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Archiv für Entwicklungsmechanik
der Organismen
HARVARD UNIVERSrry
1
mmm
HARVARD COLLEGE
SCIENCE CENTER
LIBRARY
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ARCHIV
FOR
ENTWICKLUNGSMECHANIK
DER ORGANISMEN.
HERAUSGEGEBEN
WILHELM ROUX,
O. ö. PROFESSOR DER ANATOMIE IN HALLE A/D 8.
ZWEIÜNDZWANZIGSTER BAND.
MIT 17 TAFELN UND 92 TEXTFIQUREN.
LEIPZIG
VEBLAa VOK WILHEIilC EKGELMAKir
1906.
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Inhalt des zweiundzwanzigsten Bandes.
Erstes und zweites Heft.
AuBfl^egeben am 16. Oktober 1906.
Seite
ISAAK Wkebeb, Regeneration der Kiefer bei Beptilien und Amphibien. (Mit
Taf. I u. n.) 1
Raoul Biberhofer, über Regeneration bei Ämphioxus laneeokUua. (Mit
2 Fig. im Text) 16
Kahil Rogacki, Experimentelle Flossenregeneration bei europäischen Süß-
waßserfisohen. (Mit Taf. III.) 18
Otto Grosser und Hans Przibram, Einige Mißbildungen beim Domhai
{Äeanikias vidgaria Rimo). (Mit Taf. IV und 3 Fig. im Text.) ... 21
JoYAN Hadzi, Vorversuche zur Biologie Ton Hydra, (Mit 7 Fig. im Text.) 38
PaX7L Kammerer, Experimentelle Veränderung der Fortpflanzungst&tigkeit
bei Oeburtshelferlcröte [AJytes ohstetrieans) und Laubfrosch [Hyla
arborea). (xMit Taf. V.) 48
Franz Megusar, Einfluß abnormaler Gravitationswirkung auf die Embryonal-
entwicklung bei Hydrophüus aterrimus Eschscholts. (Mit 3 Fig. im
Text) 141
Hans Przibram, Aufzucht, Farbwechsel und Regeneration einer ftyptischen
Gottesanbeterin [SphodromwrUia hioctdata Burm.) (Mit Taf. VI— IX.) 149.
Hans Przibram, Kristall- Analogien zur Entwicklungsmechanik der Organis-
men 207
Drittes Heft.
Ansgefl^eben am 6. November 1906.
J. Ost, Zur Kenntnis der Regeneration der Extremitäten bei den Arthro-
poden. (Mit Taf. X— XII u. 8 Fig. im Text.) 289
A. Brächet, Recherches exp^rimentales sur Toeuf non segment^ de Bana
fusea 325
SCHÜCKINO, Sind Zellkern und Zellplasma selbständige Systeme? 342
Gustay Tornier, Kampf der Gewebe im Regenerat bei Begünstigung der
Hautregeneration. (Mit 23 Fig. im Text) 348
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IV
Seit«
0. POMMER, Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Wachstums im
Bereiche angeborener Defekte nebst einschlägigen Bemerkungen über
Inaktivitätsatrophie der Knochen in der Wachstumsperiode auf Grund
der Beschreibung des Rumpfskeletes eines Erwachsenen mit lateraler
Thoraxspalte. (Mit Taf. XIII.) 370
Harby Marcus, Über die Wirkung der Temperatur auf die Furchung bei
Seeigeleiern. (Mit 5 Fig. im Text.) 446
Viertes Heft.
Aosfl^egeben »m 11. Dezember 1906.
Gustav Tornier, Der Kampf der Gewebe im Kegenerat bei Mißverhalten
des Unterhautbindegewebes. (Mit 9 Fig. im Text) 461
CuRT Herbst, Vererbungsstudien. IV. Das Beherrschen des Hervortretens
der mütterlichen Charaktere (Kombination von Parthenogenese und
Befruchtung). (Mit Taf. XIV.) 473
Alfred Fischel, Über Bastardierungsversuche bei Echinodermen. (Mit
22 Fig. im Text.) '. 498
Alfred Fischel, Zur Entwicklungsgeschichte der Echinodermen. I. Zur
Mechanik der Zellteilung. II. Versuche mit vitaler Färbung. (Mit
10 Fig. im Text.) 626
Victor E. Emmel, The Regeneration of Two »Crusher-Claws« following the
amputation of the Normal Asymmetrical Chelae of the Lobster [Homarus
americcmus). (With Plate XV.) 642
T. H. Moegan, The influence of a Strong Centrifugal Force on the Frog^s
Egg. (With Plate XVI and XVII.) 668
H. B&Aus, Über das biochemische Verhalten von Amphibienlarven 664
Otto Maas, Über die Einwirkung karbonatfreier imd kalkfreier Salzlösungen
auf erwachsene Kalkschwämme und auf Entwicklungsstadien derselben 681
Literatur 600
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\^^^\
ARCHIV
FOR
ENTWICKLUNGSMECHANIK
DER ORGANISMEN.
HERAUSGEGEBEN
WILHELM ROUX,
O. Ö. PROFESSOR DER ANATOMIE IN HALLE «/». 8.
ZWEIÜNDZWANZIGSTER BAND.
ERSTES UND ZWEITES HEFT.
MIT 9 TAFELN UNO 15 TEXTFIQUREN.
AU8GE6EBEN AM 16. OKTOBER 1906.
^LEIPZIG
VEBLAG VOK WILHELM ENQELMAKN
1906.
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Das
Archiv für Entwicklungsmechanik der Organismen
steht oflFen jeder Art von exakten Forschungen über die „Ursachen'^ der
Entstehung, Erhaltung und Rückbildung der organischen Gestaltungen'*').
Bis auf weiteres werden auch kritische Referate und zusammen-
fassende Übersichten über andern Orts erschienene Arbeiten gleichen
Zieles, sowie Titelübersichten der bezüglichen Literatur aufgenommen.
Das Archiv erscheint zur Ermöglichung rascher Veröffent-
lichung in zwanglosen Heften sowohl in bezug auf den Umfang, wie
auch auf die Zeit des Erscheinens; mit etwa 40 Druckbogen wird ein
Band abgeschlossen.
Die Herren Mitarbeiter erhalten unentgeltlich 40 Sonderdrucke
ihrer Arbeiten; eine größere Anzahl Sonderdrucke wird bei Voraus-
bestellung gegen Erstattung der Herstellungskosten geliefert, unter
der Voraussetzung, daß die Exemplare nicht für den Handel be-
stinmit sind. Referate, Besprechungen und Autoreferate werden
mit M 40. — für den Druckbogen nach Abschluß des Bandes honoriert.
Die Zeichnungen der Textfiguren sind im Interesse der
rascheren Herstellung womöglich in der zur Wiedergabe durch
Zinkätzung geeigneten Weise auszuführen**). Die Textfiguren sind
vom Texte gesondert beizulegen; an den Einfügungsstellen im
Texte sind die Nummern der bezüglichen Figuren anzubringen. Sind
die eigentlich für den Text bestimmten, in linearer bzw. punk-
tierter Manier hergestellten Figuren sehr zahlreich, so werden sie
besser auf Tafeln beigegeben. Tafeln sind in der Höhe dem
Format des Archivs anzupassen; für jede Tafel ist eine Skizze über
die Verteilung der einzelnen Figuren beizufügen.
Die Einsendung von Manuskripten wird an den Herausgeber
erbeten.
Der Herausgeber: Der Verleger:
Prof. Dr. Wilh. Roux, Wilhelm Engelmann,
Halle */d. S. (Deutschland). Leipzig.
*) Den in nichtdeutscher: in englischer, italienischer oder franzö-
sischer Sprache zu druckenden Originalabhandlungen ist eine kurze Zu-
sammenfassung der Ergebnisse, sei es in der Sprache des Originals oder in
deutscher Sprache beizufügen.
**) Dies geschieht in linearer bzw.punktierterZeichnungmit tief schwarzer
Tinte oder Tusche, kann aber leicht auch durch nachträgliches Überzeichnen der
Bleistiftzeichnung mit der Tuschfeder hergestellt werden. Wer jedoch im
Zeichnen mit der Feder nicht geübt ist, kann die einfache Bleistiftzeichnung ein-
senden, wonach sie von technischer Seite überzeichnet wird. Die Bezeichnungen
(Buchstaben oder Ziffern) sind bloß schwach mit Bleistift einzutragen, sofern sie
der Autor nicht kalligraphisch herzustellen vermag. Anweisungen für die
Herstellung wissenschaftlicher Zeichnungen zu Teztfiguren mit Aus-
führungen über die einzelnen Herstellungsarten und Proben derselben stellt die
Verlagsbuchhandlung den Herren Mitarbeitern gern unentgeltlich zur Verfügung.
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ARCHIV
fOr
ENTWICKLUNGSMECHANIK
DER ORGANISMEN.
HERAUSGEGEBEN
WILHELM ROUX,
O. ö. PROFESSOR DER ANATOMIE IN HALLE *;»&.
ZWEIÜNDZWANZIOSTER BAND.
ERSTES UND ZWEITES HEFT.
ENTHALTEND ARBEITEN DER ZOOLOGISCHEN ABTEILUNG
DER BIOLOGISCHEN VERSUCHSANSTALT IN WIEN.
MIT 9 TAFELN UND 15 TEXTFIQUREN.
AUSGEGEBEN AM 16. OKTOBER 1906.
LEIPZIG
VBBLAO VON WIIiHELlC EKOELMAITK
1906.
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Inhalt des ersten nnd zweiten Heftes.
Arbeiten aus der Zoologischen Abteilung
der Biologischen Versuchsanstalt in Wien.
Seite
läAAK Werbeb, Regeneration der Kiefer bei Reptilien und Amphibien. (Mit -
Tafel I u. 11.) . 1
Raoul Biberhofer, über Regeneration bei Ämphiooous lanceolatus, (Mit
2 Figuren im Text) 15
Kamil Bogacki, Experimentelle Flossenregeneration bei europäischen Süß-
wasserfischen. (Mit Tafel III.) 18
Otto Gkobser und Hans Pbzibram, Einige Mißbildungen beim Domhai
(Äeanikias vulgaris Risso). (Mit Taf. IV und 3 Fig. im Text) ... 21
JoYAN HadSi, Vorversuche zur Biologie von Hydra. (Mit 7 Fig. im Text.) . 38
Paul Kammkreb, Experimentelle Veränderung der Fortpflanzungstätigkeit bei
Geburtshelferkröte [AJytes obstetrtcans) und Laubfrosch [Hyla arhorea),
(Mit Taf. V.] 48
Franz Meoüsar, Einfluß abnormaler Gravitationswirkung auf die Embryonal-
entwicklung bei Hydrophilus aterrimus Eschsoholtz. (Mit 3 Fig. im *
Text) 141
Hans Przibram, Aufzucht, Farbwechsel und Regeneration einer ägyptischen
Gottesanbeterin {Sphodromaniis bioculata Burm.) (Mit Taf. VI— IX) 149
Hans Przibram, Kristall-Analogien zur Entwicklungsmechanik der Organis-
men 207
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Regeneration der Kiefer bei Reptilien und Amphibien.
Von
Isaak Werber.
(Ans der Biologischen Yersnchsanstalt in Wien.)
Mit Tafel I und U.
Eingegangen am 24. Mai 1906.
Inhaltsübersicht. g^.^^
1. Laeerta agüis 2
2. Tarentola annularis und mauretanica Ö
3. Triton cristcUus und cUpestris 6
4. Rana eßctdenta 7
5. Rana temporaria 7
6. Byla arbarea 8
7. VersnchsprotokoUe 9
8. Erklärung der Abbildungen 13
In einer früheren Mitteilung^) habe ich über die von mir ex-
perimentell ermittelte Tatsache der Regeneration der Kiefer bei der
Eidechse Laeerta ajri/w berichtet. Die Ansichten von Lessona, Weismann
und BoRDAQE, daß die Regenerationsfähigkeit eines gewissen Körper-
teiles oder Gliedes bei einem gewissen Tiere von seiner funktionellen
Wichtigkeit und von der Verlustmöglichkeit abhängt, wie auch meine
Beobachtungen bezüglich der Schnabelregeneration bei weiblichen In-
dividuen vom Haushuhn gaben die unmittelbare Anregung zur An-
stellung dieses Versuchs. Trotzdem bereits zahlreiche Versuche und
Beobachtungen es klar dargetan haben, daß die Deutung der Re-
generation im Sinne der genannten Autoren unhaltbar ist, sind
noch immer manche Forscher bestrebt, deren Erklärungsweise der
1) Archiv f. Entw.-Mech. 1906. Bd. XIX. Heft 2.
AicMt f. Entvioklangsinechaiiik. IXIL
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2 Isaak Werber
Regenerationserscheinungen im Tierreiche eifrig zu yerfechten ^) und
zn begründen. Weismann selbst erklärt die von Eennel bekannt
gewordene Tatsache der Regeneration des Schnabels beim Storch anter
Zuhilfenahme einer selectionstheoretischen Ableitung als Anpassungs-
erscheinung an die Verlustmöglichkeit des Schnabels beim männlichen
Storche. Aus den Ansichten Weismanns geht hervor, daß die Regene-
ration des Schnabels beim männlichen Storche als der einzige oder viel-
leicht als einer der wenigen Widersprüche gegen die adaptative Natur
der Regeneration anzusehen war, der nun durch seine Erklärnngsweise
gänzlich aufgehoben werde. Durch die Bekanntgabe der Tatsache der
Regeneration bei Individuen weiblichen Geschlechts vom Haushuhn und
bei Individuen beiderlei Geschlechter von Lacerta agilis habe ich das
Gegenteil nachzuweisen gesucht. Da man vielleicht eine größere
Verlustmöglichkeit der Kiefer bei der Lac&t^ta agüis annehmen könnte
(wofür allerdings keinerlei Anhaltspunkte vorliegen], habe ich die
Regenerationsfähigkeit der Kiefer noch bei andern Reptilien und
auch bei Amphibien überprüft. Unter diesen war es von den Fröschen
bislang nicht bekannt, daß sie als metamorphosierte Tiere einen
ganzen Körperteil zu regenerieren vermögen^ I^h will nun in aller
Kürze noch einmal auf die Versuche an der Eidechse zurück-
kommen, um dann über ähnliche Resultate bei andern Reptilien und
Amphibien berichten zu können.
1. Lacerta agilis L
Ich amputierte bei diesen Tieren den Kieferteil bis hart an die
Grenze der Nasenlöcher (Intermaxillare) und einen entsprechend
großen Teil am Unterkiefer (Symphysiale). Zum Versuche wurden
Tiere männlichen und weiblichen Geschlechts verschiedenen Alters
verwendet. Die Operation verursachte eine verhältnismäßig sehr ge-
ringe Blutung. Der Wundverschluß erfolgte sehr rasch. Nach dem
Abstoßen des Wundschorfs sah man die Wundränder mit Epithel
tiberkleidet. Die winkelartige Wundlticke am Oberkiefer füllte sich
immer mehr bis sie gänzlich verschwand; hierauf wölbte sich die
bereits geschlossene Wundfläche (siehe Fig. 2) und der Kiefer nahm
1) In einem populärwissenschaftlichen Werke, betitelt »Der Darwinismus
und die Probleme des Lebens« von Dr. Konrad Günther (Freiburg i. Br.,
Fr. E. Felisenfeld) werden die WEiSMANNschen Ansichten über die Regeneration
und ihre Beziehungen zu Anpassungserscheinungen direkt als unantastbar fest-
stehend hingestellt.
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Regeneration der Kiefer bei Reptilien und Amphibien. 3
allmählich die Form des normalen an. Im Unterkiefer erfolgte nach
dem Abstoßen des Wundschorfs und der Epithelüberkleidung eine
Abrundung und im weiteren Verlaufe eine Zuspitzung der verletzten
Stelle, während gleichzeitig das Wachstum vor sich ging. Die fertigen
Regenerate haben in der Schuppenbekleidung und in der histologischen
Beschaffenheit mancherlei Unterschiede von den entsprechenden Kiefer-
teilen bei normalen Tieren aufzuweisen. Anstatt des einen Schildes,
welches den amputierten Teil bedeckte (Fig. 1), sind bei manchen
Exemplaren mehrere kleinere Schilder und bei andern sehr viele
ganz kleine Schuppen (Granulaschuppen) am Regenerat zu sehen
(Fig. 3 und 4). Betreffs der histologischen Beschaffenheit des Re-
generats ist zu erwähnen, daß es mir bis nun nicht gelungen ist
mit Sicherheit festzustellen, ob die Knochen der Kiefer als solche
regeneriert werden können. Wie ich bereits früher schon mitgeteilt
habe, habe ich an Querschnitten der regenerierten Kieferteile Knorpel-
gewebe anstatt des Ejiochengewebes konstatiert. Ich vermutete da-
mals, daß dieses Ejiorpelgewebe mit zunehmendem Alter möglicher-
weise einer Ossification unterliege, was ich auch bei der Regeneration
des Schwanzes bei Eidechsen voraussetzte. Nach einer abermaligen
mikroskopischen Untersuchung fand ich aber an Querdurchschnitten
(Fig. 22 und 23) von andern Exemplaren kein Knorpelgewebe, sondern
ein Bindegewebe mit sehr reichlich eingelagerten Kernen (Fig. 24).
Ich glaube nun, daß der Regenerationsprozeß der Knochen hier in
der Weise verläuft, daß ein Bindegewebe gebildet wird als Vorstufe
des Knorpelgewebes, welch letzteres möglicherweise mit zunehmendem
Alter des Regenerats einer Ossification unterliegt. Eine sichere Auf-
klärung über diesen interessanten Gegenstand könnte wohl eine ein-
gehendere mikroskopische Untersuchung während des Regenerations-
prozesses gewähren, wozu allerdings sehr viele Zwischenstadien
serienweisse konserviert werden müßten.
An der Hand der diesmal angestellten Versuche an derselben
Tierart unternahm ich es zu ermitteln, ob auch die weiteren Partien
der Kiefer zu regenerieren vermögen. Zu diesem Zwecke habe ich
bei der diesmaligen Operation den Schnitt tiefer geführt, so, daß
auch die Nasenlöcher weggeschnitten wurden. Der Versuch wurde
in zwei Serien aufgestellt. In der ersten Serie wurden 25 Exemplare
am Oberkiefer, in der zweiten Serie 8 Exemplare an beiden Kiefern
operiert. Die Blutung war eine sehr starke. Manche Tiere sind
gleich nach der Operation eingegangen, bei einigen andern war die
Blutung so stark, daß trotz der Hemmung die Mundöffnung sich mit
1*
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4 Ißaak Werber
Blat verklebt hat und die Tiere erstickt sind. Bei dem am Leben
gebliebenen ging der Wundheilungsprozeß sehr rasch vor sich. Schon
zwei Tage nach der Operation schlössen sich die Wnndränder and
kurz darauf konnte man wahrnehmen, daß die Wnndlttcke sich
füllt und hervorwölbt. In dem noch ziemlich lockeren Gewebe des
Verschlusses der Wundlttcke konnte ich nach überraschend kurzer
Zeit eine ÖflEhung und zwei Tage später eine zweite Öffnung an der
Stelle, welche im normalen Zustande den Nasenlöchern zukommt, be-
merken. Es ist sehr wahrscheinlich, daß dies in Ausbildung be-
griffene Nasenlöcher waren. Leider konnte ich diese Erscheinung
nicht weiter verfolgen, da das letzte noch am Leben gebliebene
Exemplar, bei dem ich das beobachtet habe, sehr bald einging.
Durch die sehr starke Verletzung waren nämlich die Tiere an der
Nahrungsaufnahme verhindert. Dies und auch die sehr geringe
Widerstandsfähigkeit der Eidechsen gegen Verletzungen zur Winters-
zeit brachten die Tiere zum gänzlichen Absterben. Ich habe mich
zwar bemüht die Tiere am Leben zu erhalten, indem ich jedes ein-
zelne Tier fütterte, aber — war die auf diese Weise von den Tieren
aufgenommene Nahrung unzureichend, oder war es der Einfluß der
ungünstigen Jahreszeit — es gelang mir nicht einmal ein einziges
Exemplar am Leben zu erhalten. Die Tiere wurden, wie erwähnt,
künstlich gefüttert, nämlich mit Larven vom Mehlkäfer (Tenebrio
molitor) gestopft. Dies wurde in der Weise vollzogen, daß ich der
Larve den Kopf abgeschnitten habe und sie dann dem Tiere vorhielt,
welches den herausquellenden Eörpersafi gierig leckte und dabei
den Mund sehr weit öffnete, so, daß man nun — allerdings sehr
vorsichtig, weil sonst das Tier ersticken könnte — das Futter mittels
Pinzette hineinschieben konnte. Trotzdem dieser Versuch an der
großen Sterblichkeit der Tiere scheiterte, scheint es mir doch nicht
ausgeschlossen zu sein, daß die tiefer liegenden Partien der Kiefer
zu regenerieren vermögen und es würde sich vielleicht verlohnen
den Versuch noch einmal — selbstverständlich zu einer günstigeren
Jahreszeit (Frühjahr und Sommer) und an einer größeren Anzahl von
Versuchstieren — anzustellen.
Die Amputation des Oberkiefers bis zur Grenze der Nasenlöcher
und eines entsprechend großen Teils am Unterkiefer führte ich auch
bei andern Lacertiden: Lacerta vivipara Jacqu. und Ltzcerta viridis
Laur. aus. Aber auch dieser Versuch ergab kein positives Resultat.
Die Anzahl der Versuchstiere war im Verhältnis zur großen Sterb-
lichkeit eine zu geringe. Auch scheint bei diesen Tieren die Wider-
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Regeneration der Kiefer bei Reptilien und Amphibien. 5
staudsfähigkeit — wenigstens bei Verwundungen am vorderen Körper-
ende — eine geringere zu sein, als bei der Lacerta (zgilis. Bei Lacerfa
rivipara verlief die Wundheilung ganz ähnlich wie bei Lacerta affäis
und sicherlich wäre hier ein positives Resultat erzielt worden, wenn
nicht die erwähnten ungünstigen Umstände mitgewirkt hätten. Die
Tiere sind alle binnen etwa 20 Tagen eingegangen. Hingegen scheint
es mir zweifelhaft, ob die Kiefer bei den iMcerta viridis regeneriert
hätten, selbst wenn die Tiere längere Zeit am Leben geblieben wären.
Zwar wirkten auch hier dieselben mißgünstigen Umstände, aber den-
noch zeigten diese Tiere eine noch viel geringer^ Widerstandsfähig-
keit, als die andern Lacertiden. Die Tiere sind nämlich alle nach
etwa 8—10 Tagen eingegangen, ohne daß sich die Wunden ge-
schlossen hätten, was möglicherweise auf eine Infektion zurttckzu-
flihren ist.
2. Tarentola annularis Geoffr. und mauretanica L
Auch zwei Vertreter der Geckoniden, nämlich Tarentola annularis
und Tarentola mauretanica wurden zu diesen Versuchen herangezogen.
Das Terrarium, in dem die Tiere untergebracht waren, war aus Holz,
mit Glasscheiben versehen, der Boden war mit Sand ausgebettet und
jedes Terrarium enthielt einen kleinen Baumast und einige Steine,
unter welche sich die Tiere besonders bei trübem Wetter gern ver-
kriechen und oft haufenweise neben- und aufeinander liegen. Bei
schönem Wetter waren die Tiere immer am Baumast oder an den
Wänden des Terrariums zu sehen. Der Sandboden erwies sich aber
als sehr unpraktisch, weil an den Wunden immer Sandkömchen
blieben, was die Wundheilung verzögerte. Deshalb bettete ich dann
den Boden mit frischem, aber trockenem Moos aus, das oft gewechselt
wurde. Als Futter wurden auch hier Mehlkäferlarven verwendet.
Der Regenerationsprozeß verlief hier ganz ähnlich wie bei L, agilis.
Es erfolgte also zunächst im Oberkiefer der Verschluß der Wund-
ränder und fortschreitendes Aneinanderrücken der Winkelarme der
Wundlttcke, bis diese gänzlich schwand; am Unterkiefer erfolgte
nach dem Wundverschluß eine Abrundung und fortschreitende Zu-
spitzung bei gleichzeitigem Nachwachsen desselben. Hierauf konnte
man die langsame Differenzierung des Epithels und die Bildung der
damit zusammenhängenden Schuppenbekleidung beobachten. Was
diese letztere betrifft, sei darauf hingewiesen, daß sie gewisse — wenn
auch nicht sehr wesentliche — Abweichungen von der primären
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6 ^ Is&ak Werber
Beschnppung insofern aufweist, als die Schilder des Regenerats
ein wenig anders gestaltet sind als die an derselben Stelle beim
normalen Tiere (Fig. 7 — 14). Hier ist nämlich ähnlich wie bei
L, agüis eine Zersplitterung des einen, die amputierte Stelle be-
deckenden Schildes in zwei oder mehrere kleinere Schilder zu be-
merken (Fig. 7, 8, 9, 10, 13, 14) oder nimmt das Schild am Regenerat
des Unterkiefers eine andre (flaschenförmige) Gestalt an. — Was die
zur Regeneration erforderliche Zeitdauer betrifi%, ist diese eine größere
als bei L, agüis. Auch ist hier die Widerstandsfähigkeit eine geringere,
da nämlich die Sterblichkeit nach Verletzungen ziemlich groß ist.
Das Regenerat erreicht bei Tarentola anntdaris und mauretanica die
normale Größe; Tiere mit regenerierten Kieferspitzen sind von nor-
malen kaum zu unterscheiden.
BetreflFs der Regeneration der Kiefer bei Amphibien existiert nur
eine ältere Angabe^) über die Kieferregeneration bei den Tritonen.
Ich unternahm es daher, die Regenerationsfähigkeit der Kiefer bei
Triton cristatus und Triton alpestiis nachzuprüfen, um zu sehen, ob
auch hier, wie bei den Eidechsen, die histologische Beschaffenheit
des Regenerats eine andre ist als die der amputierten Kieferteile;
ferner stellte ich dieselben Versuche bei den höher stehenden schwanz-
losen Amphibien bei Tieren in verschiedenen Entwicklungsstadien an,
um zu sehen, ob die phylogenetische und ontogenetische Entwicklungs-
stufe in bezug auf die Regeneration zum Ausdruck gelangt. Unter-
sucht wurden: Tritoii cristatus, Triton alpesiris, Bana escidefita, JRana
temporaria und Hyla arbarea,
3. Triton cristatus Laur. und alpestris Laur.
Bei Tnton cristatus und Tr, alpestris amputierte ich am Ober-
kiefer die Spitze bis zur Grenze der Nasenlöcher und am Unterkiefer
ein entsprechend großes Stück. Die Blutung war in beiden Fällen
eine äußerst geringe. Die Wundstellen überkleideten sich sehr rasch
mit einer lichten Epithelschicht, die immer dunkler wurde, indem
zuerst das schwarze und erst später das gelbe bzw. rötliche Pigment
auftrat. Die Regeneration erfolgte sehr rasch; bei Tr. cristatus nach
6 — 8 Wochen, bei Tr. alpestris dauerte der Regenerationsprozeß etwas
*) Spallanzani, Prodrom 0 di un opera iraprimersi sopra le riproduzioni
animali dato in luce dalP abate Spallakzani. Modena 1768.
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Regeneration der Kiefer bei Reptilien und Amphibien. 7
länger, 10—12 Wochen. Das Regenerat (Fig. 15) ist in beiden Fällen
ein vollständiges; sogar die Zähne werden neugebildet (Fig. 23). Der
Querschnitt durch das Regenerat weist nicht den geringsten Unter-
schied von dem Querschnitt an derselben Stelle des Kiefers bei einem
normalen Tiere auf. Auch im äußeren Habitus ist weder ein Triton
(üpestris noch ein Tr, cristahis mit Regenerat von einem normalen
Tiere zu unterscheiden.
4. Rana esculenta L
Hier stellte ich den Versuch an Kaulquappen und an ausgebildeten
Tieren, deren Körpergröße etwa 2,3 cm betrug, an. An den Kaul-
quappen amputierte ich ringsherum den Homschnabel weg und an
den ausgebildeten Tieren am Oberkiefer die Spitze bis zu den Nasen-
löchern und ein entsprechend großes Stttck der Unterkieferspitze.
Die Kaulquappen, welche in einer Anzahl von 26 Exemplaren operiert
wurden, zeigten eine geringe Widerstandsfähigkeit gegen derartige
Verletzungen und starben beinahe alle nach wenigen Wochen ab. Nur
drei Exemplare sind am Leben geblieben und regenerierten den ent-
fernten Teil des Vorderendes, nämlich zuerst den Oberkiefer und dann
erst den Unterkiefer, vollständig. — Die ausgebildeten Frösche wurden
in einer Anzahl von 22 Exemplaren operiert. Auch hier war die
Widerstandsfähigkeit eine verhältnismäßig geringe. Die Blutung war
eine ganz unbedeutende. Die Tiere wurden mit Mehlkäferlarven
gefuttert. Der Verlauf der Regeneration war hier ganz ähnlich wie
bei Lacerta agiüs und bei den Tritonen, und nahm einen Zeit-
raum von etwa 6—8 Wochen in Anspruch. Die Regenerate (Fig. 5)
sind vollständig; die amputierten Knochenstttcke sind neugebildet
worden, wovon ich mich durch Maceration überzeugte. Ein Tier mit
regenerierten Kieferspitzen ist von einem normalen gar nicht zu
unterscheiden.
5. Rana temporaria L
Der Versuch wurde an zehn Exemplaren verschiedener G-röße
vorgenommen, die jedoch alle eine Länge von über 4 cm aufwiesen.
Hier amputierte ich nur die Spitze des Oberkiefers bis zu den Nasen-
löchern, der Unterkiefer blieb intakt. Die Blutung war hier eine
ziemlich starke und der Wund Verschluß erfolgte bei den meisten
Tieren erst nach 9 Tagen, bei andern noch später. Hierauf folgte an
den Rändern der Wundlücke eine Zellwucherung, welche einen geringen
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8 Isaak Werber
Teil der Wundlücke ausfüllte und eine zweizackige Fonn annahm.
Am Unterkiefer hat die entsprechende Stelle hypertrophiert und eine
zweizackenförmige Gestalt angenommen, so daß die Hebungen am
Unterkiefer in die Senkungen am Oberkiefer (und umgekehrt) greifen
(Fig. 5). Diese Erscheinung ist als kompensatorische Hypertrophie
zu bezeichnen. Eegeneriert hat in einem Zeitraum von 6 Monaten
kein einziges Tier, was meiner Ansicht nach darauf zurückzuftthre
ist, daß die Tiere schon ziemlich groß waren, da die Operation vor-
genommen wurde.
6. Hyla arborea L.
Hier stellte ich den Versuch in zwei Serien auf. Als erste Serie
sind zehn Exemplare von einer Größe von 2,5 cm operiert worden.
Amputiert wurde nur die Oberkieferspitze bis zu den Nasenlöchern.
Die Blutung war eine geringe. Der Regenerationsprozeß verlief genau
so wie bei Eana esadenta; nur nahm die Regeneration einen etwas
größeren Zeitraum in Anspruch. Nach etwa 3^2 Monaten konstatierte
ich vollständige Regenerate des verletzten Oberkiefers bei vier
Exemplaren. Das Regenerat (Fig. 17, 19) zeigt geringe Unterschiede
gegenüber derselben Stelle am normalen Tiere (Fig. 16, 18), welche
auf der Unterseite des Oberkiefers zu konstatieren sind. Nament-
lich ist am Regenerat eine leichte Einsenkung der Kieferspitze
und eine viel kleinere Entfernung des in der Mitte verlaufenden
Bogens von den Nasenlöchern, wie auch eine Verdickung und sehr
lichte Färbung des Bogens zu bemerken. Als zweite Serie wurden
acht Exemplare in der Größe von 5 cm operiert. Diese Tiere re-
generierten aber (wahrscheinlich wegen vorgeschrittenen Alters) nicht
mehr. Der Versuch wurde nach 6 Monaten mit negativen Resul-
taten abgeschlossen. —
Die Resultate obiger Versuche lassen sich dahin zusammen-
fassen:
I. Von den Amphibien regenerieren: a) die Urodelen {Triton
cristatus und cUpesiris) die amputierten Kieferspitzen gänzlich. Das
Alter der Tiere spielt hier keine Rolle; b) bei den Anuren nur
Kaulquappen und kleinere Tiere (Rana esculejita, Hyla arborea),
während bei größeren Tieren die amputierten Kiefer gar nicht
regenerieren [Hyla arborea) oder eine Regulation durch kompensa-
torische Hypertrophie eintritt, wenn bloß ein Kiefer amputiert wurde
{Rana temporaria).
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Regeneration der Kiefer bei Reptilien und Amphibien.
9
n. Von den Reptilien regenerierten amputierte Kieferspitzen bis
zar Grenze der Nasenlöcher: die Eidechse Lacerta offäis, die Geckone
Tarentola annularis und mauretanica. Das Eegenerat weist eine
von der primären abweichende Beschuppang auf.
III. a) bei den Amphibien werden im amputierten Kieferteile
alle Gewebsarten vollständig regeneriert, insofern das betreffende
Tier die Regenerationsfähigkeit des Kiefers noch besitzt (Tritone,
Rana esculentaj Hyla arborea)\ b) bei den Reptilien konnte nicht be-
obachtet werden, daß das Knochengewebe in den amputierten Kiefer-
teilen regeneriert werde. Die Regenerate zeigen bei den Reptilien
an Stelle des Knochengewebes im amputierten Kieferteile ein Ersatz-
gewebe (Bindegewebe oder in günstigsten Fällen Knorpelgewebe).
lY. Die Regenerationsfähigkeit der Eieferspitzen bei den unter-
suchten Amphibien und Reptilien nimmt a) mit der höheren phylo-
genetischen Stellung (Tritone, Frösche, Echsen) und b) mit der höhe-
ren ontogenetischen Entwicklungsstufe des Individuums (Kaulquappen,
kleine Tiere, ausgewachsene Tiere) stufenweise ab.
7. Versuchsprotokolle.
Lacerta agilie (I. Serie).
Art der Operation
und Zustand der operierten
Tiere
Oberkieferspitze mit den
Nasenlöchern amputiert
Erstickt durch Yerklebung
der MundöfFhung mit
Blut
Wnndverschluß
Die Wundlttcke füllt sich
und wölbt sich hervor .
Bildung eines Nasenloches
in der Wölbung der ver-
wachsenen Wundlücke
bei einem Exemplar? .
Bildung des zweiten Na-
senloches bei demselben
Exemplar?
Die letzten Exemplare ab-
gestorben
An-
zahl
Tag der
Operation
KontroUiert
Zn-
gründe
ge-
gangen
Nicht
re-
gene-
riert
Be-
gene-
riert
25
31. X. 04
1.XI.04
3. XI. 04
9. XI. 04
13. XI. 04
16. XI. 04
2
7
8
4
2
21. XL 04
2
0
Regenerier-
ter Teil
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10
Isaak Werber
Lacerta agüis (IL Serie).
Art der Operation
und Zustand der operierten
Tiere
An-
zahl
Tag der
Operation
Kontrolliert
Zu-
gründe
ge-
gangen
Nicht
re-
gene-
riert
Be-
gene-
riert
Begenerier-
ter Teil
Oberkiefer mit Nasen-
löchern amputiert; Un-
terkiefer entsprech. tief
Wundverßchluß bei drei
Exemplaren
Wundverßchluß bei zwei
Exemplaren
Die Wundlücke füllt sich
Das letzte Exemplar tot .
16. XII. 04
18. XII. 04
20. XII. 04
21. XII. 04
24. XII. 04
29.XIL04
Tarentokt annularis.
ßeide Kieferspitzen (Ober-
kiefer bis zu den Nasen-
löchern, Unterkiefer ent-
sprech. tief) amputiert .
Wundverschluß
Wundlücke im Oberkiefer
verkleinert, Unterkiefer
abgerundet, die Wund-
ränder mit Epithel über-
kleidet
Begenerate (noch nicht
vollständig]
VoUständige Begenerate
mit abweichender Be-
schuppung
Beide Kieferspitzen (Ober-
kiefer bis zu den Nasen-
löchern, Unterkiefer ent-
sprech. tief) amputiert .
Wundverschluß
6. XI. 04
8. XL 04
14. XL 04
17. XL 04
22. 1. Oö
8. IL 05
22. IV. 05
12. VL 05
Tarentola mauretanica.
Ober- und
Unterkief.
10
2. XL 04
5. XL 04
8. XL 04
12. XL 04
17. XL 04
2
1
2
2
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Begeneration der Kiefer bei Beptilien and Amphibien.
11
Art der Operation
und Zustand der operierten
Tiere
Zu-
Nicht
An-
Tag der
Kontrolliert
grnnde
re-
zalil
Operation
ge-
gangen
gene-
riert
14. IL 05
1
22. IV. 05
7. VI. 05
Begenerier-
ter Teil
Wondlttcke im Oberkiefer
verkleinert, Unterkiefer
abgerundet, die Wund-
ränder mit Epithel tiber-
kleidet
Regenerate (noch nicht
vollBtändig)
Vollständige Begenerate
mit abweichender Be-
Bchuppang
Ober- u.
Unterkie-
ferspitze
Triton cristatics.
Oberkiefer bis zu den Na-
senlöchern, Unterkiefer
entsprechend tief ampu-
tiert 1 12 21.XII.04
Wundverschluß u. Epithel
bildung
Im Oberkiefer ist die
Wundlticke beinahe ganz
ausgefüllt, der Unter-
kiefer ist bedeutend
nachgewachsen ....
Vollständige Begenerate.
23.XII.04
2
27. XII. 04
3
18. 1. 05
29.1.06
7
Ober- u.
Unterkief.
Oberkiefer bis zu den Na-
senlöchern, Unterkiefer
entsprechend tief ampu-
tiert
Wundverschluß u. Epithel-
büdung
Unterkiefer bedeut. nach-
gewachsen; im Ober-
kiefer ist die Wundlticke
nunmehr ganz klein . .
Vollständige Begenerate.
t
J
^ixm oZj
oestris.
23
6.1.06
7.1.05
23.n.06
3
6
14. IV. 05
2
12
Ober- u. .
Unterkief.
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12
Isaak Werber
Rana esculefita (Eanlquappenj.
Arfc der Operation
und Zastand der operierten
Tiere
An-
EaU
Tag der
Operation
Kontrolliert
Za.
gmnde
ge-
gangen
Nicht
Re-
re-
gene-
gene-
liert
riert
0
0
0
2
4
1
1
0
1
0
1
Regenerier-
ter Teil
Entfernung des Hom-
schnabels mittels Schere
Wundverschluß u. Epithel-
bildung
Regeneriert
Entfernung beider Kiefer-
spitzen
Wundverschluß u. Epithel-
bildung
Kegenerat in Bildung . .
Vollständig regeneriert .
Oberkieferspitze bis zu den
Nasenlöchern herausge-
schnitten
Wunde noch oflfen . . .
Wundverschluß
Zellwucherung an den
Rändern der WundlUcke
Der der entfernten Ober-
kieferspitze entsprech.
Teil am Unterkiefer ist
hypertrophiert ....
26
4.1. 05
7.1.05
5
23. II. 05
8
7. m. 05
0
18. m. 06
0
27. III. 05
3
7. IV. 05
2
Rafia esculeiita.
Rana imnporaiHa.
Oberkief.
beide
Kiefer
22
4.1.05
7.1.06
3
0
23. IL 05
7
6
28. II. 05
ö
6
7. III. 05
3
4
beid.Kief.
10
6.1.05
8.1. 05
12. 1. 05
17. 1. 05
3. II. 05
14. n. 05
4. III. 05
21. IV. 06
abge-
schlossen :
7. VI. 05
3
1
2
2
0
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Regeneration der Kiefer bei Reptilien und Amphibien.
Hyla arborea [I. Serie (klein)].
13
Art der Operation
und Zastftsd der operierten
Tiere
An«
zahl
Tag der
Operation
Zu-
Nicht
Re-
Kontrolliert
grande
re-
gene-
ge-
gene>
riert
gangen
riert
9. 1. 06
2
13. 1. 06
4
29.1. 05
1
24.111.06
3
Regenerier-
ter Teil
Oberkieferspitze bis zu den
Nasenlöchern heransge-
schnitten
Wondverschlnß
Wondlflcke fÜUt sich; Re-
generat in Bildung . .
Regenerate
10
7.1.05
Hyla arborea [IL Serie (groß)].
Oberkieferspitze bis zu den
Nasenlöchern herausge-
schnitten
Wundverschluß
Oberkief.-
spitze
8
6.1.06
9.1.06
27. 1. 06
14. n. 05
17. m. 06
2
2
1
1
abge-
schlossen :
12. VI. 06
2
0
Erklärung der Abbildungen.
Tafel I.
(Sämtliche Figuren nat Gr.)
Fig. 1. Kopf von Lcteerta agilis mit normalen Kiefern (von unten gesehen).
Fig. 2. Kopf von Lcuserta agilis mit in der Regeneration begriffenem Ober- und
Unterkiefer (von unten gesehen).
Fig. 3. Kopi^ von Laceria agilis mit vollständig regeneriertem Ober- und Unter-
kiefer (von unten gesehen).
Fig. 4. Kopf von Laeerta agilis mit regeneriertem Ober- und Unterkiefer (von
unten gesehen).
Fig. 5. Rana esculenta mit regenerierten Kiefern.
Fig. 6. Rana temporaria mit verletztem Oberkiefer und kompensatorisch hyper-
trophiertem Unterkiefer.
Fig. 7. TaretUola maureiantca, Unterkiefer von unten, normal.
Fig. 8. Tarentola matdräanica, Unterkiefer von unten, regeneriert.
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14 Isaak Werber, Regeneration der Kiefer bei Reptilien und Amphibien.
Fig. 9. Tarentola mauretaniea^ Oberkiefer von oben, normal.
Fig. 10. Tarentola maureianicay Oberkiefer von oben, regeneriert.
Fig. 11. Tarentola anmtlaris, Unterkiefer von unten, normal.
Fig. 12. Tarentola annularüj Unterkiefer von unten, regeneriert.
Fig. 13. Tarentola anmdarü, Oberkiefer von oben, normal.
Fig. 14. Tarentola anntiHaris, Oberkiefer von oben, regeneriert.
Fig. lö. Triton criatatuSf Ober- und Unterkiefer von unten, regeneriert.
Fig. 16. Hyla arhorea^ Oberkiefer von oben, normal.
Fig. 17. Hyla arborea^ Oberkiefer von oben, regeneriert.
Fig. 18. Hyla arhorea^ Oberkiefer von unten, normal.
Fig. 19. Hyla arhorea^ Oberkiefer von unten, regeneriert.
Tafel n.
(Fig. 20, 21 und 23 vergr. Obj. a* Oc. 4, Zbiss, Tischhöhe,
Fig. 22 vergr. Obj. 7 Oc. 4, Zeiss.)
Fig. 20. Querschnitt durch die Oberkieferspitze von Lacerta agüisy normal.
Fig. 21. Querschnitt durch eine regenerierte Oberkieferspitze von Lacerta agilis.
(Die Schrumpfungen dürften durch die Fräparation entstanden sein.)
Fig. 22. Ein Stück aus dem Bindegewebe des regenerierten Oberkiefers von
Lacerta agilis,
Fig. 23. Querschnitt durch das Regenerat der Oberkieferspitze von Triton
cristaius.
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über Regeneration bei Amphioxus lanceolatus.
Von
Baoül Blberhofer.
(Aus der Biologischen Yersachsanstalt in Wien.)
Mit 2 Figuren im Text«
Eingegangen am 24. Mai 1906.
Ober die Regenerationsfähigkeit bei Ampkioocus ist trotz der
vielseitigsten Studien ttber Leptocardier sehr wenig bekannt In einer
Arbeit von Jozep Nusbaum^j wird die scheinbare Regenerations-
unfähigkeit, welche sich dem Verfasser als Resultat seiner Versuche
ergab, zu erklären gesucht, wobei er besonders die Struktur des
Ämphioxiis-KüTpers fUr Regenerationsbedingungen als sehr ungeeignet
bezeichnete.
Nun ist es mir in der zweiten Hälfte des Jahres 1905 gelungen,
Regenerate vom Vorderende des Amphioxus zu erhalten. Das Ma-
terial bestand aus 12 Exemplaren von Amphioxus lanceolatus von der
Küste Helgolands; sie wurden in 4 Glasbecken zu je 3 Stück ver-
teilt. Einer Infektion wurde durch Waschen des Sandes usw. vor-
zubeugen gesucht; trotzdem gingen in den ersten Wochen 10 Stück
an der rosafarbenen Infektion ein, der auch die meisten Exemplare
von NüSBAUM unterlegen waren. Die zwei übrigen (die sich in dem-
selben Becken befanden), wurden nach einer Versuchsdauer von
25 Wochen (20. Juni — 10. Dezember) herausgenommen , ohne daß
sie eine Spur einer Infektion gezeigt hätten und hierauf konserviert.
Zu erwähnen ist noch, daß die verwendeten Objekte durchwegs kleine
Tiere von 2 — 3^2 cm Länge waren.
*) Vergleichende Regenerationsstudien von J. Nusbaum. Leipzig 1906,
S. 297 ff.
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16
Baoül Biberhofer
Fig. 1.
Fig. 2.
Die Operation geschah in der Weise, daß mit einem Scalpell
der vorderste Eopfabschnitt teils mit, teils ohne Girren abgetrennt
wurde, wobei an einzelnen Stücken auch der Endteil von Chorda
und Rückenmark getroffen wurde; die Länge der weggeschnittenen
Teile betrug 1,5— 2 mm. Eine genaue Abtrennung eines gleichen
Stückes bei jedem Exemplare war nicht möglich, da die Operation
wegen der geringen Wider-
standsfähigkeit rasch ausge-
führt werden mußte.
An den beiden übrig-
gebliebenen Exemplaren
konnte man folgendes beob-
achten: das größere (Länge
nach dem Versuch 2,8 cm)
zeigte einen charakteristi-
schen Wundverschluß, wäh-
rend das kleinere (Länge
2,3 cm) eine deutliche Re-
generation aufwies. Der
regenerierte Teil ist, wie
man am Präparate ersehen
konnte, durch hellere Fär-
bung erkenntlich, die Schnitt-
fläche zeigte sich (in der
Seitenansicht) als Linie {ss).
Der Schnitt verlief also
senkrecht zur Längsachse
und berührte auch die Gir-
renregion. Der am stärksten
vorgewachsene Teil des Re-
generates liegt senkrecht zur Schnittfläche, wie es dem Regene-
rationsgesetze von Babfurth entspricht. Ob bei diesem Objekte
auch eine Regeneration der Girren eintrat, ist nicht zu erkennen, da
es unsicher ist, ob sie durch den Schnitt tangiert wurden, da sie sich
bei Berührung einzogen und selbst im Falle der Durchschneidung in
verschiedener Länge getroffen würden, so daß nach der Länge der
Girren, die jetzt am Präparat sichtbar sind, die Frage der Regene-
ration unbeantwortet bleiben muß.
Versuche der Regeneration des Hinterendes mißlangen infolge
Eintretens der Infektion; daß die Regeneration jedoch eintritt, ist
.S
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über Regeneration bei AmphioxuB lanceolatas. 17
einer Angabe in Hans F&zibbams »Regeneration« i) zu entnehmen,
worin einer mündlichen Mitteilung Hamanns an den Verfasser Er-
wähnung getan wird. Wenngleich also Nusbaum keine Regenerate
erzielte und auch einen Grund hierfür geltend macht, so ist dieser
immerhin berechtigt, da ein relativ geringes Regenerationsvermögen
vorhanden ist; auch darin, daß er seine Mißerfolge nicht im Sinne
der WEiSMANNschen Theorie deutet, nach welcher der im Sande
lebende Amphioxus vor Verletzungen geschützt wäre und deshalb
keine Regenerationsfähigkeit besitze, können wir Nusbaum um so eher
beipflichten, als wir positive Resultate anzuführen imstande sind.
1) H. Przibram, Regeneration. Aub »Ergebnisse der Physiologie«. 1. Jahrg.
1902. S. 100,
Archiv f. Biiiwicklangsmechanik. XXU.
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Experimentelle Flossenregeneration bei europäischen
Süßwasserfischen.
Von
Kamil BogackL
(Aas der Biologischen Versachsiaiistalt in Wien.)
Mit Tafel III.
Eingegangen am 24. Mai 1906.
Im Anschluß an die von T. H. Morgan in: »Notes on Re-
generation« i) veröffentlichten Ergebnisse aus den am Goldfisch
und Funduhts majaUs angestellten Versuchen, welch letztere die
Wiederkehr, bzw. Modifikationen der charakteristischen Zeichnungen
an Kegeneraten zu ermitteln hatten, habe ich an folgenden Süßwasser-
fischen: Oohio fluviatäis, Misgiimics fossilis, Esox ludus^ Cotttts
gobiOy Perca fluviatUis'j Cobitis taenia und Nemachüus harhattdu in
demselben Sinne die Versuche unternommen. Morgan hat an Re-
generaten der Schwanzflosse beim Goldfisch das schwarze Band er-
halten, den schwarzen Fleck an der Rückenflosse bei Fundvlus ma-
jalis nach zwei Monaten nicht, vielleicht aus dem Grunde, weil er
— wie aus seinen Worten S. 168: »es sprach nichts dafllr, daß
dies geschehen wäre, wenn der Fisch länger gehalten worden wäre«
zu schließen ist, — eine zu kurze Zeit dem Experimente gegönnt bat.
Bei Perca fluviatäis weist die (vordere) Rückenflosse einen schwarzen
Saum und einen, zwischen letztem und drittletztem Flossenstrahl ge-
legenen schwarzen Fleck auf. Im Verlaufe der Regeneration ließen
sich gewissermaßen drei Stadien unterscheiden: 1) Anfang der Re-
generation ohne jedwede Zeichnung, 2) das Auftreten des schwarzen
Saumes, 3) schließlich bei vollkommener Regeneration der Rttcken-
1) Biological Bulletin. Vol. VI. No. 4. March 1904. p. 159.
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Experimentelle Flossenregeneration bei europäischen Süßwasserfischen. 19
flösse auch das des schwarzen Fleckes. Es sei bemerkt, daß der
erwähnte schwarze Fleck bei Perm sowohl beim Männchen, wie
beim Weibchen vorhanden ist, keineswegs also einen sekundären
Geschlechtscharakter, wie das bei Fundidits majcUis der Fall ist,
darstellt. Die Zeichnungen an den Regeneraten der übrigen Fische
lassen im Vergleich mit der ursprünglichen Zeichnung nichts Ab-
weichendes erkennen. Aber im Verlaufe und noch mehr ^ach Ab-
schluß der Versuche hat sich eine Tatsache herausgestellt, die auf
die Itegenerationsfähigkeit der Flossen verschiedener Körperregionen
in bezug auf Zeit und auf den, in derselben Zeit erfolgten Zuwachs
der operierten Flossen, ein sehr merkwürdiges Licht wirft. Die be-
treffenden Resultate sind aus folgendem Protokoll ersichtlich:
Name der Art
Datum
der
Operation
Art
der Operation
Zahl
der
Exem-
plare 1)
Datum
■ der
Unter-
suchung
Resultate
Oobio flumaiiL Flem .
29. X. 04
recht. Bnistfloss.
4
31. V. Oö
nur die Wunde vernarbt
Rückenflosse
Schwanzflosse
4
3
2 Exemplare weisen An-
fänge d. Regeneration
auf, bei 2 die Wunde
geschlossen
3 YoUständ. Regenerate
Mijsgnrfius foss. Lac.
ö. XL 04
Brustflosse
2
27. V. 05
nicht regeneriert
-
-
Schwanzflosse
3
-
3 vollständ. Regenerate
Esor lueiua L. . .
11. XL 04
31. X. 04
Rückenflosse
Schwanzflosse
6
6
27. V. 05
2 Regenerate, 3 Vemar-
bung
6 vollständ. Regenerate
CoUtts gobio L. . .
5. XL 04
Rückenflosse
2
LVIL05
1 nicht, 1 Anfänge
- . .
-
Schwanzflosse
2
-
2 Regenerate
Perca ßumatüis L.
24. XL 04
Rückenflosse
6
27. VL 06
3 nicht, 2 Anfänge, 1
Exemplar vollständige
Regeneration. Am Re-
generat charakteristi-
scher schwarzer Saum
und Fleck
Cobüis taenia L. . .
6. XL 04
Schwanzflosse
1
27. VL 06
regeneriert
Xetnaehilus harba-
tidaL
11. XL 04
Rückenflosse
3
27. VL 05
nicht regeneriert
*) Beim Abbruch der Versuche.
2*
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20 Kamil Bogacki, Experimentelle Flossenregeneration usw.
Ans dem Protokoll stellt sich heraus, daß die regenerativen
Potenzen in der Längsachse des Körpers die größten sind, was mit
Regenerationphänomenen in andern Tierklassen in gewissem Grade
übereinstimmt
Erklärung der Abbildungen.
Tafel ni.
Fig. 1 und 2. Regenerate der Schwanzflosse von Esox hicim.
Fig. 3. Vemarbung, Fig. 4 Regeneration der Rückenflosse von Esox lueius.
Fig. 5. Perca fluviatilü mit abgeschnittener Rückenflosse.
Flg. 6 und 7. Zwei Stadien der nachwachsenden Rückenflosse von Perea
fluviatüis.
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Einige Mißbildungen beim Dornhai
(Acanthias vulgaris Risse).
Von
Priv.-Doz. Dr. Otto Grosser und Priv.-Doz. Dr. Uans Przibram.
(Aus der Biologischen Versuchsanstalt in Wien.)
Mit Tafel IV und 3 Figuren im Text.
Eingegangen am 24. Mai 1906.
Inhaltsübersicht.
Seite
I. Deskriptiver .Teil (von 0. Grosser) 21
1. Eine accessorische Flosse im Kopf bereich 21
2. Mißbildnng des vorderen Körperendes 2ö
3. Mißbildung des hinteren Körperendes 26
4. Zwei Fälle von Duplicitas anterior 28
IL Theoretischer Teil (von H. Przibram) 29
in. Literaturverzeichnis 36
IV. Erklärung der Abbildungen 37
1. Eine accessorische Flosse im Kopfbereicb«
Bei einem halb ausgewachsenen, 56 cm langen, im übrigen normal
gestalteten männlichen Exemplar findet sich folgende Abnormität:
Zwischen den Spritzlöchem steht in der dorsalen Mittellinie auf dem
Kopfe eine unpaare, quer gestellte platte Flosse von 4 cm Länge
and 18 mm Breite und ziemlich unregelmäßiger Konturlinie; dem
Schädel sitzt sie mit einem verschmälerten Stiele auf. Sie ist ziem-
lich stark nach hinten geneigt, doch ohne dem Schädel wirklich
anzuliegen (vgl. hierzu Tafel IV Fig. 2). Knapp vor ihrer Wurzel
werden die äußeren Mündungen der Ductus endolymphatici sichtbar
(vgl. hierzu auch Tafelfig. 3j.
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22
Otto Grosser und Hans Przibram
Fig. 1.
Die Präparation ergibt, daß die Flosse dem hinteren Bande der
Parietalgrnbe mittels einer Art von Gelenk angefügt ist, doch ist der
Gelenkspalt kein einheitlicher, sondern von BindegewebszUgen unter-
teilt Übrigens schiebt sich von rückwärts eine Hautduplicatnr so
weit unter den Stiel der Flosse vor, daß die gelenkähnliche Ver-
bindung auf den rostralen Teil der basalen Stielfläche beschränkt
bleibt. Entsprechend dieser Gelenkverbindung zeigt die frei präpa-
rierte Parietalgrnbe eine geringe Abflachung ihres normalerweise steilen
hinteren Bandes sowie eine sehr mäßige Verbreiterung mit Vergrößerung
der Distanz der Mündungen der Knorpelkanäle für die Ductus endo-
lymphatici: doch sind diese Veränderungen so geringfügig, daß sie
nur bei unmittelbarem Vergleich mit einem norma-
len Exemplar überhaupt auffallen (Tafelfig. 4).
Im übrigen ist der Schädel vollkommen nor-
mal gebildet, ohne besondere Nerven- oder Gefäß-
kanäle für die Flosse. Auch der Anfang der
Wirbelsäule weist nichts Besonderes auf — viel-
leicht wäre nur der unmittelbare Anschluß des
ersten Intercalare an den dorsalen Band des Fo-
ramen occipitale anzuführen (Tafelfig. 4). Ebenso
ist Anordnung und Ausdehnung der Bückenmus-
kulatur auf den Schädel vollständig der Norm
entsprechend. Die Flosse selbst besitzt einen rech-
ten und linken Band, eine obere und untere Fläche.
Der rechte Band trägt einen ziemlich scharf ausspringenden Winkel,
der linke Band ist eingerollt (Fig. 3); nach Behebung dieser Einrol-
lung erscheint links ein ähnlicher Winkel (Textfigur 1), Der distale
Band ist durch einen Einschnitt in zwei Zipfel geteilt. Man könnte
daran denken, daß die Flosse aus zwei symmetrischen Hälften zu-
sammengesetzt sei, mit schwächerer Ausbildung der linken Hälfte,
ein Eindruck, dem auch das Verhalten des Flossenskelets nicht
widerspricht (s. die Textfigur).
Nach Ablösung der oberen Flossenhaut wird dieses Skelet, teils
aus Knorpel, teils aus Hornstrahlen bestehend, sichtbar. Das Knorpel-
skelet besteht aus einem Basalstücke, auf welchem vier Strahlen
aufsitzen. Von diesen liegt der kräftigste nahezu in der Mitte, während
ein nur wenig schwächerer den rechten Band bildet. Links von diesen
zwei Strahlen liegen wieder zwei Strahlen, und zwar der schwächste
von allen im linken Bande der Flosse. Der erste Strahl ist voll-
ständig von dem Basalstück abgetrennt und in zwei Stücke geteilt.
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Einige Mißbildungen beim Dorahai. 23
der zweite am proximalen Ende mit dem BasalstUeke yerschmolzen,
aber nahe seiner Mitte quer gegliedert; der dritte Strahl ist zwar von
dem Basalstück abgegliedert, aber mit dem vierten, der kontinuierlich
in das Basale übergeht, seitlich verschmolzen. Die Enden der Rand-
strahlen liegen in den ausspringenden Winkeln der Flossenseitenrän-
der. Das Basalstück trägt am proximalen Ende die knorpelige Gelenk-
fläche und an der vorderen Fläche noch einen kleinen Höcker. Von den
distalen Rändern der Strahlen verlaufen zahlreiche, untereinander im
wesentlichen parallele I lornfäden bis zum freien distalen Rande der Flosse.
Wir finden, daß die Differenzierungshöhe der Strahlen vom rechten
gegen den linken Rand abnimmt. Namentlich aber sind die beiden
linken Strahlen hinter den beiden rechten zurückgeblieben. In Berück-
sichtigung dieses Umstandes können wir auch beim Skelet vielleicht
von einer bilateralsymmetrischen Anlage mit Zurückbleiben der linken
Uälfle sprechen. Der Einschnitt im distalen Flossenrand würde jeder
Hälfte ein Strahlenpaar zuweisen.
Der Frage nach Innervierung und Muskularisierung dieser Flosse
wurde bei der Präparation von vornherein besondere Aufmerksamkeit
zugewendet, da von ihr aus ein Aufschluß über die Natur des Ge-
bildes möglich erschien. Allerdings wurden hier die Erwartungen
gründlich enttäuscht. Nach Durchtrennung der Haut ließ sich die
Flosse ganz leicht im Zusammenhang mit einem kleinen subcutan
gelegenen und caudalwärts gerichteten Bindegewebslappen von der
Unterlage ablösen, wobei makroskopisch darstellbare Nerven, Gefäße
oder Muskelbündel überhaupt nicht zum Vorschein kamen. Um ganz
sicher zu gehen, wurde sowohl ein Streifen der Haut des proximalen
Teiles der unteren Flossenfläche mit dem subcutanen Bindegewebe
und dem Perichondrium als auch der anhängende Bindegewebslappen
der Basis in Schnittserie untersucht. Es fanden sich aber nur ganz
feine Nervenbündel, von teils ovalem Querschnitt mit Durchmesser
von höchstens 63x27 ^, teils kreisförmigem Querschnitt bis zu 45 /u
Durchmesser, also jenseits der Grenze der makroskopischen Sichtbar-
keit, Nervenbündel, wie sie überall im Corium vorkommen; sie lagen
teils im Corium der Flosse, teils in dem basalen Bindegewebslappen.
Muskelfasern fehlten überhaupt. Die Flosse ist also muskellos und
ohne eigne Nerven; die in der Haut nachweisbaren Fasern gehören
zu den Hautnerven, wie sie das Integument überhaupt versorgen und
stammen jedenfalls aus den benachbarten Hautnervengebieten, ohne
daß man ihrem Vorkommen eine besondere morphologische Bedeutung
zusprechen könnte.
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24 Otto Grosser und Hans Przibram
Die Deatimg dieses Gebildes stößt auf große Schwierigkeiten
Die Flosse kann entweder dem System der unpaaren Flossen oder
den paarigen Flossen zngehören.
Die Rttckenflosse erstreckt sich, wenn wir von Arnpkioxus und
einigen stark abgeänderten Teleostiem absehen, bei keinem recenten
Wirbeltier bis auf das Cranium. Nun könnte hier aber ein Atavismus
vorliegen, da die Rückenflosse zweifellos früher weiter kopfwärts ge-
reicht hat^). Es ist auch ein fossiler Fisch bekannt, der auf dem
Cranium ein Gebilde, das von manchen Autoren als Eopfflosse an-
gesehen wird, trägt, nämlich Pleuracanfhus gavdryi. Seine syste-
matische Stellung ist noch nicht vollständig geklärt, möglicherweise
gehört er zu den fossilen Selachiern. Wie sich namentlich aus den
Untersuchungen von Fritsch und Reis ergibt, besaß er einen mäch-
tigen, nach hinten umgelegten Knochenstachel, der dem Occipital-
teile des Craniums wahrscheinlich durch Vermittlung eines Knorpel-
zapfens unbeweglich aufsaß. Spuren von Muskelansätzen weist der
Stachel nicht auf. Allerdings spricht sich namentlich Reis sehr ent-
schieden gegen die Zugehörigkeit dieses Gebildes zu den unpaaren
Flossen aus, ein Standpunkt, dessen Berechtigung der letzte Unter-
sucher dieser Frage^ K. FOrbkinger, nicht anerkennt, ohne aber die
Frage entscheiden zu können. Keinesfalls jedoch besitzt dieser Kopf-
stachel irgendeine Ähnlichkeit mit der knorpeligen, gelenkig mit dem
Schädel verbundenen mehrstrahligen KopfQosse unsres Falles.
Überhaupt erscheint die Ableitung dieser letzteren von einer un-
paaren Flosse nicht möglich. Selbst der Kopfstachel von Pleura-
canthus liegt noch im occipitalen Schädelbereich, also in einer Gegend,
die aus der Verschmelzung von Wirbelsegmenten mit oberen Dornen
hervorgegangen ist (K. Fürbringer); unsre Flosse sitzt im Bereiche
der Pars otica des Schädels, deren Segmentierung schon längst ver-
loren gegangen ist. Ferner müßte man für sie eine Drehung um
90° mit nachfolgender Umlegung nach hinten annehmen, da ja die
Strahlen nicht hinter-, sondern nebeneinander liegen. Endlich be-
sitzt auch das Skelet selbst keinerlei Ähnlichkeit mit dem Skelet
einer Rttckenflosse, an der immer die antero-posteriore Verschieden-
heit der Elemente deutlich ausgeprägt ist.
Es bleibt also die Auffassung der Flosse als aberrierte paarige
Extremität sowie die Frage ihrer eventuellen symmetrischen Anlage
*) Den Nachweiß der diesbezüglichen Literatur verdanken wir einer freund-
lichen Mitteilung von H. Braus, Heidelberg.
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Einige Mißbildungen beim Domhai. 25
(entsprechend ihrer Stellung in der Mittellinie des Körpers) zu er-
örtern. Allerdings kann das Skelet nicht als direkt extremitäten-
ähnlich bezeichnet werden; doch widerspricht anderseits die An-
ordnung der Elemente dieser Auffassung nicht.
Die kürzlich von Kennie publizierten zwei Fälle von accessori-
sehen Flossen bei Raja hatis nähern sich insofern dem hier beschrie-
benen, als es sich auch hier um median oder nahezu median gelagerte
Flossen handelt. Allerdings finden sie sich nicht im Kopf-, sondern
im Rumpfbereich, und ihre Zugehörigkeit zum System der paarigen
Flossen ist kaum zu bezweifeln; in dem genauer untersuchten Falle
ist sogar ein Teil der Flossenmuskulatur einer Seite auch mit der
accessorischen Flosse in Verbindung. Eine der Flossen erinnert au
phylogenetisch tiefer stehende Formen (Cladoselache). Als Erklärung
der Abnormität denkt der Autor an das Auswachsen einer verspreng-
ten Keimzelle.
2. MiObildung des vorderen Kfirperendes.
Eine sehr auffallende Mißbildung am Kopfe fand sich bei
einem 14 cm langen männlichen Embryo, der noch einen Dottersack
von 21/2 cm Längs- und 12 mm Querdurchmesser mit 2 cm langem
Stiel besaß (Fig. 6 und 7). Von der Wurzel der vorderen Extremi-
tät an caudalwärts ist das Individuum normal gebildet. Am Rumpf
und an den Flossen ist schon ziemlich reichliche Pigmentierung auf-
getreten. Die Stacheln deil Rückenflossen sind noch nicht durch die
Haut durchgebrochen.
Unmittelbar hinter den Augen ist der Kopf sehr stark eingezogen,
an den Seitenteilen etwas stärker als in dorso-ventraler Richtung.
Dadurch treten die Augen sehr stark aus dem Kopfe heraus. Rostrum,
Nasengruben und die Orbitalregion sind normal gestaltet.
Die Besichtigung von der Dorsalseite ergibt, daß nur ein Spritz-
loch, das linke, vorhanden ist; rechts fehlt jede Spur von demselben.
Überhaupt scheint die Verbildung die rechte Kopfhälfte stärker be-
troffen zu haben als die linke, wodurch eine Knickung der Achse des
Kopfes in nach rechts geöffnetem stumpfem Winkel zustande kommt;
der Scheitel des Knickungswinkels liegt in der Labyrinthregion.
Stärker als an der dorsalen ist die Verbildung an der Ventral-
seite. Die Mundöffhung ist durch einen breiten Verbindungsstrang
zwischen Ober- und Unterlippe in zwei Abschnitte zerlegt worden;
diese sind gegen die Seitenflächen des Kopfes verschoben, so daß
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26 Otto Grosser und Hans Przibram
der äußere Mundwinkel links etwa in einer Horizontalen mit der
Pupille, rechts sogar noch höher, im Niveau des oberen Comeal-
randes, liegt. Vor der Mundspalte, gerade in der Mitte zwischen den
Augen, ragt aus der Ventralseite ein btirzelfömiiger Vorsprung heraus.
Die Mundöffnungen führen in einen am Eingang sehr breiten
Pharynx; eine Sonde, die in die eine Öffnung eingeführt ist, läßt
sich unter der Brücke, welche die Mundöffnungen teilt, sehr leicht
bei der andern Öffnung herausleiten. Caudalwärts verschmälert sich
der Pharynx rasch auf die normale Breite und trägt an jeder Seite
die normale Fünfzahl von respiratorischen Kiemenspalten.
Die Brücke zwischen den Mundöffnungen macht annähernd den
Eindruck, den bei amnioten Wirbeltieren die durch sogenannte
amniotische Stränge verursachten Mißbildungen hervorrufen; ein Be-
weis, daß man auch bei den letzteren für die Annahme eines solchen
Stranges immer zwingende Gründe vorbringen muß. Freilich könnte
man auch hier vielleicht an eine Verwachsung mit dem Fruchthof
und spätere Loslösung denken. Ein direkter Beweis für eine solche,
etwa eine narbige Stelle im Integument, ist aber nicht aufzufinden.
Vielleicht der auffälligste Befund an diesem Objekt ist aber die
Ausbildung von Kiemen am Oberkiefer. An der linken Mundöffnung
lassen sich am Oberkiefer elf sagittal gestellte Blättchen nachweisen,
an der (kleineren) rechten gegen fünfzehn. Diese Kiemenblättchen
sind, wie das Mikroskop zeigt, mit seitlichen kleinen Höckern, in
welchen stark erweiterte Capillarschlingen liegen, besetzt. Das Epithel
ist ganz niedrig, der typische Bau einer Kieme unverkennbar.
Die Unterkieferschleimhaut erscheint makroskopisch glatt; mikro-
skopisch lassen sich vereinzelte, jedenfalls an Zahl reduzierte, abnorm
junge Zahnanlagen nachweisen.
3. Mißbildung des liinteren Körperendes.
Die Mißbildung findet sich an einem relativ großen, jedenfalls
schon der Geburt nahen männlichen Fötus, bei dem die Distanz von
der Schnauzenspitze bis zum hinteren Rande der Afteröffnung 12 cm
beträgt. Die Gesamtlänge, entlang der Krümmung gemessen, beträgt
20 cm, entspricht aber eben mit Rücksicht auf die Mißbildung des
Schwanzes nicht dem Entwicklungsgrade des Tieres. Der Vergleich
mit normalen Exemplaren ergibt mit Rücksicht auf die erstgenannte
Zahl ungefähr 22 cm als Gesamtlänge des Tieres, normale Entwick-
lung vorausgesetzt (Tafel IV Fig. 5).
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Einige Mißbildungen beim Dornhai.
27
Das Tier besitzt noch einen ziemlich großen Dottersack (4 cm
lang, IV4 cm im Durchmesser) mit 2 cm langem Stiel. Die Dorsal-
seite und die proximalen drei Viertel der Brustflosse zeigen normale
Pigmentierung, der freie Rand der Brustflossen und die Bauchflossen
sind noch unpigmentiert. Der Stachel der ersten Rückenflosse ist
noch nicht durchgebrochen.
Während Kopf und Rumpf normal gestaltet sind, beginnt un-
gefähr entsprechend dem hinteren Rande der Afteröfl'nung der miß-
gebildete Abschnitt; die Veränderungen sind also auf den Schwanz
Fig. 2.
Fig. 3.
..Jied
-' Ch-
-Ao-
Querschnitt durch den Schwanz eines normalen Embryo von 10 cm L&nge und durch den des
Terbildeten Exemplars. Vordere Schnittfläche. Die vertikalen Linien entsprechen der Sagittal-
ebene des BampfeR. Vergr. V|^,
beschränkt. Hier ist vor allem der völlige Mangel von Flossen auf-
fallig; weder die zweite Dorsalis noch die Schwanzflosse sind zur
Ausbildung gelangt. Der Schwanz ist ein nahezu drehrundes, gegen
die Spitze allmählich verschmälertes Gebilde, das etwas jenseits seiner
Mitte in ziemlich spitzem Winkel gegen die Dorsalseite umgebogen
und an seiner Spitze tingeroUt ist.
Die als Leiste vortretende dorsale Mittellinie wendet sich knapp
hinter der Afterregion spiralig nach links und verliert sich an der
ventralen Seite. Zunächst aber bildet sie hier die linke Grenze einer
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28 Otto Grofiser und Hans Przibram
Kinne, deren rechte Grenze von einer zweiten, schwächeren Leiste
gebildet wird, die in Lage und Verlauf annähernd einer normalen
ventralen Mittellinie entspricht. Um das Ende dieser Leisten ver-
läuft noch in oralwärts offenem Bogen eine dritte schwach ausge-
prägte Leiste.
Der Querschnitt des Schwanzes (Textfigur 2) läßt Rückenmark,
Chorda, Aorta und -ein System von ungefähr radiär gestellten
Längsmuskelplatten erkennen. Trotzdem unterscheidet er sich nicht
unwesentlich von dem Querschnitt eines normalen Schwanzes. Vor
allem ist er gegen den Rumpf gedreht, aber entgegen dem spiraligen
Verlaufe der dorsalen Mittellinie in der Weise, daß seine Symmetrie-
ebene von rechts oben nach links unten verläuft und mit der des
Rumpfes einen Winkel von etwa 40° einschließt. Ferner sind die
Muskeln nicht wie beim normalen Tiere zu beiden Seiten der Symmetrie-
ebene, sondern gleichmäßig um die Achsengebilde verteilt; auch fehlt,
entsprechend der rundlichen Gestalt des Schwanzes, die Abplattung
der Ventralseite.
Auch die Figmentierung des Schwanzstückes ist eine unregel-
mäßige. An der rechten Hälfte seiner oberen Fläche ist ein proximal
gelegenes Stück und das vorwärts umgeschlagene Ende pigmentiert,
links nur die über die Seitenfläche herablaufende Fortsetzung der
Mittellinie und die eingerollte Spitze; im übrigen ist der Schwanz
ebenso unpigmentiert wie die Bauchfläche des Tieres überhaupt.
Wir haben es hier also mit einem verkürzten, eingerollten, flossen-
losen, gegen den Körper verdrehten und unvollkommen pigmentierten,
rudimentären Schwänze zu tun.
4. Zwei Fälle von Duplicitas anterior.
Obwohl die beiden hier kurz zu beschreibenden Fälle vom Stand-
punkte der Teratologie kaum viel Besonderes bieten, so mag ihre
Erwähnung doch aus zwei Gründen gerechtfertigt sein. Einmal weil
sie wohl die ersten bei einem lebend gebärenden Squaliden be-
schriebenen sind, dann weil sie zwei ziemlich weit auseinander liegende
Entwicklungsstadien fast der identischen Mißbildung sind.
Es handelt sich in beiden Fällen (Tafel IV Fig. 8—11) wieder
um Embryonen. Doch entspricht der eine Fall einem ziemlich weit
vorgeschrittenen Stadium; die (weibliche) Mißbildung ist etwa 14 cm
lang, die äußere Eörperform dementsprechend fast vollständig aus-
gebildet; nur ein mit dem Stiel noch etwa 4 cm langer Dottersack
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Einige Mißbildungen beim Dornhai. 29
und die auf einen Streifen längs der dorsalen Seite beschränkte
Pigmentierung charakterisieren den Fötus. Das jüngere Exemplar ist
erst etwa 26 mm lang, sitzt mit einem dünnen Stiel dem noch sehr
großen (annähernd kugelförmigen) Dottersack auf, ist noch durchwegs
pigmentfrei (auch in der Retina) und besitzt äußere Eiemenfäden, die
erst wenige Millimeter lang sind. Der dreieckige Mund ist noch
weit offen, das Spritzloch nur wenig dorsalwärts gerückt.
Die Spaltbildung ist (bei beiden Exemplaren) bis zum Ansatz
des Dottersackstieles eine totale, es sind also zwei normal ausge-
bildete Köpfe und Kiemenkörbe vorhanden. Vom Dottersäckstiel an
sind die Gebilde der Yentralseite unpaar; es sind also nur zwei
Extremitätenpaare, sowie eine unpaare ventrale Hälfte der Schwanz-
flosse vorhanden. Die Gebilde der Dorsalseite sind durchwegs ver-
doppelt; es sind also zwei der dorsalen Mittellinie entsprechende
Kämme, zwei Paare von Kückenflossen und zwei dorsale Schwanz-
flossenhälften ausgebildet. Die Schwanzflosse erscheint dement-
sprechend dreistrahlig; die Heterocerkie gelangt nur dadurch zum
Ausdruck, daß der ventrale Teil der Flosse etwa halb so lang ist
wie die dorsalen.
Ein Querschnitt zwischen zweiter Dorsal- und Schwanzflosse er-
gibt (beim größeren Exemplar), daß Kückenmark, Chorda und Aorta
verdoppelt sind. Knapp ventral von der Aorta vereinigen sich die
beiden Sagittalen. An der unteren (äußeren) Seite ist die Muskulatur
normal entwickelt und auch dorsaler und ventraler Abschnitt diffe-
renziert; an der oberen (inneren) Seite fehlt diese Scheidung, und
die ventralen Anlagen der beiden Seiten gehen ohne deutliche Grenze
ineinander über.
n.
Während die ältesten Naturaliensammler gerade Abnormitäten
am eifrigsten suchten, ist später das Sammeln solcher Objekte in
Mißkredit gekommen, da dieselben für die systematischen Museen
nicht von Wert waren und auch selten phylogenetisches Interesse
zu bieten schienen. Erst als wieder die »Entwicklungsmechanik« ihr
Augenmerk auf die Ursachen der Entwicklung gerichtet hatte und
es durch Experimente gelang, viele Mißbildungen nach Belieben zu
erzeugen, begann auch der Anwert der in der Natur gefundenen
Abnormitäten, dieser Produkte von »Naturexperimenten«, zu steigen.
Daher schien es bei der Gründung der Biologischen Versuchs«
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30 Otto Grosser and Hans Przibram
anstalt in Wien angemessen zn sein, dieser dem entwicklungsmecha-
nischen Experimente gewidmeten Institution ein Museum anzugliedern,
in dem nicht bloß die Versuchsresultate, welche in der Anstalt selbst
erzielt werden, sondern auch Präparate andrer Experimentatoren und
in der Natur gefundene Mißbildungen zur dauernden Aufbewahrung
und entsprechender Aufstellung gelangen könnten. Ein gewisser
Grundstock war durch die älteren Präparate der Versuche von
Przibram und Kämmerer gegeben, und dieser ist während der
Arbeitsjahre der Anstalt namentlich auch auf botanischem Gebiete in
rascher Zunahme begriffen. Soll jedoch der Zweck des »entwicklungs-
mechanischen Museums« voll erreicht werden, so ist die Unterstützung
seitens andrer Forscher durch Zusendung von Präparaten ihrer
Versuchsergebnisse und gelegentlich erhaltene Monstrositäten not-
wendig. Wilhelm Roux hat auf unsre Bitte hin seine Mitwirkung
unter Anerkennung der Idee einer derartigen Sammlung bereits zu-
gesagt, ebenso Gustav Tornier und einige andre Entwicklungs-
mechaniker. Ich möchte diese Gelegenheit benutzen, um einen öffent-
lichen Appell zur Förderung unsres Museums durch Zuwendungen
der bereits bezeichneten Gattungen von Präparaten an alle jene zu
richten, die ein Interesse an unserm Forschungsgebiete besitzen und
zugleich die dauernde Aufbewahrung ihrer Arbeitsresultate sich
sichern wollen.
Unter den ersten Zuwendungen, welche unsrer Sammlung zu-
fielen, befanden sich die in der vorliegenden Abhandlung beschriebenen
Haifischmißbildungen, die insgesamt Prof. K. Cori als Leiter der
k. k. zoologischen Station zu Triest zu sammeln Gelegenheit hatte.
Für die liebenswürdige Widmung des Materials bringen wir hiermit
unsre Dankbarkeit zum Ausdrucke.
Die vorstehende deskriptive Behandlung der Haifischmißbildungen
bildet also gewissermaßen den Anfang zu einem Kataloge der
Sammlung. Wenn ich noch mit einigen Worten auf die Bedeutung
der Präparate für entwicklungsmechanische Probleme eingehe, so
geschieht dies, um die innigen Beziehungen solcher teratologischen
Befunde zur theoretischen und experimentellen Formbildungslehre
darzutun.
Abweichungen von der normalen Beschaffenheit einer Art können
sich entweder auf die Wiederholung eines sonst auch vorhandenen
Merkmals in zu großer oder zu geringer Anzahl oder an ungehörigem
Orte beziehen, was von Bateson als »meristische Variation« bezeichnet
wurde, oder in dem Neuauftreten von Merkmalen, die überhaupt
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Einige Mißbildangen beim Dornhai. 31
nicht am Körper der betreffenden Tierart für gewöhnlich beobachtet
werden, die »Substantive Variation« Batesons,
Nach der Zeit der Erwerbung des abweichenden Charakters kann
derselbe entweder als spontane Keimesvariation vom Tiere selbst oder
als ein erworbener bezeichnet werden.
Diese letztere Unterscheidung ist nur mit Sicherheit zu treffen,
wo es sich um Experimente handelt, nicht aber, wenn es sich, wie
bei unsem Haifischen, um Naturfunde handelt. Dann sind wir auf
die Vergleichung mit analogen Mißbildungen angewiesen, deren ur-
sächlicher Zusammenhang durch Versuche ermittelt werden konnte.
Bei weitem die häufigsten Erwerbungen, welche sich infolge
ihrer starken Abweichung von der Norm dem Variations-Forscher auf-
drängen, sind direkt oder indirekt auf Regeneration zurückzuführen.
So auch die größte Anzahl der von Bateson als »meristische Variation«
bezeichneten Fälle, die dieser Forscher ursprünglich als spontane
»diskontinuierliche Variation« aufzufassen suchte, gegenwärtig aber
(wie er mir mündlich mitgeteilt hat) als Kegenerationen anzuerkennen
geneigt ist.
Die Regenerate können von der normalen Gestalt des betreffenden
Körperteiles darin abweichen, daß sie unvollständig denselben nach-
gebildet haben (Defektbildungen), oder daß sie infolge des Vorhanden-
seins mehrerer Wundstellen mehrfache Bildungen hervorgebracht
haben oder endlich einen andern als den früher bestandenen Teil
an dessen Stelle gesetzt haben (Heteromorphose).
Neben der Regeneration kommen als Erklänmgen erworbener
(•haraktere Hemmung vor erstmaliger Differenzierung des betreffenden
Teiles, Spaltung vor erstmaliger Entwicklung und Verschmelzungen
in Betracht Oft wird es sich um eine Kombination von mehreren
dieser Ursachen handeln.
1) Die accessorische Flosse im Kopfbereich erinnert an andre
Fälle, in denen an einer Stelle des Körpers eine Gliedmaße wächst,
die weder normalerweise daselbst stehen sollte, noch aber (wie bei
den Heteromorphosen) ein andres, dafür fehlendes Glied ersetzt.
Solche Fälle sind selten; es lassen sich anführen: Carduus niaenas,
Taschenkrebs mit einem rechten Schreitbein an dem normalerweise
beinlosen sechsten Abdominalsegmente auf der linken Seite heraus-
wachsend (beschrieben von Bethe, s. Lit); Düophus UbiaUs^ eine
Mücke, Antenne auf dem Coxalgliede eines Vorderbeines wachsend
(beschrieben von Wheeler, s. Lit). Wiieeler nennt diese Art der
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32 Otto Grosser and Hans Przibram
Wiederholang eines an einer andern Stelle stehenden Organs im
Gegensatz zu der Homöosis (Bateson), bei der Substitution eines
Gliedes durch ein andres stattfindet, adventive Homöosis (englisch:
»redundant or adventitious«]. Unter den Wirbeltieren sind ganz
analoge Fälle bisher nicht bekannt gewesen, doch glaube ich, daß
die Ursache hiervon in der allgemein (z. B. auch von Bethe in seiner
(7amm^^-Arbeit) gemachten Annahme beruht, jene oft; auftretenden
Mißgeburten, bei denen meist aus dem Halse ein Extremitätenpaar
hervorwächst, seien als Überreste von zwei miteinander ver-
schmolzenen Embryonen zu betrachten, von denen einer den ander.n
bis auf das übrigbleibende Extremitätenpaar »aufgezehrt« habe. Solche
Bildungen habe ich an Kalb und Ziege in einer Schaubude lebend
zu sehen Gelegenheit gehabt. Es ist mir aufgefallen, daß zwischen
den spiegelbildlich sich ergänzenden Extremitäten ein zwischen-
geschaltetes Stück der Wirbelsäule zu fehlen scheint, so daß die
Schultergürtelstücke der beiden Extremitäten direkt miteinander ver-
wachsen sind. Das stimmt nun mit der Annahme eines Ȇberrestes
von einem zweiten Tiere« nicht überein. Hingegen sind die Symmetrie-
verhältnisse in Übereinstimmung mit dem »BATEsoNSchen Gesetz«, das
für überzählige Bildungen, die am Organ -richtigen Orte stehen,
namentlich bei den »Dreifachbildungen« gilt. Da nun die letzteren,
wie namentlich aus den analytischen und experimentellen Unter-
suchungen von ToKNiER hervorgeht, aus Brüchen mit nachfolgender
Regeneration aus beiden klaffenden Wundflächen abzuleiten sind, so
liegt es nahe an einen ähnlichen Ursprung für die »verdoppelten
Wirbeltierextremitäten« zu denken. In der Tat kenne ich aus eigner
Anschauung einen Fall, wo ein symmetrisches Beinpaar auf dem
rechten Schulterblatte eines Stieres so aufsaß, daß es die Bedingungen
für die Ableitung aus einem Bruche des Sohultergürtels (im Embryonal-
leben) mit nachfolgender Superregeneration ebenso genau erfüllt, wie
der von Tobnibb beschriebene Frosch mit ähnlicher Mißbildung. Für
die nicht am richtigen Orte stehenden Zusatzglieder wird natürlich
eine vollkommene Absprengung eines entsprechenden Stückes aus
der Embryonalanlage des betreffenden Organs anzunehmen sein.
Dasselbe enthält das zu der Entwicklung des betreffenden Gliedes
notwendige: es hängt jedoch von der Lage seiner freien Flächen
ab, ob es sich nur zum einzelnen Gliede oder zu einem symmetrischen
Paar selbst weiter differenziert. Die Möglichkeit der Weiterentwicklung
völlig abgesprengter und an fremde Körperstellen verpflanzter An-
lagen ist ja durch die Versuche voü Böen, Crampton and namentlich
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Einige Mißbildangen beim Dornhai. 33
Braus sichergestellt; das oftmalige Entstehen mehrfacher Bildungen
mit sekundären Symmetrieverhältnissen ist besonders aus der neuesten
Publikation Torniebs über experimentell erzeugte mehrbeinige Kröten
klar ersichtlich: insbesondere hat Braus direkt bei seinen Versuchen
das Auftreten accessorischer Spiegelbilder zu einer einfachen im-
plantierten Extremität öfters beobachtet; es erübrigt also nur noch
der experimentelle Nachweis, daß dies gerade in jenen Fällen statt-
findet, in denen der centrale Stumpf der exstierpierten Anlage nicht
voll anwuchs, sondern eine freie Fläche übrig ließ, aus der das
spiegelbildliche Regenerat wuchs i). Wenden wir die durch viele Tat-
sachen gestützte Hypothese auf die Eopfflosse des Haifisches an, so
werden wir dieselbe als eine, ursprünglich den Brustflossen angehörige,
versprengte Anlage aufzufassen haben, die infolge ihrer Stellung in
der Mittellinie des Körpers nach beiden Seiten gleichberechtigte freie
Flächen aufwies und daher sich mit sekundärer Symmetrie ent-
wickelte. Zu welcher Zeit die Versprengung stattfand, läßt sich
schwer sagen; doch ist eine vor der Bildung der Anlage der Vorder-
extremität erfolgte Verteilung kaum wahrscheinlich, weil auf frühen
Stadien den Embryonalzellen der Fische ein starkes Regulations-
vermögen (nach den Versuchen namentlich von Morgan und Sommer)
innewohnt, daher wohl eine anderweitige Verwendung anstatt der
Selbstdifferenzierung zur f'losse stattgefunden hätte.
Einen Beweis dafür, daß von vornherein eine ungleiche Eern-
aufteilung stattfindet, wie Bbthb aus dem von ihm beschriebenen
Carduus folgert, kann ich also in den adventiven HomöosisfäUen
nicht erblicken, da die Versprengung der Anlage sehr gut erst spät
stattgefunden haben kann, da eben bereits die Zellen ihre Toti-
potenz eingebüßt hatten. Ja, bei der hohen Regenerationskraft der
Crustaceen ist es nicht ausgeschlossen, daß die BETHESche Ejrabbe
überhaupt postembryonal die Verletzung erlitt, bei der die »Auto-
transplantation« der versprengten Anlage stattfand. Diese Frage
ist experimentell zugänglich und ebenso die weitere, ob in der Mittel-
linie des Körpers implantierte Anlagestücke sekundäre Symmetrie
>) Das Fehlen des Nerven in den »accessorischen« Spiegelbüdgliedmaßen
deute ich als die Unfähigkeit des peripheren Nerven, centralwärtB ein neues
Nervenende zu regenerieren. Es wäre interessant nachzusehen, ob von den bei
natürlichen und durch Brüche entstandenen Monstren (z. B. den angeftUirten
Fällen von Boa) vorkommenden überzähligen spiegelbildlichen Extremitäten
nicht die eine nervenlos ist. Unser Fall beim Haifisch ist wegen der rudimen-
tären Ausbildung der accessorischen Flosse trotz des Fehlens der Nerven für
die Erörterung dieser Frage nicht verwendbar.
AreliiT f. EntwicklangBmecluuiik. XXII. 3
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34 Otto Grosser und Hans Przibram
annehmen; daher besitzt nnsre Hypothese jedenfalls einen gewissen
heuristischen Wert. Was noch den Weg anbelangt, den das ab-
gesprengte Stück zu seiner neuen Lage machen mußte, so ist zu be-
denken, daß im Embryo die relative Lage der verschiedenen Teile
von dem im entwickelten Tiere eine verschiedene ist^).
2) Die »Mißbildung des vorderen Körperendes« ist als eine
richtige »substitutioneile« Homöosis zu bezeichnen, indem im Ober-
kiefer an Stelle der Zahnanlage eine Eiemenanlage sich entwickelt
hat; wenn es sich um Regeneration handeln würde, so wäre der
Ausdruck »Heteromorphose« am Platze. Die sonstigen von der Norm
abweichenden Gestaltungen lassen eine mechanische Einwirkung auf
einem Stadium wahrscheinlich erscheinen, auf dem bereits der Kopf
sich differenziert hatte. Es läßt sich nicht entscheiden, ob etwa nach
erstmaliger Vernichtung der Zahnanlage (und des zugehörigen Nerven?)
die Eiemenanlage hierfür eingesprungen ist, oder ob primär sich
etwas Falsches entwickelt hat. So unwahrscheinlich die erste Alter-
native erscheinen mag, so würde sie doch ihre Parallele in der von
Herbst beobachteten heteromorphotischen Regeneration einer Antenne
an Stelle eines mit dem Ganglion entfernten Erebsauges finden.
Ahnliche, jedoch noch nicht experimentell analysierte Fälle liegen
beim Taschenkrebs Cancer pagurus (Schere an Stelle eines Maxillipeds)
und bei Citnbex axillaris j einer Blattwespe (Fuß an Stelle der End-
keule eines Fühlers) vor (vgl. Bateson).
Vielleicht ist jedoch das Fehlen des Spritzloches der linken Seite
so zu deuten, daß eine Verschmelzung desselben mit der Mundöffnung
stattgefunden hat und dabei die Eiemenanlage auf den Oberkiefer
übergegangen ist: wir hätten dann statt von einer Homöosis von
einer Verdrängung zu sprechen.
3) Die »Mißbildung des hinteren Eörperendes« ist jedenfalls als
eine Defektbildung anzusehen; sie könnte jedoch entweder einer
1) Es sei z. B. an die znsamraengekrümmte Lage des £mbryoB bei den
Anmieten und Insekten erinnert. So wird die von Wheeler beschriebene Miß-
bildung von Düophus tihialü möglicherweise auf eine Keimversprengnng einer
Antennenanlage auf das Bein zurückgeführt werden dürfen, wenn man bedenkt,
daß der im Ei abwärts gekrümmte Kopf den Fühlerursprung ganz nahe an die
Coxa des Vorderbeines heranzieht Die bedeutendere Größe der accessorischen
Antenne erkläre ich mir aus ihrer Stellung an einem Gliede, das einen viel stär-
keren Blutstrom empfängt. Vielleicht hängt hiermit auch die größere Dehnung
der Glieder zusammen, die Wheeler als atavistisches Merkmal auffaßt.
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Einige Mißbildangen beim Dornhai. 35
primären Hemmungsbildung oder einer defektiven Regeneration nach
Verlust des Hinterendes ihren Ursprung verdanken. Die Regene-
ration des Hinterendes ist bei Fischen mehrfach nachgewiesen'
da selbst bei höherstehenden Fischen die Schwanzflosse selbst
regeneriert wird, so könnte es Wunder nehmen, daß dieselbe nicht
bei dem niederen Selachier und noch dazu im embryonalen Zustande
zur Ausbildung gelangte , wenn es sich um Regeneration handeln
soll Dem gegenüber kann jedoch auf die von Nusbaum und Sidoriak
erzielte Regeneration eines kegelförmigen Vorwachsstückes bei jungen,
noch mit dem Dottersacke versehenen Bachforellenembryonen {Salmo
fariö) hingewiesen werden, denen größere Partien des Hinterleibes
abgeschnitten worden waren. Da nun bei unserm Haifische die Miß-
bildung bereits »ungefllhr entsprechend dem hinteren Rande der After-
öffnung« beginnt, so würde von hier aus, und nicht erst von dem
Beginn der Schwanzflosse aus das Regenerat zu rechnen sein. Ent-
sprechende Operationen zur Entscheidung dieser Frage könnten wohl
an jenen Haifischen^ die Eier legen, ausgeführt werden.
4) Die »zwei Fälle von Duplicitas anterior« reihen sich der
großen Anzahl ähnlicher Fälle an, die unter den Knochenfischen be-
obachtet werden (vgl. Schmitt), und auch sonst bei den Wirbeltieren,
z. B. Schlangen, Schildkröten, Möwen, Rehen, Kälbern, Menschen
und Wirbellosen, wie Ringelwürmem, Hummern usf. auftreten. Es
liegen vier Erklärungsmöglichkeiten vor: a) zwei Embryonen haben
sich von vornherein zu entwickeln begonnen und sind mit den
Schwanzenden immer mehr zusammengewachsen, b) zwei Embryonen
sind nachträglich so verschmolzen, daß ihre Vorderhälften in einem
bestimmten Symmetrieverhältnis frei blieben, c) es hat sich bloß ein
Embryo entwickelt, der in seinem Vorderende infolge Trennung der
Furchungszellen doppelt wurde, d) ein bereits entwickelter Embryo
hat eine derartige Verletzung erfahren, daß es in der vorderen Hälfte
zur regenerativen Bildung eines zweiten Vorderendes oder der innen
liegenden Ergänzungshälften des symmetrisch durchtrennten Vorder-
endes kam. Nach den Ergebnissen der experimentellen Morphologie?
können wohl alle vier Fälle als möglich betrachtet werden; gegen
den zweiten spricht jedoch die nicht übemormale Größe der Haifisch-
doppelembryonen. Die meiste Wahrscheinlichkeit scheint mir der
dritte Fall zu besitzen: hierzu passen die von Bataillon (Tab. V
Fig. 34) an PetromijxonrEXttn künstlich (durch Veränderung des osmo-
tischen Druckes) erhaltenen Doppelbildungen. Der erste Fall, den
3*
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36 Otto Grosser und Hans Przibram
Jan Tür nach Messungen an zahlreichen jnngen Embryonen ver-
schiedener Tierklassen für den in der Natur häufigsten hält, weil
selbst jede von zwei angelegten Primitivrinnen die volle Größe zu
besitzen pflegt, würde uns abermals vor die Frage stellen, ob die
zwei Anlagen einer Sonderung im noch ungefurchten Ei oder der
Beteiligung mit mehr Kernen, also einer der Verschmelzung analogen
Erscheinung, ihre erste Entstehung verdanken. Die vierte Möglichkeit
bietet das interessante Problem, bis zu welchem Alter noch der längs-
gespaltene Haifischembryo den verlorenen Teil zu ergänzen im-
stande wäre.
Können wir also noch keine definitiven Antworten auf die Frage
nach der Entstehung unsrer verschiedenen Haifischmißbildungen geben,
so ist doch em weites Arbeitsfeld für die Anwendung der experimen-
tellen Methode gegeben, und der große heuristische Wert der Miß-
bildungen rechtfertigt wohl schon genügend die Veröffentlichung an
dieser Stelle.
Literaturverzeichnis.
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Erklärung der Abbildungen.
Tafel IV.
Fig. 1. Kückansicht des Exemplars mit der Kopfflosse. Va ^^^' ^^'
Fig. 2. Seitenansicht desselben. Über V2 nat. Gr.
Fig. 3. Anheftang der Kopfflosse am hinteren Rand der Parietalgrabe und
FloBsenskelet nach Wegnahme des oberen Flosseninteguments und ZurQck-
legong der angrenzenden Schädelhaut. Vor der Flosse das Ende der
Ductus endolymphatici. Etwa ^/^ nat. Gr.
Fig. 4. Parietalgrube nach Wegnahme der Kopfflosse und Anfang der Wirbel-
säule. Unter die Kiemennerven ist ein schwarzes Stäbchen eingeschoben.
Fig. 5. Individuum mit mißgebildetem Schwanz. Die vertikale Linie etwa in
der Mitte des Schwanzes entspricht der Stelle des abgebildeten Quer-
schnittes. Etwa V2 n&t. Gr.
Fig. 6 und 7. Ventral- und linke Seitenansicht des Exemplars mit mißgebil-
detem Kopf. Etwa Vc nat. Gr.
Fig. 8 und 9. Dorsal- und Ventralansicht der größeren Doppelmißbildung.
Etwa Va öÄt. Gr.
Fig. 10- Die kleinere Doppelbildung. Vergr. 3.
Fig. 11. Dieselbe in natürlicher Größe.
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Vorversuche zur Biologie von Hydra.
Von
Jovan Hadzi.
(Aus der Biologischen Versuchsanstalt in Wien.)
Mit 7 ilguren im Text
£iiigegaugeu am 24. Mai 1906.
Die vorliegende Abhandlung enthält die Vorversuche zu einer
experimentellen Biologie der Süßwasserpolypen unter besonderer Be-
rücksichtigung des Verhältnisses von Hydra viridis zu den Zoochlo-
rellen. Wegen äußerlicher Umstände ist es mir unmöglich gewesen
die Versuche zu vollenden und weil ich voraussichtlich auch nicht
so bald wieder dazu kommen werde, sie fortzusetzen, sich jedoch
bereits einige interessante Resultate ergeben haben, so habe ich mich
entschlossen diese schon jetzt zu publizieren.
Seit dem Jahre 1882 (6. Entz, K. Brandt) ist es bekannt, daß
die grüne Farbe vieler niederen Tiere, auch von Hydra viridis^ durch
die Confervinee ZoochJbrella conductrix^) (Brandt) {ChloreUa c, Beije-
rinck) verursacht wird. Viele Autoren (E. Ray Lankester, P. Ged-
DES, W. Marshall) behaupteten doch noch weiter, daß die grüne
Farbe tierischen Ursprungs sei. Nach der Analogie mit den Flechten
hat man dieses Zusammenleben der Hydra und Zoochlorella: Eon-
sortialverhältnis (Entz), Symbiose (Brandt) genannt.
Es steht außer Zweifel, daß Zoocklorella alles, was sie zum
Lebensunterhalt braucht, von Hydra direkt, oder durch ihre Vermitt-
lung bezieht. Sie wohnt gleich einem Parasiten in den großen En-
todermzellen der grünen Hydra. In andern Zellen kann sie nicht
existieren. Beim Wandern der Zoochlorellen in das Ei der Hydra
gelangen oft einige derselben in die Ectodermzellen ; sie werden immer
bleicher, gehen ein und werden ausgestoßen.
1} Brandt hat in seinem zweiten Artikel diesen Namen zurückgezogen,
nachdem Entz bewiesen zu haben glaubte, daß diese grünen Körper bloß Ruhe-
zustände verschiedener Algen sind.
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Vorversuche zur Biologie von Hydra. 39
Um jeden Zweifel zu beseitigen, ob die grüne Farbe von Zoocklo-
rdla wirklich Chlorophyll ist, untersuchte ich den grünen Farbstoff
der Zoocklorella auf folgende Weise: Eine große Anzahl gut ausge-
wachsener Hydren setzte ich in eine kleine Eprouvette, goß 95% igen
Alkohol auf und ließ dieselbe etwa 20 Stunden im Dunklen stehen.
Zugleich machte ich einen alkoholischen Extrakt von Fagiis sylvatica-
Blättern. Beide Extrakte stellte ich nacheinander vor das Spektro-
skop und konnte vergleichend die größte Übereinstimmung der Spektra
konstatieren.
Die Zoochlorellen scheiden bei der Assimilation Sauerstoff aus;
ganze Gasblasen von den grünen Hydren aufsteigen, sah ich nie.
Blomfield (nach E. Ray Lankester, 1882, und Brandt, 1883) hat in
der Gasausscheidung von H. viridis 33,3% Sauerstoff nachgewiesen.
Um die Bedeutung des von Zoochlorellen ausgeschiedenen Sauer-
stoffs für die Hjjdra zu prüfen,» stellte ich folgenden Versuch an:
Vier gleiche GlasgefilBe wurden mit Wasser, demselben Becken ent-
nommen, in welchem die Hydren vorher lebten, gefüllt. In zwei
Gläser setzte ich je fünf Stück von Hydra viridis] in andre zwei
je fünf Stück von Hydra fusca. Ein Glas mit H, viridis und eines
mit H, fusca stellte ich als Eontrollversuch auf eine für die Tiere
günstig belichtete Stelle; andre zwei Gläser stellte ich unter den
Kecipienten der Luftpumpe, welche am Lichte stand. Durch Aus-
pumpen der Luft wurde der Druck so weit erniedrigt, daß der größte
Teil der Luft aus dem Wasser, in welchem sich die Tiere befanden,
aastrat. Durch das Schütteln gereizt zogen sich die Tiere zusammen;
nachdem das Pumpen aufgehört hatte, streckten sie sich wieder. Jetzt
wurde durch Einlassen von Kohlendioxydgas der Druck mit dem
äußeren ausgeglichen. Nach etwa zwei Stunden zogen sich die
H. fusca zusammen und lösten sich von der Unterlage, Hydra viridis
dagegen verhielten sich von früh nachmittag bis zum Abend normal,
bewegten sich aber sehr wenig; in der Frühe waren alle zusammen-
gezogen. Nachmittag nahm ich alle heraus : die grünen erholten sich,
nachdem ich das Wasser gewechselt hatte, die grauen waren tot.
Die als Eontrollversuch aufgestellten waren lebendig und munter.
Unter diesen ungewöhnlichen Umständen zeigte sich also Hydra
viridis widerstandsfähiger. Im Gegenteil dazu gehen die grünen
Hydren im schlechten Wasser eher zugrunde als die braunen. Das
beobachtete auch Brandt bei andern »Phytozoen«; Engelmann sagt
für ZooMoreUar-hsAüge^ Paramaecium und Vorticdla^ »daß sie an
größere SauerstoflFmenge angepaßt sind«. In mittels Durchlüftung*
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40 Jovan Hadii
frisch gehaltenem Wasser leben die grttnen Hydren auch im Dankien
sehr lang; ich hielt sie über 6 Wochen.
Um die angebliche Rolle der Zoochlorellen bei der Ernährung
der grünen Hydren festzustellen, beobachtete ich die Lebens- und
Ernährungsweise aufs genaueste. Hydra viridis ernährt sich stets
von animalischer £ost und zwar mit Vorliebe mit kleinen Krebsen;
je mehr sie fangen kann, desto mehr verschluckt sie, die überschüssige
assimilierte Substanz wird durch Bildung von Knospen verbraucht.
Wenn man sie hungern ließ, dann helfen ihr die Zoochlorellen gar
nicht; sie lebt zwar sehr lange, zehrt aber von eigner Substanz:
zuerst die Arme, dann den Leib bis sie zur Größe und Form ihres
eignen Eies sinkt; die Zoochlorellen, inwieweit sie Platz haben,
bleiben in den Entodermzellen, die überschüssigen werden ausge-
stoßen. Zu ähnlichem Resultate kam L. v. Graff, 1884. Bbandt,
1881, Entz, 1881, Geddes (nach Hamann), E. Ray Lankesteb, 1882,
behaupteten die Hydra ernährt sich, wenn es ihr notwendig ist, von
Zoochlorellen, teils direkt, teils durch die von Zoochlorellen gebildete
Stärke. Niemand wies in den Entodermzellen von Hydra mridis
freie oder gelöste Stärke nach. Es ist ein Irrtum, wenn man die
rötlichen Körner in den Entodermzellen mit den Zoochlorellen in
genetische BeziehuDgen bringt; das sind sicher nur Excretkömer,
was auch Gheenwood nachgewiesen hat. Selbst die durchschnitt-
liche Größe der Hydra hängt von der Größe der alltäglichen
Nahrungstiere (Futtertiere) ab. Grüne (wie die nichtgrünen) Hydren,
welche sich von Daphnien ernähren, sind selbst fünfmal so groß, wie
diejenigen, die sich von Noteus (Rotatorium) ernähren, in der Mitte
stehen diejenigen, die sich von Cypris ernähren. Wenn man die
Hydra^ welche sich von Cypris ernährt, allmählich an größere Nahrung
(Daphnien) gewöhnt, so wächst sie an bis zu einer gewissen Größe
und bleibt konstant, solange sie dieselbe Nahrung bekommt. In ent-
gegengesetzter Richtung gelingt es auch Hydra zu verkleinern.
Gegen die Stärke zeigt Hydra eine besondere Abneigung, willig
nimmt sie dieselbe nicht zu sich. Nachdem sie längere Zeit fastete
injizierte ich in den Gastralraum Stärkekömer (käufliche). Den näch-
sten Tag fand ich einige ganz intakt im Gastralraume liegen (die
meisten wurden ausgeworfen). Auch durch Kochen isolierte KartoflPel-
zellen wurden nicht verdaut. In einem einzigen Falle nahm eine ge-
fräßige braune Hydra eine Kartofifelzelle zu sich, stieß sie aber bald
aus. Wenn sich die Zoochlorellen sehr stark vermehren, so werden
die überschüssigen, ebenso wie die Excretkömer ausgestoßen, weil
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Vorveranche zur Biologie von Hydra. 41
sie einen zu großen Druck auf die äußeren Zellwände ausüben. Nach
Greenwood, was ich durch eigne Beobachtung nur bestätigen kann,
verdauen die Hydren nicht ganz intracellulär, wie das früher all-
gemein angenommen wurde (Mfischnikopf für Cölenteraten; siehe
auch KßüKENBERG, Chapeaüx). Nach einer Vorverdauung im Gastral-
raum (Eiweißzellen) werden die Nahrungspartikelchen mittels Pseudo-
podien von den Nährzellen eingenommen und verdaut. Die injizierten
Zooehlorellen werden weder von der Vorverdauungsflüssigkeit ange-
griffen noch von Nährzellen eingenommen. Ich injizierte in den
Gastralraum einer H. viridis mittels einer Capillarröhre rote Blut-
körperchen von einer Kröte. Nach kurzer Zeit untersuchte ich das
Innere dieser Hydra und fand, daß die Blutkörperchen nicht in die
Entodermzellen eingenommen wurden, sondern stark angegriffen
in der Gastralraumflüssigkeit sich befanden: farblos, die Konturen
schwer sichtbar, dagegen der Kern wohl zu sehen. Nach allem scheint
es sehr unwahrscheinlich zu sein, daß die Zoochlorellen von Hydra
verdaut werden, und was die Hauptsache ist: beobachtet hat es nie-
mand. L. V. Graff, 1884, hat also vollkommen recht, wenn er
sagt: »Die Algen oder Pseudochlorophyllkörper der Hydra haben
keinerlei Bedeutung für die Ernährung derselben.«
Zoocldorella hängt an Hydra so fest, daß es bisher durch keinen
Eingriff, weder chemischer noch physikalischer Natur, gelungen ist
Hydra von ihren Symbionten zu befreien. Im Dunklen kann man
Hydra sehr lange halten, die Zoochlorellen verbleiben und tiber-
leben sie noch um kurze Zeit. Ich setzte ganz junge, eben ausge-
schlüpfte Hydren ins Dunkle; die Algen erhielten sich doch. In
jedem Falle gingen früher die Hydren ein, als die Zoochlorellen.
Es scheint die Zoocldorella an dieses Leben in der Zelle weit
(wenn auch nicht so weit, wie bei Turbellarien, siehe Haberlandt)
angepaßt zu sein^ da wir nicht imstande sind, sie außerhalb
der Hydra zu üppigem Leben zu bringen. Die Verhältnisse, unter
welchen sie im Tiere lebt, sind kompliziert und größtenteils unbe-
kannt, daher ist es schwer sie künstlich nachzumachen. Von allen
vielen Substraten, mit welchen ich versuchte eine Kultur von Zoochlo-
rella conductrix anzulegen, bewährte sich noch am besten ein dünn-
flüssiges Agar-Agar-Präparat, das auf Objektträger gegossen mit den
isolierten Algen in eine lichte Glasfeuchtkammer gestellt wurde. Anfangs
vermehrten sich die Algen sogar, nach einiger Zeit (2—3 Wochen)
zeigten sich schon Degenerationszeichen, nach 6 Wochen zerfielen sie
ganz. Beijerinck versuchte es auch, es gelang ihm aber nicht; später
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42 Jovan Hadii
erwähnt er in einer Bemerkung, daß es ihm doch gelungen sei ein
Substrat zu finden, sagt jedoch nicht, von was fttr einer Zusammen-
setzung es sei. Famintzin ist es gelungen die Zoochlorellen ans
Paraniaecium am anorganischen Substrat zu kultivieren. Ebenso-
wenig gelang es je eine nicht grüne Hydra zu infizieren, weder durch
Injektion (mittels einer Capillarröhre mit gleichzeitiger Verletzung
des Entoderms) noch durch Transplantation, obwohl eine //. fiisca mit
einer //. viridis über 2 Stunden verwachsen war (Wetzel gelang es,
dieselben 2 Tage zusammenzuhalten, die Algen gingen doch nicht über).
Bei Protozoen gelang es mehrmals (W. Schewiakoff, G. Kessler,
S. Prowazek usw.). Dabei muß hervorgehoben werden, daß es meh-
rere Arten von intracellular lebenden Zoochlorellen gibt, die sich ver-
schieden weit an intracellulares Leben angepaßt haben. (Brandt, 1882,
hat zwei Arten beschrieben: Z, conductrix und Z, parasitica^ jene von
Haberlandt beschriebene, in TurbeUaria acoela lebende membran-
lose ist von dieaen beiden verschieden, Beijerinck Chi. infusianum.)
Die auf beide Vermehrungsarten entstandenen Individuen (Per-
sonen) von Hfjdra viridis sind schon mit Zoochlorellen infiziert Wie
die Zoochlorellen zum erstenmal in die Hydra gekommen sind,
wissen wir nicht. Möbius meint, sie sind passiv »aufgenommen«
worden, Nussbaum, daß sie vielleicht eingewandert seien. Wenn
die Behauptung A. Längs, daß die Knospen bei Hydra nur aus
Ectoderm entstehen, richtig wäre, so müßten die Zoochlorellen ebenso
wie in das Ei, auch in das Ectoderm einwandern. Wie es mir ge-
lungen ist dieses Einwandern in das Ei zu verhindern (worüber später),
so müßte es auf dieselbe Weise auch bei der Knospe gelingen; das
ist aber nicht der Fall. Ich untersuchte die Knospung auch histologisch
an in FLEMMiNGScher Lösung fixierten Tieren, und mit Hämatoxylin
gefärbten Schnitten; nach dem Tatbestande kann ich nur die Be-
obachtung Braems bestätigen, wonach die Knospe aus beiden Leib-
wänden ihren Ursprung nimmt. Das Entoderm verdickt sich bedeutend
unter Zellvermehrung und Zoochlorellen-Anhäufung. Mit der Ver-
mehrung der Zellen geht auch die Vermehrung der Zoochlorellen
Hand in Hand, wie Beijerinck sagt: »rhythmisch«.
Das Einwandern der Zoochlorellen in das unreife Ei von Hydra
riridis hat zuerst Hamann ') beschrieben, darin gibt sich ganz besonders
die Anpassung der Alge an das Tier kund. Die Gemmulae von
1) Kleinenberg beobachtete die Zoochlorellen im Ei von //. viridis vie
früher, meinte aber, daß sie auB Leucoplasteu entstehen wie bei Pflanzen.
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Vorversuche zur Biologie von Hydra. 43
Spongüla sind frei von Algen (Beijeeinck), die von Vartex hellico
= viridis M. Schnitze auch (Sekera, Haberlandt, George vitcuJ,
ebenso die Eier von Canvoluta roscoffensis (Eeeble nnd Gamble).
Demnach scheint Hydra das einzige Metazoon zu sein, bei wel-
chem die Zoochlorellen schon in das Ei eindriogen. Dieser Umstand
mußte einen Fingerzeig dafür abgeben, daß auf diesem Stadium
bereits mit den Versuchen zu beginnen sei.
Grttne Hydren, bei welchen das Ovarium eben sichtbar geworden
war, setzte ich in ein mit Durchlüftung versehenes Gefdß (mit Wasser
aus dem Aquarium, in welchem die Hydren lebten) und dieses stellte
ich unter eine lichtdichte Pappschachtel. Die Eier wuchsen viel
. laugsamer (wegen Lichtmangel, F. Reinke) als unter normalen Ver-
hältnissen, blieben dabei ganz algenlos weiß. Um zu sehen, ob der
Lichtmangel an sich oder das chemisch nicht wirksame Licht den-
selben Effekt erzeugen würde, stellte ich solche Hydren mit ganz
jungen Ovarien unter Kästchen mit farbigen Glaswänden und zwar:
roten, gelben, grlinen, blauen und violetten. In rotem und gelbem
Lichte wandern die Zoochlorellen ebenso reichlich wie im Tages-
lichte ein, in blauem und violettem spärlicher, in schwachem grünen
gar nicht. Demnach erweist sich die Meinung Hamanns, daß die
Zoochlorellen passiv in das Ei eingeschleppt werden, als unrichtig^).
Die auf diese Weise algenlos gemachten Eier wuchsen bis zur
normalen Größe (Abb. 1, 2, 4; die Größe der Eier von Hydra schwankt
Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4.
\orma1«8 Ei von Normales Ei von Ei von H.iiridis Ei von H. viridis
^. viVidü (ohne Halle). //./Msca (ohne Hfllle). aas dem halhierten Ei im Dunkeln erzogen.
Bei(;[ibrt Oc. 2 Obj. 2. Bkiciikbt Oc.2 Obj.2. entwickelt. Bkiuiiert Oc. 2 Obj. 2.
Keiciiert Oc. 2 Obj. 2.
ziemUcli), blieben dann (bis auf einen von etwa 20 Fällen) ohne sich
zu furchen und die HuUe zu bilden, einige Stunden am Tiere, fielen
dann ab und zerflossen, von Pilzen und Bakterien überwuchert. Nur
ein Ei (von diesen 20) entwickelte sich weiter und schied die Kapsel
^) In neuester Zeit ist es Keeble und Gamble gelangen, die Art nnd
Weise der Infektion der Embryonen von Contoluta roscoffensis durch eine
Chlorophycee aus dem Genus Casteria (also keine Zoochlordia) festzustellen.
Es ist auch möglich geworden, die Tiere vor der Infektion zu schützen.
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44 Jovan Hadzi
aus; dieses brachte ich allmählich ans Licht. Die Hydra^ welche
aus diesem Ei ausschlüpfte, war natürlich durchsichtig und algenlos,
ging leider bald ein. Die Ursache des Todes kann ich nicht an-
geben. Wegen Mangel an geschlechtlich sich fortpflanzenden Tieren
konnte ich leider die Experimente und Beobachtungen in diesem
Jahre nicht weiter fortsetzen, behalte mir daher vor, die unterbrochene
Arbeit später fortzusetzen, dabei in erster Linie vergleichend dasselbe
Experiment mit den nicht grünen Hydren vorzunehmen, um kon-
statieren zu können, ob an dem frühen Tode der im Finstem ent-
wickelten Eier von Hydra viridis der Mangel an Zoochlorellen oder
eine andre Ursache schuld ist.
Da das Regenerations- und Regulationsvermögen von Hydra be-
kanntlich sehr groß ist, wäre es von Interesse zu wissen, wie groß
die Entwicklungsfähigkeit der durch Schütteluug und Schnei-
den gewonnenen Eiteile und Eiblastomeren des Hydra-Eies ist. Zu
diesem Zwecke stellte ich einige Versuche, welche ich ebenfalls
wegen Mangel an JI^dm-Eiern nicht fertigstellen konnte, und deren
Fortsetzung ich mir daher noch vorbehalte.
Schon durch das Berühren und noch mehr durch leichte Schütteluug
bereits eingekapselter Embryonen, kann man bewirken, daß die Tiere,
die aus solchen Kapseln entschlüpfen, stets irgend eine Abnormität
an sich tragen. Auf diese Weise bekam ich: zweiköpfige (stets
[drei Stück beobachtet] mit sechs Armen], tentakellose, mit gegabelten
Tentakeln usw.
Die Operationen mit den Eiern von Hydra sind sehr schwierig,
erstens, weil das Ei bis zum Einkapseln sich am Muttertiere hält,
zweitens, weil die Eier sehr zähflüssig und empfindlich sind, und
sehr leicht zerfließen. Wenn man das reife Ei durch Stich mit der
Nadel, durch Abzwicken von kleinen Eimassen beschädigt, verläuft
die Entwicklung doch ganz ungestört.
Das unreife noch nicht abgerundete Ei durchschnitt ich un-
gefähr durch die Mitte und zwar samt dem Muttertiere. Es ent-
wickelte sich meistens nur eine von den beiden Hälften. (Ob jene,
welcher dabei das Keimbläschen zukommt?) In zwei (von etwa 15
bis 17) Fällen entwickelten sich einige Zeit die beiden Hälften, de-
generierten aber bald (es entsteht an Stelle des Eies ein parenchy-
matisches Gewebe, die Reservesubstanz wird absorbiert). Die untere
Hälfte des Muttertieres regenerierte gewöhnlich die Tentakel, die
obere (Abb. 5, 6) regenerierte eine Fußscheibe nicht immer, sondern
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Vorvereuche zur Biologie von Hydra.
45
das Ei (das sich indessen immer mehr abmndet) gleitet an das api-
cale Ende des Mattertieres, so, daß dieses sich nicht mit dem Apical-
pole anzuheften imstande ist und gezwungen ist, liegend zu verharren.
Ein halbes Ovocyt (Abb. 3) erlangte die normale Größe; die andern
blieben nicht sehr dahinter zurück. Auch bei einer Hydra^ die mit
dem Ei der Länge nach entzweigeschnitten worden war, verheilten
beide Hälften und die Eierhälften ebenfalls. Bis zur Einkapselung
kam es noch, aber bis zum Aasschlüpfen
kam keines der operierten Eier, meistens ^'^* ^•
von Pilzen und Bakterien befallen. Bei
einem Hydra-Ei, das eben die erste
Furche angelegt hat, durchschnürte ich
die eine Blastomere mittels eines Haares,
die* am Tiere verbliebene Hälfte furchte
noch weiter, zerfloß jedoch, bevor sie
sich eingekapselt hatte.
Fig. 5.
Fig. 6.
U
Hydra viridis. Nach der Operation eingetretene
Begnlation. Zwei Terschiedene Stadien. Rsicubrt Kibildang an der Knospe von Hydra.
Oc. 2 Obj. 2.
Um die Möglichkeit der Kreuzung zwischen Hydra tmidis und
Hydra fusca (nach Nüssbaüm bestimmt) zu ersehen, besamte ich ein
Ei von Hydra fiisca mit dem Samen von Hydra viridis, das Ei
legte nur erst 3—4 Furchen an und zerfiel. Weitere Versuche in
dieser Hinsicht werden später gemacht, ebenso ist zu prüfen die
Möglichkeit der parthenogenetischen Entwicklung der /Zj/dro-Eier.
Kleinenberg gibt in seiner Monographie: >Hydra^ (Leipzig, 1872)
an, daß sich die durch Knospung entstandenen Hydren nicht ge-
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46 Jovan Hadii
schlechtlich fortpflanzen; ich hatte Gelegenheit einen ganzen Hydra'
Stock (Abb. 7) zu beobachten, wobei eine Ilydra^ die sich noch am
Muttertier befand, bereits ein junges Ovarium angelegt hat. Weiter
beobachtete ich den folgenden Fall: am Mundpole einer bereits deut-
lich ausgebildeten Knospe von Hydra viridü, bildete sich ein Hoden;
die weitere Entwicklung dieser Knospe beobachtete ich nicht.
Zusammenfassung der experimentellen Ergebnisse.
1) H, riiidis besitzt eine größere Widerstandsfähigkeit gegen
C02-Atmosphäre als H. fusca,
2) Im Dunkeln wandern die Zoochlorellen in das Ei von H. viridis
nicht ein und doch sind die auf diese Weise algenlos gemachten Eier
entwicklungsfähig.
3) Die durch Zerschneidung halbierten Ovocyten von Hydra
stellen die normale Größe wieder her.
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Experimentelle Veränderung der Fortpflanzungstätigkeit
bei Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans) und Laub-
frosch (Hyla arborea).
Von
Dr. phil. Paul Kämmerer.
(Aus der Biologischen Versuchsanstalt In Vitien.)
Mit Tafel V.
Eingegangen am 24. Mai 1905.
Einteilung.
° Seite
Einleitung 49
I. Teil: Älytes obstetricans 53
A. Zeitigung der Eier 53
1) Mit Brutpflege des Vaters 53
a) Auf dem Lande 53
b) Im WasBer 58
2) Ohne Brutpflege des Vaters 60
a) Auf dem Lande 60
b) Im Wasser 69
B. Aufzucht der Larven 75
1) Im Wasser (Normalmedium), Verlängerung und Verkürzung des
Larvenzustandes 75
2) Auf dem Lande. Regenerationsfähigkeit der >Landlarven< ... 85
IL Teil: Eyla arborea 101
A. Der Fortpflanzungsakt 101
1) Im Wasserbecken 101
2) In Wasseransammlungen auf Landpflanzen 103
B. Zeitigung der Eier auf dem Lande 114
C. Aufzucht der Larven 120
1) Im Wasser (Normalmedium), Verlängerung und Verkürzung des
Larvenzustandes 120
2) Auf dem Lande 124
Zusammmenfassung 128
Verzeichnis der zitierten Literatur 135
Erklärung der Abbildungen , 139
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Experimentelle Yerändeniiig der Fortpflanziingstätigkeit ubw. 49
Einleitung.
über die Möglichkeit., nnsre Kenntnis vom Artenwandel mit Hilfe exakter Mittel
zu erweitem. Schwierigkeit der unmittelbaren Veränderung morphologischer
Artcharaktere. Leichtigkeit der Veränderung physiologisch-ökologischer Charak-
tere. Ein mittelbarer Weg zur Veränderung der Gestalt führt über die Ver-
änderung der Lebensweise. Dieser Umweg wird möglichst kurz durch Beein-
flussung der Fortpflanzung. Zwei besondere Parallelfälle: Salamandra mactdosa
und Scd, aira einerseits, Hyla arborea und Alices obsteiricans anderseits. Normaler
Fortpflanzungsmodus der beiden zuletzt genannten Batrachier.
». . . Da der Natur ungeheure Zeiträume zur endlichen Ent-
wicklung der jetzt lebenden Arten zur Verfügung standen, wir hin-
gegen während der kurzen Zeit unsrer Forschungen gerade der
Eonstanz der Specificität in viel höherem Maße begegnen, als
der Formyeränderlichkeit, so könnte es erscheinen, als sei das
Experiment am allerungeeignetsten, in Fragen der Artveränderlichkeit
and Abstammung mitzusprechen« [57, .S. 118] i).
Gewiß ist es, daß die Anzahl derjenigen Abhandlungen, welche
es unternehmen, mit exakten Mitteln in die Geheimnisse des
Transformismus einzudringen, eine weit geringere genannt werden
muß als auf andern Gebieten der experimentellen Biologie; und man
gewinnt den Eindruck, als ob in der Tat das Gleichgewicht im
Chemismus nur bei verhältnismäßig wenigen Lebewesen ein noch
hinlänglich labiles sei, um schon im Laufe des Individualdaseins oder
im Laufe der ersten Generationen auf zielbewußt angewandte äußere
Faktoren mit deutlich wahrnehmbaren Eigenschaftsänderungen zu
reagieren.
Die Ursache dieser relativ beschränkten Zugänglichkeit der Arten-
wandlung durch das Experiment scheint mir aber darin zu liegen,
daß fast sämtliche einschlägige Arbeiten darauf abzielen, sofort
morphologische Veränderungen einer Species hervorzurufen. Ab-
gesehen von der Hybridisation, der sich, weil sie jene morphologischen
Venlnderungen mit wünschenswerter Schnelligkeit ergibt, ein weites
Arbeitsfeld eröffnet, die hingegen fttr die Speciesbildung im Tierreich
von nur untergeordneter Bedeutung gewesen sein kann — , abgesehen
also von der Bastardbildung dürften aber wirklich, 'selbst unter niedrig
organisierten Lebewesen, nicht allzu viele Formen übrig bleiben, an
denen tiefgreifende Änderungen der Gestalt schon in kurzer Frist
Platz greifen; es sind dann meist Formen, die noch gegenwärtig auch
1] Die in eckige Klammern eingeschlossenen Ziffern sind Hinweise auf
das Literaturverzeichnis!
Archiv f» Entwickln ogimeclianik. XXII« 4
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50 I^a^l Kämmerer
in der Natur einen mehr oder weniger ausgesprochenen Poly-
morphismus aufweisen, und es lag nahe, unter den Erscheinungen des
Polymorphismus gerade die des Saisondimorphismus als für das Ex-
periment am leichtesten erreichbar zu halten, weil sich dem speku-
lierenden Verstände als Ursache desselben die Temperatur als ein-
facher äußerer Faktor geradezu aufdrängte. —
Viel leichter und allgemeiner jedoch als sämtliche morphologischen
Eigenschaften eines Tieres lassen sich dessen physiologisch-
öcologische Eigenschaften beeinflussen, lassen sich seine Bewegungen,
sein Aufenthalt, seine Nahrung und Fortpflanzung verändern. Diese
in einer bestimmten Weise der Lebensverrichtungen sich oflFenbaren-
den Merkmale sind ebensogut als »Eigenschaften der Specics«
zu bezeichnen, als etwa die Gestaltung und Färbung des Tierkörpers;
daher gehören Änderungen in der Lebensführung ebensogut mit zum
Prozeß der Artwandlung als Änderungen im Bau. Es wird freilich
niemandem einfallen, solche ^Tierexemplare, die eine völlige Über-
einstimmung ihrer morphologischen Charaktere zeigen, als getrennte
Arten aufzufassen, selbst wenn sie sich in physiologischer Beziehung
wesentlich verschieden verhalten sollten; ihre spezifische Trennung
darf aber eigentlich nur in der stillschweigenden, konventionellen
Voraussetzung unterbleiben, daß Lebensverschiedenheiten schließlich
auch Körperverschiedenheiten zur Folge haben mUssen, und um-
gekehrt. In der Regel, bei normalem Verlaufe der Dinge, sind jene
als die primären, diese als die sekundären Veränderungen entstanden
zu denken.
Entsprechend diesem natürlichen Geschehen erhält auch das
Experiment eine viel breitere Operationsbasis, wenn es zunächst nur
darauf ausgeht, die physiologisch- öcologischen Eigentümlichkeiten
einer Species zu verändern; morphologische Folgen dieser Verände-
rungen werden sich im Verlaufe derselben oder doch der nächsten
Generationen mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls einstellen. Die
Methode ist freilich insofern als Umweg zu bezeichnen, als, wie
bemerkt, eine Summe von Tierexemplaren nach der herrschenden
Anschauung erst dann spezifisch fixiert erscheint, wenn sie sich nicht
bloß durch Merkmale der Lebensweise, sondern auch durch solche
des Eörperbanes von andern Individuenkomplexen abgrenzt, somit
die Herbeiführung morphologischer Veränderungen, welche sich dem
Auge im Vergleiche zu den physiologisch-ökologischen Veränderungen
viel schärfer umgrenzt, deutlicher und konstanter darstellen, denn
doch das Endziel aller transformistischen Forschung bleibt
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Experimentelle Veränderung der Fortpflanzungstätigkeit usw. 51
In dem Produkt aller physiologisch-öcologischen Eigenschaften;
welche den Charakter einer Art bestimmen helfen, ist die Fort-
pflanzung ein für die Art so ausschlaggebender, mit ihrem
Körperbaa in so innigem Konnex stehender Faktor, daß wir
Ton vornherein folgendes erwarten dürfen: Veränderungen des Fort-
pflanzungsgeschäftes müßten notwendigerweise am raschesten morpho-
logische Veränderungen nach sich ziehen; künstliche Schwankungen
in der Zeugung und Entwicklung wären sonach das aussichtsreichste
Mittel, welches den Experimentator in die Lage versetzt, den in-
direkten Weg möglichst kurz zu gestalten, der über die Veränderungen
der Lebensweise schließlich zu den Veränderungen der Morphe hinleitet.
Als Fortsetzung meiner Versuche am gefleckten und am
schwarzen Erdsalamander (Salamandra maculosa Laurenti, und
atra Laur.), wo es mir gelungen war, erstens die bei der Fort-
pflanzungsgeschichte eine wesentliche Rolle spielende Anpassung ans
Wasser einerseits, ans trockene Land anderseits aufs äußerste zu
treiben, zweitens die beiden Fortpflanznngsarten hierdurch ineinander
überzuführen [42], — im engen Anschluß also an diese Versuche mit
zwei Urodelen-Arten, habe ich es diesmal unternommen, ähnliche
Experimente, welche ebenfalls auf gegenseitige Annäherung der beider-
seitigen Fortpflanzungsmodi abzielen, mit zwei Anuren-Arten an-
zustellen, nämlich mit der Feßler- oder Geburtshelferkröte
[Mytes obstetricans Laurenti) und dem gemeinen Laubfrosch
{Hyla arborea Linne).
Meine Versuche an den Salamandern waren allerdings durch
einige Umstände begünstigt, auf die ich bei meinen Versuchen an
den genannten Froschlurchen nicht rechnen durfte. Die beiden
Salamanderspecies sind einesteils schon, indem sie zu ein und der-
selben Gattung von Schwanzlurchen gehören, einander nahe ver-
wandt; höchstwahrscheinlich aber ist sogar die eine aus der andern
direkt hervorgegangen, oder es sind doch wenigstens beide Speoies
einer gemeinsamen Grundform entsprossen. Andernteils ist ebenso
von den bei oberflächlicher Betrachtung extrem verschiedenen Fort-
pflanznngsformen jener zwei Species gewiß die eine aus der
andern hervorgegangen, so zwar, daß sich noch gegenwärtig
dort, wo die geographischen Verbreitungszonen der Species aneinander-
stoßen oder ineinandergreifen, in der Natur Annäherungen, ja sogar
förmliche Übergänge zwischen den Fortpflanzungsformen vorfinden.
Deshalb stieß das Experiment, obzwar es sich mit Annäherungen und
Übergängen nicht begnügte, sondern daß die eine Art vollständig die
^ 4*
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52 P&^ Kämmerer
Fortpflanzungsweise der andern annimmt und umgekehrt, zu erreichen
suchte, von vornherein auf einen weit günstigeren, weil von der
Natur selbst wohlgeackerten Boden.
Anders bei Alytes obstetneans und Hyla arborea^ ungeschwänzte
Lurche, die zwei, in bezug auf phylogenetisches Alter und DiflFeren-
zierungshöhe sehr verschiedenen Familien angehören: Alytes wird von
G. A. BouLENGER, desscu auf gründlichen morphologischen und
physiologischen Untersuchungen beruhendes System anscheinend mit
der Stammesentwicklung gut übereinstimmt und heute wohl zur all-
gemeinen Anerkennung gelangt ist [4], in die Familie der Scheiben-
züngler (Discoglossidae), Hyla zur Familie der Baumfrösche
(Hylidae) gestellt. Doch gibt es innerhalb beider Anurenfamilien
einzelne Vertreter, welche durch convergente Anpassung die gemein-
same Neigung erhalten haben, die Abhängigkeit ihrer Eier und
Larven vom Wasseraufenthalt zu vermindern, was durch
Widerstandsfähigkeit derselben gegenüber dem Luftmedium erreicht
wird, manchmal in Verbindung mit Brutpflege.
Entsprechend jedoch der geringen Verwandtschaft, entsprechend
dem Mangel an unmittelbarem phylogenetischen Zusammenhang der
Tier- und deren Fortpflanzungsformen, ist es mir denn auch im Falle
von Alytes und Hyla nicht gelungen, einen vollkommenen
Austausch der Fortpflanzungsmodi und stufenweise Übergänge da-
zwischen zu erzielen; genau genommen bin ich darauf zunächst über-
haupt nicht ausgegangen. Was ich beabsichtigt und durchgeführt
habe, ist lediglich eine extreme Anpassung der Eier und Larven
an den Wasseraufenthalt einerseits, den Landaufenthalt anderseits,
wobei sich allerdings schon gewisse Annäherungen beider Fortpflan-
zungsarten ergeben, die qualitative Verschiedenheit jedoch gewahrt
bleibt.
Die Fortpflanzung der in Kede stehenden Froschlurcharten voll-
zieht sich normgerecht wie folgt:
1) Hyla arhorea sucht zur Fortpflanzungszeit stehende Gewässer
auf Das Männchen springt dem erkorenen Weibchen auf den Rücken,
faßt es in der Achselgrube und drückt ihm die Laichmasse heraus,
welche nach Heron-Royek [31] aus 800—1000 kleinen Eiern besteht
und, nachdem der Same darüber ergossen worden, entweder frei zu
Boden sinkt oder an Unterwasserpflanzen befestigt wird. — Hierdurch
folgt der Laubfrosch demjenigen Fortpflanzungstyp, wie er bei den
Froschlurchen die Regel bildet, der bei allen europäischen Gattungen,
Alytes ausgenommen, Brauch und in allen seinen Betätigungen,
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Experimentelle Veränderang der Fortpflanzungstätigkeit usw. 53
Paarung, Begattung, Eiablage und Entwicklung, unmittelbar auf den
Wasseraufenthalt angewiesen ist.
2) Alytes obstetricaris (und die im Innern der Iberischen Halb-
insel vorkommende Alytes Cistemasi Boscil) verbleibt zur Fort-
pflanzungszeit auf dem Lande. Das Männchen umarmt sein Weibchen
um die Lenden und preBt ihm die Laichmasse, die nach Hkron-
RoTER [31] aus 22—86, nach Melsheimer [51] aus 18—54 auffallend
großen Eiern besteht, heraus, wobei es mit den Hinterbeinen nach-
hilft, indem sie in die Laichmasse eintauchen und diese durch ab-
wechselndes Anziehen und Ausstrecken aus der weiblichen Cloake
hervorziehen. Der Laich bleibt vermöge seiner klebrigen Hülle rund
um die Schenkel des Männchens haften und wird vom letzteren so
lange herumgeschleppt, bis die Embryonen zum Ausschlüpfen bereit
sind und alsbald von ihrem Vater in ein stehendes Wasser entleert
werden. Hier machen sie gleich andern Froschquappen, nur inner-
halb beträchtlich längerer Zeit, den Rest ihrer Entwicklung durch. —
Nicht so sehr durch den während der Gopulation seitens des Männ-
chens mit Hilfe seiner Hinterbeine geleisteten Akt der Geburtshilfe,
als vielmehr durch die Fürsorge, welche es hierauf den von ihm be-
samten Eiern angedeihen läßt, nimmt die Feßler- oder eiertragende
Kröte eine Sonderstellung ein, welche sie einerseits vor sämtlichen
übrigen, Europa bewohnenden Froschlurchen auszeichnet, anderseits
gewissen exotischen, brutpflegenden Froschlurchen nähert, obschon
genau die gleiche Art der Brutpflege noch bei keiner zweiten Anuren-
gattung bekannt geworden ist. Hand in Hand mit Ausübung der
Brutpflege geht das Unabhängigwerden vom Wasser, welches
sieh im Falle von Alytes über die Phasen der Paarung, Begattung,
Eiablage und Embryonalentwicklung erstreckt, also bereits bis zu
jenem Augenblicke durchgeführt erscheint, in welchem die Larven
das Ei verlassen und ihre Postembryonalentwicklung beginnen.
I. Teil: Alytes obstetricans.
1. Versuch: Zeitigung der Alytes-Eier mit Brutpflege des Vaters,
auf trockenem Lande. Die in vorliegender Arbeit geschilderten Zucht-
versuche reichen bis 1894 zurück, in welchem Jahre mir ein Sommer-
aufenthalt zu Weißbad bei Appenzell (Schweiz) zuerst Gelegenheit
gegeben hatte, die Geburtshelferkröte im Freileben kennen zu lernen
und durch eigenhändiges Sammeln das Material für meine Unter-
suchungen zu gewinnen. Seit dieser Zeit ist der merkwürdige Frosch-
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54 Paul Kämmerer
lurch mit ganz geringen Unterbrechungen stets unter meinen ver-
schiedenartigen Pfleglingen vertreten gewesen.
Die zur normalen Zeitigung der Eier notwendigen Männchen,
welche ihre Eierballen um die Oberschenkel der Hinterbeine ge-
wickelt tragen, verschaffte ich mir auf zweierlei Art, erstens durch
den Fang solcher, gerade die Brutpflege ausübender Männchen
während der Paarungszeit, zweitens dadurch, daß meine Geburts-
helferkröten in Gefangenschaft zur Fortpflanzung schritten,
wobei die Männchen sich in naturgemäßer Weise mit Laich beluden.
Die Jagd auf eiertragendc Männchen kann, da Alyles ein echtes Nacht-
tier ist, bei Tage lediglich durch Anfstöbem derselben aus ihren Yersteck-
plätzen geschehen. Diese Verstecke befinden sich in der Gegend von Appen-
zell und St. Gallen (meinen hauptsächlichen Sammelrevieren während der Sommer
1894 und 1903) teils zwischen den Steinen alter Mauern, welche längs der Chausseen
hinlaufen, den Straßenbüschungen als Stütze dienen und sich folglich auf der
einen Seite an das Erdreich anlehnen, — teils bestehen die Schlupfwinkel aus tiefen,
in die Erde gegrabenen Gängen, die zur Fortpflanzungszeit häufig gegabelt sind,
in welchem Falle das Männchen nach vollzogener Paarung stets in dem einen,
das Weibchen in dem andern Zweiggang des Baues sitzt. Ich komme auf diese
interessanten Geologischen Verhältnisse noch in einer besonderen Abhandlung
zurück. Bei Nacht jedoch streifen die Geburtshelferkröten umher, gehen ihrer
Nahrung nach und suchen behufs Anfeuchtnng ihrer Haut das Wasser auf;
hiervon machen in der Regel auch die mit Eiern belasteten Männ-
chen keine Ausnahme, wie ich entgegen den Angaben von Demours [lö],
Agässiz [9], Vogt [65], Koch [46], Fatio [20], Schreiber [60] und Heron-
RoYER [32j, die alle besagen, daß der eiertragende Vater sich in die Erde, in
Fels- und Mauerspalten zurückziehe und hier wochenlang mehr oder minder reg-
los verharre, solange nämlich, bis die Jungen zum Ausschlüpfen und fürs Wasser-
leben reif sind, — jedoch in Übereinstimmung mit de l'Islb [38, 39), Lataste [47],
DtJRiGEN [18] und Boulenger [8] feststellte; sie sind dann bei Mondschein oder
mit Hilfe einer Laterne trotz ihrer hurtigen Sprünge ziemlich leicht zu erhaschen.
Es ist nicht schwer, die Fesslerkröte im Gefangenleben zur Fortpflanzung
zu bewegen. Ich hielt die Tiere, um sie zu züchten, zuletzt immer in großen
Kastenterrarien, wie ich sie in meiner Salamanderarbeit [42, Seite 174 ff.j
beschrieben habe. Doch muß ich einer Vervollkommnung kurz Erwähnung tun,
welche seither in betreff der Bodenentwässerung (Drainage) Platz gegriffen
hat. Die Bodenfläche lasse ich nämlich nicht mehr, wie früher, in Form eines
flachen Trichters herstellen, wobei das Ablaufrohr sich in der Mitte des Terra-
riums, als tiefster Stelle, befindet; der Behälter kann nämlich in diesem Falle
nur auf eine bis zu den Rändern, wo die Peripherie des Terrariums ruht, aus-
gesägte Tischplatte gestellt werden, durch welche Einrichtung viel Standfestig-
keit verloren geht. Jetzt besitzt der Boden derartiger Zuchtbehälter die Form
einer schiefen Ebene, d. h. er senkt sich von der Hinter- zur Vorderwand in
einem Winkel von 20 Graden, und um das Terrarium gerade aufstellen zu können,
steht es nun selbstredend rückwärts auf höheren, vorn auf ganz niedrigen Füßen.
Unter dem Terrariumboden entsteht auf diese Weise ein von der Vorder- zur
Hinterwand schräg im Winkel von 70 Grad an Höhe zunehmender Raum, welcher
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Experimentelle Veränderung der Fortpflanzungstätigkeit usw. 55
bei Haltung* von sehr wärmebedttrftigen Tieren das Einschieben eines Mikro-
gasbrenners oder einer elektrischen Glühbirne gestattet, eine einfache Heizvor-
richtung, welche indessen zu den Zwecken der vorliegenden Arbeit nicht in
Betracht kommt Das Ablaufrohr befindet sich bei dem verbesserten System in
der rechten vorderen Ecke.
Die innere Ausstattung dieser Terrarien, die BodenfUllung, Bepflan-
zung uBw. ist ganz dieselbe, wie in meiner Salamanderarbeit [42] unter Abschnitt
»Technik« ausfülirlich angegeben. Zwar will ich nicht behaupten, daß die ErOten
ausschließlich in solchen, alle erdenklichen Bequemlichkeiten bietenden Terrarien
gezüchtet werden künnen. Im Gegensätze zu den viel empfindlicheren Salamandern
kann man gelegentlich auch in weit einfacheren Gefängpiissen, wie ich sie in
meiner Salamanderarbeit bloß zur Aufbewahrung von Material, das für ana-
tomische Zwecke bestimmt ist, oder fUr den Transport empfehlen durfte [42,
S. 175, 176; 40, S. 297], Erfolge verzeichnen. Indessen bieten in dieser Be-
ziehung doch nur jene Behälter Sicherheit, die eigens zu dem Zuchtzwecke
und mit größter Sorgfalt und Kenntnis der natürlichen Bedingungen eingerichtet
und gepflegt sind.
Recht einfach gestaltet sich die Fütterung der KrOten. Wichtig ist es
nur, daß für etwas Abwechselung gesorgt wird. Kleine Kegenwürmer, kleine
Nackt«chnecken, sowie verschiedene fliegende und kriechende Insekten, als
Stubenfliegen, Küchenschaben, Weichkäfer, von denen ab und zu eine Anzahl
im Terrarium freigelassen wird, endlich Mehlkäferlarven, die in kleinen, flachen
PorzellanschÜBselchen (sog. Zuckei-tassen] im Terrarium aufgestellt werden, ge-
nügen ihren bescheidenen Bedürfnissen.
Die Methode, welche darin besteht, daß man die Männchen erst
in Gefangenschaft sich mit Eiern beladen läßt, weist gegenüber der-
jenigen, eiertragende Männchen im Freien anfzasuchen, zwei recht
schätzenswerte Vorzüge auf: 1) Frischgefangene Männchen streifen
nämlich häufig, wie auch Vogt [65, S. 5] und Hartmann [26, S. 281]
angeben, während des Fanges oder Transportes ihreBürde ab und
beachten sie dann nicht weiter. Nur durch Anwendung äußerster
Behutsamkeit läßt sich jenes vorzeitige Abstreifen vermeiden. Der
Brutpflege-Instinkt ist also hier nicht so hoch entwickelt als beispiels-
weise bei der Sackspinne (Pardosa [Lycosä] saccata Linne), die
ihren am Hinterleib getragenen Eikokon selbst bei argen Störungen
nicht im Stiche läßt, sondern ihn, wenn er ihr abgenommen und nach
einer Weile zurückgegeben wird, hastig wieder ergreift. Leydig [50]
beobachtete allerdings ein eiertragendes Männchen der Geburtshelfer-
kröte, welches sich um seine Brut sehr besorgt zeigte, ängstliche Ab-
wehrbewegungen machte und Klagelaute ausstieß, als man ihm die
Anhefhmgsfäden seiner Bürde vorsichtig durchschneiden wollte. Ich
glaube aber, Lbtdigs Schilderung dennoch zu entnehmen, daß die
Angst des betreffenden Tieres nicht seiner Nachkommenschaft, sondern
der eignen Gefalir galt; speziell gegen Kitzelempfindungen, wie sie
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56 Paul Kammerer
wahrscheinlich durch das behutsame Berühren mit dem. Schneide-
instrument ausgelöst wurden, sind die Froschlurche sehr empfindlich
und reagieren heftig darauf, selbst wenn sie sich sonst von noch so
ruhigem Naturell zeigen. Seit ein paar Jahren an die Gefangenschaft
gewöhnte und hier zur Fortpflanzung schreitende Männchen sind nun
weit weniger empfindlich gegen Störungen, als frischgefangene; viel-
mehr werden jene so zahm, daß sie ruhig auf der Hand sitzen bleiben,
während man die Eier mit der Lupe untersucht, einzelne mittels einer
spitzen Schere herauslöst usw., ohne sich zum Abstrampeln der Bürde
veranlaßt zu sehen. 2) Der andre Vorteil des Züchtens in Gefangen-
schaft besteht darin, daß man die Eier vom Moment des Ablegens
begonnen den gewünschten Einflüssen auszusetzen vermag, wogegen
man bei gefangenen Männchen selbstredend auch vorgeschrittenere
Stadien mit in Kauf nehmen muß.
Mit Rücksicht auf Latastes [47] und eigne Beobachtungen an
freilebenden wie an gefangenen Geburtshelferkröten, welche ungeachtet
ihres Brutgeschäftes nicht nur frei umherstreifen, sondern auch regel-
mäßig das Wasser aufsuchen, stellte ich mir bei Anordnung meines
ersten Versuches zunächst die Frage, ob jene häufigen Bäder, die das
Männchen gleichzeitig sich selbst und den Eiern zu teil werden läßt,
ftlr die Entwicklung der Embryonen notwendig oder doch von Be-
deutung sind. Gleichzeitig mit Entzug der Badegelegenheit ging ich
darauf aus, den Eiern überhaupt so wenig Feuchtigkeit, als es nur
möglich, d. h. ihnen und deren Schützern erträglich ist, zu gewähren,
wodurch gleichzeitig zu dem folgenden Versuch (Nr. 2) die erwünschte
Gegensätzlichkeit der Bedingungen hergestellt erscheint. Von der
Vermutung, das zeitweilige Eintauchen der Eier sei ein unentbehr-
licher Faktor zu ihrer Entwicklung, war auch Lataste bei seinem
später noch genauer zu beschreibenden Versuch, die Eier ohne Mithilfe
des väterlichen Tieres zu zeitigen, geleitet worden, indem er die
untertags in feuchtem Moos aufbewahrten Laichballen allabendlich ein
paar Minuten lang ins Wasser legte.
Entsprechend dieser Fragestellung entzog ich also den zum Versuch aus-
erlesenen Männchen das Wasserbecken und sorgte, nicht genug an dem, nur
durch verhältnismäßig schwaches Besprengen für die zur Erhaltung ihres Lebens
unumgänglich notwendige Feuchtigkeit. Diese durfte nicht einmal so stafk vor-
handen sein, daß irgendwo, z. B. an Moos oder Steinen, größere Wassertropfen
hängen bleiben und etwa beim VorUberstreifen der Tiere auf die Eier fallen
konnten.
Bald überzeugte ich mich, daß die Entwicklung trotz Wasser-
mangels vonstatten ging. Nach 37—42 Tagen, vom Tage der Ab-
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Experimentelle Veränderung der Fortpflanzangstätigkeit ubw. 57
läge an gezählt, begann, gleichfalls ohne Wasser, das Ausschlüpfen
der Quappen : die hart und spröde gewordenen Eihtillen barsten und
zeigten Bisse, die von den Quappen mit Hilfe ihrer hornigen Kiefer
aasgenagt und so erweitert wurden, bis sie zum Durchschlüpfen
hinreichenden Platz boten. Nach weiteren 10 — 14 Tagen waren alle
Eier, soweit sie befruchtet worden waren, leer. HkrontRoyer hat
also Unrecht, wenn er behauptet [31, S. 284], daß die Larven ohne
den lösenden Einfluß des Wassers aus ihren Eikapseln nicht zu ent-
weichen imstande sind, sondern darin zugrunde gehen müssen. Sein
Irrtum befremdet um so mehr, als gerade er der erste war, welcher
die Nagetätigkeit der ausschlüpfenden Larven, welche sie von einem
Erweichen der Schale unabhängig macht, genau beobachtet hat [33,
Seite 428 — 430], nachdem schon früher Koch [45] ein solches aktives
Eingreifen der Larven aus dem Umstände vermutet hatte, daß die
Eier sich stets an derjenigen Stelle öflFnen, wo just der Mund der
Larve zu liegen kam^ Heron-Koyer fügt allerdings hinzu, daß der
Reiz des die Hülle durchdringenden Wassers nötig sei, um den Be-
ginn des Nagens auszulösen; wenn aber dieser sicher sehr wirksame
Reiz zu lange ausbleibt, die Larven nichtsdestoweniger am Leben
bleiben, dann schreiten sie begreiflicherweise doch schließlich zu ihrer
Befreiung, auch ohne besonderen Antrieb.
Viele von den im Trockenen herausgekrochenen Kaulquappen
vermochte ich auf dem Erdboden des Behälters zappelnd vorzufinden,
und ich beförderte sie sorgsam in ein Wassergefäß, wo ihre weitere
Entwicklung in normaler Weise vonstatten ging. Einen Teil der im
Trockenen zur Welt gekommenen Quappen verwendete ich sofort zum
Versuch Nr. 6.
Gegenüber gleichzeitig kultivierten Kontrollzuchten, wo die Väter
wie in freier Natur Gelegenheit hatten ins Wasser zu gehen, wies
der im soeben beschriebenen Versuch stattgefundene Entwicklungs-
prozeß folgende Unterschiede auf: 1) Der Zeitpunkt bis zum Be-
ginn des Ausschlüpfens war etwas verzögert: diejenigen Eier,
welche von regelmäßig badenden Männchen getragen worden waren,
entließen die in ihnen enthaltenen Quappen schon nach 29 — 37 Tagen,
wogegen hier, wie erwähnt, 37—42 Tage erforderlich gewesen waren.
2) Das Schlüpfen der einzelnen Jungen erfolgte innerhalb
längerer Zeitintervalle. Im Wasser hingegen vollzieht sich das
Schlüpfen aller Larven beinahe gleichzeitig, und es kommt dort nur
sehr selten vor, daß ein Männchen eines Abends im Bade nur einen
Teil seiner Nachkommenschaft los wird und den Rest noch bis zum
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58 Paul Kammerer
folgenden, äaBersten Falles noch bis zum nächstfolgenden Abend
beherbergt. 3) Bei relativer Trockenheit der Umgebung
konnten die Männchen ihre Btlrde nicht so leicht los
werden, sondern trugen sie noch 6 — 11 Tage nach deren
völligem Leerwerden an den Schenkeln. Die schleimige
Gallertmasse, welche sowohl die einzelnen Eier umhilllt, als auch
dieselben untereinander zu einer Schnur verbindet, geht nämlich an
der Luft stark ein, wird beim Trocknen zähe und zunächst noch
klebriger als am Anfang, gewinnt aber schließlich eiue harte
Beschaflfenheit, die von Vogt [65, S. 5] »kautschukähnlich«, von
Bruch [11] »lederartig« genannt wurde. So winden sich die Laich-
schnüre eng, gleich einer Fessel im wahren Sinne des Wortes, um
die Gliedmaßen und lassen oft sogar deutliche Striemen, Strangu-
lierungsrinnen, wie auch Vogt [65, S. 6] und Heuox-Koyer [33,
S. 427] bemerkt haben, an den Schenkeln zurück. Bald nach
dem Ablegen der Eieir und Aufnehmen der Last kann sie noch leicht
abgestreift werden, später wird dies schwieriger, und je trockener
die Umgebung, desto knapper sitzt die Fessel. So kam es, daß die
Männchen in meiner Trockenkultur die leer gewordenen Eihülsen
noch eine Weile mit sich herumschleppten, während in meiner Kontroll-
kultur mit Wasserbecken gleichwie im Freileben das Abstreifen des
Eierballens ausnahmslos gleichzeitig mit dem im Wasser vor sich
gehenden Auskommen der Jungen erfolgte. Das über den Moment
der Geburt hinaus fortgesetzte Tragen des Paketes könnte vielleicht
auch in der Weise erklärt werden, daß der Vater, weil er verhindert
ist, die Bürde in gewohnter Weise im Wasser abzuwerfen, zunächst
gar nicht bemerkt, daß die Brut seiner Obhut bereits entwachsen ist.
Ich glaube aber nicht, daß diese, wenn auch nahe liegende Deutung
in Anbetracht der sicher vorhandenen, rein mechanischen Ursache
noch berechtigt wäre.
Scheinbar gewährt das positive Ergebnis des vorstehend be-
schriebenen Versuches der von de l'Isle [38, 39J ausgesprochenen
Ansicht, welche den Eiern und Embrj^onen durch Vermittlung des
väterlichen Körpers die nötige Feuchtigkeit zukommen läßt, eine
Stütze. Daß jene Ansicht aber trotzdem nicht zutrifft, soll durch den
3. Versuch bewiesen werden.
2. Versuch: Zeitigung der Alytes-Eier mit Brutpflege des Vaters,
im Wasser. — Der nächste Schritt war nun der, die Eier zur primären
Form der Anurenfortpflanzung dadurch zurückzuführen, daß jene
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Experimentelle Veränderang der FortpÜanzongstätigkeit usw. 59
wiederum dem ihnen ursprünglich heimiBchen Element, dem
Wasser, übergeben wurden. Doch wollte ich sie zunächst der Ob-
sorge des Männchens noch nicht entziehen. Deshalb setzte ich die
mit Eiern behafteten Männchen in ein Aquarium, das über einer
Schicht reingewaschenen Sandes 1 cm hoch mit Wasser angefUllt war.
Die Kier waren dergestalt meist ganz untergetaucht, mindestens jedoch
fortwährend vom Wasser umspült, während ihre Träger sich infolge
des seichten Wasserstandes nirgends zu schwimmen gezwungen sahen,
überall festen Grund und Boden fanden und daher am bequemen
Atemholen nicht gehindert wurden. Um sie, denen ein dauernder
Wasseraufenthalt ganz ungewohnt ist, möglichst wenig unruhig werden
zu lassen, stellte ich ihnen aus Steinen dunkle Höhlen her.
Trotzdem gelang der Versuch nicht: zwar ergaben sich
die gleich nach Vollzug ihres Geburtshelferaktes ins Wasser gesetzten
Männchen bald in ihr Schicksal, bezogen ihre Versteckplätze und
verhielten sich darin leidlich ruhig. Allein die nasse Umgebung ließ
kein Antrocknen des Eiüberzuges zustande kommen; dieser blieb
beständig weich und elastisch, so daß sämtliche Männchen schon
nach 1 — 2 Tagen ihre Eierballen ohne jede krampfhafte oder auch
nur absichtlich erscheinende Anstrengung verloren hatten. Auf solche
Weise ging dieser zweite Versuch unmittelbar in den Versuch Nr. 4 über.
In analoger Weise, wie beim vorausgegangenen Versuch das
abnorm lange Tragen der Bürde, könnte im jetzt geschilderten Falle
das vorzeitige ungezwungene Fallenlassen derselben als eine Instinkt-
oder Intelligenzhandlung seitens des Männchens aufgefaßt
werden: das brütende Tier sieht sich von Wasser umgeben, ergo
glaubt es den Zeitpunkt der Reife für die Jungen gekommen und
streift in gewohnter Weise die Fessel ab. Diese Auffassung einmal
behauptet, dürften auch jene Beobachter, welche eine auf dem Lande
im Verborgenen zugebrachte Brütezeit mit dem darauf behufs Frei-
lassung der reifen Larven folgenden Wasseraufenthalt in Gegensatz
bringen, sich in ihrer Ansicht bestärkt fühlen. Dem gegenüber möchte
ich jedoch nochmals ausdrücklich meinen Standpunkt betonen, laut
welchem ich die physikalische Beschaffenheit der EiumhüUung als
allein maßgebenden Faktor ftir das Anhaften, bzw. ftlr das Herunter-
fallen der Bürde verantwortlich mache. Abgesehen von jener Be-
schaffenheit selbst spricht hierftir eben schon die insbesondere von
Lataste hervorgehobene Tatsache, deren ich bereits vorhin Er-
wähnung tat, nämlich, daß die Männchen während ihrer »Brütezeit«
durchaus keine veränderte Lebensführung innehalten, daß es somit
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60 Paul Kammerer
nicht ein besonderer Instinkt oder das Empfinden der zappelnden Be-
wegungen ihrer nach außen strebenden Embryonen zu sein braucht,
was die Tiere ins Wasser treibt, sondern lediglich Alltagsgewohnheit
3. Versuch: Zeitigung der Al^es-Eier ohne Brutpflege des
Vaters, auf dem Lande. — »Die Männchen der Geburtshelferkröte«,
so schreibt Hartmann [26, S. 281] , »tragen nicht immer die Eier-
ballen bis zu ihrer Entwicklung. Plötzliche Störungen, welche das
Tier derart beängstigen, daß es zu schneller Flucht gezwungen ist,
veranlassen es, die lästige Fessel abzustreifen.« Aber auch mecha-
nische Ursachen, beispielsweise nach Hartmanns Erfahrungen zu enge
Höhlen, gewaltsame Anstrengungen des Feßlers, sich zwischen Steinen
und Wurzeln hindurchzuzwängen, bewirken dasselbe. Trotz der Eier-
last klettert das Männchen die steilsten Mauern empor, gräbt sich
seine Höhle, springt nach der Nahrung [28, S. 3091, ja leistet ge-
gebenen Falles noch einem oder mehreren weiteren Weibchen Geburts-
hilfe, so die erste Bürde verdoppelnd oder vervielfachend [38, 39'.
All diese Exzesse lassen es hinreichend erklärlich erscheinen, wenn
man zuweilen im Freien ledige Eierballen auffindet. Femer trifft
man männliche Exemplare, denen die Eierballen auf die Unterschenkel,
ja auf die Fußgelenke gerutscht sind, und solche, wo jene nur noch
an einem Fuß hängen. Derartige Verluste finden nach Vogt [65,
S. 5] und Hartmann [26, S. 281] im Anfange der >BrUtezeit« (wenn
die EihüUen noch nicht so stark angetrocknet sind!) leichter statt
als später, woraus folgt, daß jüngere Embryonen, welche des väter-
lichen Schutzes angeblich noch nötiger bedürften, häufiger davon be-
troffen werden als vorgeschrittenere.
Was geschieht nun mit solch verwaisten Eiern? Hart-
mann [26] gibt auf diese Frage folgende Antwort: »In den verlorenen
Eierballen entwickeln sich die Larven ebensogut wie in solchen,
welche von dem Froschilurch mitgeschleppt werden. Die Larven
verlassen die EihüUe zur richtigen Zeit, aber da sie in emem ver-
kehrten Element das Licht der Welt erblicken, so gehen sie auch
sofort, nachdem sie es erblickt haben, ein.« Inwieweit die letztere
Erfahrung immer zutreffen muß, soll erst meinem 6. Versuch zu kon-
statieren vorbehalten bleiben. Der jetzt zu besprechende Versuch
hat zunächst nur die Aufgabe, zu ermitteln, in welcher Weise die
Embryonen in verwaisten Eiern zur Entwicklung gelangen.
DE l'Isle [38] war es nicht gelungen, Laichballen, die dem
männlichen Feßler abhanden gekommen waren, zu zeitigen. Er zieht
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Experimentelle VeränderaDg der Fortpflanzungstätigkeit usw. 61
den Schluß, daß die seitens des väterlichen Tieres ausgeübte Brut-
pflege flir die Entwicklung der Eier unentbehrlich sei, indem jenes
den Eiern von seiner eignen Körperfeuchtigkeit zuführe.
Auch FisCHER-SiGWART [21, S. 27] hatte derartige Experimente
ohne Erfolg angestellt: »Versuche, unreife Eier, die von eiertragen-
den Männchen der Geburtshelferkröte vor ihrer Reife abgelöst worden
waren, zur Entwicklung zu bringen, mißlangen stets. Sowohl im
Wasser, auf feuchtem Moose oder andern feuchten Gegenständen, als
auch auf dem Trockenen unter möglichst gtlnstigen Umständen starben
sie bald ab und gingen in Fäulnis Über oder verdorrten. Sie müssen
demnach bis zur Reife vom Männchen herumgetragen werden und werden
durch die, wenn auch geringe, Körperwärme ihres Trägers ausgebrütet. «
Dem entgegen erfuhr Lataste [47], daß die Entwicklung der
Embryonen in losgelösten Eierballen, die er bei Tage im Finstern,
unter feuchtem Moos, aufbewahrte und des Abends einige Minuten
lang ins Wasser tauchte, ebensogut vonstatten ging als in solchen,
die ihrem Vater belassen wurden.
Hkron-Royer [33, S. 418—420] stellte sich aus zwei ührschäl-
chen einen kleinen Bruttrog her, um die Eier gelegentlich seiner
Untersuchungen über die Embryonalentwicklung von Ah/tes in einer
der Beobachtung stets zugänglichen Umgebung zu haben: das eine
Uhrglas verwandte er als Untersatz, das andre als Deckel: in beide
bohrte er an gegenüberliegenden Seiten je ein kleines Loch, um eine
schwache Luftzirkulation zu ermöglichen. In den Untersatz kommt
ein vierfach zusammengelegtes Fleckchen weißer Leinwand, das zu
Beginn des Versuches leicht mit Wasser getränkt, dann morgens uhd
abends durch Zugießen von einem bis zwei Tropfen auch weiterhin
gleichmäßig feucht erhalten wird. Bevor Heron-Royer das Ei in
die Mitte dieses Bruttroges auf die feuchte Leinwand legt, beraubt
er es seiner äußeren Bedeckung, der Gallerthülle, welche wegen ihrer
klebrigen Beschaffenheit leicht Schmutzteilchen anhaften läßt und
dadurch zu einem Hindernis für die Beobachtung wird: um diese
Hülle zu entfernen, wird zuerst ein schmaler Streifen davon mittels
einer feinen Schere herausgeschnitten, dann der Rand der so ent-
standenen Spalte erfaßt und von ihm aus das Häutchen zurückge-
schlagen; häufig zerreißt es nach dem ersten Anschnitt und dem
Zurückschlagen der Randpartie ohne weitere Bemühung, d. h. ohne
daß es nötig wäre, jdas Häutchen rundum abzuschälen, sondern fallt
plötzlich in einem Stück ab. Das enthäutete Ei nahm bei gleichen
Feuchtigkeitsbedingungen viel schneller an Volumen zu als die nicht
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62 Paul Kammerer
SO behandelten Eier und überholte letztere auch in bezug auf den
Moment des Ausschlüpfens um einige Tage. Hkron-Royer lehrt uns
die Wärme, das Licht und die Feuchtigkeit als beschleunigende Fak-
toren der Entwicklung kennen, die Feuchtigkeit jedoch nur bis zu
einem gewissen, beschränkten Grade, der das Optimum darstellt und
von welchem aufwärts sie den Eiern schädlich, ja verderblich wird.
Wie wir bald sehen werden, decken sich meine Erfahrungen, was
Wärme und Licht anlangt, bedingungslos mit denen Heron-Royers,
während sie hinsichtlich der Feuchtigkeit flir die Majorität der Eier
zwar ebenfalls zutreffen, aber flir eine »atavistisch veranlagte« Mino-
rität, die bei ständiger Immersion zu schnellster Reife gelangt, keine
Gültigkeit erlangen.
Mit den beiden zuletzt geschilderten Experimenten war also jeden-
falls die ältere Vermutung de l'Isles und die spätere Fischek-
SiGWARTS, dem Latastes und Heron- Royers Versuche offenbar
entgangen waren, widerlegt. Es war festgestellt, daß ein Aus-
brüten, sei es mit Hilfe der väterlichen Leibesfeuchtigkeit, sei
es mittels dessen geringer Blutwärme, zum mindesten der Nach-
kommenschaft entbehrlich sei, und daß es keinerlei Verzögerungen
oder Verkümmerungen im Entwicklungsgang zur Folge hat, wenn
der den Eiern gewöhnlich zuteil werdende Schutz vorzeitig in Weg-
fall kommt.
Sinnreiche Experimente hat noch Hartmann [26, 28] diesbezüg-
lich ausgeführt. Verwaiste Eierballen, die der Genannte in der Natur
und in seinem Terrarium vorgefunden hatte, vergrub er in die an
d6r Fundstelle vorhanden gewesene Erdsorte und hielt sie unter
gleichen Feuchtigkeitsbedingungen, wie sie draußen im Freien herr-
schend waren. Auch in feuchtes Moos gehüllte Eierballen kamen
aus. »Man mache in feuchte — nicht nasse — ■ Erde ein Loch mit
dem Finger, lege den Eierballen hinein und decke ihn mit derselben
Erde zu. Ich lege meistens etwas feuchtes Moos über den Ballen,
um ihn in bequemer Weise auf seine spätere Entwicklung hin beob-
achten zu können, ohne ihn berühren zu müssen. Je nachdem mache
ich das Moos naß und wringe es ans.« — Diese Aufbewahrung des
Laiches erleidet eine Veränderung, sobald die Embryonen zum Aus-
schlüpfen bereit geworden. Letzteres Stadium erkennt Hartmann an
folgenden Merkzeichen : der Dotter ist, wie mittels einer Lupe leicht
feststellbar, fast oder ganz aufgezehrt, der von Letdig [60] beschrie-
bene Dottersack im Resorbiertwerden begriffen; beim Drehen der
Gier stellen sich die Embryonen stets so ein, daß die Augen nach
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ExperimentcUe VerUndeiung der Fortpflanzungstiitigkeit usw. 63
oben sehen; auch sonst bewegen sie sich schon bei den zartesten
Hertthrongen, sogar bei starkem Anblasen. Sind also die Eier so
weit gediehen, so wird der Ballen in der Mitte eines Zwirnfadens
festgebunden. An beiden Enden des Fadens werden Steine befestigt
und die Schnur nunmehr derart tlber einen Wassernapf gelegt, daß
das unterste Ei den Wasserspiegel eben bertlhrt. So bleiben alle
Eier feucht, und beim Ausschlüpfen fallen die Larven ins Wasser.
Es dauert manchmal 48 Stunden bis zum völligen Entleeren eines
so aufgehangenen Ballens, wogegen die Entleerung sämtlicher Ei-
hallen eines von einem Lurche getragenen Ballens blitzschnell erfolgt.
Einige starke SchwimmstöBe des Tieres bewirken, daß die HUllen
platzen und das Völkchen »wie eine gehetzte Hammelherde« im
Aquarium auseinander stiebt. »Hätte ich den (zum Ausschlüpfen reif
gewordenen, ohne Männchen gezeitigten) Ballen im Wasser stark hin
und her bewegt, so wäre es möglich gewesen, daß alle Larven auf
einmal ausgekrochen wären. Deü richtigen Augenblick kannte ich
aber nicht, vermutete jedoch, daß die Larven eingegangen wären,
wenn ich den Ballen einfach ins Wasser geworfen hätte, da sie ja
bei natürlicher Züchtung auch erst ins Wasser kommen, wenn es
Zeit ist.« Später [28, S. 309] überzeugte sich Habtmann noch, daß
es Eiern, welche die oben aufgezählten Reifeanzeichen aufweisen,
nichts mehr schadet, wenn sie direkt ins Wasser geworfen werden.
Doch davon soll der nächste Versuch handeln.
Meine eignen Versuche, Älytes-Eiet ohne Beihilfe des Männchens,
und zwar zunächst noch in ihrem Normalmedium, das ist also auf
dem Jjande, zu zeitigen, stellen lediglich eine Wiederholung und Er-
weiterung der Lataste-, Heron-Koyer- und HARTMANNSchen Ver-
suche in bezug auf verschiedene Licht- und Feuchtigkeits-
bedingungen dar.
Es kam mir dabei nicht so sehr auf bloße Nachprüfung der
referierten Versuche an, als hauptsächlich darauf, die Entwick-
lungsgeschwindigkeiten miteinander zu vergleichen, welche sich
einerseits zwischen den Kulturen mit und ohne männliche Brut-
pflege, anderseits bei Kulturen in verschiedenen Feuchtigkeits- und
Beleuchtungsgraden ergeben würden. Umstehende Tabelle veranschau-
licht die hinsichtlich jener Fragestellung erzielten Ergebnisse.
Ganz allgemein ausgedrückt wirken also Feuchtigkeit und
Licht, jedes für sich gleichwie miteinander kombiniert, be-
schleunigend, Trockenheit und Finsternis ebenso verzö-
gernd auf die Entwicklung der Embryonen ein. Damit ist zugleich
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64
Paul Kämmerer
A. Eier ohne Männchen
B. Eier vom Männchen
getragen
Zeitdauer in Tagen
(vom Tage der Befrucbtang an):
Kulturbedingnisse der Eier
Zeitdauer in Tagen
(vom Tage der Befruchtung an):
bitt zam Beginn
bis zum Leer-
bis snm Beginn
bis sam L«er-
des Schlüpfenu
werden aller Eier
des Sohlfipfens
werden aller Eier
finster; feucht, täglich
1
5 Minuten gebadet .
34-37
39-42
33-37
33-37
finster; in dunstgesättig-
\
tem Raum
38-39
4Ö-47
1 38-39
39
finster; in relativer
I
i
Trockenheit ....
41 42
6Ö-58
40-42
44
bell; feucht, täglich
1
ö Minuten gebadet .
29--31
33
29-30
29-30
hell; in dunstgesättig-
tem Raum
32
39-41
1 31-32
32-33
hell; in relativ. Trocken-
1
heit
37-39
49-61
1 37-38
40-41
erwiesen, daß Lataste, der die Eier vor Licht behütete, um die
natürlichen Bedingungen herzustellen, dies nicht zum Nutzen der
Eier tat, und daß femer Hartmann, dem die HERON-RoYERSchen
Versuche unbekannt zu sein scheinen und der ausdrücklich bemerkt,
Licht sei den Eiern schädlich, sich in dieser Voraussetzung irrte. —
Es macht vreiter für die Entwicklungsgeschwindigkeit keinen Unter-
schied, ob die Eier vom Männchen getragen werden oder sich selbst
überlassen bleiben: konstante Zeitdifferenzen hierftir sind nicht vor-
handen. Rascher vollzieht sich nur das gänzliche Leerwerden des
bereits ausschlüpfreifen Eierballens, wenn dieser von einem Männ-
chen getragen wird, aber nicht etwa deshalb, weil in einem solchen
schnellere Entwicklung stattgefunden, sondern bloß infolge der ener-
gischen Bewegungen, die das Männchen im Wasser ausführt: schüttelt
man einen ohne Brutpflege ausschlüpfreif gewordenen Ballen im
Wasser tüchtig hin und her, so erzielt man denselben Effekt, nämlich
beinahe gleichzeitiges Auskommen aller darin enthaltenen Larven.
Die frisch ausgekrochenen Larven befanden sich alle, gleich-
gültig unter welchen äußeren Faktoren die Eier gehalten worden,
gleichgültig auch, ob sie die Brutpflege des Männchens genossen
hatten oder nicht, auf derselben Entwicklungsstufe, d. h. sie
waren von gleicher Größe (nämlich ohne konstante Größendiffe-
renzen von der Schnauze bis zur Schwanzspitze 16 — 18 mm lang)
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Experimentelle Veränderang der Fortpflanzongstätigkeit usw. 65
und von gleicher äußerer Gestalt. Die äußeren Kiemen waren
überall schon geschwunden, wie dies für die ^Z^^-Quappen über-
haupt als Abweichung yon denen aller andern europäischen Frosch-
Inrche durch verschiedene Autoren festgestellt wurde. — Es ist mög-
lich, daß eine histologische Untersuchung, die ich nicht vornahm,
dennoch geringfügige Unterschiede im Entwicklungsstadium der auf
verschiedene Weise zur Eeife gelangten Älytes-Eier zutage gefördert
hätte.
Durchaus ungleich war jedoch die Pigmentierung der frisch
geschlüpften Larven, wobei wiederum Licht und Feuchtigkeit förder-
lich, Dunkelheit und Trockenheit hinderlich in bezug auf deren In-
tensität einwirkten. Diejenigen Larven, welche aus hell und feucht
gehaltenen, täglich gebadeten Eierballen stammten, waren bei ihrer
Geburt tiefschwarz, von welcher Grundfarbe die golden schimmern-
den Fleckchen sich scharf abhoben. Larven hingegen, welche aus
dunkel und relativ trocken (d. h. immer unter Gewährung eines mini-
malen, zur Fristung ihres Lebens ganz unentbehrlichen Feuchtigkeits-
gehaltes) kultivierten Eiern auskamen, waren nach ihrem Schlüpfen
graubraun, und die metallischen Punkte zeigten sich ungefähr gleich
an Zahl und Größe, aber weniger auffallend, von matterem Glänze.
Erst im weiteren Verlaufe des Wachstums gleichen sich, gleiche Be-
dingungen vorausgesetzt, diese ziemlich schroffen Abstände allmählich
aus, und zwar völlig, so daß man, wenn die Larven erst einmal
Hinterbeine bekommen haben, die einen von den andern nicht mehr
unterscheiden kann. Sie stimmen dann mit der von de Bedbtaoa
[3, S. 351 und 352 der Separatausgabe] gegebenen Beschreibung
überein. Scheinbar steht mein Befund im Widerspruch mit Versuchs-
ergebnissen von H^RON-EoYBR [30, S. 63] , welcher Forscher Alytes-
Larven, die aus verschieden hoch gelegenen, auch sonst verschiedene
Existenzverhältnisse aufweisenden Lachen stammten und dement-
sprechend verschieden koloriert waren, ihre ursprüngliche Nuancierung
auch fernerhin beibehalten sah, trotzdem er sie in Gefangenschaft
nivellierenden Bedingungen aussetzte: die Ursache hierfür liegt sicher-
lich darin, daß die von Hkron-Royer im Freien gesammelten Larven
schon vorgerückteren Stadien angehörten als meine Versuchstiere,
welche ja den experimentellen Faktoren vom Momente ihres Aus-
kriechens ausgesetzt blieben, und daß demnach die Pigmentierung
der HERON-EoYERSchen Larven von deren natürlichem Aufenthaltsort
her schon zu sehr fixiert war, um gegen äußere Einflüsse noch
späterhin empfindlich zu sein.
ArehiT f. EntwieUvogsmechaiiik. XXU. 5
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66 Panl Kämmerer
Eb ist hier der Ort, um über die Ausführbarkeit eines von
JoüRDAiN [37] vorgeschlagenen Versuches zu diskutieren, nämlich,
durch geeignete Eingriffe der Feßlerkröte den direkten, ohne Larven-
stadium, ohne Metamorphose ablaufenden Entwicklungsgang auf-
zuzwingen, wie er beim Antillenfrosch oder Coqui [Hylodes mar-
tinicensis Tsohudi) entdeckt worden ist. Jourdain sagt darüber folgen-
des: »Experimentell erlaubt es die Anpassungsfähigkeit der Amphibien,
daß man die Larve bei den speziell differenzierten Formen jenem
fischähnlichen Zustand, den man mit gutem Recht den Ahnenzustand
nennen darf, nähert oder von ihm entfernt. Die Erfahrungen Fräulein
VON Chauvins zeigen dies für Salamandra atra, , Experimente, die
ich vor mehreren Jahren an Alytes unternahm und die Materialmangel
mich unvollendet zu lassen zwang, haben mir den Beweis geliefert,
daß es möglich ist, in jenem doppelten Sinne auf die Larve des ge-
nannten Anuren einzuwirken. Ich bin dazu gelangt, den Moment,
in welchem die Larve das Ei verläßt und sich dem flüssigen Ele-
mente anbequemt, beträchtlich zu beschleunigen und zu verzögern.
Ich bin überzeugt, daß man mit Hilfe entsprechender Maßregeln
dahin käme, jenen Batrachier in die bemerkenswerten Verhältnisse
des Hylodes überzuführen oder ihn denselben doch wenigstens stark
zu nähern.« H^on-Boyer macht [31, S. 284 und 285] gegen diese
Möglichkeit folgende Einwände: 1) Unter den europäischen Anuren
sei es bei Alytes am aussichtslosesten, den Larvenzustand eliminieren zu
wollen, weil gerade dieser Froschlurch am längsten braucht, um die
Eaulquappenstufe zu überwinden. 2) Die Verlegung der ganzen Ent-
wicklung bis zur Fertigstellung des Imago in das Ei würde eine
vollkomn^ne Umgestaltung der Atmungsorgane, ja aller physiolo-
gischen Vorgänge überhaupt beanspruchen, eine Forderung, die selbst
von der vielgerühmten Anpassungsfähigkeit der Batrachier nicht er-
füllt werden könne.
Den ersten Einwand werde ich später widerlegen, gelegentlich
meines Versuches Nr. 11 (an Hyla arborea). — Bei Betrachtung des
zweiten Einwandes fragt sich der Leser, wie sich wohl Heron-Boyer
das Zustandekommen der direkten Entwicklung bei Hylodes vorstellt,
wenn nicht eben durch die hochgradige Anpassungsfähigkeit der
Batrachier? Heron-Royer spricht sich hierüber nicht aus, sondern
gibt uns nur insofern einige Aufklärung über seine Anschauungen,
als er [31, S. 284] sagt, Hylodes sei nicht verwandt mit unsem
heimischen Batrachiern, und deren Eier seien nicht den nämlichen
Bedingungen unterworfen wie die von Hylodes; ferner [I.e., S. 283],
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Experimentelle Verändenmg der FortpflanznngstStigkeit asw. 67
die Natnr habe die Phasen des Embryonallebens den Verhältnissen
gemäß geregelt, und er wandere sich daher, daß man heutzutage
immer noch zu erweisen sucht, wie jene natürlichen Regeln sich bei
den Anuren unsrer Gegend infolge der oder der Ursache modifizieren
oder umgestalten könnten.
Das Argument betreffend mangelnder Yerwandtschafi; unsrer
Batrachier mit dem Blattfrosch von Martinique, einem Cystignathiden,
wird hinfällig durch die spätere Entdeckung einer fieihe andrer,
ebenfalls ohne freilebenden Laryenzustand zur Entwicklung gelangen-
der Froschlurche aus den verschiedensten Familien und den ver-
schiedensten Ländern, so Rana opistkodon Boulenger von den Salo-
mon-lnseln aus der Familie der echten Frösche (Ranidae) [5], Hyla
goeldü Boulgr., Brasilien, aus der Familie der Baumfrösche (Hylidae)
[7, 25], Pseudüphryne vivipara Tornier, Deutsch-Ostafrika, aus der
Familie der Kröten (Bufonidae) [64] usw. Das andre Argument be-
treffend, hält es HäRON-RoYER fUr ausgeschlossen, jene äußeren Be-
dingungen, welche den Eiern von Hylodes ihren eigenartigen Ent-
wicklungsgang aufgeprägt haben, künstlich insoweit nachzuahmen,
daß sie ein gleiches Endresultat hervorbringen; er mag mit dieser
skeptischen Ansicht bis zu einem gewissen Grade Recht behalten,
weshalb aber hält er dann den umgekehrten Weg, Hylodes auf die
Entwicklungsverhältnisse von Alytes zu bringen, d. h. den Embryo von
Hylodes vor Erlangung seiner endgültigen Gestalt aus dem Ei zu
nehmen und frei sich entwickeln zu lassen, eher für gangbar? Weil
flir eine derartige, regressive Umgestaltung der Entwicklungsverhält-
nisse bereits ein experimentell sicherstehendes Faktum vorlag, und
zwar in Gestalt der Versuche M. v. Chauvins, dem Embryo von Sola-
mandra atra durch Herausoperieren aus dem Uterus und Einsetzen
ins Wasser den Entwicklungsverlauf der phyletisch älteren Sola-
mandra macidosa aufzuzwingen [13], >ein einzig dastehender Fall,
der, wie seine Urheberin bekennt, seither nicht mehr wiederholt
werden konnte« [31, S. 285]. Wahrscheinlich hätte H^ron-Royeb
über die ganze Sachlage vöUig anders geurteilt, hätte er gewußt, daß
man jenes »Unikum« nicht nur mit Leichtigkeit beliebig oft wieder-
herstellen, sogar ohne Operation das Muttertier bewegen kann, frei-
willig seine Jungen schon im Larvenzustand statt, wie sonst, im aus-
gebildeten Formzustand zu gebären, sondern daß auch umgekehrt die
Weib'chen von Salamandra macidosa ihre Larven zuweilen so lange
im Uterus zurückhalten, bis sie zu fertigen, lungenatmenden Erd-
molchen geworden sind [42].
5*
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68 Panl ELammerer
Warum sollte eine Entwicklnngsänderungy die in der einen
Richtung dem Experimentator herbeizuführen gelungen ist, nicht auch
in der andern Sichtung forciert werden können? Ich sehe in der
Anregung Jourdains nichts Unmögliches und werde mich bemühen,
ihr zu folgen. Die einzuschlagende Methode liegt ziemlich klar yor
meinen Augen: im vorgeschilderten Versuch ist nur der Einfluß yon
Licht und Feuchtigkeit auf die Entwicklung der Alytes-Eier unter-
sucht worden; ein dritter, sehr wichtiger Faktor, die Temperatur,
ist dabei gar nicht in Betracht gezogen worden, bzw. es sind bei all
diesen Versuchsaufstellungen nur Licht und Feuchtigkeit variiert, wo-
gegen die Temperatur immer dieselbe blieb, nämlich die mittlere
Zimmertemperatur von etwa 18° C. Schon Vogt [65, S. 7] und Heron-
RoYER [32, 33, S. 418] haben aber erfahren, welch großer Be-
schleunigung die Eientwicklung unter dem Einflüsse erhöhter Tem-
peratur teilhaftig wird: wenn ich nun durch Gewährung einer höheren
Temperatur, soweit sie Amphibien-Eiern überhaupt erträglich bleibt,
die Entwicklung der Embryonen befördere, durch Dunkelheit und
spärliche Feuchtigkeit den Moment des Ausschlttpfens gleichzeitig
hinausziehe, so dürften ungefähr die Voraussetzungen gegeben sein,
unter denen es glücken muß, die Quappen von Alytes mindestens in
einem noch weit vorgeschritteneren Stadium das Licht der Welt er-
blicken zu lassen, als es unter den gegenwärtigen Bedingungen ohnehin
bereits der Fall ist. Einige in neuester Zeit vorgenommene, dahin
abzielende Vorversuche, deren Darstellung ich in die jetzige Arbeit
nicht mit aufnehme, weil sie zur Publikation noch nicht reif, sondern
erst in vollem Gange befindlich sind, scheinen bereits sehr stark ftir
ein späteres Gelingen zu sprechen. Ich möchte daher die letzten
Zeilen als eine vorläufige Mitteilung des angedeuteten Versuches
aufgefaßt wissen, nämlich die eiertragende Kröte jener direkten Ent-
wicklungsweise anzunähern, wie sie zuerst bei Eylodes martinicensis
bekannt geworden ist.
Ehe ich mich zur Beschreiban^ meines nächBten Versacbes wende, erübrigt
es mir noch, einige technische Bemerkungen zu machen, welche znr rich-
tigen Anfbewahmng der für Entwicklung ohne Brutpflege destinierten Eier an-
leiten sollen. Ich lege die Eierballen in Glasschalen auf feinen Flnßsand, der
vor dem Gebrauch peinlich reinzuwaschen und behufs Vernichtung von Pilz-
keimen zu glühen ist. Der Sand wird durch Bespritzen feucht erhalten, stärker
oder schwächer« feucht, je nach Art des Versuches. Zur Haltung in dunstge-
sättigtem Räume wird die Glasschale mit einer gut passenden Glasplatte ver<-
schlossen. Bei Haltung im Finsteren wird der Eierballen mit sterilisiertem Fließ-
papier bedeckt, in welchem Falle letzteres anstatt des Sandes zu besprengen ist
Moos und Erde, die eigentlich naturgemäßen Medien, vermeide ich, weil ich bei
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Experimentelle Verändernng der FortpflaDzungstätigkeit qbw. 69
dieser Aaf bewalunngsmet^ode die meisten Eier vom Schimmel angegriffen werden
sah. Jene Eierballen, welche tagesperiodische Bäder zu bekommen haben, werden
alle 24 Stunden einmal, zu beliebiger Tageszeit (jedoch immer zu der nämlichen,
einmal gewählten) mit einem Hornlöffel aus der sandgefüllten Schale heraus-
genommen und für die Daner von 5 Minuten in eine wassergefUUte Schale ge-
legt Bei den finster zu haltenden Eiern wird diese Manipulation in der Dunkel-
kammer vorgenommen. Immerhin aber verliert man, trotz aller Vorkehrungen,
stets einen ziemlich bedeutenden Prozentsatz an Eiern, welche einerseits ver-
dorren, anderseits durch Wucherungen von Schimmelpilzen getötet werden, so
daß man, um die Versuche nur überhaupt zu Ende führen zu kOnnen, mit einem
sehr reichlichen Material versehen sein muß. In noch höherem Grade gilt dies vom
4. Versuch: Zeitignng der Alytes-Eier ohne Bratpflege des
Vaters, im Wasser, — Es galt nun, die Zurückftihrung der Älytes-
Eier in die typischen Existenzbedingungen des Anuren-Laiches zu
vollenden, indem man sie nicht bloß der väterlichen Brutpflege entzog,
sondern sie außerdem den ganzen Entwicklungsgang von der Be-
iruchtung bis zur Metamorphose im Wasser zurücklegen ließ. Zu
diesem Behufs wurden die Eierballen gleich, nachdem sie abgelegt
und besamt worden waren, dem Männchen abgenommen und ins
Wasser geworfen.
Es muß bemerkt werden, daß in dieser hier gewaltsam vor-
genommenen Manipulation nicht so bedingungslos ein unnatür-
licher Vorgang gelegen ist, als es den Anschein hat. Ich fand bei
Appenzell wiederholt in Straßengräben und Tümpeln lose Eierballen,
die von dem betreffenden Männchen vorzeitig abgestreift worden waren,
vielleicht weil es eines Abends etwas länger als gewöhnlich im Wasser
geblieben, und die Gallerte bei dieser Gelegenheit weich geworden
war, vielleicht auch, weil es auf der Flucht vor einem Feind die ihm
hinderliche Last gewaltsam abgestreift hatte. In solchen unter Wasser
verlorenen Eierballen waren manchmal noch alle Embryonen vor-
handen und noch keineswegs reif zum sofortigen Ausschlüpfen.
Ferner — dies eine zweite Abschweifung von der Beschreibung
meines Experimentes — zeigte sich an einer Serie von 35 Geburts-
helferkröten, die ich am 18. April 1905 von Herrn Zahnarzt C. Habt-
MANN [als Autor zitiert 26, 27, 28] aus Münster in Westfalen erhalten
hatte ^), folgende merkwürdige Erscheinung: die Tiere begannen,
nachdem sie sich vom Transport erholt hatten, am 21. April mit dem
Laichen. Aber nur zwei Männchen beluden sich mit den
Eiern. Die übrigen begnügten sich, ihren Weibchen Geburtshilfe zu
1) Durch gütige Vermittlung der »Nymphaea«, Vereins für Aquarien- und
Terrarienkunde in Leipzig, dem ich hierfür zu bestem Danke verpflichtet bin.
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70 Paiil Kämmerer
leisten^ indem eie mit den Zehen der Hinterbeine an den beiden,
gleichzeitig ans der weiblichen Gloake austretenden Schnüren herum-
zerrten und dieselben auch tatsächlich aus der Cloake hervorzogen,
— ein Akt der Geburtshilfe, der, wie schon in der Einleitung flüchtig
berührt, keineswegs eine charakteristische Eigenschaft yon Alytes
darstellt, sondern auch, yielleicht in minder vollkommenem Grad,
gelegentlich der Begattung andrer Froschlurche beobachtet werden
kann, beispielsweise nach H6ron-Boyer [32, S. 410] bei BufOj Felo-
bates und Pehdytes. Die herausbeförderten Eierschnttre lagen dann
überall im Behälter herum: auf der Erde, auf und unter dem Moos,
an Steinen angeklebt und — last not least — : im Wasserbecken.
Ich überraschte die Tiere auch etliche Male, wie sie hier die Copu-
lation vollzogen. Das Wasserbecken war nur drei Zentimeter hoch
angefüllt, so daß sie nicht, wie es z.B. die Frösche in der Natur
freiwillig tun, während der Begattung zu schwimmen brauchten.
Der Vorgang stimmte, was Stellungen und Bewegungen anbetriflft,
gut mit der genauen Beschreibung de l'Isles [38, 39] überein, nur
eben, wie bemerkt, mit der wesentlichen Abweichung, daß hier kein
Aufladen der Eier seitens des Männchens stattfand; sondern daß die
dicke, aus zwei miteinander verschmolzenen Schnüren entstandene
Laichmasse ohne weiteres liegen blieb.
Worin liegt bei den westfälischen Geburtshelferkröten die Ursache
dieses abweichenden Laich Verhaltens? Man kann zweierlei Erklärungs-
versuche dafür namhaft machen: 1) Alytes obstetficaiis ist eine sehr
wanderlustige Form; meinen Erfahrungen nach ist es nicht undenkbar,
daß jahrzehntelanger Aufenthalt in Gegenden, wo sie ursprünglich
nicht heimisch war, und die vielleicht besonders günstige hydro-
graphische Bedingungen zum Absetzen des Laiches ins Wasser dar-
bieten, die erlangte Unabhängigkeit der Fortpflanzung vom Wasser all-
mählich wieder rückgängig macht, — was angenommen werden darf,
unbeschadet des Faktums, daß umgekehrt nicht Wassermangel sich
bei Alytes als eigentliche Ursache der Brutpflege erweisen läßt. Recht
energische Anfönge der Rückkehr zur primären Anuren-Fortpflanzung
wären nun in dem Verhalten der aus Münster stammenden Feßler-
kröten zu erblicken, bescheidenere Anfänge auch in meinen zahl-
reichen Funden vorzeitig von den Schenkeln der Männchen ab-
gefallener Eierballen im Appenzeller Lande. — 2) Eine andre, nahe-
liegende Vermutung kann neben der ersten Annahme noch vollauf
Geltung haben: nämlich daß jenes oben geschilderte Laichverfahren
der westfälischen Feßler eine Folge der Gefangenschaft sei, wo
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Experimentelle Veränderang der Fortpflanzungstätigkeit asw. 71
sich, ohne dafi man die Ursachen hierfür in bestimmten Verände-
rungen der Lebensbedingungen immer zu finden vermöchte, doch
die LebensäuBerungen oft in erstaunlich rascher und unbegreiflich
gründlicher Weise umgestalten; es ließen sich Beispiele aufzählen,
daß Veränderungen, zu denen im Freileben, obschon man noch sehr
wenig davon bemerkte, bereits die Tendenz vorhanden war, im
Gefangenleben plötzlich zu ungehindertem und ungeahntem Ausbruch
gelangen. Die Geburtshelferkröten aus Appenzell, St. Gallen, Bregenz
und Freiburg im Breisgau zeigten indessen den uns hier interessieren-
den Ausbruch veränderter LebensäuBerungen nicht, sondern benahmen
sich ganz der Regel nach, indem die Männchen sich pünktlich der
von ihnen befruchteten Eierballen annahmen.
Es ist im Anschlüsse daran noch folgendes zu erwägen: Wie
mag die Brutpflege bei Alytes überhaupt entstanden sein?
Vorhin habe ich behauptet, Wassermangel als solcher könne kaum
hierfttr verantwortlich gemacht werden. Daß in den heute von Alytes
bewohnten Gegenden an stehenden Gewässern keine Not herrscht,
möchte noch nicht stark genug dagegen sprechen ; denn es wäre ja
möglich, daß Alytes ^ in der wir, wie bemerkt, eine gern auf die
Wanderschaft gehende Tierform vor uns haben, durch einen in den
von ihr ursprünglich bewohnten Gegenden obwaltenden Wassermangel
gezwungen worden ist, sich hinsichtlich der Fortpflanzung vom Wasser
anabhängiger zu machen, als andre Froschlurche. Das aber eben ist
es, was sich nicht erweisen, ja nicht einmal vermuten läßt. Die
meisten Autoren sind darüber einig, daß Alytes obstetricans eine
spezifisch westeuropäische Art darstelle; vom Westen aus hat eine,
auch gegenwärtig noch nicht zum Stillstand gekommene und darum
besonders deutlich nachweisbare Einwanderung in den Osten und
Norden Europas stattgefunden, wo Alytes noch gegenwärtig in stetig
weiterer Ausbreitung begriffen ist. Man fühlt sich versucht, Frank-
reich als ursprüngliche Heimat der Geburtshelferkröte anzusehen, da
dies das einzige Land ist, wo sie nicht bloß absolut, sondern auch
relativ am häufigsten auftritt, indem sie es in geschlossenen Massen
bevölkert, während sie in ihren übrigen Verbreitungsbezirken mehr
sporadisch vorkommt, ofi; nur wenigen Flußläufen folgt, nur in ver-
einzelten Tälern sich einbürgert. Frankreich aber ist weder, noch
war jemals ein wasserarmes Land, im Gegenteil, es geht aus den
Schilderungen dortiger Beobachter, namentlich Heron-Royees, zur
Genüge hervor, daß es in den von Alytes massenhaft bevölkerten
Gebieten an Gelegenheit, den Laich sogleich ins Wasser abzulegen,
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72 PaoI ELammerer
keineswegs fehlt. Neben der Auffassung, Alytes sei eine anfänglich
rein westeuropäische Form, findet sich in der Literatur noch eine
zweite [28, S. 310], welche besagt, Alytes sei eine ursprünglich dem
Süden Europas eigentümliche Species; als Stütze dieser Anschauung
wird die Tatsache des häufigen Überwintems der ^/t/fes-Larven heran-
gezogen: die Larven, gewohnt, sich in einem wärmeren Klima zu
entwickeln, brauchen im rauheren Mitteleuropa ein ganzes Jahr oder
darüber bis zur Metamorphose, während die übrigen Froschlurche,
seit jeher in dem kälteren Klima aufgewachsen , denselben Entwick-
lungsweg in der Eegel schon im Verlaufe eines einzigen Sommers
zurücklegen. Nach dieser Auffassung wäre die Urheimat des Feßlers,
da er sich auf der Balkan- und Appeninenhalbinsel (auf letzterer
höchstens mit Ausnahme einiger Distrikte Oberitaliens) nicht vorfindet,
nur auf der Pyrenäenhalbinsel zu suchen, und hier könnte er aller-
dings durch die in vielen Landstrichen zeitweise herrschende Dürre
zur Emanzipation vom Wasser und damit gleichzeitig zur Brutpflege
genötigt worden sein. Aber für die Verlegung der Urheimat nach
Spanien und Portugal läßt sich durchaus kein stichhaltiger Grrund
vorbringen: einerseits verdankt das lange Larvenleben von Alytes j
wie wir schon im folgenden Versuche sehen werden, ganz andern
Triebkräften seine Entstehung, als niedriger Temperatur; auch ist
nichts darüber bekannt, daß es im Süden des Verbreitungsgebietes
ständig kürzere Zeit beansprucht als im Norden, wogegen von überall
her Meldungen des Überwintems der Larven vorliegen. Anderseits
vermag durch nichts wahrscheinlich gemacht zu werden, daß die auf
der iberischen Halbinsel lebenden J.Zy^es-Formen, Alytes obstetricarvA
var. Boscae Lataste und Alytes cistemasi Bosca die Stammformen
bilden, aus denen die mitteleuropäische Alytes obstetricans ^typica*
ihren Ursprung genommen habe; Alytes cistemasi nähert sich im
Gegenteile eher den höher differenzierten Krötenfröschen (Pelo-
batiden).
Wassermangel als primäre Entstehungsursache der Brutpflege
im speziellen Falle von Alytes ist somit, soweit unsre derzeitigen
Kenntnisse reichen, unbedingt zu verwerfen. Mir scheint ein ganz
andrer Faktor dabei die Hauptrolle gespielt zu haben, und der ist
folgender:
Mit der sonstigen Ruhe, ja Faulheit der meisten Amphibien
steht die ängstliche, ja geradezu fieberhafte Sucht nach Wasser,
von welcher beide Geschlechter, zuerst die Männchen, dann die Weib-
chen zur Fortpflanzungszeit erfaßt werden, in krassem Widerspruch.
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Experimentelle Veränderung der Fortpflanzungstätigkeit usw. 73
Am meisten gilt dies natttrlich von den terrestrischen Arten, zu denen
ja auch Alytes gehört, unter denen aber die übrigen, so die Enob-
laachkröte (Pelobates), die echten Kröten [Bufo)^ der Feuersalamander
(Salamandra nuiddosa) u. a. in ihrem Fortpflanzungsakt noch unmittel-
bar von den Gewässern abhängig sind. Außerhalb der Brunstzeit
leben sie oft weitab von jeder Wasseransammlung; zur Anfeuchtung
ihrer Haut genügen Tau und Regen. Sowie sich aber der Geschlechts-
trieb in ihnen regt, ist derselbe untrennbar verbunden mit einem fast
ebenso heftigen Trieb zum Wasser, falls er zu Nutz und Frommen
der Arterhaltung befriedigt werden soll. Positive Hydrotaxis und
positive Geotaxis, welch letztere die sonst so sinnesstumpfen, teilweise
sehr bewegungsunlustigen Tiere immer die tiefsten Stellen des je-
weiligen Terrains aufsuchen und so schließlich indirekt auf wasser-
erfüllte Bodensenkungen stoßen läßt, leiten jene mit immerhin
so erstaunlicher Sicherheit, daß der Zuschauer sich einer Empfin-
dung des Bätselhaften, Geheimnisvollen schlechterdings nicht er-
wehren kann.
Und doch kommt es manchmal zum Verfehlen des Laichgewässers,
zu Yerirmngen, die der Erhaltung der Art nicht günstig sein können.
Überdies steht das Ruhebedürfnis der Amphibien in argem Gegensatz
zu den unerhörten Anstrengungen der Paarungsperiode. Es ist also
sehr begreiflich, wenn den trägen Tieren das Bestreben innewohnt,
das strapaziöse Aufspüren von Teichen und Sümpfen allmählich ein-
zustellen; eine Gegend braucht noch durchaus nicht wasserarm zu
sein, um dieses Bestreben zu unterstützen: wenn nur nicht geradezu
auf Schritt und Tritt kleine und große Lachen, Gräben, Tümpel,
Brüche u. dgl. zu finden sind, so daß die Notwendigkeit des
Suchens noch nicht vollständig entfällt, so genügt das schon, um
den landbewohnenden Arten, welche solch überaus wasserreiche
Striche übrigens gern vermeiden und andern Arten überlassen, einen
Wechsel, eine Unterbrechung ihrer im Sommer und Herbst so be-
schaulichen Lebensgewohnheiten auch im Frühjahre nicht wünschens-
wert erscheinen zu lassen. Ungefähr auf diesem Wege, hier und da
vielleicht durch wirkliche, räumlich (in manchen Fundgebieten) oder
zeitlich (in manchen Sommern) accessorisch hinzutretende Trocken-
heit nebenbei befördert, denke ich mir das Brutgeschäft von Alytes
entstanden, und in analoger Weise gewisse eigentümliche, denen
seiner tropischen Verwandten gleichende Laichgewohnheiten von Hyla
arhoretty von denen im zweiten Teile vorliegender Arbeit die Rede
Bein wird.
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74 Paul Kämmerer
Der vom Augenblicke seiner Besamung ins Wasser gelangte Laich
verhielt sich, mochte er nun von den Tieren selbst dort abgelegt,
oder von mir dahin gebracht worden sein, in folgender Weise: die
nächste Erscheinung, die an ihm zu beobachten war, bestand in einem
starken Aufquellen der Gallerthülle (Taf. V, Fig. 2), genau wie
dies bei andern Anuren-Eiern der Fall ist, die normalerweise stets
ins Wasser abgelegt werden. Während also die Gallerte der Älytes-
Eier, wenn diese an der Luft verbleiben, eingeht, zähe und sehr
klebrig wird, um schließlich ganz einzutrocknen und zu erhärten
(Fig. 1), bleibt sie im Wasser nicht nur ebenso weich, ausdehnbar —
eine Laichschnur von Alytes läßt sich nach Melsheimer [51] bis auf
das Doppelte ihrer Länge ausdehnen, ohne zu zerreißen — und
elastisch, sondern sie erhält auch durch reichliche Wasseraufhahme
einen viel größeren Umfang, als er unmittelbar nach dem Ablegen
vorhanden war. Ferner stimmt der Alytes-LsAch im Aufbau seiner
GallerthUUe aus drei Schichten mit demjenigen andrer Froschlurche
Uberein: wie diese Schichten im trockenen Zustande beschaffen sind,
hat Heuon-Royer [33, S. 420] gut beschrieben; bei dem im Wasser
liegenden Laich nimmt der Schichtenbau mehr den Charakter an, wie
ihn 0. Schultze [61, S. 212 u. 213] gekennzeichnet hat. Nur läßt
die Struktur der Schichten wesentlich zahlreichere und dickere Fasern
erkennen als bei andern Anureu, denen die 0. ScnuLTZESche Be-
schreibung gilt, und dies betrifft wiederum namentlich die innerste,
fest mit der Dotterhaut verbundene Schicht. Letzterer Befund sollte
anläßlich meiner Experimente mit dem Laich des Laubfrosches (Ver-
such Nr. 9 im zweiten Teile) noch von besonderer Bedeutung werden.
Bruch [11] befindet sich im Irrtum mit seiner Aussage, die äußere
Hülle des ÄlT/tes-Eies sei strukturlos und im Wasser nicht aufquellbar;
höchstens bei ganz alten, schon ausschlUpfreifen Eiern findet kein
Aufquellen mehr statt, wogegen frischgelegte sowie halbreife Eier
bereitwillig und reichlich Wasser in sich aufnehmen.
Trotz dieses starken Quellens findet nur selten Auftrieb statt:
gewöhnlich bleiben die Eier am Boden liegen, selten schweben sie
mitten im Wasser, noch seltener schwimmen sie an der Oberfläche.
Wenn dies geschieht, so sind immer Luftblasen daran schuld, die sich
im hellen Sonnenlichte dadurch bilden, daß der Laich von Grünalgen,
welche Sauerstoff ausscheiden, überwachsen wird. Die in Figur 2 dar-
gestellten Laichkörner haben außerdem, da sie im Bereiche direkter
Sonnenstrahlen lagen, eine intensive Pigmentierung ange-
nommen.
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Experimentelle Veränderang der FortpflanzuDgstätigkeit usw. 75
Schon nach 13 bis 15 Tagen, vora Tage der Besam ang an ge-
rechnet, schwärmen aus den im Wasser liegenden Alytes-Eiern die
Larven hervor. Mithin geht hier die embryonale Entwicklung weit-
aus kürzer vor sich, als auf dem Lande, wo sie mindestens 3, oft
aber auch bis zu 8 Wochen beansprucht, und nicht mehr viel lang-
samer als bei andern Froschlurchen, die ihren Laich ins Wasser legen :
so z. B. ist der Laich vom Laubfrosch {Hylu arborea) bei gleicher Tem-
peratur — gewöhnliche Zimmerwärme, 17 bis 18° C. — nach 11 bis 12,
derjenige von der Knoblauchskröte {Pelobates fuscus) nach 6 bis 7,
von den Unken [Bombinator) nach 7 bis 9 Tagen ausschltipfreif.
Die frisch ausgekrochenen ^///fes-Larven , welche aus Wasser-
kultnren hervorgehen, sind ferner entsprechend ihrem raschen Aus-
schlttpfen viel weniger weit entwickelt als solche aus Land-
kultnren. Sie tragen noch langgefranste äußere Kiemen und sind
somit andern Froschqnappen, wenn sich diese im Moment des Ans-
schlüpfens befinden, nur wenig voraus! Eine weitere Abweichung
besteht in der Art des Ausschlüpfen s: die Hornlippen können
hier, da noch unentwickelt, nichts zur Befreiung beitragen, weshalb
diese nur durch die Tätigkeit der Rumpfmuskulatur erfolgt. Die
Hülle wird zerrissen, wenn die nach außen strebende Larve sich stark
krümmt und plötzlich wieder in ihre volle Länge zurückschnellt. Der
Vorgang entspricht dann ungefähr demjenigen, wie er bei Raim^ Hrjla
und Bombiiiator zu finden ist.
Das Resultat des Versuches Nr. 4 kann somit zusammengefaßt
werden in den Satz: die embryonale Entwicklung der im Wasser ge-
zeitigten AlyteS'YAQX erscheint zugunsten der postembryonalen
Entwicklung beträchtlich abgekürzt, womit eine weitgehende An-
näherung an die typischen Entwicklungszustände der Anuren hervor-
gebracht ist.
