisie dans un article de la Rtmie d^kutoirt liudraire de la Frottee sur
Alfred de \'igny et tan Umpt de M. L^on S^chi (Avril-JnfD 190S, p. 340 sqq.).
438 Beurteilnngen und kurze Anzeigen.
Bible, n'Aarait*il pas prii le sujet au chapitre XI des Jttge»? — B. ZtJ,
M. Dupuy 7eut que aeux po^mes de Victor Hugo vieiinent de passages
de N^pomucfene Lemercier: 'Croira-t-on que Victor Hugo ait pu ure arec
indiff^rence le dialogue de Bourbon et de la 0>necience? Croira-t-on que
Bon cerveau retentissant n'ait pas €\A comme ^branl^ par cette ligne-d?
La Conseience.
J'ai des ailes; sar toi je fonds ea ^penrier.
'A mon avia, ce vers a p^n^tr^ dans son esprit, et il en est ressorti
S0U8 ia torme du symbole Baisisaant: l'Äigle du Casque. AiUeure, ce soot
lee vents qui s^acharnexit ä aecouer et ä ditruire i'abri que les soidats ont
fait avec dea drapeaux pour couvrir la töte du roi; et, la tente arrach^,
toutea lea voix de l'ouragan poussent ce ch d'orgneil:
.... los veots impitaettz
Re«pectent-ilB des rois lee fronte migeataeux?
Sar la terre et les cieax d^eolant leors empir«s,
Nons brisons eans ^ards leura dais et leurs navires.
'Hugo a recueiili i'id^ et il en a tir^, par un trait de g^oie, la Bote
de VInfanteJ II se peut que ces lignea aient raison; mais il ^ a bien loio,
ä vrai dire, du vera de la Conseienee ä cette hardie invention de Taigle
d'airain se d^tachant du casqne qu'il surmontait, s'^lan^ant pl«n de Tie et
de col^re Bur Tiphaine et s'enYolanti terrible, apr^ lui avoir crev^ les yeox.
Quant iL la Eoae de l'InfatUe, quelque chose en ^tait peut-ötre en
§erme, d^ 1830, bien avant que Victor Hugo relüt, pour faire aon 61oge aca-
^mique, N6pomuc^ne Lemercier, dans ceB Teri des Feuiüea d^A.utamne (I):
Je pourrai dire an joar, loreqne la niüt dontense
Fera parier lea eoirs ma Tieilleaae contenae,
Comment ee haut deatio de gloire et de terrear
Qui remaait le monde anz pas de l*Empereur,
Dans son sonf&e oragenz m'emportant sans defense,
A tons les vente de Tair fit flotter mon enfance,
Car, lorsque Taquilon bat ses flots palpitants,
L'Ocian convidsif tounnatU em sime temps
Le nomre ä <row pomis qtd Umme avte toroge.
Et h fttiiU« ichappee mix arhrts du rwage!^
II est vrai que ce souTenir des Feuilles d^ÄuUnnne a fort bien pu, dans
Tesprit de Tauteur de la LSgende, se concilier avec oelui de la Panhypo-
crisiade. Et ii est vrai encore aue ce eont lä de menus d^taila qui n'ini-
portent gu^re ä la v^rit^ g^^nue du tableau que nous a trao6 M. Dupuy.
Remercions le savant critique de son ouvrage et aouhaitons Fheureux
ach^vement des volumes qui doivent suivre.
Montpellier. Eugene BigaL
Johannes van den Driesch^ Die Stellung des attributiven Adjek-
tivs im Altfranzosischen. Stra&burger Dissertation. Erlangen lOQb.
124 8.
Der Verfasser bat die dankenswerte Selbstfiberwindung beaessen, zu
dem im ganzen erprobten und als richtig erwiesenen Satz Gröbers in sorg-
fältiger Arbeit die Beweistabellen zu liefern. Er untersucht einige Prosa-
* P. 364, M. Dapay Signale quelques influeDces moins importantes qui se Bont
exerc^es sur Vi^y: Celles de Dante, de Rabelais. M. Jacques Langlais a insist^
roceinment, non sans quelque ezagiration, sur celle de Corneille. Voir Alfred de
Vigng critique de ComeUU^ d^apres des doeu9u»is midiia, Clermont-Fenmnd, 1905, 8^.
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 4d9
texte des 13. Jahrhunderts systematisch vom modern-psychologischen Stand-
punkte aus, indem er nicht mechanisch nur konstatiert, wann das Adjektiv
vor, wann nachgestellt ist, sondern feinfühlig und verständnisvoll der
jedesmaligen Bedeutung im Zusammenhang des Satzranzen gerecht zu
werden sucht. Das Gängen war der Arbeit von vornherein gesichert.
Nach einem kurzen historischen Überblick über die bisherigen Arbeiten
auf seinem Gebiete werden die einzelnen Adjektivgruppen betrachtet, und
es ergibt sich das folgende Resultat: (S. 49—52) Uas Adjektiv wird
vorangestellt, sobald es sich um eine subjektive Bewertung (B, 27)
resp. um den Ausdruck des Gefühlsanteils handelt, den der Spre-
chende an der Bewertung nimmt. Dagegen ist es nachbestellt bei
Artunterscheidung oder ruhig sachlicher Erklärung, bei der die moderne
Sprache den determinierenden B^itf gewohnheitsmäisis nach dem De-
terminierten setzt Dabei ist bemerkenswert, dafs (nach Bud. Wagner,
S. 31) 75 Prozent aller vorgesetzten Adjektiva Artwörter sind (S. 49) und
(ebd. S. 99) 85 Prozent aller nachgesetzten gelehrte Wörter (S. 26). Der
Verfasser beobachtet gut ein doppeltes Stellungsprinzip (S. 65):
Das gewohnheitsmäfsiee, vor Zeiten bewulste und das stets er-
neute, momentan bewulste. Manchmal gehen beide zusammen, manch-
mal widerstreiten sie einander, denn die in einer sprachlichen Periode
affektische Stellung wird zur gewohnheitsmäfsiKcn einer fol-
genden dadurch, dals manche Stellungen analogisch wiederholt werden,
80 dafs ihre ursprüngliche Bedeutung verblafst und verloren geht Am
klarsten wird dieser Vorgang bei zusammengesetzten Wörtern, z. B. prud-
komme, Malmaison, BeaumotU, minuü, Umgiemps etc., deren mittlere Sta-
dien (gewohnheitsmälsige Vorstellung des Adjektivs) im 18. Jahrhundert
van den Driesch uns vorführt
Unter den vorangestellten Adjektiven finden wir die Bezeichnungen für
Quantität (darunter auch die Elardinalzahlen) und Qualität, auch bei über-
tragener Bedeutung, wie la maistre porie, la mere eglise (S. 41) etc., alle
Bezeichnungen für Grad, Vollständigkeit und ähnliches. In diese Gruppe
gehören also nicht nur alle Ausdrücke für subjektive Schätzung, sondern
— dies hat der Verfasser nicht genug hervorgehoben — auch alles, was
eine relative Bewertung aneibt: jeune, aiard können doch nicht gut
neben hd, hon unter subjektive Werte eingereiht werden.
Auffallend ist nun, dafs auch die Farbadjektive voranstellt
werden, die doch nicht unter affektische oder subjeKtive oder relative Be-
wertung eingeordnet werden können, sondern — für den naiv Sprechenden
— eine ganz objektive Gültigkeit haben. Verfasser erklärt die Fälle von
Voranstellung damit, dafs dem Sprechenden die Farbe besonders auffalle,
also doch eine affektische Bedeweise vorliege. Vne blanche main, weil
das Adjektiv ein '^pith^te m^liorative' (Cl^at) ist, blonde ehepeux, weil
blond die einzig geschätzte Haarfarbe im Mittelalter war. Also gleichsam :
der Sprechende konstatiert nicht nur, dals die Hand weils ist, im Gegen-
satz zu einer roten, sondern er druckt auch aus, wie sehr ihm ihre Weifse
auffiel, ins Auge fiel. Zur Erklärung der Voranstellung in blane moine,
novr moine etc. zieht der Verfasser die Verwendung von deetre und eenestre
zur Hilfe heran. Man bezeichnete die Mönche nach ihrer Kleidung; ur-
sprünglich mufste also das Farbadjektiv als distinguierend nachstehen.
Dann genügte die Farbbezeichnung allein, wie eben deetre, eeneetre, und
das Substantiv wurde als erläuternder (mehr oder weniger überflüssiger)
Nachtrag gesetzt (S. 84). Den Verfasser selbst befriedigt diese Erklärung
nicht (S. 8ö); die Beihe von Beispielen, die er gibt, ist auch wirklich
damit nicht genügend analysiert Vielleicht wäre er mit seiner anderen
Erklärung weiter gekommen.
Die sprachliche Gewohnheit, das Farbadjektiv sowohl vor- als nach-
zustellen, ist der schwierigste Punkt für die ganze Untersuchung, weil die
440 Beurteil UDgen und kurze ADzdgeu.
VoranstelluDg eben nur dann genfigeod erklärt ist, wenn das FarbadjektiT
wirklich als 'auszeichnendes Attribut' aufffefafst werden kann, was bei der
Mehrzahl der angeführten Bdspiele nicht der Fall ist. Wenn Villehardoniii
erzählt : Li euens . . . «e kerberja es vermeiÜea ientes l'empereor Morekufles.
so ist doch bei vermeiUea kein subjektiver Anteil des Sprechendeo, kdne
'affektische Attribuierung' denkbar. £her könnte man sa^en: tenies Fem-
pereor Morehuflks ist ein begriffliches Ganzes und vermetües wurde aus
stilistischen RGcksichten vorgesetzt, statt es nach Morchufles folgen zu
lassen, wo es entweder ungeschickt nachhinkt oder gar zu stark in den
Vordergrund geschoben winl. Aber in dem Beispiel ... ei ot iendues ses
vermeiluss tenies ist auch diese Auslegung nicht möglich. Die Bedeutung
ist wohl die: Der Kaiser hat — wie man weils — purpurrote Zelte, und
die hat er aufgeschlagen. Also gerade die der affektischen entgegen-
gesetzte Bedeutung liegt vor; das ^doppelte Stellungsprinzip' aliein Kann
hier Aufklärung ge^n. Mag vermeiÜea tentes ursprunglich ausdrucken,
dafs der Beschauer, von der Pracht der Farbe geblendet, in die Bezeich-
nung einen besonderen Akzent legen wollte, so ist es im Verlaufe der
Erzählung zur gewohnheitsmäCsigen Stellung vorgeröckt Vgl. im Deut-
schen etwa: I. Die Zelte aus (eitel) Purpur > II. die purpurnen Zelte >
III. die Purpurzelte. Auch hier ist I. malend, II. berichtend, III. re-
kapitulierend. E^ wäre also zur genauen Feststellung des Sachverhaltes
noch geboten, auch bei jedem einzelnen Adjektiv innernalb jeder einzelnen
Erzählung zu konstatieren, wie es zuerst und wie später auftritt. Der
Verfasser hat selbst manchen Anlauf dazu genommen, so bd der Erklä-
rung von eaude pierre (S. 58). Auch bei den vorangestellten Farbadjek-
tiven hätte er wie hier aufstellen können: es wird auf etwas schon Be-
kanntes zurückverwiesen; das Substantiv soll durch das Adjektiv nidit
abermals distinguiert, nur das Gefühl des Hörers für das schon EWähnte
in Anspruch genommen werden. Bedeutsamer weise haben wir es j^fötzh^
nicht mit dem affektischen Anteil des Redenden, sondern des äft^-
den zu tun. Wird nun aber das Wort vorangestellt, nur 'um aui Be-
kanntes zurückzuweisen', so sind wir also bei der anal^schen Stellung
angelangt, und diese führt zur gewohnheitsmäCBi^n. äanc mome etc.
war im IM. Jahrhundert halb und halb auf dem Weee, feste Verbindung,
wie Urne tens und ähnliches, zu werden, ist aber nicht zu dnem einheit-
lichen Wortgefüge vorgedrungen wie diese, weil die Notwendigkdt zu
distinguieren immer wieder zwang, das Adjektiv nachzustellen. Dadurch
inuiste das Bewufstsein der Zusammensetzung stets lebendig bleiben. Vgl.
dagegen Entwicklungen wie rouge-gorge, Noimumstier u. a.
S. 14 ist irrtünuich lettre de oonduit sauf alani ei sauf renani ange-
führt; auch in cyant tox, entrant august ist das Partizip in voller verbaler
Kraft, die Einreihung dieser Beispiele also nicht gerechtfertigt. Die Ein-
reihung von riehe und den Adjektiven -eus unter die Elative ist einiger-
mafsen gewaltsam und nicht überzeugend ; tatsächlich sieht sich der Ver-
fasser genötigt, sie aulserdem noch an verschiedenen anderen Orten zu er-
wähnen. Bei den Adjdcti ven -aide widerspricht die elementare Bedeutung des
Suffixes dieser Behandlung. Genau genommen ist eigentlich jedes vor-
angestellte, also affektisch gesetzte Adjektiv als Elativ zu deuten.
Übrigens werden die Elative selbst ebenso gebraucht wie die anderen Ad-
jektiva ; also ist die Ausdehnung des Begriffs ^elativ' auf alle S. 1 18 ff.
genannten Adjektiva gar nicht notwendig. Der Verfasser hätte nur von
vornherein die für die Elative gebrauchte Unterscheidung auf alle Adjek-
tive ausdehnen sollen: Nicht nur der Elativ wird nachgesetzt,
wenn er 'mit Nachdruck' gesprochen wird (8. 114), sondern jedes
Adjektiv. Im Ganzen wird man also sagen: die Nachsetzung des
Adjektivs erfolgt, um die Art zu bezeichnen, um zu distinguieren,
zur gegensätzlichen Heraushebung, zur Heraushebung über-
Beurteflungen und kurze Anzeigen. 441
«
haupt. Das nachgesetzte Adjektiv ist an sich voller betont als das vor-
gesetzte. Die 8. 2t>, 27 Anm. vorgebrachte Ao sieht des Verfassers ist in
iesem Zusammenhange wohl auch einer Modifizierung bedürftig. Er sagt
da: die gefühlsmäfsige Wortsteilunj^ ist die 'unwillkürliche', daher zei^
sich in ihr das von Wundt formulierte allgemein psychologische Prinzip
wirksam; die verstandesmälsi^ ist die willkürliche, lür sie ist die Logis
bestimmend. Diese Unterscheidung scheint mir nicht zutreffend. Auch
die affektische Wortstellung ist niäit eanz 'unwillkürlich'; auch die ver-
standesmäfsige ist nicht ganz 'willkürlioi'. 6eit den ältesten Zeiten sprach-
licher Überlieferung ^bt es — natürlich! — affektische und Verstandes-
mäfsiffe Ausdrucksweise. Beide sind aus dem innersten Bedürfnis des
Mitteilenden heraus entsprungen. Beide sind von alters her Überliefert,
also habituell Die eine ist so willkürlich (oder so unwillkürlich) wie die
andere. Auch die scharf pointierte Gegeneinanderstellung von psycho-
logischen und lo^schen Prinzipien bei der Wortstellung ist nicht gerecht-
fertigt. Was die beiden Stellungen von Anbeginn geschieden haben
mufs, ist dnzig und allein das Prinzip inneren Gegensatzes. Die
eine ist von vornherein — grundsätzlich — das Gegenteil der anderen.
Aber man könnte nicht sagen, dals eine bestimmte Stellung für den
affektischen Ausdruck prädestiniert ist. Die historische Betrachtung l^rt
das Gegenteil. Die Alten drückten sich gewifs nicht weniger 'logiscn' aus
als wir, obzwar für sie der Satz vom ni^gestellten distln^erenden Ad-
jektiv nicht gilt. Es ist aber die Eigenart aller sprachhchen Entwick-
lung, daCs die zu einer bestimmten Periode geltenden Gesetze nicht für
Zeit und Ewigkeit anwendbar sind. Die affektische Stellung sowohl als
die distinguierende wird gewohnheitsmäfsig, dann wirkt keine mehr an
ihrem Platze, und um eindrucksvoll zu reden, werden die Stel-
lungen umgekehrt. Dies haben wir ^rade beim Adjektiv zu beob-
achten die Möglichkeit. Denn im Lateinischen wurde ja das schildernde
Adjektiv vor, das affektische nachgesetzt. Daraus hat sich die moderne
Gepflogenheit entwickelt ; es liegt nur in der Natur der Sache selbst, dafs
sie sich, sobald sie vollkommen gewohn heitsmäÜB ig geworden
ist, in ihr Gegenteil verwandeln mufs. Aber die Beobachtung
groEser Zeiträume ist erforderlich, um sich davon überzeugen zu können.
Bei der Entwicklung vom Lateinischen zum Französischen hat sich
der SatzrhythmuB dahin geändert, dafs das nachgesetzte Wort stär-
ker betont wird als das vorgesetzte. Dafflr haben wir einen schla-
f enden — weil mechanischen — Beweis im Verhalten des altfranzösischen
Possessivpronomens: nur bei der Nachsetzung mufs es die volle Form
haben; bei der Vorsetzung schwankt es. Auch die Verschiedenheit in
der Behandlung des femininen tel und der übrigen Adjektiva der konso-
nantischen Deklination spricht deutlich für die gewohnheitsmälsige kräf-
tige Heraushebung des nachgesetzten Wortes.
Van den Driesch ^stellt uns einen zweiten Teil seiner Untersuchung
in Aussicht, der die Übersetzungen des 18. Jahrhunderts in ihrem Ver-
hältnis zur Origiuiüprosa behandeln soll. Wünschenswert wäre es, wenn
er die bisher nur Deschreibende Arbeit mit einem dritten Teil krönte,
der uns einen historischen Überblick der verschiedenen Entwicklungs-
stadien gäbe.
Wien. Elise Kichter.
Alexis Francois^I^ Grammaire du Purisme et L'Acad^mie Fran-
9ai8e au XVTTTe si^le. Paris 1905. XV, 279 S. 8.
Die fleilsige, kritische Zusammenstellung, die das vorliegende Werk-
chen bietet, ist ein vorläufiges Pronamm über eine methodische Unter-
suchung aller im Laufe ihres Bestehens von der Acad^mie fran^aise ver-
ArchiT f. n. Spradien. CXYI. 29
442 BourteQongen mid kurze Anzagen.
falBten Kommentare. Eine solche, wenn auch nur vorläufig abschliefoende
Arbeit ist gerade jetzt mit Freude zu begrülsen; denn es ist an der Zeit,
Yom Stande der heutigen grammatischen Forschung aus, zumal bei der
lebhaften Agitation von Neuerem mannigfacher Art, die selbst die B^^
renden zu Eonzessionen veranlafst haben, zu untersuchen, welchen Eän-
flufs denn die höchste Behörde des guten Greschmacks und der korrekten
Sprache auf die Bildung und Gestaltung des Französischen wirklich aus-
eefibt hat. Die nach Vorrede S. IX zunächst durch Brunot, Htstoire de
la langue fran^aüe angeregte Arbeit des Verfassers kann ein wesentlicher
Beitri^ zur Geschichte der französischen Sprache werden. Vemiers Buch
Voltaire grammainen, das manchem Forscher zunächst die W^e gewiesen,
fangt an zu veralten, und das von Brunot in seinen Hauptzugen ent-
wonene und allgemein begrenzte Gebiet verlangt nunmehr vertiefte Er-
forschung im einzelnen : Feststellung, im Rahmen der Entwickelung, der
Ansichten, Systeme, positiven Verdienste der einzelnen Grammatiker und
Kommentatoren, und daraus die intimere Erkenntnis des Entwickelungs»-
sanges der Sprache. Hier lassen sich bald zwei Richtungen unterscheiden.
Nämlich gegenüber den Bestrebungen der Neuerer, die teils von ihrem
eigenen Sprachgefühl und ihrer eigenen Geschmacksrichtung, tdls durch
feschichthche Studien und daraus gewonnene Gesichtspunkte gelotet wer-
en, hat die Acad^mie stets die höhere Warte inne; sie hat die Wahrung
der Imponderabilien der Nation stets im Auge, hat auch in der Sprache
als letzte und höchste Instanz stets zum G^etz zu machen oder gelten
zu lassen, was dem geläuterten Geechmacfc und dem Schönheitsideal ihres
(bestimmten) Zeitalters entspricht; sie bleibt dabei als Hüterin der über-
lieferten Güter des spracluichen Besitzes wesentlich konservativ, den
Neuerern gegenüber sosar r^tionär. Im ganzen betrachtet ergeben sich
demnach zwei Hauptricntungen, eine vorncShmlich konservierende und eine
emanzipierende; wenn wir auch Vertretern beider Richtungen in einer
Person begegnen, läist sich doch jede einzeln für sic^ in gesonderter Be-
trachtung verfolgen. Während F. Gohin, Les transformations de la langue
fran^ise pendant la deuxihne maütS du dw-kuüiime stiele (Paris, Belin,
i90i^. 8 ) den Gang der emanzipierenden genauer bespricht, hat A. Fran-
9ois die Untersuchung der konservierenden zu seiner Aufgabe gemacht;
doch ist zur Gewinn uns eines objektiven Gresamteindrucks das Studium
beider Richtungen für den Leser unerläfslich.
In der Einleitung (S. 1—80) entwickelt der Verfasser die Stellung
der Acad^mie am Antans des 18. Jahrhunderts. In zwei Abschnitten be-
trachtet er ihr wachsenaes Ansehen und ihre Wirksamkeit, ihre Starke
und ihre Schwäche. Erstere wird wesentlich gehoben durch das könig-
liche Patronat, das nach und nach alle bedeutenden Schriftsteller zu Aka-
demikern macht Durch sie gewinnt die Acad^mie an Ansehen, durch
Anerkennung schon vom urteusf^iffen Bürgertum geschätzter Gelehrten
und Dichter ehrt sie sich selbst und gewinnt mehr und mehr die Macht
des maisgebenden Urteils über bedeutende Männer und ihre Werke: es
wird der Ehrgeiz der Besten, dieser Körperschaft anzugehören. Sie be-
ginnt auch sdion mit der statutenmäfsigen Erfüllung ihrer Au^ben:
lt>94 erscheint die erste Ausgabe des Dtdionnaire. Aber die Schwäche
der Acad^mie, die durch ihre Machtstellung als höchster Gerichtshof der
Grammatik anerkannt wird, tritt zutage, sobald sie an die anderen, nament-
lich die in den Artikeln 24—26 ihrer Verfassung gestellten Aufgaben geht.
Zunächst ist die Gesellschaft der Akademiker zu buntscheckig; sie ent-
hält zu verschiedene Elemente, die, gerade wenn sie sich zu rersönlich-
keiten entwickelt haben, in wichtigen Konferenzen über grammatische
Kleinigkeiten zu Gericht sitzen sollen. E^ bleibt fraglich, ob die Idee,
aus diesem Zusammenwirken die Grundlagen zu einer nanzösischen Grain-
matik zu gewinnen, überhaupt ausführbu* werden wird. Personen frei-
Bearteilungen und kurze Anzeigen. 443
lieh, deren mitwirkende Teilnahme durch berufliche Vorbildung nicht ge-
trübt ist, dbt es genug: in der Tat sind von den vierzig Unsterblichen
im 18. Jahrnundert nur zwei Grammatiker von Fach, Beauz^ und Girard.
Aber dieser Umstand konnte gerade nur dem Bestreben förderlich sein,
die Atmosphäre der Schulstube aus den Verhandlungen fernzuhalten, die
für den Gedankenausdruck einer ganzen Nation ma&gebend werden sollten.
Dennoch wird trotz der Statuten mit dem wachsenden Mnflufs der Aca-
d^mie die Zunahme ehrgeiziger Sonderinteressen den eigenüichen Auf-
faben der Gesellschaft mnderlich sein; denn Prinzen von Greblüt und
ober Adel, Würdenträger der Kirche und des Heeres, Minister und erste
Staatsbeamte mit ihren Kreaturen, Prinzenerzieher, Pädagogen, Gelehrte,
die sich schon in der Acad^mie des Inscriptions hervorgetan naben, Über-
setzer, endlich auch einige Dichter und Denker, wennschon recht bedeu-
deutende, sollen mit Grammatikern von Beruf ihre Meinungen austauschen.
Die Unmöglichkeit des Zusammenarbeitens wird die gehoffte Grammatik
nebst ihren Beiwerken, Rhetorik und Poetik, unmÖg;lich machen, die Tätig-
keit der Acad^mie weniger produktiv als konstitutiv sein; sie wird keine
Werkstätte grammatischer Arbeit: die überlälst sie den Philologen; aber
sie wird ein Observatorium mit ziemlich weitem Gesichtskreis in dem Be-
reich der Sprache und der Nation. Dadurch wird sie produktiv nur zu
Observationen und Kommentaren gelangen; konstitutiv wird ihr aktueller
EinfluJGa Gutes genug stiften können, zumal bei ihrer äuJberlich zuneh-
menden Machtftdle.
Hier beginnt nun die eigentliche Arbeit von Alexis Franyois. Ist auch
das vorliegende Buch nur erst das Programm, so läfst sich nach den Prä-
missen der bisherigen Entwickeluns doch bestimmen, worauf nunmehr im
Verlauf des 18. J^Quhunderts die Acad^mie ihr Augenmerk richten kann,
was sie gewollt und was sie getan hat; der nächste Band wird die Beläge
aus der riesigen grammatischen Literatur vorle^o.
Die Aufgabe der Acad^mie bleibt also subjektiv und objektiv zu er-
örtern; subjektiv sind Inhalt und Umfang der puristischen Aufgabe zu
geben, wie die Acad^mie sie jetzt auffafst ; objektiv die in den entwickelten
Absichten produzierten Schriften. Dazu kommen hier schon in vier Ap-
pendices grundle^nde Dokumente und Proben.
Der erste Teil (S. 31 — 168) handelt in vier Kapiteln von der Aufgabe,
den Ziden, dem Geiste des puristischen Programms. Kapitel I: Es fragt
sich zunächst, ob die Acad^mie Bemerkungen über gute Schriftsteller oder
einen grammatischen Traktat schreiben soll. Dazu folgen die Vorschläge
von Saint-Pierre, Valincour, Genest, F^nelon, die Opuscula von Dangeau.
Daran sdüielsen sich die ersten CTammatischen Kommentare klassischer
Schriftsteller: Bemerkungen zum Q, Ourtius von Vaugelas und zur Aihtüie
von Racine. Zuletzt wird die Einwirkung aulBerhalb der Acad^mie be-
sprochen.
Kapitel II— III sprechen, in Ausführung des Programms, von den
verfolgten Zielen 1) hinsiditlich der Grammatik, 2) hinsichtlich der Kom-
mentare. — 1) Kapitel II: Der akademische Versuch einer Grammatik,
vom Jahre 1740; allgemeine und besondere Leitsätze; Schwierigkeiten bei
ihrer Anwendung; Emflufs der lateinischen Grammatik ; Ausartungen und
Erfolge der Neuerer; die grammatische Überlieferung; Zusammensteilune
von Kegeln; konstitutive und präservative Kritik; endlich das Schicksal
der besonderen Leitsätze : die Grammatik in den Wörterbüchern (S. 63 — 92).
2) Kapitel III: Dafe man die Sprache aus guten Schriftstellern lernt;
Unternehmung von Kommentaren zu Klassikern; d'Olivet, seine Freunde
und seine Feinde; Voltaire als Kommentator Corneilles, sein Verhältnis
zu früheren und späteren Kommentatoren; die Kommentare der Acad^mie;
Gesamtresultate für das 18. Jahrhundert (S. 92—127).
Kapitel IV macht unfl mit dem Geiste des puristischen Programms
29*
444 Bearteflangeii und kurze AnzeigeD.
bekannt und handelt von den Wandlungen im Begriff des 'Gebräuch-
lichen'. Es spricht von den konservativen und den rationalistischeil Nä-
guncen in der Grammatik des 18. Jahrhunderts, von der EntsteUonp d. L
Umbildung von Vaugelas' Auffassung der Sprachentwickelune in ihr
G^enteil; vom Gebrauch der gesprochenen Sprache: in der Stadt und in
der bQreerlichen Gesellschaft; vom Gebrauch der geschriebenen Sprache:
bei den Klassikern der Zeit Ludwigs XIV.; femer behandelt es die Kritik
des Sprachgebrauchs bei guten Schriftstellern: Archaismen, Nachlässig-
keiten, Kühnsten; endlich den grammatischen Gebrauch: das Beibehalten
infolge von Überlieferung, Entscheidung nach logischen Grründen; die
Anak^gie.
Der zweite Teil, Kapitel V— VI (S. 168—239), beschäftigt sich mit
den Schriften, und zwar 1) mit den Schriftstellern, die kommentiert wer-
den; 2) mit der Abfassung der Kommentare. — 1) Kapitel V: Wer $oil
kommentiert werden? Wollen wir Originale oder Übersetzungen (von
Mustersdirif tstellem) 7 Die französischen Klassiker des 17. Jahrhunderts;
Wahl der Kommentatoren: Dichter; edlere Stoffe; dramatische Stoffel-
Übersicht der grofsen Dichter von Malherbe bis Racine; die Klassiker
des 18. Jahrhunderts. 2) Kapitel VI: Neudrucke französischer Klassiker
im 18. Jahrhundert; historische und kritische Kommentare; die Beurtd-
lung des Cid durch die Acad^mie; Grammatik, Poetik, Rhetorik; h'te-
rarische und grammatische Ejritik. — Schlufsbetrachtung.
