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Archiv
Mikroskopische Anatomie
herausgegeben
Max Schultze,
Professor der Anatomie und Director des Anatomischen Instituts
ın Bonn.
Siebenter Band.
Mit 30 Tafeln, 1 Phototypie und 1 Holzschnitt.
Bonn,
Verlag von Max Cohen & Sohn.
1871.
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Inhalt.
Die Flughaut der Fledermäuse, namentlich die Endigung ihrer Nerven.
Von Dr. Jos. Schöbl in Prag. Hierzu Tafel I—V.
Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle im Bindegewebe, und Be-
merkungen über die Structur des Letztern. Von Dr. W. Flemming.
Hierzu Taf. VI, VO und VII.
Beitrag zur Anatomie der Retina vom Frosch, Salamander und Triton.
Von Dr. Edmund Landolt. Hierzu IX.
Weitere Studien über die Entwicklung der einfachen Ascidien. Von Prof.
A. Kowalevsky. Hierzu Taf. X, XI, XII und XI.
Ueber Schwärmerbildung bei Noctiluca miliaris. Von Prof. L. Cien-
kowski. Hierzu Taf. XIV und XV...
Beiträge zur Mikroskopie. Von G. Valentin.
ll. Die doppelt brechenden Eigenschaften der Embryonalgewebe
Ueber die erste Entwickelung des Herzens und der Pericardial- oder Herz-
höhle bei Bufo einereus. Von Dr. Josef Oellacher, Prosector am
anatomischen Institut zu Innsbruck. Hierzu Taf. XV.
Beiträge zur Kenntniss der Nerven, Blut- und Lymphgefässe der Kehl-
kopfschleimhaut. Von Dr. Boldyrew aus Kasan
Ueber ein Mikrotom. ‚Briefliche Mittheilung an den Herrn Herausgeber.
Von Dr. Alexander Brandt in St. Petersburg. Mit einem Holz-
schnitt .
Essigsaures Kali zum Aufbewahren mikroskopischer Präparate. Von Max
Schultze
Die Schnauze des Maulwurfs als Tastwerkzeug. Von Dr. Th. Eimer
Privatdocent und Prosector der Zootomie zu Würzburg. Hierzu
Taf. XVII.
Beiträge zur Lehre vom Amnion. Von Dr. S.L. Schenk, Assistenten am
physiologischen Institute der Wiener Universität. Hierzu Taf. XVII
Ueber das Gehörorgan der Gasteropoden. Von Prof. Dr. F. Leydig in
Tübingen. Hierzu Taf. XIX.
Seite.
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100
. 166
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. 180
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192
. 202
Seite.
Beiträge zur Mikroskopie. Von G. Valentin.
III. Das Ocularspectroskop des Mikroskopes . ; 5 : . 220
Bemerkungen über einige die Anatomie der Labdrüsen betreffenden Punkte.
Von R. Heidenhain in Breslau \ k i 1 ; 2 . 239
Neue Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Retina. Von Max
Schultze. Hierzu Taf. XX. ß ? n i S 3 . 244
Das äussere Ohr der Mäuse als Tastorgan. Von Dr. Jos “chöblin
Prag. Hierzu Taf. XXI-XXIV.. ; - ; 5 e - . 260
Der Lichtdruck in seiner Bedeutung für die Mikrophotographie, unter
Beifügung von selbstgefertigten phototypischen Probebildern. Von H.
Landois und W. Thelen . ; i . c 3 i \ . 269
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. Von
Dr. Franz Boll, Assistenten am physiologischen Laboratorium der
Unversität Berlin. I. Hierzu Taf. XXV, XXVI, XXVH . r . 276
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle Von Dr. W. Flem-
ming, Proseetor und Privatdocent in Rostock. Hierzu Taf. XXVII. 327
Ueber Schwärmerbildung bei Radiolarien. Von Prof L. Cienkowski.
Hierzu Taf. XXIX. i > ; . 2 . . . } . 371
Zur Kenntniss der feineren Nerven der Mundhöhlenschleimhaut. Von Dr.
E. Elin aus Sibirien. Hierzu Taf. XXX. h B ; 4 382
Die Flughaut der Fledermäuse, namentlich die
, Endigung ihrer Nerven.
Von
Dr. Jos. Schöbl
in Prag.
Hierzu Tafel I—V.
Es ist eine von altersher bekannte Thatsache, dass die Fleder-
mäuse in ihrer Flughaut ein überaus feines Tastvermögen besitzen.
Besonders massgebend waren hiefür die bekannten Versuche
Spallanzani’s mit geblendeten Fledermäusen, welche trotz ihrer
Blindheit allen in verschiedenen Richtungen des Versuchslocales aus-
gespannten Fäden mit der grössten Geschicklichkeit und Sicherheit
auswichen.
Ich habe dieses Experiment zu wiederholten Malen auf eine
minder grausame Weise ausgeführt, indem ich verschiedenen Fleder-
mäusen, welche ich jahrelang in gezähmtem Zustand in meinem
Wohnzimmer hielt, die kleinen Augen vorsichtig mit einem Pflaster
verklebte, und gelangte stets zu denselben Resultaten.
Es ist daher nicht zu verwundern, dass man seit jeher in der
Flughaut der Chiropteren ein feines Tastvermögen, ja ein eigenes
Sinnesorgan vermuthete, ohne jedoch hierüber den exacten anato-
mischen Nachweis liefern zu können.
Es spricht zwar schon Cuvier von einem ungemeinen Nerven-
reichthum der Chiropteren-Flughaut, doch aus seiner Schilderung
geht, wie bereits Leydig bemerkt hat, mit Sicherheit hervor,
M» Schultze, Achiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 7, 1
2 Dr. Jos. Schöbl:
dass er elastische Balken mit Nerven verwechselt hat, was bei dem
Umstande, dass bekanntermassen Cuvier in der Handhabung des
Mikroskopes nicht eben Meister war, uns nicht Wunder nehmen kann.
In neuerer Zeit wurde die Chiropteren-Flughaut mit Zuhülfe-
nahme unserer modernen optischen Instrumente und aller so weit:
vorgeschrittener Untersuchungsmethoden zu wiederholten Malen unter-
sucht, und mitunter von Histologen ersten Ranges, ich meine vor
allen anderen F. v. Leydig, und dann Krause, doch in Bezug
auf Nervenendigungen ohne besondere Erfolge.
Leydig, dem wir die einzigen brauchbaren, dafür aber auch
vorzüglichen Daten über die Chiropteren-Flughaut verdanken, äus-
sert sich in Bezug auf den Nervenreichthum derselben sehr restrin-
girend. Krause sagt, dass esihm trotz der sorgfältigsten Durch-
musterung der Flughaut von Vesperugo Noctula nicht gelungen sei,
seine Endkolben oder anderweitige terminale Gebilde in derselben
aufzufinden.
Im Laufe des verflossenen Jahres habe ich die Chiropteren-
flughaut zum Untersuchungsobjecte gewählt, hauptsächlich in der
Absicht, um in derselben die Endigungen sensitiver Nerven aufzu-
finden. Die Resultate, die sich mir hierbei ergaben, haben meine
Hoffnungen noch weit überflügelt.
Ich habe vorzüglich Vesperugo serotinus zu meinen Unter-
suchungen benutzt, Anfangs einzig aus dem Grunde, weil er mir
zufälliger Weise in hinreichender Quantität zu Gebote stand, später
weil ich mich überzeugte, dass er sich unter den Chirepteren, welche
ich lebend erlangen konnte, am besten zur Untersuchung der Flug-
haut eignet. Ausserdem habe ich jedoch nicht unterlassen, andere
Arten, deren ich habhaft werden konnte, wie Vesperugo Noctula,
Vespertilio murinus, Rhinolophus hipposideros, Plecotus auritus, ver-
gleichend zu untersuchen.
Was die Untersuchungsmethoden anbelangt, so wurde zunächst
die ganz frische, bald injieirte, bald nicht injieirte Flughaut, nach
freilich äusserst schwieriger theilweiser Entfernung der Oberhaut,
in möglichst indifferenten Zusatzflüssigkeiten untersucht.
Dann wurde die Maceration in M. Schultze’s Jodserum, oder
in einem Gemische von Holzessig-Glycerin und Wasser mit gutem
Erfolge angewendet.
Ausserdem wurde verdünnte Essigsäure, Oxalsäure, Essigsäure-
Alkoholgemische in den allerverschiedensten Concentrationen und
Die Flughaut der Fledermäuse. 3
Mischungsverhältnissen, die Clarke’sche Flüssigkeit, das Moleschot’-
sche Gemisch, mitunter auch Natronlaugen und anderthalb kohlen-
saures Kali angewendet, welches letztere manchmal prachtvolle,
wenn auch sehr vergängliche Bilder ergab.
Zur Tinktion !wurde, wo sie überhaupt nothwendig war, zu-
meist Anilin angewendet, seltener Carmin. Das Chlorgold bewährte
sich wenig, trotzdem die Cohnheim’schen Vorschriften aufs gewissen-
hafteste befolgt wurden. Viel bessere Dienste leistete die Ueberos-
miumsäure.
Das zur Untersuchung hauptsächlich verwendete Instrument
stammt von Amici und besitzt ein vorzügliches Immersionssystem.
Bevor ich zur Betrachtung der Flughaut übergehe, erfülle ich
noch die angenehme Pflicht, Herrn Prof. Max Schultze für seinen
mir freundlich ertheilten Rath, der mich nach vorläufigem Abschluss
der Arbeit noch zu weiteren eingehenderen Untersuchungen anreste,
meinen herzlichsten Dank auszusprechen. Sonst bin ich Nieman-
dem zu Dank verpflichtet; ich hatte in der mikroskopischen Ana-
tomie keinen Lehrer, Niemand lehrte mich das Mikroskop hand-
haben, nirgends fand ich Anregung.
Die Chiropteren-Flughaut erscheint als eine Hautduplikatur,
gebildet durch die Verlängerung sowohl der dorsalen als der ven-
tralen Rumpfhaut, Epidermis und Maipighi’sche Schicht beider
Häute bleiben getrennt und bekleiden die beiden Oberflächen der
Flughaut, die beiderseitigen Lederhäute jedoch sind zu einer einzi-
gen Membran verschmolzen, welche sich in keiner Weise in zwei
Lamellen präpariren lässt und nicht die geringste Spur der statt-
gefundenen Verschmelzung darbietet. In dieser einfachen, zarten,
durchsichtigen, aus welligem Bindegewebe mit zahlreichen eingestreu-
ten Bindegewebskörperchen bestehenden Membran eingebettet liegen
die elastischen Balken, quergestreifte Muskeln, Blutgefässe, Haar-
bälge und deren Anhangsdrüsen, Nerven und deren Endigungen.
Oberhaut.
(Tafel V Fig. 1 und 2.)
Die Oberhaut besteht aus einer einfachen Lage schöner hexa-
gonaler Plättchen, welche an ihren verdünnten Rändern zu einer
continuirlichen feinen Membran verschmolzen sind.
Im natürlichen Zustande erscheint diese Membran vielfach und
zierlich, sowohl der Länge als der Quere nach, gefaltet und gefäl-
4 Dr. Jos. Schöbl:
telt, wodurch die ganze Flughautoberfläche in unregelmässige, drei-,
vier- und vieleckige Felder abgetheilt erscheint. Jedes dieser Felder
enthält drei bis acht Oberhautplättchen.
Von den Hauptfaltenzügen, welche diese Felder begrenzen,
gehen feinere sekundäre Fältchen in das Innere derselben, welche
sich zwischen die einzelnen Plättchen fortsetzen, so dass die einzel-
nen Plättehen stets nun durch diese feinen Fältchen aneinander-
stossen, wodurch in den obengenannten Feldern secundäre Felder-
chen entstehen, welche nicht die reguläre hexagonale Gestalt der
Oberhautplättchen besitzen, sondern mehr oder weniger abgerundet
drei- oder viereckig erscheinen. Jedes dieser secundären Feldchen
entspricht jedoch ziemlich genau je einen ÖOberhautplättchen, was
schon aus der Vertheilung der Pigmentkörnchen ersichtlich ist.
Die eigentliche Gestalt der Oberhautplättchen bekommt man
im natürlichen Zustande durch einfaches Abziehen der Epidermis
gar nicht zu Gesichte. Wendet man jedoch Alkalien an und übt
dann einen sehr mässigen Druck auf das Deckgläschen aus, so
verschwinden die Falten und die ganze Oberhaut erscheint aus
sehr regelmässigen sechsseitigen Plättchen zusammengesetzt.
Jedes Oberhautplättchen enthält braungelbe glänzende Pig-
mentkörner, welche in einer intramarginalen Zone angehäuft sind,
so dass das Centrum und die Ränder des Plättchen von ihnen frei
bleiben.
Die Plättchen der äusseren (dorsalen) Flughautoberfläche ent-
halten viel zahlreichere und dunklere Pigmentkörner als die der
inneren (ventralen).
Die Durchmesser der Epidermisplättchen beträgt 0,0222 Mm.
Das Stratum Malpighii.
(Tafel V Fig. 3 und 4.)
Die Malpighi’sche Schicht besteht aus zwei einfachen Lagen
dichtgedrängter, aber isolirter Zellen. Die äussere oberflächliche
Lage, welche beim Abziehen der Epidermis gewöhnlich an derselben
haften bleibt, enthält überaus viel und dunkles Pigment. Die innere
und tiefere Lage dagegen, welche bei Entfernung der Oberhaut
wenigstens theilweise an der Cutis haften bleibt, namentlich längs
der feinen Gefässe und Capillaren, ist pigmentlos dem Mundepithel
ähnlich.
Die Flughaut der Fledermäuse. 5
Die Zellen der äussern Lage der äussern (dorsalen) Flughaut-
oberfläche (Fig. 3) sind sehr polymorph, besitzen eine bald drei-
eckige, bald viereckige, bald polygonale, bald längliche Gestalt.
Ebenso variabel wie ihre Gestalt ist auch ihre Grösse; sie schwankt
zwischen 0,0074 Mm. und 0,0148 Mm. Ohne mit einander ver-
schmolzen zu sein, stossen sie mit ihren Rändern dicht aneinander
und bilden so eine continuirliche einfache Zellschichte.
Sie enthalten viel dunkles braunschwarzes Pigment, welches
nahezu die ganze Zelle erfüllt; nur der äusserste Rand und eine
schmale Zone um den colossalen Zellkern erscheint etwas blasser.
Die grossen Zellkerne, welche nahezu die Hälfte des Durch-
messers, ja bei den kleineren Zellen noch mehr betragen, enthalten
ungewöhnlicher Weise gleichfalls viel dunkles braunschwarzes Pig-
ment, wie es bereits von Leydig angegeben wurde. (Ueber die
äusseren Bedeckungen der Säugethiere in Reichert’s und Du Bois’
Archiv J. 1859 8. 677.)
Die entsprechenden Zellen der inneren (ventralen) Flughaut-
oberfläche (Fig. 4) sind weniger polymorph, mehr rundlich elliptisch
von Gestalt und variiren auch in Bezug auf ihre Grösse nur unbe-
deutend. Sie beträgt 0,0070—0,0078 Mm.
Sie stossen gleichfalls dicht aneinander und bilden eine conti-
nuirliche Schicht, enthalten jedoch selbst sowie ihre grossen Kerne
nur wenig und blasses Pigment.
Die unteren tiefer liegenden Malpighi’schen Zellen sind an bei-
den Flughautoberflächen einander gleich, meist rundlich oval von
Gestalt, pigmentlos und gieichen ganz und gar einem rundlichen
Pflasterepithel, wie es etwa in der Mundhöhle vorkommt. Sie bil-
den keine so continuirliche Schicht wie die vorigen und bleiben meist
zu beiden Seiten der Capillaren und feinen Stämmchen an der Cutis
haften (Tafel II).
Die Lederhaut.
Das Stroma der Flughaut besteht, wie bereits erwähnt, aus
welligem Bindegewebe mit zahlreichen Bindegewebkörperchen. In der
mittelsten Schicht der Flughaut, welche dem Unterhaut-Bindegewebe
der beiden Häute, aus deren Verschmelzung die Flughaut entsteht,
entspricht, ist das Gewebe etwas lockerer. In der Flankenflughaut,
und hier wieder im inneren Dritttheil derselben, sowie in der
Schwanzflughaut hat das Stroma die grösste Stärke, in den äussern
6 Dr. Jos. Schöbl:
Parthien der Flankenflughaut, und dann in den Einzelflughäuten
nimmt sie gegen die Spitze zu gradatim ab.
Im inneren Dritttheile der Flankenflughaut liegen, im Stroma
derselben an beiden Oberflächen colossale sternförmige Pigmentzellen
(Tafel V Fig. 5) im Durchmesser von 0,185 eingebettet, und um-
spannen auch grosse Nervenstämme (Tafel III). Im Stroma ein-
gebettet liegen alle folgenden Gebilde.
Elastische Balken.
(Tafel I, II und V.)
Die Anhäufung elastischer Fasern zu mächtigen Strängen oder
Balken, welche ein äusserst complieirtes Netzwerk in der Chirop-
teren-Flughaut bilden, wurde zuerst von Leydig (a. a. O.) an-
gegeben.
Die einzelnen Balken erscheinen auf ihrem Querschnitt quer-
elliptisch ungefähr zweimal so breit als hoch (Tafel V Fig. 6), ihre
Breite schwankt zwischen 0,0249 Mm. und 0,2905 Mm.; die Höhe
beträgt jedesmal die Hälfte.
Die die Balken zusammensetzenden elastischen Fasern besitzen
eine nahezu unmessbare Feinheit. Wo je zwei oder mehrere Bal-
ken miteinander zusammenstossen und anastomosiren, bilden sie
durch gegenseitigen Austausch von Fasern ein dichtes, filzartiges
(ewebe,
Längs ihres ganzen Verlaufes geben die elastischen Balken
zahllose Fasern von unmessbarer Feinheit in das Gefüge der Flug-
haut ab, die sich auf weite Strecken hin verfolgen lassen. Trotz
dieser Faserabgabe bleibt jeder einzelne Balken längs seines ganzen
Verlaufes gleich stark; nur an seinen beiden Enden, wo er mit
anderen anastomosirt, erscheint er breiter, dafür aber auch flacher.
In den einzelnen Flughautabtheilungen verlaufen die elastischen
Balken (Tafel I) in folgender Weise:
1. In der Flankenflughaut (demjenigen Theile der Flughaut,
der zwischen der Flanke, dem Ober- und Unterarm, dem kleinen
Finger und dem Ober- und Unterschenkel ausgespannt ist), befin-
det sich
a) ein System von Balken, welche nur sparsam Anastomosen oder
Gabeltheilungen bildend, vom Ober- und Unterschenkel zum
Oberarm untereinander und zur Längsaxe des Körpers nahezn
parallel und durch beinahe gleiche Abstände von einander
Die Flughaut der Fledermäuse. 14
getrennt sind. Sie werden insgesammt von später zu beschrei-
benden Muskelbündeln begleitet.
b) Ein zweites Balkensystem, welches gleichfalls wenigstens in
der untersten Partie wenig Anastomosen oder Gabeltheilungen
bildet, verläuft von der Fusswurzel bogig zum freien Flanken-
flughautrande nahezu parallel zur dritten Phalanx des kleinen
Fingers.
c) Ein drittes Balkensystem, welches gegen seine Anheftungs-
punkte zu zahlreiche Gabeltheilungen und in der Mitte seines
Verlaufes ziemlich zahlreiche Anastomosen bildet, verläuft in
diagonaler Richtung von innen und oben nach aussen und
unten, vom Vorderarm zum Mittelhandknochen und den Pha-
langen des kleinen Fingers.
Ein viertes Balkensystem endlich, welches von allen drei vor-
hergehenden Zweigen und Anastomosen ausserdem einige selbst-
ständige Balken aus der Gegend des Ellenbogengelenkes er-
hält, bildet ungefähr in der Mitte der Flankenflughaut ein
ziemlich engmaschiges complicirtes Netz, welches gleichsam
den Knotenpunkt des Balkensystems der ganzen Flankenflug-
haut darstellt.
2. In der ersten Fingerflughaut (zwischen dem kleinen Finger
und Ringfinger) verlaufen die elastischen Balken anfangs einfach
dem freien Flughautrande parallel; weiter nach oben stark bogig
geschwungen, Anastomosen und gegen die Anheftungspunkte zu
zahlreiche Gabeltheilungen bildend, vom Mittelhandknochen und den
Phalangen des kleinen Fingers zu denselben Theilen des Ringfingers.
3. In der zweiten Fingerflughaut (zwischen Ringfinger und
Mittelfinger) ist der Verlauf der elastischen Balken ein ganz analo-
ger wie in der vorigen Flughautabtheilung.
4. In der dritten Fingerflughaut, zwischen Mittelfinger und
Zeigefinger, verlaufen die sparsamen elastischen Balken ganz ähn-
lich wie früher.
5. In der Schwanzflughaut (welche zwischen Oberschenkel,
Unterschenkel und Schwanz ausgespannt ist), verlaufen die elasti-
schen Balken transversal untereinander und zum freien Flughaut-
rande parallel, gegen die Anheftungspunkte zu sparsame Bifurka-
tionen bildend vom Unterschenkel bis zum Schwanze. Sie werden
sämmtlich von Muskelbündeln begleitet und fehlen im oberen Dritt-
theile des betreffenden Flughautabschnittes gänzlich.
d
Dez
8 Dr. Jos. Schöbl:
6. In der Ober-Vorarmflughaut befindet sich ein starker ela-
stischer Balken am freien Flughautrande, welcher dem dort ver-
laufenden Muskel als Sehne dient. Alle übrigen elastischen
Balken dieses Flughautabschnittes nehmen von diesem eben er-
wähnten Balken ihren Ursprung, verlaufen, zahlreiche Anastomosen
und Bifurkationen bildend, schief nach vorne und abwärts, sowie
nach hinten und abwärts, um sich am Öber- und Vorderarme zu
inseriren.
Schliesslich sei von den elastischen Balken der Chiropterenflug-
haut erwähnt, dass sie bei den Muskeln der Flughaut, welche nicht
während ihres ganzen Verlaufes muskulös bleiben, die Stelle der
Sehnen vertreten.
Quergestreifte Muskeln.
(Tafel I.)
Die Existenz quergestreifter Muskeln in der Chiropterenflug-
haut wurde bereits von Leydig (a. a. OÖ.) constatirt, genauere
Angaben jedoch über ihre Anzahl, ihren Verlauf und ihre Verthei-
lung auf die einzelnen Flughautabtheilungen sind mir nicht bekannt.
In der Flankenhaut befinden sich folgende Muskeln:
1. Zwei mächtige bauchig angeschwollene Muskeln fallen schon
bei unversehrter Flughaut ins Auge und konnten somit der ober-
flächlichsten Untersuchung nicht entgehen. Sie haben einen gemein-
samen Ursprung zwischen dem M. pectoralis major und M. serratus
anticus major als elastische Balken (welche überhaupt bei den
Flughautmuskeln, wo sie vorkommen, die Stelle der Sehnen ver-
treten), werden dann muskulös, schwellen bauchig an und enden
abermals als elastische Balken.
Der erste Muskel verläuft von seinem Ursprung aus der Achsel-
höhle nach aussen und unten gegen das Centrum der Flankenflug-
haut. Er entspringt, wie bereits erwähnt, als elastischer Balken,
wird jedoch gleich nach seinem Austritte aus der Achselhöhle
muskulös, wird vom ersten Hauptgefäss und Nervenstamm der
Flankenflughaut begleitet, und übergeht endlich in einen starken
elastischen Balken, welcher nach geschehener Bifurkation gegen die
Mitte des freien Flankenflughautrandes zustrebt, die mit diesem
parallel verlaufenden elastischen Balken unter nahezu rechten Winkeln
kreuzend und sich mit ihnen verwebend. Bei seiner Zusammen-
ziehung nähert er den freien Flankenflughautrand namentlich dessen
Die Flughaut der Fledermäuse. 9
Mitte gegen die Achselgegend und faltet zugleich mit anderen
später zu beschreibenden Muskeln die mittlere Partie der Flanken-
flughaut in querer Richtung.
Der zweite Muskel entspringt in derselben Gegend gleichfalls
als elastischer Balken, begleitet aber in dieser Form den Oberarm
bis zu seinem unteren Dritttheil, wird hier erst muskulös, schwillt
bauchig an, verlässt in der Achselgegend den Oberarm und verläuft
in der Flankenflughaut nach aussen und unten mit dem früher be-
schriebenen Muskel einen spitzigen Winkel bedeutend. Er begleitet
den zweiten Hauptgefäss- und Nervenstamm, der in Flankenflughaut
eindringt, und übergeht schon nach kurzem Verlaufe wieder in
einen mächtigen elastischen Balken, welcher seinerseits durch wieder-
holte Gabeltheilungen Aeste abgebend und mit benachbarten Balken
sich verbindend sich an den Phalangen des kleinen Fingers inserirt.
Bei seiner Zusammenziehung nähert er den kleinen Finger und
mit ihm sämmtliche Fingerflughäute gegen die Achsel, und faltet
die äussere Flankenflughautparthie in diagonaler Richtung, senk-
recht zu seinem eigenen Verlauf.
Kolenati (Beiträge zur Naturgeschichte der europäischen
Chiropteren. Allg. deutsche nat. Zeitung 1857) hat diese beiden
Muskeln in höchst ungenauer und unrichtiger Weise beschrieben
und noch ungenauer abgebildet. Er hielt beide zusammen für einen
einzigen Muskel und nannte ihn Corrugator plagiopatagii.
2. Vier bis fünf Muskeln entspringen aus der Flankengegend
des Rumpfes, sind durch nahezu gleiche Distanzen von einander
getrennt und verlaufen wenigstens anfangs zu einander parallel, senk-
recht auf die Längsachse des Körpers, biegen dann bogig nach ab-
wärts und enden sich verschmächtigend und zahlreiche Gabelthei-
lungen bildend am inneren Dritttheil des freien Flankenflughaut-
randes zwischen den Bündeln des dort verlaufenden Muskels.
Die beiden obersten dieser Muskeln pflegen, bevor sie am Ende
ihres Verlaufes Gabeltheilungen bilden, mit einander zu verschmelzen.
Jeder dieser Muskeln enthält 20—30 Primitivbündel. Bei ihrer
Zusammenziehung nähern diese Muskeln das innere Dritttheil des
Flankenflughautrandes gegen die Flankengegend und legen gleich-
zeitig den innersten Abschnitt der Flankenflughaut, welcher zwi-
schen Fuss und Oberarm ausgespannt ist, in longitudinale zur
Längsaxe des Körpers paralelle Falten.
3. Drei ziemlich mächtige Muskeln verlaufen ungefähr in der
10 Dr. Jos. Schöbl:
Mitte der Flankenflughaut, durch gleiche Abstände von einander
getrennt, untereinander und nahezu auch zur Längsachse des Kör-
pers parallel, und enden einerseits am freien Flankenflughautrande,
Gabeltheilungen bildend, während sie andererseits nach aufwärts in
elastische Balken übergeben, welche sich ihrerseits wieder, nachdem
sie sich wiederholt mit benachbarten Balken verbunden haben, am
Vorderarmknochen in der Nähe der Achselgegend befestigen. Sämmt-
liche drei Muskeln werden von starken Blutgefäss- und Nerven-
stämmen begleitet. Jeder derselben enthält 40— 50 Primitiv-
bündel. Bei ihrer Zusammenziehung nähern sie den mittleren Theil
des Flankenflughautrandes gegen die Axillargegend und falten zu-
gleich die mittlere Parthie der Flankenflughaut in transversaler
Richtung.
4. Ein starker Muskel verläuft von der Fusswurzel zur Längs-
achse des Körpers parallel senkrecht nach aufwärts gegen das Ellen-
bogengelenk und geht nach oben zu in einen elastischen Balken
über. Bei seiner Wirkung nähert er die Fusswurzel der Axillar-
gegend, ausserdem dient er zahlreichen feinen Muskelbündeln, die
wir später beschreiben werden, zum Ursprung.
5. 12 bis 15 Muskeln, welche man ihres gleichen Verlaufes
und ihrer gleichen Wirkung halber auch wohl als einen einzigen in
eben so viele isolirte Bündel zerfallenen Muskel auffassen kann, ver-
laufen vom Ober- und Unterschenkel zum Oberarm untereinander
und zur Längsachse des Körpers parallel, durch nahezu gleiche Ab-
stände von einander getrennt, und von elastischen Balken gleichen
Verlaufes begleitet.
Jeder Muskel oder beziehungsweise jedes Muskelbündel enthält
25--30 Muskelprimitivbündel und bewirken bei ihrer Contraetion
eine Querfaltung der betreffenden Flankenflughautparthie, in der sie
verlaufen.
6. Ein System feinster isolirter Muskelbündel, welches man
wohl zusammen als einen prachtvollen fächerförmig ausgebreiteten
Muskel auffassen kann, entspringt von der Fusswurzel aus längs
des hier entspringenden starken, sub 4 beschriebenen, gegen das
Ellenbogengelenk verlaufenden Muskels. Die einzelnen Muskelbündel
verlaufen bogigfächerförmig nach aussen und oben, anfangs diver-
girend und zahlreiche Gabeltheilungen bildend, später durch nahezu
gleiche Abstände von einander getrennt und zueinander parallel,
und endigen am Mittelhandknochen und den Phalangen des kleinen
Die Flughaut der Fledermäuse. 11
Fingers. Die Zahl der Bündel beträgt 8S0—120, und jedes einzelne
besteht aus 2 bis 8 Muskelprimitivbündeln.
Sie bewirken eine Fältelung der äusseren zwei Dritttheile der
Flankenflughaut in diagonaler Richtung von innen und oben nach
aussen und unten.
7. Ein sehr starker Muskel, an seinen Rändern nach oben
und unten von zwei ziemlich starken in seinem Innern von noch
zwei schwachen elastischen Balken begleitet, verläuft längs des
freien Flankenflughautrandes, entspringt an der Fusswurzel, über-
geht im äusseren Dritttheil des Flughautrandes in einen mächtigen
elastischen Balken, welcher sich an der letzten Phalanx des kleinen Fin-
gers befestigt. Dieser Muskel verkürzt den freien Flankenflughautrand
und nähert dadurch die Spitze des kleinen Fingers der Fusswurzel.
In der Schenkel-Schwanzflughaut verlaufen 15 bis 18 Muskeln,
die, wenn man will, auch einen einzigen in isolirte Bündel zer-
fallenen Muskel darstellen können. Alle verlaufen transversal zum
freien Rande des betreffenden Flughautabschnittes mehr oder weniger
parallel. Die untersten oberhalb der Fusswurzel entspringenden
Bündel bilden meist gleich nach ihrem Ursprung eine Gabeltheilung
in zwei Bündel, laufen anfangs bogig nach abwärts, später trans-
versal. Sämmtliche Bündel entspringen vom Unterschenkel und
verlaufen zum Schwanze.
Bei ihrer Gontraction legen diese Muskeln die Schwanzflughaut
in longitudinale mit der Längsachse des Körpers parallele Falten.
Längs des freien Randes der Schenkelschwanzflughaut verläuft
ein sehr starker von schwachen elastischen Balken begleiteter Muskel,
welcher vom Fersensporne beginnt, und sich am Schwanze vor der
Spitze desselben inserirt.
Er verkürzt den Flughautrand, und unterstützt die übrigen
Muskeln dieses Flughautabschnittes in ihrer Wirkung.
In der Ober-Vorarmflughaut verläuft ein einziger Muskel am
freien Rande derselben. Er entspringt am Hinterhaupte, geht
im oberen Dritttheile des Randes in einen breiten elastischen Balken
über, wird dann abermals muskulös, geht im unteren Dritttheile
des betreffenden Flughautrandes zum zweitenmale in einen ela-
stischen Balken über und befestigt sich an der Randwurzel am
Grunde des Daumens. Er erhält die Vorarmflughaut ausgespannt
und spannt bei seiner Contraction die drei Fingerflughäute.
12 Dr. Jos. Schöbl:
In den sämmtlichen Fingerflughäuten befindet sich keine Spur
von Muskeln.
Blutgefässe.
(Tafel ].)
Von den Blutgefässen sämmtlicher Flughautabtheilungen lässt
sich im Allgemeinen Folgendes berichten: Die starken Blutgefäss-
stämme der Flughaut sind einfach und liegen in der mittelsten
Schicht des Flughautstromas. Die feineren Stämmchen nähern sich
mehr den beiden Flughautoberflächen und die Capillargefässe end-
lich sind unmittelbar unter der Malpighi’schen Schicht gelagert,
sowohl an der vorderen als an der hinteren Oberfläche der Flug-
haut, es sind somit zwei Capillargefässnetze vorhanden, von denen
je eines einer Oberfläche entspricht.
Die Arterien werden stets von Venen begleitet und zwar jede
Arterie von nur einer Vene. Dies gilt fast ausnahmslos bis zum
Uebergang ins Capillarsystem. Die grösseren Gefässstämme werden
ausnahmslos, die feineren fast ausnahmslos bis zum Capillarsystem
von Nervenstämmen begleitet.
Die grossen Blutgefässe verästeln sich baumförmig, die feineren
bilden durch Anastomosen grobe Maschen oder Netze, in denen die
noch feineren secundäre Maschen bilden, welche endlich vom Ca-
pillargefässnetz ausgefüllt werden.
Die stärkste Arterie der Flughaut ist 0,290 Mm. breit, die
ihr entsprechende Vene misst 0,415 Mm., die Stärke der Capil-
laren beträgt 0,0083 Mm. In die Flankenflughaut treten zunächst
zwei sehr starke Arterien, die beiden stärksten der ganzen Flughaut
aus der Achselhöhle.
Die erste begleitet den im vorigen Abschnitt unter Nr. 1 be-
schriebenen Muskel bis ungefähr zum Centrum der Flankenflughaut,
spaltet sich hier gabelförmig in zwei Hauptzweige, um fortan sich
baumförmig verästelnd und Anastomosen bildend gegen den Flug-
hautrand zu verlaufen. Die zweite Hauptarterie der Flankenflughaut
begleitet den sub Nr. 2 beschriebenen Muskel, theilt sich nicht weit
unterhalb und hinter der Ellenbogengegend in zwei Hauptäste, von
‘denen der eine Aeste abgebend und Anastomosen bildend nach ab-
wärts gegen den Flughautrand verläuft, während der zweite unter
ähnlichem Verhalten diagonal nach aussen und abwärts gegen die
Die Flughaut der Fledermäuse. 13
Spitze des kleinen Fingers verläuft. Aus der Flankengegend des
Rumpfes kommen vier bis fünf etwas schwächere Arterien, von
denen die unterste die stärkste zu sein pflegt; sie begleiten insge-
sammt ebensoviele bereits früher erwähnte aus derselben Gegend
kommende Muskeln, geben meist unter rechten Winkeln Zweige ab,
welche die longitudinal verlaufenden elastischen Balken und Muskeln
begleiten, mehr oder weniger rechteckige Maschen bildend, und streben
schliesslich gegen das innere Dritttheil des freien Flughautrandes.
Ausserdem erhält die Flankenflughaut kleine Arterienzweige,
5—6 aus den Arterien des Unterschenkels, 10—12 aus denen des
Unterarmes und ebensoviele aus der äusseren Fingerarterie des
kleinen Fingers. Da jede Arterie stets von einer Vene begleitet
wird, so ist der Verlauf der Venen natürlicherweise derselbe. Die
erste Fingerflughaut erhält gleichfalls zwei Hauptarterien, die eine
stammt von der inneren Flugarterie des kleinen Fingers, die andere
von der äusseren Fingerarterie des Ringfingers, beide streben, sich
baumförmig verästelnd nach abwärts gegen den Flughautrand. Ausser-
dem erhält noch diese Flughautabtheilung kleine Arterienzweige von
den beiden ihr zugewandten Fingerarterien des kleinen und Ring-
fingers, von jeder etwa 10—15 an der Zahl.
Die zweite Fingerfächerflughaut erhält gleichfalls zwei Haupt-
arterienstäimmchen und zwar die eine aus der innern Fingerarterie
des Ringfingers, die zweite aus der äusseren des Mittelfingers, und
zwar aus dem untersten Dritttheile derselben. Ausserdem treten
aus den beiden genannten Fingerarterien kleine Stämmchen in die
betreffende Flughaut in derselben Weise wie bei der vorigen Flug-
hautabtheilung angegeben wurde.
Die dritte Fingerflughaut enthält nur lauter winzige Arterien-
zweigchen, die einestheils aus der inneren Fingerarterie des Mittel-
fingers, anderntheils aus der äussern des Zeigefingers entspringen.
Das zwischen Daumen und Zeigefinger befindliche Flughaut-
rudiment besitzt nur Gefässe von nahezu capillärer Feinheit, welche
von der inneren Fingerarterie des Zeigefingers stammen.
In der Schwanzflughaut verläuft eine mässig starke Arterie,
von einer ungemein starken Vene begleitet, von der Sacralgegend
zur Fusswurzel, gibt, ohne sich während des ganzen Verlaufs merk-
lich zu verdünnen, meist quere Zweige ab, welche längs der ela-
stischen Balken und Muskeln verlaufen,
14 Dr. Jos. Schöbl:
Ein starker Arterienzweig und mehrere schwache kommen
ausserdem aus der Schwanzarterie. Eine Arterie verläuft von der
Fusswurzel kommend längs des freien Flughautrandes noch auf-
wärts Zweigchen abgebend. Ausserdem erhält diese Flughautab-
theilung noch einige Zweige aus den Gefässen des Unterschenkels.
In der Vorarmflughaut verläuft eine sehr starke Arterie längs
des ganzen freien Randes der betreffenden Flughautabtheilungen.
Alle übrigen Gefässe der Vorarmflughaut sind schwache
Stämmchen, welche theils aus der eben genannten Arterie, theils
aus den Gefässen des Ober- und Vorderarmes entspringen.
Ueber die von Wharton Jones entdeckte Pulsation der
Flughautvenen, sowie über die bestätigenden Beobachtungen Leydig’s
babe ich nichts Neues zu berichten.
Haare und deren Anhangsdrüsen.
(Tafel II, IV und V.)
Die ganze Flughaut erscheint sowohl an der Innen- als an der
Aussenfläche von äusserst feinen sparsamen Härchen bedeckt.
In jedem Haarbalg münden zwei oder mehrere Talgdrüsen und
eine Schweissdrüse und bilden zusammen ein abgeschlossenes von
einem Capillarnetz umsponnenes Ganze. Sämmtliche Härchen
sammt ihren Drüsen sind -in der ganzen Flughaut, wie bereits
Leydig erwähnt, längs der elastischen Balken vertheilt.
In der Nähe des Körpers im innersten Dritttheile der Flanken-
flughaut und in der Schwanzflughaut stehen sie am dichtesten und
zahlreichsten, in den äusseren Parthien der Flankenflughaut und in
den Fingerflughäuten gegen die Flughautspitze zu werden sie all-
mählich sparsamer. Das innerste Dritttheil der Flankenflughaut, wo
die Härchen dem Verlaufe der elastischen Balken entsprechend in
Längsreihen angeordnet sind, enthält ebensoviele Härchen als die
zwei übrigen Dritttheile zusammengenommen.
In den übrigen zwei Dritttheilen entspricht gleichfalls die Ver-
theilung der Härchen zumeist dem bereits früher geschilderten Ver-
lauf der elastischen Balken, so dass wir blos auf jenen Abschnitt
zu verweisen brauchen.
Dasselbe gilt von den übrigen Flughautabtheilungen mit Aus-
nahme des oberen Dritttheiles der Schwanzflughaut, wo keine ela-
stischen Balken vorkommen. Hier stehen die Härchen längs der
Die Flughaut der Fledermäuse. 15
transversal verlaufenden Muskelbündel und im obersten inneren
Theile dieser Flughautabtheilung ganz regellos dichtgedrängt weder
an Muskeln noch an anderweitige Elemente gebunden. Es ist dies zu-
gleich die am dichtesten besetzte Stelle der ganzen Flughaut. Die
betreffenden Talg- und Schweissdrüsen der einzelnen Härchen stossen
fast ohne Zwischenräume aneinander.
Die (vordere ventrale) Innenfläche sämmtlicher Flughautabthei-
lungen trägt stets unverhältnissmässig mehr Härchen als die (hintere
dorsale) Aussenfläche.
Die Zahl der Härchen und somit der damit zusammenhängen-
den Drüsengruppen und später zu beschreibenden Terminalkörperchen
beträgt in den einzelnen Flughautabtheilungen:
1. In der Flankenflughaut 2400— 2600
2. In der Schwanzflughaut 800—1000
3. In der ersten Fingerflughaut 500—700
4. In der zweiten » 200—300 °
5. In der dritten » 50—80
6. In der Vorarmflughaut 50—80
Somit in der Flughauthälfte 4000—5000 und in der ganzen
Flughaut des Thieres in runder Summe 8000 bis 10,000.
Die Haare der Flughaut sind etwas abweichend gebaut von
den Haaren der übrigen Körperregionen. Es haben zwar die Ober-
hautplättchen stets eine ähnliche Gestalt und Stellung wie bei den
Körperhaaren des betreffenden Thieres, so z. B. bei Vesperugo
serotinus, wo sie spitzwinklige dichtgedrängte Doppelspirale bilden,
aber die für die Körperhaare der Chiropteren charakteristische
Aenderung des Diekendurchmessers und der Anordnung der Plätt-
chen in den einzelnen Regionen desselben fehlt. Es erscheinen
vielmehr die Haare der Flughaut einfach gegen die Spitze zu konisch
zulaufend und sind nur ausnahmsweise unmittelbar über der Haar-
zwiebel etwas weniger halsartig verengt.
Die Härchen der Flughaut sind im Durchschnitt 0,2500 Mm.
lang und am Grunde 0,0039 Mm. stark.
Der Bau der Haarbälge der Flughauthaare ist im höchsten
Grade interessant und eigenthümlich. Die beiden Faserhäute sind
nicht deutlich ausgebildet, vielmehr liegt der Haarbalg im welligen
bindegewebigen Stroma der Flughaut ohne scharfe Abgrenzung.
Dagegen ist die Glashaut stark und prachtvoll entwickelt.
Sie beginnt unter der Malpighi’schen Schicht als wulstiger
16 Dr. Jos. Schöbl:
Ring mit tief und dicht eingekerbtem Rande, den untersten Theil
des Haares umschliessend bildet in der Gegend der Haarzwiebel
eine bauchige Anschwellung, vereinigt sich unterhalb der Haar-
zwiebel abermals sehr bedeutend, um sich dann abermals zu er-
weitern und das später zu beschreibende conische Terminal-
körperchen zu umschliessen und mit stumpfer Spitze zu enden.
In ihrer oberen Hälfte ist die Glashaut prachtvoll der Länge
nach gestreift oder eigentlich gefaltet, die äusserst feinen Fältchen
sind dicht gedrängt, beginnen von je einer Kerbe des gewulsteten
Randes und verlieren sich in der Gegend unterhalb der Haarzwiebel.
Innerhalb der Glashaut befinden sich die Wurzelscheiden, von denen
jedoch die innere bei der Kleinheit und überaus schwierigen Be-
handlung des Gegenstandes schwer wahrzunehmen ist. Die äussere
kennzeichnet sich durch den Pigmentgehalt ihrer Zellen, welcher
namentlich bei denjenigen Härchen, welche auf der äussern oder
dorsalen Oberfläche der Flughaut münden, sehr bedeutend ist.
Sie kleiden die erste Ausbauchung der Glashaut aus und füllen
den Raum zwischen dieser und der Haarzwiebel, unterhalb der
Haarzwiebel verschmelzen sie und bilden einen soliden Zell-
strang, welcher sich in die zweite rundlich conische unter der
Haarzwiebel befindliche Ausbuchtung der Glashaut fortsetzt. Wir
werden auf diesen Zellenfortsatz bei Betrachtung der Terminal-
körperchen, welchen er zur Grundlage dient, wieder zu sprechen
kommen.
Die Talgdrüsen münden in den Haarbalg oberhalb des wul-
stigen Randes der Glashaut. Sie sind im Verhältnisse zu den win-
zigen Härchen riesenmässig gross. Bei Vesperugo serotinus finden
sich gewöhnlich zwei an jedem Haarbalg, nicht selten jedoch auch
drei, vier bis fünf; bei Plecotus auritus sogar sechs bis sieben.
Sie sind stets um den Haarbalg rosettförmig gruppirt. Wenn nur
zwej vorhanden sind, misst ihre Länge im Durchschnitt 0,037,
ihre Breite 0,074 Mm., wo mehrere vorhanden sind, werden
die einzelnen der Anzahl entsprechend kleiner. Was ihre Struc-
tur betrifft, weichen sie von anderen Talgdrüsen nicht ab, wess-
halb ich hierüber nichts erwähne. Die einzige mächtige im Ver-
gleich zum Härchen riesige Schweissdrüse mündet gleichfalls mit
verengtem Ausführungsgange ‚oberhalb des Glashautwulstes in den
Haarbalg. Sie besitzt einen ziemlich langen Ausführungsgang, ist
Die Flughaut der Fledermäuse. 17
einfach schlauchförmig, nicht zusammengerollt und variirt in Bezug
auf ihre Länge bei ein und demselben Thiere ganz ungemein.
Sie besitzt, wie bereits Leydig (a. a. OÖ.) erwähnt, einen Beleg
von glatten Muskelfasern, welche durch ihren Verlauf an der Ober-
fläche derselben eine leicht spiralige Streifung bedingen, und zwei-
kernige Zellen. Bei Vesperugo serotinus sehe ich jedoch meist nur
einkernige Zellen.
Die Breite des Drüsenschlauches beträgt 0,059 Mm. Die Länge
schwankt zwischen 0,185 und 0,725 Mm.
Nerven und Nervenendigungen.
(Tafel III und IV.)
Die Chiropterenflughaut ist gegen Ley dig’s Ausspruch (a. a. O.)
ausserordentlich reich an Nerven und Nervenendigungen.
Sämmtliche Nerven der Flughaut lassen sich naturgemäss ihrer
Lage nach in fünf Schichten eintheilen, wovon die eine im mittelsten
Stratum des Flughautstromas eingebettete einfach ist, die übrigen
doppelt zu beiden Seiten der ersteren gelagert sind und sich gradatim
den beiden Flughautoberflächen nähern.
1. Die erste Schicht enthält die grössten und grossen Nerven-
stämme und Aeste der Flughaut im Durchmesser von 0,207 Mm.
bis zu 0,020 Mm., sie ist, wie bereits erwähnt wurde, einfach und liegt
in dem mittelsten Stratum des Flughautstromas zugleich mit den
grossen Blutgefässstämmen, Muskeln und elastischen Balken.
Die Verästelung der Nerven dieser Schicht ist stets eine streng
dichotomische baumförmige, doch kommen bereits in dieser Schicht
häufig Maschenbildungen vor, welche jedoch stets nur auf die Art
gebildet werden, dass ein sich vom Hauptstamme abzweigender Ast
nach kürzerem oder längerem Verlaufe wieder zum Hauptstamme
zurückkehrt, um mit ihm wieder vereint in derselben Richtung fort-
zulaufen.
Da alle dieser Schicht angehörigen Nerven mit alleiniger Aus-
nahme der eben geschilderten Maschenbildungen streng den Verlauf
der grössten und grossen Blutgefässe verfolgen, so erscheint eine
detaillirtere Schilderung des Verlaufes der einzelnen Nerven als
überflüssig, und ich verweise nur auf den bereits geschilderten Ver-
lauf der grossen Blutgefässstämme. Die stärksten und meisten
Nerven erhält die Flankenflughaut, und von dieser selbst ist wieder
M, Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 7. 2
18 Dr. Jos. Sehöbl:
das innerste Dritttheil, welches dem Körper am nächsten liegt, am
reichlichsten mit Nerven versehen.
Alle zur ersten Schicht gehörige Nervenstämme erscheinen in
diesem inneren Dritttheil der Flankenflughaut von grossen stern-
förmigen Pigmentzellen umsponnen.
2. Die zweite Nervenschicht (Tafel II. Schwarz ohne Pigment-
zellen) ist gedoppelt, die eine liegt über, die andere unter der vorigen
unmittelbar unter dem Capillargefässnetz. Die Nerven dieser Schicht
entspringen aus den Zweigen der Nerven der vorigen Schicht, haben
einen Durchmesser von 0,020 bis 0,005 Mm., die stärksten enthal-
ten 40—50, die schwächsten nur 6, ja mitunter nur vier dunkel-
randige Fasern. Sie begleiten gleichfalls zumeist mittelstarke und
schwache Blutgefässstämme.
Was den Verlauf der Nerven dieser Schicht anbelangt, so
kommen bei den stärksten Stämmchen noch häufig einfache dicho-
tomische Verästelungen vor, im weiteren Verlaufe werden sie bei den
schwächeren Stämmchen stets seltener, vielmehr verlaufen dieselben
auf weite Strecken hin gleichstark bleibend und bilden unregel-
mässige Netze.
Die Netzbildung entsteht dadurch, dass wo zwei, drei oder
vier Nerven zusammenstossen, stets ein streng gesetzmässiger Faser-
austausch stattfindet, indem fast stets entweder die Hälfte, ein
Dritttheil oder ein Viertheil der Fasern eines jeden Stämmchens
ausgetauscht wird. Bei den stärksten Stämmehen dieser Schicht,
wo die Gabeltheilung vorherrscht, ist der Faseraustausch von unter-
geordneter Bedeutung, indem meist nur einzelne Fasern von einem
Zweige zum anderen herüberstreichen.
Die Netzbildung ist eine eigenthümliche: directe unmittelbare
Maschen, aus gleichstarken Stämmchen gebildet, sind verhältniss-
mässig selten, kommen jedoch überall in der Flughaut vor. Weit
häufiger sind weite unregelmässige Maschen, welche nach weitem
Verlauf und complicirter Verästelung durch stärkere und schwächere
Stämmchen derselben Schicht gebildet werden.
Am häufigsten kommt eine indirekte Maschenbildung vor, in-
dem je zwei Stämmchen erst durch Nervenstämmchen der nächst-
folgenden Schicht verbunden sind und so eine Masche bilden, die
halb dieser halb der nächtsfolgenden Schicht angehört.
Schliesslich kommt eine indirekte Maschenbildung noch da-
F Die Flughaut der Fledermäuse. 19
durch zu Stande, dass einzelne Nervenstämmchen dieser Schicht
nach sehr weitem Verlaufe complicirter Verästelung ;und häufigem
Faseraustausch je zwei oder mehrere der schwächsten Stämmchen
der vorigen (untersten) Schicht verbinden, und so Maschen bilden,
die halb dieser halb der ersten unteren Schicht angehören. Die
später zu beschreibenden Terminalkörperchen gehören gleichfalls
zu dieser Schicht, indem einzelne ihrer schwächsten Nervenstämmchen
sich zu einem Haarbalg begeben und hier durch Umwicklung des
bereits beschriebenen soliden Zellfortsatzes der Wurzelscheide das
betreffende Körperchen bilden.
3. Die dritte Nervenschicht (Tafel III. Braun) ist gleichfalls
doppelt, liegt über der vorangehenden gegen die beiden Flughaut-
oberflächen zu in einer Ebene mit den feinsten Blutgefässstämm-
chen und dem Capillargefässnetz.
Die Nervenstämmchen dieser Schicht bestehen fast allgemein
nur aus zwei, äusserst selten aus vier blassen Nervenfasern. Der
Durchmesser beträgt gewöhnlich 0,005 Mm., selten etwas mehr,
der Durchmesser jeder einzelnen blassen Faser im Durchschnitt
0,0025 Mm. Die Nervenstämmchen dieser Schicht entspringen aus
den feineren und feinsten Nerven der vorigen Schicht und zwar
auf dreifache Weise. Entweder wird ein ganzes Nervenstämmchen
der vorigen Schicht an seinem Ende allmählich blass, indem es ganz
durch wiederholte Gabeltheilungen in zweinervige Stämmchen der
dritten Schicht zerfällt; oder es entstehen die blassen Stämmchen
aus den ebengenannten Nerven der vorigen Schicht lateral unter
rechtem Winkel abzweigend, wo da stets die eine Faser von dem
centralen, die zweite vom peripheren Theile des betreffenden Nerven
abstammt; oder endlich es bleiben von den zu den Terminal-
körperchen gehenden feinen Nervenstämmchen 2 oder 4 Fasern
übrig, die dann blass werden und in die dritte Schicht eintreten.
In Bezug auf Verbreitung und Netzbildung der Nerven dieser
Schicht gelten genau dieselben Gesetze, wie ich sie bei,der zweiten
Nervenschicht angegeben habe und zwar direkte enge und weite
Maschenbildung, indirecte Maschenbildung durch Vermittlung von
Nervenfasern der nächst oberen (vierten) Schicht, indirekte Maschen-
bildung durch Verbindung von je zwei oder mehreren Stämmchen
der zweiten (nächst unteren) Schicht.
4. Die vierte Nervenschicht (Tafel III. Blau), gleichfalls
doppelt, liegt über der vorangehenden unmittelbar über dem Oa-
20 Dr. Jos. Schöbl:
pillargefässnetz der beiden Flughautoberflächen. Sie besteht durch-
weg aus einem unregelmässigen Netz einzelner blasser Nerven-
fasern, deren Durchmesser zwischen 0,0025 Mm. und 0,0009 Mm.
schwankt. Die Maschenbildungen in dieser Schicht entstehen je-
doch natürlicherweise nicht durch Faseraustausch, wie es bei den
früheren Schichten der Fall war, sondern durch direkte Anasto-
mosen der einzelnen blassen Fasern. In den Knotenpunkten befin-
den sich zumeist jedoch nicht immer dreieckige, viereckige, mit-
unter auch polymorphe ziemlich mächtige Anschwellungen von fein
granulirtem Ansehen, in denen ich jedoch keine Kerne nachweisen
konnte.
Aehnliche aber spindelförmige Anschwellungen finden sich ziem-
lich häufig im Verlaufe einzelner Nervenfasern, namentlich bei den
stärkeren derselben.
Die Nervenfasern dieser Schicht entspringen aus den zwei-
faserigen blassen Nervenstämmchen der vorigen Schicht auf zwei-
fache Weise, indem entweder die beiden blassen Fasern des Stämm-
chens am Ende desselben gablig auseinanderweichen und in die
nächst obere Schicht eintreten, oder es entspringt eine einzelne
blasse Faser lateral aus einer blassen Faser des Stämmchens unter
rechtem Winkel gleichsam heraussprossend. In der vierten Schicht
angelangt, bildet jede einzelne Faser zahlreiche wiederholte Gabel-
theilungen und Anastomosen.
In Bezug auf Verbreitung und Netzbildung gelten für die
Nervenfasern der vierten Schicht genau dieselben Gesetze wie ich sie
bei der 2. und 3. Schicht angegeben habe.
Direkte unmittelbare Maschenbildungen gehören stets zu den
Ausnahmen, kommen jedoch vereinzelt überall vor. Viel häufiger
sind sehr weite Maschen, welche erst nach wiederholter Theilung
und Anastomosenbildung der einzelnen Fasern nach weitem Ver-
laufe gebildet werden.
Indirekte Maschenbildungen kommen zu Stande, indem Fasern
dieser Schicht entweder direkt oder nach wiederholter Gabeltheilung
zwei oder mehrere zweifaserige blasse Nervenstämmchen der nächst
unteren Schicht verbinden; oder dass einzelne Zweige in die nächst
obere Schicht hinaufsteigen und hier durch die feinsten blassen
Fasern dieser Schicht unmittelbar oder im weiteren Verlaufe ver-
bunden werden.
Dieser Nervenschicht analog sind die blassen Netze, wie sie
Die Flughaut der Fledermäuse, 21
z. B. Kölliker schon im Jahre 1856 in der Haut der Maus be-
schrieben hat. (Zeitschrift für wissensch. Zoologie. Bd. VII. Hft 3.
p. 313. Fig. 10.) Doch kommen weder so einfache Netz- oder
Maschenbildungen vor, wie sie Kölliker abgebildet hat, noch ist
das Netz ein terminales.
5. Die fünfte und letzte terminale Nervenschicht (Tafel II.
Roth) ist gleichfalls doppelt, liegt unmittelbar über der vorigen an
der Oberfläche der Cutis, theilweise zwischen den gewöhnlich an
der Cutis haften bleibenden tiefsten Zellen der Malpighi’schen
Schicht. Die Nervenfasern dieser Schicht sind gleichfalls blass und
haben einen Durchmesser von 0,0009 Mm. bis zu nahezu unmess-
barer Feinheit. Sie entstehen aus den blassen Nervenfasern der
vorigen Schicht durch Theilung der feinsten Fasern derselben. Sie
bilden gleichfalls ein unregelmässiges Netz mit direkten engen und
sehr unregelmässigen weiten Maschen, sowie mit indirekten Maschen,
welche durch Verbindung zweier oder mehrerer Fasern der vorigen
Schicht entstehen. An den Knotenpunkten der Anastomosen oder
an der Theilungsstelle der Fasern kommen in dieser Schicht nur
ausnahmsweise und dann nur winzige Anschwellungen vor, wie
sie so häufig in der vorigen Schicht sich finden. Auch spindel-
förmige Anschwellungen im Verlaufe der einzelnen Nervenfasern
‚fehlen.
Zur Untersuchung der Nerven eignet sich am meisten das
innere Dritttheil der Flankenflughaut, einestheils wegen des grossen
Nervenreichthums, anderentheils weil hier das Stroma der Flughaut
die grösste Dicke besitzt.
Man kann hier mit starken Vergrösserungen (600—800) durch
allmähliche Verrückung der Fokaldistanz die einzelnen Nerven aus
einer Schicht in die anderen auf weite Strecken hin verfolgen, und
an geeigneten Punkten durch verschiedene Einstellung des Instru-
mentes alle 5 beziehungsweise 9 Nervenschichten der Flughaut an
einem Punkte nacheinander zur Ansicht bekommen.
Ich wähle hierzu junge fast ausgewachsene Exemplare von
Vesperugo serotinus, tödte das Thier mit Chloroform, öffne dann
rasch das Herz so lange es noch schlägt behufs der Verblutung.
Hierauf injieire ich die Gefässe der Flughäute mit einer sehr dünn-
flüssigen und nur sehr schwach blass-rosa mit Carmin gefärbten
Gelatinmasse. Leichtflüssig muss die Masse sein, damit man bei
der Injection die Flughäute nicht bedeutenderen Temperaturgraden
22 ! Dr. Jos. Schöbl:
aussetzen muss, blass muss sie sein, weil intensiv gefärbte Capillaren
die Untersuchung erschweren, ja an einzelnen Stellen unmöglich
machen.
Es ist zwar eine vorangehende Injection der Capillaren zur
Untersuchung des ferneren Verhaltens der Nerven durchaus keine
Nothwendigkeit, da eben keine grosse Erfahrung dazu gehört, um
die leeren Capillaren sofort und überall zu erkennen, aber eine
unter obigen Vorsichtsmassregeln ausgeführte gute Injection er-
leichtert die Untersuchung wesentlich, namentlich wenn es sich
darum handelt, den Zusammenhang der einzelnen Nervenfasern und
Nerven auf weite Strecken hin durch verschiedene Schichten mit
Sicherheit zu verfolgen.
Nach geschehener Injection lege ich die Flughäute für ein
paar Augenblicke in Eiswasser, um die Gelatine zum Erstarren zu
bringen. Hierauf kommen sie in ein Gemisch von rektifizirtem
Holzessig, destillirttem Wasser und Glycerin, in diesem Gemisch
bleiben sie bei gewöhnlicher Sommertemperatur zwei bis drei Tage,
dann werden sie auf Korkplatten befestigt, die‘ eine glatte mit
Glycerin bestrichene Oberfläche haben und nun unter Wasser die
Oberhaut und obere Malpighi’sche Schicht erst der einen, dann der
anderen Seite aber mit der allergrössten Schonung und Vorsicht
abpräparirt.
Die der Oberhaut beraubten Flughäute im aufgespannten Zu-
stande, weil sie sich sonst in Folge ihrer contractilen Elemente
ungemein zusammenziehen in ein Gemisch von Alkohol und Essig-
säure von verschiedener Concentration in dem sie je nach Bedarf
eine kürzere oder längere Zeit verweilen. Hierauf werden sie noch
im Zusammenhang auf einen grossen Objectträger ausgebreitet, mit
schwach angesäuertem Glycerin betropft und mit einem sehr grossen
feinen Deckgläschen bedeckt. Während auf das Deckglas ein
mässiger Druck einwirkt, wird erst das betreffende bedeckte Flug-
hautstück den Rändern des Deckglases entlang von der übrigen
Flughaut abgeschnitten.
Tinetionen sind meist nicht nothwendig, höchstens verwende
ich blasses gelbes Anilin, meine besten Präparate sind ohne alle
Tinetion.
Bei gelungenen Präparaten sehe ich jetzt ein volles Jahr nach
ihrer Anfertigung die feinsten blassen Nervenfasern mit der grössten
Die Flughaut der Fledermäuse. 23
Deutlichkeit und lassen sich auf gewaltige Strecken verfolgen. So
sind die auf Tafel III abgebildeten Nerven durchaus nicht aus
vielen Präparaten zusammengestoppelt oder schematisirt, sondern
sind fast durchweg von einem einzigen Präparat entnommen, frei-
lich mit sehr grossem Aufwand von Zeit und Mühe Nur die
allerfeinsten Nerven der fünften (terminalen) Schicht lassen sich
nicht auf weite Strecken im Zusammenhange verfolgen, hier sind die
Schwierigkeiten gar zu gross, und man muss sich mit der Zusammen-
stellung einzelner glücklich erhaltener und gelegener Pärthien be-
gnügen. Die blassen Nervennetze der vierten Schicht schon, sowie
alle übrigen Schichten habe ich mehrere Centimeter weit mit grosser
Sicherheit verfolgt.
Terminalkörperchen.
(Tafel IV, II u. II.)
Die Terminalkörperchen haben die Gestalt eines kurzen Tannen-
zapfens mit etwas gerundeter Spitze. Der Längsdurchmesser be-
trägt 0,0259, der Querdurchmesser 0,0175 Mm.
Sie liegen, von der Glashaut des Haarbalges umschlossen,
unter je einer Haarzwiebel, es stimmt also ihre Anzahl und Anord-
nung in der Flughaut genau überein mit der der Haare, die ich
bereits geschildert habe und auf die ich nun in dieser Hinsicht
hinweise,
Den Kern der Körperchen bilden Zellen, welche ihrer Genese
nach den Wurzelscheiden beziehungsweise der Malpighi’schen Schicht
angehören, die Rinde bilden dicht gewundene und verschlungene
dunkelrandige Nervenfasern, deren Stärke im Durchschnitt 0,0012
Mm. beträgt.
Die Nerven der Terminalkörperchen stammen aus der zweiten
Nervenschicht, indem je eines der feinsten Nervenstämmchen der-
selben, bestehend fast ausnahmslos aus vier oder sechs dunkel-
randigen Nervenfasern, sich zu je einem Haarbalge begiebt und
hier durch Knäuelbildung und Umhüllung des obengenannten zel-
ligen Fortsatzes der Wurzelscheide das terminale Körperchen zu
bilden.
Bevor die betreffenden Nervenstämmchen zum Haarbalg oder
zum Terminalkörperchen treten, spalten sie sich gewöhnlich in zwei
Zweischen, von denen jedes stets genau die Hälfte der Fasern
enthält.
,
24 Dr. Jos. Schöbl:
Verfolgt man die betreffenden, das Körperchen bildenden Ner-
venfasern zurück zur ersten Bifurkationsstelle, so kann man häufig
beobachten, dass die Hälfte der Fasern aus der einen, die andere
Hälfte aus der andern Richtung herstammen. Die Zellen im Innern
des Körperchens, welche besonders in der oberen Partie desselben,
wo die nervöse Umhüllung sparsamer ins Auge fallen, enthalten
stets etwas, manchmal auch recht dunkles Pigment.
Die Auffindung und richtige Deutung der betreffenden Termi-
nalkörperchen war ein hartes Stück mikroskopischer Arbeit.
Es sind mir zwar schon im April des vorigen Jahres, also vor
Jahresfrist, gleich bei den ersten genaueren Durchmusterungen der
Flughaut eigenthümliche Fortsätze der Haarbälge nach abwärts auf-
gefallen, die sich mit grosser Constanz bei jedem Haare wieder-
holten und stets dieselbe eigenthümliche Gestalt besassen. Ebenso
konnte es mir nicht entgehen, dass mit derselben Constanz sich
ein aus 4—6 dunkelrandigen Fasern bestehendes Nervenstämmchen
bis zu je einem Härchen verfolgen liess und nicht weiter, ob-
gleich die ganze Partie der Flughaut unversehrt war und selbst
eine schwache blasse Nervenfaser der Untersuchung nicht entgan-
gen wäre.
Doch über den Bau und die Bedeutung der betreffenden Haar-
balgfortsätze sowie über das weitere Schicksal des bei jedem Haar-
balg nicht weiter zu verfolgenden Nervenstämmchens blieb ich lange
Zeit im Unklaren.
Am häufigsten erschien es, als sei es aus granulöser Masse
‘ zusammengesetzt, mitunter zeigte sich namentlich in den oberen
Theilen bräunliches Pigment, manchmal, namentlich bei etwas zu
energischer Einwirkung des Essigsäure-Alkoholgemisches, erschien
das Gebilde wie mit länglich rhomboidalen Feldern oder Schuppen
besetzt, so dass es täuschend einem winzigen Tannenzapfen glich,
oft schien es mir wieder, dass es eine rein zellige Struktur besitze,
oft auch namentlich bei manchen Arten wie Plecotus erschienen die °
ganzen Gebilde so blass, dass man nur die äusseren Conturen wahr-
nehmen konnte.
Da endlich gelang mir ein Präparat aus der Flankenflughaut
von Vesperugo serotinus, welches wenigstens im unteren Dritttheil
der meisten Körperchen deutliche Windungen zeigte, welche au
mich sofort den Eindruck von Nervenfasern machten.
Einzelne besonders günstige Körperchen desselben Präparates
Die Flughaut der Fledermäuse. 25
erschienen ganz mit Windungen bedeckt wie kunstgerecht gewickelte
Knäuel. Wie ein Blitz tauchte in mir die Vermuthung auf, dass
ich es mit Endorganen sensitiver Nerven zu thun habe und dass
dieselben mit dem bereits erwähnten, stets in der Nähe des Haar-
balges verschwindenden Nervenstämmchen in Verbindung stehen
dürften.
Meine Freude über die Beobachtung war sehr gross, doch die
nervöse Natur der Windungen war noch nicht erwiesen, der Zu-
sammenhang mit Nerven noch nicht festgestellt. Eine vorgefasste
Meinung konnte also leicht Täuschungen begünstigen. Alle nur
möglichen Zweifel tauchten in mir auf, namentlich glaubte ich eine
lange Zeit, dass Faltenbildungen der Glashaut die vermeintlichen
Windungen vortäuschen könnten. Doch die Breite der Windungen
war stets und überall genau dieselbe wie die der dunkelrandigen
Fasern des oftgenannten zum Haarbalg gehenden Nervenstämm-
chens. Das optische Verhalten und das Verhalten gegen Reagentien
war auch bei beiden stets dasselbe.
Endlich gelang es mir, unter den Tausend und aber Tausend
beobachteten Körperchen eines zu finden, welches für die Beobach-
tung sehr bequem lag. Die Glashaut war durch Zufall zersprengt
und das Körperchen lag frei neben derselben. Trotzdem zeigte es
dieselben Windungen mit um so grösserer Klarheit und die leere
Glashaut zeigte die Eindrücke derselben. Auch die Beobachtung
des direkten Zusammenhanges der betreffenden Windungen mit den
dunkelrandigen Nervenfasern des oftgenannten Nervenstämmchens
liess nicht lange auf sich warten und zwar zu wiederholten Malen
und mit grosser Sicherheit.
Nun konnte ich mich auch bei verhältnissmässig schlechten
Präparaten zurechtfinden.
So stand meine Ansicht zu Ende des verflossenen Jahres fest,
dass die betreffenden Gebilde terminale Nervenkörperchen sind, und
ich hielt sie für einfache, unter dem Haarzwiebel gelegene Nerven-
knäuel, wie ich es in meiner vorläufigen Mittheilung angege-
ben habe.
Auf den ebenso freundlichen als aneifernden Rath des Herrn
Professor Max Schultze nahm ich die bereits abgeschlossene Unter-
suchung der Körperchen, hauptsächlich unter Anwendung der
Ueberosmiumsäure wieder auf.
96 Dr. Jos. Schöbl:
Nach langer, ebenso zeitraubender als mühseliger Arbeit ge-
lang es mir, eine Anzahl der betreffenden Körperchen zu isoliren,
worauf dann eine genauere Untersuchung sowohl der Oberfläche
als des Innern möglich wurde. So gelangte ich schliesslich zu den
oben angegebenen Resultaten.
Zur Untersuchung der Terminalkörperchen eignet sich am
besten die mittlere Partie der Flankenflughaut von Vesperugo sero-
tinus. Am besten eignen sich hierzu nicht injieirte Flughäute, weil
das den Haarbalg und die Drüsen umspinnende dichte Capillarnetz
namentlich bei intensiver Färbung der Injectionsmasse zu viel deckt.
Die Flughäute werden dann möglichst frisch nach kurzer Ein-
wirkung des Holzessiggemisches der Oberhaut beraubt und hierauf
der Einwirkung der verdünnten Essigsäure oder des Essigsäure-
Alkoholgemisches ausgesetzt. Auf die Concentration dieser Reagen-
tien sowie auf die Zeit der Einwirkung kommt sehr viel an, doch
lassen sich hierüber präcise Vorschriften nicht geben, weil bei ver-
schiedenen Flughäuten bald eine intensivere, bald weniger intensive
Einwirkung dazu gehört, um das gewünschte Resultat zu erreichen.
Ich pflege während der Einwirkung der Reagentien von Minute zu
Minute das ganze auf einer Glasplatte ausgespannte grosse Präparat
aus der Flüssigkeit herauszunehmen, auf eine Stelle desselben einen
Tropfen Glycerin zu bringen und nach aufgelegten Deckgläschen bei
mässiger, 3—400facher Vergrösserung nachzusehen, bis die ge-
wünschte Wirkung eingetreten ist.
Zur Aufbewahrung der Präparate dient dann schwach an-
gesäuertes Glycerin. Ein Jahr alte Präparate, die vor mir liegen,
zeigen die Terminalkörperchen noch ganz prachtvoll.
Schlussbemerkungen.
Es enden somit, wie aus Vorangehendem ersichtlich, die sen-
sitiven Nerven der Chiropteren-Flughaut in doppelter Weise: dunkel-
randige Nerven in eigenthümlichen Terminalkörperchen;; blasse Ner-
venfasern in einem subepidermoidalen Terminalnetz.
Bemerkenswerth ist bei den Terminalkörperchen, dass die in
sie eintretenden dunkelrandigen Fasern stets paarig sind, dass, wie
bereits erwähnt, sich das Nervenstämmchen vor dem Teröminalkr-
perchen gewöhnlich spaltet und die Hälfte der Fasern von der einen,
die andere Hälfte von der anderen zu dem Körperchen sich begibt;
Die Flughaut der Fledermäuse. 27
endlich dass sich häufig beobachten lässt, dass bei der letzten Bifur-
kations- oder Theilungsstelle, wo das zum Körperchen sich begebende
Nervenstämmchen beginnt, sich die eine Hälfte seiner Fasern nach
der einen, die andere nach der anderen Seite hin verfolgen lässt.
Bei Betrachtung dieser Thatsachen drängt sich mir unwillkühr-
lich der Gedanke auf, ob nicht die betreffenden Fasern von der
einen Seite kommend durch Umwicklung des Zellfortsatzes der
Wurzelscheide und Knäuelbildung dieses Gebilde zu einem sensiti-
ven Endorgan machen und sich auf der andern Seite wieder fort-
begeben, oder mit andern Worten, ob die betreffenden Terminalkör-
perchen nicht in bipolarer Weise in den Nervenfaserverlauf ein-
geschaltet sind. Es könnte vielleicht etwas ähnliches bei anderen
terminalen Bildungen, zu denen paarige Nervenfasern treten, wie z. B.
zu den Tastkörperchen, stattfinden.
Das Netz feinster blasser Nervenfasern unmittelbar an der
Oberfläche des Corions, theilweise zwischen den untersten Zellen
der Mapighi’schen Schicht, welches ich früher als fünfte Nerven-
schicht beschrieben habe, halte ich für ein terminales.
Es lässt sich dieses Netz bei der ungemeinen Schwierigkeit
der unversehrten Präparation und Untersuchung nicht auf weite
Strecken hin im Zusammenhange verfolgen, doch sind die Partien,
die im Zusammenhange beobachtet werden können, immer noch
gross genug, um daraus berechtigte Schlüsse und Folgerungen ziehen
zu können.
Wo das Präparat unversehrt ist, die untersten Zellen der
Malpighi’schen Schicht ungestört an Corion sitzen blieben, zeigen
sich nirgends freie Enden der allerfeinsten blassen Fasern. Wo sich
freie Enden feiner und feinster Fasern finden, die an ihrem Ende
mitunter leicht kolbig oder elliptisch angeschwollen sind, lassen sich
fast stets gewaltsame Continuitäts-Trennungen nachweisen.
Fasern, welche sich noch weiter gegen die Oberfläche zwischen
die oberen Zellen der Malpighi’schen Schicht begeben würden, lassen
sich nirgends, weder an Flächenpräparaten noch an Querschnitten
auffinden.
Ich glaube also berechtigt zu sein, aus der Beobachtung direk-
ter Netzbildung feinster blasser Fasern zwischen den untersten Zel-
len der Malpighi’schen Schicht, aus dem Mangel feinerer weiter
gegen die Oberfläche dringender Fasern, sowie aus dem Mangel
28 Dr. Jos. Schöbl: Ueber die Flughaut der Fledermäuse.
natürlicher freier Endigungen in derselben Schicht das betreffende
Netz feinster blasser Nervenfasern für ein terminales halten zu
dürfen.
Interessant ist die Uebereinstimmung beider Endigungsweisen.
Die dunkelrandigen Fasern in den Terminalkörperchen umwickeln
Zellen der Wurzelscheide, also beziehungsweise der Malpishi’schen
Schicht, die blassen terminalen Fasern liegen gleichfalls zwischen
den untersten Zellen ebendieser Schicht.
Was die Bedeutung der beiden Endigungsweisen sensitiver
Nerven in der Chiropteren-Flughaut betrifft, so liegt es sehr nahe,
dass die terminalen Körperchen wegen ihrer Analogie mit anderen
Tastorganen, ihrer regelmässigen Vertheilung und ihres Zusammen-
hanges mit Haaren das überaus feine Tastvermögen der Flughaut
vermitteln, während die blassen Terminalnetze das Gefühl für Tem-
peratur, Schmerz u. s. w. ermöglichen.
Zum Schlusse will ich nur noch erwähnen, dass ich ähnliche
Endigungsweisen sensitiver Nerven auch an besonders sensitiven
Stellen anderer Säugethiere gefunden zu haben glaube, worüber ich
in nächster Zeit berichten werde.
Erklärung der Abbildungen.
Tafel I.
Tafel I. stellt eine injieirte Flughaut von Vesperugo serotinus nach
vorsichtiger Entfernung der Oberhaut und Malpighi’schen Schicht bei geringer
Vergrösserung dar.
Das Netz elastischer Balken ist schwarz dargestellt, ebenso die feinen
Härchen.
Die Muskeln sind braun und quer schraffirt.
Die Arterien roth. Die Venen blau.
Die Capillargefässe violett, um die Härchen herum, wo sie die betref-
fenden Talg- und Schweissdrüsen umspinnen, Rosetten bildend.
Die Nerven sind gelb. Das Netz blasser Nervenfasern, sowie die bei
jedem Härchen liegenden Terminalkörperchen sind orange.
Tafel II.
Stellt ein kleines rechteckiges Stückchen aus der Mitte der Flanken-
flughaut von Vesperugo serotinus bei 250maliger Vergrösserung nach Ent-
fernung der Oberhaut und Malpighi’schen Schicht dar.
Zwei elastische Balken, von denen der eine nach oben zu gabeltheilig
ist, verlaufen diagonal von innen und oben nach aussen und unten und geben
längs ihres ganzen Verlaufes feine elastische Fasern in das Stroma der
Flughaut ab.
Die Muskeln sind braun und querschraffirt; es verlaufen fünf Muskel-
bündel, von denen das eine gabeltheilig diagonal von aussen und oben nach
innen und unten. Sie kreuzen die beiden elastischen Balken unter nahezu
rechten Winkeln.
Zu beiden Seiten der beiden elastischen Balken sind fünf Härchen, mit
deren Anhangsdrüsen und den unter der Haarzwiebel gelegenen Terminal-
körperchen dargestellt.
Die Zahl der Talgdrüsen bei je einem Härchen variirt zwischen zwei
bis fünf, die Länge der einzigen Schweissdrüse ist gleichfalls variabel.
Beiderlei Drüsen sind von einem Capillarnetz zierlich umsponnen.
Im oberen inneren Wiukel befindet sich ein kleines Segment eines Bün-
dels grosser Blutgefässe in Begleitung eines starken Nerven.
Arterie, Vene und 'Nerv geben je einen Zweig in die abgebildete
Flughautpartie ab, deren weiterer Verlauf auf der Tafel dargestellt ist.
30 Erklärung der Abbildungen.
Die feinsten Blutgefässe, sowie die Capillargefässe erscheinen von den tief-
sten pigmentlosen Zellen der Malpighi’schen Schicht umsäumt.
Ueber die ganze Tafel erstreckt sich das Netz stärkerer und schwä-
cherer blasser Nervenfasern.
Im Stroma der Flughaut sind zahlreiche Bindegewebskörperchen vor-
handen.
Tafel II.
Stellt die Nerven eines kleinen Stückchens aus dem innersten Dritt-
theile der Flankenflughaut von Vesperugo serotinus dar.
Der Verlauf sämmtlicher Nerven mit Einschluss der stärkeren, blau
dargestellten blassen Nervenfasern ist zum allergrössten Theile mit portrait-
mässiger Genauigkeit von einem einzigen gelungenen Präparate entnommen.
Nur die feinsten blassen Fasern, welche carminroth dargestellt sind und deren
Verfolgung im Zusammenhange längs des ganzen Präparates ein Ding der
Unmöglichkeit ist, sind theils von fremden Präparaten zusammengestellt und
ergänzt. Der Verlauf der einzelnen Nervenstämmchen ist etwas abgekürzt, weil
sonst die Tafel gar zu colossal ausgefallen wäre; es erscheinen somit die
Maschen etwas enger als im natürlichen Zustande. Die Vergrösserung
ist 350.
Vier stärkere, aus dunkelrandigen Fasern bestehenden Nervenstämm-
chen, welche in diese Parthie eintreten, gehören der ersten oder mittleren
unparigen Nervenschicht an; sie sind schwarz gezeichnet und von dunkel-
braunen sternförmigen Pigmentzellen umsponnen.
Die Nerven der zweiten (paarigen) Schicht sind gleichfalls schwarz
dargestellt, entbehren jedoch der sternförmigen Pigmentzellen; es sind die
drei feinen und feinsten aus dunkelrandigen Fasern bestehenden Nervenstämm-
chen; mit ihnen im Zusammenhange stehen die gleichfalls schwarz gezeich-
neten Terminalkörperchen.
Die Nerven der dritten Schicht sind braun gezeichnet; es sind dies
feinste Nervenstämmchen, bestehend aus je zwei starken blassen Nerven-
fasern.
Die Nerven der vierten Schicht sind blau dargestellt; sie bilden ein
unregelmässiges Netz stärkerer und schwächerer blasser Nervenfasern mit
polymorphen Anschwellungen an den Knotenpunkten.
Die fünfte Nervenschicht ist carminroth dargestellt und besteht aus
den feinen und feinsten, meiner Ansicht nach terminalen blassen Nervenfasern.
Tafel IV.
Stellt ein Härchen mit dessen Anhangsdrüsen, dem Terminalkörperchen
und dessen Nerven aus der Mitte der Flankenflughaut von Vesperugo sero-
tinus dar. Vergrösserung 1005.
Der Haarschaft ist an seinem Grunde von dem gekerbten Rande der
Glashaut des Haarbalges umgeben.
Erklärung der Abbildungen. 31
Unter der Haarzwiebel liegt von der Glashaut umhüllt das Terminal-
körperchen.
Zu beiden Seiten des Haarbalges liegt je eine mächtige Talgdrüse. Die
grosse Schweissdrüse schlingt sich um das Ganze. Von den gegen den Haar-
balg zustrebenden Nervenstämmchen begeben sich sechs dunkelrandige Fasern,
zu je dreien je ein Stämmchen bildend, zum Terminalkörperchen. Zwei vom
Hauptstämmcehen übrig bleibende Fasern streichen weiter, werden blass und
gehen in das Netz blasser Nervenfasern über.
Tafel V.
Fig. 1. Ein Stückchen der Oberhaut der äusseren (dorsalen) Flug-
hautoberfläche von Vesperugo serotinus im natürlichen gefalteten Zustand.
Vergrösserung 350.
Fig. 2. Ein Stückchen derselben Oberhaut nach leichter Einwirkung
von Alkalien und unter mässigem Druck. Die Falten sind verschwunden, die
einzelnen Oberhautzellen flach ausgebreitet. Vergrösserung 350.
Fig.3. Eine Gruppe von Zellen der oberen Malpighi’schen Schicht von
der äusseren (dorsalen) Flughautoberfläche von Vesperugo serotinus. Ver-
grösserung 1005.
Fig. 4. Eine Gruppe derselben Zellen von der inneren (ventralen) Flug-
hautoberfläche. Vergrösserung dieselbe.
Fig. 5. Eine sternförmige Pigmentzelle aus dem Stroma des inneren
Dritttheiles der Flankenflughaut von Vesperugo serotinus. Vergrösserung 450.
Fig. 6. Senkrechter Durchschnitt der Flughaut von Vesperugo sero-
tinus. Vergrösserung 300. Die Begrenzung nach oben und unten bilden die
betreffenden Zellen der Oberhäute und der Malpighi’schen Schichten. Das
Stroma erscheint als welliges Bindegewebe mit zahlreichen Bindegewebskör-
perchen. In der Mitte des Stromas nach oben liegt ein Haarbalg mit seinen
Anhangsdrüsen, zu beiden Seiten eine durchschnittene Talgdrüse und um
dieselbe drei Durchschnitte der verschiedenen Windungen der Schweissdrüse.
Unter der Haarzwiebel liegt das Terminalkörperchen. Unter dem Haarbalg
liegt der Querdurchschnitt eines mächtigen elastischen Balkens. Zu beiden
Seiten gegen die Ränder zu liegen zwei schief durchschnittene braun ge-
zeichnete Muskelbündel.
Ausserdem finden sich im Stroma Durchschnitte von Blutgefässen, Ca-
pillaren und Nerven.
Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle
im Bindegewebe,
und Bemerkungen über die Structur des Letzteren.
Von
Dr. W. Flemming.
Hierzu Taf. VI, VII und VII.
Es darf als allgemein angenommen gelten, dass, was man
Fettgewebe nennt, eine Metamorphose des Bindegewebes darstellt.
überall, wo sich normale Fettzellen entwickeln, geschieht dies im
Bereich des fibrillären Bindegewebes, und seit man Zellen im Letz-
teren kennt, hat man sie als Entwicklungsgrundlage der Fettzellen
angesprochen. Es knüpfen sich aber hieran einige Fragen, deren
Beantwortung noch nicht versucht, welche, soviel mir bekannt ist,
überhaupt noch kaum gestellt worden sind.
Wenn fibrilläres Bindegewebe sich zu Fettgewebe umzuformen
vermag, warum geschieht dies immer zuerst an bestimmten Körper-
regionen und bleibt auf bestimmte beschränkt? Warum verhal-
ten sich Strecken des lockeren Bindegewebes, die morphotisch ein-
ander ganz gleich sind, in dieser Beziehung so verschieden? Ferner:
man beobachtet constant, dass das Fettgewebe immer in kleinen
umschriebenen Heerden sich anlegt. Was ist der Grund davon?
Wenn jede Bindegewebszelle Fettzelle werden kann, so dürfte man
ebenso gut erwarten, dass die Aufspeicherung des Fettes ganz diffus
im Gewebe verstreut erfolge. Und dieser Ausdruck Aufspeicherung,
dem eine vielverbreitete Auffassung von der Bedeutung des Fettes
im Körperhaushalt zu Grunde liegt, ist er berechtigt? Stellt
das Fettgewebe wirklich eine blosse Anhäufung von »überschüs-
Dr. W. Flemming: Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle u.s.w. 33
sigem Ernährungsmaterial« dar, oder muss man ihm eine activere
fortdauernde Rolle im Stoffwechsel des Thierleibes zumessen ?
Diese Fragen greifen weiter, als dass eine rein histiologische
Untersuchung sie zu lösen vermöchte. Aber um an ihre Beantwor-
tung überhaupt zu gehen, scheint es nöthig, zuvor über das rein
morphologische Problem ins Klare zu kommen: Welche Form-
elemente sind es, die bei der Bildung, dem Leben und Schwinden
des Fettgewebes ins Spiel kommen, und welcher Art sind die histio-
logischen Veränderungen, die sie dabei eingehen?
Der Lösung dieses Problems sollen die hier mitgetheilten Unter-
suchungen dienen. Durch einen Blick auf dasjenige, was über den
Gegenstand bisher bekannt war, glaube ich zeigen zu können, dass
das Unternehmen kein müssiges ist; denn vom Standpunkt der
neueren Bindegewebshistiologie ist die Frage nach der Genese der
Fettzelle bisher noch nicht endgültig beantwortet worden.
Nach Virchow!) erfolgt bei Embryonen die Entwicklung des
Fettgewebes aus dem von ihm sogenannten Schleimgewebe: die run-
den Zellen in demselben vermehren sich durch Wucherung zu je
einem grösseren Häufchen, dessen Zellen dann Fett aufnehmen.
Ganz ähnlich erfolge die Fettzellenneubildung in Lipomen, daneben
aber hier auch von den alten Fettzellen aus. Ausserdem führt
Virchow eine pathologische Beobachtung — bei progressiver
Muskelatrophie — dafür an, dass spindelförmige Bindegewebszellen
sich zu Fettzellen umgestalten?). Einen ganz ähnlichen Fall theilt
v. Wittich mit?) und Förster*) gibt an, dass dies bei hypertro-
phischer Fettwucherung und fettiger Entartung der gewöhnliche
Weg sei; daneben scheine aber auch Theilung der alten Fettzellen
vorzukommen.
Von den verbreiteten Handbüchern der Gewebelehre enthält
dasjenige von Frey°) die ausführlichsten Angaben über den Gegen-
stand, welche sich wesentlich den eben citirten anschliessen. Die
Entstehung der Fettzellen beim Embryo erfolgt nach Frey »wohl
von jenen sphärischen Zellen aus, welche die Hohlräume des wer-
1) Die krankhaften Geschwülste, 1865 Bd. I. 369.
2) V. Arch. Bd. VIII. 1855 p. 538.
3) Ebenda Bd. IX. 1859 p. 195.
4) Handb. d. path. Anat. 1865 4. Lief. p. 234.
5) Handb. d. Histol. u. Histochem. d. M. 1867 p. 240.
M. Schultze, Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 7. 3
34 Dr. W. Flemming:
denden formlosen Bindegewebes erfüllen« (es wird dabei auf eine
Abbildung der runden Zellen in den Maschenräumen der Whar-
t!on’schen Sulze verwiesen). In späterer Zeit liegen dann nach Frey
aneinandergedrängt, polyedrisch abgeplattet und von dem bekannten
Gefässnetz umsponnen, ansehnliche kugelige Zellen, in der Regel
noch ohne Fetttröpfchen; dann treten in ihnen einzelne Tröpfchen
auf und confluiren, ein Vorgang, welcher in umgekehrter Reihen-
folge ganz die Bilder der an Fett verarmenden Zelle des reifen
Körpers wiederhole — auch findet man bei Frey’s Darstellung
des Fettschwundes (p. 296 Fig. 188) dieselbe Serie von Zellen ab-
gebildet, welche hier (Fig. 192) als progressive Reihenfolge ge-
zeichnet sind. Während es also hier, im Embryo, nach Frey
runde Zellen sind, welche Fett aufnehmen, spricht derselbe sich
p. 241 dahin aus, dass im fettig durchwachsenem Muskel auch
stern- und spindelförmige Bindegewebskörperchen sich mit Fett fül-
len können.
Die Morphologie des Fettschwundes ist wie gesagt nach Frey
in umgekehrter Folge ganz dieselbe wie die der Fettbildung. Ist
alles Fett geschwunden, so bleiben sogenannte »serumhaltige Fett-
zellen«, in denen das Fett »durch einen flüssigen Inhalt von anderer
Mischung« ersetzt ist; man findet sie in abgemagerten, sowie in
wassersüchtigen Leichen.
Kölliker in seinem Handb. der Gewebelehre spricht sich über
“die Entwickelung des Fettgewebes nicht näher aus; nur eine Angabe
desselben (Handb. d. Gewebelehre 1863 p. 113) habe ich später zu
berücksichtigen. Die an Fett verarmte »serumhaltige« Fettzelle
beschreibt er als: »neben mehr oder weniger geschwundenem Fett,
das meist als eine einzige, dunkler gefärbte Fettkugel erscheint,
eine helle Flüssigkeit und einen deutlichen Kern enthaltend, und
bedeutend kleiner als regelrechte Fettzellen, 0,01—0,015°. An den
ganz fettlos gewordenen Fettzellen beobachtete er eine zarte oder
verdickte Hülle.
In seinem »Handb. d. pathol. Gewebelehre« gibt Rindfleisch
(I. Lief. p. 48 Fig. 23) eine Abbildung von Fettinfiltration des Binde-
gewebes — es ist nicht gesagt, ob pathologischer oder normaler —
in welcher das Fett lediglich in stern- und spindelförmigen Binde-
gewebskörpern auftretend dargestellt ist. Nach Rindfleisch sieht
man selten mehr als zwei, höchstens drei isolirte grössere Tropfen
in einer Zelle auftreten, welche sich beeilen zusammenzufliessen.
Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle im Bindegewebe u.s. w. 35
Auf R.’s Angaben über atrophisches Fettgewebe werde ich unten
zurückkommen.
Zuletzt ist die Histiologie der Fettbildung besprochen worden
in Strieker’s Handbuch der Lehre von den Geweben, in Rolletts
Aufsatz: Von den Bindesubstanzen (p. 69). Diese Darstel-
lung besagt, dass man »als erste Entwicklungsstufe der späteren
Fettzellen kleine runde, körnige Zellen mit runden Kernen sehe, die
das Ansehen junger Zellen haben; im Innern derselben entstehen
zuerst kleine, stark lichtbrechende Tröpfchen, die sich aber sehr
bald meist zu einem einzigen grösseren Fetttropfen in der Mitte der
Zelle sammeln; viel seltener gewahre man mehrere grössere Tropfen
nebeneinander. Beim Grösserwerden des centralen Fetttropfens
behalte das umgebende Zellprotoplasma anfangs noch sein körniges
Ansehen, später bleibe von ihm nur noch die dünne und glatt er-
scheinende Hülle des Fetttropfens mit dem platter und glatter ge-
wordenen Kern. Rollett schliesst übrigens, dass beim Wachsen der
Zelle nicht nur das Fett, sondern auch das Protoplasma an Masse
zunehme.
Von Fettbildung in spindel- oder sternförmigen Zellen redet
Rollett nicht.
Die, soviel mir bekannt ist, einzige Monographie über den
Gegenstand hat F. Czajewicz!) geliefert; sie ist, ausser in einer
kurzen Notiz bei Rollett (vgl. unten), in den angeführten Hand-
büchern nicht erwähnt. Auf ihren Inhalt werde ich bei meinen
eigenen Mittheilungen noch vielfach zurückkommen müssen und
citire hier nur die Hauptresultate, wie sie Czajewiczl. c. p. 318
zusammenfasst. Hinsichtlich der Entwicklung sagt Czajewicz:
»Man sieht deutlich, wie die kleinen, zarten, abgeflachten, fein-
körnigen Bindegewebszellen, welche nach Cz. alle rundlich und
membranhaltig sind, sich mit kleinen Fetttröpfehen anfüllen, die
fortwährend an Umfang zunehmen und schliesslich zu grossen
Tropfen zusammenfliessen.
»Bei reichlicher Fütterung findet nicht nur eine Ablagerung
vom überschüssigem Ernährungsmaterial in den Fettzellen statt,
1) Mikroskop. Unters. über die Textur, Entwickelung, Rückbildung
und Lebensfähigkeit des Fettgewebes, in Reichert und Du Bois Arch.
Jahrg. 1866 p. 289; deutsch durch H. Hoyer. Ein besonderer Abschnitt
einer grösseren polnisch geschriebenen Arbeit »über d. Fettgewebe u. seine
physiol. Bedeutung«. Dieses polnische Original war mir nicht zugänglich.
36 Dr. W. Flemming:
sondern man bemerkt auch an den Formelementen anderer Gewebe
eine sichtliche Zunahme und selbst strotzende Fülle, z. B. an den
Zellen des Bindegewebes und am einschichtigen Epithel des Mesen-
teriums, dessen Zellen sogar vollständig mit Fett erfüllt werden
können.«
»Bei Nahrungsentziehung wird der Fetttropfen in der Zelle re-
sorbirt, seine Stelle »grösstentheils durch eine helle sehr feinkörnige
Flüssigkeit ersetzt; bei längerem Hungern schwindet das Fett gänz-
lich und es bleiben die Formelente des Bindegewebes in Form von
grossen, schönen, runden, mit seröser Flüssigkeit gefüllten und mit
deutlicher Membran und mit einem oder mehreren Kernen versehe-
nen Zellen zurück ..«
Beim Wiederansatze des Fettes »sammelt sich dasselbe in den
ursprünglichen Fettzellen wieder an«, unter fast ganz
denselben Erscheinungen wie bei der ersten Entwickelung.
Endlich gibt Cz. an, beobachtet zu haben, dass bei künstlicher
Entzündung des Fettgewebes »in den Fettzellen eine reichliche
endogene Entwickelung Junger zelliger Elemente« vor sich gehe.
Alle die eitirten Angaben stimmen darin überein, dass sie die
Fettzellen aus Zellen des Bindegewebes ableiten!), Früher mochte
man sich hiermit befriedigt halten; heute aber ist »Zelle des Binde-
gewebes« bereits ein mehrdeutiger Begriff geworden. Seit vor etwa
acht Jahren v. Recklinghausen’s Arbeiten die Histiologie der
Bindesubstanzen bereicherten, wissen wir ja, dass in jedem norma-
len Bindegewebe zwei wohlcharakterisirte Zellenarten vorkommen :
die Virchow’schen, freien Bindegewebskörperchen und die freien,
wandernden Zellen. Seitdem konnte die Frage nach der Fettzellen-
bildung nur so gefasst werden: »Ist es eine bestimmte von
diesen beiden Zellenarten, welche sich zur Fettzelle
entwickelt, oder sind es beide, oder ist es eine dritte,
eigenartige Zellenform?
Legen wir diesen Maassstab an die obigen Angaben, so ergibt
sich, dass sie offenbar sehr auseinandergehen.
Nach Virchow und nach der von Frey gegebenen Darstel-
lung sind es im Embryo runde Zellen, welche durch Proliferation
1) Gegenüber der älteren Ansicht (vgl. z. B. Henle’s allg. Anatomie
1841 p. 396), dass die Zelle selbst erst um einen Fetttropfen »wie um einen
Cytoblasten« sich anlegen könne.
Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle im Bindegewebe u. s. w. 37
die Elemente der Fettzellenhaufen abgeben. Im reifen intermuscu-
lären Bindegewebe bei der Mästung, und bei pathologischer Fett-
neubildung, sollen nach jenen Forschern, nach v. Wittich und
Förster, spindel- und sternförmige Zellen Fett aufnehmen.
Rindfleisch scheint, nach seiner Abbildung wenigstens, diesen
Modus als den einzigen der Fettinfiltration anzunehmen. Hiermit
harmoniren wiederum nicht Rolletts Angaben: nach ihnen sind
die ersten Entwickelungsstufen der Fettzellen »im Embryo wie im
Erwachsenen« kleine runde körnige Zellen, »welche das Ansehen
junger Zellen haben«. — Czajewicz’s Mittheilungen endlich sind
von unseren modernen Anschauungen aus nur schwierig zu beurthei-
len, da sie sich nicht auf deren Boden bewegen. Obwohl seine Ab-
handlung 1866 erschienen ist, also mehrere Jahre nach den Arbei-
ten v. Recklinghausens, erwähnt er die Wanderzellen mit keinem
Wort. Aber auch spindelförmige Bindegewebskörper erkennt er
nicht an, und lässt sie, wo er ihrer Erwähnung thut, stets unter
der Wacht des Wortes »sogenannt« auftreten. Er kennt vielmehr
im Bindegewebe nur eine Art von Zellen; dieselben sollen zart con-
tourirt und feinkörnig, rundlich und dabei schuppenförmig abge-
flacht sein und oft »epithelartig aneinandergeordnet« liegen (p. 301
ff.): wenn man dieselben von der Kante sähe, meint Czajewicz,
müssten sie natürlich spindelförmig erscheinen, und so seien die
Bilder der sogenannten Spindelzellen zu erklären. — Es kann uns
heute, auf Grund der neuesten Errungenschaften von Ranvier,
eine Andeutung der Wahrheit erscheinen in dieser Czajewicz’-
schen Auffassung; aber es ist noch viel mehr Unwahres daran, sein
Versuch, alle Bindegewebszellen auf ein Schema zu bringen, ist
entschieden unglücklich und braucht kaum bekämpft zu werden.
Wenn man sich wirklich denken wollte, dass einer der spindel- oder
walzenförmigen Zellenkörper, die wir im frischen Bindegewebe be-
obachten, nur die Kantenprojection einer runden, linsenförmigen
Zelle sei, und wenn man sich demnach das Flächenbild davon con-
struirte: so würde eine so colossal grosse Rundzelle herauskommen,
wie man sie wohl schwerlich je im Bindegewebe beobachtet und wie
sie mit den, uns genugsam bekannten kleinen, rundlichen Wander-
zellen sicher nicht zu verwechseln wäre. — Wenn also Gzajewicz
mit diesen Ansichten über die Zellelemente des Bindegewebes zu
dem Resultat kommt, die Fettzellen entständen »aus gewöhnlichen
38 Dr. W. Flemming:
Bindegewebszellen«, so wissen wir damit über die Morphologie der
letzteren und des ganzen Vorganges soviel, wie zuvor.
Die Frage, ob die Vorstufen der Fettzellen eine bestimmt
characteristische Zellenform darstellen, war also eine offene. Ich
bin vor mehr als einem Jahre an ihre Entscheidung gegangen unter
dem vollen Eindruck der glänzenden Cohnheim’schen Entdeckun-
sen. Mussten dieselben doch jeden Histiologen auf die nahe Mög-
lichkeit hinweisen, dass ein grosser Theil des physiologischen Lebens
der Gewebe nicht minder, wie des pathologischen, extravasirten Iym-
phoiden Zellen anheimfallen möge.!) Die bisherigen Angaben wie-
sen vielfach auf kleine, runde Zellen als Vorstufen der Fettzellen
hin; dies und manche eigene Beobachtungen, vor Allem die unten
zu besprechende, enge Abhängigkeit der Fettbildung von den Blut-
gefässen, legten den Gedanken nahe, dass der Ursprung der Fett-
zellen ständig zu suchen sei in ausgewanderten farblosen Blutzellen.
Lange habe ich in diesem Glauben methodisch gearbeitet, oftmals
ihn bestätigt gemeint; allmählich, unter immer wiederholter Sich-
tung des Gewonnenen, bin ich von ihm zurückgekommen, und habe
jetzt beim Abschluss fast das Gegentheil von dem mitzutheilen, was
ich Anfangs zu finden hofite. Diese offene Darlegung des Arbeits-
ganges kann wenigstens bezeugen, dass meine Resultate keiner vor-
gefassten Meinung das Wort reden.
Bevor ich dieselben jedoch bespreche, habe ich Einiges über
das Terrain zu bemerken, auf welchem sich die Untersuchung be-
wegen musste: das fibrilläre Bindegewebe, über welches uns ja
in Jüngster Zeit merkwürdige und reformirende Aufschlüsse zugekom-
men sind. Wenn auch die Funde Ranvier’s?) über die Bindegewebs-
zellen gewiss überall die verdiente Aufmerksamkeit gefunden haben,
so sind sie in ihrer Gesammtheit doch bisher noch so unbestätigt
geblieben ?), dass es mir geboten scheint, hier kurz darauf einzu-
1) Kaum prägnanter kann man diesen Gedanken ausgesprochen finden,
als in einer Stelle bei Rollett (»von den Bindesubstanzen« in Strickers
Handbuch, I. Lief. pag. 40 Z. 8 ft.)
2) Elements cellulaires du tissu conjonctif. Arch. de physiol. 1869
p- 471, und: Compt. rend. fevr. et juin 1869. — Ref. Centralblatt 1869 Nr.
47, enthalten auch in der neuen französ. Uebersetzung v. Frey’s Histologie.
3) Wenigstens für das lockere Bindegewebe. Bezüglich der Hornhaut-
zellen ist neuerlich Schweigger-Seidel (Ueber d. Hornhaut d. Auges.
Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle im Bindegewebe u.s. w. 39
gehen. Ich musste für meinen Gegenstand die Formen der Binde-
gewebszellen in allen Entwickelungsstadien einem genauen Studium
unterziehen; sobald ich mit Ranvier’s Arbeiten bekannt war, habe
ich dabei auch dessen eigene Methoden zu Rath gezogen, und kann
mich ihm in dem, was er von den Formen der Bindegewebszellen
aussagt, fast völlig anschliessen. Die fixe Zelle des erwachsenen
fibrillären Bindegewebes ist kein stern- oder spindelförmiger, wurst-
oder walzenförmiger Protoplasmakörper, sondern hat die Gestalt
einer länglichen, unregelmässig gezackten und verschiedentlich ge-
bogenen Platte, welche in ihrer Mitte oder excentrisch den platten
ellintischen Kern mit mehr (besonders Kaltblüter) oder weniger
(Warmblüter) umgebendem körnigen Protoplasma enthält. Die bei-
den letzteren Theile sind es fast allein, die man für gewöhnlich am
frischen Object sieht und welche die bekannten Bilder länglicher
kernhaltiger Körperchen gewähren: die Fibrillen, die sich gleich
beim Herausschneiden zu einem dichten Filz zusammenrollen,
machen frische Stückchen allzu opak, um die zarten Platten deut-
lich erkennen zu lassen. Auch sind letztere, namentlich an den
sehr protoplasmareichen Zellen der Amphibien (Frosch) so blass und
hyalin, dass sie auch freiliegend dem Auge fast entgehen und man
meistens nur die Bilder protoplasmatischer Zellen gewahrt, wie sie
in Kühne’s »Protoplasma und Contractilität« gezeichnet stehen !).
Doch kann man die Platten schon ohne die Ranvier’schen, über-
haupt ohne complicirte Methoden auch an solchen frischen Präpa-
raten erkennen, wenn man diese nur recht frei und flach ausgebrei-
tet hat; man wird dann namentlich an den Rändern immer auf
etwas auseinandergebogene Zellen stossen, welche gar nicht stern-,
Arb. d. Leipz. physiol. Instituts, 1870) zu Resultaten gelangt, welche mit
den Ranvier’schen im besten Einklang stehen; und derselbe erwähnt bei-
läufig, dass Ranvier’s Angaben über die Zellen der Sehne leicht zu bestä-
tigen seien. Letzterem kann ich mich völlig anschliessen.
1) In dem Bindegewebe der Amphibien kommen übrigens ausser den
lebhafter kriechenden Wanderzellen vielfach gestreckte Zellen vor, die rein
protoplasmatisch sind und keine Spur einer Platte zeigen: besonders fallen
dahin die von Kühne beschriebenen grobkörnigen walzigen Formen (Fig. 8g).
Bei Warmblütern habe ich Aequivalente davon nicht beobachtet. — Dass
das hier reichlich entwickelte Protoplasma der fixen Zelle seine Gestalt und
damit wohl auch die der Platte zu ändern vermag, erscheint nach den Er-
fahrungen Kühne’s (Prot. u. Contr. p. 113) und Rolletts (l. c.) zweifellos.
40 Dr. W. Flemming:
spindel- oder walzenförmig, sondern durchaus wie gefaltete Platten
aussehen, wenn man auch diesen Faltungen vielfach erst durch die
Stellschraube folgen muss. Ich verweise hierfür auf meine Figg.
5a, 6 und Sa, welche sämmtlich aus frischen, in Lymphe oder
Jodserum untersuchten Präparaten stammen.
Noch besser lässt sich dies Verhalten sehen an ganz gewöhn-
lichen Essigsäurepräparaten, wie sie seit Jahren zu Tausenden ge-
fertigt wurden, ohne dass freilich Jemand auf diesen Gegenstand
aufmerksam wurde. Die Säure — weit entfernt übrigens, eine Mem-
bran an den Zellen darzustellen, wie z. B. Czajewicz (p. 302)
es behauptet, oder ihre Gestalt zu ändern — macht die Sub-
stanz der Platten trüber, oft körnig, so dass man mit einem guten
starken System über ihre Beschaffenheit gar nicht in Zweifel blei-
ben kann (Fig. 5b); man muss nur eben den freiliegenden, nicht
den von Fibrillen verdeckten Zellen Aufmerksamkeit schenken.
Eine sehr schöne Hülfe gewährt es, Bindegewebe von fettan-
setzenden Thieren zur Untersuchung zu wählen, in welchem an
oder in den platten Zellen vielfach kleine Fettkörnchen haften (s.
unten). Hier kann man, nach Aufhellung durch Essigsäure, auch
mitten zwischen dicht verschlungenen Fibrillenmassen die Platten
constatiren,; denn wenn man auch von ihnen selbst nichts sieht, so
gibt die Anordnung der Körnchen um die elliptischen Kerne her die
Gestalt der Platten auf das Deutlichste an (Fig. 9).
Um aber recht demonstrative Bilder zu haben, wendet man
am besten die Ranvier’schen Methoden (l. c.) oder ähnliche an,
besonders die Herstellung künstlicher Oedeme. Will man nur die
Zellenformen studiren, so finde ich es genügend, das subcutane
Bindegewebe oder das intermusculäre des Frosches mit Jodserum
oder schwacher Kalibichromieumlösung aufzuspritzen, und aus dem
so entstandenen gallertigen Oedem einen feinen Scheerenschnitt rasch,
ehe er sich wieder zusammenkrollt, einzudecken und frisch zu unter-
suchen (Fig. 6), oder unter dem Deckglas durch Carmin- oder Pikro-
Carminlösung, welche man mit Löschpapier hineinzieht, längere Zeit
zu färben. Schwache Silberlösung (0,1 pCt.) ist zur Einspritzung
noch vortheilhafter, indem die platten Zellen danach durch die
aufgelagerten körnigen Metallniederschläge sich besonders scharf
markiren. Die schönsten Präparate habe ich jedoch erhalten, indem
ich nach Ranvier’s Angabe Leimmassen zur Injection benutzte,
welche nach dem Erstarren jedes Zusammenschnurren des Gewebes
Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle im Bindegewebe u.s.w. 41
verhindern. Gewöhnlich verwandte ich Klebs’schen Glycerinleim,
dem !/s seines Volums Silberlösung von 0,1 pCt. zugesetzt war;
den ausgeschnittenen Leimtumor liess ich gefrieren, um gleichmässig
dünne Schnitte anzufertigen, welche dann gewaschen, mit Pikro-
carmin!) 6—12 Stunden lang gefärbt und nach abermaliger sorg-
fältiger Waschung mit Aqu. destillata, indem Ranvier’schen Amei-
sensäure-Glycerin (1 :100) oder in reinem Glycerin eingeschlossen
wurden. Alle diese Proceduren nimmt man wegen der Zartheit
der Schnitte am besten gleich auf dem Öbjectglas vor, welches man
dazu passend mit einem Wall von Wachsmasse umzieht. Die Fär-
bung mit gewöhnlichem ammoniakalischem Carmin und andern Mas-
sen hat den Nachtheil, dass der Leim sich stark mitfärbt und die
Röthe aus ihm weder durch Waschen noch durch Säurewirkung
herauszubringen ist; was an Pikrocarmin- Präparaten hinreichend
gelingt.
Die fixen Zellen zeigen sich an so behandelten Präparaten
theilweise, wiees Ranvier angibt, den Fibrillenbündeln und elasti-
schen Fasern anliegend, oder herumgewickelt; grossentheils aber
liegen sie frei, und es scheint mir das der natürliche Situs, keine
Folge von Losreissung durch die Präparation zu sein. Wenn man
die wirklich an den Fasern sitzenden Zellen beobachtet, während
man das Deckglas fortdauernd stark drückt, beklopft und verrückt,
so findet man, dass ihr Zusammenhang mit den Fasern dadurch
fast gar nicht gelockert wird; es ist also schwer zu glauben, dass
dies durch eine sehr vorsichtige und langsame Injeetion von Flüs-
sigkeit ausgeübt werden könnte, wie ich sie stets ausgeführt habe.
Eine weitere Stütze für diese Ansicht geben mir die Befunde am
embryonalen Gewebe (s. unten).
Anastomosen der platten Zellen untereinander konnte ich im
Einklange mit Ranvier!) beim erwachsenen Thier nicht häufig
1) Da die Bereitung des Reagens leicht misslingt, gebe ich hier die
Herstellungsmethode an, wie ich sie Ranvier (durch freundliche Vermitt-
lung des Herrn Dr. Sanders-Ezn) und Prof. Kühne verdanke: Völlig reine,
eoncentrirte und filtrirte Pikrinsäurelösung wird (kalt oder warm) allmählich
zu einer starken, ammoniakalischen Auflösung reinen Carmins gefügt, und
zwar bis zur Neutralisation (bei Uebersäuerung kommt ein Niederschlag; und
man versucht am bequemsten an kleinen entnommenen Proben, ob sie noch
Säure vertragen). Geringe Niederschläge können wegfiltrirt werden.
42 Dr. W. Flemming:
feststellen. Sie werden stets vermittelt durch äusserst zarte, blasse
Ausläufer der Platten, welche sehr leicht zerreissen. Auch hier be-
stimmen mich die Befunde beim Embryo anzunehmen, dass die Ana-
stomose gleichwohl nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist.
Nach Ranvier besteht das fibrilläre Bindegewebe lediglich
aus Faserbündeln, elastischen Fasern und Zellen, ohne weitere Zwi-
schensubstanz, — »on n’y observe ni lames, ni trous; les mots de
tissu lamineux et de tissu cribleux sont done mauvais« (l. c. p. 484).
Ich muss jedoch bekennen, dass ich in jedem fibrillären Bindegewebe
noch ausser jenen Elementen Etwas finde, das auf den Namen
Zwischensubstanz gegründeten Anspruch hat. An Silber-Oedemen
obiger Art, oder an Silberleimpräparaten, wenn man den Leim durch
Hinlegen an die Sonne zerfliessen liess, sieht man massenhaft zwi-
schen den Fibrillen zarte, mit körnigen Niederschlägen bedeckte
Membranen sich ausspannen (Fig. 7z), welche beim Verrücken des
Deckglases flottiren und sich deutlich an den Fasern befestigt zeigen.
Verunreinigungen sind das nicht; der Leim war vor der Injection
durch Vliesspapier filtrirt und ganz klar. Man könnte jedoch sagen,
es seien nur Producte der Silberwirkung, Gerinnungen aus der Ge-
websfiüssigkeit. Aber man kann dieselben, nur viel blasser, eben-
falls an ganz frischen, nicht different behandelten Präparaten wahr-
nehmen. Man untersuche ein Schnittchen vom intermusculären
Gewebe des Frosches, in Froschlymphe oder frischem Jodserum.
Letzteres ist diesem Object gegenüber völlig indifferent, es zeigt
ganz dasselbe Bild wie die Lymphe. Man wird bei günstigem Licht
zwischen den Fibrillen wiederum eine blasse Substanz bemerken,
welche sich vom leeren Sehfeld durch einen sehr zarten Saum ab-
setzt (Fig. 8a, z). Man erkennt sie oft nur durch das Flottiren-
lassen und könnte manchmal an eine Täuschung glauben; aber es
gibt ein Hülfsmittel. In dieser Substanz liegen stellenweise kleine
Körnchen (Fig. 6, Sab, k). Lässt man flottiren, so bewegen sich
diese Körnchen ganz correspondirend mit der Bewegung der Fibril-
len, sie behalten stets den entsprechenden Abstand von Letzteren
bei — sie müssen eben in einem festen Etwas eingebettet sein oder
doch ihm aufliegen, welches mit den Fasern in Verbindung ist.
Vollkommen dasselbe zeigt sich beim Warmblüter (Fig. 7, Silber-
präparat). Wollte man auch diese Bilder für Kunstproducte er-
1) »Mais cette disposition est tres-rare.«e L. c. p. 482.
Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle im Bindegewebe u.s.w. 43
klären, so könnte dies nur durch die Annahme geschehen, dass
schon das blosse Herausschneiden des Gewebes die bezüglichen Ge-
rinnungen veranlasse.
Die Frage nach einer interfibrillären Zwischensubstanz hat
nach einer Seite eine besondere Wichtigkeit. Die fixen Binde-
gewebszellen haben in ihrer Form so viel Aehnlichkeit mit denen,
welche wir als Endothelien bezeichnen, dass der Gedanke nahe
liegt, sie könnten als ein durchbrochenes Endothel zu betrach-
ten sein und als solches eine Fortsetzung der Zellendecke darstel-
len, welche die Lymphgefässe austapezirt. In der Sehne, in der
Hornhaut nach den neuesten Erfahrungen Schweigger-Sei-
del’s ist die Analogie noch auffallender, die fixen Zellen kleiden
dort in noch dichterer Aneinanderlagerung die Gewebsspalten aus.
Auch mit v. Recklinghausens Ansichten wäre diese Auffassung
sehr wohl in Einklang zu bringen, da dieser Forscher selbst an-
nimmt, dass die fixen Zellen innerhalb der Saftkanälchen liegen
können. Das Bindegewebe wäre danach ein Lymphsack !); die
Bindesubstanzen, wie das Lymph- und Blutgefässsystem, also alle nach
His parablastischen Gewebe, würden als gemeinsame Eigenthüm-
lichkeit die Ausstattung mit platten Zellen darbieten. Es bleibt
nur noch nachzuweisen, wie die Lymphgefässe im lockeren Binde-
gcwebe endigen; mit Ranvier wird man zu der Annahme kommen,
dass sie frei in den Sack münden, welchen dasselbe darstellt. Es
ist nun nicht zu läugnen, dass das Vorhandensein einer besondern
Zwischensubstanz diese Frage complieiren kann; die feinsten Lymph-
bahnen könnten ja vielleicht innerhalb dieser gelegen sein, also
doch ein geschlossenes Canalsystem bilden. Ich bemerke jedoch,
dass ich diese Ansicht durchaus nicht vertreten will, vielmehr die
so eben skizzirte Theorie viel annehmbarer finde. Man sieht in jenen
zarten Membranen auch an versilberten und gefärbten Präparaten
keinerlei Structur, geschweige denn etwa Zellengrenzen, und sie
scheinen weit mehr unter die Rubrik der »interfibrillären Kittmas-
sen« zu fallen, welche in geformten Bindesubstanzen beschrieben
werden. |
Wenn, wie ich oben sagte, ein Anhaften der Zellen an den
Fibrillen nur ausnahmsweise vorkommt, wenn, mit andern Wor-
1) Zu diesem Vergleich kommt bereits Ranvier selbst (l. c. p. 485),
obwohl er sich auf den Ausdruck Endothel nicht einlässt,
44 Dr. W. Flemming:
ten, jene zu diesen in keiner constanten Lagerungsbeziehung zu
stehen scheinen, so möchte ich nicht dasselbe behaupten bezüg-
lich der Zellen und der Zwischensubstanz. Es sieht in der
That "aus, als ob die platten Zellen sich bald mit ihrer ganzen
Fläche, bald wenigstens mit den Ausläufern ihrer Zacken an
jene zarten Massen anlegen, und oft sind die Grenzen der Er-
steren von den Letzteren kaum optisch zu trennen (Fig. 7, 8). Zu
der Auffassung der Zellen als Endothelien scheint mir dieser Um-
stand sehr wohl zu passen: man würde sich eben das lockere Binde-
gewebe als ein Iymphatisches, spongiöses Höhlensystem vorstellen
können, dessen Wandungen dargestellt werden durch die Fibrillen
und die an diesen unregelmässig vertheilten Zwischensubstanzmassen.
Den letzteren wären die Zellen als durchbrochenes Endothel auf-
gelagert, und wo die Zwischensubstanz stellenweise die Fibrillen frei
lässt, lägen sie an diesen selbst an. Die freien Hohlräume des Ge-
webes sind in situ natürlich bei Weitem nicht so mächtig, wie sie
sich an absichtlich auseinandergezerrten Oedempräparaten darstel-
len, und es würde sich also diese Auffassung recht gut mit den
Silberbildern der Lückensysteme vertragen köenen, welche man am
nicht künstlich dilatirten Gewebe zu Gesicht bekommt.
Manchem Leser der Ranvier’schen Arbeiten und des
Obigen mag sich ein Bedenken aufdrängen. Lange bekannt und
viel beglaubigt sind ja die Formen spindel- und sternförmi-
ger Bindegewebskörperchen. Wenn wir auch schon länger
wissen, dass die erwachsenen Bindegewebszellen durchaus nicht
regelrecht sich in dieses Schema fügen, und jedenfalls nicht überall
ein plasmatisches Netz anastomosirender Sternkörper bilden: wenn
auch Ranvier jetzt den_Nachweis führt, dass die Sternzellenbilder,
welche man an gehärteten und gefärbten Präparaten der Sehne
und des fibrillären Bindegewebes erhält, trügerische sind: so bleiben
doch gewisse Spindel- und Sternformen, an denen noch Niemand
gezweifelt hat, und welche Ranvier selbst noch mit Stillschweigen
übergeht: und ein Specimen davon bilden gerade die früheren Ent-
wickelungsstufen unserer platten Zellen, die embryonalen Binde-
gewebskörperchen.
Es ist kein Zweifel, dass diese in gewissen Stadien durchaus
keine Aehnlichkeit mit jenen später vorhandenen Platten haben,
sondern solide drehrunde, spindelige oder ästige Körper darstel-
len. Es bleibt nach den Zwischengliedern beider zu fragen.
Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle im Bindegewebe u.s.w. 45
Bei ganz jungen Embryonen — z. B. Rattenembryonen von
1/, Zoll — ist die Untersuchung schwierig, da die Bindegewebszellen
hier äusserst dicht gedrängt liegen und kaum schonend zu dissocii-
ren sind. Ich muss jedoch annehmen, dass schon in diesen Stadien
an einem Theil der kleinen noch rundlichen Zellen und zwar dem
grösseren, zwei oder mehr Fortsätze auszuwachsen anfangen. Dies
leitet schon auf die Bilder, welchen man bei Embryonen mittleren
Alters — Rattenembryonen von ca. i Zoll oder 5—8zölligen Wieder-
käuerfrüchten — im subeutanen Bindegewebe begegnet und von denen
ich jetzt ausgehen will.
Ich bemerke, dass diese sich nicht recht dem Schema »galler-
tigen Bindegewebes« anschliessen, weiches man gewöhnlich in der
Wharton’schen Sulze der Nabelschnur aufzustellen pflest. Man
sieht kein übersichtliches, regelmässiges Sternzellennetz, mit runden
Zellen in den Maschen; die Elemente liegen vielmehr ziemlich regel-
los durcheinander. Es sind vorzugsweise lange, dem Querschnitt
nach rundliche, kernhaltige Protoplasmakörper, wie sie schon Rol-
lett (a. a. O. p. 63) abbildet; die meisten sind nicht reine Spin-
deln, sondern mehrfach verästigt, doch auch die Seitenausläufer
halten sich oft in ihrer Richtung den Endausläufern parallel. Viele
Anastomosen dieser Ausläufer lassen sich nun sicher constatiren
(Fig. 1, 2, 3). Doch je weiter in der Entwicklung der Zellen, desto
feiner werden die Ausläufer und desto schwieriger, namentlich am
nicht künstlich ausgebreiteten Object, ihre Verfolgung. Ich habe
mich deshalb auch hier der Injection von Leimmassen mit nachträg-
licher Färbung mit Vortheil bedient; doch schon bei geringer Stärke
der Einspritzung reissen auch die feinen Ausläufer durch, und zei-
gen sich dann an den meisten Zellen eingerollt oder geschlängelt
(Fig. 3). Am Mesenterium, welches Rollett benutzte und wo man
in der That das Gewebe ganz in natürlicher Ausbreitung vor sich
hat, ist die Opacität der Zwischensubstanz und der um diese Zeit
auftretenden Fibrillen etwas störend für die Beobachtung der fein-
sten Zellfortsätzee.. Am günstigsten für dieselbe fand ich solche
Stellen an Leimoedem-Präparaten, welche schon gebildete Gefäss-
bäumchen einschliessen. Die letzteren setzen der eindringenden In-
jeetionsmasse hinreichend Widerstand entgegen, um die Zellen in
ihren Maschen vor stärkerer Zerrung zu schützen; und in diesen
Maschen findet man nun die Zellen (vgl. Fig. 17 aus einem noch
etwas späteren Stadium) vielfach anastomosirend und bekommt durch-
46 Dr. W. Flemming:
aus den Eindruck, dass ihr Zusammenhangen wenn nicht die Regel,
doch ein sehr häufiges Vorkommniss ist.
Neben den besprochenen Formen findet man in diesem Ge-
webe, doch in weit geringerer Anzahl und unregelmässig vertheilt,
rundliche kleinere Zellen, welche von farblosen Blutzellen nicht dif-
feriren. Irgend welche sichere Uebergangsformen zwischen‘ diesen
und jenen wage ich nicht zu constatiren und kann kaum annehmen,
dass in diesen Stadien noch runde Embryonalzellen zu jenen ge-
streckten auswachsen.
Ich will nebenbei bemerken, dass es mir so wenig wie Rol-
lett gelungen ist, jemals einen Zellenausläufer in eine der jetzt in
Bildung begriffenen Fibrillen übergehen zu sehen (wie das Kusne-
tzoff, Obersteiner und neuerdings Breslauer angaben). Da-
gegen findet man Zellen der Länge nach an eines der zarten Fibril-
lenbündel angelagert. Es ist das aber keineswegs die Regel, auch
nicht an Präparaten ohne künstliche Dissociation; ich kann aus
dem Gesehenen also nicht schliessen, dass das Auftreten der Fibril-
len genetisch d.h. durch Auswachsen von den Zellen abhängig wäre.
Je weiter man in den Entwicklungsstadien kommt, desto länger
und dabei feiner werden die Ausläufer der Zellen und bei 12zölli-
gen Schafembryonen ist es keine Seltenheit, dass Letztere 150 bis
selbst 200 u. lang gefunden werden. Zugleich aber beginnt jetzt _
eine Veränderung, welche den Uebergang zu den postfötalen For-
men anbahnt und welche man in den verschiedensten Stadien neben-
einander beobachten kann. Die Fortsätze nämlich und auch der
dickere, dem Kern nahe liegende Theil der Zelle fangen an sich
abzuplatten, was sich an Knickungsstellen leicht constatiren lässt.
Sehr häufig beschränkt sich diese Abflachung auf die eine Seite des
Kernes, während an der andern der Zellenkörper noch drehrund
bleibt (Fig. 3). Man hat dann weiter die Formen platter Bänder,
die in der Mitte oder gegen das eine Ende zu eine Verdickung mit
dem Kern tragen, an den Enden und meist auch seitlich sich in
feine Ausläufer ausziehen (Fig. 2, 3). Von diesen Gestalten existi-
ren alle Uebergänge bis zu jenen, welche sich (Fig. 4) im Binde-
gewebe der ausgewachsenen Frucht und des Neugeborenen finden,
und welche von denen des älteren Thieres kaum mehr differiren.
Bemerkt zu werden verdient noch, dass in grösseren Bezirken
die Abplattungsebenen benachbarter Zellen einander ganz oder an-
nähernd parallel zu liegen scheinen.
y
Ueber Bildung und Rückbilduug der Fettzelle im Bindegewebe u.s.w. 47
Dass ausserdem in jedem früheren Embryonalstadium die Zel-
len diehter liegen als im späteren, dass also die Zwischensubstanz
— flüssige wie fibrilläre — immer zunimmt, ist eine zu bekannte
Thatsache, als dass ich sie zu betonen brauchte.
Wenn ich glaube gezeigt zu haben, dass Anastomosen der fixen
Zellen ein häufiges und wahrscheinlich das regelmässige Verhalten
darstellen, so scheint mir dies Factum doch heute nicht mehr von
dem Gewicht, welches es früher beansprucht haben würde. In der
Zeit, wo Virchow und seine Schule zuerst den Kampf für die Exi-
stenz der Bindegewebszellen durchfocht, und lange nachher, galten
dieselben als membranhaltige, als röhrige Gebilde, welche mit ihren
Ausläufern zusammenhängend ein plasmatisches Canalsystem form-
ten (vgl. Virchow, Würzb. Verhandl. Bd. 2. 1852 p. 155, 316).
Das dürfen sie heute schwerlich mehr. Es könnte zwar vielleicht
die Ansicht Vertretung finden, dass die platten Zellen in situ doch
in der That Hohlschläuche darstellten, dass ihre aneinanderstossen-
den Ausläufer röhrig seien: dass also das Ganze ein verästeltes
Endothelröhrensystem darstellte (wie solche Endothelröhren
in gestreckter Form ja zweifellos in der Sehne [Ranvier] vor-
kommen), welches einem plasmatischen Canalsystem entspräche.
Aber die zur Beobachtung kommenden Bilder können wenig für eine
solche Auffassung sprechen. Niemals wollen die platten Zellen,
auch wo man sie ganz isolirt vor Augen hat, das Bild etwa zusam-
mengefallener Hohlschläuche gewähren, sondern stellen sich als
wirklich einfache, zu grosser Zartheit abgeflachte, geknitterte Plat-
ten dar, deren Faltungen sich mit der Schraube deutlich controliren
lassen, deren Ränder nach Silberbehandlung scharf und begrenzbar
gezeichnet sind; die Ausläufer, in welche sie sich ausziehen, zeigen
sich als äusserst zarte, platte Bändchen verfeinern sich zu Fä-
den, welche über die Grenze des Messbaren hinausgehen; und wenn
es auch zunächst nicht zu beweisen ist, dass diese Fädchen keine
hohlen Röhren sind, so sieht es doch sehr unwahrscheinlich aus,
dass die Safteirculation sich gerade solche Bahnen von minutiösester
Feinheit aussuchen sollte.
Diese Safteirculation des Gewebes hat ja ohnehin schon seit
v. Recklinghausens Arbeiten begonnen, aus den Bindegewebs-
48 Dr. W. Flemming:
körperchen heraus und in andere Bahnen hinein gelenkt zu werden;
und die Erörterung hat sich in der letzten Zeit wesentlich nur
darum bewegt, ob die Strömung frei in den Lücken des Gewebes,
oder ob sie innerhalb besonders umwandeter Bahnen vor sich gehe.
Nach Allem, was oben angeführt wurde, wird es zum wenigsten nicht
unüberlegt scheinen, wenn man der ersteren Ansicht zuneigt; oder
wenn man, um vermittelnd zu sprechen, die Gewebstücke und die
mit durchbrochenem Endothel bekleidete Bahn für identisch hält.
Die fixen Bindegewebszellen würden dann im Wesentlichen
eine ähnliche histiologische Geltung zu beanspruchen haben wie die
Deckzellen (Endothelien) der serösen Häute, der Lymph- und Blut-
gefässe. Dass sie übrigens in physiologischer Weise noch eigen-
thümlicher und belangreicher Metamorphosen fähig sind, dafür
kann das Folgende als Beleg dienen.
Entwickelung der normalen Fettzelle.
Eine Thatsache, die ich besonders zu betonen habe, weil sie
bisher von keinem Beobachter erwähnt wurde, ist die stete locale
Abhängigkeit der Fettentwicklung von den Blutgefässen. Das Durch-
sponnensein des fertigen Fettläppchens von einem Gefässnetz ist
wohl längst bekannt; aber da in allen früheren Beschreibungen
seiner Entstehung nicht die Rede von den Gefässen ist, könnte man
danach annehmen, dass die Fettzelle sich im gefässlosen Binde-
gewebe bildet, und dann erst vascularisirt wird. Das ist nicht der
Fall. Die erste Anlage des Fettes geschieht stetsin der Adven-
titia der Blutgefässe, und weiter von dieser aus; man kann
das ganze Fettgewebe eine aufgelockerte Adventitia nennen. Und
die Fettzellenproduction geschieht auch nicht etwa immer zuerst an
den jungen, peripherischen Sprossen der wachsenden Gefässe, son-
dern gewöhnlich an der Wand der schon fertigen, dickeren Stämme.
Von dieser aus erfolgt dann allerdings, erst Hand in Hand mit der
Fettbildung, ein weiterer Gefässsprossungsprocess, den wir noch
näher zu betrachten haben werden.
Ein übersichtliches Bild dieses Verhaltens gewinnt man am
ausgebreiteten Omentum oder Darımmesenterium älterer Embryonen
oder junger Thiere bei schwacher Vergrösserung (Fig. 10). Es springt
sofort in die Augen, dass sich das Fettgewebe immer längs den
Gefässen in die Netzplatte vorschiebt und immer nur in der durch
ihren Zellenreichthum opaken, verdickten, die Gefässe umgebenden
Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle im Bindegewebe u.s.w. 49
Schicht, nicht im nebenliegenden gefässlosen Gewebe auftritt; und
ebenso, dass die Blutbahnen selbst ihm dabei in ihrer Ausbildung
voraneilen. Wo dieselben noch jünger, ihre Adventitia noch zellen-
arm ist und vollends wo erst die Pioniere der Vascularisation als
zarte Schlingen in die Netzplatte hinauswachsen (Fig. 10 s), findet
sich noch keine Spur von Fettanlage.
Wenn ich sagte, die Fettzellen treten auf in der Adventitia,
so verstehe ich unter der Letzteren den ganzen Mantel dichteren
Bindegewebes, welcher die Blutbahn umgibt '). Denn es zeigen sich
ganz constant auch an den kleinsten venösen und arteriellen Ge-
fässen, schon an jungen Arterienzweigen z. B., welche noch nicht
einmal quergestellte Muskelkerne aufweisen, die Fibrillenbündel und
elastischen Fasern, und ebenso die Zellen, nahe der Gefässwand weit
dichter ‚geordnet, als die des umgebenden gefässlosen Gewebes, von
denen sie sonst in keiner Weise differiren.
Ich will zu diesem Gegenstand später zurückkehren und wende
mich zunächst zu der Fettzellenbildung selbst.