5. Versuch: Aufzucht der Alytes-Larven im Wasser (im Normal-
medium); experimentelle Verlängerung und Verkürzung des Larven-
lebens. — Sobald die Larven der Geburtshelferkröte nach dem Aus-
kriechen aus dem Ei ins Wasser gelangt sind, unterscheidet sich ihre
weitere Entwicklung in nichts mehr von derjenigen andrer Frosch-
quappen *). Nur hinsichtlich der Zeitdauer, welche ihre Entwicklung
*) Über Haltung und Pflege, namentlich Fütterung von Kaulquappen fliehe
meine Arbeit »Über die Abhängigkeit des RegenerationsvermOgens der Amphibien-
larven von Alter, EntwicklungBötadium und spezifischer Größe« :43], Abschnitt C,
>Technik<, Seite 161 und 162.
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76 Paul Kämmerer
bis zam Eintritt der Metamorphose beanspracht, ergibt sich eine Ab-
weichung von der Regel: die übrigen Anuren vollenden ihre ganze
larvale Entwicklung im Laufe eines einzigen Frühjahrs und Sommers,
Alytes aber braucht dazu meist ein ganzes Jahr, überwintert also
einmal im Quappenzustande.
Geeignete äußere Faktoren, bisweilen auch wohl eine gewisse
individuelle Veranlagung, können gelegentlich bei allen Amphibien-
species bewirken, daß der Larvenzustand entweder vor der normalen
Umwandlungszeit durch die Metamorphose sein Ende findet, oder daß
er sich anderseits weit über die normale Umwandlungszeit hinaus
erhält. Letztere Erscheinung, die Verzögerung der Verwandlung, hat
Kollmann [46J »Neotenie« genannt; während sehr viele Urodelen
total neotenisch werden, d.h. lebenslänglich im Larvenzustand ver-
harren und auf dieser Stufe die Geschlechtsreife erlangen können,
ist bei Anuren mit Sicherheit bisher nur partielle Neotenie bekannt
geworden, also zwar ein abnorm langes Beibehalten der Larvenform,
aber schließlich doch Eintritt der Metamorphose, noch vor Funktions-
reife der Sexualorgane.
Unter allen europäischen Anuren neigt diejenige Gattung, welche,
wie bemerkt, auch normalerweise die längste Larvenperiode besitzt,
Alytes nämlich, am meisten zur Neotenie [12, 27, 28, 31, 68, 70]. Die
Alytes -QvLSLppen erreichen schon normalerweise im Verhältnis zur
Größe der Imagines bedeutende Dimensionen, nämlich 40 bis 55 mm,
was besonders im Vergleiche zu andern Anuren-Arten von derselben
spezifischen Größe (ff^te, Bomimiator) viel erscheint und in anbetracht
der langen Daner ihres Larvenlebens verständlich ist, denn das Wachs-
tum geht ja deswegen, weil die Metamorphose später stattfindet,
mittlerweile nicht langsamer vor sich, und nur im Winter tritt be-
züglich der Größenzunahme ein Stillstand ein. Noch mehr springt
die Größe der neotenischen ^yfes-Quappen in die Augen: Boulenger[6]
hat solche von 80 mm, Heron- Royer und van Bambeke [36] von
85 mm, Fischer-Sigwart [23] gar von 90 mm Totallänge gemessen.
Das Larvenexemplar von Alytes obstetricans aber, welches auf
Taf. V, Fig. 3 abgebildet ist, stellt wohl innerhalb der Anurenord-
nung den extremsten aller bekannten NeoteniefäUe vor, sowohl ab-
solut, was Dauer der Larvenperiode, als auch relativ (d. h. im Ver-
hältnis zur sonstigen Larvengröße von Alytes)^ was die im Laufe der
Larvenperiode erreichte Körpergröße anbelangt. Der Entwicklungs-
gang dieses merkwürdigen Exemplars ist folgender : Am 16. Mai 1898
erhielt ich vom Tierhändler Jül. REiCHELT-Berlin ein Pärchen Geburts-
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Experimentelle VerSndening der Fortpflanzangstätigkeit usw. 77
helferkröten, welches im selben Frühjahr bei Freiburg im Breisgau
gefangen worden war. Am 18. Mai sah ich bereits das Weibchen
von seinem Männchen eines aus 33 Eiern bestehenden Laichsatzes
entbunden werden, welchen ich diesem zunächst zur Pflege überließ.
Bevor die Embryonen jedoch zum Ausschlüpfen reif geworden
waren, auf einem Stadium, welches durch den Besitz stattlicher
äußerer Kiemen ausgezeichnet ist, befreite ich jene aus dem Ei,
indem ich die Hülle sorgfältig mit Hilfe einer feinen, spitzen und
scharfen Schere aufschnitt und ablöste. Dies geschah am 1. und
2. Juni. Auf diese Weise war dem neotenischen Exemplar, von
welchem ich jetzt berichten will und das aus eben diesem Laichsatz
stammte , schon von frühester Jugend auf Gelegenheit geboten , sich
dem aquatilen Aufenthalt ganz besonders gut anzupassen. Nur 5 von
33 operativ gewonnenen Larven erwiesen sich als lebensfähig, die
übrigen gingen zugrunde.
Trotzdem die langen, zart verzweigten Kiemen, deren je eine
sich an jeder Kopfseite befindet, nur ganz kurze Zeit funktionieren
und schon nach wenig Tagen den inneren Kiemen weichen, beob-
achtete ich eine Umbildung der äußeren Fötalkieme in die
äußere Larvalkieme, eine Adaption der ersteren, welche zur Re-
spiration innerhalb des Eies dient, für die Atmung im Wasser. Diese
Adaption vollzog sich genau unter den nämlichen Vorgängen, wie ich
sie bei meinen Versuchen, Embryonen von Salamandra atra dem
Uterus zu entnehmen und im Wasser aufzuziehen, beschrieben habe
[42, S. 202 ff.] : zunächst war eine starke Verkürzung der Fötalkieme
zu bemerken, welche entweder durch reine Resorption hervorgebracht
wurde, oder nebstbei dadurch, daß sie sich von der Spitze aus nach
innen einrollt, spröde wird und stückchenweise abbröckelt. Dieses
wie > brandige« Abfallen in Verbindung mit Resorption hat Vogt
[66, S. 91] auch bei regulärer Entwicklnng der u4/t/tes-Embryonen be-
obachtet, sobald im Ei die äußeren Kiemen den inneren Platz machen;
während hier aber zu jenem Zeitpunkte die ganzen äußeren Kiemen
absterben — wenigstens laut Vogt; Heron-Royer [32, S. 414] gibt
an, daß sie persistieren und nur, indem sie sich unter die Haut zurück-
ziehen, zu inneren Kiemen werden — , geschieht es im Wasser zu-
vörderst nur mit den distalen Enden. Die stehengebliebenen Stücke
erhalten dickeres Epithel, welches die ganze Kieme stärker, robuster,
ferner reichlicheres Pigment, welches sie dunkel braungrau, statt, wie
vorher, rosa oder beinahe farblos erscheinen läßt Weiter nimmt der
Reichtum an Blutgefäßen ab : die Wandung zahlreicher Capillargefäße
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78 Paul Kämmerer
platzt, die Blutkörperchen treten scharenweise ans und zerfallen;
beim Wieder^erschluß der Blutbahn sind jene Gapülargefäße aus-
geschaltet. Schließlich gleichen die so zustande gekommenen Larven-
kiemen von Mytes ganz denjenigen andrer junger Froschquappen.
Vom 10. zum 12. Juni verschwanden die äußeren Kiemen wieder,
vom 3. bis 14. Oktober waren die Hinterbeine unter Differenzierung
in Ober- und Unterschenkel, Fuß und Phalangen fertig entwickelt;
die Vorderbeine kamen bei vier Larven am 8. und 20. April 1900,
bei dem hauptsächlich in Rede stehenden Exemplar jedoch gar erst
am 6. Mai 1902 zum Durchbruch, zu einer Zeit, in der seine Ge-
schwister schon terrestrisch lebende Vollkröten geworden waren;
ihre Metamorphose hatte nämlich am 21. und 30. September, 12. Ok-
tober und 29. November 1900 stattgefunden, nachdem von ihnen zu-
vor eine Totallänge von 83 bis 90 mm erlangt worden war: dieser
bedeutenden Körpergröße nach — normale Larven erreichen nur 40
bis 55 mm — und ihrer 2^/4 bis 2 Vj jährigen Larvenperiode wegen,
deren Abschluß sich der Norm gegenüber um mindestens 1 Jahr
verzögert hat, sind jene vier Larven auch schon unter die neoteni-
schen zu rechnen, bei dem fünften Exemplar jedoch ging die Neotenie
viel weiter. Ich nahm an ihm noch mehrmals Messungen vor: am
1. Oktober 1900 hatte das Tier 88, am 1. April 1901 93, am
1. April 1902 104 mm Totallänge erreicht. Von da ab zeigte sich
kein weiteres Wachstum, im Gegenteil, ein langsames Kürzerwerden,
indem der mächtige, am 1. April 1902 59 mm lange, 24 mm breite
Ruderschwanz allmählicher Resorption unterlag. Gelegentlich einer
Häutung, welche am 17. Mai 1902 stattfand, wurde der hornige Kaul-
quappenschnabel abgeworfen und machte dem breitgespaltenen Frosch-
maul Platz. Überraschenderweise aber traten noch immer nicht die Haut-
drüsen des ausgebildeten Tieres hervor: die Haut war um diese Zeit
überall glatt und schleimig, nur sporadisch bewarzt, wogegen die Haut
bei allen neotenischen Amphibienlarven, die ich bisher kennen ge-
lernt hatte, auf vorgerückterem Stadium in Struktur und Farbe die
Beschaflfenheit der Imaginalhaut annimmt [70, S. 334; 42, S. 216]. Die
Hautfarbe war hier gleichfalls noch längere Zeit diejenige, wie sie
DE Bedriaga [3, S. 352] für verwandlungsreife ^Zi/fes- Larven be-
schreibt: oberseits dunkel aschgrau mit unregelmäßig zerstreuten
dunklen Punkten, unterseits weißlichgrau mit metallisch glänzenden,
gelblichweißen Sprenkeln, welche gegen die Medianlinie dicht zu-
sammengedrängt erscheinen.
Am 15. Juni fand ich das Spiraculum geschlossen, so daß ich
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Experimentelle Verändening der Fortpflanzungstätigkeit usw. 79
jetzt auf baldige Umwandlung des Tieres in die Vollkröte gefaßt
war. Bis gegen Ende Juni hin trat jedoch kein weiteres Anzeichen
dafür ein, nur eine Veränderung im Benehmen des Tieres, welches,
nach Verschluß des Spiraculums auf alleinige Luugenatmung an-
gewiesen, öfter als bisher zur Oberfläche des Wassers kam, um Luft
zu schnappen. Dabei betätigte es aber zunächst noch durchaus kein
Bestreben, das Wasser überhaupt zu verlassen.
Ohne daß, wie bei andern in Metamorphose begriffenen Am-
phibien, einige Tage vorher starke negative Hydrotaxis eingetreten
wäre, begab sich das Tier am 24. Juli 1902 wider Erwarten plötz-
lich ans Land, trotzdem der Schwanz noch eine ansehnliche Länge
und breiten Flossensaum besaß; seine weitere Resorption ging aber
jetzt schnell von statten: am 30. Juli war nur noch ein kurzer kegel-
förmiger Stummel davon wahrzunehmen.
Es ist ausdrücklich zu bemerken, daß keinerlei äußere Fak-
toren angewendet wurden (wenigstens nicht in zielbewußter Absicht),
nm bei allen Larven aus dem am 18. Mai 1898 zur Welt gekommenen
Laiche Neotenie hervorzurufen. Auch bei jenem besonders beschrie-
benen Exemplar, welches seine Geschwister um etwa 27^ Jahre in der
Larvenform überlebt, seine Artgenossen hierin um etwa 3 Jahre über-
troffen und im ganzen 4 Jahre und 2 Monate als Kaulquappe zu-
gebracht hatte, war dies nicht der Fall gewesen. Man wird die auf-
fällige Erscheinung daher einzig und allein dem Umstand zuschreiben
dürfen, daß die Larven, statt bis zu einem verhältnismäßig vor-
gerückten Stadium zur Nachreife noch im Ei zu bleiben, durch opera-
tiven Eingriff schon bedeutend früher ins Wasser gelangten; und
nm so mehr wird dies die richtige Annahme sein, als meine Erfahrung
sich ja noch auf weitere, vorzeitig aus dem Ei genommene Larven
aus andern Laichballen von andern Eltern erstreckt, welche Larven
ebenfalls ausnahmslos partiell neotenisch wurden, wenn auch
in keinem einzigen Falle mehr in solchem Ausmaß, wie bei dem
Exemplar, dessen postembryonale Entwicklung bis zur Metamorphose
ich geschildert habe. Wir haben also hier die analoge Erfahrung
Yor uns, wie ich sie schon früher an Erdsalamandern gemacht habe:
zu früh geborene, noch mit Kiemen versehene Junge vom Alpensala-
mander eignen sich am besten zu Neotenieversuchen [42, S. 216],
desgleichen Feuersalamanderlarven aus Eiern, die im wassererftiUten
Bmttrog, außerhalb des Mutterleibes gezeitigt wurden [1. c, S. 240].
Häron-Royer machte schlechte Erfahrungen, als er Älytes-
Larven, die noch ihre äußeren Kiemen trugen, aus dem Ei nahm:
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80 Paul E&mmerer
»Wenn man eine von diesen Larven ins Wasser setzt, wird man sie
fast augenblicklich sterben sehen; in FortfUhrnng dieses Versnches
kann man sich vergewissern, daß sie in der Flüssigkeit erst leben
können, bis die Kiemendeckel sich gebildet haben« [33, S. 420] .
Es ist richtig, daß die künstlich befreiten Quappen kiementragenden
Stadiums sehr zart sind und daß viele diese Operation nicht über-
stehen; auch mir gingen, wie oben erwähnt, eine Menge zugrunde,
was aber nicht ausschließt, daß der Versuch mit einem kleinen
Prozentsatz schließlich doch gelingt und bemerkenswerte Resultate
liefert. Wenn ich die Worte Wiedersheims [68] und Bbunks [121,
welche berichten, daß Ecker die ihnen zugesandten ^yfes-Larven
»aus dem Ei gelöst« habe, richtig verstehe, ist das eben geschilderte
Experiment, schon bevor es mir gelungen war, von Ecker glücklich
durchgeführt worden, und die von Wiedersheim und Brunk an den
zitierten Stellen beschriebenen Neoteniefälle erhalten dadurch mit
einem Male eine ganz neue Erklärung; denn die beiden Beobachtern
vorliegenden Larven wurden unter Bedingungen gehalten, die dem
rechtzeitigen Eintritt der Metamorphose in nichts hinderlich sind,
bekamen ausreichende Wärme und sogar Gelegenheit, sich außer
Wasser zu begeben. Der Umstand, daß die BRUNKSchen Larven
nur mit Algen gefüttert wurden, von Brünk als Ursache ihrer Neo-
tenie angesehen, würde meinen Erfahrungen nach an und für sich
nicht ausgereicht haben, die Tiere 2^/2 Jahre von der Umwandlung
zurückzuhalten, sondern kann höchstens in zweiter Linie dazu bei-
getragen haben.
Wenn wir in den Larven nicht dadurch, daß wir sie von einem
frühen Stadium an im Wasser heranreifen lassen, eine Veranlagung
zur Neotenie erwecken, so können sie auch durch einfache
äußere Faktoren dazu gezwungen werden, lange Zeit im Larven-
zustande zu bleiben.
Unter diesen Faktoren lernte ich neuerdings die Dunkelheit
als einen der wirksamsten kennen. Sowohl ganz im Finstern ge-
haltene Larven (es gilt allgemein, nicht bloß von Alytes^ nicht bloß
von Amphibienlarven), als auch solche, die zwar Oberlicht bekommen,
aber in dunkel wandigen Gefäßen, auf dunklem Grunde gehalten
werden, neigen in außergewöhnlicher Weise zur Verlängerung ihres
Quappenlebens.
Nebenbei bestätigten sich meine früheren Erfahrungen an Sala-
manderlarven nunmehr auch an AlyteSj daß nämlich Luftreichtum
und niedrige Temperatur des Wassers zur Konservierung des
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Experimentelle Yeränderang der Fortpflanzungstätigkeit ubw. 81
Laryenzustandes vieles beitragen. Deshalb empfiehlt sich für die
technische Anlage Yon Neotenieversnchen ein steter Durchfluß
frischen Leitungswassers nebst gleichzeitiger Durchlüftung. Die
Wirkung dieser Mittel, das Wasser kühl und luftgeschwängert zu
erhalten, verwandelt sich jedoch, soweit es die Neotenie anlangt,
leicht ins Gegenteil, wenn Luft- und Wasserzufuhr so stark werden,
dafi ein merkbarer Strom, gegen den die Quappen anzukämpfen
haben 1), oder gar ein Wirbel entsteht. Durch dieses dann neu hin-
zutretende mechanische Agens wird die Metamorphose beschleunigt
herbeigeführt, ein Befund, der sich übrigens nicht sowohl auf Am-
phibienlarven, sondern auch auf Insektenlarven erstreckt Er steht
im besten Einklang mit den Beobachtungen von Powebs an Larven
von Amblystoma tigrmum^ wonach starke Beunruhigung der Tiere
baldigen Eintritt der Metamorphose auslöst [56, S. 390 oben, S. 401];
der genannte Forscher faßt dieses bisher wenig gewürdigte Phäno-
men jedenfalls mit Recht dahin auf, daß der anabolische Zustand
infolge der Beunruhigung in den katabolischen übergeht, der in
weiterer Folge die Resorption der larvalen Hautanhängsel, der Flossen-
säume, der Kiemen, herbeiführt. Der Widerspruch in den Fest-
stellungen von Powers und mir zu den Befunden von Barfurth
[1, S. 22] und Pflüger [55, S. 144]: >Ruhe kürzt die Verwandlung
ab«, ist wohl nur ein scheinbarer; ich habe nämlich bemerkt, daß
der eigentliche Umwandlungsprozeß eines zur Metamorphose schon
reifen Tieres, also die Verwandlung im engeren Sinne, allerdings
etwas rascher vor sich geht, wenn sich das Tier in ruhiger Um-
gebung befindet, wogegen positive mechanische Agentien den Beginn
des Prozesses bedeutend näherrücken und die Gesamtentwicklung
hierdurch alles in allem schneller zur Vollendung bringen.
Im Vergleich zu all diesen Faktoren spielt es in bezug auf die
Metamorphose gar keine Rolle, ob der Wasserstand hoch oder
niedrig*, das Ufer flach oder steil ist, und ob die Tiere in weiterer
Eonseqnenz hiervon zur Zeit der Verwandlungsreife leicht aus dem
Wasser herauskönnen oder nicht. Sie verwandeln sich, wenn kein
andrer Faktor sie daran verhindert, ohne Rücksicht auf Wasser-
1) Kaulquappen zeigen stets das Bestreben, stromaufwärts zu schwimmen,
und steUen sich daher mit dem Kopf entgegen der Strömung ein. Ich habe
diese Bewegungstendenz in meiner vorigen größeren Arbeit [43, Seite lö2 und
157] als »Negative Rheotaxis« angesprochen. Es dürfte aber korrekter sein,
die Erscheinung »Positive Rheotaxis« zu nennen, da man nach Davenfort
[14, Seite 108] unter positiver Taxis die Bewegungsrichtung zur Reiz quelle
hin versteht.
IrcliiT f. EntwieklangemeehAnilE. XXIL g
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82 Paiil Kammerer
tiefe und Möglichkeit des Entrinnens zar regelrechten Zeit, obschon
sie sich nicht ans trockene Land zu begeben vermögen, und sie er-
leiden dann eben den Tod durch Ertrinken, der Verwandlungstrieb
jedoch bleibt ungehemmt. Dies erscheint konträr mit yerläßlichen
Beobachtungen aus dem Freileben [66, 70], wo neotenische Amphi-
bienlarven besonders häufig in tiefen, steiluferigen Gewässern ge-
funden werden. Ich bin aber sehr geneigt, nicht die Tiefe und
Steiluferigkeit hier als wirklich ausschlaggebend anzusehen, sondern
habe auf der Basis eigner Beobachtungen triftigen Grund zur An-
nahme, daß die experimentell gefundenen Faktoren auch an den
natürlichen Aufenthalten neotenischer Larven die in Wahrheit schuld-
tragenden Ursachen für die Verzögerung abgeben: Dunkelheit, gleich-
mäßig kühle Temperatur fast ohne alle Schwankungen, immerwährend
starre Kühe des Mediums, gleichmäßige Ernährung, da die übrigen,
so gleichmäßigen Bedingungen die periodischen Veränderungen des
Planktons verringern, auch ein Zusammendrängen und darauffolgen-
des massenhaftes Absterben kleiner Tiere beim Austrocknen nicht
vorkommen kann, das sind lauter Eigenschaften, die stehenden Ge-
wässern von bedeutender Tiefe als Charakteristika zugesprochen
werden müssen. Enge Brunnen und Zisternen, nur zeitweise spär-
lichem Oberlicht zugänglich, wenn Menschenhand den Deckel entr
femt, — Waldtttmpel mit einem Grund, den vermoderte Blätter u.
dgl. verdunkeln, endlich Sümpfe auf schwarzem Moorboden — sie
brauchen durchaus nicht tief zu sein, die Dunkelheit genügt! — sind
daher die sichersten und ergiebigsten Fundstellen neotenischer Am-
phibienlarven.
Hat man es in der Hand, vermittels Dunkelheit, Kälte und
hohen Luftgebalt die Larvenperiode beträchtlich zu verlängern, so
versteht es sich beinahe von selbst, daß es auch gelingen muß, sie
durch Anwendung der entgegengesetzten Faktoren, nämlich Licht,
Wärme und Luftarmut fast beliebig zu verkürzen. Ferner wirken
beschleunigend: reichliche Fütterung (Mästung) im ersten Lebensalter
und darauffolgendes plötzliches Hungemlassen im bereits vierbeinigen
Stadium [1, 2, 70, 56, 42, 43] ; mehr oder weniger ausgedehnte Ver-
letzungen, z. B. Amputationen gelegentlich von Regenerationsver-
suchen [43, S. 175, 176 ff.]; schließlich, wie oben bemerkt, unruhiges
Wasser, ein starker Luft- oder Wasserstrom, der eine Art Wirbel erregt
Durch möglichst gesteigertes Zusammenwirkenlassen aller auf-
gezählten beschleunigenden Faktoren habe ich Alytes-L^rven ihre
gesamte postembryonale Entwicklung vom Auskriechen aus dem Ei
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Experimentelle Yerfindenuig der Fortpflanzungstätigkeit usw. 83
bis zur Metamorphose in die VoUkröte, wozu sie doch sonst ein
ToUes Jahr, mindestens aber ein halbes Jahr benötigen, schon inner-
halb von sechs Wochen vollenden gesehen! Ähnliches erfhhr Hart-
mann [28]: >Eine Laune wollte«, so schreibt dieser treffliche Beob-
achter, »daß ich etwa am 10. Mai in ein 96 Kubikmeter großes
Freilandaquarium, welches durch Mistbeetfenster auf diejenige Tempe-
ratur gebracht wird, daß alle möglichen exotischen Nymphäen darin
gezüchtet werden . . . . , ein Dutzend am 1. Mai ausgefallene Ejröten-
larven^} brachte. Wer beschreibt mein Erstaunen, als ich am 11. Juni
einige Larven herausfing, die schon die Ansätze der Hinterbeine er-
kennen ließen und so groß waren, wie ich sie überhaupt selten
gesehen habe. Während meine gleichaltrigen, im Hause befindlichen,
armselige Lärvchen sind, etwa 3 cm lang und 2^1^ bis 3 mm breit,
sind die Warmwasserlarven 8, 9 und 10 cm lang und 2 cm breit.
Die Wärme des Wassers betrug ^chon bis zu 29 Grad ß. und war
nie unter 18 Orad R, Die Geburtshelferkröten wandern bekanntlich
aus dem Süden allmählich nach Norden. Dies bringt mich auf die
Idee, daß sie dort, wo sie herstammen, ebenso wie alle andern
Kröten, nur einen Sommer zur vollen Entwicklung gebrauchen; und
daß sie bei uns in diese Bolle wieder hineinfallen, wenn sie die
Wasserwärme ihres Heimatlandes wiederfinden.«
Daß als Ursache der raschen Entwicklung bei den Habtmann-
schen Warmwasserlarven die erhöhte Temperatur anzusehen ist, dar-
über kann kein Zweifel bestehen; hingegen dürfte die andre Schluß-
folgerung, betreffend Annahme des Urvaterlandes von Alytes im
Süden, zu fallen haben. Schon im Versuch Nr. 4, auf S. 72 habe
ich — dort mehr vom systematischen und zoogeographischen Stand-
punkt aus — die Unmöglichkeit dargelegt, Südeuropa als Anfangs-
und Ausgangsheimat des Feßlers nachzuweisen; jedenfalls darf die
lange Dauer der Postembryonalentwicklung dieser Anurengattung
nicht als Argument hierfür vorgebracht werden. Es ist wahr, die
genannte Auffassung liegt nahe, wenn man sieht, daß Wärme den
Entwicklungsgang so sehr beschleunigt, Kälte ihn verlangsamt; streng
genommen aber folgt daraus noch nicht, daß immer nur und haupt*
sächlich der Wärmemangel schuld sein muß, wenn die Larven im
Freileben abweichend von allen andern Gattungen der ungeschwänz-
ten Lurche in der Regel ein Jahr brauchen, bis sie sich zu Jung-
kröten ausgebildet haben. Man müßte, wenn dies zutreffend wäre.
t) Es sind Larven von Alytea ohsittrieans gemeint Anm. d. Verf.
6*
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84 Paul Kammerer
vor allem erwarten, daß andre Anuren, deren Yerbreitongsgebiet
sich gleich dem des Feßlers aus sehr warmen bis in gemäßigte nnd
kalte Klimate erstreckt, z. B. Lanb- nnd Wasserfrosch, Erd- nnd
Wechselkröte nnd viele andre, sich ebenso verhalten, znmal deren
Entwicklnngsgeschwindigkeit gegen Temperatnrschwanknngen ans-*
nahmslos nnd in etwa gleichem Maßstabe wie bei Alytes empfindlich
nnd verschiebbar ist. Nichtsdestoweniger besteht im Freileben eine
tiefe Klnft zwischen diesen nnd jenen: während all diese im Sttd wie im
Nord nnr ein paar Wochen oder wenige Monate zur Erlangnng ihrer
endgtlltigen Gestalt beanspruchen (abgesehen von einzelnen Fällen
der Überwinterung, die sich bei sämtlichen Arten nnd in sämtlichen
geographischen Breitelagen znweilen ereignen), legt die FeßlerkrOte
den nämlichen Weg hier wie dort erst im Laufe eines Vielfachen der
ihren Ordnungsgenossen genttgenden Entwicklungszeit zurück und
ist selten vor, meist beträchtlich nach Ablauf von zwölf Monaten als
fertiger Imago zu sehen. Überall bildet bei Alytes daB Überwintern
die Regel, das zeitigere Fertigwerden die Ausnahme.
Durch Aufzucht der aus dem vorigen Versuch (Nr. 4) stammen-
den Larven ist, wie ich hoffe, Klarheit darüber geschaffen, weshalb
die Larven von Alytes nicht auch schon zugleich mit den andern
Anurenlarven als ausgebildete Jungtiere das Wasser verlassen. Alle
^2^^-Larven nämlich, ohne eine einzige Ausnahme, die aus submers
gezeitigten Eiern ausgekrochen waren (im ganzen 348 Stück aus ver-
schiedenen Brüten verschiedener Jahre, von verschiedenen Eltern ver^
schiedener Fundorte), absolvierten ihre postembryonale Entwicklung
bereits im Laufe des der Eiablage unmittelbar folgenden Sommers,
und dies ohne Anwendung irgend welcher von denjenigen äußeren
Faktoren, die oben als entwicklungsbeschleunigend angezählt worden
sind. Im Gegenteil, einmal auf das Phänomen aufmerksam geworden,
bemühte ich mich, die betreffenden Larven unter möglichst normalen
Umständen zu halten: manche' setzte ich in kleine Zementbecken des
Gartens, an Stellen, wo kühler Schatten alter Bäume die Sonnen-
strahlen abhielt und so eine rasche Erwärmung nnd intensive Be*
leuchtnng des Wassers verhinderte ; auf andre Larven ließ ich sogar
in gelindem Maßstabe verzögernde Faktoren einwirken. Das Resultat
war aber immer das gleiche: die im Laufe des Mai aus Eiern, die
sich seit ihrer Ablage unter Wasser befanden, zur Welt gekommenen
Larven wurden im Laufe des August, spätestens in der ersten Hälfte
des September, zu jungen Kröten. Hierdurch ist die Larvenentwick-
lung hinsiehtlich Dauer und Jahreszeit recht genau auf jenes
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Experimentelle Veränderung der Fortpflanzangstätigkeit usw. 85
Verhältnis gebracht, wie es ganz besonders für das Freileben des
Laubfrosches (Hyla arborea) zutriflPt.
Also wenn das Ei den typischen Existenzbedingungen des
Annrenlaiches gemäß behandelt, bzw. dem Primärmedinm des Am-
phibienlaiches zurückgegeben wird, verschwindet auch bei der aus
ihm ihren Ursprung nehmenden Larve der sie gegenüber der Ent-
wicklung andrer Anurenlarven auszeichnende Unterschied. Demnach
ist wahrscheinlich umgekehrt der Umstand, daß die Embryonalentwick-
lung von Alytes sich sonst auf dem Lande, in dem vom Anurenei
erst sekundär erworbenen Luftmedium vollzieht, für die lange Post-
embryonalentwicklung der ^^^-Larve als ursächlich anzusprechen.
So stellt sich uns die Überzeit des Wasserlebens bei der ^Zj/fes-Larve
gewissermaßen als eine Kompensation dafür dar, daß das Älyies-
Ei in einer trockenen Umgebung, die für dasselbe in seiner Eigen-
schaft als Batrachierei atypisch ist, ausharren muß. Die Richtig-
keit dieser meiner Vermutung wurde mir jedoch erst dann zur über-
zeugenden Gewißheit, als ich durch Vermittlung meines Versuches
Nr. 10 die Erfahrung machte, daß Laubfroscheier, auf dem Trockenen
gezeitigt, Larven liefern, die zu ihrer Entwicklung in den Frosch
ein volles Jahr oder darüber gebrauchen.
6. Versuch : Aufzucht der Alytes-Larven außerhalb des Wassers,
auf feuchtem Boden; Regenerationsversuch an solchen Larven. —
Bei meinem Versuche Kr. 3 (Zeitigung der Eier ohne Brutpflege des
Vaters, auf dem Lande) erwähnte ich, wie es auch im Freileben mit-
unter passiert, daß die Männchen ihre Eierballen vorzeitig verlieren.
Wir haben das Schicksal der verwaisten Eier bis zum Ausschlüpfen
der Larven verfolgt und gesehen, daß erstens die Embryonen sich
unbeschadet dessen, daß sie von ihren Erzeugern nicht mehr behütet
werden, normal entwickeln, zweitens daß sie die Eihüllen zu ver-
lassen vermögen, auch ohne daß letztere vorher im Wasser auf-
geweicht wurden.
Wie aber ergeht es den an unrechter Stelle, auf dem Trockenen
nämlich, ausgeschlüpften Larven? Hartmakks Beantwortung dieses
Problems wurde bereits zitiert [26] : » . . . Die Larven verlassen die
Eihüllen zur richtigen Zeit, aber da sie in einem verkehrten Element
das Licht der Welt erblicken, so gehen sie auch sofort, nachdem sie
es erblickt haben, ein,« — und in seiner zweiten Arbeit [28]: »Jeder
in der Natur auf dem Lande abgestreifte Eierballen geht zugrunde;
die Tiere reifen, fallen aus, aber eben nicht ins Wasser.«
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86 P&ol Kammerer
In den meisten Fällen wird sich dies wohl tatsächlich so zu-
tragen. Nur das Wörtchen »sofort« in dem ersten Satze mnß ich
anf Grund meiner Versuche beanstanden. Die Larven widerstehen,
wie ich gleich vorausschicken will, eine ziemliche Zeit hindurch dem
Wassermangel, falls sie nur einen bescheidenen Grad von Boden-
feuchtigkeit zur Verfllgung haben. Es ist nicht undenkbar, daß sie
in manchen Fällen doch noch ins Wasser gelangen und ihre Entr
Wicklung dort zum gedeihlichen Ende bringen können, wenn der
Verlust des Eierballens an einer hierzu geeigneten Stelle stattge-
funden hat.
Schon FisCHER-SiGWART [21, S. 28] veröffentlicht diesbezügliche
Erfahrungen: »Am 7. Juni abends fand sich im Behälter der Geburts-
helferkröten in einem nur wenig feuchten Teller noch lebend eine
weitere Kaulquappe von der letzten Brut, die also hier über 24 Stunden
ohne Wasser, fast im Trockenen, zugebracht hatte. Von ihr aus-
gefllhrte rasche, wirbelnde Bewegungen, wobei sie ähnlich aussah,
wie ein Tropfen Wasser, der beim LEiDENFROSTSchen Versuche auf
der glühenden Eisenplatte herum wirbelt, hatten meine Aufmerksam-
keit auf sich gezogen. Es ist hieraus ersichtlich, daß diese Quappen
zu ihrer Existenz sehr wenig Wasser brauchen, daß sie
sogar bei zeitweisem gänzlichen Wassermangel nicht so leicht um-
kommen, so lange wenigstens noch eine Spur von Feuchtigkeit vor-
handen ist.« Viel später, als die Larven schon bedeutend größer
geworden und ans Wasserleben gewöhnt waren, ereignete sich aber-
mals ein Zwischenfall, der den Beweis erbrachte, daß ihre Un-
empfindlichkeit gegen Trockenheit kaum geringer geworden sei: »Die
Quappen der Geburtshelferkröte sind sehr widerstandsfähig und
können nicht nur ohne Schaden lange außerhalb des Wassers leben,
sondern sind auch gegen Verletzungen ziemlich unempfindlich. Am
16. November (1883) war das Wasser in der Versuchsschüssel ziem-
lich vermindert, weshalb sie wieder aufgeflillt werden mußte, und um
das Auffüllen nicht so oft wiederholen zu müssen, wurde die Schüssel
bis* zum Bande gefüllt, wobei natürlich der Inhalt etwas getrübt wurde.
Dies hatte den Bewohnern, wie es scheint, nicht behagt; denn in
der darauffolgenden Nacht waren sie alle entwichen. Sie hatten sich
über den Band hinaus arbeiten können und keine einzige war mehr
in der Schüssel zu finden. Erst mittags fand ich zufällig eine an
einer feuchten Stelle am Boden, und bei weiterem Nachsuchen fanden
sich noch vier vor, und zwar drei davon lebend, trotzdem sie I72 bis
2 m tief auf Stein hinuntergefallen waren und trotzdem sie nachher
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Experimentelle Veränderung der Fortpflanzongstätigkeit ubw. 87
noch stundenlang anf dem Trockenen oder doch an einer nur wenig
feuchten Stelle hatten liegen müssen. Die übrigen hatten sich den
feuchten Stellen und dem zwar schwachen Falle des Terrariums
folgend bis zum Wasserablaufe arbeiten können; denn unweit der
Stelle, wo die zurückgebliebenen lagen, floß etwas Wasser und der
Ablauf führte sie durch die Dachrinne in einen Bach. Ihre Flucht
mag also vollständig geglückt sein. Die drei lebenden und die tote
wurden wieder in ihre Schüssel zurückversetzt, letztere um als Futter
zu dienen. Jene erholten sich rasch vollständig und knabberten bald
vergnügt an ihrer toten Gefährtin herum.«
An diese zufälligen Wahrnehmungen Fischer-Sigwabts knüpfe
ich nun mit Aufstellung planmäßiger Versuche an:
Als technische Grundlage dient ein beliebiges seichtes Geföß, z.B.
eine irdene Keimschale oder eine Präparierschüssel, welche bis nahe zum oberen
Bande mit feuchter Erde angefüllt wird. Am besten eignet sich gelbe, lehmige
Wiesenerde, die man am bequemsten von Maulwnrfshanfen wegholen kann; sie
enthält nicht so viele faulende und schimmelnde Substanzen, entwickelt auch
nicht so viel Säore, als schwarze Garten- und Walderde. Die Erde wird im Gefäß
festgeknetet, die Oberfläche zu einer flachen, kreisförmigen Mulde gestaltet und
sauber ansgeglättet Die zur Aufzucht in dieser Erdmulde bestimmten Larven
gelangen nun entweder dadurch hinein, daß man schon die Eierballen hinlegt
und an Ort und SteUe ausfallen läßt, worauf die leeren HüUen zu entfernen sind,
oder daß man die in andern Zuchten ausgefallenen Larven sorgsam mit HUfe
eines Hom- oder Holzlöffels in die Mitte der Mulde überträgt Hier werden sie
mit einer Moosplatte zugedeckt Erdboden und Moosdecke sind täglich zweimal,
morgens und abends, tüchtig zu besprengen; auch über die Quappen selbst darf
der feine Sprühregen des Zerstäubers dann und wann hinwegbrausen, indem man
die Moosdecke zu diesem Behufe ein wenig aufhebt Bei dieser Gelegenheit
werden gleich die beiden außerdem noch zu bewerkstelligenden Pflege-Handgriffe
erledigt, nämlich erstens die Fütterung und zweitens die Herausnahme etwaiger
Kadaver.
Die Fütterung bereitete mir anfangs nicht geringe Verlegenheit, da ich sie
gemäß dem bei Ernährung der im Wasser befindlichen Larven gehandhabten
Prinzip vornehmen zu müssen glaubte: ich legte zeitweise etwas frische, grüne
Fadenalgen stehender Süßgewässer (besonders Spirogyra und Cladophora]^ femer
Stückchen roher Leber oder rohen Fleisches, welch letzteres vor Gebrauch
gründlich weichzuklopfen ist, zwischen die Quappen. Allein Fleisch und Leber
gingen allzu rasch in Fäulnis über, und trotzdem ich nie etwas länger als
24 Stunden liegen ließ, gelang es doch nicht, alle Überbleibsel so vollständig
zu entfernen, daß ein übler Geruch und in weiterer Folge solcher Unreinlichkeit
ein massenhaftes Absterben der Quappen vermieden worden wäre; die Süß-
wasseralgen hingegen verdorrten allzu rasch, was zwar umgangen wurde, indem
ich bei günstiger Gelegenheit die außerhalb des Wassers auf feuchtem Boden
gedeihenden Schleimalgen [Nostoc] an ihre Stelle setzte, mit ihnen jedoch nicht
auslangte, zumal die Quappen sich mit vegetabilischer Kost allein nicht begnügten.
Demnach mußte ich ein Eunstfutter ausfindig machen und verfiel auf Oblaten
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88 P&nl Kammerer
und zu Schaum geschlageneB Eiweiß, welches Nahrungsmittel, in sparsamen
Mengen verabreicht, sich als durchaus befriedigend bewährte.
Ob unter den Kaulquappen Tote vorhanden sind, davon überzeugt man sich
am ehesten durch den Geruchssinn, indem eingegangene Froschlarven, da sie un-
verhältnismäßig viel Darminhalt zu beherbergen pflegen und eine sehr wenig
konsistente Kürperbeschaffenheit haben, sehr schnell in Verwesung übergehen.
Das Herausfinden der Toten gelingt, indem man die einzelnen Tierchen, soweit
sie gerade regungslos daliegen, mit einem Stäbchen sachte anstoßt, auf welche
Berührung die Lebendigen durch lebhaftes Zappeln reagieren. Nach Erlangung
einiger Übung erkennt man tote Kaulquappen selbst inmitten eines großen Haufens
noch sehr kleiner Geschwister ohne weiteres an der Formveränderung, welche
Hand in Hand mit der Auflösung des kleinen, weichen Leichnams sehr bald
und deutlich ins Auge fällt.
Die größte Gefahr, der die außer Wasser aufgezogene Kaulquappenbmt
ausgesetzt ist, besteht in folgendem: an denjenigen Körperpartien, welche am
meisten mit der Luft in Berührung kommen und die daher am ehesten dem Ab-
trocknen unterliegen (also namentlich auf der Oberseite), wird die zarte Haut
leicht spröde und springt auf. Die geringste Unreinlichkeit reicht dann hin,
um die so entstandene Wunde zu infizieren; bei älteren Larven, in deren Inte-
gument bereits Drüsen funktionieren, tritt noch die gegenseitige giftige Ein-
wirkung des reichlich abgesonderten Hautdrüsenschleimes auf die offenen Stellen
hinzu, so daß eine unaufhaltsame Epidemie um sich greift. Die von ihr be-
fallenen Tiere sterben in kurzer Zeit: in Anbetracht ihrer hinfälligen Körper-
beschaffenheit ist mit Gegenmitteln, wie man sie bei ähnlichen Erkrankungen
erwachsener Lurche erfolgreich anwenden kann [41, Seite 247; 42, Seite 183],
nichts auszurichten. Das beste Verhütungsmittel aber besteht darin, das Ganze
stets gleichmäßig feucht zu erhalten, die Erde unter, die Moosplatte über den
Tieren. Dadurch, daß sich der ganze Haufen von Kaulquappen immerwährend
dicht zusammenhält und eng aneinanderdrängt, bleibt auch zwischen ihnen
stets ein ziemlich bedeutender Grad von Feuchtigkeit erhalten. Man erkennt
dies am deutlichsten beim Aufheben der Decke, weil dann der gestörte Kaul-
quappenklumpen heftig durcheinander und auseinander wimmelt und so in die
Beschaffenheit seines Centrums Einblick gewährt. Wird jeder Futterüberrest
sorgsam entfernt und die Moosdecke, wenn sie nicht mehr ihre ursprüngliche
frischgrüne Färbung bewahrt, gegen eine neue ausgetauscht, so wird man einen
zum Gelingen des Versuches hinreichenden Prozentsatz der Larven gewiß groß
bekommen.
Es ist nun eine Reihe von Entwieklungsmomenten, morphologi-
schen und physiologischen Erscheinungen zu erwähnen, worin sich
die außerhalb des Wassers aufgezogenen Alytes-LsLiwen von ihren im
Wasser heranwachsenden Artgenossen unterscheiden. Ich will des
kürzeren Ausdrucks wegen die ersteren immer als Landlarven, die
letzteren als Wasserlarven bezeichnen.
Die Landlarven besitzen stets einen etwas schmäleren Schwanz
als die gleichzeitig gepflegten Wasserlarven ; es entwickelt sich näm-
lich der beim Rudern so wichtige Flossensaum auf dem Trockenen
nicht so breit. Schon die Wasserlarven besitzen, wie Heron-Royer
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Experimentelle Yerändenuig der Fortpflanzongstätigkeit ufiw. 89
und VAN Bambeke [36, S. 288] hervorheben, im Verhältnis zu andern
Kaulquappen schmale Hautbesäumungen des Schwanzes, und nach
Abbildungen Boülenqers [6, pl. XLVII, fig. 7, 8; 8, pl. I, fig. 5, 6] zu
BchlieBen, gilt dies für die Larven von Alytes obstetricans var. Boscae
und Ä. Cistemasi mehr als für Älytes obstetricans forma typica; noch
besser jedoch tritt das Merkmal bei den Landlarven hervor.
Die Muskelpartie des Schwanzes läßt bei den Landlarven
die seitlich zusammengedrückte Raderform weniger zum Ausdrucke
kommen, als bei den Wasserlarven. Auch dieses Kennzeichen ist bis
zu einem gewissen Grade im Unterschiede von andern Quappen
schon den Wasserlarven von Alytes eigen (Heron-Royer und van
Bambeke [36, S. 288]: »Queue assez epaisse«), um sich abermals bei
den Landlarven noch etwas zu steigern. Bei letzteren erinnert der
Schwanz in seiner kantigen Parallelepipedform in etwas an denjenigen
gewisser ürodelen, z. B. einiger Amölystoma-Arteji, wo der Schwanz
noch nicht völlig die drehrunde Gestalt wie bei einem echten Land-
molch, z. B. Salamandra, angenommen, aber auch die dezidierte Ruder-
gestalt, wie bei den Wassermolchen, bereits aufgegeben hat.
Viel früher als bei den Wasserlarven gelangen bei den Land-
larven die Hautdrüsen zur Entwicklung und zur Ausübung einer
lebhaften secretorischen Tätigkeit. Der Reichtum an Drüsen ist es
hauptsächlich, der die Landlarven in den Stand setzt, durch reich-
liche Schleimabsonderung zar Erhaltung der Feuchtigkeit beizutragen.
Das Integument der Ji^^-Larven ist schon normalerweise
etwas dicker als dasjenige andrer Anurenlarven ; Fischbr-Sigwart
[21] hat diese Tatsache für die Bauchseite der Larven hervorgehoben.
Bei den Landlarven jedoch erfährt das Epithel der gesamten Ober-
haut eine abermalige Verdickung, wie schon am frischen Gewebe,
an einfach mit dem Rasiermesser durch den ganzen Larvenrnmpf
geführten Querschnitten unter dem Mikroskop deutlich wahrzu-
nehmen ist.
Ferner ist hervorzuheben, daß die Lungen sich bei den Land-
larven viel eher anlegen, rascher an Umfang zunehmen und durch
ihre wabige Architektur Übereinstimmung mit der Lunge des aus-
gebildeten Tieres bekommen, als bei den Wasserlarven; doch ist die
Eiemenatmung bei den Landlarven keineswegs ganz aufgehoben: es
bleibt, um sie neben der noch wichtigeren Hautatmung und vielleicht
einer Darmatmung auszuüben, immerhin genug Feuchtigkeit übrig.
Unter der Haut, welche die inneren Kiemen bedeckt, sind stets ein
paar Wassertropfen vorhanden, welche bei sanftem Druck gegen das
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90 Paul Kämmerer
Spiraculum hin herausquellen. Die Kieme n höhle der Kaulquappen
besitzt also, ähnlich derjenigen vieler Krebse und Fische, die Fähig-
keit, in Fällen der Not kleine Vorräte an Atemwasser
längere Zeit in sich aufzubewahren.
Es war mir möglich, die Larven auf dem Lande bis zu einer
Totallänge von 51 mm und bis zum deutlichen Entstehen kleiner
Hinterbeine zu ziehen. Eine solche Larve, im Alter von 29 Tagen,
ist auf Taf. V Fig. 5 abgebildet. Über diese Zeit hinaus gelang die
Aufzucht nicht, da die große Sterblichkeit, welche trotz sorgfältigster
Behandlung unter Larven jenes Stadiums herrscht, ein weiteres Be-
lassen derselben auf dem Lande unmöglich macht. Sie müssen,
sollen sie am Leben bleiben, spätestens mit Erreichung der abge-
bildeten Entwicklungsstufe ins Wasser tibergeführt werden.
Hier, im wiedergewonnenen Normalmedium der Larven, zeigt
sich schließlich noch eine weitere, merkwürdige Entwicklungserschei-
nung, die sich auf eine Nachwirkung des vorausgegangenen Trocken-
lebens zurückfahren läßt. Es tritt die Metamorphose sehr beschleunigt
ein: Kaulquappen, welche nach ihrem Ausschlüpfen aus dem Ei
einige Zeit außer Wasser zugebracht haben, vollenden ihre post-
embryonale Entvricklung stets in kürzerer Dauer, als Wasserlarven,
die sonst unter gleichen Bedingungen gehalten werden. Die Zeit
des Trockenlebens ist invers proportional zur Dauer des
ganzen Larvenlebens: je länger eine Larve nach Verlassen des
Eies außer Wasser ausgehalten hatte, desto rascher tritt nachher ihre
Metamorphose ein. Solche Larven wie in Figur 5, die 4 Wochen
außer Wasser verlebt hatten, sind weitere 4 Wochen nachher schon
metamorphosiert. Derart früh umgewandelte Geburtshelferkröten sind
stets kleiner als die zur normalen Zeit — d. i. für Alytes etwa ein
Jahr — ausgebildeten. Diese haben 22 bis 25 mm (s. Fig. 4), jene
nur 19 bis 20 mm Länge von der Schnauzenspitze bis zum Steiß.
Die Beschleunigung der ganzen Entwicklung äußert sich be-
sonders auffallend, ja man kann sagen monströs, durch das ungemein
verfrühte Abwerfen der Hornkiefer und gleichzeitige Auftreten
des breitgespaltenen Froschmaules. Während dieses Vorzeichen einer
baldigst eintretenden Metamorphose bei den Froschlarven sonst erst
dann eintritt, wenn sie schon die vier Extremitäten erlangt haben,
geschieht es im vorliegenden Falle schon vor Durchbruch der vorderen
Extremitäten. Entsprechend dem verfrühten Auftreten des definitiven
Kieferbaues ist auch eine frühreife Änderung der Emährungsart zu
beobachten. Die Nahrung der Larven besteht nach Abwerfen der
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Experimentelle Verändening der Fortpflanzungstätigkeit ubw. 91
Homkiefer nicht mehr, wie bei regulären Kaulquappen gleichen Alters,
aus Aas und Algen, sondern wie bei ausgebildeten Froschlurchen aus
lebenden Insekten und Würmern; raubtiergleich beschleichen sie vor-
sichtig unter Wasser die Beute, um sie dann mit heftigem Vorstoß
plötzlich zu packen und gierig zu yerschlingen. Da die Kiefer noch
sehr schwach sind, helfen sich die Larven vor Erscheinen der Vorder-
gliedmaßen durch Anstemmen des Kopfes gegen einen festen Gegen-
stand, Stein oder Glaswand; nach dem Erscheinen der Vorderglied-
maBen stopfen sie größere Bissen mit Hilfe der letzteren, abwechselnd
mit der linken und mit der rechten, in den Schlund, genau wie es
später die Vollkröten tun. Das ganze Wesen hat somit, wie aus
dieser einzigen Beobachtung erhellt, nicht die geringste Ähnlichkeit
mehr mit dem Gebahren einer Kaulquappe, obschon das Larvenleben
dann noch wenige Wochen andauern, ja sogar durch Anwendung
geeigneter äußerer Faktoren, wie sie im 5. Versuch besprochen
wurden, abermals beträchtlich verlängert werden kann, das Spiracu-
lum während dieser Zeit offen bleibt und der im Laufe des Trocken-
lebens ziemlich schmal gewordene Kuderschwanz sich ausgiebig ver-
breitert.
Durch all diese Beobachtungen ist dargetan, daß die Landlarven
von Alytes ohstetricans sich in außerordentlichem Grade derjenigen
Art und Weise der Kaulquappenentwicklung angenähert haben, wie
sie von Hensel [29, S. 129] hinsichtlich eines in Brasilien und Farsr
guay lebenden Frosches, des Schnurrbartpfeifers (Lepiodactylus
mystaeinus Burmeister = Cysiignaihus mystaceus Spix) beschrieben
wird: »Er geht niemals ins Wasser..., daher laicht er auch
nicht in den Pfützen selbst, sondern macht in ihrer Nähe, aber
immer noch innerhalb der Grenzen, bis zu denen das Wasser nach
heftigen Begengttssen steigen kann, unter Steinen, faulenden
Baumstämmen usw. eine Höhlung ungefähr so groß wie ein ge-
wöhnlicher Tassenkopf. Diese füllt er mit einem weißen zähen
Schaume aus, der die größte Ähnlichkeit mit recht festem
Schaume aus geschlagenem Eiweiß hat. In der Mitte dieser
Schaummasse befinden sich die fahlgelben Eier. Die jungen Larven
besitzen zuerst die Farbe der Eier und zeigen äußere Kiemen, werden
jedoch bald auf der Oberseite dunkler und später grUnlichbraun^
unten grauweiß, fast silberweiß, so daß sie in ihrem Habitus den
Larven der Bana esctdenta nicht unähnlich sind, nur scheint bei ihnen
die Schwanzflosse nicht ganz so stark entwickelt zu sein.
Steigt das Wasser der Ffbtze bis an das Nest, so begeben sie sich
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92 P&^l Ejtmmerer
in jene und unterscheiden sich femer in der Lebensweise nicht von
den Larven andrer Batrachier; nur bemerkt man schon jetzt an
ihnen eine reichlichere Schleimabsonderung und eine wahr-
scheinlich damit zusammenhängende größere Lebenszähig-
keit. Trocknen nämlich die flachen Pfützen infolge eines Kegen-
mangels vollständig aus, so sterben die Larven der übrigen Bar
trachier, nur die des (7. mystaceus ziehen sich unter schützende
Oegenstände, Bretter, Baumstämme usw. zurück und bleiben
klumpenweise zusammengeballt liegen, um die Bückkehr
des Begens abzuwarten. Hebt man den bergenden Gegen-
stand in die Höhe, so wimmelt der ganze Haufen durch-
einander, und man sieht, daß er sich immer noch eines
ziemlichen Grades von Feuchtigkeit zu erfreuen hatte. Je
größer die Larven in den Nestern werden, um so mehr schwindet der
Schaum, der ihnen zur Nahrung dient. Ob sie aber jemals,
ohne ins Wasser gelangt zu sein, in ihren Nestern oder später nach
Vertrocknung der Pfützen in ihren Zufluchtsörtern eine vollständige
Metamorphose durchmachen können, habe ich nicht beobachtet,
doch dürfte es kaum anzunehmen sein, da die jungen Tiere noch
bis zu einer nicht unbeträchtlichen Größe mit den Budimenten des
Schwanzes versehen sind*).«
An der Hand dieses Zitates vermag der Leser leicht Punkt für
Punkt herauszufinden, inwiefern, laut Versuchsanordnung, die Existenz-
bedingungen der Alytes obstetricanS'LsindlsiXven von Anbeginn ab-
sichtlich denjenigen ähnlich gemacht worden sind, in welche die
Leptodactylus ywysfetcinz^Ä-Nachkommenschaft seitens ihrer Erzeuger
gebracht wird; ferner, worin die aus jenen Existenzbedingungen
resultierenden Entwicklungserscheinungen und Lebensäußerungen von
Alytes einerseits, Leptodactylus anderseits convergieren. Wir können
aus Henselb Darstellung auf Alytes übertragen: erstens die
Ablage der Eier und embryonale Entwicklung außer Wasser in Erd-
mulden unter einer schützenden Decke; zweitens die postembryonale
Entwicklung, welche in Ermangelung von Wasser ebenfalls auf nur
feuchtem Grund fortgeführt wird; drittens die infolge Nichtgebrauches
schmälere Schwanzflosse; viertens die reichliche Sehleimabsonderung;
fünftens die motorischen Lebensäußerungen der Larven, ihr erschrok-
kenes Durcheinanderwimmeln bei einer Störung und ihr Zusammen-
1) Sämtliche im Zitat der HENSELschen Arbeit gesperrt gedruckten Stellen
43ind im Original nicht gesperrt gedruckt.
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Experimentelle Verändenmg der Fortpflanzungstätigkeit usw. 93
ballen in der Ruhe, durch welch letzteres eben in Verbindung mit
der Schleimproduktion in der Mitte deB lebendigen Haufens so auf-
fallend reichliche Feuchtigkeit bestehen bleiben kann; sechstens end-
lich die Ernährung aus einem Schaum, welcher im Falle von Lep-
todactylus festgeschlagenem Eiweiß nach Hensels Worten bloß sehr
ähnlich ist, im Falle von Älytes aber durch schaumig gemachtes
Htthnereiweiß künstlich ersetzt wird. Ich vermute, daß der Schaum,
in welchen Eier und Larren yon Leptodactylus eingehüllt sind und
der ihnen zur Nahrung dient, auch nichts andres ist als Eiweiß,
nur natürlich FroscheiweiB, welches vielleicht durch die schlagenden
und stoßenden Bewegungen der Hinterbeine der sich begattenden
Tiere (wie auch bei heimischen Arten zu beobachten) jene eigentümliche
Beschaffenheit erlangt. Nur für die Haltbarkeit der schaumigen
Struktur dürfte noch die Mitwirkung eines im Eileiter oder in der
Cloake abgesonderten Drüsensecretes anzunehmen sein.
^^^e9-Larven, die man den beschriebenen Bedingungen aussetzt,
nachdem sie schon eine Zeitlang im Wasser zugebracht
hatten, sind lange nicht so widerstandsfähig als jene, die gleich
vom Ausschlüpfen an zu Landlarven erzogen worden sind. Und je
länger sie schon im Wasser gelebt hatten, desto rascher gehen sie
bei einer späteren Trockenhaltung zugrunde. Immerhin aber besitzen
auch ältere Larven mit starken Hinterbeinen noch die Fälligkeit,
auf feuchtem Medium der Wassersnot bis zu 14 Tagen Trotz zu
bieten.
Es galt nun noch, das an Mytes bis zu einem gewissen Grade
gelungene Experiment vergleichsweise auf andre Froschlarven
auszudehnen. Sofort zeigte sich, daß keine einzige mitteleuropäische
Art auch nur annähernd die gleiche Fähigkeit, außer Wasser zu
existieren, ihr eigen nennt. Die Schwierigkeit beginnt schon damit,
daß nur derjenige Laich entwicklungsfähig ist, welcher im Wasser
abgelegt und besamt worden ist, — von welcher Begel, wie wir
im Versuche Nr. 10 sehen werden, nur noch der Laich des Laub-
frosches eine Ausnahme macht. Hat die Besamung im Wasser statt-
gefunden, so kann sich allerdings die weitere Embryonalentwicklung
— abgesehen vom Laich der Bana esculenta in ihren sämtlichen
Formen, bei welchen dies ganz unmöglich ist — außer Wasser voll-
ziehen, vorausgesetzt daß die Eier entweder mehrmals täglich gebadet
oder in dunstgesättigtem Räume aufbewahrt werden; so erhielt auch
H^RON-KoYEB [31, S. 281] Larven aus Laichklumpen von Bana tempa-
raria = fusca^ die im Freien, in einem Sumpfe gesammelt und hernach
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94 P&1Ü Kammerer
ohne WaBBer in einen Keller gebracht worden waren. Die aus solchem
nur feucht, nicht direkt im Wasser liegenden Laich ausgekrochenen
Larven mllssen aber nun sehr bald in ihr heimisches, flüssiges Ele-
ment gelangen, sonst verlieren sie binnen kurzem ihre Lebensfähig-
keit. Am schnellsten krepieren die Larven des Seefrosches [Rana
esctdenta L., snbsp. ridibunda Pallas), welche nicht einmal 1 Stunde
hindurch aushalten; nicht viel länger, nämlich äußersten Falles
2 Stunden, widerstehen die Larven vom gewöhnlichen Teichfrosch
(i2. esctdenta L., forma typica), etwa 4 Stunden diejenigen vom
LATASTESchen Frosch [Rana latastii Blgr.) und Moorfrosch (-B.
arvaiis Nilss.}. Auch nur 4 bis 5 Stunden bleiben die Larven von
der rotbauchigen Unke [Bombinator igneus Laur.), bis 6 Stun-
den die des italienischen Wasser frosches (22. esculetita L., var.
lessonae Blgr.) am Leben: Springfrosch (Bana agiUs Thom.) und
Grasfrosch (jR. temporaria L.) erzeugen Larven, die das Wasser
7 bis 10 Stunden lang ohne Schaden entbehren können. Bereits
10 bis 14 Stunden harren die Quappen der gemeinen Erdkröte
(Bufo vulgaris Laur.), 24 bis 48 Stunden die der Wechselkröte
(Bufo viridis Laur.), der Kreuzkröte (Bufo calamita Laur.) und
der gelb bauchigen Unke [Bombinator paehypus Bon^p,) aus. Die
Larven des Laubfrosches (Hyla arborea L.) sterben zwar auf dem
Trockenen in der Begel binnen wenig Stunden, erlangen aber unter
gewissen Bedingungen eine verhältnismäßig bedeutende Widerstands-
fähigkeit, welche sie dann die eben genannten Kröten und die gelb-
bauchige Unke noch Übertreffen läßt; davon soll indes erst im zweiten
Teil meiner Arbeit genauer berichtet werden. Endlich sind es die
Quappen der Knoblauchskröte [Pdobates fuscus Laur.), die es
nächst Älytes am weitesten bringen, indem sie bis zu 2 Wochen lang
auf feuchtem Boden ihr Leben behaupten, und zwar auch noch ältere,
zweibeinige Exemplare. Übrigens verhalten sich sämtliche aufge-
zählte Arten auch intra- spezifisch nicht streng übereinstimmend; die
Überlebungszeit ist je nach Beschaffenheit der natürlichen Fundorte
Schwankungen unterworfen.
Wer die Lebensweise aller dieser Arten kennt, wird nicht einen
Augenblick darüber im Zweifel sein, daß die Fähigkeit des Laiches
und der Larven, eine gewisse, beschränkte Zeit auf dem Trocknen
zu verbringen, eine Erscheinung funktioneller Anpassung an
zeitweises Austrocknen der Laichgewässer darstellt. Jene
Fähigkeit ist mehr oder minder ausgesprochen je nach den Laich-
gewohnheiten der sich fortpflanzenden Tiere: manche laichen in
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Experimentelle Veränderung der Fortpflanzungstätigkeit ubw. 95
gröfiere, wohl niemals oder doch nur in ganz heißen Sommern aus-
trocknende Wasseransammlungen, oder zu einer noch sehr kühlen
Jahreszeit; andre laichen in kleine, periodisch verschwindende
Pfützen oder im Spätfrühling, wenn die Sonne schon ausdörrende
Kraft gewonnen hat. Die Larven der letzteren Kategorie haben nun
offenkundig großen Vorteil davon, wenn sie wenigstens eine kleine
Weile den Unbilden des Wassermangels Trotz bieten können; auf
je längere Dauer sie diese Fähigkeit erworben haben, desto größer
ymrd die Wahrscheinlichkeit, daß doch noch rechtzeitig ein erlösen-
der Begen fällt, der die vertrocknenden Lachen wiederum fttUt, —
Von den drei einheimischen Formen des Wasserfrosches leben und
laichen zwei, Seefrosch und typischer Teichfrosch, immer an großen
oder doch ständigen Gewässern, besonders der Seefrosch, welcher,
wie schon sein Name sagt, die Ufer von Seen und toten Flußarmen
bevorzugt; selbst die Meeresküste schreckt ihn nicht. Der typische
Teichfrosch bewohnt Gräben, Tümpel und Bäche, von denen ihrem
Wasserreichtum nach fast immer anzunehmen ist, daß sie kaum
jemals gänzlich versickern. Hingegen nützt der italienische Wasser-
frosch bereits oft kleinste Lachen aus und wird gelegentlich auf
weiten Zwangswanderungen über Land betroffen. Unter den vier
braunen Landfröschen kommen Moorfrosch und LATASTEScher Frosch
am wenigsten in die Lage, kleine Laichgewässer benutzen zu müssen:
ersterer hält sich stets in wasserreichen Sumpfgegenden auf, und
auch letzterer entfernt sich, wenigstens in den Gebieten, wo ich ihn
angetroffen habe, nicht weit vom Wasser. Viel mehr geschieht dies
von selten des trocken-warme Lagen auswählenden Springfrosches
und des das Gebirge bis zu höchsten Regionen besiedelnden Gras-
frosches. Doch laichen alle braunen Landfrösche daftlr zu so früher
Jahreszeit, daß sogar die winzigsten Lachen vor dem Versiegen ge-
flchtttzt sind, um so mehr, als sie meist noch durch die Schneeschmelze
ausgiebigen Zufluß erhalten. Femer ist die Entwicklung sämtlicher
i2a7ta-Arten eine relativ rasche. — Die echten Kröten, mehr als die
Frösche vom Wasseraufenthalt emanzipiert, verfahren oft recht leicht-
fertig beim Absetzen ihrer Laichschnüre: sie vertrauen sie beliebigen
Wasseransammlungen an, die sie auf ihrem Wege finden, gleichgültig,
ob jene mit ihrem Flüssigkeitsvorrat bis zur Metamorphose der
Larven auszureichen versprechen oder nicht. Nichtsdestoweniger
bleiben die Larven der Erdkröte vom Schicksal des Ausgedörrtwerdens
meist verschont, weil sie ihre Entwicklung schon im Vorfrühling be-
ginnen; um so häufiger gereicht den Jungen der spätlaichenden
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96 Panl Kammerer
Wechsel- und Erenzkröte der Mangel an Umsiebt, mit dem ihre
Eltern das Fortpflanzungsgeschäft besorgten, znm Verderben. Der
grüne Laubfrosch laicht zwar meist in aasreichend große oder tiefe
Wasserreservoirs, verfällt aber hier nnd da in so merkwürdige, im
zweiten Teil der Arbeit (Versuch Nr. 8) näher zu besprechende Ab-
weichungen von seinem sonstigen Verfahren, daß seine Quappen
mancherorts sehr wohl in die Gelegenheit kommen können, eine
respektable Widerstandskraft zu erwerben. Von den Unken oder
Feuerkröten bevölkert die rotbauchige oder Tief landsunke stets aus-
gedehntere, vegetationsreiche Teiche und Brüche, die gelbbauchige
oder Bergunke dagegen Begenpftttzen, stagnierende Stellen in Wald-
bächen, Jauchegräben in der Nähe von Misthaufen u. dgl, woraus
sich der so sehr verschiedene Anpassungsgrad der Unkenlarven zur
Genüge erklärt. Von der Enoblauchskröte aber ist bekannt, daß sie,
laut Leydig [50], »fast regelmäßig gerade solche Laichplätze wählt,
welche gegen den Juni hin austrocknen, ehe die Vollendung des
Tieres so weit vorgerückt ist, um das Wasser verlassen zu können.
Es ist ein trauriger Anblick, wie in den wasserleer werdenden, dann
völlig austrocknenden Gräben und Tümpeln die Larven massenhaft
zusammengedrängt zugrunde gehen«. Gleiches* beobachtete Dürigen
[16, S. 513; 18, S. 534]: »In der Wahl der Laichplätze verfährt die
Enoblauchskröte recht sorglos, sie scheint sogar mit Vorliebe die
durch Grund- und Schneewasser auf Wiese und Flur gebildeten
seichten Tümpel, Lachen und Binnsale aufzusuchen; da dieselben
nun aber gegen den Juni oder Juli hin, ehe die Larven ihre Ver-
wandlung vollbracht haben, austrocknen, so müssen alljährlich Tau-
sende und Abertausende der Kaulquappen zugrunde gehen, wodurch
eben das nach Ort und Jahr sporadische Auftreten dieses Batrachiers
mit bedingt wird.« Daß die Enoblauchskröte schon im März oder
in der ersten Hälfte des April ihr Laichgeschäft abhält, zu einer
Zeit, wenn in unserm Elima die Gewässer gewöhnlich noch nicht
einmal ganz vom Eise befreit zu sein pflegen, hilft gerade dieser
Art wenig, da ihre Larven eine besonders lange Zeit zur Vollendung
ihrer postembryonalen Entwicklung beanspruchen. Enthält dann so
ein Wässerlein keine Pflanzen, keinen Schlamm, ja nicht einmal
weichen Erd- oder Lehmgrand, so ist es freilich mit den Larven
vorbei, sobald der letzte Rest einer den Boden benetzenden Wasser-
fläche entschwunden; ohne Schutz den sengenden Sonnenstrahlen,
welche ja immer vorhanden sein müssen, um jenes totale Verdunsten
und Versiegen zu bewirken, preisgegeben sein, ist ein Zustand, den
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Experimentelle Veränderung der Fortpflanznngstätigkeit nsw. 97
kein Amphibium, geschweige denn eine zarte Kaulquappe, zu ertragen
vermag. Befinden sich aber recht reichliche schleimige Algen oder
ein andrer weicher Bodensatz in dem austrocknenden Beckeo, dann
versinken die Quappen gleichzeitig mit dem Sinken des Wasser-
spiegels immer tiefer und tiefer in den Schlamm, sie werden all-
seitig von ihm umschlossen, in dichten Klumpen liegen sie regungs-
los und wohlgeborgen in ihm eingebettet, bis ein Regenguß, der
nur nicht gar zu lange auf sich warten lassen darf, sie aus ihrem
Trockenschlafe zu neuem Leben erweckt.
Was endlich die uns hier am meisten interessierende Art, die
Geburtshelferkröte, deren erstaunliche Widerstandsfähigkeit im
Larvenzustande wir experimentell erprobt haben, anbelangt, so ist
einerseits zwar die Neigung der eiertragenden Männchen unverkenn-
bar, ihre Eierpakete in ständige und tiefere Gewässer (was wegen
der Überwinterung, beziehungsweise des Zufrierens nicht ganz bis
zum Grund, besonders wichtig ist) abzuschütteln, worin die jener
Neigung Erwähnung tuenden Beobachter ein Zeichen anerkennens-
werter Umsicht und einen letzten, aber keineswegs belanglosen Akt
des ganzen Brutpflege-Vorganges erblicken; so Koch [45]: »Während
nun die andern Frösche und Kröten, welche weit mehr als Mytes
auf einen zeitweisen Aufenthalt im Wasser angewiesen sind und
immer im Wasser laichen, in der Wahl solcher Laichpftttzen nicht
sehr wählerisch sind; und deshalb durch Austrocknen solcher Gräben
und Pfützen viel Laich und noch mehr Quappen verloren gehen:
sieht man das vorsichtige Männchen von Alytes obstetricans seine
Quappen nie in Notpfiltzen tragen; dieses in seinen sonstigen Be-
ziehungen nur auf die feuchte Erde angewiesene Landtier bringt
seine Brut immer in tiefes beständiges Wasser, auch dann, wenn
solches weit von dem von ihm bewohnten Reviere entfernt ist und
es auf dem Wege dahin solchen unbeständigen Regenpfützen u. dgl.
begegnet.« Allein anderseits gelangen die Larven doch gar oft in
ganz kleine Wasseransammlungen, vielfach wohl nur zufällig, indem
sie sich aus dem Ei befreien, wenn ihr Träger gerade ein Bad
nimmt (vgl. S. 69). Beides läßt sich sehr schön in der Umgebung
von Appenzell, St. Gallen und Bregenz beobachten: Neben den so-
genannten >Teuchelrosenc, das sind kleine Teiche, die in der Nach-
barschaft vieler Bauernhäuser ausgehoben werden, um in Fällen
der Feuersgefahr als Löschvorrat zu dienen, und welche in der
Hegel durch einen Zufluß aus dem Trinkwasserbrunnen des betreffen-
den Hauses gespeist werden, — neben diesen vollste Sicherheit
Archiv f. EntwioUaBgsmechaaik. XXII. 7
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98 P&^ Kämmerer
gewährenden Brutstätten der ^t^i^-Quappen Bind es vielfach anch
die schmälsten Straßengräben , in denen ein kaum fingerhohes Wasser-
fädchen rieselt, ferner Regenlachen, nur vorübergehend nach heftigen
Gewittern gefüllte Pfützen in Sandsteinbrüchen, sowie anßer Gebranch
gestellte, gelegentlich ein wenig veralgtes Wasser enthaltende Vieh-
Trinktröge, wo die Männchen sich ihrer Eierlasten entledigen, nnd
wo die Larven ihre ganze, mindestens einjährige Entwicklungszeit
durchlaufen. Wie es in solch kleinen Wässern, die doch jedenfalls
bis zum Grunde gefrieren, mit der Überwinterung bestellt sein mag,
habe ich nicht miterleben, sondern bloß durch den Versuch fest-
stellen können, daß die Quappen das Einfrieren ihres ganzen
Körpers im Maximum 4 Tage lang, ohne zugrunde zu gehen,
ertragen; wie die Larven aber dem Vertrocknen Stand halten,
habe ich des öftern gesehen: es spielt sich immer derselbe Vor-
gang des VerSinkens in Schlammgrund und Sommerschlaf ab, wie
er vorhin für die Knoblauchskröte detaillierter dargestellt wurde, aber
aruch für die andern in gleiche Lage kommenden Batrachier, ja für
alle eine Trockenperiode durchmachenden Wassertiere überhaupt
Gültigkeit besitzt. Die Wahrscheinlichkeit, daß gerade den Alytes-
Quappen mitunter ein Versiegen ihres Wohngewässers zustößt, ist
natürlich in Anbetracht ihrer langen Larvenzeit eine sehr gesteigerte;
in manchen besonders heißen Sommern ereignet es sich, daß auch
die umfangreichsten Teiche, durch Zufluß bereicherten Tümpel und
selbst die langsam fließenden Gräben und Bäche bis zum letzten
Tropfen versiegen.
Und dann gibt es ja, wie schon auf Seite 60 angedeutet, bei
dem auf dem Lande laichenden Älytes noch eine ganz andre Even-
tualität, die Larven zu vorübergehendem Landaufenthalt zu zwingen:
nämlich in jenen Fällen, wo das Männchen vorzeitig seine Bürde,
und zwar auf dem Trockenen, verliert. Geschah der Verlust in
«iner Erdmulde oder sonstigen Vertiefung, so kann es in glücklichen
Fällen zustande kommen, daß jene beim nächsten Kegenguß, der ja
im Gebirge niemals lange auf sich warten zu lassen pflegt, gefüllt
wird und dann hinreichende Zeit gefüllt bleibt, zumal Alytes gerade
solchen Erd- und Gesteinsarten den Vorzug gibt, die für Wasser nur
wenig durchlässig sind, wie z. B. Lehm und Mergel. Aber auch
in scheinbar noch schwierigeren Situationen kann die verwaiste Brut
noch gerettet werden, wenn die Möglichkeit geboten ist, daß ein
Regenguß sie in ein nahes Wasser hineinschwemmt, welche Möglich-
keit durch die außerordentliche Beweglichkeit der ^/i/^-Quappen,
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Experimentelle VeränderiiDg der Fortpflanzangstätigkeit usw. 99
namentlich ihr Geschick, sich auf trockenem Lande weit fortzn-
Bchnellen — Pischer-Sigwart, vgl. das Zitat S. 86, 87 — , wesentlich
yerstärkt wird. Dieser Regsamkeit mag es zu danken sein, daß es
an Fandstellen, wie ich sie sogleich beschreiben will, des hilfreichen
Begens yielleicht nicht einmal immer bedarf. In Appenzell über-
zeugte ich mich von dem tatsächlichen Vorkommen des Gesagten
durch direkte Beobachtung : die eiertragenden Kröten bewohnen dort
namentlich die Mauern, welche längs der Chausseen verlaufen und
die StraßenböschuDgen zu stützen bestimmt sind, sich daher auf der
einen, der Chaussee abgekehrten Seite unmittelbar an das Erdreich
anlehnen. Längs dieser Mauern nun ziehen sieb auf lauge Strecken
kleine, Wasser fahrende Gräben hin. Zuweilen findet man zwischen
den mit Humus durchsetzten, moosgepolsterten Mauerspalten ledige
Eierballen oder ein dicht zusammengepferchtes Häuflein bereits aus-
gekrochener Larven liegen. Ich bezeichnete mir genau die be-
treffenden Plätze, vergewiBserte mich beim Nahen eines Gewitters,
daß die Brut noch vorhanden sei; nach dem Gewitter abermals revi-
dierend, fand ich das »Nest« leer, dafür aber schwammen in dem
unterhalb der Gesteinsspalte befindlichen Straßengraben mehrere
Quappen, die vorher noch nicht dort gewesen waren. Einmal sah
ich sogar, wie ganz junge Quappen während eines wolkenbruch-
artigen Kegens die glatten, naßglänzenden Steine einer hohen Mauer
entlang herab- und wohlbehalten in den Graben glitten, wo sie sich
sogleich im Schlamm verbargen. Dieses Herunterrutschen ist von
besonderem Interesse, da es, bei Alytes gegenwärtig wohl nur in
seltenen Ausnahmefällen geübt, bei den Larven des südamerikani-
schen Schmalfrosches [Hylodes abbrernatus Steindachner — jetzt
Borborocoetes miliaris Spix) habituell geworden ist und zur Differen-
zierung einer Art Saugscheibe auf dem Bauche geführt hat [29,
S. 153 und 154].
Nach längerem Exkurs auf öcologisches Gebiet wende ich mich
vor Beschluß des ersten Teiles vorliegender Arbeit nochmals zur
Erörterung eines morphologischen Faktums : nämlich der Begene-
rationsverhältnisse solcher Larven von Alytes^ die eine mehr-
wöchentliche Zeitspanne entweder zu Beginn oder in der Mitte ihrer
postembrjonalen Entwicklung außer Wasser zugebracht haben. Es
ist zunächst daran zu erinnern, daß Alytes obstetricans^ soweit unsre
Kenntnisse reichen, unter den ecaudaten Batrachiern den besten
Regenerator darstellt; zwar steht zu erwarten, daß wir, wenn einmal
die noch tiefer stehenden zungenlosen Ecaudaten, Pipa und Xe^topus,
7*
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100 Paul Kämmerer
als Yersuchsmaterial erhältlich sein werden, in ihnen noch bessere
Regeneratoren kennen lernen werden, aber einstweilen entspricht
die regenerative Potenz der Feßlerkröte vollauf dem Umstand, daß
«ie nebst ihren Familienverwandten Discoglossus und Bombinaior
eutschieden die phyletisch älteste Anurenform repräsentiert, die bisher
diesbezüglich untersucht werden konnte. Hat uns doch Ridewood [58]
darüber belehrt, daß ihre Hinterextremitäten sogar noch nach der
Metamorphose zur Neubildung gelangen, wenn sie unmittelbar vor
der Metamorphose amputiert wurden. Ich habe diese Befunde an
»Wasserlarven« von Alytes wiederholt nachgeprüft und bestätigt
gefunden.
Ganz anders jedoch verhalten sich gleichzeitig behandelte »Land-
larven«: indem diese relativ immer die doppelte Zeit gebrauchen,
um das Begenerat eines Hinterbeines oder des Schwanzes fertig-
zustellen, d. h. ersteres auf die Gestalt und annähernd die Größe des
nicht abgeschnittenen Beines der Gegenseite anwachsen zu lassen,
letzteres, ihm ebenfalls ungefähr das primäre Aussehen zu geben,
fand ich den von mir schon früher [43, S. 174] ausgesprochenen Satz
bestätigt: »Die Begenerationsgeschwindigkeit ist abhängig vom
jeweiligen Aufenthalt ein- und desselben Exemplars; es regeneriert
bedeutend rascher, während es sich im Wasser, als während es sich
auf trockenem Lande befindet.« Als Erklärung dieses Phänomens
gab ich an zitierter Stelle (S. 171 und 172) in erster Linie die
Wichtigkeit der Wasserimbibierung für die ZellvermehruDg zu er-
wägen, in zweiter Linie die größere Ursprünglichkeit der Funktionen
im Wasser gegenüber denen auf dem Lande als später erworbenem
Aufenthalt, mit andern Worten die Totipotenz des, weil im flüssigen
Elemente befindlich, primär funktionierenden Gewebes im Gegensatz
zu den komplizierteren Verrichtungen der Organe, wie solche durch
den Aufenthalt im Luftmedium erfordert werden.
Wenn man ^Z^^e^-Larven, die bis zur Erlangung starker Hinter-
beine im Wasser gelebt haben, noch auf diesem vorgerückten Stadium
gewaltsam auf feuchte Erde bringt, was ältere Larven, wie berichtet
wurde, höchstens 14 Tage lang aushalten und nach deren Ablauf
wieder ins Wasser gelangen müssen, — und amputiert man jenen
späten Landlarven die Hintergliedmaßen, so findet nachher, selbst
nach Wiedergewinnen des flüssigen Elementes und nach erfolgter
Umwandlung in die Vollkröte, nur ein unvollkommener Wiederersatz
statt. So lange derartige bereits gut ausgebildete Larven auf dem
Lande bleiben, habe ich als Folge des Durchtrennens ihrer dicken
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Experimentelle Veränderung der Fortpflanznngstätigkeit usw. 101
Oberschenkel (in der Mitte zwischen Knie und Ansatz) überhaupt
nichts andres eintreten sehen als Wund Verschluß (Bildung eines
Wundschorfes aus Thrombocyten) und Wundheilung (Bildung eines
frischen, dünnen Epithelttberzuges, im besten Falle mit kegelförmiger
Wucherung des Gewebes von der Wundfläche aus). Erst im Wasser
kam dann die eigentliche Begenerationstätigkeit, zugleich mit einer
beträchtlichen, man möchte sagen stoßweisen Steigerung des Wachs-
tumes, zutage. Die Regenerate blieben aber nichtsdestoweniger un-
verhältnismäßig kleiner als die unversehrt gebliebene Gegenseite,
und meist ist es nicht bis zur deutlichen Differenzierung der Neu-
bildung in Ober- und Unterschenkel, Fuß und Phalangen gekommen,
sondern jene bleibt in irgend einem Teile verkümmert, sei es, daß
die Zehen sich nicht trennen, was die gewöhnlichste Verbildung
darstellt, sei es, daß kein Oberschenkel zu erkennen ist.
Sowohl beim doppelt so langen Regenerationsprozeß der
jungen Landlarven, als auch beim unvollständigen Regenerations-
prozeß der auf vorgerückter Stufe vorübergehend trocken gehaltenen
Larven ist nicht etwa einem schlechten Gesundheitszustand, mangel-
hafter Ernährung u. dgl. die Schuld beizumessen : wurden einerseits
schon von Anfang an mit Bedacht nur solche Landlarven zum Be-
generationsversuch ausgewählt, die durchaus kräftig und munter
waren, so lasse ich anderseits jetzt, bei Niederschrift der Ergebnisse,
nur diejenigen in meinem Versuchsjournal enthaltenen Fälle in Be-
tracht kommen, wo Nahrungsaufnahme und Wachstum während des
ganzen Versuches völlig normal verlaufen sind und keinerlei Unter-
brechungen hierin stattgefunden haben.
II. Teil: Hyla arborea.
7. Versuch: Der Fortpflanznngsakt im Wasserbecken, unter
normalen Bedingungen. — Kein zweiter in Europa vorkommender
Froschlurch läßt sich im Zimmer so leicht halten und züchten wie
der grüne Laubfrosch. Die erste Eigenschaft, große Haltbarkeit,
machte ihn zusamt seinem schmucken Äußeren in weitesten Kreisen
zum beliebten Stubengenossen, lange bevor die zweite Eigenschaft^
seine leichte Zucht, die ihn ein schätzenswertes Studienobjekt
werden läßt, in den Kreisen der eigentlichen Naturbeobachter rechte
Würdigung gefunden hat. Zur bloßen Gefangenhaltung des Laub-
frosches genügt wohl der kleinste Käfig, ein sogenanntes Frosch-
häuschen oder ein Einsiedeglas mit traditioneller Leiter; allein zu
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102 Paul EJtmmerer
Ztlchtnngszweoken rerlaDgt er denn doch, wenn auch immer noch
in recht bescheidenen Grenzen, größere Behälter mit bequemem
WasserbaBsin und frischer Vegetation.
In den Räumen der Biologischen Versuchsanstalt in Wien sind einige
Abteile eines großen Terrarienkastens für Laubfrösche reserviert. Bei
nur 70 cm Länge und 45 cm Breite haben diese Abteile die verhältnismäßig
bedentende Höhe von 110 cm; fUr ein Elettertier wie den Laubfrosch ist ja die
Höhendimension die weitaus wichtigste. Boden und Seitenwände des Behälters
sind aus Holz, nur die Vorderwand aus Glas; oben bildet ein Drahtgitter den
Abschluß. In den Holzboden eingelassen sind Wasserbecken aus Zinkblech von
26 cm Länge, 25 cm Breite und 10 cm Tiefe. Der übrige Teil der Bodenfläche
ist mit Eies bedeckt, worauf noch eine Schicht Moos zu liegen kommt. Ästige
Blattpflanzen streben vom Boden zum Dach empor, Bankengewächse winden
sich vom Dach aus, wo sie in Hängeampeln eingesetzt sind, zum Boden hinab.
Am 25. Mai 1903 bezogen 59 aus Greifenstein an der Denan
(Niederösterreich] stammende Laubfrösche dieses Heim. Die Laich-
zeit, welche bei nns nach Mitte Mai bereits endgültig vorüber zn
sein pflegt, war diesmal infolge rauher Witterung etwas verschoben
worden, so daß sich die frisch gefangenen Laubfrösche gerade in
voller Brunft befanden und sofort mit dem Eierlegen begannen. Die
copulierenden Pärchen drängten sich im Wasserbecken, welches
nicht für alle hinreichend Platz bot. Wiederholt mußte es entleert
und wieder frisch mit Wasser versorgt werden, und doch, trotz
dieser mehrmaligen Wegnahme bereits abgelegter Laiehklnmpen war
es zuletzt wiederum bis zum Rande voll mit Laich, der sich, nach
gleichzeitig abgesetzten Partien in lichtstehende Glaswannen umge-
setzt, wie folgt entwickelte: Ablage der Eier am 26. Mai früh;
die Embryonen schon ziemlich langgestreckt am 31. Mai; sie be-
wegen sich lebhaft in den Hüllen am 2. Jnni; sie schlüpfen, als
kiemenlose Quappen, am 5. Jnni abends aus; am 9. und 10. Juni
sprossen die äußeren Kiemen hervor, welche bis zum 20. und 21. Juni
sichtbar bleiben; vom 6. bis zum 8. Jnli wachsen die Hinterbeine
heraus; vom 4. zum 7. August die Vorderbeine. Die jnngen Laub-
frösche begeben sich im Zeitabschnitt vom 8. bis 12. August ans
Trockne; am 15. August ist bei keinem der frisch verwandelten
Tierchen mehr ein Rest des Larvenschwanzes zu bemerken. Sie
haben eine normale Entwicklung zurückgelegt, die, wenn
auch im einzelnen in bezng auf die gesamte Entwicklungszeit nnd
die Intervalle zwischen den verschiedenen, äußerlich deutlichst ge-
kennzeichneten Entwicklungsphasen nicht ganz genau mit den
betreffenden Aufzeichnungen von Rösel [59], Bruch [10] nnd
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Experimentelle Veränderang der Fortpflanztmgstätigkeit nsw. 103
Enaüeb [44] ttbereinstimmend, doch vollständig so verlaufen ist, wie
es die Beobachter des Laichgeschäftes von Hyla arborea, forma
iypica als Dnrchschnittsregel angeben. Schwankungen hinsichtlich
der Wachstamsdauer von Stufe zu Stufe und vom Ei bis zur Meta*
morphose sind, als Zeugnis der Überaus leichten Beeinflußbarkeit
der Froscheier und Frosehquappen durch äußere Faktoren, nament-
lieh Nahrung, Temperatur und Licht, immer vorhanden, und es
dürfte schwerlich gelingen, eine Gesellschaft von Kaulquappen einer
beliebigen Ecaudatenart, selbst Geschwister, die aus ein- und der*
selben Laichmasse stammen, ganz gleichmäßig heranwachsen zu
sehen.
8. Versuch: Der Fortpflanznngsakt in Wasseransammlungen
auf Pflanzen. Einige beliebte Garten- und Zimmerpflanzen, bei-
spielsweise das indische Blumenrohr (Canna indica L.) und der
gemeine Korbstengel [Aspidistra [Pleciogyne] vaTiegataljm]s) be^
sitzen die Eigenschaft, daß ihre jugendlichen Blätter zusammen-
gerollt erscheinen, in Form einer festen und dabei ziemlich ge-
räumigen Tttte. Gerät Wasser hinein, sei es durch Vermittlung
des Segens, sei es der Blumenbrause, so fließt es zwar zunächst
sofort wieder ab; wenn aber Regen oder Gießkanne ihre Tätigkeit
fleißig wiederholen, so kommt es endlich dahin, daß die Tüten das
Wasser in sich halten und so ein kleines Reservoir darstellen:
die ineinandergewickelte innere und äußere Blattfläche haben sich
nämlich inzwischen fest aneinandergelegt. Dies geschah erstens
durch die Adhäsion der zwischen sie einquellenden Feuchtigkeit mit
dem Blatt, zweitens durch den nach außen gerichteten Druck der
in der Tttte befindlichen, von Zeit zu Zeit ergänzten Wassermenge.
Völlig wasserdicht werden die Blatttttten zwar niemals, aber immer-
hin kann erreicht werden, daß sie das Wasser von einem Tage zum
andern noch nicht bis auf den letzten Rest zur Erde träufeln lassen,
so daß sie bei langwierigen Landregen, oder im Hause als Folge
eines zu bestimmten Zwecken unternommenen Versuches und des-
halb regelmäßig besorgten Naehfttllens ständig etwas Wasser fähren.
Hierzu kommt noch folgende, auch für den Pflanzenphysiologen
interessante Beobachtung: ein junges, tütenförmiges Blatt, dessen
innere und äußere Fläche von einem flüssigen Inhalt unausgesetzt
stark aneinandergepreßt werden, braucht viel mehr Zeit zu seiner
Entrollung als ein andres Blatt, welches einen derartigen Druck
nicht zu erdulden hat. Ich habe auch betreffs dieses Verhältnisses
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104 Paul Kämmerer
ein VersnchsprotokoU geführt, das ich vielleicht gelegentlich an
anderm Orte zur VeröflFentlichung bringen will.
Ein derai1;ige8 Beservoir ist tatsächlich dauerhaft genug, um
kleinen, bloß während einer rasch vorübergehenden Epoche ihres
Daseins ans Wasser gebundenen Tieren die Besiedelung zu ge-
statten. Obwohl die Blätter — besonders von Canna — zum Über-
fluß noch in hohem Grade ombrophil sind, also trotz fortwährender
starker Benetzung nicht zugrunde gehen, sondern frisch bleiben und
nur ihre eigentümliche, zusammengewickelte Jugendstellung wochen-
lang beibehalten, kommt es natürlich doch bisweilen vor, daß ein
Blatt bei längerer Inanspruchnahme durch das Wasser, noch mehr
vielleicht infolge des im Innern der Tüte herrschenden Lichtmangels,
abstirbt. Der Dauerhaftigkeit des Reservoirs tut dies aber kaum
Eintrag: das Blattgewebe — besonders von Äspidistra — ist hin-
länglich derb, um völliger Zersetzung auch dann noch zu wider-
stehen; und etwaige Fäulnisprodukte an der Tüteninnenseite scheinen
der Ansiedlung von Tieren, z. B. Kaulquappen, eher förderlich als
schädlich zu sein, indem ihnen die verwesenden Pflanzenteile als
wertvolle Nahrung dienen.
Inmitten von andern Blattpflanzen waren es auch Canna und
Aspidisira, die behufs Luft Verbesserung und Schaffung einer
naturgemäßen Umgebung herangezogen wurden, als ich am
25. Mai 1903 für die schon im ersten Versuch erwähnten 59 Stück
Laubfrösche aus Greifenstein ein passendes Heim herrichtete. Das
Ablaichen war damals in dem am Boden des Behälters befindlichen
Aquarienteil vor sich gegangen, und der Prozeß des Eierlegens
ist daher ein normaler zu nennen, weil auch in Freiheit, soviel
wenigstens bis jetzt bekannt war, die europäischen Laubfrösche
stets von ihren sonstigen Aufenthaltsorten in den Kronen der Bäume
und von den Gesträuchen herabsteigen, um in dem nächstgelegenen
Weiher zugleich Eiablage und Besamung zu vollziehen.
Ganz anders verhielten sich die erwähnten Frösche bei der
nächsten Wiederkehr ihrer Branftzeit, im Frühling 1904: trotzdem
das Wasserbecken nach wie vor bereit stand, benützten sie nicht
dieses, um sich ihrer Eiermassen zu entledigen, sondern die viel
geringeren Wasservorräte in den Blatttüten von Canna
indica und Äspidistra variegata. In der Einrichtung des Behälters
war gegenüber dem vorhergehenden Jahre nicht der geringste Unter-
schied: damals wie jetzt war absichtlich zum Zweck des beschrie-
benen Versuches der Wasserinhalt in den Tüten, von denen bei
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Experimentelle Yeränderang der Fortpflanzangstätigkeit ubw. 105
einigermaßen kräftigen, blattreichen Beständen der genannten Pflanzen
immer einige vorhanden sind, gespeist worden. Es scheint also,
daß die Frösche, welche im Vorjahre ihren natürlichen Laichgewohn-
heiten noch treu geblieben waren, die ihnen aus nicht näher be-
kannten Gründen besser zusagende Gelegenheit zum Absetzen der
Eier in die Blatttüten wahrgenommen hatten, nachdem sie während
eines ganzjährigen Gefangenlebens sämtliche Existenzbedingungen
ihres Wohnhauses genau kennen und auszunützen gelernt hatten
(siehe das Bild auf Taf. V Fig. 6). Vielleicht war es die Bequem-
lichkeit, nicht mehr von den Pflanzen auf den Boden herabsteigen
zu müssen, die sie zur Annahme der neuen Laichgewohnheit ver-
anlaßt hatte, oder, wissenschaftlicher ausgedrückt, eine negative
Geotaxis. So viel ist sicher: während die Laubfrösche, trotz
regelmäßiger Besprengung der Blätter, vorher täglich ins Wasser-
becken hinuntergestiegen waren, um zu baden, war dieser Brauch
im Laufe des Jahres allmählich seltener geworden; anfangs hatte
ich hiervon nur wenig Notiz genommen, nun aber war es mir mit
einem Male sehr auffäUig, daß das Wasserbecken fast immer rein
geblieben, auch selten ein Frosch darin zu erblicken war. Zur
Hervorbringung jener negativen Geotaxis mag der gänzliche Aus-
fall des Winterschlafes viel beigetragen haben, welcher die
Laubfrösche unsrer Breiten im Freileben allherbstlich zwingt, ihren
erhöhten Standort zu verlassen und sich in Erdlöcher, unter Steine,
in den Schlamm u. dgl. zu verkriechen, von welchen frostsicheren
Verstecken aus sie sich im nächstfolgenden Frühjahr direkt in die
Laichgewässer begeben.
Die Temperatur in den Laubfroschkäfigen beträgt den ganzen
Winter hindurch 14 — 16° C; noch etwas mehr, wenn die Sonnen-
strahlen bis zu ihnen vordringen. Begünstigt von dieser im Ver-
gleich zur freien Natur sehr bedeutenden Wärme war die Paarungs-
Inst diesmal schon weit früher erwacht , und bereits am 13. April
waren die ersten Laichklümpchen in den Tüten zu sehen. Begat-
tang und Eiablage waren in dem für diesen Akt immerhin
sehr dürftigen Wasservorrat der Blatttüten vor sich ge-
gangen; bald strotzten letztere von Eiern, welche zwar rings von
Wasser umgeben waren, aber doch im Vergleich zu ihrer enormen
Zahl recht wenig vom flüssigen Element zur Verfügung hatten.
Während kurzer Zeit geschah es auch, daß die zu oberst gelegenen
Schichten der Eierklumpen dadurch, daß die Wasseroberfläche in
der Tüte infolge langsamen Ausrinnens etwas gesunken war, mit
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106 Paul Kämmerer
der Luft in BertthruDg traten. Allabendlich und allmorgendlich in-
dessen wurde die Tüte wieder so weit angefüllt, daß alle Eier sich
unter Wasser befanden.
Das Eierlegen dauerte bis 20. April morgens. Der Entwick-
lungsgang eines in der Nacht vom 19. auf den 20. April gelegten
Eierklumpens, der in einer Tüte isoliert wurde, war folgender: die
Embryonen schon ziemlich langgestreckt am 26. April; sie bewegen
sich lebhaft in den Hüllen am 30. April; als kiemenlose Quappen
kriechen sie aus am 6. und 7. Mai nachmittags. Die embryonale
Entwicklung erscheint also beträchtlich verlangsamt im
Vergleich zu derjenigen im Versuch Nr. 7: dort dauerte sie nur
11 Tage, hier aber 17 bis 18 Tage. Wahrscheinlich ist der Licht-
mangel in den Tüten schuld daran. Die Quappen erhalten
äußere Kiemen am 11. nnd 12. Mai und behalten diese bis 23. und
24. Mai; vom 25. bis 27. Juni sprossen die Hinterbeine hervor, vom
19. bis 23. Juli die Vorderbeine ; die jungen Laubfrösche begeben
sich alle im Laufe des 23. Juli ans Trockne; am 25. Juli ist bei
keinem der frisch verwandelten Fröschchen mehr ein Schwanz-
stummel vorhanden. Die postembryonale Entwicklung ist so-
mit gleich der embryonalen ebenfalls langsamer vor sich
gegangen als im Versuch Nr. 7: dort hatte die Quappe 31 bis
35 Tage gebraucht, um das zweibeinige Stadium zu erreichen, hier
50 bis 51 Tage, wobei abermals der Dunkelheit die Schuld beizu-
messen sein dürfte, wozu sicherlich noch die Enge des Raumes nnd
das massenhafte Zusammenleben in ihm als für das Wachstum er-
fahrungsgemäß ungünstige Bedingungen beitragen. Vom Stadium
mit zwei Beinen angefangen erhält indessen die postembryonale Ent-
wicklung in den 'Blatttüten mit einem Male einen energischen
Anstoß, so daß sie sich von hier ab plötzlich viel schneller voll-
zieht als unter den normalen Verhältnissen des Versuchs Nr. 7 (dort
35 bis 36 Tage , hier nur 27 bis 29 Tage vom Herauswachsen der
Hinterextremitäten bis zum Verlassen des Wassers). Raum- und
Lichtmangel haben hier offenkundlich die gleiche Einflußnahme
auf die Entwicklungsgeschwindigkeit geäußert, wie sie bekannter-
maßen auch der Hunger bewirkt: Verzögerung in den Früh-
stadien, Beschleunigung in den Spätstadien, wenn die Tiere
sich bereits der Metamorphose nähern und durch sie alsbald die
bisherigen ungünstigen Existenzbedingungen zu fliehen vermögen
^42, S. 216; 43, S. 177]. Die ganze Entwicklungsdauer vom be*
fruchteten Ei bis zum fertigen Frosch hatte in den Blatttüten
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Experimentelle Veränderimg der Fortpflanzungstätigkeit usw. 107
97 Tage, im Aquarium (Versuch Nr. 1) 82 Tage in Anspruch ge-
nommen, ist also schließlich doch im kleinen, finstern Räume eine
etwas längere gewesen.
Am 25. April 1905 erhielt ich durch freundliche Vermittlung
des Herrn Prof. Dr. C. J. Coni-Triest 136 Laubfrösche aus Korfu.
Sie wurden in die neben den niederösterreichischen Laubfröschen
befindliche Terrarienabteilung gesetzt, die ganz analog eingerichtet
war wie jene, d. h. ebenfalls ein Wasserbecken und eine mannig-
faltige Vegetation enthielt, worunter abermals Cann/a und Aspidistra.
Die neu angekommenen Laubfrösche setzten sogleich ihr Laich*
geschäft fort, welches, nach einigen in der Transportkiste verdorrt
aufgefundenen Laichttberresten zu schließen, schon vor ihrer Abreise
ans Eorfa begonnen haben mußte und nur durch den Versandt eine
unerwünschte Unterbrechung erlitten hatte. Vereinzelte Laichklumpen
gelangten ins Wasserbecken; weitaus die meisten aber wurden in
Blatttttten des Blumenrohrs und des Korbstengels abgelegt. Die
merkwürdige Abweichung von den bisher bekannt gewordenen Laich-
gewohnheiten der Hyla arborea, zu deren Erwerbung die heimischen
Exemplare ein Jahr gebraucht, die sie sich also erst gelegentlich
ihrer zweiten Laicfaperiode in der Gefangenschaft angeeignet hatten^
diese Abweichung trat bei den griechischen Laubfröschen
sogleich auf. Ei* und Larvenentwicklung in den Tüten verlief
bei ihnen so, wie ich es vorhin von der Brut der österreichischen
Hyla geschildert habe: Verzögerung des Auskriechens aus dem Ei
(bei den Korfufröschen sogar bis zu 21 Tagen) , Verzögerung der
Larvenentwicklung bis zum Hervorsprossen der Hintergliedmaßen
(51 bis 55 Tage), dann plötzliche Beschleunigung der Metamorphose
(in weiteren 22 bis 25 Tagen bei den importierten Laubfröschen).
Mithin traten die Merkmale, welche die Entwicklung des Laiches
und der Quappen in den Blatttilten vor denen im Wasserbecken
auszeichnen, bei den Korfufröschen in verschärftem Maße zutage.
Soweit es die Verzögerung der Frühstadien betrifft, könnte man
dies etwa so deuten, daß die Temperaturverhältnisse des G^fangen-
lebens gegenüber dem Freileben für die auf der griechischen Insel
zu Hause gewesenen Hylen vielleicht ebenso ungünstige geworden
waren, als sie für die an der Donau gefangenen Exemplare günstig
genannt werden mußten; die Beschleunigung der Spätstadien spricht
aber gegen diese Auffassang. Da die Korfu-Hylen schon beim
ersten Male in die Blatttüten laichten, so liegt die Annahme näher^
daß sie schon von vornherein für diese eigentümliche Änderung
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108 Paul Kammerer
dessen, was sonst bei der Fortpflanzung Ton Hyla zur Beobachtung
gelangt war, eine größere Eignung, eine stärkere Neigung mit-
brachten, welche sie bereits in ihrer Heimat erworben haben konnten.
Mit der vorhin versuchten Erklärung, betreflfend Ausfall des Winter-
schlafs und dadurch erzielte negative Geotaxis, würde dies gut
übereinstimmen, weil der Winterschlaf auf Korfu ein unregelmäßiger
und abgekürzter sein muß.
Über die Lebensverhältnisse von Hyla arborea auf
Korfu und dem hellenischen Festland erfahren wir von Lokenz
Müller folgendes: »Ich bog in einen staubigen, rechtsseitig von
mächtigen Agaven eingefaßten Feldweg ab und steuerte der Stelle
zu, woher das Liebeslied der Frösche sehnsuchtsvoll zum Himmel
tönte. Etwas Gelbes, das an einem staubbedeckten Agavenblatte
saß, veranlaßte mich, meinen Eilmarsch zu unterbrechen. Es war
ein Männchen des Laubfrosches (Hyla arborea L.), das hier in der
vollen Sonne an der verstaubten Agave saß und eine Färbung an-
genommen hatte, die einem Kanarienvogel zur Ehre gereicht hätte,
bei einem Laubfrosch aber erstaunte. Dabei war der Kerl aber
keineswegs krank, sondern quietschfidel. Ich hatte im Verlaufe
meiner Reise noch öfters Gelegenheit, Hyla arborea an gänzlich
trockenen Orten, im stärksten Sonnenbrand an Agaven oder kleinen
Stauden zu beobachten. Als einer der merkwürdigsten Fälle ist mir
der Fang eines Laubfrosches bei Kryoneri in Erinnerung, wo ich
auf halber Höhe des steilen, kahlen Yarassova (917 m) inmitten eines
Chaos von Felsblöcken an einer dürftigen harzigen Pflanze einen
mächtigen Laubfrosch entdeckte, der trotz glühenden Sonnenbrandes
und der absoluten Trockenheit des Platzes — bis zum nächsten
Wasser war es gut eine halbe Stunde — sich anscheinend äußerst
wohl befand < [52, S.79].
Aus der drastischen Ausdrucks weise L. Müllers geht zur Ge-
nüge hervor, daß dieser gewiegte Kenner der Lebensweise sehr
vieler Reptilien und Amphibien nicht wenig überrascht war, den
weitverbreiteten Laubfrosch in den von ihm bereisten Gegenden
Griechenlands unter so abweichenden Existenzbedingungen zu finden.
Können nun schon die Aufenthaltsorte, die sich ja begreiflicher-
weise stets zuerst den Augen des Beobachters präsentieren, noch
dazu die Aufenthaltsorte so häufiger und scheinbar längst in allen
Einzelheiten bekannter Tierspecies derartige Überraschungen bieten,
um wie viel mehr sind nicht solche noch von den übrigen Lebens-
gewohnheiten zu erwarten? Warum nicht auch von der Fort-
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Experimentelle Yerändernng der Fortpflanzangstätigkeit usw. 109
pflanzungfltätigkeit? Es darf nicht vorausgesetzt werden, daß
eine so weit gehende Emanzipation vom sonstigen Wasserbedtirfnis
der Amphibien, wie sie durch die Beobachtungen L. Müllers an
Hyla arborea festgestellt wird, auf das Laichgeschäft dieses Ba-
traohiers in den betreffenden Fundgebieten ganz ohne Einfluß ge-
blieben sein sollte.
Freilich ist bekannt geworden, daß die Laubfrösche aus manchen
Gegenden des europäischen Südens, namentlich Südwestens, sich hin-
sichtlich ihrer Fortpflanzung in nichts von ihren mitteleuropäischen
Artgenossen unterscheiden: ich selbst habe in früheren Jahren wieder-
holt von mehreren südlichen Laubfroschabarten, nämlich von
der var. rneridionalis Böttger aus der französischen Riviera, von der
var. intermedia Boulenger aus Oberitalien und der var. Savignyi
Audouin aus Sardinien Nachzucht erhalten, aber die Eier waren
stets im Wasserbecken abgelegt worden! Allerdings ist mir nicht
mehr erinnerlich, ob sich unter der Vegetation meiner damaligen
Hylen-Pavillons Pflanzen befunden haben, welche Wasservorräte zu
beherbergen vermögen; absichtlich waren solche jedenfalls nicht
hervorgerufen und gespeist worden, da es sich ja nicht um einen
planmäßigen Versuch gehandelt hatte.
Häron-Royer hat in bezug auf seine ^Eyla harytonus^ (= Eylu
arborea var. meridianalis Böttger) behauptet, sie unterscheide sich
unter anderm auch dadurch von der Mitteleuropa beheiTSchenden
typischen Form, daß sie ihren Laich auf Wasserpflanzen absetze,
während letztere ihn einfach ins Wastfer fallen lasse [34], — was
immerhin schon, mit Hinblick auf die dadurch gewonnene Beziehung
zum Pflanzenreich, als eine Annäherung an den von mir im Terra-
rium beobachteten Laichmodus auf Landpflanzen aufgefaßt werden
könnte, wenn die Erscheinung nämlich konstant wäre und wirk-
lich eine Abweichung des südlichen Laubfrosches von seiner Stamm-
form darstellen würde. Aber einerseits hat Franke [24] gesehen,
daß die Laichklumpen der Stammform unter Wasser bisweilen spiral-
förmig um Schilfrohre geschlungen werden, anderseits de Bedriaqa
[3, S. 228, Fußnote] zu beobachten Gelegenheit gehabt, daß die var.
meridionaUs bei Nizza bald Wasserpflanzen benutzt, bald aber den
Laich einfach nur auf den Boden der meist pflanzenleeren Zisternen
sinken läßt. Es kann demnach von einem prinzipiellen Unterschied
in den Laichgewohnheiten beider Formen gar keine Rede sein, und
jedenfalls stimmen alle in der Literatur vorhandenen Angaben darin
tiberein, daß der gesamte Fortpflanzungsakt des Laubfrosches sich
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110 Paal Eammerer
fitets in gröBeren WasseransammlnDgen abspielt. Wo immer ich
Gelegenheit fand, das Laichen der Laubfrösche im Freien zo studieren,
so allenthalben im Gebirge und in der Ebene von Mitteleuropa, unter
anderm auch genauestens bei Greifenstein, woher die im zweiten
Jahre ihrer Gefangenschaft auf Landpflanzen laichenden Exemplare
stammten, ferner in Oberitalien an der var. intermedia^ — überall
konnte ich mich davon überzeugen, daß die Fortpflanzung wirklich
genau so stattfindet, wie sie von allen bisherigen Autoren beschrieben
wird: die Hylen suchen zur Paarungszeit stehende Gewässer auf
und legen hier ihre Eier; ebenda entwickeln sich ihre Larven, wo
sie verbleiben, bis die Metamorphose sie aus dem Wasser heraus
und auf die Bäume und Sträueher treibt, wo ihre Vorfahren hausen.
Nach alledem hatte ich den Gedanken, der sich mir als eine
Folge meiner Beobachtungen und Versuche an gefangenen Laub-
fröschen und anläßlich der Lektüre der zitierten L. MöLLERschen
Beobachtungen über die Lebensweise der Hyla in Griechenland auf-
drängte, schon beinahe wiederum zurückgewiesen. Daß meine Ver-
suchsfrösche ihren Laich in den Blättern gewisser Topfpflanzen unter-
brachten, hatte ich bereits als eine spontane Instinktvariation, die
nur unter dem Einfluß der Gefangenschaft stattfinde, zu deuten be-
gonnen; — obschon es ja immerhin noch nicht völlig widerlegt
war, daß eventuell sogar in den nämlichen Gegenden, wo man die
Baumfrösche zum Zwecke des Eierlegens massenhaft in die Teiche
pilgern sieht, nebenher bereits Anfänge einer andern, später er-
worbenen Fortpflanzungsform ausgeübt werden, die sich ihrer Natur
nach der Beobachtung sehr leicht entziehen mußte und daher viel-
fach trotz genauester Nachforschungen übersehen werden konnte.
Um so willkommener war es mir, als durch eine äußerst in-
teressante Beobachtung, die ich mündlicher und brieflicher Mitteilung
des Herrn Privatdozenten Dr. Frakz WERNER-Wien verdanke, ganz
kürzlich dennoch meine erste Vermutung bestätigt wurde. Werner
sah am 12. April 1894 nachmittags auf dem Wege vom Berge Skopos
nach Zante (auf Zante) Laich von Hyla arborea forma typica
in den Blattwinkeln der Agaven. Die griechische Insel Zante
ist sehr wasserarm, und Werner kann sich nicht entsinnen, dort
einen Teich oder Tümpel gesehen zu haben, während die Blatt-
winkel der genannten Fettpflanze immer, auch bei längerer Dürre,
etwas Wasser enthalten. Diesem Umstände ist es denn auch gewiß zu-
zuschreiben, wenn der Laubfrosch, der auf Zante massenhaft zu finden
ist, ausschließlich die Agaven zu seinem ständigen Quartier erwählt.
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Experimentelle Veränderung der Fortpflanzungfltätigkeit usw. Hl
Die soeben mitgeteilte Beobachtung Werners gewinnt noch an
Bedeutung, wenn wir folgende drei Tatsachen dazu ins Auge fassen:
erstens, die Agaven stammen aus Amerika, der eigentlichen Heimat
der auf Landpflanzen laichenden und Brutpflege ausübenden Frosch-
lurehe. Zweitens, die Agave wird von einigen Pflanzensystematikern
zu den Bromeliaceen [49, S. 777], von andern zu den Amarylli-
daceen [69, S. 265] gerechnet: beide Pflanzenfamilien aber werden
auch in Südamerika ganz vorzugsweise von den Fröschen als Wohn-
nnd Laichstelle heimgesucht, denn es leben und laichen Hyla luteola
Wied in Bromdia [67], Hyla Ooddü Boulenger in Bübergia und ver-
wandten Gattungen [25], Hylodes martinicensis Tschudi in einer
AmarjUidee [53], Drittens endlich, die große Wunderagave oder
Baumaloe {Agave americaiia L.), welche um das Mittelmeerbecken
herum in kultiviertem und verwildertem Zustand heutzutage so
massenhaft anzutreffen ist und auch auf der Insel Zante einen Haupt-
bestandteil der Vegetation bildet, wurde erst etwa im Jahre 1561
in Europa eingeführt [49, S. 777]; die Laubfrösche von Zante (und
wahrscheinlich ebenso diejenigen vieler andrer Inseln und Küsten-
striche) müssen demnach ihre Gewohnheit, in die Blattwinkel jener
Pflanze zu laichen, binnen nicht ganz 37) Jahrhunderten er-
worben haben, welcher Zeitraum, an sich schon unsern Vorstellungen
nach sehr kurz für die Bewerkstelligung einer durchgreifenden
Variation, noch beträchtlich kürzer anzunehmen sein wird, wenn
man bedenkt, daB es doch auch ziemlich lange gedauert haben muß,
bis die Agaven nach ihrem Import eine für die Laichzwecke des
Laubfrosches ausreichende Häufigkeit gewonnen haben können. Jeden-
falls haben wir hier einen Fall von Instinktvariation vor uns,
der dem berühmten Beispiele des neuseeländischen Nestorpapa-
geis, des Eea (^e^^ notabiUs Oould), der seit Einführung der
Schafherden aus einem friedfertigen Pflanzenfresser zum verwegenen
Raubvogel geworden ist, an Wert und Interesse nicht nachsteht.
Beide Fälle haben, nebenbei bemerkt, noch das Gemeinsame,
daB die betreffenden Instinktvariationen durch Vermittlung des
Menschen, und zwar durch Einbürgerung von Organismen, im Falle
des Kea eines tierischen, im Falle der Hyla eines pflanzlichen Or-
ganismus, erzeugt wurden. — Noch einige Jahrhunderte vielleicht,
und die Laubfrösche auf Zante werden jenes Stadium der Anuren-
fortpflanzung erreicht haben, in welchem der freilebende Larven-
zustand verschwunden ist, weil die gesamte Entwicklung bis zum
jungen, vollendeten Frosch sich im Ei vollzieht, eine Fortpflanzungs-
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112 Paul Kammerer
form, deren Entdeckung bei Hylodes martinicensis Tsch. [53], Hyla
Ooeldü Blgr. [25, 7], Bana opisthodon Blgr. [5] und Psetidopknfne
vivipara Tornier [64] so großes und berechtigtes Aufsehen hervor-
gerufen hat.
Wie bereits angedeutet, halte ich es für mehr als wahrschein-
lich, daß die von Werner auf Zante gemachte Beobachtung an
vielen andern Orten wiederholt werden wird, sobald man erst
einmal darauf aufmerksam geworden. Und ich möchte hiermit das
Augenmerk der sammelnden Zoologen ganz ausdrücklich auf das
besprochene Phänomen gerichtet haben! Vermutlich werden auf
allerlei großblätterigen Gewächsen und in wasserführenden Baum-
höhlungen Laichplätze des Laubfrosches zu suchen sein. Nebst
manchen andern Pflanzen, deren Blätter in der Jugend oder ständig
eine Tüten- oder Rinnenform aufweisen und so die Ansammlung
ausreichender Flüssigkeitsmengen gestatten, habe ich namentlich die
Bananenbäume (M/sa div. spec.) im Verdacht, erstens da ich diese
in Park- und Gartenanlagen, ja sogar in Gewächshäusern wiederholt
von Laubfröschen belebt sah, zweitens weil sie auch in ihrer tropi-
schen Heimat Wohn- und Laichplätze für Hyliden abgeben. So be-
richtet uns GoELDi [25, S. 96], daß Hyla nebvlosa Spix (= Hyla luteola
Günther und Burmeister) in den Scheiden alter, vergilbter Blätter
der Bananenbäume verborgen lebt, sowie in die Ecken und an die
Innenseite solch welker Blätter seine Eiklumpen befestigt. Vielleicht
spielen hier die an der Innenseite verwesenden Stoffe ebenso eine
gewisse Rolle für die Ernährung, wie ich sie im Inneren welk ge-
wordener Tüten von Canna und Aspidistra beobachtet habe, wo die
Larven sich an die Blattwände hängen und eifrig abnagen, was sich
loslösen läßt.
Erinnern wir uns noch an die Fortpflanzungsgeschichte einiger
andrer tropischer Froscharten, welche mehr oder minder vollkom-
mene Analoga zu dem Verhalten unsres Laubfrosches liefern, wie
es von Werner auf Zante im Freileben und von mir an gefangenen
Exemplaren beobachtet worden ist: der brasilische Aderfrosch
oder Konobu-Aru {Hyla venidosa Laurenti) lebt und entwickelt
sich nach Schomburöks Schilderung, die bei Brehü [9, II. Aufl.^
S. 551; III. Aufl., S. 653] referiert ist, im hohlen, wasserführenden
Stamm eines Lindengewächses (Tiliacee), der Boddschivingia näm-
lich; der ebenfalls in Brasilien heimische gelbe Laubfrosch oder
Sapo (Hyla luteola Wied — wahrscheinlich identisch mit dem zur
Familie der Hemiphractiden gehörigen AmpJwdus Wiickereri Petera
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Experimentelle Veränderung der Fortpflanzungstätigkeit nsw. 113
[4, S. 455]) laicht nach Prinz Maximilian von Wied [67, referiert
bei Enauer, 44, S. 197] in hohlen Bäumen und in den Fugen des
Blätterschopfes von Ananasgewäehsen (Bromeliaceen) , mit deren
kleinem Wasservorrat so Eier« als Larven sich zufrieden geben.
Mit Recht nennt Sdiroth [63, S. 360] dieses Laichverfahren in ein
Minimum von Wasser einen Übergang zu demjenigen, bei welchem,
wie bei Alytes^ die Paarung und das Ablegen der Eier ganz außer
Wasser stattfinden.
Die Zahl der angeführten Beispiele — sie könnte noch viel-
fach vermehrt werden — genügt wohl bereits, um zu zeigen, daß
vielen Froschlurchen, und zwar Angehörigen verschiedener Familien,
die Tendenz innewohnt, ihr Fortpflanzungsgeschäft eben-
da zu bewerkstelligen, wo auch ihr übriges Leben ab-
läuft, also den Aufenthaltswechsel zu vermeiden, welchen die
Wanderungen terrestrisch lebender Lurche bedingen, wenn sie beim
Herannahen der Laichzeit erst größere Gewässer aufzusuchen ge-
zwungen sind. In manchen Fällen, wie bei Hyla arborea auf Zante,
mag Wassermangel des Erdbodens im Gegensatze zu stän-
digen, wenn auch bescheidenen Wasservorräten auf den Pflanzen
jene Tendenz wesentlich befördern: in andern Fällen jedoch, wie
bei vielen tropischen Anuren, welche trotz unmittelbarer Nachbar-
schaft ausgedehnter und zum Laichen anscheinend vollkommen ge*
eigneter Gewässer ihre Eier auf Bäumen und Gesträuch befestigen,
femer bei gefangenen Laubfröschen, die trotz Vorhandenseins eines
von ihnen zum Laichen bereits einmal benutzten Wasserbeckens das
nächstemal die Tüten von Canna und Aspidistra mit Eiklumpen an-
füllen, ist es ganz offenknndlich, daß die erwähnte Neigung, den
gewöhnlichen Aufenthalt auch während der Brunftzeit nicht aufzu-
geben, mit Wassermangel nichts zu tun haben kann. Sie äußert
sich (wenn wir, um sie zu bezeichnen, DAVENPORTsche Termini [14]
dafür setzen wollen) bei Baumbewohnern wie Hyla in negativer
Geotaxis, bei Bewohnern des Erdbodens wie Mytes in negativer
Hydrotaxis. Wo — besonders bei Baumbewohnem — der Zwang,
Winterschlaf zu halten, entfällt, wo demnach niemals die negative
Geotaxis durch positive Thermotaxis überboten und aufgehoben
wird, da sind die Verhältnisse der beschriebenen Umwandlung be-
sonders günstig. Man darf sie wohl in die Reihe jener transformisti-
schen Tendenzen zählen, die Eimer unter dem Ausdruck »Ortho-
genesis« [19, S. 1 ff.] zusammengefaßt hat.
ArchiT f. EntwickUngsmeohanik. XXII. 3
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114 Paul Kammerer
9. Versuch (Parallelversaoh zam 3. YerBuch): Zeitigung der Hyla-
Eier anf dem Lande« Beim Ablegen der Eier auf Canna nnd
Äspidistra war es mehrmals vorgekommen, daß einzelne Laiehklampen
aas Versehen oder Platzmangel von den copulierenden Tieren nicht
ins Wasser der Tüte gelegt worden, sondern über dem Wasser-
nivean anf der Blattfläche kleben geblieben waren, wo sie binnen
längstens 24 Standen gänzlich eintrockneten. In fast allen
solchen Fällen hatte anch die Besamung des Eiklumpens anßer
Wasser stattgefunden.
Obwohl ich nun derartige Klumpen für entwicklungsunfähig hielt,
einmal, weil sie total vertrocknet waren ^ dann, weil die männliche
Samenflüssigkeit nicht durch Vermittlung des Wassers auf die Eier
gelangt war, welche Vermittlung sich bei allen andern heimischen
Anuren, ausgenommen Mytes^ als anentbehrlich erwiesen hat, . —
brachte ich jene Klumpen trotzdem, indem ich sie entweder von
ihren Anklebeflächen loslöste oder den betreffenden Blattteil ab-
schnitt, drei volle Tage nach der Ablage zum Teil ins Wasser
(Versuchsreihe a), zum andern Teil in dnnstgesättigten
Raum (Versuchsreihe b), zum dritten Teil in offene Gefäße
auf f enchten Boden, in welch letzterem Falle sie außerdem täg-
lich zweimal bespritzt wurden (Versuchsreihe c). Wider Er-
warten entwickelten sich die Embryonen in allen drei Aufstellungen:
die infolge Eintrocknens für das Auge beinahe verschwundene
Gallerte quoll neuerdings anf (am stärksten natürlich im wieder-
erlangten Normalmedium, dem Wasser, am schwächsten in den offenen
Gefäßen), die Keime streckten sich, bewegten sich in den Hüllen,
um sie schließlich zu sprengen.
Dieser Moment aber ließ lange auf sich warten: die embryonale
Entwicklung der auf dem Trockenen gelegten und befruchteten Eier
beanspruchte 18 bis 20 Tage, wenn sie 72 Stunden nach Verlassen
des mütterlichen Körpers im Wasser (a), 22 bis 23 Tage, wenn sie
in dunstgesättigem Räume (b), 21 bis 27 Tage, wenn sie auf feuchtem
Boden in offenen Gefäßen (c) gehalten wurden. Also ein wesent-
lich späteres Ausschlüpfen gegenüber normalen Verhältnis-
seo, unter denen es bereits innerhalb 11 bis 12 Tagen erfolgt! In
der letzten Versuchsreihe ist bereits diejenige Zeitdauer erreicht,
welche im günstigsten Falle verstreichen muß, um normal behandelte
Eier von Alytes^ die ja durch lange Embryonalentwicklung bekannt
sind und ihretwegen eine Sonderstellung unter den europäischen
Anuren innehaben, zur [Nachreife zu bringen! Man sieht femer,
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Experimentelle Veränderimg der Fortpflanzungstätigkeit usw. 115
daß in der dritten Versocbsreibe bezüglich der Äaskrieohezeit die
größten Schwankungen obwalten, entsprechend dem Umstände, daß
hier die ungleichmäßigsten Bedingungen herrschen: namentlich ist die
Befeuchtung des auf feuchtem Grunde liegenden Laichklumpens in
seinen unteren Teilen eine weit ausgiebigere, da diese beständig
neue Feuchtigkeit aufzunehmen vermögen, während die oberen
Partien durch die Verdunstung, die in den offen gehaltenen Gefäßen
frei erfolgen kann, beständig solche abgeben müssen.
Die geschilderte Verzögerung des Ausschltlpfens ist aber nur
zum geringsten Teile (und wohl nur im Anfange, wenn die Eier
ganz trocken auf dem Blatte kleben] einer Verlangsamung oder
einem zeitweisen Stehenbleiben der Entwicklung zuzuschreiben;
weit mehr fällt ins Gewicht, daß der Embryo, auch wenn er bereits
diejenige Stufe erreicht hat, auf welcher die Hyla-LsLXYeji sonst das
Ei verlassen, immer noch innerhalb der schützenden Hülle verbleibt
und sich hier weiter für den Kampf ums Dasein vervollkommnet
Konnte dieser Umstand schon durch die Eihaut hindurch wahr-
genommen werden, so wurde er doch in seiner ganzen Tragweite
erst nach dem Ausschlüpfen offenbar: die Beihe a ergab Larven mit
bereits stattlich entwickelten äußeren Kiemen, während
die Laubfroschlarven meinen Beobachtungen zufolge, welche von
andern Angaben allerdings abweichen [8, S. 259], normalerweise,
wenn eben aus dem Ei entkommen, noch kiemenlos sind. Beihe b
lieferte Larven mit äußeren Kiemen, die schon stark rück-
gebildet, nur noch stummelfbrmig waren: Beihe c endlich teils
ebensolche Larven mit Kiemenresten, teils aber Larven, bei denen
Bchon die inneren Kiemen anstelle der äußeren getreten waren,
kleine Kaulquappen also, die zugleich mit der Fertigstellung des
Spiraculums bereits jenes vorgerückte Stadium erreicht hatten, auf
welchem auch die ÄlyteS'QuB,j}pen das Licht der Welt erblicken.
Das mit äußeren Kiemen versehene Stadium ging demnach bei
einem Teile des Materials in Versuchsreihe c vorüber, während die
Keime noch im Ei eingeschlossen waren; die nämlichen Kiemen,
welche sonst einer frei im Wasser lebenden Larve angehörten,
waren jetzt Eigentum eines Embryos geworden. Selbstverständ-
lich haben embryonale Kiemen (Quantitativ, vielleicht zum Teil auch
qualitativ andre Leistungen zu vollbringen, als larvale Kiemen;
ebenso selbstverständlich bedingen Verschiedenheiten der Funktion
solche der Struktur. Diese Verschiedenheiten werden, abgesehen
von eventuellen, hier ununtersucht bleibenden, qualitativen Funktions*
8*
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116 Paul Kämmerer
wechseln (so wird bekanntlieh der Embryonalkieme des Salamandra
a^a-Fötns eine nutritive Tätigkeit zugeschrieben [62]), schon durch die
quantitative Erhöhung der an ihre Leistnngsfthigkeit gestellten An-
sprüche gerechtfertigt. In einem eng abgesperrten, an Luft und
Feuchtigkeit ärmeren Medium müssen die Kiemen ihre respiratorischen
Organe, die Blutgefäße, vermehren, ihre respirierende Ober-
fläche, die Kiemenfäden, vergrößern, ihre den Gasaustausoh
erschwerende Epitheldicke vermindern. Wir sehen schon in
sauerstoffarmem Wasser, daß die Kiemen von Larven des Feuer-
salamanders (Salamandra maculosa Laur.) [22, S. 474] und des
mexikanischen Axolotls [Amblystoma mexicanum Cope^%r»-
num Laur.) [66, S. 393], wahrscheinlich aber die Kiemen aller Am-
phibienlarven eine viel größere und reicher verzweigte Gestalt an-
nehmen und daß ihr Gefäßreichtum zunimmt; bei den embryonalen
Kiemen der Salamandra atra, der künstlich im Uterus zurflckgehal-
tenen Salamandra maculosa [42, S. 227 ff.], sowie des entsprechen-
den Stadiums von Alytes sehen wir außerdem die in der sohtLtzenden
Eihülle nicht notwendige, überdies der Endosmose hinderliche Dicke
der Epidermis aufgegeben werden, so daß lange, dünn befranste,
zart behäutete Gebilde entstehen, die in ihrer dunklen Umgebung
schließlich noch den größten Teil ihres Pigments einbüßen. An-
fänge ganz analoger Wandlungen vollziehen sich an den Kiemen
von Hyla arborea, sobald jenes mit äußeren Kiemen ausgestattete
Stadium, statt sich normalerweise im Wasser zu tummeln, infolge
Trockenheit im Ei eingesperrt bleibt: nur der Pigmentmangel tritt
hier wenig hervor, weil die fast glashelle Hülle des Laubfroscheies
dem Licht ziemlich ungehinderten Einlaß gewährt. — Die histo-
logischen Veränderungen beschränken sich natürlich nicht auf das
Kiemengewebe: das gesamte Integument und wahrscheinlich
auch innere Organe nehmen daran Teil, nur sind die Verände-
rungen an den Kiemen die deutlichsten. Nächst ihnen aber ist es
namentlich die Körperhaut, welche je nachdem, ob eine Larve be-
reits frei oder noch von der Eihülle (bei Salamandra im Uterus)
umgeben lebt, verschieden dick ist und eine verschiedene Art und
Eichtung der Flimmerbewegung zeigt. Ich kann in Ermanglung
genauerer Untersuchung auf die zuletzt angedeuteten Details nicht
weiter eingehen. —
Probeweise ließ ich nun auch die Eier der andern heimischen
Anuren jenen Eintrocknungsprozeß durchmachen, wie ihn die Hylen-
eier so wohl überstanden hatten. Es zeigte sich sofort, daß keine
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Experimentelle Yeränderang der Foitpflanzungstätigkeit qbw. 117
einzige Art das gänzliche Eintrocknen der Gallerte übersteht. Die
Eier können zwar, wie bereits im ersten Teile Yorliegender Ab-
handlung auf S. 93 beschrieben, außer Wasser in einem sehr feuchten
Medium zur Reife, die Larven etwas verspätet zum AusschlOpfen
gebracht werden, vorausgesetzt, daß Befruchtung und Ablage im
Wasser stattgefunden haben, aber vollkommener Trockenheit bieten
sie höchstens etliche Stunden Widerstand, so lange nämlich, als die
Gallerte noch nicht ihres gesamten Wassergehaltes verlustig gegangen,
der Vertrooknungsprozeß also noch gar nicht bis zum eigentlichen
Ei vorgedrungen ist. Immerhin bestehen in bezug auf die Stunden-
anzabl, innerhalb welcher einzelne Eier der Froschlurche trotz Wasser*
mangels noch am Leben bleiben, zwischen dem Laich verschiedener
Species gewisse schwach abgestufte Differenzen, welche offenbar ebenso
wie bei der größeren oder geringeren Widerstandsfähigkeit der Larven
gegen das Trockenliegen (erster Teil S. 94) der Ausdruck einer
Anpassung an größere oder geringere Wahrscheinlichkeit
des Austrocknens der Gewässer darstellen. So läßt sich denn
auch fbr die Widerstandsfähigkeit der Laichsorten genau die gleiche
Stufenleiter aufstellen, wie fttr diejenige der Larven, nur mit dem
prinzipiell nicht wichtigen Unterschied, daß die Maximal-Zeitspanne,
innerhalb deren das Zngrundegehen erfolgt, bei Eiern im allgemeinen
kürzer ist als bei Larven, daher auch die Differenzen in der Wider-
standskraft verschiedener Laichsorten wesentlich geringere werden.
Und zwar sterben die Eier von
Rana esculenta binnen IV) Stunden
RuTia latastii - 2
Rana arvalis - 2 bis 2^^ Stunden
Bombinator igneus - 2Yj
Rana agilis - 3
Rajia temporaria - 3
Bufo vulgaris - 4
Bufo viridis - 5 bis 6
Bufo calamita - 5-6
Bombinator pachypus - 8-9
Pdobates fuscus - 12-14
EUngegen ist bei Hyla arborea, wie wir gehört haben, der größte
Teil der Eier nach 72 Stunden ebenso lebensfähig wie zuvor, noch
länger bei Alytes obsteiricans. Die Eier von Hyla sind also ueben
denen von Jlytes die einzigen unter den heimischen Anuren, welche
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118 Paul Kammerer
eine mehrtägige absolute Trockenperiode aushalten. Sie sind femer,
and dies erscheint für den Transformismus noch wichtiger, die ein-
zigen, bei welchen die Besamung nicht im Wasser stattzufinden
braucht. Wie auch aus Häeon-Royers Versuchen an Bufo vulgaris
und Bana iemporaria [31, S. 282] hervorging, muß die Samenflüssig-
keit bei den übrigen Arten, um ihren belebenden Einfluß auszuüben,
unbedingt durch das Wasser vermittelt werden* Außer Wasser bleibt
der Same unfruchtbar, ebenso die Eier, über welche er gespritzt
wnrdoy ohne das Wasser als Zwischenträger passiert zu haben.
Daß die Eier von Alytes in bezug auf Besamung und Lebens-
fähigkeit im Trockenen eine Sonderstellung einnehmen, ist nicht zu
verwundem: die Art und Weise ihrer Behandlung durch das sie
behütende Tier läßt es begreiflich erscheinen, daß sie jene weit*
gehende Anpassung an trockene Umgebung erworben haben, läßt
uns von vornherein erwarten, daß sie zugleich eine besondere, ihre
Widerstandskraft unterstützende Struktur (faserige Elemente der
beim Eingehen hart und elastisch, kautschukähnlich werdenden
Gallerthüllet) besitzen müssen. Daß aber die Eier von Hyla diese
merkwürdigen Eigenschaften teilen, läßt sich aus der Art ihrer Be-
handlung durch die elterlichen Tiere und aus ihren übrigen Existenz-
bedingungen zunächst nicht erschließen, denn die Regel ist ja doch
die, daß der Laich des Laubfrosches von seinen Erzeugern ins
Wasser, und zwar in viel Wasser, gebracht wird. Fast noch er-
staunlicher als die Widerstandsfähigkeit des Laubfroschlaiches an
sich ist die Tatsache, daß die Eihülle von Hyla ganz ähnliche,
festigende Elemente enthält, überhaupt eine ähnliche Beschaffenheit
aufweist, wie diejenige von Alytes, Das Ei von Hyla bringt
also seine Eignung für das Trockenliegen, seine relative
Unabhängigkeit vom Wasser schon von Hause aus mit, ohne
daß wir, wie bei Alytes^ imstande wären, jene Eignung als eine
Folge allmählicher direkter Anpassung zu erklären. Wenigstens
bei den mitteleuropäischen Laubfröschen ist eine solche Erklärung,
so weit unsre häufig gemachten Beobachtungen reichen, nicht an-
gängig.
Auf den ersten Blick kann nichts verschiedener aussehen, als
einerseits der walnußgroße Klumpen Laubfroschlaich, welcher 800
bis 1000 Eier von nur 1 bis IV2 nim Durchmesser enthält, jedes Ei
nmgeben von einer 4 mm dicken Gallertkugel; anderseits die im
entwirrten Zustande 70 bis 200 cm lange, bloß 18 bis 86 Eier mit-
einander verbindende Laichschnur von Alytes^ in der die einzelnen.
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Experimentelle Verändenuig der Fortpflanznngstätigkeit nsw. 119
3 bis 5 mm im Darchmesser haltenden Eier, an denen nonnalerweise
keine Gallerthtille wahrnehmbar ist, in Abständen von 4 bis 7 mm
eingebettet liegen. Erst bei genauerer Untersaehnng zeigen sieh
gewisse, mehr im feineren Bau beruhende gemeinsame Eigenschaften.
Auf S. 74 habe ich hervorgehoben, daß die im Wasser aufgequollene,
Yor diesexn Aufquellen unsichtbare Gallerte des Alytes-Eies ebenso
gut die Differenzierung in Schichten erkennen läßt, wie diejenige
andrer Anureneier, daß aber diese Schichten, namentlich die innerste,
durch besonderen Beichtum und Stärke ihrer fibrillären Ele-
mente ausgezeichnet sind. Genau dasselbe ist beim Laubfroschei
der Fall, und es ist naheliegend, in jener faserigen Struktur der
Gallerte einen festigenden Bestandteil derselben zu erkennen.
Daß die Gallerthtille des Laubfroscheies nicht homogen ist, gibt
auch De Bedriaga [3, S. 229] an; sie bestehe aus einer ziemlich
derben, ovalrunden Substanz, welche den Dotter umgibt und ihrer-
seits wiederum von einer andern schleimigen Masse umschlossen
wird. Nach Bruch [10] ist die EihUlle des Laubfrosches viel
derber als bei andern Anuren und >besteht aus drei distinkten
Schichten, während bei Rana und Bufo deren nur zwei zu unter-
scheiden sind«. Ein weiterer Berührungspunkt zwischen dem Ei
von Hyla und Alytes liegt in der Färbung: beide besitzen vor-
herrschend gelbe Tönung; das Mytes-Ei wird von den Autoren
dottergelb, ockergelb, strohgelb, quittengelb, bernsteingelb, braungelb
und glänzend gelb genannt, die Laichkörner von Hykiy abgesehen
von ihrem bräunlichen oder bräunlicbgrauen Vitalpol, schwefelgelb^
gelblichweiß und gelblich, wobei hervorgehoben wird, daß die Eier
und jungen Quappen des Laubfrosches sich durch eben jene Gelb-
färbung von allen andern Laich- und Larvenformen einheimischer
Batrachier mit Leichtigkeit unterscheiden lassen. Wie ich mich über-
zeugt habe, ist die Gelbfärbung hier wie dort im wesentlichen darauf zu-
rückzuführen, daß die Eier sich durch einen bedeutenden Überschuß
an Nährsubstanz gegenüber der Keimsubstanz auszeichnen.
Dieser Dotterreichtum ist es denn auch, welcher es dem Embryo
von Hyla ermöglicht, in der EihüUe weiterzuwachsen, wenn er unter
dem Einflüsse trockenen Mediums am rechtzeitigen Ausschlüpfen ver-
hindert wird. Unter solchen Umständen dehnt sich die EihüUe^
vermöge ihrer festen und elastischen Beschaffenheit dazu befähigt,
stark genug aus, um dem über das normale Maß hinausgewachsenen
Embryo hinreichenden Platz zu gewähren. Dann schwindet auch
noch der auffallende Größenunterschied zwischen dem Alytes- und
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120 Paul Kämmerer
dem Hylor-Ei: letzteres wird, die Gallerte Belbstredend abgerechnet,
im extremen Fall 4 mm lang und 3 mm breit (das Alytes-Ei 5 mm
lang und SVa mm breit); im Verlaufe seiner Entwicklung hat es,
wie aus dieser Doppeldimension zu ersehen, gleich dem heran-
gewachsenen Alytes^Ei seine ursprünglich kugelige Gestalt auf-
gegeben und ist zum EUipsoid geworden.
Zuguterletzt finden wir noch eine harmonierende Beziehung
zwischen Älytes- und Hyla-Ei: bekanntlich erlangt der ^Zt/^-Embryo
[ unter allen europäischen Anuren das vorgeschrittenste Stadium
der Entwicklung, ehe er das Ei verläßt; nächst ihm aber ist es,
worauf auch Bruch [10] aufmerksam macht, der Embryo von Hyla^
welcher im Ei die ansehnlichste Größe erreicht. Daß diese gleich-
bedeutend ist mit vorgeschrittener Entwicklung, geht aus der Bildung
des Schwanzes hervor, welcher lang und fischähnlich ist und den
ausschlüpfenden Larven, obwohl sie in der Regel noch keine Kiemen
tragen, im Vergleich zu den im frisch ausgekrochenen Zustand sehr
unvollkommenen, planarienähnlichen Larven andrer Anuren ein höher
differenziertes Aussehen gibt.
, 10. Versuch (Parallelversuch zum 5. Versuch): Aa&ucht der
Hyla-Larven im Wasser; Verlängerung und Verkürzung des Larven-
lebens. Den gemeinsamen Eigenschaften, welche die Eier von Alyies
und Hyla schon von vornherein aufweisen, die sich aber, wie in
den vorigen Abschnitten dargestellt, noch vermehrten, wenn man
beide Eisorten bezüglich Feuchtigkeit oder Trockenheit der gleichen
Behandlungsweise unterworfen hatte, reiht sich als eine weitere
Übereinstimmung die Art und Weise an, wie die Jungen .die
Eihülle verlassen.
Was das Freiwerden der europäischen Anurenlarven im
allgemeinen anbelangt, haben wir dreierlei Abstufungen zu unter-
scheiden, die von dem größeren oder geringeren Widerstand, den
die Konsistenz der Hüllen dem Durchdringen seitens der Larven
entgegensetzt; abhängen und sich demgemäß eng an die von den
Larven unmittelbar vor dem Ausschlüpfen erreichte Entwicklungs-
stufe anschließen. — 1] Im einfachsten Falle vergehen die EihüUen
(Eihaut und Gallertschichten), sobald die Eier ihre Nachreife voll-
endet haben, weichen auf, lösen sich unter dem zersetzenden
Einflüsse des Wassers, so daß sie in Fetzen auseinanderfallen, und
die junge Larve sieht sich ohne eignes Zutun ihrer Fessel ledig.
Diese Art des Freiwerdens findet sich besonders typisch bei Pelobaies
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Experimentelle Veränderong der Fortpflanznngstätigkeit usw. 121
und Bufo^ deren Larven sehr zeitlich und auf einer sehr niedrigen i
Stufe anskommen. 2] Die nächste Komplikation besteht darin, daß
die bereits sehr aktiv gewordenen Embryonen durch häufige Um-
drehungen, durch Zusammenkrümmen und rasches Wieder-
ausstrecken des Leibes zu ihrer Befreiung beitragen; auch hier
unterliegen die Httllen nebstbei einem Zersetzungsprozeß,
aber er tritt etwas später ein und geht langsamer vor sich, während
die herangewachsenen Embryonen schon tatendurstig herausstreben,
80 daß die Zersetzung allein nicht mehr gentigt, um sie freizulassen.
Diese Art des Ausschlüpfens finden wir bei Rana und Bombinator,
femer, in verschärfter und etwas modifizierter Ausbildung bei Hyla,
wo sie Bbuch [10] mit folgenden Worten beschreibt: »Die Eihaut
dehnt sich mit dem Wachstum der Embryonen merklich aus und
verdünnt sich zugleich etwas, vergeht aber nicht wie bei den andern
ungeschwänzten Lurchen, sondern es springt plötzlich, wie eine
Fruchtkapsel, die äußere Schicht mit einem Querriß auf, um weit
auseinander zu klaffen und die inneren, nicht mit zerreißenden
Schichten der Eihaut austreten zu lassen. Die letzteren vergehen
dann unmerklich wie bei den andern Batrachiern ohne Riß und
Spalte, worauf die Embryonen, die sich schon im Ei lebhaft bewegt
haben, frei werden.« 3) Der schwierigste Fall ist aber derjenige,
in welchem die Eihüllen eine derart konsistente Beschaffenheit haben
oder erlangen, daß sie selbst nach wochenlangem Aufweichen im
Wasser nicht zerstört werden und ebenso wenig den Anstrengungen
der sich krampfhaft hin- und herwindenden Embryonen nachgeben,
somit unzerreißbar erscheinen. In solchem Eiern bleiben die Larven, |
bis ihre Homkiefer sich entwickelt haben, mit denen sie dann die
sie umschließende Wand durchbeißen und endlich mit energischem
Back die so entstandene Öffnung erweitern, bis sie den völligen
Ausbruch gestattet. In der Natur kommt diese letzte Art des Aus-
tcblttpfens nur bei Alytes vor; unter den abnormen Verhältnissen
jedoch, wie sie den Eiern von Hyla im Versuch Nr. 9, Reihe b und c,
aufgezwungen wurden, kommt jene auch bei den Larven des Laub-
frosches zur Geltung. Hingegen herrschen in Versuchsreihe a (Eier
nach dem 72 stündigen Trocknungsprozeß gleich ins Wasser über-
tragen) noch annähernd die natürlichen Verhältnisse, nur mit der
Prftzisierung , daß die Larven das Reißen der Hüllen und ihre
darauffolgende Befreiung ausschließlich ihrer eignen Muskel-
tätigkeit verdanken: kein Aufweichen und Auflösen der Eihaut
und Gallertschichten kommt ihnen dabei zu Hilfe.
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122 Pa^ Kammerer
Für das normal behandelte , d. h. znerst auf mäfiig feuchtem
Lande behütete , nach vollendeter Reife ins Wasser gebrachte Ei
von Älytes obsteiricans hat Herou-Royer den Vorgang des Aus-
schlüpfens am anschaulichsten beschrieben [33, S. 427—430]; ich
kann seine Ausführungen, indem ich sie auf das laut Versuch Nr. 9,
Reihe b (dunstgesättigter Raum) und c (feuchter Boden, offenes GefäB,
regelmäßiges Gießen) zur Nachreife gelangende Ei der Hyla arborea
übertrage, fast Wort fttr Wort wiederholen: die Larve, welche aus-
zuschlüpfen beabsichtigt, beginnt mittels ihrer bereits entwickelten
Hornkiefer an der Eihaut zu nagen. Sobald sie einen kleinen Spalt
fertiggestellt hat], schnellt sie gewaltsam heraus, indem sie ihren
breiten und langen , mehrfach zusammengebogenen Schwanz an den
dem Spalt entgegengesetzten Teil der Wandung anstemmt und dann
mit plötzlichem Ruck ausstreckt. — Hierbei kommt es mitunter zu
Unglücksfällen: manche Larven nagen größere, andre kleinere
Löcher; war das Loch noch zu klein, so bleibt die Larve beim
Herausschnellen stecken und krepiert, falls sie sich nicht doch
noch durch gewaltige Anstrengungen, wobei es nicht immer ohne
Schrammen oder selbst größere Wunden abgeht, befreien kann oder
rechtzeitig künstlich befreit wird. Manchmal wieder dreht sich die
Larve, nachdem sie die Wand auf der einen Seite schon dünn oder
sogar schon eine kleine Öffhuug hinein genagt hat, ungeduldig
herum und nagt auf der gegenüberliegenden Seite weiter; auch in
diesem Falle kann sie eingezwickt werden, denn der Schwanz gerät,
wenn er sich nach der Umdrehung anstemmt, leicht in die zuerst
entstandene Fuge, aus welöher er nicht mehr herausgezogen werden
kann. Im ersteren Falle, wenn nur ein Loch, aber ein zu kleines,
genagt worden war, wird der Kopf eingeklemmt, im letzteren Falle,
wo zwei Löcher genagt worden sind, wird in das kleinere der
Schwanz eingeklemmt. Ungeduldiges Umdrehen und doppelseitiges
Benagen der Eihaut kommt namentlich in der Versuchsreihe c
(offenes Gefäß, feuchter Boden, zweimaliges Besprengen täglich]
häufig vor: wird ein Ei beim Spritzen von einem Tropfen getroffen,
so quillt das Wasser durch die Hüllen bis zur Larve und übt auf
sie einen Reiz aus; auch bläht es die Hüllen ein wenig und ver-
schafft so der Larve mehr UmdrehuDgs- und Streckfreiheit. Zur Zeit
des Begießens sieht man in einem reifen Laichklumpen fast alle
Larven gleichzeitig mit dem Nagen beginnen; wenn aber der Reiz
des auf die Eier tropfenden und in sie eindringenden Wassers wieder
vorbei, das Medium nach dem Absickern und Verdunsten der über-
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Experimentelle Veränderung der Fortpflanzungetätigkeit usw. 123
schttssigen Feuchtigkeit wieder relativ trocken geworden ist, stellen
die Larven ihre Tätigkeit oft vorläufig ein: trotzdem sie schon weit
vorgeschritten waren mit ihrem Werk, kauern sie sich nochmals
zusammen und scheinen bis auf weiteres, nämlich bis zum nächst-
folgenden Guß, ihren Wunsch, ins Freie durchzudringen, vergessen
zn haben. Die in der elastischen HttUe etwa bereits entstandene
Öffnung schließt sich wieder, gleich Löchern, die man mit einer
feinen Nadel in Kautschuk oder Gummi sticht.
In den Reihen b und c des Versuches Nr. 9 setzt sich somit
das Ausschlüpfen der ^^to- Larven, genau wie dasjenige normal
behandelter Alytes-hsirveu, aus zwei Etappen zusammen: dem Nagen
und dem Herausschnellen. Die leer zurückgelassene EihüUe
bleibt, ebenfalls wie beim Alytes-Ei^ noch längere Zeit unverändert
liegen, ehe sie schließlich doch der Zersetzung anheimfällt und
vergeht.
Bekanntlich steht bei Alytes die Embryonalentwicklung, welche
auf dem Trockenen abläuft, in einem gewissen Gegensatze zur Post-
embryonalentwicklung, die nicht bloß, wie ja auch bei den übrigen
europäischen Anuren, im Wasser zugebracht wird, sondern außerdem
mit ihrer in der Regel mehr als volljährigen Dauer ungefähr die
doppelte bis sechsfache Zeit als bei jenen beansprucht. Es folgt
also auf die während der ersten, im Ei zugebrachten Lebens-
zeit statthabende Zurückhaltung vom Wasser gewisser-
maßen ausgleichsweise eine desto längere Periode voll-
kommenen Wasserlebens. Auch die Larven der Hyla arborea
sind schon von vorneweg besonders gut für das Wasser ausgerüstet,
worin sich abermals ein Eonvergenzcharakter zwischen Hyla und
Alytes offenbart: sie besitzen ein. Schwimmwerkzeug par excellence
in Gestalt des langen und breiten, in eine zarte, fadenähnliche
Spitze auslaufenden Schwanzes, dessen feine, stark konvexe Flossen-
säume sich über die dorso-ventralen Schwanzränder hinaus weit auf
die Medianlinien des Rumpfes hin erstrecken, der obere Saum fast
bis zwischen die Augen, der untere bis jenseits des Afters (vgl. die
Fig. 1, 2, 3 bei Boülenger [6, Taf. XLVI] und 6, 7, 8 bei demselben
Autor [8, Taf. II]). Entsprechend diesem Schwimmwerkzeng ist das
Benehmen der flyte-Larven; Boülenger [8, S. 258] schildert es un-
gefähr wie folgt: Tiefe Sümpfe oder Teiche von klarem Wasser,
mehr oder weniger reich mit Vegetation ausgestattet, sowie manch-
mal ttbersohwemmte Steinbrüche sind die Wohnorte der graziösen
Larven, die man im Frühsommer sehen mag, wie sie Fischen gleich
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124 Pa^l Kammerer
in allen Richtungen nmherschwimmen, sebr nnähnlich den meisten
andern, die sich mehr in der Nähe des Grundes halten und nur um
Luft zu holen an den Wasserspiegel kommen, sonst aber, träge sich
sonnend, an den seichten Stellen ruhen. — Indessen verwandeln
sich die Laubfroschlarven im Freileben und ebenso oder noch etwas
früher im naturgemäßen Gefangenleben (Versuch Nr. 7) schon im
Verlaufe des ersten Sommers, und zwar, Rösel [59] und Bruch [10]
zufolge im August; und es ist meines Wissens nur ein einziger Fall
von Überwinterung der fl?/to-Larve im Freileben bekannt geworden,
wovon Lessona [48, S. 322] Mitteilung machte.
Läßt man aber nun den Laich von fl^to, abgesehen von dem
vorderhand auf künstlichem Wege nicht erzeugbaren Brutpflegeakt,
die gleiche Entwicklung durchmachen, wie sie der von Älytes normaler-
weise absolviert, d. h. auf dem Lande, und kommen die Larven
gleich beim Ausschlüpfen ins [Wasser, so zeigen sie eine starke
Tendenz zur Verlängerung ihres aquatilen Daseins. Solche Laub-
froschlarven überwintern fast regelmäßig und lassen sich selbst
durch gemäßigte Anwendung der einer besobleunigten Metamorphose
günstigen Faktoren, als da sind plötzliches Hungernlassen nach
vorausgegangener reichlicher Ernährung, Licht, Wärme, wenig, luft-
armes und bewegtes Wasser, nur schwer von der Überwinterung
abhalten. Ihre postembryonale Entwicklung dauert dann ungefähr
1 Jahr oder darüber, mit einem Wort, verläuft genau so wie die-
jenige von Alytes, Nach verstrichenem Jahr aber, wenn sie die
bedeutende Größe von 55 bis 62 mm (statt 45 bis 49 mm) erreicht
haben j kann man ihre Metamorphose nicht mehr verhindern, und
das frisch verwandelte Fröschchen beginnt unweigerlich das baum-
kletternde Luftleben seiner Vorfahren.
Wieder im Gegensatze hierzu erreicht man wirkliche Neo-
tenie, entschiedene Neigung, überhaupt nicht ans Land zu gehen,
hartnäckiges, mehrjähriges Beibehalten der Larvencharaktere auch
bei den Laubfroschlarven (wie bei den Geburtshelferkrötenlarven)
nur dann, wenn auch die übrigen Bedingungen (verzögernde Fak-
toren wie plötzliches Mästen nach vorausgegangenem Hungernlassen,
Dunkelheit, Kälte, viel luftreiches und ruhiges Wasser) durch
potenzierte Zusammenwirkung dem Hinausschieben der Metamorphose
möglichst förderlich sind.
11. Versuch (Parallel versuch zum 6. Versuch): Aufzucht der
Hyla-Larven auf dem Lande. — Das letzte Experiment, von dem
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Experimentelle Veränderung der Fortpflanzungstätigkeit usw. 125
za berichten mir noch übrig bleibt , besteht in der weiteren Pflege
von Laubfroschqnappen außerhalb des Wassers, auf nnr feuchtem
Boden, und zwar sowohl ganz junger, eben aus dem Ei geschlüpfter
Larven, als auch solcher, die vor ihrer Verwendung zu dem ge-
nannten Experiment bereits eine Weile im Wasser gelebt hatten.
Die Versnehsanordnung dabei ist genau die gleiche, wie beim entsprechenden
Versuch (Nr. 6) des ersten Teiles, Seite 87 ff.: ein seichtes Gefäß wird bis nahe
dem oberen Bande mit feuchter Lehmerde angefüllt, diese festgeknetet, ihre
Oberfläche zur flachen, glatten Mulde gestaltet In die Mulde kommen die Larven
zu liegen und werden mittels eines Moospolsters zugedeckt Moospolster und
Erdboden, auch die Larven selbst sind morgens und abends mit Hilfe des Zer-
stSubers anzufeuchten; als Futter reicht man ihnen dann und wann ein wenig
zu Schaum geschlagenes Eiweiß.
Ich habe schon oben der paradoxen Erscheinung Erwähnung
getan, daß die Kaulquappen gerade derjenigen unsrer Froschlurche^
die sich im ausgebildeten Zustand am meisten vom Wasser entfernt
haben, wie AlyteSy oder doch zu dieser Emanzipation starke Neigung
zeigen, wie Hyla^ in irgend einer Beziehung ihres Normalzustandes
noch am engsten ans aquatile Leben gebunden sind, gleichsam als
Kompensation, als Ersatz für das fast ausschließlich terrestrische
Leben ihrer Erzeuger. Bei Alytes äußert sich das, wie mehrfach
heryorgehoben, im ungewöhnlich langen Larvenleben, welches sich
meist mehr als 1 Jahr lang über die Geburt hinaus ausdehnt, bei
Hyla durch Vorhandensein des großen, feinbefloßten Buderschwanzes.
Trotz dieser starken Anpassung an das Leben unter Wasser
sind es wiederum dieselben Larven, welche Wassermangel
und gewaltsame Trockenhaltung am ehesten vertragen.
Alytes übertrifft hierin, wie wir gehört haben, sämtliche heimische
Anuren und nähert sich gewissen tropischen Arten; Hyla wetteifert
damit, vorausgesetzt, daß schon der Laich unter besonderen, dem
Luftleben günstigen Umständen heranreifte, erreicht zwar Alytes nie
in bezug auf diese Widerstandskraft, kommt aber dafür einem andern,
dem nächst Alytes widerstandsfähigsten Batrachier, Pelobates nämlich
(vgl. die Zusammenstellung auf S. 94}, sehr nahe.
Nach dieser Feststellung ist es nicht mehr berechtigt, wenn
H&RON-BoTER [31, S. 284] auf die geniale Vermutung Joubdains [37],
man könne vielleicht experimentell Alytes obstetricans der direkten
Entwicklung von Hylodes martinicensis nahebringen, unter anderm
einwendet, daß gerade die langdauemde Larvenperiode von Alytes
im Gegensatze zum gänzlichen Entfallen derselben bei Eylodes, jenen
Versuch unmöglich mache.
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126 Paul Kammdrer
Bringt man eine Anzahl flyto-Larven, welche, wie z. B. Larven
ans Versuch Nr. 7 , einem vom Zeitpunkt der Ablage an normal im
Wasser befindlichen Laichklampen ihre Entstehung verdanken, so
gehen sie, wie schon auf Seite 94 erwähnt, binnen wenigen (3 bis 7)
Stunden zugrunde. Nimmt man aber zu diesem Versuch die gleiche
Anzahl von Larven, welche einem Laichklumpen entstammen, der,
bevor er ins Wasser gelangte (Versuch Nr. 9, Reihe a), einen Ver-
trocknungsprozeß aushalten mußte, so fällt das Ergebnis bereits
etwas besser aus; noch besser, wenn der betreffende Laiohklumpen
überhaupt nie direkt ins Wasser kam, sondern (Reihe b) seine Ent-
wicklung in dunstgesättigtem Räume zurücklegte, am besten endlich,
wenn er die Zeit seiner Nachreife (Reihe c) in offenem Gefäße, auf
feuchtem Boden zubrachte.
Larven aus dem 9. Versuch, Reihe a, halten sich, unmittelbar
nach ihrem Auskriechen ans Land gebracht, 2 bis 3 Tage, aus
Reihe b 5 bis 8 Tage, aus Reihe c 7 bis 11 Tage ohne Wasser und
offenbaren großenteils die gleichen biologischen Eigenschaften, wie
ich sie im Versuch Nr. 6 bei trockenliegenden Quappen der Geburts-
helferkröte ausführlich beschrieben habe.
Die angegebene Anzahl von Tagen 'gilt, wie gesagt, für junge
Larven, die zu »Landlarven« gemacht worden waren, ohne zwischen
ihrem Ausschlüpfen und dem Beginn des Experimentes ins Wasser
gekommen zu sein. Sie erreichen innerhalb der Maximalzeit, die
sie außer Wasser zu leben vermögen (d. i. also 11 Tage), eine Ge-
samt-Körperlänge von 28 bis 31 mm, haben mithin, da die in Ver-
suchsreihe c ausschlüpfenden Larven im Moment des Ausschlüpfens
14 bis 16 mm lang waren, eine Wachstumsstrecke von durchschnitt-
lich I4Y2 mm zurückgelegt, oder, anders ausgedrückt, an Länge um
ungefähr das Doppelte ihres anfänglichen Ausmaßes zugenommen.
Ältere Larven, die gezwungen werden, ihr Dasein auf feuchtem
Boden, außer Wasser zu fristen, nachdem sie vorher schon einige
Zeit in ihrem heimischen Element zugebracht haben, sind stets sehr
hinfällig, gleichgültig, welche Trockenheitsbedingungen deren Stamm-
laich durchgemacht hat; da sie binnen längstens 25 Stunden nach
ihrer Versetzung ans Trockene sterben, sind sie zu dem beschriebenen
Versuch nicht weiter zu gebrauchen.
Hingegen wiederholen die jungen, gleich nach Abschluß ihrer
Embryonalentwicklung zum Experiment herangezogenen Landlarven
von HyUi^ wie schon oberflächlich erwähnt, die meisten und wich-
tigsten Entwicklungserscheinungen, durch welche sich die Land-
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Experimentelle Veränderung der Fortpflanzungatätigkeit naw. 127
lairen von Älytes so sehr auszeichnen, als da sind: erstens früh-
zeitige Entwicklung der Hantdrttsen und starke Schleim-
absondemng derselben behufs Vermehrung der Feuchtigkeit ; zweitens
Verdickung des Integuments, namentlich auf der Ventralseite;
drittens abnorm zeitige Anlage der Lungen und Erlangung von
deren endgültiger wabiger Struktur behufs Ausübung der Luftatmung;
viertens Funktion der EiemenhOhle als kleines Wasser-
reservoir, um auch die Eiemenatmung nicht ganz außer Betrieb
setzen zu müssen; fünftens zweckmäßige, auf Erhaltung der Feuchtig-
keit abzielende motorische Äußerungen, namentlich enges, klumpen-
weises Aneinanderdrängen aller Exemplare; sechstens be-
schleunigter Eintritt der Metamorphose nach Wiedergewin-
nung des Normalmediums; siebentes geringe Körpergröße (10
bis 12, statt 13 bis 18 mm von der Schnauzenspitze zum Steiß) der
so verfrüht metamorphosierten Jungen; achtens langsameres und
unvollkommneres Regenerieren der den Landlarven abgeschnit-
tenen Teile.
Teilweise fallen diese Entwicklungserscheinungen nicht mehr
in die Zeit des Trocken-, sondern schon wieder in die Zeit des
Wasserlebens, wie z. B. die unter drittens und selbstredend die
unter sechstens und siebentes aufgeführten, da ihnen, um voll ein-
zutreten, während des nicht einmal ganz zwei wöchentlichen Land-
lebens nicht genug Zeit bleibt; ihre Deutlichkeit hat nichtsdesto-
weniger kaum darunter zu leiden', der einmal gegebene Anstoß
genügt, um sie, selbst unter veränderten Verhältnissen, zur Aus-
lösung zu bringen.
Zum Regenerations versuch konnten hier nur Schwanzampu-
tationen herangezogen werden, da die Gliedmaßen, solange sich
die Larven auf dem Lande befinden, noch nicht vorhanden sind.
Es bleiben noch drei Entwicklungsphänomene übrig, welche
bei den Landlarven von Alytes aufgefallen waren, die ich aber bei
denen von Hyla niemals bemerkt habe: erstens, ihr Schwanz-
flossensaum war demjenigen der Wasserlarven gegenüber nicht
wirklich verschmälert, sondern nur, da er, um sich voll zu ent-
falten, unbedingt des spezifisch schwereren Wassers bedarf, umge-
klappt, sowie an den Rändern etwas verschrumpft, die fadenähnliche
Spitze vertrocknet; zweitens, an der Muskelpartie des Schwanzes
war keinerlei laterale Verdickung zu bemerken; drittens, jenes
monströs frühreife Rückbilden der Hornkiefer und Erscheinen des
breitgespaltenen Fro^chmaules, verbunden mit radikalem Um-
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128 Paul Kämmerer
schlag der Ernährangsweise vom Omnivoren zum Carnivoren, blieb
ebenfalls aus: die Larven behielten bis nahe an ihre, allerdings
schon in 30 bis 40 Tagen, vom Abschluß eines 11 tägigen Trocken-
lebens an gezählt, stattfindende Verwandlung, mindestens aber bis
nach dem Erscheinen beider Gliedmaßenpaare ihren larvalen Kiefer*
apparat. Zeigt sich zwar anch, im ganz zuletzt genannten Fall,
eine gewisse Verfrtthnng der Kiefernmbildnng, so ist sie doch wenig
deutlich: das bei den Landlarven des Laubfrosches im Vergleich
zu Alytes viel kürzere Trockenleben reicht eben in seinen Wirkungen
nicht soweit, um derartig monströse Körpervariationen, die bereits
in eine, geraume Zeit nach Beschluß des Trockenaufenthaltes ab-
laufende Periode entfallen, durchzusetzen.
Ich bin am Ende meiner Betrachtungen angelangt. Mögen auch
die aus den Versuchen gewonnenen Resultate und Hypothesen in
vielfacher Beziehung noch unvollständig und der Nachprüfung be-
dürftig sein, — so viel ist mir doch wohl gelungen: bei zwei
Arten ungeschwänzter Amphibien eine extreme Anpassung
der Eier und Larven an den Wasseraufenthalt einerseits,
an den Landaufenthalt anderseits zu bewirken, wobei sich
auch gewisse Annäherungen der Fortpflanzungsakte er-
geben. Im Gefolge dieser öcologi sehen Artvariationen aber sind
ferner bereits recht tiefgehende morphologische Variationen vor
sich gegangen , und zwar noch im Lebenslauf eines nnd desselben
Exemplars, ohne Mitwirkung der Vererbung. Ich darf daher schließen
mit den nunmehr nachgewiesenen Worten aus der Einleitung: Ver-
änderungen des Fortpflanzungsgeschäftes müssen notwendigerweise
am raschesten körperliche Veränderungen nach sich ziehen; künst-
liche Schwankungen in der Zeugung und Entwicklung sind das
aussichtsreichste Mittel, den Umweg möglichst kurz zu gestalten,
der über den Wechsel der Lebensweise zum Wechsel der Gestal-
tung führt!
Zusammenfassung.
Wenn wir nochmals alle Versuche überblicken, welche wir an
Alytes und HyUz anzustellen Gelegenheit nahmen, und die, obschon
Eier und Larven der genannten zwei Anufen-Genera den verschie-
densten äußeren Faktoren ausgesetzt worden waren, doch samt und
sonders darauf abzielen, dieselben zu einem einzigen Faktor, der
Feuchtigkeit, in positiver oder negativer Richtung bestimmte
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Experimentelle Verändening der Fortpfianzungstätigkeit usw. 129
Beziehungen gewinnen zu lassen, — wenn wir alle gemachten Beob-
achtungen Kevue passieren lassen, so ergibt sich eine komplizierte
Reihe von Entwicklangserscheinungen, die ich hier als blofie Tat-
sachen wiedergebe, ohne eine theoretische Erklärung zu unter-
nehmen.
Zuerst zeitigen wir ^^^-Laich in seinem Normalmedium, das
ist auf dem Lande, und verfolgen bei den ausschlttpfenden, ins
\Yasser drängenden Larven einen im Vergleich zu dem andrer
Anuren vielmal längeren Entwicklungsgang; wir zeitigen gleich-
zeitig auch ^^2a^-Laich auf dem Lande und erhalten Larven, die
ebenfalls 1 Jahr, statt nur mehrere Wochen, zu ihrer Ausbildung
benötigen. Dann bringen wir jBT^Ja-Laioh in seinem Normalmedium^
das ist im Wasser, zur Reife, und die im Mai daraus geborenen
Larven verwandeln sich schon im August des nämlichen Jahres;
ebenso wenn ^^^-Laioh sich abnormerweise im Wasser entwickelt :
aus den Larven entstehen in gleich kurzer Zeit die jungen Kröten«
Nun eine zweite Gegenüberstellung von komplementären Expe-
rimenten. Wir zeitigen ^Z^^-Laich abermals auf dem Lande, lassen
aber die eben ausschlttpfenden Larven nicht sogleich ins Wasser,
sondern erst nach etlichen Wochen erzwungenen Landlebens, —
nachher doch in ihr heimisches Element gelangt, streben sie danach,
es sobald wie nur möglich wieder zu verlassen, indem sie ihre
Metamorphose unter Aufbietung drängender, zum Teil monströs
frtlhreifer Entwicklungsphänomene in außerordentlichem Maßstabe
beschleunigen; auf dem Lande ausgereifter Ht/2a-Laich erzengt gleich-
falls leidlich ausdauernde Landlarven, die nach wiedergewonnenem
Normalmedium überaus rasch der Verwandlung entgegeneilen. Wenn
der Hyl(i-La\Gh hingegen submers gehalten wird, so sind die Larven
auf dem Lande nicht existenzfähig; gleiche Hinß.lligkeit macht auch
die aus submers gereiftem Alytes-LsAch auskommenden Larven zu
dem bezeichneten Experiment untauglich und beschränkt deren
Daseinsmöglichkeit während der ganzen Dauer ihrer postembryonalen
Entwicklung auf das Wasser.
Fassen wir das Resüme noch anders, wobei wir ihm einige in
der vorhergehenden Zusammenstelluug nicht berücksichtigte Befunde
einreihen :
1) Die extremste Anpassung an das Land tritt sowohl bei
Alytes als auch bei Hyla dann ein, wenn schon der Laich sich auf
dem Lande befand und wenn den frisch ausgeschlüpften Larven
zunächst die Gelegenheit entzogen wurde ins Waser zu gleiten ; darf
Archir f. EntwicUoiiffsniechanik. XXIL 9
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130 Paul Kammerer
ihnen zwar diese Gelegenheit für die dann noch restliche Epoche
der Postembryonalentwicklang nicht yorenthalten werden, so sorgt
doch eine vorzeitig eintretende Metamorphose daflir, daß alsbald
wieder das Luftmedium in seine Eechte tritt. Das Wasserleben ist
in diesem Falle auf eine ganz kurze, rasch vorübergehende Zwischen-
periode beschränkt. — Beschleunigung der Metamorphose und infolge-
dessen rascher Übergang ins terrestrische Medium kann außerdem
noch durch eine Reihe einfacher äußerer Faktoren: Helligkeit, hohe
Temperatur, Luftarmut, geringe Quantität und Unruhe des Wassers,
plötzliches Hungern nach vorausgegangener Mästung, erreicht werden,
und zwar sowohl, wenn nur einer von diesen Faktoren allein, als
auch in stärkerem und stärkstem Grade, wenn einige und wenn
alle zusammen einwirken.
2) a. Die extremste Anpassung an das Wasser (Neotenie
der Larven) tritt bei Mytes dann ein, wenn die Embryonen auf
einem abnorm frühen Stadium, und zwar so lange sie noch äußere
Kiemen tragen, aus dem Ei operiert und ins Wasser versetzt werden;
außerdem ist Neotenie zu erreichen bei Anwendung einer Reihe
einfacher äußerer (denen des vorigen Punktes entgegengesetzter)
Faktoren: Dunkelheit, niedrige Temperatur, Luftreichtum, große
Quantität und Buhe des Wassers, plötzliches Mästen nach voraus-
gegangenem Hunger.
2) b. Die extremste Anpassung an das Wasser (Neotenie der
Larven) tritt bei Hyla nur dann ein, wenn der Larvenzustand durch
künstlich gesteigertes Zusammenwirken aller vorgenannten, der
Metamorphose hinderlichen Faktoren möglichst lange erhalten wird.
3) Zwischen diesen beiden, einander konträren Extremen gibt
es bei Alytes wie bei Hyla je zwei reciprok sich ergänzende
Mittelwege:
a. Relativ langes Larvenleben, bei Alytes normal, bei
Hyla abnormal (doch keine eigentliche Neotenie) bei den-
jenigen Kaulquappen, die terrestrisch erzogenem Laich
ihre Entstehung verdanken, aber nach dem Auskriechen
ohne Verzug ins Wasser gelangen konnten.
b. Relativ kurzes Larvenleben, bei Hyla normal, bei
Alytes abnormal (doch ohne monströse Frühreife) bei den-
jenigen Kaulquappen, die aus submers erzogenem Laich
geboren wurden.
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Experimentelle YerSiidemiig der FortpflanznngsüLtigkeit nsw. 131
Diesen experimentellen Ergebnissen, welche i^Is Hauptinhalt der
Arbeit gelten dürfen, reihen sieh folgende, enger oder loser mit
ihnen verknöpfte Resultate an^):
1) Die Eier von Alytes obstetricans entwickeln sich ohne die
ihnen normalerweise zuteil werdende Brutpflege des yäterliohen
Tieres ebenso gut und rasch, wie mit jener Brutpflege.
2) Das Ausschlüpfen der einzelnen Larven aus einem nicht
Tom Männchen getragenen Eierballen nimmt mehr Zeit in Anspruch,
jedoeh nicht, weil die Entwicklung in solchen Eiern langsamer vor
sich geht, sondern nur, weil die Larven auf Selbstbefreiung durch
ihre Kiefer- und Muskeltätigkeit angevnlesen sind und nicht durch
die Schwimmbewegungen des Männchens unterstützt werden.
3) Feuchtigkeit, Helligkeit und höhere Temperatur, ebensowohl
jeder dieser drei Faktoren für sich allein, wie mit den anderen
beiden kombiniert, wirken beschleunigend; Trockenheit, Dunkel-
heit und niedrige Temperatur in gleicher Weise verzögernd auf
die Entwicklung der Alytes-Embvyonen ein.
4) Die frisch ausgekrochenen Älytes-LBiven befinden sich, un-
abhängig von den Licht- und Feuchtigkeitsbedingungen, denen die
Eier ausgesetzt waren, und unabhängig von der Ausübung oder dem
Wegfall männlicher Brutpflege annähernd auf ein- und derselben
Entwicklungsstufe.
5) Sie unterscheiden sich nur durch ihre Pigmentierung,
wobei feucht und im Licht gehaltener Laich dunkelfarbige, trocken
und im Finstem gehaltener Laich hellfarbige Larven liefert. Schon
das Ei selbst trägt, je nachdem es unter diesen oder jenen Bedin-
gungen gezeitigt wurde, schwächere oder stärkere Pigmentierung znr
Schau.
6) Jedoch ist es mit Hinzuziehung erhöhter Temperatur in Ver-
bindung mit trockener Umgebung möglich, die .i/T/^-Embryonen
bis zu vorgeschritteneren Ausbildungsgraden im Ei festzu-
halten.
7] In sehr trockenem Medium tragen die Alytes-UHnnahen ihre
Eierschnüre über den Moment völligen Leerwerdens hinaus, weil
die hier hartgewordene äußere Umhüllung sich schwer abstreifen
läßt; in sehr feuchtem Medium gleiten die Schnüre oft vor der
1) Die auf spekuIatiTem Wege erschlossenen Resultate erscheinen In der
Anfzählnng eingeklammert; die übrigen beruhen auf dem Experiment oder auf
direkter Beobachtung.
9*
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132 ?aul Kammerer
Aaskriechezeit vofi den Schenkeln der Männchen, weil die weich
gebliebene Gallerthtllle hier nicht fest anhaftet.
8) Manchmal legen gefangene Geburtshelferkröten ihre Eier-
ßöltnljrerjns WasSer ä,b: diese werden den Weibchen von deren
Männchen aus der Cloake gezogen (Geburtshilfe) und befruchtet,
aber das Wickeln um die männlichen Schenkel unterbleibt (keine
Brutpflege).
[9) Das Prinzip der Brutpflege, wie es sich bei Myies findet,
dürfte durch das Ruhebedttrfnis der Batrachier verursacht worden
sein, d. h. durch das Bestreben, auch zur Laichzeit einen so aus-
gedehnten AufenthaltswechBcl, wie ihn die Suche nach Laich-
gewässern bedingt, zu vermeiden.]
10) Einzelne, atavistisch yeranlagte Mytes-Y^tr kommen auch
unter Wasser zur Entwicklung; ihre Gallerthttlle quillt gerade so
siuf, wie diejenige andrer Anuren-Eier, und läßt im frifichgequoUenen
Zustande drei Schichten unterscheiden.
11) Diese Gallertschichten, am meisten die innerste, sind
bei. den Eiern von Alytes und Eyla nicht strukturlos, sondern zeichnen
sich durch ihren Reichtum an fibrillären Elementen aus, die einen
festigenden Bestandteil dieser Htlllen zu bilden scheinen.
12) Im Wasser befindliche Älytes-liXtx entlassen ihre Larven
auf einem relativ niedrigen Stadium, nämlich solange sie noch
äi^ßere Kiemen tragen. Ihre Befreiung erfolgt, da sie noch keine
Hornzähne besitzen, lediglich durch Zusammenkrümmen und Wieder-
ausstrecken des Rumpfes, infolge welcher Bewegung die Hüllen zer-
platzen.
13) Hingegen erfolgt die Selbstbefreiung der Larven aus
dem auf dem Lande gezeitigten Alytes- und Hyla-YA in der Weise,
daß die. bereits mit hornigen Lippen versehenen Larven Löcher in
die Hüllen nagen und letztere erst dann durch Anstemmen des
Schwanzes gegen die Wand und kräftiges Ausstrecken des vorher
zusammengebogenen Rumpfes sprengen.
14) Der Älytes-Etmbvyo kann auf jenem mit äußeren Kiemen
versehenen Stadium auch durch operativen Eingriff in eine frei im
Wasser lebende Larve umgewandelt werden. Alle so behandelten
f^xeniplare wachsen zu partiell neotenischen Tieren heran.
15) Bei diesen vorzeitig dem Ei entnommenen Larven unter-
liegen die äußeren Kiemen, das Integument und andre Teile des
Körpers adaptiven Veränderungen, welche durch das Wasser-
leben bedingt sind.
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Experimentelle Veränderuug der Fortpflanznngstätigkeit usw. 133
16) Die deutlichsten dieser VeränderUngeü betreffen die K i e m e d ,
welche. sich in folgender Weise der Wasseratmnng, anpassen:
a. Durch Verkürzung, und zwar reine Resorption oder neben-
hergehendes Abfallen dei Spitzen (Verminderung der respi-
rierenden Oberfläche).
b. Durch Bildung eines stärkeren Epithels.
c. Durch Bildung reichlicheren Pigments.
d. Durch Einschränkung der capillaren Blutgefäße.
17) Verzögerung der Metamorphose kann außerdem noch
-erzielt werden durch folgende äußere Faktoren: Dunkelheit, nied-
rige Temperatur, Luftreichtum, große Quantität und Ruhe des Wassers,
intensive Nahrungszufuhr nach yorausgegangener knapper Ernährung;
Beschleunigung der Metamorphose durch Helligkeit, .hohe
Temperatur, geringe Quantität und mechanische Bewegung des
Wassers (Luft- und Wasserströmungen, Wirbel, Wellenschlag), sowie
durch Verwundungen und knappe Nahrungszufubr nach yorausge-
gangener intensiver Ernährung.
18) Dem gegenüber spielt die Wasser tiefe als solche und die
Beschaffenheit der Ufer (flach oder steil: bequeme oder unbequeme
Gelegenheit zum Verlassen des Wassers) keine Rolle für die Ein-
haltung oder Verschiebung des Verwandlungstermins.
19) Die Eier der meisten Anuren yermögen einem Eintrock-
nungsprozeß standzuhalten, dessen Dauer abhängig ist von dem
Wahrscheinlichkeitsgrad des Austrocknens der von den einzelnen
Anurenspecies bevorzugten Laichgewässer. Beztlglich dieser Wider-
standsfähigkeit stehen die Eier von Alytes und Hyla (72 Stunden bei
der letzteren Gattung) unter denen der andern mitteleuropäischen
Anuren bei weitem an erster Stelle.
20) Die Eier von Alytes und Hyla sind femer die einzigen, bei
welchen die Besamung auch außer Wasser wirksam ist.
21) Aus Hyla-EiGTjij die außer Wasser befruchtet worden sind,
Bchlüpfen die Laryen erst auf vorgeschrittenerem Stadium aus, als
wenn die Befruchtung unter Wasser stattgefunden hätte, und zwar:
a. Wenn der Laich nach der in der Luft erfolgten Befruchtung
ins Wasser gelegt wird, schlüpfen die Larven, wenn ihre
äußeren Kiemen auf dem Höhepunkte der Entwicklung stehen.
b. Wenn der in der Luft befruchtete Laich in dunstgesättigtem
Räume reift, schlüpfen die Larven mit bereits im Rückgänge
begriffenen äußeren Kiemen.
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134 PahI Kämmerer
0. Wenn solcher Laieh in offenen Gef&ßen, anf feachtem Boden
reift, schlttpfen sie meist ohne äußere Kiemen, mit fertigem
Spiracolam.
22) Bei diesen yerspätet im Ei bleibenden ^^2a-Larven unter-
liegen die äußeren Kiemen, das Integament und andre Körperteile
adaptiven Veränderungen, welche durch das Leben im Ei
bedingt sind.
23) Die deutlichsten dieser Veränderungen betreffen die Kiemen,
die sich in folgender Art der Respiration im Ei anpassen:
a. Durch Streckung (Vergrößerung der respiratorischen Ober-
fläche).
b. Durch Bildung eines dünneren Epithels.
c. Durch Vermehrung der Gapillargefäße.
24) Die Larven der meisten Anuren vermögen einige Zeit außer
Wasser, auf nur feuchtem Boden, am Leben zu bleiben, was
eine funktionelle Anpassung an das Austrocknen der LaicbgewMsser
darstellt. Fttr die graduellen Verschiedenheiten derselben bei den
einzelnen Anurenarten läßt sich die gleiche Stufenleiter aufstellen,
wie fttr die Eintrocknungsfähigkeit der Eier.
25) Unter den mitteleuropäischen Anuren verweilen die Larven
von Alytes (4 Wochen), Pdobates (2 Wochen) und Hyla. (11 Tage)
am längsten ohne Schaden auf dem Lande , und zwar unter Be-
dingungen, welche eine Annäherung an die Entwicklungsverhältnisse
gewisser tropischer Anuren, besonders des Leptodactylus mystacinus^
hervorbringen.
26) Die Landlarven zeichnen sich den Wasserlarven gegenüber
durch folgende morphologische und physiologische Phänomene aus:
a. Verdickung des gesamten Integuments, namentlich des ven-
tralen, welches mit dem Boden in Beibung kommt
b. Frühe Entwicklung der Hautdrüsen und rege Schleimabsonde-
rung derselben.
c. Zeitige Entwicklung der Lungen und Ausbildung von deren
endgültiger wabiger Architektur.
d. Funktion der Kiemenhöhle als Wasserreservoir.
e. Zweckmäßige motorische Äußerungen, namentlich klumpen-
weises Aneinanderdrängen aller Exemplare behufs Erhaltung
der Feuchtigkeit.
Hierzu kommen noch bei den am längsten ausdauernden Alytes-
Landlarven:
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Experimentelle Yeränderong der Fortpflanzangstätlgkeit usw. 135
f. YerschmäleniDg des Schwanzflossensanmes.
g. Laterale Verdickung der Maskelpartie des Schwanzes.
27) Die regeneratiye Potenz bei den Landlarven ist geringer
als bei den Wasserlaryen: amputierte Schwänze und Extremitäten
brauchen, um sich zu erneuem, bei jenen die doppelte Zeit, als bei
diesen; auch bleibt der RegenerationsprozeB bei Landlarven vorge-
rttckten Stadiums unvollkommen.
28) Gleich mehreren tropischen, auf Bäumen lebenden Fröschen
benutzt auch Hyla arborea abweichend von ihrem sonstigen Laich-
verfahren zuweilen — im freien wie in Gefangenschaft — kleine
Wasseransammlungen auf Pflanzen (in tflten- und rinnen-
förmigen Blättern, in Blattwinkeln, vielleicht auch hohlen Baum-
stämmen), um ihre Eier darin abzulegen.
29) In diesen geringen, dürftigem Lichte zugänglichen Wasser-
mengen ist die Embrjonalentwicklung eine verlangsamte,
ebenso die Postembryonalentwicklung bis zum Stadium mit
Hinterbeinen, von welchem an eine starke Beschleunigung ein-
tritt. Schließlich aber ist die Gesamtdauer der Entwicklung bis zum
Image doch ein wenig läoger als unter normalen Umständen.
[30) Die Tendenz, den Fortpfianzungsakt ebenda zu erledigen,
wo sich das übrige Leben abspielt (also Vermeidung des Auf-
enthaltswechsels zur Paarungszeit, vgl. Punkt 9), dürfte
für jene Instinktvariation des laichenden Laubfrosches ursächlich
sein. Sie wird unterstützt durch zeitlichen oder örtlichen Wegfall
des Winterschlafes (gleichbedeutend mit Wegfall des Zwanges, im
Erdboden Schutz vor Kälte zu suchen und bei diesem Anlasse von
den Bäumen zu steigen), sowie durch örtlichen oder zeitlichen Wasser-
mangel des Bodens im Gegensatze zu kleinen, aber regelmäßigen
Wasserreservoiren auf und in Gewächsen.]
Verzeichnis der zitierten Literatur.
1) Barfürth, Dietrich, Versuche über die VerwandluDg der Froschlarven.
ScHULTZEB Archiv f. mikr. Anatomie u. EntwicklungsgeBch. Bd. 29. Bonn
1887. S. 1—28.
2) Der Hanger als förderndes Prinzip in der Natur. Schultzeb Archiv
f. mikr. Anatomie u. Entwicklungsgesch. Bd. 29. Bonn 1887. S. 28—34.
Taf. I Fig. 1-6.
3) Bedriaoa, Jaques de, Die Lnrchfauna Europas. I. Band: Anura, Frosch-
Inrche. Bull. Soc. Nat. Moscou 1889. S. 210-422, 466-622. Auch separat
erschienen, Moskau 1891: Alytes S. 343—369, Hyla S. 213—240.
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3136 P&nl Eammerer
4] BouLENGER, George Albert, Catalogue of the Batrachia Salientia s. Ecau-
data in the CoUection of the British Maseam. London 1882.
6) 'Remarks in Connexion wlth the preceding Note (i. e. On the Oviposition
in Phyllomedusa Iheringii by Dr. H. von Iherikg)* Annale and Magazine
of Natural History. V. serieB. Vol. XVII. London 1886. p. 463-464.
6) A Synopsis of the Tadpoles of the European Batrachians. Proceedings
of tiie Zoological Society of London 1891. Hyla p. 610—611; PI. XLVI
^. 1, 2, 3. Alytes p. 622-624. PL XLVII fig. 6, 7, 8.
7) On the Nursing-habits of two South- American Frogs. Proc. Zool. Soc.
London 1895. p. 209, 210. PI. X.
8) The Tailless Batrachians of Europe. London 1897/98. Alytes Part I.
p. 163-178. PI. Vn, Vm and 'PL I Fig. 4, 5, 6; Hyla Part ü, p. 247-261.
PL XiV, XV and PL II in Part I Fig. 6, 7, 8.
9) Brehm, Alfred Edmund, Tierleben. VII. Band: Kriechtiere und Lurche.
2. Aufl. 1878. Hyla S. ÖÖ6-660, Alytes 686-Ö89; 3. Aufl. 1892, Hyla
S. 713-718, Alytes S. 731—734.
10) Bruch, Carl, Neue Beobachtungen zur Naturgeschichte der einheimischen
Batrachier. Wtlrzburger Naturwissenschaftliche Zeitschr. IV. Band. 1863.
, S, 92-161.
il) über die Geburtshelferkröte (Alytes obstetricans). Fünfter Bericht des
Oflfenbacher Vereins für Naturkunde. 1864. S. 51-64. 1 Figur.
12] Brui^, Albbrt, Ein neuer Fall von Entwicklungshemmung bei der Ge-
burtshelferkröte. Der zoologische Anzeiger. V. Jahrg. Leipzig 1882. Nr. 104.
S. 92-94.
13) Chauvin, Marie von, Über das Anpassungsvermögen der Larven von Sala-
mandra atra. Zeitschr. f. wiss. Zool. 29. Band. Leipzig 1879. S. 324—362.
Taf. XXII.
14) Davenport, Charles Benedict, Ezperimental Morphology. Part I. New-
Yörk 1897. Hydrotaxis p. 66, Kheotaxis p. 108, G^otaxis p. 114, Thermo-
taxis p. 268 ff.
16) Demours, J., Le petit Crapaud terrestre, accoucheur de sa femelle. Histoire
•de TAcad^mie Royale des sciences. Paris 1741. p. 28.
16) DÜRiGEN, Bruno, Zur Fortpflanzung und Entwicklung der EnoblauchskrOte.
Blätter f. Aquarien- u. Terrarienk. VL Jahrg. Magdeburg 1896. p. 61—63..
17) Zur Kenntnis der Greburtshelferkrüte. Blätter f. Aquarien- u. Terrarienk.
VI. Jahrg. Magdeburg 1896. p. 140—142, 162-163, 174—176.
18) Deutschlands Amphibien und Reptilien. Magdeburg 1897.
19) Eimer, G. H. Theodor, Orthogenesis der Schmetterlinge. Leipzig 1897. S. 1 ff.
20) Fatio, Victor, Faune des Vert6br6s de la Suisse. Vol. HI. Gen^ve et Bale.
1872. Alytes p. 368-366, Hyla p. 428-431.
21) FiscHER-SiGWART, H., Die Geburtshelferkröte fAlytes obstetricans), nach Be-
obachtungen im Terrarium, mit besonderer Berücksichtigung ihrer Ent-
wicklung und Verwandlung. Die Natur. 34. (N. F. 11.) Band. Halle a. S.
1886. S. 1—3, 27-30. 7 Flg.
^) Salamandra maculosa. Die' Natur. 34. (N. F. 11.) Band. Halle a. S.
1886. S. 486-487, 493-496. 36. (N. F. 12.) Band. 1886. S. 462-466,
472—476.
23) Das Tierieben im Terrarium. Zofingen 1889. S. 61.
24) Frank, Ad. Die Reptilien und Amphibien Deutschlands. Leipzig 1881.
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Experimentelle Yerändenmg der Fortpflanzungstätigkeit ubw. 137
25) GoELDi, Emil Augubt, Contribution to the Knowledge of the Breeding-
habitfl of 8ome Treefrogs (Hylidae) of the Serra dos Orgaoa. Rio de
Janeiro, Brazil. Proc. of the ZooL Soc. London 1895. p. 89—97. 2 Flg.
2ß) Harthann, C, Die Geburtshelferkröte. Natur und Hans. VL Band. Berlin
1897/98. Heft 18. S. 281-282.
27) Geburtshelferkröte (Alytes). Natur und Haus. VIII. Bd. BerUn 1899/1900.
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28) Alyt«8 obstetricans. Natur und Haus. XIU. Band. Berlin 1904/06.
Heft 20. S. 309—310.
29) HANSEL, Beinhold. Beiträge zur Kenntnis der Wirbeltiere Südbrasiliens.
Troschbls Archiv f. Naturgesch. 33. Jahrg. I. Band. Berlin 1867. S. 120—162.
30) H^RON-BoYER, Des Nuances diverses des Tetards de ßatraciens Anoures et
des Causes qui les produisent. Bulletin de la Soci^t^ Zoologique de France.
III. vol. Paris 1878. p. 62-65.
31) Eecherches sur la F6condit^ des Batraciens Anoures Alytes obstetri-
cans, Hyla viridis et sur la F^condation des Oefs du Bufo vulgaris dans
rObscurit^. Bull. Soc. Zool. France. IIL vol. Paris 1878. p. 278—285.
32) Note sur THybridation des Batraciens Anoures et ses Produits con-
g^nöres et bin^göres. Bull. Soc. Zool. France. VIII. vol. Paris 1883.
S. 397-416. 3 Fig.
33) Becherches sur les Caract^res embryonnaires externes de TAlyte
accoucheur (Alytes obstetricans) a partir de la ponte jusqu'a T^closion
de la larve. Bull. Soc. Zool. France. Vm. vol. Paris 1883. p. 417—436.
Planche XIH.
34) Note sur un forme de Bainette nouvelle pour la faune francaise (Hyla
barytonus).. Bull. Soc. Zool. France. IX. vol. Paris 1884. p. 221-237.
1 Fig. Planche IX.
36) Sur la reproduction de TAlbinisme par voie hör^ditaire chez l'Alyte
accoucheur et sur TAccouplement de ce Batracien. Bull. Soc. Zool. France.
XL vol. Paris 1886. p. 671-679.
36) et YAK Bambeke, Charles, Le Vestibüle de la Bouche chez les Tetards
des Batraciens Anoures d'Europe; sa Structure, ses Caracteres chez les
diverses especes. Archives de Biologie de yan Beneden et van Bambeke.
Tome IX. Paris et Leipzig 1889. Alytes p. 268-291. PI. XXII Fig. 1;
Hyla p. 245—260. PI. XV Fig 1.
37) JouRDAiN in der Bevue internationale des sciences. 1878. Nr. 7.
38) DB lIsle du Dr^neuf, Arthur, Memoire sur TAlyte accoucheur. Annales
des sciences naturelles. 1873.
39) Note sur TAccouplement de TAlytes Obstetricans. Actes de la Soci^t^
Linn4enne de Bordeaux. XXX. 1876. p. 460—464.
40) Kämmerer, Paul, Beobachtungen an ausländischen Amphibien in Gefangen-
schaft. Natur und Haus. VHI. Band. Berlin 1899/1900. S. 294—297.
41) Neuere Erfahrungen in der Lnrchpflege. Blätter f. Aquarien- u. Terra-
rienk. XII. Jahrg. Magdeburg 1901. S. 247, 248.
42] Beitrag zur Erkenntnis der Verwandtschaftsverhältnisse von Salamandra
atra und maculosa. Bouxs Archiv f. Entw.-Mech. d. Organismen. XVH. Band.
Leipzig 1904. 2. Heft. S. 166—264. Taf. XIH.
43) Über die Abl^ängigkeit des Begenerationsvermügens der Amphibienlarven
von Alter, Entwicklungsstadium und spezifischer Größe. Bouxs Archiv f.
Entw.-Mech. XIX.. Band. Leipzig 1904. 2. Heft S. 148-180. Taf. VII,
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138 Paul Kammerer
44) Kmaiter, Fribdrich K., Naturgeschichte der Lnrebe. Wien 1877.
46) Koch, Carl, Formen nnd Wandlungen der ecandaten Batr&chier des Unter*
main* und Lahngebietes. Bericht über d. SENCKEKSEROsehe naturforschende
GeseUsohaft. Frankfurt a. M. 1871/1872. S. 122-183, Alytes S. 165-162,
Hyla S. 131—134.
46) Kollmann, J., Das Überwintern yon europäischen Frosch- und Tritonlarven
und die Umwandlung des mexikanischen Axolotl. Verhandlungen d. Natur-
forschenden Gesellschaft in Basel. VII. Band. 2. Heft. 1884. S. 387-398.
47) Latabte, Fernand, Quelque Observations sur les T^tards des Batraciens
Anoures. BuD. Soo. Zool. France. IL vol. Paris 1877. p. 281—286.
*48) Lessona, M., Studi sugle Anfibi anuri del Piemonte. Atti della Accademia
di Torino. 1877. p. 322.
49) Leünis, Johann, Synopsis der Pflanzenkunde. 3. Aufl. von A. B. Frank.
II. Band. S. 777.
60) Leydig, Franz, Die anuren Batrachier der deutschen Fauna. Bonn 1877.
61) Melbheimer, M., Verzeichnis der bei Linz am Rhein und Umgebung vor-
kommenden Amphibien und Reptilien. Korrespondenzblatt des Katur-
historischen Vereins fttr Rheinland und Westfalen. 83. Jahrg. Bonn 1876.
S. 87-92.
62) Müller-Mainz, Lorenz, Eine Exkursion auf Korfu. Kerthus. VIL Jahrg.
1906. Heft 6. S. 77-81 (Hyla S. 79). Heft 6. S. 102-104. Heft 7. S. 112—114.
63) Peters, Wilhelm, Über eine von Krug und Oündlach auf der Insel
Pnertorico gemachte Sammlung von Säugetieren und Amphibien, sowie über
die Entwicklung eines Batrachiers, Hylodes martinicensis Dum. Bibr., ohne
Metamorphose. Monatsberichte d. Egl. preuß. Akademie d. Wissenschaften.
Beriin November 1876. S. 703-714 (Hylodes S. 709-714. Tab. I, II).
64) Pflüger, E., Zur Entwicklungsgeschichte der Geburtshelferkröte (Alytes
obstetricans). Pflügers Archiv f. d. ges. Phys. 29. Band. Bonn 1882.
S. 78—88.
66) Das Überwintern der Kaulquappen der Knoblauchkröte. Pflügers
Archiv f. d. ges. Phys. 31. Band. Bonn 1884. S. 144.
66] Powers, J. H., The Causes of Acceleration and Bitardation in the Meta-
morphosis of Amblystoma tigrinum: a preliminary Report The American
Naturalist Vol. XXXVH. Boston 1903. p. 386-410.
67) Przibram, Hans, Einleitung in die experimentelle Morphologie der Tiere.
Wien und Leipzig 1904. S. 118.
68) Eidewood, W. G., On the Skeleton of Regenerated Limbs of the Midwife
Toad (Alytes obstetricans). Proc. Zool. Soc. London. 1898. p.lOl— 106. 9Fig.
*69) Rösel von Rosenhof, August, Historia Naturalis Ranarum nostratium in qua
omnes earum proprietates, praesertim quae ad generationem earum pertinent,
fusius enarrantur. Nürnberg 1768.
60) Schreiber, Egid, Herpetologia Europaea. Braunschweig 1876. Alytes
p. 101-104, Hyla p. 106-109.
61) ScHULTZE, 0., Untersuchungen über die Reifung und Befruchtung des Am-
phibieneies. Zeitschr. f. wiss. Zool. 46. Band. Leipzig 1887. S. 177—226.
Taf. XI— Xin.
62) Schwalbe, Gustav Albert, Zur Biologie nnd Entwicklungsgeschichte von
Salamandra atra und maculosa. Zeitschr. für Biologie. 34. (N. F. 16.) Band.
München und Leipzig 1896. S. 340—396. 3 Fig.
63) Simroth, Heinrich, Die Entstehung der Landtiere. Leipzig 189L
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Experimentelle YerSndenmg der Fortpflanzongstätigkeit xusw. 189
64) Tokioer, Gustav, Psendophryne yivipara n. sp., ein lebendig gebärender
Frosch. Sitzungsberichte der KOnigl. Preußischen Akademie der Wissen-
schaften. XXXIX. 1905. S. 865-857.
65) YoQT, Carl, Untersnchnngen über die Entwieklnngsgeschiehte der Geburts-
helferkröte (Atytea obsteirieans). Mit drei lithographischen Tafeln. Solo-
thurn 1842.
66) Weibmakn, August, Über die Umwandlung des mexikanischen Axolotl in ein
Amblystoma. Studien zur Deszendenztheorie. II. Bd. Leipzig 1876. S. 263.
*67} WiED, Prinz Maximilian von, Reise nach Brasilien. Zwei Bände. Frank-
furt a. M. 1820.
68) Wjedersueim, Robert, Zweijährige Alytes-Larven. Zoologischer Anzeiger.
I. Jahrgang. Leipzig 1878. Nr. 5. S. 104 u. 105.
69) Wiesner, Julius, Elemente der wissenschaftlichen Botanik. II. Band. Or-
ganographie und Systematik der Pflanzen. 2. Aufl. Wien 1891. S. 265.
70) WoLTERSTORFF, WiLLY, Über die Neotenie der Batrachier. Der zoologische
Garten. 37. Jahrgang. Frankfurt a. M. 1896. S. 327— 337. (Hier zahlreiche
weitere Literaturangaben über Neotenie.)
Die mit* bezeichneten Schriften sind mir nur aus referierenden Er-
wähnungen bekannt geworden.
Ich benutze die Gelegenheit, um einige Zitate, die sich bei dem zur
Torllegenden Arbeit notwendigen Literaturstudium als irrig erwiesen haben,
zu korrigieren:
Bei DE Bedriaga, Die Lurchfauna Europas I [2] ist auf S. 343 der Sepa-
rataüsgabe die zweite Arbeit von Demours mit unrichtiger Jahreszahl versehen :
die Jahreszahl der zweiten Arbeit muß 1778, statt 1781 lauten. — Bei Simboth,
Die Entstehung der Landtiere [63] ist auf S. 360 gelegentlich der Erwähnung
des Brntgeschäftes von Hyla luteola, Wied auf eine Arbeit von Boulenger
über Brutpflege verwiesen, die laut Angabe des Literaturverzeichnisses, S. 469,
Kr. 261, in den Proceedings of the Zoological Society London 1888 enthalten
sein soll, sich aber an dieser Stelle nicht vorfindet. Vielleicht sind die 1888 in
den Annais and Magazine of Natural History. VI. series. Vol. I. p. 454—455
und Vol. II. p. 122—123 (On the Nursing-habits of Dendrobates) erschienenen
Arbeiten des genannten Autors gemeint. — Bei Werner, Ober Brutpflege bei
Amphibien (Verbandlungen der k. k. zoologisch-botanischen Gesellschaft in Wien,
48. Band. 1898. S. 111—114) ist am Schlüsse unter andrer, »leicht zugänglicher
Literatur über Brutpflege« auch auf einen Aufsatz von Boulekger hingewiesen,
der hiut Angabe in den Proc. Zool. Soc. London 1894 enthalten sei; gemeint
ist die in jenen Proceedings, 1895, p. 209—210, Plate X, erschienene Mit-
teilung »On the Nursing-habits of two South- American Frogs« [7]. — Bei H^ron-
Boyer [32] ist das Erscheinen der ersten Publikation von Demours [15] mit der
Jahreszahl 1841, statt 1741, angegeben.
Erklärung der Abbildungen!
Tafel V.
Fig. 1. Ein Laich-»Ballen< (verwbrte Eierschnur) von Alyies obstäricana
auf dem Lande in Entwicklung begriffen. Die GallertbUlle ist nicht ge-
quollen und liegt dem eigentlichen Ei an.
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140 P. Kammerer, Experimentelle Verändenmg der Fortpflanzungstätigkeit usw.
Fig. 2. Ein Laichballen von Alytes obsteiricansj unter Wasser in Entwick-
lung begriffen. Die Gallertbülle ist aufgequollen und bebt sich daher
vom eigentlichen Ei ab; dieses ist infolge Einwirkung direkter Sonnen-
strahlen dunkel pigmentiert.
Fig. 3. Partiell neotenische Larve von AJytea obsteirieans, 4 Jahre alt,
2 Monate vor der Metamorphose.
Fig. 4. Frisch verwandelter Imago von Älytes obstetricans^ unter normalen
Verhältnissen aufgezogen (um die Dimensionen zu zeigen, mit welchen
Älytes ihre Metamorphose gewöhnlich schon voltendet hat).
Fig. 6. »Landlarve« von Alytes obstelricans, 4 Wochen lang, seit dem Aus-
kriechen aus dem Ei, außer Wasser, auf feuchtem Erdboden gehalten.
Fig. 6. Von Hyla arborea belebter Stock des Korbstengels [Aspidistra
variegata)^ mit den Jugendlichen, tütenfOrmigen Blättern, in welche
die Laubfrösche ihre Eierklumpen absetzen.
Die Fig. 1—5 sind in natürlicher Größe angefertigte Zeichnungen des
Fräulein Carola Nahowska in Wien; Fig. 6 ist eine in etwa Vi der natür-
lichen Größe aufgenommene Photographie, hergestellt durch Herrn Adolf
Ojsrnt in Wien.
Das Belegmaterial befindet sich in der entwioklungsmechanischen Samm-
lung der Biologischen Versuchsanstalt in Wien, mit Ausnahme vom Original der
Fig. 3, dessen Umwandlung in den Imago abgewartet wurde, um die zeitliche
Abgrenzung dieses Falles von partieller Neotenie bestimmen zu können.
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Einfluß abnormaler Gravitationswirkung auf die Embryo-
naientwicidung bei Hydrophilus aterrimus Eschscholtz.
Von
Dr. phil Franz Megusar.
(Ans der Biologischen YersnchsaDstalt in Wien.}
Mit 3 Figuren im Text.
Eingegangen am 24. Mai 1906.
Einleitung.
In der ersten Hälfte des Monats Juli 1905 experimentierte ich
gelegentlich meiner Hydrophiliden-Zuchtversuche, wobei es sich mir
in erster Linie um Beschaffung von embryologischem Material und
Feststellung der wichtigsten biologischen Tatsachen handelte, an den
Kokons von Hydrophilus aterrimtiSj um das Verhältnis der Schwer-
kraft zur Entwicklung der Embryonen kennen zu lernen.
Obwohl ich demnächst in einer vergleichend-biologischen Arbeit die
baulichen Eigentttmlichkeiten des Hydrophäus-KokoWy dessen Stellung
auf der Wasseroberfläche und die Anordnung der Eier in demselben
einer ausftlhrlichen Erörterung zu unterziehen beabsichtige, möchte
ich doch schon hier das Wesentliche darüber vorausschicken, da der
Gegenstand mit dem Inhalt der vorliegenden Arbeit in unmittelbarer
Beziehung steht, und nur eine klare Vorstellung über die Architektonik
des Kokons meine weiteren Ausftlhrungen verständlich machen kann.
Der Eikokon von Hydrophilus aterrimus Eschsch. stimmt in
seinem Bau und seinen sonstigen Eigenschaften so sehr mit dem-
jenigen von Hydrophäus piceus L. überein, daß eine Verwechslung
zuweilen selbst bei großer Übung und reichem Vorrat an Vergleichs-
material nicht vermieden werden kann. Wenn meine in folgenden
Zeilen gegebene Beschreibung des Aterrimus-Kokons trotzdem von den
in der Literatur vorherrschenden Darstellungen des Piceus-Kokous
erheblich abweicht, so liegt dies nur daran, daß die bisher über
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142 Franz Meguüar
diesen Gegenstand yeröflfentlichten Angaben einer neuerlichen Prüfung
nicht standhalten. Dies ist auch der Grund, weshalb ich mich nicht
damit begnügen konnte, einfach auf die schon bestehenden Beschrei-
bungen des Plceus-Kokons hinzuweisen.
Bauliche Eigentümlichkeiten des Kokons.
Das Eigehäuse von Hydrophäus aterrimus^) (siehe Textfiguren 1
und 2) ist, wie soeben angedeutet, nach demselben Plane konstruiert,
wie der bereits wiederholt in der Literatur beschriebene Kokon von
Hydrophüus piceiis. Ein schwacher Unterschied ließe eich lediglich
in der Gestalt, Größe und Anzahl der Eier nachweisen. Diese Unter-
Scheidungsmittel können aber nur auf die
ersten Kokons 2) eine Anwendung finden,
für die weiteren lassen uns jegliche Be-
stimmungsmittel im Stiche, da hier in viel-
facher Hinsicht Unregelmäßigkeiten Platz
greifen.
Der Kokon repräsentiert ein beiläufig
rundlich - ovales (bei Hydrophüus piceus
länglich-ovales), in einem äußerst geringen
Grade hydropisches Gespinst von weißer,
etwas gelblich getönter Färbung und von
Innerer Bau des Kokons von Hydro- der Ungefähren Größc ciucr gewöhnlichen
hailX^'^iTr^pre^r^^^^ Waluuß (Durchschnittsdimeusioncn : 24 mm
spinst ist in der Fignr weggelassen. Läugc, 19 mm Breite, 15 mm Höhc). Die
obere schwach gewölbte, der atmosphäri-
schen Luft zugekehrte Seite wird von mannigfachsten leichten
Gegenständen, wie welken Baumblättern, Teilen von phanerogamen
Wasserpflanzen, zufllllig ins Wasser gefallenen Papierstücken usw.
bedeckt, welche in den meisten Fällen derart mit dem Kokon ver-
sponnen sind, daß die vordere Seite des Kokons (d. i. diejenige, wo
sich der sogleich zu beschreibende »Mast« befindet) freibleibt, und jene
Bestandteile zu beiden Seiten und namentlich an der Hinterseite des
1} Soviel ich aus der mir zagänglichen Literatar erfahren konnte, existieren
über diesen Gegenstand, speziell für Hydrophüus cUerrtmtis Eschsch., keine nähe-
ren Angaben.