In den Appendices (S. 289—276) wird wichtiges Beiwerk übersichtlich
angeführt: 1) Die grammatische Korrespondenz derAcad^mie im 18. Jahr-
hundert; 2) Grammatische Werke, die der Acad^mie im 18. Jahrhundert
gewidmet oder vorgelegt werden; 3) Bibliographische Notizen über gram-
matische Kommentare von Klassikern, die im 18. Jahrhundert verfallt
wurden; endlich 4) Specimina akademischer Kommentare.
Der Fortsetzung der fleilsigen und sorgfältigen Arbeit darf man mit
guten Erwartungen entgegensehen.
Charlottenburg. George CareL
Abel LiefraDCj La langae et la litt^rature fran9ai8e8 au Coll^
de France. Leyon d'ouverture de la chaire de Langue et Litt^rature
fran^aises modernes pronono^ au Goll^^e de France le 7 d^oembre
1904 (Editions de la Revue politique et htt^raire, Paris 1905).
Kurze Zeit nach dem Hingang von G. Paris ist auch die Professnr
für neuere französische Literaturgeschichte am College de France durch
den Tod Deschands erledigt worden. Sein Nachfolger ist Abel Lefranc,
bisher Secr^taire am College de France, geworden, der sich durch sane
zahlreichen und mannigfaltigen Untersuchungen zur Geschichte des Mittel-
alters wie zur Geschichte und Literatur von Keformation und Renaissance
in Frankreich einen Namen gemacht hat. zunächst durch die beiden im
Jahre 1888 erschienenen Schnften über die Jugend Calvins und Ober die
Geschichte der Stadt Noyon im Mittelalter, dann durch seine Geschichte
des GoU^ffe de France (1898), schlielslich durch seine Ausgabe der 'Doni^res
Po^ies' der Margarete von Navarra (1896) und die sich daran anschlieTsen-
den Studien über Marc^arete, Rabelais und die Renaissanceliteratur. Der
neue Vertreter der neiuranzösischen Literatur am College de France wur-
zelt demnach — wenn wir von gelegentlichen Beiträgen zu A. Chenier
und ähnlichem absehen — im 1(>. Jidirhundert (und weiter zurück im
Mittelalter), aber hier bewegt er sidi auch mit einer Vielseitigkeit, als
Historiker wie als Literarhistoriker und Herausgeber, welche ihm ein all-
seitiges Erfassen der beiden crolsen geistigen Bewegungen, der Renaissance
und der Reformation, ermögucht und welche, auf die folgenden Jahrhun-
derte angewendet, zu den wichtigsten und fruchtbarsten Ergebnissen fCübreii
Beurteilungen und knrze Anfdgen. 445
muüs. Wenn der Verfasser in seiner hier vorlieeenden Antrittsrede die
französische Sprache und Literatur am College de France behandelt, so
gibt er uns damit nicht nur die Geschichte seines ^enen Lehrstuhls,
sondern er knüpft zugleich an seine Geschichte des '(^ll^ge' an^ die er
bisher nur bis zum Ende des ersten Kaiserreichs geführt hat: es ist so-
zusagen ein Ausschnitt aus der bis auf unsere Zeit rortgeführten Geschichte
dieses Ck)ll^ge.
Verfasser gliedert seine Bede in drei Teile. Im ersten schildert er in
grofsen Zügen die Entstehung des College de France, bei welcher von
einem französischen Lehrstuhl noch keine Rede ist, den Kampf der fran-
zösischen Sprache gegen das Latein, die Verdienste gerade der Lehrer des
€k)ll^ge um die Anerkennung des Französischen, die Bolle der Gram-
matiker, der Acad^mie, der Salons und vor allem der CTofsen Schriftsteiler
in der Ausbildung und Durchbildung der französisäen Sprache. Auf
wenigen Seiten hat hier der Verfasser einen wichtigen historischen Ent-
wickelungsprozefs unter Hervorhebung der dabei wirkenden Faktoren klar
und anschaulich zur Vorstellung gebracht
Dieser allgemeine Teil bildet somit den passenden Hintergrund für
den zweiten, speziellen Teil, die Geschichte des Lehrstuhls für französische
Sprache und Literatur am College de France. Im Jahre 1773 wurde
dieser Lehrstuhl begründet, zu dem doppelten Zwecke die in Paris weilen-
den Ausländer mit den hervorragenden Schriftstellern Frankreichs bekannt
zu machen und den Franzosen selbst bei der Ausbildung ihres Stils be-
hilflich zu sein. Genau genommen handelt es sich freilich nicht so sehr
um eine Neugründung im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern um eine
Umwandlung der bisher von Batteux innegehabten Professur für^echi-
sche und lateinische Philosophie in eine solche für französische Sprache
und Literatur. Die verschiedenen Inhaber des Lehrstuhls werden nach
Charakter und Wirksamkeit geschildert: als erster Abb^ Aubert (1773
bis 1784), welcher seine Antrittsrede *8ur les progrhs de la lanffue et de la
litteraiure frcm^tse et sur la nieeeeiU d^en Studier le g6nie et le caract^e'
dem bisherigen Usus zum Trotz auf Französisch hält und so auch in
dieser Hinsicht erwähnenswert ist; nach ihm Abb^ de Ck)urnand (1784
bis 1814) und Andrieux (1814 — 1833), dieser als Dichter bedeutender denn
seine beiden Vorgänger, als Mensch eine sehr sympathische Erscheinung,
als Lehrer aufserordentlich erfolgreich. Mit J. J. Ampere (1888—1864)
besteigt zum erstenmal ein methodisch geschulter Kritiker und Gelehrter
den neuen Lehrstuhl, bekannt vor allem durch seine Histoire lüteraire de
la France avant le XII' süele. So hat er eerade dazu beigetragen, die
Wichtigkeit der mittelalterlichen Studien zu oetonen, für wekhe 1858 ein
besonderer Lehrstuhl begründet wurde, den zuerst Paulin Paris und nach
ihm Gaston Paris innegehabt hat. Auf Lom^nie (1864 — 1878) und den
nur kurze Zeit (1878 — 1880) am 'College* lehrenden, aber durch seine Ge-
schichte der neueren französischen Literatur wohlbekannten Paul Albert
folgt Emile Deschanel (1881 — 1904), welchem der Verfasser als seinem
Lehrer und unmittelbaren Vorg^ger den grölsten Teil des dritten Ab-
schnitts widmet: eine substantielle, von persönlicher Wärme getragene
Schilderung des vielBeitig;en Schriftstellers, Conferenciers und Lemrers, der
auch als Charakter gebührende Anerkennung fordert.
Gilt 80 der Inhalt von Lefrancs Bede im wesentlichen den Dingen
und Personen der Vergangenheit, so nimmt der Verfasser am Schlufs des
Ganzen die Gelegenheit wahr, uns auch einen Blick in die Zukunft, in
seine eigenen Pläne und Vorsätze tun zu lassen. Er will die neuere fran-
zösische Literatur nach derselben Methode behandeln, wie es für die übri-
gen Gebiete der Literaturgeschichte schon längst üblich ist, nach den
Prinzipien der historischen und vergleichenden Methode, unter stetem
ZurficKgehen auf die Quellen, aber ohne auf den ästhetischen Genulis der
446 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
Dichtwerke Belbet zu verzichten. In alledem kann man ihm nur zaetiin-
men, sind es doch Grundsätze, welche gerade den deutschen literarhistori-
kern in erster Linie mafseebeud sind. Möge es Lefranc yergoont sein,
sein Vorhaben zu ^tem Ende zu führen und die Früchte seiner Be-
mühungen selbst reifen zu sehen I Man wird dann mit dem Besinn seiner
Lehrtätigkeit eine neue Ära in der Geschichte seines Ldbrstuhls ansetzen
dürfen.
Tübingen. Carl Voretzsch.
PL Plattner und J. KühDe^ Unterrichtswerk der französischen
Sprache. Nach der analytischen Methode mit Benutzung der natür-
lichen Anschauung im Anschluis an die neuen Lehrpiäne. L Teil:
Grammatik. Karlsruhe, J. Bielefelds Verlag, 1904. 152 8. M. 1.50.
Dieses Werk, eine gekürzte Bearbeitung des französischen Unterricht«-
Werkes Ton Plattner und Heaumier, ist für solche Schulen bestimmt, die
das Französische als erste oder einzige Fremdsprache lehren. Li dem uns
vorii^enden ersten Teil, der aufser einer vollständigen elementaren Lsot-
und l^rmenlehre eine knappe Satzlehre enthält, deren Beispiele aus Teil II,
einem Lese- und Übungsbuch für die zwei bis drei ersten Unterrichtsjahre
entnommen sind, ist eine bewundernswerte Fülle praktischer Erfalurong
niedergelegt. An Übersichtlichkeit der Anordnung, an bequemer Einrich-
tung rar den Schüler, auch den minder begabten, dürfte es schwerlich zu
übertreffen sein. Im folgenden seien einige Berichtigungen nebst einigen
unmafsgebUchen Besserungsvorschläffen dargeboten.
S. '6 ist sied in eine uilsche Zene geraten; bei ieu wäre offenes und
Seschlossenes eu {aieur und monsieur) zu trennen. S. 4 ist nicht zwischen
en beiden x (fixer, exercioe) unterschieden. Bei der Bindung wäre ge-
nauer zwischen notwendiger und möglicher zu scheiden. Die orthographi-
sche Anomalie in tieeueüf orffueü erscneint uns einfacher durch Umstellung
des den ö-Laut ausdrückenden eu zu ue zu erklären. Der Schüler findet
sdir leicht den Grund dafür und ist nicht auf mechanisches Behalten d^
ziemlich komplizierten Regel (S. 10, n. 28) angewiesen. Mit oeü verhalt
es sich eben anders ; es ist das einzige Wort, in welchem der Laut c durch
(B ausgedrückt wird. S. 18 wäre zu la Bible noch le Nouveau Testamest
(S. 24 erwähnt) zu stellen. S. 15 Z. 15 1. compagne. Der R^;eln über
die Bestimmung des Geschlechts nach der Bedeutung sind bei dem ge-
ringen Beispielvorrat zu viele. S. 1^* sind ami, favori, roi unter die Wörter
geraten, deren Geschlecht nach der Endung bestimmt wird. Gewils nicht
empfehlenswert! Könnte man dem Schüler hinsichtlich des Zusammen-
hanges zwisdien Geschlecht und Bildungssiibe nicht von vornherein etwas
mehr zumuten und mit den sogenannten Ausnahmen auf age aufräumen!
Das ist doch viel leichter zu fassen als der Begriff (gibt es in der ganzen
Grammatik einen untauglicheren?) der Abstracta (= gedachte Dinge) auf
eur. S. 23 wäre zu: Cette maladie est benigne aie deutsche Beoeutung
^gutartig* zu setzen; srec, grecque sind versehentlich in den Abschnitt
geraten, der von lauUichen Veränderungen der Vokale handelt. S. 27
wäre bei joli, joliment auf S. 7, 9 zurückzuverweisen. S. 28 dürfte die
Unterscheidung zwischen 'Ma tante seuie est ä la maison' und 'Ma tant«
seulement est ä la maison' doch verfrüht dargeboten sein. S. 29. Die
Stellung des que von ne . . que müiste durch mehrere Beispiele veranschau-
licht werden. Dem schülerhaften Mifsbrauch des Terminus 'beziehen'
leistet die Anmerkung zu ne . . aue reichlichen Vorschub. S. 42 dürfte
die gleiche Verdeutschung von demonstratif und d^terminatif leicht das
Verständnis beeinträchtigen. S. 44, 2 1. il; S. 49 würde *ayant donn^'
praktischer und sachlich richtiger als 'zusammengesetzt' (nach Analogie
der zusammengesetzten Zeiten) zu benennen sein. S. 69, 2 v. u. 1. serai;
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 447
S. 70: Wenn auf S. 46 von 'yerbes passifs' gesprochen wird, so ist es
nicht konsequent, den Terminus 'voix passive einzuführen. Dieser Ter-
minus fehlt auch S. 47 bei der Aufzählung dessen, was in der Konjugation
zu unterscheiden ist. Sehr nützlich und ganz im Sinne dieses Buches
würde es sein, beim Infinitiv gleich seine Verbindung mit de und de ne
pas einüben zu lassen, also ins Paradigma zu setzen. S. 89 fehlt s bei
tu acquisses; S. 107 bei g^sir Erinnerung an die Aussprache- Anomalien ;
auch sonst dürften sich einige Ausspradiehilfen empfehlen (les Vosges,
yacht); 8. 112 1. bei naltre im P. d^t. ii statt U; S. 113 Z. 4 v. u. 6tre;
8. 114 fehlt u in acquerrai; S. 133 m. 1. volon^aire, Z. 2 v. u. serr^rent;
Anm. 1 veuille; S. 137 : die zutreffendste Übersetzung für c'est que dürfte
hier wie oft 'ja' sein: wir sind ja mitten im Sommer. 8. 138: zu dem
Beispiel für non que pafst die Übersetzung *nicht als ob' nicht. S. 142:
Die Kegeln über das Part. pass6 gehen zu sehr ins Einzelne. Welcher
Lehrer ist nicht froh, den Schülern die drei Hauptregein sicher eingeübt
zu haben! S. 149 findet sich zu dem Mustersatz: Le capitaine a-t-il
accept^ le jeune Frangais ? die seltsame Hegel : Das Subjekt wird durch
ein Fronomen wiederholt, wenn nach dem Verbum ein regime steht. Also
darf der Schüler schreiben: a accept^ le capitaine? oder: a le capitaine
accept^? Oder was soll die Regel besagen?
Kiel. F. Kalepky.
J. PüDJer und H. Heine, Lehr- und Lembuch der französischen
Sprache für Handelsschulen. (Unter Mitwirkung von Hippolyte
Treillard, Professor, Hamburg.) Groise Ausgabe (Ausgabe A). II. Aufl.
Hannover u. Berlin, Carl Meyer (Gustav Prior), 1904. 340 S.
Der groise Aufschwung des kaufmännischen Unterrichtswesens in
Deutschland hat in den letzten Jahren eine fieberhafte Produktion von
Lehrbüchern aller Art hervorgerufen. Immer neue Grammatiken, für die
Spezialbedürfnisse kaufmännischer Anstalten zurech tgeschnitten, erscheinen
auf dem Plan. Manche von ihnen haben den Fdiler, dafs sie zu viel auf
einmal geben wollen. Auch bei dem vorliegenden Buche ist dies der Fall.
Das Bestreben, nicht nur grammatische Unterweisung zu geben, sondern
auch, neben der Fertigkeit im mündlichen AusdrucK, dem Schüler die
Kunst beizubringen, einen guten kaufmännischen Brief zu schreiben und
ihn auch gleichzeitig in den kaufmännischen Betrieb einzuführen, hat die
Autoren auf Gebiete geführt, die ihnen offenbar fernlagen. Sie muisten
sich auf fremde Autorität verlassen, und dies geschah nicht immer mit
Glück. Wie oft möchte man den Verfassern mit Moli^re zurufen: Votis
vous ites rSglSs sur de tnichanis modales.
Von den zahlreichen Beispielen unrichtiger, ungeschickter oder ver-
alteter Ausdrucks weise seien hier nur einige angeführt. Welcher Kauf-
mann schreibt heute — im Zeitalter des Telephons und der Schreib-
maschine — noch solche Schlufskomplimente wie das ioi^ude: Nous
sommes avec considircUion, Monsieur, vos trhs humhlea et tres obSisaants
serviteurs (S. 197). Das klingt ja ^anz rokoko, für unsere Zeit iedoch ist
eR ein wenig *rigolo\ Ebensowenig kaufmännisch ist die Schlufsformel
S. 200 : öroyexy eher monsieurj attx sentiments bien affeciueux de votre tr^
devoiti. Auf S. 25 findet sich der Ausdruck: J'ai acheie ä votre ordre.
Es mufs natürlich heii'sen: J'ai acketS, eonformSment ä votre ordre oder
en eonfonnitS de votre ordre. Den Schüler irreführend ist es, wenn die
Verfasser den Direktor einer Aktiengesellschaft (französisch übrigens soeiete
anonyme und nicht soeiete d^acUormaires) folgendermalsen unterzeichnen
lassen : Friedr. Falke, p, p. SoeiSte d'aetiannaires ^Photographie d*amateurs\
— Die Abkürzung für per procura ist franzÖBisch w** oder pp""; der Name
des Prokuristen steht nicht über aondem unter Sem l^&mcn der Firma,
448 BeurtdlimgeD and kurze Anzeigen.
für die er zeichnet Ein Direktor zeichnet nicht p. p., sondern: Z>
teur-gSrant oder in einer anderen seine Eigenschaft als Direktor kenn-
zeichnenden Form.
Daus den Verfassern die wichtigsten Dinge des kaufmännischen Lebeos
Yoilkommen fremd sind, davon wäien noch manche Beispiele anzufahren.
So finden sich (S. 123) auf die Fraee: Que trouvons notu dans une leUrt
de ehanffe? folgende — recht sonderbare — Antworten:
29. La daie de Venvot de la lettre. (Ea muls natürlich hdÜBen: La
date de l'imisston.)
5°. Le nom de eelui qui doü reeevoir Vargent, On VappeVe V aocepieur.
(Ea muls selbstverstinduch heifsen: le preneur, oder le henefieiairt,)
8^ Lee mois ^Premüre de chomge't eane lesquels la lettre de ehauge
n'a pas de valeur. (Das deutsche Wechselgesetz verlangt nur das
Wort Wechsel, das französische schreibt überhaupt keine derartige . Be-
zeichnung vor. Premiere de ekange ist überhaupt nur unentbehrlich,
wenn der Wechsel in mehreren Exemplaren ausgestelit ist)
Von falschen Übersetzungen seien nur einige hervorgehoben. S. 325,
Vocabulaire zu Lekt 31: Veffet 'Wirkung, Staatepapier' (anstatt 'Wedisel*);
S. 340, Vocabulaire zu Lekt 40: Le finde de commerce 'Geeellsch&fteein-
lage' (anstatt 'Geschäft'); S. 820: le bSnifiee 'Gewinn des Schlauen' (an-
statt 'Gewinn des Kauiiuanns') ; S. 324: un «ndossi 'ein Indossator* (an-
statt 'Indossat' oder 'Indossatar'); 6. 306, Vocabulaire zu Lekt. 25: re-
passer 'glätten' (anstatt 'bügeln' oder 'plätten'). Auch in der nichttech-
nischen Terminologie finden sich Fehler, z. B. S. 335 zu Lekt 80: le
suspeet 'Verdacht' (anstatt 'das Verdächtige' — rien de suapeet hdlst es
im Text).
Der Lehrstoff, der über drei Jahreskurse verteilt ist, ist übrigens
schön angeordnet, sowohl was die Fragen und Antworten als auch was
die Erzährunfi;en und Briefe betrifft, die mehr oder weniger sdle der gram-
matischen Unterweisuna; dienstbar gemacht sind. Die als zweite Teil
folgende systematische Grammatik ist recht sorgfältig gearbeitet. Sie gibt
in engem Kahmen das Wesentliche, was der Schüler wissen muls. Einzemes
würde in anderer Anordnung anschaulicher sein. So wäre z. B. btt den
Verben mit ^tre anstatt der alphabetischen Reihenfolge eine logische Grup-
pierung eher am Platze — etwa in folgender Weise : entrer und sortir,
arriver und partir, nattre und mourir usw. Die unter der Über-
schrift Exerciees de leeture zu Anfang gegebene Darstellung der Lautwerte
ist etwas dürftig ausgefallen. So ist u. a. der Laut a recht stiefmütterlich
behandelt; gras xmdparlämes werden z. B. unter der Bezeichnung long
ou demi-long zusammengekoppelt
Frankfurt a. M. Gustav Weinberg.
Dr. W. BickeDy Direktor der Oberrealschule zu Hagen i W., Einige
Perlen französischer Poesie von ComeiUe bis Copp^ Mit
einigen Zusätzen für Unterrichtszwecke heraussegeben. Beilage zu
dem Programm der Oberrealschule zu Hagen i. W. Hagen i. W., 1905.
Das Heftchen, das sechsunddrei fsig französische Dichtungen und im
Anhange sechs Übersetzungen aus dem Deutschen enthalt, ist für junee
Leute von 15 bis 20 Jahre» bestimmt und für Erziehungsanstalten, welche
dem französischen Unterricht nur wenig Zeit widmen können. Wie auch
sonst aus der Vorrede hervorgeht, hat Herausgeber besonders L^r^-
Seminare im Auge. Da» 17. Jahrhundert ist mit dem Monolog Bodriffues
aus dem 'Cid', den Chören aus 'Athalie' (I, 4 und II, 9) und sechs Fabeln
Lafontaines vertreten, das 18. Jahrhundert mit je einer Dichtung von
Florian, Andrieox, A. de Ch^nier und der 'Marseillaise'. Von den Dich-
tern des 11). Jahrhunderts sind neben B^ranger die Romantiker, insbeson-
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 449
dere V. Hugo berücksichtigt, dazu kommt *Le Vase Bris^' von Sully-
Prudhomme und drei Stücke von Copp6e.
Der Anhang enthalt einige allgemeine metrieche Bemerkungen in
deutscher und französischer Sprache, dazu einen Überblick über aie Ge-
schichte der französischen Literatur, der auf zweieinhalb Seiten natürlich
nur eine kurze Aufzählung geben kann.
Berlin. Theodor Eng wer.
Li. Herrig et G. F. Burguy, La France litt^raire, remani^ par
F. Tendering, Directeur du 'Realgymnasium des Johanneums', Ham-
bourg. 47® Edition. Brunswick, George Westermann, Libraire-J^diteur,
1903. VIII, 708 p. Commentaire 122 p.
Die nach literarischen Grundsätzen abgefafsten fremdsprachlichen
Lesebücher (Chrestomathien), deren bekannteste Typen das oben genannte
Buch in seiner früheren Gestalt und Ploetz Mamit waren, sind im Laufe
der Beformbewegung fast vollständig aus dem Unterricht verschwunden.
Nachdem das Lärbuch der unteren Stufe, das den ersten Wortschatz wie
die Elementargrammatik an methodisch geordnetem Anschauungsmaterial
zu übermitteln diente, erledigt war, ging man von der Mittelstufe an zu
der zusammenhängenden Lektüre über und wählte, auch hier vom Leichten
zum Schwierigeren emporsteigend, Werke oder Sammlungen von gleich-
artigen kleineren Werken, die die Klasse während eines Semesters oder
gar länger beschäftigten, ihr das Gefühl eines organischen Ganzen, damit
zugleich einen EinbÜck in die Eigenart einer literarischen Persönlichkeit,
vielleicht einer Epoche geben konnten.
Die zahlreichen, nach Meinung vieler zu zahlreich erscheinenden
Schulausgaben hatten wenigstens das Gute, dafs sie dem Lehrer eine weite
Wahl lie&en und aus einer lebenden Literatur, die sich durch täglichen
Zuwachs stetig bereichert, neben vielem Minderwertigen auch manches
wertvolle Erzeugnis, manchen bedeutenden Schriftsteller der Schule zu-
f anglich gemacht haben. An Stoff fehlt es sicherlich nicht mehr, aber
ieten die Schulpläne genügend Zeit, um auch bei sorgsamer Auswahl
der zu lesenden Werke die Forderung der Lehraufgaben von 1901 voll zu
erfüllen, wenn man nur ganze Werke oder gröisere Abschnitte von solchen
lesen will? Für das Gymnasium ist in bezug auf die Lektüre das Lehr-
ziel: 'Verständnis der bedeutendsten französischen Schriftwerke der letzten
drei Jahrhunderte', was doch wohl nicht blofs eine Vorbereitung in sprach-
licher Hinsicht bedeutet, sondern verlangt, dafs der Schüler an dem von
ihm Gelesenen die Eigenart des Schriftstellers und seine Bedeutung für
die Literatur wenigstens in den Hauptzügen erkennen lerne, dafs ihm der
Bück für die Zusammenhänge der Einzelerscheinun^n weni^tens geöffnet
werde. Für die Realanstalten kommt ausdrücklich ninzu 'einige Kenntnis
der wichtigsten Abschnitte der Literatur- und Kulturgeschichte des fran-
zösischen Volkes' {Lehrplan und Lehraufgaben von 1901, S. S4, '^6, 87).
Dafs Zweifel über die Erfüllbarkeit der Forderungen aufgetaucht sind,
beweist das Erscheinen jetzt schon zahlreicher neuer Lesebücher, die, wie
Rofsmanns Französisches Lese- und Realienbuch (1908), Klincksiecks
Franxösisches Lesebuch (1903), Fuchs' Anthologie des Prosateurs Francis
(1904), bestimmt sind, nach bestimmten Richtungen hin die Lektüre
von ganzen Werken zu ergänzen, neben ihr, ergänzend und verbindend,
herzugehen. Ein klares Programm hierfür ist auf Anregung des Bre^^Iauer
Philologen tages (s. Die Neueren Spraeheny Bd. XII, H. 1, April 1904) auf-
gestellt worden. Das von der Kommission ins Auge gefalste Lesebuch
soll Lücken ausfüllen, die trotz sorgfältiger Auswahl der Scmesterlektüre
und weiser Einteilung der Zeit bestehen bleiben, Proben von solchen
Schriftstellern und Werken geben, deren Studium von Wichtigkeit ist.
450 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
aber im gewöhnlichen Programm aus verschiedenen Gründen zu kurz
kommt, und zwar: 1. Reden und Briefe, 2. Prosaliteratur des 18. Jahr-
hunderts, 8. Werke, die Einblicke in das wirtschaftliche Leben und in
die Topographie Frankreichs vermitteln, 4. die Fabeldichtung seit Lafon-
taine und lyrische Poesie, insbesondere des 19. Jahrhunderts. Kühn und
Charl^ty nahen in La France LittSraire dies Programm zu erfüllen ge-
sucht.
Wir sehen, es handelt sich nicht um eine Rückkehr zu der alten
'ChrestomfliMe', die für Jahre die einzige Lektüre bot, kurze Proben aus
möglic^t vielen Schriftstellern gab, als Anordnungsprinzip nur die zeit-
liche Aufeinanderfolge kannte, deren einzelne Stücke meist durch keinerlei
Verwandtschaft, sei es inhaltlich, sei es literarhistorisch, miteinander in
Verbindung standen. Es handelt sich jetzt um eine Ergänzung der Lek-
türe durch Abschnitte, die seeiniet sind, die Verbindung herzustellen von
dem Autor, dem Schriftweäe des einen Semesters zu dem des folgenden,
und auch inhaltlich, um eine Vertiefung, eine Erweiterung der aas einem
Werke gewonnenen Erkenntnis für die Geschichte, die Kultur, das Leben
und die Sitten des fremden Volkes. Idi stimme in bezu^ darauf mit dem
Breslauer Philologentage überein, meine aber, dals zwei nach diesen Ge-
sichtspunkten geordnete Sammlunsen^ die eine für Prosa, wie die Antho-
logie von FucSb, die andere für die Versdichtung, das beste wftroi und
wohl die Lektüre durch die oberen Klassen hindurä begleiten könnten.
Fügt sich nun Tenderings Neuausgabe diesem Programm ein? Ja
und nein. Die alte Chrestomathie hat in der Tat eine durchaus veränderte
Gestalt bekommen. // ne s'agü plus comme atUrefoü d^Hudier la lütSraiure
fran^iae par la leeture de fragments du plus grand nombre tPicrivains pos-
sible et un priets de Vkistoire de la litUraiure fram^aise sagt die Vorrede.
Die Zahl der Eänzelstücke ist bedeutend verrinj^ert worden, neben aus-
zugsweise gegebenen ganzen Werken sind Abschnitte von gröiserer Länge,
A&chnitte, die einen mehr oder minder selbständigen Teil des Gesamt-
werkes bringen, zum Abdruck gebracht worden. Nicht mehr nur nach
literarischen Gesichtspunkten wurde die Auswahl der Stücke vorgenom-
men, man verfolgte auch das Ziel, einen £}inblick in die Kultur- und
allgemeine Geistesentwickelung des französischen Volkes zu vermitteln.
Aber damit ist die andere Fn^ nicht erledigt: D«ikt sich der Verfasser,
wie Johannes Schmidt (in der eingehenden Besprechung des Buches in
der Zs. für das Öymnasialw.y LVni. Jahrgang, 309 ff., s. insbesondere
S. 31 '2 o.) es wenigstens für das Gymnasium befürwortet, sein Buch als
Ersatz der Einzellektüre oder nur als Erj^nzung? Umfang, Wahl und
Länge der ausgewählten Stücke lassen für erstere Annahme schlielsen.