Das Mesenterium, das Rollett (l. e.) zu ihrem Studium em-
pfiehlt und das auch Czajewicz mehrfach benutzt hat, musste
ich bald verlassen. Präparate, welche sichere Schlüsse gestatten,
sind hier mindestens sehr selten; die Mesenterialgefässe treiben in
ihrer Adventitia eine so mächtige Zellenwucherung, dass gerade
dieser Ort der Fettbildung dadurch zu opak wird, als dass man
feinere Zellenformen mit Klarheit darin beobachten könnte. Der
Fettbildung im Mesenterium weiter unten Rechnung tragend, be-
spreche ich zunächst die Feitentwicklung im subcutanen Gewebe
der Säugethiere.
Letztere mussten schon deshalb vorzüglich benutzt werden,
weil man es nur bei ihnen in der Hand hat, durch Mästung sichere
Fettneubildung zu erzielen. Doch stösst man auch hier auf Hinder-
nisse. Die Kaninchen, die Czajewicz zu Mästungsexperimenten
allein benutzt zu haben scheint, leiden so oft an parasitischen Krank-
heiten, besonders an Distomen, dass unter den in Laboratorien ge-
haltenen ein gesundes oft geradezu eine Ausnahme bildet. Ein so
erkranktes Thier kann keine Zeichen seines Zustandes bieten, leb-
1) Mit His könnte man selbst das ganze Bindegewebe als Weiter-
wucherung der Adventitia auffassen, da die Gefässe eher als jenes auftreten.
Vgl. dessen Unters. üb. d. erste Entw. d. Wirbelthierleibes.
M. Schultze, Archiv f, mikrosk, Anatomie. Bd. 7, 4
50 Dr. W. Flemming:
haft fressen, und doch trifft man nach der Tödtung die Leber voll
Eiterheerde, die Parasiten in der Bauchhöhle, und in seinem Fett-
gewebe Schwund und nicht Neubildung. Nur ganz junge, eben
entwöhnte Thiere sind gewöhnlich noch unerkrankt und bieten ziem-
liche Garantie. Besser noch eignen sich Meerschweinchen, die sel-
ten krank sind, vor Allem aber junge Hunde, die sich zugleich leicht
bis zum Aeussersten mästen lassen. Das hier und weiter unten
Mitgetheilte stützt sich auf die übereinstimmenden Mästungsresul-
tate bei circa 10 jungen Kaninchen, 3 Meerschweinchen und 2 jun-
gen Hunden (nur die sicher in Fettproduction begriffenen Thiere,
bei denen Verhalten und Section nichts Krankhaftes erkennen lies-
sen, sind hierbei gerechnet). Erst durch den Vergleich mit diesen
sicheren Fällen habe ich mich überzeugt, dass man bei säugen-
den Thieren sowie bei Embryonen kurz ante partum, im Wesent-
lichen ganz denselben Bildungsmodus wie bei gemästeten vor sich
hat, und habe nun auch solche vielfach in Untersuchung gezogen
und zwar säugende Kätzchen, Kaninchen und Embryonen von letz-
terem Thier, Schaf, Kalb und Ratte.
Ich habe von der Schilderung Czajewicz’s, der einzigen,
welche sich auf experimentelle Mästungen gründet, auszugehen. Cz.
beschreibt die Bilder des Fettansatzes so (p. 303 l. c.): »Entnahm
man den Thieren zarte Streifen von Fettgewebe aus der Leisten-
gegend o. a., so fand man...inmitten der streifigen Substanz des
Bindegewebes zerstreut die oben beschriebenen rundlichen, unregel-
mässig polygonalen oder länglichen, mit zarten Contouren, sehr
deutlichen Kernen und einem sehr feinkörnigen Inhalt (Protoplasma)
versehenen Zellen (Cz.’s »gewöhnliche Bindegewebszellen«). Näherte
man sich der bereits vollständig entwickelten Schicht von Fettge-
webe, so sah man, wie jene Zellen eine mehr regelmässige rund-
liche Form und schärfere Contouren annahmen; weiterhin fand
man dieselben Zellen bereits ganz erfüllt mit feinen Fetttröpfchen,
. und an der Peripherie liess sich die Membran bereits deutlich
nachweisen. Weiterhin nahm der Umfang der Fetttröpfchen zu,
in Folge dessen auch die damit ganz ausgefüllten Zellen selbst
sich vergrösserten und ausdehnten. Indem dann die Fetttröpfchen
gewöhnlich zu einem einzelnen grösseren Tropfen confluiren, ent-
stand die gewöhnliche Form der Fettzellen.«
Cz. betont besonders, dass man diese Untersuchungen nur am
ganz frischen Gewebe ausführen solle. Trotzdem ich seine Unter-
Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle im Bindegewebe u. s.w. 51
suchungsmethode (Herausschneiden des ganz frischen Gewebes, Unter-
suchung frisch ohne Zusatz, mit Serum und mit Essigsäure), so viel
Unzweckmässiges sie hier hat, anfangs ausschliesslich und später
vielfach zur Controle angewandt, auch das lebend ausgeschnittene
Gewebe oftmals bei 37—40° C. untersucht habe, muss ich bedauern,
mit seiner Darstellung durchaus nicht in Einklang treten zu kön-
nen. — Vorweg willich bemerken, dass man auch bei exquisit fett-
ansetzenden Thieren bei Weitem nicht an jedem Fettläppchen Neu-
bildung trifft. Sie zu finden, ist Sache längeren Suchens und Pro-
birens; denn es geschieht der Fettansatz zur Zeit immer
nuran vereinzelten Heerden, d.h. von einzelnen Ge-
fässen aus. An neun von zehn Präparaten kann man enttäuscht
sein, nur fertige, grosse Fettzellen und kleine, fettlose Binde-
gewebszellen daneben zu sehen. Ich will die zur Zeit fettproduci-
renden Stellen im Folgenden als Heerde der Fettanlage be-
zeichnen!).
Nehmen wir jetzt einen dieser productiven Heerde. — Zunächst
ist es nicht richtig, dass die jungen Fettzellenformen um die Peri-
pherie der Läppchen, und progressiv gegen das Centrum derselben
zu geordnet liegen. Nur dort wo gerade Gefässe aus dem Lappen
austreten, kann dies der Fall sein; sonst ist die Grenze des Letz-
teren gebildet von fertigen Zellen, und die jungen Formen finden
sich stets an den Gefässen, welche durch den Lappen laufen — ich
bitte dafür meine Fig. 14 zu vergleichen. — Eine grosse Masse der
kleinen Fetttröpfchen, welche man beobachtet, liegt nun aber
meistens — was weder von Czajewicz noch sonst irgend er-
wähnt ist — gar nicht in einzelnen kleineren Zellen,
sondern befindetsich halbkugelförmig (im optischen Schnitt
halbringförmig) angehäuft in der Wand der grossen, voll-
endeten Fettzellen (Fig. 12, 13 u. a. m.). Wir werden nach-
her den Schlüssel zum Verständniss dieser Erscheinung finden.
1) Das heerdweise Auftreten der Fettzellen ist bei Embryonen bereits
von Üzajewicz vermerkt worden (l. c. p. 305); er verwerthet es jedoch
nur, um einen besonderen Entstehungsmodus des Fettgewebes beim Embryo,
»aus eigenen besonders dazu bestimmten und sich vermehrenden Zellen«
(vgl. oben Virchow, Entstehung aus Schleimgewebe), als wahrscheinlich
hinzustellen; eine Auffassung, der ich mich durchaus nicht anschliessen kann
und die ich unten zu widerlegen denke.
52 Dr. W. Flemming:
Vorher zu den isolirten, jungen Fettzellen selbst. — Ich muss
bestreiten, dass irgendwelche Bindegewebszellen !) »in der Nähe des
schon entwickelten Fettgewebes eine mehr regelmässig rundliche
Form und schärfere Contouren annehmen«, und dass sie »weiter-
hin, bereits ganz erfüllt mit feinen Fetttröpfchen, eine deutliche
Membran besitzen«, wie Cz. will. Es gibt hier, um das Fettläpp-
chen wie in demselben, dieselben fixen und freien Zellen wie überall
im Bindegewebe zu beobachten; die ersteren zeigen in der Nähe
der Fettanlagen keineswegs rundlichere Formen wie irgendwo an-
ders, die letzteren erscheinen überall rundlich. Von Membranen —
welche Cz. allen Bindegewebszellen zuschreibt — ist an beiden
nichts wahrzunehmen, so wenig wie — um vorzugreifen — an den
mit Fetttropfen gefüllten. Auch bei A-zusatz (Fig. 11) erhalten die
Wanderzellen keine prononeirte Kapselschicht, die man so deuten
könnte: die Körnchen, die sie enthalten, ballen sich nur grössten-
theils im Centrum zusammen, ein kleinerer Theil derselben legt
sich in die Peripherie (Fig. 15f), so dass dadurch im optischen Quer-
schnitt der oberflächliche Eindruck einer Membran entstehen kann;
die Körnchen prominiren aber z. Th. über den Umfang
(vgl. Fig.) und wo keine liegen, erscheint der Contour nicht einmal
scharf. — Die fixen Zellen zeigen auf A noch weniger eine Spur
vou Membran. Ihr Körper und ihre Platte, vorher blass, werden
auch nach der Säurewirkung nicht viel deutlicher, nur der Kern be-
kommt sehr dunkeln Contour, scheint dabei zu quellen und zeigt
mehrere Körnchen.
Die Wanderzellen scheinen im Bindegewebe des jungen und
des fettbildenden Thieres immer besonders zahlreich vorhanden zu
sein, und grade vorwiegend zahlreich an den Fettanlagen. Sie fin-
den sich reichlicher in der Umgebung der Blutgefässe, als abseits
davon im gefässlosen Zwischengewebe. Oft liegen mehrere in klei-
nen Häufchen beisammen — was vielleicht Anlass zu der Angabe
Czajewicz’s geworden sein mag, dass »die Bindegewebszellen oft
epithelartig aneinandergeordnet lägen«. Sie sehen ganz aus wie die
grösseren unter den farblosen Blutzellen, sind wie diese theils fein,
theils grob granulirt, mit unscharf begrenztem Kern, und zeigen
auf dem .geheizten Tisch zum Theil Kriechbewegungen; im erkal-
1) Ich bezeichne im Folgenden stets die beiden verschiedenen Zellen-
arten als fixe und als freie oder Wanderzellen.
Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle im Bindegewebe u.s.w. 53
teten Object erscheinen alle rundlich. In der Grösse differiren sie
nicht sehr und gehen kaum über den Durchmesser der grössten
farblosen Blutzellen hinaus.
Hie und da im Gewebe sieht man nun kleine freie Fett-
körnchen, von denen sich bei dieser Präparationsweise natürlich
nicht sagen lässt, ob sie beim Herausschneiden des fetthaltigen Ge-
webes über das Präparat gesprengt, oder ob sie vorher darin waren.
Man findet aber ferner — und ich bestätige darin eine sehr richtige
Beobachtung von CGzajewicz (s. o.), dass sowohl an den Fettan-
lagen als überall abseits davon die Zellen, fixe und freie, ein-
zelne kleine glänzende Körnchen enthalten oder mit solchen be-
schlagen sind; jch sprach davon schon oben und halte diese
Körner selbst für Fett. So sehen aber, wie gesagt, alle Zellen hier
aus; von diesen kleinen Körnern existiren keine Uebergänge zu
stärkerer Fettfüllung.
Während also in der Umgebung der Fettanlagen die beiden
Zellenarten, fixe und freie, sich ganz verhalten wie ihre Genossen
im umliegenden fettlosen Gewebe, weder grösseren Reichthum an
Körnchen, noch grössere Dimensionen wie jene, noch sonst Ueber-
gangsformen bieten; während also jener centripetale Fortschritt
von Uebergangsformen, der in Czajewicz’s Schilderung so an-
schaulich erscheint, durchaus nicht zu beobachten ist — trifft
man hie und da, dort wo ein Gefäss in den Fettlappen ein- oder
heraustritt, besonders aber innerhalb des Lappens neben den Wän-
den der Gefässe, wirkliche junge Fettzellen. Sie sind nicht rund,
sie haben keine Membran; sie präsentiren sich auf den ersten Blick
nur als Ansammlungen von Tröpfchen zweifellosen Fettes, welche
sehr wechselnde Zahl und Grösse haben; diese Häufchen (Fig. 12,
13, 18) sind von eckiger, polygonaler, walziger oder spindeliger Ge-
stalt — natürlich wurde das constatirt an Präparaten, wo Anord-
nung und Gestalt der nebenliegenden grossen Fettzellen und der
Fibrillen die Garantie bot, dass keine etwa geübte Zerrung jene
Zellen in die genannten Formen gebracht hatte. Das Protoplasma
des Zellenkörpers, welches diese Fetttröpfchen einschliesst, lässt sich
nun als blasse, mattglänzende Masse wohl erkennen (Fig. 12, 13);
der Kern ist undeutlich umrandet und oft erst auf A kenntlich;
einen schärferen Grenzcontour zeigt die Zelle nicht, geschweige denn
eine Membran, und bekommt solche auch nicht nach Essigsäure-
zusatz. Die Zelle nimmt nach der Säurewirkung auch nicht eine
54 Dr. W. Flemming:
rundlichere Form an, sondern erscheint so eckig oder gestreckt
wie zuvor.
Sehr vereinzelt trifft man dann auch, anscheinend wenigstens,
runde oder rundliche Zellen mit Fetttröpfchen ; meistens sind sie
schon von bedeutender Grösse und ganz mit letzteren vollgestopft.
Sie liegen immer nahe an Gefässwänden. — Die kleinsten unter den
fetthaltigen, länglichen oder eckigen Zellen gehen in ihren Dimen-
sionen wenig über die nebenliegenden fixen Bindegewebszellen hinaus.
Die Zahl der Fetttropfen ist, wie gesagt, verschieden; in den klei-
neren Zellen findet sich oft nur einer oder wenige. Unter den
grösseren, stärker gefüllten trifft man dann manche mit einem oder
mehreren grossen, und mehreren kleineren Tropfen. Wo nur Tropfen
über Mittelgrösse — wie beispielsweise in Fig. 17a, l4abceh —
vorhanden sind, da ist dann auch die ganze Zelle schon meistens
zu einer rundlichen Form ausgedehnt. Und oft sieht man endlich
mehrere, schon mittelgrosse Tropfen zu einer rundlichen Masse zu-
sammengedrängt.
Ich vermag nicht, auch in den Abbildungen, welche Czaje-
wicz (l. ec. T. IX Fig. 3, 4) geliefert hat, einen Ausdruck dessen
zu finden, was ich beobachtet und eben geschildert habe. Cz. zeich-
net alle jungen Fettzellen, treu dem Schema seiner Beschreibung,
rund oder elliptisch mit deutlichem Kern, scharfem Membrancontour
und gleichmässig erfüllt mit kleinen Fetttröpfchen ; nur einige der-
selben (in Fig. 4) machen der Wirklichkeit die leichte Concession,
dass ihre Contoure etwas buchtig gehalten sind. Uebergänge von
seinen mit feinen Tropfen gefüllten Zellen zu den fertigen Fettzel-
len stellt Cz. nicht dar und scheint demnach anzunehmen, dass die
kleinen Tröpfchen sehr rasch confluiren.
Wer mit Hinblick auf die Angaben der Autoren, dass kleine,
runde Zellen die Vorstufen der Fettzellen bilden sollen, und auf die
Menge der Wanderzellen an den fettbildenden Heerden, zu dem
Glauben kam, dass diese Wanderzellen die wesentliche Rolle bei
der Fettanlage spielen: dem konnten die eben beschriebenen Bilder
des frischen Gewebes lange Zeit Noth machen, so wie es mir ge-
schah. Ich hoffte von den Wanderzellen aus Uebergangsformen zu
finden: und nun waren die ersteren alle rundlich, die jungen, schon
fetthaltiger Zellen nicht; erstere waren ohne Abstufung viel kleiner wie
letztere; etwaige Uebergänge von den feinen Körnungen der ersten
zu den unzweifelhaften Fetttröpfchen der letzten, wollten sich durch-
Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle im Bindegewebe u. s. w. 55
aus nicht finden; die wenigen Formen, die man als solche deuten
konnte, standen in allzu verschwindender Minorität. Konnten die
unregelmässig gestalteten jungen Fettzellen nicht dennoch immer
Abänderungen der Wanderzellen sein? Ich suchte nach Charak-
teren. Ich probirte die Farbstofffütterung, indem ich bei gemäste-
ten Thieren vielfache Injectionen von gefälltem Anilinblau in die
Jugularvene machte. Oefter fand ich Farbstoff in den Wanderzel-
len, niemals mit Sicherheit in den fettkörnchenhaltigen, oder gar in
fertigen Fettzellen. — Ich versuchte die fetthaltigen Elemente auf
dem geheizten Tisch zum Kriechen zu bringen; niemals konnte ich
an ihnen Formänderungen beobachten. Um bessere Chancen zu
haben, wandte ich mich zu den Kaltblütern.
Amphibien sind für diesen Zweck weniger geeignet. Die Frösche,
und noch mehr die Kröten, besitzen zwar entgegen einer gewöhn-
lichen Annahme subcutanes Fett, am Rücken, namentlich in der
Umgebung der Lymphherzen, und auch der Fettkörper des Abdo-
mens könnte zur Untersuchung einladen; sie sind aber absolut nicht
willkürlich zu mästen, alle Versuche natürlicher wie künstlicher
Fütterung schlugen fehl, und die Jahreszeit im Sommer, wo sie
spontan Fett bilden, scheint sehr zu variiren. Desto mehr Glück
hatte ich mit den Fischen.
Zwar ist es mir auch nie gelungen, einen Fisch in der Ge-
fangenschaft zu irgend reichlichem Fressen zu bringen; aber wenn
man junge Thiere im Frühling fängt, zu einer Zeit, wo sie immer
in reichlicher Nahrungsaufnahme sind, so darf man sicher sein, stets
Fettproduction zu finden. Sie müssen aber frisch untersucht werden
und man thut am Besten, junge etwa fingerlange Plötzen, Barsche
oder Stichlinge, frisch mit dem Senknetz gefangen, zu verarbeiten;
eine nur halbtägige Gefangenschaft kann schon den Fettschwund
einleiten und um ein Specimen von solchem zu haben, braucht man
nur eine Plötze etwa drei Tage im Glas zu halten. Die vorzüg-
lichste Stelle, um das Fett bei Fischen bequem mikroskopisch zu
beobachten, ist jedenfalls das Bauchfell, die parietale Platte sowie
der Ueberzug der Schwimmblase. Man sperrt die geöffnete Bauch-
höhle mit Haken auseinander, umschneidet ein Stück Bauchfell mit
der Scheere, zieht es schonend ab und breitet es flach aus, was frei-
lich einige Mühe und Vorsicht verlangt. Für die Erhaltung der
Ausbreitung ist das Auflegen eines Deckglases vortheilhaft, das
wegen der Zartheit des Gewebes leicht gestützt werden muss; fri-
56 Dr. W. Flemming:
sches Jodserum scheint mir als Zusatzflüssigkeit am empfehlens-
werthesten; in demselben und durch einen Oelwall vor dem Ver-
dunsten geschützt, bleibt das Object halbe Tage lang ungeändert
und seine Zellen bewegungsfähig.
Die Bauchfellplatte (Fig. 13a) ist dein: hat sehr zarte Fibril-
len, ein wasserklares Endothel, von dem frisch nur blasse Kerne zu
sehen sind, und besitzt deshalb eine ziemliche Durchsichtigkeit.
Ausser den prachtvollen, mächtigen Pigmentzellen, die mit ihren
Ausläufern vielfach zusammenhangen, und den Fettzellenhaufen sieht
man darin mit grosser Klarheit Verästelungen der Blutgefässe; vor
Allem aber wird der Blick gefesselt durch die Wanderzellen, an
welchen überhaupt das Bindegewebe der Fische besonders reich ist
und für deren Beobachtung eben das Bauchfell derselben eins der
schönsten, mir bekannten Objecte abgibt. Ihre Substanz ist, sowohl
bei den körnchenlosen als den granulirten Formen, bei Fischen sehr
stark lichtbrechend, und so treten sie hier in der blassen Gewebs-
platte scharf hervor. Um so weniger ist das leider bei den fixen
Zellen der Fall, welche frisch schwer sichtbar, nur als ganz matt-
glänzende, längliche oder unregelmässig geformte, schlechtbegrenzte
Körper sich darbieten, und erst mit Hülfe der Färbung genauer
studirt werden Kanlen.
Die Wanderzellen kriechen grossentheils, unter den abenteuer-
lichsten Formveränderungen, mit solcher Lebhaftigkeit, dass man
gar kein Zeichnen nöthig hat, um dem Vorgang zu folgen. Sie
zeigen sich in jedem Sehfeld, namentlich in der Nähe der Gefässe,
und stets in Menge auch da, wo solche von Läppchen jungen Fettes
umgeben sind. Das Object ist also für unsern Zweck sehr günstig.
Aber wieder stösst man auf dasselbe beirrende Bild, dem wir
schon beim Warmblüter begegneten. Wo kleinere Fetttröpfchen
einzeln oder in Anhäufungen zu sehen sind, liegen sie nicht in
Wanderzellen oder nur solchen, welche diesen ähnlich wären. Die
Zellen, welche dieses Fett beherbergen (Fig. 13), sind noch schlech-
ter wahrzunehmen als beim Säugethier: von scharfen Contouren
keine Spur, vom Kern meist nur die Andeutung. Wieder haben
hier diese fetthaltigen Zellen jene unregelmässigen, länglichen, ver-
zogenen Formen (Fig. 13 am Gefäss), die ich schon oben beschrie-
ben; erst wo ihre Anhäufungen grösser sind, erscheinen sie rund-
lich. Ausserdem liegt wieder viel feinkörniges Fett in Häufchen
oder Halbmonden dicht neben den Tropfen der grossen, vollen Fett-
Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle im Bindegewebe u. s. w. 57
zellen, und oft auch hier, wie beim Warmblüter, bilden mehrere
mittelgrosse Tropfen einen rundlichen Ballen, der an Mächtigkeit
einer vollen Fettzelle fast gleichkommt.
Nur zwei Mal unter mehr als 30 Fischen, deren junges Fett
ich untersuchte, habe ich je eine Wanderzelle entdeckt, die ein
zweifelloses Fetttröpfchen enthielt. Die eine (Fig. 13 c), lebhaft
kriechend, liess es nach kurzer Zeit wieder von sich. Beide Mal
hatte das Präparat schon längere Zeit unter dem Mikroskop ge-
legen — bei der Präparation wird nothwendig eine Menge kleiner
Fetttröpfchen über das Object verstreut, und es ist das Wahrschein-
lichste, dass das Fett so erst nach der Präparation von den Zellen
gefressen worden war. — Diese Wanderzellen der Fische sind meist
sehr hellglänzend und grobkörnig. Ich habe mich lange gefragt, ob
diese Körnchen nicht Fett sein könnten, ob vielleicht dann durch
ganz plötzliches Confluiren solcher feinsten Tropfen die grösseren
unzweifelhaften entstehen. Das ist jedoch zu verneinen. Im Anfang
habe ich vielfach Osmiumsäure angewandt, um feinvertheiltes Fett
zu kennzeichnen: die kleinsten Tröpfchen färben sich darin zwar,
wie bekannt, kaum merklich, aber wo sie in grösseren Häufchen
zusammenliegen, bekommt das Ganze nachher einen sehr charac-
teristisch bräunlichen Ton. Das ist nun bei diesen grobkörnigen
Zellen nie der Fall: sie bleiben nach der Osmiumwirkung grau wie
zuvor. Ausserdem kann man das Object mit absolutem Alkohol
behandeln, so lange bis sich die Tropfen der grossen Fettzellen ganz
gelöst haben: und dech findet man die Wanderzellen, wenn auch
in geschrumpfter Form, so körnchenhaltig wie vorher (Fig. 18f.
Ich nehme auf diese Darstellung mit Alkohol behandelter Warm-
blüterzellen Bezug, da ihr Verhalten in dieser Hinsicht ganz das
gleiche ist). Die Körner ballen sich hierbei nur um den Kern und
anderntheils am Umfang der Zelle zusammen, ähnlich wie nach Essig-
säurezusatz.
Färbt man nun solche Objecte, nach längerem Durchziehen
eines Stromes von Chromkalilösung, mit Carmin oder weit besser
mit Pierocarmin, welches die Tinction des frischen Gewebes gestat-
tet: so treten die Zellenkörper, welche das zweifellose feinkörnige
Fett enthalten, besser hervor (Fig. 13b) und man erkennt an ihnen
eine solche Uebereinstimmung mit den übrigen, spindel- oder stern-
förmig erscheinenden fixen Zellen, dass man schon dadurch fast zu
58 Dr. W. Flemming:
der Annahme gedrängt wird: es sind diese vorwiegend oder allein,
von denen die Fettzelle ihren Ausgang nimmt.
Kehren wir nun ebenfalls mit anderen Methoden zu der Fett-
entwickelung beim Säugethier zurück. Um hier die Zellen in situ
zu isoliren und kenntlich zu machen, ist das schönste Mittel wieder
das künstliche Oedem des subcutanen Gewebes durch Leiminjection
mit nachfolgender Färbung. In dem erstarrten Leimtumor sieht
schon das blosse Auge die feinsten Fettläppchen suspendirt und
man kann mit Auswahl die Schnitte durch die jüngsten — am
Weitesten in das gefässlose Bindegewebe vorgerückten — derselben
legen. Den einen Nachtheil hat die Methode, dass einmal durch
die Untersuchung in Glycerin, dann wie es scheint auch durch die
Pikrinsäurewirkung das Fett weit mattglänzender, und seine feine-
ren Körnchen darum weniger hervorstechend werden. Doch ist durch
etwas höhere Einstellung auch an solchen noch hinreichend charac-
teristischer Glanz zu erzielen. — Je frischer angefertigt das Prä-
parat, desto geringer ist dieser Uebelstand. An vielen solchen
Schnitten wird man nun allerdings doch die Enttäuschung erleben,
nur fertige vollgefüllte Fettzellen zu erblicken; doch bei sicher ge-
mästeten Thieren, bei Säuglingen und bei Embryonen wird man
immer bald auf ein Läppchen stossen, welches bei der Tödtung des
Thieres gerade in der Fettanlage begriffen war. Solche Bilder sind
in Fig. 14, 16 und 19 (gemästetes Thier), Fig. 15 (Säugling) und
Fig. 17 (Embryo aus späterem Stadium) dargestellt.
Sie können lehren, wie viel die schonende Isolirung durch Oedem
und die Färbung der Zeilen werth ist. Auf den ersten Blick springt
es in die Augen, dass die neuen jungen Fettzellenformen fast allein
ausgehen von den fixen Zellen, und immer von solchen, welche der
Gefässwand nahe oder unmittelbar anliegen. Die hier befindlichen
Zellen erscheinen zunächst grossentheils körniger, und durch das
Carmin stärker gefärbt als die seitabliegenden. In vielen derselben
bemerkt man neben dem Kern, in ihrem dickeren, protoplasmati-
schen Theil, eins, zwei oder mehrere kleine Fetttröpfchen, in andern
ein bis mehrere grössere, oft noch mit kleinen daneben; während
die Platte der Zelle und deren dünne Ausläufer noch ganz so er-
halten sind, wie an den fettlosen oder nur mit kleinsten Körnchen
behafteten Zellen abseits vom Gefässe (Fig. 15, 16, 22). Das Fett
tritt immer in jenem dickeren Theil auf, nicht in der Platte. Wo
die Fetttropfen schon grösser sind (einige Zellen in 15, 16) zeigen
Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle im Bindegewebe u.s. w. 59
sich die Ausläufer und überhaupt die Platte wie im Verschwinden
und ein grosser Theil davon scheint bei dem Vorgang immer ganz
unterzugehen; doch hängen viele der schon runden Fettzellen noch
durch Ausläufer an anderen oder an der Gefässwand an.
Die unregelmässig gestalteten, blassen und schlecht begrenz-
ten Zellenkörper, welche wir am frischen Gewebe als fetthaltige an-
trafen, erklären sich nun sehr einfach: es sind alles fixe Zellen, und
dass man das Detail ihrer Form am frischen Object nicht erkennen
konnte, wird nach dem, was oben über die Bindegewebszellen gesagt
ist, nicht Wunder nehmen.
Hie und da stösst man hier auf fixe Zellen, — fettlose sowohl
wie fetthaltige — mit zwei oder selbst drei Kernen (Fig. 15, 17),
in denen man wohl kaum umhin kann, Theilungsformen zu sehen.
Weit mehr als an alles dies wird aber zunächst das Interesse
gebannt an die Formen vieler der grösseren, schon gefüllten Fett-
zellen, welche neben den Gefässen frei und schön isolirt in der Leim-
masse schweben. — Leydig gibt in seinem Lehrb. d. Histol.
p. 26 an, dass er bei Fischen (Stör) und Vögeln eine eigenthüm-
liche Form von maulbeerförmigen Fettzellen fand, nicht mit
einem grossen, sondern mit mehreren dichtgedrängten, mittelgrossen
Tropfen gefüllt. Solche Formen finde ich nun überall, wo Fettneu-
bildung im Gange war: bei Fischen und Vögeln, wie beim Kanin-
chen, Hund, Meerschwein und Kätzchen. Es sind dies Vergrös-
serungs- und Vermehrungsformen der schon gebildeten
Fettzellen. Einmal können sie entstehen, indem in den fettauf-
nehmenden fixen Zellen nicht einer, sondern mehrere Tropfen durch
Confluxion sich bilden und im Weiterwachsen getrennt bleiben.
Sodann aber bilden sich solche Formen auch, und sehr vielfach, von
den schon gefüllten runden Fettzellen aus. Viele derselben (vgl.
die Bilder) weisen neben dem alten Tropfen, in ihrer Wand oder
besser in der Hohlkugel von Protoplasma, welche jenen umspannt,
eine Menge kleinerer auf -— es sind das die Halbmonde feinkörni-
gen Fettes, die ich oben beim frischen Gewebe an den grossen Fett-
zellen notirte —; indem diese feineren Tropfen zu einem, resp.
mehreren grösseren confluiren, können ebenfalls jene Maulbeerformen
zu Stande kommen.
Diese Erklärung der betreffenden Bilder ist insofern gerecht-
fertigt, als man alle von ihr postulirten Uebergangsformen in Menge
antrifft. Sie dünkt mir auch viel wahrscheinlicher als die Annahme,
60 Dr. W. Flemming:
dass diese Formen durch einen activen Abschnürungsprocess zu
Stande kommen sollten. Das Vermögen zu einer derartigen Ab-
schnürung kann man den dünnen Protoplasmahohlkugeln, welche die
vollen Fettzellen umgeben, kaum mehr zutrauen. Wenn darum die
Angabe Förster’s über das Vorkommen eingeschnürter Fettzellen
bei pathologischer Fettneubildung durch das Obige bestätigt wird,
so kann ich doch nicht wie dieser Autor annehmen, dass alle diesel-
ben einen »Zellenvermehrungsprocess« darstellen. Das gewöhnliche
Schicksal dieser Formen scheint mir durchaus dies zu sein, dass
die trennenden Protoplasmawände immer mehr verdünnt werden,
das Fett confluirt und die anfangs noch knollig gestaltete Zelle all-
mählig zur runden ausgedehnt wird. Die hierbei zu durchlaufenden
Uebergangsformen, die man eben in ausserordentlicher Zahl beob-
achtet, sind in Fig. l4abfghi dargestellt. Doch ich muss glau-
ben, dass dieser Vorgang in der That ab und an zu einer wirklichen
Zellenvermehrung abarten kann. Man sieht nämlich zuweilen knol-
lige und maulbeerförmige Zellen mit zwei oder drei Kernen (Fig.
14 «a, 8, y), welche öfter (Fig. 14«) noch zusammenliegen, als ob
sie sich eben getrennt hätten!); und weiter andere Bilder (Fig. 140),
wo zwei kernhaltige runde Fettzellen noch mit einer Stelle ihrer
Wand dicht zusammenhangen. — Ich glaube also, dass die Ab-
schnürung durchaus eine passive ist, bedingt durch neu in der
Zellenwand auftretende Fetttropfen; dass aber, wenn um diese Zeit
— aus hier nicht zu erörternden Gründen — eine Kerntheilung?)
in der Zelle eintritt, der Process auch zu einer Zellentheilung aus-
schlagen kann.
Alle diese Formen, ebenso wie die kleineren unter den vollen
runden Fettzellen und die fetthaltigen fixen Zellen, finden sich
1) Fettzellen mit zwei und mehr Kernen sind überhaupt keine Selten-
heit, übrigens nicht bloss bei Fettneubildung zu beobachten: ich zeichne in
Fig. 34 und 35 ein paar Beispiele davon aus atrophischem Fett der Kalt-
blüter.
2) Dass hier immer der alte Kern sich theilt, nicht etwa frei ein neuer
auftritt, scheint mir zweifellos. Man beobachtet (hier bei der Fettneubildung)
sehr selten Bilder, welche zwei Kerne je an entgegengesetzten Enden einer
noch ungetheilten Zelle zeigen. Was man so deuten könnte, ergibt sich bei
stärkerer Vergrösserung meist als Trugbild — man sollte solche Verhältnisse
stets mit Immersionslinsen controliren. — Natürlich müssen die Kerne beim
Weiterwachsen der Feittropfen allmählich auseinandergerückt werden.
Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle im Bindegewebe u.s.w. 61
immer mehr mitten im Läppchen an der Wand durchtretender Ge-
fässe, während die älteren fertigen Formen in der Peripherie des-
selben liegen.
Die zahlreichen, bei dieser Behandlung alle runden oder rund-
lichen Wanderzellen sind nun fast alle fettlos. Nur sehr aus-
nahmsweise trifft man nahe den Gefässen solche, die unzweifelhafte
kleinere Fetttröpfchen enthalten, oder hie und da eine ganz runde,
ausläuferlose schon stärker fetthaltige junge Form (Fig. 19f), von
der sich wenigstens nicht sicher sagen lässt, ob sie nicht aus einer
runden Zelle entstanden ist. — Uebergangsformen von Wanderzellen
zu fixen Zellen wage ich nicht zu constatiren. Dagegen führe ich
an, dass man zahlreiche, wirklich freie Kerne (17k) trifft, an denen
keine Spur von Protoplasma zu bemerken ist, und von diesen ver-
schiedene Uebergänge zu den grösseren Wanderzellen. Endlich fin-
den sich runde Zellen mit abgeschnürten und mit zwei Kernen,
und hie und da zwei Zellen aneinanderhängend (Fig. 17).
Zweifellos wird es nun an solchem Präparat, dass feinkörniges
freies Fett hier im Gewebe vorkommt. An eine Verunreinigung ist
dabei nicht zu denken: Wenn man einen nicht ganz dünnen Schnitt
aus dem Leimtumor nimmt und auf dessen Mitte einstellt, wo die
Theile also ganz in situ in der Leimmasse eingebettet sind: so sieht
man in ziemlicher Anzahl die Körnchen theils frei, theils Fibrillen
oder Zellen anliegen '). Abseits von den Fettheerden trifft man
ebenfalls Körnchen, aber sehr viel seltener. In etwa kommt hiebei
in Betracht, dass das gefässlose Zwischengewebe durch die Injec-
tion auch stärker auseinanderpräparirt ist, als diejenigen Stellen,
wo die Blutgefässe den Fibrillen mehr Halt gaben.
Die Blutgefässe sind durch die Pikrocarminfärbung so schön
wie durch Injection markirt. Man sieht, dass überall an den Fett-
1) Es gibt dies zugleich ein gutes Kriterium, wie schön der Situs aller
Theile bei diesen Injeetionen, natürlich wenn sie vorsichtig und langsam aus-
geführt wurden, gewahrt bleibt. Wenn man annehmen wollte, dass beweg-
liche Elemente, wie Wanderzellen und gar kleine Fettkörner, durch die
Injection vom Platz verdrängt werden könnten, so müsste man sie demnach
immer an der Peripherie des Leimtumors angehäuft erwarten. Statt dessen
scheint Alles liegen zu bleiben wie es vorher lag. Wenn man z. B. ein Ge-
webe injieirt, das man vorher durch künstliche Entzündung mit Eiterzellen
vollgestopft hat, so findet man diese nachher völlig gleichmässig vertheilt
durch den Leimtumor.
62 Dr. W. Flemming:
anlagen, und zwar sowohl vor ihnen aus, als zwischen die schon
gebildeten Fetthaufen hinein, eine starke Capillarenwucherung vor
sich geht. An den Wänden dieser Capillaren kommt es ebenfalls
hie und da, wie an den grösseren Stämmen, zur Bildung neuer
Fettzellen aus fixen Zellen und zu neuer Fetteinlagerung in die
alten.
Ich nannte oben die Wand der vollendeten jungen Fettzelle
eine Protoplasmahohlkugel, nicht eine Membran. Um dies zu
bestätigen, gibt es ein schönes Mittel: die künstliche Entzün-
dung des jungen Fettgewebes, am Bequemsten durch subcutane In-
jection von Jodkaliumlösung, Tödtung nach etwa 24 Stunden und
Leim-Pikrocarminbehandlung w. 0. — Es tritt bei solcher Entzün-
dung fast regelmässig (bei säugenden Kaninchen wenigstens) ein
rascher Schwund der Fetttropfen ein; dieselben erscheinen kleiner
als auf der nicht entzündeten Seite desselben Thieres, und man
sieht nun, dass um den verkleinerten Fetttropfen her keineswegs
eine dünne Membran, sondern ein breiter, gleichmässig roth gefärb-
ter Protoplasmaring sich ausspannt. Dieser Ring erscheint gleich-
mässig gefärbt und körnig, er selbst hat keineswegs eine besonders
erkennbare, abgesetzte Rindenschicht. — Noch bemerkenswerther
fast scheint mir ein anderes Bild, welches diese Methode zeigt: es
ergibt sich, als ob die eben gebildete Fettzelle, wenn der ausdeh-
nende Tropfen darin schwindet, Neigung hat ihre alte Gestalt wie-
der anzunehmen: die längliche, unregelmässige Form der fixen Zelle,
wenn auch deren Platte und Ausläufer dann gewöhnlich nicht mehr
existiren. Man findet nämlich bei solchem entzündlichen Fettschwund
zahlreiche walzen- und spindelförmige (z. B. Fig. 36 r — ich zeichne
nicht mehr, weil sie fast ganz aussehen wie viele progressive
Fettzellen, z. B. Fig. 19r u. a.), eckige Zellen, etwas grösser als
die protoplasmatischen Mitteltheile der fixen Bindegewebszellen,
manchmal noch mit Ausläufern, mit einem mittelgrossen oder klei-
nen Fetttropfen. Wenn die Autorschaft der fixen Zelle bei der
Fettgewebsbildung noch eine Fürsprache brauchte, würde solche
hierin zu finden sein.
Die Fig. 17, welche einen Fettanlageheerd von einem ca. 12-
zölligen Schafembryo darstellt, konnte ich bei dieser Beschreibung
ruhig mit unterlaufen lassen. Sie differirt von den Bildern des er-
wachsenen Gewebes, wie man sieht, nur dadurch, dass die fixen
Zellen noch stark sternförmig verästelt und sehr anastomosenreich
Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle im Bindegewebe u.s.w. 63
und dass die Capillarensprossungen in besonders mächtiger Ent-
wickelung sind.
Ich habe nun noch einen Ort des Körpers zu besprechen, an
welchem die Fettbildung Eigenthümlichkeiten hat: das Mesenterium.
Dass auch hier die Gefässadventitien der Ort der Fettanlage sind,
wurde schon besprochen. Auffallend ist nur der colossale Zellen-
reichthum dieser Adventitien, sowohl an fixen Zellen als an massen-
haft dazwischengestreuten rundlichen Elementen. Dies findet man
nicht bloss an den Stellen, wo schon Fett auftritt, überhaupt nicht
bloss bei gutgenährten fettbildenden Thieren, sondern bei allen, jun-
gen wie älteren. ‘ Diese Zellenanhäufung zeigt bei Embryonen und
jungen Thieren an einigen Stellen eine ganz eigenthümliche Form.
Beim Kaninchen und Meerschwein nämlich gewahrt man in diesen
Stadien am Omentum ganz unregelmässig verstreute, rundliche oder
ovale dichte Haufen von Zellen, die schon makroskopisch den Ein-
druck dunklerer Fleckchen machen (Fig. 10). Sie erinnern auf den
ersten Blick fast an die Entwicklungsformen Paeini’scher Körper
bei der Katze, welche P. Michelson in diesem Archiv (Bd. V.
H. 1) beschrieben hat. Doch kann man sie in solche Beziehung
nicht bringen; denn erstens kommen bei erwachsenen Thieren dieser
Arten keine Pacini’schen Körper vor, — ich fand auch beim 1!/e-
jährigen Meerschwein jene Dinge noch ganz wie bei Embryonen —
sodann ist nichts Nervenartiges daran zu bemerken, das ganze
Häufchen besteht aus einer Masse von gewöhnlichen fixen und von
runden Zellen; und endlich, in der Mitte solcher Haufen treten
nun Fettzellen auf. Das Ganze ist übrigens nichts Anderes, als
ebenfalls eine Auftreibung der Adventitia eines kleineren Gefässes,
ein solches oder mehrere sieht man immer zu dem Haufen und
durch denselben treten, und neben ihm, d.h. in der Mitte des
Haufens, zeigen sich auch immer die ersten Fettzellen. Uebrigens
pflegt die Fettbildung in den Adventitien der grösseren Gefässe
schon längst vorgeschritten zu sein, ehe sie in diesen Zellenhaufen
beginnt.
Die Zellen hier wie überhaupt in den Adventitien sind, wie
gesagt, theils spindel- und sternförmige oder schon abgeplattete
fixe, theils runde oder rundliche Zellen. Dass die grosse Zahl dieser
Elemente wenigstens grossentheils in einer Zellenproliferation ihren
Ursprung hat, kann kaum bezweifelt werden; denn man trifft, nament-
lich in jenen umschriebenen Haufen, zahlreiche Zellen mit abge-
64 Dr. W. Flemmingt
schnürtem Kern, solche mit zwei Kernen, endlich Convolute meh-
rerer zum Theil sehr kleiner, dicht aneinandergedrängter Zellen,
gleich als ob sie sich eben aus einer alten auseinandergefurcht hät-
ten (Fig. 20). Da ich oben auch im subeutanen Bindegewebe Thei-
lungsformen sowohl der fixen, als der freien Zellen notirt habe, so
verliert damit der Zellenreichthum des Mesenterium viel von seiner
Eigenthümlichkeit: wir haben es hier nur mit einer quantitativ stär-
keren Zellenvermehrung zu thun.
In vielen dieser runden Zellen findet sich nun, wie die Fig. 20«
zeigt, Fetteinlagerung; und dadurch erklärt sich wohl, dass Rol-
lett grade durch Befunde am Mesenterium zu dem Ausspruch kam:
man sehe als erste Vorstufe der Fettzellen kleine, runde, kör-
nige Zellen. So wenig allgemeine Geltung ich aber nach allem
Gesagten diesem Ausspruch einräumen kann, so wenig kann er
auch nur hier am Mesenterium das alleinige oder regelmässige Vor-
kommniss genannt werden. Es ist wie gesagt nicht leicht, in die-
sem Gewirr dicht zusammenliegender Zellen die feineren Formen
der einzelnen zu erkennen; aber an ganz frischen, an Osmium- und
besonders an Pikrocarminpräparaten constatirt man völlig sicher,
dass ebensowohl in spindelförmigen und verästelten (Embryo) oder
platten Zellen (geborenes Thier), also dass auch hier in fixen Zellen
massenhaft Fetteinlagerung vorkommt; ich verweise dafür auf
Fig. 20 ß und d.
Auch hier finden sich bei säugenden und gemästeten 'Thieren
überall, auch entfernt von den Gefässen, einzelne kleinste Fettkörn-
chen in und an sämmtlichen Zellen, wie auch frei im Gewebe;
ebensowenig aber auch wie im subcutanen Stratum gibt es hier eine
einzige stärker fetthaltige Zelle, eine wirkliche Uebergangsform zur
Fettzelle, die nicht an einem Gefäss läge.
Die fernere Angabe von Czajewicz, dass bei gemästeten
Thieren auch in den deckenden Endothelzellen (bei Cz. Epithelien)
des Bauchfells feine Fettkörnchen vorkommen, habe ich bis jetzt nicht
bestätigen können. Weder am frischen Endothel noch am versil-
berten, das noch schärfere Controle erlaubt, gelang es mir, am
Kern oder in der Mitte dieser Zellen solche Körnchen zu entdecken
(Fig. 20 y).
Noch ein anderer Ort der Fettbildung muss uns jetzt beschäf-
tigen: das Knochenmark. Das Bindegewebe desselben ist be-
kanntlich nur ein spärliches, seine Gefässe sehr zartwandig, sein
Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle im Bindegewebe u.s.w. 65
Reichthum an rundlichen Iymphoiden Zellen äusserst gross; und
grade für diesen Ort findet sich angegeben (vgl. Frey a. a. O.
p. 294), dass die Bildung der Fettzellen von runden Zellen aus er-
folge. Wiederum muss ich das Gegentheil als die überwiegend
häufige, wenn nicht alleinige Norm hinstellen, nach allen Erfahrun-
gen, die ich am Knochenmark junger Kaninchen gemacht habe. —
Ich kann dafür auf das Bild der Fig. 18 hinweisen, welches mir
regelmässig bei jungen fetten Thieren aufstiess. Wieder sieht man,
am frischen Object oder an Osmiumschnitten, unmittelbar oder nahe
an der Wand der zarten Gefässe dieselben Formen fixer fetthalti-
ger Zellen, denen wir schon im subceutanen Gewebe begegneten; nur
sind Contouren, Protoplasma und Kerne derselben noch schwerer
wie dort sichtbar zwischen der Masse der überall lagernden rothen,
Blutkörper. Die Anordnungsform der Fetttröpfchen wird aber wohl
keinen Zweifel lassen können. Die massenhaft eingestreuten Iym-
phoiden Zellen sind zum grossen Theil sehr grobkörnig, aber wieder
zeigt sich dasselbe wie bei den ähnlichen Kriechzellen der Fische:
keine Lösung ihrer Körnchen in Alkohol und Aether (Fig. 18 f),
keine Färbung derselben durch Osmiumsäure; während die Körn-
chen in jenen anderen, unregelmässig gestalteten Zellen durch die-
ses Reagens zu dunkelgelbbraunen Haufen zusammengeballt werden.
— Ich muss also den Bildungsmodus der Fettzellen hier für ganz
denselben halten wie im Subeutanstratum, obwohl ich natürlich nicht
behaupten darf, dass eine Entstehung aus runden Zellen, wie sie
Frey darstellt, im fötalen Knochenmark nicht vorkomme.
Es bleibt mir endlich noch die Fettentwicklung bei jüngern
Embryonen zu besprechen. Wo man hier Fettzellen findet, ist
das Gewebe immer bereits vascularisirt; und auch hier schliesst
sich der Process, wie überall in läppchenförmigen Heerden auftre-
tend, an die nächste Nähe der Gefässe. Bei Kalbsembryonen von
ca. 31/;“ habe ich überhaupt noch kein Fett gefunden. — Es ist
nun constante Regel, dass je kleiner der Embryo, desto kleiner die
Fettzelle ist (vgl. auch Harting, Raspail, Frey p. 240): bei
Rattenembryonen von 5/4“, wo sich schon reichliche Fettanlage am
Rücken und in der Inguinalfalte fand, zeigten die grössten run-
den, ganz mit Fett gefüllten Zellen wenig mehr Ausmaass wie etwa
eine grössere Lymphzelle des erwachsenen Thieres. Die Zellen liegen
hier so dicht, dass man für das Studium der Formen zur Isolation
mit Jodserum, aus Chromkali- oder Osmiumpräparaten angewiesen
M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 7. 5
66 Dr. W. Flemming:
ist: Sie zeigt (Fig. 21 von einem 5zölligen Kalbsembryo), dass Zel-
len der verschiedensten Formen, spindelförmige wie auch rundliche
und polygonale, die Anfangsstadien der Fettzellen bilden können.
Man wird natürlich in diesen und vollends in den noch früheren
Stadien, wo gewiss eine Menge runder Zellen noch zu gestreckten
auswachsen, nicht sagen können, ob eine rundliche junge Fettzelle
vorher die Geltung einer solchen runden embryonalen Bildungsform,
oder die einer Wanderzelle gehabt hat.
Sichere Abschnürungs- und Vermehrungsformen fertiger, run-
der Fettzellen habe ich in diesen Stadien nicht angetroffen.
Es sei noch angefügt, dass ich bei Untersuchung des Grenz-
gewebes mehrerer Lipome ganz ähnliche Bilder bekommen habe, | wie
die, welche oben von der normalen subeutanen Fettentwicklung
beschrieben wurden.
Auf denjenigen Process, welchen die Pathologie als »fettige
Entartung« von der »Fettinfiltration« mit Recht unterscheidet, will
ich in diesem Aufsatze nicht eingehen. Es handelt sich dort um
eine chemische Metamorphose des Zellenleibes zu Fett, hier jeden-
falls um eine Anhäufung oder Verarbeitung neuzugeführter Substanz.
Als beste Illustration dieses Unterschiedes lässt sich das verfettende
Knorpelgewebe marastischer Thiere anführen, ein Ort also, der von
der Blutzufuhr nicht direct beeinflusst wird: Je grösser hier die
Fetttropfen in der Zelle, desto verkommener erscheint die Zelle
selbst, und es finden sich Bilder (wie man sie im Öhrknorpel
marantischer Kaninchen z. B. öfter sieht), wo in der Knorpelzellen-
höhle nur ein ansehnlicher Fetttropfen nebst einigen verstreuten
Körnchen vorhanden, die Zelle völlig untergegangen erscheint.
Rückbildung der Fettzelle.
Diese untersuchte ich in ihren verschiedenen Stadien bei hun-
gernden, besonders jungen Thieren: Kaninchen, Kätzchen, Hunden,
Fröschen und Fischen, bei verschiedentlich erkrankten marantischen
Thieren und Menschen, und endlich auf Grund künstlicher Entzün-
dung des fetthaltigen Bindegewebes.
Als Hauptergebniss finde ich zu vermerken, dass die »serum-
haltige Fettzelle« der Autoren nicht die endgültige Rückgangs-
form ist — wie das bisher fast allgemein angenommen zu sein
scheint (vgl. die Citate zu Anfang dieser Arbeit) —: sondern dass
Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle im Bindegewebe u.s.w. 67
sie nur eine Zwischenform der regressiven Metamorphose darstellt,
welche die Fettzelle bei der Abmagerung durchschreitet; und ich
muss es, so auffallend es nach den bisherigen Ansichten klingen mag,
vertreten, dass sie sich zurückbilden kann zu dem, was sie war: zu
einer abgeplatteten fixen Bindegewebszelle.
Die Bedingungen des Schwundes herzustellen, ist nicht schwer.
Das Fett in den vollen Zellen pflegt bei jungen Thieren (namentlich
bei Fischen) bei gänzlicher oder theilweiser Nahrungsentziehung
sehr rasch zu schwinden: und es ist gerade dieser Umstand, der
für das Erforschen der Fettbildung die peinlichste Vorsicht auf-
erlegt; denn ein säugendes Thier, das man nur einen Tag lang von
der Mutter getrennt, selbst bei künstlicher Fütterung, ein Fisch,
den man nur einen halben Tag gefangen gehalten, oder selbst der
Embryo aus einem Schlachtthier, welches vielleicht vor dem Tode
etwas gehungert hat, kann schon ausgesuchte Formen des Fett-
schwundes bieten. Und ich bekenne offen, dass ich in manchen
Abbildungen der Autoren, welche Fettentwicklung darstellen, ein
viel treueres Bild des Schwundes erkenne!), und dass ich des-
halb, an der Beobachtungstreue derselben nicht zweifelnd, gern an-
nehmen würde, dass sie Atrophie anstatt der Neubildung zum Ob-
ject gehabt haben.
Die ersten Stadien des Schwundes stellen sich nun verschieden
dar, je nach dem Alter der Fettzelle. Bei Zellen, welche schon
länger in gefüllter Form bestanden haben, entsprechen sie den bisher
von den Autoren beschriebenen Bildern: man kann sich solche leicht
darstellen, wenn man nach Czajewicz’ Vorgang mittelgrosse Kanin-
chen nur einen bis zwei Tage hungern lässt. Man sieht dann in vielen
der Zellen den grossen Fetttropfen mehr oder weniger geschwunden,
bei längerer Abmagerung bis zum völligen Verschwinden herab, und
hat dann die runden, noch deutlich membranhaltigen, vielfach be-
schriebenen Serumzellen. Ob sie wirklich Flüssigkeit — »eine sehr
feinkörnige Flüssigkeit«, wie Czajewicz will — enthalten, mag ich
nicht entscheiden; doch färbt sich diese Substanz allerdings nicht
durch Carmin und die Hülle fällt leicht zusammen.
1) So z. B. in den runden, membranhaltigen Fettzellen von Czaje-
wiez (Fig. 3 und 4 l. e.); und in den Figg. 192 und 188 bei Frey, welche
ganz identisch sind, während die eine die Entwicklung, die andere die Atro-
phie darstellt; meiner Ansicht nach entsprechen sie beide der Letzteren.
68 Dr. W. Flemming:
Es zeigt sich aber an ihnen noch einiges Eigenthümliche. Zu-
nächst finden sich, wie es u. A. schon in Frey’s mehrfach eitirter
Abbildung dargestellt ist, neben dem verkleinerten Fetttropfen —
einer als grössester bleibt lange Zeit zurück — mehrere bis viele
kleine in der Zelle (Fig. 23, 24, 25, 26). Sehr prägnant tritt dies
Bild bei Fischen auf (Fig. 23); hier, wo die Zelle äusserst blass,
ihr Contour meist unsichtbar ist, zeigen die Fettkörnchen den Um-
fang derselben genau an. Frey (auch Czajewicz) ist der Ansicht,
dass diesem Verhalten »ein Zerfallen« der Fettkugel in mehrere
Tröpfchen (l. e.) zu Grunde liege.
Ferner aber lässt sich bei fast allen diesen Zellen bemerken,
dass ausser der blassen, vielleicht flüssigen Masse, welche die ganze
Kugel füllt, noch ein Theil körniger, dunklerer Substanz meist neben
dem Kern, und an die Hülle geballt vorhanden ist (Fig. 31 u.a.).
Ein anderes Bild gewährt der Schwund bei den jungen For-
men, welche eben erst Fettzellen geworden waren, und bei den
meisten solchen vom Embryo und Säugling überhaupt. Hier ist
von einer Membran meistens nicht zu reden. Die Zellen entsprechen
sonst ganz der Frey schen Fig. 188 2, d, e, f, nur dass ich den
Randeontour nicht so scharf zeichnen kann. Die ganze Zelle färbt
sich intensiv mit Carmin. Von diesen zu etwas grösseren Zellen
schreitend, sieht man alle Uebergänge zu Formen, wo in der Mitte,
um den Fetttropfen her, sich eine grössere oder kleinere Höhle be-
findet, welche von dem dicken Ring der färbbaren Zellsubstanz um-
geben ist (Fig. 33a). — Die Entstehung der Membran durch all-
mähliche, passive Ausdehnung und Verhärtung des Protoplasma
lässt sich kaum schöner illustriren, wie durch diese regressiven
Formen. — Endlich finden sich nun bei solchem jungen, regressiv
gemachten Fett viele Zellen mit Fetttropfen, welche nicht rund-
lich, sondern länglich, spindelförmig oder sonst vielgestaltig sind:
es sind fixe Zellen, welche durch die Fetteinlagerung noch nicht,
oder eben erst, ausgerundet waren und jetzt, bei der Atrophie, ihre
alte Form noch theilweise wieder annehmen. Vielfach haben sie
Ausläufer und hangen durch solche mit fixen Zellen (Fig. 33b) oder
untereinander zusammen. Man erzielt sie sehr schön mittelst Ent-
zündung durch Injection Lugolscher Lösung: ich sprach davon
schon oben.
Folgen wir dem Rückgangsprocess nun aber weiter, indem wir
Thiere lange Zeit hindurch schlecht ernähren, oder indem wir er-
Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle im Bindgewebe u. s. w. 69
krankte untersuchen. Wir finden, dass die Fettzelle ihre erworbene
und bisher bewahrte Membran wieder verliert.
Czajewicz, welcher das Fett ganz verhungerter Kaninchen
(wie immer ohne Reagentien) untersuchte, gibt (p. 309) an, dass
die serösen Zellen dann so blass werden, dass sie kaum sichtbar
sind, und lässt es unentschieden, ob vielleicht die Zellen selbst re-
sorbirt werden. — Die Bilder, welche ich bei stärkerem Marasmus
gewöhnlich bekommen habe, sind andere und ich finde sie am fri-
schen Gewebe (Fig. 26) fast eben so prägnant wie nach Pikrocar-
minfärbung (Fig. 27, 28).
Man stösst hier auf viele Uebergänge von grösseren, noch
membranhaltigen Zellen mit Fetttropfen (Fig. 26a), zu kleineren,
nur feine Tröpfchen enthaltenden (26 b) — das Fett ist, wie lange
bekannt, häufig stark gelb gefärbt und zwar um so gelber, je klei-
ner die Tropfen sind —; ferner zn solchen, die noch eine deutliche
Hülle haben, wo der Inhalt aber lediglich körnig'), kein Fett mehr
darin ist. Zwischen diesem Inhalt und der Membran gibt es häufig
einen Hohlraum: ersterer hat sich, um es so auszudrücken, von
letzterer zurückgezogen (Fig. 33 c). Endlich sieht man nun zahl-
reiche Zellen (Fig. 27 a), um welche statt der Membran — ganz in
demselben Umfang, welchen sie bei jenen anderen einnimmt — ein
Kreis (d. h. im optischen Schnitt, in der That eine Hohlkugel) von
Körnchen sich ausspannt, und zum Schluss andere, welche völlig mem-
branlose, kernhaltige Körnchenhaufen darstellen (Fig. 26, 27, 28 u. 33)
und nur zum Theil durch ihre Grösse, ihre häufige Abflachung
und Streckung, sowie durch ihre characteristische Anordnung in
den Capillarenmaschen von grobkörnigen Wanderzellen unterschie-
den sind.
Nicht immer, wie gesagt, erfolgt der Process so, dass sich das
Protoplasma von der Hülle zurückzieht; oft (Fig. 32) hat man Bil-
der rundlicher oder eckiger Zellen, die einen noch mit scharfem,
bei starker Vergrösserung doppeltem Randeontour, die nebenliegen-
den ohne solchen. Der Untergang der Hülle kann schon stattfin-
den, während noch Fettkörnchen in der Zelle sind; ich verweise
dafür auf die Fig. 33b und 32, 26. Bei letzterem Object war durch
1) Ich sage nicht: feinkörnig, denn diese Körnchen sind nach den
gewöhnlichen histiologischen Begriffen immer noch recht grob — messbar,
wie die Körnchen der oben besprochenen Wanderzellen, z. B. Fig. 18, 13.
70 Dr. W. Flemming:
Druck auf das Deckglas eine Zelle zum Auseinanderbersten gebracht
worden, und die Rissstelle bei r zeigt wohl deutlich, dass hier keine
Membran vorhanden, dass sogar der ganze ziemlich grosse Zellen-
körper (die Vergrösserung betrug über 650) aus einer festweichen
Masse bestand.
Ob die Membran durch Resorption oder durch körnigen Zer-
fall schwindet, will ich nicht entscheiden; die Körnchen, die man
oft an ihrer Stelle (Fig. 27) sieht, können nichts beweisen, denn
solche liegen sehr oft auch der noch erhaltenen Hülle an.
In Rindfleisch’s Handb. der path. Gewebelehre (Fig. 24 p. 49)
— es ist das die einzige bisherige Schilderung, in welcher ich diese
Verhältnisse gewürdigt finde — ist atrophisches Fettgewebe dar-
gestellt mit noch fetthaltigen, körnigen, membranlosen Zellen, deren
einige längliche und spindelförmige Formen zeigen. Wenn auch R.s
Ansicht über die Rückbildung aus den kurzen Worten seines Tex-
tes nicht ersichtlich ist, so darf ich sie nach der Figur wohl als mit
der meinigen übereinstimmend annehmen und freue mich, jene als
Stütze für meine Darstellungen eitiren zu können.
Ich muss aber noch weiter gehen und behaupten, dass es an
manchen Orten, z. B. bei Amphibien, zur Bildung einer wirklichen
Membran der Fettzelle gar nicht kommt. Untersucht man bei Frö-
schen, die sich im Anfange der Abmagerung befinden, das frische
subcutane Fett der Rückengegend (vgl. 0.) oder das der Winter-
schlafdrüse (Fettkörper, welcher morphotisch ja dem fetthaltigen
Mesenterium der Säuger parallel steht): so wird man um die grös-
seren Fetttropfen nur einen Ring von homogenem Protoplasma fin-
den (Fig. 29, 35), öfter mit zwei Kernen, ohne irgend eine beson-
dere Hülle, und man wird constatiren, dass viele derjenigen Zellen,
welche kleinere Fettkugeln beherbergen, dieselben unregelmässigen,
verzogenen Formen zeigen wie die fixen Bindegewebszellen des Fro-
sches, dass sie oft sich zu ausgesprochenen Platten ausdehnen
(Fig. 29). Die Zellen des Fettkörpers lassen sich auch durch Ma-
ceration in frischem Jodserum sehr schön isoliren und man wird an
solchen Präparaten über ihre spindelförmigen und zackigen Formen,
sowie über ihre Membranlosigkeit schwerlich in Zweifel bleiben. —Viele
der regressiven Zellen findet man übrigens hier, wie an andern Orten
rundlich (Fig. 30 r), auch noch in Stadien, wo das Fett grösstentheils
oder ganz geschwunden ist: es kann ja auch nicht behauptet werden,
dass jede Fettzelle in die Lage kommt, wieder zur fixen Binde-
«
Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle im Bindegewebe u. s. w. 71
gewebszelle zu werden, um so mehr, da man für einzelne derselben
eine Entstehung aus Wanderzellen — nach dem oben Erörterten —
für glaublich halten muss.
Bei pathologischem Fettschwund — bis jetzt nur bei diesem —
habe ich manche eigenthümliche Bilder beobachtet. Zwischen Fett-
zellen, welche in den gewöhnlichen Anfangsstadien der Atrophie
begriffen waren, zeigten sich ganz einzeln eingestreute Zellen, welche
durchaus von einer dunkelgelben, feinkörnigen Masse zusammen-
gesetzt wurden. Nach ihrer Grösse, ihrer Gestalt und Lagerung
zwischen den Capillarenmaschen entsprachen diese Zellen (Fig. 25 z)
sonst ganz den übrigen Fettzellen; und es fanden sich — was diese
Deutung wohl sicher macht — in vielen derselben, wie in der ge-
zeichneten, noch median gelegene Fetttropfen. Der Kern war nach
Carminfärbung deutlich. Bis jetzt fand ich dieselben bei Kaninchen,
die an Distomen gelitten hatten, im Mesenterium und bei Ratten,
an welchen für andere Zwecke eine Gallengangs-Unterbindung aus-
geführt war, im subcutanen Bindegewebe. Bei denselben Thieren
zeigten sich ferner in den stärker atrophischen Fettzellen (Fig. 25a)
die kleineren, unregelmässig vertheilten Fettkörner von eckiger Gestalt,
von eigenthümlich mattem Glanz, und wollten sich in Osmiumsäure
nicht färben, während die grösseren Tropfen sich hierin ganz wie
anderes Fett verhielten. Es ist mir darum zweifelhaft geworden,
ob man jene Körner hier als wahres Fett betrachten kann; und es
kann diese Beobachtung vielleicht einen Fingerzeig dafür geben,
dass die feinen Fettkörner in den atrophischen Zellen nicht einem
einfachen »Zerfall« des alten Tropfens ihre Entstehung verdanken.
Besondere Aufmerksamkeit verdient bei dem heutigen Stand
der Entzündungsfrage die Angabe von Czajewicz, dass entzünd-
lich gereizte Fettzellen in sich eine Zellenbrut erzeugen können,
welche »wie ein Epithel«e um den Fetttropfen her liegt. — Bei der
vielfachen Opposition, die ich diesem Beobachter zu machen gezwun-
gen war, freut es mich doppelt, diese seine Angabe, wenigstens
ihrem Hauptwerthe nach, bestätigen zu können. Nach Entzündung
des subcutanen Fettes bei jungen Kaninchen, durch eingebrachte
Hollundermarkstückchen oder (auf Cz.s Weise) durch Jodinjection,
bekam ich — auch, wie Cz., besonders etwa zwei Tage nach der
72 Dr. W. Flemming:
Operation — vielfach Fettzellen mit mehreren Kernen oder mit ein-
geschnürtem Kern zu Gesicht (Fig. 36). Gewöhnlich waren es die
Formen, in denen sich der Fetttropfen schon verkleinert hatte —
derselbe schwindet, wie oben gesagt wurde, schon in Folge der Ent-
zündung, und es ist deshalb nicht nöthig, ihn, wie Cz. es that, erst
durch vorhergehendes Hungernlassen zu verkleinern. Ich fand
jedoch auch viele volle Fettzellen mit zwei Kernen (vgl. die Fig. 36 v).
Wirkliche Zellen oder gar epithelartig geordnete in den Fettzellen
zu constatiren, wie Czajewicz, ist mir noch nicht gelungen; die Zellen
mit drei und mehr Kernen waren immerhin selten, auch vollständige
Abschnürungsformen habe ich noch nicht beobachtet; doch gehen meine
Prüfungen nicht über den zweiten Tag nach der Operation hinaus.
Die entschiedenen Kerntheilungsformen, die man beobachtet, und
der Umstand, dass um die Kerne keine besondere, durch Carmin
stärker sich färbende Substanz zu sehen ist, machen es zum Min-
desten nicht sehr wahrscheinlich, dass wir es hier nur mit in die
Fettzellen eingewanderten Eiterzellen zu thun haben.
Zugleich erwähne ich, dass man an solchen Objeceten auch
sichere Formen von fettlosen fixen Zellen mit Kerntheilung an-
trifft (Fig. 36).
Ich will versuchen, die gewonnenen Resultate zu deuten. Es
konnte festgestellt werden, dass die Bildung normaler Fettzellen aus
Zellen des Biudegewebes erfolgt, die von den Zellen anderer, nicht
fettbildender Orte desselben Gewebes in keiner Weise verschieden
sind. Ich darf ebenso behaupten, dass die Fettzelle nach dem
Schwinden ihres Inhalts im Stande ist, sich zu einer fixen Binde-
gewebszelle mit all ihren Characteren, wie sie es früher war, zurück-
zubilden. Ich konnte weiter nachweisen, dass das Auftreten von
Fettzellen stets abhängig ist von der unmittelbaren Nähe einer
Blutbahn. Daraus ergibt sich durchaus die Indentität von fixen
Bindegewebs- und Fettzellen: jede der Ersteren, welche durch die
Blutzufuhr die Bedingungen dazu erhält, kann Fettzelle werden:
dies ist überhaupt der einzige Modus normaler Fettbildung. Ich
muss darauf besonderes Gewicht legen, wenn auch die nahe Ver-
wandtschaft beider Zellenarten, wie es die obigen Citate bezeugen,
schon lange bekannt gewesen ist: denn Vieles in der bisherigen
Literatur zeigt offenbar die Tendenz, die Fettzellen aus besonders
Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle im Bindegewebe u. s.w. 73
prädestinirten Elementen abzuleiten und demgemäss ein wirkliches
»Fettgewebe« zu constatiren!). Nach einer älteren Angabe von Va-
lentin?) gibt es bereits in frühen Embryonalstadien Haufen von
»noch leeren Fettzellen« an der Planta. Frey (p. 240) nennt die
jungen Fettzellen ansehnliche, kugelige Zellen. Nach Kölli-
ker) sind im Mesenterium junger Kätzchen die Fettläppchen in
voller Grösse vorgebildet mit 0,01—0,02° grossen schönen feinkör-
nigen Zellen, die in Zeit von 3—9 Tagen in wirkliche Fettzellen
übergehen. Nach dem oben Erörterten kann ich mich dem nicht
anschliessen. Wo ich bei jungen Thieren so angeordnete Zellen-
haufen traf, waren es überall rückgängige Fettzellen. Die Grösse
der von Kölliker beschriebenen Zellen entspricht ganz gut der-
jenigen der regressiven Zellen, welche ich — gerade auch vom Kätz-
chen — in Fig. 33 abbilde, und weiche, wie das natürlich alles
schon fertige und schwindende Fettgewebe thut, in deutlichen Läpp-
chen angehäuft lagen. Sie entspricht aber nicht der weit geringern
Grösse der progressiven Formen. Ich verweise auf das Seite 67
Ausgeführte und vermuthe wiederum, dass die Autoren völlig richtig
gesehen haben, dass ihnen aber Fettatrophie und nicht Fettent-
wickelung vorgelegen hat.
Ebensowenig kann ich einer specifischen fötalen Fettgewebs-
entwickelung aus »Schleimgewebe« das Wort reden. Wenn man
das gallertige — d. h. mucinhaltige, sehr flüssigkeits- und zellen-
reiche — Bindegewebe des Embryo Schleimgewebe nennen will, so
lässt sich dagegen nichts einwenden; aber so verhält sich alles em-
bryonale Bindegewebe und besonders charakterisirte Zellen für die
Fettbildung gibt es darin nicht. Die Fettzellen entstehen in ihm,
wie im erwachsenen Gewebe, an den Blutgefässen aus fixen, dort
noch spindel- und sternförmigen Zellen; und wenn in den frühesten
Stadien manche oder viele dieser Bildungszellen noch rund sind,
so theilen sie diese Eigenschaft um die Zeit mit den meisten Em-
bryonalzellen, welche diese Gestalt unzweifelhaft später noch ändern.
Bei jeder normalen Fettanlage sind es also, wie ich behaupten
muss, fast ausschliesslich die fixen Zellen der Gefässadventitien -- oder
&
1) Ich habe den Ausdruck Fettgewebe deshalb absichtlich ganz
vermieden.
2) Handk. d. Entwickl. 1835, p. 271.
3) Handb. d. Gewebel. 1863, p. 125.
74 Dr. W. Flemming:
beim Embryo »solche die es werden wollen« — und die alten Fett-
zellen, in welchen sich Fett ansammelt; wenn ich auch keinen Grund
gegen die Annahme finde, dass jene ausnahmsweiseren, runden For-
men jüngster Fettzellen, die ich oben erwähnte, aus lymphoiden
Elementen (Wanderzellen) hervorgegangen sind.
Es ergibt sich damit, dass die Beobachtungen der pathologi-
schen Anatomie (Virchow, Rindfleisch, v. Wittich, Förster,
die Angabe von Frey über Fettzellenbildung im übermästeten
Muskelbindegewebe [l. c.]) in der That nicht bloss pathologische,
nicht Ausnahmezustände, sondern die allgemeine, physiolo-
gische Norm darstellen.
Wie kommt nun das Fett in die Zellen hinein? — Dass es
denselben durch das Blut zugeführt wird, ist wohl zweifellos durch
die locale Bedeutung, die die Blutgefässe für den Vorgang haben.
Trotzdem nun, dass ich das reichliche Vorkommen feiner Fetttröpf-
chen an den Orten dieser Anlage und überhaupt bei fetten Thieren
nachweisen konnte, dünkt mir die Annahme sehr unwahrscheinlich,
dass hier das Fett in dieser Form bereits aus den Gefässen aus-
geschieden und mechanisch von den Zellen aufgenommen wird. Denn
erstens findet man die feinen Tröpfchen auch anderswo im Binde-
gewebe, findet dass die Zellen desselben überall einige solche Körn-
chen enthalten, an Orten, wo sie doch nie zu Fettzellen werden.
Ferner müssten, im Fall einer solchen mechanischen Fettaufnahme,
die Wanderzellen bei ihrem grossen Annexionsvermögen weit im Vor-
theil sein gegenüber dem trägen Protoplasma der fixen Zellen; statt
dessen ist die Bildung von Fettzellen aus letzteren die Regel, aus
ersteren die Ausnahme.
Die auffallende Menge fettloser‘) Wanderzellen an den fett-
bildenden Heerden könnte auf die Vermuthung bringen, dass sie
beim Transport des Fettes eine Rolle spielen. Ich glaube aber, ihre
Anwesenheit weiter unten besser erklären zu können.
Wenn man ein plasmatisches Canalsystem von fixen Zellen,
wenn man den Zusammenhang eines solchen mit der Gefässwand
annehmen könnte, würde sich ein einfaches Verständniss dafür er-
geben, dass eben fast nur in den fixen Zeller? das Fett auftritt, und
1) Von jenen kleinen, allgemein verbreiteten Körnchen, welche nirgend,
einen Uebergang zu wahrer Fettfüllung einleiten, sehe ich bei dieser Be-
zeichnung ab.
Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle im Bindegewebe u. s.w. 75
Bilder, namentlich wie die des embryonalen Gewebes (Fig. 17), wür-
den sehr schlagend erscheinen, — es würde sich dann handeln um
eine Fortbewegung und Umsetzung des Ernährungsstoffs innerhalb
bestimmter Bahnen. Ich habe aber oben (p. 47, p.38 ff.) schon aus-
geführt, weswegen ich die Annahme eines plasmatischen Zellen- oder
Röhrensystems hier nicht machen kann!), und dann: woher kom-
men dann die freien Fettkörnchen im Gewebsraum? Wie geräth
das neue Fett in die Wände der alten Fettzellen? Denn man kann
doch wohl unter keinen Umständen annehmen, dass diese Wände
noch Theile eines plasmatischen Gangsystems sind.
Die einzige Erklärung, die ich für die vorliegenden Thatsachen
finde und welche mir als Hypothese deshalb berechtigt erscheint,
ist diese:
Das Fett — oder das fettliefernde Material — ceirculirt im
Blut in Form einer gelösten Verbindung und transsudirt auch in
dieser Form. Hat die Lösung das Gefäss verlassen, so wird sie
zersetzt und Fett daraus niedergeschlagen. Daher die freien Fett-
körnchen, daher auch der Umstand, dass dieselben auch weiter-
hin im Gewebe vorkommen, wo eine Fettzellenbildung nicht statt-
findet. Wo ein Zellenleib von der frisch austretenden Lösung
durchtränkt wird, schlägt sich auch in ihm, vielleicht gerade be-
sonders energisch, Fett daraus nieder und wo dieser Process fort-
dauernd anhält, da kommt es so zur Bildung der Fettzelle. In
der Lage nun, in diesem Strom fortwährend gebadet zu werden
und Fett aus ihm anzusammeln, sind zunächst die fixen Zellen der
Gefässadventitia und die dort schon befindlichen Fettzellen; wenn
aber eine Wanderzelle hier in der Adventitia gerade länger verweilt,
so kann auch sie dem Process anheimfallen. Es erklärt sich durch
diese Annahme ferner, warum es abwärts vom Gefäss nicht zu
1) Nach den Angaben Eimer’s (Virch. Arch. Bd. 48: Die Wege des
Fettes in der Darmschleimhaut bei seiner Resorption) geht die Fettresorption
in der Darmzotte durch ein feinstes, von den Bindegewebszellen und ihren
Ausläufern dargestelltes Canalsystem vor sich. Dies würde freilich zu den
hier und oben entwickelten Ansichten keine Analogie geben. Uebrigens ist
es ja bis jetzt noch ganz unermittelt, in welche Beziehung sich die so-
genannte cytogene Bindesubstanz — welcher man ja das Gewebe der Darm-
zotte zurechnet — zu dem Ranvier’schen Schema des fibrillären Bindegewe-
bes wird bringen lassen. — In der Submucosa des Darmes hat Eimer selbst
beobachtet, dass dort die fettführenden Gänge oft Spalten von ansehn-
licher Tiefe darzustellen scheinen (l. c. p. 38).
76 Dr. W. Flemming:
Fettzellenbildung kommt: die dorthin gelangte Lösung ist ja be-
reits ganz oder grösstentheils zersetzt, sie kann den Zellen dort
wohl noch einzelne Körnchen liefern, wie wir sie ja auch in ihnen
finden; aber sie kann nicht mehr Massendepots veranlassen, wie sie
zur Bildung der Fettzelle erfordert werden.
Wenn das nun aber so ist, so bleibt ein weiteres Räthsel
zu lösen. Aus meiner Darstellung ergibt sich, dass die Fettanlage
immer und überallin kleinen localisirten Heerden er-
folgt; dass es mit andern Worten immer nur einzelne
kleine Strecken oder Verästelungsbezirke der Gefässe
sind, welche zur Zeit Fett anlegen. Wo liest da der
Grund? Es wird doch wohl in den unmittelbar benachbarten, im
selben Sehfeld noch von einander abzweigenden Gefässästen ein Blut
von gleicher Mischung geflossen haben! Und doch sehen wir am
einen Gefässast Fettanlage, am anderen nicht. Hat die Wand der
einen Blutbahn etwas Anderes transsudiren lassen als die der andern?
Weit annehmbarer erscheint es, dass der Unterschied nur ein quan-
titativer war. Und dann scheint mir ein ziemlich einfaches Ver-
ständniss des Vorganges ermöglicht, indem man als Ursache der
vermehrten Transsudation eine locale Gefässerweiterung au-
nimmt. Dass solche physiologischer Weise, auf Grund vasomotori-
scher Einflüsse, bald hier bald dort vorkommen, und auf kleinste
Gefässbezirke beschränkt vorkommen kann, das zu bezweifeln haben
wir keinen Grund nach den Arbeiten Ludwigs und seiner Schule
(Loven, Asp, Dogiel u.A.). Aus einem erweiterten Gefäss muss
der Stromverlangsamung wegen mehr transsudiren als aus dem
engeren. Wir könnten dann selbst annehmen, dass überall in den
Adern des wohlgenährten Körpers ein Blut von annähernd gleichem
Fettgehalt fliesst; aber nur an gewissen Gefässbezirken — vor Allem
denen des fibrillären Bindegewebes vieler Orte — wären die günsti-
gen Bedingungen für ausgiebige circumscripte Gefässerweiterung
gegeben; und wiederum hier nur dort, wo die locale Erweiterung
hinreichend lange besteht, käme es zur Fettanlage.
So sehr diese Hypothese noch der experimentellen Prüfung
entbehrt, so erscheint sie mir doch als diejenige, welche die histio-
logischen Befunde am ungezwungensten deutet. Besonders kann für
sie sprechen, dass sie noch ein anderes, sonst ziemlich räthsel-
haftes Factum erklärt: die relativ grosse Menge von Wander-
zellen nämlich in der Nähe der fettbildenden Heerde, welche
Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle im Bindegewebe u.s.w. 77
ich als fast constantes Vorkommniss beschrieben habe. Deren Erschei-
nen würde dann bedingt sein lediglich durch die Gefässdilatation,
eben wie es das bei der Entzündung ist: sie würden keine andere
als eine beiläufige Bedeutung haben bei der Fettzellenbildung selbst,
für welche es ja histiologisch nicht gelingen wollte, ihnen einen spe-
eifischen Einfluss zu sichern.
Ueber die Physiologie des Fettschwundes wage ich noch keine
tiefer greifenden Schlüsse. Als Resultate des darüber Ermittelten
will ich zusammenfassen, dass in der atrophischen Fettzelle immer
ausser Kern, Hülle und Fett ein Rest Protoplasma vorhanden ist,
welcher also entweder auch in der vollen Zelle, in ausgespann-
tem Zustand anwesend war, oder sich aus der »Membran« selbst
zurückentwickelt; ferner dass die atrophische Fettzelle ihre Hülle
verliert oder verlieren kann, dass sie unter Schwinden oder Zurück-
bildung dieser Hülle sich wieder zu einer fixen Gewebszelle zu ge-
stalten vermag, und dass sie unter entzündlichen Einflüssen einer
Kernwucherung — nach ÜUzajewicz selbst einer Tochterzellen-
bildung — fähig zu sein scheint. Endlich scheint Manches dafür
zu sprechen, dass die Tröpfehen, welche sich neben dem alten Fett_
tropfen in der atrophischen Fettzelle finden, nicht einem »Zerfall«
des alten Fetttropfens entspringen, sondern dass sie erst wieder aus
einer löslichen, unter Auflösung des alten Tropfens gebildeten Fett-
verbindung innerhalb der Zellensubstanz niedergeschlagen sind.
Amsterdam, den 18. Juni 1870.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. VI, VIL, VI.
(Die Hartnack’schen Systeme und Oculare, mit denen gezeichnet wurde,
sind bei den Figuren notirt.)
Tafel VL
(Fixe Bindegewebszellen.)
1. Rattenembryo von ca. 5/,“, runde und fixe Zellen aus dem subeu-
tanen Bindegewebe des Rückens; eine im Beginn der Abplattung. (p.)
Subeutane Injection von Silberleim, Schnitt, Pikrocarmintinction !).
a. eine Zelle ebendaher aus etwas früherem Stadium, Jodserum.
2. 12zöll. Schafembryo, Zellen des Inguinalbindegewehes; anastomosi-
rend und im Beginn der Abplattung. S. L. P. C.
3. 15zöll. Schafembryo, Zellen ebendaher, Fortschritte der Abplattung
und Anastomosen. S. L. P. C.
4. Neugeborenes Kaninchen, Zellen ebendaher. S. L. P. C.
5. a. Junges Kaninchen, Zellen des subeutanen Bindegewebes frisch
in Jodserum, an Fibrillen hängend, w. Wanderzelle.
b. Drei fixe Zellen vom Rande desselben Präparats, verdünnte
Essigsänre.
6. Aelteres Kaninchen, subcutanes Bindegewebe, fixe Zelle zwischen
den Fasern hängend.
Künstliches Oedem mit Jodseruminjection.
7. Altes Meerschwein, Inguinalbindegewebe, fixe Zellen und Zwischen-
substanz (z).
Zerflossenes Silberleim-Pikrocarminpräparat.
8. a. Intermusculäres Bindegewebe des Froschschenkels in frischem
Jodserum. z. Zwischensubstanz mit Körnchen, g grobkörnige
walzige Zelle, die übrigen platte fixe Zellen.
b. Fixe Zellen an Fasern und Zwischensubstanz vom selben Ort,
8. 1.2P 20!
9. Junger fetter Hund, Inguinalbindegewebe frisch ausgeschnitten in
Jodserum. Zwei fixe Zellen, nur durch Kerne und die Körnchen markirt.
Tafel VII
(Fettzellen-Entwicklung.)
(In den Figuren 12, 13 und 16 sind manche der vollen Fettzellen,
um die Bilder nicht zu gross zu machen, etwas verkleinert; alles Uebrige
entspricht der angegebenen Vergrösserung.)
10. Etwa 1'/,jähriges Meerschwein, stark gemästet, Omentum. Ar-
1) Die Methode ist im Folgenden mit S. L. P. C. bezeichnet.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. VI, VII, VIII. 79
terie und Vene mit Fettanlagen; drei der Zellenhaufen (vgl. Text) an den
Adventitien, in zweien Fettzellen. Schlingenförmige Gefässsprossung. S.L.P.C.
(Die Kerne und Silberlinien des Endothels der Netzplatte sind nicht
mit gezeichnet.)
11. Junger, stark gemästeter Hund, Inguinalbindegewebe nach A-
Zusatz.
12. Ebendaher, frisch, geh. Objeettisch ca. 38° C., Serum. Die Fibril-
len sind weggelassen. Fettzellenentwicklung. w. Wanderzellen, welche noch
krochen; die übrigen änderten die Form nicht. h. Halbmonde von Fett-
tröpfchen an den alten Fettzellen.
13. a. Junge Plötze, um Ende April frisch gefangen, Bauchfellüber-
zug der Schwimmblase. Fettzellenentwicklung. w. stark krie-
chende Wanderzellen. c. Wanderzelle, welche zwei Fettkörn-
chen enthielt und im Kriechen wieder abgab (vgl. Text p. 57).
Jodserum.
b. Dasselbe Object mit Pikrocarmin gefärbt, junge Fettzellen und
eine Wanderzelle.
14. Gemästetes grosses Meerschein, Inguinalbindegewebe. Fettanlage.
Ein kleines, junges Fettläppchen ist durch die Injeetion ganz dissociirt, man
sieht in der Mitte viele junge Formen. w. Wanderzellen, f. fixe Zeilen.
«—h knollige, maulbeerförmige und Theilungsformen aus demselben Object.
BIRD D.C.
15. Neugeborenes Kaninchen. Fettanlage. Schwinden der Platten an
den jungen Fettzellen. Anastomosen. Kernvermehrung. 8. L. P. C.
16. Gemästeter junger Hund. Fettanlage. Ebenso. S. L.P. C.
17. 12zöll. Schafembryo, Fettanlage. Starke Üapillarensprossung.
k. freier Kern. 8. L.P.C.
18. Knochenmark, junges fettes Kaninchen. Jodserum. f. zwei der
runden, körnigen Zellen nach Behandlung mit Alcoh. absol., nachdem das
Fett in den grossen Fettzellen schon gelöst war.’
19. Einzelne Formen junger Fettzellen, gemästetes Meerschwein.
w. anscheinend ganz freie, runde Form. f. fixe Zellen ferner vom Gefäss,
mit kleinen Körnchen.
20. «. Schafembryo 14”, Mesenterium, junge Fettzellen (vgl. Text
p- 64). Osmium.
$. Neugeborenes Kaninchen, Mesenterium, Fettbildung in fixen
Zellen. 8. P. C.
y. Endothelien desselben, fettlos.
d. Zellen ebendaher, Kalı bichrom., isolirt.
21. Isolirte Zellen, subcutanes Bindegewebe eines 5zöll. Kalbsembryo
Osmium. Vgl. pag. 66 oben.
22. Ganz isolirte junge Fettzelle, schwimmend, gemöstetes Meerschwein
(Fig. 14). S.L. P. C. zerflossen.
80 Erklärung der Abbildungen auf Taf. VI, VII, VII.
TafelnVIER
(Fettzellen, Schwund.)
23. Plötze, vier Tage im Glas hungernd gehalten, Bauchfell von der
Schwimmblase. Jodserum. w. w. Wanderzellen. Vgl. p. 68 oben.
24. 14tägiges Kaninchen; nach nur zweitägigem Hungern mem-
branlose Fettzellen (in Rückbildung zu fixen Zellen).
25. Altes Kaninchen, an Distomen leidend, atrophische Fettzellen (vgl.
Text p. 71).
26. Säugendes Kätzchen, 24 Stunden von der Mutter getrennt mehr-
mals reichlich mit Milch gefüttert. Trotzdem (wie die grossen Fettzellen
zweifellos liessen) exquisiter Schwund. Omentum. Jodserum.
27. Alte Ratte, nach Gallengang - Unterbindung gestorben. Venöses
Gefäss mit atrophischem Fett. Inguinalgegend. Untergang der Membranen.
Sl B.:
28. Ebendaher, Arterie mit atrophischen Fettzellen.
29. Winterfrosch, Rückenfett. Jodserum.
30. Winterfrosch, Fettkörper. Jodserum. Isolirt.
31. Marantischer kranker Hund, atrophische Fettzellen, a. frisch.
623.8. BIO:
32. Fast verhungertes Kaninchen, atrophische Fettzellen. Bei r der
membranlose Zellenleib eingerissen.
33. Säugendes Kätzchen (s. Fig. 26), Inguinalfettzellen.
34. Plötze, zweikernige Fettzelle, Bauchfell.
35. Winterfrosch, ebenso, Fettkörper.
36. Künstlich entzündetes Fett (säugendes Kaninchen), Kernver-
mehrung. (Vgl.p. 71 unten ff.) Entzündung durck eingebrachte Hollunder-
markstückchen, Untersuchung nach 2 Tagen.
Beitrag zur Anatomie der Retina vom Frosch,
Salamander und Triton.
Von
Dr. Edmund Landolt.
Hierzu Tafel IX.
Indem ich mich auf Grundlage von Ueberosmiumsäurepräpa-
raten der Beschreibung des Stützgewebes der Amphibienretina zu-
wende, habe ich zunächst zu erwähnen, dass ich in Rücksicht auf
ihr Verhalten zur Limitans interna, der Ganglienzellen und innern
granulösen Schichte, besonders aber zu den innern Körnern die Aus-
sagen M. Schultze’s (Archiv f. mikr. Anat. B. I. S. 267—-68)
- bestätigen muss. Ich fand nämlich, dass jede Müller’sche Faser
nachdem sie die Granulosa interna unter Abgabe von nur spärlichen,
dünnen Seitenästchen in radiärer Richtung durchsetzt hat, beim
Eintritt in die innere Körnerschicht auf ein birnförmiges, durch
seine Länge von den übrigen ausgezeichnetes Korn auftrifft, das sein
dünneres Ende ihr zuwendet. Daran weicht die Faser in 4 bis 6
feinere Aeste auseinander, welche das Korn erst eng, wie von Fin-
gern gefasst, umgreifen, sich zum Theil am entgegengesetzten Ende
wieder vereinen, zum Theil nach den Seiten abtreten, um dann in
ganz derselben Weise, wie dies lange Korn, die andern Elemente
der Körnerschicht in ihr vielverzweigtes, enganschliessendes Maschen-
netz aufzunehmen (fig. i. k.). Von diesem Verhalten der Fasern
überzeugt man sich am leichtesten an feingezupften Ueberosmium-
säurepräparaten und es erklären sich so die Bilder, welche H. Mül-
ler (Zeitschr. f. wiss. Zool. B. VIIL. S. 23 vom Barsch, $. 32, 34, 43
v. d. Taube) von dem Verhalten der Radialfasern in dieser Schichte,
M, Schultze, Archiv f, mikrosk,. Anatomie. Bd. 7. 6
82 Dr. Edm. Landolt:
gibt, wenn er sagt, dass dieselben da bald spindelförmig enden, bald
Knochenkörperchen ähnliche Gebilde oder Anschwellungen darstel-
len. Auch ich erhielt diese Formen bei schwächerer Vergrösserung
sehr häufig, überzeugte mich dann aber durch genauere Betrach-
tung, namentlich aber mit Hilfe der Ueberosmiumsäure, welche die
Körner dunkler färbt, während die Stützfasern als helle Streifen
drüber hinziehen, dass die Kolben, welche man als scheinbare En-
den der Radialfasern sieht, nichts Anderes sind, als die oben be-
schriebenen langen Körner, welche von der Faser fest umschlossen
werden, während die andern Aeste hart an der Oberfläche des
Kornes abgebrochen sind. Wenn von den Aestchen noch einige
Reste sitzen bleiben, dann erhält man die Knochenkörperchenform.
Ist man einmal auf dies Verhalten aufmerksam geworden, so findet
man die zierlichsten Bruchstücke der innern Körnerschicht massen-
haft in jedem Zupfpräparat. Bald ist es ein birnförmiges Korn, in
seinem längsgespaltenen Stiele sitzend und von da ausgehend in
engumschliessendem Astwerke mehr runde Körner, oder man findet
nur Bruchstücke des Gitterwerkes, aus welchem die letztern heraus-
sefallen sind. Kommt einem aber ein Korn mit dem ihm zugehö-
rigen Gerüste allein zu Gesichte, ohne dass man das eben beschrie-
bene Verhalten kennt, so macht es durchaus den Eindruck einer
ästigen Zelle. Aus solchen Bildern scheint auch H. Müller’s Be-
schreibung der Zellen dieser Schicht (Z. f. w. Z. VIIL. 8. 20) ge-
schöpft zu sein, wenn er sagt, dass die einen mit mehreren Fort-
sätzen versehen scheinen.
Nachdem das Stützgerüste in dieser Weise jedes einzelne Korn
der betrachteten Schicht in sein Maschenwerk gefasst hat, treten
von den zu äusserst gelegenen die Fasern, die hier nicht selten vari-
köse Anschwellungen zeigen (fig. 4 v), in die an Breite der granu-
losa interna ganz bedeutend nachstehende granulosa externa ein.
Gleich an der Grenze dieser Schicht breiten sich die Fasern, die
jetzt natürlich dünner sind, als sie in der granulosa interna waren,
nach den Seiten hin aus und bilden auch hier ein Netzwerk. Am
feinsten erschien mir dasselbe in der Froschretina, wo man nicht
ganz leicht Präparate erhält, die so dünn und durchsichtig sind,
dass man das Maschenwerk deutlich als solches erkennt. Meist sieht
man nur die Fasern an die Schicht herantreten, oder man erkennt
auch noch an dieser Stelle das seitliche Ausbiegen derselben, viel-
leicht selbst die erste Masche, ılann aber verhüllt die Dicke der
Beitrag zur Anatomie der Retina vom Frosch. 83
Schicht, oder die Intensität der Färbung durch das Reagens ihr
weiteres Verhalten. Erst durch fleissiges Zupfen ist es mir gelun-
gen, zu erkennen, dass die Fasern vielfach verzweigt und unter sich
verbunden, die ganze Schicht durchsetzen. (Vgl. M. Schultze’s
Archiv B. II. S. 216). Zellen dagegen, wie sie Manz (Z.f. r. Med.
3. Reihe XXVIIL) angedeutet sah und W. Krause als seine Mem-
brana fesestrata bildend beschreibt, konnte ich nicht finden. Wohl
ragen die äustersten der innern und die innersten der äussern Kör-
ner in das Maschenwerk dieser Schicht zum Theil hinein, doch als
Membran stellte sie sich mir weder auf flachen noch auf senkrech-
ten Schnitten, noch in Zupfpräparaten dar (auch H. Müller Z. f.
w. Z. VIII. S. 31 sah keine Zellen), dagegen stimme ich insofern
mit W. Krause überein, dass ich diese Schicht als hauptsächlich
durch das Stützgewebe gebildet betrachte.
Engere Maschen, aber breiteres Gerüste zeigt die Retina des
Salamander. Am einfachsten ist das Verhältniss der Stützfasern
in der granulosa externa des Triton, doch muss ich von dieser und
der nachfolgenden Schichte dieses Thieres später noch eingehender
handeln. Höchst auffallend war mir Folgendes: Während man näm-
lich gewöhnlich die Stützfasern scharf contourirt in die Granulosa
eintreten und diese in eben geschilderter Weise durchsetzen sieht,
findet man nicht selten, dass eine Faser, die hell und scharf be-
grenzt, aus der Körnerschichte herkommt, sich allmählig in ähn-
licher Weise, wie in der Limitans interna und wie die andern Fa-
sern an der Granulosa externa, seitlich glockenförmig ausbreitet,
sich dann aber nicht mehr von der Substanz der Letzteren trennen
lässt, sondern allmählig selbst granulös wird (Fig. 1 und 4). Ich
bin überzeugt, dass dies Bild nicht auf der Täuschung beruht, dass
an der Stelle etwa, wie so häufig, die Granulosa so dicht wäre,
dass sie den Verlauf der Faser nicht weiter erkennen liesse, sondern
ich fand dies vielfach an ganz isolirten Fasern, namentlich beim
Triton, so dass es den Eindruck macht, als hätte hier durch die
Einwirkung des Reagens vielleicht eine Gerinnung stattgefunden.
Hat nun das Stützgewebe als Maschenwerk die Granulosa ex-
terna durchsetzt, oder, wie im letzteren Falle, quasi selbst gebildet,
so handelt es sich nun darum, sein Verhalten in der äusseren Kör-
nerschicht zu untersuchen. Die äussere Körnerschicht des Triton
zeigt solche Eigenthümlichkeiten, dass ich sie ganz für sich allein
betrachten werde. Ihr in vielen Stücken ähnlich ist die von Sala-
84 Dr. Edm. Landolt:
mandra maculata, so dass das Nächstfolgende von letzterer nur zum
Theil, genau aber für Rana esculenta gilt.
An der äusseren Grenze der Granulosa externa treffen wir
jene Gebilde, welche M. Schultze in seinen ausgezeichneten Ar-
beiten über die Retina als die Endigung der Stäbchen und Zapfen-
körnerfasern beschreibt, nämlich von ersteren ein kleines Kölbchen,
von letzteren eine fächerförmige Ausstrahlung. Die Bilder, die
M. Schultze beschrieben und gezeichnet hat, sind so klar in natura
wiederzuerkennen, dass sie durchaus keinen Zweifel zulassen. Auch
ich fand sie in jedem günstigen Präparate; allein es zeigte sich mir
ausserdem noch Folgendes. Die kolbenförmige Anschwellung der
Stäbchenfaser liegt in einem Kelche des die Granulosa externa ver-
lassenden Stützgewebes, und zwar umschliesst sie letzteres bald wie
die Körner der inneren Körnerschichte fingerförmig, bald mehr als
Membran, in beiden Fällen aber vereinigt sich die Hülle wieder über
dem nach Aussen gewendeten spitzeren Ende des, Kölbchens und
geht als glatter Faden weiter auf das Stäbchenkorn. Dass das Kölb-
chen nicht direct von der Faser selbst gebildet wird, erkennt man
daran, dass die letztere in Ueberosmiumsäure - Präparaten heller
bleibt, während die kolbige Anschwellung so stark gefärbt wird, wie
die Körner der Körnerschichten, und sich so von den Fasern, die es
umgreifen und mit dem Stäbchenkorn verbinden, oft sehr deutlich
abhebt (Fig. 2 und 5a). Die fächerförmige Ausstrahlung der
Zapfenfasern an der äusseren Grenze der Granulosa externa stellt
dann, wie ich glaube, gerade dasselbe dar, wie die Ausstrahlung
der Stützfasern, die aus der innern Körnerschicht kommen, an der
inneren Grenze, d. h. ein Uebergehen der Faser in das enge Ma-
schenwerk der äussern granulirten Schicht, oder mit andern Wor-
ten, die Fortsetzung des Stützgewebes in die äussere Körnerschicht,
nach unserem Gang der Beschreibung, die Sammlung desselben aus
der Granulosa zur Zapfenfaser. M. Schultze fand, dass bei Säuge-
thieren das Ende der Zapfenfaser in der Granulosa ext. in feine
flächenhaft ausgebreitete Faden auslaufen. Er hält diese für ner-
vös, wie die Zapfen- und Stäbchenfasern auch (Archiv B. U. 1866
179, 185, 187, 200), was ich, wenn anders die bisherige Ansicht
von der Natur des Stützgewebes richtig ist, bei den Amphibien für
die ganze Zapfenfaser nicht wohl zugeben kann. Dagegen würde
ich in der Hinsicht mit Krause übereinstimmen, der auch den Zu-
sammenhang der Stäbchen- und Zapfenfasern mit den Radialfasern
Beitrag zur Anatomie der Retina vom Frosch. 85
nachgewiesen und auch die Stäbchen- und Zapfenfasern für nicht nervös
erklärt hat. Verfolgen wir nämlich die Stäbchen- und Zapfenfasern
bis sie auf ihr zugehöriges Stäbchen- oder Zapfenkorn treffen, so
finden wir auch hier wieder ein gleiches oder ähnliches Verhalten
wie in der innern Körnerschicht. Die Faser nämlich weicht ausein-
ander und umgreift das Korn. Fig. 2. (Vgl. M. Schultze Archiv
B. I. S. 267—268: »ähnlich aber zarter als das der innern ist das
Bindegewebsgerüste der äussern Körnerschicht«.) In den seltenern
Fällen aber findet man die Stäbchen- und Zapfenkörner in einem
solchen Gitterwerk liegend, wie die innern. Ich sah dies nur beim
Frosch, und zwar ehe ich das andere Verhalten erkannte, so dass
ich oft glauben musste, ich hätte mich am Ende doch getäuscht
und die Faser gehe in manchen Fällen doch direct in das Korn
über, und es finde sich nur an beiden Polen eine leichte Grenze
zwischen beiden. Bei genauer Betrachtung aber und besonders mit
Hülfe der Methode, dass ich die Objeete unter dem Mikroskope
rollen liess, d. h. sie von allen Seiten betrachtete, wurde es mir
. klar, dass sehr häufig das Stützgewebe das Korn nicht mit Längs-
fasern, sondern als dünne Membran umschliesst (Fig. 5). Ganz
sicher erkannte ich dies Verhalten dadurch, dass die Membran häufig
unregelmässige, grössere und kleinere rundliche Oeffnungen hat,
durch welche das durch Ueberosmiumsäure braun gefärbte Korn,
weil unbedeckt, dunkler erscheint als an den übrigen Stellen (Fig. 5b).
Die Contouren der Oeffinungen sind sehr scharf. An eine Verwechs-
lung mit einem grösseren Kerne des Kornes war nicht zu denken,
da die Einstellung, die Lageveränderung des Präparates und die
Betrachtung des kleinen wirklichen Kernes über die Lage des be-
schriebenen Loches durchaus sicheren Aufschluss gibt. Ausserdem
sieht man das Korn eben doppelt contourirt, was für seine mem-
branöse Hülle deutlich spricht. (Vgl. Köllikers Gewbel. d. M.
1867 S. 673: »die Faden gehen von einem blassen Umriss des Kor-
nes aus«.) Sehr häufig erkennt man in letzterer bei feiner Ein-
stellung Längsstreifen, ganz ähnlich wie jene Fasern, welche die
birnförmigen innern Körner umgreifen, allein ihre Ränder sind nicht
scharf, sondern gehen allmälig in die Membran über, so dass sie für
Verdickungen derselben angesehen werden können (Fig. 5). Halten
wir zusammen jene Fälle, wo die Stäbchenkörner von einer geschlos-
senen Membran umhüllt sind, ferner die, wo die Membran Lücken
zeigt, und diejenigen, wo grosse Lücken und daneben Verdickungen
86 Dr. Edm. Landolt:
in der Längsrichtung vorhanden sind, und vergleichen wir damit
das Verhalten der Stützfasern zu den innern Körnern, so finden wir
im Grunde überall analoge Beziehungen. Denn lassen wir die
Lücken 'der Körnerhülle recht gross werden und nur die Rippen be-
stehen, so haben wir jenes fingerförmige Umgreifen, wie es die
innern Körner zeigen. Ich muss gestehen, dass mir, als ich die
Augen von Actacus fluviatilis untersuchte, die Aehnlichkeit zwischen
dem Verhalten der Stäbchenfaser zum Stäbchenkorn und Stäbchen
der Amphibien und demjenigen der vom Üentralorgan des Fluss-
krebses herkommenden zum Krystallkegel sehr auffiel. (Vgl. die
ausgezeichnete Monographie M. Schultze’s über die facettirten
Augen der Krebse.) Es kommt auch vor, dass die von der Granu-
losa externa ausgehende Faser, noch ehe sie an das eigentliche
Stäbehenkorn gelangt, schon ein ähnliches längliches Korn in sich
fasst, wie Fig. 2 zeigt, häufiger aber ist das früher beschriebene
Verhalten. Neben diesen und den eigentlichen Stäbchen- und Zapfen-
körnern liegen auch nocn andere, ihnen an Gestalt und Grösse voll-
kommen gleiche Körner in dieser Schichte. Alle unterscheiden sich
dadurch von den innern Körnern, dass sie nicht, wie jene, mehr
Kugelgestalt, sondern Spindelform haben, deren längere Axe radiär
zum Bulbus gestellt ist. Alle haben einen kleinen Kern wie die
innern Körner, und werden von dem Stützgewebe in gleicher Weise
umschlossen wie jene.
Es gelang mir auch beim Kaninchen, dessen äussere Körner-
schicht eine verhältnissmässig bedeutende Mächtigkeit besitzt, d. h.
mehrere Zellenlagen umfasst, durch dasselbe Verfahren (Ueber-
osmiumsäure und Zupfen) ganz das nämliche Verhalten des Stütz-
gewebes, namentlich auch ihr Uebergehen in die Limitans externa,
zu constatiren (Köllikers Geweb. S. 681). Hier sind die Körner
übrigens rund und es lässt sich an ihnen nach Einwirkung des ge-
nannten Reagens die von Henle, Ritter, M. Schultze, Hasse,
Kölliker beschriebene Querstreifung, die ich auch gesehen habe;
nicht mehr erkennen.
Ich fand diese Analogie im Baue der äusseren Körnerschicht
beider Thiere eigentlich mehr zufällig, da ich die Kaninchenretina
zu einem andern Zwecke untersuchte, habe aber Grund zu ver-
muthen, dass sich das sehr starke Stützgerüste derselben auch den
innern Körnern gegenüber in ähnlicher Weise verhalte; doch hatte
Beitrag zur Anatomie der Retina vom Frosch. 87
ich bis jetzt noch nicht Gelegenheit, mich wirklich davon zu über-
zeugen.
Die Beschreibung und Abbildung, welche ich oben von der
äussern Körnerschicht der Froschretina gegeben, passt aber nicht
aufalle Gegenden derselben, sondern nur auf die mehr centralen Par-
tieen. Gegen die Peripherie hin nimmt die Retina, wie bei allen
Thieren, an Dicke ab, erscheint wie in sich zusammengestossen und
es macht sich dies in der äussern Körnerschicht in folgender Weise
geltend. Während diese nämlich in andern Partieen eine Mächtig-
keit von wenigstens 3—4 Zellenlängen besessen hat, hat nun der
Raum zwischen Granulosa externa, die auch sehr schmal geworden
ist, und Limitans externa nur mehr 1 oder 1!/s Korn Höhe. Ausser-
dem sind diese Körner nicht mehr so spindelförmig lang gezogen,
wie im Centrum, sondern kurz, an beiden Polen abgerundet (Fig. 3a).
Diese Körner sitzen nun eingebettet in dem Stützgewebe, das sich
aus der Granulosa erhebt und sie von 4, 5, 6 Seiten mit seinen
Faden umschliesst, gewöhnlich ohne sich vorher zu einer Faser ver-
einigt zu haben. Ueber dem Korne fliessen die Fäden wieder zu-
sammen, indem sie in die Zipfel der später zu beschreibenden Stäb-
chen- und Zapfenhüllen übergehen. Auch diese Körner haben natür-
lich ihren kleinen Kern wie die der übrigen Retina.
Ganz in ähnlicher Weise wie die äussere Körnerschicht des
Frosehes in der Peripherie verhält sich die des Salamanders in des-
sen ganzer Netzhaut. Hier nämlich fand ich das Stäbchenkorn in
einer sehr deutlichen, oft löcherigen, oft gerippten Hülle steckend
(Fig. 5), welche sich in einen Faden auszieht, in dessen innerem
Theile das oft erwähnte Körnchen sitzt, während die Hülle des letz-
teren in das Netz der Granulosa übergeht. Der Faden aber ist
kurz und neben ihm stehen dicht gedrängt die Zapfenkörner, welche
alle von der Granulosa bis zur Limitans externa reichen. Sie sind
also verhältnissmässig lang und haben ausserdem eine eigenthüm-
liche Flaschenform. Ihr inneres Ende nämlich ist rund, angesclwol-
len, weiter nach aussen hin sinken sie etwas ein, wie ein Flaschen-
hals, der sich an der Limitans wieder sehr wenig verbreitert und
da den Zapfen trägt. Das dickere Ende steckt auch wie beim Frosche
in den äussersten Maschen der Granulosa externa, während das
äussere hier und dort von nach innen ragenden Zipfeln der Limi-
tans externa umhüllt wird; doch gelang es mir nie so deutlich wie
beim Frosch, den Zusammenhang dieser Spitzen mit jenen der Gra-
88 ’ Dr. Edm. Landolt:
nulosa zu constatiren. Noch exquisiter als der Salamander zeigt
die eigentbümliche Form der äusseren Körner der Triton Fig. 1
und 4. Hier finden sich gar keine Stäbchenfäden mehr, sondern
Stäbchen sowohl als Zapfen sitzen auf den Körnern fest auf, die
mit dem andern Ende wieder an die Granulosa grenzen. Die Zapfen-
körner zeigen alle jene eben beschriebene Flaschenform, nur sind
sie etwas schlanker als die des Salamanders, die Stäbchenkörner
hingegen zeigen häufig insofern eine Abweichung von dieser Gestalt,
als sie den Zwischenraum zwischen den flaschenförmigen Körnern
ausfüllen. Sie sind also an dem äussern Ende, welches das Stäb-
chen trägt, breiter, zeigen, der CGoncavität der benachbarten Körner
entsprechend eine leichte Anschwellung und neben ihrem kolbigen
inneren Ende eine etwas geschweifte Spitze, die wieder von dem
Stützgewebe eingefasst wird (Fig. 4). Auch in diesen Körnern fin-
den sich Kerne.
Ausser den Körnern enthält aber diese Schichte bei Salaman-
der und Triton noch andere Gebilde, die, so viel mir bekannt, noch
nie beschrieben worden sind. Aus der Granulosa externa erheben
sich nämlich im engen Zusammenhang mit ihrem Stützgewebe feine
Faden, die zwischen den Körnern emporragen, und der Einbuchtung
derselben entsprechend, ein längliches, kolbenförmiges Ende tragen
(Fig. 1 und 4). Diese Gebilde, die sich ihrer Form nach etwa mit
den Kolben von Schafthalmen vergleichen lassen, finden sich in so
srosser Zahl, dass beinahe auf jedes flaschenförmige Korn eines der-
selben kommt, doch trifft man nicht in jedem Präparate gleich so
viele, weil einerseits die zarten Stiele leicht brechen und das Kölb-
chen dann von der Untersuchungsflüssigkeit weggeschwemmt wird,
andererseits in etwas dichteren Stücken die Kölbchen noch so eng
ihren Körnern anliegen, dass sie nicht deutlich unterschieden wer-
den. Allein häufig genug bieten Zupfpräparate Gelegenheit, das
Verhältniss dieser Gebilde zu der Granulosa, sowie zu den Kör-
nern sicher zu constatiren, indem man an den beiden Enden eines
Retinastückes, oder an dünneren Stellen die Kölbchen stets etwas
vom Korne abstehend findet, oder geradezu ein isolirter Zapfen im
engen Zusammenhang mit Korn, Stützgerüste und Kolben zur Be-
obachtung kommt. So habe ich mich denn an Ueberosmiumsäure-
präparaten beider Thiere überzeugt, dass der Faden direct mit dem
Stützgerüste der Granulosa im Zusammenhange steht. Beim Sala-
mander, der, wie oben erwähnt, in dieser Schichte ein engeres
“
Beitrag zur Anatomie der Retina vom Frosch. 89
Netzwerk zeigt, sieht man deutlich von den äussersten Maschen den
Faden abgehen. Etwas anders verhält es sich beim Triton. Hier
fand ich nie die aus der innern Körnerschichte herkommenden Stütz-
fasern in den äussern granulirten sich verzweigen, sondern bekam
immer jenes oben erwähnte eigenthümliche Bild, dass die Fa-
sern sich ausbreiten, körnig werden und so geradezu selbst die Gra-
nulosa bilden. Dass diese kein Maschenwerk zeigt, ist bei ihrer sehr
geringen Dicke nicht sehr auffallend, und auch das Körnigwerden
des Stützgewebes hat seine Analoga. An Präparaten der inneren
Körnerschichte nämlich, die so dünn sind, dass man ihr Netzwerk
recht deutlich sieht, findet man immer, dass an den Stellen, wo
mehrere Körner zusammentreffen, also auch die Faden ihres Ge-
rüstes zu einem grösseren Stück sich vereinen, dies sonst helle und
homogene Gewebe gekörnt und etwas mehr von der Ueberosmium-
säure gefärbt erscheint (Fig. 1). Ganz ebenso geschieht es in der
Granulosa externa des Triton, denn wo sie von ihrem äussern Theile
die Faden der Kölbchen abgibt, da ist sie wieder heller, und ihre
das Korn einfassenden Fortsätze, sowie die Kolbenfaden sind in
den meisten Fällen homogen; doch kommt es auch vor, dass letz-
tere eine Strecke weit wie in Körnchen zerfallen aussehen, und man
so den Eindruck bekommt, als wäre die ganze Körnung die Folge
einer Gerinnung. Vielleicht beruht auf demselben Verhalten die
Beschreibung H. Müllers Z. f. w. Z. B. VIIL S. 24: »Statt in die
scharfbegrenzten innern Enden gingen aber manche Radialfasern in
unebenere, körnige Körperchen über.« (Beim Barsch, dasselbe 8. 33
vom Frosch.) Der Kolben selbst ist immer granulirt. Oft findet
man ihn doppelt, d. h. der Faden hat zwei Anschwellungen, von
denen aber die äussere immer die grössere ist (Fig. 4K‘). Die
innere kann näher oder ferner von der Granulosa liegen; meist liegt
sie der äussern so nahe, dass es ganz den Eindruck macht, als ob man
es nur mit einem etwas grösseren Kolben zu thun hätte, der in der
Mitte eine Einschnürung besitzt. Häufig findet man in dem Kolben
einen kleinen Kern. Auffallend ist, dass wie die Granulosa externa
auch der Kolben sich durch Ueberosmiumsäure sehr intensiv färbt.
Ein sehr hübsches und beweisendes Bild von ihrem Zusammenhange
mit dem Stützgerüste der innern Körnerschichte gab mir ein isolir-
tes Korn aus letzterer, das noch in seinen Fasern steckte, die sich
am äussern Ende wieder vereinten, der Granulosa externa entspre-
chend eine körnige Anschwellung zeigten und dann in den homo-
90 Dr. Edm. Landolt:
genen Kölbchenfaden mit seinem angeschwollenen Ende übergingen
— ähnlich wie Fig. 4k‘.
Wir kommen nun dem Verlaufe unserer Beschreibung gemäss
zur Limitans externa. Wenn sie auch bei den drei früher ge-
nannten Thierspecies ein etwas verschiedenes Verhalten zeigt, so
wird sie doch bei allen sicher vom Stützgewebe gebildet. In kei-
nem Falle aber stellt sie hier eine homogene Membran dar, welche
einfach die äussern Körner von den Stäbchen und Zapfen trennte,
sondern wenn man sie überhaupt bei den Amphibien als Membran
auffassen will, so ist sie eine gefensterte Membran, in deren grosse
Lücken die äussersten Körner mehr oder weniger tief hinein-
ragen. Sehr deutlich zeigt dies Verhalten die Fig. 2. Die Faden
nämlich, welche das Stäbchen- oder Zapfenkorn umgriffen haben,
fliessen, noch ehe sie sein anderes Ende erreicht haben, in gleicher
Höhe von den Seiten zusammen und bilden so die Limitans externa.
(Vgl. M. Schultze’s Archiv B. II. S. 265.) Sehr zahlreich findet
man in Zupfpräparaten isolirte, vom Stäbehen loszelöste Körner,
die noch in ihrem Stützgewebe und dem zugehörigen Theile der
Limitans stecken, oft auch sind ihre Fasern zum Theil grösser und
stehen dann seitlich ab (Fig. 2), oder man findet Rudera der Limi-
tans mit nach innen ragenden Zipfeln, welche einst das Korn um-
fasst hatten. Von der äussern Grenze der schmalen Limitans fand
ich in diesen Theilen der Froschretina wiederum Fasern ausgehen
auf das Innenglied der Stäbchen, manchmal zwei, manchmal drei
auf derselben Seite. Oft verlaufen sie demselben fest anliegend in
serader Richtung darüber, oft mehr spiralig, oft stehen sie bogig
davon ab, oder sie sind gerissen und ragen vom Grunde des Stäb-
chens an der Limitans nach Aussen. Vielleicht entsprechen diese
den von verschiedenen Autoren als mit der Limitans externa im
Zusammenhange stehenden, zwischen die Stäbchen hineinreichenden
Nadeln. In mehr peripheren 'Theilen dagegen fand ich keine Fa’
sern mehr auf dem Stäbcheninnengliede. Hier erhebt sich vielmehr
das Gewebe, welches die Zapfen- und Stäbchenkörner in sich gefasst
hat, deutlich zu einer Hülle, welche das Stäbcheninnenglied, den
linsenförmigen Körper, besonders deutlich aber das Innenglied des
Zapfens mit ‘seinem linsenförmigen Körper einschliesst. In diesem
Falle ist von einer Limitans als Membran eigentlich kaum mehr zu
sprechen, denn wenn auch die eng aneinander liegenden Stäbchen
und Zapfen beim Uebergang auf ihr Korn mit ihren Hüllen seitlich
Beitrag zur Anatomie der Retina vom Frosch. 91
verklebt erscheinen, so ist dieser Zusammenhang ein so loser, dass
man leicht isolirte Innenglieder auf ihrem Korne sitzend, oder iso-
lirte Hüllen ohne seitliche Aeste findet, während in den mehr cen-
tralen. Partieen die Limitans die Stäbchen mehr zusammenhielt.
Von diesen Hüllen der Stäbcheninnenglieder der Froschretina
habeich ausserordentlich gute Präparate erhalten. Manchmal steckt
nur der äussere Theil derselben darin, und die Hülle, die in lang-
gezogene, zum Theil abstehende Zipfel ausgeht, hängt so mit der
Limitans zusammen, oder die Hülle ist vollständig, doch in der
Gegend der Limitans von ihrem Uebergang auf das Korn losgeris-
sen und drin liegt das etwäs geschrumpfte Innenglied; so sieht man
bei verschiedener Einstellung bald die vordere, bald die hintere Con-
tour des nach innen offenen Sackes, aus welchem das Stäbchen im
Zusammenhang mit seinem Korne hervorragt.
Am interessantesten war mir ein Präparat, das mehrere Stäb-
chen nebeneinander noch im Zusammenhange mit den äussern Kör-
nern und der Granulosa externa zeigte. In diesem ging die Stäb-
chenhülle gerade bis zur Hälfte auf das zugehörige Korn über, von
dort aus sandte sie aber nur noch einige Zipfel, welche dasselbe
umfassten und dann zur Faser verschmolzen, nach Innen in das
Geflecht der Granulosa. Nicht selten aber bedeckt die Hülle auch
das Korn vollkommen, wie ich es oben beschrieben habe; und wie
an dieser Stelle, so zeigt sie auch in der Stäbchenschichte hier und
da unregelmässige, rundliche Lücken (Fig. 3b).
Ausserordentlich deutlich lässt sich die Hülle auch an den
Zapfen erkennen, Diese unterscheiden sich von den Stäbchen be-
sonders durch ihre auffallende Kleinheit, und wie M.Schultze auch
anführt, durch ihre sehr unregelmässige Lage. Selten nämlich fin-
det man, dass ein Zapfen in derselben Ebene, wie das Stäbchen auf
seinem Korn sitzt; gewöhnlich liegen sie weiter nach Aussen und
stehen dann mit letzterem nur durch ihre weitere oder engere, oft
fadenförmige Hülle in Verbindung. (Vgl. H. Müller Zeitschr. f.
wissensch. Zoologie 1857 S. 10 vom Barsch Aehnliches und S. 30 vom
Frosch.) Nicht selten findet man sogar zwei Zapfen nebeneinander
(Fig. 3), nach M. Schultze Doppelzapfen, von denen der eine mehr,
der andere weniger von der Körnerschicht absteht, so dass des einen
etwas concaves Aussenglied gerade an das bauchige Innenglied des
andern sich anschliesst (M. Schultze’s Arch. B. III. S.235 u. Fig. 13).
Was mir hierbei auffiel, ist, dass man den Verbindungsfaden, wie
92 Dr. Edm. Landolt:
er bei den weiter entfernten Zapfen vorkommt, oft auch so gra-
nulirt findet, wie jenen der oben beschriebenen kolbenförmigen Kör-
per bei Salamander und Triton, und auch der Mantel des kugeligeu
Zapfeninnengliedes kann hier und da diese Erscheinung zeigen.
Meistentheils aber ist er klar, viel weniger gefärbt als das Innen-
glied, das er gewöhnlich nicht ganz eng umschliesst, während er
sich so fast an den linsenförmigen Körper anlegt, dass man ihn (den
Mantel) an dieser Stelle oft nicht deutlich erkennt. (Vel. H. Mül-
ler Zeitschr. f. wissensch. Zoologie 1857 Fol. 9: »Nach dem Tode,
durch Wasser u. dgl., quillt der Zapfenkörper, bläht sich in die
Quere, indem er seine nahezu cylindrische Form verliert, und wäh-
rend der Inhalt exquisit körnig wird, hebt sich ein heller Hof ab,
welcher nach einiger Zeit sich wie eine ringsum weit abstehende
membranöse Hülle ausnimmt.« Dies gilt von frischen Präparaten
des Barsches.) Auch Triton und Salamander zeigen diese Hülle,
wenn auch nicht immer so deutlich wie der Frosch. Am klar-
sten tritt sie zu Tage an vom Korne gerissenen Stäbchen oder
Zapfen, deren inneres Ende sie dann mit einigen Zipfeln überragt.
Beim Salamander sah ich auch längsrippenartige Verdickungen
der Hülle.
Nun aber kommt die wichtige Frage: Wie verhält sich diese
Hülle, resp. das Stützgewebe am Aussengliede? — Es ist schon
öfter (H. Müller Z. f. w. Z. B. VII. S. 8, M. Schultze Archiv
B. II. S. 248, 1856, Hensen Virch. Arch. B. XXXIX. S. 488 u. a.) eine
Hülle des Aussengliedes der Stäbchen und Zapfen beschrieben und
wieder geleugnet worden. Vor Allem hat bekanntlich M. Schultze
in neuerer Zeit wieder eine genaue Beschreibung und Abbildung von
Stäbchenhüllen gegeben, die durch seitliche Aneinanderlagerung von
feinen Fasern (Nervenfasern ?) gebildet werden. Es versteht sich, dass
ich, erst Anfänger in diesen feinsten Untersuchungen, auf diese so diffi-
cile Frage lange keine Antwort zu geben wagte, zumal da die Bil-
der der Stäbchen- und Zapfenaussenglieder ausserordentlich schwie-
rig zu beurtheilen sind. Oft findet man sie eingehüllt in Retinal-
pigment, dann ist gar nichts mit anzufangen; oft sind sie so dunkel
gefärbt, dass man wieder nichts Deutliches erkennt oder sich doch
kein Urtheil erlaubt, weil man fürchtet, man habe es, bei der so
starken Einwirkung des Reagens, mit Kunstproducten zu thun. Auf-
fallend war mir, dass ich die Stäbchen- und Zapfenaussenglieder bei
den besprochenen Amphibien nach Behandlung mit Ueberosmium-
Beitrag zur Anatomie der Retina vom Frosch. 93
säure in weitaus den meisten Fällen von einem hellen Saum um-
rahmt fand. Dies würde nun freilich für eine Hülle sprechen; allein
dann war es mir wieder höchst merkwürdig, dass auch quer abge-
brochene Stücke an ihrer Bruchstelle häufig — wenn auch nicht
immer — diesen hellen Rand zeigten. — Aehnliches beschreibt auch
H. Müller (Z.f. w. Z. v. Siebold u. Kölliker 1857 S. 8) vom
Barsch: »Bisweilen sieht man über mehrere, anscheinend quere
Trennungen der Stäbchen oder über Einbiegungen des lichten Inhal-
tes eine feine, blasse, aber scharfe Contour hingehen, welche sich
gerade so ausnimmt, wie diejenige, welche man fast immer zur Seite
der Trennungslinie zwischen dem Stäbchen und der Spitze mit dem
Faden sieht.« (Dh. der Limit. ext.) »Hieraus kann man schliessen,
dass die Stäbchen nicht durchweg aus homogener Substanz be-
stehen, und sich mindestens sehr leicht eine peripherische, scheiden-
artige Schicht bildet, wenn man auch nicht mit absoluter Sicherheit
die Präexistenz einer eigentlichen Membran damit begründen kann.«
— Eine solche Hülle wäre dann wohl kaum identisch mit der von
M. Schultze beschriebenen. Im Verlaufe der Untersuchung fand
ich nun nicht selten die doppelte Contour des Aussengliedes eine
Strecke weit fehlend, und an dieser Stelle einzelne feine helle Fa-
sern vom Stäbchen abstehen, die nach Innen oder nach Aussen wie-
der in die noch sitzen gebliebene doppelte Contour übergingen
(Fig. 3A); oder es ragten einzelne solcher Fasern über das äussere
Ende des Stäbchens hinaus. Solche Bilder erinnern sehr an die
Beschreibung M. Schultze’s und machen es wenigstens sicher, dass
die doppelte Contour nicht nur ein blosses Gerinnungsprodukt ist.
Sehr selten aber liess sich an Ueberosmiumsäurepräparaten eine Längs-
streifung des Aussengliedes erkennen, nur hier und da gewahrt man
einen Strich. Was aber die Existenz einer Hülle als ausserordent-
lich wahrscheinlich macht, sind einzelne Bilder von Zapfenaussen-
gliedern, wie sie schon M. Schultze abgebildet hat (Fig. 4). Hier
findet man nämlich den Zerfall in kleine Scheibehen im Innern
des Aussengliedes, nicht so, dass das Ganze lamellös zerbröckelte.
— Vgl. damit auch H. Müller Z. f. w. 2. 1857 8. 9: ». 2.
scheint dann die Spitze auf den ersten Blick ganz abgelöst, und erst
durch die Bewegung der Präparate überzeugt man sich von der
Verbindung der beiden Stücke (Aussen- und Innenglied), wobei man
häufig eine feine Linie zu beiden Seiten jener anscheinenden Spalte
vom Zapfenkörper auf die Spitze sich hinziehen sieht, welche sich
94 Dr. Edm. Landolt:
wie eine zweite Membran ausnimmt.« — Es versteht sich von selbst,
dass ich zur Beantwortung dieser Frage auch Querschnitte genau
betrachtete. Doch auch sie bieten merkwürdige Verschiedenheiten
im Ansehen. Viele sind crenelirt, die meisten haben deutlich dop-
pelte Contour, manche zeigen aber auch einen glatten Rand. Wo
man doppelte Contour findet, da ist das Stäbchen von einem so
hellen Saume umfasst, wie man ihn am Längsschnitt findet, und
auch diese Präparate sprechen für eine Hülle. Nicht selten findet
man diese mit regelmässigen kleinen Einbuchtungen im Rande, und
diesen entsprechend eine leichte Schattirung, ganz ähnlich wie das
Bild eines Stäbchen- Querschnittes nach Hensen in Virch. Arch.
B. XXXIX.; doch nie sah ich eine wirkliche Trennung, welche auf
aneinandergereihte Fasern hindeuten würde. An den Präparaten
aus den centralen Partien der Froschretina, die ich oben beschrie-
ben und gezeichnet habe, wo das Stützgewebe eine wirkliche Limi-
tans bildet, d. h. keine vollständige Hülle des Innengliedes besteht,
sondern nur einzelne von der Limitans kommende Fasern dasselbe
umragen, da bekommt man nicht selten den Eindruck, als ob diese
Fasern sich in der Gegend des linsenförmigen Körpers seitlich ver-
breiterten nnd in ähnlicher Weise zu einer Hülle des Aussengliedes
verschmölzen, wie sie an andern Stellen eine um Korn und Innen-
glied bilden. Doch sind diese Bilder wegen der dunkeln Färbung,
die das Aussenglied gewöhnlich annimmt, schwierig zu beurtheilen
und die Fasern so brüchig, dass man sie mehrentheils vom Stäbchen
abstehend trifft. Wo aber eine deutliche Hülle des Innengliedes
besteht, da habe ich sie stets in die äussere Contour des Aussen-
gliedes übergehend gefunden.
Es lässt sich demnach das Ergebniss meiner Untersuchungen
betreffs des Stützgewebes kurz so zusammenfassen: Das Stützgewebe
durchsetzt bei Frosch, Salamander und Triton die ganze Retina von
der Limitans interna an bis zur Uhorioidea (Fig. 1), und zwar in
der Art, dass es erst bei seinem glockenförmigen inneren Anfange
die Ganglienzellen in seine Arcaden aufnimmt, dann in glänzenden,
wenige dünne Seitenzweige abgebenden Fasern die breite Granulosa
interna durchsetzt, in der innern Körnerschichte sich zu einem
Maschenwerk auflöst, das jedes einzelne Korn umschliesst, hernach bei
Frosch und Salamander ein engeres Netz in der Granulosa externa
bildet, während es beim Triton, unaufgelöst, selbst zur Granulosa
wird. In der äussern Körnerschicht umgreift es bei den erstgenann-
Beitrag zur Anatomie der Retina vom Frosch, 95
ten beiden Thieren die als kolbenförmiges Ende der Stäbchenfasern
beschriebenen Körnchen, sammelt sich wieder zu Fasern, um dann
am Stäbchen- und Zapfenkorn wieder zu Rippen, oder aber, was
häufiger der Fall ist, zu einer membranartigen Hülle auseiander-
zuweichen, welche Korn, Innenglied, linsenförmigen Körper und
Aussenglied gleichmässig umschliesst, vielleicht selbst zwischen die
Lamellen der Stäbchen- und Zapfenaussenglieder hinein sich erstreckt
und durch seitliches Zusammenfliessen der Limitans bildet. (H. Mül-
ler deutet schon auf den innigen Zusammenhang zwischen Stäb-
chen, Zapfen und den Radialfasern. Z.f. w. Z. B. VII. S. 23 u.24,
S. 34 und S. 45 scheint es ihm sogar, als ob bei der Taube die Ele-
mente der Stäbchenschichte vermittelst der länglichen Elemente der
äussern Körnerschicht geradezu in die Radialfasern übergingen.)
Bei Salamander und Triton hängen noch mit ihm zuzammen die als
kolbenförmige Körper beschriebenen Gebilde der äussern Körner-
schicht, und beim letzteren umschliesst es Zapfen und Stäbchen mit
ihrem zugehörigen Korne gerade so wie bei den andern zwei Thier-
arten, nur ohne erst eine Faser zu bilden. (Ueber den engen Zu-
sammenhang zwischen Stützgewebe, Körnern und Stäbchen vergl.
auch Kollikers Gewebel. d. Menschen S. 681.)