2) Während meiner Zachtversache hatte ich nämlich Gelegenheit gehabt zu
beobachten, daß ein einziges Individnum dieser zwei Arten in relativ kurzer
Zeit in der Lage ist, nacheinander mehrere Kokons (Maximum 4—7) zu spinnen,
von welchen jeder folgende dem vorhergehenden sowohl in bezug auf die Größe
als auch Anzahl der Eier nachsteht.
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Einfluß abnonnaler Gravitationswirkung auf die Embryonalentwicklung usw. 143
Kokons hernnterhängen, wodurch sie öfters in seinem rückwärtigen
Teile zum erforderlichen Übergewicht beisteuern.
Am Yorderen, engeren Pole des Kokons fällt ein durchschnitt-
lich 3 cm langer, abgeplatteter, anf der Hinterseite mit einer Längs-
rinne yersehener, gegen das freie Ende konisch zugespitzter, rötlich-*
braun gefärbter, solider, meist nach Yom, zuweilen etwas mehr nach
hinten geneigter, verhältnismäßig selten vertikal stehender, dorn-*
artiger Fortsatz ins Auge. Im Falle der Neigung nach yom schließt er
mit der Oberfläche des Kokons einen Winkel von etwa 110®, im Falle
der Neigung nach hinten p. ^
dagegen einen Winkel
von 66° ein. Gegen die
Basis zu erfährt dieser
»Mast« eine dreieckige
Verbreiterung und bil-
det den oberen Teil der
Vorderseite des Kokons.
Zieht man die Ver- ^
bältnisse, unter denen
die Kokons in der freien i
Natur angetroffen wer- f
den, in Betracht, so liegt /
der Gedanke nahe, daß
diesem Fortsatz die Be-
deutung zukommt, den
Kokon bei stürmischem
Wetter und Hochwasser AaOerer bau des Kokons in natttrlicher Stellang auf der
zwischen den abgeStOr- WasseroberH^he. Nat. Gr.
benen oder noch frischen, über den Wasserspiegel ragenden oder auf
ihm liegenden Sumpfpflanzen an seichten Stellen zu erhalten, weil
diese den ausschlüpfenden Larven die günstigsten Lebensbedingungen
bieten; femer wird der Kokon durch seinen Fortsatz zwischen den
Sumpfpflanzen gewissermaßen verankert, so daß er bei Wellenschlag
nicht hin- und hergeworfen, also auch nicht beschädigt oder aus dem
Wasser geschleudert werden kann. In der Tat habe ich die Kokons
stets an so beschaffenen Stellen aufgefunden.
Unmittelbar an den Mast schließt sich nach unten eine sehr zarte,
durchscheinende Membran in der Form eines Kreisabschnittes an, das
»Fensterchen«, welches zur Zeit des Ausschlüpfens von den Larven
durchgenagt wird und ihnen so das Verlassen des Kokons ermöglicht
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144 Franz Megaäftr
Trägt man die Decke des Kokons ab, so gewahrt man, daß er ans
zwei Schichten zusammengesetzt ist, ans einer äußeren, sehr dünnen
und vollständig in sich geschlossenen Schicht, die den Kokon gegen
die Außenwelt absperrt, und einer inneren, gelblich-weißen, pergament-
artigen Schicht, die vor jenem bereits erwähnten Kreisabschnitt der
äußeren Membran, der das durchscheinende Fensterchen bildet, plötzlich
aufhört. Der fehlende Teil wird durch ein mächtiges und lockeres
Gespinst ersetzt. Die beiden Membranen sind im vorderen Teile, so-
wie auf der oberen und unteren Seite des Kokons fest miteinander
verklebt, an der Peripherie gehen sie in der Richtung von vom nach
hinten allmählich auseinander und lassen auf diese Weise einen
ziemlich breiten, halbmondförmigen Zwischenraum entstehen, den ein
lockeres Gespinst ausfüllt.
Verteilung der Eier und Stellung derselben im Kokon.
(Fig. 1.)
Die länglich-ovalen, teils geradegestreckten, teils unbedeutend
gekrümmten Eier nehmen eine halbkreisförmige Fläche des Bodens
ungefähr in der Mitte des von der inneren Membran umschlossenen
Raumes im Kokon ein und stehen senkrecht dicht nebeneinander
gestellt in demselben.
Der Schwerpunkt des ganzen Schiffchens erscheint infolge der
Lagerung der Eier in dessen hinteren Teil verlegt, was sich auch
in der Form des Kokons ausspricht: der Kokon ist, wie erwähnt,
nach rückwärts hin erweitert, und dieser bauchige Teil beherbergt
die Hauptmasse der Eier.
Die Eier sind mittels zarter, sehr widerstandsfähiger Gespinst*
fäden einerseits untereinander fest in der Gruppe zusammengehalten,
anderseits an die umgebende Wand der inneren Membran festge-
heftet. Oberhalb der Eier ruht ein mächtiges und lockeres Gespinst
Das einzelne Ei läßt einen stumpfen, nach oben gerichteten, und
einen spitzen, nach unten gerichteten Pol erkennen, von welchen der
erstere dem späteren Schwanzende, der letztere dem späteren Kopf-
ende des Embryos entspricht.
Lage des Kokons auf der Wasseroberfläche.
(Fig. 2.)
Die Stellung des Kokons auf der Wasseroberfläche ist im normalen
Falle die, daß der eiförmige Körper etwas mehr als zur Hälfte im
Wasser versenkt, sein vorderes Ende gegenüber dem hinteren ein wenig
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Einfluß abnormaler Gravitationswirknng auf die Embryonalentwicklung usw. 145
nach aufwärts gerichtet erscheint, so daß ein geringer Teil des sog.
Fensterchens samt dem ganzen Mäste aus dem Wasser herausragt.
Aus der ganzen Architektonik des Kokons ist ersichtlich, daß hier
alle Grundbedingungen gegeben sind, welche das Schwimmen dessel-
ben auf der Wasseroberfläche möglich machen und dem Umkippen
in gehöriger Weise entgegenarbeiten. Hierzu kommt noch die vorzüg-
liche Fixierung der Eier in ihrer senkrechten und, wie wir später
erfahren werden, für die normale Ausbildung der Embryonen unerläß-
lichen Stellung im Kokon selbst. Das sichere Schwimmen des Kokons
wird erreicht durch seine ovale Gestalt, die wasserdichten und leichten
Webstoffe, die großen, innerhalb des Kokons, besonders im oberen
Teil in mächtiger Ausdehnung vorkommenden, mit lockerem Gespinst
erfüllten und luftführenden Räumlichkeiten, die Verlegung des Schwer-
punktes in den hinteren Teil; zur Fixierung der Eier trägt das
resistente Gespinst, welches die Eier im Gleichgewicht erhält, wesent-
lich bei.
Anordnung der Versuche.
Am 6. Juli 1905 traf ich in einem meiner Zuchtaquarien für
Hydrophüus aterrimus gegen VjS^ nachmittags zwei aus der Um-
gebung von Wien stammende Weibchen direkt bei ihren Brutgeschäften,
isolierte sie noch während des Spinnens, indem ich die Tiere samt
den kaum zur Hälfte gesponnenen, noch am Abdomen steckenden
Kokons in zwei große, mit den Zeichen A und B versehenen Ein-
siedgläser einschöpfte, wobei sie sich in der Erfüllung ihrer Mutter-
pflichten nicht weiter stören ließen und nur im Momente der Über-
tragung die Bewegung ihrer Vaginalpalpen einstellten; in ihren neuen
Behältern setzten sie das Brutgeschäft in aller Ruhe fort. Nach Fertig-
stellung des Kokons (4*^ 5 Min. nachmittags) entfernte ich die Weib-
chen und kehrte unmittelbar darauf die erhaltenen Kokons um.
Um jeden mechanischen Druck auf den Kokon zu vermeiden,
nahm ich die Invertierung in der Weise vor, daß ich den vom Kokon
herabhängenden Fadenalgenschopf^j behutsam faßte, ihn über den
Rand des Einsiedglases legte und durch eine leichte Spannung in
einer derartigen Zwangslage fixierte, daß die Oberfläche des Kokons,
1) Fadenalgen [Gladophora fracia Wahl), das Futter für die Käfer, waren näm-
lich zugleich das einzige ihnen zur Verfügung stehende Baumaterial, um die
Eokons damit zu bedecken. In der Absicht, eine Instinktvariation zu erzielen,
hatte ich ihnen von all den verschiedenen Gegenständen, die anläßlich der Be-
schreibung des Eokons als häufigst gebrauchte aufgezählt worden waren, nichts ge-
boten und sie auf diese Weise gezwungen, die erwähnten Grünalgen zu verwenden.
ArehiT f. Entwicklnnffsinechanik. XXII. 10
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146 Franz Meguäar
die bei normaler Stellung desselben der atmosphärischen Luft zugekehrt
war, nun nach unten sab und der vordere Teil mit dem Wasserspiegel
etwa den Winkel von 15° einschloß, während die frühere Bodenfläche
des Schifl'chens, die vorher mit dem Wasser in unmittelbarer Berüh-
rung stand, vollständig aus dem Wasser herausragte. Der Wasserstand
betrug etwa 10 cm, die Durchschnittstemperatur bei Tage 22° C.
Als Eontroll Objekte dienten mir zwei Kokons, von denen ich
den ersten einen Tag vor der Aufstellung (Kontrollversuch Ai), den
andern (Kontroll versuch BJ tags darauf erhielt.
Unter solchen Bedingungen beließ ich die invertierten Kokons
noch 3 Tage nach dem Ausschlüpfen der ersten Larven und kon-
servierte sie dann nach dem erlangten Resultat samt ihren Insassen.
Ergebnis.
Versuchskokon A. Am 13. Juli, ungefähr gegen die Mittags-
stunde, bemerkte ich in dem Einsiedglas A, das den einen von den
unter abnormen Bedingungen aufgestellten Kokons enthielt, drei
Larven im Wasser, die sich in der Gestalt, Größe und Lebensfähig-
keit von den sich im KontroUversuchsglas Aj befindenden und
bereits 2 Tage früher ausgeschlüpften stark unterschieden. Alle drei
Individuen charakterisierte eine geringe Körpergröße: ein Exemplar
besaß unmittelbar nach dem Ausschlüpfen im gestreckten Znstande
die Länge von 10 mm, während die andern zwei eine Länge von
8Y2 iiim aufwiesen (Mundwerkzeuge und Abdominalanhänge nicht
inbegriflfen), im Gegensatze zu den auf normalem Wege entwickelten
Larven, deren Durchschnittslänge 13 mm betrug. Sie zeigten einen
plumpen Körperbau, der besonders deutlich im Schwanzende zum
Ausdrucke gelangte. Das Benehmen im Wasser war besonders bei
den zwei kleineren Larven von großer Schwerfälligkeit Letztere
hielten sich stets in unmittelbarer Nähe der Wasseroberfläche und
konnten nicht von der Stelle. Ihre wiederholt unternommenen Ver-
suche, die Tiefe des Wassers zu erreichen, mißlangen stets; denn
ihre Kräfte waren zu gering, den Wasserwiderstand zu überwinden.
Eine Nahrung, die in kleinen Krustern [Cyclops^ Daphnia^ Crjpi-is usw.)
bestand, nahmen sie wenigstens während meiner Anwesenheit nicht
auf. Etwas mehr Lebensenergie ließ sich bei der größeren Larve
konstatieren. Bald kreiste sie an der Glaswand in ziemlicher Wasser-
höhe umher, bald ließ sie sich in schräger Bicbtung unter sichtlichen
Anstrengungen in die Tiefe. Beim Fressen zeigte sie nur geringe
Geschicklichkeit. Sie schnappte zwar öfter mit ihren Mandibeln nach
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Einfluß abnormaler Gravitationswirkung auf die Embryonalentwicklung usw. 147
den vorbeirollenden Cypriden, welches Futter den Larven in diesem
Stadium am meisten zusagt; jedoch verfehlte sie fast regelmäßig ihr
Ziel. Tags darauf fand ich die kleinen Larven stark zusammen-
geschrumpft am Boden liegen, nur die große blieb noch am Leben,
jedoch wurden auch an ihr Zeichen des herannahenden Todes be-
merkbar; denn sie war ungemein träge, nur zuweilen schlug sie mit
ihrem Schwanzende kräftig nach ihrer Rückenseite hin. Am folgenden
Tage ereilte sie das nämliche Schicksal wie ihre Genossinnen.
Zu dieser Zeit schnitt ich die Decke des
Kokons ab und traf vier bereits aus den Eiern
gekrochene, aber noch im Kokon eingeschlos-
sene Lärvchen und mehrere Embryonen ver-
schiedener Entwicklungsstadien an.
Eine Umdrehung der Embryonen im Ei
hatte nicht stattgefunden; während, wie bereits
früher gesagt, der Embryo im normal gestellten
Kokon mit seinem Kopfe nach unten sieht,
waren die Köpfe der Embryonen im invertier- « Larve unmittelbar nach
ten Kokon nach oben gerichtet. ^^7 Ausschlüpfen bei nor.
° nialer Stellung des Kokons.
Versuch Skokon B. Hier trafen ganz ahn- b Larven und Embryonen bei
iiche Begleiterscheinungen zu wie im vorher '^^^o^^^^^^J^^^^^ ^es
besprochenen Kokon. Es ließen sich im Ver-
gleich zu diesem nur ganz geringe und unbedeutende Abweichungen
feststellen, die sich zunächst auf die Zeitdauer der Entwicklung und
Anzahl der ausgekrochenen Larven beziehen, und zwar schlüpften die
ersten Larven, fünf an der Zahl, einen Tag später aus, als jene vom
Versuchsglas A, welche Individualverschiedenheiten aber nicht viel zu
bedeuten haben, da sie fast regelmäßig auch bei den sich unter nor-
malen Lebensbedingungen entwickelnden Tieren aufzutauchen pflegen.
Auf die an den Kontrollversuchs-Kokons Aj und Bj gewonnenen Re-
sultate glaube ich nicht weiter eingehen zu müssen, da das zu Vergleichs-
zwecken notwendige aus der folgenden Versuchstabelle ersichtlich ist.
Zusammenfassung.
a) Im Gegensatz zu den vielen Insekten, deren Eier in der Natur
oft die mannigfaltigsten Stellungen zur Richtung der Schwer-
kraft einnehmen können, zeigen die Eier im Kokon von Hydro-
phäus atefirirnus Eschsch. zu jener eine bestinunte und kon-
stante Lagerung, welche durch die besondere Einrichtung des
Kokons garantiert wird.
10*
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148 Franz Megular, Einfluß abnormaler Gravitationswirkung usw.
bj Wenn man nun den Eikokon von Hydrophüus afemn22i5EschBch.
umkehrt, so zieht diese Invertierung folgende Wirkungen in
bezog auf die Entwicklung der Eier nach sich:
1) eine Verzögerung in der Entwicklung der Eier,
2) eine Verkümmerung der ausschlüpfenden Larven, welche
zu deren baldigem Tode führt.
c) Die normale Wirkung der Schwerkraft bildet demnach keinen
unumgänglich notwendigen Faktor für die Entwicklung der
Eier von Hydrophüus^ wohl aber für die normale Ausbil-
dung seiner Larven.
Was den Standpunkt der hier mitgeteilten Resultate zu denen
andrer Forscher auf gleichem Gebiete (also EinfluB der Schwerkraft
auf die Entwicklung von Eiern und Embryonen] anlangt, so genügt es
wohl, wenn ich auf die zusammenfassende Darstellung von W. Roux
(»Ges. Abhdl, üb. Entw.-Mech.* IL Bd., bes. S. 256 flf.) und auf eine
neuere Arbeit desselben Autors (Arch. f. Entw.-Mech. Bd. XIV, Heft 1, 2)
hinweise.
Versuchstabelle.
Entwicklungsdauer der Eier und deren Begleiterscheinungen bei
Hydrophüus aterrimus Eschsch. in aufrechter und verkehrter
Stellung der Kokons.
Bezeieh-
niing
des Ver-
snchs-
objelcts
1^
A
Darch-
sehnitts-
temperfttvr
w&brend der
Tageszeit
Tag
Tag des
Aas-
der
Icriechens
Eiablage
der Larven
Zabl der
uQsge-
kroche-
nen
Larven
»C. ,5. VII. 05
I nachmitt.
7. VII. 06
nachmitt
22" C.
6. VII. 05
4»» 5 Min.
nachm.
6. VII. 05
4^ nachm.
11. VII 05
vormitt.
13. VII. 05
nachmitt. !
13. VII. 05'
mittags ,
28
42
I
14. VII. 05
mittags
Zahl der
im Kokon znrftck-
gebliebenen,
verkfimmerten
Larven und
Embryonen
Lebensdauer
1 Larve
0
7 Larven,
22 Embr. u.
Mittelstadien
zwischen
Embryonen
und Larven
8 Larven,
24 Mittelstad.
zwischen
Embryonen
und Larven
außer der verkümmer-
ten Larve ging vor der
eraten Häutung kein
Individ. zugrunde
die 3 ausgekrochenen
Exemplare aus d. Ver-
Buchsglas A starben
innerhalb 2 Tage nach
dem Auskriechen ab.
Für die übrigen ist die
Lebensdauer unbest.,
da sie am 15. VII. 06
konserviert wurden
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Aufzucht, Farbwechsel und Regeneration
einer ägyptischen Gottesanbeterin
(Sphodromantis bioculata Burm.).
Von
Hans Przibram,
Privatdo7.ent an der Wiener UniveriiUit
[einschließlich einiger Regenerationsversache von stnd. phil. Isaak Werber).
(Ans der Biologischen Versuchsanstalt in VTien.)
Mit Tafel VI-IX.
EiDgegangen am 24. Mai 1906.
Inhaltsübersicht:
Seite
I. Materialbeschafifung und Fragestellung 149
n. Aufzucht 152
III. Versuche über die Färbungsursachen 161
IV. Eegenerationsversuche 170
V. Morphall aktische Vorgänge und deren Histologie 177
VI. Messungen über Wachstums- und Regeuerationsgeschwindigkeit . . . 181
VII. Ein Fall von partieller Neotenie? 187
VIII. Zusammenfassung der Hauptergebnisse 190
IX. Literaturverzeichnis 191
X. Erklärung der Abbildungen 193
I. Materialbeschaffung und Fragestellung.
Im Winter 1903/4 unternahmen einige Mitglieder der Biologischen
Versuchsanstalt in Wien eine Reise nach Ägypten und dem Sudan,
deren Hauptzweck in der Gewinnung lebenden Tier- und Pflanzen-
materials gelegen war, das, sonst schwer erhältlich, zu Versuchen
sich günstig erweisen konnte*).
1) Wer sich für die Ergebnisse dieser Reise, eventuell als Vorbereitung zu
einer Exkursion in diese Gebiete, interessiert, findet dieselben zusammengestellt
in P. Kammerer, Eine Niiturforscherfahrt dnrch Ägypten und den Sudan.
Braunschweig, Zickfeldt, 1906.
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150 Hans Przibram
Dnrcli die Unterstützung des k. k. österreichisch -ungarischen
Ministeriums des Äußern, des k. k. österreichischen Unterrichtsministe-
riums, der k. u. k. österreichisch-ungarischen Konsulatsbehörden, sowie
einer Keihe andrer Korporationen und Privatpersonen, deren Auf-
zählung zu lang wäre, denen allen ich jedoch bei dieser Gelegenheit
unsem wärmsten Dank aussprechen möchte, gelang es uns, eine
Seihe interessanter Versuchsobjekte lebend in unsre Anstalt zu bringen
und daselbst weiter zu kultivieren.
Unter den Tieren (wir hatten unser Augenmerk nur auf Wirbel-
lose und die niedrigeren Wirbeltiere gerichtet) erwies sich haupt-
sächlich eine Mantide, die zweifleckige Gottesanbeterin , als ein für
biologische Versuche glücklicher Fang. Anspruchslos in der Nahrung
und an die großen Temperaturschwankungen der Wüstengegend ge-
wöhnt, legt dieselbe leicht auch in der Gefangenschaft ab und die
Eier, in ihrem dichten Kokon verwahrt, sind noch weniger empfind-
lich als jene unsrer einheimischen Ma7itis rdigiosa. Bot die Möglich-
keit, eine ausländische Mantide aufzuziehen ^j , schon an und für
sich ein erhebliches Interesse, das noch durch die Häutungszahl
betrefifende Überraschungen gesteigert wurde, so waren es doch
eigentlich zwei Fragen besonderer Art, die mir dieses Objekt wert-
voll erschienen ließen.
Erstens gehört die erwähnte Gottesanbeterin zu jenen Formen,
die bald in grünen, bald in braunen Exemplaren gefangen werden,
welche Färbungen seit langem als > Schutzfärbung« mit den vor-
wiegenden Naturfarben, der grünen der Vegetation und der braunen
der Erde und des Holzes in Beziehung gebracht werden. Schon
lange hatte ich mir vorgenommen, experimentell zu prüfen, ob die
grüne Färbung bei vielen Orthopteren dem Tierplasma durchaus
eigentümlich fixiert oder durch äußere Faktoren, wie etwa Licht,
Chlorophyllnahrung u. ä. induziert werden kann.
Sind doch bekanntlich eine große Anzahl von Hypothesen über
das Zustandekommen der nützlichen Schutzfärbung aufgestellt worden;
bald sollte ein farbenphotographischer Prozeß (Wiener, 1895), bald die
1) Auch über die vollBtändige Aufzucht der einheimiBchen Mantis rdigiosa
scheint nichts publiziert zu sein. Seit Niederschrift dieses Abschnittes habe ich
jedoch bei Herrn Dubuisson im entomologischen Laboratorium des natorhist
Museums in Paris die Aufzucht derselben gesehen und im heurigen Winter habe
ich selbst solche Versuche angestellt, über die ich in einer späteren Publikation
berichten werde. Über die Embryonalentwicklung liegt Literatur vor, die dann
zu berücksichtigen sein wird.
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Anfsacht, Farbwechsel n. Regeneration einer ägyptischen Gottesanbeterin. 151
Farbstoffe der Nahrung (Poulton, 1885, 1893, Maria Gräfin Linden,
1899), bald die »Datiirliche Auslese«, welche im Sinne Darwins zum
»Überleben des Passendsten« führt (Weismann, 1876), ja sogar eine
funktionelle Anpassung LAMARCKScher Art (Piepers, 1903) die Ursache
abgeben, indem die Gewohnheit, bestimmte Farben zu sehen, also
eine Art »Vorschauen« maßgebend wäre.
Die zweite Frage, die in allgemeiner Beziehung mein Interesse
in Anspruch nahm, war die nach der Regeneration des ersten (Vorder-)
oder »Fangbeines«. Bordage (1899) konnte nämlich bei zwei afri-
kanischen Mantis-Arten (Mantis prasina und pustulata) nur die Re-
generation des Tarsus an dieser Extremität feststellen, während
weiter proximal kein VViederersatz geleistet wurde, sondern alle
Tiere eingingen. Er glaubt, daß dies unvermeidlich sei, weil die
Tiere nichts fangen könnten. Seinen Ansichten entsprechend müßte
man dann annehmen, daß die weitergehende Regeneration überhaupt
nicht ausgebildet sei, da sie nicht aus überlebenden Verletzten hätte
herangezüchtet werden können^). Die Regenerationsversuehe hatte
ich Herrn stud. phil. Isaak Werber übertragen, der dieselben mit
dankenswerter Geduld in Angriff nahm, jedoch später durch Ab-
wesenheit von Wien gerade in der kritischen Zeit verhindert wurde,
dieselben zu beenden. So habe ich denn auch diese Versuche selbst
weitergeführt, um nicht der interessantesten Ergebnisse verlustig zu
gehen, und auch vorgezogen, die bereits von Werber erzielten
Resultate mit dessen Zustimmung in den vorliegenden Bericht ein-
zubeziehen, um den folgerichtigen Aufbau der Arbeit nicht zu stören.
Die Benennung unsrer Art ist nach Werner (S. 52) Sphodro-
inantis (Stal) bioculata Burm. Die Gattung wird auch Hierodula
genannt.
Im Dezember und Jänner trieb sich diese Mantide noch auf
Tamarisken und mit Schlingpflanzen überwachsenen Akazien herum 2).
1) Gegen die extremen Ansichten Bordaqes wendet sich selbst Weismakn,
in seinen »Tatsachen and Auslegungen der Regeneration«. Anat. Anz. XV. 1899.
Nicht in jeder Art sei Regeneration in Anlehnung an Autotomie neu entstanden,
sondern oft von Vorfahren überkommen, Autotomie die sekundäre Erscheinung.
2} Werner (190ö) schreibt S. 10: »In Ägypten scheinen nur wenige Arten
eine bestimmte Zeit im Jahre zu haben, in denen Imagines ohne Larven vor-
kommen. Von den meisten fand ich z.B. im Juli und August verschieden-
alterige Larven neben den Imagines und nur von wenigen zwar Larven, aber
keine Imagines oder umgekehrt Am auffallendsten ist die Gleichzeitigkeit bei:
Ijapidura riparia (gleichzeitig Eier, Larven verschiedener Stadien, Imagines),
Sphodroynantü (gleichzeitig frisch ausgekrochene sowie ältere Larven bis zur
letzten Häutung, Imagines].«
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152 Hans Przibram
Sowohl grüne als auch branne Exemplare wurden in beiden 6e-
schlechteiTi öfters am selben Tage erbeutet. Ein Vorwiegen der
einen Farbe auf entsprechend gefärbter Lokalität oder eine Vorliebe
der Tiere, sich auf tibereinstimmend gefärbten Gegenständen aufzu-
halten oder sich nach solchen zu flüchten, konnte nicht wahrgenommen
werden^). Das erste erbeutete Pärchen bestand aus einem grünen
Weibchen und einem braunen Männchen, das nach dem ersteren
haschte.
Wiederholt wurden Eierpakete auf Zweigen abgelegt angetroffen,
als auch solche von den gefangenen Weibchen während der Keise
an den Deckel der Zinkblechkäfige, in denen sie isoliert verwahrt
wurden, abgelegt.
II. Aufzucht,
Fünf Eipakete, deren Ablage Ende Dezember bis anfangs
Februar erfolgt war, schlüpften in Wien zwischen dem 16. April
und 11. Mai 1904 aus, durchaus nicht in der Reihenfolge der Ab-
lage (vgl. Tabelle 1).
Im Frühjahr (und im folgenden Winter) wurden die Räume, in
denen die Gottesanbeterinnen untergebracht waren, auf etwa 25^ C.
geheizt, im Sommer wurde nicht geheizt, so daß bald eine etwas
niedrigere, bald etwas höhere Temperatur herrschte.
Notwendig zum guten Fortkommen ist ein gewisses Maß von
Feuchtigkeit, das sie in ihrer Heimat durch den nächtlichen, wie wir
uns überzeugen konnten, sehr starken Tau erhalten und ihnen sowie
ihren Eikokons im Zimmer durch tägliches (einmaliges) Bespritzen
mit einem feinen Wasserzerstäuber ersetzt werden muß. Als Nahrung
waren auf der Reise für die alten Tiere Mehlwürmer (die wir von
Europa mitgeführt hatten) verwendet worden. Für die ausschlüpfen-
den Tierchen sind dieselben wegen ihrer Größe und Härte nicht
brauchbar, hingegen geben Blattläuse ein geeignetes Futter (wahr-
scheinlich das natürliche) ab 2).
ij Werner (1905) schreibt S. 63: »Die Annahme, daß die brannen Exem-
plare von Hierodtda oder irgend einer andern in grüner und branner Form auf-
tretender Mantide auf trockenen verdorrton, die grünen dagegen auf frischen,
grünen Pflanzen vorkommen soUen, habe ich nach langjähriger Beobachtung
vollständig unberechtigt gefunden. Beide Formen kommen bei allen Mantiden
der paläarktischen Region, die ich freüebend beobachten konnte, unter genau
denselben Lebensverhältnissen nebeneinander vor.c
2) Wie dies Burmeister für die argentinische Mantide verwendet hat, und
für unsre einheimische Mantü Öfters abgebildet wird.
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Anfzacht, Farbwechsel n. Regeneration einer ägyptischen Gottesanbeterin. 153
Da die Metamorphose der Sphodromantis bioculata nicht be-
schrieben sein dürfte, so wurde das erste der ausschlüpfenden Pakete
zunächst zu einer Kontrollkultur verwendet. Inwiefern dasselbe
noch später zu andern Versuchen diente, ist aus Tabelle 2 zu ersehen.
Die übrigen Pakete wurden von vornherein in den Dienst von Ver-
suchen gestellt, worüber die Tabellen 1 und 2 Aufklärung geben.
1. Stadium.
Alle Eipakete wurden in der Frühe ausgeschlüpft vorgefunden
und es scheint, daß der Lichtreiz für den Moment des Ausschlüpfens
normalerweise auslösend wirkt. In der Segel waren nämlich alle Junge
bereits zur Zeit der Kontrolle ausgekrochen, nur einmal gelang es, die
ersten Tierchen beim Auskriechen zu übei-raschen (vgl. Eierpaket III,
Tabelle 1). Es wurde nun, als erst drei Tierchen die Eier verlassen
hatten, der Käfig mit dem ganzen Paket ins Finstere gestellt. Dies
hatte zur Folge, daß erst am zweitnächsten Tage ein weiteres
Exemplar ausschlüpfte, am 4. Tage danach zwei weitere, am 6. Tage
weitere zwölf und dann noch sieben in verschiedenen Intervallen
vom 9.— 14. Tage.
Dabei dürften einige ohne auszuschlüpfen vertrocknet sein, da
die Zahl von 25 Jungen eine unverhältnismäßig geringe ist: es
wurden bis zu 160 Eier in einem Pakete gezählt (Daten vgl. Tabelle 1).
Gleich beim Auschlüpfen werfen die Larven ihre erste Haut ab, so
daß dieselbe noch, meist an einer langen Schnur, der Rachis des
Eierpaketes, am Kokon hängend angetroffen wird (Fig. 1 Taf. VI).
Das erste Larvenstadium dauert also eigentlich nur einen Moment
lang, falls die Larven nicht künstlich (durch Dunkelheit) am Ver-
lassen des Kokons gehindert werden. Die Färbung der ersten Haut
ist fast dasselbe liebte Braun wie die des Kokons. Ihre eigentliche
Länge ist an dem zusammengeschrumpften Zustande nach der Häutung
der Larven schwer anzugeben. Ein Eifach ist etwa 7 mm lang,
1—1 Va mm breit (nach dem Ausschlüpfen der Tierchen gemessen).
2. Stadium.
(Fig. 2 Taf. VI.)
Die aus ihrer ersten Larvenhaut geschlüpfte Larve, welche sich
im zweiten ortsbeweglichen ^) Stadium befindet, ist ein überaus
^1 Das erste Stadium ist freilich nur insofern ortsbeweglich, als es durch
das sich entwickelnde zweite Stadium aus dem Kokon (als Haut) mit heraus-
gebracht wird.
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154 Hans Przibram
hurtiges Geschöpf von etwa 7 mm Totallänge (von der die Augen
verbindenden Stirnlinie bis zur Hinterleibsspitze gerechnet), wovon
etwa 3 mm auf das Halsschild (Thorax) entfallen.
Sie zeigt bis auf FlUgel, Geschlechtscharaktere und Färbung
bereits annähernd die Merkmale des Imago.
Die allgemeine Farbe (welche für uns wegen der in Frage
kommenden Versuche von besonderer Wichtigkeit ist) war bei allen
ausgeschlüpften Larveii (auch der übrigen Eierpakete) ^) ein helles
Sienabraun: bloß die Augen, die Mitte der Schenkel, Schienen und
des ersten Tarsengliedes an dem mittleren und hinteren Beinpaare
sind blaß-gelbgrün.
Die Tierlein zeigen sogleich negative Geotaxis, die sie an die
Decke des Käfigs oder auf hineingestellte Blumenstöckchen oder
Zweige hinauftreibt. Sind diese mit Blattläusen behaftet, so fallen
die Larven sogleich über die Aphiden her, indem sie dieselben mit
dem Schlage eines Vorder- oder Fangbeines erhaschen und sie
zwischen den Zähnchen des Femurs und der Tibia eingeklemmt
zum Munde führen. Etwaige Flügel werden nicht mit verzehrt.
Sobald die Tiere zu fressen begonnen hatten, erfolgte eine all-
mähliche Grünfärbung, wobei zuerst Stirne und Vorderbeine daran-
kamen.
Daß nicht etwa der bloße Zeitablauf, sondern die Aufnahme
von Nahrung für diese Verfärbung maßgebend ist, zeigte ein späterer
Versuch (Eierpaket HI, Partie/ auf Tabelle 1): wurden von Larven
desselben Eierpakets die einen gefüttert, die andern unter sonst glei-
chen Bedingungen (namentlich Bespritzung!) ohne Nahrung gelassen,
so nahmen die letzteren bis zu ihrem (eventuell erst am 25. Tage nach
Eintritt in das erste Stadium erfolgten) Tode nicht die Grünfärbung
an (Fig. 29), während die ernährten an demselben Tage eine fast
vollständige Grünfärbung aufwiesen (Fig. 30 Taf. VII).
Dabei hatten diese Tiere alle ein außerordentlich verlängertes
1. Stadium, da sie zu der besprochenen Finsterkultur gehörten: um
so deutlicher ist das Zusammenfallen der Ergrünung mit der Nahrungs-
aufnahme zu ersehen. Bei der im Lichte geschlüpften Kontroll-
kultur dauerte das zweite (plus dem ersten!) Stadium bloß neun
Tage bei dem raschest sich entwickelnden Individuum; bei den
Finsterkulturen (mit Nahrung, Partie ß) hatte das erste Stadium (im
1) Der von uns gesammelten und von unsem Sphodromaniis-Weihchen ab-
gelegten. Trotzdem gibt es auch Spk. biocidaia, die grün aa&schlüpfen.
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Aa£siicht, Farbwechsel u. Kegeneratioii einer ägyptischen Gottesanbeterin. 155
Ei zorttckgehalten!) 6, das zweite 39 Tage gedauert, und erst
während des zweiten Stadiums (nachdem die Lichttiere bereits die
nächste Häutung begannen) trat die rollständige ErgrUnung ein.
Daß hingegen die Art der Nahrung gleichgültig ist, wird erst
aus den Versuchen über den Farbwechsel hervorgehen.
Unsre Larve 2. Stadiums wächst unter Dehnung ihrer Haut
und hängt sich endlich mit dem Kopfe nach abwärts an einem
wagerechten Blatte oder an der Käfigdecke (wenn dieselbe nicht aus
glattem Material besteht) mit den beiden hinteren Beinpaaren ausge-
spreizt auf und erwartet den Eintritt der 2. Häutung (Fig. 32 Taf. VII).
3. Stadium.
[Fig. 3 Taf. VI.)
Die Haut platzt endlich längs der Mittelnaht des TLoracalschildes
und das Tier zieht zunächst, mit den beiden hinteren Beinpaaren
sich anklammernd, den Kopf und die Fangbeine aus den Haut-
scheiden; dann hakt es sich mit den vorderen Beinen entweder an
der Haut (oder, namentlich bei den späteren Häutungen, an dem
Blatte oder der Käfigdecke) ein und befreit den Hinterleib, der an-
fänglich schlapp hinabhängt, und endlich die beiden hinteren Bein-
paare aus ihren Hülsen.
Die Totallänge der abgestreiften Haut beträgt etwa 8 mm, die
des ausgeschlüpften Tieres 3. Stadiums etwa IOY2 mm, wovon etwa
4V2 Auf das Halsschild entfallen.
Die Form ist nicht stark verändert, in der Färbung ist das
Grün noch stärker hervorgetreten, so daß bloß ein Streif zwischen
den Augen, die meisten Gelenke und eine Zeichnung auf dem Thorax
braun geblieben sind: dazu kommt aber nun eine Ausbreitung der
bräunlichen Farbe auf die obere Augenhälfte, die schon auf dem
vorhergehenden Stadium allmählich zum Vorscheine kommen kann
(vgl. Fig. 30 Taf VH).
Das dritte Stadium dauert wohl stets schon etwas länger als
das zweite normalerweise, etwa 14—16 Tage im Minimum.
4.-6. Stadium.
(Fig. 4—6 Taf VI.)
Über die 3.-5. Häutung, welche zum 4.-6. Stadium führen,
ist nichts Neues zu bemerken. Diese Stadien sind alle der Form
und Farbe nach sehr ähnlich, und höchstens kann das allmähliche
Schärferwerden der braunen Thoracalzeichnung, einem an den Balken-
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156 Hans Przibram
enden knopffOrmig verdickten Mnltiplikationszeichen ähnlich, Er-
wähnung fordern. Jedes dieser Stadien dauert etwa 3—4 Wochen
und bringt der Totallänge einen Zuwachs von je 2^1^ — 3, dem Thorax
von etwa 1 mm*).
7. Stadium.
(Fig. 7 a und Ä Taf. VI).
Das 7. Stadium der Kontrollzucht brachte die erste Über-
raschung: ein Exemplar, das entwischt gewesen war und in der
Größe und Form des 7. Stadiums wieder am Fenster emporstrebend
eingefangen wurde, hatte eine braune Färbung!
Die zu gleicher Zeit in der Kontrollzucht verbliebenen Larven
waren hingegen, obzwar manche ebenfalls in das 7. Stadium getreten
waren, grün geblieben. Die Gleichheit der Stadien war nicht nur
durch die Größe (etwa 25^9 mm Totallänge, 8V2 mm Thoraxlänge) und
den allgemeiDcn Habitus erkennbar, sondern namentlich auch daran,
daß in diesem Stadium zuerst die Flügelansätze der beiden Flügel-
paare hintereinander über die Seiten der betreifenden Körpersegmente
etwas vorspringend sichtbar geworden waren. Übrigens kopierte
die Färbung des braunen Individuums alle Zeichnungen, die das
grüne Rostbraun aufwies, in einem dunklen Grau: es sind dies die
seitlichen Einfassungen des Thorax, der Stirnstreif und die obere
Augenhälfte, die Schenkel, einen schmalen Ring vor dem Tibiagelenk
ausgenommen, einige Zeichnungen auf dem Fangbeine und am
Hinterleibe.
Vom 7. Stadium ab sind später in verschiedenen Kulturen braune
Exemplare aufgetreten; dieser Erscheinung kann erst nach Vor-
führung der Versuche über Licht, Nahrung usw. überhaupt näher-
getreten und eine Deutung versucht werden. Das 7. Stadium dauerte
manchmal bloß 11 Tage, und erreichte eine Totallänge von 257^ mm
(Thorax 8V2 mm).
8. Stadium.
(Fig. 8 Taf VI.)
Nach überstandener 7. Häutung zeigte das erwähnte braun ge-
wordene Exemplar wieder eine Rückverfärbung zu grünen Tönen
auf, die übrigen Exemplare (der Kontrollzucht) waren auch im
8. Stadium grün geblieben. Doch wiesen einzelne Körperregionen
eine Anzahl verschiedener Farben auf, die bei ihrer großen Varia-
1) Wie sich später zeigen wird, ist die Anzahl der Häutungen nicht kon-
stant, daher auch die Maße nicht stets übereinstimmen.
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Anfzucht, Farbwechsel u. Regeneration einer ägyptischen Gottesanbeterin. 157
bilität aufzuführen ich für müßig finde; in der Abbildung ist die
Färbung des braun gewesenen, nun wieder grün werdenden Indi-
Yiduums wiedergegeben.
Das 8. Stadium dauerte in diesem Falle etwa einen Monat, er-
reichte eine Länge von 28 Y2 mm, der Thorax eine solche von 12 Y2 mm;
die Flügelanlagen bedeckten die betreffenden KOrpersegmente, ein-
ander jedoch noch nicht überragend; die Cerci traten als zangen-
förmig gekrümmte Stiftchen deutlich hervor (diese können auch
schon im 7. Stadium sichtbar sein).
9. Stadium.
(Fig. 9 Taf. VI.)
Das 9. Stadium jener Kontrollzuchttiere, die zuerst ihre Meta-
morphose vollendeten, muß als Nymphe oder bewegliche Puppe
derselben angesprochen werden. Die FlUgelanlagen liegen nicht
mehr bloß hintereinander, sondern das erste Paar ragt über das
zweite nach hinten, an den Seiten in einen langen Zipfel ausgezogen.
Die Farbe der Flügeldecken ist im Gegensatz zu den durchscheinend
hellgrünen Flügeln dunkelgrün und es tritt der für die Artbezeich-
nung verantwortliche Augenfleck in weißer Farbe, nach vorn zu
dunkel gesäumt, auf.
Im übrigen verhält sich die Färbung gegenüber den vorher-
gehenden und dem folgenden Imago-Stadium nicht stark abweichend.
Die Totallänge des 9. Stadiums betrug etwa 42 mm, die Länge
des Thorax 13 V2 mm. Das Tier verharrte in demselben etwa 17 Tage;
in der letzten Zeit hörte es mit dem Fressen auf — als Futter
wurden für die späteren Stadien vorwiegend Fliegen verwendet, die
die Gottesanbeterinnen ebenso wie die Blattläuse durch einen Schlag
des Fangbeines zu erhaschen wissen.
10. Stadium.
(Fig. 10 Taf VI.)
Am 11. September 1904 erschien die erste Image, ein Männchen.
Während der Hinterleib auf den früheren Stadien eine breit rauten-
förmige Gestalt aufwies, hatte er nunmehr die langcylindrische, für
das Männchen der Mantiden charakteristische Form angenommen.
Der männliche Begattungsapparat mit dem von rechts nach links
gekrümmten Begattungsstachel ^) war gut ausgebildet. Der Versuch
1) Die Copnlation, Eiablage und andre biologiBche Beobachtungen an Spho-
dromanits und unsrer einheimischen Manfis religiosa werden in einer späteren
Arbeit beschrieben werden.
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158 Hans Przibram
das Männohen znr Belegung eines Weibchens nnsrer Mantis rdir-
giosa zu verwenden, scheiterte leider an der Wildheit des letzteren.
Ein sekundäres Geschlechtsmerkmal gibt auch die größere Länge
der männlichen Fühler und der allgemein schlankere Habitus ab.
Die Flügel sind kurz nach dem Ausschlüpfen gerollt und werden
erst (ähnlich wie bei den Schmetterlingen) allmählich unter wippen-
den Bewegungen gestreckt, endlich über dem Hinterleibe gekreuzt
und zusammengeschlagen. Sie überragten dann (in dem geschilderten
Beispiele) um 16 mm den Hinterleib; die Totallänge des Tieres be-
trug (diesen Überhang abgerechnet) 52 mm, die Länge des Hals-
schildes 15 V2 mm. Die Farben bieten durch die opaleszierenden
Töne der Flügel und die vielfarbige und schöngezeichnete Aus-
schmückung der Fangbeine einen herrlichen Eindruck. Die Färbung
war im allgemeinen ein bläuliches Grün, Augen, Coxae und Tibiae
der Fangbeine gelblichgrün, die andern Extremitäten ebenso, aber
die Tarsen von dem Endteile des Grundgliedes angefangen braun,
das Tibia-Femurgelenk mit braunen Ringen, der Femur braun ge-
sprenkelt ; rötlichbraun außerdem die Einfassung und Mittellinie des
Halsschildos, blässer die Fühler mit Ausnahme des Grundes, die
Stirne zwischen den Augen, die Einsäumung des äußeren Flügel-
deckenrandes; fast weiß sind die Tarsen der Fangbeine (an ihren
Enden jedoch mit je einem dunklen Fleck), drei erhabene Pusteln
auf dem Vorderrande der Goxa, und der dunkel eingesäumte Augen-
fleck, seitwärts am Ende des ersten Drittels der Flügeldecken ge-
legen; der Innensaum des Fangbeinfemurs ist orangefarbig, durch
einen blauen Bindenfleck in der Richtung der längsten Fangzähne
unterbrochen.
Während das geschilderte Exemplar bereits 4 Tage nach dem
Ausschlüpfen aus der Nymphe den von der weiblichen Mantis reli-
giosa zugefügten Verletzungen erlag, lebten andre Tiere desselben
Eierpaketes als Imago bis zu 80 Tagen (cf, vgl. Tabelle 2, Ver-
suchstiere Nr. 23, 25, 26). Trotz der großen Lebensdauer gelang
es jedoch nicht, eine Copulation der Hierodulen zu erzielen, und es
scheint bei den Männchen eine Degeneration der Geschlechtsdrüsen
vorhanden gewesen zu sein. Sie zeigten überhaupt keinen Begattungs-
trieb. Die Weibchen verhielten sich hierin anders, da jedoch zur
Zeit ihres Ausschlüpfens keine Männchen unsrer Mantis rdigiosa
mehr am Leben waren, so konnte auch keine Bastardierung versucht
werden. Somit schwand für dieses Mal die Hoffnung, eine zweite
Generation in der Gefangenschaft aufzuziehen.
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Aafzacht, Farbwechsel a. Regeneration einer ägyptischen Gottesanbeterin. 159
Mehr Stadien.
Man hätte glauben können , daß mit der gelungenen Aufzucht
der ägyptischen Gottesanbeterin bis zu den ersten ausschlüpfenden
Imagostadien die Häutungszahl festgestellt worden wäre und die
weiteren Tiere die gleiche Anzahl von Stadien aufweisen würden.
Hier kam jedoch die zweite Überraschung*): jene Tiere, welche
nicht vor dem Winter 1904/5 ihre Metamorphose vollendet hatten, —
mochten auch die Gründe hierfür verschiedener Natur sein — schlugen
über den Winter ein außerordentlich verlangsamtes Wachstumstempo
ein, häuteten in viel längeren, manchesmal 2 Monate dauernden
Intervallen und schlüpften erst in den Frühjahrs- oder Sommer-
monaten des Jahres 1905 aus, indem sie hierbei neue (1 — 2) Häutungen
vor Erreichung des Imagozustandes einschoben! (vgl. die Tabellen).
Es mag noch erwähnt werden, daß die Größe der spätgeschlttpften
Images nicht über jene der frühgeschlüpften hinausging.
Was zunächst die Verzögerung des Wachsturas in den Winter-
monaten anbelangt, so ist dies zwar eine für unsre Breiten sehr
bekannte Erscheinung, die mit der Kälte im Zusammenhang zu stehen
scheint. Bei den Hiferodalen war jedoch die Temperatur eher höher
als im Sommer (der Heizung wegen). Man könnte an eine >mnemische«
Erscheinung im Sinne Semons denken, allein für die Heimat der
HiSroduIen trifft diese »Erinnerung« nicht zu, da ja gerade in den
Wintermonaten sich dort die geschlechtsreifen Images herumtreiben.
Dem direkten Einflüsse des schwächeren Winterlichtes ist nach den
später zu besprechenden Versuchen mit Finsterkulturen und Kulturen
in verschiedenfarbigem Lichte auch kaum eine Verzögerung zuzu-
schreiben 2).
Wahrscheinlich hängt die starke Verzögerung des Wachstums,
sowie die Steigerung der Häutungszahl mit den Operationen zusammen,
^} Seit Niederschrift dieses Abschnittes sind mir Angaben Über Variabilität
der Häutangsanzahl bei Raupen bekannt geworden, vgl. Pictet, 1905, p. 103,
nnd Kbllogo, 1903, p. 747. Bei andern Insektengrappen mit langer Larven-
zeit sind nicht sehr starke Schwankungen nach F. Henneguy (1904, p. 497)
konstatiert.
^j Hier könnte auch erwähnt werden, daß Raupen aus Eiern derselben
Arciia eaja (Bärenspinner) gezogen, im Finstern bedeutend rascher wuchsen nnd
sich entwickelten als im Lichte. Bei demselben Schmetterling kommen in einem
Gelege Eier vor, die im warmen Zimmer kultiviert sich noch vor dem Winter
zu Imagos entwickeln, während die andern als Ranpen überwintern: leider habe
ich die Häutungszahl bei beiden zu kontrollieren verabsäumt, so daß neue Ver-
suche notwendig sind.
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160 Hans Przibram
die behufs Regenerationsversuchen vorgenommen wurden und wozu
im September alle noch nicht verwandelten Exemplare herangezogen
werden mußten, da nur mehr eine geringe Anzahl am Leben ge-
blieben war: Bestätigt sich diese Deutung, so würde sie die an-
scheinend sich widersprechenden Angaben von Newport, daß Kaupen
nach starken operativen Eingriffen die gewöhnlichen Umwandlungen
langsamer vornehmen, und von Dewitz und Godelmann, daß Ope-
rationen eine Beschleunigung der Häutungen (bei Ephemera- bzw.
BacäluS'Laxven) herbeizuführen, zu versöhnen imstande sein: indem
zwar eine Häutung rascher als normal eintreten, die Verwandlung
aber durch Einschieben weiterer Häutungen oder größerer Pausen
doch verzögert werden könnte.
Bei den Crustaceen (Decapoden) hat Zeleny unzweideutig nach-
gewiesen, daß operierte Krebse rascher häuten als nichtoperierte,
und die Häutungsgeschwindigkeit mit dem Grade der Amputation
von Gliedmaßen weiter zunimmt, womit eine entsprechend raschere
Regeneration Hand in Hand geht^). Da jedoch bei den Crustaceen
kein dermaßen scharf bestimmtes Endstadium wie die Image der
Insekten auftritt, dieselben vielmehr lange über die Geschlechtsreife
hinaus sich weiterhäuten, so ließ sich bisher nicht bestimmen, ob
es in die Normalzahl eingeschobene, oder bloß rascher erfolgte
Häutungen sind, die den Operationen folgen. Bei den Insekten sind
uns die Mittel gegeben, dies zu entscheiden, und es wäre gewiß
eine lohnende Aufgabe, an geeigneten Objekten die an der Iliero-
dida nur beiläufig und daher ohne die notwendigen Kontrollen ge-
machten Befunde einer Überprüfung zu unterziehen. Bis dahin
möchte ich die gegebenen Deutungen nur mit Vorsicht aufgefaßt
wissen.
Von den mehr gelegentlichen Befunden der Aufzucht können
wir uns nun zu den absichtlich angestellten Versuchen wenden, welche
die Ursachen der grünen bzw. braunen Färbung der Gottesanbeterin
ermitteln sollten.
*) Kntgegen meinen früheren, negativen Befunden an Mysis ;Erg. der Physiol.
S. 111) kann ich nach neuen, gelegentlich von noch unpublizierten Regenerations-
versuchen an Cg,Uan<tiisa und Alphcua geraachten Aufzeichnungen die Befunde
Zelenys bestätigen! Damit ist aber noch keineswegs gesagt, daß dies bei allen
Tieren und unter allen Bedingungen sich so verhalten müsse.
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Andacht, Farbwechsel n. Regeneration einer ägyptischen Gottesanbeterin. 161
III. Versuche Ober die Färbungsursachen.
Die Aufstellung der Versuchsreihen zur Entscheidung der Frage,
ob die grüne Färbung durch äußere Faktoren induzierbar ist, kann
aus der Tabelle 1 ersehen werden. Es wurden ausdrücklich ge-
prüft die Faktoren: Licht und Finsternis, Farbe des einfallenden
Lichtes (Eierpaket II), chlorophyllfreie (Eierpaket III) und etiolin-
haltige Nahrung (Eierpaket IV), Farbe des reflektierten Lichtes (»Um-
gebung€, Eierpaket V). Die Auswahl dieser Faktoren war nach be-
stimmten Fragestellungen erfolgt, während mit sonstigen Faktoren
(Temperatur, Feuchtigkeit, mechanische Agentien) keine besonders
darauf hinzielenden Versuchsreihen aufgestellt wurden; einige Ver-
suche über elektrische Reizung wurden an Tieren der Kontrollzucht
angestellt. Die Ergebnisse der Versuche werden uns trotzdem ge-
statten, über alle diese Faktoren Rechenschaft zu geben.
Die erste Frage lautete: »Ist das Auftreten der Grünfärbung
bei den Gottesanbeterinnen an die Anwesenheit von Licht gebun-
den, wie dies beim Pflanzenchlorophyll meist der Fall ist?«
Zur Prüfung dieser Frage wurden die Larven des II. Eierpaketes
kurz nach dem Ausschlüpfen in acht gleichen Partien auf je einen
kleinen Blechkäfig verteilt, und mit Blattläusen gefdttert. Diese wur-
den der einen Partie (ß) ohne Pflanzenteile gereicht, allen andern (a)
auf den befallenen grünen Pflanzen. Partie a und Partie ß wurden
dem normalen Tageslichte ausgesetzt, während die übrigen Partien
mit Kartonstürzen bedeckt wurden. In die obere und vordere (licht-
zugewandte) Seite war bei den folgenden Partien eine rote, bzw. gelbe,
grüne, blaue oder violette Glasscheibe eingesetzt, während die letzte
Partie völlig verfinstert gehalten wurde.
Der Vergleich der Partien a und ß sollte das freilich von vorn-
herein infolge des Körperbaues der ausschlüpfenden Larven unwahr-
scheinliche Bedenken zerstreuen, daß diese sich etwa anfänglich auch
von Pflanzennahrung ernähren und Chlorophyllkörner direkt ihre
Verfärbung bedingen möchten. Ich hielt es jedoch darum nicht fbr
unnötig, diesen Versuch mit anzustellen, weil Angaben anfänglicher
Pflanzennahrung bei Mantis mir zu Ohren gekommen sind. Die Auf-
zucht in den kleinen Metallkäfigen gestaltete sich ungünstig. Die
unter gelbem und grünem Lichte gehaltenen, sowie die ohne Pflanzen-
teile dem Tageslichte ausgesetzten Individuen (Partie ß) kamen nicht
bis zur 1. Häutung, von den mit Pflanzenteilen dem Tageslichte aus-
gesetzten Tieren und denen im roten Lichte kamen etliche über die
ArelÜT f. Entiricklangsmechanik. HXW. H
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162 Hans Przibram
1. Häutung, die jedoch stark verzögert war, von den im Finstem
gehaltenen über die 2. Häutung, den im violetten Lichte gehaltenen
über die 3., endlich das letzte Exemplar der blauen auch über die
4. Häutung (und entwickelte sich bis zum Imago). Alle Individuen
hatten, sobald sie überhaupt das betreffende, normalerweise grün
werdende Stadium erreicht hatten, die grüne Färbung angenommen,
80 namentlich auch jene im Finstem. Die direkte Aufnahme von
Chlorophyllkörnern konnte noch nicht durch diese Versuchsreihe
widerlegt werden, weil alle Tiere der dem Tageslichte ohne Pflanzen-
schutz ausgesetzten Partie vor der Erreichung des betreffenden
Stadiums zugrunde gegangen waren.
Die späteren Versuche, in welchen alle Eautelen gegen die
Aufnahme von Chlorophyll getroffen wurden, sind gelegentlich des
Einflusses der Nahrung zu besprechen, lassen jedoch die Annahme
anfänglicher Pflanzennahrung und deren Einfluß auf die Grünfärbung
als gänzlich haltlos erscheinen. Das Zugrundegehen der verschie-
denen Partien in den Blechkäfigen führe ich auf die Wirkung der
zu großen Erhitzung zurück: dies erklärt das vorzeitige Absterben^
wo Pflanzen fehlten, hinter denen sich die Larven vor den direkten
Wärmestrahlen schützen konnten, im gelben und grünen Licht, sowie
im roten (das hier etwas günstigere Resultat trotz Vorwiegens der
Wärmestrahlen dürfte auf die geringere Durchlässigkeit der ver-
wendeten roten Scheiben für Lichtintensität beruht haben), dagegen
die günstigere Wirkung im Wärmestrahlen abhaltenden violetten und
blauen Lichte, sowie im Dunkeln, wo aber die stärkere Gesamt-
erhitzung des Innenraumes ungünstig mitgewirkt haben mag. Daß
Finsternis an und für sich (die bereits besprochene Verzögerung des
Ausschlüpfens abgerechnet) bei der Aufzucht keinen vernichtenden
Einfluß ausübt, werden die später zu besprechenden Versuche ge-
lungener Dunkelkulturen (aus Eierpaket IH und V) erweisen.
Die Beantwortung, der ersten Frage kann daher formuliert wer-
den: >Das Auftreten der Grünfärbung bei den Gottesanbete-
rinnen ist an die Anwesenheit von Licht nicht gebunden.c
Zweite Frage: »Ist das Auftreten der Grünfärbung bei den
Gottesanbeterinnen an die Aufnahme chlorophyllhaltiger Nah-
rung gebunden?«
Die von Poültok für gewisse Baupen bereits in Erwägung ge-
zogene Verantwortlichkeit des Chlorophylls für die Grünfärbung ist
in neuerer Zeit von Maria Gräfin Linden infolge chemischer Unter-
suchungen nicht nur auf die grünen Farben der Orthopteren, sondern
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Aufzucht, Farbwechsel u. Begeneration einer ägyptischen Gottesanbeterin. 163
sogar aneh auf die andersfarbigen Flügeltöne des aus chlorophyll-
fressenden Raupen entstehenden Schmetterlings [Va^iessa urticae)
ausgedehnt worden. Es mußte sich daher lohnen, experimentell zu
prüfen, inwiefern die Nahrung auf die Grünf&rbung der braun ge-
borenen Gottesanbeterinnen von Einfluß sei.
Scheinbar wird die Versuchsanstellung bei unserm Objekte da-
durch erleichtert, daß es nicht Pflanzen-, sondern Tierkost zu sich
nimmt. Damit ist nun freilich sicher, daß nicht direkt frische, un-
veränderte Chlorophyllkörner aufgenommen werden. Da jedoch nicht
allein an die unveränderte Verwendung, sondern namentlich an den
von Gräfin Linden angenommenen Wiederaufbau des Chlorophylls
aus dessen bei der Verdauung und Resorption gebildeten Abbau-
stufen gedacht werden konnte, so war die gewöhnliche Fleischkost,
nämlich Blattläuse, verdächtig, da diese Tiere zu eben jenen ge-
hören, die das Chlorophyll der Pflanzen zu ihrer Färbung verwenden
sollen [vgl. Macchiati*) über Siphonophora malvae Morley und S, rosae
Koch], und ein Wiederaufbau nach Passierung des Darmtraotes der
Aphiden, als auch der Mantide behauptet werden könnte.
Ich richtete daher mein Augenmerk auf die Ausfindigmachung
einer unverdächtigen Kost und probierte eine Reihe von Nahrungs-
mitteln, die, ohne chlorophyllhaltig zu sein, von den Larven ge-
nommen werden konnten. Zunächst versuchte ich flüssige Nahrung,
die auf Schwammstückchen gereicht wurde, da ich beobachtet hatte,
daß die jungen Larven Wasser begierig von solchen absogen. Fleisch-
extrakt wurde jedoch, in dieser Form gegeben, trotzdem verschmäht
und die verwendeten Larven starben alle lieber, als daß sie die
Schwämme angerührt hätten. Hingegen hatte Rohrzuckerlösung in-
sofern Erfolg, als sie von den Larven gern aufgesogen wurde und,
wie sich durch den an Larven desselben Eierpaketes (lü) durch-
geführten Hungerversuch erwies, jene dadurch vor dem Hungertode
errettete. Doch wurden die Tierchen matt, so daß weitere schleunige
Abhilfe gesucht werden mußte. Fliegenmaden aus Aas gezüchtet,
wurden, wahrscheinlich wegen ihres penetranten Geruchs (oder
Geschmacks?], verschmäht, denn die Larven wandten sich direkt
von denselben ab; nach kleinen Entomostraken (Muschelkrebschen
u. dgl.), die auf nassem Fließpapiere noch weiterzappelten, schlugen
^) Macchiati Bucht dem Einwände, daß es Bich nicht am tierischeB Chlo-
rophyll, sondern um das aufgenommene Pflanzenchlorophyll handelt, durch den
Hinweis auf das VorhandeuBein desselben auch in jenen Blattläusen, die auf
den farbigen Blumenblättern leben, zu begegnen.
11*
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164 Hans Przibram
die Laryen, konnten sie jedoch nicht fassen. £ndlich fand sich in
der höchsten Not ein geeignetes Futter in der Schmetterlingsmttcke
{Psychoda), deren Laryen im Schlamme nnd Aase leben und die,
selbst in einem Keller gefangen, auch keine grüne Pflanzenkost zn
sich nehmen dürften; auch besitzen sie keine grüngefärbten Teile.
Gleich den Blattläusen wurden diese Mücken von den Gottes-
anbeterinnen selbst im Finstern gehascht und mit Ausnahme der
Flügel verzehrt.
Die Larven des verwendeten IIL Eierpaketes wurden für die
Versuche in drei Partien geteilt; die erste (a) wurde im Lichte, die
beiden andern im Finstern belassen. Die Partie ß wurde sonst analog
der Lichtkultur gezogen, während / zu dem bereits besprochenen
Hungerversuche herangezogen wurde. Der nochmalige Parallelver-
such mit der Finsterkultur war bestimmt dazu zu dienen, falls trotz
aller Vorsicht Chlorophyll im Lichte zum Vorschein kommen sollte,
dies durch das Fehlen in der Dunkelkultur als einen dem Chloro-
phyll analog sich verhaltenden Körper nachweisen zu können. Diese
Vorsicht erwies sich insofern als gerechtfertigt, als noch während
der reinen Bohrzuckerernähmng die Tiere der Lichtkultur a zuerst
an der Stirne grünlich zu werden anfingen und die Ergrttnung nach
Erhalt der Mückenkost stetig zunahm, und zwar vorerst an den
Vorderbeinen; noch vor der 2. Häutung war auch der Hinterleib
grün geworden, nach der 2. Häutung waren die Tiere schön blau-
grün und behielten diese Farbe bei vier weiteren Häutungen (die
6. Häutung überlebte bloß ein Exemplar). Ganz ebenso verhielt sich
nun aber auch die Finster kultur /?: auch hier trat eine, schließlich
ebenso vollkommene Ergrünung wie bei den im Licht oder bei nor-
maler Kost gehaltenen Individuen auf.
Wir kommen daher zu der zweiten Fragebeautwortung: »Das Auf-
treten der Grünfärbung bei den Gottesanbeterinnen ist an die
Aufnahme chlorophyllhaltiger Nahrung nicht gebnnden.c
Dritte Frage: »Vermag die Verwendung von Etiolin an Stelle
von Chlorophyll die Grünfärbung der Gottesanbeterinnen zu modi-
fizieren?
PouLTON (1893) erzielte an Raupen der Tryphaena pranubaj
welche er (im Finstern) an Stelle von Kohlblättem mit den chlorophyll-
und etiolinfreien Mittelrippen dieses Blattes aufzog, einen Ausfall
der Grundfarbung, die bei Fütterung mit grünen oder etiolierten
Kohlblättern braun oder grün sein kann. Obzwar bei der Ent-
behrlichkeit aller Pflanzenuahrung .fllr die Gottesanbeterinnen die
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Aufzucht, Farbwechsel u. Regeneration einer ägyptischen Gottesanbeterin. 165
Entbehrlichkeit des Etiolins mitgegeben war, so wurde doch auch
die Substitnierung des Chlorophylls durch Etiolin geprüft, damit voll-
ständige Parallelen zu den Versuchen von Poülton erhalten würden.
Ist es schon schwer, aus Pflanzen wirklich chlorophyllfreies Futter
zu erhalten, so steigerte sich noch diese Schwierigkeit, da die Gottes-
anbeterinnen bloß Tierkost zu sich nahmen (abgesehen von der nicht
ausreichenden und etiolinfreien Rohrzuckerlösung). Die Substituierung
des Chlorophylls durch Etiolin konnte daher nur in der Art vor-
genommen werden, daß Blattläuse auf etiolierten Pflanzen aufgezogen
wurden; solche fanden sich auf Pflanzen, die aus Zwiebeln in einer
dunklen Cisterne der Biologischen Versuchsanstalt zu botanischen
Zwecken gezogen wurden. Ihre Färbung war im Gegensatze zu der
grünen der am Lichte gehaltenen Blattläuse eine blaßgclbe, an-
scheinend dem Etiolin entsprechende. Da diese »etiolierten« Blatt-
läuse jedoch nur in verhältnismäßig geringer Menge erhalten werden
konnten, so fristeten die von ihnen ernährten und natürlich behufs
.Verhinderung von späterer Chlorophyllentstehung im Finstem kulti-
vierten Gottesanbeterinnen (Eipaket IV) ein kümmerliches Dasein.
Keine vermochte die 2. Häutung zu überstehen; immerhin begann
jedoch die Ergrünung an der Stime bei den am längsten überleben-
den Individuen (Fig. 31 Taf. VII).
Nun kann aber nicht verschwiegen werden, daß sich später auf
etiolierten Pflanzen auch vollständig grüne Blattläuse gefunden haben,
es mithin recht zweifelhaft ist, ob die blasse Farbe von Etiolin oder
selbst ob die grüne Farbe etwas mit Chlorophyll zu tun hat. Die
Entscheidung muß erst der chemischen Untersuchung vorbehalten
werden.
Da jedoch eben nur das, was Chlorophyll oder Etiolin war,
in unsern Versuchsbedingungen verändert werden konnte, so ergibt
sich als vorsichtige Antwort auf unsre dritte Frage; »Die Ver-
wendung von Etiolin an Stelle von Chlorophyll vermag nicht
die Grünfärbung der Gottesanbeterinnen zu verhindern.«
Vierte Frage: »Vermag die Farbe der Umgebung (die von der
Umgebung reflektierte Lichtart) auf die normale Färbung der Gottes-
anbeterinnen einen veräadernden Einfluß auszuüben?«
Die Insassen des letzten Eierpaketes (V) wurden zur Beant-
wortung dieser Frage gleich nach dem Ausschlüpfen ins Finstere
gebracht, um eine etwaige Empfindlichkeit fUr reflektiertes Licht
möglichst zu erhöhen. Nachdem bei allen die 2. Häutung mit der
Annahme der durchaus grünen Färbung erfolgt war, wurde die
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166 Hans Przittram
Hälfte der Exemplare (20) zur Kontrolle im Finstern weiter auf-
gezogen, während die andern zu je zweien in farbige Käfige ge-
bracht wurden. Diese bestanden aus hölzernen Kästchen, welche
innen mit Ausnahme von zwei Seiten und der oberen Fläche von
farbigem Papier ausgekleidet waren. Die eine Seite war mit farb-
losem Organtin überspannt, das die Ventilation besorgte; die dem
Licht zugekehrte Seite und die obere Fläche waren mit farblosen
Glasscheiben versehen. Auf die obere Fläche wurde noch ein unter
45^ geneigtes Brett aufgestellt, das mit derselben Farbe wie das
betreffende Kästchen von unten ausgekleidet, auch das durch die
obere Fläche einfallende Licht farbig in das Kästchen reflektieren
konnte. Um die einheitliche Umgebungsfarbe nicht zu stören, wurden
von den mit den Blattläusen gereichten Pflanzen die grünen Blätter
größtenteils entfernt und als Kletterbehelfe für die jungen Larven
mit der Kästchenfarbe gleichgefärbte Holzstäbchen verwendet, welch
letztere freilich kaum notwendig waren, da die Tiere bald am
Organtin und selbst am glatten Papier aufwärts zu klettern lernten.
Zehn verschiedene Farben des Papiers wurden verwendet:
rot, braun, orange, gelb, grOn, blau, violett, weiß, grau und schwarz.
Obzwar in vielen Kästchen noch zwei weitere Häutungen beobachtet
wurden (dann wurden die Tiere zu andern Zwecken konserviert),
konnte nirgends eine Abweichung von der grünen Färbung bemerkt
werden, die bei allen Insassen des betreffenden Eierpakets einen
etv^as gelblichen Stich besaß.
Die Annahme der Farben ihrer natürlichen Umgebung ist, außer
bei einigen Baupen selbst, namentlich bei der Verpuppung derselben
beobachtet worden (Lit.: Poülton). Man könnte daher geneigt
sein zu glauben, daß trotz der mangelnden Beeinflussung durch die
Umgebungsfarben während des Larvenstadiums, doch vielleicht das
Nymphenstadium oder die ausschlüpfende Imago der Hiörodulen je
nach der Umgebung seine Gewandung richtet.
Aber auch dies kann infolge der gelungenen Aufzuchten bis
zum Imago im Dunkeln, im blauen durchfallenden Lichte und im
Lichte in verschiedener Umgebung (bald mit, bald ohne Pflanzen]
als höchst unwahrscheinlich, gelten, da keine entsprechende Regel-
mäßigkeit in der Farbe sich erkennen ließ.
>Die Farbe der Umgebung vermag somit auf die nor-
male Färbung der Gottesanbeterinnen einen verändernden
Einfluß nicht auszuüben.«
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Aufzucht, Farbwechsel a. Regeneration einer ägyptischen Gottesanbeterin. 167
Fünfte Frage: »Vermögen elektrische oder taktile Reize bei
den (xottesanbeterinnen einen rasch verlaufenden Farbwechsel her-
Torznrufen?«
Das Scheitern aller Versuche, künstlich eine Färbung den Gottes-
anbeterinnen zu induzieren, einerseits, und das spontane Auftreten
eines Farbwechsels anderseits, veranlaßte mich, in Erwägung zu
ziehen, ob nicht etwa, wie dies ftlr Reptilien, Amphibien, Fische
und Gepfaalopoden bekannt ist, die Farbveränderung eine physio-
logische Funktion und nicht eine morphologische Veränderung sei.
Um dies zu prüfen, wurden mittels des STEiNACHSchen Induktoriums
grüne und braune Exemplare der Larven gereizt. Die Elektroden
waren dabei an verschiedene Stellen angelegt und mit der Stärke
der Reizung war bis zur Bewegungslosigkeit oder selbst dem Tode
der Tiere fortgefahren worden, aber ohne daß die geringste Ver-
änderung in der Färbung bemerkt werden konnte.
Da für Laubfrösche nach Steinach taktile Reize der Umgebung
für die braune oder grüne I^rbung maßgebend sein sollen, indem
sie die erstere Farbe auf rauhen Flächen (daher auch Erde, Rinde usw.)
annehmeo, während sie an glatten Flächen grün seien (daher auch
auf grünen Blättern, am Glase klebend usw.), so mag hier darauf
hingevnesen werden, daß eine derartige Übereinstimmung bei den
HiSrodulen nicht beobachtet werden konnte, obzwar die Unter-
bringung der verschiedenen Partien im Käfige verschiedenartigsten
Materials usw. (vgl. Tabelle 1) dies zu konstatieren gestattet hätte
(übrigens tritt die Erscheinung beim Laubfrosche keineswegs regel-
mäßig ein).
»Elektrische oder taktile Reize vermögen bei den Gottes-
anbeterinnen einen rasch verlaufenden Farbwechsel nicht
hervorzurufen.«
Sechste Frage: »Lassen sich die verschiedenen Färbungen der
Gottesanbeterinnen aus einer der bisher bekannten Vererbungsregeln
ableiten ?€
Wenn wir es bei den verschiedenen Farben der Gottesanbete-
rinnen weder mit einer durch äußere Faktoren induzierbaren morpho-
logischen Veränderung, noch auch mit einem auf Reizung hin rasch
eintretenden physiologischen Refiexakte zu tun haben, so bleibt die
Alternative offen, daß es sich um eine von vornherein für jedes
Lidividuum festgesetzte Reihe von Färbungsstadien handelt, die
durch »Vererbung« überkommen ist.
Namentlich die Anhänger der neo-darwinistischen Schule werden
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168 Hans Przibram
dies Yon Yornherein fUr das Wahrscheinlichste gehalten haben.
Allein, wenn wir den Verlauf der Farbwandlnngen bei einzelnen
Individuen verfolgen, so entstehen recht erhebliche Schwierigkeiten
in der Anwendung der uns bekannten Vererbungsregeln.
Zunächst handelt es sich nicht um einen Fall, wie etwa bei
den von Weismann untersuchten Schwärmerraupen, wo von einem be-
stimmten Stadium an entweder eine Braunfärbung eintritt oder die
Grttnfärbung erhalten bleibt, sondern es kann auch wieder zu einer
zweiten Rttckverwandlung der Farbe kommen; sodann hat die spätere
vollkommene Aufzucht von Gottesanbeterinnen (gelegentlich der Re-
generationsversuche weitergeführt, vgl. Tabelle 2) die merkwürdige
Tatsache ergeben, daß eine solche Veränderung der Farbe auch noch
im Imago stattfinden kann (Versuche Nr. 23, 26). Hier haben wir
es also nicht nur mit verschiedenfarbigen Stadien, sondern auch mit
Veränderungen nach Erreichung der definitiven Form zu tun.
Können wir diese Modi des Farbwechsels nach den bisher be-
kannten Vererbungsregeln ableiten? Nehmen wir an, es seien ursprüng-
lich grüne und braune Gottesanbeterinnen vorhanden und dieselben
kreuzen miteinander. Wenden wir die GALTONSche Vererbungsregel
an, so wird sich in der Nachkommenschaft entweder eine gleich-
mäßige Mischung (als etwa olivbraune Exemplare) herstellen (»Re-
gression«, Peakson) 1), oder jeder Descendent erhält in einigen Teilen
des Körpers Charaktere des einen, in andern des andern Vorfahren
(also etwa grüne und braune »Schecken«), oder endlich jeder De-
scendent sieht bloß einem Vorfahr »ausschließlich ähnlich« (»exklu-
sive oder alternative Vererbung«). Im letzteren Falle würden immer
wieder grüne und braune Individuen entstehen, wie sie vorwiegend
in der Natur angetroffen werden. In keinen dieser Fälle kann
jedoch unser Farbwechsel eingereiht werden! Betrachten wir noch
die besonderen MENDELSchen Vererbungsregeln, die ja freilich für
Individuen derselben Rasse überhaupt nicht anwendbar sein dürften,
so ergäben dieselben erst recht ein Auseinanderfallen in rein braune
und rein grüne Exemplare (eventuell nach Vorherrschen einer Blend-
Ungsgeneration).
Der Annahme einer »Mutation« vollends widerspricht die ganze
Natur des Farbwechsels, der, wie hier noch ausdrücklich hervor-
gehoben werden mag, meist recht allmählich vor sich geht: ist ja
1} Eine kurze ZasammeiiBtelluiig der bisher bekamiten Vererbungsregeln
habe ich in meiner >Einleitnng in die Experimentelle Morphologie«. Wien, Deu-
ticke, 1904, versucht (12. Kapitel).
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Aafzacht, Farbwechsel a. Begeneration einer ägyptischen Gottesanbeterin. 169
weder an den ausschlüpfenden Larven noch in keiner Weise zu er-
kennen, wie oft sie später Farbe wechseln werden, noch scheint ein
andres Merkmal zugleich mitverändert zu sein.
Wollen wir an der Erblichkeit der Erscheinung festhalten, so
müssen wir entweder die Supposition machen, daß es stets außer
grünen und braunen auch solche Individuen gab, die nacheinander
in verschiedenem Wechsel grün und braun sind, oder aber, daß es
einen Vererbungsmodus gibt, wo die Jungen zu verschiedenen Zeiten
(and zwar nicht etwa an bestimmte Stadien gebunden) bald einem
Vorfahr, bald dem andern >ähnlich sehen«.
Während ein Ausschluß der ersten Alternative ohne ausgedehnte,
fast unmögliche Vererbuugsversuche strikt nicht gegeben werden kann,
deren Annahme jedoch einen vollkommenen Verzicht auf jede Auf-
klärung gleichkommt, bin ich in der Lage, für die zweite Alternative
einen analogen Fall heranzuziehen, wo ebenfalls eine >successive<
Vererbung von Merkmalen der Eltern stattfand, nämlich bei der
Augenfarbe junger Katzen^). Bisher ist jedoch meines Wissens ein
solcher >Wechsel der Vererbungscharaktere« noch nicht als Modalität
der Vererbung in Betracht gezogen worden, weshalb ich als Beant-
wortung unsrer sechsten Frage die Antwort geben muß: >Die ver-
schiedenen Färbungen der Gottesanbeterinnen lassen sich
aus einer der bisher bekannten Vererbungsregeln nicht
ableiten.«
Siebente Frage: >Bietet der bei den Gottesanbeterinnen beob-
achtete Farbwechsel Vorteile für die Wirkung einer , natürlichen
Auslese*?«
Von Cesnola ist ein vorläufiger Bericht über Versuche an
Mantis religiosa in Neapel publiziert worden, der die günstige Wirkung
der grünen oder braunen Farbe, je nach der vorwiegenden Farbe
des Untergrundes, experimentell feststellt. Wurden grüne und braune
Mantis auf grünem oder braunem Gesträuch angebunden, so wurden
jene von Vögeln ausgespäht und verschnappt, die auf andersfarbigem
Grunde saßen, während die auf gleichfarbigem übrig blieben.
Wenn wir nun aber diese Ergebnisse auf die Verhältnisse in
der Natur übertragen wollen, um das Überleben durch natürliche
Zuchtwahl zu demonstrieren, so stoßen wir auf folgende Schwierig-
keiten :
1) Die Ergebnisse sind noch nicht publiziert, da weitere Generationen ab-
gewartet werden sollen.
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170 Hans Przibram
1] Bleiben die Individuen einer bestimmten Farbe nieht auf dem
betreffenden Hintergrunde sitzen.
2) Zeigen sie keinerlei Bestreben, die gleichfarbige Umgebung
bei herannahender Gefahr aufzusuchen (wie ich mich auch fbr Mantis
in der Wiener Gegend überzeugen konnte).
3) Sind in einer vorwiegend durch eine bestimmte Farbe aus-
gezeichneten Lokalität die Tiere derselben Färbung nicht immer
häufiger als die andersfarbigen.
4) Wird daher eine freie Vermischung der beiden Formen stets
stattfinden, und daher der Verlust auf > andersfarbigem Grunde« gefan-
gener Tiere in keiner Richtung einen Unterschied ausmachen können.
Zu allen diesen Schwierigkeiten kommt nun noch der bei den
Hierodulen beobachtete Farbwechsel, welcher, ohne Zusammenhang
mit der farbigen Umgebung vor sich gehend, das Tier in dem be-
treffenden Stadium bald sichtbar, bald weniger sichtbar machen
kann. Würden die Tiere selbst in einer gleichfarbigen Lokalität
zunächst leben und dieselbe auch nicht verlassen, so könnten sie
auf einem späteren Stadium — andersfarbig geworden — doch den
Feinden zum Opfer fallen; noch mehr: Tiere, welche als Imago in
gleichfarbiger Umgebung geschützt waren, können binnen kurzem
daselbst verbleibend ungeschützt werden. Nun kommen zu allen
Komplikationen noch die Vererbungsverhältnisse: es hätte ein grünes
Pärchen, das auf grüner Umgebung den Feinden entging. Nachkommen,
die auf einem bestimmten Stadium braun würden, ohne daß die grüne
Umgebung sich veränderte, so würde ihnen die Abstammung von den
grünen Imagos nichts nützen, die vielleicht auch einmal ein braunes
Stadium, jedoch in branner Umgebung durchgemacht hatten!
>Der bei den Gottesanbeterinnen beobachtete Farb-
wechsel bietet keinerlei Vorteil für die Wirkung einer
, natürlichen Ausleset«
IV. Regenerationsversuche.
(Vgl. vornehmlich Tabellen 2, 3 b— f.)
Unsre Regenerationsversuche wurden von I. Webbeb an Tieren
des 2., 3. und 4. Stadiums begonnen (an dem 1. Stadium, das mit
dem Ausschlüpfen fast gleichzeitig durch eine Häutung abgeschlossen
wird, konnte aus diesem Grunde nicht operiert werden).
Zunächst wurde die Exstirpation des einen Auges versucht, und
zwar an 6 Larven 2. Stadiums; doch starben alle binnen 2 Tagen,
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Aufzucht, Farbwechsel u. Regeneration einer ägyptischen Gottesanbeterin. 171
indem sie die starke Verletzung nicht überleben konnten i). Die
Operationstechnik für die kleinen Larven war folgende: Da die
Tiere in ihren Jngendstadien eine sehr große Behendigkeit auf-
wiesen, und daher, ohne gequetscht zu werden, weder mit der
Hand noch mit der feinsten Pinzette gehalten werden konnten, so
fing sie L Werber mit der Spitze eines nassen Rnsels auf und
brachte sie damit auf eine Eorkplatte, wo sie durch einen quer
über den Rücken gelegten, sehr schmalen Papierstreifen, den er an
beiden Enden mit Nadeln festgesteckt hatte, ihrer Bewegungsfreiheit
beraubt waren. Hierauf konnte zur Operation mit einer kleinen
Schere geschritten werden. Die Operationen an den drei Beinpaaren
wurden sehr gut vertragen. Beim mittleren und hinteren Beinpaare
ist dies wenig zu verwundern, da die im Femur angeschnittenen
Extremitäten stets an einer schiefen Naht vor dem Femur-Trochanter-
gelenke abgeworfen wurden, wo also eine präformierte Bruchstelle
wie bei so vielen andern Arthropoden besteht (Fig. 40 und 41).
Das Vorderbein, auf dessen Regeneration wir wegen der Angaben
von BoBDAGE am meisten gespannt waren, wurde in den meisten
Versuchsreihen in der Mitte der sehr langen Goxa durchschnitten,
was in der verhältnismäßigen Länge des abgeschnittenen Teiles
ungefähr der Autotomie im Femur der andern Beinpaare entspricht
Um für den«Vergleich der Regenerationsfähigkeit des vorderen Beines
mit den beiden hinteren Beinen auch den Wert der abgeschnittenen
Glieder in ganz analoger Weise bestimmen zu können, wurden in
späteren Versuchsreihen (Pbzibbam, Eierpaket V und Nr. 22) einer-
seits an einer mittlereiK oder hinteren Extremität die Coxa (also,
proximal der präformierten Bruchstelle), anderseits ein Vorderbein
im Femur durchschnitten (Fig. 39a]. Im letzteren Falle entsprach
freilich die ungefähr in die Mitte des Schenkels zu liegen kom-
mende Schnittfläche nicht genau der präformierten. Bruchstelle an
den andern Beinen; bei den Fangbeinen ist aber eine Autotomie
nicht vorhanden (was in Übereinstimmung mit den älteren An-
gaben steht).
An Tibia und Tarsus wurden Operationen nicht ausgeführt, um
das Versuchsmaterial nicht noch weiter als ohnehin durch die vielen
sonstigen Versuche bedingt, zu zersplittern. Da die Regeneration
*) Inzwischen ist I. Werber der NachweiB der Regenerationsfahigkeit des
Insektenauges an einem andern Objekte gelangen, vgl. Regeneration des exstir-
pierten FUhlers und Auges beim Mehlkäfer {Tenebrio molitor). Archiv f. Entw.-
Mech, XIX. 1905. S. 259.
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172 Hans Przibram
des Tarsus allein von Bordage auch bei den Fangbeinen von Man-
tiden beobachtet wurde, so hätte etwas wesentlich Neues dabei
schwerlich herauskommen können, außer vielleicht die unliebsame
Entdeckung, daß wegen der leicht eintretenden Autotomie bei den
beiden hinteren Beinpaaren die Versuche nur jene nach Verlust an
der präformierten Bruchstelle wiederholt hätten.
Nur wenige Tiere erlagen den Folgen der Operationen. Auch
die eines Fangbeines beraubten ließen nur geringe Blutung erkennen.
Die Beute konnten sie nach wie vor erhaschen, indem sie sich des
übriggebliebenen zweiten Fangbeins bedienten. Es ist dies nicht
verwunderlich, da sie auch normalerweise oft nicht mit beiden Fang-
beinen zugleich zuschlagen, sondern die Beute zwischen Femur und
Tibia mittels eines Fangbeines erhaschen.
Der Begenerationsprozeß nahm in allen Fällen den fttr die
Hexapoden typischen Verlauf: zunächst bildete sich an der Ampu-
tationsstelle der dunkle Wundschorf, womit der sichtbare Prozeß
bis zur nächsten Häutung sein Ende erreicht hatte. Erst mit der
Abstreifung der alten Haut trat das Regenerat zutage.
In allen Fällen, sowohl bei deü mittleren (Fig. 40) und hinteren
(Fig. 41), als auch bei den vorderen (Fig. 39) Beinen war es 2u einer
richtigen Neubildung des abgeschnittenen Teiles (mochte derselbe
bis über einen Teil des Femur oder noch Weiter in die €oxa hinein-
gereicht haben] gekommen.
»Die jungen Larven der Gottesanbeterinnen sind im-
stande, das Fangbein zu regenerieren.«
Bordage hatte in allen jenen Fällen, wo es bei seinen Ver-
suchen zu einer Begeneration kam, fast stets in den regenerierten
Beinen eine von der normalen Tarsenzahl 5 abweichende und zwar
meist die geringere Zahl 4 gefunden, ein Verhalten, das ebenso bei
den übrigen hierauf hin untersuchten Orthopteren Stich hielt*). Auch
alle unsre Begenerate bei der Eierodula zeigten die Tarsenzahl 4,
während diese Gottesanbeterin normalerweise ebenfalls an allen
Beinen einen fünfgliedrigen Tarsus aufweist. Es mag hier vorweg-
genommen werden, daß auch auf allen späteren Stadien erzielte
Begenerate stets diese »Hypotypie« (Giard; oder noch weniger
Glieder) aufwiesen, und daß bis zum Imago aufgezogene Exemplare
mit Regeneraten die normale Fünfzahl nicht mehr herstellten, ob-
1] Literaturzusammenstellung: Erg. der Physiol. I. 1902. H. Przibram, Re-
generation [S. 97, 98, llö, 116 besprochen].
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Aufzucht, Farbwechsel u. Kegeneration einer ägyptischen Gottesanbeterin. 173
zwar das Begenerat bis fast zur Größe der Gegenseite heranwachsen
konnte (vgl. z. B. Fig. 38, Übereinstimmung mit den Versuchen von
Brindley an Blattiden). Außer der abweichenden Tarsenzahl zeigte
die Gestalt der regenerierten Gliedmaßen keine großen Abweichungen
von der normalen; natürlich waren die neugebildeten Teile, wie alle
Kegenerate, weicher und turgescenter, daher von mehr drehrunder
Gestalt als die alten, auch die Bewaffnung mit Dornen, Höckern usw.
weniger ausgesprochen. Auffallend war jedoch die Färbung der Re-
generate, indem dieselben meist nicht die Farbe, welche gerade zur
Zeit des Sichtbarwerdens der neugebildeten Teile an dem betreffen-
den Gliede vorherrscht, sondern jene eines früher durchlaufenen Sta-
diums aufweisen : so wiesen die Regenerate auf dem ursprünglichen
braunen Stadium (2) operierter, inzwischen aber ergrünter Larven gelb-
braune Töne auf (Fig. 33, 36), hingegen die Regenerate später ope-
rierter, dann jedoch sekundär braun gewordener Larven grüne Töne
(Fig. 11, 17, 18); auch die verschiedenen Schattierungen von grün
folgten dem Auf und Ab der durchlaufenen Stadien (vgl. Fig. 14, 20,
34, 35, 37). Endlich jedoch — stets, wenn der Imagozustand erreicht
war — hatte die Farbe des Regenerates jene der Gegenseite (welche
mit der Gesamtfärbuug des Tieres harmonierte) eingeholt, selbst
wenn es bei weitem nicht die Größe desselben hatte erreichen
können (Fig. 13, 16, 19, 22, 26—38). Die meisten Fälle der letz-
teren Beobachtungen beziehen sich bereits auf die zu viel späteren
Zeiten operierten Larven, die nunmehr zu besprechen sind.
Zur Prüfung der Frage, ob eine allmähliche Abnahme der Re-
generationskraft mit fortschreitender Entwicklung schließlich noch
vor dem Imagozustande zum vollständigen Ausbleiben von Regene-
raten am Vorderbein führen könne, unternahm ich Amputationen in
der Mitte der Coxa des Fangbeines an Exemplaren im 6. — 8. Sta-
dium i). Leider waren im September, als die betreffenden Stadien
zugleich vorlagen, so daß vergleichsweise Operationen vorgenommen
werden konnten, nur mehr eine geringe Anzahl dank der vielen
schon angestellten Versuche am Leben geblieben; vom 5. Stadium
waren keine mehr zu gleicher Zeit vorhanden, so daß die Rege-
nerationsgUte dieses Stadiums nur durch Interpolation angegeben
werden könnte, was freilich nicht von großer Wichtigkeit ist, weil,
wie wir sehen werden, auch noch spätere Stadien gut regenerierten.
1) Eine im neunten Stadium erfolgte Operation ergab infolge vorzeitigen
Todes des Exemplars (Nr. 27} kein Resultat.
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174 Hans Przibram
Vier Larven des 6. und 7. Stadiums (Nr. 21, 22, 24, 25) wurden
am 7. September des rechten Fangbeines durch einen Scherenschnitt
in der Mitte der Coxa beraubt. Nach der ersten folgenden Häutung .
war in keinem Falle ein Regenerat sichtbar ; der Amputationsstumpf
war jedoch nicht mit der unveränderten Schnittfläche stehengeblieben,
sondern hatte sich zu einem Kegel abgerundet. Erst nach zwei-
bis viermaliger Häutung erschien ein deutlich erkennbares Begenerat,
das aber auch noch nicht jene Ausbildung aufwies, die bei den
ersten Stadien bereits nach der ersten, auf die Amputation gefolgten
Häutung auftritt. Die geringere Differenzierung sprach sich in der
gedrungenen Gestalt aller vorhandenen Glieder, in der fehlenden
Bewaffnung derselben und in der mangelnden Abgliederung der
Tarsusglieder aus: es waren nur 1—3 Glieder und meist keine
Erallen erkennbar. Im Gegensatz zur Eonstanz des einmal auf-
getretenen viergliedrigen Begenerationstarsus nahm jedoch die
GUederzahl mit den folgenden Häutungen zu und erreichte schließ-
lich, wenn noch eine genügende Anzahl von Häutungen absolviert
werden konnte, die Vierzahl. In einem Falle (Nr. 25) folgte auf
die Begenerationshäutung als nächste die Imaginalhäutang, und der
Tarsus brachte es bloß auf zwei rudimentäre Glieder (Fig. 26).
Ein Exemplar, welches im 8. Stadium operiert und nach zwei
weiteren Häutungen zum Imago wurde, regenerierte das Vorderbein
nicht mehr (Nr. 26 Fig. 27), vielmehr blieb die kegelförmige Verheüung
des Goxalstumpfes zeitlebens bestehen (das Tier lebte als Imago noch
80 Tage). Sind die angeführten Fälle auch spärlich, so spricht sich
doch in dem ganzen Begenerationsverlauf deutlich die allmähliche
Abnahme der Begenerationsgüte mit fortschreitender Annäherung
an das regenerationsunfähige Imaginalstadinm aus.
Es ist von Interesse, hier darauf hinzuweisen, daß bei den
Gottesanbeterinnen nicht das absolute Alter die BegenerationsgUte
bestimmt, denn in gleichem Alter mit den noch im September auf
dem 6. und 7. Stadium befindlichen Larven stehende Exemplare
hatten sich längst zu den total regenerationsunfähigen Imagos ent-
wickelt, als jene erst das Begenerat vorzubereiten begannen.
Es könnte verwandem, daß hier das gerade Gegenteil von dem
herauskam, was P. Eammeker (S. 174) fllr Anurenlarven ermittelt
hat, nämlich: »neotenische (zwei- oder mehrsommerige) Anuren-
larven, noch auf gleichem Stadium befindlich, in welchem normale
(einsommerige) Larven die Hint er extr emitäten vollständig rege-
nerieren, vermögen diese nicht mehr zu erneuern,« und >neo-
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Aufzucht, Farbwechsel u. Regeneration einer ägyptischen Gottesanbeterin. 175
teniflche Urodelenlarven, noch auf gleichem Stadium befindlich, in
welchem normale Larven sehr rasch regenerieren, zeigen eine ebenso
geringe Regenerationsgeschwindigkeit, wie gleiohalterige, meta-
morphosierte Exemplare«. Bei genauerer Untersuchung erweisen
sich freilich die zwei Fälle als ganz verschieden: während die
neotenischen Ämphibienlarven tlber das gewöhnlich mit der Metamor-
phose Terbundene Wachstumsmaß hinausgewachsen und wahrschein-
lich in ein Stadium geringerer Wachstumsenergie eingetreten waren,
sind die »über «sommerigen Hierodtdar-LskTYen Individuen, die ihre
Wachstumsenergie langsamer verausgabt haben als jene, die mit
Ende des Sommers bereits ihre Metamorphose beendigt haben, und
es steht ihnen noch jene Wachstumsenergie, die sie zur Erreichung
der »fixen« Imaginalgröße bedürfen, zur Verfügung: wie bereits
früher erwähnt, weisen die Individuen mit längerer Metamorphose
doch schließlich keine bedeutendere Imaginalgröße auf, als die mit
kurzer*).
In der Abnahme der Regenerationsfähigkeit des Fangbeines der
Gottesanbeterinnen sehe ich die Erklärung der Befunde von Bor-
DA6E, falls nicht überhaupt das Absterben seiner Larven so früh
erfolgte, daß zur Begeneration überhaupt keine Zeit war: er dürfte
zu späte Stadien operiert haben 3), um mehr als Regeneration des
Tarsus zu erhalten.
Wird weniger abgeschnitten, so kann die Begeneration das Be-
treffende eher noch leisten, als bei größeren Partien. Eine Larve,
der das rechte Vorderbein im 7. Stadium in der Mitte des Femur
amputiert worden war (Nr. 23), regenerierte nach zwei Häutungen
die distalen Partien alle bereits ebenso differenziert, wie jene Indi-
Tiduen, die in den allerersten Stadien in der Coxa operiert worden
waren (Fig. 17—19).
Das Regenerat wies sogleich Bedornung und vier gut ausgebil-
dete Tarsenglieder auf und hatte, als nach zwei weiteren Häutungen
die Imago ausschlüpfte, bereits fast die Länge der Gegenseite er-
reicht, während die auf ähnlichen Stadien in der Coxa operierten
1) Vgl. den nachträglich hinzugefügten Abschnitt VII (Neotenie) !
^, Man könnte natürlich einwenden, daß die von Bordage untersuchten
Mantiden {MatUts prasina und pusttdosa) sich vielleicht von unsrer ffierodula
verschieden verhalten: wer dies einwendet, dem obliegt es, zu zeigen, daß die
ans den Eiern schlüpfenden Larven der beiden Mantis-ATten keine Regeneration
des Vorderbeines zeigen. Mir stehen diese Arten nicht zur Verfügung, doch
werde ich trachten, noch an Momtis reltgiosa die Versuche zu wiederholen.
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176 Hans Przibram
Vorderbeine stets sehr erheblieh hinter der Gegenseite im Image
zurllckblieben.
Auch die in einem Falle erfolgte Amputation eines linken
Mittelbeines durch Autotomie im 7. Stadium wurde in ähnlicher
Weise, und zwar bereits nach der nächsten Häutung, regeneriert
(Nr. 26, Fig. 27). Daß auch an den Schreitbeinen die Regene-
ration allmählich erlischt, bewies eine im 9. Stadium eines Mittel-
beines in der Mitte der Goxa beraubte Nymphe, die im Imago
nichts mehr ersetzte (Nr. 28, Fig. 28). Vielleicht ist es nicht ganz
überflüssig, nochmals ausdrücklich zu erwähnen, daß die Images
trotz ihrer oft mehrmonatlichen Lebensdauer abgerissene Stücke,
selbst auch nur Tarsen, nie ergänzten und auch yorhandene Ampu-
tationsstümpfe oder Begeneratanfänge nicht weiterbildeten.
Dagegen war in einem Individuum (Nr. 23) ein während der
9. Häutung autotomiertes Mittelbein nach der 10. (Imaginal-) Häutung
in etwa halber Größe regeneriert worden. Bessere Begeneration
nach Autotomie als nach andern Verlusten ist öfters, auch Ton
BoRDAGE und von Godelmann an Bacillics beobachtet worden.
Im 3. oder 4. Stadium am mittleren oder hinteren Beine in der
Goxa operierte HiSrodulen-Larven regenerierten auch langsamer,
als solche, die an denselben Tagen durch Autotomie eines analogen
Beines beraubt worden waren (ygl. meine Versuche Nr. 11 — 17,
Fig. 35—^38). Zum Teil ist dieses Verhalten gewiß nach Analogie
des autotomielosen Vorderbeins auf Bechnung der tieferen Abschnitt-
steile bei den nicht autotomierten Beinen zu setzen; wenn die Er-
scheinung außerdem direkt mit Anpassung an Autotomie zu tun
hätte, so müßten auch distal abgeschnittene Teile unvollkommener
regenerieren, als autotomierte; dem widerspricht jedoch die leichte
Begenerationsfähigkeit der Tarsen, die ja selbst bis ins Nymphen-
stadium, sogar auch an den Vorderbeinen nach Bokdages eignen
Angaben regenerieren.
Bordage konnte bei Mantis prasina und pusttdata weder eine
Begeneration des Vorderbeins (außer des Tarsus) , noch eine solche
der übrigen Beine, wenn dieselben proximal der Autotomiestelle
amputiert worden waren, beobachten. Es soll dies auf das Gesetz
von Lessona zurückzuführen sein, wonach nur solche Teile rege-
nerationsfähig sind, deren leichter Verlust ihren Ersatz für die Er-
haltung der Art notwendig machte (nach dem Schema der natür-
lichen Zuchtwahl). Boudage ist nun der Ansicht, daß nach dem
Verlust der Vorderbeine die Tiere aus Nahrungsmangel zugrunde
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Aufzucht, Farbwechsel u. Regeneration einer äg^^ptischen Gottesanbeterin. 177
gehen mUssen, daher keine Regeneration »erworben« werden konnte.
Es ist unverständlich, warum gerade immer beide Vorderbeine zu-
gleich verloren werden sollen; geht aber nur eines verloren, so ist,
wie wir gesehen haben, das Tier sehr wohl imstande, Beute zu er-
haschen, und tatsächlich kann ja, wenn es das Stadium des Tieres
erlaubt, Regeneration eintreten. An den hinteren Beinen soll nach
BoRDAGE keine Regeneration nach Schnitten erfolgen, die nicht
Autotomie auslösen, da diese bei den natürlichen Verletzungen stets
zustande komme. Auch dies ist durch unsre Tatbefunde widerlegt
Wie erkünstelt die Einordnung der Regenerationstatsachen in das
LsssoNAsche Gesetz ist, beweist vollends die von Bordage selbst
angegebene Nichtregeneration der Springbeine bei den Orthoptera
saltatoria. Hier ist Autotomie vorhanden, und es muß also ange-
nommen werden , daß trotz einer eignen Einrichtung für Verletzung
die also verstümmelten sich nicht bis zur Geschlechtsreife fort-
erhalten könnten. Die von Borpage angeführte Unfähigkeit, sich
ordnungsgemäß zu häuten, kann sich wieder bloß auf beider Hinter-
beine beraubte Heuschrecken beziehen, denn eines Hinterbeins be-
raubte bilden sich vollkommen regelmäßig zu Images aus (nach
meinen noch nicht publizierten Versuchen).
V. Morphallaktische Vorgänge und deren Histologie.
Während nach Autotomie die stehengebliebenen Glieder des auto-
tomierten Beines anscheinend in ähnlichem^) Tempo mit den ent-
sprechenden der Gegenseite weiterwachsen und durch einen auf das
distale Ende des Stumpfes beschränkten Sprossungsprozeß die Re-
generation bewerkstelligen, gehen bei Durchschneidung des Hüft-
gliedes tiefergreifende Umänderungen vor sich.
Es muß in diesem Falle zunächst eine Komplettierung des Hüft-
gliedes und sodann eine Neubildung aller andern (distalen) Glieder
der Extremität stattfinden.
In jenen Fällen, wo nicht nach der nächsten Häutung sogleich
die Miniaturregeneration des ganzen Beines zutage trat, sondern
erst nach weiteren Häutungen (oder eine solche überhaupt unter-
blieb), läßt sich eine zeitliche Trennung .dieser beiden Prozesse nach-
weisen. ' .. .
Die Komplettierung des Hüftgliedes stellt sich nun meist nicht
') Jedoch nicht ganz gleichem, sondern etwas verzögertem, vgl. namentlich
Fig. 41.
Archir f. EntwicklungsinMliaDik. XXII. 12
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178 Mans Przibram
als eine echte Sprossungsregeneration dar. Anstatt des Hervor-
wachsens der distalen Hälfte wird eine zapfenförmige Zurundnng
des Stumpfes and eine allgemeine Umformung desselben zu einer
verkleinerten ganzen Coxa bemerkt. Es ist dieser Prozeß gewisser-
maßen eine an einem Gliede allein sich abspielende >Morphallaxiscy
wie Morgan die Erscheinung der Umformung eines kleinen Stücke»
zu einem ganzen (verkleinerten) Tiere nennt.
Auch das weitere Wachstum und die Differenzierung des Hüft-
gliedes hält sich an die Proportionen einer einheitlich-yerkleinerten
Coxa, so daß oft jene Stelle, die der Durchschneidung entspricht,
gar nicht mehr kenntlich ist.
Diese Verhältnisse gelten ebenso für die beiden (hinteren)
Schreitbeinpaare wie für das (vordere) Fangbein. In letzterem Falle
ist die Accommodation an die neuen Verhältnisse besonders deutlich.
Die Coxa des Vorderbeines besitzt nämlich an ihrem Vorderrande
drei größere Zähne, die sich an die Innenfläche in je einen rund*
liehen weißen Fleck fortsetzen. Wird nun die Coxa durchschnitten,
80 bleibt meist einer dieser Zähne mit dem zugehörigen Flecke zu-
rück. Würde nun eine eigentliche sprossende Regeneration statt-
finden, so würde ein starker Größen- und Differenzierungsunterschied
dieses ersten Zahnes und Fleckes gegenüber den weiteren zu er-
warten sein, sowie das Glied seine Komplettierung gewonnen hätte.
Dies ist jedoch gewöhnlich nicht der Fall: entweder der erste Zahn
und Fleck nehmen auch an Deutlichkeit ab oder es treten mehrere
gleich deutliche Zähne und Flecke auf (Fig. 34).
Für die Umformung des ganzen Gliedes spricht auch die Färbung^
desselben. Wie wir gesehen haben, hat das Kegenerat oft die Farbe
eines früheren Stadiums des betreffenden Individuums. Diese voa
der sonstigen Körperfärbung abweichende Farbe erstreckt sich nun in
den »morphallaktischen« Fällen auch auf jene Teile der Coxa, die
gar nicht entfernt worden waren (Fig. 33, 35, 37).
In einem Falle (Fig. 11), in welchem der distale Teil deutlich ab-
gesetzt war, erstreckte sich auch die Färbung des ßegenerates nur bis
zu dieser Trennungslinie; ebenso verhielt sich anfänglich das Kegene-
rat des in der Mitte des Femur amputierten Vorderbeines (Fig. 17).
Um die im Innern der morphallaktischen Coxa vor sich ge-
j;angenen Veränderungen konstatieren zu können, wurden Schnitte,
angefertigt ^).
^) Für die hierbei angewandte MtUie bin ich Herrn Dr. phil. Frakz
Megusar dankbar. Die durch Äther getöteten Tiere \^nirden 8 Standen in
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Aufzucht, Farbwechsel u. Regeneration einer ägyptischen Gottesanbeterin. 179
Die Chitinbedeckang erschwert die Herstellung derselben, wie
bei den meisten Insekten, in hohem Grade. Doch gelang es wenigstens
einige sehr branchbare Schnittserien zn erlangen. £s handelt sich
in der besten Schnittserie um eine Regeneration des proximal der
Autotomiestelle, etwa in der Mitte der Coxa amputierten rechten
Mittelbeines (Fig. 42, 42a).
Der Schnitt geht quer durch das zweite Metathoraxsegment
und trifft die Coxa der rechten und der linken Seite der Länge
nach; von der rechten Seite ist auch das weitere Regenerat der
Länge nach getroflfen, während von der normalen linken Seite bloß
mehr der Trochanter mitangeschnitten ist, da die übrigen Glieder
sich nicht mehr in dieselbe Ebene bringen ließen, übrigens für unsre
Frage nicht in Betracht kommen.
Vergleichen wir die innere Anatomie der normalen (linken)
Coxa mit jener des Regenerates (der rechten):
In der normalen Coxa laufen gutausgebildete Muskelzüge von
der proximalen Einlenkung der Coxa bis an ihr distales Ende und
an das Trochantergelenk heran (Fig. 42). Außer diesen ist im Inneren
nur wenig Mesoderm vorhanden. Längs der starken Cuticula ver-
läuft das Epithel der Epidermis deutlich gegen innen zu abgesetzt.
In der Coxa des Regenerates ist nichts von den scharf aus-
gebildeten Muskelzügen zu sehen (Fig. 42). Die geringen Muskelan-
lagen sind von viel indifferentem Mesoderm und stellenweise von
Epithelwucherungen bedeckt. Von scharfem Aufhören stehen geblie-
bener Reste der alten Muskeln ist gar nichts zu sehen. Das Epithel
der Epidermis ist nach innen nicht in jener scüarfen Weise ab-
gesetzt, wie bei der normalen Coxa.
Bei stärkerer Vergrößerung (150 linear, Fig. 42a) ist in den
Schnitten der normalen Coxa die Querstreifung der Muskelfasern
und eine stellenweise zweischichtige Epithelanordnung deutlich zu
erkennen. Hingegen ist in den gelblichen Mesodermmassen der
andern Coxa keine Querstreifung zu erkennen und die Epithelan-
ordnung scheint nicht in zwei Lagen gesondert zu sein. Die dunkel
gefärbten Zellkerne sind in dieser Coxa auf gleichem Flächenraume
viel häufiger, als in der normalen Coxa. Ein Größenunterschied
der einzelnen Kerne ist jedoch durchschnittlich nicht zu konstatieren.
Die gleichen histologischen Merkmale, welche die morphallak-
PEH^NYischer Flüssigkeit fixiert und mit Eisenhämatoxylin nach Heidenhain
gefärbt
12*
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180 Hans Przibram
tische Coxa auszeichnen, finden sich auch in den weiteren regene-
rierten Gliedern, so daß auch in dieser Beziehung die Einheitlichkeit
des ganzen Vorganges zum Ausdrucke kommt.
Eine deutliche Scheidung des Epidermisepithels und der Maskel-
anlagen ist fast überall zu bemerken. Ob ursprünglich, wie nenestens
Reed und Morgan für das Einsiedlerkrebsbein behaupten, die neue
Muskelanlage aus der Epidermis entsteht, läßt sich freilich nicht
direkt widerlegen.
Später bilden sich auch in der Coxa des Regenerates wieder
Mnskelzüge aus, die die normale Anordnung wieder herstellen. Die
betreffende Schnittserie stammt von einer Regeneration des in der
Mitte der Coxa amputierten rechten Hinterbeines. Ich unterlasse
es, Abbildungen hiervon zu geben, da die fast vollständige Symmetrie
nichts Neues gegenüber dem Normalfalle bietet. Daß nicht etwa
die hintere Extremität sich anfangs von der mittleren durch so-
fortige Ausbildung von Muskelzügen oder dergleichen unterscheidet,
beweist eine dritte Schnittserie, welche Längsschnitte durch eine
hintere Extremität und das gegenseitige Regenerat enthält. Hier
ist auch jenes frühere Stadium noch getroffen, wo im Regenerate
noch keine ausgebildeten Muskelzüge deutlich sind.
Ich möchte auf die Verwertung des histologischen Materials nur
insofern Gewicht legen, als es zum Beweise der bereits durch die
Formverhältnisse wahrscheinlich gemachten Umordnungsvorgänge
auch in jenen Partien dient, die nicht proximal der Schnittstelle
übrig gelassen worden waren.
Die Kombination dieses >morphallaktisohen« Prozesses mit der
weiteren Sprossung der übrigen Glieder, läßt auf die Wesensgleich-
heit beider Regenerationsarten schließen.
Der zweite Punkt, welcher mir erwähnenswert scheint, ist das
Vorkommen der >morphallaktischen« Prozesse bei einem so hoch-
stehenden Tiere, wie es ein Insekt ist. Es vrird hierdurch der
bisher nur bei niederen Tieren beobachteten Erscheinung eine all-
gemeinere Bedeutung zugeschrieben werden können.
Schließlich ist noch von Interesse, daß in jenen Fällen, wo
Morphallaxis einzutreten hat, eine längere Zeit bis zum Auftreten
des Regenerates und der Erreichung einer bestimmten Länge des-
selben verstreicht, als in den übrigen Fällen (nach Autotomie oder
nach Abschnitt des Vorderbeines an analoger Stelle). Hierauf komme
ich noch im folgenden Abschnitte zurück.
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AufzQcht, Farbwechsel u. Regeneration einer ägyptischen Gottesanbeterin. 181
VI. Messungen Ober Wachstums- und Regeneraiionsgeschwindigkeit.
(Hierzn Tabelle 3 a— g und Diagramme Fig. 43: Ä—H.)
Um dem Wachstums- und Regenerationsproblem in quantitativer
Weise näher kommen zu können, sind die Hierodulen in mehrfacher
Hinsicht ein geeignetes Material: ihre leichte Aufzucht, die bedeu-
tende Größe, die deutliche Abgrenzung ihrer einzelnen Teile und
der Abwurf der Haut in einem ausgespreizt vrerbleibenden Stück
sind Vorteile für messende Versuche. Wenn ich es daher versuche,
an der Hand von Messungen an sieben Exemplaren ein Bild der Wachs-
tumsverhältnisse und der damit eng verknüpften Regenerationsgüte
zu geben, so sind es die genannten Vorteile allein, welche es ge-
stattet haben, auch ein so geringes Material mit ausreichender Ge-
nauigkeit zu verv^erten.
Die Messungen wurden mit einem Zirkel abgenommen und an
einem Maßstabe abgelesen; stets wurde nur mit freiem Auge ge-
messen und bloß auf halbe mm genau ^). In der Regel dienten die
abgeworfenen Häute und die gesteckten Images als Meßobjekt (in
den Diagrammen die ohne Ereiseinschluß. markierten Punkte); nur
dort, wo entweder die Haut infolge Zerstückelung bei der Häutung
nicht verwendet werden konnte oder — bei Regeneraten — eine
unstreckbare Einrollung erfolgt war, wurden Zahlen von den lebenden
Tieren direkt mit dem Zirkel abgenommen oder von den mit dem
Meßzirkel entworfenen Zeichnungen ermittelt. Die Messungen
wurden an den sieben Exemplaren für Länge des Thorax, des Femurs,
der Tibia und der Tarsen am linken und rechten Fangbeine durch-
geführt; für das erste Individuum, ein Exemplar der Kontrollzucht,
sind in der Tabelle auch Maße für die Länge des ganzen Körpers,
von der Stimmitte zwischen den Augen bis zur Hinterleibsspitze ge-
rechnet, eingetragen. Diese Zahlen lassen sich jedoch mit der Zu-
verlässigkeit der Werte für die einzelnen Glieder nicht verwenden,
da der Streckungszustand des Hinterleibes, von dem momentanen
Ernährungs- und Erregungszustände des lebenden Tieres abhängig,
in ziemlich erheblichem Maße schwankt, während er in der leeren
Haut zusammengeschoben gar nicht ordentlich gemessen werden
kann. Daher wurde in den übrigen Fällen auf diese Messung ver-
zichtet. Übrigens hat sich bei Aufstellung des Diagramms für die
1) Wenn daher bei den abgeleiteten Zahlen oft mehrere Stellen angegeben
sind, so geschah dies bloß, damit die Provenienz der Zahlen nachgeprüft werden
konnte, was bei Angabe der abgerundeten Zahlen sehr erschwert würde.
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182 Hans Przibram
Totallänge (H) des Kontrollexemplars ergeben, wie überaus un-
gleichmäßig die Totallänge im Verhältnis zur Thoracallänge allein
zunimmt, was auf Kosten des anfänglich (vor Nahrungsaufnahme)
unverhältnismäßig kleinen, später (infolge Keifung der Geschlechts-
produkte) unverhältnismäßig langen Hinterleibes zu setzen ist: erst
das Verhältnis von Totallänge zu Thoracallänge ergibt annähernd
eine gleichförmig aufsteigende Gerade.
Bezeichnen wir mit Wachstnmsgesohwindigkeit den Quotienten
aus dem am Ende einer Wachstumszeit erreichten Größenzuwachs,
dividiert durch die Wachstumszeit, so können wir sie messen, wenn
wir die Wachstumszeit in Tagen ermitteln und als Größenzuwachs
die Differenz aus der am Ende der Wachstumszeit gemessenen Länge
(in mm), minus der am Anfange der betreffenden Wachstumszeit
gemessenen Länge desselben Teiles (in mm) bilden. Das Eontroll-
exemplar brauchte vom Tage des Ausschlüpfens bis zum Verwand-
lungstage 148 Tage, maß am Ende der Metamorphose (= Wachs-
tumszeit!) ^) 52 mm Totallänge, bei einer anfänglichen Totallänge von
etwa 7 mm , daher ist der Größenzuwachs 45 mm , und die Waehs-
tumsgeschwindigkeit ftlr die Totallänge: 45 : 148 = 0,304 (mm pro
Tag). In analoger Weise ergibt sich für das Halssehild allein bloß
eine Wachstumsgeschwindigkeit von 0,085, für den Femur des
rechten oder linken Pangbeines 0,074, für die analogen Tibien
0,044 (mm pro Tag). Es ist dies der mathematische Ausdruck da-
für, daß die an der jungen Larve spinnenartig lang erscheinenden
Extremitäten später im Wachstum immer mehr zurückbleiben, und
die Tibia gegenüber dem imposanten Fangschenkel des Images zu
kurz kommt. Es sei hier an das von Mehnert an Embryonen stu-
dierte, verschieden rasche Wachstum einzelner Organe bei ver-
schiedenen Species erinnert (>Cänogenesis«). Daß die an dem
Kontrolltiere gemessenen Verhältnisse nicht etwa zufällige sind, be-
weisen die analogen Zahlen für die übrigen untersuchten Exemplare.
Es sind dies die in der Tabelle 2 unter den Versuchsnummern
21—26 angeführten Gottesanbeterinnen, an welchen das rechte Fang-
bein entweder in der Coxa oder (nur Nr. 23) im Femur abgeschnitten
worden war.
So verschieden groß auch die Wachstumsgeschwindigkeit sich
infolge der so sehr schwankenden Dauer der Metamorphose ergibt
(vgl. die entsprechende Kolonne auf den Tabellen 3 a — g), so kon-
Das embryonale Wachstum ist hier nirgends mitgerechnet.
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Aufzucht, Farbwechsel u. Regeneration einer ägyptischen Gottesanbeterin. 188
etant halten sich die verhältnismäßigen WachstumsgeBchwindigkeiteü
der einzelnen Teile eines Exemplars zueinander innerhalb enger
Grenzen. Die folgende kleine Zusammenstellang erläutert dies:
Exemplar:
0
21
22
23
241]
26
26
Wachstamsgescbwindigk. des Thorax:
WachBtamsgeschwindigk. d. Femnr
des linken Vorderbeines =
1,1
1,2
1,1
1,2
(0,9)
1,2
1,2
Wachstomsgeschwindigk. des Thorax:
Wachstaoisgeschwindigk. der Tibia
des linken Vorderbeines =
1,9
2,0
2,3
2,4
(2,3)
2,2
2,1
Wachstnmsgesehwindigk. des Femnr:
Wachstomsgeschwindigk. der Tibia
des linken Vorderbeines =
1,7
1,7
2,2
2,1
(2,6)
1,9
1,8
Interessant wäre es, durch weitere ausgedehnte Versuche zu
ermitteln, ob das wenn auch geringe Zurückbleiben der Wachstums-
geschwindigkeit des linken, nicht operierten Vorderbeines (nament-
lich der Tibia) in den rechts operierten Fällen 21 — 26 hinter jener
des Normalfalles mit der an der homologen Extremität der Gegen-
seite zu leistenden Ersatzarbeit (Hypertrophie) etwa zusammenhinge
(»kompensatorische Hypotrophie«?] oder ob bloß ein zufälliges Re-
sultat (wenige Fälle!) vorliegt.
Im allgemeinen ergibt sich aus den Diagrammen B — i^, daß
das Wachstum eines jeden der gut meßbaren Stücke, d. i. Thorax-
länge, Femur und Tibia (letztere bis zur Eingelenkung der Tarsen
gemessen) ein recht gleichförmiges ist, nur natürlich an den Häu-
tungsdaten treppenförmig gebrochen : weder ist etwa ein Nachlassen
der allgemeinen Wachstumsgeschwindigkeit (am besten durch die
Thoraxlänge gemessen), noch eine Steigerung derselben nach den
Operationen zu konstatieren. Vielmehr liegen alle an den lebenden
Tieren oder an den Häuten gemessenen Punkte annähernd je auf
einer Geraden (ähnlich verhält es sich mit Tibia und Femur; in
letzterem Falle jedoch mit Ausnahme von Nr. 22, das während der
letzten Stadien eine unverhältnismäßig große Steigerung des Fe-
muralwachstums erfahren hat, übrigens auch die Häutungen nicht
ordnungsmäßig zu bestehen vermochte).
Die lange zur Metamorphose brauchenden Larven der Gottes-
anbeterinnen nehmen also in einem bestimmten (seit ihrem Aus-
1) Bezüglich dieses Exemplars, dessen letzte HäutuDg kein Imago lieferte,
Tgl. weiter unten Abschnitt VII (Neotenie) !
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184 Hans Przibram
8chltipfen angeschlagenen?) Tempo an Größe zu und legen in einem
gewissen Zeitabschnitt der Metamorphose den aliquoten Teil der
Längenzanahme (ihres Thorax ^ ihrer Tibia u. s* f.) zurück.
Dabei brauchen die Häutuugen weder nach Ablauf einer be-
stimmten absoluten Zeit, noch eines bestimmten Zeitabschnittes rela-
tiv zur wechselnden Gesamtdauer der Metamorphose, noch nach
Erreichung einer bestimmten absoluten Größe (die relative Größe
schließt sich nach diesen Konstatierungen und der Voraussetzung
gleichförmiger Wachstumsgeschwindigkeit bereits von selbst aus) ein-
zutreten. Es geht daraus die gewiß merkwürdige Tatsache hervor,
daß die Häutungen das Wachstumstempo nicht beeinflussen (außer
der Veranlassung stufenförmiger Absätze); dies trägt freilich zum
Verständnis der Möglichkeit einer Abänderung der Häutungszabl
bei (sowie des Eintrittes einer vorzeitigen Häutung nach Amputa-
tionen). Anders verhalten sich die rasch sich entwickelnden Indi-
viduen, indem der gedrängte Ablauf der Metamorphose in einer
steilen Steigerung der Entwicklungsgeschwindigkeit gegen das Ende
derselben sich ausspricht.
Für unser Kontrolltier (Diagramm Ä) sind z. B. die Wachstums-
geschwindigkeiten im Nymphenstadium 0,129 (mm pro Tag) für
Thorax, 0,149 für Femur, 0,055 für Tibia, im vorhergehenden
Larvenstadium 0,075, bzw. 0,100 und 0,025, gegenüber der durch-
schnittlichen 0,085, bzw. 0,074 und 0,044. Eine geringe Steigerung
der Wachstumsgeschwindigkeit und der Imaginalhäutung ist übri-
gens auch bei den andern zu bemerken.
Während die Werte für das linke Vorderbein aller gemessenen
Gottesanbeterinnen nach dem angegebenen Schema für die Wachs-
tnmsgeschwindigkeit ermittelt werden konnten, müssen für das
rechte Vorderbein jener Exemplare, denen die Gliedmaße amputiert
wurde und zu regenerieren begann, die Werte zur Ermittlung der
Begenerationsgeschwindigkeit an deren Stelle treten.
Es sei zunächst der einfachere Fall, die Kegeneration nach
Abschnitt in der Mitte des Schenkels (Nr. 23, d, D) betrachtet. Hier
erhalten wir den durch Regeneration zustande gekommenen Zuwachs
des Femur, wenn wir das am Image gemessene regenerierte Glied
um den seinerzeit stehengebliebenen Rest (2 mm) verkleinern und
diese DiflFerenz durch die von der Operation bis zur Imagohäutung
verlaufene »Regenerations«-Zeit dividieren. Wir erbalten 8,5 : 213
= 0,040 (mm pro Tag).
Bei der Tibia desselben Fangbeines haben wir keinen Rest: wir
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Aufzncht, Farbwechsel u. Regeneration einer ägj ptischen Gottesanbeterin. 185
müssen uns daher mit der Diyisioii der mit dem Imaginalstadinm
erreichten Regeneratlänge durch die Daner begnügen, während wel-
cher die Tibia überhaupt schon ymehs: es ist dies im Maximum die
Zeit von dem Eintritt in jenes Stadium, dessen Abschluß mit der
Häutung das Hervortreten des Regenerats erkennen läßt In unserm
Falle erhalten wir 6:167 = 0,036 (mm pro Tag); da der Nenner
das Maximum eines wahrscheinlichen Wertes angibt, so müssen wir
dessen eingedenk sein, daß der Quotient wahrscheinlich noch zu
klein angegeben ist (da die Wachstumsgeschwindigkeit während des
Nymphenstadiums 1,5:42 ebenfalls gleich 0,036 ist, dürfte kein
großer Fehler im konkreten Fall gemacht sein).
Dieselbe Überlegung für die Bestimmung des Anfangsnullpunktes
wie bei der Tibia im ersten Falle, müssen wir bei den übrigen, wo
es sich stets um erst später überhaupt erscheinende Glieder ohne
Sest handelt, anwenden. Wir haben gelegentlich der Besprechung
der morphallaktischen Vorgänge in der Hüfte gesehen, daß eine
Umbildung des Hüftrestes der Regeneration der übrigen Glieder
vorangeht, und diese Periode ist es, welche bis zum ersten Auftreten
Exemplar:
21 22 23 242) 26 26
dnrchschn. Wachs- / vom OperationB-
tomsgeBchw. des tage an . . .
rechten (reg.) vord. jvon der Anlage
Femur \ d. Gliedes an .
durchschn. Wachs- / vom Operations-
tomsgeBchw- der \ tage an . . .
rechten (reg.) vord. j von der Anlage
Tibia d.GUedesan.
durchflchnittl. Wachfltumsgeßchw.
d. (linken) nicht oper. vord. Femur
- - - - Tibia
0,013 0,050 0,040 0,021 0,023 0
0,0181)0,089 — 0,054 0,044 0
0,011 0,017 0,028 0,011 0,011 0
0,0151) 0,029 0,036 0,029 0,022 0
0,074 0,035 0,059 0,029 0,036 0,038 0,037
0,045 0,021 0,027 0,014 0,014 0,020 0,021
WachBtamsbeBchleunignng
des regenerierenden Femur
der regenerierenden Tibia
gegenüber dem entsprechend. Gliede
der andern Seite
-1) 1,7 1,4 1,5 1,2
~i) 1,1 2,5 2,1 1,1
1) Das Tier Nr. 21, das vor der Erreichung des Imaginaizustandes starb,
und zwar aus unbekannten Gründen, zeigt eine bedeutend geringere Be-
generationsgeschwindigkeit als die übrigen, gesunden Tiere. Es scheint sich
um einen pathologischen Zustand gehandelt zu haben.
2) Vgl. bezüglich dieses Tieres weiter unten Abschnitt VII (Neotenie).
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Xgg Hans Frzibram
der weiteren Gliederanlagen vergangen sein muß. Würden wir diese
Periode in unsre Regenerationsdauer mit einbeziehen, so würden
wir ganz unrichtige Werte erhalten, nämlich viel zu geringe (ver-
gleiche die Zusammenstellung auf vorhergehender Seite).
Vergleichen wir die Wachstumsgeschwindigkeit der nichtope-
rierten Seite mit den Geschwindigkeiten der analogen Begenerate,
so stellt sich uns das Regenerationswachstum in den beobachteten
Fällen (bis auf einen?) als eine wenn auch geringe Beschleunigung
des (annähernd normalen) Wachstums der Gegenseite dar (diese ge-
ringen Beschleunigungen noch als zurällig zu betrachten, liegt kaum
ein Grund vor, weil wir es bei den Regenerationsgeschwindigkeiten,
wie oben auseinandergesetzt, bereits mit Minimalzahlen zu tun haben).
Um zu sehen, ob die Geringfügigkeit der Beschleunigung etwa
von dem späten Stadium zur Operationszeit abhängig ist, habe ich
für einen der von Webber am 2. Stadium angestellten Regenera-
tionsversuche (Tabelle 2, Katalogs-Nr. 1), für den die nach derselben
Vergrößerung aufgenommene Photographien gute Messungen nach-
träglich gestatteten, die entsprechende Zahl ermittelt. Es ergab sich
für den Pemur 1,4, für die Tibia 1,6, also keine von den für die
später operierten Tiere in einer bestimmten Richtung stark abweichende
Zahlen. Wenn sich dieses Ergebnis durch weitere Versuche ver-
allgemeinern ließe, so würde es bedeuten, daß die schwächere Re-
generation auf späteren Stadien nicht auf einer Abnahme der
Regenerationsbeschleunigung bei der Gottesanbeterin beruhen
würde, sondern darauf, daß keine genügende Zeit bis zum Ende
der Metamorphose (dem Schluß des Wachstums) verfließen kann,
damit die (normale) Größe der Gegenseite erreicht werden kann»
Diese Zeit wird bei jenen Operationen, nach denen zuerst die mor-
phallaktische ümordnung eines weiter zurückliegenden Gliedes er-
folgen muß, noch weiter herabgesetzt, und so erklärt sich die (unver-
hältnismäßig?) geringere Regeneration nach Durchschnitt der Coxa,
als nach Durchschnitt des Femurs (oder der Autotomie in den ana-
logen Fällen bei der mittleren und hinteren Extremität).
Bisher habe ich von dem absoluten Wachstumszuwachs und
dessen Geschwindigkeit gesprochen. Es muß aber eigentlich bei
der Vergleichung von Exemplaren verschiedener Größe dieser Wachs-
tumszuwachs durch die (Anfangs-)Größe dividiert werden, um ver-
gleichbare relative Wachstumszuwachse und deren Geschwindig-
keiten zu erhalten. Da die absolute Zuwachsgeschwindigkeit wäh-
rend der Larvenentwicklung annähernd gleich bleibt, die Größe aber
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Aufzucht, Farbwechsel n. Regeneration einer ägyptischen Gottesanbeterin. 187
Stets zunimmt, so muß der Quotient daraus, d. i. die relative Waehß-
tumsgescbwindigkeit, stets mit zunehmendem Alter kleiner werden.
Gleiches gilt Ton der analog gebildeten relativen Regenerations-
geschwindigkeit 1).
Wenn wir nun trotzdem eine konstante Begenerationsbeschleu-
nigung erhalten, so deutet dies auf eine ursächliche, gerade propor-
tionale Verknüpfung der jeweiligen Wachstums- und Regenerations-
gesehwindigkeii
Auf die allgemeinen, durch Formeln ausdrückbaren Beziehungen
will ich hier noch nicht eingehen, da ich dieselben im Zusammen-
hang mit meinen übrigen Regenerationstheorien später eingehend
vorlegen werde.
Auch die Ausdehnung der Versuche über den Farbenwechsel
auf andre Objekte und die chemische Untersuchung der Pigmente
werden den Inhalt einer weiteren Abhandlung bilden.
Neue Versuche über Vererbung und Bastardierung sind im Gange.
VII. Ein Fall von partieller Neotenie?
Als bereits alle übrigen Sphodromantis sich verwandelt hatten,
und die vorliegende Arbeit bereits niedergeschrieben wurde, blieb
noch bis zum 6. Januar 1906 ein Exemplar am Leben, nämlich
Nr. 24 der Tabellen. Das Tier entstammte der Finsterkultur ni ß
und war nach der 6. Häutung am 7. September 1904 mittels eines
Scherenschnittes durch die Hälfte der Coxa des rechten Fangbeines
beraubt worden und hatte dasselbe mit der am 18. Februar 1905
stattgefnndenen 8. Häutung regeneriert (Fig. 20). Zwei weitere
Häutungen erfolgten bei gleichzeitigem Wachstum des Regenerates
am 24. April und 30. Mai desselben Jahres. Anscheinend war das
Njrmphenstadium erreicht, indem deutliche Flügelanlagen vorhanden
waren, und ich erwartete etwa in Monatsfrist die Image ausschlüpfen
zu sehen. Allein es verging der Sommer und der Herbst 1905,
ohne daß das Tier sich weiter verändert hätte, obzwar es bei gutem
Appetite war und die gereichten Mehlwürmer stets verzehrte. So
überlebte das Tier noch das neue Jahr 1906 und wurde dann am
7. Januar d. J. tot in seinem Behälter aufgefunden, leider auch
schon von den als Futter gereichten Mehlwürmern stark angefressen.
Das Exemplar hatte seit seinem Ausschlüpfen 610 Tage gelebt, und
1) Vgl. die Fußnote bei Zeleny, S. 14.
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188 Hans Przibram
während es in den ersten 389 Tagen 10 Häutungen durehmachte,
also durchschnittlich 380/9 = 432/9 Tage^) zu einer Häutung brauchte,
verharrte es die weiteren 201 Tage, ohne ein weiteres Stadium zu
erreichen, und starb anscheinend eines natürlichen Todes^ ohne das
Imaginalstadiam erreicht zu haben.
Obzwar das Exemplar, wie erwähnt, von den nach seinem Tode
zu Herren gewordenen Futtertieren stark beschädigt war, so waren
glücklicherweise jene Belegstücke vollständig erhalten geblieben,
die zur Messung verwendet werden sollten. Eine Ausnahme bildete
das Regenerat des rechten Fangbeines, von dem bloß die Coxa er-
halten ist. Übrigens war der Tarsus des Regenerates während des
Sommers 1905 abermals in Verlust geraten (das genaue Datum kann
ich meiner Ferialabwesenheit halber nicht angeben) und noch in den
ersten Tagen des Jahres 1906, als ich das Exemplar zum letzten
Male lebend kontrollierte, in gar keiner Weise ersetzt worden. Die
Messung der Thoracallänge, der Bestandteile des linken normalen
Fangbeines, sowie der Coxa des rechten Regenerates ergab nun am
Tage nach dem Tode (7./I. 06) genau dieselben Werte, welche nach
der letzten Häutung am lebenden Tiere gemessen (30./V. 1905) und
in der Fig. 22 festgehalten worden waren. Es hatte also keinerlei
Wachstum während der häutungslosen Zeit stattgefunden. Es kann
dies nicht als eine unbedingte Folge der Häutungslosigkeit angesehen
werden, da ja die Gottesanbeterinnen, wie oben angeführt, durch
Dehnung auch zwischen den Häutungen merklich wachsen. Daher
spricht sich in der unveränderten Größe aus, daß gewissermaßen
gar nicht die Absicht zu einem weiteren Wachstnme und also auch
nicht zur Verwandlung vorlag. Hierfür sind noch zahlreiche andre
Gründe anzuführen: die bereits mit der 10. Häutung erreichte Größe
fällt bereits innerhalb der für die Images vorkommenden Werte; sie
ist bei der letzten (10.) Häutung durch einen gegenüber den früheren
Zuwachsen bedeutenderen Sprung erreicht, was gewöhnlich die letzte
(sonst also Imaginal-) Häutung charakterisiert. Ferner hätte der
abermalige Verlust des Tarsus eine Häutung eher beschleunigen
müssen, wenn eine solche überhaupt möglich gewesen wäre. Ander-
seits bestätigt das Ausbleiben der Regeneration des Tarsus, daß
überhaupt die Wachstumsfähigkeit erloschen war.
Das Tier hat also einen Endzustand erreicht, ohne die für die
^) Da die erste Häutung mit dem Ausschlüpfen aus dem Kokon zusammen-
fallt, sind bloß neun IläutungBintervalle zu zählen, also durch 9 statt durch 10
zu dividieren.
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Aufzucht, Farbwechßel u. Regeneration einer ägyptisclien Gottesanbeterin. 189
Imago dieser Art charakteristische Umwandlung durchgemacht zu
haben. Das Verharren auf einem Larrenzustande zu einer Zeit, da
sonst die Metamorphose beendigt ist, wurde von Kollmann als
Neotenie bezeichnet. Dieselbe ist aber erst yoUständig, wenn auf
dem Larvenstadium die Geschlechtsreife eintritt. Ob dies bei der
Gottesanbeterin eintreffen kann, ist nach unserm Falle nicht zu ent-
scheiden, denn erstens ist das Abdomen fast vollkommen zerfressen,
zweitens haben ja auch die metamorphosierten, in der Gefangen-
schaft gezogenen Sphodromantis sich bisher als unfruchtbar erwiesen.
Wenn etwa aus der Gestalt des Hinterleibes auf die Geschlechts-
reife geschlossen werden sollte, so dürfte nach dem rautenförmigen,
flachen Aussehen desselben an dem neotenischen Exemplare (jeden-
falls einem Weibchen) keine Geschlechtsreife vorhanden gewesen
sein. Allein diese Form des Hinterleibes entspricht der Larve und
für diese brauchte auch bei Geschlechtsreife ebenso wie bei den
andern Charakteren im neotenischen Zustande am Abdomen keine
Veränderung vorzukommen.
Das besondere Interesse dieses Falles von, wenn auch nur
partieller, Neotenie liegt darin, daß viele verwandte Gattungen
flügellose Imaginalstadien besitzen oder solche mit rudimentären
Flügeln und daß bei den Stabheuschrecken die flügellosen Formen
sogar großenteils sich parthenogenetisch fortpflanzen, sich also wie
geschlechtsreife Larven, die gar picht mehr des imaginalen Ge-
schlechtstriebes sich erfreuen, verhalten.
Was nun die Ursachen der Neotenie in unsrer Sphodromantis
anbelangt, so sind dieselben nach dem einen Falle natürlich nicht
mit Sicherheit zu beurteilen. Das Exemplar war Zeit seines Lebens
vollständig finster und in einem verhältnismäßig kleinen Blechkäfige
(20 cm Länge, je 12 cm Höhe und Breite) gehalten, außerdem seines
rechten Fangbeines beraubt gewesen. (Die Temperatur war nie weit
von 25° C.)
Mögen diese für das Wachstum ungünstigen Bedingungen eine
gewisse Schuld tragen, so ist doch anderseits darauf hinzuweisen, daß
die Nahrungsaufnahme keine ungünstige und das Mindestmaß
eines Spfiodromantis-hns^os bereits überschritten war. Das Exem-
plar hatte seine nach der 8. Häutung bräunliche Farbe mit der
9. Häutung in ein lichtes Grün verwandelt und ein sehr blasses
Grün bis zu seinem Tode beibehalten. Ich führe diese Färbungen
hier besonders an, weil sie bestätigen, daß die Annahme und Er-
haltung der grünen Farbe unabhängig von dem Lichtausschlasse,
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190 Hans Przibram
der gereichten Nahrung (Mehlwürmer, die mit Kleie, Holzmnlm,
Zitronenstückchen gefüttert werden, enthalten doch kein Chloro-
phyll!) vor sich geht. Es wird vielleicht möglich sein, die Hellig-
keit der Farbe auf die die Pigmentbildung hindernde Finsternis zu
setzen, wozu aber noch weitere Versuche notwendig sind. Diese
hellere Färbung wäre dann nicht im Sinne der Chlorophyll-Etiole-
ments bei grünen Pflanzen, sondern von Bleichungserscheinungen
z. B. der Höhlentiere [Proteus, Niphargits) aufzufassen.
Zum Schlüsse sei noch auf die Bestätigung der bezüglich des
Verhaltens der Regeneration zum absoluten Alter und anderseits
zur Entwicklungsstufe gemachten Bemerkungen (S. 174) durch unsern
Neoteniefall hingewiesen. Ich habe dort ausgesprochen, daß der
scheinbare Widerspruch im Verhalten der Sphodromanüs und der
Amphibien bezüglich der Regeneration bei verzögerter Verwandlung
darauf zurückzuführen sei, daß erstere einer langsameren Veraus-
gabung der Waehstumsenergie die Verzögerung verdanken, wobei
sie aber daher regenerationsfähig bleiben, während letztere das
normale Wachstumsmaß bereits erreicht haben und daher auch ent-
sprechend weniger leicht regenerieren. In der neotenischen Spho-
dromantis sehen wir nun tatsächlich ebenso wie bei den neotenischen
Amphibien keine Regeneration mehr eintreten: sie hat eben mit
Erreichung der Wachstumsgrenze auch die Regenerationsfähigkeit in
entsprechender Weise eingebüßt.
VIII. Zusammenfassung.
1) Sphodroniantis bioculata Burtn. kommt in grünen und brau-
nen Exemplaren an ein und derselben Lokalität vor.
2) Die Anzahl der Häutungen ist bei verschiedenen Exempla-
ren verschieden; die Färbung eines und desselben Exemplars kann
im Laufe der Zeit zwischen grün und braun mehrfach variieren.
3) Das Auftreten der Grünfärbung an den braun i) ausschlüp-
fenden Larven ist weder an Licht (Finsterkulturen) oder chlorophyll-
oder etiolinhaltige Nahrung (Rohrzucker- und Pst/cÄodo-Ftitterung),
noch an die Farbe der Umgebung (farbige Kästchen) gebunden ; der
Farbwechsel ist aber auch kein 2) plötzlicher (elektrische Reiz-
1) Es gibt auch grün ausBchlUpfende Junge (Zusatz 1906).
-} Durch Versuche an MarUis religiosa dürfte sich eine gewisse Einschrän-
kung dieses Wortes auf: »nicht immer« ^geben.
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Aufzucht, Farbwechßel u. Regeneration einer ägyptischen Gottesanbeterin. 191
versuche) »physiologiselier« und scheint weder durch die bisher be-
kannten Yererbungsregeln noch durch Selection erklärbar.
4) Das »Fangbein« (1. Beinpaar) der Gottesanbeterin ist ebenso
regenerationsf&hig wie die übrigen Beine, und zwar regenerieren alle
Beine rascher, wenn sie an der, bei den beiden hinteren Beinpaaren
durch Autotomie ausgezeichneten Stelle amputiert werden, als wenn
weiter proximal die Hüfte durchtrennt gewesen.
5) Nach Durchtrennung der Hüfte findet nämlich zunächst eine
Umformung des Restes zu einer verkleinerten Ganzbildung (»mor-
phallaktischer« Vorgang) statt, wobei die ausgebildeten Muskelreste
durch weniger differenziertes Gewebe ersetzt werden und sich die
ein früheres Stadium des betreffenden Exemplars wiederholende
Färbung des Regenerates bis über die ganze Hüfte erstreckt.
6) Die absolute Wachstumsgeschwindigkeit des Thorax, des
Femurs und der Tibia scheint während der postembryonalen Ent-
wicklung für jedes Exemplar eine konstante zu sein, die jedoch bei
verschiedenen Exemplaren um mehr als das Doppelte variieren kann;
die absolute Regenerationsgeschwindigkeit scheint der absoluten
Wachstumsgeschwindigkeit parallel zu gehen, so daß die Beschleu-
nigung dieser letzteren durch Regeneration wieder eine Konstante
ergibt. Diese beiden Konstanten schließen in sich ein, daß die
relative Wachstums- und Regenerationsgesehwindigkeiten bis zur
Erreichung des Imaginalzustandes gleichförmig abnehmen, da die
Größe des Tieres gleichförmig zunimmt, der Größenzuwachs aber in
der Zeiteinheit sich gleichbleibt.
7) In einem Falle blieb ein Tier zeitlebens auf einer dem Ima-
ginalzustande vorangehenden Entwicklungsstufe stehen (partielle
Neotenie), obzwar es von allen Exemplaren weitaus das größte
Alter erreicht hatte.
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X. Erklärung der Abbildungen.
Tafel VI— rX.
(Alle Figuren beziehen sich auf Sphodromaniis biocvlaia Burm.)
T.f.
Fi«-
KaUlog-
Nr.
des
Tieres
Vgl.
Tabelle
Vgl. Seite
VI
1
2
3
Eikokon mit anhängenden »ersten«
Häuten
—
3a
163
153, 154
155
1
Larve, 2. Stadium (Kontrollkultur)
- 3. -
4
4.
—
-
155, 156
-
5
- 5.
—
-
-
-
6
- 6.
—
-
-
-
7
7. - braun
0
-
156
-
Ib
8
9
10
- grün
- Übergangsfärbung -
8. - (Kontrollkultur)
9. - = Nymphe
10. - = Imago, 3 -
0
-
156, 157
157
157, 158
"
11
12
13
14
15
16
Larve, 9. Stad., Regenerat. Fangb. r.
dieselbe, 10. - - - -
11. - (= Nymphe?), Regene-
ration Fanfirbein r
21
22
3b
3c
173, 179
173, 179
173
173
174
Larve, 10. Stad., Regeneration Fangb. r.
dieselbe, 11. Stad. = Nymphe, Regene-
ration Fanerbein r
dieselbe, 12. Stad. = Imago, Q, Regene-
ration Fanerbein r
Arcl
ü?f. E
ntwiekliiiigsmechanik. XXII.
1
3
Digitized by
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194
Hans Przibram
KaUlog-
•
T»f.
*ig.
Nr.
des
Tieres
Vgl.
Tabelle
Vgl. Seite
•
>
VII
17
Larve, 9. Stad., Regenerat. a. r. Fang-
18
bein Femur
23
3d
173, 179
dieselbe, 10. Stad. ^ Nymphe, Regene-
ration a. r. Fangbein Femur ....
-
-
173, 176
19
dieselbe, 11. Stad. =» Imago, cj, Regene-
ration a. r. Fangbein Femur ....
-
-
174, 175
20
Larve, 9. Stad., Regenerat. Fangbein r.
24
3e
173
21
dieselbe, 10. Stad.,
-
-
173
22
dieselbe, 11. - gezeichnet 30./V. 05,
Regeneration Fangbein r
-
-
174
23
dieselbe, 11. Stad., gezeichnet 30./V. 05,
Regeneration Fangbein r
-
-
174
2
24
dieselbe, 11. Stad., gezeichnet 7./I. 06,
[keine Regeneration Fangbein r.) . .
-
-
174
1
25
Larve, 10. Stad. = Nymphe, Regenera-
tion Fangbein r
25
3f
174
-
26
dieselbe, 11. Stad. = Imago, cj, Regene-
ration Fan fabeln r
.
.
174
.
27
Larve, 10. Stad. = Imago, c5, Fangbein
r. nicht regeneriert
26
3g
174, 175
-
28
Larve, 9. Sted. = Imago, c5, Mittelb. r.
nicht reireneriert
28
2
176
.
29
ohne Nahrung 14 Tage nach Schlüpfen
überlebende Larve
—
i(iny)
154
-
30
mit Rohrzucker u. Psyehoda gefütterte
Tiarve fl4 Taere)
1(111«)
154
.
31
mit etiolierten Aphiden (im Finstem) ge-
fütterte Larve (23 Tage)
—
1(IV)
165
32
Larve während d. 2. Häutung (2./3. Stad.)
~~
—
154, 155
-
33
Larve, 4. Stad., Regenerat. Fangbein r.
4
2(1]
173, 178
34
Larve, 6. (6.?) Stad., -
4a
-
173, 178
36
Larve, 5. Stad., Regenerat. prox. Autot.
st. abgeschn. Mittelbein r
14
2(V)
178
36
Larve, 5. Stad., Regenerat. Hinterbein r.
16
-
173, 176
37
Larve, 5. Stad., Regenerat. prox. Autot.
St. abgeschn. Hinterbein r.
12
-
173, 178
38
Larve, 6. Stad., Regenerat. Hinterbein r.
(Photographien:)
17
173, 176
VIII
39
39 a.
Larve, 3. Stad., Regenerat Fangbein r.
dieselbe, 2. Stad., das amputierte rechte
1
2(1)
172
14
Fangbein
-
-
171
-
Digitized by
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Aufzucht, Farbwechsel u. Regeneration einer ägyptischen Gottesanbeterin. 195
Taf.
IX
40
41
42
42 a
Larve, 3. Stad., Begenerat Mittelbein r.
I - - - - Hinterbein -
Schnitt durch die Larve Fig. 35 (Quer-
schnitt durch den Rumpf und Längs-
schnitt durch die Hüften und das
Regenerat)
derselbe Schnitt, bloß die innere Partie
der Hüften
43 I Wachstumsdiagramme :
A\
B, . .
(7.
d\
S\
F . . •.
0
E
KaUlog-
^^.
Vgl.
des
Ttbelle
Tieres
2
2(1)
3
"
14
2(V)
0
3a
21
3b
22
3c
23
Sd
24
3e
26
3f
26
3g
0
3a
171
171, 178
179
179
181 ff.
14
46
160
13*
Digitized by
Google
196
Tabelle 1.
t
N
1
11
1
«
1«
1^^
Beleacbtnng
Umgebung
Käfig
Nabrang
M
1.
Material
I§
h3
vor
über
I.
Eawa
,
3i./xn.
1903
4./II.
ÖO
Tageslicht
Grüne
Glas-
80
IOC
60
BlatÜäuse,
16./IV.I
1904
Pflanzen
terrarium
später
Fliegen,
Mehlwürmer
vor
etwa
n.
Kawa
a
•
•
31./XIL
1903
je 20
-
-
Zinkblech
10
Ifi
10
-
20./IV.C
ß
•
•
•
-
•
Ohne
Pflanzen
-
-
-
-
-
20./IV.C
r
•
•
•
-
durchfallend
rot
Grüne
Pflanzen
-
-
-
-
-
20./IV.(l
cf
.
.
-
- gelb
-
-
-
-
-
-
20./IV.g
e
,
.
-
- grün
- blau
-
-
.
-
-
«
20./IV.C
^
•
•
•
-
-
-
-
-
-
-
20./IV.C
V
_
- violett
,
.
.
.
.
.
20./IV.C
C
-
ganz finster
Tageslicht, \
-
-
.
-
.
-
20./IV.(
[II.
Duem
30!/I.
30./IV.
1904
( ^
Ohne
Holz m.
28
12
12
Rohrzucker,
30./IV.C
1904
geschlüpft,
Pflanzen
Draht
später Zwei-
flügler (ab
20./V.
(dann Eier-
paket fin-
a
*
■
'
1
ster gestellt)
f finster ge-
schlüpft
iTageslicht^
•
•
•
•
Fliegen)
2./V.04
2
.
.
•
.
.
4./V.0I
ß
•
.
•
6
6
ganz finster
Zinkblech
12
20
12
6./V.0i
r
•
•
•
7
r2ii)
20
-
-
-
10
8
8
Ohne
Nahrung
9.i-l4:/t
1904
IV.
Kawa
grün
,
31./XII.
.
.
_
26
20
14
Etiolierte
ii./v.ai
1903
Blattläuse
.
20
-
-
-
26
20
14
-
ii./v.oi
etwa
V.
Müris
.
19./I.
1904
6./II.
1905
20
.
Grüne
Holz m.
30
24120
BlatÜäuse,
24./IY.(l
f(
Pflanzen
Draht u.
später Flie-
Glas
gen, Wür-
mer usw.
!i
.
,
2
finster ge-
schlüpft,
ab 4./VI.
Pflanzen
Holz m.
60
30
20
-
24./IV.Ö
(mit abge-
Draht u.
schnitte-
Organtin
reflektiert. L.
nen
rot
Blättern)
y
2
y braun
-
-
-
-
-
j
2
- orange
-
-
-
-
-
B
2
- gelb
-
-
-
-
-
ff-
2
- grün
-
-
-
-
-
V
2
- blau
-
-
-
-
-
C
2
- violett
-
-
- ! -
-
-
1
.
2
- weiß
.
.
.
.
.
X
2
- grau
-
-
-
-
-
-
X
•
2
- schwai-2
-
-
-
-i
-
-
-
1) Zu Regenerationsversuchen von I. Werber verwendet, in mit Moos ausgebetteten Käfigen
Digitized by v^'
{Aufzucht)
197
Be 0 h achte te r Beginn der H&nttt ngen
10.
11.
2 o Ö'«
ll./V.
e
27./V.
i.An[.
1./VI.
21./VI.
2./vn.
3./VI.
2./vn.
26./VII.
e
6./VII.
iö./vn.
22./VI.
27./VI.
11./VL
27./VL
ll./VI.
27./VL
ll./VI.
15./VII.
27./VI.
ll./VL
e
4./vra.
e
24./vm.
8./IX.
3i./vnL
2i./vm.
2i./vin.
e
e
19./VI.
23./VI.
26./vn.
i2./vm.
11./IX.
3./IX.
e
i./vin.
30./1X.
6./vnL
27./X.
i8./vm.
2Ö./XI.
lö./IX.
22./XIL
30./X.
ö./vm.
i8./vm.
lö./IX.
18. AI.
1905
24./IV.
21./VIU.
14./IX.
3./XI.
28./I.
1905
12./m.
e
e
e
e
e
I0I2 und Draht- oder Organtingeflecht untergebracht; Nahrung: Blattläuse
17./I.
1905
ll./IX.
(grün)
30./V.
22./IV.
7./ni.=7./m.
(braun)
30./X.
(grünl.-
braun)
21.VI. 05
l./VI. 04
4./V. 04
27,/V. 04
2./V. 04
21./V. 04
18./V. 05
15./VII. 04
22./VI. 04
22./I. 05
ohne
weitere
Htg.
(grün)
6./I. 06
25./V. 04
6./VI. 04
13./VI. 04
28./V. 05
15./VII. 04
15./Vn. 04
3./IX.04
(kons.)
9./IX. 04
(gesteckt)
3./IX. 04
(kons.)
9./IX. 04
(gesteckt)
31.AX. 04
(kons.)
lö./VII. 04
(vor)
15./VI1. 04
lö./VII. 04
Digitized by
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198
Hans Przibram
Tabelle 2.
JA C3
IV.
u.
I.
m.
I.
III«.
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1.
16./V.
2
-
-
3
-
-
4
2.
30./IV.
4a
-
-
ö
-
-
6
-
• -
7
3.
6./VI.
8
-
21./V.
9
-
-
10
-
-
11
2.
27./VI.
12
-
2./VII.
13
3.
2./VII.
14
-
-
lö
.
_
16
-
.
17
-
-
18
-
27./V.
19
.
.
20
-
.
21 A
5.
7./IX.
22 C
.
.
23F
6.
9./IX.
24 B
-
7./IX.
26 D
-
-
26 E
1,-.
17./VIII.
7./IX.
27 G
8.
9./IX.
28F
'
17./IX.
Coxa
Coxa
Femur
Coxa
Coxa
Femur
Coxa
Coxa
Coxa
Femur
Coxa
Art der Oparation
Nacb
2.
V2 Scherenschnitt IL/VI. R.
Autotomie
V2 Scherenschnitt
Autotomie
V2 Scherenschnitt
Autotomie
proximal Au tot. -St.
amp.
Vä Scherenschnitt
proximal Antot-St.
amp.
Autotomie
proximal Autot.-St.
amp.
V2 Scherenschnitt
Autotomie
Coxa V2 Scherenßchnitt
30./V. R.
l./VI.R.
27./V. R.
i5./vn.o
19./VI.K.
- I
ll./VI.KJ
21.A'I1LR.
24./VinE'
8./IX,R
3i./vni.ß
131./VII.R
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Aufzucht, Farbwechsel u. Regeneration einer ägyptischen Gottesanbeterin. 199
(Regeneration.)
Häutung Nr.
fR bedeutet Regenerat,"
Lo - kein - .
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Tod
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7.
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10.
11.
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kons. ll./VI.
"
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•
(P. kons.
8./vm.)
weiter s. Ver-
such 23.
vor 4. Häu-
tung (15./Vn.)
weiter s. Ver-
such 10.
ohne Haut.
lö./VII.
kons. 3./IX.
ohne Haut.
15./VII.
kons. 3./IX.
21./VnLR
•
••
gesteckt 9./IX.
kons. 3./IX.
gesteckt 9./IX
ohne Haut
i6./vn.
2i./vin.
14./IX. 0
3./XI.0
28.A. Ä.
12./m.R.
22./IV.R.
vor Im. H.
28./V.
18./V.
21./VI.
itung 6./I.06
31./V.
12./V.
vor Häutg.
22,/I.
3./IX.
•
•
30./IX. 0
28./vin.
27./X.0
26./X.0
18./IX.0
21./X.0
vor
3./IX. R.
25./XI.0
1./I.R.
18./n.R.
2./XIL0
26,/XLO
22./Xn.R.
28./II. R.
24./IV.R.
20./I. R.
21./II.0
30./XIL0
17./I.R.
ll./IV.R.
30./V.R.
12./m.
7./III.R.=
ohne we
= Imago
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Imago
Imago
Imago
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- Glied 1
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- 3
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Kristall-Analogien
zur Entwicklungsmechanik der Organismen.
Von
Hans Przibram.
(Aus der Biologischen Yersuclisaiistalt in Wien.)
Eingegangen am 24. Mai 1906.
Inhaltsübersicht.
Seite
I. Einleitung 207
IL Literaturverzeichnis (zum Gesamtthema) 209
lU. Das Problem der proportionalen Formregulation 220
A. Darstellung der Analogien 220
B. Ansichten verschiedener Autoren über deren Wert 263
I. Einleitung.
Die Beziehungen zwischen Kristallen und Organismen sind
mannigfaltige. Viele Bestandteile der lebenden Körper sind aus
kristallisationsföhigen Stoffen gebildet und manchmal sind echte
Kristalle im Tier- oder Pflanzenkörper eingelagert. Selbst die echten
EiweiBsubstanzen sind, wie wir nach den Untersuchungen von Hof-
meister und seinen Scbülern wissen, unter bestimmten Bedingungen
zum Kristallisieren zu bringen. Alle diese Beziehungen kommen
fllr die Analogien zwischen Kristallen und Organismen nicht in Be-
tracht. Als solche können nur Erscheinungen aufgefaßt werden, die
eine bei der Kristallisation und bei der organischen Formbildung
ähnliche Regelmäßigkeit aufweisen.
Obzwar mir das Bestehen weitgehender Analogien bereits seit
einigen Jahren klar geworden war *), so habe ich mit der VeröflFent-
^) Die erste Anregung zur weiteren Verfolgung der Analogie verdanke ich
der ersten Untersuchnng von Rauber über Kristallregeneration; freilich sah ich
mich bald genötigt, andre Wege als die von Raube u betretenen einzuschlagen.
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208 Hans Przibram
lichnng dieser Ausfährungen doch warten wollen, bis mir experimen-
telle Beweise zur Verfügang standen. Die Versuche wurden als
nackte Tatsachen in der Zeitschrift fttr Kristallographie (1904) publi-
ziert. Die daselbst versprochene Vergleichung der Restitutionsvor-
gänge bei Kristallen und Organismen soll als Ausgangspunkt fttr
die Darstellung der Analogien überhaupt dienen. Es ist mir ein
angenehmes Bewußtsein, daß ich hierbei der Zustimmung einer Reihe
von namhaften Forschern sicher bin, die wie Roux und Goebel aas
meinen Versuchen bereits Schlußfolgerungen abgeleitet haben.
Die zahlreichen weiteren Vergleichspunkte zwischen Kristallen
und Organismen (Wachstum, Symmetrieverhältnisse, Bewegung, Selbst-
teilung usw.) werden die weitere Fortführung der vergleichenden
Untersuchung bilden und hierbei werde ich vornehmlich auf die
grundlegenden Beobachtungen von 0. v. Scheoen (Neapel) und
0. Lehmann (Karlsruhe) einzugehen haben, welchen beiden ich für
liebenswürdige Aufnahme gelegentlich eines Besuches in diesen Städten
und für Zusendung ihrer Publikationen zu großem Danke verpflichtet
bin. Bedauerlicherweise hat sich v. Schroen bisher zu einer prag-
matischen Veröffentlichung seiner außerordentlich wichtigen und ein-
gehenden Untersuchungen über das Wachstum der Kristalle nicht ent-
schließen können; so sind die in die Öffentlichkeit gedrungenen Mit-
teilungen nur geeignet gewesen, eine falsche Vorstellung von seinen
Arbeiten zu erwecken. Niemand, der sich für die Grenzgebiete der
naturwissenschaftlichen Diszpiplinen interessiert, sollte es bei einem
Aufenthalte in Neapel versäumen, sich von Schroen die Entwicklungs-
stadien der Kristalle vorführen zu lassen.
Völlig unabhängig von Schroen ist der bekannte Molekular-
physiker 0. Lehmann infolge seiner Beschäftigung mit fließenden
und flüssigen Kristallen zu Ergebnissen gelangt, die in manchen
Punkten die Beobachtungen von Schroen bestätigen (anscheinend
spontane Beweglichkeit, Selbstteilung mancher Kristalle). In aller-
jüngster Zeit versandte 0. Lehmann ein lithographiertes Circular
mit einer Aufforderung zur Mitarbeit an den von ihm angeregten
Problemen, welches schließt: »Ob die bei den scheinbar lebenden
Kristallen beobachteten eigentümlichen Vorgänge nicht nur äußerlich
den entsprechenden Vorgängen bei niedrigsten Lebewesen ähnlich
sind, sondern auf wirklicher Verwandtschaft der dabei tätigen physi-
kalischen Kräfte beruhen, wird der Physiologe und Biologe zu ent-
scheiden haben. Das Interesse des Physikers wird hauptsächlich
dadurch gefesselt, daß eine Ableitung jener Vorgänge aus bisher
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EriBtall-Analogien zur EntvicklangBmechanik der Organismen. 209
Bekanntem unmöglich erscheint. Vereinten Kräften dürfte wohl
gelingen, nach allen diesen Richtungen Klarheit zu sehafTen.c
Meine Arbeit kommt also gewissermaßen als eine Antwort auf
diese Aufforderung zurecht, obzwar der jetzt vorliegende erste Ab-
schnitt des Themas bereits vor Erhalt des Circulars abgeschlossen
war und zunächst vorwiegend andre Vergleichspunkte als die zu-
letzt von Lehmann gemeinten behandelt.
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The Relation of the Degree of Injury to the Kate of Regeneration. Joum.
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Zehiatschenset, P., über einige Kontakterscheinungen bei der Kristallisation.
Trav. de la Soc. d. Natur. St. P^tersbourg. 1890. 21. F. 1. VII (ref
Z. f. Kr. 1893. 22. S. 77).
ZiRNGiEBL, H.. Beitrag zur Kenntnis d. Beziehungen zwisch. istall. u. Molekül.
Z. f. Kr. 1902. 36. S. 117.
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220 Hans Przibram
III. Das Problem der proportionalen Formregulation.
A. Darstellnng der Analogien.
Von altersher ist man gewohnt, den »lebenden Individuen«,
Tieren und Pflanzen, die Kristalle als Individuen der leblosen Welt
an die Seite oder gegenttberzastellen.
Die »Indivisibilität«, d. h. Unteilbarkeit der Organismen wie der
Kristalle mag man sich ursprünglich als eine solche vorgestellt haben,
wie wir sie, jetzt den Molekülen zuschreiben: daß nämlich eine
Teilung derselben zwar möglich ist, deren Produkte (analog den
Atomen) jedoch (auch abgesehen von der geringeren Größe) nicht mehr
dieselben Eigenschaften aufweisen wie die ganze Einheit.
Heute, wo wir wissen, daß niedere Tiere und Pflanzen durch
künstliche Zerteilung vermehrt werden können, daß aus einem Ei
unter Umständen mehrere verkleinerte Ganzbildungen entstehen, und
daß auch verletzte Kristalle »ausheilen«, erscheint gerade die Teil-
barkeit als eine wesentliche Eigenschaft dieser Körper, da die Aus*
bildung der Teilstlicke zu ganzen Exemplaren eine »Selbsttätigkeit«
durch im Innern gelegene Kräfte voraussetzen läßt.
Wir können jedoch den Begriff des »Individuums« beibehalten,
wenn wir die Unteilbarkeit darin erblicken, daß die Teile nicht
dauernd Teile bleiben, sondern selbsttätig zu Ganzen werden.
Zum praktischen Erkennen der einzelnen Individuen benutzen
wir nach wie vor die Form derselben, d. i. die Anordnung der
Teilchen im Systeme (beide Worte im allgemeinsten Sinne ge-
braucht).
Form, sowie Masse, kommen auch nicht individualisierten, physi-
kalisch-chemischen Systemen zu und es kann daher versucht werden,
die Erscheinungen der Formregulation als besondere Fälle in eine
allgemeine Mechanik (Statik und Dynamik) einzuordnen.
Nimmt man an einem Systeme in aufeinanderfolgenden Zeiten
keine Veränderung wahr, so sagt man, das System befinde sich im
Gleichgewichte.
Kehrt ein System nach einer Störung wieder in den vor der-
selben vorhanden gewesenen Zustand zurück, so nennt man das
Gleichgewicht ein stabiles (a).
Kehrt ein System nach einer Störung nicht wieder in den
vorigen Zustand zurück, geht aber in einen andern, als den während
der Störung vorhandenen Zustand über, so nennt man das Gleich-
gewicht ein labiles (b).
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Kristall- Analogien zur Entwicklungsmechanik der Organismen. 221
Kehrt ein System endlich nach einer Störung nicht wieder in
den vorher bestandenen Zustand zurück, sondern verbleibt auch
nach der Störung in dem Znstande wie während (des letzten Mo-
mentes] der Störung, so nennt man das Gleichgewicht ein in-
differentes (c).
Eine Störung des (statischen] Gleichgewichtes kann entweder
Masse und Form des Systems unverändert lassen, oder bloß die
Masse, oder bloß die Form, endlich weder Masse noch Form.
I. Sollen Masse und Form eines Systems bei einer Störung
unverändert bleiben, so bezieht sich dieselbe auf das Verhältnis
(die Lage) des ganzen Systems zur Umgebung.
Als Beispiele für diese Fälle können die geläufigen Schwer-
punktsuntersttttzungen fester Körper dienen:
a) Stabiles GL, Rückkehr nach der Störung: ein oberhalb des
Schwerpunktes aufgehängter Körper.
b) Labiles Gl., Übergang in eine andre Lage: ein unterhalb des
Schwerpunktes aufgehängter Körper.
c) Indiff. Gl., Verharren in der Störungslage: ein im Schwerpunkte
aufgehängter Körper.
II. Bleibt die Masse eines Körpers unverändert, während die
Form gestört wird, so heißt das (nach unsrer Definition der
Form) so viel, als daß die Lage der Massenteilchen zueinander ver-
ändert wird.
Als Beispiele dienen die Kohäsionsarten der Körper:
a) St, Rückkehr nach der Störung: Elastische Körper.
b) Lab., Übergang in eine andre Lage: Spröde Körper.
c) Ind., Verharren in der Störungslage: Dehnbare Körper.
lU. Bleibt die Form eines Systems unverändert, während die
Masse Veränderungen ausgesetzt wird, so kann dies nur in der
Weise geschehen, daß in zwei aufeinanderfolgenden Zeitteilen jedes
abgehende Massenteilchen wieder durch ein gleichartiges ersetzt
wird (qualitative Massenverändernng). Diese Fälle, welche den
Schein eines statischen Gleichgewichtes hervorrufen, werden als
»stationäres, dynamisches Gleichgewicht« bezeichnet. Gegenüber
einer (eventuell sehr kleinen) Störung ihrer Form verhalten sich die-
selben wie statische Gleichgewichtsfälle:
a) St., Rückkehr nach der Störung: Springbrunnen (z. B. nach Zu-
halten des Auslaufs); Flamme (z.B. nach Niederdrttckung); Orga-
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222 Hans Przibram
nismus als Stoffwechselmaschine (z.B. nach Hungerperiode) ^) ;
Kristall in gesättigter Lösnng^j.
b) Lab., Übergang in einen andern Zustand : »Schraubt man einen
Wasserhahn so weit zu, daß ein ganz dünner, ruhiger Strahl
zum Vorschein kommt, so genügt ein zufälliger Anstoß, um
dessen labiles Gleichgewicht zu stören und dauerndes rhyth-
misches, tropfenweises Ausfließen zu veranlassen.« (Mach,
S. 153.)
c) Indiff., Beibehalten der Störungslage: >Mau kann eine lange
Kette aus einem Gefäß, in welchem sie zusammengerollt liegt,
über eine Rolle, nach Art eines Hebers, in ein tieferes Gefäß
überfließen lassen. Ist die Kette sehr lang, der Niveauunter-
schied sehr groß, so kann die Geschwindigkeit sehr bedeutend
werden, und dann hat die Kette bekanntlich die Eigenschaft,
jede Ausbiegung, die man ihr erteilt, frei in der Luft lange
beizubehalten und durch diese Form hindurchzufließen.« (Mach,
S. 153—154.)
IV. Werden Masse und Form eines Systems gestört, und zwar
in der Weise, daß die Veränderung der Massenteilchen nicht unter
fortwährendem Ersatz der abgehenden vor sich geht (quantitative
Massenveränderung), so bedeutet dies eine Trennung des Systems,
eventuell eine Verschmelzuog von Systemen.
a) In diesem Falle hat das betreffende System, wenn es die Be-
dingungen der Stabilität erfUUen soll, die Form (a) und die
Masse (ß) wiederherzustellen.
a. Der Forderung der Rückkehr jedes Teiles in den gleichen
Formzustand (geometrische Proportionalität) erfüllen: der
Flüssigkeitstropfen, die weichen Kristalle, die »Regula-
1) >£in OrganismoB ist ein System, das seine Beschaffenheit (ohemiachen
Wärmezustand usw.) gegen äußere Einflüsse zu erhalten vermag, das einen
dynamischen Gleichgewichtszustand von beträchtlicher Stabilität darbietet.«
Hering, 1888. Vgl. auch Albrecht, 1899, mit zahlreichen Literatnrzitaten.
2) Vgl. Pfaundler, (1869, 1876), Handl und Klocke (letzterer gegen die
Einwände von Legoq de Boisbaudran). Die Idee Pfaundlers, daß es sich
bei Kristallen in gesättigter Nährlösung um ein dynamisches Gleichgewicht
handelt, indem stets Teilchen fortgerissen und wiederangesetzt werden — ist
lange Zeit unbeachtet geblieben. Sie bildet die Grandlage für das richtige
Verständnis der Erhaltung der Kristallform, wie sich nun durch die zu be-
sprechenden Versuche über Kristallregeneration in gesättigter NährlOsang auf
das klarste erweisen ließ.
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KriBtall-Analogien zur Entwicklangsmechamk der Organismen. 223
tionsc-Eier und jene niederen Tiere, welche »Morphallaxis«
zeigen ^).
ß, Anch die Forderung der Wiederherstellung der Masse er-
füllen: die starren Kristalle in Nährlösung und die Orga-
nismen (soweit sie regenerationsfähig sind) bei Möglichkeit
der Assimilation (sowie die sub a angeführten Systeme bei
entsprechender Materialzufuhr).
b] Unter die labilen Formen werden wir jene Fälle einzureihen
haben, wo eine Störung die Herstellung einer veränderten Form
veranlaßt (»Heteromorphose«), oder in einfacherer Weise der
Übergang in eine andre stabile Gleicbgewichtsform stattfindet,
z. B. der Übergang eines Einzelligen in einen Flüssigkeits-
tropfen bei Abtrennung des Kernes.
c) Im Gegensatze zu jenen »regulationsfähigen« Systemen, die
nach Zerteilung infolge der in ihrem Innern wirkenden Kräfte
neue Formen annehmen, befinden sich in diesem Sinne im in-
differenten Gleichgewichte: alle amorphen Körper, einschließlich
der »Pseudomorphosen« und »Metaplasmen«.
1) >Man hat die Form zustände der Organismen wegen des Stoffwechsels
häufig mit d3niamiBchen Gleichgewichtszuständen verglichen. Mir scheint dies
nicht zatreffend, denn ein solch rascher und andauernder Stoffwechsel, wie er
derartige Zustände bedingt [Wasserfall, Fluß, Springbrunnen, Flamme], liegt doch
im Organismus sicherlich nicht vor.« Bütbohu, 1901, S. 20. — Darauf muß
erwidert werden, daß für das Lebendige gerade der Stoffwechsel das Charakte-
ristische ist und es auf die Größe der Auswechsel-Geschwindigkeit doch bei
der Definition nicht ankommen kann; übrigens verwendet Bütschli selbst den
dynamischen Gleichgewichtszustand zur Erläuterung der Regenerationsvorgänge.
Ganz unverständlich ist es mir, wie G. Wolff schreiben kann: »Was für ein
Gleichgewichtszustand ist denn eigentlich gestOrt, wenn dem Triton ein Bein
abgeschnitten wnrde? Höchstens das Gleichgewicht beim Gehen. Und wenn
wir, obwohl das nur ein Wort ist, die an der Wundstelle eintretende Störung
eine Gleichgewichtsstörung nennen wollten, so wäre diese Störung doch längst
wieder aufgehoben und ein Gleichgewichtszustand erreicht, wenn die Wunde geheilt
ist. Dieser Gleichgewichtszustand hindert aber nicht die Regeneration eines
neuen Beines.« Es muten mich solche Aussprüche gerade so an, als ob jemand
bestreiten würde, daß der elektrische Gleichgewichtszustand eines KOrpers sich
geändert habe, weil der Körper nicht gewackelt habe oder umgefallen sei. Ziehen
wir vollends zum Vergleiche die Regeneration der Kristalle her, dann sehen
wir sofort, daß die Wiederherstellung des Gleichgewichtszustandes zwischen
ELristallform und Lösung mit der Standfestigkeit des Kristalles nicht verwechselt
werden kann, da der aufgehängte, in seiner Lage unveränderte Kristall doch
regeneriert.
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224 Hans Przibram
Die vorstehende Systematik dürfte genügen, um za zeigen, daB
die Erscheinung selbsttätiger Formregnlation nicht unvermittelt in
einem allgemeinen Kanon der Naturgesetze stehen wttrde.
Das Zusammentreffen von Flüssigkeitstropfen, Kristallen und
Organismen in unsrer Gruppe IV a) ist bedeutungsvoll. Bütschli
(S. 19) hat schon diese Zusammenstellung vorgenommen: »Formen
in dem Sinne, wie es organisierte Individuen sind, d. h. deren Be-
schaffenheit durch den inneren Bedingungskomplex bestimmt wird,
finden sich in der unorganischen Natur in geringer Ausbildung. Es
lassen sich hierher nur rechnen die Gleichgewicbtsfiguren flüssiger
Körper und Kristalle.«
Mit der bloßen Konstatierung eines gemeinsamen Verhaltens
dieser drei KOrpergruppen ist aber noch wenig fUr das Verständnis
der »Selbstregulation« getan. Es ist ja doch das Bestreben der
Naturkunde kompliziertere Vorgänge auf das Zusammenwirken ein-
facherer Faktoren zurückzuführen, uns durch »vollständige Be-
schreibung« (Kirchhoff) ein anschauliches Bild derselben zu ent-
werfen. Wir werden die Analyse eines Naturvorganges dann für
beendigt halten dfTrfen, wenn wir uns davon überzeugt haben, daß
die Wegnahme jeweils eines verantwortlich gemachten (uns bereits
anderweitig bekannten) Faktors ein System übrig läßt, das nunmehr
das Wirken der übrigen verantwortlich gemachten Faktoren aufweist
Hierzu verhelfen uns nicht bloß gedankliche Operationen, sondern
vor allem die Experimente, welche uns auf diese Art mehr als eine
zureichende Beschreibung, nämlich eine tatkräftige Beherrschung der
Natur gestatten.
Welche Faktoren kommen für unsre Fälle in Betracht? Für
den einfachsten Fall, den Flüssigkeitstropfen, finden wir zwei Fak-
toren, die uns die Erscheinung der Wiederannahme der Tropfenform
nach Teilung (oder Verschmelzung) ausreichend erklären: 1) die
leichte Verschiebbarkeit der Teilchen, die der Definition der Flüssig-
keit angehört und daher einer weiteren Erklärung nicht bedarf^),
und 2) das Gesetz des »kleinsten Zwanges«, eine energetische Regel
1} D. h. wir reihen eben nur Systeme, die dieser Bedingung entsprechen,
unter den Begriff »Flüssigkeit« ein. Warburg (1902, S. 52] definiert: »Eine
vollkommene Flüssigkeit ist ein Körper, welcher der kleinsten formändemden
Kraft nachgibt, wenn mit der Formänderung keine Volamsänderung verbunden
ist. Lehmann (1904, S. 106) schreibt: »Flüssigkeiten anterscheiden sich von
festen KOrpern dadurch, daß für sie die Grenze der (VerBcfaiehnngs-lElastiadtät
s 0 ist. Sie nehmen infolgedessen bei längerem Stehen in einem Qteftiß voll-
kommen ebene Oberfläche an oder freiEch webend Kngelform.«
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KriBtall- Analogien zur Entwicklungsmechanik der Organismen. 225
allgemeiner Gültigkeit, die in unserm Falle besagt, daß durch die
Oberflächenspannung so lange Veränderungen der Form der (schweben-
den) Flüssigkeit vorgenommen werden, bis die Oberfläche ein Mini-
mum wird, was bei Erreichung der Eugelform realisiert ist.
Die Ableitung der proportionalen Teilbarkeit aus dem Wesen
des flüssigen Aggregatzustandes läßt voraussehen, daß die zur Ver-
fügung stehenden Faktoren auch dann sich als wirksame Mittel zur
Selbstregulation erweisen werden, wenn es sich nicht um isotrope
und homogene Tropfen, sondern um anisotrope oder um inhomogene
handelt.
Anisotrope, d. h. (bei gleichmäßiger chemischer Beschaffenheit)
nach den verschiedenen Richtungen des Raumes verschieden sich
verhaltende Tropfen werden von den »flüssigen Kristallen« gebildet,
deren Begriff von 0. Lehmann (1890) aufgestellt worden ist.
Er fand nämlich, daß drei von L. Gattermann ihm übersandte
Substanzen, das p-Azoxyphenetol, das p-Azoxyanisol und das Ätbyl-
methylazoxyanisol sich dem optischen Verhalten nach bei 134—165",
bzw. 116 — 134° und 87 — 140°, wie gewöhnliche Kristalle des mono-
symmetrischen Systems gaben, jedoch vollkommen flüssig wareu.
Bei Azoxyphenetol z. B. »wäre, der optischen Anisotropie entsprechend,
anzunehmen, daß dieser Stoff der sphenoMischen Klasse des mono-
klinen Kristallsystems zugehört. Die Achsenschiefe beträgt ungefähr
60° uod die Schiefe der Indicatrix ungefähr 45°.
Daß gewöhnlich das Aggregat Tropfenform annimmt, ist eine
Störung, bedingt durch die Wirkung der Oberflächenspannung,
welche keineswegs dazu berechtigt, etwa ein neues System für solche
verzerrte Aggregate aufzustellen.« (0. Lehmann, 1904, S. 61.)
Lehmann hat sowohl Zerteilung als auch Verschmelzung von
Kristalltropfen beobachtet.
»Bei einem Kristalltropfen kann mechanische Teilung leicht
bewirkt werden , indem man ihn nötigt, an einem zwischen den
beiden Gläsern (Objektträger und Deckglas) eingeklemmten Hindernis,
beispielsweise einer Luftblase, vorbeizuströmen, oder wenn sich eine
größere Luftblase quer durch ihn hindurchbewegt.
Sobald die Blase auftriflFt, wird er von ihr, wie die Fig. 230 a, 6, c
und 231a, 6, c (Nikols gekreuzt) andeuten, zuerst entsprechend
deformiert und schließlich in zwei Teile zerschnitten, von welchen
jeder sofort wieder Kugelform annimmt und ebenso wie das ur-
sprüngliche Individuum zwei Kerne aufweist. Die Fig. 228 a, 6, c
und 229 a, 6, c zeigen die entsprechenden Veränderungen des Verlaufs
ArehiT f. Entwicklungimechanik. XXU. 15
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226 Hans Przibram
der Strukturlinien. Die Luftblase selbst behält dabei ihre Kugel-
form durchaus bei,« (Lehmann, 1904, S, 71 — 72.)
Über die >Copulation^) von zwei und mehr Tropfen« schreibt
Lehmann (1904, S. 67): »Der Versuch zeigt, daß ähnlich wie beim
Zusammenfließen eines roten und grünen 'Öltropfens, wobei im
resultierenden Tropfen die rote und grüne Ölmasse durch eine ebene
Grenzfläche voneinander geschieden erscheinen, so auch hier beim
Zusammenfließen ein einziger, genau kugelförmiger Tropfen entsteht,
in dessen beiden Hälften die früheren Strukturen der beiden Teile
im wesentlichen erhalten geblieben sind.« (S. 69): »In keinem Falle
ist die Struktur der kombinierten Tropfen eine sehr haltbare. Nach
und nach vergrößert sich die anfänglich etwas größere Hälfte auf
Kosten der kleineren bis zu deren gänzlichem Verschwinden, worauf
der Tropfen von einheitlicher Struktur erscheint.«
»Ist also an der Grenze zweier Individuen die Richtung der
Moleküle, wie bei Fig. 188, eine ungleiche, so ist im allgemeinen
Gleichgewicht nicht möglich, es tritt an der Grenze der beiden Teile
A und B eine Kraft auf, welche die Moleküle parallel zu stellen
sucht (Fig. 187), wenn nicht, wie in der Figur, die gegenseitige
Stellung eine zwillingsartige ist.«
Inhomogene Kristalltropfen lassen sich durch Mischung her-
stellen (vgl. Lehmann, 1904 , S. 77—78). Dadurch wird zwar deren
optisches Verhalten beeinflußt, doch ist die Aufnahme der Bei-
mischung eine diffuse, nicht polar orientierte.
Als inhomogene Tropfen mit polaren Diff'erenzierungen müssen
hingegen jene Eier angesehen werden, die bei Zerteilung (Ausplatzen
nach LoEB 1894) aufs neue in ihren Teilen sofort Kugelform an-
nehmen. Daß dieselben ihre polaren Potenzen auch nach der Zer-
teilung beibehalten, wird uns nach der Analogie der flüssigen Kri-
stalle wohl nicht mehr wunder zu nehmen 2) brauchen; eine Mehr-
leistung diesen gegenüber würde erst dann vorliegen, wenn sie ab-
gängige chemische Differenzierungen wieder ersetzen würden.
ij Die Nachahmung der Gopalation der "GeschlechtBkerne durch Chloro-
formtropfen ist bereits von Roux 1889 verwertet worden (vgl. dessen Zusammen-
stellung 190Ö, S. 221).
2) Lehmann, 1904, S. 251 : »Der Nachweis, daß auch in zweifellos flüssigen
Körpern eine molekulare Richtkraft auftreten kann, wie sie die Struktur der
flüssigen Kristalle bedingt, läßt die Bedenken, die früher gegen den Fltissig-
keitszustand des Protoplasmas geltend gemacht wurden, minder schwerwiegend
erscheinen.«
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Kristall-Analogien zar Entwicklangsmechanik der Organismen. 227
Das scheint aber gar nicht der Fall zu sein: die schönen Unter-
suchungen BovERis über das rote Pigment der Eier eines Seeigels
[StrongyJocentroius lividus] zeigen, daß die Formbildung nur dann
ungestört weiter verläuft, wenn das Ei in einer solchen Weise durch-
trennt worden, daß jedem Teil von allen Stoffen etwas zuteil wurde.
Ähnliches kann aus den Durchschnttrungsversuchen am Tritonei
(von Spemann) geschlossen werden (vgl. Maas, 1903).
Die Wiederverteilung der verschiedenen Substanzen in den Teil-
stucken brauchte nicht einmal durch die Polarität des Eies bestimmt
zu sein, sondern kann durch äußere Faktoren, z. B. Schwerkraft bei
der Schichtung verschieden schwerer Stoffe (man denke z. B. an das
Froschei), bedingt werden. Die Mehrleistung sowohl der flüssigen
Kristalle als auch der >Regulations«-Eier gegenüber den gewöhn-
lichen Flüssigkeitstropfen besteht in der Aufrechterhaltung der nach
den Richtungen des Raumes, verschiedenen Wirkungsweise des
Systems: während die »Anisotropie« der Kristalltropfen infolge
ihrer optischen Eigenschaften bei Polarisation anschaulich hervor*
tritt, ist dieselbe bei den Eiern in den meisten Fällen erst aus ihrer
ferneren Entwicklung zu erschließen.
Reicht die Richtkraft der flüssigen Kristalle nicht aus, um ihnen
eine in der äußeren Begrenzung von der durch die Oberflächen-
spannung aufgezwungenen Kugelform abweichende Gestalt zu geben,
in der sich die Verschiedenheit nach verschiedenen Richtungen ohne
Zuhilfenahme der Polarisationsapparate erkennen ließe, so ist dies
bei einer zweiten Gruppe, den »fließenden« Kristallen Lehmanns,
der Fall.
Hierher gehören die von Reinitzer (1888) dargestellten Prä-
parate von Chloresterylbenzoat und -acetat und Hydrokarotinbenzoat,
sowie Modifikationen von ölsaurem Natron, Kali, Ammoniak, Methyl-,
Dimethyl-, Trimethylamin u. a. m. (vgl. Lehmann, 1904, S. 27).
»Der Kristall wird durch die Oberflächenspannung nur an den
Ecken und Kanten abgerundet oder in ellipsoidische oder cylindrische
Form gebracht, doch fließen zwei in Berührung gebrachte Individuen
vermöge der Wirkung der Oberflächenspannung zu einem zusammen. <
(Lehmann, 1904, S. 32.)
»Einfache fließende Kristalle von Chloresterylbenzoat sind ei-
förmig gestaltet, indes nicht vollkommen gerundet, sondern mit deut-
lichen Spitzen versehen (Fig. 26).«
Beim Ammoniumoleat sind »die Flächen und Kauten stark ge-
rundet, so daß hiernach eine nähere Bestimmung der Form nicht
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228 Hans Przibram
wohl möglich ist. Der Qaerschnitt erscheint in der Regel nahezu
kreisförmig«, doch glaubt Lehmann (1904, S. 33) »in einzelnen Fällen
deutlich beobachtet zu haben, daß er in Wirklichkeit sechseckig ist,
daß somit die Kristalle wahrscheinlich als sehr steile hexagonale
Pyramiden zu betrachten sind. Zuweilen wurden freilich bei den
auf der Basis stehenden Kristallen am Rande vier (nicht sechs) helle
Felder beobachtet, was darauf schließen ließe, daß das System das
tetragonale ist«. Die Frage nach dem Kristallsystem ist für uns
von untergeordneter Bedeutung. Wichtig ist Lehmanns Angabe
(1895, S. 91—96), daß nach Zerdrllckung eines größeren Kristalls
von ölsaurem Kali, das sich aus einer alkoholischen Lösung als
weiche, tetragonale Kristalle mit gerundeten Flächen abgeschieden
hatte, die Teile regelmäßige Form annehmen, ein »Ausheilen ohne
Vermittlung des Lösungsmittels« stattfindet.
»Treffen zwei Kristalle der fließend kristallinischen Modifikation
von p-Azoxybenzoesäureäthylester unter nahezu rechtem Winkel zu-
sammen, so wird infolge der Ungleichheit der Kräfte zu beiden
Seiten der Vereinigungsstelle immer noch Drehung bis zu überein-
stimmender Orientierung herbeigeführt, so daß Zusammenfließen zu
einem einheitlichen Kristall erfolgt. Treffen sich indes die Kristalle
genau unter rechtem Winkel, so fließen sie zwar ebenfalls zusammen,
doch wird die Struktur nicht einheitlich, sondern es entsteht ein
Zwilling oder Durchkreuzungszwilling.« »In gleicher Weise ent-
stehen auch beim Ölsäuren Ammoniak leicht Zwillinge (Fig. 42) oder
Durchkreuzungszwillinge.« (Lehmann, 1904, S. 39.)
Teilweise der Oberflächenspannung unterworfen, ohne daß diese
ihre spezifische Formbildung zur Kugel zu deformieren, imstande
wäre, sind auch Embryonalstadien, die bereits Organe anzulegen
beginnen, femer Protozoen und alle jene niederen Metazoen, die
keine festen Stutzsubstanzen als integrierende Körperbestandteile
entwickeln.
Bei Zerstückelung sind die Teilstücke zunächst einer gewissen
Abrundung fähig, nehmen jedoch allmählich, und zwar, wie be-
sonders betont werden muß, ohne daß Nahrung zu Gebote stehen
müßte, wieder die spezifische Form an (wobei mitotische Kern-
teilungen nicht nachgewiesen worden sind).
Diese von Morgan als »Morphallaxis« bezeichnete Erscheinung
unterscheidet sich dadurch von dem analogen Verhalten der »fließen-
den c Kristalle, daß die Wiederherstellung der Form eine meßbare
Zeit erfordert, während die fließenden Kristalle mit fast sofortiger
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Kristall-Analogien zor Entwicklangsmechanik der Organismen. 229
Formregnlation reagieren. Wir werden kanm fehlgehen, wenn wir
diesen Unterschied darauf zurückführen, daß in den Kristallen in-
folge der Homogenität jedes Teilchen an einer beliebigen Stelle
zur Wiederherstellung der Form verwendet werden kann, während
bei den inhomogenen Organismen verschiedene Teilchen nur an be-
stimmten Stellen zur Verwendung gelangen können. Auch mag
bereits der noch weniger flüssige (zähere) Aggregatzastand rasche
Umlagerangen verhindern.
Bekanntlich befitidet sich das lebende Plasma in einem soge-
nannten kolloidalen Aggregatzustande, den man ehedem für dem
kristallinischen entgegengesetzt hielt, bis es Hofmeisteb gelang,
den Nachweis der Eristallisierbarkeit von Eiweißkörpern zu er-
bringen. Diese Kristalle haben die Eigenschaft der Quellbarkeit,
d. h. unter Wasseraufnahme ihr Volumen zu vergrößern, ohne ihre
Form aufzugeben. Da das lebende Plasma in einem ähnlichen
quellbaren Zustande sich befindet, so schien mir die Frage interessant,
ob aus Versuchen an Eiweißkristallen eine weitere Annäherung an
die Erscheinung der »Morphallaxis« bei Kristallen herbeigeführt
werden kann (Przibbam, 1904, S. 580).
Hämoglobinkristalle aus Pferdeblut, nach der Methode von Micko
dargestellt, ergaben ein ausgezeichnetes Versuchsmaterial. Dieselben
bilden makroskopisch sichtbare, weingelbe, rhombenförmige dünne
Plättchen, die nach Lakg dem rhombischen Systeme angehören.
Einige Kristalle wurden in ihrer Nährlösung auf einen Objektträger
gebracht, durch Druck des Deckgläschens zersprengt und so lange
der Wassereinwirkung ausgesetzt, bis die anfangs bloß gequoUen-
abgerundeten Sprengstücke eine Auflösung ihrer Ecken erlitten und
endlich nur mehr rundliche Stücke des ehemals vollkommen rhombi-
schen Kristalls übrig blieben. Erst während vorschreitender Auf-
lösung wurde wieder Nährlösung substituiert, indem das Wasser auf
der einen Seite der Flüssigkeitsansammlung mittels eines Fließ-
papierstreifens entfernt, auf der andern mit der Pipette ein Tropfen
Hämoglobinlösung zugesetzt wurde. Die ununterbrochene mikro-
skopische Beobachtung ergab folgendes (Fig. 8): der Torso begann
sich von zwei gegenüberliegenden Seiten her mit Rhombenflächen
zu umkleiden; im Innern des Kristalls waren unterdessen Flüssig-
keitsbewegungen sichtbar, und die neugebildeten Teile zeichneten
sich durch hellere Farbe vor dem ursprünglichen Stammstücke aus.
Für die Lage des letzteren gaben die vorkommenden kleinen, kugel-
förmigen Einschlüsse willkommene Marken ab. Bei fortschreitender
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230 Hans Przibram
Restitntion der äußeren Form waren an Stelle der zwei noch un-
fertigen Ecken konvexe (tropfenartige) Vorwölbungen sichtbar, bis
dieselben bei Vervollständigung der rhombischen Gestalt auch scharfen
Ecken Platz machten. Im Laufe der Formrestitution hatte sich der
Kristall im ganzen ein wenig vergrößert und man hätte daher glauben
können, daß es sich hier einfach um eine Regeneration der Ecken
handelt. Nun ist aber (wie bereits oben erwähnt) die Färbung der
neugebildeten Substanz eine hellere und man sieht noch nach der
Vollendung der Rhombusgestalt den alten Kristallanteil innerhalb
der neuen rhombischen Umgrenzung liegen. Aber auch dieser dunklere
Teil besitzt nunmehr eine rhombische Form^)!
Zur Umformung des Torso in einen Rhombus waren in diesem
besonderen Falle 1 Stunde 20 Minuten gebraucht worden; diese quell-
baren Kristalle nehmen also keine sofortige Formregulation mehr
vor, sind aber imstande unter Zeitverbrauch eine Umlagerung ihrer
Teilchen zu einer Ganzbildung zu bewerkstelligen.
Daß sie während dieser Umformung bei Anwesenheit von Nähr-
lösung außerdem noch wachsen, erhöht noch ihre Ähnlichkeit mit
den der Morphallaxis fähigen Tieren (vgl. z. B. Planarien, Mobgax).
Die Fähigkeit, unter Ausbildung einer einheitlichen Achse, wie
die oben erwähnten »fließenden« Kristalle, zu verschmelzen, ist
auch bei Organismen [Hydra ^ Seeigeleier) beobachtet worden und
wieder ist Bedingung die Möglichkeit, die Achsen parallel zu stellen;
sonst erfolgen verschieden orientierte »Verwachsungszwillinge«.
Systeme, die feste, unauflösliche und un verschiebbare Teile
enthalten, können die Forderung einer Rückkehr eines Teiles in den
vorhergegangenen Formzustand nur dann erfüllen, wenn ihnen zu-
gleich eine Massenzunahme ermöglicht wird. Sie erfüllen dann auch
die Forderung der Wiederherstellung der Masse (vgl. S. 22, Vla^ß),
Diese Erscheinung der »Regeneration s. str.« ist viel länger als
die bisher besprochenen Vorgänge bekannt: bereits im Altertum
wußte man von der Wiedererzeugung abgebrochener Eidechsen-
schwänze u. ä.
Am Ende des 18. Jahrhunderts wurden zahlreiche hierher-
gehörige Fälle experimentell untersucht, und am Ende des 19. Jahr-
hunderts ist beim Wiedererwachen des Interesses an der Ent-
1] Die Ursache der dunkleren Färbung des alten Kristalls ist entweder in
der verschiedenen Kristallisationsg^eschwindigkeit (verschiedene Dichte) oder,
einer gelegentlichen Mutmaßung Hofmeisters zufolge, auf einen verschiedenen
Beductionszustand des Hämoglobins zurückzuführen. Frz., 1904, S. 581.
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Kristall- Analogien zur Entwicklangemechanik der Organismen. 231
wioklungsmechanik eine gewaltige Literatur über die Regeneration
im Tierreiche entstanden (vgl. Przibram, 1902); auch ist einiges im
Pflanzenreiche bekannt geworden (vgl. Goebel, 1905).
Die ähnliche Erscheinung bei den starren Kristallen scheint
zuerst von Jordan (1842) untersucht worden zu sein; Pasteür
(1856) schreibt den Kristallen ein allgemeines Ergänzuhgsbe streben
zu; weiterhin haben sich vornehmlich Loir (1863 — 1881), Baüber
(1895—1901) und Spezia (1898—1905) experimentell hiermit be-
schäftigt i).
Die Regeneration verstümmelter, fester Kristalle findet nur bei
Einbringung derselben in eine Nährlösung statt: die Ursache hierfür
liegt in der Unmöglichkeit zu einer Umordnung oder Angliederung
von Teilchen im festen Aggregatzastande.
Hierin findet auch die vielgerühmte Unterscheidung des apposi- .
tionellen Wachstums der Kristalle und des intussusceptionellen der
Organismen ihre Aifklärung^). Neuerdings ist es übrigens von
L. Wulff bezweifelt worden, ob die starren Kristalle nur durch
Juxtaposition neuer Moleküle wachsen. Erscheinen mir dessen
Gründe nicht stichhaltig, so kann doch anderseits kaum bezwei-
felt werden, daß bei den Kristallen mehr oder weniger flüssigen
Aggregatzustandes fUr die Annnahme einer Intussusception keine
Schwierigkeit vorliegt. Auch noch (oder vielleicht gerade) bei den
quellbaren Kristallen ist mit der Aufnahme von Wasser ins Innere
die Möglichkeit intussusceptionellen Wachstums gegeben. Das Auf-
treten von geschwungenen Linien bei der Regeneration von Hämo-
globinkristallen (Przibram, 1904, S. 580, Fig. 7) und die im Inneren
solcher Kristalle zu beobachtenden Flüssigkeitsbewegungen (das.
S. 581) scheinen mir hierfür zu sprechen. Da wir bei den Organis-
men nirgends ausschließlich feste Teile wahrnehmen, kann das
J) 1899 schrieb ich (S. 186) : »Schließlich möchte ich noch auf die außer-
ordentliche Ähnlichkeit zwischen der Regeneration der Tiere (und Pflanzen)
und derjenigen der Kristalle (Rauber: Die Regeneration der Kristalle, Leipzig,
I. 1896, IL 1896) hinweisen, die nicht nur in der Erscheinung selbst, sondern,
auch in den GrOßenverhältnissen, Wachstumsgeschwindigkeiten, Wucherungs-
flächen mit Doppelbildungen und vorzeitigen Abschlüssen, Orientierung nach
verschiedenen Achsen (Polarität), Anpassung an künstliche Formen, Beschleuni-
gung durch Wärmezunabme u. a. m. zutage tritt und der alten Hoffnung , den
Mechanismus der Evolutions- und Regenerationserscheinungen auf nicht allzu
komplizierte physikalische Verhältnisse zurückfuhren zu können, neue Nahrung •
zuführt.«
2) Vgl. Verworn, 1901, S. 124.
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232 HanB Przibram
Vorwiegen der Intussusception Dieht sonderbar erBcheinen: ansre
Auffassung wird dareh das appositionelle Wachstum solcher Organe,
die fest sind (Knochen, Schalen), bestätigt.
Die Regenerationsf&higkeit der Kristalle können wir in zwei
Faktoren zerlegen: 1) Die Fähigkeit, aus Nährlösung Moleküle an-
zuziehen, und zwar nach verschiedenen Richtungen verschieden,
derart, daß eine Vergrößerung seiner Form zustande kommt, d. i. das
Wachstum. 2) Die Fähigkeit, vorzugsweise an jenen Stellen, wo
eine Verletzung stattgefunden, neue Substanz anzulagern.
Der erste Punkt entspricht der von Lehmann (1904, S. 182)
gegebenen Definition des Kristalls: »Ein Kristall ist ein anisotroper
Körper, welcher in seiner Lösung zu wachsen vermag« oder genauer,
da bei dem Wachsen des Kristalls die neu sich ansetzenden Schichten
in genau derselben Weise anisotrop sind wie der wachsende Kern,
»welcher molekulare Richtkraft auszuüben vermag«. Er braucht
daher hier, wo es sich um die Regeneration handelt, nicht weiter
analysiert zu werden *).
Die Wesensgleichheit der regenerativen Ausheilung von Kri-
stallen mit dem normalen Wachstum derselben hat Spezia durch
Versuche am Quarz erwiesen: wurde ein Quarzkristall oder ein
quadrantförmiger Sektor eines solchen am Rande eingekerbt und
zwar so, daß manche Kerben in der Richtung der längsten (Haupt-)
Achse des Kristalls verliefen , andre senkrecht darauf und weitere
in Zwischenlagen, so wurden die senkrecht auf die Hauptachse am
rasehesten ausgefüllt, weil eben das Wachstum des Kristalls in der'
Richtung der Hauptachse am größten ist, die parallel zur Haupt-
achse am langsamsten und die Zvrischenlagen in entsprechenden
Zwischenzeiten ausgeheilt.
Über das vorzugsweise Wachstum des Regenerates liegen mehrere
Angaben vor. Jordans (1842) Versuche am Kali- und Chromalaun
ergaben bereits, daß das Wachstum vorzugsweise in der Ver-
stümmelungsrichtung vor sich geht, daß eine Verkleinerung des
Kristalls nach Spaltungsrichtungen nicht als Verstümmelung gilt und
daß mögliche Kristallflächen (hier Hexaeder) langsamer ausgeheilt
werden als Abbruch u. ä.
Das gleiche beobachtete Räuber. Loir (1881) hat die größere
Gewichtszunahme eines regenerierenden Kalialaunkristalls (in
^) Vgl. S. 224 Note 1. Später wird gelegentlich der »Spezifität« noch darauf
zurückgekommen werden.
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Eristall-Analogieii zar Entwicklangsmechanik der Organismen. 233
Chromalaan-, oder Kalialaanlösnng] festgestellt, sowohl wenn der-
selbe mit einem ganzen in demselben Gefäße oder jeder einzeln in
gleichem Volumen Nährlösung gezogen wurde. Er fand auch (wie
er erwartet hatte), daU kubischer Alaun (der durch Zusatz von Kalium-
oder Natriumkarbonat aus oktaedrischem erhalten wird) zugleich mit
einem Oktaeder in gewöhnliche (okt.) Lösung gebracht, in der
gleichen Zeit mehr zunahm als dieser letztere i), weil er als ein
nach den Hexaederflächen abgestumpftes Oktaeder aufzufassen ist.
Umgekehrt wuchs das Oktaeder in kubischer Lösung stärker an
Gewicht an.
Bei Untersuchungen an Rechtsweinsäurekristallen fand ich (1904,
S. 577), daß ein senkrecht zur elektrischen Achse halbierter Kristall
in der gleichen FlUssigkeitsmenge und in derselben Zeit (sowie unter
sonst gleichen andern Bedingungen) in der Richtung der Hauptachse
etwa doppelt so viel zunahm, als ein unverletzter. Die Hälften
eines Kristalls wogen bei Beginn des Versuches 0,499 bzw. 0,608 g
(also zusammen 1,107 g)2), ein (andrer) ganzer Kristall 0,975 g; bei
Beendigung des Versuches wogen die aus den Hälften regenerierten
Kristalle 5,405 bzw. 4,298 g, der ganze 4,658 g. Sehr auffallend
ist die vorzugsweise Zunahme von Hämoglobinkristallen an Ver-
letzungsstellen: bei der Raschbeit des Reparationsprozesses ist oft
eine sonstige Größenzunahme gar nicht wahrnehmbar (vgl. Przibbam,
1904, S. 580, Fig. 7).
Worauf ist die größere Wachstumsgeschwindigkeit in der Ver-
letzungsrichtung zurückzuführen? Jordan (S. 54) hat zutreffend aus-
geführt, »daß die Anziehung der Masse nicht die Ursache der Er-
gänzung sein kann, da dieselbe in der Richtung des Verlustes am
schwächsten sein würde. Ebensowenig wird der Verlust durch eine
gleichmäßige Aggregation der aus der Auflösung kristallisierenden
Substanz um die Flächen des verstümmelten Kristalls ersetzt; in den
meisten Fällen würde im Gegenteil bei einer gleichmäßigen Ab-
lagerung neuer kristallinischer Schichten auf sämtliche, die Ver-
stümmelungs- sowohl als die normalen Flächen, die der Ver-
>} LoiR teilt folgende Zahlen mit: a) kub. Kristall 0,15 g, Oktaeder 1,4 g;
am Ende des Versuches k. K. 0,46 g [3 fache Zunahme], 0. K. 1,8 g [Zunahme
um Vs]. b) k. K. 3,1g, 0. K. 0,25 g, nach GW^ochen k. K. 10,2 g, 0. K. 0,31g.
Es handelt sich demnach nicht um gleich große Kristalle der beiden Arten, was
die Vergleichung nicht einwandfrei erscheinen läßt.
2} In der zitierten Arbeit (Przibram, 1904, S. 577) ist ein Druckfehler zu
yerbessem: 1,107 an Stelle von 11,07 zu setzen.
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234 Hans Przibram
stttmmelungsfläche entsprechende Fläche, in gleichem Maße wie die
übrigen Flächen größer werden.« »Auch kommt die Ergänzung
nicht zustande durch eine nach atomistiacher Naturansicht gedachte
Anziehung gleichartiger Flächen, denn die Anziehung war viel stärker
gegen Bruchflächen als gegen Spaltungsflächen.« »Die Zahl der
Berührungspunkte endlich, welche sich auf einer Bruchfläche in
größerem Maße der kristallisierenden Substanz darbietet, als auf
einer Kristallfläche von gleichem Umfang, kann die Ergänzung nicht
erklären, da dieselbe ebensogut von statten geht, wenn die Ver-
Stummelungsfläche weit vollkommener geebnet wurde ^) als die
Kristallflächen es sind.«
Eine Aufklärung erhalten wir jedoch durch die Anwendung des
bereits einmal gelegentlich der Besprechung der FlUssigkeitstropfen
herangezogenen Satzes der kleinsten Oberfläche: die allgemeine Be-
gründung und die theoretische Anwendung auf die Kristalle gibt
P. Curie (1885) mit folgenden Worten 2):
»Das, was wir gleich sagen werden, kann nicht nur bei Flüssig-
keiten allein, sondern auch bei jedem andern Körper, der sich de-
formieren kann, ohne seine Natur und sein Volum zu ändern, an-
gewandt werden.
»Wenn ein derartiger Körper gegeben ist, und man keine
äußeren Kräfte außer den Capillarkräften in Betracht zieht, so ist
seine innere Energie konstant für alle gleichen Volumelemente, die
genügend von der Oberfläche entfernt sind; anderseits existiert an
der Oberfläche eine sehr dünne Cbergangsschicht; die Volumelemcnte
dieser Schicht haben eine mittlere Energie, welche sich merklich
von derjenigen der inneren unterscheidet. Darum ist ein Teil der
gesamten Energie proportional dem Volumen, der andre der Über-
gangsschicht, d. h. der Oberfläche.
»Wenn der Körper sich deformiert, bleibt die Energie des Vo-
lumens konstant, und die Energie verändert sich proportional der
Oberfläche.
»Die Capillaritätskonstante A*, die für die Grenzfläche zweier
Medien charakteristisch ist, stellt die Energie dar, welche verbraucht
werden muß, um die Grenzfläche um eine Einheit zu vergrößern.
»Wenn der Körper allen andern Kräften außer den Capillar-
kräften entzogen ist, so strebt die Trennungsfläche, weil die Energie
1) Mittels Feile und eines mit heißem Wasser befeuchteten Pinsels.
2) Übersetzung nach G. Wulff, 1901, S. öl2.
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Kristall-Analogien zur Entwicklangsmechanik der Organismen. 235
des Systems einem Minimnm zustrebt, möglichst klein zu werden,
und der Körper nimmt die sphärische Form an.
>Wenn mehrere Trennungsflächen «i, «2» ^s • • • den Körper be-
grenzen, deren Gapillaritätskonstanten k^^k^^k^ , . , sind, so wird die
stabile Form eine solche sein, bei welcher die Summe ^i Ai + ^2 ^t
+ 53 A^ . . . ihren kleinsten Wert erreicht
»Jetzt wollen wir einen Kristall in seiner gesättigten Mutter-
lange betrachten und annehmen, daß einige Teile sich ablagern;
der Kristall wird sich deformieren, während weder er selbst noch
die Mutterlauge ihre Natur und ihr Volumen ändern. Wenn man
die sehr geringe Wirkung der Schwerkraft unberücksichtigt läßt,
so wird sich nur die Energie der Grenzfläche des Kristalls und seiner
Mutterlauge ändern und stabiles Gleichgewicht wird eintreten für die-
jenige Form, in welcher die Summe der Energie an der Oberfläche
die kleinste sein wird.
»Jeder Fläche muß eine Capillaritätskonstante entsprechen, da
im entgegengesetzten Falle der Kristall in der Mutterlauge eine
sphärische Form anzunehmen bestrebt sein würde.
»Die vorherrschende Form muß aus solchen Flächen bestehen,
in welcher die Capillaritätskonstante die kleinste Größe ist
»Wenn der Kristall sich in einer gesättigten Lösung bei konstanter
Temperatur befindet, so ist es klar, daß er seine Form nicht ver-
ändern wird, wenn dieselbe die beständige ist Wenn sie jedoch
der Bedingung der Beständigkeit nicht entspricht, wird sie sich als-
dann selbst deformieren? Dieses ist wahrscheinlich, kann jedoch
nur durch eine Erfahrung nachgewiesen werden.