Wozu wären sonst der (Hdj Atkalie, Les Femmes Savantes, auch ein neueres
Drama, Mademaiselle de la SeiglthrSy hier abgedruckt, die doch gewiXs auf
jedem Programm figurieren.
In diesem Punkte bin ich anderer Meinung als der Verfasser. Trotz-
dem die Zeit, die dem Französischen im Gymnasium gewidmet wird, ge-
ring ist, möchte ich doch auch hier das Lesebuch nicht die Einzellekture
verdrängen sehen. Ist es schon aus praktischen Gründen nicht ratsam,
dals der Schüler Jahre hindurch ein so dickes Buch, das die Lektüre
mehrerer Klassen enthält, mit sich herumschleppt — die Zerl^ung in
zwei Teile macht die Sache kaum viel besser — so begreife ich in der Tat
nicht, warum Stücke, wie die oben erwähnten, die in so bilUgen, bequemen
Einzelausgaben zu haben sind, nun auch hier gegeben werden. Um sie
zu kürzen? Um so und so viele Szenen, wie z. B. im 'Cid' und in 'Athalie',
nur in kurzer Inhaltsangabe zu bringen? Sollten nicht diese charakteristi-
schen Stücke wenigstens eanz gelesen werden, und wenn nicht ganz ge-
meinsam in der Schule, aie Zwischenszenen wenigstens in Privatlektüre
zu Hause, mit kurzer Besprechung in der Klasse? Nein, diese Proben
Beorteiliingen und kurze Anzeigen. 451
waren meines Erachtens zunächst zu streichen» um diese anderswo so
leicht zugänglichen Stücke wäre zunächst das Buch zu entlasten.
Aber der Umfang, könnte man sa^n, schliefst die Brauchbarkeit des
Buches nicht aus. Dient es auch meines Erachtens besser nur als Er-
Sänzung, so ist es vielleicht, wie sonst die Dichteranthologie, ein Werk,
as den Schüler über die Klassen hinaus ins Leben begleiten wird, wenn
es seiner Aufgabe, Sinn und Liebe für die französische Literatur zu er-
wecken, gerecht geworden ist. Mancher wird sich später freuen, hier be-
quem zusammen zu finden, worauf er doch auch noch in späteren Jahren
wieder gern einmal einen Blick wirft.
Ist der Verfasser aber der anderen Aufgabe, ein brauchbares Ergän-
zungsbuch zu liefern, gerecht geworden 7 Erreicht er das Ziel, das ersieh
nach dieser Seite hin gesteckt hat und in bezug auf das er sich mit Leuten
im Einklang befindet, die von anderen Erwägungen heraus das Programm
eines Lesebuches aufgestellt haben, nämlich faire eonnattre lapieei Vkisioire
de la natton fran^üe. Ich glaube, trotzdem, oder gerade mit Bücksicht
darauf, dafs in bezu^ auf die Auswahl je nach der persönlichen Eigenart
sehr verschiedene Wunsche sich geltend machen werden, die Fni^e im all-
gemeinen mit 'Ja' beantworten zu können. Wer vieles bringt, wird vielen
etwas bringen. Das ist der Vorzug eines so umfangreichen Werkes.
Die Breslauer Forderungen sind nach den verschiedensten Seiten hin
erfüllt. Wir finden als Bridschreiber M*°* de S^vign^ (leider nicht Vol-
taire), als Redner Bossuet und Mirabeau vertreten. Als Schrifsteller,
denen kein ganzes Semester gewidmet werden kann, deren Kenntnis aber
von grofser Wichtigkeit ist, werden Descartes, Pascal, Boileau, F^nelon,
insbesondere aus dem 18. Jahrhundert Montesquieu, Voltaire (aber leider
nur mit einem Stück aus Le sücle de Louis XIV) und Rousseau (auch
nur mit einer Probe aus Emile) gebracht. Dieser Abschnitt lieTse sich
gut auf Kosten anderer, die selbständiger Lektüre vorbehalten blieben, um
vieles, Werke wie Schriftsteller, z. B. Diderot, vermehren. Lafontaine
findet sich mit fünfzehn seiner besten Fabeln, allerdings ids einziger Ver-
treter dieser Literatui^attun^. Die lyrische Poesie bietet in Andr^ Ch^nier,
B^ranser, V. Hugo, Lamartine, de Vigny, Musset, Copp^, Prud'homme,
Paul Verlaine Ersatz wenigstens für die gewöhnlichen Anthologien. Für
die Kenntnis von Land und Leuten sind mannigfache Proben aus leider
meist älteren Historikern des 19. Jahrhunderts, Guizot, S^gur, Mignet,
Thiers, Thierry, Duruy, Lanfrey und Taine, im ganzen etwa 220 Seiten
des grolsen Formats, vorhanden, woneben die moderne erzählende Prosa
mit Zola und Daudet sehr spärlich, kaum charakteristisch und noch
weniger genügend reich bedacht ist, der einzige Fingerzeig dafür, dafs sich
der Verfasser doch wohl nicht sein Lesebuch als einzige Lektüre, selbst
für die Gymnasien, denkt.
Sind nun die Stücke, deren Auswahl nach Inhalt wie Umfang etwa
dem Breslauer Programm entspricht, auch immer so ^wählt, dals sie das
Charakteristischste für den Verfasser, womöglich für die von ihm bestimmte
Literaturepoche darstellen? Diese Frage ist schwer zu beantworten. Viel-
leicht würde kein Buch jedem genügen.
Für das 18. Jahrhundert Habe ich bereits meine Ausstellungen ge-
macht. Hier liefse sich vielleicht am leichtesten zeigen, was zu den drei
gewählten Stücken von Montesquieu (Esprit des Lots: De la ConsiihUion
aÄngleterre), Voltaire (Siede de Louis XIV: Querre de Hollande) J. J. Rousseau
(// faut qu'ßmile apprenne un metier) hinzuzufügen wäre; wenigstens für
den Fall, wo dies die einzige I^ektüre für den Zeitraum bleiben soll, denn
sonst sind geschickt zusammengestellte Bändchen aus Erzeu^issen dieser
Zeit, die wohl ein Semester füllen könnten, ja vorhanden. Die wohldurch-
dachten Erwägungen und Wünsche, die B. Tobler in einem der vorigen
Hefte ebendieser Zeitschrift bei Besprechung der Voelkebchen Sammlung
452 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
der Art ausgeeprochen hat, wiren auch für eine neue Ausgabe dieses Wer-
kes Behr zu benerzieen.
Es versteht sich von selbst» dais, je mehr wir uns der Neuzeit nähern,
desto mehr die Wünsche auseinandergehen w^en. Gleich für Chateau-
briand z. B. wäre mir statt der ÄverUures du demier Abeneerraae, die aller-
dings Gelegenheit geben, auch ein paar der seltenen Versdichtungen des
Venassers zu bringen, ab^ im wesentlichen erzählend sind, Ueber gewesen,
die mit Schilderungen durchsetzte Ätala oder ein Stück aus dem Ömü
du ChrisHaniame zu finden, das die charakteristische poetiscne, Ijnsdie
Prosa des Dichters zeigt, wegen deren er immer zu den Vorläufern, den
'initiateürs' des Bomanusmus gezählt werden wird. Wenn in der kurzen
Notiz über das 19. Jahrhundert von den Pamassiens gesagt wird: L'idie
n'est pour rtisn, la forme est Und, so hätte das Buch doch wohl Probe»
solcher Dichtungen, die dies Urteil etwa rechtfertigen, sehen können. Von
Copp^ und Sullv-Prudhomme, die aus äuiseren Grünoen wohl der Schule
beigerechnet werden, in ihrer inneren E^^nart aber gewils selbständig sind,
gilt die Behauptung doch in keiner Wase. Und dann hätten doch, schon
um die Entwickelung der Poesie im 19. Jahrhundert zu zeigen, nach den
zahlreichen Proben der Romantiker, die Pamassiens nicht ganz fehlen
dürfen. Leconte de Li sie und Heredia wären wichtiger für die
Schule als Verlaine; jedenfalls ist letzterer kaum zu verstdien, wenn
man nicht die Reaktion des Gefühls gegen eine im letzten Grunde ver-
standesmäfsige Dichtung aufzeigen kann. Die Historiker sind verhältnis-
mäfsig am reichsten vertreten, wenn ich auch hier den Anteil Taines auf
Kosten älterer Darsteller ver^öfsert sehen und Probep aus den bedeuten-
den neueren Geschichtsschreibern finden möchte. Ober die Dürftigkdt
modemer erzählender Prosa sprach ich bereits. Hier dürften Zola und
Daudet nicht die einzigen Vertreter bleiben, selbst wenn man nur
Abschnitte wählen wollte, die 'Land und Leute' behandeln, hätte man
unter vielen ersten Schriftsteilem bis Anatole France hinauf die Wahl
gehabt.
Und nun kommen wir zu dem literaturgeechichtlichen Teil. Dieser
int mit Recht im Vergleich zu den früheren Ausgaben beträchtlich |;ekürzt
worden. Die die Literatur bis zum 17. Jahrhundert einsclüieCBhch be-
handelnde Einleitung, die in der Ausgabe von 1887 noch 56 Seiten ein-
nahm, ist hier auf 1 1 Seiten verkürzt worden. Der Verfasser bemüht sich,
statt der Aufzählung von Namen und Daten die grofsen Züge der Ent-
wickelung zu eeben. Biographisches kommt später bei den Hauptver-
tretera, die Prooen liefern, hmzu; Einführung m die |;ebotenen Werke,
Winke zum Verständnis der ausgewählten AbBchnitte bietet der Anhang.
S. 186 bietet eine kurze Besprechung des 18., S. 257 eine solche des 19.
Jahrhunderts. Hier wäre es Unrecht, Einwendungen zu erheben oder
Wünsche zu äufsern. Wenn über eine Epoche, die von Chateaubriand
bis zu Maeterlincks 'Monna Vanna' reicht, etwas auf so wenigen Seiten
sesa^ werden soll, so werden immer Zusammenstellungen herauskommen,
die oem Unkundigen nichts nützen, den Kundigen zu Widerspruch reizen,
und Urteile gegeoen werden, die dem einen nicht« sagen, den anderen
nicht befriedigen. Ich möchte nur den einen Wunsch ausspredien, dafs
das etwas verzettelte Material mehr konzentriert würde, wenigstens das im
Anhang Gegebene noch zu den Einzelnotizen vor dem Texte hinzugefügt
würde.
Dem Buche lose beigefü^ ist ein ziemlich starker Anhang» der auTser
den schon erwähnten literarischen Bemerkungen, wie die Schulausgaben,
alles Sprachliche und Sachliche zu geben sich bemüht, das zum Verständ-
nis der gegebenen Texte nötig ist. Die ihm angefügte Zeittafel der fran-
zösischen Geschichte erklärt sich aus der besonderen Berücksichtigung,
die die historische Literatur gefunden hat.
BearteihiDgen und kurze Anzogen. 453
Ich habe TeiideriDfi;8 ZuBammenfitellung nicht bedingungsloB loben
können, trotzdem der Leser viel Gutes in dem Buche findet und jeder
Schüler es gewils mit Nutzen für seine literarischeD und Bachkenntnisse
lesen wird. Als ausschlielkliche Lektüre betrachtet, ist es meines £r-
achtens im Prinzip verfehlt; als Ergänzungsbuch enthält es nach mancher
Bichtun^ hin zu viel, nach mancher anderen hin zu wenig.
Berbn. Theodor Engwer.
J. ÄDsIade, Deux Troubadours narbonnais, Guillem Fahre, Ber-
nard Alanhan. Narbonne, F. Caillard, 1905. 85 S. 8.
Die beiden Dichter, welche von dieser sorgf älti^n kleinen Monographie
behandelt werden, haben uns zusammen nur drei Gedichte hintenassen:
Guillem Fahre ein Sirventes, in dem er in hergebrachter Art die Zeit-
§enoB8en des Geizes beschuldigt und den Niederrang des Christentums
en Fürsten und Geistlichen zur Last legt, und ein anderes, das im An-
gesicht eines drohenden kriegerischen Zusammentreffens verwandter Streiter
feschrieben ist und diese ermahnt, anstatt einander zu befehden, ihre
[eere zu vereinen und geeen die Ungläubigen, welche Bethlehem und
Jerusalem in der Gewalt haben, zu kämpfen. Auch das einzige Lied
Bernard Alanhans ist ein Sirventes, das in kraftvoller und bilderreicher,
freilich auch gesuchter Sprache (auch die Reime iga, atssa, ant€h ais stre-
ben, das gewohnte Gleis zu vermeiden) die Fehler der Welt geiißelt.
Die orei Gedichte sind in meinen Pariser Inedüis zum erstenmal voll-
ständig gedruckt worden, und Anglade schliefet sich ihrem Texte dort
fast durchweg an.*
Das Verdienst seiner Arbeit besteht darin, dals er versucht hat, die
Persönlichkeiten der Dichter aus den Urkunden festzustellen. Daus sie in
Narbonne lebten, sa^t uns die Überschrift ihrer Lieder. Bernat Alanhan
in den Dokumenten der Stadt zu finden, ist nicht gelungen. Ein Bemardus
de Albainhana trägt freilich einen auffallend ähnlichen, vielleicht für Alan-
hano verschriebenen oder verlesenen Namen. Dagegen findet sich in den
Narbonner Urkunden des 12. und 13. Jahrhunderte um so häufiger der
Name Guillelmus Faber. Es handelt sich um wenigstens zwei Persön-
lichkeiten, und Anglade ist geneigt, den Trobador in dnem Guillelmus
Faber filius alterius Guillelmi Fabri zu erkennen, der uns 1253 genannt
wird. Dafs dieser der Dichter ist und nicht ein anderer, weit häufiger
erwähnter, in seiner Vaterstadt offenbar in hohem Ansehen stehender
Guillelmus Faber fiilius Petri Raymundi Fabri, schliefst Anglade daraus,
dafe dieser einen Bruder Sicard hatte, während aus einem Sirventes Ber-
tran Carboneis hervorgeht, daCs der (oder ein) Bruder Guillem Fabres 'Joan'
hiefs.
Der Nachweis scheint mir nicht erbracht. E^nen 'Wilhelm Schmidt'
urkundlich festzustellen, ist eine mifsliche Sache. Es ist meines Erachtens
durchaus nicht sicher, dafs der Guillem Fahre, von dem Bertran Carbonel
spricht, unser Dichter, noch dafs er mit dem Guillem Fahre, von dem
Bemart d'Auriac viel Gutes zu rühmen weils (Bartsch, Qrdr^ 57, 2), iden-
* In Pu$ dels majori^ V. 24 — 26, setzt er mit Unrecht andere Interpanktion.
Es ist au fibersetzen: 'Hernach werden wir, wenn sie mit argem Sinn schlagen
nnd augreifen, manche Rttstnng sehen.' Uon may$ vey V. 54 würde ich entweder
wie Chabaneau ergänzen oder etwa Laiasus el cel Josstiz em palz. Druckfehler: Htm
mays V. 20 gehört zu Str. 2; No puesc mudar V. 12 vils, 28. no-us, 30 »Mira.
Übersetzung: Pus dels mq^'ors, V. 12: desamors ist wohl nicht indiff^rence ponr la
foi, sondern steht dem amor V. 30 gegenflber. No puesc mudar V. 36 verstehe
ich franker wie Levy Suppl. III 589 als 'bezwingen': la crotz . . . <m Dieus plors
frayt, 'wo er unsere Tränen brach', d. h. Mhre Ursache aufhob'.
454 Benrteflungeo und kuree Anzeigen.
tisch 18t In dem letzten möchte ich Tiel eher den Trobador sehen. Aber
ihn nennt Bemart d'Auriac £n Guillem Fahre und versichert tme naä
iemps fabres nan fo, während Bertran Carbonel sagt:
Joan Fahre, yeu eti fach tw demam
A ton frairty et a m'e» M espot:
GuUlemy dis ieu, per que es fahre vosf
E refpandec: cor ieu vau fabrega».
D'aqueJ mestier que kom a, caUqtt« na,
0 d'aquei ort, lo vay lo nome teguen,
C'aisi »'a Jaü dretz adhordenamen. '
£e scheint also hiemach, dafs dieser Guillem Fahre wirklich Schmied
war, und ein en steht weder bei seinem Namen noch dem »eines Bruders«.
Auch das Milieu Joan Fabres erscheint als ein anderes, als wir bei einem
Bruder des Eja Guillem Fahre voraussetzen möchten. So reden wohl
Bertran Carbonel und Bemart d'Auriac von verschiedenen Personen, und
die Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen — von einer Sicherheit kann
naturgemäfs nicht die Bede sein — , im Guillem Fahre des Bernart d'Anriac
und in dem Dichter den filius Petri Raymundi Fabri der ürkund^i zu
erkennen.
Breslau. C. AppeL
Kart Lewenty Das altprovenzalische Kreuzlied. Erlangen, Junge
& Sohn, 1905. 128 S. (Berliner Dissertation, auch in den Roman.
Forschungen, XXI, 321 ff., erschienen.)
Nur schwer sind, solange die Mehrzahl der Trobadorw^ke noch dner
textkritischen Bearbeitung entbehrt, auf dem Gebiete der altprovenzalischeo
Lyrik literarbbtorische Untersuchungen anzustellen. Wer sich trotzdem
schon jetzt einer solchen Arbeit mit Sachkenntnis unterzieht, kann damit
sicherlich auf Dank rechnen, und K. Lewent verdient für seine Berliner
Dissertation Ober das altprovenzalische Kreuzlied um so mehr Anerken-
nung, als er darin seinem Gegenstände die heute Überhaupt erreichbare
Förderung auch wirklich zu teil werden Ifilst
Von den acht Kapiteln der Abhandlung enthält das erste gelegeit-
liche Trobadoraüssprüche, die betreffs einiger Dichter zwar ein Widerstre-
ben gegenüber den Kreuzzügen dartun, sonst aber, indem sie lobend her-
vorheben, was für die heilige Sache bereits getan ist, oder tadelnd und
ermahnend bemerken, was darin versäumt und noch nachzuholen ist, die
Trobadors als Freunde des Krieges gegen die Heiden hinstellen. Aus den
Gedichten des Girant de Borneil würden noch hierher gehören die Stellen
Gr. 242, 18 II, 28 VI VII, m IV V und 32 V; femer könnte man den
Zitaten S. 4 Anm. 1, welche besagen, dafs die Liebesqualen wdt schlim-
mer seien als die Schrecknisse der Gefangenschaft bei den Mohammedanern,
die von Girant Gr. 242, 25 VII, VIII in ähnlicher Weise geäulserte Klage
über die Grausamkeit seiner Geliebten als weiteres Beispiel hinzufügen.
Wenn Lewent S. 9 sagt, 'dem Papste allein' werde in Gr. 242, 77 Nach-
lässigkeit vorgeworfen, so sei dem g^enüber hingewiesen auf die V. 33
bis M : Tals quer d*emoert Corona (^i noatra fe mal defen.
Im nächsten Abscnnitt über das Wesen dieser literarischen Gattung
wird das provenzalische Kreuzlied als eine in Liedform abgefafste Predig
gekennzeichnet, deren vornehmlicher Zweck der Aufruf zur Beteiligung
an der Kreuzftdirt sei. Gedichte, die nur nebenbei zum Glaubenskampfe
auffordern, sind demnach von der Klasse der Kreuzlieder auszuschlieuen.
Zu S. 18, 3 wäre da zu erwähnen, dais Gr. 242, 24 in den Hss. RS^Va
^ y. 5, 6 sind bei Anglade zu korrigieren; V. 2 vielleicht eher reipMf
BeurteiluDgen und kurze Anzeigen. 455
noch ein zweites Geleit hat E'l Senker, que n'es poderos, Nos eonduia e
si.' ab fios, welches, mit dem Anfang des Gedichtes zusammen betrachtet,
des Verfassers Annahme, dais das Lied im heiligen Lande entstanden sei,
noch glaubhafter erscheinen lälst.
Unter Aufwendung groisen Scharfsinns und zumeist in überzeugender
Weise unternimmt L. im folgenden Kapitel die Datieruns; der 83 eigent-
lichen Kreuzlieder. Mehr als die Hälfte derselben sina danach in der
Zeit vom Falle Jerusalems, 1187, bis zum Jahre 1215 entstanden; alle bis
auf vier, welche die Kreuzzüge nach Spanien betreffen, rufen die vornehme
Gesellschaft zum Kampfe gegen die Mohammedaner des Ostens bezw. zur
Befreiung des heiligen Grabes auf. Die Frage, wer in dem Gedichte des
B. de Vaqueiras Gr. 392, 9a unter dem Kaiser zu verstehen sei, entscheidet
Liewent B. 26 ff. mit guten Gründen zugunsten Balduins und dbt damit
Crescini Becht gegen Zenker, der eher Alexius IV. in dem Kaiser er-
kennen wollte.
In dem Kapitel, welches dann von dem Inhalt dieser poetischen
Kreuzpredigten handelt, werden die sehr mannigfachen in ihnen oegegnen-
den Gedanken gruppenweise eingehender Betrachtung unterzofi|en und
S. 72 geschickt zur Bildung eines Aufrufs verwertet, der inhaltlich den
Typus der behandelten Gattung darstellen soll. Gelegentlich des Ver-
suchs, die einzelnen in Frage kommenden Gedichte zu charakterisieren,
zeigt es sich, wie schwer es ist, das Kreuzlied, in dem Beligion, Moral,
Politik und Bitterlichkeit Hand in Hand gehen, gegen die anderen, nicht
der Minne gewidmeten Dichtarten abzugrenzen. Besondere Formen oder
bestimmte Melodien haben sich für diese Liedergattung nicht nachweisen
lassen.
Dafs unter den Kreuzfahrern nur wenige von den Dichtem zu finden
sind, dafür weils L. verschiedene Gründe anzugeben. Abgesehen davon,
dafs die Trobadors sich, wie es scheint, zu persönlicher Teilnahme am
Kreuzzuge gar nicht berufen fühlten, sondern wohl nach ihrer eigenen
und anderer Meinung, wenn sie nur ihre Aufrufe erliefsen, für die heilige
Sache schon genug geleistet hatten, blieb so mancher lieber daheim, um
sich durch seine Abreise die für ihn in geistiger und materieller Hinsicht
häufig so wichtige Freundschaft seiner JDame nicht zu verscherzen, wäh-
rend andere von der Fahrt Abstand nahmen, weil sie die Waffen nicht
zu handhaben verstanden oder so arm waren, dals sie nur als Kri^-
knechte, nicht aber als Bitter hätten mitziehen können. Wie L. im 7. Ka-
pitel wahrscheinlich macht, haben neben einer kleinen ZaJü Trobadors,
von denen gar kein ^Aufruf auf uns gekommen ist, nur drei Kreuzlied-
dichter unter den achtzehn, welche in Betracht kommen, sich bestimmt
an dem heiligen Unternehmen beteiligt, G. de Bomeil, B de Vaqueiras
und G. Faidit.
Was G. de Borneil anbetrifft, so entnimmt der Verfasser S. 96 den
Beweis für den Aufenthalt desselben im heiligen Lande und in Jerusalem
selbst einer Stelle in Girauts Klagelied auf Ademar V., Gr. 242, 56 VIII,
welche lautet: Qu'el deing aitxdr Sels qu'iü querran Ä Varma * ü do repaus
e patXy E'l eains vas en qu'el fo pat^catx, Qu'eu'l vi baixar tnoiU umimen,
Li si^ en luee de ho guiren,
L. legt mit Lowinsky {Ztsehr. f, frx, Spr. u, Lü,, XX, 176, Anm. 64)
die letzten drei Verse folgendermalsen aus: 'Das heilige Grab, in das er
(Christus) gelegt ward, welches ich (Girant) ihn (Ademar) sehr
demütig küssen sah, möge ihm (A.) ein guter Beschützer sein.' Danach
sollte, nachdem Gott selbst um Frieden für Ademars Seele gebeten war,
nun das Grab Christi ihn beschützen. Kann das aber gemeint sein?
Nach meiner Auffassung wollte Girant in diesem Klagelieae auf Ade-
mar sagen, Gott möee Ademars Seele Frieden seben und sein (Ade-
mars) Grab möge ihn (Ademar, d. h. seinen Leib) gut beschützen
4S6 Beurteilungen und kurze Anzdgen.
('das Grabi in das er gelegt ward, das heilig' ist, denn ich sah, wie
man es demütig küfste'). Geht aber aus dieser Stdle nicht her\'or, dals
Girant mit Ademar das heilige Grab besucht habe, so fallen auch die
Schwierigkeiten weg, welche die gegenteilige Schlufsfolgerung Lewents mit
sicJi bringt. Nun brauchte Girant nicht noch von der Belagerung Akkon:«
(12. Juli 1191) an bis nach dem Friedensschlufs (1. September 1192), also
eegen 14 Monate mindestens, in Palästina zu verwdlen, um Jerusalem zu
Besuchen, sondern er konnte, gemäüs der Angabe der prov. Lebensnach-
richt (Archiv 102, 202^), während Philipp August und viele, aber nicht
tuü li baron, s'en tomeron, sich nach der Einnahme Akkons an den Hof
Bohemunds III. von Antiochia begeben haben. Indes glaubte der Ver-
fasser auch die Mitteilung der Biographie, dals Giraut mit Richard Löwen-
herz hinübergefahren sei und der Belagerung Akkons überhaupt beige-
wohnt habe, bestreiten zu müssen, und zwar auf Grund der Strophe IV
in Gr. 242, 15, die aber, anders verstanden, seinen Zweifel nicht bestätigen
dürfte. Die Worte, die da meines Erachtens zu lauten haben: E gens
bobans . . . era cobrara so drei^ En ean eu vet, Pas lo reis Riehartx es pas-
satx; E pos el es lai aribats, N^i a tans vaiens compagnos, Derga so ehap
crestientatXf übersetze ich so: *Und liebliche Prachtentfaltung (Freigebig-
keit) wird jetzt, soviel ich sehe, ihr Recht wiedererlangen, da der König
Richard hinübergefahren ist, und wenn' er dort angelangt ist und dort
HO viele wackere Genossen hat, dann möge die Christenheit ihr Haupt er-
heben.' Daraus brauchte man nicht notwendig mit L. zu schlielsen, d&L
Richard, der ja am 8« Juni 1191 in Akkon landete, dort, als Girauts Ge-
dicht 15 entstand, oder gar schon vier Wochen vorher, auch wirklich be-
reits eingetroffen war, dafs also Giraut im Juli 1191 noch im Abendlande,
und zwar in Aragon, wo er das Lied der Tornada zufolge verfafste, ge-
wesen wäre und an der Einnahme von Akkon am 12. Juli nicht hatte
teilnehmen können. Dem widersprächen auch die Eingangsverse des be-
treffenden Gedichtes, Era, can vei reverdezttx Los vergers e eobra Festatx
('und die warme Jahreszeit wieder ersteht')) welche eher zeigen,
dafs das Lied im März,' als dafs es, wie Leweot S. 96, Anm. 3 meint,
im Juli entstanden ist. Hätte aber nicht Giraut im März 1191 von Richard,
der schon seit dem 22. August 1190, wo er sich in Marseille eingeschifft
hatte, 'unterwegs' war, sagen können: pos el es passaix und hätte er nicht,
da ja Richard sein passar mehrmals unterbrochen hat, auf Sizilien, wo
er sogar noch bis zum 12. April 1191 weilte, und auf Cypem, das er im
Mai 1191 unterwarf, von ihm, selbst gesetzt, man zöge auch für das zweit«
pos die kausale Bedeutung vor, sagen können, da er ja vermutlich
'dort angelangt ist'? Nachdem sich dann die Unrichtigkeit seiner Ver-
mutung nerauseestellt hätte, konnte er etwa als Begleiter Ademars, von
dessen Kreuzfahrt mir freilich sonst nichts bekannt ist, Richard noch
auf Cypem oder sonstwo leicht eingeholt haben, mit ihnen beiden, der
Angabe der Biographie gemäfs, hinübergefahren und auch bei der Ein-
nahme Akkons am 12. Juli zugegen gewesen sein. Scheint er doch, als
Richard nicht viel später, nach dem 20. August 1191, gen Askalon zog,
ihn, wie seine Worte in 57 VII Can passei (passem) vas Esealona ver-
' Dafs lo taint vas hier ni^ht dajB Grab Christi, sondern das des Ademar ist,
habe ich schon in der Tobler-Festschrift von 1906, S. 224, Anm. sa Y. 24 an-
gedeutet. In seinem bei Springer, Dat aUpror. KlageHed S. 100 gedruckten pkmk
bezeichnet auch F. Bremen mit lo cor« san» wiederholentlich (V. 6, 23, 33) den
Körper de» Blacatz und nicht den heiligen Leib Christi.
' Man vgl. pcs que *wenn' bei Oiraut in Appels Chr,^y St 63, 119 und afn.
puii que in der Bedeutung *du moment que' und beachte im vorietsten Verse des
Zitats das verknüpfende N* — ne, ni.