Wenn nun dem also ist, und ich habe gewissenhaft untersucht
und um ja nicht von vorgefassten Meinungen irregeleitet zu wer-
den, alle meine wichtigeren Präparate Herrn Prof. Stricker und
einigen meiner ebenfalls mit Histiologie beschäftigten Gollegen zur
Beurtheilung vorgelegt, — wenn dem nun wirklich so ist, so musste
ich mir natürlich die Frage vorlegen: Wo finden sich denn die Ner-
ven? Oder wäre am Ende das Stützgewebe doch nervös? Ich
glaube, das seine bindegewebige Natur schon sichergestellt ist, allein
wäre es nicht möglich, dass die nervösen Elemente in und mit dem
Stützgewebe verliefen? Es ist schon von verschiedenen Seiten die
Ansicht aufgestellt worden, die Stäbchenfasern wären fibrillär, und
ich habe nach pathologischen Präparaten von Triton Grund zu ver-
muthen, dass es auch die Stützfasern im innern Theil der Retina
sind. So wäre es ja möglich, dass unter diesen auch die Nerven-
verbindungsfaden verliefen. Sodann möchte ich noch auf jene Be-
obachtung Babuchins (Würzb. naturw. Zeitschr. IV. 1863) auf-
merksam machen, die auch Manz bestätigt hat, dass nämlich, wäh-
rend ein Fortsatz einer Ganglienzelle in ein Bündel von Opticus-
fasern eintritt, ein anderer radiär längs einer Radialfaser durch die
96 Dr. Edm. Landolt:
Granulosa interna verläuft und in die innere Körnerschicht eindringt,
so dass also die Stützfasern, wenn auch nicht selbstleitend, doch
Träger der Nervenleitung wären. Aehnliches beschreibt Steinlin,
nach welchem (bei Eidechse und Taube) Fasern, die von dem kegel-
förmigen Körperchen der Zapfenfasern ausgingen, ja sogar Zapfen-
fasern direct in Radialfasern übergehen oder, wie beim Rochen,
Ausläufer der Ganglienzellen in der Granulosa interna sich ver-
ästeln, mit Ausläufern der Radialfasern und der innersten Lage
grösserer Zellen der inneren Körnerschicht zu einem Netzwerk sich
vereinen sollen, während andere, horizontale Ausläufer sich mit den
Opticusfasern in Verbindung setzen. Endlich hat Merkel bekannt-
lich in einer kürzlich erschienenen Schrift über die Macula lutea
des Menschen und die ora serrata bindegewebige Scheiden beschrie-
ben, welche die Zapfenfasern und Körner umschliessen und ihren
Endpunkt an der Limitans externa haben, nach Innen aber eng mit
dem Stützgewebe zusammenhängen. Es hat mich seine Schrift sehr
an meine Stäbchen- und Zapfenkörnerhüllen erinnert, wenn es mir
auch noch nicht gelungen ist, in der damit zusammenhängenden
Zapfen- und Stäbchenfaser einen Nervenfaden nachzuweisen. Ich
suchte danach mit Goldchlorid — aber ohne Erfolg; ich hoffte von
der Opticusdurchscheidung Aufschluss, aber die operirten Frösche
gingen alle nach einigen Tagen zu Grunde, was in dieser Jahres-
zeit — ich habe diese Arbeit im Winter ausgeführt — bekanntlich
das Gewöhnliche ist, und die Tritonen haben mir noch keine sichern
Resultate ergeben. Ich werde aber diesen Weg, von dem ich auch
Erklärung jener in der äussern Körnerschicht beschriebenen kolben-
förmigen Körper hoffe, später wieder betreten; er muss wohl endlich
zu den nervösen Elementen und ihrem Zusammenhange führen.
Ich will mir zum Schlusse noch die Bemerkung erlauben, dass es
vorzüglich die von M. Schultze beschriebenen, das Stäbchen mem-
branartig umhüllenden Nervenfasern waren, die mich sehr lange be-
schäftigten, nach denen ich aber, wie oben bemerkt, in Ueberosmium-
säurepräparaten umsonst gesucht habe. In ganz frischen Präparaten
dagegen, die ohne jedes Reagens nur in Humor aqueus untersucht
wurden, fand ich an den Stäbchenaussengliedern jene Längsstrei-
fung, dieM. Schultze und Hensen beschreiben. Ich betrachtete die
Objecte mit der grössten Aufmerksamkeit, mit den stärksten Ocularen :
15 und 18 von Hartnack, doch immer schien mir diese Längsstrei-
fung nicht allein auf die Oberfläche beschränkt, sondern durchgehend
Beitrag zur Anatomie der Retina vom Frosch. 97
durch das ganze Stäbchen, als ob dasselbe aus einem ganzen Faser-
bündel bestüände. (M. Schultze B.IlI. Archiv S. 223. Die Längs-
streifung am Stäbchen von Frosch, Salamander und Triton sieht
man auch bei verschiedener Einstellung.) Sehr häufig trennt sich
auch das Stäbchen solchen Streifen entsprechend bis hinein in
die Mitte oder auch ganz durch. Diese Bilder sind nicht neu,
M. Schultze beschreibt und zeichnet sie auch; häufig findet man
sie nach Ueberosmiumsäurereaction, und ich möchte sie im An-
schluss an das Ergebniss der Untersuchung bei verschiedener Ein-
stellung, als für die durchgehende, nicht nur oberflächliche Längs-
theilung der Stäbchenaussenglieder sehr sprechend ansehen. Auch
Prof. Strieker, der meinen Beobachtungen mit dankenswerthem
Interesse gefolgt, ist, ganz derselben Ansicht.
Neben dem Längszerfall besteht aber eben so deutlich und
noch häufiger der quere Zerfall der Aussenglieder, und zwar stellt
er sich bekanntlich auch an Objecten, die ohne weitere Reagentien
betrachtet werden, in kurzer Zeit ganz deutlich ein. Sehr klar für
die beiden auf einander senkrechten Bruchrichtungen sprechen auch
jene Querschnitte, die aus mehreren Lamellen bestehen, aus deren
oberster aber ein Sektor herausgebröckelt ist, oder die geradezu
durch die ganze Mitte gespalten sind (M. Schultze Archiv
Bd. V, Taf. XXII, Fig. 1A, 1b). Hält man nun die beiden Bruch-
richtungen zusammen und nimmt man an, dass dieselben auf
dem Baue der Stäbchenaussenglieder beruhen, so folgt nothwendig
daraus, dass dieselben weder blos aus queren Scheibchen noch blos
aus Längsfasern, sondern aus etwa cubischen Stücken müssen auf-
gebaut sein, wodurch sich dann auch der staffelförmige Bruch er-
klärt, den man so häufig beobachtet. Sodann was den Ritter’schen
Centralfaden des Stäbchens betrifft, so habe ich einen solchen nie,
am wenigsten an Querschnitten gesehen; bei der Längsansicht kann
im Aussengliede oft ein in der dem Beobachter abgewendeten Seite
befindlicher Riss, und im innern Theile des Stäbchens ein in seiner
weiten Hülle stark geschrumpftes Innenglied einen solchen vortäu-
schen. Die Querschnitte der Stäbchen- und Zapfenaussenglieder sind
meist homogen, dann und wann etwas körnig, zeigen leicht radiäre
Risse oder Lücken ausgebrochener Stücke.
Den linsenförmigen Körper fand ich in allen Stäbchen und
Zapfen der drei Thierarten (auch bei Triton) ganz in der Art, wie
ihn M. Schultze beschrieben und Andere bestätigt RaDER, Er-
M, Schultze Achiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 7.
98 Dr. Edm. Landolt: Beitrag zur Anatomie der Retina vom Frosch.
bräunt sich auch bekanntlich stark in Ueberosmiumsäure. Was mir
aber besonders auffiel, war die Intensität, mit der er sich in den
Zapfen des Frosches färbt (Fig. 3). Dabei hat er ein ganz eigen-
thümliches, undurchsichtiges Rothbraun, während daneben die der
Stäbchen ganz zart wie mit Sepia gefärbt erscheinen.
Die Methode, die mich zu meinen wenigen Resultaten geführt
hat, ist hauptsächlich die Behandlung mit '/sprocentiger Ueber-
osmiumsäure, deren Einwirkung ich die Präparate verschieden lange
Zeit überliess.. Ich muss M. Schultze vollkommen beistimmen,
wenn er räth, die Objecte nicht allzulange in dem Reagenz liegen
zu lassen. Geöffnete Bulbi übertrug ich schon nach 10—20 Minu-
ten in verdünnten Alkohol, woraus ich sie frühestens nach 2, 3 Ta-
gen, meist erst später, zur Untersuchung an Schnitten, voraus aber
an Zupfpräparaten in Aqua destillata wieder hervorholte. Die Schnitt-
methode scheint mir zur Erforschung des Zusammenhangs der Re-
tinaschichten und der feinern Structur ihrer Theile wenig geeignet.
Zu letzterem Zwecke half mir dagegen vorzüglich die Betrachtung
der Präparate von verschiedenen Seiten dadurch, dass ich sie
bewegte.
Die Instrumente, die ich benutzte, waren solche von Hartnack
mit all seinen Linsen, auch ein 15 und 18, und ich ergreife mit
Freuden die Gelegenheit, Herrn Professor Stricker für die Güte,
mit der er mir dieselben überliess, sowohl, als auch für die Freund-
lichkeit, mit der sein kritischer Blick meinen Arbeiten folgte, von
Herzen zu danken.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. IX.
Die Figuren sind alle nach mit Ueberosmiumsäure behandelten Zupf-
präparaten gemacht. Ich habe mich bemüht, dieselben nicht nur was die
Form, sondern auch was die Färbung anbelangt, so naturgetreu als möglich
wiederzugeben. Sie sind auch alle nicht schematisch, sondern nach wirk-
lichen Präparaten angefertigt, nach Präparaten, dia ich zur Bestätigung mei-
ner Auffassung stets Herrn Prof. Stricker und einzelnen meiner Collegen
gezeigt habe, damit ich mich nicht durch vorgefasste Meinungen verleiten
lasse, Dinge zu sehen, die der Wirklichkeit nicht entsprechen oder anders
gedeutet werden könnten.
Nur das Stützgewebe ist etwas heller dargestellt als in Wirklichkeit,
indem es sich auch etwas in Ueberosmiumsäure färbt. Ich habe mir diese
Freiheit in der Zeichnung erlaubt, um das Verhältniss zwischen Stützgewebe
und Körnern deutlicher hervortreten zu lassen.
Fig. 1. Eine isolirte Faser aus der Retina von Triton. Ihr glocken-
förmiger Ansatz an der Limitans interna (i), ihr Verlauf durch die Nerven-
faser und Ganglienschicht g, durch die Granulosa interna (gr. i.), von der
noch einzelne Rudimente hängen geblieben sind; sodann ihr Verhalten in der
innern Körnerschichte, dem birnförmigen Korne (p) und den andern (i. k.)
gegenüber. a. Leeres Gerüste, aus dem die Körner herausgefallen sind.
gr. e. Bildung der Granulosa externa.
k. Kolbenförmiger Körper. a. k. Korn der äussern Körnerschicht.
l.e. Limitans externa mit abgerissenen Zipfeln gegen Aussen und Innen.
z. Zapfen mit linsenförmigem Körper. — Ausserdem erkennt man an dem
Präparate das Körnigwerden des Stützgewebes und seiner Adnexa an dich-
teren Stellen der innern Körnerschichte,, in der Granulosa externa, Limitans
externa und dem Kopf des kolbenförmigen Körpers.
Fig. 2. Aus der neutralen Partie einer Froschretina. i. k. Einige
innere Körner. gr. e. Granulosa externa ; mit dem Netz des Stützgerüstes.
aa. Die als Anschwellung der Stäbchenfaser beschriebenen Körperchen im
Stützgewebe steckend, das sich über ihnen zur Stäbchenfaser F vereint, die
Stäbehenkörner Stk. in sich fasst, die Limitans externa L. e. bildet, in Faden
über das Innenglied I wegzieht und zur Hülle H. wird. Doppelte Contour
des Aussengliedes. ‘L. Linsenförmiger Körper.
Fig. 3. Aus der periodischen Partie einer Froschretina. gr. e., a. k.,
L, A. L. wie oben; H. Hülle der Innenglieder; H‘’ losgerissene Hülle eines
100 Erklärung der Abbildungen auf Taf. IX.
Zapfens, in der man deutlich das Innnenglied stecken sieht. am Stäb-
chenaussenglied die Querstreifung, doppelte Contour und losgelöste Fasern-
Der linsenförmige Körper der Zapfen zeigt die auffallend starke roth-
braune Färbung, während der des Stäbchens heller und durchsichtiger ge-
färbt ist.
Fig. 3b. Doppelzapfen aus der Froschretina. Hüllen des Innenglie-
des mit Lücken.
Fig. 4. Aus einer Tritonretina. i. k. Innere Körner im Gerüste, von
da aus ein Faden mit varicöser Anschwellung v, der in die Granulosa ex-
terna (gr. e.) übergeht, selbst granulös werdend. (Getreu nach der Natur.)
a. k. Aeussere Körner. k. Kolbenförmige Körper. k‘ mit zwei Anschwel-
lungen. 1. e. Limitans externa. Auch hier sind wie in Fig. 1 die Faden,
die man oft mit den Zipfeln der Granulosa im Zusammenhange sieht, los-
gerissen. H. Hülle des Stäbcheninnengliedes, dessen Aussenglied einen hel-
len Saum und die Bedeutung eines lamellösen Zerfalls zeigt.
Fig. 5. Stäbchen von Salamandra maculata. Das Aussenglied lässt
weder Zerfall noch doppelte Contour erkennen; deutlich aber ist die mem-
branöse Hülle des Innengliedes, des Stäbchenkorns und des kleineren, an
der Granulosa externa sitzenden Kornes, wo sich dieselbe in Zipfel spaltet,
die ohne Zweifel mit dem Netze der Granulosa externa in Zusammenhang
stehen. Ueber dem Kern zeigt die Hülle eine Lücke a, durch welche das
stärker gefärbte Korn hervorblickt, und einzelne längsrippenartige Ver-
dickungen.
Verbesserungen.
Pag. 36 Zeile 10 v. u. lies fixen statt freien.
Rn Sr 1 v. o. lies intramuskulären statt intermuskulären.
» 48 » 7 v. o. lies Gewebslücke statt Gewebsstücke.
Weitere Studien über die Entwicklung der
einfachen Ascidien.
Von
Prof. A, Kowalevsky.
Hierzu Taf. X, XI, XII und XII.
Nachdem ich im Jahre 1866 meine Abhandlung »Ueber die
Entwicklung der einfachen Ascidien« der Petersburger Academie vor-
gelegt hatte, ward mir wieder Gelegenheit, im Jahre 1867 uud 1868
das Mittelmeer zu besuchen und meine früheren Untersuchungen
über diesen Gegenstand zu prüfen; in der Hauptsache erwiesen sich
dieselben als richtig, nur in gewissen Puncten unvollständig und
schon in Triest, im Jahre 1867, habe ich die Mangelhaftigkeit mei-
ner Angaben in Beziehung auf das Nervensystem und die Kloaken-
Bildung erkannt. Ich habe schon zu jener Zeit das Ganglion hinter
der Sinnesblase oder dem Gehirne aufgefunden und dessen Abstam-
mung aus den Zellen der sich schliessenden Rückenrinne ableiten
können.
Ich wollte meine neueren Ergebnisse über die Entwicklung der
Ascidien in einem allgemeinen Aufsatze, welcher die Entwicklung
der Tunicaten überhaupt behandeln sollte, erscheinen lassen; unter-
dessen aber traten zwei Arbeiten über denselben Gegenstand an das
Licht '), und da besonders die zweite?), durch die Bestätigung der
Wirbelthiernatur der Ascidieniarven ein so bedeutendes Interesse in
1) Memoires de l’Acad. de St. Petersbourg VII Serie Tme. X.
2) C. Kupffer Die Stammverwandtschaft zwischen Ascidien und Wir-
belthieren. Archiv f. mikroskopische Anatomie Bd. 6 Heft I.
M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 7. 8
102 A. Kowalevsky:
der wissenschaftlichen Welt erregte, so habe ich mich entschlossen,
auch meine neueren Studien über die Ascidien nicht weiter zurück-
zuhalten, da sie doch, wie ich hoffen darf, noch mehrere ungelöste
Fragen der embryonalen Entwicklung aufklären werden.
Nach der Publication meiner Untersuchungen unternahm E. Met-
schnikoff!) im Jahre 1868 die Prüfung meiner Angaben der
Entwicklung, und zu meinem Erstaunen kam er zu ganz anderen
Schlüssen, er behauptete, dass zwischen der Entwicklung der Asei-
dien und Wirbelthiere keine Analogie existire, dass meine Angaben
über die Entwicklung des Nervensystems unrichtig seien. Er schloss
aus seinen Studien, dass die Ascidien eine grössere Aehnlichkeit in
ihrer Entwicklung mit den Arthropoden und Hirudineen als den
Wirbelthieren besässen. Seine Resultate publieirte er nur in Form
einer vorläufigen Mittheilung, ohne irgend welche Beweise über die
Unrichtigkeit meiner Studien anzuführen. Bei der weiter folgenden
Beschreibung der einzelnen Stadien werde ich nun noch Gelegenheit
haben, die Angaben Metschnikoff’s genauer zu besprechen.
Prof. Kupffer, in einem schon oben eitirten Aufsatze, be-
schreibt die Entwicklung der Ascidia canina und stimmt in vielen
einzelnen Beobachtungen mir bei, erkennt vollständig und erwei-
tert bedeutend meine schon früher ausgesprochene Deutung über die
Verwandtschaft zwischen Ascidienlarven und Wirbelthieren. Es ist
nur zu bedauern, dass das ungünstige Material, welches Kupffer
zu Gebote stand, ihm nicht erlaubt hat, tiefer in die einzelnen Vor-
gänge einzudringen, ja sogar ihn einige Male zu falschen Deutungen
geführt hat.
Indem ich mich nun jetzt zu meinen neueren Beobachtungen
wende, möchte ich nur bemerken, dass meine Untersuchungen an
mehreren Ascidienarten (Asc. intestinalis, mammillata, mentula, ela-
vellina) angestellt wurden und in ihren Resultaten sehr überein-
stimmend sind; in der folgenden Beschreibung werde ich mich an
die Entwicklung der Phallusia s. Ascidia mammillata halten, sobald
ich nicht besonders andere Arten angebe.
Ich werde meine Beschreibung in zwei Theile scheiden : in dem
ersten werden wir die Bildung der Larve, in dem zweiten die der Asci-
die studiren. Bei den einzelnen Beschreibungen werde ich mich an die
1) Bulletin de l’Acad. imper. de St. Petersbourg. T. XII. 1869,
p. 293.
Weitere Studien über die Entwicklung der einfachen Asecidien. 103
von Kupffer beliebte Eintheilung halten, um die Vergleichung zu
erleichtern.
I. Die Entwicklung der freibeweglichen Larve.
Kupffer beginnt seine Beschreibung mit der Schilderung der
Eibildung, womit ich, was die einzelnen eigentlichen Eitheile an-
langt, vollständig übereinstimme und nur insofern davon abweiche,
als ich meine frühere Meinung über die Abstammung der gelben
Zellen — Testazellen Kupffer’s — von den Zellen des Follikels
aufrecht halte.
A. Babuchin stellte im Jahre 1367 in Triest, als ich meine
Studien über die Ascidien wiederholte, Beobachtungen über die Ent-
stehung der Testazellen an und bestätigte und erweiterte meine An-
gaben, dass diese Zellen aus dem Epitheil des Follikels abstammen.
Ich habe jetzt wieder diese Beobachtungen geprüft und gebe hier
Zeichnungen von der Entwicklung derselben. Die Zeichnungen habe
ich von den sich entwickelnden Eiern der Ascidia intestinalis ent-
worfen, da diese Spezies auch Kupffer zugänglich ist und von ihm
geprüft werden kann.
Was die Zubereitung des Präparats betrifft, so erhielt ich
die schönste Ansicht, wenn ich durch einen in Chromsäure-Lösung
(1/a—1°) erhärteten Eierstock feine Schnitte anfertigte.
Der jüngste von mir dargestellte Follikel (Fig. 1) stimmt mit
dem, welchen Kupffer auf seiner ersten Figur darstellt; ich finde
nur mehr Zellen, welche dessen Epithel bilden. Auf dem folgenden
Follikel (Fig. 2) sehen wir nun, dass die Epithelzellen sich schon
bedeutend vermehrten und dass einige von denselben etwas in den
Dotter hineinragen, so dass sie sich von der Follikelwand fast ganz
abtrennen und in den Dotter treten. An dem Follikel, welcher auf
der Fig. 3 dargestellt, ist der Hereintritt der Zellen des Follikel-
Epithels in die oberflächliche Schicht des Dotters schon vollzogen,
dazu sind die Zellen bedeutend vermehrt und bilden ein fast voll-
ständiges, wenn auch noch plattes Epithei um den Dotter. Ein
Querschnitt eines schon der Reife viel näheren Eies (Fig. 4), dem
Stadium entsprechend, welches Kupffer auf seiner Fig. 3 darstellt
zeigt uns weiter, dass die in den Dotter eingetretenen Zellen ein
vollständiges Cylinder-Epithelium bilden und schon gelblich gefärbt
sind. Nach aussen werden sie von den äusseren Epithelialzellen des
Follikels umgeben, welche unterdessen ihr netzartiges Aussehen
104 A. Kowalevsky:
angenommen haben. Der Kern und der Kernkörper des Eies be-
halten auf allen diesen Stadien, wie es auch die Figuren angeben, eine
und dieselbe Grösse. Je weiter die Eier in den Eileiter gelangen,
um so mehr wachsen die Zellen a. Fig. 1 und 2 zu Strahlen aus.
Die Strahlen bestehen aus’ einem hellen centralen Bläschen und netz-
förmiger Substanz. Die centralen Bläschen (b. Fig. 4) stammen von
dem Kerne der Epithelialzelle und sind immer wasserhell, etwas fett-
artig, das Licht stark brechend. Kupffer zeichnet diese Bläschen
(Fig. 5) gelb, was ich bei keiner Ascidie gesehen habe.
Die gelben Testazellen bilden bei der Ascidia intestinalis eine
zusammenhängende Reihe, aber nur in einer Schicht, nicht aber in
mehreren Lagen, wie es Kupffer auf den Fig. 4,5 und 6 darstellt,
falls ich die Zeichnungen nicht missverstehe. Bei der A. mammil-
lata und mentula sind die gelben Testazellen viel sparsamer, wie
ich es auf meiner Fig. 1 der früheren Abhandlung dargestellt habe.
Was die Abstammung der Gallertschicht anlangt, welche das Ei
umgibt, so wird es von den Testazellen, zu der Zeit diese noch ein
dichtes Epithel um das Ei bilden, abgesondert, und an den Eiern
der A. mammillata, wo die Testazellen viel sparsamer sind, tritt
auch die Gallertschicht viel früher auf als bei den von A. intestinalis.
Mit dieser Beschreibung ist nun die Möglichkeit einer freien
Zellenbildung wenigstens für die Testazellen der A. intestinalis, mam-
millata, mentula und Clavelina abgewiesen; ich erlaube mir aber
noch ein Wort über das Beispiel der freien Zellenbildung, welches
Kupffer anführt, hier zu bemerken. Es ist noch bei weitem nicht
ausgemachte Sache, ob bei den Diptereneiern die Kerne der Blasto-
dermzellen sich frei bilden, oder aus dem getheilten, aber in der
Fettmasse nicht sichtbaren Kerne abstammen. Es ist überhaupt
sehr leicht, den Kern, welchen man nicht sieht, als verschwunden
anzusehen; in diesen Fehler fallen so viele Beobachter. So steht es
auch mit der freien Bildung der Kerne; hat man ihre Entstehung
nicht gesehen, so sagt man, sie sind freigebildet. Was die Neubil-
dung der Kerne in dem Blastoderm des Fliegeneies anlangt, so
wie die Bildung der Kerne vor der Furchung des Eies, so sind das
alles Fragen, deren Entscheidung noch durchaus zweifelhaft ist. Um
die freie Bildung der Kerne im Ei zu behaupten, muss man sowohl
das Verschwinden der Kerne im Ei Schritt für Schritt verfolgen,
als auch ihre Neubildung direkt beobachten.
Nach der Furchung des Ascidieneies entsteht eine kleine Fur-
Weitere Studien über die Entwicklung der einfachen Aseidien. 105
chungshöhle, welche bei allen von mir untersuchten Ascidien, also
auch bei der A. intestinalis, von einer Schicht von Zellen umgeben
ist. Die Richtigkeit dieser Beobachtung wurde mir auch von Met-
schnikoff zugestanden. Kupffer zweifelt, dass die Sache so vor-
ginge, und sagt, dass vor der Einstülpung des Darmsackes die Fur-
chungshöhle »jedenfalls nicht von einfacher Zellenlage umgeben ist«
(p. 15), und verweist auf seine Fig. 7, auf welcher aber gar keine
Höhle gezeichnet ist; deshalb glaube ich, dass ungeachtet der An-
gaben von Kupffer, entweder die Einstellung des Mikroskops nicht
central war, oder die Zeichnung von einem Ei entworfen ist, an
welchem die Einstülpung oder wenigstens eine bedeutende Ab-
flachung auf der entgegengesetzten Seite schon begonnen hat; zu
der letzteren Meinung führt mich besonders die Bemerkung von
Kupffer (p. 15), »dass die die Höhle zunächst umgebenden Zellen
anders gefärbt sind« und die andere Färbung, wie die Fig. 8 von
Kupffer zeigt, nur der eingestülpten Schicht angehört. Die Eier
der Aseidia intestinalis sind zu undurchsichtig, um den ganzen Vor-
gang so deutlich zu sehen, wie bei den andern Ascidieneiern, aber
bei der Aufhellung derselben mit starker Essigsäure sehe ich die
Umgrenzung der Furchungshöhle von einer Schicht von Zellen
ganz deutlich. Ich hoffe, dass Kupffer bei einer neuen Prüfung
dieser Frage zu derselben Ansicht kommen wird.
Die Einstülpung beginnt durch eine einseitige‘ Abflachung des
Eies; im optischen Querschnitte sieht man bei der Ascidia mammil-
lata, wie die vier länger gewordenen Zellen der einen Seite des Eies
sich einstülpen, bald aber kürzer und breiter werden, und die seit-
lichen sich theilen (Fig. 5 und 6); eine Stunde später beobachtet
man, dass der eingestülpte Raum sich etwas nach einer Seite, und
wie es sich weiter erweist, nach vorn erweitert (Fig. 7)'). Beob-
achtet man dies Stadium von oben (Fig. 8), so sieht man die Ein-
‚ stülpungsöffnung schon etwas seitlich liegen, etwas nach hinten ge-
rückt. Der Buchstabe ce gibt das vordere, b das hintere Ende der
Oefinung an. Von diesem Stadium an können wir schon zwei Keim-
blätter unterscheiden, von welchen jedes aus’einer Reihe von
Zellen besteht: das untere bac (Fig. 7), das’obere bde. Aus
1) Alle Figuren wurden vermittelst der Camera lucida entworfen und
oben, unten, rechts und links wird immer so angegeben, wie es auf den Fig.
gezeichnet ist und man unter dem Mikroskope sieht.
106 A. Kowalevsky:
dem unteren entwickeln sich, wie ich schon in meinem früheren
Aufsatze angegeben habe, der Darmcanal, die Muskeln und die Chorda,
aus dem oberen die Haut und das Nervensystem. Was die Lage
des Eies anbelangt, so ist es so gezeichnet, dass das obere Ende
das Vorderende andeutet und die Einstülpungsöffnung die Rücken-
seite einnimmt. Die aus zwei Zellenschichten zusammengesetzte
hohle Hemispähre wächst so zu sagen in zwei Richtungen, das
vordere Ende des Embryo wächst nach vorn; der vordere Rand der
Einstülpungsöffnung (c. Fig. 7, 8 und 9) wächst dagegen nach hin”
ten, infolge dessen die Einstülpungsöffnung sich immer mehr und
mehr verenst und an das hintere Ende des Embryo rückt; wir kom-
men somit von der Fig. 8, durch das Stadium Fig. 9, welches vom
Rücken und in optischem Längsschnitte (Fig. 10) dargestellt ist, zu
den Stadien Figg. 12 und 13, wo die Einstülpungsöffnung noch als
ein kleines, auf der Rückenseite des Hinterendes des Eies befind-
liches Loch vorhanden ist. Auf den Stadien Fig. 13 sehen wir eine
bedeutende Vertiefung auf dem Rücken des Embryo, welche von
der Einstülpungsöffuung bis fast zum vorderen Ende reicht — das
ist das erste Erscheinen der Rückenfurche.
Auf den Stadien Figg. 9, 12 und 13 treten schon Zellen auf,
aus welchen meiner Meinung nach nur die Chorda, nach der Mei-
nung von Metschnikoff Chorda und Nervensystem entstehen
Wir werden deshalb ihre Lage und Beziehung zu den anderen Zel-
len hier etwas genauer schildern. Betrachtet man das Stadium
Fig. 9 vom Rücken, so sieht man auf der Oberfläche eine Reihe
von ganz einförmigen Zellen, welche das obere Blatt zusammensetz-
ten (Fig. 10 0), und von der Einstülpungsöffnung (eo) bis zum vor-
deren Ende des Embryo reichen (Figg. 9 und 10); stellt man aber
das Mikroskop etwas tiefer ein, so bemerkt man, dass die Zellen
des unteren Blattes, welche die Einstülpungsöffnung unmittelbar um-
geben (ch), von den anderen Zellen desselben Blattes etwas ab-
stechen; im Längsschnitte (Fig. 10) fallen von diesen Zellen die
zwei vor der Oeffnung liegenden auch etwas auf und sind von den
anderen gewissermassen abgesetzt. Metschnikoff nennt die ganze
Anlage hufeisenförmig und meint, dass aus zwei inneren Zellen
(Fig 10 ch, Fig. 14 ch) sich die Chorda entwickelt und die zu den
Seiten dieser zweien liegenden Zellen bilden die Nervenwülste. Die
Zahl dieser Zellen erreicht auf dem Stadium Fig. 9 auf 12, zu 6
jederseits der Mittellinie. Auf dem optischen Querschnitte dessel-
Weitere Studien über die Entwicklung der einfachen Ascidien. 107
ben Stadiums (Fig. 11), aus der Gegend der Einstülpungsöffnung
zählt man im unteren Blatte acht Zellen, von denen die zwei oberen
(ch, ch) auch durch ihr Ansehen von den anderen Zellen des unte-
ren Blattes sich unterscheiden. Auf der Fig. 12 habe ich die Zel-
len des unteren Blattes dargestellt und die 12 Zellen der Chorda-
anlage. Auf dem folgenden Stadium (Fig. 13), wo sich die Rückenfurche
gebildet hat, schimmern noch diese Zellen durch die Oberhaut —
den Boden der Rinne — ganz deutlich durch. Im optischen Längs-
schnitte (Fig. 14 ch) sieht man sie sehr deutlich unter dem Boden
der Rinne liegen. Die Entdeckung dieser hufeisenförmigen Chorda-
anlage gehört Metschnikoff, nur fiel er in den sonderbaren Feh-
ler, dass aus dieser Anlage auch das Nervensystem abstamme.
Auf diesem Stadium sieht man die Ränder der Rückenfurche
ganz deutlich auftreten (Fig. 13 r) und deren hinterer Rand hebt
sich sclion so hoch auf, dass er die hintere Hälfte der schon ganz
engen Einstülpungsöfinung (eo) bedeckt. Die zwei etwas aufgeho-
benen Ränder (r), welche die Rückenfurche umgrenzen, habe ich in
meiner früheren Abhandlung (Fig. 16) abgebildet und Rücken-
wülste genannt, ihre Beziehung zur Einstülpungsöffnung wurde aber
damals von mir nicht erkannt. Diese Ränder der Rinne oder
Rückenwülste beginnen nun sich aufzuheben, und dies geht beson-
ders schnell am hinteren Ende vor sich, wo der hintere Rand der
Rinne in Form einer Falte (Figg. 15, 16, 18 u. 20) die Einstülpungs-
öffnung überdeckt und sich nach vorn ausbreitend, hinten eine Art
Blindsack bildet, welcher nur vermittelst der sehr klein gewordenen
Einstülpungsöffnung mit der primitiven Darmhöhle — eingestülpten
Höhle — communieirt. Was aber die Schliessung der Rinne an-
belangt, so muss man nicht denken, dass die Ränder derselben ein-
ander entgegenwachsen, sich begegnen und verschmelzen, wie man
es bei den höheren Wirbelthieren beobachtet, sondern geht die
Schliessung in der Art vor sich, wie z. B. das Hervorwachsen der
Embryonalhautfalten auf dem Embryo des Hühnchens, es wächst
nämlich eigentlich nur der hintere Rand der Rinne oder die hintere
Falte immer mehr und mehr nach vorne, selbstverständlich auf
Kosten der sich aufhebenden Seitenränder der Rinne, welche durch
ihre hinteren Enden in die Falte übergehen. Die Figg. 13, 15
und 18 stellen uns diesen Schliessungsact der Rückenrinde ganz
deutlich dar.
Während der Schliessung der Rückenrinne ist die Einstülpungs-
108 A. Kowalevsky:
öffnung von oben gar nicht mehr zu beobachten und man kann nur
deren Rest an optischen Längsschnitten als eine feine Spalte sehen,
vermittelst deren das sich schliessende Nervenrohr mit der Darm-
höhle communieirt (Figg. 14, 16 und 20 eo). Gleichen Schritt mit
der Schliessung der Rückenrinne haltend und auf einigen Eiern
auch etwas vorauseilend, geht auch das Zusammentreten der chorda-
bildenden Zellen zu einer scheibenartigen Anlage der Chorda. Wir
haben die chordabildenden Zellen auf der Fig. 13 verlassen, wo
dieselben in der Zahl von 12 zu beiden Seiten und vor der Ein-
stülpungsöffnung lagen; mit der allmähligen Schliessung der Ein-
stülpungsöffnung treten die zu beiden Seiten derselben liegenden
Zellen zusammen, wobei sie sich vermehren und zu einer regelmäs-
sig ovalen Scheibe zusammentreten. Die Figuren 12, 13, 14, 16
und 19 ch stellen uns alle Uebergangsstadien dar. Wir haben schon
oben gesehen, dass diese Zellen dem unteren Blatte angehören, und
die optischen Längsschnitte der Figg. 14, 16 und 20 zeigen uns,
dass dieselben auch immer unter den Zellen des oberen Blattes —
welche den Boden der Rückenfurche bilden — liegen. Diese Zellen-
scheibe wurde! von Metschnikoff als die Anlage des Nerven-
systems und der Chorda angesehen, und da dieselbe in dem Bereiche
des unteren Blattes liegt, so meinte er hier etwas dem Aehnliches
zu sehen, was Rathke von den Hirudineen angibt, nämlich in
Bezug der Spaltung des Keimstreifs der Hirudineen-Embryonen in
Muskel- und Nervenanlage. Dass nun diese Angaben nicht richtig
sind, dass seine hufeisenförmige — wie sie Metschnikoff nennt
— Anlage der Chorda und des Nervensystems nur die Chorda bildet
und mit dem Nervensystem gar nichts zu thun hat, beweisen, hoffe
ich, meine Zeichnungen, wo der Uebergang dieser Zellen zur Chorda
Schritt für Schritt verfolgt wurde.
Jetzt kommen wir zum Stadium, welches ein Ausgangspunct
für die weiterfolgende Entwicklung der Larve bildet, und da in der-
selben schon alle Organanlagen gebildet sind, so halte ich für pas-
send, dieselben ganz genau zu beschreiben. Der Embryo dieses
Stadiums ist auf den Figg. 18, 19, 20, 21 und 22 dargestellt. Von
oben betrachtet (Fig. 18) sehen wir das hinten geschlossene Nerven-
rohr, an welchem man zwei Abtheilungen unterscheiden kann, die
vordere a etwas breiter, deren vordere Hälfte noch gar nicht ge-
schlossen ist, und die hintere, engere b. Die Wandungen des Roh-
res bestehen aus einer Zellenschicht (Fig. 20), die Hautschicht (ec)
Weitere Studien über die Entwicklung der einfachen Ascidien. 109
nicht gerechnet. Betrachten wir denselben Embryo von der Seite,
im optischen Längsschnitte (Fig. 20), so sehen wir die Chorda (ch),
dann nach vorn von derselben die Zellen des unteren Blattes (dd),
welche etwas von der Chorda abgesetzt sind, und in einer Reihe
den vorderen (dd) und unteren (dd‘) Theil des Embryo bedecken
und hinten in die untere Zellenschicht der Rückenfalte (n) un-
mittelbar übergehen. Das Lumen zwischen der Chorda (ch) und
den darunter liegenden Zellen des unteren Blattes (dd‘) ist zu einer
einfachen Spaite verengert. Betrachtet man diesen Embryo von oben,
nur mit etwas tieferer Einstellung des Mikroskops (Fig. 19), so sieht
man in dem hinteren Theile die ovale Chordaanlage aus zwei Rei-
hen von Zellen bestehen, dann an dessen Seiten die cylindrischen
Zellen des unteren Blattes (m) und nach vorn den von einer Schicht
von Zellen (dd) gebildeten Vorderarm. Die zu beiden Seiten der
Chorda liegenden Zellen wurden zuerst von Metschnikoff be-
obachtet und richtig als Muskelzellen oder Zellen des Muskelblattes
gedeutet. Kehren wir den Embryo um und betrachten die Zu-
sammensetzung seines unteren Blattes von unten (Fig. 21), so fin-
den wir, dass man auch von dieser Seite schon zwei Zellenschichten
in dem hinteren Theile des Embryo unterscheiden kann; die Zellen
dd, welche den vorderen Theil der Darmhöhle des Embryo aufbauen,
setzen sich nach hinten in zwei Reihen (dd‘) fort und endigen mit
einer Zelle. Zu beiden Seiten dieser doppelten Zellenreihe liegen
jederseits die Zellen m des mittleren Blattes.
Um eine vollständige Idee von dem Verhältnisse der verschie-
denen Zellenschichten zu erhalten, müssen wir noch einen Quer-
schnitt des Embryo betrachten. Die Fig. 22 stellt uns einen Quer-
schnitt durch den hinteren Theil des Embryo dar, in der Gegend
der schon geschlossenen Rückenfurche. Die Haut besteht aus einer
Schicht von Zellen; oben sieht man den Querschnitt des Nerven-
rohrs (n), darunter liegt die aus drei Zellen auf dem Querschnitte
zusammengesetzte Chorda (ch), unter der Chorda liegen die zwei
etwas körnig aussehenden Zellen (dd‘), welche die Fortsetzung der
Darmwandung in diesen Theil des Embryo darstellen, das sind die
Zellen des Darmdrüsenblattes. Jederseits der Chorda liegen drei
Zellen (m), oder wenn das Mikroskop näher dem Hinterende ein-
gestellt ist, nur zwei, welche denen entsprechen, die wir auf den
Längsschnitten Fig. 19 und 21 als dem mittleren Blatte angehörend
bezeichnet haben, es sind also die Zellen des Muskel- oder mittleren
110 - A. Kowalevsky:
Blattes. Wird das Mikroskop dem vorderen Ende näher eingestellt,
so finden in den Querschnitten folgende Veränderungen statt: An-
fangs schwindet Chorda, dann die Nervenröhre, die Muskelzellen,
und wir begegnen endlich auf dem Querschnitte nur der Rücken-
furche und dem Darmrohr.
Werfen wir jetzt noch einen Blick im Allgemeinen auf das
im Detail beschriebene Stadium und legen den einzelnen Zellenreihen
oder Zellenschichten, welche zur Bildung nur gewisser Organsysteme
bestimmt sind, die Benennungen der Keimblätter bei, so erweist
sich, dass an der Zusammensetzung des Embryo drei Keimblätter
Theil haben. Das obere Blatt bildet die Epithelialschicht, welche
den Embryo allseitig bedeckt und sich unmittelbar in die Rücken-
furche fortsetzt. Dieses Blatt stammt unmittelbar aus dem von
uns schon früher benannten primitiven oberen Blatte, welches man
bis zu den Fig. 5, 6 und 7 (bed) verfolgen kann und welches die
Schicht des einzelligen Blastoderm darstellt, in welche dessen ent-
gegengesetzte Seite sich hineingestülpt hat. Was die inneren Theile
des Embryo anbelangt, so bestehen dieselben aus dem Darmdrüsen-
blatte (dd, dd‘), welches im vorderen Theile den Vorderdarm bil-
det und nach hinten in einer aus zwei Zellen zusammengesetzten
Reihe bis zum hinteren Ende des Embryo sich fortsetzt. Ueber der
Zellenreihe des Darmdrüsenblattes liegt in der hinteren Hälfte des
Embryo die Chorda und an den Seiten derselben und des Darm-
drüsenblattes liegen jederseits die Zellen des mittleren oder Muskel-
blattes (Fig. 19, 21 und 22m), Was die Abstammung des Muskel-
blattes anlangt, so lehrt ein Blick auf die Fig. 11, 12, 19 und 22
und deren Erklärung und Beschreibung, dass dasselbe zusammen-
setzende Zellen aus den Zellen m Fig. 11 kommen und dass sie
deshalb eigentlich nur die im hinteren Theile des Embryo seitlich
liegenden Zellen des unteren Blattes sind; dass also das mittlere
Blatt unmittelbar aus den Zellen des primitiven unteren Blattes
(Fig. 6 und 7 bac) abstammt. Wir finden somit bei dem von uns
gleich besprochenen Embryo (Fig. 18) alle die Keimblätter, welche
man bei den Wirbelthieren annimmt, und ganz in der entsprechen-
den Lagerung.
Nach dieser Auseinandersetzung der allgemeinen Anlage des
Embryo wende ich mich nun jetzt zur Schilderung der einzelnen
Organsysteme bis zur Ausbildung der schwimmenden Larve. Als
Ausgangspunct wird uns das eben beschriebene Stadium dienen.
Weitere Studien über die Entwicklung der einfachen Asceidien. 111
Wir werden anfangs die allgemeinen Formveränderungen erwähnen,
weiter die Bildung der Haut und ihrer Anhänge, des Nervensystems,
der Chorda, des Muskelsystems und des Darmcanals sammt der An-
lage der Respirationsorgane behandeln. Bevor wir aber zur Schil-
. derung der einzelnen Systeme übergehen, will ich noch von den
früheren Angaben über die schon beschriebenen Stadien einige Worte
sagen.
Was meine eigenen früheren Angaben anlangt, so war deren
Hauptfehler, dass ich den Rest der Einstülpungsöffnung am hinte-
ren Ende der Rückenrinne übersah; im Uebrigen schilderte ich die
Bildung der Rinne fast in derselben Weise, wie ich es jetzt be-
schreibe; Kupffer (p. 19) drückt sich über meine Beschreibung
der Rinne folgenderweise aus: »Wenn ich seine Figg. 13, 14 und
18 zu Rathe ziehe, so würde dasjenige Ende der Furche, das nach
der Stelle der früheren Mündung des Darmsackes sähe, das hintere
werden, d.h. der Richtung des späteren Schwanzes zugekehrt sein.«
Das ist auch in der That so, wie es meine neueren Beobachtungen
zeigen. Kupffer stimmt mit diesen Angaben nicht überein, weil
er die Meinung vertritt, die Einstülpungsöffnung liege auf dem vor-
deren Ende des Embryo, da wo später die Haftpapillen entstehen
(p. 55), was ich nicht zulassen kann; übrigens sind die eigenen An-
gaben Kupffer’s (p. 19), wie über die Bildung der Rückenfurche
so auch über die letzte Schicksale der Einstülpungsöffnung sehr un-
bestimmt. Er meint, dass das Nervensystem als ein fester Strang
auftrete (Fig. 12) unter der Furche, und weicht also nur insoweit
von Metschnikoff ab, dass er die Zellen der Nervenanlage vom
oberen Blatte abstammen lässt. Metschnikoff beschreibt diesel-
ben auch als unter der Furche liegend, leitet sie aber vom unteren
Blatte ab. Die Rückenfurche ist von den beiden Forschern nicht
als die eigentliche Anlage des Nervensystems angesehen, womit ich
in keiner Weise übereinstimmen kann, indem ich das ganze cen-
trale Nervensystem unmittelbar aus dem Epithel der
sich zum Rohre schliessenden Rückenfurche ableite.
Die Figg. 13, 15 und 18 und deren Längs- und Querschnitte Figg.
14, 17, 20 und 22 sind genau mit der Camera lucida, Zelle nach
Zelle gezeichnet. Ueber die vollständige Naturtreue dieser Figuren
habe ich nicht den geringsten Zweifel. Die so abweichenden An-
gaben von Metschnikoff über die Bildung des Nervensystems
habe ich schon zum Theil oben besprochen. Er leitet das Nerven-
112 A. Kowalevsky:
system von den unter der Rückenfurche liegenden Zellen des unte-
ren Blattes, aus welchen meinen Beobachtungen nach die Chorda
entstehe. Die Rückenfurche scheint er gar nicht beachtet zu haben,
da er dieselbe mit der Bauchrinne der Arthropoden und Hirudineen-
embryonen!) vergleicht, wo sie bekanntlich sich nie schliesst und
keine wichtige Rolle in der Bildung irgend welcher Organe spielt.
Auch kann ich mit diesem Forscher gar nicht übereinstimmen, wenn
er sagt: »Indem ich die Einstülpungsöffnung niemals verschwinden
sah und da genau auf derselben Stelle später die Mundöffnung
auftritt, so ist es mir sehr wahrscheinlich, dass die letztgenannte
Oefinung aus der ursprünglich durch Einstülpung entstandenen Oeff-
nung direkt hervorgegangen ist.« Ich habe schon oben, bei der Be-
schreibung der Bildung und Schliessung der Rückenfurche, darauf
hingewiesen, dass die Einstülpungsöffnung von den Medullarwäülsten
(hintere Ränder der Rückenfurche) umgeben ist, dass sie am hin-
teren Ende der Rückenfurche liegt, also ganz am hinteren Ende
des Körpers (Fig. 14, 17, 20 e), und dass sie vollständig schwindet.
Diese Oeffnung kann also in keiner Weise genau auf derselben
Stelle liegen, wo später die Mundöffnung entsteht.
Aeussere Form. Der Embryo, welcher uns als Ausgangs-
punct dient (Fig. 18), hat eine ovale Gestalt und ist nach hinten
etwas verengert. Bei der weiteren Entwickelung geht sein Wachs-
thum und seine Krümmung nach unten, wie es die Figg. 23, 25, 29
und 34 zeigen. Dieser nun immer mehr auswachsende und sich
dabei gleichartig verjüngende Theil ist der Schwanz der sich ent-
wickelnden Larve. Er wächst als eine einfache Verlängerung des
Hinterendes, immer in der Längsrichtung zum Embryo, also ganz
in derselben Weise und Richtung wie der auswachsende Schwanz
der Wirbelthiere, dabei selbstverständlich krümmt er Sich nach unten
und bei A. mammillata umschlingt er fast ringförmig den ganzen
Körper der Längslinie nach. Anfangs ist der Schwanz vom eigent-
lichen Körper sehr wenig abgesetzt (Fig. 23, 25); aber da er nun
bedeutend länger wird und gegen den Körper der Larve in einem
sehr spitzen Winkel sich neigt (Fig. 29, 34), so erleidet dieser Theil
1) p. 23 Kupffer’s Aufsatz. Da ich die Mittheilung von Metschni-
koff jetzt nicht zur Hand habe, so berufe ich mich auf die Citate, welche
Kupffer aus demselben macht, und das was ich mir aus demselben erinnere
oder notirt habe.
Weitere Studien über die Entwicklung der einfachen Ascidien. 113
der Larve oder dessen Haut eine Biegung oder Art Faltung der
Oberhaut, welche bis zur Höhe der Chorda sich fortsetzt. Was das
Auswachsen des Schwanzes der Larve anlangt, so sagten alle frü-
heren Beobachter und auch der letzte, Kupffer, dass er unter
einem Winkel zum Körper der Larve auswächst und noch dazu
seitlich liegt. Der Grund dieser fehlerhaften Ansicht liegt einfach
darin, dass die Stellung des Embryo auf den früheren Stadien nicht
genau bestimmt war und zu verschiedenen Ansichten von der Be-
ziehung zwischen Schwanz und Körper der Larve führte, Ansichten,
welche nach der Aufklärung des ganzen Vorganges man jetzt kaum
zu diseutiren braucht. Der Larvenkörper selbst ist nach dem Aus-
wachsen des Schwanzes fast rund (Fig. 25), und weiter, während
der Ausbildung der Sinnesorgane erhält er eine etwas längliche, von
oben selbst viereckige, nach hinten verengerte Form (Fig. 27, 28),
und bei weiterer Entwicklung wird er immer länger und länger,
bis er die länglich ovale Form der ausgewachsenen Larve erhält.
Beim Ausschlüpfen aus dem Eie ist der Körper noch etwas zusam-
mengekrümmt und nur allmälig wird er grade. Schon an den frü-
heren Stadien verdickt sich die Haut am vorderen Ende der Larve
und die Verdickungen wachsen nach dem Ausschlüpfen zu den be-
kannten Haftpapillen aus,
Haut. Die Oberhaut besteht während der ganzen Entwick-
lung aus einer einfachen Zellenschicht; die anfangs cylindrischen
Zellen werden allmälig flacher und dünner; dabei erscheinen in
ihrem Inhalte stark lichtbrechende Körperchen, welche die ganze
Zelle ausfüllen (Fig. 36 f.f.). Besondere Organe, ausser den Haut-
papillen, habe ich nicht beobachtet. Die Haftpapillen sehe ich als
Drüsen an, welche eine klebrige Substanz abscheiden, die zur An-
heftung der Larve dient. Das am vorderen Ende der Haftpapille
ausgetretene Secret gibt den Anschein, als wären die Papillen Saug-
näpfe, wie es von Krohn angegeben ist.
Nervensystem. Ueber das erste Erscheinen der Rücken-
furche und deren Schliessung haben wir schon oben gesprochen.
Das sich schliessende Nervenrohr besteht aus zwei ziemlich deutlich
abgesetzten Theilen (Fig. 18): dem vorderen (a) breiteren, wel-
ches auch auf dem breiteren Vordertheil des Körpers liegt, und dem
hinteren (b) etwas engeren. Wie das vordere, so erreicht auch
das Hinterende des Rohrs auf diesem Stadium das Ende des Kör-
pers nicht; das hintere Ende des Nervenrohrs setzt sich bis zum
114 A. Kowalevsky:
hinteren Ende der darunter liegenden Chorda fort, die Grenze des
vorderen Endes ist nicht genau ausgesprochen, doch erreicht die-
selbe den Rand des Körpers nicht. In dieser verhältnissmässig un-
bedeutenden Ausbreitung der Nervenrinne weichen die Ascidien be-
deutend von den höheren Wirbelthieren ab, stimmen aber fast voll-
ständig mit der sehr ähnlichen Bildung und Ausdehnung der
Rückenfurche beim Amphioxus überein. Der Zusammenhang der
Höhle des hinten schon geschlossenen Nervenrohrs mit der darunter
liegenden Höhle des Darmes kann jetzt gar nichts Befremdendes
mehr haben, da ich diesen Zusammenhang schon an vielen Wirbel-
thieren beschrieben habe. Nämlich beim Amphioxus!), bei den Pla-
giostomen 2), bei den Acipenseriden®) und Axoloten*) und nach mei-
nen noch nicht gedruckten Beobachtungen über die Knochenfische?°)
1) Nach meinen neuen, in den Zapiski der Kiew’schen Gesellschaft
der Naturforscher (Bd. 1 Heft III. p. 305 Taf. XIV.) gedruckten Untersuchun-
gen ergibt sich, dass die Einstülpungsöffnung beim Amphioxus Embryonen
nicht in den Anus übergeht, wie ich es früher angab, sondern auf den
Rücken hinaufrückt und von der Rückenfurche umwachsen wird; oder mit
andern Worten: die Ränder der Einstülpungsöffnung oder des Rusconischen
Afters sind die hinteren Enden der Rückenfurche,. — In derselben Schrift habe
ich auch weiter gezeigt, dass das mittlere Blatt beim Amphioxus sich aus
dem unteren bildet, also geht die Furchungshöhle des Amphioxus nicht in
die Leibeshöhle über.
2) Beiträge zur Entwicklung der Rochen und Haie nach Untersuchun-
gen an Mustellus laevis und Acanthias vulgaris. Zapiski der Kiew’schen
Gesellschaft der Naturforscher Bd. 1 p. 163 Taf. VII. Figg. 17, 18.
3) Die Entwicklung der Störe, bearbeitet von A. Kowalevsky, Ows-
jannikow und N. Wagner. Bulletin de l’Academie imper. des Sciences
de St. Petersbourg. T. VII. 1869 p. 176.
4) Nach Beobachtungen von Herrn N. Bobretsky, die mir freund-
lich mitgetheilt wurden.
5) Nach meinen Beobachtungen über die Knochenfische besteht der
Keimwall aus zwei Blättern — oberen und unteren, — welche an den Rän-
dern ineinander übergehen. Aus dem oberen entwickelt sich Haut und Nerven-
system, aus dem unteren Darmdrüsenblatt und mittleres Blatt. Das Lumen
des sich sehr spät schliessenden Darmcanals geht in das Lumen des Nerven-
rohrs über. Nach der Bildung des Anus geht das Stück des Darmcanals,
welches zwischen dem Anus und hinteren Ende des Schwanzes liegt, zu Grunde
durch Verfettung. Diese Beobachtungen wurden an den Eiern von Plattessa
passer, Lota vulgaris und mehreren Fischeiern, welche ich auf der Oberfläche
des Meeres mit dem Müller’schen Netze fischte, angestellt.
Weitere Studien über die Entwicklung der einfachen Asecidien. 115
gehen bei denselben die verdickten Ränder der Keimhaut — Keim-
wall (Kupffer), — welche das Dotterloch oder den Rusconischen
After umgeben, auch in die Medullarwülste über.
Während der nun erst auftretenden Formveränderungen des
Nervenrohrs bei dem Auswachsen des Schwanzes beginnt die Ver-
kleinerung des Spalts c, welcher dabei ganz das vordere Ende
‚des Embryo erreicht und sehr klein wird (Figg. 23, 24r). Diese
Oeffnung wurde von mir schon in der früheren Schrift über den-
selben Gegenstand erwähnt und besonders betont, da ich dieselbe
einer ähnlichen Oefinung beim Embryo des Amphioxus verglich, wo
sie auch sehr lange persistirt. Bei den weiteren Stadien (Fig. 25)
schliesst sich aber auch diese Oeffnung vollständig, es bleibt von
derselben auf-der Oberfläche keine Spur mehr, und zu gleicher Zeit
schnürt sich damit das Nervenrohr seiner ganzen Länge nach von
der Oberhaut ab.
Das hintere Ende des Nervenrohrs schreitet bei seinem Wachs-
thum ganz dem auswachsenden Schwanze nach; das Ende des Roh-
res und des Schwanzes bleiben bis zur vollständigen Ausbildung des
letztern in derselben Entfernung voneinander. Entsprechend der
Verdünnung des Schwanzes verdünnt sich auch das Nervenrohr
immer, die Rückenseite des Schwanzes einnehmend. Bei diesem Aus-
wachsen des Nervenrohrs nimmt besonders Antheil dessen hinterer
Theil (b Fig. 18), nämlich der Theil, welcher die zweite Nerven-
systemblase zusammensetzt, und dazu noch sein hinterer (b‘) Theil
(Fig. 24). In Folge dieses nicht gleichmässigen Wachsthums der
hinteren Hälfte (b Fig. 24) des Nervenrohrs zerfällt dieselbe
ihrerseits in zwei Theile, ein dickeres (b) vorderes und ein engeres
hinteres (b‘) Stück, und nun erscheint das ganze Nervenrohr aus
drei Theilen — Blasen — bestehend, welche bereits definitive Bil-
dungen sind. Das vordere Ende oder die Gehirnblase, Sinnes-
blase oder erste Blase; dann die zweite Blase oder Rumpf-
blase, welche viel kleiner ist und immer über der Chorda liegt
und bei ausgewachsener Larve am hinteren Ende des Rumpfes, und
schliesslich der dritte Theil, Schwanztheil des Nervensystems
oder Rückenmark der Larve. Zwischen den zwei vorderen Nerven-
blasen findet sich noch ein verengerter Theil!) (Fig. 33).
1) Eine Zusammensetzung des embryonalen Nervensystems aus drei
Blasen ist besonders bei den Salpen ausgesprochen. Nachrichten der Kön.
Gesellsch. der Wissensch. in Göttingen. 1868 N. 18 p. 410.
116 A. Kowalevsky:
Von dem histologischen Bau des Nervensystems kann man in
den jüngeren Stadien eine sehr schöne Ansicht haben, da es ein
überall aus ganz regelmässigen, ziemlich grossen Zellen bestehendes
Rohr ist. Die Zellen in dem vorderen Theil sind besonders gross
und haben die regelmässige Cylinderform, aber nach hinten und
namentlich in dem Schwanztheile werden sie bald zu ganz flachen
Zeilen, welche aber selbst noch bei den Larven mit schon bedeu-
tend ausgewachsenem Schwanze ein Rohr bilden. und ein Lumen
umgrenzen, wovon man auf dem optischen Querschnitte des Schwan-
zes sich überzeugen kann. In der ausgewachsenen Larve lagern
sich die Zellen in den zwei vorderen Blasen des centralen Nerven-
systems zu zwei und mehr Schichten, werden rundlich und verlieren
ihre frühere scharfe Begrenzung; Nervenfäden habe ich nicht finden
können.
Es bleibt uns noch jetzt die Entwicklung des Gehirns oder der
Sinnesblase genauer zu beschreiben, von dem Stadium Fig. 25 an.
Wir haben schon gesagt, dass die vordere Oeffnung — der Rest der
Rückenfurche — sich vollständig schliesst und also das Nervenrohr
sich vom oberen Blatte abtheilt. Gleich nach der Schliessung nimmt
die ganze Gehirnblase eine ovale Form (Fig. 27) an, vorn und hin-
ten etwas ausgezogen, dabei bestehen ihre Wandungen aus einer
Reihe gleichmässiger cylindrischer Zellen (Fig. 27).
Bald nach der Schliessung des letzten Restes der Rückenfurche
beginnt die Bildung der Sinnesorgane. Beobachtet man nämlich
den Embryo von der Rückenseite, so sieht man (Fig. 25) die rechte
Wand der Sinnesblase in der Mitte etwas eingeschnürt, und zu glei-
cher Zeit werden die Zellen des hinteren Theils nach hinten etwas
abgesetzt (Fig. 28). Etwas später sieht man im vorderen Theile
der rechten Hälfte, in dessen oberer Wand, das Auftreten von
schwarzem, körnigem Pigment in einer etwas vergrösserten und
schärfer begrenzten Zelle (Fig. 30 ot). Untersucht man diesen Embryo
von der Seite (Fig. 29), so findet man, dass das Pigment sich wirk-
lich in einer Zelle (ot) der oberen Wand ansammelt und zwar in
dem Ende der Zelle, welches nach der Höhle der Sinnesblase ge-
richtet ist; weiter sieht man auf derselben Figur, dass der hintere
obere Theil der Gehirnblase viel dünner geworden ist, dass densel-
ben zusammensetzende Zellen sich von der Rücken- auf die rechte
Seite bedeutend verschoben haben, und in der That, besieht man
diesen Embryo von der kückenseite etwa eine Viertelstunde später,
Weitere Studien über die Entwicklung der einfacheu Ascidien. 117
so erkennt man, dass die hintere rechte Hälfte der Sinnesblase so-
zusagen in eine Art Buckel (Fig. 31) auswächst, dessen Zellen jetzt
sehr deutlich sind, immer cylindrisch, aber viel enger geworden.
Die pigmentirte vordere Zelle hat sich unterdessen von der Rücken-
seite verschoben und liegt jetzt auf der rechten Wand der Blase.
Auf dem Stadium Fig. 29, 30, o.nl. beginnt die Bildung der Mund-
öffnung und der Kloaken, welcher wir hier nur Erwähnung thun,
um die Figur verständlich zu machen. Weiter schiebt sich die vor-
dere pigmentirte Zelle auf die rechte Seite der Blase und am
Grunde der Zellen des hinteren abgesetzten Theils der Blase er-
scheinen sehr feine Pigmentkörner (Fig. 31). Gleichen Schritt mit
diesen Veränderungen in der Zusammensetzung der rechten Wand
der Sinnesblase haltend sieht man auch in dessen linker Seite die
Verdickung des hinteren Theils (Fig. 31), welche bald sehr bedeu-
tend wird.
Die vordere pigmentirte Zelle, welche wir vermuthlich als
einen Gehörapparat gedeutet haben, schiebt sich von der rechten
. Wand der Blase nach unten, so dass sie auf den Boden der Blase
kommt, wie es die Fig. 32 uns zeigt. Auf der Fig. 34 sehen wir
dies Organ schon vollständig gebildet, sein Pigment, das Anfangs
in sehr feinen Pünctchen auftrat (Fig. 30), um später zu schwar-
zen, scharf umschriebenen Kugeln sich zu gestalten (Fig. 33), ist
jetzt zusammengeschmolzen und bildet eine hutartige Bedeckung
auf dem hellen Stiele. Das ganze Organ bildet sich blos aus einer
Zelle, und während des Auftretens des Pigments und selbst der Ver-
schiebung der Zelle auf die Seitenwand der Blase kann man noch
den Kern der Zelle beobachten, später aber schwindet er vollstän-
dig und der ganze Zellenkörper wird stark lichtbrechend. Kupffer
sagt, der Körper sei oval, ich möchte es lieber conisch nennen mit
den abgerundeten Rändern der Basis und der Anheftung mit dem
spitzen Ende. Das zweite Organ, oder das Auge, welches wir auf
der Figur 30 verlassen haben, setzt sich immer mehr von der Blase
ab und sieht jetzt wie eine Art Wulst aus (Fig. 31), dessen untere,
etwas vertiefte und in die Höhle der Gehirnblase mündende Basis
schon stark pigmentirt ist; von den Seiten beobachtet sieht man
die scharfe hintere Contour dieses Organs, welches das Nerven-
system von dieser Seite nun ganz bedeckt. Auf einem etwas wei-
teren Stadium zieht sich die Augenanlage in die Länge und wir er-
halten die Fig. 34, welche von mir in meiner früheren Abhandlung
M. Schultze, Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 7. 9
118 A. Kowalevsky:
angeführt wurde. Ich bin nun damals zu dem Irrthum gekommen,
dass ich die scharfe hintere. Grenze des Auges für das hintere Ende
des ganzen Nervensystems annahm; stellt man aber das Mikroskop
etwas tiefer ein, so sieht man darunter die Fortsetzung des Nerven-
rohrs zum Rumpfganglion. Die Zusammensetzung des Auges be-
steht noch immer aus sehr deutlichen Cylinderzellen, deren innere
Ränder stark pigmentirt sind. Es ist bis jetzt noch keine Spur von
der Linse zu beobachten.
Um unsere Beschreibung der Sinnesblase zu beendigen, müssen
wir noch über die Mündung der Sinnesblase in den Darm oder
Kiemenhöhle der Larve sprechen. Wir haben schon auf der Fig. 29
gesehen, dass das vordere Ende der Gehirnblase sich nach vorne
fortsetzt und dass die über dessen Fortsetzung liegenden Zellen der
Haut hier sich einstülpen. Vor der Einstülpung der Haut wird eine
Anzahl von scheibenförmig gelagerten Zellen der Haut von den
anderen dadurch unterschieden, dass in denselben gewisse feine Bläs-
chen auftreten, dann stülpt sich der centrale Theil der Scheibe
etwas ein und trifft mit der vorderen Fortsetzung der Sinnesblase
zusammen, die Zellenschichten der Scheibe und Gehirnblase ver-
schmelzen und es entsteht eine unmittelbare Mündung der Sinnes-
blase nach aussen. Gleich darauf aber trifft auch der bedeutend
nach oben ausgezogene Vorderdarm fast in derselben Stelle die Ein-
stülpung der Haut und verschmilzt auch mit derselben. Da nun
die Oeffnung des eingestülpten Theiles zum Mund wird, so bleibt
die Mündung der Gehirnblase etwas tiefer und wird zu der bekann-
ten Flimmerscheibe, von welcher aus die fliimmernde Bauchrinne be-
ginnt. Kupffer hat schon diese Mündung gesehen und erwähnt
derselben auf p. 40 seiner Schrift, hat aber ihre Entstehung nicht
verfolgt.
Die Larve, welche wir auf der Fig. 34 dargestellt haben, be-
wegt sich schon in den Eihäuten und durchbricht dieselben bald und
liegt dann noch eine Zeit lang auf dem Boden des Gefässes, nur
zitternde Bewegungen ausführend. Zu der Zeit bildet sich die Chorda
vollständig aus und es entsteht die Linse. Die Ausbildung der-
selben zu verfolgen ist mir nicht gelungen, und ich kann nur die
Vermuthung aussprechen, dass dieselbe aus drei Zellen entstehe, welche
sich an den am meisten nach Innen hervorragenden Rändern der Augen-
anlage bilden und aufdie Pigmentanhäufung schieben oder wachsen.
Mehrfach schien es mir, diese Bildung unmittelbar beobachtet zu
Weitere Studien über die Entwicklung der einfachen Ascidien. 119
haben, aber eine klare Idee über den ganzen Vorgang habe ich nicht
gewinnen können. Dass es aber eigentliche Epithelialzellen der Ge-
hirnblase sind, welche sich zu den verschiedenen Schichten der Linse
verwandeln, schliesse ich auch aus den Missbildungen der Linse, bei
denen die Linsenzellen weit von dem Pigment entfernt waren und
in der Reihe der andern Epithelzellen steckten.
Resumiren wir jetzt die von uns gegebene Beschreibung des
Nervensystems der ausgewachsenen Larve, so besteht dieselbe aus
der vorderen, sehr entwickelten Sinnesblase (Fig. 38), die grade auf
dem Rücken liegt und nur etwas nach rechts verschoben ist; diese
Blase communieirt nach vorne mit der Mundhöhle und setzt sich
nach hinten in das Rückenmark fort. Gleich hinter der Gehirnblase
beobachtet man einen verengerten Theil, hinter welchem sich das
Nervenrohr zu einem Rumpftheile oder Ganglion ausbreitet. Dieser
Theil liegt schon seiner ganzen Länge nach auf der Chorda, unter
welcher man den Oesophagus findet, und etwas weiter nach hinten
die Darmschlinge. Im Innern beobachtet man einen sehr feinen
Centralcanal; die denselben umgebenden Wandungen bestehen aus
rundlichen Zellen, in zwei oder drei Schichten gelagert; es schienen
mir aus diesem Ganglion einige Fäden zu den Seiten auszutreten.
Das Ganglion liegt etwas schief, von der rechten nach der linken Seite
sich richtend, und setzt sich nach hinten in das Nervenrohr des
Schwanzes fort, dessen Wandungen aus einer Reihe von platten
Zellen zusammengesetzt sind. Das Nervenrohr zieht sich auf die
Rückenseite der Chorda, fast bis zu deren Unterende. Es liegt in
einer Art Canal oder Rinne, deren Boden an der Chordascheide
und Rändern von den die Ehbrdn überragenden Muskelzellen gebil-
det ist (Figg. 38, 36).
Muskelsystem. Das erste Auftreten von Muskelzellen
haben wir in den Zellen mm Figg. 19 und 22 gesehen, welche vom
unteren Blatte stammend jederseits längs der Chorda gelagert sind
und nach unten an das Darmdrüsenblatt, nach oben an das Nerven-
rohr anstossen (Fig. 22). Die Zellen des Muskelblattes setzten sich
nach vorne, weiter als die Chorda reicht (Fig. 24, 25) und hier an
den Seiten des Vorderdarmes liegen (Figg. 25, 27, 28 und 30). Diese
Zellen sind anfangs fünf- bis sechseckig und liegen am hinteren
Ende des auswachsenden Schwanzes zu zwei (Figg. 23 und 25), je
mehr nach vorn zu drei jederseits des Schwanzes, am Rumpfe zu
4 und 5; wenn nun der Schwanz bedeutend auszuwachsen beginnt,
120 A. Kowalevsky:
werden diese Zellen immer mehr und mehr länglich, scheinen sich
aber nicht mehr zu vermehren; sie liegen zu drei jederseits des
Schwanzes, wo sie auch die Seiten der Darmdrüsenblattzellen und
des Nervenrohrs bedecken. Zur Zeit wenn zwischen den Chorda-
zellen die Chordasubstanz sich abzuscheiden beginnt, fangen die
Muskelzellen an, Contractionen auszuführen, und man bemerkt auf
denselben eine schwache Längsstreifung, welche immer deutlicher
wird; nach der Befreiung der Larve sieht man auch die Querstrei-
fen auftreten (Fig. 36), welche durch alle drei Zellen sich ununter-
brochen fortsetzen. Die vordersten Muskelzellen des Schwanzes be-
festigen sich an die Chorda etwas vor ihrem Vorderende (Fig. 38).
Da die Muskeln des Schwanzes nur jederseits der Chorda liegen,
so sind dieselben auch nur im Stande, den Schwanz nur nach der
einen und anderen Seite zu bewegen, es können keine Bewegungen
in vertikaler Richtung ausgeführt werden. Das sind die Verände-
rungen, welche diejenigen Zellen des mittleren Blattes durchlaufen,
welche zur Seite der Chorda liegen, resp. am Schwanze; was aber
die Zellen des mitleren Blattes anlangt, welche im Rumpfe die hin-
teren Seitentheile des Vorderdarms bedecken, so bilden sie sich nicht
zu Muskeln um, weil es keine Muskeln im Rumpfe bei den Asei-
dienlarven gibt. Diese Zellen, welche anfangs (Fig. 29) dicht an-
einander gedrängt liegen und die Form der sechseckigen Pflaster-
epithelzellen haben, beginnen auf dem Stadium Fig. 32 sich allmäh-
lig abzurunden, sondern sich und es treten in denselben grosse helle
Blasen auf. Diese Zellen erfüllen anfangs das hintere Ende des
Rumpfes, später aber rücken sie an die Seiten des Darmes bis an
das Vorderende der Larve und wie wir später sehen werden, bilden
diese Zellen die Blutkörperchen. Ich möchte hier nur bemerken,
dass bei der Larve von Doliolum auch solche Seitenstränge des
Muskelblattes zu beobachten sind, aber doch entwickeln sich aus
denselben die Ringmuskeln; bei den Ascidien treten diese Zellen
nur als embryonale Anlage der Muskeln auf, bilden sich aber nie
zu Muskelzellen um.
Da wir jetzt über die künftigen Blutkörperchen zu sprechen
begonnen haben, so wird es auch vielleicht am Orte sein, auch der
Darmdrüsenblattzellen, welche im Schwanze liegen, hier Erwähnung
zu thun, weil sie auch demselben Schicksal unterliegen; namentlich
sobald die Larve zuckende Bewegungen zu machen beginnt (Fig. 34)
bemerkt man, dass mit den im Schwanze liegenden Zellen des Darm-
Weitere Studien über die Entwicklung der einfachen Ascidien. 121
drüsenblattes dasselbe vorgeht, was wir schon für die Zellen des
mittleren Blattes, die im Rumpfe lagen, angegeben haben, nämlich
sie sondern sich, werden rundlich, es treten in denselben helle Blasen
auf und während der vollständigen Ausbildung der Chorda, sobald
die Larve frei zu schwimmen beginnt, werden sie eine nach der
anderen aus dem Schwanze verdrängt und gelangen in den hinteren
Theil des Rumpfes, wo sie sich nun anhäufen (Fig. 35 m‘). Bei ge-
lindem Drucke der Larve kann man diese Zellen wieder in den
Schwanz zurückdrängen, von wo aus beim Aufhören des Druckes
sie in den Rumpf hineintreten. So gehen nun also die Zellen des
Darmdrüsen- und mittleren Blattes, welche bei den Ascidien sich in
kein Organ entwickeln, in die Blutkörperchen über; sie spielen bei
den einfachen Ascidien keine wichtige Rolle, sind aber Embryonal-
anlagen, welche vielleicht eine Bedeutung haben werden bei der
Erklärung der Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den Organen
verschiedener Repräsentanten der Tunicaten.
Chorda. Es erübrigt aus dem Bereiche des mittleren Blat-
tes noch über die Chordabildung einige Worte zu sagen. Die erste
Anlage der Chorda wurde schon von uns besprochen; auf dem letz-
ten von uns beschriebenen Stadium (Fig. 19) bestand die Chorda-An-
lage aus zwei Reihen von Zellen in Form einer ovalen Scheibe; bei
dem Auswachsen des Schwanzes fangen die Zellen an sich zwischen
einander einzuschieben (Fig. 23 und selbst 20 von der Seite), bis
aus zwei Reihen von Zellen nur eine einfache Reihe entstand; jetzt
werden aber die Zellen sehr kurz und breit (Fig. 25). Weiter bei der
Verlängerung des Schwanzes ziehen sich die Zellen in die Länge,
indem sie dem entsprechend an Breite verlieren (Fig. 29). Es ent-
steht soweit eine Reihe von fast kubischen Zellen, zwischen denen
in schon bekannter Weise die Chordasubstanz gebildet wird. Was
die Zellen selbst anlangt, so liegen sie in der Chorda nur in einer
Reihe. Es wurde, wenn ich mich nicht irre, von Metschnikoff
angegeben, dass die Kerne in den Chordazellen während der Bildung
der Chordasubstanz schwinden; das kann ich nicht bestätigen, ich
sehe dieselben vielmehr persistiren und zuletzt die Chordascheide
zusammensetzen. So habe ich auch in meiner früheren Schrift die
Entstehung der Chordascheide beschrieben, was auch von Kupffer
bestätigt wird; dagegen finde ich, dass Gegenbaur!') mir eine
1) Grundzüge der vergleichenden Anatomie. 2. Auflage p. 175.
122 A. Kowalevsky:
sanz andere Ansicht über die Bildung der Chordascheide zuschreibt;
er sagt nämlich: »Die Anlage der Chorda geschieht durch eine ein-
fache Zellenreihe, die von einer bindegewebigen Scheide umgeben
sein soll«; nach dem Worte bindegewebigen wird ein Fragezeichen
gestellt, da ich aber nie eine ähnliche Entwicklung der Chorda-
scheide angegeben habe, so halte ich für passend, diesen Irrthum
hier zu corrigiren. Dass die Chordasubstanz keine Flüssigkeit, son-
dern eine festweiche Substanz ist, dafür hat Kupffer die besten
Beweise beigebracht. Ich habe auch dasselbe angegeben und auf
Taf. II die in Stücke zerbrochene Chorda abgebildet. Metschni-
koff zieht als einen Beweis an, dass die Chorda eine Flüssigkeit,
aber nicht eine besondere Substanz sei, dass bei der Einwirkung
von Essigsäure dieselbe sich so verhalte, wie auch die Flüssigkeit
in der Gehirnblase oder Sinnesblase, dass sie sich nicht verändere.
Das ist aber wirklich ein nichts beweisender Grund, Metschnikoff
möchte doch wohl auf demselben Präparate sehen können, dass die
Mantelsubstanz von der Einwirkung der Essigsäure sich auch gar
nicht verändert, und doch wird er dieselbe deshalb nicht für Flüs-
sigkeit erklären wollen.
Da es kaum jetzt Jemand bezweifeln wird, dass die Chorda
der Ascidien der Chorda der Wirbelthiere wie analog so auch ho-
molog sei, so halte ich für passend, hier noch auf ähnliche Gebilde
bei den andern Wirbellosen hinzuweisen. In meiner Schrift »Bei-
träge zur Entwicklung der Würmer und Arthropoden« !), bei der
Beschreibung der- embryonalen Entwicklung des Euaxes und Regen-
wurmes, habe ich gezeigt, dass das ganze Nervensystem dieser Wür-
mer aus dem oberen Blatte, aus besonderen Medularwülsten ent-
stehe, weiter dass das Neurilem aus dem mittleren Blatte abstamme
und dass auch die grossen riesigen Röhrenfasern (Claparede) ?),
die nach aussen von dem inneren Neurilem liegen, auch aus dem
mittleren Blatte stammen. Ihrer Abstammung, ihrer Lage (zwischen
dem Nervenstrange und dem Darme) und selbst ihrem Aussehen und
Structur nach sind dieselben vielleicht am meisten einer Chorda zu
vergleichen, was ich auch schon ausgesprochen habe. Es wäre aller-
dings von grösster Wichtigkeit, ihre Entwicklung Schritt für Schritt
1) Memoires de l’Acad. d. St. Petersbourg. 1870.
2) ıE. Claparede. Histologische Untersuch. üb. d. Regenwurm, Zeitschr.
f. wiss. Zool. B. XIX. p. 588—591.
IX
o
Weitere Studien über die Entwicklung der einfachen Ascidien. 1:
zu verfolgen, was mir nicht gelungen ist. Jedenfalls ist dasjenige,
was wir über diese Fasern wissen, besonders die Beschreibung von
Clapare&de und ihre Abstammung aus dem mittleren Blatte, einer
Vergleichung mit der Chorda sehr günstig. Claparede unter-
scheidet eine centrale helle Substanz oder Flüssigkeit und eine
Scheide. Wenn Claparede noch zweifeit, ob diese Fasern doch noch
vielleicht als Nervenfasern anzusehen sind, so ist ihre Entwicklung
aus dem mittleren Blatte ein so wichtiger Grund gegen ihre Nerven-
natur, dass ich dieselben keineswegs für Nervenfasern ansehen kann.
Darmkanal, Kloaken und Kiemensack. Das Darm-
drüsenblatt bildete auf der Fig. 21 einen am vorderen Ende geschlos-
senen Sack, dessen hinteres Ende nach hinten in eine Reihe von
zwei, unter der Chorda liegenden Zellen sich fortsetzte. Auf den
nächstfolgenden Stadien verändert sich die Darmanlage sehr unbe-
deutend, nur das vordere und hintere obere Ende des Vorderdarms
richten sich etwas nach oben (Fig. 25); weiter auf der Stadie
Fig. 29 rückt das Vorderende etwas mehr nach oben, wobei es um
den vorderen Theil der Gehirnblase herumwächst; hier begegnet es
sich mit der schon beschriebenen Mundeinstülpung und verschmilzt mit
derselben (Fig. 32). Es entsteht auf diese Weise eine ganz neue
Oeffnung, welche gar nichts mit der Einstülpungsöfifnung zu schaf-
fen hat; es bilden sich dabei, wie in der Oberhaut so auch in den
Darmwandungen neue Oeffnungen, welche früher nicht existirten und
in keiner Beziehung zur Einstülpungsöffnung sind. Wie auf dieser,
so auch auf allen von mir weiter zu beschreibenden Stadien besteht
die Darmanlage blos aus einer Schicht von Zellen, wie es die Zeich-
nungen deutlich zeigen. Schon auf früheren Stadien, während des
etwas nach oben gerichteten Wachsthums des hinteren Endes des
Vorderdarmes bleiben nur seine unteren Zellen mit den Zellen des
Darmdrüsenblattes, welche im Schwanze liegen, in Verbindung. Auf
der Fig. 29 sehen wir das hintere Ende des Vorderdarmes schon
bedeutend nach oben gewachsen, wo er auch zwischen den Anfang
der Chorda und der Sinnesblase eindringt. Der Zusammenhang der
Zellen des Darmdrüsenblattes (dd‘), welche im Schwanze liegen, mit
dem Vorderdarm ist noch immer zu sehen, die beiden Zellenreihen
treten bis an den Darm in der Gegend Fig. 29a. Auf den folgen-
den verschwindet dieser Zusammenhang vollständig und die Zellen
des Darmdrüsenblattes, welche im Schwanze liegen, erleiden die Ver-
wandlung, welche wir schon oben beschrieben haben und welche in
124 A. Kowalevsky:
ihrer Sonderung, dem sich Abrunden und der Umwandlung in die
künftigen Blutkörperchen besteht. Obgleich also der im Schwanze
liegende Theil des Darmdrüsenblattes keine Rolle in dem Aufbau
des Embryo der einfachen Aseidien spielt, so will ich hier erwäh-
nen, dass er mit dem Theile des Vorderdarms im Zusammenhange
steht, wo das Hinterende des Endostyl liegt, also ganz an derselben
Stelle, wo bei den Salpen und Pyrosomen der Darm sich ausstülpt
zur Bildung des Darmes der auswachsenden Knospen. Beobachtet
man diese Larve von oben, so sieht man, dass der hintere nach
oben gerichtete Theil des Darmes ziemlich gleichmässig an beiden
Seiten des Larvenkörpers liegt (Fig. 32 und 33). Aus dem vorde-
ren Theile der primitiven Darmanlage entwickelt sich nun der Kie-
mensack aus dem nach oben und hinten gerichteten Vorsprung
(Fig. 32, 34 d), der eigentliche Darm d.h. Oesophagus, Magen und
Darm. Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf den Vorsprung
d, so bemerken wir, dass bei weiterer Entwicklung er sich nach
unten und rechts krümmt (Fig. 34 und 35), der Theil ae zum
Oesophagus, der Theilm zum Magen wird; aus dem Magen wächst
nun noch links, dicht der unteren Wandung des Körpers anliegend,
ein neuer Vorsprung, welcher sich auf die linke Seite der Chorda
begibt und hier sich nach oben krümmend in der Nähe der linken
Kloaken-Einstülpung zu liegen kommt (Fig. 38 end). Während die-
ser Zeit bildet sich auch das Endostyl, welches ın Form einer dop-
pelten Verdickung der unteren Darmwand sich in Gestalt zweier
verdickten und an Vorder- und Hinterende ineinander übergehen-
den Lamellen der ganzen Ausdehnung des Kiemensackes entlang
zieht. Stellen wir das von uns Gesagte etwas zusammen, so be-
steht also das Darmsystem der ausgewachsenen Larve aus den fol-
genden Theilen: der Mund (o), welcher am Rücken liegt und von
welchem ein enger Gang in den Kiemensack — Mundhöhle — führt;
am Kiemensacke unterscheidet man das Endostyl; aus dem oberen
mittleren Theile des Kiemensackes, in der Gegend unmittelbar unter
dem hinteren Ende der Sinnesblase, tritt der Oesophagus (oe) auf,
welcher sich nach rechts begibt und in den Magen einmündet
(Fig. 38 m); aus dem letzteren setzt sich nach rechts ein kurzer
und dicker Darm fort (d), welcher in der Nähe der Kloakenanlage
blind endigt. Die Wandungen des ganzen Darmcanals, sowie auch
des Endostyls bestehen aus einer Reihe cylindrischer Zellen.
Es bleibt uns noch die Bildung der Kloaken und der Kiemen-
Weitere Studien über die Entwicklung der einfachen Asecidien. 125
spalten zu verfolgen, welche schon während des Larvenlebens auf-
treten. Wir haben schon oben bei der Beschreibung der Gehirn-
blase darauf aufmerksam gemacht, dass hinter derselben, zu beiden
Seiten des engeren Theils des Nervensystems, welches die Gehirn-
blase mit dem Rumpfganglion verbindet, sich zwei scheibenförmige
Einstülpungen der Haut bilden. Die Bildung dieser zwei Hautein-
stülpungen geht ganz in derselben Weise wie die Bildung der Mund-
öffnung vor sich, namentlich bemerkt man erstens, dass die scheiben-
förmig gelegenen Zellen ein etwas körniges Aussehen bekommen
(Fig. 30 kl), und dann weiter das Centrum der Scheibe sich einzu-
stülpen beginnt; die Figg. 31, 32 kl zeigen verschiedene Stadien
dieser Einstülpungen. Bei der aus dem Eie ausschlüpfenden Larve
haben dieselben die Form, wie es die Fig. 34 darstellt, und ihr Bo-
den stösst an einen hervorgehobenen oder genauer ausgestülpten
Theil des Vorderdarms. Diese beiden Hauteinstülpungen wurden
von Metschnikoff Kloakenbläschen genannt. Metschni-
koff hat aber ihre Entstehung nicht verfolgt. Kupffer sind die
beiden Kloakeneinstülpungen unbekannt geblieben; er spricht nur
von Anus, welchen er an derselben Stelle zeichnet, wie ich es in
meiner früheren Schrift gezeichnet habe, beschreibt aber diese Bil-
dung als eine Einstülpung der Haut ganz genau d. h. in derselben
Weise wie die Entstehung der Mundöffnung; er gibt aber an, dass
sich nur eine solche Scheibe — wie er sie nennt — bildet, es ent-
stehen aber zwei, die Mundöffnung nicht gerechnet. Bei der Asc.
mammillata verschmilzt die Kloakeneinstülpung nicht sogleich mit
dem Enddarme, wie es Kupffer für die A. canina angibt, sondern
ich habe noch lange nach der Entstehung der Kiemenspalten den
Enddarm blind endigen sehen (Fig. 38), obgleich sein Ende ganz
dicht an die Kloakenwand gedrängt war. — Es bleibt uns noch
jetzt zu erklären, welchen Antheil die Einstülpungen an der Bildung
der Kiemenspalten nehmen; dazu müssen wir aber zu dem Sta-
dium, welches auf der Fig. 34 dargestellt ist, zurückkehren. Man
beobachtet an diesem Stadium, dass der obere Theil des Vorder-
darms sich an beiden Seiten als zwei Falten erhebt, welche bald so
gross werden, dass sie einen Theil der Gehirnblase von den Seiten
bedecken und ihr hinteres Ende (Fig. 34) jederseits dicht an die
durch Einstülpung entstandene Kloake stösst. Nach dem Ausschlüp-
fen der Larve verschmilzt das Hinterende dieser Falte (Fig. 38)
mit dem eingestülpten Theile der Kloake, und eine Zeitlang später
126 A. Kowalevsky:
wächst aus der Falte ein zweiter blinder Fortsatz hervor, der auch
mit dem Boden der Einstülpung verschmilzt. Die länglichen Spal-
ten ks Figg. 37 n, 38 stellen also jetzt diejenigen zwei Kiemenspalten
dar, welche nur nach der Metamorphose ihre volle Entwicklung er-
langen. Sie sind die zwei ersten Kiemenspalten, welche von allen
Forschern an der jungen Ascidie angetroffen werden. Der Raum
(Figg. 37, 38 bb) zwischen den beiden Kiemenspalten stellt den Canal
dar, durch welchen nach dem begonnenen Kreislaufe die Blutkör-
perchen zwischen den Kiemenspalten durchtreten.
Was die Lagerung der Analöffnung anlangt, so ist sie bei den
Aseidienlarven auf die Seite geschoben, dagegen bei den einfachsten
Tunicaten, bei den Appendicularien, liegt sie ganz nach unten, unter
der Anheftung der Chorda, und zu deren Seiten münden die beiden
Kiemenspalten oder Kloakenöffnungen.
Es wird allgemein angegeben, dass die Entwicklung des Her-
zens erst in der Ascidie beginnt, es ist aber nicht so; schon an
den aus dem Eie ausgeschlüpften Larven kann man ganz deutlich
die Anlage des Herzens in Form eines länglichen und geschlosse-
nen Bläschens an der rechten Seite des Endostyl beobachten (Fig.
35 h). Die weitere Entwickelung geht nach der Anheftung der
Larve vor sich.
Bevor ich die Beschreibung der Larve verlasse und zur Bildung
der Ascidie mich wende, will ich noch über die Abstammung der
Leibeshöhle der Larve einige Worte sagen. Vergleichen wir die Fi-
guren von der beginnenden Einstülpung des unteren Blattes (Figg.
5 und 6) bis zur reifen Larve (Fig. 35), so finden wir überall die
scharfe Grenze, durch welche die Haut von dem darunter liegenden
Organe getrennt ist. Auf der Fig. 5 stellt es noch den Rest der
Furchungshöhle dar, welche allmälig zu einem einfachen Spalt zwi-
schen dem oberen und unteren Blatt zusammengedrückt wird; in
dieser Spalte lagern sich die aus den Zellen des mittleren Blattes
abstammenden Biutkörperchen und schon bei der entwickelten Larve
drängen sich dieselben zwischen Darmwandungen und Haut bis an
das Vorderende. Da später der Spalt oder Raum, wo diese Zellen
— Blutkörperchen — liegen, zur bleibenden Leibeshöhle der Asci-
die wird, und da rückwärts dessen Abstammung aus der Fur-
chungshöhle auf den Figuren sehr leicht zu verfolgen ist, so kann
man als bewiesen ansehen, dass bei den Ascidien die Leibeshöhle
doch aus der Furchungshöhle abstamme. Bei den höheren Wirbel-
Weitere Studien über die Entwicklung der einfachen Ascidien. 127
thieren entsteht durch Spaltung des mittleren oder Muskelblattes
eine ganz neue Höhle, welche zur bleibenden Leibeshöhle wird und
den Rest der Furchungshöhle verdrängt.
PS. Als ich diesen Aufsatz absenden wollte, erhielt ich einen
Brief von Metschnikoff aus S. Wast vom 24. Juni, in welchem
er mir mittleilt, dass nach neuen Untersuchungen der Ascidien-
entwicklung er in zwei Hauptpuncten sich meiner Ansicht anschliesst,
nämlich: dass aus der hufeisenförmigen Anlage die aus zwei Zellen-
reihen anfangs gebildete Chorda entsteht, und dass das Nerven-
system aus dem oberen Blatte abstamme. Damit werden meine und
Metschnikoff’s Untersuchungen in den Hauptpuneten überein-
stimmen.
Neapel, 2. Juli 1870.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. X, Xi, XI, XIM.
Warte] X.
Fig. 1, 2, 3, 4 bei Vergrösserung von 505 gezeichnet.
Fig. 1. Junger Eierstocksfollikel. a Follikelepithelzellen. b der noch
ganz durchsichtige Inhalt des Eies. ce Kern oder Keimbläschen. d Nucleo-
lus oder Keimfleck.
Fig. 2. e die in den Dotter eintretenden Epithelzellen des Follikels.
b in dem Dotter treten schon Fettkörnchen auf.
Fig. 3. e die in den Dotter eingetretenen Follikelepithelzellen haben
sich bedeutend vermehrt und bilden eine fest zusammenhängende Schicht um
den Dotter.
Fig. 4+ e die Testazellen, welche jetzt in Form eines grünlich
oder gelb gefärbten Cylinder-Epitheliums den Dotter umgeben. a äussere
Follikelepithelzellen; b deren Kerne.
Die folgenden Figuren dieser Tafel sind bei Vergrösserung 290 ge-
zeichnet.
Fig. 5. Eine Seite des gefurchten Eies oder des eischichtigen Blasto-
derms stülpt sich in die andere ein. fh Furchungshöhle.
Fig. 6. Eine Seite des Blastoderms hat sich in die andere eingestülpt.
b ac unteres Keimblatt. bdc äusseres Keimblatt.
Fig. 7. Ein optischer Längsschnitt desselben Eies. fh Rest der Fur-
chungshöhle.
128 Erklärung der Abbildungen auf Taf. X, XI, XIL, XI
Fig.8. Ein etwas mehr entwickeltes Ei von der Rückenseite betrach-
tet. eo die Einstülpungsöffnung, welche schon etwas nach hinten gerückt
ist; e dessen vorderer, b dessen hinterer Rand.
Fig. 9. Ein noch mehr entwickeltes Ei. eo die Einstülpungsöffnung.
ch Zellen der Chorda-Anlage, welche dem unteren Blatte angehören. u obe-
res Blatt.
Fig. 10. Optischer Längsschnitt desselben Eies. ch die zwei Zellen
der Chorda-Anlage, welche vor der Einstülpungsöffnung liegen.
Fig. 11. Optischer Querschnitt durch das hintere Ende desselben
Embryos. oe Einstülpungsöffnung; ch zu dessen Seiten liegende Zellen der
Chorda-Anlage. m unteres Blatt, u oberes Blatt.
Fig. 12. Ein schon bedeutend verlängerter Embryo. ae Einstülpungs-
öffnung. dd Zellen des Darmdrüsenblattes. ch Zellen der Chorda-Anlage.
rare le Rate
Die Figuren 13 bis 26 sind bei Vergrösserung von 290 gezeichnet, die
Figuren 27 und 28 bei Vergrösserung 375.
Fig. 13. eo Einstülpungsöffnung. r Ränder der Rückenfurche; der
hintere Rand der Rückenfurche bedeckt einen Theil der schon sehr klein ge-
wordenen Einstülpungsöffnung. ch die durchschimmernden Chordazellen.
Fig. 14. Derselbe Embryo im optischen Längsschnitte. eo Einstül-
pungsöffnung. ch die zwei inneren Zellen der Chorda-Anlage. dd Darm-
drüsenblatt.
Fig. 15. Ein etwas mehr entwickelter Embryo, die Rückenfurche in
seinem hinteren Theile geschlossen. r Ränder der Rückenfurche. Der Boden
der Furche ist dunkel gezeichnet.
Fig. 16. Optischer Längsschnitt desselben Embryo. eo spaltförmiger
Rest der Einstülpungsöffnung. f der faltenartig erhobene hintere Rand der
Rückenfurche, aus zwei Epithelialschichten bestehend; dessen innere obere
Wand das Nervenrohr bildet und unmittelbar in das Dartdrüsenblatt über-
geht; die obere bildet die Haut.
Fig. 17. Querschnitt desselben Embryo aus dem vorderen Ende des
Embryo. dd Darmdrüsenblatt. rf Rückenfurche. h Haut.
Fig. 18. Ein noch mehr entwickelter Embryo, die Rückenfurche in
ihrem ganzen hinteren Theile geschlossen und nur vorn bleibt noch eine
grosse Oeffnung; man unterscheidet am Nervenrohre zwei Theile 'oder Bla-
sen, den vorderen a, den hinteren b.
Fig. 19. Derselbe Embryo bei etwas tieferer Einstellung des Mikros-
kops.. ch Chordascheibe. m Muskel- oder mittleres Blatt. dd Darm-
drüsenblatt.
Fig. 20. Derselbe Embryo im optischen Längsschnitt. ch Chorda,
deren Zellen zwischen einander wachsen. dd Darmdrüsenblatt. welches den
Vorderdarm bildet. dd‘ die Darmdrüsenblattzellen, welche unter der Chorda
liegen. en die obere Wand des sich schliessenden Nervenrohrs; die Zellen-
Erklärung der Abbildungen auf Taf. X, XI, XII, XIII. 129
schicht n setzt sich nach hinten in dem Darmdrüsenblatt fort; die Zellen-
schicht e ist die Haut.
Fig. 21. Derselbe Embryo von unten gesehen, bei der etwas tieferen
Einstellung des Mikroskops. Bezeichnung wie Fig. 20. m mittleres oder
Muskelblatt.
Fig. 22. Optischer Querschnitt durch den hinteren Theil desselben
Embryo. n Nervenrohr. ch Chorda. mm Muskelblatt oder Muskelzellen.
dd‘ Darmdrüsenblattzellen.
Fig. 23. Ein noch entwickelter Embryo, von der Seite gesehen.
n nach vorne offenes Nervenrohr, welches nach hinten bis zum hinteren Ende
der Chorda reicht. dd Vorderdarm. dd‘ Darmdrüsenblattzellen. ch Chorda.
m Muskelzellen. r Rest der Rückenfurche.
Fig. 24. Derselbe Embryo, von oben gezeichnet. a vordere oder
Gehirnblase; b zweite Gehirnblase oder Rumpfganglion: b‘ dritte Nerven-
blase oder Rückenmark.
Fig. 25. Ein bedeutend mehr entwickelter Embryo mit schon aus-
gewachsenem Schwanze. Die Chordazellen liegen jetzt in einer Reihe und
haben die Form von sehr flachen Scheiben. Die Nervenröhre ist schon voll-
ständig geschlossen.
Fig. 26. Optischer Querschnitt durch das hintere Ende des Schwan-
zes, wo nur zwei Muskelzellen jederseits liegen.
Fig. 27. Ein etwas mehr entwickelter Embryo von dem Rücken aus
gesehen, bei stärkerer Vergrösserung. h Haut oder äusseres Epithelium.
m Muskelblatt. dd Vorderdarm, dessen vorderes Ende o nach oben gerich-
tet erscheint. gb Gehirnblase; gb‘ zweite Gehirnblase oder Rumpfganglion.
Fig. 28. Ein etwas mehr entwickelter Embryo; die rechte Seite der
Gehirnblase schnürt sich in zwei Theile, der hintere, etwas hervorragende
Theil ist die Anlage des Auges.
Marke) xuI:
Die Figuren 29, 30, 31, 32, 33 und 34 sind bei Vergrösserung 375 ge-
zeichnet, die Figur 35 bei Vergrösserung 505, die Figur 36 bei Vergrösse-
rung 730.
Fig. 29. Eine bedeutend entwickelte Larve.e h Haut. o die begin-
nende Einstülpung der Mundöffnung. dd Vorderdarm. dd‘ Darmdrüsen-
blattzellen im Schwanze. m‘ Zellen des mittleren Blattes im Rumpfe. m Zel-
len des mittleren Blattes oder Muskelzellen "des Schwanzes bedeutend ver-
länger. Rm Rückenmark. Rg Rumpfganglion. Gb Gehirnblase. ot Oto-
lithanlage. ch Chorda.
Fig. 30. A Anlage des Auges in der Gehirnblase. Kl Anlage der
Kloakeneinstülpungen. Die übrige Bezeichnung wie Fig. 29.
Fig. 31. hp Haftpapillen. p Pigment. Die übrigen Bezeichnungen
wie Fig. 29.
Fig. 32. Die Zellen des mittleren Blattes im Rumpfe beginnen sich
130 Erklärung der Abbildungen auf Taf. X, XI, XII, XII.
abzurunden. Chs das Auftreten der Chordasubstanz. f Zusammenhang der
Höhle der Gehirnblase mit der Kiemenhöhle. Kl Kloakeneinstülpungen.
Fig. 33. Derselbe Embryo von oben.
Fig. 34. Eine aus dem Eie ausschlüpfende Larve. kh Kiemenhöhle.
d der auswachsende Darm.
Fig.35. Eine schon ein paar Tage freischwimmende Larve, von unten
gesehen. ch Chorda. m Blutkörperchen. en Endostyl. kr Kiemensack.
Ks, ks den beiden Kiemenspalten entsprechende Auftreibung des Kiemen-
sackes. d Darm, die Anlage des Oesophagus und Magen. d‘ Enddarm.
h Herzanlage.
Fig. 36. Ein Theil des Schwanzes, von der Seite gesehen, bei sehr
starker Vergrösserung. e Epithelzellen. ff in denselben auftretende stark
lichtbrechende Körperchen. Rm Rückenmark. m die in drei Reihen liegen-
den Muskelzellen.
Tafel XIII
Die Figuren sind bei Vergrösserung 375 gezeichnet.
Fig. 37. Eine schon zwei Tage frei schwimmende Larve. hp Haft-
papillen. o Mundöffnung. f der Zusammenhang der Gehirnblase mit der
Kiemenhöhle en Endostyl. d Darm. ks Kiemensack. 1ks erste Kiemen-
spalte. 2ks zweite Kiemenspalte. bb Eintritt in die Blutbahn zwischen den
beiden Kiemenspalten. klm Kloakenmündung. b Blutkörperchen. Gb Ge-
hirnblase. Rg Rumpfganglion. Rm Rückenmark. Ch Chorda. Chs Chorda-
scheide.
Fig. 38. Derselbe Embryo von oben. end Enddarm. m Muskeln im
Schwanze. Die übrigen Bezeichnungen wie in Fig. 37.
Ueber Schwärmerbildung bei Noctiluca miliaris.
Von
Prof. L. Cienkowski.
Hierzu Taf. XIV und XV.
Die Entwicklungsgeschichte der Noctiluca ist zur Zeit noch
sehr mangelhaft bekannt: die Vermehrung durch Theilung und
innere Knospenbildung ist fast Alles, was wir über diesen Gegen-
stand besitzen. Die Theilung war vollständig von Baddeley!) be-
obachtet und abgebildet, dagegen ist die von Busch?) ausgespro-
chene Vermuthung, dass die jüngsten Stadien der Noctiluca von
inneren Keimkörpern herstammen, thatsächlich nicht bewiesen.
Gosse’s®) Arbeit, die die Vermehrung durch innere Knospen be-
stätigen soll, habe ich leider mir nicht verschaffen können.
Am Schlusse des Aufsatzes über Noctiluca erwähnt Busch‘),
dass er unter genannten Thierchen oft runde, durchsichtige Schei-
ben, die an Grösse, Consistenz und Leuchtvermögen den Noctiluken
glichen, zahlreich auffand. Ihr Inhalt war fast ganz homogen,
nur an einem sehr kleinen Segmente oben bemerkte man viele gelb-
liche Fortsätze. In welchem Zusammenhang erwähnte Körper mit
den Noctiluken stehen, blieb von Busch unermittelt.
Diese Körper sind Gegenstand vorliegender Untersuchung, die
1) Quarterly Journ. of mieroscop. Sc. 1857 p. 189.
2) Untersuch. wirbelloser Thiere p. 104.
3) Rambles on the Devonshire coast 1853.
4) l. c. p. 105, T. XV Fig. 22, 23.
132 L. Cienkowski:
ich im verflossenen Frühling während der Monate April und Mai
auf der Insel Prinkipo bei Constantinopel anstellte.
Ohne die oben eitirte Stelle aus Busch’s Aufsatz damals zu
kennen, wurde meine Aufmerksamkeit bald auf Blasen gerichtet,
die obwohl wie Noctiluken aussahen, jedoch der Geissel, der Mund-
vertiefung und des Nucleus entbehrten. Sie waren inhaltarm, statt
dessen trugen sie an ihrem Scheitel eine Scheibe, die aus lauter
kleinen, ovalen oder halbmondförmigen Körperchen bestand. Die
Scheibe nahm gewöhnlich den dritten Theil der Kugeloberfläche ein,
es kamen aber auch bedeutend kleinere vor; ihr Umriss war rund,
unregelmässig ausgezackt, viel seltener begegnete man schmalen,
gürtelartig die ganze Kugelhälfte umfassenden Scheiben (Fig. 1, 2, 3).
Die Körperchen, die sie zusammensetzen, liegen dicht aneinander-
gedrängt, blos an einigen Stellen leere Lücken hinterlassend. In
kleineren Scheiben sind sie in wurmartigen Linien oder offenen Krei-
sen gestellt (Fig. 18). Diese Körperchen ragen über die Blase mit
ihren zugespitzten Enden empor, mit der abgerundeten Basis sind
sie in das unterliegende dichte Protoplasma eingebettet, welche sich
nach unten längs den Wänden in zahlreiche, sehr feine Strahlen
und Netze vertheilt. Die scheibentragenden Blasen sind in Grösse,
Consistenz, dem Leuchtvermögen, zum Theil in der Anordnung des
Inhalts, besonders in den ersten Stadien der Scheibenentwickelung,
ferner in der Leichtigkeit, mit ‚welcher sie bei leisester Berührung
zahlreiche Falten bilden und einschrumpfen, vollständig den Nocti-
luken ähnlich, und ich stehe nicht an, sie als identisch mit densel-
ben zu erklären. Der Umstand, dass sie keine Geissel, keinen
Nucleus besitzen und der Mundvertiefung entbehren, hat wenig Be-
deutung, da man oft Noctiluken ohne Geissel mit gewölbter Mund-
stellung zur Ansicht bekommt; auch werden Exemplare, die statt
des sogenannten Nucleus einen starken Plasmastrang aufweisen, nicht
selten gefunden.
Betrachten wir jetzt näher die Structur der aus der Scheibe
hervorragenden Körperchen.
Bei starker Vergrösserung unter Deckglas betrachtet, erblickt
man am Rande der untersuchten Scheibe einen Dickicht langer,
schwingender Cilien, die von der Basis der hervorragenden Körper-
chen ihren Ursprung nehmen (Fig. 4). Hat man reife Stadien zur
Beobachtung gewählt, so gelingt es, die Körperchen nach und nach
die Scheibe verlassen und frei im Wasser nach der Art der Algen-
Ueber Schwärmerbildung bei Noctiluca miliaris. 133
zoosporen herumschwimmen sehen (Fig. 5—10). Diese Schwärmer
sind 0,016—0,022 Mill. lang und 0,012 Mill. breit; ihre Form er-
innert an junge Hutpilze. Sie bestehen aus einem schief auf dem
Stiel aufgesetzten Kopfe (Fig. 5, 6 k); der Stiel bildet eine flache,
etwas gewölbte Blase, die an einer der schmalen Seiten einen stark
verdickten Stachel trägt. Der breite Theil desselben geht ununter-
brochen in den Kopf über, der zugespitzte”ragt mehr oder weniger
über die Blase nach unten hervor (Fig. 5—10, s, t). Der Kopf,
wie schon erwähnt, hat eine schiefe, sehr verschieden geneigte Stel-
lung, sein Rand bildet eine schräg umlaufende Leiste, die bei der
Seitenansicht zahnartig über den Stiel hervorragt (Fig. 8, 9). Wo
die innere Seite des Stachels mit der Kopfleiste zusammentrifft, oder
auch etwas höher, ist die verhältnissmässig dicke, sehr lange Cilie
angeheftet (Fig. 5—10 w). Wasden Inhalt des‘ Schwärmers betrifft,
so findet man beständig in der Stielblase einen grossen, nucleus-
artigen Körper; ausserdem enthielt sie, wie auch der Kopf einige
zerstreute Schleim- und Fetttröpfchen (Fig. 8, 9 n); fremde Gegen-
stände im Innern wurden nie angetroffen. Die oben beschriebene
Structur hat der Schwärmer, wenn er noch in der Scheibe befestigt
ist, oder kurz nach dem Austritt aus derselben; bei längerem Herum-
schwimmen wird seine Spitze abgerundet, der Stachel unmerklich
und er bekommt eine an die Colpoda erinnernde Form (Fig. 8, 9).
Während der Bewegung richtet der Schwärmer den Kopftheil voran,
die Cilie nachschleppend; beim Absterben verkürzt sich letztere,
stellenweise knotenartig anschwellend.
Bevor wir den Versuch machen, über die Bedeutung dieser
für die Noctiluca räthselhaften Bildungen eine Ansicht auszuspre-
chen, müssen wir zuerst ihre Entwickelung wo möglich lückenlos
verfolgen.
Zu diesem Zwecke benutzte ich frische Noctiluken, die ich auf
dem Objectträger durch mehrere Stunden hindurch im Wassertrop-
fen untersuchte; die Beobachtung an einem und demselben Exem-
plare von Anfang an bis zum Austritt der Schwärmer zu verfolgen,
ist unmöglich, da die Noctiluken im günstigen Falle über 12 Stun-
den in Wassertropfen nicht leben können, gewöhnlich aber schon
nach einer viel kürzeren Zeit zusammenschrumpfen; es gelingt
jedoch, auf dem Objectträger den Uebergang einiger wichtigeren
Entwickelungsstadien in die nächsten direkt zu beobachten. Der
Erfolg scheint hier, sowie auch bei der unten beschriebenen Copu-
M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Auatomie. Bd. 7. 10
134 L. Cienkowski:
lation hauptsächlich dadurch bedingt zu sein, dass man die Nocti-
luken in Wassertropfen in sehr feuchtem Raume kultivirt und die
Berührung mit trockener Luft wo möglich beseitigt.
Als jüngste Zustände der Scheibenbildung betrachte ich die
sehr selten vorkommenden, auf Fig. 13 abgebildeten Exemplare.
Es sind bisquitartige Blasen ohne Geissel, ohne Mundvertiefung, mit
zwei stark hervorragenden Lappen, deren jeder ein paar zum Theil
noch vereinigter Protoplasma-Ballen, die nach allen Seiten in weit
verzweigte Strahlen auslaufen, enthält.
Darauf wahrscheinlich folgendes Stadium zeigte 4 stark her-
vorgewölbte Lappen (Fig. 14) mit am Scheitel verdichtetem Proto-
plasma, das sich sonst wie bei normalen Noctiluken längs den Wän-
den in feinste Strahlen und Netze vertheilte. Bei der Seitenansicht
wurde es deutlich, dass die Umrisse der Lappen mehr oder weniger
tief sich fortsetzten, ja selbst den entgegenliegendeu Rand erreich-
ten, so dass es schien, die untersuchte Noctiluca bestände aus eini-
gen zusammengewachsenen Exemplaren.
Die weiter in der Scheibenbildung vorangegangenen Individuen
besassen 8, 16, 32 meist mit breiter Basis aufsitzende Hügel oder
Kämme, die ausdrücklich als Hervorstülpungen der sie tragenden
Blase zu erkennen waren (Fig. 15, 16). Die Wand der Noctiluca
setzt sich ununterbrochen in die der Hügel fort, ebenso das Proto-
plasma. Zahlreiche Falten, die man an den Hügeln in verschiede-
nen auch späteren Stadien so oft findet, beweisen, dass ihre Ober-
fläche von einer dichteren Substanz als das in ihnen eingeschlossene
Protoplasma besteht, obwohl beide ohne scharfe Grenze in eimander
übergehen. Ueberhaupt ist eme reiche Faltenbildung um die ent-
stehende Scheibe eine gewöhnliche Erscheinung (Fig. 16, 17).
Die uns hier beschäftigenden Ausstülpungen oder Hügel sind
nicht ohne Ordnung auf der Noctiluca zerstreut, vielmehr nehmen
sie eine regelmässige Stellung ein; die Hügel bilden einen Gürtel,
wo sie gruppenweise zu vier vereinigt um den Scheitel der Blase
sich hinziehen (Fig. 15). Solche Anordnung schien anzudeuten, dass
jede Hügelgruppe durch Theilung einer vorangegangenen grösseren
Wölbung entstand. Diese Vermuthung liesse sich denn wirklich
durch direkte Beobachtung constatiren. An einer jungen Scheibe,
die aus 32 in 8 Gruppen gestellten Hügeln bestand, habe ich wäh-
rend einiger Stunden in kleinen Zwischenpausen die Theilung der
Hügel genau verfolgen können. Sämmtliche Hügel waren‘ hier
Ueber Schwärmerbildung bei Noctiluca miliaris, 135
wie auch bei früheren Stadien vom Protoplasma erfüllt, einige ein-
gen noch continuirlich in den Inhalt der Noctiluca über, andere
schieden sich schon deutlich ven denselben ab. Die Umrisse der
Hügel von oben gesehen waren sehr mannigfaltig: rund, oval, un-
regelmässig, wurmförmig, gelappt (Fig. 20, 21). In den letzten For-
men vollzog sich grade die Theilung, welche auf die übliche Art
durch Abschnürung ausgeführt wurde (Fig. 20 f,0,r,s; 21). Das-
selbe Verfahren wurde angewandt, um die neu entstandenen Hügel
von dem gemeinschaftlichen Protoplasma abzutrennen (Fig. 22, 23 v).
Gewöhnlich wird ein kegelförmiger Hügel in 2 neue zerlest (Fig.
20t,1,k); stellt er dagegen einen emporragenden Kamm dar, so
zerfällt er gleichzeitig in mehrere Theile (Fig. 21). Auf diese
Weise wird eine Gruppe, die aus vier Hügeln besteht (Fig. 20 A),
nach einigen Stunden in 8, 16, 32 hervorragende, von dem
unterliegenden Protoplasma abgegrenzte Fortsätze, die sich noch
mehrere Male weiter theilen können, umgebildet (Fig. 20 A‘, A“).
Dieses wiederholt sich in jeder Gruppe (Fig. 20 B, B‘, B“). Je
weiter die Theilung vorschreitet, desto kleiner werden die Fortsätze
(Fig. 17, 18), desto mehr bekommen sie eine gebogene, an einem
Ende zugespitzte Form. Gleichzeitig werden auch die von einander
abstehenden Gruppen, wahrscheinlich durch Contraction des sie ver-
bindenden Protoplasma susammengerückt, die Scheibe mit den Schwär-
mern, von welchen unsere Untersuchung ausging, bildend. Dabei
schreitet die Reifung der Schwärmer vom Centrum gegen die Peri-
pherie fort. Während die an dem Umkreise der Scheibe gelegenen
Hügel noch in reger Theilung begriffen sind, schwingen schon in
ihrer Mitte die Cilien der fertigen Schwärmer. Bei schädlichen
Einflüssen fällt die reifende Scheibe zusammen und löst sich von
der Blase vollständig ab (Fig. 19).
In den meisten Fällen wiederholt sich der geschilderte Vor-
gang, die Abweichung von der Norm scheint in einer beschleunigten
Entwickelung zu bestehen, die sich durch starke, wurmförmige Wu-
cherungen mit regelmässig aufsitzenden oder ohne Ordnung auf
ihnen zerstreuten Ausbuchtungen kund gibt (Fig. 24).
Ueberblicken wir jetzt noch einmal die ganze Entwickelungs-
reihe. Die Schwärmer sind weiter ausgebildete Fortsätze; diese ent-
stehen durch Theilung der Hügel; die letztern stellen wiederum
Theile grösserer Ausstülpungen der Noctiluca vor; das Protoplasma
wird stets in die Bildungsreihe aufgenommen. Sicher können wir
136 L. Cienkowski:
die junge Scheibe hinauf bis zu 8 und 16 gruppenweise angeord-
neter Hügel verfolgen (Fig. 15). Mit grosser Wahrscheinlichkeit
darf man wohl schliessen, dass diese 8 und 16 Hügel aus den ur-
sprünglichen 2 und 4 Wölbungen (Fig. 13, 14) entstehen, direct
wurde dieses noch nicht bestätigt. — Wie dem auch in Bezug auf
die allerfrühesten Zustände der Scheibe sein mag, so sind wir
nach dem oben Mitgetheilten berechtigt, die Schwär-
mer als Abschnürungen kleinster, mit Protoplasma er-
füllter Theile der Noctiluca-Blase aufzufassen.
Gestützt auf die oben vorgeführten Thatsachen, die uns mit
der Structur und Entwickelung der in Noctiluca entstehenden Schwär-
mer bekannt machen, können wir zuletzt die Frage berühren:
Welche Bedeutung haben diese Schwärmer? Sind es Zoosporen
der Noctiluca, oder möglicherweise Keime eines in ihr nistenden
Fremälings ?
Der Beweis des genetischen Zusammenhanges unserer Schwär-
mer mit der Noctiluca würde geführt sein können, wenn wir wenig-
stens über einen der folgenden Punkte vollständig im Klaren wären.
1) Besitzt der Schwärmer Structurverhältnisse oder Organe, die man
auch bei den schon bekannten jungen Noctiluken findet? 2) Was
wird aus dem Schwärmer? 3) Steht es unzweifelhaft fest, dass
er aus dem Inhalte der Noctiluca sich bildet?
Die erste Frage führt uns zu der Betrachtung der frühesten,
von anderen Forschern untersuchten Entwickelungsstadien. Wie
bekannt, hat Busch junge Noctiluken aufgefunden, die eine Geissel
und ein stabförmiges, hervorragendes Organ trugen !). Diese Gebilde
sucht der genannte Forscher von anderen, die des Stabes ermangel-
ten und blos mit der für die Noctiluca characteristischen Geissel ver-
sehen waren, abzuleiten); letztere Entwickelungsstufe solle schliesslich
von einem besonderen Keimkörper abstammen. Wir sind genöthigt,
uns blos an die stabtragenden Gebilde zu halten, da die geissel-
besitzenden ungenügend bekannt und ausser dem zugespitzten Ende
keinen Vergleich mit unserem Schwärmer erlauben. Dagegen scheint
er mit dem stabtragenden Stadium in nächster Beziehung zu stehen.
Es ist wahrscheinlich, dass sein hervorragender Stachel bei weiterer
1) 1. cc. p. 104 T. XV Fig. 18, 19.
2) Lie T& XV. Figs 17;
Ueber Schwärmerbildung bei Noctiluca miliaris. 137
Entwickelung in den Stab der jungen Noctiluca sich umwandelt.
Zu Gunsten dieser Vermuthung kann ich zwei Fälle anführen, wo
am Schwärmer der Stachel eine bedeutende Länge erreichte (Fig.
11, 12). Entschieden wird freilich die Frage erst dann, wenn wir
über das fernere Schicksal des Schwärmers Aufschluss erhalten wer-
den. Allein alle möglichen Versuche, dieses zu erzielen, sind immer
erfolglos gewesen. Auf dem Objectträger und in Uhrschälchen gin-
gen die Schwärmer stets zu Grunde. Bevor künftige Forschungen
die auf den Schwärmer folgenden Stadien ausfindig machen, müssen
wir uns daher mit den Gründen, die die Entwickelung der Scheiben
an die Hand gibt, begnügen.
Die Schwärmer, wie ich berichtet habe, entstehen aus Abschnü-
rungen der Noctilucablase und des unterliegenden Protoplasma.
Die Regelmässigkeit der hier ablaufenden Vorgänge, das ähnliche
Aussehen des Protoplasma in den schwärmerbildenden Blasen und
gewöhnlichen Noctiluken lassen den Verdacht, wir hätten hier mit
der Entwickelung eines Parasiten zu thun, kaum einen Platz. Wir
müssten sonst annehmen, dass ein Schmarotzerkeim in Form einer
winzig kleinen, leicht zu übersehenden Amoebe, oder eines Bacte-
riums u. dgl. in die Noctiluca eindringt, ihr Protoplasma in sich
aufnimmt und Schwärmer bildet, die zuletzt auf unbekannte Weise
in kleinere Keime zerfallen, um sich von Neuem in die Noctiluca
einzunisten — eine zwar denkbare, aber im gegebenen Falle höchst
unwahrscheinliche Voraussetzung.
Die Ansicht, dass die oben beschriebenen Schwärmer in den
Entwickelungskreis der Noctiluca gehören, scheint mir daher am
meisten den vorhandenen Thatsachen zu entsprechen.
‘ Für die Erforschung der frühesten Stufen der Scheibenbildung
mögen am Schlusse noch folgende Thatsachen nicht unerwähnt
bleiben.
Es ist gewiss auffällig, dass die meisten scheibentragenden Noc-
tiluken durch ihre Grösse und eine Einkerbung sieh auszeichnen.
Sollte dieser Umstand nicht darauf hindeuten, dass der Schwärmer-
entwickelung eine Copulation vorangehe? Dieses veranlasste mich,
auch die bekannten, bei meinen Untersuchungen sehr selten vorkom-
menden, bisquitförmigen Individuen genau auf ihr weiteres Verhal-
ten zu prüfen. Nach sehr vielen resultatlosen Versuchen gelang es
mir, auf dem Objectträger in Wassertropfen die Verschmelzung zweier
Individuen Schritt für Schritt zu beobachten.
138 L. Cienkowskiı:
Der Vorgang ist folgender. Die copulirenden Noctiluken legen
sich stets mit der Mundvertiefung fest aneinander. Darauf wird man
eine Protoplasmabrücke, die eontinuirlich die Nuclei beider Exem-
plare vereinigt, gewahr. Etwas später verschwinden in der Berüh-
rungsgegend die Umrisse der Blasen, wodurch die bekannte tief ein-
geschnürte Bisquitform entsteht. Bei noch weiter ausgeführter Ver-
schmelzung wird die Einschnürung immer unmerklicher, bis sie zu-
letzt an einer Seite gänzlich verschwindet, an der anderen eine Ein-
kerbung oder Vertiefung zurücklässt. Während die Blasen in eine
verschmelzen, erfährt auch der Inhalt eine Veränderung. Die ur-
sprüngliche Verbindungsbrücke verkürzt sich immer mehr, bis die
Nuclei zusammenstossen und wie die Blasen in einen Körper ver-
schmelzen; dabei bleibt die Anordnung des übrigen Protoplasma in
Stränge und Netze wie bei normalen Einzel-Individuen. Was das
Verhalten anderer Theile, der quergestreiften Geissel, des Stabes bei
der Copulation betrifft, so konnte ich an einem copulirten Paare
am Anfang 2 Geisseln unterscheiden, später aber, als eine offene
Communication hergestellt war, verschwanden sie, ohne dass ich
anzugeben vermag, ob sie eingesogen oder abgestreift wurden. Das
Erste scheint mir wahrscheinlicher, weil ich zu wiederhoiten Malen
Noctiluken fand, an welchen die Geissel blos als kleiner Fortsatz
über die Oberfläche hervorragte. Von den stabförmigen Theilen
kann ich nur angeben, dass sie in einem der beobachteten Fälle,
bei copulirenden Individuen zuerst in einer Linie lagen, nachher bei
vollzogener Verschmelzung verschoben und in einen Winkel gegen-
einander gestellt wurden. Der ganze Vorgang der Copulation
dauerte 5—6 Stunden; die durch Verschmelzung zweier Individuen
entstandenen Blasen waren stets grösser als die normalen. Geringe
Unterschiede des geschilderten Vorgangs betreffen die Länge der
vereinigenden Brücke, die Stelle wo die Nuclei zusammenfliessen,
die Einkerbung, die auch gänzlich verschwinden kann.
Es war mir leider nicht vergönnt, die Produkte der Copula-
tion in ihrer Entwickelung weiter zu verfolgen, um ihrem, wie ich
glaube, wahrscheinlichen Zusammenhang mit den scheibenbildenden
Blasen mehr factischen Halt zu gewähren.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. XIV. und XV.
Alle Figuren sind mit dem Oberhäuserschen Prisma abgebildet. Die
Vergrösserung ist in Klammern angegeben.
1. Ein ausnahmsweise kleines Exemplar mit einer Scheibe, von oben
gesehen (140).
2. Seitenansicht der Scheibe (140).
3. Eine Gürtelscheibe (140).
4. Die Scheibe besteht aus zahlreichen, mit langen Cilien versehenen
Schwärmern (480..
5—10. Die Schwärmer in verschiedener Stellung. k der Kopf; s der
Stachel; b die Blase; n Nucleus; w die Wimper (760).
11—12. Schwärmer mit sehr grossem Stachel (760).
13. Vermuthlicher Anfang der Schildbildung. p Protoplasmaballen ;
f Falten; e Einkerbung (140).
14, Wahrscheinlich darauf folgendes Stadium mit 4 Wölbungen (140).
15. Sicher zur Scheibenbildung führende Entwickelungsstufe, aus 16
Hügeln bestehend. bei einer etwas schiefen Lage gezeichnet (180).
16. Die Hügeln sind Ausstülpungen der Noctiluca; f Falten (140).
17. Aus 32 Hügeln bestehende junge Scheibe, von zahlreichen Falten
umgeben, von oben gesehen (140).
18. Die schon fast ausgebildete Scheibe mit zahlreichen, in wurmför-
miger Linie angeordneten Fortsätzen; das Protoplasma ist weggelassen (140)
19. Die sich von der Noctiluca lösende Scheibe (140).
20. Die zwei Hügelgruppen A und B sind in verschiedenen aufein-
anderfolgenden Theilungsstadien, wie sie direct auf dem Objectglase beobach-
tet wurden, in A’B’ und A“B‘ (von oben gesehen) abgebildet. So z. B. durch
Theilung des Hügels b (Gruppe A) enstanden in A‘ und A“ zwei neue Hügel:
l;.k. Der Hügel f (Gruppe B) führte durch Einschnürung o (in B‘) zu zwei
neuen Hügeln: r und s (in B’) (140).
21. Grössere wurmförmige Ausstülpungen zerfallen gleichzeitig in meh-
rere Hügel (480).
22. Im Abschnüren von dem Protoplasma begriffene Fortsätze (760).
23. Die entstehenden Fortsätze sind vom Protoplasma umflossen, theils
noch wie in v mit demselben continuirlich vereinigt; an einigen (f) treten
die Falten deutlich hervor (760).
24. Abnorme, beschleunigte Hügelbildung (140).
Beiträge zur Mikroskopie.
Von
&. Valentin.
I. Die doppelt brechenden Eigenschaften der
Embryonalgewebe.
Die Schrift: Die Untersuchung der Pflanzen- und der Thier-
gewebe in polarisirtem Lichte. Leipzig, 1861. 8., enthält schon
S. 306—312 einige hierher gehörende Angaben. Ich suchte sie zu
vervollständigen, indem ich Hühnerembryonen von verschiedenen
Entwickelungsstufen der Prüfung in polarisirtem Lichte unterwarf.
Die Eier wurden nicht in die Brutmaschine gebracht, sondern von
einer Henne ausgebrütet, damit die Zeitbestimmungen auf eine grös-
sere Beständigkeit Anspruch machen könnten, als dieses bei der
künstlichen Entwickelung wegen der nicht immer gleichen Wärme
aller in einer und derselben Vorrichtung aufbewahrten Eier selbst
dann der Fall ist, wenn die Heizungswärme nicht wechselt.
Ich prüfte zuerst einen dreitägigen Embryo, an dem man noch
die Linseneinstülpung des Auges, die gekrümmte Schlauchform des
Herzens und die einzelnen Hirnblasen hinter einander liegend er-
kannte. Die Grenzvene des Gefässhofes war vollständig angelegt.
Nahm man aus ihr einen Tropfen Blut in einem Haarröhrchen auf
und verdünnte es mit Wasser, so liessen sich die beiden Blutbänder.
am Spectroskope erkennen.
Brachte ich die Keimhaut mit dem Embryo unter das Pola-
risationsmikroskop, nachdem die Polarisationsebenen der beiden
Nicols rechtwinkelig eingestellt und ein Gypsblättchen von Roth
erster Ordnung unter dem Azimuth der Achsenebene von 45° ein-
G. Valentin: Beiträge zur Mikroskopie. 141
geschältet worden, so erschienen der durchsichtige Fruchthof, der
Gefässhof, die Hirnblasen und der Wirbelcanal eben so roth, als der
von Embryonaltheilen freie Abschnitt des Gesichtsfeldes.. Die dem
künftigen Gesichte entsprechenden Massen, ein Theil des Herzschlau-
ches, die Rückenplatten und deren Nachbargebilde gaben einen bläu-
lichen Schimmer. Man überzeugte sich aber bald, dass diese Er-
scheinung von keinem irgend merklichen Grade von Doppelbrechung
herrührte. Sie blieb nämlich unverändert, wenn man auch die
Längsachse des Embryo der Achsenebene des Gypsblättchens parallel
oder auf ihr senkrecht stellte, schwand dagegen, so wie man den in
der erwähnten Schrift S. 168 Fig. 62 c abgebildeten Cylinder her-
unterliess, um alles unpolarisirte Seitenlicht abzublenden. Ich machte
ähnliche Beobachtungen an den Mitteltheilen, also den verhältniss-
mässig dichtesten Abschnitten der Linsenanlage und der Wirbel-
quadrate. Die Rückensaite gab den rothen Gypsgrund unverändert
wieder. Ich prüfte alle diese Gebilde zuerst ohne alle fremdartige
Befeuchtung und später unter Eiweisslösung. Das eben Dargestellte
lehrt also, dass sich noch keine Doppelbrechung in dem frischen
feuchten Zustande verrieth.
Man macht ähnliche Erfahrungen an Embryonen von zwei bis
vier oder fünf Tagen, die schon seit längerer Zeit in Glycerin auf-
bewahrt worden. Die nicht dem regulären Systeme angehörenden
Krystalldrusen dagegen, die sich häufig in solchen Präparaten aus-
scheiden, verrathen sich sogleich durch ihre Färbung, die von der
des Gypsgrundes lebhaft abzustechen pflegt. Dasselbe wiederholt
sich für jedes noch so kleine Bruchstück einer Leinwand- oder einer
Baumwollenfaser, die dem Präparate zufällig anhaftet.
Ein Embryo vom siebenten Tage verrieth schon die ersten
Spuren der Doppelbrechung in einzelnen Theilen. Die blosse Be-
obachtung in dem dunkeln Gesichtsfelde des Polarisationsmikrosko-
pes reichte jedoch zur Wahrnehmung derselben nicht hin. Man
kann die Farbenänderung, welche der rothe Gypsgrund erleidet, als
Erkenntnissmittel benutzen. Es kommt übrigens hier viel darauf
an, dass man ein Blättchen anwendet, das ungefähr den Werth von
565 Milliontheilen eines Millimeters besitzt und daher ein reines Pur-
purroth gibt. Ein solches mit dem in der dritten dieser Abhand-
lungen erwähnten Sphärometer ausgemessenes Blättchen der Art,
dessen ich mich zu diesen Untersuchungen bediente, hatte eine
Dicke von 0,656 Millimeter. Nimmt man ein solches, dessen Werth
142 G. Valentin:
575 beträgt und das daher mehr oder minder Violett liefert, so
wird man oft die ersten Spuren der Doppelbreehung, welche ein
Blättehen von 565 deutlich nachweist, nicht erkennen.
Die Haut des Dottersackes liess noch keine unzweifelhafte
Doppelbrechung wahrnehmen. Sie zeigte sich dagegen spurweise an
der Haut des Dotterganges, besonders da wo sie Falten warf. Die
faltigen Stellen des Amnion erschienen blau, wenn die Längsachse
derselben der Achsenebene des Gypsblättchens parallel stand, und
gelb, wenn sie dieselbe senkrecht kreuzte. Sie verhielten sich also
positiv im Verhältniss zu ihrer Längsrichtung.
Der Embryo im Ganzen schien den rothen Gypsgrund nieht
zu ändern. Anders verhielt es sich dagegen mit einzelnen Theilen
desselben.
Die Krystalllinse des Auges zeigte schon strahlige Fasern unter
den Kugeln der Morgagnischen Feuchtigkeit. Eine mit der verhält-
nissmässigen Stellung zur Achsenebene des Gypsblättchens wech-
selnde Farbenänderung liess sich nicht bemerken, wenn man die
Faserbruchstücke unter Wasser prüfte. Man darf sich aber hier
nicht durch einen gelblichen Rand, der in allen Lagen des Präpa-
rates wiederkehrt, täuschen lassen. Hatte ich die Linse des zweiten
Auges in Glycerin gebracht, so gewann es den Anschein, als ob die
erste zweifelhafte Spur positiver Doppelbrechung vorhanden wäre.
Ich glaubte einen bläulichen Schimmer, entsprechend der Richtung
der Achsenebene des Gypsblättchens, und einen gelblichen senkrecht
darauf wahrzunehmen. Dieses würde mit dem positiven Verhalten
der ausgebildeten, vollkommen frischen Linse übereinstimmen.
Die mit wenigen Pigmentmolecülen gefüllten Zellen der Ader-
haut und die Zellenfasern der harten Haut des Auges gaben den
rothen Gypsgrund ohne merkliche Nuancenänderung wieder.
Der Herzschlauch schien im Ganzen keinen Farbenwechsel zu
erzeugen. Zerleste man ihn aber in kleine Bruchstücke, so dass
man die noch mit keinen Querstreifen versehenen Anlagen der
Muskelfasern erkannte, so zeigten sich diese schwach, aber deutlich
doppelt brechend. Sie waren, wie die ausgebildeten Muskelfasern
positiv in Bezug auf die Längsachse und erschienen daher bläulich,
wenn diese der Achsenebene des Gypses parallel, und gelblich, wenn
sie zu ihr senkrecht stand.
Die Rückenseite, deren Scheide und die ihrer Masse angehö-
renden Zellen, die Anlage der beiden Leberlappen, der Magen, die
Beiträge zur Mikroskopie. 143
Andeutung der Bauchspeicheldrüse, die Blindsäcke und die gelb-
lichen Inhaltskörnchen der Wolffschen Körper lieferten kein deutliches
Merkmal von Doppelbrechung. Man sah dagegen neben den Wirbel-
körpern jederseits einen Streifen, der lebhaft positiv in Bezug auf
seine Längsrichtung antwortete. Legte ich die ersten Anlagen der
tieferen Rückenmuskeln bloss, so zeigte sich in gewöhnlichem Lichte,
dass sie aus nahezu parallelen Fasern ohne Querstreifung bestan-
den. Diese lieferten im Polarisationsmikroskope eine im Verhält-
niss zur Längsachse positive Doppelbrechung, die stärker als die der
Herzmuskulatur ausfiel. Die Frage, ob der Unterschied nur von
der etwas dickeren Schicht oder zugleich von der etwas fortgeschrit-
teneren Entwickelung herrührte, liess sich nicht entscheiden. Diese
Erfahrungen lehren aber jedenfalls, dass die Doppelbrechung der
später quergestreiften Muskelfasern vor der Entstehung der Quer-
streifen auftritt. Sie ist jedoch dann noch in den frischen Massen
bedeutend schwächer, als in den vollkommen ausgebildeten Muskel-
fasern.
Ich liess die Linse, eine obere Extremität und die Mitte des
Rückens eintrocknen und schloss den festen Rückstand in Canada-
balsam ein. Die doppelt brechende Wirkung, besonders der Linse,
gewann hierdurch fast gar nicht, zum Beweise, dass die schwachen
Erfolge nicht ausschliesslich von dem geringen Wassergehalte her-
rührten.