»Der Kristall strebt gewiß eine Form anzunehmen, welche dem
Minimum der Energie entspricht, und wird alle sich ihm dazu bieten-
den Umstände ausnützen; wir können jedoch nicht behaupten, daß
er imstande sei, dies in seiner Mutterlauge zu erreichen.«
Nach dieser Anschauung stellt die Kristallform einen Gleich-
^'cwichtszustand zwischen der anisotropen Richtkraft und der Ab-
rundung anstrebenden Oberflächenspannung dar. Wird ein Kristall
verletzt, so wird dieses Gleichgewicht gestört: der Kristall müßte
so lange eine Deformation erleiden, bis wieder Gleichgewicht her-
gestellt ist, d. h. mit dem verfügbaren Material wieder die der ur-
sprünglichen proportionale, aber verkleinerte Kristallform hergestellt
ist, wenn ihm keine Massenzunahme aus der Nährlösung möglich ist
Bekanntlich geht das Wachstum von Kristallen gewöhnlich
bloß in übersättigter Lösung vor sich: alle bisher angeführten Ver-
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236 Hans Przibram
suche über Kristallregeneration beziehen sieh auch auf diesen Fall.
Die Kristalle werden in offenen Gefößen in gesättigter Nährlösung
aufgestellt und mit der fortschreitenden Verdunstung gelangt das
neue Material am Kristall zur Abscheidung. Zum Beweise der
Richtigkeit der GuRiESchen Theorie können Versuche dienen, die
ich in den Jahren 1901 bis 1904 ausgeführt habe. Die Frage, die
ich mir gestellt hatte, lautete, »ob ein starrer Kristall, der sich in
einer vor dem Verdunsten geschützten Nährlösung befindet, seine
Form nach Verletzung wiederherzustellen imstande ist« (1904, S. 577).
Die Antwort fiel in bejahendem Sinne aus: »Es gelangten Kali-
alaunkristalle zur Verwendung. Aus diesen Oktaedern wurde mit
einer Laubsäge ein keilförmiges Stück ausgesägt oder dieselben
wurden halbiert. Die so erhaltenen verletzten Kalialaunkristalle
wurden, je einer in einem Glase, an der Unterseite des dasselbe
verschließenden Korkstöpsels mittels einer Metallklammer aufgehängt,
nachdem das Glas entweder mit konzentrierter Kalialaunlösnng oder
Chromalaunlösung so weit gefüllt worden war, daß der eintauchende
Kristall allseitig von der Flüssigkeit umgeben wurde. Der Stöpsel
war von einer Glasröhre durchbohrt, durch welche das zum Ver-
schlusse (gegen die Verdunstung) dienende Vaselineöl oder Provenoeröl
nach Einhängung des Kristalls aufgegossen wurde (Fig. 4). Das
Röhrchen wurde dann durch einen Kittpfropfen verschlossen.
Die Gläser wurden hierauf in einer erschütterungsfreien, dunklen
Cisteme mit einer fast genau konstanten Temperatur von 12° C und
vollständigen Dunstsättigung einige Monate stehen gelassen. In den
meisten Fällen war bei Abbruch der Versuche keine Gewichtszunahme,
ja sogar geringe Gewichtsabnahme i) zu konstatieren. »Alle Kristalle
weisen eine mehr oder weniger vorgeschrittene Wiederherstellung
der Oktaederform auf. Es ist deutlich zu bemerken, daß die Resti-
tution der Kristallform durch Ablösung von Teilehen der unverletzten
Kristallflächen (Abrundung von Ecken, Lösnngsdreiecke auf den
Flächen) und Ablagerung an der verletzten Stelle (Wucherungsfiguren)
geschehen ist (Fig. 5).«
»Am deutlichsten zeigt sich dies bei den in Ghromalaun zur
Wiederherstellung ihrer Form eingehängten Kalialaunkristallen, da
die neuangelagerte Substanz natürlicherweise größtenteils aus Chrom-
alaun besteht, der durch seine violette Färbung von dein farblosen
Kalialaun sich deutlich abhebt (Fig. 6).<
^ Wie sich heraasstellte, wahrscheinlich infolge, wenn auch geringer, LOs-
lichkeit der Alaune in dem Verschlußöle.
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EriBtall-Analogien zur Entwicklangsmechanik der Organismen. 237
Die starren Kristalle bedürfen also zur Aasheilung zwar der
Anwesenheit der Nährlösnng, branchen jedoch keine Massenzunahme
bei dem Regenerationsprozesse zu erfahren, was eintritt, wenn statt
übersättigter einfach gesättigte Lösung geboten wird*).
Werden Kristalle in nicht ganz gesättigter Lösung vor dem
Verdunsten geschützt, so beginnt die Flüssigkeit an ihnen zu zehren:
ihre Ecken werden abgerundet und die Flächen angegriffen. Tritt
für den betreffenden Stoff Sättigung ein, ehe der Kristall vollständig
aufgelöst ist, so restituiert der Rest des Ki istalles sich der Form
nach wieder zu einem ganzen Kristall, was ich an Rechts weinsäure-
kristallen fand (1904, S. 578).
PpaüKtdler hat bereits 1869 gelegentlich der Aufstellung einer
neuen Theorie der Regelation des Eises (welche Erscheinung sich
in gewissem Grade vom Druck unabhängig zeigte) Anschauungen
geäußert [S. 205], die durch meine Versuche vollständig bestätigt
werden: »Eine mit der Regelation des Eises sehr analoge, und wie
ich überzeugt bin, auf derselben Ursache beruhende Erscheinung
beobachtet man, wenn ein kristallinischer Körper längere Zeit bei
konstanter Temperatur in seiner gesättigten Mutterlauge verweilt.
So z. B. verwandelt sich ein in gesättigter Alaunlösung befindliches
Alaunpulver nach und nach vollständig in größere Alaunkristalle,
welche den Rest des Pulvers zusammenkitten. Man könnte hier ein-
werfen, daß die geringen unvermeidlichen Temperaturschwankungen,
welche abwechselnd zur Lösung und Kristallisierung kleiner Mengen
Anlaß geben, hierfür einen genügenden Erklärungsgrund bieten. Obwohl
ich nun bisher keine quantitativen Versuche in dieser Richtung ange-
stellt habe, erlaube ich mir dennoch, durch eine flüchtige Rechnung zu
zeigen, daß letztere Erklärung allein nicht ausreichen dürfte. Setzen
wir den Fall, man gebe in eine verschlossene Flasche 100 g Wasser
nebst 109,5 g gestoßenen Alauns und setze dieselbe an einen Ort,
wo die Temperatur nur 1° C. um die Mitteltemperatur von 10° C.
schwankt. Es trete täglich ein Maximum und ein Minimum der
Temperatur ein. Bei 10° C. lösen sich in 100 Teilen Wasser 9,5 Teile
Alaun, es bleiben sohin 100 g Alaun ungelöst. Steigt die Temperatur
nm 1°, so erhöht sich die Löslichkeit um 0,56%, also können sich
per Tag höchstens 0,56 g, also in 100 Tagen 56 g Alaun auflösen.
Die infolge der Temperaturschwankungen neugebildeten Kristalle
J) Lehmann hat dies geahnt (1904, S. 108): »Vermutlich tritt das Aus-
heilen nicht nur in übersättigter Lösung, sondern auch einfach in gesättigter
Lösung ein.c
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238 Hans Przibram
können also höchstens 56 g wiegen, es müßten also mindestens 44 g
Alaun in gestoßener Form zurückbleiben. Da die Wiederanflösung
immer auch zum Teil die neugebildeten Kristalle trifft, und sich
kaum die ganze Flüssigkeitsmenge vollständig sättigen wird, so würde
diese rückbleibende Menge am Ende der 100 Tage eher noch größer
ausfallen müssen. Nun beobachtet man aber, daß die neugebildeten
Kristalle in yiel kürzerer Zeit weit mehr als die Hälfte der ganzen
Alaunmasse ausmachen. Es muß also neben der durch die Tempe-
raturschwankungen eingeleiteten Ursache des Auskristallisierens noch
eine andre, den letzteren unterstützende Ursache vorhanden sein.
Es ist dies die durch die ungleiche Molekültemperatur zugleich und
in gleicher Größe veranlaßte Auflösung und Kristallisierung.« Diese
ungleiche Molekültemperatur ist gleichzusetzen den ungleichen leben-
digen Kräften, die im Kristalle nach verschiedenen Richtungen auf-
treten.
Nachdem von Handl dieselben Beobachtungen und Ansichten
ohne Kenntnis der PFAUNDLERSchen Arbeit 1872 publiziert worden
waren, faßt Pfaundler 1875 seine Ansicht über den Zustand der
Kristalle in gesättigter Lösung zusammen [S. 62] : »Der Kristall
ändert sein Gewicht nicht, sobald in gleichen Zeiten ebenso viele
Moleküle abgerissen werden, als haften bleiben. Das Gleichgewicht
des Kristalls in seiner gesättigten Lösung ist also kein statisches,
sondern ein dynamisches. Es bleibt nicht deshalb sein Gewicht un-
verändert, weil keine Abtrennungen und Ankristallisierungen vor-
kommen, sondern weil sich diese Vorgänge das Gleichgewicht halten«
[S. 63]. »Es konservieren sich also und auch reparieren sich jene
Flächen des Kristalls auf Kosten andrer, welche die günstigsten
Bedingungen zum Widerstand gegen die anstürmenden Moleküle
besitzen. <
Kehren wir nun zu den verletzten Kristallen in einer über-
sättigten LiJsung (dem gewöhnlichen Regenerationsfall) zurück, so
haben wir hierfür die Einsicht gewonnen, daß der Kristall auch ohne
Massenzunahme seine Gestalt verändern und zwar in der Verletzungs-
richtung auf Kosten der andern Teile Material ansetzen würde. Da
er jedoch neues Material zugeführt erhält, so wird er imstande sein,
seine Form und die Größe der andern Teile aufrecht zu erhalten
oder selbst zu wachsen. In der Verletzungsrichtung wird sich die
ßichtkraft des Kristalles in dem Maße stärker betätigen können, als die
betreffende Bruchfläche von der entsprechenden Kristallfläche, die mit
der Oberflächenspannung im Gleichgewicht stünde, weiter entfernt ist»
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Kristall-Analogien zur Entwicklungsmecbanik der Organismen. 239
Analog unserm Vorgehen bei den Kristallen zerlegen wir die
Regenerationsftlhigkeit der Organismen in zwei Faktoren: 1) Die
Fähigkeit, aus der Nahrung (die, falls sie nicht bereits flüssig ist,
Yom Organismus zunächst verflüssigt oder mindestens zu einer
Emulsion verarbeitet wird) einen Massenzuwachs ihrer eignen Form,
die nach verschiedenen Richtungen durch das Auftreten chemisch-
verschiedener Teile (Organe) differenziert erscheint, zu erfahren, und
2) wieder das vorzugsweise Wachstum in der Verletzungsrichtung,
Der erste Punkt enthält wieder die Definition des Organismus als
eines mit Organen und Wachstum ausgestatteten Systems.
Der Unterschied gegenüber den Kristallen ist in der Zusammen-
setzung aus Organen gegeben; die Anwesenheit mehrerer wirkungs-
fähiger chemischer Bestandteile bringt das eigentümliche dynamische
Gleichgewicht der Organismen mit sich.
Das Wachstum der Organismen kann in drei Vorgänge zerlegt
werden (Davenpobt, 1899, S. 290):
»Wachstum ist Zunahme an Größe und kann aus der Vermehrung
entweder der geformten Substanz durch Secretion oder des Plasma
durch Assimilation, oder des Enchylemas (Zellsaftes) durch Imbibition
erfolgen.« Die Zunahme der geformten (festen) Substanz ist keine
selbsttätige (falls es sich nicht etwa zufällig um kristallinische
Niederschläge handelt), die Imbibitionsfähigkeit wird, wie wir ge-
sehen haben, als eine Folge des Aggregatzustandes auch von Eiweiß-
kristallen geteilt, als charakteristische Wachstumsform des »Lebens«
bleibt die Assimilation übrig. Dieselbe besteht darin, daß die ver-
schiedenen chemischen Plasmen aus einer (eventuell einheitlichen)
Nahrung ihre eigne Substanz zu bilden imstande sind. Es ist ein-
leuchtend, daß organisierten Systemen keine Nahrung dargeboten wer-
den kann, die die verschiedenen Stoffe fertig und für die betreffende
Formbildung in richtiger Lokalisation zueinander enthalten könnte —
es sei denn, daß man die Verschmelzung zweier Individuen zu einem
einheitlichen als Nahrungsaufnahme betrachten wollte — hier ist
dann aber auch ein Wachstum ohne vorhergehende Assimilation
möglich. Bei den gewöhnlichen Ernährungs Vorgängen werden ge-
mischte Stoffe geboten, die selbst nur Teile der Plasmastoffe ent-
halten. Zum Wachstum muß daher das Plasma zunächst eine Elektion
der verwendbaren Stoffe, sodann den Aufbau derselben zu der ihm
gleichen Substanz vornehmen.
Die aus einer einheitlichen Lösung ihrer eignen Substanz wachsen-
den Kristalle können natarlicb keine Elektion vornehmen; eine größere
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240 Hans Przibram
Leistang ist es bereits, wenn ans einer Mischung verschiedener Stoffe
bloß die isomorphen von einem Kristalle zum Wachstum verwendet
werden; endlich ist jedoch in besonderen Fällen der Kristall im-
stande, ans andern chemischen Verbindungen die ihm notwendigen
Stoffe zu ziehen und in der ihm eignen Verbindung sich anzu-
lagern. Ostwald (1896—1902, S. 766) schreibt: > Etwas verwickelter
als in den andern Fällen zeigen sich die Erscheinungen am Chrom-
alaun. Bekanntlich verändern frische Lösungen dieses Salzes ihre
Farbe, indem sie grüner werden. Beim Erhitzen bis zam Sieden
werden sie völlig grün, und diese Farbe wird beim Aufbewahren
bei gewöhnlicher Temperatur wieder blauer. Die Vorgänge rühren
daher, daß sich in der Lösung eine gewisse Menge eines grün ge-
färbten Salzes einer komplexen Chromschwefelsäure bildet, welche
mit steigender Temperatur zunimmt; die Umwandlung vor- und rück-
wärts beanspiucht bei gewöhnlicher Temperatur Tage und Wochen.
>Wird die grüne Lösung bei niedriger Temperatur eingedampft,
ohne daß Alaunkeime dazukommen, so verwandelt sie sich in einen
grünen Firnis, der wohl wesentlich aus dem komplexen Salze be-
steht. Läßt man sie dagegen bei Gegenwart eines Keimes ein-
dunsten, so geht sie vollständig in Kristalle des violetten Keimes
über.« »Letztere Erscheinung erklärt sich leicht, da durch die Aus-
scheidung des festen Salzes das Gleichgewicht in der Lösung in
solchem Sinne verschoben wird, daß sich ein Teil des komplexen
Salzes in das gewöhnliche umwandeln muß; dies setzt sich bis zur
vollständigen Umwandlung in dem Maße fort, als die Menge der
Lösung geringer wird.<
Immerhin wird hier die Leistung des assimilierenden Plasmas
nochnichterreicht, weil jader gewonnene Stoff nicht erst einer Synthese
unterworfen wird. Doch läßt sich auch diese weitere Annäherung
durch eine entsprechende Versuchsanordnung voraussichtlich erreichen:
In einer konzentrierten Lösung befänden sich die zwei Salze a-bc
und de-f, von welchen die Ionen bc und de die Fähigkeit zusammen-
zutreten besitzen sollen. Es werden dann in der Lösung vorhanden
sein: die freien Ionen a, bc, de und f, die Salze abc, def und die
Verbindung bcde in einem bestimmten Gleiohgewichtsverhältnigse.
Wird nun ein Kristall der Verbmdung bcde hinzugefügt, so
wird derselbe zunächst die Phase bcde sich angliedern, das Gleich-
gewicht wird gestört, bc und de in entsprechendem Maße aus den
freien Ionen wieder zusammentreten und aus den Verbindungen abc
und def wieder gespalten werden, die neuentstandenen Moleküle
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Kristall-Analogien zar Entwioklungsmeobanik der Organismen. 241
bode werden wieder dem Kristall angelagert und der Prozeß wird
bis zur Erscböpfiing dieser Verbindung (bei fortschreitender Ver-
dunstung) vor sich gehen müssen^].
Auf diese Art erhalten wir ein Bild, das der organischen Assi-
milation sogar in der gleichzeitigen Bildung von Abfallsprodukten
gleicht (die übrig bleibenden a, f und falls diese zu einer Verbindung
zusammentreten können, auch af). Daß das assimilierende Plasma
die Fähigkeit besitzt, die assimilierte Substanz sich in einer solchen
Weise anzugliedern, daß eine proportionale Vergrößerung der Form
resultiert, tritt bei den Protozoen, bei einigen andern niederen Tieren
und den Pflanzen deutlich zutage, während dies bei jenen Tieren, die
eine Metamorphose durchmachen, zeitweilig verdunkelt erscheint^).
Indem wir eine weitere Analyse der formgebenden Bichtkraft
bei Organismen ebenso wie bei den Kristallen einer späteren Zeit
vorbehalten, wenden wir uns zum zweiten Faktor der Begeneration,
dem vorzugsweisen Wachstum nach der Verletzungsriohtung. Tch
sehe keinen Grund, warum man hier nicht denselben Gedankengang
wie bei den Kristallen einschlagen könnte, da ja das CuRiEsche
Theorem allgemein ausgesprochen ist, ja wir haben sogar Viel weniger
Schwierigkeit, die OberflächenspannuDg verantwortlich zu machen,
weil das Bestehen derselben schon durch den »Turgorc der Pflanzen
und Tiere (Loeb, 1891) angezeigt wird.
Der verletzte Organismus verliert den habituellen Turgor und
erreicht denselben wieder bei der Begeneration'). Unsre Erklärung
kommt der Hypothese des »Wegfallens des Wachstums Widerstandes«
am nächsten, führt aber einen aufweisbaren, auch im Anorganischen
wirksamen physikalischen Faktor ein.
Wo Begeneration der Organismen auftritt, machen wir also das
a bc de f stellt einen einfacheren Fall dieser Art vor; in der Tat
1) CljN^+C^Cu begünstigt die Anwesenheit von Kupferchlorid die Bilduog
Na2Cl2 großer NaCl-Kristalle (Retqers, 1892, Doelter, S. 191).
Mit Hatscheks Hypothese d. tier. Assimilationsvorgänge ließen sich diese Be-
trachtungen leicht in Einklang bringen.
^ Die Farchang und Eientwicklang, soweit keine Massenzanahme erfolgt,
kann genau genommen nicht zu den >Wach8tamBprozeBsen« gerechnet werden.
— Die mitotische Kemteilong, eine Einrichtung der Organismen zur Verteilung
von chemischen Substanzen in bestimmten Richtungen, ist keine allgemeine
Begleiterscheinung organischen Wachstums und wird später zur Sprache kommen.
3) Die erstangelegten Regenerationsstadien und eventuell auch anliegende
Partien (Femur von Bacillus -God¥1lmax{s) zeigen ihrer größeren Flüssigkeit halber
rundere Formen.
ArchiT f. Entwicklaagsmediftiiik. XXII. 16
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242 Hans Przibram
normale Waohstnm, yerbnnden mit eiDer GeBchwindigkeitserhöhang*,
hierfür verantwortlich.
Das normale Wachstam der Organismen ist ein begrenztes; viele
erreichen nur eine ganz bestimmte Größe und bleiben dann eine
Zeitlang in einem Massenznstande stehen, in welchem der Abgang
an abgenutzten Substanzen nur eben wieder ersetzt wird: die
Wachstumsgeschwindigkeit ist dann eben eine der AbnutzungB-
geschwindigkeit gleiche. Die bemerkbaren Prozesse werden seit
langem als »physiologische ßegeneration< bezeichnet. Allmählich
gewinnt die Abnutzungsgeschwindigkeit die Oberhand, die Wachs-
tumsgeschwindigkeit wird immer geringer, der Organismus »altert«
.und stirbt an Inanition.
Wenn unsre bisherige Analyse der Regeneration richtig ist, so
muß bei Abnahme des normalen Wachstums auch die Regenerations-
fähigkeit schwinden. Bekanntlich ist dies der Fall. Je älter ein
Tier ist, desto schlechter ist es zu regenerieren imstande. Tiere,
welche nach abgeschlossener Metamorphose nicht mehr fortwachsen,
die Insekten, gehören als Image zu den schlechtesten Regeneratoren.
Solche Teile, die nach der erstmaligen Anlage keinen durch-
greifenden Stoffwechsel mehr erhalten ^) (namentlich ganz verknöcherte
Skelete bei Wirbeltieren), regenerieren nicht mehr, obzwar andre
Teile desselben Gliedes fortwuchem können (ohne, der Stütze be-
raubt, feste Form anzunehmen; wo ein knorpeliges Yorstadium noch
im Knochen erhalten, kann dieses vikariierend und formbildend ein-
greifen: Eidechsenschwanz, Extremitäten der Urodelen und mancher
Anuren auf sehr jungen Stadien, vgl. Hbrtwigs Handb. d. Entw.-
Gesch., IX. Lfg. 15. Kap. Braus, Entstehung der Form der Extremi-
täten und des Extremitätenskeletes).
In andern Fällen scheint die Unmöglichkeit, eine erhöhte
Wachstumsgeschwindigkeit zu entfalten, also das Wegfallen unsres
zweiten Faktors, die Beschränkung der Regulationsfähigkeit herbei-
zuftthren. Hierher mag die mechanische Verhinderung der Frosch-
eier, deren eine Furchungszelle (des Zweizellenstadiums) durch
Anstich getötet wurde, eine sofortige Regulation durchzufWhren, ge-
hören. Solchen »Hemiembryonen< vergleichbare Bildungen können
auch an Kristallen erzielt werden, wenn die Verletzungsfläche durch
ein mechanisches Hindernis am Weiterwachsen verhindert wird. Ich
1) Ich schließe mich also der Ansicht Brindleys an, daß bei den Insekten
auch die weichen Teile ganz ausgetauscht werden.
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Kristall-Analogien zur Entwicklungsmechanik der Organismen. 243
habe an RechtBweinsäarekristallen (Przibrah^ 1904, S. 576—577)
Versaohe angestellt: »Die Wiederherstellung der Form ist von der
allseitigen Umspttlung mit Flüssigkeit abhängig: durch Aufstellen
zerschnittener Kristalle auf die Schnittfläche wird die Ergänzung
an dieser Fläche Unmöglich gemacht, so daß die Kristalle bei weiterem
Wachstnme nur halb ausgebildet werden. Es gelang nur dann, diese
Kristalle in einer solchen Zwangslage zu erhalten, wenn die Zer-
teilung in (parallel) der elektrischen Achse erfolgte, wobei die schmalen
Hälften bei der Operation entzweisprangen; an den freien Sprung-
flächen dieser Viertelkristalle wurde das zum Halbkristalle fehlende
Viertel ergänzt (Fig. 1). Wurden die Kristalle hingegen senkrecht
zur elektrischen Achse halbiert oder in mehrere (vier) Stücke geteilt,
so fielen die gleich nach der Operation schwer auf die Schnittfläche
zum Stehen zu bringenden Kristallstücke im Laufe des regenerativen
Wachstums stets um und ergaben daun YoUständig ausgebildete
Kristalle (Fig. 2),* Hier sehen wir also einen äußerlichen Faktor
über Halb- oder Ganzbildung entscheiden.
Das Auftreten der Postregeneration bei den Froscheiern weist auf
das Erwachen der größeren Wachstumsgeschwindigkeit hin, nachdem
durch Einbeziehang der zerfallenden Furchungszelle als Nahrung
das mechanische Hindernis in Fortfall kam.
Weitere Beschränkungen der Regenerationsfähigkeit erwachsen
aas dem Vorhandensein spezialisierter Organe bei Organismen: schon
bei den Eiern (namentlicli den >Mosaikeiem«) kann die yoUständige
Entfernung eines bestimmten Chemismus (roter Pigmentring des Stronr-
gylocentrotuSy Dotterlappen der Ilyanassa^ Grampton) die Unmöglich-^
keit der Wiederherstellung bedingen, wenn diese Chemismen nicht aus
andern Stoffen des Organismus wieder entstehen können. Dasselbe
gilt für spätere Stadien (z. B. Mesenchym beim Seestern, Driesch).
Hierzu fehlt begreiflicherweise eine Analogie bei den Kristallen,
weil sie aus einer homogenen^) Masse bestehen. Dem Wesen des
Organismus als dynamisches Gleichgewichtssystem entspricht dss
weitere Regenerationshindemis der lebensgefährlichen Verletzung.
Dieselbe läuft darauf hinaus, daß die Wachstumsgeschwindigkeit
nicht genügend gesteigert werden kann, um das Entweichen not-
wendiger Chemismen zu verhindern (Verbluten) oder einsetzenden
Dissimilationsprozessen erfolgreich entgegenzuarbeiten. Wenn z. B.
1) Hiermit soll nichts gegen ihre etwaige ZusammenBClzung aus zwei ver-
schiedenen Phasen (Quincke, Sciiroen) gesagt sein.
16*
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244 Hans Przibram
ein der Länge nach halbierter Regenwurm stets vor Regeneration
eingeht (Weismakn), obzwar er kleinere, herausgeschnittene Längs-
stüeke wohl zu ersetzen imstande ist, also die seitliche Regenerations-
fähigkeit ihm nicht fehlt.
Wenn wir einen tierischen Organismus (oder einen pflanzlichen)
auf einer Stufe, wo derselbe aus Stücken noch zu regenerieren ver-
mag, immer weiter und weiter teilen, so gelangen wir endlich an
eine Grenze, an der die Regenerationsfähigkeit und mit ihr die
dauernde Lebensfähigkeit erlischt.
Es sind die betrefifenden Teilstücke für einige Tiere bestimmt
worden, z. B. für das Infusor Stentor (Trompetertierchen). Lillie (1896)
und Morgan (1901) fanden übereinstimmend, obzwar an verschieden
großen Exemplaren operierend, daß dieselben dann nicht mehr voll-
ständig zu regenerieren imstande sind (auch bei Anwesenheit eines
Kernstücks), wenn sie in Kontraktion weniger als 80^ (= 8,10"^ mm)
mittleren Durchmesser zeigten (also als Radius ihrer kugligen Masse
etwa 0,04 mm zu betrachten wären) (vgl. Morgan, 1901, p. 56).
Ich möchte hervorheben, daß es sich bei diesen kleinsten re-
konstruktionsfähigen Teilen nicht etwa um die lange gesuchten
kleinsten »Lebenseinheiten« handeln kann, die Brücke als »Ele-
mentarorganismus«, Nägeli als »Micell«, Wiesner als »Plasom«,
Weismann als »Biophor« u. a. unter andern schönen Namen postu-
liert haben. Solche Lebenseinheiten, aus welchen Kern und Plasma
der Zelle aufgebaut sein sollen, sind praktisch nicht nachgewiesen.
Wir haben es bei dem »Keimesminimum« stets noch mit einer Ver-
einigung von einem Kern- und PlasmastUck zu tun.
Welchen Faktor können wir für das Erlöschen der Rekon-
struktionsmöglichkeit der Zelle bei Unterschreitung einer bestimmten
Größe verantwortlich machen? Zunächst könnte nach Analogie mit
physikalischer und chemischer Teilbarkeit daran gedacht werden,
daß wir vielleicht an die Grenze des ftlr das kompliziert aufge-
baute Ei weißmolekttl notwendigen Raumes gelangt seien: eine kurze
Erwägung widerlegt dies. Die Physiker nehmen als Maximum für
Molekttigrößen von Gasen nnd Metallen (Zn, Cd, Cu) einen Wir-
kungskreis an, dessen Radins von der Größenordnung 10'^ wäre
(also r = OjOOOOOOt^ mm). Gestehen wir dem Eiweißmolekttl selbst
eine 1000 mal größere Größenordnung zu (indem wir jeden der über
1000 dasselbe zusammensetzenden Atome einen selbständigen Wir-
kungskreis wie den eines der obgenannten Moleküle zukommen
lassen, was viel zu hoch sein muß, da die vereinigten Atome einen
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KristAll-Analogien zur Entwicklungsmecbanik der Organismen. 245
geringeren Raum als getrennte einnehmen mttssen), so ist ftlr die-
selben r = w • 10-* (für Seifen- und Ölechichten hat Bernstein
[1904] 2r = 12 . 10-» mm, also r = 000006 berechnet); dann bleibt
zwischen dieser OröBenordnang 10-* nnd 10-* ftlr das Keimes-'
minimam immer noch ein so großer Zwischenraam, daß wir diesen
Erklärnngsgrand für unwahrscheinlich halten müssen i).
Auch die Kristalle besitzen ein Keimesminimum. Bei einer be*
stimmten MinimalgröBe hören manche Kristallsplitter auf, in über-
sättigter Lösung Kristallisation hervorzurufen, also auch selbst zu
Ganzen wieder heranzuwachsen. Die betreffenden Versuche sind
von Ost WALD (1896—1902) ausgeführt worden: derselbe bestimmte
durch Verreiben ron abgewogenen Mengen eines kristallisierten Salzes
mit indifferenter Substanz (z. B. Quarz) in immer steigender Menge
(der letzteren) das noch wirksame absolute Gewicht des Salzes. Bei
Natriumchlorat wurde (nach einer etwas andern Methode) 10^^^ g
ermittelt. Daß wir auch in diesem Fall nicht bei der Größenordnung,
wie wir sie bei Molekülen erwarten würden, angelangt sind, möge
kurz erörtert werden: der Wirkungskreis des Radius n • 10-^ würde
4
einer Kugel von -^ r'/r = annähernd 4r' = 4 • n' • lO-^i m Volumen,
und daher bei einem nicht weit über 1 gelegenen spezifischen Ge-
wicht 4 • w' • 10-^^ mg = 4 • n* • 10-*® g entsprechen, also ungünstig-
sten Falles einer Größenordnung von IQ-** g, immer noch außerhalb
einer wahrscheinlichen Fehlergrenze zu 10-*®g.
Wenn ich als Tatsache bloß die Abhängigkeit der Formbil-
dungs-, oder besser Rekonstraktionsfähigkeit von einer absoluten
Minimalgröße sowohl bei den (einzelligen) Organismen als auch bei
den (festen) Kristallen statuieren kann, so möchte ich nun hypothe-
tischerweise eine gemeinsame Ursache für beide Erscheinungen ein-
führen,' die ohne eine neue Annahme aus der bisher entwickelten
Theorie der Formregulation sich ergibt: es ist dies die Oberflächen-
spannung. Wir haben die Formgestaltung als einen Ausfluß des
fortwährenden Kampfes zwischen dieser und den spezifischen Richt-
kräften (sei es des Kristalles oder der Zelle) erkannt. Bei abneh-
mender Größe (Volumen] wird die Richtkraft bei ungeänderter che-
mischer Konstitution unverändert bleiben können (d. h. deren Energie
1) Es Bei denn, daß man mit Pflüqer den ganzen OrganismuB als ein
großes Molekül betrachtet; dieser Anschauung entstehen jedoch in der Rekon-
•truktionsfähigkeit recht große Schwierigkeiten.
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246 Hans Przibram
proportional dem Volumen), während die Energie der Oberflächen-
spannung an eine »dünne Übergangssehicht« (vgl. Curie, 1885} ge-
bunden, mit abnehmendem Volumen bloß der Oberfläche proportional
abnehmen wird, d. h. das Verhältnis rerschiebt sich, da das Volumen
in der dritten Potenz, die Oberfläche nur in der zweiten Potenz ab-
nimmt, stets zugunsten der Oberflächenspannung ; bei einer Minimal-
große wird die Richtkraft dieselbe überhaupt nicht mehr zu über-
winden imstande sein. Eine Deformation der kleinsten Eristall-
splitter zur Kugel wäre zu erwarten.
Die ersten in einer übersättigten Flüssigkeit beobachtbaren
Differenzierungen, wenn Kristallisation eintreten soll, sind nun in
der Tat kugelförmige Gebilde, sog. Qlobulite.
Von Ehrekberg (1835) bei 300— 800 maliger Diametervergröße-
rung, wenig später von Link (1839) beobachtet, der darin eine
Widerlegung der HAUTSohen Lehre, >sofem er nämlich die Kristalle
aus ursprünglich geformten kleineren Kristallen entstehen läßtc, sah,
erhielten dieselben ihren Namen durch Vogelsang (1874), der sie
als embryonale Zustände der Kristalle betrachtet und sich folgender-
maßen ausspricht (zit. nach Lehmann, 1904, S. 111):
>Die Grlobuliten sind homogene, kugelige oder ellipsoidische,
ursprünglich flüssige Körper (Tropfen), mit einem gewissen Vorrat
von unregelmäßig verteilter oder angehäufter Molekularbewegung
(Kristallisationsi^raft) ausgestattet, welche sie befähigt, einander an-
zuziehen, sich regelmäßig zu gruppieren, zu vereinigen oder umzu-
gestalten. Die innere Molekularbewegung oder die entsprechende
Anziehung ist also nicht nach allen Richtungen gleich, jedoch sind
die Intensitäten, im allgemeinen symmetrisch verteilt. Sie wird in
ihrer Äußerung mehr oder weniger beeinflußt von dem Widerstand,
welcher in der physikalisch-chemischen Beschaffenheit der äußeren
Umgebung gelegen ist.« »Je kleiner der äußere Widerstand, um
80 deutlicher tritt in der resultierenden Form das Verhältnis der
Intensitäten nach der Richtung hervor.« Während Quincke (1904)
und BÖTSCHLi (1900) erstarrende Globuliten, die sie als Blasen auf-
fassen, eine »Schaumstruktur« der Kristalle (ähnlich wie dieselbe fttr
das Plasma von diesen Autoren postuliert wird: Lit. Quincke, 1902,
BOtschli, 1901) aufbauen lassen, verwirft Lehmann (1904) jede Be-
ziehung der Globuliten, die er mit Frankbnheim (1860) lediglich
als überkuhlte Tröpfchen ansieht, zu den Kristallen.
Doch scheinen die umfangreichen Versuche von Schroen (1899,
1901), der die Kristallisation 64 verschiedener Salze in hängenden
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KriBtall-Analogien zur Entwicklungsmechanik der Organismen. 247
Tropfen bei immensen Vergrößerungen (4000 fach bei Photograpbien,
die dann durch Projektion auf 400000 fach gebracht wurden) unter-
sachte, die erste Entstehung der meisten Kristalle ans einer der
Oberflächenspannung durchaus unterworfenen Phase zur Gewißheit
zn machen i). [Schroek betont, daß die Kristalle anf diesem Stadium
durch Intnssusception wachsen. Erst später treten verschieden ge-
richtete Achsen als erstarrende linienförmige Anhäufungen auf, und
zwar stimmen deren Winkel mit den definitiven des späteren aus-
gefüllten Kristalls nicht immer ttberein.]
Die Minimalmasse bei Organismen betreffend, bemerkt Loeb
(1894, S. 64) über Versuche am Seeigelei : >Die letzte Quelle der
Energie lebender Substanz ist eine chemische. Jedes Protoplasma-
teilchen enthält eine gewisse Menge Energie, oder ist imstande, eine
solche zu entwickeln, die für die Wachstumsarbeit und die andern
Veränderungen des Organismus verfügbar ist. Die chemische Energie
eines Eiprotoplasmastücks nimmt mit der Masse zu. Es ist klar,
daß, wenn eine Blastula in eine Gastrula und einen Pluteus umge-
wandelt werden soll, eine weitere Arbeitsmenge verrichtet werden
mnß. Daher ist es klar, daß ein kleines Stück zwar eine Blastula
zu bilden imstande sein mag, während es nicht imstande ist, die
weitere Energiemenge, welche fbr die Umwandlung in eine Gastrula
oder in einen Plnteus nötig wäre, freizumachen. Wir finden ziem-
lich ähnliche Phänomene bei den Prozessen der Regeneration« . . .
Mir scheint diese Argumentation erst dann Sinn zu bekommen, wenn
mit abnehmender Masse ein Faktor aufgewiesen werden kann, der
nicht proportional der Masse abnimmt, denn sonst würde ja fttr die
Veränderung der geringeren Masse zn weiteren Stadien, die pro-
portional denen des größeren Eies wären, auch nur proportional
weniger Energie benötigt werden müssen.
Dieser Faktor könnte nun, wie auseinandergesetzt, im >Form-
bildungs widerstände« der Oberflächenspannung, welcher mit fallender
Masse steigt, gefunden sein.
Ryder sagt in seiner »Dynamischen Hypothese der Vererbung«
1) Hierin scheint mir das Hauptverdienst der ScHBOENSchen Arbeiten zu
liegen. Für seine weitergehenden Vergleiche der Kristalle und Organismen, wie
z. B. die Homologisienmg des »Protolitoplasma« und »Denterolitoplaama« mit
Nncleinen und Paranndeinen, obzwar der Nachweis chemischer Verschieden-
heit nicht einmal versucht wird, gar für seine kosmogenetischen Ansichten
können ans den von ihm studierten Tatsachen überzeugende Beweise nicht ab-
geleitet werden.
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248 Hans Przibram
(1894, S. 45) mit Bezug auf die Oberflächenspannang bei Orga-
nismen:
»Solche statische Effekte werden in keinem Stadium der Ent-
wicklung überwunden, oder selbst während der Lebenszeit irgend-
eines Organismus. Wegen der allgemeinen G^enwart und Wirkung
dieses Faktors sowohl im Pflanzen- als im Tierreich, als eines
Modifizierers der Form, müssen wir ihn fllr ein Agens von erster
Bedeutung in der möglichen Entwicklung einer zukünftigen Wissen-
schaft exakter dynamischer Morphologie ansehen. Ihre Wirkung ist
ein so beständiger Begleiter der Entwicklung, daß die Kräfte der
letzteren eingeteilt werden können in die kinetogenetischen, oder
solche, die Bewegung entwickeln, und statogenetische, oder solche,
die Ruhe oder Gleichgewicht zwischen den Teilen des Keims ent-
wickeln. Die kinetogenetischen Kräfte sind die Folgen des Metar
bolismus^), aber die statogenetischen Kräfte, obzwar vom Metabolismus
abhängig, entstehen eher als ein Ausfluß des Zusammenwirkens der
Oberflächenschichten der Zellen, diese als kleine zusammenhängende
Massen zäher, toter Materie betrachtet. Diese Massen sind, im
Organismus oder Keim, durch interfaciale Ebenen, freie und inter-
faciale gekrümmte Flächen abgeteilt, die die Resultate von Furchung
und Wachstum sind, und deren Oberflächenareale einem zuerst in
bezug auf Seifenblasen vom blinden Physiker Plateau aufgestellten
Gesetz gehorchen, der zeigte, daß solche Blasen interfaciale Scheide-
wände und Oberflächen, sobald miteinander in Kontakt, von einer
solchen Größe zu bilden streben, die das Minimum der mit ihrem
statischen Gleichgewicht vereinbaren darstellt. In diesem Zusammen-
hang möge auch bemerkt werden, daß, insofern als solche Zellen
eines Keimes oder Organismus immer im statischen Gleichgewicht
sind, ihre oberflächlichen Molekülschichten auch stets komplexe
Systeme äquipotentieller Flächen darstellen, ohne Rücksicht darauf,
wie zusammengesetzt auch die Form des Organismus sein mag.«
(Ferner S. 51): »Die Theorie, daß die molekulare Oberflächenschicht
der Organismen, ob innerlich oder äußerlich gelegen, im Gleich-
gewicht ist, bringt auch die Idee mit sich, daß die Konfiguration
aller Organe und Organismen nichts anders als der materielle Aus-
druck allmählich aufgebauter äquipotentieller Oberflächen ist.«
Bei den Metazoeneiern nach der Furchung und bei Metazoen
(z. B. wenn ein kleines Hydrastück bloß einen Tentakel bildet), kommt
M Etwa= »Stoffwechsel«.
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KriBtall-Analogien zur Entwicklongsmechanik der Organismen. 249
yielleioht immer auch das Gesetz der >fixen ZellgTöSe<, welches
Ton Dbiesch (vgl. 1898) aufgestellt wurde, in Betracht. Driesch
wies nämlich nach, daß bei der Entstehung mehrerer verkleinerter
Ganzbildangen aus einem Ei (Seeigel, Seestern, Seescheide) weniger,
nicht kleinere Organzellen gebildet werden. Es wird demgemäß
ein Eeimesminimum für die successiven Stadien dann erreicht werden,
wenn zu wenig Substanz vorhanden ist, um die mindestens notwen-
dige Anzahl von Zellen für die successiven Differenzierungen (Or-
gane) bilden zu können.
Die »fixe ZellgröBe« ist natürlich für jede verschiedene Zellart
eine verschiedene, was mit der Tropfengröße anorganischer Flüssig-
keiten verglichen werden kann, indem sie ebenso wie diese von der
durch die chemische Substanz bedingte Oberflächenspannung ab-
hängig ist. So strebt z. B. jede Flüssigkeit beim Einfallen in ein
Medium eine Tropfengröße anzunehmen, die der Formel g = 27t ra
entspricht, wobei g das Gewicht des Tropfens, r der Radius der
Röhre, aus der sie fällt, a die Oberflächenspannung ist^).
Der Beginn eines frei nach, außen wachsenden tierischen ^) Re-
generats ist eine rundliche Kuppe. Ist die Verletzungsebene senk-
recht zur Achse des regenerierenden Teils gestellt, so bildet das
Regenerat die Fortsetzung der alten Achse; steht jedoch die Ver-
letzungsebene schief, so steht die neue Achse ebenfalls schief zur
alten Achse, jedoch senkrecht zur Verletzungsebene. Es ergibt sich
Baufurths Gesetz (1891) , daß das Regenerat stets senkrecht zur
Verletzungsebene hervorsproßt. Davon ist der erstangeführte Fall
bloß ein besonderer: daß die neue Achse bei senkrechter Verletzungs-
ebene eine Fortsetzung der alten bildet, ist in dem Zusammenfallen
der höchsten Erhebung der Begenerationskuppe mit der Verlängerung
der alten Achse zu suchen. Ursache ist wiedier die Oberflächen-
spannung, der das sehr weiche Regenerat anfangs vollkommen unter-
liegt 3). Mit der Ablagerung von Apoplasmen und zunehmender
1) Auerbach, 1899, S. 68 ff.
2) Hierher dürfte auch der von Goebel (Flora, 92 [1]. 1903. S. 143) mit-
geteüte Fall des regenerierenden Fmchtkörpers des Pilzes Stereutn hvrsutum
gehören, wenigstens nach Goebbls Abbildungen zu urteilen (nam. Fig. 4!J.
3} Ryder (1894) S. 42 sagte: »Es ist daher klar, daß Barfurthb Gesetz die
Neigung der Achse des regenerierten Teiles zur EOrperachse bestimmt auf
Grand der verschiedenen Bedingungen von Oberflächenspannung, die sich über
regenerierende Oberflächen erheben muß, sobald die Neigung dieser zur Achse
des ganzen Organismus verändert istc
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250 Hans Przibram
Größe tritt mit der Zeit eine Geradestreckung ein, wie Tornieb
(1900) nachwies, ein Wachstumsprozeß (keine funktionelle Streckung).
Sobald wir den Aggregatzustand für das BARFURTHsche Gesetz
verantwortlich machen, kann es uns nicht wundernehmen, daß bei
den starren Kristallen ein Begenerat niemals schief zu seiner Basis
wächst, was Räuber (1895, S. 19) erwartet zu haben scheint; er
schreibt ttber Alaunoktaeder: >Man hätte daran denken können, daß
die Ergänzungspyramide senkrecht auf ihrer schrägen Basis auf-
wachsen würde, also eine gegen den Pyramidenstumpf abgeknickte
Spitze zum Vorschein käme. Eine solche Erscheinung tritt aber
nie auf.«
Da aus unsrer bisherigen Darstellung folgt, daß das Hervor-
wachsen des Begenerats von der allgemeinen Wachstumsf&higkeit
(Stoffwechsel) und der Oberflächenspannung, die die Richtung des
Regenerats beeinflußt, abhängt, so brauchen wir für die Erklärung
der tierischen Doppelbildungen u. ä. keine neue Annahme. Jede
getrennte Fläche^) läßt eben ein Regenerat herrorgehen. Das aus
einer Fläche heryorsprossende Regenerat kann auch als die Summe
(Resultierende) der aus den einzelnen Flächenteilchen hervorwach-
senden Regenerate aufgefaßt werden. Bei den starren Kristallen,
wo die von den einzelnen Höckern der Bruchfläche ausgehenden
Regenerate infolge ihrer Starrheit nicht zu verschmelzen imstande
sind, sondern die Lücken erst durch Ausfüllung bis zur Berührung
verschwinden, sieht man lange auf den sog. Wucherfeldern viele
kleine Formen nebeneinander stehen, die der zu ergänzenden Spitze
parallel orientiert sind und, sich summierend, schließlich die be«
treffenden Eristallflächen zusammensetzen (vgl. z. B. Rauber). Da
alle Einschnitte wieder ausgefüllt werden, lassen sich bei starren
Kristallen durch bloßes Einschneiden keine permanenten Doppel*
bildungen erhalten, obzwar dann zwei regenerierende Flächen vor-
handen sind. Bei Organismen werden Einschnitte auch häufig dnrch
Wiederverwachsung aufgehoben, doch gelingt Spaltung mit nach-
folgender Doppelbildung, wenn die betreffende Achse so weit durch-
1) Bei Pflanzen ist dies von einem Farne (Goebel, Üb. Reg. im Pflanzen-
reich. Biolog. Centralbl. XXII. Nr. 13-17. 1902) bekannt. Femer anßer bei
den Wurzeln einiger Phanerogamen auch an den Blättern von Gesneriaceen nach
Wilhelm Figdor (in Publikation^ An dem geringen RegenerationsvermOgen
der Pflanzen dürfte die mangelnde Umordnnngsfahigkeit apoplasmatischer Or-
gane und das rasche Erlöschen des Wachstums nach erstmaliger Anlage Schuld
tragen.
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Kristall-Aiialogien zur Entwioklnngsmechanik der Organismen. 251
trennt wird, daß die Oberflächenspannung eine solche Änderung
erfährt, daß ihr Zug den unverletzten Seitenrändern eine so starke
konkave oder konvexe Einrollung gibt, daß die beiden Spaltflächen
sieh nicht mehr trefifen. Bei festeren Teilen entstehen permanente
Doppelbildungen durch Sprünge, die bereits gebildete Teile von-
einander abrücken. Solche künstliche Doppelbildung habe ich auch
am Alaun beobachtet, wo ein beim Trocknen gesprungener Kristall
nach Wiedereinsetzung in die Nährlösung mit zwei Spitzen fortwuchs.
Die bei weitem häufigsten Superregenerationen, wie wir sie an
tierischen Monstren in der Natur vorfinden, sind jedoch, wie Tornier
durch genaue mechanische Analyse der einschlägigen Fälle in seinen
»biotechnischen« Schriften (Lit. Przibram, 1902) nachgewiesen und
experimentell belegt hat, durch Bruch entstanden. Er schreibt 1902
(S. 47) : »In der freien Natur dagegen spielen die Abrißwunden eine
nur ganz geringe Rolle und zwar, soweit meine Erfahrung reicht,
nur beim Entstehen der postembryonalen Polydaktylie an den Glied-
maßen der geschwänzten Amphibien und bei der Schwanzspitzen-
Vermehrung der Eidechsen aus Bißwunden, während alle von mir
untersuchten, embryonal angelegten überzähligen Bildungen und
auch viele postembryonale aus Wunden entstanden, welche nach den
erwähnten bautechnischen Gesetzen und zwar vorwiegend infolge
Yerbiegung eines Organs oder des Organismus durch Knickbean-
Bpruchung nach folgendem Hauptschema und in folgenden Haupt*
formen angelegt wurden:
»Wenn an einem geraden Balken (Fig. ^ÄBCD)j der mit einem
seiner Kopfenden (AB) in eine Mauer eingelassen ist, auf das freie
Ende (CD) von oben her ein knickender Druck {p) einwirkt, so wird
der Balken verbogen und erhält dabei eine konkave Druckseite, in
welcher seine Theile zusammengeschoben werden, und eine konvexe
Zugseite, in welcher sie auseinandergezerrt werden. Hat die Yer-
biegung des Balkens einen bestimmten Grad erreicht und ist er da-
bei etwas mehr druck- als zugfest gebaut, so reißt er am Scheitel
Beiner Zngseite (zs) ein und es entsteht daselbst alsdann eine
Scbeitelwunde mit zwei Wundfiächen, die im Balkeninnem an-
einanderstoßen und einander zugekehrt sind.« [»Gleichzeitig dringt
aber auch gewöhnlich die knickende Kraft an der Angrififsstelle in
den Balken ein, und sie kann dabei entweder die freie Balkenspitze
ganz abschneiden oder in sie mehr oder weniger tief einschneiden,
so daß alsdann in den meisten Fällen auch hier eine Wunde mit
einer oder zwei Wundflächen entsteht.«]
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252 Hans Przibram
Ohne damals noch den regenerativen Ursprung der von ihm
beschriebenen Monstrositäten za würdigen, bat Bateson fttr eine
Gruppe von Dreifaehbildungen namentlich an Beinen und Ftthlem
folgende ßegehi deskriptiv ermittelt (1894, S. 479):
>I. Die lange Achse des normalen Anhangs und der zwei ,extra'
Anhänge liegen in einer Ebene: von den zwei ,extra^ Anhängen
steht daher einer näher der Achse des normalen Anhangs und der
eine weiter davon entfernt.
II. Der nähere der zwei ,extra' Anhänge bildet in der Gestalt
und Stellung ein Spiegelbild des normalen Anhangs in einer Spiegel-
ebene, die zwischen den normalen und den näheren ,extra' Anhang
unter rechten Winkeln zur gemeinsamen Ebene aller drei Achsen
gelegt wird; und der weitere Anhang ist das Spiegelbild des näheren
in einer Spiegelebene, die in analoger Weise zwischen die beiden
,extra* Anhänge gelegt ist.«
Nach dem Bruchschema erklären sich diese Stellungsregeln
folgendermaßen (Przibram, 1902, Tornier): L Aus den beiden
klaffenden Wundflächen des Zugscheitels wächst, senkrecht zu
jeder dieser Flächen (nach Babfurths Gesetz!) ein Regenerat, nnd
da die Wundflächen senkrecht zur Längsachse eingerissen sind,
so müssen die Längsachsen der Regenerate in die Ebene der alten
Längsachse zu liegen kommen. [Ist zu gleicher Zeit die Spitze des
alten Gliedes abgebrochen worden, so wird auch diese ergänzt und
kommen so drei Regenerate zustande.]
Daß der der proximalen Wundfläche entspringende »extra« Anhang
(d. i. der, welcher von Bateson als der von der Längsachse weiter
abstehende bezeichnet wird) beim Portwachsen eine Wiederholung ^)
der abgeknickten Spitze gibt, ist uns ohne weiteres verständlich.
Nicht ohne weiteres leuchtet uns jedoch ein, warum das von
der distalen Wundfläche aus entstehende Regenerat ein Spiegelbild
zum normalen Anhang bildet. Man könnte erwarten, daß von hier
aus der proximale Teil des Anhangs ergänzt werden sollte.
Wir wissen aber auch sonst, daß nur distal der Wundstelle
liegende Teile bei den Tieren 2) regeneriert werden : wir finden eben
1) D. i. in BATES0N8 Worten das Spiegelbild des Spiegelbildes in derselben
Ebene.
^ Anders bei der Mehrzahl der sog. »Regeneration« bei Pflanzen. Hier
handelt es sich meist um »Adventivbildang«, nämlich durch Ausschlagen früher
im Wachstum gehemmter »Augen« oder Keime, die dann nicht nur die distalen
Teile, eventnell ganz neue Pflanzen darstellen.
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EriBtall-Analogien zur Entwicklangsmechanik der Organismen. 253
ein Vorschreiten des Wachstums nach bestimmten Richtungen; die
auswärts gerichteten Differenzierungsvorgänge verlaufen einseitig und
bauen stets, an die freie Oberfläche gelangend, wieder das distale auf.
Dann könnte aber immer noch ein Abbild, nicht ein Spiegelbild
erwartet werden. Auch dies würde einer anderweitigen Erfahrung
widerstreiten: es müßten nämlich dann jene Zellen, die bisher die
Gebilde der Oberseite gebildet, nunmehr an diesem > extra« Anhang
die Unterseite bilden u. s. f., wozu sie eventuell die (chemische)
Eignung nicht besitzen.
Es bleibt daher nur übrig, anzunehmen, daß die Teilchen der
Grenzschicht ihre Anordnung in der Weise ändern, daß sie nunmehr
eine spiegelbildlich verschiedene Richtkraft entfalten können.
So sonderbar dies auf den ersten Blick erscheinen mag, so sind
wir doch imstande, anorganische Analogien aus der Kristallographie
anzuführen. Es sind dies die »Druckzwillinge«. H. Baumhauer
legte ein kleines prismatisches Spaltungsstück klaren Kalkspats
mit einer stumpfen Kante auf eine feste Unterlage (eine entsprechend
ausgehöhlte HoLzrinne); in die zuoberst liegende parallele Kante
wird dann die Schneide eines Messers senkrecht eingedrückt. >Die
vordringende Klinge schiebt fortwährend neue Schichten zur Seite,
and zwar in beistehender Figur nach rechts, daher dort bald ein
einspringender Winkel sichtbar wird (Fig. 261) , bis endlich ein
großer Teil des Spaltungsstücks sich derart verschoben hat, daß das
Ende rechts als ein richtiger Zwilling erscheint (Fig. 262). [So vne
der Kalkspat verhält sich nach den Beobachtungen des Autors auch
der rhomboedrische Natriumsalpeter.] « (Zit. nach Tschermak, S, 134.)
Die durch Umlagerung erhaltenen Flächen sind vollkommen
echte, glatte Kristallflächen (Brbzina, 1880, p. 518). Die Ansicht
TscHEBMAKS (1880, S. 519), die Deformation sei von einer Drehung
der kleinsten Teile begleitet, wurde durch die optische Untersuchung
von 0. MilOGE (1888, S. 131) an Chlorbaryum und Brombaryum be-
stätigt, der die Lage der Schwingungsrichtungen der Zwillings-
Btellung entsprechend geändert fand. Auch wuchsen die Kristalle
wie natürliche Zwillinge weiter. Dabei verschwand bald der von
der Messerklinge erzeugte Eindruck, da die ihn begrenzenden Flächen
gegeneinander foi*t- und zusammenwuchsen. Da bei diesen Ver-
suchen an starren Kristallen keine Verbiegung der Hauptachse statt-
gefunden hatte, so verblieben die oberste Kante des umgelagerten
und des andern Stücks in einer Geraden, und es verschwand beim
Weiterwachsen jede Spur von deren Unterbrechung.
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254 Hans Przibram
Bei den Organismen verwachsen die aus den einander zuge-
kehrten Wundflächen entspringenden > extra« Anhänge auch meist
in größerem oder geringerem Umfange. Infolge des Ursprungs der
Wunde aus einer Abknickung der Hauptachse und dem durch den
Aggregatzustand der Regenerate gegebenen Wachstum derselben
senkrecht zu jeder der (einen Winkel einschlieBenden) WundfiächeUf
bilden sie jedoch keine gegenseitige Fortsetzung, und die Endgebilde
gelangen meist zu bleibend vollkommen freier Entfaltung.
Der Unterschied in der Herstellungsart der Zwillingsgebilde
bei den starren Kristallen und den plastischen Organismen ist auch
im Aggregatzustande gegeben: würden wir versuchen, den Kristall
teilweise durch Verbiegung zu brechen, so würde er ganz zeir«
springen^); würden wir den Organismus bloß einschneiden, wUrden
die betreffenden Teile zwar zurückweichen, aber gleich nach Auf-
hören der Druckkraft wieder zurückkehren und verschmelzen.
Trotz dieser Verschiedenheiten folgen die auftretenden neuen
Symmetrieebenen (Zwillingsebenen) denselben Gesetzen: »Nach Lie-
bisch (1887) haben alle sicher beobachteten Fälle künstlicher Zwil-^
lingsbilduDg das miteinander gemein, daß die Zwillingsebene auf
einer kristallographischen Symmetrieebene senkrecht steht und gleich-
zeitig einer Symmetrieebene parallel läuft, eine Eigenschaft, die ge-
stattet, die Natur der stattfindenden Deformationen vollständig zu
bestimmen« (0. Lehmann, .1904, S. 18),
Betrachten wir den Fall des hexagonalen — hemiedrischen
Systems — (dem die häufigsten, z. B. auch die mitgeteilten Fälle
angehören): eine Hauptachse (zugleich optische Achse) steht auf drei
einander unter Winkeln von 60° schneidenden Achsen senkrecht;
durch die Hauptachse und je eine der drei Nebenachsen ist je eine
Symroetrieebene gegeben; den beiden Bedingungen, sowohl einer
dieser Symmetrieebenen senkrecht, als auch einer zweiten parallel
zu verlaufen, kann die Zwillingsebene nur dann genügen, wenn sie
durch die Hauptachse (und eine Nebenachse) geht; mithin bleibt
ij Vgl. selbst 0. Lehmäkks Angabe über die weichen Kristalle von aal-
petersaorem Ammoniak (1877, S. 110): »Letztere besitzen die merkwürdige
Eigenschaft, daß sie sich ühnlich wie ein Faden weichen Harzes in alle mög-
lichen Fonnen bringen lassen, sobald nur die Deformation hinreichend langsam
geschieht Trotz dieser Biegsamkeit sind aber die EristaUe, ganz ebenso wie
ein Harzfaden, sehr sprOde, und sobald durch einen raschen Dmck oder Stoß
ein kleiner Riß entsteht, setzt er sich sofort durch die ganze Masse fort, und
der Kristall zerspringt.«
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Kristall-Analogien zur Entwicklnngsmechanik der Organismen. 25Ö
diese im abgeglittenen Zwillingsstück zur alten parallel: alle Punkte
der neuen Hauptachse (des abgeschobenen Stücks) und der alten
Hauptachsen (des stehengebliebenen kleineren und größeren Stücks)
liegen demnach in einer Ebene, ebenso wie es Punkt I der Bateson-
schen Regel für die Organismen angibt. Die Analogie des Punktes II
lautet entsprechend: »Der abgeschobene Teil des Kristalls bildet
in der Gestalt und Stellung ein Spiegelbild des anliegenden, unver-
änderten Stücks in einer Spiegelebene, die zwischen diesem unver-
änderten und dem abgeschobenen Stück unter rechten Winkeln zur
gemeinsamen Ebene aller drei Achsen gelegt wird; und das andre,
nicht abgeschobene Stück ist das Spiegelbild des abgeschobenen in
einer Spiegelebene, die in analoger Weise zwischen die beiden
(kleineren) Stücke gelegt ist.«
Wird ein fließender Kristall von ölsaurem Ammoniak (0. Leh^
MANN, 1904, S. 36) gebogen (Fig. 30 d), »so verlaufen an der Bie-
gungsstelle die AuslOschnngsrichtungen fächerartig, d. h. in der
Richtung der Krümmungsradien«. »Wird der Krümmungsradius zu
klein, so tritt eine Art Bruch ein, d. h. die Masse zerfällt in zwei
Teile mit verschiedener Orientierung, welche sich aber nicht trennen,
sondern miteinander verschweißt bleiben (Fig. 30fc).« Wir sehen
also, daß auch bei plastischen Stoffen eine Umordnung in Zwillings-»
Stellung (Lehiiann, S.39) eintreten kann; das abweichende Verhalten
in diesem Falle (Yerschweißtbleiben) sehen wir ^vieder durch den
besonderen Flüssigkeitszustand bedingt. Wenn wir optische Hilfs^
mittel für die Unterscheidung der Wachstumsrichtungen im Orga-
nismus hätten, könnten wir vielleicht die Umordnung noch vor
Eintritt der Begeneration erkennen; so müssen wir uns vorläufig
damit begnügen, diese als Reagens auf die spiegelbildlich umge-
kehrte Richtkraft zu benutzen^).
Die Frage, ob wir nicht die Polarität eines Tierstücks, ohne
dessen Lage im ganzen durch das Vorhandensein differenzierter
Kopf-, Schwanzpartien usw. zu kennen, ausfindig machen könnten,
ist von LoEB für Cerianthus (eine grabende Aktinie) in folgender
Weise erörtert worden (1891, S. 48):
> Bekanntlich ist man imstande, aus dem physikalischen Ver-
halten des Bruchstücks eines Kristalls zu erkennen, wie das Bruch-
stück im Kristall orientiert gewesen war. Ich habe mir die Frage
1) Vgl. jedoch weiter unten bezüglich Zur Strassens Zellteüungsregel
S. 258.
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256 Hans Przibram
vorgelegt, ob nicht auch bei lebenden Tieren sich ähnliche Bezie-
hungen zwischen der EOrperform nnd der Reizbarkeit nachweisen
lassen y wie zwischen geometrischer Form nnd dem physikalischen
Verhalten bei Kristallen. In der Tat besteht eine solche Beziehung
bei Cerianthus, nnd dieselbe ist nicht nur beim nnyersehrten Tier,
sondern auch beim Tier ohne Kopf und ohne FuB, ja selbst unter
Umständen bei bloßen Bruchstücken erkennbar, so daB es unter
Umständen mOglich ist, schon aus dem Verhalten des Bruchstücks
gegen äußere Kraft zu ersehen, welches Ende desselben dem oralen
Pol des ursprünglichen Tieres zugekehrt war. Cefianikus membror
naceus stellt sich nämlich, wenn die äußeren Umstände es zulassen,
so im Räume ein, daß die Längsachse vollkommen oder nahezu
vertikal gerichtet ist, und daß der orale Pol oben, der aborale unten
sich befindet. Schneidet man nun einem Cerianihus den Kopf oder
den Fuß ab, oder schneidet man aus einem CerianfhiLS ein Stück
heraus (indem man Kopf und Fuß zugleich abschneidet), so stellt
sich das Bruchstück, falls es nicht zu klein ist und falls die äußeren
Umstände es erlauben, wieder so ein, daß seine Achse vertikal, sein
orales Ende nach oben, sein aborales nach unten gerichtet ist.« Bei
Regeneration wird die Polarität (d. h. die verschiedene Ausbildung
der beiden Enden einer Achse) aufrecht erhalten (S. 46): »Der Ort
der Tentakelbildung an einem Bruchstück von Cerianihus hängt ab
von der Orientierung, welche das Bruchstück am unversehrten Tiere
hatte, und zwar wachsen stets an demjenigen Schnittende Tentakel,
welches dem oralen Pol des unversehrten Tieres zugekehrt war.«
Es gibt auch Kristalle, die an beiden Seiten einer Achse un*
gleiche Formen zeigen, »die monoklin-hemimorphen Kristalle (Rechts-
weinsäure) halten ihre elektrische Achse auch bei Verletzung und
Regeneration aufrecht« (Pbzibram, 1904, S. 576).
Von den Kristallen ist kein Fall bekannt, daß die Polarität
veränderlich wäre. Bei den Organismen kommen hingegen meh-
rere Gruppen solcher Fälle vor, die zuerst von Loeb (1891, S. 10)
als »Heteromorphosen« bezeichnet worden sind, wo ein Organ an
einem ihm frUher nicht zukommenden Achsenpol nach Abschnitt des
daselbst normal gestandenen Organs hervorsproßt. 1. Gruppe: Es
läßt sich durch äußere Bedingungen (Schwerkraft, Kontakt usw.)
bestimmen, welches Organ an einer bestimmten Stelle entstehen soll.
In diese Gruppe gehören die meisten Pflanzen und die sessilen
Tiere, welche gleich jenen an bestimmte Lagen im Raum gebunden
sind (z. B. gewisse Meerespolypen) , die sie nicht verlassen können.
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EriBtall-Analogien zur Entwicklangsmechanik der OrganiBmen. 257
Zugleich sind dies >ofiFene< Formen, nämlich Stöcke, die eine variable
und aus schlummernden Anlagen vermehrbare Anzahl von eventuell
verschiedeDgestaltigen Individuen zu entwickeln vermögen. Es sind
daher die auftretenden »Heteromorphosen« eher als »Adventiv-
bildungen«, zu bestimmten Verrichtungen auf einen gewissen äußeren
Reiz hin differenzierte, unvollständige Individuen, denn als ßege-
nerate (d. 1. Vervollständigung des verletzten Individuums) aufzu-
fassen. Oft treten die neuen Gebilde an andern als den verletzten
Stellen auf oder kommen selbst ohne voraufgegangene Verletzung
zum Vorschein.
2. Gruppe: Die Lage der transversal zur Achse gestellten Ver-
letzungsebene hinsichtlich eines der normalen Pole bestimmt das
Gebilde des neu zu bildenden Pols: Planarien bilden am Aboralpol
einen zweiten Kopf, wenn sie knapp hinter den Augen durchschnitten
wurden (Morgan, 1900, p. 101, 1901/2, p. 184) i); Kegenwttrmer bilden
an weit hinten abgeschnittenen Schwanzstücken oralwärts einen
zweiten Schwanz (Mobgan, 1899), und analogerweise Stücke vom
Vorderende aboralwärts einen zweiten Kopf (wie Hazen durch Auf-
pfropfen dieser sonst nicht lebensfähigen Oralstücke nachwies, 1899).
Hier dürften für die Unfähigkeit andre, als die vorhandene Diffe-
renzierung wieder zu bilden, chemische Verschiedenheit anzunehmen
sein: ftlr das positive Ergebnis der Erzeugung eines zweiten gleich-
namigen (spiegelbildlichen!) Pols ist eine Umordnung an der freien
Grenzschicht ähnlich der beim Bruch beschriebenen erforderlich.
3. Gruppe: Sehr kleine Stückchen eines Hydranten (d. h. also
eines Individuums) bei Hydroidpolypen bilden manchmal »Doppel-
rtts8cl< (Driesch, 1897, S. 408, Fig. 9, Bickfobd, 1894, Morgan, 1898,
Pbebles, 1900). Hier tritt ein roter Stoff als Bildner der Tentakel-
kränze auf, der in der Oralrichtung sich anhäuft. In den kleinen,
fast kugelförmigen Stückchen mag nun die Bevorzugung einer Strö-
maogsrichtung durch die Oberflächenspannung erschwert sein, so
dafi die KOrnchenanlage sich mehr einer radiären Anordnung fügt,
gewissermaßen die Oberfläche den Oralpol, der Mittelpunkt den
Aboralpol bildet 2).
ij In meinem Referate »Regeneration«, Erg. d. Phys. S. 113, ist irrtUmlieher-
weise statt: durch Kopf, hinter dem Gehirn, geschnitten bloß »darch Qehim
geschnitten« gedruckt, was den Sinn verkehrt.
2) Wenn es gelänge, vom Perisarc befreite sehr kleine Stückchen zur Re-
generation zu bringen, müßten wir erwarten, daß nach allen möglichen Rich-
tungen abstehende Tentakel gebildet werden könnten.
Areliir f. Entwicklangsmechaaik. XXII. |7
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258 Hans Przibram
Als Analogie können die Beobachtnngen 0. Lehmanns an
Vorländers p-Azoxybenzoesäureäthylester, das fließende Kristalle
bildet, dienen (1904, S. 45). »Kommt einer der nadeiförmigen Kristalle
mit der Spitze mit der Luftblase in Berührung, so daß seine Längs-
richtung zur Oberfläche derselben senkrecht steht, so beginnt er
sich an der Berührungsstelle, wie die Figuren (79a — d) zeigen, als-
bald zu verbreitern, während die Masse des Kristalls nachrückt, so
daß dieser schließlich eine der Luftblase mit breiter Basis aufge-
setzte Pyramide mit gekrümmten Seitenflächen darstellt. Diese Aus-
breitung und Verzerrung des Kristalls erfolgt derart, daß die Aus-
löschungsrichtungen überall senkrecht zur Oberfläche der Blase stehen,
und ebenso die Streifang, welche stets der Längsrichtung des Kri-
stalls entspricht. Diese Erscheinung zeigt deutlich, daß die Ober-
flächenspannung an der Grenze zwischen Kristall und Luft etwas
kleiner ist als die zwischen Lösung und Luft.«
>. . Bei Luftblasen kann man in der Kegel die gleichzeitige
Anlagerung mehrerer Kristalle, wie Fig. 82a zeigt, beobachten,
welche sich gegenseitig nicht stören, solange sie durch freie Stellen
der Oberfläche getrennt sind. Kommen aber diese Kristalle gegen-
seitig in Berührung, so fließen sie zusammen, und die Blase scheint
von einem Ringkristall umgeben (Fig. 82 b). Ist die Blase keine
Luftblase, sondern eine Dampfblase, welche bei fortschreitender Ab-
kühlung sieh verdichtet oder verschwindet, so kontrahiert sich
der hohlkugelförmige Kristall zu einem massiven Sphärokristall
(Fig. 82 c).«
Dürfen wir die von Zur Strassen aufgestellte Regel, daß das
Centrosoma sich in der Ruhelage in die Mitte der freien Zellober-
fläche einstellt und diese der Ausdruck einer Polarität der Zelle
im Sinne von Hatschek (Mark und Rabl) darstellt, als allgemein-
gültig für die Anordnung von Geweben betrachten, so können wir
uns ein Bild von den Umordnungsvorgängen bei den Mehrfach-
bildungen und polaren Heteromorphosen machen, das den beobach-
teten Endresultaten genau entspricht. Durch Schnitt oder Bruch
wird eine »freie Oberfläche« geschaflfen, die eine Drehung der be-
nachbarten Zellplasmen, angedeutet durch die Stellungsveränderung
des Centrosomas, zur Folge hat: auf diese Art gelangen die Wund-
randzellen der proximalen Wundfläche in eine den distalsten Zellen
analoge Stellung, während die der distalen Wundfläche in eine der-
selben symmetrische Lage gelangen, da das Centrosoma einen gleichen
Bogen in entgegengesetzter Richtung zu beschreiben haben wird,
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Kristall-AnAlogien zur EntwicklongBinechanik der Organismen. 259
um in die Mitte der neuen freien Oberflächen als neue Gleich-
gewichtslage zu gelangen.
Bei den polaren Heteromorphosen sehr kleiner Stücke wird bei
der Abkuglung in ähnlicher Weise eine Wanderung der Centrosomen
in entgegengesetzte Richtungen stattfinden, so daB auf beiden Schnitt-
rändern symmetrische, homologe Strukturen erzeugt werden^).
Außer der > polaren« Heteromorphose kennen wir aus den orga-
nischen lleichen noch die »homöotischen« Heteromorphosen, z. B.
die Regeneration einer ersten Antenne an Stelle eines Auges bei
decapoden Crustaceen, wenn das Augenganglion zerstört ist (Herbst,
Lit. Przibram, 1902), oder die Umwandlung eines Blütenblattes in ein
Laubblatt bei gewissen Insektenstichen; die >Homöosis« (Bateson,
1894, S. 85) besteht also darin, daß ein Glied einer meristischen
Serie die Form oder Charaktere eines andern Gliedes der Serie
annimmt.
Ihrer Homogenität entsprechend zeigen Kristalle keine meristi-
schen Differenzierungen 2).
Interessant ist jedoch in bezug auf unsre Gleichsetzung der
Regeneration mit beschleunigtem Wachstum, normaler Regeneration
oder Stoflfersatz, daß die Nerven, deren Funktionsfähigkeit für letz-
tere von solcher Wichtigkeit ist, auch die Morphologie der Regene-
ration beeinflussen 3). Solange sie ihre Funktion nicht erfüllen, sind
sie auch nicht von Einfluß auf die morphologische Difl^erenzierung
(vgl. Exp. M. S. 93).
Unsre mehrfach erwähnte Auffassung der Regeneration räumt
einige Schwierigkeiten hinweg, die sonst besondere Erklärungs-
hypothesen erfordern würden. Zunächst, daß von beliebigen
»Niveau« flächen aus Regeneration ausgelöst werden kann und nach
*) Nach Niederschrift dieser Zeilen ist mir. durch die Freundlichkeit des
Autors die Arbeit: »Experimentelle Beiträge zur Frage nach der Entwicklung
peripherer Nerven« von H. Braus (Anat. Anz. XXVI. 1905; zugegangen. Die
darin enthaltenen Beobachtungen über das Auftreten einer »accessorischen«
Bpiegelbildlichen Gliedmaße an mehreren an fremden Stellen implantierten Glied-
maßenanlagen von Unken dtliften bei weiterer Analyse eine eklatante Betätigung
der vorgebrachten Ansichten ermöglichen.
2} Wenn Eaubbe (1885, S. 42. Fig. 48 a) ein aus einem künstlich cylindrisch
zugeschnittenem Alaunkristall »gleichsam ein aus Kugelsegmenten, die in Re-
generation begriffen sind, aufgebautes Gebilde«, einem Eingelwurm vergleicht
and »Oktaeder- Annelid« benennt, so bleibt dies eben nur ein Name.
3} Neuerdings bemerkt Reed (Arch. f.Entw.-M. XVIU. 1904. 8.315;, daß bei
Längsspaltung des A'utotomiestumpfes eines Beines vom Einsiedlerkrebs zwei
Beine dann entstehen, wenn der Nerv gespalten wurde.
17*
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260 Hans Przibram
beliebiger BichtuDg; dann, daß dieselbe, ohne embryonale Stadien
zu durehlanfen, direkt zn demselben Resultate gelangen kann, wie
die Ontogenie ; endlich auch, daß die Begenerate auf Stadien stehen
bleiben können, die als »Vorstufen« der normalen Bildung aufzu-
fassen sind (sogenannte »Hypotypie« Giards^), Lit. Przibbam, 1902)
(sowie daß die Enden von Gliedern mit Überspringung dazwischen-
liegender zuerst angelegt werden können).
Erlischt nämlich die Begenerationsfähigkeit, sei es infolge des
Zeit- (Alter) oder des Aggregat- (Umordnung) oder eines andern
Faktors (oder mehrerer derselben), während die volle Differenzierung
des betreffenden Regenerats noch nicht erreicht ist, so wird das-
selbe auf der betreffenden Ausbildungsstufe stehenbleiben^). Dieses
bildet einen neuen Gleichgewichtszustand, der gegentlber der ur-
sprünglichen stärkeren Wachstumsenergie bloß ein labiler (und daher
vorttbergehender) wäre, bei der verminderten Wachtumsenergie
jedoch genügend stabil ist, um sieh zu erhalten.
Ähnliches können wir unter geeigneter Versuchsanordnung an
Kristallen beobachten: Wird einem Alaunoktaeder eine Hexaeder-
fläche angeschliffen, die eine mögliche Eristallfläche darstellt, so
wird, obzwar dieselbe anfänglich als solche weiter wachsen, ja so-
gar die Entstehung andrer, ihr korrespondierender Flächen hervor-
rufen kann (Hauer, 1859), doch schließlich das Oktaeder wieder
hergestellt. Das Hexaeder ist also hier die labile Form. Trotzdem
besitzt es genügende Stabilität, um seine Form als Durchgangs-
stadium auszuprägen ; würde die Wachstumsgeschwindigkeit in seinen
Bichtungen beträchtlich abnehmen, kann es als stabile Form bleiben:
dies ist z. B. nach Haubb (1860) der Fall, wenn das Weiterwachsen
in einem verschiedenen Medium stattfindet (Ghromalaun in Eisen-
alaun). Da die Kristalle meist bloß bis zu einer gewissen Größe
merklich wachsen^), so dürfte ein solcher Fall mit der Erreichung
dieser Größe auch bei Anwendung der gleichen Nährlösung ge-
geben sein.
1) GiARD (1897) ßchreibt: >So entspricht bei einer großen Anzahl von Be-
generationsfällen, sei es, daß die Ernähningsvorräte ungenügend seien, oder sei
es vielmehr, daß es für das verletzte Individanm von Vorteil ist, den Seintegrations-
prozeß abzukürzen nnd nicht vollständig alle phylogenetischen Ahnenstadien
zu dnrchlaufen, der morphologische Typus des regenerierten Gliedes nicht dem
stabilen Gleichgewichtszustand, der gerade bei der betreffenden Art erreicht ist,
sondern einem vorhergehenden Gleichgewichtszustände ^gewöhnlich im Maximum
des unmittelbar vor der gegenwärtigen Epoche gelegenen;«.
2; Vgl Retgers.
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EriBtall-Analogien ^ur Entwicklungsmechanik der Organismen. 261
Die Erstanlage der formbeendigenden Spitzen erklärt sich aus
den Bedingungen, welche der Erreichung des Gleichgewichts ge-
setzt sind: eine ähnliche Form soll mit geringeren Mitteln erreicht
werden; nach dem Gesetz der fixen Zellgröße werden die einzelnen
Glieder zunächst aus weniger Zellen bestehen, und falls nicht ge-
nügend Zellen vorhanden, das Organ aus weniger Gliedern gebildet
werden; soll hierbei die Ähnlichkeit der Niveauflächen möglichst ge-
wahrt werden, so stört weniger das Wegfallen von (meist homo-
nomen) Basalgliedern, als das des (meist heteronomen) Endgliedes.
Wachstumsverzögerung kann dann wieder zur Permanenz dieser
Bildungen fuhren. Nachträglich kann umgekehrt eine Vermehrung
der Glieder durch Einschiebung (Abschnürnng) basal gelegener
Glieder bei starker Wachstumsfähigkeit stattfinden (vgl. z. B. die
heteromorphen 1. Antennen von Hebbst u. a., Przibbam, Exp. M.,
S. 88), und falls auch ein solcher Vorgang der normalen Entwick-
lung entspricht, wird eine ontogenetische Parallele sich ergeben : so
bei den Antennen der Wasserassel (Przibram, 1899, 1902), beim
Hinterleibsende von Ophryotrocha (Lit. daselbst).
Auch jene vielbewunderten Fälle, wo aus einem fremden Ge-
webe ein Organ regeneriert wird, fügen sich ungezwungen ein, wenn
wir berücksichtigen, daß es sich um solche Fälle handelt, in denen
eine sekundäre Verbindung eines distal von der Oberflächenschicht
abgegliederten (Pharynx der Anneliden), oder selbst ganz abge-
schnürten (Linse der Amphibien) Teiles mit einem proximal gele-
genen Gewebe, das nunmehr seine Nährmatrix abgeben dürfte
(Entoderm der Anneliden, »mittlere Schichten« des Augenbechers) ^),
handelt. Vielleicht beherrschen auch normalerweise Nerven, die
den proximalen Teilen anliegen^ die Formerhaltung dieser distalen
Abkömmlinge 2).
Der hypotypen Begeneration steht die kompensatorische
Hypertypie gegenüber, die darin besteht, daß bei asymmetrischen
Formen nach Entfernung des typisch stärker differenzierten Gliedes
der einen Seite das entsprechende, symmetrisch gestellte, jedoch
weniger ausgebildete Glied, obzwar gar nicht direkt von einer
Verwundung betroffen, sich nunmehr zu dem stärker differen-
zierten entwickelt, während das andre hypotyp (d. i. der Form des
weniger differenzierten ähnlich) nachwächst (Scheren von Alpheus^
Przibram).
1) Vgl. Lit. Przibram, Reg. S. 79 (Codiat u. a.).
2) Nach Vejdovsky ist der Pharynx überhaupt entodermalen Ursprungs.
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262 Hans Przibram
Hierzu finden wir bei den Kristallen die Analogie der Entstehung
von Kristallfläcben an Stellen, an denen gar keine Verletzung
vorgenommen wurde, wenn Kristallflächen angeschliflFen wurden.
So schreibt Hauer (1859, S. 14): »Endlich erregen die künstlich
hervorgebrachten Flächen oft unmittelbar die Entstehung andrer
ihnen korrespondierender, die so indirekt künstlich erzeugt werden,
was ich zu wiederholten Malen beobachtete.« (1860, S. 7): »Etwas
häufiger gelingt am Eisenalaun [als an andern Alaunen] die Aus-
flächung.« (S. 11): »Nimmt man die beiden Spitzen [des Oktaeders]
so weit ab, daß der Kristall dadurch tafelartig wird, so erhält man
die folgende ganze Kombination des Hexaeders- und Oktaeders, be-
stehend aus den zwei sehr vorherrschenden Flächen des ersteren,
die aufgedrungen wurden und vier kleineren, die von selbst ent-
stehen, wie sich aus Fig. 4 ergibt.« (1877, S. 59): »Diese Kristalle
[Kaliummangansulfat] zeigen in sehr prägnanter Weise die interes-
sante Erscheinung des Hervorrufens von Unvollkommenheiten der
Kristallisation durch mechanische Verstümmelung einer Seite an der
korrespondierend entgegengesetzten. Bricht man nämlich das eine
Ende dieser längliche Tafeln bildenden Kristalle ab, und läßt sie
weiterwachsen, so verschwindet alsbald auch am andern Eiide die
regelmäßige Ausbildung der Zuschärfungsflächen.« Am ameisen-
sauren Strontian hatte bereits Pasteur (1836) durch Ausfeilen neue
Flächen erhalten.
Beiden Vorgängen (Kompensator. Hypertypie und »Ausflächung«)
ist gemeinsam, daß Teile, die nicht selbst von der Verletzung be-
troflfen, jedoch zu den Betrofl^enen in einem Symmetrieverhältnisse
stehen, in der Weise verändert werden, daß eine Ergänzung der
Individualität auf dem kürzesten Wege stattfindet, wobei das
neue Gleichgewicht nicht dem alten in allen Stücken (Seite der
stärkeren Ausbildung bei Organismen, Flächen bei Kristallen) gleicht.
Eine Verschiedenheit ergibt sich wieder daraus, daß es sich bei
den Tieren um »Organdiflferenzierung« handelt.
Endlich müssen noch die bei den Organismen erst in aller
Schärfe von Ch. Zeleny experimentell erwiesenen Kompensationa-
erscheinungen hier kurz Erwähnung finden, während deren ausführ-
liche Würdigung erst dem Abschnitte über Quantitatives aufgespart
werden möge. Zeleny beobachtete, daß bei verschiedenen Tieren
(Schlangenstern, Älpheus, Cambarus, 1905) die Regenerationsgeschwin-
digkeit mit der Größe des Verlustes sich ändert, und zwar in der
Weise, daß die zugewachsenen Teile unter sonst gleichen Verhält-
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Kristall-Analogien zur EntwicklnngBmechanik der Organismen. 263
nisBen bei größerem Verlnste absolut größer sind als bei geringeren);
bei den Criistaceen kam die Förderung der allgemeinen Wachstums-
geschwindigkeit durch das raschere Eintreten der Häutungen nach
stärkeren Verlusten klar zum Ausdrucke.
Nun ist für die Kristalle bereits vor längerer Zeit von Loir
festgestellt veorden (1881), daß ein ganzer und ein verstümmelter
Alaun gleicher Oberfläche in eine Nährlösung zusammen oder auch
getrennt (aber natürlich unter gleichen Bedingungen) eingesetzt in
der gleichen Zeit keineswegs die gleiche Gewichtszunahme erreichen,
sondern die Wage zugunsten des Verstümmelten entscheidet.
Daß auch getrennt eingesetzte Krisfalle verschiedene Gewichts-
zunahme erleiden, je nachdem sie vollständig oder verletzt sind,
schließt übrigens bereits die Voraussetzung ein, daß die Zunahme
nicht vollständig der durch Verdunstung des Lösungsmittels frei-
werdenden Substanzmengen parallel geht, sondern von einer im
Kristalle sitzenden Anziehungskraft nicht nur qualitativ, sondern auch
quantitativ beeinflußt wird. Tatsächlich hat ganz neuerlich Soxstadt
(1904] nachweisen können, daß (unverletzte) Kristalle auch in ge-
sättigten, nicht verdunstenden Lösungen eine gewisse Zunahme er-
fahren, was sich durch die Abnahme der Konzentration der Lösung
kundgibt.
B. Besprechung der Ansichten verschiedener Autoren
über den Wert der Analogien zwischen Kristall und
Organismus^).
Als man mit dem Ende des XVIIL Jahrhunderts auf experimen-
tellem Wege die Regeneration der Tiere näher kennen lernte, wurde
allgemein der Vergleich mit den Kristallen, die man sich aus lauter
kleineren, ähnlichen Kristallen zusammengesetzt denken konnte und
die die Eigenschaft des Wachstums besaßen, zur Erklärung heran-
gezogen. Als Vertreter dieser »naiven« Kristallanalogie sei Büffon
(nach den von Driesch in seiner »Geschichte und Lehre des Vitalis-
mus« wiedergegebenen Ansichten) genannt. Als »naiv« müssen die von
dem genannten Autor angeführten Analogien bezeichnet werden, da es
sich ja später herausgestellt hat, daß die angeführten Vergleichspunkte,
wie z. B. die Zusammensetzung eines Tieres aus lauter kleineren
Tieren, nicht stichhaltig sind und anderweits die tiefer gehenden
1) Es sollen an dieser Stelle nicht alle Äußerungen über die Kristall- Ana-
logien zur Besprechung gelangen, sondern vorwiegend jene, die sich mit dem
Probleme der »zielstrebigen« Formregulation befassen.
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264 Hans Przibram
Analogien, wie sie z. B. durch die Auffindung der Regeneration
(künstlich) verstümmelter Kristalle gezogen werden konnten, noch
unbekannt waren.
Auch die Autoren jener Zeit, die die Erklärung durch vorgebildete
Teile .verwarfen, sahen in der Kristallisation eine dem organischen
> Bildungstriebe« analoge, nur weniger ausgebildete Formbildungs-
kraft: Blumenbach, Maüpeetuis, Beil.
Es konnte nicht ausbleiben, daß die oberflächliche Vergleichung,
der noch keine eingehende Untersuchung der verglichenen Objekte
zugrunde lag, energische Gegnerschaft fand. Als H. Jordan (1842)
zuerst Versuche über die Begeneration der Kristalle anstellte, mußte
er sich bereits gegen die offenbar damals vorherrschende Ansicht
wenden, welche z. B. von E. H. Weber in Hildebrandts Anatomie
ausgesprochen wurde, daß die bildende Tätigkeit der Kristalle sehr
verschieden von der der Organismen sei. Es ist gewiß bemerkens-
wert, daß Jordan seine Arbeit in einem physiologischen Archive
publiziert hat, und daß in der Folgezeit gerade jene Autoren, die
sich zugleich auf organischem und auf kristallographischem Gebiete
als Forscher betätigt haben, am wärmsten für die Stichhaltigkeit der
Analogie sich eingesetzt, haben: Bütschli, 0. Lehmann, Pasteür,
Quincke, Eaüber, Sachs, v. Schroen, Spencer, so verschiedenartig
auch die Wege waren, auf welchen sich die Genannten dem Probleme
genähert hatten.
Die Ursache hierfür liegt darin, daß jedem Biologen, der sich
in kristallogenetische Versuche einarbeitet, die »Selbsttätigkeit« des
Kristalles in erhöhtem Maße auffällt, so daß die Grenze zwischen
anorganischer und organischer Welt nicht mehr durch jene unüber-
brtlckbare Kluft getrennt erscheint, wie sie die Gegner der Kristall-
analogie hinstellen. Der Physiker Bernstein bezeichnet die Kristalli-
sationskraft als Vorstufe des organischen Bildungstriebes, wie es
bereits der Chemiker Liebig und der Philosoph Schopenhauer getan
hatten, indem sie darauf hinwiesen, daß die Gesetze der Mechanik
ebensowenig ohne weiteres auf Chemie [Elektrizität, Magnetismus]
und Kristallographie übertragbar seien, wie auf Biologie, vielmehr
eigne Wirkungsgesetze hinzukämen.
Auf die Zielstrebigkeit jedes Formbildungsvorganges, auch der
Kristalle, nicht nur der Organismen, haben Fischel (1903), Holmes
(1904) unjd Friedmann (1904) hingewiesen, auf die Selbsttätigkeit der
Kristalle wie Organismen Scharfe (1876, S. 24), auf die Gleichteilung
0. Schultze (1895, S. 288). Kristallanalogien zur Biologie haben
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KriBtall-Analogien zur EntwicklangBinechanik der Organismen. 265
feraer eine große Anzahl andrer Forscher beigebracht, die jedoch
hauptsächlich auf Vorgänge der Vererbung sich beziehen und daher
hier (wo es sich uns um das Regenerationsproblem handelt) vorläufig
bloß summarisch als Freunde der Eristallanalogie im allgemeinen
angeführt werden mögen: Bayer (1904), Friedmann (1902), Haacke
(1893), Haeckel (1904), Kassowitz (1899), Ejiükenberg, Le Dantec
(1896), Ostwald (1902), Zehnder (1899).
Wir können uns nunmehr zur Besprechung jener Autoren wen-
den, die zwar eine gewisse Analogie zugeben, aber doch einen sehr
großen und wesentlichen Unterschied zwischen den Vorgängen der
Formbildnng bei Kristallen und Organismen erblicken.
Hans Driesch räumt in seinen Schriften, die sich mit der Rehabili-
tierung des >Vitalismus< beschäftigen, überall den Kristallen bereits
eine Sonderstellung gegenüber der übrigen anorganischen Natur ein:
die Kristalle sind »trotz ihrer minderen Kompliziertheit schon selbst
nicht in Strenge chemisch -physikalisch auffaßbar« (1901, S. 839);
»obwohl der Begriff des typisch-heterogenen Zusammengesetzten bei
diesen Klassen von Objekten keine Rolle spielt und eben darum auch
der Begriff des ,Zweckmäßigen^ hier nicht eigentlich, sondern
höchstens in ganz allgemeinem Sinne in Frage kommen kann . . .,
stellt die kristallographische Wissenschaft doch in gewissem Sinne
eine Übergangsstufe von der Physik und Chemie zur Biologie dar:
der Begriff der typischen, nicht »zufälligen^ Richtung von Geschehen
tritt in ihr auf, der jenen Wissenschaften fremd war. Dort kam
eigentlich nur der Begriff der Geradlinigkeit in Frage, jetzt werden
Richtungsverhältnisse zu Eigengesetztichkeiten. Schon die Kristallo-
graphie stellt also der Physikochemie gegenüber etwas ganz Neues,
durchaus Irredncibles dar, wie immer auch man die Sache fiktiv
oder hypothetisch wenden möge« (1904, S. 164).
In seinem neuesten Buche (Vitalismus, 1905) wiederholt Driesch
diese Ansichten [S. 68, 230, die S. 3 auf später versparte Besprechung
von Kristallisation und Zweckmäßigkeit habe ich im Weiterlesen
vermißt]. An einer späteren Stelle (S. 239) setzt er jedoch in schroffer
Weise unbelebte Dinge zu belebten in Gegensatz, unter der Voraus*
Setzung, daß sich, die »Lebensentelechien« der Substanz gegenüber
ganz anders verhalten, als die Konstanten der Physik, Chemie und
Kristallographie; dieser Ansicht, welche Aristoteles zuzuschreiben
sei, wird aber nicht rückhaltlos beigestimmt.
Da Driesch erst, nachdem er seinen Vitalismus formuliert hatte,
durch die Einwände Bütschlis ausdrücklich zu erklären sich ver-
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266 Hans Przibram
anlaßt sah, daß er auch den Kristallen eine gewisse Autonomie ein-
räume nnd er sich selbst nie mit Eristallogenese beschäftigt zu haben
scheint, so ist es nicht zu yerwundern, wenn er der »Entelechie des
Lebens« den mechanischen Eonstanten gegenüber einen dem Wesen
nach viel bedeutenderen Unterscheidungswert zuschreibt, als der den
andern »Autonomien« (z. B. der der chemischen Verbindungen) an-
gereihten Autonomie der Kristalle.
Als autonome (»eigengesetzliche«) Vorgänge definiert Driesch
in klarer Weise solche, die sich nicht auf anderweitig bekannte
Naturphänomene oder auf Kombination derselben zurückführen lassen.
Tatsächlich muß zugegeben werden, daß wir nicht in der Lage sind,
z. B. die Eigenschaften einer chemischen Verbindung als Resultante
der Komponenten nachzuweisen, sondern daß »ganz neue« Eigen-
schaften zum Vorschein kommen; ebensowenig lassen sich die von den
Kristallen nach verschiedenen Sichtungen ausgeübten Anziehungs-
kräfte aus der Summe der jeweilig in einem bestimmten Radius
angehäuften Substanz erklären; es sei bloß auf Jordans Versuche
über Kristallregeneration hingewiesen, der schon selbst den Schluß
zog, daß die Menge von Massenteilchen nicht für das Wachstum
ausschlaggebend sein könne, da ja gerade in der Richtung des Ver-
lustes die größte Anziehung ausgeübt werde, und Loir wies ja, wie
oben angeführt, nach, daß bei gleicher Oberflächengröße je nachdem,
ob ein vollständiger oder verletzter Kristall vorliegt, verschiedene
Gewichtszunahmen erfolgen, also nicht etwa bloß die an der Oberfläche
gelegenen Massenteilchen die Menge der Ablagerung bestimmen. Daß
vollends im Reiche der Organismen und wiederum am meisten bei den
Tieren »Eigengesetzlichkeiten« vorkommen, braucht wohl nicht erst er-
läutert zu werden: am deutlichsten zeigt sich dies im »Bewußtsein«, das
wir nach den an uns selbst gewonnenen Erfahrungen (Erwachen aus
Schlaf oder Ohnmacht!) als unter gewissen äußeren Umständen dem
Lebendigen hinzukommend, ansehen müssen, ohne daß sich dasselbe
aus den den Körper zusammensetzenden Organen (etwa Gehirn, Nerven
usw.) und den äußeren Reizen »erklären« ließe. Die Veränderungen
desselben freilich sind ganz gesetzmäßig mit den Veränderungen
niedrigeren Grades verknüpft (was nicht zutreflFeq.d von vielen unter
dem Schlagworte »psychophysischer Parallelismus« begriffnen werden
dürfte).
Driesch weist aber die lückenlose physikalisch-chemische Cau-
salität des psycho-physischen Parallelismus ab (S. 221), sowie auch
die Anschauung zurück, daß immer, wenn eine Reihe gewisser kompli-
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KriBtall-Analogien zur Entwicklungsmechanik der Organismen. 267
zierter physikalischer und chemischer Faktoren zusammentrifft, als
AnsflnB etwas Lebendiges mit neuen selbstgesetzlichen Eigenschaften
entstehe, sondern »neben das einzelne Zusammensetzende, ja
tlber es tritt die Zusammenge^etztheit als ,Einzelnes^ Ihr
Stadium hat neben dem Studium des einzelnen Zusammensetzenden
einherzugehen: es führte zu unsern Antonomiebeweisen ; es zeitigte
den EntelechiebegriflF«.
Was hat es nun mit den Autonomiebeweisen ftlr eine Be-
wandtnis ?
Der erste, auf die DiflFerenzierung »harmonisch -äquipotentieller
Systeme« gegründete Beweis stützt sich auf Versuche an Seeigeleiem,
an Stämmchen von Tubularia und an ClaveUina, Ein beliebiges
Element (Zelle bei Seeigeleiern, Querschnitt bei den andern Organismen]
kann eine verschiedene Differenzierung erfahren, je nachdem es von
einem bestimmten gewählten fixen Punkte einen gewissen Abstand (a)
besitzt und je nachdem die Größe [g] des ganzen Systems zur Her-
stellung der Proportionalität (Harmonie) verändert ist, was Driesch
ausdrückt: »So können wir denn allgemein sagen, daß die prospektive
Bedeutung [8] eines beliebigen Elementes unsrer Systeme neben dem
Abstand [a) von einem fixen Punkt, auch von der absoluten System-
größe (g) allgemein abhängt: S = f{a, g)* fS. 204).
»Wir wollen die innere Größe, welche allem soeben Geschil-
derten, der Harmonie, der besonderen prospektiven Potenz und dem
Speciescharakter gemeinsamen Ausdruck gibt, als -E bezeichnen; wir
können jetzt also die Gleichung S = f{a, g, E) aufstellen, wo E zum
Unterschied von den beiden übrigen Größen unter dem Funktions-
zeichen eine konstante Größe darstellt.«
Driesch gUiubt nun für die Größe E den Ausschluß des »Maschi-
nellen« erweisen zu können : »Es müßte also jeder beliebig gedachte
Teil des Ganzen jene unendlich komplizierte Maschine ganz enthalten;
ja, da jeder ,absolute' Teil des Ganzen im künstlich hergestellten
Teile jede relative Rolle spielen kann — da ja die Schnitte der
Operation beliebige sind — so müßte jedes Systemelement jeden Teil
der unendlich komplizierten Maschinerie, aber jeweils von einer andern
Maschine enthalten. Es würden unendlich viele Maschinerien, je um
unendlich wenig, um ein ,Diflferenziar verrückt, übereinander liegen.
Ja, bei Objekten wie Claveüina und Tubuiaria kämen zu den un-
endlich vielen Maschinen normaler Größe, welche etwas verrückt
einander überlagern, noch unendlich viele andre von unendlich vielen
verschiedenen Größen hinzu, welche jene wieder in unendlicher
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268 Hans Przibram
Variation Überlagern müßten: weil ja die absolate Systemgröße, nicht
nur der Abstand a, in die Formel eingeht, wäre dies der Fall.«
»Solche Analyse hebt aber den Begriff der Maschinerie, der
physikalisch-chemischen Mannigfaltigkeit, als Gmndlage der Diffe-
renzierung harmonisch-äquipotentieller Systeme auf. Der Maschinen-
begriff wird hier in wahrem Wortsinne ^unsinnig^«
Allerdings, wenn an starre Maschinen gedacht wird! Da jedoch
die Organismen, wie des längeren erörtert, auf keinen Fall als starre
Systeme, vielmehr stets vorwiegend und oft fast durchaus als flüssig
anzusehen sind, so kann eine proportionale Verkleinerung durch Um-
ordnungsvorgänge erreicht werden, ohne daß vorgebildete Maschinen
von »unendlich vielen verschiedenen Größen« vorhanden zu sein
brauchen (abgesehen davon, daß »unendlich< viele Fälle nicht wirk-
lich vorliegen).
Daß wir nicht fehlgehen, wenn wir den Aggregatznstand für
die Umbildungsfähigkeit verantwortlich machen, erweisen nun die
Kristalle. Betrachten wir zunächst starre Kristalle auf ihre Fähig-
keit hin, den von Driesch ftlr das Genügen der »Entelechie« auf-
gestellten Forderungen zu entsprechen.
Verstümmeln wir dieselben in beliebiger Weise und betrachten
wir nun einen Punkt an der Oberfläche eines solchen Torso von der
Größe gy der den Abstand von einem beliebig gewählten fixen Punkte,
sagen wir z. B. dem Schnittpunkte der Kristallachsen besitzt, und
lassen den Kristall durch Verdunsten der Nährlösung wachsen, so
wird der Punkt überhaupt keine Veränderung erfahren, er wird nicht
imstande sein, seine Lage zur Herstellung der Proportionalität zn
verlassen: demnach ist das, was er darstellt (Punkt in einer Achse
oder bestimmtem Flächenkomplex) keine von g abhängige Größe nnd
seine prospektive Potenz unveränderlich, 5 = a, ft; ftlr die Einwirkung
eines E bleibt also keine Variable übrig ^).
Schützen wir hingegen die Flüssigkeit vor dem Verdunsten, so
verändert sich g nicht und nun kann durch Ablösung der Punkt a
seine Stellung verlassen und sich an eine andre Stelle zur Herstellung
der Proportionalität begeben, also eine andre »prospektive Bedeutung
erlangen«: /S = /'(a, ^) und wir haben nun das Recht jenes E als
»Konstante«, die der Harmonie, der besonderen prospektiven Potenz
(d. i. prospektiven Bedeutung) und dem Speciescharakter gemeinsamen
^) Trotzdem wird die Harmonie durch Regeneration wieder hergestellt, es
ist aber dann nicht mehr die Größe g beibehalten.
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EristaU-Analogien zur Entwicklangsmechanik der OrganiBmen. 269
Ausdrack gibt, mit eben solcher Berechtigung wie bei den Organismen
einzusetzen 8.== f{a, g, E).
Wir haben also durch Erhaltung des flüssigen Aggregatzustandes
in der Nährlösung die Umbildungsfähigkeit des Eristalles und damit
auch seine Übereinstimmung mit der >£ntelechieformel< erreicht.
Man kann jedoch einwenden, daß das abgelöste Partikel über-
haupt nicht mehr als ein zum Systeme gehöriger Punkt zu betrachten
sei und daher die Anwendung der Formel nicht angängig. Obzwar
nun diese mehr oberflächliche Verschiedenheit dadurch beseitigt ist,
daß man ja bloß Kristalltorso + Nährlösung als das geforderte System
anzusehen braucht, so können wir doch die Analogie noch weiter
treiben, indem wir nur innerhalb der Kristalle wirkende Kräfte
spielen lassen.
Das Mittel hierzu geben uns die Versuche mit den quellbaren
Hämoglobinkristallen an die Hand. Hier kann aus einem gequollenen
Bruchstück die Entquellung eine proportionale Ganzbildung ohne
Beteiligung äußerer Agentien durch innere Umlagerungen des (halb-
flüssigen) Inhaltes resultieren und hier entspricht ein in einem ur-
sprünglichen Abstand a z. B. vom Kreuzungspunkte der ursprünglichen
Kristallachsen gelegener Punkt der Forderung, zu der an der be-
treffenden Stelle zu erzielenden Form, sei es nun Ecke oder Kante
oder Fläche, sich in passender Weise, »harmonischer« Verknüpfung,
einzustellen, hier ist also 8 = f{a^ g, E) gültig, ohne daß eine » Lebens «-
entelechie vorläge!
Natürlich sind wir uns des Unterschiedes bewußt, daß nämlich
im Kristalle alle Teilchen stofflich gleichwertig sind, während in dem
entwickelten Organismus verschieden »differenzierte« Organe vor-
kommen, die nicht bloß der Form und Lage im ganzen, sondern
auch der chemischen Zusammensetzung und der »Funktion« nach
verschieden sind. Dies ist eben der Unterschied in der Kompliziert-
heit zwischen Kristallen und Organismen.
Nun würden wir allerdings eine der Art nach verschiedene
»Kategorie« darin erblicken können, wenn die »Lebensentelechie« es
zustande brächte, aus chemisch-gleichem Anfangsprodukte die an
jeder Stelle von der Harmonie geforderte Organdifferenzierung zu er-
zeugen, bald jenen, bald diesen Chemismus entstehen zu lassen.
Das ist aber bei genauerem Zusehen gar nicht der Fall: hier muß
auf die Beschränktheit der Regenerations- (oder allgemeiner ßegu-
lations-jftlhigkeit hingewiesen werden: die Seeigeleier, um bei Drieschs
eignen Beispielen zu bleiben, sind keine total äquipotentiellen Systeme
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270 Hans Przibram
wie etwa die Kristalle, sondern benötigen zur Herstellung der har-
monischen Proportionalität ein von Punkt zu Punkt wechselndes
Plasmamaterial, das bei jeder Zellteilung nach den BovERischen
Untersuchungen in gesetzmäßiger, wenn auch bei dem zähflüssigen
Zustande der Eier nicht unbedingt bestimmter Weise aufgeteilt wird.
Wie sehr gut aus den Deformationsversuchen hervorging, entsteht
nur dann eine harmonische Proportionalität, wenn die Zuordnung der
wechselnden chemischen Punkte sich durch die Mittel (der Ober-
flächenspannung (und vielleicht noch andrer Art) wieder ausgleichen
konnten.
Bezüglich Tubidaria erinnere ich an die für die Hydropolypen
nachgewiesene »Minimalgröße«, die ünvertretbarkeit von Entoderm
und Ectoderm durch das andre Keimblatt, den »roten, hydranten-
bildenden« Stoff; bezüglich Clavellina daran, daß es sich um ein
durch Knospen fortpflanzungsfähiges, offenes Tier handelt, das also
bei der Aufdifferenzierung auch abgesehen von den Keimprodukten
die verschiedenen diflferenten Plasmen (die zusammen das vollwertige
Keimplasma ausmachen dürften) nicht vollkommen aufteilen, sondern
in allen Begionen noch etwas undifferenziertes beibehalten. [Wie ich
mir Rückbildung und »Morphallaxis« denke, als Zusammenwirken der
gegebenen physikalischen Faktoren (Oberflächenspannung, Aggregat-
zustand) und der vom Chemismus abhängigen spezifischen Form ist
teils im vorausgehenden erörtert worden, teils wird es noch im folgen-
den Abschnitt zur Erörterung gelangen.]
Auch hier dürften übrigens die einzelnen Keimblätter für sich
nicht regenerationsfähig sein, eine Frage, die Driesch selbst auf-
geworfen (S. 198), aber noch nicht experimentell geprüft hat. Auch
die Notwendigkeit von Kern und Plasma zu restitutiven Prozessen
muß im Auge behalten werden. Drieschs zweiter Beweis des Vita-
lismus schließt sich unmittelbar an den ersten an: »Jene komplex-
äquipotentiellen Systeme, welche der tierischen Regeneration, der
restitutiven Tätigkeit des Cambiums, der Begonienhaut zugrunde
liegen, welche von den Fortpflanzungsorganen repräsentiert werden,
sind alle einmal aus einer Zelle durch fortgesetzte Teilung
hervorgegangen« (S. 208).
»Also hat unsre Maschinerie von unendlich hoher typischer
Komplikation sich fortgesetzt geteilt und ist doch immer ganz ge-
blieben. Das gibt wiederum keinen Sinn^), das ist wiederum »un-
sinnig'« (S. 209).
»M Im einzelnen ist hier besonderes Gewicht darauf zu legen,
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EriBtall- Analogien zur Entwicklangsmechanik der Organismen. 271
daß die fingierte Maschine nach den drei Richtangen des Baumes in
verschiedener Weise typisch zusammengesetzt sein müßte, da der
Organismus solches ist. Sie darf also nicht so yorgestellt werden,
daß man sich eine nur in einer Ebene, also nur nach zwei Rich-
tungen, typisch verschiedene Maschine sehr oft übereinander gelegt
denkt
Mathematisch gesprochen entspräche, etwa bei Wirbeltieren,
jedem + x und — o;, jedem + y und — y eine jeweils andre typi-
sche Spezifität des einzelnen, und nur für % wären (der ,Bilateralität^
halber] die H — und die — Werte einander gleich, natürlich aber von
den X- und «/-Werten verschieden.« (Anm. das.)
Eine »Maschinerie«, die sich fortgesetzt teilt und doch ganz
bleibt, stellen aber doch die flüssigen Kristalle Lehmanns dar, und
daß eine vollkommene Flüssigkeit nicht notwendig ist, das beweisen
die >weichen« Kristalle, z.B. des Chloresterylbenzoates (Lehmann, 1904,
S. 34, Fig. 26), die sich fortgesetzt teilen lassen und ihre nach den
drei Richtungen des Raumes typisch verschiedene Differenzierung
immer sogleich wiederherstellen. In weiterem Sinne leisten ja alle
Kristalle das Geforderte.
Wieder tritt uns bloß der Unterschied zwischen Kristallen und
Organismen entgegen, daß bei letzteren die chemische Zusammen-
setzung von Punkt zu Punkt wechseln kann, aber wiederum wird
eben die typische Differenzierung in Abhängigkeit der Chemismen
bloß dann sich harmonisch entwickeln können, wenn bei den fort-
gesetzten Teilungen die Chemismen in richtiger Weise verteilt werden
(Kemteilungsfiguren !).
Denken wir uns einen flüssigen Mischkristall (wie solche von
Lehmann dargestellt wurden), und zwar bestehe er aus zwei chemisch
verschiedenen Halbkugeln, die sich mit ihren ebenen Flächen an-
einander gelegt haben, und durchtrennen wir nun diesen Tropfen in
irgend einem Querschnitte senkrecht auf diese Berührnngsebene, so
können wir den Kristalltropfen in beliebig viele Teile teilen und jeder
Teil bleibt doch ganz; hier haben wir sogar wechselnde chemische
Zusammensetzung. Koch leistungsfähiger könnte man sich das System
vorstellen, wenn die eine kristallinische Substanz die andre umhüllt
(was z. B. geschieht, wenn aus einer Lösung die eine Substanz sich
leichter abscheiden würde als die andre), denn dann würde jeder
Schnitt, der nur die Kugel und Kugelschale nicht voneinander trennen
darf [vgl. Ectoderm und Entoderm!], die »Maschine« ganz bleiben
lassen.
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272 Hans Przibram
Nar der Vollständigkeit halber seien mit wenigen Worten die
weiteren zwei Beweise Drieschs gestreift, die auf die Analyse der
organischen Bewegungen gegründet sind. Za unserm gegenwärtigen
Thema stehen sie ja nur in loserer Beziehung.
>Die Geschichte des Individuums liefert nur die Elemente fbr
künftige Handlungen. Wohl bieten sich diese in bestimmten Kombi-
nationen dar: aber das Reaktionsbestimmende kann sie anders
kombinieren.«
Eben das unterscheidet den Organismus vom Phonographen und
von ähnlichen Maschinen , die nur gegebene Kombinationen in der
Spezifität ihres Gegebenseins reproduzieren können. Diese Maschinen
werden nicht in ihren Reaktionen »auf Grund einer historischen
Reaktionsbasis mitbestimmt^ sondern durch die Spezifität ihrer
Geschichte fest determiniert« (S. 219).
». . Eine außerordentlich kleine Variation der Zusammensetzung des
Reizes kann die Zusammensetzung der Reaktion fundamental ändern,
und anderseits kann diese sich beinahe oder sogar durchaus gleich
bleiben, wenn die Zusammensetzung des Reizes fundamental geändert
wird. Wenn ich einem Bekannten auf der Straße zurufe: ,Dein Vater
ist schwer erkrankt*, oder wenn ich statt ,Dein* ,Mein* ausspreche,
also nur einen Buchstaben andre, so ist der Effekt trotzdem durch-
aus verschieden; die ,Reize*, ,Dein Vater ist gestorben*, ,Tuo padre
h mortoS ,Your father is dead' haben dagegen trotz der vollständigen
Verschiedenheit ihrer Kombination denselben Effekt — vorausgesetzt,
daß der Angeredete die drei Sprachen ,verstehtM«
»Jedenfalls ist keine Maschine zu ersinnen, welche die Individuali-
tät der Zuordnung leisten könnte ,Das Reaktionsbestimmende'
bei Handlungen ist keine Maschine, es ist eine Art ,Ente-
lechie*; wir wollen hier von ,Psychoid* reden, um das Wort
Psyche der reinen Psychologie zu reservieren« (S. 221).
Der erste zitierte Absatz scheint mir nichts andres als die Ab-
lehnung der Determination des Willens, also die Behauptung eines
»freien Willens« zu statuieren, der natürlich trotzdem gewissen, nicht
mit dem sonstigen Verhalten des Systems zusammenhängenden Ge-
setzen folgen könnte. Bekanntlich läßt sich jedoch sehr wohl die
vollständige Determination des Willens in den psychologischen Phäno-
menen (oder wenn man den Ausdruck vermeiden will, der Handlung»^
reaktionen) verteidigen (vgl. Mach, ferner: Przibram, Exp. Morph., 1904
S. 29 ff.) : die an und für sich bestrittene Tatsache darf jedenfalls za
einem einwandfreien Beweise nicht verwendet werden.
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Kristall-Aualogien zar Entwicklangsmechanik der Organifimen. 273
Der zweite zitierte Absatz scheint mir bloß den »Anslösungs-
charakter« der Reize in einem besonders hoch komplizierten Systeme
zu umschreiben: Der Ausdruck »Dein Vater ist schwer erkrankt«,
oder »Mein Vater ist schwer erkrankt«, bestimmt ja nicht direkt den
Effekt, sondern er löst das Aufsteigen (ins Bewußtsein treten) von
Gedankenkomplexen (die der »historischen Reaktionsbasis« angehören)
aus und diese erst bestimmen die (Gemütsveränderungen und) Hand-
lungen. Tritt an Stelle von »Dein« »Mein«, so ist der ausgelöste Kom-
plex ein andrer, unter Umständen ein ganz verschiedener und be-
stimmt als solcher ganz verschiedene Handlungen; bei Auslösungen
ist eben der Effekt dem Reize durchaus nicht adäquat.
Hingegen haben die Reize »Dein Vater ist gestorben«, »Tuo
padre ö morto«, »Your father is dead«, »trotz der vollständigen
Verschiedenheit ihrer Kombination« denselben Gedankenkomplex, wenn
sie infoige der Erlernung der Sprache eben mit dem betreffenden
Gedankenkomplex (oder einzeln mit dessen einzelnen Elementen) in
Verbindung getreten und der »historischen Reaktionsbasis« auf diese
Art einverleibt waren.
Den letzten Beweis entnimmt Driesch den Ergebnissen der Him-
physiologie:
»Es können nun im Hirn operativ gesetzte Störungen aufgefaßt
werden als integrierende Bestandteile des Gesamtzustandes des Orga-
nismus, welche, mitsamt seiner Reaktionsbasis und mitsamt den aus-
lösenden Reizen, die Reaktion bestimmen. Fällt diese trotz der
Störungen typisch aus, und das ist nach Überwindung der direkten
Schädignngsfolge der Operation sicherlich in vielen Fällen der Fall,
so zeigt solches, daß die centralen Leitungsbahnen in unbestimmt
variierbarer und doch harmonischer Weise benutzt werden können.
Also sind nicht etwa feste maschinell-tektonische Beziehungen in den
Centren die Grundlage der Bewegungseffekte, sondern — etwas
andres.« »Die Hirnrinde, soweit sie Vertretbarkeit zuläßt, erscheint
hier als etwas, das wohl passend als funktionelles harmonisch- äqui-
potentielles System bezeichnet werden könnte« (S. 223).
Da nach den vorausgegangenen Erörterungen die harmonisch-
äquipotentiellen Systeme mir keine »Entelechie« notwendig zu haben
scheinen, so braucht nur noch auf das Funktionelle eingegangen zu
werden: ich stelle mir das Benutzen neuer Bahnen nach dem Ver-
luste der alten durchaus in dem Sinne einer Kompensation vor, wie
sie in formbildender Beziehung etwa bei den ÄlpheusSclieien oder
noch deutlicher bei der Übernahme der Funktion durch das rudi-
Archiv f. Eiitvicklungsmeobanik. XXII. 18
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274 Hans Przibram
mentäre Opercalum bei Serpuliden (Hydröides z. B.) hervortritt. Aach
hier kann ich demnach nur etwas von einfacheren Geschehensweisen
(Eigengesetzlichkeiten) dem Grade nach dnrch die Kompliziertheit, nicht
aber durch eine ganz andre Kategorie Gekennzeichnetes, erkennen.
Insofern also Drieschs Beweise eine fundamentale Verschieden-
heit der organischen Wirkungsweisen von den anorganischen statuieren
sollen, muß ich dieselben auf Grund der Kristallanalogien zurück-
weisen.
Einige beachtenswerte Gedanken zur Kritik Drieschs hat H. Fried-
mann geliefert; in seiner »Konvergenz der Organismen« (1904) weist
er (S. 223) darauf hin, daß bereits der Raum eine dynamische Teil-
barkeit besitzt, die ein Element der Proportionalität bei Verkleinerung
(oder Vergrößerung) in sich schließt: für jedes abgegrenzte Stück
unsres*) Raumes bleibt eine bestimmte Wirkungsregel aufrecht.
Weiterhin (S. 226) schreibt er;
»Ich kann zuletzt die Autonomie des Lebensgeschehens nur als
mit seiner Spezifität zusammenfallend erachten. In dem oft ange-
zogenen Vergleiche des Kristalls zeigt sich in der Tat eine nicht un-
wesentliche prinzipielle Übereinstimmung. Auch hier realisiert sich
die örtlich proportionierte Funktionalität noch an jedem Fragmente,
und mehr oder weniger ,notwendig verknüpft* mit der Form treten
andre Eigenschaften im wachsenden Kristall hervor. Aber dieses
Wachstum ist in sich ein typisch gleiches. Der Kristallorganismus
legt sich regelmäßig nicht vermöge nach Richtung und Geschwindig-
keit verschiedener DiflFerenzierungsprozesse in Teile auseinander. Mit
dem organischen Prinzip der Wachstumsrelation tritt ein neues Prinzip
auf, das der Spezifität.«
Friedmann scheint also auch das Zusammenfallen der größeren
Leistung des Organismus mit dessen größerer Komplikation ins Treffen
zu führen: freilich ist der vorletzte Satz recht unglücklich stilisiert:
die im Kristalle auftretenden Formbildungen sind ja gerade vor-
wiegend, ja fast stets ausschließlich nur durch Richtung und Ge-
schwindigkeit verschieden, das was beim lebenden Organismus
wechselt, ist außerdem chemische Zusammensetzung.
Seinen »Beweisen« hat Driesch eine Reihe von Indizien an-
geschlossen, die ich nicht mehr besonders zu besprechen brauche,
da der Autor selbst sie nicht für ausschlaggebend hält.
*) Bezüglich des Anteileß, den die »ebene« Beschaffenheit unsres Raumes
am Formbildangsgeschehen hat, lassen sich einige interessante Aussagen machen,
die aber erst gelegentlich später zur Sprache kommen sollen.
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Kristall-Analogien zur Entwicklnngsmechanik der Organismen. 275
Bloß das Indizium der »äquifinalen Regalationen« (1905, S. 213)
möge besprochen werden, weil S. Holmes (1904) denselben Gedanken
mit besonderer Betonung der Verschiedenheit zu den Kristallen ge-
äußert hat: während er nämlich die Ähnlichkeit dieser mit dem
Organismus in der Tendenz zur normalen Gänze anerkennt (S. 275),
hebt er als unterscheidendes Merkmal hervor, daß die Kristallregene-
ration nur durch eine stereotype Methode vor sich gehe, während
derselbe Organismus auf verschiedenen Wegen (Regeneration und
Morphallaxis usw.) dasselbe Ziel zu erreichen wisse. Ist es nach den
vielfach zitierten Versuchen an Hämoglobinkristallen und an Kristallen
in gesättigter Nährlösung noch notwendig, ausführlich hierüber zu
sprechen? Der Hämoglobinkristall kann auf zwei ebenso verschie-
denen Wegen, wie etwa die Planarie zur »Gänze« gelangen: durch
Zuwachsen neuer Teile oder durch Umbildung des ganzen Torso.
Daß der erstere Prozeß bei gewöhnlicher Verletzung, der letztere
bloß nach vorhergegangener Quellung einzutreten scheint, kann nicht
als Einwand benutzt werden, da doch eine verschiedene Ursache auf
jeden Fall, auch bei den Organismen für eine verschiedene Wirkung
vorhanden sein muß, wie z. B. Dkiesch auch ausdrücklich bezüglich
der verschiedenen Restitutionsmethoden des Kiemenkorbes von Cto-
vdlina betont. Auch bei den Alaun- (oder Rechts Weinsäure-) kristallen
ist der eingeschlagene Restitutionsweg, je nachdem die Lösung frei
verdunsten kann oder vor dem Verdunsten geschützt ist, notgedrungen
ein verschiedener. Es dürfte daher selbst im Sinne von Driesch
die Frage »ob die bloße Tatsache der Aquifinalität bei weitgetriebener
Analyse zu einem neuen, selbständigen Beweise der Lebensautonomie
geeignet wäre« (Vitalismus, 1905, S. 213), eine negative Antwort er-
heischen.
Der große Molekularphysiker Lehmann führt vielfach in seinen
Schriften über die flüssigen und fließenden Kristalle Analogien zu
den Organismen an, »damit soll aber nicht behauptet werden, daß
die Ähnlichkeit eine tiefergreifende ist« (1904, S. 250). Lehmanns
Zurückhaltung dürfte mit der Kenntnisnahme der > Morphallaxis« und
der ümordnung in Eiern wohl verschwinden; er schreibt nämlich
S. 251): »Der Nachweis, daß auch in zweifellos flüssigen Körpern
eine molekulare Richtkraft auftreten kann, wie sie die Struktur der
flüssigen Kristalle bedingt, läßt die Bedenken, die früher gegen den
Flüssigkeitszustand des Protoplasmas« geltend gemacht wurden, minder
schwerwiegend erscheinen; was sich auf einen früher geäußerten Ge-
danken zurückbezieht: », Fließen* eines Organismus, wobei wie bei
18*
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276 Hans Przibram
einer strömenden oder wirbelnden Bewegung die Teilchen in völlig
veränderte Lage kommen, sogar Teile von der Oberfläche ins Innere
gelangen können, ist ganz ausgeschlossen. Das Leben ist an den
festen Aggregatzustand gebunden.«
Neuere Schriften Lehmanns (1905—1906) zeigen, daß dieser
Forscher sich immer mehr der Anschauung einer Analogie zwischen
den bei Kristallisation und Organisation tätigen Kräften nähert.
Wenden wir uns nun zu jenen Forschem, die sich gegen das
Heranziehen der Kristallanalogie ausgesprochen haben, so finden wir
die verschiedenartigsten Gründe angeführt.
Th. Boveri (1904, S. 20) spricht von der Notwendigkeit des
»Individualisiertseins« des Chromatins (vgl. hierzu: Bayer, 1904, unsre
Einleitung), was wir erst an einer späteren Stelle, da nicht mit dem
Kegulationsproblem im Znsammenhang, zu besprechen haben werden
(ähnlich 0. Liebe, 1901).
D. Barfürth (1903, S. 1) spricht der Kristallregeneration da»
Kriterium »echter Regeneration« ab, weil »Regeneration in Wieder-
herstellung eines organisierten Ganzen« besteht; das ist eigentlich
reine Definitionssache, nach der von mir gegebenen Definition (1902,
S. 74): »Unter Regeneration versteht man die abermalige Bildung
verloren gegangener Teile einer morphologischen Einheit« ist die
Kristallregeneration mit subsummierbar. Die Beschränkung auf ein
»organisiertes Ganze« ist aber rein willkürlich, da damit kein im
Wesen der Regeneration liegender Begriff neu eingefügt wurde, sondern
ein aus der Beschränkung auf einen besonderen Fall mitgegebener:
man könnte dann mit demselben Rechte »Regeneration in Wieder-
herstellung eines (organisierten) tierischen Ganzen« erblicken und die
Regeneration bei Pflanzen ^) dann aus dem gleichen Grunde nicht als
»echte Regeneration« gelten lassen.
(Th. Fechner, der in »Nanna«, über das Seelenleben der Pflanze,
1848, den Unterschied zwischen Organismen und Anorganischem in der
»Gleichgültigkeit der Form« der letzteren suchte, können wir wohl
hier übergehen, da er gar nicht an die Kristalle gedacht haben kann.)
Auch 0. Maas (1903, S. ö) kann nicht an die Kristalle und ihre
Regenerationsfähigkeit gedacht haben, wenn er die Organismen im
Gegensatze zur anorganischen Natur auf Eingriffe mit Regulationen
antworten läßt.
1) Vgl. die oben angeführten Fälle »echter« Pflanzenregeneration. Seither hat
Barfürth im Biophysikal. Centralbl. (Bd. I) eine weniger ablehnende Haltung
angenommen.
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EriBtall-Analogien zur Entwicklungsmechanik der Organismen. 277
L. V. M6HELY (1902, 1905, S. 251) sieht eine gewisse Überein-
stimmung zwischen Kristall und Organismus in der Herstellung eines
formalen Gleichgewichtsznstandes; die Regenerationsprozesse der
Lebewesen seien jedoch von denen der Kristalle wesentlich ver-
schieden, >da der lebende Körper die zu seiner Ergänzung not-
wendigen Stoffe selbst liefert«. Da, wie wir sahen, auch der
Kristall unter Umständen den Stoff selbst zu liefern imstande ist und
das Hindernis für das allgemeine Eintreten dieser Erscheinung in
dem starren Zustande der meisten Kristalle zu suchen ist, so kann
der Einwand zurückgezogen werden.
T. H. Morgan hat sich mehrmals und vielleicht von allen Gegnern
der Analogie am schärfsten ausgesprochen; dennoch sind seine Ein-
wände nach Heranziehung der Versuche über Kristallregulationen
hinfällig. In einem Artikel: »Regenerationen, alte und neue Inter-
pretationen« (1899, S. 188) schreibt Morgan in einer Kritik der
SpENCERschen Anschauung: »So schlagend der Vergleich zwischen
dem Wachstum eines verstümmelten Kristalls und der Regeneration
eines verletzten Tieres oder einer verletzten Pflanze ist, so wird doch
die Leere und Oberflächlichkeit des Vergleiches sogleich offenbar bei
genauerer Betrachtung.«
>Es ist irreführend, davon zu sprechen, daß das ganze Aggregat
[Kristalle] über seine Teile eine Kraft ausübt« [a].
»Seine [Raubers] Resultate zeigen, scheint es mir, sehr klar,
daß der Vergleich nur eine allgemeine Analogie ist; und sobald wir
den Vergleich weiter verfolgen wollen, bricht derselbe in jedem Punkte
zusammen.«
»Zweifellos wird gegenwärtig von jedermann zugegeben werden,
daß die Form des Kristalls irgendwie durch die chemische Zusammen-
setzung der Substanz, aus welcher der Kristall besteht, bestimmt ist,
und gleicherweise, daß die Form eines Tieres auch durch die Stoffe
bestimmt wird, aus denen dasselbe zusammengesetzt ist; aber der
verstümmelte Kristall erlangt seine ursprüngliche Form nur, wenn
durch gesättigte Lösung von der gleichen Substanz des Kristalls
umgeben« [b]. »Neue Substanz wird dann über die gesamte Ober-
fläche sowohl als auch über den abgebrochenen Teil hinzugeftlgt« [c].
»Anderseits ist der Regenerationsprozeß bei einem Tiere oder einer
Pflanze hiervon ganz verschieden. Das neue Material, wenn welches
überhaupt gebildet wird, kommt aus dem Innern des Tieres oder der
Pflanze [d]. Weiters: ein Tier, das langsam verhungert und an
Größe abnimmt, wird einen fehlenden Teil regenerieren [e]. Mehrere
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278 Hans Przibram
der niederen Formen wiederum regenerieren, indem sie das gesamte
Stück in die typische Form umwandeln. Kann jemand für einen
Augenblick glauben, daß ein solcher ProzeB yergleichbar ist der
Wiederergänzung der Form eines Kristalles? [f]. Falls weitere Be-
weise verlangt werden, mag auf jene Fälle aufinerksam gemacht
werden, in welchen ein Organ verschieden der Art nach von dem
abgeschnittenen regeneriert wird« [g]
»Es wäre nicht schwer, in weitläufiger Weise diese Verschieden-
heitspunkte zu vermehren, aber ich hoffe, was ich hier gesagt habe,
wird genügen, um zu zeigen, wie wenig wir durch Spencers Ver-
gleich gewinnen können.«
Zu den sieben, durch eingeklammerte kleine lateinische Buch-
staben von mir bezeichneten Punkten läßt sich folgendes bemerken i):
Zu a]: Der Kristall muß sehr wohl über sein ganzes Aggregat
eine Kraft ausüben, da ja sonst die »Ausflächung«, d. i. das oben be-
sprochene Mitauftreten zugehöriger Flächenkomplexe nach Anschleifen
einer künstlichen, aber in dem betreffenden Kristallsysteme möglichen
Fläche unmöglich wäre; sowie auch ans den zu den weiteren Paukten
zu bemerkenden Gründen.
Zu b]: Der weiche Kristall bedarf zur Herstellung der Form
keiner Umgebung durch das Lösungsmittel.
Zu c]: Starre Kristalle können, wenn die Nährlösung vor dem
Verdunsten geschützt wird, regenerieren, ohne daß über die ganze
Oberfläche neues Material hinzugeftlgt würde; überdies läßt sich die
Regeneration auch bei dem Wachstum infolge Verdunstung der Nähr-
lösung auf die allgemeine Anlagerung von Substanz nicht zurück-
führen, wie bereits von Jordan erläutert.
Zu d]: Das neue Material zur Herstellung der Form kann, wie
aus Bemerkung b hervorgeht, auch aus dem Innern des Kristalls
kommen; ebenso auch bei den quellbaren Kristallen.
Zu e] : Ein Kristall, der an Größe abnimmt, ist dennoch imstande
verlorene Teile zu ergänzen (Versuche an Eechtsweinsäure, sowie
auch ans Bemerkung zu c hervorgehend).
Zu f]: Bei den Hämoglobinkristallen kann das gesamte Bruch-
stück in eine verkleinerte Ganzbildung der ursprünglichen Kristall-
form umgemodelt werden; sofort stellen übrigens die weichen und
^] Neuerdings bringt Bordage (1905) einige derselben Gründe gegen die
Eristall-Analogie vor, so daß die folgende Widerlegung auch als Antwort für
ihn gilt.
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Eristall- Analogien zur Entwicklungsmechanik der Organismen. 279
flüssigen Kristalle den ursprünglichen Formzustand nach Zerteilung
wieder ohne Wachstum her.
Zu g]: Es ist bereits im pragmatischen Abschnitte erläutert worden,
daß eine Analogie zur »Homoeosis« oder meristischen Heteromorphose
bei den Kristallen infolge des Fehlens meristischer Teile nicht
erwartet werden darf, hingegen eine polare ümkehrung durch
»Schiebung« bei den Kristallen herzustellen ist und die betreffenden
Stellungsgesetze mit denen bei Organismen übereinstimmen, soweit
nicht der Aggregatzustand Verschiedenheiten bestimmt.
1901 äußerte sich Mosqan in einem Aufsatze »Regeneration beim
Ei, Embryo und Erwachsenen« (S. 969): »Ein Stück eines Kristalls
ordnet nicht seine Teile, noch weniger seine Achsen neu, um ein
neues Ganze kleinerer Größe zu bilden, sondern erhält auf seiner
Oberfläche von der gesättigten Lösung, in der es liegt, neues Material
aufgelagert, das in jeder Beziehung den ursprünglichen Achsen und
Ebenen entspricht. In einem Stücke eines Eies oder eines Tieres,
wandelt sich im Gegenteile die ganze alte Struktur in ein neues
Ganzes um, in manchen Fällen eipe Veränderung der Achsen mit
sich bringend.« Das ist bereits durch die Bemerkungen zum vorigen
Zitate erledigt.
1904 bringt Morgan ein neues Argument gegen die Kristall-
analogie (S. 393):
»Vielen Autoren schien es, daß der Faktor der Polarität etwas
von der Natur einer Kristallisationskraft sein könnte — um die
nächstliegendste Analogie zu gebrauchen — eine Art ,vollendendes*
oder ,ergänzendes Prinzip*. Neuere Resultate haben unsre Ideen
in bezug auf diese Erklärungsart, falls eine Analogie überhaupt eine
Erklärung genannt werden kann, modifiziert. Die Tatsache z. B., daß
beim Eegenwurm und bei Pianarien der neue Kopf im Verhältnis
zum fehlenden Teile sehr kurz sein kann, zeigt an, daß eine ,er-
gänzende' Kraft nicht von der Schnittfläche vorwärts wirke, sondern,
was immer die Natur des Faktors sein mag, er großenteils von
außen (Oberfläche) einwärts (d. i. gegen die Schnittendfläche). Dieser
Punkt ist bereits von mir und von Dkiesch hervorgehoben worden.«
Eine Kraft, die von außen nach innen wirkt, ist die Oberflächen-
spannung: wie dieselbe bei der Formgebung der Kristalle (Regene-
ration der Hämoglobinkristalle mit vorwachsenden runden Kuppen,
Regenerationen der weichen Kristalle, flüssigen Kristalle usw.) ebenso
wie bei den Organismen eine große Rolle spielt, ist im pragmatischen
Teile auseinander zu setzen versucht worden; mögen nun einige der
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280 Hans Przibram
daselbst vorgebrachten Hypothesen richtig sein oder nicht, jedenfalls
ist das von »innen« oder »außen« her wirken kein Unterscheidungs-
grund zwischen Organismen und Kristallen.
K. Neumeister kommt in seiner Schrift: »Betrachtungen über
das Wesen der Lebenserscheinungen« (1903) auch auf die Kristall-
analogie zu sprechen:
»Eine Form besitzt in seiner Weise auch der Kristall. Das-
jenige, was ihn aber vom lebenden Organismus scharf und wesentlich
unterscheidet, das ist seine Substanz, die im Gegensatz zum Organis-
mus eines auf chemischen Umsetzungen beruhenden Stoffwechsels
entbehrt« (S. 44).
»Und so treten uns die Organismen, wie Fechner bemerkt, schon
rein äußerlich als etwas Besonderes entgegen. Sie heben sich, indem
sie sich immer ernexiem und wiederholen, in ihrer Form und Weise
ganz bestimmt und individuell heraus aus der Außenwelt, in welcher
sonst ringsum die Formen und Weisen gleichgültig fließen und wech-
seln. Ganz wie das Tier tritt hierdurch die Pflanze der im Meere
zerfließenden Welle, dem hin- und hergestoßenen Stein gegenüber«.
Ähnlich hatte sich bereits F. Tiedemann 1830 ausgesprochen.
Dem »Stoffwechsel« mag tatsächlich der Wert eines Unterschieds-
mittels zukommen; jedenfalls entspricht er der höheren Komplikation
der organisierten Formen. Von einer gleichgültigen Form kann aber
doch beim Kristall, insbesondere wenn in Betracht gezogen wird, daß
das Kristallindividuum zu »regenerieren« imstande ist, daß ein »Keimes-
minimum« existiert und daß (wie in einem späteren Abschnitte zu
erläutern sein wird) der Kristall auf die Nährlösung einen form-
bestimmenden Einfluß ausübt, doch nicht die Rede sein: gleichgültig
erscheint nur das, was eben keine Eigenform zu bilden imstande ist.
E. Schwalbe (1906) glaubt nicht, daß man aus den Beob-
achtungen über Regeneration der Kristalle für das Verhältnis der
anorganischen zur organischen Welt irgend etwas schließen könne,
ohne jedoch auf seine Gründe einzugehen.
Verworn läßt sich über die Kristallanalogie in seiner »Allge-
meinen Physiologie« (1901) folgendermaßen aus:
»Man hat bei der Vergleichung der Organismen mit den an-
organischen Substanzen mit Vorliebe den Fehler begangen, den
Organismus einem Kristall gegenüber zu stellen, statt ihn mit einer
Substanz zu vergleichen, die ähnliche Konsistenz, überhaupt ähnliche
physikalische Verhältnisse bietet, wie die lebendige Substanz, also
etwa mit einer dickflüssigen Masse« (S. 124)
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Kristall-Analogien znr Entwicklnngsmechanik der Organismen. 281
»Wir Beben: wesentliche Unterflchiede liefert uns die Vergleichung
der Banverhältnisse von lebendiger und anorganiseber Substanz niebt,
und wenn wir nicbt durcbaus der Neigung nachgeben, die lebendige
Substanz immer nur mit dem Kristall zu vergleichen, sondern mit
flüssigen Gemischen, so finden wir, daß sie sich in ihren Bauverbält-
nissen nicht mehr von leblosen Fllissigkeitsgemiscben unterscheidet,
wie diese untereinander, ja nicht einmal soviel wie diese von einem
Kristall« (S. 125).
»Man hat schließlich auch in der Art des Wachstums« einen
Unterschied zwischen Organismen und anorganischen Substanzen zu
begründen gesucht, jedoch mit ebensowenig Erfolg. Zur Aufstellung
dieses Unterschiedes hat wieder die unglückliche Gegenüberstellung
des Organismus und des Kristalls gefllhrt. Man sagte: der Kristall
wächst durch ,Appo8itionS der Organismus dagegen durch ,Intussus-
ception* der Teilchen, d. h. der Kristall wächst, indem sich an seiner
Oberfläche ein Teilchen nach dem andern anlagert, wobei das Innere
fest und unverändert bleibt, der Organismus dagegen, indem die
Teilchen in das Innere aufgenommen und zwischen die schon vor-
handenen zwischengelagert werden. Wenn man eine Zelle als Ganzes
einem Kristall gegenüberstellt, ist das in der Tat nicht zu bestreiten ;
allein nicht alle anorganischen Körper sind Kristalle, und wir sahen
bereits, daß wir die lebendige Substanz der Organismen ihren physi-
kalischen Eigenschaften nach im wesentlichen nur mit einer flüssigen
Masse in Vergleich setzen dürfen. Flüssigkeiten abör wachsen stets
nur durch Intussusception, d. h. wenn man zu einer Flüssigkeit einen
löslichen Körper hinzusetzt, etwa Salz zu Wasser, so löst das Wasser
das Salz auf und lagert die Salzmoleküle durch Diffusion von selbst
zwischen seine eignen Wassermoleküle hinein. Hier haben wir also
genau denselben Vorgang wie beim Wachstum des Organismus«
(S. 127—128).
Verworn erkennt also den flüssigen Zustand des Protoplasmas
als maßgebend für die verschiedene Formbildungsart des Lebendigen
gegenüber den starren Kristallen; er verwirft die Kristall- Analogie
offenbar nur deshalb, weil ihm die plastischen Kristalle unbe-
kannt sind.
A. Wbismann wendet sich im »Keimplasma« (1892), ähnlich wie
Morgan, gegen Spencer, nur daß diesmal nicht nur den Kristallen,
sondern auch den Organismen die Fähigkeit abgesprochen wird, auf
ihre Teile als Ganzes einen Einfluß auszuüben:
»Wären die ,Einheiten* des Körpers fähig, sich unter dem Einfluß
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282 Hans Przibram
des Ganzen beliebig umzugestalten und zu dem gerade fehlenden
Teil zu kristallisieren, so müßten sie dies bei allen Arten tun können,
wie bei allen Organen. Dies ist aber gerade nicht der Fall. Das
Bein des Salamanders regeneriert sich, das der Eidechse aber tut es
nicht. Ich werde im speziellen Teile dieses Abschnittes noch genauer
zeigen können, daß Eegeneration nicht auf einem allgemeinen Ver-
mögen des tierischen Körpers, sondern daß es auf besonderer An-
passung beruht« (S. 139).
»Aus den Erscheinungen der Regeneration, wie sie uns hente
vorliegen, läßt sich, wie ich glaube, mit Sicherheit ableiten, daß die
Fähigkeit der Eegeneration nicht auf einer primären Eigenschaft des
Bion beruht, sondern daß sie eine Anpassungserscheinung ist«
(S. 152J.
»Wir werden so zu der Vermutung geführt, es möchte die all-
gemeine Regenerationsfähigkeit sämtlicher Teile eine durch Selection
herbeigeführte Errungenschaft niederer und einfacherer Tierformen
sein, die im Laufe der Phylogenese und der steigenden Kompliziert-
heit des Baues zwar allmählich mehr und mehr von ihrer ursprüng-
lichen Höhe herabsank, die aber auf jeder Stufe ihrer Rückbildung
in bezug auf bestimmte biologisch |wichtige und zugleich häufigem
Verluste ausgesetzte Teile durch spezielle auf diese Teile gerichtete
Selectionsprozesse wieder gesteigert werden konnte.«
Weismann verwirft also die Kristall-Analogie bei Regeneration,
weil ihm die Regeneration bei Kristallen offenbar eine allgemeine
Eigenschaft, bei Organismen aber eine besondere, »durch Selection
erworbene« zu sein scheint. Da Weismann jedoch das Entstehen
der Regenerationsfähigkeit bei den Tieren bis zu den Protozoen
hinabschieben muß, da auch diese das Regenerationsvermögen auf-
weisen, so läßt sich seine Ansicht nur im besonderen widerlegen,
dafür bleibt aber auch seine Ansicht eine Annahme, die keines
direkten Beweises fähig ist Was nun aber die besonderen, von
Weismann angeführten Fälle anbelangt, in welchen durch die größere
Verlustwahrscheinlichkeit eines Gliedes ein erhöhtes Regenerations-
vermögen hervorgebracht worden sein soll oder durch verminderte
Verlustwahrscheinlichkeit (bei sonst gut regenerierenden Tiergruppen
angehörigen Tieren) Glieder das Regenerationsvermögen verloren haben
sollen, so haben sich dieselben teilweise auf unvollständige Literatur
gestützt (wie die angebliche Unfähigkeit des Grottenolmes zu regene-
rieren, vgl. GoETTE, Entw. und Reg. der Molche, 1879), zum andern
Teile hat es sich durch nachträgliche Versuche gezeigt, daß auch bei
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Kristall-Analogien zur Entwicklungsmechanik der Organismen. 283
den niedrigeren Verwandten der betreffenden Tiere ein analoges
Regenerationsvermögen besteht, ohne daß das betreffende Glied jemals
verloren ginge, und es sich daher um eine Steigerung einer ge-
sunkenen Fähigkeit nicht handelt, z. B. bei der von Weismann in
seiner Schrift »Tatsachen und Auslegungen in bezug auf Kegeneration«
(1899) als besonders schlagendes Beispiel aufgeführten Schnabel-
regeneration der Vögel, da die Kiefer der Reptilien und niedereren
Wirbeltiere ebenfalls leicht regenerieren (vgl. I. Werber, A. f. Entw.-
Mech. 1905. S. 248).
In den >Tatsachen« führt Weismann noch andres gegen die
Kristall-Analogie an, nämlich die Fakten der »Hypotypie«: > Solchen
Tatsachen gegenüber kommt man offenbar nicht aus mit der Vor-
stellung einer allgemeinen Regenerationskraft, die den beschädigten
, Lebenskristall* wieder in integrum restituiert, wenn ihm irgendwo
ein Teil abgebrochen wird. Hier ergänzt sich der Kristall nach einem
älteren Modell, und man sieht nicht ein, wie er dazu kommen sollte,
da ja das Ganze so wenig geändert ist, wie bei einem Dodekaeder-
kristall, dem man eine Spitze abgebrochen hat. Wenn nun plötzlich
der fehlende Teil in einem andern ,System* »kristallisiert-, so kann
dies nur darin seinen Grund haben, daß die Elemente, von denen
diese Ergänzung ausgeht, nicht das zurückbleibende Ganze sind,
sondern besondere Teile, die einem andern , System* angehören — oder,
in die Sprache der Biologie übersetzt, daß an der verletzten Stelle
Regenerationsanlagen älteren Ursprungs sich befanden und durch
die Verletzung zur Entfaltung gelangten. Damit aber ist die Existenz
von , Anlagen' erwiesen.«
Den Prämissen dieser Deduktion liegt der bereits bei Mqrgan
erwähnte Gedanke zugrunde, daß das Ganze bei Verstümmelung beim
Kristall sonst unverändert bleibe, und das gleiche wird, in geradem
Gegensatze zu Morgan, vom Organismus behauptet. Daß »Morphal-
laxis« bei Organismen und bei Kristallen vorkommt, widerlegt beides.
Außerdem sahen wir in der Ausflächung infolge Verstümmelung eine
Veränderung der zuwachsenden Kristallteile eintreten: freilich treten
bloß mögliche Flächen desselben Kristallsystems auf. Aber auch
bei den Organismen treten ja nicht Formen andrer x4rten, sondern
minder hoch ausgebildete derselben Art auf (auf den phylogeneti-
schen Wert der Hypotypie will ich hier nicht eingehen, vgl. Lit.
Przibram, 1902).
Was nun den Beweis von »Anlagen« anbelangt, so sind solche
besonderer Art nirgends nachgewiesen worden, sondern es liegt meist
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284 Hans Przibram
eine weitgehende Umbildung der an der Verletzungsfläche liegenden
Partien vor (vgl. sämtliche neuere Arbeiten über Histologie der
Regenerationsprozesse).
[Geradezu unüberwindliche Schwierigkeiten scheinen mir aber
der WEisMANNSchen Auffassung durch die Tatsachen der kompensa-
torischen Hypertypie und der dabei auftretenden Hypotypie der Gegen-
seite bei Älpheus zu entstehen, weil dieser Prozeß wieder umkehrbar
ist und ein »Nachhinken« von Regenerationsdeterminanten in Wets-
MANNs Sinne dies völlig ausschließen würde, vgl. Przibram, 1905.]
Zum drittenmal kommt Weismann in seinen »Vorträgen über
Descendenztheorie« (1902) auf die Kristall- Analogie zu sprechen:
»Regeneration muß also in ihrer tiefsten Wurzel auf jenen
jAffinitäten' zwischen den Teilchen beruhen, welche ihrer Anordnung
vorstehen, diese zu erhalten und neu hervorzurufen imstande sind.
So erscheint uns der Organismus nach dieser Richtung hin allerdings
einem Kristall vergleichbar, dessen abgebrochene Spitzen sich aus
der Mutterlauge wieder nach demselben Kristallisationssysteme er-
ganzen, offenbar auch infolge innerer richtender Kräfte, Polaritäten,
die wir aber auch hier nicht genau präzisieren können. Der Unter-
schied vom Kristall aber liegt nicht nur — wie man bisher wohl
anzunehmen geneigt war — darin, daß der Kristall der Mutterlauge
bedarf, um zu wachsen und sich zu ergänzen, während die Lebens-
einheit sich selbst das Material zu weiterem Aufbau schafft, sondern
zugleich darin, daß nicht in jedem Organismus und nicht an jeder
Stelle eines solchen Regeneration möglich ist, daß es vielmehr dafür
besonderer , Anlagen' bedarf, ohne welche der betreffende Teil nicht
entstehen kann. Die Unentbehrlichkeit dieser Anlagen, der Determi-
nanten, aber scheint mir darauf zu beruhen, daß hier der Neubau
nicht einfach durch Herbeischaffung organischen Materials geschehen
kann, sondern daß es dazu ganz besonders und in jedem Falle
anders behauen er Steine bedarf, welche nur auf Grund historischer
Überlieferung beschafft werden können, oder, um aus dem Bild zu
treten, weil die Lebensteilchen, aus welchen das Organ wieder-
herzustellen ist, ein spezifisches Gepräge besitzen und eine lange
Vorgeschichte hinter sich haben, weil sie also nur aus den durch
Generationen hindurch überlieferten spezifischen Lebensteilchen, eben
den Determinanten, hervorgehen können.«
Abgesehen von der nicht unbedingten Abhängigkeit der Kristall-
regeneration von Zunahme in der Mutterlauge, decken sich diese
Aussprüche Weismanns mit dem Tatsächlichen, falls man unter Deter-
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Kristall-Analogien zur Entwicklnngsmechanik der Organismen. 285
minanten organbestimmende Stoffe verstehen darf, also die in jedem
Falle »anders behanenen Steine« etwa als MoIekUlkompIexe bildlich
gemeint werden.
Nun ist aber freilich Weismann auch in den »Vorträgen« von
der Annahme des Zusammenhanges zwischen Verlustwahrscheinlieh-
keit und Kegenerationshöhe nicht zurückgetreten.
Als Hauptstütze dieser Theorie wird stets die Autotomie auf-
geführt, obzwar durch Versuche von Morgan (1898, 1900) und mir
(1899) nachgewiesen worden war, daß die autotomierbaren Extremi-
täten der Krebse auch proximal oder distal der präformierten Bruch-
stelle abgeschnitten sehr gut zu regenerieren vermögen, daß auch
nicht autotomierbare und rudimentäre Anhänge bei den Crustaceen
wiederwachsen u. a. m.
Wie wenig ein direkter Zusammenhang zwischen Autotomie,
Wichtigkeit eines Organs und Regenerationsfähigkeit besteht, ist am
deutlichsten bei den Orthopteren zu sehen:
Bei den niedrigsten, an den Beinen nicht spezialisierten Formen
(Blattidae, Forficulidae, Phasmidae und Bacillidae) regenerieren alle drei
Beinpaare, die allerdings fast immer Autotomie aufweisen; bei den
Mantiden aber, deren Vorderbeine zu Fangapparaten umgebildet sind,
regenerieren diese nach Bordage, obzwar für das Tier von größtem
Werte, schwerer als die übrigen Beine oder gar nicht *). Bordage hat
versucht, dies mit dem Fehlen der Autotomie an den Vorderbeinen zu
erklären. Nun regenerieren aber die Orthoptera saltatoria (Acridiidae,
Locustidae, Gryllidae) das zu Springbeinen umgebildete letzte Beinpaar
außerordentlich schwer, vielleicht sogar gar nicht, obzwar gerade dieses
die best ausgebildete Autotomie und den größten Wert für das Tier
besitzt (vgl. Literatur: Przibram, 1902; A. f. Entw.-M. 1906). Dazu
kommt noch, daß die Imagines der Insekten, trotz oft gut ausge-
bildeter Autotomie, und obzwar diese ihrer Größe wegen von Feinden
leicht gesehen werden und auch behufs Befriedigung des Geschlechts-
triebes oder des Nahrungstriebes (Wanderungen) ihre Extremitäten
benötigen, trotzdem niemals regenerieren.
Zeleny (1905) glaubt in der von ihm quantitativ nachgewiesenen
Abhängigkeit der ßegenerationsgeschwindigkeit von dem Grade des
Verlustes bei Schlangensternen und Krustern eine essentielle Ver-
1) Seit Niederschrift dieses Abschnittes haben Versuche die Unrichtigkeit
dieser Angaben über mangelhafte Regeneration beim Fangbeine ergeben (vgl.
meine vorstehende Arbeit: Aufzucht, Farbwechsel u. Regeneration einer ägypt.
Gottesanbeterin. Arcb. f. Entw.-Mech. XXII. 1906).
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286 Hans Przibram
schiedenheit von dem Verhalten der Kristalle erblicken za können.
Nach Würdigung der vielfach zitierten Versuche über die Correlation
der verschiedenen Teile eines verstümmelten Kristalls dürfte derselbe
um so leichter von dieser Ansicht zurückkommen, als er die Ver-
schiedenheit selbst eigentlich nicht auf eine innere Ursache, sondern
auf die Verschiedenheit der Nahrungszufuhr zurückzuführen geneigt
ist, die beim Kristall »äußerlich und praktisch unerschöpflich« sei,
so daß kein Teil eine Beschränkung hinsichtlich der Nahrung
erfahre.
Naehselirift«
In mehreren seiner neuesten Schriften i) nimmt 0. Lehmann gegenüber der
Pfaundler- CuRi Eschen Theorie und daher auch der Erklärung meiner Versuche
über die Umformung von Kristallen in vor dem Verdunsten geschützten Lösungen
eine ablehnende Stellung ein. Gelegentlich der 78. Versammlung deutscher Natur-
forscher und Ärzte zu Stuttgart war Herr Hof rat Lehmann so liebenswürdig,
sich mit mir über diesen Punkt gesprächsweise auseinander zu setzen. Es stellte
sich dabei heraus, daß 0. Lehmann das Ergebnis meiner Versuche nicht be-
zweifelt, jedoch die unvermeidlichen, wenn auch noch so geringen Temperatur-
schwankungen für die Umformungsmöglichkeit verantwortlich macht. Da nach
Pfaundler bereits den verschiedenen Molekülen in der Flüssigkeit eine ver-
schiedene lebendige Energie (Wärmetönung) innewohnt, so gilt Lehmanns Auf-
fassung nur für einen bloß theoretischen Grenzfall, der in der Praxis auch zur
Erklärung der Vorgänge in der freien Natur nicht berücksichtigt zu werden
braucht. [Noch viel weniger kann natürlich bei den Organismen an eine reali-
sierte Temperaturkonstanz gedacht werden.] Bei vollkommener Temperatur-
konstanz wäre der Kristall in jeder Gestalt mit der Flüssigkeit im Gleichgewicht,
da nach Lehmann die Oberflächenspannung in allen Flächen die gleiche, nicht
eine für verschiedene Flächen verschiedene Konstante ist. Auch in diesem
Punkte ist jedoch keineswegs ein unüberbrückbarer Gegensatz zu Curies,
Pfaundlers und meinen Anschauungen zu erblicken, da Lehmann unter Ober-
flächenspannung bloß die Energie versteht, welche zur Kontinuitätstrennung
zweier Oberflächenteilchen in der Richtung der Ausbreitung der Oberfläche auf-
gewendet werden müßte, hingegen die Wirkung dieser Oberflächenspannung,
welche die Annahme der Kugel als Minimalfläche anstrebt, als »Oberflächen-
spannungsdruck« scharf unterscheidet. Nur der letztere ist von der Krümmung
der Oberfläche abhängig und für ihn gelten daher die in meiner Abhandlung
als Wirkungen der Oberflächenspannung bezeichneten Erscheinungen. Ich gebe
1) 0. Lehmann, Die Gleichgewichtsform fester und flüssiger Körper. Annal.
d. Physik. IV. 17. 190Ö. S. 728-734. [S. 729.]
Die Struktur der scheinbar lebenden Kristalle. Das. 20. 1906. S. 63
—76. [8.66]
Dampf- und Lösungstension an krummen Flächen. Physikal. Zeitschr.
7, 1906. Nr. 11. S. 392— 395. [Sep.-Abdr.: S. 3.]
Fließende Kristalle und Organismen. Archiv f. Entw.-Mech. XXL 3.
1906. S. 596—609. 2 Taf. S. 604.
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Kristall- Analogien zur Entwicklangsm'echanik der Organismen. 287
zu, daß Lehmanns Bezeichnungsweise als die präzisere vorzuziehen ist; doch
entspricht es dem allgemeinen Sprachgebrauche, gerade den »Krümmungsdruckc
als Gapillarkonstante oder Oberflächenspannung zu bezeichnen (vgl. z. B. : F. Auer-
bach, Kanon der Physik. S. 128). Daß auch Curie nicht allein an verschiedene
Oberflächenspannung im Sinne Lehmanns gedacht hat, sondern an den auch
nach Lehmann verschiedenen Oberflächenspannungsdruck, geht aus dem Satze
hervor: >Jeder Fläche muß eine Capillaritätskonstante entsprechen, da im ent-
gegengesetzten Falle der Kristall in der Mutterlauge eine sphärische Gestalt
anzunehmen bestrebt sein würde«, denn die Kraft, welche die sphärische Form
hervorzurufen sucht, ist der Oberflächenspannungsdruck Lehmanns, daher müssen
auch die an jeder Fläche der Gestaltungskraft der Kristalle das Gleichgewicht
haltenden Oberflächenkräfte von der Natur der Spann ungsdrucke sein. Der
Widerstand der Kristalle gegen die Verschiebung ihrer Schichten einer senk-
recht zu deren Bewegung wirkenden Druckkraft gegenüber, die Viscosität, ist
ja auch nach Lehmann die für die verschiedene Wirkung der Oberflächen-
spannung verantwortliche Größe. Daß übrigens durch die Verschiedenheiten
der Auffassungen der Wert der Kristall-Analogie nicht berührt wird, dafür ist
die warme Befürwortung derselben durch Lehmann der beste Beweis.
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Verlag yon Wilhelm Engelmann in Leipzig
Die fossilen Insekten
und die Phylogenie der rezenten Formen.
Ein Handbuch für Paläontologen und Zoologen
Anton Handlirsch
Kustos am naturhistorischen Hofmuseum in Wien.
Das Werk erscheint in 8 — 10 Lieferungen zu je etwa 10 Bogen Text in Lex. 8
mit zusammen ungefähr 50 Doppeltafeln und kann durch jede Buchhandlung
bezogen werden.
Inbaltsüberslcht:
Einleitung: Morphologische Verhältnisse. — Morphologie der Flügel. — Con-
vergenzerscheinuneen. — Protentomon.
L Abschnitt: Beschreibung der rezenten Insektengruppen.
IL > Paläozoische Insekten:
1. Präcarbonische Formationen. 2. Carbon-Formation. 3. Perm-
ische Formation.
III. > Mesozoische Insekten:
1. Triassische Formation. 2. Lias-Formation. 3. Dogger und
Malm. 4. Kreide-Formation.
IV. » Tertiäre Insekten.
V. » Quartäre Insekten.
VI. > Zusammenfassung der paläontolo^Ischcn Resultate.
VII. > Historische Übersicht der bisherigen Systeme und Stammbäume.
VI IL > Begründune des neuen Systems. — Phylogenie der gesamten Ar-
thropoden.
Erschienen sind:
Lieferung 1 (Bogen 1—10 mit Tafel 1 — 9]
Lieferung 2 (Bogen 11—20 mit Tafel 10—18) und
Lieferung 3 (Bogen 21—30 mit Tafel 19-27).
Preis je J/ 8. — .
»Ein Werk von eminenter Bedeutung verspricht die im Erscheinen begriffene
Handlirschsche Bearbeitung der bisher bekannt gewordenen fossilen Insekten
zu werden. Verfasser hat es sich zur Aufgabe gestellt, nicht sowohl die Genera
und Species. als vielmehr die Ordnungen der rezenten Insektenwelt aus den paläo-
zoischen Formen abzuleiten und so ein neues System der Insekten zu begründen.
Einen besonderen V^'^ert verleiht dem Werke eine große Zahl von Doppeltafeln,
die den Eindruck voller Zuverlässigkeit machen. Die erste Lieferung enthält
9 Tafeln, von denen die sieben ersten und die erste Hälfte von Tafel 8 Abbil-
dungen von Flügeln rezenter Insekten bringen, für den Paläontologen eine sehr
dankenswerte Zugabe, die es ihm ermöglicht, einen fossilen Flügel schnell mit
rezenten Formen zu vergleichen und damit einen Anhaltspunkt für die Klassi-
fizierung desselben zu haben, aber auch für den Zoologen eine erfreuliche Zu-
sammenstellung, wie sie ihm bisher nirgends geboten ist. . . .<
Zeitschrift f. syst Eymenopterologie und Dipterologie,
hrsg. V. Fr. W. Kmww, VI. Jhrg. Heft 5. (1. Sept. 1906.)
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Inhalt des ersten und zweiten Heftes.
S«iU
ISAAK Werber, Regeneration der Kiefer bei Reptilien und Amphibien. (Mit
^ Taf. I u. IL) . 1
RaoÜl Biberhofer, über Regeneration bei Ämphioxm lanceolatus. (Mit
2 Fig. im Text.) 15
Kamil Rogacki, Experimentelle Flossenregeneration bei europäischen Saß-
wasserfischen. (Mit Taf. III.) 18
Otto Grosser und Hans Frzibram, Einige Mißbildungen beim Dornhai
[Acanthtas vulgaris Risso). (Mit Taf. IV und 3 Fig. im Text.) ... 21
JovAN Hadzi, Vorversuche zur Biologie von Hydra. (Mit 7 Fig. im Text.) 38
Faul Kämmerer, Experimentelle Veränderung der Fortpflanzungstätigkeit
bei Geburtshelferkröte [Älytes obaietricans) und Laubfrosch [Hyla
arborea). (Mit Taf. V.) 48
Franz Meoubar, Einfluß abnormaler Gravitationswirkung auf die Embryonal-
entwicklung bei Eydropkilns aierrimus Eschscholtz. (Mit 3 Fig. im
Text.) 141
Hans Frzibram, Aufzucht, Farbwechsel und Regeneration einer ä}7>ti8chen
Gottesanbeterin {Sphodromaniis bioculata Burm.) (Mit Taf. VI — IX.) 149
Hans Frzibram, Kristall- Analogien zur Entwicklungsmechanik der Organis-
men 207
Verlag von TYilhelm Engelmanii in Leipzig
Experimentelle Beiträge zur Morphologie
herausgegeben von
Hepmann Braus (Heidelberg)
gr. 8
L Band^ 1. Heft
Mit 8 Tafeln und 18 Figuren im Text
Inhalt:
Vorwort Die Morphologie als historische Wissenschaft Von H. Braus — Ist
die Bildung des Skeletes von den Muskelanlagen abhängiff? Eine experimentelle
Untersuchung an der Brustflosse von Haiembryonen. Mit o Tafeln und 18 Figuren
im Text Von H. Braus. (Sonderabdruck aus »Morphologisches Jahrbuch«,
Bd. XXXV, H. 1 u. 2)
Preis 4 Mark
I. Band^ 2. Heft
Mit 4 Tafeln und 6 Figuren im Text
Preis 3 Miirk
Inhalt:
O. Bender, Zur Kenntnis der Hypermelie beim Frosch. Mit einer Tafel. —
Hermann Braus, Vordere Extremität und Operculum bei Bombinatorlarren.
Ein Beitrag zur Kenntnis morphogener Correlation und Regulation. Mit 8 Tafeln
und 6 Figuren im Text — O. Bender, Zur Kenntnis der Hypermelie beim
Frosch (Nachtrag).
Die »Experimentellen Beiträge zur Morphologiec erseheinen in zwanglosen
Heften und enthalten Arbeiten von Prof. Braus und seinen Schülern, cde
im allgemeinen zunächst im >Morpholog. Jahrbuchc zur VeröffentHchung gelangen.
Dadurch werden die Arbeiten auch denen leichter zugänglich gemacht, die das
»Morphologische Jahrbuch« nicht halten, und ist eine größere Verbreitung zu erhoffen.
Druck von Breitkopf & Härtel in Leipzig.
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>3,dm
ARCHIV
FOr
ENTWICKLUNGSMECHANIK
DER ORGANISMEN.
HERAUSGEGEBEN
VON
WILHELM ROUX,
O. ö. PROFESSOR DER ANATOMIE IN HALLE*/». S.
ZWEIÜNDZWANZIOSTER BAND.
DRrrTES HEFT.
MIT 4 TAFELN UND 36 TEXTFIGUREN.
AU86E6EBEN AM 6. NOVEMBER 1906.
I
l
"LEIPZIG
VEBLAO VON WILHEI.M ENGELMANIT
1906.
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Bas
Archiv für Entwicklnngsmechanik der Organismen
istebt offen jeder Art von exakten Forschungen über die „Ursachen^' der
Entstebung, Erhaltung und Bückbildnng der organischen Gestaltungen*).
Bis auf weiteres werden aucb kritische Referate und zusammen-
fassende Übersichten über andern Orts erschienene Arbeiten gleichen
Zieles, sowie Titelübersichten der bezüglichen Literatur aufgenommen.
Das Archiv erscheint zur Ermöglichung rascher Veröffent-
lichung in zwanglosen Heften sowohl inbezug auf den Umfang, wie
auch auf die Zeit des Erscheinens; mit etwa 40 Druckbogen wird ein
Band abgeschlossen.
Die Herren Mitarbeiter erhalten unentgeltlich 40 Sonderdrucke
ihrer Arbeiten; eine größere Anzahl Sonderdrucke wird bei Voraus-
bestellung gegen Erstattung der Herstellungskosten geliefert, unter
der Voraussetzung, daß die Exemplare nicht fUr den Handel be-
stimmt sind. Referate, Besprechungen und Autoreferate werden
mit M 40. — für den Druckbogen nach Abschluß des Bandes honoriert.
Die Zeichnungen der Textfiguren sind im Interesse der
rascheren Herstellung womöglich in der zur Wiedergabe durch
Zinkätzung geeigneten Weise auszuführen**). Die Textfiguren sind
vom Texte gesondert beizulegen; an den Einfügungsstellen im
Texte sind die Nummern der bezüglichen Figuren anzubringen. Sind
die eigentlich für den Text bestimmten, in linearer bzw. punk-
tierter Manier hergestellten Figuren sehr zahlreich, so werden sie
besser auf Tafeln beigegeben. Tafeln sind in der Höhe dem
Format des Archivs anzupassen; für jede Tafel ist eine Skizze über
die Verteilung der einzelnen Figuren beizufügen.
Die Einsendung von Manuskripten wird an den Herausgeber
erbeten.
Der Herausgeber: Der Verleger:
Prof. Dr. Wilh. Roux, Wilhelm Engelmann,
Halle »/d. S. (Deutschland). Leipzig.
*) Den in nichtdeutscher: in englischer, italienischer oder franzö-
sischer Sprache zu druckenden Originalabhandlungen ist eine kurze Zu-
sammenfassung der Ergebnisse, sei es in der Sprache des Originals oder in
deutscher Sprache beizufügen.
**) Dies geschieht in linearer bzw.punktierterZeichnung mit tief schwarzer
Tinte oder Tusche, kann aber leicht auch durch nachträgliches Überzeichnen der
Bleistiftzeichnung mit der Tuschfeder hergestellt werden. Wer jedoch im
Zeichnen mit der Feder nicht geübt ist, kann die einfache Bleistiftzeichnung ein-
senden, wonach sie von technischer Seite überzeichnet wird. Die Bezeichnungen
(Buchstaben oder Ziffern) sind bloß schwach mit Bleistift einzutragen, sofern sie
der Autor nicht kalligraphisch herzustellen vermag. Anweisungen für die
Herstellung wissenschaftlicher Zeichnungen zu Textfiguren mit Aus-
führungen über die einzelnen Herstellungsarten und Proben derselben stellt die
Verlagsbuchhandlung den Herren Mitarbeitern gern unentgeltlich zur Verfügung.
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Zur Kenntnis der Regeneration der Extremitäten
bei den Arthropoden.
Von •
J. Ost
(Aus dem Zoologischen Institut in Marburg.)
Mit Tafel X— XII und 8 Figuren im Text
Eingegangen am 20. Mai 1906.
Es ist bekannt, daß die Arthropoden kein so weitgehendes Re-
generationsvermögen besitzen, wie es z. B. Anneliden zukommt. Das
spricht sich auch in der Literatur aus, indem zwar über die Regenera-
tionserscheinungen bei den Arthropoden eine recht ansehnliche, aber
doch längst keine so umfangreiche Literatur, wie über die einzelnen
Abteilungen der Cölenteraten und Würmer vorhanden ist. Wenn auch
die Regeneration bei diesen höher organisierten Tierformen nicht eine
so große Rolle spielt, wie in den beiden genannten Gruppen des Tier-
reichs, so ist sie doch immerhin auch bei den Arthropoden ziemlich
▼erbreitet und auch experimentell hat man sich öfter damit beschäf-
tigt. Ich erinnere nur an die überraschenden Ergebnisse der wich-
tigen und erfolgreichen Versuche von C. Hebbst über den Ersatz
von Augen durch Antennen bei höheren Krebsen, sowie an die eben-
falls sehr unerwarteten Resultate, zu denen die Versuche führten,
welche Crampton mit der Zerteilung und Wiedervereinigung von
Schmetterlingspuppen vornahm. Doch darauf spUte nur hingewiesen
werden, um daran zu erinnern, daß auch auf dem Gebiet der Arthro-
podenregeneration wichtige und interessante Ergebnisse zu erwarten
Bind. In der Natur der Sache liegt es, daß die neuesten Unter-
fluchungen über die Regenerationserscheinungen bei den Arthropoden
sich mit der Frage beschäftigen, inwieweit künstlich entfernte Ex-
tremitäten wieder ersetzt werden können, wie die einzelnen Teile
ArchiT f. EatwioUiiiigsmechuük. XXU. 19
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290 J. Oßt
Bich dabei verhalten und welche Rolle deren Anpassungsvermögen,
bzw. dasjenige des ganzen Organismus bei der Regeneration spielt,
speziell ob die Regenerationsvorgänge' sich auf dem letzteren Wege
erklären lassen (Weismann, Przibram, Hübner). Auch die von mir
vorgenommenen Versuche bewegten sich in dieser Richtung.
Angeregt durch die schon erwähnte, Aufsehen erregende Arbeit
von C. Herbst, der bei einer Mittelmeergameele die Augen exstir-
pierte und^dafQr antennenähnliche Organe erhielt, beabsichtigte ich
Versuche ähnlicher Art mit bestimmter Fragestellung vorzunehmen.
Ich führte deshalb zuerst bei einer ganzen Reihe von Crustaceen
derartige Regenerationsversuche aus, die, soweit sie gelangen, Resul-
tate ergaben, welche nichts besonders Bemerkenswertes oder von dem
bisher Bekanntgewordenen kaum Abweichendes darboten. Dagegen
hat man bis jetzt wenig und gar nicht auf die feineren Vorgänge
bei der Regeneration der Arthropoden und darauf geachtet, wie und
woher sich die einzelnen Organe ergänzen. Durch meine Unter-
suchungen kam ich dazu, diesen Fragen etwas weiter nachzugehen
und hielt mich dabei hauptsächlich an Onisctis murarius, in der ich
ein recht günstiges Objekt gefunden hatte. Nach anfangs weiter
ausgedehnten Versuchen beschränkte ich diese dann fast ganz auf
die Regeneration der Antenne, an der ich recht eingehend den Wund-
verschluß, die Wundheilung und die Neubildung der einzelnen Organe
verfolgen konnte.
Methode.
Bei meinen ersten Versuchen mit Daphnia und Cychps brachte
ich die zu operierenden Tiere in ein flaches Uhrschälchen mit Wasser
und nahm die Operation mit einem feinen Starmesser vor. Bei den
späteren Versuchen mit Oniseus operierte ich mit einer feinen Schere
und legte den Schnitt im letzten Drittel des zweiten Antennen-
gliedes an. Konserviert wurden nur die Antennen, nicht die ganzen
Tiere. Um eine Streckung der Antenne in eine Ebene zu bewirken
(was bei Längsschnitten sehr wichtig), brachte ich dieselben in eine
mit Alkohol gefüllte Cuvette und beschwerte sie mit Deckgläschen.
Konserviert wurden sie in heißem Sublimat-Alkohol mit einem ge-
ringen Zusatz von Essigsäure.
Gefärbt habe ich zuerst mit Hämatoxylin, wandte jedoch später
eine Doppelfärbung an und zwar Hämatoxylin und Eosin. Die
Muskulatur färbt sich durch das Eosin rot, während die Kerne durch
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Zur Kenntnis der Regeneration der Extremitäten bei den Arthropoden. 291
die Hämatoxylinfärbung deutlich blau hervortraten, was flir das Er-
kennen der betreflfenden Verhältnisse sehr förderlich ist. Um den
Nervenverlauf, sowie Tasthaar und Innervierung der Borsten besser
verfolgen zu können, wandte ich später die Behandlung mit Pikrin-
Osmium-Essigsäure an.
Fremde und eigne Beobachtung.
Auf dem Gebiete der Arthropodenregeneration treten vor allen
Dingen die neueren Untersuchungen von Morgan, C. Herbst, Przibram,
HObner hervor. Ein ganz besondres Verdienst ist in dieser Beziehung
Weismann zuzuschreiben, der durch die Aufstellung seiner Anpassungs-
theorie diesem Gebiete eine neue Richtung gab. Er versuchte fest-
zustellen, inwiefern bei der Regeneration das Anpassungsvermögen
mitspricht und kommt zu dem Resultate, daß die Anlage zur Re-
generation am besten ausgebildet ist bei den Tieren, die am meisten
der Gefahr ausgesetzt sind, gewisse unentbehrliche Teile ihres Körpers
zu verlieren.
Hübner macht Regenerationsversuche an Crustaceen, an Daphnia
und Simocepfialus, zur Prüfung der WEiSMANNSchen Theorie, nach
welcher die Regeneration eine Anpassungserscheinung und demgemäß
ungleich groß ist, je nach der Verletzbarkeit und Bedeutung der
einzelnen Teile und Organe. Bei seinen Versuchen an Daphnia pulex
findet er, daß sie abgeschnittene Borsten schon nach zwei Häutungen
wieder regenerieren. Auch abgeschnittene Aste der Ruderantenne
wurden wieder regeneriert. Im Gegensatze zu der großen Regenera-
tionsfähigkeit, die man bei den Cladoceren beobachten konnte^
blieben die Versuche an Copepoden ohne Erfolg.
•Dieselbe Erfahrung hat auch Przibram an Copepoden gemacht.
Die Cyclopidenarten vertrugen die Operation sehr gut, regenerierten
aber die abgeschnittenen Segmente der Antennen nicht.
Autotomie beobachtete Hübner an einer Daphnia, die den Stumpf
einer operierten Ruderantenne abwarf, und an einer ^^r/a/i-Larve,
welche den Rest einer operierten Tracheenkieme freiwillig abstieß.
Hübner hatte auch Gelegenheit, starke Differenzierungen in der
Einrichtung der Regeneration bei sehr nahestehenden Familien zu
beobachten, wozu ihm seine Versuche an den Ephemeridenlarven
Veranlassung gaben. Er benutzte hierzu die Larven von Clo&on
dipterum, deren Regenerationskraft außerordentlich groß ist. Während
nämlich abgeschnittene Schwanzfäden und Antennen nach einigen
19*
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292 J- Ost
Häutungen schon vollständig regeneriert waren, gebrauchten die Tiere
bedeutend mehr Zeit, um ein verstümmeltes Bein vollständig zu er-
setzen. Es scheint sich auch hier die Beobachtung zu bestätigen, daß
die Schnelligkeit und Ausführung der Regeneration mit dem mehr
oder weniger komplizierten Bau des zu ergänzenden Gliedes in
direktem Verhältnisse steht. Überraschend ist die Beobachtung, daß
in einem Falle bei einer Larve sogar die Regeneration eines Abdo-
minalsegmentes zustande kam. Bedenkt man, daß nicht nur die
Schwanzfäden, die Endigungen der Haupttracheenäste, und ein Stück
des Enddarms mit dem After entfernt, sondern auch die Leibeshöhle
eröffnet wurde, so erscheint es auffallend, daß das Tier das ganze Ab-
dominalsegment mit seinen Anhängen (Ausnahme Schwanzfäden) re-
generierte. Solche erstaunlichen Anlagen für die Regeneration eines
Teiles werden nach Hübner aber nur bei denjenigen Tieren vor-
handen sein, denen häufiger Verlust droht, und ftJr die der betreffende
Teil sehr wichtig ist.
Während Hübner also sich Weismanns Theorie anschließt, führen
die jetzt zu erwähnenden Untersuchungen von T. H. Morgan und
Eugen Schultz ihre Verfasser zu einer andern Auffassung. Morgan
macht Versuche am Einsiedlerkrebs und Flußkrebs, um die
WEisMANNsche Hypothese eines inneren Zusammenhangs zwischen
Häufigkeit der Verletzung und Regenerationsfähigkeit zu prüfen und
findet, daß die Regeneration erfolgt, gleichgültig, ob das Bein distal
oder proximal vom Bruchgelenk (wie es Morgan nennt) abgeschnitten
war. Die Regenerationsfähigkeit kann also nicht beschränkt sein
auf die Regionen des Beines, an welchen es unter gewöhnlichen Um-
ständen durch Autotomie abgeworfen wird.
Wie Morgan, so trat auch E. Schultz Weismanns Theorie ent-
gegen. E. Schultz gelang es bei SpinnfüBen von Epeiriden nach-
zuweisen, daß eine Regeneration auch dann eintritt, wenn der Tarsus
in der Mitte der Tibia oder des Tarsus zwischen zwei Gelenken
durchschnitten wird an Stellen, die von der natürlichen Zuchtwahl
unmöglich zur Bildung neuer Extremitäten prädestiniert werden könnten,
da das Tier niemals in die Lage kommt, das Bein zwischen zwei
Gelenken zu verlieren. Schultz hält daran fest, daß die Regeneration
eine primäre Eigenschaft der Individuen ist, die in einem oder dem
andern Organe infolge von Spezialisierung der Gewebe sehr be-
schränkt werden kann, allerlei sekundäre Anpassung zu erleiden
imstande ist, aber potentiell immer vorhanden ist.
Tornier beobachtet bei seinen Regenerationsversuchen an dem
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Znr Kenntnis der Regeneration der Extremitäten bei den Arthropoden. 293
Mehlkäfer und seiner Larve, daß der ausgebildete Käfer die ab-
geschnittenen Gliedmaßen nicht regeneriert, bei der Larve dagegen
ist die Gliedmaßen- und Antennenregeneration sehr wohl möglich,
tritt aber nicht immer und zuweilen nur mangelhaft auf.
1) Wird die Larve kurz vor der Verpuppung operiert, so tritt
keine Regeneration ein. Der Defekt geht also auf Puppe und
Vollkerf über.
2) Wird die Larve lange Zeit vor der Verpuppung operiert, so
tritt Regeneration der Gliedmaßen noch in der Larvenzeit ein.
3) Wird die Larve längere Zeit vor der Verpuppung operiert,
aber so, daß die Extremität bei der Verpuppung noch Wund-
schorf trägt, so gelangt dieselbe nicht mehr zu voller Ent-
wicklung.
LoEB macht dann noch Versuche an Pantopoden, denen er
Körpersegmeute mit einem Beinpaar abschnitt und findet, daß die
Körpersegmente wieder neu gebildet werden; bei einem Versuche
findet er, daß das neugebildete Stück ans vier statt aus drei Segmenten
zusammengesetzt ist. Das Vorhandensein eines überzähligen Segmentes,
glaubt er, könne vermuten lassen, daß das neugebildete Stück im
Laufe der Zeit sich zu einer Extremität entwickelt haben würde, daß
es sich also um die Bildung eines Beines an Stelle eines abgeschnittenen
Segmentes handle, ein Fall, den Loeb als Heteromorphose bezeich-
net. Die neugebildeten Stücke waren nicht allmählich gewachsen,
sondern sie waren eines Morgens in relativ bedeutender Größe und
Differenzierung erschienen. Loeb glaubt, daß die Regeneration der
neuen Stücke unter der Haut stattfand, um bei der nächsten Häutung
zutage zu treten.
Als Heteromorphose oder atavistische Regeneration kann auch die
merkwürdige Regeneration von antennenähnlichen Organen an Stelle
von Augen bei Krebsen aufgefaßt werden, die C. Herbst experi-
mentell hervorgerufen hat. Er exstirpierte bei manchen Tieren die
Augen vollständig mit dem Augenstiel und dem darin liegenden Ganglion
opticum, bei andern nur einen Teil des Auges unter Schonung des
Stieles und Ganglions und kam zu dem Resultate, daß das Vorhanden-
sein der Augenganglien bei Bildung der neuen Augen das Maßgebende
sei, und daß alle Krebse, deren Augenganglien im Stiele liegen, an
Stelle der mit dem Stiele exstirpierten Augen Antennen erzeugen müssen,
während alle andern, deren Augenganglien bei Exstirpation verschont
blieben, wieder Augen regenerieren.
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294 J. OBt
Wie schon erwähnt, veranlaßten mich die schönen Erfolge von
C. Herbst an Palaemon zu Versuchen ähnlicher Art. Ich exstir-
pierte am 1. November zehn Flußkrebsen das rechte Auge und zwar
mit dem Augenstiel. Von den zehn operierten Krebsen blieben nur
drei am Leben. Trotzdem ich nun die drei Tiere bis zum Monat
Mai 1904 am Leben hielt, zeigte nur ein Exemplar Anfänge zur
Regeneration. Es war nämlich bei diesem Tier an der Operations-
stelle ein kleiner Regenerationsstumpf erschienen, der einen halben
Zentimeter lang und vollständig bleich gefärbt war, der aber nichts
Bemerkenswertes zeigte.
Weitere Regenerationsversuche, die ich mit Ästacus vornahm,
indem ich ihnen noch die vordere rechte Extremität und die rechte
Schere abschnitt, verliefen leider resultatlos. Ich halte überhaupt
Ästacus ungeeignet ftlr Regenerationsversuche insofern, als die Re-
generate zu lange Zeit für ihre Entwicklung brauchen und auch in-
sofern, als die regenerierten Teile wegen ihres harten Chitinpanzers
auf ihren inneren Bau recht schwer zu untersuchen sind.
Weitere Versuche stellte ich an Cj/dops viridis und Daphnia
pulex an. 20 Exemplaren von Cyclops schnitt ich am 1. Mai eine
Borste der zweiten Antenne ab und an demselben Tage zehn Tieren
das erste Glied der zweiten Antenne auf beiden Seiten. Ich hielt die
Tierchen drei Monate, also iis zum 2. August am Leben, konnte aber
in Übereinstimmung mit Przibram, der auch an Cyclopidenarten
Regerations versuche gemacht hatte, konstatieren, daß bei beiden
Gruppen, außer der Bildung des Wundverschlusses, keine weiteren Re-
generationserscheinungen eintraten. Der Wundpfropf, der nach einem
Tage gebildet war, zeigte anfangs eine zarte Beschaffenheit. Nach
acht Tagen aber war er mit einer kräftigen Chitindecke überzogen.
Glücklicher verliefen die Versuche an den Schwanzfäden der-
selben Tiere. Am 1. Mai wurde 20 Exemplaren die Furca im letzten
Gliede abgeschnitten. Am 2. Mai hatte die Blutung aufgehört und
der Wundpfropf war gebildet. Merkwürdig war hierbei, daß von
den an der Furca operierten Tieren, trotzdem ich sie unter denselben
Lebensbedingungen wie die an der Antenne operierten Tiere hielt,
neun Exemplare starben.
Am 15. Mai zeigten die elf überlebenden Tiere bleiche Stümpfe. Es
traten dann keine weiteren Erscheinungen auf bis zum 22. Mai, an dem
neun Exemplare die Furca wieder regeneriert hatten. Ich hatte noch
am 20. kontrolliert, aber noch kein Tier hatte damals regeneriert. Die
Regeneration war also innerhalb zweier oder eines Tages erfolgt. Die
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Zur EenntniB der Regeneration der Extremitäten bei den Arthropoden. 295
zwei übrigen Tiere regenerierten drei Tage später. Mit der Regene-
ration war eine Häutung Hand in Hand gegangen.
Von Daphrda pidex wurden am 30. Juni ebenfalls 20 Tiere
operiert, und zwar schnitt ioh auf beiden Seiten zwei Borsten der
Ruderantenne ab. Schon am 8. Juni zeigte es sich, daß die Borsten
nach einmaliger Häutung ersetzt waren. Schnitt ich dagegen den
Tierchen ein oder mehrere Antennenäste ab, so erschienen die Tiere
durch den Blutverlust ziemlich geschwächt. Erst nach der Bildung
des Gerinnungspfropfes nahmen sie ihre früheren Bewegungen wieder
auf. Von den zehn Tieren, die ich am 20. Juni auf diese Art operiert
hatte, blieben acht am Leben, aber auch bei diesen konnte ich, trotz-
dem ich sie noch bis zum 20. August beobachtete, keine Regeneration
bemerken.
Andre Regenerationsversuche, die ich dann mit Libellenlarven
{ÄTittx formasa) anstellte, verliefen günstig. Ich schnitt fünf Larven
die vordere rechte Extremität im
Basalgliede ab und zwar am
20. Juni. Von den fünf operierten
Tieren starben leider vier nach
2 Tagen. Die starke Blutung, die
nach der Operation eintrat, hielt
nicht lange an, und schon nach
2 Stunden war ein Gerinnungs-
pfropf gebildet. Mitte Juli zeigte
sich die erste Anlage einer Re-
generation, indem ein bleicher
Höcker an der Operationsstelle
sichtbar wurde. Dieser Regene-
rationsstnmpf wuchs sehr langsam,
so daß erst am 20. Oktober, also
4 Monate nach der Operation, die
Extremität wieder vollständig neu
gebildet war. Die neugebildete
Extremität, Textfig. 16, war nicht
ganz so groß als die normale,
Textfigur la, wohl aber waren
sämtliche Glieder entwickelt. Das auf das Basalglied folgende Seg-
ment war, wie Textfigur 16 zeigt, nicht so lang als das normale,
etwas dicker und ziemlich stark gekrümmt. Eine auffällige und
interessante Abweichung von dem Normalen zeigte allein der Tarsus Oj,
Normale {a) and regenerierte (b) Extremität
von Anax formosa.
- a\, 6i, ri, dl \
"3^" ) Teile der re- ,
b Tibi» / n nor- . . \ b rege-
. Femar m.le, ^X™^ (-ericrte.
dA««t.gUed' ,schnltt.telle)
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296 J. OBt
der nar aus einem anstatt aus drei Gliedern bestand, auch war er
nur mit rudimentären Erallen besetzt.
C. M. Child und A. N. Young fanden bei ihren Regenerations-
versuchen, die sie an Agrioniden-Nymphen anstellten, daß die
Beine und Tracbeenanhänge nach Durchschneidung in beliebigem
Niveau zur Kegeneration fähig sind. Ebenso wie ich bei meinen
späteren Untersuchungen an Oniscus murarvus konnten auch sie
Autotomie des Beines beobachten, wenn die distalen Teile desselben
verletzt waren. Die regenerierte Extremität erschien bei ihren Ver-
suchen nicht zuerst als ein kleines vollständiges Bein, sondern es
fand eine fortschreitende Differenzierung seiner Teile statt. Im
übrigen konnten sie bei der Regeneration noch beobachten, daß öfter
das Gelenk zwischen den Klauen und dem distalen Tarsalgelenk
fehlte, und daß dann die Klauen ungleiche Größe erreichten.
Die Regeneration des Beines an der von mir beobachteten Larve
war nun nicht nach erfolgter Autotomie des Stumpfes vor sich ge-
gangen, sondern hatte sich direkt von dem persistierenden Stumpf
aus vollzogen. Ich erwähne diese Tatsache, weil viele Arthropoden,
wenn ihnen über die Hälfte einer Extremität abgeschnitten ist, den
Stumpf auch noch abstoßen und dann erst mit der Regeneration des
neuen Gliedes vom Gelenk aus beginnen, eine Tatsache, die ich bei
meinen späteren Versuchen mit Oniscus sehr häufig beobachten konnte.
Zuerst stellte ich einige Versuche an der Furca von Oniscus
murarius an. Drei Tieren wurden am 21. Juni die Furca im letzten
Gliede abgeschnitten. Nach der Operation trat eine nur sehr geringe
Blutung auf, die bald nachließ. Nach drei Tagen konnte man schon
den zarten Gerinnungspfropf bemerken, der sich immer mehr verstärkte
und am fünften Tage mit einer Chitindecke tiberzogen war; nach
sechs Tagen zeigte die Furca von sämtlichen Tieren einen bleichen
Stumpf. Es traten von jetzt an bis zum 28. Tage nach der Operation
keine sichtbaren Regenerationserscheinungen auf. Am 28. Tage zeigte
ein Tier eine vollständig neuersetzte Furca, und am 30. Tage hatten
auch die beiden andern Exemplare die Furca regeneriert. Die Furca
zeigte dieselbe Größe und Gliederzahl wie die normale, nur hatte sie
eine bleichere Farbe. Schnitte wurden von diesen Objekten nicht
angefertigt.
Ich wandte mich nun zu AseUus aquaticus. Fünf Exemplaren
schnitt ich am 1. Juli die rechte vordere Extremität ab. Die Tiere
vertrugen aber die Operation nicht, sondern starben bald nach Anlage
des Schnittes, wohl infolge des starken Blutverlustes.
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Zur Kenntnis der Regeneration der Extremitäten bei den Arthropoden. 297
Die Versache, die ich dann noch mit Oamniarus nnd Dytiscus
anstellte, verliefen ebenso resultatlos. Am 15. Juli wurden 20 Exem-
plaren von Gammarus die rechte vordere Extremität abgeschnitten.
Nach zwei Tagen waren sämtliche Tiere eingegangen. Von Dytiscus
hatte ich an fttnf Tieren dieselbe Operation vorgenommen. Es starben
innerhalb dreier Wochen drei Tiere davon. Die beiden andern
konnte ich noch zwei Monate beobachten, aber auch sie zeigten außer
der Bildung des Wundpfropfes keine Regenerationserscheinnngen.
So ungeeignet sich Asellus aquaticus f ttr meine Yersnche erwiesen
hatte, um so brauchbarer war Oniscus, den ich jetzt als Versuchsobjekt
wählte. Oniscus besitzt ein recht weitgehendes RegenerationsvermOgen
und hat noch den Vorzng vor andern Arthopoden, daß er sehr gnt
zu halten und zu jeder Jahreszeit leicht zn beschaffen ist. Die
Regeuerationsversnche stellte ich besonders an den Antennen, d. h. an
den zweiten Antennen an, da die ersten (sog. inneren) Antennen ver-
kümmert sind. Bei meinen ersten Versuchen, bei denen ich die
Antenne im Basalgliede abschnitt, konnte ich konstatieren, daß die-
selbe nach drei Wochen wieder vollständig regeneriert war. Die
Antenne war anscheinend ganz normal gebaut nnd nur noch bleicher
als die normale. Bei den späteren Versachen, bei denen ich die
Antennen im zweiten Gliede durchschnitt, konnte ich beobachten, daß
dann, wenn Über die Hälfte des Gliedes entfernt war, Autotomie eintrat,
d. h. der Stumpf des Gliedes wurde auch noch abgestoßen und die Re-
generation begann im Gelenk zwischen dem ersten und zweiten Gliede.
Die Regeneration der Antenne bei Oniscus murarius.
Um die Regeneration der einzelnen Organe besser verfolgen zn
können, legte ich den Schnitt im zweiten Glied der Antenne an.
Dieses Glied ist insofern das geeignetste, weil in ihm die Muskeln,
Nerven und Drttsen am besten ausgebildet sind. Um die schon erwähnte
Antotomie zu vermeiden, denn mir kam es darauf an, die Regene-
ration von ihrem alten Stumpfe aus zu beobachten, schnitt ich das
zweite Glied im letzten Drittel ab und führte so den Schnitt mitten
durch die Muskeln, Nerven und Drttsen. Um aber die Regeneration
der einzelnen Gewebe genau verfolgen zu können, ist die Kenntnis der
Anatomie und Histologie der Antenne erforderlich, deren Schilderang
ieh deshalb vorausgehen lasse.
Bevor ich aber dazu ttbergehe, möchte ich erst noch einmal
auf den interessanten Vorgang der Autotomie zurückkommen. Schon
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298 J. Ost
Yon den yerschiedensten Forschern ist die Selbstampntation be-
handelt worden. Während Weismann und Hübneb die Autotomie
und die darauf folgende Segeneration des Gliedes von einer be-
stimmten Stelle aus, z. B. dem Gelenke, als Anpassungen bezeich-
nen, treten Morgan und E. Schultz dieser Ansicht entgegen, in-
dem beide angeben, bei ihren Versuchen, die sie zu diesem Zwecke
an Crnstaceen und Spinnen angestellt, beobachtet zu haben, daß
die Regeneration des Gliedes von der Schnittfläche aus erfolgte, gleich-
gültig ob es distal oder proximal vom Bruchgelenk abgeschnitten sei.
Die Regenerationsfähigkeit kann also ihrer Ansicht nach nicht be-
schränkt sein auf die Regionen des Gliedes, an welchen es unter
gewöhnlichen Umständen durch Autotomie abgeworfen wird.
Auch BoRDAGE hat in letzter Zeit über die Selbstamputation bei
Phasmiden geschrieben und fand, daß künstliche Defekte nur von
gewissen Stellen aus ersetzt werden. Regeneration vom Schnittrande
aus erfolgt nur, wenn die Tarsen oder das untere Drittel der Tibia
abgeschnitten waren. Schneidet man das Bein höher oben durch, so
wird das noch übrige Stück des Beines abgeworfen, und die Re-
generation geht von der Verwachsungsstelle des Trochanter mit dem
Femur aus.
Ganz ähnliche Verhältnisse konnte ich, wie schon erwähnt, bei
den Antennen von Oniscics murarvus beobachten. Nur wenn ein
Drittel des zweiten Gliedes abgeschnitten war, erfolgte keine Auto-
tomie, sondern die Regeneration nahm von der Schnittfläche ihren
Anfang. Wurde dagegen mehr als die Hälfte des Gliedes entfernt,
so trat kurze Zeit darauf Selbstamputation ein, und die Regeneration
erfolgte von dem Gelenk zwischen dem ersten und zweiten Gliede
aus. Niemals konnte ich wie Morgan und Schultz in diesem Falle
eine Regeneration vom alten Stumpfe aus beobachten, sondern der
AngriflFspunkt der Regeneration war immer das Gelenk. Diese Stelle
ist also hier lokalisiert. Beides, die Fähigkeit zur Autotomie sowohl,
als auch die auf eine bestimmte Stelle beschränkte Regenerations-
kraft, sind meiner Ansicht nach sicher keine primären Eigenschaften,
sondern sekundäre Einrichtungen, Anpassungen an ganz bestimmte
Bedingungen. Oft konnte ich mich überzeugen, daß die von mir be-
obachteten Tiere die ganzen Antennen oder Teile derselben verloren.
Am häufigsten geschah dies bei der Häutung, indem sich die Tiere
beim Ausschlüpfen aus der alten Haut Beine oder Antennen abrissen.
Bei diesen Tieren, die also oftmals der Gefahr ausgesetzt sind, ihre
Extremitäten zu verlieren, ist die Autotomie mit nachfolgender Re-
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Zur Kenntnis der Regeneration der Extremitäten bei den Arthropoden. 299
generation eine oft benatzte und sehr vorteilhafte Einrichtung, die
sich gewiß erst nach nnd nach herausgebildet hat, und ich kann
mich nur Weisicanns Ansicht anschließen und muß sie ebenfalls
ftor »Einrichtungen d. h. Anpassungen des Organismus an be-
stimmte Forderungen der Lebensbedingungen halten«.
Beachtenswert ist noch, daß auch Godelmann im Anschluß an
Weismann geneigt ist, den Besitz der Bruchstelle am Bein der Phas-
miden und die Lokalisation des Regenerationsvermögens an dieser
Stelle für eine im Kampf ums Dasein erworbene zweckmäßige Eigen«-
schaft zu halten. Nach der Autotomie erfolgte die Regeneration viel
vollkommener als nach künstlich gesetzten Defekten, wie auch schon
BoRDAGE bei seinen früheren Regenerationsstudien an Phasmiden
beobachtet hatte. Die Autotomie selbst ist nach Ansicht desselben
Forschers ein einfacher Reflexakt, denn sie konnte bei einem decapi-
tierten Tiere ebensogut hervorgerufen werden wie bei einem lebenden.
Erwähnen möchte ich an dieser Stelle noch die interessanten
Versuche, die Przibram an Cardnus inaenas vorgenommen hat. Er
fand, daß, wenn er z. B. ein Schreitbein anbohrte, nicht nur das ver-
letzte Glied, sondern auch andre Extremitäten, die von der Operation
gar nicht direkt getroffen waren, abgeworfen wurden. Bei sämtlichen
Extremitäten war die Abschnürung vom Bruchgelenke aus erfolgt.
Przibbam ist der Ansicht, daß die Mitwirkung des Nerven ebenso
wie sie für die Autotomie bei Reizung der peripher von der Bruch-
stelle gelegenen Extremitätenteile nachgewiesen ist, auch hier in Be-
tracht kommt, indem es sich nach seiner Ansicht nur um eine centrale
Reizung handeln kann. Bei der Verschmelzung der Extremitäten-
ganglien bei den Brachyuren wird es nicht Wunder nehmen, wenn
nicht immer nur das zu der operierten Gliedmaße gehörige getroffen
wird, sondern auch andre in Mitleidenschaft gezogen werden.
Anatomie und Histologie der Antenne.
Die Antenne von Oniscus besteht aus fünf Gliedern, die alle
gegeneinander beweglich sind. Das erste Glied, von der Spitze der
Antenne aus gerechnet, besteht aus zwei Abschnitten und trägt an
der Spitze das Tasthaar. Das zweite Glied ist das wichtigste für
meine Untersuchungen, denn in ihm sind die Muskeln, Nerven und
Drüsen am besten entwickelt. Es ist das längste von sämtlichen
Gliedern und zeigt im Gegensatze zu den andern keine Abschnitte.
Das dritte besteht wieder aus zwei Abschnitten und ist dem zweiten
ganz ähnlich, nur etwas kürzer. Das vierte Glied, ebenso segmentiert
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300 J. Ost
wie das vorhergehende, ist ein kurzes dickes Basalglied, das sich
an das letzte, das fünfte Glied ansetzt. Dieses Glied ist rudimentär
entwickelt, und dient der Antenne als Ansatz. !Nur das erste und
zweite Glied sind ftlr unsre Beobachtungen von Interesse, ich habe
deshalb auch allein von diesen beiden Gliedern auf Textfig. 11 eine
Abbildung gegeben.
Die ganze Antenne ist mit einer starken Chitindecke ttberzogen,
die zur freieren Bewegung der Glieder gegeneinander an den Ge-
lenken verdünnt und gefaltet ist. Das Blut circuliert frei in der
Antenne. Die Blutkörperchen haben eine rundliche Gestalt und zeigen
mit Hämatoxylin und Eosin gefärbt einen blauen Kern, umgeben von
einem runden rötlich gefärbten Hof. Wie bei allen Insektenantennen
sind auch bei ihr Muskel- und Nervensystem gut entwickelt. Mit
Ausnahme des ersten verlaufen in jedem andern Gliede zwei kräftige
Muskelzüge, denen die Aufgabe zufallt, die Glieder gegeneinander
zu bewegen. Das proximale Ende des Muskels setzt mit einer breiten
Endigung ohne Sehne in der Mitte des Gliedes an der Chitinwand
an, während das distale Ende mit einer starken Sehne immer an
der Wand des vorhergehenden Gliedes inseriert und so durch Kon-
traktion das vordere gegen das hintere Glied bewegt (Textfig. II).
Die Muskeln sind sehr deutlich quergestreift und lassen zu beiden
Seiten, wie Textfig. II zeigt, das Myolemm erkennen, in dem die
Muskelkerne stark hervortreten. Die Kerne selbst zeichnen sich durch
besondere Größe aus. Die Enden der Muskelfasern erscheinen auf
der einen Seite direkt in die Sehne eingelassen und werden all-
mählich in ihr undeutlich. An der Ansatzstelle des Muskels mit der
Sehne liegen langgestreckte spindelförmige Kerne.
Ein dicker Nervenstrang (Textfig. 11 w) durchzieht die ganze An-
tenne und tritt bei Behandlung mit Pikrin-Osmiumsäure stark hervor.
Er endet an der Spitze des ersten Gliedes am Grunde des Tast-
haares und zeigt auf seinem ganzen Verlaufe eine große Anzahl von
Kernen (Textfig. Unk). An der Seite lassen sich in gewissen Ab-
ständen langgestreckte Kerne erkennen, die eine große Ähnlichkeit
mit den Neurilemm-Kernen andrer Tiergruppen zeigen, während im
inneren der dicke Straog verläuft, an dem man die einzelnen Fasern
genau beobachten kann. Während seines Verlaufes gibt der Nerv
feine Fasern an die Sinnesborsten b ab, mit denen die Antenne be-
sonders an den Gelenken stark besetzt ist.
An der Spitze der Antenne sitzt, wie schon erwähnt, das
Tasthaar. Unter ihm bemerkt man einen Komplex von Zellen
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Zur Kenntnis der Regeneration der Extremitäten bei den Arthropoden. 301
(Textfig. II sxgr)^ die mit den das Lamen des Haares ausfüllenden
Fasern in direktem Zusammenhange stehen. Diese feinen Fasern
innerhalb des Haares zeigen an der Spitze eine Knöpfung. Das Haar
scheint oben offen zu sein, so daß die Fasern aus ihm hervorragen.
Ich glaube jedoch annehmen zu dürfen, daB diese Öffnung ein Knnst-
Fig. IL
Normale Antenne von Oniscu* mwatius.
b
Borsie,
d
Drüse,
h
Hypodermiö,
m
Muskel,
mit
Maskelkern,
n
Nerv,
nk
Nervenkern,
szgr
Sinneszellengrappe
s
Schnittstelle,
l
Tasthaar.
mk
-nk
Produkt ist, und daß das feine Häutchen, welches noimalerweise das
Haar an der Spitze schließt, durch die Konservierung zerstört wurde.
Die äußerlich sichtbaren Teile dieser Sinnesorgane hat schon
Leydig bei andern Crustaceen beobachtet und sie als Cylinder be-
zeichnet. Später haben sich hauptsächlich noch Claus und 0. vom
Rath damit beschäftigt und sind zu ganz verschiedenen Resultaten
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302 J. Ost
gekommen. Denn während nach der Anschauungsweise von Claus
der Nerv, den unter dem Tasthaar liegenden Zellenkomplex (Text-
fig. n sxgr), den er als Ganglion bezeichnet, seiner Länge nacb durch-
setzen soll, um dann in das Sinneshaar einzutreten und letzteres in
Gemeinschaft mit den Fortsätzen einiger Matrixzellen auszufüllen,
behauptet vom Rath, daß der Zellenkomplex als eine Gruppe von
Sinneszellen — percipierender Epithelzellen — aufzufassen sei. Der Nerv
durchsetzt nach seiner Meinung diese Gruppe von Sinneszellen keines-
wegs, er kann daher auch nicht in das Haar gelangen, vielmehr fasert
sich der Nerv unterhalb der Gruppe der Sinneszellen auf und gibt
an jede Zelle eine Faser ab. Das Tasthaar wird demnach ausgefüllt
von den protoplasmatischen Fortsätzen der Sinneszellen.
Aus Gründen, die ich bei der Regeneration des Tasthaares noch
näher erwähnen werde, muß ich mich auch für letztere Ansicht ent-
scheiden, denn ich glaube aus meinen Beobachtungen während der
Regeneration schließen zu können, daß es sich bei dem Zellenkomplex,
der unter dem Tasthaar liegt, nicht um ein Ganglion handelt, sondern
um eine Sinneszellengruppe, und daß ferner das Lumen des Tast-
haares nicht von Nervenfibrillen ausgefüllt ist, sondern von proto-
plasmatischen Fortsätzen der Sinneszellen. Diese Fortsätze aller
Zellen vereinigen sich und bilden das feinfaserige Bündel, welches in
das Haar eintritt und als Terminalstrang bezeichnet wird. Neuerdings
hat R. DoHRN bei seinen im hiesigen Institut ausgeführten Unter-
suchungen an Tiefseedecapoden solche unter Sinneshaaren gelegene
Sinnesknospen beschrieben, die in den distalen Teilen entschieden eine
gewisse Ähnlichkeit mit dem Tasthaar von Oniscus haben und auch
an den peripheren Teilen der Fortsätze die eigenartige, auch in
meiner Figur erkenntliche stiftartige Schwärzung der Fortsätze zeigen.
Und in ähnlicher Weise faßt Kotte die unterhalb der Fiederborsten
und Haare von Plesionika gelegene Zellengruppe als reizpercipierende
Hypodermiszellen auf, zu denen die Nervenfasern herantreten.
Was die übrigen Borsten der Antenne anbelangt, so sind sie viel
kleiner und einfacher gebaut als das Tasthaar und lassen in der Chitin-
wand einen feinen Canal erkennen, durch welchen die unter jeder
Borste liegende Sinneszelle ihren Fortsatz sendet.
Eine sehr interessante Erscheinung ist das Vorhandensein von
Drüsen in der Antenne, über die meines Wissens nur soviel bekannt
ist, daß in den Antennen einiger Arthropoden drüsenähnliche Zellen
vorkommen, die aber von den meisten Forschern als Fettzellen be-
zeichnet wurden. Auf meinen Längsschnitten fand ich zunächst einen
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Zur KenntniB der Regeneration der Extremitäten bei den Arthropoden. 303
Fig. IIL
Komplex großer Zellen, die eine wabige Struktur und einen stark
färbbaren Kern besaßen. Obwohl ich sie ihrer Beschaffenheit wegen
gleich für Drtisenzellen hielt, dachte ich doch an die Möglichkeit von
Fettzellen. Erst nach längerer Beobachtung konnte ich sie an ihrer
ganzen Struktur, Lagerung, Größe und besonders an ihrem secretorischen
Inhalt bestimmt als Drüsenzellen erkennen. Das bestätigte sich auch
durch das Auffinden von Ausführungs-
gängen. Die Drtisenzellen liegen, wie
Textfig. Illd zeigt, im zweiten Gliede und
füllen dieses größtenteils aus. Sie sind
unregelmäßig um ein feines Rohr (Text-
figur ni /) gelagert, in das sie ihr Secret
entleeren. Die Kerne sind meist wand-
ständig gelagert, wobei jedoch der je-
weilige Secretinhalt der Zelle mitspricht.
Den außerordentlich feinen Ausführungs-
gang (Textfig. in dg) konnte ich deutlich
aus dem Lumen heraustreten sehen und
seinen Verlauf nach vorn genau verfol-
gen. Er mündet im Gelenk des ersten
und zweiten Gliedes in der Nähe des
Sehnenansatzes. Daß die Figur nichts
davon zeigt, kommt daher, daß die
außerordentlich feinen Gänge nur bis
zu den Ectodermzellen zu verfolgen
sind, und die Mündungsstelle in der
dichtgedrängten Zellenreihe der Hypo-
dermis nicht genau festzustellen ist. Das
Auffinden der Gänge ist durch die feine
Beschaffenheit sehr erschwert, und nur
wenn man einen mit Secret gefüllten
Gang auf dem Schnitte trifft, läßt sich derselbe genauer verfolgen.
Hin und wieder lassen sich auch Wandkerne der Gänge beobachten
(Textfig. III wk). Über die Funktion der Drüsen ist mir nichts be-
kannt. Zum Schiasse möchte ich noch das Pigment erwähnen, das
die ganze Antenne dunkel färbt und auf den Schnitten auf beiden
Seiten als eine dunkle Linie sichtbar ist. Es liegt nicht, wie ich
zuerst annahm, in der Hypodermis, sondern bildet eine besondere
Schicht, die direkt unter der Hypodermis gelegen ist. Auf Fig. 30 pk
lassen sich deutlich die Kerne der Pigmentschicht erkennen.
Antenne mit normaler Drüse und
Drüsengang.
d Drüse, m Muskel,
dg Drüsengang, n Nerv,
l Lumen der tck Wandkern vom
Drüäe, Drüsengang.
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304
J. Ost
Regeneration der ganzen Antenne.
Nach Schilderung der Anatomie und Histologie, werde ich zu-
nächst die Regeneration der Antenne in toto beschreiben, um dann
später die Regeneration der einzelnen Gewebe und Organe folgen
zu lassen.