' Cf. Girauts Worte Q«intomalacaiors.,,,arisär de mars (Appels Ckr,^, St. 22 I).
BeurtdluDgen und kurze Anzeigen. 457
muten lassen, auch auf diesem Wege begleitet zu haben, um dann etwa
von Askalon aus die Beise nach Antiochia anzutreten. Dort mag er,
wiederum in Übereinstimmung mit der Lebensnachricht, das Gedicht 51
verfalst haben, in dessen Strophe IV die Worte amres nostre passatge sich
auf die Rückkehr in die Heimat beziehen wfiraen. Dais aber Girant
wirklich im heiligen Lande gewesen ist, beweisen aufser der ziti^ten Stelle
aus 57 VII die Strophen VlI und VIII seines Liedes 88: Aprea l'anar
C'avem empres En lai on es comunals baina, St Dens naa o don
€ichabarf Out esser pro fis, e'al tornar St^ amiea onratx. e jauxüx. EvoSf
Seiner, e'ane no mentitXy Lainos gitcUx {no'ns gteatx?) E dela Saraxis
asemuUx Com la lor leia ombriva (Schattenglaube, Soheinglaube) haia E
seüa puei que'U savia paisf E ja, Seiner, no eonaentatx Que l'avoh
gens vas mi s'eslais, Ans aion ehassat pari Roais! Das Ziel der un-
ternommenen Reise war demnach das comunale bains, das Bad der Wieder-
geburt, das wohl identisch ist mit dem von Lewent S. 13 u. 59 erwähnten
uivador des Marcabrun im Tale Josaphat. Nach alledem stii^imen die
vom Verfasser angezweifelten Angaben der Biographie mit den AuTserun-
gen Girauts überem, und seine Behauptung von der Anwesenheit dieses
Trobadors im heiligen Lande wird erst jetzt als bewiesen gelten können.
Schlieislich seien mir zu dem der Textkritik gewidmeten Kapitel 8,
das auch eine Bearbeitung der vier Kreuzlieder, Gr. 9, 10, Gr. 155, 7,
Gr. 138, 11 und Gr. 312, 1 enthält, noch einige Bemerkungen gestattet.
S. 100, Gr. 293, 22 VII: Sil li (1. Si Ui) fara la mortx pudir verstehe ich:
'So wird der Tod ihn stinken (modern) machen'; vgl. dazu Girant de Bomelh
26 V om mor dolairos €U> gerne Eptä pueia mil tana que fema und betreffs
der Verwendung des Dativs üi Tobler, F. B. 1 168. — S. 104 zu III 4. In
E'l erotx ist 'l {=:'iÜ der Hs. E) der weibliche Artikel (s. Appels
Chr. S. XVI»»). — S. 108, Gr. 155, 7 III 5. Lewents Text lautet: ni ere
que ' ü plaaaa Que * ü dirai ai ao mal no; Maa aevala la deahonor Poac dir,
der Herauseeber bezeichnet aber selbst in der Anmerkung den Indikativ
dirai hier us auffällig. Auf Grund der meisten Hss. würde ich nun, auch
in der Interpunktion von L. abweichend, vorschlagen, zu lesen: ni cre
que * H plaaaa Qui * / di re (rei, rem, ren); ai ao mal no, Maa aevala ... —
S. 112 zu IV 10: na ist n'a = ne a, ni a. — S. 117, Gr. 133, 11 VI 8. Mit
Hilfe des acc. lo fiU der Hss. CR lese ich Car iea lo M no - i deu atendre - 1
paire und verstehe: 'denn nimmer soll der Vater (Cnristus) auf den Sohn
zu warten haben.' — S. 121, Gr. 312, 1 V. Die ersten vier Verse des
Textes haben folgende Gestalt:
Paire verai, senher del fermameu,
qa'en la verge yengnes per nos salvar
e baptisme prezes ....
on moris a türmen.
Zur Füllung der Lücke enthält die hier verderbte Hs. R nur die Wör-
ter per lantica leg. Der Herausgeber, nach Zurückweisung von Ravnouards
Verschlimmbesserung (Lex. II 24) bestrebt, die fehknden 4 + 4 Silben zu
ersetzen, gibt dabei, teilweise Milä folgend, die Überlieferung gänzlich
preis. Weit einfacher wäre es doch wohl, unter Beibehaltung des von der
Hs. R Dargebotenen den Versen 8 und 4 etwa den Wortlaut zu geben :
e baptisme prezes per [ref<)rm]ar
l'antica ley, on (weshalb) moris a türmen.
An der trefflichen Schrift Lewents, einer Frucht grofser Belesenheit
und gründlicher Forschung, war, wie man sieht, nicht eben viel auszu-
setzen; eher fand ich hier und da Gelegenheit zu Ergänzungen, für die
mir besonders das in meinen Händen befindliche Giraut-Material einigen
Stoff lieferte.
Aachen. Adolf Kolsen.
AxtdÜT f. n. Sprachen. GXYI. 30
458 BeorteQuDgen und kurze AnzcigeD.
Po^sies de GuiUaume IX^ comte de Poitiers. ^klitioii critiqae
publice avec une introductioD, une traduction et dee notes par A. Jean-
roy^ profemeur ä la Facuit^ dee lettree de Toulouse. Toulouse, Privat,
1905 (Sonderabdruck aus den Annales du Midi, April 1905).
Zwei Ausgaben besafsen wir bisher von den Liedern dee Grafen Wil-
helm IX. von Poitiers, eine von A. Keller aus dem Jahre 1848 und eine
zweite 1850 von A. KeUer und W. Holland gemeinsam veranstaltete.
Ihnen fügt nun A. Jeanroy eine dritte hinzu, die zum erstenmal sämt-
liche diesem Trobador zugeschriebenen Lieder, elf an der Zahl, darbietet
und aufser den Texten, dem fast vollständigen handschriftlichen Apparat
und dem Kommentar eine Einleitung von vier Kapiteln über frühere Aus-
eaben und den Dichter betreffende Arbeiten, unechte und vermüste Ge-
dichte, Sprache und Keimkunst Wilhelms und über die Fraee seiner Ur-
sprünglicnkeit in Stoff und Bedeweise enthält und auch Übersetzungen
bringt, soweit sich der Inhalt nicht gerade als allzu schlüpfrig diSür
erwies.
Dafs wir diese Veröffentlichung willkommen heifsen, braucht kaum
gesagt zu werden; nicht nur ihrer grölseren Vollständigkeit w^en freuen
wir uns der neuen Ausgabe, sondern auch deshalb, weil Jeanroy, wie das
von ihm nicht anders zu erwarten war, darin so manches Neue zur Ver-
vollkommnung und Erklärung der Texte beiträgt.
Dennoch bleibt, was sich der Herausgeber selbst auch keinesw^s ver-
hehlt, zu ihrer Instandsetzung noch immer viel zu tun übrig; handelt es
sich doch um Gedichte, welche wegen ihres oft recht frivolen Tones sicher-
lich vielfach Anstofs erregt und daher nur eine verhältnismärsig geringe
handschriftliche Verbreitung gefunden haben. Aber auch mit dem wenigen
Material, das uns zu Gebote steht, wird sich noch mancher Fortechritt er-
zielen lassen ; das glaube ich um so mehr, als auch mir t)ei der Durchsicht
von Jeanrovs Ausgabe verschiedenes in den Sinn gekommen ist, dessen
Mitteilung für die Verbesserung und Aufhellung mangelhafter oder dunkler
Stellen in Wilhelms Gedichten vielleicht weiteren Nutzen stiften könnte.
Sehen wir einmal zu, was es damit für eine Bewandtnis hat.
Gred. I Companho, faray un vers (B. Gr. 183, 3; Appel, Chr. St. 59).
V. 7 und 8. Dos co/vcUha ai a ma selka \ ben e gen;
Bon son e adreg per armas \ e valen.
Der zweite Teil der meisten entsprechenden Verse des Gedichtes ist vier-
silbig; wie nun Jeanroy und Crescini in V. 1 und 5 ^etan haben, so
schiene ich in diesen beiden Versen je eine Silbe ein; m V. 7 lese ich
nach einem Komma be n'es e gen und in V. 8 .sa e valen. Der V. 8 wäre
dann zu übersetzen: 'Gut sind sie und für den Kriegsdienst geeignet, ge-
sund und stark'. Wie sich nämlich in V. 10 und, nach meiner sogleich
noch darzulegenden Auffassung, besonders in V. 13 zeigt, sind die TOiden
Pferde noch gar nicht dressis au combat et vaillants, sondern sollen erst
abgerichtet werden. Daher nehme ich valen in der auch für afrz. vaiUant
von Godefroy belehn Bedeutung 'stark' {Robuste, vtgoureua^), die es in
den beiden Kreuzhedern des Girant de Bornelh hat (s. mdne Anm. zu
I 22 in der Tobler-Festschrift von 1905, S. 214). In 11 76 steht es bei
Giraut ebenfalls mit dem von mir hier vorgeschlagenen sa zusammen;
in I 22 ist da valene d* armas mit ardüx, verbunden, was hier anzuführen
nicht überflüssig ist, da auch an unserer Stelle Hs. E die Lesart ardit
per armas e vcUen aufweist. Dieses ardit von E in der weni^ geläufigen
Bedeutung; 'kräftig, fähig', die es auch bei Giraut hat (s. ib.), ist wohl
ursprüngUcher als das adreg in G, so daCs V. 8 im Original gelautet haben
mag: Bon son et ardit per armas, san e valen,
V. 18. La tms fo dels montanhiers lo plus corren.
Benrteflangen nnd kurze Anzeigen. 459
Von dem Verstofs gegen die Grammatik (eorren ohne a) ist keine Bede
mehr, wenn man mit C La un fon liest, fon zu fondar (lat. fundare)
'Rundlich unterrichten' (s. Levy, Swb. JII 580) stellt und verstent: 'das
eine suche ich zum schnellsten der Bergpferde gut abzurichten'. In die-
sem Sinne steht nun der Vers noch besser an seiner Stelle als zuvor, wo-
durch wiederam Appels in der ?. Auflage der Chrestomathie 8. 216 von
einem Fragezeichen begleitete Übersetzung des Wortes hailar in V. 15
und die oben geaufserte Ansicht von der gröfseren Ursprflnglichkeit der
Hs. E mit baimr gegenüber baUar in C eine gewisse Stütze erhält.
y. 24. Durch Einführung des ges von den Hss. abzuweichen, ist nicht
nötig, da beide Befriedigendes bieten.
Ged. II Compaigno, non puose mudar (B. Gr. 183, 4; P. Meyer, Beeueü
1, 69; Bartsch, L6. 47; Bartsch, Ghr,^ 81).
V. 5. Da Vu8 und VaUre in V. 6 darauf hinweisen, dafs überhaupt
nur zwei Hüter beteiligt sind, so wird quada trei in dem Satze Ans la
teno esserrada quada trei nicht 'je drei' (trois par troisY sondern 'zu dritt'
(ä trois) bedeuten. Der Dichter will nicht sagen, je drei Wächter hätten
abwechselnd die Dame eingeschlossen, sondern die gardador hielten die-
selbe mit sich, den beiden Hütern, selbst zu dritt eingesperrt, die Dame
sei nie ohne die beiden Wächter, niemals allein, sie bleibe, was auch der
den Hütern ihre allzu grofse Wachsamkeit vorwerfende V. 12 zeigt, keinen
Augenblick unbewacht und unbelästigt. In dem folgenden V. 6 ist denn
auch von diesen drei Personen, dem einen und dem anderen Wächter und der
Dame, die Bede.
V. 7. Et aquü'l fan erUre lor aüal agrei.
Zwar wäre aquü'l = aquil li nicht unmöglich (s. Tobler, Archiv CI 465),
indessen ist hier li ^ar nicht erforderlich; man lese also aquill. — Agrei
braucht auch hier nichts anderes zu sein als das in Levys Swb, I 34 und
in der Tohler-Festsckrift von 1905 8. 215 zu V. 68 besprochene Wort, so
dafe der Vers bedeuten würde: 'Und jene machen unter sich solche Ver-
anstaltung'.
Den V. 8 Uus es eompains gens a foc mandacarrei (mandaeairei N ^)
bezeichnet P. Meyer im Recueü am Fulse der S. 69 als vers corrompth
Bartsch schreibt im Lb. : a for Mandaeairei, gibt ab^ in der Ohr, dem
Verse die Fassung: L'us es eompains gens a for mandcLcarrei und ver-
steht, wie mit HiKe des Glossars ersichtlich ist: 'der eine ist ein treff-
licher Gefährte nach Art eines Kärrners'. Jeanroy nimmt nun den Wort-
laut aus Bartschs Chr. herüber, hält aber in der Anm. die Übersetzung
des Wortes mandacarrei durch 'Kärrner' für sehi gewagt. Er erwähnt
auch Chabaneaus Vorschlag, a folc Mand*a cairei zu schreiben, was er
eventuell in del folc Mand'a cairei verbessern möchte, so dais es bedeuten
würde: 'Der eine ist ein netter Bursche von der Bande des M.*; in Mand'a
cairei (=: quadrivium) sieht CHabaneau den Spitznamen eines Banden-
führers, aber nur die Form cairoi im Sinne von 'Kreuzweg' ist bis jetzt
belegt (s. Levy, Swb. 1 185). Auch erwartet man unmittelDar nach den
Worten fan aüal agrei des V. 7 nicht eine Charakteristik des einen oder
anderen Grefährten, sondern die Schilderung eines ihrer dummen Streiche.
Von solchem Streich erhält man aber Kenntnis, wenn man liest: L^us
eompains gens a foc manda | qtte a rrei oder nach iV^: que a'i rei
und V. 8 und 9 übersetzt: 'Der eine Gefährte ruft Leute (oder ganze
'Scharen') zum Feuer, so dafs (da) etwas los ist, und sie machen viel grö-
fseren Lärm als das Gesinde des Königs'. Zu gens 'Schar' s. Levy, Swb.
IV 101, 1, zu mandar 'auffordern zu kommen, entbieten* ib. V 93, 4 und
zu ren 'etwas' Rayn., Lex. V 55^; rrei steht statt rei wie V. 22 ssei statt
sei; betreffs der poitevinischen Formen auf ei statt e bei Wilhelm vgl.
Jeanroys Bemerkung S. 11 § III; die beiden rei reimen auch bei B. de
Born (Stimmingi 20, 7 und 8) miteinander; a kann als Form des selb-
30*
460 Beurteilungen und kurze Anzeigen.
standigen Verbums aver vor rei stehen, und noch im Nfrz. bedeutet ü y
a qe. 'es ist etwas los'. Das handschriftliche foc bleibt unangetastet; es
hat ein Schreiber infolge falscher Auffassung hinter l'us eigenmächtig ein-
geschoben und, da der Vers nun um eine Silbe zu lane wurde, das e toq
que fortgelassen; vor Vokal findet sich que aber auch in V. 12 que ad
oras und sonst noch Öfter bei Wilhelm. Durch Entfernung des sinn-
entstellenden es hat V. 8 jetzt auch in metrischer Hinsicht die ihm zu-
kommende Gestalt erhalten, nämlich 7 «^ -|- 3. Hinsichtlich seines Inhalts
vel. man Crois. Alb. 509: A foc! a foc! eserian li gartx trafur pudnaü.
Die Strophe III ist nunmehr, nachdem der Kärrner sich in Wohlgefaller.
'aufgelöst^ und der Bandenführer sich aus dem Staube gemacht hat, durch-
aus verständlich und erföllt gut ihren Zweck, die Gemeinhdt und Nieder-
tracht der beiden Wächter darzutun, welche die Stadt durch mutwillige
Erregung von blindem Feuerlärm in Schrecken und Aufregung versetzen
und trotz ihrer geringen Anzahl sogar einen groDsen Haufen Menschen
im Toben noch üoertreffen.
Ged. iV Farai um vers de dreyt nten (B. Gr. 183, 7; Appel, Otr,
Ä. 39).
V. 28 — 80 Ni no m'en cau, — qu*anc tum ac Norman ni Frances —
dins mon oatau. Es ist nicht einzusehen, warum der Dichter hier ur-
plötzlich erzählen soUte, dafs ihn nie ein Normanne oder Franzose in sei-
nem Hause besucht habe. Auch Jeanroy vermifst in der Anm. allen Zu-
sammenhang zwischen dieser Aufserung und dem Vorhergehenden, glaubt
aber doch mit Panon aus dieser Stelle auf den G^^satz schlieisen zn
können, der damals zwischen Nord- und Südfrankrach bestanden habe.
Einen ganz anderen Sinn werden die Verse 29 und 30 aber ergeben, wenn
man, onne Verwendung von Majuskeln, no n'ae norma [njni frances
schreibt, normOf das im Lex. rom. fehlt, wie das lat. und ältere it. Wort
mit 'Winkelmals' und franeeSy das ein Getreidemafs bezeichnet (s. Levy,
Swh, III 587), mit 'Hohlmafs' übersetzt. Dann würde der Dichter haben
sagen wollen, er mache sich aus dem Benehmen der Dame ihm gegenüber
nichts, denn er habe in seinem Hause niemals dafür irgendein Mafs ge-
habt, er habe ihre Worte und Taten nie auf die Wagschale gelegt.
V. 35 und 86. Qu'ie-n sai gensor e beüaxor — e que mais vau. V. So
müTste auf ^ und nicht auf or ausgehen, und Appel fragt in der Okrest.
S. 217, ob Mlaxor hier etwa in Assonanz mit ^ stehe. Das auf beüaxor
folgende e des V. 36 scheint mir sein Dasein einem schlecht geschrie-
benen oder falsch gelesenen t zu verdanken; aus bellaxort wäre dann aber,
da Xf p und c in den Hss. nicht selten mitänander abwechseln, unschwer
be'U acort herauszulesen und die dem V. 36 durch den Verlust def^ e ab-
handen gekommene Silbe, indem man qu'ela statt que liest, leicht zurück-
zugewinnen. Gewifs wurde heüaxor^ das übrigens auch in Wilhelms Ge-
dient I 17 vorkommt, unter dem Einflufs des vorhergehenden gensor ge-
Rchrieben und qu*ela in qu^ gekürzt, weil durch das fälschlich in den
V. 36 hineingeratene e der Vers um eine Silbe zu lang geworden war. In
ihrer jetzigen Gestalt Qu'ie'n sai gensor e be'U acort — qu'ela mais rau
bedeuten nun die Verse: 'Denn ich kenne eine Schönere als sie und ge-
stehe ihr wohl zu, dafs sie besser ist'. Zu acordar 'zugestehen, bewilligen'
s. Appel, Chr. Gloss.
Die auf Str. VI in E folgende Strophe, die Appel meines Erachtens
mit Fug in den Text aufgenommen hat, hält Jeanroy für interpoliert,
weshalb er sie S. 29 unten gesondert abdruckt. In den beiden letzten
Versen dieser Strophe (V. 41 und 42 bei Appel) E pexa'm he quar sai
remanc — aitan vau hat der Schreiber im Gegensatz zu dem bei den
Versen 35 und 30 beliebten Verfahren dem Beimwort remafn) noch ein c
angehängt, das als que in die folgende Zeile gehört Es wäre also zu lesen
E pexam be quar sai rema — , que a'i tan viu und zu verstehen : 'und
BearteiluDgen und kurze Anzeigen. 461
es bekümmert mich, dafs sie hier zurückbleibt, denn sie besitzt so grolsen
Wert'. Das Wort vau, das schon in V. 36 im Sinne von lat. vtUet im
Reime steht, ist im V. 42 das bei Rayn. V 463, 2 einmal belegte Sub-
stantiv. Der letzte Vers fehlt noch in Appels Text.
Gted. V Farai un vers, pos mi somdk (B. Gr. 183, 12; Appel Ckr.
St. 60).
V. 9. Mu si es monges o eiergal. Liest man dafür Mas s'es de monge
o clergal oder Mas s'es de mong' o de elergcU (s. bei Appel im Gloss. der
Chr. die Nebenform morgue) *aber wenn es sich um einen Mönch oder
Oeistlichen handelt' oder 'wenn sie aber einem Mönch oder Geistlichen
angehört', so wird das vorher für clergal vermifste Flexions-A überflüssig.
V. 59 und 60. Q^a pauc non perdei La volar — e Varditnent, Hs. N
liat la valors, C dagegen nuu amars; die zu erwartende Reimend ung ist ps.
Durch Einsetzung von mos raxos für la valor würde der Reimfehler ent-
fernt und inhaltüch als Gegenstand des Verlustes dem Mut auch noch
der Verstand hinzugefügt werden. Perdre sas raxos heifst 'seine Berech-
nungen, Überi^ungen, seinen Verstand verlieren'; vgl. nfrz. perdre la
raison.
In V. 88 und 85 würde des Reimes wegen die Nebenform malavetx
in den Text gehören. Betreffs der Verse 31 — 33 und 52 darf ich wohl
auf meine Ausführungen in diesem Archiv Ol 148 (nicht, wie bei Appel
in der Chr,'^ steht, S. 8) verweisen, ebenso für die Verse 73 — 78, deren
Ton mir selbst aus N kopierter Text da allerdings etwas anders lautet als
der in Jeanroys Auftrage koUationierte.
Ged. VI im vudh que sapehon U pluxor (B. Gr. 183, 2; B. Chr.« 28).
V. 28 'wofür ihr mich auch ansehen möget'.
V. 62 E fon jogaix. Nimmt man jogatx als Subst. = 'Spiel, Scherz'
wie oraix 'Wunsch* (s. G. v. Bornelh 1894, S. 123 meine Anm. zu V. 14),
so könnte man verstehen 'und das Spiel hatte statt, gine vor sich' (esser
'statthaben', App. Chr. Gloss.); damit wäre der Flexionsfehler abgetan.
Die beiden vorhergehenden Strophen sind voll Zweideutigkeiten ; dabei
scheint taulier 'Spielbrett' und 'Schürze, Gewand' (s. Rayn., Lex. V 308,
1, 2), dal 'WürfeP und 'Stofs' (vgl. it dado 'Wurf) bedeuten zu sollen.
Den V. 59, der, wie die Anm. besagt, schon so viele Auslegungen erfahren
hat, könnte man vielleicht auf Grund von C, indem man cairauallier zer-
legt, lesen : Etil duy foron, e'a-i rav', aüier und so deuten : 'und die beiden
(duU) waren, denn Zwiebel gibt es da, solche mit Knoblauch', d. h. sie
waren derb; aüier wäre dann, wie es im Airz. ein Subst. aülier ('marehand
daü ou de sauce ä Vau* God.) gibt, ein von alh abgeleitetes Adjektiv, für
dessen übertragene Bedeutung man diejenige von xwiebeln (= jem. zu-
setzen) und von Ausdrücken wie gepfeffert, gesalxeny gespiekt, saftig ver-
gleichen möge. Plombar 'mit Blei beschweren' ist ein rür das Fälschen
der Würfel nicht selten gebrauchtes Verbum (s. Stimming zu B. de Born i
29, 12 und Canello zu A. Daniel IV 26); hier käme das aber, was auch
für aüier der Fall sein könnte, nur, insofern es sich um ein Wortspiel
handelt, in Betracht; versteht man plombatx im nächsten Verse im Sinne
Ton 'nachdrücklich, gründlich', so stimmt unsere Auffassung der Verse 59
und 60 nicht übel zu dem fort ferir des V. lil.
Ged. VII Pus vexem de novelh florir (B. Gr. 183, 11). ^
V. 29 und 30. Et a totx sels aaieel aixt — obediens (ÜJ)8.: attentif
aux eapriees de totts ceux qui habitent ce sejour). Der V. 29 soll aber auf
ts endigen; wenn wir ihn nun lauten lassen Et a totx sels d'aiceV aixis,
so würde die Stelle bedeuten: 'und allen denen ergeben, die ihr nahe-
stehen'; vgl. aixi App. Chr. Gloss. und dazu aixdu Levy, Swh. I 45, 1,
und aixitx de Tobler-FesUchrift von 1905, S. 214 zu 33.
V. 45 und 46. Das m des V. 46, das sich auch in V. 50 nicht mehr
wiederfindet, lehnt sich so leicht an das que des V. 45 an, dals wohl nicht
462 BearteiluDgen und kurze AnzdgeD.
anzunehmen ist, der Dichter habe es so wenig kunstgemafÄ dem Bdn-
wort lau anhängen wollen.
Ged. VIII Farai ehansoneta nueoa (B. Gr. 183, 6; B. Chr.* 30; Apf^i
Ckr, Ä. 12).
V. 13. Dem afet der Hs. ist es, wie auch Appel liest, vorznzieheD, weil
in V. 16 und 18 von der Dame noch in der 3. Pers. ISing. die K^de i>t,
während sie erst von V. 19 an in der 2. Pers. Plur. angesprochen wiri.
y. 31 fri e trembU. Das fri gehört zu dem bei Bayn. III 400 uni
bei Levy III 603 an erster Stelle stehenden frire (= lat frigere); nich*
'ich schaudere', wie auch Bartsch im Gloss. will, sondern *ich zittere vor
Verlangen' wäre wohl hier der Sinn des Wortes.
Ged. XI Pas de ehantar (B. Gr. 183, 10; B. Lb. 87, Crescini, Man, 195).
V. 3 und 4. Mais tum serai obedienx — en Pdtau ni en Lernoxi.
Diez, L. u. FF. '^ 12 übersetzt 'ich werde nicht mehr gehorsam sein' and
ffigt erklärend hinzu, wahrscheinlich sei der Dienst der Liebe geznänt;
Chabaneau fällst, wie Jeanroys Anm. zeigt, obedieris = lat. oboediendui
auf. Die Lesart Non serai mais hobediens in N lallst mich tnai so bediem
verstehen; bediene = benedieens (r. bendir *dire du bien' Rayn., Lex. III
54, 9). Danach würde der Dichter, der ja sonst nur lustige Liedo* ver-
fertig hat (s. Jeanroy S. 18), hier im Anschluis an seine ÄuXserurig, er
werde einmtü (ausnahmsweise) einen ernsten, traurigen vers machen, nnd
im Hinblick auf seine unmittelbar darauf angedeutete Absicht, en eüil
zu gehen, gesagt haben Maifs) non sera'i so beiienx — en Peüau ni en
Lemoxi 'aber nimmermehr wird das in P. und L. jemand gutheÜBen'.
Am Anfang des Gedichtes VI zeigt Wilhelm IX., ?neviel ihm daran
gelegen ist, aus seinem obrador nur Gedichte de bona eolor heryorgeheo
zu sehen, die ihm dazu verhelfen sollen, d'ayselh mestier la flor für sich
zu erringen. Schon jetzt pflichtet auch Jeanroy (S. 20) der Ansicht der
Grelehrten von der perfeetion rekUive de son s^le et de sa versificaHon bei;
in der Folge dürfte er aber die von ihm S. 14 und S. 17 Anm. 2 der
Beimnot des Dichters und S. 17 seiner n^ligence zugeschriebenen Dekli-
nationsfehler und Beimversehen, die zu tilgen so^ar wir prosaische JN'icht-
provenzalen des 20. Jahrhunderts uns anneischig machen, und sonstige
den Text betreffende Ungereimtheiten in den Gedichten auf Bechnung
nicht des Autors, sondern der Oberlieferung zu setzen um so geneigter
spin, je mehr von den durch seine so verdienstvolle Arbeit hervorgerufen«!
Anderun^vorschlägen seiner Leser er der Berücksichtigung für wert er-
achten wird.
Aachen. Adolf K eisen.
P. Savj- Lopez, Storie Tebane in Italia. Testi inediti UlustratL
Biblioteca storica delia letteratura italiana diretta da Francesco Novati,
Vol. 8. Bergamo, Istituto itaiiano d'arti grafiche, 1905. XLIII, 126 8.
8». L. 6.
Nach einer kurzen Einleitung, welche die Verbreitung des thebanischen
Sagenkreises in Italien behandelt, ^eht Savj-Lopez näher auf die beiden
venezianischen Texte ein, die er hier, den einen ganz, den anderen in
Proben, veröffentlicht. Der ältere, ganz herausgegebene Text, in einer
Marcianischen Handschrift aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts
überliefert, aus der fol. 6r (nicht 7, wie fälschlich darauf gedruckt ist)
mit einer hübschen Federzeichnung in Faksimile beigegeben ist, ist eine
Übersetzung sus dem dritten Teüe der französischen Prosa, die Paul
Meyer als Histoire ancienne jusau'ä Cesar bezeichnet hat Aus der Be-
B('haffenheit der Handschrift scneint mir auch hervorzugehen, da& der
Schreiber nur diesen einen Teil als selbständiges Ganze abgeschrieben
BeurteUungen und kurze Anzeigeii. 468
hat; damit ist aber nicht ausgefichlossen, daüs er eine vollständige oder
wenigstens umfangreichere Übersetzung der Histowe als Vorlage benutzte.