Die Haut des Dottersackes und das Amnion eines Embryo vom
neunten Bebrütungstage verhielten sich im Wesentlichen ähnlich,
wie die gleichen Gebilde eines siebentägigen Embryo. Viele Organe
dagegen verriethen einen merklichen Fortschritt in den doppelt
brechenden Eigenschaften.
Betrachtete man die in Wasser versenkte Krystalllinse auf
rothem Gypsgrunde, so zeigte ihre Fläche zwei regelmässig drei-
eckige blaue Felder, deren Achse parallel der Achsenebene des Gyps-
blättchens stand und zwei dreieckige gelbe, deren Achse auf jener
senkrecht verlief. Man hatte also eine entschiedene positive Wir-
kung. Entfernte man das Gypsblättchen, so gab die Linse kein
schwarzes Kreuz auf dem dunkelen Grunde des Polarisations-
mikroskopes.
Die Zellenfasern der Sklerotica lieferten deutliche, aber schwache
doppelt brechende Wirkungen und zwar positive im Verhältniss zur
Längsachse. Die Nervenmasse der Netzhautanlage führte noch nicht
144 G. Valentin:
zu irgend befriedigenden Bildern. Setzte man dem Wasser, welches
die harte Haut, die Krystalllinse oder die Netzhaut befeuchtete,
Glycerin zu, so wurden alle diese Theile so weiss und undurchsich-
tig, dass man keine genügenden Beobachtungen mehr unter dem
Polarisationsmikroskope anstellen konnte.
Der Meckel’sche Fortsatz und die Anlage des Horntheiles des
Oberkiefers antworteten negativ in Bezug auf ihre längere Achse.
Die durchsichtigeren Stellen der schon angelegten, zum Oeffnen des
Eies bestimmten Kalkmasse des Oberschnabels wechselten ihre Far-
ben mit der Drehung des Gypsblättchens.
Die noch nicht quergestreiften Muskelfasern der Vorhöfe und
die der Kammern des Herzens zeigten sich stark positiv in Ver-
hältniss zu ihrer Längsachse. Eine sehr schwache Wirkung der
Art verrieth sich an einzelnen Faserzellen der Lebermasse. Die
Muskelhaut des Darmes erschien schwach positiv gegenüber der
Längsachse und ein ihr entgegengesetzter Farbenwechsel ergab sich
für die mit feinen Körnern gefüllte benachbarte Zwischenmasse.
Die Röhren und der Hauptausführungsgang der Wolffschen Körper
ergaben keine sicheren Merkmale von Doppelbrechung.
Diese trat in den Wirbeln mit Nachdruck hervor. Das Rücken-
mark schien eine negative Wirkung in Bezug auf die Längsachse
darzubieten. Die Muskelfasern des Rückens und die des Ober-
schenkels, die schon Verkürzungsvermögen unmittelbar nach dem
Oeffnen des Eies verrathen hatten, aber noch keine Querstreifen
zeieten, antworteten stark positiv im Verhältniss zur Längsachse.
Die Zehenanlagen, die sich schon in gewöhnlichem Lichte durch ihre
schönen Formen auszeichneten, führten zu einem sehr zierlichen
Bilde !), indem sie negativ in Verhältniss zu ihrer Längsachse in
den lebhaftesten Farben erschienen und daher prachtvoll gelb
parallel der Achsenebene wurden.
Eine der beiden Krystalllinsen dieses Embryo zeigte nach dem
Eintrockenen den Fall, den man auch an den Linsen erwachsener
Thiere unter den gleichen Verhältnissen antrifft, dass der periphe-
rische heil positiv, der centrale Theil dagegen negativ erschien.
Die warzenartigen Anlagen der Federn eines eilftägigen Em-
bryo liessen keine sicheren Merkmale von Doppelbrechung unter
1) S. Die Untersuchung der Pflanzen- und der Thiergewebe in polari-
sirtem Lichte. S. 273—275.
Beiträge zur Mikroskopie. 145
Wasser erkennen. Hatte man aber das Präparat mit Glycerin be-
handelt, so änderten sie den rothen Gypsgrund und verhielten sich
dabei wie negative Körper in Bezug auf ihre Längsachse.
Die Adergeflechte der Seitenventrikel des grossen Gehirns zeig-
ten die lebhafteste Flimmerbewegung. Betrachtete man die Erschei-
nung unter dem Polarisationsmikroskope nach der Einschaltung des
rothen Gypsblättchens, so änderte der Flimmerrand den rothen
Gypsgrund, indem die Flimmerhaare in Bezug auf ihre Längsachse
negativ wirkten.
Die Hirnmasse der Grosshirn-Hemisphären führte zu keinen
sicheren Ergebnissen. Die körnigen Bestandtheile änderten die rothe
Farbe des Grundes in keiner characteristischen Weise. Man sah an
einzelnen Stellen gesonderte, wie es schien, doppelt brechende Strei-
fen, die jedoch in keinem Präparate bündelweise auftraten.
Die Hornhaut und die Krystalllinse zeigten noch keine Polari-
sationskreuze auf dem dunkeln Grunde des Polarisationsmikrosko-
pes. Die erstere verrieth aber ihren negativen Character längs ihrer
ganzen Fläche, wenn man den rothen Gypsgrund zu Hilfe zog. Man
hatte dann zwei gelbe Quadranten parallel und zwei blaue senkrecht
auf die Achsenebene des Gypses. Die Linse verrieth die gewöhn-
liche positive Wirkung.
Die Körner der Netzhaut gaben keine entschiedenen Merk-
male von Doppelbrechung. Zerfaserte man aber ein Stück dersel-
ben und befeuchtete es mit Glycerin, so sah man eine deutliche nega-
tive Wirkung in Bezug auf die Längsachse einzelner Fäden.
Der Meckel’sche Fortsatz zeigte sich noch entschiedener nega-
tiv in Rücksicht auf seine Längsachse, als in dem neuntägigen
Embryo. Die Doppelbrechung der ihn umgebenden Platten des
Unterkiefers und der des Oberkiefers liess sich leicht erkennen. Be-
trachtete man die Zehen unter schwachen Vergrösserungen bei durch-
fallendem Lichte, so sah man die einzelnen Theilungen in deren
Innern. Sie erwiesen sich als nachdrücklich negativ in Bezug auf
ihre Längsachse, während die sie umgebenden Weichgebilde in der-
selben Richtung positiv wirkten.
Die Fasern des grossen Brustmuskels, die noch keine Quer-
streifen besassen, erschienen positiv zu ihrer Längsachse. Sie ver-
riethen dabei keinen verhältnissmässig starken Grad von Doppel-
brechung.
Ich bemerkte schon bei einer früheren Gelegenheit, dass die
146 G. Valentin:
Muskelfasern des frisch ausgeschnittenen Vorhofes des klopfenden
Herzens des Frosches eine Aenderung ihrer Polarisationsfarben wäh-
rend ihrer Verkürzung zeigen können. Sie ziehen sich noch häufig
die längste Zeit unter dem Mikroskope periodisch zusammen. Der
Farbenwechsel, den man dabei in dem polarisirten Lichte bemerkt,
erklärt sich zum Theile schon daraus, dass die verkürzte Muskel-
faser dicker als die erschlaffte ist. Ich hatte ein Stück des Vor-
hofes des Herzens des eilftägigen Embryo ausgebreitet. Die mit
keinen Querstreifen versehenen Muskelfasern, welche mässig stark
positiv in Bezug auf ihre Längsachse antworteten, zogen sich wie-
derholt zusammen. Die Farbenänderung erschien jedoch in den
günstigsten Fällen unbedeutend. Sie konnte sogar häufig nicht mit
Sicherheit bemerkt werden. Die weiter entwickelten, jedoch noch
mit keinem Querstreifen versehenen und im Innern hohlen Muskel-
fasern der Kammern verriethen eine stärkere positive Doppel-
brechung in Verhältniss zur Längsachse.
Ungefähr fünf bis zehn Minuten, nachdem ich das Ei geöffnet
hatte, pulsirten noch die zu dem Endochorion verlaufenden grös-
seren Schlagadern. Der Embryo beantwortete aber nicht mehr die
Ströme einer aus acht Elementen bestehenden Zinkkohlenbatterie
oder die des Magnetelektromotors, wenn man die Leitungsdrähte zu
beiden Seiten des Amnion anlegte. Als der Maenetelektromotor
das erste Mal wirkte, hörten die Pulsschläge der Arterien des En-
dochorion auf. Die fernere Wiederholung des Versuches führte aber
nicht mehr zu diesem Ergebnisse, Ich öffnete drei Viertelstunden
später die Brusthöhle und schnitt das Herz aus. Die Vorhöfe und
die Kammern klopften auf das Lebhafteste und abwechselnd im
Freien. Trennte man den Vorhof dicht an der Querfurche los, so
erhielt man noch eine oder mehrere Kammerzusammenziehungen,
wenn man eine Stelle des Ventrikels mechanisch reizte. Diese Er-
scheinung fehlte dagegen, wenn man einen der Querfurche benach-
barten Ring der Kammerbasis losgeschnitten hatte. Es zeigten sich
also hier die gleichen Erscheinungen, die man an dem Herzen der
Frösche und dem der Säugethiere, vorzugsweise der jüngeren, be-
obachtet.
Bruchstücke des Muskelmagens lieferten eine eigenthümliche
Wirkungsweise. Man sah Streifen, die sich stark positiv zur Längs-
achse verhielten und Muskelfasermassen entsprachen. Sie waren
durch schmale Bänder, die negativ in derselben Richtung erschienen,
Beiträge zur Mikroskopie. 147
wechselseitig getrennt. Es ist mir nicht klar geworden, welchen
Theilen diese Gebilde entsprachen.
Legte man ein Stück des Dünndarmes im Ganzen unter das
Polarisationsmikroskop, so antwortete es auf das Lebhafteste nega-
tiv in Bezug auf seine Längsachse. Die Betrachtung unter stär-
keren Vergrösserungen klärte diesen Umstand auf. Man erkannte
vor Allem die Kreisfasern, deren Längsachsen auf der des Darmes
senkrecht standen. Da sie selbst positiv in Bezug auf ihre Länge
wirkten, so musste natürlich eine scheinbar negative Doppelbrechung
in der Richtung der Längsachse des Darmrohrs erzeugt werden.
Die Massen der Leber und der Nieren führten zu keinen be-
merkenswerthen Ergebnissen.
Nicht nur die eingetrocknete Hornhaut, sondern auch die
trockene Linse verhielten sich negativ zu dem rothen Gypsgrunde.
Beide boten dann keine Polarisationskreuze in dem schwarzen Ge-
sichtsfelde des Polarisationsmikroskopes dar.
Ein 16tägiger Hühnerembryo wurde zu einigen Reizbarkeits-
versuchen benutzt, ehe ich die Prüfung der Gewebe unter dem Po-
larisationsmikroskope begann. Er öffnete mehrere Male, wie in Er-
stickungsnoth, den Mund, als er noch in den unversehrten Eitheilen.
enthalten war und sich daher in der Amniosfiüssigkeit befand. Ich
legte hierauf sogleich das Herz bloss. Es schlug 15 Mal in einer
Viertelsminute.. Die Zusammenziehung der Vorhöfe wechselte mit
der der Kammern, wie gewöhnlich, ab. Legte ich die Elektroden
des Magnetelektromotors in der Gegend der Halsvagi an, so führ-
ten die Inductionsströme zu keinem anhaltenden Stillstande des
Herzens. Das Gleiche wiederholte sich, wenn man sie an die Quer-
furche des Letzteren gebracht hatte. Legte man sie in der Gegend
der unteren Brusttheile der sympathischen Grenzstränge an, so be-
merkte man keine Bewegung der in dem Dottergange enthaltenen
Darmschlingen. Leitete man die Ströme durch den Rumpf oder die
Extremitäten, so erhielt man nur augenblickliche, nicht sehr starke
Zuckungen und keine anhaltenden Starrkrämpfe. Die Empfänglich-
keit der Rumpf- und der Extremitätenmuskeln schwand auffallend
rasch, während sich die Thätigkeit des Herzens lange erhielt.
Ich trennte nach diesen Versuchen den Kopf durch einen
Schnitt los, der den obersten Theil des Halses traf. Die hiermit
verbundene Entfernung des verlängerten Markes hatte zunächst zur
Folge, dass das Herz eine Zeit lang stille stand. Seine Bewegungen
148 G. Valentin:
begannen später von Neuem. Die Vorhöfe und die Kammern schlu-
gen hierauf über 1!/ Stunden fort, obgleich zuletzt ein grosser Theil
der Vorderfläche der Kammern in Folge von Verdunstung eingetrock-
net war. Ich legte von Zeit zu Zeit die Drähte des Magnetelek-
tromotors an die Querfurche und erreichte Beschleunigung des Herz-
schlages. Der Versuch blieb aber wirkungslos, unmittelbar nachdem
das Herz von selbst still gestanden.
Die Kiele der vollkommen entwickelten Federn dieses Embryo
verriethen eine kräftige Doppelbrechung. Die Seitenränder verhiel-
ten sich positiv zur Längsachse. Es hatte bisweilen den Anschein,
als wenn der Centraltheil eine negative Beziehung darböte. Doch
schien sich dieses als Täuschung bei genauerer Untersuchung zu er-
weisen. Die gelbliche Färbung rührte wahrscheinlich von dem hier
befindlichen Blute her. Die Federkiele lieferten also einen andern
Character der Doppelbrechung, als die ersten Anlagen der Federn
überhaupt. z
Die Schädelhaut besass eine deutliche, obgleich nicht sehr
starke Doppelbrechung. Sie fiel dagegen für das knöcherne Netz-
werk, welches in der Anlage des Scheitelbeines vorhanden war, nach-
drücklich aus. Man hatte einen positiven Character in Bezug auf
die Längsachse der Balken des in die Länge gezogenen Netzes. Eine
starke Doppelbrechung verrieth sich auch in dem schon mit zahl-
reichen Knochenkörperchen versehenen Stirnbeine.
Bruchstücke der Grosshirnhemisphären ergaben keine entschei-
denden Bilder. Man sah im Allgemeinen den rothen Gypsgrund
oder einen bläulichen Ton bei allen Stellungen der Achsenebene des
Gypsblättchens. Dasselbe wiederholte sich meistentheils für Schnitte
aus dem kleinen Gehirne und dem verlängerten Marke. Man bemerkte
höchstens einzelne Streifen, die bei paralleler Lage ihrer Längsachse und
der Achsenebene des Gypsblättchens schwach gelblich, bei senkrechter
bläulich bis violett erschienen. Sie entsprachen wahrscheinlich Nerven-
fasern, in denen sich die erste Spur von Markmasse abgelagert hatte.
Das Rückenmark führte zu belehrenderen Anschauungen. Nahm
ich ein Stück des obersten Abschnittes des Rückentheiles desselben
und drückte es zwischen zwei Glasplatten zusammen, so sah ich in
gewöhnlichem Lichte die Züge der Längsfasern. Diese Bündel er-
schienen auf dem rothen Gypsgrunde des Polarisationsmikroskopes
lebhaft gelb bei paralleler und nachdrücklich blau bei senkrechter
Einstellung der Längsachse derselben zur Achsenebene des Gypses.
Beiträge zur Mikroskopie. 149
Zerfaserte man die Masse, so sah man unter stärkeren Vergrös-
serungen und in gewöhnlichem Lichte, dass Nervenfasern da waren
mit sehr blassem und, wie es schien, weniger gerinnbarem Marke,
das grauweisser als die spätere Markmasse war.
Der Hüftnerv zeigte seiner ganzen Breite nach eine stark nega-
tive Wirkung, während die Neurilemhülle positive Bänder in Bezug
auf die Längsachse zu beiden Seiten darbot. Ich konnte noch kein
deutliches Nervenmark in gewöhnlichem Lichte erkennen. Das pola-
risirte Licht ging also auch hier weiter, als dieses letztere.
Die Fasern des Sehnerven lieferten höchstens eine sehr schwache
negative Wirkung in Bezug auf die Längsachse. Manche Präpa-
rate liessen nicht einmal dieses erste Anzeichen von Markmasse er-
kennen. Die positive Wirkung der Hüllen kam dann allein zum
Vorschein. Nervenzweige aus der Augenhöhle, die wahrscheinlich
dem Ochlomotorius angehörten, lieferten nur die schwach positive
Wirkung der Hüllen und nicht das geringste Anzeichen von Mark-
substanz.
Die Netzhaut führte im Ganzen zu unbefriedigenden Ergeb-
nissen. Die Untersuchung unter Wasser liess nichts Sicheres er-
kennen. Die Behandlung mit Glycerin, das die Netzhaut weiss und
undurchsichtiger machte, führte wenigstens zu einigen Ergebnissen.
Die wie kleine Häckchen erscheinenden Stäbchenanlagen erschienen
gelblich bei allen Stellungen der Achsenebene des Gypsblättchens.
Sie hatten also nicht die entschiedene positive Wirkung in Bezug
auf die Längsachse, welche z. B. die Stäbchen der Netzhaut des
erwachsenen Frosches nach der Behandlung mit Glycerin darbieten.
Unter der Stäbchenschicht des Hühnerembryo sah man bisweilen
negativ wirkende Streifen, wie man sie auch in der Netzhaut er-
wachsener Thiere bemerkt. Ich konnte aber hier nicht entscheiden,
ob sie Nervenfasern entsprachen oder nicht. Die Körner der Netz-
haut änderten den Gypsgrund nicht. Lag der vordere Theil der
Netzhaut in Falten auf dem Glaskörper, so wirkten die Seitenrän-
der derselben schwach positiv zur Längsachse, wenn man die Unter-
suchung unter Wasser vornahm. i
Die Hornhaut antwortete unter Wasser stark negativ. Die
Wirkung nahm durch die Behandlung mit Glycerin zu. Liess man
das Gypsblättchen hinweg, so zeigte sich auf dem dunkeln Grunde
des Polarisationsmikroskopes ein nicht ganz deutlicher, schattiger
und regelmässiger Rhombus innerhalb des hellen ‚Umkreises. Die
M. Schultze Achiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 7. 11
150 G. Valentin:
Linse erwies sich stark positiv. Sie gab daher lebhaft blaue und
gelbe Quadranten auf dem rothen Gypsgrunde, lieferte aber ohne
diesen weder ein schwarzes Kreuz, noch eine andere dunkle Zeich-
nung. Sie besass im Ganzen eine merkliche stärkere Doppelbrechung,
als die Linse des eilftägigen Embryo.
Der durchsichtige Randtheil der Zunge verrieth eine zur Längs-
achse positive Wirkung. Sie erschien schwächer in dem Hornüber-
zuge, sehr stark dagegen in den Knochenmassen des Ober- und des
Unterkiefers. Die zum Aufschlagen des Eies bestimmte Kalkabla-
gerung an der Spitze des Oberschnabels war schon zu undurch-
sichtig, als dass sich etwas Bestimmtes ermitteln liesse.
Ein solcher 16tägiger Embryo eignet sich sehr gut, unmittel-
bar zur Anschauung zu bringen, wie die doppeltbrechenden Wir-
kungen mit der Entwickelung der Muskelfasern zunehmen. Unter-
sucht man die noch schmalen Fasern des grossen Brustmuskels, die
auf den ersten Blick wie fadenartig verschmolzene Zellen erschei-
nen, indem die Kerne der Innenhöhlung durch helle Querbänder
getrennt werden, so findet man eine nur schwache, in Bezug auf
die Längsachse positive Doppelbrechung. Sie erscheint merklich
stärker in den Bauchmuskeln, die um etwas weiter fortgeschritten
sind, noch grösser in den Augenmuskeln, in denen man auch schon
einzelne Nervenverzweigungen erkennt, und am Nachdrücklichsten
in den breiten, am weitesten fortgeschrittenen Nacken- und Rücken-
muskeln.
Wie in den Säugethierembryonen, so zeichnet sich auch hier
die Muskelmasse des Herzens, vorzüglich der Vorkammer, dadurch
aus, dass sie schon röthlich gefärbt ist, wenn noch die andern Mus-
keln blass erscheinen. Die Muskulatur der Speiseröhre pflegt diesen
Vorzug in einzelnen Säugethierembryonen mit dem Herzen zu thei-
len. Die Muskelfasern der Vorhöfe waren dann in dem Embryo
des Hühnchens weit weniger vorgeschritten, als die der Kammern.
Die Letzteren lieferten daher auch eine bedeutend stärkere in Bezug
auf die Längsachse positive Doppelbrechung als die Ersteren.
Sie verrieth sich auch in den einfachen Muskelfasern des Mus-
kelmagens und in den Kreisfasern des Dünndarmes. Die Zotten
und die Falten der Schleimhaut lieferten nur zweifelhafte Ergebnisse.
Dasselbe wiederholte sich für die Harnkanälchen, nicht aber für den
Harnleiter, dessen Wände schwach, aber deutlich positiv zur Längs-
Beiträge zur Mikroskopie. 151
achse wirkten. Die Wandungen des rechten Aortenbogens gaben
noch unbedeutendere Anzeichen von Doppelbrechung.
Diese zeigte sich auch mit positivem Character der Längsachse
entsprechend in allen Formen des Bindegewebes, die gefasert oder
gefaltet erschienen.
Die Hornschilder des Fusses endlich verriethen schon einen
mässigen Grad von Doppelbrechung. Sie waren noch zu dünn, als
dass sich über ihr Drehungsvermögen urtheilen liess.
Fügen wir noch einige, den Froschlarven entnommene Be-
obachtungen hinzu, so zeigte sich der hinterste Theil des Schwan-
zes einer Kaulquappe, deren Hinterbeine eben hervorzubrechen an-
gefangen, fast eben so roth, als der benachbarte Gypsgrund. Das
Ende des Rückenmarkes, das sich in gewöhnlichem Lichte nicht be-
sonders auszeichnete, hatte eine stark gelbe und die Wirbelsäulen-
stücke (mit den Anlagen der Muskeln) eine stark blaue Färbung.
Das polarisirte Licht führte also auch hier zu genaueren Unter-
suchungen als das gewöhnliche. Ging man an dem Schwanze wei-
ter hinauf, so dass die schiefen Schattenbänder mit den hellen
Zwischenbändern zum Vorschein kamen, so erschienen die ersteren
grünblau und die letzteren gelb. Man erkannte etwas weiter nach
oben die Längsmuskelfasern mit ihren Querstreifen in der Nähe der
Wirbelsäule. Sie erwiesen sich schon als stark positiv in Bezug auf
ihre Längsachse.
Hatte ich die Krystalllinse einer solchen Kaulquappe mit Gly-
cerin befeuchtet, so überzeugte ich mich leicht mittels des rothen
Gypsgrundes, dass ihre starke Doppelbrechung einen positiven Cha-
rakter besass. Kaulquappen, deren Hinterbeine im ersten Hervor-
brechen begriffen, oder noch besser solche, an denen sie schon
entwickelt waren, konnten noch zu einer andern Art von Unter-
suchungen mit Nutzen gebraucht werden. Ich führte schon in mei-
ner Schrift S. 298, 299 an, dass es mir nicht gelang, eine Aende-
rung der doppelt brechenden Eigenschaften der Nerven des erwach-
senen Thieres während der Thätigkeit desselben wahrzunehmen.
Untersuchte ich den Schwanz der Kaulquappe mit stärkeren Ver-
grösserungen in gewöhnlichem Lichte, so sah ich zahlreiche sich
theilende und sich häufig netzförmig verbindende Nervenfasern, die
kein Mark nach dem Bilde, welches das gewöhnliche Licht liefert,
zu enthalten schienen. Wiederholte man die Beobachtung in dem
Polarisationsmikroskope, stellte einen starken Nervenzweig unter 45°
152 G. Valentin:
und schaltete ein Gypsblättchen von Roth erster Ordnung mit seiner
Achsenebene ebenfalls unter 45° ein, so erschien der Nerv gelb zum
Beweis, dass er schon eine in gewöhnlichem Lichte nicht kenntliche
Markmasse enthielt. Galvanisirte ich nun die Kaulquappe im Gan-
zen, oder besser nur den losgetrennten Schwanz, so zogen sich die
Muskeln desselben zusammen. Der Nerv blieb aber gelb wie zuvor.
Das Mark bleibt also auch während der Thätigkeit im Verhältniss
zur Längsachse negativ. Die gelbe Farbe erlitt zugleich keine mei-
nem Auge auffallende Aenderung. Ob sie spurweise wechselt, lässt
sich natürlich schwer feststellen.
Ich untersuchte noch der Vollständigkeit wegen die Gewebe
des im Schwinden begriffenen, fünf Millimeter langen Schwanzes
eines jungen Frosches. Die Muskelfasern des oberen und die des
unteren Theiles lieferten eine starke Doppelbrechung mit entschie-
den positivem Charakter in Verhältniss zur Längsachse. Die Quer-
fortsätze der Wirbelkörper waren negativ zu ihrem längeren quer-
gestellten Durchmesser. Dasselbe wiederholte sich für die der Länge
nach dahingehende Achse der Wirbelkörper selbst. Die Primitiv-
fasern der Rückenmarksnerven enthielten ein blasses Mark, das ent-
schieden negativ in Bezug auf die Längsachse antwortete. Die Hant
verrieth deutliche Doppelbrechung. Diese liess sich hingegen noch
gar nicht oder kaum spurweise in dem schon kenntlichen Stäbchen
der Netzhaut wahrnehmen. Während Glycerin, wenn es auf diese
Gebilde in dem erwachsenen Frosche wirkt, die Doppelbrechung der-
selben bedeutend erhöht, fehlte hier jede Einwirkung der Art so gut
als gänzlich.
Die eben dargestellten Einzelerfahrungen lehren:
1) Die Eigenschaft der Doppelbrechung lässt sich in den frühe-
sten Anlagen der Gewebe und der Organe des Hühnchens und des
Frosches mit den gegenwärtig zu Gebote stehenden Hilfsmitteln
nicht nachweisen. Die Behandlung mit Glycerin, mit Weingeist oder
das Eintrocknen ändern diesen Sachverhalt nicht.
2) Die Doppelbrechung erscheint in der Folge sehr schwach
und nimmt allmählig im Laufe der Gewebe-Entwickelung zu. Lässt
man dann die Präparate eintrocknen, so werden zwar die Farben,
die der rothe Gypsgrund erzeugt, etwas lebhafter. Sie erscheinen
aber noch schwach selbst in dickeren Schichten im Vergleich zu
denen, welche spätere Entwickelungsstufen frisch oder eingetrocknet
liefern. Hieraus folgt, dass nicht der Wasserreichthum allein die
Beiträge zur Mikroskopie. 153
Ursache der geringen Doppelbrechung sein kann und dass die nach
den drei Hauptrichtungen des Raumes ungleiche Atomenvertheilung
des Lichtäthers, aus welcher die zwiefache Strahlenbrechung hervor-
geht, kein ursprüngliches und unveräusserliches Merkmal derjenigen
Gewebe, welche sie im reiferen Embryo und im Erwachsenen dar-
bieten (wenigstens so weit unsere Erkenntnissmittel reichen) bildet,
sondern erst eine geraume Zeit nach deren erster Anlage merklich
hervortritt und sich allmählig vergrössert.
3) Die Prüfung auf rothem Gypsgrunde zeigt oft genug schon
eine deutliche Doppelbrechung, wenn noch das dunkele Gesichtsfeld
des Polarisationsmikroskopes keinen Nachweis liefert. Gypsblättchen
von dem Aequivalentwerth 565 eignen sich zu diesen Forschungen
besser, als solche von 575, in denen schon das Violett über dem
Roth vorherrscht.
4) Die Doppelbrechung hat schon an dem Anfange ihres Er-
scheinens denselben positiven oder negativen Character, den sie in
dem vollständig entwickelten Gewebe darbietet. Dieser Ausspruch
bestätigte sich für die Hornmasse, die mannigfachen Arten des Binde-
gewebes, die Sehnen und die ihnen verwandten Gebilde, die Muskel-
fasern, das Neurilem und die Markmasse der Nerven, die Knorpel,
die Knochen, die Hornhaut und die Stäbchen der Netzhaut. Die
Federn bildeten die einzige Ausnahme, der ich begegnete. Der Kiel
derselben antwortete positiv im Verhältniss zur Längsachse, wenn
ich die Untersuchung nach dem 12ten bis 13ten Bebrütungstage an-
stellte. Die warzenartigen Anlagen der Federn eines eilftägigen
Hühnerembryos dagegen erschienen negativ zu ihrer Längsachse,
nachdem man sie mit Glycerin befeuchtet, nicht aber, als man sie
vorher unter Wasser untersucht hatte. Da hier noch die Horn-
masse grösstentheils oder gänzlich fehlte, so fragt es sich, ob man
den Fall als eine wahre oder als eine nur scheinbare Ausnahme zu
betrachten hat. Ich habe schon an einem andern Orte‘) angedeu-
tet, dass sich vielleicht der Wechsel des Characters der Doppel-
brechung der Schmelzfasern in ähnlicher Weise erklären lasse.
5) Die Hornhaut und die Krystalllinse unterscheiden sich im
Erwachsenen durch ihr Verhalten nach dem Eintrocknen. Die
Hornhaut wird hierdurch häufig schwach zweiachsig. Sie behält
1) Die physikalische Untersuchung der Gewebe. Leipzig und Heidel-
berg, 1867, 8. S. 291.
154 G. Valentin:
aber den negativen Character, den sie in dem frischen Zustande
darbietet, auch in dem trockenen bei. Die Krystalllinse kann zwar
auch durch das Eintrocknen zweiachsig werden. Allein der schein-
bare und daher auch der wirkliche Winkel ihrer beiden optischen
Achsen bleibt in der Regel klein. Dafür geht häufig ihr positiver
Character in den negativen vorzugsweise in den Fischen (und nur
in der Minderheit der Fälle in den Säugethieren) über. Derselbe
Unterschied von Hornhaut und Linse wiederholt sich in reiferen
Hühnerembryonen und Froschlarven. Man kann auch hier auf
Zwischenstufen stossen, in welchen ein Theil der Linsenschichten
noch positiv und der andere schon negativ ist.
Das Bindegewebe, die Muskelfasern, das Nervenmark und die
Knorpel bewahren ihren frühern Character der Doppelbrechung in
dem Schwanze der Froschlarven, wenn dieser in voller Rückbildung
begriffen ist. Ich konnte wenigstens keine Veränderungen zu den
Zeiten wahrnehmen, zu welchen er schon in hohem Grade verküm-
mert war.
7) Die embryonalen Muskelfasern besitzen schon ihr Verkür-
zungsvermögen, wenn ihre Querstreifen noch gar nicht oder in ihren
ersten Andeutungen vorhanden sind. Man bemerkt dann eine sehr
schwache, in Bezug auf die Längsachse positive Doppelbrechung.
Die silberweissen und die schwarzen bandartigen Abtheilungen der Mus-
kelfasern in dem dunkeln Gesichtsfelde und die verschiedenfarbigen,
auf dem rothen Gypsgrunde, die man aus der Abwechselung von
Disdiaklasten und einfach brechenden Massen herzuleiten suchte,
erscheinen auch im Embryo nur dann, wenn Biegungen vorhanden
sind, und liefern in diesem Falle die gleichen Aenderungen bei der
Drehung des Präparates in seiner Ebene, wie ich sie aus den Mus-
keln oder den Sehnen der erwachsenen Geschöpfe geschildert und
optisch erklärt habe. Die Falten der Haut jüngerer Hühnerembryo-
nen können ebenfalls ähnliche blaue, gelbe und rothe Bänder auf
rothem Gypsgrunde, die mit dem Ausgleiche der Faltungen schwin-
den, vorführen.
8) Ich habe schon mehrfach bemerkt, dass man nicht berech-
tigt ist, von marklosen Nervenfasern zu sprechen, weil das polari-
sirte Licht Markmassen nach Einschaltung eines Gypsblättchens
z.B. in den in der Netzhaut verlaufenden Nervenfasern, in den Fa-
sern der Geruchsnerven oder den Nervenfasern der Geruchsschleim-
haut nachweist, wo das gewöhnliche Licht keine Spur derselben
Beiträge zur Mikroskopie. 155
anzeigt. Versagt aber auch der Gebrauch des rothen Gypsgrundes
bei den feinsten Fasern, so kann dieses eben so gut von dem Man-
gel des Markes, als davon herrühren, dass jene eine zu geringe
Dicke besitzen. Die Benutzung des polarisirten Lichtes zeigt auch
im Embryo die Anwesenheit von Mark und von Nervenfasern über-
haupt um Vieles früher an, als die mikroskopische Beobachtung in
gewöhnlichem Lichte.
9) Hatte ich den Gedanken, dass die Stäbchen der Jacob-
schen Haut Endfortsetzungen der Fasern des Sehnerven seien, aus
physiologischen Gründen von je her bezweifelt, so mussten mich
meine Untersuchungen in polarisirtem Lichte hierin nur bestärken.
Denn während das Mark der Nervenfasern in Verhältniss zur Längs-
achse negativ ist und daher der Achsenebene des Gypsblättchens
parallel orientirt den rothen Grund gelb färbt, sind die Stäbchen
des erwachsenen Geschöpfes, z. B. des Frosches, in Bezug auf die
Längsachse positiv. Sie erzeugen daher eine blaue Farbe, wenn die
Nervenprimitivfasern eine gelbe hervorbringen und umgekehrt. Die
Embryologie kann noch einen neuen Grund hinzufügen. Die stets
positive Doppelbrechung der Stäbchen tritt beträchtlich später auf,
als sich der Markinhalt in den Nervenprimitivfasern der verschie-
denen Körpertheile und selbst des Sehnerven und der Netzhaut
absetzt.
10) Der Gebrauch des rothen Gypsgrundes eignet sich sehr
gut, die allmählige Zunahme und Verbreiterung der Markmasse in
den Nervenprimitivfasern während des Laufes der Entwickelung nach-
zuweisen.
11) Beobachtete ich einen künstlich gesonderten, auf dem rothen
Gesichtsfelde parallel der Achsenebene gestellten und daher gelb
erscheinenden embryonalen Nerven während der galvanischen Rei-
zung, so zeigte sich keine, wenigstens für mein Auge deutliche
Farbenänderung, wenn sich auch die entsprechenden Muskelmassen
lebhaft zusammenzogen. Endlich
12) können schon Nervenfasern, in denen selbst der rothe
Gypsgrund noch keinen Markinhalt nachweist, Erregungen fortleiten.
Man nimmt, um dieses zu zeigen, eine Kaulquappe, deren Extre-
mitäten noch nicht hervorgesprossen. Die unter stärkeren Vergrös-
serungen vorgenommene Untersuchung des Schwanzes zeigt leicht
die Nervenstämme unmittelbar nach ihrem Austritte aus der Wirbel-
säule mit ihren ferneren Verzweigungen und Netzbildungen. Stellt
156 G. Valentin: Beiträge zur Mikroskopie.
man eines der Stämmchen, welche dem vorderen Theile des Schwan-
zes angehören, so ein, dass seine Längsachse der Achsenebene des
Gypses parallel läuft, so erscheint es gelb und wird nach einer
Azimuthaldrehung von 90° blau. Man erhält also auf diese Weise
die Zeichen des Markinhaltes. Hat man die richtige Entwickelungs-
stufe getroffen, so fehlen noch jene Merkmale an den sämmtlichen
Nervenstämmcehen des hintersten abgerundeten Schwanzendes. Sticht
man aber diesen Theil mit einer sehr feinen Nadelspitze, so be-
antwortet das Thier den Eingriff sogleich mit lebhaften Körper-
bewegungen.
Ueber die erste Entwickelung des Herzens und der
Pericardial- oder Herzhöhle bei Bufo cinereus.
Von
Dr. Josef Oellacher,
Proseetor am anatomischen Institut zu Innsbruck.
Hierzu Tafel XVI.
Wir finden in der embryologischen Literatur über die erste
Entwickelung des Herzens und der Herz- oder Pericardialhöhle bei
den Batrachiern zwei verschiedene Ansichten; die eine stammt von
Reichert, die andere von Remak.
Nach Reichert bildet sich das Herz bei den Batrachiern
aus einer vorspringenden Partie der Hauptdottermasse; die Herz-
höhle wird zuerst vom Kiemenbogenträger und der Membrana reu-
niens inferior unvollständig begrenzt, dann aber durch eine später
zwischen jenen entstehende Scheidewand, die das Herz von der Haupt-
dottermasse abschnürt, vollständig abgeschlossen.
Remak dagegen gibt nur an, dass das Herz dort, wo die kanal-
förmigen Enden der Pleurahöhlen an der Bauchfläche des Embryo
zusammenstossen, innerhalb einer in der Schlundplatte gelegenen
Lücke entstehe.
Ausserdem ist es eine von den beiden genannten Autoren ver-
tretene Ansicht, dass das Herz bei den Batrachiern sowohl als auch
bei dem Hühnchen als eine »solide« Masse sich anlege, die erst
später hohl werde.
Schenk hat nun (W. S.-B. Bd. LIV.) beim Hühnchen gezeigt,
dass das Herz in seiner ersten Anlage eine »von Anfang an
schon hohle Ausstülpungder Darmfaserplatte« darstelle.
158 Dr. J. Oellacher:
Seine Arbeit verbreitete zum ersten Male Licht über das Ver-
hältniss der Keimblätter zur Entstehung des Herzens, andererseits
aber widerlegte er auch durch dieselbe die obige Ansicht, dass das
Herz als eine solide Masse entstehe und erst im Verlaufe einer wei-
teren Entwickelung hohl werde.
Bezüglich der Batrachier ist der Widerspruch zwischen den
angeführten Ansichten Reichert’s und Remak’s noch bis heute
ungelöst, und das bewog mich, die erste Entwickelung des Herzens
und der Pericardialhöhle bei Bufo cinereus zum Gegenstande meiner
Untersuchungen zu machen, deren Resultate ich hier mittheile.
Wenn ich bei der grossen Uebereinstimmung im Plane der
Entwickelung der verschiedenen Wirbelthiere mit der Erwartung an
diese Untersuchungen ging, wenigstens theilweise auf Verhältnisse
zu stossen, die denen beim Huhn ähnlicher sind, als es besonders
nach der von Reichert mitgetheilten Ansicht der Fall sein müsste,
so wurde ich in dieser meiner Erwartung nichts weniger als ent-
täuscht. Ich fand im Gegentheil, dass sich wenigstens das Herz
bei Bufo cinereus im Wesentlichen gerade so anlegt, wie Schenk es
für das Hühnchen beschreibt.
Um mich zunächst über die Lage des Herzens bei den zu
untersuchenden Embryonen genauer zu orientiren, fertigte ich an
in Chromsäure erhärteten Exemplaren, von denen ich wusste, dass
das Herz vermöge ihrer sonstigen vorgeschrittenen Entwickelung
schon lange gebildet sein musste, Sagittalschnitte an, bei noch älte-
ren Embryonen isolirte ich das Herz mit der Präparirnadel.
Auf diese Weise überzeugte ich mich, dass das Herz erst über
dem hinteren Theile des bekannten Haftorganes an der Bauchfläche
des Kopfbruststückes liegt und bei seiner weiteren Entwickelung
immer mehr über dasselbe hinaus zurückrückt.
Mit diesem Resultate ging ich daran, die frühesten Stadien
der Herzentwickelung an jüngeren Embryonen und zwar auf Quer-
schnitten zu erforschen. |
Bei der Anfertigung der Schnitte leisteten mir folgende Prä-
parationsmethoden gute Dienste. Ich erhärtete die Embryonen bis
zur völligen Entfärbung des Pigments in CrO; und legte sie dann
zuvor in Alkohol und vor dem Einbetten in Wachs und Oel noch
auf mehrere Stunden in Glycerin — oder ich unterbrach die Er-
härtung in CrO; etwas vor der völligen Entfärbung und legte
Ueber die erste Entwickelung des Herzens etc. bei Bufo cinereus. 159
wieder erst in Alkohol, dann aber in Terpentin ein, wobei die Em-
bryonen am wenigsten brüchig wurden.
Das Stadium der ersten Entwickelung des Herzens fand ich
an Embryonen, bei denen der Schwanz eben hervorzuwachsen be-
gonnen hat. An solchen liegt das Herz noch fast ganz über dem
hinteren Theile jenes Hautlappens an der Bauchfläche des Kopf-
bruststückes, der sich später zu dem bekannten Haftorgane ausbildet.
Ein Querschnitt durch den Embryo, so ziemlich mitten durchs
Herz getroffen, zeigt folgende Verhältnisse:
Die Spaltung des mittleren Keimblattes in Hautmuskel- und
Darmfaserplatte ist im ganzen Umfange des Darmkanales ausge-
sprochen, die beiden Platten berühren sich jedoch gegenseitig mit
Ausnahme zweier am untern Umfange des Darmes, seitlich von der
Medianlinie gelegenen Stellen.
Am untern Umfange des Darmkanals nämlich zeigt sich die
Hautmuskelplatte durch eine in der Mitte gelegene hohle und wenig
mehr als einen Halbkreis betragende bogenförmige Ausstülpung
(Fig. 1 c‘) der Darmfaserplatte nach unten gedrängt.
Diese berührt mit ihrer grössten Convexität in der Median-
linie die concave Seite der Hautmuskelplatte (Fig. 1b). Seitlich
von dieser Stelle stehen beide Platten von einander ab, so dass also
zu beiden Seiten der Ausstülpung je ein hohler, auf dem Quer-
schnitte dreieckiger Raum (Fig. lc) entsteht, der nach innen und
oben von der Darmfaserplatte, nach aussen und unten von der Haut-
muskelplatte begrenzt wird.
Die nach unten ausgestülpte Partie der Darmfaserplatte
schliesst einen Raum ein, der nach oben vom Darmdrüsenblatt ge-
deckt ist.
Sowohl der eben beschriebene, von der Ausstülpung der Darm-
faserplatte umschlossene mittlere, als auch die früher erwähnten
seitlich von ihm gelegenen dreieckigen Räume sind nicht leer, son-
dern von Zellmassen erfüllt, über deren Ursprung ich nichts aus-
sagen kann; durch ihr lockeres Gefüge sind sie jedoch von’ den
Keimblättern hinlänglich als eigene Gebilde unterschieden.
Von der in dem mittleren Raume enthaltenen Zellmasse (Fig.
1 H) muss ich noch erwähnen, dass ihre untersten Elemente (Fig. 1 e)
ziemlich deutlich in eine Reihe geordnet sind und der entsprechen-
den Partie der Ausstülpung der Darmfaserplatte wie eine sie un-
vollkommen auskleidende Schichte anliegen.
160 Dr. J. Oellacher:
Bildet die Ausstülpung auf dem Fig. 1 abgebildeten Schnitte
einen Bogen, der etwas weniges mehr als einen Halbkreis beträgt,
so erscheint sie dagegen auf einem vor demselben gelegenen (Fig. 2)
bedeutend flacher. Körperlich genommen dürfte also dieselbe dem
Segmente einer Kugel oder eines Ellipsoides gleichen. Auch hier
liegt zwischen dem ausgestülpten Theile der Darmfaserplatte und
dem darüber wegziehenden Darmdrüsenblatte eine den gegebenen
Raum (Fig. 2H) erfüllende Zellmasse.
Nirgends berührt auf diesem Schnitte die ausgestülpte Darm-
faserplatte die Hautmuskelplatte; sie ist vielmehr von ihr durch
Einen gebogenen und von einer Zellmasse erfüllten Raum getrennt
(Fig. 2 P).
Offenbar ist dieser Raum der Vorläufer der beiden Fig. 1 ge-
zeichneten dreieckigen zu beiden Seiten der Ausstülpung. Aus der
Combination des Schnittes Fig. 1 und 2 ergibt sich daher, dass wir
es hier mit einer Ausstülpung der Darmfaserplatte zu thun haben,
die in einen nach unten von der Hautmuskelplatte begrenzten
Raum hineinragt und diese an einer Stelle mit ihrer grössten Con-
vexität berührt.
Diese soeben geschilderte Ausstülpung der Darmfaserplatte
muss ich zunächst wegen ihrer Lage oberhalb jenes früher erwähn-
ten Hautlappens, als auch wegen ihrer ferneren, gleich weiter zu
verfolgenden Entwickelung für die erste Anlage des Herzens er-
klären, und somit ergibt sich die Deutung des dieselbe umgebenden
Raumes als Pericardialhöhle oder Herzhöhle der Embryo-
logen von selbst.
Was die erste Anlage des Herzens betrifft, so sehen wir also,
dass sie bei Bufo einereus, gerade so wie beim Hühnchen, sich als
eine Ausstülpung der Darmfaserplatte darstellt. Ein späteres Sta-
dium, das ich gleich beschreiben werde, wird die Aehnlichkeit der
ersten Entwickelung des Herzens beim Hühnchen, wie sie Schenk
beschreibt, mit den bei Bufo cinereus noch deutlicher hervortreten
lassen.
Der Raum, in den das Herz hineinhängt, die Pericardialhöhle,
verdankt zunächst ihre Entstehung der Ausstülpung der Darmfaser-
platte, durch welche diese und die Hautmuskelplatte zum Ausein-
anderweichen gebracht werden; dazu musste jedoch die Spaltung
des mittleren Keimblattes nothwendig vorausgehen.
Es ist nicht zu verkennen, dass die Entstehung der Pericar-
Ueber die erste Entwickelung des Herzens etc. bei Bufo cinereus. 161
dialhöhle auf denselben Vorgängen beruht wie die der Pleurahöh-
len; beide verdanken ihr Dasein der Spaltung des mittleren Keim-
blattes und der Auseinanderdrängung der Spaltungsprodukte der-
selben durch ein zwischen sie vom Darme her sich vorstülpendes
Organ, das im einen Falle die Lunge ist, im andern das Herz.
Pericardialhöhle und Pleurahöhle sind also in
ihrer Entstehung analog; sofern aber die eigentliche Vor-
bedingung dieses Processes die Spaltung des mittleren Keimblattes
ist, können wir die Pericardialhöhle als ein Analogon der
ganzen Pleuroperitonealhöhle auffassen.
Ein in der Entwicklung dem eben beschriebenen sich anschlies-
sendes, aber weiter vorgeschrittenes Stadium zeigt das Herz ziem-
lich vergrössert, es liegt fast ganz hinter dem erwähnten Hautlappen
an der Bauchfläche des Kopfbruststückes. Auf dem Durchschnitte
Fig. 3, der so ziemlich durch den grössten queren Umfang des Her-
zens geht, hat es im Ganzen eine querovale Form, auf hinter und
vor demselben gelegenen (Fig. 4) eine viereckige rundliche. Das
ganze Herz stellt demnach einen spindelförmigen, in der Mitte ab-
geflachten Schlauch dar. Die weite Oeffnung im früheren Stadium,
die vom Darmdrüsenblatte überbrückt erschien, ist verschwunden;
das Herz steht im Begriffe, sich von der Darmwand abzuschnüren.
Der Schnitt Fig. 3 durch die Mitte des Herzens zeigt, dass
das Drüsenblatt nicht mehr frei auf der Inhaltsmasse des Herzens
aufliegt, sondern dass sich die Darmfaserplatte zwischen beide in
zwei Lagen eingeschoben hat. Die untere desselben entspricht
(Fig. 3c‘) der obern Wand des Herzens, während die obere das
früher durch die Ausstülpung entblösste Stück des Darmdrüsenblat-
tes überzieht (Fig. 3 c). Diese beiden Schichten von Darmfaser-
platte, wovon also die untere dem Herzen, die obere dem Darm
angehört, sind auf Fig. 3 allerdings nur durch einen schwachen Con-
tour getrennt; ein weiter rückwärts gelegener Schnitt (Fig. 4) zeigt
jedoch deutlich die doppelte Darmfaserplatte. Das Herz erscheint
auf demselben rundlich viereckig, rings geschlossen und an einem
Stiele hängend (Fig. 5 M), welcher durch den Uebergang der Darm-
faserplatte von Darm auf Herz gebildet wird. Dieser Stiel scheint
aus zwei bis zur innigsten Berührung genäherten Lamellen gebildet,
deren linke in die linke, deren rechte in die rechte Herzwand über-
162 Dr. J. Oellacher:
geht. Das Herz hängt somit durch eine Art »Mesocardium«
mit dem Darm zusammen, wie dieser an die Wirbelsäule durch ein
Mesenterium befestigt ist.
Es geht aus diesen Bildern Fig. 3 und 4 hervor, dass das
Herz um diese Zeit entweder über die Anheftungsstelle hinaus-
gewachsen sei, oder aber dass sich ein Theil der Anheftung abge-
schnürt haben muss.
Was die Wand und den Inhalt des Herzens anlangt, so hat
sich die erstere, unzweifelhaft auf Kosten des letzteren, bereichert;
statt aus einer Schichte, wie früher, besteht sie jetzt aus zweien,
aus einer äusseren dickeren, der ursprünglichen ausgestülpten Darm-
faserplatte, und einer inneren dünneren einzelligen.
Den eben geschilderten zwei ersten Stadien der Entwickelung
des Herzens will ich noch zwei weitere anschliessen, die ich jedoch,
da sie nicht mehr streng in die Grenzen hineingehören, die ich
meiner Arbeit hier gezogen habe, nur in Kürze abhandeln will. Ich
kann auch die auf den betreffenden Schnitten Fig. 5 und 6 abgebil-
deten Einzelheiten, ohne die späteren Veränderungen des Herzens
genau zu kennen, nicht mit Sicherheit deuten.
Fig. 5 zeigt einen Querschnitt durch das Herz, etwas vor des-
sen Mitte; dasselbe verhält sich zum Darm sowohl als zur Pericar-
dialhöhle ganz so wie früher auf Fig. 3, ebenso was die Schichtung
der Wand anlangt. Worin dieser Querschnitt von dem Fig. 3 ab-
weicht, das ist die Form desselben. Das Herz erscheint auf der
einen Seite (rechts) enger und zu beiden Seiten in einen Kanal
ausgezogen (Fig. 5 HK‘). Gleichzeitig ist die untere Wand nach
oben leicht eingebogen. Diese Einbiegung, sowie auch die seitliche
Asymmetrie des Herzraumes war auch schon auf Fig. 3 schwach,
aber doch nicht undeutlich ausgesprochen; von den Kanälen aber
war nichts zu beobachten. Der Inhalt des Herzens war auf diesem
Schnitte theilweise ausgefallen, nur in der Mitte liegt eine Zell-
masse, die stellenweise die Wand berührt. — Die innere Schichte
der Herzwand Fig. 5 e setzt sich in die links und rechts abgehen-
den Kanäle hinein fort.
Fig. 6 zeigt einen Schräg-Querschnitt durch die Mitte des Her-
zens an einem gegen den vorigen etwas entwickelteren Embryo.
Das linke Ende des Querschnittes des Herzens hat sich von der
Darmwand losgelöst, die rechte Partie ist am Abgange des seit-
lichen Kanales (Fig. 6 K) relativ zur Ausdehnung des Herzlumens
Ueber die erste Entwickelung des Herzens etc. bei Bufo cinereus. 163
enge; der Kanal selbst erscheint auf dem Schnitte wie in eine
Spitze ausgezogen. Auch hier setzt sich die das Herz auskleidende
Schichte in den Kanal hinein fort, überdies erscheint er aber bei
starken Vergrösserungen noch von derselben Zellmasse erfüllt wie
das ganze Herz selbst. }
Auf den Schnitten Fig. 5 und 6 sind die Kanäle mit ihren
spitz auslaufenden Enden wie zwischen Darmfaserwand und Haut-
muskelplatte eingetheilt.
Dass die Kanäle Gefässen entsprechen, ist wohl ausser Zwei-
fel und ich möchte daher die Zellmasse, die sich vom Herzen in
dieselben hinein erstreckt, um so mehr für embryonales Blut erklä-
ren. Was jedoch die Auskleidung des Herzens anlangt, so muss es
trotzdem sie sich in die Gefässe hinein fortsetzt, noch unentschieden
gelassen werden, welche Theile der Gefässwand — oder im Herzen
des Endocards — sich aus derselben bilden.
Ich leite die innere auskleidende Schichte von den Zellen ab,
die das Herz früher erfüllten; ein Vergleich der Figg. 3 und 4 mit
Fig. 1 wird diesen Schluss rechtfertigen. Ich machte schon dort
aufmerksam, dass die untersten Elemente der das Herz erfüllenden
Zellmasse in eine Reihe geordnet seien; sie scheinen sich zum
Herzcavum wie eine beginnende Auskleidung zu verhalten. Die
Zellmasse, welche auf Fig. 1 und 2 das Herz erfüllte, ist aber nichts
weniger als verschwunden; auf Fig. 3 sehen wir den Querschnitt
des Herzens von kleinen Zellen erfüllt, und auf Fig. 4liegt an einer
Stelle der Herzwand ein Haufen ähnlicher Zellen an.
Ich weiss nicht, ob ich die neue Schichte, um die die Herz-
wand zugenommen hat, als Endothel oder als Endocard deuten
darf, aber soviel scheint mir gewiss, dass die äussere Wand als die
musculosa aufzufassen ist, indem die beiden Schichten auch in viel
späteren Stadien, wo das Herz schon lange pulsirt, sich ebenso ver-
hielten wie hier.
Schenk fand beim Hühnchen ganz dieselben Verhältnisse,
nur den Inhalt des Herzens erwähnt er nicht, obwohl er in dem-
selben einige Blutkörperchen abbildet, die der Wand anzuhaften
schienen.
In späteren Stadien fand Schenk, dass die äussere Schichte
der Herzwand in das Lumen des Herzens hinein Auswüchse her-
vortreibe, was ihn bewog, dieselbe für die Muskelschichte zu halten.
Den zelligen Inhalt des Herzens, den ich früher schon erwähnte
164 Erklärung der Abbildungen auf Taf. XVI.
und jetzt sowohl als auch in späteren Stadien stets wiederfinde,
kann ich wohl nicht anders als für Blut erklären.
Das Verhältniss des Herzens zur Pericardialhöhle anlangend,
so stellt sich dasselbe hier folgendermassen dar:
In Fig. 3 haftet das Herz sozusagen am Darm mit seiner gan-
zen oberen Wand an, in der Quere füllt es den ihm gegebenen
Raum völlig aus und nur nach unten zu bleibt zwischen der unte-
ren Herzwand und der Hautmuskelplatte ein Raum übrig, der von
einer Zellmasse locker erfüllt ist. Auf Fig. 4 liegt das Herz da-
gegen mit seiner unteren Wand der Hautmuskelplatte an, während es
nach oben zu um die Länge des Mesocardiums vom Darme absteht.
Hier existirt also über dem Herzen ein durch das Mesocardium ge-
theilter Raum; auch dieser ist von Zellen theilweise erfüllt, die um
das Herz selbst dichter angehäuft erscheinen und somit vielleicht
das Material für ein Endothel des Pericards oder für dieses selbst
liefern dürften.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. XV.
Sämmtliche 6 Figuren sind mit Hartnack System 4, Ocular 3 und ein-
geschobenem Tubus gezeichnet; sie geben die unteren Hälften von Querschnit-
ten durch das Kopfbruststäck der Embryonen von Bufo cinereus, so zwar,
dass auf denselben vom Darmrohr blos das untere, der Bauchfläche zugewen-
dete Segment erscheint.
Fig. 1 stellt einen Schnitt durch einen Embryo dar, dessen Schwanz
soeben hervorzuwachsen beginnt. Er trifft das sich eben entwickelnde Herz
senkrecht auf seine Längsachse und in seinem grössten Querdurchmesser.
a bezeichnet das obere Keimblatt oder die Epidermis;
b die Hautmuskelplatte;
c die Darmfaserplatte, soweit sie die Faserwand des Darms darstellt;
d das Darmdrüsenblatt;
c‘ das embryonale Herz, eine Ausstülpung der Darmfaserplatte dar-
stellend;;
H die Herzhöhle von Zellen erfüllt;
e einige dieser Zellen, die sich wie eine beginnende Auskleidung zur
Herzwand zu verhalten scheinen;
Erklärung der Abbildungen auf Taf. XV]. 165
PP die Pericardialhöhle oder Herzhöhle der Embryologen, hier da-
durch, dass das Herz die Hautmuskelplatte an einer Stelle berührt, doppelt
erscheinend. Auch diese Höhle ist von Zellen erfüllt;
D die Darmhöhle;
Hfo das Haftorgan an der Bauchfläche des Kopfbruststückes.
Fig. 2. Ein Schnitt durch denselben Embryo, etwas vor dem vorigen
gelegen, durch den vordersten Theil der Ausstülpung der Darmfaserplatte,
die das Herz darstellt.
P die Pericardialhöhle erscheint hier einfach, da die Ausstülpung der
Darmfaserplatte e’ die Hautmuskelplatte b nicht berührt.
Die übrigen Buchstaben wie in Fig. 1.
Fig. 3. Schnitt durch einen etwas älteren Embryo; hinter den als
Haftorgan bezeichneten Hautlappen (Hfo Fig. 1) fallend und durch den
grössten Querumfang des abgeschnürten Herzens.
ce Darmfaserwand;
c‘ obere Herzwand, der unteren Darmwand völlig anliegend;
e zellige Auskleidung des Herzens (Endocard oder wahrscheinlicher
blos Endothel).
H Herzhöhle der Anatomen von Zellen erfüllt (Blut);
D, a, d und P wie in den vorigen Figuren.
Fig. 4. Schnitt von demselben Embryo wie der vorige, hinter dem-
selben gelegen.
H die Herzhöhle von einer Lage e ausgekleidet, ist vom Darm abge-
schnürt; edie Darmfaserwand und c’ die musculöse Herzwand gehen
durch das zweiblätterige Mesocardium M ineinander continuirlich über.
Die übrigen Buchstaben wie in Fig. 1.
Fig. 5. Schnitt durch einen noch älteren Embryo. Er trifft das Herz
noch etwas vor der Mitte und geht wieder durch das Haftorgan Hfo.
H die Herzhöhle ist von einer Zelllage ausgekleidet und enthält über-
dies Blutzellen; nach beiden Seiten zieht sie sich in zwei ebenso von einer
Zelllage ausgekleidete Kanäle KK‘ aus (Gefässe), die zwischen Darmfaser-
und Hautmuskelplatte einzudringen scheinen.
Alle übrigen Buchstaben wie früher.
Fig. 6. Schrägquerschnitt aus einem wenig älteren Embryo. Das
Herz zeigt blos einen abgehenden Kanal k, der sich verhält wie die beiden
früheren in Fig. 5. Die Herzhöhle H von Blut ganz erfüllt.
Alle’anderen Buchstaben wie früher.
M. Schultze, Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 7. 12
Beiträge zur Kenntniss der Nerven, Blut- und
Lymphgefässe der Kehlkopfschleimhaut.
Von
Dr. Boldyrew
aus Kasan.
Im vergangenen Sommer - Semester beschäftigte ich mich im
Berliner physiologischen Laboratorium mit der Untersuchung der
Nervenendigungen in der Schleimhaut des Larynx und der Trachea.
Ich untersuchte die Schleimhaut verschiedener Säugethiere (Hund,
Kaninchen, Schaf, Kalb und Schwein), und theile hier die Resultate
meiner Untersuchungen kurz mit.
Wir finden in den Lehrbüchern (Henle, Kölliker) keine
positive Angaben über die Nervenendigungen des Kehlkopfes.. Von
Spezial-Arbeiten sind mir als hierher gehörig nur die Untersuchun-
gen von Rheiner!), Neumann?), Verson), v. Luschka‘)
und Lindemann?) bekannt geworden.
Die Methode meiner Untersuchungen war folgende: Ich nahm
einen ganz frischen Kehlkopf und präparirte so schnell und so fein
wie möglich die Schleimhaut ab. Die so erhaltenen Schleimhaut-
stücke wurden mit den verschiedensten Reagentien (Goldchlorid von
1) Beiträge zur Histologie des Kehlkopfes. Würzburg 1852. Dissert.
2) Om byggnaden af Luftröhrshafradet hos den fullwäxta inneniskan.
Lund. 1851.
3) Handbuch der Lehre von den Geweben von Stricker. 1870.
4) Dieses Archiv Bd. V. 1869.
5) Zeitschrift f. rationelle Mediein von Henle und Pfeuffer. Dritte
Reihe, XXXVI. Band, 2. Heft. 1869.
Dr. Boldyrew: Beiträge zur Kenntniss der Nerven, Gefässe etc. 167
1/0 bis zu Ya %/; Osmiumamid von "/ıo °/o; Osmiumsäure von Yıo
bis 1%0; Pierinsäure, Jodserum, verdünnter Müller’schen Lösung
und den bekannten dünnen Chromsäure-Lösungen), theils macerirend,
theils erhärtend behandelt. Am vortheilhaftesten erwies sich für
meine Zwecke unter allen diesen Reagentien die Behandlung mit
Goldcehlorid, die ich in den meisten Fällen und mit dem besten Er-
folge genau nach der Gohnheim’schen Methode vornahm. Ich
liess die frischen Membranstücke in der halbprocentigen Lösung
nicht länger als 15 bis etwa 20 Minuten, kurz bis zu dem Augen-
blicke, wo das Präparat eine strohgelbe Farbe angenommen hatte.
Dann nahm ich das Präparat heraus und legte es in destillirtes
Wasser, welches ebenso wie die Lösung von Goldehlorid mit einem
Tropfen Essigsäure versetzt war. Eine dunkelviolette Farbe erhielt
man gewöhnlich alsdann, wenn die Präparate eine lange Zeit hindurch
(12—16 Tage) im Wasser gelegen hatten. Freilich waren in diesen Fällen
dann ganz ebenso wie die Nerven auch die Capillaren prächtig
dunkelviolett gefärbt, so dass die Erkennung der ersteren mitunter
ihre Schwierigkeiten hatte. Die Präparate, die mit Ueberosmium-
säure und mit einer Lösung von Osmiumamid behandelt wurden,
konnten bereits nach 24 Stunden untersucht werden.
Die so behandelten Schleimhautstückchen können nun in der ver-
schiedensten Weise zur Untersuchung verwendet werden. Entweder
fertigt man feine senkrechte Querschnitte durch die ganze Dicke
der Schleimhaut an, um über die Situation und die allgemeinen
Verhältnisse klar zu werden. Oder wenn es sich darum handelt,
die Epithelschicht und etwaige in ihr befindliche Gebilde zu studi-
ren, trägt man diese mittelst feiner Lanzette von ihrer bindege-
webigen Grundlage. Endlich eine sehr gute Methode, deren ich
mich viel bediente und die in der That ganz vorzüglich geeignet
ist, die :n der subepithelialen Schicht gelegenen Nervenendigungen
kennen zu lernen, bestand darin, von der mit Goldchlorid resp.
mit Osmium behandelten Schleimhaut einen feinen flachen Schnitt
abzutragen, denselben auf einen Objectträger in einem Tropfen Glycerin
auszubreiten und dann durch vorsichtiges Schaben mit einer Staar-
nadel von seiner Epithellage zu befreien.
Bei den nach diesen Methoden angefertigten und wohlgelunge-
nen Präparaten konnte man unmittelbar unter der Subepithelial-
Schicht der Epiglottis und der übrigen Theile des Kehlkopfes sehr
schön die ziemlich regelmässigen Maschen eines aus Nervenstämmchen
168 Dr. Boldyrew:
sich zusammensetzenden Netzes wahrnehmen. Die gröberen Maschen
sind grösstentheils rhombisch und ziemlich regelmässig angeordnet. Bei
dieser Gelegenheit beobachtete man, dass die Hauptstämme stets
geradlinig und annähernd parallel untereinander verlaufen. Von
ihnen gehen feine perpendiculäre markhaltige Verzweigungen ab,
welche sämmtlich untereinander ein Netz bilden. Von einer solchen
netzförmigen Anordnung spricht auch Lindemann, allein er stellt
die Maschenräume der doppelt conturirten Nerven nicht in der regel-
mässigen Gestalt dar, in welcher ich sie bei meinen Präparaten ge-
sehen habe. Vielmehr ist die Regelmässigkeit des in der Schleim-
haut gelegenen Netzes feiner und feinster Nervenstämmchen stets
ein ganz constantes Vorkommen, wie dasselbe von der Epiglottis be-
reits von Beale!) und Neumann dargestellt wurde und wie eine
ganz übereinstimmende regelmässige Netzbildung aus dem Bereich
vieler anderer Schleimhäute, so z. B. von Billroth?) vom Darm-
kanal und noch ganz neuerdings von Trütschel?) von der Schleim-
haut des Magens beschrieben worden ist.
Aus diesem Netz gehen endlich einzelne Nervenprimitivfasern
hervor, welche gestreckt oder gewunden durch das Gewebe der
Schleimhaut nach aufwärts verlaufen. Sehr eigenthümlich ist an
ihnen die reichlich mit (bei der Behandlung mit Goldchlorid sehr
deutlich hervortretenden) Kernen besetzte Schwann’sche Scheide,
welche im Vergleich zu der Feinheit des nur mit einer dünnen
Schicht von Nervenmark bekleideten Axencylinders ausserordentlich
mächtige Dimensionen besitzt. Endlich endigen diese Nervenfasern
frei im Gewebe, gewöhnlich mit einer leichten Anschwellung; mit-
unter gewinnt es auch den Anschein, als ob die Nervenfaser in eine
kernhaltige granulöse Masse überginge.
Es ist sehr schwer, eine allgemein gültige Darstellung dieser
Nervenendigungen zu geben und aus den verschiedensten Bildern, die
sich dem Beobachter darbieten, ein allgemeines Princip herauszu-
finden. So zuweilen sehen wir eine einzige markhaltige Nervenfaser
von beträchtlicher Breite innerhalb einer dieselbe wie ein weiter
Sack umgebenden Schwann’schen Scheide in einer gleichfalls von
1) Archives of medecine vol. III. 1862 Nr. 12.
2) Virchow Cellularpathologie Fig. 87.
3) Centralblatt Nr. 8, Febr. 1870.
Beiträge zur Kenntniss der Nerven, Blut- und Lymphgefässe etc. 169
derselben überzogenen Anschwellung endigen. Auch kommt es vor,
dass kurz vor der Endigung eine dichotomische Theilung des Axen-
cylinders stattfindet. Die Schwann’sche Scheide umhüllt deutlich
zwei kolbenartige Endanschwellungen, in denen ein resp. zwei rund-
liche Kerne liegen. Manchmal geht die markhaltige Nervenfaser in
eine elliptische granulirte Masse über. In andern Fällen sehen wir
auch ein ähnliches Bild, blos mit dem Unterschiede, dass das Ka-
liber der markhaltigen Nervenprimitivfaser ein beträchtlich feineres
ist, wie in den bisher besprochenen Präparaten. Ihre Endigung
geschieht in der Weise, dass sie in ein glänzendes, durch Goldchlo-
rid ebenso wie die Markscheide intensiv gefärbtes Körperchen über-
gehen. Die Gestalt dieses Körperchens ist eine verschiedene: ent-
weder ähnelt es mehr einem spitzen Zapfen, oder einem rundlichen
Knopf.
Nur ein einziges Mal ist es mir gelungen, die Endigung einer
marklosen-Nervenfaser zu demonstriren. Von einem ziemlich star-
ken markhaltigen Nerven, der in einer weiten Schwann’schen
Scheide verläuft, zweigt sich ein feines markloses Aestchen ab, wel-
ches ebenfalls von einer ziemlich weiten Schwann’schen Scheide
umgeben ist und in einem ganz ähnlichen Endknöpfchen endigt.
Es erhebt sich nun die Frage, ob sämmtliche sensibeln Ner-
venfasern der Kehlkopfschleimhaut in der oben beschriebenen oder
doch einer ähnlichen Weise, innerhalb der bindegewebigen Grund-
lage endigen, oder ob über dieselbe hinaus noch besondere Endigungen
sensibler Nerven in dem Epithel selbst vorhanden sind. Mit Me
heit kann ich diese Frage weder bejahen noch verneinen. Markhaltige
Nervenfasern habe ich in das Epithel nicht verfolgen können und
auch die Untersuchung des Epithels selbst hat nicht hinreichend
sichere Anhaltspuncte ergeben, um eine Endigung der Nerven inner-
halb desselben mit Sicherheit behaupten zu dürfen.
Hauptsächlich richteten sich meine Untersuchungen darauf,
innerhalb der mit Platten -Fpithel bekleideten Regionen des Kehl-
kopfs Nervenendigungen nachzuweisen. In der That habe ich hier
nicht selten Bilder erhalten, welche wenigstens das zu beweisen
schienen, dass zwischen den unveränderten Zellen des Plattenepithels
Zellen vorkommen, die sich durch ihre intensive Imbibition mit den
färbenden Reagentien (Goldchlorid, Osmiumsäure) auszeichnen, und
von denen nicht selten gefärbte Ausläufer auszugehen schienen. Ich
brauche kaum auf die Aehnlichkeit aufmerksam zu machen, welche
170 Dr. Boldyrew:
dieselben mit den von Langerhans und Podkopaen!:) ge-
gebenen Abbildungen besitzen, welche die innerhalb des stratum
mucosum der Epidermis des Menschen und der Säugethiere gelege-
nen nervösen Zellen darstellen. Ich muss aus eigener Erfahrung
bekennen, dass die fast stets unberechenbaren Einwirkungen der
hier in Frage kommenden Reagentien speciell auf die Epithelien
nur zu häufig rein zufällig sind und uns oft Bilder produciren, welche
Verhältnisse und Unterschiede, die in der Natur nicht begründet
sind, vortäuschen, so dass ich auf Grund dieser Reactionen allein
diese Zellen als nervös nicht in Anspruch nehmen möchte. Andere
Anhaltspunkte, die Natur derselben zu entscheiden, liegen für mich
leider nicht vor. Ja, ich kann nicht mit Sicherheit angeben, ob
wirklich unzweifelhafte Nervenfasern sich bis in das Epithel hinein
verfolgen lassen, und muss daher mein Urtheil über diese fraglichen
Zellen vor der Hand noch suspendiren.
Die Verhältnisse innerhalb der beiden epithelialen Formenkreise,
des Flimmer- und des Plattenepithels, welche innerhalb des Cavum
laryngis vorkommen, sind sehr mannigfaltige und wechselnde. So
kommen z. B. innerhalb der mit Flimmerepithel bekleideten Stellen
enorme Schwankungen in Bezug auf die Form und Dimension der
einzelnen flimmernden Cylinderzellen vor. Die Unterschiede können
so bedeutend sein, dass z. B. von der Kehlkopfschleimhaut dessel-
ben Thieres an einigen Stellen kurze und gedrungene, an anderen
Stellen dagegen wieder dünne und langgestreckte Flimmerzellen
isolirt wurden, der Längendurchmesser den der ersteren durchschnitt-
lich noch um das Vierfache übertraf. Die der bindegewebigen
Grundlage zugekehrte basale Ausfaserung der Flimmerepithelzellen
war besonders an den mit verdünnter Müller’scher Lösung behan-
delten Präparaten deutlich und erreichte oft eine beträchtliche Länge.
Auch innerhalb des Formenkreises der Plattenepithelien kom-
men ganz ausserordentliche Schwankungen der Gestalt und Dimen-
sionen vor. So finden sich, um nur Eines hervorzuheben, bald Stel-
len mit ausgesprochen eckigen, bald mit rundlichen und ovalen
Plattenzellen. Bemerkenswerth ist noch, dass unter den grossen
Epithelzellen sich nicht selten solche fanden, deren Kerne bisquit-
förmig eingeschnürt waren, oder die auch wohl zwei Kerne besassen.
In der Frage, ob die Nervenverzweigungen der Kehlkopf-
1) Dieses Archiv Bd. V, Heft 4, 1869.
Beiträge zur Kenntniss der Nerven, Blut- und Lymphgefässe ete. 171
schleimhaut Ganglien-Zellen führen oder nicht — welche von Linde-
mann und Verson verschieden beantwortet wird — muss ich mich
auf die Seite von Verson stellen, indem es auch mir niemals gelun-
gen ist, Ganglienzellen an den peripheren Nerven - Verästelungen
der Kelılkopfschleimhaut wahrzunehmen.
Die Blutgefässe des Kehlkopfschleimhaut entstammen, wie be-
kannt, vorzüglich zwei Aesten der Art. thyreoid. sup., von denen
der eine, Art. laryngea sup., durch die membrana hyothyreoidea in
den Kehlkopf gelangt und sich hauptsächlich in den oberen Partien
desselben vertheilt, der andere, Art. ericothyreoidea, das ligament.
conicum durchbohrt und die Gegend der wahren Stimmbänder als
Verbreitungsbezirk zugewiesen hat.
Ueber die Anordnung der stärkeren Arterien und Nerven-
stämme hat neuerdings v. Luschk a !) sehr eingehende Untersuchung
veröffentlicht, auf welche hier verwiesen wird.
Ueber die Anordnung und Vertheilung der feineren Gefässe
‚der Schleimhaut liegen Nachrichten von Luschka (l. c.) und Rhei-
ner (l. c.) vor, welche ich im Allgemeinen bestätigen kann, denen
ich äber einige Ergänzungen hinzuzufügen habe.
Ueber die dabei eingeschlagene Methode erwähne ich nur, dass
das Blutgefässsystem des Kehlkopfs verschiedener Säuge-
thiere (Hund, Katze, Kaninchen, Pferd) unter Anwendung des He-
ring’schen Injections-Apparates von der Aorta oder von der Art.
thyreoidea superior aus, bald mit Carmin-Leim, bald mit wässeri-
gem Berlinerblau injieirt wurden. Die sonach in Alcohol erhärtete
Schleimhaut wurde dann theils an Querschnitten untersucht, theils
aber abgelöst und in ihrer gauzen Dicke oder in einzelne Schich-
ten zerlegt betrachtet, nachdem sie mittelst Terpentinöl durchsichtig
gemacht war. ;
Der grosse Reichthum der Kehlkopfschleimhaut an Blutgefäs-
sen liest nicht blos darin, dass dieselben sehr dichte Netze bilden,
sondern noch weiter, dass in der ganzen Ausdehnung derselben
mehrere solche Netze übereinander geschichtet sind, wobei jedoch
die einzelnen Abschnitte der Schleimhaut nicht unwesentliche Ver-
schiedenheiten zeigen.
1) Die Venen des menschlichen Kehlkopfs. Archiv für Anatomie und
Physiologie und wissenschaftliche Medicin von Du Bois-Reymond und Rei-
chert. 1869. Heft IV.
172 Dr. Boldyrew:
An der hinteren Fläche der Epiglottis sind die tiefer
liegenden gröberen Gefässe, Arterien sowohl als Venen, dadurch
ausgezeichnet, dass in langen Bögen von der Basis zur Spitze
aufsteigend sich spitzwinkelig verästeln, und dass in weiterem Verlaufe
die kleinen geschlängelten Zweigchen in schiefer Richtung an die
Oberfläche treten, wo sie dicht unter dem Epithel ein ziemlich regel-
mässiges rundliches Maschenwerk formen, dessen Röhrchen sich von
den Capillaren der übrigen Schleimhautpartien auch noch durch
etwas grössere Breite unterscheiden.
In allen übrigen Bezirken des Kehlkopfs sind die
Blutgefässe der Schleimhaut in drei streng gesonderte Schichten
getheilt, von denen die unterste durch fast rechtwinklige Verzwei-
gungen und Anastomosen der gröberen Stämmchen ein weites, poly-
gonal-maschiges Netz darstellt. Die schief aufsteigenden Ausläufer
dieser Gefässschicht zerfallen ungefähr in der Mitte der Schleimhaut
in zahlreiche feine Röhrchen, welche, sich flächenartig ausbreitend,
ein zweites Netz darstellen, dessen Maschen ebenfalls grösstentheils
eckige Figuren formen, jedoch mehrmals kleiner sind als die des
tiefsten Netzes. Von diesen Gefässchen treten nun in fast senkrech-
ter Richtung äusserst zahlreiche Aestchen an die Oberfläche der
Schleimhaut — im Umkreise einer jeden Masche entspringen deren
mehrere — um erst dort, unmittelbar unter dem Epithel, in ein
feines Capillarnetz überzugehen.
Dieses subepitheliale Netz entsteht dadurch, dass jedes dieser
senkrechten Röhrchen sich in mehrere Zweigchen spaltet, welche in
seichten Bögen flächenartig verlaufen und mit ihren Nachbarn zu-
sammenfliessen, wesshalb ziemlich regelmässige, rundliche oder ovale
Maschen entstehen. Die Sonderung dieser drei Netze ist eine so
vollständige, dass es häufig gelingt, durch sorgfältige Präparation
jedes Einzelne auf grosse Strecken hin für sich isolirt zu gewinnen.
Eine weitere Beschreibung erfordert noch die Anordnung der
Gefässe an den wahren Stimmbändern, an welchen diese
Schichtung am ausgesprochensten sich darstellt. Es drängt sich
hier vor Allem die Erscheinung auf, dass die Maschen der sämmt-
lichen Gefässnetze in auffallender Weise nach der Verlaufs-Richtung
dieser Bänder in die Länge gestreckt sind, während in den übrigen
Bezirken der Schleimhaut der Gefässverlauf Keine regelmässig aus-
gesprochene Richtung einhält.
Die feineren Verhältnisse der Gefässvertheilung an den wah-
Beiträge zur Kenntniss der Nerven, Blut- und Lymphgefässe ete. 173
ren Stimmbändern konnte ich besonders am Pferdekehlkopf studi-
ren, weil mir von demselben die gelungensten Präparate zur Ver-
fügung standen.
Die tiefliegende, gröbere Gefässschichte, sowie das mittlere
Netz zeigen kaum eine andere als die bereits erwähnte Eigenthüm-
lichkeit, dass ihr Verlauf vorwiegend von vorne nach rückwärts ge-
richtet ist, und dass so langgezogene rechtwinkelige Maschen zu
Stande kommen. Das subepitheliale Gefässnetz nimmt aber hier
theilweise einen anderen Charakter an, und zwar wegen der Anwe-
senheit von Schleimhautpapillen, welche ich sowohl am Pferd
als auch am Hund und am Menschen als ein constantes Vorkomm-
niss getroffen habe.
Jede dieser Papillen bekommt durch Abbiegen der Capillar-
röhrchen in das Innere derselben eine Gefässschlinge, deren Schen-
kel bald parallel, bald spiralig umeinander gedreht erscheinen. Da
ferner die Papillen in den vorderen Theilen des Stimmbandes klein
und spärlich, in den mittleren grösser und in regelmässige parallele
Reihen (ähnlich wie im Pharynx) gestellt sind, gegen die cartil.
arytaenoides zu am grössten, aber spärlicher und unregelmässig zer-
streut sich finden, so ergibt sich auch für das subepitheliale Gefäss-
netz dem entsprechend ein verschiedenes Aussehen. Die flachen,
unansehnlichen und spärlichen Gefässschlingen der vorderen Partien,
die steilen, meist gedrehten, regelmässig aneinander gereihten Schlin-
gen der mittleren Partien, und die wieder spärlichen, aber steilen
und stärkeren Gefässschleifen der hinteren Theile des Stimmbandes
verleihen dem subepithelialen Gefässnetz der Stimmbänder einen so
ausgesprochenen Character, dass man an ihnen allein die Stelle, der
das Präparat entnommen ist, diagnostiziren kann.
Ausser diesen, der eigentlichen Schleimhaut angehörigen Ge-
fässausbreitungen findet man an allen jenen Stellen, wo dieselbe
sich ohne Zwischenlage von Muskeln etc. an den Knorpel legt, und
zwar unmittelbar dem letzteren aufliegend, ein eigenthümliches ganz
selbstständiges Gefässsystem, welches ebenfalls leicht für sich dar-
zustellen ist. Dasselbe besteht aus weiten polygonalen Netzen grö-
berer parallel verlaufender Venen und Arterien, deren ansehnliche
Ausläufer nie diese Schichte verlassen. Diese letzteren stellen nur
ganz kurze Stämmchen dar, deren jedes rasch in ein vollkommen
in sich abgeschlossenes, kleines, zierliches, rundmaschiges Netz von
Capillaren zerfällt, welches entweder am Ende dieser Stämmchen
174 Dr. Boldyrew:
aufsitzt, oder um dieselben herum gesponnen ist. Die genauere
Untersuchung zeigte, dass man es hier mit dem Gefässsystem einer
Fettgewebslage zu thun habe, welche, mehr oder weniger ent-
wickelt, dem Knorpel aufliegt. Es ist daher auch begreiflich, dass
die Reichlichkeit und das Aussehen dieser tiefsten Gefässlage je
nach dem Individuum ziemlichen Schwankungen unterliegt. . Ich
möchte betonen, dass dieses Verhältniss die von Toldt!) in einer
eben publieirten Arbeit hervorgehobene Selbstständigkeit des Blut-
gefässsystems im Fettgewebe in recht anschaulicher Weise darthut.
Die Untersuchungen, welche ich über Verlauf und Anordnung
der Lymphgefässe der Kehlkopfschleimhaut vorgenommen habe,
wage ich nicht als abgeschlossen zu bezeichnen, glaube aber doch
bei der grossen Dürftigkeit der bisher darüber vorliegenden Daten,
das was ich gesehen habe, berichten zu sollen. Wenn es mir Zeit
und Verhältnisse gestatten, so hoffe ich das noch Unklare darin zu
ergänzen.
Die Injection der Lymphbahnen wurde nach der Hyrtl’schen
Einstich-Methode mittelst Berlinerblau an Kehlköpfen von Hunden
und Pferden ausgeführt, wodurch es gelang, dieselben an mehreren
Stellen über grössere Strecken hin rein darzustellen, wobei ausser-
dem die Blutgefässe mit Carminleim gefüllt wurden.
Die Form und die Art der Netzbildung ist bei den Lymph-
gefässen der Kehlkopfschleimhaut ganz ähnlich, wie sie an anderen
flächenartig ausgebreiteten Gebilden getroffen wird. Sie sind sehr
reichlich vorhanden, am meisten in den tieferen Schleimhautschich-
ten entwickelt, greifen aber auch bis über das mittlere Blutgefäss-
netz hinauf. Eigenthümlich sind an vielen Stellen Ausläufer von
dem tieferen Lymphgefässnetze, welche in schiefer Richtung un-
getheilt oder gabelig gespalten bis unmittelbar unter das subepi-
theliale Blutcapillarnetz aufsteigen und daselbst blind endigen. Ich
will nicht sicher behaupten, dass diese die letzten Enden resp. An-
fänge der Lymphgefässbahnen darstellen, vermuthe es aber, be-
sonders wegen ihres geringen Durchmessers und ihrer rein eylindri-
schen Form, wie man sie kaum je innerhalb des netzartigen Ver-
laufes von Lymphgefässen zu Gesicht bekommen kann.
Zum Schlusse sage ich meinen Freunden, den Doctoren Boll
und Toldt, bei denen ich gearbeitet habe, meinen besten Dank.
1) Beiträge zur Histologie und Physiologie des Fettgewebes. Sitzungs-
berichte der Wiener Academie der Wissenschaft. 2. Abtheilung. Juli-Heft 1870.
Ueber ein Mikrotom.
Briefliche Mittheilung an den Herausgeber.
Von
Dr. Alexander Brandt
in St. Petersburg.
Mit einem Holzschnitt.
Beim Anfertigen von mikroskopischen Schnitten habe ich mich
neuerdings mit grossem Vortheile eines Apparates bedient, welcher
seinem Constructionsprincipe nach sich wesentlich von den bekannten
Mikrotomen von Welcker, Hensen, His u.a. unterscheidet. Die
Erfindung desselben gehört Herrn Rivetz die erste Ausführung dem
Instrumentenmacher Ct. Verick in Paris D). In seiner ursprüng-
lichen Form in Birnholz ausgeführt, soll der Apparat, wie mir mein
Freund Dr. Nitsche mittheilte, durch welchen ich ihn in Leipzig
kennen lernte, auf der Pariser Weltausstellung gewesen sein. Gegen-
wärtig scheint er, und zwar in derselben Form, mehrfach bei Me-
chanikern und Optikern in Commission zu sein, da selbst in St. Pe-
tersburg, vom botanischen Institute der Universität, ein Exemplar
desselben erworben wurde. Ob übrigens das Mikrotom in dieser,
seiner ursprünglichen Form sich einer ausgedehnteren wissenschaft-
lichen Verwendung erfreut hat und erfreuen konnte, scheint nicht
ganz wahrscheinlich.
Im Wesentlichen besteht ein Mikrotom aus zwei Theilen,
welche man als Keil und Hobel bezeichnen könnte. Der Keil (K)
ruht auf einer schiefen Ebene (P) und trägt in einer Klemme Z
das zu schneidende Object (0). Schiebt man den Keil auf der
schiefen Ebene um ein Gewisses aufwärts, so wird dadurch das
Object um ein viel Geringeres emporgehoben, ohne seine Stellung
1) Rue de la Parcheminerie au coin de la rue St. Jacques.
>
176 Dr. Alexander Brandt:
zum Horizonte zu ändern. Der Hobel (H) gleitet seinerseits auf
einer Ebene (E), jedoch in horizontaler Richtung, und trägt ein
horizontal gestelltes Messer (M), welches über das zu schneidende
Object hinfährt. Sobald dieses letzte durch Vorschieben des Keiles
über die constante Strichebene des Messers emporgehoben wird,
lässt sich durch Heranziehen des Hobels ein Schnitt erzielen. — Dies
Constructionsprineip ist gewiss ein höchst einfaches, sinniges und
durchaus brauchbares. Die vielfachen, im Zoologischen Laborato-
rium des Herrn Prof. Leuckart angestellten Versuche zeigten jedoch
bald, dass Holz ein schlechtes Material zur Herstellung eines In-
strumentes sei, bei welchem Alles auf die Präcision der Leistung
ankommt. Anfangs gelangen noch die Schnitte ziemlich gut, doch
schon nach wenigen Tagen hatte sich das Holz so geworfen, dass
man bei ein und derselben Stellung des Holzes, wenn man den-
selben schwächer oder stärker, mehr vorne oder hinten an die schiefe
Ebene andrückte, statt eines einzigen nicht selten 4, ja 5 Schnitte
bekam. Ein anderer Uebelstand war der, dass der Apparat als Ganzes,
sowie der Keil und Hobel insbesondere wegen ihrer zu grossen
Leichtigkeit mit den Händen fixirt werden mussten. Um diese Uebel-
stände zu beseitigen, liess ich den Apparat vom Leipziger Univer-
sitätsmechanikus Leyser in Messing ausführen, wobei gelegentlich
auch einige weniger wesentliche Verbesserungen daran angebracht
wurden. Entsprechend dem solideren Materiale, wurde die allgemeine
Gestalt des Mikrotoms bei dieser Gelegenheit eine bedeutend gefälli-
gere. Der beigefügte Holzschnitt stellt den so modifieirten Apparat dar.
Ueber ein Mikrotom. ziel
Die speciellere Beschreibung des Apparates dürfte sich dem-
nach etwa folgendermassen gestalten. Sein stützendes Gerüste wird
von einer verticalen rechteckigen Scheidewand (R) gebildet, welche
auf vier platten Füsschen a, b, eruht. Diese Platte ist 0,16 m. lang,
0,065 m. hoch, und 0,007 m. dick. An ihrem oberen Rande ist ein
keilförmiges Stück herausgesägt, dessen 0,01 m. lange Basis nach
vorne bei e und dessen Spitze hinten, am Ende der verticalen Scheide-
wand, bei/liegt. Hierdurch entsteht, eine schmale schiefe Ebene m
von 0,1 m. Länge mit einer Steigung von 1 : 10. Auf derselben
ist ein Decimeter mit seinen Theilen aufgetragen. An der linken
Fläche der verticalen Scheidewand R ist eine schief von vorne nach
hinten aufsteigende Platte P befestigt, welche an ihrer oberen Fläche
glatt geschliffen ist und genau dieselbe Steigung, wie der Maasstab
m, d.h. 1:10 besitzt. Mit der verticalen Scheidewand R bildet die
Platte D einen spitzen Winkel von ungefähr 60°. — In diesen Winkel
passt genau der Keil K hinein, welcher sich mithin exact der ver-
ticalen Scheidewand R sowohl, als auch der Platte P anschliesst ;
an denen er hinzugleiten bestimmt ist. Der Keil besteht aus Roth-
guss und ist 0,07 m. lang. Seine untere Fläche ist genau so breit, wie
die Fläche P, nämlich 0,023 m.; seine Höhe beträgt vorne 0,04, hinten
jedoch nur 0,035. Durch diese ungleiche Höhe von vorne und hinten
wird die obere Fläche des Keiles zu einer horizontalen Fläche; es
wird dadurch die schiefe Ebene gleichsam corrigirt; indem die obere
Fläche des Keiles und mit ihr auch die, das zu schneidende Object O
tragende, Klemme Z stets ihre horizontale Lage beibehalten, auf wel-
cher Stelle der schieferen Ebene der Keil auch stehen mag. Ein
auf der oberen Fläche des Keiles angebrachter Querstrich dient als
Zeiger, um sich bei den Verschiebungen des Keiles bequemer nach
dem Maasstabe m richten zu können. — Die Klemme ist den ameri-
kanischen Wäschklemmen nachgebildet, welche auch von den Photo-
graphen beim Copiren benutzt werden. Ihre Länge beträgt 0,07 m.
Der Schluss der Klemme geschieht durch eine Spiralfeder, zu deren
Unterstützung ich übrigens am entgegengesetzten freien Schenkel
der Klemme eine Schraube % mit einer Schraubenmutter anbringen
liess. Um nöthigenfalls auch eine Abschwächung der Spiralfeder,
bewerkstelligen zu können, wurde eine andere Schraube s mitten
durch die Spirale hindurchgeführt, und aussen gleichfalls mit einer
Schraubenmutter versehen. Die Innenfläche der Schenkel der Klemme,
welche das zu schneidende Object O umfassen, wurden mit Riefen
178 Dr. Alexander Brandt:
ausgestattet; während der Keil, um ihn besser regieren zu können,
unten mit einem Knopfe I versehen wurde.
An der rechten Fläche der verticalen Scheidewand R inserirt
sich, ebenso wie an der linken, unter einem Winkel von 60° eine
Platte @ von 0,03 m. Breite, die gleichfalls vom vorderen Ende des
Apparates bis ans hintere reicht. Dieselbe steigt jedoch nicht als
schiefe Ebene aufwärts, sondern hat eine durchaus horizontale In-
sertionslinie. Der auf der Fläche @ ruhende Hobel H wird daher
bei seiner Verschiebung stets die horizontale Richtung einhalten
müssen. Dem entsprechend ist der Hobel, im Gegensatze zum Keil,
vorne und hinten gleich hoch, also prismatisch gestaltet. Er ist 0,04
hoch und 0,075 m. lang. Seine untere Fläche legt sich der Platte Q,
seine innere, linke, der verticalen Scheidewand R genau an. Gleich
dem Keile, besteht auch der Hobel aus Rothguss. In seinem oberen
Theile trägt er in einem geräumigen, horizontalen Schlitz das Messer
M, welches durch die Schraube S fixirt wird und sich mehr oder
weniger aus dem Schlitz hervorschieben lässt. Das Messer ist ge-
nau horizontal gerichtet. Es ist etwas gegen den Rücken hin gebogen,
unten plangeschliffen und hat eine Klinge von 0,07 Länge und 0,015
Breite. Ursprünglich besitzt es am Rücken eine Dicke von 0,004 m.,
doch wurde von mir kürzlich ein anderes Messer aus gewalztem
Stahl bestellt, welches nur halb so dick ist.
Der Gebrauch des Apparates ist in Allgemeinen aus seiner
Construction ersichtlich. Die zu schneidenden Objecte werden ent-
weder in Hollundermark eingebettet, oder in Paraffin, Stearin u. dgl. m.
eingegossen. Nachdem das Object in die Klemme eingespannt wurde,
schiebt man den Keil so weit vor, dass man durch einen Zug mit
dem Hobel das Object horizontal beschneidet; darauf schiebt man
den Hobel über dem Präparat hinweg zurück, schiebt den Keil
um einen ganzen, einen halben, ein drittel oder weniger eines Milli-
meter auf der schiefen Ebene P vorwärts, je nachdem man einen
Schnitt von !/ıo, "/eo, 1/so oder weniger Millimeter erhalten will.
und schiebt rasch den Hobel wieder vor. Der ganze Apparat kann
auch ins Wasser gesetzt werden.
Da es zuweit führen würde, das in Rede stehende Mikrotom
mit all den vielen anderen früher construirten zu vergleichen, so
möchte ich mir erlauben, hier nur das His’sche vergleichsweise zu
berücksichtigen, da dieser Apparat es war, welcher die, lange Zeit
(wenn auch nicht ganz verdienter Weise), in Verruf gewesenen Mi-
Ueber ein Mikrotom. 179
krotome wieder zur Geltung kommen liess, Dank den vorzüg-
lichen massenhaften Präparaten, die sein Erfinder damit erzielte
und die ihm zu seinen grossen embryologischen Arbeiten verhalfen.
Das verbesserte Rivet’sche Mikrotom leistet genau dasselbe
wie das His’sche; — so erlaubt es durchaus auf dieselbe Weise
ein Object in eine grosse Summe continuirlicher Schnitte zu zer-
legen, ohne einen einzigen davon zu verlieren. Dabei macht es aber
noch weniger Ansprüche an die manuelle Geschicklichkeit des Ar-
beitenden, da das Messer „von selbst‘ die gehörige Richtung ein-
schlägt, während es am His’schen Apparat behutsam an einen
zur Führung dienenden Stahlbogen angedrückt werden muss. Ferner
wird das Messer in einer uns sehr gewohnten Richtung gezogen
und schneidet nicht gegen eine feste Unterlage, wie Kork oder Kaut-
schuk, wodurch es leicht stumpf wird, was wiederum seine Vor-
theile hat. Der grösste Vorzug aber, den das verbesserte Rivet’sche
. Mikrotom von dem His’schen hat, dürfte darin bestehen, dass es
statt 120 Frances nur 15 Thlr., also blos halb so viel kostet. In
wenigen Wochen habe ich mit Hülfe dieses Apparates viele hunderte
von guten Schnitten hergestellt. Auch hatte sich der Apparat bei
allen denen, die ihn sahen eines ungetheilten Beifalls zu erfreuen,
so dass der Verfertiger *) sofort mehrere Bestellungen auf den Apparat
erhalten hat, obgleich der erste, in meinem Besitz befindliche, an
Sauberkeit der Ausführung Einiges zu wünschen übrig lässt.
1) Inspector G. M. Leyser, Leipzig, Bauhofstrasse 10,
St. Petersburg den 25. Dec. 1870.
Essigsaures Kali zum Aufbewahren mikrosko-
pischer Präparate.
Von Max Schultze.
Unter allen Flüssigkeiten, welche zum Aufbewahren feucht ein-
zuschliessender mikroskopischer Präparate Anwendung finden, dürfte
das Glycerin, rein oder in verschiedenen Mischungen, die verbrei-
tetste sein. Das Glycerin hat neben seinen unläugbaren Vorzügen
verschiedene Nachtheile. Zu diesen letzteren gehört die Eigenschaft,
manche Gewebstheile bis zum Verschwinden durchsichtig zu machen,
sich mit Fetten zu verbinden und daher Lichtbrechungsunterschiede,
die durch Fettgehalt bedingt sind, zu vernichten u. drgl. m. Seit
‘ die Ueberosmiumsäure mit so ausserordentlichem Erfolge zur Con-
servirung der zartesten Gewebstheile benutzt wird, tritt ein neuer
Nachtheil des Glycerins hervor. Ist nämlich in dem einzuschlies-
senden, mit Ueberosmiumsäure vorher behandelten Gewebsstückchen
eine Spur der Säure zurückgeblieben, so färbt sich das Glycerin
unter dem Deckgläschen schwarz, zunächst in der unmittelbaren
Umgebung der Präparatentheile und oft erst nach mehreren Tagen
oder Wochen, später nicht selten die ganze Flüssigkeitsschicht. Ich
kenne kein Mittel, die letzten Reste der Ueberosmiumsäure aus dem
Präparate vor dem Einschliessen zu entfernen, denn tagelanges
Auswaschen mit Wasser reicht nicht aus. Natürlich werden die
Präparate durch die allmählige Schwärzung des Glycerins unbrauch-
bar oder sind nur durch Umlegen zu retten.
Unter diesen Umständen suchte ich nach einer Flüssigkeit, welche
das Glycerin zu ersetzen vermöchte und fand eine solche in der
nahezu concentrirten wässerigen Auflösung des essigsauren
Kali. Nach Dippel, in dessen Buch ‚das Mikroskop und seine
Anwendung‘ 1. Theil 1867, p. 480 ich diese Flüssigkeit empfohlen
fand, ist dieselbe zuerst von Sanio angewandtund hat an Stelle des
Clorcaleium , vor welchem sie entschiedene Vortheile bietet, bis-
her wie es scheint nur zu Pflanzenpräparaten und auch nur in be-
schränktem Maasse gedient. Dippel rühmt dieselbe für vegetabi-
lische Präparate und fordert zu Versuchen mit thierischen Geweben
auf. Dieselben scheinen bisher nur von mir und meinen Schülern
gemacht zu sein. Ich wende die Flüssigkeit wie Glycerin an, d. h.
lasse zu dem in Wasser oder Serum gefertigten und in diesen
Flüssigkeiten untersuchten Präparaten ohne das Deckgläschen aufzu-
heben einen Tropfen der starken Lösung von essigsaurem Kali zu-
fliessen. Nach 24 Stunden, wenn das mittlerweile verdunstete
Wasser durch die Salzlösung verdrängt ist, wird das Präparat ein-
gekittet. Da die Flüssigkeit nicht eintrocknet und nicht auskry-
stallisirt, kann man die Präparate wie beim Glycerin auch ohne
Verschluss längere Zeit liegen lassen. Die vom Glycerin gerügten
Nachtheile fallen beim essigsauren Kali sämmtlich fort, während
dasselbe ziemlich alle Vortheile jener Substanz besitzt. In meinem
Institute wird das essigsaure Kali seit länger als zwei Jahren be-
nutzt und ich glaube auf die gemachten Erfahrungen hin die Flüs-
sigkeit zu dem gedachten Zwecke allen Mikroskopikern warm em-
pfehlen zu müssen.
Die Schnautze des Maulwurfs als Tastwerkzeug.
Von
Dr. Th. Eimer,
. Privatdocent und Prosector der Zootomie zu Würzburg.
Hierzu Taf. XVII.
Die Schnautze des Maulwurfs muss der Sitz eines ungemein
ausgebildeten Tastgefühls sein, denn sie ersetzt dem Thier fast voll-
ständig den Sinn des Gesichts, ist sein einziger Führer auf seinen
unterirdischen Wegen.
Diese Erwägung veranlasste mich, das genannte Organ einer
genaueren Untersuchung zu unterziehen.
Beobachtet man einen in der Gefangenschaft in einem Gefäss
gehaltenen Maulwurf, so fällt auf, wie das Thier seinen Rüssel
ruhelos in Bewegung erhält, die Wände seines Gefängnisses tastend
zu untersuchen. Einige Aufmerksamkeit zeigt, dass dabei ausschliess-
lich die Vorderfläche und die Ränder des Rüssels thätig, aber auch
zum Tasten sehr günstig gestaltet sind.
Der zwischen den Naslöchern gelegene mittlere Bezirk der
Vorderfläche nämlich geht nach oben über in ein mässig gewölbtes
Feld, welches allmälig zum oberen Rand sich umbiegt, so zwar, dass
eine nach aufwärts sehende Lippe gebildet wird, welche ein Ein-
schnitt in zwei gleich grosse Hälften theilt (Fig. 14 und 15); ihr
unteres Viertel ferner ist zu einer Art nach vorn stehender Lippe
sehr deutlich abgesetzt, und endlich erhebt sich die Gegend rechts
und links der Naslöcher in je zwei polsterartige Unebenheiten.
M. Schultze Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 7. 13
183 Dr. Th. Eimer:
In ihrem ganzen Umfang biegt sich die Rüsselscheibe, wie von
deren oberem Theil schon beschrieben ist, zu einem convexen Rand
nach aussen um und dieser wieder grenzt sich scharf von dem Körper
der Schnautze ringsum ab. (Fig. 15.)
Schon mit unbewaffnetem Auge sieht man, allerdings nur bei
sehr genauem Zusehen, Scheibe und Rand des Rüssels bis zu der
zuletzt erwähnten Grenze — aber nur bis zu dieser — übersät mit
sehr feinen Punkten (Fig. 14 und 15). Diese Punkte entsprechen
Papillen, welche, wie wir hier vorausschicken wollen, der Sitz eigen-
thümlicher Nervenendigungen sind.
Die Papillen stehen am wenigsten dicht auf dem zwischen den
Naslöchern befindlichen mittleren Theil der Rüsselscheibe, am dich-
testen auf deren Wülsten, insbesondere dem oberen und unteren
lippenförmigen. Dieses Verhältniss entspricht der Wichtigkeit der
einzelnen Gegenden in Beziehung auf die Funktion: jene wulstartigen
Erhabenheiten sind es, die hauptsächlich tasten: sie werden zu
diesem Zwecke bewegt, vorgestreckt, vermögen sich der Form der
zu untersuchenden Gegenstände anzupassen, bei gemeinsamer Aktion
dieselben sogar zu umfassen, während das Centrum weniger in
Thätigkeit gelangt; sie verhalten sich zu diesem Centrum etwa wie
die Finger des Menschen zur Hohlhand. Vor Allem spielt die obere
Lippe eine wichtige Rolle: sie wird in bevorzugter Weise zum
Tasten benützt, und wollen wir den begonnenen Vergleich weiter-
führen, so können wir sie mit den drei ersten Fingern der mensch-
lichen Hand zusammenhalten.
Die Papillen stellen sich, von der Oberfläche vergrössert ge-
sehen, als kuppenartige Erhebungen der Epidermis von meist runder
Begrenzung dar, deren Durchmesser etwa 0,09 bis 0,20 Mm. beträgt?
— die in der Mitte der Rüsselfläche liegenden sind grösser als die
übrigen.
Durchschnitte zeigen, dass sich nicht nur die Oberfläche der
Epidermis in Papillen erhebt, sondern dass auch deren Schleimschicht,
und zwar jedesmal entsprechend einer jener Papillen, eine Fort-
setzung, einen Zapfen etwa von Pufferform nach unten in die Le-
derhaut hineinsenkt (Fig. 1).
Die Schleimschicht besteht in ihrem unteren und mittleren
Theil aus schönen mehreckigen Stachelzellen.
Die Axe jeder Papille nimmt nun, von deren Oberfläche an
beginnend und unten in der Mitte des pufferförmigen Fortsatzes der
Die Schnautze des Maulwurfs als Tastwerkzeug. 183
Schleimhaut ausmündend, ein meist sanduhrförmiger (Fig. 2) [zu-
weilen jedoch der Cylindergestalt sich nähernder (Fig. 3)] Raum
ein, welcher zur Aufnahme einer strukturlosen Masse dient, die als
Bindegewebe und demnach als Outiszapfen betrachtet werden muss, in
welchen wiederum Nerven in eigenthümlicher Anordnung eingebettet
sind. Man kann sich den Raum aus zwei abgestumpften Kegeln gebildet
denken, welche mit ihren schmalen Endflächen etwa in der Mitte
der Schleimschicht zusammenstossen, während die Basis des oberen
mit dem Scheitel der Papillenkuppe, diejenige des unteren mit der
Grundfläche der Schleimschicht zusammenfällt.
Der obere der beiden Kegel erweist sich durch besondere
Eigenthümlichkeiten des Baues, sowie besonders dadurch, dass er
die Nervenendigungen enthält als eigentlicher Tastkörper und ich
nenne ihn daher Tastkegel. Der untere nimmt Nervenfäden nur
zum Behuf des Durchtritts auf.
Den besten Aufschluss über diese Verhältnisse giebt die An-
wendung des Goldchlorids.. Behandelt man die Haut der Vorder-
fläche der Maulwurfsschnautze mit diesem Reagens, so entdeckt
man in derselben einen wahrhaft überraschenden Nervenreichthum.
Markhaltige Nervenfasern verlaufen in den verschiedensten Rich-
tungen in dicken Bündeln durch die tieferen Lagen der Cutis,; in
den höheren Schichten streben diese Bündel sämmtlich nach auf-
wärts und theilen sich zugleich in dünnere, deren jedes indess doch
noch aus 20 und mehr Fasern besteht. Je ein Bündel tritt auf
einen der pufferartig in die Lederhaut sich einsenkenden Zapfen der
Schleimschicht zu (Fig. 1, 2, 3); unterhalb desselben angelangt
sieht man das Bündel häufig wie durch eine ziemlich scharfbegrenzte
Lücke scheinbar aus der Lederhaut austreten (Fig. 1 und 2 bei a), —
möglicherweise haben wir es hier statt mit einer Lücke mit einem
Mantel von strukturlosem Bindegewebe zu thun, welcher die Nerven
einhüllt und mit dem Cutiszapfen der Papille in Verbindung steht.
Nach dem beschriebenen Verlauf werden die Fasern des Nerven-
bündels, indem sie in einen der Fortsätze der Schleimschicht eintre-
ten, plötzlich marklos und steigen nun als ungemein feine Fädchen —
einfache Axencylinder — in der sanduhrförmigen Papillenaxe durch
fast die ganze Epidermis in einer eigenthümlichen Anordnung empor.
Diese Anordnung ist, wie Querschnitte zeigen, eine solche, dass der
Axencylinder etwa 19 oder mehr dicht an der Innenwand des Tast-
raumes emporsteigen, auf dem Querschnitt also je einen Kreis um-
4
184 Dr. Th. Eimer:
schreiben, der, beiläufig gesagt, 0,0175—0,203 Mm. im Durchmesser
misst, — während ein, zwei oder drei andere das Centrum dieses
Kreises, also die Axe des Tastraumes einnehmen.
Fig. 4 stellt einen solchen Querschnitt dar. Derselbe ist dem
Bereich des unteren Kegels, etwa in der Höhe' von P, Fig. 1, ent-
nommen. Er zeigt, zusammengehalten mit den Längsschnitten,
welche in Fig. 1, 2 und 3 gezeichnet sind, dass dieser untere Kegel
einfach ein aus der Schleimschicht gleichsam ausgebohrter Hohl-
raum ist, ohne besondere Wand, und ausgefüllt mit einer struktur-
losen Masse (Bindegewebe), in dessen Umfang und in dessen Axe die
Nerven emporstreben, ohne weitere Eigenthümlichkeiten darzubieten.
Anders der Tastkegel: schon ein einfacher Längsschnitt aus
der Oberhaut zeigt eine eigenthümliche Anordnung des Epithels in
seinem Umfang und lässt bald die Ueberzeugung gewinnen, dass er
von einem besonderen Epithelialrohr umkleidet ist. Dieses Rohr
entsteht durch Aneinanderlagerung einer Anzahl von Ringen, deren
jeder in der Höhe aus einer einzigen, im Umfang aus einer oder
mehreren Epithelialzellen gebildet wird. Es ist mir gelungen, diese
Zellen durch Natron zu isoliren: sie sind spindelförmig, haben je
nachdem sie der Horn- oder der Schleimschicht angehören, einen
mehr oder weniger grossen oder gar keinen Kern und fügen zum
Ring sich zusammen durch Einrollung ihres Körpers und durch
Uebereinanderlagerung seiner spitzen Enden.
An die innere Seite des so gebildeten Epithelialrohrs dicht
angelegt, steigt nun der Kreis der Nervenfäden im Tastkegel empor
und zwar ist jeder Nervenfaden jedesmal da, wo er eine der über-
einandergelagerten Epithelzellen jenes Rohrs überschreitet, in der-
selben durch eine knopfförmige Anschwellung befestigt (Fig. 1 bis 3).
Dieses Verhältniss wiederholt sich bis unter die obersten Lagen der
Hornschicht: in manchen Fällen waren einzelne Knöpfchen noch bis
in die dritt- oder viertoberste Zellenlage der Hornschicht zu verfol-
gen (Fig. 2 und 3), meist aber kamen sie über die fünfte hinaus
nicht zur Beobachtung, und gewöhnlich endigt hier je eines von
ihnen in einen Nervenfaden.
Indem die Knöpfchen aller 20 Nervenfäden im Bereich jedes
einzelnen Epithelialringes genau in derselben Ebene liegen, so wer-
den innerhalb des Tastkegels so viele übereinanderbefindliche Kreise
von knopfförmigen Nervenanschwellungen gebildet, als Epithelialzel-
lenringe vorhanden sind.
Die Schnautze des Maulwurfs als Tastwerkzeug. 185
Auch der oberste Kreis der Nervenknöpfchen ist ein vollstän-
diger: wenn also, wie in Fig. 2 und 3, im oberen Theil des Tast-
kegels nur noch einzelne, der letzteren zu sehen sind, so hängt
das von der mangelhaften Goldeinwirkung ab, wie sie in jener Ge-
gend Regel ist. Vollkommene Bilder dagegen geben Fig. 1, 6u.11.
Die Nervenknöpfchen haben einen Durchmesser von 0,0013 Mm.
und mehr; die sie verbindenden Fäden einen vielleicht viermal
kleineren.
Ob die in der Axe des Tastkegels aufsteigenden Axencylinder
gleichfalls knopfförmige Anschwellungen tragen, liess sich nicht ent-
scheiden; sicher indess ist, dass sie erst in gleicher Höhe mit den
kreisförmig gestellten endigen (Fig. 6 und 11), also etwa bis zur
fünftobersten Epithellage emporreichen.
Der optische oder der wirkliche Querschnitt des Tastegels er-
giebt nun nach Anwendung verschiedener Präparationsmethoden
Bilder, welche auf das Vorhandensein eines weiteren, bisher nicht
erwähnten Nervenfadens in ihm und ferner auf eine eigenthümliche
Anordnung der ausfüllenden Bindesubstanz schliessen lassen. Diese
Bilder (Fig. 5, 9, 12) müssen. auf folgende Weise gedeutet werden:
Die centralgelegenen Axencylinder sind in eine Säule von struktur-
loser Bindesubstanz eingeschlossen, welche einen Durchmesser von
etwa 0,012 bis 0,014 Mm. hat. Um diese Säule scheint, spiralför-
mig gewunden, ein weiterer Nervenfaden zu liegen, und dieser ist
wiederum umgeben von einem Rohr von strukturlosem Bindegewebe ;
endlich nach aussen von diesem folgen die peripherisch gestellten
Axencylinder.
Ob und inwieweit die zuletzt behandelten Verhältnisse auch
für den unteren Kegel gelten, gelang mir nicht zu entscheiden; die-
selben sind übrigens so schwierig zu erforschen, dass ich die vor-
stehende Schilderung in einem Punkt auch für den Tastkegel nicht
- als abschliessend hinstellen möchte: es haben mir nur unvollkom-
mene Bilder die Ueberzeugung vom Vorhandensein eines um die
centrale Säule gewundenen Nervenfadens gegeben. Dieselben, deren
einige in Fig. 12 dargestellt sind, kann ich jedoch nicht anders als
wie geschehen deuten, und wenngleich der betreffende bald als Ring,
bald als geschlungen, bald endlich vollkommen deutlich als Stück
einer Spirale erscheinende Theil (N) derselben nie eine gute Gold-
färbung ergeben wollte, so weisen doch seine übrigen Eigenschaften,
besonders sein Lichtbrechungsvermögen, mit Sicherheit darauf hin,
186 Dr. Th. Eimer:
dass er aus Nervensubstanz bestehe. Ueber seinen Verlauf aber
vermochte ich mir besonders deshalb keine endgültige Vorstellung
zu machen, weil es mir nicht gelang, ihn in der Seitenansicht zu
Gesicht zu bekommen.
Die centrale Säule nimmt zuweilen eine mehr excentrische
Stellung ein (Fig. 9, a); in einzelnen Fällen erschien sie von einem
Kreis kleiner Punkte umgeben (Fig. 12, a), deren Bedeutung mir
unklar geblieben ist.
Die strukturlose Masse, welche zwischen der Spiralfaser und
den peripherischen Axencylindern liegt, zeigt sich öfter, insbesondere
nach Behandlung des Gewebes mit Silber, von letzteren an der einen
oder anderen Seite, oder ringsum etwas zurückgezogen (Fig. 9, b),
so dass durch sie ein eigens abgesetzter Ring gebildet wird.
Die verschiedenen concentrischen Schichten des Tastkegels er-
kennt man an Silberpräparaten (Fig. 9) und zuweilen an Objekten,
die mittelst der Goldmethode behandelt wurden. Goldpräparate,
sowie frische zeigen oft noch eine Eigenthümlichkeit: die peri-
pherisch gestellten Nerven haben sich insgesammt von der Wand
des Tastkegels zurückgezogen, und drängen sich so zusammen, dass
ein Kreis entsteht, der so vielmal eingekerbt ist, als die Zahl der
Nervenfäden beträgt. Die seitlichen Berührungsflächen der letzteren
täuschen dann oft wie kleine nach dem Centrum des Kreises con-
vergirende Scheidewände vor (Fig. 12 a, b, c, Fig. 5 b).
Die schönsten Bilder von der Anordnung der Axencylinder ge-
ben Querschnitte an Osmiumsäurepräparaten (Fig. 4). Auch Längs-
schnitte an solchen gewonnen, zeigen oft gut den Verlauf derselben.
Behandlung des frischen oder vorgängig der Silberwirkung ausge-
setzten Gewebes mit Natron lässt ferner für einige Zeit die Axen-
cylinder sehr hübsch hervortreten (Fig. 7).
Alle diese Präparationsmethoden bestätigen in gleicher Weise
den Satz, dass sämmtliche Nervenfäden gewöhnlich etwa in der
Höhe der fünftobersten Epithelialschicht in einer Ebene endigen
(Fig. 6 und 11). Die Goldmethode allein beweist, dass diese Endi-
gung in Form der bekannten Knöpfchen geschieht.
Die Darstellungen von dem Querschnitt des Tastkegels, welche im
Vorstehenden gegeben sind, beziehen sich auf die erwähnte Ebene
oder auf eine der tiefer liegenden. Es fragt sich nun, wie der Raum
oberhalb derselben bis zur obersten Epithelialschicht beschaffen ist.
Derselbe ist offenbar meistens leer, stellt also eine kurze Röhre dar,
Die Schnautze des Maulwurfs als Tastwerkzeug. 157
welche auf die Oberfläche der Papillenkuppe offen ausmündet (Fig. 1,
6, 11). Der beste Beweis hiefür ist der, dass an Papillen, welche man
der Einwirkung einer Silberlösung ausgesetzt hat, einzelne Theile der
Ebene, in welcher die obersten Nervenendigungen liegen, durch das
Silber in verschiedenen Abstufungen gefärbt erscheinen, was zeigt,
dass der Bindegewebszapfen des Tastkegels gleichfalls in ihr endigt.
Die obere Endfläche des das Centrum dieses Zapfens bildenden
Cylinders stellt dann meistens einen hellbraunen Kreis dar, die-
jenige des äusseren Bindegewebsrohrs einen dunkleren Ring. Oft ist
dagegen umgekehrt der Kreis dunkler als der Ring (Fig. 9, a—d).
Zuweilen sieht man nun auch Bilder, wie Fig. 9, e andeutet:
der vorhin leere oberste Raum des Tastkegels muss hier ausgefüllt
sein durch irgend eine strukturlose Masse, denn das Silber bringt
im Centrum der Papille eine gleichmässig dunkel gefärbte Scheibe
hervor, welche in derselben Höhe mit der Kuppenoberfläche liegt.
Endlich kommt der Fall vor, dass die Basis des Tastkegels von
Epithel bedeckt ist (Fig. 13); aber auch dann schneidet gewöhnlich
eine dunkle Kreislinie den Theil des Epithels, welches gewisser-
massen den Deckel des Tastkegels bildet, vom übrigen ab, als ob
derselbe zum Abfall bereit wäre (Fig. 13). Zuweilen war eine
Epithelialdecke zwar vorhanden, aber in ihrer Mitte befand sich
deutlich ein kleines Loch mit eingerissenen Rändern, wie den Anfang
der Zerstörung der Decke andeutend.
Der Tastkegel besteht also aus einem kegel- bis eylinderför-
migen Körper, welcher, mit der breiten Basis an der Oberfläche der
Papillenkuppe beginnend und mit der mehr oder weniger abge-
stumpften nach unten gerichteten Spitze bis zur Mitte der Schleim-
schicht reichend, zunächst von einem in das übrige Epithel der Ober-
haut eingefügten Epithelialrohr gebildet wird. Der oberste Theil
dieses Rohres ist meist leer, der übrige ist abwechselnd von Ner-
venelementen und von Bindegewebe erfüllt: zu äusserst, und in die
Elemente des Epithelialrohrs mittelst knopfförmiger Anschwellungen
eingekittet ein Kreis von Axencylindern, dann ein Rohr von struk-
turlosem Bindegewebe, hierauf ein Nervenfaden, der wahrscheinlich
spiralförmig um eine centralstehende Bindegewebssäule gewunden ist,
welche endlich in ihrem Centrum noch 1—3 Axencylinder einschliesst.
Fig. 20 stellt Epithelialzellen der Tastkegelhülle dar, welche
sich nach Natroneinwirkung von dem Epithel der Epidermis loslö-
sen, deren Grenze noch als scharfer Ring zu sehen ist. Es zeigt
188 Dr. Th. Eimer:
sich also, dass jene Epithelialzellen mit den Elementen der Ober-
haut nicht innig verbunden sind. Dies, sowie ihre Eigenschaft als
Auskleidungselemente eines Hohlraumes selbst, brachte mich auf die
Vermuthung, dass ich es in ihnen mit Epithelia spuria zu thun
hätte, dass also hier eine Endigung von Nerven in Bindegewebsele-
menten gegeben sei.
Eine solche Annahme störte indess eine weitere Beobachtung, al-
lerdings ohne dieselbe auszuschliessen. Zuweilen stiegen nämlich von
dem Grunde des pufferartigen Fortsatzes der Schleimschicht, in
welchen die Nerven eintreten, Axencylinder empor, welche nicht in
den Tastkegel aufgenommen wurden, sondern welche ihren Verlauf
ganz unabhängig von diesem in seinem Umkreis in divergirender
Richtung nach oben und aussen nahmen — also in der Gesammt-
heit betrachtet, etwa weitere Trichter um ihn herumbildeten (Fig. 2, z).
Der Lauf der Nerven ging zwischen den Epithelzellen der
Oberhaut durch bis in die dritt- oder viertoberste Zellenlage der
Hornschicht hinauf. Von der Mitte des Rete Malpighi etwa an bis
zu ihrer Endigung in der Hornschicht, waren sie jedesmal da, wo
sie eine Epithelzelle überschritten, durch eine knopfförmige An-
schwellung im Körper derselben befestigt (Fig. 2, z). Unterhalb der
Mitte der Schleimschicht fanden sich keine knopfförmigen Anschwel-
lungen in ihrem Verlauf.
Meine Präparate lieferten mir meist nur einzelne solcher Fäden;
daneben fand sich aber in Epithelzellen häufig je ein durch das Gold
gefärbtes Knöpfchen. Die einzelnen Knöpfchen waren dann in
Reihen, gleichgerichtet den durch Fäden verbundenen angeordnet.
Zuweilen sah ich auf Längsschnitten nach Goldeinwirkung ein
kleines Stück Nervenfaden von dem Rand einer Epithelzelle über
deren Körper hinlaufen und zwar nicht wie in den vorigen Fällen
in senkrechter Richtung nach oben, sondern nach auf- und einwärts,
bis es nach kurzem Verlauf mit einer knopfförmigen Anschwellung
in der Zelle endigte (Fig. 2, b); den Ursprung dieser Fäden habe
ich nicht feststellen können. Dieselben scheinen zwischen den be-
treffenden Zellen hervorgetreten zu sein, also vor diesem Durchtritt
einen zu dem Schnitte senkrechten Verlauf zu haben.
Wir haben also hier eine Endigung von Nerven in wirklichen
Epithelien vor uns, ganz in derselben Weise, wie sie in den Zellen
der Hülle des Tastkegels vorkommt.
Die Goldfärbung brachte endlich noch eine Eigenthümlichkeit
Die Schnautze des Maulwurfs als Tastwerkzeug. a >)
im Bau der Epithelialzellen zu Tage, die ich hier nicht vergessen
will zu erwähnen. Dieselbe betrifft hauptsächlich die Stachelzellen
der Schleimschicht, besonders die des mittleren Theils derselben, aber
auch Zellen der Hornschicht mit Ausnahme derjenigen, welche die
obersten Lagen dieser zusammensetzen.
Das Kernkörperchen war in den in Rede stehenden Zellen um-
geben von einem hellen kreisförmigen Hof. Waren zwei Kernkör-
perchen in einem Kern vorhanden, so hatte jedes derselben seinen
eigenen Hof!), beide Höfe rund, auch wenn der Kern eiförmig war;
nur zuweilen zeigten sie gleichfalls die letztere Form. Der Theil
des Kerns, welcher den Hof umgab, erschien dunkler als dieser; die
Grenze zwischen beiden aber war bezeichnet durch zahlreiche kleine
Pünktchen, welche durch das Gold durchaus dieselbe Färbung er-
langt hatten, welche dieses Reagens allen Nervenelementen mittheilt.
Im optischen Querschnitt stellten diese Körnchen einen Kreis um
den hellen Hof des Kernes dar. Durch Aendern der Einstellung
konnte jedoch festgestellt werden, dass sie die helle Kugel, welche
das Kernkörperchen umgiebt und die im optischen Querschnitt
als kreisförmiger Hof erscheint, auf ihrer ganzen Oberfläche be-
setzen (Fig. 8, c).
Zuweilen fanden sich endlich ein bis mehrere solcher roth-
schwarz gefärbter Punkte auch an Stelle des oder der Kernkörper-
chen (Fig. 8).?)
Ich bin um so mehr genöthigt, mich einer Schlussfolgerung in
Beziehung auf die zuletzt angegebenen Thatsachen zu enthalten, als
ich Nervenfäden zu den beschriebenen eigenthümlichen Kernen nicht
habe hinzutreten sehen. Die Nervenfäden senkten ihre Knöpfchen
in allen unzweifelhaften Fällen in den Zellkörper, nicht in den Kern
ein. Im Tastkegel schienen allerdings die Nervenknöpfchen häufig
den Kernkörperchen zu entsprechen (Fig. 2 und 3), allein ich komnte
mich mit Sicherheit hievon nicht überzeugen. Unsere Axencylinder
mit den knopfförmigen Anschwellungen sind natürlich den mannichfach
als „variköse Fäden‘ beschriebenen feinsten Nerven, welche u. a. von
1) Vergl. H. Joseph: „Ueber Zellen und Nerven der compacten Kno-
chensubstanz.‘‘ Dieses Archiv, Bd. VI. S. 183, wo dasselbe von dem Hof der
Knochenzellen gesagt ist.
2) In den Zellen der Hornschicht, in welchen der Kern schon im Un.
tergang begriffen war, war derselbe oft durch einen auffallend scharf mar-
kirten, violettschwarzen Punkt oder Strich angedeutet (Fig. 8, H).
190 Dr. Th. Eimer: Die Schnautze des Maulwurfs als Tastwerkzeug.
Hensen, Joseph, Lipmann an verschiedenen Körperstellen als
in Verbindung mit den Kernkörperchen von Epithel-Bindegewebs-
und Knochenzellen stehend nachgewiesen sind, analog. Es wäre
nun leicht möglich, dass in unserem Fall die in die Zellkörper ein-
gebackenen Knöpfchen nicht die Endapparate für die Zellen wären,
sondern dass sie durch so unendlich feine Fäden, wie sie z. B. Lip-
mann zeichnet, noch mit den kleinen Punkten, welche um den
Hof des Kernkörperchens herumliegen oder mit diesem selbst oder mit
beiden als einem complieirten Nervenendigungsapparat in Verbindung
ständen. Dabei handelt es sich allerdings zunächst nicht um die
Zellen der Tastkegelhülle, in welchen ich jene Eigenthümlichkeiten
des Kerns nicht beobachtet habe. Es wäre aber gewiss werthvoll
genug gewesen, für die Epithelien der Epidermis selbst die aufge-
stellte Frage zur Entscheidung zu bringen, wie es überhaupt gebo-
ten gewesen wäre, gar Manches, was im Vorstehenden nur unbe-
friedigenden Abschluss gewinnen konnte, endgültig zu erforschen,
allein die Zeitereignisse unterbrachen auch diese Arbeit, und jetzt,
wo ihr zur Vervollkommnung einige Musse gegeben wäre, hat der
Maulwurf noch die Winterquartiere bezogen.
Indess mag durch das Gegebene doch gezeigt sein, dass wir
in der Schnautze des Maulwurfs ein Tastorgan vor uns haben, des-
sen Leistungsfähigkeit eine ausserordentliche sein muss, denn es ist
offenbar, dass die Nervenendigungen der Tastkegel nach Willen in
direkte Berührung mit dem zu betastenden Körper kommen müssen,
indem die wenigen über sie hinausragenden Lagen von Epithelzellen
eine zu niedrige Schicht bilden, als dass durch dieselben eine solche
direkte Berührung verhindert werden könnte, wogegen sie vielleicht
den Zweck erfüllen mögen, vor beständigem unwillkürlichem Reiz zu
schützen; und zweitens ergibt eine ungefähre Rechnung, dass unsere
Tastfläche, die eine Ausdehnung von etwa 30 U) Mm. hat, von mehr
als 5000 Papillen besetzt ist, was für die Gesammtsumme allein der
Tastkegel beiläufig 105,000 Nerven ausmacht, welche auf jener kleinen
Fläche endigen, abgesehen von denjenigen, welche ausserhalb der
Tastkegel noch in den Papillen vorhanden sind.
Dieser ungeheure Nervenreichthum erklärt nun auch leicht die
bekannte Thatsache, dass schon ein leichter Schlag auf seine Schnautze
den Maulwurf tödtet.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
14.
15.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. XVII.
Längsschnitt durch die Haut der Vorderfläche der Maulwurfs-
schnautze mit der Goldmethode behandelt. T Tastkegel, N Ner-
venbündel,;, E Oberhaut, C Lederhaut. Vergrösserung 70/1.
Wie Fig. 1. Vergr. 400/1.
Wie Fig. 1. Vergr. 520/1.
Querdurchschnitt aus demselben Objekt, etwa in der Höhe von P,
Fig. 1. © Lederhaut, E Oberhaut, (pufferartige Zapfen der Schleim-
schicht), N Axencylinder. Osmiumsäurepräparat. Vergr. 250/1.
Papillen der Vorderfläche der Maulwurfsschnautze von oben. a Basis
des Tastkegels, R Bindegewebsring, S centrale Bindegewebssänle,
N centrale Axencylinder, b peripherische. Silberpräparat.
Tastpapillen von oben. a Tastkegel, e Epithelialhülle desselben,
hier den oberen leeren Theil des Tastkegels umgebend, N Endigung
der Tastnerven in einer kreisrunden Ebene,
Tastpapille und Tastkegel von oben. Silberpräparat, nachträglich
mit Natron behandelt.
Epithelialzellen aus der Haut der Maulwurfsschnautze nach Gold-
einwirkung. K Kern, k Kernkörperchen, h heller Hof um dasselbe,
N Nerv.
Tastpapillen von oben. Silberpräparat.
Epithelzellen, welche den Tastkegel umkleiden; durch Natron von
der umschliessenden Epidermis E losgelöst und isolirt.
Tastkegel in ihrem oberen Theil. anach Natroneinwirkung, b mehr
schematisch.
Ansichten von Tastkegeln von oben. In a, b, ce die peripherischen
Axencylinder A wie seitlich zusammengebacken, N Spiralfaser, d Wand
des Axencylinders.
Papille von oben: die Basis des Tastkegels mit Epithel bedeckt.
Silberpräparat.
Vorderfläche der Maulwurfsschnautze vergrössert. Die Punkte deu-
ten die Papillen an.
Vorderer Theil der Maulwurfsschnautze von ‘oben, um die nach oben
sehende Tastlippe T zu zeigen.
Beiträge zur Lehre vom Amnion.
Von
Dr. 8. L. Schenk,
Assistenten am physiologischen Institute der Wiener Universität.
Hierzu Tafel XVII.
Seitdem man das Amnion als eine Umhüllung des Embryo
kennen lernte, welche mit dem Embryonalleib im Zusammenhange
steht, war man bezüglich seiner Entstehung verschiedener Meinung.
Die Einen glaubten, dass der Embryo sich im Amnion bilde, dieses
aber eine Oefinung habe, durch welche die Gebilde des Nabelstranges
heraustreten. Die Anderen behaupteten, dass der. Embryo ausser-
halb oder auf dem Amnion entstehe und sich dann rückwärts in
dasselbe einsenken solle.
Durch v. Baer’s!) Forschungen ward es als unzweifelhaft
festgestellt, dass das Amnion eine vom Embryo ausgehende Bildung
ist und beide aus dem Blastoderma hervorgehen. Die Entwickelung
des Amnion ist in Kürze gefasst nach Baer folgende: Das äussere
Keimblatt schlägt sich faltenartig über den Rücken des Embryo,
die Falten berühren sich und verwachsen. Dadurch entsteht eine
Hülle, die den Embryo in Form eines Sackes einschliesst. Zwischen
dem Embryo und der Hülle ist ein Raum, welcher die Amnioshöhle
ausmacht. Die Amnioshöhle steht vor dem Abschliessen des Amnion
mit der Umgebung in offener Communication.
1) V. Baer, Ueber Entwickelungsgeschichte der Thiere, II. Theil
Königsberg 1837.
Beiträge zur Lehre vom Amnion. 193
Diese Bildungsweise des Amnion haben auch die späteren Forscher
bestätigt, nur dass die Letzteren nicht mehr der Keimblättertheorie
v. Baer’s anhängend, die Bildung des Amnion vom Standpunkte
der Dreiblättertheorie schilderten.
Bei Reichert!) finden wir, dass das Amnion jener Theil der
Membrana reuniens ist, der über die Kopfabtheilung des Embryo
und über die formirte obere Wirbelsäule sich verlängert. Die an-
fangs dicken Amniosplatten wachsen sich mehr verdünnend auf-
wärts und nach der Mittellinie, haben hier nur eine geringe Höhe
zu überwinden und vereinigen sich gegenseitig über der oberen
Wirbelröhre in einer geraden Linie, zwischen der entgegenkommen-
den Kopf- und Schwanzscheide Die Amnioshöhle ist fertig und
stellt die über die obere Wirbelröhre verlängerte und vereinigte
Membrana reuniens inferior des Bauches dar.
Nach Remak’?) ist die Bildung des Amnion derart, dass sich
das äussere Keimblatt und die Hautmuskelplatte des mittleren
Keimblattes über dem Rücken des Embryo vereinen. Diese Ver-
einigung lässt sich vom Kopfende gegen das Schwanzende des Em-
bryo verfolgen.
Das Kopfende sowohl als auch die dem Kopfende näher gele-
genen Theile des Embryonalleibes sind früher als das Schwanzende
vom Amnion umhüllt. His?) lässt in seinem ausführlichen Werke
das Amnion aus dem oberen Keimblatte und der oberen Nebenplatte
hervorgehen. Die Vereinigung der Amniosfalten kommt durch eine
Verdickung der Zellenmassen an den sich berührenden Stellen des
Amnion zu Stande.