Schneidet man die Antenne in ihrem Basalgliede, also im vierten
Gliede ab, so wird sie innerhalb dreier Wochen wieder ersetzt. Auto-
toniie erfolgt, wenn man mehr als die Hälfte des betreffenden Gliedes
entfernt. Da mir nun, wie schon erwähnt, das zweite Glied ftir meine
Versuche am geeignetsten schien, so schnitt ich, um Autotomie zu
vermeiden, ein Drittel desselben ab. Der Schnitt ist also direkt
hinter dem Ansätze des ersten Gliedes gefllhrt. Ich habe die Schnitt-
stelle auf Textfig. II mit dem Buchstaben s bezeichnet.
Nach der Operation trat eine starke Blutung ein, die aber bald
zum Stillstande kam. Die Tiere schienen nach der Operation nicht
sehr geschwächt zu sein, denn sie nahmen nach wie vor ihre Be-
wegungen wieder auf Es ist sehr zu empfehlen, junge Exemplare
zu den Versuchen zu verwenden, da sie schneller regenerieren und
auch wegen des noch weniger harten Chitinpanzers nachher leichter
in Schnitte zu zerlegen sind.
Antennenregeneration.
60 Tieren wurde am 28. Oktober ein Drittel des zweiten Gliedes
abgeschnitten.
Alter
Erscheinungen
3 Stunden
6
die starke Blutung hatte aufgehört
7
24
48
3 Tage
der zarte Gerinnungspfropf war sichtbar
keine weiteren Erscheinungen
der Wundpfropf war mit einer Chitindecke über-
4 -
7 -
zogen
10 -
14 -
20 -
33 -
die meisten Antennen zeigten bleiche Stümpfe
es hatten drei Tiere regeneriert
fünf weitere Tiere regeneriert
im ganzen 26 Tiere regeneriert
Nach 33 Tagen hatten von den 49 Tieren, die noch am Leben
waren, 26 die Antennen wieder vollständig regeneriert. Die Antennen
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Zur Kenntnis der Regeneration der Extremitäten bei den Arthropoden. 305
unterscheiden sich von den normalen nur durch ihre bleiche Farbe.
Bei den meisten Tieren trat die bleiche Farbe erst von der Operations-
stelle ans ein, während einige wenige schon die bleiche Farbe von
dem Gelenk zwischen ersten nnd zweiten Glied aus zeigten. Bei diesen
Tieren war ohne Zweifel Autotomie erfolgt, da wahrscheinlich der
größte Teil des Gliedes bei der Operation entfernt war.
Merkwürdig ist, daß das Auftreten der neuen Glieder innerhalb
eines Tages erfolgt war, denn während die Antennen bei der Kontrolle
am 28. November nur bleiche Stümpfe zeigten, die auf das Zurückweichen
des Pigments und auf den Zerfall der Gewebe zurückzuführen sind, war
am 29. November schon die Kegeneration vor sich gegangen. Dies ist
so zu erklären, wie auch Loeb bei Daphnia beobachtet hat, daß die
neuen Glieder unter der alten Chitindecke gebildet und dann bei der
nächsten Häutung vorgeschoben werden. Auch Godelmann hat bei
seinen Begenerationsversuchen, die er mitPhasmiden gemacht hat,
gefunden, daß die Regeneration unter der Haut vor sich geht und
dann bei der nächsten Häutung das neugebildete Glied plötzlich sicht-
bar wird. Die Neubildung der Glieder unter der alten Decke ist
auf der Fig. 12 sehr klar ersichtlich. Man sieht hier eine in Re-
generation begriffene Antenne, deren neugebildete Glieder noch unter
der alten Chitindecke liegen, um bei der nächsten Häutung frei zu-
tage zu treten. Noch bemerken möchte ich, daß unter den operierten
Tieren nach 33 Tagen einige darunter waren, die außer einem
bleichen Stumpf, noch keine Spur einer Regeneration zeigten. Über-
haupt habe ich bei meinen späteren Untersuchungen gefunden, daß
die Tiere sehr unregelmäßig regenerieren, so daß man mit der Alters-
bestimmung der einzelnen Regenerate oft im unklaren ist, da später
operierte Tiere oft früher regenerieren als die früher operierten. Ich
glaube, daß der Grund hierfür in dem Alter und dem jeweiligen
Ernährungszustand des einzelnen Tieres zu suchen ist. Ähnliche Be-
obachtungen über die zeitlichen Verschiedenheiten im Auftreten der
Regenerate sind auch bei den Regenerationserscheinungen andrer Tier-
gruppen häufig gemacht worden, ich erinnere an die von Korschelt
mitgeteilten Beobachtungen über das Regenerations vermögen der Lum-
briciden.
Um nun auch in histologischer Beziehung die Regeneration genau
kontrollieren zu können, operierte ich am 13. Januar noch 60 Tiere
und konservierte erst stündlich und später täglich. Bei der Beob-
achtung der operierten Tiere zeigte es sich, daß vor dem 15. Tage
keine Regenerationserscheinungen auftraten, mit Ausnahme des bleichen
ArcMr t Entiricklniigsmecluuiik. XXIL 20
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306 J. Ost
Stumpfes, der, wie schon erwähnt, anf den Zerfall des Gewebes and
das Zurückweichen des Pigments zurückzufahren ist. AuBerdem hatte
nur eine Assel am 15. Tage neu regeneriert. Ich lasse wieder eine
Tabelle folgen, will sie aber kürzen, da bis zum 15. Tage keine
Regenerationserscheinungen sich zeigten.
Tabelle.
Alter
2 Stunden
—15 Tage
16 Tage
18 -
20 .
22 -
27 -
Erscheionngen
keine Regenerationserschelnangen
39 überlebende Tiere hatten bleiche Stümpfe
zwei Tiere hatten regeneriert
drei weitere Tiere regeneriert
keine neuen Erscheinungen
sechs weitere Tiere regeneriert
Auch bei Beobachtung dieser Serie konnte ich feststellen, daß
das Erscheinen der neuen Glieder innerhalb eines Tages vor sich
gegangen war. Ich habe dann meine Beobachtungen noch bis zum
35. Tage nach der Operation fortgesetzt und sämtliche Exemplare
konserviert. Die dazwischenliegenden Tage habe ich noch durch eine
zweite Serie ergänzt, so daß ich eine vollständige Serie von 2 Stunden
bis zu 35 Tagen zur Verfügung hatte.
Wundverschluß und Neubildung der Antenne.
Nach der Operation tritt eine starke Blutung ein, die bald nach-
her zum Stehen kommt. Durch das gerinnende Blut wird zunächst
ein Pfropf gebildet, der der Wunde als provisorischer Verschluß dient
Dieser Gerinnungspfropf wird immer mehr verstärkt durch Einwanderung
und Verschiebung von Zellmassen. Hat dieser Pfropf seine Aufgabe
einen vorläufigen Abschluß der Wunde gegen die umgebende Außen-
welt herzustellen, erillllt, so wird er später abgestoßen und der end-
gültige Wundverschluß durch die Hypodermis findet statt. Vielleicht
ist es immerhin bis zu einem gewissen Grade gestattet, bei einem
Vergleich des Wundheilungsprozesses die Verhältnisse andrer wirbel-
loser Tiere z. B. der Anneliden heranzuziehen, deren Begene-
rationsvorgänge in der letzten Zeit eine so eingehende Berücksich-
tigung fanden.
F. V. Wagner hat bei der Regeneration von Lumbriculus variegatus
den Vorgang der Wundheilung genauer beschrieben. Nach ihm tritt
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Zur Kenntnis der Regeneration der Extremitäten bei den Arthropoden. 307
Fig. IV.
dlk--
nzk
Bach der Operation zuerst ein Reinigungsprozeß der Wnnde auf, in-
dem ausgeflossene und aus dem Zusammenhang geratene Zellen ab-
gestoßen werden. Indem nun die zurückbleibende Masse der an
der Wnndstelle zutage getretenen Eörpersubstanz über den gesunden
Geweben eine zusammenhängende, zumeist allerdings unregelmäßig
bucklig gestaltete Deckschicht bildet, erscheint bereits der provi-
sorische Abschluß des gesamten Wundareals hergestellt. Der dem
provisorischen bald folgende definitive Wundverschluß, vollzieht sich
rasch, indem die Hypodermis sich von den äußeren Wundrändem
her konzentrisch über die Wundfläche hinzieht, bis sie dieselbe völlig
überzogen hat. Fast dieselben
Verhältnisse schildert auch Max
Abel bei der Limicolen-Re-
generation.
Bei meinen Untersuchungen
an Oniscus muraHus konnte
ich beobachten, daß nach der
Bildung des Blutgerinnsels viele
Zellen an der Schnittfläche auf-
traten, die sich mit Resten von
durchschnittenem Gewebe, wie
Muskelfasern und Kernen, Ner-
venkemen und Drüsenmasse
mischten. Die weitaus größte
Anzahl dieser Zellen stammt
aber aus der Hypodermis, die
infolge des durch den Schnitt
aufgehobenen Seitendrucks, über die Wundränder wandern, und so
den provisorischen Wundverschluß bilden. Fig. 1 zeigt ein vor zwei
Stunden durchschnittenes Glied. Die Blutung hat aufgehört, und
durch das gerinnende Blut ist der erste provisorische Wundverschluß
gebildet. Es tritt nun eine Ansammlung von Zellen an der Schnitt-
fläche (Textfig. IV 5) auf, die aus Zellen der Hypodermis, des Nerven,
aus Pigmentzellen und Blutkörperchen zusammengesetzt ist. Alle diese
Zellen sammeln sich am Wundrande und bilden mit dem gerinnenden
Blut und den zerfallenen Gewebsteilen zusammen den Wundpfropf
(Fig. 2 gpf). Dieser provisorische Wundverschluß dient nur zur Be-
deckung der Wunde und hat mit der späteren Regeneration der
Antenne nichts zu tun. Bald fangen die Kerne dieses Wundver-
schlusses an zu degenerieren, bis sie zuletzt vollständig verschwunden
20*
Bildung des Gerinnungspfropfes.
blk BlatkörpercheD, nsk Nervenzellenkerne,
h Hypodermis, jd Pigment
hk Hypodermiäkeme,
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308 J. Ost
sind. Der ganze Vorgang ist nur eine Vorbereitung für die Regene-
ration, welche ungefähr drei Tage nach der Operation beginnt.
Zu dieser Zeit wandern die Zellen der Hypodermis von beiden
Seiten über die Schnittfläche hinüber, bis sie dieselbe vollständig be-
decken. Fig. 3 zeigt ein solches Stadium. Von den Zellen des
Wundpfropfes ist schon eine große Anzahl zerfallen. Die bisher un-
regelmäßig gelagerten Hypodermiszellen nehmen bald eine regel-
mäßige Lagerung an und ftigen sich als Zellen der neuen Hypodermis
epithelartig aneinander. Fig. 4 zeigt die Anordnung der Zellen, wie
sie sich eben in eine Reihe geschoben haben. Dieses neue Epithel
bildet die spätere Spitze des ersten Antennengliedes, so daß also die
Bildung der neuen Glieder von dem distalen Ende des alten Stumpfes
nach innen zu erfolgt. Nunmehr beginnt von dem Epithel aus die
Abscheidung einer neuen Cuticula. Man kann deutlich beobachten,
wie das Chitin der Cuticula schichtenweise ausgeschieden wird. Das
neugebildete Chitin ist wie Fig. 5 7tch zeigt, deutlich durch seine
lose geschichtete Beschaffenheit von dem alten fast strukturlosen Chitin
der Ränder zu unterscheiden. Auf derselben Figur ist auch noch
der letzte Rest des provisorischen Wundpfropfes zu erkennen. Daß
die neue Cuticula so dauerhaft gebildet wird, hat wohl seinen Grund
darin, daß das Tier dieselbe noch fast drei Wochen behält, da unter
ihrem Schutze, innerhalb der alten Chitinhüllen, die Entwicklung
der neuen zarten Glieder vor sich geht. Die zuerst gebildete
Chitinhaut hat also nur die Bedeutung einer Schutzhülle
für die unter ihr sich neu bildenden Organe.
Auch dieses Verhalten scheint mir eine bemerkenswerte An-
passungserscheinung zu sein, die beim Verlust der Antennen und in
ähnlicher Weise auch bei Verlust der Extremitäten, eine wichtige Rolle
als Schutz der sich neu bildenden Teile spielt. Ich möchte dies im
Hinblick auf die obigen Ausführungen, die Erscheinungen der Auto-
tomie betreffend, ausdrücklich bemerken. Auf Fig. 6 hat sich nun
die epitheliale Anordnung der neuen Hypodermiszellen noch vervoll-
kommnet, so daß jetzt alle Kerne mit der Längsachse in einer
Richtung stehen. Inzwischen beginnen die durch den Schnitt ge-
troflFenen Muskeln und Nerven zu zerfallen, und ziehen sich von dem
Wundrande zurück, so daß also eine Degeneration an der Schnitt-
fläche Hand in Hand geht mit der beginnenden und fortschreitenden
Regeneration. Nur einige Muskel- und Drtisenüberreste kann man
noch in der Nähe der Wundfläche bemerken. Die Muskelstümpfe
haben sich nach der Operation zusammengezogen und liegen in der
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Zur Kenntnis der Regeneration der Extremitäten bei den Arthropoden. 309
Nähe der Hypodermis des alten Gewebes; in Fig. im sieht man einen
solchen Mnskelstumpf der Hypodermis anliegen. Diese alten Gewebs-
reste werden allmählich resorbiert und schwinden mit der Zeit. Durch
den Zerfall der Gewebe bildet sich unter der Chitindecke ein freier
Kaum aus, in dem nur einzelne Blutkörperchen zu sehen sind. Am
Rande schreitet die Bildung der neuen Hypodermis immer mehr voran,
so daß bald schon die Spitze des ersten Gliedes zu erkennen ist, wie
Fig. 7 zeigt. Fig. 8 zeigt dann schon die Einschnürung des zweiten
Gliedes, das auf Fig. 9 und Fig. 10 deutlich ausgebildet ist. Man
sieht also jetzt schon einen Teil der neuen Antenne in der alten
Ghitinhaut liegen, die sie wie eine Scheide umgibt (Fig. 11 und
Fig. 12).
Auf diesem Stadium, das 11 Tage alt ist, treten überall in den
Hypodermiszellen Mitosen auf. Das Pigment hat sich, wie die drei
letzten Figuren bei p zeigen, stark zurückgezogen, bzw. ist hier
noch nicht neu gebildet worden. Fig. 10 zeigt ungefähr dieselben
Verhältnisse wie die vorhergehende, nur ist auf ihr das Gelenk
zwischen dem ersten und zweiten Glied wesentlich besser entwickelt.
Auf den beiden, folgenden Figuren sieht man dann die neugebildeten
Glieder in etwas gekrümmtem Zustande unter der alten Chitinhtille
liegen, was offenbar auf das fortschreitende Wachstum der sich all-
mählich mehr sondernden und weiter ausbildenden Glieder zurück-
zufahren ist. Im Verlaufe von ungefähr 15 Tagen erscheint dann
die Antenne nach stattgefundener Häutung so, wie sie auf Fig 13
abgebildet ist. Auf die sich in ihr vollziehende weitere Ausbildung
der Organe soll nunmehr eingegangen werden.
Muskelregeneration.
Obwohl die Muskelregeneration erst fast zuletzt beginnt, möchte
ich sie dennoch vorausschicken, da die Regeneration des Nerven,
des Tasthaares und der Borsten im innigen Zusammenhange steht
und dieselben besser zusammen behandelt werden.
Wie schon erwähnt, beginnt die Regeneration der Muskeln ver-
hältnismäßig spät und zwar auf dem Stadium der Fig. 10, auf
welchem das Gelenk zwischen dem ersten und zweiten Glied schon
deutlich ausgebildet ist. Dieses Stadium ist ungefähr 10 Tage alt.
Soweit ich mich aus der Literatur selbst überzeugen konnte, scheint
über Muskelregeneration bei Arthropoden noch sehr wenig bekannt
zu sein, so daß man mehr oder weniger auf die Arbeiten angewiesen
ist, die über die Regeneration der Wirbeltiermuskulatur vorliegen.
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310 J. Ost
Immerhin zeigt aber die Muskulatur von Oniseus durch ihren ganzen
Bau, besonders aber durch ihre Querstreifung, große Ähnlichkeit mit
den Wirbeltiermuskeln. Barfürth schreibt über die Regeneration
der quergestreiften Muskelfasern im neugebildeten Amphibienschwanz:
»Die Untersuchung dieser Regeneration ist so schwierig, und die da-
bei auftretenden Vorgänge sind so bunt, daß eine einheitliche Dar-
stellung derselben zur Zeit noch kaum möglich ist. Wir wissen
so viel, daß vor und neben der Regeneration eine mannigfaltige De-
generation der verletzten Muskelfasern eintritt, und endlich sind
alle neueren Forscher darüber einig, daß die Regeneration der
quergestreiften Muskelfasern weder von den Blutkörperchen, noch
vom Bindegewebe, sondern vom persistierenden Muskelgewebe aus-
geht.«
Es existieren zwei Theorien. Nach der einen (C. 0. Weber,
C. E. E. Hoffmann und 0. Kuaske) lösen sich die alten Muskel-
fasern gewissermaßen erst in ihre Elemente, die Muskelkörperchen
oder Sarcoblasten auf. Diese vermehren sich und entwickeln sich
zu jungen Muskelfasern (Sarcoblastentheorie). Nach der andern (Nau-
mann und Nauwerk), wachsen aus den angeschnittenen Muskelfasern
Knospen oder Sprossen heraus, die proliferierende Kerne enthalten
und junge Muskelfasern bilden (Knospentheorie].
Meine Beobachtungen bei der Muskelregeneration waren nun
folgende: Ich konnte bemerken, daß, nachdem der Schnitt geführt
war, der durchschnittene Muskelstrang sich zurückzog und an der
Hypodermis liegen blieb, wie Fig. 4 bei m es zeigt. Bald jedoch
traten degenerative Erscheinungen in den geschädigten Muskelfasern
auf, und es kam zur Auffaserung der Muskelzüge und zu ihrem
scholligen Zerfall.
Meine Auffassung über die Regeneration neigte anfangs auch
dahin, daß das neue Muskelgewebe aus dem alten zurückgebliebenen
Stumpf sich bilden würde, ich mußte aber im Laufe der Unter-
suchungen konstatieren, daß der alte Stumpf vollständig degenerierte
und verschwand, so daß von einer Regeneration dieser Art keine
Rede sein. konnte. Man kann sich auf meinen lückenlosen Schnitt-
serien dieser Stadien mit Sicherheit davon überzeugen, und die hier
gegebenen Figuren bestätigen es, daß auch nicht der geringste Rest
eines alten Muskelstumpfes oder auch nur einzelne Elemente eines
Muskels, wie Fasern oder Muskelkörperchen, zu sehen sind. Eine
Regeneration aus dem alten Stumpfe oder aus persistierenden Muskel-
elementen muß ich nach meinen Beobachtungen als unmöglich bezeich-
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Zar Kenntnis der Regeneration der Extremitäten bei den Arthropoden. 311
nen. Nach meinen anfs genaueste geprüften Befanden erfolgt die
Nenbildong des Muskels vielmehr auf ganz andre Weise und nimmt
an einer ganz andern Stelle ihren Anfang.
Ungefähr anf einem Stadinm wie es Fig. 10 zeigt, sieht man
am Gelenk des ersten und zweiten Gliedes bei g eine Anhänfnng
von Hypodermiszellen austreten, die nach und nach sich vermehren
und in die Tiefe wuchern. Zwischen ihnen ist ein schmaler Spalt
erkennbar, in dem später die Sehne auftritt. Immer tiefer senkt sich
der Zellenhaufen, während man gleichzeitig bemerkt, daß ein Teil der
länglichen dunkel tingierten Hypodermiskerne eine rundliche Gestalt
und eine viel hellere Färbung annehmen, so daß sie einem späteren
Muskelkem durchaus ähnlich sehen (Fig. 14 uk). Ich kann nur an-
nehmen, daß es sich hierbei augenscheinlich um die Umwandlung in
Muskelkeme handelt. Dieses Übergangsstadium ist auf Fig. 14 gut
ersichtlich. Man kann hier die langen dunklen Hypodermiskerne [hk)
von den sich zu Mukelkernen differenzierenden Kernen [iik) wohl unter-
scheiden. Fig. 15 führt uns ebenfalls diese Umwandlung der Kerne
vor Augen.
Auf Fig. l&pt lassen sich an dem protoplasmatischen Teile
des Zellenstranges bereits feine Fasern erkennen, die auf den beiden
folgenden Figuren klar zutage treten. Diese histologische Differen-
zierung, die im Ausscheiden feiner Fibrillen in der Längsrichtung der
Zelle besteht, und die auch von Meisenheimeb bei der Entwicklung
der Muskeln bei den Pantopoden beobachtet wurde, ist nichts andres
als die Bildung der contractilen Muskelfasern. Auf Fig. 16 ist noch
die Anlage der Sehne bemerkenswert, die von den Hypodermiszellen
allmählich bei s ausgeschieden wird. Während nun der Strang weiter
in die Tiefe wächst, nehmen die Muskelkerne an Zahl immer mehr
zu, die Faserung des Stranges wird deutlicher, bis dann wie auf
Fig. 19 ein typischer Muskelstrang m zu erkennen ist. Fig. 19 stellt
einen Flachschnitt dar, daher das Auftreten der vielen Hypodermis-
kerne am oberen Ende des Muskels. Fig. 20 zeigt dann den fertigen
Muskel mit der chitinösen Sehne bei s.
Es handelt sich also hier um eine Regeneration des Muskels
weder aus dem alten Stumpf, noch aus den aufgelösten persistierenden
Muskelelementen, sondern um seine Neubildung aus dem Ectoderm.
Da aber nach der hier gegebenen Darstellung von der Muskelregene-
ration zwischen ihr und der doch wohl vom Mesoderm aus erfolgenden
Embryonalentwicklung der Muskeln ein recht beträchtlicher Unter-
schied besteht, so möchte man leicht in Zweifel geraten, ob die von
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312 \ J. Ost
mir beobachteten Verhältnisse das Richtige trafen. Hierzu kann ich
nnr sagen, wie auch schon oben bemerkt wnrde, daß ich alle Auf-
merksamkeit auf diesen Punkt verwendete, da mir meine Ergeb-
nisse über die Muskelregeneration aus theoretischen Gründen selbst
wenig wahrscheinlich vorkamen. Ich konnte aber trotz allen Nach-
prüfens zu keinem andern Ergebnisse gelangen und bin der festen
Überzeugung, daß meine Resultate bei späteren Versuchen ähnlicher
Art sich zweifellos bestätigen werden.
Angenommen, daß, wie ich glaube, hierin ein Abweichen von
der ontogenetischen Entwicklung der Muskulatur besteht (als ganz
zweifellos könnte dies erst durch das genaue Studium der Embryo-
nalentwicklung desselben Objekts erhärtet werden), so wäre selbst
dieses Verhalten nichts absolut Ungewöhnliches, denn es sind ja
noch andre Beispiele vom Abweichen der regenerativen und embryo-
nalen Entwicklungsvorgänge bekannt geworden, ich erinnere speziell
an die bekannten Beispiele der abweichenden Bildung des Pharynx
der Anneliden und Turbellarien bei der Regeneration und in der
Ontogenie. Im vorliegenden Falle würde es freilich verfrüht er-
scheinen, derartige Betrachtungen theoretischer Natur schon jetzt an
diese Beobachtungen anknüpfen zu wollen, zumal es ja am Ende
nicht unmöglich wäre, daß die embryonalen Muskeln von den ecto-
dermalen Sehneneinstülpungen aussproßten und dann Regeneration
und Embryonalentwicklung sogar übereinstimmten.
Eine, wie mir scheint, sehr bemerkenswerte Stütze finden diese
Beobachtungen durch eine Untersuchung, die mir erst nach Abschluß
meiner eignen Arbeit bekannt wurde. M. A. Reed hat. bei ihren
Regenerationsversuchen am Flußkrebs gefunden, daß bei dem Ersatz
des ersten Beines die Muskulatur ebenfalls aus dem Ectoderm
gebildet wird. Die Abbildungen dieser Arbeit zeigen bei der Muskel-
regeneration fast genau dieselben Verhältnisse, wie auch ich sie be-
obachten konnte, indem auch hier die Regeneration in einer An-
sammlung von Hypodermiszellen, die in die Tiefe wuchern, ihren
Anfang nahm. Selbst die Ausscheidung der Sehne in dem Spalt
zwischen den Hypodermiszellen ist auf dieselbe Art und Weise be-
schrieben, wie ich es gefunden hatte. Die Darstellung über Wund-
heilung und Wundverschluß, zeigen auch mit Ausnahme einiger ge-
ringfügiger Unterschiede große Ähnlichkeit mit meinen Befunden.
Die Nervenregeneration dagegen, die bei meinen Untersuchungen aus
dem alten Stumpfe erfolgt, ist in jener Arbeit anders geschildert,
indem sie dort ebenfalls aus dem Ectoderm entsteht.
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Zar Kenntnis der Regeneration der Extremitäten bei den Arthropoden. 313
Nervenregeneration.
Weit einfacher als die Muskelregeneration gestaltet sich die Re-
generation des Nerven. Die Regeneration des peripheren Nerven-
systems erfolgt im Anschluß an die durch die Operation erzeugten
centralen Stümpfe, es werden also angeschnittene Nervenstränge vom
centralen Rest regeneriert. Neumann sagt darüber: »Niemand zweifelt
wohl zur Zeit daran, daß ein sehr wichtiger Faktor bei der Wiederher-
stellung der Leitung in einem Nerven, dessen Kontinuität unterbrochen
ist, in dem Hervorwachsen junger Fasern aus seinem centralen Stumpfe
besteht und es kann nur noch Streit darüber bestehen, in welchem
Umfange dieser Vorgang stattfindet. Während nämlich nach der einen
Ansicht von Waller, Ran vier und andern Forschern die jungen
Fasern in den peripheren degenerierten Teil hinein bis zu seinem
letzten Ende wachsen, so beschränkt sich nach andrer Auffassung die
centrale Neubildung lediglich darauf, daß die im Nerven bestehende
Lücke dadurch überbrückt wird, worauf alsdann in dem degenerierten
peripheren Abschnitt des Nerven die Bildung neuer Fasern autochthon
aus dem durch den Degenerationsprozeß geschaifenen protoplasma-
tischen Material erfolgt.
Ich konnte bei meinen Untersuchungen beobachten, daß die Rege-
neration des Nerven sehr früh ihren Anfang nahm und zwar auf einem
Stadium, das ungefähr fllnf Tage alt war. Nach Anlage des Schnittes
trat eine Degeneration des angeschnittenen Nerven am getroffenen
finde ein, so daß ein Stück desselben zerfiel. Bald jedoch konnte
man aus dem alten proximalen Stumpfe wie ihn Fig. 21 bei. n zeigt,
die Anfänge junger Fasern hervorwachsen sehen (Fig. 22 nf). Das
Wachstum der jungen Fasern geht sehr rasch vor sich, so daß sie
bald in zwei Strängen die Spitze der Antennen und zwar den Sinnes-
zellenkomplex sxgr^ der unter dem Tasthaar t liegt, erreicht haben,
wie auf den Figuren 23—25 zu verfolgen ist. An dem Sinneszellen-
komplex s^grr fasern sich die beiden Stränge auf und geben feine Fibrillen
an die einzelnen Sinneszellen ab. Was nun die Nervenzellenkerne an-
belangt, die, wie Fig. 23 nA; zeigt, in großer Anzahl vorhanden sind, so
werden dieselben bei der Regeneration durch Nachschieben vom proxi-
malen Ende her ersetzt, d. h. es findet ein Verschieben der Zellen von
dort aus statt. Mitosen oder sonstige Teilungsvorgänge konnte ich an
diesen Kernen freilich nie beobachten. Die Regeneration des Antennen-
nerven von Oniscus geht also nach meinen Beobachtungen durch di-
rektes Auswachsen junger Nervenfasern aus dem alten Stumpf vor sich.
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314
J. Ost
Die Regeneration der Drüsen.
Über die Drüsen ist, wie schon bei der Anatomie der Antenne
erwähnt, recht wenig bekannt, so daß meines Wissens auch über ihre
Regeneration keine Angaben vorliegen. Diese verlänft bei der An-
tennenregeneration von Oniscus fblgendermaßen.
Auf einem noch jungen Stadium, das
ungefähr 10 Tage alt ist, bemerkt man,
wie einzelne Zellen aus der Hypodermis
nach innen vortreten, woraus dann schließ-
lich eine Ectodermwucherung entsteht
(Fig. 40 ektw). Die Stelle, an welcher die
Wucherung vor sich geht, ist keine fest
bestimmte, sondern diese kann an der Wan-
dung sowohl des ersten, wie auch des zwei-
ten Gliedes an verschiedenen Punkten auf-
treten, welches Verhalten wegen der Be-
ziehungen zum Ausführungsgang von Be-
deutung ist. Auf Fig. 41 sieht man diese
Wucherung in einem etwas weiter vorge-
schrittenen Stadium. Sehr erheblich ist
die seither eingetretene Andernng nicht.
In einem weiteren Stadium der Drüsenre-
generation, Fig. 44 dm, zeigen sich einige
Zellen, die nicht mehr im Zusammenhang
mit der Wucherung und dem Ectoderm
steheb. Ein solcher Zusammenhang ist
auch auf den folgenden Schnitten der be-
treflFenden Serie nicht mehr festzustellen.
Offenbar vollzieht sich der Vorgang so, daß
nach geschehener Einwucherung eine Ab-
trennung einzelner Zellenkomplexe erfolgt.
Einen solchen, schon weiter differenzierten erblickt man in Fig. 43 dra.
Späterhin legen sich die isolierten Zellenkomplexe zu Drüsenanlagen
zusammen. Zu der ersten Drüsenanlage treten anch jetzt noch Zellen
durch Wucherungen aus dem Ectoderm hinzu (Fig. .41). Inderseiben
Figur erkennt man in der Mitte der Drüsenanlage eine Zelle, die sich
ihrer Größe und Struktur nach bereits deutlich als Drüsenzelle zn er-
kennen gibt. Bei ektiv ist noch die Ectodermwucherung sichtbar, die aber
mit der Drüsenanlage selbst nicht mehr im Zusammenhange steht.
Antennenspitze mit DrüäenfoUikelD,
dr Drüsenanlage.
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Zur Kenntnis der Regeneration der Extremitäten bei den Arthropoden. 315
Man würde vielleicht vermuten, und ich war jedenfalls dieser
Anschauung, daß die Drttsenbildung von der Wucherungsstelle aus in
der Weise erfolgt, daß sie nach innen hinem in die Höhluug der An-
tenne sich erstreckt, und die Verbindung mit der Hypodermis erhalten
bleibt, und an dieser Stelle später der Ausfllhrungsgang ausmündet.
Fig. VII.
Zweites Glied mit Drüsenanlagen
(dr).
Zweites Glied mit verschmolzenen
Dr&senanUgen {dr).
Den Ausfbhrungsgang selbst konnte ich, wegen seiner schon erwähnten
außerordentlich feinen Beschaffenheit, leider nicht genau verfolgen,
konnte jedoch so viel feststellen, daß er nicht direkt vom Ectoderm
aus dadurch gebildet wird, daß die Verbindung der Drüsenanlage mit
dem Ectoderm bestehen bleibt und dieselbe sich später zum Ausführungs-
gang entwickelt, sondern aus meinen Untersuchungen ergibt sich
eher, daß kleinere, ihren Ursprung ebenfalls aus dem Ectoderm
nehmende Zellen, Textfig. VIII klx, sich um die Drüsenanlage sammeln,
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316
J. Ost
Fig. VIII.
und von diesen aas wahrscheinlich die Bildung des Ansführnngs-
ganges erfolgt. Ein weiteres Fortschreiten der Drtisenentwicklnng
ergibt sich aus dem Stadium der Figur 44, welches zwei kleine
Follil^el der DrUsenanlage zeigt, die in ihrer Struktur von derjenigen
der Hypodermiszellen noch wenig unterschieden sind, während auf
Fig. 45 dra die Differenzierung der Ectodermzellen zu drUsenähnlichen
Zellen bereits weiter fortgeschritten ist. Die Drtisenanlage wird durch
neuen Zellenzuwachs und Zellenvergrößerung immer umfangreicher,
wie Fig. 46 dra zeigt, und nun beginnt eine
regelmäßige radiale Anordnung der Zellen,
wie sie Fig. 47 dra zeigt. Dieses Stadium
ist auch noch insofern interessant, als es
drei Entwicklungsstufen zeigt, von denen
das eine noch recht weit zurück ist. Die
radial um das Lumen liegenden Drttsen-
zellen strecken sich, wie Fig. 48 und 49
zeigen, in die Länge, auch vergrößern sich
die einzelnen Komplexe, wie sie in Text-
figur VI zu sehen sind, bis sie schließlich
aneinanderstoßen und nach und nach voll-
ständig miteinander verschmelzen. Auf der
Textfig. VII kann man beobachten, wie
zwei DrUsenfollikel sich eben aneinander
gelegt haben, während am andern Ende
das dritte mit dem zweiten schon enger
vereinigt ist. Textfig. II zeigt dann die
fertige Drüse mit dem AusfUhrungsgang von
einer unverletzten normalen Antenne. Die
Hauptmasse der Drüsen liegt, wie schon
erwähnt, im zweiten Glied der Antenne,
jedoch finden sich auch im ersten Glied einige Follikel, wie wir sie
auf Textfig. V bemerken.
Als besonders bemerkenswert soll nochmals hervorgehoben
werden, daß bei der Regeneration der ganze Drüsenapparat
aus dem Ectoderm hervorgeht, welche Entstehung er vermut-
lich auch in der Embryonalentwicklung haben dürfte.
Wie über die Drüsen selbst, so ist auch über ihre Entwicklung
wenig bekannt, und über diejenigen der Antenne von Oniscus^ soviel
mir bekannt wurde, überhaupt nichts. Zum Vergleich möchte ich
hier eine Abteilung des Tierreichs heranziehen, die zwar recht weit
i/r
kfz
Zweites Glied mit Drüsenanlagen
(dr) und kleinen, den Drüsengang
bildenden Zellen (Hr/z).
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Zur Kenntnis der Regeneration der Extremitäten bei den Arthropoden. 317
entfernt steht, die aber hinsichtlich der Drttsenentwicklnng in den
Extremitäten eine entschiedene Ähnlichkeit erkennen läßt. Es sind
die Pantopoden, deren Entwicklung unlängst von Meisenheimeb be-
handelt wurde.
Meisenheimer beschreibt die Extremitätendrttsen der Pantopoden,
die in allen drei Extremitätenpaaren zu beobachten sind. Bei der
Entwicklung derselben treten auf einem noch sehr jungen Stadium
einige kleine Zellen ans dem Ectoderm an einer bestimmten Stelle
aus, die rasch an Größe zunehmen, einen Hof von dunkel gefärbten
dotterfreiem Protoplasma um sich sammeln, aber ihren Zusammen-
hang mit dem Ectoderm noch bewahren. Endlich lösen sie sich
völlig los, aber kleinere Zellen drängen noch nach, worauf dann
die Drttsenzellen mächtig anschwellen, die kleineren Zellen sich
epithelial um dieselben anordnen, am vorderen Ende sich in die
Länge strecken und zu dem Ausftthr^ngsgange ausziehen. Alle
Teile der Drüsen sind mithin auf diesem Stadium bereits angelegt;
sie leiten sich alle von der gleichen Ectodermwucherung ab. Eine
große Ähnlichkeit der Embryonalentwicklung dieser Drüsen mit der
Drttsenentwicklung bei der Antennenregeneration von Oniscus ist
nicht zu verkennen, und es dürfte als wahrscheinlich angesehen
werden, daß auch die embryonale Drüsenentwicklung dieser Form
ähnlich verläuft.
Die Regeneration des Tasthaares.
Fast gleichzeitig mit der Nervenregeneration beginnt auch die *
Anlage des neuen Tasthaares an der Spitze der neugebildeten Antenne.
Es ist nun, wie ich schon bei der Anatomie der Antenne erwähnte,
eine große Streitfrage, ob der unter dem Tasthaar liegende Zellen-
komplex ein Ganglion ist und aus Nervenzellen besteht, oder ob
er eine Sinneszellengruppe ist, die aus der Hypodermis stammt.
Nach Claus ist es ein Ganglion und das Tasthaar selbst wird von
Nervenfasern, die vorher das Ganglion durchsetzt haben, gebildet.
Dem gegenüber steht die Ansicht von 0. v. Rath, der behauptet,
daß es eine Sinneszellengruppe sei, die aus der Hypodermis
stamme, und an die der Nerv nur herantrete, während das Tasthaar
von den protoplasmatischen Fortsätzen der Sinneszellen gebildet
werde. Im Laufe meiner Untersuchungen konnte ich auch zur
Lösung dieser Frage etwas beitragen, wie ich weiter unten mitteilen
werde.
Ungefähr auf einem Stadium, das fünf Tage alt ist, bemerkt
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318 J. Ost
man, wie an der Spitze der Antenne durch Einsenknng der Hypo-
dermis eine Grabe entsteht (Fig. 26 gr nnd Fig. 27 gr), die sich nach
und nach vertieft nnd zu einer Art Tasche aussackt. Auf Fig. 28
lassen sich die aus der Hypodermis stammenden Kerne in der
taschenartigen Einsenknng erkennen [hk), während im Protoplasma
eine Differenzierung entsteht, die ausgezeichnet ist durch eine heller
gefärbte Spalte gr^ umgeben von einem dunkleren Rande t, an dem
die Kerne liegen. Diese Spalte gr wird später von Fasern des Tast-
haares ausgefällt. Fig. 29 zeigt uns dann die erste Anlage des Tast-
haares in Gestalt zarter Fasern bei f. Diese Figur ist besonders wichtig,
da man auf ihr die feinen Fasern des Tasthaares schon erkennen
kann, bevor überhaupt der in der Regeneration begriffene Nerv den
Zellenkomplex erreicht hat. Die Fig. 31 und 32 zeigen dann die
weitere Ausbildung der Zellengruppe durch starke Zellvermehrung,
während die Fasern des Tasthaares auf diesen Figuren schon sehr
deutlich hervortreten, bis dasselbe dann auf Fig. 33 fast vollständig
ausgebildet ist. Auf derselben Figur sieht man auch den Nerven an
die Zellengruppe herantreten.
Es handelt sich nun um die Frage: Ist der Zellenkomplex aus
Nervenzellen zusammengesetzt und demnach ein Ganglion und geht
durch dasselbe der Nerv hindurch, um dann das Tasthaar zu bilden,
oder ist es eine Gruppe von Sinneszellen, die aus der Hypodermis
stammen und mit ihren protoplasmatischen Fortsätzen das Tasthaar
bilden. Wie die Regeneration gezeigt hat, stammen die Zellen ganz
sicher aus der Hypodermis und schon aus diesem Grunde sind sie
für Sinneszellen zu erklären; eine Tatsache aber, die noch mehr
hierfür spricht, und die vor allen Dingen beweist, daß wenigstens
bei der Regeneration das Tasthaar nicht von Nervenfasern, sondern
von den protoplasmatischen Fortsätzen der Sinneszellen gebildet wird,
ist die, daß die erste Anlage der Faserung auftritt, bevor der Nerv
schon bis zur Spitze reicht, wie die Schnittserie beweist, welcher die
Figur entnommen ist. Ein Ausfüllen des Tasthaarlumens mit Nerven-
fibrillen, wie es Claus beschreibt, ist deshalb ausgeschlossen, viel-
mehr muß ich mich für die, übrigens jetzt wohl allgemein an-
genommene Auffassung 0. v. Raths aussprechen, nach welcher der
Zellenkomplex eine Gruppe von Sinneszellen ist, die aus der Hypo-
dermis stammen und die ihre protoplasmatischen Fortsätze zur Bildung
des Tasthaares vereinigen.
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Zur Kenntnis der Regeneration der Extremitäten bei den Arthropoden. 319
Haar- und Chitinregeneration.
Eb bliebe jetzt noch übrig, die Neabildung der Haare nnd des
Chitins zu schildern. Da beide Vorgänge fast gleichzeitig vor sich
gehen, werde ich dieselben zusammen behandeln.
Auf einem Stadium, das ungefähr zwölf Tage alt ist, bemerkt
man, wie die äußere Epithel schiebt eine Auszackung erfährt. Die-
selbe hängt, wie wir später sehen werden, mit der Haarentwick-
lung zusammen. Auf demselben Stadium beginnt auch die Ab-
scheidung des Chitins, und zwar wird dasselbe schichtenweise von der
Hjpodermis ausgeschieden. Auf Fig. 34 sieht man die erste Chitin-
schicht in Gestalt eines dünnen zarten Häutchens. Dieses Häutchen
tritt auf dem Präparat durch seine stärker lichtbrechende Eigenschaft
deutlich hervor. Fast zu derselben Zeit bemerkt man die erste Haar-
anlage. Auf Fig. 35 sieht man, wie die Epithelzellen Fortsätze xf
aussenden, die, wie Fig. 36 zeigt, rasch länger werden, bis sie, wie
auf den Fig. 37 und 38, einem Haare schon sehr ähnlich sind. Sämt-
liche Fortsätze sind mit einer feinen Chitinhaut bedeckt (Fig. 38 c/^}.
Durch das Hervorwachsen der Haare wird nun die erste Chitin-
schicht ch hochgehoben und mehr und mehr von den Matrixzellen
des Epithels entfernt, bis dieselbe bei Vollendung der Haare voll-
ständig an die alte Chitinhülle, die das Ganze noch umgibt, heran-
gedrängt ist. Mit dieser alten Hülle zusammen wird sie dann später
bei der Häutung abgeworfen. Die Epithelzellen scheiden unterdessen
ununterbrochen in feinen Schichten neues Chitin aus, so daß, wie
man auf den Fig. 34 — 39 verfolgen kann, auf dem Epithel eine
kräftige Chitindecke gelagert ist. Fig. 38 zeigt noch die hoch-
gehobene erste Chitinschicht ch. Auf einem 15 Tage alten Stadium
(Fig. 39) erscheint dann das neue Haar vollständig normal entwickelt.
Das Chitin ist also bei der Regeneration sowohl als auch bei
der embryonalen Entwicklung ein Ausscheidungsprodukt der Hypo-
dermis.
Die Regeneration der Haare erfolgt durch Aussenden protoplas-
matischer Fortsätze der Epithelzellen. Es findet hier ein ganz ähn-
licher Vorgang statt, wie ihn Korschelt bei der Bildung der Mikro-
pylen beobachtet hat. In seiner Arbeit über die »Bildung der EihüUen
der Mikropylen und Chorionanhänge bei den Insekten« stellte nämlich
Korschelt fest, daß die Mikropylkanäle und Erhebungen der EihüUe
ebenfalls durch lange Fortsätze der Epithelzellen entstehen. Text
und bildliche Darstellung in jener Arbeit zeigen in dieser Hinsicht
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320 J. Ost
große Ähnlichkeit mit den von mir beobachteten Bildern. Desgleichen
gilt dies für die seinerzeit von Semper und Leydig gemachten Be-
obachtungen über die Bildung der Haare der Insekten, bei welchen
ebenfalls Zellfortsätze durch Umkleidung mit Chitin die Chitin-
erhebungen bilden und diese Zellfortsätze dann die Kanäle ausfüllen.
Zusammenfassung.
Die normale Antenne besitzt einen gut entwickelten Muskel-
und Nervenapparat und ist mit ziemlich umfangreichen Drüsen aus-
gestattet.
Zur vollständigen Regeneration der im Basalgliede abgeschnittenen
Antenne sind ungefähr drei Wochen nötig.
Schneidet man an einer Antenne über die Hälfte des zweiten
Gliedes ab, so findet Autotomie statt, und die Regeneration erfolgt
vom Gelenk aus. Die Fähigkeit zur Autotomie sowie die auf
eine bestimmte Stelle beschränkte Regenerationskraft sind nicht als
primäre Eigenschaften, sondern als sekundäre Einrichtungen, An-
passungen, aufzufassen.
Die Regeneration der neuen Glieder geht unter der alten Chitin-
hülle vor sieh, und erst nachdem die alte Hülle bei der Häutung
abgestoßen ist, treten die neuen Glieder zutage.
Bei der Wundheilung tritt erst ein provisorischer Wundverschluß
ein, der später durch eine chitinisierte Bedeckung der Schnittfläche
ersetzt wird.
Der provisorische Wundpfropf wird gebildet von dem Blut-
gerinnsel und den Resten der Hypodermis-, Muskel-, Nerven- und
Drüsenzellen.
Der definitive Verschluß der Wunde erfolgt in der Weise, daß
die Hypodermis von beiden Seiten über die Wundfläche wächst und
sie vollständig bedeckt.
Nach Bildung des Epithels wird eine neue Cuticula ausgeschieden,
die mit der alten Chitinhülle zusammen eine Schutzhülle bildet, inner-
halb derer sich die neuen Glieder entwickeln.
Die Muskelregeneration geht nicht von den alten Stümpfen aus,
sondern nimmt vom Ectoderm aus ihren Anfang.
Die Nervenregeneration erfolgt in der Weise, daß aus dem alten
proximalen Stumpf die jungen Nervenfasern herauswachsen.
Die Drüsenregeneration geht vom Ectoderm aus und vollzieht
sich durch eine Ein Wucherung von Zellen, die sich später gruppen-
weise zu den DrtisenfoUikeln anordnen.
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Zar Kenntnis der Regeneration der Extremitäten bei den Arthropoden. 321
Die Regeneration des Tasthaares erfolgt von der Hypodermis
ans. Die Bildung des Zellenkomplexes unter dem Haar entsteht
durch Einstülpung der Hypodermiszellen. Es beweist dies, daß der
Zellkomplex nicht ein Ganglion darstellt und das Tasthaar nicht aus
Netyenfibrillen besteht, sondern daß es sich hier um eine Sinneszellen-
gruppe handelt, durch deren protoplasmatische Fortsätze das Tasthaar
gebüdot wird.
Die Regeneration des Chitins und der kleineren Haare erfolgt
fast gleichzeitig. Das Chitin wird schichtenweise von der Hypo-
dermis ausgeschieden, während die Haare durch Fortsätze der Epithel-
zellen entstehen. CuticularhUllen spielen auch hier eine Rolle.
An dieser Stelle möchte ich meinem hochverehrten Lehrer Herrn
Prof. Dr. KoRSCHELT für die freundliche Unterstützung und das stets
rege Interesse, welches er meiner Arbeit entgegengebracht hat, meinen
verbindlichsten Dank aussprechen.
Auch Herrn Dr. Meisenheimer und Herrn Dr. Tönniges danke
ich vielmals für die guten Ratschläge, die sie mir während der An-
fertigung meiner Arbeit haben zuteil werden lassen.
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Erklärung der Abbildungen.
Buohstabenerklarung.
ach
altes Chitin,
b
Borste,
ch
Chitin,
dr.a
Drüsenanlage,
dx
Drüsenzelle,
e
Epithel,
ektto
Ectodermwucherung,
f
Muskelfaser und Faser des Tast-
haares.
9
Gelenk,
9Pf
Gerinnungspfropf,
gr
Grube,
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Zur Kenntnis der Begeneration der Extremitäten bei den Arthropoden. 323
h
HypodermiB,
pk
Pigmentkem,
h.k
HypodermlBkern,
p,t
protoplasmatischer Teil,
U.X
kleine Zellen,
8
Sehne,
m
Mnskel,
sxgr
Sinneszellengrnppe,
m.k
Hnskelkem,
t
Tasche,
n
Nerv,
tu
Tasthaar,
n.ch
neues Chitin,
u.k
umgewandelter Kern der Muskel
n.t
Nervenfaser,
zelle.
nxk
Nervenzellkern,
^f
Zellfortsatz.
P
Pigment,
Tafel X.
Fig. 1 zeigt einen Längsschnitt durch ein 2 Stunden altes Stadium. Der erste
provisorische Wundverschluß ist eben durch Blutgerinnsel und Zellreste
gebildet. Vergr. 1 : 86.
Fig. 2. Der provisorische Wundverschluß ist durch Reste von Hypodermis,
Muskel, Nerven und Drüsenzellen noch verstärkt. Vergr. 1 : 85.
Fig. 3. Die Regeneration beginnt durch Hinüberwachsen neuer Hypodermis-
zellen über die Schnittfläche. Vergr. 1 : 85.
Fig. 4 zeigt die erste Anordnung der Hypodermiszellen zum neuen Epithel.
Vergr. 1 : 85.
Fig. 5. Stellt die Bildung der neuen Cuticula dar. Vergr. 1 : 86.
Fig. 6 u. 7 zeigen die Anlage der Spitze des neugebildeten Gliedes. Vergr. 1 : 86.
Fig. 8. Eine leichte Einschnürung deutet auf die Bildung des späteren Gelenkes
zwischen erstem und zweitem Gliede hin. Vergr. 1 : 85.
Fig. 9 u. 10 lassen die Anlage des Gelenkes deutlich erkennen. Vergr. 1 : 86.
Fig. 11 u. 12 zeigen die neugebildeten Glieder in gekrümmtem Zustande in der
alten Chitinhülle liegend. Vergr. 1 : 86.
Fig. 13 zeigt die vollendete Antenne, wie sie nach der Häutung zutage tritt.
Vergr. 1 : 85.
Tafel XI.
Fig. 14. Die Ectodermwucherungen lassen nach innen die Umwandlung zu
Muskelzellen erkennen. Vergr. 1 : 160.
Fig. 16 u. 17 lassen das Auftreten einer feinen Faserung auf dem protoplasma-
tischen Teile der Ectodermwucherung erkennen. Vergr. 1 : 160.
Fig. 18 u. 19 zeigen die fortschreitende Ausbildung zum normalen Muskelstrang.
Vergr. 1 : 160.
Fig. 20 stellt den fertigen Muskel dar. Vergr. 1 : 160.
Fig. 21—23 zeigen das Hervorwachsen junger Nervenfasern aus dem alten
Stumpf. Vergr. 1 : 85.
Fig. 24 u. 25. Der neugebildete Nerv ist an die unter dem Tasthaar liegende
Sinnenzellengruppe herangetreten. Vergr. 1 : 85.
Fig. 26 u. 27 zeigt eine Einsenkung der Hypodermis, die zur Sinneszellengruppe
sich entwickelt. Vergr. 1 : 160.
Fig. 28. Die Einsenkung hat sich vertieft und in der Mitte ist ein Spalt frei-
geblieben. Vergr. 1 : 160.
Fig. 29. In dem vorher erwähnten Spalt zeigt sich die erste feingefaserte An-
lage des Tasthaares. Vergr. 1 : 160.
Fig. 30. An der inneren Seite der Hypodermis liegt die Pigmentschicht mit
ihren Kernen. Vergr. 1 : 85.
21*
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324 J- Ost, Zur Kenntnis der Regeneration der Extremitäten nsw.
Tafel XII.
Fig. 31 u. 32 zeigen die Weiterentwicklung des Taatbaaree. Vergr. 1 : 160.
Fig. 33. Das Tasthaar ist vollständig entwickelt. Vergr. 1 : 86.
Fig. 34 zeigt die erste Anlage des neuen Chitins in Gestalt eines zarten Häut-
chena. Vergr. 1 : 160.
Fig. 35 u. 36 stellen Fortsätze der Hypodermiszellen dar^ die sich später zu
Haaren umwandeln. Vergr 1 : 160.
Fig. 37 u. 38 zeigen die den Haaren schon ähnlichen Fortsätze der Hypodermis-
zellen. Vergr. 1 : 160.
Fig. 39 stellt das fertige Haar dar. Vergr. 1 : 160.
Fig. 40 u. 41 zeigen aus dem Ectoderm austretende Wucherungen der Drüsen-
anlage. Vergr. 1 : 85.
Fig. 42. Von der Ectodermwuchemng hat sich ein Zellkomplex abgeschnürt.
Vergr. 1 : 86.
Fig. 43 u. 44 zeigen die schon regelmäßiger angeordneten Zellkomplexe der
Drtisenanlage. Vergr. 1 : 86.
Fig. 45 zeigt die Differenzierung der erwähnten Zellkomplexe zu Drüsenzellen.
Vergr. 1 : 86.
Fig. 46 u. 47. Die Zellkomplexe nehmen eine radiale Anordnung um ein cen-
trales Lumen an. Vergr. 1 : 85.
Fig. 48 und 49. Die einzelnen Zellkomplexe strecken sich in die Länge und
verschmelzen zur normalen Drüse. Vergr. 1 : 85.
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Recherches experimentales sur l'oBuf non segmente
de Rana fusca.
Par
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Professenr ä rUnWenittf de Brnxelles.
(Travail de Tliistitut d'Anatomie — Fondation R. Warocqu6.)
Eingegangen am 6. Juni 1906.
Dans Qu travail anterieur^], j'ai montr6 experimentalement qae
le plan de 8ym6trie bilaterale de Toeuf feconde de Rana fusca devenait
dans tons les cas, quelle que soit rorientation da premier plan de
segmentation, le plan de symctrie bilaterale de la gastrnia, de Fem-
bryon et de Tanimal adulte.
II resnltait donc de ces recherches, que la destinee des deux
blastom^res issus de la premi^re segmentation de ra3ufy est deter-
minee par la strncture et la Constitution plasmatiqne de Toeuf feconde;
chacun d'eux donnera naissance a la moitie droite ou ä la moitie
gauche, ä la tcte et au tronc de Tembryon ou a son extremite cau-
dale ou encore ä tous les intermediaires, selon Torientation qu'aura
prise le premier plan de division par rapport au plan de symctrie de
Toeuf feconde, et par consequent selon la qualite et la quantite des
substances formatives de Toeuf qui lui auront ete reparties.
La localisation germinale, pour employer l'expression de Edm.
B. Wilson, est donc definitive dfes que la segmentation commence,
et celle-ci ne peut la modifier; les premi&res phases du developpe-
ment de Foeuf de grenouille constituent, comme Boux Ta dit depuis
longtemps, un travail de mosaique, mais la nature de ee travail est
determinee par la Constitution plasmatiqne de Toeuf, et non par l'orien-
tation des divisions nucleaires ou cellulaires.
1) A. Brächet, Recherches ezp6rimentaleB sur Tceuf de Eana fusea, Arch.
de biologie. T. XXI- 1904.
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326 A. Brächet
J'ai expose, dans mon travail cite plus haut, Tetat de la question
au moment oü j'ai entrepris mes recherches, et j'ai fait ressortir, par
la comparaison de mes r6sultats avec ceux des autres auteurs, les
conclusions que Ton etait en droit d'en tirer. Je n'y reviendrai pas
dans cet article et je me eontenterai de constater qu'ils s*harmonisent
trfes bien avec ceux obtenus dans la suite, sur un objet identique par
Morgan'), sur Toeuf des Ascidies par Ed. G. Conklin^), et sur la
potentialite des blastomeres du Dentalium et de PateUa par Edm.
B. Wilson 3). Cette demonstratio!! de Timportance capitale de la
repartition specifique des materiaux dans Toeuf segmente ou com-
men^ant ä se segmenter etant falte, il devenait tres interessant de
rechercher, sur le mßme materiel, ä quel moment eile s'ctablissait
et sous qnelles influences eile le faisait.
On sait depuis longtemps que Toeuf f6conde de Rana fusca pre-
sente, deux heures environ apres l'impregnation par le sperme, une
symetrie bilaterale Evidente, qui fait defaut dans Toeuf non fecond6.
Mais on est loin d'etre d^accord sur la cause immediate qui produit
cette symetrie, qui repartit donc les materiaux ovulaires d'une fa^on
typique, determinante de toute l'ontogenfese, comme je Tai montre
plus haut.
Une longue discussion s'est elevee a ce sujet dans les derniferes
annees entre Roux, Moszkowski, Morgan, Kathariner; je Tai re-
tracee dans ses grandes lignes en 1904, et j'ai donne alors les rai-
sons qui m'ont fait admettre, avec Roux, que cette repartition est
un acte de f^condation, c'est-ä-dire qu'elle est due ä Taction du
spermatozoide ; seulement, pour que cette action soit possible, il faut
que l'influence de la pesanteur puisse librement s'exercer.
D'ailleurs, contre Taction exclusive de la pesanteur, que Mosz-
kowski reconuatt seule, plaide la comparaison de l'oeuf de E, fusca
avec d'autres oeufs, notamment ceux des MoUusques, des Nemertiens,
des Echinodermes et mSme des Ctenophores, oü une localisation ger-
minale s'etablit aussi, mais est nettement liee ä la mäturation et a
la fecoudation de l'oeuf
1) Th. H. Morgan, The relations between normal and abnormal develop-
ment of the embryo of the frog. (ÜI.) Ab determined by Bome abnormal forma
of development Arch. f. Entw.-Mech. XVIII. 1904. (IV.) Ab determined by in-
complete injory of the first formed blastomeres of the frog's egg. Ibid. XIX. 1905.
2) Edwin G. Conklin, Mosaic development in Ascidian eggs. The Journal
of experim. Zoology. U. 1905.
3) Edmund B. Wilson, Experimental studies in germinal localization.
I et II. The Journal of experim. Zoology. I. 1904.
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Recherches exp6rimentales sur i'oßaf non segment^ de Rana fusca. 327
Clicz Dentalium, notamment, Ed. B. Wilson a montre que la
locaÜBation germinale est trea precoce, debute alors que TcBuf est
encore a Tovaire, et que la pesanteur n'y est pour rien. Je reviendrai
la-dessus daus mes conclusions, car les exp6riences qui fönt Tobjet
de ce travail ont eu pour but de serrer de plus prfes la cause de la
sym^trie bilaterale de ToBuf feconde de grenouille, et de pr^ciser le
moment exact oii la localisation germinale est definitivement etablie.
Le croissant gm qui oceupe la moitie craniale de l'oeuf feconde,
ä la limite entre la calotte pigmeutee et la zone blanche, et que
coupe en deux le plan de sym6trie bilaterale de Toeuf, apparait deux
heures environ apr^s rimpregnation par le sperme. Lorsqu'il est
devenu bleu net, non seulement la copulation des pronuclei est effec-
tu6e, mais la premiere fignre de division nuclcaire est apparue.
L'cBuf est d^s ce moment, en train de se segmenter en deux, et la
destruction d'une de ses moities, si eile 6tait exp^rimentalement
possible, donnerait sans doute les memes resultats que la mort d'un
des deux premiers blastom^res. En tous cas, la localisation germi-
nale y est faite, comme semblent deja Fetablir des experiences an-
ciennes de Koux^], et d'autres plus r6centes, mais decrites d'une
fa§on trfes imprecise, de Moszkowski 2).
II m'a paru toutefois important de pousser plus loin Tanalyse
des faits, de rechercher methodiquement Tinstant precis ou la de-
struction d'une partie de l'oeuf amfene une lesion d^terminee de l'em-
bryon, et de demontrer, par lefait-meme, qu'il existe reelle-
ment un moment, avant Tapparition du croissant gris oh Tex-
perience ne d6c^le aucune trace de localisation germinale.
J'ai employe la m6me technique que dans mes recherches ante-
rieures, o'est-a-dire que j'ai piqu6 les oeufs avec une fine aiguille
leg^rement chauffee.
Comme il fallait eviter de detruire les pronuclei ou le premier
noyau de segmentation, eviter aussi leur expulsion de Toeuf avec
Textraovat, j'ai toujours enfonce l'aiguille dans l'hemisph^re inferieur,
autant que possible au niveau de la zöne marginale future. Ce sont,
on le sait, les lesions faites en cet endroit, qui doivent produire les
anomalies les plus caracteristiques.
J'ai fait ainsi, dans le milieu du mois de mars de cette annee,
*) W. Roux, Zur Orientierung über einige Probleme der embryonalen Ent-
wicklung. Ges. Abhandl. II. Nr. 18. 1886.
3} M. MoszKOWSKi, Zur Analysis der Schwerkraftwirkung auf die Entwick'
Inng des Froscheies. Arch. f mikrosk. Anat. 61. 1902.
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328 A. Brächet
8 series d'expäriences, portant sur 8 pontes de grenouille. Dans
chaqae s^rie, je piquais un certain nombre d'ceufs immediate-
ment avant rimpr^gnation par le sperme, puls d'aatres 15 minutes,
30 minutes, 45 minutes, 1 heure, 1 h. 15 minutes, 1 h. 30 minutes
et 2 heures aprfes Timpregnation.
Les (Bufs non operes des 8 pontes, laisses comme t^moins, se
sont d^veloppes tout h fait normalement.
Les resultats sont ^yidemment moins nets que lorsque Ton d6-
truit Tun des deux premiers blastomferes. II est pratiquement im-
possible de piquer tous les oeufs au meme endroit et avee le meme
d6gre d'intensit^. L'extraovat qui se forme toujours peut etre plus
ou moins yolumineux, pent entratner Tun des deux pronuclei. Aussi,
la mortalit^ des oeufs oper6s est-elle trfes grande, surtout a certains
Stades, comme nous le verrons dans un instant.
Exposö des faits.
Les (Bufs retires du corps de la m^re, avec de grandes pre-
cautions, sur la pointe d'un scalpel, deposes, le pole blanc en bas,
sur une lame de verre, et legferement piques avant Timpregnation par
le sperme, ne m'ont fourni aucun embryon. J'en ai cependant oper6
plus de 200. Tous sont morts, la plupart sans präsenter trace de
segmentation. Roux*), qu'a fait la mSme exp^rience, est arriv6 a
des resultats semblables. Un certain nombre sont morts apres avoir
montre 2, 3, ou 4 sillons superficiels, irreguliers et atypiques. Quel-
ques-uns ont subi les 3 premi^res segmentations d'une fagon assez
normale, mais n'ont pas ete plus loin. Un seul m'a donne une belle
morula, malgre Texistence d'un extraovat assez yolumineux; mais le
developpement s'est arret^ la, et Toeuf s'est rapidement necrose.
J'ai modifie de toutes fagons Tintensite et l'orientation de la
piqüre; j^ai pique tr&s leg^rement, sans meme chauffer Taiguille, et
toujours avec les memes resultats.
Cependant, ces oeufs sont suseeptibles d'etre fecondes, puisque
un certain nombre d'entre eux ont commence ä se segmenter, par-
fois Selon un rythme tout ä fait normal, mais ils sont incapables de
donner une gastrula ou un embryon.
Ils serait trfes hazardeux de donner une explication de ce fait,
que je ne fais que constater, et qui me permet seulement de dire
ij W. Roux, GeBammelte Abhandlungen. II. Nr. 18. 1886.
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Recherohes exp^rimentales aar Toeuf non segment^ de Rana fusca. 329
qae Toenf yierge est beaaconp plus sensible qne Toeuf feconde. £n
effet, des Oöufs provenant des mSmes pontes, et piques plus forte-
ment avec raignille chauffee; 15 minntes apr^ rimpr6gnation par le
liquide spermatique, tout en donuant encore une mortalit6 assez grande,
m'ont fourni de nombreuses gastrulas et de nombreux embryons par-
faitement nonnaux.
n est certaiu que Toeuf non föconde, dont ]a gangue gelatineuse
n'est pas encore gonflee par l'eau, se trouve dans des conditions phy-
siques differentes de Celles ou se trouve Toeuf qui a dejä ete humecte
par du liquide spermatique. L^on con^oit que le r^sultat de la pi-
qflre soit plus brutal, et que Toeuf soit plus facilement tu6.
Neanmoins, puisqu'ils ne le sont pas tous, puisque certains sont
susceptibles d'gtre fecond^s et mSme de commencer k se segmenter,
il me paratt probable qu'il existe un autre facteur que les conditions
physiqueSy si^geant sans doute dans la solidite moins grande du proto-
plasme ovulaire avant la fecondation.
D'ailleurs, on se rend trfes bien compte, lorsque Ton pratique la
piqflre, que Toeuf yierge est plus mou, moins turgescent que l'oßuf
fecondö.
Les oeufs piques 15, 30 et 45 minutes apr^s Timpr^gnation par
le liquide spermatique peurent etre reunis dans une meme description,
parce qne les resultats qu'ils foumissent sont identiques.
La plupart d'entre eux se segmentent tres r^guli^rement; un
tr^s petit nombre seulement meurent avant d*avoir commence k se
diviser; ils n^ont sans doute pas et6 fecondes reellement. Dans la
suite, il en est qoi meurent ä des Stades divers de la segmentation
et de la blastulation. Getto mortalite n'a rien d'^tonnant et se pro-
duit dans toutes les exp^riences de oe genre; la cause en revient,
pour une grande part, ä Tinfection.
Mais tous les oeufs qui ont pu se developper suffisam-
ment pour depasser le Stade blastula, ont donne des gastrulas
tout ä fait normales, sans trace de lesion, et qui toutes, sauf quel-
ques-unes qui ont äte fix6es a ce Stade, m'ont fourni les jours suivants
des embryons tout k fait normaux, bien d^veloppes, ne montrant
ancune trace ni de lesion destructive, ni meme d'une asymötrie qu'au-
rait pu causer une irr^gularite ou un arret de d^veloppement dans
Tune ou Fautre de leurs parties.
Donc, jusqu'ä 45 minutes aprfes Timpregnation par le
liquide spermatique, la piqüre avec l'aiguille chauffee
n'alt&re enrien le developpement. Les oeufs de Bana fusca^
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330 A. Brächet
juBqu'ä ce moment, jouissent d'un pouvoir regulateur par-
faiti).
Sur toas ces oeufs, il se forme, immediatement apr^s la piqüre,
HD extraovat plus oq moins Yolnmineux, qai) comme Roux l'a dit
depais longtemps, augmente encore nn peu dans les heures qui sni-
vent. Cet extraovat, engagä en partie dans la gangue gelatineuse,
est souvent reuni par un mince pedicule a une petite tache grisätre,
Decrosee, siegeant ä la surface de Vodnf, au point de penetration de
l'aiguille. Mais cette petite croüte de substance necrosee 8e d^tache
dans la Saite; Tceuf Telimine par une veritable cicatrisation, de sorte
que lorsque Ton isole Tembryon de ses enveloppes, eile tombe, et
dans la plapart des cas, on ne voit meme plus la trace de la piqüre. .
Mais des 1 heare apr^s la fecondation ^j, les resultats de la pi-
qüre ne sont plus toujours ceux que je viens de decrire. Certains
oenfs montrent des alt^rations notables.
Parmi les oeufs piqu68 1 heure aprfes rimpr6gnation par le spenne,
outre un grand nombre d'oeufs qui meurent ä des Stades divers de
la segmentation, outre une notable quantite d'embryons absolument
normaux, on en trouve un certain nombre qui ont ^te aflfectis par
Toperation d'une fagon tout ä fait caracteristique.
Dans les cas bien nets, que Ton obtient d'ailleurs assez rare-
ment, la cicatrisation de la piqüre se fait tr^s souvent comme *dan8
les cas d^crits plus hant; d'autres fois, le point d'entr^e deTaiguille
apparalt comme un petit point, une petite depression nettement cir-
conscrite. En revanche, ces m6mes embryons montrent, on bien une
asym^trie extrem ement nette,- ou bien un arret plus ou moins com-
plet de developpement de l'une ou l'autre partie du dos. Si ces
anomalies apparaissent dans le dos de Tembryon (Systeme nerveux
central) et se caract6risent nettement ä l'examen ext^rieur, cela re-
^) Je fais volontairement abstraction, dans cette description, des nombreax
Spina bifida qae j'ai obtenas dans toutes mes s^ries d'exp6rience8. IIb n'ont
en effet aucune valeur au point de vue oü je me place ici. L'^tade attentive
de toas mes oeufs m'a d6montr^, que ces spina bifida sont das 4 Taction m6-
canique de l'extraovat, qui plac6 entre les l^vres da blastopore, les a empdchöes
de se fermer. C'est m^me Ik an proc6d6 excellent poar prodaire, poar ainsi
dire a volonte, toutes les formes de spina bifida. J'y reviendrai peut-etre k one
aatre occasion.
2) II est clair qae dans des cas comme celni-ci, qaand j'emploie le mot
f^condation, j'entends par lä le moment oü les oenfs ont M plac^s dans
Feau 16gerement salee contenant les spermatozoYdes, c'est-a-dire le moment de
rimpr^gnation par le sperme.
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Becherches exp6rimentaleB sor Toeaf non Segmente de Rana fuBca. 331
sulte d'apr^s tont ce que Ton sait de Tontog^n^se des Amphibiens,
de Tendroit ou les piqüres ont ete faites. Je n^ai plus ä insister
sar ce point.
Dans nn cas particuli^rement bien reussi et que Ton peut con-
siderer comme typique, Textremite anterieure de l'ebauche cerebrale,
toute la moitie droite du reste, et tont le boarrelet mednllaire droit,
tr^s saillautsv- smit absolnment normaux (rembryon a ete fixe 55 henres
apr^s la fecondation, donc 54 heures aprfes la piqüre). Mais toute
la partie posterieure gauche de Tebauche cerebrale, et tout le repli
medollaire gauche ne sont qu'ä peine indiques.
L'aspect de cet embryon est trfes semblable a ceux que Roux
a*decrits comme des hemiembryons lateraux postgeneres, semblable
aussi ä ceux que Ton obtient parfois par piqüre insuffisante d'un
des deux premiers blastom^res, et que j^ai decrits dans mon travail
de 1904 (PI. IV, Fig. 7).
II y a donc eu, dans cet ceuf, nn retard considerable dans le
developpement de la moitie gauche, et dans cette moitie on voit en-
core, ä l'union de la tete et du tronc, la trace du point d^entree de
Taiguille, apparaissant comme une petite fossette, a peine visible ä
la loupe. ^
L'asym6trie n'est pas toujonrs aussi prononc6e; ainsi, dans un
autre cas, eile siegeait dans la moiti^ gauche de T^bauche cerebrale,
tandis que les deux bourrelets medullaires etaient parfaitement sy-
m6trique8.
L'interpretation des resultats obtenus jusqn'ici est aisee. Jusqu'ä
une heure aprfes l'impregnation par le sperme, l'oeuf de Rana fusca
est susceptible d'une regulation parfaite. La piqüre avec Taiguille
chauffee d'une portion determinee, qui forme normalement une region
importante du dos de Tembryon (organes axiaux: Systeme nerveux
central, corde dorsale), n'altfere pas le developpement normal. Les
mat6riaux formateurs ne sont pas encore repartis d'une fa^on deter-
minee et fixe.
Une partie de Toeuf peut en gtre eliminee ou etre detruite; FoBuf
expulse la substance necrosee, Tequilibre se retablit completement,
la symetrie bilaterale, materielle et dynamique se reconstitue, et le
developpement se poursuit normalement. Le pouvoir regulateur de
l'oeuf est donc parfait jusqu'a ce moment.
Au contraire, d^s une heure aprfes l'impregnation par le sperme,
ce pouvoir est diminue, du moins dans un certain nombre de cas.
L'oeuf se developpe encore, mais d'une fagon asymetrique, parce que
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332 A. Brächet
les materiaux detruits par necrose ou expulses par Textraovat ne
sont pas integralement remplaces. L^equilibre ne se r6tablit pas com-
pl^tement, ou en toas cas, il se retablit plus difficilement. En d'autres
termes, rindependance fonctionnelle des differentes parties de I'oenf se
manifeste deja nettement dans les expdriences bien r^assies.
Or, ä ce moment, c'est-a-dire 1 beure environ apres l'impr6gna-
tion par le sperme, le spermatozoide a traverse la gangue gelatinease
et commence ä pen6trer dans l'oeuf. Ce fait a ete demontr6 par
0. Hertwig ^) il y a d6jä longtemps, et je pnis en confirmer l'exacti-
tnde. Sar des coupes verticales d'oeufs fixes a ce moment, nne courte
trainee pigmentaire au bout de laqnelle se trouve le noyau sperma-
tiqne, part de la snrface de Toeuf en se dirigeant radiairement vers
le centre. C'est le d6but de la trainee spermatique de Van Bambeke
qui va, dans les Stades ult^rieurs, s'allonger et prendre un d^veloppe-
ment considerable.
J'attire d^s maintenant Tattention sur cette coincidence remar-
qnable, mais j'y reviendrai plus loin.
Les resttltats des piqüres faites 1 h. 15 m., 1 h. 30 m., et 2 heures
apr^s riropregnation par le sperme montrent que la localisation germi-
nale dout nous Tenons de constater le prelude, se fixe definitivement.
Outre les dechets par mortalite et les developpements normaux
que Ton a toujours dans ces sortes d'exp6riences et qui sont dus sur-
tout a la localisation de la piqfire, outre encore des resultats iden-
tiques a ceux fonmis par les oeufs piques 1 heure aprfes la feconda-
tion, on constate encore, dans un bon nombre de cas, ou bien un
arrSt de d^veloppement presque complet de toute une partie de l'oeuf,
ou bien mßme Tabsence d'une portion localisee du corps de l'embryon.
Dans les cas bien r^ussis, on trouve, meme lorsqu'on laisse les
embryons se developper longtemps avant de les fixer, soit nne partie
du cerveau, soit une partie du tronc, soit la region du canal neuren-
terique et de l'anus, remplaces par une masse de substance nicrosee.
J'ai obtenu des gastrulas qui sont veritablement partielles, comme
j'ai obtenu des formes qui sont presque des hemiembryons. Les re-
sultats sont, en somme, ceux que Morgan ^j a recemment obtenns soit
1) 0. Hertwig, Beiträge zur EenntniB der Bildung, Befrnchtang nnd Thei-
luDg des thierischen Eies. Morpholog. Jahrb. III. 1877.
2) Morgan, The relation between normal and abnormal development of
the embryo of the frog. (III.) As determined by some abnormal forms of de-
velopment. Arch. f. Entw.-Mech. XVIII. 1904. (VI.) As determined by in-
complete injury to one of the first two blastomeres. Ibid. XIX. 1905.
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BechercheB exp^rimentales aar ToBaf non Begment^ de Rana fusca. 333
en detroisant incomplfetement Tun des deux premiers blastomeres, soit
en piquant Toeaf an moment oii le premier sillon fait sa tonte premiere
apparition.
Dans certains cas, enfin, j'ai obtenn des embryons tr^s anormaux,
qui, bien qu'ayant subi nn developpement assez long, ne sont pas
analysables, mais qai d^montrent quand meme combien, ä partir de
ce moment, les oßufs sont sensibles anx lesions destractives.
Les differences entre les resultats que je viens de signaler et
ceux obtenns jusqu'a 45 minutes aprfes Timpregnation par le sperme
sont donc trfes nettes, et montrent une progression rapide et nne fixa-
tion de plus en plus definitive de la localisation germinale.
Or, il resulte des constatations de Roux ^), que 1 h. 40 m. apr^s
Timpr^nation par le sperme, la tratnee pigmentaire spermatique
mesure 0 mm. 292 ä 0 mm. 325, c'est-a-dire qu'elle a atteint ses plus
grandes dimensions.
A ce meme moment, de 1 h. 30 m. ä 2 henres apr^s Timpregna-
tion spermatique, le croissant gris qui caract6rise la sym^trie bilaterale
de Foßuf fecond^ de R. fusca est apparu dans toute sa nettete. Or
nous savons qu'il indique que la repartition definitive des materiaux
ovulaires, determinante de toute Tontog^n^se, est etablie.
Enfin, il resulte encore des recherches de 0. Hertwig, que 2 heures
environ aprfes l'impr^gnation, la copulation des pronuclei est eflFectuee,
et que la premiere fignre de division ne tardera pas k se montrer.
C'est Sans doute k cette demi^re particularite qu'est du ce fait
que j'ai constate dans mes S'series d'experiences, que 2 h., 2 h. 15,
2 h. 30 aprfes l'impregnation spermatique, la piqüre, meme legere et
falte en dessous de requatenr, am^ne une mortalite enorme des oeufs
en exp^rience. Je note en passant que Conklin ^), chez les Ascidies,
a constate aussi que Toeuf fecondä, mais non Segmente, est devenu
incapable de se diviser lorsqu'il a 6t6 16s^.
Plus tard, un peu avant que la division cellulaire, c'est-a-dire
la Separation des deux blastomferes ne commence, les piqüres re-
deviennent possibles, comme le montrent les experiences de Roux*)
et de MoszKowsKi*).
<) W. Roux, Die Bestimmung der Medianebene des Froschembryo durch
die Copulationsrichtung des Eikerns und des Spermakems. Ges. Abbandl. II.
Nr. 21. 1887.
2) Edw. G. Conklin, loc. cit.
3) W. Roux, Gesammelte Abhandlungen. U. Nr. 18. 188Ö.
^J M. MoszKOWSKi, loc. cit.
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334 A. Brächet
EUes donnent de nouveau des r^sultats positifs, quant k la re-
partition specifique des mat^riaox dans Voduf.
Conclusions.
II ressort clairement des exp6riences dont je viens d'exposer les
resultats, que Toeuf mür de Ratia fusca, jusque un peu moins d'une
heure apres rimpr^gnation par le sperme est doue d'un pouvoir re-
gulatenr parfait.
L'expulsioQ sons forme d'extraovat d^une partie de son contenn,
la destraction d^une aatre, ne troublent pas le d^veloppement, n'em-
pechent pas la formation d'embryons absolument normaux.
La blessure se cicatrise, la partie vivante expulse en quelque
Sorte ce qui a ete detruit et revolution se fait sans anomalies ap-
preciables.
Les substances formatives contenues dans Foenf n'j sont doAc
pas encore reparties d'une manifere fixe et definitive; Toeuf est encore
parfaitement plastique, et capable de retablir F^quilibre d'organisatton
necessaire au d^veloppement normal Mais d6jä nne heure apr^s la
feeondation, des le moment oii le spermatozo'ide pen^tre a Tinterieur
de Toeuf et avant que la copulation des deux pronuclei ne soit effec-
tuee, les resultats des piqüres deviennent differents.
Certains oeufs, nombreux m@me, sont encore capables de regu-
lation; dans toutes mes experiences la cicatrisation de la piqüre a
ete complfete ou peu s'en faut, et meme Felimination de la substance
necrosee se produit encore. Mais malgre cela, souvent le developpe-
ment n'est plus normal, et Tanomalie se caracterise par nne asymetrie
plus ou moins prononcee, et aussi plus ou moins localisee de l'embryon.
La partie de Toeuf atteinte par la piqüre parait plus pauvre
que le reste en materiaux formateurs et par suite eile reste en retard
dans son ddveloppement. L'equilibre morphologique ne se r^tablit
donc plus totalement comme il le faisait ant^rieurement.
Or il est ä remarquer qu'ä ce moment, le croissant gris n'est
pas encore apparu. La seule marque extörieure de la fecondation
est que la formation d'un peu de liquide perivitellin pennet ä l'oeuf
de se mouYoir dans ses envcloppes et de se placer dans le sens oii
le soUicite Taction de la pesanteur.
D'apres Koux^) cet indice de la fecondation efiFectu6e apparatt
1) W. Roux, Über die Ursachen der Bestimmung der Hauptrichtungen des
Embr>'0 im Froschei. Anat. Anz. XXIII. 1903.
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Becherches exp^rimentales snr Toenf non 8egment6 de Rana fasca. 335
d6jä 25 minntes environ aprfes rimpregnation par le sperme; je puis
confinner cette Observation. Or, comme pendant nn temps 6gal
encore, jasque 45 a 50 minntes apr^s Timpregnation, Toenf reste don^
d'nn ponvoir regnlateur complet, ne montre ancnne trace de la r6par-
tition definitive des matärianx qni se produira un pen plus tard, je
vois dans ce fait nn argument d^cisif contre la th^orie de Mosz-
KOWSKi qui attribue ä la pesantenr seule la determination du plan
de symetrie bilateriale de l'oBuf f6cond6.
En effet, Moszkowski*) en r6ponse aux observations de Roux,
de Morgan et de Kathariner, qui s'^taient eflForc^s par des moyens
divers, de soustraire Toeuf a Taction de la pesantenr et avaient con-
state que malgr6 tont il se formait des embryons normaux, a objeete
que les oeufs avaient quand mgme ete sonmis, ne fut-ce que quelques
minntes, k rinfluence anormale de la pesantenr, et que cela suffisait.
Or, dans mes experiences, des oeufs impregnes par le sperme
et s^jonrnant dans Tean depuis 45 minntes, mobiles dans leurs enve-
loppes depuis 20 minntes dejä, mais qui pendant ces 45 minntes ont
6te sonmis ä Taction de la pesantenr, sont encore capables d'nne
r^gulation parfaite, ce qui prouve que la repartition definitive des
mat^riaux n'est pas encore faite. Cela seul demontre que l'opinion
de MoszKOWSKi est insoutenable , ou en tous cas qu'elle est trop
exelusive.
Toutes les observations que j'ai d^crites dans les pages qui
pr^cedent, tendent au contraire ä d6montrer que le facteur essentiel
qui produit la localisation germinale definitive dans Toeuf de Rana
fuscüj est la föcondation.
C'est en effet, precis^ment au moment ou loeuf commence ä
reagir vis-ä-vis de l'action du spermatozo'ide, au moment oü ce der-
nier s'enfonce dans Tint^rieur de l'oeuf en laissant derrifere lui une
tratnee pigmentaire, que Ton voit le pouvoir regnlateur de l'oeuf
devenir incomplet, pour disparaitre totalement quelques minntes apr6s.
En eflfet, 1^15, 1^30, 2^ aprfes Timpr^gnation par le sperme,
les experiences de piqüre bien reussies montrent que Toeuf est
devenu incapable d'expulser la substance detruite, necrosee, c'est-ä-
dire de cicatriser la blessure qu'on lui a faite. La partie du corps
de l'embryon, correspondant ä la partie de Toeuf detruite par Taiguille
chauffee est remplac^e par une plaque de substance morte tres re-
connaissable k son aspect.
*) M. MoszKOWSKi, Verhandlungen d. Anat. Gesellschaft. Heidelberg 1903.
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336 A. Brächet
Le resnltat est donc, toutes proportions gard^es, le m^me que
celai qu'oD obtient par la piqüre de Tun des deiix premiers blasto-
meres.
Et c^est pr6cis6ment au moment oü la trainee pigmentaire
spermatique a atteint tont an d6yeloppement, an moment on la copu-
lation des pronnclei va s'effectner qne la localisation germinale se
montre complfete et d6finitive.
Tont nons oblige done ä admettre qne, dans Toenf de Baita fusca,
la fecondation jene nn röle essentiel dans Tätablissement des locali-
sations germinales.
Dans nn domaine comme celni-ci, tonte g^n^ralisation serait
prematur^e. On peut cependant, par comparaison, d^dnire qnelqnes
considerations int6ressantes.
H. Driesch ^) dans son dernier article des Ergebnisse, en preci-
sant Tetat actnel de la question des localisations germinales, dit avec
raison, qu'elle constitue tont nn chapttre nouveau de Tembryologie;
l'ontogen&se proprement dite ne debute pas avec la segmentation de
Toeuf, mais eile commenee beanconp plus tot, au moment ou d6bute
la repartition speeifique des materianx formateurs.
Et il est de fait qne cette r^partition est, an point de vne de
la marche g6n6rale du d6yeloppement, plus importante qne la seg-
mentation, car non senlement eile pr^existe k cette demifere, mais
eile ne peut pas 8tre modifi^e par eile. La segmentation, dans Toeuf
de Rana fusca en tous cas, peut etre quelconque, eile peut se faire
n'importe comment, le r68ultat du döveloppement des blastomferes est
toujours determine strictement par la symetrie bilaterale de l'oenf
f6cond6 et non segment6.
II derient donc de la plus haute importance de rechercher, snr
le plus grand nombre d'objets possible, ä quel moment et sous
quelles influences cette r6partition sp6cifique s'^tablit.
Edm. B. Wilson 2) dans ses beaux travaux a deja developpe
cette question; j'en ai parle moi-m6me dans mes premiöres recherches
exp^rimentales sur Bana fusca^)^ et pour ne pas tomber dans des
1) H. Driesch, Die EntwicklangsphyBioIogie von 1902—1905. Ergebn. der
Anat. u. Entwickl. XIV. 1906.
2) Edm. B. Wilson, Experiments on cleavage and localization in the Nemer-
tine Egg. Arch. f. Entw.-Mech. XVI. 1903. Id., Experimental Studies on ger-
minal localization. I. The germ-regions in the Q^g of Denialium, The Jonmal
of experim. Zoology. I. 1904.
3) A. Brächet, loc. cit. 1904.
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Becherches expörimentales but Toeaf non segment^ de Rana fasca. 337
redites, je ne m'occuperai ici que du role qae Ton peut attribuer au
spermatozoide dans les modifications que la Constitution plasmatique
de Toeuf subit avaut de se segmenter, ou pendant qu'il se segmente.
De nombreuses obscrvations descriptives (Boveri chez Stron^
gyhcentrotus etc.) ou experimentales (notamment Edm. B. Wilson,
Yatsü, Zeleny) ont demontre que Tetablissement des localisations
germinales coincide avec Texpulsion des globules polaires et avec la
fecondation.
II est clair que dans une question comme celle qui nous occupe,
Tetude purement descriptive, peut nous fournir des indications pre-
cieuses, peut permettre des conclusions d'une grande probabilit^, mais
que Texperimentation seule peut donner des resnltats d'une valeur
demonstrative complete.
Ainsi, en ce qui concerne To^uf de grenouille, la constatation de
l'apparition, P Vj ä 2^ apres l'imprignation par le sperme, d'une
symetrie bilaterale visible exterieurement, et de la persistance de
cette symetrie ä tous les Stades du däveloppement, rendait vrai-
semblable Tidee qu'avant qu'elle n'apparaisse Toeuf est isotrope et
que son caractfere d'oeuf ä mosalque n'apparait qu'avec eile. Mais
il appartenait k l'experience seule de montrer . qu'il en est bien
ainsi.
A ce point de vue, Toeuf des Nemertiens a et6 bien etudie et
a fourni, dans les mains de Edm. B. Wilson t), de Yatsu^) et de
Zelent^), des resultats tres facilement comparables ä ceux dont j'ai
rendu compte dans cette note.
Zeleny, chez Cerebratuhis niarginatus a trfes heureusement com-
plete les experiences que Edm. B. Wilson et Yatsü avaient faites
chez Cerebratulics lacteus,
II resulte de toutes ces experiences, qu'avant la fecondation,
Texcision d'une partie de l'oeuf n'amene aucune modification dans
la marche de la segmentation.
Plus tard au für et ä mesure que les globules polaires sont
expuls^s, que la copulation des noyaux se fait et que la premi&re
figure de division s'etablit, le type de la segmentation subit des
modifications tr&s Evidentes.
1) Edm. B. Wilson, loc. cit
2) Yatsü, Experiments on the development of egg fragments in Cerebraiulus.
Biolog. Bulletin. 1904.
3} Zeleny, Experiments on the localization of developmental factors in
the Nemertine egg. The Joura. of experim. Zoology. I. 1904.
ArcbiY f. Entwicklungsmechanik. XXII. 22
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338 A. Brächet
Toutefois, la localiBation definitive, caract^risee par la perte de
tout pouvoir regulateur, n'apparalt, chez Cerebratuhts eomme chez
beancoup d'aatres formes, qne pendant la segmentation. Elle se
prodait donc progressivemeut, mais relatiyement lentement.
Chez les Amphibiens, eile est egalement progressive, mais s'eta-
blit tres rapidement et est definitive relativement longtemps avant
qiie la segmentation ne commence. II en est probablement de meme
chez les Ct6nophores.
Les choses "paraissent etre diflFerentes chez les moUusques, no-
tammeut chez le Dentale, d'apres Edm. B. Wilson. Cet anteur croit
qne la localisation germinale doit deja exister dans Toeuf ä Tovaire;
pendant la mäturation et la fecondation il se prodnit tontefois des
changements manifestes dans la structure de Voenf.
Dans ces conditions, la localisation des materianx formatenrs
dans Toenf ne serait pas un acte de f6condation , mais serait piatot
un des phenomcnes de la mätaration, en d'antres termes, ce serait
l'oeuf lui-meme et a lui senl, qui, nn peu plus tot ou un peu plus
tard completerait son evolution par une repartition specifique de son
contenu. C'est ainsi qne Edm. B. Wilson et ses 61fcves et apres
eux H. Driesch expriment les faits.
Cette maniere de voir est ä mon avis trop etroite et incomplete.
Mes propres observations, dont je viens de rendre compte, com-
binees avec Celles, anterieures, de Roux, specialem ent avec ses
experiences de fecondation localisees, demontrent que chez Rana fusca,
le spermatozoide intervient, par une action quelconque, mais essen-
tielle, dans la fixation de la symetrie de l'ceuf feconde.
D'ailleurs chez la grenouille, comme probablement chez les
Ctenophores, comme chez une foule d'autres espßce, l'oeuf, quand il se
detache de l'ovaire, et avant la fecondation, montre dejk une strati-
fication tres nette de ses materiaux constitutifs. 0. Schültze^) se
basant sur la position excentrique de la vesicule germinaiive et du
premier fuseau de division assigne meme des ce moment a l'oeuf de
grenouille, une symetrie bilaterale.
Que cette symetrie bilaterale soit reelle ou non, nos experiences
prouvent qu'elle n'a rien de comparable a celle qui apparatt 2^ apres
rimpregnation par le sperme, et qui est caracterisee par le croissant
gris. Mais la structure de l'a^uf Ovarien de grenouille comme de
1) 0. ScHiTLTZE, Zur ersten Entwicklung des braunen Grasfroschee. Gratu-
lationsschrift für KöLLiKER. 1887.
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Recherches exp^rimentales sur l'oBuf non segment6 de Rana fusca. 339
celui du Dentale semble moutrer que la localisation germinale se
prepare avant la fecondation.
Dfes lors, l'action reelle du spermatozoide , au moment oü il
penctre dans la substauce ovulaire me paratt se degager nettement.
II repartit dans l'oeuf, suivant un plan d^termioe, tous les mate-
riaux qui jusqu'alors vaguement stratifies ont pris naissance pendant
l'ovogenese. Des que cette repartition est faite, eile se fixe et ne
pent plus se modifier sous aucune influence^).
Aussi TcKuf de Bana fusca ^ avant la penetration du spermato-
zoide, bien que contenant sans doute, tous les materiaux formateurs
necessaires au d6veloppement de l'embryon, est-il eapable de niveler
toutes les pertes de substances, de se remettre en equilibre materiel
et dynamique apr^s la destruction d'un partie de son contenu.
li'action du spermatozoide peut encore s'exercer totalement.
Mais ce pouvoir regulateur disparait tres rapidement dfes que
la fecondation est devenu reelle, c'est-ä-dire des que le spermatozoide
ayant traverse les enveloppes de IVcuf, s'enfonce dans son Interieur.
Ce que je viens de dire de l'oeuf de grenouille, peut s'appliquer,
dans ses grandes ligne, a celui des N^mertiens, sur lequel nous
possedons des experiences nettes et precises. De plus de nombreuses
etudes descriptives rendent probable la generalisation de cette loi.
A cote des pb^nomenes nucleaires de la fecondation, dont le
röle, au point de vue des transmission bereditaires est certainement
capital, existent des phcnomenes dynamiques dont Timportance au
point de vue de la marche generale de Tontogenese n'est pas moins
grande. Ce sont probablement ces phenomenes dynamiques seuls
que Ton produit artificiellement dans la Parthenogenese experi-
mentale.
D'ailleurs, leur existence et leur importance ressortent encore
d'une Serie de faits connus depuis un certain temps dejä, et sur la
portee desquels on n'a pas assez insiste.
Edm. B. Wilson, Delage, chez les Echinodermes , les Nemer-
tiens et les Mollusques ont constate que le fragment non nuclee d'un
oeuf non feconde, est fecondable et eapable de se segmenter, tandis
que le spermatozoide ne pcnetre plus on n^exerce plus d'action sur
1) Dans certains cas cependant, par ex. cbez la grenouille, une ordonnance
nouvelle des materiaux, susceptible toutefois d'une explication m^caniqne rela-
tivement simple, peut se produire, mais seulement qaand on se place dans des
conditions experiraentales toutes speciales. — Monstres doubles d'O. Schultzb,
et embryons de T. H. Morgan formes aux d^pens d'un seul blastom^re.
22*
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340 A. Brächet
un fragment non naclee d'oeuf feconde. Les proprietes du proto-
plasme de ce fragment sont donc chang^es.
Je ne veux pas multiplier ces exemples , et je n'en citerai plus
que deux se rapportant aux Amphibiens. La trainee pigmentaire
de Ch. Van Bambeke, earacteristique du trajet suivi par le sper-
matozo'ide dans Tinterieur de Foeuf est due sans aucun doute ä une
reaction du cytoplasme ovulaire.
Enfin recemmentjWETZEL*), travaillant sous la directiou d'O.HEBT-
wiG, a montre que des oeufs non fecondes soumis pendant plusieurs
heures ä Taction de la force centrifuge donnent ou en tous cas peuvent
donner des embryons normaux, tandis que des ceufs fecondes, trait^s
de la meme fagon fournissent reguli^rement des Spina bifida.
II serait premature de discuter comment cette aetion dynamique
du spermatozo'lde se produit. Je me bomerai pour le moment ä faire
remarquer que le spermatozoid^ ne se compose pas seulement d'un
element chromatique, mais que, penetrant tout entier dans l'oeuf, il
y amene un spermocentre et d'autres elements encore que les auteurs
designent sous le nom de Ghondriomites (Benda) ou d'ergastoplasme
(Boüijs), et qui jouent dans Thistogenese des spermatozoides un role
que les recherches des dernieres annees commencent ä mettre en
lumi^re.
L'ergastoplasme semble bien etre un protoplasme en etat d'intense
activite physiologique. Peut-etre intervient-il aussi dans les mani-
festations cytoplasmiques qui accompagnent l'entree du spermatozo'lde
dans ToBuf.
Rösumö.
La localisation germinale de Foeuf feconde de grenouille, qui
est determinante de toute l'ontog^nöse, et qui est definitivement fixee
au moment oü la segmentation commence, n'existe pas dans l'oeuf
qui vient d'etre impregn6 par le sperme, et a fortiori dans Toeuf
vierge.
Jusqu'a 45 minutes au moins apr^s Timpregnation, les oeufs de
Rana fusca sont doues d'un pouvoir regulateur parfait; les lesions
produites experimentalement n'alterent en rien le d6veloppement
normal.
1) Wetzel, Zentrifagierversuche an unbefruchteten Eiern von Rana fusca.
Arch. f. mikrosk. Anat. 63. 1904.
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Recherches exp^rimentales enr Toeiif non Segment^ de Rana fusca. 341
Au contraire, dfes une henre apres la fecondation , c'est-a-dire,
dfes le moment oü le spennatozoide, ayant traverse les enveloppes
penetre danB Tceuf, la röpartition specifiqae des materiaux s'etablit
rapidement, de teile sorte qae 1^ 30 apr^s rimpregnation, le earactfere
de mosal'qne de Toeaf pret a se segmenter est d^finitivement etabli.
L'action du spermatozo'ide est dans ce cas Evidente. Cette action
de la f6condation, qne Ton pent appeler ses »manifestations dyna-
miqaes,« se place ä cöte des phenom^nes nucl6aires dont le resultat
est essentiellement la transmission des caractkes her6ditaires.
Bruxelles, 1^'Jnin 1906.
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Sind Zeilkern und Zellplasma selbständige Systeme?
Von
Prof. Dr. Sehttekinir
in Pyrmont.
Eingegangen am 7. Juni 1906.
In Nachstehendem mOchte ich im Anschluß an ältere Beobachtungen einige
neue Tatsachen mitteilen, welche dafür sprechen, daß dem Zellkern wie auch
ganz allgemein allen durch Teilung sich vermehrenden Zelleinschlüssen neben
dem Protoplasma eine Selbständigkeit und in gewissem Sinne eine selbständige
phylogenetische Entwicklung einzuräumen ist. Ich beginne mit dem Bericht über
Untersuchungen, die ich in den Jahren 1902—1904 an der Zoologischen Station
zu Neapel unternahm und bei denen ich festzustellen suchte, ob auch bei der
elementaren Grundform des Organismus, beim Ei der schädigende Einfluß nach-
zuweisen sei, den artfremdes Protoplasma im Tierkörper aufeinander auszu-
üben pflegt.
Ich brachte unbefruchtete Eier von Asierias glactalw^ StrongyloeeniroUts
lividus und Arbacia pustulosa^ und zwar in drei Versuchen jedesmal je zwei
verschiedene Arten, 12 — 24 Stunden in sterilisiertem Seewasser zusammen. Das
Resultat dieses einfachen Verfahrens war folgendes:
Bei den beiden Versuchsanordnungen, in denen ich Seeigeleier mit See-
stemeiern zusammengebracht hatte, war jedesmal eine größere Anzahl von
Seesterneiem aufgelöst, während bei den KontroUeiem von derselben Art und
Provenienz nur wenige Eier aufgelöst waren. Die Eier der beiden Seeigelarten
hatten nicht zerstörend aufeinander eingewirkt. Es hatten also die artfremden
Eier, bei denen die Cytoplasmamenge im Verhältnis zur Kemmasse geringer
war, deletäre Wirkung auf die erheblich größeren Eier ausgeübt, bei denen die
Kernmasse relativ geringer als die Plasmaraasse war. In das Seewasser waren
von den Eiern aus schädigende Stoffe nicht eingetreten, wie ein entsprechender
Versuch zeigte. Dieses Versuchsresultat legte den Schluß nahe, daß die Eier,
wenn sie in ihren entsprechenden Arten nicht näher verwandt sind, durch
direkten Kontakt des Plasmas zerstr)rend aufeinander wirken, und daß dieser
Effekt offensichtlich nicht von der Menge des Cytoplasmas abhängt, sondern
möglicherweise von dem Verhältnis zwischen Kernmasse und Plasma abhängig
ist. Es entstand die Frage, ob das kernlose Protoplasma artfremder Eier zer-
störend aufeinander zu wirken vermöge. Nach dem Vorgang der Gebrüder
Hertwig zerschüttelte ich Eier von Asterias und den erwähnten beiden Seeigel-
arten und brachte die kernlosen Fragmente der Seeigeleier mit ebensolchen von
Asterim zusammen. Einen nachteiligen Einfluß der kernlosen Partikel aufeinander
konnte ich nicht feststellen. Wohl aber wirkten kernhaltige Eier der Echiniden
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Sind Zellkern und Zellplasma selbBtändige Systeme? 343
zerstörend auf die kernlosen Eipartikel von Asterias und ebenso umgekehrt die
kernhaltigen Eier von Asterias auf die kernlosen Partikel der Echinideneier. Ich
schließe daraus, daß der schädigende Einfluß von artfremden Eiern aufeinander
von den Zellkernen und nicht vom Cytoplasma ansgeht.
Wir wissen bereits, daß kernloses Protoplasma sich zu erhalten und zu
ernähren vermag. Dies ist z. B. bei Fumaria hygrornetriea der Fall, bei der
kernlose TeilstUcke 6 Wochen am Leben bleiben und auch Stärke aufzulösen
imstande waren. Kernlose Teilstücke von Spirogyra'F'0en sah Klebs [1] noch
assimilieren und sowohl Stärke auflösen als auch neu bilden, wenn die TeilstUcke
Chlorophyll enthielten. Verwohn (2) sah bei Difflugia kernlose Teilstückchen
noch nach 5 Stunden lange Pseudopodien ausstrecken und auf mechanische,
galvanische und chemische Beize reagieren. Derselbe sah kernlose Protisten-
partikel vollständige Autonomie und Unabhängigkeit vom Kern bekunden. Die
Verdauung der kernlosen Teilstücke erfährt indes nach Hoper (3) und Vbrworn
sowohl der Zeit als der Intensität nach eine erhebliche Abnahme, sie ist aber
nicht aufgehoben. Fein zerhackte Fumaria hygrometrica vermag auch aus Teil-
stückchen, in denen kein unverletzter Kern vorbanden ist, neue Moospflänzchen-
individuen auszubilden (4).
Wie verhält sich umgekehrt der vom Cytoplasma isolierte Kern? Wir
sehen bei der Befruchtung, daß der Spermienkern, nachdem er die Geißel beim
Eindringen in die Eizelle verloren und nur noch das Centrosoma behalten hat,
im fremden Protoplasma zunächst anschwillt und bei den weiteren bekannten
Befruchtungsvorgängen in seiner Lebenstätigkeit nicht hinter dem Eikern
zurücksteht.
Wir wissen femer, daß in der Tier- und Pflanzenwelt den Sätzen »omnis
cellula e cellulac und »omnis nucleus e nucleo« die Sätze »jede Plastide aus
einer Plastide« und »jedes Chromosoma aus einem Chromosoma« zur Seite
stehen. Die Folgerung, daß die genannten Zelleinschlüsse ebenso wie das Cyto-
plasma Individuelle selbständige Systeme im llahmen der Zelle darstellen, wird
durch eine Anzahl triftiger Gründe gestützt.
Wie würde es sich unter dieser Voraussetzung nun mit dem entwicklungs-
geschichtlichen Zusammenhang dieser Systeme verhalten? Insbesondere, befin-
den sich diese Systeme im Gleichgewicht oder beherrscht eines die andern?
Es möge mir gestattet sein, meine von den bisherigen Anschauungen abwei-
chende Auffassung dieses biologischen Grundproblems hier in Kürze zu ent-
wickeln.
Zur einigermaßen erschöpfenden Beantwortung dieser Frage würde es
gewiß noch großer Fortschritte in unsem Kenntnissen über das physikalisch-
chemische Verhalten der Zelle bedürfen. Selbstverständlich würde es nicht
angehen, heute außer dem Zellverband existierende niedere organische Ge-
bilde, z. B. die Spaltpilze, als nächste Vorstufen dieser Zelleinschlüsse anzu-
sehen. Ohne Zweifel stehen die Bakterien mit ihrem großen Gehalt an Nuclein-
körpern und ihrem Mangel an einem nachweisbaren Kern den Zellkernen noch
am nächsten. Der Hinweis, daß die Bakterien selbständige osmotische Systeme
sind, würde hiergegen nicht ins Gewicht fallen, da auch die Zellkerne solche
osmotischen Systeme darstellen.
Zunächst gibt uns die Ähnlichkeit, die das Verhalten vieler Spaltpilze
gegenüber dem Zellprotoplasma mit dem Verhalten des Zellkerns zum letzteren
zeigt, wertvolle Fingerzeige. Wenn die Bakterienzooglöa bei den Leguminosen-
wurzeln ihren schleimigen Infektionsschlauch durch die Zellwandungen hindurch-
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344 Schücking
schiebt, so füttert die Zelle die Bakterien mit Asparagin nnd Zucker, um daiilr
wieder den von den Bakterien aus der Luft assimilierten Stickstoff in der Ge-
stalt von Schleim als Zahlung zu empfangen (6). Solange dies Verhältnis dauert,
k(>nnen wir von einer Symbiose zwischen dem normalen Zellinhalt und den
Spaltpilzen sprechen. Nach einiger Zeit verwandelt sich jedoch diese Symbiose
in einen ganz einseitigen Parasitismus. Die Pflanze zerstört die in ihren Wurzel-
knöUchen wohnenden Bakterien und saugt ihren Inhalt aus. Die > Symbiose«
stellte also nur ein vorübergehendes Gleichgewichtsstadium dar.
Die berühmte >SymbioBe« zwischen Algen und Pilzen bei den Flechten ist
ein fast einseitiger Parasitismus, in dem die Algen reichlich organische Nähr-
stoffe an die Pilze abgeben und dafür nur die von den Pilzen vermittels Säure-
absonderung aufgelösten anorganischen Stoffe erhalten. Noch merkwürdiger ist
das Zusammenleben von den niederen pflanzlichen Zellen der Algen und tieri-
schen Zellen, wie wir sie bei vielen Seetieren beobachten (6). Daß ein einseitiger
Parasitismus den bewirtenden Organismus dazu fuhren kann, für die Pflege seines
Gastes ohne Entgelt sehr komplizierte Einrichtungen zu treffen, sehen wir an
dem Beispiel der Insektengallen und Pilzgallen. Schließlich gehören zu den
Vereinigungen, in denen die Wirtszelle den Parasiten sozusagen in Pflege nimmt,
auch die syphilitischen und tuberkulösen Geschwiüste.
Die in der Einleitung mitgeteilten Beobachtungen lassen nun erkennen,
daß bei den betreffenden Metazoen die Verdauungstätigkeit und gewisse Schutz-
einrichtungen mit dem Zellkern in Verbindung stehen, von dem wir bisher schon
annahmen, daß er das formative aufbauende und für die Weiterentwicklung der
Zelle und die Bildung der Zellhaut bestimmende Agens ist.
Ist nun in der lebenden Zelle unter der Voraussetzung, daß
es sich um selbständige Systeme handelt, ein Zustand gegeben,
der einem der beiden Komponenten einen mehr oder minder para-
sitären Charakter zuschreiben läßt, oder besteht ein dauerndes
Gleichgewicht in der gegenseitigen Inanspruchnahme bei Kern
und Plasma? Für diese Frage ist das Studium der Conjugation bei den Proto-
zoen und der Befruchtung bei den Metazoen von besonderer Bedeutung.
Bekanntlich tritt die Conjugation der Protozoen, die ihr Analogen in der
geschlechtlichen Vermehrung der Metazoen hat, nach vorübergehenden Hunger-
perioden auf, die eine gewisse Beifung des Kerns hervorrufen (7). Überfütterung
und andauernder Hnngerzustand verhindern diese Reifung des Kerns und haben
eine übermäßige Vergrößerung desselben zur Folge. Die Organisation des Kerns
gestattet nicht, daß dieser ohne Schädigung für das Protozoon dauernd ein
gewisses Größenmaß überschreitet. Bei einer solchen Vergrößerung des Kerns
gehen die Protozoen, nachdem noch eine Zeitlang Zellteilungen in der betreffen-
den Kultur, aber keine Conjugationen mehr, zustande gekommen sind, zugrunde.
Wenn wir bei andauerndem Hungerzustand den Kern auf Kosten des in seinem
Stoffwechselgleichgewicht gestörten und daher geschwächten Plasmas sich ver-
größern sehen, so deuten diese Zustände, in denen der Kern dauernd vom
Plasma mehr erhält, als er demselben zurückgibt, auf frühere parasitäre Ent-
wicklungsvorgänge, bei denen Kern und Plasma noch getrennte biologische
Systeme waren. Anderseits erinnern gewisse Vorgänge, die wir bei der Zellver-
mehrung im lebenden Gewebe bei uns beobachten -- Erkrankungen der Gewebe
bei dauernder übermäßiger Nahrungszufuhr, wie auch bei Inanitionszuständen —
an die unter ähnlichen Bedingungen eintretenden Störungen des Verhältnisses
zwischen Kern und Plasma bei den Protozoen und an die Folgezustände dieser
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Sind Zellkern und Zellplasma selbständige Systeme? 345
Störungen. Bei der den Pathologen bekannten sog. Wucheratrophie be-
obachten wir bei Hungerzuständen und fieberhaften Krankheiten schon nach
mehreren Tagen hochgradige Wucherung der Zellkerne, so im Fettgewebe,
ebenso in den Muskelfasern, bei denen in den Primitivbündeln im nnvöränderten
Sarcolemmschlauch Protoplasmamassen mit stark gewucherten Kernen entstehen.
Ähnlich yerhalten sich die Kerne der ScHWAiwschen Scheide in den Nerven-
fasern. Dieselben Kernwucherungen beobachten wir an andern Stellen im Inani-
tionszustand, z. B. sehr deutlich bei der Atrophie der Geschmacksknospen.
Durch Aushungerung und Schwächung des Protoplasmas werden also all-
gemein die Kerne zur Vergrößerung und Teilung angeregt, ehe das Gewebe zu-
grunde geht. Der Umstand, daß dieser Prozeß sich vielleicht als nützlich für
den Gesamtorganismus erweisen kann, stellt die Selbständigkeit des Kerns und
seinen parasitären Charakter nicht in Frage, ebensowenig wie z. B. das für das
Gesamtgebilde nützliche Resultat der Flechtenbildung als Beweis gegen das
selbständige Verhalten der Flechtpilze herangezogen werden kann.
Das im natürlichen Ablauf der Entwicklung erfolgende Ab-
sterben der Gewebe und des gesamten Somas der Metazoen er-
scheint unter diesem Gesichtspunkt als eine Folge der bei den
mannigfachen Störungen des Stoffwechsels nicht wieder rück-
gängig zu machenden Aufhebung des Gleichgewichts zwischen
Kern und Plasma. Der Tod wäre somit das Schlußresultat der während der
Lebensdauer eintretenden Störungen des Kemplasmagleichgewichts. Besonderes
Interesse müssen bei dieser Anschauung unzweifelhaft die bei der Geschwulst-
bildung beobachteten Gewebsveränderungen erregen, die sich als ein extre-
mer Fall des schließlich stets eintretenden Mißverhältnisses zwischen Kern und
Plasma charakterisieren. Das unbekannte geschwulsterzeugende »Incitament«
neuerer Autoren, das vielleicht in gewissen leicht assimilierbaren oder die
Assimilationsfähigkeit der Kerne steigernden Nucleinkürpem besteht, würde
nicht etwa das Wachstum der Kerne von präformierten Carcinom- oder Sarcom-
zellen fördern, sondern nach meiner Anschauung imstande sein, jedem Kern
gewisser normaler Zellarten ein zur Geschwnlstbildung führendes Wachstum
zu verleihen. Die gesteigerte Virulenz des Mäusecarcinoms nach wiederholten
Passagen würde sich durch die infolge der günstigen spezifischen Ernährungs-
bedingungen gesteigerte Selbständigkeit der Kerne der transplantierten bzw.
geimpften lebenden Krebszellen erklären. Die Immunität mit Krebszellen ge-
impfter Mäuse und Hatten endlich wäre als das Resultat der im Plasma vor
sich gehenden, zur Behauptung des Gleichgewichts gegen die Kernvergrößerung
gerichteten Stoffwechselvorgänge zu deuten.
Nach dieser Auffassung würde also der Zellkern selbst die Rolle des ge-
suchten Geschwulstparasiten spielen.
Die Spezifizität der Zellbestandteile, wie sie bekanntlich jeder Art eigen-
tümlich ist, kann hier nickt als Gegengrund herangezogen werden, denn eine
solche beobachten wir auch bei ausgesprochen parasitären Vereinigungen, bei
denen nur ganz bestimmte Organismen der einen Art mit bestimmten Organis-
men der andern Art sich zusammenschließen.
Bei der Befruchtung der Metazoen verlaufen im großen und ganzen die
Vorgänge nicht anders wie bei der Conjugation der Protozoen; nur diejenigen
Kerne schließen sich einander an, die durch Verkleinerung auf die Hälfte bzw.
durch Reduction der Chromosomenzahl die erforderlichen Vorbereitungen dazu
getroffen haben. Wir sehen, daß bei den Protozoen diese Reifung und Teilung
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346 Schticking
der Kerne durch übermäßige Ernährang and AiiBhungening verhindert werden
kann. Vielleicht spielen auch noch andre ungünstige äußere Einwirkungen da-
bei eine Rolle. Bei den Metazoen ist indes die Einrichtung entstanden, daß
gewisse, schon in den ersten Entwicklungsstadien besonders günstig gelagerte
Zellen, die späteren Keimzellen, von den Wechselfällen äußerer Einflüsse unab-
hängig werden und daher unter allen Umständen ihre Kerne reifen und teilen
lassen künnen. Bei der zweigeschlechtlichen Befruchtung der Metazoen lösen
sich die in ihrer Kernmasse bzw. ihren Chromosomen um die Hälfte reduzierten
Keimzellen vor ihrer Vereinigung von ihrem Sitz ab. Die Geschlechtsdifferenz
erscheint als eine Folge des Ablösungsprozesses und der Notwendigkeit, durch
möglichst günstige mechanische Verhältnisse die Vereinigung der Chromosomen
zu sichern. Zur Erreichung dieses Resultats treten sekundär die mannigfachsten
organischen und sonstigen Einrichtungen, wie sie z. B. bei der Befruchtung der
Seeigeleier von mir festgestellt wurden, ein. Diese Differenzierung der Beweg-
lichkeit, d. h. die Schaffung eines unbeweglichen Eies gegenüber einer möglichst
beweglichen Spermie, war nur durch Änderung des Verhältnisses zwischen
Plasmamasse und Kernmasse zu erreichen. Die hieraus gezogene Folgerung, daß
sich nur mechanische und quantitative Unterschiede in letztem Grunde in den
Geschlechtsverschiedenheiten ausdrücken, will indes nichts besagen, so lange
die These nicht widerlegt ist, daß es einen Punkt gibt, an dem quantitative
Unterschiede zu qualitativen werden. Durch Zunahme des Plasmas der weiblichen
Keimzelle und Zunahme der Kernmasse der männlichen Keimzelle scheint nach
den bisherigen Beobachtungen die Entwicklung des weiblichen Geschlechts, durch
die umgekehrten Verhältnisse, Abnahme des Plasmas der weiblichen Keimzelle
und Abnahme der Kemmasse der männlichen Keimzelle die Entwicklung des
männlichen Geschlechts begünstigt zu werden.
Neuere Versuche von Godlewski jun. lehren, daß bei Anwesenheit väter-
licher Chromosomen und bei fehlendem Eikem, mütterliche Charaktere vererbt
werden können. Ganz meinen Ausführungen entsprechend verbieten diese Ver-
suche, dem Kern eine ausschließliche Rolle bei der Vererbung zuzuschreiben,
lassen vielmehr erkennen, daß auch das Plasma für die Vererbung von Bedeu-
tung ist und geben damit eine wichtige Unterstützung für meine Auffassung,
daß Kern und Plasma individuelle, wenn auch aufeinander ange-
wiesene Systeme bilden.
Eine weitere Stütze dieser Auffassung ist die von mir festgestellte Tat-
sache, daß die Vereinigung von Ei und Sperma bei den Echiniden durch die
Verschmelzung von beiderseitigen Plasmateilen eingeleitet wird (8).
Auf die Frage, warum die Kerne bei Protozoen und Metazoen in Verbin-
dung miteinander treten, gibt uns die zunehmende Häufigkeit der Verschmelzung
der entstehenden Individuen in der aufsteigenden Organismenreihe Antwort.
Auf den niedersten Stufen des organischen Lebens, bei den kernlosen, aus
Nucleinen zusammengesetzten Bakterien und verwandten Formen, sehen wir
jede Vereinigung der durch Teilung entstandenen Individuen ausbleiben. Erst
bei den Protozoen mit ihrer Zweiteilung in Kern und Plasma tritt Conjugation
ein und zwar, den noch wenig entwickelten Kern- und Plasmasystemen ent-
sprechend, nur unter gewissen Bedingungen und in gewissen Zeiträumen. Bei
den Metazoen endlich mit ihren höchst differenzierten Kern- und Plasmasystemen
tritt Entwicklung ohne Befruchtung mit wenigen Ausnahmen überhaupt nicht
mehr ein. Der festgefügte molekulare Apparat der keinem Plasmasystem ange-
schlossenen Kernsubstanz der Bakterien erlaubt anscheinend eine unbegrenzte
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Sind Zellkern nnd Zellplasma selbständige Systeme? 347
Vermehrung derselben ohne zeitweilige Korrekturen. Mit der Vereinigung von
Kern und Plasma und dem Ausbau des Kerns in ein Bündel individueller
Chromosomen aber tritt die Möglichkeit einer übermäßigen Differenzierung in
dem schwankenden Verhältnis zwischen den beiden selbständigen Faktoren ein.
Diese zerstreuende und artauflösende Wirkung der wechselnden Beziehungen
zwischen den beiden wichtigsten Bestandteilen der Zelle macht eine beständige
arterhaltende Korrektur notwendig, wenn die Art die zu ihrer Erhaltung not-
wendige Konstanz der Kernplasmabeziehungen sich bewahren will. Diese sich
immer wiederholende Korrektur und Ausgleichung der eingetretenen Differen-
zierungen ist die Befruchtung. Es ist also das Gegenteil von dem zutreffend,
was die bisherigen Befruchtungstheorien behaupten. Nicht die durch >Am-
phimixis« geförderte Differenzierung ^ist das Resultat der Be-
fruchtung, sondern die Bekämpfung der Differenzierung und die
Wiederherstellung des gestörten Gleichgewichts zwischen Kern
und Plasma.
Die Befruchtung kann die Differenzierung im Rahmen der Art fördern, aber
darüber hinaus wirkt sie als Regulator, nicht artverm ehrend, wie man bisher
annahm, sondern artbeschränkend und artfixierend. Die Fälle, in denen die Be-
fruchtung die Entwicklung neuer Arten zu unterstützen scheint, sind seltene Aus-
nahmen gegenüber der ungeheueren Mehrzahl der Fälle, in denen das Gegenteil
stattfindet. Schon verhältnismäßig geringe Abweichungen, die zwei Individuen
in ihrem Bau voneinander zeigen, genügen bekanntlich, um ihre geschlechtliche
Vereinigung zu einer unfruchtbaren zu machen oder sie sterile Bastarde erzeugen
zu lassen. Nach der Lehre von der Amphimixis müßten aber die Bastarde vor-
zugsweise dem supponierten Befruchtungszweck, der Differenzierung, zu dienen
imstande sein. Da die Korrektur des gestörten Kernplasmaverhält-
nisses nur bei den Keimzellen eintritt, so bleiben nur diese ewig
jung und in gewissem Sinne unsterblich, während die Gesamtheit der
nicht durch die Befruchtung regenerierten Zellen durch immer weitergehende
Gleichgewichtsstörungen zwischen ihren Komponenten zugrunde geht.
Literatur.
1) Klebs, Über den Einfluß des Kerns in der Zelle. Biol. Centralbl. Bd. VII.
1887.
2) Verworn, Die physiologische Bedeutung des Zellkerns. Archiv f. d. ges.
Physiologie. Bd. LI. 1891.
3) Hofer, Experimentelle Untersuchungen über den Einfluß des Kerns auf das
Protoplasma. Jenaische Zeitschr. f. Naturwissenschaft. Bd. XXIV.
4j NiTSSBAUM, Über die Teilbarkeit der lebenden Materie. Archiv f. mikr. Anat.
Bd. XXVI. 1886.
5) B. Frank, Über die Pilzsymbiose der Leguminosen. Landwirtschaft!. Jahr-
bücher. 1890.
6) Brandt, Über das Zusammenleben von Tieren und Algen. Verh. d. pliysiol.
Gesellsch. zu Berlin. 1881.
7) Richard IIeri^vig, Über die Conjugation der Infusorien. Abhandl. d. bayer.
Akad. d. Wiss. IL Kl. Bd. XVII. 1889.
8) ScHÜCKiNG, Zur Physiologie der Befruchtung, Parthenogenese und Entwick-
lung. Archiv f. d. ges. Physiologie. Bd. 97.
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Kampf der Gewebe im Regenerat
bei Begünstigung der Hautregeneration.
Von
Onstay Tornler (Berlin).
Mit 23 Zeichnungen im Text von Paul Flamderky, Berlin.
Eingegangen am 22. Juni 1906 1).
Durch Betrachtung und Zergliederung von Naturobjekten und
durch Nebenerscheinungen bei Regeneral versuchen, die andern Zwecken
dienten, war der Verfasser dieser Abhandlung schon vor Jahren zu
der Überzeugung gelangt, daß die Gewebe, welche ein Begenerat
aufbauen, bei diesem Tun bis zu einem gewissen Grad unabhängig
voneinander sind und daß deshalb unter Umständen beim Eegenerat-
aufbau ein Kampf zwischen den beteiligten Geweben stattfinden kann.
Daraus ergab sich dann weiter als Folgerung, daß bei richtiger Aus-
nutzung dieser Sachlagen experimentelle Hemmungen von Regeneral-
Vorgängen möglich sein müßten; daß also z. B. auf diesem Weg
bei Tierarten mit Schwanzregeneration unter teilweiser Lahmlegung
dieser Regeneralkräfte dauerkurzschwänzige Individuen und solche
mit Knotenschwänzen experimentell zu erzielen seien. Die ange-
stellten Versuche haben darauf die Berechtigung dieser Schlüsse er-
geben, denn es gelang in der Tat alsbald, derartige Schwanzgebilde
künstlich hervorzurufen; die dauerkurzschwänzigen Amphibien sogar
auf zwei Wegen, von denen der eine hier des Näheren zu schdldem
sein wird.
Als Versuchsobjekt wurde der erwachsene THton cristatus be-
nutzt, dessen Schwanz bekanntlich so starke zweiseitliche Flachheit
*) Über die Resultate dieser Untersuchungen ist bereits in den Sitzungsber.
d. Gesellsch. naturforsch. Freunde zu Berlin. Jahrg. 1906. S. 61 kurz berichtet
worden.
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Kampf der Gewebe im Regenerat bei Begünstigung der Hautregeneration. 349
aufweist, daß er, wie am besten sein Querschnitt (Fig. 1) ergibt,
überhaupt nur von zwei Seitenflächen eingefaßt wird, die oben in
einer scharfkantigen Firste [a) aneinanderstoßen, während sie unten
durch einen Längswulst (k) verbunden
Fig. 1. sind, der nicht nur von den Schwanz-
seitenflächen scharf abgesetzt ist, son-
•1 "• .«*^ra dem einen fast kreisrunden Querschnitt
und auffallende Gelbrotfärbung besitzt,
und in dieser Arbeit als Schwanzboden-
wulst bezeichnet werden soll. Die Ge-
. Ä webe des Schwanzes aber sind folgende:
Den ideellen Schwanzmittelpunkt
bildet das Rückenmark (/"), das von
der Schwanzwirbelsäule {g) eingeschlos-
sen wird, die ihrerseits dann ihre eigne
Muskulatur (e) als Umhüllung aufweist.
Diese drei Komponenten des Schwanzes
im ganzen sollen nunmehr als Schwanz-
kern bezeichnet werden. Eingehüllt ist
dieser Schwanzkern (e, f, g) dann seiner-
seits und allseitig von hyalinem Unter-
>f hautbindegewebe (d, A, i), das an den
Schwanzseiten (in h) eine dünne Schicht
bildet, während es auf und unter dem Schwanzkern zu zwei mäch-
tigen Längswülsten [d und i) anschwillt, denen vor allem der Schwanz
sein großes Plattsein verdankt. Es soll in dieser Arbeit nunmehr
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350 Gustav Tornier
diese bindegewebige Bohre (d, ä, i) des Schwanzes als Bortengewebe
desselben bezeichnet werden; die Teile des Bortengewebes (ä) aber,
welche den Schwanzkern seitlich umhüllen, sollen rechte und linke
Kerndecke heißen; während jene Stellen, in welchen es sich wulstig
verdickt {d und i) als oberes und unteres Bortenpolster benannt
werden, weil jener Schwanzteil, zu dem sie gehören, im Gegensatz
zum Schwanzkern als obere und untere Schwanzborte bezeichnet
werden sollen. Eingehüllt ist dann endlich dieser gesamte »Schwanz-
inhalt« von der äußeren Haut {b, c), die in den Seitenflächen des
Schwanzes nach außen hin Eunzeln besitzt und schwarz gefUrbt
ist, während sie dagegen im Schwanzbodenwulst {k) glänzend glatte
Oberfläche aufweist und in rotgelber Färbung auftritt. Das zeigt
auch der Querschnitt des Schwanzes (Fig. 1) sehr schön, wo im
ganzen Verlauf der Schwanzseiten die Lederhaut (c) mit tiefschwar-
zen Chromatophoren an die Epidermis (b) anstößt, während in der
Cutis des Bodenwulstes (k) die schwarzen Chromatophoren vollständig
fehlen. -—
Die bei diesen Schwänzen angewandte Operationsmethode war
nun folgende: es kam darauf an, den Schwanz so zu verwunden,
daß der Schwanzinhalt bei seiner Regeneration erst dann mit der
Schwanzhaut in Berührung kam, wenn diese bereits längere Zeit
ihre gleichzeitig erhaltene Wundstelle verheilt hatte, und sollte da-
durch ein Kampf zwischen dem Regenerat der Schwanzhaut und dem
des Schwanzinhalts erzeugt werden. Es wurde das dann auf folgende
Weise erreicht: Nach Angaben des Verfassers und unter seiner Be-
aufsichtigung schnitt sein damaliger privater Hilfsarbeiter für wissen-
schaftliche Arbeiten, Rudolf Schmitt, zur Zeit in Altena, Anfang
Mai 1905 den Versuchstieren, nachdem sie in Wasser mit Äther-
zusatz betäubt waren, das Schwanzende etwa IV2 cn^ hinter dem
After, in einem Querschnitt ab. Am Hinterende des stehengeblie-
benen Schwanzrestes wurden dann Haut und Schwanzinhalt auf die
Entfernung von etwa V2 cm gegen den After hin , vorsichtig von-
einander losgelöst und der enthäutete Schwanzinhalt weggeschnitten,
während seine von ihm losgelöste HauthtiUe am Schwanzrest stehen-
blieb. Diese Enthäutung aber geschah einmal so (Fig. 4), daß die
Haut ohne weitere Einschnitte, also als einheitlicher Ring, losgelöst
wurde, und diese Methode ergab später die besten Erfolge, oder so
(Fig. 3), daß die Haut des Scliwanzrestendes sowohl oben ent-
lang der Schwanzfirste als auch im Schwanzbodenwulst etwa V2 cm
weit gespalten und dann vom Kern in zwei Lappen abgelöst wurde.
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Kampf der Gewebe im Regenerat bei Begünstigung der Hautregeneration. 351
Nunmehr wurde die Haut der operierten Schwänze vernäht, und
zwar dort, wo Bie in der Form einer Röhre losgelöst worden war,
durch nur zwei Nadeln an ihrem Schlußrande (wie die vier Punkte
in der Figur 4 angeben); dort aber, wo sie in zwei Lappen auslief,
durch zwei Nadeln am Schlußrande und durch je eine Nadel in der
oberen und unteren Längswunde (an den Stellen, die in Fig. 3 durch
Punkte bezeichnet sind). Die zum Zunähen benutzten Fäden wurden
darauf, nachdem sie ihren Zweck erfüllt hatten, nicht aus den Haut-
lappen herausgezogen, sondern blieben darin, bis sie der Organismus
aus eigner Kraft ausstieß, was nach des Verfassers Erfahrungen bei
Molchen den Wunden viel weniger schadet als das direkte Heraus-
nehmen der Fäden, und was in ungefähr 8 Tagen geschieht^). Auf
diese Weise erhielt also jeder ope-
rierte Schwanzrest ein Hinterende, '^^' '
in welchem der stehengebliebene
Schwanzinhalt vom Hinterende der
stehengebliebenen Schwanzhaut etwa
* 2 cm weit überragt wurde, und es
wurde hierbei ferner die Schwanz-
haut durch das Vernähen zu so
schneller Verheilung befähigt, daß *'*&• ^•
diese längst eingetreten war, wenn — - y\
das Regenerat des Schwanzinhälts T] 7 ]
mit den vernähten Hautstellen in \J
Berührung kam.
Bei drei von zehn auf diese Weise operierten Tieren mißlang
darauf die Operation, weil an ihrem Schwanzrest-Ende die künstlich
hergestellte Hautverlängerung durch Pilzinfektion zugrunde ging,
und die Tiere erhielten dadurch zum Schluß ein Schwanzrest-Ende,
das in seiner Verwundung von einem solchen nicht zu unterscheiden
war, das durch einfaches Querabschneiden des Schwanzes erzeugt
worden, und diese Tiere regenerierten deshalb bis zur Beendigung
dieser Arbeit, im Dezember 1905, das fehlende Schwanzende in nor-
maler Weise, d. h. in normaler Gestalt, und entweder bis zur nor-
malen Länge oder nur wenig kürzer (Normallänge: 60 — 63 mm,
Regenerat I: 60,5; H: 55; III: 54 mm). So bilden nunmehr diese
drei Tiere mit ihren regenerierten Schwänzen einen hochinteressanten
Gegensatz zu den sechs Tieren und deren Schwanzregeneraten, bei
1] Archiv f. Entw.-Mech. Bd. IV. 1896. S. 474.
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352 Gustav Tornier
welchen die Operation in der gewünschten Weise gelang, und sie
zeigen zugleich an, was sehr wichtig ist, wie weit eine Schwanz-
regeneration bei den gut operierten Tieren zurzeit gelangt wäre, wenn
dieselben ihren Verlust in normaler Weise hätten regenerieren können.
Dabei aber ist bei Triton cristatus^ was für die folgenden Unter-
suchungen von allergrößter Wichtigkeit ist, jedem normalen oder
pathologischen Schwanzregenerat schon von außen her — also gleich-
sam durch die Haut — anzusehen, wie und wann die einzelnen Ge-
webe an seinem Aufbau arbeiten; und zwar tritt bei der normalen
Schwanzregeneration zuerst die Überhäutung der Wundfläche ein,
wobei die Hautneubildung den verletzten Geweben des Schwanz-
inhalts eng anliegt, dann beginnt das Schwauzkernregenerat, d. h.
das Regenerat der Wirbelsäule, mit ihrem Muskelbelag vorzuwachsen,
und schiebt alsbald jenen Massenpunkt der Hautneubildung, an den
es stößt, als neue Schwanzhautspitze vor sich her, worauf dann all-
mählich die Hautneubildung als Hülle das Kemregenerat allseitig
umschließt und somit die Uranlage des nachwachsenden Schwanz-
endes herstellt.
Hat diese Schwanzspitzneubildung noch später eine Länge von
etwa Y2 cm erreicht, so sitzt sie als Kegel, der wie das Schwanz-
reststück zweiseitig flach erscheint, scharfspitzig dem Schwanzrest-
stück auf (Fig. 5). In der Mittellinie der Hautaußenseite dieses
Kegels (in e) aber, von der scharfen Kegelspitze an bis zum Schwanz-
rest [ä] hin, markiert sich unter der Haut
^*^" ^' dann das Schwanzkemregenerat als ein
Strang (c), der über sich die Haut als kon-
vexen Wulst vorgewölbt hat; und so scharf
tritt dieser Wulst hervor, daß sicher fest-
zustellen ist, daß er bei seinem Wachsen
die Hautspitze vor sich hertreibt. Unmit-
telbar über und unter diesem Hautwnlst
aber (Fig. 5 p^ und ^2^ wird die Außenseite der Haut dann femer
von einer oberen und unteren Längsgrube durchzogen, und wenn die
Neubildung gegen das Licht gehalten wird, so schimmert dieses in
den beiden Gruben durch die Neubildung durch. Die Haut der
Neubildung aber ist deshalb an diesen Schwanzstellen durchsichtig
und in das Schwanzinnere eingesunken, weil aus dem Schwanzrest
die beiden Schwanzbortenpolster, die zur Schwanznachbildung gehören
und in ihr unter den eingesunkenen Hautstellen liegen müßten, noch
nicht regenerell erzeugt worden sind. Erst später wachsen sie dann
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Kampf der Gewebe im Regenerat bei Begttnstigang der Hantregeneration. 363
in diese zusammengesunkenen Hohlräume, die ihnen gleichsam in
der Neubildung reserviert wurden, hinein und dehnen sich zum Schluß
darin so energisch aus, daß die Läugsgruben in der Hautaußenseite
der Neubildung verschwinden. Wenn dann aber das Schwanzregenerat
durch reines Hautspitzenwachstum seine Hautspitze nun noch weiter
verlängert, so erhält diese Spitze immer zuerst die hier besprochene
Form, d. h. aber: die neue Schwanzspitze wächst normaler Weise
derartig, daß immer zuerst das energisch vorwachsende Schwanz-
kemregenerat vorgetrieben wird und nun seinerseits die Schwanzhaut
zu weiterer Verlängerung zwingt. Das Bortengewebe des Schwanzes
hat dagegen ftlr das neue Schwanzspitzenlängenwachstum keine Be-
deutung, seine Regeneration erfolgt vielmehr später ^Is die aller
andern Gewebe, die an der Schwanzspitzenregeneration beteiligt sind.
Also schon die normale Schwanzregeneration lehrt folgendes:
Das Längenwachstum eines Schwanzregenerats wird allein durch
das Eemregenerat veranlaßt und reguliert und zwar, wie die durch-
sichtigen Schwänze von Froschlarven und weißen Axoloten sicher
beweisen : in letzter Instanz allein durch das Regenerat des Schwanz-
skelets, weil das letzte Ende des Schwanzkerns ohne Muskelbelag
ist, also nur aus dem Skelet noch besteht, das demnach allein die
Haut vortreibt, was bis zu einem gewissen Grad schon durch Morgan
und WiNTEBERT auch experimentell nachgewiesen worden ist. Die
Schwanzhaut selbst hat dagegen keine Befähigung zu selbständigem
Längenwachstum, sie wird vielmehr durch das vorwachsende Schwanz-
skelet zur Verlängerung gezwungen, indem sie durch dessen Vor-
wachsen zuerst passiv verlängert wird und diese Verlängerung dann
durch aktives intercalares Längswachstum fixiert, streng nach dem
vom Verfasser dieser Arbeit schon wiederholt aufgestellten Satz, daß
ttbemormaler Zugeinfluß auf Gewebe Längswachstum in demselben
hervorruft^). Das ünterhautbindegewebe des Schwanzes aber —
selbst soweit es Bortenpolster bildet — hat ftir das Längenwachstum
des Schwanzregenerats keine Bedeutung, sondern es verhält sich in
dem Regenerat, der Regeneration von Schwanzkem und Haut nach-
hinkend, durchaus seiner Natur als Abrund ungs- und Füllgewebe ent-
sprechend, indem es in jene Hohlräume des nachwachsenden Schwanz-
endes hineinwächst, die durch das Zusammenarbeiten von Schwanz-
kern und Hautregenerat vorher angelegt werden.
1) ToRNiEB, Das Entstehn der Gelenkformen. Archiv f. Entw.-Mech. Bd. I.
S. 343. — Entstehn eines Schweinehinterfdßes mit fünf Zehen und deren Be-
gleiterscheinungen. Archiv f. Entw.-Mech. Bd. XV. 1902. S. 349 ff.
Archir f. Entiricklungsmechaiiik. XXII. 23
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354
Gustav Toraier
In den nachfolgenden Auseinandersetzungen wird übrigens die
Berechtigung der hier aufgestellten Schlußfolgerungen noch viel klarer
zum Ausdruck kommen, und ergeben die einzelnen Tiere folgendes:
Belegung 1 (Fig. 6—8).
Wie bereits angegeben wurde, gelang bei sechs von den operierten
Molchen die Operation in der gewünschten Weise, und bei all diesen
Tieren verliefen dann auch noch die Anfangsstufen der beginnenden
Schwanzspitzenregeneration ziemlich gleichartig; ihre Hautwunden
verheilten nämlich relativ schnell und der Norm gemäß so vollkommen
und ohne Narbenbildung, daß sehr bald in der Schwanzhaut nichts
mehr von vorangehender Verwundung wahrzunehmen war. Nach
etwa einem Monat aber wulstete sich dann an diesem Schwanzrest
(Fig. 6 : a), unmittelbar dort, wo sein Hinterrand mit dem oberen und
unteren Rand zusammenstößt, die Schwanzhaut in Form je einer
Blase [b und d) nach hinten aus; beide Blasen sind dabei von vorn-
herein seitlich zusammengedrückt wie der Schwanzrest, und dieser
wird dadurch allmählich (Fig. 7 und 8) ausgesprochen zweizipflig
und äußerlich einem Fischschwanz ähnlich.
Der Grund, warum das geschieht, ist folgender: Im Schwanzrest
(a) beginnen die, unter den später vortretenden Hautstellen liegenden
Partien der Bortenpolster energisch Regeneralgewebe zu erzeugen;
dieses drängt dann den über ihm liegenden Teil der Haut vor sich
her und so entstehen die beiden schon erwähnten, höchst charakte-
ristischen Schwanzzipfel {b und d). Von den Zipfeln aber ist noch
zu bemerken, daß sie sich als echte Auswüchse der oberen und
unteren Ecke des Schwanzreststücks ausweisen, denn sie sind nicht
nur genau wie dieses seitlich zusammengedrückt, sondern in den
oberen Zipfel tritt der obere Saum des Schwanzreststücks in Form
einer scharfen Firste direkt ein; am Aufbau des unteren Zipfels aber
nehmen nicht nur die schwarzen Schwanzseiten teil, indem sie direkt
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Kampf der Gewebe im Begenerat bei Begttnstignng der HantregeneratioiL 355
in den Zipfel übergehen, soweit sie ihm anliegen; sondern der untere
Sand dieses Zipfels {f) erweist sich als unmittelbare Verlängerung
des am Schwanzrest vorhandenen gelbroten Grundwulstes ($f), wobei
übrigens charakteristisch ist, daB diedes Wulstregenerat bei seinem
ersten Entstehn schwarz gefärbt ist, dann sich aber schrittweise
ins G^lbrote umfärbt.
Mit dem Entstehn dieser beiden Bortenzipfel und deren lang-*
samem Fortwachsen bis zur Länge von nur 4 mm (bei 6 mm Schwanz-
restlänge) und bei gleichzeitiger geringer Tiefenzunahme derselben war
nun aber bei dem ersten der operierten Tiere die Schwanzregeneration
auch schon im wesentlichen erschöpft, denn sonst kommen bei ihm
nur noch die folgenden, ganz sekundären Form Veränderungen der
Zipfel in Betracht:
Der obere Zipfel [b) hat anfänglich bei 2 mm Länge einen ganz
geradlinigen unteren Rand, der mit dem oberen Zipfelrand in einer
ausgesprochenen Zipfelspitze zusammenstößt; der untere Zipfel [d)
aber könnte beim Entstehn — seiner Form nach — fast als ein um-
gekehrter oberer gelten, denn bei ihm bildet der obere Band eine
gerade Linie und sein unterer Band geht bogig zu dem oberen hin
und stößt mit ihm unter Spitzenbildung zusammen. Getrennt sind
dann die gegenüberliegenden Seiten dieser beiden Zipfel anfUnglich
recht weit durch den Schlußrand des Schwanzrestes (c). Später (Fig. 7)
nehmen darauf aber die beiden Zipfel [b und d) nicht nur langsam
an Länge sondern auch an Tiefe zu und zwar werden sie tiefer^ in-
dem der Zwischenraum (c), der ursprünglich ihre gegenüberliegenden
Seiten trennt, an Ausdehnung verliert. Die Vertiefung der Zipfel
erfolgt also, indem sie vorwiegend durch Verbreiterung ihrer gegen-
einander schauenden Bandpartien fortwachsen, während gleichzeitig
der zwischen ihnen liegende Schlußrand des Schwanzreststücks, der
sie ursprünglich in voller Höhe treimt, mehr und mehr verschwindet
Sie verlieren dabei außerdem zuerst ihre Spitzenbildung und runden
sich ab; zum Schluß aber (Fig. 7) ist der SchluBrand des Schwanz-
restes (c), der sie ursprünglich weit trennte, ganz verschwunden und
sie selbst stoßen mit den Ursprungsstellen ihrer gegeneinander
schauenden Bänder direkt aneinander.
Die Hauptergebnisse dieser seltsamen Begenerationsmethode aber
sind folgende: Dem Schwanzkehiregenerat (bzw. der darin vorhandenen
Skeletneubildung) ist es nicht gelungen, die durch eine vorschnelle
Begeneration vorschnell widerstandsfähig gewordene Schwanzhaut des.
Tieres vor sich herzuschieben und so ein neues Schwanzende am
23*
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356
Gastay Tornler
Tiere zur EntwickluDg za bringen; die auf diese Weise sehr wider-
standsfähig gewordene Haut hat also jede Regeneratbildnng des
Schwanzkems völlig verhindert, wie auch Röntgenbild und Präpa-
ration klar ergaben, indem sie an dem znr Regeneration bestimmten
Schwanzwirbelrest des Tieres nur Wundverschluß durch Knorpel er-
kennen lassen; den bindewebigen Bortenpolstem des Schwanzes da-
gegen gelang es, durch ihr Regenerat die vorgelagerten Schwanzhaut-
partien — wenn auch nur wenige Millimeter weit — vor sich her-
zuschieben und so Zipfelbildung am Schwanzrest zu erzeugen. Die
Schwanzhaut selbst dagegen hat von vornherein gar keine Neigung
gezeigt, selbständig in die Länge zu wachsen und so eine Spitzenbil-
dung am Schwanz einzuleiten oder gar für sich allein auszuführen.
Belegung 2 (Fig. 9—11).
Bei dem zweiten unter den operierten Tieren (Fig. 9) verhielt
sich der Schwanzrest anfangs, wie der des vorigen Tieres, indem er
Bortenzipfel {b und d) bis zur Länge von etwa 2 mm entwickelte;
dann trat bei ihm aber wegen des sehr langsamen Fortwachsens
der Zipfel ein scheinbarer Stillstand der Regeneralvorgänge ein; bis
endlich etwa IVa Mo-
Fig. 9, 10 und 11. jjj^te nach der Operar
tß -^üMH^HH^n^ tion, und nachdem die
>* '^WS^I^i^W^^^'^'^r^ gleichzeitig operierten
)<3^ SS^SBb^ ^ Schwanzreste mit nor-
maler Regeneration be-
reits Enden von 1 cm
Länge nachgebildet hat-
ten, es dem Schwanz-
kernregenerat dieses
Tieres (e) gelang, seine
Spitze in den oberen,
der zuvor angelegten Bortenzipfel hineinzubringen, wo diese Spitze sich
dann hart am unteren Zipfelrand entlang und in dem Raum zwischen
unterer Zipfelhaut und darüber liegendem Bortenpolster bis zur Hinter-
wand des Zipfels hindurchpreßte. Sobald das geschehen war, trieb
sie darauf (Fig. 10) jenen Hautbezirk des Zipfelrandes, gegen den
sie stieß, vor sich her, zwang dadurch die Haut an der betreflPenden
Stelle zum Längenwachstum und gestaltete so zum Schluß (Fig. 11)
am Schwanzrest von 7 mm [a] den Zipfel zu einem Schwanzende (6, e)
von 23 mm um.
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Kampf der Gewebe im Regenerat bei BegttnBtignng der Haatregeneration. 357
Aber dieses so eigenartige Schwanzspitzenregenerat des Tieres
ist außerdem sehr eigenartig gebaut und zeigt trotz seiner erreichten
Länge noch sehr deutlich, daß es durchaus nicht auf normale Weise
regeneriert worden ist, denn es kann ohne Übertreibung als eine nur
obere Hälfte eines normalen Schwanzendes bezeichnet werden, weil
ihm sowohl das untere Bortenpolster, wie auch der gelbrote Boden-
wulst des normalen Schwanzes völlig fehlen, wie die Figuren 9—11
sehr deutlich zeigen, indem sie zugleich das ganze Längenwachstum
dieser Schwanzneubildung veranschaulichen, das folgendes war:
Nachdem das Schwanzkemregenerat (Fig. 9: e) in den oberen
Schwanzbortenzipfel [b) eingedrungen war und nun das Auswachsen
des Zipfels zum Ersatz-Schwanzende veranlaßte, hatte dieses folgende
Form (Fig. 10): Hart an seiner Unterseite wulstete das Eemregenerat
{e) die Haut über sich bucklig nach den Seiten vor, so daß auf
den Außenseiten dieser Neubildung das Eindringen des Schwanz-
kems vollständig klar zu erkennen war. Über dieser Auswulstung
der Schwanzhaut lag dann femer eine Längsrinne, woraus sich
ebenso sicher ergab, daß an dieser Stelle der Hohlraum für ein
Schwanzbortenpolster angelegt war, das noch nicht hineingewachsen
war; dagegen fehlte drittens dieser Neubildung (in Fig. 10) die, bei
der normalen Regeneration unterhalb des Kemwulstes [e) vorhandene
untere Längseinsenkung, wie sie Figur 5 in p^ aufweist; ein Be-
weis dafür, daß eine untere Schwanzborte bei diesem Regenerat nicht
gebildet wurde. Beim weiteren Fortwachsen (Fig. 11) behielt darauf
das neu entstehende Schwanzende diese ursprüngliche Form ununter-
brochen bei, bildete also auch später nicht eine untere Borte aus,
dagegen die obere in normaler Weise. Außerdem aber fand sich am
unteren Rand dieser Neubildung auch zuletzt nicht die Spur eines
gelbroten Schwanzbodenwulstes ein, sondern die Haut blieb hier, was
sie — als Auswuchs aus der Haut der Schwanzseitenflächen — von
Anfang an war, schwarz und von zahlreichen Runzeln durch-
zogen. Daraus folgt also: An dieser Ersatzschwanzspitze fehlen, wie
bereits angegeben, vollständig das untere Bortenpolster und der gelb-
rote Bodenwulst. Wegen dieser eigenartig mangelhaften Ausbildung
aber könnte deshalb wohl dieser Schwanz als Krtimper- oder Not-
schwane bezeichnet werden.
Bestätigt werden diese Angaben, die schon aus der Entwicklung
der äußeren Gestalt des Schwanzes abzulesen waren, im übrigen auch
noch im ganzen Umfang durch eine Röntgenaufnahme dieses Schwanzes
und durch Mikrotomquerschnitte durch ihn, welche letzteren — wie
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368 GuBtav Tornier
auch den in Fignr 1 abgebildeten — Herr Dr. Gbünberg (Berlin) so
frenndlich war, für mich anzufertigen. Das Röntgenbild zeigt deutlich
die nachgewachsenen Wirbel in diesem Schwanz, die wesentlich
kleiner und viel weniger verkalkt sind als die normalen und von
diesen in einem schwachen Bogen abgehen, der seine Ausbuchtung
nach oben richtet. Sie ziehen femer ganz dicht am unteren Saum
ihrer Hauthülle hin, während über ihnen ein richtiges Bortenpolster
entlang streicht. — Die Mikrotomquerschnitte durch den Schwanz,
von welchen Figur 2 einen darstellt, zeigen über dem Schwanzkem,
der aus Schwanzmark (/*), Wirbel {g) und Muskeln (e) besteht, ein
richtiges oberes Bortenpolster [d), das allerdings sehr stark von oben
nach unten zusammengedrückt ist, aber aus einem Mittelstrang
faserigen Bindegewebes besteht, zwischen dessen Seitenästen, die
zweiseitig ausstrahlen, große Lücken liegen, die mit Gallerte angefüllt
sind. Seitlich vom Schwanzkem aber und unter demselben (in h)
bildet das Unterhautbindegewebe nur eine einzige, perlschnur-
artig angeordnete Reihe von Gallertlücken, d. h. eine einfache Kem-
decke, wie sie auch Figur 1 in ^ aufweist; es fehlt also diesem
Schwanzquerschnitt und damit dem Schwanzteil, dem er entnommen
ist, vollständig em unteres Bortenpolster. Auch zeigt dieser Quer-
schnitt des Schwanzes, daß die Haut, der er entnommen ist, durch-
weg schwarz gefärbt war, denn in seinem ganzen Umfang stößt die
Lederhaut [c] mit tiefschwarzen Chromatophoren an die Epidermis (b).
[Daß, nebenbei bemerkt, in diesen Querschnitten die Epidermis ohne
Palisadenzellen ist, kann auf sekundären Yerbilduugen der Epidermis
beruhen ; da die Haut dieses Tieres, als es noch lebte, aus Versehen
etwas angeätzt wurde.]
Dann fällt an diesem Schwanzende (Fig. 11) noch auf, daß seine
äußerste Spitze hakenartig nach links verbogen worden ist und daß
sich gleichzeitig die Firste der Neubildung eine Strecke weit nach
dieser Seite mitumgelegt hat. Der Entstehungsgrund dieser Verbildun-
gen aber war folgender: Als das Keraregenerat dieses Ersatzschwanzes
in den oberen Bortenzipfel eindrang, mußte es mit dem daselbst
bereits vorhandenen oberen Bortenpolster um Raum kämpfen; es war
dabei zwar siegreich und drängte vermittels der Spitze das Borten-
polster zurück, aber der Gegendruck, den es dabei vom Polster erhielt,
verbog seine Spitze in der nunmehr noch vorliegenden Form. — Aus
der Verbiegung dieser Spitze aber geht anderseits hervor, daß der
Molchschwanz sein verlorenes Ende genau so regeneriert wie der
Eidechsenschwanz, d. h. es werden von der Haut des Ersatzschwanzes
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Kampf der Gewebe im Regenerat bei Begünstigung der Hautregeneration. 359
zaerst die Basalpartien angelegt, dann die den Basalpartien benach-
barten, bis zum Schluß die Spitze erschemt, während dagegen vom
Skeletgewebe des Ersatzschwanzendes zuerst die Spitzenpartie an-
gelegt wird und dann nacheinander die immer mehr kopfwärts liegen-
den Partien, die vorderste also zuletzt.
Während also an diesem Schwanz der obere Bortenzipfel (Fig. 9: b)
zu einem SchwanzersatzstUck von 23 mm auswuchs , ging dagegen
der untere Bortenzipfel (Fig. 9: d) in seiner Längsentwicklnng (wie
Fig. 10 zeigt) nicht wesentlich über 2 mm hinaus; ein neuer Beweis
dafür, daß der obere Bortenzipfel nur durch das Hineintreten des
Skeletregenerats zu seiner extremen Entwicklung veranlaßt worden
ist. ~ Anfänglich war dann das Schwanznotende vom unteren Borten-
zipfel {d} durch den Schlußrand des Schwanzrestes [c) getrennt, später
wuchsen die ersteren dann gegeneinander vor, während der Schluß-
rand (c) in gleichem Verhältnis an Höhe verlor und zum Schluß ganz
verschwand, worauf das Ersatzstück des Schwanzes und der untere
Bortenzipfel zu einer Einheit verwuchsen.
Dabei wäre noch folgendes zu beachten: Der untere Bortenzipfel
(Fig. 9: d) trägt hier wie bei dem vorher beschriebenen Tier ein
Regenerat (f) des gelbroten Schwanzbodenwulstes (^), das anränglich
schwarz gefärbt ist, später sehr langsam Gelbrotfarbe annimmt. Dieses
Wulstregenerat nun hört aber bereits dann in die Länge zu wachsen
auf, wenn das Schwanzersatzsttick mit dem unteren Bortenzipfel
verwachsen ist und zwar einfach deshalb, weil die Hauthtille des
Schwanzersatzstücks nur Spitzenwachstum besitzt, also dem unteren
Bortenzipfel durch das Verwachsen mit ihr kein Antrieb zum Längen-
wachstum mitgeteilt wird.
In bezug auf den Kampf der Gewebe in einem Regenerat aber
ergibt speziell dieses Tier folgendes: Das Auswachsen seines oberen
Bortenzipfels zum Schwanzersatzsttick ergibt deutlicher, als es in
dieser Arbeit bisher bewiesen werden konnte, daß durch das Kern-
regenerat des Schwanzes und in letzter Instanz durch die darin ent-
haltene Skeletneubildung das wirkliche Längenwachstum des ganzen
Schwanzregenerats hervorgerufen und reguliert wird; daß vor allem
der Haut Selbständigkeit in dieser Beziehung nicht zukommt und es
ergibt sich zweitens, daß in dem Regenerat der Schwanzhaut die
Befähigung zur Schwanzspitzenbildung nicht lokalisiert ist, sondern
daß allem Anschein nach, jede Partie dieser Hautneubildung die
Fähigkeit hat zu einer neuen Schwanzspitze auszuwachsen, wenn das
Kemregenerat sie zwingt, es zu tun. — Es zeigt sich drittens, daß
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360
Gastav Tornier
die Bortenpolster des Schwanzes den Antrieb zn ausgiebigem Längen-
wachstam, ebenso wie dieHant^yom Schwanzskeletregenerat empfangen
und zwar seheinen in letzter Instanz Hohlräume, die in Berührung
mit ihnen stehen, als Regeneralantriebe auf sie zu wirken.
Belegung 3 (Fig. 12—14).
Bei dem operierten Tier Nr. 3 (Fig. 12—14) entstand ein Krümper-
schwanz wie bei dem vorigen durch Fortbildung des oberen Borten-
zipfels (b) zu einem solchen. Dabei waren die Entwicklungsvorgänge
aber so sehr ähnlich den eben beschriebenen, wie schon die Be-
trachtung der Figuren (9—14) ergibt, daß eine eingehende Beschreibung
dieser Vorgänge unnötig erscheint, denn auch hier drang das Kem-
regenerat (e) zum Schluß in den oberen Bortenzipfel (b) hinein, drängte
sich zwischen dem unte-
Fig. 12, 13 and 14. ren Hautsaum desselben
und dem darüber liegen-
den Regenerat des oberen
Bortenpolsters {b') müh-
sam hindurch und trieb
dann den Hauthinterrand
des Zipfels zu einem neuen
Schwanzendstück aus. In-
folge dieser eigenartigen
Entstehungsweise fehlen
dem letzteren aber sowohl
das untere Bortenpolster
wie auch der gelbrote Bodenwulst eines Vollregenerats. Eigenartig
gerade für diese Neubildung ist dann aber noch, daß sie mit dem
Schwanzreststück (a) einen sehr entschiedenen Winkel bildet, der schräg
nach oben geöffnet ist, d. h. es ist sehr deutlich zu sehen, daß hier das
Skeletregenerat, um in den darüber liegenden oberen Bortenzipfel zu
gelangen, nicht in der Schwanzlängsachse auswachsen durfte, sondern
schräg nach oben hin, und später hat es diese Wachstumsrichtung
dann ununterbrochen beibehalten. Auch bei diesem Tier ging zum
Schluß, nachdem am Schwanzrest (a) der Schlußrand (c) verschwunden
war, der untere Bortenzipfel [d] in der Haut des Schwanzersatzendes
auf und auch hier ist endlich am Schwanzersatzstück die äußerste
Spitze verbogen und zwar hakenartig nach unten und diese Vei>
krümmung entstand an ihr als das Kernregenerat in den oberen
Bortenzipfel eindrang und mit dessen Polster um Raum zu kämpfen
~T^\^
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ELainpf der Gewebe im Regenerat bei Begünstigung der Haatregeneration. 361
hatte, unter dem Einfluß des von diesem ausgehenden Gegendrucks.
Regeneriert sind hier an einem Schwanzrest von 6 mm Länge 20 mm;
die Sehwanzlänge im ganzen beträgt 2ÖY2 mm.
Belegung 4 (Fig. 15—17).
Bei dem Artling Nr. 4 begann die Schwanznachbildung wie bei
allen andern vorliegenden Versuchstieren mit dem Entstehen des
oberen und unteren Bortenzipfels am Schwanzrest; später trat dann
das Eemregenerat in den oberen Zipfel ein und machte ihn zu einem
neuen Schwanzendstück, bei dem infolge seiner Entstehungsweise
eine untere Schwanzborte und ein gelbroter Bodenwulst nicht an-
gelegt wurden. Am unteren Bortenzipfel des Tieres (in d) ent-
stand dagegen, wie bei allen derartigen Zipfeln, ein Bodenwulst-
Fig. lö.
Fig. 16.
Fig. 17.
regenerat (/) und zwar mit ursprünglicher Schwarzfärbung. Nun
verwuchsen aber drittens bei diesem Tier das neu entstehende
Schwanzendstück {b^b\e) und der untere Bortenzipfel (d) so ganz
auffällig früh miteinander (Fig. 15), daß dadurch das Bodenwulst-
regenerat (/*) bis ganz dicht an die neu angelegte Schwanzspitze
heranreichte und es den Anschein hatte, als würde wenigstens bei
diesem Tier nunmehr eine Bodenwulstfortsetzung mit dem neu ent-
stehenden Schwanzende mitwachsen und sich vielleicht gar bis auf
dessen Spitze nachträglich vorschieben. Aber der Satz, daß ein bei
Schwanzspitzenregeneration beteiligter Hautbezirk ganz ausschließ-
lich Spitzen wacbstam hat, bewährte sich — trotz sehr ungünstiger
Vorbedingungen — auch noch hier (Fig. 16); denn der Bodenwulst
nahm auch hier durchaus nicht am Weiterwachsen des neu entstehen-
den Schwanzendes teil und so entstand auch hier ein Schwanzende
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362 Gufltav Tomier
(Fig. 17), dem, soweit es aas dem oberen Bortenzipfel stammt, die untere
Schwanzborte und der gelbrote Bodenwulst ganz fehlen. Hinzaregene*
riert wurden übrigens zu diesem Schwanzrest von 9 mm Länge 18 mm.
Auch hier ist das nachgewachsene Schwanzende an der äußersten
Spitze verbogen und zwar nach oben; das war besonders gut sichtbar
ganz im Beginn seiner Entwicklung (Fig. 16); später wurde es un-
deutlicher.
Es entsteht nun die Frage, warum verwuchs bei diesem Tier
das nachgebildete Schwanzende so schnell mit dem unteren Borten-
zipfel? Zu antworten ist: Die bei diesem Tier am operierten Schwanz-
rest ursprünglich vorhandenen Hautwunden, verheilten nicht ganz so
schnell, wie die der bisher besprochenen Versuchsgenossen und zwar
ziemlich sicher aus dem Grunde, weil die Vemähung der Hauthttlle
hier lockerer ausfiel als bei den bisher untersuchten Individuen; was
freilich erst später zu beweisen ist.
Belegung 5 (Fig. 18—20).
Während bei den Tieren Nr. 2—4 die Nachbildung des Schwanz-
endes aus dem oberen Bortenzipfel (b) erfolgte, hat bei diesem Tier
das Eemregenerat (e) einen Ausweg in den unteren Bortenzipfel (d)
gefunden und diesen dann in ein SchwanzkrUmperende umgebildet.
Wie die Anfangs- und mittleren Stadien dieser Zipfelumbildung zeigen,
drang das Kernregenerat (Fig. 18 und 19: e) dabei ganz oben in den
unteren Bortenzipfel {d) hinein und schob sich mühsam unter Spitzen-
verbiegung zwischen dem oberen Hautstück des Zipfels und dem
darunter liegenden Bortenpolster desselben bis zum Hinterrand des
Zipfels vor, um diesen dann vorzutreiben. Da aber dieser untere
Bortenzipfel, wie alle andern, an seiner Unterseite mit einem Regene-
rat if) des gelbroten Schwanzbodenwulstes ig) versehen war, so hat
das vorliegende Schwanzersatzende an seiner ganzen Unterseite von
der äußersten Spitze an einen gelbroten Bodenwulst regeneriert, dessen
sämtliche Partien in ihrem Beginn immer zuerst schwarz gefärbt waren
und sich dann langsam aufhellten. Dagegen fehlt diesem Schwanz-
krUmperende — abgesehen von seiner äußersten Spitze — ein oberes
Bortenpolster, und außerdem ist an diesem Schwanz bisher eine Ver-
wachsung des oberen Bortenzipfels [b) mit dem SchwanzkrUmperende
nicht eingetreten, der Zipfel blieb vielmehr auf dem SchwanzrUcken
als selbständiger, flossenartiger Wulst dauernd erhalten und rundete
sich nur nach unten ein wenig ab. Kegeneriert sind hier an einem
Schwanzrest von 12 mm 22 mm. —
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Kampf der Gewebe im Regenerat bei Begünstigung der Hautregeneration. 363
Aach in diesem Schwanz erhielt das Eernregenerat, als es in
den unteren Bortenzipfel eindrang, eine Verbiegung nach oben, wie
an der ganzen äußersten Schwanzspitze des Tieres zu bemerken war.
Später kam dann aber an der äußersten Spitze des Schwanzkrümper-
endes ein oberes Bortenpolster {k) zur Ausbildung, ohne Zweifel da-
durch, daß daselbst vom unteren Bortenpolster [d') Gewebselemente
rechts und links zwischen Eemregenerat und Haut als Kemdecken
hinaufwuchsen, sich später über dem Kemregenerat vereinigten und
dann das erwähnte Stückchen oberen Bortenpolsters [h) erzeugten;
die höchst wichtige Folge davon aber war, daß die bis dahin nach
oben verbogene äußerste Schwanzspitze des Tieres sich nunmehr
y ^
Fig. 20.
gerade richtete. Der Grund liegt darin, daß sich mit der Ausbildung
des oberen Bortenpolsters die bisher abnormen Spannungsverhältnisse
an der Schwanzspitze in normale umwandelten, und das obere Borten-
polster [h] die verbogene Schwanzspitze beim Wachsen seiner Zellen
zurtickdrückte, genau so wie das bereits für einen ähnlichen Fall an
einem Axolotenschwanz durch den Verfasser nachgewiesen wurde und
was an andrer Stelle später noch einmal ausführlich besprochen
werden soll^).
In bezug auf den Kampf der Gewebe im Regenerat aber be-
stätigt speziell dieses Tier alles bisher Gefundene in ausgezeichneter
Weise: denn auch bei ihm zeigt sich vor allem — und zwar in andrer
Weise und an andern Stellen des Regeneralbezirks, als bei den bisher
beschriebenen Tieren — , daß erstens der Schwanzhaut und den Borten-
polstem des Schwanzes kein selbständiges Längenwachstum zukommt.
1) Zoologischer Anzeiger. 1900. (XXm.) S. 254.
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364
Gustav Tomier
sondern daß das Eernregenerat ihr Längenwachstum veranlaßt und
reguliert, und zweitens, daß im Regenerat einer Schwanzhaut jede
Stelle zu einer Schwanzspitze auswächst, wenn das Skeletregenerat
sie dazu zwingt.
Belegling 6 (Fig. 21-23).
Bei dem letzten der vorliegenden Versuchstiere begann die Re-
generation am Schwanzrest-Endrand (a) genau so wie bei allen bisher
besprochenen, denn es entstanden auch bei ihm zuerst der obere und
untere Bortenzipfel [bnnid), dann aber begann der Schwanzhautrest (c),
welcher die beiden Bortenzipfel [b und d) trennte, sehr langsam nach
Fig. 21.
Fig. 22.
Fig. 23.
hinten hin vorzuwachsen und den Winkel, den die Bortenzipfel mit-
einander bildeten, auszufüllen, bis zum Schluß das Schwanzreststttck
an seiner Hinterseite völlig von einem halbmondförmigen Bortenfort-
satz eingehüllt war. Zur Vollendung dieser Entwicklung brauchte
der Schwanz aber über 2 Monate, d. h. eine Zeit, in welcher die
Schwanzreste der Tiere mit Schwanzvollregeneration bereits Ersatz-
enden von über 1 cm Länge erzeugt hatten. Der vorliegende Schwanz
aber entwickelte seinen Bortenhalbmond überhaupt so langsam, daß
es den Anschein hatte, als würde außer dieser Bortenbildung an ihm
nichts weiter geschehen, da aber gelang es doch noch seinem Kern-
regenerat (Fig. 22 e) im letzten Augenblick in den halbmondförmig
gewordenen Bortenfortsatz einzudringen und zwar genau in die Mittel-
linie desselben, welche zugleich die Mittellinie des Schwanzes war.
Einmal dahin gelangt (Fig. 22), schob das Eernregenerat alsbald die
Hautpartie, an die es stieß, recht energisch vor sich her und legte
dadurch den Grund zum Entstehn eines Ersatzschwanzendes, welches
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Kampf der Gewebe im Regenerat bei Begünstigung der Hantregeneration. 365
bei seinem Weiterwachsen sofort normale Qestalt aufwies und an
einem Schwanzrest von 12 mm Länge 20 mm voli-regenerierten
Schwanzersatzes hervorgebracht hat.
Daß aber an diesem Schwänztest noch ein Ersatzende von nor-
maler Gestalt entstand y war möglich , weil hier dem Schwanzkem-
regenerat bei seinem Vorwachsen, wie bei normaler Begeneration,
ein oberes nnd unteres Bortenpolster anlagen und diese dann sofort
beim Vortreiben der Ersatzschwanzspitze auch ihre Regeneration in
normaler Weise aufnahmen, indem sie hier wie bei echtem Spitzen-
wachstum in den über und unter dem Eernregenerat entstehenden
Hohlraum (p^ und p^) hineinwuchsen. Es ist das also zugleich ein
neuer Beweis dafür, wie sehr die Bortenpolster des Molchschwanzes
in bezug auf Regeneration in Längsrichtung unselbständig sind und
vom Vorarbeiten des Kemregenerats abhängen.
DaB es aber bei diesem Tier, wie bei allen bisher untersuchten,
dem Schwanzregenerat durchaus nicht leicht wurde, zwischen den
ihm anliegenden Bortenpolstern hindurchzudringen und dann eine
Schwanzersatzspitze anzulegen, zeigte sich bereits beim ersten Sichtbar-
werden des Kemregenerats in dem Bortenhalbmond, denn es trat in
denselben bereits stark nach rechts ausgebogen ein und seine Spitze
schob dabei unter Zunahme dieser Eemverbiegung, wie sich deutlich
an der Hautoberseite erkennen ließ, einen Wulst von Bortengewebe
vor sich her, der dann immer mehr zusammengedrückt wurde und
endlich in zwei Hälften geteilt, seitlich auswich. Die Skeletspitze
hat dann aber ihre, im Kampf mit den Bortengeweben erworbenen
Verbiegungen — wie normal ist — im ganzen Verlauf der Regeneration
beibehalten und zeigt deshalb auch beim Abschluß dieser Arbeit noch
zwei Verbiegungsschleifen, die unmittelbar aufeinander folgen.
Zum Schluß wäre noch zu bemerken:
Für die Erscheinung, daß es hier dem Schwanzkemregenerat
im letzten Augenblick noch gelang, genau in der Richtung seines
Muttergewebes vorzudringen und darauf ein normales Schwanzende
zu regenerieren, dürfte als Entstehungsursache anzusehen sein,, daß
bei diesem Tier nach dem operativen Herstellen des Schwanzkern-
restes und seiner beiden künstlichen Hautanhänge, diese letzteren
ohne Absicht an ihrer Hinterwand nicht fest genug vernäht wurden.
Infolgedessen erzeugten die beiden Hautlappen bei ihrem späteren
Aneinanderwachsen einen relativ großen Streifen neuen Hautgewebes
zwischen sich und dieses war nun infolge seiner Größe und Jugend
so elastisch, daß es durch die Regenerate der Kemdeckzellen, d. h.
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366 Gnstay Tornier
durch jene Bortenzellen, welche den Schwanzkem rechts und links
bedecken, vorgetrieben und zu einem besonderen Bortenabschnitt (c)
zwischen den beiden Bortenzipfeln des Schwanzes {b und d) umge-
wandelt wurde. In den Hohlraum aber, der dabei zwischen den
beiden Regeneraten jener Eemdeckzellen (infolge des Zwischenliegens
des Schwanzkerns) passiv entstand, wuchs dann das Kernregenerat
des Schwanzes, dem damit Wachstumsfreiheit wurde, hinein; es ge-
langte femer in diesem Hohlraum (c) zu dem hinteren Hautsaum
dieses Bortenabschnitts und konnte so durch diese Art glücklichen
Zufalls, wenn auch erst nach Monaten, das fehlende Schwanzende
des Tieres in normaler Weise regenerieren.
Aus diesem Beispiel aber ergibt sich dann für die vorangehend
besprochenen Schwanzformen noch folgendes:
Sind bei einem Schwanzrest die überragenden Hautlappen an
ihren Schlußrändern nur locker vernäht worden, so findet durch zu
frühes Verheilen der Haut starke Hemmung der Kemnachbildung
und monatelange Hemmung der eigentlichen Schwanzregeneration und
dann doch noch Verlauf derselben in normaler Weise statt. — Bei
festerem Vernähen der Schlußränder der Hautlappen kann das Schwanz-
kemregenerat dagegen nicht mehi; den vor ihm liegenden Hautwall
vor sich herschieben, es sucht dann einen Ausweg in einen der
mittlerweile entstandenen Schwanzbortenzipfel und erzeugt regenerell
ein abnorm angelegtes und nicht vollwertiges Schwanzende, d. h.
ein richtiges Krümper- oder Notende. Durch ein sehr festes und
gutes Vernähen der Schlußränder der Wundlappen aber wird das
Schwanzkernregenerat an jeder Regeneration verhindert, damit wird
zugleich aber auch in der begonnenen Schwanzneubildung die Be-
fähigung zum Längenwachstum unterdrückt und der Schwanz des
Tieres bleibt deshalb ein experimentell fixierter Stummelschwanz.
Also wird bei diesem Experiment die Regeneralkraft des Molch-
schwanzes proportional der Güte der Hautvernähung und proportio-
nal der davon abhängigen Beschleunigung der Hautverheilung
geschwächt, bis sie bei einem bestimmten Beschleunignngsoptimum
der Hautverheilung überhaupt nicht mehr in Tätigkeit zu treten
vermag.
Es ist nun aber natürlich klar, daß eine Hautvernähung und
eine dadurch hervorgerufene schnelle Verheilung einer Hautwunde
nicht als unmittelbare Veranstalter der Wachstumshemmung des zu-
gehörigen Schwanzkemregenerats ausgegeben werden können; sondern
sie wirken, indem sie das Hautregenerat, das hier zwischen den
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Kampf der Gewebe im Regenerat bei Begttastigang der Haatregeneration. 367
Wnodrändem angelegt wird, in folgender Weise über die Eigen-
Bchaften hinaoBtreiben, die es bei Vollregeneration besitzen würde:
Bei all den vorliegenden Schwänzen bedurfte es znr Verheilung
der Hautwunde nur sehr kurzer Zeit, zweitens wird in dieser Zeit in
all diesen Schwänzen ein Hautregenerat von nur ganz geringem
Umfang erzengt, das schon infolge seiner geringen Größe sehr viel
geringere Elastizität besitzt, als das viel ausgedehntere, das bei einer
Yollregeneration in Tätigkeit tritt. Es hat aber außerdem das Haut-
regenerat, das hier vorliegt, durch sein schnelles Entstehn noch Zeit,
sich stark zu verdicken, bevor das Eemregenerat an dasselbe stößt und
büßt bis dahin also von seiner schon anfangs schwachen Zugelastizität
noch bedeutend ein ; während ein, der Yollregeneration eines Schwanzes
dienendes Schwanzhautregenerat sehr viel weniger an der Berührungs^
stelle verdickt ist, wenn es mit einem gleich starken Eemregenerat, wie
das eben erwähnte, in Kampf gerät. Das vorliegende Hautregenerat
hat also durch das Vernähen und die daraus folgenden Entwicklungs-
vorgänge viel mehr Widerstandskraft gegen Zugdehnung erworben, als
jenes Hantregenerat besitzt, welches nach Verlauf derselben Entwick-
lungszeit bei größerem Umfang und in geringerer Dicke für Vollregene-
ration eines Schwanzes in Verwendung tritt; und aus diesem Grund
geht hier das durch Vernähung entstandene Hautregenerat siegreich
aus dem Kampf hervor, den es mit seinem Kemregenerat auszufechten
hat, das seinerseits dagegen bei Vollregeneration gegenüber der Haut
siegreich sein würde, weil ihm alsdann eine gleiche Stoßkraft, wie
bei Hautvemähung, zum Angriff gegen eine viel weniger dehnungs-
feste Hautstelle zur Verfügung stände.
Zusammenfassung.
An Molchschwänzen, die nach Abschneiden der Spitze so her-
gerichtet wurden, daß ein Hautring die Wundstellen der übrigen
Schwanzgewebe überragte, worauf der Hautring vernäht wurde und
so lange vernäht blieb , bis die Hautwunde auf Dauer verheilt war,
ergab sich folgendes:
1) Die Gewebe, welche gezwungen sind, gemeinsam ein Regenerat
aufzubauen, sind bei dieser Arbeit bis zu einem gewissen Grad un-
abhängig voneinander und können deshalb dabei sogar in Kampf
miteinander geraten.
2) Arbeiten Gewebe bei gemeinsamem Regenerat-Aufbau mit-
einander in bestimmter Harmonie, so entsteht ein Vollregenerat
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368 Gustav Tornier
3) Ist beim Regenerat-Auf baa der Kampf zwischen den beteiligten
Regeneranten von größtmöglicher Heftigkeit, so verhindert er jedes
Regenerat-Entstehn und in weniger extremen Fällen ergibt er Stttmper-
oder Notregenerate, d. h. Regenerate, welche nur einen Teil der
Charaktere des betreffenden Yollregenerats besitzen.
4) Bei Molchen entstehen — infolge des Kampfes der Regeneral-
gewebe aus einer zum Regenerieren geeigneten Querschnittwunde —
Dauerkurzschwänze, wenn die Hautlappen der Wunde schon verheilt
sind, ehe die andern Gewebe zu regenerieren begonnen haben; bei
mäßig vorschnellem Verheilen dieser Hautlappen entstehen Stümper-
schwänze; sehr wenig vorschnelle Hautlappenverheilung aber ergibt
nach sehr verspätet einsetzender Entwicklung SchwanzvoUregenerate
mit vermindertem Längenwuchs. Also wird bei diesem Experiment
die Regeneralkraft des Molchschwanzes proportional der Güte der
Hautvemähung und proportional der davon abhängigen Beschleunigung
der Hautverheilung geschwächt, bis sie bei einem bestimmten Be-
schleunigungsoptimum der Hautvemähung und -verheilung überhaupt
nicht mehr in Tätigkeit zu treten vermag. Die Hautvemähung und
schnelle Hautverheilung sind aber nicht die direkten Ursachen der
Vernichtung der Regeneralkraft des Schwanzes, sondem sie wirken
nur indirekt, indem durch sie das Hautregenerat, das unter ihrem
Einfluß entsteht, unter Wachstumsbedingungen gebracht wird, die ihm
zum Schluß gestatten, mit viel mehr Widerstandskraft gegen Zug-
dehnung in den Kampf gegen das Kemregenerat einzutreten, als
diesem bei Vollregeneration von dem zugehörigen Hautregenerat
entgegengesetzt wird.
5) SchwanzvoUregenerate an Molchschwänzen entstehen, wenn
das Haut-, Unterhautbindegewebe- und Kemregenerat einer Schwanz-
wunde ohne Kämpfe miteinander, zur Ausbildung kommen.
6) Das Längenwachstum eines Schwanzregenerats wird allein
durch sein Skeletregenerat hervorgerufen und reguliert.
7) Dem Schwanzhautregenerat fehlt jede Befähigung zu selb-
ständigem Längenwachstum; es wird durch die dahinter liegende
Skeletneubildung zur Verlängerung gezwungen, indem es durch deren
Vorwachsen zuerst passiv ausgedehnt wird und diese Verlängerung
dann aktiv durch intercalares Wachsen dauerfest macht.
8) Zugeinfluß erzeugt in Schwanzhautregeneraten intercalares
Längenwachstum.
9) Im neuen Hautüberzug einer Schwanzquerschnittwunde ist
die Befähigung zur Schwanzspitzenbildung nicht lokalisiert; jede
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Kampf der Gewebe im Regenerat bei Begünstigung der Hautregeneration. 369
Partie dieser Hantnenbildung hat die Fähigkeit, zu einer Schwanz-
spitze ausznwachsen, wenn das zugehörige Schwanzregenerat sie
zwingt, es zu tun.
10) Das Unterhantbindegewebe des Schwanzes, selbst in der
Form der Bortenpolster, hat in seinen Regeneraten nur ganz geringe
Befähigung zu selbständigem Längenwachstum. Es empfängt den
Antrieb zu ausgiebigem Längenwachstum vom Skeletregenerat, indem
dieses ihm durch Vortreiben der Haut die Hohlräume öflftiet, in die
es hineinregenerieren kann.
11) Das Skeletregenerat des Schwanzes ist nicht imstande,
regeneriertes Schwanzbortengewebe zu durchbrechen; es verbiegt sich
daher mehr oder weniger, wenn seine Spitze an ein solches stößt.
12) Wie bei den Eidechsen werden auch bei den Molchen von
der Oberhaut des Schwanzersatzstücks zuerst die Basalpartien an-
gelegt, dann die den Basalpartien benachbarten Mittelzonen und zum
Schluß erst die Endpartie. Genau so verhält sich das Unterhaut-
bindegewebe des Schwanzes. Vom Skeletregenerat des Schwanz-
ersatzstücks dagegen wird zuerst die Endpartie angelegt, dann
kommen nacheinander die immer mehr kopfwärts liegenden Partien
zur Entwicklung; die Basalpartie also zuletzt.
ArcliiT f. Entwicklangsmecbanik. XXII. 24
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Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Wachstums
im Bereiche angeborener Defel(te
nebst einschlägigen Bemerkungen über Inaktivitäts-
atrophie der Knochen in der Wachstnmsperiode
auf Grand der
Beschreibung des Bumpfskeletes eines Erwachsenen
mit lateraler Thoraxspalte 0-
Von
Prof. Dr. 6. Pommer.
(Aus dem patholog.-anatom. Institut der k. k. Universität Innsbruck.)
Mit Tafel XIU.
Eingegangen am 2. Juli 1906.
Inhaltsübersicht.
Seite
Einleitung 372
Beschreibung des Bumpfskeletes mit lateraler Thoraxspalte, und zwar:
Beschreibung der Thoraxlücke, der ihr benachbarten Rip-
pen, des Brustbeines, der Schlüsselbeine und Schulter-
blätter und der Wirbelsäule 373—378
Vergleichendes über Scholterhöhe, Schlüsselbeine und Schulterblätter,
Hervorhebung des Auffälligen und Fragestellung 378—380
Literaturmitteilungen über Fälle lateraler Thoraxspalte 381 — 406
und zwar: Der anatomisch untersuchte Fall Ritteb-Eppinqeb . . . 381—386
Die Fälle ans frühem Kindesalter SoEMMEBiNas/ Fleisch-
manns und Ahlfelds 386, 387
Der anatomisch untersuchte Fall Frorieps 388, 389
Vergleichende Zusammenstellung der an Lebenden vorgerückten
Kindesalters und an Erwachsenen beobachteten Fälle von:
SCHLÖZER-RiED, HaECKEL, BARTELS, FrICKHOEFFER,
Schlesinger, Seitz, Pulawski, Rieder, Volkmann-
Freund 389—405
Vergleichendes über die Skeletdefekte 390—392
1) Vorläufig mitgeteilt in der Sitzung der Innsbrucker wissensch. Ärzte-
gesellschaft vom 3. März 1906.
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Ein anatomischer Beitrag snr Kenntnis des Wachstums usw. 871
Seite
Vergleichendes über die begleitenden Veränderungen der Muskulatur
und der Haut und Brustdrttse 892, 898
Vergleichung der besonderen Befunde an den Rippen und besttglich
des Brustumfanges 894—896
Vergleichung der Wirbelsäulen -Befunde 896, 897
Zusammenstellung der Angaben über begleitende Funktionsstörungen
und kompensatorische Muskelhypertrophie 898, 899
Vergleichende Zusammenstellung der Schlüsselbein- und Schulterblatt-
Befunde 400-403
Vergleichende Zusammenstellung der Brustbein-Befunde 408—405
Trennung der auf die embryonale Entwicklungsperiode zu beziehenden
Veiünderungen von denen des funktionellen Wachstums (betreffs
Brustbein, Bippen, Schlüsselbeine und Schulterblätter) 406—410
Ober die Entstehungsart der Thoraxlücke als mechanisch bedingter
Hemmungsbildung der Rippen 411, 412
Über die Beziehungen der Rippen zur Bildung des Brustbeines aus den
Stemalleisten 418
Über die Wachstumsverschiedenheiten .der defekten Rippen . • • . . 414—416
Funktionelle Erläuterung der von den benachbarten Skeletteilen der
Defektseite dargebotenen Befunde 417
Erwägungen über den Einfluß der Zwerchfell- und der Brustatmung,
im besonderen zum Zweck der Erklärung der Rippen- und Brust-
beinveränderungen 417—421
Vergleichende Bemerkungen über dimensionale Wachstumssteigerung
durch einseitige Erhöhung der Spannung in dem von mir (1894} be-
schriebenen Falle von Schädelasymmetrie infolge Kephalhaematoma
intern 422
Erklärungsversuch fUr die Verkürzung der dem Defektgebiete benach-
barten Rippen und des Schlüsselbeines der Defektseite 423—426
Über die verschiedenen ursächlichen Umstände der Beeinträchtigung
und der Steigerung des Längenwachstums der Knochen 426—480
Mitteilung eines Falles von Inaktivitätsatrophie der Knochen in der
Wachstumsperiode 428, 429
Literaturangaben über Fälle funktioneller Verlängerung 430
Unterscheidung der Wirkung dauernden und intermittierenden Druckes,
Annahmen betreffs der Beeinflussung des Knochenwachstums durch
funktionelle Beanspruchung im allgemeinen und im besonderen des
Längenwachstums durch intermittierende Druckwirkungen 481—486
Über Inaktivitätsatrophie bzw. Knochenatrophie überhaupt, über lacu-
näre und vasculäre Resorption ; Versuch einer Vereinbarung der von
mir vertretenen Ostoklastentheorie mit den funktionellen Anschau-
ungen über Knochenapposition. Gründe für die Annahme Ortlicher
Blutdrucksteigerung bei der lacunären und vasculären Resorption . 483 — 436
Vergleichende Messungen zur Erörterung der Frage, inwieweit in den
Asymmetrieverhältnissen des beschriebenen Präparates eine Steigerung
des Längenwachstums auf der der Thorazspalte gegenüberliegenden
Seite zum Ausdruck gelangt 487—489
Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung in 13 Punkten. . 440—443
Erklärung der Abbildungen 444
24*
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372 Q. Pömmer
Das Präparat; dessen Beschreibung in, diesen Blättern vor allem
beabsichtigt ist, fand ich seinerzeit bei der Übernahme der Sammlung
des Innsbrucker pathologisch-anatomischen Institutes (1887) ohne jeg-
liche Angabe und Bezeichnung vor.
Es war leider weder über die Geschichte des betreffenden Falles,
noch über .den Obduktionsbefund, noch darüber eine Nachricht za
erlangen, unter welchem der früheren Vertreter des Faches in Inns-
bruck, ob unter Seg.-Rat Professor Dr. Ferdinand Schott oder
bereits früher unter Hofrat Prof. Dr. R. v. Dantscher, die Samm-
lung der Lehrkanzel fUr pathologische Anatomie in den Besitz dieses
seltenen Objektes gelangt ist.
Die Zahl der Fälle von lateraler Thoraxspalte, die bisher yer-
öffentlicht sind, erfuhr erst in den letzten Jahren eine Steigerung, so
daB ich im ganzen 16 Fälle in Originalmitteilungen zum Vergleiche
heranziehen konnte.
In den meisten dieser Mitteilungen aber ist nur über den am
Lebenden aufgenommenen Befund berichtet; nur von wenigen Fällen
ist eine Beschreibung oder bildliche Darstellung des anatomischen
Verhaltens der betreffenden Skelet- und Muskelgebiete gegeben.
Schon mit Bücksicht auf diese Sachlage und in Anbetracht des
Interesses, welches dem Gegenstande wegen der nahen Beziehungen
der lateralen Thoraxspalte zu andern Entwicklungsstörungen i) zu-
kommt, scheint eine Beschreibung des besagten Präparates ^j nicht
ungerechtfertigt.
Im besonderen aber mOchte ich sie damit rechtfertigen, daß das
Präparat bei näherer Untersuchung einen bedeutsamen Einblick in die
Wachstumsvorgänge im Bereiche angeborner Defekte und überhaupt
in die Momente gewährt, die für das Wachstum der Knochen von
Belang sind.
Meine nächste Aufgabe wird sein, die Befände zu beschreiben,
die das Präparat darbietet. Daran soll sich dann der Versuch an-
schließen, unter Berücksichtigung der einschlägigen Literaturangaben
die Frage der Entstehung der nachgewiesenen Veränderungen zu
erörtern. —
1) So zu denen der Brust- and der Zwiscbenrippenmaskeln, sowie zu den
Entwicklungsstörungen der Brustdrüse, der allgemeinen Decke des Brustkorbes
und zu denen der oberen Extremitäten.
^ Das jetzt im ELataloge der Sammlung des Innsbrucker patbol.-anatom.
Institutes die Nr. M 69 trägt.
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Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Wachstums usw. 373
Wie die in Fig. 1 gegebene Vorderansicht des Präpai^ates*)
erkennen läßt, ist die rechtseitige Bruötwand von einer großen,
eiförmig gestalteten Lücke eingenommen, die bei einer größten Breite
von 12 cm, eine Länge von 20 cm hat.
In ihrem Bereiche fehlen'die vorderen Körperteile nnd die
Knorpel der 2., 3. und 4. Kippe, sowie der vorderste Körperteil der
5. Rippe.
Es ist von der 2. rechten Kippe nur ein 12,ö cm langes Stück
ausgebildet, das sich mit seinem vorderen jspitzen Ende, 2 cm entfernt
von den Indsura clavicnlaris dextra des Brustbeines, an die 1. rechte
Kippe anlegt.
Von der 3. Kippe und von der 4. ist nur je ein beiläufig 9 cm
langes Stück entwickelt.
Das ebenfalls spitz auslaufende vordere Ende der 3. Kippe liegt,
angeschmiegt an die 2. Kippe, beiläufig 5 cm entfernt von der End*
spitze der letzteren.
Die 4. Kippe endet frei in Form eines querabgesetzten Stumpfes.
Das von den hinteren Teilen der 5. Kippe vorhandene 13 cm lange
Stück liegt, allmählich sich zuspitzend, der 6. Kippe nahe an. Außer-
dem ist eine zur 5. Kippe gehörende Knorpelspange von 10 cm Länge
vorhanden; diese erstreckt sich oberhalb des 6. Kippenknorpels hin
und steht, während sie lateralwärts in einem spitzen Ende ausläuft,
in medianer Kichtung mit einer dem rechten unteren Kande des Brust-
beinkörpefs ziemlich beweglich anhaftenden dünnen Knorpel platte
von 5 cm Länge und 2 — 3 cm Breite in Zusammenhang.
Oberhalb dieser knorpeligen Gebilde, die übrigens gleich den
anschließenden Teilen des rechten knorpeligen Kippenbogens in
schräger Kichtung nach vom und außen stark vorspringen, wird die
Thoraxlücke medialwärts von dem verhältnismäßig tief zurücktretenden
rechtseitigen Kande des Brustbeines begrenzt. Dieser Kand entbehrt
infolge des Fehlens der betreffenden Kippenansatzstücke auch der
costalen Incisuren und erstreckt sich in einem flachbuchtigen Ein-
schnitt glatt zngeschärft bis zur Ansatzstelle der 1. Kippe hinauf.
1) Es sei hier erwähnt, daß das Präparat, wie die Figuren 1 und 3 ohne
weiteres erkennen lassen, besonders im Gebiete der Schulterblätter unvoll-
ständig maceriert ist, was für die Aufnahme von Befunden betreffs der
Lage der Schulterblätter großen Wert besitzt. Ungünstig erweist sich aber dieser
Umstand begreiflicherweise fUr eine eingehende und genaue Messung und Dar-
stellung des Gebietes der Schulterblattfortsätze, das in den photographischen
Aufnahmen der Figuren demgemäß keine klaren Begrenzungslinien zeigt.
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374 G. Pommer
AnBerdem läBt aber eine nähere Betrachtung des Nachbar-
gebietes der Tboraxittcke bzw. der Rttckenseite des Präparates
(vgl. Fig. 1 a. 2) eine Anzahl besonderer Verändeningen wahrnehmen,
so am Brustbein: Abweichungen von der Norm in betreff der
MaBe und der Lage, weiter eigenthmliche Verkrümmungen; an den
der Thoraxlttcke benachbarten Rippen und betreffs der Schlüssel-
beine und Schulterblätter beider Seiten: Längenunterschiede und
zum Teil auch Dickenab- und auch Dickenzunahme (welch letztere
am Schlüsselbein — s. Fig. 1 — beim ersten Blick ohne weiteres auf-
fällt); femer auffällige Verschiedenheit der Schulterblätter bezüglich
ihrer Höhenlage bei besonderer Annäheruug beider an die Mittel-
linie; endlich skoliotische Verkrümmungen in mehreren Gebieten der
Wirbelsäule.
Was zunächst die unterhalb der Thoraxspalte folgenden
Sippen anlangt — deren hintere Anteile (vgl. Fig. 2) einen
gröBeren weiteren Bogen beschreiben, als die der entsprechenden
Rippen der linken Seite — so besteht hier in betreff der Breite und
Stärke der Bippenspangen zwischen den beiden Seiten kein be-
sonders auffälliger Unterschied. Diese Anteile liegen auch im all-
gemeinen rechterseits nur um weniges enger als links, wie dies dem
geringen Grade der später noch zu erörternden Skoliose der Wirbel-
säule entspricht.
Viel ausgeprägtere Veränderungen sind aber an den knapp an-
einandergelagerten seitlichen Teilen der 6., 7. und 8. rechten Rippe
zu bemerken, indem sie auf diese Strecke hin zu dünnen, teils ge-
rundeten, teils kantigen Stäben atrophiert sind (vgl. Fig. 1).
An dem betreffenden Körperteil der 6. rechten Rippe zeigt sich
überdies, soweit sie die Thoraxlücke direkt begrenzt — also im Be-
reiche des an der 5. Rippe bestehenden Defektes — eine auffällige
bogige Eintiefung und Verschmälerung.
Besonders beachtenswert ist aber, daB man an diesen Rippen,
wenn man sie mit den entsprechenden der linken Seite rergleicht,
eine bedeutende Verkürzung nachweisen kann, die am Enochen-
teile der 6. rechten Rippe 45 mm, bei der 7. : 20, bei der 8. Rippe
16 mm beträgt. Die Messungen ergaben (unter Anlegung des
MaBbandes an die Innenfläche der Rippen):
rechts: links:
für die: 6. Rippe 300 mm 345 mm
7. - 325 - 345 -
8. - 320 - 335 -
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Ein anatomischer Beitrag znr Kenntnis des Wachstams nsw. 375
Mit der 9. Kippe, deren Knochenkörper beiderseits beiläufig
gleich lang istmidSOOmm mißt, endet nach unten zu das Ge-
biet, innerhalb dessen auffällige asymmetrische Verhält-
nisse, im besonderen durchgreifende Verschiedenheiten
der Länge bestehen.
Die Knorpel der yerkttrzten Kippen an sich weichen,
das sei hier hervorgehoben, bezüglich ihrer Länge nicht von
den entsprechenden der andern Thoraxseite ab.
Sehr auffiUlig und von EinfluB für die Ausbildung weiterer
asymmetrischer Verhältnisse ist, daü die 1. rechte Kippe um 15 mm
hinter der Länge der linken 1. Kippe zurückbleibt: Wenn man den
(ttbrigens völlig verkalkten bzw. verknöcherten) Knorpel dieser Kippe
in die Messung einbezieht und die innere konkave Krümmungslinie
mißt, so läßt sich rechts eine Länge von 115, links von 130 mm
feststellen; bei Messung der äußeren konvexen Krttmmuugskante
ei^ben sich die Zahlen: 165 bzw. 180 mm.
An dieser Verschiedenheit beteiligt sich im besonderen der Hals-
teil der ersten Kippen in der Weise, daß er rechts 35 mm, links
40 mm mißt.
Der Verkürzung der rechten ersten Rippe entspricht
eine bedeutende Verengerung der oberen Brustapertur auf
dieser Seite: die Entfernung von der Mitte der Innenkrttmmung
der 1. Kippe (also beiläufig von der Gegend des Tuberculum scaleni)
.bis zur vorderen Grenze der Fovea costalis superior des 3. Brust-
wirbels beträgt rechts 35 mm, links 47 mm.
Ganz besonders aufßUlig verändert erscheint das Brustbein:
es zeigt eine Verkürzung auf beiläufig 15 cm und läßt nur eine
geringe Ausbildung des Proc. xiphoides bemerken. Überdies fällt
auch die auf eine lange Strecke hin gegebene beträchtliche
Breitenentwicklung seines Griffteiles (bis auf 8 cm) und seines
unteren Körperabschnittes (bis auf 5 cm) anderseits seine geringe
(im Gebiete des flachbuchtigen Körpereinschnitte.s von 8 mm bis auf
2mm herabgehende) Dicke auf, vor allem aber die Verschiebung
seiner unteren Anteile nach rechts hin und die damit zugleich ein-
hergehende schräge Lage, sowie verschiedengradige Schiefstellung und
Vorwölbung der einzelnen Gebiete der Brustbeinplatte, durch die der
Eindruck einer schraubenförmigen Drehung gegeben ist.
In dieser Beziehung verweise ich auf Fig. 3, eine Aufnahme des
horizontal liegenden Objektes von oben und zugleich auch etwas
von rechts her. Im einzelnen betrachtet erscheint dabei am auf-
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S76 G. Pommer
fälligsten eine Vorwölbung des linken Sternnm-Randgebietes
nach aufwärts von der 6. Rippe; diese Vorwölbung tritt unter Be-
teiligung der Rippenknorpelaneätze am stärksten in der Gegend der
3. und 2. linken Rippe hervor. Damit ist dem Körper des Brust-
beines eine schräge Wendang aus der frontalen Lage zur Sagittal-
ebene verliehen; das Oriffgebiet des Brustbeines ist aber daran we-
niger beteiligt, und im Bereiche der linken 1. Rippe zeigt sich die
Vorwölbung bereits erheblich verringert.
Im rechtseitigen Gebiete des Stemums ist besonders auffällig
eine muldige Einsenkung seines unteren Körperteiles in der Nach-
barschaft des 7. und 6. rechten Rippenknorpels auf beiläufig 1,5 cm
Tiefe und zwar um so mehr auffällig, da — wie schon erwähnt wurde
— die genannten Rippenknorpel und auch die nach unten sich an-
schließenden Teile des rechten Rippenbogens stark vorragen.
Im Vergleiche zum vorgewölbten linkseitigen Stemumgebiet liegt
auch der obere rechtseitige, flach bogig eingeschnittene Randteil um
1 — 1,5 cm tiefer. Von diesQpa oberen Gebiet des Körperteiles nach
aufwärts verringert sich die Einsenkung allmählich, und der anstoßende
rechtseitige Griflfteil tritt sogar im Gebiete zwischen der rechten
1. Rippe und der rechten Clavicula unter Verbreiterung dieser Strecke
ein wenig stärker hervor als das Gebiet des Griffes im Bereiche der
linkseitigen 1. Rippe, wodurch der besagte Eindruck einer schrauben-
förmigen Drehung des Brustbeines vervollständigt wird.
Die erwähnte Verbreiterung des rechtseitigen Griffteiles
des Stemums ist in dem Maße vorhanden, daß die Entfernung
des unteren Endpunktes der Incisura costalis des Manubrium von der
Mitte der Incisura clavicularis rechts 35 mm, links 29 mm beträgt.
Bei alledem liegen aber die zwei Clavicular-Incisuren einander
so nahe, daß die Entfernung der Stemalenden der Schlüsselbeine von-
einander kaum 1 cm mißt.
Gleichwie an den der Thoraxspalte nach oben und unten benach-
barten rechten Rippen und an dem Brüstbein so ist auch an der
rechten Clavicula und an dem Plattenteile der rechten Scapula und
an ihrer Schultergräte eine deutliche Verkürzung nachweisbar.
Die Länge des rechten Schlüsselbeines bleibt um 15 mm
hinter der des linken zurück, indem ersteres nur 160 mm, dieses
175 mm mißt; und an dem rechten Schulterblatt besteht eine
Verschmälerung bzw. Verkürzung um 9 bzw. 12 mm, indem es
von der Mitte des hinteren Randes der Gelenkgrube bis zum medialen
Ursprungspunkt der Schultergräte rechts 114 mm, links 123 mm,
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Ein anatomischer Beitrag znr Kenntnis des Wachstoms usw. 377
bzw. vom nnteren Winkel zum medialen rechte 160 mm, links
172 mm mißt.
Die Grista scapnlae hat rechts eine gröBte Höhe von 34 mm,
während die linke, übrigens viel massigere, 37 mm hoch ist. Dabei
ist an der rechten in der Nähe ihres medialen Ursprunges eine Ver-
breiterung und Abdachung gegen die Fossa infraspinata hin be-
merkbar.
Wie im übrigen die Abbildung der Rückenansicht des Präpa-
rates, die Fig. 2, erkennen läBt, fällt hierbei auch besonders eine
knappe Annäherung der Schulterblätter an die Mittellinie
und vor allem, bei Betrachtung der Wirbelsäule, im unteren
Teile ihres Brustgebietes eine deutliche Eonkayität nach
rechts auf; hingegen sind die Domfortsätze vom 10. Brustwirbel an
in zunehmender Stärke bis beiläufig zum 5. herauf, nach links, also
nach der Seite der Konvexität gewendet.
Diese Wendung nach links zeigen auch die oberen Domfortsätze
der Bmstwirbelsäule und zwar in dem Maße, daß sie, besonders der
4. und 3., über den medialen Band des linken Schulterblattes und
auch über den Bandteil seiner Spina auf mehr als V2 cm weit hin-
übergeneigt sind.
Diese Dornfortsätze lassen dabei gemeinsam mit denen der
obersten Brustwirbel, unter Beibehaltung einer, aber mäßigeren
Neigung nach links, eiüe zwar geringgradige aber deutliche Krümmung
mit der Konvexität nach rechts bemerken.
An der Halswirbelsäule ist eine gegenteilige nach rechts
konkave Krümmung angedeutet, jedoch auch hier unter Wendung
der Domfortsätze gegen links, wobei auffällt, daß am 2., 3. und 5.
die rechtseitige, am 4. jedoch die linkseitige Zacke der gabelförmig
gespaltenen Dornfortsätze eine stärkere Längenausbildung zeigt.
An der Lendenwirbelsäule macht sich keine kompensierende
Krümmung bemerkbar.
Bei der Vorderansicht erscheint die erwähnte Krümmung der
Halswirbelsäule, konkav nach rechts, besonders ausgeprägt
und außerdem eine Steigerung der physiologischen Lordose gegeben ;
es zeigt sich hier (vgl. Fig. 1) auch eine entsprechende Wendung
der linkseitigen Querfortsätze nach vorn, der rechtseitigen nach
rückwärts, wobei zu bemerken ist, daß die letzteren kompakter und
massiger, aber etwas niedriger als die linkseitigen erscheinen.
Die besagte Wendung nach vorn ist auch noch an dem stärkeren
Vorragen des Köpfchens der linkseitigen ersten Rippe erkennbar.
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378 G. Pommer
An der Brust Wirbelsäule ist bei Yorderansieht hauptsächlich
nur die linkseitige Eonrexkrümmung bemerkbar. Dieser ent*
spricht^ daß die Zwischenrippen-Abstände linkerseits im allgemeinen
etwas weiter erscheinen als rechts, wie schon angegeben wurde, und
wobei nicht die erwähnte knappe Aneinanderlagerung der seitliche
Teile der rechten 6., 7. und 8. Rippe zum Vergleiche in Betracht
gezogen ist. Weniger entspricht dieser Krümmung der Brustwirbel-
säule, daß die rechtseitigen Bippen mit Ausnahme der vier defekten,
im allgemeinen, dem Anschein nach, etwas minder weit nach innen,
in den Thoraxraum Torspringen, als die linken.
Wie gesagt, beschreiben ja die rechten Bippen (die mittleren
im besonderen) (ygl. Fig. 2) einen weiteren Bogen, während die
linken, bis auf die untersten, eine seitliche Abflachung zeigen
und somit stärker nach rorn streben, wobei sie diese Richtung auf
den linken Brastbeinrand übertragen und den linkseitigen Teilen
des Brastbeins überhaupt jene Yorwölbung nach yorn geben, die
bereits geschildert und in den Fig. 1 und 3 dargestellt ist Sie
ist, wie die nähere Betrachtung des Präparates ergibt und gleich hier
bemerkt sei, namentlich im Bereiche der Strecke der Thoraxspalte,
wo Yon rechts her dem Stemum keine Stütze geboten ist, ausgeprägt,
in geringerem Maße aber in der Höhe der 1. Rippen, wo die recht-
seitige immerhin, obwohl sie kürzer als die linke ist, zu Hilfe
kommt.
Wie alle Abbildungen (Fig. 1, 2 und 3) ersichtlich machen, besteht
eine besondere Verschiedenheit bezüglich des Standes der Schulter-
höhen des Präparates: das Acrominalende des rechten Schlüssel-
beines findet sich beiläufig 2 cm tiefer gelagert als das linkseitige.
Hinsichtlich des Verhaltens des rechten Schulterblattes
sei hier noch nachgetragen, daß sein Acromion dem linken an
Breite überlegen ist, indem es 36 mm, das linke aber 34 mm
mißt: hingegen besteht, was die Maße der Gelenkgruben und der
Rabenschnabelfortsätze anlangt, zwischen rechts und links kein
auffälliger Unterschied: die ersteren betragen, nach der Richtung der
Länge der Oelenkgruben aufgenommen 40 mm; der genannte Fort-
satz ragt beiderseits in beiläufig gleich starker Entwicklung 38 mm
weit vor.
Endlich ist aber noch eines besonders auffälligen Befundes s^u
gedenken: der stärkeren Eantenentwicklung an dem, im Ver-
gleiche zum Verhalten des linkseitigen, weniger gekrümmten Mittel-
stücke des rechten Schlüsselbeines und seiner schon eingangs
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Ein anatomischer Beitrag zar Kenntnis des Wachstams usw. 379
erwähnten Verdickung, die besonders im Gebiet des massigen Ster-
nalendes und auch im Mittelstttck heryortritt, wo es einen Umfang yon
60 mm besitzt im Vergleiche zn dem Umfang von 45 mm des link-
seitigen.
Durch dieses Verhalten bekundet sich an dem rechten Schlttssel*
bein ein erheblicher Grad von Unabhängigkeit des Dicken-
Yon dem Längenwachstum, da ja, wie ich bereits herrorhob,
letzteres um 15 mm hinter dem des linken zurückblieb. Durch andre
der dargelegten Befände wieder wird erkennbar gemacht, daB bezüg-
lich des Ausbildungsgrades oder vielleicht besser gesagt, bezüglich
der WachstumsgröBe verschiedener Teile und Gebiete eines
Knochens ebenfalls in gewissem MaBe unabhängige Verhältnisse
bestehen. Denn es fällt nicht minder als wie die Verdickung der
verkürzten rechten Clavicula der Umstand auf, daß Gelenkgrube und
Babenschnabelfortsatz der rechten Scapula an der Verkürzung dieses
Knochens nicht teilnehmen, und daß ihr Acromion sogar verbreitert
erscheint. Und ebenso auffllllig ist auch, daß sich die konzentrische
Atrophie der verkürzten 6., 7. und 8. rechten Rippe der Hauptsache
nach aaf ihre seitlichen und vorderen Gebiete beschränkt, während
die hinteren Anteile dieser Rippen und auch der darunter folgenden
und zwar beiderseits, was Breite und Stärke anlangt, sogar auffällig
entwickelt erscheinen (vgl. Fig. 2).
Es liegt nahe, zur Erklärung der bezeichneten Verschiedenheiten
äußere Einwirkungen, im besonderen örtlich verschiedene, fehlende
oder verringerte oder anderseits auch hochgradig kompensatorisch
gesteigerte Beanspruchungen der einzelnen Knochen oder Knochen-
gebiete bei ihren mechanischen Funktionen in Betracht zu
ziehen.
Von demselben Standpunkte aus läßt sich auch ohne weiteres —
wie ich zum Teil bereits andeutete — für die beschriebenen Verkrüm-
mungen des Brustbeines bzw. für die Richtungsänderung der Dorn-
fortsätze eine befriedigende Erklärung gewinnen. — Aber man wird
sich auch nicht verhehlen dürfen, daß in vielen der Befände, so z. B.
in der Verengerang der rechten Hälfte der oberen Brustapertur, in der
Verkürzung der der Thoraxspalte benachbarten Rippen, in der Ver-
schiebung, Eintiefung und Verbreiterung des Brustbeines u. a. m. der
innere Zusammenhang einer Anpassung sich bekundet, die
allerdings keinen Ersatz fUr den gegebenen Brustwanddefekt, wohl
aber eine Verringerung der durch ihn bedingten Funktionsstörungen
oder -Beeinträchtigungen zu bieten vermochte.
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380 G. Pommer
Betrachtet man die dargelegten Verhältnisse von diesem Stand-
pnnkt aus, so erweisen sieh aneh Befunde^ die in gewissem MaSe
gegensätzlich erscheinen, wie z. B. die neben der erwähnten Dttnnheit
des Brustbeines so auffällig hervortretende Verbreiterung seiner
Knochenplatte vereinbarlich und verständlich.
Unter allen Umständen bleibt aber der Gegensatz unvermittelt,
der zwischen dem durch keinen Ersatz ausgeglichenen Bildungs-
mangel im Bereiche des Brustwanddefektes selbst und der in andern
Teilen des Thorax in verschiedener Stärke und Weise, entsprechend
verschiedenen örtlichen Beeinflussungen, sich äußernden Wachstums-
intensität besteht.
Bei näherer Betrachtung der ermittelten Veränderungen wird man
demgemäß vor allem auf die Frage hingewiesen, wieviel von ihnen als
angeboren, d. h. veranlagt, wieviel als erworben zu gelten hat
In zweiter Linie erhebt sich dann ebensowohl für die angeborenen
als für die erworbenen Veränderungen die Frage nach den Um-
ständen, nach Art und Weise ihrer Entstehung.