Es wäre übrigens zur Beurteilung der Frage festzustellen, ob die Worte
'sicamo vuy pore Mir auanti eitel ehonpui l'irutoria de Troia ehe drte
qttesta ütoria ne sera ekontado* in der französischen Vorlage vorhanden
sind. Der zweite Text, in einer Marcianischen Handschrift des 15. Jahr-
hunderts erhalten, ist eine Übersetzung des betreffenden Teiles der Fiorita
Armanninos. Seine Hauptquelle war Statins, danejt)en benutzte er aber
auch die französische Prosa und nahm selbständige Änderungen vor, kurz,
er übte auch hier ein Verfahren, wie ee schon für seine Darstellung der
Trojanischen Ereignisse und der Geschichte des Aeneas und Caesar fest-
gestellt war.
Dem Abdruck der Texte geht eine kurze Darstellung der Lautlehre,
Formenlehre und Syntax der abgedruckten Stücke voran. Leider hat
Savj-Lopez beim Zitieren dasselbe Verfahren eingeschlagen, welches ich
schon bei Gelegenheit meiner Anzeige von Novatis Brendanslegende (Lüe-
raturblaü für genn, und rom. Phüdogie, 1893, Bd. XIV, So. 19—20) als
unzweckmälsig bezeichnet habe: statt dafs die Zeilen der Seiten einfach
gezählt sind, wird nach c. r. und c. v. angezogen. Man mufs da oft lange
suchen, um ein Beispiel zu finden, und nur zu oft, wie auch bei Novati,
sucht man es vergebens, wdl r. und v. oder oft schon die c. verkehrt an-
gegeben sind. Ich könnte Dutzende von Beispielen anführen. Die Texte,
namentlich der erste, bieten eine Fülle interessanter Erscheinungen, und
Savj-Lopez hat es wohl verstanden, sie in aller Kürze, vielleicht sogar zu
knapp, nerauszuheben. S. XXX N. 18 ist e tra voeali ungenau: nach voc.
vor e und i mü&te es heifsen. 41 v. (nicht r.) würde ich das S. XXXVIII
55 a V bebandelte lassa als lassd == lasaai lesen. Etwas recht stiefmütter-
lich ist, wie gemeiniglich in solchen Darstellungen, der syntaktische Teil
behandelt. 6^ a far S. XL N. 62 fasse ich einfach als Futur mit ge-
trennten Bestandteilen. Vgl. mein EUmentarhueh § 47 S. 170. Das a^i-
spiel ebenda volese o nan Anphioraus eonvene andar ist kein Beweis für
persönliches eonvenirs) es liegt Auslassung des li vor. In den S. XLI
rf. (54 angeführten beiden Sätzen halte ich das ehe nicht für ein Relativ-
pronomen, sondern für eine Wiederaufnahme der Konjunktionen tnperfd
che und ho ehe. Ebensowenig ist es als eanfusione zu bezeichnen, wenn
einfaches ehe nach Unterbrediung des Satzes wiederholt wird. Ein wei-
teres Beispiel findet sich S. 41 Z. 1 — 2. Dazu vgl. mein Elementarbuch
§ 119 8. 190. In dem N. 65 aufführten Satze *e diese ehe li soldati ehe
vignirä d'eetranie eontrade .., elt donerä tanto del seo ehe di ee ne eon-
tmterä' ist e' li donerä zu lesen, also nachherige Bestimmung des Kasus
des Substantivs durch ein Fürwort. Vgl. Mementarlmeh § 111 S. 186;
vidleicht auch statt dessen e diese ek'ali ... eli donerä.
Das schnelle Verständnis des Textes hätte sehr gewonnen, wenn Savj-
Lopez nicht gar so sparsam mit Satzzeichen gewesen wäre und Akzente
ganz verschmäht hätte. Warum er die v der Handschrift, die reichlich
vorhanden sind, wie das Faksimile zeigt, immer durch u ersetzt hat, ist
nicht verstandlich. Sonst scheint die Lesung zuverlässig zu sein, wie ein
Vergleich mit dem Faksimile dartut; nur einmal ist ein leicht verzeih-
liches horribelle statt horibelle untergelaufen. Im einzelnen möchte ich
noch folgendes erwähnen. Zunächst ist Savj-Lopez an einigen Stellen zu
Unrecht von den Handschriften abgewichen, indem er in ihnen ein e tilgte ;
die Häufigkeit der Fälle hätte ihn stutzig machen sollen. Ich klammere
die getilgten e ein. S. 2 Z. 2 Quando la dama holdy ehussi parllar lo re,
(e) momo mare ne fo moUo trisia; S. 70 Z. 28 Ä queste parole eh'eila dixeun,
(e) plan^eua moUo tenera menie; S. 108 Z. 8 E quel demonio ehe iera sempre
€ieon^ de dir eose ehe mal fose (e) dise; S. 110 Z. 17 Z>> re Äraeto eon
tuti li 9UO baroni la defende e tuta la ^ente dd paiace (e) la si e trata;
464 Beurteiluogen und kurze Anzeigen.
S. 111 Z. 3 Quäa uecando U mo fioU, la eh'm prima per paura aum
fdanto, (e) ePalegrefia lagrems renoua. Vgl. EUmeniarbueh § 117 und 118
S. 189. S. 6 Z. 18 ist auB iora der HandBchrift wohl (Toro zu entnehmen;
68 könnte aber auch iera sein mit auagelaflsenem Belativpronomea. Vgl
Elementarbueh § 92 8. 188 und hier 8. 22 Z. 6—7 ... uno prodomo essa-
uioy Adarastus auia nome. S. 7 Z. 17 und 23 hätte ich die Schreibung
li 'era vorgezogen; 8. 11 Z. 10 L ne statt me; B. 12 Z. 24 Punkt nach
mare statt Komma; 8. 15 Z. 2 1. doUor a dearnixura statt e; S. 16 vor-
letzte Z. tilee Semikolon nach doUar; 8. 2-H Z. 24 kann die Schrdbung
aÜmdo ahltäo bedeuten, was oft vorkommt (= ^habiutu); S. 33 Z. 3
L hauuto statt honto; 8. 34 Z. 4 muCs Tideus statt Tiocks gelesen werden;
8. 41 vorletzte Z. ist sicher onta zu erganzen (so z. B. S. 43 Z. 9); S. 4;{
Z. 2 ist nach meiner Ansicht keine Lücke: li ist entweder, und das ist
das Wahrscheinlichere, das Ortsadverbium, oder es liegt eine ungenaue
Beziehung auf Etiocles vor; 8. 49, Z. 23 1. maurado statt inagurado; S. ol
Z. 23 war uegnudo ruhig zu belassen in Hinblick auf die Ansführung
8. XLI N. 65; 8. 59 Z. 4 L a queio statt aouelo; das. Z. 19 1. e' li statt
eli; 8. 60 Z. 20, 23 und 24 würde ich ehe li statt eh'di les^; S. 80 Z. 2
doch wohl eU) xo da\ dann wäre dies Beispiel 8. XL N. 63 zu streichen;
S. 93 vorletzte und letzte Z. 1. /V/m«>M; 8. 97 Z. 11 1. ^ statt g%o\
8. 105 Z.^ \, che el statt ehe'd\ 8. 106 Z. 11 halte ich piaxeaeU für einen
Schreibfehler statt piaxette; 8. 108 Z. 21 ist in «e no /öm cAW seeorao das
cA' zu belassen, es gehört zu ae no. Vgl. auf derselben Seite in etwas
anderer Weise Z. 27 ioeto ehe statt tasto; S. 116 Z. 5 von unten 1. parte
statt po^e; 8. 118 Z. 20 ist das trouade der Handschrift als ^roiia i2e zu be-
lassen; schon Novati hat im Brendan 8. XLIII diese Verwendung von
de für ei nachgewiesen, und ein weiteres Beispiel findet sich hier S. 120
Z. 13: s'eli nde steee.
Das Wörterverzeichnis ist sehr mager eeraten, und das scheint Savj-
Lopez selber nach einer Aulserung 8. XLIi empfunden zu haben, wenn-
gleich er hier von Absicht spricht Er kann überzeugt sein, daCs er sich
den Beifall der Fachgenossen erworben hätte, wenn er es etwas einsehender
ausgestaltet hätte, vollends aber den der Ajifänger, die sicher üoer sehr
viele Worte vergebens AufschluTs suchen werden und doch nicht das weit
zerstreute und teilweise schwer zugängliche Material zur Auüdärung zur
Hand haben können. Auf nur zwei Seiten hätte sich das Wichtigste unter-
bringen lassen. Ich will hier aber keine Nachlese geben, obgleiä ich mir
für meinen Gebrauch eine solche aufgestellt habe — es fehlen eanz seltene
Worte, und dafür sind andere, öfter belegte aufgeführt. Menda heilst an
der angezogenen SteUe Warnung; mua = tmUat halte ich für durchaus
richtig: choüu ehe-see mua in la tera = wer sich in das Land be-
gibt; amaia wird frz. hamais sein; eadar ist schwerlich von eaptare, ge-
wöhnlich eatar, zu trennen und scheint hier die Bedeutung aeeattare zu
haben.
Auch so, wie die Ausgabe vorliegt, haben wir aber aUen Grund, ßavj-
Lopez zu danken, dafs er uns diese interessanten Texte zugänglich ge-
macht hat.
Halle a. S. Berthold Wiese.
Carlo Bertani, II maggior poeta sardo Carlo Buragna e 11 petrar-
chismo del seicento. Milano, Ulrico Hoepli, 1905. 178 8. 8.
Die sardische Literatur, deren Greschichte zu schreiben die Zeit noch
nicht gekommen ist, weist keinen Namen von hervorragender Bedeutung
auf. Auch der Poet, dem diese nützliche Monographie gewidmet ist, ge-
hört nicht zu den ersten Zierden des italienischen Schrifttums ; doch unter
den Kleinen seiner heimischen Insel ist er ein Grofser. Und dieser Hei-
BeurteiltmgeD und kurze Anzeigen. 465
mat ist er nur wegen seiner Herkunft zuzurechnen: widrig Schicksale
vertrieben ihn am £^nde des Knabenalters mit seiner Familie von Sar-
dinien; und da er seitdem sein Leben drüben, in Neapel und sonst im
SSüden Italiens verbrachtei machte er eine andere Entwickelung durch, als
wenn er zu Hause geblieben wäre.
Sein äulseres Los war kein glückliches, und dem, was er schrieb, war
kein besseres beschieden. Buragna scheint zu Lebzeiten nichts dem Druck
übergeben zu haben; von seinem Nachlals aber ging das meiste durch die
Sorglosigkeit der Freunde und den bösen WiUen der Gegner verloren.
So haben wir nur kärgliche Nachricht über seine, von Galileis Wirken
beeinflu&ten Bestrebungen auf verschiedenen Gebieten der Wissenschaft,
besonders der Philosophie, die seinen Namen einst berühmt machten.
Was gerettet wurde, ist — auiser geringen Prosaresten — nichts als eine
kleine, nur noch in einem Ebcemplar bekannte Ausgabe von Liebesgedich-
ten, die sich innerhalb der Produktion jener Zeit deutlich auszeichnen
durch die Abwendung von der secentistischen Manier, durch ein ZuriicJc-
gehen auf ein älteres Vorbild, auf Petrarca.
Einen *Antimarinisten' will Bertani, im Gegensatz zu Caravelli, weder
Buragna noch seinen gleichstrebenden Freund rirro Schettini nennen, da
der 'Marinismus' zur Blütezeit dieser beiden Dichter schon in dem allge-
meinen *Secentismus' aufgegangen war. Doch auch die — an sich schon
schreckliche — Bezeichnung 'Antisecentist' lehnt er ab, weil ihnen das
Kämpferische, das damit verknüpft wäre, völlig gefehlt hat. Richtiger
charakterisiert Bertani sie als Vorläufer der Arcadia, als erste Vertreter
einer verändeiten Geschmacksrichtung.
Dies der Kern der sorgfältigen, vielleicht nur etwas zu ausführlichen
Abhandlung, deren einzelne Kapitel die Familie Bura^a in Sardinien,
die Jugend Carlos, seine letzten Lebensjahre, die dichtenschen Leistungen
und seine Stelle in der Literaturgeschichte zum Gegenstande haben, be-
sonders interessant ist darin die Gestalt des Vaters Giovan Battista Bu-
ragna, eines energischen, charaktervollen Mannes, der sich als Schrif steller
und als Beamter, mit Wort und Tat gegen die Mifs Wirtschaft und Un-
gerechtigkeit der spanischen l^rannei wehrte, die seine Heimatinsel und
das neapolitanische Land in Fesseln hielt. Indem Bertani uns die Be-
kanntschaft mit Sohn und Vater Buragna vermittelte, hat er sich ein
doppeltes Verdienst erworben.
Breslau. Richard Wendriner.
El Lindner, Die poetische Personifikation in den Jugendschau-
spielen Calderons. Ein Beitrag zu Studien über Stil und Sprache
des Dichters. (Münchener Beiträge zur rom. u. enel. Philo!., hg. von
H. Breymann und J. Schick, Heft 82). Leipzig, Deicherts Verlag (Georg
Böhme), 1904. X, 150 S. 8. M. 4.
Richtig bemerkt Gries, der Übersetzer des Dichters, Calderon zeige
einen ungeheuren Überflufs an gemachten stehenden Phra-
sen, die sich bei jeder ähnlichen Gelegenheit wiederholen.
Sammlung und Sichtung dieses Materials können recht wesentliche Dienste
leisten, zumal der sehr fruchtbare Dichter für sprachliche Beobachtung
ein ausgedehntes Untersuchungsfeld bietet. Ohne weiteres leuchtet der
vielfache Nutzen einer solchen Untersuchung ein. Denn erst die mög-
lichst ausgedehnte Erkenntnis seiner Sprache führt zur Erkenntnis seines
Gedankenausdrucks, zunächst rein formal, setzt aber den Leser iu den
Stand, nicht blofs, was der Dichter gesagt hat, zu verstehen, sondern
auch, was er hat sagen wollen; auch an sprachlich dunklen Stellen
und wo auffälliger, nach seinem sonstigen Spracngebrauch ungewöhnlicher
Ausdruck erscheint, wird nach den Resultaten einer lexikologischen Über-
466 BeuTteilung«!! und kurze ABMigen.
sieht über seiiie Sprache wenigstene erkannt werden können, was an der
fraglichen Stelle Yon dem sonst üblichen Ausdmck abwddit, vidldcht
ab^ auch die Abeicht des Dichters ^kannt werden und die richtige Auf-
legung zu ermitteln sein. Richtig macht Krenkel in diesem Sinne darauf
aufmerksam, dais Galderon aus sich selbst erklärt werden
müsse (Vorrede zu Bd. I der kommentierten klassischen Bühnendich-
tungen der Spanier). Femer wird diese phraseologische Zusammenstellnng
einer kommentierten Auslegung einzelner Stücke und der Lexikographie
zugute kommen. Sie wird auch mit ihren G^esamtresultaten Galderon als
Vertreter des estilo culto charakterisieren, eine Stelle in der Geschichte
der spanischen Sprache ausfüllen, dem Dichter seinen richtigen Platz in
der hterarischen Entwickelung seines Volkes anweisen, sein Verhältnis zn
ebenso corforschten Vor^^ängern und Zeitgenossen bestimmen, endlich für
die vergleichende und die Weltliteratur eine Zusammenstellung mit grolsen
Dichtern anderer Nationen ermögiichen helfen.
Einen Beitrag zur Calderon-rorschung und zur Sprachforschung in
diesem Sinne wül Ernst Lindner, selbstverstiuidlich mit Einschränkungen
und für passend erachteten Kürzungen, in der vorliegenden Arbeit gercn.
Behack. Bd. III, bei der Besprechung Galderons, macht darauf auf-
merksam, dais gerade bei diesem Dichter die Sprache in ihrer Entwicke-
lung Beobachtung; verdient, weil sie oft einen Anhaltspunkt für die Ghrono-
logie seiner Stücke gibt, ein Grund mehr für den Verfasser, diese Bahn
zu beschreiten, zumal die sprachliche Forschung für Galderon noch viel
zu tun gibt Mit dieser nämlich haben sich beschäftigt: 1) Valentin
Schmidt, der in seiner von Leopold Schmidt besorgen Ausgabe der
Schauspiele (1857, Elberfeld) nur einen kleinen Beitrag von G.8 poetischer
Sprache gibt; 2) Joh. Abert, Schlaf und Traum bei Oalderon (Festschrift
fiir Professor Urlich, Würzburg 1880); 3) Max Krenkel, der in der
oben bereits erwähnten kommentierten Äuaaabe span, klassüeher Bühnen-
dichtungen (Leipzig 1881 — 87) wertvolles Material bietet; 4) Konrad
Pasch, der in den Äu^ewähUen Sehautpiden (kUderons (Freibufg i. B.
1891—96) gelegentlich Eigentümlichkeiten in Sprache und Stil, niät er-
schöpfend. Dehandelt.
Eine vollständig Untersuchung ad hoc mit abschlielsenden Resultaten
fehlt, kann auch nicht im Rahmen ein^ Abhandlung auf ein paar hun-
dert Seiten geführt werden: dazu ist das Material zu riesig. Eine Ab-
handlung kann, da räumliche und sachliche Btochränkung geboten ist,
nur als ein Spezimen sprachlicher Erforschung, immerhin mit sachlicher
Vertiefung auf kleinerem Gebiet, durchgeführt werden. Dies hat der Ver-
fasser richtig erkannt und meines Erachtens eeschickt durchgeführt. Von
den 108 comedias, die in drei Perioden gedichtet werden, walte Lindner
zu seiner Untersuchung passend die der Jugendenoche des Dichters, die
er nach Hartzenbusch zitiert (Madrid, seit 1^8). »ie umfalst die 21 Dra-
men des ersten und zweiten Teiles der Werke, die in der editio princeps
1636— 87Je 12 Stücke enthalten. Dazu kommen noch 4 bis 1638, die
von der Kritik der Jugendepodie zugevnesen sind. Wo bei Hartzenbusdi
vielleicht willkürlich geänderter Wortlaut vorliegt, ist der variierende Text
der ersten Ausgabe hinzugefügt.
Zur sprachlichen Untersuchung auf diesem Gebiete wählte Lindner
die poetische Personifikation; mit Kecht, weil die dichterische Eigenart
des jungen Dramatikers hier besonders deutlich erscheint. Hier hat der
Verfasser auf anderen Gebieten vergleichender Forschung ähnliche Ver-
suche schon vorgefunden, deren Mängel er vermeiden konnte, deren Vor-
züge er sich zu eigen machte. Friedrich Goldmann untersuchte in
zwei Programmen (Halle 1885 und 1887) Die poetische Personifikation bei
Plautus, Hoburg brachte in einem Programm (Husum 1872) Emige Bilder
und Personifikationen aus Shakespere; G. G. Hense behandelte Personi-
Beurteilungen und kurze Anzeigen. 467
fikaiionen in grieeküeJien Dichtungen (Festschrift, Parcbim 1864; Halle
1868, 8^; und in zwei Programmen: Parchim 1874; Schwerin 1877). Lind-
ner vermied es, wie Hense tut, von den personifizierenden Attributen aus-
zugehen; er folgte Goldmanns und Hoburgs Weg, Gegenstände uud Er-
scheinungen, wie sie der Lesestoff brachte, der Il^ihe nach zu betrachten.
Auch so bieten sich noch Schwierigkeiten genug. Was ist hier als Per-
sonifikation anzusehen ? Grammatiker una Rhetoriker weichen selbst in
ihren Definitionen voneinander ab. Hense und Goldmann fassen den Be-
j^riff zu weit: sie nehmen Fälle hinzu, die vielleicht besser als Metonymie,
Synekdoche oder Metapher anzusprechen sind, wie Brinkmann, Die
Metapfiem (Bonn 1878), wahrscheinlich macht. Auch bleiben, nach Aus-
schaltung dieser Fälle, immer noch zwei Arten eigentlicher Personifikation
zu unterscheiden : 1) die durch den Gebrauch überlieferten, in der an sich
schon bilderreichen spanischen Sprache; 2) die von dem jungen Dichter
absichtlich geschaffenen. Erstere, die verblafsten, kommen hier nicht
in Betracht; für unzweifelhaft Calderonisch werden nur die letzteren gelten
können und in dem Rahmen der sprachlichen Fortentwickelung von Be-
deutung sein. Doch wird eine bestimmte Scheidung nur durch vergleich
in Wörterbüchern und eingehende Beobachtung von Calderons Sprach-
gebrauch möglich.
Auch das Wie der Ausführung bietet Schwierigkeiten. Lindner ver-
suchte jedes Bild, in dem mehrere Vorstellungen aus verschiedenen Ge-
dankenkreisen verschmolzen sind, in seine einzelnen Bestandteile zu zer-
legen und führte diese an verschiedenen Stellen auf. Dabei muiste er
einer trockenen lexikalen Aufzählung, die zu einem Sonderwörterbuch ge-
fuhrt hätte, aus dem Wege gehen : er durfte nicht die Stellen im Original
ohne belebenden Zusammenhang nebeneinander stellen. Er ord-
nete deswegen den Katalog seiner Gegenstände sachlich nach Haupt-
begriffen und gab die jeweilig zu zitierenden Bilder im Zusammenhang
mit gelungener poetischer oder meist sehr genauer prosaischer Übersetzug
der ganzen zugenörigen Stelle, deren Erläuterung er vornimmt. Auf diese
Weise ermöglichte er, auch in langer Reihe von Fällen zu einem Haupt-
begriff, Klarheit für jedes Bild für sich im Zusammenhang mit seiner
Stelle.
Die weitaus gröfste Zahl der Personifikationen betrifft Gegenstände
aus dem Gebiet der Natur, in denen sie als plastische, plastisch-
beseelende, beseelende erscheinen. So personifiziert der Dichter
z. B. die Sonne, deren Strahlen er mit Vorliebe ihre blonden Haare
nennt, die sie weit ausgebreitet über Berge und Wälder entfaltet; Purg.
I, 157b:
el 8ol las dorudas trenzas
Extiende desmaraüadas
Sobre los montes y selvaa.
Auch im übertragenen Sinne; so Saher I, 30*^ — 31*, wo die goldenen
Locken der Sonne noch hinter dunklen Wolken verhüllt sind: aber bald
wird ihr Licht wieder hell erstrahlen, d. h. die Wahrheit wird
bald an den Tag kommen:
Sacari k lus la verdad
Destos nubladoB que ban sido
La noche de vuestro bonor,
Hasta que claros y limpios
Deje el sol, vendendo sombras
CabelloB Crespos y rizos.
Zu S. 12, 1 bemerke ich: Lindner sagt: Die Sonne wird auch zum
Phoebus Apollo, der mit Anbruch des Abends seine gol-
468 BearteUungen und knne Anzeigeii.
denen Locken in den silber^linzenden Wogen badet nnd der
Nacht die Erlaubnis gibt, ihre schwarzen Schatten zu ent-
falten; Ärgenis I, 437:
el dorado Febo
Bn ondu de plata y nieve
Bafia loi nibio6 cabelioe
Dando lieencia k la Doehe
Que baje entre oscnros yelos.
In dieser plastisch-beseelenden Personifikation könnte das Bild der Nacht
noch anschaulicher werden, wenn man die letzte Zeile wörtlich wiedergibt ;
die Nacht soll nicht ihre schwarzen Schatten entfalten, sondern
nach der letzten Zeile zwischen dunklen Schleiern, d. h. angetan
mit dunklen Schleiern, herabsteigen.
Auf derselben S. 12, zu Anm. 9, gibt Lindner an, daüs die Nacht,
in Schatten gehüllt, den leuchtenden Sonnenwagen in den
kühlen Wellen verbirgt. Auch hier ist das Bild nicht genau wieder-
gegeben, wie vorher. Die Stelle lautet (FHne. I, 260^):
.... la noche,
EnTQelta en sombras, el Inminoio ooche
Del toi eaconde entre las ondaa puras.
Oemdnt ist offenbar, wie die letzte Zeile erweist, ein klarer Sonnen-
reflex, d. h. die Sonne eoll ihr Bild in den klaren Wellen
widerspiegeln. Was sollen hier kühle Wellen?
Im übrigen will ich gerade der Sorgfalt, mit der der Verfasser nach
den Texten die deutsche Einkleidung zur Entwickdung der Bilder aus-
geführt hat, die verdiente Anerkennung nicht versagen. Denn gerade die
Einkleidung setzt den Leser in den Stand, Jede der angezogenen Stellen
selbst zu beurteilen, ohne erst jedesmal die Texte nachzulesen.
Auch habe ich bei sorgfältiger Prüfung der Zitate nur wenige Druck-
fehler oder Ungenauigkeiten gefunden, die ich gleich hier erledigen möchte:
S. 20, Anm. 7, Zeile 5 : ,.. el nuu remoto eUma, donde d sol ap6nas
nudo lueiente del globo, se defar (icechar du dia. Zu lesen: se d^a
aeechar d. d.
S. 24, Anm. 3 : ... esos rayos, de guten el eielo fue un amago brere,
statt amägo (oder dmago, das nler unmöglich).
S. 58, Anm. 5:
Si al mismo oielo te sabes,
Campafia serin las nubes
Qoe hagan de mi honor alarde. May. noHstruo I, 498^.
Zu lesen campana.
In vier Kapiteln von sehr ungleicher Länge behandelt Lindner nun:
1) S. 8 — 99 Personifikationen aus dem Gebiete der Natur; 2) P. von
Teilen des menschlichen Körpers, sowie von Äufserungen und Zuständen
seiner sinnlichen und seelischen Existenz ; 3) P. von abstrakten Begriffen;
1) P. von Gebäuden, Geräten. Kap. 2 — 4 geben zusammen auf 48 Seiten
kaum die Hälfte der Ausbeute von Kap. 1. In der Tat kommt bei C,
wie Lindner in den am Schlufs entwickelten Ergebnissen (S. 149) richtig
hervorhebt, namentlich in der Sprache der Liebenden das reiche Gebiet
der Natur zur Geltung, und hier zeis;t der Dichter die ganze Fülle und
Kraft seiner poetischen Phantasie. Zuzugeben ist, dafs er biswdlen des
Guten zu viel tut: so in der überschwenglichen Schilderung des Festes
zur Huldigung für den Kroninfanten Baltasar (unter Philipp IV., März
IG32 zu Madrid), in dem Stück La handa y la flor, aas man bei
Schlegel I, 3()8 nachlesen kann. Richtig bleibt schlielJslich, wenn man
Calderon neben Shakespere betraditet, trotz aller Begeisterung für den
Beurteilungeii und kurze Anzdgeo. 469
grofsen Spanier^ dafs er in seinen Personifikationen einen Vergleich mit
dem Briten nicht aushält (S. 150), worin man dem sorgfältig prüfenden
Verfasser wohl recht geben darf, obwohl er seine Untersuchung nur auf
daa erste Drittel des gesamten zu beurteilenden Materials beschränkt.
. Charlottenburg. George Carel.
Th. Both^ Der Einflufs von Ariosts Orlando FuricNso auf das
französische Theater. (Münchener Beiträge zur rom. u. engl. Philol.,
h^. von H. Breymann und J. Schick, Heft 34.) Leipzig, Deicherts
Verlag (Georg Böhme), 1905. XXII, 255 S. 8 (nebst Anhang, 8 S.).
M. 5,80.
Auf die französische Literatur hat von den fremden wohl die ita-
lienische den nachhaltigsten Einflufs ausgeübt, obwohl namentlich seit der
Renaissance Dichter und Schriftsteller bdiaupten, sich durch das Studium
und nach dem Vorbild der Alten gebildet zu haben, eine Angabe, die sich
bis in die Literaturgeschichten der neuesten Zeit fortgeerbt hat. Sainte-
Beuve, Saint-Marc Girardin, Nisard stellen die Nachahmung des Alter-
tums als vorherrschend hin und berühren italienische Einwirkungen nur
fluchtig. Auch für Lotheissen ist, trotz seines nachdrOcklichen ]ffinweises
auf die Bedeutung italienischen Schrifttums in Frankreich, die Pleiade
zuerst Nachahmerin der Alten, Malherbe einseitiger Bewunderer der Grie-
chen und Römer, Kegnier nur Schüler des Horaz. Seit Du Verdier (1585},
der nur Übersetzungen und freie Übertragungen italienischer Dichter auf-
zählt, italianisierende französische Lyrik aber gar nicht zu kennen scheint,
bis Ende des 18. Jahrhunderts erfährt der italienische Einflufs nur lücken-
hafte und unkritische Würdigung. Einen Anfang zu seiner Erforschung
macht An t. Scoppa (1803), Traite de lapoesie üaltenne, rapporte ä la poSsie
fran^iae, indem er nachweist, dafs ein grofser Teil der französischen Vers-
kunst von der italienischen beeinflufst wurde. Auch ßathery (1858),
Infltience de l* Balte sur les lettrea franpaises depuis le XIII' aücle jusqu'au
ritgne de Louis XlVy spricht zur Frage, untersucht aber mehr den Ein-
flufs Frankreichs auf Italien und sucnt z. B. Tassos afrz. Quellen zu er-
mitteln, brin^ aber am Schlufs erst die Urteile von Boileau und Voltaire.