Aus dem Angeführten ersieht man, dass die Kenntnisse über
die Entwickelung des Amnion noch eine Reihe von Lücken zeigen,
die uns zunächst die Kenntniss der Art und Weise des Abschliessens
vorenthalten. Ferner ‚erweisen sie sich als mangelhaft bezüglich des
Bildungsmaterials, welches aus der Embryonalanlage zum Aufbaue
des Amnion verwendet wird.
Wir wissen mit Remak, dass das Amnion aus dem über
dem Rücken des Embryo zurückgeschlagenen äusseren Keimblatte
1) Reichert, Das Entwickelungsleben im Wirbelthierreiche. Ber-
lin 1840.
2) Remak, Entwickelungsgeschichte der Wirbelthiere. Berlin 1855.
3) His, Untersuchungen über die erste Anlage des Wirbelthierleibes. —
I. Die Entwickelung des Hühnchens im Ei. Leipzig 1868.
194 Dr. S. L. Schenk:
und der Darmfaserplatte des mittleren Keimblattes hervorgeht.
Diese Angabe genügt uns aber nicht um zu erklären, woher denn
das Material für die im Amnion befindlichen Gewebe ausser den
Epithelstratis kommt. Es ist bekannt, dass das äussere Keimblatt
nur den Horngebilden, dem peripheren und centralen Nervensystem,
zur Grundlage dient. Von der Hautmuskelplatte ist es durch meine
Untersuchungen!) dargethan, dass die Elemente derselben blos zur
Auskleidung der Pleuroperitonealhöhle dienen. Da die Hautmus-
kelplatte nirgends im Embryonalleibe zu Bindegewebe metamorpho-
sirt wird, so ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Fortsetzung
derselben, welche an der Bildung des Amnion, als dessen äussere
Lamelle Antheil nimmt, hier ausnahmsweise in Bindegewebe me-
tamorphosirt werde. Abgesehen davon kann man die Elemente der
Hautmuskelplatte in späteren Entwickelungsstadien als flache Epi-
thelialgebilde (des Amnion) finden, die auf ihrem Querschnitte
Bilder liefern, welche Längsschnitten von Spindeln ähnlich sind,
Endlich atrophiren sie gänzlich in ihrer peripheren Ausbreitung,
wie dies von Waldeyer?) zuerst angegeben wurde.
Um die angeführten Lücken auszufüllen und überhaupt Studien
über die Entwickelung des Amnion machen zu können, ist es noth-
wendig Embryonen der Untersuchung zu unterziehen, die sich in
einem Entwickelungsstadium vom Anfange des dritten bis inclusive
Ende des fünften Tages befinden. Man wird hierbei in Erfahrung
bringen, dass die Bildung des Amnion derart vor sich geht, wie es
die trefflichen Schilderungen der oben citirten Autoren dargethan
haben. Hier möge nur zunächst die Art des Abschliessens näher
geschildert werden, da wir uns mit der einfachen Annahme nicht
begnügen können, der zufolge die beiden Amniosfalten sich am Rücken
des Embryo vereinigen.
Um die Art und Weise der Vereinigung der Amniosfalten auf
Durchschnitten näher kennen zu lernen, genügt es, eine Reihe aufein-
anderfolgender Durchschnitte zu gewinnen, die in der Gegend jener
Ebene des Embryonalleibes liegen, in welcher das Amnion eben im Ab-
schliessen begriffen ist. Diese Ebene liegt am dritten Tage der Entwicke-
lung (Huhn) ohngefähr in der Höhe des Anfanges des Mitteldarmes.
1) Schenk, Sitzungsberichte der k. Acad. der Wissenschaft. Wien,
LVII Bd. II. Abth. 1868. Beitrag zur Lehre von den Organanlagen im mo-
torischen Keimblatte.
2) Waldeyer. Eierstock und Ei. Leipzig 1870.
Beiträge zur Lehre vom Amnion. 195
Man hat hier Durchschnitte, in denen das Amnios noch nicht ab-
geschlossen zu sehen ist, sondern nur dessen Falten. Höher oben
dem Kopfende näher gelegen, findet man das vollkommen gebildete
Amnios und zwischen beiden die Uebergänge in der Entwickelung
desselben zu sehen. An Embryonen vom Ende des vierten Tages
beobachtet man am Rücken des Embryo ein kleines Grübchen im
Amnion, das von einem wulstigen Rande umgeben ist. Dieses
Grübchen, welches in der Höhe der hinteren Extremitäten liegt, ist
nichts Anderes, als die Communikationsöffnung zwischen der Amnios-
höhle und der Umgebung des Eies. Die aufeinander folgenden
Durchschnitte in dieser Höhe geben gleichfalls eine Uebersicht über
den Abschliessungsvorgang an der Kopf- und Schwanzfalte des
Amnion. Dieser Abschliessungsvorgang ist an beiden Falten ein
ähnlicher. Die erste Faltenbildung findet man an der Grenze des
Fruchthofes. Ist dieselbe bis zur Höhe der Urwirbel gelangt, so
findet man sie (Fig. 1) aus zwei Zellenlagen bestehend, deren eine
die direkte Fortsetzung des äusseren Keimblattes («), die andere
eine Fortsetzung der Hautmuskelplatte des mittleren Keimblattes
ist. Sobald diese Falten von beiden Seiten des Embryo am Rücken
des Letzteren bis über die Urwirbel in die Nähe der Mittellinie ge-
kommen sind, so sieht man an Querschnitten (Fig. 2) die Ueber-
gangsstelle (u) jenes Theiles der Falte, welche dem äusseren Keim-
blatte («) angehört, verdickt. Diese Verdickung (u) besteht an in
Chromsäure gehärteten Hühnerembryonen aus polyedrischen Zellen,
mit einem körnigen Protoplasma deutlichem Kerne und Kernkör-
perchen. Die Elemente der Verdickung (u) können lediglich nur
durch den Prozess der Theiluug der Elemente des Amnion an dieser
Stelle in grösserer Menge als im übrigen Amnion angehäuft sein.
Da wir im Amnion dieses Stadiums keine Gefässe haben, so können
wir nicht von einem Austritte der Elemente aus den Blutbahnen
sprechen, die an der in Rede stehenden Verdickungsstelle sich an-
gehäuft hätten. Andererseits kennen wir auch im äusseren Keim-
blatte, an dem die Zellenvermehrung stattfand, keine Gefässverzwei-
gungen, durch deren Wandungen die Elemente austreten könnten,
um längs des äusseren Keimblattes, an die benannte Stelle hinan-
zuwandern. Es wäre allenfalls noch denkbar, dass etwa aus den
Räumen der Gefässe im Frucht- oder Gefässhofe Elemente ausge-
treten wären, und diese könnten längst der Innenfläche der inneren
Lamelle des Amnion bis zum verdickten Theile (u) hinwandern. —
196 Dr. S. L. Schenk:
Abgesehen davon, dass der letzte Vorgang nicht Gegenstand der
direkten Beobachtung sein kann, möchte ich nur bemerken, dass
man in frühen Stadien, wie ich schon erwähnt habe, ausser den Ele-
menten, welche den Fortsetzungen des äusseren Keimblattes und
der Hautmuskelplatte des mittleren Keimblattes im Amnion ent-
sprechen, keine anderen Elemente zwischen beiden finden kann. —
Die verdickten, Stellen des Amnion (u) kommen einander näher und
man findet an Schnitten in jenen Ebenen, die dem noch nicht ganz
abgeschlossenen Amnion näher liegen, die Communikationsöffnung
der Amnioshöhle mit ihrem wulstigen Rande gänzlich geschwunden
(Fig. 3). Die verdickten Stellen sind von beiden Seiten mit einander
vereinigt und geben ein Bild wie es die Fig. 3 zeigt, in welcher man
die Falten des äusseren Keimblattes («) mit einander vereinigt sieht (u),
während die Schlinge des mittleren Keimblattes ($#) ohne bemerk-
bare Veränderung zu zeigen und ohne an dem Abschliessungsakte
des Amnion sich noch zu betheiligen, umbiegt.
Die weiteren Veränderungen sind in Fig. 4 zu sehen. Die
Verdickung (u) im äusseren Keimblatte ist in zwei Partien ge-
theilt, deren eine (« II) dem Rücken des Embryo näher liegt und
von diesem durch das Gerinnsel (x) der Amniosflüssigkeit getrennt ist.
Die andere liegt nach aussen vom Embryonalleibe den Amniosfalten (£)
des mittleren Keimblattes an. Beide Zellenlagen (« Iund «I) stehen
durch eine schmale Zellenbrücke (B) mit einander in Verbindung. Die
Schlingen des mittleren Keimblattes (#) ragen von beiden Seiten bis an
die Zellenbrücke (B). Der grössere Theil der verdickten Zellenmasse
des äusseren Keimblattes findet sich der Amnioshöhle (A) zugewen-
det und hängt der inneren Lamelle des Amnion an. Diese anhän-
gende Zellenmasse ist von dem körnigen Gerinnsel (x) der Amnios-
höhle (A) nicht scharf getrennt, so dass wir den Grenzkontour
zwischen beiden nicht deutlich sehen können. Die Zellen, welche
dem körnigen Gerinnsel näher liegen, haben ein Protoplasma, welches
feinkörnig ist. Der Kern ist nicht in allen sichtbar. Da wir nun
später am entwickelten Amnion von dieser Verdickung keine Spur
mehr finden, so bin ich geneigt anzunehmen, dass die Zellen, welche
die Verdickung ausmachen, bis zu einem bestimmten bleibenden
Theile derselben nach und nach im liquor Amni auigehen und
ihre Zerfallsprodukte scheinen zum guten Theile an der Bildung
der Amniosflüssigkeit in dem Embryonalleibe ihre Verwendung zu
finden.
Beiträge zur Lehre vom Amnion. 197
‘Die Verbindungsbrücke (B), welehe als der Rest der früheren
Verdickung im äusseren Keimblatte anzusehen ist, bleibt längere
Zeit an Querschnitten zu sehen, bis man sie endlich ganz vermisst
(Fig. 5).
Sodann sind aus den ursprünglichen beiderseitigen Amnios-
falten des äusseren Keimblattes zwei Zellenlagen hervorgegangen,
deren eine (Fig. 5 «II), als direkte Fortsetzung des äusseren Keim-
blattes, das innere Blatt des Amnion bildet und den Embryonalleib
zunächst umgibt. Zwischen dem inneren Amniosblatte (@ II) und
der von diesem getrennten äusseren Zellenlage («I) befinden sich
die beiden Falten des mittleren Keimblattes (£, %,). Diese sind um
die Ausdehnung der früheren Verbindungsbrücke (Fig. 4, B) von
einander entfernt. Nach dem Schwinden der Verbindungsbrücke blei-
ben sie während längerer Zeit, bei äusserlich scheinbar vollkommen
geschlossenem Amnion von einander getrennt (Fig. 5). — Erst später
ist an den einander entgegengekommenen Umbiegungsstellen der
Falten der Hautmuskelplatte eine schwache Verdickung zu erkennen,
vermittelst welcher diese Falten sich vereinen. An den Bildern, die
man weiter entwickelten Stellen des Amnion entnimmt, sieht man
aus diesen aneinander gerückten Falten neuerdings zwei Zellenstrata
hervorgegangen. — Die innere derselben, d. i. die dem Embryo näher
gelegene, bildet die äussere Lage des Amnion. Sie ist die Fort-
setzung der Hautmuskelplatte ins Amnion. Die äussere bildet einen
Theil der Amniosfalte, welche sich vom Amnion, das den Embryo
in vorgerückteren Stadien umgiebt, abgeschnürt hat.
Das Amnion, welches in dem eben geschilderten Entwicklungs-
stadium am Rücken des Embryo vollkommen abgeschlossen ist, kann
insofern nicht als vollendet betrachtet werden, als man nur die
Epithellagen des Amnion an der äusseren und inneren Oberfläche
desselben vor sich hat.
Ausser den genannten Zellenlagen findet man in späteren Ent-
wickelungsstadien (Fig. 6) noch eine dritte, welche zwischen beiden
früheren («, 8) liegt. Diese (y) steht mit den Urwirbeln (U) in
Verbindung und ist erst am Anfange des vierten Tages zu sehen.
Sie kann als Grundlage sämmtlicher Gewebselemente, mit Aus-
nahme der Epithelien, welche im Amnion vorkommen, betrachtet
: werden.
In jener Periode der Entwickelung, wo die Urwirbel an Masse
zunehmen, wuchern sie einerseits zwischen die Darmfaserplatte und
M, Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 7. 14
198 Dr. S. L. Schenk:
das Darmdrüsenblatt (Schenk !), um hier die Grundlage für die
Schichten der Darm- und Magenwand zu bilden, mit Ausnahme des
Peritonealepithels, und jenes der Darm- und Magenschleimhaut
(Barth), Laskowsky°). — Die zwischen Darmfaserplatte und
Darmdrüsenblatt vorgeschobene Formation dient auch der Leber,
Lunge und Milz zu ihrer Grundlage inwieferne diese Organe ihr
Material zum Aufbaue aus dem mittleren Keimblatte beziehen. *)
Andererseits wuchern sie zwischen die Hautmuskelplatte und äusseres
Keimblatt, wo sie als Seitenplatten zur Bildung der Leibeswand
dienen. Dieser Theil der Urwirbel dient, wie es meine Unter-
suchungen darlegen, nicht nur zur Bildung der Leibeswand, sondern
ein Theil desselben wird zwischen die beiden Amniosblätter vorge-
schoben. Hierdurch wird das Amnion durch eine dritte eingescho-
bene Zellenlage dicker. Nun beginnen andere Gewebselemente ausser
den Epithellagen im Amnion sichtbar zu werden, die aus den Ele-
menten der vorgeschobenen Formation der Urwirbel hervorgehen.
Am besten ist das Gesagte aus den Fig. 6 und 1 zu ersehen.
Die Zeichnung giebt nur jenen Theil des gewonnenen Durch-
schnittes (der durch den ganzen kKmbryonalleib gelegt wurde), der
zur Erklärung des oben Erwähnten dienen soll. Es ist in den Fig.
6 und 1 der Waldeyer’sche Keimhügel (Kh) und dessen Fort-
setzung ins Amnion (Hautmuskelplatte) Hm zu sehen. Ferner findet
man die Fortsetzung des äusseren Keimblattes ins Amnion «, die
an ihrer Umbiegungsstelle (A), Fig. 6, etwas verdickt ist. Zwischen
dem äusseren Keimblatte « und der Hautmuskelplatte # im Amnion
sieht man die Gebilde der Urwirbel (y) bis g vorgeschoben. Diese
vorgeschobenen Gebilde sieht man in Fig. 1, welche einem jüngeren
Stadium angehört, nur bis zur Umbiegungsstelle der Hautmuskel-
platte ;(#) und des äusseren Keimblattes («) reichen. Diese For-
mation (y Fig. 5) wird nun weiter ins Amnion vorgerückt gefunden,
bis man sie endlich so weit findet, als überhaupt die beiden früheren
I) Lie;
2) Barth, Beitrag zur Entwickelung der Darmwand. Sitzungsber.
d. Wiener k. Acad. d. Wissenschaften LVIII. Bd. II. Abth. 1868.
3) Laskowsky, Ueber die Entwickelung der Magenwand. Sitzungsber.
d. Wiener k. Acad. d. Wissenschaften. LVIII. Bd. II. Abth. 1868.
4) Diese von mir gebrachte Angabe, welche ich Präparaten vom Hühner-
embryo entnommen habe, wurde von Götte in diesem Archiv Bd. V. 1869
für die Batrachier bestätigt.
Beiträge zur Lehre vom Amnion. 199
Lagen des Amnion reichen, so dass ein Durchschnitt durch das
Amnion von jeder beliebigen Stelle seiner Ausdehnung die drei
geschilderten Lagen darstellt. Nun wird man die Fortsetzung
der Hautmuskelplatte ins Amnion allmählig atrophirt vorfinden,
die Zellen werden flacher bis sie schliesslich ganz schwinden und
das Amnion entbehrt der äusseren Zellenlage. Fig. 7 stellt ein
Stück eines Amnion der späteren Entwickelungsstadien dar, das
um einen Extremitätsstumpf geschlungen ist. An demselben sind die
Schichten («, #, y) des Amnion zu sehen. Die mittlere Lage (y)
zeigt einige Gefässlücken und zu Bindegewebe metamorphosirte
Gewebselemente. Das innere Blatt «& stellt das wohlerhaltene innere
Epithel dar. Die Fortsetzung der Hautmuskelplatte ist nur bis
zu der Grenze v zu sehen, im Uebrigen zeigt sie keine Spuren,
die auf ihr früheres Dasein schliessen liessen. Die Frage, die wir
uns noch ferner zu stellen haben ist, auf welche Weise findet die
Vergrösserung der Urwirbelmasse, respective deren Zellenvermeh-
rung statt?
Man kann bei einem embryonalen Gebilde, welches man an
Masse zunehmen sieht, sich kaum der Annahme enthalten, dass die
Vermehrung der Zellen, welche das Organ zusammensetzen, in Folge
des Theilungsprocesses vorhandener Elemente vor sich geht. Denn
gerade an embryonalen Gebilden kann man den Theilungsprocess
von den ersten Furchungsstadien bis zur frühesten Anlage der Or-
gane verfolgen. Andererseits ist auch der Meinung Raum zu geben,
vermöge welcher die Elemente aus den Gefässräumen im Em-
bryonalleibe austreten und sich später zu den Organanlagen gesellen,
um ähnlich wie die Vorgänge im Extraembryonalleben stattfinden,
zu Gewebselementen der Organe sich umgestalten zu können.
Durch folgende Gründe kann man sich veranlasst sehen, dieses
anzunehmen.
In jenen Entwickelungsstadien, wo die Urwirbel an Quer-
schnitten nicht grösser als in ihrer frühesten Anlage erscheinen,
fehlen die Gefässe im Fruchthofe zwischen Darmdrüsenblatt und
Darmfaserplatte, oder die Durchschnitte der Bluträume sind nur im
Beginne des Fruchthofes spärlich vorhanden. Erst mit dem ver-
mehrten Auftreten der Bluträume im Fruchthofe tritt auch eine
Vergrösserung der Urwirbelmasse auf.
Nun sollte man während dieses Entwickelungsstadiums das
Kreisen des Blutes im lömbryonalleibe des Huhnes beobachten, um
200 Dr. S. L. Schenk:
das Austreten von Elementen durch die Gefässwandungen zu sehen,
Allein eine Reihe nicht zu beseitigender Uebelstände, die bei diesem
Versuche am Huhne auftreten, hindert uns, um zu einem positiven
Resultate zu gelangen. Zunächst muss man die Beobachtungen
nur bei auffallendem Lichte am nicht aus dem herauspräparirten
Embryo machen. Die Vergrösserung, die man hierbei anwenden
kann, geht nicht über Hartnack Ocul. III. Object V. Abgesehen da-
von, dass man die Vergrösserungen nicht nach Belieben anzuwenden
vermag, kann man den Embryo nicht für eine längere Dauer zur
Untersuchung benutzen. Denn es ergeben sich eine Reihe von
Schwierigkeiten aus dem Umstande, dass man nicht leicht das Ei
während der Untersuchung unter solche Verhältnisse bringen kann,
unter denen es sich befinden muss, wenn man es künstlich be-
brütet. Ferner ist das eröffnete Ei der atmosphärischen Luit aus-
gesetzt und vertrocknet die oberflächliche Eiweissschicht. Versucht
man aber mit Hülfe eines Deckgläschens (oder eines Glimmer-
plättchens) die in der Eischale gemachte Oefinung mittelst Kleb-
wachs zu verschliessen, so schlagen sich alsbald an der Innenfläche
des Deckgläschens Wasserdämpfe nieder, die jede weitere Beob-
achtung stören. Das Deckgläschen direkt auf den Embryo gelegt,
führt grösstentheils eine solche Reihe von Störungen nach sich,
dass ein baldiges Zerreissen der Gefässräume unausbleiblich ist.
Beim Säugethiere sind die Schwierigkeiten in viel grösserem Masse,
so dass man an diesen nicht einmal die Circulation beobachten
kann. Was aber an Säugethieren und Hühnern nicht ermöglicht
ist, kann mit Leichtigkeit an Embryonen von Batrachiern und
Forellen gesehen werden. Es ist nun wahrscheinlich, dass das
Austreten der Elemente normaler Weise auch beim Säugethiere
und Huhne vor sich geht, da diese bis zu einem gewissen Grade
der Entwickelung keine Verschiedenheit in den Entwitckelungsvor-
gängen von denen anderer Thiere zeigen.
Es scheint dem Angeführten zufolge die ins Amnion vorge-
schobene Formation, welche von den Urwirbeln stammt, zum
Theile aus Abkömmlingen von Zellen zu bestehen, die durch den
Theilungsprocess sich vermehrt haben; zum Theile können sie
metamorphosirte Elemente sein, die aus den Blutbahnen ausgetre-
ten sind.
Die Elemente der vorgeschobenen Formation erleiden wesent-
liche Veränderungen, welche zur Umwandlung derselben zu den
Beiträge zur Lehre vom Amnion, 20)
Gewebselementen des vollendeten Amnion führen. Man sieht hier
die verschiedenartigen Bilder, wie sie aus den Arbeiten von Ober-
steiner!) und Kuzneroff?) als embryonales Bindegewebe be-
kannt sind. Ich habe einige derselben aus dem Amnion vom Ka-
ninchen und Huhne (a bis f) gezeichnet.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. XVII.
Die Figuren stellen Abschnitte von vollständigen Querschnitten durch
den Embryonalleib dar, welche zur Erklärung des Gesagten dienen sollen.
« äusseres Keimblatt.
#8 Hautmuskelplatte (des mittleren Keimblattes).
y vorgeschobene Formation der Urwirbel.
U Urwirbel.
PP Pleuroperitonealhöhle.
Kh Keimhügel (nach Waldeyer).
Hm Hautmuskelplatte.
A Amnioshöhle.
u Verdickung an der Umbiegungsstelle des äusseren Keimblattes in der
Amniosfalte über den Rücken des Embryo E.
x Gerinnsel in der Amnioshöhle.
a bis f Bindegewebselemente aus dem Amnion.
1) Obersteiner, Ueber Entwickelung und Wachsthum der Sehne.
Sitzungsber. der k. Wiener Academie der Wissenschaften. LVI. Bd. I.
Abth. 1867.
2) Kuzneroff, Sitzungsber. d. Wiener Academie d. Wissenschaften.
LVI. Bd. II. Abth. 1867.
Ueber das Gehörorgan der Gasteropoden.
Von
Prof. Dr. F. Leydig
in Tübingen.
Hierzu Taf. XIX.
Seit dem Jahre 1838 weiss man durch Eydoux und Sou-
leyet, dass am Gehirn der Schnecken Organe zugegen sind, welche
den Gehörwerkzeugen höherer Thiere sich vergleichen lassen. Die
erste derartige Wahrnehmung wurde an den Heteropoden gemacht,
was kaum zufällig ist, da an dieser Gruppe das Organ wegen seiner
Grösse und der durchsichtigen Beschaffenheit des ganzen Thieres
am ehesten dem Blick sich zeigen musste. Und es ist selbst be-
greiflich, wie schon mehr als zehn Jahre vor den genannten fran-
zösischen Beobachtern, im Jahre 1825, Delle Chiaje bei der Zer-
gliederung von Pterotrachea das Gebilde wenigstens sah, wenn auch
in seiner Bedeutung verkannte. !)
Bei den Gasteropoden im engeren Sinne scheint Pouchet
zuerst, und zwar ebenfalls um das Jahr 1838 herum, des Organs
ansichtig geworden zu sein, ohne aber zu wissen, was er eigentlich
vor sich habe.?)
1) Delle Chiaje, Descrizione e notomia degli animali invertebrati
della Sicilia eiteriore. Tomo primo. Napoli 1841. „Prima che Eydoux
e Soleyet rinvenissero lapparato uditorio nei Molluschi pteropodi ed
eteropodi, ...... io aveva figurato l’otolite della pterotrachea, ma con-
fuso (Mem. Nap. 1825) con ganglietti nella carinaria mediterranea.“
2) Note sur le developpement des Limnees. Ann. d. sc. nat. 1838, p. 64.
Ueber das Gehörorgan der (rasteropoden. 203
Indem von da an verschiedene Beobachter sich mit gedachter
Bildung beschäftigten, hatte man gegen Mitte der fünfziger Jahre
bezüglich des Vorkommens und des Baues folgende Ergebnisse ge-
wonnen.
Erstens: ein Gehörwerkzeug besitzen alle Abtheilungen der
Mollusca cephalophora.
Zweitens: dasselbe besteht immer aus einer Blase, deren
bindegewebige Wand sich in eine festere innere Lage und eine mehr
lockere Umhüllung scheidet. Die Innenfläche wird von einem Epithel
überdeckt, dessen Zellen von verschiedener Gestalt sind und meistens
Wimperhaare tragen. In der Flüssigkeit, welche die Ohrblase prall
erhält, schweben die Otolithen. Der zur Blase führende Nerv kann
zu einem langen Stiel ausgezogen sein, oder er ist so verkürzt, dass
das Gehörorgan den Nervencentren unmittelbar aufsitzt.
Dies war der Stand der Kenntnisse, als im Jahre 1856 Adolph
Schmidt mit der „Entdeckung“ hervortrat, dass noch an der
Ohrblase ein besonderer „Gehörgang‘“ vorhanden sei, welcher von
der Capsel nach aussen zur Haut führe!) Da man nun wusste,
dass am Gehörorgan der Cephalopoden ein flimmernder Canal in
der That vorhanden sei, so lag es nahe, den von Schmidt ange-
zeigten Gehörgang und denjenigen der Cephalopoden sich als gleich-
werthige Bildungen vorzustellen.
Als ich jedoch durch eigene Untersuchungen an Arion hor-
tensis, Limax agrestis, Helix hortensis und H. ericetorum mich von
der Anwesenheit des Ohrcanals der Gasteropoden überzeugen wollte,
gelang es mir nicht, denselben aufzufinden, vielmehr ergab sich,
dass die Ohrcapsel im Ganzen die Form einer kurz gestielten Blase
habe; dann dass der kurze Stiel den Ansatz an’s Gehirn bezwecke
und nicht etwa gegen die äussere Haut führe, so dass demrach im
ganzen übrigen Umfang die Capsel scharf abgeschlossen sei. ?)
Meine Mittheilungen über diesen Gegenstand sind, wie. es
scheint, von Boll?) und Gegenbaur) übersehen worden. Insbe-
1) Beiträge zur Malakozoologie, Berlin 1857; vorher in der Zeitschr. f.
die gesammten Naturwissensch, Jahrg. 1856.
2) Zur Anatomie und- Physiologie der Lungenschnecken, Archiv für
mikroskopische Anatomie. Bd. I, 8. 58.
3) Beiträge z. vergleichenden Histiologie a. Molluskentypus. Bonn, 1869.
4) Grundzüge zur vergleichenden Anatomie, zweite Auflage. 1870.
204 Prof. Dr. F. Leydig:
sondere vergleicht der letztere den Wimpercanal der Cephalopoden
mit dem Schmidt’schen Gehörgang und sieht beide für homologe
Bildungen an. Ein Irrthum, der zu vermeiden gewesen wäre; denn
obschon meine Untersuchungen, wie das Folgende zeigen wird, nicht
ans Ende des Weges gelangt waren, so gehen doch das Beobach-
tete und der Vergleich auf richtiger Bahn und diese lenkt durch-
aus davon ab, im Ohr der Gasteropoden ein dem Wimpercanal am
Ohr der Cephalopoden gleichwerthiges Gebilde erblicken zu wollen.
Immerhin wäre ich schwerlich dazu gekommen, den Gegenstand
von neuem vorzunehmen, wäre nicht der Auszug einer Abhandlung
von Lacaze-Duthiers erschienen, in welcher angezeigt wird,
dass, mag auch die Ohrblase der cephalophoren Mollusken an der
unteren Portion des Gehirns liegen, der Gehörnerv doch immer von
der oberen, den Schlund umgreifenden Abtheilung den Ursprung
pimmt.!) So sehr nun diese Angabe im ersten Augenblick be-
fremden musste, — und sie wurde auch von einem Berichterstatter
über die malakologische Literatur sehr ungläubig aufgenommen und
besprochen — so musste ich wenigstens daran erinnert werden, dass
ich den Stiel der Ohrblase, d. h. den Gehörnerven zwar in die un-
tere Gehirnportion sich verlieren sah, aber nicht dessen Ende nach
seiner histologischen Verbindung kannte, insbesondere nicht, wo der
Uebergang seines Neurilemms in das Neurilemm des Ganglions und
ebenso seines Inhalts in die nervöse Substanz stattfinde.
Um über diese von dem französischen Forscher angeregte und
für die vergleichende Anatomie bedeutungsvolle Frage ins Klare zu
kommen, unterzog ich das Gehörorgan einiger Lungen- und Kiemen-
schnecken von Neuem der Prüfung und das Ergebniss gestaltet sich
zu einer Bestätigung der schönen Entdeckung von Lacaze-Du-
thiers, was jetzt darzulegen der Zweck dieser Zeilen ist.
Die Methode der Untersuchung, deren ich mich bediente, war
einerseits, dass ich von den in Wasser erstickten Thieren (Helieinen,
Limacinen) das Gehirn sorgfältig ausschnitt und dann sowohl frisch,
als nach Behandlung mit Essigsäure oder sehr verdünnter Kalilauge
studirte. Oxalsäure, welche ich ebenfalls anwandte, hat mir keine
Dienste geleistet, welche grösser gewesen wären, als die der zwei
genannten Flüssigkeiten. Ferner ist, wie fast für alle histologischen
1) M&moire sur les Organes de l’audition (otolithes) de quelques animaux
invertebres. Compt. rend. 1868. p. 882.
Ueber das Gehörorgan der Gasteropoden. 205
Arbeiten, der Gebrauch sehr verdünnter Lösungen von doppeltchrom-
saurem Kali zu empfehlen.
Andererseits habe ich auch das Gehirn aus lebenden Thieren
genommen und, mit Schneckenblut befeuchtet, der weiteren Zerglie-
derung unterworfen.
Man darf nicht glauben, gleich am ersten Präparat und an
jeder beliebigen Schneckenart das Gewünschte zu sehen, was schon
daraus hervorgeht, dass den Augen so vieler Beobachter das wahre
Sachverhältniss entgangen ist. Auch wird ein Eingehen auf histolo-
gische Einzelheiten unerlässlich.
I. Das Gehirn.
1. Gestalt und Gliederung.
Das centrale Nervensystem der diesmal untersuchten Gattungen
von Lungenschnecken: Limax, Arion, Vitrina, Helix, Clausilia,
Carychium, Suceinea, Physa, Planorbis, Ancylus bleibt sich zwar in
den Grundzügen gleich, ändert aber ähnlich wie das Gehirn in be-
stimmten Gruppen der Wirbelthiere, so auch hier nach den Gat-
tungen mehr oder weniger ab. Die obere Portion — wir wollen sie
Oberhirn nennen — besteht aus zwei gangliösen Seitenmassen, welche
in Grösse und Umriss mancherlei Verschiedenheiten, namentlich
gewisse Höcker oder Wölbungen als Ausdruck innerer Sonderungen
darbieten. Es soll nachher Helix hortensis bezüglich dieses Punktes
näher in Betracht gezogen werden.
Die beiden seitlichen Massen des Oberhirns werden durch eine
Querbrücke oder Commissur, welche ebenfalls nach ihrer Länge und
Breite kleine typische Verschiedenheiten zeigt, verbunden.
Die unter dem Schlund liegende Portion — sie mag Unterhirn
heissen’ — besteht bekanntlich aus einer vorderen Partie (Ganglion
pedale) und einer hinteren (Ganglion viscerale). Die vordere liegt
etwas tiefer als die hintere. Die letztere ist es nun, welchein man-
chen der obigen Gattungen eine Neigung sich in kleine Abschnitte
aufzulösen kund gibt, während die vordere durchweg jederseits ein
nahezu einfaches rundliches Ganglion bleibt.
Gehen wir von Helix aus, mit welcher Gattung hierin Limax,
Arion und Vitrina ziemlich übereinstimmen, so finden wir, dass
206 . Prof. Dr. F. Leydig:
2. B. bei H. hortensis!), H. pomatia, H. obvoluta und andern jeder
der beiden Seitenabschnitte der hinteren Partie (Ganglion viscerale)
durch eine vom Rande hereingreifende mittlere Einkerbung den
Anfang zur Zerlegung des Ganglions zeigt; deun diese vierlappige
Beschaffenheit führt bei anderen Gattungen zu einer Auflösung in
vier gesonderte durch Gommissuren verbundene Ganglien. Solches
sehen wir z. B. bei Clausilia, wovon ich C. similis untersuchte und
wo alsdann Ober- und Unterhirn als Ganzes eine Zusammensetzung
aus acht Ganglien erhalten; auch bei Physa — ich zergliederte
Ph. hypnorum — erscheint diese Zerlegung der hinteren Partie des
Unterhirns, aber mit einer neu hinzutretenden Sonderung, insofern
die eine Seitenhälfte sich einigermaassen wieder durch eine mittlere
Einschnürung scheidet; wobei aber der bemerkenswerthe Umstand
an allen von mir untersuchten Exemplaren sich kund gab, dass
diese zuletzt erwähnte Sonderung asymmetrisch war, das heisst, nur
auf die eine Seite beschränkt.
Die den Schlund umgreifenden, Ober- und Unterhirn verbin-
denden Commissuren sind, wie man seit der Arbeit Berthold’s weiss,
jederseits doppelt und wohl ohne Ausnahme; wenigstens sehe ich
auch da mit Sicherheit zwei, wo Moquin-Tandon?) eine einzige
zeichnet, z. B. bei Vitrina diaphana. Die Länge dieser Commissuren
ändert wieder nach den einzelnen Gruppen und trägt wesentlich
mit dazu bei, dem Gehirn im Ganzen ein besonderes, zum Gattungs-
charakter gehöriges Gepräge zu verleihen. Unter den Nacktschnecken
sind die Commissuren sehr kurz bei Limax und es ist interessant,
wahrzunehmen. dass bei Vitrina, welche auch sonst, z. B. in der
Weichheit der Körperhaut, der Gattung Limax näher steht, als der
Gattung Arion, die Commissuren ebenfalls sehr kurz sind, wodurch
wie dort das Gehirn ein gleichsam zusammengeschobenes Aussehen
erhält. Bei Arion sind die Commissuren schon etwas länger als bei
den eben genannten Gattungen; noch länger werden sie bei den
Arten von Helix und Olausilia; Suceinea hingegen — ich zerglie-
derte S. amphibia — zeigt wieder kurze Commissuren und auf
solche Weise ein Gehirn von zusammengeschobener Form; sehr kurz
sind sie auch bei Physa.
Bemerkenswerth ist ferner, dass die zum hinteren Abschnitt
1) Pe. 1.
2) Hist. nat. des Mollusques de France. 1855. Pl. VI.
Ueber das Gehörorgan der Gasteropoden. 207
(Ganglion viscerale) des Unterhirns tretende Commissur vor dem
Uebergang in letzteren gangliös verdickt erscheint, so z. B. an
Helix hortensis, H. pomatia, H. obvoluta; der zum vorderen Ab-
schnitt (Ganglion pedale) führenden Commissur fehlt eine derartige
Anschwellung. |
Bekanntlich zieht durch das Gehirn oder den Schlundring
ausser dem Schlund und den Ausführungsgängen der Speicheldrüsen
noch die Aorta. Von ihr löst sich ein Ast ab, welcher den zwischen
den beiden Abschnitten des Unterhirns bestehenden Raum durchsetzt,
sich dann gabelt und die beiden Zweige nach rechts und links, ent-
lang der Seitencommissuren, schickt.
Unsere Kiemenschnecken hinsichtlich der Gliederung des Schlund-
ringes im Näheren zu untersuchen, fehlte mir im Augenblicke (Spät-
herbst) die rechte Gelegenheit. Nur Paludina impura liess sich noch
in einiger Menge auftreiben, hingegen die Paludina vivipara — sie
fehlt bei Tübingen — konnte ich mir nicht mehr aus der Gegend
ihres Vorkommens beschaffen. Ich war auf zwei Exemplare be-
schränkt, welche sich im Schlamm eines Aquariums erhalten hatten,
und da ich überdies an beiden die Aufmerksamkeit mehr auf Dar-
stellung des Gehörorgans als auf dasselbe richtete, so kann ich
nicht sagen, ob hier ebenfalls eine doppelte Commissur vom Ober-
hirn zum Unterhirn geht und ob das letztere weiter getheilt ist.
Wohl aber vermag ich von Paludina impura anzugeben, dass das
Unterhirn in ähnlicher Weise wie bei den Lungenschnecken in
zwei Partien zerfällt, in eine vordere, etwas tiefer liegende und in
eine hintere, höher gelegene und zweimal eingekerbt, so dass sie
dreilappip erscheint. Auch die seitliche Commissur ist doppelt.
2. Feinerer Bau.
An das, was ich bereits darüber in meinem Aufsatze „Zur
Anatomie und Physiologie der Lungenschnecken“ berichtet !), habe
ich jetzt nur Einiges anzufügen.
Das Neurilemm betreffend, verdient noch einmal herausgehoben
zu werden, dass die Nervenhülle bei allen den genannten Gattungen
von Pulmonaten Muskeln ?) besitzt. Sie durchflechten das Neurilemm
am Ober- und Unterhirn und nicht minder durchsetzen sie die haut-
1) Archiv f. mikrosk. Anatomie. B. 1.
2) Fig. 3, A. a.
208 Prof. Dr. F. Leydig:
artig ausgebreiteten Bänder, welche vom gemeinsamen Integument
und der nächsten Umgebung her ans Gehirn treten.
Die gangliöse Substanz anbelangend, so zeichnet sich der hin-
tere Abschnitt (Ganglion viscerale) des Unterhirns dadurch aus, dass
hier die grössten Ganglienkugeln, eine an der anderen, liegen. Von
Mittelgrösse sind die des vorderen Abschnittes oder des Ganglion
pedale. Im Oberhirn kommen grössere, kleinere und ganz kleine
Ganglienkugeln vor; doch erreichen die grössten niemals den Um-
fang jener des Ganglion viscerale im Unterhirn, und die verschie-
denen Arten der Nervenzellen halten sich in bestimmten Gruppen
zusammen.
Dann besitzt aber auch noch das Oberhirn in seinen beiden
Seitenhälften eine feinkörnige blasse Substanz, welche einen scharf-
abgesetzten Ballen ‘) von cylindrischer leicht gebogener Form dar-
stellt. Auch nach Reagentien bleibt derselbe von homogener blass-
körniger Beschaffenheit. Diesen hellen Ballen umgibt dann, von
unten und innen her gleich einer Schale, eine dunklere Partie,
welche aber von histologisch anderer Art ist, denn sie besteht aus
sehr kleinen runden Zellen von dunkler Beschaffenheit des Proto-
plasma. Das über diesen eigenthümlichen Theil im Oberhirn Gesagte
bezieht sich insbesondere auf Helix hortensis; es liegt nahe, dass
der Körper gewisse Vergleichungspuncte darbietet mit Partien im
Gehirn der Insecten.?)
Jede Hälfte des Oberhirns zeigt nach aussen zwei Wölbungen
oder Lappen, durch eine scharfe Ausrandung von einander eine
Strecke weit gesondert. Aus dem vorderen Lappen kommt haupt-
sächlich der grosse Nerv zu den oberen Tentakeln und dem Auge
und es lässt sich sonach der Theil mit dem Riech- und Sehlappen
der Arthropoden vergleichen. Der grosse Tentakelnerv am Vorder-
rand des Lappens nimmt seinen Ursprung aus der gedachten eigen-
thümlichen Partie, welche der ersten Beobachtung sich gern nur
als einfach dunkelkörnige Masse darstellt, bis die weitere Prüfung
uns mit der erwähnten Zusammensetzung bekannt macht. — Das
Oberhirn lässt ausserdem noch vier Nervenstämmchen hervortreten,
welche alle von der unteren Fläche abgehen.
Was an den Seitencommissuren des Gehirns bemerkenswerth
1) Fig. 5, A, b.
2) Leydig, vom Bau des thierischen Körpers, S. 231 ff.
Ueber das Gehörorgan der Gasteropoden. 209
erscheint, wird für unseren Zweck besser nachher bei Besprechung
des Ohrcanals angegeben.
Bei den beiden bezeichneten Arten von Kiemenschnecken sind
die Ganglienkugeln durchweg kleiner, als bei den Lungenschnecken,
wodurch sie zu diesen in einen recht auffälligen Gegensatz treten.
li. Das Gehörorgan.
1. Lage und Grösse.
Es ıst bekanntlich ein Leichtes, am Gehirn unserer Lungen-
schnecken das Gehörorgan zu erblicken und sich zu überzeugen,
dass dasselbe dem Unterhirn angehört. Aber nicht so ohne weiteres
erledigt sich die Frage, ob es an dem vorderen oder hinteren Ab-
schnitt ruht und erst nach und nach vergewissert man sich, dass
der vordere” Abschnitt, welcher aber tiefer steht als der hintere, es
ist, welchem das Ohr aufsitzt. Sollten noch Zweifel übrig bleiben,
so betrachte man zu deren Beseitigung das Gehirn in seiner Ver-
bindung mit dem Schlund.
Ich habe anderwärts darauf hingewiesen, dass das Auge der
Lungenschnecken bei den verschiedenen Arten hinsichtlich der Grösse
nicht allzusehr abzuweichen scheine und daran erinnert, dass dem
Augsburger Naturforscher v. Alten dies bereits aufgefallen sei.
Aehnlich verhält es sich mit dem Gehörorgan. An’ der sehr kleinen
Schnecke Helix rotundata z. B. ist es eben so gross wie bei Helix
hortensis, daher erscheint es auch gegenüber dem Umfang des Ge-
hirns bei kleineren Arten umfänglicher als bei den grösseren Arten ;
doch sinkt die Grösse immerhin bei manchen ganz kleinen Arten in
entsprechendem Grade herab.
Die Abbildung des Ohres von Carychium minimum bei Moquin-
Tandon (a. a. O. Pl. XXIX, Fgg. 22, 23) könnte freilich glauben
machen, dass bei den kleinsten Lungenschnecken das Organ an
Grösse zunehme. Ich vermuthete jedoch längst, dass sich der
Künstler der gedachten Figuren nur einige Freiheit erlaubt habe,
was sich bestätigte, als ich lebende Thiere untersuchen konnte. Die
Zeichnung des genannten französischen Zoologen giebt eine irrige
Vorstellung; das Ohr von Carychium minimum ist freilich im Ver-
hältniss zum Umfang des Unterhirns gross, aber an sich klein, ja
kleiner als das Auge desselben Thieres.
210 Prof. Dr. F. Leydig:
>
Hinsichtlich der auf dem Lande und jener im Wasser lebenden
Lungenschnecken schien mir der Unterschied vorhanden zu sein, dass
bei den letzteren z. B. Planorbis, Physa das Ohr in seiner Grösse
dem der Helieinen nachstehe. Ohne Widerrede, weil ganz auffällig,
ist aber das Ohr der Kiemenschneckengattung Paludina umfänglicher
als jenes der Lungenschnecken; ebenso ist es bei Hydrobia vitrea
grösser als bei einer Landschnecke von gleicher Grösse.
Es lässt sich auch noch bemerken, dass das Ohr mit dem Seh-
organ eine andere Gemeinschaft theilt. Das Auge ist im Verhält-
niss zum Oberhirn nach seitwärts und nach oben gewendet: das
Ohr ebenfalls nach seitwärts, aber nach unten.
2. Form.
Bei oberflächlicher Besichtigung erscheint die Ohrblase der
Lungenschnecken von einfach kugeliger Gestalt und die Abbildungen
sind auch fast sämmtlich in dieser Weise gehalten. Allein in Wirk-
lichkeit ist die Kugel, wie genaueres Zusehen belehrt, an der dem
Ganglion zugewendeten Seite abgeplattet, ja, da sie hier der Wölbung
des Ganglions sich anzupassen hat, erscheint sie an dieser Fläche
leicht eingedrückt; das Organ springt daher mit dem freien Umfang
uhrglasförmig oder wie eine Halbkugel vor '!), während die concave
untere Fläche die Wölbung des Ganglions aufnimmt.
Bei Paludina vivipara hingegen, allwo das Organ freigestielt
dem Gehirn ansitzt, ist seine Form in der That rein kugelig, ebenso
bei Paludina impura. Da das Ohr bei letztgenannter Schnecke et-
was schwieriger zu untersuchen ist als bei den Lungenschnecken,
so vermuthe ich fast, dass Moquin-Tandon, der Verfasser des
mehrmals angezogenen Werkes über die Mollusken Frankreichs, die
das Gehörorgan versinnlichen sollenden zwei Ringelchen auf das
Gehirn nach Analogie des Befundes bei Lungenschnecken eingetra-
gen hat, ohne das Organ selbst näher auf sein Verhalten studirt
zu haben. Im Text geschieht dessen keine Erwähnung. — Auch bei
Hydrobia vitrea ist die ebenfalls frei abstehende Ohrblase wirklich von
Kugelform.
1) Fig. 6.
Ueber das Gehörorgan der Gasteropoden. 211
3. Gewebe.
Die bindegewebige Wand der Capsel zerfällt immer, ganz
ähnlich der Zusammensetzung des Neurilemms, in eine innere festere
Lage oder die eigentliche Capselmembran und in eine äussere lockere
Umhüllung.
Es ist bemerkenswerth, dass während die Zellen dieser lockeren
äusseren Lage am Neurilemm so allgemein bald Fett- bald Kalk-
kugeln, ein andermal Kiweisskügelchen, dann wieder braunes oder
schwärzliches Pigment in sehr wechselndem Grade der Menge ein-
schliessen, all dieser Inhalt rings um die halbkugelig vorspringende
Ohrblase ganz oder fast ganz zurückbleibt, so dass höchstens Spuren
davon anzutreffen sind.
Ich habe vor Jahren am Ohr der Paludina vivipara Muskeln
beschrieben, welche die Ohrcapsel innerhalb der lockeren Umhüllung
geflechtartig umziehen. Diese contractilen Elemente fehlen auch
dem Ohr der obigen Lungenschnecken nicht; aber sie fallen keines-
wegs so leicht in die Augen wie bei Paludina, sondern wollen auf-
gesucht werden. ')
Ferner ist es das die Blase auskleidende Epithel, welches
unsere Beachtung verdient. In ganz unbehelligtem Zustande, frisch
aus dem T'hiere genommen und mit dem Blut der Schnecke befeuch-
tet, erscheint es als geleichmässig dicke Lage, ohne Vorsprünge und
Eintiefungen, dabei von scharfer Innengrenze. Doch schon der lei-
seste Druck genügt, diesen Zustand aufzuheben: seine Grenzlinie
nach einwärts verläuft jetzt bogig-zackig, wie wenn das Epithel
in grössere warzige Vorsprünge sich gesondert hätte. Gar manche
der vorhandenen Abbildungen stellen daher den Binnenraum der
Ohrblase zackig oder sternförmig dar.
An dem noch ganz unversehrten Organ tritt aber auch bei
gewisser Lage eine wulstis verdickte Stelle des Epithels hervor,
welche mir nicht erst durch die Behandlung entstanden zu sein
scheint, sondern von vorne herein bestehen mag. Ueberall wo ich
derselben ansichtig wurde, liegt sie dem Ansatzpuncte des nach-
her zu besprechenden Gehörnerven gegenüber. Nicht blos bei
Lungenschnecken ist die Wölbung zugegen, sondern auch bei Pa-
ludina vivipara deutlich vorhanden. Boll hat jüngst an der Ohr-
1) Vergl. Fig. 2, a; Fig. 6, b.
212 Prof. Dr. F. Leydig:
blase der Heteropoden ebenfalls gegenüber des Eintrittes des Hör-
nerven eine besonders verdickte Zellenlage nachgewiesen, die er als
Crista oder Macula acustica ansieht. Ohne dieser Deutung zustimmen
zu wollen, wird man doch in meinen Figuren der Ohrblase von
Helix pomatia!) und der Paludina vivipara?) an das von Boll
dargestellte Verhalten im Gehörorgan von Pterotrachea coronata ?)
erinnert und darf verwandte Bildungen vermuthen.
Es mag dabei in Erinnerung gebracht werden, dass als ich seiner
Zeit*) die Entwickelung des Ohres bei Paludina vivipara verfolgte,
bereits auf Etwas stiess, was mit diesem späteren Verhalten zu-
sammenzuhängen scheint. Wenn nämlich der anfangs solid-zellige
Ohrkörper anfängt, sein Inneres hohl zu gestalten, so ist wahr-
zunehmen, dass da, wo später der Hörnerv ansitzt, die Wand dünner
ist, an dem übrigen Umfang aber dicker!
Sieht man die Beschaffenheit des Epithels näher an, so ist der
zellige Charakter im ganz frischen Zustande meist sehr undeutlich;
das Epithel hat vielmehr das Ansehen einer homogenen feinkörnigen
Schicht, aus welcher die Kerne abstechen.?) Nach der Natur der
Kerne wären aber die Zellen von zweierlei Art. Man unterscheidet
nämlich einmal kleine, welche in der Mehrzahl vorhanden sind, im
hintersten Theil der zu ihnen gehörigen Zellsubstanz. also nach
aussen gegen die bindegewebige Wand der Kapsel liegen und ein
körniges Innere haben. Dann finden sich aber zweitens noch, in
nur geringer Zahl und wie es scheint lediglich an bestimmten Stellen
grosse runde Kerne, mit je einem Kernkörperchen, dessen Form
spindelartig ist. Von der Anwesenheit dieser beiderlei Kerne habe ich
mich überzeugt, z. B. an Helix pomatia °), H. hortensis. H. obvoluta”),
Clausilia similis, Succinea amphibia. Nicht aber sehe ich sie bei
Kiemenschnecken: sowohl bei Paludina vivipara als auch bei impura
besteht das Epithel aus kurzen Cylinderzellen, welche an der er-
wähnten Verdickung zu hohen Öylindern sich ausziehen; dabei sind
sie von körniger Art in ihrem einwärts gerichteten Abschnitt und
von mehr heller körnerfreien Beschaffenheit im äusseren Theil. Die
Nuclei zeigen sich allerorts von einerlei Grösse und Natur.
Die Wimperhärchen des Epithels sind bekanntermaassen ausser-
ordentlich fein und öfters kann man selbst im Zweifel darüber
1) Fig. 4. 2) Fig. 8,a. 3)a. a. O. Taf. II, Fig. 47.
4) Zeitschr. f. wissensch. Zoologie. Bd. II, S. 139.
5) Vergl. Fig. 6, Fig. 7. 6) Fig. 4. 7) Fig. 5.
Ueber das Gehörorgan der Gasteropoden. 213
bleiben, ob sie wirklich da sind. Bezüglich der Paludina vivipara
meldete ich seiner Zeit, dass man an ungeborenen Thieren die zit-
ternde Bewegung der Hörsteinchen sehen könne, während die grossen
Ötolithen in der Hörcapsel erwachsener Thiere regungslos da lägen
und nur die kleinsten Steinchen eine leichte Bewegung erkennen
lassen. An den vor Kurzem untersuchten zwei Exemplaren sah ich
an dem aus dem lebenden Thier genommenen Organ nur an einer
Stelle das Spiel einer äusserst zarten Flimmerung und alle Otolithen
in völliger Ruhe. Nachdem die Ohrblase eine halbe Stunde im
Blut der Schnecke lag und das Epithel seinen hellen Grenzsaum
eingebüsst hatte, trat Wimperung fast überall auf. Es begann
auch ein ganz schwaches Rücken einzelner Otolithen und was mir
merkwürdig war: es liess sich bei äusserster Aufmerksamkeit ein
höchst sachtes Fortrücken der ganzen Otolithenmasse bemerken,
ohne dass der einzelne Hörstein hierbei die Lage veränderte. Die
Flimmercilien selbst aber als solche zu erkennen, war mir auch jetzt
unmöglich. Die Methode der Untersuchung mag auch bei anderen
Schnecken öfters Antheil haben, ob man Flimmerung sieht oder
nicht: so vermisste ich Cilien und Bewegung der Otolithen an Ge-
hörblasen, die aus der lebenden Helix obvoluta geschnitten wurden,
während ich beides später an Thieren wahrnehmen konnte, welche
im Wasser zuvor erstickt worden waren. Unter allen oben aufge-
führten Pulmonaten erschien die Flimmerung am deutlichsten bei
Ancylus iuviatilis und die Bewegung der Hörsteine am lebhaftesten.
Kinigemale und zwar wenn ich das frische Ohr z. B. von
H. hortensis oder Clausilia similis in Schneckenblut mit sehr starker
Vergrösserung (Tauchlinse Nr. 9) untersuchte, wollte es mir vor-
kommen, als ob zugleich mit den Cilien noch einzelne starre Borsten
zugegen wären; doch bin ich hierüber zu keiner‘ Sicherheit gelangt.
Wäre aber wirklich etwas derartiges vorhanden, so liesse es sich
verknüpfen mit den grosskernigen Zellen und man könnte an eine
Sonderung des Epithels in gewöhnliche Flimmerzellen und borsten-
artige Sinneszellen denken; doch sei noch einmal gesagt, dass ich
wenigstens nicht im Stande war, dieser Vermuthung bessere als die
erwähnten Stützen zu geben.
Die Otolithen zeigen in Grösse, Form und Zahl mancherlei,
wenn auch unbedeutende Verschiedenheiten. Mehr dem rein Ovalen
nähern sie sich z. B. bei den Helieinen; zugespitzter sind sie bei
den im Wasser lebenden Lungenschnecken, z. B. Ancylus, Planorbis.
M, Schultze, Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 7. 15
214 Prof. Dr. F. Leydig:
Kleinere Arten, wie z. B. Carychium minimum haben auch sehr
kleine Ohrsteine. Je geringer ihre Grösse, um so zahlreicher er-
füllen sie die Ohrblasen. Bei ganz jungen Thieren von Helix po-
matia sind die Otolithen mehr rundlich als später und aus ihrer
Mitte hebt sich ein scharfer heller Innenraum ab, der eine ähnliche
spindelförmige Gestalt hat, wie der Nucleolus oben erwähnter Kerne
im Epithel der Ohrblase. Darnach könnte man sich vorstellen, als
cb die Hörsteine nicht reine Öoneretionen wären, sondern ein zelliges
Element oder wenigstens einen Kern zur Grundlage hätten. Damit
steht jedoch nicht im Einklang, was ich früher an Embryonen von
Paludina vivipara sah: ‚Die Hörsteine krystallisiren ohne weiteres
aus der Flüssigkeit der Ohrblase heraus; sie sind anfangs punkt-
förmige Körper, spitzen sich zu und wachsen durch Schichtenbil-
dung.“ Immerhin verdient diese Beobachtung schon um desshalb
hier eine Stelle, als ich dadurch der Angabe begegnen möchte, die
Herkunft und Entwickelungsgeschichte der Hörsteine sei noch völlig
dunkel, mit dem Nebengedanken, sie könnten durch einen von dem
Ohr zur äusseren Haut gehen sollenden Canal in die Blase gelangt
sein, — eine Vermuthung, die ganz grundlos ist.
Unter den in diesem Aufsatz erwähnten Schnecken haben nur
zwei: Paludina impura und Hydrobia vitrea, gleich den einheimischen
Muscheln einen einzigen grossen kugeligen Otolithen von schön-
schaligem Bau und radiären Streifen. Von Hydrobia vitrea unter-
suchte ich nur Weingeistexemplare, aber das Ohr nach seiner Form
und der Gehörstein waren gut erkennbar. Es mag noch erwähnt
sein, dass auch der einzelne kleine Otolith etwa einer Helix pomatia
bei entsprechender Vergrösserung die concentrischen und strahligen
Linien aufzeigt.
4. Der Ohrcanal oder Hörnerv.
Bei den ersten Versuchen, mich von der Richtigkeit der La-
caze-Duthiers’schen Angaben zu überzeugen, kam ich nicht
weiter als früher, das heisst ich sah nur einen Stiel von der Ohr-
blase abgehen, in den sich wohl auch einige Otolithen hineindrängen
liessen. Dabei konnte immerhin festgestellt werden, dass die derbe
bindegewebige Membran der Ohrcapsel dem festeren Neurilemm des
Unterhirns nur anliege, das lockere aber über beide Theile weggehe,
somit die Ohrblase unzweifelhaft dem Ganglion blos aussen aufliegt.
Ueber das Gehörorgan der Gasteropoden. 215
Dann liess sich auch bemerken, dass wenn Otolithen zum Vorquellen
gebracht waren, was aber keineswegs immer gelingt, dies in der
Richtung gegen die zum Oberhirn aufsteigenden Seiteneommissuren
geschah. Doch war ich damit immer noch weit entfernt, eine Ver-
bindung des am Unterhirn liegenden Ohres mit dem Oberhirn zu
erblicken.
Endlich verliess ich die bisher ausschliesslich zum Gebrauch
herangezogenen Exemplare von Helix pomatia und Helix hortensis
und wandte mich zur Untersuchung der zarten Vitrina diaphana.
Das erste Exemplar, nachdem es im Wasser erstickt worden, liess
mit Sicherheit das bisher vergeblich Gesuchte wahrnehmen: von der
Ohrblase ging ein Canal längs der Seitencommissuren herauf zum
Öberhirn, um dort in der Nähe des Ursprunges des Sehnerven
sich mit dem Oberhirn zu verbinden. Die Otolithen konnten nach
"Behandlung des Gehirns mit Kalilauge zwar eine Strecke weit zum
Vorquellen gebracht werden, aber nicht nach der ganzen Ausdehnung
des Canals. Da ich nun gleich darauf an einem sehr jungen Exem-
plar von Limax agrestis ebenfalls ohne Mühe das Gleiche sah, so
verschaffte ich mir, dadurch aufmerksam gemacht, sehr junge Thiere
von Helix hortensis, an denen ich die weiteren jetzt zu erörternden
Studien anzustellen vermochte.
Die Form und Gliederung des Ober- und Unterhirns wurde
bereits beschrieben. Indem wir gegenwärtig unser Augenmerk vor
Allem auf die Seitencommissuren richten, sehen wir, dass dieselben
bestehen:
1) aus den zwei wirklichen Commissuren, d.h. nervösen Brücken,
welche Ober- und Unterhirn verbinden.)
2) Zeigt sich ein dem sympathischen System angehöriger Nerv 2),
der im Ober- und Unterhirn wurzelnd, sich mehrfach theilt und Aus-
läufer gegen den Schlundkopf sendet.
3) Wir erblicken den Gehörnerven ?) oder den Ohrcanal.
4) Es schliesst sich noch ein Blutgefäss, Arterie, an.*)
Alle diese Theile sind zusammengehalten durch lockeres oder
zelliges Bindegewebe, welches an den nervösen Gebilden in das
äussere Neurilemm, an dem Blutgefäss in die sogenannte Umhül-
lungshaut (Tuniea adventitia) übergeht. An erwachsenen Thieren
ist die Menge dieses Bindegewebes hinderlich beim Studium der uns
1) Fig. 3, B. 2) Fie. 3, B,d. 3) Fig. 3, B,e. 4) Fig. 3, B, e.
216 Prof. Dr. F. Leydig:
hier beschäftigenden Frage, während die jungen und ganz jungen
Schnecken gerade wegen noch geringerer Masse dieses Gewebes sich
empfehlen.
Auf die feinere Beschaffenheit der Commissuren, ferner des
sympathischen Nerven, welcher von einem gewissen hellen, lichteren
unpigmentirten Aussehen ist, sowie auf den Bau des Blutgefässes,
dessen geflechtartig angeordnete Ringmusculatur unschwer gesehen
wird, braucht nicht weiter eingegangen zu werden, wohl aber auf
den Gehörnerven oder Öhrcanal.
Was den Lauf des Canals im Näheren anbelangt, so biegt er
von der Ohrcapsel weg zuerst etwas schräg nach aussen, um die
Wölbung des Ganglions, dem das Ohr angeheftet ist, herum; dann
erst nach plötzlich scharfer Umbiegung nimmt er die Richtung nach
oben gegen die Commissuren; hiebei hält er sich mehr gegen die
vordere und gelangt so zum Oberhirn.
In seinem Durchmesser ist er nicht durchaus gleich, indem er
bald nach seinem Ursprung aus der Blase, noch vor der Umknickung,
sich erweitert und wie es mir öfters vorkam, nach dem Oberhirn zu
sich wieder etwas verschmälert.
Wenn ich das Gebilde Ohrnerven nenne, so geschieht es aus
dem Grunde, weil sein Verhältniss zum Ohr ein ähnliches wie jenes
des Sehnerven zum Auge ist. Lässt man sich aber von der ge-
weblichen Beschaffenheit für die Namengebung bestimmen, so müssen
wir den Theil Ohrcanal heissen. Die Wand besteht wie die eines
Nerven aus einer mehr homogenen Membran und diese ist von einer
lockeren umhüllt, die etwas Pigment um die Kerne herum zeigt.
Das Innere ist nicht mit fibrillärer Nervensubstanz erfüllt, sondern
hat eine Lichtung, begrenzt von einem Epithel, dessen Zellen leicht
zerstörbar sind und nicht wimpern.
Habe ich mich bisher immer auf Helix hortensis bezogen, so
möchte ich jetzt noch auf einige andere Gattungen und Arten hin-
weisen. So z. B. auf Suceinea amphibia, wo man leicht an dem
frischen mit Schneckenblut befeuchteten Gehirn nicht blos die Ohr-
blase, sondern auch den abgehenden Canal verfolgen kann.!) Das
Epithel desselben erscheint unter diesen Umständen, ebenso wie das-
jenige der Ohrblase als eine homogene körnige (nicht flimmernde)
Lage, welche die Lichtung begrenzt. Sehr deutlich war der Uanal
1) Fig. 7.
Ueber das Gehörorgan der Gasteropoden. 217
auch bei Planorbis corneus, sowie das ihn auskleidende Epithel, wel-
ches ebenfalls ohne alle Spur von Wimperung ist. Das Epithel der
Ohrblase selbst besitzt, hier entsprechend der blutrothen Farbe des
ganzen Gehirns, in den Zellen ausser der allgemein vorhandenen
graukörnigen Masse auch einzelne rothgelbe Körnchen. Der die Ohr-
blase verlassende Canal geht zuerst über die Wölbung des Ganglions
und schmiegt sich dann hinter die Commissur. Endlich habe ich
auch bei sehr jungen Thieren der Helix pomatia, bei erwachsenen
Exemplaren von Helix obvoluta und Clausilia similis den Canal und
sein flimmerloses Epithel gut wahrgenommen, so wie sein Aufsteigen
zum Oberhirn.
-
5. Ergebnisse.
Die vorliegenden Mittheilungen können von Neuem bestätigen,
dass jener vom Ohr der Cephalopoden sich weg erstreckende Gang
nicht entfernt mit dem ÖOhrcanal der cephalophoren Mollusken ver-
glichen werden kann. Bei den Cephalopoden besteht der Gang zu-
gleich mit dem Hörnerven und während der letztere zum Gehirn
führt, scheint der erstere nach aussen, vermuthungsweise zur Haut,
zu gehen, obschon kein Beobachter dies wirklich wahrgenommen
hat. Owsjannikow und Kowalewsky!) und jüngst Boll sa-
gen, dass es ihnen nicht gelungen, den Verbleib des Canals, nach-
dem er den Ohrknorpel durchbohrt, und seine äussere Mündung auf-
zufinden.
Was hingegen den von der Ohrblase wegführenden Canal der
Gasteropoden betrifft, so besteht er nicht zugleich und neben einem
Hörnerven, sondern er vertritt diesen selber, indem er die Ohrblase
mit dem Hirn in Verbindung setzt, wie ich das in meinem früheren
Aufsatz dargethan. Und Lacaze-Duthiers hat zuerst erkannt,
dass die Ohrblase, so gut wie das Auge, eigentlich dem Oberhirn
angehört, obschon dies auf den ersten Blick Dem gar nicht ein-
leuchten will, welcher deutlich und klar das Gehörorgan am Unter-
hirn wahrnimmt und ohne sich in weitere Studien einzulassen, auch
keine Spur eines Ganges zum Oberhirn bemerkt.
Durch das im Obigen Dargelegte ist eine einheitliche Deutung
1) Ueber das Centralnervensystem und das Gehörorgan der Cephalo-
poden. Mem. de l’Acad. de St. Petersbourg, 1867.
218 Prof. Dr. F. Leydig:
der Hauptabschnitte des Gehirns der cephalophoren Mollusken mög-
lich geworden. Das Oberhirn ist die sensitive Abtheilung; aus ihr
kommen die Nerven für die Fühlhörner, für die Augen und Ohren.
Bei den Heteropoden, den Aeolidiern und einigen anderen Abran-
chiaten hat man lange gewusst, dass der Hörnerv von der obe-
ren Portion des Schlundringes entspringe; bezüglich der anderen
Gruppen musste man sagen, dass das Ohr seinen Sitz ändernd dem
unteren Ganglion (Unterhirn) angehöre. Das Störende, was in dieser
früheren Annahme lag, indem ein Nervencentrum, welches sich sonst
als Sitz des irritabeln Lehens auswies, auch ein Sinnesorgan in sein
Gebiet einschliessen sollte, ist jetzt beseitigt.
Es erwächst aber auf Grund der gegebenen Auseinandersetzung
die Aufgabe, auch die Muscheln und Cephalopoden von Neuem zu
prüfen. Bei ersteren hat sich bisher die Ohrblase oder ihr Nerv
als Theil des Fussganglions dargestellt und was den Gehörnerv der
Cephalopoden betrifft, so lässt man ihn allgemein aus dem unteren
Schlundganglion abgehen!
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 3.
Bir. 5.
Fig. 6.
Fig. 7.
Fig. 8.
Ueber das Gehörorgan der Gasteropoden. 219
Erklärung der Abbildungen.
Gehirn von Helix hortensis von der unteren Seite; gibt die Lage
der Ohrblase an. Geringe Vergr.
Gehörblase von Helix hortensis in natürlicher Lage von aussen.
Starke Vergr.
a Muskeln, welche über das Organ weggehen;
b Zellen der Bindesubstanz.
Eine Hälfte des Gehirns von Helix hortensis.
A Oberhirn::
a Haut zur Befestigung nach vorn, mit Muskeln;
b Ballen feinkörniger Substanz.
B Seitencommissur:
ce Hörnerv;
d sympathische Nerven;
e Arterie.
C Unterhirn. — Starke Vergr.
Gehörblase mit dem Hörnerven von Helix pomatia, isolirt und etwas
gedrückt. Starke Vergr.
a die grossen Kerne des Epithels mit den spindelförmigen Kern-
körperchen.
Gehörblase von Helix obvoluta in natürlicher Lage, doch ein bischen
gedrückt. Starke Vergr.
Gehörblase von Helix rotundata in natürlicher Lage und ohne allen
Druck. Starke Vergr.
a das lockere Bindegewebe;
b die in demselben über das Ohr wegziehenden Muskeln.
Gehörblase in natürlicher Lage, doch etwas gedrückt von Succinea
amphibia; man sieht deutlich den Ohrcanal oder Hörnerven. Starke
Vergr.
Ohr von Paludina vivipara, durch Auflegung des Deckglases nicht
mehr ganz rund. Von den Hörsteinen ist nur ein Theil gezeichnet.
a die verdickte Stelle im Epithel.
Ohr von Paludiva impura bei gleicher Vergrösserung.
a Kalkkörper in der lockeren bindegewebigen Umhüllung.
Beiträge zur Mikroskopie.
Von
&. Valentin.
Il. Das Ocularspectroskop des Mikroskopes.
John Browning!), der sich mit diesem Gegenstande auf
Anregung von Sorby?) beschäftigte, und Sigmund Merz?) haben
die von ihnen für das Mikroskop gelieferten Spectroskope durch
Wort und Abbildungen erläutert.*) Die Vorrichtungen Beider stim-
men in den wesentlichsten Puneten überein. Da das von den Ob-
jectivlinsen entworfene und durch das Collectiv verkleinerte und
desshalb lichtstärker gemachte Luftbild in die Ebene der Oecular-
blendung fällt, so ist hier eine Spectralspalte angebracht, die man
1) Spectroscopes and Spectrum Apparatus made by John Brow-
nıng. London. 8. p. 11—13. Vergl. auch H. Schellen: Die Spectralanalyse.
Zweite Auflage. Braunschweig 1871, 8. S. 187 u. fgg.
2) Sorby beschreibt eine frühere unvollkommenere Vorrichtung und
deren Anwendung auf die Untersuchung der Farbestoffe der Gewächse und die
Veränderungen der Absorptionsbänder derselben durch die für sie passend-
sten Reagentien (Salzsäure, Citronensäure, Benzoösäure, Borsäure, doppelt
kohlensaures Ammoniak, kohlensaures Natron. verdünntes kaustisches Am-
moniak, kaustisches Kali, schwefelsaures Natron, schwefelsaures Eisenoxydul,
Alaun, Weingeistlösung von Jod, wässrige Lösung von Brom, unterchlor-
saures Natron und mangansaures Kali) in den Proceedings of the Royal
Soeiety. London 1866. 1867. 8. Vol. XV p. 433—454, auch besonders abgedruckt
in Phil. Magaz. Vol. XXXIV. London 1867. 8. p. 144—166.
3) Sigmund Merz in Carl’s Repertorium der Physik. Bd. V. Mün-
chen 1869. 8. S. 528. }
4) Ich übergehe hier die Apparate von Steinheil und Zeis, da ich
sie nicht aus eigener Erfahrung kenne.
Beiträge zur Mikroskopie. 221
mit Hülfe einer äusseren Schraube erweitern und anderseits bis zu
völligem Schluss verengern kann. Das Speetrum wird durch eine über
der Ocularlinse befindliche, zu gerader Durchsicht geeignete Amici’-
sche Prismenverbindung erzeugt, die aus drei Crown- und zwei ein-
geschalteten Flintglasprismen'!) besteht und die man auf das Oeular
setzt. Das durch das Mikroskop gegangene Licht führt auf diese
Art zu einem ersten Speetrum, das wir das Mikroskop-
spectrum nennen wollen. Eine an der vorderen Seite des
Ocularrohres angebrachte viereckige Oeffnung lässt Lichtstrahlen
ein, die auf ein unterhalb der Spalte befindliches und die Hälfte
desselben deckendes Reflexionsprisma ?) fallen. Es liefert ein zweites
neben dem ersten sichtbares Vergleichsspectrum, dessen Licht-
strahlen nicht durch das Objectiv des Mikroskopes gegangen sind.
Die Vorrichtung von Browning gestattet, den Ort der Ocular-
linse zu ändern und so den Brennpunct genauer einzustellen, die
seitliche Spalte, durch welche das für das Vergleichsspectrum be-
stimmte Licht einfällt, höher oder schmaler ihrer ganzen Breite
nach zu machen, vor ihr mit Flüssigkeit gefüllte Röhren, deren
Absorptionsbänder man mit denen des mikroskopischen Gegenstandes
vergleichen will, anzubringen und mehr Licht durch einen Reflexions-
spiegel einzuwerfen. Die Höhe des Hauptspectrums lässt sich be-
liebig ändern. Eine besonders beigegebene Vorrichtung macht es
möglich, die Breite der Absorptionsbänder zu messen. Ein Mi-
krospectroskop, das mir Browning zur Ansicht zusandte, gab
eine grosse Anzahl Fraunhofer’sche Linien, besonders in dem
mittleren Theile des Spectrums sehr scharf und die Farben bei der
nöthigen Kleinheit der Spalte sehr rein. Die einzelnen Prismen der
Amici’schen Vorrichtung sind hier verhältnissmässig gross.
Dem Apparate von Merz, nach welchem die in dieser Arbeit
enthaltenen Mittheilungen entworfen sind und dessen Amici’sches
Prisma sich durch Eleganz und Handlichkeit auszeichnet, wird
noch auf Wunsch ein einfaches, um eine wagerechte Achse dreh-
bares Prisma beigegeben, das sich in einem mit einer Durchsichts-
lücke versehenen und auf das Ocular aufsetzbaren Messingkästchen
1) Siehe z. B. die Abbildung der Vertheilung dieser beiden Arten von
Prismen bei A. Secchi. Le Soleil. Paris 1870. 8. p. 201. Fig. 86.
2) Dieses erst später hinzugekommene Prisma fehlt noch in der Merz-
schen Abbildung a. a. 0. Fig. 10.
292 G. Valentin:
befindet. Es dient zur Beobachtung mit abgeleiteter Strahlenrich-
tung. Ein verschiebbares Ringstück macht es möglıch, die Eintritts-
öffnung des Lichtes zu dem Reflexionsprisma zu verschmälern oder
gänzlich zu schliessen und so das Vergleichsspectrum zu verdunkeln,
oder gänzlich abzublenden. Merz gibt noch Didymglasplatten hinzu,
auf deren Gebrauch wir sogleich zurückkommen werden.
Ich habe mir untere anschraubbare Ringe anfertigen lassen, um
das Ocularspectroskop an den Mikroskopen von Hartnack, Nachet
oder Schiek ausser denen von Merz gebrauchen zu können.
Obgleich natürlich die fünf Prismen der Amici’schen Vor-
richtung viel Licht durch Absorption und Reflexion hinwegnehmen,
so sind doch die beiden Spectren, selbst bei bedecktem Himmel
und regnerischem Wetter so hell, dass man eine Reihe von
Fraunhofer’schen Linien bei hinreichend enger Spalte sogleich
erkennt, wenn man keine Objectivlinsen, die einen zu dünnen
Strahlenbüschel durchlassen, angeschraubt und gar keine oder nur
durchsichtige Gegenstände unter das Mikroskop gelegt hat. Be-
trägt z. B. die (mikroskopisch gemessene) Spaltöffnung 0,13 Mil-
limeter und dient Hartnack Nro. 2 als Objectivlinse, so sehe
ich in beiden Spectren, wenn auch besser in dem etwas helleren -
Vergleichs- als in dem Mikroskopspectrum, D, E, b, F. Jedes gibt
noch 8 oder 9 Linien zwischen D und E. C und B sind zwar auch
in dem Vergleichsspectrum nur schwach angezeigt, in dem anderen
dagegen bloss, wenn man die Orte derselben genau kennt, bei sorg-
fältigem Suchen wahrzunehmen. Das Blau des Ersteren erstreckt
sich etwas weiter, als das des Letzteren. Das Mikroskopspectrum
wird dunkler, so wie man Hartnack Nr. 2 mit Nr. 5, 7 oder 9
dieses Künstlers vertauscht, und zwar um so mehr, je dünner das
Strahlenbündel, welches die benutzte Objectivlinse durchlässt. Es
kommt zuletzt dahin, dass die bedeutende Spaltweite, die man zur
Erkennung des Spectrums überhaupt nöthig hat, alle oder we-
nigstens viele Fraunhofer’sche Linien unkenntiich macht. Man
sieht allenfalls noch D, bis endlich auch diese Linie schwindet.
Das einfache Prisma mit schief abgelenktem Strahle gibt dieselben
Linien unter den gleichen Verhältnissen weniger scharf, verträgt
aber eine schmalere Spaltöffnung.
Schaltet man die drei Didymgläser, welche Merz seiner Vor-
richtung beifügt und von denen jedes eine Dicke von 6 Millimetern
hat, ein, so bemerkt man zunächst zwei dunkle Didymbänder, von
Beiträge zur Mikroskopie. 223
denen das eine bei D und nach C hin und das andere von jenem
durch einen gelblichen Zwischenraum getrennt im Anfange des Grün
liegt. Im Grün erschienen 8 bis 9 Linien dunkler, als in dem
Vergleichsspectrum, jedoch bedeutend blasser als die zwei Haupt-
streifen. Die Abnahme der Lichtstärke, welche die schwach violetten
Gläser erzeugen, bilden die Hauptursache derselben. Schon ein ein-
ziges Didymglas reicht hin, dieses Bild, wenn auch in minder deut-
lichen Schatten zum Vorschein zu bringen. Die schwächeren Linien
im Grün erscheinen durch das einfache Prisma undeutlicher oder
fallen gänzlich fort.!)
Die Vorrichtung kann die Bedürfnisse des Mikroskopikers nur in
den seltensten Fällen befriedigen. Hat man die Spectroskopspalte
des Oculars weit genug geöffnet, um die Einzelnheiten eines mikros-
kopischen Gegenstandes genau zu erkennen, und setzt dann den
einen der beiden erwähnten Prismenapparate auf, so sieht man bloss
das Spectrum und keine Spur des Gegenstandes. Es ist in dieser
Hinsicht gleichgültig, ob man später die Spalte wiederum so sehr
verengerte, dass dieFraunhofer’schen Linien zum Vorschein kamen,
oder dieses unterliess und sich daun eine Reihe heller Spectren unter
gegenseitiger Verschiebung deckten. Erzeugt der betrachtete Körper
Absorptionsbänder, so ereignet es sich nicht selten, dass diese an einem
gewissen Orte ausserhalb der Focaleinstellung deutlicher erscheinen,
als wenn man die Linsen so gerichtet hat, dass man den geprüften
Gegenstand nach der Entfernung der Prismenvorrichtung scharf
sieht. Man kann sich daher auch nicht des Ganzen bedienen, um
mikroskopische Studien in einfarbigem Lichte zu machen.
Dieser Uebelstand bedingt es zugleich, dass das Bemühen, die
Beschaffenheit der Farben des kleinen Gebildes spectroskopisch zu
bestimmen, in der Regel fehlschlägt. Ich stelle z. B. den Brenn-
punct auf ein zusammengezogenes und sich drehendes Exemplar von
Stentor polymorphus ein. Man sieht überall das Grün von einzelnen
durchsichtigen Stellen unterbrochen. Habe ich das Amici’sche
Prisma aufgesetzt, so verräth sich der Ort des Thieres durch einen
schattigen bandförmigen, das gesammte Spectrum durchsetzenden
1) Eine Abbildung der drei Bänder, welche, im Gegensatz zu dem
Bilde des Didymglases in dem Ocularspectroskope, eine wässrige Lösung von
salpetersaurem Didymoxyd liefert, siehe bei Joh. Müller, Lehrb. der Physik
und Meteorologie. 7. Auflage. Bd. I. Braunschweig 1868. 8. Tab. V. Fig. 2,
224 G. Valentin:
Streifen, der mit den Bewegungen des Stentor wechselt. Keine der
Farben aber wird in irgend bevorzugter Weise verdunkelt. Man
bemerkt daher auch kein Absorptionsband irgend einer Art. Ver-
tausche ich dagegen das Prisma mit einem guten Erythroskopglase '),
so erscheinen die gesättigten grünen Stellen für mein Auge deutlich
roth bis rothblau.?) Man kann die gleiche Erfahrung an grünem
Hydren oder den Flügeldecken und anderen Theilen der grünen
Heuschrecken (Locusta viridissima)?) machen, stärkere Vergrösserun-
sen zeigen übrigens in allen diesen Fällen, dass der Farbenwechsel
nur an die grünen Körnchen oder an andere grün gefärbte Ge-
bilde gebunden ist. Das zurückgeworfene Licht grüner Käfer-
decken, z. B. des Brillantkäfers, liefert oft die Erscheinung nicht.
Die oben erwähnten Bilder, welche die Didymplatten geben,
lehren schon unmittelbar, dass das Ocularspeetroskop Absorptions-
bänder zum Vorschein bringt. Nehme ich nur ein Didymglas und
gebrauche das Amici’sche oder das einfache Prisma, so lassen sich
1) Siehe: Der Gebrauch des Spectroskops zu physiologischen und ärzt-
lichen Zwecken. Leipzig und Heidelberg 1863. 8. S. 50 und fgg., wo auch
Beobachtungen über verschiedene thierische Theile angegeben sind.
2) Die Erscheinung lässt sich an diesen und an anderen passenden
thierischen Theilen mit freiem Auge noch besser wahrnehmen. Halte ich
ein Objectglas, auf dem sich eine Anzahl lebender Exemplare von Stentor
polymorphus unter einem dünnen Deckgläschen befinden, gegen den mit
Wolken bedeckten Himmel, so dass ich eine Reihe dunkler grünlicher
Puncte sehe, so werden sie alle für mein Auge purpuroth, so wie ich sie
durch ein gutes und hinreichend dickes erythroskopisches Glas betrachte. Das
Hinzufügen eines gelben Glases macht mir die Färbung unkenntlich. Ein le-
bendes oder ein eingetrocknetes Exemplar von Hydra viridis wird ebenfalls
vollkommen purpurroth durch den blossen Gebrauch eines geeigneten blauen
Glases, und grün, wenn man ein gelbes (Flohglas) hinzufügt. Die grünen
Theile der Heuschrecken liefern die gleiche Doppelerfahrung für mein Auge,
das sich eben so zu dem Blattgrün verhält. Lässt man eine Reihe von
Menschen die Prüfungen vornehmen, so findet man, dass die Antworten sehr
verschieden lauten und manche das Roth nur schwach oder gar nicht wahr-
nehmen. Auch der Einfluss, den die Hinzufügung des gelben Glases ausübt,
wechselt in hohem Grade.
3) Betrachtet man ein Stück des Flügels unter schwacher Vergrösse-
rung, so erscheint das Netzwerk desselben grün. Nur dieses, nicht aber die
zwischen den Maschen befindlichen Zwischenräume werden für mein Auge
unter dem Erythroskopglase roth, ich mag ein Flohglas hinzugefügt haben
oder nicht.
Beiträge zur Mikroskopie. 225
die beiden im Gelb und dem Anfangsgrün befindlichen Didymstreifen
gut erkennen, ich mag Hartnack Nr. 2, 5, 7 oder 9 benutzen,
nur dass natürlich das Spectrum mit der Vergrösserungsstärke
dunkeler wird. Eine wirkliche Spaltweite von !/; Millimeter führt
selbst bei bedecktem Himmel Tageslicht genug hinzu, die Didym-
streifen einer einzigen Platte bei dem Gebrauche der Eintauchungs-
linse Nr. 10 von Hartnack oder der von Amici, ohne alle An-
wendung von Flüssigkeiten und ohne genaue Einstellung des Brenn-
punctes auf das Deutlichste erkennen zu lassen.
Die Ausdehnung dieser Wirkungsart wird natürlich um so
mehr eingeschränkt, je weniger durchsichtig der mikroskopische
Gegenstand ist. Nehmen wir zuerst einen Körper als Beispiel, dessen
geringerer Durchsichtigkeitsgrad vorzugsweise nur von seiner Dicke
und derjenigen der ihn einschliessenden Glashülle abhängt.
Eine beiderseits zugeschmolzene Röhre von 14 Mm. äusserem
und ungefähr 13 Mm. innerem Durchmesser enthält auf ihrem
Boden eine geringe Menge salpetriger Salpetersäure, so dass der
übrige Innenraum von gelben Dämpfen angefüllt wird. Ich ver-
engere die Spalte so weit, dass man nicht bloss B, C, D, E, b, F,G
und bei genauer Betrachtung H, sondern z. B. noch 7 Linien zwi-
schen D und E bei trübem Wetter mit Leichtigkeit erkennt. Schiebe
ich jetzt die erwähnte mit den Dämpfen der salpetrigen Säure ge-
füllte Röhre ein, so zeigen sich auf den ersten Blick 2 sehr dunkele
Absorptionsbänder zwischen C und D, 11 zwischen Dund E, 1 bis 2
zwischen E und b und 5 zwischen b und F, wenn ich Hartnack
Nr. 2 gebrauche und die Wärme der Luft, also nahezu auch die
der salpetrigen Säure 18° C. beträgt. Die Erwärmung über der
Lampe, welche eine grössere Dampfdichte erzeugt, macht die Linien
dunkeler. Das Bild wird schon um Vieles lichtschwächer, die weniger
schwarzen oder zu nahe bei einander stehenden Streifen erscheinen
undeutlicher, wenn ich Nr. 2 mit Nr. 5 vertausche und selbst et-
was die Spalte erweitere. Nr. 7 liefert allenfalls noch befriedigende
Anschauungen, besonders wenn man jedes äussere Licht vom Auge
abhält. Da aber Nr. 9 eine so grosse Spaltenbreite fordert, dass
selbst die gröberen Fraunhofer’schen Linien nur noch undeutlich
erscheinen, so sieht man auch die dunkelsten Absorptionsbänder der
salpetrigen Säure unter den oben angegebenen Nebenverhältnissen
zwischen C und D oder b und F nicht mehr. 3 bis 4 mattschattige
Streifen dagegen bleiben zwischen D und E kenntlich.
226 G. Valentin:
Eingetrocknetes Blut möge als Beispiel eines Körpers dienen,
der eine merklich störende Undurchsichtigkeit schon in dünnen
Sehichten erzeugt. Nehme ich eine eingetrocknete Lage von Men-
schenblut, in welcher die Blutkörperchen meistentheils in einfacher
Schicht vorhanden sind, und gebrauche Hartnack Nr. 2, so wird
das auch noch bei regnerischem Wetter helle Spectrum hier wie
bei allen anderen mikroskopischen Gegenständen, wo die dunkeleren
Körperchen von helleren Zwischenstellen unterbrochen sind, streifig.
Das erste Blutband zeigt sich spurweise als ein so schwacher Schatten,
dass man ihn eben nur wahrnimmt, wenn man mit dem Gegenstande
überhaupt vertraut ist. Eine etwas diekere Schicht eingetrockneten
Delphinblutes gibt beide Blutbänder, aber immer noch schwächer
schattig, als wenn man die gleiche Stelle desselben Präparates vor
der Spalte meines Schwefelkohlenstoff-Spectroskops hält. Das Er-
gebniss bleibt noch in beiden Fällen das gleiche, wenn ich Nr. 2 mit
Nr. 5, Nr. 7 oder Nr. 9 vertausche. Das Letztere lieferte sogar noch
eine Spur des zweiteu Blutbandes bei einfacher Blutkörperchenschicht
des Menschen. Man thut bei den stärkeren Vergrösserungen am
Besten, die Objectivlinse dem Gegenstande so nahe als möglich zu
bringen. Ist auch die Dicke des bedeckenden Glases grösser als
die Brennweite des Linsensystems, so erlangt man doch oft die be-
friedigendsten Bilder, wenn das Objectiv das Deckglas unmittelbar
berührt.
Die Anwendung von hellem diffusem Tageslicht während des
Sonnenscheins führt natürlich etwas weiter. Gaslicht gewährte mir
keine wesentlichen Vortheile bei diesen Untersuchungen. Die Blut-
bänder waren sogar dann bei heller Beleuchtung unter denselben
Nebenbedingungen unkenntlich, unter welchen sie sich noch un-
zweifelhaft, obgleich schwach bei dem Wolkenlichte eines Regentages
wahrnehmen liessen.
Die Thatsache, dass sich die Absorptionsstreifen an einem
Schwefelkohlenstoff-Spectroskope schärfer darstellen und bis zu ihren
letzten Spuren weiter verfolgen lassen, als durch das Oeularspec-
troskop, man mag Objectivlinsen angefügt haben oder nicht, be-
stätigte sich für frische Blutverdünnungen, für diese oder alte, die
mit Schwefelammonium behandelt worden, für ätherische und noch
besser für weingeistige Lösungen des Blattgrüns, endlich für Fuchsin-
oder Magdalalösungen, wenn ich je eine dieser Flüssigkeiten in ein
Cylindergläschen von 7 bis 8 Millimeter Durchmesser gefüllt hatte,
Beiträge zur Mikroskopie. 227
Es gelang mir nie, die Chlorophylibänder in frischen Blatt- oder
Stengeldurehschnitten, die dem freien Auge sehr grün erschienen,
wahrzunehmen. Dünne getrocknete Blätter z. B. von Boehmeria
utilis, Chloranthus inconspicuus, Agapanthus umbellatus führten eben-
falis nur zu negativen Ergebnissen. Man sieht übrigens auch an
solchen Blättern oder Blattschnitten am Schwefelkohlenstoff-Spec-
troskop weit weniger als an der "Weingeistabkochung des Blattgrün.
Das Spectroskop-Ocular kann die auffallendsten Linien vieler
glühenden Dämpfe zur Anschauung bringen. Die Hauptversuche
gelingen schon an jeder Gaslampe, deren Licht man zur Beleuch-
tung wählt. Will man eine höhere Wärme benutzen, so stellt man
einen Bunsen’schen Brenner zuerst so auf, dass keine atmosphä-
rische Luft zuströmt, die Flamme also möglichst hell wird, und be-
nutzt sie zur Beleuchtung des mikroskopischen Gesichtsfeldes. Lässt
man hierauf Atmosphäre zu, indem man den hierfür bestimmten
Messingring dreht, so wird das Spectrum unsichtbar oder nur spur-
weise kenntlich. Bringt man dann den Platindraht, der den zu
prüfenden Körper führt, in die heisse und wenig erhellende Flamme,
so leuchtet die fast nie fehlende Natriumlinie besonders mit den-
jenigen Linien auf, die dem rothen Theile des Spectrums angehören.
Salpetersaures Strontian und der Lithium enthaltende Struve’-
sche Rückstand liefern z. B. prachtvolle Bilder. Während aber die
5 bis 6 Strontianlmien in Roth und Rothorange vollständig auf-
blitzen, ist es mir nie gelungen, die blaue zwischen F und G
fallende Strontianlinie bei der Hitze eines gewöhnlichen Bunsen’-
schen Brenners wahrzunehmen.
Die Vorrichtung bildet ein bequemes Mittel, manche physika-
lische Erscheinungen, von denen sich Einzelne auch auf die Mikro-
skopie anwenden lassen, mehr oder minder vollkommen zur An-
schauung zu bringen.
Die Talbot’schen Linien lassen sich nur schwach darstellen.
Ich schraube zu diesem Zwecke Hartnack Nr. 5 (weniger gut
Nr. 2 oder Nr. 7) als Objectiv an und gebrauche das Amici’sche
Prisma. Schiebe ich nun z. B. langsam vor das Auge eine rechts
drehende senkrecht auf die optische Achse geschliffene Quarzplatte,
die so dünn ist, dass sie das Kreuz auch innerhalb des ersten
Ringes in dem dunklen Gesichtsfelde zeigt, so treten mattschwarze
Interferenzbänder vorzugsweise im Grün auf. Das Verfahren, die
Platte bis zur Halbirungslinie der Objectivlinse einzuschalten, liefert
228 G. Valentin:
noch blassere Bänder. Die Erscheinung tritt nicht so nachdrücklich
in beiden Fällen hervor, dass ein weiterer Gebrauch von ihr zu
machen wäre. Dasselbe gilt von den Talbot’schen Linien, die
man durch ein keilförmiges Glimmerblatt, einen Gyps- oder Quarz-
keil, eine concav geschliffene Quarz- oder Gypsplatte erzeugt.
Die Ergebnisse fallen bei Weitem besser aus, wenn man sich
des dunklen Gesichtsfeldes des polarisirten Lichtes bedient. Ich
bringe zu diesem Zwecke das polarisirende Nicol ohne oder mit der
passend eingestellten Verdichtungslinse !) in dem Mikroskoptische
und das analysirende in der untern Einschiebungsröhre des Ocular-
spectroskopes an. Das Gesichtsfeld erscheint bei rechtwinkelig ge-
kreuzten Polarisationsebenen dunkler, wenn die Verdichtungslinse
nicht eingefügt worden. Die Einschaltung des Zerlegers in die Spec-
troskopröhre macht es möglich, dass man ihn durch die Drehung
des Ocularspectroskopes in jedem beliebigen Azimuth einstellen kann.
Die verschiedensten doppeltbrechenden Platten von passender Schnitt-
richtung, Dicke und Einstellungsweise liefern dann eine Reihe
schwarzer Bänder im Mikroskopspeetrum, deren Lagenbeziehungen
zu den Fraunhofer’schen Linien das Vergleichsspectrum unmit-
telbar anzeigt.”) Die Erscheinung ist eben so glänzend, als wenn
man den Versuch mit einem Schwefelkohlenstoffprisma im dunklen
Zimmer oder am Spectroskope anstellt. Man kann in günstigen
Fällen die dunklen Bänder von B bis G deutlich wahrnehmen.
Eine Reihe von Platten, welche zahlreiche Interferenzbänder
in ausgezeichnetem Grade lieferten, möge im Einzelnen besprochen
werden. Da die Dicke ein wesentliches Bedingungsglied bildet, so
habe ich sie, wo mich nicht die Fassung des Präparates hinderte,
1) Gebraucht man sie, so rückt man sie mit dem Nicol hinab, bis ihre
Brennebene in die eingeschaltete doppelt brechende Platte fällt.
2) Sorby schaltete schon auf diese Weise eine der Hauptachse des
Krystalls parallel geschnittene Quarzplatte von 0,043 engl. Zoll (10,8 Milli-
meter) Dicke ein, die zwölf Bänder in dem sichtbaren Theile des Speetrums
gab, um diese als Anhaltspuncte für die Orte der durch verschiedene Flüssig-
keiten erzeugten Absorptionsbänder zu benutzen. Siehe die Abbildungen in
den Proceedings of the Royal Society a. a. O. p. 436. Nimmt man zu diesem
Zwecke eines der $. 225 erwähnten mit den Dämpfen der salpetrigen Säure
gefüllten Röhren, so erspart man die Einschaltung von Nicols. Die Bänder
erscheinen in dem Vergleichsspectrum sehr deutlich, wenn man die Röhre
vor der viereckigen Oeffnung hält, die das Licht dem Reflexionsprisma
zuführt,
Beiträge zur Mikroskopie. 229
miteinem Sphaerometer gemessen, das, so viel ich weiss, neuer Con-
struction ist und von Hermann und Pfister in Bern angefertigt
worden. Einige Worte über dessen Einrichtung mögen den Bestim-
mungen vorangehen.
Das Instrument enthält zwei einander gegenüberstehende Stahl-
keile, deren freie Kante 4 Mm. Länge hat. Sie lassen sich bis zu
der gegenseitigen Berührung ihrer Kanten zusammenschrauben. Der
Körper, dessen Dicke man bestimmen will, kommt zwischen sie.
Der eine Keil kann auch nach Bedarf mit einem Stahleylinder mit
feiner Spitze vertauscht werden. Hebt man die Fassung des anderen
Keiles ab, so kommt ein zweiter Spitzencylinder zum Vorschein.
Man kann also auch den Gegenstand nach Bedarf zwischen zwei
Spitzen einklemmen.
Die Drehung einer in 500 Grade getheilten Trommel hebt oder
senkt den unteren Keil um einen halben Millimeter. Eine seitlich
angebrachte Millimeterscale von 110 halben Millimetern, deren Aus-
dehnung etwas mehr als der gesammten möglichen Drehungsgrösse
entspricht, zeigt die Anzahl der gemachten Umdrehungen an. Man
kann daher, theoretisch genommen, !/ıooo Millimeter unmittelbar
messen und !/soo Mm. schätzen. Die Beobachtungsfehler, welche wieder-
holte Messungen derselben Dicke geben, pflegen sich jedoch auf die
dritte Decimale zu erstrecken. Ist der Körper auf die oben erwähnte
Weise eingeklemmt, so hebt oder senkt die Bewegung der Trommel
den oberen Keil, dessen oberes Ende eine feine Spitze bildet. Auf
ihr ruht beweglich eine mit zwei seitlichen Gradeintheilungen ver-
sehene Libelle.. Hat man die ganze Vorrichtung, die sich auf drei
Stellschrauben befindet, wagerecht gestellt, so schraubt man den
unteren Keil, dessen Kante die des oberen berührt, so weit hinauf
oder hinunter, dass die beiden Enden der Luftblase der Libelle zu
den zwei Scalen symmetrisch stehen und jeder der beiden Grenz-
ränder derselben dem zweiten Theilstriche einer jeden Scale ent-
spricht. Man liest dann die Stellung des oberen Randes der Trom-
melscale ab, nachdem man sich vorher schon überzeugt hat, dass
er genau einem halben Millimeterstriche der Seitenscale entspricht,
wenn der Nullpunct der Trommeltheilung dieser letzteren gegen-
übersteht. Schraubt man jetzt den unteren Keil zurück, so senkt
sich zuerst der obere und mit ihm die Libelle. Eine Lücke bildet
sich später zwischen den beiden Schneiden. Von da an ruht der
obere Keil und die Libelle wird durch eine Unterlage in schiefer
M, Schultze Archiv f. mikresk. Anatomie, Bd. 7. 16
930 G. Valentin:
Stellung festgehalten. Man schraubt hierauf den unteren Keil so
weit hinab, dass man Raum genug hat, die zu messende Platte
zwischen beide Keilkanten zu bringen. Wird sie von ihnen festge-
halten, so verbessert man hierauf durch Nachschrauben so lange,
bis wiederum die Luftblase der Libelle den zweiten Theilstrich einer
jeden der Seitenscalen mit ihren äussersten Rändern berührt. Der
Unterschied der gegenwärtigen Trommeistellung von der früheren
lässt die gesuchte Plattendicke berechnen. Arbeitet man mit der
nöthigen Aufmerksamkeit, so kann man den Mittelwerth derselben
durch wiederholte Messungen bis nahezu !//ooo oder !/soo Millimeter
bestimmen, da die bewegliche Luftblase der Libelle eine genaue
Trommeleinstellung möglich macht.
Die meisten von den in der folgenden Tabelle verzeichneten
Werthe sind auf die eben geschilderte Weise erhalten worden. Will
man sich aber mit Bestimmungen, die nur bis !/,o Mm. hinabgehen,
begnügen, so reicht die kleine Vorrichtung, die Zeis für die Er-
mittelung der Dicke der Deckgläschen anfertigt, hin. Ein durch eine
Feder gesperrter Hebel drückt einen !/ın Mm. anzeigenden Nonius-
stab gegen die convexe Oberfläche eines Stiftes. Wird jene von
diesem durch die Hinabführung des freien Hebelendes entfernt, so
geht der sich bewegende Nonius an einem fixen Millimeterstab
hinauf. Man kann so die Dicke der eingeklemmten Platte bis auf
!/o Mm. finden.
Die Untersuchung der doppelt brechenden Platten mit dem
Amici’schen Prisma ergab z. B.
Doppail Platte Band ) nn
E Ne En änder')zwischen nbem ;
brechen- |, Ehniken erEen Nebenbemerkungen
de Masse “12
tung. | Millimetern. Au.D. Er R. Ir Hg!
Zwei gleichar-| Jede Platte | 15 oder| Polarisationsfigur, zweiSy-
tig zusammen-| ls | 3 ht steme von Ring undKreuz
Kalk- | gelegte Platten, weniger als | nic an den äusersten Enden
spath. jede 221/50 zur 2,3, wahr- ganz | des Gesichtsfeldes durch
optischen scheinlich | deut- einen wagerechten Bü-
Achse. ß schel verbunden.
| Wi: a6 1, 11 che
1) Eine unpassende Focaleinstellung oder der Mangel aller Objectiv-
linsen kann hier die Täuschung erzeugen, als lägen nicht die schwarzen
Bänder und die zwischen ihnen befindlichen Spectraltheile in einer und der-
selben Ebene. Es hat dann den Anschein, als sei das Spectrum gezackt, in-
dem z. B. jeder zwischen zwei dunkeln Bändern befindliche gefärbte Abschnitt
von der weniger brechbaren nach der stärker brechbaren Seite abfällt.
Beiträge zur Mikroskopie.
231
Doppelt
Tr n —
brechen- | schnittrich-
de Masse.
Platte |
N
| Dicke in |
tung. | Millimetern.
(Bar
Quarz. !| optischen
|| Achse. 8,052
[ Verbindung Erste Combi-
zweier Com-| nation. 16
| * ”
‚binationen v.
Reusch!), zur
Erzeugung
(d. den Quarz-
ringen ‘ähnli-
chen Polari-
sationsfigu-
ren, angefer-;
tigt von
Steeg.
Senkrecht
auf die Mit-
tellinie.
Desgl.
Desgl.
jap!
<
"IS
2.
Desgl.
Dieselbe ein-
fache Platte,
parallel der
Mittellinie.
Desgl.
1) Reusch
Stücke zu
)/, und 8 zu
Als, A unge- |
fähr der Wel-
lenlänge (es,
Gelb ent- |
sprechend.
Zweite Com-
bination.
Wirkung ei-
ner rechts-
dreh enden-'
Platte.
3,240
Zwei solcher!
Platten, also
nahezu 6,48)
Drei solcher
Platten, mit-
hin ungefähr
9,72.
Vier solcher
Platten, da-
her annä- |
hernd 12.96.
|
3,304
Zwei solcher|
Platten also
6,61.
Zahl der dunkeln
Bänder zwischen
Ten. Io
Fu.6.
Nebenbemerkungen.
Au. D.|Du.F.
|
{3%}
jr
'l.und
2. an]
der
Gren-
ze.
0 bis
viel-
‚leicht
| fen. |
2
6 (das
6.and.
Gren-
ze.)
11
15
15 bis
16
ein
Schat-
| ten- |
strei-
lbeiF
und 1
bei G.
Unge-)
fähr3.|
Mehr
als 2,
zu
dun-
kel.
Minde-
stens4,
sonst
zu
dun-
kel,
Zwi-
schen
F und
F1|,G
4 bis 5,
d.
übrige
zudun-
kel.
Dun-
kel.
in den Monatsberichten der Berliner Academie.
Polarisationsfigur, 2 Ring-
systeme ohne Kreuz in
dem innersten Ringe an
den beiden Enden des Ge-
sichtsfeldes. In der Mitte
Parellellinien (langgezo-
geneHyperbeln) senkrecht
auf der Verbindungslinie
der Mittelpunkte d. Ringe.
Die seitlichen unter
45° geneigten, sich
gleichgerichtet dek-
kenden zweiachsigen
Theile. Also Polari-
sationsfigur, Hyper-
beln und Lemnisca-
ten. Die Platten ha-
ben daher zufällig d.
nöthige Dicke.
Hyperbeln und Lemnisca-
ten als Polarisationsfigur
bei 450 der Polarlinie.
1869.
S. 530—538. Man kann auch diese Platten zur Herstellung eines farbigen
Gesichtsfeldes des Mikroskopes nach einem später
fahren benutzen.
zu schildernden Ver-
Doch sind die Färbungen weit weniger gesättigt und
232 G. Valentin:
Doppelt Platte. | Zahl der dunkeln
TE nn ec _ . .
krachen Schnittrich- | Dicke in Bänder zwischen .| Nebenbemerkungen.
N Millimetern‘), a TkESRu TEE
Kerle | 8. | r "A u. D.|D u. F.F u. G.|
Senkrecht |
auf die Mit- 3,428. A 1) 1
Gyps. || tellinie. | |
' Desgl. | 1,028 1.910 8° IT bis
Senkrecht | Glas gefasst |
Zucker. Aa le Mit ne a | 2 | zu |Hyperbeln und Lem-
tellinie. |Bedeutend we- | dunkel.) niscaten ähnliche
niger als 3 Mm. | Curven.
©
Die Spectrumabtheilungen A bis B erscheinen immer und die
von B bis D bisweilen, nach der Einschaltung doppelt brechender
Platten, selbst bei dem Gebrauche hellen diffusen Tageslichtes so
dunkel, dass man sie dann nicht zu genaueren Bestimmungen der
Anzahl der Interferenzbänder gebrauchen kann. Dasselbe wiederholt
sich häufig zwischen F und G uud in allen Fällen jenseit G. Man
kann dagegen den Theil, der von D bis F reicht, jedesmal be-
nutzen. Alle in der Tabelle verzeichneten Erfahrungen wurden mit
Hartnack Nr. 2 gewonnen. Der Einzelvergleich lehrt, dass die
Zahl der Bänder nicht immer mit der von der Theorie!) geforderten
übereinstimmt. Diese erklärt dagegen die sich in allen Fällen be-
währende Norm, dass die Interferenzbänder am dunkelsten er-
scheinen, wenn der Hauptschnitt der einachsigen, die Polarlinie
einer senkrecht auf die Mittellinie geschnittenen oder die Mittellinie
der ihr parallel begrenzten zweiachsigen Platte unter 45° zu jeder
der rechtwinkelig gekreuzten Polarisationsebenen des Polarisators und
des Zerlegers gestellt ist.
Gyps- oder Quarzkeile von passender Dicke können die von
der Theorie geforderte Thatsache, dass die Zahl der dunkeln Bänder
mit der Dicke der doppelt brechenden Platte zunimmt, zur An-
schauung bringen. Ich nehme z. B. zwei Gypskeile, die gleichartig
zusammengelegt, die beiden Systeme von Hyperbelpaaren,, wie sie
minder lichtstark, als bei einer fehlerfreien durchsichtigen Quarzplatte von
8 Mm. Dicke. Dasselbe gilt von der aus einer Gyps- und 2/, Glimmer-
blättchen bestehenden Nachahmung der Bravais’schen Doppelplatte.
1) Die der Talbot’schen Linien bei dem Gebrauche des gewöhnlichen
und der Interferenzstreifen bei dem des polarisirten Lichtes, siehe bei Dit-
scheiner in den Sitzungsberichten der Wiener Academie. Bd. 57. 1868.
S. 709-734.
Beiträge zur Mikroskopie. 233
den der optischen Achse parallelen Platten eigen sind, in pracht-
vollen Farben und eine mittlere blaue Rhombenfigur unter dem
Nörrenberg’schen Polarisationsmikroskope zeigen. Schiebe ich
nun einen solchen unter 45° orientirten Keil in dem dunklen Ge-
sichtsfelde des mit dem Spectroscopocular versehenen Polarisations-
mikroskopes vor, so besteht die erste Wirkung darin, dass das bis
jetzt unsichtbar gewesene Mikroskopspectrum von B bis beinahe
zu G kenntlich wird. Stösst man den Keil langsam weiter vorwärts, So
dass allmählig immer dickere Theile in das Gesichtsfeld kommen, so
wandert zuerst ein dunkeles Band von F bis über B hinaus. Eine
noch grössere Dicke gibt z. B. ein Band zwischen C und D und
eines bei E. Man hat später eines zwischen C und D, eines zwi-
schen D und E und eines zwischen b und F. Ein noch dickerer
Theil liefert eines bei C, zwei zwischen D und E und eines bei F.
Die grösste Dicke des Keiles erzeugt endlich einen dunkeln Streifen
bei C, drei zwischen D und F und einen nicht weit von G.
Parallel der Achse geschnittene Quarzkeile von passender Dicke
liefern nicht minder gute Bilder. Ich nehme z. B. einen der zwei,
die zu einem Babinet’schen Compensator gehören. Der dünnste
Endtheil desselben gibt z. B. ein dunkles Band bei D, eines zwischen
D und F und eines zwischen F und G, der dickste hingegen eines
zwischen C und D, drei zwischen D und F und eines (bis zwei)
zwischen F und G. Lege ich die beiden Quarzkeile gleichartig zu-
sammen, so liefert das dünnere Endstück zwei Bänder zwischen B
und D, drei zwischen D und F und zwei zwischen F und G, das
dickere hingegen drei zwischen A und D, vier zwischen D und F
und drei zwischen F und G.
Concav ausgeschliffene Gyps- oder Quarzplatten können ähn-
liche Unterschiede bei hinreichender Dicke vorführen.
Das Ocular-Spectroskop ist empfindlich genug, den breiten
dunklen Streifen, den ein Gypsblättchen von Purpur dritter Ordnung
(Aequivalentwerth 1495, Dicke 0,678 Mm.) in der zweiten Hälfte des
Grün und dem Anfange des Blau zeigt, nachzuweisen. Lege ich
dagegen ein Gypsblättchen von Purpur zweiter Ordnung (Werth 575,
Dicke 0,607 Mm.) unter, so erscheint die Gegend von etwas vor E
bis über F hinaus nur schwach beschattet. Roth zweiter Ordnung
(Werth 1101, Dicke 0,645 Mm.) verdunkelt schon diesen Bezirk in
hohem Grade. Grünblau dritter Ordnung (1258, Dicke 0,711 Mm.)
liefert ein breites tiefschwarzes Band bei D.
234 G. Valentin:
Der Mikroskopiker kann einzelne der erläuterten Erscheinungen
ebenfalls verwerthen.
Schaltet man einen doppelt brechenden Körper in das dunkle
Gesichtsfeld des Polarisationsmikroskopes so ein, dass die optische
Achse der ein- oder die Achsenebene der zweiachsigen Masse weder
in der Polarisationsebene des Polarisators, noch in der des Zerlegers
dahingeht, so erscheint er hell und zwar mit der grössten Licht-
stärke, wenn die Achse oder die Achsenebene unter 45° gegen jede
der beiden Polarisationsebenen geneigt ist. Hat man die Prismen-
vorrichtung aufgesetzt, so fehlt natürlich das Mikroskopspectrum,
so wie die Schwingungsebenen der beiden Nicol einen rechten Winkel
unter einander bilden. Es wird sichtbar, wenn man einen doppelt
brechenden Körper einschaltet. Eine nicht sehr dicke Schicht von
Muskel- oder Nervenfasern, deren Längsachsen man unter 45°
orientirt, genügt zu diesem Zwecke, obgleich dann natürlich das
Mikroskopspectrum mit sehr geringer Lichtstärke auftritt. Längs-
schliffe von Pferdehufen, Pferdezähnen, der dichten Masse des Ober-
schenkelknochens des Menschen stellen ein weit helleres Spectrum
her. Schalte ich den getrockneten und in Canadabalsam aufbe-
wahrten Schneidermuskel eines mitteigrossen Frosches, die Längs-
achsen der Fasern unter 45° gerichtet, ein, so wird das Mikroskop-
speetrum selbst bei sehr trübem Regenwetter so hell, dass man die
Linien D, E, b und F sogleich erkennt und noch ungefähr fünf
Linien zwischen D und E unterscheidet. Etwas Aehnliches lieferte
ein Gänsekiel, eine Platte von Fischbein, eine solche von Ochsen-
horn, eine von Schildpatt, eine von Perlmutt, die Fingernägel eines
zwanzigjährigen Mädchens und die schwach zweiachsigen Krystall-
linsen der Katze, des Ochsen und des Schafes. Alle diese Präparate
waren in Canadabalsam aufbewahrt.
Die schwache Doppelbrechung der organischen Gewebe bildet
die Hauptursache, wesshalb die mikroskopischen Präparate desselben
keine dunklen Interferenzbänder im Spectrum liefern. Platten von
der hierzu nöthigen Dicke würden in der Regel zu undurchsichtig
sein, um zur mikroskopischen Untersuchung dienen zu können. Denn
selbst zwei schwach zweiachsige gekühlte Glascylinder von 13 und
von 10 Millimeter Höhe, die jeder Kreuz und Farbenringe geben,
lieferten zusammengeschichtet noch kein Band in dem stark aufge-
hellten Mikroskopspectrum. Dasselbe negative Ergebniss zeigte sich
für ein gekühltes Parallelipipedon von 9 Mm. Dicke, das ein Kreuz
Beiträge zur Mikroskopie. 235
mit geschwungen Armen und Pfauenaugen in den Ecken zeigte, und
ein dreikantiges Prisma von 14 Millimeter Höhe, dessen Polarisa-
tionsfigur in Pfauenaugen in den Ecken mit schwarzen gebogenen
Zwischenlinien bestand. Ein Parellelipipedon dagegen von 10 Mil-
limeter Höhe mit einem grossen länglichrunden Pfauenauge in der
Mitte und vier kleineren in den Ecken und schwarzen Zwischen-
linien, erzeugte mit seiner Längsachse unter 45° orientirt ein schwarzes
Interferenzband von D bis etwas über D'/;E. Es wanderte durch
das Grün nach dem Blau hin, wenn man jene Längsachse von 45°
nach 90° fortbewegte.
Ist die Doppelbrechung der Masse stark genug, so reicht ein
dünnes mikroskopisches Präparat schon hin, eine grössere Zahl von
schwarzen Bändern herzustellen. Ich besitze z. B. ein solches von
Carrarischem Marmor, das 5 zwischen A und D, 8 zwischen D und F
und 3 zwischen F und F'!/z G liefert und eines des Sonnensteins
(Avanturin-Feldsvath),. das eines zwischen C und D und 2 bis 3
zwischen D und E gibt.
Um die dunklen Interferenzbänder bequemer verwerthen zu kön-
nen, liess ich den Drehtisch, den ich Hartnack verdanke und den
ich schon an einem andern Orte!) erwähnt habe, unten an der einen
Seite mit einem und an der gegenüberliegenden mit 2 Bügeln ver-
sehen. In jedem von diesen läuft eine durch eine Schraube gegen
den Objeettisch festzustellende viereckige Platte. Der Tisch selbst
hat eine Azimuthaldrehung an einem in 360° getheilten Kreise und
eine senkrechte eines Präparatenhalters von 220°. Dieser Tisch lässt
sich an dem fixen Objecttisch durch die Bügel, deren Klötze und
Schrauben so befestigen, dass eine untere Kammer erzeugt wird,
deren Höhe jede beliebige Grösse zwischen Null und 2!/s Centimeter
besitzen kann. Ich lege in sie die oben erwähnte Gypsplatte von
1,028 Mm. Dicke, die theoretisch genommen dem Roth zehnter
Ordnung entspricht, jedoch ihrer beträchtlichen Dicke wegen farblos
zwischen den beiden rechtwinkelig gekreuzten Nicols erscheint. Ihre
Achsenebene wird unter + 45° orientirt. Sie gibt breite und tief-
schwarze Interferenzbänder, eines zwischen B und C, eines über D,
eines vor E, eines über F und eines bei G. Das mikroskopische
Gewebpräparat kommt auf den Drehtisch und wird durch diesen
1) Die physikalische Untersuchung der Gewebe. Leipzig und Heidel-
berg 1867. 8. S. 316.
236 G. Valentin:
einer Azimuthalbewegung unterworfen. Platten, die wenige und
tiefschwarze Bänder geben, eignen sich im Allgemeinen am Besten
für diese Art von Untersuchungen.
Ich lege z. B. den S. 234 erwähnten in Canadabalsam eingeschlos-
senen Schneidermuskel des Frosches auf. Stehen die Längsachsen
der Muskelfasern einer der beiden Polarisationsebenen der Nicols pa-
rallel, so erscheinen die Interferenzbänder des Mikroskopspectrums
schwarz wie früher, wenn man von der durch den mikroskopischen
Gegenstand bewirkten Trübung absieht. Dreht man hierauf um
ungefähr 45° nach rechts oder links, so werden die Bänder am
blassesten und verwischtesten. Dickere Muskelstellen führen nicht
selten zu Abweichungen, weil dann nicht mehr alle Fasern genau
parallel laufen. Es versteht sich von selbst, dass dünnere Präparate
schwächere Erfolge geben. Sie können bei sehr dünnen noch dann
unkenntlich bleiben, wenn man selbst das Präparat schief von oben
nach unten neigt, um den Weg der durchtretenden Lichtstrahlen
zu verlängern. In Canadabalsam aufbewahrte Federkiele der Gans
und des Steinadlers, Platten von Fischbein, die Nägel eines 20jäh-
rigen Mädchens lieferten noch kräftigere Wirkungen als der oben
erwähnte Schneidermuskel. Es kam hier vor, dass sich die Inter-
ferenzstellen nur noch durch kaum merkliche Schatten bei der
Orientation der Längsrichtung unter + 45° verriethen, dagegen wie-
derum tiefschwarz bei 0° und 90° erschienen. Man, hat auf diese
Weise ein neues Mittel, die von Brewster sogenannten neutralen
Richtungen in einzelnen organischen Gewebpräparaten zu bestimmen.
Es lässt sich jedoch in vielen Fällen nicht mehr gebrauchen, wo
noch die Farbenänderungen der Glimmer- und vorzugsweise der
Gypsblättchen Aufschluss geben.
Manche Physiker benutzten die zwei breiten in derselben Haupt-
richtung fortlaufenden dunklen Bänder bei D oder in Gelb, welche
ein Biot’sches Doppelquarz erzeugt, um die Drehung der Polarisa-
tionsebene durch feste oder flüssige Körper zu bestimmen‘). Die
Einschaltung einer einseitig kreispolarisirenden Masse verschiebt
dasjenige Band, welches von dem Quarze von gleicher Drehungs-
richtung herrührt, nach dem rothen und das andere nach dem vio-
1) Die Anwendung des Verfahrens auf die Untersuchung der durch
elektrische Ströme bewirkten Drehung der Polarisationsebene, siehe bei
R. Lüdtge, Ueber den Einfluss mechanischer Veränderungen auf die Drehungs-
fähigkeit einiger Substanzen. Berlin 1869. 8. S. 13—33. Fig. I—VI.
z
Beiträge zur Mikroskopie. 237
letten Speetralende. Eine Doppelplatte von 3,75 Mm.’ führt nicht
zum Ziele. Eine solche von 7,5 Mm. dagegen dient eben so gut
an dem Ocularspectroskop, als an den gewöhnlichen Spectroskopen
oder dem in dem dunklen Zimmer erzeugten Spectrum. Gebrauche
ich Hartnack Nr. 2 als Objecetiv und habe ich die Vereinigungs-
ebene der beiden senkrecht auf die optische Achse geschliffenen
Quarzplatten mitten im Gesichtsfelde eingestellt, so sieht man in
der Mitte des Mikroskopspectrums eine Kante, von der die beiden
Spectrumhälften dachartig abfallen. Jede enthält den erwähnten
dunklen Streifen. Er gibt zwar die Drehung eines eingeschalteten
Körpers, z. B. einer Combination von zwei Gallertplatten!) in er-
kennbarer Weise an. Allein die Bänder erscheinen dunkler und die
Bestimmung der Circulationspolarisation ist leichter möglich, wenn
man eine Polarisationsvorrichtung vor meinem Schwefelkohlenstoff-
spectroskop auf die bald zu schildernde Weise anbringt. Liefert
das Präparat ein Kreuz unter dem Nörrenberg’schen Polarisa-
tionsmikroskope, so zeigt das gelbe Mittelfeld, welches die Drehung
der analysirenden Nicols hervorruft, die Richtung der Drehung noch
einfacher an?).
Man kann auch die Spectren des Ocularspectroskopes durch
die Betrachtung mit einem achromatisirten Kalkspathprisma oder
einer ähnlichen Vorrichtung für das Studium der Ergänzungs- und
der Mischfarben eben so benutzen, wie ich dieses an einem anderen
Orte für das gewöhnliche Spectroskop erläutert habe3). Die hier
betrachtete Vorrichtung gewährt sogar den Vortheil, dass man das
eine Doppelbild des Mikroskopspectrums und das benachbarte des
Vergleichsspectrums zu gegenseitiger Deckung zu bringen im Stande
ist. Das einfache Prisma eignet sich vorzugsweise zu diesem Zwecke.
Dreht man das aufgesetzte Amici’sche Prisma um seine Längs-
achse, ohne dass ein fremder Körper zwischen diesem und dem Auge
eingeschaltet worden, so kann man das Blau und das Gelb der zwei
Spectren so zusammen führen, dass ein lebhaftes Weiss zum Vor-
schein kommt.
1) Henle u. Pfeuffer’s Zeitschrift. Dritte Reihe. Bd. XV. S. 200—205.
2) Die Untersuchung der Pflanzen und der Thiergewebe in polarisirtem
Lichte. Leipzig 1861. 8. S. 150, und Henle und Pfeuffer’s Zeitschrift
a. a. 0. 8. 201.
3) Der Gebrauch des Spectroskopes zu physiologischen und ärztlichen
Zwecken. S. 110—114.
238 G. Valentin: Beiträge zur Mikroskopie.
Ich liess mir noch einen eigenthümlichen Halter, den ich vor
meinem Schwefelkohlenstoffspectroskop anbringen kann, verfertigen,
um die hier zu erzielenden Bilder mit denen des Ocularspeetros-
kopes zu vergleichen. Man kann an jenem ein grosses polarisi-
rendes und ein etwas kleineres analysirendes Nicol in beliebiger Ent-
fernung aufstellen. Besondere Klemmvorrichtungen machen es mög-
lich, eine oder zwei doppeltbrechende Platten oder den oben er-
wähnten Azimuthaltisch des Mikroskopes oder hohle Halbeylinder
zur Aufnahme von Röhren, die mit circularpolarisirenden Flüssig-
keiten gefüllt sind, einzuschalten. Ein Planspiegel kann noch, wenn
es nöthig wird, Licht in das polarisirende Nicol werfen.
Untersuchte ich die sämmtlichen Platten, die in der S. 230
gegebenen Tabelle verzeichnet sind, mit dem Spectroskope bei recht-
winkelig gekreuzten Polarisationsebenen der Nicol, so zeigte sich,
dass im Allgemeinen die Bilder, die ich hier erhielt, von denen des
Ocularspectroskopes wenig abwichen. Die zwischen B und D befind-
lichen Streifen liessen sich häufig in dem ersteren Falle besser und
die im Blau auftretenden schlechter erkennen, als in dem letzteren.
Ich würde daher im Ganzen dem Ocularspectroskop für die leichte
Darstellung dieser Erscheinungen den Vorzug geben. Der Gebrauch
eines Doppelquarzes von 7 Millimeter Dicke dagegen lieferte das
Umgekehrte. Das zweifache dunkle Band erschien am Schwefel-
kohlenstofispectroskope bei rechtwinkelig gekreuzten Polarisations-
ebenen deutlicher und die durch die Einschaltung einer einseitig
drehenden Masse erzeugte Verrückung je eines desselben nach
entgegengesetzten Richtungen gab sich leichter zu erkennen, als an
dem Ocularspectroskop, man mochte "Objectivlinsen angeschraubt
haben oder nicht.
Bemerkungen über einige die Anatomie der
Labdrüsen betreffende Punkte.
Von
R. Heidenhain
in Breslau.
In einer ausführlichen Abhandlung über die Anatomie der
Labdrüsen (Untersuchungen aus dem Institute für Physiologie und
Histologie in Graz, Heft II. S. 143) hat Rollet seine Erfahrungen
bezüglich dieses Gegenstandes niedergelegt, welche zwar der Haupt-
sache nach mit meinen Angaben (dieses Archiv Bd. 6 S. 368) über-
einstimmen, aber andrerseits doch gewisse Verschiedenheiten der bei-
derseitigen Ergebnisse hervorheben. Handelte es sich bei diesen
Differenzen nur um die verschiedene Auslegung gleicher histologi-
scher Befunde, so könnte ich die Entscheidung der controversen
Punkte der Zukunft überlassen. Da es sich aber um abweichende
Angaben Rollet’s handelt, welche sich auf von mir beschriebene
und von dem hiesigen Universitätszeichner Hrn. Assmann nach
meinen Präparaten abgebildete thathsächliche Verhältnisse beziehen,
halte ich es für nöthig, von vorneherein meine Ansicht über Rollet’s
Ausstellungen an meiner Arbeit zu äussern, um zu verhindern, dass
den Aussagen seiner später erschienenen Abhandlung ein grösseres
Gewicht beigelegt werde, als denen meines gegen ein Jahr’ früher
publieirten Aufsatzes. Die. Differenzen zwischen Rollet und mir
beruhen fast ausnahmslos darauf, dass es jenem Forscher misslungen
ist, gewisse von mir beschriebene und abgebildete Dinge wiederzu-
finden. Ich könnte mich seinen Negationen gegenüber einfach auf
die Erklärung beschränken, dass ich früher Gesagtes aufrecht er-
240 R. Heidenhain:
halte. Allein da ich befürchten muss, dass etwaige weitere Nach-
folger auf diesem Gebiete in ähnlicher Weise, wie jener vorsichtige
Histologe straucheln, seien mir einige möglichst kurze Bemerkungen
gestattet.
1. Rollet bestreitet (S. 167 u. 168), dass die Belegzellen (Lab-
zellen früherer Autoren, delomorphe Zellen R’s.) sich vereinzelt noch
unter den Cylinderepithelien der Drüsenausgänge finden ; meine
Zeichnung (dies. Archiv VI, Tab. XX, Fig. 2 bei a) gebe das Bild
dicker Schrägschnitte.
Es ist mir schwer erklärlich, wie Rollet bei Feststellung die-
ses Punktes hat scheitern können. Ich habe Präparate, welche
meiner Figur entsprechen, so ausserordentlich oft unter den Augen
gehabt, dass ich irgend welchen und namentlich den von R. ver-
mutheten Irrthum auf das Entschiedenste bestreiten darf. Die ein-
fachsten Methoden (z. B. Erhärtung in doppelt chromsaurem Kali
und, wenn nöthig, Aufhellung der Schnitte in Glycerin) genügen
vollständig zur Feststellung des Sachverhältnisses.. Nur zu starke
Tinetion der Präparate kann vielleicht zu einem Uebersehen der
Belegzellen, welche unter den immer lebhaft gefärbten Enden der
Cylinderzellen liegen, Veranlassung geben, weil dann die ganze Grenz-
gegend zwischen Epithel und Bindegewebe eine sehr gleichmässig in-
tensive Färbung zeigt.
Vielleicht scheint dieser strittige Punkt gleichgültig. Allein
ich meine, dass das Vorkommen der »Labzellen« an jener Stelle
mindestens nicht für die Annahme spricht, dass die fraglichen
Zellen bei jedem Verdauungsacte massenhaft aus den Drüsen aus-
gestossen werden.
2. Rollet bestreitet, dass die Hauptzellen (adelomorphe Zel-
len R’s.) sich durch den Drüsenhals (äusseres Schaltstück R’s.) bis
an das »innere Schaltstück« fortsetzen. Die vor dem letzteren lie-
gende Drüsenstrecke enthalte nur Belegzellen (vergl. 1 Fig. 4). Ich
muss vorausschicken, dass das, was R. als »inneres Schaltstück« ab-
bildet, von mir dem Drüsenausgange zugerechnet worden ist, weil
die Zellenformation jener Gegend nicht mehr den specifischen Drü-
senzellen angehört , sondern continuirlich in die Gylinderepithelien
der Magengruben übergeht. Diese werden, wie auch R. gesehen,
schon nach dem Grunde der Gruben hin niedriger, körnig, bekom-
men einen ovalen oder runden Kern und setzen sich in dieser Ge-
stalt mehr oder weniger weit in den Drüsenschlauch fort. Wenn
Bemerkungen üb. einige d. Anatomie d. Labdrüsen betreffende Punkte. 241
R. das Letztere bestreitet, so hat er seine Aufmerksamkeit wahr-
scheinlich nicht in ausreichendem Maasse den Drüsen der verschie-
denen Gegenden des fundus ventriculi zugewandt, denn hier findet
man nicht selten ein sehr tiefes Eindringen der in Rede stehenden
Zellen in die Schläuche, bis zur Hälfte der ganzen Schlauchlänge.
Rollet’s Fig. 4 stammt, ich müsste mich sehr irren, von der Ge-
gend des Magengrundes her, wo am häufigsten zwei Schläuche in
eine Magengrube münden und das fragliche Epithel schon ziemlich
weit in die sehr engen Schlauchanfänge hineingeht. Die Enge be-
dingt die fast cubische Gestalt der Zellen, die keine constante ist,
sondern in weiteren Schläuchen alle Uebergänge zur cylindrischen
Form zeigt. Wo nun diese Zellenformation aufhört, beginnt Rollet’s
äusseres Schaltstück (Fig. 4. c. d.), das nur Belegzellen enthalten
soll. Ich habe schon auf S. 373 meiner Abhandlung darauf auf-
merksam gemacht, dass die Untersuchung dieser Gegend grössere
Schwierigkeiten darbietet, als die irgend eines anderen Theiles der
Drüsen; Rollet hat dieselben nicht überwunden. Sie liegen ganz
besonders in der Verkleinerung der zelligen Elemente, namentlich
der Hauptzellen, gegenüber den Ausmässen derselben im Drüsen-
körper. Mit Geduld lässt sich sowohl an Längs-, als an Querschnit-
ten das wahre Verhältniss ermitteln und zeigen, dass auch hier
ausser den Belegzellen Hauptzellen vorkommen. Ich verweise auf
meine Figur 4 (Querschnitt der strittigen Gegend), die bei derselben
Vergrösserung gezeichnet ist, wie Fig. 5 (Querschnitt des Drüsen-
grundes). Die Rollet’sche Doppeltinetion ist bei hinreichender
Dünne der Schnitte gewiss zu entbehren; ich habe sie aber zu mei-
nem Bedauern auch nicht anwenden können, da das in Alkohol lös-
liche Anilinblau, welches ich hier in Breslau erhalten habe, bei
einigen Probeversuchen die specifische Färbung der Hauptzellen
nicht gab.
3. Was die Veränderungen der Labdrüsen durch die Verdau-
ung betrifft, so hat Rollet, wie ich, in den späteren Verdauungs-
stadien eine Verkleinerung, starke körnige Trübung und stärkere
Färbbarkeit der Hauptzellen beobachtet; die in den früheren Ver-
dauungsstunden auftretende Schwellung und leichte körnige Trübung
der Hauptzellen ist ihm entgangen. Er warnt davor, ein Aufschwel-
len der Schläuche in Beziehung zu einem bestimmten Functionszu-
stande zu setzen. Ich habe ja aber selbst bereits in meiner Ab-
handlung hervorgehoben und durch Fig. 11 u. 12 verdeutlicht, dass
249 | R. Heidenhain:
auch im Hungerzustande der Durchmesser der Drüsen variabel ist.
Eine so hochgradige Anschwellung jedoch, wie sie meine Fig. 13
zeigt, begleitet von immerhin deutlich merklicher Trübung der Haupt-
zellen habe ich nach 3—S5tägigem Hungern nie gesehen. Es folgt
für mich daraus, dass es einen Rollet unbekannt gebliebenen Ver-
dauungszustand gibt. Zu discutiren bleibe nur noch, ob dieser oder
der andere, auch Rollet bekannt gewordene Verdauungzustand der
)rüsen entsprechend Fig. 13 und 15 regellos in jedem Verdauungs-
stadio vorkomme oder sich an bestimmte Perioden knüpfe. Meine
Erfahrungen hierüber habe ich in meiner Abhandlung niedergelegt.