Es dürfte sich empfehlen eine Grundlage zur Verfolgung dieser
Fragen in den einschlägigen Mitteilungen der Literatur zu suchen.
Denn schon dem Versuche, die aufgefundenen örtlichen Wachs-
tumsverschiedenheiten im einzelnen zu erklären, steht in vieler Be-
ziehung der Umstand hinderlich entgegen, daß uns — mangels aller
Nachrichten über den Obduktionsbefund — keine Kenntnis von dem
Verhalten der Weichgebilde und der Muskeln im Bereiche und in der
Nachbarschaft der Thoraxspalte geboten ist.
Besonders aber leidet die Beurteilung des Maßes der Anpassungs-
vorgänge, auf welche die erwähnten Befunde hinweisen, darunter, daß
keine Nachrichten über die ursprünglich bei der Geburt des betreffen-
den Individuums gegebenen Größen- und Formverhältnisse des De-
fektes und seiner Umgebung vorliegen, was Vorbedingung wäre
für eine eingehendere Bestimmung der während des späteren Lebens
in diesem Körpergebiet erworbenen Abänderungen.
Überblicken wir die Literatur der lateralen Thoraxspalte,
so erweist sich zur Einführung in die Verhältnisse, die sie im
Kindesalter darbietet, besonders Eppingers^) »Anatomischer
Beitrag zu der Mitteilung Prof. v. Ritters über einen Fall
von angeborener Lücke des Brustkorbes« von Belang.
1) Eppinger, Anatomischer Beitrag usw. Österreichisch. Jahrbuch für Pä-
diatrik. VII. Jahrgang. 1876. Wien 1877. S. 201 ff.
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Ein anatomiflcher Beitrag zur Eenntnig des Wachstums usw. 381
Es ist in diesem Beitrag über den Obduktionsbefiind berichtet,
den Eppinger an der Leiche jenes (4 Monate 12 Tage alt gewordenen)
Knaben anfgenommen hat, dessen äußere Beschreibung nnd dessen
Lebensverlauf den Gegenstand der Mitteilung Ritters ^) bildeten.
Die Lücke betraf in diesem Falle die linke Brusthälfte und
zwar die 3., 4. und 5. Rippe, von deren Knorpel Eppikger auch bei
mikroskopischer Untersuchung der zwischen Haut und Pleura dieses
Gebietes gelegenen Weichteile keine Reste antraft); wohl aber gibt
Eppinger an, daß diese Rippen an ihren »vorderen stumpfen
Enden von einem knorpelig fibrösen Saum bedeckt erscheinen
und an der 5. Rippe sich ein solcher Saum zu einem dreieckigen
Knorpelstückchen auszieht, dessen Spitze sich in der Yerschluß-
membran der Brusthälftelücke unmerklich verliert« ^j.
Den linken Rand des Sternums schildert Eppinger, ent-
sprechend dem vollständigen Mangel der Knorpelansätze der 3., 4.
und 5. Rippe auf die betreffende (31 mm lange) Strecke hin ganz
glatt, wobei ihm »der Umstand auffällt, daß zugleich im allgemeinen
der linke Rand des Sternums sehr leicht konkav ausgeschweift
erscheint« *).
Im übrigen gibt Eppinger vom Sternum an, daß es »sonst ganz
regelmäßig gebildet ist« und bei einer Breite von 13 mm eine
Länge von 4,7 cm zeigt und daß es femer »an dem rechten Rande
die ganz gewöhnlichen und normalen Rippenansätze« besitzt, sowie
daß sich auch »längs der linken Seite desselben die Ansatzknorpel
der 1. und 2. und dann sämtliche von der 6. Rippe an nach abwärts
normal verhalten«'*)^).
Die vorderen freien Enden der Knochenteile der 3., 4. und
5. linken Rippe fand Eppinger 25, bzw. 34, bzw. 50 mm vom glatten
linken Rand des Sternums entfernt^), durch welche Zahlen (im Zu-
sammenhalt mit der von diesem Randteil angegebenen Länge von
31 mm) die Größe der Lücke gekennzeichnet ist.
1) G. Ritter, Ein Fall von angeborner Lücke des BmBtkorbes. Osten*.
Jahrbuch f. Pädiatrik. VII. 1876. Wien 1877. S. 101 ff. Taf. IV.
2) Eppinger, a. a. 0. S. 209.
3) Eppinger, a. a. 0. S. 210.
<) Eppinger, a. a. 0. S. 204.
5) Eppinger, a. a. 0. S. 204.
0' Was das Sternum anlangt, so wurde dasselbe von Ritter ohne Maß-
angabe als »regelmäßig geformt« nnd > intakt« geschildert, aber zugleich auch
als »anscheinend etwas nach rechts abweichend« (a. a. 0. S. 103).
7) Eppinger, a. a. 0. S. 204.
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382 G. Pommer
Es ist von Interesse, mit diesen Befanden Eppingebs die ein-
schlägigen Angaben Bitteks zu vergleichen: Kitteb fand bei der
Untersuchung des Kindes 10 Tage nach dessen Geburt^) die Lttcke
»im oberen Teile 1,5) in der Mitte 2 cm breit« ^j ; sie war also damals
um 10 bis 30 mm enger als 4 Monate später, bei der Vor-
nahme der Obduktion durch Eppingbb.
Die Yerüffentlichnng Epfikqers enthält keine weiteren Maßangaben, welche
eine bestimmtere VorBtellang von den bis zu dieser Zeit im übrigen erreichten
Fortschritten des Körperwachstums yerschaflfen würden. Effinqer erwähnt nur,
daß der Körper »eine seinem Alter entsprechende Größe and im allgemeinen
auch eine entsprechende Entwicklnngi allenthalben ein recht gutes Unterhaut-
fettpolster, sehr blasse Hautdecken besaß« ']. Nach Ritters Mitteilung war das
Kind bei jener ersten Untersuchung sehr schwach, klein und schlecht genährt ge-
wesen; es hatte eine Körperlänge von 44 cm, einen Brustumfang in der Höhe
der Papillen von 28 cm, ein Gewicht von 1960 g*) ; am 50. Lebenstage ergaben
die betreffenden Messungen bei einem Körpergewicht von 8160 g die Werte von
52 cm bzw. 29 cm &) nnd zwar unter der günstigen Einwirkung der Ernährung
an der Mutterbrust «j.
Mitteilenswert ist aus dem anatomischen Beitrag Eppinqers auch noch, daß
ihm der anomal gestreckte Verlauf der Spangenenden der defekten Rippen auf-
fiel. Eppinoer glaubt daraus und aus der erwähnten Beschaffenheit ihrer End-
stücke folgern zu können, »daß sie in ihrem Längenwachstum nicht be-
hindert worden sind«, wohl aber aus ihrer normalen Richtung deshalb abgewichen
waren, weil »die sie mit dem Stemum verbindenden Leitspangen verloren ge-
gangen sind« '7).
Aus dieser lokalen Beschränkung der Entwicklungsbehinderung bestimmter
Rippenknorpel — wofür er »Schwund der Rippenknorpel« zu sagen vorzieht —
schließt Eppinger auf eine »lokalisierte Ursache«. Zugunsten der Annahme, daß
es sich um Atrophie und zwar Druckatrophie »der der Lücke sonst ent-
sprechenden Gewebe« handle, führt Eppinger an, daß die Lücke bereits äußer-
lich »als eine seichte Konkavität der betreffenden Brusthälfte sichtbar« ist, und
daß über sie hinweg »höchst verdünnte Muskelbündel« streichen, »die hart an
der Grenze der Lücke in sonst ganz normal entwickelte Partien der zugehörigen
Muskeln übergehen« &].
Eppinger berichtet, daß er bei sorgfältigem Präparieren eine »höchst
dünne Schicht des Muse, pector. major« und darunter eine als Fort-
setzung der Intercostalmuskeln zu betrachtende »unregelmäßige
dünnsteMuskellage«zu unterscheiden vermochte, auf welche dann die glatte
1) Ritter, a. a. 0. S. 101.
2) Ritter, a. a. 0. S. 103.
3) Eppinger, a. a. 0. S. 201.
*) Ritter, a. a. 0. S. 101.
5; Ritter, a. a. 0. S. 106, 107.
6) Ritter, a. a. 0. S. 104.
7) Eppinger, a. a. 0. S. 210.
8) Eppinger, a. a. 0. S. 210.
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Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Wachstums usw. 383
glänzende ziemlich feste Membran«, die »Fasoia endothoracica« nnd die pa-
rietale Plenra in ihrer gegenseitigen Verschmelzung folgte i) 2).
Es wird sich bei den weiteren Mitteilungen aus der Literatur der lateralen
Thoraxspalte zeigen, welche besondere Ausnahmestellung dem Falle Ritters
wegen der von Eppinger aufgenommenen Muskelbefunde zukommt. Hier
aber sei aus denselben, in Bttcksicht auf die einschlägigen Angaben der Literatur,
auch noch henroigehoben, daß Eppinger den Muse, subclavius und den
Muse, pector minor und zwar »namentlich ersteren« »in recht kräftiger
Entwicklung« in normaler Gestalt und Lage antraf^. Auch den M. serratus
anticus major schildert Eppinger als kräftig und dabei bestand derselbe
nebst dem von der 2. Bippe entspringenden Kopf ans den knapp nach innen von
diesem sich ansetzenden zu einem 14 mm dicken scheinbar abnormen eignen
Muskel zusammengeschobenen niitüeren und unteren Ursprungszacken^). End-
lich ist noch zu erwähnen, daß von Eppinger eine besonders auffällige
Entwicklung des Muse, deltoideus angegeben wird, dessen abnorm breiter
Ursprung den ganzen unteren Rand der Clayicula, das Acromion und die ganze
Spina scapulae einnahm s).
Besondere Bedeutung kommt dem Falle der Veröffentlichungen
Ritters und Eppingers auch in betreff der Ätiologie der late-
ralen Thoraxspalte zu.
Schon Rittbr tritt dafür ein, daB die Lttckenbildung der Brust-
1) Eppinger, a. a. 0. S. 204.
^ Der ausführliche Präparationsbericht Eppingers lautet bezüglich des
Muse, pector. major und der darunter liegenden Schicht (a. a. 0. S. 203) wört-
lich folgendermaßen: '»Zunächst wurde der M. pect major an seiner Insertion
am Oberarm aufgesucht, die sichi wie an einem normalen Oberarm verhielt; von
da an ließ sich derselbe bis an die äußere Kante der Abflachung der vorderen
Brusthälfte als eine ganz kräftig entwickelte Muskebnasse verfolgen, woselbst
dieselbe aber gerade entsprechend dieser Kante scheinbar abgesetzt schien;
denn nun schob sich der Muse. pect, major in tler ganzen Ausbreitung der Aus-
höhlung ttber den Boden derselben als ein höchst dünnes Stratum hin, das mehr
aus lockerem Bindegewebe und sehr dünnen Muskelplättchen besteht, die parallel
der Richtung der Bündel eines gewöhnlichen Muse. pect, major verlaufen, um
sich am linken Stemumrande zu inserieren. Nach sorgfaltiger Abnahme dieser
höchst dünnen Muskelplatte kann man auf eine ebenso dünne Lage, die
aus in verschiedener Richtung kreuzenden und nebeneinander gelagerten zartesten
Muskelbttndelchen bestand, zwischen denen so charakteristisch glänzende Sehnen-
streifchen verliefen, daß diese Lage als Fortsetzung von intercostalen Mus-
keln angesehen werden mußte, obwohl es sonst unmöglichwar, irgendeine
Kontinuität mit den weiter nach außen und hinten von der Aushöhlung sich
sonst normal verhaltenden intercostalen Muskeln nachzuweisen.« — Verhindert
wurde dies durch eine dem Serratus antic. major eigentümliche besondere Zu-
sammenschiebung seiner mittleren und unteren Ursprünge, über die nochmals zu
berichten sein wird.
3) Eppinger, a. a. 0. S. 204.
4) Eppinger, a. a. 0. S. 203.
ö) Eppinger, a. a. 0. S. 207.
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384 G. Pommer
wand »keine primäre, anf Unterbleiben der Yerschmelznng Ursprung*
lieh getrennt angelegter Achsengebilde beruhende Spaltbildung sei«,
indem er auf die Integrität und solide Entwicklung des Stemums in
allen seinen Partien sowie auf die laterale Lage der Lücke hin-
weist ^).
Es erscheint ihm für die Erklärung ihrer Entstehung sehr wichtig,
daß die linke obere Extremität des Kindes, die zu dem rundlich
keilförmigen, in einem Einzelfinger auslaufenden Gebilde einer
monodactylen Peromelie mißstaltet war, zur Zeit der klini-
schen Aufnahme, also am 10. Lebenstage, »fast genau in die
Lücke der vorderen Brustwand hineinpaßte und dieselbe, wenn
angelegt, ausfüllte«. Wie Bitter beifügt und durch yergleichende
Messungen belegt, war einige Wochen später infolge des Wachs-
tums der verbildeten Extremität »die Übereinstimmung der Form und
Größe der Lücke mit der Extremität nicht mehr so auffallend«^).
Bitter hält es für »sehr wahrscheinlich, daß der (etwa durch Beengung des
Baumes bedingten?) Anpressung der linken oberen Extremität an die Brostwand
sowohl der Schwand der bereits formierten Bippenknorpel and Weichteile in
entsprechender Ausdehnung — als die Behinderung der Entwicklung der Knochen
der Extremität, sowie die unbewegliche Vereinigung, Verschmelzung der ersteren
an ihren Gelenkenden — kurzum die beschriebene Mißbildung dieser Gliedmaße
— ihren Ursprung verdanken 3)«.
Auch Eppinger teilt diese Auffassung, welche, wie .er angibt, Prof. E^lebs
ebenfalls aussprach, »als er die vorliegenden Mißbildungen bald nach der Geburt
des Kindes gesehen hatte« ^). Eppinger, der sehr eingehend besonders die miß-
bildete Extremität untersuchte (S. 206 — 209), folgert sowohl aus dem eigentüm-
lichen Verhalten der Gelenkflächen eines Schaltknochens, der den ungeteilten
Extremitätenknochen mit dem Finger in Hyperextensionsstellung verbindet, als
auch aus der Derbheit und Faliung der äußeren Haut an der Beugestelle des
Gelenkes, daß dem Finger diese abnorme Stellung hinter und unter der Extre-
mität in einem Winkel der Brustlücke bleibend gegeben war^)«).
1) Bitter, a. a. 0. S. 103, 104.
2) Bitter, a. a. 0. S. 103 vgl. 102, 107.
3) Bitter, a. a. 0. S. 104.
*) Eppinger, a. a. 0. S. 213.
5) Eppinger, a. a. 0. S. 212.
ß) Die Vorstellung, welche sich Eppinger von dem »Mechanismus des
Zustandekommens dieser teil weisen Entwicklungshemmungen und teil weisen
atrophierenden Zustände« bildete, faßt er dahin zusammen, »daß der Fötus bei
sparsamer Amniosflüssigkeit mit der linken Bumpfseite irgend einer entsprechend
großen Ausstülpung des graviden Uterus angepaßt war und so die linke obere
Extremität nicht nur in einer permanenten Zwangslage erhalten wurde, sondern
auch diese ihrerseits an der Stelle der linken Thoraxhälfte, an welche sie an-
gepaßt erschien, ihre atrophierende Druckwirkung ausüben konnte. Der
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Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Wachstums usw. 385
Endlich kann — mit Hücksicht auf die KoUe, welche in den Fällen lateraler
Thoraxspalte die Lungenhemie spielt — nicht unangefUhrt bleiben, daß in der
Mitteilung Ritters keiner solchen oder andern Veränderung des Atmungs-
organs gedacht ist.
Ritter gibt an, daß bei der Inspiration und zwar besonders stark bei forcierten
Atembewegungen (Schreien) des Kindes eine Einsenkung der Herzgegend sich
zeigte 1), indem er unter Bezugnahme auf die Thoraxlticke ausdrücklich sagt: »Bei
der Inspiration sinkt die Stelle ein, bei der Exspiration gleicht sie sich aus, bei
Anhalten des Atems baucht sie sich etwas yor.« Er fUgt bei, daß die Kon-
traktionen der Vorhöfe und Ventrikel deutlich sichtbar waren und ebenso auch
die Bewegungen des Herzens ^j, daß aber bei stürmischen Atemzügen und
mächtigen Inspirationen (wie beim Schreien) »die offene Stelle tief eingezogen
wurde und vom Herzen kaum mehr als der Anschlag seiner Spitze zu sehen
war« 3).
Auch bei den Beobachtungen, welche F. Ganghopner*) in betreff des Herz-
stoßes in diesem Falle anstellte (und die zu einer Bestätigung der von Skoda
1847 an einem Kinde mit Stemumdefekt ermittelten Tatsachen führten), ist
keiner Wahrnehmung anomaler Lungenbefunde gedacht. — Später aber,
in Eppingers Obduktionsbefund, trifft man »ganz entsprechend« der Defektstelle
»eine totale irreparable Atelektase ex compressione der Lunge« angegeben,' »die
auf eine ziemliche Strecke in die Tiefe der Lunge reichte und so einen großen Teil
derselben dem Atmungsgeschäfte entzogen hatte« ; gering ausgebreitete entzündliche
Veränderungen der rechten Lunge, die Eppinger angibt, konnten unter solchen
Verhältnissen, nach Eppinger, den Tod des Kindes herbeiführen 5).
Endlich ist noch — und zwar im Hinblick auf die in der Literatur der
lateralen Thoraxspalte und besonders auch der angeborenen Brustmuskeldefekte ^)
so sehr hervortretende Kombination mit verschiedenen trophischen Störungen
Effekt der angeführten Momente ist dann einmal die mangelhafte Entwicklung
der linken oberen Extremität und in zweiter Folge die entsprechend streng um-
schriebene Defektbildung der linken Thoraxhälfte, wobei die erstere sich durch
das bloße Vorhandensein eines einzigen Extremitätenknochens, eine zum größ-
ten Teil mangelhaft entwickelte Ober- und Vorderarmmuskulatur, fast to-
talen Mangel der Carpal- und Metacarpalknochen, je nachdem man den Schalt-
knochen als einen Carpal- oder Metacarpalknochen ansieht, durch die bloße
Entwicklung eines einzigen Fingers, der seinen Dimensionen und Ausbildung
nach im Vergleiche mit der rechten Hand dem Zeigefinger entspricht, die letzteren
durch eine hochgradige Atrophie getroffener Partien der Brustmuskulatur und
durch völligen Defekt der Knorpelanteile der 3., 4. und ö. Rippe auszeichnet«
(Eppinger, a. a. 0. S. 213).
1) Ritter, a. a. 0. S. 102, 103.
2) Ritter, a. a. 0. S. 103.
3; Ritter, a. a. 0. S. 104.
* F. Ganghofner, Einge Bemerkungen betreffend die Lehre vom Herzstoß.
Österr. Jahrb. f. Pädiatrik. VII. Jahrg. 1876. Wien 1877. S. 108 ff.
5) Eppinger, a. a. 0. S. 214 vgl. S. 205.
6) Vgl. die Angaben bei Kalischer, Über angeborene Muskeldefekte. Neuro-
logisches Centralblatt. 1896. Nr. 16, S. 690; ferner R. Bing, Über angeborene
Muskeldefekte, Virchows Archiv 1902, Bd. 170, S. 207.
Archiv f. Entwicklungsmecbanik. XXII. 25
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386 G. Pommer
der Haut im betreffenden Rampfgebiete — anzuführen, daß nach Bitter die
Hautdecken »über den die Lücke begrenzenden Skeletteilen ganz frei beweg-
lich« erschienen und daß er das Integument »ziemlich schlaff und dünn, als ob
nur aus den Hautdecken und Herzbeutel bestehend« i) bezeichnet. £pping£r
gibt an, daß die Vertiefung der vorderen Unken Brusthälfte »von normaler Haut
überkleidet wird«; was aber die linke Brustwarze anlangt, so fand Eppjnger
»an normaler Stelle« innerhalb eines blasseren kleineren Warzenhofes »nur die
Andeutung einer Brustwarze«^).
Gegenüber den verschiedenen Beziehungen, welche die Mit-
teilungen RiiTERS und Eppingeks zu manchen der Fragen darbieten,
die ich vorhin angedeutet habe, erweisen sich die andern Fälle
lateraler Thoraxspalte, die im frühen Kindesalter zur Beob-
achtung gelangten, an solchen Ergebnissen verhältnismäßig arm. Es
gilt dies in ziemlich gleichem Maße von den anatomisch unter-
suchten Fällen S. Th. Sömmerings^) und G. Fleischmanns*), die
durch die große Ausdehnung des Defektes ausgezeichnet sind,
indem es in beiden Fällen sämtlfchen linkseitigen Rippen an Ver-
bindung mit dem Stemnm fehlte.
In SöMMERiNGs Fall — in dem es sich um eine mit Gesichts- und Bauch-
spalte, Peromelie beider oberer Extremitäten u. a. m. behaftetete Mißgeburt
handelte — war die linke Brnstseite »nach vorn zu« statt durch Rippen nur
durch »die Haut, die sich ans Brustbein verlor«, geschlossen S).
Aus der Schilderung und Abbildung, die Sömhering gibt, ist weiter nur noch
anzuführen, daß in eben dieser Gegend, an Stelle der linkerseits fehlenden
Brustwarze, die unvollständig entwickelte in zwei unförmlichen Fingern endende
linke obere Extremität angewachsen sich vorfand, und daß der Yorlagerung von
Leber, Milz, Magen und Därmen entsprechend die Wirbelsäule »beinahe, wie ein
doppeltes S, seitwärts gebogen« war^}.
Fleischmann, dessen Fall einen achtmonatlichen Fötus betrifft, stellte fest,
daß die linken kaum zur Hälfte ihres knOchernen Teiles ausgebildeten Rippen
kurz abgesetzt endeten und dabei teils (so die zwei oberen) knorpelig, theils (wie
die drei folgenden) knöchern miteinander verbunden waren, während die
übrigen einzeln vorragten. Die rec4iten Rippen, die Fleischmann als sehr
lang bezeichnet, traten in einem großen Bogen unter Bildung einer weiten
Thoraxhöhlung zum Sternura"';, was wohl auf die nach Fleischmanns Angabe
1) Ritter, a. a. 0. S. 103.
2) Eppinger, a. a. 0. S. 202.
3) S. Th. Sömmering, Abbildungen und Beschreibungen einiger Miß-
geburten, die sich ehemals auf dem anatomischen Theater zu Kassel befanden.
Mainz 1791.
*) De vitiis congenitis circa thoracem et abdomen. Commentatio anatomico-
pathologica auctore Godofredo Fleischmann. Erlangae 1810.
5; Sömmerinq, a. a. 0. S. 24.
ß) Sömmering, a. a. 0. S. 23, 24; Tafel VIU.
'^) Fleischmann, a. a. 0. p. 6; T. I. Fig. 2.
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Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Wachstams nsw. 387
zugleich vorhandene skoliotische Linkskrümmung der Bmstwirbel-
säale zu beziehen sein dürfte.
Vom Sternum gibt Fleischmann an, daß es in seinem Manubrinm- und
oberen Körperteil in richtiger Breite, im übrigen in halber Breite entwickelt
ist 1)2].
Zu erwähnen wäre hier auch, daß Ahlpeld aus seiner Beob-
achtung über ein Kind von 20 Wochen berichtet, dessen Lungen-
bruch unter der Achselhöhle als teigige Geschwulst von Kleinapfel-
gröBe vorragte und einen entsprechenden Defekt im Thorax deutlich
fühlen ließ^), so daß dieser Fall wahrscheinlich mit Recht den Fällen
seitlicher Brustspalte zugezählt wird*}. Es wird sich später noch
Gelegenheit finden, die Annahme zu erörtern, welche Ahlfeld in
betreff der seitlichen Thoraxspalte und des. Lungenbruches vertritt.
Hier sollen im folgenden zunächst die Befunde überblickt werden,
die bei diesen Zuständen im vorgeschritteneren Eindesalter
und bei Erwachsenen zur Beobachtung kamen, und zwar im
besonderen nach der Richtung jener Fragepunkte, die durch die
Eigentümlichkeiten des eingangs beschriebenen Präparates angeregt
werden.
Es sei vorausgeschickt, daß nur von einem der einschlägigen
Fälle ein anatomisch ermittelter Befund vorliegt, nämlich von
dem durch Froriep*) veröffentlichten Fall einer 30 Jahre alten
Puerpera, während es sich in den übrigen Fällen um am Leben-
1) Fleischmann, a. a. 0. p. 3.
2) Nach Fleischmannb Angabe (a. a. 0. p. 3j ist auch im Helvet. Museum
der Heilkunde. Zürich 1794. 2. Bd. S. 208. Taf. IV Fig. 1 ein Fall lateraler
Thoraxspalte mitgeteilt, der und zwar rechterseits nur drei Rippen mit dem Sternum
verbunden zeigte. Und wie Sömmerings Anmerkung zu S. 24 annehmen läßt,
sind auch schon in Frieds MitteUung (Foetus intestinis plane nudis extra ab-
domen propendentibus natus. Argentorat 1766), in dem 1. Bde. der vermisch-
ten Schriften Metzgers und im Archiv für Geburtshilfe von Starcke ähnliche
Fälle berichtet bzw. abgebildet. In diese Mitteilungen Einblick zu nehmen, war
ich nicht in der Lage.
3) F. Ahlfeld, Die Mißbildungen des Menschen. II. Abschnitt. Leipzig
1882. S. 182.
*) Vielleicht wäre hier nebenbei auch auf den von Storch (in seiner theoret.
und praktischen Abhandlung von Kinderkrankheiten. Eisenach 1761. IV. Bd.
S. 48} als »Bruch zwischen den Bippen« bezeichneten Fall hinzuweisen;
es handelte sich in demselben um einen Studiosus Theologiae, an dem von
Jagend an »an der Brust unterm Arm« ein weicher Knoten wahrgenommen
wurde, »darein Luft trat, wenn er stark reden mußte«. Ein Defekt in der Thorax-
wand ist jedoch in diesem Falle nicht ausdrücklich angegeben.
&) R. Froriep, Beobachtung eines Falles von Mangel der Brustdrüse. Neue
Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. X. Bd. Weimar 1839. S. 9 ff.
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388 G. Pommer
den aufgenommene Befunde handelt, die aber einige Male auch durch
elektrische Muskeluntersuchungen bzw. durch Skeletaufnahmen mittels
Röntgenstrahlen vervollständigt sich finden.
Im Falle Frürieps war die rechte Brustseite an Stelle der Brust
von einer flachen Vertiefung eingenommen, die sich gegen das Stemum
hin durch einen S-förmigen Kand abgrenzte. Die Präparation ergab,
daß von der Gegend des vorderen Schulterblattrandes an nach vorn
die 3. und 4. rechte Kippe fehlte bis auf knorpelige Massen an
dem rechten Brastbeinrand, die mit den Knorpeln der 5. und 6. Rippe
zu einer Knorpelplatte vereinigt waren ^j.
Bezüglich der beiderseits angrenzenden Rippen fiel Fäobiep
nur auf, daß die 2. höher und die 5. tiefer stand »als die der linken
Seite«.
Das Stemum ist von Fkoriep nicht näher geschildert, doch ist
angegeben, daß die besagte Knorpelplatte mit dem Ansatz des
Muse, rectus abdominis an der Vorderfläche des 5. bis 7. Rippenknorpels
»stärker als gewöhnlich hervorgedrängt« war, >so daß diese über
das Sternum sich etwas herUberlegten und dasselbe gewissermaßen
nach innen zurückschoben« 2).
Was daß Verhalten der Brustmuskeln anlangt, so vermißte Froriep^
den größeren Teil der Portio sternalis des Muse, pectoralis major samt dem be-
treffenden Sehnenanteil (jedoch waren die vom Manubrium sterni entspringenden
BUndel vorhanden), ferner den M. pectoralis minor und die der 3. und 4. Rippe
entsprechenden Zacken des M. serratus anticus major (ohne daß aber zwischeo
seinen Insertionsbündeln eine Lücke bestand).
An Stelle der Intercostalmuskeln, die nach Feobieps Worten
»natürlich da, wo die Rippen selbst mangelten« sich nicht vorfanden,
war eine »sehr feste Sehnenhaut« vorhanden, deren Fasern vor-
zugsweise von unten nach oben und innen gegen das Stemum hin
verliefen.
1) Frorieps Schilderung und Abbildung (a. a. 0. S. 10 bzw. Fig. 63) zeigen,
daß diese Knorpelplatte, da sie zwischen den gebogenen Furchen ihrer Ober-
fläche »drei nebeneinander liegende dickere Knorpelstreifen zu der 6. Rippe
hin« verfolgen ließ, sich erheblich unterschied von der am hier beschriebenen
Präparat.
2) Froriep, a. a. 0. S. 10, Fig. 63. Nach dieser Figur zu schließen, dürfte
übrigens in Frorieps Fall das Sternum auch eine Einkerbung unter dem Ansatz
der 2. Rippe gezeigt haben, in welchem Punkte also gleichwie hinsichtlich der
erwähnten Lageabweichung des Sternums und des Ansatzgebietes des
Muse. rect. abdom. sowie der Knorpelplatte eine Übereinstimmung mit
dem von mir beschriebenen Präparat vorliegt.
3; Froriep, a. a. 0. S. 11.
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Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Wachstums usw. 389
Lungen und Pleura fand Froriep normal beschaffen ; es war keineLungen-'
her nie vorhanden; auch am Rückgrat und an der rechten oberen Extremität
keine Abnormität.
Die Haut über der vertieften Thoraxstelle schildert Froriep glatt, leicht
verschiebbar ohne eine Spur von Brustwarze, Narbe oder andern Ver-
änderung ^J.
Zugunsten der von Froriep vertretenen Annahme, daß ein an-
haltender Druck, den wahrscheinlich der der rechten Brustseite
während des Fötuslebens anliegende rechte Vorderarm ausgeübt
habe^), dieser Entwicklungshemmung zugrunde liege, weist
Froriep darauf hin, »daß die Knorpel der mangelhaften Rippen
nach unten und vom gedrückt und gewissermaßen vor das Brustbein
hervorgeschoben waren« 3) (während er den meines Erachtens nahe-
liegenderen Gedanken, ob es sich nicht bei dieser Lageveränderung
der Rippenknorpel um eine durch Muskelzug bedingte Wirkung
handelt, nicht in Betracht zieht).
Wenn ich mich jetzt den übrigen Fällen seitlicher Brustspalte
zuwende, um ihre am Lebenden aufgenommenen Befunde eben-
falls mit den Verhältnissen zu vergleichen, die das von mir be-
schriebene Präparat darbietet, so gedenke ich mich auf eine Zu-
sammenfassung der in diesen Beziehungen hervortretenden Besonder-
heiten der betreffenden Fälle zu beschränken, welcher Darstellung
aber vor allem einiges über die allgemeinen Umstände der-
selben und über die typischen Begleiterscheinungen der late-
ralen Thoraxspalte vorauszuschicken ist.
So sei erwähnt, daß es sich bei vier Fällen um Beobachtungen
handelt, die sich im vorgerückteren Kindes- und im Pubertäts-
alter ergaben: es betraf der von J. Schlözer und von Ried ver-
öffentlichte Fall ein 5 Jahre, der Fall H. Haeckels ein 14 Jahre altes
Mädchen, der Fall 0. Bartels einen 11jährigen, der Frickhöffers
einen 14jährigen Knaben. In sieben weiteren hier anzuführenden
Fällen handelte es sich um Erwachsene, und zwar um einen
22 Jahre alten Bernsteindrechsler im Falle H. Schlesingers, um einen
28 Jahre alten Bauernknecht im Falle C. Seitzs, um einen 36 Jahre
alten Lohnarbeiter im Falle Pülawskis und in den drei von H. Rieder
veröffentlichten Fällen um einen 34 Jahre alten Schneider bzw. um
einen 33 Jahre alten Bereiter und um einen Landwirt von 39 Jahren,
1) Froriep, a. a. 0. S. 9.
2) Froriep, a. a. 0. S. 12.
») Froriep, a. a. 0. S. 13.
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390 G. Pommer
ferner in dem von A. W. Volkmann auf Grund der Beobachtungen
Freunds mitgeteilten Falle um eine 30jährige Frau.
Unter den erstaufgezählten vier Fällen ist durch die besondere
Ausdehnung des Defektes der Fall Frickhöffers ausgezeichnet, in
welchem die 2. , 3. , 4. und 5. linke Rippe 2^2 bzw. 3 Zoll entfernt
vom Stemum abgesetzt endeten und nach Frickhöffers Angabe, bei
Bestehen starker kyphotischer und skoliotischer Wirbelsäulenkrüm-
mungen, im betreffenden gleichschenklig dreieckigen, um V2 Zo^^
gegen die übrige Brustwand eingetieften Gebiete die linke Lunge und
das Herz >nur von Haut bedeckt« liegen^). Im Falle 0. Bartels
endeten die 2., 3. und 4. linke Rippe IV2 l>zw. 2^/^ und 372 cm ent-
fernt vom linken Brustbeinrand und zwar »sehr stark eingedrückt«,
wodurch eine halbhandtellergroße grubige Eintiefung der linken
Thoraxseite neben dem Stemum gegeben war^).
In H. Haeckels Fall betraf der Defekt die 3. und 4. zugleich
etwas eingetiefte linke Rippe, deren stemale Endteile bis nach außen
von der Mammillarlinie fehlen, so daß die vordere Brustgegend von
einer handtellergroßen Abflachung und annähernd kreisrunden Lücke
eingenommen war, in der man den Herzstoß dicht unter den Fingern
fühlen konnte 3).
Die geringste Ausdehnung zeigte der Defekt im ScHLÖzER-BiEDschen
Falle*); in diesem war die Eigentümlichkeit gegeben, daß zwischen den von
seinem Enorpelteil abgetrennten Knochen der 4. rechten Rippe und den einander
sehr (auf 1—2 Linien) genäherten Knochen der 3. und 2. rechten Rippe ein be-
deutender Zwischenraum sich zeigte, in dem eine walnußgroße Lungenhemie zu-
tage trat und, wie vermutet wird, auch die Intercostalmuskel fehlten. Es erscheint
dem gegenüber und da auch von den Brustmuskeln des Falles nur angegeben
wird, daß sie »nur äußerst schwach entwickelt sind, vielleicht teilweise gänzlich
fehlen«, fUr die Einordnung dieses Falles in die Reihe der Fälle lateraler Thorax-
spalte wesentlich ausschlaggebend, daß hier gleichwie in andern ausgeprägten
Beispielen dieser Mißbildungsform gänzlicher Mangel sowohl der Brustdrüse
als auch der Brustwarze bestand.
1) Frickhoeffer, Beschreibung einer Difformität des Thorax mit Defekt
der Rippen nebst Bemerkungen über die Herzbewegung. Virchows Archiv. 1856.
10. Bd. S. 474, 476. Fig. 1 auf Taf. VI.
2) 0. Bartels, Eine seltene Thoraxmißbildung mit congenitalen Muskel-
defekten. Inaug.-Dissert. Kiel 1894. S. 4.
3) H. HAECKEL,'Ein Fall von ausgedehntem angebornem Defekt am Thorax.
Virchows Archiv. 1888. 113 Bd. S. 47ö, 476.
*) Nach J. ScHLözBRS Dissertation »Über die angebomen Mißbildungen
der gesammten weiblichen Genitalien« (Erlangen 1842] von Ried veröffentlicht
unter dem Titel »Mangel einer Brustdrüse« in Frouieps Neuen Notizen aus dem
Gebiete der Natur- und Heilkunde. 23. Bd. 1842. S. 254 ff.
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Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Wachstums usw. 391
Unter den noch zu erörternden Fällen Erwachsener ist nach der
Größe des Defektes der von C. Seitz beschriebene obenan zu stellen,
in welchem die linke vordere Thoraxfläche eine pfannenartige Ver-
tiefung von 18 cm Länge, 12 cm Breite und 1,5 cm Tiefe zeigte,
indem die 2. Rippe daumenbreit von dem entsprechenden halbmond-
förmigeingekerbten Randgebiet des Sternums, die 3. Rippe 6,5 cm davon
entfernt und die 4. und 5. Rippe 4 cm vom linken Stemalrand enden <).
Auch im Falle Pulawskis fehlen vier Rippen, und zwar der
2., 3., 4. und 5. der rechten Seite, ihre sternalen Ansatzteile, unter ent-
sprechender bedeutender Abflachung eines dreieckigen Gebietes der
rechten Brustkorbhälfte, wobei angegeben ist, daß die 5. Rippe der
6. anhaftet, die übrigen drei aber (darunter die 4. in einer Entfernung
von 4^2 cm vom Stemum) frei endigen 2).
In Schlesingers Fall 3) zeigte sich bei der Untersuchung mittels
Röntgenstrahlen, entsprechend einer schon an der Clavicula be-
ginnenden Eintiefung der linken Thorax-Vorderfläche, eine knöcherne
Verbindung der 2. mit der 1. linken Rippe zu einem gemeinschaft-
lichen Ansatz an das Stemum, während die 3. und 4. Rippe, und
zwar unter beträchtlicher Verbreiterung ihrer Intercostalräume und
unter Bildung beträchtlicher Lungenhernien, frei endeten und zwar
die 3. in der Axillarlinie, die 4. in einiger Entfernung vom Stemum.
Schlesinger beschreibt den Knochendefekt als annähernd dreieckig
gestaltet.
Beschränktere Defekte liegen in den drei von H. Rieder ^) be-
schriebenen Fällen vor: im ersten derselben fehlte im Bereiche einer
handtellergroßen (9 cm breiten, 13 cm hohen) Thoraxeinsenkung das
Knorpelgebiet der 3. linken Rippe; es war zugleich eine Lungen-
hernie unter Mangel der Intercostalmuskel in diesem Bereiche ge-
geben; auch im dritten Falle Rieders war nur an einer, der 4. rechten
Rippe, die dabei bis zur Axillarlinie hin verdünnt erschien, der
1) C. Seitz, Eine seltene Mißbildung des Thorax. Virchows Archiv. 98. Bd.
1884. S. 336.
2) A. PuLAwsKi, Über eine Defektmißbildudg einiger Rippen und Muskeln
als Ursache einer seltenen Abnormität im Bau des Thorax (Fissnra thoracis la-
teralis). Virchows Archiv. 121. Bd. 1890. S. 698, 699. Taf. X, Fig. 1.
3} H. Schlesinger, Zur Lehre vom angeborenen Pectoralis-Rippendefekt
und dem Hochstande der Scapula. Wiener klin. Wochenschr. 1900. XIII. Nr. 2.
S. 26, 27.
^} H. Ried ER, Drei Fälle von angeborenem Knochen- und Muskeldefekt am
Thorax (Mitteilung der mediz. Klinik von Ziems.sbns . Annalen der städt. allg.
Krankenhäuser zu MUnchen 1890—92. München 1894. (Lehmann.) S. 62, 63, 65—68.
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392 G. Pommer
vordere, 6 cm lange Anteil abgängig, hingegen unter Bildung von
drei unvollständigen Lungenhernien die Zwischenrippenmuskulatur
dieses schwach ausgehöhlten Brustwandbezirkes in Resten vorhanden ;
im zweiten Falle Bi£D£RS mangelte, unter Erhaltung der höckerig
vorspringenden Stemalenden der 4. und 5. linken Kippe das Spangen-
gebiet der ersteren bis zur vorderen Axillarlinie, das der 5. bis in
die ParaSternallinie zugleich mit den Intercostalmuskeln des rinnen-
förmig eingesunkenen Bezirkes und unter Entwicklung von Lungen-
hernien.
Auch der Volkmann- FREüXDSche Fall^) zeigte nur einen auf
die 3. und 4. rechte Eippe, und zwar auf das Gebiet, »wo Knochen
und Knorpel zusammenstoßen«, beschränkten Defekt; entsprechend
dieser kinderhandgroß geschilderten Stelle waren die äußeren und
inneren Intercostalmuskel in ungewöhnlicher Länge entwickelt und
— bei tiefen Inspirationen — in ihren gemeinsamen gleichzeitigen
Kontraktionen unter der dünnen Hautbedeckung (Dank dem bestehen-
den Mangel des Muse, pectoralis major) leicht verfolgbar.
Was nun die typischen Begleiterscheinungen der seitlichen Thorax-
spalte anlangt, so ist hierzu vor allem der mehr oder minder aasgedebnte
Brustmuskeldefekt zu rechnen, welcher, abgesehen von den schon ange-
führten Eigentümlichkeiten des Befundes Eppingers und des Falles Schlözgr-
RiED, als ein vollständiger beschrieben wird; er betraf in vollständiger Aus-
bildung beide M. pectorales in ganzer Ausdehnung in dem Falle H. Haeckels^],
femer beide, aber unter gänzlichem oder teilweisem Erhaltenbleiben der Portio
clavicularis des Pectoralis major, in den Fällen Seitz und Rieder [I, II), und
unter gleichzeitigem Vorhandensein von obersten Bündeln der Portio stemo-
costalis in den Fällen Frorieps, Bartels und Schlesingers; hierher gehört
auch der Fall Pulawskis, jedoch war in diesem Falle an Stelle der Stemalportion
eine fibröse, 2 cm breite »Flughaut« entwickelt. Im Falle Volkmann -Freund
mangelte nur der M. pectoralis major und im III. Falle Rieders nur der untere
Teil seiner Sternocostalbündel.
In einzelnen Fällen waren auch andre Muskel in den Defekt in verschiedenem
Maße mit einbezogen: so die Intercostalmuskel, wie bereits aus den oben ge-
gebenen Darstellungen der Defektgebiete erhellt, femer der Serratus anticus
major, der in den Fällen Haeckels, Pulawskis und im 11. Fall Rieders gänz-
lich, im Falle Bartels und im III. Fall Rieders zum Teil fehlte.
1) A. W. Volkmann, Zur Theorie der Intercostalmuskeln. Zeitschr. f. Ana-
tomie und Entwicklungsgeschichte, herausgegeben von His und Braune. II. Bd.
1877. S. 192, 193 (Fig. 7).
'2} Und nach der Zusammenstellung Bings (Virch. A. 170. Bd. S. 199) auch
in jenem Fall Thomsons, der Bing zufolge (vgl. a. a. 0. S. 204) zugleich auch
einen Knochendefekt am Thorax zeigte und demnach zu den lateralen Brust-
spalten zu zählen ist. J. Thomsons Mitteilung: On a form of congenital thoracic
difformity. Teratologia 1895, january 25, war mir nicht zugänglich.
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Ein ftnatomisclier Beitrag zur Kenntnis des Wachstums usw. 393
Nur im Falle Bartels wird des Anscheines eines Fehlens der M. rhom-
boidei Erwähnung getan.
Als weitere zu den Begleiterscheinungen der seitlichen Thoraxspalte gehörige
Veränderungen finden sich angegeben: Dünnheit der Haut im betreffenden
Gebiete (Bartels, Haeckbl, Volkmann -Freund), fehlende oder dürftige Be-
haarung [PuLAWSKi, Rieder [III. Fall], Schlesinger). Im Fall Seitzs fand
sich in der vorderen Axillarlinie (oberhalb der 2. linken Rippe) eine angeborene
Narbe.
Endlich ist der Abweichungen von der Norm zu gedenken, die in Betreff
der Brustwarze der Defektseite beobachtet wurden: Kleinheit, schwächere
Pigmentierung und asymmetrische Lage (wie im Falle Ritters, so auch z. B. im
Falle Bartels, im I. und II. Fall Rieders und in dem Haeckels); ferner ist
hervorzuheben, daß fehlende bzw. verkümmerte Entwicklung der Brustdrüse
außer in den in dieser Hinsicht schon erwähnten Fällen auch in denenr Haeckels
und PüLAWSKis angegeben wird.
Auf Grund dieser verschiedenen Literaturangaben ^) können wir
uns eine beiläufige Vorstellung von dem Verhalten machen, welches
die Defektstelle des Falles, von dem das beschriebene Präparat vor-
liegt, in bezug auf die sie bedeckenden und abschließenden Weich-
gebilde gezeigt haben mag.
Es liegt nahe anzunehmen, daß der Abschluß der so ausgedehnten
Thoraxlücke in ähnlicher Weise, wie z. B. in dem Falle Frorieps,
durch eine feste bindegewebige Membran gebildet wurde, deren
unterer Saum wohl hemiös ausgebuchtet gewesen sein dürfte, wie
durch die (auf S. 374 erwähnte und in den Fig. 1 und 3 dargestellte)
bogige Eintiefung der 6. rechten Rippe wahrscheinlich gemacht wird.
Wohl kaum ließe sich auch bezweifeln, daß die Portio stemo-
costalis des M. pectoralis major ganz oder wenigstens bis auf ihre
obersten Bündel fehlte, und daß auch der M. pectoralis minor ab-
gängig war.
Bei eingehenderem Studium der Befunde, die in der Literatur
der seitlichen Brustspalte hinterlegt sind, findet man aber außer den
erörterten Begleiterscheinungen auch eine Anzahl besonderer Ver-
änderungen angefllhrt, die in Hinblick auf entsprechende Be-
sonderheiten des von mir beschriebenen Präparates unsre
Aufmerksamkeit verdienen.
Was zunächst das Verhalten der Kippen anlangt, so sind in
Betreff der Eippenendteile im Bereiche der Thoraxspalte in einigen
Fällen Verschiedenheiten beschrieben, die an die von mir bemerkten
1) Bzw. in Anbetracht des bereits (z. B. von Hajjckel, a. a. 0. S. 477, 480,
481) in den Beschreibungen der seitlichen Toraxspalte hervorgehobenen Typus
dieser Mißbildung.
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394 G. Pommer
erinnern: bis zur Ähnlichkeit mit einem Federkiel gediehene (Seitz)^)
oder als sehr erheblich beschriebene Verdünnung einzelner Rippen
(PüLAWSKi)2), neben denen jedoch andre Rippenenden durch sogar
als knopfförmig bezeichnete Verdickung auffielen^); in analoger
Weise unterschied sich durch ihre Breite und querabgesetzte stumpfe
Form in dem von mir beschriebenen Präparate die 4. Rippe gegen-
über den spitzauslaufenden Enden der 2., 3. und 5. Rippe.
Es werden wohl erst spätere Untersuchungen, an neuen Fällen
anatomisch und mikroskopisch durchgeführt, darüber zu belehren ver-
mögen, ob bei solchen Verschiedenheiten der Rippenenden auch ^ihre
funktionelle Beanspruchung betreffende Verschiedenheiten in der Aus-
bildung der Zwischenrippen- und sonstigen Muskelansätze bestehen. —
Bei dem hier beschriebenen Präparat deutet darauf der Umstand hin,
daß die 2., 3. und 5. Rippen mit ihren spitzauslaufenden Endstücken
an die bezüglichen benachbarten Rippen angeschmiegt liegen und
nur die 4. Rippe mit ihrem stumpfen Ende frei vorragt; in dieser
Beziehung ist aber in den in Vergleich gezogenen Fällen Seitzs und
PüLAWSKis angegeben, daß ebensowohl die verdickten als auch die
verdünnten Rippen »frei« bzw. »blind« endigen^J. —
Auch für die am beschriebenen Rumpfskelet auffällige enge
Aneinanderlagerung der seitlichen konzentrisch atrophierten An-
teile der 6., 7. und 8. rechten Rippe lassen sich in den Angaben einiger
Autoren Belege finden; so erwähnt H. Haeckel^), daß in seinem Fall
wegen der Enge der Intercostalräume keine Beobachtungen über das
Verhalten der Intercostalmuskeln bei der Respiration möglich waren;
Rieder 6) fand in seinem II. Fall die 6., 7. und 8. linke Rippe ster-
nalwärts nach innen eingesunken und enger aneinander geschlossen
als normal; auch Schlesinger gibt an, daß sämtliche unter dem
1] Seitz beechreibt so die dritte Rippe (a. a. 0. S. 336).
2) In PuLAWSKis Fall die 2. und 3. Rippe (a. a. 0. S. 599).
3] So die 2. Rippe in Seitzs Fall, welche dabei auch »prominierte«, und die
4. Rippe in Pülawskib Fall.
4) Vgl. Seitzs und Pulawskis Angaben a. a. 0. — Offen bleibt auch die
Frage, worauf zurückzufahren ist, daß manche Rippenenden im Bereiche lateraler
Thoraxspalten miteinander verwachsen sich fanden: so in Seitzs Fall (s. a. a.
0.) die 2. und 3. bzw. die 4. und ö. Rippe (letztere dabei »vom zusammen ver-
schmolzen in eine zweimarkstiickgroße, flache Platte«]; auch Bartels (a. a. 0.
5. 4) fand die freien Enden der 2., 3. und 4. Rippe {und außerdem letztere mit
der am Brustbein eingepflanzten ö. Rippe) u. zw. »durch bindegewebige Streifen
verbundene, nicht jedoch die 2. Rippe mit der ersten.
5) Haeckel, a. a. 0. S. 476, 477.
f') Rieder, a. a. 0. S. 65.
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Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Wachstums usw. 395
Defekt gelegene Intercostalräome yerschmälert sich fanden, was er
darauf zurückfuhrt, daß in seinem Falle »die Rippen in der Höhe des
Defektes weiter anseinandergewichen sind« ^).
In dieser Beziehung scheint mir das beschriebene Präparat die
Annahme nahezulegen, daß im Grebiete der Aneinanderlagerung der
genannten Sippen wegen mangelhafter Ausbildung undFunk*-
tion der sie hebenden Muskel die Zugrichtung der Ursprungs-
zacken des äußeren schiefen Banchmuskels und anderseits auch
die betreffenden Zacken der Pars costalis diaphragmatis das Über-
gewicht erlangten.
Auch im Bereiche des Rippenbogens der Defektseite werden
Yon einigen Autoren Veränderungen beschrieben, so ein Vorragen
(PüLAwsKi)^) und Umgebogensein nach außen (Bartels) 3), welche,
gleichwie das schon erwähnte >Heryorgedrängt8ein« des Ansatz-
gebietes des M. rectus abdominis im Bereiche des 5. — 7. Rippenknorpels
im Falle Frorieps (vgl. S. 388), an das beschriebene Verhalten des
Rippenbogens und des Knorpelplattengebietes im untersuchten Prä-
parat erinnern. Zur Erklärung dieser Befunde dürfte wohl ebenfalls
die Wirkung des Bauchmuskelzuges wenigstens in gewissem Maße
in Betracht zu ziehen sein.
Ferner hätte ich bezüglich der Rippen zu erwähnen, daß aller-
dings in keiner der bisherigen Veröffentlichungen über Messungen
berichtet ist, die zur Bestätigung der von mir gefundenen Rippen-
verkürzungen im Nachbargebiete der Brustwandlücke an-
geführt werden könnten; jedoch aus den über die Verkleinerung
des Brustumfanges auf der Seite des Defektes vorliegenden
Literaturmitteilungen läßt sich wohl mit einiger Wahrscheinlichkeit
schließen, daß in jenen Fällen das Verhalten der Rippen ein ähn-
liches gewesen ist, insoweit^ nicht die zugleich bestehenden Brnst-
muskeldefekte die Umfangverringerung bedingten. In dem von Seitz
untersuchten Falle eines 28 Jahre alten Mannes maß der Umfang der
mißbildeten (linken) Thoraxhälfte 42,5 cm, der der rechten 46 cm,
in der Höhe der (allein nur vorhandenen) Mammilla dieser Seite ^); bei
dem 34 Jahre alten Schneider Rieders (Fall I) betrug der Brust-
umfang in Mammillarhöhe gemessen links 38, rechts 42 cm*).
1} Schlesinger, a. a. 0. S. 28.
2) PuLAWSKi, a. a. 0. S. 699.
3] Bartels, a. a. 0. S. 4.
*) Seitz, a. a. 0. S. 336.
5} Rieder, a. a. 0. S. 62. Vgl. auch die Cyrtometer-Knrven IV und V. S.83.
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396 G. Pommer
Auch schon bei den jugendlichen Individuen der Fälle Bartels'
und Hakckkls bestanden ähnliche erhebliche Unterschiede, indem bei
dem 11 Jahre alten Knaben Bartels^ der Umfang der defekten
(linken] Brusthälfte, von der Mitte des Stemums bis zur Wirbelsäule
gemessen, 28 cm betrug, gegenüber 31 cm Umfang der andern Hälfte;
dabei ermittelte Bartels »eine Verkleinerung der linken Seite in
allen Durchmessern mit seitlicher Impression«; er ftihrt an, daß bei
einem Diameter sternovertebralis von I33/4 cm der linke Querdurch-
messer 10 cm gegenüber 12 cm der rechten Seite maß *).
Bei dem 14 Jahre alten Mädchen des Falles Haeckels wird der
Umfang der mit der Thoraxspalte behafteten (linken) Brusthälfte mit
35 cm gegen 38,5 cm der andern Seite angegeben^).
Aus der Sobilderung des letzteren Falles ist übrigens hier auch jene An-
gabe anznfUhren, die mit dem Befunde des größeren weiteren Bogens der hinteren
Bippenanteile der rechten Seite im beschriebenen Präparat übereinstimmt (vgl.
S. 374, 378, Fig. 2), nämlich die, daß in Haeckels Fall »der seitliche Kontur des
Brustkorbes nach links« (der Seite des Defektes) >in leichtem Bogen konvex«
vorsprang, während auf der andern Seite eine schwache Einsenkung bestand^].
Auch wäre vielleicht noch zu bemerken, daß im Falle Pulawskis die defekte
(rechte) Hälfte des Brustkorbes mehr als die andre »nach hinten hervorge-
buchtet« war (PuLAwsKi, a. a. 0. S. i
Es handelt sich dabei um Asymmetrien des Thorax, za
deren Erklärung die am beschriebenen Präparat nachweisbare bzw.
die in diesen Fällen ebenfalls angegebene Skoliose [Haeckel^},
PüLAWSKi«)] heranzuziehen sein dürfte.
Beizufügen ist hier, daß skoliotische Krümmungen der
Wirbelsäule auch in andern Fällen seitlicher Thoraxspalte ver-
zeichnet sind: so, wie ich schon erwähnte, neben starker Kyphose
in dem Falle des 14 Jahre alten Knaben Frickhoeffers ^j ; nnd in
einer m. m. schwachen Ausbildung, wie in den oben erwähnten Fällen^),
auch bei dem 11jährigen Knaben Bartels' % bei dem 28 Jahre alten
Manne Seitzs^<^), sowie bei dem 22 Jahre alten Bernsteindrechsler
1) Bartels, a. a. 0. S. ö.
2) Haeckel, a. a. 0. S. 47ö.
3) Haeckel, a. a. 0. S. 47ö.
*) PüLAWSKi, a. a. 0. S. ö98.
5) Haeckel, a. a. 0. S. 474, 476.
6) PuLAwsKi, a. a. 0. S. ö99.
T) Frickhoeffer, a. a. 0. S. 474.
8) Des 14 J. a. Mädchens Haeckels und des 36 J. a. Mannes Pulawskis.
9] Bartels, a. a. 0. S. ö.
10) Seitz, a. a. 0. S. 336.
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Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Wachstums usw. 397
Schlesingers ^), ferner bei dem 33 Jahre alten Bereiter Rieders
(Fall 11)2). In zwei Fällen, in denen Bartels' und Pulawskis, ist
nebenbei auch das Bestehen von TorticoUis angegeben und zwar im
letzteren Falle mit Neigung des Kopfes (und Rumpfes) nach der gesun-
den Seite hin'-^), während im Falle Bartels' Drehung des Kopfes nach
der gesunden, Neigung aber nach der kranken Seite bestand, wozu
sich auch »geringe Asymmetrie des Gesichts auf Kosten (dieser) der
linken Seite« gesellte^)*).
In dem Falle Schlözer-Ried ist die Wirbelsäule ausdrück-
lich als normal bezeichnet«). Er betriflFt ein 5 Jahre altes Mäd-
chen. Desgleichen wird in jenen zwei Fällen von Thoraxspalte, die
im frühesten Kindesalter Ritter und Eppinger bzw. Ahlfeld
zur Beobachtung kamen, nicht über Wirbelsäulenverkrümmungen
berichtet '), so daß wir zur Annahme veranlaßt werden, daß bei be-
stehender lateraler Thoraxspalte — sofern nicht andre nebenbei
vorhandene Mißbildungen Verkrümmungen der Wirbelsäule bedingen ^)
— erst allmählich, unter dem fortdauernden Einfluß ungleich-
ij Schlesinger, a. a. 0. S. 26.
2} Rieder, a. a. 0. S. 64.
3; PüLAwsKi, a. a. 0. S. ö99.
*; Bartels, a. a. 0. S. 4.
^) Was die seitliche Richtung der Skoliose betrifft so lassen sich nach
den vorhandenen Angaben die Fälle Haeckels (S. 476) und Schlesingers (S. 26)
als solche, in denen die Skoliose nach der Seite der bestehenden Thoraxspalte
benannt ist, gleichwie der erwähnte Fall II Kieders, in dem die Brustwirbelsänle
nach links (der Seite des Defekts) gedrängt, Hals- und Lenden Wirbelsäule etwas
nach rechts ausgebogen war, von dem Fall Bartels' unterscheiden, in welchem
bei linksseitiger Thoraxspalte ausdrücklich eine »recht« konvexe Dorsal- und eine
linkskonvexe Lumbaiskoliose mit entsprechendem rechten Rippenbuckel und Ver-
tiefung der rechten Taille« angegeben ist (a. a. 0. S. ö).
Die im Falle I Rieders (a. a. 0. S. 62) bei linksseitiger Thoraxspalte vor-
handene leichte Ausbiegung des mittleren Teiles der Brustwirbelsäule nach rechts
ist Rieder (a. a. 0. S. 78. geneigt als eine »physiologische Ausbiegung der
Wirbelsäule bei Rechthändern« aufzufassen. Im Fall III Rieders fand sich die
Wirbelsäule gerade, bis nach Resorption eines pleuritischen Ergusses eine uner-
hebliche Verkrümmung auftrat (Rieder, a. a. 0. S. 68).
6) Zugleich aber doch eine stärkere Wölbung der mittleren Rippen der de-
fekten Seite angegeben, auf welche der höhere Stand der betreffenden Schulter
bezogen wird :Schlözer-Ried, a. a. 0. S. 256).
7) Vgl. S. 381-38Ö bzw. 387.
8) Ein Beispiel hierfür bietet Sömaierings Fall (s. S. 386), und auch die Fälle
Fleischmanns und Frickhoefpers (vgl. S. 387 bzw. 390.1 dürften in Anbetracht
des hohen Grades der bestehenden bzw. angeborenen Verkrümmung die An-
nahme reclitfertigen, daß hierbei eine Bildungsanomalie der Wirbelsäule bestand.
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398 G^- Pommer
Beitiger Mnskeltätigkeit, skoliotisehe Krtimmongen der
Brastwirbelsäule entstehen und während des Wach»tnms des Körpers
zar fortschreitenden Ausbildung gelangen.
Wahrscheinlich handelt es sich dabei nicht nur um eine der
Thoraxspalte und den dabei gegebenen Muskeldefekten entsprechende
Behinderung oder Beschränkung der Atembewegungen der einen
Thoraxseite, sondern auch um die Wirkung ungleichgradiger funktio-
neller Beanspruchung der Muskeln der oberen Extremitäten nnd der
oberen Rumpfhälfte bei körperlichen Beschäftigungen.
Gegen diese Annahme ließe sich nicht anfuhren, daß in manchen Fällen
von seitlicher Thoraxspalte, so z. B. im Fall II Rieders, der einen 33 J. alten
als vorzüglichen Reiter nnd Turner bekannten Mann betrifft, nur von einer i;.
im Falle Schlesingers 2} von keiner Störung der Kürperbewegungen berichtet
ist, und ebenso ist dagegen auch das Verhalten der angeborenen Muskeldefekte
überhaupt nicht anführbar, bei welchen »die mangelnde Funktionsstörung
ein fast ausnahmslos vorhandenes und außerordentlich in die Augen springendes
Symptom« darstellt^. Denn es zeigen andre Fälle direkt, wie Bing in seiner
zusammenfassenden Arbeit über angeborene Muskeldefekte ^) im einzelnen hervor-
hebt, daß immerhin, trotz des vikariierendenEintretens andrer Muskeln
für die fehlenden, diese oder jene besonderen Bewegungen nicht mög-
lich sind.
Auch im Falle Pulawski*) war ebenso wie im Falle II Rieders
(s. vorn) 1) die Hebung des Armes bis zur Senkrechten nicht möglich,
während »alle übrigen Schulter- und Annbewegungen genau und mit
gehöriger Kraft« ausführbar waren. Und im Falle Bartels fiel z. B.
ein Unterschied in der Bewegung der Scapula beim Seitwärtsheben
der Arme, raschere Ermüdbarkeit des Armes der Defektseite u. dgl.
m. auf und wird auch von Brustbeklemmungen berichtet®].
Besonders bemerkenswert ist aber die in Haeckels Falle ^) be-
obachtete Tatsache, daß gegenüber gesteigerten Arbeitsaufgaben ein
Unterschied in der Leistungsfähigkeit der Arme und in ihrer Ermüd-
barkeit auftrat, während vorher »nie ein Unterschied in den Armen
zum Bewußtsein gekommen« war; und ebenso auch die Mitteilung
Seitzs, daß der betreffende Mann, obwohl der Arm der Defektseite
1) Nach RiEOEK, a. a. 0. S. 65, konnte in diesem Falle II die linke Ober-
extremität nicht so hoch, wie die rechte in vertikaler Eichtnng gehoben werden.
2) Schlesinger, a. a. 0. S. 27.
3 Bing, a. a. 0. Vmcn. A. 170. Bd. S. 213.
*) Bing, a. a. 0. S. 214.
5) PüLAWSKi, a. a. 0. S. 699.
6) Bartels, a. a. 0. S. 7 bzw. 3.
^; Haeckel, a. a. 0. S. 476.
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Ein anatomischer Beitrag znr Kenntnis des Wachstums usw. 399
»immer etwas schwächer war, seiner Beschäftigung als Banernknecht
ohne Beschwerde« nachkam, bis endlich raschere Ermüdbarkeit and
>bei angestrengter Arbeit Atembeschwerden« beobachtet wurden^).
Nach alledem wird also wohl anzunehmen sein, daß die late-
rale Thoraxspalte von Verschiedenheiten und Abände-
rungen im Bereiche der Muskulatur begleitet ist, die geeignet
sind, sowohl Asymmetrien der Brustwirbelsäule und des Brustkorbes
als auch darüber hinausgreifende Krümmungen der Hals- und Lenden-
wirbelsäule herbeizuführen, wie solche auch tatsächlich an dem von
mir beschriebenen Präparat in ausgeprägtem Maße sich vorfinden.
Zur Vervollständigung dieser Darlegungen sei noch auf die An-
gaben hingewiesen, die man bei den Autoren über die bei seitlicher
Brustspalte vorkommende kompensatorische Hypertrophie ge-
wisser Muskel bzw. Muskelteile antrifft. So wird im Falle
Haeckels^), in Eieders Fall I und von Schlesinger kräftigere Ent-
wicklung des Muse, deltoideus angegeben, die in Bieders Fall I im
besonderen den Schüsselbeinanteil betraft), in Schlesingers Fall
neben dürftigerer Entwicklung der oberen Anteile des M. cucullaris
vorhanden war^). Auch im Falle Seitz fand sich die Clavicular-
portion des Deltamuskels, aber mit ihr zugleich der Cucullaris stärker
entwickelt^). Bartels berichtet von stärkerer Ausbildung des vom
Griff des Brustbeins entspringenden Teiles des Pectoralis major neben
Hypertrophie des Cucullaris «)'). Für die besonders auffällige Ent-
wicklung des Deltamuskels des nur wenig über 4 Monate alten
Kindes im Falle Eppinqers (vgl. S. 383) könnte aber allerdings in
Anbetracht des zugleich bemerkten abnorm breiten Ursprunges dieses
Muskels die Annahme einer angeborenen Anomalie zur Erklärung
herangezogen werden ^j.
1) Seitz, a. a. 0. S. 33ö.
^j Haeckel, a. a. 0. S. 475.
3) RiBDBR, a. a. 0. S. 62.
*; Schlesinger, a. a. 0. S. 26.
5) Seitz, a, a. 0. S. 336.
6) Bartels, a. a. 0. S. 4.
'^] Eine stärkere Entwicklung des M. cucullaris der Defektseite erwähnt auch
Rieder (a. a. 0. S. 68) von seinem UI. Fall.
8) Kompensatorische Hypertrophie des M. deltoides bei Fehlen der Sterno-
costalportion des M. pect. maj. und Defekt des Pectoralis min. wird übrigens auch
beobachtet, wenn keine Thoraxspalte zugleich voriiegt. Ihre Ausbildung erfolgt
dabei allmählich, ebenso wie auch die der Abflachung des Thorax auf der Seite
des Muskeldefektes, die z. B. im Falle Joachimsthals (Üb. einen Fall v. ange-
borenem Defekt an der rechten Thoraxhälfte usw. Berliner Klin. Wochenschr.
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400 G. Pommer
Unter allen Umständen wird man sich angeregt fühlen, die be-
sagten Mnskelhypertrophien zur Erklärung jener Veränderungen in
Anspruch zu nehmen, die am Schlüsselbein der Defektseite am
häufigsten beobachtet wurden, nämlich zur Erklärung der mehr oder
minder mit besonderer Krümmung kombinierten Verdickung na-
mentlich seines mittleren Gebietes.
Beispiele hierfür bieten die Fälle Seitzs*), Haeckels*), und Pu-
LAWSKis 3) sowie auch die Fälle Rieders insofern, als im III. stärkere
Krümmung und Verdickung, im I. eine Verdickung jedoch ohne
Änderung der Krümmung, im II. eine auffallende Entwicklung des
acromialen Endes der Clavicula, also im Ansatzgebiete der Clavicular-
portion des Pectoralis major erwähnt werden*). Für die m. m. tiber-
einstimmenden Befunde, welche, wie ich auf S. 378, 379 angeführt habe
und die Fig. 1 und 3 erkennen lassen, die rechte Clavicula des be-
schriebenen Präparates darbietet, würde also in Analogie mit den
genannten Fällen, die Annahme einer hypertrophischen Ausbildung
der Clavicularportionen des M. pectoralis major, des Deltoideus bzw.
Cucullaris eine befriedigende Erklärung abgeben.
Wesentliche Einbuße an Stichhaltigkeit erleidet diese Annahme dadurch wohl
kaum, daß in einigen Fällen auch ein m. m. abweichendes Verhalten des Schlüssel-
beines der Defektseite angegeben ist, so im Falle Volkmann-Freünd^) und in
dem Ba.rtels'6), in denen es allerdings als stark gebogen, nicht aber aus-
drücklich als verdickt beschrieben ist; Schlesinger wieder fand es sogar
im Vergleiche zum normalen Schlüsselbein der andern Seite »sehr gerade und
gestreckt« '^), was sich aber vielleicht damit in Znsammenhang bringen ließe, daß.
wie ich schon angeführt habe, im Falle Schlesingers die oberen Anteile des
Cucullaris dürftiger entwickelt schienen und nur der Deltamuskel stärker aus-
gebildet war.
Endlich ist zu erwähnen^ daß ich in keinem der Fälle late-
raler Thoraxspalte, die mir bekannt wurden, eine Verkürzung des
Schlüsselbeines der Defektseite angegeben fand. Daß gleichwohl,
wenigstens in den Fällen aus vorgerückterem Lebensalter, eine solche
Verkürzung bestand, jedoch den Untersuchern nicht auffiel, hat aber
1896. Nr. 36. S. 805 , der ein 11 Jahre altes Mädchen betraf, erst im Laufe der
Jahre auffällig wurde und darauf hinweist, daß die Muskulatur auf den Thorax
einen formgestaltenden Einfluß ausübt.
1) Seitz, a. a. 0. S. 336.
2) Haeckel, a. a. 0. S. 476.
«) PuLAWSKi, a. a. 0. S. 598.
4) Rieder, a. a. 0. S. 67, 62, 65.
'>) Volkmann, a. a. 0. S. 192.
6) Bartels, a. a. 0. S. 4.
■^l Schlesinger, a. a. 0. S. 26.
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Ein anatomiBcher Beitrag zur KenntniB des WachBtumB usw. 401
mit SUckaicht aaf die (S. 395, 396) angefbhrten LiteratQraBgaben, die
eine Verkleinerung des BmstumfangeB der Defektseite dartnn, nnd im
Hinblick auf die Befunde yon Schlttsselbein- und Sippenverkttrzung
des beschriebenen Präparates alle Wahrscheinlichkeit für sich.
Es erübrigt nun noch über die Angaben zu berichten, die sich
in der Literatur in Betreff des Verhaltens des Schulterblattes der De-
fektseite und bezüglich des Brustbeines vorfinden.
Was zunächst den Höhenstand der Schulter anlangt, so
entsprechen die in dieser Beziehung von den Untersuchern ange-
gebenen Verschiedenheiten im allgemeinen denen, die im Verhalten
der Wirbelsäulenkrttmmungen bestehen.
£b wird im Falle II Riederb >) und im Falle Schlesingerb^) angegeben,
daß die Schulter bzw. daB Schulterblatt der Defektseite htJher Btand;
ebenso verhielt sich die Schulter im Falle Haeckelb^) und im Falle Pulawskib*);
im letztereu fand sich der untere Scapulawinkel um 2 cm h(5her Btehend. In
beiden letztgenannten Fällen iat tiberdies angegeben, daß das Schulterblatt der
Wirbelsäule näher lag nnd daß es^) zugleich vom Brustkorb (nach Art einer
Scapula alata} abgehoben war.
Auch im Falle Ried-Schlözer^'} zeigte sich das Schulterblatt, aber »sehr
unbedeutend« in die Höhe geschoben. In diesem Falle eines 5 J. alten Mädchens
ist die Wirbelsäule, wie bereits erwähnt wurde, als normal bezeichnet und wurde
der etwas höhere Stand der Schulter auf die schon angeführte stärkere Wölbung
der mittleren Rippen dieser d. i. der Defektseite bezogen.
Von letzterem Falle abgesehen fällt, wie aus der Zusammenstellung der Anf
merkung 6 S. 397 zu entnehmen ist, der Schulterh och stand mit der au-
derselben Seite, d. i. auf der Defektseite bestehenden Konvexität der Dorsal-
krtimmung (in den Fällen Haeckelb, Schlesingers und Nr. II Inders und
wohl auch in Pulawskis Fall) zusammen.
Im Gegensatzeliierzn, aber in Übereinstimmung mit den
betreffenden Befunden des von mir hier beschriebenen Präpa-
rates, war im Falle Bartels ^j und auch im Falle I Biedebs ^j auf der
Defektseite Tieferstehen der Schulter gegeben; und zwar im
Falle Bartels in so beträchlichem Maße, daß das Acromion beiläufig
IV2 ^T^ tiefer stand und die Schulter als steiler abfallend bezeichnet ist.
Als Eigentümlichkeit des Falles Bartels ist dabei ebenfalls eine
Annäherung des inneren Scapularandes an die Mittellinie und zugleich
J) Rieder, a. a. 0. S. 66.
^ Schlesinger, a. a. 0. S. 26.
3) Haeckel, a. a. 0. S. 474.
*} PuLAWSKi, a. a. 0. S. ö99.
*) Im Falle Pulawskis.
6) Ried-Schlözer, a. a 0. S. 256.
7) Bartels, a. a. 0. S. 4.
H] Rieder, a. a. 0. S. 62.
Archiv f. Entwicklangsmechanik. XXII. 26
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402 G. Pommer
eine Abhebung vom Thorax gegeben; beides in höherem Grade am
Angulos scapulae als an ihrem Körper, so daß sie als »etwas ge-
flügelt und nach vom tibergekippt« geschildert wird^). — Sowohl
im Falle Bartels als im genannten I. Fall Rieders wurde (vgl.
Anm. 5 S. 397) zugleich mit dem Tiefstand der Schulter eine
gleichseitige Dorsalkonkavität beobachtet. Und eine solche
tritt ja, wie bereits S. 377 und an der Fig. 2 gezeigt wurde, auch
an dem hier beschriebenen Präparate zutage und wird augenschein-
lich in ihrer Wirkung in Betreff des Schulterstandes durch die
entgegengesetzte Krümmung der obersten Teile der Brustwirbelsänle
nicht ausgeglichen').
Von besonderem Interesse flir die Fragen, die uns das hier be-
schriebene Präparat vorlegt, ist jedoch die Tatsache, daß auch bereits
in einigen Fällen der Literatur ein Kleinersein des Schulter-
blattes der Defektseite angegeben ist; so bezeichnet Bieder
dasselbe in seinem IL Falle als >kürzer«*), in seinem III. Falle als
> schlechter entwickelt« 5^); Schlesinger <*) erwähnt eine >geringftigige
Hypoplasie der Scapula«.
1) Hartels, a. a. 0. S. 6.
3) Zur Erklärung für diese Stellungsveränderung des Schulterblattes sei
hier nebenbei darauf hingewiesen, daß im Falle Bartels die Mm. rhomboidei
der betreffenden (linken) Seite voliständig zu fehlen schienen (s. a. a. 0. S. 6)
und daß vom Serratus anticus erst von der 5. Rippe abwärts schwache Mo»-
kelbUndel zu fühlen waren (Bartels, a. a. 0. S. 6).
Vollständiger Mangel des Serratus ist in den Fällen Haeckels und
PuLAwsKis angegeben (a. a. 0. S. 475 bzw. 699), und erklärt die von denselben
bereits angeführte flUgelartige Schulterblattstellung. •
Auch in zwei andern Fällen, in welchen, so wie in den beiden letztge-
nannten, das Schulterblatt der Defektseite höher und vom Thorax weiter abstand,
in den Fällen II und III Rieders, wurden Anomalien des Serratus beobachtet,
indem im Falle II seine Zacken gar nicht (s. a. a. 0. S. 65] im Fall III nur
schwach entwickelt waren (Rieder, a. .a. 0. S. 68}.
3] In welche der beiden Gruppen von Fällen, die also nach dem Hoch- und
Tiefstande der Schulter der Defektseite unterschieden werden können, der
SEiTzsche Fall einzureihen ist, läßt sich nicht eingehend verfolgen. Die kurzen
Angaben Seitzs (a. a. 0. S. 336) gehen dahin, daß die Wirbelsäule »eine leichte
Skoliose nach links« zeigte, und daß die »linke Clavicula tiefer« stand, welch
letzterer Umstand wohl ao nehmen läßt , daß auch der Schulter dieser, d. i. der
Defektseite, Tiefstand zukam. Ob aber wirklich, wie Ribder (a. a. 0. S. 76) an-
nimmt, in diesem Falle Seitzs, ebenso wie in seinem Falle II und in dem Haeckels,
»Ausbiegung der Brustwirbelsäule nach der dem Defekt entgegengesetzten Seite
vorhanden« war, erscheint immerhin fraglich.
4) Rieder, a. a. 0. S. 64.
5; Rieder, a. a. 0. S. 68.
^'] Schlesinger, a. a. 0. S. 28.
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Ein anatomiBcher Beitrag zur Kenntnis des Wachstums usw. 403
In Haeckels Fall war die Scapnla »in allen ihren Dimensionen
kleiner«; Haeckel fügt bei, daß ihre Basis »nur 13 cm lang gegen
15,5 cm anf der gesunden Seite« ist^), womit er eine noch bedeuten-
dere Verkürzung festgestellt hat, als das Schulterblatt des hier be-
schriebenen Präparates darbietet (vgl. S. 376, 377).
In einer verhältnismäßig größeren Anzahl von Fällen
lateraler Thoraxspalte und zwar auch in solchen des Kindesalters
traf ich Befunde des Brustbeines angegeben, die in verschiedener
Beziehung mit denen des beschriebenen Präparates übereinstimmen.
Die Erklärung hierfür liegt wohl, abgesehen von dem Umstände, daß
das Brustbein auch am Lebenden der Untersuchung und Messung be-
sonders zugänglich ist, darin, daß augenscheinlich auf dieses bzw.
auf seine Anlage schon zur Zeit der Entstehung des Defektes
ein seine Ausbildung und zwar besonders seine Längenentwick-
lung beeinträchtigender Einfluß ausgeübt wird.
Es sei in letzterer Beziehung zunächst auf die (S. 381) ausführ-
lich mitgeteilten Angaben Eppingers verwiesen, der ja an der
Leiche des betreffenden, fast 4^2 Monate alten Knaben das Brustbein
4,7 cm lang fand. Es bedeutet dies eine Verkürzung um etwa
5 cm, wenn man berücksichtigt, daß nach Lihar^ik^) unter normalen
Verhältnissen bei Knaben die Brustbeinlänge mit dem 3. Monat 9 cm
und mit dem 6. 10 cm erreicht und demnach für das Alter von
4V2 Monaten auf beiläufig 9^2 cm zu veranschlagen ist. Jedenfalls
ist die Verkürzung des Brustbeines im Falle Kitter-Eppingers eine
sehr beträchtliche, da ja schon bei neugeborenen Knaben mittlerer
Körperlänge Liharzik dasselbe 7 cm lang fand und da es selbst bei
neugeborenen Mädchen nach L« 6 cm mißt^).
Auf Verkürzungen des Brustbeines lassen sich femer auch jene
Angaben beziehen, in welchen, wie im Falle Frickhoeffers^) eines
14 Jahre alten und in dem Bartels'^) eines 11 Jahre alten Knaben,
der Processus ensiformis als > rudimentär« bezeichnet wird; im Falle
Ried-Schlözers, der ein 5 Jahr altes Mädchen betraf, erschien das
Brustbein »etwas zu kurz«, was dabei auf die Bildung eines stumpf-
vorstehenden Winkels in seiner Mitte bezogen wird<^); noch aus-
1) Haeckel, a. a. 0. S. 476.
2] LmARiiK, Das Gesetz des Wachstams und der Bau des Menschen. Wien
1862. S. 16.
3) Vgl. LiHARiiK, a. a. 0. S. 16, 18.
*) Frickhoeffer, a, a, 0. S. 474.
5) Bartels, a. a. 0. S. 7, 8. «j Ried-Schlözer, a. a. 0. S. 256.
26*
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404 0. Pommer
gesprochener ist die Angabe Schlesingers ^j, nach welcher in seinem
einen 22 Jahre alten Mann betreffenden Fall das Sternnm unter Ein-
Senkung seiner unteren Abschnitte »kürzer als in der Norm« erschien
und der Proc. xiphoides »nicht zu tasten« war.
Auf Grund von Messungen wird aber außer von Eppinger
auch noch von Seitz und von Pülawski über Verkürzung des
Brustbeins berichtet: es wird seine Länge von Seitz') (in dessen
Fall eines 28 Jahre alten Mannes) mit 16,5 cm angegeben, von
PuLAWSKi') (bei seinem 36 Jahre alten Mann) mit 12 cm, wobei
PuLAWSKi zur Kennzeichnung des bedeutenden Grades der Verkürzung
einschaltet, daß die Stemumlänge bei einem normalen Menschen der-
selben Körpergröße 24 cm betrage.
An dem hier beschriebenen Präparat mißt, wie ich bereits S. 375
anführte, das Brustbein, dessen Proc. xiphoides dabei nur geringgradig
ausgebildet ist, beiläufig 15 cm, was eine ansehnliche Verkürzung be-
deutet, auch wenn man nach LiHARiiE die Brustbeinlänge am Ende
des Wachstums (d. i. am Ende der 24. Epoche Lihar^iks = den
300. Monat oder 25. Jahr) für Männer auf 22 cm (bzw. für das weib-
liche Geschlecht auf 21 cm) ansetzt^) oder wenn man selbst mit
Krause^) beim Mann die Länge des Brustbeines auf nur 18 cm
(bzw. beim Weib auf 16 cm) veranschlagen will.
Endlich ist noch darzulegen, daß sich auch in Betreff der am
beschriebenen Präparat auffallenden Breite, Gestalt und Drehung
des Sternums (s. S. 373, 375, 376) in der Literatur der lateralen
Thoraxspalte Analogien ergeben und daß besonders in einzelnen Fällen
und Beziehungen übereinstimmende Angaben sich vorfinden.
So bezeichnet z. B. Frickhoeffer^) das Brustbein in seinem
Fall als »breiter«, wie im normalen Zustand; und anderseits wurde
von Eppinger, wie ich schon anführte (s. S. 381), bei einer Breite des
Sternums des betreffenden Kindes von 13 mm der den Defekt be-
grenzende Stemumrand leicht konkav ausgeschweift gefunden
und von Seitz anstatt der Ansatzstelle der 2. linken Rippe 3 cm unter-
halb der Incis. semil. manubrii ein 3 cm langer bis 1,5 cm breiter
1) Schlesinger, a. a. 0. S. 26.
2) Seitz, a. a. 0. S. 336.
3) PuLAWSKi, a. a. 0. S. 598.
4) Vgl. LmARziKs Tabellen a. a. 0.
5 W. Krause, Handbuch der menBchlichen Anatomie. 3. Aufl. II. Bd.
Hannover 1879. S. 947.
^•) Frickhoeffer, a. a. 0. S. 474.
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Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Wachstums usw. 405
halbmondfönniger Defekt des Bandes beobachtet^); Befunde, die an
den von mir beschriebenen flach bnchtigen Einschnitt des Brnstbein-
randes (s. S. 373) bzw. an die Verbreiterung des Stemums des be-
schriebenen Präparates (s. S. 375) erinnern.
Weiter finden sich Angaben, die an die muldige Einsenkung des
unteren Kt^rperteiles und an die tiefere Lage des Bandeinschnittes
gemahnen, yon denen in der Beschreibung des Sternums S. 376 die
Bede ist und zwar, wie aus den Anführungen auf S. 388 erhellt,
bei Froriep, ferner auch bei ScnLEsmoER^), der berichtet, daß das
Sternum in seinen unteren Abschnitten >ein wenig eingesunken«
erscheine, und bei Pulawski, der angibt, daß das Sternum, dessen
Manubriumabschnitt abgeflacht war, auf der Defektseite sich »nach
hinten (nach innen) yerkrtimmt« finde ^).
In andern Fällen wieder wird durch die Angabe, daß der Brust-
beinrand im Bereiche des Eippendefektes »etwas mehr nach vorn
gedreht« (Bartels)*), oder daß er unterhalb desselben »wesentlich
nach vorn gekrttmmt« sei, daran erinnert, daß ja auch an dem
von mir beschriebenen Präparat, der schraubenförmigen Drehung des
Brustbeines entsprechend, gewisse Gebiete desselben auf der Defekt-
seite verhältnismäßig stärker hervortreten (vgl. S. 376).
Mehrfachen Eigentttmlichkeiten des Befundes, und im besonderen
auch der am beschriebenen Präparate (vgl. S. 376) so auffälligen Vor-
wölbung des Stemumrandgebietes der nicht vom Defekt betrofi'enen
Seite, entsprechen aber am meisten noch die Angaben, welche sich
bei Bieder bezüglich des Stemums seiner Fälle I und II finden.
Nach seiner Beschreibung war im Fall I das Sternum eigentümlich
asymmetrisch gestaltet; es trat an der Stelle, wo der Sternalansatz
der 2. linken Bippe sein sollte, stumpfwinkelig zurück und bildete
in seinen unteren Teilen »die wellenartig aufgeworfene« Ab-
grenzung der Thoraxeinsenkung '^j. In Bieders U. Fall zeigte das
Sternum — dessen oberer Teil übrigens nach Art einer Trichterbrust
mit seinen Bippenansätzen in einem scharf vorspringenden Winkel
abgeknickt war, während den unteren Teil eine kleinapfelgroße
gmbenartige Einsenkung einnahm^) — »an der Vereinigung mit dem
1} Seitz, a. a. 0. S. 3S6.
2) Schlesinger, a. a. 0. S. 26.
3) PüLAWSKi, a. a. 0. S. 698, 699.
*) Bartels, a. a. 0. S. 4.
5) Bieder, a. a. 0. S. 63.
6) Ried er, a. a. 0. S. 66.
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406 G. Pommer
6., 7., 8. Rippenknorpel eine kammartige Erhebung, welche median-
wärts in eine tiefe Grube bzw. in die unteren Teile des Epigastriums
ausläuft* 1).
Aus der Gesamtheit dieser Angaben ergibt sich, daß m. m.
ähnliche Eintiefungen, Vorwölbungen und Krümmungen, wie
sie am Brustbein des hier beschriebenen Präparates bestehen, in
allen Fällen lateraler Thoraxspalte sich fanden, die im
vorgerückteren Kindesalter und bei Erwachsenen zur Beob-
achtung kamen, während sie von dem beiläufig 47] Monate
alten Kinde des Falles Ritter-Eppingeb nicht angeführt sind.
Es drängt sich daher um so mehr, wie schon von vornherein, die
Annahme auf, daß sie, im Gegensatz zu der Verkürzung des
Sternums und zu seiner Randeinbucht'ung im Defektbereich, nicht
angeborene Anomalien darstellen, sondern unter funktionellen
Einflüssen erst im Laufe des Wachstums zur Ausbildung
gelangten.
Wenn wir so die Entstehung der einen Anomalien des Brust-
beines im Sinne Rouxs^) in die Periode der organbildenden oder
embryonalen Entwicklung, die der andern in die Periode der funk-
tionellen Entwicklung verlegen und ihre Ausbildung auf die von
Roux unterschiedenen Perioden des selbständigen bzw. des von der
Funktionierung abhängigen funktionellen Wachstums^] beziehen, so
ist damit selbstverständlich nicht gemeint, daß die an sich bestehende
verminderte Befähigung zum Längenwachstum, die in der Verkürzung
des Sternums sich äußert, als unbeeinflußt von funktionellen Ein-
wirkungen gedacht werden sollte.
Es dürfte anzunehmen sein, daß, wie es im Begriffe der von
Roux*) vermuteten Übergangsperiode zwischen jenen beiden Perioden
liegt, auf das Längenwachstum des Brustbeines auch funktionelle Ver-
hältnisse Einfluß übten, aber mehr im Sinne einer Beeinträchtigung
desselben als in dem einer Steigerung, die ja zu einer Ausgleichung
des in der veranlagten Verkürzung des Brustbeines gegebenen Mangels
1) Rieder, a. a. 0. S. 66.
2) W. Roux, Der Kampf der Teile im Organismus. Leipzig 1881. S. 180
bzw. Gesammelte Abhandlungen über Entwicklungsmechanik der Organismen,
n. Bd. Nr. 20, S. 281. (Über die Bestimmung der Hauptrichtungen usw. Bree-
lauer ärztl Zeitschr. 1886. Nr. 6) und Nr. 28, S. 909 (Über die Spezifikation
der Furchungszellen usw. Biolog. Centralbl. 1893. XIII. S. 666).
3) W. Eoux, Vorträge und Aufsätze über Entwicklungsmechanik der Or-
ganismen. 1. Heft. Leipzig 1905. S. 96, 97.
*) W. Roux, Ebenda, 1. Heft. S. 96.
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Ein anatomischer Beitrag zar Kenntnis des Wachstums usw. 407
geführt hätte, wofür die nur 15 cm betragende Länge des Brustbeines
keineswegs spricht. Hingegen werden wir uns nicht ohne Wachs-
tum ss te ig erung durch funktionelle Einwirkungen die Ausbildung
der besonderen Breite des Brustbeines denken können, die am be-
schriebenen Präparat (und auch in einzelnen andern Fällen lateraler
Thoraxspalte) (s. S. 375 bzw. 404} auffiel und im besonderen um so
mehr auffallen mußte, als der Körper des Brustbeines zugleich in der
ganzen Ausdehnung seines flachbuchtigen Einschnittes eine beträcht-
liche Verdünnung bis auf 2 mm zeigt ^j.
In dieser Kombination von Verbreiterung und Verdünnung
des Brustbeines, die uns ein Beispiel für das durch Roux^) yom
Massenwachstum unterschiedene rein dimensionale Wachstum dar-
bietet, ist unmittelbar auf besondere >gestaltende Ursachen«, auf »Ur-
sachen der Örtlichkeit« (Roux)^) hingewiesen, in Betreff deren sich
auch Vermutungen werden äußern lassen.
Immerhin zeigte sich also in Beziehung auf das Brustbein jene
erste Frage, die ich mir vorlegen mußte (s. S. 380), nicht unzu-
gänglich*).
K Während normalerweise dem Körperteile des Brnstbeines Erwachsener
eine Dicke von 8 mm zukommt (vgl. Krause, a. a. 0. S. 84).
^ W. Boux, Ziele und Wege der Entwicklnngsmechanik. Merkel-Bonnets •
Ergebnisse. Bd. IL 1892. S. 434. Anm. 1 (Ges. Abh. IL S. 81); Vorträge.
1. Heft. S. 188.
8) W. Roux, Ziele a. a. 0. S. 434. (Ges. Abh. 11. S. 82.)
*] Verwertbar erscheint auch ein Fall Kalischers, in dem ohne Bestehen
lateraler Thoraxspalte, »das Brustbein erheblich verkürzt«, »ver-
breitert und nach links verschoben« sich fand und zwar bei Mangel des stemo-
costalen (und abdominalen) Teiles des Muse, pectoralis major, sowie des Pec-
toralis minor und der meisten Zacken des Serratus anticus major der rechten
Seite.
Es handelte sich in diesem (III.) Falle Kalischers um ein 11 jähriges Mäd-
chen, an welchem noch, außer geringer Entwicklung der rechten Brustwarze
und atrophischer Hantbeschaffenheit dieser Bmstseite (bei Mangel der rechten
Brustdrüse) : Schiefheit des Thorax (Eingesnnkensein und Verschmälening seiner
rechten Hälfte, während die linke stark gewOlbt nnd schräg, weit vorstehend
geschildert wird), Einsenkung der Bippen unterhalb des kurzen Brastbeines,
Hochstand der rechten Schulter und die Erscheinungen eines Mangels des linken
Muse, serrat. ant. maj. (Abstehen des unteren medialen Teiles der linken Scapula)
femer kyphotische Verkrümmung der oberen Dorsal- und der unteren Halswirbel-
säule, endlich auch Verkürzung und Verschmälerung der rechten Hand bei Syn-
dactylie auffielen.
Nach der Angabe Kalischers (Über angeborene Muskeldefekte. Neurolog.
Centralblatt 1896. XV. Jahrg. Nr. 16. S. 740) bot das betreffende Mädchen »die
Anomalien«, die an ihr beobachtet wurden, gleich bei der übrigens normal
verlaufenen Geburt dar.
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408 G. Pommer
In ähnlichem Maße lassen sich brauchbare Anhaltspunkte auch
für die Erwägung gewinnen: welche von den an andern Knochen
der Nachbarschaft des Thoraxdefektes auffallenden Veränderungen,
ob im besonderen die Verkürzung der benachbarten Rippen, sowie
die Verkürzung des gleichseitigen Schlüsselbeines und Schulterblattes
als angeboren, d. h. als veranlagt anzusehen sind, ob also das ver-
minderte Längenwachstum dieser Knochen in der Anlage begründet
ist, oder ob es ein Ergebnis des späteren Lebens und einer funk-
tionellen Anpassung an den gegebenen Thoraxdefekt darstellt.
Es sei dabei vorläufig davon abgesehen, daß in diese Frage
auch die Befunde einzubeziehen wären, die sich mir zugunsten der
Annahme gesteigerten Längenwachstums bei einigen vergleichenden
Messungen ergaben, auf die erst später (s. S. 437 — 441) einzugehen
ist. Für die zunächst folgenden Erörterungen sollen nur die
bisher ermittelten bzw. angeführten Tatsachen und Literaturan-
gaben in Betracht gezogen werden.
Eine gewisse Grundlage für die Annahme funktioneller Wachs-
tumsvorgänge bieten schon die (s. S. 398, 399) angeführten Literatur-
angaben dar über das Vorkommen von Funktionsstörungen im Schulter-
und Armgebiet und auch bei Atembewegungen in Fällen, die zugleich
ein Kleinersein des Schulterblattes der Defektseite (vgl. S. 402,
403) feststellen ließen i).
1] Aach der Fall, den 0. Piering veröffentlichte (Über einen GebnrtBfall
bei Atresia ani vaginalis und rudimentärem Kreuzbein. Kongenitaler Defekt des
rechten Serratus antic. m%j. und des rechten Rippenbogens. Zeitschrift für Heil-
kunde. X. Bd. 1890. S. 215ff.), dürfte hier anzuführen sein. Es zeigte sich bei
der betreffenden 23 Jahre alten Magd (bei der die 8. rechte Kippe, besetzt mit
einem rudimentären Knorpel, 9 cm von der Mittellinie, die 9. und 10. Bippe 8
bzw. 17 cm davon entfernt frei endeten und der rechte M. pector. maj. und
der Latissim. dorsi merklich schwächer waren) die rechte Scapula, unter fast
völligem Ausfall der Wirkung des rechten M. serratus antic. major (bei geringerer
Ausbildung desselben, sowie des M. infraspin. und stärkerer der oberen Cucullaris-
Portion), nicht nur höher und mit ihrem unteren Winkel medianwärts gestellt,
sowie flügeiförmig abgehoben, sondern auch »um nicht ganz 1cm kleiner«
(S. 220 bzw. 219, 216, 217). Dabei ließ sich der rechte Arm, wie Piering be-
sonders betont, weder in seitlicher, noch in der Richtung nach vorwärts, weder
aktiv noch passiv bis zur Vertikalen erheben (S. 220), und die besagte Magd war
gewohnt, ihre »zumeist recht schweren Arbeiten« »mit der linken Hand zu ver-
richten« (S. 216).
Die Bedeutung dieser funktionellen Verhältnisse erfährt dadurch, daß zu-
gleich nach Piering die rechte Hand nicht als weniger gebrauchsfähig bezeichnet
(S. 215) und auch kein Unterschied zwischen beiden Thoraxhälften bei forcierten
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Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Wachstums usw. 409
Und weiter dürfte sich, was im besonderen das Schulterblatt des
hier beschriebenen Präparates anlangt, zugunsten derselben Annahme
der Abhängigkeit seiner Verkleinerung von Funktionsstörungen
der Umstand anführen lassen, daß ja, wie ich schon S. 378 be-
richtete, trotz der übrigen Verkleinerung, an seinem Rabenschnabel-
fortsatz und besonders an seiner Gelenkgrube keine auffällige Ver-
ringerung der Maße besteht und vielmehr am Acromion eine Ver-
breiterung nachweisbar ist ; mit der Annahme einer angeborenen, ver-
anlagten Hypoplasie scheinen mir diese örtlichen Verschiedenheiten
weniger gut vereinbar.
Und im gleichen Sinne dürfte auch, was die Verkürzung der
dem Defekt benachbarten Rippen und die Verkürzung des Schlüssel-
beines dieser Seite anlangt, von Belang sein, daß gegen die An-
nahme einer hypoplastischen Veranlagung die im allgemeinen (bis
auf die geschilderten seitlichen und vorderen Gebiete) ziemlich wohl
entwickelte Breite und Dicke der betreffenden Rippen (vgl. S. 374, 379),
Respirationsbewegungen angegeben werden kann (S. 220), m. E. nicht wesentlich
Abbrach.
Einen wertvollen Beitrag zu diesem Fragepnnkt bietet femer die Mit-
teilung von Bruns und Kredel (Über einen Fall von angeborenem Defekt
mehrerer Brustmuskeln mit Flughautbildung. Fortschr. der Medizin. 8. Bd. 1890.
Nr. 1. S. Iff.}. Bei dem betreffenden 12 Jahre alten Knaben, dem unter Ab-
flachung der linken Thoraxhälfte der sternocostale Teil des M. pectoralis maj.,
femer der Pectoralis minor und der Serratus antic. maj. vollständig fehlten (S. 2),
fiel »die abnorme Kleinheit der linken Scapula (innerer Rand r. 13,5,
1. 11,6 cm; Durchmesser vom Acromialende der ClavicuU zum Angulus scapulae
r. 18, 1. 15 cm) und ihre fehlerhafte Stellung in die Augen« (S. 3). Letztere
(Hochstand der linken Schulter und relative Annäherung an die Wirbelsäule) wird
durch die antagonistische Wirkung des oberen Cucullaristeiles, des Levator scap.
und der M. rhomboidei [S. 3) bzw. (in Betreff des im Vergleich zu typischen
Serratuslähmungen geringgradigen Hervortretens des inneren Bandes und unteren
Winkels, der nicht näher als der obere an der Wirbelsäule stand) durch das
Fehlen des Zuges des Pectoralis minor und durch die geringere Schwere des
(dystrophisch verkürzten und auch mit Syndaktylie behafteten) linken Armes,
femer durch das Fehlen des Pectoralis maj. erklärt (S. 3, 5). Besonders hervor-
zuheben ist aber, daß nach den Angaben Bruns und Kredels der besagte Knabe
im Klettern und Becktumen sehr geübt und ein guter Schwimmer war (S. 4),
anderseits, daß dabei doch (auch nach operativer Durchschneidung der »Flug-
haut«) der Arm nicht über die Horizontale gehoben werden konnte (S. 4, 5).
Die Ausführung dieser Bewegung wurde nur durch Beugung des Rumpfes nach
rechts ermöglicht, worauf daher zum größten Teile die nach der Seite des fehlen-
den Serratus hin konvexe Skoliose der Wirbelsäule bezogen wird (S. 6 bzw. 4).
Bemerkenswert ist dabei noch, daß in diesem Falle Brüns und Kredels
die Schlüsselbeine sich gleich lang fanden (S. 3).
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410 G. Pommer
bzw. die sogar beträchtlich gesteigerte, hyperplastische Dicke des
Schlüsselbeines (s. S. 379) in Betracht kommen.
Wenn ich mich demnach der Ansicht zuneige, daß die Ver-
kürzung und Bandeinbuchtung des Brustbeines im Defekt-
bereich auf Störungen der embryonalen Entwicklung, seine
übrigen Anomalien aber und ebenso auch die Verkürzung
und sonstigen Eigentümlichkeiten der dem Defekt benach-
barten Rippen und des Schlüsselbeines und des Schulter-
blattes dieser Seite auf Einflüsse bzw. auf Störungen des
funktionellen Wachstums zu beziehen seien, so verhehle ich
mir keineswegs, daß diese Auffassung Schwierigkeiten in sich birgt.
Wegen derselben dürfen aber meines Erachtens jene Schwierig-
keiten nicht unterschätzt werden, die sich bei dem Versuche er-
geben würden, auch die Verkürzung der letztangeführten Knochen
oder gar noch andre ihrer Anomalien auf Grund der Annahme
embryonaler Entwicklungsstörungen zu erklären. Wir hätten dabei
ja zu yereinbaren, daß die etwa vorausgesetzten hypoplastischen
Verhältnisse nur in BetreflF des Längenwachstums wirksam blieben,
hingegen in Betreff des Dickenwachstums des Schlüsselbeines oder
eines großen Gebietes der in Betracht kommenden Rippen oder im
Bereiche der Fortsätze des Schulterblattes zur Überkompensierung
gelangten oder wenigstens ausgeglichen wurden — eine Vorstellung,
bei der man immerhin doch wieder ohne die Annahme örtlicher
funktioneller Einwirkungen nicht auszukommen vermag.
Bei der von mir bevorzugten Auffassung stehen wir vor der
allerdings ebenfalls schwierigen Frage, ob sich funktionelle Ein-
wirkungen bzw. Störungen denken lassen, welche zu einer Beein-
flussung — sei es in ungünstiger oder günstiger Weise —
des Längenwachstums führen, während wieder andre zugleich
und daneben, örtlich oder sogar in ausgebreitetem Maße normales
oder auch vermindertes oder gar gesteigertes Dickenwachs-
tum bewirken.
Wir sind damit unmittelbar vor jene zweite Frage gestellt, die
ich (S. 380) mir zur Aufgabe machte, vor die Frage nach den Um-
ständen und nach Art und Weise der Entstehung der Ver-
änderungen, die das beschriebene Präparat darbietet, und es sollen
nun nach dieser Richtung hin zunächst die auf angeborne Veran-
lagung bezogenen und zum Schlüsse die als Ergebnis des funktionellen
Wachstums betrachteten ihre Erörterung finden. Bei letzterer Ge-
legenheit dürfte es sich dann auch nötig erweisen, einige Bemerkungen
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Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Wachstums usw. 411
ttber die Inaktivitätsatrophie der Knochen in der Wachstnmsperiode
beizufügen, sowie über die bereits angedeuteten vergleichenden Mes-
sungen zu berichten.
Es wird in ersterer Beziehung, in Betreff der Entsteh ungsart
der Thoraxlücke selbst und der übrigen auf embryonale Ver-
anlagung bezogenen Veränderungen, von vornherein und in Anbetracht
der schon berichteten Befunde, die sich Ritter, Klebs und Eppinger
(s. S. 384) in dem mitgeteilten Falle darboten, der Gedanke an eine
mechanisch bedingte Entwicklungshemmung in jedem Falle lateraler
Thoraxspalte als besonders naheliegend anzusehen sein.
Für eine solche Annahme haben sich, außer Froriep, wie schon
erwähnt wurde (S. 389), auch Seitz*) und Rieder') ausgesprochen,
wobei ersterer, ebenso wie Froriep, die Möglichkeit ins Auge faßt, daß
»eine Extremität, wahrscheinlich der Arm der betreffenden Seite über
die Brust gelagert und durch irgend ein Moment (Tumor?) dauernd
so angedrückt« war; Seitz zieht auch in Erwägung, daß »eine Ge-
schwulst des Uterus (Myoma?)« »Druck gegen die Thoraxfläche aus-
geübt« habe. Rieder beschränkte sich hingegen darauf, zugunsten
der mechanischen Erklärung überhaupt auf die Einseitigkeit des
Defektes und auf das in seinen Fällen I und II sowie in andern
Fällen beobachtete Fehlen der Intercostalmuskeln hinzuweisen.
Nicht unerwähnt kann bleiben, daß, laut der Zusammenstellung
Bings 3), eine, gleich der im Fall Ritters vorhandenen Mißbildung
des Armes der Defektseite, auf mechanische Einwirkungen zu be-
ziehende Mißbildung der Hand, nämlich Syndactylie mit Verküm-
merung von Phalangen, in nicht weniger als vierzehn Fällen neben
Pectoralisdefekt gefunden wurde, wodurch in erster Linie allerdings
nur für diese Defekte, in weiterer Linie aber doch auch für die ein-
schlägigen Defekte überhaupt die Annahme einer durch äußeren
Widerstand bedingten Entwicklungshemmung an Wahrschein-
lichkeit und Vorstellbarkeit gewinnt.
Wir werden dabei gewiß auch der durch Ahlfeld*) ausge-
sprochenen Vermutung gedenken, »daß an der offenen Stelle einst
eine Verwachsung des Amnion stattgehabt und durch Hervorzerren
der entsprechenden Teile die Bildung der Rippen verhindert habe«,
1) Seitz. a. a. 0. S. 337.
2] RiEDER, a. a. 0. S. 81.
3; R. Bing, Über angeborene Muskeldefekte. Virchows Archiv. Bd. 170.
1902. S. 204.
*) AiiLFELD, a. a. 0. S. 182.
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412 G. Pommer
besonders aber der Annahmen, die Mabchand in Betreff der Folgen
einer in früher Zeit bestehenden abnormen Engigkeit, d. i. Bildungs-
hemmnng des Amnion vertritt.
Marchand nimmt an, daß nnter solchen Umständen die in
Bildung begriffene Extremität platt an den Kampf angedrückt werde,
und daß dieselbe abnorm klein bleibe, oder daß Finger und Zehen
nicht zur Ausbildung gelangen oder vereinigt bleiben können i); und
er zieht auch in Betracht, daß die abnorme Engigkeit des Amnion
nur vorübergehend bestehen, und dann das Amnion unter stärkerer
Flüssigkeitsansammlung sich vom Embryonalkörper abheben könne,
während die Folgen der einmal vorhanden gewesenen Kompression
weiter bestehen 2).
Innerhalb solcher Annahmen, die bereits für verschiedene Miß-
bildungen von Dareste, in neuerer Zeit von v. Winckel^) für die
Agnathie besonders entwickelt wurden, indem er diese als eine
amniotische Eompressionsatrophie auffaßt, werden sich die Vor-
stellungen halten, die wir uns von den Vorgängen bei der Entstehung
der lateralen Thoraxspalte entwerfen, wobei nicht minder wie zur
Erklärung andrer auf einen äußeren Widerstand zu beziehender
embryonaler Wachstumshemmungen, z. B. der von Basch'^) unter-
suchten Flughautbildungen, auf jene frühen Embryonalzeiten zurück-
zugreifen ist, in denen die betreffende an die Rumpfplatte angedrückte
Armanlage die Ausbildung des in den BAiHKESchen Seitenhälften ^),
den Sternalleisten, angelegten Brustbeines zwar nicht mehr zu ver-
hindern, wohl aber noch zu beeinträchtigen vermag.
Nach RuGEs^) Untersuchungen über das Brustbein von 2,4 bis
3,0 cm vom Scheitel zum Steiß messenden Menschenembryonen haben
1) Marcuamd, Mißbildungen. Eulenburos Real-£ncykIopädie der ges. Heil-
kunde. 3. Aufl. XV. 1897. S. 461.
2) Marchand, a. a. 0. S. 463.
3) F. v. WiNCKEL, ÄtiologiBche Untersuchungen über einige aebr seltene
fötale Mißbildungen. Sitz.-Ber. der Ge^ellsch. f. Morphologie und Physiologie
in München. XII. 1896. (München 1897.) S. löff., 26.
4) K. Basch, Über sogenannte Flnghantbildung beim Menschen. Zeitschr.
für Heilkunde. XII. Bd. 1891. S. 513. Vgl. Hopfmann, Ein Fall von ange-
borenem Brnstmnskeldefekt mit Atrophie des Armes und Schwimmhautbildnng.
ViRCHOWS Arch. 1896. 146. Bd. S. 171.
ö) H. Rathke, Zur Entwicklungsgeschichte der Tiere. J. Müllers Archiv.
1838. S. 363ff.
«) G. Rüge, Untersuchungen über Entwicklungsvorgänge am Brustbeine
und an der Stemoclayicularverbindung des Menschen. Morpholog. Jahrbuch.
VI. Bd. 1880. S. 362flf.
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Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Wachstums usw. 413
wir uns den >Vorgang bei der Genese des Sternums derartig zu
denken, daß die medialen Teile der ersten Rippen ungleichzeitig, und
zwar stets an den proximalen Rippen zuerst, sich abgliedern, darauf
nach allen Richtungen hin auswachsen, um anfangs mit ihren Nach-
barn nur in nähere Berührung zu treten, darauf aber gänzlich mit
ihnen verschmelzend die Stemalleisten entstehen zu lassen«. Rüge
fligt bei, daß man sich diesen Vorgang beim Menschen »als sehr
rasch verlaufend < vorstellen müsse ^), während die Vereinigung der
Stemalleisten langsam und zwar vom proximalen zum distalen Ende
erfolgt»).
In diese Zeit der rasch ablaufenden Vereinigung der
Rippenenden zu den Stemalleisten, die bei einem etwa 3 cm
langen Embryo, nach Rüge 3), erst eine Länge von 2 mm und eine
gleiche Breite wie die Rippen zeigen, haben wir also wohl die
hemmende Einwirkung zu verlegen, unter welcher allem Anscheine
nach nicht nur die betreffenden Rippenanlagen eine Unterbrechung
erleiden, sondern mit ihnen auch die entsprechenden Muskelsprossen
in ihrer Entwicklung gestört werden, und unter der auch immerhin
die Ausbildung der bezüglichen Stemalleiste und damit des Sternums
im ganzen eine Beeinträchtigung erfährt. — Auf diese Beein-
trächtigung, die man sich vielleicht als eine Minderung des
seitens der Rippenanlagen für die Stemalleiste gelieferten
Bildungsmaterials denken könnte, wäre meines Erachtens die
Verkürzung des Brustbeines und der buchtige Einschnitt
seines Randes in dem von mir beschriebenen Präparat und wären
auch die einschlägigen in andern Fällen lateraler Thoraxspalte an-
gegebenen Veränderungen des Brustbeines (s. S. 403, 404) zurück zu
beziehen.
Als Parallele für diese Vorstellung ließe sich vielleicht darauf hinweisen,
daß einige der von Rüge untersuchten Embryonen eine ungleichmäßige Be-
teiligung der Rippen an der BUdung des Brustbeines zeigten; nach ihm scheint
hierfür im besonderen der 5. Kippe große Bedeutung anheimzufallen. Er
vermutet aber, daß die distalen Rippen größeren Schwankungen unterliegen, als
für die proximalen wahrscheinlich ist^} ; eine Vermutung, auf deren Grund dann
1} Rüge, a. a. 0. S. 381.
2} Wie, nach Rüge, bereits C. K. Hopfmann (Zur Morphologie des Schulter-
gürtels und des Brustbeines bei Reptilien, Vögeln, Säugetieren und d. Menschen.
Niederländ. Arch. f. Zoologie. Bd. V) dargelegt hat, der auch schon die Bildung
der Stemalleisten beim Menschen durch Anschwellen und Verwachsen der Rippen-
enden beschrieb.
3) Rüge, a. a. 0. S. 373. 4) Ruge, a. a. 0. S. 381.
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414 6. Pommer
auch dafür eine Erklärung sich bieten würde, daß unter den hemmenden Ver-
hältnissen, denen die Ausbildung der Rippen in den Fällen lateraler Thoraxspalte
ausgesetzt ist, Verkümmerungen des Schwertfortsatzes des Brustbeines mit solcher
Regelmäßigkeit zutage treten. Denn an der Büdung des Schwertfortsatzes be-
teiligen sich ja wahrscheinlich zwei der auf das siebente folgenden Rippen-
paarei).
Von besonderer Bedeutung für die Annahme einer die Entwick-
lung örtlich und mechanisch störenden Einwirkung ist, daß von den
betroffenen Gebieten der Rippenanlagen Reste erhalten
blieben, welche, wie die geschilderte Knorpelplatte des beschriebenen
Präparates und das vordere Endstück des 5. Rippenknorpels (s. S. 373),
die Thoraxlücke nach unten vorn oder, wie die hinteren Endstücke
der 2. — 5. Rippe, von oben bis unten hintenzu begrenzen. Diese Reste
können mit demselben Rechte, mit dem v. Wikckel die bei seinen
Agnathieantersuchungen nachgewiesenen Reste des Unterkiefers für
seine Annahme einer anmiotischen Eompressionsatrophie verwertete^],
zugunsten der analogen Auffassung der lateralen Thoraxspalte und
gegen die Ansicht angeführt werden, daß die Defektbildung ein
»Stehenbleiben der Entwicklung« »infolge fehlender Wachstums-
energie< bedeute '), oder etwa »eine Abart der (medianen) Fissura
stemi« sei*).
Der Bestand des Thoraxdefektes und der ihn begrenzenden
Reste stellt andemteils auch einen Beleg dafür dar, daß es bei dieser
Entwicklungshemmung ebenso wie bei andern angebomen Defekt-
bildungen des Menschen und der Säuger zu keiner ersatzbietenden
Regeneration kommt, daß aber ein Wachstum der dem Untergang
entzogenen Anlagenreste anzunehmen ist, von dem nur fraglich wäre,
inwieweit es sich hierbei, im Sinne der Unterscheidungen Roüxs^^), um
einen Ansatz zu einem Vorgange der primären oder der funktionellen
Regeneration handelt.
Es fehlt an Anhaltspunkten, um auf diese Frage einzugehen, nicht
ganz; ich beschränke mich aber darauf, hier nur der Wachstums-
und der Form- und Lageverschiedenheiten der von den vier
defekten Rippen des beschriebenen Präparates ausgebildeten Rest-
stücke zu gedenken.
Dabei ist vor allem an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß sich
1) Rüge, a. a. 0. S. 388, vgl. S. 384, 387.
2) v. WiNCKEL, a. a. 0. S. lö, vgl. 27.
3) Wie dies z. B. von Schlesinger angenommen wird (a. a. 0. S. 31).
*) Wofür sich Haeckel (a. a. 0. S. 481, 482) aussprach.
5, Koux, Vorträge. 1. Heft. 1905. S. 225.
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Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Wachstums usw. 415
schon während der ersten Lebenszeit die dem allgemeinen Körper-
wachstum entsprechende Vergrößerung des Thorax und seiner Ein-
geweide genug Geltung verschafft, um jenen Ausgang unmöglich zu
machen, den Ahlfeld annimmt, der bei der Besprechung der late-
ralen Thoraxspalte und des dabei gegebenen Lungenbruches den
Satz aufstellt: »bleiben die Kinder am Leben, so zieht sich die Lunge
nach und nach zurück, die Öffnung am Thorax kann sich dann ver-
kleinem« i).
Was ich von dem Falle Ritters mitteilen konnte (s. S. 382), be-
legt, daß keine Verkleinerung sondern eine dem Wachstum des
Thorax entsprechende Vergrößerung seiner Lücke zustande kommt,
und zu demselben Schlüsse nötigt uns selbstverständlich schon jeder
erste Blick, den wir auf die Fälle lateraler Thoraxspalte des vor-
gerückteren Kindesalters und Erwachsener werfen.
Ln besondern das hier beschriebene Präparat läßt das bedeutende
Mißverhältnis erkennen, das zwischen dem Ausbildungsgrade der de-
fekten Kippen und der betreffenden Thoraxhälfte im allgemeinen
besteht.
Wie die auf S. 373 angegebenen Maße der Reststücke der de-
fekten Rippen zeigen, sind namentlich die zwei mittleren in ihrer Aus-
bildung weit zurückgeblieben und zwar hat die geringste Länge im Ver-
gleiche zur Norm die 4. Rippe erreicht. Diese allein endigt frei mit
querabsetzendem Stumpf, während die 2. und 3. und auch die 5. Rippe
spitzendigend an die ihnen benachbarten, ausgebildeten Rippen an-
gelagert sind.
Soll man für dieses verschiedene und eigentümliche Verhalten
der defekten Rippen eine Erklärung geben, so wird sich, wie ich
schon andeutete (s. S. 374, 394), die Annahme der Einwirkung
atrophierender Verhältnisse aufdrängen, denen ja die Rippen-
anlagen bei der Entstehung des Defektes ausgesetzt waren, und die
ihre Wirkung wohl auch während der darauf folgenden Periode des
Wachstums der defekten Rippen geltend machten. Man wird dies
in besonderem Maße für das Endgebiet derjenigen Rippen annehmen
dürfen, für welche bei ihrer engen angeschmiegten Lage die An-
nahme einer mangelhaften und örtlich ganz ausgebliebenen Entwick-
lung der Intercostalmuskelansätze alle Wahrscheinlichkeit hat. —
Aber auch für den Fall, als wir vorzögen, zur Erklärung dieser
Befunde die Besonderheit der Wachstumsverhältnisse der defekten
1) Ahlfeld, a. a. 0. S. 182.
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416 Gt- Pommer
Rippen in Ansprach zu nehmen, würden wir, wie sich unschwer er-
kennen läßt, mit funktionellen Momenten zu rechnen haben^].
Wir gelangen somit bei diesen Überlegungen bereits in jenes
Gebiet der uns beschäftigenden Frage, das die Umstände und
die Art und Weise derjenigen Veränderungen betrifft, die
am beschriebenen Präparat das Ergebnis funktionellen Wachs-
tums darstellen.
Bei der Erörterung dieser Umstände und Entstehungsverhältnisse
muß vor allem in Erwägung gezogen werden, daß die Skeletteile,
ij Als ein solches funktionelles Moment könnte ja auch in Betracht kommen,
daß das Periost des vorderen Endgebietes der defekten Bippen, — auch wenn
es schon nicht mehr unter dem sein Wachstum steigernden Einfluß stand, den
nach Schwalbe (Über die Emährangskanäle der Knochen und das Knochenwacha-
tum. Zeitschr. f. Anat. u. Entwicklungsgeschichte. I. Bd. 1876. S. 316, 329, 330)
das fortschreitende Längenwachstum endochondraler Verknöcherungsgrenzen
auf das Periostwachstum ausübt — doch immerhin unter dem Einfluß aller
der Fasergebilde sich befand, mitteis deren die vorderen Endgebiete der
defekten 2. und 3. Rippe mit der 1., das vordere Ende der defekten 5. Bippe
mit der 6. Rippe verbunden waren. Nur die defekte 4. Rippe, der ein solcher
Anschluß fehlt, entbehrte derartiger Einwirkungen, und es würde sich vielleicht
dadurch erklären lassen, daß ihr ein so jäh quer absetzendes Endgebiet eigen
ist. In diesem letzteren hätten wir das durch keine sich darüber hinaus fort-
setzende periostale Enochenbildung verlängerte, also das unabgeänderteEnd-
Btück der endochondral veranlagten Rippe vor uns, bzw. das Gebiet des me-
dialen, vorderen der beiden Kegel endochondral entstandenen Knochengewebes,
in die wir uns, nach den Untersuchungen F. Steudeners über das Wachstum
der Rippen (Beiträge zur Lehre von der Knochenentwicklung und dem Knochen-
wachstum. Abhandl. d. naturforsch. Gesellsch. zu Halle. XIII. Bd. 1875. S. 220,
221. Taf. XXI, Fig. 7, 8j, auch die Anlage der defekten Rippen getrennt denken
müssen, sobald einmal ihr endochondraler VerkntJcherungsbezirk [zu welchem der
im 2. Monat der fatalen Entwicklung, und zwar in exzentrischer Lage gegen die
Wirbelsäule zu, entstandene Verkalkungskem (vgl. Köllieer, EntwickLungesch.
d. Menschen und der höheren Tiere. Leipzig 1879. 2. Aufl. S. 411 und 412;
bzw. Steudener, a. a. 0. S. 220) die Grundlage liefert] unter dem Vorgreifen
der inneren Resorption und unter der Ausbildung äußerer periostaler Knochen-
schichten in eine vordere und hintere endochondrale Verknöcherungslinie aus-
einandergewichen ist.
Fraglich bleibt, eine wie lange Bestanddauer und welche relative
Leistung bezüglich des Längenwachstums der Rippen überhaupt und im besondem
der defekten Rippen, im Verhältnis zur vorderen endochondral en Verknöche-
rungslinie, der hinteren, der Wirbelsäule zugewendeten zuzuschreiben sind.
Erst eigne, auf diese Frage abzielende Untersuchungen würden ein Urteil
darüber gewinnen lassen, wann die Fähigkeit der defekten Rippen zum Längen-
wachstum überhaupt und zu welchem Zeitpunkt im besondem die ihrer vorderen
endochondralen Verknöcherungslinie und die ihrer hinteren endochondralen
Verknöcherungslinie dürften erschöpft gewesen sein.
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Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Wachstums usw. 417
um die es sich hier handelt, unter dem besondem Einfluß zweier Grup-
pen von Bewegungen stehen: der Atembewegungen und der
Bewegungen der oberen Extremität.
Die letzteren wurden bereits im Verlaufe der vergleichenden Be-
sprechung der Literaturangaben zur Erklärung der am Schlttsselbeine
der Defektseite auffälligen Verdickung und stärkeren Kantenentwick-
lung herangezogen (s. S. 400], und sie kamen auch bereits bei der
Erörterung der vom Schulterblatt dargebotenen Eigentümlichkeiten
und der skoliotischen Wirbelsäulenverkrümmung in Betracht: zur Er-
klärung der Verkleinerung und der Stellungsänderung des Schulter-
blattes der Defektseite wurden der Nachweis bzw. die Annahme von
Funktionsstörungen im Schulter-Armgebiet in Anspruch genommen
(s. S. 398, 399, 402, Anm. 2 und S. 408, Anm. 1); für die skoliotischen
Krümmungen der Wirbelsäule wurde ebenfalls schon auf den Einfluß
ungleichmäßig eingreifender Muskeltätigkeit wenigstens im allgemeinen
hingewiesen (s. S. 397, 398).
Es bleibt hier daher hauptsächlich nur mehr zu erörtern, wie wir
uns die funktionellen Einflüsse vorzustellen hätten, die den Eigen-
tümlichkeiten des Brustbeines des beschriebenen Präparates in Betreff
seiner schraubenförmigen Drehung und seiner Verbreiterung zugrunde
liegen, und wie wir uns jene zu denken hätten, welche an den dem
Thoraxdefekt benachbarten Rippen und an dem Schlüsselbein die Ver-
kürzung zur Entstehung brachten, deren Auffälligkeit bereits (s.
S. 374 ff., 409) hervorgehoben wurde.
Es spricht alles dafür, daß es sich bei den für die gemeinten
Brustbein- und Kippenveränderungen in Betracht kommenden funk-
tionellen Einflüssen insbesondere um Bewegungen und Wirkungen
der Brustatmung und nur in beschränktem Maße um solche der Bauch-,
d. i. der Zwerchfellatmung handelt.
Als eine Veränderung, die auf die besondere Wirkung der Zwerch-
fellatmung bezogen werden dürfte, könnte vielleicht die muldige
Eintiefung aufzufassen sein, die (s. S. 376) der untere Körperteil des
Brustbeines rechterseits in der Nachbarschaft des 7. und 6. rechten
Kippenknorpels zeigt. Es könnte angenommen werden, daß das
Brustbein, dem ja im Bereiche der Thoraxspalte keine Stützung seitens
der Kippen zuteil wird, in dieser Einsenkung der Zugwirkung der
sich daselbst ansetzenden vorderen (sternalen bzw. costalen) Zwerch-
fellzacken nachgab.
Auch noch ein andrer Befund, den das beschriebene Präparat
darbietet : die im Vergleich zur oberen Brustapertur nicht unauffällige
Archiv f. Eatwicklangsraechaoik. XXII. 27
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418 G. Pommer
Weite der unteren Brustöffnung könnte wohl als der Ausdruck
einer beträchtlichen Mitbeteiligung des Zwerchfelles an den Atembe-
wegungen aufgefaßt werden. Denn es kommt ja bei der Zwerchfell-
atmung zugleich mit der Hebung der Bippen und des Brustbeins eine
Erweiterung der unteren Brustöffnung dadurch zustande, daß die her-
abgedrückten Baucheingeweide dem Zwerchfell ihre feste Oberfläche
als ünterstützungspunkt bieten i) 2).
Eine größere Anzahl besonders auffälliger Veränderungen weist
aber zu ihrer Erklärung auf den als Brustatmun g zu unterscheidenden
Teil der Atmung hin.
Zur Kennzeichnung der Verhältnisse sei vor allem hervorgehoben,
daß ja das Bestehen der Thoraxspalte und die damit gegebene
Einbuße an Rippenhebem von vornherein eine Beeinträchtigung der
bei der Einatmung erfolgenden Erweiterung des Brustraumes auf der
Defektseite zur Folge haben mußte, und daß daher die Luftkapazität
der Lunge dieser Seite gegenüber der der andern verringert war.
In Betreff der Größe der Hebungen und des Vorstoßes der Rippen
mußte zwischen beiden Brusthälften zu Ungunsten der Defektseite
eine sehr beträchtliche Verschiedenheit bestehen, die nur eine ent-
sprechende Ungleichmäßigkeit in der mit diesen Bewegungen ge-
gebenen Verschiebung des Brustbeines nach vorn und bezüglich
seiner dabei eintretenden Drehung zur Folge haben konnte.
Weiter konnten aber auch, bei dem Umstände, daß auf der De-
fektseite des beschriebenen Präparates das Brustbein ja nur unter
dem direkten Einfluß der 1. Rippe und im übrigen außerdem nur
noch unter dem m. m. indirekten der 6. — 9. Rippe steht, die unter
physiologischen Verhältnissen ») aus der ungleichgradigen Entfernung
der verschiedeneu Rippen von der Wirbelsäule zu folgernde Knickung
der einzelnen Teile des Brustbeines gegeneinander und die damit
1) Vgl. R. TiGERSTEDT, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 2. Aufl.
Leipzig 1902. 1. Bd. S. 344.
2) Der Eindruck der Erweiterung der unteren BrustöflFnung, welchen der
Anblick der Figuren 1, 2 u. 3 unmittelbar erweckt, findet seine Bestätigung bei
Messung der unteren vier Rippen des Präparates.
Ich verweise hinsichtlich ihrer Längenmaße auf die am Schlüsse (S. 439; ge-
gebene Zusammenstellung, hier sei nur noch bemerkt, daß gleichwie ihre Länge
auch ihre Breite auffallig groß erscheint. Wie ans den Angaben der S. 374 und
379 erheUt, bestellt dabei bezüglich des Verhaltens der unteren vier Rippen kein
Unterschied, wenigstens kein besonders durchgreifender und auffälliger, zwischen
der Defektseite und der andern Brusthälfte.
3j Vgl. R. TiGERSTEDT, a. a. 0. S. 342.
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Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Wachstums usw. 419
zugleich gegebene Drehung der ßippenknorpel auf der Defekt-
seite nur in beschränktem Maße sich geltend machen, während hin-
gegen den entsprechenden Einwirkungen die Brustbeinhälfte und die
Rippenknorpel der andern Brustseite um so intensiver ausgesetzt waren.
Es kann daher nicht überraschen, daß am Brustbein und an den
Kippenknorpeln die Ungleichheit der Verhältnisse zur besonderen Aus-
prägung gelangte, und es wird sich auch auf Grund der erwähnten Mo-
mente von der Entstehungsart der eigentümlichen Drehung des Brust-
beines und der damit zusammenhängenden Stellungsänderungen der
Rippenknorpel unschwer eine Vorstellung gewinnen lassen.
Augenscheinlich haben sich weiter der Einwirkung der durch
die Thoraxspalte gegebenen abnormen Verhältnisse und insbesondere
der dadurch bedingten Störung der Brustatmung, bei ihrer Fortdauer
während der ganzen funktionellen Wachstumsperiode, auch die flir
das Breitenwachstum des Brustbeines bzw. fbr das Längenwachstum
der Rippen maßgebenden Umstände und Vorgänge innerhalb der Ein-
flußgrenzen des Defektgebietes nicht entzogen. Mit einer Erörterung
der Art dieser Einwirkungen auf die Wachstumsverhältnisse der ge-
nannten Knochen und mit einer Erwägung der Umstände, die für das
Längenwachstum der Knochen im allgemeinen und für das des
Schlüsselbeines im besondern in Betracht kommen, will ich mich im
Schlußteil dieser Mitteilung beschäftigen, vorher aber sei nochmals
der besagten Brustbein- und Rippenknorpel-Mißstaltungen
gedacht.
Zur Kennzeichnung des Entstehungsmechanismus der letz-
teren kann ich unmittelbar an die Bemerkungen anknüpfen, zu welchen
sich bereits (s. S. 378) bei der Besprechung der Brustwirbelsäule und
der Verlaufsrichtung ihrer Rippen Anlaß gab.
Es wurde dort darauf hingewiesen, daß im Vergleich zu dem
weiteren Bogen, welchen die mittleren Rippen der Defektseite be-
schreiben, die der andern Brusthälfte in einem seitlich abgeflachten
Bogen nach vom verlaufen. Daß damit bei den Bewegungen der
Einatmung eine stärkere Hebung der vorderen Enden dieser Rippen
gegeben war, die sich ihren Rippenknorpelu und dem damit ver-
bundenen Brustbeingebiet mitteilte, läßt sich wohl nicht bezweifeln.
Bei den an sich so geringgradigen skoliotischen Krümmungen der
Brustwirbelsäule kommt zur Erklärung der besonderen einseitigen
Vorwölbung der besagten Gebiete wesentlich nur die dieser Brust-
korbseite eigentümliche überwiegende Beteiligung an den Atembe-
wegungen in Betracht.
27*
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420 G. Pommer
Der verschiedene Grad dieser einseitigen Vorwölbung und ihre
Kombination mit jenen Krümmungen und Einsenkungen des Brust-
beines, die S. 375, 376 beschrieben und in den Fig. 1 und 3 sichtbar
sind, erklärt sich dabei, wie schon S. 378 erwähnt ist, aus dem Mangel an
gegen das Brustbein sich anstemmenden BippenendstUcken im Bereiche
der Thoraxspalte bzw. aus der Stützung, welche das Brustbein ober-
und unterhalb des Defektes durch die hier erhalten gebliebenen Hippen
erfährt und zwar in verschiedenem Grade erfährt.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, wie sich im besonderen
im Verhalten des GrifiFteiles des Brustbeines der Umstand ausspricht,
daß die 1. Rippe der Defektseite trotz ihrer Verkürzung immerhin
als eine ausgiebigere Stütze zur Wirkung gelangte, im Vergleiche zu
den untenzu an den Defekt angrenzenden Hippen, denen ja außer ihrer
Verkürzung ihre schiefe Verlaufsrichtung und die geringere wider-
standbietende Art ihrer Knorpelansätze in dieser Beziehung abträg-
lich sind.
In dem Zusammenwirken aller dieser Verhältnisse läßt sich dann
sowohl für die schräge Lage und schraubenförmige Drehung des
Brustbeines, als auch für die gleichfalls schon erwähnte (s. S. 375) Ver-
schiebung seiner unteren Teile nach der Defektseite hin, gleichwie
für die besprochene Vor Wölbung der Rippenknorpel der gegenüber-
liegenden Seite eine befriedigende Erklärung gewinnen i). — Was
nun die vom Brustbein noch weiter zu erörternde Verbreiterung
seines Griff- und Körperteils anlangt, von der bereits wiederholt die
Hede war (s. S. 375, 404, 407, vgl. besonders Fig. 3), so läßt sich bei
näherer Überlegung für diese eigentümliche Veränderung gleichfalls
eine befriedigende mechanische Erklärung finden, denn es spricht
alles dafür, daß das gesteigerte Fläch-enwachstum, das in dieser
Breitenzunahme sich ausdrückt, in einer unter den gegebenen Ver-
hältnissen und während der Dauer der funktionellen Waehstums-
periode auf das Brustbein einwirkenden Zug- und Druckspan-
nung begründet ist.
Man wird, trotz des völligen Mangels an Angaben eines Obduk-
tionsbefundes über das Verhalten und über die Lage der Weichge-
bilde des Brustkorbes bzw. seiner Orgaue, vermuten dürfen, daß jene
*) Zur besonderen Unterstützung dieser Erklärang dienen weiter auch die
Ermittelangen über die Steigerung des Längenwachstums der Rippen der letzt-
erwähnten Seite, die sich aus vergleichenden Rippenmessungen ergaben und —
wie schon S. 408 erwähnt wurde — erst am Schluß, S. 439—441*, ihre Darlegung
finden.
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Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Wachstums usw. 421
fibröse Membran, die aller Wahrscheinlichkeit nach die Thorax-
Ittcke abschloß (s. S. 393), genug an Widerstand darbot, um
z. B. bei den exspiratorischen Verengerungen der Brusthöhle ein aus-
gebreitetes Vordringen der Brustorgane zu verhindern. Tatsächlich
läßt sich ja für die Annahme des Bestandes von Lungenhernien nur
jene beschränkte bogige Eintiefung anführen, die S. 374 bzw. 393 in
Betracht gezogen ist. Auch läßt sich wohl überhaupt aus dem Um-
stände, daß trotz der so beträchtlichen Größe der ThoraxlUcke dem
Leben des betreffenden Individuums kein frühzeitiges Ende gesetzt
war, darauf zurückschließen, daß eine Membran diese Lücke abschloß,
welche beträchtlichere Störungen der Funktion der Lungen hint-
anhielt.
Nach alledem dürfen wir also mit dem Widerstände einer festen
fibrösen Membran rechnen, die vom beschriebenen flachbuchtig einge-
schnittenen und glatt zugeschärften Rande des Brustbeines (s. S. 373),
dem auch eine tiefere Lage eigentümlich ist (s. S. 376), bis zu den End-
gebieten der defekten Rippen, bzw. vielleicht auch zwischen sie hin-
ein, sich erstreckte.
Wir werden annehmen dürfen, daß dieser Widerstand der Ab-
BchluBmembran für die auf der üefektseite gelegenen Brustorgane eine
Raumbeengung bedeutete. In demselben Sinne einer Raumbeengung
kommt für diese Seite auch ihre schon vorhin in andrer Beziehung
besprochene mangelhafte Beteiligung an den inspiratorischen Erweite-
rungen des Thorax in Betracht.
Es liegt die Annahme nahe, daß es unter solchen Verhältnissen
auch zu einer Verschiebung nachgiebiger Organe bzw. Organteile aus
dem Bereiche der Defektseite nach der andern Seite hin kommen
konnte, was, und zwar in besonderem Maße in dem zunächst be-
troffenen Gebiet, also im Bereiche des Griff- und Körperteiles des
Brustbeines, eine Erhöhung der Spannung zur Folge hatte.
Insoweit nicht der Druckausgleich durch Dehnungen erreicht werden
konnte, mußte nun wohl eine Vermehrung der Flächenelemente, eine
Wachstumssteigerung der gespannten Teile als Wirkung zu-
tage treten und zwar der Hauptsache nach eine Steigerung des
Randwachstums, doch weist die schon hervorgehobene Dünnheit
des Brustbeines (s. S. 375, 407) darauf hin, daß die innerhalb des
Knochens selbst sich abspielenden Erneuerungsvorgäuge, die
neben Resorptionen einhergehenden Appositionen, unter demselben
Einfluß standen und zugunsten einer geringeren Dicken- und stärkeren
Breitenentwicklung des Brustbeines ihren Ablauf nahmen.
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422 G. Pommer
Eine räumliche Grenze war diesem dimensionalen Wachstum ge-
zogen durch den Widerstand der fibrösen Abschlußmembran und
deren -— wie wir annehmen dürfen — geringe Befähigung zu for-
mativer Reaktion, vor allem aber durch die beschränkte Leistungs-
fähigkeit der knochenbildenden Gewebe des Brustbeines, welche auch
bezüglich der Zeitdauer des Randwachstums die entscheidende Grenze
zog und die Ausbildung der hier besprochenen Veränderungen des
Brustbeines gleichwie die der vorhin erörterten Veränderungen seiner
Gestalt und Lage auf die Dauer der funktionellen Wachstumsperiode
einschränkte.
Es dürfte nicht unangezeigt sein, zur Stütze der hier entwickelten
Vorstellungen und Annahmen nebenbei auf jenen von mir ^) beschriebenen
asymmetrischen Schädel eines 49 Jahre alten Mannes hinzuweisen,
an dem sich in ausgeprägtem Maße zeigen läßt, welche dimen-
sionale Wachstumssteigerung durch eine erhöhte und von dem
Widerstände fibröser Membranen auf bestimmte Grenzen eingeschränkte
Spannung bewirkt werden kann 2).
1) G. Pommer, Schädel- und Gehirnasymraetrie, verursacht durch ein Ke-
phalhaematoma internam. Beiträge zur Anthropologie von Tirol. Fest-
schrift z. Jubiläum d. deutsch, anthropolog. Gesellsch. Innsbruck 1894. S. 159
—210. Taf. IL
2; Es sei zur Kennzeichnung dieses Falles, der trotz seiner Bedeutung für
das Verständnis der Wachstumsverhältnisse des Schädels bisher unbeachtet
blieb, in Kürze angeführt, daß in demselben ein einseitig (linkerseits) entstan-
denes Kephalhaematoma internnm zu einer Beengung des Schädelraumes ftihrtCf
die in ihrer Wirkung im wesentlichen durch die Befestigung und Festigkeit
der Großhirnsichel und des Kleinhirnzeltes auf dieselbe Seite einge-
schränkt wurde.
Als unmittelbare Folge ergab sich eine Verschiebung der betreffenden
Großhirnhemisphäre, die sich in geringem Maße über die Mittellinie des Schädels
hinüber fortpflanzen konnte; die dabei eingetretene Verdrängung der Grenz-
gebiete fand nur einen ungenügenden Ausgleich in örtlichen Eintiefungeu sowie
Verschiebungen der Hirnsubstanz bzw. in der Ausbildung von Erweiterungs-
buchten an der Schädelbasis.
Die erhöhte Spannung aber, in welche zugleich im Basis- und Dach-
gebiet der betreffenden Schädelseite die Knochen und deren Interstitial- und
Nahtsubstanzen versetzt wurden, hatte in ihrer Andauer während des weiteren
Lebens eine — der Hauptsache nach wohl durch Steigerung des Randwachs-
tums bedingte — sehr auffallende Vergrößerung dieser Knochen und damit
eine ausgeprägte Asymmetrie des Schädels zur Folge.
Um eine Vorstellung von diesen asymmetrischen Verhältnissen zu geben,
führe ich an. daß z. B. die linke mittlere Schädelgrube im Vergleiche zur recht-
seitigen in sagitt^ler Richtung um 16 mm, in transversaler um 9 mm größer und
dabei um 10 mm tiefer ist; daran ist im besoudern der linke große Keilbein-
flügel in der Weise beteiligt, daß er den rechtseitigen an Breite um 11 mm. an
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Ein anatomischer Beitrag zar Kenntnis des Wachstums usw. 423
Es bleibt nun noch die funktionelle Erklärung zu erörtern,
die sich fUr die Verkürzung der dem Defektbezirke benachbarten
Bippen und des Schlüsselbeines der Defektseite darbietet, wo-
bei im besondern die Frage in Betracht kommt, wie wir uns die Ein-
wirkung vorstellen sollen, die im Sinne der bereits (S. 418) ausge-
sprochenen Annahmen durch die Beeinträchtigung der Brustatmungs-
bewegungen der Defekseite auf das Längenwachstum der Rippen und
indirekt auch des Schlüsselbeines, auf das Längenwachstum des letzteren
aber besonders durch seine Abhängigkeit von den Bewegungen und
Lageverhältnissen des Schulterblattes der Defektseite ausgeübt wurde.
Was zunächst die gemeinten Rippen (die 1., 6., 7. und 8.) der
Defektseite anlangt, so haben wir mit der nahe liegenden Annahme
zu rechnen, daß ihre Hebungen bzw. Senkungen durch das Fehlen
der Zwischenrippenmuskulatur im Bereiche der ThoraxlUcke in nicht
ausgleichbarer Weise beeinträchtigt wurden, nachdem sich nur
Muskel von relativ beschränktem Ansatzgebiet (die Scaleni, Levatores
costarum und nur indirekt möglicherweise auch die an der 2. bis
5. Rippe sich ansetzenden Zacken des M. serratus postic. superior)
für die Kompensierung des Ausfalles in Anschlag bringen lassen.
Auch ist in dieser Beziehung von den Muskeln, die bei gewaltsamen
Einatmungen die gewöhnlichen Muskelkräfte vom erhobenen und
fixierten Arm und Schultergürtel aus zu unterstützen vermögen, unter
den Verhältnissen der Thoraxspalte nicht viel zu erwarten, da ja
augenscheinlich mit diesen ein Mangel der überwiegendsten Teile des
großen Brust- und des großen vorderen Sägemuskels, sowie des kleinen
Brustmuskels gegeben war.
Unter den vorausgesetzten Verhältnissen läßt sich daher an-
Länge um 15 mm übertrifft; weiter zeigt die linke Schläfenbeinschuppe eine
Vergrößerung ihrer Höhe um 5 mm, ihrer Länge um 3 mm ubw. (vgl. a. a. 0.
S. 169, 171, 177).
Besonders ausgeprägt ist auch die Asymmetrie des Schädeldaches; so zeigt
sich das linke Scheitelbein in sagittaler Richtung um 20, in transversaler um
12 mm, das linke Stirnbein in diesen Richtungen um 10 bzw. ö mm vergrößert
(vgl. a. a. 0. S. 178, 179).
Bezüglich der übrigen Befunde dieses Falles sei auf die Mitteilung selbst
verwiesen. Hervorzuheben wäre hier aber noch, daß die Fissuren des linken
Stirn- und Scheitelbeines, die zur Entstehung des Kephalhaematoms (während der
Geburt des Individuums) geführt hatten, infolge der andauernden Dehnung zum
Teil noch unverheilt waren, jedoch gleichwie das um die Blutanhäufung des
Kephalhaematoms reaktiv entstandene Sackgewebe an dem gesteigerten Wachs-
tum der betreffenden Schädelseite in bedeutendem Maße teilgenommen hatten
(vgl. a. a. 0. S. 191—193).
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424 Cr. Pommer
nehmen, daß die gemeinten Kippen bei ihren Bewegungen in
geringerer Intensität als in der Norm mit ihren vorderen Enden
bzw. ihren Rippenknorpeln an das Brustbein angestemmt wurden.
Zugunsten dieser Annahme, die sich auch zur Erklärung der
Brustbeinveränderungen (s. S. 418 — 420) aufdrängte, ist anzuführen, daß
ja die 1. Rippe schon an sich infolge der Last der oberen Extremität
und wegen ihrer direkten ungelenkigen Verbindung mit dem Brust-
bein weniger beweglich ist^); femer ist hier daran zu erinnern, daß
ja, wie erörtert wurde (vgl. S. 379, 395), das Verhalten der seitlichen
Anteile der rechten 6., 7. und 8. Rippe im beschriebenen Präparat
direkt auf eine mangelhafte Wirksamkeit ihrer Zwischenrippenmuskeln
und der betreffenden Serratuszacken hinweist.
Mit der weniger kräftigen Anstemmung der gemeinten
Rippen an das Brustbein verlor dann aber das für das Längen-
wachstum der Knochen wichtige Moment der wechselnden
Druckbelastung an Intensität und Einfluß.
In einer ähnlichen Vorstellung findet auch die Verkürzung des
Schlüsselbeines der Defektseite ihre Erklärung.
Es ist ja anzunehmen, daß das Schlüsselbein bei seinen Ver-
bindungen mit der 1. Rippe, die durch das Lig. costociaviculare und
durch den Muse, subclavius gegeben sind, im gleichen Sinne von dem
Mangel besonders intensiver respiratorischer Bewegungen dieser Rippe
beeinflußt wurde. Ganz besonders aber dürfte in Betracht kommen,
daß es infolge seiner Verbindungen mit dem Schulterblatt an
den in dieser Beziehung bestehenden abnormen Verhältnissen teil-
nehmen mußte.
Das rechte Schulterblatt war, so müssen wir annehmen, in-
folge des Mangels an Zugwirkungen in der Richtung nach vorn, die
unter normalen Verhältnissen seitens der beiden Brustmuskel und des
großen Sägemuskels ausgeübt werden, unter den vorherrschenden
Einfluß der Rttckenmuskulatur gestellt und dabei im besondern der
nach rückwärts und zur Mittellinie hin gerichteten Zusammenwirkung
der hinteren oberen Bündel des Cucullaris, der beiden Rhomboidei
und des Schulterhebers überantwortet.
Dieser Annahme dient zum Beleg die auf den überwiegenden
Einfluß der antagonistischen Rückenmuskeln zurückzuführende An-
näherung des Schulterblattes an die Dornfortsätze (s. S. 377), deren
*] Vgl. C. E. E. Hoffmann, Lehrbuch der Anatomie des Menschen. I. Bd.
1. Abt. 2. Aufl. Erlangen 1877. S. 367.
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Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des WachstnmB usw. 425
Wendung nach der andern, linken Seite hin (s. S. 377 und Fig. 2) außer-
dem eine besonders überwiegende Entwicklung und Wirksamkeit der
an den Dornfortsätzen entspringenden Rückenmuskeln der linken
Seite annehmen läßt und, zusammengehalten mit allen übrigen Verhält-
nissen, auch sehr wahrscheinlich macht, daß bei dem betreffenden
Individuum Linkshändigkeit bestand.
An der besagten Stellungsänderung des rechten Schulterblattes
mußte dann das Schlüsselbein teilnehmen, da es ja durch feste Ver-
bindungen (durch die Verstärkungsbäuder des Acromio-clavicular-6e-
lenkes und durch die Bandmassen der Syndesmosis coraco-clavicularis)
Yon dem Schulterblatt abhängig gemacht ist^j; und es ist daher an-
zunehmen, daß auf der Seite der Thoraxlücke das Schlüssel-
bein dem Brustbein im allgemeinen weniger angenähert wurde,
als einem Schlüsselbein unter normalen Verhältnissen zukommt. Es
war in geringerem Maße als Strebestütze der oberen Extremität in
der Richtung gegen das Brustbein hin beansprucht und damit ge-
ringeren Druckwirkungen in seiner Längsrichtung aus-
gesetzt, so daß es in seinem Längenwachstum zurückblieb,
obwohl seine sonstige Beanspruchung durch die Zug-
spannungen der an seiner periostalen Oberfläche sich an-
setzenden Muskeln, die als kompensatorisch hypertrophiert zu denken
sind (vgl. S. 399, 400), zugleich zur Steigerung seines Dicken-
wachstums Veranlassung gab.
Auf diese Weise läßt sich demnach das so auffällige Verhalten
des Schlüsselbeines der Defektseite erklären und die Verminderung
seines Wachstums in der Längsrichtung mit seinem gesteigerten
Dickenwachstum in Einklang bringen.
Die meisten der Aufgaben, die ich mir mit der Beschreibung des
untersuchten Präparates stellen mußte, erscheinen mit diesen Er-
örterungen zu Ende geführt, doch sind immerhin noch, ehe ich die
Schlußfolgerungen ziehe, die sich aus dieser Untersuchung ergaben,
einige Ergänzungen und zwar vor allem bezüglich der Frage ange-
zeigt, ob die funktionellen Voraussetzungen zutreffen, die hinsichtlich
des Längenwachstums im allgemeinen und im besondern zur Er-
klärung des verminderten Längenwachstums der der Thoraxspalte
benachbarten Rippen und des Schlüsselbeines der Defektseite in An-
spruch genommen wurden bzw. für die Erklärung des nebenbei an
1} Vgl. R. FiCK, Handbuch der Anatomie and Mechanik der Gelenke nsw.
1. Teil. Jena 1904. S. 156, 167, 161, 162.
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426 G. Pommer
dieden Knochen aasgeprägten Fortbestehens nicht wesentlich ver-
minderten, ja sogar gesteigerten Dickenwachstams in Betracht kamen.
Es ist das eine Frage, die hier nicht unberücksichtigt bleiben
kann, da ja sowohl unter physiologischen Verhältnissen als
unter denen der Inaktivitätsatrophie der Wachstumsperiode
zwischen dem Längen- und Dickenwachstum enge Bezie-
hungen bestehen.
Es hat ja z. B. Schwalbe i) in seinen Untersnchnngen über das Knochen-
Wachstum des Besonderen erörtert, wie das Dickenwachstum vom Längenwachs-
tum beherrscht wird. — Und daß sich bei der durch Inaktivität bedingten
Atrophie wachsender Knochen die Wachstumsstörnng bezüglich beider zu-
gleich geltend macht, wurde bereits von VibchowS) in Betreff frühzeitig ge-
lähmter Glieder erörtert und bei Gelegenheit seiner Bemerkungen gegen die
Annahmen L. Ficks (über die Ursachen der Knochenformen) durch Fälle seiner
eignen Beobachtung belegt^). Betreffs weiterer Angaben, welche beweisen, daß
unter jugendlichen Verhältnissen durch Hemmung der Funktion ebensowohl das
Dicken- als das Längenwachstum der Knochen beeinträchtigt wird, konnten dann
auch Fischers Mitteilung über trophische Störungen nach Nervenverletzungen
an den Extremitäten 4) und Lesshafts &) Fälle erwähnt werden, femer Seelig-
MÜLLERS 6i einschlägige allgemein gehaltene Bemerkung, nach welcher bei der
spinalen Kinderlähmung in der Länge der gelähmten und nicht gelähmten Unter-
extremität ein Unterschied von 3—20 cm beobachtet wird, sowie R. Volkmanns 7)
Angaben über die von ihm sog. neurotische Knochenaplasie.
1) G. Schwalbe, Über die Emährungskanäle der Knochen und das Knochen-
wachstum. Zeitschr. f. Anat. u. Entwicklungsgesch. I. Bd. 1876. S. 316, 329.
2) ViRCHOW, Untersuchungen über die Entwicklung des Schädelgrundes.
Berlin 1857. S. 110—112. Vgl. auch Virchows Zusammenstellung von Fällen
neurotischer Atrophie im Handbuch der speziell. Pathologie u. Ther. Bd. 1.
S. 319.
8) Virchow, Knochenwachstum und Schädelformen mit besonderer Rück-
sicht auf Kretinismus. Arch. f. pathol. Anatomie. 13. Bd. 1858. S. 340. Diese
Fälle betrafen einen jungen Arbeiter, der infolge Lähmung der Exteusoren eine
Verkürzung und Verdünnung des Vorderarmes erlitt, und ein 15 Jahre altes
Mädchen, dessen Unterschenkel bei Valgo-equinus-Stellung des Fußes nach Psoas-
absceß verdünnt und um 2 cm verkürzt sich fand.
4) Fischer, Berlin, klin. Wochenschr. 1871. Nr. 13. S. 146.
*) P. Lesshapt, Über die Ursachen, welche die Form der Knochen be-
dingen. Virchows Archiv. 87. Bd. 1882. S. 267—269. Es handelt sich dabei
um zwei Fälle von Paralysis infantilis der unteren Extremitäten und um einen
Fall, in dem seit der Jugend eine Luxation des unteren Ulnaendes nach hinten
bestand. Nebst bedeutender Verdünnung wurden Verkürzungen um 12,6 bzw.
6 cm (der gelähmten unteren Extremitäten] und um 7.5 cm (der betreffenden
oberen Extremität) bzw. um 2 cm an der Hand im Luxationsfalle nachgew^iesen.
6) Centralblatt f. Chirurgie. 1879. Nr. 29. S. 465.
'} R. Volkmann, Die Krankheiten der Bewegungsorgane im Handb. der
allg. u. spez. Chirurgie von Pitha u. Billroth. IL Bd. 2. Abt. Stuttgart 1882.
S. 352.
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Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Wachstums usw. 427
Mit diesen Erfahrungen lassen sich die Verkürzungen der ge-
meinten Knochen des beschriebenen Präparates, insofern an ihnen
keine Verdünnung vorhanden ist, nicht in Analogie bringen.
Es müssen jene experimentellen, anatomischen und klinischen
Ermittelungen herangezogen werden, in denen unter pathologischen
und auch unter funktionellen Verhältnissen abgesonderte Eigen-
tümlichkeiten des Längenwachstums der Knochen hervor-
treten. Im ungünstigen Sinne ist dies z. B. der Fall bei den Er-
fahrungen, die über Verkürzung der Knochen durch Schädigung
der Verknöcherungsgrenze bzw. des Epiphysenknorpels gewonnen
wurden, so von A. Bidder*), P. Vogt 2), H. Helfeuich^) u. a.; im
Sinne der Begünstigung: bei den unter entzündlichen oder anders-
artigen Reizungen des Zelllebens im Bereiche der Verknöcherungs-
grenze unter gewissen Umständen eintretenden Steigerungen des
Längenwachstums der Knochen.
In solcher Beziehung kann auf die LiteraturanfUhrungen bei Rokitansky <),
R. VoLKiiANN 5) und auf die neueste Zusammenstellung der einschlUgigen Fälle
von M. B. Schmidt«) verwiesen werden. Auf das Längenwachstum begünsti-
gende entzündliche oder irritative Einwirkungen können auch die bezüglichen
bei experimentellen Untersuchungen über Nervendurchschneidungen eingetretenen
Erfolge zurückgeführt werden, in welchen solche Einwirkungen die Folgen der
Inaktivität überwogen ''). Dabei wird der wechselnde Erfolg der Experimente
1) A. BiDDER, Experimente über die künstliche Hemmung des Längenwachs*
tums von Röhrenknochen durch Reizung und Zerstörung des Epiphysenknorpels.
Arch. f. experim. Pathologie. Bd. I. 1873. S. 248 ff. Vgl. auch A. Bidders Mit-
teilung über die Hemmung des Längenwachstums der ersten Phalanx des rechten
Mittelfingers infolge von chronischer Ostitis (und zwar durch Zerstörung des
Epiphysenknorpels). Arch. f. klin. Chirurgie. 24. Bd. 1879. S. 379, 381.
-) P. Vogt, Die traumatische Epiphysentrennung und deren Einfluß auf das
Längenwachstum der Röhrenknochen. Arch. f. klin. Chirurgie. 22. Bd. 1878.
8. 348 ff.
3) H. Helperich, Zur Lehre vom Knochenwachstum. Versuche über Hem-
mung des Längenwachstums durch Exstirpation des Intermediärknorpels. Arch.
f. Anat. u. Entwicklungsgesch. 1877. S. 98.
*) C. Rokitansky, Lehrbuch der pathologischen Anatomie. IL Bd. 3. Aufl.
Wien 1856. S. 93.
5] R. Volkmann, a. a. 0. S. 350.
6) M. B. Schmidt, Ergebnisse der allg. Path. u. pathol. Anatomie von Lu-
BAR.SCH u. OsTERTAG. ö. Jhrg. Wiesbaden 1900. S. 905 ff.
7) Auf diese Art erklären sich wahrscheinlich die einschlägigen Ergebnisse
der Versuche H. Nasses (Über den Einfluß der Nervendurchschneidung usw.
Pflügers Arch. 23. Bd. 1880. S. 361, 374, 382 u. a.\ wenn sie überhaupt nach
den überprüfenden Versuchen, die Kapsammer (Arch. f klin. Chir. 66. Bd. 1898}
ihnen und denen Kassowitzs entgegenstellt, noch in Betracht kommen. Ähnlich
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428 Gr- Pommer
auf diesem üntersuchungsgebiet dazu Anlaß geben, daß wir mit Poncet den
Gegensatz hervorheben, der zwischen den direkt und den indirekt die Verknü-
cherungBgrenze betreffenden Erkrankungen anzunehmen ist (vgl. Schmidt, a. a. 0.
S. 906).
Eine die fanktionellen Einflüsse unter allen Umständen tiber-
wiegende Bedeutung für das Längenwachstum werden wir aber bei
alledem den betrelBfenden entzündlichen oder sonstigen irritativen
Einwirkungen, auf die sich diese Anführungen aus der Literatur be-
ziehen, keineswegs zuschreiben dürfen.
Es ist mit Rücksicht auf die angeführten Erfahrungen von In-
teresse, daß in einem von mir beobachteten Falle, in welchem aus-
gedehnte chronische Entzündungszustände des Oberschenkel-
knochens eines Kindes zur Ausbildung einer Verlängerung dieses
Knochens reichlich Gelegenheit dargeboten hätten, derselbe keine
Verlängerung erfuhr, sondern sowie die ganze betreffende Ex-
tremität ausgesprochener Inaktivitätsatrophie verfiel, die zu
beträchtlicher Verkürzung und Verdünnung aller ihrer Knochen,
sowie auch der Beckenknochen derselben Seite und sogar zu
auffälliger Atrophie der entsprechenden Gebiete des Centralnerven-
systems führte. — Bezüglich einiger näherer Umstände dieses Falles
sei auf die Anmerkung i) verwiesen und zugleich auch auf die in
würden sich auch die so überraschenden Befunde von Elongation der Kno-
chen an gelähmten Extremitäten, die sich Seelighüller bei zwei Kindern
mit spinaler Kinderlähmung darboten, erklären lassen. In beiden Fällen war
BachitlB vorhanden (vgl. a. a. Ö. S. 468) und wäre also anzunehmen, daß die sonst
infolge von Druckwirkungen im Bereiche der rachitischen Knorpelstömng ein-
tretende Mißstaltung und Verkürzung der Knochen unter den Verhältnissen der
Lähmung ausbleiben und daß dafür, der Knorpelwucherung entsprechend, eine
Verlängerung zutage treten konnte.
Endlich wäre eine analoge Erklärung auch für die ebenfalls von Sebug-
MÜLLER (a. a. 0.) mitgeteUten Verlängerungen in der Kindheit luuerter Knochen-
enden verwendbar; sie ist der seit Volkmakn (a. a. 0. S. 350) daraufhin aufge-
stellten Annahme einer Wachstumssteigerung durch WegfaU physiologiBcfaer
Druckwirkungen vorzuziehen.
1) In diesem Fall der 21 J. a. Näherin Violante Sc. konnte ich bei der am
17. III. 1890 vorgenommenen Obduktion (Nr. 2660/40) eitrige und ossifizierende
Periostitis des rechten Femur und fibröse Ankylose des r. Knie-
gelenks nachweisen, femer: exzentrische Atrophie des Femur und konzen-
trische aller übrigen Knochen der r. unteren Extremität, sowie derer der
r. Beckenhälfte, Verkürzung aller dieser Knochen, Lipomatose der
Muskeln, Asymmetrie des Beckens mit rechtsseitiger Erweiterung und ent-
sprechender skoliotischer Krümmung der Wirbelsäule geringen Grades, mit der
Konvexität nach links im Brustteil; außerdem Asymmetrie des Rücken,
mark es (besonders im Lenden- und unteren Brustteil sehr auffaUig) infolge
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Ein anatomischer Beitrag znr Kenntnis des Wachstoms asw. 429
Figur 4 wiedergegebene photographische Vorder- und Rückansicht
des betrefiPenden Skelets.
Hypoplasie des rechtseitigen Centralgrau und der rechtseitigen Markstränge
und überdies noch relative hypoplastische Verschmälemng der oberen Teile
der linken vorderen Centralwindung.
Als weitere Obduktionsbefunde sind anzufahren: parench. Nephritis, diffuse
Milz-Amyloidose, Enteritis cat. atr.
Aus der Krankheitsgeschichte sei erwähnt, daß, nachdem die ersten
6 Lebensjahre in Gesundheit verlaufen waren, im Sommer 1875 infolge Quetschung .
des rechten Beines zwischen zwei Balken länger dauernde Bettlägerigkeit be-
stand. Im Herbst des folgenden Jahres sollen eitrige Fisteln am rechten Ober-
schenkel zur Eröffnung gelangt und eine Kontraktur des rechten Kniegelenkes
entstanden sein. Nach Verheilung der Fisteln war Gehen mit Krtickenhüfe möglich.
Im Herbst 1888 kamen wieder mehrere Fisteln am Oberschenkel zum Aufbruch.
Von da an blieb die Kranke bettlägerig; Oktober 1889 Aufnahme ins SpiUd.
Bei Spaltung der Fisteln und deren Ausschabung fanden sich keine nekrotischen
Knochen; die meisten Eröffnungen schlössen sich nach einiger Zeit. Der tödliche
Ausgang trat unter zunehmender Albuminurie ein.
Die in Fig. 4. bei Vorder- und Rückansicht photographisch dargestellte
untere Skelethälfte zeigt den Sägedurchschnitt des rechten Femur, an dem,
nebst exzentrischer Atrophie und leichter Krümmung des unteren Epiphysengebie-
tes nach vom, sowie Vergrößerung des Schenkelhals -Schaft^vinkels, reichliche
splitterig-zackige Osteophyten entlang des ganzen Schaftes, jedoch keine An-
deutungen von Sklerosierungen oder Absceßbildnngen im Knochenmarkgebiet,
noch Anzeichen von Nekrose nachweisbar sind. Besonders der laterale Knorren
der rechten Tibia läßt, entsprechend der bestandenen fibrösen Ankylose, nebst
Abdachung nach vorn zu und atrophischen Absorptionen auch einzelne höckerige
Vorragungen bemerken, während der mediale wenig abgeändert erscheint.
Zur Kennzeichnung des Grades der Verkürzung und Verdünnung der
Knochen der rechten unteren Extremität und der rechten Beckenhälfte seien im
folgenden einige ihrer Längen- und sonstigeh Maße, unter Beifügung der ent-
sprechenden linkseitigen Maße (die ich in Klammer nebensetze) beispielsweise
angegeben und zwar in Millimetern:
Länge des rechten Femur 306 (323).
der - Tibia 2ö5 (282), Schaftumfang 40 (63).
Fibula 249 i283), - 27 (36).
Fußes 193 (211), (gemessen vom Fersenbeinhöcker bis zur
Spitze der großen Zehe).
Entfernung vom Sitzknorren bis zur Mitte des horizontalen Schambeinastes,
rechts: 73 (84).
Entfernung von der Spina ischiadica bis zur Mitte der Crista iliaca rechts: 130 (147).
In besonders bemerkenswerter Weise zeigen sich bei näherer Untersuchung
der Knochen des Fußes jene Knochen am meisten infolge der Inakti-
vität verkürzt, denen wir, wie den Fußwurzelknochen unter normalen Ver-
hältnissen, die stärkste funktionelle Beanspruchung zuschrcibe-n
müssen: Es mißt z.B. die
Länge des Sprungbeines 43 (47), bei einer transversalen Breite von 30 (35),
- Fersenbeines 54 (63„ - - - - - 36 ;4i:.
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430 G. Pommer
Wir sehen an diesem Beispiel, daß durch Behinderung und
Einschränkung der Funktion das Längenwachstum der
Knochen auch dann eine ausschlaggebende Hemmung er-
fahren kann, wenn es anderseits durch Beizeinwirkungen
zur Steigerung angeregt wird.
In ähnlichem Sinne sprechen auch die vielen Erfahrungen der
Chirurgen über die bei chronischen Gelenkentzündungen, Caries usw.
an den ünterextremitäten von Kindern infolge mangelnder Funktion
sich ausbildende Störung des Längenwachstums, welche Volkmanx
(a. a. 0. S. 351, 352) unter der Bezeichnung Inactivitätsaplasie
abgehandelt hat.
Besonderer beweisender Wert für die große Bedeutung der funk-
tionellen Beanspruchung der Knochen hinsichtlich ihres Längenwachs-
tums kommt endlich aber den Fällen funktioneller Verlängerung
zu, so den von M. B. Schmidt (a. a. 0. S. 908) angeführten Fällen
Zablüdowskis, in denen zwei Virtuosen lediglich an den seit ihrer
Jugend am meisten beanspruchten Fingern der linken Hand geg^i-
über denen der rechten Hand eine Verlängerung bis zu 1,5 cm dar-
boten, an der alle Phalangen, vorwiegend aber die Endglieder be-
teiligt waren.
Auch Roux spricht sich in seinem Aufsatze über funktionelle
Anpassung (Encyklopäd. Jahrb. Bd. IV. 1894. S. 14, bzw. Ges. Abhandl.
L Bd. S. 758) dahin aus, es unterliege die Länge der Skeletteile
»einer funktionellen Anpassung, indem bei häufigerem Wechsel der
Beanspruchung (z. B. bei vielem Springen) die jugendlichen Skelet-
teile durch Anregung des Wachstums der Epiphysenknorpel und die
ihm nachfolgende Ossification länger werden«.
Auch ScHWALBEs Gcdaukc (a. a. 0. S. 326) : die Tatsache , daß
mit dem 1. Lebensjahr des Menschen die oberen Enden der Tibia
und Fibula zum Unterschiede von dem Verhalten bei Neugebomen
rascher zu wachsen beginnen, »zu den beginnenden Gehbewegungen
in Beziehung zu bringen«, kann hier nebenbei in Betracht kommen.
die Bagittale Dimension des Kahnbeines 14,5 (18), bei transversaler Breite 29 (34\
- Würfelbeines 30 (32,5),
die Länge des Metatarsus hallucis 48,5 (52), Umfang 34 (38),
der zwei Phalangen der großen Zehe zusammen 53,5 (56),
des Metatarsus der kleinen Zehe 62,5 (64),
der drei Phalangen der kleinen Zehe 37 (37;.
Eine gute Bestätigung für die funktionellen Betrachtungen
Gegenbaurs (Lehrbuch d. Anat. d. Menschen. Leipzig 1883. S. 284) über die
Äußerungen der Reduction im Fnßskelet.
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Ein anatomischer Beitrag znr Kenntnis des Wachstums usw. 431
Alles weist darauf hin, daß eine nähere Vorstellung
vom Vorgange der funktionellen Beeinflussung des Längen-
wachstums der Knochen nur auf Grund der Unterscheidung
zwischen andauernden und intermittierenden Drnckwir*
kungen zu gewinnen ist, welche Unterscheidung, nicht weniger als
die zwischen den Reaktionsverschiedenheiten des Knorpels und des
Perlosts bzw. Endosts gegen dauernde Druckwirkungen, die von ßoux
zur Einschränkung der Angriffe J. Wolffs gegen die sog. Druck-
theorie in Anwendung gebracht wurdet), zum Verständnis der ein-
schlägigen physiologischen und pathologischen Tatsachen tiberhanpt
unentbehrlich ist. Belege hierfür bieten z. B. die Annahmen, die
Roux zur Erklärung der Skoliose bzw. der Pseudarthrose in Betracht
zieht 2], und anderseits jene, die Zschokke und v. Recklinghausen
zur Erklärung der Knochenarchitekturen verwendeten.
Aus v. Recklinghausens AusfUhrnngen wäre hier besonders der
Hinweis auf die den mechanischen Momenten der Bewegungen
(neben den statischen der ruhenden Belastungen) zukommende Be-
deutung hervorzuheben, bezüglich welcher v. Recklinghausen nament-
lich der »Stärke der Impulse, welche die Enochensubstanz zur
Zeit ihres Wachstums, nach ihrer Streb-, Zug- und Torsionsfestigkeit
beanspruchen«, Einfluß zuschreibt^).
Und Zschokke bereits nahm zur Vereinbarung der Tatsachen,
die die Abhängigkeit der Enochenentwicklung von einem gewissen
Grad von Druckspannung im Gewebe belegen, mit denjenigen, die
zeigen, daß durch Druck der Knochen zur Atrophie gebracht wird,
die Annahme in Anspruch, >daß anhaltender und intermit-
tierender Druck eben sehr verschieden wirken«^). Zschokke
geht bei dieser Annahme im besondern von der Vorstellung aus, daß
ersterer die Circulation hemmt, letzterer aber diese fördert
und zieht auch in Erwägung, daß es auf die Richtung des Druckes
ankomme, der, wie der physiologische Belastungsdruck, die Knochen-
y Roux, Berliner kl. WochenBchrift 1893, Nr. 21. Sonderabdruck. S. 6.
iGefl. Abh. I. S. 735.)
2) Roux, Ges. Abh. II. S. 48, 49 in der Anmerkung znr Festrede über Ent-
wicklnngBmechanik bzw. Ges. Abh. I. S. 812 in der znsammenfaBsenden Ober-
sicht über die gestaltenden Wirkungsweisen.
3; V. Recklinguausen, Über normale nnd pathologische Architektaren der
Knochen. Deutsche mediz. Wochenschrift 1893. Nr. 21. Sonderabdruck S. 5.
4) £. Zschokke, Weitere Untersuchungen über das Verhältnis der Knochen-
bildung zur Statik und Mechanik des Yertebraten-Skeletes. Zürich 1892. S. 48,
vgl. S. 19.
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432 G. Pommer
gefäße vonvaltend diagonal oder longitudiDal trifft und daher im
Gegensatz zu einem rechtwinklig oder seitlich auf sie einwirkenden
die Circnlation nicht beeinträchtigt, ja das Lumen der Gefäße eher
erweitert als verengt^).
Auch Beneke ist hier anzuführen, der im Anschluß an v. Reck-
LiNGHAüSEN oft wiederholte Stoßwirkungen in bestimmten
Richtungen fttr das wesentliche Prinzip der sog. statischen Bean-
spruchung und für eine Veranlassung funktioneller Hyperplasie der
Enochenbälkchen hält und sich dabei im besonderen yorstellt, daß
der »Wechsel der Kräfte«, wie sich die Stoßwirkung charakteri-
sieren läßt, d. h. »also Kompression der Flüssigkeiten (Zellsaft)
mit nachfolgender Wiederentlastung, die Ursache der
funktionellen Zellenerregung sein möchte« 2).
Bis zu den knochenbildenden Zellen verfolgen aber besonders
Rouxs Annahmen die Entstehung der funktionellen Struktur der
Knochen, indem Roux sich vorstellt, daß die in den Druck-
richtungen gelegenen Osteoblasten am stärksten von dem
Reize zur Knochenbildung getroffen werden^], und daß auch
an den nur wenig von dieser Richtung abweichenden Balken die
ihnen aufliegenden Knocbenbildungszellen >an den stärker ge-
spannten, erschütterten Stellen« eine vermehrte Tätigkeit ent-
wickeln, das Bälkchen verdicken und ihm »durch Auflagerung
an den betreffenden Stellen allmählich die Richtung stärksten Drucks
geben« ^). Diesem Prinzip der Apposition an den Stellen stärkeren
Druckes kommt, wie Roux beifügt, ein größerer Anteil an der Aus-
bildung der funktionellen Struktur der Knochen zu, als wie jenem
der Resorption an den Stellen der Entlastung, indem die Resorption
des Entlasteten viel langsamer vor sich zu gehen scheint <^).
i) ZscHOKKE, a. a. 0. S. 48, 49, vgl S. 44 und 45, wo Zsohokke die Wir-
kung der Massage zum Vergleich heranzieht und zugleich hervorhebt, daß die
Gefäße im allgemeinen in der Richtung des einwirkenden Druckes verlaufen:
ZscnoKKE stellt die Wachtumssteigerung in Gebieten, »wo im Periost oder Knorpel
ein periodischer Druck einwirkt«, der an aplastischen Stellen zutage tretenden
Wirkung konstanten Druckes gegenüber.
2; Rudolf Beneke, Zur Lehre von der Spondylitis deformans. Beiträge
zur wissenschaftl. Medizin, Festschrift für die 79. Versammlung deutscher Natur-
forscher und Ärzte. Braiinschweig 1897. S. 118.
3) Roux, Der Kampf der Teile im Organismus. Leipzig 1881. S. 186, 187
(Ges. Abh. L S. 356 .
*} Roux, in seinem Autoreferat über ^j Biolog. Centralbl. 1881. Bd. L S.249
(Ges. Abh. L S. 434).
5^ Roux, Ges. Abh. I. S. 358.
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Ein anatomiflcher Beitrag zur Kenntnis des WachBtams usw. 433
Wie hier nebenbei zu bemerken ist, hat Boux diese letztere Annahme nor
für die fortdauernde Zerstörung der Knochensubstanz, also für die physio-
logischen Besorptions Vorgänge aufgestellt, von denen er im übrigen
dabei angibt, daß die »fortwährende Zerstörung« Bahnen einschlägt, »die uns
ganz atypisch zu sein scheinen«, und daß sie »sogar stark tragende, also fun-
gierende Teile zerstört« und von den so zerfressenen Lamellensystemen »viel-
fach atypisch gestaltete Beste übrig läßt<i}; für die Verhältnisse, die bei der
Inaktivitätsatrophie der Erwachsenen bestehen, stellt Boux andre An-
nahmen auf, denen unter Hinblick auf die von mir vertretene Ostoklasten-
theorie eine Anmerkung^ gewidmet sei, während ich mich hier zur Aufgabe
der vorstehenden Anführungen ans der Literatur zurückwende.
1) Boux, Über die Selbstr^gulation der Lebewesen. Archiv f Entw.-Mech.
Xin. Bd. 1902. S.646.
2) Nach Boux [vgl Archiv t EntwicU.-Mech. Xm. 1902. S. 646) arbeitet
»die Inaktivitätsatrophie« wenigstens beim Erwachsenen (zum Unterschiede
gegenüber der »beständigen Knochenzerstörung«} »erheblich rascher und ist
außerdem an den entlasteten Stellen lokalisiert«. Ohne bei einem weiteren
Unterschiede, auf den dabei von Boux hingewiesen ist, mehr zu verweilen, als
nötig erscheint, um auf meine einschlägigen, seinerzeit gegen die Annahme einer
sog. »glatten« Besorption gerichteten Erörterungen aufmerksam zu machen (s.
meine Untersuchungen über Osteomalacie und Bachitis. Leipzig 1886. L Abschn.
1. Kapitel S. 16, 17), führe ich hier nur noch weiter an, daß Boux, a. a. 0. bezüg-
lich der Inaktivitätsatrophie (ähnlich wie früher, wo er — Zeitschrift für
Biologie. XXI. Bd. 1885. S. 495, Ges. Abb. U. S. 221 — in Erwägung zog, daß,
wenn Funktionsentziehung allmählich zu Inaktivitätsschwund ftihrt,
»dieser nun direkt vor sich gehen oder durch ein Sinken der Widerstandsfähig-
keit des entlasteten Knochens gegen die Ostoklasten bedingt sein« könne) dahin
sich ausspricht, daß hierbei »vielleicht wie sonst nach v. Kölliker und
G. PoHMER Knochenzellen, auch wo sie entlastetem Knochen anliegen, direkt in
Ostoklasten« sich verwandeln, »während sie umgekehrt knochenbildend tätig sind,
wenn sie von der tragenden Knochensnbstanz aus in gewissem Maße erschüttert
werden«.
Es wird sich empfehlen auch bei dieser Gelegenheit (wie in meiner In-
angurationsrede über die Bedeutung der Funktion usw. Innsbruck 1902. Anm. 44.
S. 49 — 511 zu den einschlägigen Fragen Stellung zu nehmen.
Ich muß dabei vor allem auf meine Untersuchungen hinweisen, die sich
auf Knochenatrophie im allgemeinen und auch auf einige Fälle von
Inaktivitätsatrophie beziehen. Sie ließen mich zu keinem Urteil darüber
gelangen, ob die Inaktivitätsatrophie durch abnorm gesteigerte Besorptionsvor-
gänge eingeleitet wird; Aufklärung hierüber könnten, worauf ich schon hinwies,
experimentell erzeugte Inaktivitätsatrophien bieten.
Zu erwähnen sind aber hier jedenfalls w ieder meine Untersuchungen
senil atrophischer Knochen, durch welche ich zur Überzeugung gelang^,
daß bei der Knochenatrophie »der durch die lacunäre Besorption
bedingte Verlust an Knochensubstanz nur unvollständig durch
Apposition wiederersetzt wird« (Untersuch, üb. Osteomalacie u. Bachitis.
Leipzig 1885. I. Abschn. 1. Kap. Über d. Besorpt.- u. Apposii-Yerhältnisse in
Knochen aus verschied. Altersperioden, vgl. S. 14, bzw. 15, überhaupt S. 8 — 16).
Zur Vermeidung von Mißdeutungen scheint es mir auch unerläßlich, daß
AnlÜT f. SntwieUuiKBiiieeluuiik. XXII. 28
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434 Cl» Pommer
Es sollen durch den Hinweis auf diese Vorstellungen von den
Einflüssen und Vorgängen, die für das Knochenwachstum im all-
ich an dieBor Stelle nochmals zugunsten der von mir seinerzeit (Sitznngsber. d.
Wien. Akad. 1881. 83. Bd. lU. Abt. S. 78ff. bzw. im besonderen S. 12Ö-132;
ViRCHOWS Arch. 1883. 92. Bd. S. 482ff.) entworfenen Abänderung der Osto-
klastentheorie Köllikerb eintrete. Nach Eölliker regt ein Drnck das
Protoplasma, und zwar der Osteoblasten, zur Entfaltung seiner ostoklastischen
Tätigkeit an. Nach meinen Untersuchungen werden überhaupt die der
Knochensubstanz naheliegenden Zellen, und zwar im besonderen die Endo-
thelzellen der Lymphräume und der HAVERSschen Capillaren, durch
die Steigerung des Blutdruckes und durch die damit gegebene quanti-
tative und qualitative Änderung der Gewebsflüssigkeit zu Ostoklasten
(Sitzber. a. a. 0. S. 90ff., 124, 130; Virch. Arch. a. a. 0. S. 476-479 bzw. 504;.
(Vgl. femer bezüglich der einschlägigen auf die Abstammung der Osto-
klasten von Gefäßzellen sich beziehenden Angaben Schwalbes, v. Mak-
DACHs und Wegners: Virch. Arch. a. a. 0. S. 475, 476 und betreffs der späteren
ScHAFFERs: Arch. f. mikr. Anat. XXXn. S. 329 ff.)
In demselben Sinne, wie diese Tatsachen der lacunären Besorption, spre-
chen auch die der vasculären Besorption. Diese besteht in der Ausbil-
dung durchbohrender Gefäßsprossen und daraus entstehender durch-
bohrender Gefäße, d. i. in der durch Yolkmann und v. Ebner zuerst fest-
gestellten Vascularisation ursprünglich gefäßloser Knochenteile. Ich verweise
auf meine ausführlichen MitteUungen hierüber (Untersuch, üb. Osteomalacie u.
Bachitis. I. Abt. 3. Kap. S. 44—76) bzw. auf v. Ebners Darlegungen (Sitzber. d.
k. Akad. 72. Bd. 1875. S. 61, 65). Beide Formen der Besorption, die
lacunäre wie die vasculäre, legen uns direkt die Beachtung der
Gefäß- und Blutdruckverhältnisse nahe.
Meines Erachtens ließen sich die von mir vertretenen Anschauungen über
die Bedingungen und Vorgänge der Knochenresorption unschwer mit
jenen vereinbaren, die von Boux u. a. in Betreff der Appositionsvorgänge
und deren Abhängigkeit von den erörterten funktionellen Beanspru-
chungen der Knochen entworfen wurden.
Man könnte sich ja in Anknüpfung an letztere vorstellen, daß mit der
Apposition neuer Knochenlagen unmittelbar räumliche Veränderungen ge-
geben sind, die sowohl an den subperiostalen Flächen als in den Binnenräumen
der Knochen und der VerknOcherungsgrenzen Verschiebungen der Weichgebilde
und damit örtliche Beengungen oder Zerrungen der Blutcapillaren bzw. der
Lymphbahnen herbeiführen. Und sofern damit nicht von vornherein Blut-
druckänderungen gegeben wären, würde es dabei zu Einwirkungen auf die
Wandzellen der Blutcapillaren kommen, aufweiche diese mit gesteiger-
ten Lebensvorgängen, mit gesteigerter Assimilation, mit Vergrößerung und Kern-
vermehrung reagieren, und womit dann Änderungen ihrer Durchlässigkeit,
Herabsetzung der Widerstände und, zugleich mit Blut- und Gewebsdrucksteige-
ruDg, auch Steigerungen des Zelllebens in der Umgebung der betreffenden Gre-
fäßgebiete bzw. in der Capillarwand selbst unter Bildung von Ostoklasten
oder auch von durchbohrenden Gapillarsprossen herbeigeführt würden.
Durch solche oder ähnliche Annahmen (vielleicht auch unter Einbeziehung
der Annahme von direkten Beeinflussungen der Blutgefäßchen seitens der sie
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Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Wachstams asw. 435
gemeinen yon Bedeutung sind, die Annahmen gestützt werden, die
ich vorhin zur Erklärung des verminderten Längenwachstums der
gemeinten Bippen und des Schlüsselbeines der Defektseite aufstellte.
Dieser Aufgabe dürften sie auch wirklich Genüge leisten, da wir wohl
berechtigt sind, Vorstellungen, die sich m. m. besonders auf das sta-
tische Moment der Schwere beziehen, auch in Anwendung zu bringen,
wenn es sich um Muskelwirkungen, wie im gegebenen Falle um die
in gewisser Richtung oder Stärke treffenden ErschUtternngen) ließe sich sowohl
fiir die anscheinend atypischen als fUr die unter den physiologischen -Wachstums-
yerhältnissen in typischer Anordnung yorkommenden Resorptionsflächen eine
Erklärung gewinnen, im besonderen auch eine Vorstellung davon, warum
sich so häufig nachbarlich bzw. gegenüber von Appositionsstellen
Resorptionsvorgänge abspielen und warum in so typischer Weise Re-
sorption auch oft zeitlich knapp auf Apposition zu folgen pflegt, wobei
sich Ja geradezu Osteoblasten in Ostoklasten yerwandeln; ebenso können ander-
seits mit der Ausgleichung der betreffenden örtlichen Blutdrucksteigerungen
Ostoklasten in Zellen zerfallen, die unter der Einwirkung funktioneller Reizungen
wieder osteoblastische Eigenschaften entfalten, bzw. es künnen aber auch unter
solchen Verhältnissen durchbohrende Kanäle wieder obliterieren.
Bei den nachbarlichen und zeitlichen Beziehungen, in denen die Appo-
sitionsflächen zu den Resorptionsflächen zu stehen pflegen, bietet sich besonders
unter osteomalacischen und rachitischen Verhältnissen leicht und oft (vgl. Unters,
üb. Osteomalacie u. Rachitis. S. 119—124, 266, 267, 489, 491, 492, 499) Gelegen-
heit zu beobachten, daß der Resorptionsvorgang von der Beschaffenheit der
angrenzenden Knochensubstanz bestimmt werden kann, insofern sie kalklos
ist, unter welchen Umständen sie von der Resorption verschont bleiben
oder nur oberflächlich angegriffen sich finden kann.
Analogien hierfUr bieten die makroskopischen Befunde bei usurier enden
Einwirkungen verschiedener Art, denen gegenüber dehnbare und komprimier-
bare Gebilde mehr Dauerhaftigkeit zeigen, als harter, verkalkter Knochen. Bei
alledem fragt es sich aber, wofür ich mich schon a. a. 0. ausgesprochen habe,
ob zur Erklärung solcher Bilder außer dem geringeren mechanischen Wider-
stand der kalklosen Knochensubstanz auch ihre chemische Verschiedenheit
heranzuziehen ist.
Derartige örtliche Momente, die für den Ablauf der Resorptionsvorgänge
von Belang sein künnen, ändern nichts daran, daß als Hauptmoment der
ürtlich gesteigerte Blutdruck, seine Vorbedingungen, Begleit- und Folge-
zustände mit inbegriffen, zur Erklärung in Anspruch zu nehmen ist.
Ohne die Annahme örtlich gesteigerten Blutdruckes ist die bei
Druckexperimenten sowie bei Druckatrophie sich einstellende Knochenresorption
von vornherein nicht erklärlich, und ebenso ist diese Annahme, bezüglich deren
näherer Ausführung ich auf den VIIL Abschnitt meiner Arbeit über die
Ostoklastentheorie (Virchows Arch. 1883. 92. Bd. S. 482—516, im besonderen
S. 495—504) verweise, auch zur Erklärung der physiologisch im wachsenden
und ausgewachsenen Knochen und bei den verschiedensten pathologischen
Knochenzuständen sich abspielenden Vorgänge der lacunären sowie der
vascnlären Resorption unentbehrlich.
28*
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436 Cr- Pommer
intermittierende Aneinanderstemmnng von Knochen bei Bewegungen
nnd durch den Mnskelzug handelt (vgl. Rouxb Erörterungen fiber die
funktionelle Struktur der Knochen, die belegt, daß man alle Arten
von Druck bzw. Zug als gleichwertig annehmen kann, im besonderen
Schwerkraft und Muskelwirkung. Ges. Abb. I. S. 761 bzw. 720, 736).
Und selbstverständlich läßt sich wohl auch nicht bestreiten, daß wir
Vorstellungen, die für funktionelle Steigerungen des Wachstums eine
Erklärung bieten, auch im Gegenfalle der Wachstumsminderung im
entsprechenden Sinne zur Erklärung heranziehen können, was mit der
Annahme geschah, daß die gemeinten Rippen und das Schlüsselbein
der Defektseite bei den Atmungsbewegungen bzw. bei den Bewe-
• gungen und Lageänderungen des SchultergUrtels in ihrer Längsrichtung
Druckschwankungen von, gegenüber der Norm, geringerer
Intensität ausgesetzt waren.
Anführen ließe sich hier übrigens auch noch die Äußerung
Henkes, daß, gleichwie die langen Röhrenknochen gegen den von
den Gelenken her auf sie wirkenden Druck, so die Rippen gegen
den wachsen müssen, der mit ihrer Anstemmung gegen den Band
des Brustbeines gegeben ist (Henke, Anatomie des Kindesalters,
Gerhardts Handbuch der Kinderkrankh. I. Bd. 1. Abt. Tübingen
1881. S. 101).
Endlich ist aber zur Unterstützung der vertretenen Anschauungen
auch auf die von G. Jäger im LAMARCKschen Geiste ausgesprochenen
Sätze über das Längenwachstum der Knochen hinzuweisen,
die besagen, daß dasselbe unter sonst gleichen Umständen im geraden
Verhältnis zu ihren mechanischen Leistungen sowie zur Höhe ihrer
Belastung durch das Körpergewicht nnd zur Stärke und Häufigkeit
des in ihrer Längenachse geübten Muskeldruckes stehe.
KUcksichtlich des Knochenwachstums des Menschen sah sich zu diesen
Anschaaungen G. Jäger durch Vergleichung der Maße gewisser Extremitäten-
knochen und vor allem durch die Tatsache veranlaßt, daß zwischen der Höhe der
Wirbelkörper des Neugeborenen viel geringere Maßunterschiede bestehen,
als in dieser Beziehung die Wirbelkörper des Erwachsenen darbieten, bei dem
vom 3. Halswirbel herab zum 6. Lendenwirbel die Höhe der einzelnen Wirbel-
körper von 41/2 nim bis zu 20 mm anwächst, während beim Neugeborenen der
betreffende Unterschied sich zwischen 6 mm und 10 mm hält.
Auf Grund solcher Tatsachen stellte schon G. Jäger der Förde-
rung des Dickenwachstums durch Zerrung der Beinhaat
seitens der an sie sich heftenden Muskel und Gelenkbänder die
Förderung des Längenwachstums durch Druck auf die
Endknorpel und Zwischenknorpelscheiben gegenüber, indem er in
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Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Wachstums usw. 437
beiden Verhältnissen einen Beweis dafür erblickte, daß erhöhter
Gebrauch ein stärkeres Wachstum bedinge^).
An diesem Punkt der Erwägungen angelangt, in denen sich eine
Vorstellung von dem Entstehungsmechanismus derjenigen Verände-
rungen darbietet, welche im betreffenden Falle auf die Zeit der
funktionellen Wachstumsperiode zu beziehen sind, könnten wir unsre
Aufgabe für beendet erachten, wenn sich nicht noch eine Frage auf-
drängen würde, die sich ohne Erschwerung der Darlegungen bisher
(vgl. hierüber S. 408) nicht gut hat erörtern lassen, obzwar sie yon
vornherein nahe liegt.
Ich meine die Frage, ob den Unterschieden, die zwischen den
LängenmaBen der Rippen und des Schlüsselbeines der Defektseite im
Vergleiche zu denen der andern Brusthälfte bestehen und bei der Be-
schreibung des Präparates (S. 374—377) ziffermäßig angegeben wurden,
wirklich, entsprechend dem augenfälligen Eindrucke, nur eine Ver-
minderung des Längenwachstums der erstgemeinten Knochen zugrunde
liegt, oder ob sich in diesen Unterschieden nicht doch auch oder viel-
leicht sogar in überwiegendem Maße eine relativ gesteigerte Längen-
entwicklung der betreffenden Knochen der gegenüberliegenden Brust-
seite ausdrückt. Also die Frage, anders gesagt, ob und inwie-
weit der Eindruck der Verkürzung der der Thoraxspalte
benachbarten Rippen und des Schlüsselbeines der Defekt-
seite dadurch erhöht oder etwa gar bedingt wird, daß
die betreffenden Knochen der andern Seite unter dem Ein-
flüsse erhöhter funktioneller Beanspruchungen eine ent-
sprechende Verlängerung erfuhren.
Für die Verfolgung dieser Frage, die sich nicht auf die genannten
Rippen beschränkt, sondern auch die übrigen, der Thoraxspalte gegen-
überliegenden, also alle acht oberen Rippen und überhaupt das
ganze Asymmetriegebiet des Präparates betrifft, bildet die Vor-
bedingung, ob man bei Vergleichungen mit den Maßen der in Be-
tracht kommenden Knochen normaler Skelete zu einer Erkenntnis
der Grenzwerte gelangt, bis zu denen die Längenausdehnung der be-
züglichen Knochen in der Norm ansteigen kann, wobei natürlich nur
Skelete von Individuen des entsprechenden Alters und Geschlechtes
und der entsprechenden Körperlänge miteinander verglichen werden
dürfen.
1) Gustav Jaoer, Über das Längen wachstom der Knochen. Jenaische
Zeitschr. f. Med. u. Naturwissenach. V. Bd. 1870. S. 3-7, 9, 10, 38.
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438 O. Pommer
Dieser Vorbedingung stellt sich vor allem das Hindernis ent-
gegen, daß ja weder über die Körperlänge noch über das Alter des
Individuums etwas bekannt ist, von dem das beschriebene Präparat
herstammt; nur vermuten läßt sich nach der Stärke der Knochen
desselben, daß es sich hierbei um einen Mann gehandelt haben
dürfte.
Es kommt unter solchen Verhältnissen allen vergleichenden Mes-
sungen, die behufs Beantwortung der besagten Frage vorgenommen
würden, nur eine sehr eingeschränkte Geltung und Bedeutung zn.
Es zeigten sich aber auch, ganz abgesehen von diesen KücksichteDf
als ich das Museum des anatom. Institutes und auch die durch Prof.
C. Ipsen geschaffene Skeletsammlung des hiesigen gerichtlich-medi-
zinischen Instituts daraufhin durchsah, überhaupt nur zwei Skelete
des anatomischen Museums, für deren gütige Überlassung zu
diesem Zwecke ich Herrn Kollegen Professor F. Hochstetter hier
besten Dank sage, einigermaßen zu vergleichenden Messungen ge-
eignet.
Nach dieser Vorbemerkung sei nun im folgenden eine Zu-
sammenstellung derjenigen Maße dieser zwei Skelete *) gegeben, die
fUr das Asymmetriegebiet des beschriebenen Präparates vergleichs-
weise in Betracht kommen, zugleich aber auch, mit Rücksicht auf
die früher (S. 418) besprochene Erweiterung der unteren Brustöffnung
an dem Präparat, eine vergleichende Zusammenstellung der Längen-
maße der vier unteren Rippenpaare angeknüpft.
Durchgehends sind, wie ich nochmals bemerke, die Maße der
Rippen von ihrer inneren Konkavität mit knapp angelegten Maßbande
abgenommen, die andern Knochen aber mit dem Zirkel gemessen,
und es sind in der nebenstehenden Tabelle alle Maßzahlen in Milli-
metern angegeben 2).
1} Das eine derselben, hier mit I bezeichnet, stammt von einem 35 Jahre
alten deutschen Kärntner, das andre (II) von einem 26 Jahre alten tschechischen
Mährer. Das letztere Skelet ist durch den Bestand einer Lücke im miteren
Teile des Körpers des Brustbeines auffällig. Die Länge des Skeletes I beträgt
178 cm, die des Skeletes II 170 cm, der Brustumfang des ersteren, in der Höhe
des 6. Rippenpaares gemessen, 78 cm, der des Skeletes II 76 cm. Das Brust-
bein I mißt 21,5 cm, das des Skeletes II 22 cm der Länge nach; dabei schwan-
ken bei diesen Brustbeinen die Breitenmaße zwischen 7,0 und 4,0 bzw. 7,4 and
4,3 cm. Vom IL Skelet ist noch erwähnenswert der Bestand schlitzförmiger
Fenster in den durch Vereinigung des 7. und 8. Rippenknorpels jederseits ge-
bildeten breiten Knorpelspangen, die überdies auch durch ihre ungleiche Länge
auffallen, indem die rechtseitige 13, die linkseitige 12 cm mißt.
2) Den mit dem Zirkel genommenen Maßen kommt naturgemäß viel mehr
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Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Waclistnms nsw.
439
Maß
e der linken
ünterBchied
Maße
der rechten
unterschied
B
rnstsei
te
zwischen den
B
rastseite
zwischen den
des be-
Maßen des
des be-
Maßen des
des
des
flchrie-
PrAparates und
des
des
schrie-
Pr¶tes nnd
SkeleteB
Skeletes
beneu
denen des
Skeletes
Skeletes
benen
denen des
I
II
Pri-
Skeletes
Skeletes
J
II
Prü-
Skeletes
Skeletes
parates
I
II
parates
1
II
und zwar der:
1
1. Rippe 1) . .
132
113
130
- 2
+ 17
130
113
115
— 15
+ 2
2. . . . .
203
198
220
+ 17
+ 22
200
195
125
-75
— 70
3. -
260
263
276
+ 16
+ 12
255
263
90
-165
-173
4.
294
290
320
+ 26
+ 30
297
293
90
— 207
-203
ö.
314
303
340 H-26
+ 37
315
308
130
-185
— 178
6. -
325
312
345 4-20
+ 33
328
318
300
-28
-18
7. -
320
306
345 +26
+ 40
322
313
325
+ 3
+ 12
8. -
322
300
335
+ 13
+ 35
320
304
320
♦
+ 16
9. -
290
290
300
+ 10
+ 10
290
295
300
+ 10; + 6
10. -
265
253
280
+ 26
+ 27
255
255
283
+ 28
+ 28
11. -
210
198
243 ' +33
+ 46
210
197
240
+ 30
+ 43
12.
138
123
183 + 45
+ 60
140
120
170
+ 30
+ 50
der Länge des
Schlüsselbeines
16Ö
153
175
+ 10
+ 22
165
153
160
— 5
+ 7
der Länge des
Schulterblattes
19Ö
158
172
-23: +14
195
158
160
-35
+ 2
der Breite des
1
Schulterbl
attesi
172
106
123
— 49
+ 17|
172
106
114
-68
+ 8
Wenn man diese Zusammenstellung zur Ableitung von Folge-
rungen verwenden will, so muß man sich selbstverständlich, unter
Rücksichtnahme auf die schon erwähnten hinderlichen Umstände und
auf die in den Maßen der Skelete I und II an sich gegebenen indivi-
duellen Eigentümlichkeiten darauf beschränken, nur durchgreifende
Genauigkeit zu als den mittels des Maßbandes erhaltenen. Da sich aber die dabei
bezüglich der Rippen der Skelete I und II gefundenen Unterschiede zwischen
links und rechts bei wiederholten Messungen zeigten, so glaubte ich sie nicht
durch künstliche Abrundnng der Zahlen yerwischen zu dürfen, wenn ich mir
auch nicht verhehle, daß sie bei der geringen Zahl von Mülimetem, um welche
es sich handelt, immerhin aus der Fehlerquelle erklärt werden können, die
solchen Messungen mittels des Maßbandes um so mehr anhaften muß, wenn die
innere, konkave Rippenbegrenzung gemessen wird. Eine Messung der äußeren
konvexen Rippenflächen war aber von vornherein dadurch ausgeschlossen, daß
dem Brustkorb der betreffenden Skelete ebenso wie dem des beschriebenen Prä-
parates die Schulterblätter angeheftet sind.
1) Um die Vergleichung der ersten Rippen der Skelete I und II mit denen
des Präparates durchführen zu können, wurden auch sie samt ihren Knorpeln
gemessen. Bei allen andern Rippen beziehen sich die Maße auf den Rippen-
körper ohne Knorpel.
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440 Gr. Pommer
bzw. stark yerbreitete und ausgeprägte MaByerschieden-
heiten zu verwerten.
Nachstehende Sätze dürften sich als solche Folgerungen and
überhaupt als Ergebnisse der mitgeteilten Untersuchungen
hervorheben lassen:
1) Die zwischen der rechten und linken Brustseite des beschriebe-
nen Präparates bestehende Asymmetrie beschränkt sich nicht auf
das Gebiet der defekten vier Rippen der rechten Seite.
2) Es sind in die Asymmetrie miteinbezogen das 1., 6., 7.
und 8. Rippenpaar, die Schlüsselbeine und Schulterblätter sowie das
Brustbein.
3) An allen acht oberen Rippen der linken Brusthälfte
ist, aber in ungleichem Grade, eine die rechtseitigen Rippen über-
treffende Längenentwicklung ausgesprochen, die geringer an den
obersten drei, stärker an der 4.-8. Rippe hervortritt und sich aus
den überwiegenden Leistungen dieser Brustseite für die costale At-
mung erklärt.
4] Was die Frage anlangt, ob das Überwiegen der Längenmaße
der linkseitigen Rippen über die der rechtseitigen auf ein gesteigertes
Längenwachstum der ersteren oder auf ein vermindertes der letzteren
zu beziehen ist, so zeigen die ausgeführten Vergleichungen mit nor-
malen Skeleten, daß die 6. linke Rippe beiläufig in demsel-
ben Maße über das normale Wachstum hinaus verlängert
ist, als die rechtseitige 6. Rippe dahinter zurückbleibt und
demnach verkürzt ist.
5) Eine weit über diese Verhältnisse hinausgehende Länge nza -
nähme zeigen die den defekten vier Rippen der rechten Thoraxhälfte
linkerseits gegenüberliegenden (die 2. — 5. linke Rippe).
6) Was das 7. und 8. Rippenpaar anlangt, so scheint der zwischen
den rechten und linken Rippen dieser Paare bestehende Unterschied
hauptsächlich durch das abnorm gesteigerte Längenwachstum
der linkseitigen 7. und 8. Rippe bedingt zu sein, hinter dem die
auch der rechten 7. und 8. Rippe zuzuschreibende Wachstums-
Bteigerung relativ zurückblieb; denn, wie nach den angestellten
Vergleichungen zu schließen ist, erlangten auch die rechte 7. und
8. Rippe, absolut genommen, ein gesteigertes Längenwachstum, das
aber auf Grund der S. 423, 424 auseinandergesetzten Verhältnisse
geringgradiger war, wie das der gegenüberliegenden 7. und 8.
Rippe der linken Brustseite.
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Ein anatomischer Beitrag zar Kenntnis des Wachstums asw. 441
7) Im Bereich des 9. Kippenpaares zeigt sich im Vergleich
zur Norm beiderseits eine Längenzunahme von mäßiger Stärke.
Dieselbe bleibt relativ hinter der Wachstumssteigernng der linkseitigen
oberen Rippen, und zwar auch der am wenigsten verlängerten, zu-
rttck. Daß hier bereits die Bauchatmnng einsetzt, aber mit einem
erst geringeren Teile ihrer (S. 417, 418 erörterten) Wirksamkeit, dürfte
hierfür eine Erklärung bieten.
8) An dem 10., 11. und 12. Rippenpaare ist, entsprechend der
auffälligen Weite dieses Brastgebietes (vgl. S. 418), durch die Ver-
gleichung der normalen Skelete eine bedeutende und zwar in ziem-
lich gleichem Maße einheitlich ausgebildete Steigerung des Längen-
wachstums dargetan und damit die überwiegende Beanspruchung
und Wirksamkeit der Bauchatmung zum Ausgleiche der Beeinträch-
tigung bekundet, die die Brustatmung infolge des Bestandes der late-
ralen Thoraxspalte erfahren mußte.
9) Zwiespältig erscheint das Ergebnis der Vergleichungen in
Betreff der 1. Rippen und der Schlüsselbein- und Schulterblattbefunde,
da die bezüglich dieser Knochen ermittelten Maße, bis auf die be-
sondere Länge des linken Schlüsselbeines (und bis auf die nochmals
zu erwähnende Dickenentwicklung des rechten Schlüsselbeines),
innerhalb der Grenzwerte liegen, die (wie die Maße der Skelete I
und II beweisen) unter physiologischen Verhältnissen den individu-
ellen Verschiedenheiten gegeben sind.
Es dürfte sich daher, was die einschlägigen Darlegungen (S. 375,
376, bzw. 409, 410, 423, 424) anlangt, nur insofern ein Zusatz
empfehlen, als wir auf Grund der Vergleichungen wohl annehmen
müssen, daß in dem Längenunterschied, der am beschriebenen Prä-
parat bezüglich der 1. Rippen und der beiden Schlüsselbeine besteht,
nicht nur das verminderte Längenwachstum der rechtsei-
tigen, sondern auch eine und zwar beträchtliche Längenzu-
nahme der linkseitigen Knochen zum Ausdruck gelangt. Für
die Erklärung letzterer wären ebenso wie für jenes die mechanischen
Leistungen dieser Knochen, die Beziehungen des Schlüsselbeines zur
1. Rippe, im besonderen aber seine Bedeutung als Strebestütze der
oberen Extremität in dem bereits S. 424, 425 erörterten Sinne in
Betracht zu ziehen.
10) Mit den neugewonnenen Annahmen einer Steigerung des
Längenwachstums der linkseitigen Rippen im Asymmetriegebiet des
Brustkorbes und der Längenzunahme des linkeir Schlüsselbeines ist
keine Änderung der Vorstellungen gegeben, die von dem Ent-
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I
442 G. Pommer '
stehnngBmechanismas der Gestalt- und Lageyeränderungen und
der Verbreiterung des Brustbeines entwickelt wurden und bezüg-
lich deren hier nur auf S. 419—421 und auf die einschlägigen Erörte-
rungen über Längenwachstum und über funktionelles dimensionales
Wachstum (S. 431—436 bzw. S. 422 und Anmerkung hierzu) zu ver-
weisen ist.
11) Unter der Herrschaft örtlicher funktioneller Einflüsse kam
es, auBer zu den besprochenen Verlängerungen und Verkürzungen
(Aktivitätshyperplasien und Inaktivitätshypoplasien endo-
chondraler Verknöcherungsgebiete der Rippen, Schlüsselbeine und
Schulterblätter auch zu den an einzelnen Kippen örtlich auffallenden
Verdünnungen (konzentrischen Atrophien, s. S. 373, 415) und
anderseits auch zu der periostalen hyperplastischen Entwick-
lung des rechten Schlüsselbeines und zu der damit in Parallele zu
bringenden relativ auffälligen Breite der hinteren Rippengebiete und
zwar besonders der mittleren und unteren Rippenpaare (vgl. S. 374,
378, 379).
12) Gegenüber dieser Summe von Befunden, die als Ergebnisse
des funktionellen Wachstums sich erweisen, ist nur eine geringere
Anzahl von Veränderungen auf die Periode der embryonalen,
selbständigen Entwicklung zu beziehen: die Defekte an der rechten
2., 3., 4. und 5. Rippe, die Verkürzung und Randeinbuchtung des
Brustbeines im Defektbereich und die vorauszusetzenden Defekte der
rechten Brustmnskulatur, welche angeborenen Anomalien bezüglich
ihrer Entstehungszeit auf das der Vereinigung der Rippenenden zu
den Sternalleisteu folgende Stadium (also auf das eines noch nicht
2 Monate alten, beiläufig 2 oder 272 cm langen Embryo], und bezüg-
lich der Entstehungsart auf die zeitweilige Einwirkung eines äußeren
Widerstandes hinweisen, wie solcher auch für andre Entwicklungs-
hemmungen in der Engigkeit eines hypoplastischen Amnion und wohl,
für Fälle von lateraler Thoraxspalte im besonderen, in dem dadurch
bedingten AngedrUcktsein einer in Bildung begriflfenen oberen Extre-
mität gegeben sein kann.
13) Die Gesamtheit der auf die funktionelle Wachstumsperiode
bezogenen Befunde, die das beschriebene Präparat lateraler Thorax-
spalte darbietet, stellt sich betreffs ihres Zusammenwirkens gegenüber
dem angebornen Defekt mit jenen Veränderungen in Parallele, welche
bei Bestehen primärer Regenerationsfahigkeit die in der Nähe eines
Defektes liegenden Teile zeigen können.
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Ein anatomischer Beitrag znr Kenntnis des Wachstums usw. 443
Als Schlußerfolg aller der vorgefundenen Verkürzungen und Ver-
längerungen, Lageveränderungen und Verkrümmungen, der örtlich
bemerkbaren Verbreiterung nicht zu vergessen, wird das bei der
mangelhaften Regenerationsfähigkeit höherer Organismen überhaupt
erwirkbare Maß von Minderung der ungünstigen Folgen des Defektes
erreicht. Ein einheitliches Zusammenwirken der Funktionen im Sinne
der Erhaltung der Dauerfähigkeit, um mit Roüxi) zu sprechen,
ermöglichte diesen Erfolg.
Auch hier sehen wir also, wie bei der Ausgleichung von De-
fekten durch Regeneration, eine Anpassung an neue Verhältnisse, nur
daß hier die regulatorischen Vorgänge nicht wie bei der primären
oder funktionellen Regeneration mit einer Zurückftihrung zum Typus
{Roüx)2) zu enden vermögen.
Durch den erbrachten Nachweis nebeneinander bestehender Ver-
hältnisse gesteigerten und verminderten Wachstums erscheint hier
die Analogie mit den ausgeprägtesten Beispielen funktioneller An-
passung gegeben.
Das beschriebene Präparat lateraler Thoraxspalte ist ein be-
achtenswertes Belegstück für die grundlegenden Gedanken und Er-
mittelungen, die wir Roux in Betreff der funktionellen Anpassung und
überhaupt hinsichtlich der Selbstregulation verdanken, die ja
durch ihn als eine Grundeigenschaft der Organismen erkannt und dem
Verständnis näher gebracht wurde 3).
Innsbruck, 24. Juni 1906.
^ Roux, Vorträge. 1. Heft. Die Entwicklungsmechanik, ein neuer Zweig
der biologischen Wissenscbaft. Leipzig 1905. S. 2ö4, 2öö; vgl. Der Kampf der
Theiie im Organismus. Leipzig 1881. S. 214, 216; Ges. Abb. L S. 393.
2) Vgl. Roux, Vorträge a. a. 0. S. 196, 226, 242.
8) Siehe Rouxs Kampf der Teile. S. 6, 16, 27 flF. bzw. 226—229; Ges. Abb.
L S. 157 Anmerkung u. a. bzw. S. 405 fif.; ferner: Über die Selbstregulation der
Lebewesen. Archiv f. Entw.-Mech. 13. Bd. 1902. S. 610 ff.