Gründlicher ist E. Arnould (1858) in den ^Essais de throne et d'histoire
litt^raire': De Vinfluence exercee par la lütirature italienne sur la litterature
fran^ise. Chronologisch und übersichtlich untersucht er den Einflufs des
italienischen Stiles auf den französischen, geht aber nicht ins einzelne, be-
hauptet z. B., 'für die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts sei bei franzö-
sischen Schriftstellern italienischer Einflufs leicht erweislich,' legt aber
keinen Wert darauf, ihn zu verfolgen. Auch D^mogeot (1880), laisiaire
des littSrcUures etrangh'es, spricht iiber die Frage, nach Bathery, und sucht
mehr nach französischem Einflufs in Italien.
Erst E. Campardon (1880), Les Comediens du Rot de la troupe ita-
lienne pcndani les deux derniers sieclesj geht in die Frage ein, soweit sie
mit der inneren Geschichte seines Gegenstandes zusammenhängt. Nolhac
e Solerti (1890), // viaggio in ItaTia di Enrico III, besprechen in ihrer
ausführlichen Beisebeschreibung des Königs erstes Zusammentreffen mit
den eomid gelosi in Venedig. A. L. Stiefel forscht nach unbekannten
iial, Quellen Mt Jean Rotrou, Bd. LXXXVI, 47 (1891) unserer Zeitschrift
nach den Quellen des Parasüe von Tristran VHermite. — Den Einflufs der
italienischen Benaissance auf die französische betrachtet J. Texte, Reirue
des Cours et Conferences (1894) und Etudes de liUSrature eurapSenne (1898),
bringt aber keine Beweise. — Fr. Flamini (1895), Studi di stör, lett. itcU,
e straniera, erörtert den Einflufs Itnliens auf Franz I. und die Universität
Paris. — Sehr verdienstvoll ist P. Toldo, der bei der Untersuchung der
französischen Novellen des 16. und 17. Jahrhunderts die Hälfte der Stoffe
470 BeurteilimgeEi und kurze Anzogen.
schon in italienischen Sammlungen vorfindet, was auch gegen Gaston Paris
bestehen bleibt. Noch wichtiger sind Toldos Untersuchungen über das
Drama Ü898 — 99): La Gomidte fran^ise de la Renaissancey durch die
gründlicne Analyse der Motive in beiden Literaturen. — Bd. C, 103 un-
serer Zeitschrift (1899) entwickelte er L'arU ücUtana neU'opera di Babelats.
Ebenso untersuchte er die italienischen Beziehungen von Montesquieu,
Diderot, Voltaire. Zum erstenmal untersucht J. Vianey (1900^, L'ÄriosU
et la PUiajdey in dem Buü. üal. I, das Verhältnis besonders hinsichtlich der
Lyrik. — Einen Versuch^ die Wechselbeziehungen italienischen und franzö-
sischen Schrifttums zusammenzufassen, machte Betz, La litterature eotn-
parte (1900), doch unübersichtlich, da die Schriften nicht nach Gruppen«
sondern nach ihrem Erscheinen ^rdnet sind. — Gegenüber den älteren
Literaturhistorikern sind die verdienstvollen Arbeiten von Lanson.. Morf
und Petit de JuUeville von dem Verfasser mit Recht benutzt und
berücksichtigt worden.
Ausgehend von der Bedeutung der ewigen Stadt als Mittelpunkt
und oft ersehntes Besuchsziel der abendländischen Christenheit und der
Schätzung der Seinestadt als Hochburg scholastischer Gelehrsamkeit,
knüpft der Verfasser früh die eigentlich nie ganz und lange unterbroche-
nen Beziehungen zwischen Rom und Paris. Sie beginnen schon mit den
gegenseitigen dienstlichen Besuchen der päpstlichen L^aten und der
ischöfe aes allerchristlichsten Königs; Scholastiker und Dichter, gerade
die gröfsten, kommen wissensdurstig oder schutzbedürftig nach Frank-
reich: Thomas von Aquino und Brunetto Latini; Pico della Mirandola,
Dante, Petrarca, Boccaccio. Bald lesen und studieren die Or^tin, Molinet,
Chastellain, Meschinot die guten Schriftsteller Italiens, die ersten Über-
setzungen von Dante, Petrarca, Boccaccio dringen in weitere Kreise, wozu
bei Blanc, Bibliographie itcUo-fran^ise (1886) in der BM. de traduetions
fran^ises d'auteurs italiens die Beweise vorli^en. Seit diesen Anfängen
hat der literarische Verkehr mit Italien nicht aufgehört, ist also ein so
eindringlicher und wirkungsvoller geworden, dafs er bis zu Ariost eine
fortlaufende geschichtliche Betrachtung der Dichtungsarten erfordert, die
als Einleitung dem Hauptabschnitt der Arbeit : Ariost in Frankreich,
vorangehen. Roth ..bespricht also in vier weiteren Abschnitten, die der
bibliographischen Übersicht des I. Abschnittes folgen, den italienischen
Einflufs II. auf die französische Lyrik, III. auf das französische Epos,
IV. auf die Novelle und den Roman, V. endlich auf das französische
Theater, das in fünf Unterabteilungen 1) italienische Schauspieler in Frank-
reich, 2j italienischen Einfluis auf die Tragödie, 8) den auf die Komödie,
4) den auf die Pastorale, 5) den auf die Oper untersucht In knapper
Aufzählune trägt er, nach dem Stande der Forschung, Schriftsteller, ihre
Werke und den beobachteten Einflufs vor, mit Nachweis von untersuchen-
den Schriften und Dokumenten (S. 9 — 71).
Es folgt die Besprechung Ariosts in Frankreich (S. 75—248).
Sie zerfällt in zwei sachliche Hauptteile, die sich nach der Einführung
des Dichters und der Einwirkung seiner Dichtung auf das französische
Theater bestimmen. Der erste Teil spricht I. von Ariosts Einführung und
Verbreitung in Übersetzungen, II. von seinem Einflufs auf die franzö-
sische Lyrik, III. von seinem Einflufs auf das Epos, IV. von seinem Ein-
flufs auf das französische Theater. Dieser letzte Abschnitt ist die Haupt-
aufgabe der ganzen Abhandlung und bildet füglich den zweiten Teil der
Untersuchung. Sie zerfällt nach den Hauptepisoden des Orlando, die bis
ins einzelne geprüft werden, in elf Abschnitte; ein zwölfter fiiiirt ver-
einzelte Entlehnungen auf.
In den Ergebnissen (S. 248 — 255) kommt Roth für das Verhältnis
beider Literaturen zu wichtigen Resultaten, die sicherlich nicht ganz neu
sind, deren Richtigkeit im ganzen aber nicht anzufechten sein wird, ob-
Beurteilimgen und kurze Anzeigen. 471
gleich sie die Stellung Italiens in ganz neuer Beleuchtung erscheinen
lass^. Daran ändert der Umstand nichts, dais die Sond^orschung im
einzelnen immer noch zu korrekteren Erkenntnissen füfaxen kann: sie
^iverden die Gesamtresultate nicht wesentlich alterieren.
Als erwiesen darf man ansehen, dafs Italiens Anteil an der Entwicke-
lung der neufranzösischen Literatur ebenso wichtig ist, manchmal sogar
noch wichtiger als der antike Einflufs; bei letzterem namentlich hat
Italien oft die Vermittlerrolle zu spielen, durch Dichter, Gelehrte,
Künstler wie durch Meisterwerke im Original oder in Übersetzungen, die
den antiken Q&st vermitteln.
In Form und Inhalt der französischen Lyrik ist italienischer Einflufs
anzuerkennen seit Einführung der terxa rima durch J. Lemaire de Beiges.
IDie Sonettdichtung ist ganz italienischen Ursprungs.
Die Ode verdankt ihre Anregung bei der Pleiade weniger den Alten
al8 dem Italiener Alamanni. Von Marot bis Malherbe herrschen in der
lyrischen Dichtung als Muster platonischer Liebe Petrarca, als Muster
sinnlicher Erotik ßembo und Ariost.
Im Epos enthält Bonsards Franciade viele Entlehnungen aus Or-
lando ; spatere romantische Epiker schöpfen aus ihm und der Gerusalemme
liberata. Das komische Epos ist ganz auf die italienische burla zurück-
zuführen. Sogar Henri ade und Pucelle von Voltaire haben noch den
Hauch der itäienischen Epiker. Und im 19. Jahrhundert nennt Victor
Hugo Dante seinen Divin maitre.
Die Novelle stammt nicht aus den altfranzösischen fabliaux, sondern
in der Hauptsache aus der italienischen Novella. Lafontaines Vers-
zählungen gehen zur Hälfte auf italienische Quellen zurück ; Montesquieus
Lettres persams, Voltaires Zadtg haben italienische Vorbilder.
Auf dem Theater ist italienischer Einflufs dem antiken mindestens
fleichzustellen. Mit dem Einzug italienischer Schauspieler und dem Auf-
ommen der Com media delParte beginnt ein konstituierter Schau-
spielerstand seine Arbeit nach italienischem Muster. Die altfranzösische
Farce schwindet. Moli^res OharakterkomÖdie steht unter italienischem
Einflufs, der auch im 18. Jahrhundert noch fortdauert, im 19. bei A. de
Musset anzutreffen ist.
Weniger abhängig; erscheint die Tragödie; zunächst sind Vorbilder
Seneca und die Spanier; aber 1550 — 163(5 werden auch italienische Tra-
gödien nachgedichtet; dann wieder im 18. Jahrhundert Metastasio und
Alfieri.
Pastorale und Oper sind spezifisch italienisch^ werden zeitweilig spa-
nisch, aber seit Mazarin bis Verdi italienisch.
Den mächtigsten Einflufs zeigt Ariost; er ist 97 mal übersetzt worden
(Anhang S. 256—263). Im 16. und 17. Jahrhundert sind fast alle Epi-
soden des Furioso in ihrer vollen Tragik von französischen Dichtem er-
fafst und dramatisiert worden, wahrscheinlich weil man das Bitterepos in
dieser Zeit noch versteht. Die Aufklärung des 18. Jahrhunderts zerstört
diesen romantischen Zauber durch zahlreiche Parodien, die in der neuen
romantischen Schule des 19. Jahrhunderts die Rittergestalten des Orlando
nicht wieder aufkommen lassen; die Zeit der letzteren auf dem Theater
scheint vorüber zu sein.
Beide Arbeiten, Lindners Calderon und Boths Orlando auf dem
franxösischen Theater, seien dem Studium bestens empfohlen.
Charlotten bürg. George Carel.
der vom 9. März bis zum 31. Mai 1906 bei der Redaktion
eingelaufenen Druckschriften.
Zeitschrift für Österreichische Volkskunde. XII, 1 — 8 [A. Sikora, Zur
Geschichte der Zillertaler Tracht. — J. Blau, Die tschechische Volkstracht
der Tauser Gegend. — Joh. Bochmann, Das Erzgebirge nadi seinen Sied-
lungen und die Beschäftigung seiner Bewohner. — £. Weslowski, Die
Möbel des rumänischen Hauernhauses in der Bukowina. — A. Sikora.
Zwei alte Tiroler Bauernhäuser. — £. Zellweker, Leipniker Dreikönigslied.
— A. Hellwig, Umfrage über kriminellen Aberglauben].
Ratz ei, Friedrich, Kleine Schriften. Ausgewählt und hg. durch Han^
Helmolt. Mit einer Bibliographie von Victor Hantzsch. Mit dneni
Bildnis Friedrich Eatzels una zwei Tafeln. Mönchen u. Berlin, R. Olden-
bourg, 1906. 2 Bde. I: XXXV, 530 8., II: IX, 542 S., und Bibliographie
LXlI 8. M. 25.
Haywar^, F. H., Drei historische Erzieher: Pestalozzi, Fröbel, Uer-
bart Autor. Übersetzung von G. Hief. Leipzig, London, Paris, A. Owen
& Co., 190(). 6« S. M. 1,60.
Kleinpeter, Hans, Mittelschule und (jegenwart Entwurf einer
neuen Organisation des mittleren Unterrichts auf zeitgemäfser Grund-
lage. Wien, Fromme, 1906. VI, 100 8. M. 2,50.
Literaturblatt f. germanische u. romanische Philologie. XXVII, 3 — I
(März— April 1906).
Modern language notes XXI, 3 [R. Holbrook, Pateiin in the oldest
known texts: I. Guillaume Le Roy, Pierre Levet, Germain Beneaut —
K. D. Jessen, A note on phonetics. — FL Tupper, Legacies of Ludan.
— F. Wehse. Chronological order of certain scenes in Gmihe's Faust —
A. 8. Cook, Samson Agonistes. — J. A. Childy A note on the Introduzione
alle virtü. — P. M. Bück, Notes on the Shepherd's calendar and other
matters concerning Üie life of Edmund Spenser. — A. Remy, Some Spanish
words in the worls of Ben Jonson. — L. Lockwood, A note on Milton's
geography. — H. Baker, On a passage in Marlowe's Faustus]. 4 [F. Tupper,
Dolutions of the E^eter book riddles. — 8haw, Another early monument
of the Italian language. — Klaeber, Hildebrandslied. — Cook, Chaucer:
Pari. Foules 353 ; Kotes on Marlowe's Tamburlaine, first part. — Browne,
Lucian and Jonson. — Schinz, Simplification of French orthography. —
Walz, Schillers Spaziergang and Thomson's SeasonsJ.
Publications of the ]^£)dern Language Association of America XXI,
1 [Frank Edgar Farley, Three Lapland songs. — J. W. Scholl, Schl^rel
and Goethe 1790—1802: A study m early German romanticism. — J. W.
Cunliffe, Nash and the earlier Hamlet. — H. Seidel Canby, The English
fabliau. — R. W. Trueblood, Montaigne: The average man. — Kenneth
McKenzie, Italian fahles in yerse].
Verzeiclmis der efngelaufenen DruckschrifteD. 473
Die neueren Sprachen ... Iig. von W. Vietor. XII, 10 [Th. Gautier,
Remarques sur le dictionnaire de Sachs-Villatte. — H. Th. Lindemann, Der
Humor Addisons. — Besprechungen. — Vermischtes]. XIII, 1 [K. Haag,
Vom Bildungswert des Sprachenlernens. — R. J. Lloyd, Glides between
consonants in English (IX). — Berichte. — Besprechungen. — Vermischtes].
Schweizerisches Archiy für Volkskunde, h^ von £. Hoffmann-
Krayer und M. Re^mond. X, 1 und 2 [B. f'reuler, Die Holz- und
Kohlentransportmittel im südlichen Tessin. — A. Hellwig, Die Beziehungen
zwischen Aberglauben und Strafrecht. — Un livre de meige vaudois. —
A. Rossat, Les Paniers (Fin). — S. Meier, Volkstümliches aus dem Frei-
und Kelleramt. — Miszellen. — Kl. Chronik. — Bücheranzeigen. — Biblio-
graphie].
Modern language teaching II, 8 JBourdillon, Poetic touch in classical,
mediseyal and modern times. — £. MiaU, My little French class. — C. E.
Stockton, Notes of an elementary German class. — Atkinson, Modern
language teaching in the TransvaaL — Lloyd, On thinking in a foreign
language].
SkandinaTisk mänadsrevy I, 7 [H. Hungerland, Das historische Stu-
dium der deutschen Spradie, Fortsetzung und Schlufs. — E. A. Kock,
Welche Substantive gehören zur gemischten Deklination? — Esperanto
or English? (Holge Wiehe, The case for Esperanto; Godmund Schätle,
The case for EngUsh)]. 8 [H. Söderb^h, Tyska eller Enj^elska? —
H. Hun^rland, Gustav Falke. — C. S. Fearenside, The Kiphngreader:
Famine m India. — C. Polack^ Les livres de M. Krön]. 9 [H. Hunger-
land, Zur Frage der Universitätslektorate in Schweden. — G. Cohen,
Le parier beige. — A new Swedish Hamlet — H. Hun^erland, Schiller
in England. — H. Hungerland, Radikale Reform oder vermittelnde Methode
im neusprachlichen Unterricht? — C. S. Fearenside, Questions in fkigUsh
pronunciation].
Modem lan^age review I, 3 [E. Armstrong, Dante in relation to the
Sports and pastimes of his age. — J. Derocquigny, Lexicographical notes.
— F. W. Moorman, Shakespeare's ghosts. — P. G. Thomas, Notes on
the language of Beowulf. — H. Bradley, Some textual puzzles in Greene's
Works. — J. T. Hatfield, Newly - diacovered political poems of Wilhelm
Müller. — H. J. Chaytor, Giraut de Bomelh : Los Apleitz. — Miscellaneous
notes. — Reviews. — Minor notices. — New pubhcations].
Neuphilologische Mittdlungen, hg. vom Neujphil. Verein in Helsing-
fors. Nr. 3/4. 1906 TW. Söderhjelm, Jehan de Paria. — Besprechungen.
— Die schriftlichen Maturitätsprcben im Frühjahr 1906. — Protokolle. —
Eingesandte Literatur. — Mitteilungen].
M^moires de la Soci^t^ n^o'philologique h Helsingfors. IV. Helsing-
fors Waseniuska bokhandeln; Paris, Welter; Leipzig, Harrassowitz, 1906.
409 S. [0. J. Tall^een, Las « y p del antiguo castellano iniciales de sllaba,
estudiadas en la m^dita Oafifa de Segovia, [Die Oaya 6 Conaonantea de
(Pero Ouiäen de) Segovia ist ein handschriftlicnes Rimarium aus dem letz-
ten Viertel des 15. Jahrhunderts, also älter als Nebrijas 'Ortographie' 1517.
Die Arbeit tritt zu den verwandten von Cuervo, Ford und Saroihandy. Tall-
green teilt die Auffassung, die der letztere im Bulletin hispaniaue 1902
vorgetragen hat.] — Torsten Söderhjelm, Die Sprache in dem altfr. Martins-
leben des P^an Gatineau aus Tours. Eine Untersuchung über Lautver-
hältnisfle^ Flexion, Vers und Wortschatz. [Eine sorgfältige, wertvolle Studie,
durch die ein Bruder die verdienstliche Arbeit des andern ergänzt] —
H. Pipping, Zur 'Dieorie der Analogiebildung. [Von Jespersens Einteilung
'a) erhaltende und b) schaffende ^alogiebudungen' ausgehend, zeigt r.
unter Zugrundelegung dänischen Sprachmaterials, dals die beiden Formen
der Analogie versdiiäene Lebensbedingungen haben, und dafs der erhal-
tenden Analogiebildung die grölsere Bedeutung zukommt.] — A. L&ngfors,
Archiv f. n. Sprachen. GXYI. 31
474 VerzeichDis der eingelauieDen DruckschiifteD.
Li Ate Maria en JRoumans par Huon le Eoi dt Cambrai, publik pour U
premi^re fois. — J. Poirot, Quanti^g et accent dynarnique, travail dn I&-
Doratoire de physiologie ä l'uniyenit^ de Helsmgfon, Section de phooe-
tique exp^rimentale. — M. WaseniuB, Uate des trayaux snr lea lasgii«
et litt^ratures modernes, publica en Finlande 1902 — 51.
Panzer, Fr., Der romanische Bilderfries am südlichen Choreingang
des Freiburser Münsters und seine Deutung. 34 S. fol. 8. A. aus deo
Freiburger Münsterbl&ttem hf, vom Freiburger Münsterbauverdn, zweiter
Jahrgane, erstes Heft [Es sind sechs Bilderszenen, deren Deutung Pan-
zers nach Inhalt und Ausstattung gleich schöne Arbeit ralt : die Lmtfahrt
Alexanders; Davids Löwenkam^; der Wolf in der 8aiule; Kentauren-
kämpf; der Kampf mit dem Greifen; die Birenen. Man folgt Beinen Aus-
führungen, die ein reicher Büdersdunuck illustriert, mit dem groisteD
Interesse, läfist sich von seiner anschaulichen Darstellung gern überzeugen
und erwartet mit Spannung die Lösung, die er aus der Oswaldlegende für
die Sirenenszene zu gewinnen hofft. Man bewundert die Verbindung von
kunstgeschichtlichem und literarhistorischem Wissen, die es Panzer erUubt,
die (^büde der Steinmetzen durch die Erzählungen der Poeten zu be-
leuchten und in so fesselnde Weise an so unscheinbaren Objekte die Ein-
heitlichkeit des geistigen Lebens nachzuweisen. Auf die Entwickeiungs-
eeschichte des ^ei burger Münsters fällt dabei ebensowohl neues Liebt
(Beziehungen zu St-Ursanne und Basel) wie auf die Art und Weise, wie
die lehrhiSte Kirche sich das Heidentum und die Weltlust uralter Tradi-
tionen dienstbar macht.]
Cappelli, A., Cronologia e Oalendario perpetuo. Tavole cronogra-
fiehe e quadri sinottici per verificare le date storiche dal principio del-
Tera Oristiana ai giorni nostri. Milano, N. Hoepli, 1906. XXXIII, 421 S.
Geb. Lire 6,50. [Das handliche und typographisch vortrefflich ausgestat-
tete Buch, eines der nunmehr 900 'Manual! Hoepli', wird allen denen will-
kommen sein, die bei ihren historischen Arbeiten nicht eines der grofsen
chronologischen Werke zur Hand haben. Es vereinigt als Frudit mühe-
voller Arbeit und reicher Erfahrung in gedrängtester, aber übersic^tlichCT
Form die Chronologie der christlicnen Zeit von den römischen Kaisero,
(Jen mittelidterlichen Fürsten und Päpsten bis zur Gegenwart, führt die
Ära der Byzantiner, Spanier, Muhamedaner und der Revolution, eibt einen
ewigen Kalender nach dem System der 35 Osterfeste und sorgraltig ge-
arbeitete synoptische Tabellen über die Regierungszeiten in den Haupt-
ländem Europas.]
Methode Toussaint- Langenscheid t. Brief Ucher Sprach- und Sprech-
unterricht f. d. Selbststudium der schwedischen Sprache von £. Jonas,
E. Tuneid, 0. G. Mor^n. Berlin, Langenscheid t. Brief 36 (letzter);
BeiWe III— VI; Sachregister, zu M. 1.
Berj^, Rüben G»'''', Svenska Skalder främ Nittitalet, sex essäer. Aktie-
bolagst Ejus. Stockholm, 1906. 108 S. En Kronas.
Deutsch -österreichische Literaturgeschichte. Ein Handbuch zur Ge-
schichte der deutschen Dichtung in Osterreich - Ungarn, hg. von J. W.
Nagl und J. Zeidler. Wien, Carl Fromme. 28. Lieferung, bezw. 11. Liefe-
rung des Schlufsbandes : S. 481—528. Neuere und neueste Zeit K. 1,20
= M. L
Unser, H., Über den Rhythmus der deutschen Prosa [Freiburger
Inauguraldissertation]. Heidelberg, Hörning, 1906. 88 S.
Fellweker, E., Prolog und Epilog im deutschen Drama, ein Bei-
trag zur Geschichte deutscher Dichtung. Leipzig, Deuticke, 1906. 102 S.
M. 3.
VenelchniB der eingelAufeDen Drucksduiftan. 475
Merker, Paul, Stadien zur neohochdeutschen Legendendichtune, ein
Beitrag zur Geschichte des deutschen Gkisteslebens (Probefahrten 9). Xeip-
zig, VoiKtländer, 1906. VIII, 158 S. M. 4,80.
Uhl, W.y Entstehung und Entwickelun^ unserer Muttersprache (Aus
Natur und Geisteswelt, 84. Bd.). Leipzig, Teubner, 1906. 128 S. Geb.
M. 1,25.
Kleinpaul, Rudolf, Das Fremdwort im Deutschen. Sammlung
Göschen 55. 8. A. Leipzig, Göschen, 1905.
Graef , Hermann, ochillers Romanzen in ihrem Gegensatz zu Goethes
Balladen. Beiträge zur Literaturseschichte, hg. von H. Graef. Leipzig,
Verkff für Literatur, Kunst und Musik, 1906. 42 S. M. 0,60.
Graef, Hermann, Heinrich Heine. Beiträge zur Literaturgeschichte,
hg. Ton H. Graef. Nr. 5. Leipzig, Verlag für Literatur, Kunst und
Musik, 1906. 80 S. M. 0,40.
Kunad, Paul, Immermanns Merlin und seine Beziehungen zu Richard
Wasiiers Bing des Nibelungen. Beiträge zur Literaturgeschichte, hg. yon
H. Graef. Nr. 8. Leipzig, Verlag für Ldteratur, Kunst und Musik, 1906.
16 S. M. 0,40.
Bri schar, Karl M., Jens Peter Jacobeen und seine Schule. Beiträge
zur Literaturgeschichte, hg. von H. Graef. Leipzig, Verlag für Literatur,
Kunst und Musik, 1906. 19 S. M. 0,40.
Knodt, Karl Ernst, Theodor Storm als Lyriker. Beitr^;e zur Lite-
raturgeschichte, hg. von H. Graef. Nr. 4. Leipzig, Verlag für Literatur,
Kunst und Musik, 1906. 27 S. M. 0,40.
y. Wildenbruch, Ernst, Das deutsche Drama, seine Entwickelung
und sein ffeeenwärtiger Stand. Beiträge zur Literaturgeschichte, hg. von
H. Graef Nr. 6. Leipzig, Verlag für Literatur, Kunst und Musik, 1906.
49 S. M. 0,80.
Aus deutschen Lesebüchern, epische, lyrische und dramatische Dich-
tungen, erläutert für die Oberklassen der höheren Schulen und für das
deutsche Haus. IV. Bd., 1. Abteilung: Epische Dichtungen [Nibelungen-
lied, Gudrun, Parciyal, Armer Heinrich, Gilückh. Schiff, Messias, Heliand,
Hermann und Dorothea, Der 70. Geburtstag, Reinekel 4. AufL Unter
Mitwirkung yon G. Frick und G. Po lack. Leipzig, Th.Hofmann, 1906.
XII, 508 S. Geh. M. 4.
Zur Geschichte. Proben yon Darstellungen aus der deutschen Ge-
schichte, für Schule und Haus ausgewählt und erläutert yon Dr. Willy
Scheel [Aus deutscher Wissenschan und Kunst]. Leipzig, Teubner, 1906.
174 S. Geb. M. 1,20.
Englische Studien XXXVI, 2 [Gordon Hall Gerould, Social and
historical reminiscences in the Middle English 'Athelston'. — E. M.
Wright, Notes on *Sir Gawayne and the green knight'. — W. y. d. Gaaf,
Miracles and mysteries in South-East Yorkshire. — B. Petsch, Hamlet
unter den Seeräubern. — A. L. Stiefel, Zur Quellenfrage yon John Fletchers
'Monsieur Thomas'. — J. Ellinger, Das Partizip Präsens in gerundialer
Verwendung].
Anglia XXIX, 2 [L. Diehl, Englische Schreibung und Aussprache im
Zeitalter Shakespeares, nach Briefen und Tagebüchern. — C. Heck, Die
Quantitäten der Akzentyokale in ne. offenen Silben mehrsilbiger nicht-
germanischer Lehnwörter, IL — F. Morgan Padelford, The relation of the
1812 and 1815—1816 editions of Survey and Wyatt. — F. Klaeber, Notizen
zu Cynewulfs Elene. -— F. Klaebe> Berichtigung].
Beiblatt zur Anglia XVII, 3 7
Scottish historical reyiew Ur' *: rC. H. Fvrth, BsWads on the bishopa'
war 1688—40. — A. Lang, p!;' i^.}:^ and ^e^eU 0^ ^«7 Stuart —
J. Maitland Anderson, James J ^iJJ^ tbe unhetst^ ^^ ^^- AJidrewa. —
\
476 Verzeichnis der eingelaufeDen Druckschrifteti.
H. Bingham, The early Organisation in London of the Scots Darieo Com-
pany. — H. Maxwell, The 'Bcaiacronica' of Sir Thomas Gray. — J. IL
ttouard, The Ruthven of Freeland barony].
Bausteine, Zeitschrift für neuenglische Wortforschung. I, 4 [A. Wtkt-
ner, Sentiment und sentimental — R. Brotanek, Übersicht der flrschd-
nun^en auf dem Gebiete der englischen Lexikographie im Jahre l9ijZ
(Schluis). — L. Kellner, Beitrage zur neuenglischen Lexikographie (Foit-
setzung). — Kleine Notizen. — Frag«i und Antworten. — BücherBchau.
— Plaudereckel.
Walker, Kichard, Geschichte der englischen Literatur yon den ält^ten
Zeiten bis zur Gegenwart. 2. neubearbeitete Auflage. Leipzig und Wien,
Bibliographisches Institut, 190(5. 15 Lieferungen ä M. 1. Heft l, t>4 8.
M. 1.
Schröer, M. M. Arnold, Grundzüge und Haupttypen der aiglischen
Literaturgeschichte. Sammlung Göschen 286 u. 287. I: Von den ält^eten
Zeiten bis Spenser, 168 S.; II: Von Shakespeare bis zur Gegenwart, loti S.