Nachuntersucher muss ich wiederholt darauf aufmerksam machen,
dass die Zustände in Fig. 13 und 15 meines Aufsatzes nur die ex-
tremsten Formen einer continuirlichen Reihe darstellen und dass es
nicht nöthig ist, dass bei jeder Verdauung sich diese Extreme her-
ausbilden. Ich weiss aber, dass wenn ich einen Hund durch länge-
res Hungern auf guten Appetit vorbereitet habe und ihn dann be-
liebig viel fressen lasse, ich um die 4te bis 6te Stunde mit hoher
Wahrscheinlichkeit die Drüsen in der durch meine Fig. 13 repräsen-
tirten oder doch in einer sehr ähnlichen Verfassung finde, und dass
sie nach 12—14 Stunden, wenn der Magen sich zum grössten Theil
entleert hat, ähnlich Fig. 15 sen werden. — Wenn übrigens Rollet
behauptet, es befänden sich stets alle Drüsen derselben Schleimhaut
in demselben Zustande, so habe auch ich niemals gesehen, dass
etwa die Typen meiner Fig. 11 und 12 einerseits, Fig. 15 anderer-
seits nebeneinander vorkämen, aber oft gesehen, dass Schwellung
und Trübung der Hauptzellen in den Drüsen des gleichen Magens
dem Grade nach veränderlich sind, — grade wie benachbarte Acini
derselben Speicheldrüse verschiedene Ausprägung ihres Functionszu-
standes zeigen können. —
4. Rollet bestreitet die Richtigkeit meiner Angabe, dass in
dem mittleren Theile der Labdrüsen des Schweines die Belegzellen
in besondere Aussackungen der Schlauchmembran untergebracht sind ;
die runden Lücken in meiner Fig. 20 seien Gefässlumina. Er würde
auf den letzteren Gedanken sicher nicht gekommen sein, wenn er Prä-
parate, welche meiner Fig. 20 entsprechen, vor sich gehabt oder auch
nur meine Abbildung aufmerksam angesehen hätte. Denn an meh-
reren Stellen derselben sind Belegzellen von den Wandungen ihrer
Nischen so retrahirt, dass über das wirkliche Verhalten kein Zwei-
fel sein kann, — wie er auch Niemandem geblieben ist, dem ich
Bemerkungen üb. einige d. Anatomie d. Labdrüsen betreffende Punkte 243
meine Präparate gezeigt habe. Dass Rollet solche Bilder, wie sie
meiner Angabe zu Grunde liegen, nicht erhalten hat, kann nur
daran liegen, dass er die richtige Region der Drüsen bei Anfertigung
der Querschnitte verfehlt oder dass er ausgepinselte Präparate zu
untersuchen unterlassen hat. Was er beim Schweine gesehen und
beschrieben, entspricht nur dem oberen und dem unteren, nicht aber
dem mittleren Schlauchtheile. —
5. Endlich habe ich noch meine Fig. 19 zu vertheidigen. Sie
zeigt das untere, von Belegzellen freie Ende einer Labdrüse mit
theils hellen, theils granulirten Hauptzellen. Rollet kennt die letz-
teren beiden Zellenarten, weist ihnen aber verschiedene Schläuche
an. Es ist vollkommen richtig, dass ein und derselbe Schlauch oft
auf lange Strecken nur die eine oder die andere Zellenart enthält,
es ist aber ebenso unzweifelhaft, dass hier und da auch in demsel-
ben Schlauche dicht nebeneinander beide Formen vorkommen. —
Zum Schlusse noch eine Bemerkung für Nachuntersuchende.
Ich habe für die Labdrüsen mit Vorliebe die Färbung mit in Wasser
löslichem Anilinblau angewandt und empfohlen, weil sie in der That
prächtige und sehr characteristische Bilder liefert. Nachdem aber
die Präparate in Glycerin 2—2!/; Jahre aufbewahrt sind, hat die
Schönheit derselben vielfach durch Diffusion des Farbstoffes gelitten.
Für längere Conservirung wird also das Carmin, nach den von mir
gegebenen Regeln benutzt, vorzuziehen sein.
Neue Beiträge zur Anatomie und Physiologie
der Retina des Menschen.
Von
Max Schultze.
Hierzu Taf. XX.
Wird ganz frische menschliche Netzhaut in einer Lösung
von Ueberosmiumsäure, welche 2°/, oder etwas mehr der trocke-
nen Säure enthält, durch 12—24 Stunden erhärtet, so finden sich
die Zapfen und Stäbchen derselben in einer Weise conservirt,
wie ich es in diesem Archiv Bd. V. p. 392 beschrieben habe. Die
Aussen- und Innenglieder behalten ihre Form, Durchsichtigkeit und
Art der Lichtbrechung wie im Leben, die Zerklüftung der ersteren
in Plättchen wird ganz oder fast ganz verhindert, die Innenglieder
aber, zumal die der Zapfen, zeigen eine besonders bei schiefem Lichte
erkennbare dichte Längsstreifung der Oberfläche, welche
sich auch auf die Aussenglieder in Form einer zarten streifigen
Hülle fortzusetzen scheint (Ebenda Taf. XXU).
Bei Anwendung schwächerer Concentrationen der Ueberosmium-
säure quellen die Aussenglieder, besonders schnell die der Zapfen,
zerfallen in Plättchen oder gehen ganz zu Grunde; die Innenglieder
aber gerinnen meist körnig, eine Aenderung ihrer Textur, welche
auch spontan sehr bald nach dem Tode und bei Anfertigung ganz
frischer Präparate in humor aqueus, Glaskörperflüssigkeit, Serum
leider sehr schnell eintritt, und die genauere Untersuchung der
frischen Zapfen ausserordentlich erschwert. Die Vortheile, welche
andererseits die schwächeren Lösungen der Ueberosmiumsäure von
1/,—1°/, darbieten. sind nicht gering zu achten). Da die Netzhaut
1) Vergl. dieses Archiv Bd. II, p. 270.
Max Schultze: Beiträge zur Anat. und Physiologie der Retina. 245
in ihnen weniger brüchig wird, so lassen sich mit ihrer Hülfe die
faserigen Bestandtheile derselben besser isoliren, und das gilt sowohl
von den nervösen als von den Fasern der Bindesubstanz. Aus
diesem Grunde kehrte ich, als sich mir neuerdings durch die Güte
meines Collegen Saemisch die Gelegenheit bot, frisch exstirpirte
menschliche Augen mit stellenweis gesunder Netzhaut zu erlangen, zur
Behandlung der letzteren mit schwächeren Lösungen dieser Säure
zurück. Dabei suchte ich die Veränderungen zu verfolgen, welche die
Structur der Zapfen eingeht, bevor die körnige Gerinnung eintritt und
erhielt Bilder wieder, welche sich mir früher einmal dargeboten hatten
und auf eine faserige Structur des Inneren des Zapfenkörpers deuten !).
Wenn auch ein grosser Theil der Zapfen einer in !/y—!/g%/, Osmium-
säure enthaltenden Flüssigkeit conservirten Retina durch Gerinnung zur
weiteren Untersuchung unbrauchbar geworden ist, so findet man neben
diesen auf grössere Strecken andere Zapfen, deren Aussenglieder zwar
verändert, deren Innenglieder aber vollkommen durchsichtig, ohne
körnige Gerinnung geblieben sind. Die Form derselben ist die
gleiche wie im Leben oder durch geringe Quellung etwas bauchiger
geworden. An diesen Zapfen fällt wieder die scharfgezeichnete feine
Längsstreifung auf, welche ich in meinem letzten Autfsatze beschrieben
habe. Aber der geringere Glanz, welchen die Zapfen in den schwä-
cheren Lösungen im Vergleich zu den in starken conservirten zeigen,
lässt besser eine Durchforschung auch des Zapfen-Inneren zu. Man
erkennt jetzt deutlich, dass es nicht nur eine Streifung der Ober-
fläche, sondern eine das ganze Innere des betreffenden Zapfentheiles
einnehmende Faserung ist, welche die Streifung erzeugt. Die Fasern
liegen wesentlich parallel namentlich in der oberflächlichen Schicht,
in der Tiefe kreuzen sie sich jedoch vielfach unter sehr spitzem
Winkel (Fig. 1--9). Sie sind zwar von äusserster Feinheit aber
glänzend und scharf gezeichnet, also in ihrer Lichtbrechung von der
Zwischensubstanz wesentlich verschieden. Sie lassen sich durch Druck
isoliren (Fig. 8), was auf eine gewisse Steifheit derselben deutet, doch
zeigen sie sich auch hie und da verkrümmt oder verbogen (Fig. 6).
Etwas unterhalb der Mitte des Zapfenkörpers, immer oberhalb der
limitans externa, welche sie nicht erreichen, hören sie scharf ab-
gesetzt auf. Hier lassen sie sich am besten einzeln erkennen, da
sie hier am weitesten von einander abstehen, während sie nach der
1) Ebenda Taf. X, Fig. 8.
M. Schultze, Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 7, 17
246 Max Schultze:
Spitze des Innengliedes hin convergiren. Aber auch hier hören sie
mit scharfer Grenze dicht zusammengebogen auf. Ist das Aussenglied
abgefallen oder durch Quellung zu Grunde gegangen (Fig. 5—9), so
ragen keine Fäserchen aus dem Faserkegel hervor, wie zu erwarten
wäre, wenn eine Verbindung des Aussengliedes mit dem Innengliede
durch die Elemente dieses Kegels existirt hätte. Dagegen sieht man
die Spitzen der Zapfen nicht selten von einem kürzeren oder längeren
Stücke einer zarten Röhre oder Scheide überragt, welche von der
Oberfläche des Faserkegels, vielleicht von einer ihn umschliessen-
den Haut ausgeht (Fig. 1, 6). DieLinien, welche diese zarte Hülle
begrenzen, schliessen manchmal dicht über der Spitze des Innen-
gliedes zusammen (Fig. 10), oder setzen sich in einen kurzen
Trichter fort (Fig. 13). An einen solchen Fortsatz (Fig. 14) sah
ich einmal das gequollene und in Plättchen zerklüftete Aussenglied
sich anschliessen, ein Bild welches nicht anders als durch eine un-
gewöhnliche Art von Quellung erklärt werden kann.
Ist dagegen das Aussenglied ganz oder zum Theil erhalten
geblieben (Fig. 2, 3, 15), so sieht man bei nicht zu starker Er-
härtung neben der Basis des Aussengliedes hie und da Linien, welche
auch auf die erwähnte Hülle bezogen werden können. Immer
aber scheinen die inneren Fasern des Faserkegels an der Grenze
von Innen- und Aussenglied scharf abgeschnitten aufzuhören.
Der Faserkegel stellt daher, soweit er das Innere des Zapfen
einnimmt, einen besonderen, nach vorn und hinten scharf begrenzten
Apparat dar, welchen ich den Fadenapparat nennen will.
Die hier besprochene Bildung ist am leichtesten bei den grossen
Zapfen der mittleren, äquatorialen und der peripherischen Gegenden
der Netzhaut zu beobachten. Sie findet sich aber in ganz gleicher
Weise auch in den schlankeren Zapfen des gelben Fleckes (Fig. 16),
und kann bis in die stäbchenartig dünnen Zapfen der fovea centralis
verfolgt werden (Fig. 17, 18, 19). Auch hier nimmt die ausser-
ordentlich dichte Faserung nur die äussere Hälfte oder die äusseren
zwei Drittel des Innengliedes hin, und setzt sich nicht bis auf die
Ebene der limitans externa fort. In der Zapfenfaser aber ist immer
nur die ganz unbestimmte Streifung vorhanden, welche allen dickeren
Axencylindern zukommt und auf eine Zusammensetzung aus Primitiv-
fibrillen hindeutet.
Der Fadenapparat ist also ein Attribut der Zapfen der ver-
schiedensten Theile der menschlichen Netzhaut. Er fehlt aber auch
Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Retina. 247
den Stäbchen nicht. Ist die Erhärtung der Innenglieder ohne
körnige Gerinnung gelungen, und doch ein erster Grad von Quellung
eingetreten, wie sich das bei menschlichen Netzhäuten zeigt, welche
in Ya—1°/, Osmiumsäure enthaltenden Lösungen kurze Zeit auf-
bewahrt wurden, so sieht man im Innern der oft ein wenig ange-
schwollenen äusseren Enden der Innenglieder (Fig. 20, a) feine
Fasern, welche, viel weniger zahlreich als in den nicht viel dickeren
Zapfen der fovea, das Innere auf eine kurze Strecke erfüllen. Dieser
Fadenapparat nimmt etwa nur ein Drittel der Länge des Innen-
gliedes ein, und unterscheidet sich hierin von dem der Zapfen.
Es entsteht nunmehr die Frage, wie verhält sich der Faden-
apparat der Zapfen und Stäbchen zu den äusseren Fasern, welche
mit der limitans externa in Verbindung isolirt werden können und
ablösbare Faserkörbe um die Basen der Innenglieder darstellen ?
Ich habe in meiner letzten Mittheilung über diese Gebilde die Herkunft
dieser Faserkörbe unentschieden lassen müssen !). Vergleichend ana-
tomische Betrachtungen, ausgehend von der Structur der Retina der
Cephalopoden machten es mir am wahrscheinlichsten, dass die
äusseren Fasern Nervenfasern seien. Aber dass sie aus der Ver-
ästelung der in der äusseren Körnerschicht verlaufenden Stäbchen-
und Zapfenfasern hervorgehen, welche mit guten Gründen für peri-
pherische Optikusfasern gehalten werden, liess sich mit Sicherheit
nicht beobachten, vielmehr wollte es so scheinen, als wenn sie aus
einem die Stäbchen- und Zapfenkörner und Fasern umgebenden
Fasergewebe der äusseren Körnerschicht abzuleiten seien. An den
in dünneren Lösungen der Ueberosmiumsäure aufbewahrten frischen
menschlichen Netzhäuten ist mir die Isolirung der fraglichen Fasern
innerhalb der äusseren Körnerschicht mit voller Sicherheit gelungen.
Die von der Basis der Stäbchen und Zapfen ablösbaren Faserkörbe
stellen directe Fortsetzungen eines Gewebes dar, welches innerhalb
der äusseren Körnerschicht zwischen den Stäbchen- und Zapfen-
körnern und ihren Fasern liegt und zu der Bindesubstanz der
Netzhaut gehört. Eine Mittheilung von diesen Fortschritten habe
ich in der Sitzung der niederrheinischen Gesellschaft für Natur-
und Heilkunde am 21. Nov. 1870 gemacht, worüber eine kurze
Notiz in die Berliner medieinische Wochenschrift 1871 No. 9 über-
gegangen ist.
1) Dieses Archiv Bd. V, p. 399.
248 Max Schultze:
Die Vermuthung, dass die von mir sogenannten Faserkörbe
der Zapfen und Stäbchen aus Nervenfasern beständen, hat in
Landolt!), und Merkel?) Gegner gefunden, mit denen ich
nunmehr in der Hauptfrage, ob die Hülle der Zapfen und Stäbchen
zunächst an der limitans externa eine nervöse oder eine aus Binde-
substanz gebildete sei, vollkommen übereinstimme. Im Einzelnen
werden sich bezüglich dieser Hülle verschiedene Ansichten geltend
machen können, da Reagenzien und Vergrösserungen gegenüber den
hier in Betracht kommenden Fragen noch nicht ausreichen. So
meint Merkel (l. e. p. 650) die Fasern des Korbes für Falten einer
ursprünglich homogenen Membran erklären zu müssen (vom Huhn
Abbildung l. ec. Taf. XIII Fig. 5). Dem widerspricht meines Erachtens
das häufig zu beobachtende Factum, dass von der Basis eines Zapfens
abgehobene Fasern nach aussen divergirend auseinander laufen, wie
ich es z. B. dieses A. Bd. V. Taf. XXI, Fig. 18 abgebildet habe.
Die Fasern sind auch unendlich viel feiner und dichter als Merkel
seiner Abbildung zu Folge annimmt. Ich habe in den Figg. 21
und 22 bei 1000 mal. Vergrösserung und schiefem Lichte ent-
worfene Zeichnungen der Bindesubstanz der äusseren Körnerschicht
und der Faserkörbe vom Huhn und vom Menschen hier angefügt,
welche eine annähernde Vorstellung von dem Verhalten geben, wie
man esan Retinapräparaten wahrnehmen kann, die nach kurzer Er-
härtung in !/s°/, Osmiumsäure zur Isolirung des Stützgewebes zerzupft
oder in einem Reagenzglase mit Wasser tüchtig ausgeschüttelt
wurden. Wegen der ausserordentlichen Zartheit des Gewebes ist
es kaum möglich, die perspectivischen Verhältnisse in der Zeichnung
anzugeben. Zu diesem Behufe wäre eine noch viel stärkere Ver-
grösserung nothwendig. Hier sieht man auch die feinfaserigen Kapseln,
welche die äusseren Körner einschlossen, und welche ich in der Lage
dieses A. B.V, Taf. XXI, Fig. 4 andeutungsweise gezeichnet habe.
Sie sind es, welche sich ganz entsprechend den Angaben von Landolt
und Merkel nach Bildung der limitans externa über diese hinaus
um die Basen der Zapfen und Stäbchen fortsetzen, nur dass Alles
viel zarter und feiner streifig und faserig structurirt ist, als jene
Forscher angeben. An der macula lutea, wo die äussere Kör-
nerschicht durch Verlängerung der Zapfenfasern die bekannte durch
1) Dieses Archiv Bd. VII, p. 81.
2) Reichert und du Bois-Reymond Archiv 1870, p. 642.
Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Retina. 249
schiefe Richtung der Fasern ausgezeichnete Verdiekung erfährt,
hat uns neuerdings Merkel die die Zapfenfasern begleitende
Bindesubstanz genauer kennen gelehrt. Er beschreibt sie als zarte,
membranöse, hyaline Scheiden, welche sich leicht falten und zer-
reissen lassen und die Zapfenfasern umschliessen. Merkel hat
gewiss vollkommen Recht, wenn er auf der bis dahin ungenügenden
Kenntniss der Art der Verbindung der beiden in der fraglichen Schicht
der Netzhaut innig vereinigten Gewebsformen, Nervenfasern und
Bindesubstanz, die Schwankungen in der Deutung schiebt, welche
die Fasern der fraglichen Schicht der Netzhaut erfahren haben. Mir
will es aber nach meinen Präparaten, wie ich sie durch Zerzupfen
in Ueberosmiumsäure mässig erhärteter menschlicher foveae centrales
erhalten habe, und deren eins in Fig. 18 abgebildet ist, scheinen, dass
die membranösen hyalinen Scheiden Merkel’ sich in feinste Fibrillen
zerlegen lassen, und dass hier die fibrilläre Zusammensetzung der
Bindesubstanzhüllen der Elemente der äusseren Körnerschicht noch
exquisiter zu demonstriren sei als an den mehr peripherischen Theilen
der Netzhaut. Ich sehe, wie Fig. 18 zwischen dd zeigt, eine grosse
Zahl feinster Fibrillen neben den Zapfenfasern. Beide Faserarten
haben in gleicher Weise die Neigung sich wellenförmig zu biegen,
wie die Figur zeigt, sei es in Folge der Contraction, welche die er-
härtende Flüssigkeit ausübt, sei es durch die Elastieität, welche
beim Abreissen der Fasern zur Wirkung kommt. Durch die graue
Färbung, welche die Zapfenfasern in der Ueberosmiumsäure annehmen,
lassen sie sich leicht zwischen dem Gewirr der feinen Bindesubstanz-
fibrillen herausfinden. Letztere aber sind in solcher Zahl vor-
handen, von so gleichmässiger Feinheit und auch in den wellen-
föormigen Biegungen streckenweis so deutlich isolirbar, dass sie nicht
für Falten einer hyalinen Membran gehalten werden können. Auch
wo sie sich an die limitans externa ansetzen sind sie mit hinreichend
starken Vergrösserungen einzeln zu erkennen. Hier verschinelzen
sie untereinander durch seitliche Verbindung, durch kleine Ver-
diekungen, welche als Pünktchen um.die Basen der Zapfen erkennbar
sind. Aehnlich schildert Merkel das Verhalten, nur dass ihm in
der Seitenansicht des drehrunden Zapfen das, was ich als aus der
Häufung vieler einzelner Punkte entstanden beschrieb, als eine ein-
zige knotenartige Verdickung erscheint (Macula lutea Taf. I, Fig. 2).
Ich muss meine frühere Schilderung dieser Punkte der limitans ex-
terna aufrechterhalten, mit dem Unterschiede in der Deutung, dass
250 Max Schultze:
ich sie früher für Löcher in der Substanz der Membran jetzt für
Knötchen in denjenigen Bindesubstanzfasern halte, welche aus der
äusseren Körnerschicht hervortretend die Faserkörbe um die Zapfen
und Stäbchen bilden.
Das weitere Verhalten der Faserkörbe auf der Oberfläche der
Zapfen zu verfolgen wird vor der Hand unmöglich durch die Ent-
deckung des Fadenapparates im Zapfen selbst. Von der Stelle an,
wo die Faserkörbe alle in wesentlich gleicher Länge ihrer sie zu-
sammensetzenden Fasern als isolirbare Gebilde aufhören, besteht,
wie vor allen Dingen deutlich in den Zapfen des Menschen zu be-
obachten ist, eine bis zur Oberfläche reichende faserige Structur des
Zapfen-Innern. Bei der enormen Feinheit der constituirenden Elemente
lässt sich vor der Hand eine etwaige faserige Hülle von der Zapfen-
substanz selbst nicht unterscheiden. Die Möglichkeit ist also nicht
ausgeschlossen, dass die Fasern der Faserkörbe nicht nur über das
ganze Innenglied verlaufen, sondern sich auch noch auf das Aussen-
glied fortsetzen, und so die hier unzweifelhaft vorhandene streifige
oder faserige Hülle darstellen (s. Archiv Bd. V, Taf. XXIV, Fig. 7,
9, 17 u. a.). Ich habe dieselbe für wahrscheinlich nervös erklärt,
weil so die Frage nach der Nervenendigung in der Netzhaut eine
vergleichend anatomisch und physiologisch befriedigende Lösung zu
finden schien. Wie sich das später definitiv gestalten wird, ist vor-
läufig noch nicht abzusehen. Sind die Aussenglieder mehr als ein
Retflexionsapparat, stehen sie mit den die Innenglieder unzweifelhaft
constituirenden Nervenfasern in Verbindung, was aus mancherlei
Gründen für das Wahrscheinlichste gehalten werden muss, so können
bei dem von mir nachgewiesenen Mangel innerer Canäle die Ner-
venfasern nur auf der Oberfläche liegen, falls nicht anzunehmen
wäre, dass das Aussenglied in seiner ganzen Substanz nervös sei,
wogegen wieder mancherlei Bedenken zu erheben sind. . Ein sehr
wichtiges ist z. B. das neuerdings auch von W. Krause hervor-
gehobene, dass bei den Vögeln, bei denen wie bekannt im Allgemeinen
die Zapfen in der Netzhaut eine hervorragende Rolle spielen, die
Continuität von Innen- und Aussenglied durch den gefärbten Fett-
tropfen unterbrochen wird, welcher die ganze Dicke des Innen-
gliedes einnimmt an der Stelle, wo das Aussenglied angränzt, so
dass nervöse Bestandtheile des Innengliedes nur auf der äusseren
Oberfläche das Aussenglied erreichen können. Diese würden also
möglicher Weise in der feinfaserigen Hülle des Aussengliedes gefunden
en “
Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Retina. 251
werden können, wie ich angab, deren nervöse Natur freilich nicht
bewiesen ist.
Wie die Sachen jetzt liegen, kann auf die Frage nach der En-
digung der Sehnervenfasern in der Retina Folgendes geantwortet
werden:
1) Die äussere Körnerschicht enthält radiär verlaufende Nerven-
fasern, dies sind die bekannten Stäbchen- und Zapfenfasern. Die-
selben sind, wie ich zuerst ausführlich für Mensch und Säugethiere
nachgewiesen habe (dies Archiv Bd. II, p. 187 ff.), mit allen Attri-
buten derjenigen Art von Nervenfasern versehen, die sich bereits in
der Optikusschicht der Netzhaut vorfinden und die als nakte Axen-
cylinder, bestehend aus einer grösseren oder geringeren Zahl von
Primitivfibrillen bezeichnet zu werden pflegen. Allen neuerdings
ausgesprochenen Zweifeln gegenüber kann ich auf Grund wiederholter
und mit bedeutend verbesserten Hülfsmitteln ausgeführter Unter-
suchungen versichern, dass die Uebereinstimmung der Stäbchen- und
Zapfenfasern mit Nervenfasern der gedachten Art eine vollständige
ist (vergl. auch meinen Aufsatz über Retina in dem von Stricker
herausgegebenen Handbuch pag. 992). Diese unzweifelhaften Nerven-
fasern sind eingebettet in die spongiöse Bindesubstanz, deren Natur
ich zuerst in meinem Aufsatze de retinae structura penitiori, Bonn
1859, in Wort und Bild erläutert und von der des Nervengewebes
scharf unterschieden habe!). Diese Bindesubstanz ist bei Mensch
und Säugethieren, bei denen die äussere Körnerschicht durch an-
sehnliche Dicke ausgezeichnet ist und ebenso bei vielen Fischen sehr
zart und leicht durch Maceration zu erweichen, worauf die nervösen
Stäbchen- und Zapfenfasern frei herausgezogen werden können. Bei
Vögeln, Reptilien und Amphibien ist das Verhältniss wegen sehr
geringer Dicke der äusseren Körnerschicht in so fern ein anderes,
als längere Stäbchen- und Zapfenfasern hier nicht vorkommen und
die Bindesubstanz festere Scheiden um die nervösen Elemente der
äusseren Körnerschicht bildet, so dass hier die Unterscheidung bei-
derlei verschiedener Elemente noch nicht immer in genügender Weise
gelungen ist. Landolt hat neuerdings für die Amphibien einen
freilich noch nicht zu befriedigendem Abschluss gelangten Versuch
1) Vergl. ausserdem dieses Archiv Bd. II pag. 261, und die schemat.
Abbildung ebenda Taf. XV, ferner meine Abbildung in Stricker’s Handbuch
pag. 1016.
252 Max Schultze:
der Trennung beider gemacht. Was die von Landolt beschriebenen
»kolbenförmigen Körper« dieser Schicht bedeuten, bleibt vor der
Hand dunkel.
2) Die Zapfen- und Stäbchenkörner sind kernhaltige An-
schwellungen der Zapfen- und Stäbchenfasern, folglich bipolare Ner-
venzellen, Ganglienkörper, deren Substanz die Fibrillensubstanz der
Nervenfaser aufnimmt, deren Kern in dieselbe eingebettet liegt. Merk-
würdiger Weise ist für Mensch und Säugethiere, wie es scheint, die
Regel, dass der peripherische Fortsatz dieser Zapfen- und Stäbchen-
faser, also der Theil, welcher zur limitans externa aufsteigt, eine
ansehnlichere Dicke besitzt als der centrale Theil, welcher zur äusse-
ren granulirten Schicht#strebt (siehe meine Abbildung in Strieker’s
Handbuch pag. 1065).
3) Die Innenglieder der Zapfen und Stäbchen stellen eine
directe Fortsetzung der Zapfen- und Stäbchenfasern dar und sind in
ihrer Substanz demnach als nervös zu betrachten. Ihr Inneres zeigt
zumal beim Menschen und wiederum am deutlichsten bei den Zapfen
auch eine Differenzirung in Fibrillen, aber diese haben viel Eigen-
thümliches. Zunächst schliesst sich die Fibrillenstructur nicht un-
mittelhar an die Zapfenfaser an, sondern beginnt erst eine gewisse
Strecke nach aussen von der limitans externa. Die Basis des Zapfen-
innengliedes lässt eine innere Streifung nicht erkennen, diese beginnt
etwas vor der Mitte des Zapfens und reicht dann bis zum Ende des
Innengliedes. Die Streifung ist eine sehr scharfe, zunächst an der
Öberfläehe in gleichen Abständen rings um den Zapfen convergirend
gegen das dünnere äussere Ende des Innengliedes, im Innern dicht-
gedrängt, so dass die Zahl der Einzelfibrillen in einem Zapfen 100
und mehr betragen mag. Die Streifen entsprechen isolirbaren Fasern
von eigenthümlichem Glanz, scharf abgesetzt von der sie verbinden-
den Zwischensubstanz und dadurch wesentlich verschieden von dem
Aussehen zu einem dickeren Axencylinder vereinigter Nervenprimi-
tivfibrillen. Ich nenne diesen Faserkegel den Fadenapparat.
Trotz der verschiedenen Art der Lichtbrechung des Faden-
apparates und der Fibrillen, welche die Zapfenfasern zusammensetzen
und trotz des mangeinden Nachweises der Continuität könnte ein Zu-
sammenhang beider existiren, man brauchte nur anzunehmen, dass
die in der Zapfenfaser für gewöhnlich einzeln nicht erkennbar existiren-
den Fibrillen auch noch in der Basis des Innengliedes,die Art der
Lichtbrechung behalten, welche ihre Wahrnehmbarkeit erschwert
Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Retina. 253
oder unmöglich macht, dagegen im äusseren Theile des Innengliedes
plötzlich alle wesentlich in derselben Ebene ihren Character ändern,
eine andere Natur annehmen nnd in dieser veränderten Form nun-
mehr den Fadenapparat darstellen. Analogieen von anderen Nerven-
endigungen wären nicht schwer anzuführen, da die meisten Nerven
an ihrem peripherischen Ende Modificationen erleiden. Wo das Aussen-
glied an das Innenglied grenzt, hören die Fibrillen des Fadenappa-
rates auf.
Andererseits wäre es denkbar, dass die eigenthümlich glän-
zenden Zapfenfibrillen Organe sui generis darstellen, eingebettet in
die nervöse Grundsubstanz des Zapfen-Inneren. In diesem Falle
würden sie einen Apparat bilden nicht nervöser Natur, einen
Hülfsapparat zur Uebertragung der Lichtbewegung in Nervenlei-
tung, welcher selbst nicht aus Nervensubstanz gebildet mit dieser
nur in die innigste Berührung gebracht sei, einen Apparat, innerhalb
dessen durch vielfache Beugung und Reflexion des eintretenden
Lichtes eine Absorption (d.h. Umarbeitung der Lichtwellen in eine
andere Bewegungsform) vor sich gehen könnte.
4) Was endlich den Zusammenhang von Innen- und
Aussengliedder Zapfen sowohl alsder Stäbchen betrifft, so ist dieser,
soweit die directe Beobachtung reicht, zunächst durch eine äusserst
zarte, wie es scheint, feinfaserige Hülle vermittelt. Ob in dieser
Nervenfibrillen enthalten sind, kann jetzt nur als ganz zweifelhaft be-
zeichnet werden. Wahrscheinlich leiten sich die feinen Fasern der Ober-
fläche wenigstens grösstentheils von den Faserkörben der Innenglieder
ab. Dieselben stellen einen Faserkorb auch um das Aussenglied dar,
welcher wo deutliche Längsrinnen auf der Oberfläche der Aussenglieder
vorkommen, in diese eingebettet liegt, und hier wieder mit den pigmen-
tirten und nicht pigmentirten Fortsätzen der Pigmentzellen in Be-
rührung, ja vielleicht in Continuität treten kann'!). Die Aussen-
1) Die Längsstreifung auf der Oberfläche der Stäbchen-Aussenglieder ist
bei Thieren versehiedener Klassen nachgewiesen, wie ich Merkel gegenüber
hervorzuheben habe, welcher (l. c. p. 645, 646) meint, dass sie nur bei Am-
phibien sichtbar sei, wo sie vor Hensen von mir 1866 im 2. Bande dieses
Arch. p. 284, Taf. XIV, fig. 1. und 1867 Bd. III, p. 223, Taf. XIII, fig. 11,
14, 15, 17, i8 ausser bei Rana, Triton und Salamandra auch bei Fischen
beschrieben worden ist. Dass ferner die Längsstreifung der Aussenglieder
der Säugethierstäbchen ebenfalls auf Rinnen und Leisten der Ober-
fläche beruhe, habe ich durch meine Abbildung der Querplättchen der
254 Max Schultze:
glieder werden jetzt vielfach der Brücke’schen Theorie gemäss als
reine Reflexionsapparate bezeichnet. Ich habe meine Stellung zu
Stäbchen vom Meerschweinchen dies. Arch. Bd. V, Taf. XXII, Fig. 1 B ge-
zeigt. Wo ich ihrer am ausführlichsten gedacht habe, am letztgenannten Orte
p. 389 etc. und den dazu gehörigen Abbildungen, schilderte ich die Substanz
der Leisten, oder der an abgesprengten Plättchen sichtbaren Vorsprünge, als
integrirenden Bestandtheil der Stäbchensubstanz selbst, wie ich ausdrück-
lich anführe entgegen der Annahme, nach welcher die Vorsprünge als der Ober-
fläche angewachsene Fasern gedeutet worden.
Dies entspricht, wie Merkel, der die Sache nachuntersucht und nachbe-
schrieben hat (l. c. p. 646), zugibt, vollständig der Natur, soweit unsere jetzigen
Hülfsmittel diesem Gegenstande gegenüber reichen. Somit bleibt es räthsel-
haft, wenn Merkel sagt, ich solle die vorspringenden Leisten für »die
Enden des Optikus« erklären und fortfährt: »behandelt man Retinastäbehen
mit starken Osmiumlösungen, so begeoenet es häufig, wie M. Schultze ge-
zeigt hat, dass dünne Plättchen der Aussenglieder abgesprengt werden, und
frei in der Zusatzflüssigkeit herumschwimmen. Hier sind nun, wenn sie sich
erhalten haben, die Leistehen von oben leicht zu sehen. M. Schultze er-
klärt sich dies so, dass die Nervenendigungen so fest auf die
Substanz der Aussenglieder aufgekittet seien, dass sie mit den
Plättchen abspringeu.« Es handelt sich hier um ein vollständiges Miss-
verständniss, welches in dieser Ausführung mit mir untergelegten, aber nie-
mals von mir gebrauchten Worten jedenfalls nicht mehr in die Reihe der
entschuldbaren gehört.
Der Leser vergleiche ferner Merkel (p. 647): »die wahre Bedeutung
(der Rinnen) ist eine sehr einfache und klare. Es handelt sich nämlich nur
um mechanische Eindrücke, welche durch die in die Stäbchensubstanz einge-
pressten Pigmentfortsätze der sechseckigen Zellen des Retinalpigmentes ge-
macht werden. Diese franzenartigen Schnüre von sehr grobkörnigem Pigment
liegen, wie der Querschnitt der Aussenglieder zeigt, in den Rinnen derselben
und bewirken so die beschriebene Cannelirung« —. und meine’Erklärung zu
der das Pigment in situ darstellenden Abbildung Taf. XX11, fig. 175« 1. c. p. 403,
in welcher ich sage: »Es macht ganz den Eindruck, als wenn die Pigment-
körnchen-Reihen den Furchen der Oberfläche der Aussenglieder sich an-
schlössen, in denen vermuthlich auch di@ feinen Nervenfasern liegen, welche
vom Innenglied auf das Aussenglied übertreten« — um wieder zu sehen, dass
Merkel den Aufsatz nicht genau gelesen haben kann, der ihm Veranlassung
zu dem seinigen gab. In dieser Annahme kann sich auch allein der andernfalls
nur als komisch zu bezeichnende Versuch erklären, die von mir auf der
Oberfläche der Innenglieder der Zapfen und Stäbchen zumal des Menschen beob-
achteten zartesten Streifen, dieMerkel, wie seine Worte und Abbildungen be-
weisen, gar nicht gesehen hat, aus Schrumpfung und gegenseitiger Abplattung
der aneinanderstossenden Elemente ableiten zu wollen (l. c. p. 656).
Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Retina. 255
dieser Theorie ausführlich dies. Archiv Bd. IH, p. 231—236 und p. 258 —
261 entwickelt und damals das Innenglied und zwar wesentlich dessen
Grenzfläche gegen das Aussenglied als das wahrscheinliche Per-
ceptionsorgan für das reflectirte Licht bezeichnet. Die bald darauf
von mir aufgefundene Plättchenstructur in den Aussengliedern musste
einen weiteren Beweis abgeben für die exquisit reflectirende Bedeu-
tung der letzteren (d. A. Bd. III, p. 242). Mittlerweile hatte ich ge-
nauere Untersuchungen über den anatomischen Zusammenhang von
Innen- und Aussengliedern angesteilt und war zu dem Resultat
gekommen, dass wahrscheinlich beide eine gemeinschaftliche, sehr
schwach brechende Grundsubstanz nervöser Natur besitzen, in welche
im Aussengliede die starkbrechenden Scheibchen, im Innengliede
Differenzirungen anderer Art eingelagert sind (l. c. p. 222). Dadurch
sollte die Continuität beider Gebilde hergestellt sein, welche für den
Sehvorgang angenommen werden müsse, wenn das Aussenglied an
der Perception theilnehme. Für eine solche Theilnahme der Aussen-
glieder, zumal der Zapfen an der fovea, war Hensen eingetreten
(Virchow’s Archiv Bd. 34, p. 401), wesentlich um ein zur Percep-
tion kleiner Bilder geeigneteres anatomisches Substrat zu gewinnen
als die Annahme gewährt, dass die dickeren Zapfenkörper die
percipirenden Organe seien. Hensen wies zugleich nach, dass unsere
percipirende Fläche an der fovea centralis in der That lückenhaft
sei, und dass die Lücken den Zwischenräumen zwischen den von
Pigment umhüllten conischen Aussengliedern der Zapfen entsprechen
können.
Um die unzweifelhaft vorhandene Function zu reflectiren, welche
den Aussengliedern znkommt, nicht zu vermischen mit derjenigen
der Perception stellte ich die Hypothese auf, das die letztere Func-
tion wesentlich an der Grenzfläche des Innengliedes gegen das Aussen-
glied hafte, wobei die Vortheile der Hensen’schen Hypothese nicht
aufgegeben wurden, indem diese Grenzfläche bei jedem Zapfen der
fovea immer noch einen wesentlich geringeren Durchmesser besitzt
als der dickste Theil des Innengliedes (dieses A. Bd. II, p. 236).
Mit der Entdeckung der Plättchenstructur und in Rücksicht
auf die von W.Zenker an diese Structur geknüpften physiologischen
Betrachtungen (d. A. Bd. III), musste sich meine Ansicht über die
Bedeutung der Aussenglieder ändern. Was mir früher ungereimt
schien, Reflexion und Perception an ein und dasselbe Organ zu knüpfen
(l.c. Bd. II,p. 234), ward zu einer annehmbaren Hypothese. Die im
256 Max Schultze:
Plattensatz nothwendig zu Stande kommende complieirte innere Re-
flexion, Verarbeitung der Lichtbewegung in stehende Wellen und
Absorption gab so viele Anknüpfungspunkte zur weitern Ausführung
der Ansicht von der nervösen Bedeutung der Aussenglieder, dass die
Hypothese zur vollständigen Sicherstellung nur noch eines Prüf-
steines bedurfte, der Erforschung auch des Auges wirbelloser Thiere
und des Nachweises, dass auch bei diesen Thieren, bei denen die
Entwickelung des Auges ganz abweichende Schichtungen der Netz-
haut bedingt, die percipirende Schicht zugleich Apparate enthalte,
welche ähnliche innere Reflexionserscheinungen vermitteln wie die
Aussenglieder der Wirbelthier-Netzhaut.
Die Hypothese hat diese Probe bestanden. Ich habe zunächst
bei den Gliederthieren'!) die Existenz von unmittelbar an Linse
und Glaskörper sich anschliessenden fein geschichteten Stäben nach-
gewiesen. Mit Nervenfasern in Verbindung, welche an sie herantreten,
stehen sie dem Lichte zugekehrt. Sie reflectiren Licht vermöge ihrer
Plättchenstructur, aber das Licht, welches durch sie zurückgeworfen
wird, tritt in die brechenden Medien des Auges zurück.
In dieser Art der Reflexion des Lichtes kann also nicht die
Function der geschichteten Stäbe begründet sein. Es bleibt die andere
zur Absorption des grössten Theiles der Lichtstrahlen führende innere
Reflexion an den spiegelnden Flächen der unzähligen Plättchen übrig.
In dieser allein kann die Existenz der geschichteten Stäbe ihre Er-
klärung finden. Wesentlich das Gleiche habe ich sodann auch bei
den Mollusken (Cephalopoden und Heteropoden) nachgewiesen ?).
Bei diesen Thieren stehen geschichtete Stäbe ebenfalls gegen den Glas-
körper, empfangen das Licht zunächst aus ibm nnd würden das total
reflectirte Licht demselben zurückgeben. Da der bei weitem grösste
Theil des in das Auge fallenden Lichtes in das Innere der langen Stäbe
eindringt und hier an den hunderten von hintereinanderliegenden spie-
gelnden Flächen successive (wenn auch nur theilweise) hin und her
reflectirt und schliesslich zur Absorption gebracht wird, so ist von
diesem Antheil des Lichtes anzunehmen, dass er es sei, welcher in Ner-
venbewegung umgesetzt wird. Denn hinter den Stäben liegt Pigment
und zwischen den Stäben auch. Hier sind also ganz allein
1) Untersuchungen über die zusammengesetzten Augen der Krebse und
Insecten. Bonn, 1868. Vergl. namentlich die Bilder Taf. I, Fig. 1,2, 9, 16, 18.
2) Dieses Archiv Bd. V,p. 1.
Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Retina. 257
von allen Bestandtheilen der Netzhaut die geschichte-
ten Stäbe die durchleuchteten Theile.
Da nicht anzunehmen ist, dass die geschichteten Stäbe in den
Augen wirbelloser und Wirbelthiere bei wesentlich gleicher Structur
und Beziehung zu den Nerven verschiedene Function haben, wird
aus dem Verhalten der Stäbe bei den Wirbellosen der Schluss ge-
zogen werden dürfen, dass bei den Wirbelthieren diese Gebilde nicht
desshalb reflectiren, damit das Licht nach der Reflexion in den In-
nengliedern pereipirt werde, sondern desshalb, damit bei der com-
plieirten inneren Spiegelung eine Umsetzung der Lichtbewegung in
Nervenbewegung, also die erste Anregung zur Perception selbst ge-
geben werde. Das heisst mit anderen Worten, es ist das Wahr-
scheinlichste, dass Nervensubstanz auch mit den Aussen-
gliedernin Contact oder Gontinuität stehe.
Ueber die Beziehungen der Nervenfasern zu den geschichteten
Stäben bei den Wirbellosen wissen wir nur so viel mit Sicherheit,
dass bei den Cephalopoden und Heteropoden die Stäbe den Nerven-
fasern oder die Nervenfasern den Stäben anliegen. Ein directer
Uebergang beider ineinander ist nicht beobachtet. Die Stäbe um-
fassen die Nervenfibrillen, so dass letztere das Innere der ersteren
ausfüllen, oder die Nervenfibrillen verlaufen an der Oberfläche der.
Stäbe, welche zu diesem Behufe rinnenartige Vertiefungen besitzen !).
Bei den Wirbelthieren hat man Nervenfasern in den geschichteten
Stäben und hat solche auf der Oberfläche derselben, in deren
Rinnen sehen wollen. Beiderlei sind vor der Hand ganz hypothetisch.
Es wäre, wie die Sachen jetzt liegen, sehr wohl denkbar, dass die
oben bereits erwähnte früher von mir vertheidigte Ansicht der Wahr-
heit am nächsten käme, dass die Grundsubstanz der Aussenglieder
durch und durch nervös wäre, wie wir dies von derjenigen der Innen-
glieder anzunehmen Ursache haben, welche eine unmittelbare Fort-
setzung der herantretenden Nervenfaser ist.
1) Dieses Archiv Bd. V, Taf. I und II.
258 Max Schultze:
Erklärung der Abbildungen auf Taf. XX.
Vergrösserung sämmtlicher Figuren ungefähr 1000 Mal.
Fig. 1—11. Zapfen und Zapfentheile aus den peripherischen Theilen der
menschlichen Netzhaut,
„ 312—15 aus der Umgegend des gelben Fleckes,
„ 16 vom gelben Fleck,
„ 17, 18, 19 von der fovea centralis.
a bedeutet in allen Figuren Aussenglied, b den Fadenapparat im
Innenglied, ce äusseres Korn (Zapfenkorn), d Zapfenfaser.
Fig. 1. Das Aussenglied ist abgefallen, eine zarte Röhre, welche auch
den Fadenapparat zu umschliessen scheint, ist an Stelle der Basis
des Aussengliedes stehen geblieben.
Fig. 2 u. 3. Die Aussenglieder sind zum Theil erhalten aber in Plättchen-
zerfall. An ihrer Basis ist ein vom Innenglied ausgehender
Fortsatz sichtbar, welcher möglicherweise einer Hülle des Aussen-
gliedes angehört.
Fig. 4. Von dieser Hülle ist Nichts zu sehen.
Fig. 5, 8 u. 9. Isolirte Fadenapparate, bei 5 von einer zarten Hülle
überragt, welche die Basis des Aussengliedes umschloss, bei 9
ein glänzendes Plättchen, einen Theil des Aussengliedes um-
schliessend.
Fig. 10, 11, 13. Zapfen, an denen die den Fadenapparat umschliessende
Hülle in eigenthümlicher Weise geschlossen oder ausgezogen
endigt, ohne dass die Beziehung zu dem abgefallenen Aussen-
gliede klar erkennbar geblieben wäre.
Fig. 14. Hülle des Innengliedes wie bei Fig. 13 fein ausgezogen, dann
scheinbar scharf abgesetzt das gequollene Aussenglied.
Fig. 15. Zapfen, an welchem einige Plättchen des Aussengliedes in eine
zarte Hülle eingeschlossen liegen.
Fig. 16. Zwei Zapfen vom gelben Fleck, die Aussenglieder fehlen.
Fig. 17. Vier Zäpfen von der fovea centralis mit Aussengliedern a,
Fadenapparat b, in Verbindung mit den Zapfenfasern und äusse-
ren Körnern.
Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Retina. 259
Fig. 18. Drei Zapfen derselben Art ohne Aussenglieder. Zwischen den
Zapfenfasern, welche bei d d starke Schlängelungen zeigen, die
durch die Präparition entstanden sind, liegen feine Fibrillen der
Bindesubstanz.
Fig. 19. Zapfen der fovea ohne Aussenglieder in der eigenthümlich
gebogenen Stellung, wie sie nach der Erhärtung sehr häufig an-
getroffen worden.
Fig. 20. Stäbchen vom Menschen.
b Fadenapparat, ce Stäbchenkorn, d Stäbchenfaser.
Fig. 21. Aeusserer Theil einer radialen Faser der Bindesubstanz der Retina
vom Huhn.
Fig. 22. Aeusserer Theil zweier radialer Fasern der Bindesubstanz der Retina
vom Menschen.
In beiden Figuren bezeichnet i die Gegend der inneren Körnerschicht,
g die äussere granulirte Schicht, a die Gegend der äusseren Körner, 1 die
limitans externa, f die Faserkörbe um die Basen der Stäbchen und Zapfen.
Das äussere Ohr der Mäuse als wichtiges Tastorgan.
Von
Dr. Jos. Schöbl
in Prag.
Hierzu Taf. XXI—XXIV.
Nachdem ich in der Flughaut der Chiropteren eigenthümliche
Terminalkörperchen als den Sitz des überaus feinen Tastvermögens
derselben nachgewiesen habe, wie im ersten Hefte dieses Bandes
beschrieben ist, lag es nahe, nach ähnlichen terminalen Bildungen
sensitiver Nerven auch bei anderen Säugethieren zu forschen. Ich
ging hierbei in vorhinein von der Voraussetung aus, dass das feine
Tastvermögen der Flughaut den Chiropteren vorzüglich an jenen
Orten unentbehrlich ist, wo sie sich wegen Lichtmangel des Seh-
vermögens nicht bedienen können, in tiefen Höhlen, unterirdischen
Gängen und dergleichen; und dass man bei Thieren, welche stets
oder zeitweise ähnliche dunkle Lokalitäten bewohnen, möglicherweise
eine ähnliche feine Ausbildung des Tastsinnes an irgend einer
Körperstelle auffinden könnte. Unter den mir in beliebiger Anzahl
zu Gebote stehenden Thieren ähnlicher Art musste mir vor allen
anderen die Maus einfallen, und diese war es auch, auf die ich zu-
nächst meine Untersuchungen ausdehnte.
Schon bei der ersten äusserlichen Betrachtung fiel mir, so zu
sagen instinktiv, eine gewisse Aehnlichkeit zwischen dem überaus
zarten, scheinbar nackten, jedoch mit kleinen Härchen regelmässig
besetzten, stets beweglichen äusseren Ohre der Mäuse und der Flug-
haut der Chiropteren auf.
Dr. Jos. Schöbl: Das äussere Ohr der Mäuse als wichtiges Tastorgan. 261
Wie war ich aber erstaunt, als mir nach vorgenommener vor-
sichtiger Präparation ein wahrhaft fabelhafter Nervenreichthum
dieses Organes entgegentrat. Ich kenne kein Hautgebilde in der
ganzen Säugethierwelt, das so ungemein nervenreich wäre wie das
äussere Ohr der Mäuse. Selbst die Flughaut der Chiropteren er-
scheint mit dem äusseren Ohre der Mäuse verglichen arm an Nerven;
was an jener auf weiter Fläche sich verbreitet, ist an diesem in
engstem Raume zusammengedrängt.
Nicht lange darauf gelang es mir, auch eigenthümliche Tast-
gebilde und ein eigenes prachtvolles, blasses Endnetz sensitiver
Nerven nachzuweisen.
Zu meinen Untersuchungen verwendete ich fast ausschliesslich
albinotische Exemplare der Hausmaus.
Da die übrigen Gebilde des äusseren Ohres wie Oberhaut,
Malpighi’sche Schicht, Knorpel, Blutgefässe und dergleichen nichts
aussergewöhnliches darbieten und nicht zum Wesen der Sache ge-
hören, so habe ich dieselben in der nachfolgenden Abhandlung ganz
weggelassen, und beschränke mich nur auf die genaueste Dar-
stellung der Nerven, ihres Verlaufes und ihrer doppelten Endi-
gungsweise.
Führt man nach vorausgegangener Einwirkung von Reagenzien
einen gelungenen Flächenschnitt gerade durch den Knorpel und
spaltet auf diese Weise das ganze äussere Ohr oder wenigstens einen
grossen Theil desselben in zwei Lamellen, von denen jede nahezu in
gleicher Weise mit überaus reichlichen Nerven und deren Endi-
gungen versehen ist; entfernt man nun noch auf vorsichtige Weise
die Oberhaut und die Malpighi’sche Schicht von der Lamelle, so eignet
sie sich vollends zur Untersuchung.
In jeder Lamelle können wir ungezwungen drei Schichten
dunkelrandiger Nerven und eine Schicht blasser Nerven unterscheiden.
‚Die erste Nervenschicht liegt am tiefsten unmittelbar über dem
Knorpel, und enthält die stärksten Nervenstämme, welche 5 bis 7
an der Zahl ins äussere Ohr eindringen, und ihre nächsten Ver-
zweigungen, welche im Durchmesser von 0,074 M. bis 0,0185 Mm.
schwanken. Die Verzweigung dieser Nervenstämme ist im grossen
Ganzen eine baumförmig dichotomische und sie werden zumeist von
grossen Blutgefässen begleitet.
Längs des ganzen Verlaufes kommen überaus zahlreich anasto-
motische Verbindungen zwischen je zwei Nervenstämmchen sowohl
M, Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 7. 18
362 Dr. Jos. Schöbl:
als zwischen verschiedenen Aesten desselben Stämmchens vor, welche
auf mannigfaltige Weise gebildet werden.
1. Chiasmaartige Verbindungen zweier Nervenstämme (Taf. XXI,
1, 2, 3, 4. Taf. XXL, 1), bei denen eine theilweise Kreuzung der
Nervenfasern stattfindet, indem von der inneren Seite des einen Nerven-
stammes ein Bündel von Nervenfasern zum anderen mit dem ersten
mehr oder weniger parallel und in geringer Entfernung verlaufenden
Nervenstamm streicht und ebenso von diesem zweiten Stamm ein
Bündel zum ersten hinüberzieht, das früher erwähnte Bündel
schief kreuzend. Ausserdem verlaufen noch ein paar Nervenfasern
von einem Nervenstamm längs des unteren Randes des Chiasma
zum anderen, um daselbst rückläufig wieder nach abwärts zu ver-
laufen und bilden so ein Analogon der Comissura ansata am Chiasma
nervorum opticorum.
In derselben Weise streichen ein paar Nervenfasern von dem
peripheren Theile des einen Nerven, kommen längs des vorderen
Randes des Chiasma zum anderen, um daselbst abermals gegen die
Peripherie zu verlaufen, analog der Comissura arcuata posterior.
Auf Taf. XXL, 1 ist dieser Verlauf deutlich dargestellt.
2. Verbindungen durch einfache Querbrücken (Taf. XXT, 5, 6, 7)
kommen dadurch zu Stande, dass ein Nervenbündel von einem Ner-
venstamm oder Ast in querer Richtung zum anderen hinüberstreicht,
und auf diese Weise eine bald längere bald kürzere Queranastomose
bildet. Hierbei kommt gewöhnlich die eine Hälfte der Nervenfasern
vom centralen Theile des einen Nerven, und verläuft am anderen
wieder rückläufig gleichfalls zum centralen Theil desselben, die an-
dere Hälfte dagegen kommt vom peripheren Theil des einen und
läuft dann gleichfalls wieder zum peripheren Theil des anderen
Nerven.
3. Verbindungen durch diagonale Schleifen (Taf. XXI, 8, 9,
10, 11, 12. Taf. XXI, 2) kommen zu Stande, indem ein Bündel
von Nervenfasern von einem Nervenstamm oder Ast einfach in schief
diagonaler Richtung herüberstreicht. Hierbei kommen die Nerven-
fasern zumeist vom centralen Theil des einen und streichen gegen
das periphere Ende des anderen Nerven.
4. Verbindungen durch Netzbildung (Taf. XXI, 13, 14, 15).
Die Netzbildung erscheint in dieser Nervenschicht stets nur in be-
schränktem Maassstabe, so dass nur einige wenige Maschen ent-
stehen, die stets langgestreckt sind.
Das äussere Ohr der Mäuse als wichtiges Tastorgan. 263
5. Verbindungen durch terminale Winkelanastomosen (Taf. XXI,
16, 17) kommen zu Stande, indem zwei Nervenstämme oder Aeste
gegen das Ende ihres Verlaufes unter einem Winkel zusammen-
stossen, ihre beiderseitigen Fasern einem gemeinsamen Stamm
vereinigen, welcher zumeist nach kurzem Verlauf den Knorpel durch-
bohrt und mit den Nervenstämmen derselben Schicht in der zweiten
jenseits des Knorpels gelegenen Lamelle eine Verbindung herstellt.
Hierbei kann es namentlich bei stumpfwinkligen Anastomosen vor-
kommen, dass einige Nervenfasern des einen Nervenstämmchens
längs des einen Randes der Winkelanastomose umbiegen, um am
anderen Nervenstamm rückläufig wieder gegen das centrale Ende
desselben zu streichen. |
6. Verbindungen durch Bogenanastomosen (Taf. XXI) kommen
einfach .dadurch zu Stande, dass zwei Nervenstämme oder Aeste
bogig schlingenförmig in einander übergehen.
7. Verbindungen durch Perforation des Knorpels mit der
analogen Nervenschicht der jenseitigen Lamelle (Taf. XXI, 19, 33.
Taf. XXIIL, 3). Zahlreiche Nervenstämme, mitunter von bedeutender
Stärke, durchbohren namentlich in der Nähe des freien Ohrrandes
den Knorpel in senkrechter oder schiefer Richtung, und bewerkstel-
ligen auf diese Weise eine vielfache Verbindung zwischen den zwei
analogen Nervenschichten diesseits und jenseits des Knorpels. Ausser
diesen eben erwähnten Verbindungszweigen geben die Hauptnerven-
stämme während ihres ganzen Verlaufes von Stelle zu Stelle kleine
Zweige ab, welche in die nächst obere zweite Nervenschicht über-
gehen, und zerfallen endlich, nachdem sie sich wiederholt dichoto-
misch verästelt haben, gegen den Rand des Ohres zu in fernere
Aeste, welche gleichfalls bereits der nächstoberen zweiten Nerven-
schicht angehören.
Die zweite Nervenschicht liegt unmittelbar über der
ersten, aus der sie auf die bereits oben angedeutete Weise her-
vorgeht.
Sie besteht aus Nervenstämmchen von 0,0185 M. bis 0,0098 Mm.
Durchmesser und liegt unter dem Capillargefässnetz.
Der Verbreitungstypus der Nerven dieser Schicht ist ein un-
regelmässig netzförmiger, und zwar kommen in derselben die ver-
schiedensten und überaus polymorphe Maschenbildungen vor.
Zunächst finden wir directe kleine und kleinste Maschen durch
gleich starke Nervenstämmchen unmittelbar gebildet, wie z. B.
264 Dr. Jos. Schöbl:
Taf. XXIL, 4, 5. Taf. XXI an sehr vielen Orten, die Gestalt der-
selben ist sehr mannigfaltig; dann directe weite Maschen, an denen
sich oft Nervenstämmchen von verschiedener Stärke betheiligen, gleich-
falls von höchst variabler Gestalt und Grösse, so z. B. Taf. XXL 6, 7;
indirecte Maschenbildungen, welche durch Verbindung zweier Ner-
venstämme der nächst untern Schicht zu Stande kommen ; indirecte
Maschenbildungen, welche erst mit Hülfe von Nervenstämmchen der
nächst oberen Schicht zum Abschluss kommen. Die feineren Zweige
dieser Schicht dringen weiter nach oben und bilden daselbst die
dritte Nervenschicht.
Direkte Maschenbildungen kommen in dieser Schicht ungemein
häufig vor; am Grunde und in der Mitte des Ohres sind die Ma-
schen sparsamer und weiter, nach oben zu und gegen die Peripherie
werden sie dichter und enger.
Die dritte Nervenschicht, welche sich aus den feinsten
Zweigen der zweiten entwickelt, liegt unmittelbar über derselben in
gleicher Flucht mit dem Capillargefässnetz. Sie enthält Nerven-
stämmchen von 0,0098 M. bis 0,0037 Mm. Durchmesser, welche so-
wie die beiden vorangegangenen Schichten dunkelrandige Nerven-
fasern enthalten.
In Bezug auf Verbreitung der Nerven dieser Schicht gilt genau
dasselbe Gesetz wie ich es bei der zweiten Schicht angegeben habe.
Es kommen dieselben direeten engen und weiten, und indirecte Ma-
schen vor wir dort, nur dass ihre Weite verhältnissmässig stets eine
bei weitem geringere ist.
Die feinsten Zweige dieser Schicht zeigen jedoch ein abwei-
chendes doppeltes Verhalten. Ein Theil dieser Nervenstämmchen,
aus zwei bis vier markhaltigen Nervenfasern bestehend, begibt sich
zu je einem Haarbalg und bildet daselbst durch Umwicklung des
Haarschaftes einen Nervenring und endet unterhalb des Haarbalges
als Nervenknäuel; ein anderer T'heil der betreffenden Nervenstämm-
chen, die zumeist nur aus zwei Nervenfasern bestehen, erhebt sich
mehr gegen die Oberfläche, die Nervenfasern werden blass und
bilden unmittelbar unter der Malpighi’schen Schicht ein blasses Ter-
minalnetz, welches die vierte und letzte Nervenschicht darstellt.
Auf Taf. XXI sind die einen Zweige sammt den von ihnen
gebildeten Ringen und Knäulen, die anderen dagegen frei endigend
dargestellt. Auf Taf. XXIII verhalten sich die ersteren Zweige wie
auf der vorigen Tafel, nur sind sie bedeutend stärker vergrössert ;
Das äussere Ohr der Mäuse als wichtiges Tastorgan. 265
bei den letzteren Zweigen ist der Uebergang in das blasse Terminal-
netz ersichtlich.
Die Nervenringeund Nervenknäule (Taf. XXIII u. XXIV,
Taf. XXII angedeutet) sind, was ihr Vorkommen und ihre Vertheilung
am Mäuseohr anbelangt, an die feinen Härchen desselben gebunden,
so zwar dass es am ganzen äusseren Ohre keinen einzigen Ring
und Knäuel ohne Härchen gibt und umgekehrt. Jedes Härchen
bildet mit seinen beiden grossen Talgdrüsen und dem Nervenring und
Knäuel ein abgeschlossenes Ganze. Schweissdrüsen fehlen am ganzen
äusseren Ohre der Maus vollständig.
Die Länge der Härchen schwankt zwischen 0,332 M. bis 0,83 Mm.
Ihre Vertheilung am äusseren Ohre ist eine regelmässige, am Grunde
und in der Mitte des Ohres sind sie am sparsamsten, gegen oben
und den Rand zu werden sie dichter, am Rande selbst stehen sie
am dichtesten, so dass sich hier ihre Talgdrüsen fast wechselseitig
berühren.
Unter der Haarzwiebel in jedem Haarbalg befindet sich eine
mehr oder weniger conische Verlängerung, welche aus deutlichen
kernhaltigen Zellen besteht, die ihrer Grösse nach der Wurzel-
scheide angehören. Der ganze Fortsatz ist von der Glashaut
des Haarbalges umhüllt, welche nach oben einen eingekerbten
Rand besitzt und im oberen Theile deutlich längsstreifig ist.
(Taf. XXIV.)
Zu jedem Haarbalg tritt, wie bereits oben erwähnt wurde, ein
schwaches, aus der dritten Schicht stammendes Nervenstämmchen,
welches zumeist aus zwei bis vier markhaltigen Fasern besteht.
Dieses Nervenstämmchen umwickelt in der Gegend des eingekerbten
Randes der Glashaut den Haarschaft in mehrfachen Touren und
bildet auf diese Weise einen Nervenring oder Kranz, der das Haar
umschlingt. Von diesem Nervenring streichen zwei bis vier Nerven-
fasern längs der conischen Verlängerung nach abwärts bis an das
stumpf abgestutzte Ende derselben und bilden daselbst einen Ner-
venknäuel, welches somit unmittelbar unter dem betreffenden Fort-
satze liegt (Taf. XXIV).
Die Knäule sind, was ihre Form anbelangt, fast stets kugel-
rund, selten etwas oval, ihr Durchmesser beträgt im Mittel 0,015 Mm.
In einigen Fällen glaube ich im Inneren des Knäules einige wenige
Zellen von ähnlicher Beschaffenheit, wie sie den Zellfortsatz bilden,
gesehen zu haben.
266 Dr. Jos. Schöbl:
Auf einem Quadratmillimeter Oberfläche befinden sich am Rande
des Ohres beiläufig 90 Nervenknäule, am Grunde circa 20, im Mittel
kommen somit auf ein Quadratmillimeter Ohroberfläche 30 Nerven-
knäule.
Da man nun die ganze Flächenausdehnung des äusseren Ohres
einer mittelgrossen Hausmaus ohne grossen Fehler auf ein Quadrat-
millimeter berechnen kann, so kommen auf eine Ohroberfläche 3000,
auf beide Flächen eines Ohres 6000 und auf beide Ohren zusammen
beiläufig 12000 Nervenknäule.
Das blasse Terminalnetz (auf Taf. XXIII dargestellt).
Wie bereits erwähnt wurde, entwickelt sich das blasse Termi-
nalnetz aus einem Theile der feinsten Aestchen der dritten Nerven-
schicht.
Kölliker hat die Existenz eines blassen Terminalnetzes in der
Haut der Maus bereits im Jahre 1856, wenn auch nur mit wenigen
Worten und einer flüchtigen Zeichnung nachgewiesen (Zeitschrift
für wissensch. Zoologie. Bd. VII, p. 311, Taf. XIV). Es liegt un-
mittelbar unter der Malpighi’schen Schicht über dem Capillarge-
fässnetz. Es liegt nicht vollkommen streng genommen überall in
einer mathematischen Ebene, indem an einzelnen Stellen Nerven-
fasern dieser Schicht über anderen derselben Schicht hinüber-
streichen. Doch ist dies nur in untergeordnetem Maassstabe der
Fall und berechtigt nicht, zwei Schichten blasser Nervennetze auf-
zustellen.
Die Nerven dieser Schicht bilden ein höchst eigenthümliches,
prachtvolles, überall in sich abgeschlossenes Endnetz und ihre
Stärke beträgt, da wo sie bandförmig erscheinen, bis 0,0037, sinkt
aber an anderen Stellen bis zu unmessbarer Feinheit.
Die Maschen des Netzes sind sehr vielgestaltig und haben
eine sehr variable Weite, sind jedoch überall in sich abgeschlossen
und kein einziges Nervenfädchen begibt sich weiter oder endet frei.
Bei gelungenen Präparaten starker Vergrösserung und greller Be-
leuchtung kann man das geschlossene Netz auf weite Strecken hin
verfolgen, wenn man die Mühe nicht scheut.
An den Knotenpuneten der Maschen befinden sich zahlreiche
Anschwellungen, welche die verschiedenartigsten bizarrsten Gestalten
darbieten, und auch in ihrer Grösse vielfach variiren.
Die bildliche Darstellung des Endnetzes auf Taf. XXIII, die
ich porträtmässig genau einem einzigen Präparate entnommen habe,
Das äussere Ohr der Mäuse als wichtiges Tastorgan. 267
enthebt mich wohl der Mühe einer weitschweifigen und langweiligen
Beschreibung desselben.
Ich bemerke nur noch zum Schluss, dass die beiden ersten
Tafeln nach einem einzigen Präparate mit grösster Genauigkeit ge-
zeichnet sind, und dass dasselbe Präparat, ob zwar bald ein Jahr
alt, sich noch in einem so wohl erhaltenen Zustand befindet, dass
ich im Stande bin, jede beliebige Stelle meiner Zeichnungen, selbst
das blasse Endnetz an denselben zu demonstriren.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. XXI—XXIV.
Taf. XXL
Stellt den Verlauf der stärksten und stärkeren Nervenstämmcehen eines
Theiles des äusseren Ohres von einer albinotischen Hausmaus dar. Die Ver-
grösserung ist 50.
Die mit a, b. c, d bezeichnete Partie erscheint auf Taf. XXII stärker,
die mit «, ß, y, d auf Taf. XXIII noch stärker vergrössert.
Bei 1, 2, 3, 4 finden sich chiasmaartige Anastomosen;
bei 5, 6, 7 Queranastomosen;
bei 8—12 schiefe diagonale Aanastomosen;
bei 13, 14, 15 Netzanastomosen;
bei 16, 17 Winkelanastomosen;
bei 18 Bogenanastomosen;
bei 19—33 knorpeldurchbohrende Anastomosen.
Tarı SRIL
Stellt das auf Taf. XXI mit a, b, ec, d bezeichnete Stückchen bei 280-
maliger Vergrösserung dar.
Die Nerven der ersten und zweiten Schicht sind schwarz, die der dritten
braun dargestellt.
Die Terminalkörperchen, stets von je zwei Talgdrüsen umgeben, sind
angedeutet. Bei 1 findet sich eine chiasmaartige Anastomose, bei 2 eine
diagonale, bei 3 eine knorpeldurchbohrende der ersten Nervenschicht, bei
4 und 5 finden sich enge, bei 6 und 7 weite Maschen der zweiten Ner-
venschicht.
Taf. XXIII.
Stellt die auf Taf. XXI mit «, $, y, d bezeichnete Partie bei 450-
maliger Vergrösserung dar.
In der Tiefe sieht man die aus dunkelrandigen Nervenfasern be-
stehenden Stämmchen, — oberflächlich das blasse Terminalnetz. Der den
“Haarschaft umgebende Nervenkranz, sowie Terminalkörperchen, stets von je
268 Dr. Jos. Sehöbl: Das äussere Ohr der Mäuse als wichtiges Tastorgan.
zwei Talgdrüsen umgeben, sind gleichfalls dargestellt. Die Härchen sind
wie auf Taf. II weggelassen.
Taf. XXIV.
Zeigt die untere Partie eines Härchens, den Haarbalg mit der
Glashaut desselben, den eigenthümlichen conischen Zellkörper unter der
Haarzwiebel, die beiden Talgdrüsen, dann das zum Haar sich begebende Ner-
venstämmchen, den den Haarschaft umwickelnden Nervenkranz und das kugelig
knäuelförmige Terminalkörperchen, über 1000mal vergrössert.
Der Lichtdruck in seiner Bedeutung für die
Mikrophotographie,
unter Beifügung von 2 selbstgefertigten phototypischen Probebildern.
Von
H. Landois und W. Thelen.
Vorläufige Mittheilung.
Die verschiedenen Licht-Druck verfahren.
In neuerer und neuester Zeit ist die Frage von vielen Seiten
mannigfach ventilirt, ob die Photographie in Bezug auf Mikroskopie
viel oder wenig zu leisten im Stande sei. Die sanguinischen Hoff-
nungen, welche durch die Mikrophotographie die zeitraubenden,
zarten Zeichnungen der diffieilsten Präparate bereits ersetzt glaub-
ten, sind längst gesunken, jedoch kann wohl nicht bestritten werden,
dass die Photographie in manchen Fällen wesentliche Dienste zu
leisten im Stande sei. Es gilt dieses namentlich für den Zweck der
Demonstration. In einem grossen Auditorium ist es durchaus nicht
möglich, viele Präparate durch Autopsie den Zuhörern zugänglich
zu machen. Wird hingegen der Gegenstand mikrophotographisch
aufgenommen, so ist dieser Uebelstand sofort beseitigt. Ein Feder-
strich deutet auch sofort die betreffende Stelle an, worüber es sich
gerade beim Vortrage handelt. Auch fällt die subjective Deutung
des Präparates, indem der Zuhörer das natürliche Bild vor Augen
hat. Allerdings finden wir in unseren Mikrophotographien nicht die
scharfen Linien wieder, wie wir sie in unseren mikroskopischen
270 H. Landois und W. Thelen:
Zeichnungen zu sehen gewohnt sind; aber der hinreichende Ersatz
ist die Naturwahrheit derartiger Bilder. Handelt es sich ferner
um eine weite Verbreitung naturgetreuer Bilder, so ist die Photo-
graphie kaum zu entbehren. Wir beabsichtigen hier jedoch nicht,
über die Vorzüge und Nachtheile des photographischen Verfahrens
zu streiten, sondern eine kurze Auseinandersetzung derjenigen Me-
thoden zu geben, welche man zur Vervielfältigung mikroskopi-
scher Präparate erfunden hat. Beigefügte Probebilder werden den
Naturforscher am geeignetsten in Stand setzen, ein eigenes Urtheil
über den Werth dieser durch den Lichtdruck vervielfältigten Bilder
abzugeben.
Bereits im Jahre 1857 veröffentlichte Martin!) ein Ver-
fahren, um Lichtbilder auf den zum Stich dienenden
Metallplatten darzustellen. Auch Niepce theilte in Ver-
bindung mit dem Kupferstecher Lemaire eine neue Anwendung
für den photographischen Stahlstich mit. Die Talbot’schen Bilder
stehen diesen in keiner Weise nach. Für den Kupferstecher und
Holzschneider ist es natürlich eine nicht geringe Zeitersparniss, wenn
die Photographie ihm das Original zum Stich naturgetreu auf die Platte
oder auf den Holzstock überträgt. Es findet daher diese Methode
auch heutzutage noch mannigfache Anwendung. Bei den bisherigen
Methoden zur Herstellung der Photographien auf Holzstöcken hatte
man mit mancherlei Uebelständen zu kämpfen, welche in neuester Zeit
durch das Verfahren von Grüne?) beseitigt sind. Die Holzfaser wurde
meistens durch die Behandlung mit den verschiedenen Chemikalien
angegriffen, und anderseits lag das Bild als Haut dem Stocke auf,
welche während des Stechens sich leicht blätterig ablöste. Das
Wesentliche der Grüne’schen Methode besteht darin, dass zunächst
ein Collodiumhäutchen, welches das Silberbild enthält, auf den Stock
geklebt wird. Nachdem es auf demselben getrocknet, wird das
Collodium vermittelst Alkohol und Aether fortgespült, so dass das
Bild, aus unendlich feinem Metallstaube bestehend, schliesslich allein
auf dem Stocke haftet. Die Töne der Photographie muss natürlich
der Holzschneider in Strichmanier übersetzen. Es werden auf diese
Weise gegenwärtig viele Illustrationen englischer Zeitschriften, wie
der „Graphic‘ und „Ilustraded Times‘ angefertigt. Diese und
1) Handbuch der gesammten Photographie. Wien 1857.
2) Photographische Mittheilungen. Heft 6, pag. 145. Berlin 1870.
Der Liehtdruck in seiner Bedeutung für die Mikrophotographie. 271
ähnliche Methoden für den Stich leisten allerdigs ausserordentlich
viel, und sind in manchen Fällen geradezu unentbehrlich geworden,
bedürfen jedoch stets zur Vollendung der Arbeit eines gewiegten
sravirenden Künstlers.
Man hat auch versucht, die Daguerreotypbilder durch Galva-
noplastik zu vervielfältigen. Wird die mit dem vergoldeten Queck-
silberbilde versehene Silberplatte in den galvanischen Apparat ge-
taucht, so ist man im Stande, mehrere galvanoplastische Abdrücke
von dem Bilde zu nehmen. Die Bilder haben allerdings den Vor-
theil, dass sie das Original genau in Hinsicht auf rechts und links
wiedergeben, leiden aber unter anderem daran, dass das galvanische
Cliche die Kupferfarbe trägt und auch nicht selten Flecke bekommt.
Ausserdem ist der Preis von Original und Cliche nahezu gleich. —
Wir haben im vorigen Herbste selbst einige galvanoplastische
Clich&s hergestellt, welche direct für den Druck verwerthet
werden konnten. Wenn eine Photographie nach dem bekannten
Kohlendruckverfahren auf einer Glasplatte angefertigt wird, so liegen
die belichteten Partien des Bildes etwas erhaben. Beim Anfeuchten
treten eben diese Erhabenheiten noch mehr hervor und zwar die
tiefen Schatten mehr als die Halbschatten. Wir überzogen das Bild
mit feinem Graphit, brachten dasselbe in das galvanoplastische Bad
und erhielten einen hübschen Abdruck in Kupfer, In der Platte
liegen die Schatten je nach ihrer Intensität tiefer oder flacher.
Wird die Platte nach Art einer Kupferstichplatte mit Schwärze ein-
gerieben, so liefert sie beim Drucken das dem Originale ähnliche
Bild. Obschon dieses Verfahren ein befriedigendes Resultat lieferte,
haben wir es doch aus dem Grunde aufgegeben, weil der Mechanis-
mus des Druckens ebenso wie beim Drucken der Kupferstiche zu
viel Handfertigkeit und Zeitaufwand erfordert. An denselben Uebel-
ständen scheitert auch der Druck solcher Platten, welche durch
Einwalzen trockener Gelatinebilder in Bleiplatten hergestellt werden.
Wirklich schöne Bilder liefert der hierhergehörende Woodbury’s
Reliefdruck. Woodbury:) macht von Gelatinebildern einen Ab-
klatsch in Blei mit Hülfe einer hydraulischen Presse, und erhält so
eine Druckplatte, die mit warmer gefärbter Gelatinelösung derselben
Art, wie sie zum Fertigen der Pigmentbogen beim Kohledruck dient,
übergossen und dann mit Papier zusammengepresst wird. Die Ge-
1) Phot. Mitth. Heft 5. 1869.
272 H. Landois und W. Thelen:
latine erstarrt und bildet dann auf dem Papier ein Pigmentbild in
allen Tonabstufungen.“ Das beigefügte Probebild ‚der Kleider-
händler‘‘ lässt mit Ausnahme des Kostenpunctes nichts zu wünschen
übrig.
Der Curiosität wegen sei noch eines Verfahrens gedacht, ver-
mittelst Joddämpfe Abdrücke von Bildern zu erzielen,
dessen Erfinder Niepce zu sein scheint. Er entdeckte die Eigen-
schaft des Joddampfes, sich an den dunklen Stellen des Kupferstiches,
einer Schrift u. s. w. anzulegen und die weissen Stellen frei zu
lassen. Wird diesem Kupferstich ein mit Stärkekleister getränktes
Papier aufgelegt, so gibt dasselbe einen Abdruck, indem den
schwarzen jodirten Linien des Bildes entsprechend, sich die Stärke
intensiv bläuet. Dieses Verfahren lässt jedoch nur eine Vervielfäl-
tigung von Bildern in Strichmanier zu.
Auch die Kunst, Photographien durch den lithogra-
phischen Druck nachzubilden, hat seit längerer Zeit ihre
Anhänger gefunden. Der Stein wird so geschliffen, dass er das
Korn für Kreidezeichnung annimmt. Man tränkt ihn darauf mit
einer schwachen Lösung von oxalsaurem Eisenoxyd und lässt diese
Flüssigkeit möglichst tief in den Stein eindringen. Der unter dem
Negativ oder in der Camera belichtete Stein zeigt das Bild in
braunem Tone, welches durch Lösung von kohlensaurem Ammoniak
fixirt wird. Soll nun das Bild durch den Druck vervielfältigt wer-
den, so wird der Stein mit Oxalsäure geätzt. Die farbigen Stellen
nehmen später beim Druck die Schwärze an, während die früher
icht belichteten Theile die Farbe abstossen. Diese und ähnliche
Verfahren haben bereits eine hohe Stufe der Vervollkommnung er-
reicht, leiden jedoch sämmtlich an dem nicht zu beseitigenden Uebel-
stande, dass das Korn des Steines stets zu grob und eben deshalb
ein relativ grobes Bild liefert.
Die vollkommenste Methode der Vervielfältigung photographi-
scher Bilder bietet bis jetzt unstreitig das Gelatineverfahren.
Die ersten Mittheilungen dieser Art veröffentlichten 1867 Tessie
de Mothay und Mar&chal in Metz. Es handelt sich bei diesem
Lichtdruck zuerst darum, eine dünne Gelatineschicht auf einer
Glasplatte recht fest anzubringen. Dieses geschieht dadurch, dass man
zuerst eine Schicht von Eiweiss, Gelatine und chromsaurem Kali auf
die Platte bringt, von hinten belichtet, wodurch diese erste Schicht
unlöslich wird und dem Glase fest anhaftet, sodann die zweite
Der Lichtdruck in seiner Bedeutung für die Mikrophotographie. 273
Schicht aufträgt, die aus Gelatine und chromsaurem Kali besteht.
Die letztere wird im Dunkeln getrocknet. Durch Erwärmen lässt
sich diese Schicht erhärten. Bei der Belichtung unter einem Ne-
gativ wird die Chromsäure desoxydirt und verbindet sich als Chrom-
oxyd mit der Gelatine, welche eben dadurch die Eigenschaft an-
nimmt, an den belichteten Stellen Fettfarbe der Druckerwalze anzu-
nehmen.
Die Platten der hier beigefügten Probebilder halten den
Druck vieler Hunderte von Exemplaren aus, was namentlich her-
vorgehoben zu werden verdient, weil die Platten mancher anderer
Photographen an dem Mangel der Haltbarkeit leiden.
Der Vervielfältigung durch den Druck entzieht sich keine
Photographie, überhaupt kein Bild. Es kann sich demnach unser
Verfahren auf sämmtliche Illustrationen erstrecken.
Das Druckverfahren vereinigt ausser Schönheit und Natur-
wahrheit der Bilder noch die Haltbarkeit, Wohlfeilheit und Schnellig-
keit der Herstellung. A
Es ist bekannt, dass die Silberbilder mit der Zeit ihre
Schönheit verlieren, wenn sie nicht völlig verlöschen. Unsere Druck-
bilder werden eben so lange der Zeit widerstehen, wie jede andere
durch Druckerschwärze hergestellte Illustration.
Wenn ein Photograph nur an hellen Tagen zu arbeiten ver-
mag und auch an diesen nur wenige Bilder fertig zu stellen im
Stande ist, so liefern unsere Platten unter einer Presse täglich
gegen 500 Abdrücke.
Endlich gestattet der Lichtdruck die Wahl eines jeden Farben-
tones. Während die Silberbilder erst in dem Goldbade jene an-
genehmen schwarzen Tinten annehmen, kann man die fettige Drucker-
farbe in allen Nuancirungen für den Gebrauch herstellen. Für mi-
kroskopische Bilder ist dieser Vorzug um so gewichtiger, weil wir
die natürliche Farbe des Präparates auf diese Weise täuschend
nachzuahmen vermögen.
Aus diesen genannten Vortheilen resultirt eben die Wohl-
feilheit unserer Bilder, welche für weite Verbreitung, namentlich
auch in den Kreis der Laien in der Naturwissenschaft nicht hoch
genug angeschlagen werden kann.
974 H.Landoisu. W.Thelen: Der Liehtdr. in s. Bedeut. f. d. Mikrophotographie.
Figurenerklärung.
Das erste der beigefügten Lichtdruckbilder ist eine Mikrophotographie
des Blutes vom Menschen. Zwischen den rothen Blutkörperchen liegen drei
weisse zerstreut.
Die zweite Mikrophotographie stellt ein Haversisches Kanälchen dar,
nebst der umliegenden Partie des Knochenschliffes mit den Knochen-
körperchen.
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung
der Gewebe.
Von
Dr. Franz Boll,
Assistenten am physiologischen Laboratorium der Universität Berlin.
Erste Abtheilung.
Hierzu Taf. XXV, XXVI, XXVLI.
Einleitung.
Indem ich hiermit den Fachgenossen den Anfang einer längeren
Reihe von Untersuchungen übergebe, halte ich es nicht für unange-
messen, in wenigen Worten die Gesichtspunkte, von denen ich bei
diesen Untersuchungen geleitet wurde, und den Zusammenhang, in
welchem die einzelnen Abschnitte derselben zu einander stehen, zu
entwickeln.
Diese Untersuchungen, die mich seit den letzten zwei Jahren
beschäftigt haben, sind hervorgegangen aus einem inneren Bedürfniss,
aus dem Drange, eine selbstständige, klare und befriedigende Auf-
fassung in der Cardinalfrage der modernen Histiologie, in der Lehre
vom Bindegewebe zu gewinnen.
Noch nicht drei Jahre sind verflossen, dass ein gefeierter
Forscher!) das, was wir über das: Bindegewebe wissen, in einer
Arbeit zusammengestellt hat, die für alle Zeiten ein Muster bleiben
wird dessen, was es heisst, auf Grund durchweg selbstständiger
Untersuchungen eine auf der zeitlichen wissenschaftlichen Höhe
stehende Darstellung einer ebenso wichtigen und umfangreichen wie
1) A. Rollet, von den Bindesubstanzen. Stricker’s Handbuch der
Lehre von den Geweben. I. Lieferung. 1868.
M, Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 7. 19
276 Dr. Franz Boll:
schwierigen und streitigen Lehre zu geben. Und doch ist in diesen
kurzen drei Jahren Vieles laut geworden, was sich nicht mehr unter-
bringen lässt in dem Rahmen jener Darstellung, Vieles ist in Frage
gestellt worden, worauf jene Arbeit als auf der sichersten, uner-
schütterlichsten Grundlage baute.
Dieser Zustand öffentlicher Unsicherheit in dem wichtigsten
Capitel unserer Wissenschaft hat mich immer und immer wieder zu
dem Studium des sich entwickelnden und des fertigen Bindegewebes
zurückkehren lassen. Es war selbstverständlich, dass, um zu einer
klaren Anschauung in diesem schwierigen Capitel zu gelangen, die
Arbeit eine ebenso extensive wie intensive sein müsse. Einmal
handelte es sich darum, allgemeine Anschauungen zu gewinnen und
es musste daher die Anzahl der untersuchten Gewebsformen und
anatomischen Objecte eine möglichst grosse sein. Andererseits kam
es in jedem einzelnen Falle darauf an, schärfer noch und tiefer
einzudringen in die wesentliche Structur des einzelnen Gewebes
als bisher geschehen war, um das Fundament der Untersuchung
auch ebenso tief wie breit zu legen. Es zerfällt also das grosse Thema
naturgemäss in eine Reihe einzelner Monographieen.
Aus diesem Gesichtspunkte sind die Untersuchungen entstanden,
von denen ich hiermit den Fachgenossen die drei ersten Capitel
vorlege. Von denselben behandelt das erste den Bau der Sehne,
das zweite den Bau des Knorpels in der Achillessehne des Frosches;
das dritte beschäftigt sich mit den Bindegewebsbündeln der Basis
cerebri und ihren Scheiden. Das vierte Capitel ist der Darstellung
der Entwickelung des fibrillären Bindegewebes beim bebrüteten Hühn-
chen gewidmet. In dem fünften Capitel werde ich die Entwickelung
der Neuroglia nach Untersuchungen am bebrüteten Hühnchen be-
schreiben und daran die in der Untersuchungsmethode davon unzer-
trennliche Entwickelungsgeschichte der Ganglienzellen, sowie Bemer-
kungen über den Bau der Neuroglia des erwachsenen Thieres an-
schliessen. Unmittelbar hiermit zusammenhängt das sechste Capitel,
in dem ich ein neues Structurverhältniss der weissen Substanz der
Centralorgane beschreiben und entwickelungsgeschichtlich begrün-
den werde.
Ich bemerke noch, dass die in diesen sechs Capiteln niederge-
legten Untersuchungen bereits beim Ausbruche des Krieges als ab-
geschlossen angesehen werden konnten.
Berlin, 20. Februar 1871.
186)
-1
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 7
I. Der Bau der Sehne.
So lange es eine „Bindegewebsfrage“ giebt, ist es zumeist der
Bau der Sehne gewesen, über welchen die verschiedensten Auffas-
sungen in den entgegengesetzten Lagern geherrscht haben. Ist es
doch in der Sehne, wo das fibrilläre Bindegewebe am reinsten und
am wenigsten beeinträchtigt durch eingelagerte Gewebe auftritt, wo
die Anordnung desselben eine so ausserordentlich regelmässige ist,
dass es schien, als wenn hier die typischen Eigenschaften des Binde-
gewebes am klarsten hervortreten müssten. Fast jeder Forscher,
dessen Name in der Bindegewebsfrage als ein hervorragender ge-
nannt wird, hat an der Sehne, als an dem eigentlichen, classischen
Typus und Modell des fibrillären Bindegewebes, seine Ansichten zu
erhärten gesucht. So hat es denn dahin kommen müssen, dass über
die Anatomie der Sehne eine Reihe von Schilderungen existiren, so
grundverschieden von einander, dass man zweifeln möchte, sie be-
zögen sich auf dasselbe anatomische Object.
Auch die neueste Wandlung, welcher die Frage nach der
Structur des Bindegewebes augenblicklich zu unterliegen scheint, ist
an unseren Vorstellungen über den Bau der Sehne nicht spurlos
vorübergegangen. Ranvier!) hat uns mit einer Arbeit beschenkt,
die eine durchaus originelle Auffassung üher die Structur der Sehne
zu begründen versucht. Inwiefern das Hauptresultat dieser Arbeit,
die Existenz von aus Zellen zusammengesetzten feinen Röhren
zwischen den Fibrillenbündeln richtig ist, soll in dem Folgenden
gezeigt werden. Jedenfalls aber wird Ranvier das Verdienst bleiben,
zuerst scharf und richtig die Methoden präeisirt zu haben, welche
allein zur Kenntniss des wahren Baues der Sehne führen konnten.
So schroff und wie es scheint unvermittelbar stehen sich heute
die Gegensätze in der Lehre von der Structur der Sehne gegenüber,
dass derjenige, welcher eine objective Darstellung derselben geben
will, sich nicht begnügen darf, Thatsache gegen Thatsache, Behaup-
1) Des elements cellulaires des tendons et du tissu conjonctif lache
(tissu cellulaire). Archives de Physiologie 1869. II. 471. In extenso mitge-
theilt in: Frey, Traite d’Histologie et d’Histochimie traduit par P. Spill-
mann. Paris 1870. 276.
2783 Dr. Franz Boll:
tung gegen Behauptung zu stellen. Hier gilt es nicht bloss, die
“Irrthümlichkeit gegentheiliger Darstellungen hinzustellen, sondern
die Wahrheit herauszufinden, die diesen irrthümlichen Darstellungen
immer zu Grunde liegt und sie von jeder entstellenden und verhül-
lenden Zuthat zu entkleiden. Nur diejenige Darstellung des Baues
“der Sehne wird eine wirklich objeetive und erschöpfende heissen
dürfen, die nicht bloss alle eigenen, sondern auch alle fremden
Beobachtungen unter einen Gesichtspunkt vereinigt, die sich nicht
damit begnügt, Irrthümer und Beobachtungsfehler zu constatiren,
sondern die bestrebt ist, diejenigen Wahrheiten herauszuschälen, die
hier und da in verzerrter und entstellter Form auftreten, aber darum
doch nie aufhören Wahrheiten zu sein.
Ich beginne mit der Darstellung der anatomischen Verhältnisse,
wie sich dieselben in embryonalen Sehnen vorfinden. Es ist dies ab-
solut nothwendig um den Bau der ausgebildeten Sehne richtig ver-
stehen zu können. Für diesen Zweck geht man am besten aus von
einem sehr wohl characterisirten Stadium, welches etwa dem letzten
Viertel des intrauterinen Lebens bei Säugethieren, dem 18. bis 20.
Tage beim bebrüteten Hühnchen entspricht, und in welchem bereits
deutliche Bindegewebsbündel ausgebildet vorhanden sind. Die frühere
Entwickelungsgeschichte der Sehne, d. h. die Entwickelung dieser
feinen Bündel aus Zellen schon hier an dieser Stelle zu geben, ist
für den vorliegenden Zweck ganz unnöthig. Dieselbe wird in dem
vierten Capitel dieser Untersuchungen, welches von der Entstehung
der Fibrillen des Bindegewebes handeln soll, eine bessere und ge-
eignetere Stelle finden. Ebendort werde ich mich auch veranlasst
sehen, auf die in der Literatur vorliegenden Angaben über diesen
Gegenstand, auf die Arbeiten von Kölliker und von Obersteiner,
die sich mit den embryonalen Sehnen beschäftigen, näher einzugehen
und ihre Beobachtungen, welche zum Theil mit den meinigen un-
vereinbar erscheinen, ausführlich zu würdigen. Für jetzt werde ich
mich darauf beschränken, einzig und allein meine Resultate über
den fraglichen Gegenstand vorzutragen.
Das oben erwähnte Stadium, mit dem die Darstellung der
Structur der Sehne am passendsten eröffnet wird, ist dadurch cha-
racterisirt, dass die einzelnen Fibrillenbündel, welche die Sehne pa-
rallel angeordnet zusammensetzen, nur erst eine sehr geringe Dicke
besitzen (kaum halb so dick wie die Fibrillenbündel in den Sehnen
erwachsener Thiere) und dass die reichlich vorhandenen zelligen
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 279
Elemente, kernhaltige dunkelkörnige Protoplasma-Massen in einer
ganz bestimmten Form und Anordnung deutlich hervortreten.
Als Untersuchungsobjeet dienten mir in erster Linie Hühner-
embryonen vom 16. bis zum 21. Tage der Bebrütung, sowie Em-
bryonen von Hunden, Kaninchen und Meerschweinchen aus dem
letzten Drittel resp. Viertel des intrauterinen Lebens. Die Unter-
suchung im frischen Zustande erwies sich als sehr schwierig, so dass
ich genöthigt war, die Embryonen vorher in conservirende Flüssig-
keiten (Müller’sche Flüssigkeit, Holzessig) zu legen. Doch ist es
nicht versäumt worden, die an diesen Präparaten gewonnenen An-
schauungen nachträglich noch nach den frisch untersuchten Prä-
paraten zu verificiren. |
Zuerst untersuchte ich vorzugsweise die feinen Sehnen der Ex-
tremitäten; erst später wurde ich darauf aufmerksam, dass das
Centrum tendineum von Säugethieren, dessen Serosae sich sehr leicht
abstreifen lassen, platte und parallele Sehnenstränge darbietet, so
zart und so bequem zu untersuchen, dass dieses Object vor den
drehrunden Sehnen der Extremitäten weitaus den Vorzug verdient.
Ich habe es daher für das Beste gehalten, an dem Centrum tendi-
neum allein den Bau der embryonalen Sehne zu entwickeln und
demgemäss die Zeichnungen, zu deren Erläuterungen ich jetzt
schreite, nur nach Präparaten vom Centrum tendineum angefertigt.
Ein isolirter Sehnenstrang gewährt das schöne regelmässige
Bild, welches ich in Fig. 1 wiedergegeben habe. Die noch nicht
sehr breiten, streng parallel verlaufenden Bindegewebsfibrillenbündel
sind von einander getrennt durch etwa drei- bis vierfach so feine
dunklere granulirte Streifen, die sich mit essigsaurer Carminlösung
intensiv roth färben. Dei genauerer Untersuchung bemerkt man,
dass diese Streifen nicht continuirlich sind, sondern aus einer Auf-
einanderfolge einzelner Abschnitte bestehen, welche durch kleine
Zwischenräume von einander getrennt sind. An den Rändern des
Präparats erkennt man deutlich, dass diese Abschnitte von ziemlich
bestimmter Länge, welche die granulirten Streifen zusammensetzen,
die optischen Durchschnitte von platten, granulirten Zellen dar-
stellen, welche in derartig regelmässiger Anordnung zwischen den
Fibrillenbündeln der embryonalen Sehne lagern.
Ein Blick auf die nun folgenden Präparate (Figg. 2—4) ergiebt
etwa folgende Anschauung über das Verhältniss der Zellen zu den
Fibrillenbündeln in der embryonalen Sehne: die einzelnen Fibrillen-
280 Dr. Franz Boll:
bündel sind von einander getrennt durch Stränge abgeplatteter
Zellen von rechteckiger oder rhomboidaler Gestalt, welche die ein-
zelnen Fibrillenbündel wenigstens theilweise mitunter nur zur Hälfte
mitunter (besonders in jüngeren Stadien) auch mehr umscheiden.
Im Allgemeinen ist eine sehr grosse Regelmässigkeit in der Anord-
nung dieser Zellen festgehalten, indem die mit in ihren Enden sich
fast berührenden Zellen eines einzelnen derartigen Streifens con-
tinuirlich und in ganz gleicher Richtung aneinander gereiht sind.
Doch scheinen auch Ausnahmen von dieser Regelmässigkeit nicht
selten vorzukommen (vgl. Fig. 2, a, wo eine derartige Zelle aus-
nahmsweise einmal zwei Fibrillenbündeln statt einem einzigen auf-
liegt). Es liegen also die einzelnen mehr oder weniger cylindrischen
Fibrillenbündel in Halbscheiden, die aus meist sehr regelmässig an-
geordneten Zellenplatten zusammengesetzt sind. Die einzelnen Platten
und mithin die aus ihnen zusammengesetzten Halbscheiden haften
den Fibrillenbündeln zum Theil sehr fest an und wenn, wie es bei
Zerzupfungspräparaten, die man von dem in Holzessig conservirten
Centrum tendineum anfertigt, häufig zu geschehen pflegt, einzelne
Zellen von den Fibrillenbündeln abfallen, so bleibt fast stets eine
feine körnige Zeichnung auf der Oberfläche dieser Bündel zurück
(Fig. 3), als ein Ausdruck des innigen Zusammenhanges und der
festen Verklebung, welche zwischen dem Fibrillenbündel und der
Zellenscheide herrschte.
In dem Zerzupfungspräparat, welches in Fig. 4 wiedergegeben
ist, sieht man die einzelnen Fibrillenbündel mit ihren Zellen in den
verschiedensten Verhältnissen: einzelne sind noch fast vollständig
von den Zellen umscheidet, bei andern haben sich die Zellen theil-
weise abgeblättert und erscheinen nicht mehr als schmale Kanten,
sondern als breitere Platten, von andern Fibrillenbündeln endlich ist
der grösste Theil der die Scheiden zusammensetzenden Zellen schon
abgefallen und erscheinen die Bündel auf längere Strecken schon
ganz nackt. Dies Präparat rührt übrigens, wie aus der relativ be-
trächtlich grösseren Feinheit der Fibrillenbündel deutlich zu ent-
nehmen ist, von einem bedeutend jüngeren Embryo her, wie der
Fig. 1 gezeichnete Sehnenstreif.
Jedesmal wenn man Zerzupfungspräparate, wie das eben be-
schriebene (Fig. 4) anfertigt, erhält man eine Menge einzelner von
den Fibrillenbündeln abgelöster Zellen, von denen Fig.5 eine kleine
Anzahl wiedergiebt. In der Beschreibung ist von denselben nicht
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 281
allzuviel zu sagen. Sie sind platt, rechteckig und rhomboidisch.
Wie ihr Verhalten zu den verschiedenen conservirenden und fär-
benden Flüssigkeiten ergiebt (sie nehmen den Carmin sehr begierig
auf und erhalten nach längerem Verweilen in Holzessig eine sehr
satte gelbbraune Färbung, während die Fibrillenbündel selbst höch-
stens nur einen leichten Stich ins Gelbliche zeigen), bestehen sie aus
einem grobkörnigen Protoplasma. Ein Kern ist an Holzessigpräpa-
raten nicht immer, dagegen wenn sie in Kali bichromieum gelegen
haben, fast stets wahrzunehmen. Was diese Zellen aber auf das
entschiedenste characterisirt ist der Besitz einer glänzenden dunkel-
sranulirten Rippe oder Kante, einer Art von First, welche entweder
in der Mitte der Zelle oder an einer der Längsseiten, aber stets dem
grössten Längendurchmesser der rechteckigen oder rhomboidischen
Zelle, mithin auch der Längsrichtung der Fibrillenbündel parallel
und durch die ganze Länge der Zelle verläuft. Dieser dunkle, glän-
zende Längsstreifen ist stets in der Substanz der Zellen selbst ge-
legen. Ich nenne dieses eigenthümliche Gebilde, welches sich ohne
Mübe in allen Zellen demonstriren lässt, den elastischen Strei-
fen, eine Bezeichnung, welche die Bedeutung, die derselbe in der
erwachsenen Sehne erlangt, wie wir sehen werden, hinlänglich recht-
fertigen wird.
Die Richtigkeit dieser aus dem Studium von Längsschnitten
und Zerzupfungspräparaten geschöpften Vorstellung vom Verhältniss
der Zellenreihen zu den Fibrillenbündeln wird bestätigt durch die
Bilder, welche künstliche Querschnitte embryonaler Sehnen gewäh-
ren. Dieselben sind recht mühsam anzufertigen: die beste Methode
ist, die ganze Extremität in Glycerinleim einzubetten und so die
Schnitte zu führen. Im Allgemeinen finde ich die Beschreibung und
Abbildung, welche Langhans!) vom Querschnitt der embryonalen
Sehne giebt, durchaus bestätigt.
So weit die klaren und einfachen Verhältnisse, die in der em-
bryonalen Sehne in jenem bestimmten Stadium, das ich der Dar-
stellung zu Grunde gelegt habe, vorliegen. Indem ich nun dazu
übergehe, den Bau der erwachsenen Sehne darzustellen, so wie
meine Untersuchungen ihn mich kennen gelehrt haben, halte ich es
1) Beiträge zur Histiologie des Sehnengewebes im normalen und pa-
thologischen Zustande. Würzburger Naturw. Zeitschrift. 1864. V. 8. 86.
Taf. II. Fig. 8.
382 Dr. Franz Boll:
für nöthig, im Voraus für die Mängel der Darstellung um Ent-
schuldigung zu bitten, die wohl zu erkennen aber nicht zu vermeiden
in meiner Macht steht. Das anatomische Object hat sich mir im
Laufe meiner Untersuchungen als ein so eigenthümlich verwickeltes
herausgestellt, dass ein grosser Theil der Schwierigkeiten, welche sich
zuerst der Erlangung einer richtigen Erkenntniss entgegenstellten,
jetzt noch eine einheitliche Darstellung des Erkannten in unbe-
quemster Weise erschwert. Einmal sind die Sehnen verschiedener
Thiere, verschiedener Körpertheile, verschiedener Altersclassen oft
im höchsten Grade von einander different, dass eine Darstellung,
welche allen diesen Verschiedenheiten gerecht werden wollte, noth-
wendig jeder scharfen Zeichnung und bestimmten Färbung entbehren
müsste. Ich werde daher der Darstellung ein möglichst bestimmtes
Bild zu Grunde legen und wähle dazu das in der That im höchsten
Grade geeignete Untersuchungsobject, welches Ranvier uns kennen
gelehrt hat: die feinen Sehnen, welche sich in dem Schwanz der
Nagethiere befinden. Von diesen habe ich besonders Kaninchen und
Ratten untersucht und empfehle junge oder doch eben erst ausge-
wachsene Thiere zur Anstellung dieser Untersuchungen zu nehmen.
Ich spanne den hart am Leibe abgeschnittenen enthäuteten frischen
Schwanz mit dem spitzen Ende fest in einen Schraubstock ein und
reisse von dem freien diekeren Ende Wirbel für Wirbel, die ich
in einer Zange gepackt, mit einem kräftigen Ruck ab. An jedem
so abgetrennten Wirbel bleiben gewöhnlich 2—3 weisse silberglän-
zende, oft mehrere Centimeter lange äusserst feine Fäden hängen,
feinste Sehnen, die ohne jede weitere Präparation sofort auf den
Objectträger des Mikroskopes gebracht und in toto mit den stärksten
Vergrösserungen untersucht werden können. Diese Sehnen sind es
zunächst allein, die der hier gegebenen Darstellung zu Grunde
liegen. Fast völlig übereinstimmend verhalten sich übrigens auch
noch die Fingersehnen des Frosches.
Aber selbst so auf ein einzelnes möglichst bestimmtes Ob-
jeet eingeschränkt, bietet die Darstellung noch ungewöhnliche Schwie-
rigkeiten, die es fast unmöglich machen, den Bau der Sehne me-
thodisch zu entwickeln. Die Anwesenheit eines sehr complicirten
elastischen Systems in den Sehnen, welches bald als aus Zellen, bald
aus Fasern, bald aus platten Bändern und Scheiden zusammengesetzt
erscheint, bedingt je nach seinem verschiedenen Anspannungszustande
die verschiedensten und, wie es scheint, widersprechendsten Bilder.
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 283
Nur der, vor dessen geistigem Auge die ganze endlose Reihe der
tausendfach modifieirten Zustände und Bilder steht, die auch zwischen
den widersprechendsten Formen der Erscheinung den logisch ge-
schlossenen Uebergang vermitteln, vermag sich von jeder Einzelheit
die volle Rechenschaft zu geben. Es ist aber klar, dass in der
Darstellung, die aus der unendlichen Fülle dieser Formenreihe auch
nur eine ganz beschränkte Anzahl characteristischer Bilder in Schrift
und Zeichnung wiedergeben kann, Lücken bleiben müssen, um so
störender und empfindlicher für den Darsteller, je tiefer und ein-
dringender seine Kenntniss der Abschnitte der Kette ist, die diese
mehr oder weniger willkürlich herausgerissenen einzelnen Glieder
mit einander verbinden. Diese Nothwendigkeit, die Fülle der einzel-
nen Anschauungen in so karge Formen hineingiessen zu müssen,
wird nur zu leicht dazu führen, anstatt einer concreten Darstellung
ein abstractes Schema zu geben.
Ranvier ist der erste gewesen, der die enormen Differenzen,
welche die Bilder der gespannten und der contrahirten Sehne ge-
währen, unterscheiden und methodisch auseinanderhalten gelehrt
hat. Seine (auch von mir geübte und als vorzüglich befundene)
Methode besteht darin, die frischen feinen Sehnen auf dem Object-
träger auszuspannen und die beiden Enden derselben mit Siegellack
(ich bediene mich zu diesem Zweck einer gleichtheiligen Mischung
von Wachs und Asphalt, welche ich mit einem heissen Draht auf-
trage) zu fixiren und dann erst die essigsaure Carminlösung, die
sonst unfehlbar die Sehne aufquellen und zusammenschnurren machen
würde, einwirken zu lassen ).
Ist die Sehne ganz straff angespannt gewesen, so sieht man,
nachdem die Carminlösung längere Zeit eingewirkt hat, ein Bild,
wie es in Fig. 6 dargestellt ist. Die Sehne scheint zusammenge-
1) Die Bereitung der Carminlösung geschah stets nach der von
Schweigger-Seidel (Leipziger physiolog. Arbeiten 1868. Im Anhange
zu der Abhandlung von E. Cyon, Ueber die Nerven der Peritoneum) ange-
gebenen Methode. Nach den erschöpfenden Aufschlüssen, die Heidenhain
(M. Schultze’s Archiv VI. 402) und Rollet (Untersuchungen aus dem In-
stitute für Physiologie und Histologie in Graz 1871. S. 156) über die eigen-
thümlichen Verschiedenheiten der Carmintinction, je nachdem der Farbstoff
in essigsaurer oder in ammoniakalischer Lösung sich befindet, gegeben haben,
kann ich darauf verzichten, eine im gleichen Sinne schon früher von mir zur
Aufklärung dieser Verhältnisse angestellte Untersuchungsreihe zu publiciren,
da dieselbe nunmehr nichts Neues mehr bieten dürfte.
284 Dr. Franz Boll:
setzt aus völlig parallelen Bindegewebsbündeln von nahezu gleicher
Breite, die keine fibrilläre Structur mehr, sondern ein ganz homogenes
Aussehen zeigen. Die einzelnen Bindegewebsbündel erscheinen von
einander getrennt durch absolut gerade verlaufende feine scharfe
glänzende Linien, welche den Carmin schnell und ziemlich intensiv
aufnehmen. Fast alle diese Linien erscheinen bei genauerer Be-
trachtung aus Abschnitten von annähernd gleicher Länge zusammen-
gesetzt, zwischen denen jedoch nur äusserst feine Zwischenräume
übrig bleiben. Die Breite dieser aus einzelnen Abschnitten zusam-
mengesetzten glänzenden Linien -ist, wenn die Sehne auf das
straffste angespannt war, bei Hartnack IX, 2 eine noch eben mess-
bare. Ich kenne in der ganzen Literatur nur eine einzige von Thier-
felder !) gegebene Abbildung, welche den Längsschnitt einer derartig
straff angespannten Sehne in charakteristischer Weise wiedergiebt.
Hat man Sorge getragen, dass beim Fixiren der Sehnenendpunkte
die Sehne nicht bis zur absoluten Straffheit angezogen wurde, son-
dern dass derselben ein gewisser wenn auch sehr kleiner Spielraum
blieb, sich in etwas zusammenzuziehen, sobald die essigsaure Car-
minlösung hinzugesetzt wurde, so erhält man schon etwas andere
Bilder, die ungefähr dem Präparate entsprechen, welches Ranvier
in Fig. 1 A seiner Abhandlung wiedergegeben hat und welches ich
in Fig. 7 darstelle. Die Bindegewebsfibrillenbündel erscheinen etwas
breiter, wie in Fig. 6 die dunklen glänzenden Linien, welche die
einzelnen Bündel von einander trennen, verlaufen nicht mehr als so
absolut geradlinige Parallelen, sondern zeigen nicht selten schon
einen etwas geschwungenen, leicht geschlängelten Verlauf. Sie sind
schon von messbarer Breite und lassen bereits stets ganz deutlich
ihre Zusammensetzung aus einzelnen Abschnitten erkennen.
Ist der Spielraum, der der Zusammenziehung der Sehne ge-
währt wurde, ein etwas grösserer gewesen, so erscheint das Bild
wieder als ein anderes. Die Bindegewebsbündel sind breiter, die sie
trennenden dunkeln Linien schon zu recht breiten carmingefärbten
Streifen geworden, deren Verlauf jetzt fast durchgehends eine ziem-
lich ausgesprochene Schlängelung zeigt. Mit Leichtigkeit erkennt
man jetzt, wie sich ein jeder dieser Streifen aus einer Reihe gleich-
langer zarter Platten zusammensetzt, in deren Centrum ein intensiv
carmingefärbter längerer oder kürzerer, schmälerer oder dickerer, im
1) De regeneratione tendinum. Dissertatio histiologica. Meissen 1852.
Fig. 147,
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 285
Allgemeinen stäbchenförmiger Streifen deutlich sichtbar ist, während
der übrige Theil der Platten eine beträchtlich mattere Carminfär-
bung zeigt (Fig. 3).
Je mehr sich nun die Sehne unter dem Einfluss der essig-
sauren Carminlösung zusammengezogen hat, desto mehr enthüllt
sich dem Beobachter eine wahrhaft endlose Reihe von Verschieden-
heiten und Eigenthümlichkeiten der Gestalt, welche diese aus Plätt-
chen zusammengesetzten, so lebhaft carmintingirten Streifen zeigen.
Ich gebe Fig. 9—13 eine Reihe characteristischer Formen durch
die Zeichnung wieder, ohne jedoch nur im entferntesten damit
den Anspruch zu machen, eine auch nur einigermassen erschö-
pfende Darstellung der merkwürdigsten und interessantesten hier
vorkommenden Bilder gegeben zu haben. Bald erscheinen diese
Platten als einfach quadratische oder rechteckige Zellen, die mit
grosser Regelmässigkeit über einander geschichtet sind, bald sind sie
schmaler, von unregelmässiger Gestalt, besitzen Fortsätze, laufen in
Fasern aus u. s. w. In den alleräussersten Graden der Zusammen-
ziehung der Sehne derangiren sich die Reihen und an die Stelle der
regelmässig angeordneten und rechteckigen Zellplatten treten un-
regelmässig vertheilte bizarr gestaltete Körper, so verdreht und
verschraubt, dass nur derjenige, welcher die vorherigen Grade der
Zusammenziehung der Sehne studirt hat, in ihnen die aufs höchste
verunstalteten Zellplatten wiederzuerkennen vermag. Diese Bilder
sind die Originalien zu den Darstellungen der Bindegewebskörper-
chen, wie sie von Virchow und seinen Schülern gegeben worden sind.
Fast alle besitzen einen deutlichen runden Kern, der sich doch ge-
wöhnlich nur schwach mit Carmin imbibirt. Fast stets liegt derselbe
an dem einen Ende der Zelle und fast ebenso constant findet sich
das Verhältniss, dass die Kerne in zweien aneinanderstossenden Zellen
auch in den aneinanderstossenden Ecken der Zellen liegen.
Mehr noch wie der Kern in die Augen springend ist an diesen
Zellen ein Formelement, dessen Fehlen (wie in Figg. 13, 14) zu den
grössten Seltenheiten gehört. Es ist dies das eigenthümliche Gebilde,
welches ich schon an den Zellen der embryonalen Sehne als ein fast
mit absoluter Regelmässigkeit vorkommendes nachgewiesen und den
Erfahrungen, die erst an der erwachsenen Sehne zn machen waren,
vorgreifend, den elastischen Streifen genannt habe. Fast jede ein-
zelne der in den Sehnen vorkommenden Zellenplatten besitzt neben
dem Kern eine besonders differenzirte Stelle, welche vor allem da-
286 Dr. Franz Boll:
durch ausgezeichnet ist, dass sie sich in essigsaurer Carminlösung um
vieles lebhafter tingirt wie irgend ein anderer Theil der Zelle. Stets
ohne jede Ausnahme ist dieser elastische Streifen parallel der Längsaxe
der Sehne und folglich auch parallel der Längsaxe der Zellplatten
gerichtet. In der Regel hat er die Form eines Stäbchens, welches
auf oder über dem Kern ziemlich regelmässig in der Mitte der Zell-
platte gelegen ist. Doch können, wie schon ein flüchtiger Blick auf
die mitgetheilten Abbildungen lehrt, alle möglichen Verschiedenheiten
in Bezug auf Stärke, Ausbildung, Lage und Form des Streifens
vorkommen. So kann derselbe bald als ein von der umgebenden
Zellsubstanz ganz scharf geschiedenes Gebilde auftreten, bald an
seinen Seitenrändern ganz allmälig in die Zellsubstanz übergehen,
bald ganz an einem Längsrande der Zelle liegen, bald durch zwei
Streifen oder Faiten, die an beiden Längsrändern der Zelle auf-
treten, repräsentirt werden, bald in mehreren geschlängelten Falten
an einem Längsrande der Zelle verlaufen oder noch wieder in an-
derer Gestalt sich darstellen. Ich verzichte darauf, mich in die
Schilderung der verschiedenen Formen dieses im wahrsten Sinne des
Wortes proteischen Gebildes noch weiter zu vertiefen. Bin ich doch
überzeugt, dass es jedem einzelnen Nachuntersucher ein Leichtes
sein wird, selbst die vollständigste Uebersicht der characteristischen
Erscheinungsformen dieses interessanten Gebildes, die ich augenblick-
lich zu geben vermöchte, mit Leichtigkeit um das doppelte und
dreifache zu vermehren. Denn die Dimensionen und Formen des
elastischen Streifens werden im Wesentlichen durch die verschiede-
nen Anspannungs- und Contractions-Zustände der Sehne bestimmt
und der Stufenleiter dieser verschiedenen Grade werden auch stets
verschiedene Formen und Contractionszustände des elastischen Strei-
fens entsprechen. Ich werde daher die Aufzählung der verschiede-
nen von mir beobachteten Formen des elastischen Streifens unter-
lassen und nur noch zweier Eigenthümlichkeiten desselben. gedenken,
die mir für die Erkenntniss seiner Eigenschaften und Functionen
wichtig erscheinen.
In sehr stark zusammengezogenen Sehnen, wo der Längsdurch-
messer der Zellplatten und des elastischen Streifens ein sehr kleiner
ist, erscheint der letztere gewöhnlich in sehr characteristischer
Weise geschrumpft und zeigt eine sehr regelmässige auf seiner
Längsaxe senkrechte sehr eng gestellte Querstreifung, welche an
die Querstreifung eines zusammengeschnurrten Gummibandes oder
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 287
einer Spiralfeder erinnert (Fig. 13, 19). Ich constatire dies hier
vorläufig, um später noch darauf zurückzukommen.
Eine zweite merkwürdige Thatsache, die sich an den elastischen
Streifen beobachten lässt ist die, dass, obwohl zwischen den anein-
anderstossenden Streifen benachbarter Zellen eine wirkliche Conti-
nuität sich nur höchst selten nachweisen lässt, z. B. Fig. 8, 10, 12, 17,
doch insofern eine Art von Continuität zwischen den verschiedenen
Streifen hergestellt erscheint, als die Richtungen derselben meist mit
grosser Regelmässigkeit (wenn etwa nicht durch ein zu plötzliches Zu-
sammenschnurren der Sehne eine vollständige Verwerfung und Dis-
location der aneinanderstossenden Zellplatten stattgefunden hat) in
einer Axe zu liegen und in ein und derselben gemeinsamen Direction
zu verlaufen scheinen. Auch die Deutung dieses Factums muss ich
mir vorderhand noch vorbehalten.
Der erste, welcher diese Zellenplatten gesehen und beschrieben
hat, ist Henle, welcher in seiner Kritik der Vircho w’schen Bin-
degewebslehre !) dieselben als in Reihen gestellte, kernlose Schüpp-
chen beschreibt. Leider ist in einer späteren, noch ausführlicheren
und mit Abbildungen versehenen Kritik?) eine Abbildung dieser
Körperchen nicht gegeben worden und eine frühere Abbildung der-
selben ®) wird später von Henle selber direct desavouirt *). Wenn
auch Henle’s Darstellung von einer Reihe vorurtheilsfreier Forscher,
Kölliker°), Langhans, Grussendorf, Lessing, Lieber-
kühn, Baur‘), Hoyer‘) und Rollet im Allgemeinen bestätigt
wurde, so schwebt doch gerade über der bildlichen Darstellung
dieser Zellenplatten ein eigenthümlicher Unstern. Aus Gon-
cession gegen eine Vorstellung, die einer vorurtheilsfreien Prüfung
nur als ein histiologischer Aberglaube erscheinen kann, nämlich die
Vorstellung von der Spindelform der Bindegewebskörperchen, sind
1) Canstatt’s Jahresber. f. 1851 S. 24.
2) Henle und Meissner, Bericht über die Fortschritte der Anatomie
und Physiologie im Jahre 1858. S. 53.
3) Henle, Allgemeine Anatomie. Taf. II, Fig. 6.
4) Henle und Meissner, Jahresbericht für 1860, S. 70.
5) Neue Untersuchungen über die Entwickelung des Bindegewebes.
Würzburg 1861. S. 22.
6) Die Entwickelung der Bindesubstanz. Tübingen 1858. S. 23.
7) Ein Beitrag zur Histologie bindegewebiger Gebilde. Arch. f. Anat.
und Physiol. 1865. S. 240.
288 Dr. Franz Boll:
aus den Sehnen gewöhnlich nur diejenigen Zellplatten abgebildet
worden, welche eine grössere oder geringere Aehnlichkeit mit der
Spindelform zeigten. So sind die Zellen, welche Thierfelder!),
Grussendorf?), Langhans?°) und Rollet) abbilden, nur als
ausnahmsweise, keineswegs jedoch als regelmässige Formen zu be-
trachten. Die besten Abbildungen, die ich kenne, sind die von Lie-
berkühn?°) und vor allem die von Lessing), die vielleicht des-
halb weniger beobachtet wurden, weil sie den manche histiologische
Kigenthümlichkeiten bietenden verknöchernden Sehnen der Vögel
entnommen worden sind. Ranvier gebührt das Verdienst die
ersten wirklich objectiven Darstellungen dieser Zellenplatten auch
von den Säugethieren geliefert und auf den eigenthümlichen Irrthum
aufmerksam gemacht zu haben, in welchem man sich über die Form
der in den Sehnen enthaltenen zelligen Elemente befand. Bemer-
kenswerth ist übrigens, dass Ranvier, der ausdrücklich im Gegen-
satz zu Henle den Zellenplatten Kerne zuschreibt, in seinen Fi-
guren nicht die Kerne sondern die elastischen Streifen, die er für
Kerne hält, abbildet. Nach Ranvier und angeregt durch ihn liegt
noch eine mit diesen Zellenplatten sich beschäftigende kurze
Mittheilung von Güterbock”) vor, die etwas frühreife Frucht un-
genügender Untersuchungen, die eine sachgemässe Kritik weder ver-
tragen noch überhaupt verdienen.
Ranvier’s Darstellung gipfelt in der Anschauung, dass jede
1) De regeneratione tendinum. Figg. 150, 152, 156—158.
2) Ueber die spindelförmigen Körperchen des Bindegewebes. Zeitschr.
f. rat. Med. 3te Reihe XXVI, 186. Taf. V. 1866.
3) Beiträge zur Histiologie des Sehnengewebes im normalen und patho-
logischen Zustande. Würzburger naturw. Zeitschr. V, 86. 1864. Taf. III,
Figg. 3,4. Nur in Fig. 5 sind aus der Sehne eines Kätzchens characteristische
Zellenplatten wiedergegeben.
4) Untersuchungen über die Structur des Bindegewebes. Wiener acad.
Sitzungsber. 1858. XXX. Fig. 10 und 11. — Stricker, Lehre von den Ge-
weben. S. 52. i
5) Ueber die Össification. Arch. f. Anatom. und Physiol. 1860. Taf.
XX, Fig. 2.
6) Zur Histologie der Bindegewebsknochen. Zeitschrift für rat. Med.
Ste Reihe XH, S. 314. Taf. VIII, Figg. 4, 6. 1861.
7) Zur Lehre von den Bindegewebskörperchen in den Sehnen. Üen-
tralbl. f. d. medic. Wiss. 1870. 8.33. — Untersuchungen über Sehnenentzün-
dung. Wiener med, Jahrbücherred.v.S.Stricker. 1,1871. Taf.I. Figg.1, II, IV.
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 289
einzelne dieser Zellenplatten zu einem Hohleylinder zusammenge-
rollt und mit ihren Nachbarn fest verlöthet sei, so dass durch diese
nach Art von Drainröhren aneindergereihten Hohleylinder feine
lange Röhren gebildet würden, welche in der Axe der Sehne
zwischen den einzelnen Fibrillenbündeln verliefen und etwa Canäle
für die Circulation plasmatischer Flüssigkeit darstellten. Ich halte
diese Annahme für nicht richtig und zwar aus folgenden Gründen:
1) Die Untersuchung embryonaler Sehnen hat auf das zweifel-
loseste ergeben, dass diese Zellenplatten die Fibrillenbündel selber
umscheiden ; es ist sehr schwer, sich vorzustellen, wie aus einer der-
artigen Anordnung dieser Zellen das Zusammenrollen derselben zu
Hohleylindern, was Ranvier voraussetzt, hervorgehen sollte.
2) Injectionsversuche liefern nicht nur keinerlei Beweise für
die Richtigkeit der Ran vier’schen Vorstellung, sondern sie führen
vielmehr zu Anschauungen, welche der Ranvier’schen Lehre direct
widersprechen. Versuche, die plasmatischen Canäle der Sehnen per
Einstich zu injieiren, blieben resultatlos. Dagegen füllt die zuerst
von v. Wittich !), später von Foerster?) geübte Methode, einen
frisch angelegten Sehnenquerschnitt in eine färbende Flüssigkeit zu
tauchen (Indigoküpe v. Wittien, Carminlösung Foerster, ich) und
dieselbe so in den capillaren Räumen aufsteigen zu lassen, in den
Sehnen Hohlräume, die in der Längsansicht der Sehne allerdings
auch zwischen den einzelnen Fibrillenbündeln verlaufen, aber viel
zu unregelmässig sind, um den Ranvier’schen Canälen entsprechen
zu können und die auf dem Sehnenquerschnitt als unregelmässig
sternförmige Lücken und nicht rund erscheinen, wassie, wenn Ran-
vier’s Vorstellung die richtige wäre, doch thun müssen. Ganz über-
einstimmende Bilder erhielt Krause?) durch die Einstichinjection
frischer Sehnen mittelst blauer Leimmasse und v. Reckling-
hausen) durch die Silberimprägnation.
3) Ferner sprechen gegen Ranvier diejenigen Bilder, welche
die sogenannten Donders’schen Bänder gewähren, von denen ich
in Fig. 20, a. b. zwei mitgetheilt habe. Donders°) entdeckte, dass
1) Bindegewebs-, Fett- und Pigmentzellen. Virchow’s Archiv IX,
S. 193. 1866.
2) Beiträge zur pathologischen Anatomie und Histologie. Virchow’s
Archiv XII, S. 199. Taf. VIII, Fig. 1. 1857.
3) Göttinger Anzeigen 1864. S. 1097.
4) Die Lymphgefässe u. ihre Beziehung zum Bindegewebe. 1862. S. 52.
5) Mikroskopische und mikrochemische Untersuchungen thierischer Ge-
290 Dr. Franz Boll:
wenn man einen mikroskopischen Querschnitt einer getrockneten
oder auch frischen Sehne mit Essigsäure behandelt, alsdann derselbe
in eine Anzahl platter Bänder zu zerfallen scheint, von deren eigen-
thümlichem Aussehen die von mir mitgetheilten Abbildungen eine
Vorstellung geben. Die Breite dieser Bänder entspricht der Dicke
des Durchschnitts. In regelmässigen Abständen und senkrecht auf
ihrer Längsaxe werden diese Bänder durchzogen von schmalen in
Carmin sich lebhaft roth tingirenden Streifen, deren jeder einzelner
sich aus einer geringen Anzahl durch die Essigsäure meist sehr ver-
änderter und geschrumpfter Zellplatten zusammensetzt. Zwischen
je zwei dieser kurzen Streifen und ihrer Längsrichtung gleichfalls
parallel verlaufen gewöhnlich 2—3 feine elastische Fasern. Don-
ders selbst und nach ihm Gerlach !) nahmen an, dass der ganze
Sehnenquerschnitt unter dem Einfluss der Essigsäure in diese Bän-
der sich zerlege, und schlossen weiter, dass in den Sehnen stets be-
stimmte Gruppen von Bindegewebsbündeln besonders innig verlöthet
seien, welche sich unter dem Einfluss der Essigsäure zu diesen Bän-
dern ausrollen sollten. Kölliker?) und Bela Machik?) erklärten
sie für die umgerollten Ränder von Querschnitten. Die Wahrheit
ist, dass wenn auch die meisten Donders’schen Bänder in der
That nur umgeschlagene Ränder von Querschnitten vorstellen, doch
auch aus der Mitte des Sehnenquerschnitts einzelne Fibrillenbündel-
gruppen zu diesen Rändern umschlagen können. Jedenfalls stellen
diese Bänder sehr kurze (denn ihre Länge kann ja die Dicke des
Querschnittes nicht übertreffen) und ausserordentlich dünne Längs-
schnitte von Sehnen dar, die häufig nur eine einzige Längsreihe von
Fibrillenbündeln begreifen. Niemals ist aber an derartigen Bildern
etwas zu sehen, was für die Richtigkeit der Ansicht Ranvier’s
spräche.
4) Nach der Anschauung von Ranvier genügt ein Druck auf
‚das Deckgläschen oder eine ähnliche Manipulation, um die Hohl-
cylinder zu öffnen und die Zellenplatten als solche zum Vorschein
webe. Holländische Beiträge herausgegeben von van Deen, Donders und
Moleschott. I, S. 258. 1847.
1) Handbuch der Gewebelehre. Mainz 1850. S. 110. Fig. 42.
2) lHistologische Beiträge. 4) Ueber Bindegewebs- und Muskelfibrillen.
Zeitschr. f. wiss. Zool. II, S. 281. 1850. Mikroskopische Anatomie S. 215.
3) Beiträge zur Kenntniss des Sehnengewebes. Wiener acad. Sitzungsber.
Bd. XXXIV, S. 91. 1858.
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 291
zu bringen. Wäre dies richtig, so müssten neben einander in ein
und demselben Präparat doch auch nicht selten Reihen geschlossener
Hohleylinder neben halb und ganz geöffneten vorkommen; ferner
müssten die geschlossenen und die auseinandergeklappten Hohl-
cylinder auch von gleicher Höhe sein. Dies ist aber, wie auch
schon die Abbildungen Ranvier’s selbst ergeben, nicht der Fall;
vielmehr erscheinen die aufgeklappten Cylinder — um die Ran-
vier’'sche Terminologie zu gebrauchen — stets niedriger, wie die
geschlossenen. Für diese Thatsache bleibt die Ranvier’sche An-
schauung die Erklärung schuldig.
Dieses letzte Factum, welches ich gegen die Ansicht Ran-
vier’s geltend gemacht habe, beweist nicht so sehr direct und
überzeugend gegen die Richtigkeit der Anschauung des letztge-
nannten Forschers als vielmehr für die derjenigen Anschauung, die
ich mir nach langem, oft und vielfach irrendem Suchen über den
Bau der Sehne gebildet habe und die ich um so mehr für die einzig
richtige halte, als zahlreiche und oft sehr lockende Irrwege mich erst
sehr mühsam und verspätet zu ihr gelangen liessen.
Ich finde, dass dieselbe Structur, dasselbe Verhältniss der
Zellen zu den Bindegewebsfibrillenbündeln, welches ich in der em-
bryonalen Sehne beschrieben habe, auch im Wesentlichen noch in der er-
wachsenen Sehne erhalten geblieben ist, allerdings mit höchst eigen-
thümlichen Modificationen. An Stelle der einfachen, stets unter den
verschiedensten Verhältnissen sich gleich bleibenden Zellen mit
grobkörnigem Protoplasma sind jetzt, nachdem sie im Leben den
verschiedensten ziehenden, spannenden und dehnenden Kräften aus-
gesetzt gewesen, elastische Platten getreten, begabt mit dem er-
staunlichsten Vermögen, unter den verschiedensten Verhältnissen
der Anspannung oder Erschlaffung der Sehne, unter den verschie-
densten Graden der Quellung der Bindegewebsbündel, dem Unter-
sucher stets ein neues Bild und eine neue Form zu zeigen.
In dem Bilde der straff angespannten Sehne, welches ich in
Fig. 6 wiedergegeben und oben besprochen habe, sind diese elasti-
schen Zellenplatten bis zu dem äussersten Grade der Dehnung aus-
gezogen gewesen. Sie haben dabei, wie äusserst straff angezogene
Gummibänder, nicht bloss äusserst dünn, sondern auch äusserst schmal
werden müssen. In Folge dessen erscheinen sie im mikroskopischen
Bilde in der That denn auch wenig breiter als Linien. Ein eigen-
thümliches Verhältniss bewirkt, dass diese äusserst geringe Breite
M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 7, 20
292 Dr. Franz Boll:
in dem mikroskopischen Bilde von Sehnen, die einer äusserst starken
Anspannung ausgesetzt wurden, noch um vieles schmäler erscheint,
als sie in der That schon ist. Ich habe oben erwähnt, dass an den
zusammengezogenen Platten neben dem intensiv carmingefärbten
Streifen die Substanz der Platten selbst doch nur blassroth getärbt
erscheint. Diese an den zusammengezogenen Platten selbst nur
blasse Färbung kommt an den übermässig ausgedehnten Platten
gar nicht mehr zur Erscheinung, und so sind in der That die reihen-
weise angeordneten schmalen stabförmigen Körper zwischen den
Fibrillenbündeln der Sehne in den Fällen sehr straffer Anspannung
der Sehne öfter die optischen Ausdrücke der elastischen Streifen als
die der ganzen Zellplatten selbst.
Ist die Spannung der Sehne eine weniger starke gewesen, so
sind die Zellplatten contrahirt (ich bemerke, dass ich den Ausdruck
„contrahirt‘‘ in diesem Falle nur zur Bezeichnung des mikroskopi-
schen Bildes und ohne jedes physiologische Präjudiz gebrauche); ihr
Längendurchmesser ist in demselben Verhältniss verkleinert, als
ihr Breitendurchmesser zunimmt. Am kleinsten ist der Längen-
durchmesser in jenen äussersten Graden der Contraction der Zell-
platten, wo der elastische Streifen deutlich quergestreift er-
scheint. Es ist oben schon darauf hingewiesen, dass dieser Um-
stand aus der Ranvier’schen Theorie nicht erklärt werden kann.
Ebenso ist es mit der anderen Thatsache, auf welche ich gleich-
zeitig hinwies, dass nämlich niemals in ein und demselben Präparat
neben einander schmale und breite Platten oder, um in der Ran-
vier’schen Terminologie zu reden, geschlossene und offene Hohl-
cylinder vorkommen. Dies ist sehr wohl zu begreifen, wenn man
bedenkt, dass in ein und demselben Sehnenabschnitt, unter gleichen
Verhältnissen der Spannung und der Quellung der Bündel auch die
im allgemeinen gleichartigen benachbarten elastischen Platten nicht
gut anders wie dieselben Contractionszustände zeigen können, ist
aber nicht gut zu verstehen, wenn man annimmt, dass eine einfache
mechanische Manipulation so unvollkommen wie ein Druck auf das
Deckgläschen mit einem Male sämmtliche Hohleylinder aufklappen soll,
ohne dass ein einziger oder eine einzige solche Cylinderreihe dabei
geschlossen geblieben wäre. Die sehr häufigen Bilder endlich, welche
Ranvier in seiner Fig. 2, b. c. abbildet und als „tubes entr’ouverts
und tubes presque compl&tement ouverts‘ gedeutet wissen will, erklären
sich einfacher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass diese Zellenreihen
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 293
zwischen den Fibrillenbündeln eben in allen möglichen Ebenen liegen
und man ebenso oft erwarten muss, ganze, halbe und viertel Profil-
ansichten dieser Platten, wie Flächenansichten zu erhalten. Es liegt
also auch hiernach kein Grund vor, anzunehmen, dass das oben ge-
schilderte klare und einfache Verhältniss der Zellen zu den Fibrillen-
bündeln der embryonalen Sehne in der erwachsenen irgend eine
wesentliche Aenderung erfahren habe: auch hier noch liegen diese
Zellenreihen der Oberfläche der einzelnen Fibrillenbündel auf.