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444 Gr. Pommer, Ein anatomischer Beitrag zar Kenntnis des Wachstums usw.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel XnL
Fig. 1. Vorderansicht des Rumpfskeletes mit lateraler Thoraxspalte in ziem-
lich streng sagittaler Richtung aufgenommen. Bezüglich der weiteren Be-
sprechung vgl. S. 373 — ^376 (unter Berücksichtigung der Anmerkung 1 zu
S. 373).
Fig. 2. Rückenansicht davon. Bezüglich ihrer Einzelheiten s. S. 374, 376—377.
Fig. 3. Eine Vorderansicht, die behufs besserer Verdeutlichung der schrauben-
förmigen Drehung des Brustbeines von dem horizontal liegenden und da-
bei etwas nach links gewendeten Präparat aufgenommen wurde. Vgl.
S. 375, 376 (bzw. Anmerkung 1 zu S. 373).
Fig. 4 stellt das in Anmerkung 1 zu S. 428 besprochene Präparat von Inaktivitäts-
atrophie in Vorder- und Rückenansicht dar, bezüglich dessen Beschreibung
auf S. 428 — 430 verwiesen sei.
Die photographischen Aufnahmen dieser Tafel, welche vom Präparator des
pathologisch-anatomischen Instituts Nicolaus Bock hergestellt wurden, zeigen
in den Fig. 1, 2 und 3 das Präparat der lateralen Thoraxspalte (Nr. M 59 des
Museums) verkleinert im Verhältnis von 1 : 5,5 zur natürlichen Größe ; die Bilder
der Fig. 4 sind von dem Museumpräparat Nr. Km 31 bei einer Verkleinerung
von 1 : 10 aufgenommen.
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über die Wirkung der Temperatur auf die Furchung
bei Seeigeleiern.
Von
Dr. Harry Marcus.
Aus dem zoologischen Institut in München.
Mit 5 Floren im Text.
Eingegangen am 13. Juli 1906.
Die folgenden Experimente sind auf Anregung von Prof. R. Hert-
wm gemacht worden und bilden einen Beitrag zu seiner Lehre von
der Kemplasmarelation. Es waren schon früher Entwicklnngshem*
mungen in der Kälte bei der Farchung beobachtet worden. Es galt
nun zu untersuchen, ob ebenso wie bei Protozoen in der Kälte der
Kern im Verhältnis zum Plasma so wüchse, daß die Zelle früher ihre
Teilfähigkeit verliert oder eine Einschränkung derselben erfährt als
in Wärme oder bei normalen Temperaturen. Analoge Zustände kennt
man bei Protozoen und bezeichnet sie als »Depression«. Die Proto-
zoen in Depression haben einen ungewöhnlich großen Kern und gehen
zugrunde, wenn nicht die normale Kemplasmarelation durch Re-
sorption des Kernes, durch Encystierung oder Conjugation widerher-
gestellt wird.
Außerdem wollte ich Zellzahl und -Größe im besondem des
primären Mesenchyms untersuchen und so eventuell eine Erklärung
fUr die widersprechenden Angaben von Driesch und Boveri finden.
Das Material stammte von Seeigeln, die aus Rovigno zu Kurs-
zwecken nach München geschickt waren. Ich verwandte ausschließ-
lich Strongylocentrotus lividtis. Für die reichliche Überlassung von
Material, sowie hauptsächlich fUr die Einführung in seinen Ideenkreis
sage ich meinem verehrten Lehrer Herrn Prof. R. Hertwiq auch hier
meinen herzlichsten Dank.
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446 Harry Marcas
Die Vereuchsanordnung war äußerst einfach. Es wurden die mit
dem Samen eines Tieres befruchteten Eier in drei Portionen geteilt
und in drei gleich großen Glasschalen knltiviert. Die eine Schale
wurde behufs Abkühlung in ein Bassin mit fließendem LeitungSr
Wasser eingetaucht, die zweite blieb im Zimmer, die dritte kam auf
den Brutschrank.
Die erste, die Kältekultur, war einer konstanten Temperatur von
9°, die Wärmekultur einer von 22® ausgesetzt. Dagegen schwankte
die Zimmertemperatur zwischen 17° — 19° C. An einem Nachmittage
stieg sie sogar auf 2072° an; diese einer vorübergehenclen Tempe-
raturerhöhung ausgesetzte Kultur wird im folgenden nicht mehr be-
rücksichtigt werden. Für meine später angesetzten Zimmerkulturen
traf ich Vorsorge, daß etwas Ähnliches nicht wieder vorkam.
Im Lebenden wurde verhältnismäßig wenig untersucht. Die
Hauptsache der Resultate wurde an Eiern gewonnen, die mit Pikrin-
essigsäure abgetötet und mit Boraxkarmin gefärbt in Nelkenöl oder
Balsam gebracht worden waren.
Ich hatte sieben Versuchsreihen angestellt und die Befunde
von der einen Kultur immer an den andern kontrolliert, da natur-
gemäß eine Kultur nicht jedes Stadium gleich günstig für einen Ver-
gleich aufwies. Einige Modifikationen des Versuches mit »überreifen«
Eiern sollen später Erwähnung finden.
Der Unterschied zwischen der Kälte- und Zimmer- bzw. Wärme-
kultur ist so groß, daß man ohne weiteres die Kulturen auf Stadien,
welche ihrem Entwicklungsgrad nach einander entsprachen, vonein-
ander unterscheiden kann. Ein Blick genügt, um uns zu überzeugen,
daß in der Kälte die Zellen ungewöhnlich groß und entsprechend
gering an Zahl sind. Die Schwierigkeit liegt nur im Auffinden von
Vergleichsobjekten, an denen man diese Überzeugung exakt nach-
weisen könnte.
Daß die Zeit nach des Befruchtung beim Vergleich nicht her-
angezogen werden kann, ist selbstverständlich. Driesch (98) hat
eine kleine Tabelle von dem Furchungstempo in der Wärme gegeben.
Und kürzlich hat Peter ^06) gezeigt, daß sich die Zellen bei 10°
höherer Temperatur etwa 2 1/4 mal so oft teilen. Dies Verhalten er-
innert an die Beschleunigung, welche chemische Prozesse bei Er-
höhung der Temperaturen erleiden. In beiden Fällen ergibt sich der-
selbe Quotient, wenn man die Beschleunigung bei niederer und höherer
Temperatur vergleicht. Ich kann Peters Quotienten schätzungsweise
bestätigen, obgleich ich ihn nicht näher nachgeprüft habe, da dies
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über die Wirkung der Temperatur auf die Furchung bei Seeigeleiern. 447
außerhalb des Rahmens meiner Arbeit liegt, die sich mehr auf mor-
phologischem Gebiete bewegt,
Tabelle!
stand»
nach dar
K&IU 9*
Zimmer 17— 19«
Wirme M«
Befirnchtnng
7
großzellige Blastnla
kleinzellige Blastula
Blastula
22
BlaBtula
Blastula, Mesench.
Gastrula, Beginn.
291/2
-
Gastrula
tiefe Gastrula, Entere-
hydrocöltaschen
47Vä
Mesenehym
Plutei
Plutei
55V8
Beginn von Gastrula
ganz alte Plutei
70>/2
Gastrula
80
.
95Vs
tiefe Gastrula
II8V2
finterohydrocOl-
taBchen
prismat. Gastrula
Ein Blick auf die Tabelle I, die ich meinem Protokoll entnehme,
genügt; am zu zeigen, daß gleich alte Larven keine Vergleichsob-
jekte sind.
Ebensowenig ist die Zellzahl oder die Zellgröße geeignet ans
solche za liefern, wie wir später sehen werden.
Zum Vergleich nahm ich immer gleiche Stadien, also Beginn der
Mesenchymbildung, Beginn der Gastrulation, das Auftreten der Entero-
Hydrocöltaschen. Dies sind ganz umschriebene Stadien, die man
gut miteinander vergleichen kann, besonders das erste und letzte.
Dagegen sind die Wärme- und Kälteblastulae nicht ohne weiteres
vergleichbar, denn aus den »großzelligen« entstehen die »kleinzelligen«
und wir haben gar keinen Anhaltspunkt zum Vergleich. In der Kälte
sind die Zellen sehr groß und daher die Zwischenräume auch sehr
groß, so daß sehr bald eine Blastulahöhle entsteht, also auch der Be-
ginn der Blastula liefert keine Vergleichsobjekte.
Als jüngstes Vergleichstadium habe ich die Blastula mit begin-
nender Mesenchymbildung gewählt. Zur Bestimmung der Zellzahl
zählte ich die Kerne im größten optischen Durchschnitt, wobei ich
mich starker Objektive (DD oder Y12 Immers. von Zeiss) bediente
und die Mikrometerschraube nur minimal bewegte zur scharfen Ein-
stellung. Diese Methode ist natürlich subjektiv und ungenau, doch
fällt es bei den großen Differenzen nicht so sehr ins Gewicht. Aach
sind die der Untersuchung anhaftenden Fehlerquellen, daß man nicht
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448
Harry Marens
Fig. la.
Fig. 1 h
Fig. 1 c.
absolut gleiche Stadien vor sich
hat, so gering, daß sie gar nicht
in Betracht kommen. Fig. 1 a,
b^ Cy zeigt die Stadien und die
Zählweise. In diesen Figuren
sind nur ausnahmsweise Zell-
grenzen, meist nur die Kerne,
mittels ÄBBESchem Zeichenap-
parat eingetragen (sämtliche Bil-
der sind mit Vi 2 Immers. Oc. 2,
Papier auf dem Tisch mit Zeichen-
apparat, alles von Zeiss, ge-
zeichnet und auf V2 verkleinert,
außer 4 und 5). Ich gebe hier
die Zahlen wieder, die ich bei
je einem Dutzend von Blastulis
fand. Daß diese aus einer Kul-
tur stammten, ist so selbstver-
ständlich, daß ich es später nicht
immer wieder erwähnen werde.
Auch wurden die Zahlen durch
exakte Stichproben, sowie durch
schätzungsweise Musterung eines
großen Materials kontrolliert. Ich
bestimmte also die Kern- bzw.
Zellzahl der Blastulawand im
größten optischen Querschnitt
bei beginnender Mesenchymbil-
dung mit 74, 81, 70, 84, 79,
62, 68, 68, 76, 62, 75, 70, im
Mittel 72 für die Wärmekultur.
58, 52, 56, 57, 60, 58, 60, 58,
55, 58, 60, 56 im Mittel 671/3
in der Zimmerkultur, und 45,
49, 46, 48, 48, 48, 45, 45, 44,
45, 48, 46, im Mittel 46V4 ftr
die Kältekultur.
Die Fehlerquellen bei zahl-
reichen kleinen Zellen ist na-
türlich eine sehr viel größere
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Ober die Wirkung der Temperatar auf die Furchong bei Seeigeleiern. 449
als bei wenigen großen and daher ist auch die größte gezählte
Differenz der Zellzahl in der Wärme 12, im Zimmer 8, in der
Kälte 5 leicht erklärlich. Die Figuren 1 a, b, c (deren Kerne ich
erst nachträglich zählte) weisen recht gut diese Mittelwerte anf:
la hat 47, 16 59, Ic 79 Kerne. Bei so großen Zahlendifferenzen
spielen Ungenauigkeiten der Methoden, wie sie oben erörtert wurden,
keine nennenswerte Bolle.
Da nun die Größe der Blastulae in der Wärme wie in der Kälte
and auch der Blastalahöhle gleich ist. so folgt daraus unmittelbar,
daß die Zellgröße umgekehrt proportional der Zellzahl ist.
Und da unsre Zahlenangaben anf große Exaktheit keinen An-
spruch machen, brauchen wir in der Rechnung nicht allzu penibel
zu sein und runden das Verhältnis der Zellzahl von 72: 46 Vi auf 3:2
ab. Die Zellen in der Kälte sind also um die Hälfte größer als in
der Wärme. Alle diese Zahlen gelten ftir den optischen Querschnitt,
sind also nur zweidimensional. Ich habe nun versucht die Gesamt-
zahl der Blastulazellen daraus zu berechnen, wobei ich die Annahme
machte, daß die Zellhöhe in Wärme und Kälte gleich sei und der
Querschnitt jeder Zelle quadratisch sei. Die Kesultate, die auf diese
rohe Methode gewonnen werden, sind natürlich ganz approximativ.
Die Zellhöhe vernachlässigte ich, da ich für die Blastulawand stets
ähnliche Werte erhielt. Den Durchmesser der Blastula maß ich im
Durchschnitt mit 30 Teilstrichen, die 187,5 fi ausmachen. Daraus
ergibt sich die Peripherie. Diese dividierte ich durch die gezählte
Zellzahl, also 72; 57,3; 46,25 und erhielt so die lineare Zellbreite,
die gleich der Zelltiefe ist. Ich erhob den Wert aufs Quadrat und
erhielt so die Zellgröße, die mit x (der Gesamtzeilenzahl) multipli-
ziert die Oberfläche der Blastula ausmacht. Ich stellte mir also
die Formel auf j — =^ — j x = 4 r^/r (für die Wärme) und erhielt
so die Zahlen 1650; 1045; 680 für Wärme, Zimmer und Kälte.
(Morgan [96 a, b] gibt für Sphaerechinus 500, für Echinus 1000 als
Gesamtzellzahl ohne genauere Angabe des Stadiums und etwa 800
fllr Strongylocentrotiis [03] 1^2 Std. vor der Gastrulation.) Es sind
somit in der Wärmeblastula etwa 2 72 mal so viele und so kleine
Zellen als in der Kältehlastula.
Wenn wir nun auch die Zeit berücksichtigen, die in beiden Fällen
verflossen ist, so ersehen wir aus obiger Tabelle I, daß die Kälte-
blastulae 471/2 Stunden alt waren. Die Wärmeblastulae dagegen 22.
Und dabei war die Mehrzahl der Eier im Stadium des Gastrulations-
Archiv t Entwicklangsmecluiiiik. XXII. 29
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450
Harry Marcus
beginns und nur eine verhältnismäßig sehr geringe Anzahl im Beginn
der Mesenchymbildung. Wir können daher mit einer gewissen Be-
rechtigung sagen, daß die
^^' 2 ^- Kältekultur etwa 2Vimal
soviel Zeit gebraucht hat,
wie die Wärmekultur, um
das gleiche Stadium zu
erreichen. Daß die Zell-
größe mit der Zeit in der
Eältekultur direkt pro-
portional ist und densel-
ben Quotienten 2 Vi gegen-
ttber der Wärmekultur auf-
weist, möchte ich nur
erwähnen, ohne näher
darauf einzugehen, weil
die Werte zu ungenau
sind, als daß man ohne
Nachprüfung darauf wei-
terbauen könnte. Nur er-
wähnen muß ich noch,
daß sich aus obigen Zah-
len die Häufigkeit der
Zellteilungen in Wärme
und Kälte sich verhält
wie etwa 6:1.
Von späteren Stadien
ist die Zählung und Be-
rechnung natürlich noch
viel ungenauer. Doch
scheint dasselbe Verhält-
nis gewahrt zu bleiben,
wie es Fig. 2 a, 6 zeigt.
Es ist dies das Stadium
der Enterohydrocölaus-
stülpung für Kälte und
Zimmerkultur. Die Zäh-
lung ist hier insofern un-
genauer, als an der oberen verdickten Ectodermplatte nur die äußere
Zellreibe mitgezählt wurde. Ich zählte also wieder im größten
Fig. 2 b.
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Fig. 3 b.
Über die Wirkung der Temperatur auf die Furcbung bei Seeigeleiem. 451
optischen Querschnitt im Ectodenn in der Zimmerkultar (54 Stunden
alt) 75, 73, 74, 75, 79, 82, 80, 85, 77, 72, im Mittel 77,3 Kerne,
In der Kältekultur (120 '/2 Stunden alt) 57, 57, 52, 50, 51, 51,
54, 57, 51, 54 im Mittel 53,4 Kerne.
Anf der Fig. 2a zählen wir 51 ; auf 2b 80 Kerne.
Besonders wichtig sind unsre
Experimente zur Prüfung der ^'
Frage, ob die Zahl der Mesen-
chymzellen für eine Art absolut
konstant ist, oder ob nur bei
ganz gleichen äußeren Bedin-
gungen. Leider versäumte ich
am Lebenden ausgedehntere Zäh-
lungen zu machen. Dbjesch
gab (98b) 50 als Mittelwert für
Strongylocentrotus an; Boveri
(03) fand 40. Während Driesch
bei Bastardierungen von Echi-
niden rein -mütterliche Charak-
tere erzielte (98 b), sah Boveri
in der Erhöhung der Mesen-
chymzellenzahl über die Norm
des Eies einen Einfluß der Sa-
menzelle. Die Mittelwerte sind
nach Driesch für Echinus etwa
60, für Strongylocentrotus 50; für
Sphaerechinus 40. Doch gelten
diese Zahlen, wie wir sehen
werden, nur bei gleicher Tem-
peratur.
Es genügt ein Blick auf
Fig. 3 a und ft, die beginnende
Gastrulation bei Kälte- und Zimmerkulturen darstellen, um zu zeigen,
daß die Proportionalität in Zellzahl und Größe auch in den Mesenchym-
zellen gewahrt bleibt. Bei fixiertem und gefärbtem Material sind die
Zählungen schwieriger und daher ungenauer als beim lebenden Ob-
jekt, aber auch oberflächlichere Angaben können den großen Einfluß
der Temperatur dartun. Ich zählte im Mittel in der Kältekultnr 20
bis 25, in der Zimmerkultur etwa 45 und in der Wärmekultur etwa
75 Mesenchymzellen. Letzte Zahl ist natürlich am ungenauesten. Ich
29*
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452 Harry Marcus
muß dabei erwähnen, daß man bisweilen eine ganz atypisch starke
Mesenchymzellenwncherung vorfindet, doch sieht man dann auch stets
Eemdegenerationsbilder, die auf das Pathologische dieses Prozesses
hinweisen. Die Zellgröße ist wieder umgekehrt proportional der Zell-
zahl. Aus alledem geht klar hervor, daß bei Angaben über die
Mesenchymzellenzahl die Temperatur ein nicht zu vernachlässigender
Faktor ist.
Wir können unsre Resultate kurz zusammenfassen: Die Seeigel-
eier entwickeln sich bei verschiedener Temperatur harmonisch, wobei
die Zellzahl im umgekehrten Verhältnis zur ZellgröBe steht. Da in
der Kälte die weniger zahlreichen Zellen mehr Zeit zur Bildung eines
bestimmten Stadiums benötigen, ist das Verhältnis der Häufigkeit der
Zellteilung durch das Produkt von zwei Quotienten auszudrücken.
Nachdem wir so Zellgröße und -zahl besprochen haben, wenden
wir uns der Kerngröße zu. Ich bestimmte dieselbe mit Y12 hom. Im-
mers, von Zkiss und Ocularmikrometer, von dem 1 Teilstrich IV» /'
entspricht. Es wurden von etwa 10 Individuen je 20—30 Kerne
gemessen; wenn die Schwankungen größer waren, natürlich mehr, als
wenn eine große Gleichmäßigkeit vorgefunden wurde. Gemessen
wurden Kerne des Ectoderms und zwar wurden nur runde gewählt
und der Diameter bestimmt. Es konnte die Tiefenmessung wegfallen,
da die Kerne kugelig sind. Wenn der Diameter über einen Teil-
strich hinausreichte wurde schätzungsweise V2 zugesetzt oder weg-
gelassen, wenn es V4 nicht überschritt. Die Fehlerquelle dieser sub-
jektiven Messung beträgt etwa V2 ."> kommt also nicht in Betracht.
Tabelle IL
Diameter der Kerne im Ectoderm (1 Teilstrich = 1,33 ,u)
Kälte
Zimmer
B Biastula mit Beginn der Mesenchymbildung . . .
F GastruIaeinstUlpung tief, aber ohne Anschluß an
das gegenüberliegende Ectoderm
F Enterohydrocültaschen
C Pluteus armlos, entwickelt sich in der Kälte nicht
weiter
4,13
4
3,5
2,81
2,3
3,37
3,16
2,76
2,18
2,4
F ausgewachsene Plutei
Die Resultate möge beifolgende Tabelle II erläutern, die nur für
Kälte und Zimmer aufgestellt ist. Als Mittelgröße für die in Fig. 1
dargestellten Blastulae fand ich mit andrer Vergrößerung bei Wärme
3,9, Zimmer 5,9, Kälte 7,1.
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über die Wirkung der Temperatar auf die Furchung bei Seeigeleiern. 453
Daß bei den größeren Zellen der Kältetiere größere Kerne sieh
finden und daß diese allmählich kleiner werden, ist ganz selbstver-
ständlich. Was uns besonders hier interessiert ist die Frage, ob die
Kernplasmarelation durch die verschiedenen Temperaturen be-
einflußt ist, ebenso wie es K. Hertwig und seine Schüler bei den
Protozoen nachgewiesen haben. Dazu müssen wir die ZellgröBe kennen.
Wir berechneten oben die Gesamtzellzahl mit 1650, 1045, 680 und
sahen, daß die Zellgröße umgekehrt proportional war, also ungefähr
im Verhältnis steht wie 1 : IV2 * 272- Di© Volumina der Kerne ver-
halten sich wie 47,7 : 109 : 158,59 (wobei ich Dezimalen unter 5 un-
berücksichtigt lasse). Es ergibt sich also die Proportionalität fttr die
Zellgröße 1 : IV2 ' 21/2 und für das Kernvolumen 1 : 21/4 : S%
Es existiert somit eine Beeinflussung der Kernplasmarelation
durch die Temperatur und zwar in der Kälte zu Ungunsten des Plas-
mas. Genau dasselbe Besultat erhielt
Hebtwig bei Protozoen. — ^^S- 4.
Man könnte mir einwenden, die
Fehlerquellen seien zu groß, und durch
die Berechnung noch so gewachsen,
daß man nichts mehr darauf geben
könnte. Dagegen möchte ich hervor-
heben, daß die Zahlen nur ausdrücken,
was der Augenschein zeigt. Ich gebe
in Fig. 4 a und b genaue Kerngrößen
an von demselben Präparat, aus dem
Fig. 2 stammt Man sieht, wie un-
geheuer das Mißverhältnis zwischen KemgröBe und Plasma in a der
Kältekultur, gegenüber b der Zimmerkultar ist.
Äußer diesen bisher besprochenen Haupt versuchen, machte ich
einige Modifikationen. So untersuchte ich, ob der Zeitpunkt der Kälte-
wirkung von Einfluß war. Ich brachte meine Kulturen sofort nach
der Befruchtung, ferner auf dem 2, 8, 16, und 32 Zellenstadium vom
Zimmer in die Kälte, ohne jedoch qualitative Unterschiede nach-
weisen zu können. Die später in die Kälte gebrachten Kulturen hatten
natürlich zeitlich einen Vorsprung; eine »Nachwirkung« wie sie Hert-
wig (03) bei Dilepten beobachtete, konnte ich nicht nachweisen. —
Dagegen gab ein Versuch mit »überreifen« Eiern positive ein*
deutige Resultate. Und nur weil es ein einziger, also nicht kon-
trollierter Versuch ist, will ich ihn nicht ausführlich behandeln. Als
die Seeigel ankamen, fand man, daß ein isoliertes Weibchen (es waren
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454 Harry Marcus
nur noch Psamrnechinus im Gefäß) spontan auf der Reise Eier gelegt
hatte. Ich machte sofort am Abend mit frischen entleerten Eiern
dieses Weibchen eine Befruchtung und wiederholte sie an den
nächsten Tagen immer am Morgen. Die erste Befruchtung abends
glückte gut, die zweite am nächsten Morgen war schon mäßig und
die dritte am darauffolgenden Tag war so pathologisch, daß ich sie
wegwerfen mußte.
Die Tiere der ersten Befruchtung entwickelten sich bezeichnender
Weise am besten auf dem Brutschrank, w^o sonst meine Kulturen
zum größten Teil abstarben. Es ist meine einzige Wärmekultur, in
der die große Mehrzahl der Eier sich zu normalen ausgewachsenen
Pluteis entwickelte.
Nach den bisherigen Erfahrungen Hertwigs scheint nun die
»Überreife« der Eier in einer Verschiebung der normalen Kemplaa-
marelation zu Ungunsten des Plasmas zu bestehen. Das Gegenteil
findet durch die Wärme statt und somit wäre die Überreife durch
die Wärme kompensiert worden. Ist diese Überlegung richtig, so
muß dagegen die Kälte in gleicher Richtung, wie die Überreife die
Kernplasmarelation umändern: Es muß zu einer Hypertrophie des
Kernes kommen, die eine weitere Zellteilung unmöglich macht,
also zu einer Entwicklungshemmung. Und dies trat denn auch bei
der Kältekultur eklatant zum Ausdruck. Die Eier entwickelten sich
normal nur bis zur Blastula mit unverhältnismäßig großen Kernen.
Daneben fanden sich alle möglichen Furchungsstadien. Exakte An-
gaben kann ich leider nicht machen, da ich ursprünglich mein Augen-
merk nicht auf diese jüngsten Furchungsstadien gelegt hatte und
somit kein Vergleichsmaterial besitze Ich hoffe diese Lücke später
einmal ausfüllen zu können, und möchte hier nur ein einzelnes Bei-
spiel anführen. In einer gewöhnlichen Kältekultur maßen die Kerne
248tündiger Blastulae 7, 6, 6, 7, 7, 7, 7, 7, 7; in der ebenso alten
Kältekultur überreifer Eier maß ich 7, 7, 6/9, 7/8; 6, 7, 7, 7, 7, 7;
9/6, 9/8, 9/8, 9/9, an drei verschiedenen Objekten; bei der zweiten
Befruchtung am folgenden Morgen desselben Muttertieres maß ich
Kerne freilich etwas jüngerer Blastulae 10/8, 10/8, 10/8, 9;9, 10 8,
9/8, 10/8. Das von mir benutzte Untersuchungsmaterial ist zu spär-
lich, als daß ich den wenigen aufgeführten Zahlen größere Beweis-
kraft beimessen könnte, auch habe ich oben hervorgehoben, daß man
Blastulae nicht ohne weiteres miteinander vergleichen kann. Femer
ist die gleiche Zeit seit der Befruchtung trotz gleicher Temperatur
nicht als Maß verwendbar, da wir bei der Überreife eine Verschie-
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über die Wirkung der Temperatur auf die Furchung bei Seeigeleiern. 455
bang der Eernplasmarelation annehmen. Für die Auffassung, daß
die Entwicklungshemmungen durch eine »Depression« der Furchungs-
zellen bewirkt sei, sprechen noch folgende Tatsachen. In den meisten
Eältekulturen blieb die Entwicklung auf dem Stadium der prisma-
tischen Gastrulae stehen. Es bildeten sich wohl vereinzelt junge Plutei,
aber nur in einer einzigen entwickelten diese lange Armfortsätze wie
die Zimmerkulturen. Ich maß von dieser die Kerne und fand die-
selbe Größe wie in der Zimmerkultur (siehe Tabelle II); die eine
Dezimale rechne ich dabei als innerhalb der Fehlergrenze. Daß
trotzdem ein Unterschied in der Eernplasmarelation existiert, möge
Fig. 5 illustrieren. Wir sehen gleich große Eeme, aber bedeutend
mehr Plasma in den Zimmerpluteis. In derselben Tabelle II sehen
wir aber bei jungen Pluteis ohne Armfortsätze die Zahlen 2,81 für
die Eälte und 2,18 für das Zimmer. Und
in dieser Eultur entwickelten sich die Plutei ^*^* ^*
in der Eälte nicht weiter. Diese Plutei sahen
aus, als bestünden sie nur aus Eemen.
Die Entwicklungshemmung ist hier,
glaube ich, unzweifelhaft auf einen Mangel
von Protoplasma zurückzuführen. Im Ei
ist das Plasma eine gegebene Größe; die
Eernplasmarelation, die durch Eältewirkung
verändert ist, kann nicht durch Nahrungs-
aufnahme von außen und neue Plasmabil-
dung zur Norm reguliert werden wie bei
Protozoen. Wenn daher keine Eernresorption als Regulation eintritt,
so tritt eine derartige Verschiebung der Eernplasmarelation zu Un-
gunsten des Plasmas ein, daß ein Zustand der Depression eintritt.
Die Zelle ist nicht mehr teilfähig; es tritt eine Entwicklungshemmung
ein und zwar um so eher, wenn zwei Faktoren, die in gleicher Weise
die Eernplasmarelation verändern, zusammentreten, wie z. B. die Eälte
und die Überreife.
Über die Regulation durch Eernresorption wissen wir nichts;
daß eine solche eintreten muß, beweist ein Blick auf Tabelle II.
Die Besprechung der Entwicklungshemmungen ftlhrt uns von
selbst zur Frage der Beendigung morphogener Elementarprozesse, um
ein Wort von Driesch zu gebrauchen. — Morgan hat zuerst diese
Frage gestreift, dann Driesch und R. Hertwig dieselbe behandelt.
Bei Morgan ist der bestimmende Faktor die Zellzahl, bei Driesch
die Zellgröße, bei Hertwig die Eernplasmarelation.
Ol
o
o
0
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456 Harry Mareos
So sagt Morgan (96): »In the egg-fragments and in the isolated
blastomeres the ultimate size of the cells produced by repeated divi-
sion determines when the division shall come to an end for a certain
stage of the ontogeny.« Er glaubt also, daß die Größe einer Zelle
eines bestimmten Stadiums nicht unter ein bestimmtes MinimalmaB
herabsinken kann. Daß er aber die Zellzahl als das wesentliche
formative Element anspricht, geht aus dem Satz hervor wo er eine
Entwicklungshemmung erklärt aus der: inability to form the number
of cells necessary for the later stage of the development. Er war
zu dieser Auffassung dadurch gekommen, daß er z. B. die Zahl der
Darmzellen bei Sphuercchinus stets auf etwa 50 bestimmte, mochte es
sich um Ganz- oder Halb-Larven handeln. Duiesch (98) hat mit
Recht hervorgehoben, daß die Zahlen von Morgan so inkonstant und
unsicher sind, daß jede Aussage unmöglich ist.
Diese Inkonstanz der Zahlen machen die vielseitigen und an^
gedehnten Untersuchungen M.s für einen Dritten unbrauchbar, beson-
ders da er sehr viel experimentiert hat, ohne auf die normale Ent-
wicklung ausführlicher einzugehen und er auch keine genaueren An-
gaben über die Stadien macht. Auch in seinem theoretischen Teil
treffen wir verschiedene Anschauungen, die sich z. T. widersprechen.
Die Eernplasmarelation hat er erkannt, wenn auch nicht weiter kon-
sequent durchgeführt, so beißt es z.B.: »Die Zahl der Zellen in
Blastulis, welche aus Eifragmenten erhalten sind, steht im Verhältnis
zur Größe der Blastnla, indem die Grenze der Teilbarkeit jeder Zelle
durch das Verhältnis von Kern zu Protoplasma bestimmt ist« und femer:
»in egg-fragments the size of the cell determines the size of the con-
tained nucleus«. Aber es sind dies mehr sporadische Ausführungen,
es ist kein geschlossener Ideenkreis. Dafür daß er die Zellzahl Air
den Abschluß der Furchung verantwortlich machte, seien noch zwei
Stellen aus seiner ^mp/^^ox^^^-Arbeit citiert: »Mere size therefore of the
normal blastula cells does not seem in itself the final factor in deter-
mining the end ofcleavage« und dann: »a definite number of cells is
needed, and not simply a definite amount of protoplasm«. Vorher und
auch in späteren Schriften (02 und 03) hatte Morgan freilich auch die
Zellgröße als den entscheidenden Faktor angesprochen, eine Auffas-
sung, die Driesch (98 a und 00) wieder aufnahm und mit Morgans
kritisch gesichteten Angaben, vermehrt durch einige eigne Beobach-
tungen vertrat: »Die Größe der einzelnen Zelle bestimmter Kate-
gorie scheint ein Faktor zu sein, der ganz besonders fixiert ist.« Der
Lehre von der »fixen Zellgröße« trat dann auch Wilson bei.
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über die Wirkung der Temperatur auf die Furchung bei Seeigeleiern. 457
Diese Anschauung beruht auf der Beobachtung, daß bei Teil-
larven die Zellgröße nicht kleiner als die Ton Ganzlaryen war. So
sagt Dbiesch: »In der Größe der Zellen konnte ich (nach Taxierung)
keinen Unterschied von denen normaler Blastulae entdecken ; es be-
trägt also wohl die Anzahl der Zellen die Hälfte der normalen, wie
es ja die Furchung vermuten läßt.«
Wie wir gesehen haben, kann man Zahl und Größe der Zellen
eines bestimmten Stadium so beeinflussen durch verschiedene Tempe-
ratur, daß von einer »fixierten Zellgröße« nicht die Rede sein kann.
Nach unsern Resultaten kann weder die Zellzahl noch die Zellgröße
ein die Beendigung der Furchung bestimmender Faktor sein.
Wir wollen nun sehen, ob die Kemplasmarelation etwas zur
Lösung unsres Problems beiträgt. Dabei müssen wir die Grundan-
schauungen R. HEßTWiGS als bekannt voraussetzen. Auf ihnen basiert
auch BovERi (04). Nach R. Hertwig tritt eine Zellteilung dann ein,
wenn die »Eernplasmaspannung« zu groß geworden ist, d. h. wenn
das Plasma eine bestimmte Größe erreicht hat. Es wächst dann
der Kern auf Kosten des Plasmas (Teilungswachstum) und es wird
somit die Teilung ausgelöst. Diese Spannung kann bei Protozoen
durch Assimilation der Nahrung zu Plasma bewirkt sein, sie kann
auch durch andre uns unbekannte Ursachen gebildet werden. Folgen-
dermaßen erklärt R. Hertwig (05) »die Erscheinungen des Furchungs-
prozesses. Zu Beginn desselben ist eine hochgradige Kernplasma-
spannung, ein enormes Mißverhältnis von Kern- und Protoplasma-
masse vorhanden. Wenn nun auch mit jeder Teilung das Kemmaterial
ungefähr auf das Doppelte seiner am Beginn der Teilung vorhandenen
Masse heranwächst, so bedarf es doch zahlreicher aufeinander folgender
Teilungen, ehe das Mißverhältnis von Kern und Plasma ausgeglichen
und damit das Ende des Furchungsprozesses erreicht wird. Soll
sich die Zelle noch weiter teilen, so bedarf sie des Wachstums durch
Ernährung«.
Meine Experimente können diese Anschauung nur bestätigen.
Wie wir sahen traten Entwicklungshemmungen ein, wenn die Kem-
plasmaspannung künstlich durch Kälte und Überreife vermindert
wurde.
Wenn wir nun auch das Erreichen der normalen Kernplasma-
relation als den Faktor ansehen, der die Beendigung der morphogenen
Elementarprozesse bewirkt, so ergeben sich aus dieser Anschauung
wieder neue Probleme und Fragestellungen. Was bewirkt die Kem-
plasmaspannung, warum gleicht sie sich nicht schon vor der Befruch-
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458 Harry Marcus
tuDg durch Teilungen aus? Es muß eine Hemmung des gewöhnlichen
Teilungsfaktor im unbefruchteten Ei existieren, von der wir nichts
wissen. Und warum gleicht sich die Spannung so allmählich in der
Furchung aus und nicht sofort durch eine Teilung, wobei der Kern
sich gleich auf die dem Plasma entsprechende Größe heranwachsen
könnte? Auch hier muß ein hemmender und regulierender Faktor
existieren, und zwar kann man die Chromosome als solchen an-
sprechen. (Ich möchte hier betonen, daß die folgenden Ausftihrangen
auf einer Besprechung mit Prof Hebtwig basieren, der diese Ge-
danken in einem noch unveröffentlichten Aufsatze niedergelegt hat)
Eine gewöhnliche Zellteilung tritt ein, wenn die Chromosome auf das
Doppelte ihrer ursprünglichen Größe angewachsen sind; durch die
Teilung ist die Eernplasmaspannung beseitigt.
Ganz im Gegensatz hierzu existiert dieselbe in hohem Maß^ nach
der ersten Teilung des befruchteten Eies. Die Toohterchromosome
bilden in der ersten Elastomere einen Kern, der viel zu klein ist im
Verhältnis zum Plasma, so daß die zweite Furchungsteilung sofort er-
folgt. Das gleiche gilt für die folgenden Furchungsteilungen. Es
müßte also, da das Plasma halbiert, die Chromosome aber sich ver-
doppeln, die Eernplasmaspannung bei jeder Furchungsteilung etwa
auf ein Viertel reduziert werden.
Nun wachsen aber die Chromosome bei der Furchung nicht auf
das Doppelte ihrer ursprünglichen Größe heran, denn sie werden im
Laufe der Furchung immer kleiner. Es ist dies eine Tatsache^ die
nie genügend beachtet worden ist. Sie kommt auch sonst häufig vor ;
z. B. kann man dies sehr schön an den Ovo- und Spermatogonieu
von Ascaris sehen.
Es wäre ferner denkbar, daß bei der Furchung die Chromosome
überhaupt nicht wüchsen, daß also die erste Furchungszelle dieselbe
Eemplasmarelation besitzt wie die letzte Furchungszelle. Das ist,
wie wir gesehen haben, nicht der Fall. Die Eernplasmaspannung
schwindet allmählich im Verlauf der Furchung. Aus den Unter-
suchungen von BovERi (05) geht hervor, daß die Chromosomen in
konstantem Verhältnis zur Eern Oberfläche stehen; wir können natür-
lich auch von der Oberfläche auf die Chromosome schließen, selbst-
verständlich ceteris paribus. Bei verschiedenen Stadien des Fnrchungs-
prozesses dürfte schon der verschiedene Flüssigkeitsgehalt der Eeme
einen Rückschluß von Eerngröße auf die Chromosome vereiteln.
Denn wir sehen, daß die ersten Furchungskerne bei Färbung sehr
blaß, also chromatinarm sind im Verhältnis zu Blastulakemen. Doch
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über die Wirkung der Temperatar auf die Furchung bei Seeigeleiern. 459
kommt diese Fehlerquelle bei uns nicht in Betracht, da wir die Kern-
plasmarelation bei verschiedener Temperatur vergleichen können.
Da die Zahl der Chromosome konstant in unsern Fällen ist, geht
schon ans unsern Angaben über die Kerngröße deutlich hervor, daß
die Chromosome bei der Furchung allmählich absolut kleiner werden,
relativ aber im Verhältnis zum Plasma immer wachsen. Man kann auch
deutlich den Unterschied in der Chromosomengröße bei Kälte- und
Wärmekulturen direkt wahrnehmen; meßbar sind diese Unterschiede
freilich nicht. Bei der Bedeutung, die man den Chromosomen bei-
mißt, ist die Annahme eines komplizierten Baues und eines lang-
samen Wachstums derselben nichts Gezwungenes. Die Unmöglichkeit
eines raschen Wachstums der Chromosome verhindert somit den Aus-
gleich der Kernplasmaspannung durch eine Teilung; nur allmählich
kann das Chromosom sich vergrößern, also nur allmählich vermindert
sich die Kernplasmaspannung, folglich dauert sie längere Zeit an und
während dessen müssen ununterbrochen Zellteilungen stattfinden. Wir
könnten also statt von einer »Kernplasmarelation« von einer »Chromo-
somenplasmarelation« reden. Es wäre somit die Masse des Protoplasmas
beeinflussend für die Größe der Chromosome, da der Kern so lange
wächst, bis die normale Kernplasmarelation hergestellt ist; wir dürfen
also die Vorgänge in der Zelle nicht einseitig durch den Kern be-
stimmt uns vorstellen.
Aus diesen Erörterungen geht hervor wie innig die Beziehungen
von Plasma und Chromosomen sind, was nicht ohne Bedeutung flir
die Anschauungen der Individualitäts- und der Vererbungslehre über-
haupt sein dürfte.
Literaturverzeichnis.
BovERi, Th., (96) BefruchtungB- und Entwicklungsfähigkeit kernloser Seeigel-
eier und über die Möglichkeit ihrer Bastardierung. Archiv f. Entw.-Mech.
Bd. n.
(03) Über den Einfluß der Samenzelle auf die Larvencharaktere der Echi-
niden. Ibidem. Bd. XVI.
(05) Zellßtudien. V. Jena.
Dbiescu, H., (98a) Von der Beendigung morphogener Elementarprozesse. Archiv
f. Entw.-Mech. Bd. VI.
(98 b] Über rein-mütterliche Charaktere an Bastardlarven von Echiniden.
Ibidem. Bd. VII.
(00) Die isolierten ßlastomeren des Echinidenkeimes. Ibidem. Bd. X.
(Oö) Zur Cytologie parthenogenetischer Larven von Strongylocentrotus.
Ibidem. Bd. XIX.
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460 Harry Marens, Über die Wirkung der Temperatur auf die Fnrchung usw.
Hertwig, R., (03) Über Correlation von Zell- und KemgrOße. Biolog. Central-
blatt.
(Oö) Über das Problem der sexuellen Differenzierung. Verhandl. Deutsch.
Zoolog. Gesellschaft
Morgan, T. H., (96a) Studies of the »Partial« Larvae of Sphaerechinus. Archiv
f. Entw.-Mech. Bd. IL
(96b} Experimental Studies of the Blastula and Gastrula Stages of Echinos.
Ibidem. Bd. II.
(96 c) The Number of Cells in Larvae from Isolated Blastomeres of Am-
phioxuB. Ibidem. Bd. III.
(02) The proportionate Development of Partial Embryos. Ibidem. Bd. XUI.
(03) The Gastrulation of the Partial Embiyos of Sphaerechinus. Ibidem.
Bd. XVI.
Peter, K., (06) Der Grad der Beschleunigung tierischer Entwicklung durch
erhöhte Temperatur. Ibidem. Bd. XX.
Wilson, E. B., (93) Amphioxus, and the Mosaic Theory of Development
Journal of Morph. Bd. VIU.
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Verlag von Wilhelm Engelmann in Leipzig
Binnen kurzem erscheinen:
HÖber, Dr. Rudolf, Privatdozent der Physiologie an der Univer-
sität Zürich, Physikalische Chemie der Zelle nnd der Gewebe.
Zweite Auflage. Mit 38 Abbildungen im Text. gr. 8.
In Leinen geb. etwa jü 9. — .
In der medizinischeD und naturwissenschaftlichen Welt hat das Höher-
sche Werk, wie zu erwarten war, ungeteilten Beifall gefunden, so daß
hereits nach vier Jahren eine zweite Auflage notwendig wurde, die,
auf die Höhe des jetzigen Standes der Wissenschaft gehracht, zum größten
Teil als neue Arbeit bezeichnet werden muß. Durch Anhringung von
Marginalien gewinnt das Buch außerdem noch wesentlich an Übersicht-
lichkeit.
Holtermann, Dr. Carl, Professor der Botanik an der Universität
Berlin, Einfluß des Klimas auf den anatomischen Bau der
Pflanzen. Anatomisch-physiologische Untersuchung aus den Tro-
pen. Mit 6 Tafeln. Lex. 8. Etwa Ji 10. -~.
Ohiges, Herrn Oeheimrat S. Schwendener gewidmetes Werk ist nicht
nur für Botaniker, sondern auch fQr Physiologen, Klimatologen
und andere von Interesse.
RignanO, Eugenio, Ingenieur in Mailand, Über die Tererbang
erworbener Eigenschaften. Hypothese einer Zentroepi-
genese. Teilweise Neubearbeitung und Erweiterung der fran-
zösischen Ausgabe. Mit 2 Figuren im Text. 8. M 5. — .
Über die französische Ausgabe urteilte Oeheimrat Prof. Dr. Wilh.
Boux in Halle a. S.:
>Da der Verfasser auf der Grundlage reicher Kenntnis der Literatur
die Lösung einiger wichtigen hiologischen Qrundprobleme, insbesondere
auch der seit lange von mir zur Erklänmg der gestaltenden Begulationen,
inshesondere der Regeneration und Postregeneration verwendeten ge-
staltenden Wirkungen des in den Körperzellen enthaltenen Keimplasmas
auf die entwickelten Körperteile, auf das Soma, sowie auch die Er-
klärung der ,morphologischen Assimilation' versucht, so werden seine
Erörterungen anregend und daher fördernd wirken <
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Inhalt des dritten Heftes.
SeiU
J. Ost, Zur Kenntnis der Begeneration der Extremitäten bei den Arthro-
poden. (Mit Taf. X— XII II. 8 Fig. im Text.) 289
A. Brächet, Kecherches exp^rimentales siir Toeuf non segmente de Rana
fusca 325
SCHÜCKING, Sind Zellkern und Zellplasma selbständige Systeme? 342
Gustav Tornier, Kampf der Gewebe im Regenerat bei Begünstigung der
Hautregeneration. (Mit 23 Fig. im Text.) 348
G. FoMMER, Ein anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Wachstums im
Bereiche angeborener Defekte nebst einschlägigen Bemerkungen über
Inaktivitätsatrophie der Knochen in der Wachstumsperiode auf Grund
der Beschreibung des Rumpfskeletes eines Erwachsenen mit lateraler
Thoraxspalte. (Mit Taf. XIII.) 370
Harrt Marcus, Über die Wirkung der Temperatur auf die Furchung bei
Seeigeleiern. (Mit ö Fig. im Text) 445
Verlag von Wilhelm Engelmann in Leipzig
Ferner erscheint im November:
VirchoW, Rudolf, Briefe an seine Eltem 1839—1864. Heraus-
gegeben von Marie Rabl, geb. Virchow. Mit einer Heliogravüre,
drei Vollbildern und einem Faksimile-B^ief. Etwa Jt b. — ;
in Leinen geb. etwa J( 6. — .
Die vorliegenden Briefe Virchows, jetzt im Besitz der Witwe, werden
hier auf deren hesonderen Wunsch zum erstenmal veröffentlicht, um
seinen Freunden darin sowohl ein Bild seiner geistigen Entwicklung
und seiner Jugend mit ihren Kämpfen als auch seiner hingebungsvollen
Liebe zu den Eltern zu geben. Gesehrieben unter dem unmittelbaren
Eindruck des Erlebten können sie durch ihre fast lückenlose Reihenfolge,
durch die Frische, die Lebendigkeit und durch die so ungemein charak-
teristische Genauigkeit der Darstellung für die Zeit von 1839 bis 1850
den Wert einer Autobiographie beanspruchen. Läßt sich in ihnen
einerseits die unendlich schnell aufsteigende Linie seiner geistigen Ent-
wicklung genau verfolgen, so sehen wir anderseits darin den schon so
früh gereiften Mann im lebhaftesten Kampf der Wissenschaft und Politik;
daneben tritt aber auch das zärtliche Verhältnis, das ihn auf das herz-
lichste mit seiner Mutter verband, die unerschütterliche Liebe, mit der
er an dem oft recht wunderlichen Vater, selbst als er diesen schon weit
überragte, hing, deutlich zutage. Bei der staunenswerten Vielseitigkeit
des Inhaltes der Virchow - Briefe und der überaus zahlreichen Schar
von Freunden, Schülern und Verehrern eignet sich das Buch nicht nuor
für Mediziner, sondern auch für weitere Kreise der Gebildeten als
Weihnachtsgeschenk von bleibendem Wert.
Diesem Heft liegt eine Ankündigung von Gebrttder Borntraeger in Berlim
über 9, de Trles, Arten und Yarletäten^^ bei.
Druck von Breitkopf k Hfcrtel in Leipzig.
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i>-^\
\i?.H\
ARCHIV
FOR
ENTWICKLUNGSMECHANIK
DER ORGANISMEN.
HERAUSGEGEBEN
VON
WILHELM ROUX,
O. Ö. PROFESSOR DER ANATOMIE IN HALLE a'b.S.
ZWEIÜNDZWANZIGSTER BAND.
VIERTES HEFT.
MIT 4 TAFELN UND 41 TEXTFIGUREN.
AUS6E6EBEN AM 11. DEZEMBER 1906.
LEIPZIG
VEBLAG VON WILHELM ENGELMANN
1906.
=^^
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Das
Archiv für Entwicklunssmechanik der Organismen
steht offen jeder Art von exakten Forschungen über die „Ursachen" der
Entstehung, Erhaltung und Bückbildnng der organischen Gestaltungen*).
Bis auf weiteres werden auch kritische Referate nnd zusammen-
fassende Übersichten über andern Orts erschienene Arbeiten gleichen
Zieles, sowie TitelUbersichten der bezüglichen Literatur aufgenommen.
Das Archiv erscheint zur Ermöglichung rascher Veröffent-
lichung in zwanglosen Heften sowohl inbezug auf den Umfang, wie.
auch auf die Zeit des Erscheinens; mit etwa 40 Druckbogen wird ein
Band abgeschlossen.
Die Herren Mitarbeiter erhalten unentgeltlich 40 Sonderdrucke
ihrer Arbeiten; eine größere Anzahl Sonderdrucke wird bei Voraus-
bestellung gegen Erstattung der Herstellungskosten geliefert, unter
der Voraussetzung, daß die Exemplare nicht flir den Handel be-
stimmt sind. Referate, Besprechungen und Autoreferate werden
mit M 40. — für den Druckbogen nach Abschluß des Bandes honoriert.
Die Zeichnungen der Textfiguren sind im Interesse der
rascheren Herstellung womöglich in der zur Wiedergabe durch
Zinkätzung geeigneten Weise auszuführen**). Die Textfiguren sind
Yom Texte gesondert beizulegen; an den Einfügungsstellen im
Texte sind die Nummern der bezüglichen Figuren anzubringen. Sind
die eigentlich für den Text bestimmten, in linearer bzw. punk-
tierter Manier hergestellten Figuren sehr zahlreich, so werden sie
besser auf Tafeln beigegeben. Tafeln sind in der Höhe dem
Format des Archivs anzupassen; für jede Tafel ist eine Skizze über
die Verteilung der einzelnen Figuren beizufügen.
Die Einsendung von Manuskripten wird an den Herausgeber
erbeten.
Der Herausgeber: Der Verleger:
Prof. Dr. Wilh. Roux, Wilhelm Engelmann,
Halle */d. S. (Deutschland). Leipzig.
*} Den in niclitdeutscher: in englischer, italienischer oder fransö-
gischer Sprache zu druckenden Originalabhandlungen ist eine kurze Zu-
Bammenfassung der Ergebnisse, sei es in der Sprache des Originals oder in
deutscher Sprache beizufügen.
**) Dies geschieht in linearer bzw.punktierterZeichnung mit tief schwarzer
Tinte oder Tusche, kann aber leicht auch durch nachträgliches Überzeichnen der
Bleistiftzeichnung mit der Tuschfeder hergestellt werden. ' Wer jedoch im
Zeichnen mit der Feder nicht geübt ist, kann die einfache Bleistiftzeichnung ein-
senden, wonach sie von technischer Seite überzeichnet wird. Die Bezeichnungen
(Buchstaben oder Ziffern) sind bloß schwach mit Bleistift einzutragen, sofern sie
der Autor nicht kalligraphisch herzustellen rermag. Anweisungen für die
Herstellung wissenschaftlicher Zeichnungen zu Teztfiguren mit Aus-
führungen über die einzelnen Herstellungsarten und Proben derselben stellt die
Verlagsbuchhandlung den Herren Mitarbeitern gern unentgeltlich zur Verfügung.
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Der Kampf der Gewebe im Regenerat
bei Mißverhalten des Unterhautbindegewebes.
Von
Oustay Tornler (Berlin).
Mit 9 Figuren im Text von Paul Flanderky, Pankow-Berlin.
Eingegangen am 14. Juli 1906 ^).
Als der Verfasser dieser Arbeit schon vor mehreren Jahren an
Larven von Bombinator igiietis, die kurz vor dem Verlassen der
Eihaut standen oder ihr eben erst entschlüpft waren, den Schwanz
von oben oder unten her bis in die Chorda durchschnitt, um auf
diese Weise gegabelte Schwänze zu erzielen — was bei den meisten
Individuen auch gelang, wie im Zool. Anzeiger 1901, S. 489 und in
den Verhandlungen des V. internationalen Zoologenkongresses zu Berlin
1901, S. 467 mitgeteilt wurde — zeigten sich unter den operierten
Individuen auch noch solche, bei welchen in den Schwanz zu tief
Fig. 1.
eingeschnitten worden war und bei denen deshalb bald darauf die
schon vorher fast losgelöste Schwanzspitze abstarb und abfiel. Bei
einem Teil dieser Tiere erfolgte dann normale Schwanzregeneration,
d. h. eine solche, die das verloren gegangene Schwanzende durchaus
i) Resultate aas diesen Untersuchnngen wurden bereits in den Sitzungsber.
d. Gesellsch. Nat. Freunde, Berlin. 1906. S. 61 kurz mitgeteilt.
Archiv f. Eiitwickluiigsraecbunik. XXII. 30
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462
Gustav Tornier
Fig. 2.
gleichwertig ersetzte; bei einigen andern Tieren aber wurde das ver-
lorene Schwanzende nicht wieder ersetzt, sondern der stehen gebliebene
Schwanzrest rundete sich unter Ausbildung einer breiten Bortenlage
— rings um sein Hinterende — fast kreisrund ab und wurde so zu
einem sehr charakteristischen, dauerfesten Frosch-Stutzschwanz, wie
ihn z. B. Fig. 1 dieser Arbeit zeigt.
Es galt nun die Entstehungsursachea dieser
eigentümlichen Schwanzverbildung nachzuweisen
und da drängte sich bei Besichtigung der eben er-
wähnten Individuen dem Verfasser zum erstenmal
die Überzeugung auf, daß unter Umständen beim
Kegenerataufbau ein Kampf zwischen den betei-
ligten Geweben stattfinden kann, und daß dieser
Kampf bei dem Entstehn der vorliegenden Stutz-
schwänze beteiligt sei. Die daraufhin im Frühjahr
Fig. 3.
I-— &
— d
1905 unternommenen Versuche, die genau nach
des Verfassers Angaben und unter seiner Kon-
trolle durch seinen damaligen privaten Hilfsarbei-
ter Rudolf Schmiit, z. Z. Konservator in Altona,
angestellt wurden, ergaben dann die Berechtigung
dieser Anschauung.
Operiert wurde dabei an Larven der Knob-
lauchskröte, Pelobates ftcscus Laur., deren junger,
eben angelegter Larvenschwanz folgende (jestalt
und Struktur aufweist. Schon äußerlich betrachtet (Fig. 3) zerfällt
er, ähnlich wie der erwachsene, in drei, geweblich ganz ver-
schiedene Abschnitte: in einen mittleren Strang, »den Schwanz-
kern«, in welchem — wie schon von außen durch die durchsichtige
Haut deutlich erkennbar ist — die Schwanzmuskulatur in der Form
von < förmigen Muskelsegmenten sowie die Schwanzchorda vorhanden
sind; unter und über diesem Schwanzkem aber liegen die beiden
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Kampf d. Gewebe im Regenerat bei Mißverbalten d. ünterbautbindegewebeB. 463
Schwanzborten, zwei in Rücksicht auf Gewebebildung gleichwertige
Schwanzteile. — Im Querschnitt betrachtet zeigt dann dieser eben
angelegte Pefoia^- Larvenschwanz (Fig. 2) die nachfolgende Zu-
sammensetzung: Die Gewebe des Schwanzkerns sind: das central
gelegene Schwanznervenmark (/*), das von einer bindegewebigen
Scheide umschlossen wird; unter ihm liegt die Schwanzchorda (g) und
beide ihrerseits werden umhüllt von der Schwanzmuskulatur (e). Dem
Schwanzkem an der Ober- und Unterseite aber sitzt (in d und i) die
Grundsubstanz der beiden Schwanzborten auf, wobei jedes dieser
»Schwanzbortenpolster« aus einfachem, hyalinen Bindegewebe besteht.
Und dieser ganze »Schwanzinhalt« des Tieres ist zum Schluß über-
zogen von der Schwanzhaut (6, c), die also im Mittelgebiet des eben
Fig. 4.
erst angelegten Schwanzes direkt an die Muskulatur des Schwanz-
kerns (e) anstößt, und über und unter derselben je ein Bortenpolster
{d und i) umschließt.
Bei der Operation an diesen eben erst angelegten Pdobates-
Schwänzen wurde nun in der Weise verfahren (Fig. 3), daß von der
Schwanzspitze aus eine größere Strecke in den Schwanz hinein durch
horizontale Längsschnitte der Schwanzkern von den Schwanzborten
losgetrennt und dann, soweit er freigelegt war, durch einen Quer-
schnitt entfernt wurde (Fig. 3 : a und b). Es entstand so ein Schwanz,
in welchem der stehen gebliebene Schwanzkemrest (Fig. 3: a) an
seinem Schlußrand durch je einen beträchtlichen Lappen reiner
Schwanzborte tiberragt wurde. Die Methode ergab dann die folgen-
den eigentümlichen Schwanzformen:
Form 1 (Fig. 5).
Wenn die Körperlänge der erwachsenen Pßtofea^^s-Larve (Fig. 4)
gleich 50 mm gesetzt wird, so ist der Schwanz bei keimecbter
Gestalt im Mittel 83 mm lang (in einem Fall 77, im andern 80, im
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464 Gustav Tornier
dritten 87 mm), d. h. also wesentlich länger als der Körper der Larve.
Es sind ferner in diesem Schwanz die ersten 25 bis 29 Muskel-
segmente unschwierig zu zählen, während 34 bis 38 nachweisbar
sind. Dabei reicht hier der Schwanzkem bis an das äußerste Ende
des Schwanzes, wo er vermittels der Chorda, deren Endabschnitt
muskelfrei ist und nicht mehr vom Schwanzmark begleitet wird, direkt
an die Spitze der Schwanzhaut anstößt, so daß hier also das obere
und untere Bortenpolster nirgends unmittelbar aneinanderstoßen.
Bei dem ersten der operierten Tiere (Fig. 5) dagegen war der
ScKwanz durchaus nicht langgestreckt und am Ende zugespitzt,
sondern fast genau wie bei dem Bornhinator igneus der Fig. 1 eine
recht kurze Platte mit halbkreisförmig abgerundetem Hinterende, in
Fig. 5.
welchem die obere und untere Borte des Schwanzes in voller Breiten-
ausdehnung unmittelbar ineinander tibergehen. Wird nun bei diesem
Tier die Körperlänge zu 50 mm gesetzt, so ist der Gesamtschwanz
42 mm lang, also wesentlich kürzer als der Körper, der zugehört,
und halb so lang wie ein unangegriflFener (keimechter) Durchschnitts-
schwanz. Keimecht an ihm ist aber überhaupt nur die Basalpartie von
32 mm mit elf durchaus normalen Muskelsegmenten und vier eigen-
tümlich verbildeten; darauf folgt dann ein Kernregenerat von 5 mm
Länge und von sehr eigentümlicher Gestalt. Es sitzt dem Schwanz-
rest mit einem dauerfesten Einknickwinkel auf und weicht infolge-
dessen sein Hinterende stark nach der linken Körperseite hin von
der Schwanzlängsachse ab. Das liegenerat selbst aber erscheint wie
ein ganz verkümmerter Anhang am vorangehenden Kernabschnitt des
Schwanzrests^ticks, denn es ist ohne richtige Muskulatur und durch-
scheinend; außerdem ist seine Spitze abgerundet und steckt ganz in
den Schwanzborten, die mit einem 5 mm breiten Saum um die Spitze
des Schwanzkernregenerats herumziehen; ganz im G^ensatz zum
keimechten Schwanz (Fig. 4), dessen Kern, wie schon erwähnt, bis
unmittelbar an die Schwanzhautspitz^ reicht.
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Kampf d. Gewebe im Regenerat bei Mißverbalten d. Unterhautbindegewebes. 465
Die absoluten Maße dieses Tieres sind: Körperlänge 37,5 mm;
Schwanz 32mm; echter Schwanzkernabschnitt 24 mm; regenerirt 3 mm;
dahinter Bortenbreite 4 mm.
Bei den schon früher erwähnten, nicht operierten Tieren waren
folgende absolute Maße: Ex. 1: Körper 36 mm; Schwanz 56 mm;
Ex. 2: Körper 31 mm; Schwanz 50 mm; Ex. 3: Körper 36 mm;
Schwanz 57 mm.
Belegung 2 (Fig. 6):
Setzt man beim zweiten der operierten Tiere die Körperlänge
zu 50mm, sg ist der Gcsamtsehwanz nur 45mm lang, d.h. kürzer
als der Körper, der zugehört, und etwas über halb so lang wie ein
keimechter Schwanz. Echt ist an ihm ferner nur eine Basalpartie
Fig. 6.
von 35 mm, die links 11, rechts 12 vollentwickclte echte Muskelseg-
mente enthält, denen dann noch 4, stark verbildete, echte folgen.
Darauf folgt ein Schwanzkernregenerat von 4 mm Länge und mit
sehr eigentümlicher Gestalt: Es sitzt nämlich dem Schwanzreststück
in einem Winkel an, der sein Hinterende nach links ablenkt. Das
Regenerat ist ferner nicht nur auffällig schwach entwickelt und
durchscheinend, sondern richtet auch seine Spitze im Bogen nach
oben. Dabei wird der gesamte Schwanzkern des Tieres nicht nur
oben und unten, sondern auch hinten von einem breiten Schwanz-
bortenabschnitt umfaßt, dessen Tiefe, von der Kernspitze an bis zum
Schwanz-Endrand geraessen, 6 mm beträgt; und ist dabei der Schwanz
am Ende kreisförmig abgerundet.
Die absoluten Maße dieses Tieres sind: Körperlänge 32 mm;
Schwanz 29 mm; keimechter Schwanzkernabschnitt 22 mm; regene-
rierter 3 mm; dahinter Bortenbreite 4 mm.
Belegung 3 (Fig. 7).
Setzt man beim dritten der oi)erierten Tiere die Körperlänge zu
50 mm, so ist der Schwanz insgesamt 49 mm lang, also noch etwas
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466 Gustav Tornier
kürzer als der zugehörige Körper und nur ein ganz wenig (8 mm)
über die Hälfte länger als ein keimechter Schwanz. Echt ist an ihm
eine Basalpartie von 26 mm, die 8 Stammmuskelsegmente enthält,
darauf folgt ein Kernregenerat von 25 mm, das direkt an seiner Ur-
sprungsstelle vom Stammgebilde abgeknickt ist und mit ihm einen
Winkel bildet, der nach der linken Körperseite hin schaut. Außerdem
ist an diesem Kernregenerat die Muskulatur ganz unregelmäßig, die
Spitze hakenartig nach unten verbogen und vor diesem Haken liegt
noch eine geringe Verkrümmung. Auch hier werden nicht nur die
Schwanz-Ober- und Unterseite von Borte umzogen, sondern auch die
Spitze und zwar in einer Breite von 3 mm. Die nachgewachsene
Schwanzspitze selbst aber ähnelt infolge schwacher Streckung zwar
Fig. 7.
schon mehr einer echten als jene der zwei bisher beschriebenen Tiere,
doch ist sie trotzdem noch deutlich abgestumpft.
Die absoluten Maße des Tieres sind: Körperlänge 31,5 mm;
Schwanz 31 mm; keimechter Schwanzkernabschnitt 12,5 mm; regene-
rierter 17 mm ; dahinter Bortenbreite 2 mm.
Belegung 4 (Fig. 8).
Bei dem vierten der operierten Tiere ist der Gesamtschwanz
genau so lang wie der zugehörige Körper, aber erst Y3 und noch
durchaus nicht 2/3 der gesamten Körperlänge. Wird die Körperlänge
gleich 50 mm gesetzt, so ist die des Schwanzes auch 50 mm und
Keimwert haben an ihm 26 mm mit IOY2 Muskelsegmenten. Dann
folgt ein Regenerat von 23 mm, das mit seinem Hinterende bis zum
Schlußsaum der Schwanzhaut des Tieres reicht und diese zu einer
kleinen Spitze vorgetrieben hat. Es hat dabei aber folgende höchst
charakteristische Gestalt: nur sein Vorderabschnitt von 16 mm ist
dick und setzt unmittelbar den Stammabschnitt des Schwanzkerns
fort, das Hinterende aber, von 7 mm, ist fadenförmig dünn, reicht
bis zur Schwanzspitze, ist aber vorher zweimal energisch verbogen.
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Kampf d. Gewebe im Regenerat bei Mißverhalten d. Unterbautbindegewebes. 467
Die Schwanzborten umfassen hier also nicht mehr das Eemregenerat;
die Form des Schwanzes aber ist im wesentlichen noch ein lang-
gestrecktes Oyal, d. h. noch fast ganz die Form eines Statzschwanzes
und würde es ganz sein, wenn nicht in der Mitte des abgerundeten
Schwanzschlußrandes ziemlich unvermittelt ein kleines Spitzchen vor-
spränge, in welches die Chorda hineingeht. Die Muskulatur auf dem
Fig. 8.
vorderen Teil des regenerierten Schwanzkerns ist unregelmäßig, das
fadenförmige Hinterende desselben aber hat keine Muskulatur.
Die absoluten Maße sind: Körperlänge 34 mm; Schwanz 34 mm;
keimechter Schwanzkernabschnitt 18 mm ; regenerierter 16 mm, davon
11 stark, 5 schwach entwickelt; dahinter ist keine Borte mehr.
Belegung 5 (Fig. 9).
Bei dem fünften der operierten Tiere ist der Gesamtschwanz
bereits länger als der zugehörige Körper, aber noch bedeutend kürzer
als ein echter; wird nämlich die Körperlänge zu 50 mm gesetzt, so
Fig. 9.
mißt der Schwanz nur 61 mm. Keimecht sind femer an ihm 20 mm
mit 1172 Muskelsegmenten, regeneriert 41mm. Das Schwanzende
selbst ist zugespitzt und die Skeletspitze reicht in ihm bis unmittelbar
an die Hautspitze, wie bei keimechten Schwänzen. Dabei aber zeigt
die äußerste Skeletspitze zwei aufeinander folgende Verbiegungs-
kurven, was — wie auch in allen vorangehenden gleichen Fällen
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468 Gustav Tornier
— sehr wichtig ist, denn da bei der Amphibiensehwanzregeneration
vom Skelet zuerst die Spitze angelegt wird, bedeuten diese Verbie-
gungen, daß bei den Tieren, welche solche haben, die ersten Regeneral-
Stadien des Schwanzkerns in nicht normaler Weise zur Entwicklang
gelangten und die Yerbiegnngskurven selbst deuten darauf hin, daß
diese Skeletspitzen von hinten her einen Druck erhielten, der sie
wellenförmig zusammenschob.
Die absoluten Maße des vorliegenden Schwanzes sind: Körper-
länge 27mm; Schwanz 33 mm; echter Schwanzkemabschnitt 10,5 mm;
regeneriert 22,5 mm ; dahinter keine Borte mehr.
Belegling 6.
Das sechste der operierten Tiere steht, wie ohne Übertreibung
gesagt werden kann, auf ganz derselben Entwicklungsstufe, wie das
fünfte; nur gelang es ihm, einen etwas längeren Schwanz zur!Naeh-
entwicklung zu bringen ; denn wird, wie bisher, bei ihm die Körper-
länge zu 50 mm angenommen, so ist sein Schwanz 63 mm lang, also
länger als der zugehörige Körper, aber noch viel weniger lang als
selbst der kürzeste echte Schwanz. Echt sind dann an seineni
Schwanzkern 19 mm mit 8 Muskelsegmenten, regeneriert 44 mm. Der
Schwanz auch dieses Tieres ist femer annähernd so zugespitzt wie
ein echter und seine Skeletspitze reicht bis unmittelbar an die Haut-
spitze. Insofern aber weicht auch dieser Schwanz sehr wesentlich
von einem echten ab, als bei ihm die äußerste Spitze ganz energisch
verbogen ist und hier noch deutlicher als bei den vorigen Tieren zeigt
der Charakter der Verbiegungskurveü, daß die Skeletspitze durch
Druck von hinten sehr energisch zusammengeschoben worden ist
Die absoluten Maße sind: Körperlänge 34 mm ; Schwanz 43 mm;
echter Schwanzkemabschnitt 13 mm; regeneriert 30 mm; keine Borte
dahinter.
Bombinator igneus (Fig. 1).
Daß bei dem hier vorliegenden und im Anfang dieser Arbeit
bereits kurz besprochenen Bomhinator igneus der Stutzschwanz in
genau derselben Weise entstanden ist, wie bei den vorliegenden
Pelobates-hsLTVQn^ wird vom Gesamtbau dieses Schwanzes unwider-
leglich bewiesen; die Hauptgründe aber sind folgende: Der Schwanz
ist erstens sehr viel kürzer als ein unangegriffener, sein Kern hat
zweitens nur 5 vollentwickelte keimechte Muskelsegmente nebst 2 nach-
folgenden echten, von denen nur noch die obere Hälfte erhalten ist;
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Kampf d. Gewebe im Regenerat bei Mißverhalten d. Unterhautbindegewebes. 469
das winzig kleine EndstUckeben des Schwanzkems aber erweist sich
drittens darcb Bau nnd unregelmäßige Muskulatur als regeneriert. Es
ist also von diesem Schwanz in seiner Jugend ein großes Endstück
weggescbnitten worden, oder vielmehr: bei dem am Anfang dieser Ar-
beit schon erwähnten Einschneiden in den Schwanz zuerst von seinem
Ursprungsende losgelöst worden, dann abgefallen und nur in Spuren
nachgewachsen. Es ist femer dieser Schwanzkemrest allseitig, also
auch am Hinterende, von einer breiten Schwanzborte umgeben und
viertens ist an diesem Schwanz noch sicher festzustellen, daß die an
ihm vorhandene allseitige Bortenumhtillung des Schwanzkems so ent-
stand, daß hier zuerst 2, ursprünglich voneinander getrennte Borten-
lappen den zurückgeschnittenen Schwanzkern überragten, später aber
miteinander verwuchsen.
Es geschah dies nämlich, indem sich der obere Lappen stark
nach unten senkte, worauf beide Lappen, die an ihrer Schnittfläche
bereits je eine Regeneralzone angesetzt hatten, mit diesen Zonen an-
einanderstießen und verwuchsen. Da nun zur Zeit der Abtötung des
Tieres aber bei dem vorliegenden Schwanz jene regenerell entstandene
Verwachszone der beiden Bortenlappen noch eine geringere Dicke
hatte als die beiden Lappen selbst, so erscheint diese Verwachsungs-
zone der Bortenlappen nunmehr am Objekt, wie in Fig. 1, als eine
Längsgrube in der Schwanzborte, die vom Hinterende des Schwanz-
kerns aus schräg abwärts die Borte durchzieht. Das Objekt trägt
also noch den sicheren Beweis dafür mit sich herum, daß sein, ohne
experimentelle Absicht entstandener Stutzschwanz genau so ent-
standen ist, wie die, nach seinem Studium operativ hervorgerufenen
und hier beschriebenen Petofcöffes-Larvenschwänze.
Als Detailcharaktere dieses Schwanzes kommen dann nach-
folgende in Betracht:
Der Schwanz im ganzen ist relativ kürzer als selbst der des
Pdobates Fig. 4 dieser Arbeit; das kommt gestaltlich einmal daher,
weil bei diesem Bombinator von vornherein ein viel größeres Stück
vom unangegriflFenen Schwanzkern wegoperiert wurde, als selbst bei
Pdobates Fig. 4; dann aber zweitens daher, weil die Bortenlappen,
die hier nach der Operation den verstutzten Schwanzkern tiberragten,
ungemein groß waren, sich daher in sehr breiter Ausdehnung an-
einanderlegen und so den Schwanzkern am Regenerieren verhindern
konnten.
Dieser Schwanz ist dann noch viel kürzer als der zugehörige
Körper des Tieres und natürlich auch noch sehr viel kürzer als ein
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470 GuBtav Tornier
keimechter jSomöi;ia^ -Schwanz, denn wird die Körperlänge des
Tieres gleich 50 mm gesetzt, so ist ein mittellanger, echter Bombinaior^
Schwanz 65 mm lang; der hier vorhandene aber mißt nur 35 mm.
Echt sind dann ferner in seinem Kern nur 15 mm mit 5 yollständigen
echten Muskelsegmenten und einem Paar, das nur in seinen oberen
Teilen erhalten ist; die Bortenbreite des Schwanzes hinter dem Kern
aber beträgt 15 mm. Der Schwanzkem ist dabei in seiner ganzen
Länge verkrümmt und zwar mit der Ansbnchtnng nach rechts schaaend;
das Schwanzende selbst ist tadellos abgerundet.
Die absoluten Maße des vorliegenden Tieres sind: Körper 17 mm;
Schwanz 12 mm; am Schwanzkem sind echt 5,5 mm, regeneriert
1,5 mm; Saum dahinter 5,5 mm.
Die absoluten Maße keimechter Unken sind: 1) Körper 18,
Schwanz 22 = 50:61; 2)19,5:27 = 50:69; 3)18:25 = 50:69;
4) 18 : 25,5 = 50 : 70. -
Enfsfehungsursachen und Arbeitsergebnisse.
Als morphologische Ha nptresultate dieser Untersuchungen könn^i
folgende gelten: Bei keinem der Tiere kommt der mit Nachwuchs ver-
sehene Schwanz einem echten an Länge gleich; bei jenen Tieren femer,
bei welchen die Schwanzkernregeneration am unergiebigsten war, geht
die nachgewachsene Kernspitze bei weitem nicht bis zum hinteren
Schwanzhautsaum, sondern bleibt durch einen breiten Bortenpolster-
abschnitt von ihm getrennt; die Schwanzspitze selbst aber ist breit-
flächig abgerundet. Bei den Tieren femer mit mittellanger Schwanz-
kernregeneration reicht die Kemspitze bis dicht an den hinteren
Schwanzhautsaum und ist die nachgewachsene Schwanzspitze dann
zwar im ganzen schon mehr langgestreckt, aber hinten noch abge-
rundet; bei den operierten Tieren aber mit ergiebigster Schwanz-
kernregeneration stößt die nachgewachsene Kernspitze unmittelbar an
den hinteren Schwanzhautsaum und ist bei diesen Tieren die nach-
gewachsene Schwanzspitze langgestreckt und wie eine unverletzt ent-
wickelte zugespitzt. Bei allen vorliegenden Tieren aber ist die nach-
gewachsene Schwanzkemspitze in der Art verbogen, daß ans ihren
Verbiegungskurven zu schließen ist, es habe hier auf das entstehende
Schwanzkemregenerat von hinten her ein Drack so energisch ein-
gewirkt, daß die Kern-Regeneratspitze dadurch entweder zusammen-
geschoben, oder unter Yerbiegungen aus ihrer Ursteilung zurück-
gedrängt wurde.
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Kampf d. Gewebe im Regenerat bei Mißverhalten d. Unterhautbindegewebes. 471
Es entsteht nun die Frage, wie sind diese Schwanzformen ent-
standen?
Schon im Beginn dieser Arbeit wurde angegeben, daB die Tiere
in folgender Weise operiert worden sind: Bei Froschlaryen , welche
eben der Eihaut entschlüpft waren oder im Begriff standen, es zu tun
und die dann durch Zerschneiden der Eihaut (mit dem Messer auf
einem Objektträger) freigelegt waren, wurde in dem bereits voll-
angelegten Schwanz, der aber erst zweimal so lang als breit war,
der Kern von hinten her eine Strecke weit mit dem Messer heraus-
geschnitten; es entstanden so Tiere, bei welchen der Schwanzkem-
rest von einem oberen und unteren Schwanzbortenlappen eine Strecke
weit ttberragt wurde. Nun begannen diese Bortenlappen sich alsbald
sehr kräftig gegeneinander hinzubiegen, indem sie dabei sogar — wie
besonders Fig. 5 in ihren 4 letzten echten Muskelsegmenten zeigt —
die Muskelsegmente, welche dicht an der Abschnittfläche lagen, sehr
stark zusammendrückten und selbst gegen die Chorda hin umknick-
ten. So dauerte es nicht lange, bis die Lappen in der Mittellinie
des Schwanzes aneinanderstießen und nun daselbst miteinander der-
weise verwuchsen, daß sich zuerst nur ihre Hautränder aneinander
legten und verwuchsen, worauf dann auch ihre Bortenpolster danach
strebten, das gleiche zu tun. Gelang ihnen das nun, bevor der Eem-
rest des operierten Schwanzes ein Regenerat zwischen die Verwachs-
zone der Bortenlappen schicken konnte, so behinderte der diesem
Begenerat nunmehr vorliegende Bortenpolster- Abschnitt, der als
hyalines Bindegewebe starke Elasticität besitzt und deshalb wie ein
Puffer wirkt, das nachträgliche Vorwachsen des Kernregenerats aufs
äußerste und kam dann das Begenerat entweder gar nicht zur Aus-
bildung oder bog sich sofort nach seinem Erscheinen am vorliegen-
den Bortenpolster krumm und konnte dann erst recht nicht weiter
wachsen. Gelang es aber in andern Fällen dem Schwanzkernregene-
rat schon dann zwischen die beiden Bortenpolster zu kommen, wenn
diese zwar noch nicht miteinander verwachsen, aber doch schon dicht
aneinander gerückt waren, so erhielt es von oben und unten her sehr
starke Wachstumshemmung durch Druck von diesen Bortenpolstem
aus, welche sich nun entweder noch vor seiner Spitze vereinigten
und ihm das Fortwachsen dadurch unmöglich machten, oder aber die
beiden Bortenpolster mußten das Kemregenerat zwischen sich hin-
durchlassen, preßten es dann aber so fest zwischen sich ein, daß ihm
jedes energische Binnenwachstum verwehrt und alsbald auch die
Längenwachstumsenergie unterbunden wurde. Gelang es drittens aber
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472 Gustav Tornier, Der Kampf der Gewebe im Begcnerat usw.
dem Schwanzkernregenerat zwischen die beiden Bortenpolster zn
kommen, wenn diese noch ziemlich voneinander entfernt waren, so
drang es schnell bis znm hinteren Schwanzhantsanm vor, und schob
dann die erreichte Hautstelle nnn sofort energisch vor sich her und
zu einer richtigen Schwanzhautspitze ans; weil aber die Bortenpolster
anch dann sehr stark von oben und unten auf das Kemregenerat
drückten, wurde die nunmehr nornlal in die Länge wachsende Schwanz-
spitze niemals so lang, wie eine echte; anderseits aber wuchsen als-
bald in diesen Schwänzen Regenerate der Bortenpolster in jene
Hohlräume hinein, welche beim nunmehrigen Vortreiben der Schwanz-
spitze zwischen Kernregenerat und Hauthtille oben und unten ent-
standen, und versahen so die neuentstehende Schwanzspitze mit den
notwendigen zwei Borten, streng nach dem in der vorangehenden
Arbeit des Verfassers nachgewiesenen Satz, daß den Bortenpolstern
der Amphibienschwänze die Befähigung zu selbständigem regenerellen
Längenwachstum fehlt, daß sie aber benachbart entstehende Hohl-
räume regenerell ausfüllen; was im übrigen auch die richtigen Stutz-
sohwänze dieser Arbeit beweisen. Wie denn diese Froschschwänze
auch jene drei Sätze der vorangehenden Abhandlung bestätigen, die
über die Hautregeneration handeln und folgendermaßen lauten:
Dem Schwanzhautregenerat fehlt jede Befähigung zu selbstän-
digem Längenwachstum ; es wird bei der Schwanzregeneration durch
die hinter ihm liegende Skeletneubildung zur Verlängerung gezwungen,
indem es durch deren Vorwachsen zuerst passiv ausgedehnt wird und
die Verlängerung dann aktiv durch intercalares Wachsen dauerfest
macht. — 2) Zugeinfluß erzeugt im Schwanzhautregenerat intercalares
Längenwachstum. — 3) Wie bei den Eidechsen, werden auch bei
den Molchen beim Längenwachstum eines Schwanzspitzenregenerats
von der Oberhaut zuerst die Basalpartien angelegt, dann die den
Basalpartien benachbarten Mittelzonen und zum Schluß erst die End-
partien. Genau so verhält sich das Unterhautbindegewebe des Schwanz-
regenerats beim Längenwachstum. Vom Skeletregenerat des Schwanz-
ersatzstücks wird unter diesen Umständen dagegen zuerst die End-
partie angelegt, dann kommen nacheinander seine immer mehr kopf-
wärts liegenden Partien zur Entwicklung; die Basalpartie also zuletzt.
Das wichtigste Resultat dieser Untersuchungen ist aber doch der
sichere Nachweis, daß ein Kampf der Gewebe im Begenerat möglich
ist, bei welchem die Bortenpolster des Froschlarvenschwanzes —
d. h. Unterhautbindegewebspartien eines Tieres — eine leitende Rolle
spielen können.
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Vererbungsstudien.
IV. Das Beherrschen des Hervortretens der mfltterliehen Charaktere
(Kombination von Parthenogenese nnd Befrachtung).
Von
Curt Herbst
(Ueidelborg).
Mit Tafel XIV.
Eingegangen am 22. Juli 1906.
1.
Einleitung.
A. Aasgangspunkt der Untersuchung.
Gewisse Beobachtungen, welche ich im Frühjahr 1905 in stark
alkalischem, künstlichen, kalkfreien Seewasser und beim Studium des
Einflusses von Süßwasser auf die Eier machte, führten mich auf den
Gedanken, daß die mütterlichen Charaktere vielleicht dann mehr oder
sogar ausschließlich hervortreten, wenn Eier befruchtet werden, die
bereits einen ganz geringfügigen Ansatz zur Entwicklung von selbst
gemacht haben. Ich habe damals bereits eine Reihe von Versuchen
gemacht, welche diesen Gedanken auf ihre Richtigkeit hin prtlfen
sollten, kam aber noch zu keinem entscheidenden Resultat, so daß
ich die Weiterverfolgung des vielleicht aussichtsreichen Weges auf
das Frühjahr 1906 verschieben mußte.
B. Die Methode.
Schon am Ende meiner vorjährigen Studien hatte ich mir vor-
genommen, den Eiern einen geringfügigen Anstoß zur Entwicklung
durch ein Mittel zu geben, welches die Hervorruf ung künstlicher
Dottennembranen bewirkt und auch mitunter Kernveränderungen am
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474 , Curt Herbst
unbefruchteten Ei hervorrufen kann, wie ich aus eigner Erfahrung*)
wußte. Meine eignen Mittel zur Erzielung geringfügiger Entwick-
lungsanfänge an unbefruchteten Eiern habe ich allerdings bis jetzt
fast nie benutzt, sondern ich habe mich fast ausschließlich an Methoden
gehalten, welche J. Loeb^j in neuester Zeit zur Hervorrufang künst-
licher Dottermembranen verwendet hat. Es sind dies Fettsäuren.
Er verfuhr dabei so, daß er unbefruchtete Eier von Siran gylocentroius
purpuratus auf V2 — 1^2 Minuten in 50 ccm Seewasser brachte, denen
3 ccm einer Vio-iiormalen Lösung von Ameisen-, Essig-, Propion-, Butter-,
Valerian- oder Capronsäure zugesetzt worden waren. Kamen die Eier
zur richtigen Zeit aus der Säurelösung in normales Seewasser zurück,
so bildeten dieselben typische Dottermembranen, welche ihnen ganz
das Aussehen befruchteter Eier verliehen. Wird mit solchen Eiern
keine weitere Procedur vorgenommen, so stellen sich zwar nach
1—2 Stunden Veränderungen am Kernapparat ein, aber zu einer
Teilung des Eies sah es Loeb gewöhnlich nicht kommen. Die Eier
begannen vielmehr nach einigen Stunden Plasmakugeln abzuschnüren
und allmählich vollständig zu desintegrieren.
Diese Angaben Loebs kamen mir sehr gelegen, denn ich wollte
den unbefruchteten Eiern vor der Besamung gar keinen größeren Anstoß
zur Parthenogenese geben, da das Spermatozoon das übrige ergänzen
sollte. Mein Plan war nämlich, an unbefruchteten Sphaerechintis-lEieTn
zuerst mittels einer Fettsäure künstliche Dottermembranen herrorzn-
rufen, die Membranen nach ihrer Bildung wieder durch Schütteln
der Eier zu entfernen und schließlich, nachdem die Veränderungen
am Kernapparat eingesetzt hatten, die Besamung vorzunehmen. Gleich
bei meinen ersten Versuchen stellte es sich aber heraus, daß die Er-
zielung von Dottermembranen an unbefruchteten Spliaerechinus-EXeTu
mittels der LoEBchen Methode eine sehr heikle Sache ist, da es in
sehr hohem Grade auf den Zeitpunkt ankommt, in welchem die Eier
aus dem Säure-Seewasser in normales zurückgebracht werden. In-
folgedessen ist mir die Hervorrufung künstlicher Dotterhäute gewöhn-
lich mißglückt und bei allen Eiern einer Kultur ist sie mir überhaupt
nie gelungen. Das war aber kein Nachteil, sondern ein großer Vor-
teil für mich, denn die Kernveränderungen traten auch an den Eiern
ein, welche keine Dottermembran abgehoben hatten, und man konnte
1) Mitt Zool. Stat. Neapel. Bd. 16. 1904. S. 445.
2) üniv. Califoniia Publ. Vol. II. p. 83, 89 u. 113. 1905. Vgl. J. Loeb, Vor-
lesungen über die Dynamik der Lebenserscheinnngen. Leipzig 1906. 8. 243.
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VererbungsBtudien. IV. 475
dieselben infolgedessen befruchten, ohne die Eihaut erst durch Schütteln
der Eier entfernen zu müssen. Auch der helle Plasmasaum, welcher
sich an der Oberfläche der Eier nach Abhebung der Dottermembran
entwickelt, und welchen ich »Verbindungsmembran« genannt habe,
kann an den mit einer Fettsäure behandelten Eiern sichtbar werden,
auch wenn es nicht zur Abhebung der Eihaut gekommen ist. Einen
zweiten, unerwarteten Vorteil bot die Vorbehandlung der unbefruchteten
Eier mit einer Fettsäure dadurch, daß die Befruchtungsmöglichkeit
durch fremdes Sperma ganz bedeutend erhöht wurde. In den ge-
lungensten Kulturen entwickelten sich nach der Besamung alle oder
fast alle Eier, was ich bei unbehandelten Eiern niemals beobachtet
habe. Allerdings arbeitet diesem letzteren Vorteil wieder ein großer
Nachteil entgegen, insofern sich viele der befruchteten Eier abnorm
entwickeln, was sich schon bei Beginn der Furchung kund gibt und
sich später in der Bildung von mehreren kleioen Larven aus einem
Ei oder in dem Absterben und Ausschalten eines Teiles des Furchungs-
Zellenmaterials äußert. An den auftretenden Abnormitäten ist offenbar
Doppel- oder Mehrfachbefruchtung schuld, die wieder durch die Vor-
behandlung der Eier mit einer Fettsäure veranlaßt worden ist. Es
treten wenigstens abnorme Furchungsstadien und Blastulae schon in
Kulturen auf, deren Eier noch gar keine inneren Veränderungen vor
der Befruchtung zeigten. Komplikationen, welche dadurch hervor-
gerufen werden, daß der Kernapparat des Eies vor der Besamung be-
reits Sehritte zur Teilung getan hat, können natürlich auch noch dazu
kommen, sind aber sicher nicht die einzige Quelle des häufigen Vor-
kommens von abnormen Larven in den Kulturen.
Ich benutzte von den Fettsäuren Essigsäure, Buttersäure oder
Valeriansäure in Vioi^ormalen Lösungen, von denen 3 ccm zu 50 ccm
Seewasser gefbgt wurden. Die Eier blieben in dem angesäuerten
Seewasser 2 — 8, bei der Mehrzahl der Versuche 5 oder 8 Minuten.
Dann kamen sie entweder gleich in gewöhnliches sterilisiertes See-
wssser zurück oder sie wurden vorher erst ein- oder zweimal mit
Seewasser, gewaschen, das einen Zusatz von IY2 ccm Vio ^ NaOH zu
100 ccm enthielt. Das Überführen aus dem angesäuerten Seewasser
in alkalisches oder gewöhnliches geschah so, daß so viel des ersteren
ab dies ohne größeren Verlust von Eiern möglich war, aus dem Ge-
fäß abgegossen und durch ungesäuertes Seewasser ersetzt wurde.
Dies wurde so oft wiederholt, bis man annehmen konnte, daß keine
Säurespuren mehr in dem Wasser waren. War zu Anfang alkalisch
gemachtes Seewasser zum Waschen verwendet worden, so brauchte
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476 Curt HerbBt
letzteres natürlich nicht so oft wiederholt zu werden als bei sofortigem
Waschen mit gewöhnlichem Meerwasser.
Das Schicksal der behandelten Eier wurde dann unter dem
Mikroskop weiter verfolgt. Nach 2—3 Standen war gewöhnlich der
anfänglich kleine, scharf umschriebene Kern größer und undeut-
lich geworden und an dem Vorhandensein eines großen hellen Hofes
in den Eiern zu sehen, daß letztere die ersten Schritte zur Teilung
eingeleitet hatten. Die Zeit, welche bis zum Inerscheinungtreten
deutlicher Anzeichen einer inneren Aktivität der Eier verstreicht, hängt
von der individuellen BeschaflFenheit des verwendeten Materials ab.
Dasselbe ist mit der Zahl der Eier der Fall, an denen sich die Kem-
veränderungen bemerkbar machen. Es sind zwar die Fälle nicht
selten, wo fast alle Eier die eingetretenen Veränderungen erkennen
lassen, aber es kommen auch solche vor, wo dieselben nur an einem
kleinen Teile der Eier wahrzunehmen sind.
Die Befruchtung der Eier wurde gewöhnlich vorgenommen, wenn
der Kern deutliche Veränderungen erkennen ließ, doch wurden zum
Vergleich natürlich auch Befruchtungen vorher ausgeführt und mit-
unter mit der Besamung auch noch länger als 2 — ^3 Stunden nach
erfolgter Behandlung der Eier gewartet.
Selbstverständlich wurde stets ein Teil der behandelten Eier als
unbefruchtete parthenogenetische Kontrolle aufgehoben und stets auf
das Genaueste auf das Vorhandensein von Larven durchsucht In
einigen Fällen fiel diese Durchmusterung völlig negativ aus, gewöhn-
lich findet sich aber doch eine schwankende Anzahl parthenogene-
tischer Larven vor, die aber stets hinter der großen Zahl der Larven
in den befruchteten Kulturen ganz gewaltig zurücktritt. Mit dem
Aussuchen der parthenogenetischen Larven wartet man am besten bis
zum zweiten Tage nach erfolgter Behandlung der Eier. Während
nämlich die parthenogenetischen Larven am ersten Tage sich noch
am Boden befinden und eventuell sogar erst vorgeschrittene Farchnngs-
stadien repräsentieren, schwimmen sie am zweiten frei im GrefäSe
umher und lassen sich so leicht isolieren. Daß zu jeder partheno-
genetischen Kontrolle behandelter Eier eine zweite unbefruchtete
Kontrolle unbehandelter Eier vorhanden war, bedarf eigentlich ebenso-
wenig der Erwähnung wie der Hinweis, daß alle andern Vorsichts-
maßregeln zum Ausschluß der Befruchtung durch Samen derselben
Species befolgt wurden.
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VererbungBßtudien. IV. 477
Der erste entscheidende Versuch.
A. Schilderang des Schicksals der Versuchskulturen.
Mein erster entscheidender Versuch, welcher mit der Kombination
&ha ^' ^ O angestellt wurde, datiert vom 22./3. 06. Er
setzt sich aus folgenden einzelnen Kulturen zusammen:
a) imbehandelte Eier, von denen 2.45 p. m. eine Portion befruchtet
wurde, die mit ai bezeichnet werden soll. In a^ sind also die ge-
wöhnlichen Bastarde der Kombination ^ ^-^ vorhanden und a dient
Sph. 2
als Kontrolle fllr die Reinheit der ganzen Versuchsserie.
b) 10.4-— 10.12 a. m. wurde eine andre Portion derselben Eier in
ein Gemisch von 50 ccm Seewasser + 3 ccm Vio ^ Essigsäure ge-
bracht. Nach Abgießen des angesäuerten Wassers wurden die Eier
zunächst mit Seewasser, dem IV2 ccm Vio n NaOH zu 100 ccm zu-
gesetzt worden waren, und darauf mit gewöhnlichem sterilisiertem
Seewasser gewaschen. Von den so behandelten Eiern blieb eine
Portion unbefruchtet, während zwei andre besamt wurden, und zwar
die erste, welche mit b^ bezeichnet werden möge, 12.37 p. m. Zu
dieser Zeit hatte der Kern bereits Umänderungen, die auf Teilung
hinzielten, erfahren, er war undeutlich geworden, und es war ein
großer heller Hof in den Eiern sichtbar. Die zweite Portion (b2J
wurde erst 3.5 p, m. besamt, zu einer Zeit, wo die meisten Eier bereits
Plasmakugeln abgeschnürt hatten, die wohl nie als wirkliche Fnrchungs-
kugeln zu betrachten waren. Ein Schütteln der Eier vor der Befruch-
tung war nicht notwendig, da dieselben trotz der Behandlung mit
Essigsäure keine Dottermembran abgehoben hatten. Nur der helle
periphere Plasmasaum war bereits an der Oberfläche der unbefruch-
teten, mit Essigsäure behandelten Eier zu sehen. Auch nach der Be-
samung wurde übrigens keine Dotterhaut von der Oberfläche der
Eier abgehoben. Die Furchung verlief in den befruchteten Kulturen
ganz unregelmäßig, ebenso unregelmäßig wie bei parthenogenetischer
Entwicklung der Eier.
c) 10.38—10.43 a. m. wurde eine zweite Portion des Eimaterials
in 50 ccm Seewasser 4- 3 ccm Yio ^ Essigsäure gebracht. Auch hier
wurde von den unbefruchteten Eiern keine Dotterhaut abgehoben,
als sie zuerst mit alkalischem und dann mit gewöhnlichem sterili-
sierten Seewasser gewaschen wurden. 2.30 p. m. wurde ein Teil
Archiv f. Entwicklangsmeclianik. XXII. 31
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478 Curt HerbBt
der Eier befruchtet, wobei wieder keine Dottermembran abgehoben
wurde. Der Kern der Eier befand sich im Momente der Befruchtung
auf verschiedenen Stadien der Aktivität. Bei dem einen Teil war der
charakteristische helle Hof mit verschwommenem Kern wahrzunehmen,
während bei dem andern Teil der Kern noch deutlich, aber meist
größer als normal war. Die befruchtete Portion von Serie c soll
Ci heißen.
Noch kürzere Zeit als in Kultur c wurden die Eier in d der
Wirkung der Essigsäure ausgesetzt, nämlich nur von 11.26—11.28 a. m.
Auch hier wurden die Eier nach dem Aufenthalt in dem angesäuerten
Wasser zunächst mit alkalischem Seewasser gewaschen, in welchem
im Gegensatz zu den vorhergehenden Versuchen etwa 10% der un-
befruchteten Eier Dottermembranen abhoben, welche 11.39 durch
Schütteln zu entfernen versucht wurden. Die Befruchtung eines
Teiles der Eier fand 2.35 p. m. statt, zu welcher Zeit der Kern bei
der Mehrzahl verschwommen und sonst größer als normal geworden
war.
Als am 23./3. vormittags die Kulturen durchmustert wurden, stellte
es sich heraus, daß von den unbefruchtet gebliebenen Zuchten a, b,
c und d nur b einige wenige parthenogenetische Larven enthielt und
zwar nicht mehr als 6, daß alle andern Eier aber in b, c und d zer-
fallen waren. Im schärfsten Gegensatz hierzu standen die befruch-
teten Kulturen bi, b2, C], und dj. In bi hatten sich nämlich ungefähr
alle Eier entwickelt, so daß es an der Oberfläche des Wassers an
der Gefäßwand von freischwimmenden Blastulis wimmelte. Neben
diesen gesunden Larven waren am Boden viele mehr oder weniger
krüppelige und solche vorhanden, welche nur aus einem Teil des
Furchungszellenmaterials hervorgegangen waren, während der andre
Teil oder die andern Teile des Zellenhaufens entweder zerfallen waren
oder ebenfalls kleinen Blastulis den Ursprung gegeben hatten. Den
sechs Larven in der parthenogenetischen Kultur standen
also Tausende in der befruchteten gegenüber, so daß sich
daraus der sichere Schluß ergibt, daß die Larven der
letzteren höchstens bis auf einige wenige aus Eiern her-
vorgegangen sind, in die Spermatozoen eingedrungen
waren. Zur Abschneidung eines jeden Einwandes sei noch erwähnt,
daß die unbefruchtete Kontrolle nicht etwa eine geringere Anzahl von
Eiern enthielt als bi.
In bs hatten sich auch ungefähr alle Eier entwickelt, aber es
überwogen die krüppeligen Keime, woraus sich ergibt, daß man nach
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VererbungsBtadien. IV. 479
der BehaudluDg der unbefruchteten Eier mit essigsäurehaltigem See-
Wasser nicht allzu lange mit der Befruchtung warten darf, falls man
normale Blastulae erhalten will. Es sind sonst die inneren Verände-
rungen in den Eiern so weit vorgeschritten, daß di^ eingedrungenen
Spermatozoeu zwar noch den Zerfall der Keime aufhalten, aber nicht
die Entstehung normaler Larven bewirken können. Ob daran ein
noch häufigeres Eintreten von Doppel- und Mehrfachbefruchtung oder
die bereits zu weit gediehene Kernteilung oder endlich eine Ver-
änderung des Plasmaleibes der Eier die Schuld trägt, soll hier nicht
weiter untersucht werden.
Auch in der befruchteten Kultur Cj waren viele freischwimmende
Larven vorhanden, die alle aus befruchteten Eiern hervorgegangen
sein mußten, da in der unbefruchteten Kontrolle nach genauem
Durchsuchen keine parthenogenetischen Larven gefunden worden
waren, wie bereits oben berichtet wurde.
Zu der Serie d waren nur verhältnismäßig wenige Eier ver-
wendet worden, doch konnten immerhin einige freischwimmende
Blastulae aus der befruchteten Kultur herausgefangen werden, während,
wie gesagt, in der unbefruchteten alle Keime zerfallen waren.
Als Endresultat der ganzen Versuchsserie ergab sich am 29./3.
nachmittags folgendes:
In ai fanden sich gewöhnliche Bastarde vor, welche in der
äußeren Form und auch am Skelet den männlichen Vererbungsanteil
sehr deutlich zu erkennen gaben.
Ganz anders war dagegen das Bild, das sich dem Auge
in der Kultur bi darbot. Da traten die männlichen Cha-
raktere viel mehr zurUck und die mütterlichen sehr viel
mehr, ja z. T. außerordentlich stark hervor, was sich na-
mentlich an der Häufigkeit schöner Gitterstäbe in den Anal-
fortsätzen kund gab, die mitunter sogar richtige dreikan*
tige Sphaerechinus-Gitterst^he waren. Trotzdem konnte man
den Larven doch noch den Bastardursprung ansehen, da reine Sphaer-
echintiS'Plntei unter ihnen nicht zu finden waren. Dadurch daß
wir den Eiern vor der Befruchtung durch die Behandlung
mit einer schwachen Essigsäurelösung in Seewasser einen
geringfügigen Anstoß zur Parthenogenese gegeben hatten,
war es also zu einem bedeutend stärkeren Hervortreten der
mütterlichen Eigenschaften gekommen. Von den sechs par-
thenogenetischen Larven, welche wir am 23. aus der unbefruchteten
Kontrolle zu bi herausgefischt hatten, war nur ein Paar zu ganz oder
31*
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480 Curt Herbat
nahezu ausgebildeten Sphaerechinus-Flnteis geworden, während die
andern mehr oder weniger weit in der Entwicklung zurückgeblieben
und abnorm waren. Da in der befruchteten Kultur bi kein einziger
reiner Sphcterechinus-Plntexk^, dagegen Hunderte von gesunden Larven
vorhanden waren, welche zwar sehr zur Mutter hinneigten, aber trotz-
dem noch ihren gemischten Ursprung zur Schau trugen, so dürfte in
bi vielleicht überhaupt keine gesunde Larve vorhanden gewesen sein,
welche nicht aus einem befruchteten Ei hervorgegangen wäre. Sollten
wir uns aber hierin täuschen, so würden die sehr wenigen parthe-
nogenetischen Larven, welche etwa unter den amphigenetischen dar-
unter waren, der großen Menge der letzteren gegenüber gar nicht
ins Gewicht fallen. Und auch diese Hauptmacht der Larven ließ die
mütterlichen Charaktere auffallend stark hervortreten.
War bereits in bi ein großer Teil der Larven in der Entwicklung
mehr oder weniger weit zurückgeblieben und mehr oder weniger
krüppelig geworden, so daß die gesunden Larven nicht mehr nach
Tausenden, wie die ursprüngliche Blastulazahl, zählten, so war die
Anzahl der krüppeligen Larven in b2 noch gesteigert. Ich konnte
nämlich in dieser Kultur überhaupt nur einen gesunden Pluteus auf-
finden, der die Sti^ongyloceyitrotteS'Eigeu^QhaSten in hohem Maße her-
vortreten ließ im Gegensatz zu seinen Geschwistern in bi, welche
hochgradig nach der Mutter hin geschlagen waren. Das Schicksal
der Kultur bs erklärt sich, wie wir bereits oben ausführten, ans der
zu weit gehenden Veränderung der Eier vor der Befruchtung, welche
die Entwicklung der Keime zu normalen Larven nicht gestattete.
Nur solche Eier, welche sich nicht verändert hatten, konnten gesunde
Larven liefern, und wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir den Pluteus,
der stark nach Strongylocentrotus hinneigte, auf ein solches Ei zu-
rückführen. Unter diesen Umständen scheidet die Kultur b2 als wertlos
aus den weiteren Erörterungen aus.
Noch größer als zwischen ai und bi war der Unter-
schied zwischen der gewöhnlichen Bastardkultur und C|,
denn es kamen in letzterer nicht nur Plutei mit schönen
Gitterstäben, wie sie sich in bj, aber nicht in aj fanden,
vor, sondern es wurden darin sogar reine Sphaerechinus-
Plutei gefunden. Da in der unbefruchteten Kontrolle zu Ci keine
parthenogenetischen Larven aufgefunden wurden, so ist sicher, daß
nicht nur jene Plutei, welche die mütterlichen Eigenschaften mehr als
jene in ai hervortreten ließen, sondern auch die reinen Sphacrechvtms-
Larven aus befruchteten Eiern hervorgegangen sein mußten. Es ist
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Vererbaugsstudien. IV. 481
uns also nicht nur gelungen, durch einen geringfügigen
Anstoß zur Parthenogenese und nachfolgender Befruch-
tung die Vererbungsrichtung weit mehr nach der mtltter-
lichen Seite hin zu verschieben, sondern sogar Larven
von rein mutterlichem Habitus aus der Bastardbefruchtung
hervorgehen zu lassen. Woran liegt es aber, daß wir nicht auch
in bi reine Sphaerechinus-Flntei erhalten haben ? Blättern wir im Ver-
suchsprotokolle zurück, so lesen wir vorn S. 477, daß die Eier in bi
bei der Befruchtung keinen scharf umschriebenen Kern, sondern einen
großen hellen Hof erblicken ließen, während in Ci nur ein Teil der
Eier diese Eigenschaft aufwies, der andre dagegen einen deutlichen
Kern von meist bedeutenderer als normaler Größe besaß. Liegt da
nicht der Schluß nahe, daß die rein mütterlichen Larven aus den Eiern
mit größerem als normalem Kern hervorgegangen sind, denn im Vor-
handensein oder Fehlen dieser bestand der einzige wahrnehmbare
Unterschied im Eimaterial von Ci und bi?
In Kultur di endlich waren trotz der geringen Zahl von Larven
auch einige gesündere Plutei mit typischen Gitterstäben vorhanden,
wie solche in bi und Ci zu sehen waren. Da auch hier in der un-
befruchtet gebliebenen Kontrolle keine parthenogenetischen Larven
anfgefunden worden waren, so ist sicher, daß die Plutei mit Gitter-
stäben in den Analarmen aus befruchteten Eiern hervorgegangen
waren. Auch diese Kultur beweist also die Verschiebung der Ver-
erbungsrichtung nach der mütterlichen Seite, wenn die Eier vor der
Befruchtung einen geringfügigen Anstoß zur Parthenogenese erhalten
haben.
B. Statistische Belege für das Verschieben
der Vererbungsrichtung.
Um noch exaktere Beweise für die Richtigkeit unsrer Entdeckung
zu geben, als die einfache Beschreibung des Schicksals der Versuchs-
kulturen bieten kann, habe ich aus den drei Zuchten ai, bi und Ci
je 50 Plutei ganz genau untersucht und aus den Befunden an ihnen
folgende vier Tabellen zusammengestellt, die sich auf die verschiedenen
Merkmale der Plutei beziehen.
Die L Tabelle spricht außerordentlich deutlich, so daß ich mir ein
längeres Reden darüber ersparen kann und nur auf einige Punkte auf-
merksam machen will.
Zunächst sei darauf hingewiesen, daß der schon so bedeutende
Unterschied in bezug auf die Zahl der Plutei und Fortsätze mit
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482 Curt Herbst
I. Die Beschaffenheit der Analarmsttttzen.
Bezeichnung der
Kaltnr.
Behandlung und
Daner der
Behandlung der
Eier vor der
Befruchtung
Stadinm, auf
dem d. Beft^eh-
inng Torgenom-
men wurde,
und Zeit der
Befirnohtnng
Zahl
dor
unter-
ton
Plutei
Zahl der
Plutei mit
Gitter-
bildung an
den Anal-
armst&tzen
Zahl der
Forts&tze
mit Gitter-
bildnng an
den Anal-
armsttttzen
Zahl der
strecken-
weise
drei-
kantigen
Gitter-
Stube
Zahl der
roUsUu-
dig drei-
kantig.
Spkaer.-
Gitter-
st&be
Größte
Zahl
der
Quer-
verbin-
dungen
Zahl der
Gitter^
st&be m.
10 oder
mehr
Quer- I
verbind.
ZaUder
ganz od.
aahez«
typisch.
SphoiT.-
Plutei
ai
anbehandelt,
22./3.10a.m
06 dem Weib-
chen entnom-
men
bi
10.4-10.12 a.
in. in 60 ccm
Seewaßser H-
3 ccm Vio ^
EsBigsäure
ct
10.38-10.43
a.m.inöOccm
Seewasser -j-
3 ccm Viü ^
Essigsäure
60
60
unverändert, j
22./3. 06 2.4Ö
p.m. befruch-
tet
Kern undeut-
lich, großer
heller Hof,
12.37 p.m. be-
fruchtet
Kern nur bei 50
einem Teil d.'
Eierundeutl.,
sonst scharf '
umschrieben,
29
38
0 ! 11
45
82
20
11
aber meist |
größer als
normal, 2.30,
p.m.befrucht.l
48
bei den
I beiden
Ausnah-
men Stäbe
ganz kurz)
90
von den
10 Aus-
nahmen
alle bis
auf zwei
ganzkurz^
33 20
29
Gitterbildung an den AnalarmstUtzen noch gewaltiger geworden wäre,
wenn die Fortsätze der Plutei in bi und Ci alle eben so lang, wie
diejenigen der Larven in Hj gewesen wären. Das aber war nicht
der Fall, da die Eier durch die Behandlung mit Essigsäure doch mehr
oder weniger geschädigt worden waren und infolgedessen häufig
Plutei mit recht kurzen Fortsätzen produzierten. Wenn so kurze
Armstützen keine Querverbindungen aufweisen, so ist das noch kein
Beweis, daß die Armstützen auch frei von Gitterbildung geblieben
wären, wenn sie eine größere Länge erreicht hätten. Auf diese Weise
hätte namentlich der unterschied zwischen ai und Cj noch größer
werden können, wie bereits in der Tabelle durch die Zusätze in
Klammem angedeutet worden ist. Bei größerer Durchschnittslänge
der Fortsätze in b, und Cj hätten sich auch die Werte für die größte
Zahl der Querverbindungen und für die Zahl der Gitterstäbe mit mehr
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Vererbnnff88tiidien. IV.
483
als 10 Verbindungen in bi und Ci noch mehr erhöht und damit den
Abstand von ai noch größer gemacht, als er ohnehin schon ist.
Sodann sei darauf aufmerksam gemacht, daß unter den Fort-
sätsen mit Gitterbildung in ai auch nicht einer vorhanden war, der
auch nur streckenweise typisch dreikantig wie die gewöhnlichen
SphaerechinuS'GitterBiähe gewesen wäre, während wir in bi, wenn
wir beide Rubriken zusammenfassen, 18 und in Ci sogar 42 unter
100 zählen konnten. Das ist eine ganz gewaltige Verschiebung der
Yererbungsrichtung nach der mütterlichen Seite hin, welche den
großen Unterschied zwischen den Versuchen der zweiten Vererbungs-
studie und denen dieser neuen Serie klar hervortreten läßt. Dort
konnten wir nämlich zwar durch Erhöhung der Temperatur die durch-
schnittliche Zahl der Querbrtlcken zwischen den Analarmstäben er-
höhen, aber es war uns versagt, durch dieses Mittel die Entstehung
typisch dreikantiger Sphaerechinus-GitterBiSbe hervorzurufen, was uns
jetzt mit unsrer neuen Methode ganz leicht fällt.
Endlich beachte man den Unterschied, welcher zwischen den
beiden Kulturen mit Vorbehandlung der Eier besteht und welcher
sich namentlich in den Kubriken: »Zahl der vollständig dreikantigen
Spfiaerechinns-Giüer^VkhQy Zahl der Gitterstäbe mit 10 oder mehr
Querverbindungen und Zahl der ganz oder nahezu typischen SpÄa^-
echinus-Vlnteu deutlich zu erkennen gibt. Es scheint daraus hervor-
zugehen, daß die Vererbungsrichtung noch mehr nach der mtttter-
lichen Seite hin verschoben wird, wenn der Eikern vor der Befruchtung
zwar größer geworden ist, aber seine scharfe Umgrenzung bewahrt
hat, als später, wo er undeutlich geworden und im Innern der Eier
ein großer heller Hof zu sehen ist.
II. Die Zahl der Wurzeln der Analarmsttttzen.
zeiclinaDg
der
Kaltax
ai
bi
Cl
Analarm-
mit
1 Wuriel
unter 100
46
12
10
Einwurzeli^
▲aalarmstfttzen
ohne Gabel- nnd
Seiteniste nnd
ohne Oitter-
bildunsr
38
5
1
Analarm-
Analarm-
Analarm-
stfttxen
stützen
stutzen
mit
mit
mit
2 Wurzeln
3 Wurzeln
4 Wurzeln
unter 100
unter 100
unter 100
61
3
0
41
40
7
2Ö
66
6
Analarm-
stlktzen
mit
5 Wurxeln
unter lOu
0
0
1
Ein zweites Charakteristikum der Sphae^-eckinus-Flntei ist bekannt-
lich die Zahl der Wurzeln der Analarmstützen, welche unter normalen
Verhältnissen gewöhnlich drei beträgt. Die zweite Tabelle zeigt uns nun
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484 Curt Herbst
auf das deutlichste, wie groß die Verschiebnng nach der mütterlichen
Seite in dieser Hinsicht ist, wenn die Eier vor der Befrachtung einen
geringfügigen Äntoß zur Parthenogenese bekommen haben. Ich habe
bei Abfassung der Tabelle mich an dieselbe Definition der »Wurzel«
gehalten, welche mir schon in der zweiten Vererbungsstudie*) als
Richtschnur diente. Ich verstand dort unter einer Wurzel der Anal-
armstutzen »einen jeden Auswuchs des horizontalen Teiles der Oral-
stäbe, der analen Querstäbe, der analen Scheitelstäbe oder des Knoten-
punktes dieser drei, dessen Wachstumsrichtung in den analen Fortsatz
der betreflfenden Seite hineinftlhrtc. Überblicken wir die Zahlen der
Tabelle, so sehen wir, daß in der gewöhnlichen Bastardkultur 46
Fortsätze unter 100 zu finden waren, die nur eine Wurzel aufwiesen,
und daß von diesen 46 nicht weniger als 38 ungegabelt und ohne
jeden Ansatz von Gitterbildung, also gewöhnliche Strongylocentrotus-
Stäbe waren. In bi ist dagegen die Zahl der letzteren auf 5 und
in Ci sogar auf 1 reduziert worden, wobei noch zu beachten ist, da<B
ich im letzteren Falle hinter die 1 in meinem Protokolle die Be-
merkung >kurz« eingetragen hatte. Auch hinter zwei ein wurzeligen
Fortsätzen der Kultur bi findet sich diese Bemerkung vor, welche
im vorliegenden Falle sagen will, daß die betreffenden Fortsätze viel-
leicht mehrwurzelig geworden wären, wenn die Larven sich zu ge-
sünderen Pluteis entwickelt und ein kräftigeres Skelet angelegt hätten.
Im Gegensatz zu der großen Reduction der Zahl der einwurzeUgen
steht in bj und Ci die bedeutende Vermehrung der dreiwurzeligen
Stäbe, welche wiederum in jener Kultur am weitesten getrieben ist,
deren Eimaterial bei der Befruchtung z. T. scharf umschriebene, aber
größere Kerne als in der Norm aufwies.
Vergleichen wir unsre zweite Tabelle mit der sechsten unsrer Ver-
erbungsstudie 2) über den Einfluß erhöhter Temperatur auf die Ausbildung
des Bastardskelets, so ergibt sich, daß die Vermehrung der Zahl der
Wurzeln im jetzt vorliegenden Falle noch weit ausgesprochener ist
als bei den Wärmeexperimenten, bei welchen es sich übrigens nur
um eine scheinbare Verschiebung der Vererbungsrichtung handelte,
während hier eine tatsächliche vorliegt.
Wenden wir uns jetzt der Betrachtung der dritten Tabelle zu,
welche das Vorkommen der oralen Scheitelbalken in den drei Kul-
turen registriert, so finden wir auch hier eine bedeutende Verschiebnng
1) Arch. f. Entw.-Mech. Bd. 21. 1906. S. 199.
2) Ibidem S. 203.
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Vererbangsstadien. IV. 485
III. Das Vorkommen der oralen Scheitelbalken.
Bezeich-
nung
der
Knltar
Zahl der
Plntei unter
50 Stttok mit
oralen ScheU
telbalken od.
▲ns&tzen >)
dazn
ai
bt
Cl
14
23
36
Zahl der
Plntei
mit
einseitiger
AnUgo
11
20
12
Zahl der
Plntei
mit beider-
seitiger
Anlage
3
3
24
Zahl der
stummei-
förmigen
oralen
Scheitel-
balken
14
21
24
Zahl der
langen, aber
nicht bis
znm Scheitel
reichenden
oralen Schei-
telbalken
3
ö
20
Zahl der
Zahl der
bis znm
typisch ge-
Scheitel
gabelten
reichenden
oralen
oralen
Sphacrech.'
Scheitel-
Scheitel.
balkon
balken
0
0
0
0
16
9
nach der mütterlichen Seite, und diese Verschiebung ist auch
hier in Kultur Ci noch weit ausgesprochener als in b). Das spricht
sich in fast allen Rubriken aus. Bis zum Scheitel reichende orale
Seheitelbalken und solche, welche in typischer Spliaereckimis-Art ge-
gabelt sind, kommen sogar überhaupt nur in Ci vor. Im Gegensatz
zu unseren früheren Wärmeexperimenten, bei denen sich keine gesetz-
mäßige Beziehung zwischen erhöhter Temperatur während der Ent-
wicklung und dem Auftreten der oralen Scheitelbalken ergab, ist es
uns also jetzt gelungen, das Hervortreten auch dieses Sphaerechinus-
Merkmales in hohem Grade zu beeinflussen.
IV. Die Beschaffenheit der analen Scheitelbalken.
Bezeichnnng
der Kultur
ai
bi
Zahl der Plntei nnter 50 mit typischen
analen ^ii/iariYrAttins-Scheitelbalken
0
0
12
Ich habe bei Herstellung dieser vierten Tabelle nur auf das Vor-
kommen typischer, in regelrechter Weise gegabelter, analer Sphae?'-
echinus-Soheitelhslken geachtet. Wie man sieht, sind solche nur in
derjenigen Kultur zu finden, welche auch in den vorhergehenden
Tabellen am meisten nach der mütterlichen Seite hinneigte, in Ci.
In der fünften Tabelle haben wir schließlich Beweise für die
Keduction der Länge der Seheitelbalken und für die Veränderung
1} Abnormitäten, die darin bestanden, daß sich die Or&lstäbe scheitelwärts ge-
krümmt hatten, ohne Oralarmstützen abgehen zu lasseD, wurden nicht mit zu den
oralen Scheitelbalken gerechnet, obwohl sie bisweilen in ci ganz bis znm Scheitel
reichen konnten. Hätten wir sie mitgerechnet, so wäre die Zahl der Plntei mit
oralen Scheitelbalken in Ci anf 40 gestiegen, während sie sich in ai nicht ver-
ändert hätte.
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486
Curt Herbst
Die Länge der analen Scheitelbalken
und die Körperproportionen.
Bezeichnung
der Kultur
Größtes Haß
der analen
Scheitelbalken
Kleinstee Maß
der analen
Scheitelbalken
Länge der
analen Bebeitel-
balken
im Durchschnitt
Kleinster Wert
f Br das Yerh<ni«
Scheitelbalkenl&nire
AnalarmUmge
ai
bi
Ci
35
32
29
25
18
16
31
24,7
22,4
3/7
der Körperproportionen mitgeteilt. Die Zahlen sprechen sehr deut-
lich und zwar die von Kultur Ci wieder am deutlichsten. In den
Kulturen, zu denen Eier mit geringfügigem Anstoß zur Parthenogenese
verwendet worden waren, ist eine auffallende Reduction der durch-
schnittlichen Länge der analen Scheitelbalken und das Auftreten von
Larven mit SpAaer^cÄinw^-Körperproportionen zu konstatieren. Es
ist auffallend, wie genau die Verschiebung der Scheitelbalkenlänge
in Kultur Ci nach der 24. Tabelle unsrer zweiten Vererbungsstudie mit
derjenigen in Wärmezuchten von 23 — 26® C. tibereinstimmt, denn wir
fanden in letzteren für das größte Scheitelbalkenmaß die Zahl 29,
für das kleinste 15 und für das durchschnittliche 22,5, während sich
in der obenstehenden fünften Tabelle die Werte 29, 16 und 22,4
vorfinden, die also mit ersteren ganz nahe zusammenfallen. Wir
haben demnach dadurch, daß wir den Eiern vor der Befruchtung
einen geringfügigen Anstoß zur Parthenogenese gaben, jetzt bei Zimmer-
temperatur von 16 — 18° C. dasselbe erreicht, was wir früher durch
Erhöhung der Temperatur während der Entwicklung auf 23—26° C.
erzielt hatten. In beiden Fällen handelt es sich um^ eine wirkliche
Verschiebung der Vererbungsrichtung, was für die in der Wärme er-
haltenen Resultate auf Seite 267 meiner zweiten Vererbungsstudie
nachgewiesen worden ist.
Ziehen wir jetzt am Schlüsse das Gesamtfazit aus unsem sta-
tistischen Belegen, so ergibt sich, daß die Verschiebung der Ver-
erbnngsrichtung sich im allmählichen Auftreten aller Hauptcbarakte-
ristika der Sphaerechinus-Plniei äußert. Am leichtesten geht die
Verschiebung bei rein quantitativen Merkmalen, bei der Länge der
analen Scheitelbalken, welche durch einfache Temperaturerhöhung
während der Entwicklung bei manchen Larven mütterlichen Charakter
annehmen kann. Von den andern Merkmalen traten in der Regel
zunächst, durch mannigfache Übergänge mit den gewöhnlichen Ann-
stutzen der Bastarde verbunden, die dreikantigen Gitterstäbe in den
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Vererbnngsstudien. IV. 487
Analfortsätzen anf, dann erscheinen die oralen Scheitelstäbe, aber noch
nicht mit typischer Sphaerechinus-Enäigung, welche erst der letzten
Stnfe eigentUmliöh ist, anf der dann auch die analen Scheitelbalken
die charakteristische Sphaerechintis-GtBhQlxiug erkennen lassen. Erst
dann ist durch Verwachsung der Gabeläste die Möglichkeit zur Bil-
dang eines typischen SphaerechinuS'SchQitelkorhßB gegeben und die
Verschiebung nach der mütterlichen Seite hin vollständig. Mit Auf-
stellang dieser Formenfolge habe ich selbstverständlich keine onto-
genetische Entwicklungsreihe geben, sondern nur die verschiedene
Leichtigkeit, mit der die mütterlichen Charaktere bei der Verschiebung
der Vererbungsrichtung gewöhnlich zum Durchbruch kommen, cha-
rakterisieren wollen. Eine streng gesetzmäßige Erscheinung ist
freilich die aufgestellte Reihe nicht, denn es kommen auch Larven
mit oralen Scheitelbalken, aber ohne Gitterstäbe in den Analarmen
vor. Die oralen Scheitelstäbe sind dann allerdings nicht von rein mütter-
lichem Typus, sondern lassen noch den Mischcharakter der Larvenform
erkennen, indem sie entweder rudimentär sind oder bei bedeutender
Länge bisweilen eine Endigungsweise zeigen, die mehr an diejenige
der analen Scheitelbalken der Bastardlarven als an die Beschaffenheit
der typischen oralen SphaerechimtsSeheitelhalken erinnert. In einer
Hinsicht stimmt aber die aufgestellte Reihenfolge immer: Es tritt nie
ein richtiger SphaerechinuS'SGheitelkorh auf, ohne daß zugleich auch
typische Gitterstäbe und die richtigen Körperproportionen vorhanden
wären. Bei der Bildung des Scheitelkorbes vermögen sich also die
mütterlichen Charaktere nach meinen Erfahrungen immer am schwie-
rigsten durchzusetzen.
C. Bildliche Belege für die Verschiebung der Vererbungs-
richtung.
Auf Tafel XIV habe ich eine Anzahl Larven abgebildet, welche
zur bildlichen Demonstrierung der Verschiebung der Vererbungsrichtung
dienen sollen. Die Reihe wird eröffnet durch die reine Form des
benutzten Männchens, durch einen Pluteus von Strongyloc€ntrotuslivid%LS\
sie wird geschlossen durch die reine mütterliche Form, durch einen
Pluteus von Sphaerechinics granularis. Letzterer stammt aus einer
parthenogenetischen Kultur und zeigt deshalb gleichzeitig, daß voll-
kommen normale Plutei aus Eiern enstehen können, welche durch
vorübergehenden Aufenthalt in Seewasser mit Zusatz einer Fettsäure
zur Selbstentwicklung gebracht worden sind. Die einzige Abweichung
von der gewöhnlichen Sphaereckimis-Form ist an dem rechten Anal-
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488 Curt Herbst
fortsatz wahrzunehmen. Der Gitterstab desselben läßt nämlich in
seinem distalen Teil deutlich das Znsammengesetztsein aus vier Einzel-
stäben erkennen. Diese Abweichung ist aber nicht als Abnormität
aufzufassen, denn sie kommt bekanntlich auch bei ganz normalen
Pluteis vor, die aus befruchteten Eiern entstanden sind, namentlich,
wenn sie sich bei höherer Temperatur entwickelt haben ^).
In den Fig. 2 — 4 habe ich drei Larven aus der gewöhnlichen
Bastardkultur ai dargestellt. Alle drei lassen den Einfluß des männ-
lichen Elementes sehr deutlich erkennen, obgleich ich nicht etwa
solche Formen ausgesucht habe, welche die größte Ähnlichkeit mit
Sirongylocentrotus zeigen, sondern im Gegenteil in Fig. 4 einen Plu-
teus dargestellt habe, der zu denjenigen gehört, welche die mütter-
lichen Charaktere am meisten hervortreten ließen. Trotz alledem ist
derselbe nicht nur noch sehr weit von einem Splmereehimis-'PXvLievA
entfernt, sondern auch von den meisten Larven, welche sich in den
beiden Kulturen mit vorbehandelten Eiern, vorfanden.
Die Larven 5 — 7 stammen aus der Versuchskultur bi,' d. h. aus
jener, deren Eimatcrial im Befruchtungsmoment keinen scharf um-
schriebenen Kern, sondern an seiner Stelle einen großen hellen Hof
aufwies. Ich habe die Auswahl so getroffen, daß Fig. 5 einen Plu-
teus vorstellt, bei dem die mütterlichen Charaktere verhältnismäßig
wenig hervortreten, während das bei Fig. 6 in bezog auf die Gitter-
arme schon bedeutend mehr der Fall ist, und Fig. 7 endlich noch
einen weiteren Schritt nach der mütterlichen Seite hin repräsentiert
In Fig. 6 haben wir nämlich zwei schöne Gitterstäbe in den Analfortsätzen
vor uns. Sie bestehen zwar zum größten Teil nur aus zwei Einzelstäben,
und zeigen nur an ihren Enden den Beginn einer Dreiteilung, sind
aber trotzdem dem mütterlichen Typus weit mehr genähert als die
allerbesten Gitterstäbe in der gewöhnlichen Bastardkultur. Die in
Fig. 7 dargestellte Larve weist auf der einen Seite einen ähnlichen
Analfortsatz auf, wie der Pluteus 6 auf beiden besitzt, trägt aber auf
1) Vgl. VererbungsBtudie IL Dieses Archiv Bd. 21. S. 250. Bezüglich des
Erkennens des Zusammengesetztseins der Analarmstützen aus vier Stäben sei
bemerkt, daß man dasselbe danach beurteilen kann, ob im Gitterstab ein oder
zwei Perlenreihen nebeneinander liegen. Bei einem gewöhnlichen dreikantigen
Gitterstab erscheinen die Verbindungsbrticken zwischen den beiden äußeren
Stäben und dem an der Kante im optischen Querschnitt als eine Keihe von
Perlen, welche an den Sprossen zwischen den beiden äußeren Stäben befestigt
zu sein scheinen. Besteht der Gitterstab aus vier Stäben, so liegen zwei sol-
cher Perlenreihen nebeneinander, wenn sich die Perlen nicht zufällig vollständig
decken.
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VererbungSBtudien. IV. 489
der andern Seite einen typischen dreikantigen Sphaefechinus-Gitter-
Stab zur Schan. In bezug auf das Vorhandensein oder Fehlen der
oralen Scheitelbalken unterscheiden sich die drei Larven noch nicht
wesentlich von den gewöhnlichen Bastarden, aber die Körperpropqr-
tionen sind doch bereits etwas andre geworden, wie ein Vergleich
der Figuren 2—4 und 5 — 7 ohne weiteres ergibt.
Der Kultur Ci, d. h. jener, deren Eier im Befruchtungsmoment
teils einen großen hellen Hof teils einen scharf umschriebenen, ruhenden
Kern von meist übernormaler Größe besaßen, sind die Plutei 8 — 10
entnommen worden. Auch hier läßt die erste Larve (Fig. 8] die
mütterlichen Charaktere verhältnismäßig wenig hervortreten, die
zweite dagegen mehr, denn sie ist im Besitze von zwei dreikantigen
Sphaerechinus -GittenWih&n und auf der rechten Seite von einem
langen, allerdings noch ungegabelten oralen Scheitelbalken, und die
dritte (Fig. 10) ist endlich derartig mutterähnlich, daß sie als typischer
Spha€rechinuS''Plvite\iB zu bezeichnen ist, obwohl sie aus einer Bastard-
befrnchtung hervorgegangen ist. Durch diese Larve ist die Reihe
von dem einen der beiden so verschiedenartigen Eltern zum andern
geschlossen worden. Die Bastardlarve von Sphaerechinus-'SB\)itfi&
zeigt zwar noch eine kleine Anomalie am Scheitelkorb, da der linke
orale Scheitelbalken nicht mit dem richtigen analen bzw. mit einem
Gabelast desselben versehmoken ist; aber solche Abweichungen
kommen auch in reinen Zuchten vor, und es liegt kein Grund vor,
darin etwa noch einen Einfluß des väterlichen Elementes erkennen
zu wollen.
Vergleichen wir die drei Larven aus der Kultur Cj (8 — 10) mit
denen aus bi (5 — 7), so ergibt sich, daß die ersteren im Durchschnitt
noch mehr nach der mütterlichen Seite hinneigen als die letzteren.
Das ist also dasselbe Resultat in Bildern, welches wir oben durch
statistische Ermittlungen festgestellt hatten.
Zum Schluß sei endlich noch auf eine Tatsache von unterge-
ordneter Bedeutung aufmerksam gemacht, es ist dies die verschiedene
Größe der Larven aus den Kulturen, deren Eier mit angesäuertem
Seewasser vorbehandelt worden waren. Der Ursprung der kleinen
Larven (Fig. 8) ist leicht erklärt: sie stammen von Keimen ab, deren
Furchungszellenmaterial nicht vollständig zur Bildung einer Blastula
verwendet, sondern teilweise entweder als tote Masse oder als kleine
Teilblastnla abgestoßen worden ist. Was aber die Maßdifferenzen
der größeren Larven anbelangt, so können dieselben durch verschiedene
Umstände bedingt sein, deren Erörterung nicht hierher gehört.
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490 Curt Herbst
3.
Die Bestätigung des Hauptresultats durch weitere Versuche.
A. Weitere Beweise für das Eindringen von Spermatozoen
in die behandelten Eier.
a] Wir hatten im vorigen Kapitel als Beweise, daß Samenfäden
in die behandelten Eier eindringeo, die beiden Tatsachen angefahrt,
daß sich in den parthenogenetischen EontroUknlturen entweder über-
haupt keine Eier bis zn freischwimmenden Larven entwickeln oder
nur so viele, daß sie nur einen Brachteil der Larvenzahl in den be-
samten Kultaren ausmachen. Bei meinen weiteren Experimenten
haben sich diese beiden Tatsachen durchweg als richtig herausgestellt,
wenngleich die Zahl der parthenogenetischen Larven in weiten Grenzen
schwankte. Am größten war sie bei einem Versuch vom 26./3. 06,
wo die Eier 2 Minuten lang mit Essigsäure-Seewasser behandelt und
darauf mit alkalischem Wasser zweimal gewaschen worden waren.
Ich konnte da nämlich gegen 200 Larven aus der parthenogenetischen
Kontrolle herausfischen, die freilich nur zu einem geringfügigen Teil
das Pluteusstadium erreichten. Trotz der verhältnismäßig vielen
parthenogenetischen Larven war aber auch bei diesem Versuche der
Unterschied zwischen der unbefruchteten und befruchteten Kultur ein
gewaltiger, denn in letzterer wimmelte es von Larven, so daß ihre
2jahl gar nicht festgestellt werden konnte. In den andern Versuehsreihen
fanden sich, wie gesagt, in den parthenogenetischen Kontrollen immer
viel weniger Larven vor als bei diesem einen Versuch vom 26. März.
So konnte ich z. B. in einer parthenogenetischen Kultur am 14./4.
nur drei Larven auffinden, von denen es eine bis zum Pluteus brachte,
während in den befruchteten Zuchten fast alle Eier zu wimpemden
Keimen geworden waren. In einer andern Versuchsserie vom 1./4.
konnte trotz genauesten Suchens in der parthenogenetischen Kultur
nicht eine Larve aufgefunden werden, während in der befruchteten
60% der Eier zu wimpernden Blastulis geworden waren. Es ist also
schon hiernach sicher, daß Samenfäden in die behandelten Eier ein-
dringen, denn es ist doch wohl nicht erlaubt, eine Beeinflussung der
Eier durch nicht eingedrungene Samenfäden anzunehmen.
b) Der zweite Beweis für den Eintritt von Spermatozoen in die
behandelten Eier wird durch die Tatsache geliefert, daß in der Mehr^
zahl der Fälle sich immer noch ein gewisser Einfluß des Sperma-
tozoons auf die Vererbuugsrichtung erkennen läßt, obgleich letztere
bedeutend nach der mutterlichen Seite hin verschoben sein kann. Es
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Vererbungsstudien. IV.
491
maß also eine Befrachtung der behandelten Eier stattgefanden haben,
welche sieh von einer gewöhnlichen nur dnrch die Intensität jenes
Faktors unterschieden haben muB, von dem die Übertragung der
väterlichen Eigenschaften abhängig ist. Der Einfluß des Spermatozoons
auf die Vererbungsrichtung auch bei auffallender Verschiebung der-
selben nach der mütterlichen Seite läßt sich deutlich an den Figuren
5 — 9 der Tafel XIV erkennen. Er kann sich in dem Auftreten nur
zweistäbiger Analarmstützen, in dem Fehlen der oralen Scheitelbalken,
in dem Unterbleiben der Gabelung der letzteren und in der nicht
typisch 8phaerecki7mS'HTtigen Ausbildung der oralen Scheitelbalken
äußern, so daß es nicht zur Bildung eines regelrechten Sphaerechinus-
Soheitelkorbes kommt. Durch den Vl/^egfall dieser Sphaerechirms-
Charaktere wird eine gewisse Ähnlichkeit mit Strongylocentrotus-
Pluteis erzielt. Da aber eben diese Ähnlichkeit mit den Larven des
letzteren Seeigels nur durch Wegfall gewisser Merkmale des kom-
plizierter gebauten Sphaerechinus-Skelets zustande kommt, so tritt an
uns die Aufgabe heran, zu prüfen ob derartige Ausfallserscheinungen
nicht etwa auch in den reinen parthenogenetischen Kulturen in der-
selben Häufigkeit wie in unsem befruchteten vorkommen. Die Ant-
wort auf diese Frage erteilt die folgende Tabelle:
VI. Vergleich rein parthenogenetischer Plutei mit solchen,
die aus einer Kombination von Parthenogenese und Befruch-
tung hervorgegangen sind.
Art und Zahl
Zahl
der
der ganz
untersuchten
dreikantigen
Larven
6itterst&be
öO partheno-
90
genetische
Plutei
oO Plutei ausi
Kultur bi
UDsrer ersten
Versuchs- |
Serie
Zahl
der
strecken-
weise drei-
kantigen
Gitterst&be
Zahl
der nicht drei-
kantigen Arm-
Stützen mit
Gitterbildnngs-
ansätzen
Zahl
der Arm
»iützen ohne
Gitter-
hildnng
4 davon ganz
kurz, die an-
dern 2 stäbig
mit bis zu 12
Qnerverbin
düngen;
64
1 (karz;
18
Zahl
Zahl
der Plntei
der Plntei
ohne jeden
mit einaei-
Ansatz der
tiger Anlage
oralen
der oralen
Scheitel-
Scheitel-
balken
balken
1
1
27
20
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492 Curt Herbst
Die Tabelle lehrt, daß zwar auch in den parthenogenetischen
Kulturen Plutei vorkommen können, welche an Stelle von dreikantigen,
nur zweistäbige AnalarmstUtzen aufweisen, und denen mitunter auch
ein oder beide orale Scheitelbalken fehlen können, daß aber derartige
Larven außerordentlich viel seltener als in den Zuchten sind, wo es
sich um eine Kombination von Parthenogenese und Befruchtung handelt.
Sehen wir doch, daß die nicht dreikantigen Gitterstäbe im letzteren
Falle die Regel, im ersteren aber die Ausnahme bilden, und konnten
wir doch unter den Pluteis aus befruchteten Eiern nur drei unter öOStück
auffinden, welche auf beiden Seiten Ansätze der oralen Scheitelbalken
aufwiesen, während dieses unter 50 gesunden parthenogenetischen
Larven bei 48 Individuen der Fall war. Das häufige einseitige oder
beiderseitige Fehlen der oralen Scheitelbalken und die große Zahl
der nur zweistäbigen Gitterarme bei den Pluteis, die einer Kombination
von Parthenogenese und Befruchtung ihre Entstehung verdanken,
können darum nicht an dem parthenogenetischen Anstoß liegen, welchen
die Eier vor der Befruchtung erhalten hatten, sondern sind darauf
zurückzuführen, daß die Spermatozoon trotz der bedeutenden Ver-
schiebung der Yererbungsrichtung nach der mütterlichen Seite hin,
doch noch einen gewissen Einfluß aaf die Ausgestaltung der Larven
ausüben können.
Hätten wir zur Herstellung der 6. Tabelle als Vergleichsobjekt
für die parthenogenetischen Larven nicht die Kultur bi, sondern Ci
unsrer ersten Versuchsreihe benutzt, so wäre zwar der Unterschied
zwischen den Larven aus unbefruchteten und befruchteten Eiern nicht
ein derartig gewaltiger gewesen wie in dem angeführten Beispiel, aber
immer noch so groß, daß auch er die Befruchtung der Eier in der
Kaltur mit Samenzusatz aufs klarste bewiesen hätte. Der Leser
kann sich leicht hiervon durch einen Blick auf die 1. und 3. Tabelle
und durch einen Vergleich der dort gegebenen Daten flir Ci mit den
Daten für parthenogenetische Plutei in der 6. Tabelle überzeugen.
c) Ein dritter Beweis wird durch folgendes Experiment geliefert:
Am 27./3. 06. 11.15 a. m. wurden 12 Eier mit abnorm großem Kern
besamt, welche 23 Stunden früher 2 Minuten lang mit essigsäure-
haltigem Seewasser behandelt worden waren. Die großen Kerne ver-
dankten ihre Entstehung einem geringfügigen Anlauf zur partheno-
genetischen Entwicklung, die vielleicht nicht nur zur Vergrößerung
des mütterlichen Vorkernes sondern auch zur Bildung eines Monasters
führte, dann aber stehen blieb. Da sich in der Folge einige der Eier
zu Blastulis entwickelten, von denen mehrere aus einem Ei hervor-
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Vererbnngsstudien. IV. 493
gehen konnteu, so ist sicher bewieseo, daß in die Eier, trotzdem sie
vor längerer Zeit bereits einen Ansatz znr Selbstentwicklung gemacht
hatten, doch noch Samenfäden eingedrungen waren.
d) Der vierte nnd letzte^) Beweis endlich wird durch die mikro-
skopische Untersuchung der Eier auf Schnittpräparaten zutage ge-
fördert. Auf solchen läßt sich nämlich in der Tat das Eindringen von
Samenfäden in Eier nachweisen, welche bereits einen Ansatz zur
parthenogenetischen Entwicklung gemacht haben. Es hat sich dabei
herausgestellt, daß selbst dann, wenn bereits die erste Furchungs-
Spindel mit den Chromosomen in der Äquatorialebene angelegt worden
ist, doch noch das Eindringen von Spermatozoen in die Eier möglich ist.
Ob und wo für diesen Vorgang eine Grenze gesteckt ist, habe ich
noch nicht untersucht und gehört nicht an diese Stelle. Wenn wir
10 Minuten nach erfolgter Besamung normale* Befruchtungsstadien mit
solchen von Eiern vergleichen, bei denen im Moment der Befruchtung
bereits die Eernmembran aufgelöst ist, nnd Strahlungen um den ver-
schwommenen Kern oder auch noch in andern Partien des Cytoplasmas
aufgetreten sind, so werden wir zwar im erste reu Falle auf zahl-
reichere und stärker ausgebildete Spermastrahlungen stoßen als im
letzteren. Nach einer halben Stunde finden sich aber auch bedeutende
Ansammlungen körnchenfreien Plasmas um die Spermatozoenkeme
der Eier mit Ansatz zur Parthenogenese vor. Vielleicht beruht die
« anfänglich schwächere Ausbildung der primären Strahlung einfach
darauf, daß bereits das kömchenfreie Cytoplasma vor dem Eintritt der
Samenfäden an andern Stellen des Zellleibes zusammengeströmt war.
Über das weitere Schicksal des oder der in das Ei eingedrungenen
Samenfäden soll in einer späteren Studie berichtet werden. Hier ge-
nügt, daß überhaupt ein solches Eindringen stattfindet.
B. Weitere Beweise für die Verschiebung der Vererbungs-
richtung.
Abgesehen von der ersten entscheidenden Versuchsreihe, welche
ich oben als Beispiel eingehend geschildert habe, habe ich noch in
sieben andern Versuchsserien das Hauptresultat der ersten bestätigen
können. Von diesen sieben Serien sind besonders zwei interessant.
^) Einen fünften Beweis auf die BovBRischen Befunde von der Beziehung
der Chromosom enzabl zur Kerngröße zu gründen, erwies sich wegen des Vor-
kommens vieler normalkerniger parthenogcnetischer Flute! als nicht angebracht,
doch soll auf die Kemgrößen der Larven mit verschobener Vererbungsrichtung
in einer andern Studte eingegangen werden.
ArohW f. Entwieklnngsmechanik. XXIL 32
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494 Curt Herbst
weil mit ihnen nur teilweise positive Resultate erzielt wurden. Diese
Befunde sind nämlich nicht nur nicht im stände, gegen unser Hanpt-
resultat von der Beherrschung des Hervortretens der mütterlichen
Charaktere durch eine Kombination von Parthenogenese und Be-
fruchtung zu zeugen, sondern sie sind sogar geeignet, uns noch einen
weiteren Schritt nach vorwärts in dieser Richtung zu gestatten.
Die beiden Kulturen zeichneten sich nämlich dadurch vor den
andern aus, daß die stets in gewissem Grade vorhandene individuelle
Verschiedenheit der Eier hier so weit getrieben war, daß die kurze
Behandlung mit essigsäurehaltigem Seewasser nur bei einem Teile
der Eier wahrnehmbare Ansätze zur parthenogenetischen Entwicklung
auslöste, während der andre Teil, in einem Falle der größte, unver-
ändert blieb. Das Resultat war, daß sich auch nur bei einem Teil
der Larven, ja in dem einen Falle sogar nur bei sehr wenigen, die
Verschiebung der Vererbungsrichtung erkennen ließ, während die
andern Plutei gewöhnliche Bastarde repräsentierten. Daraus ergibt
sich der Schluß, daß nicht die Behandlung der Eier mit einer
Fettsäure an und für sich die Ursache für die Verschiebung
der Vererbungsrichtung abgibt, sondern nur das Vorhanden-
sein eines Ansatzes zur Parthenogenese im Befruchtungs«
moment. Derselbe Schluß läßt sich übrigens auch aus Versuchs-
reihen ableiten, bei denen die Befruchtung der Eier zu verschiedenen
Zeiten nach der Behandlung mit fettsäurehaltigem Seewasser vollzogen /
wurde, denn es stellte sich dabei heraus, daß erst dann, wenn eine
gewisse Zeit zwischen Behandlung und Befruchtung verlaufen war,
ein stärkeres Hervortreten der mütterlichen Charaktere konstatiert
werden konnte.
Rückblicke und Ausblicke.
In der ersten dieser Vererb ungsstudien hatte ich es als Endziel
derselben hingestellt, das Hervortreten der elterlichen Charaktere bei
den Nachkommen zu beherrschen. In bezug auf die Verschiebung der
Vererbungsrichtung nach der mütterlichen Seite hin ist uns das nun
bereits gelungen: Wir können mit Sicherheit die Larven unsrer See-
igelkombination weit mehr, ja mitunter sogar ganz der Mutter ähnlich
machen, wenn wir den Eiern vor der Befruchtung einen geringfügigen
Anstoß zur Parthenogenese geben.
Mit dieser Entdeckung sind wir zugleich auf den rechten Weg
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VererbnngBstucHen. IV. 495
gekommen, die Bedingung oder den Bedingungskomplex fUr das
Schwanken der Vererbungsrichtung aufzufinden. Wir müssen nämlich
mit Sicherheit auf das Gesuchte stoßen, wenn wir genau die Ver-
änderungen analysieren, welche mit einem Ei eintreten, wenn es einen
Ansatz zur parthenogenetischen Entwicklung macht. Durch die Unter-
suchungen von E. B. Wilson ^) haben wir diese Veränderungen kennen
gelernt. Sie äußern sich auf den ersten Stadien erstens in einem
Grüßerwerden des Kernes, welche mit einer Zunahme des Cbromatins
verbunden ist, und zweitens in einem Zusammenströmen körnchenfreien
Plasmas um den Kern allein oder zugleich auch an verschiedenen
Stellen des Plasmaleibes der Eizelle. Das um den Kern zusammen-
geströmte kömchenfreie Plasma liefert das Material fttr den soge-
nannten Nucleusaster, welcher die Kernteilung beherrscht, während
die Ansammlungen im Zellleib noch eine verschieden große Zahl von
Cytastem erzeugen können. Ganz allgemein gesprochen handelt es
sich demnach auf den ersten Stadien der parthenogenetischen Ent-
wicklung um eine Vermehrung der Kernsubstanzen und um eine Ver-
änderung im Cytoplasma des Eies.
Für die Erklärung der Verschiebung der Vererbungsrichtung nach
der mütterlichen Seite stehen infolgedessen nur folgende Möglich-
keiten offen.
Sie kann erstens von dem Anwachsen der mütterlichen Kern-
substanzen abhängen.
Zweitens kann die Zustandsänderung im Cytoplasma des Eies
die Schuld tragen, und
drittens können beide Faktoren zusammen die Verschiebung der
Vererbungsrichtung herbeigeführt haben.
Diese Veränderungen des Eies können nun einfach als solche
gewirkt haben, ohne daß daran eine eventuelle Störung des gewöhn-
lichen morphologischen Schemas des Befruchtungsvorganges wesent-
lich beteiligt ist, oder es kann der letztere infolge der Veränderungen
des Eies tiefgreifend alteriert und dadurch die Verschiebung der Ver-
erbungsrichtung herbeigeführt worden sein. Das soll in einer der
späteren Studien entschieden werden.
Sollte sich bei weiteren Untersuchungen, die ich mir ebenfalls
für die kommenden Nummern meiner Vererbungsstudien vorbehalte,
die Richtigkeit jener Erklärungsmöglichkeit herausstellen, welche für
die Verschiebung der Vererbungsrichtung das Anwachsen der mütter-
1) Arch. Entw.-Mech. Bd. 12. 1901. S. 629 f.
32*
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496 Curt Herbst
liehen Kernsubstanzen verautwortlich maclit, so wäre damit viel ge-
wonnen, nämlich eine quantitative Beziehung zwischen der Menge
der mütterlichen Kernsubstanzen und dem Grade des Hervortretens
der mütterlichen Charaktere.
Durch weitere Experimente und Messungen der Kerngröße werde
ich dann auch zu entscheiden suchen, ob das Schwanken der Bastard-
form mit der Jahreszeit, welches zuerst durch Vernon bekannt ge-
worden ist, daran liegt, daß die Eier von Sphaerechinus in verschiedenen
Jahreszeiten ein Schwanken in der Größe ihrer Kerne zeigen. Dieses
Schwanken der Kerngröße könnte nur auf dreierlei Weisen zustande
kommen: Erstens könnten zu verschiedenen Jahreszeiten die StoflF-
wechselvorgänge in den Oogonien anders ablaufen, so daß nach Ab-
lauf der Reifungsteilungen der Oocyten reife Eier entständen, welche
zu gewissen Jahreszeiten eine durchschnittlich größere Kerngröße auf-
wiesen als zu andern. Sodann könnten Eier mit größeren Kernen
durch Unterdrückung oder Rückgäugigmachen einer Reifhngsteilnng
hervorgebracht werden, und drittens könnte eine verschiedene Größe
der Eikerne zu verschiedenen Jahreszeiten durch ein Schwanken in
der Neigung der Eier zur parthenogenetischen Entwicklung ihre Er-
klärung finden.
Von diesen drei Möglichkeiten ist die zweite wegen ihres seltenen
Vorkommens nicht fähig, das Schwanken der Bastardform mit der
Jahreszeit zu erklären. Dagegen verlohnt es sich wohl nicht nur
die erste, sondern auch die dritte auf ihre Richtigkeit hin zu unter-
suchen, zumal für die Prüfung der letzteren die Übereinstimmung ge-
wisser Resultate unsrer zweiten Vererbungsstudie mit denen spricht,
welche in der vorliegenden Arbeit gewonnen worden sind. Dort
hatten wir nämlich die Frage nach der Ursache des Schwankens der
Bastardform mit der Jahreszeit so weit eingeengt, daß wir ihren Sitz
in den Eiern suchen mußten, und jetzt haben wir nachgewiesen, daß
wir das Schwanken der Bastardform mit der Jahreszeit nachahmen
können, wenn wir den Eiern vor der Befruchtung einen geringftigigen
Anstoß zur Parthenogenese geben. Was liegt da näher, als dieses
Schwanken in der Natur ebenfalls auf eine gelegentlich vorkommende
Neigung der Eier zur parthenogenetischen Entwicklung zurückzufahren,
die nicht weiter als bis zur Vermehrung der mütterlichen Kernsub-
stanzen zu gehen braucht? Wir werden sehen.
Heidelberg, den 19. Juli 1906.
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VererbnngBBtadien. IV.
497
Erklärung der Abbildungen.
Tafel XIV.
Fig. 1. Normaler Plateus aus einer reinen Kultur von Stroiigylocmtrotus lividus,
aufgezogen bei 14^ C.
Fig. 2—4. Plntei aus der gewöhnlichen Bastardkultur vom 22./3. 06. Eier 10 a. m.
dem Sphaerechinus-W eibchen entnommen und 2.4ö p. m. mit Sirongylocen-
^ro^itö-Samen befruchtet.
Fig. 5—7. Plutei aus der ersten Bastardkultur mit behandelten Eiern. Letztere
am 22./3. 10.4—10.12 a. m. in 50 ccm Seewasser + 3 ccm Vio ^ Essigsäure.
Nach der Essigsäurebehandlung zweimal mit Seewasser 4- IV2 com Vio ^
NaOH zu 100 ccm gewaschen, dann gewöhnliches sterilisiertes Seewasser
aufgegossen, 12.37 p. m. befruchtet, als in den Eiern ein großer heller Hof
zu sehen war. Am 29. März nachmittags abgetötet.
Fig. 8—10. Plutei aus der zweiten Bastardkultur mit behandelten Eiern. Letztere
10.38—10.43 a. m. in 50 ccm Seewasser + 3 ccm Vio ^ Essigsäure. Weitere
Behandlung wie im vorigen Falle. 2.30 p. m. befruchtet. Eier zu dieser
Zeit teils mit scharf umschriebenem Kern, der meist deutlich größer als
normal war, teils mit großem hellen Hof. Am 29. März nachmittags ab-
getötet.
Fig. 11. Parthenogenetischer Sphaerechinus-VlvLievL^ aus einer Kultur vom 26./3. 06.
Behandlung der Eier: 12.4—12.8 p. m. in 50 ccm Seewasser + 3 ccm Vio »
Essigsäure. Darauf zweimal mit alkalischem Seewasser gewaschen und
endlich 12.21 p. m. in gewöhnliches sterilisiertes Meerwasser übertragen.
2./4. 6.30 p. m. abgetötet
Temperatur während der Entwicklung bei den Kulturen, aus denen die
Larven 2—11 stammen, 16-18° C.
Vergrößerung überall: Zeiss Obj. C, Oc. H.
BuchBtabenerklarung.
aqu analer Querstab,
m
Mund,
asch analer Scheitelbalken,
md
Mitteldarm,
ast Analarmstützen,
osch
oraler Scheitelbalken,
ed Enddarm,
ost
Oralarmstützen,
h^ horizontaler Seitenstab,
vd
Vorderdarm.
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über Basiardierungsversuche bei Echinodermen.
Von
Alfred FischeL
(Mit Unterstützung der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft,
Kunst und Literatur in Böhmen.)
Mit 22 Figuren im Text.
Eingegangen am 23. Juli 1906.
Die besondere Art des BefniclituDgsvorganges hat bekanntlich in
erster Linie die Annahme veranlaßt, daß die Kerne der Geschlechts-
zellen die »Vererbungsträger« darstellen.
Diese Annahme muß naturgemäß auch durch entsprechende
Versuche auf ihre Richtigkeit hin geprüft werden. Von wesentlicher
Bedeutung sind in dieser Hinsicht Untersuchungen an Bastard-
bildungen; wobei es freilich nicht mehr — wie früher — genügt,
einfach die fertigen Bastardformen zu untersuchen, um festzustellen,
ob und in welcher besonderen Weise väterliche und mütterliche
Eigenschaften bei ihnen zutage treten, wobei es vielmehr notwendig
ist, die Entwicklung der Bastarde zu beobachten, um festzustellen,
wann und wie die Art- Unterschiede der beiden Eiterindividuen in
dem Produkte der Bastardbefruchtung wieder auftreten.
Th. Boveui hat bekanntlich derartige Versuche zuerst zielbewußt
an Echinodermen ausgeführt und aus ihnen wichtige Schlüsse für ^ie
Befruchtungs- und Vererbungslehre gezogen.
Diese Schlußfolgerungen Boveris sind nicht unangefochten ge-
blieben. Während Boveri behauptete, daß die Bastardlarven stets
Mittelformen zwischen den Eiterindividuen darstellen, folgerte See-
liger aus seinen sorgfältigen Untersuchungen, daß dies nur zum
Teil der Fall ist; daß sich nicht mit Sicherheit bestimmen lasse,
wieviel von den Eigenschaften der Bastardlarve auf Rechnung des
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über Bastardiemngsversache bei Echinodermen. 499
einen oder des andern Elters zn setzen ist; auch sei es endlich
dorchaus nicht erwiesen, ja es erscheine von vornherein unwahr-
scheinlich, daß anf Bastardlarven von väterlichem Typus gar nichts
vom mütterlichen Organismus vererbt worden sei. Seeligeb sowohl,
wie auch T. H. Morgan und StbinbrOck haben auf die groBe Varia-
bilität der Bastardlarven hingewiesen, welche es schwer, ja oft un-
möglich mache, sichere Schlüsse über die Vererbungsart väterlicher
und mütterlicher Eigenschaften zu ziehen.
Abweichend von diesen Angaben lauten diejenigen von Dbiesch(7).
Nach ihm wird die Entwicklung der Bastarde wesentlich nur vom
£iplasma beeinflußt; denn die Furchungsgesch windigkeit, die Gesamt-
form der Larven, die Zahl der primären Mesenchymzellen und die
Färbungsverhältnisse der Bastarde sollen vollkommen mütterlichen
Charakters sein und nur im Skelet soll eine Mischung der Eltern-
charaktere zum Vorschein kommen. Diese Angaben hat Driesch (8)
gegenüber einer Kritik derselben von Seite Bovebis (5) aufrecht er-
halten und nur zugegeben, daß auch die Färbungsintensität der
Bastardlarven von väterlicher Seite her beeinflußbar sei, wofür auch
Garbowski eintritt.
Erscheint es bei diesem Widerstreit der Meinungen nicht über-
flüssig, neue Untersuchungen — besonders an wenig oder gar nicht
bekannten Bastardformen — anzustellen, so lag für mich noch ein
besonderer Grund hierfür vor.
Die Resultate der Bastardierungsversuche nämlich sind natur-
gemäß auch für unsre Anschauungen über das Wesen der die nor-
male Ontogenese bestimmenden Momente von Wichtigkeit. Boveri
(5, S. 361) hat ihre Bedeutung nach dieser Richtung dahin zusammen-
gefaßt, daß er dem Eiplasma, neben seiner Wichtigkeit als Bau-
material für den neu entstehenden Organismus, in der Hauptsache
nur die Bestimmung über gewisse embryonale Vorgänge zuerkennt,
die aber »für die definitive Gestaltung des neuen Individuums so
indifferent sind, daß ihre darch die specifischen Eigenschaften des
Eiprotoplasma bedingte Spezifität, wie sie z. B. im Furchungstypus
vorliegt, später wirkungslos untergeht 1 1). Ein determinierendes Moment
1) Eb ist ein Übelstand der Versuche mit Echinodermen, daß es bekannt-
lich nicht möglich ist, Seeigellarven über ein gewisses Stadium hinaus weiter zu
züchten. Wir wissen daher auch nicht, ob die an der Larve sich zeigenden,
experimentell erzeugten besonderen Eigenschaften sich, bei weiterer Entwick-
lung, auch auf den fertigen Organismus übertragen würden. Indessen halte ich
diesen Umstand nicht für prinzipiell so wichtig, um die Beweiskraft derartiger
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500 Alfred Fischel
soll dem Eiplasma nur für Qualitäten allgemeinster Natur (Achsen-
Terhältnisse z. B.) zukommen und es sei noch fraglich , ob die prä-
formierte Eiplasmaqoalität über das Larvenstadium hinausgeht. Die
essentiellen Merkmale des Individuums und der Species dagegen
sollen ihre Determinierung durch den Kern erhalten.
Mich (13) hatten nun frühere Untersuchungen zu der Annahme
geführt, daß die Bedeutung, welche dem Eiplasma bei der Ent-
wicklung zukommt, denn doch eine größere ist, als sie ihm bisher
beigelegt wurde. Dies veranlaßte mich, die Entwicklungsvorgänge
nach der Bastardbefruchtung, die zugunsten der Bedeutung des
Kernes als »Vererbungsträgers« verwertet wurden, selbst zu prüfen.
Diese Untersuchungen wurden zu Ostern 1906 in der zoologischen
Station in Villefranche s. m. ausgeführt; drei Seeigelarten: Arbaeia
pustul.<f Echinus brevispinosus (s. Sphaereckinics, s. Echimis granu-
laris) und Stroiigyhceiitrotus Hindus wurden hierbei benutzt Das
Material erwies sich zur Zeit der Untersuchung als zur Befruchtung
vorzüglich geeignet, also »reif« — ein Umstand, dessen Betonung
mit Rücksicht auf die Angabe Vernons, derzufolge der Erfolg von
Bastardierungen sehr wesentlich von dem verschiedenen » Reife «-
zustande der Geschlechtszellen abhängen soll, wichtig ist. — Die
Temperatur war in der ersten Hälfte meines Aufenthaltes in Ville-
franche eine für diese Jahreszeit ungewöhnlich niedrige und auch
später keine sehr hohe^). Dem entsprechend war auch die Ge-
schwindigkeit der Entwicklung anfangs geringer als später.
Von den mit den drei erwähnten Seeigelarten möglichen Kombi-
nationen blieb die Kreuzung -^ -, j-^. — ^ ohne Erfolg, bei
° btrongylocent7vtus (^ ^'
, . ,. Echimis h'evisp, Q , Arbaeia Q .
den Kombinationen - —.r:-- — ^ und ^^xr , — 7^ — -.gelang
Arbaeia (y Echimis brevisp.cy °
es nicht in allen Fällen Befruchtung und Weiterentwicklung zu er-
zielen, während dies bei den übrigen Kombinationen stets möglich
war. Die Ursache dieses verschiedenen Verhaltens läßt sich nicht
angeben. Sie lag sicher nicht in irgend welchen abnormen Zuständen
Versuche zu mindern. Wenn sich eine Beeinflussung einer so weit dijQTerenzierten
Larvenform, wie es eine Pluteuslarve ist, erzielen läßt, so ist hieraus schon der
Schluß erlaubt, daß hier ein entscheidender Einfluß auf die »Vererbung< vorliegt.
1) Nach Niederschrift dieser Zeilen erschien eine sehr interessante Arbeit
von C. Herbst, in welcher der Einfluß der Temperatur speziell auf die Bastard-
entwicklung sehr genau untersucht wird. — Den Geschwindigkeitskoeffizienten
für die normale Entwicklung hat bereits Peieii mit etwa 2.5 flir 10" bestimmt.
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über Bastardierungsvcrsiiche bei Eohinodermen. 501
der Gesohlechtszellen , denn gleichzeitig mit den BastardierungSTer-
snchen angestellte normale Befrnchtangen hatten stets Erfolg. Bei
Bastardbefruchtungen spielen sicherlich zahlreiche, vom Experimen-
tator nicht beherrschbare und auch nicht erkannte Momente eine
wesentliche Rolle. Es ist in dieser Hinsicht sehr interessant, daß
mir in Villefranche die Bastardierung von Ärbacia-Eiern mit Strongylo-
centrotus-S&men trotz wiederholter Versuche zu verschiedenen Zeiten
nicht gelang, während die Brüder Hektwig mit ihr in Sorrent und
Driesch in Neapel Erfolg hatten, insofern wenigstens, als die
erdteren die Entwicklung eines Teiles der Eier auszulösen vermochten,
und der letztere normale Blastulae (aber keine Gastrulae) erzielen
konnte. Anderseits erhielten die Brüder Hertwig bei der Kreuzung
— --^T-T — = — ;; — ~ in Sorrent kein Resultat, während sie in Ville-
Arbacia Qf
franche stets von Erfolg begleitet war.
Die Ursache dieses verschiedenen Verhaltens liegt vielleicht in
kleinen Differenzen des Materials oder der Gestalt der Geschlechts-
zellen an verschiedenen Orten.
So bezeichnen die Brüder Hertwig die Farbe der Arbada-YAtt
(in Sorrent) als >violettc; in Villefranche waren die Eier rotbraun,
mit mehr oder weniger hervortretendem Rot, doch keinesfalls violett,
und, meiner Erinnerung nach, sicher heller als in Neapel. Was
Strongylocentrotus betrifft, so hat Boveri (6j an dessen Eiern einen
Pigmentring näher beschrieben, der gerade in Villefranche ganz be-
sonders deutlich ausgebildet zu sein oder häufiger als anderwärts
vorzukommen scheint *). Auch der Farbenton der später in den
Pluteis auftretenden Chromatophoren ist anscheinend in Villefranche
ein andrer als z. B. in Neapel. Driesch (7) bezeichnet ihn für
Neapler Plutei als rotbraun, in Villefranche ist er eher gelbrötlich;
auch bezeichnet Driesch die Färbnngsqualität der (Neapler) Strongylo-
centroiuS'j Echinus miovttibercuL- und Sphaet'echmus-Lsxyen als
identisch, was für das Material in Villefranche nicht zutrifft.
Wenn auch wenig wahrscheinlich, ist es immerhin auch möglich,
daß Gestaltunterschiede, und zwar der Samenzellen, eine Rolle spielen.
Auf die Wichtigkeit der Form dieser Zellen haben schon Born und
PflOger Gewicht gelegt und hervorgehoben, daß selbst kleine
1) Garbowski unterscheidet direkt zwei »Rassen« von Paraceniroius (wie
man nach ihm statt Sirofigyloceniroim schreiben sollte) Itvidus: die allgemein
verbreitete >dtffma< und die sUdfranzösische »rufocincta^.
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502 Alfred Flschel
Gestaltonterschiede des Kopfes der Spermien von entscheidender Be-
deutung für die Bastardierung sein können <}.
Einer ferneren Untersuchung zugänglich bleibt endlich die Frage,
ob die Geschlechtszellen eine mit dem Orte und mit der Zeit wech-
selnde Disposition zur Bastardierung besitzen.
Von Interesse ist es nun, daß zwischen dem Verhalten der
Samenzellen zum Ei und der Schwierigkeit, bzw. Leichtigkeit der
Bastardierung eine bestimmte Beziehung besteht. In allen Fällen
nämlich, in welchen die Kreuzbefruchtung ohne Schwierigkeit gelingt,
sammeln sich kurz nach dem Zusätze des Samens außerordentlich
viele Spermien um die Eier an, eine breite Ringzone um dieselben
bildend; in jenen Fällen hingegen, in welchen die Bastardierung nur
schwer oder überhaupt nicht gelingt, finden sich nor vereinzelt
größere Spermienmengen um die Eier angesammelt vor; bei der
Kombination -^- — "—,- j^ — -, besaß kein Ei eine derartige Sper-
otrongylocemrotiis (y o x-
mienzone. — Nur jene Eier also, welche anziehend auf die Spermien
der fremden Art wirken, werden leicht befruchtet. Da die Seeigel-
eier StoflFe enthalten, welche die Bewegungsrichtung der Spermien
beeinflussen (Düngern), hängt dieses verschiedene Verhalten der
Spermien wohl hauptsächlich von der verschiedengradigen Wirkung
dieser Stofi'e ab.
Es ist ferner wohl zu beachten, daß sich bei den ersterwähnten
Fällen sehr viel mehr Samenzellen um die Eier angesammelt vor-
finden als bei Befruchtung mit dem gleichartigen Samen. Dies rührt
vielleicht davon her, daß die fremdartigen Samenzellen nicht so rasch
in die Eizelle eindringen als die der eignen Art; solange aber die
Befruchtung nicht erfolgt ist, strömen die Spermien an die Eier heran
und erst nach dem Eindringen der Samenzelle in das Ei hört dieses
Zuströmen der Spermien auf oder wird es vermindert. — Die einmal
um das Ei gebildete Spermienzone erhält sich noch lange Zeit nach
der Befruchtung; erst während der späteren Furchungsstadien ver-
schwindet sie. Sie liegt in keinem Falle der nach der Befruchtung
abgehobenen EihUlle direkt an, ist vielmehr von ihr durch eine
schmale, spermienfreie Zone getrennt.
^) Anderseits sind, wie aus . den interessanten Untersuchungen Dungerns
hervorgeht, in den Eiern Stoffe enthalten, welche die Bewegungsart der Samen-
zellen beeinflussen. — Gewisse Änderungen des Mediums, in dem man die Be-
fruchtung der Eier ausführt, können die Bastardierung begünstigen. Näheres
hierüber bei Godlewski und Heijbst.
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über BastardierangBYerBuche bei Echinodenuen. 503
Daß nnn auch individnelle Unterschiede der Eier bei der
BaBtardierong eine Rolle spielen, erhellt daraus, daß sich oft mitten
unter Eiern mit breiter Spermienzone solche vorfinden, an die keine
Samenzelle herangetreten ist.
Außer der nach erfolgter Befmchtnng sich abhebenden Eihttlle
läßt sich bekanntlich an den Seeigeleiem noch eine weitere, ihnen
unmittelbar anliegende »HUlle« erkennen, die von einigen Autoren
als Membran (zweite oder innere Dotterhaut], von Hammar dagegen
als Grenzschicht im Hisschen Sinne, also als lebendes Protoplasma,
angesehen wird. Diese beiden Hüllen i) werden bei den verschie-
denen Bastardarten verschieden stark vom Ei abgehoben. Bei der
Kcftnbination -. , -.- ^-, bei welcher die Eier oft von einer sehr
Arbacia (y
breiten Spermienringzone umgeben sind, wird die äußere Hülle nur
sehr wenig vom Ei abgehoben; sehr weit dagegen bei der Kombination
C1X I -ZT a — ^ ) bei der wiederum die innere Hülle nur sehr
Strongylocentrotus (y '
wenig von der Eiperipherie absteht. In vielen Fällen tritt die Ab-
hebung ein, es ist also Befruchtung erfolgt, ohne daß sich die be-
treffenden Eier weiter entwickeln.
Auch in jenen Fällen, in welchen die Barstardierung leicht
gelang, war übrigens das Prozentverhältnis der zur Weiterentwick-
lung gelangten Eier an verschiedenen Tagen und in den von den-
selben Tieren stammenden Kulturen ein verschiedenes.
Die Entwicklung der bastardierten Eier selbst vollzog sich nun
nahezu in allen Fällen langsamer als bei ihrer Befruchtung mit
gleichartigem Samen. Da dieses Ergebnis in Gegensatz zu den be-
stimmten Angaben von Duiescii (7) stand, wurden bei allen ange-
stellten Versuchsreihen — und deren waren an 100 — Kontroll-
knlturen mit normal befruchteten Eiern angelegt und ihre Entwick-
lung mit jener der Bastardkulturen verglichen. Trotz der großen
Zahl und Verschiedenheit der hierfür verwendeten Muttertiere und
trotz des Unterschiedes der äußeren (besonders der Temperatur-) Ver-
hältnisse, blieb es, bis auf wenige Ausnahmen 2), ein gemeinsames
ij Für die Schilderung dessen, worauf es hier ankommt, ist es am vorteil-
haftesten, einfach von »Hüllen« zu sprechen, ohne daß hiermit die Hamm ARsche
Anschauung bezweifelt werden soll.
2) Diese fielen sämtlich in das Ende meines Aufenthaltes in Villefranche,
also in die Periode höherer Temperatur. Vielleicht spielt bei diesen Verhält-
nissen die Jahreszeit eine wesentliche Kollc.
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504 Alfred Fischel
Merkmal der Bastardkultureu, hinter den andern in ihrer Weiterent*
Wicklung zurückzubleiben. Dies zeigte sich schon beim Aufitritte der
ersten Furche; der Zeitunterschied gegenüber den mit Spermien der-
selben Art befruchteten Eiern war ein wechselnder, von 5 Minuten
bis zu einer Stunde schwankender. Dem entsprechend Yollzogen sich
auch die späteren Furchungsteilungen später; der Rückstand in der
Entwicklung der Bastarde wurde im weiteren Verlaufe der Entwick-
lung immer deutlicher, so daß dann im Pluteusstadium der Aas-
bildungsgrad der Ealkstäbe in den Bastardkultureu dem der reinen
Larven oft um einen Tag zurückstand.
An Neapler Material konnte Driesch diesen langsameren Ent-
wicklungsgang nicht konstatieren, hier furchten sich normal befruchtete
und bastardierte Eier gleich rasch. Daß dies aber nicht allgemein
gültig ist, beweisen nicht allein meine Befunde; auch Seeliger gibt
ausdrücklich an (25, S. 208), daß sich bei Befruchtung von Sphaer-
echmuS'Eieru mit Samen von Echinus microtuheixidahis »die ersten
Entwicklungsvorgänge . . . langsamer als an den mit Samen der
eignen Art befruchteten Eiern« vollziehen, so daß dann das Kalk-
gerüst bei den Bastardiarven erst am 4. Tage auf jener Ausbildungs-
stufe angetroffen wird, die es bei den reinen Sphaerechinns- oder
EchimiS'ljVLrYQVL schon am Ende des 2., oder Anfang des 3. Tages
erreicht. Daß übrigens der Entwicklungsgang der Bastardknituren
nach Ablauf der Furchung gegenüber den reinen Kulturen im Rück-
stände bleibt, gibt auch DRiEsc^^n.
So erhält man den Eindruck, als ob sich die Entwicklang der
Bastarde unter einem gewissen Widerstände vollzöge. Vielleicht aus
dem Grunde, weil das mit der Samenzelle in das Ei eingeführte
Centrosom in der ihm artfremden Plasmamasse des Eies seine Tätig-
keit als kinetisches Centralorgan der Zelle nicht mit derselben
Leichtigkeit zu vollziehen vermag wie in einer ihm artgleichen Ei-
zelle. Dieser Widerstand scheint dann in den Descendenten der be-
fruchteten Eizelle noch zu wachsen, um so die spätere Entwicklung
erheblich zu verlangsamen.
Hinsichtlich der Gesamtform der Larven soll, nach Driesch,
eine Mischung der väterlichen und mütterlichen Charaktere nur bei,
den mit Echinus microiubercul.' und StrongylocentrottisSa^men aus
Sphaerecfiimts-EieTn entstandenen Bastarden auftreten; aber aach da
soll die Annäherung an den väterlichen Typus nur auf die besondere
Ausbildungsart des KalkgerUstes zurückzuführen sein. Alle andern
Bastarde sollen rein mütterlicher Art sein.
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über Bastardierungsverßuche bei Echinodermen.
505
Die von mir zur Bastardierung verwendeten Eiarten unterscheiden
sich sehr wesentlich voneinander, so daß auch ihre frühen Entwick-
Fig. 1-4.
Larven von Strongylocentrotu» UtiduSt 2, 2Vx« 3
und 5 Tage alti). Fig. 1, 2 und 3 bei ISOfacher,
Fig. 4 bei 120fMher Yergrößenings).
Gemeinsame Beieichnnngen:
a.A. Analarm, o.A. Oralarm, a.Ht. Analstab,
0.^/. Oralstab, Jf.Ä7. Mittelstab, ^..^^ ScheitelsUb.
1) Alter und AuBbildongsgrad der verschiedenen Larven gehen einander,
nicht parallel; die gezeichneten Larven entstammen verschiedenen Kulturen, die
sich naturgemäß auch ungleich rasch entwickelten.
^ Sämtliche Figuren wurden mit der Zeichencamera angefertigt. Die Lar-
ven wurden durch Zusatz von Formol bewegungslos gemacht und sofort nach-
dem ihre Bewegungen aufhörten gezeichnet. Man darf nicht länger warten,
weil dann Schrumpfungen auftreten und unnatürliche Verhältnisse entstehen.
Wird aber sofort im Momente des Eintretens der Ruhe der Larven gezeichnet,
so erhält man Bilder, die den Verhältnissen im Leben vollkommen entsprechen.
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5p6
Alfred Fischel
lungsstadien erhebliehe Unferschiede aufweisen. Schon ihre Größe
ist different: Das Ärbacia-Ei ist erheblich kleiner als das von
Sinrongyhcentrotiis^ dieses wiederum etwas kleiner als das von Echinus
hrevispinosus^ Unterschiede, die auch später, im Blastula- und Gastrula-
stadium, deutlich ausgeprägt sind. Was die Form betriflft, so erscheint
in diesen Stadien der EchinuS'TLQim kugeliger als die beiden andern.
Dieser Unterschied, der übrigens durch auftretende Varietäten ver-
wischt sein kann, ist aber nicht so bedeutend, um als sicheres Mittel
Fig. 5—8.
Larven von Arhucia pnstulosn^ 3, 4^ 0 und S Tage alt. Vergrößernog lSO/1.
der Differenzierung zu dienen. Deutlich werden die Gestaltunter-
schiede erst in noch späteren Entwicklungsstadien.
V Die weitaus vorherrschenden Formen reiner Strongylocentfvtus^
und -4r6acia-Larven sind in den Figuren 1 — 4, bzw. 6 — 8 dargestellt
Zwar fanden sich in den Kulturen natürlich auch Varietäten dieser
Larven form, doch war ihre Zahl keine bedeutende. Ich bemerke
gleich hier, daß ich auch bei meinen Bastardkulturen keine auffällig
große Zahl von Varietäten nachweisen konnte, jedenfalls nicht jene
Menge und jenen Grad derselben, der an anderm Orte von andern
Autoren beobachtet wurde. Traten viele und hochgradige Varietäten
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über Bastardieningsversuche bei Echinodermen.
507
auf, 80 yerflel die betreffende Kultur sehr bald der Degeneration und
ich habe daher Anstand genommen, diese Kulturen mit zu berllck-
sichtigen. Lebensfähige Kulturen weisen ziemliche Übereinstimmung
des Entwicklungsgrades und der Gesamtform der Larven auf.
Sehen wir zunächst von dem Verhalten der in die Figuren mit
eingezeichneten Kalknadeln ab, und berücksichtigen wir nur die
Gesamtform der Keime, so erkennen wir, daß sich die Arbacia-Lsi.ryen
Fiff. 9—12.
Vier Eotwicklungsstadien Ton mit
Arbacia-Stkmen befrachteten Stron-
gjfloceniroius -Eien^ 2, 2»/«, & nnd
7 Tage alt. Fig. 9 und 10 bei 180-
facber, Fig. 11 and 12 bei 120facher
Vergrößerung.
nicht bloß der Größe,
sondern auch der Gestalt
nach, von den Strongyh-
centroiics'liBTveu unter-
scheiden. Speziell der
Ärhaeia-PluteuB (Fig. 7, 8)
erscheint gedrungener, plumper, seine Analarme sind relativ länger
und breiter, sein Orallappen relativ massiger als bei Sh'ongylocentrotus
(Fig. 3, 4).
Die Figuren 9 — 12 stellen vier Entwicklungsstadien von mit
ArbaciorSsLinen befruchteten Str(yfigyloeenirotics-EiGm dar.
Die bei dieser Bastardierung entstehenden Keime entsprechen
nicht durchaus denen von rein mütterlichem Charakter*). Besonders
1) In jeder Bastardkultur finden sich Larven vor, die sich von rein mütter-
lichen Larven (oder von deren Varietäten) nicht unterscheiden. Diese Larven-
formen werden hier, weil ihr Vorkommen bereits bekannt ist, nicht weiter be-
sprochen.
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508
Alfred Fischel
aoffällig erscheint die Kleinheit von vielen der Bastardplutei; denn
die in Figur 4 dargestellte 5 Tage alte Larve von Sirongylocentrotus
ist erheblich größer als die (bei gleicher Vergrößemng gezeichnete) 5,
bzw. 7 Tage alten Bastard plntei der Figuren 11 und 12.
Diesen Größenunterschied auf den Einfluß der verwendeten
^ Samenart zurückzuführen bin ich um so mehr geneigt, als auch Boveki
, . . j TT 1 . X. / j Ediinus microtubercul. Q\
^bei einer andern Kombination lund zwar: ^^ , ^ ^ -, — |
\ btrongylocenirofus (y /
eine analoge Beeinflussung nachweisen konnte. Allerdings wird man
Fig. 13 und 14.
5 T»ge alter Plnteas toü Kchinus brfvispiuosus,
bei 180 f acher Vergrößerung.
Das Kalkskelet hier and auch in andern Figuren nicht
voUst&ndig, nur soweit alt hier wichtig, geieichnet.
5 Tage alter Plateus aus der KombiBatiei
Strongylocentroius Q
Echiiius brivispin.^ *
größernng.
bei 180 fach« Tetw
sich diese Art der Beeinflussung der Eientwicklung als in einer
andern Weise erfolgend vorstellen müssen, wie die übrigen formativen
Einflüsse von Seite der Samenzelle. Am einfachsten vielleicht, nach
BovERi (5, S. 350), in der Art, »daß das Spermatozoon auf den Grad
der Wasserimbibition einen Einfluß ausübt«.
Ihrer Form nach sind diese Bastardlarven gedrungener, ihre
oralen Lappen sind relativ breiter, ihre Analarme relativ länger als
jene der Strongylocentrotics-Flntei. Alle diese Momente weisen anf
eine Beeinflussung der Entwicklung von väterlicher Seite hin.
Von der mütterlichen Form verschieden sind auch viele ans
3 Tr 1 . X. Strongylocejitrotus Q , r* ^ j •
der Kombination ^ ^ ."^ — ^ — -, - -r- hervorgegangenen Bastarde, wie
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über Bastardiernngayennche bei Echinodermen. 509
ans einem Vergleiche der Figuren 4, 13 and 14 hervorgeht Die
Bastardlarye der Figur 14 besitzt nicht die den StrongylocentrohiS'
PIuteuB kennzeichnende schlanke Gestalt, ihre oralen und analen
Arme sind breiter und kürzer — Charaktere, welche diese Larve
dem Echinus-PlütQUB ähnlich erscheinen lassen, also eine Beeinflussung
von väterlicher Seite her beweisen. — Allerdings ließ sich diese
Form des Pluteus nicht in allen Fällen nachweisen, oft entsprach
vielmehr der Bastard seiner Gesamtform nach einem Strongylocen-
irotus-PlutevLQ. Doch genügt es ja prinzipiell, daß überhaupt Bastarde
mit Annäherung an den väterlichen Typus vorkommen.
Fig. 15 und 16.
-aA
Bastaxdlarren ., *" ^' '** y 3 ,j„^ 4 «fage alt, bei iSOfacher Vergrößerung.
JsithtHus brcnap. Q
Von der Kombination ^=n-^ , - 1^ sind in Figur 15 und
Echintis hrevisp. ij ^
16 zwei Entwicklungsstadien dargestellt. Wie ein Vergleich mit den
reinen ^rfeacia-Keimen (Kg. 6—8) ergibt, unterscheiden sie sich nicht ^
unwesentlich von ihnen, und zwar, wie ein Blick auf Figur 13 lehrt,
gerade durch Merkmale — Breite und Kürze der Arme, flacherer .
Scheitel — , welche sie der Echinus-LskTve in gewisser Hinsicht ähn-
lich erscheinen lassen. Natürlich sind sie, entsprechend der geringeren
Größe des Ärhacia-Eies gegenüber dem Echinus-Ei^ auch erheblich
kleiner als gleich alte Echinus-Keime.
Bei der Entwicklung der Bastarde von der Kombination
v.^ j ^ ^— ^ wichen die entstandenen Keime oft erheblich
Strongylocentrotus (^
von den rein mütterlichen Formen ab. Die Echinus-Lsirye erscheint
in jüngeren Stadien mehr gerundet (Fig. 17), während die Bastard-
larve zumeist die in Figur 19 wiedergegebene Gestalt aufweist;
Str(mgyloce>itf'otuS'La,TYen gleichen Alters sind ähnlich geformt.
Archiv t Entwicklangsmecbanik. XXIL 33
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510
Alfred Fischel
Während nun die Echimcs-KQme za wohlgebildeten Pluteis heran-
gezogen werden konnten (Fig. 18), vermochte ich die Bastarde nicht
/v/über das in Fignr 20 wiedergegebene Stadium hinaus weiter za
Izttchten, das von dem entsprechenden EchirmsSiaLiinm sehr difiFerent
ist. — Liegt nun auch bei
Fig. 17 und 18. diesen Bastarden keine so
deutliche Hinneigung zu
den rein väterlichen For-
men vor, wie in den er-
wähnten andern Fällen,
so besitzen sie doch oft
eine von den rein mütter-
lichen Larven verschie-
dene Gestalt. Solche Ge-
staltanomalien, d. h. also
Abweichungen vom rein
mütterlichen Typus ohne
bestimmte Annäherung an
den väterlichen, lassen
sich überhaupt auch in
andern Bastardkultoren
oft ausfindig machen^).
Von besonderem In-
teresse bei der Beurtei-
lung der Seeigelbastarde
ist das Verhalten des
Ealkskeletes.
Dieses Ealkgerttst
wird bei Strongylocentro-
tus lividus in Form spitzer
Nadeln (Fig. 1, 2) ange-
legt; die an ihm später
unterscheidbaren oralen,
analen und Mittelstäbe
(Fig. 3, 4 oSt, aSt und
MSt) behalten diese Form bei, die Enden der Scheitelstäbe (SSt) dagegen
1) Dies gilt auch, wie gleich hier erwähnt sein mag, für das Verhalten der
Kalknadeln. Gewisse Varietäten derselben lassen die Bastardlarven zwar ala von
rein mütterlichen verschieden, aber doch nicht den väterlichen analog erscheinen.
Hier hat die Mischung der Elterncharaktere einen neuen Typus hervorgebracht.
Larven von Echinus hrevispinosus^ 4 und 6 Tage alt,
bei ISOfacher Vergrößerung.
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über Bastardierangsversuchc bei Echinodermen.
511
verdicken sich, erhalten zahlreiche spitzige Zacken und Nadeln und
endigen oft mit einer solchen langen und spitzen Nadel (Fig. 3) oder
aber mehr keulenförmig (Fig. 4). Kurze, spitze Dorne finden sich
auch an den tiefer gelegenen Stellen des Scheitelstabes und an den
Basen der übrigen Stäbe. Je nach der Gestaltung des Scheitels der
Larven liegen die Scheitelstabenden entweder sehr nahe aneinander
(Fig. 4), oder voneinander ziemlich weit entfernt (Fig. 3).
Anders sind die Kalkstäbe bei Ärbacia pustulosa beschaffen. In
Form kurzer, dicker, stumpf endigender Dreistäbe angelegt (Fig 5),
differenzieren sie sich bald zu der in Figur 6 wiedergegebenen
Fig. 19 und 20.
BastardUrvea -,.-/ -" -f -^^^r^ -n. 4 und « Tage alt, bei 180 fachet Vergrößerung.
SttongiflovintrolusQ
Gestalt, bei welcher die Enden der Scheitelstäbe verdickt and un-
regelmäßig zerplittert erscheinen. Später lassen sich auch hier die-
selben Bestandteile wie bei Strongylocentrotus unterscheiden; die
Analstäbe bilden aber ein zierliches, durch die Zeichnung nicht in
allen Details wiedergebbares Gitterwerk; der Scheitelstab endet mit
einem Kolben, der mit kurzen, plumpen Stacheln besetzt ist; die
Scheitelstäbe liegen einander dicht an, oder sie sind, besonders bei
älteren Larven, miteinander verwachsen.
T^ Ol 1 X 1 r» X 11 8tro7}<fyU)centrotus Q , .^ ^ .
Das Skelet der Bastardlarven ä\- --^ — -■ besitzt in
Arbacia (f
Hinsicht auf seine Oral-, Anal- und Mittelstäbe zumeist ganz den
mütterlichen Charakter. Die Enden der Scheitelstäbe aber weisen
zahlreiche Varietäten auf, von denen viele eine Annäherung an den
33*
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512 Alfred Fischel
väterlichen Typus darstellen, indem das kolbige Ende mit korzen
Stacheln, wie bei Arbacia, besetzt oder unregelmäßig zersplittert
(vgl. Fig. 11 und 12 mit Fig. 6) ist. Eine dem reinen mütterlichen
Typus vollkommen entsprechende Form des KalkgerUstes läßt sich
nur selten bei den Bastarden nachweisen, kleinere Abweichungen von
ihm sind fast stets vorhanden.
Ähnliches gilt von der Kombination j^-r. — .— — - -^- Dm
° Echmus brevisp. (y
Skelet der reinen ^cÄint^s-Larven (Fig. 13, 18) besitzt Gitterstäbe in
den Analarmen und Scheitelstäbe mit krückenförmig gebogenen Enden,
die einander entweder dicht anliegen (Fig. 13) oder miteinander ver-
schmelzen (Fig. 18); sie sind mit zahlreichen, kurzen, kräftigen
Höckern besetzt, die sich übrigens auch an den Außenflächen des
Scheitelstabes vorfinden. Während der Entwicklung der I^rven
ändert sich — infolge des mächtigen Längenwachstums der Analarme
— ^as gegenseitige Längenverhältnis zwischen Anal- und Scheitel-
stäben in sehr erheblichem Grade (vgl. Fig. 13 und 18). — Bei den mit
EchimiS'SsLmQn aus Arbacior-Eierii erhaltenen Bastarden zeichnen sieh
die Kalkstäbe oft durch ihre Dicke aus (Fig. 15, 16); sie sindlfeiner
in späteren Stadien am Scheitel der Larven durch eine mit kräftigen
Höckern besetzte Querbrticke miteinander verbunden, wie sie in dieser
Form nur bei Echinus-LsLxyevL vorkommt; denn wenn auch bei Ar-
baeia-LsirYen die Enden der Scheitelstäbe miteinander verbunden sein
können, ^^o sind hier doch Länge und Dicke dieser Querbrttcke,
sowie der Charakter der von ihr ausgehenden Fortsätze anders be-
schaffen. Wie in diesem Verhalten der Scheitelstäbe eine Beeinflussung
von väterlicher Seite vorliegt, so ist auch die Art der Gitterung der
Analstäbe dem Arbacia-TypuB mit seinen unregelmäßigen Lücken
zwischen den Hauptstäben verwandt.
Driesch hat Arbacid-Eier mit Sperma von Echmus microtuber'
culatus befruchtet; die Skeletverhältnisse bei dieser Echinus-Axi sind
von der von mir benutzten wesentlich verschieden; doch findet auch
Driesch (7, S. 88), daß bei der Bastardlarve väterliche Charaktere
im Skelet auftreten, daß »gleichsam ein Kompromiß . . . zwischen
dem Skelet der Arbacia und dem des Echintis* geschlossen wird.
Entsprechend dem von Echinus brevispinosus verschiedenen Verhalten
des Skelets von Echinus mic7vtuberculatus ist auch das Skelet dieser
Bastarde von den meinen wesentlich verschieden.
Bei den mit Echirius brevispinosusSsLmevL befruchteten Sirangykh
cefitivtuS'Eierji entwickelten sich Schcitelstäbe (Fig. 14) mit zahl-
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über Bastardiemngsversuohe bei Echinodenuen. 513
reicheren und längeren seitlichen Domen als bei reinen Strongylocen-
trotuS'Lsxven; soweit das Skelet bei den mit StrongylocentrotuS'SsLmen
befruchteten .EcAmt^^-Larven studiert werden konnte (Fig. 20;, wich
es gleichfalls yon der gewöhnlichen mütterlichen Form ab. Eine
unzweifelhafte Beeinflussung der Skeletbildung von Seite der väter-
lichen Art konnte jedoch in keiner dieser beiden Bastardarten nach-
gewiesen werden.
Zusammenfassend läßt sich über das Verhalten des Ealkgerttstes
der Bastardlarven aussagen, daß bei ihm zwar die mtttterlichen
Charaktere überwiegen oder häufiger auftreten, daß es aber auch in
einzelnen Fällen zweifellos von väterlicher Seite her beeinflu'ßbar ist.
Bastardlarven mit einem Skelet von rein väterlichem Typus konnten
nicht gefunden werden ; wohl aber ist es zweifellos, daß in manchen
Fällen die mütterlichen Charaktere des Skelets mit den väterlichen
vermischt, bzw. die ersteren zum Teil — durch den Einfluß des art-
fremden Samens — verwischt werden.
Die sichere Feststellung der Unterschiede in der Pigmentie-
rungsart der reinen und der Bastardlarven stößt auf erhebliche
Schwierigkeiten. Sie wäre in vollem Umfange nur dann möglich,
wenn man bei dem Vergleiche der Larven die Zahl, den Pigmeut-
gehalt und die Anordnung der Chromatophoren genau festzustellen
im Stande wäre. Dies ist aber bei den geringen — wenn überhaupt
stets vorhandenen — Unterschieden einer-, und der Variabilität der
Pigmentierung anderseits nicht möglich. Dennoch lassen sich einige
Unterschiede ermitteln.
Bei Strongylocentrotus treten Chromatophoren mit gelbrötlichen
Pigmentkömehen erst im Stadium der Figur 2 und auch da nur
vereinzelt am Scheitel und in den Armen auf; im übrigen erscheint
der Keim — von einer leichten Gelbfärbung der Innenpartie des
Darmrohres abgesehen — farblos. Die Zahl der Farbzellen wächst
später erheblich an, bis dieselben im Pluteusstadium die in Figur 4
(in Form von schwarzen Punkten) wiedergegebene Zahl und Ver-
teilung erreichen; am Scheitel der Plutei findet sich — allerdings
nicht immer und nur in jenen Fällen, in welchen der Scheitel die
der Figur 3 entsprechende Form besitzt — das Pigment in kleineren
Massen, aber dichter gehäuft vor, so daß dann diese Larvenregion
wie mit Pigmentkömehen dicht bestäubt aussieht.
Ärbacia-Keime der Figur 5 enthalten in den äußeren Zellpartien
ihres Ectoderms rötliche Pigmentkörachen, außerdem große Chromato-
phoren am Scheitel; später (Fig. 6—8) nimmt die Zahl der Pigment-
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514 Alfred Fischel
körnchen in den einzelnen Ectodermzellen ab, während sieb zu den
großen Cbromatopboren am Seheitel kleinere in den Armen hinzu-
gesellen.
vDie Bastardplutei ^~ — . — — nun besitzen Pigment-
zellen, deren Zahl und Anordnung nicht in ersichtlicher Weise von
jener der Strongylocentrotus-Flniei abweicht, deren Pigmentkömer
aber oft oder stellenweise dunkler, -irftocia-Larven entsprechend, ge-
färbt erscheinen; die in manchen Fällen vorkommende eigenartige
diffuse Pigmentierung des Scheitels von StroTigylocentrotus -Laxyen
konnte bei den Bastarden niemals konstatiert werden. Wenn dieses
negative Merkmal, gleich dem früher erwähnten, dem Einflüsse des
fremdartigen Samens zugeschrieben werden kann, so kann darauf hin-
gewiesen werden, daß für die Pigmentierungsart der gleichen Region
(allerdings bei einer andern Art von Bastardlarven) auch eine
Beeinflussung in positivem Sinne ermittelt wurde. Dkiesch (8,
S. 722) berichtet nämlich, daß sich bei Pluteis der Kombinationen
Sphaerechinus C^ , Spluierechmus Q h ' ht
Echifius microtuberc. cj^ Strongylocmitrotus (J^'
an allen, so doch bei vielen Individuen, die für die rein väterlichen
Larven charakteristische Pigmentanhäufung am Scheitel nachweisen
lasse. Allerdings sei es möglich, daß sie rein mechanisch dadarch
entstanden sei, daß die bei echten Sphd&i'echinus-VXxAti^ (wegen ihrer
besonderen Skeletverhältnisse) eintretende Ectodermdehnung hier
unterblieben ist.
Relativ spät treten die Chromatophoren bei Echinus brevispmosus-
Larven auf; im Stadium der Figur 17 können sie noch ganz fehlen;
auch in den späteren Stadien (Fig. 13, 18) sind sie spärlicher als
z. B. bei Strongylocentrotus über dem Larvenkörper verstreut, bilden
keine Anhäufnng am Scheitel und ihre Pigmentkörnchen besitzen
eine hellere Farbennuance als bei den andern Larven.
T. ^ j j rr i • i.- Echinus bj'evispin, Q , o i. •
Bastarde der Kombination j-r — = — ^-- -*-- besaßen noch m
Arbacm ry
späten Stadien keine Pigmentzellen; da von ihnen keine älteren
Pluteuslarven herangezUchtet werden konnten, läßt sich auch kein
definitives Urteil über ihre Pigmentierungsart fällen, und das gleiche
MX j T^ u- X. Echinus brevispin. Q _. , . ^ ^..„
gilt von der Kombination ^^ , -~^ T.. In beiden Fallen
Strangylocentrotus (y
entsprach die Pigmentierung in jungen Stadien dem mütterlichen
Typus.
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über Bastardiernngsversache bei Echinodermen. 515
Bei der Kombination >,-, . r----- ^ fanden sich viele
Lchimis arevispm, (^
Larven, deren Pigmentkömehen heller und deren Pigmentzellen nicht
80 zahlreich waren als bei reinen Arbacia-ZiiQhten. Die bei Arbacia
fast stets vorhandene starke Pigmentierang des Scheitels fehlte zn-
meist. — Bei der Entscheidung der Frage, ob diese Eigentümlich-
keiten einem Einflüsse von väterlicher Seite her zuzuschreiben sind,
hat man aber zu berücksichtigen, daß die Pigmentierung normaler
^r6ada-Larven eine verschieden starke ist, ja daß sich sogar vl^llig
farblose, albinotische ^rboc^-Larven vorfinden. Da sich aber diese
Albinos sowie die schwach pigmentierten -ärfcocio-Larven ungleich
seltener in den Kulturen vorfinden, als jene weniger stark pigmen-
tierten Bastardlarven, so sind diese letzteren nicht auf an und für
sich schon schwach pigmentiert gewesene oder pigmentlose Ärbador
Eier zurückzuführen, ihre besondere Pigmentierungsart ist vielmehr
dem Einflüsse des fremdartigen Samens zuzuschreiben.
Bei der großen Ähnlichkeit der Pigmentierung der Larven von
Strongylocentrotus und von Eckinus brevisphiosus ist es schwer, bei
ihren Bastardlarven l-y^ ,-- r — — . — ^1 die Elterncharaktere
\ hctimus brevispiu. (y /
dieser Hinsicht differenzieren zu wollen. Doch ist es auffällig, daß
bei ihnen in dem der Figur 2 entsprechenden Stadium, wenn über-
haupt, noch weniger und spärlich pigmentierte Ghromatophoren nach-
zuweisen sind als bei reinen StroiigylocentrotiiS'lLt\m&ii\ die großen,
meist runden, gelb-rötlichen Pigmentschollen in Figur 14 entsprechen
gleichfalls einem nicht völlig mit Strongylocentrotus übereinstimmen-
den Verhalten; dagegen besaß gerade diese Larve die sonst den
Bastarden zumeist fehlende, bei Strofigylocenirotus aber häufig vor-
kommende Pigmentanhäufung am Scheitel.
Die geschilderten Verhältnisse lassen sich ilahin zusammenfassen,
daß die Pigmentierung der Bastarde zwar vorwiegend mütterlichen
Charakter trägt, daß sie aber zweifellos von väterlicher Seite her
beeinflußbar ist, und auch tatsächlich oft beeinflußt wird.
Gerade bei der Entwicklung der zuletzt erwähnten Bastarde
konnte dieser Einfluß an dem eigenartigen Verhalten eines wichtigen
Bestandteiles des Eies erkannt werden. Es ist bereits des für das
StrongylocentrotuS'Ei charakteristischen, zur Organogenese in fester
Beziehung stehenden Pigmentringes gedacht worden. Während nun
das Pigment bei der normalen Entwicklung des Eies in bestimmter
Weise gelagert ist, wird die Regelmäßigkeit seiner Verteilung bei
m
V.
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516 Alfred Fischöl
der Entwicklung des bastardierten Eies sehr hänfig gestört. In den
älteren Furchungsstadien nämlich findet sich da statt des regelmäßigen
Pigmentringes ein unregelmäßig begrenztes Band vor, oder es ist gar
das Pigment herdweise über die sonst dem Ringe zugewiesene Zone,
und auch darttber hinaus, verteilt ij. Die natürliche Folge daron ist,
daß die Lagerung der Pigmentzone an der Blastnla von der von
BovERi ermittelten Norm abweicht. Die Isolierung dieser Eier und
die Verfolgung ihrer weiteren Entwicklung ergab, daß sie nur in dem
Falle zu Pluteis sich entwickelten, wenn die Anordnung der Pigment-
masse am Keime nicht allzusehr von der Norm verschieden war. —
Dieses Verhalten des Eipigmentes bei der Bastardentwicklung beweist
uns, daß es infolge des Einftthrens einer artfremden Samenzelle in
das Ei zu Störungen in der Verteilung des Eiplasmas auf die
einzelnen Furchungszellen, oder zu Störungen im Ablaufe der späteren
Furchungsteilungen (die ersten verlaufen normal), mit dem Endresultate
einer abnormen Lagerung der verschiedenen Plasmaqualitäten im
Keime, kommen kann.
Als genetisch mit dieser Tatsache verwandt ist das bei Bastardie-
rungen so häufige Auftreten von Mißbildungen aufzufassen. Diese
werden oft erst in späteren Stadien, als Fehler der Gesamtform oder
einzelner Teile der Larven, kenntlich. Manches von dem, was als
»Varietät« von normalen Seeigelkeimen oder von Bastarden (im
Pluteusstadium) beschrieben wurde, gehört offenbar in diese Kategorie.
Die ersten Entwicklungsvorgänge brauchen in diesen Fällen nicht
abnorme zu sein, soweit sich dies wenigstens bei der bloßen mikro-
skopischen Betrachtung feststellen läßt. In andern Fällen aber ver-
laufen schon die frühen Entwicklungsvorgänge in abnormer Weise,
schon der Furchungsprozeß ist anormal und daher auch die Blastnla
ungewöhnlich gestaltet. Drei Beispiele solcher abnorm gestalteten
Keime führt die Figur 21 vor.
In a besitzt die Blastnla eine nur gering ausgebildete Ausstülpung,
in b und c relativ sehr große, von dem zumeist normal gestalteten
Hauptkörper ausgehende Aussackungen. Diese Bildungen erinnern
an die Extraovate, welche J. Loeb dadurch erzeugen konnte, daß er
die befruchteten Eier für einige Zeit in verdünntes Seewasser brachte;
und wie hierbei die Eimembran platzte, und so dem Extraovat den
») Bei der Kombination -^f^-^^^T-^^ waren derartige Störnngpen
Arbacta pust. r5 o o
nicht zu beobachten. Es handelt sich also um eine spezifische Einwirkang dea
Echinus-^amen» auf das Strongylocefitrotus-Ei.
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über Bastardierangsy ersuche bei Ecbinodermen.
517
Austritt ennöglichte, bo läßt sich auch hier nachweisen, daß die Ei-
membran (E. M) an jener Stelle gerissen ist, an welcher das Extraovat
von dem Übrigen Blastnlakörper abgeht. Wenn in Loebs Versuchen
durch die Änderung der äußeren Verhältnisse eine Veränderung der
osmotischen Druckdifferenz zwischen Eiinhalt und Seewasser gesetzt,
und hierdurch die Bildung der Extraovate veranlaßt wurde, so ist es
hier wahrscheinlich eine Änderung der inneren Verhältnisse, welche
die gleichen Folgen auslöst. Die Einführung der artfremden Samen-
zelle in das Ei beeinflußt offenbar die Art der Wasserimhibition des
Fig. 21.
Drei abnorm gestaltete, 24 Standen alte
Keime von
JSehinus brevisp. Q
E ft
Strongyloeentrotua (5 '
Vergrößerung tSO/1. E.M. Eimenibran.
letzteren — eine Annahme, die,
wie erwähnt wurde, auch Bo-
VERi zur Erklärung der GrröBen-
differenz zwischen normal be-
fruchteten und bästardierten
Eiern heranzog.
1/ Für die übrigen Formen der Mißbildungen reicht naturgemäß
dieser Erklärungsversuch nicht aus. Man kann sich hier nur, mit
Seeliger (26, S 504), vorstellen, »daß sich die Oattungscharaktere
der Eltern im kindlichen Bastard nicht immer zu einem harmonischen
Gesamtbild mischen«, so daß Mißbildungen entstehen müssen.
Die Frage, ob hierbei das Ei oder die fremde Samenzelle die
größere Bolle spielt, bleibt dabei offen. Sie ist aber der Prüfung
zugänglich. Zu diesem Zwecke habe ich an demselben Tage — also
bei gleichen äußeren Verhältnissen — zwei Versuchsreihen angestellt.
Bei der einen wurden vier, von vier verschiedenen jEcAmt/s- Weibchen
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518 Alfred Fischel
stammende Ei-Portionen mit von einem Strongylocentrotus-HMnchen
stammendem Sperma befruchtet. In allen vier Ealtnren traten MiB-
bildnngen auf, ohne daß sich jedoch ihre Anzahl in ersichtlichem
Grade unterschied. Bei der zweiten Versuchsreihe wurden die Eier
eines fi;Ämt/Ä- Weibchens in fünf Portionen geteilt und jede von ihnen
mit Sperma von Strongylocentrotus befruchtet — jedoch so, daß zu
jeder der fünf Ei-Portionen von je einem andern Männchen stammen-
des Sperma hinzugesetzt wurde. In dieser Versuchsreihe , bei welcher
also die Qualität der Eier dieselbe, die des Samens aber eine differente
war, variierte die Zahl der Mißbildungen, und auch ihre Art, in den
fünf verschiedenen Kulturen ganz deutlich. Diese beiden Versachs-
reihen erlauben wohl den Schluß, daß das Auftreten von MißbilduDgen
bei Bastardierungs versuchen, was die Zahl und Art dieser Miß-
bildungen betriflFt, weniger, wenn überhaupt, vom Ei, sondern wesent-
lich von den besonderen individuellen Eigenschaften der in das Ei
eingeführten artfremden Samenzelle abhängt'). Da zum Zustande-
kommen einer normal gestalteten Bastardlarve offenbar eine har-
monische Mischung der Elterncharaktere notwendig ist, so läßt sich
diese Rolle der Samenzelle vielleicht so auffassen, daß gewisse
Spermien die Bedingungen zu einer leichten Mischung der Eltem-
charaktere in sich tragen, während sie andern fehlen.
Erinnern wir uns an bereits früher Gesagtes, so zeigt es sich,
daß mit der Einführung einer artfremden Samenzelle in ein Ei eine
ganze Reihe entwicklungsstörender Momente gesetzt werden:
Abgesehen von Störungen, die zu einer Vorbildung der Formen
führen, kann die normale Pigmentverteilung gestört, die Größe
der Keime beeinflußt und die Geschwindigkeit der Entwicklung
verlangsamt werden. Gewisse Formen der Mißbildungen (Fig. 21),
sowie die Beeinflussung der Keimgröße sind vielleicht einer mehr
mechanischen Funktion der Samenzelle — einer Änderung der normalen
Wasserimbibition des Eies — , andre einer mehr formativen Wirkung
derselben zuzuschreiben.
Hinsichtlich der Zahl der primären Mesenchymzellen liegen ein-
ander widersprechende Angaben von Driesch und Boveri vor. Von
meinen Objekten läßt sich diese Zahl an dem pigmentreichen Ei von
Arbada pustuL überhaupt nicht bestimmen; die Zählungen, die ich an
den Bastarden der beiden andern Eiarten vornahm, sind nicht zahlreich
genug, um mir ein bestimmtes Urteil in dieser Frage zu gestatten.
*) BovERi (5, S. 348) wies nach, daß auch der Pigmentgehalt der Larven
von der Eigenart der Samenzellen abhängig ist.
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über BaBtardierungsversacbe bei Ecbinodermen. 519
Dagegen habe ich einem bisher noch nicht beachteten Pankte
mein Augenmerk zugewendet, der Frage nämlich, ob die Bastardierung
zu Veränderungen der sichtbaren Zellstruktur ftthrt. Als Vergleichs-
objekt hierbei wurden die sehr charakteristischen Zellen am vegetativen
Pole der Blastulae gewählt; sie wurden am lebenden Objekte unter«
sucht. Außer der einfachen mikroskopischen Untersuchung derselben
am unveränderten Objekte bediente ich mich auch der Methode der
vitalen Färbung der Keime mit Neutralrot ^).