Leipzig, Göschen, 1906. Geb. ä 80 Pf. [Der Plan der Sammlung GöBchen
erlaubte nur eine Auswahl des Wichtigsten. Schröer geht auf Beowulf
und Chaucer näher ein, wobei seine philologischen Vorarbeiten ihm zu-
statten kameuj sehr hübsch auf Spenser, dessen Verständnis man als den
Gradmesser einer gründlichen Einsicht in die englische Literaturentwicke-
lung betrachten kann, natürlich auf Shakespeare und Milton, am liebe-
Yollsten auf Volkspoesie und Burns, im Sinne des heute in England herr-
schenden Geschmacks auf Byron, Wordsworth und ihre Zeitgenossen. Mit
allen hat er gelebt; da und dort bringt er eine originelle Beobachtung
bei, z. B. beim Beowulf über die typische, zur Situation nicht passende
Lobpreisung Hrothgars, bei Layamon über die Verwechslung von natio-
nalem und lokalem Patriotismus ; in Einzdlieiten ladet er wohl auch zum
Widerspruch ein, z. B. wenn Grendels Mutter ein Meerweib genannt wird,
während sie doch unter einem Binnensee wohnt, oder wenn Dr. Johnson
schlechtweg als Gegner der Romantik erscheint, der doch in der *£else
nach den Hcbriden' für mittelalterliche Kultur und wildschöne Natur
kraftvoller als irgendein Vorgänger eintrat. Nicht selten yerläfst er die
wissenschaftliche Heerstrafse, macht z. B. bei Wyclif einen langen Exkurs
in das Religionswesen des heutigeo England, ergeht sich an der Schwelle
des 18. Jahrhunderts auf mehreren Seiten über oritischen Nationaldünkel
(inatäar asinüy) und kommt bei der Entstehung der ae. Schriftsprache
sogar auf das ündeutsch der Tschechen und Polacken in Wien zu reden.
Man glaubt manchmal eine Zeitung zu lesen, aber der Ton ist immer
frisch, das Wissen gelehrt und die Aufrichtigkeit des Verfassers un-
zweifelhaft Eine Anzahl Bücherangaben erleichtern die nähere Einarbei-
tung, zwei Zeittafeln die Übersicht.]
Otto Jespersen, Growth ana structure of the English language.
Leipzig, Teubner, 1905. IV, 260 S. Geb. 3 M. lünter ^Sprache* versteht
Jespersen hier in erster Linie jene Verhältnisse der Flexion, Wortbildung
una Syntax, die auf der Grenze zwischen dem hergebrachten Schema und
dem Individualstil lie^n. Von Lautiere im eigenüichen Sinne kommt
in seinem Buche wenig vor; von Flexionslehre nicht ein einziges Para-
digma; solch elementare Dinge setzt er eben als bekannt voraus« Aber
welche Wörter, Ableitungen und Phrasen durch Christentum, Dänen, Nor-
mannen und Humanisten aufkamen, wie Shakespeare sein Englisch ge-
brauchte und in manchen Wendungen noch die modernen Schriftsteller
beeinfluf^te, wie ^ich. Kirchen-, Sdiul- und Umgangssprache sondern, wie
sich die Logik von der Grammatik entfernt, derlei Probleme bespricht er
mit der Sachkenntnis und lebendigen AuHassung, durch die sich bereits
sein 'Progress in language' auszeidhnete. Bisher unbenutztes Material hat
er hauptsächlich aus Murrays Dictionary geschöpft; interessant ist die
VerzeichniB der emgelaufenen DruckBchriften. 477
Liste der französiecheD Wörter, deren Eindringen er danach für jedes
halbe Jahrhundert seit 1050 festzustellen sucht (S. 98)| natürlich nicht mit
Anspruch auf volle Verläfslichkeit, denn die grofsen Zahlen in der Zeit
1250 — 1400 erklären sich ungleich mehr aus dem damaligen Anschwellen
der Literatur als der Sprachmischung. Viel Belesenheit muls man ihm
nachrühmen ; doch in der deutschen Fachliteratur ist er nicht immer ganz
zu Hause; am meisten ist mir dies betreffs s und th im 3. Sgl. Präs. auf-
gefallen : was er darüber sagt, ist gesenüber HÖlpers Zusammenstellungen
{Sprachgebrauch hei Tottel, 1891) dürftig und schief. Auch über das Ein-
dringen dänischer Sage in spätags. Zeit wäre Triftigeres vorzubringen, als
was S. 61 f. steht. Es ist nicht leicht, auf einem so ausgedehnten Ge-
biete die Einzeldinee alle gründlich zu beherrschen und dabei grolse Ent-
wickelungslinien glatt durchzuführen. Die Kleinforschung, die vorangehen
sollte, ist vielfach noch im Rückstande; sie dürfte wohl durch Jespersens
groXszügige Fragestellung belebt werden.]
C. Aiphonso Smitn, Studies in JSnglish syntax. Boston, Ginn,
1006. 92 S. [Drei Aufsätze sind hier vereint, von denen der erste in
M. L, Ä, Publ, 1900, der zweite in M, L, Not 1904 bereits erschienen war.
£^ sind Erwägungen über * Sprachdummheiten ^ die einen tieferen Sinn
haben. 1. 'Interpretative svntax' zeigt an Verwechslun^beispielen bunter
Art, dals nicht blofs die Vorgeschichte einer Konstruktion für sie charak-
teristisch ist, sondern auch iure Weiterentwickelung; so ist toeordan als
Wort tot, lebt aber virtuell fort in become, grow, get und dei^l. II. *The
short circuit' macht auf Anakoluthe aufmerksam, die veranlalÄt wurden
durch Fernabrücken des regierenden Wortes. III. 'The position of words'
betont die verschiedene Auffassung eines Akkusativobjekts, je nachdem es
vor oder nach dem Verb steht. Letzterer Essay zeigt am meisten Neu-
beobachtune; alle Essays sind Weiterfühlungen der von Einenkel, Franz,
Kellner und anderen Svntaktikern aufgestellten Thesen; ihr Wert liegt
nicht so sehr in der Fülle der Belege als vielmehr in der interessanten Zu-
sammenstellung bisher isoliert gedachter Erscheinungen.]
Schön, äuard, Die Bildung des Adjektivs im Altenglischen (Kieler
Studien, Neue Folge, Heft 2). Kiel, Cordes, 1905. 110 S. M. 3.
Schuldt, Claus, Die Bildim? der schwachen Verba im Altenglischen
(Kieler Studien, Neue Folge, Heft 1). Kiel, Cordes, 1905. 95 S. M. 2,50.
Van Zandt Cortelyon, John, Die altenglischen Namen der In-
sekten, Spinnen und Krustentiere (Anglistische Forschungen XIX). Heidel-
berg, Winter, 1906. VII, 124 S. M. 3,60.
Dellit,'Otto, Über lateinische Elemente im Mittelenglischen. Bei-
träge zur (beschichte des englischen Wortschatzes. Marburger Studien,
Heft 11. Marburg, Elwert, 1906. VIII, 101 S. M. 2,50.
Grimm, Conrad, Glossar zum Vespasian - Psalter und den Hymnen
(Anglistische Forschungen, XVIII). Heidelberg, Winter, 1906. VI, 220 S.
M. 4.
Deutschbein, Max, Studien zur Sagenffeschichte Englands. Erster
Teil: Die Wikingersagen. Homsage, Havelocksage, Tristans^, Boeves-
sage, Guy of War wicksage. Cöthen, Otto Schulze, 1906. XII, 264 S.
M. 7.
Imelmann, Rudolf, Lajamon, Versuch über seine Quelle. Berlin,
Weidmann, 1906. VIII, 117 S. M. 3.
W. Shakespeares dramatische Werke. Übersetzt von A. W. v. Schlegel
und L. Tieck. Im Auftrage der rjpntßchen Shakespeare - Gesellschaft hg.
von W. Oechelhäuser. Auf \t \,nlafts^^8 ^^ "feerauBgebere revidiert
von G. Conrad. Stuttgart un*^^^^^\ff. Deutsche Verla^anstalt. XV,
1032 S. ^ \jd\V^^'
Koeppel, E., Ben Jonao. .-.vunß «d xeilgöi^awftc^« Drama-
tiker und andere Studien zuiTvX^ W^^aÄcii\c\i\Ä d» «i%^«<i^«^ ^^««^^
\
478 Veraeichnifl der eiogelaufeDen DruckschrifteD.
(AnglistiBche Forschungen, XX). Heidelberg, Carl Winter, 1906. 238 S.
Löwe, Ernst, Beiträge zur Metrik Budyard Kiplings. Marburger
Studien, X. Marburg, Elwart, 1906. 103 8. M. 2,50.
Oollection of British Authors. Taudmitz edition. ä M. 1,60.
Vol. 3873—74: Maarten Maartens, The healers.
, 3875 : Beatrice Harraden, The scholar's daughter.
y, 3876: Daniel Woodroffe, The beauty-shop.
^ 3877: Max Pemberton, My sword foT Lafayette.
y, 3878—79: E. F. Benson, The angd of pain.
^ 3880: The Author of «Elizabeth and her German garden'. The
Princess Prisdlla's fortnight.
n 3881 : The author of «Elizabeth and her Qerman garden', The ad-
yentures of Elizabeth in Bügen.
^ 3882: W. B. H. Trowbridge, A dazzling reprobate.
r 3883—84: H. Bider Haggard, The way of the spirit.
^ 3885: Affnes and E^erton Castle, 'If youth but KnewI'
Krüeer, Qustay, Des Enjglfinders gebräuchlichster Wortschatz. Kleine
Ausgabe dee Systemaite Engltsh- Qerman vocabulary. Für den Schul- und
Selbstunterricht. Mit Angabe der Aussprache. Dresden und Leipzig,
C. A. Koch (F. Ehlers), 1906. VIII, 72 S. M. 1.
Degenhardt, Budolph, Lehrgang der englischen Sprache. I. Grund-
legender Tdl. Der neuen Bearbeitung^ 11. Auflage, oesorgt yon Kar!
Munster. Dresden, Ehlermann, 1900. XII, 288 S. Geb. M. 2,50.
Döhler, Emil, Grammatik für die Oberstufe, der dreibändigen Aus-
gabe B für höhere Mädchenschulen des Lehrbuches der engUschen Sprache
(Dr. Otto Bömers NeusprachlicheB XJnterrichtswerk), im AnschluTs an
Thiergens Ha/uptregeln der englischen Syntax. Leipzig, Teubner, 1906. 88 8.
Geb. M. 1,20.
Krueger, Gustay, Englisches Unterrichtswerk für höhere Schulen.
Unter Mitwirkung yon WiUiam Wright 2. Teil: Grammatik. Leipzig.
Freytag, 1906. 374 S. Geb. M. 4.
Thiergen, O., und E. Döhler, Lehrbuch der englischen Sprache
Dreibändige Ausgabe B, Teil III (Dr. 0. Bömers Neusprachliches Un-
terrichtswerk). Leipzis, Teubner, 1906. 192 8. M. 3,20.
Selections from English poetry. Auswahl yon Dr. Ph. Aronstein
( Velhaeen u. Klasings Sammlung, English authors, üeferung 104). Eide-
leld, Velhaeen, 1905. XII, 81ö S., 14 Illustrationen. — Ergänzungsband
[I. Zur Verslehre; IL Anmerkungen; IIL Übersetzungen; IVT Wörterbuch.
t)3 S.].
Lytton, Edward ßulwer, Harold, The last of the Saxon kinss. Für
den Schulgebrauch erklärt yon Fritz Meyer. Franz. und engl. Sdulbibl.
149. Leipzig, Beneer, 1906. IX, 110 S.
Maartens, Maarten, Bret Harte, Hardin^ Dayis, and other authors:
a Christmas posy, stories and sketches of Chnstmas äme, für den Scbal-
gebranch hg. von J. Bubbe (Freytags Sammlung französischer und engli-
scher Schriftsteller). Leipzig, Freytag, 1906. 164 S. Geb. M. 1,60. -
Hierzu ein Wörterbuch. 62 S. M. 0,60.
^iS^^^i Kate Douglas, The birds' Christmas carol, für den Schul-
gebrauch hg. yon Elisabem M er haut (Freytags Sammlung frz. und engl.
Schriftsteller). Leipzig, Freytag, 1906. b3 S. Geb. M. 1.
Bomania p. p. P. Meyer et A. Thomas. N^ 137, janyier 1906
[E. Philipon, Trovenz. -encj ital. -ingo, -engo. — P. Meyer, Fragments de
mss fran9ai8. — J. A. Herbert, An early ms. of Oui de Wartciek. —
A. Thomas, Jeamette de Nesson et Merlin de Oordebeuf-M^langes : G. Huet.
Verzdchnie der eingdaufenen DruckBchriften. 479
£nooTe Floire et EUxnchefleur. — F. Lot, Quendon-OaneUm. — Gh. Drou-
chet, Franc. 6paule. — A. Thomas, 'Giraut de Bomdl' ou ^Guiraut de Bor-
nelh' ? — rroT. anc. albuescch prov. mod. aubieco, — Un sena rare du mot
voiiure, — F. Noyati, Ital,jana,janara. — Ck)mpteB rendus, — P^riodiques
— ChroDique].
Gesellschaft für romacische Literatur. Zweiter Jahrgang 1903. Vierter
und letzter Band, d. h. nach der ganzen Beihe
Band 6: Tres Oomedias de Alonso de la V^, con un prölogo de D. Mar-
celino Men^ndez v Pelayo. XxX, HO 8.
Dritter Jahrgang 1904. Erster und zweiter Band, d. h. nach der ganzen
Reihe
Band 7: Gedichte eines Jombardischen Edelmannes des Quattrocento,
mit Einleitung und Übersetzungen h^. von Leo Jordan. 74 S.
Band 8 : II canzoniere provenzale della Riccardiana, no. 2909. Eklizione
diplomatica preceduta di un' introduzione per il prof. Giulio Ber-
toni. XL VI, 245 8. und zwei Tafeln.
Alle drei Bände ausgegeben im März 1906.
Ulrich, J., Proben der lateinischen Novellistik des Mittelalters. Aus-
eewählt und mit Anmerkungen versehen. Leipzig, Rengersche Buchhand-
lung, 1906. 217 S. M. 4. [Etwa zweihundert Stücke, zumeist in Prosa,
der Disdplina elericalu, dem Direetorium humanae vüae, der Historia de
Septem sapientibtUf dem Dolop<ttho8, den Oesta Eomanorum, den Mcemplts
des Jacques de Vitry und des Etienne yon Bourbon u. a. entnommen.
Von den yorausgescnickten zwölf rhythmischen Märchen, Fabeln und
Schwänken ist das längste Stück der Unibos, Die Auswahl hätte sich
wohl, ohne dafs sie umfangreicher geworden wäre, noch etwas mannig-
facher gestalten lassen. Ein philologischer Kommentar fehlt. Die nütz-
liche Zusammenstellung des Stoffes auf Seite 209^15 gibt knappe Ver-
weisungen auf die Entsprechungen bei Köhler, Benfey, Liebrocht etc.
Die Numerierung der Stücke der Dise, der, fehlt im Text p. 23 ff. und
ist p. 210 von No. 6 ab irrtümlich. Das Buch ist ein willkommenes Hilfs-
mittel zum Unterricht in der mittelalterlichen Literatur.]
Niedermann, M., Pr^cis de phon^tique historique du latin. Avec
un ayant-propos par A. Meillet. (Nouyelle collection ä Pusage des classes,
no. XXVIII.) Paris, Klincksieck, 1906. XII, 151 S. kart fr. 2,50. [Die
ersten 60 Seiten — ^yolution du yocalisme — dieses für die Schulen be-
stimmten Handbuchs sind yor zwei Jahren als Schulprogramm erschienen
(ygl. hier CXIII, 456). Nun ist der Konsonantismus hinzugefügt worden,
der ebenso übersichtlich und in klarer Kürze dargestellt erscheint wie der
Vokalismus. — Zu der phonetischen Anschauung und Terminologie, die
§ 5 und 6 yorgetragen wird, wäre manches zu bemerken. Nicht nur stimmt
die Tabelle yon § 6 nicht eenau mit den 'Bemar^ues' (es fehlt das yordere
/ und das n, sondern es durfte überhaupt die historische Grammatik der
toten Sprachen sich mit den Erkenntnissen, die an den lebenden Sprachen
und durch die experimentelle Phonetik gewonnen worden sind, mehr ver-
traut machen una so mit präziseren Artikulationsvorstellungen arbeiten.
Der yage Terminus 'guttural' dürfte endlich verschwinden (cf. G. Paris,
MÜanges Ungutstiqttes, I, 80 ff.) und den bestimmten 'palatal', Welar' Platz
machen. Niedermann aber nennt ein /, das *ä la naissanoe des indsives
(d. h. dental-alveolar) gebildet wird, ein '/ paUUaV — unter / palcUale aber
versteht der Phonetiker ein am Palatum gebildetes, d. h. 'mouilliertes' / etc.
Solche Differenzen machen sich denn auch in den ent wickelungsgeschicht-
lichen Partien bemerkbar. So z. B. in dem was über v (p. 10) gesagt ist.
Das w des fmnz. Schauer {eftce) ist ein öilabio-t^e^er-Reioelaut mit natur-
gemäfs sehr wenie Reibungsgeräusch; das v in franz. tin (§ 36) ist ein
sehr kräftiger labiodentaler Reibelaut. Latein, intervokales v Taus b)
z. B. in ineomparavüü, devere ist zunächst weder das eine noch aas an-
480 Veneichnis der emgelaufenen Drackachrifteii.
dere, Bondern ein einfacher bilabicUm- Reibelaut; es ist erst viel späte
labiodental (wie in franz. devotr, rtn) geworden. Das tritt in § 86 und 52
nicht deutlich hervor. Auch lehrt die romanische Sprachgeschichte, daif
Graphien wie vene für bene nicht mit devere auf eine Stufe zu setzen sind,
wie man auch sonst von Parodis Auffassung (ßomania XXVII, 177 ff. i
denken mag. — Auch die hier (CXIII, 456) monierte Vorstellaiig vom
Kampf der 'psychischen' Analogie gegen die 'physiologischen' Lautges^ze
— bald rigles, bald hü genannt — ist stehen geblieb^, obschon der Ver-
fasser in der Vorrede sdbst sagt, dals in einem solchen Manuel nichts
stehen soll, *oui soit en contradtetiofi avee les rUultaU Hahlis par la 9eienct\
— Das Werkchen, das sich an die Schüler höherer Schulen richtet, die
ja im fremdsprachlichen Unterricht nun bereits an eine lebendige Pho-
netik gewöhnt sind, wird noch nützlicher und brauchbarer werden, wenn
es seine phonetischen Lehren mit den dort vorgetragenen in Einklang
bringt. Das wird einem so kundigen Forscher wie N. nicht schwerfalleo.
£n attendant sei es auch in dieser Form schon bestens empfohlen.]
Zeitschrift für französische Sprache und Literatur, hg. von D. Beh-
rens. XXIX, 5 [W. Eüchler, Über das künstlerische Element in Th^
phile Gautiers Persönlichkeit und Schaffen. •— A. L. Stiefel, Über Jeao
RotrouB spanische Quellen. — E. Stemplinger, Nik. Bapin als Übersetzer.
— J. Frank, Zur Satire M^nipp^ — L. E. Kastner, The Vision of Saint-
Paul by the anglonorman trouv^re Adam de Boss. — W. Förster, Zu
Perrin von Andcourt — D. Behrens, Wortgeschichtlichee]. — XXIX, 6
und 8 fder Beträte und Bezensionen drittes und viertes Heft].
Bulletin du Glossaire des patois de la Suisse romande. 5^ ann^. N'^ 1.
Lausanne, Bridel & C'^, 190(). 16 S. [E. Tappolet, Les expressions ponr
une 'vol^ de coups' dans les patois fnbour^eois et vaudois. — M. Gab-
bud, Enigmes, jeux de mots et formulettes bagnardes. Patois de Lourtier
(Valais). — L. Gauchat, Semorau/-juin. — J. Jeanjaquet, Anden neuch&te-
lois: enirives],
Novati, F., Li Di$ du koc di Jean de Cond4 ed il gallo del campa-
nile neUa poesia medievale, con due appendid e una tavola. (S. A. au?
den t^tidi medtevali I.) Bergamo, Istituto d'arti grafiche, 1905. 48 8. [N.
druckt das von Scheler als Dia des troia estas dou monde im zwdten Bande
der D%8 et Contee des Baudouin und Jean de Ck)nd4 herausgegebene Moral-
gedicht neu ab, auf Grund einer Kollation der dnzigen Kömer Hs., die
Scheler nicht selbst eingesehen hatte, und begleitet diese Ausgabe mit einem
reichen literarhistorischen und kulturgeschicntlichen Kommentar, wie man's
von ihm gewöhnt ist. Was bisher über die tausendjährige Sitte, metalleDe
Hähne auf Kirchtürmen anzubringen, bekannt war, ergänzt er durch inter-
essante Mittdlungen über dnen Turmhahn vom Jahre 820, den das Museum
zu Brescia aufbewahrt.]
Ulrich, J., Proben der französischen Novellistik des 16. Jahrhunderts.
Texte und Kommentar. I. Texte. Leipzig, Bengersche Buchhandlung, 19(K}.
263 S. 4 M. [Das Buch will nach dem Vorwort kdne Blüten lese sdn,
sondern charakteristische Proben geben, daher seien hier aus den NoveUen-
büchem {Grand Parangon^ Nouv, lUGriatione, Bepiamirony Contes du monde
aventureuxj Pantagrudy Apologie pour HSrodoiej den Geschichten Noele du
Failj den Äprie-diners au Seigneur de GholüreSy den SerSee und dem
Moyen de parvenir) nicht die Stücke ausgelesen, Mie man an Töchter-
schulen lesen kann'. 'Sogenannte kitzlige Themata' sden 'weder g^ucht
noch gemieden'. Der in Aussicht gestellte zweite Band wird — mit dem
versprochenen sprachlichen und literarischen Kommentar — gewife auch
über die Grundsätze Auskunft geben, die bd der Wahl der einzelnen Aus-
gaben niafsgebend gewesen sind. Auch wird man gern vernehmen, für
VeneichniB der eingelaufenen Druckschriften. 481
^^en eine solche Sammlung, die yielfach ganz leicht zugängliche Drucke
ifviedergibt, eigentlich bestimmt ist.]
Evers, Helene M., Critical edition of the Discours dela vie de Pierre
de Ronsard par Claude Binet. (Bryn Mawr College Monographs toI. II.)
Philadelphia, The John C. Winston Co., 1905. IV, 190 S. One doUar.
Soci^t^ des Textes francais modernes. Paris, Soci4t4 nouvelle de li-
brairie et d'^ition E. Com^y et C*®:
Jacques Amyot, Les Vjes des hommes illustrem grecs et romains.
P^ricl^ et Fabius Maximus. Edition critique, publik par Louis Cle-
ment, a— i, XXVII, 115 8. 190G. — Jules Marsan, La Sylvie du
Sieur Mairet Tragi-com^ie-pastorale. LXII, 244 S. 1905. [Die beiden
ßande eröffnen aufs glücklichste die Publikationen der neuen Gesellschaft
von der hier CXV, 1^9 die Rede war und deren Mitgliederzahl sich seit-
lier verdoppelt hat. Der erste Band gehört der I^" aerie (eouverture grise)
an, die kritische Ausgaben ohne Kommentar brin^; der zweite Band der
ir»f sirie (eouverture rose) mit umfangreicher Einleitung und ausführlichem
Kommentar. L. Clement hat die Absicht, mit der Zeit den jranzen Plu-
tarch Amyots herauszugeben. Dais aus den Vtes zunächst rerikles und
Fabius Maximus heraus^griffen sind, hat seinen Grund im programme de
l'agrepation de ^ammatre. Amyots Brief an Heinrich II. und die Vorrede
an die Leser sind mit Recht oeigegeben. Mit guten Gründen wird die
Aussähe Vascosan - 1567 (die dritte und letzte) für die Wiedergabe ge-
wählt; die spärlichen Abweichungen der früheren Drucke sind beigefügt.
Der Druck ist hübsch und beauem, er ist leicht modernisiert (J und t; v
und u geschieden etc.); die Üoersichtlichkeit ist durch Alinea, die das
Originaf nicht kennt, erleichtert Man freut sich, den ehrwürdigen Text
in dieser Form zur Hand zu haben. — J. Marsan liefert eine inhaltreiche
introdttetioriy wie übrigens von dem Verfasser der Pastorale dramaHque en
France, 1905, nicht anders zu erwarten, zu einer sehr sorgfältigen kriti-
schen Ausgabe der Sylvie (nach dem definitiven Text von Targa, 1G30).
Er macht es wahrscheinlich, dafs die berühmte Stichomythie zwischen
Phil^ne und Silvie ursprünglich als selbständiges Stück von Mairet ver-
fafst und gedruckt, una dais die Sylvie erst als Schale dieser Ekloge ge-
schrieben (1626) wurde. Er weist nach, wie ausgiebig Mairet für die ganze
Anlaee und Führung seines Schauspiels Racans Bergeries benutzt hat, wie
ihm die Verse seines verstorbenen Freundes Th^phile in den Ohren klin-
gen, wie er sich Hardys erinnert, wie aber auch die Romane Ästrie, Äma-
dis, Argenia und Sidueys Areadia nicht vergessen hat. Er zeigt neben
den traditionellen Zügen und den moreeaux rapportis die poetische Eigen-
art des Stückes, das zum erstenmal die Romantik der Tragikomödie mit
der Schäferwelt organisch vereinigt {tragieomedie pastorale). Die Grund-
lagen dieses Urteils liefern in ausgiebi^ter und gründlichster Weise die
70 Seiten des Oommentaire historique, der in einem reichen Inventar des
poetischen Stils jener Zeit die Belege für die Quellen und die Nach-
ahmungen der Svlvie vereinigt. Eine Abbildung der Bühnendekoration
der SyTvie nach dfem Ms. Man^lot der Nat. Bibl. ist beigegeben.]
Die Fruchtschaie. München, R. Piper & Co.:
N^ 4. Amieis Tagebücher. Deutsch von Dr. Rosa Schapire. Mit zwei
Porträts, o. ü. VIII, 302 S. geh. M. 3.
N^ 9. Nicolas Ohamfort, Aphorismen und Anekdoten. Mit Porträt und
einem Essay von H. Efswein. XLVI, 227 S. geh. M. 8. [Die Samm-
lung ist sehr schon ausgestattet, die Auswahl aus Amieis Journal intime
und aus Chamforts Caracteres et anecdotes, Maadmes et pensees etc. ist ge-
schmackvoll getroffen und die Übertragung gefällig. Der E^say über
Chamfort ist stilistisch und inhaltlich gekünstelt; seine französischen Zitate
sind durch böse Druckfehler entstellt, zu denen der anspruchsvolle Ken-
nertoD des Ganzen wenig palst.]
482 Verzeichnis der eingelaufenen Drnckschiiften.
Taine, H., Sa vie et sa correapondanoe. Tome IIL L'HlstorieD
(1870—75). 2*"« Edition. Paris, Hachette, 1905. 364 8. [Vgh Arckü
CXI II, 492. Dieser dritte Teil führt bis zu der Zeit, da Taine den ersten
Band seiner Originet, das Anden rigime, hatte erscheinen laseen (Dezein-
ber 1875). Er umfa&t die Zeit des eroläen Krieges und der Kommune.
seine Beise nach £nRland, die Jahre nistorischer Torschung in ChAtenay
und in Menthon-St-Bemard. Die LektOre der etwa 150 Briefe — nur
wenige sind an ausländische Korrespondenten, wie 6. Brandes, Max Müller
oder Genfer Professoren, gerichtet — ist vom hödisten Intereese, ebenso
wie die Notizen (p. 296 — 357), die sich Taine während der Vorbereilnageii
seines groüsen Werkes gemacht hat. In den herben Urteilen über deutsche
Literatur und Forschung wirkt die durch 1870 g»chaffene Abneigung
deutlich nach. Ein vierter Band wird den Schluls bringen.]
Sammlung französ. und enfl^cher Schulausnben. Prosateura fnn-
(ais, K'' 157; 159—61; 163— 65 ; Th^ätre fran^ab, ^T«» 71. Jedes Bändcbeo
geb., mit einem Heft deutscher Anmerkungen. Bielefeld u. Leipzig, Vd-
agen & Klasing, 1905 u. 1906:
L Prosateurs:
157. Pages choisies par [sicl] Alfred de Musset In AusKÜgen mit An-
merkungen für den Schulgebrauch hg. von R B. Busse IL VI,
105 S. M. 1.
159. Morceaux choisis des oeuvres de J.-J. Rousseau. Für den Schul-
gebrauch ausgewählt und mit Anm. yersehen von Dr. E. Rudolph.
XIV, 128 S. M. 1,20.