Ich komme nun zu demjenigen Punkte der Anatomie der
Sehne, dessen Erforschung sowohl wie Darstellung entschieden die
erheblichsten Schwierigkeiten bietet, zu der wichtigen Frage näm-
lich, ob und inwiefern den Fibrillenbündeln der Sehne eine Scheide
zukomme oder nicht. Ich übergehe die Ansichten der einzelnen
Autoren, welche den Bindegewebsbündeln den Besitz elastischer
Scheiden zugesprochen haben (Henle u. a.) und will nur voraus
bemerken, dass es mir ebensowenig wie meinen Vorgängern gelungen
ist, eine Scheide etwa durch Abheben von dem Fibrillenbündel ob-
jeetiv zu demonstriren. Doch giebt es eine grosse Reihe von That-
sachen, die es sehr wahrscheinlich machen, dass den einzelnen Binde-
gewebsbündeln ausser den sie doch nur sehr theilweise bedeckenden
Zellenplattenreihen noch eine besondere Scheide zukommt, welche die
einzelnen Fibrillenbündel umhüllt und gegen einander abgrenzt. Vor
allem sind es die Bilder, die der Sehnenquerschnitt gewährt, welche
in hervorragender Weise für die Existenz derartiger Scheiden spre-
chen. Fig. 21 stellt das genau wiedergegebene Bild dar, welches die
Querschnitte der feinen Sehnen aus dem Schwanz der Nagethiere
darbieten. Das Präparat ist gleichfalls nach der vorzüglichen Methode
Ranvier’s angefertigt worden. Der ganze frische Schwanz wurde
durch 24stündiges Einlegen in eine concentrirte Lösung von Pikrin-
säure seiner Kalksalze beraubt und nun Querschnitte durch die
ganze Dicke desselben geführt, welche darauf in essigsaurer Carmin-
lösung tingirt wurden. Man sieht an derartigen Querschnitten von
dunkeln sternförmigen Punkten, welche sich an den umgeschlagenen
Rändern des Präparats (an den oben als Donders’sche Bänder be-
sprochenen Bildern) als die optischen Querschnitte von 3—4 über-
einanderliegenden Zellenplatten ergeben, schmale, gleichfalls tingirte
Scheidewände ausgehen und eine mehr oder weniger vollständige
Umscheidung und Abgränzung der einzelnen Querschnitte der Binde-
gewebsbündel gegen einander bewerkstelligen. Wie fast alle Autoren,
294 Dr. Franz Boll:
so schreibt auch Ranvier auf Grund dieses Bildes den Bindege-
websbündeln der Sehnen eine Scheide zu oder, wie er sich vielmehr
vorsichtiger und auch strenger logisch ausdrückt, er nimmt eine an-_
ders geartete oberflächliche, dünne Schicht der Bindegewebsbündel
an, der er die Fähigkeit zuschreibt, den Carmin lebhafter aufzu-
nehmen und energischer festzuhalten, wodurch sie sich von der eigent-
lichen Hauptsubstanz der Bindegewebsbündel auszeichne. Da, wo
diese Wände der Bindegewebsbündel auf dem Querschnitt sich zu
sternförmigen Figuren zu verdicken scheinen, nimmt Ranvier viel-
mehr an, dass sie auseinanderweichen, um Platz zu machen für eine
Reihe seiner Hohleylinder, deren a die Centra der sterul-
förmigen Figuren vorstellen.
Während nach der Anschauung Ranvier’s, wenn man die-
selbe so consequent durchdachte, wie er es gethan hat, in der That
keinerlei Beziehungen der Zellplatten zu diesen auf dem Querschnitt
sichtbaren Scheiden denkbar waren, musste ich mir, der ich davon
überzeugt war, dass die Zellplatten den Bindegewebsbündeln auf-
liegen und keineswegs etwa geschlossene Hohleylinder darstellen,
die Frage vorlegen, in welchem Verhältnisse die Zellplatten zu
den Scheiden der Bindegewebsbündel ständen, ob sie histiologisch
mit ihnen zusammenhingen oder ob sie etwas von denselben Getrenntes
darstellten.
Zunächst musste mir auffallen, dass sehr oft, ja bei weitem
in der Mehrzahl der Fälle die einzelnen Zellplatten durchaus nicht
scharf contourirt und sehr häufig, namentlich an einer oder auch
an beiden Seitenflächen ohne Grenze in das nebenliegende Gewebe
überzugehen schienen. Die blassrosa Färbung der Zellplatten nahm
so allmälig zu beiden Seiten des elastischen Streifens ab, dass es in
der That nicht zu bestimmen war, wo die Grenze der Zellplatten
sei. Besonders schwierig erwies sich dieses in jenen Fällen, die ich
oben erwähnt habe, wo Zellplatte und elastischer Streifen so ener-
gisch contrahirt sind, dass eine deutliche, oft sehr regelmässige
(Querrunzelung auftritt: Fig. 19 stellt ein Präparat vor, wo zwei
derartige Zellenplattenreihen eine sehr exquisite Querstreifung zeigen.
Man erkennt in dem Bilde allerdings wohl den Ort der elastischen
Streifen, sucht jedoch vergebens nach einer deutlichen Abgrenzung
der Zellenplatten gegen einander nnd gegen das danebenliegende
Gewebe, in welchem etliche gleichfalls sehr stark geschlängelte
elastische Fasern verlaufen.
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 295
Hierher gehört noch eine andere Beobachtung, die ich gleich-
falls schon oben zusammen mit der vorhergehenden erwähnt habe:
Obwohl zwischen den aneinanderstossenden elastischen Streifen be-
nachbarter Zellen eine wirkliche Continuität sich fast niemals nach-
weisen lässt, so erscheint doch insofern ein ähnliches Verhältniss
zwischen den verschiedenen Streifen hergestellt, als die Richtungen der-
selben meist mit grosser Regelmässigkeit in einer Axe zu liegen und in
ein und derselben gemeinsamen Direktion zu verlaufen scheinen. Ran-
vier hat, was ich bestätigen kann, eine durch Silberimprägnation sich
schwarz färbende Kittsubstanz zwischen den Enden der aneinander-
stossenden Zellenplatten nachgewiesen, welche, wie sich aus dieser
Richtungscontinuität der Streifen ergibt, wohl eine ziemlich feste
Verbindung herstellt.
Alle diese Thatsachen liessen es mir schon als nicht unwahr-
scheinlich vorkommen, dass die Zellenplatten selber Theile der
elastischen Scheide der Bindegewebsbündel seien, dass auch hier in
den Sehnen ein ähnliches, wenigstens ebenso schwierig zu definirendes
Verhältniss zwischen den zelligen Elementen und der Substanz einer
homogenen elastischen Haut, ein ähnlich allmäliges Uebergehen der
einen in die andere vorliege, wie ich es für die Membrana propria
der Drüsen '), Schwalbe?) für die den Perichorioidalraum begrän-
zende elastische Haut nachgewiesen haben, Darstellungen, die bis
jetzt nur Bestätigung ‚ bei Niemanden aber Widerspruch fanden.
Ich würde aber aus den alleinigen Befunden des Untersuchungs-
objects, welches ich dieser Untersuchung zu Grunde gelegt habe,
niemals die Kühnheit gewonnen haben, diese Ansicht auszusprechen,
wenn mir nicht andere reichere Erfahrungen, an anderen Objecten
gesammelt, zur Seite ständen. Untersucht man die Extremitäten-
sehnen erwachsener Säugethiere oder Menschen, so wird man nur
in seltenen Fällen Präparate der Zellenplatten gewinnen, die den
endothelialen Character, den dieselben in den bis jetzt besprochenen
Sehnen aus dem Schwanz des Kaninchens wenigstens annähernd zeigen,
in irgendwie ausgesprochener Weise wiedergeben. Noch viel mehr wie
in den Sehnen des Kaninchens vermisst man bei diesen Objecten die
1) Beiträge zur mikroskopischen Anatomie der acinösen Drüsen. Berlin.
Hirschwald. 1869.
2) Untersuchungen über die Lymphbahnen des Auges und ihre Begren-
zungen. Dieses Archiv VI. 16—18.
296 Dr. Franz Boll:
scharfe Contourirung der Zellen, die, nur in sehr geringem Maasse durch
Carmin gefärbt in die Substanz der Scheide der Bündel überzugehen
scheinen. Hiermit hängt es zusammen, wenn Lessing die Zellen-
platten in vielen Sehnen und bei vielen Thieren gänzlich vermisste;
z. B. in den Extremitätensehnen ganz ausgewachsener Kaninchen
und Hunde finde ich die Zellplatten äusserst dürftig entwickelt, sehr
lang, schmal und dünn; vom Carmin werden sie nur sehr blass ge-
färbt und oft finden sich längere Zwischenräume zwischen den Zell-
platten ein und derselben Reihe, die nur durch eine einfache feine
Linie, den optischen Querschnitt der Scheide des Bindegewebsbündels
eingenommen werden. Diese einfache Linie geht an beiden Enden
continuvirlich in die Substanz der schmalen Platten über, ganz analog,
wie Schwalbe die Zusammensetzung der elastischen Membran des
Perichorioidalraumes schildert, welche an den Stellen, wo die ur-
sprünglichen Zellen lagerten, nur noch eine eben merkliche Ver-
dickung erfährt.
Sehr vielfach kann der Schwund der Zellenplatten in den er-
wachsenen Sehnen so weit gehen, dass dieselben auch im zusammen-
gezogenen Zustande Bilder darbieten, die sich nicht von den Bildern
unterscheiden, welche die Sehnen aus dem Schwanze des Kaninchens
im Zustande äusserster Anspannung darbieten, wie ich ein solches
Bild in Fig. 6 wiedergegeben habe. Zwischen den einzelnen Binde-
gewebsbündeln scheinen alsdann nur elastische Fasern zu verlaufen,
die von Zeit zu Zeit eine deutliche spindelförmige Anschwellung
zeigen, die nur derjenige als den spärlichen Rest einer Zellplatte
erkennen wird, dem eine hinreichend ausgedehnte eigene Erfahrung
in der Unzahl der sich hier darbietenden Formen zu Gebote steht.
Mehr wie irgendwo anders ist diesSystem der geschlossenen elasti-
schen Scheiden um die einzelnen Bindegewebsbündel ausgebildet in
den später verknöchernden Sehnen der unteren Extremität der Vögel.
Hier hat Lieberkühn, indem er durch starke Salpetersäure die
Fibrillen des Bindegewebes zur Auflösung brachte, ein ganz voll-
ständiges elastisches Gerüste, in dessen röhrenförmigen Hohlräumen
die einzelnen Bindegewebsbündel eingelagert waren, darstellen kön-
nen!). Die Darstellung ist bei diesem Object, wie ich bezeugen
kann, leicht, da die elastischen Röhren sehr derb und stark sind.
1) iile.! Taf." RX! Fig, 3%
a
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 297
Aus den Sehnen von Säugethieren habe ich nach dieser Methode
nur undeutlich begrenzte zarte Fetzen darstellen können und neige
mich der Auffassung Henle’s!) zu, wonach sich um die vielfach
anastomosirenden und in der verschiedensten Weise mit einander
verschmolzenen Bindegewebsbündel der Säugethiere weder so starke
noch so regelmässige und völlig geschlossene elastische Scheiden
ausbilden, wie in diesen Sehnen der Vögel der Fall ist, wo pris-
matische und cylindrische Bündel fast ohne Anastomose parallel
neben einander verlaufen.
Ebenso sehr wie die Ausbildung dieser elastischen Platten und
Scheiden unterliegt noch ein anderes Verhältniss der Sehnenstructur
den beträchtlichsten Schwankungen: In jedem Sehnenpräparat, das
mit Essigsäure behandelt ist, sieht man im Innern der Bindegewebs-
bündel feinste elastische Fasern von nahezu gleichem Kaliber ver-
laufen.. Auf Längsansichten der Sehnen und in den Donders’schen
Bändern, die nichts anderes darstellen, wie kurze Längsschnitte,
sieht man deutlich, wie dieselben alle der Längsrichtung der Sehne
parallel und sich selten und dann stets in spitzen Winkeln dichoto-
misch theilend verlaufen. Auch auf Sehnenquerschnitten (Fig. 21)
sind die punktförmigen Durchschnitte dieser Fasern stets sehr deut-
lich wahrzunehmen. Der Reichthum und das Kaliber dieser intra-
fasciculären feinen elastischen Fasern ist, wie ich finde, ebenso wie
die Ausbildung der elastischen Scheiden den mannigfachsten Schwan-
kungen nach Alter und Localität unterworfen. So können in den
Schwanzsehnen des Kaninchens neben Bündeln, die an diesen feinen
elastischen Fasern sehr reich sind, ebenfalls starke Bündel vor-
kommen, die dieselben nur in sehr geringer Anzahl enthalten.
Fast alle neueren Untersucher, Henle und Kölliker an
der Spitze, stimmen darin überein, dass sie diesen zarten elastischen
Fäserchen jede Beziehung zu den zelligen Elementen des Bindege-
webes überhaupt absprechen und sie als ein ganz gleichartiges, stets
für sich bestehendes und mit keinen anderen Elementen Verbindungen
eingehendes Fasersystem auffassen. Nur Virchow ist für die Zu-
sammengehörigkeit dieser Fasern mit Zellen, deren Ausläufer sie
darstellen sollten, eingetreten. Doch sind in seiner Auffassung zwei
Stadien deutlich zu unterscheiden: In seinen ersten Arbeiten, in
denen er den Begriff der spindel- und sternförmigen anastomosirenden
1) Jahresbericht für 1860. S. 27.
298 Dr. Franz Boll:
Bindegewebskörperchen aufstellte!), deutet er die gröberen Punkte,
die auf dem Querschnitt der Bindegewebsbündel auftreten, als
die Querschnitte der anastomosirenden Zellausläufer. In späteren
Publicationen ?) nimmt eran, dass anStellen, wo das fibrilläre Binde-
gewebe grossen Dehnungen ausgesetzt ist (als Beispiel wird aller-
dings nicht die Sehne sondern nur das Unterhautbindegewebe: citirt)
die Bindegewebskörperchen in elastische Massen, ihre Ausläufer in
feinste Fasern umgewandelt werden, wobei er es unentschieden lassen
will, inwiefern die so umgewandelten Zellen und Ausläufer noch als
Wege für die plasmatische Circulation dienen. Eine gleichfalls ge-
sonderte Stellung von der Mehrzahl der Forscher nimmt Ranvier
ein, welcher angiebt, dass die feinen intrafasciculären elastischen
Fasern von den elastischen Wänden der Bindegewebsbündel ihren
Ursprung und Ausgang nehmen.
Meine Untersuchungen haben mich dazu geführt, die Ansicht
Virchow’s in derjenigen Form, welche er selbst ihr in seinen
späteren Publicationen gegeben hat, als die richtige zu adoptiren. Ich
kann allerdings nicht behaupten, dass alle intrafasciculären elasti-
schen Fasern mit den Zellenplatten in Verbindung stehen. Aber sehr
oft habe ich Reihen von Zellenplatten gesehen, wie die Fig. 18 wie-
dergegebene, wo ganz deutlich von dem Leib der Zellenplatten feine
elastische Fasern ausgingen und in das Innere der Bindegewebs-
bündel eindrangen. Bemerkenswerth ist, dass während ganze Reihen
von Zellenplatten hiervon keine Spur zeigen, nicht weit davon andere
Zellenreihen liegen, wo jede einzelne Zellenplatte eine nicht uner-
hebliche Anzahl derartiger Fasern entsendet. Hiermit hängt die
grosse Verschiedenheit des Reichthums der Bindegewebsbündel an
elastischen Fasern, auf die ich oben hingewiesen habe, auf das engste
zusammen.
Ich schliesse hiermit die Darstellung der Thatsachen, die mich
ein langes und mühsames Studium der Anatomie der Sehne kennen ge-
lehrt hat. Es bleibt noch übrig, zu erörtern, wie meine Darstellung
sich verhält zu den Ansichten, welche andere Forscher über dasselbe
1) Ueber die Identität von Knochen-, Knorpel- und Bindegewebs-
Körperchen, sowie über Schleimgewebe. Würzburger Verhandlungen. II.
162. 1851.
2) Cellular-Pathologie. Zweite Auflage 1859. S. 9.
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 299
anatomische Object aufgestellt haben. Ich werde dabei sehr kurz
sein können, da ich mir bewusst bin, jede einzelne Erscheinung
und jedes Bild, welches vom Sehnengewebe beschrieben wird, ge-
sehen und keine einzige der in der Literatur vorkommenden that-
sächlichen Angaben ungeprüft oder unerörtert gelassen zu haben.
Hier handelt es sich also nur noch um eine Kritik der Gesammt-
anschauungen über den Bau der Sehne, welche von den einzelnen
Forschern aufgestellt worden sind.
Die Ansicht, die sich Virchow über den Bau der Sehne ge-
bildet hat, schneidet in das Fleisch fast sämmtlicher oben erörterten
und sichergestellten Thatsachen. Die Bilder und die anatomischen
Thatsachen, auf die er dieselbe stützt, haben sich der oben vorge-
tragenen Ansicht. leicht und bequem gefügt, ergeben sich gewisser-
maassen aus ihr als nothwendige Consequenzen, während es eine
positive Unmöglichkeit ist, eine Menge anderer Thatsachen in seine
Theorie hineinzuzwängen.
Auch der Ansicht Kölliker’s, wie er sie in seinen „Neuen
Untersuchungen über die Entwickelung des Bindegewebes“ formulirt
hat, wonach ‚die Zellen der Sehnen sich seltener durch Fasern, vor
Allem durch zarte blatt- oder bandförmige, oder hautartige Ausläufer
verbinden und so eine eigenthümliche Art von Scheidewänden her-
stellen, welche die Bindegewebsbündel von einander sondern“, kann
ich, namentlich was seine Auffassung der Zellanastomosen anbetrifft,
nur eine beschränkte Geltung zuerkennen.
Dasselbe gilt von der Ansicht Bizzozero’s, welche, soviel
sich aus der kurzen vorläufigen Mittheilung!) entnehmen lässt, in
der Mitte zwischen Kölliker und Virchow zu stehen scheint.
Der Werth der Ansichten von Ranvier ist oben hinreichend
erörtert worden.
Henle gebührt nicht nur das Verdienst, in zähem und hart-
näckigem Kampf?) gegen die Virchow’sche Darstellung jede spä-
tere Kritik derselben im Voraus überflüssig gemacht zu haben: Zu
einer Zeit, wo Schulbegriffe das Herrschende waren, hat er allein
1) Della struttura del tessuto connettivo compatto. Rendiconti del
Reale Istituto Lombardo. Letta nell’ adunanza del 19 agosto 1869.
2) Canstatt’s Jahresbericht für 1851. S. 22. Uanstatt’s Jahresbericht
für 1852. S. 20, für 1853 S. 27. Henle und Meissner, Jahresbericht für
1858, S. 53.
300 Dr. Franz Boll:
die reinen Thatsachen mit unbefangenem Auge gesehen und seine,
durch ein vorgefasstes System unbeeinflusste Darstellung der Structur
der Sehne ist es, die meine Untersuchungen mich als die der Wahr-
heit am meisten entsprechende kennen gelehrt haben.
Erklärung der Abbildungen.
Kap. I.
Die römischen Zahlen zeigen die Nummern der Hartnack’schen Ob-
jective, die arabischen die der Oculare an.
Fig. 1. IX, 2. Ein Sehnenstrang aus dem Centrum tendineum eines Kanin-
chenembryo mit Holzessig behandelt.
Fig. 2, 3. IX, 3. Ebendaher. Zwei Bindegewebsfibrillenbündel mit aufsitzen-
den Zellen.
Fig. 4. VII, 3. Ebendaher. Ein zerzupfter Sehnenstrang mit den theilweise
den Fibrillenbündeln noch aufsitzenden Zellen.
Fig. 5. IX, 3. Ebendaher. Isolirte Zellen.
Fig. 6. VII, 3. Sehnenstreifen aus dem Schwanz eines jungen Kaninchen.
Ganz straff angespannt.
Fig. 7. IX, 2. VII, 3. Etwas weniger straff angespannter Sehnenstreifen.
Ebendaher.
Fig. 8. IX, 2. Ebendaher. Drei Reihen von Zellenplatten.
Fig. 9—18. IX, 3. Verschiedene Formen von Zellplatten-Reihen. Ebendaher.
Fig. 19. VII, 2. Zwei Zellenplattenreihen aus einer hochgradig contrahirten
Sehne. Ebendaher.
Fig. 20. a. b. VII, 3. Zwei Donders’sche Bänder vom Querschnitt eines mit
Pikrinsäure behandelten Kaninchenschwanzes.
Fig. 21. VII, 3. Sehnenquerschnitt. Ebendaher.
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 301
II. Der Knorpel in der Achillessehne des Frosches.
Seitdem Reichert die Lehre von der Continuität des Binde-
gewebes aufstellte!) und noch mehr seit der Umformung, die die-
selbe durch Virchow?) erfuhr, haben sich die Histiologen bemüht,
die Kategorie von Geweben, wo ein Uebergang der ‚Bindegewebs-
körperchen‘“ in Knorpelkörperchen stattfinden sollte, nach Kräften
zu vermehren. Als solche Beispiele gelten vor allem die Bandscheiben
der Wirbelsäule, viele Gelenkbänder, z. B. die Bänder der Rippen-
gelenke, die Sehnenscheiden, die Verbindungen der Muskelsehnen
mit knorpeligen Skelettheilen, die Sesambeine u. s. w. Ueberall
wurden die hier obwaltenden Verhältnisse dahin ausgelegt, dass ein
Uebergang fibrillären Bindegewebes in Knorpel stattfinde, in der
Weise, dass sich zwischen die Fibrillenbündel des Bindegewebes
Knorpelzellen einlagerten.
Unter diesen Beispielen ist besonders ein anatomisches Object
zu nennen, welches stets mit ganz besonderer Vorliebe dazu aus-
erkoren wurde, den Uebergang des fibrillären Bindegewebes in Knorpel
und die Gleichwerthigkeit der Knorpelkörperchen und Bindegewebs-
körperchen zu demonstriren. Es ist dies der Knorpel, der als ein
Sesambein in das Gewebe der Achillessehne des Frosches eingelagert
ist. Wenn auch die über diesen Gegenstand vorliegende Literatur
bereits eine ziemlich ansehnliche ist, so finde ich doch keine einzige
der von den verschiedenen Forschern gegebenen Darstellungen auch
nur einigermassen zutreffend: Alle Forscher setzen mit grosser Un-
befangenheit die grossen klaren Zellen dieses Gewebes den Knorpel-
zellen gleich und bezeichnen sie nur als solche, ohne sich die Frage
vorgelegt zu haben, was denn das Characteristische an der Knorpel-
zelle sei, und weshalb diese Zellen denn absolut Knorpelzellen sein
müssten. Der Theorie zu Liebe hat der erste Forscher, der dieses
Gewebe untersucht hat, Lehmann?), die Zellen Knorpelzellen ge-
1) Bemerkungen zur vergleichenden Naturforschung im Allgemeinen
und vergleichende Beobachtungen über das Bindegewebe und die verwandten
Gebilde. Dorpat 1845.
2) Ueber die Identität von Knochen-, Knorpel- und Bindegewebs-
Körperchen, sowie über Schleimgewebe. Würzburger Verhandlungen II.
S. 162. 1857.
3) Ueber den Knorpel in der Achillessehne des Frosches. Zeitschr. f.
wiss. Zoologie. XIV. 109. Taf. XIV. 1864.
302 Dr. Franz Boll:
nannt, und keiner der späteren Untersucher, nicht Hoyer!), nicht
Gegenbaur?) und nicht Güterbock°) haben diese Bezeichnung
durch eine sachgemässere und weniger präjudicirende ersetzt, wenn
sie auch, um diese Bezeichnung zu retten, zu den künstlichsten
Annahmen ihre Zuflucht haben nehmen müssen.
Die gröbere Configuration dieses Sesamknorpels und sein Ver-
hältniss zu dem rein sehnigen Theil der Achillessehne ist von Leh-
mann so vorzüglich geschildert und abgebildet worden, dass ich
kein Wort mehr darüber zu verlieren brauche. Ich gehe also so-
gleich zur Erläuterung der Fig. 22 über, welche bei mittelstarker
Vergrösserung einen Theil eines Längschnittes der in Osmiumsäure
erhärteten Achillessehne darstellte. Man sieht, wie genau im rechten
Winkel zu der Längsfaserung der Sehne ein System von nicht allzu
dicken, vielfach mit einander verflochtenen Balken fibrillären Binde-
gewebes durch die ganze Dicke der sesambeinartigen Anschwellung
hindurchgeht und wie zahlreiche grosse klare Zellen zwischen die
einzelnen Bindegewebsbündel eingestreut sind. In Fig. 23 habe ich
bei stärkerer Vergrösserung einige Bindegewebsbalken mit den an-
liegenden und dazwischen gestreuten Zellen wiedergegeben.
Die Zellen hängen in einzelnen Reihen zusammen und sitzen
der Oberfläche der Bindegewebsbündel ziemlich fest an. Pinselt man
einen derartigen Schnitt aus, so erhält man häufiger als einzelne
Zellen ganze Zellenreihen aus 3—4 Zellen bestehend, die durch eine
feine Kittsubstanz verklebt zu sein scheinen. Will: man dieselbe,
wie Gegenbaur thut, als Intercellularsubstanz bezeichnen, so will
ich um das Wort hier nicht streiten. Jedenfalls ist diese Zwischen-
substanz, auf welche man ein so hohes Gewicht gelegt hat und die
dazu dienen sollte, die Homologie dieses Gewebes mit dem Knorpel
zu begründen, stets nur eine sehr minimale.
Aber selbst zugegeben, dass eine derartige Zwischensubstanz hier
zwischen den einzelnen Zellen vorhanden sei, so ist das fragliche Ge-
webe darum doch noch kein Knorpel, denn die Zellen dieses Gewe-
bes sind eher alles andere als Knorpelzellen. °
1) Ein Beitrag zur Histiologie bindegewebiger Gebilde. Archiv für
Anatomie und Physiologie. 1865. S. 241.
2) Ueber einige Formelemente des Bindegewebes. Jenaische Zeitschr.
f. Mediein u. Naturwissenschaft. III. S. 307. 1866.
3) Untersuchungen über Sehnenentzündung. Wiener med. Jahrbücher,
red. von 8. Stricker. I. 1871.
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 303
Unter Knorpelzellen, Knorpelkörperchen versteht die Histiolo-
gie kernhaltige Protoplasmamassen von nahezu kugeligen Dimen-
sionen, die in Höhlen einer festeren Intercellularsubstanz eingelagert
sich noch, wie die electrischen Reizversuche von Heidenhain!)
und Rollet?) beweisen, eine energische Vitalität bewahrt haben.
Die Zellen der Achillessehne des Frosches sind deshalb keine
Knorpelkörperchen, weil sie nicht Protoplasmamassen von mehr
oder minder kugeligen Dimensionen, sondern gedehnte kernhaltige
polygonale Platten darstellen, deren Protoplasma bis auf einen
äusserst geringen Rest körniger Substanz, der in der Nähe des
gleichfalls stets eigenthümlich gekerbten und geschrumpften Kernes
lagert, geschwunden und in eine Substanz umgewandelt ist, die mit
der der elastischen Häute und Scheiden eine grosse Aehnlich-
keit zeigt.
Pinselt man einen Schnitt der in Osmiumsäure gehärteten Achilles-
sehne in einem recht grossen Tropfen Glycerin oder einer concen-
trirten wässerigen Lösung essigsauren Kali’s (M. Schultze) recht ener-
gisch aus, so erhält man eine Menge dieser Zellen völlig isolirt in
der Zusatzflüssigkeit herumschwimmen und rotiren und überzeugt
sich auf das Unzweideutigste von der abgeplatteten Form der-
selben. Behandlung mit Zusatzflüssigkeiten, die das körnige Proto-
plasma stets intensiv färben, z. B. Osmiumsäure und essigsaure
Carminlösung, ergab stets nur eine sehr blasse Tinction der, auch
frisch untersucht, nie körnig sondern stets homogen erscheinenden
Zellplatten. Intensiv gefärbt erschien stets nur eine kleine Menge
körniger Substanz, die in der Nähe des Kerns angesammelt liegt.
Der Kern der Zellplatten erscheint auch im frischen Zustande nur
sehr selten voll und bläschenförmig, meist in der Weise geschrumpft,
wie Fig. 23 darstellt.
Das Gewebe der Achillessehne des Frosches ist also kein Knor-
pel, sondern ein Gewebe sui generis, das in der Hauptsache aus
Bündeln fibrillären Bindegewebes besteht, denen reichlich grosse klare
elastische Zellplatten auflagern ; der grosse Reichthum derselben giebt
wahrscheinlich dem Gewebe die eigenthümliche knorpelähnliche Con-
sistenz. Ausser diesen Zellplatten sind andere Zellen in dem Ge-
webe überhaupt nicht vorhanden. Der rein sehnige Theil der Achilles-
1) Studien des physiologischen Instituts zu Breslau. II. S. 1. 1863.
2) Stricker, Lehre von den Geweben 8. 72.
304 Dr. Franz Boll:
sehne zeigt die exquisite Sehnenstructur und die dünnen theilweise
in elastische Scheiden umgewandelten Zellplatten, die ich in dem
ersten Kapitel beschrieben habe. An den Uebergangsstellen des rein
sehnigen in das eben beschriebene Gewebe beobachtet man leicht,
wie beide Arten Zellplatten durchaus homologe Gebilde darstellen.
Der Dickendurchmesser der Zellplatten in dem „knorpeligen Theil“
ist grösser wie der des rein sehnigen Abschnittes.
Man hat das Gewebe der Achillessehne des Frosches gleich-
sam als das Paradigma hingestellt, an dem die Einlagerung
von Knorpelzellen in das fibrilläre Bindegewebe besonders exquisit
und leicht zur Anschauung zu bringen sei. Gerade an diesem Ge-
webe habe ich nachgewiesen, dass von einer Einlagerung von Knor-
pelzellen nicht die Rede sein kann. Auch einen grossen Theil der
oben erwähnten Gewebe, wo ganz ähnliche Verhältnisse vorliegen
sollten, habe ich, das eine flüchtiger, das andere genauer, untersucht
und die Ueberzeugung geschöpft, dass man in der Mehrzahl der
Fälle grosse klare elastische Platten als Knorpelzellen angesehen und
sich durch dieselbe flüchtige Aehnlichkeit, die ich oben kritisirt habe,
hat täuschen lassen. Aehnliche Erfahrungen wie ich hat Gegen-
baur schon an den Intercarpalligamenten des Salamanders gemacht.
Erklärung der Abbildungen.
Kap. 1.
Fig. 22. VII, 2. Längendurchschnitt durch die in Osmiumsäure erhärteten
Achillessehne des Frosches.
Fig. 23. IX, 3. Bindegewebsbündel mit aufliegenden elastischen Zellplatten.
Ebendaher.
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 305
III. Die Bündel fibrillären Bindegewebes und ihre Scheiden.
Das mikroskopische Bild, dessen histiologische Deutung ich in
diesem Capitel zu geben versuchen werde, ist eines der ältesten und
bekanntesten unserer Wissenschaft. Erschöpfend beschrieben und
vorzüglich abgebildet schon in den allerersten Zeiten einer wissen-
schaftlichen Histiologie, hat dasselbe bis auf die neueste Zeit nicht
aufgehört, die verschiedenartigsten Controversen hervorzurufen und
in Bezug auf seine Deutung die verschiedensten Wandelungen durch-
zumachen.
In Fig. 7 von Taf. II seiner „Allgemeinen Anatomie 1841“
bildet Henle ein mit Essigsäure behandeltes;;Bindegewebsbündel
von der Gehirnbasis ab und beschreibt auf Seite 351 desselben Wer-
kes sehr genau die eigenthümlichen Formveränderungen, Quellungen
und Einschnürungen, die die Bindegewebsbündel bei Essigsäurezu-
satz zeigen. Er führt diese Erscheinung darauf zurück, dass die
aus in Essigsäure aufquellenden Fasern zusammengesetzten Fibrillen-
bündel des Bindegewebes spiralig umwickelt seien von Fasern, die
in Essigsäure sich nicht verändern und die er daher mit den elasti-
schen Fasern identificirt. Diese Fasern, für die er in früheren Mit-
theilungen !) die nichts präjudicirende Bezeichnung der ‚‚Spiralfasern“
gebraucht hatte, bezeichnet er in der „Allgemeinen Anatomie‘ als
„spiralige Kernfasern‘‘ und endlich als „Kernfasern‘“, eine von Ger-
ber?) zuerst geschaffene Bezeichnung adoptirend. Gerber ist der
erste, welcher die Idee ausgesprochen hat, dass durch Auswachsen
von Kernen Fasern hervorgehen können. Dieser von Gerber nur
flüchtig angedeutete Gedanke findet sich bei Henle?°) weiter aus-
gesponnen und zu einem förmlichen System entwickelt, welches in
der Histiologie der vierziger und auch noch der fünfziger Jahre eine
grosse Rolle zu spielen berufen war. Es genügt hier hervorzu-
heben, dass Henle für seine Kernfasern (im Wesentlichen dasselbe,
was wir jetzt elastische Fasern nennen) eine Entstehung aus der
Verschmelzung mehrerer verlängerter Kerne behauptete, und dass
er allenthalben ein bestimmtes Verhältniss der Kernfasern zu den
1) Froriep’s Neue Notizen. Nro. 294 S. 120.
2) Handbuch der Allgemeinen Anatomie 1840. S. 70.
3) Allgemeine Anatomie S. 194—202.
306 Dr. Franz Boll:
von ihm sogenannten „Zellenfasern“, wozu er vor allen die Binde-
sewebsfasern und Faserbündel rechnete, annahm, der Art, dass
einem jeden Fibrillenbündel eine Kernfaser zugehöre. Als eine ganz
besondere und aus einer eigenthümlich modifieirten Entwickelungs-
weise hervorgegangene Form dieser Kernfasern sieht Henle die von
ihm entdeckten, die losen Bindegewebsbündel an den verschiedensten
Orten des menschlichen Körpers, besonders deutlich aber an der Ge-
hirnbasis spiralig umspinnenden Fasern an.
Ich verzichte darauf, den Gang der für die jetzige Generation
schwerverständlichen Controverse zu skizziren, die sich an diese
Henle’sche Theorie anknüpfte und welche die histiologische Litera-
tur der nächsten zehn Jahre in so hohem Maasse beschäftigte.
Reichert, Kölliker, Virchow und Donders waren es vor
allen, die sich an derselben betheiligten, bis im Jahre 1851 beson-
ders auf die Angriffe der beiden letzteren hin die Kernfasertheorie,
von Henle selber aufgegeben '), aus der Wissenschaft verschwand.
Nur ein besonderer Fall dieser langwierigen Controverse gehört
nothwendig und unmittelbar zu unserem Thema, die Frage nämlich,
ob die Einschnürungen, die auf Essigsäurezusatz an den Bündeln des
Bindegewebes hervortreten und denselben eben jene eigenthümliche
Gestalt verleihen, in der That von umspinnenden Fasern herrühren,
wie Henle zuerst behauptet hatte, oder, wenn dies nicht der Fall
ist, welche Verhältnisse dann diese eigenthümliche Formveränderung
begründen.
Heinrich Müller?) war der erste, welcher, nachdem bis
dahin die Ansicht Henle’s von dem Zustandekommen dieser Ein-
schnürung allgemein und anstandslos adoptirt worden war, auf die
Möglichkeit einer anderen Deutung aufmerksam machte. Die Binde-
gewebsbündel des Chorion’s menschlicher Embryonen gewährten ihm
Bilder, welche ihn die Anwesenheit structurloser Scheiden um die
Bindegewebsbündel als die diese Einschnürungen bedingende Ursache
erkennen liessen. Doch geht H. Müller nicht so weit, die Existenz
DER u) Canstatt’s Jahresber. f. 1851. S. 22.
2) Abhandlung über den Bau der Molen. Würzburg. Stahel 1847. S. 62.
Anmerkung: „Ueberhaupt zeigen diese Einschnürungen hinsichtlich des be-
dingenden Moments vielfache Uebergänge von jenen wahren Fasern zu struc-
turlosen Scheiden.‘‘ Die Stelle ist in sofern beachtenswerth, als hier zum
ersten Male überhaupt auf die Existenz von Scheiden um die Bindegewebs-
bündel, die bis dahin weder von Henle noch von sonst Jemand gesehen
worden waren, aufmerksam gemacht wird.
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 307
der umspinnenden Spiralfasern Henle’s überhaupt zu leugnen, son-
dern scheint sich vielmehr der Ansicht zuzuneigen, dass beide Bil-
dungen neben einander und in einander übergehen! vorkommen
können. Eine Bemerkung Henle’s!) bei Gelegenheit der Be-
sprechung von Müller’s Arbeit zeigt übrigens, dass ihm selber schon
Zweifel an der Richtigkeit seiner Theorie aufgestossen waren. Ei-
nige Jahre später?) führt er in der That ausdrücklich die Ein-
schnürungen der Bindegewebsbündel nicht mehr auf fortlaufende
elastische Spiralfasern, sondern auf elastische Fasernetze zurück, die
durch das in der Essigsäure aufquellende Bündel zu einzelnen reifen-
artigen Massen zusammengeschoben werden sollen.
Im Uebrigen blieb trotz der Bemerkung H. Müller’s und der
halben, unvollständigen und dabei etwas unklaren Modification, die
Henle selber seiner ursprünglichen Lehre hatte angedeihen lassen,
die erste Ansicht Henle’s noch längere Zeit fast unbestritten in
Geltung, wie die Lehrbücher der damaligen Zeit (Sharpey, Kölli-
ker, Gerlach) und die Erwähnungen vieler anderen Autoren, von
denen ich nur Leydig?) hervorheben will, beweisen.
Der erste, welcher die Existenz der umspinnenden Fasern
Henle’s gänzlich leugnete und die bei Essigsäurezusatz entstehen-
den Einschnürungen überhaupt auf andere Momente zurückzuführen
suchte, war Luschka®). Hier findet sich unter anderem zuerst
die Ansicht ausgesprochen, dass die für gewöhnlich die Bindege-
websbündel umhüllende elastische structurlose Scheide bei dem durch
Essigsäure bedingten Aufquellen der Bündel an verschiedenen Stellen
in ihrer ganzen Circumferenz zerreisse und dass die so entstande-
nen Fragmente zu einzelnen Ringen zusamnmenschnurrend die Ein-
schnürungen bedingten. Um so wunderbarer erscheint es, dass nur
wenige Jahre später derselbe Forscher ’) bei der Beschreibung der
den Arachnoidalraum durchziehenden Bindegewebsbündel wieder
ganz die alte Henle’sche Ansicht adoptirt.
Ein consequenterer Gegner der umspinnenden Fasern erstand
1) Canstatt’s Jahresber. f. 1847. S. 46.
2) Canstatt’s Jahresber. f. 1851. S. 25.
3) Ueber die Haut einiger Süsswasserfische. Zeitschr. f. wiss. Zoologie.
II, 4 und: Untersuchungen über Fische und Reptilien 1853. S. 34.
4) Der Nervus phrenieus des Menschen. Tübingen 1853. S. 64.
5) Die Adergeflechte des menschlichen Gehirns. Berlin 1855. 5 58.
M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie- Bd. 7. Pal
308 Dr. Franz Boll:
in Reichert. Schon in dem Jahresbericht für 1847!) und für
1851?) hatte er leise Zweifel gegen die Existenz der Henle’schen
Spiralfasern geäussert. In dem Jahresbericht für 1852 ?) verspricht
er Untersuchungen Aubert’s, welche die Nichtexistenz der Spiral-
fasern beweisen sollen. Meines Wissens sind diese Untersuchungen
niemals erschienen ; dagegen entwickelt eine im Jahr 1554 erschie-
nene unter Reichert’s Leitung gearbeitete Doctordissertation
Taube’s*) die Anschaung, dass der Anschein einer spiraligen Um-
wickelung auf Einschnürungen beruhe, die durch eine Scheide der
Bündel erzeugt werden. Am eingehendsten findet sich diese Ansicht
entwickelt in einer gleichfalls unter Reichert’s Auspicien entstan-
denen Arbeit von Klopsch?°), welcher um die Bindegewebsbündel
eine homogene structurlose ‚„leucinhaltige‘“ Gränzschichte annimmt,
deren Einreissen und anderweitige Veränderungen bei Essigsäure-
zusatz das Zustandekommen der bekannten Bilder bedingen. Diese
structurlose Scheide der Bindegewebsbündel wurde von Leydig‘)
und Bandlin’) bedingungslos adoptirt.
Rollet war es vorbehalten, dieser Frage eine neue und ent-
scheidende Wendung zu geben. In seinen Untersuchungen über die
Structur des Bindegewebes®) beschreibt er ein weitmaschiges Balken-
netz, ähnlich dem Reticulum der Lymphdrüsen, welches in der Haut
des Ochsen die einzelnen Bündel des fibrillären Bindegewebes um-
spinnt und welches als die Urache der bei Essigsäurezusatz auf-
tretenden so sehr eigenthümlichen Formveränderungen anzusehen ist.
Zu nur theilweise ähnlichen Resultaten war Kölliker gelangt, der
in einer fast gleichzeitig erschienenen Arbeit?) eine vermittelnde Stel-
lung einzunehmen und sowohl der Reichert’schen strukturlosen
1) Müller’s Archiv 1848. S. 48.
2) Müller’s Archiv 1852. S. 96.
3) Müller’s Archiv 1853. S. 43.
4) De membranis serosis in cavis magnis corporis humani obviis.
Dorp. 1854; mir nur aus Canstatt’s Jahresbericht für 1855 S. 33 bekannt.
5) Ueber die umspinnenden Spiralfasern der Bindegewebsstränge. Mül-
ler’s Archiv 1857. S. 417.
6) Histiologie 1857. S. 31.
7) Zur Kenntniss der umspinnenden Spiralfasern des Bindegewebes.
Inaugur. Diss. Zürich 1858.
8) Wiener acad. Sitzungsber. 1858. Bd. XXX.
9) Beiträge zur vergleichenden Anatomie und Histiologie. Zeitschr. f.
wiss. Zoologie IX. 140. Vergl. Gewebelehre. Dritte Auflage 1859. S. 71.
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 309
Scheide als auch den Henle’schen Spiralfasern ihre Existenzberech-
tigung zu vindieiren sucht. Es findet sich hier eine Angabe, welche
die gleichzeitige Beschreibung Rollet’s wesentlich erweitert, näm-
lich, dass an den Bündeln der Pia mater des Foetus und des Neu-
geborenen ein noch deutlich kernhaltiges Zellenreticulum vorhanden
ist, während die von Rollet beim erwachsenen Thier beschriebene
umspinnende Formation keine Andeutung von Kernen mehr zeigt.
Aehnlich wie Kölliker suchte jetzt auch Henle!) zu ver-
mitteln. Auch er erkennt jetzt eine structurlose Scheide der Binde-
gewebsbündel an, hält jedoch daneben noch an der Existenz gesonder-
ter spiraliger oder meist ringförmiger Fasern, die die Bindegewebs-
bündel umgeben, fest. Noch ein Jahr später ?) findet sich auch schon
vermuthungsweise die Ansicht ausgesprochen, dass die allmälig in
die strukturlose Hülle übergehenden Ring- und Spiralfasern vielleicht
nur partielle Verdichtungen derselben darstellen.
Auch diese letzten Untersuchungen Henle’s sind wie über-
haupt die fast aller anderen Forscher an den Bindegewebsbündeln der
Arachnoides angestellt, welche auch nach meinen vielfachen Unter-
suchungen sich in der That als das beste und verdientermaassen
classische Untersuchungsobject herausgestellt haben. Im Gegensatze
hierzu beziehen sich die neuesten Angaben über die Scheiden der
Bindegewebsbündel, die ich in der Literatur verzeichnet finde, alle
auf andre Objeete und Localitäten, die der Anatomie des Auges an-
gehören.
Leber) behandelt die schon von Donders*) beschriebenen
Balken lockeren Bindegewebes, die sich in dem von letzterem ent-
deckten Zwischenraum zwischen innerer und äusserer Sehnervenscheide
ausspannen. Auch er nimmt einen Uebergang zwischen den elasti-
schen Fasern und den Scheiden an. Letztere sind bei ihm auch nicht
mehr so einfach structurlos wie bei den früheren Autoren sondern
kernhaltig. Sehr bemerkenswerth ist ferner seine Angabe, dass nach
1) Jahresbericht für 1857. S. 38.
2) Jahresbericht für 1858. S. 50.
3) Beiträge zur Kenntniss der atrophischen Veränderungen des Seh-
nerven nebst Bemerkungen über die normale Structur des Nerven. Arch. f.
Ophthalmologie XIV. 171. f
4) Ueber die sichtbaren Erscheinungen der Blutbewegung im Auge.
Arch. f. Ophthalmol. I. 83.
310 Dr. Franz Boll:
der inneren Sehnervenscheide zu, wo die Balkennetze beträchtlich
zarter werden, die Scheiden von der Oberfläche der Fibrillenbündel
zu verschwinden und die letzteren einzig und allein von länglichen,
protoplasmatischen Zellen bedeckt zu sein scheinen.
Dieselbe Beobachtung kehrt bei Iwanoff und Rollet!) wie-
der, die von der Oberfläche der Bindegewebsbälkchen, die den Fon-
tana’schen Raum des Ochsen durchziehen, ganz ähnliche Zellen be-
schreiben. Auch wird von denselben die Frage aufgeworfen, ob
diese Zellen nicht etwa weissen Blutkörperchen entsprechen dürften.
Schwalbe endlich behandelt in seinen ‚Untersuchungen über
die Lymphbahnen des Auges und ihre Begränzungen‘ sowohl die
Bindegewebsbündel zwischen den beiden Opticus-Scheiden ?) als auch
die Balken des Fontana’schen Raumes?). Indem er im Allgemei-
nen die Darstellungen von Leber und von Iwanoff und Rollet
bestätigt, versucht er eine Auffassung zu begründen, welche die In-
terstitien zwischen den Bindegewebsbündeln als kleine seröse Höhlen
ansieht und den Scheiden der Bündel selber eine endotheliale Natur
zuschreibt. Auf diesen Punkt werde ich später zurückzukommen
noch Gelegenheit nehmen.
Indem ich nun dazu übergehe, das darzustellen, was meine
eigenen Untersuchungen mich in Bezug auf die vorliegende Frage
gelehrt haben, kann ich nicht umhin, diesen Abschnitt mit einer
„persönlichen Bemerkung‘ zu eröffnen. Es gereicht mir zu einer
ganz besonderen Freude, dass ich diesesmal in der gewiss seltenen
Lage bin, keinem einzigen meiner vielen Vorgänger in dieser Frage
direkt widersprechen zu müssen, obwohl dieselben, wie man eben
gelesen hat, zu den, wie es auf den ersten Blick scheinen möchte,
widersprechendsten Beschreibungen und Deutungen ein und desselben *
Öbjectes gelangt sind. Das Wahre an dieser Sache ist eben das,
dass der Reichthum der hier vorkommenden Formen und Bilder ein
so ausserordentlicher ist, dass in der That ein jeder meiner Vor-
gänger im Rechte ist in Bezug auf das, was er Positives beibringt.
1) Bemerkungen zur Anatomie der Irisanheftung und des Annulus
eiliaris. Arch. f. Ophthalmol. XV. 28.
2) Dieses Archiv VI. S. 51.
3) Dieses Archiv VI. S. 291.
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 311
Im Unrecht ist hier wie überall nur die wissenschaftliche Intoleranz
und Exclusivität, die auf Grund der eigenen einseitigen und spär-
lichen Erfahrungen in kurzsichtiger Anmaassung den Stab bricht
über jede andere Beobachtung. Die Irrthümer, die in dieser Frage
begangen worden sind, liegen nicht in der Beobachtung; jede ein-
zelne derselben ist vielmehr gut und richtig. Sie liegen einzig und
allein in dem unbefugten Generalisiren, welches die einzelne Beob-
achtung immer auf eine ganze Kategorie auszudehnen bestrebt war.
Was die Wahl des Untersuchungsobjects betrifft, so habe ich
die Bindegewebsbündel der verschiedensten Stelle, des Unterhaut-
bindegewebes sowie der oben genannten, der Anatomie des Aug-
apfels angehörigen Localitäten untersucht. Als das beste Unter-
suchungsobject muss ich jedoch, wie oben schon erwähnt, das classi-
sche der Arachnoides cerebri und der von ihr ausgehenden, beson-
ders an der Hirnbasis stark entwickelten das Cavum subarachnoi-
dale durchsetzenden Bindegewebsbalken bezeichnen. Auf diese soll
sich die folgende Darstellung ausdrücklich und allein beziehen.
Die Untersuchungsmethoden bestanden im Wesentlichen darin
frische oder kürzere Zeit mit Müller’scher Flüssigkeit oder den
verwandten Lösungen der Chromsäure und ihrer Salze behandelte
Gewebsstückchen zu tingiren und dann in Glycerin zu untersuchen.
Als Tinctionsflüssigkeiten dienten mir vor allen die essigsaure Car-
minlösung Sch weigger-Seidel’s und die von Ranvier ange-
wandte Combination von Carmin mit Pikrinsäure.. Neben diesen
machte ich vortheilhaften Gebrauch vom Goldchlorid, welches ich
strenge nach der ursprünglichen Vorschrift Cohnheim’s an-
wandte.
Breitet man ein grösseres Stück der Arachnoides eines Ham-
mels, von dessen der Dura mater und dem Arachnoidalsack zuge-
kehrter Oberfläche sich das Endothel mit Leichtigkeit entfernen lässt,
auf dem Objectträger aus, so gelingt es schon bei ganz schwacher
Vergrösserung leicht über die Art und Weise, wie die Bindegewebs-
bündel in dieser Membran angeordnet sind, ins Klare zu kommen,
die Arachnoides stellt keineswegs ein regelloses Gewirre von stär-
keren und schwächeren zu einem Filz verwebten Bindegewebsbün-
deln dar, sondern es ist an ihr eine typische und regelmässige An-
ordnung der Bindegewebsbündel auf das deutlichste zu erkennen.
Es finden sich in der Fläche der Membran bestimmte Centra, von
denen aus nach allen Richtungen sie die dicht an einander gelager-
319 Dr. Franz Boll:
ten Bindegewebsbündel ausstrahlen, wie die Radien eines Kreises.
Nur an den Stellen, wo die Peripherien dieser verschiedenen um
die einzelnen Centra angeordneten Faserbezirke sich berühren, findet
ein mehr regelloses Gewirre und eineVerfilzung der einzelnen Binde-
gewebsbündel statt.
Die Dicke dieser so aus einzelnen Bindegewebsbündeln zusam-
mengesetzten Membran ist je nach den untersuchten Thierspecies
und je nach der Region der Centralorgane, der man das Unter-
suchungsobject entnommen hat, verschieden. Beim Kaninchen be-
trägt sie fast durchweg nur die Dicke eines Bindegewebsbündels
und besteht mithin nur aus einer einfachen Lage derartiger Bündel.
Beim Schaf besteht sie über den grossen Hemisphären gleichfalls
meist nur aus einer einzigen derartigen Schicht. An der Hirnbasis
finden sich jedoch häufig zwei und mehr Bindegewebsschichten, die
einen durchaus verschiedenartigen Faserverlauf zeigen, über einander
angeordnet. . Während die der Dura mater zugekehrte und die eine
Wand des Cavum arachnoidale bildende Fläche dieser Membran glatt
und mit einem regelmässigen Endothel bekleidet ist, findet an der
entgegengesetzten Fläche ein ganz anderes Verhältniss statt. Hier
ist die Gränze dieser Membran absolut nicht mit Sicherheit festzu-
stellen. Allenthalben, an einigen Stellen zahlreicher (besonders an
den Gränzen der oben erwähnten Bezirke), an anderen sparsamer
lösen sich stärkere und schwächere Bindegewebsbündel los von der
Membran und schlagen einen anderen Verlauf und eine Richtung
ein, die mit der Fläche der Membran einen kleineren oder grösseren
Winkel bildet. Diese Bindegewebsbündel durchziehen die einzelnen
Abtheilungen des sogenannten Cavum subarachnoidale und treten
herüber zu der dünnen Schicht fibrillären Bindegewebes, welche die
Oberfläche des Gehirns und Rückenmarks unmittelbar überzieht und
welche die Anatomie von Altersher als Pia mater bezeichnet und
wohl in einen zu scharfen Gegensatz zur Arachnoides gestellt hat.
Diese das Cavum subarachnoidale frei durchsetzenden Binde-
gewebsbündel sind es, die, wie oben schon erwähnt, seit Beginn
einer wissenschaftlichen Histiologie, vornehmlich als Object gedient
haben, um die verschiedensten Ansichten über die Natur der Ver-
änderungen, welche das Bindegewebe bei Zusatz von Essigsäure er-
leidet, zu begründen.
Untersucht man ein grösseres derartiges Bündel im frischen
Zustande in irgend einer indifferenten Flüssigkeit, so sieht man einen
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 313
derben Strang fibrillären, lockigen Bindegewebes von nahezu con-
stanten Breitendimensionen. Ausserordentliche Veränderungen er-
leidet aber dies Bild, wenn man einen Tropfen concentrirter Essig-
säure an den Rand des Deckgläschens bringt. Urplötzlich schwin-
den die Fibrillen und das Bündel stellt jetzt eine homogene glas-
artige Masse dar von äusserst ungleichen Breitendimensionen: an
einzelnen Stellen weit und mächtig hervorgebauscht, an anderen
wieder schmal und wie durch fest herumgelegte glänzende Ringe ein-
geschnürt.
Bringt man frische Bindegewebsbündel in eine nach der Vor-
schrift von Schweigger- Seidel bereitete Carminlösung, die keinen
allzu grossen Ueberschuss freier Essigsäure enthält, so wird man
nach gelungener Tinction oft an einem einzigen Präparate zur Klar-
heit über die hier vorliegenden Verhältnisse gelangen. Ich bemerkte
dass die Abbildungen von Bindegewebsbündeln, Figg. 24—32, alle
gezeichnet sind nach Präparaten, die einem etwa ein Quadratzoll
grossen Stücke Arachnoides mit daranhaftenden zahlreichen sub-
arachnoidalen Bündeln entnommen wurden.
Ist die Tincetion gut gelungen und namentlich der Essigsäure
Gehalt der Carminlösung kein allzu grosser gewesen, was man am
besten daran erkennt, dass an wohlgelungenen Präparaten die Bün-
del noch nicht in eine homogene Masse umgewandelt sind, sondern
noch Andeutungen fibrillärer Streifung zeigen, so gelingt es zunächst
leicht, an fast allen gröberen Bindegewebsbündeln die Existenz einer
von der centralen Masse des Bündels gesonderten Scheide zu de-
monstriren, die allerdings in der Mehrzahl der Fälle dem Bündel un-
mittelbar anliegt, an vielen Stellen jedoch sich abhebt und so einen
Zwichenraum zwischen ihrem Contour und dem des Bündels herstellt.
Untersucht man diese Scheide mit stärkern Vergrösserungen,
so stellt sich heraus, dass dieselbe nur an wenigen Stellen das Prä-
dicat einer structurlosen verdient. Fast allenthalben erscheint die
Scheide bei einer Vergrösserung von etwa 300 nicht mehr homogen
sondern sie zeigt Streifen und Fasersysteme, die meist auf der
Längsrichtung der Bündel senkrecht stehen, an einige Stellen sehr
energisch ausgesprochen sind, an anderen äusserst zart, so dass sie
sich der Beobachtung fast entziehen und sich gänzlich in eine homo-
gene Membran zu verlieren scheinen. Nicht selten sieht man in
der Mitte derartiger ausgesprochener streifiger Züge stärkere Bälk-
chen auftreten, von denen es sich zunächst schwer entscheiden lässt,
314 Dr. Franz Boll:
ob sie in der Substanz der Scheide selber gelegen und Theile der-
selben sind oder ob sie derselben nur aufliegen. Endlich entdeckt
man nicht selten Kerne an den Scheiden, welche die Knotenpunkte
bilden, von denen aus die beschriebenen Fasersysteme und stärkeren
Bälkchen strahlenförmig nach verschiedenen Richtungen divergiren.
Doch ich verzichte darauf, weiter die vielfachen in Worten
schwer deutlich zu machenden Bilder zu erörtern, die sich hier dem
Beobachter darbieten und ziehe es vor unter Verweisung auf die
Figg. 24—29 die Ansicht zu anticipiren, die ich mir über die Natur
der diese Bindegewebsbündel umgebenden Scheide gebildet habe.
Dieselbe stimmt ihrer histiologischen Zusammensetzung nach
völlständig überein mit der Membrana propria der acinösen Drüsen,
wie ich die Structur derselben neuerdings entwickelt habe !). Ebenso
wie die Membrana propria ist die Scheide dieser Bindegewebsbündel
zusammengesetzt aus kernhaltigen sternförmigen Zellen. Die sich
mit einander verbindenden Fortsätze derselben stellen jedoch nicht
eine korbartig durchbrochene Umhüllungshaut des Bindegewebs-
bündels dar, sondern verdickte Streifen und Rippen in einer conti-
nuirlichen Membran, die sich eben aus diesen sternförmigen ana-
stomosirenden Zellen constituirt. Es verhalten sich diese Streifen zu
der Substanz .der Scheide, wie die Rippen zu der Fläche eines
Blattes. Eine scharfe‘Gränze zwischen diesen Rippen, diesen ver-
dickten Streifen und der Grundsubstanz der Haut ist nicht zu ziehen:
beide bilden eine wirkliche histiologische Einheit. Die stärkern
Rippen sind von dem Grundgewebe der Haut nicht zu trennen, son-
dern gehen ganz allmälig und unmerklich in die Grundsubstanz
über, indem dieselbe gewöhnlich zu beiden Seiten neben den Rippen
eine allmälig immer schwächer werdende, den Rippen parallele
Längsstreifung zeigt.
Die Scheide ist also ein Gewebe von ungleicher Stärke und
Resistenzfähigkeit und es erklären sich daraus auf das einfachste
die eigenthümlichen Bilder und Veränderungen der Dimensionen,
welche derartige Bündel, wenn sie in Essigsäure aufquellen, zeigen.
Die Einschnürungen werden nicht bedingt dadurch, dass eine struc-
turlose, homogene Scheide einreisst und in der ganzen Circumferenz
Continuitätstrennungen erleidet, und dass die so entstandenen Bruch-
stücke der Scheide zu Reifen oder Ringen zusammenschnurren,
n) Beiträge zur mikroskopischen Anatomie der acinösen Drüsen. Ber-
lin 1869. S. 14.
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 315
welche an einzelnen Stellen sehr enge Einschnürungen bedingen,
während an anderen die gequollene Masse des Bindegewebsbündels
sich weit hervorbauscht, sondern vielmehr dadurch, dass eine diffe-
renzirte, structurirte, verschieden derb gewebte Scheide nach Maass-
gabe ihrer Resistenzfähigkeit an verschiedenen Stellen ihrem quellen-
den Inhalte auch einen verschiedenen Widerstand entgegensetzt.
Enge Einschnürungen finden sich immer dort, wo derbere Rippen in
der Substanz der Scheide vorhanden waren, deren resistenteres Ge-
füge dem aufquellenden Inhalte des Bündels den hinreichenden
Widerstand entgegensetzen konnte. Wo die Scheide hingegen zarter
gewebt war, musste die dem aufquellenden Inhalte des Bündels
folgen.
In der That: nur unter dieser Voraussetzung einer verschieden
grossen Resistenzfähigkeit der Scheide an verschiedenen Stellen lässt
sich endlose Mannigfaltigkeit der bei Essigsäurezusatz an diesen
Bündeln auftretenden Erscheinungen erklären. Die von Luschka
und Reichert begründete Ansicht, welche die Einschnürungen auf
die Existenz einer strücturlosen Scheide zu begründen sucht, die
einreisst und sich dann zu einzelnen Reifen zusammenschiebt, ge-
nügt nur einen Theil der hier sich darbietenden mannichfaltigen
Bilder zu erklären. Es kommen in der That Bilder vor, zu deren
Erklärung diese Annahme völlig ausreicht und ich will es keines-
wegs für-unmöglich halten, dass an einzelnen Strecken und Stellen
der Bindegewebsbündel, wo die Substanz der Scheide an Zellen ärmer
ist und nur feinstreifig, ja fast structurlos erscheint, die Bilder so
zu Stande kommen. Ich finde dass ebenso wie in Bezug auf die Mem-
brana propria der Drüsen so auch in Bezug auf die Scheide der
Bindegewebsbündel ausserordentlich grosse Schwankungen in Bezug
auf die Derbheit und auf den Zellenreichthum vorkommen. Ebenso
wie die Membrana propria der Kaninchen-Submaxillaris eine äusserst
feine glashelle Haut darstellt, die nur an einzelnen Stellen eine
leichte Streifung und sehr selten die Andeutung einer sternförmigen
Zelle zeigt, die sich vielleicht dem Beobachter gänzlich entziehen
würde, wenn er nicht nach der Analogie z. B. von der Thränendrüse
des Kalbes her wüsste, welches Structurverhältniss er hier zu er-
warten habe, so finden sich auch an den Bindegewebsbündeln der
Basis cerebri, besonders an denen feineren Kalibers grosse Stellen
und ganze längere Strecken, wo der Scheide ausser der Andeutung
einer leichten Streifung kaum irgendwelche Structur abzugewinnen
316 Dr. Franz Boll:
ist und wo die sternförmigen Zellen, aus deren Verschmelzung an
andern Stellen die ganze Substanz der Scheide zusammengesetzt er-
scheint, sehr selten oder fast gar nicht wahrzunehmen sind.
Ebenso wenig wie der Ansicht von Luschka und Reichert,
welche die Einschnürungen aus der Existenz einer structurlosen
Scheide erklären wollen, kann ich auch der Ansicht von Rollet
direkt widersprechen, welche ein ganz entgegengesetztes Prineip zur
Erklärung dieser Erscheinungen heranzieht, zumal da mir über das
Untersuchungsobject, dem er seine Präparate wesentlich entnommen
hat, das subeutane Bindegewebe des Ochsen, nur sehr beschränkte
Erfahrungen zu Gebote stehen. Nach Rollet soll eine structur-
lose Scheide, wie Luschka und Reichert sie annehmen, nicht
existiren und soll ein die Bindegewebsbündel umspinnendes ober-
flächliches Netzwerk von eigenthümlich unregelmässig gerandeten
glatten Balken die Ursache der beim Aufquellen in Essigsäure statt-
findenden Einschnürungen der Bindegewebsbündel sein. Ich halte
auch das Letztere sehr wohl für möglich: Ebensowenig wie bei der
Membrana propria der Drüsen ist es möglich, mit absoluter Sicher-
heit anzugeben, ob die aus der Verschmelzung platter sternförmiger
Zellen entstandenen Membranen wirklich überall continuirlich sind,
oder ob nicht auch der Fall vorkommen kann, dass an einzelnen
Stellen nur die stärkeren Rippen der Zellen nicht aber die da-
zwischen befindliche homogene Membran zur Ausbildung gelangt
ist; dass dieses in der Natur wirklich vorkommt, scheint mir sogar
sehr wahrscheinlich. Auf meinen Präparaten (Fig. 26 und 27) sind
Bilder nicht selten, die für ein wenigstens theilweises Durchbrochen-
sein und Fehlen der Scheide zu sprechen scheinen. Andererseits
dürfte vielleicht der „eigenthümlich unregelmässige Rand“, den
Rollet seinen die Bindegewebsbündel umspinnenden platten Balken
zuschreibt, für die Muthmaassung sprechen, dass an seinen Prä-
paraten stellenweise auch Uebergänge der Balken in strukturlose
Scheiden vorkamen. Doch, wie gesagt, ich verzichte darauf meine
Ansicht gegenüber der von Rollet sowohl wie von Luschka und
Reichert als die alleinseligmachende hinzustellen und möchte sie
nur als das allgemeinere Princeip betrachtet wissen, von dem die Ex-
treme sowohl der Ansicht Rollet’s wie der von Reichert und
Luschka nur besondere Fälle und Unterabtheilungen darstellen.
Rollet gibt an, dass von seinen die Oberfläche der Bindege-
websbündel umspinnenden Balken Fortsätze auch in das Innere des
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 317
Bündels eindringen. Aehnliche Bilder hat auch Klopsch !) gesehen
und abgebildet und nimmt um sie zu erklären seine Zuflucht zu der
etwas complieirten Annahme, dass dort kleinere eingescheidete Binde-
gewebsbündel in grösseren gleichfalls eingescheideten enthalten seien.
Auch mir sind, wenn auch verhältnissmässig recht selten Bilder vor-
gekommen, welche dafür zu sprechen scheinen, dass die Zellen der
Scheide Fortsätze auch in das Innere des Bündels hineinschicken.
Einzelne in der Längsaxe der Bindegewebsbündel verlaufende elasti-
sche Fasern sind ein fast regelmässiges Vorkommniss. Doch scheinen
diese mit der Substanz der Scheide in keinerlei Verbindung zu
stehen. Nicht selten zeigen diese Fasern eine feine kernhaltige An-
schwellung. Sonst sieht man in dem Inneren speciell der feineren
Bündel keine Spur einer Zelle oder eines Zellenrestes ebensowenig
wie in dem Inneren eines der Bindegewebsbündel, die die letzten
Constituenten der Sehne darstellen und denen diese Bündel als ho-
molog anzusehen sind. Die zelligen Elemente der feineren Bün-
del gehören alle der Oberfläche derselben an und auch bei den Bün-
deln stärkern Kaliber’s gehören Zellen und Zellenreste, die im
Innern derselben gelegen sind, jedenfalls nicht zu den häufigen Vor-
kommnissen.
Doch ich kehre zu der Oberfläche dieser Bindegewebsbündel
zurück. Mit dem Structurverhältniss, welches ich oben nachge-
wiesen habe und von welchem die Ansichten Rollet’s und Rei-
chert’s gleichsam nur die beiden Extreme repräsentiren, ist noch
lange nicht Alles erschöpft. Es finden sich Bilder, wo entschieden
eine ganz andere Structur vorliegt, wie die oben geschilderte, wo
eine ziemlich regelmässige mehr oder minder vollständige Lage von
abgeplatteten Zellen die Bindegewebsbündel bekleidet. Aber auch
hier liegt, trotzdem dass es auf den ersten Blick so scheinen möchte,
dennoch kein neues Princip vor, sondern es finden sich auch hier
Uebergänge, die dieses Structurverhältniss mit dem oben geschilder-
ten verknüpfen und es gleichfalls nur als eine besondere Form
desselben erscheinen lassen.
Zum Beweise des Gesagten verweise ich zunächst auf Fig. 30,
wo auf eine kurze Strecke ein und desselben Bindegewebsbündels
zusammengedrängt beide Structuren sich neben einander finden und
in einander übergehen. Man überzeugt sich, dass die abgeplatteten
1) Müller’s Archiv 1858. S. 430. Fig. 6, 7,
318 Dr. Franz Boil:
polygonalen Zellen, die das Bündel unvollständig bekleiden, nicht
etwa als heterogene Elemente auf der structurlosen Scheide auf-
sitzen, sondern dass sie wirklich integrirende Bestandtheile derselben
darstellen und also ganz den sternförmigen Zellen vergleichbar sind.
Manche dieser polygonalen Zellen erscheinen an ihren Ecken sogar
in deutliche Streifen ausgezogen, die in die Substanz der Haut über-
gehen, sodass auch in dieser Beziehung ein Uebergang dieser Zellen
in die exquisit sternförmigen nicht zu verkennen ist.
Das in Fig. 31 abgebildete Bindegewebsbündel zeigt eine sehr
reichliche Bekleidung von diesen abgeplatteten Zellen. Es lässt sich
an derartigen Bildern oft nicht entscheiden, ob diese Zellen unter
sich noch wieder zu einer einheitlichen Haut verschmolzen sind, oder
ob jede dieser Zellen sich ihre Gränzen und ihre Selbstständigkeit
bewahrt hat. In letzterem Falle würde man die Bekleidung des
Bindegewebsbündels unbedenklich ein Endothel nennen können, eine
Bezeichnung auf deren Berechtigung ich noch ausführlicher zurück-
kommen werde. Ob diese Endothelien das Bindegewebsbündel voll-
ständig oder nur unvollständig umhüllen, ob die fibrilläre Substanz
des Bindegewebsbündels niemals ohne Bekleidung bleibt oder ob sie
an einzelnen Stellen auch bloss zu Tage liegt, wird sich in dem
einzelnen Falle nie sicher entscheiden lassen, da ich bemerkt habe,
dass selbst bei der schonendsten Präparation eine Menge abgeplat-
teter Zellen sich von der Oberfläche des Bindegewebsbündels los-
lösen und abfallen. Doch ist es mir im höchsten Grade wahr-
scheinlich, dass die aus diesen abgeplatteten Zellen zusammenge-
setzte Hülle nicht immer eine vollständige ist. Es entspricht dieses
Bild der Schilderung, “die zuerst Leber von dem interstitiellen
Bindegewebe zwischen den beiden Opticus-Scheiden entworfen hat,
und die sich später bei Iwanoff und Rollet sowie beiSchwalbe
wiederfindet.
Noch ein Punkt bleibt zu besprechen, ehe ich diese Monogra-
phie der verschiedenen Formen, welche die die Bindegewebsbündel
bekleidenden zelligen Elemente annehmen können, schliesse. Schon
Iwanoff und Rollet beschreiben kleine grobkörnige protoplasma-
tische Zellen von unregelmässig rundlicher Gestalt, die der äussern
Oberfläche der Bindegewebsbündel anhaften und ankleben, und werfen
die Frage auf, ob diese Zellen nicht etwa farblosen Blutkörperchen
oder Wanderzellen entsprechen dürften. Auch mir sind an der Pia
mater derartige Bindegewebsbündel nicht selten vorgekommen und
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 319
habe ich Fig. 32 zwei derselben abgebildet. Die Zellen gleichen in
der That ganz den Wanderzellen. Doch bleibt zu berücksichtigen,
dass wenn man mehrere derartige Bilder studirt und mit einander
vergleicht. man bald zu der Einsicht gelangt, dass ebenso wie von
den exquisit sternförmigen zu den abgeplatteten polygonalen Zellen,
so von letzteren zu den protoplasmatischen rundlichen Zellen Ueber-
gänge vorkommen, sodass man in der That nicht weiss, ob man die
Zellen des einen Bündels als fixirte Endothelzellen oder die des da-
neben liegenden als demselben nur temporär anhaftende Wander-
zellen ansehen soll. Ja, neben einanderliegende Zellen ein und des-
selben Bündels setzen den Beobachter oft in eine gleiche Verlegen-
heit. Die Sache liegt so, dass meiner Meinung nach an conservirten
Präparaten die Frage: ob Wanderzelle, ob fixe Endothelzelle über-
haupt nicht discutirbar ist.
Ich habe daher zur Untersuchung des lebenden Gewebes auf
dem heizbaren Objecttisch meine Zuflucht genommen. Die Unter-
suchung laborirte an grossen Schwierigkeiten. Ich musste oft eine
halbe Stunde nach dem Herauspräpariren der Pia eines frisch ge-
tödteten Thieres herumsuchen, ehe ich die günstigen Stellen zur
Beobachtung fand, wo die Bindegewebsbündel mit Zellen bekleidet
waren von einem derartigen Habitus, dass man von ihnen amöboide
Bewegungen erwarten zu können glauben durfte. Dann waren aber
amöboide Bewegungen niemals mehr zu constatiren. Die Frage
bleibt also vorderhand noch eine offene, da ich ein unter derarti-
gen Umständen erhaltenes negatives Ergebniss keineswegs als gegen
die amöboide Natur der fraglichen Zellen beweisend ansehen kann.
Hier an dem Schlusse des dritten Capitels meiner Unter-
suchungen, in denen ich bis jetzt mich nur mit der Structur der
verschiedenen Formen des erwachsenen Bindegewebes beschäftigt
habe, und ehe ich dazu übergehe, die Vorgänge bei der Bindege-
websentwickelung zu skizziren, halte ich es für angemessen, zu
untersuchen, welche allgemeinen characteristischen Züge der verschie-
denen bisher betrachteten Formen des Bindegewebes gemeinsam
sind, d. h. vergleichend histiologisch gesprochen, welche Homologieen
unter denselben vorkommen.
Strenge genommen sollte ich mich bei dieser Auseinander-
setzung einzig und allein beschränken auf die drei Gewebsformen,
320 Dr. Franz Boll:
die ich in den vorliegenden Untersuchungen monographisch behan-
delt habe. Anfänglich war dies auch meine Absicht. Es ist stets
nur zum Unheil unserer Wissenschaft gewesen, wenn ein. Forscher
allgemeine Schlüsse zu ziehen versucht hat unter Benutzung von
Thatsachen, die er nicht selber, sondern die ein anderer constatirt
hat. Dennoch habe ich mich entschlossen, den Kreis von Gewebs-
formen, deren Homologieen ich untersuchen wollte, etwas weiter
abzustecken, als derselbe durch die vorliegenden Monographieen ab-
gegränzt war. Selbstverständlich habe ich es verschmäht über Ge-
webe zu raisonniren, deren Morphologie ich nicht auf Grund eigener
Untersuchungen absolut beherrscht hätte. Ich habe nur solche Ge-
webe berücksichtigen zu dürfen geglaubt, über die in der neueren
Literatur Untersuchungen vorlagen, deren Resultate ich auf Grund
sorgfältiger Nachuntersuchungen bestätigen und zu meinen eigenen
anatomischen Erfahrungen und zu meinem eigenen geistigen Eigen-
thum machen gekonnt hatte.
Die Gewebe der Bindesubstanz, die ich bei dieser Auseinander-
setzung berücksichtigen werde, sind also folgende:
1) Das Gewebe der Sehne.
2) Des Knorpels in der Achillessehne des Frosches.
3) Die isolirt verlaufenden Bündel fibrillären Bindegewebes,
wie sie im Cavum subarachnoidale und an andern Localitäten vor-
kommen.
4) Die Membrana propria der acinösen Drüsen, deren Struc-
tur ich bereits früher ausführlich behandelt habe !).
5) Das eigenthümliche Gewebe, welches Schwalbe?) aus der
Gegend des Cornealfalzes als „endotheliale Auskleidung des Canalis
Schlemmii‘ beschrieben und abgebildet hat. Die interessante Ueber-
einstimmung, welche die Aufschlüsse Schwalbe’s mit der von mir
gewonnenen Anschauung über die Structur der acinösen Drüsen dar-
boten, war für mich die Veranlassung zu einer sehr eingehenden
Nachuntersuchung, die die Angabe Schwalbe’s über die Structur
dieses Gewebes durchaus nur bestätigen konnte. Ob hingegen
Schwalbe wirklich Recht hat, dies Gewebe als die Innenwand des
Schlemm’schen Canales in Anspruch zu nehmen ist eine andere
1) Beiträge zur mikroskopischen Anatomie der acinösen Drüsen. Ber-
lin 1869.
2) Untersuchungen über die Lymphbahnen des Auges und ihre Be-
gränzungen. Il.; dieses Archiv VI, S. 305. Taf. XVII. Figg. 30—32.
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 321
Frage, die ich nicht so unbedingt bejahen möchte, an der mir viel-
mehr erhebliche Zweifel aufgestossen sind. Da eine derartige Er-
örterung doch zu weit von dem eigentlichen Thema dieser Unter-
suchung abführen würde, so verzichte ich an dieser Stelle auf die-
selbe und will hier nur bemerken, dass wenn ich kurzweg dieses
Gewebe als das ‚‚Gewebe des Canalis Schlemmii“ bezeichne, dieser
Name vorderhand nichts präjudiciren soll.
6) Die gewöhnlich Capillargefässe enthaltenden Bindegewebs-
züge, welche die von Ludwig und Tomsa') entdeckten Lymph-
räume zwischen den Samenkanälchen durchziehen. Schon an einer
anderen Stelle?) hatte ich der Anatomie derselben einige Auf-
merksamkeit gewidmet. Später fand ich, dass dieselben bereits
schon Leydig°), Kölliker*) und Henle?°) bekannt gewesen
waren. Ich untersuchte dieselben darauf genauer und war es
- meine Absicht, im Anschluss an das vorliegende Capitel meiner
Untersuchungen eine ausführliche Beschreibung dieses Gewebes zu
geben. Dieser Aufgabe fühle ich mich jetzt enthoben durch die er-
schöpfenden Mittheilungen, welche die schönen Untersuchungen
v. Ebner’s®) über diesen Gegenstand enthalten, auf die ich hiermit
verweise”).
1) Die Lymphwege des Hodens und ihr Verhältniss zu den Blut- und
Samengefässen. Wiener acad. Sitzungsber. Math. Naturw. Cl. XLVI. 221.
24, April 1862.
2) Beiträge zur mikroskopischen Anatomie der acinösen Drüsen. Ber-
lin 1869. S. 19.
3) Histiologie S. 495.
4) Handbuch der Gewebelehre 1867. S. 524.
5) Anatomie II. S. 358.
6) Untersuchungen über den Bau der Samenkanälchen und die Ent-
wickelung der Spermatozoiden bei den Säugethieren und beim Menschen.
Rollet’s Untersuchungen aus dem Institute für Physiologie und Histiologie
in Graz. Zweites Heft. 1871.
7) Indem ich die Reihe der bei dieser Untersuchung von mir zu be-
rücksichtigenden Gewebe, so willkürlich auf die sechs oben erwähnten be-
schränke, muss ich mich entschuldigen, dass ich nicht wenigstens noch drei
Gewebe, über welche neuere in dem oben angedeuteten Sinne geführte Unter-
suchungen vorliegen, in den Kreis meiner Betrachtungen gezogen habe. Das
erste derartige Gewebe ist das Endothel der serösen Häute, über welches Rind-
fleisch und Münch (Rindfleisch, Lehrbuch der pathologischen Gewebe-
lehre $. 202) neuerdings so interessante Aufschlüsse beigebracht haben. Mir
standen über diesen Gegenstand nicht ausreichende Erfahrungen zu Gebote.
3232 Dr. Franz Boll:
Aus dem Studium dieser Formen des Bindegewebes lassen sich
folgende allgemeine Grundsätze über die Structur des erwachsenen
Bindegewebes ableiten :
1) Die Form der Zellen des Bindegewebes ist eine sehr ver-
schiedene. Neben den rundlichen Zellen wie diejenigen, welche die
Bindegewebszüge der Lymphräume des Hodens zusammensetzen und
die ich in ähnlicher Weise auch von der Oberfläche gewisser Bindege-
websbündel beschrieben habe, finden sich vorzugsweise jedoch Zellen
deren Dimensionen vorwiegend nach einer Richtung hin entwickelt
sind und deren Formen im wesentlichen einer sehr flach ausgezoge-
nen Platte entsprechen; die Grösse dieser Zellen ist mitunter eine
sehr beträchtliche.
2) Ebenso und parallel mit der Form schwankt der Proto-
plasmagehalt der Zelle. Während die rundlichen Zellformen ein
deutliches körniges Protoplasma zeigen, ist dasselbe bei den mehr
abgeplatteten Formen fast völlig verchwunden und an die Stelle
desselben eine klare elastische Platte getreten. Körniges Proto-
plasma befindet sich noch in ziemlicher Menge in den abgeplatteten
Zellen, welche ich als Bekleidung der Bindegewebsbündel von der
Basis cerebri beschrieben habe. In sehr geringer Menge ist dasselbe
Der zweite Fall betrifft das subeutane Bindegewebe. Ich bin in der Lage
die Angaben von Ranvier (Archives de Physiologie normale et pathologique.
II. 1869. S. 483), die Flemming (dieses Archiv VII. S. 38) im Wesentlichen
bestätigt hat, gleichfalls bestätigen, jedoch dabei nicht unbeträchtlich er-
weitern zu können, indem es mir gelungen ist, die mit Spiralfasern umwun-
denen Bindegewebsbündel, die beiRanvier (man vergleiche nur seine Figur 7)
noch als selbstständige Gebilde unvermittelt mit den übrigen Structurverhält-
nissen des Bindegewebes dastehen. auf einen besonderen Fall des grossen
Prineip’s zurückzuführen, welches Ranvier als das Fundamentalprinceip der
Structur des Bindegewebes überhaupt erkannt und hingestellt hat. Aeussere
Gründe veranlassen mich, diese Auseinandersetzung, deren Begründung mir
erst während des verflossenen Winters völlig gelungen ist, hier bereits in
voller Ausführlichkeit zu geben und halte ich es daher nur für correct, dieses
Gewebe vorderhand noch unberücksichtigt zu lassen. Das dritte Gewebe end-
lich, dessen Behandlung man an dieser Stelle vermissen dürfte, ist die Cornea.
Seit längerer Zeit bin ich mit Untersuchungen über dieselbe beschäftigt, die
vermuthlich jedoch noch längere Zeit bis zum völligen Abschlusse brauchen
werden. Ich halte es für das Beste, mein allerdings bereits feststehendes Ur-
theil in dieser jetzt so acuten Controverse (Schweigger-Seidel, Leipziger
physiol. Arbeiten 1870. Rollet, Centralbl. f. d. medizin. Wiss. 1871. S. 193)
noch zu suspendiren.
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 328
nur noch vorhanden in den Zellen des sogenannten Knorpels der
Achillessehne des Frosches. Gänzlich oder fast gänzlich ist es ver-
schwunden in den elastischen Platten der Sehnen, der Membrana
propria der Drüsen, des Gewebes des Canalis Schlemmii und der
Mehrzahl der Bindegewebsbündel der Basis cerebri.
3) Gleichfalls in demselben Maasse wie die Form der Binde-
gewebszellen einer Platte ähnlich wird und das Protoplasma der
Zelle schwindet, verliert sich auch die individuelle Selbstständigkeit
der Zelle und ihre Gränzen werden unsichtbar. Während die rund-
lichen Zellen der Bindegewebsstränge des Hodens und der Bindege-
websbündel der Pia mater durchaus selbstständige Zellindividuen
sind, und auch die protoplasmatischen abgeplatteten Zellen der Bin-
degewebsbündel sowie die Zellen aus der Achillessehne noch eine
deutliche Abgränzung gegen einander zeigen, sind wirkliche Zellen-
gränzen in denjenigen Geweben, wo die Umwandlung der ursprüng-
lich protoplasmatischen Zellen in elastische Platten noch weiter
vorgeschritten ist, kaum noch oder schon gar nicht mehr nachzu-
weisen. So kommt es in der Sehne, in der Membrana propria, in
der Scheide der Bindegewebsbündel, in dem Gewebe des Canalis
Schlemmii zur Bildung ausgedehnter Membranen und Häuten, deren
Zusammensetzung aus Zellen man theils entwickelungsgeschichtlich,
theils aus der Analogie sehr wohl erschliessen kann, die es aber im
gegebenen Falle häufig eine Unmöglichkeit ist, in die einzelnen Zellen-
territorien zu zerlegen, aus deren Verschmelzung die ganze Haut ur-
sprünglich hervorgegangen ist.
4) Eine besondere Eigenthümlichkeit bieten diese so entstan-
dene Membranen darin, dass in der homogenen Grundhaut mehr
oder weniger strenge von der Substanz geschiedene stärkere Streifen
oder Rippen auftreten. Derartige als homolog anzusehende Bildungen
sind: die von mir sogenannten elastischen Streifen in den Zellplatten
der Sehnen, die Rippen der Membrana propria und des Endo-
thels des Canalis Schlemmii sowie die verdickten Streifen in der
Scheide der Bindegewebsbündel. Höchstwahrscheinlich hängen mit
diesen elastischen Zellplatten auch stets die im Innern der Bindege-
websbündel verlaufenden feinen elastischen Fasern zusammen in der
Weise, wie mir es für die feinen elastischen Fasern der Sehnen-
bündel (allerdings nicht für die Bündel des lockeren Bindegewebes)
nachzuweisen gelungen ist.
5) In der Mehrzahl der Fälle liegen diese Zellen, die daraus
M. Schultze, Archiv f, mikrosk, Anatomie. Bd. 7. 29
324 Dr. Franz Boll:
hervorgegangenen elastischen Platten und die aus der Verschmelzung
der letzteren entstandenen elastischen Membranen den Bündeln
fibrillären Bindegewebes oberflächlich auf (in den Sehnen, in den
lockern Bindegewebsbündeln und in dem sogenannten knorpeligen
Theil der Achillessehne des Frosches), mit denen sie stets mehr oder
weniger innig verkleben. Doch ist die Existenz der Zellen und der
aus der Verschmelzung derselben hervorgegangenen Häute nicht
immer an die gleichzeitige Anwesenheit fibrillären Bindegewebes ge-
bunden, sondern dieselben kommen auch isolirt und ohne nachweis-
baren direkten Zusammenhang mit Bündeln fibrillären Bindegewebes
zur Beobachtung. Dies ist der Fall mit dem Endothel des Canalis
Schlemmii, dem interstitiellen Gewebe des Hodens!) und der Mem-
brana propria der Drüsen’).
Ich schliesse diesen Abschnitt meiner Untersuchungen mit eini-
gen historischen Bemerkungen.
Es hat sich herausgestellt, dass ein unmerklicher Uebergang
stattfindet bei den verschiedenen Formen des Bindegewebes von der
Bekleidung der Bindegewebsbündel durch einen continuirlichen Be-
lag aneinandergereihter, correet begränzter abgeplatteter Zellen bis
zur theilweisen oder völligen Umscheidung derselben durch Mem-
branen, deren Zusammensetzung und Verschmelzung aus einzelnen
Zellen oft durch kein Mittel mehr nachzuweisen war.
Hierdurch hat eine Auffassung eine Stütze erhalten, die zuerst
1) In dem Hoden des Kaninchens ist es Regel, dass die Capillaren mit
einer continuirlichen Schicht theils rundlicher theils abgeplatteter protoplas-
matischer Zellen bekleidet werden, ohne dass sich auch nur eine Spur fibril-
lären Bindegewebes zwischen Capillarwand und diese Zellenschicht einschiebt.
2) Ich muss diesen Punkt ganz besonders gegenüber einer Bemerkung
von Ranvier (H. Frey, Traite de la Histiologie et de la Histiochimie, tra-
duit par Spillmann adnote par Ranvier. Paris 1869. S. 437) hervorheben,
welcher die zum Lymphsystem gehörigen Interstitien zwischen den einzelnen
Alveolen der acinösen Drüsen durch platte Zellen ausgekleidet sein lässt, die
Bündeln fibrillären Bindegewebes anliegen sollen. Diese Angabe Ranvier’s
ist unrichtig. Erneute Untersuchungen dieses Objectes haben mich von der
Unrichtigkeit dieser Angabe überzeugt, obwohl ich (vergl. mein Referat im
Med. Centralbl. 1870 S. 486) ursprünglich mit dem besten Willen, diese An-
gabe zu bestätigen, an die Untersuchung heranging.
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 325
von His in einer classischen Untersuchung!) entwickelt worden
ist; die Auffassung nämlich, dass sämmtliche in das Bindegewebe,
in das Gewebe des sogenannten mittleren Keimblattes eingelassene
Hohlräume als gleichwerthig und in gewissem Sinne gleichartig an-
zusehen und in einen gewissen Gegensatz zu stellen sind gegenüber
den Höhlen, die durch Producte des oberen und des unteren Keiın-
blattes begränzt werden. Auch auf die Unterschiede, welche die
diese beiden Arten von Hohlräumen begränzenden Zellen zeigen, hat
His bereits aufmerksam gemacht und dieselben, die sonst in der
grossen Classe der Epithelien ein gemeinsames Unterkommen ge-
funden hatten, in die beiden grossen Abtheilungen der unächten und
ächten Epithelien, der Endothelien und der Epithelien geschieden.
Ranvier gebührt das Verdienst, einen grossen und wichtigen
Schritt zur Vervollkommnung dieser Lehre gethan zu haben. Während
His sich‘ begnügt hatte, eine endotheliale Auskleidung nur den
grösseren, makroskopischen Höhlen des mittleren Keimblattes zuzu-
schreiben, dehnte Ranvier dies Prineip auch auf die kleinsten
Höhlen desselben aus und wies nach, dass die Zellen des fibrillären
Bindegewebes selbst, die Bindegewebskörperchen der Cellularpatho-
logie, nichts anderes seinen als Endothelien, die einerseits der Ober-
fläche der Bindegewebsbündel aufliegen, andererseits die Kleinsten
Hohlräume des Bindegewebes, die Interstitien desselben begränzen,
austapeziren und so gleichsam zu kleinsten serösen Höhlen machen.
Hiermit stand im engsten Zusammenhang die Anschauung Ran-
vier’s, dass allenthalben den Bindegewebsbündeln Zellen von einer
bestimmten Form, die den Endothelien der wirklichen serösen
Höhlen möglichst ähnlich sein sollte, abgeplattete polygonale proto-
plasmatische Zellen anliegen sollten.
Die vorstehenden Untersuchungen haben ergeben, dass eine
derartige Regelmässigkeit in der äussern Form der die Bindegewebs-
bündel bekleidenden Zellen nicht existirt, sondern dass fast jede
Form, jeder Alterszustand des Bindegewebes seine besondere Zellen-
formen besitzt. Dem Ranvier’schen Ideal vom Bindegewebe möchte
das Gewebe aus der Achillessehne des Frosches noch am nächsten
kommen. An vielen andern Stellen des Bindegewebes jedoch, in
_ der erwachsenen Sehne z. B. und in der Scheide der Bindegewebs-
1) Die Häute und Höhlen des Körpers. Academisches Programm. Basel.
Schweighauser 1865.
326 Dr. Franz Boll:
bündel sind die einzelnen Endothelien zu einer untrennbaren Membran
verschmolzen, und wenn eine entwickelungsgeschichtliche oder verglei-
chend histiologische Untersuchung auch wohl die Gleichwerthigkeit die-
ser Membran mit einem Endothel feststellen kann, so ist es doch gleich-
zeitig auch eine unleugbare Thatsache, dass in der Mehrzahl der
Fälle das von Ranvier gegebene Schema der „grossen abgeplatte-
ten Bindegewebszelle“ ein viel zu enges ist, um die endlose Mannig-
faltigkeit der hier sich darbietenden Formen in sich zu begreifen !).
Noch in emem anderen Punkte differiren die von mir gewon-
nenen Resultate von denen Ranvier’s. Nicht bloss dass ich das
von ihm gegebene Schema gleichsam quantitativ erweitere. Ich
halte es auch für nöthig die Qualität dieser Zellen des Bindege-
webes überhaupt etwas anders zu bestimmen als Ranvier ge-
than hat. Während diese Zellen nach Ran vier in der Mehrzahl der
Fälle dünn ausgezogene flache Protoplasmaplatten darstellen, finde
ich, dass in einer sehr grossen Anzahl von Fällen der Protoplasma bei
der Bildung dieser Platten ein durchaus verschwindender Factor ist
und dass vielmehr diese Zellplatten aus einer Substanz: bestehen,
die höchst wahrscheinlich früher einmal Protoplasma war, jetzt aber
durchaus einer elastischen glashellen Lamelle gleicht ?).
1) Es ergiebt sich aus dieser Auseinandersetzung das Bedürfniss einer
rationellen Terminologie für die dieser Kategorie angehörigen mehr oder
weniger umgewandelten und mit einander verschmolzenen zelligen Elemente.
Die Bezeichnung .endothelial“ auf dieselben anzuwenden kann ich nicht für
passend erachten. His hat dieselbe ausdrücklich nur eingeführt für zellige
Elemente, die sich von Epithelien weniger durch objective Kennzeichen als
durch ihre Abstammung und ihre physiologische Werthigkeit unterscheiden.
Zu welchen Unzuträglichkeiten eine Ausdehnung dieser Bezeichnung auf die
ganze Kategorie dieser Gewebe führen würde, das zeigen am besten die Ar-
beiten Schwalbes über die Begränzungen der Lymphbahnen des Auges.
Auch ich selber habe früher (Beiträge zur vergleichenden Histiologie des
Molluskentypus S. 33) mit dieser Bezeichnung einen unverantwortlichen Miss-
brauch getrieben. Diesen Unzuträglichkeiten zu begegnen und doch den Re-
sultaten der vergleichenden Histiologie ihr Recht zu lassen, schlage ich hier-
mit vor, die Bezeichnung ‚‚endothelial‘‘ nur für solche Fälle zu reserviren, wo
wie z. B. in der Auskleidung der serösen Höhlen in der That eine morpholo-
gische Uebereinstimmung mit dem Epithel vorliegt, für die übrigen Fälle
aber sich der Bezeichnungen ‚„endothelartig‘‘ oder „endothelioid‘ zu bedienen.
2) Diese Auffassung der „Bindegewebskörperchen“ als zum elastischen
(rewebe gehörig oder wenigstens damit verwandt findet ein gewisses Analo-
Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Gewebe. 327
Mit dieser verschiedenen Vorstellung von der normalen Structur
dieser Zellplatten hängt auf das engste zusammen eine gleiche Diffe-
renz über die physiologische Wichtigkeit, die Ranvier und ich
diesen Zellen zuschreiben. Bei Ranvier findet sich die Angabe,
dass bei einer localen Sehnenentzündung diese Zellplatten sich durch
Theilungsvorgänge u. s. w. activ betheiligen. Meine eigenen in dieser
Richtung angestellten Versuche haben zu dem entgegengesetzten Re-
sultate geführt. Ich behalte mir vor, bei Gelegenheit einer anderen
grösseren Arbeit die Resultate meiner Untersuchungen über die
Frage, ob und welche Veränderungen die fixen Bindegewebszellen
sowohl bei electrischer Reizung als bei der Entzündung erleiden,
ausführlicher mitzutheilen.
Erklärung der Abbildungen.
Kap. II.
Figg. 24—32. IX, 2. Aus dem Cavum subarachnoidale des Schafes. Ver-
schiedene Typen der Bindegewebsbündel um die verschiedenen Formen
der dieselben bekleidenden Zellen und den Uebergang derselben in die
Scheiden zu zeigen. Sämmtliche Präparate sind einem Stück Arach-
noides von einem Quadratzoll Fläche entnommen und mit essigsaurer
Carminlösung behandelt.
gon in der „Kernfasertheorie‘‘, wie sie Henle in seiner Allgemeinen Anato-
mie 1841 zuerst vorgetragen hat. Vergl. oben S. 305. Sehr bemerkenswerth
ist eine schon im Jahre 1865 hingeworfene Aeusserung eines unserer ausge-
zeichnetsten Histiologen, die die Quintessenz alles dessen bereits enthält, was
ich in diesen Blättern des Ausführlichen zu zeigen versucht habe: „Vielleicht ist
es eine ganz allgemeine Eigenschaft der Bindegewebsgruppe, nachträglich
elastische Gränzsäume gegen die in ihr vorhandenen Hohlräume und Lücken-
systeme auszubilden.‘ Waldeyer, Untersuchungen über Bau und Entwicke-
lung der Zähne. II. Abth. Zeitschr. f. rationelle Mediein. Dritte Reihe. XXIV.
S. 196. .
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der
Fettzelle').
Von
Dr. W. Flemming,
Prosector und Privatdocent in Rostock.
Hierzu Taf. XXVIl.
I. Ueber Formen des Fettzellenschwundes.
Seit der Veröffentlichung des citirten Aufsatzes habe ich mich
mit Untersuchungen über die Histiologie einestheils des Fettschwun-
des, anderntheils der Entzündung der Fettzelle beschäftigt. Beide
auseinanderliegende Wege haben zunächst zu meiner eigenen Ueber-
raschung zusammengeführt auf Thatsachen, welche mir wegen
ihrer Neuheit wie auch wegen ihrer Beziehungen zur allgemeinen
Entzündungslehre die Mittheilung zu verdienen scheinen. |
Schon früher hatte ich bei Thieren, deren Ernährungszustand
bei der Tödtung nicht näher controlirt gewesen war, hie und da im
Fettgewebe?) rundliche Häufchen von kleinen Zellen bemerkt, welche
ganz oder nahezu den Raum einer vollen Fettzelle einnahmen. Ich
fand diese Dinge, die mir anfangs räthselhaft geblieben waren, dann
1) Vergl. dies Archiv Bd.7, H. I, p. 32.
2) Wenn ich diese Bezeichnung der Bequemlichkeit halber anwende,
so will ich vorweg bemerken, dass ich mich damit nicht den Ansichten
Toldt’s anschliesse, welcher mit jenem Ausdruck ein vom Bindegewebe gänz-
lich verschiedenes „Organ‘‘ begreift. (Vergl. Abschn. 3.)
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle. "329
in besonderer Menge bei einem jungen Hund vor, welcher 14 Tage
lang absichtlich schlecht genährt und darauf 2 Tage gemästet wor-
den war. Es musste das die Frage stellen, ob sie Resultate der
Mästung, oder der Atrophie, oder endlich anderer Einflüsse seien.
Die erstere Möglichkeit konnte ich sehr bald bei Seite weisen. Bei
den Präparaten von sicher fettansetzenden Thieren, an welchen ich
früher die Entwickelung der Fettzelle untersucht hatte, war mir
nie etwas der Art aufgefallen; weitere Experimente ergaben das
Nämliche. Bei vier jungen Kaninchen, die ich vom Säugling
auf fortwährend in reichlicher Ernährung hielt, bei einem Wochen
lang gemästeten Meerschwein und mehreren Säuglingen und Em-
bryonen von Rind und Hund fand ich stets nur die Bestätigung
dessen, was ich am a. a. Orte über Fettzellenentwicklung mitgetheilt
habe: Neubildung von solchen aus fixen Bindegewebszellen der Ge-
fässadventitien!) und Vermehrung der alten Fettzellen durch Ab-
schnürung; aber Nichts von jenen fraglichen Zellenhaufen.
Sofort aber fand ich dieselben wieder, wo ich ein Thier in
Atrophie versetzte; und ich muss mich selbst einer Versäumniss an-
klagen — die ich allerdings mit allen früheren Beobachtern theile
— dass ich nicht schon bei meiner vormaligen Behandlung
1) Den dortigen Angaben über diesen Punct will ich hier noch eins
hinzusetzen, was sich mir immer bestimmter herausstellte: es scheint dass
ausser den adventitiellen Bindegewebszellen der Gefässe — wie ich diejenigen
nenue die an Oedempräparaten mit der Gefässwand zwar oft anastomosiren,
aber doch räumlich davon isolirt sind (s. z. B. die Zellen a a Fig. 6 u. 11
der hier beigegebenen Tafel) — auch die Zellen, welche noch der Gefässwand
selbst angehören (Fig. 11 g an der Arterie, Fig. 6 g an der Capillare) zu-
weilen Fett insich ansammeln und zu wirklichen grossen Fettzellen werdend, sich
von der Gefässwand abblättern. Namentlich bei Embryonen sind solche Bil-
der oft zu sehen. — Im Anfang jener Untersuchung war ich geneigt, diesel-
ben auf farblose Blutzellen zu beziehen, welche im Durchwandern der Gefäss-
wand sich mit Fett füllten; es zeigte sich aber dass, so lange die Fettfüllung
solcher Zellen noch gering ist. sie stets in gestreckter, spindelförmiger Ge-
stalt dicht an der Gefässwand anzuliegen pflegen ; erst wenn sie durch grössere
Fettfüllung ausgedehnt werden, sich in rundlicher Form davon abheben (ich
verweise dabei auf einige Zellen der Fig. 17, T. 7, 1. c.). Ueberhaupt be-
kommt man von solchen Bildern des embryonalen Gewebes unwillkürlich
den Eindruck, als ob von den sprossenden Gefässen abblätternd, um den Aus-
druck zu brauchen, sich Zellen ins Gewebe hinausschieben die dann fixe Binde-
gewebszellen werden.
330 Dr. W. Flemming:
der Fettatrophie diese Dinge bemerkt und erwähnt habe; denn sie
sind häufige, wahrscheinlich constante Begleiter des
Fettschwundes.
Das gewöhnliche, in seinen Hauptzügen schon lange bekannte
histiologische Bild des Letzteren, das ich an jenem Orte beschrieb,
ist bei den fertigen Fettzellen geborener Thiere kurz wiederholt dies:
der Fetttropfen in der Zelle erscheint verkleinert, meistens einige
kleine Tröpfchen daneben, und um ihn her, durch einen flüssigkeits-
haltigen Hohlraum von ihm getrennt, spannt sich einstweilen
noch in ihrem alten Umfang und ihrer alten Rundung die Zellen-
kapsel, welche ihn früher fest umschloss, stets übrigens im Inneren
um den Kern etwas körniges Protoplasma enthaltend. Ich sagte so
eben: einstweilen noch, denn ich habe schon früher betont und
werde auch hier noch darauf zurückzukommen haben, dass dies Bild
sich später ändert.
Zwischen diesen abmagernden Zellen nun trifft man hie und
da eins der beschriebenen Zellenhäufchen ; und man trifft ferner
Bilder, welche die Genese der Letzteren hinreichend illustriren können.
In einzelnen der einfach atrophischen Fettzellen nämlich, von denen vor-
her die Rede war, zeigen sich um den verkleinerten Fetttropfen
statt des einen, alten, mehrere Kerne; in einzelnen dann so viele,
dass der ganze Zwischenraum zwischen Fett und Zellenkapsel von
ihnen erfüllt wird; in wieder anderen ist der schon sehr viel ge-
ringere Fettinhalt wie erdrückt von der Masse der umgebenden
Kerne — oder wie man schon sagen muss, Zellen, denn die Kerne
zeigen sich, wo man sie noch isolirt betrachtet, umgeben von einer
Schicht feinkörniger Masse; und endlich bei anderen Formen ist das
Fett ganz verschwunden, man hat einen rundlichen Klumpen jener
feinkörnigen Masse ganz mit Kernen durchsetzt, oder wie man eben
so gut sagen kann einen Haufen, ein Nest diehtgedrängter junger
Zellen — das Ganze eben so gross, oder auch etwas grösser oder
kleiner, wie eine volle Fettzelle desselben Ortes war.
Ich werde im Folgenden diesen Zustand als den der Wucher-
Atrophie oderatrophischenWucherung, gegenüber jenem an-
dern der serösen Atrophie bezeichnen.
Ehe ich auf das Detail dieser Bilder eingehe, möchte ich den
Leser sicher stellen, dass ich darin nicht bloss etwas Ausnahmsweises,
vielleicht anderweitig Pathologisches vor mir gehabt habe.
Ich fand dieselben wieder bei allen Hungerexperimenten, die
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle. 331
ich in erforderlicher Weise anstellte und deren genauere Daten
ich weiter unten anführen werde. (Vergl. am Schlusse von Ab-
schnitt 2.) Die grosse Mehrzahl der Fettzellen in den constanten
grossen Fettlagern — Inguinal- und Achselfalte, Nierengegend, Me-
senterium — wird dabei zunächst von der serösen Atrophie be-
troffen: wie es mir scheint, wie ich es aber noch nicht als Behaup-
tung hinstellen will, zuerst vorwiegend das Unterhautgewebe und
Mesenterium, später das Nierenfett. Uebrigens fängt die Atrophie
der Zellen nicht überall zugleich an und schreitet gleichmässig fort,
sondern es zeigen sich manche Läppchen noch intact, während andere
schon atrophisch sind (schon von Toldt bemerkt, vergl. Abschn. 2);
immer scheint es mir dabei, als ob die jüngsten, das heisst die am
weitesten ins fettlose Gewebe vorgeschickten Sprossen der Fettlager
zuerst betroffen werden. Im Anfang der Abmagerung fand ich da-
neben bloss einzelne Zellen im atrophisch-wuchernden Zustand, in
vielen Läppchen gar.keine, so dass man oft sehr danach suchen
muss; nach 8—14tägigem starkem Schwund aber mehrt sich ihre
Zahl immer mächtiger und es zeigen sich endlich die Läppchen von
einfach atrophischen Zellen wie durchsät mit den wuchernden, was
ihnen schon makroskopisch ein schmutziggelbes Aussehen giebt und
besonders deutlich an Carminpräparaten bei schwacher Vergrösse-
‚rung auffällt.
Fragen wir nach dem genaueren Habitus des Wucherungsvor-
gangs: zunächst, wie die Kerne entstehen mögen. Ich sagte schon,
dass ich die Ausgangsstadien in den mehrkernigen, serös atrophi-
schen Fettzellen suchen möchte, welche so vielfach zur Beobachtung
kommen (Fig. 1b, 4« sind Beispiele davon): man sieht in der
That an manchen Kernen solcher einfach atrophischer Zellen dop-
pelte Kernkörperchen und Biscuitformen, und wird danach wohl mit
Wahrscheinlichkeit auf fortgesetzte Kerntheilungen schliessen müssen.
‘ Dass eine Fettzelle übrigens nicht schon stärker serös-atrophisch zu
sein braucht um die Wucherung zu beginnen, wird sich weiter unten
zeigen. — Das Protoplasma der Fettzelle erscheint, wo Kernver-
mehrung vorhanden ist, gewöhnlich besonders massig und durch
Carmin-Tinetion besonders geröthet; und oft hat es sich von der
noch erhaltenen Hülle entfernt und liest in einer Form, welche der
einer fixen Bindegewebszelle gleich oder ähnlich ist, neben dem Fett
und den endogenen Elementen wie frei im Inneren. (Fig. 5 in mehre-
ren Zellen.)
332 Dr. W. Flemming:
Die Weiterentwicklung des Vorgangs erfolgt nun nicht überall
so schematisch, wie ich ihn weiter oben zur Uebersicht darzustellen
für gut fand. Die Membran — so wollen wir die Kapsel des Fett-
tropfens einstweilen einmal nennen, unerörtert ob sie ganz Proto-
plasma ist oder nicht — bleibt bald schon in den Anfangsstadien
der Wucherung nicht erhalten, sondern zeigt sich wie an einer Seite
auseinanderklaffend (Fig. 5); bald besteht sie auch noch länger fort
und lässt sich, wenn selbst schon der Fettinhalt verschwunden und
nur ein Zellennest vorhanden ist, um dieses her noch als zarter
Contour wahrnehmen (Fig. 46). — Die endogenen Zellen aber ihrer-
seits scheinen nicht immer so lange in ihrer Mutter zu bleiben, bis
dieser Zustand erreicht ist. Denn man begegnet, namentlich in den
späteren Stadien rapiden Schwundes, sehr häufig Bildern in denen
noch eine continuirliche Membran und in ihr noch ein ansehnlicher
Fetttropfen vorhanden ist, daneben aber nur einzelne zum Theil recht
ansehnliche Zellen darin. (Fig. 5 y.) Umher aber im Gewebe, zwischen
den wuchernden und serös atrophischen Fettzellen, finden sich Massen
von ganz ebensolchen, kleineren oder grösseren, körnigen Elemen-
ten, grobkörnigen Wanderzellen ganz ähnlich; und man wird nach
den zur Beobachtung kommenden Bildern kaum in Zweifel sein, dass
sie vielfach durch die Membran hinausgewandert sind.
Was wird nun weiter aus diesen Producten der Wucherung,
diesen indifferenten Zellen oder ‚„‚Keimzellen“, wie sie nach Rollet’s
neuer Terminologie wohl würden heissen können? Da wir bei den
Beispielen starker und rapider Atrophie, wie sie hauptsächlich der
obigen Beschreibung zu Grunde liegen, die Fettläppchen selbst in
denen Wucherung stattfand, und die Umgebung derselben von die-
sen Zellen durchsetzt finden, so liegt es am nächsten und ich nehme
es auch an, dass sie wofern das Thier weiter lebt wie andere freie,
Iymphoide Zellen des Bindegewebes, denen sie ja so durchaus ähn-
lich sehen, weiter durch das Gewebe wandern, seine Lymphräume
bevölkern, vielleicht auch in die Blutbahnen eindringen mögen. Mög-
lich bleibt es freilich auch, dass sie theilweise oder alle dem Zerfall
unterliegen.
Wozu aber diese Abkömmlinge der Fettzelle unter Umständen
im Stande sind, dafür habe ich nun einen Beleg mitzutheilen, der
auch von allgemeinere Interesse ist.
Bei einem Kaninchen (Nr. 5 unten), welches 4 Tage lang einer
mässigen Hungerkur unterworfen war, fanden sich unter den
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle. 333
schwach serös-atrophischen Zellen vieler namentlich junger Läppchen
eine ziemliche Anzahl wuchernder. Einige von diesen zeigten For-
men, wie sie oben als die Anfangsstadien dieses Processes beschrie-
ben sind: Kernvermehrung um den schwindenden Fetttropfen, wei-
tere Vollstopfung mit Kernen bis kleinen Zellen, bei noch wahr-
nehmbarer Membran. (Fig. 4, Zelle «, £, y.) Aber daneben fanden
sich zahlreiche andere, wo die neugebildeten Zellen nicht mehr
rundlich, und die Membran nicht erhalten war: die ersteren
zeigten vielmehr längliche, eckige, bis verästigte Gestalten, und man
konnte nicht schöner auf einem Fleck nebeneinander Uebergangs-
formen von einer runden Zelle zur fixen Bindegewebszelle
antreffen wie an diesen Wucherungsproducten, welche den schwin-
denden Fetttropfen der alten Fettzelle einschlossen. An einigen ist
die Hülle der letzteren wie an einer Seite auseinandergefasert, und
die ihr unmittelbar anlagernden Zellen strecken ihre Ausläufer dort
hinaus (Fig. 2%); an anderen ist von einer Membran überhaupt
nichts zu sehen (Fig. 2«), das Fett wird nur umgeben von einem
Kranz wuchernder fixer Zellen. Diese und viele andere Zellen zeigen
| zugleich, dass der Process die Stufe der rundlichen Endogen-
zellen ‚vielleicht ganz überspringen kann: man sieht hier keine
solche, auch keinen einzelnen Kern, es scheint als ob das Proto-
plasma der Fettzelle direct in die jungen ausgewuchert wäre. Die
Wucherung ist hier meistens nicht so massenhaft wie dort, wo nur
runde Zellen entstehen: und es scheint zugleich, als ob die einzel-
nen Wucherungsproducte um so grösser und grosskerniger sind, je
geringer ihre Zahl (vergl. Fig. 2% und 2«, 3). Zuweilen hat man
deutliche Anastomosen der um den Fetttropfen liegenden mit seitab
gelegenen Zellen (Fig. 3); diese letzteren können natürlich ebenso
wohl solche sein die dort vorher schon lagen, als solche, die von
der Fettzelle aus entstanden und abgerückt sind ; das letztere ist mir
wahrscheinlicher, um so mehr weil auch die hier angewandte Me-
thode des Oedems soleher Abrückung behülflich ist.
Nicht unbemerkt kann ich dabei lassen, dass ich hie und da
in den Fettläppchen derselben Thiere auch kleinere Häufchen von,
zum Theil mehrkernigen fixen Bindegewebszellen gesehen
habe, ohne dass irgend Fett zwischen oder an ihnen zu sehen war:
nur bei dem Hund 1, der nach der Atrophie 2 Tage stark ge-
mästet war, fand sich in einzelnen der Zellen dieser Häufchen Fett,
gerade wie bei der Fettzellenneubildung (also wohl Wiederansatz).
334 Dr. W. Flemming:
Es können diese Zellenhäufchen spätere Stadien der wuchernden
Fettzellenatrophie gewesen sein; sie können aber auch aus fett-
losen fixen Zellen hervorgewuchert, und bei der nachträglichen
Mästung zum Theil mit Fett gefüllt sein. (Vergl. hiefür Fig. 8.)
Dass die Fettzelle in der beschriebenen Weise fixe Bindege-
webszellen !) produciren kann — denn solchen sehen die Abkömm-
linge aufs Haar gleich — hat mich an sich nicht erstaunt gemacht,
da ich ja früher (l. c.) so vielfach umgekehrt die Entstehung der
Fettzellen aus fixen Bindegewebszellen beobachtet und als den regel-
mässigen Entwicklungsgang beschrieben habe. Ich musste mich
aber fragen ob die Entstehung dieser Formen, gegenüber der von
rundlichen Zellen, an bestimmte Bedingungen geknüpft sein möchte:
und der Vergleich sämmtlicher vorliegender Experimente ergab da
Folgendes: ausser bei dem genannten Thier fand sich diese Form
der Wucherung bei dem Kaninchen Nr. 6, welches wie jenes mässi-
ger, nur längerer Nahrungsentziehung ausgesetzt und dann kurze
Zeit wieder gut gefüttert und bei dem oben besprochenen Hund
(Nr. 1), bei dem dasselbe der Fall gewesen war. Dagegen fand ich
sie bisher nicht bei Thieren, welche sofort in rasche und starke
Atrophie versetzt waren.
Daraus darf man wohl schon schliessen, dass das
Auswachsen der Keimproducte zu fixen Zellen vor
Allem dort begünstigt ist, wo die Atrophie nicht sehr
rapide eintritt. Ob es nun in letzterem Fall nicht auch dazu
kommen kann, ist damit nicht entschieden. Es kann sehr wohl sein,
dass auch von den bei rapider Atrophie entstandenen Endogen-
zellen ?), nachdem sie die noch erhaltene Fettzellenhülle durchwandert
haben, oder nach deren Schwinden auseinandergerückt sind, — viele
1) Ich wende diesen Namen, bei dessen Berechtigung ich nach Cohn-
heim’s, Ranvier’s und Anderer Vorgang und nach den Angaben meiner
Arbeit 1. c. wohl nicht zu verweilen brauche, überhaupt für alle die Zellen
im Bindegewebe an, welche abgeplattet, vielgestaltig, in Ausläufer ausgezogen
(bei Embryonen spindel- und sternförmig) sind, zum Theil untereinander und
mit den Zellen der Gefässwände anastomosiren und an denen keine wesent-
liche Locomotion zu beobachten ist.
2) Man verzeihe mir das Abwechseln mit den Namen: es sind hiermit
natürlich eben dieselben Producte der atrophisch-wuchernden Fettzellen ge-
meint, welche, wie aus dem Obigen hervorgeht, auch nicht immer striete
endogen entstehen brauchen.
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle. 335
oder selbst alle zu fixen Zellen sich umgestalten. Die sichere Fest-
stellung von Uebergangsformen ist aber natürlich nicht möglich,
wenn man die Zellen nicht mehr am Entstehungsorte nebenein-
ander hat.
Aus diesen Beobachtungen ergiebt sich ferner, dass Wucherung
in Fettzellen schon eintreten kann, ohne vorgängige stärkere
seröse Atrophie; denn diese war bei allen umliegenden Zellen
höchstens in mittleren Graden ausgesprochen (wie in Fig. 4«). Mit
Sicherheit folgt dies wenigstens aus dem Befund bei Kaninchen 5;
bei Kaninchen 6 und Hund 1 könnte man denken, dass die Atro-
phie durch die schliessliche, kurze Wiederfütterung nachträglich aus-
geglichen wäre. — Es sei weiter noch bemerkt, dass sich die Aus-
wucherung zu fixen Bindegewebszellen besonders vielfach an jünge-
ren Fettläppchen fand, — welche sich durch die geringere Grösse
ihrer Fettzellen immer gegenüber den älteren kennzeichnen.
Ich habe mich noch mit dem Verhalten des Fettinhalts der
atrophischen — serösen wie wuchernden — Zellen zu beschäftigen.
Es ist schon bekannt, dass überhaupt häufig in atrophischen
Fettzellen, neben dem verkleinerten oder an Statt des geschwunde-
nen alten Fetttropfens eine Anzahl kleinerer Tröpfehen zur Beob-
achtung kommt. Untersucht man die anfänglichen Stadien der
serösen Atrophie, so wird man bemerken, dass sich hier zunächst
fast immer neben dem alten Tropfen ein oder mehrere mittelgrosse
oder kleine Tropfen befinden, daneben zuweilen noch kleine und
kleinste, einer aber fast immer an Grösse hervorragend!). Es er-
scheint, als ob die Zahl und anfangs auch die Grösse dieser ‚‚Neben-
tropfen“, wie sie gegenüber dem alten Haupttropfen bezeichnet sein
mögen, wächst, je mehr der letztere einschwindet; in späteren Sta-
dien des Schwundes, wo der alte Tropfen ganz reducirt oder sehr
verkleinert ist, zeigt sich, wie dies wohl jedem Untersucher atro-
phischen Fettes bekannt sein wird, ausserdem durch die ganze Zelle
vertheilt oft eine grosse Anzahl selcher kleiner und kleinster Tröpf-
chen, die dann intensiv gelb gefärbt zu sein pflegen. Im Anfang
1) Um irgend einen Anhalt zu geben, will ich (aufs Ungefähre) Tropfen
bis auf 0,02 mm. Durchmesser herab als grosse, zwischen 0,02 und 0,006 mm.
als mittelgrosse, zwischen 0,006 und 0,001mm. als kleine, und solche,
unter 0,001 mm., welche sich noch deutlich durch Fettglanz characterisiren,
als kleinste bezeichnen.
336 Dr. W. Flemming:
sind sie dagegen meist hell gefärbt und oft heller wie der gelblich
aussehende alte Tropfen. Oft finden sich, in den serös-atrophischen
wie in den wuchernden Zellen, ein oder mehrere farblose Tropfen,
kleine bis grosse, bald von dem gelben Haupttropfen isolirt,
bald ihm anliegend fast als hingen sie mit ihm zusammen (siehe
viele der Figuren). Ich halte es für sehr möglich, dass diese
letzteren Tropfen Artefacte sind, entstanden durch einen mecha-
nischen Druck auf die Fettzelle, der sich bei der Herstellung der
Präparate nicht durchaus vermeiden lässt, und erklärbar in der
Weise, dass durch eine oberflächlich geronnene Schicht der Fett-
kugel der innere, flüssig und heller gebliebene Inhalt herausgequollen
wäre. Bis ich darüber sicher entscheiden kann, mögen diese Ver-
hältnisse so dargestellt bleiben wie sie sich an den Präparaten
zeigen. Aber jene vorher besprochenen, an Zahl wachsenden,
schon lange bekannten (vergl. z. B. in Frey’s Handbuch) Neben-
tropfen sind wohl jedenfalls nicht so, sondern als Naturproducte auf-
zufassen, schon deshalb weil sich solche, wie demnächst zu be-
sprechen sein wird, auch ganz deutlich innerhalb des Protoplasma
der Fettzelle und endogener Zellen vorfinden.
Zu bemerken bleibt ferner, dass in dem Fette der atrophisch
wuchernden Zellen besonders häufig nadelförmige Krystalle an-
schiessen.
Es sieht nach vielen Präparaten also aus, als ob die Neben-
tropfen mit dem Schwunde der alten wachsen und schliesslich
allein übrig bleiben. Am Ende können sie natürlich auch schwin-
den, da in den späteren Stadien der atrophischen Zellen sich gar
kein Fett mehr findet. Positiv hinstellen kann ich es nicht, dass
anfangs wachsende Nebentropfen einer jeden atrophischen Fettzelle
zukommen. Wo ich Zellen vor mir hatte, von denen sich ziemlich
sicher annehmen liess, dass sie in den Anfangsstadien dieses Vor-
gangs begriffen waren, sah ich auch Nebentropfen. In Öbjecten
jedoch wie dem Fig. 5 dargestellten (schon späteres Stadium des
Schwundes mit sehr vielfältiger Wucheratrophie) fand sich in den
serös -atrophischen wie in den wuchernden Zellen vielfach nur ein
einzelner kleiner Tropfen klaren aber etwas gelblichen Fettes: man
kann natürlich nicht sagen, ob dieser als ein remplacirender Neben-
tropfen, oder als der alte zu betrachten ist. Ich muss ferner be-
merken, dass ich in manchen wuchernden Zellen auch dort, wo Neben
tropfen in den serös-atrophischen sonst sehr characteristisch sich
»
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle. 337
verhielten, wie bei Nr. 3 (Fig. 1b), keinen Nebentropfen gefunden
habe, wie z. B. 1 b d zeigt: an solchen Zellen war zugleich be-
merkenswerth, dass der grosse Eetttropfen in einer eigenthümlich
unregelmässigen Form geronnen war, dabei schmutzig-orangegelb
und rissig aussah.
Bei Zuständen starker und anhaltender Atrophie, wo zahlreiche
Zellen der Wucherung verfallen sind, zeigen sich nun ferner einmal
die endogen gebildeten jungen Zellen vielfach fettkörnchenhal-
tig; ferner finden sich solehe Körnchen — kleine bis mittelgrosse
— in den protoplasmatischen Theilen der gewucherten, durch Aus-
wanderung z. Th. entleerten (Fig. 5 z. B. £, 7) Fettzellen, und
ferner in auch vielen der nebenliegenden fixen Bindgewebezellen
(Fig. 5). Ausserdem sieht man in ziemlicher Menge freie Fett-
tröpfehen. Ebensolche habe ich früher (a. a. O.) im Gewebe der
Fettzellen bildenden Gefässadventitien notirt. Für beide Fälle liesse
sich der Einwurf immerhin nicht ganz abweisen, dass es sich dabei
um Kunstproducte der Methode handelt. Denn mag man auch vor
der Injection den Spritzenstempel aufs Sorgfältigste entfettet haben,
es bliebe doch möglich, dass man beim Einstich grade in ein Fett-
läppchen gestochen und dessen versprengte Tröpfchen mit ins Ge-
webe fortgespritzt hätte; und ich sehe nicht wie sich das vermeiden
liesse. Ich kann aber an diese Herkunft der freien Fettkörnchen
nicht glauben, einmal weil sie sich an den wachsenden resp. atro-
phischen Fettlagern stets, im umliegenden gefässlosen Gewebe nicht
oder viel einzelner finden, und weil es ferner — bei gereinigtem
Stempel und sehr vorsichtiger Injection, — immer nur kleine und
kleinste Tröpfchen sind, während man bei Artefacten auch grössere
und überall verstreut durchs Gewebe findet; die vom Spritzenstem-
pel stammende Oeltropfen pflegen auch durch ihre unreine dunkle
Farbe kenntlich zu sein, und finden sich nie durch den ganzen
Oedem-Tumor gleich vertheilt, sondern stellenweis angesammelt.
Eine erschöpfende physiologische Erklärung der beschriebenen
Dinge wird vor der Hand gewiss nicht zu geben sein. Es mag be-
sonders frappirend scheinen, dass der Zustand der Atrophie eine
Zelle zur Kernwucherung und Brutbildung veranlassen kann: während
man doch sonst gewohnt ist, solche Vorgänge auf Rechnung über-
schüssiger Ernährung zu schieben. Der Hypothese öffnet sich
bier aber ein zu weites Feld, als dass sie nicht für jetzt lieber
schweigen müsste.
338 Dr. W. Flemming:
Eine Frage möchte ich aber doch stellen, die nach dem
Entstehen der Nebentropfen, weil die histiologischen Bilder sie direct
vorlegen. Dass ich diese Tropfen nicht für Kunstproducte halten
kann, sagte ich oben; auch von früheren Beobachtern sind sie
nicht so aufgefasst, sondern einem Zerfallen — wie ich die An-
gaben wenigstens verstehen muss!), intra vitam —, des alten
Fetttropfens zugeschrieben. An sich wäre ein solches wohl denk-
bar: selbst ein ganz mechanisches Auseindergesprengtwerden des
Tropfens intra vitam, sobald in der Zelle Platz geworden ist
— z. B. durch Druck und Zerrung, dem die Zelle im Bindegewebe
ausgesetzt ist, läge im Bereich der Möglichkeit. — Nun müsste
man dann aber doch erwarten, dass auf solchem Wege häufig, bald
hier bald da, mehrere grosse oder mittelgrosse, annähernd gleich
umfangreiche Tropfen zu Stande kämen und also auch zu sehen
wären. Solche Formen kommen nun wirklich vor: aber, was an
sich von Interesse ist, nur da wo sonst Zellen von den früher
(a. a. OÖ. p. 59) beschriebenen knolligen und Maulbeerformen
vorlagen, Zellen also, in denen von vornherein mehrere, durch Proto-
plasmawände getrennte Tropfen sich befanden; erstens nämlich häufig
dort, wo der Atrophie Mästung vorhergegangen war, und dann ganz
besonders oft im Nierenfett von Kaninchen und Meerschweinen, wo
überhaupt jene Maulbeerformen sehr zahlreich und lange, vielleicht
stets persistirend sind. Wenn diese Zellen atrophiren, so schwindet
jeder Tropfen für sich wieder ein und so erhält man viele annähernd
gleich grosse. Aber im Unterhautfett desselben Thieres, bei dein
man an der Niere solche Zellen sieht, sucht man dann vergebens nach
ähnlichen: immer hier neben dem grossen Tropfen zuerst ein oder
einige, viel kleinere Nebentropfen. Danach kann man an ein
blosses Zerfallen des Fettinhalts doch schwer denken; und mir
scheint, es lässt sich die Sache kaum anders auffassen, als dass
das Fett der Nebentropfen aus der Lösung — unbekannter
Natur — in welche das Fett der alten Tropfen gebracht werden
musste, wiederum gebildet, so zu sagen, provisorisch wieder
niedergeschlagen ist. Ebendasselbe würde dann von den Tröpfchen
Fettes gelten können, welche wir fanden in den Abkömmlingen
der wuchernden Fettzellen, in den protoplasmatischen Theilen der
serösen und wuchernden Fettzellen, in den freien und fixen Zellen
1) Vergl. Frey, Handb. 1867, p. 236 und Uzajewicz a. a. 0.
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle. 339
des umgebenden Gewebes und sogar frei im letzteren selbst. —
Und es wird gewiss Niemand bestreiten, dass bei diesen Um- und
Absetzungen, vielleicht auch bei der Entstehung jener Lösung, irgend
eine „lebendige Thätigkeit des‘ Protoplasma“ im Spiel sein wird,
(Toldt,vgl. unten) dass hier in den Zellen eigenthümliche physikalisch-
' chemische Vorgänge stattfinden: Vorgänge über die wir freilich heut
am exactesten urtheilen, wenn wir unsere völlige Unbekanntschaft
damit bekennen !).
1) Toldt stellt am u.a. O. den Satz auf: „Das Fett in der Fettzelle ist
Product des Stoffwechsels derselben, seine Anhäufung in und sein Verschwin-
den aus ihr Resultat der lebendigen Thätigkeit ihres Protoplasma.‘“ Eine Be-
theiligung des Protoplasma an diesen Vorgängen wird sicher keiner in
Abrede stellen: denn sonst wäre es z. B. zu erwarten, dass wir beim Fett-
ansatz auch grosse Fetttropfen ganz frei im Gewebe finden müssten. — Ich
bezweifle nur ob wir dem Verständniss der moleculären Vorgänge damit näher
kommen, dass wir sagen: „das Protoplasma bildet Fett aus Eiweisskörpern‘“,
statt das wir uns wie bisher bescheiden zu sagen: das Fett tritt auf oder
entsteht in dem Protoplasma der Zelle. Eine Erklärung liegt jedenfalls
in dem ersteren Satze nicht, denn wir können uns doch noch nicht denken
wie das Protoplasma es anfängt. — Einstweilen darf man seine Vorstellungen
über die Sache jedenfalls in die Form bringen, dass man sagt: es trans-
sudiren beim Fettansatz und bei der Atrophie Lösungen aus den Ge-
fässen, aus welchen im ersteren Fall in einzelnen Zellen Fett gebildet
und abgesetzt wird, durch welche im letzteren Fall das Fett der Fett-
zellen in eine lösliche Verbindung gebracht wird — oder, wie man auch
völlig berechtigt sagen kann, unter deren Einfluss das Protoplasma der
Zellen dies besorgt. — Dass gewisse Zellen im Bindegewebe durch ihre Be-
schaffenheit je zur Zeit für die Fettaufnahme bevorzugt sind, muss ich selbst-
verständlich annehmen, weil nicht in allen zugleich Fett auftritt; dass diese
Befähigung aber in der Art aufzufassen ist, wie die einer Leberzelle zur
Gallensecretion, dass also auch z. B. bei der Atrophie das Protoplasma ent-
weder aus eigener Machtvollkommenheit, oder durch ein dauerndes Nerven-
commando dazu kommt, sein Fett wieder umzusetzen, glaube ich nicht, haupt-
sächlich deshalb, weil ich sehe, dass die Neubildung von Fettzellen aus fixen
Bindegewebszellen erfolgt.
Dass bei der Atrophie das Fett „als solches‘‘ die Zelle verlassen könnte,
habe ich nach dem Allen stets für unannehmbar gehalten und stimme darin
mit Toldt ganz überein (l. c. p. 19).
Wenn derselbe jedoch dafür, dass auch der Wiederverbrauch des Fettes
in der Zelle „als Lebensäusserung ihres Protoplasma aufzufassen sei‘, den Um-
stand als Beleg anführt, dass der im Fett gelöste gelbe Farbstoff in der atro-
M, Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 7, 23
340 Dr. W. Flemming:
a
Wenden wir uns nun zurück zu den Beziehungen zwischen atro-
phischen und entzündlichen Veränderungen der Fettzelle, von welchen
ich im Eingang sprach.
Ich habe a. a. ©. (p. 71) unter andern mitgetheilt, dass bei
künstlicher Entzündung der fettzellenhaltigen Gewebes zunächst eine
Verkleinerung der Fetttropfen in vielen Zellen zu beobachten ist,
und dass ich ferner die Angabe von Gzajewicz über Tochterzellen-
bildung in entzündeten Fettzellen insoweit bestätigen konnte, als
ich in manchen derselben zwei, drei oder mehrere Kerne vorfanden.
Meine Beobachtungen betrafen bis dahin nur die ersten Stadien der
Entzündung, wie sie am ersten Tage nach der Operation zu Gesicht
kamen. Die Kerne lagen, ohne erkennbaren Zellenkörper, in dem
Protoplasma der Fettzelle; wirkliche Tochterzellen also hatte ich
noch nicht gesehen. Seitdem habe ich diese Versuche an jungen
Kaninchen weiter ausgedehnt, indem ich zwei Tage oder noch später
nach der Operation untersuchte. Die letztere führte ich entweder
aus durch subeutane Injection von starker Jod-jodkaliumlösung !)
(schwache nützte wenig), oder, was ich als sicherer empfehlen kann,
durch Einbringen von mit der gleichen Lösung getränkten Hollun-
dermarkstükchen in eine Schnittwunde der Inguinalfalte, welche
genau wieder vernäht wurde; die Untersuchung geschah mit den
unten beschriebenen Methoden. Unter den Fettläppchen in der Um:
gebung des Entzündungsheerdes muss man erst etwas herumsuchen,
da nicht alle in gleichem Maass und viele gar nicht betroffen sind.
Zu meiner Verwunderung fand ich nun, dass die Bilder, die
ich nach solchem Verfahren erhielt, völlig mit denen übereinkommen,
welche der atrophischen Wucherung angehören.
Ein Theil der Fettzellen — wie schon angedeutet nicht immer
gleich viele, in manchen Läppchen auch gar keine — zeigt sich zu-
phischen Zelle zurückbleibt, indess das Fett schwindet: so ist dies Factum
völlig richtig, beweist aber doch nur, dass das Fett nicht als solches die
Zelle verlässt, aber belegt noch nicht dass ‚‚das Fett durch den Oxydations-
process der Fettzelle selbst wieder verbrannt‘ wird.
Doch wie gesagt, über die Mitleidenschaft des Protoplasma bei
allen Lebenszuständen der Fettzelle hege ich nicht den geringsten Zweifel,
die Wucherungsprocesse und das Verhalten der Nebentropfen müssen beson-
ders darauf hinweisen. Ueber das Wie haben wir noch kein Urtheil.
1) In meiner früheren Arbeit p. 62 ist durch ein Versehen statt dessen
„Jodkaliumlösung“ gedruckt.