Bei Arbacia pustul, ist die hellgelbe Grundsubstanz der erwähnten
Zellen so sehr mit Pigmentkörnchen durchsetzt, daß sich feinere
Details der Struktur nicht wahrnehmen lassen. Die Zellen selbst
sind zwar nicht rein kubisch, doch ist die Differenz zwischen ihren
Höhen- und Breitendurchmessern keine so bedeutende wie bei den
Zellen der zwei andern Seeigelarten, die,
schematisch, in Figur 22 dargestellt sind. Die ^*^- ^^•
Strongylocentrotus'ZeWe (a) stellt einen schma-
len, hohen Cylinder dar ; die sehr regelmäßig,
kreisrund erscheinende helle Kemzone liegt
unterhalb der Mitte der Zellhöhe, näher der |0
äußeren Zellperipherie; dieser äußere Zell-
abschnitt enthält zahlreiche, sehr kleine 6ra- * *
nula, die bis etwa zar Mitte der Kernzone 1:?,^^ «..'^rrpJ. a"
heraufreichen; der darüber liegende, innere BiaBtnu Ton strofigjfiocentro-
Zellabschnitt besitzt keine Granula, ist stärker '"' ^^no8us"(h)^ '^"**'''
lichtbrechend als der äußere, und erscheint
hellweiß, glänzend. — Weniger schmal erscheint die Edänus-Zelle [b) ;
die große, mehr ovale Kernzone liegt hier etwa in der Mitte der
Zellhöhe; auch hier ist der äußere Zellabschnitt, bis in die Kegion
der Kemzone, von Granulis erfüllt, die aber größer als bei Strongylo-
centt'otus sind; sehr charakteristisch ist der innere, der Blastulahöhle
zugekehrte Zellabschnitt beschaffen: Er erscheint hell und wie auf-
gebläht, ganz so wie der innere Zellabschnitt einer Darm-Becherzelle.
Bei mit Neutralrot gefärbten Blastulis erscheinen die Kernzonen
stets ungefärbt, da es ja ein Charakteristiken der vitalen Färbung
ist, daß der Kern von ihr nicht beeinflußt wird. Der übrige Zellleib
besitzt bei Arbacia eine zarte Rotfärbung; bei Anwendung starker
Vergrößerungen erkennt man, daß diese Färbung an die erst mit
1) Betreifs der Methode verweise Ich auf meine Arbeiten über vitale Fär-
bung (11, 12).
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520 Alfred Fisehel
Nentralrot deutlich sichtbar werdenden Granula gebunden ist, welche
in großer Zahl und dicht nebeneinander liegend den äußeren Zell-
abschnitt (der innere ist bei Arbada nicht genau erkennbar) erfüllen.
Diese Granula sind verschieden stark geförbt — einzelne gar nicht —
und verschieden groß. — Die Pigmentkörnchen erscheinen in den
gefärbten Zellen dunkler tingiert; dies dürfte aber nur die Folge
davon sein, daß man sie jetzt durch ein gefärbtes Medium hindurch
betrachtet. — Für uns besonders wichtig ist das Verhalten der
EcMnus-Z^W^Ti. Die schon erwähnten Granula ihres äußeren Zell-
abschnittes ziehen den Farbstoff begierig an, weshalb sie viel deutlicher
zu erkennen sind; es zeigt sich jetzt, daß sie ziemlich regelmäßig
in Reihen angeordnet sind; sie unterscheiden sich durch ihre Größe
von erst durch die Vitalfärbung sichtbar werdenden feinsten Körnchen,
welche, als dünne Schicht, die Kernzone umgeben; der innere Zell-
abschnitt ist granulafrei, diffus, aber sehr gut gefärbt. Hierin liegt
ein wesentlicher Unterschied gegenüber den Strongylocentrotus-Z^en^
bei welchen dieser innere Zellabschnitt entweder ganz farblos bleibt,
oder, bei starker Färbung der ganzen Larve, nur einen ganz zarten
Farbenton annimmt. Auch die feinen Granula der äußeren Zellpartie
sind hier weniger intensiv gefärbt als bei Echirms,
Die Zellen der Bastarde weisen nun oft anscheinend rein mütter-
lichen Typus auf. In jeder Bastardkultur aber lassen sich Keime
auffinden, deren Zellen von diesem Typus nach mancher Richtung
hin abweichen, so daß man, bei entsprechender Übung, Keime
mit derartigen Zellen sieber als Bastardlarven zu diagnostizieren
vermag.
Während es bei reinen -irfeacia-Larven, hauptsächlich infolge
ihres reichen Pigmentgehaltes, nicht möglich ist, ein klares Bild jener
Zellart zu gewinnen, tritt sie bei der Kombination -^-j-, r ^.
° ' Echmus orevispin. (f
viel deutlicher in die Erscheinung. Die Zellen scheinen höher und
schmäler zu sein als bei Ärbaeia; sie besitzen eine hellglänzende
Innenzone, die sich aber, im Gegensatze zu jener von Echirms ^ mit
Neutralrot nicht färbt.
T^ • j i. • ji TT V. X. Echimis brevispin, Q .
Dagegen wird bei der Kombination -r^ — . — ^ — das
° ° Ärbacta cf
klare Zellbild der reinen Echinus-LsLiye oft ganz erheblich verwischt;
die Zellen scheinen niedriger zu sein, mit relativ großer Kemzone ; bei
Neutralrotfärbung tritt der Gegensatz zwischen Innen- und Außenzone
der Zelle weniger deutlich hervor als bei den reinen JEbÄmt/Ä-Larven.
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über Bastardieningsversuche bei Echinodermen. 521
Ganz ähnlich sind die Diflferenzen bei den Bastarden —. , . — ^ ;
Arbacia (^
gegenüber reinen Strongylocefitrotu8'LB.ryen ist das Zellbild hier ver-
schwommen; da die innere Zellpartie weniger hell ist^ besteht zwischen
ihr und der Außenzone kein so großer Unterschied; die Kemzone
scheint kleiner zu sein und tritt weniger deutlich hervor; alles
Umstände, die auch die Zellen der Bastarde von der Kombination
Strongylocentrotus Q . . , i j ^i. ^ . j.
r> ,. 1 -. — -. — ^ kennzeichnen. — Am deutlichsten waren die
Echinus brevtspin, q^
Unterschiede bei den Bastarden ^i , — ^^Z -^ ausgeprägt;
Strongylocentrotus (y o r --o »
zwar besaßen die Zellen den Ediinus-Gh^rsikter , allein ihre innere,
sie bei Echinus so sehr den Becherzellen ähnlich machende Zone
war schmäler, weniger hell und schleimartig aussehend; dagegen
schien die granulierte Zone etwas höher zu sein ; mit Neutralrot ließ
sieh — was besonders auffällig war — die innere Zone nicht in
jener Weise färben wie bei reinen JEfeAiwe^-Larven.
Als übereinstimmendes Merkmal dieser Abweichungen vom Typus
läßt sich also bei allen Bastard-Kombinationen das feststellen, daß die
Zellen viel weniger klar erscheinen, und daß einzelne für die Zellen
des mütterlichen Typus charakteristische Merkmale verwischt sind^).
Bei der Subtilität dieser Verhältnisse geht es nicht an, gewisse von
diesen Veränderungen direkt als Annäherungen an den Typus der väter-
lichen Zellart hinzustellen, obzwar manches dafür zu sprechen scheint.
Im Prinzip genügt es, festzustellen, daß durch die Bastardierung
auch die Morphologie der Zellen des Keimes eine Veränderung er-
fahren kann.
Die voranstehend mitgeteilten Tatsachen zeigen, daß der Entwick-
lungsgang bastardierter Eier durchaus nicht als ein dem mütterlichen
Typus völlig analoger aufgefaßt werden kann. Es ist die Vorstellung,
daß das Ei für die Entwicklung alles Baumaterial liefert und den
Typus des neuen Organismus allein bestimmt, während die Samenzelle
nur den Anstoß zur Teilung und Differenzierung dieses Materials
beistellt, nicht gestattet. Die Samenzelle übt vielmehr von allem
Anfange der Entwicklung an einen wesentlichen Einfluß auf die Art
1) Inwieweit sich diese an der lebenden Zelle festgestellten Veränderungen
auch am fixierten und gefärbten Objekte außprägen. muß noch durch besondere
Untersuchungen festgestellt werden.
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522 Alfred Fischel
der EntwickluDg aus. Dieser Einfluß kann sich auf die Geschwindig-
keit des Entwicklungsganges, auf die Form und Größe des
Keimes, auf seinen Pigmentgehalt, sein Ealkgerttst und auch
auf die Struktur seiner Zellen erstrecken. Dies ist freilich nicht
in jedem Falle und nicht nach jeder dieser Richtungen hin deutlich
nachzuweisen; ja es kommen in Bastardkulturen zweifellos Larven
vor, deren Aussehen in keinem wesentlichen Punkte vom rein mütter-
lichen Typus abweicht. Der fUr andre Fälle sicher erwiesene EinfluB
der Samenzelle ' auf die Entwicklung zwingt uns jedoch , diese an-
scheinend rein mütterlichen Keime als solche aufzufassen, bei denen
die väterlichen Charaktere zwar lar viert, aber jedenfalls vorhanden
sind. Mit Recht führt Weismann diese Erscheinung auf > scheinbar« ein*
elterliche (»pseudo-monogene«) Vererbung zurück, und weist anderseits
Seeliger (25, S. 219) darauf hin, daß Larven von rein väterlichem
Typus schon deshalb auch mütterliche Charaktere, wenn auch larviert,
in sich bergen müssen, weil ja das Ei die Grundlage für ihre gesamte
protoplasmatische Substanz darstellt.
Die Verteilung und Mischung der einzelnen elterlichen Charaktere
ist eine nach ihrer Art und Zahl (oder vielleicht genauer: nach der
Art ihres sichtbaren Hervortretens) außerordentlich verschiedene, und,
wie Herbsts soeben erschienene wertvolle Untersuchungen lehren,
auch durch äußere Einflüsse (Temperatur) beeinflußbare.
Die hier erörterten Wirkungen der männlichen Geschlechtszelle
lassen sich, so lange man sie nicht genauer analysieren kann, vielleicht
am besten als formative und einfach mechanische unterscheiden.
Zu den letzteren wäre die Verlangsamung der Entwicklung, die Be-
einflussung der Größe der Keime, die Störung in der normalen
Pigment- Verteilung (bei [^^^ ^f'f '_ - -V -Bastarden) und die Ent-
\ ophaerechmus (f /
stehung der speziell geschilderten Mißbildungen (Fig. 21) zu zählen;
Änderungen der Wasserimbibition des Eies, Widerstände bei der
Tätigkeit des Centrosoins sind vielleicht ihre speziellen Ursachen.
Auch die geschilderte Beeinflussung der Blastulazellen beruht vielleicht
auf einer Störung in der normalen Wasserimbibition, da auch durch
sie jenes Undeutlichwerden des normalen Zellbildes verursacht werden
könnte. — Alle übrigen Wirkungen können als direkt formative an-
gesehen werden, deren Resultat auf viel komplizierterem Wege erreicht
wird, als jenes der ersterwähnten Wirkungsweisen.
Da eine formative Wirkung der männlichen Geschlechtszelle
feststeht, und, da die letztere wesentlich als Kernmasse in die Be-
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über Bastardierangsversache bei Echinodermen. 523
fruchtung eingeht, so liegt es nahe, verallgemeinernd zu sagen, daß
der Kern imstande sei, die seiner Struktur eigentümlichen Charaktere
dem sich entwickelnden Organismus aufzuprägen, während das Ei-
plasma nur »das Material für die formende Tätigkeit der sich gleich-
wertig gegenüberstehenden männlichen und weiblichen Eemanteile«
darstelle (5, S. 360). Daraus ergäbe sich dann die Folgerung den
Kern als den alleinigen Träger der Vererbungssubstanz aufzufassen.
In weiterer Verfolgung dieser Annahme ist man bekanntlich so
weit gegangen, auch die einzelnen Chromosomen als mit wichtigen
qualitativen Erbverschiedenheiten ausgestattete Individuen hinzustellen.
Wie wenig Berechtigung hierzu vorliegt, hat Fick in einer jüngst
erschienenen Kritik der einschlägigen Literatur gezeigt und mit
Recht betont, daß »die Frage der Mitwirkung des Protoplasmas bei
der Vererbung . . . auch heute noch eine oflfene« ist^).
Es besteht bei dieser Sachlage kein zureichender Grund, die
Vorgänge bei der Befruchtung und die Resultate der Bastardierungs-
versuche als Tatsachen aufzufassen, welche gegen jene Anschauungen
über die Rolle des Protoplasmas bei der Entwicklung sprechen, zu
denen uns neuere Versuche hindrängen. Diese Versuche sprechen
unzweideutig dafür, daß zum mindesten gewisse Organdifferenzierungen
wesentlich vom Protoplasma des Eies abhängig sind. Sicherlich fällt
dem Kerne eine sehr wichtige, zum Teil sogar die entscheidende
Rolle bei der Vererbung und bei der Differenzierung des Baumaterials
für den embryonalen Körper zu. Da die Annahme nicht notwendig
erscheint und es auch noch fraglich ist, ob diese Rolle speziell nur
an die Chromosomen gebunden ist, so ist es richtiger, diese Funktion
dem Kerne zuzuschreiben, weil und insofern er lebendes Protoplasma
besitzt. In dem gleichen Sinne aber muß dann auch dem Ei-Proto-
plasma die Rolle als eines Trägers von Vererbungssubstanzen zu-
gestanden werden, wenn diese Rolle auch, dem Kerne gegenüber,
eine beschränkte ist, und ihrem Grade nach bei verschiedenen Arten
sehr verschieden stark ausgebildet sein dürfte.
Prag, anatomisches Institut.
*) Schon die Berücksichtigung der morphologischen Verhältnisse bei den
verschiedenen Arten des Befruchtungsvorganges hätte das einseitige Hervor-
heben der Bedeutung des Kernes für die Vererbung verhindern sollen. Ich
selbst habe diese Anschauung nie geteilt und dem auch in einem kleinen Auf-
satze über Befruchtung und Vererbung (Prager medizin. Wochenschr. 28. 1903)
Ausdruck gegeben.
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524 Alfred Fischel
Literaturverzeichnis.
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Über BastardierungBYersnche bei Echinodermen. 525
26) Pflüoer, C. W., Untersuchungen über Bastardierung der anuren Batrachier
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9, 1900.
Arehir f. Entwicklangsmechanik. XXIL 34
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Zur Entwicklungsgeschichte der Echinodermen.
I. Zur Hecbanik der Zellteilnng.
IL Versuche mit vitaler Färbung.
Von
Alfred Fischel.
(Mit Unterstützung der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenachmft,
Kunst und Literatur in Böhmen.)
Mit 10 Figuren im Text.
Eingegangen am 23. Juli 1906.
Unter dem obigen allgemeinen Titel soll hier eine Reihe von
Beobachtungen mitgeteilt werden, die ich zu Ostern 1906 an der
zoologischen Station in Villefrancbe s. m. an den Eiern und Samen-
zellen von Arbacia pu^fulosaj Echinus brevispinosus (s. Sphaerechinus
granulaiirs) und Strongyhceiitrotus lividus anstellen konnte.
Sie betreffen eigenartige Veränderungen der Samenzellen nach
chemischen oder physikalischen Einwirkungen; die Darstellbarkeit
und das Schicksal granulaartiger Elemente im Echinodermenei ; Art
und Rolle des Pigmentes in Echinodermenkeimen, sowie endlich die
Bedeutung von Ortsveränderungen der Granula und Pigmentkömehen
für die Erkenntnis der Mechanik der Zellteilnng.
Diese verschiedenartigen Beobachtungen sollen im Nachfolgenden
in zwei gesonderten Abschnitten näher erörtert werden, deren Titel
nur als Hinweis auf jenes Moment gelten mag, das die jeweils be-
sprochenen Tatsachen miteinander verknüpft.
I. Zur Mechanik der Zellteilung.
Mit Hilfe der vitalen Färbung lassen sich, wie ich vor einigen
Jahren mitteilte ' j, in den Eiern von Echinus microiuberculatus Grannla
zur Anschauung bringen, die in einer bestimmten Beziehung zum
^) A. Fischel, Über vitale Färbung von £chinodermeneiem wShrend ihrer
Entwicklung. Anatom. Hefte. H. 37. 1899.
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Zur Entwicklungsgeschichte der Echinodenpen. 627
Kernteikinggyorgange stehen. Die bis dahin gleichmäßig im Zellleib
verteilten Körnchen rücken nämlich beim Beginne derEernteilnng an die
Eernzone heran, führen deren Gestaltändernngen entsprechende Bewe-
gungen ans, um sich nach vollzogener Zellteilung wiederum gleichmäBig
im Zellleib der neu entstandenen beiden Tochterzellen zu zerstreuen.
Diese nur mit Hilfe der vitalen Färbung sichtbar werdenden
Kömchen beweisen durch ihr eigenartiges Verhalten, daB die Zell-
teilung mit Änderungen der physikalischen Beschaffenheit der einzelnen
Zonen des Zellleibes verknttpft ist. Im Sinne seiner Anschauungen
über die Mechanik der Lebenserscheinungen der Zelle erklärt Bhumb-
lerI) diese Bewegungen als Folgen von DruckdiiSferenzen im Waben-
werk des Hyaloplasmagerüstes, wie sie durch Verdichtungscentren
(Attraktionssphäre der Zellen] hervorgerufen werden.
Neue, in Yillefranche s. m. ausgeführte Versuche lehrten mich,
daß sich die gleiche Erscheinung in besonders deutlicher Weise auch
an Eiern von Echimis brevispinosus feststellen läßt. Es ist wohl sehr
wahrscheinlich, daß alle oder alle pigmentfreien Echinodermeneier
derartige Granula besitzen;
Bei den erwähnten beiden Seeigelarten schufen wir uns durch
die Färbung der Granula künstliche Marken zur Ersichtlichmachung
der Veränderungen im Protoplasma. Die Frage liegt nahe, ob nicht
auch die natürlich gefärbten Granula, welche gewisse Seeigeleier
in Gestalt von Pigmentkömehen in sich bergen, dieselben Bewegungen
ausführen und uns so, ohne Kunsthilfe, jene Konsistenzänderungen
im Protoplasma zur Anschauung bringen.
Ich habe die Furchung zweier pigmentierter Eiarten daraufhin
untersucht, nämlich die Eier von Strongyhcentrotus lividus und Ap--
bacia pustulosa.
Von dem ersterwähnten Ei ist es durch Selenka^j m^^ genauer
durch BovERi^) bekannt geworden, daß es Pigment, und zwar in
einer ganz bestimmten Zone enthält. Eben dieses Gebundensein des Pig-
mentes an eine bestimmte Eizone ist wohl die Ursache, daß während der
1} L. Rhumbler, Physikalische Analyse der Lebenserscheinangen der Zelle.
II. Mechanik der AbrUckung von Zelleinlagerangen aus Verdichtungscentren der
Zelle (im Anschluß an Fischels Vitalfslrbungen von Echinodermeneiern und
BÜT80HLI8 Gelatinespindeln erläutert). Arch. f. Entw.-Mech. 9. 1899.
S) Nach Garbowski, Über die Polarität des Seeigeleies. Ballet, de Tacad.
des scienc. de Cracovie. 1905. Nach ihm soll man auch statt Str(mgylocenirotu8
— Paracentrotus lividus (Lmk.) schreiben.
3) Th. Boveri, Die Polarität von Ovocyte, Ei und Larve von Sirongylo-
centrotm liridus, Zoolog. Jahrb.» Abt. f. Anat. u. Ontog. 14. 1901.
34*
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528 • Alfred Fischel
ersten Farchungsteilnngen keine den geschilderten Bewegungen der
Farbgranula analogen Stellungsändernngen der Pigmentkörnehen
nachweisbar sind. Das Pigment wird später auf ganz bestimmte
Blastomeren verteilt Wenn man diese genauer untersucht, so zeigt
es sich wohl, daß die PigmentkOmchen im Buhezustande der Zellen
gleichmäßiger im Zellleib verteilt sind, doch eine Eonzentratioii der-
selben um den Kern zurzeit seiner Teilung läßt sich nicht deotlieli
nachweisen.
Sehr reich an Pigment ist das Ei von Arbacia pustulosa. Es
erscheint infolgedessen rotbraun gefärbt, allerdings in verschiedener
Stärke. Diese reiche Einlagerung von Pigmentkömehen ist ftir die
Untersuchung sehr ungünstig.
In dem ruhenden Ärbacia-Ei ist das Pigment zwar im ganzen Zell-
leib abgelagert, doch nicht überall gleichmäßig verteilt, insofern , als
sich an der Peripherie und unmittelbar um die Eernzone mehr Eömehen
vorfinden als in der Zwischenregion ; die Binde des Eies enthält am
meisten Pigment.
Im Verlaufe der Furchung lassen sich nun Bewegungserschei-
nungen der Pigmentkörnchen, ähnlich denen der vital gefärbten Gra-
nula, nachweisen. Allerdings kann man sie nicht bei jedem Ei und
nicht mit gleicher Deutlichkeit wahrnehmen; nicht bloß aus dem
Grunde, weil eine entsprechende Untersuchung der reich pigmentierten
Eier Schwierigkeiten bereitet, sondern auch deshalb, weil diese Be-
wegungen nicht bei allen Eiern in gleich ausgiebiger Weise erfolgen,
ja bei vielen vielleicht überhaupt nicht stattfinden. In einzelnen Fällen
lassen sich jedoch die nachfolgend geschilderten Bewegungserschei-
nungen mit aller Schärfe wahrnehmen.
Schon beim Durchschneiden der ersten Furche bildet sich wieder-
holt neben ihr ein dunkler Pigmenstreifen aus, dem ein zweiter,
peripherischer entpricht; die mittlere, die Tochterkerne bergende Zone
erscheint sehr hell, da sie jetzt nur wenige Pigmentkömehen enthält
Diese Erscheinungen gehen jedoch bei der ersten Furchungsteilong
sehr rasch vorüber, alsbald breitet sich das Pigment ziemlich gleich-
mäßig im Zellleib der neu entstandenen ersten zwei Blastomeren
aus. Während der Furchungsteilungen zeichnet sich die Rinde der
Blastomeren ganz besonders durch ihre dunkle Farbe aus. Schneiden
die Furchen durch, so erscheinen die sie begrenzenden Ränder dunkel-
braun bis tiefschwarz ; an den einander zugekehrten Flächen der nea
entstandenen Blastomeren findet offenbar die stärkste Konzentration
von Pigment statt.
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Zur £ntwicklung8gcBchichte der Echinodermen. 529
Sehr bedeutend sind die Breitenändernngen des Spaltes zwischen
den nea entstehenden Blastomeren. Diese weichen nämlich nach be-
endeter Farchnngsteilnng stets weit auseinander, um sich später
wieder, fast bis zur direkten Berührung zu nähern. Zwei dieser
Stadien der ersten Furche sind in den beistehenden Figuren wieder-
gegeben. — Während der Annäherung der Blastomeren bildet sieh
an einer Stelle ihrer einander zugekehrten Flächen öfters eine starke
Fig. 1. Fig. 2.
Pigmentanhäufung aus (Fig. 2), die später wieder verschwinden kann.
Von dieser Stelle aus schneidet später die zweite Furche ein. —
Sehr deutlich sind die Bewegungen der Pigmentkömehen während
der zweiten Fnrchungsteilung wahrzunehmen. In einiger Entfernung
von der ersten Furche bildet sich in den beiden ersten Blastomeren ein
breiter, dunkler Pigmentstreifen aus, der parallel zur ersten Furche
zieht (Fig. 3). Senkrecht zu ihm verläuft ein zweiter, ganz schmaler
Fig. 3. Fig. 4.
Pigmentstreifen, durch welchen alsbald die zweite Furche einschneidet,
so daß das in Fig. 4 wiedergegebene Bild resultiert. Es ist wohl zu
beachten, daß dieser Streif nicht durch die ganze Breite der Blasto-
meren hindurchzieht; in der Region der Kerne ist er vielmehr durch-
brochen ; die gezeichneten Bilder entsprechen also der Einstellung auf
die Peripherie der Blastomeren.
Bald nach vollzogener Yierteilung des Eies wird nun die An-
ordnung der Pigmentstreifen geändert. Die der ersten Furche parallel
verlaufenden Pigmentstreifen hellen sich zunächst in ihrer Mitte auf
(Fig. 5); von ihrem centralen und peripherischen Ende aus fließen die
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630
Alfred Fischel
Fig. 5.
Pigmentkörachen in die Peripherie and in die der zweiten Furche
benachbarte llegion der vier Blastomeren. So entsteht jetzt ein breiter
Pigmentstreif, der parallel zar zweiten Furche hinzieht, ein schmaler
Pigmentring an der Außenfläche und ein dichter Pigmenthanfen an
einer Kuppe jeder Blastomere (Fig. 5). Man erkennt leicht, daß bei
dieser Anordnung die Eernzonen von den Pigmentkömehen umhttllt
werden, während die peripherischen Teile der Blastomeren nur sehr
wenige Pigmentkörnchen enthalten. Die Konzentration des Pigmentes
um den Kern kann jedoch in einzelnen Fällen
einen bedeutenderen Grad erreichen als in Fig. 5;
es ist das besonders deutlich bei Betrachtung der
Blastomeren von der Seite her zu erkennen. Ein
solches Bild ist beistehend (Fig. 6) wiedergegeben.
Jeder Kern ist von einem dunklen Pigmentkömchen-
hofe umgeben, um den sich nur relativ wenige Pig-
mentkörner im Zellleib verteilt finden. Dieses, bei
Ärbacia sehr rasch vorübergehende und einem Zustande der fast gleich-
mäßigen Verteilung des Pigmentes im Zellkörper Platz machende Sta-
dium entspricht nahezu völlig einem Bilde, das man bei pigmentfreien
Echinodermeneiem mit Hilfe der Granulafärbung ersichtlich machen
kann (vgl. die Fig. 2, 7 u. 12 meiner oben zitierten Arbeit). Im ttbrigen
aber entsprechen die Bewegungen der Körnchen nicht völlig denen
der vital gefärbten Granula, wie aus einem Vergleiche der diesem
Aufsatze beigegebenen Figuren mit jenen meiner
früheren Arbeit hervorgeht. Für die Pigmentgranula
des Arbaeia-Eies ist insbesondere der in Fig. 3 nnd 4
sichtbare Pigmentstreif neben den Furchen charak-
teristisch. Er ist auch in späteren Furchungsstadien
sehr deutlich sichtbar und liefert bei ihnen allein
Zeugnis von den Pigmentverschiebungen, da die
übrigen Unterschiede in der Pigmentverteilung oft
zu gering sind, um deutlich in die Erscheinung zu treten. Man
erhält dann in diesen späten Stadien ein eigenartiges Bild : In einer
bestimmten Furchungsphase enthält jede Zelle in der Nähe der Tei-
lungsebene einen breiten Streifen dunklen Pigmentes, während in dem
restlichen Teile des Zellkörpers unregelmäßig verteilte Pigmentkörachen
liegen.
Trotz des erwähnten Unterschiedes des Verhaltens des Echirms-
und des 4r6acia-Eies wird wohl die Ursache der Orts Veränderung der
vital färbbaren Granula und der Pigmentkörnchen dieselbe sein. Stehen
Fig. 6.
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Zar Entwicklangsgescliichte der Echinodermen. 531
doch auch beide mit dem Zellteilangsvorgange in innigster Ver-
kntlpfiing. Wir können in diesen Bewegungen der Granula und des
Pigmentes den sichtbaren Ausdruck von während der Zellteilung
sich ausbildenden Druckdifferenzen im Zellleib erblicken;
diese bedingen es, daß die in der Zelle eingeschlossenen KOmchen
aus den Gegenden höheren Druckes fortrücken, wenn sie in ihnen
nicht durch besondere Adhäsionskräfte festgehalten werden. Ganz
analoge Erscheinungen kann VBMk auch in Amphibieneiem beim Ein-
dringen der Samenzelle und während ihrer Farchung nachweisen.
Rhumbleri) }iat bereits auf sie hingewiesen und sie in dem obigen
Sinne gedeutet.
Wie die vital färbbaren Granula im Echinus-Ei eine künstliche,
liefern uns also die Pigmentkörner im ÄrbaciorEi eine natürliche
Marke für das Erkennen der im Zellleib sich ausbildenden Druck-
differenzen. Mit Hilfe dieser Marken wird man die Ausbildung solcher
Druckdifferenzen auch bei andern Objekten ermitteln können. Selbst
an Schnittbildern fixierter Objekte wird dies unter Umständen möglich
sein. So bildet Kostanecki*) in seinen Fig. 77—80 Stadien der Ei-
teilung von Mactra (MoUusce) ab, die beweisen (insbesondere Fig. 80),
daß auch bei diesem Objekte eine Eömchenbewegung stattfindet, die
im Prinzipe der hier vom Echinodermenei beschriebenen analog ist.
Da zwei so differente Eiarten das gleiche Phänomen aufweisen, so
ist wohl die Vermutung nicht unberechtigt, daß hier eine allgemein
vorkommende Erscheinung vorliegt, d. h. also, daß es bei der Zell-
teilung infolge von im Zellleibe entstehenden Druckdifferenzen zu
Ortsveränderungen der in der Zelle abgelagerten Körnchen kommt.
Die Art dieser Ortsveränderungen wird, wie schon aus dem ver-
schiedenen Verhalten der hier besprochenen Fälle hervorgeht, bei den
verschiedenen Eiarten und Zellen eine verschiedene, die Orte der
Kömchenanhäufung werden also nicht überall die gleichen sein.
Wie die Art wird auch der Grad') der bei der Zellteilung sich aus-
bildenden Druckdifferenzen bei verschiedenen Zellarten ein sehr ver-
schiedener sein. —
1) L. Rhuhbler, Physikalische Analyse von Lebensersoheinangen der Zelle.
III. Mechanik der Pigmentzasammenhäufungen in den Embryonalzellen der Am-
phibieneier. Arch. f. Entw.-Mecfa. 9. 1899.
2) K. EosTANüCKi, Cytologische Stndien an künstlich sich entwickelnden
Eiern von Mactra, Arch. f. mikrosk. Anat. 64. 1904.
9) Letzterer kann anch bei derselben Zellart — so bei ^rfrocia-Eiem —
variieren und daher die Deutlichkeit der Eömchenbewegung beeinflussen.
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632
Alfred Fischel
Eigenartig ist beim ÄrbaciorEi auch das Verhalten seiner Bin-
denschicht. Während der Teilungen erscheint sie breit und dunkel
pigmentiert, nach beendeter Teilung dagegen ist sie in den einzelnen
Blastomeren schmal und von hellerem Farbentone. Es mu8 also anch
hier zu einer, und zwar hochgradigen Pigmentkonzentration kommen,
die am mächtigsten an den Teilungsflächen der Blastomeren heryor-
tritt. —
Bei der vierten Furchungsteilung werden an dem einen Pole de«
Echinodermeneies kleine Zellen, die sog. Mikromeren, abgegliedert
Beim Ärbacta-Ei enthalten sie, im Gegensatze zu den tlbrigen Furcbnngs-
zellen, nur wenige Pigmentkömehen. Ihre Entstehung ist mit einer
bedeutenden Verschiebung des Pigmentes verknüpft. Betrachtet man
in diesem Stadium den Mikromerenpol des Eies, so sieht man, wie
Fig. 7.
Fig. 8.
die Pigmentkörnchen von diesem Pole abrücken, bis das in Fig. 7
dargestellte Bild entsteht. Die so entstandenen, im Gegensatze zu
dem übrigen Teile der Blastomeren nahezu pigmentfreien Zellknppen
werden hierauf abgeschnürt und stellen die Mikromeren dar; ihr
Pigmentmangel gegenüber den übrigen Blastomeren tritt am besten
bei Betrachtung des Keimes von der Seite her (Fig. 8) zutage.
Während also bei den zur Entstehung gleich großer Toditer-
zellen führenden Zellteilungen die Pigmentverschiebungen in der Weise
erfolgen, daß jede der neu entstandenen Zellen die gleiche Menge
Pigmentes erhält, werden den Mikromeren nur wenige Pigment-
körnchen zugeteilt. Die bei der Entstehung der Mikromeren sich
ausbildenden Druckdifferenzen sind also lokal und graduell andre als
jene der übrigen Furchungsteilungen. Die Zonen, an welchen die
Mikromeren sich bilden, stellen, nach der früher erwähnten Annahme,
die Orte maximalen Druckes in den Mutterzellen der Mikromeren
dar, während der Druck in den übrigen Teilen dieser Mutterzellen
ein relativ sehr geringer ist, weshalb auch die Pigmentkörnchen in
sie abströmen. Die Bildung der Mikromeren ist also begleitet, wohl
auch wesentlich verursacht durch hochgradige, zwischen ungleich
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Zur Entwicklungsgeschichte der Echinodermen. 533
großen Abschnitten des Zellleibes sich ausbildende Druckdifferenzen i);
wir können hieraus schließen, daß inäquale Teilungen, im Gegen-
satze zu den äqualen^ durch diese Art von Druckdifferenzen charakte-
risiert sind.
Was das Schicksal der Pigmentkörnchen während der
späteren Entwicklung des J.r6acia-Eie8 betrifft, so ist hervorzuheben,
daß eine Vermehrung derselben nicht stattfindet. Das Eipigment
wird durch die Furchung auf die einzelnen Blastomeren verteilt und hier-
durch eine Aufhellung des Keimes verursacht. Diese Aufhellung ist
schon im Yierzellenstadium augenfällig, schon da lassen sich die
einzelnen Regionen der Blastomeren viel besser mikroskopisch durch-
mustern als jene des ungeteilten Eies. In der Blastnla finden sich die
Pigmentkörnchen im freien (d. h. äußeren) Teile der Zellen, ihr innerer,
der Blastolahöhle zugekehrter Teil erscheint hellgelb, pigmentfrei ^).
Eine stärkere Anhäufung von Pigmentkömehen tritt dann in der
Region der Darminvaginationsstelle ein. Lebhaft gefärbt ist dem-
gemäß auch die freie, der Darmhöhle zugekehrte Partie der Ento-
dermzellen. Sehr wenige, oft nur ein bis zwei Pigmentkörnchen
sind in den Mesenchymzellen abgelagert; sie sitzen zumeist an den
Abgangsstellen der Fortsätze vom Zellkörper. — Durch die Aufteilung
des Eipigmentes auf die einzelnen Zellen des Keimes erscheint dieser
in den späten Stadien dem Ei gegenüber in so auffälliger Weise
heller, fast pigmentlos, daß man sich der Vermutung nicht enthalten
kann, es finde bei der Entwicklung nicht nur keine Vermehrung, son-
dern geradezu eine Verminderung des Pigmentes statt. Es ist in dieser
Hinsicht besonders wichtig, daß man in späteren Stadien nicht allzu
selten auf ganz albinotische Larven stößt, während man schwach
pigmentierte Eier nur sehr selten findet; pigmentfreie Eier habe ich
überhaupt niemals gefunden^) und ich muß daher wenigstens für viele
1) Auf solche Druckdifferenzen ist vielleicht anch die sog. Ballung des
Pigmentes bei Reizung der P i gm entz eilen zurückzuführen. Der Reiz führt,
80 kann man sich vorstellen, dazu, daß in den Fortsätzen der Pigmentzelle ein
höherer Druck entsteht. Infolgedessen wandern die Pigmentkörnchen aus den
Fortsätzen gegen das Centrum der Zelle, um nach Ausgleich der Druckdifferenz
wieder in die Fortsätze zurückzuströmen.
2) Bei Formolzusatz färben sich die Zellen, namentlich ihr innerer (basaler)
Abschnitt, violett; die Pigmentkörnchen bleiben hierbei unverändert.
3} BovERi fand einmal ein pigmentloses Sirongylocenirottis-Ei-j ich habe deren
viele gesehen. Die Entwicklung verlief vollkommen normal. An der gleichen
Eiart konnte Garbo wski normale Entwicklung trotz Verschiedenheit der Pig-
mentverhältnisse konstatieren. Diese Tatsachen, sowie das Vorkommen von
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534 Alfred Fischel
der albinotischen Larven die Rückbildung des Pigmentes während der
Furchung für sehr wahrscheinlich halten. — Unabhängig von dem
originären Pigment des Eies entwickelt sich später (etwa am dritten
Tage) jenes der Chromatophoren. Diese Zellen können auch in Larven
zur Ausbildung kommen, deren Ectodermzellen wenige oder keine
Pigmentkömehen enthalten; sie können auch — bei den albinotischen
Keimen — gänzlich fehlen.
Auch beim Strongylocentrotus-Ei verhält sich das Pigment des
Eies in der soeben geschilderten Weise: Es erfährt keine Vennehrung
während der Entwicklung und steht zu dem der Chromatophoren in
keiner direkten genetischen Beziehung. Daß es bei der Furehung
bestimmten Blastomeren zugewiesen wird, hat bereits Boveri näher
geschildert. Seine Lagerstätte ist auch hier die freie Zellseite. —
So reich pigmentierte Eier, wie sie Boveri zeichnet, wird man aller-
dings wohl sehr selten auffinden können. Im Gastrulastadium er-
scheint der Keim so pigmentarm (ist übrigens in vielen Fällen direkt
pigmentfrei, wie auch schon viele Eier], daß man auch hier den Ein-
druck erhält, als ob nicht bloß eine Verteilung des Eipigmentes auf
viele Zellen, sondern direkt eine Verminderung desselben statthat.
Das Ei von Echimis hrevispinosus ist pigmentfrei. Vom Gastrula-
stadium ab kann man aber in einzelnen Ectodermzellen, ganz un-
regelmäßig auf der Larvenoberfläche verteilt, gelblichrote Pigment-
körnchen in geringer Zahl nachweisen. Hier muß es also nachträglich
zur Bildung von Pigment gekommen sein, der dann die Pigmentbildung
in den Chromatophoren folgt.
Verschiebungen der Pigmentkömehen habe ich in diesen späten
Entwicklungsstadien nicht wahrnehmen können. Vielleicht deshalb
nicht, weil die Zahl der Körnchen zu klein ist, oder die bei der Zell-
teilung sich ausbildenden Druckdifferenzen nicht so hochgradige sind,
wie in den großen Zellen der ersten Fnrchungsstadien. Daß übrigens
solche Verschiebungen auch in andersartigen und kleineren (oder pig-
mentreicheren) Zellen stattfinden, beweist die Beschreibung der Teilungs-
vorgänge an Pigmentzellen der Salamanderlarven von selten Zimmer-
manns ^) und der Ento- und Mesoblastzellen bei iJario-Embryonen von
Seiten Nusüaums^).
Albinos bei Ärbacia^ beweisen, daß das Pigment der £chinodermeneier keinen
der morphogenetischen Stoffe des Eies darstellt.
1) K. W.Zimmermann, Über die Teilung der Pigmentzellen, speziell der
verästelten intraepithelialen. Arch. f. mikrosk. Anat. 36. 1890.
2) J.NusBAUM, Über die Verteilung der Pigmentkömehen bei derEaiyokinese-
Anatom. Anz. 8. 1893.
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Zur Entwicklnngggeflchichte der Echinodermen. 535
II. Versuche mit vitaler Färbung.
Dem bereits in meiner früheren Arbeit (1899) verfolgten Ziele:
Mit Hilfe der Vitalfärbnng verschiedenartige Granula im Ei za er-
mitteln und ihre Aufteilung im Larvenkörper zu verfolgen, waren
neuerliche Versuche gewidmet. Außer dem schgn früher mit Erfolg
verwendeten Neutralrot, wurden hierzu zwei FarbstoflFe, die sich bei
Versuchen an Amphibienlarven i) sehr bewährt hatten, benutzt, nämlich
Nilblausulfat und Nilblauchlorhydrat.
Die mit Neutralrot gefärbten ^rfcam-Eier lassen infolge ihres
reichen Pigmentgehaltes, die Art der Granulafärbung nur undeutlich
erkennen. Erst in späten Furchungsstadien und an der Blastula ist
infolge der stattgefundenen Aufhellung des Keimes der Färbungs-
eifekt sicher erkennbar. In den Blastulazellen erscheint dann nur die
Kernzone ungefärbt, weil ja bei der vitalen Färbung kein Farbstoff
vom Kerne aufgenommen wird. Der Zellleib dagegen erweist sich als
diflFus zartrot gefärbt und die in der äußeren Zellpartie gelegenen
Pigmentkömer erscheinen auf diesem Hintergrunde dunkelrot. Bei
stärkerer Vergrößerung erkennt man im äußeren Zellabschnitt, daß
die Färbung des Zellleibes durch Granula verursacht wird, die dicht
nebeneinander liegen ; sie haben den Farbstoff in sehr verschiedenem
Grade an sich gezogen, einzelne sind überhaupt ungefärbt geblieben. Da
sich dieses verschiedenartige Verhalten der Granula bei verschiedenen
Kulturen und bei verschiedensten Färbungsintensitäten stets einstellt,
ist zu vermuten, daß ihm eine qualitative Verschiedenheit der Gra-
nula entspricht. — Es ist übrigens, bei der Ungunst der Verhältnisse
für eine mikroskopische Untersuchung des lebenden ^rftacio-Keimes,
nicht möglich, zu ermitteln, ob auch der der Blastulahöhle zugekehrte,
also innere Abschnitt der Zellen Granula enthält, oder ob er, ähnlich
wie bei SphaerechirmSj nur diffus gefärbt ist. — Am ungefärbten
Keime ist es nicht möglich, die Granula zu sehen, sie treten erst
durch die Vitalfärbung hervor. — Ebenso lassen sich später spärliche
Granula in den Mesenchym- und Darmzellen erkennen.
Anders liegen die Verhältnisse bei den Zellen der Strongyhcen'
^o/2tö-Blastula. Hier liegen gleichfalls Granula in der äußeren Hälfte
der Zellen, doch sind sie viel kleiner als die von Arbacia] diese
Zellzone erscheint hier wie mit feinsten roten Kömchen bestäubt; der
^) A. FiscHEL, Untersuchungen über vitale Färbung. Anatom. Hefte. H. 52/3
1901.
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536 Alfred Fischel
innere Zellabschnitt ist entweder überhaupt nicht, oder nur schwach,
diflfus, gefärbt. — Später treten auch in den Mesenchym- und in
den Darmzellen Granula auf; in den ersteren finden sich nur wenige,
oft nur ein bis zwei sehr kleine hellrote Körnchen, die zumeist an
den Abgangsstellen der Fortsätze vom Zellkörper liegen. Die Dann-
zellen sind zumeist, nur diffus gefärbt, einzelne enthalten auch feinste
Granula. — Von besonderem Interesse aber ist das Verhalten der
Pigmentzellen der Pluteuslarven. Während das aus der Eizelle stam-
mende und allmählich auf die Keimzellen verteilte Pigment die vitalen
Farbstoffe entweder überhaupt nicht, oder jedenfalls nicht in auf-
fälligem Grade annimmt, zieht das erst sekundär im Keime entstandene
Pigment der Chromatophoren sehr intensiv die Farbstoffe an sich,
verändert infolgedessen seine (ursprünglich rötlichgelbe) Farbe, so
daß diese Zellen, bei starker Tinktion, sogar tief blauschwarz er-
scheinen können. Färbt man die Larven nur ganz schwach und
setzt sie dann in reines Seewasser, so werden die meisten Granula
nach einiger Zeit farblos; die Pigmentkörner der Chromatophoren
aber behalten den Farbstoff bei und erscheinen jetzt dunkelviolett,
im Gegensatze zu dem lichten Gelbrot der übrigen, direkt von der
Eizelle stammenden Pigmentkörnchen. Diese Färbung der Chroma-
tophoren hält an, sie werden sogar zumeist noch infolge Metachro-
masie des Farbstoffes dunkler, während alle andern Teile der Larven
— bis auf den zartrosa gefärbt bleibenden Darm — den Farbstoff
gänzlich abgegeben haben. Dieses Verhalten bekundet einen scharfen
chemischen Unterschied zwischen den Pigmentkörnchen der Chromato-
phoren einer- und den übrigen Pigment- und Zellgranulis anderseits.
Solche Plutei gewähren ein ganz eigenartiges Bild: Aus dem Inneren des
Larvenkörpers leuchtet der rötlich tingierte Darm hervor, während
mehr nach außen hin die dunkelvioletten bis tief schwarzen Chroma-
tophoren sich scharf von dem im übrigen ungefärbten Larvenkörper
herausheben. —
Im Gegensatze zu den Blastulazellen von Strongylocenirotus
nehmen diejenigen von Echinus brevispinosus gerade mit ihrer Innen-
partie das Neutralrot begierig auf. Diese diffus gefärbte Zone reicht
bis an den Kern, der selbst von einer Schicht feinster rot gefärbter
Granula umgeben ist, heran. In der äußeren (freien) Zellseite treten
ziemlich regelmäßig gereihte, größere Neutralrotgranula zutage. —
Bei den Pluteis enthalten die Mesenchymzellen entweder gar keine,
oder nur sehr wenige Farbgranula; die Darmzellen besitzen solche
in ihrer Außenzone. — Im Gegensatze zu den beiden andern Eiarten
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Zur EntwicklnngBgescbichte der Echinodermen. 537
nehmen die Pigmentkörnchen, die sich, unregelmäßig verstreut und
in spärlicher Zahl, in den Ectodermzellen vorfinden, gleich denen der
Ghromatophoren, den Farbstoff an. Diese Pigmentkörner sind aber,
wie diejenigen der Ghromatophoren und im Oegensatze zu jenen
der beiden andern Eeimarten, erst sekundär im Keime entstanden,
da ja das Echinus-Ei selbst nicht pigmentiert ist. — Während also
die aus der Eizelle selbst stammenden Pigmentkörner vom
Farbstoffe nicht beeinflußt werden, ziehen ihn die sekundär im
Keime entstandenen an sich. Der genetischen Verschie-
denheit entpricht offenbar auch eine chemische. —
Über die Natur der mit Neutralrot sichtbar werdenden Granula
läßt sich zwar ein absolut sicheres Urteil nicht angeben. Bedenkt
man aber, daß sie nicht nur in einer für jede Eiart spezifischen
Weise ausgebildet sind und vor allem, daß sie auch bei wochenlanger ^)
Beobachtung keinerlei erkennbare Veränderung aufweisen, so wird
man wohl davon Abstand nehmen, sie ftlr Zersetzungsprodukte, Ex-
crete oder sonstige ihrem Vorkommen und ihrer Ausbildung nach
variirende Bestandteile der Zellen zu halten. Ich bin vielmehr der
Ansicht, daß in ihnen, wie auch noch in andern Granulaarten ^), Ge-
bilde von vitaler Bedeutung, Elementarorgane der Zelle, wenn auch
keine Elementarorganismen im Sinne Altmanns, vorliegen.
Bei den Echinodermen findet eine Vermehrung dieser Granula
während der Eifurchung nicht, oder wenigstens nicht in erheblichem
Grade statt; die in der Eizelle vorhandenen Granula werden nur auf
die einzelnen Furchungszellen aufgeteilt. Später dagegen muß es
zur Neubildung von Granniis kommen, da die Zahl der z. B. im
Gastrulastadium vorhandenen Granula gewiß größer ist als jene in
der Eizelle. —
Während, wie erwähnt, Nilblauchlorhydrat und Nilblausulfat bei
Amphibienlarven gute Resultate lieferten, erwiesen sich diese beiden
Farbstoffe Echinodermeneiern gegenüber als minder brauchbar. Beide
Farben schädigen die Eier, allerdings in sehr verschiedener Weise.
Die Schädlichkeit des Nilblauchlorhydrates gibt sich nur
in einer Verzögerung des Entwicklungsverlaufes zu erkennen, im
übrigen aber können sich trotz dieser Färbung normale Plutei ent-
1) Ich habe gefärbte Larven bis zum 17. Tage beobachtet Seeigellarven
entwickeln sich bekanntlich im Aquanomwasser nach Erreichung eines gewissen
Stadiums nicht weiter.
2] Man vergleiche hierüber meine oben sbitierte Arbeit aus dem Jahre 1901,
S. 487 u. f.
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538 Alfred Fischöl
wickeln. Legt man Strongylocenfy'otuS'Eiev sofort nach erfolgter Be-
frachtung in eine schwache Lösung des Farbstoffes, so treten um den
Kern — und nur um ihn herum — kleine Granula in geringer Zahl auf.
Diese blauen Granula umgeben auch die Kerne der Blastulazellen,
finden sich aber in größerer Zahl nur an dem vegetativen Pole der
Blastula vor. Im Pluteusstadium besitzen alle Zellen solche Granula,
aber in ungleich geringerer Anzahl als bei Neutralrot. Sie liegen in
den Ectodermzellen in deren äußerer, in den Entodermzellen in deren
innerer Zone. Auch ist eine diffuse Färbung des ganzen Keimes
vorhanden. Die chemische Besonderheit der Pigmentkömer der Chro-
matophoren gibt sich auch hier zu erkennen: Sie haben den Farb-
stoff gierig an sich gezogen, und erscheinen jetzt schwarz gefärbt. —
Ähnlich sind die Verhältnisse bei Sphaereekintis gramdaris. Die
innere Zone der vegetativen Zellen der Blastula ist bei diesen Keimen
diffus blau gefärbt.
Verglichen mit den Neutralrotgranulis unterscheiden sich die mit
Nilblauchlorhydrat darstellbaren Granula nach Zahl und Anordnung
sehr wesentlich und stellen daher eine andre Granulaart dar. —
Während das Nilblauchlorhydrat den Entwicklungsgang der See-
igeleier nur verlangsamt, findet in Lösungen von Nilblausulfat
überhaupt keine Weiterentwicklung statt. Befruchtete oder schon in
Furchung begriffene Eier sinken, in diese Lösung gebracht, auf den
Boden der Glasgefäße nieder, legen sich dicht an denselben an, so
daß man sie nur mit Gewalt von ihm abheben kann. Kommen sie
nahe aneinander zu liegen, so verkleben sie miteinander. Die alsbald
eintretende Trübung der Eier zeigt ihr Absterben an. Sie können
sich hierbei diffus schwach blau färben.
Sehr interessant ist nun, daß alsbald nach erfolgtem Einlegen
der Eier in die Lösung die Eimembran ihr Verhalten den S|amen-
zellen gegenüber ändert. Normalerweise dringt bekanntlich, nach
Eindringen der befruchtenden Spermie in das Ei, keine weitere Samen-
zelle durch die vom Ei abgehobene Membran mehr ein. Nach Ein-
wirkung von Nilblausulfat dagegen passieren alsbald zahlreiche
Samenzellen die Membran, um zwischen ihr und dem Ei — in das
keine weitere Spermie eindringt — liegen zu bleiben. Sowohl die
Membran, wie auch die Samenzellen erfahren hierbei tiefgreifende
Veränderungen. Die erstere wird, im Gegensatze zur Norm, in ganz*
unregelmäßiger Weise vom Ei abgehoben, ihr Kontur verläuft stellen-
weise wellenförmig um das Ei; in den Wellentälern liegen die beson-
ders hochgradig veränderten Spermien (Fig. 9). — Kopf und Mittel-
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Zar Entwicklongsgeschicbte der Echinodermen. 539
stttck der durch die Membran getretenen Spermien sind in abnormer
Weise geqnoUen, so daß diese Zellen jetzt als nngewöhnlich große
EOrper erscheinen, die aber als veränderte Spermien teils durch
die Art ihrer Bestandteile, teils durch die Übergangsformen zwischen
ihnen und normalen Samenzellen zu diagnostizieren sind. Jedes der
zwischen Ei und Eimembran gelegenen Elemente setzt sich nämlich
aus einem größeren, unregelmäßig geformten bei Strongyhcentrotus
(Fig. 9) stärker als bei Echimts granulierten und einem kleineren,
ovalen, stark lichtbrechenden, nicht granulierten Gebilde zusammen;
das erstere ist der Kopf, das letztere das Mittelstttck der Spermie.
In der beistehenden Figur erkennt man diese beiden Elemente ganz
deutlich nur an jenen Spermien, welche dem Beobachter in ent-
sprechender Weise zugewendet waren; an einzelnen Spermien ist nur
der Kopf sichtbar. Bei der gewählten Ver-
größerung (180/1) würden die normalen Sper- Fig. 9.
mien als kaum sichtbare Pünktchen zu zeich-
nen sein.
Die geschilderten Veränderungen der Eier
und ihrer Membran, sowie das Durchlässig-
werden der letzteren sind dem Nilblausulfat zu-
zuschreibende Wirkungen. Die Veränderungen
der Spermien sind es nur indirekt; sie erfolgen
erst nach dem Eindringen der Samenzellen
unter die Eimembran, oflFenbar durch den Einfluß der hier vorhan-
denen Flüssigkeit.
Eine dem Wesen nach analoge, dem Grade nach aber erheblich
bedeutendere Veränderung der Samenzellen konnte ich nun auch bei
Arbada^ ohne Einwirkung eines fremden Agens, beobachten. Beim
ersten Blick auf die umstehende Fig. 10 wird man die großen, ganz
unregelmäßig gestalteten Gebilde, die um das in vier Zellen geteilte
Ei liegen, gewiß nicht für Samenzellen lialten, besonders wenn man
die bei gleicher ^) Vergrößerung (etwa 400/1) gezeichneten, in einiger
Entfernung vom Ei liegenden, normalen Spermien [Sp) mit ihnen
vergleicht. Betrachtet man aber einige dieser Gebilde näher, so
kann man an ihnen sehr deutlich die eine Samenzelle charakterisie-
renden Bestandteile: Kopf, Mittelstück und Schwanz erkennen (in
der Figur rechts). Bei entsprechender Einstellung kann man auch
1) In Wirklichkeit erscheinen diese Spermien noch etwas kleiner als in der
Figur; sie worden absichtlich ein wenig größer gezeichnet, da es sonst nicht
möglich gewesen wäre, ihr charakteristisches Aassehen wiederzugeben.
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540
Alfred Fischel
aD den übrigen, zum mindesten die beiden ersterwähnten Bestand-
teile nachweisen. Wie im früheren Falle, so erscheint auch hier der
Kopf granuliert, das Mittelstück hellglänzend; gewöhnlich ist auch
im Kopfe ein centraler, granulafreier, stärker lichtbrechender Ab-
schnitt vorhanden. Diese Gebilde stellen also, trotz ihres verschie-
denen Aussehens, sämtlich Spernden dar, die, wie ein Vergleich mit
den unveränderten ergibt, geradezu ins Ungeheuerliche vergrößert
sind, wobei namentlich ihr Kopfteil die bizarrsten Formen annimmt
Es gewährt einen eigenartigen Anblick, wie diese dicht aneinander
Fig. 10.
...Sp.
gepreßten, riesigen und formlosen Spermien überall das Ei umgeben
(in der Figur ist nur ein kleiner Teil dieser Gebilde des betreffenden
Präparates gezeichnet worden, um die Verhältnisse klarer darzustellen).
An einzelnen Stellen sind sie miteinander zu unförmlichen Gebilden
verschmolzen.
Es ist nun wohl zu beachten, daß sich derart veränderte Sper-
mien nur in unmittelbarer Nachbarschaft der Eier vorfinden, während
die von ihm entfernteren, wie in der Figur, unverändert bleiben. Es
ist mir nicht möglich gewesen, die Ursache dieser Formveränderung
der Spermien zu ermitteln. Die erste Beobachtung war eine zufällige:
Kormal befruchtete Arbacia-Eier befanden sich durch längere Zeit unter
dem Deckglase auf einem Objektträger, ohne daß rechtzeitig Wasser
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Zur Entwicklungsgeschichte der Echinodennen. 541
zugesetzt wurde; zwar befand sich im Momente der Beobachtung noch
genügend Wasser unter dem Deckglase, doch mußte immerhin schon ein
erheblicher Teil abgedunstet sein. In der Tat gelang es auch später
einige Male — aber nicht immer — durch Wasserverlust die gleiche Er-
scheinung hervorzurufen. Die Deformation der Samenzellen hängt
also wohl irgendwie mit diesem Wasserverluste zusammen. — Mög-
licherweise erklärt sich die Erscheinung damit, daß in die unmittelbar
dem Ei anliegenden Samenzellen — und nur diese werden ja defor-
miert — eine aus dem Ei stammende Flüssigkeit dringt, die die
kolossale Aufquellung derselben verursacht, ebenso wie die bei Nil-
blausulfatwirkung zwischen Eimembran und Ei eingedrungenen Samen-
zellen in der sie jetzt umgebenden Flüssigkeit eine Aufquellung
erfahren. — Denkbar ist es auch, daß durch die obigen Versuchs-
bedingungen bloß eine Veränderung zu sichtbarem Ausdrucke gelangt,
welche auch normalerweise jene Spermien erfahren, welche dem Ei
unmittelbar anliegen. —
Die auffällige Erscheinung, daß das (aus derselben Quelle —
Grübler — bezogene) Nilblausulfat bei früheren Versuchen an Am-
phibienlarven sich als unschädlich erwies, bei Echinodermeneiem
dagegen giftig wirkte, ließ vermuten, daß vielleicht kein genügend
reines chemisches Präparat vorlag. Ein Zusatz von schwacher Salz-
säure zur Farblösung änderte an der Wirkung nichts. Dagegen konnte
durch Zusatz von kohlensaurem Natron Weiterentwicklung der Eier
erzielt werden. Es trat aber keine Färbung ein, die Furchung ver-
lief atypisch, und sie führte zur Entstehung von ganz unregelmäßig
gestalteten Blastulis, mit vielfach gefalteter Zell wand. Die Zellen
selbst erschienen normal, die Blastulae aber stellten bizarre Gebilde
von verschiedenster Größe dar, die alsbald der Degeneration anheim-
fielen. — Weitere Versuche müssen lehren, ob sich die Giftwirkung
des käuflichen Nilblausulfat neutralisieren läßt, oder ob dieser Farb-
stoff unter allen Umständen speziell für Echinodermeneier giftig ist
Prag, anatomisches Institut, Juli 1906.
ArehiT f. Entwieklnngsmechanik. XXII. 35
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The Regeneration of Two »Crusher-Clawsc following
the amputation of the Normal Asymmetrical Chelae
of the Lobster (Homarus americanus).
By
Tictor E. EmmeL
With Plate XV.
Eingegangen am 31. Juli 1906.
Introduction.
It has been a matter of considerable doubt whether or not a
lobster Ib ever fonnd with a »cmshiDgc claw on eaeh of the two
»great chelipeds«. The only case recorded is in a footnote to
HEBRiCK'd ('96) description of yariations in the form of lobster chelae;
>I have heard of a Single case reported by a fisherman, where
similar cmshing claws were developed on both sides of ihe body«.
F. 143. This seemed to Pbzibram ('Ol), for theoretical reasons aboat
to be mentioned, such an incredible phenomenon that he condaded
that: >Der eine Fall von einer Häutnng beiderseitigen »cmfifaiiig-
daw«, von dem Herrick nur vom Hörensagen durch Fischer Kenntnis
erhielt, wird wohl in das Reich der Fischermythen zu. verweisen
sein.« P. 333. In the adult lobster the »great« claws are almost
invariably asymmetrical with reference to each other — the claw
on one side of the body being a »nipper«, the other a »cni8her<.
On the other band, in the young lobster the two claws are alike and
similar to the »nipping« type; and the fact that in the rare instances
in which symmetrical claws have been found in adnlt lobsters, both
were always of the >nipping« or embryonic type, has created a
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The Regeneration of Two »CroBher-Clawsc etc. 543
strong presnmption ihat a, >cnisbmg< daw woald not be developed
on each oheliped of this erastacean.
The specimen abont to be described furnishes a well aathentie-
ated case of a lobster with two »crashingc claws.
I.
A. Data.
The present observations were made at the Experiment Station
of the Rhode Island Gommission of Inland Fisheries, during a series
of studies on the phenomenon of regeneration in the lobster ('05, '06).
The lobster which regenerated the two crushing claws, soon to be
described, had been recently taken from the fishing-traps, and was
kept in a floating car in as nearly a normal environment as possible.
The original appendages of this specimen were all normally developed,
and the animal was in a healthy condition throoghont the experi-
ment. The lobster was a female, and measured S^ie inches in
length.
On July 26*^, 1905, both chelipeds and the second and third
right Walking legs were autotomously removed by pinching the tip
of the limb with a forceps. On September 28*^, sixty-four days
after the amputation, the lobster molted and then measnred 8Y2 inches.
It had meantime regenerated both chelipeds , and the second and
third right thoracic legs.
The original chelipeds of this lobster were of the normal asym-
metrical type. The left claw (Fig. I) was a completely developed
>crnsher«, characterized by the wide massive claws with an almost
entire absence of tactile hairs, and by the presence of broad tnbercle-
like teeth. The right ehela (Fig. U) was of a characteristic >nipping«
type with a relatively slender claw, pointed cntting teeth, and a
fringe of tactile hairs along the jaws. The right and left chelipeds
respectively measnred 146 and 140 mm. in length.
Soon after the amputation of these limbs another pair of cheli-
peds began to regenerate from the remaining stnmp or basipodite.
On July 18*^, twenty-three days after the amputation, the regenerating
buds both measured 5 mm. in length. By the time the segments of
the future limbs were well outlined, attention was drawn to the very
similar appearance of the two regenerating structures. Usually, as
the lobster approaches the culmination of the molting period, the
35*
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544 Victor £. Emmel
regenerating chelipeds become so clearly differentiated that a dis-
tinctioD between the »crusher« and >nipper« can often be readily
detected. In the present case, howewer, no characteristic differences
coald be observed between the right and left regenerating buds, and
moreover the general morphological appearance of each was soch
that it led to the prediction that both were developing into the
»cmshing« type of claws.
After the lobster had molted, the regenerated chelipeds assumed
their normal shape and both measnred 63 mm. in length. Each
cheliped was very similar to the other in form and displayed the
morphological characters of a trne »crnsher«. All the other appen-
dages were in a normal condition except the regenerated second
right leg, which had developed a double claw. After the molt the
limbs were again autotomously removed and an attempt made to
keep the lobster throngh the winter in order to eee what type of
chelae would be reproduced by the next regeneration. ünfortnnately,
however, the unnatnral conditions under which it was necessary to
keep the animal daring the winter resulted in the lobster's death on
Janaary 6^^, 1906, before an answer was obtained for this interesting
question.
B. Morphological Comparison of the Normal and Regenerated Chelae.
a.
The morphological comparison of the normal and regenerated
chelsB may be best presented by making first a detailed analysis of
some of the characters not clearly shown in the photographs. For
this purpose the drawings (Figures V, VI, VII and Vni) have been
made of the index or propodite part of each claw to show the
characteristic dentition and distribntion of tactile hairs.
The original right »nipper« index (Fig. VIJ is of a charac-
teristic normal type. Tactile hairs {k) are distribnted in a dense
fringe on each side of the dendated margin, and along the distal
outer border of the jaw. The teeth are narrow and pointed. These
»cutting« teeth are arranged in a linear series, and in a periodic
sequence with a formula of 1:4:3:4:2:4:3:4 for a perfect
period (P)^)- All the teeth of the propodite are included in this
1) According to the Schema of Stahr ('98; and Herrick ('05).
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The Regeneration of Two »Cnuher-Claws« etc. 545
Single linear series except a stout displaced tooth (d) abont mid-
way in the dentate margin, which forms the >lock« to the claw
(Hbrbick, '05). Another characteristic feature in the arrangement of
the teeth is that at the posterior part of the jaw the Single series
of teeth are shunted off toward the upper face of the propodite in
the direction of the upper or onter side (a) of the Joint {j) formed
by the onion of the two Segments of the claw.
The original left claw (Fig. V) is a typical normal »crusher«.
The index or propodite part of the claw, in marked contrast to the
morphological characters jnst described for the >nipper<, is charac-
terized by the almost entire absence of tactile hairs, only a few
isolated tufts (h^) remaining near the angle of the jaw. The »stont
displaced tooth« of the nipper is absent. Instead of the >pointed
ctttting teeth«, the jaw is dentated with broad »cmshing« tuberdes {t)
formed by the fnsion of periodic teeth (according to Herbick, '05).
A normal feature in the dentition is the double-row of tnbercle
teeth (t^) at the posterior part of the index. An equally typical
feature is that these two rows of teeth do not shunt off toward one
side of the Joint, as in the >nipper<, but are arranged along either
side of the median line of the jaw.
In this lobster the propodite of the regen erated left claw
(Fig. YU) closely resembled the original »crusher«. No tactile hairs
are apparent, except a few tufts (h) near the angle of the jaw. The
teeth (t) are broad and tubercle like in form; periodic sequence in
arrangement is not evident, and at the posterior part of the jaw the
characteristic »double-crushing« teeth have reappeared.
The regenerated right claw, on the other band, is plainly
unlike the orginal »nipper«. If we examine the propodite part of
the claw (Fig. VUI) it is seen that only a few tufts of tactile hairs (h)
have regenerated in place of the prominent firinge on the former
claw (Fig. VI). The teeth are not like the pointed »cutters«, but are
of the broad tubercle form. And finally, the wide departure of the
regenerated structure from the original »nipping« type, and its identity
as a »crusher« is completely established by the presence of the
characteristic double toothed arrangement of the tubercles {t^)
at the posterior part of the jaw.
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546
Victor £. Emmel
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Kelatively short and
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Broad tubercle-like
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The Regeneration of Two »Crusher Claws« etc.
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548 Victor E. Emmel
C. Resume.
a) The normally asymmetrical chelipeds of an adolt lobster were
autotomottsly removed. The right claw was a >Dipper«, and the
left a »crusher«.
b) After ampntation the chelipeds regenerated, bnt the regene-
rative processes did not reproduce the original asymmetrical types
of chelse. The regenerated left claw was a trae »cmsherc like the
former claw; bat the regenerated right claw had the general
characters, not of the »nipper«, bat of a typical »crasher«.
c) A close analysis of the stractaral featares of the regenerated
right claw demonstrated that, in all its morphological characters, it
corresponded point for point with both the normal and the regenerated
»crasher« of the left side, in respect to the general form, size, and
proportions, in the shape and arrangement of the teeth, and even in
the namber and distribation of the tafts of tactile hairs.
The regenerated claws of this lobster are, therefore,
symmetrical in form, and are both of the »crashing« type
of chelae.
n.
Discussion.
This regeneration of two »crashing« claws in the lobster presents
several interesting aspects:
1) The fall grown lobster is almost invariably asymmetrical in
respect to the chelipeds, — one of the two claws being a »crasher«,
and the other a »nipper«. The present case, therefore, famishea a
rare exception in that both claws are alike.
2) Moreover, this case is apparently nniqae, for in all other well
aathenticated cases of similar claws of which I am aware, the two
claws were always of the »nipping« type. In examining OFcr
2,400 lobsters, Herrick ('96) foand only 3 which had similar claws
deyeloped on each side of the body, and in these the claws were
all of the »catting« or »nipping« form (P. 143). Döring the sammer
of 1905, among the lobsters canght in the traps near the Experiment
Station, I foand another adalt lobster with two similar »nipping«
claws. It may be of valae to add that after I had aatotomoosly
removed both chelsB, the regenerative processes directly reprodaeed
two »nipping« claws, like those removed.
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The Begeneration of Two »Gmsher-Claws« etc. 549
3) The fact that the double »crushing« claws here described are
regeneration prodncts, indicates that the symmetrical chelaB occasion-
ally fonnd in the adult lobster, are not neceßsarily congenital in
natnre, bnt may be the result of regenerative processes.
4) It is evident that this case of regeneration cannot be bronght
into the category of »reversal« phenomena, for no transposition of
types from one side of the body to the other occurred. It is also
apparently impossible to Interpret such a regeneration as a case of
»compensatory regnlation« in Zeleny's ('05) sense, for the regene-
rated chelsB are almost identically similar both in size and in form.
At present, therefore, this phenomenon mnst rather be described
merely as the Substitution by regeneration of a »crushing« claw
in place of an original »nipping« claw.
5) This »Substitution« of a >crushing« in place of a »nipping«
claw is a striking deviation from the normal method of »direct
regeneration« in Homarus (Pbzibram, and Morgan), in that it con-
sists in the regeneration of a phylogenetically younger type of claw
(Stahr, '98, Przibram, 'Ol) in place of the amputated more primitive
form of chela.
Przibram ('02) has pointed out in the European lobster what
Morgan ('04) has observed in the American species, and what I
have since found in several experiments ('06a), namely, that when
the »crushing« claw has been autotomously removed, the regenerated
»crusher« is ^ot always at first distinguishable as such, but rather
presents characters intermediate or transitional between the more
primitive »nipping« and the more highly developed »crushing« type.
If the crushing claw is phylogenetically the younger type, this might
perhaps be expected, for then the Variation in the regenerating
structnre might be regarded as a reversion to the phylogenetically
older or nipping type of claw. But to this, the present case is a
remarkable exception. On the left side there was, indeed, a »direct
regeneration« of the original »crushing« claw, but on the right side,
the regenerative process, instead of leading to the reproduction of
the original »nipper« and thus to the restoration of the normal
asymmetry, passed beyond all the transitional stages in one molt
and produced on this side, also, a »crushing« claw, i. e., one of a
phylogenetically younger type.
6) I have no Suggestion to oflFer in explanation of this case of
regeneration. Evidently the regenerative cells in the stump remaining
after autotomy, may have the potentiality of either a »crushing« or
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550 Victor E. Emmel
»nipping« claw. Bnt what factors determined that a daw of tbe
crushing type be prodüced, is another question. Wilbon's ('03;
Suggestion for AlpheuSj »that the initial factor (Auslösung) that sets
in motion the complex process of differentiation of which either side
is capable, is primarily only a diflference in the amount of mateiial
on the two sides« (P. 210), can hardly apply here, for the chebe
were both removed autotomously and at the same time, consequcBtly
there seems no reason to believe that the »amount of material« was
unequal on the two sides. As far as the present data go, the
regeneration of similar »crushing« claws, like that of Przibkam's {'05i
similar toothed claws, »still remains unexplained«.
Theoretical speculations aside, the fact is that we have an
authentic case of the regeneration of a perfectly typical »crushing«
claw on each side of the body of the lobster *). The occurrence of
two »crushing« claws in this crustacean is not, therefore, a phenomenon
which must be »relegated to the realm of fishenuen's myths«.
Anatomical Laboratory, Brown University, Providence, R. I.,
June 5, 1906.
Zusammenfassung.
a) Die ^ormalerweiBe asymmetrischen Scherenftiße eines erwachsenen
Hammers worden durch Autotomie entfernt. Die rechte Klane war eine Zwick-
schere (»nipper«), die linke eine Quetschschere (»crnsher«).
b) Nach der Amputation regenerierten sich die Scherenfuße, aber die Be-
generationsprozesse brachten nicht die nraprünglichen asymmetrischen Scheren-
typen hervor. Die regenerierte linke Klaue war eine echte Kauschere (»crusher«;,
wie die vorher dagewesene; aber auch die regenerierte rechte Klaue hatte die
allgemeinen Kennzeichen der typischen Kauschere, nicht die der Zwickschere.
c) Eine genauere Analyse der StruktureigentUmlichkeiten der regenerierten
rechten Schere zeigte, daß sie in allen ihren morphologischen Kennzeichen
Punkt für Punkt sowohl mit der normalen als der regenerierten Kauschere der
linken Seite übereinstimmte, und zwar mit Bezug auf die allgemeine Gestalt
die Große und GrOßenverhältnisse, in bezng auf Gestalt und Anordnung der
Zähne, ja sogar in der Zahl und Verteilung der Tasthaarbüschel.
1) Since this article has gone to press a series of experiments were made
in which I succeeded in obtaining another lobster with two crushing claws.
The specimen was an 8 inch male lobster whose chela had the usual asym-
metry; the right being a »crushingc, and the left, a »nipping« claw. Bodi
chelse and the second left by were autotomously removed on August 4^^, 1906.
By the middle of October the lobster had molted and regenerated two chel«
which were both typical »crushing claws«. I hope to give a more dc-
tailed description at a later time.
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The Begeneration of Two »Crnsher-Glaws« etc. 551
Die regenerierten Klanen dieses Hnmmers sind somit der Ge-
stalt naofa symmetrisch nnd gehören beide dem Typus der Ean-
schere (>crn8her«) an.
Literature Cited.
Emhel, V. £. '05. The Regeneration of Lost Parts in the Lobster. Report
of Rhode Island Gommission of Inland Fisheries. 1905. pp. 81—117.
Special Paper, No. 20.
'06. The Relation of Regeneration to the Molting Process of the Lobster.
Report of Rhode Island Gommission of Inland Fisheries. 1906.
pp. 267—313. Special Paper, No. 27.
'06 (a). Torsion and Qther Transitional Phenomena in the Regeneration of
the Gheliped of the Lobster. Journal of Ezp. Zoology. Vol. 3. No. 4.
1906.
Herkick, F. H. '96. The American Lobster. Bull. U. S. Fish Gommission.
1896. pp. 1—252.
'06. The »Great Forcepsc of the Lobster. Science U. S. Vol. XXI. p. 876.
Morgan, T. H. '04. Notes on Regeneration. Biol. Bull. Vol. 6. 1903—04.
pp. 169—172.
Przibram, H. 'Ol. Experimentelle Studien über Regeneration. I. Archiv f.
Entw.-Mech. Bd. XI. 1901. pp. 321— 346.
'02. Experimentelle Studien über Regeneration. 11. Archiv f. Entw.-Mech.
Bd.Xin. 1902. pp. 507— 627.
'06. Die »Heterochelie« bei decapoden Grustaceen. III. Archiv f. Entw.-
Mech. Bd. XIX. 1906. pp. 181— 247.
Stahr, H. '98. Neue Beiträge zur Morphologie der Hummerschere. Jenaische
Zeitschr. f. Naturw. Bd. 32. 1898. pp. 467—481.
Wilson, E. B. '03. Notes on the Reversal of Asymmetry in the Regeneration
of the Ghelsß in Alpheus heterocheUs. Biol. Bull. Vol. 4. 1902—03.
pp. 197—210.
Zelbnt, G. '06. Gompensatory Regulation. Joum. Exp. Zoülogy. 1906. Vol. II.
No. 1.
Explanation of Plate.
Flate ZV.
Figs. I and II are photographs of the original normal chelipeds of the lobster
used in the present experiment (about Vs natural size). Fig. I, left normal
»crushing« chela. Fig. II, right normal »nipping« chela.
Figs. lU and lY; photographs of the left and right chelse, respectively, which
regenerated after the amputation of the original limbs about V2 natural
size).
Figs. y and VI show the index or propodite part of the original claws repre-
sented in Figs. I and II (Vs natural size). Fig. Y, index of normal left
»crusher«. (Drawn from the upper face.) Fig. VI, index of normal right
»nipper«. (Drawn from the lower face.)
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552 Victor E. Emmel, The Regeneration of Two »Crusher-ClawB< etc.
Figs. yil and YIII represent the index or propodite part of the regenenited
claws shown in Figs. III and IV (Va natural Bize). Fig. VII, index of re-
generated left »crußherc. {Drawn from upper face.) Fig. Vni, index of
regenerated right claw. (Drawn from lower face.j
Beferenoe letters.
a Outer part of the Joint fonned by p Group of teeth on »nipping« claw
the Union of the propodite and showing typical periodic sequence.
dactylopodite. pr Index or propodite part of claw.
h Tactile hairs. t Typical tubercle-like teeth on
j Socket into which the dactylo- »crushing« claw.
podite setB to form the Joint of i^ Characteristic double teeth on
the claw. »crushingc chela.
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The Influenae of a Streng Cenirifugal Force
on the Frog's Egg.
By
T. H. Morgan.
With Plate XVI and XVU.
Eingegangen am 31. August 1906.
Three years ago I carried out rather an entensive series of ex-
periments on the iDfluence of a centrifugal force on the development
of the frog's egg. I found that when eggs were rotated at 180
revolutions per minute for six or eight hours, there followed very
eonsiderable changes in the development. A slower rate for the same
length of time prodaeed no effects; a higher rate killed the eggs.
Previous to my work Oscar Hertwig, had carried out similar ex*
periments with the frog's egg, and had also obtained abnormal forms.
More reeently Hertwig and Wetzel have described some farther
experiments in which the orientation of the egg was eontrolled,
and have obtained important resnlts. Gurwitsch has reeently re-
Yolved the egg of triton and of the frog at a mnch higher rate of
speed and has obtained resnlts similar, as far as they go, to those
described in the present paper. My new experiments show that a
yery high rate of speed for a short time (2 to 10 minntes) gives very
different effects from those obtained with a slower rate for a longer
time. The experiments carried out by Lyon on the sea urchin's egg
dnring the snmmer of 1905 suggested to me the possibility of similar
work on the frog's egg.
The eggs, laid in confinement, were placed on the machine as
soon as procured while the jelly was still nnswoUen. In some cases
the eontrol eggs did not segment for several honrs after they were
proenred, showing that the rotation had taken place soon after or
even before fertilization. In fact, better resnlts were obtained when
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554 T. H. Morgan
the eggs were rotated very soon after deposition than when near tiie
time of appearance of the first cleavage planes.
The machine was a small hand-centrifhge. The inner ends of
the tubes containing the eggs were 2 co. from the centre of rotation;
the outer ends 11 V2 c<5- The eggs, surronnded by the jelly, nearly
filled the tnbes in most cases. Therefore those at the onter ead were
nnder a stronger centrifugal force than those nearer the axis of rota-
tion. The eggs were, however, driven into the onter third of the tube.
The machine was kept rotating at nearly its maximnm rate; riz.,
abont 1600 revolntions per minute. At this speed the best resnlts
for the eggs of Rana sylvatica were obtained in about seven minntes.
Less than five minntes produced no well marked effect; more than
ten minntes caused the appearance of such abnormalities that embryos
did not develop. The eggs of the toad are much more sensitive to
the centrifugal force. The best resnlts were from eggs rotated not
more than three minntes. Longer periods of rotation introdueed
changes that prevented the development of the embryo.
Experiments with Rana sylvatica.
In the course of a few minntes the effects of the rotations be-
comes apparent in the flattening of the egg and in the black polar
field becoming lighter in color. Further rotation causes a fiirther
flattening of the egg, an increase in the size of the clear polar field,
and not infrequently the appearance of rounded mound-like Inmps
on the »Upper« hemisphere, Fig. 1. One or more creases appear
here, that resemble the beginning of cleavage furrows, Fig. 2, but in
reality are due to folding of the surface, which may possibly result
from a decrease in the volume of the upper hemisphere, causing a
folding of the more hardened rind covering the onter surface of the
egg. A section of an egg in this conditioiL i. e. immediately after
removal from the machine, is shown in Fig. A^ The pigment of the
Upper hemisphere has moved down, almost like a plate, into the
interior of the egg leaving a clear slightly granulär upper region.
Streamer-like extensions of the pigmented material extend further
downwards over the inner wall of the lower surface as well as into
the interior. The yolk granulös seem also to have been driven from
the top of the egg into the interior. The folding of the surface is
Seen at the top, and slight «onstrictions at the sides give the outer
boundaries of the lumps seen in the surface view.
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The Influence of a Strong Centrifugal Force on the Frog's Egg. 555
After two or three hours these eggs begin to divide; at first
into two and sabseqaently into four partB. The first division is often
into equal halyes, Fig. 3, but sometimeB the parts are uneqnal. The
second cleavage is also generally equal, but sometimes unequal. If
the eggs have been revolved louger than the optimium the dirisions
are apt to be more irregulär. A section through a two-celled stage
is Seen in Fig. B.
In the normal egg, the third cleavage is at right angles to the
first two, i. e. horizontal; in the eggs from the machine the third
division is invariably vertical, dividing the egg into eight rertical
Segments, that are often equal in size, Fig. 4 but some times unequal.
The fourth cleavage is also sometimes partially yertical, but often
horizontal cutting off eight quite small upper clear cells. Further
than this I have not attempted to foUow the cleavage in detail.
During the later cleavage, Fig. 5 and 6, the clear area at the top
remains as before, but during the later blastula Stades the clear
area expands on all sides, so that it becomes larger than at first,
Fig. 7. Sections through these eggs show that a normal blastocoel
has developed, whose roof is composed of cells free from pigment
The dorsal lip of the blastopore appears below the equator, and
apparently in about the same position as in the normal egg; but
instead of appearing at the border between the black and light areas,
as in the normal egg, the crescent may be more in the black. This
is owing to the black pigment from above having been driven farther
down into the white hemisphere. As the crescent of the blastopore
extends laterally, Fig. 8, some of the enclosed cells are often jet
black, while others are white; and the contrast between the two is
sometimes quite sharp. The black cells arise from those parts of
the lower hemisphere into which the black pigment from the top
and sides has been driven.
A section through a gastrula stage, corresponding in age to this
stage, is shown in Fig. C. The entire roof of the segmentation cavity
is noticeably free from pigment. A band of deeply pigmented cells
lies above the dorsal lip of the blastopore. The other side of the
pigment band is on the opposite side of the section. When the
gastrulation is completed a curious effect is produced; the lower hemi-
sphere is completely black, while the top is light. The effect is that
of a normal egg before cleavage, but turned upside down.
Another series of eggs and embryos is represented in Figs. 9 — 17,
that had been revolved at 1600 revolutions for 7 minutes. A side
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556 T. H. Morgan
view of an egg immediately after removal from the machine is shown
in Fig. 9. There is a large white polar field, a broad band of pig-
ment aronnd the middle of the egg, and a lighter field below, that is
less in extent than the normal yolk field and also darker. An eight-
cell stage is shown in Fig. 10, and a six-cell stage of the same age
in Fig. 11. The white field is generally less extensive in the 2, 4,
and 8-cell stages than it was at first, owing most probably to a
partial retum of the pigment of the sides toward the upper hemi-
sphere. It is probable, I think, that this retnm is due to the pig-
ment being passively carried back as the lighter, interior material
in which it is carried moves toward the top again. In later cleavage
stages, however, the white area begins to expand again, and since
the material of the egg has become divided into smaller cells this
enlargement mnst be dae to the spreading ont of the cells them-
selves that form the roof of the segmentation cavity.
A late gastrala stage is shown in Fig. 12 in side view, and in
Fig. 13 as Seen from above. The white cap now Covers a mnch
larger area than dnring the 8-cell stage. The lower hemisphere is
entirely dark, and what remains of the yolk-plug is also dark. Ä
late gastrala, of the same age as the last, is shown in Fig. 14,
as Seen from below. Here also the yolk-plog is dark, bnt a higher
magnification shows that some of the surface cells of the yolk plng
are entirely white and others entirely black.
Many embryos were obtained in this series, bnt two fignres will
saffice to show the relation of the embryos to the light and dark
parts of the egg.
When the neural folds appear on the egg they are foond to
extend as far forward as the edge of the white field, Fig. 15. There
is some Variation in the relation of the anterior end of the nenral
folds to the white area. Generally they extend jnst to the edge
of the white, sometimes their anterior end is inclnded in the white,
bnt never for more than a short distance. It is to be recalled that
the clear area of the nnsegmented egg formed at the top has ex-
tended dnring the gastrulation period, and has generally advanced to
or very near to the equator of the egg. We mnst conclnde, there-
fore, that the anterior end of the embryo lies near the eqnator of the
egg, and as far forward as the white area. A longitndinal section
throngh an embryo at the time of the closnre of the blastopore is
represented in Fig. D, The area free from pigment extends from the
anterior end of the neural plate to the middle of the ventral sarfaee.
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The Inflaence of a Strong Centrifugal Force on the Frog's Egg. 557
As the nearal folds roll in to close along their middle line the
white area that lies on the antero- ventral part of the embrjo is
carried backward on the ventral and lateral sides of the embryo.
This is shown in the embryo represented in Fig. 16 from above. It
will be Seen that the white area extends over all the anterior, ventral
and lateral sides of the embryo, while the darker parts are confined
to the nearal tube, to the parts of the snrfaee on each side of it,
and to the posterior end of the embryo.
A not ttncommon type of abnormality occnrs in these embryos.
The most anterior end of the nenral plate is abnormal. An extreme
form of this sort is shown in Fig. 17. Here the anterior cross-con--
nective is absent, and the neural fold of each side ends in a slightly
swollen and ronnded knob at the edge of the white area. The rota-
tion has in some way affected the egg so that the white area ean
no longer produce normally the anterior end of the neural fold.
The tadpoles that developed from the best series were kept
for several weeks, and in one case for several months. They be-
haved in all respects like the normal tadpoles. For a week or
two they were lighter over the anterior-ventral snrfaee, as they had
been in earlier stages. Later, this difference grew less and less, and
finally disappeared. It appears that the loss of pigment in the cells
at the top of the blastala is not made good at first, bat, altimately,
pigment may develop in the cells derived from this region. The
early development is so rapid that the time may be too short for
the clear cells to prodnce enoagh pigment to make any notioeable
difference in their color, bat in the conrse of the following days or
weeks the cells make good, in part at least, their loss. The con-
clnsion is drawn from parely saperficial examination of the tadpoles
from day to day. There was no evidence observed in favor of the
other possible Interpretation that the white area is replaced by black.
Experiment with Bufo variabilis.
The resolts with the toad's egg were essentially the same as
those with the frog's egg. A shorter time of rotation, as stated,
gives the best resnlts. An egg that had been rotated for three mi-
nates is shown from the side in Fig. 18. A large white area is
present at the top; a black zone occnpies the middle of the egg,
while the bottom is darker than normal, bat mach lighter than the
middle zone. A section throagh one of these eggs is shown in Fig. E,
AicMv f. Entwicklungsmechanik. XXII. 36
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558 T. H. Morgan
Strealns of black material are seen extending downwards into the
middle and bottom of 4he egg. The segmentation of these eggs le-
semble that of the rot|ted frog's egg in all essential respects. The
eggs divide by vertical fnrrows into two, and then into fonr cells.
The third cleavage is also vertical. If the eggs have been rotated
too long the cleavage is less regulär.
An early gastrula stage is shown in side view and partly from
below in Fig. 19. The dorsal lip of the blastopore lies between the
black zone and the less dark lower region. A section throngh ao
egg jttst beginning to gastmlate is shown in Fig. F. In this case
the dorsal lip lies qnite near to the npper white field, which has
extended fnrther downwards at this time than at the end of the ro-
tation period. A later stage is shown in Fig. O where nearly the
same conditions prevail, except that the blastopore is not qnite so
near to the white field.
When the neural folds appear on the egg, Fig. 20, they are
Seen to extend fnrther forward into the white field than in the case
of the frog's egg. The simplest Interpretation of this difference would
seem to be that the neural plate of the toad extends higher up on
the egg than does the neural plate of the frog, or eise that the polar
field Covers a larger area. Both conditions probably occur. The
white area covers the entire anterior, and ventral sides of the embryo,
Fig. 21. A later stage, Fig. 22, shows that as the neural folds roll
in and the embryo elongates the white ectoderm extends over the
ventral and lateral sides of the embryo. An older tadpole is shown
in Fig. 23. The head is pure white, and the sides and ventral sur-
face are also much lighter than the normal. The black ectoderm is
confined to the mid-dorsal line and to the tail region.
Conclusions.
The influence of the centrifugal force is to drive the heavier
pigment and other substances from the black hemisphere toward the
middle, leaving a clear protoplasm at the top of the egg. After re-
moval from the machine the pigment does not retum to its former
Position, although to some extent the white field is reduced. As the
egg soon becomes divided into cells, fnrther retum is prevented by
the cell-walls. The clear protoplasm at the top forms the cells that
Cover the roof of the segmentation cavity. During the later cleavage
stages this white area at the top increases in extent, and in later
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The Inflaence of a Strong Centrifagal Force on the Frog's Egg. 559
•
stages it Covers a large part of the anterior -rentral sides of the
embryo. The yolk-plng, that is drawn into *the blastopore diiriDg
. gastralatioD, often contains cells that are jet«black, and the yolk-
plng contrasts markedly in this respect with the normal one. The
change in the position of the third cleavage planes is probably
dne to the flattening of the egg, rather than to any direet inflnence
on the cytoplasm, I conelnde that this is the probable cause, since
a similar change in cleavage has been brought abont by flattening
the egg between glass plates. It is a cnrions fact, difficnlt to ex-
piain, that the egg retains its flattened form for several honrs after
the action of the centrifagal force has ceased. One wonld think that
a viscid body of the consistency of the egg wonld sooner regain its
spherical form. Whether- or not some of the water is driven out of
the egg was not determined. If it is, this condition might possibly
enter into the resnlts.
The presence of the clear area at the top of the egg gives an
opportnnity to determine with some accuracy the location of the
embryo apon the egg. It is evident that the anterior end of the
neural fold of the frog extends about to the equator. In the toad
the anterior end seems to lie higher up on the egg.
How far these results throw light on the location of the embryo
on the normal egg is perhaps open to doubt, but the development of
the rotated' egg is similar to the normal in so many respects that I
am inclined to think that we can safely make a comparison between
them; especially as the conclusion tällies with other results drawn
from direet Observation of the normal development and from other
experiments. If this be granted we must conclude that the meduUary
plate is formed in large part over the lower hemisphere, extending
from the equator to somewhere beyond the lower pole. If the length
of the meduUary plate Covers at first only abont one-third of a
meridian of the egg i. e. 120 degrees, the posterior end of the folds
must lie about 30 degrees beyond the lower pole. At any rate this
is the case in the centrifaged eggs, and probably at least in the
normal eggs.
The eggs orientate themselves when the centrifuge begins to act
and as has been stated the centrifugal force drives the material
towards the lower pole. This seems to happen as a mle, but in
some cases the black was found lying unsymmetrically with reference
to the lower pole. Such cases must be reckoned with, and may
account for some of the variations observed.
36*
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560 T. H. Morgan
Tfae resultfl obtained with this high rate of speed differ greatly
from those that I fonnerly obtained with a slower rate. The differ-
enee may, I think, be accoanted for as foUows. At the slower rate,
the centrifugal action was so slow that before it caused a movement
of the materials of the upper part of the egg, cell^vision appeared,
which cat off the upper small cells from the lower eells. Hence it
became impossible to drire out the material from the small cells at
the top of the egg, even if the rate suffieed to affect sneh a move-
ment, which is donbtful. The lower, large cells, however, that ex-
tend above the eqnator of the egg are slow in dividing, and henoe
the centrifngal force may act on their contents, finally prodacing
changes in them that prevent fnrther development The small oells
of the npper hemisphere that contain the embryo*forming-materials
continne to develop, prodncing the many types of incomplete embryos
that I have described. In other words the conditions were such Ihat
the lower part was injnred, bnt not the npper part, and the extent
of injnry determined the kind of embryo produced. The nnsym-
metrieal action of the centrifagal force, resnlting probably from the
accidental position of the egg when the centrifngal force began to
act on it, or from the crowded condition in the tnbes, determined
whether one side, or one part was more injnred than the other.
The eggs described in the present paper, rotated at a high
speed, were affected as a whole, bnt the time selected was such that
the lower hemisphere was not killed. Conseqnently normal embryos
developed. If, however, the time was longer the top of the egg
alone continned to segment, while the lower parts were so mach
changed or affected that they failed to segment normally, and normal
embryos failed to developed.
Wetzbl and Hebtwiq have recently described some experi-
ments in which the frog's egg was centrifaged. Wetzel revolved
eggs at the rate of 300 revolutions per minnte for 3Vs honrs with
a radins of 40 cm. Some of them were tnmed with the white pole
outward, others with thß black pole. The former gave spina bifida
embryos in the main; the latter, after removal from the machine,
began to cleave first at the white pole, and later the smaller cells
were in the white, the larger in the black, showing that the interior
of the egg had shifted so that the »animal« part moved into that
hemisphere turned towards the center of rotation, and the heavier
yolk part moved outwards. The black pigment remained in the outer
part of the egg, and hence was found later over the surface of the
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The Influence of a Strong Centrifogal Force on the Frog's Egg. 561
fatrge cellg of the yolk half of the egg. Wetzel states that the
gastnilation snbseqaently appeared in the white field — i. e. in the
animal half of the egg, and if I understand his acconnt correctly he
implies that the gastralation inyolves the small cells of the animal
part that now occnpy the white field. If this ig Wetzel'b meaning
I cannot nnderstand the resnlt Hebtwig's obserrations <m similar
eggs indicate that the rotation of the contents is often incomplete.
Possibly this may give a clew by which to interpret Wetzel's State-
ments in regards to organ-formation.
Hebtwig has carried ont an experiment similar in many ways
to that of Wetzel's jnst described. Unfertilized eggs, with the black
pole tnmed ontward, were rotated for 1 to 3 honrs at the rate of
240 to 280 revolntions per minnte. After removal from the machine
they were placed with the white hemisphere npwards, and were
fertilized. It was observed that after fertilization most of the eggs
rotated somewhat, so that the white hemisphere sank to a greater
or less extent to one side. The movement of the contents was never
so great that the black pole came to the top. The resnlt is evidently
dne to the centrifagal force having only incompletely reversed the
arrangement of the interior of the egg. The cleayage began more
on the white side of the egg where the small cells were snbseqnently
formed. The gastralation is not described. It will be observed that
in these experiments of Wetzel's and of Hertwig's a relatively
slow rate of revolation was nsed (as in my own earlier experiments),
and since the black pole was tumed ontwards there was no expect-
ation that the pigment wonld be changed even if this were possible
at the rate of speed nsed. In other words the orientation was the
reverse of that ässnmed by the eggs in my present experiments.
Gubwitsch revolved the eggs of triton for 4 or 5 honrs and
the eggs of the frog for V« ^o^f ^^ ""^^^ greatest possible speed«.
The pigment and yolk were driven ont of the top of the egg, as in
the e^s described in the present paper. Host of the eggs died in
the early cleavage, bnt some went as far as the blastnla stage. Gca-
wrrscH carried ont the experiment in order to study the Constitution
of the protoplasm, and concluded that since the yolk granules can
be driven through the egg without destroying its capacity to develop,
the protoplasm can not have a permanent stmctural basis bnt must
be composed of fluid snbstances.
It will be Seen that I have nsed the resnlts of my experiments
mainly in locating the embryo on the egg. The more fundamental
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562 T. H. Morgan
qaestions relating to the distribation of the materials of the egg, and
the interpretation as to whether these visible substances are organ-
forming or organ*determing have not been discassed. It is evident
that the bUck pigment has no such fanetion, bnt further experi-
ments will be necessary in order to detennine what yalue the other
substances in the egg may have.
Summary.
When the egg of the frog (just before or soon after fertilization)
is revolved at 1600 revolutions per minate for 7 minutes, the pig-
ment and yolk granules are driven from the top of the egg leaving
a clear polar field, Figs. 1 and 3. The same resnlts are prodnced
in the toads egg in 3 minutes, Fig. 9.
The eggs are somewhat flattened and the first three eleavages
are vertical, Figs. 4 and 10.
The polar field enlarges during the later cleavage and blastula
stages until just before gastrnlation it nearly reaches the equator,
Fig. 6 and 7. The dorsal lip of the blastopore appears within, or
just below, the black pigment band, Fig. 19. Some of the cells of
the yolk plug may be entirely black, Figs. 8 and 12.
The anterior ends of the neural folds of the frog embryo extend
to the edge of the white area, Fig. 15. The location of the embryo
on the egg can therefore be determined. In the toad embryo the
anterior end extends somewhat further into the white area, Fig. 21.
In later stages when the neural folds have closed, the nnpig-
mented ectoderm of the white field extends over the anterior, ventral,
and lateral sides of the embryo. The dark ectoderm of the black
band goes to form the neural plate, the ectoderm on each side of it,
and the posterior end of the body, Figs. 21 and 22.
The normal development of the lower parts of the egg, into
which the black pigment has been driven, shows that the pigment
does not act as a formative substance.
Zusammenfassung.
Wird das Frosche! (gerade vor oder gleich nach der Befmchtang) einer
Umdrehungsbewegung von 1600 Umdrehangen in der Minate 7 Minuten lang
ausgesetzt, so werden die Pigment- und DotterkOrner vom Eischeitel wegge-
trieben, indem sie ein durchsichtiges Polfeld hinterlassen (Fig. 1 und 3}. Dasselbe
ergibt sich beim Krötenei nach 3 Minuten (Fig. 9}.
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The Inflaence of a Strong Gentrifiigal Force on the Frog's Egg. 563
Die Eier werden etwas abgeflacht and die ersten drei Furchen stehen
vertikal (Fig. 4 und 10).
Das Polarfeld vergrößert sich während der späteren Furchung und wäh-
rend der Blastulastadien, bis es gerade vor der Gastrulation den Äquator er-
reicht (Fig. 6 und 7).
Die dorsale Blastoporuslippe erscheint im Bereiche oder gerade unterhalb
des schwarzen Pigmentbandes (Flg. 19). Manche von den Dotterpfropfenzellen
können ganz schwarz sein (Fig. 6 und 12).
Die vorderen Enden der Neuralfalten erstrecken sich beim Froschembryo
bis zum Rande des weißen Feldes (Fig. 16) ; dadurch kann eine Lagebestimmung
des Embryo am Ei stattfinden. Beim Ejrötenembryo ragt das Vorderende etwas
weiter in das weiße Feld hinein (Fig. 21).
In späteren Stadien, nach dem Schluß der Neuralfalten, dehnt sich das
unpigmentierte Ectoderm des weißen Feldes über die vordere, ventrale und
laterale Oberfläche des Embryo aus. Das dunkle Ectoderm des schwarzen
Bandes wird zur Bildung der Neuralplatte, des Ectoderms zu ihren beiden Seiten
und des Eörperhinterendes verwendet (Fig. 21 und 22).
Die normale Entwicklung der unteren Eiteile, in welche das Pigment ge-
trieben worden war, zeigt, daß das Pigment nicht die Rolle einer gestaltend
wirksamen Substanz spielt
Literature.
GuRwiTSCH, A , Zerstörbarkeit und Restitutionsfähigkeit des Protoplasmas des
Amphibieneies. Verhandl. Anat. Gesellsch. Jena. 1904.
Hertwig, 0., Über einige am befruchteten Froschei durch Centrifugalkraft her-
vorgerufene Mechanomorphosen. Sitzungsber. preuß. Akad. Wiss. Berlin,
math.-phyB. Klasse. 1897.
Beiträge zur experimentellen Morphologie und Entwicklungsgeschichte.
4. Über einige durch Centrifugalkraft in der Entwicklung des Froscheies
hervorgerufene Veränderungen. Arch. f. mikr. Anat. LIII. 1899.
Weitere Versuche ttber den Einfluß der Centrifugalkraft auf die Entwick-
lung tierischer Eier. Arch. f. mikr. Anat. LXIII. 1904.
Lyon, E. P., Some Results of Centrifugalizing the Eggs of Arbacia. Amer.
Joum. Physiol. XV. Feb. 1906.
Morgan, T. H., The Relation between Normal and Abnormal Development of
the Embryo of the Frog, as Determined by Injury to the Yolk Portion of
the Egg. Arch. f. Entw.-Mech. XV. 1903.
Wetzel, G., Centrifugalversuche an unbefruchteten Eiern von Rana fosca.
Archiv f. mikr. Anat. LXIU. 1904.
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über das biochemische Verhalten von Amphibienlarven.
Von
H. Braus (Heidelberg).
Eingegangen am 26. September 1906.
G. Born hat bei seinen bekannten Kompositionen von Annren-
laryen bereits das überraschende Ergebnis erzielt, daß nicht nur
Stücke verschiedener Individuen ein und derselben oder nahe ver-
wandter Species [Rana-Arten) sich zu einem neuen, lebensfähigen
Individuum vereinigen lassen, sondern daß dies auch bei Paarlingen
ziemlich entfernt miteinander verwandter Anuren gelingt, vor allem
bei Rana esctdenta + Bombinator igneus. Allerdings vermochte er
die Kompositionen letzterer Ali; nur ziemlich kurze Zeit, meistens
nur 2 Wochen (im günstigsten Fall 22 Tage), nach der Operation am
Leben zu erhalten; obgleich anfänglich eine progrediente Entwick-
lung der künstlich zusammengestückten Organismen unverkennbar
war, begannen sie doch schon längere Zeit vor dem Tode zu krän-
keln und litten besonders an > Bauchwassersucht«. Es trat gleich-
zeitig Entwicklungshemmung oder -stillstand ein. Über die Ursache
dieses Verhaltens hat sich Born sehr vorsichtig geäußert. Die Beob-
achtung, daß im günstigsten Fall die Blutgefäße der Paarlinge
sicher in Kommunikation gesehen wurden, brachte ihn wohl auf die
Vermutung, »daß der Eintritt des Blutes eines Angehörigen einer
andern Gattung auf die Dauer nicht vertragen wird, aber bewiesen
ist dies durch mein negatives Kesultat nicht« (1897, S. 148). Born
läßt ausdrücklich die Möglichkeit offen, daß ausgedehntere Versuche
bessere Erfolge haben könnten und sein mangelhaftes Resultat nur
«ine Konsequenz der noch unvollkommenen Methodik sein könnte.
Die Ansicht nun, daß toxische Wirkungen nicht etwa nur des Blutes
sondern der Gewebe der einen Gattung überhaupt auf die andre bei
der Komposition Verwendung findende Gattung stattfänden und nicht
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über das biochemische Verhalten von Amphibienlarven. 565
vertragen würden, hat neuerdings A. Giardina (1905) herangezogen,
nm zu erklären, daß Larvenstttcke von Discoglosstis und Bufo schwer
zur Verwachsung gebracht werden können und auch bei gut gelun-
genen Kompositionen Degenerationserscheinungen an bestimmten Ge-
weben (speziell des von Discoglossus stammenden Stttckes) zeigen.
Mich haben eigne zahlreiche Versuche mit Larven von Rana
esculenta und Bonünnator pachypus gelehrt, daß bei diesen mit der
Vervollkommnung der technischen Methoden auch die Lebensfähigkeit
der Kompositionen gesteigert werden kann. Meine Larven lebten
5 Wochen nach der Operation und waren auch dann noch frisch und
lebensfähig; sie wurden der anatomischen Untersuchung wegen zu
dieser Zeit fixiert. Über diese soll an andrer Stelle berichtet werden.
Biologisch ist — wie nicht anders zu erwarten — die Entwicklung
gattungsungleicher Kompositionen selten eine so glatte wie bei Paar-
ungen derselben oder gattungsgleicher Species. Immer steht bei ein-
tretendem Mißerfolg der Experimentator wieder vor der Frage, ob
sich die Lebensdauer solch komplizierter Neubildungen nicht doch
noch durch neue technische Maßnahmen und Zuchtmethoden aus-
dehnen lasse oder ob der Punkt erreicht sei, wo aus inneren Ur-
sachen eine EntwicklungsmOglichkeit nicht mehr vorhanden ist. Daß
bestimmte Grenzen existieren, ist nach den Ergebnissen der Trans-
plantationen an erwachsenen Tieren, welche freilich speziell an
höheren Vertebraten gewonnen wurden, nicht von der Hand zu weisen.
Die chirurgischen Erfahrungen lehren, daß verpflanzte GewebsstQcke
nur auf Organismen derselben Species und innerhalb derselben auf
blutsverwandtem Boden am besten anwachsen und selbst dann all-
mählich durch Gewebe der neuen Nachbarschaft substituiert und ver-
nichtet werden.
Was bei embryonalen Transplantationen sich biologisch durch
eine große Statistik entscheidet, ob nämlich unzweckmäßige Metho-
den der Operateure oder die Spezifität der Operierten die Ursachen
des frtlhen Eingehens oder Entwicklungsstillstandes gewisser Kompo-
sitionen sind, das ist anderseits auch biochemischen Untersuchungen
zugänglich. Eine von diesen Methoden, die Präcipitinreaktion, ist
ja gerade dadurch allgemeiner bekannt geworden, daß sie uns spe-
zifische Stoffe fast für jede Tierspecies kennen gelehrt hat. Die-
selben werden dadurch nachgewiesen, daß Blut oder sonstige Gewebe
und Organe eines Tieres einem Kaninchen in Intervallen und meist
in allmählich steigenden Dosen intraperitoneal oder intravenös inji-
ciert werden. Das Blutserum des so gegen das betreffende Präparat
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566 H. BrauB
immanisierten Kaninchens ist dann ein äußerst feiner Indikator fdr
Präparate der gleichen (oder in manchen Fällen auch nahe Ter-
wandter) Species geworden. Denn mit solchen zusammengebracht
entsteht die Präcipitinbildung, welche dann am leichtesten nach-
weisbar ist, wenn eine deutliche Fällang in dem vorher klaren Organ-
saft durch das Immunserum erzielt wird. Gewebs- oder Organsäfte
andrer Tierspecies, besonders von solchen, welche im System entfernt
von den zur Injektion benutzten stehen, geben niemals unter sonst
gleichen Umständen eine solche Fällung (Näheres z.B. bei Jacoby, 1906).
Es liegt nahe zu fragen, ob die bei embryonalen Transplan-
tationen und Kompositionen jedenfalls im Anfang nach der Operation
oft Yorhandene harmonische Entwicklung der gattungsungleichen Kom-
ponenten nach Art eines ab ovo einheitlichen Individuums nicht darauf
beruhen könne, daß spezifische Substanzen nicht oder nicht in dem
Maße wie die bei ausgewachsenen Tieren vorhandenen existieren
und vnrksam sind; wenn dem so ist, wäre zu prüfen, zu welchem
Zeitpunkt der Entwicklung die betreffenden Stoffe auftreten. Gelänge
dies, so wären jedenfalls diejenigen Substanzen, welche der PrüftiDg
unterzogen werden können, so lange kein Hindernis ftir Kompositionen
oder Transplantationen von embryonalem Material, als das Anfangs-
stadium ihrer Erzeugung oder ihrer Wirksamkeit in der Ontogenese
noch nicht eingetreten ist. Was nicht existiert oder nicht aktiviert
ist, kann nicht die Ursache des Versagens so komplizierter Mecha-
nismen sein, wie sie bei embryonalen Transplantationen zwischen art-
oder gattangsfremden Organismen in Menge vorhanden sein mtLssen.
Damit wäre nach einer bestimmten Kichtung hin positiv gezeigt,
daß biochemisch eine Komposition möglich ist, auch wenn sie sich
bislang biologisch nicht lebensfähig erwies, und es wäre ein wesent-
licher Impuls zur Überwindung der technischen Schwierigkeiten beim
Operieren gegeben.
Biochemische Unterschiede zwischen embryonalem und fertig-
entwickeltem Gewebe sind namentlich von Sachs (1903) durch Blut-
untersuchungen festgestellt worden. Der Autor konnte gewisse
Lysine, welche eine sehr intensive Wirkung auf das Blut erwach*
sener Hühner, Rinder, Kaninchen und Meerschweinchen ausüben,
ohne jede Reaktion in das Blut von Embryonen oder Neugeborenen
dieser Tiere einführen. Anderseits hat aber Rössle (1905) auf
anderm Wege bei Hühner- und Schweineembryonen, welche in toto
benutzt wurden, gezeigt, daß hier im Immuntier dieselbe Lösungs-
fähigkeit gegenüber Blut von Erwachsenen derselben Art erzeugt
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über das biochemische Verhalten von Amphibienlarven. 567
wird, wie wenn Blatkörperchen von ausgebildeten Tieren in das
betreffende Kaninchen oder Meerschweinchen injiziert worden wären.
»Es ergibt sich aus diesen Versuchen, so schließt der Autor, daß
Embryonalzellen ebenso wirksame Antigene darstellen als die Blut-
zellen Erwachsener.«
Meine Versuche erstrecken sich einmal auf eine andre Tierklasse
als diejenigen, denen Sachs und Bössle ihre Versuchstiere entnahmen.
Jene benutzten Vögel und Sängetiere, während ich mit Batrachiern
experimentierte. Außerdem handelt es sich im folgenden um Prä-
cipitinerzeuger, also um andre ehemische Agentien als die von jenen
benutzten Lysinwirkungen. Deshalb bleibt abzuwarten, ob das hier
von Amphibien zu schildernde auch fUr höhere Tiere gilt und um-
gekehrt, ob Lysinreaktionen wie bei Vögeln und Säugerembryonen
auch bei Anurenlarven feststellbar sind.
Da ich als Anatom zunächst diesen Dingen als Laie gegenüber-
stand, ist es nötig zu betonen, daß alle meine Versuchsreihen und
speziell ihre Resultate vom Fachmann kontrolliert wurden. Mein
Lehrer und beständiger Mentor bei Durchführung der Versuche war
Herr Prof. Jacobt. Ich danke demselben auch an dieser Stelle
herzlichst für die selbstlose Förderung meiner Absichten. Ausge-
führt wurden die Experimente während des Sommers 1904 und
1906 im pharmakologischen Institut zu Heidelberg, dessen Direktor,
Herrn Prof. Gottlieb, ich fQr die mir gewährte Gastfreundschaft
dankbar verbunden bin.
Es ist durch die Untersuchungen von G. Nüttalu (1902/1904)
und M. Philippson (1902) bekannt, daß Gewebe erwachsener Anuren
(Blut von Rana) im Eauinchen Präcipitine hervorrufen. Die erste
Versuchsreihe, die wir anstellten, bestand darin, daß analog diesen
Versuchen vorgegangen, aber anstatt erwachsener Gewebe embry-
onale genommen wurden (vgl. Braus, 1906, S. 28 Anm.). Als Mate-
rial dienten Larven von Bombinator pachyptis in einer Länge von
15—20 mm. Dieselben besitzen in diesem Entwicklungsstadinm
ein (bis auf die Spiracularöfhung) geschlossenes Operculum. Die
Anlage der hinteren Extremität ist bei den jüngsten dieser Stadien
als minimales Höckerchen eben sichtbar, bei den ältesten zu einem
kleinen Zapfen ausgewachsen, der aber keinerlei Gliederung weder
am distalen Ende (Hand- und Fingeranlage] noch proximal (Knie-
beuge) besitzt Da sich herausstellte, daß bei der Verwendung ganzer
Larven leicht die zur Injektion verwendeten Kaninchen eingehen und
wir vermuteten, daß der Inhalt des oft enorm angefllllten larvalen
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568 H. Braus
Darmes stark toxisch einwirke, exenterierte ich die Larven oder ließ
dieselben längere Zeit hungern, bevor sie benutzt wurden. Bei den
spezielleren Angaben wird im folgenden hinzunotiert werden, ob die
eine oder andre der beiden Methoden (Exenteration — Hunger) zur
Entfernung des Darminhaltes benutzt wurde.
Die Embryonen wurden mit Quarzsand im Mörser zerrieben und
der Brei mit ein wenig physiologischer Kochsalzlösung (0,75 %) ver-
dünnt Gewöhnlich wurden etwa 40 Larven aufeinmal verarbeitet
und dadurch ein Quantum von 6 — 14 ccm (je nach der VerdUnnungj
erzielt. Um den Sand zu entfernen, genügte es meist, den Larven-
brei 1 — 2 Stunden im Eisschrank aufzuheben. Es konnte dann mit
einer Pravatzspritze fast der ganze Inhalt des Böhrchens (mit Aus-
nahme natürlich des untersten Bodensatzes) abgesogen werden. Die
zu Oberst im Röhrchen befindliche Quantität war weniger wirksam als
die näher dem Boden befindliche; in letzterer waren ja auch mehr
feste und deshalb schwerere Fartikelchen suspendiert als in den klareren
Oberflächenschichten. Ich injicierte deshalb etwa 3—5 ccm von der
Oberfläche des Röhrchens und nur 1 — 3 ccm des Bodensatzes je
einem Versuchskaninchen intraperitoneal. Diese Injektionen wurden
in Intervallen wiederholt. Ich teile hier die Gewichtstabelle eines
der untersuchten Tiere (Protokoll V 06) mit; an den Injektionstagen
ist die Zahl der Larven, ihre Größe, die Art ihrer Vorbehandlung
und des benutzten Breies notiert.
25. VI. 2270 g Körpergewicht des Versuchskaninchens.
1. Injektion. Mit 3V2 ccm von der Oberfläche des Breies ans
40 Larven. Gesamtmenge des Breies etwa 6 ccm. Exenteration bei
allen Larven. Länge der Larven 16— 20 mm.
27. VI. 2280 g Körpergewicht
3. VII. 2540 g
5. VII. 2590 g
2. Injektion. Mit 5 ccm von der Oberfläche des Breies ans
45 Larven. Exenteration bei allen. Länge der meisten 20 mm, einige
bis 15, wenige etwas über 20 mm messend.
6. VII. 2460 g Körpergewicht
9. VIL 2400 g
12. VIL 2325 g
21. Vn. 2560 g
3. Injektion. Mit 41/2 ccm von der Oberfläche des Breies von
40 Larven. Gesamtmenge des Breies 14 ccm. Bei 20 Larven (von
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über das biochemische Verhalten von Amphibienlarven.
569
15 — 20 mm Länge) Exenteration. Bei 20 Larven (von 15 mm Länge)
Hnnger.
22. Vn. 2420 g Körpergewicht
24. VIL 2350 g
26. vn. 2420 g
27. YII. 30 ccm Blut ans der Carotis zur Untersnchnng
entnommen.
Es ist ans der Tabelle ersichtlich, daß das Versuchskaninchen
nur wenig auf die Injektionen reagierte. Anfangs trat keine Ge-
wichtsabnahme ein, nach den folgenden Injektionen war dieselbe
vorhanden, aber nur gering und undeutlich. Wir werden sehen, daß
dies bei Verwendung von Extrakten aus erwachsenen Unken ganz
anders ist. Mit der minimalen Reaktion des Gewichtes auf die In-
jektion von embryonalem Material hin stimmt nun ttberein das Aus-
bleiben jeglicher Trübung, wenn einem Larvenbrei von dem
Serum des Versuchstieres gradatim zugesetzt wurde. Präcipitine
konnten also nicht nachgewiesen werden. Über das Detail der
Versuchsanordnung bemerke ich noch folgendes.
Aus den entnommenen 30 ccm Blut des Versuchskaninchens er-
hielt ich durch Centrifagieren 20 ccm Serum (Immunserum). Von
einem nicht vorbehandelten, normalen Kaninchen wurde Blut ent-
nommen und das aus diesem durch Gentrifugieren gewonnene Serum
als Kontrolle benutzt (Normalserum). Femer wurde ein Larvenbrei
aus 40 Bombinator-LsirYen hergestellt. Die meisten Larven waren
20 mm lang, einige etwas kttrzer, vereinzelte etwas länger. Die Ge-
samtmenge des Extraktes war 25 ccm.
Diese 3 Flüssigkeiten wurden nach folgender Tabelle miteinander
gemischt und mit 0,9%iger Kochsalzlösung verdünnt. Nach der
Mischung verblieben die 22 Röhrchen auf demselben Gestell auf
2 Stunden im Brutschrank und vmrden dann kontrolliert.
Reihe A
: 11
ßeagenzrOhrcheD;
dieselben enthalten in ccm:
Xr.l
Nr.l
Nr. 3
Nr. 4
Nr. 5
Nr. 6
Nr. 7
Nr. 8
Nr. 9
Nr. 10
Nr. 11
0,6
1,0
0,0
0,6
0,9
0,1
0,6
0,8
0,2
0,6
0,7
0,3
0,6
0,6
0,4
0,6
0,6
0,6
0,6
0,4
0,6
0,6
0,3
0,7
0,6
0,2
0,8
0,5
0,1
0,9
0,6
0,0
1,0
Larvenbrei
KochsalzlOs^Bg
ImmniiBenini
Reihe B: 11 Reagenzröhrchen, welche sich von Reihe A nur
dadurch unterscheiden, daß Normalserum statt des Immim-
serums genommen ist.
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570 H. Braus
Böhrchen All ist nicht trüber als Röhrchen Bll. Es verhält
sich also das Immnnserum nicht anders als Normalsemm. Die vor-
handene geringe Trübung bei beiden Böhrchen stammt von der Ver-
mischung mit Larvenbrei her; denn Böhrchen All ist nicht trüber als
Röhrchen A 1. In letzterem ist aber überhaupt kein Serum enthalten.
Reihe A ist von 2 — 11 zunehmend grünlich ge&rbt, entsprechend
der leicht grünlichen Färbung des Immunserums. Reihe B hat von
2 — 11 eine zunehmend rötliche Färbung, entsprechend der leieht
rötlichen Färbung des Normalserums.
Es geht aus dieser Versuchsreihe mit Sicherheit nur das hervor,
daß das Serum djes betreffenden Versuchsindividuums kein
Fräcipitin enthielt, welches die präcipitable Substanz eines Extraktes
aus Bombinator'LsLTVQn auszufällen vermochte. Zwei andre Kanin-
chen von etwa demselben Gewicht ergaben das gleiche Resultat. Bei
einem derselben wurde nach der ersten Blutentnahme noch ein vier-
tesmal Larvenbrei intraperitoneal injiciert und dann abermals das
Blutserum untersucht, mit dem gleichen negativen Resultat.
Es wäre denkbar, daß der Larvenbrei zwar imstande wäre,
Antikörper im Versuchskaninchen hervorzurufen, daß ihm aber die
präcipitable Substanz, welche durch das Fräcipitin des Immunaerams
ausgefällt wird, fehlen könnte oder umgekehrt, daß in ihm Stoffe
enthalten sein könnten, welche die Ausfällung verhindern. Da wir
wissen, daß der Gewebsbrei erwachsener Anuren (Froschblut) die
spezifische präcipitable Substanz enthält und speziell auch fUr er-
wachsene Unken unten noch gezeigt werden wird, daß Organbrei
derselben diese Eigenschaft ebenfalls besitzt, so ließ sich leicht diese
Frage prüfen. Es wurde in einem zweiten Versuch genau in der-
selben Weise wie oben verfahren, nur wurde sowohl in Reihe A wie
in Reihe B jedes der Röhrchen mit 0,5 ccm eines Breies aus erwach-
senen Bombinatoren anstatt mit Larvenbrei beschickt. Es waren zu
dem Zweck drei erwachsene Tiere (2 ^f und 1 Q) enthäutet und die
Organe einzeln herauspräpariert worden. Alle Organe mit Ausnahme
der Haut, der mit Eiern überladenen Ovarien, der Knochen und des
Darmes, wurden mit Quarzsand verrieben und so durch Hinzufügen
von physiol. Kochsalzlösung (0,75 Vo) ^^ Summa 25 ccm Organbre'
erzielt. Das Resultat der im übrigen völlig ebenso wie beim 1. Ver-
such behandelten Gemische war ebenso negativ wie bei diesem;
es ist also jetzt bewiesen, daß überhaupt kein wirksames Fräcipitin
bei dem Versuchskaninchen durch den injicierten Larvenbrei hervor-
gerufen war.
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Über das biochemische Verhalten von Amphibienlarven. 571
Obgleich ein negatives Resultat vorauszusehen war, wurde der
Vollständigkeit halber noch eine Versuchsreihe angesetzt, bei welcher
die Reaktion des Immunserums des mit Larvenbrei von Bombinator
behandelten Kaninchens auf Larvenbrei aus Raiiar-Emhryonen {Rana
esculmta von 20 mm Länge) untersucht vmrde. Die Reihe A war
dieselbe wie beim 1. oben geschilderten Versuch; in der Reihe B
war statt Larvenbrei von Bombinator die gleiche Quantität (0,5 ccm)
eines solchen von Rana esculefita genommen worden. Es trat auch
in Reihe B keine Trübung ein (Reihe B Iblieb vielmehr auffallend
blank und klar gegenüber Reihe A; ein Eontrollversuch ergab, daß
auch unvermischter i2ana-Larvenbrei klarer ist und im Brutschrank
klarer bleibt als ebensolcher von Bombinator).
Die bisher mitgeteilten Versuche sagen streng genommen nichts
andres aus, als daß bei den drei Versuchsindividuen (und zwar bei
vier Kontrollen) Präcipitine nicht gebildet worden waren. Da bei
Verwendung von Material erwachsener Tiere von Nuttall u. a. solche
wohl hervorgerufen worden waren, so läßt sich wohl mit Wahr-
scheinlichkeit annehmen, daß zwischen der Einwirkung von Organ-
brei aus Embryonen einerseits und aus Erwachsenen anderseits auf
den Kaninchenkörper ein Unterschied besteht und also eine im letz-
teren Fall vorhandene spezifische Substanz im ersteren noch nicht
oder in nicht nachweisbarer Menge vorhanden ist. Es könnten aber
zufällig die betreffenden Kaninchenindividuen die Antikörper nicht
oder noch nicht in nachweisbarer Menge gebildet haben, während
andre Kaninchen (Meerschweinchen usw.) dazu wohl imstande sein
könnten. Wenn es dagegen gelingt, sich darüber Sicherheit zu ver-
schaffen, daß ein bestimmtes Kaninchen positiv den betreffenden
Antikörper zu bilden vermag und bereits enthält, so wäre der Weg ge-
funden, um zu kontrollieren, ob auch embryonales Material die präci-
pitable Substanz enthält, welche durch dieses Fräcipitin ausgefällt wird.
Dieser Versuch ist leicht ausführbar und zwar in der Weise,
daß die Lijektionen nicht mit dem Brei von Embryonen, sondern
mit solchem von erwachsenen Tieren vorgenommen werden. Das be-
treffende Immuntier (Kaninchen) enthält dann ein Serum, welches
mit Organbrei von Erwachsenen deutliche Ausfallungen ergibt. Es
ist also ein spezifisches Fräcipitin gebildet worden. Mischt man nun
das betreffende Immunserum mit Larvenbrei derselben Species, so
tritt keine Ausfällung ein. Hiergegen läßt sich nicht mehr ein-
wenden, daß das Versuchstier ungeeignet war; denn es hat ja seine
Potenz zur Bildung des fraglichen Antikörpers erwiesen. Ich teile
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572 H. Braus
zunächst die betreffende Versachsanordnung für einen der Falle im
Detail mit, damit derselbe als Beispiel für die übrigen, im weaent-
lichen ganz gleich behandelten diene and die vorgenommenen Pro-
zeduren veranschauliche und erhärte.
Aus der Gewichtstabelle des betreffenden Kaninchens (Proto-
koll III. 06) ist zunächst zu entnehmen, daß das Tier anfangs auf
die Injektion mit einer beträchtlichen Abnahme des Gewichts (bis
fast Ve des Gesamtgewichts] reagierte, daß aber allmählich eine Ge-
wöhnung eintrat, welche sich in der geringeren Abnahme des Körper-
gewichts trotz gesteigerter oder später ziemlich gleichmäßig dosierter
Injektionen äußerte. Injiziert wurde ein Brei, der aus allen Organen er-
wachsener Unken mit Ausnahme von Haut, Knochen, Darm und Ovarien
durch Zerreiben mit Quarzsand im Mörser und durch Zusatz physioL
Kochsalzlösung (0,75 %) hergestellt war. Nach 1—2 Stunden ruhigen
Stehens im Eisschrank ließ sich das Extrakt meist wie beim Larven-
brei mittels einer Pravatzspritze und dicker Nadel in die Bauchhöhle
leicht einspritzen. Die Quantität ist bei jeder Injektion besonders
angegeben. Die TabeUe lautet:
16. VI. 2230 g Körpergewicht des Versuchstieres.
1. Injektion: Mit 7 ccm des Organbreies von 3 Unken (2 (j*
und IQ). Gesamtmenge des Breies 60 ccm.
18. VI. 1870 g Körpergewicht
19. VI. 2030 g
21. VI. 2170 g.
2. Injektion: Mit 2^2 ccm Organbrei aus 4 Unken (3 (f und
IQ). Gesamtmenge des Breies 12 ccm.
22. VI. 1940 g Körpergewicht
25. VI. 2030 g
29. VI. 2050 g
3. Injektion: Mit 4V2 ccm Organbrei aus 3 Unken (3 (f), von der
Oberfläche des Extraktes genommen. Gesamtmenge des Breies 12 ccm.
30. VI. 2035 g Körpergewicht
5. Vn. 2150 g
4. Injektion: Mit 47^ ccm der Oberflächenschicht eines Organ-
breies, der geradeso wie bei der 3. Injektion hergestellt war.
6. VII. 2005 g Körpergewicht
9. vn. 2090 g
12. VII. 2070 g
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über das biochemische Verhalten von Amphibienlarven. 573
I. Blutentnahme. Ans der Carotis 20 ccm Blut entnommen.
16. Vn. 2045 g Körpergewicht
17. vn. 2110 g
21. vn. 2240 g
5. Injektion: Mit 4 ccm der Oberflächenschicht eines Organ-
breies, der ganz wie bei der 3. und 4. Injektion hergestellt war.
22. vn. 2090 g Körpergewicht
24. VII. 1980 g
26. VII. 2075 g
27. vn. IL Blutentnahme. Aus der Carotis 25 ccm Blut entnommen.
30. VII. 1860 g Körpergewicht.
6. Injektion: Mit 2 ccm der Oberflächenschicht eines Organ-
breies, der aus 2 Unken (1 cf und 1 Q) hergestellt war. Gesamt-
menge des Breies 9 ccm.
31. VII. 1940 g Körpergewicht
2. Vni. 2020 g
m. Blutentnahme durch Verbluten.
Bereits bei der ersten Blutentnahme wurde ein Serum erhalten,
welches in Organextrakt von erwachsenen Tieren deutlich eine
Trübung hervorrief, aber keine Reaktion nach Mischung mit Larven-
brei zeigte. Da bei jeder Blutentnahme die positive Keaktion deut-
licher wurde und also das Immunserum zu einem feineren Indikator
durch fortgesetzte Einverleibung des Unkenmaterials herangezUchtet
werden konnte, so war am ehesten eine Keaktion auf etwa im Larven-
brei vorhandene Spuren von präcipitabler Substanz zu erwarten, wenn
das präcipitinreichste Serum, das der in. Blutentnahme, zur Kon-
trolle benutzt wurde. Auch hier trat aber keine Keaktion ein. Ich
füge, um Wiederholungen zu vermeiden, hier nur die Details dieser
letzten Versuchsreihen bei.
Es wurden aus dem verbluteten Tier (am 2. Vm.) 50 ccm Immun-
serum gewonnen. Einem normalen Kaninchen wurde eine Quantität
Blut abgezapft, die 8 ccm Serum ergab. Schließlich wurde ein Organ-
brei ans drei erwachsenen Bombinator (3 ^f) in derselben Weise wie
bei den Ii\]ektionsbreimassen hergestellt und ebenso aus 40 Bombi-
Tiator-Larven von 15 mm Länge (Hungertieren) ein Larvenbrei ge-
wonnen. Diese beiden Organbreie standen zunächst 1 — 2 Stunden
im Eisschrank, wurden dann dekantiert und schließlich zentrifugiert,
um möglichst klare Flüssigkeiten zu erhalten. Ich bezeichne die
eine als »Erwachsenenextrakt«, die andre als »Larvenextrakt«.
AretdT f. EntwiekloBssrnMliMiik. XXIL 37
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574
H. Braus
Es wurden in drei Reihen A, B and C folgende Proben an-
gestellt.
Reihe A: 11 Reagenzgläschen. Dieselben enthalten in ccm:
Nr.l
Nr.l
Nr. 8
Nr. 4
Nr.t
Nr. 6
Nr. 7
Nr. 8
Nr.»
Nr. 10
Nr. 11
0,6
0,6
0,6
0,5
0,6
0,6
0,6
0,6
0,6
0,6
0,6
1,0
0,9
0,8
0,7
0,6
0,6
0,4
0,3
0,2
0,1
0,0
0,0
0,1
0,2
0.3
0,4
0,6
0,6
0,7
0,8
0,9
1,0
Erwachsenenextr.
KochBalzlOB.fO,9o/o)
Immansemm
Reihe B: 11 Reagenzgläschen. Dieselben unterscheiden sich
von Reihe A dadurch, daß statt des Erwachsenenextraktes
Larven extrakt genommen wurde.
Reihe G: 4 Reagenzgläschen. Dieselben entsprechen Nr. 1,
Nr. 5, Nr. 8 und Nr. 11 von Reihe A, jedoch mit dem Unter-
schied, daB statt Immunserum Normalserum genommen
wurde.
Nachdem die drei Reihen eine Stunde im Brutschrank unter
gleichen Bedingungen gestanden hatten, waren in Reihe A Röhrchen
Nr. 2 bis Nr. 11 getrübt und zwar nahm die Trübung gegen Nr. 11
hin zu. Das Fräcipitat sammelt sich bei ruhigem Stehen der Serie als
Niederschlag am Boden der Röhrchen an und ist bei Nr. 11 deutlich,
bei Nr. 2 sehr spärlich. In Reihe B und G war in keinem der
Röhrchen eine Trübung eingetreten, auch nicht später, als die Gemische
2 Stunden im Brutschrank gestanden, noch am nächsten Morgen,
nachdem sie über Nacht im Eisschrank verweilt hatten. DaB in der
Reihe A die Trübung nur beim Zusammentritt von Immunserum und
Erwachsenenextrakt stattfindet und also eine Präcipitinreaktion sein
muß, geht einmal daraus hervor, daß Nr. 1 in Reihe A völlig klar
gegenüber den andern Röhrchen derselben Reihe blieb. Die beob-
achtete Trübung kommt also nicht durch Verweilen einer Mischung
von Erwachsenen extrakt mit Kochsalzlösung im Brutofen zustande.
Außerdem aber wurde durch eine besondere Eontrolle sichergestellt,
daß auch eine Mischung von Immunsernm mit Kochsalzlösung im
Brutofen keine solche Trübung aufweist. Es wurden 2 Röhrchen
genommen. Von diesen enthielt in ccm
Nr.l
Nr. 2
1,6
0,6
1,8
0,2
Kochsalzlößung (0,9 o/o)
Immunseram
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über das biochemische Verhalten von Amphibienlarven. 575
Nach zweistündigem Verweilen im Bratschrank war die Mischung
in beiden so klar wie im Anfang.
So sicher es also ist, daß die Reaktion inKeiheAeine
spezifische ist, so sicher ist durch den negativen Ausfall
bei Reihe B nachgewiesen, daß die 15 mm langen Bombi-
nator-L2i,TY en denjenigen chemischen Körper noch nicht
oder nicht in genügender Wirksamkeit enthalten, dessen
Existenz und Aktivität beim erwachsenen Tier durch die
Antikörperbildung im Kaninchenserum bewiesen wird. Die
weitere Annahme, welche gemacht werden könnte, daß die Larven
zwar das spezifische Antigen enthalten, außerdem aber andre Körper,
welche die Wirkung desselben auf den Kaninchenkörper oder die
Ausfällung der entsprechenden präcipitablen Substanz durch das
Immunserum verhindern, läßt sich dabin einschränken, daß die letztere
Eventualität als höchst unwahrscheinlich oben erwiesen wurde. Denn
die mit Larvenbrei behandelten Kaninchen ergaben ein Serum,
welches auch mit Erwachsenenextrakt negativ reagierte. Letzteres
besitzt aber bestimmt die Fähigkeit zu spezifischen Fällungen und
hätte also (von individuellen Schwankungen abgesehen) ein vorhan-
denes Fräcipitin nachweisen müssen. Die erstere Eventualität da-
gegen, daß nämlich das spezifische Antigen in den Larven zwar vor-
handen, aber seine Wirksamkeit auf den Kaninchenkörper durch
andre, beim erwachsenen Tier fehlende Stoffe verhindert würde, ist
nicht ganz von der Hand zu weisen. Denn die Erzeugung des Anti-
körpers und die Ausfällung der präcipitablen Substanz durch das
Fräcipitin sind zwei Prozesse, welche sehr verschieden voneinander
sein können. Femer ist keineswegs ausgemacht, daß der embryonale
Körper die Einfachheit gegenüber dem Erwachsenen, welche Anatomie
und Histologie in vielen Fällen aufweisen, auch in seinem Chemismus
besitzt. Anstatt einer einfacheren chemischen Struktur, die im Mangel
des später vorhandenen spezifischen Antigens für Kaninchen also auch
gegenüber dem Ewachsenen gegeben wäre, könnte eine größere Kom-
plikation bestehen, nämlich neben dem vorhandenen Antigen ein
Agens, welches dasselbe inaktiviert. Darin sind selbstverständlich
beide Erklärungen gleich, daß eine große Verschiedenheit der che-
mischen Struktur des Embryo von Bombinator gegenüber dem aus-
gewachsenen Tier besteht.
Die hier mitgeteilten Reaktionen wurden, wenn auch nicht mit
derselben Intensität so doch mit genügender Deutlichkeit, bei dem-
selben Versuchskaninchen (S. 572) auch mit dem znerst (am 12. VL)
37*
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576 H. Bräus
nnd an 2. Stelle (27. VI.) gewonnenen Serum erzielt. Es wurde dabei
auch Reihe C ganz analog Reihe A mit 11 Röhrchen ausgestattet und
dadurch die Übersicht erleichtert, während bei den am 2. VIII. an-
gestellten Versuchen Reihe C eingeschränkt werden mußte, um das
Normalserum fbr andre, gleich mitzuteilende Versuche zur Verfügung
zu halten. Ebenso wurde die am 2. VIII. nur in zwei Röhrchen an-
gestellte Kontrolle einer Mischung von Kochsalz und Immunserum
bei andrer Gelegenheit in einer Suite von 11 Röhrchen aufgestellt.
Die Resultate waren aber immer dieselben. Es sei noch erwähnt,
daß am 27. VII. (bei der II. Blutentnahme) die TrUbung bei Einwir-
kung des Erwachsenenextraktes auf das Immunserum in Reihe A
viel deutlicher war als bei der I. Blutentnahme (12. VII.), und zwar
war Röhrchen 2 bereits um so viel trüber als Röhrchen 1, wie
meiner Erinnerung nach am 12. VII. erst Röhrchen 11 gewesen war.
Es war also schätzungsweise eine zehnfach größere Wirksamkeit des
Immunserums nach der 5. Injektion, welche zwischen diese beiden
Blutproben fiel, vorhanden als vor derselben konstatiert worden war.
Bei zwei andern Kaninchen wurde durch dreimalige Injektion
von Organbrei erwachsener Unken ein Serum erzielt, welches die-
selben Reaktionen, allerdings weniger deutlich erkennen ließ wie
das nach Tabelle S. 572 zuerst gewonnene Serum. Auch Larven-
extrakt verhielt sich demselben gegenüber völlig negativ.
Leider standen mir zu der Zeit, als ich das besonders wirksame
Immunserum von dem am längsten behandelten Kaninchen erhielt,
im August, nicht genügende Mengen verschieden alter Bombinator-
Larven zur Verfügung, um feststellen zu können, in welchem Stadium
das Extrakt von Larven oder jungen Unken seine Wirksamkeit aus-
zuüben beginnt. Immerhin konnte ich etwas ältere Larven verwenden
als diejenigen von 15— 20 mm Länge, von welchen bisher die Rede
war, und zwar solche, welche sich bei den embryonalen Transplan-
tationen und deren Ergebnissen als besonders wichtig erwiesen hatten.
Zunächst stellte ich aus fünf Embryonen von 22 mm Länge nach
Exenteration ein Extrakt (in derselben Weise wie bei jüngeren Em-
bryonen) her. Diese Larven waren sämtlich sehr kräftige Tiere,
welche zapfenförmige Anlagen hinterer Extremitäten besaßen. Es
ist das ein Stadium der Gliedmaßenentwicklung, welchem die Bildung
der ersten Andeutungen von Zehenanlagen und der Abplattung für
die Fußanlage unmittelbar folgt. Es wurde eine Reihe von 11 Röhr-
chen angesetzt analog Reihe C (S. 574) und zwar mit dem Larven-
extrakt aus den 22 mm langen Embryonen. Verglichen mit Reihe B
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über das biochemische Verhalten von Amphibienlarven. 577
and Reihe C (S. 574) ergab sich kein Unterschied in der Trübung.
Es waren also diese Larven von 22 mm noch ebenso unwirksam wie
die jüngeren.
Wenn sich bei den Gliedmaßen die Zehen gebildet haben, ist
eine lebhafte Blntcircnlation in einem Kandgefäß am Lebenden leicht
erkennbar, welches die Fingeranlagen eine nach der andern nmzieht.
Vorher sind in den Extremitäten wohl Blutgefäße und Blutkörperchen
vorhanden, eine deutliche und lebhafte Circulation ist aber erst zu
bemerken, wenn die ersten Spuren der Hand- bzw. Fußbildung sichtbar
werden. Es war deshalb wichtig, gerade dieses Stadium biochemisch
zu untersuchen, weil mit dem Eintreten der Blutcirculation schädliche
Wirkungen der Komponenten eines aus zwei verschiedenen Species
gepaarten Tieres besondere Verbreitung finden könnten. In der Tat
ergeben sich bei der Implantation von Extremitätenanlagen der Bom-
binator-LBXYen auf Rana eseulenta oder umgekehrt besondere Schvrie-
rigkeiten ftlr die weitere Entwicklung der inoculierten Gliedmaße
von dem Augenblick an, wo die Zehenanlagen auftreten sollen. Das
zapfenförmige Stadium, welches bei den Larven von 22 mm Länge
biochemisch geprüft wurde, wird anstandslos von den Implantaten
erreicht. Dann aber tritt ein Stillstand in der Weiterentwicklung
der implantierten Gliedmaße ein, obgleich der Autosit mit seinen
Extremitäten sich normal weiter entwickelt. Dieses Kesultat konnte
ich an einer großen Zahl von Fällen immer in der gleichen Weise
beobachten. Schließlich ist der Autosit der Metamorphose nahe und
seine Extremitäten sind fertig entwickelt, immer aber ist das im-
plantierte gattungsungleiche Enöspchen auf dem zapfen- bzw. walzen-
förmigen Stadium verblieben, welches unmittelbar vor dem Auftreten
der Zehenanlagen in der typischen Entwicklung charakteristisch ist.
Ganz anders verhalten sich artgleiche Implantate. Pfropft man die
Extremitätenanlage von Bombinator auf eine andre Unkenlarve, so
geht die Entwicklung des Parasiten ganz parallel den typischen
Gliedmaßen des Autositen bis zur Metamorphose und über dieselbe
hinaus vor sich (Braus, 1903 u. f ).
Wenn der spezifische Körper, welchen wir beim erwachsenen
Bombinator biochemisch kennen gelernt haben, etwas mit der Hemmung
zu tun hat, welche zur Zeit der lebhaft werdenden Blutcirculation
implantierte Extremitätenanlagen auf gattungsungleichem Boden be-
fällt, so müßte derselbe bei solchen Embryonen aktiv und also geradeso
wie bei erwachsenen Tieren derselben Species nachweisbar sein. Um
dies zu prüfen wählte ich eine J5amWwa^or-Larve (Protokoll Mo 1, 06)
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578 H. Braus
ans, auf welche im frühesten Entwicklungsstadinm der GliedmaBen
eine Extremitätenknospe einer andern BoTrMnator-LaLtye transplan-
tiert worden war. Es handelte sich nm eine rechte vordere Extre-
mität, welche neben die rechte hintere Gliedmaßenanlage des Antositen
inoculiert worden war und sich hier durch Verdoppelung, wie sie
häufig bei solchen Implantaten eintritt, zu zwei Vorderbeinen ent-
wickelt hatte (vgl. Braus, 1905). Der Autosit war bis zu 27 mm
Länge herangewachsen. Seine Hinterbeine wiesen vier Zehenanlagen
und die erste Andeutung der fünften Zehe auf. An ihnen war das
Randgeräß mit lebhafter Circulation deutlich. Ebenso auch bei den
beiden parasitären Vorderbeinen, welche die erste Zuspitzung des
Zapfens, die früheste Andeutung der Fingerbildung, besaßen. Das
ist genau das Stadium, in welchem, falls die Transplantation nicht
auf Bombinator sondern auf Eana stattgefunden hätte, die Hemmung
der Entwicklung des Parasiten erfolgt wäre. Es zeigte sich jedoch,
daß biochemisch ebensowenig eine Reaktion mit dem gut
wirksamen Immunserum zu erzielen war, wie bei den jün-
geren Embryonen. Auch hier wurde so verfahren, daß das Tier
nach Exenteration zu einem Brei verrieben wurde. Es ergaben sich
nach Dekantieren und Centrifugieren 7 ccm Extrakt, mit welchem
eine Reihe von 11 Röhrchen analog der Reihe B (S. 574) beschickt
wurden. Eine Trübung trat im Vergleich zu den andern mit Larven-
extrakten hergestellten Reihen in keinem der Röhrchen ein. Aller-
dings handelt es sich bei dem Extrakt um eine relativ geringe
Substanzmenge. Es ist aber bekannt, daß gerade Präcipitine aus
minimalen Substanzspuren Fällungen herbeizuführen imstande sind
(z. B. beim forensischen Nachweis von Blutspuren durch die Präd-
pitinmethode).
Soweit die hier mitgeteilten Experimente eine Einsicht in die
biochemische Natur verschiedenalter Bombinator -L^LYven gestatten,
liegt also in der Tat der Fall so, wie in der Einleitung dargelegt
wurde, daß in bestimmten Stadien, welche biologisch sich gattungs-
ungleichem Material gegenüber refraktär zu verhalten schienen, doch
biochemisch ein so exquisit artspezifischer Körper wie das beschrie-
bene Präcipitin noch nicht reagiert.
Weitere biologische und biochemische Versuche, deren Hand-in-
Handarbeiten auf diesem Gebiet gewiß reichen Erfolg haben könnte,
müssen erst ergeben, ob wirklich hier innere Beziehungen bestehen.
Denn ich möchte keineswegs behaupten, daß nicht ganz andre Stoffe,
als die hier untersuchten, toxisch auf art- oder gattungsnngleiche
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über das biochemische Verhalten von Amphibienlarven. 579
embryonale Transplantate wirken oder daB nicht anderseits für die
Entwicklang des Parasiten notwendige StoflFe in dem Autositen von
einer gewissen Entwicklungsstufe ab fehlen könnten.
Noch nach einer andern Richtung ist unser Befund nicht ohne Inter-
esse. Es könnte daran gedacht werden, sich verschiebende Organan-
lagen in künstlich aus artungleichen Komponenten zusammengesetzten
Tieren mittels der Präcipitinmethode auf ihre spezifische Herkunft
zu bestimmen^) und sie auch dann auf diese Weise zu verfolgen,
wenn die mikroskopischen Methoden versagen. Es wäre dies sehr
wichtig, da bekanntlich viele Gewebsarten bei verschiedenen Species
einander optisch so ähnlich sehen, daß wir zurzeit Schwierigkeiten
haben, ihre Artmerkmale aufzuzeigen. Leider läßt uns aber die bio-
chemische Methode der Präcipitinbestimmung hier ebenfalls im Stich,
weil eben die in Betracht kommenden jüngeren Stadien kein Präcipitin,
also auch keine spezifische Substanz im Versuchstier erzeugen.
Die Resultate der vorliegenden Untersuchung lassen sich fol-
gendermaßen zusammenfassen:
1) Ein chemischer Körper, welcher in erwachsenen Exemplaren
von Bombinator pachyptcs existiert und zwar dadurch charakterisiert
ist, daß er im Serum von Kaninchen ein für Bombinator spezifisches
Präcipitin erzeugt, ist bei Embryonen von derselben Bambinator-
Art nicht nachweisbar. Es besteht also bei den Unken eine wichtige
biochemische Differenz zwischen embryonalen und ausgewachsenen
Körperelementen.
2) Der unter Nr. 1 charakterisierte chemische Körper ist auch in
solchen Stadien der Embryonalentwicklung noch nicht nachweisbar,
in welchen eine lebhafte Blutcirculation zustande kommt, mittels
derselben in Kompositionen aus art- oder gattungsungleichen Kompo-
nenten ein schädliches Einwirken artspezifischer Substanzen seitens
des Parasiten auf den Autositen oder umgekehrt angenommen werden
könnte und in der Tat durch die bisherigen biologischen Versuche
eine Verzögerung und Hemmung der Entwicklung beobachtet wurde.
Letztere kann also nicht auf einer vergiftenden biochemischen Wir-
kung seitens des genannten artspezifischen Körpers beruhen. Vielleicht
ist sie nur eine durch ungeeignete technische Maßnahmen bedingte
Zufälligkeit.
1) Gelegentlich eines Vortrages über embryonale Transplantation worde
ich von physiologischer Seite auf diese Möglichkeit hingewiesen.
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580 H. BranB, Über das biochemische Verhalten von Amphibienlarven.
Literaturverzeichnis.
G. Born, Über Verwachsungsversuche mit Amphibienlarven. Leipzig 1897.
(Sonderdr. Arch. f. Entw.-Mech. Bd. IV. Heft 3/4.)
H. Braus, Versuch einer experimentellen Morphologie. Münch. mediz. Wochen-
sehr. Jahrg. 60. Nr. 47. München 1903.
Einige Ergebnisse der Transplantation von Organanlagen bei Bombinator-
Larven. Verhandl. Anat. Gesellsch. 18. Vers. Jena. Jena 1904.
Experimentelle Beiträge zur Frage nach der Entwicklang peripherer Ner-
ven. Anat. Anzeig. Bd. 26. Jena 1905.
Experimentelle Beiträge zur Morphologie. Bd. I. Heft 1. Vorwort. Leipzig
1906.
A. GiARDiNA, Ricerche sperimentali sui girini di Anuri. Bendic. del Conv^ino
deir Unione Zool. ital. Monitore Zool. ital. Anno 16. 1906.
M. Jagoby, Immunität und Disposition und ihre experimentellen Grundlagen.
Wiesbaden 1906.
George N. F. Nuttall, Blood immunity and blood relations ship. Cambridge
1904 (auch in British Medical Journal. Vol. I for 1902).
M. Philippson, Sur les propret^s sp^cifiques et g^n6riques des s^rums sangniu
et leur importance au point de vue zoologique. Becneil des travaux du
laborat. de Physiol. (Instituts Solvay). Vol. V (zitiert nach Nuttall, mir
nicht zugänglich).
R. RössLE, Über die chemische Individualität der Embryonalzellen. Mflnch.
mediz. Wochenschr. Bd. 62. München 1906.
H. Sachs, Über Differenzen der Blntbeschaffenheit in verschiedenen Lebens-
altern. Centralbl. f. Bakteriol. etc. 1. Abt. Originale. Bd. 34. Jena 1909
(dort die übrige Literatur zitiert).
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über die Einwirkung karbonatfreier und kalkfreier
Salzlösungen auf erwachsene Kalkschwämme und auf
Entwicklungsstadien derselben.
Von
Otto Maas
(Uflnchen).
Die Versuche, die früher von mir über die Aufzucht von Kalk-
schwämmen in karbonatfreiem Seewasser angestellt wurden, galten
in erster Linie morphologischen Fragen der Entwicklung: der DiflFeren-
zierung der Gewebszellen und dem Aufbau der Nadeln. Physiolo-
gisch-chemische Punkte, die sich dabei ergeben haben — direkte
Notwendigkeit der Karbonate, Unmöglichkeit aus einem andern Kalk-
salz (Gips) die Skeletelemente durch Umsetzung aufzubauen — lasßen
eine genauere Untersuchung auch in dieser Richtung wünschenswert
erscheinen.
Das früher von mir benutzte »künstliche« Seewasser (s. 1904a,
S. 3) war eine Lösung von eingedampftem natürlichem Seesalz, die
der Karbonate und Silicate entbehrte, also aus den Chloriden und Sul-
fiden bestand; aber es wäre auch möglich, daß diese Lösung noch
andre wirksame Bestandteile, wenn auch vielleicht in kleinster Menge,
enthielt, die in einer völlig künstlichen Lösung ausgeschaltet
werden können. Als solche benutzte ich diesmal eine Lösung aus
den einzelnen Hauptsalzen, ungefähr nach Herbst (1897, S. 651),
etwas über 30 g NaCl, 0,7 KCl, 4—5 MgClj, 2,5 MgS04, nnd
1 CaS04 in einem Liter Wasser bei etwa 15 — 18°, und femer eine
zweite Lösung, in der auch der letztgenannte Bestandteil, der Gips,
fehlte, um festzustellen, ob Ca überhaupt fUr die Entwicklung von
Bedeutung ist, auch abgesehen vom Skeletaufbau.
Für die Versuche an Larvenstadien hat diesmal fast auschließ-
lich Sycandra raphanus gedient. Zwischen dieser Art und S. setosa,
deren postlarvale Entwicklung ich früher ausführlich beschrieben
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582 Otto Maas
habe (1898 b und 1900), bestehen einige kleine Unterschiede, die die
letztere Art bereits auf diesem frühen Stadium deutlich charakteri-
sieren, so die vorzeitige und stärkere Ausbildung der Dreistrahler.
Die von mir in Kovigno" studierte S. setosa besitzt bereits deren zahl-
reiche und große auf einem Stadium, wo raphantis in dem Wald von
Einstrahlem kaum einen oder zwei erkennen läßt; auch in der Streckung
des Schwämmchens, der Ausbildung des Osculums existieren einige
zeitliche Unterschiede; die gewebliche Ausbildung ist aber
durchaus die gleiche, so daß ich mich bei der Beschreibung
meiner durch die Versuche erhaltenen Stadien auf meine frühere Auf-
fassung der Normal- Entwicklung beziehen kann. Auf etwaige Mo-
difikationen, die sich durch die MiNCHiNSche Auffassung der Sycandra-
Larve ergeben würden, die in ihr noch Archäocyten annimmt (1900,
S. 75) sowie durch die vorläufigen Mitteilungen Hammers (1906 a u. b),
gedenke ich, soweit sie nicht unten berührt werden, noch an andrer
Stelle einzugehen.
Die Gewinnung der Larven und die Überführung in die künstlichen
Lösungen geschah wie früher von mir beschrieben (1900, 1904 a), ebenso
der nachträgliche Zusatz von Karbonat oder Kalk, und die nachträgliche
Entziehung, wenn die Metamorphose im normalen Medium erfolgt
war. Zur Ergänzung der letzteren Versuche diente auch die Kalk-
entziehung bei ausgebildeten Syconen und Asconen, die ich in
verschiedenen Abweichungen — völlige Kalkentziehung, Karbonat-
entziehung, allmähliche Verdünnung — probierte. Die Versuche
wurden teils in der Zoologischen Station zu Triest (Frühjahr 1905),
teils in der Zoologischen Station Neapel (Frühjahr 1906) angestellt
Herrn Professor Gori in Triest und allen Herren der Neapler Station
habe ich wie stets ftlr das freundliche Entgegenkommen meinen ver-
bindlichsten Dank zu sagen.
A. Die Metamorphose der Larven in l(Un8tl icher Icarbonatfreier
Lösung.
In der künstlichen, nur aus den oben erwähnten ftinf Salzen be-
stehenden Lösung erfolgt die Metamorphose ganz wie früher be-
schrieben für die Lösung, die aus den natürlichen, durch Eindampfen
gewonnenen Salzen hergestellt ist. Es kommt zum Ansetzen, zur
sog. Umkehr der Schichten, Kalknadeln werden nicht gebildet; trotz-
dem zeigt sich ein Hohlraum, ja mitunter auch ein Oscnlum. Die
Hohlraumbildung kann sogar noch nachträglich erfolgen; an Exens-
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Ober die Einwirkung karbonatfreier und kalkfreier Salzlösungen usw. 583
plaren, die zuerst ganz flach ausgebreitet waren i), weil sie sich an
der Wasseroberfläche angesetzt hatten, und die dann in karbonat-
freiem Wasser unter das Deckglas gebracht wurden, konnte ein Zu-
sammenziehen der platten Form zur rundlichen, ein Aufblähen unter
Hohlraumbildung und schließlich der Dnrchbruch eines Osculums
unter entsprechenden Bewegungen der Dermalzellen beobachtet werden.
Die dazu notwendige Festigung bei Ausschluß der Ealkgebilde wird
hier durch die stärkere Entwicklung und Erhärtung der Grundsub-
stanz erzielt. Spicula-ähnliche Bildungen in der Form, aber ohne
kohlensauren Kalk kommen auch hier zur Ausprägang; namentlich
die Zellen, die sonst die massig angehäuften, tangential herausragen-
den Einstrahier bilden, sind auch hier in ihrer Tätigkeit zu sehen,
indem Isie, von den andern Dermalzellen gut unterscheidbar, weit
über die Oberfläche herausragen, mit schatten artigen gekörnelten
Stabbildungen, die aber von Karbonat ganz frei sind. Wenn nur
diese, und nicht auch wie früher die charakteristischen Dreistrahler
als organische Formen ohne Kalk beobachtet wurden (1904), so liegt
dies daran, daß die betreflFende Species, S. raphanns, Dreistrahler
auf so frühem Stadium viel weniger hervorbringt als setosa^ so daß
1) Eine solche extreme Abflachung ist ja gewiß ein abnormer Fall ; aber
man sieht daraus, daß doch zur Weiterausbildung das ursprüngliche Vorhanden-
sein eines Hohlraumes nicht nötig ist, nicht einmal bei karbonatfreiem Wasser,
und in der Normalentwicklung um so weniger. Bei der großen Wichtigkeit,
die Hammer für seine Deutung der Vorgänge beim Ansetzen als Gastrulation
dem Vorhandensein eines Hohlraumes beimißt, müchte ich dies hier noch ein-
mal hervorheben. Ich habe dies nicht nur, wie Hammer zitiert, »nach neuen,
bisher unveröffentlichten Beobachtungen« in meiner Arbeit über Cornacu-Spon-
gien (1894) gelegentlich erwähnt, sondern auch in einer Arbeit über Sycandra
selbst ausführlicher besprochen (1900, S. 219. 222). »Ein innerer Hohlraum, der
aus der Einstülpung übrig geblieben wäre, ist auf diesem Stadium meist nicht
zu erkennen, sondern es bilden die Geißelzellen eine kompakte Masse, deren
einzelne Elemente . . . auch nicht auf einen virtuellen Hohl- oder Spaltraum zu
orientiert sind, vielmehr wirr durcheinander liegen.« Daß ein Hohlraum beim
Ansetzen in der Regel zustande kommt, habe ich selbst immer angenommen,
daß er aber nicht absolut nötig ist und daß er jedenfalls nicht zum Gastral-
ranm des jungen Schwämmchens sich zu erhalten braucht, zeigen mir zahlreiche
selbstbeobachtete Fälle. Auch ist sein Verschwinden oder ev. Nichtauftreten
nach dem, was wir durch Mikcuiks Untersuchungen über das »pupale« Stadium
der Asconen und über ihre Eontraktionszustände im Erwachsenen wissen (1896
und 1900), wo die Geißelzellen mit den Porenzellen zusammen eine kompakte
Masse bilden, leicht verständlich. Hier muß es schon deshalb hervorgehoben
werden, weil für das Einsetzen der Kalkentziehung nach der Metamorphose
(s. unten S. 688) es nicht ganz gleichgültig ist, ob wir solch kompakte unge-
ordnete Zellmasse oder bereits einen ui^con-artigen Hohlraum vor uns haben.
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584 Otto Maa8
sie auch normalerweise in dem Besatz von Einstrahlem fast yer-
schwinden.
Es steht also alles in allem die künstliche Lösung hinter der
»natürlichen« karbonatfreien nicht zurück; höchstens ist das Fest-
setzen hier etwas verzögert, die Ausbildung etwas langsamer. Wäh-
rend bei den früheren Versuchen kein zeitlicher Unterschied gegen-
über der Normalentwicklung festzustellen war, vielmehr die Meta-
morphose im karbonatfreien Seewasser ebenso schnell beendigt schicD
wie in normalem, bleiben hier die Larven länger schwärmend, wie
die der Eontrollkulturen ^).
Die skeletlosen Schwämmchen halten sich auf die Dauer nicht,
sondern ^kollabieren unter den früher erwähnten Erscheinungen, wenn
ihnen nicht rechtzeitig karbonathaltiges Wasser zugesetzt wird. Die
Erholung ist aber hier weniger gut möglich als bei den früheren
Versuchen mit Seesalzlösung und nachträglichem Earbonatzusatz.
Vielleicht liegt dies nur daran, daß die Larven hier bis zum Ansetzen
längere Zeit der Wirkung des anormalen Mediums ausgesetzt blieben
als bei den früheren Versuchen; vielleicht auch daran, daB hier noch
andre Bestandteile fehlen. Hier sind jedenfalls dann die Zellen so
geschädigt, daß es auch bei genügendem Earbonatzusatz nicht oder
nur in sehr geringem Maß zur nachträglichen Bildung von Ealk-
nadeln kommt. Das ganze Schwämmchen, wie das Plasma der
einzelnen Zellen erscheint trüber, die Hohlraumbildung schreitet nicht
fort, aueh wenn das Gebilde selbst noch einige Tage am Leben
bleibt.
B. Die Entwicklung in gänzlich kalkfreiem Wasser.
Von einer Metamorphose in einer derartigen Lösung, der auch
der Gips fehlt, die also nur die ersterwähnten vier Salze enthält,
kann man nicht reden und auch kaum von einer eigentlichen Ent-
wicklung. Die Amphiblastulalarven schwärmen lange Zeit herum, aber
^) Auch dies spricht dafür, daß, wie ich an andrer Stelle hervorgehoben
habe, ein kurzes Larvenleben, ein rasches Ansetzen, Zeugnis fUr eine gesunde
Entwicklung darstellen. Bei den Cornacu-Spongien sind es besonders die eint
in der Aquarinmszncht ansgeschwärmten Larven, die außer solchen Verzöge-
rungen im Ansetzen auch mancherlei Unregelmäßigkeiten zeigen: bei Syeonen
sind die später ausschlüpfenden Larven bei genügender Fürsorge ftir dai
Wasser noch normal ansatzfähig, zeigen aber doch eine merkliche Verzögerang
beim Ansetzen gegenüber den aus frisch angekommenen Exemplaren ansge-
schwärmten Amphiblastulae.
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Ober die Einwirkung karbonatfreier und kalkfreier Salzlösungen ubw. 585
nicht in normaler Weise an der Oberfläche^) und nach dem Licht zu,
sondern rotieren am Boden. Die Wimperbewegung selbst wird durch
die YöUige Ealkentziehnng nicht gestört (dies stimmt ttberein mit
den Untersuchangen von Herbst an Wimperblastulae), wohl aber wird
der Zellverband im Laufe der Zeit — noch am fünften Tage sind
solche Larven nicht zum Ansetzen gekommen — gelockert; namentlich
an den Körnerzellen des Hinterendes. Zuerst fallen einzelne heraus,
die noch von der Larve wie ein Schwänzchen am Hinterende mitge-
führt werden, bis sie ganz abfallen; die schlanken epithelartig schlie-
ßenden Geißelzellen des Yorderendes halten besser zusammen; das
Yorderende wird dadurch, je mehr die Eömerzellen abfallen, scheiben-
förmig vergrößert und herausgewölbt. Manche der am Boden ro-
tierenden Larven machen Ansatz versuche; dabei ist deutlich zu sehen,
daß es die wenigen noch verbliebenen Eömerzellen sind, die zum
Festheften dienen, während die Geißelzellen sich zu einer kompakten
Masse zusammenballen.
Die längere Einwirkung des kalkfreien Wassers bietet ein Mittel
zur völligen Abtrennung der Körnerzellen, so daß schließlich nur
eine rein aus Geißelzellen bestehende >Blastula« ttbrig bleibt. Man kann
dann durch Übertragung solcher isolierter Geißelzellenhälften einer
ehemaligen Amphiblastula in normales Seewasser über die Natur der
beiden Larvenhälften und über die Potenzen der ZeUen eine Yor-
stellung gewinnen. Die erwähnten Wimperblastulae, die der vorderen
1) Auch nach meinen neuen Erfahrungen muß ich gegenüber einer Bemer-
kung Hammers bestätigen, daß die Larven nicht nur die Oberfläche, sondern
auch die Lichtseite bevorzugen. Daß in einem mit schwärmenden Amphi-
blastulastadien angefüllten Zuchtglas auch eine Anzahl an der vom Fenster
abgekehrten Seite sich herumtreibt, ist selbstverständlich; jedoch läßt sich durch
bestimmt gerichtetes Licht und entsprechende Abbiendung der Heliotropismus
deutlich zeigen. Die Erscheinungen sind dabei wohl komplizierter und nicht zu
allen Zeiten, z. B. nach längerer Lichteinwirkung, die gleichen ; aber die allge-
meine Neigung zur Lichtseite geht schon daraus hervor, daß in den Zuchtschalen
die angesetzten Stadien mehr oder weniger einen Halbring nach der dem Licht
zugekehrten Seite an der Wasseroberfläche der Schale bildeten, während die
andre Hälfte der Schale fast frei blieb. Nach der Stelle der intensivsten Be-
lichtung war der Halbring stets dünner, zu beiden Seiten zeigten sich besonders
starke Anhäufungen von angesetzten Schwämmchen, auf der entgegengesetzten
Seite saßen nur vereinzelte Exemplare. Besonders dunkel pigmentierte Zellen
der Amphiblastula, fast an der Grenze von Eürner- und Geißelzellenschicht (die
übrigens verschieden gut ausgebildet sind bei verschiedenen Individuen und
Arten), scheinen mir mit der Lichtperception in Zusammenhang zu stehen. Ob
noch weitere DiflFerenzierungen in den Zellen, wie bei primitiven Cölenteraten,
vorhanden sind, wäre zu untersuchen.
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586 Otto Maas
Hälfte entsprechen, können längere Zeit, noch über eine Woche,
munter amherschwärmen. Veränderung der Geifielzellen, Umwandlung
in Kömerzellen , wie sie von Minchin bei der normalen Aßconr-LaLiYe,
von mir bei Oscarella beschrieben worden sind, finden dabei nicht
statt. Solche Larven gelangen niemals zum Ansetzen; sie verhalten
sich also durchaus wie die von Driesch gewonnenen »animalen«
Teile des Echinidenkeimes.
Vielleicht ist dies auch ein weiteres Moment, um Stellung zu neh-
men zur Frage, ob die Geißelzellen nicht trotz ihres späteren Schick-
sals und der Lage im Inneren dem Ectoderm der Gölenteraten und
übrigen Tiergruppen zu vergleichen sind. Die Beantwortung dieser
Frage wird natürlich nie mit absoluter Sicherheit erfolgen können,
sondern stets subjektiv sein (s. Maas, 1894, S.426); immerhin glaube ich
aber, daß nach den Untersuchungen und Erörterungen von Belage,
Minchin und mir (s. mein Referat 1898a, S. 595), die Wagschale sehr
zugunsten der Auffassung neigt, in den Geißelzellen der Spongien kein
Homologen des Entoderms der übrigen Metazoen zu sehen. Nachdem
aber jetzt Hammer aufs neue und nachdrücklichst nur die Auffassung
gelten lassen will, wonach die Einstülpung dieser Geißelzellen beim
Festsetzen als Entodermbildung anzusehen ist, möchte ich doch das
Ergebnis dieser experimentellen Trennung hier hervorheben als einen
weiteren Grund, den Vorgang beim Festsetzen nicht als Gastmlatioo,
sondern als Umkehr bzw. Umwachsung der Schichten aufzufassen.
Umgekehrt können Eörnerzellenhälften der Larve allein, d. h.
am Boden zurückgebliebene Haufen von Kömerzellen, denen die
Geißelzellen davon geschwommen sind, nach Übertragung in normales
Seewasser noch die Festheftung ausführen und einen gastralen Hohl-
raum zur Ausbildung bringen; doch ist bei diesen Fällen nicht ganz
sicher, ob es sich um rein »vegetative« Hälften handelt, denn es
könnten einige Geißelzellen zurückgeblieben sein, oder die >Archä-
ocyten«, die nach Minchin auch für die Sycandra-LaTYe noch außer
den Körnerzellen anzunehmen sind, sich differenzieren und als Wieder-
holung der embryonalen Leistung die Nachlieferung von Geißelzellen
übernehmen, so wie es laut Evans (1899) die analogen Zellen der
Spongiüa tun.
Wenn man weniger veränderte Amphiblastulalarven, also solche,
bei denen noch genügend Körnerzellen vorhanden sind, und der Zell-
verband kaum merklich gelockert ist, aus dem gänzlich kalkfreien
Wasser in normales überträgt, so ist eine Erholung und die Erzielnng
eines funktionierenden Schwämmchens mit Poren, Osculum und Nadeln
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über die Einwirkung karbonatfreier und kalkfreier Salzlösungen usw. 587
noch möglich; aber es braucht dazu längere Zeit, und das Produkt
gleicht doch nie ganz dem normalen. Die gebildeten Nadeln bleiben
auffallend gering an Zahl, die gastralen Zellen ordnen sich nicht so
regelmäßig an, die dermalen Zellen, selbst des festsitzenden Schwämm-
chens, sind lockerer und bilden kein so gut schließendes Epithel wie
beim normalen Tier. Ob es sich da nur um eine zeitliche Verzöge-
rung oder bleibende Verkümmerung handelt, kann ich nach meinen
Versuchen nicht entscheiden. Auffallend ist, daß, wenn die Über-
führung aus dem kalkfreien Medium nicht gleich in normales sondern
zunächst in ein karbonatfreies, aber gipshaltiges Wasser geschieht,
diese histologischen Defekte nicht hervortreten. Die Nadelbildung
bleibt natürlich dann ganz aus; aber sonst bilden sich Gastral- und
Dermalepithel in derselben regelmäßigen Weise wie früher beschrieben,
und fast sämtliche Larven kommen zum Ansetzen, während dies bei
den direkt in normales Seewasser übertragenen Larven nur einer
kleinen Anzahl gelang. Werden solche Schwämmchen, die zuerst
in ganz kalkfreiem, dann in karbonatfreiem aber gipshaltigem Wasser
gewesen sind, und ihren Hohlraum ausgebildet haben, nachträglich
noch in normales Seewasser überfuhrt, so kann noch eine völlig aus-
reichende Nadelbildong und ein Weiterwachsen wie bei den EontroU-
kultnren eintreten. Es scheint also, daß das gipshaltige karbonatfreie
Wasser den Übergang aus dem gänzlich kalkfreien Medium (und in
dasselbe) erleichtert.
C. Nachträgliche Entziehung des Icohlensauren Kallces.
(Überführung der metamorphosierten Schwämmchen in karbonat-
freie Mischung.)
Für die Wirkung der Karbonat- und Kalkentziehung bildet das
Festsitzen der Larve einen entscheidenden Wendepunkt, wie früher
erörtert (1904a u. b, Tabellen); aber auch nachher sind nicht alle
Stadien, in denen die Entziehung einsetzt für die Wirkung gleich-
gültig. Die Nadeln allerdings erscheinen sofort nach dem Ansetzen
in großer Menge, und die Einwirkung des karbonatfreien oder kalk-
freien Mediums auf sie macht sich bei dem eben angesetzten Schwämm-
chen in gleicher Weise geltend wie später. Die Zellschichten
sind aber nicht sofort nach dem Ansetzen schon in typischer Weise
— außen Dermalschicht, innen Gastralepithel — gelagert, sondern
ordnen sich erst nach und nach; die Porenzellen liegen auch hier,
wie es Minchin für Leucosolenia beschrieben hat (1896) zunächst noch
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588 Otto Maas
innen unter den Gastralzellen ; diese selbst liegen, wie früher von mir
beschrieben (1900), in einer mehr gedrängten Masse zasammen, ehe
sie sich znm Hohlraum anordnen. Es ist für die Einwirkung des
anormalen Mediums nun nicht bedeutungslos, ob diese Gastralzellen
schon ihre richtige histologische Ausprägung erhalten haben, mit ihren
Geißeln schlagen können, und ob die Porenzellen bereits funktions-
fähig sind, oder ob beides noch nicht der Fall ist.
Die Einwirkung auf die Nadeln zeigt sich am lebenden Objekt
in jüngeren und älteren festsitzenden Stadien am ersten und zweiten
Tag, bei der künstlich karbonatfreien Mischung in ähnlicher Weise
wie früher bei der natürlichen karbonatfreien beschrieben wurde.
Nach einigen Stunden erscheinen die Nadeln an und in den Schwamm-
chen bereits sehr angegriffen; manche sind in ihrem Zusammenhang
mit dem Schwämmchen gelockert und fallen einzeln heraus; die im
Schwämmchen selbst stecken bleibenden erscheinen von auBen nach
innen angenagt und verschwinden schließlich. Der Weichkörper zeigt
noch länger Lebenstätigkeit; er ist zwar etwas trüber wie normal, aber
sonst in gutem Zustand; die Gastralzellen versuchen noch die Bildung
eines Hohlraumes, die Dermalzellen zeigen ihre gewebliche Fortbildung,
und die Weiterentwicklung wird erst ganz allmählich, im Lauf von
Tagen sistiert, nachdem die Nadeln längst verschwunden sind. Auch
deren Auflösung braucht einige Zeit; das völlige Verschwinden wurde
am lebenden Objekt nicht vor dem andern Tag beobachtet; es ist
also kein einfacher, durch das Medium verursachter chemischer Auf-
lösungsprozeß, sondern ein recht langsamer, wohl vital d. h. physio-
logisch bedingter Vorgang. Auch erscheint die Abschmelzung bei den
einzelnen Individuen verschieden weit vorgeschritten. Die früher her-
ausgefallenen Nadeln, die nicht mehr in Zusammenhang mit einem
Schwämmchen liegen, werden nicht angegriflFen; auch dies spricht
dafür, die Abschmelzung als einen durch Lebenstätigkeit des Schwamm-
körpers erfolgenden Prozeß anzusehen und gegen die Annahme einer
auflösenden Säure (etwa CO2) in Wasser.
Diese Zurückweisung ist aach für die Versuche der frühen Kar-
bonatentziehung an Larven wichtig; denn sonst könnte ja gegen die
früheren Folgerungen aus der Nichtbildung des Ealkskelets in kar-
bonatfreiem Wasser {s. 1904 a S. 5) noch eingewandt werden, daß
es nur deswegen nicht zar Bildung eines Skelets gekommen sei, weil
das betreffende Wasser Kohlensäure enthalten hätte. Zwar ist das
für die Lösungen benutzte Wasser damals und diesmal gekocht
und geprüft worden ; auch macht der Verlauf der früheren Experi-
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über die Einwirkang karbonatfreier und kalkfreier Salzlösungen usw. 589
mente (die sofortige Wiederbildung des Skelets, wenn Sparen yon
Karbonat wieder zugefügt werden) eine derartige Auslegung unwahr-
scheinlich; aber doch ist eine Entscheidung durch das Experiment noch
wünschenswert. Noch besser als durch die erwähnte Erhaltung der
herausgefallenen Nadeln ergibt sie sich durch folgenden Versuch.
Unter günstigen Bedingungen sind die an der Wasseroberfläche
angesetzten Schwämmchen außerordentlich zahlreich und bedecken
sich alle sehr schnell mit einem dichten Pelz von Nadeln; sie ziehen
gleichsam in einer Schicht das Karbonat des Seewassers aus. Durch
aufgelegte Deckgläser kann man solche Schwämmchen sammeln und
ihnen so gleichzeitig eine Stütze geben; denn sonst gehen sie am
Oberflächenhäutchen des Wassers durch Abfiachung natürlich ein,
währenddem die an der Glaswand befindlichen sich aushöhlen, Os-
cula bilden und weiter wachsen. Aber auch die an den Deckgläsern
geborgenen können nicht alle sich weiter entwickeln; denn sie sitzen
gar zu dicht (ich habe über 1000 auf dem qcm schätzen können), als
dafi sie alle prosperieren können; eins muß dem andern notwen-
digerweise Nahrung und Atmung hindern und so werden bald eine
Anzahl ausgeschieden und sterben ab, über die dann Infasorien her-
fallen und den Zellinhalt ausfressen. Der dichte Nadelpelz bleibt aber
bestehen; die einzelnen Nadeln stützen sich gegenseitig und halten so
fest, daß man geradezu von einem zurückbleibenden Gehäuse reden
kann. Wenn man nun etwa am dritten Tag solche aufgelegten Deck-
gläser, die außer lebhaft fonktionierenden Schwämmchen (man kann
unter dem Mikroskop das Schlagen der Geißeln im Gastralraum und
die Zellbewegung am Osculum kontrollieren), absterbende Exemplare
und leere »Gehäuse« enthalten, in das karbonatfreie Wasser bringt,
so bleiben gerade die Gehäuse intakt, was bei Kohlensäuregehalt des
Wassers nicht möglich wäre, und gerade die gesunden Schwämmchen
zeigen den geschilderten Verlust der Nadeln mit Abfall- und Ab-
schmelzungserscheinungen.
Wodurch dieser nachträgliche Verlust der Nadeln in Wirklich-
keit verursacht wird, ist eine schwierige Frage; denn an und für sich
ist gar nicht einzusehen, warum überhaupt in dem karbonatfreien
Medium, wenn auch keine neuen Spicula mehr gebildet werden können,
die schon gebildeten wieder aufgelöst werden sollen. Man könnte
daran denken, daß doch Kohlensäure, zwar nicht die der künstlichen
Mischung, sondern die vom Schwämmchen ausgeatmete, zur Auflösung
beiträgt. Zwar wird ja auch in normalem Wasser solche Kohlen-
säure als ein Produkt des Schwämmchens an dessen Oberfläche auf-
ArehW f. BniwickluDgsmecbaDik. XXll. 38
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590 Otto Maas
treten ; aber da befinden sich die Bikarbonate im Wasser selbst, und
die Nadeln brauchen darum nicht angegriflfen zu werden. Es wäre dann
die Atmung, bzw. die Eohlensäureproduktion des Schwämmchens als
eine Mithilfe beim natürlichen Bildungsprozeß der Nadeln anzusehen,
der ja durch besondere Zellen geschieht. Damit wttrde überein-
stimmen, daß auch hier bei der Auflösung, wie schon früher be-
schrieben (1904), besondere Zellen tätig sind, die als Spiculoklasten
bezeichnet werden können (s. u. S. 591) und femer, daß die Auf-
lösung von Nadeln auch unterbleiben, bzw. ganz unmerklich werden
kann, wenn sehr zahlreiche Spicula bereits vorhanden sind, wie beim
Erwachsenen, so daß die wenigen, durch den Versuch der Spicula-
neubildung angegriflFenen Nadeln vor der Masse der übrigen nicht zu
sehen sind.
In der Tat war bei Erwachsenen, 1—2 cm hohen Syconen,
an denen ich in Triest experimentierte, und die am 1., 2., 3. und
5. Tag der Einwirkung des karbonatfreien Wassers untersucht und
konserviert wurden, keine Abschmelzung bei den Nadelmassen zu
sehen, so sehr auch der Weichkörper verändert war; ebensowenig
bei kleinen Syconen von nur 2 — 3 mm Höhe, jedoch vollkommener
Tuben- und Nadelausbildung, die ich in Neapel zum Vergleich pro-
bierte, und auch nicht bei Ascetta primordialis, die ein starkes
Skelet an Drei- und Einstrahlem aufweist. Dagegen waren bei Leu-
cosolenia Uanca, die nur Dreistrahler und zwar verhältnismäßig
wenige, in der Wandung der Röhre, und überhaupt keine Einstrahier
besitzt, bei der also die Quantität des im Körper selbst vorhandenen
Karbonats nur gering ist, die Nadeln sehr stark angenagt, schon nach
eintägiger Einwirkung des karbonatfreien Wassers.
Die an ganz jung metamorphosierten Stadien beobachtete Ab-
schmelzung ist recht gering im Vergleich zu den früher (1904) mit-
geteilten Erscheinungen der Nadelauflösung an Stadien, die bereits
einen Hohlraum gebildet hatten. Ob daran die Verschiedenartigkeit
der Lösung oder des Alters schuld ist, kann ich wegen Mangels an
Kontrollversuchen nicht entscheiden. Jedenfalls vermögen die Zellen
des Spongienkörpers, bzw. der Larve, noch ehe ein rich-
tiger Gastralraum mit schlagenden Geißelzellen gebildet ist,
Stoffe aus dem Wasser aufzunehmen. Dies zeigt sich schon in
der Normalentwicklung dadurch, daß die Nadeln so frühe (manchmal
einige schon vor dem Festsetzen) und in solcher Menge sofort nach
dem Festsetzen erscheinen, wenn die Gastralzellen noch eine wirre
Masse bilden. Es müssen also da schon die Karbonate aus dem
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über die Einwirkung karbonatfreier und kalkfreier Salzlösungen nsw. 591
Seewasser au%enommen werden, and es ist darum sehr fraglich, ob
die Aufnahme dieset Stoffe durch die Kragengeißelzellen geschieht.
Höchstens müßte man annehmen, daß dies schon während des Larven-
lebens durch die Geißelzellen der Amphiblastula geschehen sei, und
daß die aufgenommenen Stoffe dann dem übrigen Körper mitgeteilt,
worden seien. Dies erscheint aber eine gezwungene Vorstellung.
Jedenfalls sind hier bei der anormalen Aufnahme bzw. Ver-
arbeitung von Stoffen in einem frühen Stadium ohne Gastralraum
in erster Linie die Dermalzellen beteiligt, nicht die Gastralzellen.
Man sieht die ersteren sich mit Körnern beladen, in gleichem Maße
als die Spicnla nach und nach verschwinden. Solche an den Nadeln
gelegenen Zellen können dann als Spiculoklasten bezeichnet werden;
wahrscheinlich sind sie mit den späteren Porenzellen identisch. Auch
MiNCHiN hat bei erwachsenen Asconen die Aufnahme von Karbonat-
partikeln durch diese Zellen beschrieben (1898). Wenn die Ent-
ziehung auf etwas vorgerttckteren Stadien einsetzt, erscheinen auch
die Gastralzellen an der Aufarbeitung des bereits in den Spicula ge-
wesenen Karbonats beteiligt. Auch sie werden yon Granulis angefüllt,
die die gleichen Beactionen wie die in den dermalen Spiculoklasten
zeigen. Aufsichts- und Schnittpräparate geben hier einigen Auf-
schluß; doch ist das histologische Bild niemals so tadellos, weil Kon-
seryierungs- und Färbungsmethoden angewendet werden müssen, die
die Kalkgebilde nicht zerstören und die leicht vergänglichen jungen
Nadeln überhaupt nicht angreifen; sonst wären ja Verwechslungen
mit den durch das Medium verursachten Abschmelzungserscheinungen
unvermeidlich. Die besten Resultate ergibt die Methode von Len-
denfelds und UsBANs, Konservierung mit absolutem Alkohol und
Färbung mit Anilinblau (1905, S. 33). Dabei wird alles Karbonat
geschont, und alle Umwandlungsprodukte, Körner usw. werden ent-
sprechend gefärbt. An solchen Präparaten kann man sich von dem
Vorhandensein von Nadelresten, die dann in einzelne Partikel zer-
fallen, und in veränderter Form in die aufnehmenden Zellen über-
gehen, durch Umwandlungsstufen überzeugen.
Die Histologie des Dermalepithels ist sonst in dem karbonat-
freien Medium, wenn die Entziehung nicht zu lange dauert, wenig
von der normalen unterschieden. Es tritt zunächst noch keine Locke-
rung ein, sondern die Dermalzellen bilden in der durch Metschnikoff,
BiDDER und MiNCHiN bekannt gewordenen Hammerform einen fest-
schließenden Überzug, der die Gastralzellen nicht herausquellen läßt.
In diesen ist zunächst noch Vermehrung durch Caryokinese zu
38*
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592 Otto Maas
sehen und der Versuch zur Ordnung und zur Bildung eines Hohl-
raumes; je länger aber die Entziehung dauert, desto unregelmäßiger
wird dies. Wie früher beschrieben, kann der bereits gebildete Hohl-
raum kollabieren, während die Zellen ihre Kragengeißelausbildong
wieder aufgeben; wenn nun vor der völligen Ausbildung des Hohl-
raums und vor der histologischen Differenzierung der Eragenzellen
die Wirkung der Earbonatentziehung sich geltend macht, so tritt der
indifferente »pupale« Znstand, in dem das Schwämmchen einer
scheinbar wirren Masse verschiedener dicht gelagerter Zellen gleicht,
um so früher wieder ein. Die Gastralzellen erscheinen, je mehr sie
sich mit Körnern füllen, histologisch um so indifferenter, ballen sich
zusammen und lassen von einem Hohlraum bald nichts mehr erkennen.
Dermalzellen liegen unter ihnen, ebenfalls im Innern, wahrscheinlich
die erwähnten Porenzellen. War die Bildung des Hohlraums zu Be-
ginn der Entziehung bereits weiter vorgeschritten, so zeigen sich in
seinem Lumen die früher beschriebenen Conglomerate von Zellen und
Detritus (1904 a, S. 10). Solche treten hier auch auf, noch ehe es
zur Bildung eines Osculums gekommen ist; sie sind also nicht von
außen herein gekommen; auch kann nicht an eine Verwechslung mit
Protozoen (z. B. Infusorien) gedacht werden, die sonst an absterbende
Schwämmchen herangehen; vielmehr zeigt es sich deutlich, daß mit
zunehmender Degeneration mehr und mehr absterbende Gastralzellen
samt ihren Körnern von Porenzellen aufgenommen und so nach außen
befördert werden.
Auch die histologischen Veränderungen, die an kleinen und
größeren ausgebildeten Syconen, nach Einwirkung von karbonatfreier
Mischung eintreten, sind ähnlich. Im Inneren des Tubar-Hohlraums
zeigt sich Detritus mit Porenzellen ; die Gastralzellen geben ihre histo-
logische Ausprägung auf, ballen sich zusammen. Der Hohlraum
wird dadurch mehr und mehr eingeengt und kann schließlich, wie
bei kontrahierten Asconen ganz verschwinden. Ähnlich sind auch die
Wirkungen, die sich bei Asconen selbst (z. B. Ascettaprimordialis) nach
längerer Karbonatentziehung zeigen: zuerst AusfllUung des Hohlraumes,
dann weitere Zusammenballung der Gastralzellen, so daß es aussieht
bei flüchtiger Betrachtung, als sei ein von Larven erfüllter Weich-
körper vorhanden. Ähnliche Bilder haben bei Syconen, wie es scheint,
Masterman nach UberfUtterung (1894), Bidder (1895) bei längerem
nicht zusagendem Aquariumsaufenthalt erhalten. Sie traten noch mar-
kanter und mit weiteren Folgeerscheinungen bei völliger Kalk- (auch
S04Ca-) Entziehung an erwachsenen Syconen ein und sollen im
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über die Einwirkung karbonatfreier und kalkfreier Salzlösungen usw. 593
Anschluß an deren Wirkung auf die jung angesetzten Stadien jetzt
noch beschrieben werden.
0. Nachträgliche Entziehung aller Kalksalze.
(Überfbhrung in die nur aus den Na- und Mg -Salzen bestehende
Mischung.)
Exemplare, bei denen die Überführung in das völlig Ga-freie Me-
dium sehr bald nach der Metamorphose geschieht, wenn die Nadeln noch
einen wirren Besatz bilden, zeigen die Wirkung sehr deutlich schon
bei Beobachtung am lebenden Objekt und zwar besonders an den
Nadeln. Schon nach wenigen Stunden (vom Vormittag auf den Nach-
mittag) ist der dichte Nadelpelz am Schwämmcheu verschwunden,
oder von ihm abgefallen; im Inneren sind noch wenige Nadeln sicht-
bar. Das Gewebe erscheint kompakt, trüb, eine Zweischichtigkeit
ist nicht erkennbar; ein Hohlraum wird nicht mehr ausgebildet. Am
andern Tag sind die letzten Nadeln im Schwammkörper verschwun-
den; die übrig gebliebenen Nadeln liegen davon ganz getrennt, wie
wenn sich das Schwämmchen kontrahiert und die Nadeln zurück-
gelassen hätte; der Weichkörper zeigt Anzeichen des Eingehens;
meist wurden darum die Exemplare konserviert, ehe es zu spät war.
An Aufsichtspräparaten solcher Stadien zeigt sich das Dermalepithel
merklich gelockert; zwischen manchen der hammerförmig kontra-
hierten Zellen sind deutliche Lücken vorhanden, an denen öfters die
innere Masse von Zellen bruchsackartig herausquillt; in andern Fällen
treten die Dermalzellen einzeln heraus, bilden weitverzweigte amöboide
Netze, wie es auch bei der Normalentwicklung manchmal vorkommt,
nur daß hier die Zellen sich noch viel weiter vom Schwamm-
körper entfernen und schließlich ganz vereinzelt herumliegen. Die
innere Masse von Zellen läßt auf diesen früheren Stadien selten eine
Spur des Gastralraumes erkennen, ist vielmehr meistens kompakt;
Granula sind nicht in den Dermalzellen, sondern in Zellen der inneren
Masse zu sehen. Die Zwischensnbstanz ist auffallend schwach ent-
wickelt; namentlich im Vergleich zur anormal dicken Lage, die sie bei
den im karbonatfreien Medium gezüchteten Larven bildet. Auch in
der Normalentwicklung ist auf solch frühen Stadien die Ausbildung
der Grundsubstanz sehr gering ; wo Nadeln reichlich entwickelt sind,
tritt sie naturgemäß zurück und an andern Stellen ist sie oft nur
virtuell vorhanden ; der Schwammkörper besteht dann fast nur aus zwei
Epithellagen. Daher auch in früheren Arbeiten meine > Stiefmütter-
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594 Otto Maas
liehe« Behandlnng der Grnndsabstanz, die gerade im karbonatfreien
Medium sich breit macht.
Alle diese histologischen Veränderungen, die das Ca-ireie
Wasser bewirkt, zeigen sich noch ausgesprochener bei Einwirkung
auf etwas späteren Stadien, wenn ein kleiner Hohlraum gebildet ist,
und sich die Nadeln zu ordnen anfangen. Nur gerade an den Nadeln
selbst treten die Störungen nicht mehr so hervor; das massenhafte
Herausfallen ist nicht mehr zu beobachten ; wahrscheinlich deswegen,
weil sich auf diesem Stadium die Nadeln von ihren Bildungszellen
emanzipiert haben und untereinander ein sich gegenseitig stutzendes
Gerüst von Stangen bilden, so daß das Auseinanderweichen der Zellen
ihren Zusammenhalt nicht mehr stören kann. Eine Auflösung der
im Inneren liegenden Nadeln kann deutlich beobachtet werden; an
Schnittpräparaten sieht man die Nadeln am einen Ende öfters noch
erhalten und dann in Reihen von Körnern übergehen, die der Nadel-
form entsprechen. Die Gastralzellen ballen sich zusammen und bilden,
indem der Hohlraum eingeht, mit Porenzellen und andern Elementen
zusammen eine kompakte Masse; die Dermalzellen können ganz in
Verlust geraten, und die übrige kompakte Masse bildet dann, ohne
mehr einen wirklichen Zusammenhang mit dem Nadelgerüst zu haben,
den Rest des Schwämmchens, bevor es eingeht. Inwieweit es noch
bei Zusatz von normalem Wasser zu einer Erholung kommen kann,
darüber sind meine Versuche noch nicht abgeschlossen.
Die Bilder solcher seitab der Nadeln liegenden Zellstränge stellen
eine weitere Stufe der Involutionserscheinungen dar, wie sie schon
bei karbonatfreiem Wasser eintreten können. Am ausgesprochensten
erscheinen sie bei der Einwirkung auf erwachsene Syconen, wo der
Prozeß so weit gehen kann, daß er einer natürlichen Gtemmnlation
ähnelt. Bereits von Bidder ist der Vergleich solcher Degenerations-
erscheinungen bei Sycon im Aquarium mit der Gemmulation der
Spongillen gemacht worden; auch Mastebman hat (1. c.) beschrieben,
wie die Geißelzellen bei Überftttterung amöboid werden, so daß es zu
völligem Schwund der Kammern kommen kann, und der Schwamm
selbst zu einer amöboiden Masse wird.
Der Prozeß hier in dem kalkfreien Wasser geht wie jeder pa-
thologische Prozeß nicht mit solcher Regelmäßigkeit vor sich, daß
man die Degenerationsstadien einfach durch Konservierung in ent-
sprechenden zeitlichen Abständen erhalten kann ; vielmehr ist bald
das eine, bald das andre Objekt stärker verändert, trotz gleichzeitiger
Konservierung. Die Nadeln sind, auch wenn der Weichkörper sehr
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über die Einwirkung karbonatfreier und kalkfreier Salzlösungen usw. 595
schnell degeneriert, nod gerade dann am ehesten, in ihrer Gerüst-
anordnnng, wie im einzelnen erhalten. Auch dies spricht wieder
dafür, die ev. Abschmelzang als dnrch den Schwammkörper und
nicht durch das Medium bedingt anzusehen. Der Weichkörper zeigt
aber bei solch rapider Veränderung nicht die früher erwähnten Invo-
Itttionserscheinungen an den Zellen, sondern solche, wie sie auch beim
natürlichen Faulen eintreten. Die Dermalzellen sind fast verschwun-
den; das Geißelepithel ist nur noch in dünnen Zellresten in den Tuben
enthalten; Goncrementballen in deren Hohlraum kommen nicht vor.
Die geronnene Intercellularsubstanz bildet Stränge zwischen den
Resten des Geißelepithels und den Nadeln.
Umgekehrt können selbst bei längerer (dreitägiger) Einwirkung
des kalkfreien Mediums die Veränderungen nur gering sein, so daß
man sich fragen würde, ob das Wasser wirklich kalkfrei gewesen
ist, wenn man nicht durch wiederholten Wechsel dessen ganz sicher
wäre. Man müßte höchstens annehmen, daß durch eine sehr leb-
hafte Kohlensäureproduktion seitens der Schwämmchen selbst eine
Anzahl von bestehenden Nadeln aufgelöst worden wäre, und so das
Wasser wieder neuen, wenn auch minimalen Kalkgehalt aufweise; doch
zeigen auch diese Exemplare kaum Veränderungen in ihrem Nadel-
bestand. Wohl sind gerade bei dem in der Wand liegenden (nicht
bei den herausragenden) Nadeln Abschmelzungs- und Auflösungser-
scheinungen zu sehen, aber diese sind verschwindend gegenüber der
Masse der erhaltenen Nadeln. Doch zeigt eine charakteristische Ein-
zelheit sehr deutlich, daß man nicht normal wachsende Schwämmchen
vor sich hat. Sonst sind an der Umschlagstelle des Dermalepithels am
Oscularrand (dem sog. »oscular rim« Minchins) stets in Bildung be-
griffene Nadeln, junge Dreistrahler zu sehen. Hier fehlen diese, aber
man sieht die bewußten, von Minchin zuerst beschriebenen Kleeblatt-
und Sextett-Figuren*) der Bfldungszellen, nur eben ohne Ausscheidung
1) Daß zu diesen Dreistrahlern in späteren Stadien ihrer Bildung mehrere
Zellen gehören, habe ich bereits in früheren Arbeiten über Sycon erwähnt (1898,
1900) und auch die Anordnung dieser Bildungszellen in »charakteristischen
Gruppen« in meinen experimentellen Arbeiten (z. B. 1904, S. 14) hervorgehoben.
WoODLAND, der wegen einiger abweichender Befunde in der Nadelentwicklung,
die von ihm bei ausgebildeten Syconen andrer Species studiert worden ist,
gegen mich polemisiert, scheint diese letzteren Arbeiten gar nicht zu kennen;
denn sie werden, trotzdem sie Theoretisches und Tatsächliches zur Nadelbildung
enthalten, in seinen ausführlichen »considerations« über Kalkabsonderung über-
haupt nicht erwähnt. Das kann übrigens nicht wundernehmen, da er auch andre
und wichtigere deutsche Arbeiten über gleiche und ähnliche Fragen, z. B. die
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596 Otto Maas
von Karbonat. Aach kann man bei genauerem Verfolgen der Schnitt-
8erien in einzelnen Taben nnd auch im Hauptgastralraum Detritufi-
ballen mit Zellresten (s. o. S. 594) sehen, sowie an manchen Stellen der
Tuben geballte Gastralzellen. Auch das Dermalepithel ist verändert
und gelockert.
Ganz anders und dem Gemmulationsprozeß ähnlich wird das
Bild bei langsamer, aber lange fortschreitender Umänderung
des salzigen Mediums. Der Weichkörper ist dann vom Skelet ganz
getrennt, bzw. zurückgezogen und in einzelne kompakte, verzweigte
Stränge zerfallen, die Vom Skelet ganz unabhängig verlaufen. Die
Nadeln selbst sind intakt, dagegen ist ihre Anordnung in den Tuben
und im Gastralraum nicht mehr regelmäßig. Die Zellstränge selbst
sind durchaua keine tote oder absterbende Masse, sondern zeigen im
Leben lebhafte amöboide Erscheinungen und auch am konservierten
Material die Anzeichen lebhafter Lebenstätigkeit. Sie sind wohl als
weitere Rückbildung des kompakten »^coTi-Stadiums« zu deuten, bei
dem Gastral-, Poren- und X-, d. h. Amöboidzellen eine zusanmien-
hängende Masse bilden. Der Zusammenhang ist hier ein tatsäch-
licher, indem sich die einzelnen Zellen nicht nur berühren, sondern
miteinander in Verbindung treten können, so daß eine Art Syncytiom
hergestellt wird. Auch geben manche der kleineren Zellen ihre Indivi-
dualität noch weiter auf, indem sie von den großen porenzellenähn-
lichen Elementen aufgenommen werden. Hier findet also wirklich ein
Freßprozeß statt, wie ihn Delage für die normale Metamorphose
von BüTSCHLi, Biedermann, F. E. Schulze, ignoriert und da er meine Arbeit
offenbar nur aus dem »Zoological Record« kennt. Den Ton seiner Polemik zu
beurteilen überlasse ich den Fachgenossen. Sachlich möchte ich nur bemerken,
daß ich mich heute ebensowenig wie früher bei jungen Syconen von der Ent-
wicklung der Dreistrahler aus drei getrennten Stücken überzeugen konnte. Die
von WooDLAND angewandte Behandlung mit Osmiumsäure und Pikrokarmin ist
ilir die Nadeln junger Syconen jedenfalls nicht geeignet, da sie die Bildungs-
stadien der Nadeln zerstört und mindestens stark angreift. Ich mOchte, wenn
ich an einem solchen Präparat den Dreistrahler aus drei Stücken bestehen sehe,
daraus noch keinen Schluß auf seine Genese machen. Wie die allererste Ent-
stehung des Concrements zu den Zellen oder der Zelle erfolgt, wird bei der
Kleinheit und Vergänglichkeit der Gebilde stets eine sehr schwierige Frage
bleiben. Vielleicht werden hier die zu erwartenden eingehenden Studien Ham-
mers Aufklärung bringen. Daß die großen Einstrahier bei den von mir stu-
dierten Arten mehrere Bildungszellen aufweisen, muß ich ebenfalls aufrecht
erhalten, auch wenn analoge Nadeln laut Woodland bei andern Syconen nur
zwei Bildungszellen haben, ebenso daß die kleinen Einstrahier nur eine Bildungs-
zelle besitzen.
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über die Einwirknng karbonatfreier und kalkfreier Salzlösungen usw. 597
annahm, aber unter pathologischen Umständen. Daß aber solche ge-
fressenen Gastralzellen wieder aasgestoßen nnd funktionsfähig würden,
scheint anch hier gänzlich ausgeschlossen; denn sie werden von den
größeren Zellen wirklich resorbiert und ihr Zellleib zerstört, wenn
auch der Kern mitunter etwas länger erhalten bleibt und färbbar ist.
Ein solcher Freßprozeß an sich ist aber nichts Merkwürdiges, denn
er findet auch (und unter ähnlichen Erscheinungen der Tinktionsmög-
lichkeit) bei der Eibildung statt, nur daß es Zellen gleicher Kate-
gorie dort sind, deren eine die andre aufnimmt.
Die Stränge schnüren sich weiter ein und die einzelnen Teile
trennen sich ab, so daß dadurch ovale und runde Körper entstehen
und die Ähnlichkeit mit Gemmulis um so größer wird. Auch diese
kleinen Körperchen sind nicht abgestorbene Massen, sondern zeigen
noch mannigfache Bewegungen der Zellen. Ob die Analogie mit
Gemmnlis so weit geht, daß sie auch wieder ein kleines funktionie-
rendes Schwämmchen herstellen, Geißelzellen und Nadeln wieder neu
bilden können, darüber habe ich noch keine genügenden Untersu-
chungen angestellt. Aber einiges was ich bei nochmaliger nachträg-
licher Überführung dieser »Gemmulae« in normales Seewasser be-
obachten konnte, scheint mir diese Möglichkeit zu bejahen. Man wird
dabei an die von R. Hertwig, von E. Schultz (1906) (an Hydra)
und besonders von Deiesch (1905) bei Ascidien beschriebenen Invo-
lutionserscheinungen erinnert, die durch Einwirkung anormaler Ein-
flüsse und Medien hervorgerufen wurden. Die Erscheinungen können
auch hier zum Teil morphologisch als ein Zurückgehen auf einen
jüngeren Zustand aufgefaßt werden. Auch hier versuchen femer die
Objekte nach Driesch, »allegorisch gesprochen«, schwierigen »Lebens-
umständen, zunächst Zurückgezogenheit und Inaktivität entgegenzu-
setzen, dann aber nach gewisser Zeit den Kampf mit ihnen in ver-
ringertem Maßstabe wieder aufzunehmen«.
Jedenfalls darf die Einwirkung des abnormen Mediums hier nicht
zu lange dauern, wenn noch Erholung möglich sein soll oder es müßte
zu einer Art schützender Hülle um die abgetrennten Zellmassen
kommen. Davon habe ich aber bis jetzt nichts gesehen. Die Unter-
suchung soll bei Gelegenheit noch weiter geführt werden und dabei
dann auch auf andre meiner Beobachtungen über »pathologische
Anatomie der Spongien« eingegangen werden, die diesmal mit Ab-
sicht von mir nicht berührt worden sind.
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598 Otto Maas
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1906. Firenze.
LoEB, Jacques, Untersuchungen über künstliche Parthenogenesis. Deutsch von
Prof. Erkst Schwalbe. 532 S.
Es ist sehr erfreulich, daß wir dieses bedeutende Werk nun auch in
deutscher, sehr klarer Darstellung besitzen.
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X. Jahrg. 1904 u. 1905. Wiesbaden.
Magnus, Werner, Regenerationserscheinungen bei Pflanzen. Naturwissensch.
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MA&GKS Lehren vom organischen Zweckmäßigen. Politisch-anthropolog.
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Das verteilende Prinzip und die mechanische Causalität bei Kant und im
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schaften an Larven von Echinus. Deutsche Med. Wochenschr. 1906. Nr. 31.
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THER. Leipzig. 67 S.
RiBBERT, H., Beiträge zur Entstehung der Geschwülste. Ergänzung zu des Ver-
fassers: »Geschwulstlehre für Ärzte und Studierende«. 1906. 114 S. Bonn.
ScHiEFFERDECEER, Über die »minimalen Räume« im Körper. Sitzungsber. d.
Niederrhein. Ges. f. Nat. u. Heilk. zu Bonn. 1906. 5 S.
Schwalbe, Ernst, Die Morphologie der Mißbildungen des Menschen und der
Tiere. Ein Lehrbuch für Morphologen, Physiologen, praktische Ärzte und
Studierende. H. Teil: Die Doppelbildungen. Mit 2 Taf. u. 394 Textfig.
410 S. Jena 1907.
Schwalbe, G., Über das Gehirn-Relief der Schläfengegend des menschlichen
Schädels. Zeitschr. f. Morphol. u. Anthropologie. Bd. X. 1906. 93 S.
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ren LinsenbildungBzellen. Gompt. rend. du ß^^ Gongr. Internat de Zoologie.
1904. Bern. Ausführlich: Zool. Anz. Bd. 2a Nr. 11. Jan. 1906.
Über eine neue Methode der embryonalen Transplantation. YerhandL d.
Deutsch. Zool. Ges. 1906.
Über embryonale Transplantation. Vortrag. Vers, deutsch. Naturf. u.
Ärzte 1906 zu Stuttgart. Naturwiss. Rundschan. 1906. Nr. 41 n. 42.
Starzewski, J., Die Schwangerschaft — eine Infektion. Wiener Mediz. Presse.
1906. Nr. 36-37.
Tandler, Jul., Zur Entwicklungsgeschichte der arteriellen Wundemetze. Verh.
d. Anat. Ges. in Genf. 1905. Acat Anz. AusfUhrl.: Anat. Hefte. Nr. 94.
Tur, Jan, Sur le d6veloppement anormal du parablaste dans les embryons de
poule (parablaste sous-germinal). Bull. Soc. Philomath. de Paris. 1906. 16 p.
Voechting, Über die Regeneration und Polarität bei höheren Pflanzen. Bot
Zeitg. 1906. Heft 6-8.
Über die Regeneration der Araucaria cxcelsa. Jahrb. f. wiss. Bot. XL.
Heft 1.
Druck von Breitltopf ft H&rtel in Leipzig.
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Verlag von Wilhelm Engelmann in Leipzig
Soeben erschien:
amerikanisches
Hochschulwesen
Eindrücke und
Betrachtungen
von
Dr. W. Böttger
Privatdozent an der Universität Leipzig
5 Bogen gr. 8. Jl 1.50.
Über Organbildende Substanzen
und ihre Bedeutung für die Vererbung
Nach seiner am 21. Juni 1906
in der Aula der üniTersität Leipzig gehaltenen Antrittsvorlesung
Prof. Dr. Carl Rabl,
Direktor des anatomischen Instituts in Leipzig
5 Bogen gr. 8. uT 1.20.
Die Mneme
als erhaltendes Prinzip
im Wechsel des organischen Geschehens
von
Richard Semen.
& 1904. uT 6.— ; in Leinen geb. Jl 7.—.
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Inhalt des Tierten Heftes.
Sdtt
Gustav Torniee, Der Kampf der Gewebe im Begenerat bei Mißverhalten
des Unterhautbindegewebes. (Mit 9 Fig. im Text) 461
OüBT Herbst, Vererbungsstudien. IV. Das Beherrschen des Hervortretens
der mütterlichen Charaktere (Kombination von Parthenogenese und
Befruchtung.) (Mit Taf. XIV.) 473
Alfred Fischel, Über Bastardienmgsversuche bei Echinodermen. (Mit
22 Fig. im Text.) 498
Alfred Fischel, Zur Entwicklungsgeschichte der Echinodennen. I. Zur
Mechanik der Zellteilung. II. Versuche mit vitaler Färbung. (Mit
10 Fig. im Text) 526
Victor £. Emmel, The Regeneration of Two »Crusher-Claws« following the
amputation of the Normal Asymmetrical Chelie of the Lobster [Homarus
americanus], (With Plate- XV.) 542
T. H. Morgan, The Influence of a Strong Centrifugul Force on the Frog's
Egg. ^ (With Plate XVI and XVII.) 553
H. Braus, Über das biochemische Verhalten von Amphibienlarven .... 564
Otto Maas Über die Einwirkung karbonatfreier und kalkfrcier Salzlösungen
auf erwachsene Kalkschwämme und auf Entwicklungsstadien derselben 581
Literatur 600
Verlag von Wilhelm Engelmann in Leipzig
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Soeben ist erschienen:
RUDOLF VIRCHOW
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Briefe an seine Eltern l
1839 bis 1864
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Herausgegeben von MARIE RABL^ geb.Virchow 'i
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Mit einer Heliogravurey drei Vollbildern und einem Brief in Auto- j|
graphie, 16 Bogen 8. Preis geh, Mk.'5. — ; in Leinen geb. Mk. 6. — . '
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Diesem Heft ist -ein Prospekt aber Kassowitz, Allgemeine Biologie von Moritz
Perles in Wien, ein Antiquariatskatalog über Anatomie und Physiologie von der
Buchhandlung Gustav Fock in Leipzig, femer ein Prospekt über Rudolf Virchow,
Briefe an seine Eltern von Wilhelm Engelmann, Leipzig, beigelegt.
Druck von Breitkopf & Härtel in Leipzig.
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Atr/uv für Kntwicklu/u/smecha/ük Iki.XXU.
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Verld g vA^llhehnEngdinaim ui Leipzig
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ArchJy für Eniwicklungsmedianik Bd. XXII.
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Vei laq V Wilhelm Engelniaim in Leipzig
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Archiv für EnJwickliuujsmec/umik Bd. XXII.
Tüf.Jn.
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Verlag v Wilhelm Engdmann iriLeipzig
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Archiv für Entwicklunffsmechanik. Bd. XXII.
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Verltg von Wilhelm
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Taf. IV.
Ingelmann in Leipzig.
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ArchJv für Entwirklungsrnecfin/Uk Bd. XXII.
Td: V.
Verlag v \VillieljnEngelmarm iiiLe:p.:g
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irchiv für Eniwicklungsmechanik Bd. XXIL
Fig. 39.
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Verlag von Wiltaelm Ei
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Jirchjur far ETittincJdunffsmjecJumik BdU HE.
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Irchü^ für KntHi.c}danffS7fiech/inik Bd. XXII.
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Archiv für Entwicklungsmechanik Band XXII.
Tafel XIII.
Zu G. Pommer, Ein anaiom. Beitr. eU
Pkotogr. V. PreuParator N. Bock.
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Verlag von Wilhelm Engelmann in Leipzig.
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Archiv für EnttvicUungsinechanik, Bd, XXIL
Taf. XV.
Verlag von Wilhelm Engelmann in Leipzig.
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Archiv für Entwicklungsmechanik Bd, XXIL
10
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Morgan.
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Verlag von Wilhelm I
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Taf, XV L
12
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14
16
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Igelmann in Leipzig.
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Archiv für BJntwieklungsmechanik. Bd. XXII.
Taf. XVIL
Morgan.
Yerlag von Wilhelm Engelmann in Leipzig.
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