160. Histoire de France p. A. Monod. [Der junge französische Histo-
tiker hat .hier die Geschichte seines Landes auf 175 Sdten in ge-
schickter Übersicht für deutsche Schuld dargestellt und noch 40 Seiten
'Lectures' aus berühmten Historikern hinzufügt Der Band ist
mit zwei Karten von Frankreich versehen, doch ohne Anmerkungen.]
VI, 224 a M. 1,4U.
161. Campagne de 1806 — 1807 par P. Lanfrey. Auszug aus Hist de
Napoleon I^'. Mit Anmerkungen und zum Schulgebrauch hg. und
erklärt von K. Beckmann. Mit 6 Übersichtskärtohen. XI, 122 S.
M. 1,30.
163. La petite Fadette par G. Sand. Mit Anm. zum Schulgebiauch hg.
von M. Rosenthal. XL 118 S. M. 1,20.
164. Contes du soir par A. Chatelain. Zum Schulgebrauch ausgewählt
und erklärt von Prof. Dr. K. Sachs. IV, 116 S. M. 1.
165. Histoire de la r^volution fran^aise depuis 1789 jusqu'ä la mort
de Robespierre par Th. H. Barrau. Für den Schulgebrauch aus-
gewählt und erklärt von Fr. Petzold. Mit einer Karte von Frank-
reich, einem Plan von Paris und einem Personenverzeichnis. 163 S.
M. 1,30.
IL Thöätre:
71. La Samaritaine par E. Rostand. Mit Anm. zum Schulgebrauch hg.
von Th^rfese Kempf. XXVI, 82 S. M. 1.
Velhagen u. Klasinss Sammlung franz. u. engl. Schulausgaben. Re-
formausffaben mit fremasprachl. Anmerkungen. N^ 11, 13 u. 14. Biele-
feld und Leipzig 1905 u. 1906.
11. Choix de nouvelles modernes. Contes d'^crivains francais contem-
porains. Edition ä Tusage des ^coles annot^ par J. Wychgram.
Ed. fran^aise p. R. Riegel. Tome I. A. Daudet, H. de Bomier,
A. Theuriet, Maupassant, P. Ar^ne. VI, 73 S. M. 0,80.
13. Onze r^cits tir^ aes Lettres de mon moulin et des Contes du lundi
p. A. Daudet. Extraits accompagn^ d'une introduction et de uoW
en fran9ais, publik ä Tusage des classes p. J. Wychgram. Tra-
duction et revision p. G. Dausac. VII, 77 S. M. 0,90.
L
Verzeiduis der eingelaufenen Druckschriften. 483
14. L'Ayare, com^ie en 5 actee p. Moli^re. Edition ä Tusage des Cooles
p. W. Schef fler et J. Com d es. Biographie et notice p. R. Riegel.
Avec 3 illustrations. XVIII, 99 S. M. 0,90.
Mar t. Hartmanns Schulausgaben französischer Schriftsteller. N^12:
X^& Fontaine, Ausgewählte Fabeln, mit Einleitung und Anmerkungen
h.g. von M. F. Mann. Zweite verb. Auflage. Leipzig, Dr. P. Stolte, 1905.
X!x:iII, 52 S. Anmerkungen 77 S. Geb. M. 1.
Le Bourgeois, F., Manuel des chemins de fer. Karlsruhe, J. Biele-
feld, 1906. XI, 162 S. Geb. M. 2,80. TDer Verfasser, Lektor an der
Kölner Handelshochschule, stellt hier in üoersichtlicher Weise, auch mit
Uilfe von Planskizzen, das deutsche (preulsiscbe) Eisenbahnwesen dar,
xkm den deutschen Eisenbahnbeamten und Kaufmann in die französische
Terminolo^e einzuführen. Vom Verkehrswesen Frankreichs, Belgiens und
<ier Schweiz ist in einem Anhang die BedeJ
Kuhn, K., und CharMty, S., La France litt^raire. Extraits et
histoire. Zum Schulgebrauch h^., mit einem Plan von Paris, einer Karte
«ier Umgebung yon Paris und emer Karte von Frankreich. Bielefeld und
Leipzig, Velhaffen & Klasine, 1906. VIII, 376 S. Geb.
Französische und englisdie SchulbibUothek, hg. von Otto E. A. Dick-
mann. Reihe A: Prosa. Französisch. Nr. 150 und 151. Leipzig, Renger-
8che Buchhdlg., 1906:
150. P^cheur d'Islande von P. Loti. Ffir den Schulgebrauch erklärt
von Otto E. A. Dickmann. VIII, 103, 9 (Anm.) 8.
151. La Guerre 1870 — 71 von Chuquet Im Auszug. Für den Schul-
gebrauch erklärt von K. Quossek. Mit 5 Kartenskizzen im Text
und 5 Karten im Anhang. VIII, 114 S.
Jullian, C, Verkjngetorix. Von der Acad^mie gekrönt (Grand prix
Gobert). 2. Auflage. Übersetzt von Dr. H. Sieglerschmidt, Prof. im
Kadettenkorps. ]£t 11 Karten und 5 Illustrationen. Glogau, C. Flem-
ming [1906]. XII, 329 S. Geh, M. 3. [Eine gute Übersetzung des ganzen
Werkes, von dessen Urschrift der nämliche Bearbeiter vor zwei Jahren
eine verkürzte Schulausgabe geliefert hat, worüber Archiv CXIII, 461
referiert ist. Die Ausstattung ist vortrefflich.]
VioletA Sprachlehmovellen : La lutte pour la vie. Nouvelle, syst6-
matiquement r^di^^e pour servir ä l'^tude de la langue pratique, des
moeurs et des institutions franyaises ä l'usage des ^coles et de l'enseigne-
ment priv^ p. L. Lagard e. Avec un appendice: notes explicatives. Stutt-
gart, W. Violet, 1906. VIII, 144 S.
Biblioth^que franyaise ä l'usage des classes. Leipsic et Berlin, B. G.
Teubner, 1906:
Le verre d'eau ou les effets et les causes par E. Scribe. Ed. accom-
pagn^e d'un commentaire et d'un questionnaire-r^p^titeur p. J. De-
l&ge. X, 14U S. (Einleitung, Text, Wörterbuch), 82 S. (Notes et
r^p^titeur). ^Geb. M. 2.
Französische Übungsbibliothek Nr. 19: Paul Heyse, Im Bunde der
Dritte, Charakterbild in einem Akte (1883). Zum Übersetzen aus dem
Deutschen ins FranzÖBische bearbeitet von A. Brunnemann. Dresden,
Ehlermann, 1906. VII, 61 S. Geb. M. 0,80.
Hagen, Dr. P., Wolfram und Kiot. S.-A. aus der Z8. f. deutsche
PhHologu Band o8, Heft 1 und 2. Halle a. S., Buchhdlg. des Waisen-
hauses, 1906. 78 S.
Farinelli, A., Voltaire et Dante. S.-A. aus den * Studien xur vergl.
Literaturgeschichte. Berlin, Duncker, 19u6. 116 S. [In eingebenden, von
einem reichen — ja nur zu reichen — Apparat von Anmerkungen beglei-
teten Ausführungen stellt F. in diesem neuen Ausschnitt aus seinem
'Dante in Frankreich' dar, wie Voltaires ablehnendes Urteil über Dante
das Urteil seiner ganzen Zeit ist, der Zeit der klassizistischen biensSance,
484 YerzeichniB der eingelaufenen DnickBchrifteo.
Wenn fiber Voltaires Wort ein beBonderer Kampf entbrannte, so Ibz das
nidit daran, dafs er zuerst oder gar allein Dante verwarf, sondern daran,
dafs es Voltaire war, dessen scharfe Stimme besonders weit trug. Da«
wuIste man schon früher. Farinelli setzt es durch seine in die Tiefe und
in die Weite gehenden Forschungen in neues Licht; er deckt neue Zu-
sammenhänge auf, zeigt neue überraschende Perspektiven und gestaltrt
das Ganze zu einem fesselnden Kulturbilde.]
Morel, L., 'Hermann et Doroth^' en France. E^trait de la BeoM
d*hut. lütSraire de la Francey d'octobre — d^mbre 1905. Paris, A. Colio,
1906. 36 S.
Schoop, H., Eine Studentenkomödie Friedrichs des Grolsen. Gen^e,
Impr. du JoumflJ de Gen^ve, 1906. 25 S. FBchandelt die Posse L'eeoie
du monde, in welcher der König die Unterricntsmethode der üniveDsitateo
verspottet]
Grein, H., Die *Idvlles Prussiennes' von Th. de Banville. £^ Bei-
trag zur Geschichte der Kriegspoesie von 1870/71. Beilage zum Ja^resber.
des RecUaymn, xu Neunkirehm, Ostern 1906. 50 S. [Eine hübsche Cha-
rakteristik der fünf Dutzend 'Idyllen', die als Getegenheitsdichtangn}
1870/71 im belagerten Paris entstanden sind.]
Massis, EL, Comment Emile Zola oomposait ses romans. D'apr^
ses notes personnelles et in^ites. Paris, Charpentier, 1906. XII, 346 8.
[Diesem höchst interessanten Buche dienen als Grundlage die Handschriften
Zolas, welche die Witwe der Nationalbibliothek geschenkt hat (91 Quart-
bSnde). An den Manuskripten und Korrekturbogen der Romane und dem
Konvolut 'Notes et extraits divers' lafst sich Zolas Arbeitsweise von den
ersten Planen und Entvrürfen bis zur Vollendung eines Werkes studieren :
der Mann, der so rastlos und unermüdlich doeuments hutnains zusammen-
trug, um in die Gehdmnisse des Menschenlebens einzudringen und die
'Naturgeschichte' einer Familie zu schreiben — dieser Mann hat selbst
aus seinem Leben kein Geheimnis gemacht und die doeuments humains.
die ihn selbst betreffen, den anderen geliefert. Man weifs, wie er sein
Ich dem Arzte Toudouze zu experimentellen Untersuchungen rückhalclo?
überlassen hat (1896) mit der ganzen unerschütterlichen Sirlichkeit und
jener Furchtlosigkeit seines Wesens, die nicht einmal die Ladierlichkeit
scheut. In den mnterlassenen Papieren der Nationalbibliothek breitet er
seine Arbeitsweise aus, völlig unbekümmert darum, ob der Vorwurf des
Plagiats, der ja früh ge^n 3m erhoben wurde, dadurch weitere Nahrung
finoe oder nicht. Zola ist auch hier nur auf Wahrheit erpicht. Diese
unbesiegbare Wahrheitsliebe ist der eindrucksvollste Zug an der impo-
nierenden Gestalt dieses Mannes. So stellte er der Nachwelt selbst das
Material zur Verfügung, um die 'Naturgeschichte' des Künstlers Zola zu
schreiben, und er, der immer wieder erklärte, dafs faire de la vie sein
Künstlerberuf sei {ma fonetion e'est de faire de la vie)^ er setzt selbst den
Arzt und den Historiker in Stand de faire sa vie, — Das Buch Massis'
ist also nach Inediten gearbeitet, druckt vieles daraus ab, auch kleine
Zeichnungen, Skizzen von Quartieren, Gebäuden, und teilt so sehr viel
neues Detail mit, ohne indessen den Anspruch zu erheben, uns einen
neuen, bisher unbekannten Zola zu zeigen. Das Neue und überaus Fes-
selnde des Buches liegt darin, dafs es den Mikrokosmus des Schaffens
Zolas aufweist, dafs wir ihn an hundert charakteristischen Punkten an
jener Arbeit sehen, deren grofse Züge uns ja längst vertraut sind. Massis
stellt in einem ersten Teue das Werden des ganzen Bougon-Macquart-
Planes dar und behandelt dann speziell die Entwickelungsffeschichte des
Assommoir. Er bestätigt dabei ausdrücklich, wie sehr der Naturalist
Zola, sobald er vom Sammeln der Dokumente zur eigentlichen Gestal-
tung über geht, Romantiker wird — er, der die Romantiker so sehr ver-
abscheute.]
Vendchnis der eingeliiiifeDeii DruckschrifteD. 485
MoisisovicB, Dr. £. yon, Metrik und Sprache Butebeufs. Heidel-
berg, Winter, 1906. 71 S.
Roche, Ch. de, Lee noms de lieu de la vall^e Montier- Grand val
(Jura bemois). Etüde toponomastique (Zürcher Inauguraldissertation).
Salle 1906. 47 S. [Auch erschienen als Beiheft IV zur Zeüschrifl für
romanische Philologie, Eine tüchtige Arbeit über die Orts- und Flur-
namengebung (600 verschiedene Namen) der jurassischen Heimat des
Verfassers.]
Cornu, J., Fhon^tique fran^aise: Chute de la voyelle finale. S.-A.
aus den MSlanges öhabaneau. Erlangen, Junge [1906].
Schläger, Dr. G., Sprechübungen im neusprachlichen Unterricht.
Programm der Realschule Oberstein-rdar. 1906. 13 S.
Kicken, Dr. W., Französisches Gymnasialbuch für den Unterricht
bis zum Abschluis der Untersekunda. Auf Grund der preufsischen Lehr-
pläne von 1901 für gymnasiale Anstalten mit deutscher Unterrichtssprache.
2. verb. Auflage. Berlin, Chemnitz, Leipzig, Gronau, 1905. IV, 263 S.
(vgl. Archiv CXlV, 465).
Alge, S., und Rippmann, W., Legons de fran^ais bas^s sur les
tableaux de Hölzel. Ftemi^re jpartie. Neuvi^me Edition enti^rement re-
fondue avec quatre tableaux. §t-Gall, Fehr; Leipzig, Brandstetter, 1908.
197 S. Geb. M. 1,80.
Alge, S., Lecons de fran^ais. Deuzi^me partie. Neuvi^me Vitien
enti^rement refondue. St-Gall, Fehr; Leipzig, Brandstetter, 1903. 217 S.
Geb. M. 1,80.
Alge, 8., Lezioni d'italiano. Leitfaden für den ersten Unterricht im
Italienischen. Unter Benutzung von Hölzeis Wandbildern für den An-
schauunes- u. Sprachunterricht. Mit 4 Bildern. 3. Aufl. St. Gallen, Fehr;
Leipzig, Brandstetter, 1904. VIII, 1:>9 S. M. 2. [Über die zweite Auflage
des französischen Leitfadens ist hier LXXXVII, 382 und über die erste des
italienischen C, 467 empfehlend gesprochen worden. Seither haben Alges
Lehrmittel weite Verbreitung gefunden, und er selbst hat sich in W. Kipp-
mann und S. Hamburger eifrige und selbständige Mitarbeiter beigesellt.
Alges Unterrichts werk ist ohne Zweifel von allen Lehrbüchern der induk-
tiven Methode das am konsequentesten durchgebildete. In langer Unter-
richtserfahrung sind die einzelnen Teile (Aussprache, Lautschrift und Über-
gang zur historischen Rechtschreibung, Wortschatz, zusammenhängendes
Sprechen, Grammatik) ineinander gearbeitet und zusammengeschweifst
worden, so dafs ein Lehrbuch von scharf geprägter Einheitlichkeit, ein
Werk aus einem Gusse, entstanden ist. Es gibt insbesondere keinen Leit-
faden, der die Gewinnung des Wortschatzes unter solcher Eontrolle hält
und so systematisiert, wie es die Lecons Alges tun. Seine Unterrichts-
erfahrung hat Alge auch theoretisch in einer Reihe von Schriften zur
Methodik des Sprachunterrichts niedergelegt, die reiche Anregung bieten
und die z. B. den Übergang zur Orthographie so lehrreich behandeln, wie
ich das sonst nirgends geuinden. Es ist deshalb sehr willkommen, dals
er den Inhalt dieser zerstreuten Broschüren in neuer Form zusammen-
gefaist hat in
Alge, S., Methode d'enseignement du fran9ais et commentaires aux
'Lebens de franyais', I^^"" partie. M. 1,20. — Oommentaire aux 'Le9ons
de francais^ II*' partie. M. 0,80,
die im nämlicnen Verlage erschienen sind.]
Plattner, Ph., Ausführliche Grammatik der französischen Sprache.
Eine Darstellung des modernen französischen Sprachgebrauchs mit Be-
rücksichtigung der Volkssprache. IL Teil: Ergänzungen. Drittes Heft:
Das Verbum in syntaktischer Hinsicht. Karlsruhe, J. Bielefeld, 1906.
155 S. M. 2,60.
486 VerzdchniB der dngelaiifeDeii Druckichriften.
Bathe,J., Die moralischen EnBenhameiiB im AltprovoizaliBcbeo. £^
Beitrag zur ErziehuDgs- und Sitten^ieschichte SüdfranKreichs. Belage znsi
Jahreeber, über das Gymnasium zu Warburg, Ofitem 1906. 29 S. [Vgl
die Arbeit des nämlichen YerfasserB hier OXIII, 394. In diesem Pr<>
framm charakteriBiert und analysiert er trefflich die neun ensenhamem,
ie er hier 8. 598 au/zählte.]
Wendel, H., Die Eutwickelune der Nachtonvokale aus don Latd-
nischen ins Altprovenzalische. (Tübinger Inauguraldissertation.) Halle,
£. Karras, 1906. 122 8. [Die Arbeit erscheint gut disponiert und om-
sichtig auseeführtj
Appel, C, Zur Metrik der Sancta Fides. S.-A. aus den Müanga
Chabaneau 8. 197—204. Erlangen, Junge [1906].
D'Ancona,A., La poesia popolare italiana. Studj . Seconda edizione
accresduta. Livorno, R. Qiusti, 1906. VIII, 572 8. Lire 5. [Vor 28 Jahren
sind diese schönen 8tudien zur lyrischen Volksdichtung Italiens zum
erätenmal ausgegeben worden. Heute erscheinen sie zum zweitenmal, dc^m
nämlichen Freunde und Mitforscher, C. Nigra, gewidmet. Das Buch ist
von dem neuen Verleger im Text etwas freier, in den Anmerkungen enger,
in den Tavole übersichtlicher gedruckt. Text und Anmerkungen hahes
vom Verfasser reiche und sorgfältige Vermehrung erfahren, doch ist in-
haltlich das treffliche Werk dasselbe geblieben, so, wie es uns nnn seit
langen Jahren vertraut ist. Die Strambotti des Leon. Giustiniani sind
aus dem zweiten Bande des Giomale di filologia ronumxa (1879) als An-
hane hinzugekommen ^8. 543 — 61)., worauf 8. 159 Anm. 4 hatte yerwiesen
werden soUen. — Leiaer fehlt auch diesem Neudruck ein Sachindex, ja
es fehlt wieder jedes Inhaltsverzeichnis, so dafs die Orientierung in den
zwölf Kapiteln des Buches, die zudem keine Titelüberschriften tragen, in
keiner Weise leichter gemacht ist. Die elf auf die Einleitung folgenden
Kapitel behandeln: II. Die Beste der Volkspoesie des Dugento; ifi. Die
florentinische 8chule des Dugento; IV. Die politische Poesie von 1300 — 135(»:
V. Die lyrisch-epische Poesie der Ballata* etc.; VI. Bispetti, Strambotti
des Quattrocento; VII. Die Gemeinsamkeit der ital. Volkspoesie; VIII. Ihre
Verschiedenheit; IX. Ihr Ursprung (Sizilien); X. Die drei Typen (siz., tosk.,
oberital.); XI. Berührung von VoTkspoesie und Kunstpoesie; XII. Kunst-
poetische Quellen der volkstümlichen Dichtung.]
Tor res, G., Pensieri di Goethe e Lichtenberg, scelti e tradotU. Ve-
rona-Padova, Fratelli Drucker, 1906. XI, 119 8. Lire 2,50.
Del Vecchio, A., Commemorazione di Au^sto Franchetti con la
bibliografia de' suoi scritti. Firenze, tipogr. Gableiana, 1906. 115 8.-1.
rpiese mit dem Bilde Franchettis geschmückte Oofnmemorax4one ist die
Bede, mit der Del Vecchio das Wintersemester des R, MhUo di Sdavu
Sociali zu Florenz eröffnete, und mit der er dem letztes Jahr allzufrüh
geschiedenen Freund und Kollegen ein schönes Denkmal setzt. Franchetti
gehörte zu den italienischen Gelehrten, die Forscher und Künstler zu-
gleich sind, und auf deren unermüdliche und fruchtbare Arbeit man mit
Bewunderung blickt.]
Teubners kleine Sprach bücher. III. Italienisch, l. Tdl: Lezioni ita-
liane, prima parte. Kurze praktische Anleitung zum raschen und sicheren
Erlernen der italienischen Sprache für den mündlichen und schriftlichen
freien Gebrauch von A. Scanferlato. Dritte verb. Auflage. Büt einer
Karte von Italien. Leipzig, Teubner, 1906. VI, 254 8. Geb. M. 2,40.
* Hier fehlt zam Reigenlied der Bele AoUm (p. 99) der Verweis auf Qaitoa
Paris' Arbeit {MeUmgu Wakhmd, 1896, 1 — 12).
Veneichnis der dngelanfenoD Druckschriften. 487
Methode TouBsaint-Langenscheidt Brieflicher Sprach- und
Sprachunterricht für das Selbststudium der italienischen Sprache von
Dr. H. Sabersky, unter Mitwirkung von Prof. G. Sacerdote. Berlin,
Lanffenscheidt. Brief 3b (letzter); Beilage III— VII; Sachregister zu M. 1.
Hecker, O., II ^iccolo Italiano, manualetto di lingua parlata ad uso
degli Studiosi forestien compiiato sugli argomenti principali della conver-
sazione d'ogni giorno e corredato dei segni per la retta pronunzia. Seconda
ediz. notevolmente accresciuta ed in gran parte rifusa. Karlsruhe, J. Biele-
feld, 190(5. XII, 240 S. Geb. M. 2,5ü; dazu: Modo di servirsi deiPiceolo
Itttliano, 11 S., M. 0,20. [Das treffliche, bis in alle Einzelheiten genau
gearbeitete Hilfsmittel der wirklichen toskanischen Lingua farlcUa nsX in
dieser Neuauflage eine vollige Durch- und Umarbeitung erfahren.]
BuUetin hispanique VIII (1906), l [H. de La Ville de Mirmont, Oic^-
ron et les fispagnols (suite et fin). — A. Morel- Fatio, D. Bernardino de
Mendoza, I. La vie. — 0. P^rez Pastor, Nuevos datos acerca del histrio-
nismo espaftol en los siglos XVI y XVII (segunda serie). — F. Strowski,
Un contemporain de Montaigne: Sanchez le ^eptique. — G. Cirot, Docu-
ments sur le faussaire Hisuera. — Bibliographie. — Chroniquel. VIII, 2
[A. Mesquita de Figueireoo, Buines d'antiques Etablissements a salaisons
sur le litteral sud ou Portugal, avec gravures. — J. Saroihandy, Un saint
bordelais en Aragon. — A. Morel-Fatio, D. Bern, de Mendoza, II. Les
Oeuvres. — C. PErez Pastor, Nuevos datos acerca del histrionismo espailol
en los siglos XVI y XVII (suite). — A. Paz v Melia, Gartapacio de dife-
rentes versoe ä diversos asuntos, compuestos o recogidos por Mateo Rosas
de Oquendo. — H. MErimEe, Un romance de Carlos Boyi. — G. Cirot,
Kecherches sur lee Juifs espagnols et portugais ä Bordeaux, I. Les vestiges
de l'espagnol et du portugais dans le parier actuel des Juifs bordelais. —
Varietes: S. Cirot, Des noms et des pr^noms. — C. Pitollet, 'Toujours
perdrix'. — Questions d'enseignement. — Bibliographie. — Chronique].
Morel-Fatio, A., Etudes sur lEspagne. Deuxi^me s^ria Deuxi^me
Edition revue et corrieEe. Paris, Champion, 1906. XVI, 429 8. Frs. 6.
[Die drei Bände der 'spanischen Studien' Morel Fatios sind hier CXIV,
257 erwähnt worden. Nun ist auch das zweite Stück der Serie in neuer
Auflage erschienen, betitelt: Orands ä^Espagne et peius prinees aUemands
au XvIII' siMe d'aprks la eorrespondance inedüe du comte de Feman
Nunex avec le prtnee Emmanuel de Salm- Salm et la duehesee de Befar, ein
lebensvolles Kulturbiid aus der spanischen Gesellschaft der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts mit vielen Ausblicken auf die Zustände der anderen
Länder, besonders auf die französischen und deutschen. FamiUengeschidite,
Literatur, Diplomatie, Kriegswesen, Hofleben, Reisen — überall finden wir
Interessantes und Charakteristisches. Man begegnet Voltaire und Dalem-
bert, hört vom Marquis de Mora und vernimmt einen bewundernden Be-
richt über Friedrichs IL Kavalleriemanöver im Vergleich zur spanischen
B«iterei. Das lan^e Namenregister zeift, durch welche Galerie oerühmter
und vergessener Zeitgenossen der Vert. an der Hand der gräflichen Kor-
respondenz und mit seiner eigenen bewundernswerten Detailkenntnis uns
führt. Es ist das Spanien der Zeit Karls III., die Zeit des Kampfes zwi-
schen den Ideen der französischen Aufklärung und der altspanischen Tra-
dition. — Die neue Auflage verrät auf jeder Sdte die sor^ältig nach-
bessernde Hand des Verfassers. Das Buch ist mit den Hinweisen auf
die neuesten Arbeiten versehen, U]^^ da inzwischen F. Nuftez' Bericht über
die Expedition nach Algier von \'^nf) veröffentlicht worden ist, so ist das
siebente Stück des inhaltsreich^Y^ Aühs^S^ y^^ weggelassen. — Man
kennt das Spanien der Bourboi^Ä^ vnUiß^ noc\i verbaUniBmäfeig wenig --
um so willkommener ist ein a^?^ ^^ QneTScYmltt dvirch sein Leben, wie
4B8 Verzeichnis der angelaufenen Druckschiiften.
ihn dieses treffliche Buch bietet, das auch deutschen Lesern sehr emfiloh-
len sei.]
Violets Echos der neueren Sprachen: Eco de Madrid. GonTerBad6ii
espafiola moderna (Paliques). Unterhaltungen über alle Gebiete des mo-
dernen Verkehrs in spanischer Sprache (spanische Plaudereien) von P. de
Mugica 7 Ortiz de Zärate.. Achte, völlig neu geschriebene Auflage.
Stuttgart, W. Violet, 190(5. VIII, 175 S. mit spanisdi-deutschein Wörter-
buch, 42 S. Geb. M. 3,50.
Puscariu, Dr. S., Etymologisches Wörterbuch der mmäniacheD
Sprache. I. Lateinisches Element mit Berücksichtigung aller rom&nischefi
Sprachen (Sammlung roman. Elementarbficher, hg. von W. Meyer- Lübke,
III. Reihe: Wörterbücher I). Heidelberg, Winter, 1905. XV, 235 S.
Geh. M. 6. [Dieses etymologische Wörterbuch des lateinischen Ele-
mentes des Rumänischen illustriert, im Vergleich mit Gihacs Dictionnairt
(1870) — der für seine Zeit eine treffliche Leistung war — , die neue Rich-
tung und den Fortschritt der sprachgeschichtlichen Forschung überhaupt
und der rumänischen Linguistik im besonderen. Während sich Oihac ao^-
schiiefslich an die Schriftsprache hielt und viele blol^ Buc^wörter auf-
nahm, legt P. die lebende Sprache zugrunde und berücksichtigt neben
dem Hocnru manischen auch Sonderformen der dakorumänischen Mund-
arten, sowie das Rumänische der westlichen und südlichen Diaspora:
Istrorumänisch, Makedorumänisch und Meglenitisch. Über seine Grund-
sätze spricht er sich in der Vorrede ebenso bestimmt wie bescheiden aus,
und diesen Grundsätzen — denen man gern zustimmen wird — gemäiV
ist das Buch sorgfältig und sachkundig gearbeitet So ist ein vortreff-
licher Führer entstanden, und es ist nicht sein geringstes Verdienst, dafs
er durch gewissenhafte Anführung der als sicher bekannten romanischeD
Entsprechungen auch zum erstenmal ein ungefälures Bild von der Ver-
wandtschaft des Rumänischen mit den übrigen roman. Idiomen gibt.]
Boyer, P., et Sp^ranski, N., Manuel j^ur T^tude de la langae
russe. 'rextes accentu^s, commentaire grammatical, remarques diverses en
appendice, lexic^ue. Paris, A. Colin, 1905. XIV, 386 8. Fr. 10.
Lan genscheid ts Taschenwörterbuch der russischen und deutschen
Sprache, Methode Toussaint-Langenscheidt, von Karl Blattner. Berlin,
Langenscheidt, 1906. 972 S. Geb. M. 3,50.
von Eawrayskv, Russische Handelskorrespondenz für Anfänger
[de Beaux' Briefsteller für Kaufleute. Erste Stufe, B. 51. Ldpzig, Gtöscheo,
1906. VII, 195 S. Geb. M. 1,30.
Cram, Ralph Adams, Impreesions of Japanese architecture and the
allied arts. London, Laue, 1906. 228 S.
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