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle. 341
8
nächst in geringern Graden serös-atrophisch und häufig mit Neben-
tropfen. In vielen sowohl von diesen, wie auch von den noch ganz prall
gefüllten Zellen bemerkt man mehrere Kerne; bei andern, in denen
die Zahl derselben noch grösser — vier und mehr — geworden ist,
findet sich dann auch der alte Fetttropfen erheblich verkleinert,
sraugelb und dabei gewöhnlich ein bedeutenderer Nebentropfen; in
weiteren sind statt der Kerne nunmehr isolirt begrenzbare, oft in
der Fettzellenkapsel freigelegene rundliche, feinkörnige kleine Zellen
beobachten, in weiteren sind diese noch zahlreicher und schliessen
das Fett eng ein. — Kurz die Bilder sind denen zum Verwechsein gleich,
welche man ohne jegliche Entzündung von der blossen Atrophie
erhält, und wenn ich in Fig. 7 Entzündungspräparate zeichne, so ge-
schieht es nur, um diese Aehnlichkeit zu illustriren.
Bis jetzt habe ich allerdings die durch Entzündung hervorge-
rufene Wucherung noch nicht hinaus über jene Stadien verfolgt, in
welchen — durch Zellen in Fig. 7 repräsentirt — noch ein mittel-
grosser Fetttropfen zwischen den endogen gebildeten Zellchen vor-
handen ist. Indessen da diese den gleichen Stadien der rein atro-
phischen Wucherung so sprechend ähnlich sind, so scheint es mir
so gut wie sicher, dass sie wie diese mit vollständigem Schwund des
Fettes und mit dem Zerfallen des Zellennestes ihr Ende finden
werden.
Meine Schilderung stimmt wie man sieht auch im Wesentlichen
ganz mit der Beschreibung von Czajewicz und seiner Figur 5
(Reich. u. Du Bois R. Arch. 1866, p. 289, Taf. 9), in der die en-
dogenen Zellen nur etwas schematisch ‚wie ein Epithel um die Fett-
tropfen her‘ dargestellt sind. Es ist mir zweifellos, dass er
ganz die gleichen Bilder wie ich vor sich gehabt hat, und ich
ergreife um so mehr die Gelegenheit, die Treue dieser seiner Beob-
achtung zu constatiren, als dieselbe, wie seine ganze Arbeit, vier
Jahre hindurch in der Literatnr nicht gewürdigt und kaum einmal
erwähnt worden ist.
Es ist Czajewicz gewiss nicht zu verargen, dass er diese
Proliferationsbilder ohne Weiteres auf Rechnung der künstlich
hervorgerufenen Entzündung schob. Denn er hatte übersehen,
dass dieselben Bilder zy, Gesicht kommen bei reiner Atrophie ohne
jede Entzündung. Nachdem wir jetzt diese Thatsache kennen ge-
lernt haben, muss sie uns über die „entzündeten Fettzellen‘“ zu
denken geben.
342 Dr. W. Flemming:
Wie gesagt zeigen viele Fettzellen der entzündeten Gegend die
Zustände einfacher Atrophie; es scheint also, dass durch die Irrita-
tion des Gewebes eine solche gesetzt wird — denn, wie ich früher
zu bemerken versäumt hatte, auf der andern nicht entzündeten Seite
des gleichen Thiers fand sich dieser Zustand nicht vor. — Ich
weise ferner besonders darauf hin, dass Özajewicz theils den Er-
nährungszustand seiner Thiere vor der Entzündung nicht controlirt
zu haben scheint, theils dieselben sogar absichtlich vorher hat
hungern lassen, da die Fettzellen bei Verringerung ihres Inhalts,
wie es ihm schien, eine grössere Disposition zur Entzündung bekom-
men sollten. — Da muss doch der Gedanke nahe liegen, dass die
Wucherungszustände, in denen wir Fettzellen des entzündeten Ge-
webes begriffen sehen, vielleicht gar nicht solche der entzündlichen
Proliferation sind, sondern Zustände der atrophischen Wucherung.
Es wäre danach möglich, dass das entzündende Moment die Fett-
zelle an sich gar nicht irritirt. Es ist freilich auch möglich, dass
die Entzündung eben dieselben chemisch-physikalischen Einflüsse auf
die Fettzelle ausübt wie die Atrophie, und deshalb die Producte
beider aufs Gleiche herauskommen. Es ist endlich möglich, dass
beide Vorgänge ihrem Wesen nach verschieden sind und doch die
gleichen morphologischen Gonsequenzen haben.
Ueber das Alles lässt sich jetzt nicht entscheiden. Allein für
den Umstand, dass schon in frühen Stadien der Atrophie, und ebenso
bei der Entzündung, einzelne Fettzellen, aber eben jeweilen immer
nur einzelne dem Wucherungsprocess verfallen, findet sich schwer
eine rationelle Deutung. Die Thatsache ist da und es lässt sich zu
ihrem Verständniss kaum etwas Anderes annehmen, als dass eben
einzelne Zellen je zur Zeit eine besondere Disposition haben, ihre
Kerne zu vermehren, und sobald die dafür günstigen Ernährungszu-
stände sich bieten, mit Energie in diesen Process eintreten. Denn
dass die wuchernden Zellen während des Vorgangs anderen Er-
nährungsbedingungen ausgesetzt gewesen sein sollten, wie die nicht-
wuchernden, lässt sich schwer annehmen, da nichtwuchernde in
unmittelbarem Contact mit ihnen an den gleichen Gefässen liegen.
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle. 343
Il. Ueber spätere Stadien des Fettzellenschwundes.
Die Rückbildungsformen der Fettzelle, welche so eben be-
sprochen wurden, stellen meistens die raschen Folgen eines rapiden,
durch plötzlichen Hunger oder starke Ernährungsstörungen hervor-
gerufenen Schwundes dar. Es scheint aber, dass diese Rückbildungs-
formen andere sind bei einer langsamen, wenn ich so sagen darf
normalen Atrophie, wie solche bei allmähliger Abmagerung erfolgt,
wie sie durch ganz physiologische Ernährungsschwankungen des
Thierkörpers gewiss oftmals eingeleitet und wieder gut gemacht
wird, und wie sie deshalb für die Physiologie jedenfalls wichtiger
ist als jene abnorme Abzehrung. Ich habe wenigstens bei einigen
Versuchen, in denen Thiere nicht sofort, sondern sehr allmählig in
schlechte Ernährung gebracht wurden, andere Bilder bekommen wie
die, von denen bisher die Rede war.
Ich muss es selbst als einen Mangel meiner früheren, über-
haupt kürzer als wünschenswerth gerathenen Darstellung des Fett-
zellenschwundes !) bezeichnen, dass ich dieser Verschiedenheit darin
nicht näher Rechnung getragen, und z. B. in etwas summarischer
Weise die endgültigen Formen des langsamen Schwundes zum Theil
an einem Beispiele sehr rascher Atrophie demonstrirt habe ?). In so
fern war dies immerhin gerechtfertigt, als für viele der Fettzellen
die Endstadien beider Formen von Atrophie in der That aufs
Gleiche herauskommen können; denn — abgesehen von den atro-
phisch wuchernden Zellen, die mir damals noch nicht bekannt waren
— finde ich mich durch alles seither Ermittelte nur bestärkt in der
Ansicht, welche ich schon früher aussprach ?): dass die Fettzelle sich
zu einer fixen Bindegewebszelle, wie alle andern in der Gefässadven-
titia, zurückzubilden vermag.
Für junge, eben erst gefüllte Fettzellen jugendlicher Thiere,
sowie für Fettzellen der Amphibien (Rückenfett des Frosches) habe
ich geschildert, dass sie sich bei der Atrophie zurückbilden zu
Formen, welche von denen der benachbarten fixen Bindegewebszellen
nicht verschieden sind (l. ec. Fig. 33, 36, 29). Für die alte, vollge-
füllte Fettzelle habe ich diesen Nachweis damals nicht führen können ;
l) a. a. O. pag. 66 ft. 2) a. a. 0. Fie.'26, vergl. p. 69.
3) a. a. O. pag. 72 und 77.
344 Dr. W. Flemming:
ich habe ihren Schwund nur verfolgt bis zu Formen, wie in der
Fig. 27 1. c., wo die Membran der Zellen geschwunden, und diesel-
ben wie ich sagte „nur noch kernhaltige Körnchenhaufen darstellen,
welche nur durch Grösse, häufige Abflachung und Streckung und
ihre Anordnung in den Capillarenmaschen und grobkörnigen Wan-
derzellen unterschieden sind.“
Bis zur Beobachtung dieser Stadien scheint auch Toldt ge-
kommen zu sein, welcher in seiner unten besprochenen Arbeit (p. 12)
sagt: „Erhält man ein Thier, dass früher gut genährt war, längere
Zeit im Zustande hochgradiger Magerkeit, so sieht man wie die
Zellen des Fettgewebes an Umfang bedeutend abgenommen haben
und wieder mehr und mehr das Aussehen von Protoblasten ge-
winnen.‘“
Das allmähliche Abhungern führt aber auch bei längerer Fort-
setzung nicht zugleich überall auf die Endformen des Zellenschwun-
des. Denn, wie Toldt selbst sehr richtig bemerkt hat, man fin-
det bei atrophischen Thieren die einzelnen Fettläppchen in sehr ver-
schiedenen Stadien der Atrophie. Und während also an einem der-
selben das eben beschriebene Bild sich findet, kann, wie ich viel-
fach beobachtete, an einem anderen schon ein weiterer Rückschritt,
an einem dritten dabei noch ziemliche Fettfüllung vorhanden sein.
Die letztere erhält sich überhaupt länger als man glauben sollte;
so habe ich bei einem alten Kaninchen, das Wochen lang systema-
tisch mässig genährt und dann noch 9 Tage auf eine fast absolute
Hungerkur gesetzt war (Nr.8), noch eine Menge Fettläppchen der
Inguinalfalte gefunden, an denen eben erst seröse Atrophie im Be-
ginnen war.
Man kann aber wie gesagt an solchen Thieren, ja auch an
solchen die nur einige Tage lang gehungert haben, daneben auch
weitere Rückgangsstadien finden, wenn man nur etwas danach
sucht, und besonders unter den ganz fettleer gewordenen Läpp-
chen diejenigen auswählt, welche am isolirtesten in das gefässlose
Bindegewebe hinein ragen. Man sieht diese Läppchen bei den hier
angewandten Methoden (s. u.) in den Leimtumoren auch dann, wenn
sie ganz fettleer sind, mit blossem Auge als graugelbliche Stellen.
Dass man in ihnen wirklich Fettläppchen vor sich hat, darüber wird
die Form des Gefässnetzes (vgl. Fig. 9) dem, der überhaupt mit
atrophischem Fett zu thun gehabt hat, keinen Zweifel lassen. Nur
das könnte die Frage sein, ob diese Gefässnetze überhaupt schon
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle. 345
vor der Atrophie ‚fettzellengefüllt gewesen sind: denn wie ich früher
mittheilte (a. a. ©., vgl. auch bei Toldt p. 7) ist wenigstens ein
wesentlicher Theil der Blutbahnen schon vor der Fettzellenanlage
fertig, wenn auch allerdings mit dieser noch eine weitere Ge-
fässsprossung erfolgt. Ich habe mir hierfür so geholfen, dass ich
gesunde Thiere verglich, die vom gleichen Wurf mit den atrophisch
gemachten und bisher mit diesen ganz gleich genährt waren. Sieht
man dann bei den letzteren an denselben Stellen leere Gefässnetze,
wo bei den ersteren noch Fettläppchen liegen — es lässt sich das
an Durchschnitten der Leimtumoren ganz leidlich abschätzen — so
darf man wohl annehmen, dass jene Gefässnetze auch vor der Atro-
phie Fett beherbergt haben.
Ich spreche nun zunächst von jenen im Eingang dieses Ab-
schnittes erwähnten Bildern, welche ich bei langsamer und mässiger
Atrophie beobachtet habe, und die vielfach nur wenig an das er-
innerten, was im ersten Abschnitt geschildert ist: fast keine seröse
Atrophie, fast keine atrophische Wucherung. Neben noch ganz
vollen, grossen Fettzellen fanden sich oft kaum einige, an denen
durch eine geringe Verkleinerung des Fetttropfens der Hüllencon-
tour abgesetzt zu sehen war; nur sehr einzelne Zellen waren mehr-
kernig oder wirklich wuchernd; dagegen lagen neben den grossen
Fettzellen öfter kleine in mannichfachen Abstufungen, in welchen
aber die Hülle der Tropfen eng umschloss, ähnlich wie das bei
jungen progressiven Fettzellen sich verhält. Unmittelbar aber
neben diesen noch fetthaltigen Stellen des Gefässnetzes zeigte sich
dasselbe ganz fettleer; bald in seinen Maschen grössere Mengen
jener „protoblastenartigen“ rundlichen Zellen bietend, bald aber auch
nichts enthaltend .als abgeplattete fixe und nur sehr vereinzelte
Wanderzellen.
Die naheliegendste Erklärung dieser Bilder scheint mir die,
dass das Protoplasma der Fettzelle bei langsamer Atrophie ge-
wissermassen Zeit behält, seine Gestalt dem Schwunde des Inhalts
anzupassen und so allmählich zu der Form einer Bindegewebszelle
zurückzukehren, die es vor der Fettfüllung hatte: während es bei
rapidem Schwunde der raschen Verkleinerung des Tropfens, um so
zu sagen, nicht zu folgen vermag. Ich will jedoch, ehe mir eine
grössere Anzahl von Beobachtungen vorliegt, nicht entscheiden ob
dieser erstere Rückbildungsweg bei jeder langsamen Atrophie der
hauptsächliche ist (der einzige ist er auch hier nicht, denn wie
346 Dr. W. Flemming:
eben gesagt kommen auch hier einzelne Formen atrophischer Wuche-
rung vor). Wäre es so, so würde man passend diesen Rückbildungs-
modus, neben dem der serösen und der wuchernden Atrophie, als
den der einfachen oder normalen Atrophie der Fettzelle bezeich-
nen können; da er dann solchen Abmagerungszuständen entsprechen
würde, welche sehr vielfach und ohne tiefergreifende Ernährungs-
störungen im Thierkörper eintreten. — Ich weise zugleich darauf
zurück, dass die noch junge membranlose Fettzelle bei jungen In-
dividuen fast stets diesem einfachen Rückbildungsmodus zu folgen
scheint. Bei ganz jungen verhungerten Thieren (neugebornen Ka-
ninchen wie Nr. 9) habe ich bisher auch keine eigentliche Wucher-
Atrophie beobachtet.
Werfen wir nun einen näheren Blick auf die Zellen, welche
man in den — sei es durch langsamen, sei es durch raschen Schwund
— ganz fettleer gewordenen Gefässnetzen beobachtet. An vielen
Stellen zeigen sich in deren Maschen jene körnigen, nach raschem
Schwund öfter auch fettkörnchenhaltigen, rundlichen oder doch aus-
läuferlosen Zellen, von denen schon die Rede war und welche ich
einmal mit Toldt Protoblasten nennen will, in einer Anzahl wie sie
etwa derjenigen der früheren Fettzellen entsprechen könnte: dies
Bild würde sich ungezwungen so deuten lassen, dass sie als die end-
gültigen Rückgangsstadien der letzteren, als fettleere ‚„Fettgewebs-
zellen“ (Toldt) hier zurückgeblieben wären. Geht man jedoch zu
anderen Läppchen, oder nur zu andern Stellen der nämlichen über,
so wird man andere Bilder finden : hier liegen in den Gefässmaschen
wesentlich nur Zellen, welche völlig die Formen der fixen Bindege-
webszellen haben : abgeplattet, vielgestaltig, in Ausläufer ausgezogen,
welche mit andern oder den Gefässwänden zusammenhangen (Fig. 10).
Man muss diese Objecte natürlich sorgfältig mit guten Immersions-
linsen controliren, wird sich aber dann überzeugen, dass in dem Ge-
fässnetz auf weite Strecken wirklich keine runden freien Zellen
liegen oder doch so wenige, wie es der gewöhnlichen Anzahl von
Wanderzellen in diesem Gewebe allerdings, der Menge der früheren
Fettzellen aber nicht entfernt entspricht. In der Fig. 10 gezeichne-
ten Gefässmasche z. B. !) befindet sich keine einzige rundliche Zelle
1) Ich zeichne einen Theil des Gefässnetzes, aus welchem sie stammte,
in Fig. 9 daneben, um Garantie zu geben, dass es sich wirklich um Gefässe
eines atroph. Fettläppchens handelte.
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle. 347
oO
und im ganzen zugehörigen Sehfeld mit Hartnack 7, 5 nur zwei,
welche auf diese Bezeichnung Anspruch haben, während in dem Ge-
fässnetze in diesem Sehfeld nach seinem Habitus nach mässigster
Schätzung mindestens ein halb Dutzend Fettzellen gelegen haben
müssen.
Solche Bilder von Fettläppchen, in denen alle specifisch aus-
sehenden Fettzellen vollständig verloren gegangen erscheinen, finden
sich wie ich sagte nicht bloss nach langsamem Schwund, sondern
auch nach schnellerem an manchen Läppchen schon nach wenigen
Tagen. Und hier trifft man dann auch oft noch Fettüberbleibsel in
den Zellen. In dem Fig. 11 gezeichneten Läppchen fanden sich an
manchen Orten noch rundliche Zellen der oben besprochnen Art —
einige derselben bei r r — an anderen nur fixe, platt und anasto-
mosirend, wie die meisten der grade gezeichneten Partie; beide sind
in verschiedenem Grade erfüllt von kleinen und kleinsten, gelblichen
Fetttropfen, wie sich solche ausserdem frei im Gewebe finden.
Wie ich bereitwillig zugestehe, lässt sich nach dem Mitgetheil-
ten noch keineswegs sicher darüber entscheiden, ob die Fettzelle sich
zur fixen Bindegewebszelle zurückbildet, oder nicht. So viel geht
jedenfalls daraus hervor, dass Fettläppchen in späteren Stadien der
Atrophie keine anderen Bestandtheile besitzen können als die des
Bindegewebes, d. h. Gefässe, Fibrillen mit Zwischensubstanz und
Zellen, welche die charakteristischen Formen der Bindegewebszellen
haben, abgesehen von einzelnen Wanderzellen, deren Zahl nicht
gross genug ist, um hier in Betracht zu kommen. Was aber aus
den Fettzellen geworden ist, darüber bleiben verschiedene Annah-
men möglich. Denn jene, in den Läppchen restirenden fixen Zellen
brauchen ja nicht Fettzellen gewesen sein; es kommen ja im fettge-
füllten Läppchen ausser den Fettzellen immer noch eine Menge fett-
loser Bindegewebszellen vor.
Einmal können alle Fettzellen der atrophischen Wucherung
unterlegen, und die dabei producirten Zellen fortgewandert oder
untergegangen oder umgebildet sein — dies ist deshalb unwahr-
scheinlich, weil man eben bei langsamer Atrophie sehr wenige
wuchernde Fettzellen findet. — Ferner können die Fettzellen auf
jene protoblastenartigen Zellenformen zurückgeschritten, und diese
können zu Grunde gegangen oder weggerückt sein. Endlich können
sie sich, durch diese letzteren Formen und direct, zu den fixen
Zellen zurückgebildet haben, welche wir beobachten. Man möchte
348 Dr. W. Flemming:
glauben, dass sich zwischen den beiden letztgenannten Möglichkeiten
entscheiden lassen muss, wenn man die noch protoblastenhaltigen
Stellen mit denen vergleicht, an welchen bloss fixe Zellen zu sehen
sind: Ist die Zahl der Protoblasten plus fixe Zellen an den ersten
Orten grösser, wie die Zahl der fixen Zellen allein an den letzteren
Orten, so spricht das für die erste Auffassung; ist sie gleich gross,
so spricht das für die zweite. Diese Schätzung ist aber nicht leicht:
denn erstens ist überhaupt die Menge der fixen Zellen in den Ge-
fässmaschen sehr wechselnd ; und dann lässt sich eine absolut gleich-
mässige Ausdehnung des Gewebes nicht erzielen, und dies ist von
srossem Belang für den fraglichen Zweck: denn der Raum einer Ge-
fässmasche ist ja nur ein relativer Begriff, bei unserer Methode ge-
wissermassen ein optischer Querschnitt, dessen Raumverhältnisse
sich bei einer geringen Ausdehnung in anderer Dimension schon
sehr stark ändern. Wenn mir daher auch die Resultate solcher
Schätzungen mit der letztgenannten Annahme recht gut verträglich
scheinen, so will ich sie doch keineswegs für dieselbe verwerthen.
Eben so wenig liegt ein bestimmter Beweis darin, dass man
an den betreffenden atrophischen Stellen (Fig. 11) nach rascherem
Schwund unzweifelhafte fixe Zellen noch fettkörnchenhaltig
findet. Es können dieses rückgängige Fettzellen sein — ich habe
oben ja das Vorkommen von Fettkörnchen in den protoplasmati-
schen Theilen der letzteren bei Atrophie constatirt (Fig. 5); ich
habe aber auch am gleichen Orte beschrieben, dass Fettkörnchen
dort auch in den umliegenden fixen Zellen vorkommen, und es ist
nicht zu entscheiden, ob eine solche Zelle früher Fettzelle war, oder
ob sie die Tröpfchen blos in Folge der Atrophie aufgenommen hat.
(Vergl. oben.)
Eine Beobachtung jedoch kann ich hier nicht unerwähnt lassen,
welche sehr für die Rückbildung zur fixen Zelle spricht und welche
ich nur deshalb nicht: als Beweis hinstellen will, weil sie bis jetzt
noch vereinzelt dasteht. Bei einem erwachsenen Meerschwein (Ss. u.
Nr. 11), welches längere Zeit schlecht genährt und dann 6 Tage
gemästet war, fand sich in den Fettläppchen, wo Fettzellenneubil-
dung im Gange war, Folgendes (Fig. 6): zunächst in zahlreichen
fixen Bindegewebszellen kleinste, kleine bis mittelgrosse Fetttröpf-
chen und Uebergangsformen von diesen zu ausgerundeten Fettzellen,
sanz wie ich dies früher von der Fettzellenentwickelung beschrieben
habe. Das Fett in diesen Uebergangsformen, so wie in dem grössten
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle. 349
Theil der fixen Zellen, sah hellweiss aus. Daneben nun fand
sich eine nicht geringe Zahl fixer Zellen, welche ein oder mehrere
Tröpfehen, und zwar bis zu Mittelgrösse herauf, dunkelgelben
Fettes enthielten. In keiner Zelle befand sich Fett von beiden
Farben zugleich; in keiner Uebergangsform zu grösseren Fettzellen
gelbes Fett. Da die Gelbfärbung des Fettes ein ganz characteristi-
sches Merkmal der Atrophie ist, da ich bei progressiven Fettzellen
niemals gelbes Fett gefunden habe, so scheint hier die Deutung
wohl gerechtfertigt, dass die Zellen mit den gelben Tropfen rückge-
bildete Fettzellen von der Atrophie her waren; an Bindegewebs-
zellen, wie die vorherbesprochenen, die bei Gelegenheit der Atro-
phie nur zufällig fetthaltig geworden wären, kann ich hier deshalb
nicht denken, weil ich an solchen Zellen (vergl. Fig. 5 y de) nie
so grosse und so vereinzelte Tröpfchen beobachtete wie sie hier
vorlagen.
Es würde danach möglich sein, dass so weit atrophirte Fett-
zellen bei wieder beginnender Mästung zunächst nicht die Dispo-
sition haben, sich wieder zu füllen; denn wie gesagt fand sich hier
in keiner Zelle gelbes und weisses Fett!).
1) Die Behauptung von COzajewicz, dass „beim Wiederansatze des
Fettes sich dasselbe in den ursprünglichen Zellen wieder ansammle“, hatRol-
let in Stricker’s Handbuch B. I, p. 70, wo er sie citirt, mit einem berech-
tigten Fragezeichen versehen. Cz. beschreibt allerdings sehr anschaulich, als
ob er es gesehen hätte: „dass bei der Wiedermästung in den serösen Zellen
nach wenigen Tagen feine Fetttröpfehen zum Vorschein kommen, die sich
allmählich vergrösserten und schliesslich zu grösseren Tropfen zusammen-
flossen“ (1. 1. p. 310). Dies kann man natürlich nicht sehen, wenn man
das Gewebe herausgeschnitten hat. — Die Meinung Czaje wicz’s scheint mir
aber in der Fassung, dass die ursprünglichen Fettzellen ebenso gut wie die
andern Bindegewebszellen bei der Wiedermästung Fett aufnehmen können,
völlig richtig zu sein. Ich habe bei Kaninchen6 meiner Versuchsreihe, wo
dem Hunger 1!/,tägige Mast folgte, sehr viele serös-atrophische Fettzellen
gefunden, in denen nicht wie bei der Atrophie ein oder wenige Neben-
tropfen, sondern viele waren und diese wie der Haupttropfen kaum gelb-
lich; ich habe andre runde seröse Zellen ohne Haupttropfen, nur mit vielen
kleinen Tropfen gefunden; ich glaube durchaus, dass diese Tröpfchen wieder an-
gesammeltes Fett waren. Um so mehr, als man in manchen andern Läppchen
Zustände fand, ganz ähnlich wie die der Fettzellenneubildung; mit Sicher-
heit ist hier freilich nicht zu entscheiden, da die letzteren Zustände so gut
normaler Atrophie, wie der Neubildung entsprechen konnten (vergl. unten Ka-
ninchen 6).
350 Dr. W. Flemming:
Ueber die ganze Frage würde sich etwas bestimmter urtheilen
lassen nach der Untersuchung von Thieren, die langsam atrophirt und
sehr lange, bis zum völligen Schwunde alles Fettes in solchem Zustand
erhalten sind (vergl. pag. 356 Anm.). Man würde dann auch sehen
können, was schliesslich aus dem Gefässnetz des Fettläppchens wird,
ob dasselbe stets in seiner Form persistirt. Bis mir Resultate sol-
cher langwieriger Versuche vorliegen, will ich hier in kurzer Wie-
derholung das zusammenstellen, was dafür sprechen kam
(— ich sage absichtlich nicht, was beweisen kann —), dass der
normale und regelrechte Rückgangsmodus der Fettzelle die Rück-
bildung zur fixen Bindegewebszelle ist.
Einmal sind beim raschen Schwunde junger Fettzellen und beim
langsamen Schwunde alter Uebergangsformen von der Ersteren zur
Letzteren zu beobachten.
Ferner findet man in Fettläppchen (welche durch die Form
ihres Gefässnetzes als solche charakterisirt sind), bei späteren Sta-
dien der Atrophie keine anderen, ihrer Menge nach in Betracht
kommenden Zellen, als fixe Bindegewebszellen.
Weiter, bei rapidem Schwund nähert sich das Protoplasma von
einfach atrophischen und von wuchernden Fettzellen, innerhalb der
noch erhaltenen Membran, oft bis zum Verwechseln wieder der Form
einer fixen Bindegewebszelle.
Weiter, bei nicht allzu rapider atrophischer Wucherung von
Fettzellen nehmen die Producte dieser Wucherung die ausge-
sprochenen Formen fixer Bindegewebszellen an (pag. 333).
Endlich, und dies ist nach meinem Dafürhalten der wesent-
lichste Punct, die Entstehung von Fettzellen aus fixen Bindege-
webszellen ist nachgewiesen und zwar, wie ich annehmen muss, als
der wesentliche und normale Bildungsweg der Fettzelle.
Ich habe schliesslich noch mit einigen Worten bei einer Frage
zu verweilen die sich aufwirft, man mag nach dem Vorigen der
einen oder der andern Ansicht über die Rückbildung zuneigen.
Wo bleibt in den Fällen rascher, seröser wie wuchernder Atrophie,
die Membran der Fettzelle? Wir sahen sie in den Anfangs-
stadien dieser Zustände als getrennte, abgesetzte Kapsel die Zellen-
theile umschliessen. Es ist keine Frage, dass sie in späteren Sta-
dien nicht mehr da ist: geht sie unter, oder wird sie mit dem Proto-
plasma der Fettzelle zurückgebildet? Ich habe früher (a. a. O.)
beide Möglichkeiten neben einander offen gelassen, und muss dies
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle, 351
auch jetzt noch. Für die erstere, den Untergang, verweise ich ein-
mal auf das dort Gesagte; dann auf die Bilder, wie sie z. B. an
der Zelle # in Fig. 5 wiedergegeben sind, und wie man sie bei rapi-
der Atrophie — bei jungen Kaninchen schon nach 3—4 Tagen —
in so ausserordentlicher Zahl trifft. Das Protoplasma der Zelle liegt
frei im Innern oder wird nur durch zarte Brücken mit der Mem-
bran verbunden, welche noch im alten Umfang und in alter Run-
dung, aber oft auch als äusserst zarter, selbst mit starken Linsen
kaum wahrzunehmender Contour sich herumspannt. Der Binnen-
raum muss wohl entschieden als flüssigkeitshaltig gelten. Da ich
früher andere Bilder beschrieben habe, wo an der Stelle der Hülle
in solchen. Fällen nur ein Kreis von Körnchen wahrzunehmen war,
so liegt die Annahme nahe, dass unter Umständen die Verbindung
zwischen ihr und dem Protoplasma nicht wieder hergestellt wird,
dass sie zerfällt. Andere Bilder weisen darauf, dass in andern
Fällen eine solche Wiedereinbeziehung stattfinden kann. Dahin
gehören die vielfach vorkommenden kleineren serös-atrophischen
Zellen, wie n und n in Fig. 5, wo die Membran um das Proto-
nlasma wieder enger zusammengelegt erscheint, und wo ihr Contour
öfter (Fig. 5 «) an einer Stelle völlig frei verschwimmt, während
er dort, wo das Protoplasma anliegt, gar nicht von diesem zu tren-
nen ist. Dass bei langsamer Atrophie die Membran überhaupt von
dem Fett und Protoplasma sich nicht immer abhebt, sondern ihnen
bei ihrem Rückgange eng umschliessend nachfolgt, ist schon er-
wähnt.
Diejenige Beobachtung dagegen, welche ich am früheren Orte
dafür geltend machte, dass die Hülle bereits anfänglich als solche
untergehen und der Zellenleib nach dem Schwunde des Fettes als
rundliche, festweiche Masse zurückbleiben kann (l. e. p. 69, Fig. 32),
will ich hier unverwerthet lassen: denn sie betraf einen patholo-
gischen Fall und ist mir, wie ich hier betonen will, bei normalem
Fettschwund noch nicht wieder vorgekommen.
Aber was ist überhaupt die Membran der Fettzelle? Ist sie
noch Protoplasma, oder etwas Anderes? Wer sich viel mit atrophi-
schen Fettzellen beschäftigt hat, dem muss sich diese Frage schliess-
lich aufdrängen. An jungen Zellen ist diese Membran nicht da:
an serös-atrophischen kann sie von dem Protoplasma so losgetrennt
erscheinen, dabei so verschieden von ihm in ihrem Verhalten gegen
das Carmin, welches sie völlig ungefärbt lässt, während es das Proto-
352 Dr. W. Flemming:
plasma intensiv röthet — dass ich mich des Glaubens nicht er-
wehren kann, sie sei gar kein integrirender Theil dieses Proto-
plasma mehr, sondern ein secundäres, sei es als Abscheidung, sei es
durch Umwandlung von dem Zellenleib geschaffnes Product, ver-
gleichsweise wie die Cuticula einer Epithelzelle. Selbst bei alten,
ganz vollen Fettzellen zeigt eine genaue Beobachtung mittelst unse-
rer Methoden Dinge, welche nur in diesem Gedanken bestärken
können. Man kann an diesen häufig wahrnehmen (Fig. 12), wie um
den Fetttropfen, und um die Contoure des Protoplasma her, welche
neben diesem noch scharf abzugrenzen sind, weitere zartstreifige
Contoure ringsherum ziehen, an welchen aber von der Färbung, die
das Protoplasma zeigt, keine Spur zu bemerken ist. Also hier viel-
leicht einmal eine „Membran“ im wahren Sinne des Worts. Dass
sich die Fettzelle eine solche secundäre, vielleicht gar nicht aus
Eiweisskörpern bestehende Kapsel macht, während andere Zellen im
Bindegewebe es nicht thun, lässt sich wohl denken, wenn man be-
rücksichtigt, dass jene durch ihren Fettinhalt auch in ganz eigen-
thümliche Lebensbedingungen gekommen ist. Aber auch diese Er-
wägung scheint kaum nöthig: fassen wir doch mit gutem Grund die
Zwischensubstanz des Bindegewebes, formlose wie fibrilläre, als Pro-
duct der fixen Zellen auf, und ich würde kein Hinderniss sehen, die
Hülle der Fettzelle mit unter die Kategorie dieser Substanzen zu
setzen. DBegreiflich würde es aber auch sein, dass eine solche
accessorische Hülle bei der Atrophie zu Grunde gehen kann, während
das Protoplasma der Zelle lebendig und zu weiterer Leistung fähig
bleibt.
Im Anschluss stelle ich zum Anhalt für die obige Schilderung,
kurz die Geschichte der hier in Betracht kommenden Versuche zu-
sammen, nur diejenigen berücksichtigend bei denen der Ernährungs-
zustand der Thiere mit der möglichen Sicherheit controlirt war.
Die Refunde sind das Resum& aus dem, was ich an den möglichst
vielen Präparaten, die von je einem Thier gefertigt wurden, über-
einstimmend fand. Ich habe von allen Thieren das Inguinal- und
Rückenfett, von den meisten auch das Achsel- und Nierenfett und
das Mesenterium untersucht ; sämmtliche Fettlager eines Thiers voll-
ständig durchzusuchen, würde natürlich eine unendliche Arbeit sein.
Die seröse Atrophie soll dabei mit S. A., die Wucher-Atrophie
mit W. A., der Zustand den ich als einfache oder normale Atro-
phie bezeichnete, mit N. A. benannt werden, der Zustand wo gar
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle, 353
keine seröse oder wuchernde Fettzellen vorhanden waren, mit
Schluss-Atrophie bezeichnet werden.
Frühere Befunde.
Hund 1. Jung, nach guter Fütterung vierzehn Tage auf
sehr knappe Diät gesetzt, dann zwei Tage gemästet.
Fettzellen meist normal gefüllt, in sehr einzelnen Läppchen
geringe Grade von S. A.; in ziemlich vielen W. A. und zwar theil-
weis mit Umbildung zu fixen Zellen.
Alte Ratte 2. Nach dreitägiger Gefangenschaft ohne zu
fressen gestorben; am zweiten Tage war eine Gallengangsunterbin-
dung gemacht.
Starke S. A., starke W. A. n
Weitere Versuche.
Kaninchen 3. Zwei bis drei Monate alt, vorher (wie alle,
wo nicht das Gegentheil bemerkt ist), gut gefüttert. Bekam vier
Tage starke Hungerkur (täglich 1—2 Gramme feuchte Kartoffel-
schalen).
Ueberall starke S. A., daneben starke S. A., daneben starke
und vielfacheW. A. An einzelnen Läppchen schon Schluss- Atrophie.
Aelteres Meerschwein 4. Vierzehn Tage lang täglich
5—2 Gramme, anfangs mehr, später weniger feuchte Kartoffel-
schalen; bei der Tödtung schon ganz entkräftet.
Wie Kaninchen 3.
Kaninchen. Drei bis vier Monate alt. Vier Tage mässige
Hungerkur (täglich eirca 1 Gramm Kohl und Kartoffelschale, zu-
erst etwas mehr, später weniger).
Viele Läppchen normal, in vielen mässige S. A., in einzelnen
finden sich Zellen mit W. A., besonders Anfangsstadien derselben,
vielfach mit Umbildung zu fixen Zellen.
Kaninchen 6. Vom gleichen Wurf mit fünf. Zehn Tage lang
dieselbe Cur wie 5, dann 1'/; Tag stark gefüttert.
In vielen Läppchen kaum ausgesprochene, in vielen mittlere
und stärkere Grade von S. A., in zahlreichen davon eingestreut
Zellen mit verschiedenen, doch nicht den stärksten (wie z. B. bei
Nr. 3 und Nr. 4) Graden von W.A., dann einzelne mit Umbildung
zu fixen Zellen. — An manchen, jungen Läppchen Formen von
Fettfüllung, wie bei der Fettzellenentwicklung (Uebergänge von
354 Dr. W. Flemming:
Form der fixen Zelle zur Fettzelle) ; hier nicht zu entscheiden, ob
diese einfacher normaler Atrophie, oder dem Wiederansatz durch
die nachfolgende Fütterung entsprechen. Andere Läppchen in
Schluss-Atrophie mit völlig fettlosen Zellen (wenn man nicht anneh-
men soll, dass dies in Zeit von 11/; Tagen neugebildete Gefässnetze
sind. Nicht wahrscheinlich, weil ganz gleiche bei Nr. 3 und 8, die
durchweg gehungert hatten).
Aelteres Meerschwein 7. 21/; Tage lang ‘behandelt wie
Kaninchen 3. Grösster Theil der Läppchen normal, an einzelnen
geringe S. A., sehr vereinzelte W. A.
Also noch sehr wenig Reaction.
Kaninchen 8. Altes Thier, schon lange schlecht gefüttert
und, wie ein vorheriger Probeschnitt in eine Inguinalfalte am leben-
den Thier, und Durchsuchen des Gewebes zeigte, wenig Fett mehr
besitzend. Dann circa neun Tage Hungerkur (pro Tag etwa Ya
Grm. Kartoffelschale, allmählich weniger).
In den Läppchen, soweit sie noch fetthaltig, z. Th. mässige
S. A., zwischendurch einzelne Formen der W. A.; andere Läppchen
und Stellen derselben Läppchen in Schluss-Atrophie, hie und da
überleitende Rückgangsformen der N. A.
Kaninchen 9. Neugeboren, 1'/; Tage ohne Nahrung, ver-
hungert.
Directe Rückgangsformen (N. A.) nur einzelne Zellen mehr-
kernig ').
Kaninchen 10. Zwei bis drei Monate alt. War offenbar
krank und hatte schon die Woche vorher nicht fressen wollen.
Hungerkur wie Nr. 3; nach zwei Tagen gestorben.
1) Diese Formen der einfachen Atrophie, wie ich sie bei Neugebornen
stets fand, können den Bildern der Fettzellenentwickelang sehr ähnlich sein
und leicht zu Irrungen führen (worauf ich schon früher aufmerksam machte):
denn man trifft wie oben gesagt ja hier rückgängige Uebergangsformen von
der Fettzelle zur fixen Bindegewebszelle. Der einzige Unterschied, der sich
zwischen beiden Vorgängen bei Neugebornen herausstellt, ist dieser; beim
Schwund finden sich zahlreiche grössere runde, durch und durch körnige
Zellen, welche nur einen oder mehrere kleine Fetttropfen beherbergen. Bei
der Entwicklung kommen solche Formen nicht vor; wo hier eine runde
fetthaltige Zelle von solcher Grösse sich findet, da ich sie immer auch mit
einem grösseren, oder vielen kleinen Fetttropfen ganz ausgestopft; die Zellen
von geringerm Fettgehalt sind auch alle kleiner und zeigen fast alle
(s. a. a. O.) die Formen fixer Bindegewebszellen.
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle. 355
Wo noch Fett ist, mässige S. A., keine W. A. beobachtet, nur
hie und da mehrkernige Zellen. Vielfach Schluss-Atrophie, stellen-
weis mit Fettkörnchen in den Zellen (Fig. 11).
Dies war also der einzige Fall bisher wo bei einem älteren
Thier (gegenüber dem Neugebornen gesprochen) keine W. A. zur
Beobachtung kam. — Die beobachtete Schluss-Atrophie beziehe ich
jedenfalls eher auf die vorgängige Krankheit, als auf den nur zwei-
tägigen Hunger.
AelteresMeerschwein ll. Ueber einen Monat lang in
der Winterkälte ohne Stroh gehalten und dabei schlecht gefüttert
(einige Gramme Kohl und Rüben pro Tag) um langsamen Schwund
zu erzielen. Dann sechs Tage gemästet.
Keine Formen von W. A., in manchen Läppchen die Fettzellen
nicht ganz voll, an einigen Stellen die als N. A. beschriebenen Zu-
stände.. An vielen Läppchen (jungen wie alten, d. h. hier wie
immer: grosszelligen wie kleinzelligen, vergl. oben) Neubil-
dung von Fettzellen wie gewöhnlich; und zwar fixe Bindegewebs-
zellen mit weissem Fett, davon Uebergangsformen zu vollen Fett-
zellen: daneben fixe Bindegewebszellen mit gelbem Fett, von diesen
aus keine solche Uebergangsformen.
Manche andere Thiere, besonders marantische, die ich unter-
suchte und bei denen die Befunde sich den bezüglichen Stadien der
hier geschilderten Vorgänge entsprechend zeigten, führe ich nicht
mit auf, weil ich keine genauere Daten geben kann.
Ueber die Zeitdauer, in welcher die verschiedenen Vorgänge
bei der Atrophie ablaufen, lassen sich aus dieser Versuchsreihe noch
sehr wenig sichere Schlüsse machen. Dass seröse Atrophie der
Fettzellen schon durch wenige Tage Hungers eingeleitet werden
kann, ist schon von Czajewicz mitgetheilt; dass dieselbe bei
stärkerem Hunger bei jungen Kaninchen schon in vier Tagen zu ganz
fettleeren Zellen, ja zu Schluss-Atrophie führen kann, folgt aus Ver-
such Nr. 3; aus Versuch 7, dass es bei älteren Meerschweinen da-
zu längerer Zeit bedarf. Ferner folgt daraus und aus Nro. 5 und 3,
dass die Wucher-Atrophie in einzelnen Zellen schon in den ersten
Tagen des Schwundes beginnen und binnen dieser Zeit zu fortge-
schrittenen Stadien wie Fig. 2, 3, 1 b vorgehen kann: aber es ist
auch sehr möglich, dass dazu noch viel weniger Zeit nöthig ist, denn
wir wissen ja nicht, ob die Kernvermehrung der Zelle gleich mit
dem Eintritt des Hungers, oder erst später ihren Anfang genommen
M. Schultze, Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 7. 24
356 Dr. W. Flemming:
hat. Jedenfalls sollte sich durch Hungerversuche mit Tödtung in
den frühsten Stadien, sowie durch Entzündungsversuche allmählich
bestimmen lassen, wie lange eine Fettzelle braucht, um ihren Kern
zu verdoppeln.
Dass ich schliesslich die hier mitgetheilten Versuche nicht als
abgeschlossen ansehe, und dass ich mir wohl bewusst bin nichts
Definitives zu geben, brauche ich dem Leser wohl nicht zu sagen ;
er mag sich durch die vielfache Wahrscheinlichkeitsrechnung, die
zahlreichen „wenn“ und „vielleicht“, die ich anwenden, und die ver-
schiedenen Möglichkeiten, die ich offen lassen musste, oft nicht be-
sonders interessirt gefühlt haben. Er wird mir aber wohl auch darin
Recht geben, dass bei dem noch so kindlichen Zustand der Zellen-
physiologie hier der vorsichtigste Weg der beste und derjenige ist,
auf dem Irrthümer und unnütze Arbeit am Besten vermieden werden !),
1) Anhangsweis mag hier noch das Resultat einer nachträglich ange-
stellten, länger währenden Nahrungsentziehung mitgetheilt sein; es ist be-
sonders mit Hinblick auf das pag. 361 Gesagte von Interesse, denn es plai-
dirt noch mehr, wie irgend einer der vorigen Versuche, für die Rückbildung
der Fettzellen zu fixen Bindegewebszellen.
Kaninchen Nr. 12, älteres trächtiges Weibchen, vorher mässig gut ge-
nährt. Von Ende April an täglich 35—25 Grms. Kartoffelschale. Warf 8 Tage
nach Beginn der Hungerkur mehrere todte Junge, zeigte sich in den fol-
genden 6 Wochen anscheinend ganz munter, wurde dann allmählich hinfälli-
ger und starb am 3. Juni.
In den Inguinal- und Achselfalten wie am Mesenterium wurden keine
volle oder annähernd volle Fettzellen mehr gefunden, ebensowenig serös-
atrophische (d. h. also nach d. O., noch membranhaltige). In den Gefäss-
netzen der Fettläppchen finden sich aber in Menge Zellen, welche wohl mit
Sicherheit als regressive Fettzellen anzusprechen sind, denn sie enthalten
zahlreiche kleinste und kleine und viele von ihnen auch mittelgrosse Tropfen
gelblichweissen Fettes, — was der grösste Theil der Bindegewebszellen in
den Fettläppchen nicht thut — und ihre Zahl und Vertheilung in den Maschen
entspricht auch ganz der der früheren Fettzellen. Einzelne dieser fetthalti-
gen Zellen haben mehr gerundete, walzige oder spindelige Formen, die Haupt-
menge aber zeigt in der Form — Abplattung, Zackung, Ausläufer und
gegenseitige Anastomosen dieser Ausläufer — alle möglichen
Uebergänge zu den nebenliegenden fixen Bindegewebszellen ; die meisten der
fetthaltigen Zellen sind grösser als die letzteren, aber auch in der Grösse
finden sich massenweis Uebergangsformen.
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle. 357
IN. Erörterungen über „Fettgewebe.“
Eine andere Ansicht wie die von mir vertretene hat inzwischen
in einer Arbeit Toldt’s Ausdruck gefunden. Die letztere, offenbar
gleichzeitig mit der meinigen entstanden, ist so kurz nach meiner
vorläufigen Mittheilung publieirt !), dass in ihr auf die letztere kein
Bezug mehr genommen ist. Bei dieser Unabhängigkeit und Gleich-
zeitigkeit der beiderseitigen Forschungen konnte es mir um so er-
freulicher sein, dass in vielen Puncten von Bedeutung Toldt’s Be-
obachtungen und die meinen sehr gut zusammenstimmen: so z. B.
in den Angaben über die Abhängigkeit der Fettzellenanlage von den
Blutgefässen (Toldt p. 7, in meiner Arbeit p. 48 ff.), über die
Membranlosigkeit der jungen Fettzelle (p. 12 bis p. 62), über das
gleichzeitig verschiedene Verhalten verschiedener Fettläppchen (Toldt
für‘ Atrophie p. 20, ich für Entwicklung p. 51 u. a.) und über die
Besonders bemerkenswerth ist ferner, dass eine grosse Zahl dieser atro-
phischen Fettzellen, an manchen Präparaten über ein Drittel der vorhande-
nen, mehrere Kerne, meistens zwei, einzelne aber auch drei und mehr be-
sitzt. Die Kerne mancher der einkernigen Fettzellen sind aussergewöhnlich
gross, oft bis 0,0136mm. Länge und 0,0112 mm. Breite, dabei mit zwei bis
mehreren Kernkörpern. Die Kerne der mehrkernigen Fettzellen dagegen sind
stets viel kleiner, oft um mehr als die Hälfte. — Formen von starker Wucher-
Atrophie, wie sie in Abschnitt 1 geschildert wurde (wo also eine Fettzelle
eine grosse Menge endogener Zellen producirt), sind hier nirgends zu finden:
entweder ist das Stadium derselben hier schon vorüber, oder es kommt bei
so allmählichem Schwund wie hier überhaupt nicht zu solchen Formen des
Vorgangs, sondern nur zu der eben beschriebenen bescheidenen Kernver-
mehrung — resp. vielleicht Zellenneubildung.
Denn es finden sich ausserdem in auffallend grosser Zahl in den atro-
phischen Fettläppchen kleine rundliche freie Zellen, die man vielleicht als
solche Producte der Fettzellen ansehen kann; jedenfalls dagegen nicht als
direete Rückgangsproducte von Fettzellen, denn sie sind fettlos, und in der
Grösse bieten sich keinerlei Uebergangsformen zwischen ihnen und den fett-
haltigen Zellen. (Im Juni 1871.)
1) Toldt’s „Beiträge zur Histol. und Physiol. des Fettgewebes‘‘
(Sitzungsber. d. Wien. Acad. d. Wissensch. Bd. 62, Abth. II. Juliheft 1870)
wurden vorgel. am 21. Juli 1870; meine vorl. Mitth. erschien im Oentralbl.
f. d. med. Wissensch. vom 16. Juli 1870; meine Arbeit im Arch. f. mikr.
Anat., gleichzeitig mit letzterer abgeschickt, erst im Herbst des letzten
Jahres.
358 Dr. W. Flemming:
Fortexistenz des Protoplasma in der Fettzelle (p. 13 bis p. 68), für
welche ich unten noch einen Beleg bringen werde, u. a. m. Diese
Uebereinstimmungen gewähren einen Trost dafür, dass wir in unsern
Schlüssen um so weniger harmoniren. Wenn Toldt an die Spitze
seiner Arbeit den Satz stellt:
„Das Fettgewebe ist ein Organ eigner Art und darf weder
nach seiner Entwicklung, noch nach seinem histologischen Verhal-
ten, noch nach seiner Function zum Bindegewebe gerechnet werden‘,
so muss ich dem letzteren Theil dieses Satzes durchaus ent-
gegentreten und habe das im Voraus schon in jener meiner Arbeit
sethan. Ich wiederhole es hier, weil eben diese Ansicht Toldt’s in
neuster Zeit von anderer Seite eine Fürsprache gefunden hat, welche
ich, ohne mich Missverständnissen auszusetzen, nicht unerwidert
lassen kann.
Rollet hat in seinem geistvollen Versuch zu einer neuen Ein-
theilung der Gewebe!) das „Fettgewebe“ mit Toldt vom Bindege-
webe separirt und hält somit die Entstehung desselben aus den
Elementen des Bindegewebes nicht für die physiologische Norm ;
sondern scheint als solche noch immer die Bildung der Fettzellen
aus kleinen, runden Zellen — jungen Zellen, Keimzellen R. — an-
zunehmen, obschon er hierfür keinen neuen Beleg bringt. Rollet
erachtet es dabei allerdings für „durch W. Flemming nachge-
wiesen, dass die Fettzelle nicht immer aus kleinen rundlichen Zellen
sich entwickelt, sondern dass auch vorerst grösser und in Bezug
auf Vielgestaltigkeit den Zellen des Bindegewebes ähnlich gewordene
Zellen sich in Fettzellen umwandeln“ (l. c. p. 137). Diese Dar-
stellung meiner Resultate kann ich jedoch nicht unterschreiben,
weil sich aus dieser Fassung leicht gerade das Gegentheil von dem
herausdeuten liesse, was ich sagte: ich habe vielmehr zunächst die
Entstehung aus jenen vielgestaltigen Zellen als die Regel, und die
aus kleinen runden als die Ausnahme hingestellt. Und wenn
Rollet weiter sagt: r
„Ganz abgesehen von der Grösse und Gestalt der Zellen,
welche in Fettzellen übergehen, kommen jene Zellen dort, wo wahre
Fettläppchen sich entwickeln, besonders angehäuft vor. Ist nun die
Neubildung der in der Anlage für das Fettläppchen gesammelten
1) Ueber Elementartheile der Gewebe und deren Unterscheidung. Arbeit
des physiolog. Inst. zu Gratz. 1871.
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle. 359
vielgestaltigen Bildungszellen immer von einer oder einer beschränk-
ten Anzahl von Bindegewebszellen ausgegangen, oder wie es mir
wahrscheinlich erschien, aus eingewanderten amöboiden Zellen ent-
standen? Darüber müsste, um über die Histogenese des Fettgewebes
ins Klare zu kommen, erst noch endgültig entschieden werden“,
so hatte grade die Entscheidung dieser Frage meine wesentliche
Arbeit gebildet, ich war an sie gegangen in derselben Voraus-
setzung wie Rollet, und habe sie entscheiden müssen im ent-
gegengesetztenSinn. Wenn also Rollet dem Wortlaute meiner
Arbeit Aufmerksamkeit geschenkt hat, so muss ich annehmen, dass
er meine Gründe nicht beweisend fand, und möchte dieselben also
hier nochmals vertreten.
Ich habe gesagt und demonstrirt, dass die Fettzelle im er-
wachsenen gemästeten Thier, wie im Embryo und Säugling, in
den constanten Fettlagern der Inguinalfalte und des Rückens (also
gerade speciellen „Fettorganen“ nach Toldt) vorwiegend entsteht
— nicht etwa aus Zellen, „welche in Bezug auf Vielgestaltigkeit
den Zellen des Bindegewebes ähnlich geworden sind“, wie
Rollet es ausdrückt, sondern aus Zellen, welche in all ihren
histiologischen Charakteren den fixen Zellen des Bindegewebes
gleich sind, welche vielfach demonstrirbar mit zweifellosen,
fettlosen fixen Bindegewebszellen anastomosiren, und
welche ich deshalb wohl ein Recht hatte fixe Bindegewebszellen
zu nennen (vergl. a. a. 0. p. 58, 59, 62, 72—74, Fig. 14—17 u. a.).
Rollet’s Ansicht von der massenhaften Zellenneubildung an
den Fettanlagen, und von der Entstehung der Fettzellen aus kleinen
runden Elementen scheint wesentlich auf seine Beobachtungen am
Mesenterium begründet zu sein, das ich, aus eben dem Grunde,
schon a. a. ©. einer besondern genaueren Besprechung unterwarf
(p- 63). Hier ist in der That, wie dort beschrieben, die Masse von
Theilungsformen und von jenen kleinen runden Zellen so gross, und
das Auftreten von Fett in Letzteren so häufig zu beobachten, dass
das Object sehr für Rollet’s Ansicht spricht. Bedenkt man aber,
einen wie geringen Bruchtheil das Mesenterialfett gegenüber der
Masse des sonstigen Körperfetfes ausmacht, und ferner, dass jenes
unter andern Bedingungen wächst und lebt wie dieses, so wird man
nicht ohne Weiteres die Beobachtung an jenem auf dieses über-
tragen. Ein Gewebe kann doch erscheinen unter verschiedenen
Formen. Der Fettkörper der Amphibien ist gewissermassen ein
360 Dr. W. Flemming:
eigen modificirtes Stück Mesenterium ; er erscheint auf den ersten
Blick morphologisch wie histiologisch so verschieden von dem Sub-
cutanfett eines Säugers, wie etwa ein Ligamentum nuchae des
Letzteren von dem Intermusculargewebe eines Frosches, die wir
beide als Bindesubstanzen betrachten. Wenn man also den Fett-
körper oder das Mesenterium allen zum Schema nehmen wollte,
so würde man eine pars pro toto gewinnen, die leicht auf Irrungen
führen kann. Ich habe deshalb, und auch weil die Beobachtung
am Mesenterium (l. c.) vielfach unsicher ist, mich zugleich und
hauptsächlich an das Subeutanfett und Nierenfett gehalten und hier
eben klar ausgesprochen den Entwicklungsmodus aus fixen Binde-
gewebszellen gefunden, von dem ich vorher sprach. Dass dieser Ent-
wicklungsmodus vorkommen kann, war längst bekannt; dass er
die Regel ist, habe ich zuerst ausgesprochen, seit man überhaupt
die wahren Formen jener Zellen kennt. Für die Begründung verweise
ich auf meine oben citirten Angaben und Figuren, und möchte einen
Einspruch dagegen nicht für wohlbegründet halten, ehe man nicht
wenigstens versucht hat, diese Resultate mit meinen Methoden zu
controliren, ohne welche meines Erachtens eine sichere Entscheidung
kaum möglich ist.
Die Häufigkeit kleiner rundlicher Zellen, die ich nach v. Reck-
linghausen’s und Ranvier’s Vorgang als freie oder Wander-
zellen bezeichnete, an den Fettanlagen auch des lockeren Bindege-
webes habe ich schon a. a. O. constatirt; ebenso das Vorkommen
von mehrkernigen, wahrscheinlich also Theilungsformen sowohl
dieser, als der fixen Zellen, Theilungsformen, welche übrigens an
diesen Orten keineswegs so massenhaft sind wie im Mesenterium
und wie Rollet es überhaupt anzunehmen scheint. Natürlich ist
es schwer zu entscheiden, in wie weit diese rundlichen Zellen aus-
gewanderte farblose Blutkörperchen oder Lymphzellen, in wie weit
sie Producte localer Neubildung "sind. Dass ihre Anwesenheit
wenigstens zum Theil auf Rechnung des Ersteren kommt, glaubte
ich deshalb annehmen zu können weil ich in manchen derselben die
in die Jugularis gebrachten Farbstoffe fand. Ich habe aber, und da-
rauf kommt es hier wesentlich an,®*auch constatirt, dass ich in
solchen kleinen rundlichen Zellen. bei weitem nicht so häufig und
regelmässig, wie in fixen Bindegewebszellen, Fetteinlagerung fand —
natürlich kann es hier für eine Entscheidung nur auf die Anfangs-
stadien der Fettfüllung ankommen, denn wenn Zellen schon stärker,
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle. 361
mit mittelgrossen Tropfen gefüllt sind, erscheinen sie, wie dort be-
schrieben, alle mehr ausgerundet. Ich habe ferner gesagt, dass ich
bei Farbstofffütterungen die eingebrachten Pigmente nicht in jungen
oder alten fetthaltigen Zellen wiederfand, und endlich, dass ich
junge Fettzellen nie zum Kriechen gebracht habe. Alles das fällt
ins Gewicht gegen die Annahme, dass die Fettzellen direct aus ein-
wandernden amöboiden Zellen entstehen; ebenso gegen die Annahme,
dass sie sich der physiologischen Regel nach direct aus jungen Zellen
bilden, welche an Ort und Stelle durch Proliferation entstanden sind:
— gegen eine Entstehung also aus den „Keimzellen‘“, welche Rol-
let als besondere Gewebsgruppe autstellt, dagegen für eine Ent-
stehung aus fixen Bindegewebszellen. Für die Annahme Rollet’s
bliebe in diesem Fall nur der Weg, dass die eingewanderten resp.
neugebildeten Zellen alsbald zu den Formen fixer Bindegewebszellen
auswachsen, resp. auch mit einander oder mit dort schon liegenden
in Anastomose treten — nach Rollet ‚den Bindegewebszellen ähn-
lich werden‘‘ könnten. — Ich bin weit entfernt diese Möglichkeit zu
bestreiten. Wir wissen zwar nicht, wie lange das Leben einer fixen
Bindegewebszelle währt, und wie rasch oder ob überhaupt ein phy-
siologischer Ersatz derselben erfolgt; möglich ist eine solche fort-
gehende Neubildung gewiss, Golubew') u. A. haben Belege dafür
gebracht, dass diese dann auf Rechnung der farblosen Blutzellen zu
setzen ist, und ich würde mich mit dieser Annahme um so lieber
befreunden, da Vieles darauf hinweist, dass die Elemente des Blutes
und Gefässsystems mit denen der Bindesubstanzen in besonders enger
Gewebsverwandtschaft stehen. Ich selbst habe oben Beobachtungen
mitgetheilt, welche eine Entstehung fixer Bindegewebszellen aus
rundlichen kleinen Zellen beweisen — freilich waren die letzteren
Zellen, welche nachweislich durch die Proliferation einer Fett-
zelle entstanden sind.
Aber man darf fragen wo da die Schärfe der Eintheilung
bleibt, wenn das Gewebe der Keimzellen Rollet’s zunächst in das
Gewebe der Bindesubstanz, und durch dieses in das Fettgewebe
überzugehen vermag. Dann fällt jedenfalls auch jede Schranke zwischen
den beiden Letzteren und man hat ein Recht zu sagen, was ich
eben gesagt habe: das Fettgewebe ist eine physiologische Form des
Bindegewebes.
1) Dieses Arch. Bd. V, p. 75, vergl. die Citate bei Rollet l.c. p. 132.
362 Dr. W. Flemming:
Oder man müsste schon annehmen wollen, dass die Keimzellen,
oder etwa die von Anfang an zur Fettaufnahme prädestinirten „Fett-
gewebszellen‘‘, vielleicht auf Grund zweckmässiger Aupassung an
die bestehenden Verhältnisse im Bindegewebe die allgemeine Uni-
form der Bindegewebszellen angenommen hätten, unter dieser bis
aufs Haar täuschenden Maske aber im Stillen fortführen, als aus-
erwählte Elemente der künftigen Proliferation und Fettfüllung zu
warten. Solche Annahme würde sich freilich weder beweisen noch
entkräften lassen. Zunächst müssen wir uns, scheint mir, doch
halten an das was wir sehen: wir dürfen nicht „absehen von der
Form“, welche, so lange die Entwicklungsgeschichte uns im Stich
lässt, doch unser wesentlichstes Merkzeichen bildet. Und wenn nun
eine Zelle im Bindegewebe ganz so aussieht, wie die fixen Binde-
gewebszellen, und obendrein noch mit solchen anastomosirt, so hat
man wohl volles Recht zu sagen: sie ist eine fixe Bindegewebszelle.
Oder soll uns deren der Umstand hindern, dass diese Zelle später
das Schicksal hat Fett aufzunehmen? Will man das physiologische
Eintheilungsprincip so weit treiben, so scheint mir die nächste Con-
sequenz davon zu sein, dass man neben dem Fettgewebe auch ein
Pigmentgewebe creiren müsste. Denn die Aufnahme oder Bil-
dung von Farbstoff durch Zellen ist doch ein physiologischer Act,
und spielt, namentlich in dem hohen Maass, in dem er bei Kalt-
blutern und Wirbellosen vorkommt, in der Gesammtphysiologie des
Körpers gewiss eine sehr wesentliche Rolle mit, Wenn nun die einen
fixen Zellen des Bindegewebes diesen Act begehen, die anderen
nicht, so haben die ersteren damit ebenso viel oder so wenig Recht
ein Gewebe zu heissen, wie die Fettzellen: denn von den Pigment-
zellen der Aderhaut, oder den Kränzen solcher Zellen, welche die
(Grefässe des Frosches umflechten, könnte man mit dem besten Grund
sagen, was Rollet (p. 138) von den Fettläppchen: „sind sie ein-
gebildet, so liegen sie, ganz abgesehen von ihrer Provenienz (!), als
ein Gewebe von ganz bestimmten Eigenschaften vor.“
Ich würde es sehr bedauern, wenn man aus alledem den Ein-
druck schöpfen wollte, als machte ich überhaupt Opposition gegen
die Anwendung physiologischer Gedanken in der Gewebelehre, wie
sie Rollet empfiehlt; als hätte ich einen principiellen Einspruch.
dagegen, dass wir uns, wie er sagt: „von der physiologischen Em-
pirie leiten lassen müssen.“ Ich meine lediglich, dass die „Prove-
nienz“ der Gewebe ja doch auch mit zu ihrer Physiologie gehört;
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle. 363
und dass also, wo wir etwas über diese Provenienz wissen und wo
uns das einen Maassstab für die Eintheilung geben kann, dieser
auch angelegt werden darf und muss, ohne dass wir uns damit
einer Untreue gegen die physiologische Empirie schuldig machen.
Mir scheint es selbst, als wäre diese Rücksicht auf die Herkunft,
auf Embryologie und Phylogenie der'Gewebe der wesentliche Grund,
auf dem eine wirklich wissenschaftliche Gewebeeintheilung ruhen
müsste. Es ist wahr, dass diese Grundlage bei unserm heutigen
Wissen noch als ein Ideal erscheint. Aber, wenn Rollet auf S. 120
die Möglichkeit hinstellt, dass wir das wirkliche Wesen des Werdens
einer Gewebszelle vielleicht nie werden beobachten können, —
wonach wir uns dann lediglich an das Gewordene und Fungirende
zu halten hätten: — so hat er doch wenige Seiten zuvor über die
Ansicht, dass eine Organisation des Protoplasma nicht existire, das
Gutachten gefällt:
„Diese Annahme machen heisst aber in der Erkenntniss dessen,
was wir brauchen um die Lebenserscheinungen zu erklären, frei-
willig und mit aller Resignation an den Schranken stehen bleiben,
die uns heute die Unzulänglichkeit unserer Untersuchungsmittel noch
setzt. Wir wollen dagegen mit Zuversicht hoffen, dass diese Schran-
ken der andringenden Naturforschung weichen, und dass unser geisti-
ges Auge einst weit über dieselben hinaus klar sehen wird.“
Nun wohl, in dieser Hoffnung, die ich aus vollem Herzen theile,
darf man vertrauen, dass unser geistiges Auge künftig auch in die
Morphologie, Physik und Chemie der Histiogenese tiefer blicken
wird, als uns das heut begreiflich erscheint, und wird sich in dem
Streben danach nicht beirren lassen. — Bis dahin muss die physio-
logische Empirie sicher ein nothwendiges praktisches Hülfsmittel für
die Gewebeeintheilung bleiben; und wird uns um so exacter führen,
je mehr man dabei der von Rollet gestellten Aufgabe genügt:
„gründlich und mit allen zu Gebot stehenden Methoden die Elemen-
tartheile der Gewebe zu untersuchen“ (p. 1 1. c.). Ich wünschte,
man hätte dieses Verfahren zur Controle meiner Angaben über Fett-
zellengenese bereits angewendet: vielleicht wäre mir dann die Be-
kämpfung eines besonderen „Fettgewebes“ erspart geblieben.
Toldt!) hat „die Bindesubstanzzellen des die Fettläppchen
umgebenden Bindegewebes stets ganz frei von Fett gefunden“
364 Dr. W. Flemming:
— dies ist völlig richtig und stimmt mit meinen Angaben 1. c.; —
„nie eine Uebergangsstufe von Bindesubstanzzelle zu Fettzelle in
den Läppchen gesehen,“ — solche sind nun allerdings da, auch
schon im direct herausgeschnittenen Gewebe zu sehen. Aber ich be-
greife sehr wohl, wie die letztere Angabe Toldt’s gemacht werden
konnte, da ich selbst Mühe genug gehabt habe, in diesem Zellenge-
wirr des jungen Gewebes nach sicheren Bildern zu suchen, bis ich
lernte es schonend auseinander za präpariren. Ungerechtfertigt ist
es nur, dass Toldt auf seine negativen Resultate hin sofort den
Schluss zieht (p. 3): „die Beobachtungen, dass Bindesubstanzzellen
in Fettzellen sich umwandeln könnten (Virchow, v. Wittich,
Frey, Förster) kämen nicht unter streng physiologischen Be-
dingungen vor, sondern seien entweder pathologischer Natur, oder
fielen unter den Begriff der Mästung.“ Dieser Schluss freilich ist
unhaltbar; denn niemand wird wohl annehmen, dass ein Em-
bryo im Mutterleib oder ein Säugling sich für gewöhnlich unter
pathologischen oder Mästungsverhältnissen befindet; und grade bei
diesen Lebensstadien habe ich jene Uebergangsformen nicht nur als
häufige, sondern als constante und regelmässige nachgewiesen (vergl.
z. B. 1. c. Fig. 17), und kann den Zweifelnden nur einladen, bei
einem älteren Embryo mit meinen Methoden zu prüfen.
Nach meinem Erachten hätten auch allein schon jene frühe-
ren, von Toldt zugegebenen, aber für abnorm gehaltenen Fälle
sehr zur Vorsicht mahnen müssen, ehe man ein „Fettgewebe“ in-
stituirte. Denn wenn auch nur unter Umständen einmal eine
Bindegewebszelle zu einer Fettzelle, wie alle übrigen, sich umbilden
kann, so muss das doch in jede speeifische Eigenthümlichkeit des
Fettgewebes eine bedenkliche Bresche legen.
Die sonstigen Gründe Toldt’s sind mehr allgemeiner Natur,
sie würden, wie ich gern zugebe, für eine Besonderheit des Fett-
gewebes alle sprechen können, wenn die Zellengenese nicht dagegen
spräche. Dass sie irgendwie beweisend sind, kann ich freilich nicht
sagen. Dass ‚das Fettgewebe sich von einzelnen Puncten des
Körpers aus entwickelt,“ oder wie ich sagen würde, dass stets an
bestimmten Orten des Bindegewebes und an manchen niemals Fett-
zellen auftreten, ist richtig und bildet eins der physiologischen
Räthsel, welche dies Gewebe uns vorlegt. Aber wenn man das
durch die Aufstellung bestimmter „Fettorgane‘“ erklären will, so
muss man zunächst äusserst viele solche Organe und eigene Ent-
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle. 365
wicklungspuncte für sie annehmen; denn alle die Fettzellengruppen,
welche sich constant in den verschiedensten Regionen des Bindege-
webes finden, welche ihr Blut von den verschiedensten Stämmen her
beziehen, als ein histiologisches Continuum anzusehen, das möchte
wohl schwer angehen. Was soll, um nur ein Beispiel zu geben,
aus den locker gehäuften, aber constant vorkommenden Fett-
zellen werden, welche in der tieferen Cutis um die Haarbälge her
liegen? Sie sind und bleiben isolirt von den subeutanen Fettlagern,
sie entstehen und leben nicht an „eigenen“ Gefässbäumchen, son-
dern an den Blutbahnen, welche zu den Haarbälgen und Hautpa-
pillen führen. — Es wird von Toldt selbst zugegeben (l. c.p. 7,8),
dass die Gefässe der Fettläppchen mit denen des umliegenden Ge-
webes Anastomosen unterhalten können. Dass übrigens das Gefäss-
netz des fertigen Fettläppchens in seiner Form ein eigenthümlich
angeordnetes Ganzes darstellt, ist gewiss; aber wir vermögen nicht
einmal zu sagen, in wie weit diese Anordnung das genetisch Gege-
bene, in wie weit sie das physiologisch Gewordene ist, in wie weit
überhaupt diese beiden Kategorien trennbar sind. Wenn man etwa
die Chorioidea oder das Bindegewebe einer Hautpapille darum ein
Organ nennen will, weil ihre Gefässe reichlicher sind und eine andere
Verästelungsform haben wie andere Gefässe im Bindegewebe, so kann
man das ja auch thun; ich sehe aber nicht ein, dass es uns irgend-
wie weiter bringt.
Dem ferneren Satze Toldt’s: „das Fett als Bestandtheil der
Fettgewebszelle ist ein Product des Stoffwechsels derselben, seine
Anhäufung in und sein Verschwinden aus der Fettzelle ist Resultat
der lebendigen Thätigkeit ihres Protoplasma* — möchte ich auch
nur in etwas bedingter Form zustimmen. Toldt hält die Fettzelle
analog einer Drüsenzelle (p. 18); ich halte sie für eine modifi-
eirte fixe Bindegewebszelle: und so wenig wie alle ihre fettleeren
Schwestern in der Gefässadventitia das absolute Vermögen zeigen,
Fett zu bilden und zu verwalten, so wenig kann ich es ihr an sich
zuschreiben, glaube vielmehr, dass sie die Bedingungen dazu erst
erhält durch das aus den Blutgefässen transsudirende Material und
dass sie von diesen Bedingungen bei ihrem Wachsthum wie bei
ihrer Atrophie in enger Abhängigkeit bleibt. Ich glaube das um so
mehr, da man sieht, dass Fett.im gutgenährten Körper nicht nur
in die Fettzelle abgesetzt wird, sondern auch in Zellen, die nicht zu
366 Dr. W. Flemming:
solchen werden, ja wahrscheinlich auch frei ins Gewebe !). — Dass
nun diejenigen Zellen, welche Fett aufnehmen, dafür zur Zeit dieser
Aufnahme besonders disponirt sein müssen, das ist ja unabweislich,
weil eben nicht alle es thun; und dies fordert eben eine Erklärung.
Will man diese geben indem man die bindegewebige Natur der Zellen
einfach läugnet, so ist das ein kurzer, aber wie wir sahen kein exacter
Weg. Da wir aber schon für die atrophisch wuchernden Fettzellen
uns mit der Annahme einer besonderen Disposition einzelner Zellen
beruhigen mussten, so sehe ich nicht, weshalb man das nicht auch
hier einstweilen thun soll. — Dass übrigens das Protoplasma
der Zelle bei der Bildung und Verarbeitung des Fettes eine wesent-
liche Rolle mitspielt, habe ich nie bezweifelt, habe das aber (l. c.
p. 75) nur sehr andeutungsweise erwähnt, da ich es für besser hielt
über Dinge nicht zu reden, so lange wir von ihnen doch nichts
Näheres wissen.
Ich wünsche mit dieser Erörterung nur gezeigt zu haben, dass
es kein leerer Wortstreit ist, wenn ich gegen ein besonderes Fett-
gewebe opponirt habe. Mag man sonst den bequemen Namen gern
anwenden, sofern man keine Vorurtheile über die Genese daran
knüpft. — Und so will ich auch keinen Kampf führen gegen den
culminirenden Satz Toldt’s: „Das Fettgewebe ist em Organ
eigener Art,“ obwohl grade dieses Manchem besonders weitgehend
1) Vergl. in meiner Arbeit p. 61, sowie bei Czajewicz (p. 307 u..a.).
Für die physiologische Auffassung der Fettzellenbildung. die ich aus den Be-
funden gewonnen habe, verweise ich auf p. 72 a. a. O.; als die Hypothese
die sie ist, halte ich sie aufrecht, da ich nicht sehe wie man die histiologi-
schen Thatsachen anders erklären will. — Ich will bei dem Anlass bemerken,
dass ich das Experiment der Gefässnervendurchschneidung an einer Extremi-
tät, welches Toldt gemacht hat um durch Gefässerweiterung und so ver-
stärkten Stoffwechsel die Fettzellen zu entleeren, im Anfang meiner Ar-
beiten ebenfalls mit nachfolgender Mästung angestellt habe um zu sehen, ob
man etwa durch die Gefässdilatation eine vermehrte Fettproduction erzielen
könne, woran sich nach meiner Theorie denken liesse. Ich musste aber selbst
schon damals das Experiment, für den von mir verfolgten Zweck, als naiv
und roh bezeichnen; denn es ist mir kein Weg bekannt die Gefässnerven einer
Extremität zu trennen, als der einer Iehiadicusdurchschneidung und eine
solche setzt so viel andere unberechenbare Störungen, dass da jede Üontrole
aufhört; ich war also nicht verwundert, nach folgender circa l4tägiger
Mästung kein positives Resultat zu finden, würde mich selbst nicht über ein
negatives wundern.
’
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle. 367
und neu erscheinen mag. Wie es übrigens Nichts Neues unter der
Sonne giebt, so ist auch diese Ansicht schon früher mit nicht ge-
ringerer Energie, wenn auch mit noch minderer Begründung geltend
gemacht worden, und findet sich, abgesehen von gleichen Meinungen
noch älterer Forscher, z. B. vertreten bei Todd und Bowman))
wo es nicht nur heist: „This (adipose) tissue has no alliance either
of structure or function with the areolar tissue,“ sondern wo dann
sogar die einzelne Fettzelle als „a perfeet organ in itself‘ darge-
stellt wird. — Ein Beweis, dass der Begriff eines Organs nicht blos
heute ins Detail geht. Wenn man denn üherhaupt diesen schwer
bestimmbaren, rein physiologischen Begriff und Namen in die Mor-
phologie übertragen muss, so scheint mir dazu der Weg Haeckel’s
entschieden als der consequenteste, und ich würde mich in diesem
Sinne z. B. gar nicht bedenken, wenn es Fettzellen mit mehreren
bleibenden Kernen gäbe, diese nach Haeckel Organe erster Ord-
nung zu nennen. — Bei der rein histiologisch-physiologischen, prak-
tisch gewiss sehr nützlichen Definition nach Carus und Rollet?)
bleibt eben der Begriff Organ völlig unbegrenzt: man kann es da-
nach z. B. Niemandem wehren, ein irgendwie grob abgegrenztes
Stück (makroskopisch gesprochen) Bindegewebe als Organ zu
bezeichnen, z. B. eine Sehne, ein Ligament, die Sclerotica oder eine
Darmzotte; wenn man also die Massen der Fettzellenlager, mit
ihren Gefässen und deren Muskeln und Nerven so nennen will, so
widerspreche ich nicht, ich mache nur die Bedingung, dass die
Elementartheile dieses Organs aus Bindegewebszellen entstehen und
jeden Augenblick neu daraus entstehen können. — Aber man wird
dabei, wenn man mit Toldt das Fettgewebe einer Drüse ver-
gleicht, sich zu erinnern haben, dass dies nicht mehr wie ein blosser
Vergleich ist, so lange die Entwicklung aus einem epithelialen Keim-
blatt und die Secretion nach Aussen. den Begriff einer Drüse bilden ;
und man wird vor Allem eingedenk sein müssen, dass die blossen
Namen Organ und Secretion noch keins von den Räthseln
beseitigen, welche für die Physiologie der Fettzelle und der Zelle
überhaupt zu lösen bleiben.
1) Physiological anat. and physiology of man, 1845, p. 80.
2) 1. ce. p. 131 u. 141, wonach die Organe aus einem oder mehreren
einfachen Geweben zusammengesetzt werden.
368 Dr. W. Flemming:
Methode.
Um über die Zellenformen innerhalb der Fettläppchen zu ent-
scheiden, wird es absolut nöthig die letzteren auseinanderzuprä-
pariren. Ich habe dazu hauptsächlich die schöne und einfache Me-
thode des künstlichen Oedems durch Einsticlı angewandt, deren Ein-
führung das Verdienst Ranvier’s ist, und früher schon davon ge-
sprochen (l. ec. p. 40). Ich erlaube mir hier noch genauere Angaben
darüber und über die Modificationen, die ich für den vorliegenden
Zweck passend fand; einmal für Den der meine Angaben controliren
will, sodann, weil das Verfahren eine allgemeinere Verwendung ver-
dient, wie es bis jetzt gefunden zu haben scheint.
Injection flüssigbleibender Massen genügt hier nicht, da das
Gewebe zu sehr wieder zusammenschnurrt; ich wende deshalb jetzt
gewöhnlich eine Mischung von Gelatine !/,, Aq. destill. '/s, Glycerin
1/, an, welche auf circa 40° C. erwärmt und dann mit etwa !/ıo
ihres Volums 5procentiger Silberlösung gemischt wird (dies ist für
die Markirung der Zellen besser, wie der schwache Silberzusatz
nach Ranvier). Sie wird dann, wenn es darauf ankommt mit ent-
fettetem Spritzenstempel, durch Einstich unter die Haut oder in’s
freiliegende Bindegewebe injieirt; für eine etwas pralle gleichmässige
Ausdehnung ist es gut, dabei den Ort der Canülenspitze mehrfach
zu verändern, was natürlich nicht geschehen darf, wo man auf freie
Fetttröpfehen Acht geben will. Dann stecke ich das Thier in ge-
stossenes Eis, um die Masse sofort erstarren zu machen; fertige
die Schnitte mit dem Rasirmesser aus dem herausgeschnittenen und
auf Eis gekühlten Tumor (ganz gefrorene schneiden sich schlecht),
setze sie nach Waschung in Aq. dest. Ys Stunde dem Licht aus,
und lege sie etwa eine Stunde lang in Picro-Carmin (l. ec. p. 41).
Dann werden sie unter öfterem Wasserwechsel wieder gewaschen,
bis sie durchsichtig rosenroth aussehen, endlich mit Aq. dest., welches
3—4 pro Cent Essigsäure enthält, übergossen, und hiermit durch-
tränkt in Glycerin, oder direct eingeschlossen. Man hat hierdurch
den Vortheil, dass man sofort beobachten kann; der Einschluss in
dem schwachsauren Ranvier’schen Ameisensäure-Glycerin (l. c.)
liefert allerdings noch schönere Bilder, aber die volle Säurewirkung
tritt hier erst lange nachher ein. Die Präparate dürfen nicht warm,
nicht einmal an der Sonne stehen, damit der Leim nicht zerfliesst.
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle. 369
Die Injection der Blutgefässe, welche Toldt empfiehlt, kann
vorher ausgeführt werden, für das Inguinalfett gelingt sie leicht
vollständig von der Aorta aus. Sie liefert für diese Methode sehr
hübsche Bilder, ist aber nicht nöthig, da die Gefässe durch die
Tinetion unverkennbar werden.
Die Zellen sind in solchen Tumoren ganz intact einbalsamirt.
Der Gedanke, dass dieselben durch die Injection in ihrer Form ver-
ändert, etwa abgeplattet sein könnten, ist völlig abzuweisen. Es
wäre das schon physikalisch undenkbar, da ja der Druck innerhalb
einer Flüssigkeit von allen Seiten gleich wirken muss; und ich
brauche nur zu erinnern, dass die weichen Zellen des embryonalen
und die Eiterzellen des entzündeten Gewebes bei dieser Methode
ganz dieselben Formen zeigen, wie im frischen Zustand. Bei vor-
sichtiger Einspritzung bleibt auch Alles in seinem alten Situs gegen-
einander und z. B. die serösen Fettzellen nicht zusammengefaltet,
sondern ganz rundcontourirt, nur öfter etwas in die Länge ge-
streckt. Bei sehr praller Einspritzung erhält man einige Kunstpro-
ducte: zwar die Fettzellen in den geschlossenen Läppchen . werden
kaum aus ihren Maschen entfernt; wo sie aber vereinzelter liegen,
wie in der tieferen Cutis (die man ebenfalls noch sehr stark auf-
spritzen kann), sind sie oft eine Strecke weit vom Gefäss abgezerrt
und gewähren dann eigenthümliche Bilder (Fig. 13); die Zelle hat
sich beim Fortrücken vom Platz eine Anzahl Fibrillen mitgenom-
men, in denen sie hängt wie ein Ballon in seinen Gondeltauen, und
diese sind durch das Herüberschlingen über andere Fibrillenbündel
zu einem Strang vereinigt, so dass es aussieht, als sei die Zelle in
einem solchen Bündel aufgehängt.
Es sei hier angefügt, dass man durch solche Aufspritzungen
der Cutis, bei etwas stärkerem Silberzusatz, sich zugleich die schön-
sten Bilder von Lymphgefässendothel verschaffen kann. Ferner
constatirt man auf diesem Wege sehr leicht, dass die Nerven-
stämmchen in der Gutis wie auch im Subcutanstratum eine voll-
ständigeEndothelbedeckung, also vielleicht eine Lymphscheide
haben: was von Rudneff früher entdeckt ist.
Was diese Methode für das Studium der Zellen leistet, dafür
mag hier noch ein Beispiel Platz finden. Nach einigem Liegen wird
gewöhnlich, namentlich an Ameisensäurepräparaten, das Fett durch-
weg feinkörnig und verliert dabei einen Theil seines Glanzes, so
dass man dann durch den Inhalt voller Fettzellen hindurch ein-
370 Dr. W. Flemming:
stellen und die darüber wie darunter liegenden Theile deutlich’ wahr-
nehmen kann. Die Demonstration des Fettzellenkerns, die in frühe-
rer Zeit selbst für ein histiologisches Kunststück galt, ist auf diesem
Wege bei jeder Zelle eine Kleinigkeit. Aber das ist nicht Alles.
Toldt hat mit dankenswerther Schärfe die Fortexistenz von Proto-
plasma in der Fettzelle betont, und als gutes Mittel zu dessen
Nachweis die sehr verdünnte Essigsäure empfohlen. Diesen Nach-
weis kann man nun um die ganz volle Zelle herum in situ führen
durch die Picrocarminfärbung. Auf der obern wie untern Kugel-
fläche verfolgt man mit der Schraube die Ausdehnung des Proto-
plasma, welches vom Kern ausstrahlend den Fetttropfen umgreift.
Die Fig. 12 zeigt das Bild einer solchen oberen Zellenfläche, das
freilich bei der Projection in die Papierebene lange nicht so schön
und schlagend ist, wie bei wechselnder Einstellung.
Erklärung der Tafel XXVII.
Alle dargestellten Objecte sind nach der oben angegebenen Silberleim-
Picrocarmin-Methode angefertigt.
Das Fett in den atrophischen Zellen, soweit es eine gelbliche oder
schmutzige Farbe zeigte, ist in verschiedenen Nuancen grau gehalten. In
Fig. 6 entspricht die gelbe Färbung der im Object.
Die Fibrillen und vielfach auch die Gefässe sind weggelassen.
Indem ich die Thiere, von denen die Objecte stammten, nach Nummern
eitire, verweise ich auf den obigen Bericht über die Versuche.
Fig. 1. a. Fettzellen aus der Inguinalfaite von Kaninchen 6.
«. Serös-atrophisch, &£ y d in verschiedenen Stadien atrophischer
Wucherung. y mit nadelförmigen Krystallen.
b. Fettzellen aus der Inguinalfalte von Kaninchen 3. «ßy serös-
atrophisch in verschiedenen Stadien, $ zweikernig, d atrophisch-
wuchernd. Hartn. 7, 3.
Fig. 2. Fettzellen aus der Inguialfalte von Kaninchen 5, in atrophi-
scher Wucherung, die Producte auswachsend zu fixen Bindege-
webszellen. 9, 1.
Fig. 3. Fettzelle aus der Achselfalte vom selben Thier, ebenso. 9,1.
Fig. 4. Drei Fettzellen vom selben Thier (Inguinalfett). Anfangs- bis
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
Fig.
10.
11.
12.
Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Fettzelle. 371
Endstadien von atrophischer Wucherung ohne Auswachsen zu fixen
Zellen. 7, 1.
Fettzellen aus der Inguinalfalte von Meerschwein 4, theils
serös-atrophisch, theils atrophisch-wuchernd. « Zelle mit unvoll-
ständiger Membran, # mit erhaltener und fast ganz abgelöstem
fetthaltigem Protoplasma, y mit erhaltener Membran und wenig
Endogenzellen, % mit vielen. An mehreren Fettzellen hat das
Protoplasma die Formen fixer Zellen. d 8 fetthaltige fixe Zellen. 7,3.
Meerschwein 11, Inguinalfett. Uebergangsformen der Fett-
zellenneubildung mit weissem Fett, drei fixe Zellen mit gelbem
Fett. Die Uebergangsformen stammten aus ein und demselben
Sehfeld mit 7, 3 und sind nur Bequemlichkeitshalber etwas beim
Zeichnen aneinandergerückt. 7, 3.
2 Monate altes Kaninchen, aus der Inguinalfalte; Entzün-
dung durch eingebrachtes jodgetränktes Hollundermark, unter-
sucht nach 2!/, Tagen. Blutgefässe mit rothen Blutzellen vollge-
stopft, zahlreiche freie Zellen im Gewebe; Wucherung in vielen
der Fettzellen. 7, 1.
Hund 1, Achselfalte. Neben einer Fettzelle mit deutlich bemerk-
barem Protoplasma in derselben Gefässschlinge eins der Häufchen
fixer Zellen (vergl. oben) z. Th. mit Kernvermehrung und fett-
haltıe. 7.8. e. T.
Ein Stück Gefässnetz (im Schnitt) aus einem fettleeren Fettläpp-
chen von Kaninchen 6. Die sonstigen Zellen weggelassen.
n Nerv. 4, 3. e. T.
Eine Masche aus dem letzteren Läppchen mit sämmtlichen darin
und daran liegenden Zellen, genau copirt. n Nerv. 7,1. e. T.
Aus einem Schluss-atrophischen Läppchen von Kaninchen 10,
wie vorige Fig. mit allen Zellen genau copirt. In vielen fixen
Zellen Fetttröpfchen; eben solche auch frei. n Nerv. 7,1.
Hund 1, normale Fettzelle mit anliegender Capillare und einigen
fixen Zellen und Fibrillen (b Fibrillenbündel in der Quellungs-
gestalt, die es gewöhnlich durch die Methode erleidet). — Das
Protoplasma der oberen Fettzellenfläche (mit Kern) ist nach
wechselnder Einstellung über dieselbe gezeichnet. 9, 2.
Zweimonatliches Kaninchen, Fettzellen aus der Umgegend eines
Haarbalges, welche in Folge von sehr starker Einstichirjection
Fibrillen mitgezerrt haben und nun an Fibrillenbündeln zu hängen
scheinen. Das Thier war etwas atrophisch und die Zellen dem-
nach nicht ganz gefüllt. 7,3.
M, Schultze, Archiv f, mikrosk, Anatomie. Bd. 7. 95
Ueber Schwärmerbildung bei Radiolarien.
Von
Prof. h. Cienkowski.
Hierzu Taf. XXIX.
Fast sämmtliche Thatsachen die wir über die Entwickelungs-
geschichte der Radiolarien kennen, machen es höchst wahrschein-
lich, dass die Kapsel bei der Fortpflanzung genannter Organismen
wesentlich betheiligt sei. Ausser der vielfach beobachteten Ver-
mehrung der Kapsel durch Theilung besass die Wissenschaft noch
einige Angaben, die von grosser Bedeutung zu sein versprachen.
Schon Joh. Müller!) hat im Innern einer Acanthometra ein Ge-
wimmel von kleinen monadenartigen Bläschen gesehen, die eine
Weile schwärmten und dann in actinophrysähnliche Gebilde sich um-
wandelten. Da die Herkunft dieser monadenartigen Körperchen
nicht zu ermitteln war, so konnte der Verdacht einer parasitischen
Einmischung in die ganze Erscheinung nicht beseitigt werden.
Noch mehr zu Gunsten der Existenz beweglicher Radiolarien-
keime sprechende Thatsachen führt Häckel in seinem berühmten
Werke an?). Er sah erstens bei Sphärozoiden den Inhalt der
Kapsel in viele Blasen zerfallen und zweitens hat er bei Sphärozoum
in den Kapseln Bläschenhaufen, die eine wimmelnde Bewegung
zeigten, beobachtet. Was besonders für die Zugehörigkeit dieser
1) Abhandlungen der Berliner Academie. 1858.
2) Die Radiolarien p. 141, 147; Taf. 33, Fig. 9; Taf. 35, Fig. 11, 12.
Ueber Schwärmerbildung bei Radiolarien. 373
Bildungen zu den Radiolarien beweisend schien, war der Umstand,
dass erwähnte Bläschen dieselben wetzsteinartigen krystallinischen
Körperchen, welche häufig dem Kapselinhalte der zusammenge-
setzten Radiolarien beigemengt erscheinen, enthielten. Zuletzt sind
noch zu erwähnen die von Schneider in Thallasicolla-Kapseln ge-
fundenen Gruppen von amöboiden Bläschen, die mit geisselartig
bewegten Fortsätzen versehen waren !).
Die mitgetheilten Beobachtungen machten es also höchst wahr-
scheinlich, dass die Radiolarien durch bewegliche Keime, die aus
dem Kapselinhalte gebildet werden, sich fortpflanzen.
Auf Erforschung dieser Verhältnisse, so wie auf die Entwicke-
lung der räthselhaften gelben Zellen waren hauptsächlich meine Be-
mühungen gerichtet, als ich im verflossenen Winter (Januar bis
Mitte März) die Gelegenheit hatte, in Neapel und Messina lebende
Radiolarien zu untersuchen. Es erwies sich bald, dass die Acantho-
metren und die einfachen Radiolarien, z. B. die so häufig in Neapel
vorkommende Aulacantha für die Untersuchung wenig geeignet sind;
ich wandte mich daher vorzüglich zu den colonienbildenden Formen.
Ich untersuchte besonders die Collosphära und das Gollozoum.
Die Structur -Verhältnisse der zusammengesetzten Radiolarien
sind in Müller’s Abhandlungen und Häckel’s classischem Werke
in der Hauptsache fast erschöpfend dargestellt, so dass ich mich
was diesen Punct anbelangt ganz kurz fassen kann. Die Sphäro-
zoiden und Collosphäriden stellen Aggregate von Kapseln, die von
einer gemeinschaftlichen Protopiasmamasse zusammengehalten wer-
den, dar. Die Kapseln sind in gewissen Abständen von einan-
der entfernt; das sie verbindende Protoplasma besteht aus Alveolen
(Blasen) von verschiedener Grösse zwischen und an welchen Sarcode-
Strahlen und Netze sich hinziehen. Ich fand immer die Kapseln an
die Oberfläche der Alveolen angelehnt, oft linsenförmig zusammen-
gepresst und von einer strahlenden Protoplasmaschicht eingehüllt,
die sich ebenfalls an die Alveolen anschmiegt und continuirlich in
die sarcodischen Umhüllungen benachbarter Kapseln übergeht. Ausser
den, die Kapseln tragenden Alveolen gibt es viele kleinere, die der
Kapseln entbehren. FErwähnt man zuletzt die gelben Zellen, die
man fast nie vermisst und verschiedenerorts zerstreut findet, so sind
damit die weichen Hauptbestandtheile der zusammengesetzten Ra-
diolarien angegeben.
1) Müller’s Archiv, 1858, p. 41.
374 Prof. L. Cienkowski:
Die von mir auf ihre Entwickelungsgeschichte untersuchten
Collosphären gehören den zwei schon beschriebenen Arten an, der
C. Huxleyi Müller und C. spinosa Häckel.
Wie aus Müller’sund Häckel’s Arbeiten hinlänglich bekannt,
besitzt die Collosphära eine Gitterschale, die eine Kapsel mit proto-
plasmatischer Umhüllung einschliesst. Bei der erst genannten Spe-
cies ist die Schale glatt und meist weit von der Kapsel abstehend
(Fig. 2—4), bei C. spinosa ist sie mit kurzen Stacheln besetzt
(Fig. 7—10). Der Inhalt der Kapsel ist bei beiden Arten homogen,
hin und wieder schwach violet gefärbt und schliesst eine centrale
Oelblase ein. Die gelben Zellen habe ich gewöhnlich innerhalb der
Schale in einen Haufen vereinigt gefunden, obwohl einige auch
äusserlich an der Oberfläche des Gitters anklebten (Fig. 7, 8).
Die jungen Kapseln sind nackt ohne Schale in eine strahlende Proto-
plasmaschicht eingebettet, von keiner scharf conturirten Hülle um-
grenzt (Fig. 1). In diesem Stadium theilen sie sich häufig durch
Abschnürung in zwei Hälften. Erst in reiferem Alter bekommt die
Kapsel eine resistentere Membran und wird in eine Gitterschale ein-
geschlossen (Fig. 2).
Die Veränderungen, die nun weiter in der Kapsel stattfinden,
bestehen darin, dass ihr ganzer Inhalt in eine Menge kleiner Kügel-
chen zerfällt (Fig. 6, ce.). Ich konnte ‘dieses bei ©. Huxleyi auf dem
Objectträger unter Deckgläschen während eines Tages sich vollziehen
sehen. Schon nach einigen Stunden erschienen im Inhalte viele
zarte Bläschen, die ferner in kleinere Körperchen zerfielen (Fig. 5, 6).
Auf dem Objectträger liess sich leider die Cultur bei der genannten
Species nicht weiter führen. Dagegen glückte es bei C. spinosa
einen Schritt weiter zu gehen. In einigen lebenskräftigen Exem-
plaren, die ich in Neapel im Februar fing, waren schon fast sämmt-
liche Kapseln von einer Unzahl kleiner Kügelchen gefüllt (Fig. 9).
Diese Collosphära-Colonien wurden in grössere mit Seewasser ge-
füllte flache Gefässe gelegt und um die Fäulniss zu vermeiden,
Stücke von Ulva und anderen grünen Algen hinzugefügt. Einen Tag
darauf fand ich, statt der gewöhnlichen wurstförmigen oder kugeli-
gen Colonien, die ich eingelegt, Haufen von gelblichen Körnchen,
welche mit einer Glasröhre herausgehoben unter dem Mikroskope
als Kapseln der C. spinosa sich erwiesen. Die Alveolen, an denen
sie angeheftet sassen, waren ganz verschwunden, von dem strahligen
Protoplasma blieb nur hier und da an den Kapseln anklebend eine
Ueber Schwärmerbildung bei Radiolarien. 375
Spur übrig. Die Kapseln waren dicht aneinander gedrängt. Auf
den ersten Blick schien das Untersuchungsmaterial im Absterben
begriffen zu sein und ich wollte es schon bei Seite legen, als ich in
mehreren Kapseln eine wimmelnde Bewegung der eingeschlossenen
Körperchen gewahr wurde, die in kurzer Zeit fast alle Kapseln des
Haufens ergriff und mit massenhaftem Ausschwärmen endigte.
Ich konnte nun einen Theil des Materials unter Deckgläschen
(bei Vermeidung eines zu starken Druckes) so wie auch in hängen-
den Tropfen mit starker Vergrösserung ganz ruhig beobachten.
Fast in jeder Kapsel wimmelte es von monadenartigen Wesen,
die frei gewordenen schwammen munter in allen Richtungen umher.
Neben Kapseln, deren Inhalt noch homogen, nicht differenzirt blieb,
lagen solche, die schon voll von ruhenden, andere die von schwär-
menden Kügelchen erfüllt waren. An einer Kapsel sah ich die
letzteren aus einer Stelle massenhaft heraustreten (Fig. 10). Einige-
mal glaube ich ganz deutlich beobachtet zu haben, wie sie durch
die Gitteröffnungen davon liefen.
Betrachten wir etwas näher die herumschwimmenden Körper,
die ich schon jetzt als Zoosporen bezeichnen will.
Die Collosphära-Schwärmer sind 0,008 Mm. lang eiförmig, am
schmalen Ende, welches zwei lange Cilien trägt, etwas schief ab-
gestutzt (Fig. 11, 12). In allen Zoosporen fand ich ein krystallini-
sches, an beiden Polen abgerundetes oder zugespitztes Stäbchen
(0,004 Mm. lang), welches oft über den Körper etwas hervorragte.
Füsgt man noch einige Oelbläschen hinzu, so ist damit schon alles
bezeichnet, was man von geformten Elementen an dem nackten proto-
plasmatischen Körper der Zoospore wahrnehmen kann. Unter der
Unmasse von schwimmenden Schwärmern lagen viele bewegungslose
umher. Sie waren rund oder eckig mit ausgezogenen Spitzen; ihr
Inhalt zeigte dieselbe Zusammensetzung wie die der beweglichen
/0ospore, ausserdem sah man an ihnen eine oder mehrere Ab-
schnürungen. Augenscheinlich waren es in Formung aus dem Kapsel-
inhalte begriffene Entwickelungsstadien der Schwärmer (Fig. 15—17).
Dieselben Erscheinungen wiederholten sich an den anderen Collo-
sphära-Exemplaren, die ich zu weiterer Cultur im Gefässe liegen
liess. Die Bewegung der Zoosporen dauert über 24 Stunden; dann
zerfliessen sie, das Stäbchen und die Oelbläschen zurücklassend.
Meine Bemühungen, die Schwärmer auf verschiedene Art zu culti-
viren, um sie zu weiterer Entwickelung zu bewegen, führten immer
376 Prof. L. Cienkowsk'ı:
zu negativen Resultaten. Trotz dem, obwohl das fernere Schicksal
der schwärmenden Zellen unermittelt blieb, glaube ich dennoch die-
selben als Zoosporen auffassen zu können. Für diese Deutung
spricht ihre Bildung aus dem Kapsel-Inhalte, die ich, wenigstens
für die ersten Stadien, bei €. Huxleyi auf dem Objeetträger direkt
beobachten konnte, ferner die in Abschnürung begriffenen Proto-
plasmatheile, die das Stäbchen, welches man so oft im ungetheil-
ten Kapsel-Inhalte in grosser Zahl findet, schon enthielten. Diese
Thatsachen, sowie auch das normale Aussehen des Inhaltes machen
die Voraussetzung, es wären hier doch parasitische Monaden im
Spiele, nicht zulässig. — Haben wir einmal die Ueberzeugung ge-
wonnen, dass schwärmende Zellen in den Entwickelungskreis der
Radiolarien gehören, so bekommen einige der früheren Angaben,
besonders die von Häckel über Sphärozoum eine hohe Beweiskraft.
Die wimmelnden Bläschen mit wetzsteinartigen Körperchen, die der
genannte Forscher bei Sphärozoum fand, waren höchst wahrschein-
lich mit Collosphärazoosporen identische Bildungen.
Die zweite von mir untersuchte Form der colonienbildenden
Radiolarien war das gewöhnliche Collozoum inerme. Die hier ge-
wonnenen Resultate stimmen in der Hauptsache vollständig mit den
früher von Häckel erhaltenen überein. In einigen Punkten er-
weitern sie dieselben und durch die Leichtigkeit, mit welcher man
die Vorgänge im Kapselinhalte beobachten kann, sind sie geeignet,
die hier aufgestellte Behauptung nicht unwesentlich zu unter-
stützen.
Die Kapsel ist auch hier im Jugendzustande hüllenlos in eine
strahlige Protoplasmaschicht eingebettet. Sie vermehrt sich durch
Theilung, in dem sie Bisquitform annimmt oder sich wurmartig ver-
längert und krümmt und dann durch mehrere Einschnürungen in
gesonderte Theile scheidet (Fig. 25—28).
So wie die Collosphärakapseln vor der Zoosporenbildung eine
harte Membran ausscheiden, so thun es ebenfalls die der Collozoen.
Ihre Kapseln bekommen scharfe Umrisse und wachsen bedeutend
(Fig. 21). Ihr Inhalt enthält ausser der Oelblase nicht selten eine
Menge kleiner krystallinischer Stäbchen, die ganz denen, die wir
bei Collosphärazoosporen fanden, gleichen. Diese Stäbchen scheinen
indessen für die weitere Formung des Inhaltes von keiner Bedeu-
tung zu sein, da ähnlich sich verhaltende Kapseln mit oder ohne
Stäbchen in derselben Colonie nicht selten vorkommen. Der Anfang
Ueber Schwärmerbildung bei Radiolarien. 377
der Differenzirung des Inhaltes wird durch das Zerfallen in keil-
förmige radial um die Oelblase gestellte Partien angekündigt (Fig.
18, 19). Uebrigens ist diese Anordnung keineswegs ausnahmslos, da
die Inhaltstheile ebenso oft unregelmässige oder kugelige Massen
bilden. Die Differenzirung schreitet nun weiter fort: die grossen
Protoplasmapartien zerfallen in eine Unzahl kleiner Körperchen, die
wiederum durch Abschnürung sich theilen können (Fig. 20, 22).
Zerdrückt man eine Kapsel in diesem Stadium, so sieht man aus-
tretende nackte Inhaltsballen von verschiedener Grösse, die schon
aus lauter kleinen Körperchen zusammengesetzt sind (Fig 20). Das
indifferente Verhalten der Oelblasen bei dem Zerfallen des Inhaltes
tritt hier deutlich hervor. Sie liegen theils in den Ballen einge-
schlossen, theils frei zwischen den Haufen umher. Wo nur eine
Oelblase vorhanden war, habe ich sie stets ausserhalb der Kügelchen-
aggregate gefunden. Wie bei Collosphära ist auch hier die sich voll-
ziehende Differenzirung des Inhalts durch das beginnende Zusammen-
rücken der Kapseln angezeigt. Die Colonien bekommen dabei ein
grob punktirtes Aussehen, bedingt. durch die scharfen Umrisse der
Kapseln und durch die sie bedeckenden gelben Zellen. Nach und
nach verschwinden die Alveolen und das strahlende Protoplasma fast
gänzlich; die Kapseln werden dadurch gewöhnlich so nahe anein-
ander gepresst, dass sie abgeflacht, wie ein Parenchymgewebe, dessen
Intercellularräume von gelben Zellen erfüllt sind, aussehen (Fig. 23,
24). In diesen Kapselhaufen findet, wie uns schon die Erfahrung
an Collosphära zeigte, vorzugsweise die Differenzirung des Inhalts
statt, obwohl dieselbe noch bei normalem Habitus der Colonie be-
ginnen kann.
Bis dahin ist die Analogie der Vorgänge mit Collosphära so
gross, dass es höchst befremdend wäre, wenn auch das letzte Sta-
dium, das Ausschwärmen der aus dem Kapsel-Inhalte gebildeten Bläs-
chen, hier ausbliebe. Unglücklicherweise war ich durch Krankheit
genöthigt an dieser Stelle meine Untersuchungen abzubrechen und
die Frage wie aus dem differenzirten Kapselinhalte die ganze Colonie
entsteht, unentschieden zu lassen. Hier will ich nur noch zwei
Beobachtungen, die die Entwickelung der Kapsel direkt aus dem
strahlenden Protoplasma sehr wahrscheinlich machen, anführen.
Die erste hier bezügliche Thatsache ist von Stuart gefunden
worden. An Collozoum inerme sah Stuart!), dass ein einfaches
1) Göttinger Nachrichten, 1870, No. 6.
378 Prof. L. Cienkowski:
Klümpcehen verdichteten Protoplasmas zum Sitze der Entwickelung
neuer Individuen wird. Dabei scheiden sich aus dem klaren Proto-
plasma kleine Fetttröpfchen, welche sich später in ein centrales
vereinigen, weiter folgt eine Trennung des Protoplasma in eine
hellere äussere Schicht und eine innere dunklere, die sich in die
Kapsel verwandelt. Die jüngsten Stadien der letztern wurden als
solche durch die Anwesenheit kleiner polyedrischer Krystalle, welche
für die untersuchte Art charakteristisch sind, erkannt. Ich fand
keine Gelegenheit diese Angaben zu prüfen.
Die zweite Thatsache, die die Entwickelung der Kapsel aus
dem strahlenden Protoplasma zu beweisen scheint, habe ich selbst
häufig ebenfalls an Collozoum inerme beobachtet. Statt der ge-
wöhnlichen, die Kapseln umhüllenden Protoplasmaschicht sah ich oft
viele, dicht zusammengedrängte Bläschen, die ganz das Aussehen
von jungen Kapseln besassen (Fig. 29, a). Sie waren von verschie-
dener Gestalt, oft in spitze Fortsätze ausgesogen, enthielten eine
oder mehrere Oelbläschen und waren in reger Theilung begriffen
(Fig. 29; b, c). Um den ganzen die alte Kapsel bedeckenden
Haufen dieser Bläschen zog sich eine dünne Schleimschicht, der
Rest des die Kapsel umhüllenden Protoplasma. Nach einigen Tagen
traf ich an ceultivirten Collozoen erwähnte Bläschen an der Ober-
fläche der Colonie zerstreut und abgerundet, weiter liess sich ihre
Entwickelung nicht verfolgen.
Ich schliesse diese Notiz mit einigen die gelben Zellen be-
treffenden Bemerkungen.
Die Schriftsteller, die sich mit Radiolarien befassten, sehen die
gelben Zellen als integrirende Theile dieser Organismen an, darüber
entstand auch kein leisester Zweifel. Frägt man aber, worauf diese
Ueberzeugung sich gründet, so erhält man zur Antwort, dass die
gelben Zellen bei den meisten Radiolarien stets vorhanden sind.
Allein schon der Umstand, dass bei derselben Species die Zahl er-
wähnter Zellen den grössten Schwankungen unterworfen ist und
nicht selten bis auf eine einzige sinkt, sowie, dass wir von der Art
wie sie sich bilden keine Kenntniss besitzen, dürfte die Angehörig-
keit der gelben Zellen zu den Radiolarien etwas verdächtigen. Ziehen
wir aber in Betracht, mit welcher merkwürdigen Beständigkeit einige
parasitische Bildungen in den Entwickelungskreis anderer Organis-
men eingreifen, so wird es vielleicht nicht als Uebereilung er-
scheinen, wenn wir die Frage aufwerfen, ob denn die gelben Zellen
Ueber Schwärmerbildung bei Radiolarien. 379
überhaupt als integrirende Theile des Radiolarienleibes zu betrachten
seien? Selbstverständlich kann nur die Entwickelungsgeschichte hierin
Licht verschaffen.
Beim ersten Versuch, das Entstehen der gelben Zellen in dem
Protoplasma zu verfolgen, schien die Beobachtung mit keinen be-
sonderen Schwierigkeiten verknüpft zu sein. Wie bekannt vermehren
sich die gelben Zellen durch Theilung und man findet sie in ver-
schiedenen Grössen. Leicht ist es auch im Körper der untersuchten
Radiolarie nackte, gelbgefärbte Protoplasmaklümpchen anzutreffen,
die man geneigt wäre, als erste Entwickelungsstufe einer gelben
Zelle anzusehen. Bei genauerer Untersuchung hat sich indessen ge-
zeigt, dass die beobachtete Radiolarie gelbe Tintinnoiden aufgenom-
men hatte und das die gelbe Farbe des Protoplasmaklümpchens von
der unverdauten Nahrung abstammte. Ich vermochte keine einzige
Thatsache aufzufinden, die unzweifelhaft das direkte Entstehen der
gelben Zellen aus dem Protoplasma der Radiolarien bewiese. Um
der Frage auf anderem Wege näher zu kommen, benutzte ich die
interessante von Schneider gefundene Thatsache, dass die ausge-
schälte Kapsel der Thallasicolla nucleata im Stande ist von neuem
den Radiolarienkörper aufzubauen. Ich glaubte auf diese Weise die
Bildung der gelben Zellen Schritt für Schritt verfolgen zu können,
um so mehr als es Schneider!) gelungen war, die regenerirte
Thallasicolla bis zur Entwickelung der gelben Zellen zu erziehen.
In meinen Versuchen, die ich ebenfalls mit Thallasicolla nucleata
(mit der blau gefärbten Varietät) anstellte, hatte zwar die ausge-
schälte Kapsel neue mit blauen Partikelchen gefärbte Pseudopodien
producirt, allein es glückte mir nicht die Regeneration vollständig
zu verfolgen. Die einzige neue Thatsache, die ich in Betreff der
gelben Zellen fand, besteht darin, dass bei Collozoum, welches längere
Zeit (über eine Woche) in Seewasser liegen blieb, die gelben Zellen
fortfuhren freudig zu wachsen, auch dann, wenn das Protoplasma
und die Kapseln der ganzen Colonie schon völlig zerstört waren. In
diesen Verhältnissen erschien um die gelbe Zelle eine ziemlich
resistente Schleimmembran, die sie eng umschloss (Fig. 30, 31,h). Aus
dieser Hülle trat die wachsende Zelle sehr langsam heraus, eine neue
Umhüllung, die wiederum abgestreift wurde, bildend (Fig. 31, 32,
34, 35). Diese Art von Häutung wiederholte sich an derselben Zelle
1)217€.
380 Prof. L. Cienkowski:
mehrere mal; das Austreten geschah so langsam, dass man es direkt
nicht wahrnehmen konnte. Die befreite Zelle wuchs, bekam lappige
Gestalt und vermehrte sich schliesslich durch Theilung (Fig. 32, 33, 36).
Diese Eigenschaft der gelben Zellen nach dem Tode des Organis-
mus, dem sie angehören sollen, zu wachsen und sich fortzupflanzen,
dann die bedeutende Stärke-Quantität, die sie nach Häckels
wichtiger Entdeckung erzeugen '), was ich bestätigen kann, sind Er-
scheinungen, die zwar über die Deutung der gelben Zellen nicht
entscheiden, dennoch im Lebensgange der Radiolarien höchst be-
fremdend da stehen.
Odessa, 27. April 1871.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. XXIX.
Sämmtliche Figuren mit Ausnahme der 11—14 sind mit dem Zeichen-
prisma abgebildet. Die Vergrösserung ist in Klammern angegeben. In allen
Figuren bezeichnet: K die Kapsel; P das strahlende Protoplasma; O die
Oelblase; G die Gitterschale.
1—6. Collosphära Huxleyi Müller.
1. Eine junge nackte Kapsel, ohne Gitterschale in das strahlende
Protoplasma eingebettet (180).
2. Eine reife Kapsel in die Gitterschale eingeschlossen (180).
3, 4. Gegitterte Kapseln mit nach aussen hervortretendem Protoplas-
ma (180).
5. Im Kapselinhalte entstehen viele Blasen (480).
6. Weitere Differenzirung des Inhaltes in die Kügelchen c. In dieser
so wie auch in der vorigen Figur ist die“Schale nicht abgebildet (480).
7—17. Collosphära spinosa Häckel.
7. Die Kapsel von einem strahligen Gitter eng umschlossen (180).
8. Eine Kapsel mit homogenem Inhalte an die Alveole a angeschmiegt,
von der nur ein Theil abgebildet ist (180).
1) Jod färbt, wie Häckel richtig angibt (Jena’sche Zeitschrift. 1870,
p. 534), die meisten in gelben Zellen eingeschlossenen Kügelchen blau. Um
die Reaction deutlich hervortreten zu lassen, habe ich zuerst das gelbe Pig-
ment mit Alcohol ausgezogen und dann mit starker Jodtinetur mehrere mal
eingewirkt. In Chlorzinkjodlösung trat die Färbung schneller und inten-
siver auf.
Ueber Schwärmerbildung bei Radiolarien. 381
9. Der Kapselinhalt zerfällt in eine Menge von Kügelchen (180).
10. Das Ausschwärmen der Zoosporen (180).
11, 12. Die Zoosporen (600).
13, 14. Zoosporen mit Jod getödtet (600).
15—17. In Theilung begriffener Kapselinhalt (480).
18—36. Collozoum inerme Häckel.
18. Der Kapselinhalt zerfällt in grosse Partien (180).
19. Radial angeordnete Inhaltsballen (180).
20. Gesprengte Kapsel mit austretenden Inhaltsballen, die aus Kügel-
chenaggregaten bestehen (180).
21. Drei Kapseln von kleinen Bläschen gefüllt (180).
22. Die in Theilung begriffenen Körperchen, aus welchen die grossen
Inhaltsballen zusammengesetzt sind (480).
23, 24. Die aneinander gerückten Kapseln, parenchymartige Aggregate
bildend (50).
25—28. Die durch Einschnürungen sich vermehrende junge Kapsel.
25 die gewöhnliche Bisquitform ; 26 gekrümmte Kapsel mit zwei Ein-
schnürungen; 27 in vier Theile zerlegte Kapsel; 28 eine sehr verlängerte,
sich zu Theilungen anschickende Kapsel.
29. Eine Kapsel, umgeben von vielen Bläschen, (jungen Kapseln?) die
wahrscheinlich direkt aus dem Protoplasma entstanden sind; b c dieselben
in Theilung begriffen (180).
30—36. Verschiedene Formen der nach dem Tode der Colonie wachsen-
den gelben Zellen und ihre Häutung. h die Hülle (760).
Zur Kenntniss der feineren Nerven der Mund-
höhlenschleimhaut.
Von
Dr. E. Elin aus Sibirien.
Hierzu Taf. XXX.
Für die Frage über das Verhalten der feineren Nerven der
Mundhöhlenschleimhaut liegen bloss die Angaben von Kölliker und
Krause!) vor, nach welchen die Nerven der Mundlippen und Zunge
in den Schleimhautpapillen als Tastkörperchen und als sogenannte
Krause’sche Kolben endigen sollen.
Für die Endigung von feinen Nerven mit specifischen Endan-
schwellungen in dem Schleimhautgewebe sprechen sich auch in der
neuesten Zeit mehrere Autoren aus, so für die Nerven der Schleim-
haut des Magens 2), der Harnblase ?) und des Kehlkopfes t). Dahin-
gegen sagt Chrschtschonowie’) von den Nerven der Vaginal-
schleimhaut, dass feine marklose Nerven in das Epithelium ein-
treten, dort um die Epithelzellen Netze bilden, mit in Chlorgold
sich stark tingirenden Körpern im Zusammenhange stehen, und über
diese hinaus noch weiter gegen die Oberfläche zu verfolgen sind.
1) Kölliker’s Handbuch der Gewebelehre. 2. Theil.
2) Trütschel, Centralblatt f. d. med. Wissensch. 1870. S. 115.
3) Laodovsky, Üentralblatt f. d. med. Wissensch. 1871.
4) Boldyrew in diesem Archiv. VII. Bd. 2. Heft.
5) Sitzungsber. d. Acad. z. Wien. Februarheft 1871.
Zur Kenntniss der feineren Nerven der Mundhöhlenschleimhaut. 383
Ich untersuchte die Mundhöhlenschleimhaut des Kaninchens bezüg-
lich der Nerven, und kann als das brauchbarste Gewebe, das mir
ganz ausgezeichnete Resultate lieferte, die Schleimhaut des harten
und weichen Gaumens vom Kaninchen empfehlen. Die Methode,
deren ich mich bei meinen Untersuchungen bediente, ist dieselbe
wie sie Chrschtschonowic angewendet hat. Von dem eben ge-
tödteten Thiere schneide ich dünne Schleimhautstücke aus, lege sie
in "/ °/. Chlorgoldlösung; nachdem sie 30 Minuten daselbst ge-
blieben sind, werden sie durch mehrere Stunden (6—24 Stunden) in
distillirtem Wasser ausgewaschen, sodann in ein Fläschchen mit
nahezu gesättigter Weinsteinsäurelösung gelegt. Das Fläschchen
wird in Wasser von 40—50°C. gestellt und darin so lange gelassen,
bis die Objecte eine sammtartig dunkelbraune Farbe erlangt haben.
Hierauf werden sie durch mehrere Minuten in destillirtem Wasser
ausgewaschen, in Alkohol gehärtet, und zu Schnitten verwendet.
Ohne auf den Bau der Schleimhaut des harten oder weichen
faumens einzugehen, die ohnediess in ihren einzelnen Theilen als
Bindegewebe, Papillen, Blutgefässe etc. zur Genüge bekannt sind,
wende ich mich gleich zur Beschreibung der Nervenstämme der
Schleimhaut selbst.
Die aus markhaltigen Fasern bestehenden Nervenstämme, welche
in den tiefen Schleimhautschichten hauptsächlich in longitudinaler
Richtung verlaufen, geben kleinere ebenfalls aus markhaltigen Fasern
bestehende Stämmchen ab, welche in schiefer oder nahezu senk-
rechter Richtung gegen die Oberfläche der Schleimhaut aufsteigen.
Diese verzweigen sich in der Weise, dass die markhaltigen
Fasern einfach oder zu zweien gegen die Papillen der Schleimhaut
aufsteigen. An diesen einfachen oder zu zweien verlaufenden mark-
haltigen Fasern können wir ein ganz eigenthümliches Verhalten be-
merken. Die Schwann’sche Scheide ist im Allgemeinen ganz
ausserordentlich mächtig entwickelt, sie besitzt nur wenige oblonge
scharf begrenzte Kerne, und erscheint als eine im Chlorgold eben
noch gefärbte faserige Schichte, welche in ihrem Dickendurchmesser
die eigentliche Nervenfaser um das Doppelte übertrifft. Diese letztere
ist an Chlorgeldpräparaten ausgezeichnet durch Anschwellungen, die
in ziemlich regelmässigen Abständen auftreten, und die in ihrer
Grösse, wie wir noch anführen werden, bedeutende Verschiedenheiten
zeigen. Die Nervenfaser erhält dadurch das Ansehen einer varicösen
Faser.
384 Dr. E. Elin:;
An Schnitten, die senkrecht auf die Oberfläche geführt wurden,
hören die meisten der eben beschriebenen Fasern in der Nähe des
Epithels auf, oder richtiger gesprochen, sind die meisten durchge-
schnitten, denn wie man sich an schiefen Schnitten überzeugt, än-
dern sie in der Nähe des Epithels ihre Verlaufsrichtung und sind
sie noch viel weiter zu verfolgen. An senkrechten Schnitten nun,
an denen, wie oben erwähnt wurde, wegen der veränderten Verlaufs-
richtung die markhaltigen Nervenfasern abgeschnitten sind, findet
man diese scheinbaren Enden verschieden gestaltet. Das eine Mal
ist die Nervenfaser hinter einer kleineren oder grösseren Anschwel-
lung abgeschnitten ; ein anderes Mal hört die Nervenfaser mit einer
kleineren und ein drittes Mal mit einer ganz ungewöhnlich grossen
Anschwellung, wie solche auch im Verlaufe der beschriebenen Nerven-
fasern anzutreffen sind, auf. Auf diese letzte Form, wie ich sie vor
mir habe, passt ziemlich genau die Beschreibung, wie sie uns
Boldyrew von einzelnen Nerven der Epiglottis giebt. Boldyrew
hält diese Anschwellungen für Endigungen von markbaltigen Nerven.
Ich kann diess für die Gaumenschleimhaut in keinem Falle thun,
einmal, weil wie schon erwähnt, an einer und derselben Nerven-
faser die Anschwellungen bedeutende Grössenverschiedenheiten dar-
bieten, so dass man im Verlaufe einer solchen gerade mit einer
grösseren Anschwellung scheinbar endigenden Nervenfaser kleinere
und grössere Anschwellungen abwechseln sieht und zweitens, weil
ich mich, was ich gleich weiter ausführen werde, an schiefen Schnitten
überzeugt habe, dass die besagten Nervenfasern unter Umwandlung
ihres Charakters als markhaltige Fasern und ihrer Richtung, noch
viel weiter als bis zu den obersten Schleimhautschichten zu ver-
folgen sind.
An Schnitten, welche in schiefer Richtung durch die Papillen
und die oberflächlichsten Schichten der Schleimhaut gelegt sind,
kann man bemerken, dass die oben beschriebenen Nervenfasern in
eine mehr horizontale Richtung abbiegen und in dünne oder brei-
tere Fasern übergehen, die einer auffälligen Sch wann’schen Scheide
fast ganz entbehren, in ihrem Verlaufe zuweilen einen oblongen
Kern eingeschaltet enthalten und an Chlorgoldpräparaten mehr das
Aussehen von aus fein granulirter Substanz bestehenden Fasern be-
sitzen. Sie verzweigen sich unter dem Epithel und hängen unter
einander zu einem nicht sehr dichten Netz zusammen. Wir können
somit sagen: unter dem Epithel gehen die durch eine breite
Zur Kenntniss der feineren Nerven der Mundhöhlenschleimhaut. 385
Schwann’sche Scheide, sowie durch knotige Anschwellungen aus-
gezeichneten markhaltigen Fasern der mucosa in marklose Nerven-
fasern über, die zu einem Netz zusammenhängen.
Bevor ich nun auf die weiteren Verhältnisse der Nerven über-
gehe, will ich mir erlauben einige Bemerkungen über das geschich-
tete Epithel des Gaumens zu machen. Bekanntlich ist das ge-
schichtete Pflasterepithel der Mundhöhle so gebaut, dass die tiefsten
Epithelzellen mehr cylindrisch, palissadenförmig an einander gereiht
sind; darauf folgen mehrere Lagen polyedrischer Zellen mit je einem
rundlichen scharf begrenzten Kerne; gegen die Oberfläche zu flachen
sich die Epithelzellen immer mehr ab, ihre Kerne werden oblong;
endlich liegt an der Oberfläche eine mehr oder minder breite, an
senkrechten Durchschnitten fast homogen aussehende Schichte, in
der ziemlich regelmässig dünne stäbchenförmige Körper, Andeu-
tungen von Kernen, eingelagert sind, und in welcher Systeme von
ausserordentlich feinen Streifen, — Andeutuugen von Zellengrenzen,
— eben noch wahrgenommen werden können. In morphologischer
Beziehung muss ich das geschichtete Epithel des Gaumens strenge
in zwei Partien trennen; die Partie, in welcher die aus granu-
lirtem Protoplasma bestehenden, einen deutlichen, bläschenförmigen
Kern enthaltenden Zellen liegen, entspricht dem Rete Malpighi der
cutis; auch hier verflachen sich die Epithelzellen, sowie ihre Kerne
gegen die Oberfläche ; die zweite Partie, die Hornschichte, die von
der früheren scharf abgegrenzt ist, besteht aus Schuppen, in denen
nur mehr eine Andeutung eines Kernes zu sehen ist und die unter
einander zu einer fast homogenen Schichte verschmolzen sind.
An Schnitten, die von in chlorgoldgefärbten Objecten ange-
fertigt wurden, zeigen sich in sehr vielen Fällen die tiefsten Epithel-
zellen, die die regelmässig gestellten Papillen umsäumen, intensiv
gefärbt, während die darüber befindlichen polyedrischen Epithelzellen
eben noch hellviolett gefärbt erscheinen. Zwischen den polyedri-
schen noch den tieferen Schichten angehörigen Epithelzellen fallen
einige vereinzelt oder dichter beisammen liegende Zellen auf, deren
Protoplasmasubstanz intensiv dunkelroth gefärbt, der centrale oder
peripher gelegene rundliche oder oblonge Kern hell geblieben ist.
Diese letzteren sind bald polyedrisch, bald scheinen sie mit kurzen
Spitzen zwischen die benachbarten hellviolett gefärbten Zellen ein-
gekeilt zu sein; sie sind ihres Kernes wegen, sowie auch, weil sie
sich der Gestalt nach nur selten von den benachbarten notorischen
386 Dr. E. Elin:
Epithelzellen unterscheiden, höchst wahrscheinlich auch als solche
zu betrachten. Zwischen den mittleren und mehr oberflächlich ge-
legenen Schichten des Rete mucosum bemerkt man, wenn diese
Sthichten durch Chlorgold nicht gefärbt wurden, wenn sie hell ge-
blieben sind, ganz dunkel gefärbte Körper, die ein verschiedenartiges
Verhalten aufweisen. Erstlich sind sie gleichmässig intensiv gefärbte
stabförmige Körper, die mit ihrer Längsaxe senkrecht zur Ober-
fläche gestellt und an ihren Rändern vielfach ausgezackt sind; dann
zeigen sich verästigten Zellen ähnliche Gebilde, die bis auf einen
mehr central gelegenen hellen, rundlichen, einem bläschenförmigen
Kerne ähnlichen Körper dunkel gefärbt erscheinen; endlich findet
man dunkel gefärbte, einen deutlichen Kern einschliessende Gebilde,
die mit ihrer Längsaxe ebenso wie die zuerst angeführten, senk-
recht zur Oberfläche gestellt sind. Alle diese Formen von zelligen
Gebilden stehen entweder seitlich oder nach ab- oder nach auf-
wärts mit gleichmässig dunkel gefärbten, oder nur wie aus hinter-
einander stehenden Körnchen zusammengesetzten, mehr oder weni-
ger geschlängelt verlaufenden Fädchen im Zusammenhange, die in
ganz unzweideutiger Weise von subepithelialen Nervenfasern ab-
stammen. Es kommt nicht selten vor, dass von den besagten Kör-
pern, wir wollen sie mit Rücksicht auf das, was eben gesagt wurde,
Nervenzellen nennen, nach abwärts ein Fädchen abgeht, das in eini-
ger Entfernung bogenförmig sich wieder gegen die Oberfläche um-
schlägt, in seinem Verlaufe körnige Anschwellungen besitzt, gabelig
sich theilt oder ungetheilt bis gegen die Hornschichte zu verfol-
gen ist.
Von dem subepithelialen Netz markloser Fasern erheben sich
einzelne in die Papillen, daselbst laufen sie bis an die Spitze der-
selben vor, besitzen hier nicht seiten eine einen deutlichen oblongen
Kern tragende Anschwellung und dringen nun in das Epithel ein.
Andere hingegen, obwohl selten, steigen aus dem subepithelialen Netz
in einen zwischen zwei Papillen befindlichen Epithelzapfen in das
Epithel auf. In beiden Fällen nehmen sie einen fast senkrechten
Verlauf gegen die Oberfläche, sind sehr häufig durch körnige An-
schwellungen ausgezeichnet und erscheinen zuweilen wie eine aus
hinter einander stehenden Körnchen gebildete Faser. Sie verlaufen
im Rete mucosum mehr oder weniger stark geschlängelt bis zur
Hornschichte, wo sie am Schnitte mit einer relativ grossen An-
schwellung aufzuhören scheinen oder aber gabelig sich theilen und
Zur Kenntniss der feineren Nerven der Mundhöhlenschleimhaut. 387
dann in einer zur Oberfläche parallelen Richtung zu verfolgen sind.
Sie geben auf ihrem Laufe durch das Rete mucosum seitlich feine
Fädchen ab, die ebenfalls körnige Anschwellungen besitzen und sich
entweder mit den oben beschriebenen Nervenzellen verbinden, oder
aber um den Rand einer Epithelzelle stark geschlängelt verlaufend
sich herumwinden, um sieh mit einem benachbarten Nervenfädchen
zu vereinigen.
Die Ergebnisse meiner Untersuchung kann ich, um sie in Kürze
zu wiederholen, in folgende Punkte zusammenfassen:
1) Aus dem submucosen Gewebe steigen kleine nur aus wenigen
markhaltigen Fasern bestehende Stämmchen in nahezu senkrechter
tichtung gegen die oberen Schichten der Mucosa auf. Jedes Stämm-
chen theilt sich in der Mucosa ein- oder mehrfach so, dass daraus
vereinzelte oder zu zweien verlaufende Fasern abgehen.
2) Die markhaltigen Fasern sind an Goldpräparaten ausge-
zeichnet durch grössere oder kleinere Anschwellungen, die ihnen das
Aussehen von varicösen Fasern verleihen. Die genannten Nerven
liegen in einer breiten in Goldchlorid sich eben noch färbenden
kernhaltigen Schwann’schen Scheide eingebettet.
3) In den obersten Schichten der Mucosa gehen die zumeist
vereinzelt verlaufenden markhaltigen Fasern in marklose, einer auf-
fallenden Schwann’schen Scheide entbehrenden, durch vereinzelte
eingeschaltete Kerne ausgezeichnete Fasern über, die an Goldpräpa-
raten wie aus einer feingranulirten Substanz bestehend angetroffen
werden. Sie laufen zumeist der Oberfläche parallel und hängen
netzartig zusammen.
4) Aus diesem Netz steigen feine Fasern theils neben Blutge-
fässen in die Papillen auf, von deren Spitze aus sie in das Epithel
eindringen, theils, obwohl seltener, gelangen sie direct aus der Mu-
cosa in die zwischen den Schleimhautpapillen befindlichen Epithel-
zapfen.
5) Die in das Epithel aufsteigenden feinen marklosen Nerven-
fasern sind an den meisten Stellen ihres Verlaufes ausgezeichnet
durch kleine körnige Anschwellungen. Sie verlaufen im Epithel fast
senkrecht gegen die Oberfläche mehr oder weniger geschlängelt,
theilen sich gabelig oder geben auf ihrem Laufe seitlich feine Zweig-
chen ab, die sich stellenweise netzartig veremigen. In den mehr
gegen die Oberfläche zu gelegenen Schichten des Rete mucosum
stehen sie mit oblongen oder unregelmässig gestalteten, in Chlorgold
M. Schultze, Archiv f, mikrosk, Anatomie. Bd. 7. 26
388 Dr. E. Elin: Zur Kenntniss der feineren Nerven ete.
sich intensiv färbenden verästigten zelligen Gebilden im Zusammen-
hange.
6) Einzelne Nervenfasern dringen bis in die obersten Schichten
der abgeplatteten Epithelzellen des Rete mucosum vor, wo sie am
Schnitte mit einer Anschwellung aufzuhören scheinen; auch hier
zweigen sich seitlich feine Fasern ab, die ebenfalls kleine körnige
Anschwellungen besitzen. Mit diesen sich abzweigenden feinen Fasern
umgreifen sie (an Schnitten) in einer zur Oberfläche parallelen
Richtung den oberen Rand einer Epithelzelle stark gesehlängelt ver-
laufend und biegen dann wieder gegen die Mucosa ab.
Schliesslich erfülle ich die sehr angenehme Pflicht Herrn Dr.
E. Klein für seine freundliche Unterstützung meinen Dank auszu-
sprechen.
Wien, im April 1871.
Erklärung der Abbildungen auf Taf. XXX.
Fig. 1. Senkrechter Durchschnitt durch die Schleimhaut des Gaumens vom
Kaninchen. Vergröss. Hartnack. Obj. 5, Ocul. 3.
a. Epithel.
b. Markhaltige Nerven.
c. Querdurchschnittener Nervenstamm.
Fig. 2. Senkrechter Durchschnitt durch die Schleimhaut des Gaumens vom
Kaninchen. Vergröss. Hartnack. Obj. 8, Ocul. 3.
a. Rete Mucosum.
b. Verhornte Schichte.
c. Papille.
d. Nervenfädchen.
e. Nervenzellen.
Fig. 3. Ein ebensoleher Durchschnitt. Vergröss. Hartnack. Obj. 8, Ocul. 3.
a. Rete Mucosum.
b. Verhornte Schichte.
c. Papille.
d. Nervenfäden.
Fig. 4. Ein ebensolcher Durchschnitt.
a. Rete Mucosum.
b. Verhornte Schichte.
Papille.
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